"Ein wertvolles Instrument": Die Universität Greifswald im Nationalsozialismus 9783412223977, 3412223972

Die Geschichte der Universität Greifswald in der Zeit des Dritten Reiches war geprägt von den Rahmenbedingungen, die die

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German Pages 898 [900] Year 2015

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"Ein wertvolles Instrument": Die Universität Greifswald im Nationalsozialismus
 9783412223977, 3412223972

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Henrik Eberle

„Ein wertvolles Instrument“ Die Universität Greifswald im Nationalsozialismus

2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung durch die Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Aula der Universität Greifswald, 1937, Greifswalder Zeitung.

© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Anja Borkam, Jena Einbandgestaltung: Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Satz: Bettina Waringer, Wien Reproduktionen: Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Pläne: Hechtgrafik, Katrin Kaltofen, Dresden Druck und Bindung: Finidr, Cesky Tesin Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-4122-2397-7

Inhalt

1.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11

2.

Die Universität in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

2.1 Widersprüchliche Bekenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.2 Der Aufstieg der nationalsozialistischen Studenten . . . . . . . . . . . 44 2.3 Der Tod des Bruno Reinhard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“ . . . 53 3.1 Antisemitismus und Bücherverbrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.1.1 Das Drängen der Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.2 Erfindung zweier Traditionen: Reinhard und Arndt . . . . . . . . . . . . 67 3.3 Die ersten Denunziationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.3.1 Der „Fall“ Gustav Braun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.3.2 Die Selbsttötung von Edmund Forster . . . . . . . . . . . . . . . 83 Exkurs: Forster und die Hitler-Legende . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.4 Der Umbau der Universität durch erzwungene Entlassungen . . . . . . . 91 3.4.1 Rechtsgrundlagen und Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.4.2 Die 1933 entlassenen Hochschullehrer . . . . . . . . . . . . . . 100 3.4.2.1 Fritz Klingmüller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.4.2.2 Konrat Ziegler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101 3.4.2.3 Julius Lippmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.4.2.4 Heinrich Lauber (Henry Lauber) . . . . . . . . . . . . . 103 3.4.2.5 Paul von Gara (Paul. F. de Gara) . . . . . . . . . . . . . 104 3.4.3 Durch die Aufhebung der Schutzklausel für Frontkämpfer erfolgte Entlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3.4.3.1 Alfred Lublin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3.4.3.2 Josef Juncker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107 3.4.4 Die wegen jüdischer Ehefrauen entlassenen Dozenten . . . . . . 109 3.4.4.1 Ernst Matthes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.4.4.2 Clemens Sommer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3.4.5 Wegen Verstoßes gegen das Berufsbeamtengesetz Entlassene . . . 112 3.4.5.1 Walter Jacobi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3.4.5.2 Günther Jacoby . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3.4.6 Weitere durch das Ministerium erzwungene Entlassungen . . . . 122

6 3.4.6.1 Adolf Busemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.4.6.2 Karl Schmidt und Clemens Thaer . . . . . . . . . . . . 124 3.4.7 Der Entzug der Lehrbefugnis auf Grund der Reichshabilitationsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3.4.7.1 Hans Traub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3.4.7.2 Werner Caskel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.4.8 Der „Fall“ Hans Frebold: Ein Beispiel für die Entfernung eines Hochschullehrers ohne klar nachweisbare Begründung . . . 132 3.4.9 Diskriminierte, aber nicht entfernte Hochschullehrer . . . . . . . 136 3.4.9.1 Hans Pichler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .137 3.4.9.2 Fritz Curschmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .137 3.4.9.3 Wilhelm Steinhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3.5 Die Aberkennung akademischer Grade . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3.6 Die Verfestigung nationalsozialistischer Machtstrukturen – Pfründenbildung, Dozentenschaft, Führerrektor . . . . . . . . . . . . .141 3.6.1 Dozentenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3.6.2 Führerrektor und Kurator: die Doppelspitze der Universität . . . 152 3.7 Die Fortsetzung der Denunziationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3.7.1 Der „Fall“ Walter Hamel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3.7.2 Der „Fall“ Fritz Wrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3.7.3 Friedrich Proell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3.7.4 Adolf Kreutzfeldt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3.7.5 Wolfgang Stammler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3.7.6 Paul Merkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3.7.7 Albrecht Forstmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3.8 Gab es eine Berufungspolitik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3.8.1 Zuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3.8.2 Berufungen zwischen Selbstbehauptung und Kotau . . . . . . . 205 3.8.3 Die Grenzen der eigenen Profilbildung durch Berufungen . . . . .221 3.9 Statistisches: Die Durchdringung des Lehrkörpers mit Nationalsozialisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .227 3.10 Die soziale Situation der Universitätsangehörigen . . . . . . . . . . . . 230 3.10.1 Hochschullehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 3.10.2 Angestellte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3.10.3 Studierende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3.10.4 Frauenstudium und -karrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

7 4.

Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität . . . . . . . . . . . . . 250

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

Politische und militärische Veränderungen des Lehrprogramms . . . . 250 Friktionen im Kirchenkampf, Rückgang des Theologiestudiums . . . . 254 Die ausländischen Studierenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .257 Kampf gegen die Korporationen und Erziehung durch Gemeinschaft . 260 Exkursionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Die Entwicklung des Landdienstes vom freiwilligen Ernteeinsatz zur Ausbildung von Ostspezialisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 4.7 Studentenwettkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 4.8 Studieren im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Bildteil

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität . . . . . . . . . 313 5.1 Die verschiedenen Formen des Engagements . . . . . . . . . . . . . . 313 5.1.1 Wege und Formen der Mobilisierung . . . . . . . . . . . . . . . 313 5.1.2 Die Relevanz der Naturwissenschaften: Eine Universitätsrede im Januar 1935 . . . . . . . . . . . . . . 318 5.2 Politische Pädagogik, Philosophie und völkischer Antisemitismus . . . 320 5.3 Das Ringen um eine zeitgemäße Frömmigkeit: Anschluss an Alfred Rosenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 5.4 Germanisches und Slawisches: Volkskunde und Vorgeschichte . . . . . 345 5.4.1 Volkskunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 5.4.2 Das Pommersche Wörterbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 5.4.3 Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 5.5 Der Ausbau der Kunstwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 5.5.1 Die Berufung des Kurt Wilhelm-Kästner . . . . . . . . . . . . . 368 5.5.2 Kurt Wilhelm-Kästner: Ein Lebenslauf . . . . . . . . . . . . . . .371 5.5.3 Zwei Deutungen über Caspar David Friedrich . . . . . . . . . . .377 5.6 Nordische Kulturarbeit und die Akkumulation von Expertenwissen . . 382 5.6.1 Die Akkumulation von Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . 384 5.6.2 Personelle Verstärkungen: Ulrich Noack und Theodor Steche . . . 388 5.6.3 Religionswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 5.6.4 Politikwissenschaftliche Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 5.7 Nationalsozialistisches Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 5.8 Völker- und Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 5.9 Von der Volkswirtschaft zur Bevölkerungsökonomie . . . . . . . . . . .417 5.9.1 Volkswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .417

8 5.9.2 Volkstumsfragen und Bevölkerungsökonomie . . . . . . . . . . .421 5.9.3 „Judenforschung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 5.9.4 Oder-Donau-Institut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 5.10 Rassenhygiene: Streit um die Vorlesung, zweifelhafte Forschungen . . . 434 5.11 Praktizierte Eugenik: Zwangssterilisierungen und Euthanasie . . . . . . 444 5.11.1 Die Universität und die Zwangssterilisierungen . . . . . . . . . 444 5.11.2 Die mögliche Beteiligung an der „Euthanasie“ . . . . . . . . . . 454 5.12 Diabetes: Vom Heim in Garz zum Institut in Karlsburg . . . . . . . . 458 5.13 Psychoanalyse: Theoretische Überlegungen und Praxis . . . . . . . . . 462 5.14 Geographie und Geologie: Raumordnung und Kriegsvorbereitung . . . 466 5.15 Ökologie, experimentelle Botanik und Landwirtschaft . . . . . . . . . 475 5.15.1 Die Entwicklung der Biologischen Station auf Hiddensee . . . . 475 5.15.2 Experimentelle Botanik und Landwirtschaft . . . . . . . . . . . 479 5.15.3 Fischwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 5.16 Festkörper- und Gasphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 5.16.1 Mineralogie: Wolframdraht und Kristallzüchtung . . . . . . . . 490 5.16.2 Das Institut für Physik als Rüstungsbetrieb . . . . . . . . . . . 492 5.16.3 Rudolf Seeligers Forschungen zum Hochstrombogen und zur Plasmaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .497 5.16.4 Physikalische Chemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 5.17 Kampfstoffforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 5.17.1 Die Habilitation von Rudolf Mentzel und die Berufung Gerhart Janders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 5.17.2 Lostforschung in der Hautklinik . . . . . . . . . . . . . . . . .511 5.17.3 Lostforschung im Physiologischen Institut . . . . . . . . . . . .521 5.17.4 Lostforschung im Pharmakologischen Institut . . . . . . . . . . 522 5.17.5 Die Lostforschung der Militärärztlichen Akademie Berlin, später Greifswald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 5.18 Kurt Herzbergs Forschungen zur epidemischen Gelbsucht . . . . . . . 526 5.18.1 Der Anteil Kurt Herzbergs an der Influenza- und Hepatitisforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 5.19 Virusforschung und Biowaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 5.19.1 Die besonderen Beziehungen der Universität zur Insel Riems . . 535 5.19.2 Otto Waldmann und Mitarbeiter: Biowaffenproduktion auf der Insel Riems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .537

9 6.

Die Universität im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543

6.1 Schließung und Einberufungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 6.2 Kriegseinsatz in der Heimat und an der Front . . . . . . . . . . . . . 549 6.2.1 Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften: Propaganda gegen die Westmächte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 6.2.1.1 Reinhard Haferkorn: Propagandist gegen Großbritannien 555 6.2.2 Die hochrangigen Ärzte: Einsatz in Greifswald und an der Front . . 557 6.2.2.1 Beratende Wissenschaftler . . . . . . . . . . . . . . . . .557 6.2.2.2 Gerhardt Katsch als Beratender Internist . . . . . . . . . 562 6.2.3 Greifswalder Wissenschaftler im Osteinsatz . . . . . . . . . . . . 565 6.3 Profitierte die Universität von Raubgut? . . . . . . . . . . . . . . . . 572 6.4 Die Beschäftigung von Kriegsgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . 574 6.5 Die Auffütterungsversuche in der Medizinischen Klinik . . . . . . . . 576 6.6 Das Sterben und die Sinnstiftung des Krieges . . . . . . . . . . . . . . 578 6.7 Erosion und Kriegsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 6.8 Die Übergabe der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 7.

Die Universität im Schwebezustand und die Entnazifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594

7.1 Die Universität bis zur Wiedereröffnung und der Fall Lohmeyer . . . . 7.2 Die Entnazifizierung des Lehrkörpers in Greifswald und die Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Verhaftungen, Überprüfungen, Versetzungen . . . . . . . . . . . 7.2.2 Die Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten in Greifswald . 7.3 Der Umgang mit ehemaligen Nationalsozialisten in der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Die statistische Bilanz der Entnazifizierung . . . . . . . . . . . . 8.

Biographisches Lexikon des engeren Lehrkörpers der

8.1 8.2 8.3 8.4

Theologische Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät . . . . . . . . . . . . . . Medizinische Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philosophische Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

594 600 600 610 612 618

Ernst-Moritz-Arndt-Universität (1933–1945) . . . . . . . . . . . . . . . 620

620 640 672 750

9. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 856 9.1 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 856 9.2. Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .857

10 9.3 9.4 9.5 9.5

Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .857 Literaturverzeichnis (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 865 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 887 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 888

1. Einleitung

Obwohl am Ende des Zweiten Weltkriegs zahllose Akten der Universität vernichtet wurden, ist das Gästebuch des Rektorats erhalten geblieben. In ihm verewigte sich der pommersche Gauleiter der NSDAP Franz Schwede-Coburg am 16. Februar 1937. „Die deutsche Hochschule ist nicht mehr“, so der Gauleiter, „eine Pflegestätte überholten Klassengeistes, sondern ein wertvolles Instrument nationalsozialistischer Erziehung.“1 Wenige Monate zuvor hatte der Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung eine Rede bei der Gründungsfeier des Reichsforschungsrates gehalten. „Ihnen, meine Herren“, rief er den versammelten Professoren zu, „fällt nicht nur die Aufgabe zu, bestimmte Stoffe, deren die deutsche Wirtschaft bedarf, in Ihren Laboratorien zu erzeugen, sondern in dieser Arbeit zugleich ein junges Geschlecht deutscher Forscher zu erziehen, die bereit und fähig sind zu letzter Aufspannung des Willens, zu letzter Anstrengung des Geistes.“2 Aus Sicht des Ministers stand man am Beginn eines noch zu gehenden Weges, der Gauleiter zeigte sich mit der nun schon fünf Jahre andauernden Umgestaltung auffallend zufrieden. Die NSDAP hatte die Hochschule fest im Griff.3 Die studentischen Korporationen waren verboten, statt buntem Wichs bestimmten die braunen Uniformen des NS-Studentenbundes das Stadtbild. Bei Feierstunden in der Aula der Universität galt folgende Kleiderordnung: „Talar, Frack oder Uniform“.4 Als der Kunsthistoriker Kurt Wilhelm-Kästner 1938 das Rektoramt übernahm, leistete er folgenden Eid: „Ich gelobe unserem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler getreu, das Amt des Rektors der Ernst-MoritzArndt-Universität Greifswald im Geiste der nationalsozialistischen Bewegung zu führen, die Wissenschaft mit allen Kräften zu fördern, Dozenten, Studenten und Angehörigen der Universität ein getreuer Helfer und Berater zu sein, so wahr mir Gott helfe.“5 Rektor und Dekane gehörten der Partei an, oder wenigstens ihrem „Opferring“, was bedeutete, dass sie regelmäßig für die Partei spendeten. Die Mehrzahl der Profes1 2 3 4 5

Vgl. UAG Hbg. Nr. 735, S. V. Vgl. Pressestelle des Reichserziehungsministeriums (Hg.): Ein Ehrentag der deutschen Wissenschaft. Die Eröffnung des Reichsforschungsrates am 25. Mai 1937, S. 15. Die gegenteilige Meinung trägt vor: Thümmel, Hans Georg: Greifswald – Geschichte und Geschichten. Die Stadt, ihre Kirchen und ihre Universität, Paderborn u. a. 2011, S. 202 ff. Vgl. UAG Jur. Fak. Nr. 92, Bl. 114. Vgl. BA R 59, Bl. 295. Die alte Eidesformel lautete wie folgt: Ego (…) juro me in Servandis Statutis, defendis privilegiis, et in universum omnibus inclitae hujus universitatis commodis querendis et augendis, bona fide omnia curare velle. Ita me deus adjuvet per Jesum Christum. Amen. Bl. 293.

12

1. Einleitung

soren und Dozenten hatte einen Aufnahmeantrag gestellt, die Chance, an die Universität berufen zu werden, hatte nur, wer für andere wahrnehmbar „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat“ eintrat.6 An der Universität wurde „Strafrecht im Geiste Adolf Hitlers“ ebenso gelesen wie „Rassenhygiene“. Im Studentenwettstreit suchten Nachwuchsarchäologen nach Spuren der „nordischen“ Besiedlung, ihre akademischen Lehrer profilierten sich im „Volkstumskampf“ gegen die Slawen. Das Bild, das in Erinnerung blieb, ist freundlicher. Greifswald galt als Universität, an der viel getrunken und hart gefochten wurde. Säbelmensuren waren, obwohl verboten, an der Tagesordnung, wobei die Polizei in der Ausübung ihrer Pflicht „ein Auge oder alle beide“ zudrückte.7 Die Kneipenkultur der Stadt war legendär, in der „Hütte“, der „Giftbude“ und der „Falle“ wurde getrunken und gesungen.8 Nicht selten gab es „Kampftrinken“ zwischen den Rekruten des Ausbildungsbataillons der Reichswehr und den Studenten, die meist nicht von den Soldaten gewonnen wurden.9 In den Sommermonaten bevölkerten wassersportbegeisterte Studierende die Stadt. Der Akademische Seglerverein besaß 1932 zwei Seekreuzer, 15,4 Meter und 10,7 Meter lang, einen Jollenkreuzer mit 30 Quadratmeter Segelfläche und eine Jolle. Besser ausgestattet waren nur die Segelvereine von München, Berlin und Königsberg.10 Zu Semesterbeginn wurde fast jährlich der Ertrunkenen gedacht. Ein besonders schlimmes Unglück ereignete sich 1937, als zehn Studenten und drei Fischer aus Wieck beim Segeln den Tod fanden.11 Während des Zweiten Weltkriegs blieb Greifswald von Luftangriffen verschont. Von den „Wirren der Welt“ sei man hier kaum betroffen, urteilte ein Student der Kameradschaft Yorck im Herbst 1944, die intakte Universität und die unversehrte Stadt seien ein „Geschenk“, das auch „die oder jene entschwundene Romantik“ ersetze.12 Für den Schweden Stellan Arvidson, hier als Lektor tätig, war Greifswald 6 Vgl. BA R 4901/25122, unklare Blattzählung. 7 Vgl. Malade, Theo: Aus einer kleinen Universität. Greifswald, München 1938, S. 61 ff. 8 Vgl. Wehrli, Hans: Die Falle. Die Geschichte eines Studentenlokals, in: Ernst-Moritz-ArndtUniversität (Hg.): Universität Greifswald. Festschrift zur 500-Jahrfeier der Universität Greifswald, 17.10.1956, Bd. 1, Greifswald 1956, S. 293 ff. 9 Vgl. Lubs, Gerhard: IR 5. Aus der Geschichte eines Pommerschen Regiments 1920–1945, Bochum 1965, S. 79. Das Infanterieregiment 5 unterhielt im ganzen Wehrkreis II Standorte, in Greifswald waren das Ausbildungsbataillon und das Musikkorps stationiert. Mit dem Heeresausbau wurde das IR 5 in Stettin stationiert, in die neugebauten Kasernen in Greifswald kam das Infanterieregiment 92, das mit der 60. Division bei Stalingrad unterging. 10 Vgl. UAG R 129/552. 11 Vgl. Thümmel, Greifswald, S. 203. 12 NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Yorck, Nr. 16, Oktober 1944, S. 63.

1. Einleitung

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„akademisches Bauerndorf, weit von Berlin und Stockholm entfernt“.13 Sein Nachfolger im Amt, der schwedische Nationalsozialist Åke Ohlmarks urteilte ungnädiger und nannte sie eine „Krähwinkeluniversität“.14 Beide Sichtweisen, wahlweise wehmütig oder abfällig, verstellen den Blick auf die Realitäten. In der „wirtschaftlich und kulturell am tiefsten“ stehenden preußischen Provinz, so der hallische Volkswirt Gustav Aubin 1933 über Pommern,15 hatte sich eine beachtliche Hochschule entwickelt. Sie gehörte zwar zu den kleinsten deutschen Universitäten, aber 1930 studierten 2345 Männer und Frauen in Greifswald,16 unwesentlich mehr als in Gießen und Erlangen, etwas weniger als in Rostock und Halle. Sie hatte 132 Hochschullehrer, also ordentliche Professoren, außerordentliche Professoren und Privatdozenten. Das ergab eine Betreuungsrelation von statistisch 17,7 Studierenden pro Hochschullehrer, in Berlin, der größten deutschen Universität, waren es 19.17 Der Schwerpunkt der Universität lag auf der Medizin, hier waren überdurchschnittlich viele Studierende immatrikuliert und im Hinblick auf den Lehrkörper zählte die Medizinische zu den größeren Fakultäten. Diese Profilbildung hatte bereits Ende des 19. Jahrhunderts begonnen, mit Investitionen in moderne Kliniken und der großzügigen Ausstattung mit Personal.18 Die Medizinische Klinik war 1859 in Betrieb gegangen, die 1873 gebaute Augenklinik galt zum Zeitpunkt ihrer Einrichtung als modernste im Reich. Wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg wurde der Bau der Nervenklinik fertiggestellt. Parallel zum Ausbau der Medizin wurden die Naturwissenschaften gefördert. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entstanden moderne Institute für Physik, Chemie und Pharmazeutische Chemie bzw. Pharmakologie.19 Im Hinblick auf ihren 13 Vgl. Stenholm, Brita: Stellan Arvidson und Greifswald, in: Germanisten, Jg. 3, 1998, Nr. 1–3, S. 86. 14 Vgl. Marell, Anders: Åke Ohlmarks – schwedischer Lektor, Nazimitläufer und/oder Geheimagent? In: Germanisten, Jg. 3/1998, Nr. 1–3, S. 97. 15 Vgl.  Heiber, Helmut: Universität unterm Hakenkreuz. Teil 1: Der Professor im Dritten Reich. Bilder aus der akademischen Provinz, München u. a. 1991, S. 145 16 Vgl.  Woigk, Carsten: Die Studierenden-Statistik der Universität Greifswald 1808–2006, in: Alvermann, Dirk und Karl-Heinz Spieß (Hg.): Universität und Gesellschaft. Festschrift zur 550-Jahrfeier der Universität Greifswald 1456–2006. Bd. 1, S. 573 f. 17 Vgl. Titze, Hartmut, Wachstum und Differenzierung der deutschen Universitäten 1830–1945, Göttingen 1995, S. 64. 18 Vgl. ebd., S. 244. 19 Vgl. Töpel, Stephan: Die Universitätsaugenklinik Greifswald im Nationalsozialismus unter besonderer Beachtung ihres ärztlichen Personals, Diss. med., Greifswald 2013, S. 11; Ewert, Günter und Ralf Ewert: Greifswalds Universitätskrankenhaus (1859), Berlin 2013; Meinecke, Andreas: Neubauten für neue Institute. Die Greifswalder Universitätsbauten aus der Zeit des Wilhelminischen Kaiserreichs (1871–1918), in: Lissok, Manfred und Bernfried Lichtnau (Hg.): Das steinerne Antlitz der Alma Mater. Die Bauten der Universität Greifswald 1456–2006, Berlin 2006, S. 69–82.

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Haushalt und ihr Vermögen war die Universität allerdings nicht autonom. Zwar galt Greifswald als reiche Universität, mit etwa 14.000 Hektar Grundbesitz war sie nach dem Fiskus der größte Grundbesitzer Pommerns. Die Erträge aus den Forsten und Gütern flossen allerdings in einen Stiftungsfonds, aus dem sie dann in den Haushalt der Universität geleitet wurden. Was dann für Gehälter, Bauten, Geräte und den Lehrund Forschungsbetrieb noch fehlte, steuerte der preußische Staat bei.20 Die Universität war also vollständig abhängig von den Zuweisungen des Preußischen Kultusministeriums. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich ein Investitionsstau gebildet, weil die rasche Ausdifferenzierung der Medizin mit den Bauvorhaben nicht Schritt hielt. In den zwanziger Jahren wurde daher ein Klinikbaufonds eingerichtet. Dieser speiste sich aus den Erträgen der Forsten und Universitätsgüter. Als Argument dafür wurde angeführt, dass die Raumsituation bereits vor dem Ersten Weltkrieg als „ungenügend“ und „unterrichtshemmend“ vom Kultusministerium anerkannt worden sei, wie Rektor und Senat in einem Brandbrief 1927 betonten.21 Die Stadt Greifswald unterstützte „ihre“ Universität allerdings, wo es nur ging. 1924 übereignete sie der Universität ein Erweiterungsgelände zwischen dem Stadtzentrum und Eldena. 1925 wurde ein Bebauungsplan genehmigt, der die heute vorhandene Struktur im Prinzip vorwegnahm. Die Kliniken, das Botanische Institut und die Geowissenschaften sollten auf den Neuen Campus „Ostgelände“ verlegt werden. Geisteswissenschaften und Theologie würden in der Altstadt bleiben. Den monierten „Missständen“ konnte durch den soeben begonnenen Neubau der Hautklinik aber nicht wirklich abgeholfen werden. 22 Das von der Universität konzipierte Bauprogramm umfasste immerhin 13 Institute und Kliniken, die innerhalb weniger Jahre errichtet werden sollten. Das Kultusministerium legte im Gegenzug einen Plan vor, nach dem es 39 Jahre dauern würde, bis alle Bauten auf dem Ostcampus errichtet wären. Der Zeithorizont 1966 erschien den Professoren indiskutabel.23 Angesichts des Investitionsstaus verstärkte sich in Greifswald der Eindruck, von anderen Universitäten „abgehängt“ worden zu sein, zumal das Hochbauamt – ursprünglich eingerichtet als Universitätsbauamt – Anträge selbst für dringendste Modernisierungen ablehnen musste.24 Die Neueinrichtung des zahnärztlichen 20 Vgl. Triepel, Heinrich: Das Recht der Universität Greifswald zur Verwaltung ihres Stiftungsvermögens rechtlich und rechtspolitisch betrachtet, in: Stiftungsvermögen und Selbstverwaltungsrecht der Universität Greifswald, Greifswald 1925, S. 75 ff. Die Unterlagen für die jährlichen Haushalte sind nicht überliefert. In einem Entwurf für das Jahr 1941 stehen Einnahmen von 2,23 Millionen Mark Ausgaben von 4,82 Millionen gegenüber. Vgl. BA R 4901/15058. 21 Vgl. BA R 4901/14396, Bl. 22. 22 Vgl. UAG R 330, Bl. 1–5. 23 Vgl. ebd., Bl. 65. 24 Das war der Fall, als eine Rattenplage die Chirurgische Universitätsklinik heimsuchte, der mit baulichen Mitteln möglicherweise zu begegnen war. Baurat Greulich verwies lakonisch auf den Kammerjäger. Vgl. UAG K 1479.

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Instituts musste geradezu erzwungen werden, indem Rektor und Senat auf die Reputation des Klinikdirektors und dessen internationalen Kontakte hinwiesen. Trotzdem dauerte es vom Beschluss 1925 bis zur Fertigstellung nicht weniger als neun Jahre.25 Aus Sicht der Professoren waren alle Institute, mit Ausnahme von Chemie, Physik und Pharmakologie in unzulänglichen Gebäuden untergebracht und zudem über die ganze Stadt verstreut. Sogar Bibliotheksdirektor Walter Menn beklagte die „viel zu enge und unzulängliche Art der Unterbringung“ der älteren Bestände.26 Als im Zuge der Sparmaßnahmen nach der Weltwirtschaftskrise auch über die Schließung von Universitäten nachgedacht wurde, ging auch in Greifswald die Angst um. Angesichts dessen, dass andere Universitäten nicht über eigenes Vermögen verfügten, boten diese ein größeres Einsparpotential und fühlten sich noch stärker von einer Schließung bedroht. Für die Universität Halle kündigte Kultusminister Adolf Grimme die Schließung nach Krawallen von Nazistudenten sogar an.27 Obwohl es eine Bestandsgarantie offiziell nicht gab, meldete die Deutsche Allgemeine Zeitung 1931: „Keine Schließung der Universität Greifswald“.28 Von den allgemeinen Haushaltskürzungen des Jahres 1932 war sie allerdings betroffen, weshalb elf Pflegerinnen, Heizer und Putzfrauen entlassen wurden. Das Gesamtvolumen der Einsparungen betrug 12.600 Mark, was recht exakt dem Jahresgehalt eines ordentlichen Professors entsprach. Im Wissenschaftsbereich wurde nicht gekürzt, wohl aber bei den Kosten für die Wäscherei und das Verbrauchsmaterial, was den Direktor der Frauenklinik Ottomar Höhne zu der reichlich weltfremden Äußerung veranlasste, dass jetzt Zustände herrschten, wie sie „nach dem Kriege bestanden“.29 Die finanziellen Schwierigkeiten erstreckten sich nicht allein auf Bauten und Verbrauchsmaterial, sondern auch auf die Forschung. Hier waren die Professoren auf Drittmittel angewiesen, für die sie zahllose Anträge stellten. Mindestens 50 Nachwuchswissenschaftler wurden in den zwanziger Jahren durch Stipendien des Ministeriums oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG, bis 1929 Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft) gefördert. 1932 waren 27 Privatdozenten auf Unterstützung angewiesen, 1936 waren es noch 20.30 Die Beantragung von Forschungsgeldern beschränkte sich nicht auf den Nachwuchs. Für die Institutsleiter für Pharmakologie 25 Vgl. UAG R 330, Bl. 65, PA 600 Wustrow, PA 547 Plötz. 26 Vgl. Menn, Walter: Luther und die Reformation im Holzschnitt ihrer Zeit, Lutherschriften. Ausstellung der Universitätsbibliothek Greifswald zu Luthers 450. Geburtstage, Greifswald 1933, S. 1 f. 27 Vgl. Eberle, Henrik: Die Martin-Luther-Universität in der Zeit des Nationalsozialismus 1933– 1945, Halle 2002, S. 158 f. 28 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. I Nr. 1 Bd. 5, Bl. 318. 29 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. X Nr. 6 Bd. 10. 30 Vgl. UAG K 1917, Bl. 9 und 115.

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Paul Wels oder für Chemie Gerhart Jander sind umfangreiche Akten der DFG überliefert. Die Forschungen zur Gas- bzw. Plasmaphysik von Rudolf Seeliger wurden anfangs ganz und gar von der DFG finanziert. Zusätzlich ging er mit der Studiengesellschaft für elektrische Beleuchtung – Osram – eine Kooperation ein, wie auch der Mineraloge Rudolf Groß. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Drittmittelsystem noch extensiver betrieben. Was in der Weimarer Zeit als Notbehelf galt, wurde zu einem attraktiven Instrument für bisher ungekannte Forschungsmöglichkeiten. Diese wurden auch von Greifswalder Wissenschaftlern genutzt, wobei sie ihre Forschungen an die Forderungen des Regimes anpassten. Die Themen mussten nicht explizit nationalsozialistisch sein, die patriotische Verpflichtung zur Wehrwissenschaft wurde allerdings zunehmend zum Erfordernis. Die Greifswalder Universität profitierte von der Forschungsförderung überdurchschnittlich. Obwohl sie zu den kleinsten Universitäten gehörte, rangierte sie bis 1937 – also noch vor der Etablierung der Wehrmedizin durch Wilhelm Richter – im vorderen Drittel der bewilligten Forschungsprojekte, zum Beispiel vor Heidelberg und Leipzig, aber deutlich hinter München und Göttingen.31 Abgesehen von der finanziellen Situation, an der wenig zu ändern war, stand die Universität in der Zeit des Nationalsozialismus vor weiteren politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Sie war zwar nachgeordnete Ausbildungseinrichtung des Wissenschaftsministeriums, in ihrem traditionellen Selbstverständnis jedoch Vermittlerin von Wissen, das den ausgebildeten Persönlichkeiten später das selbstständige Denken und Arbeiten ermöglichte. Wie zu allen Zeiten betrachtete sie sich als Gemeinschaft der Magister und Scholaren, war dabei aber auch „eine Veranstaltung des Staates“ wie es § 2 ihrer 1923 erlassenen Satzung ausdrücklich besagte. Ihre Aufgabe war, „die studierende Jugend zum Eintritt in die verschiedenen Zweige des höheren Staatsdienstes sowie [!] für andere Berufsarten“ vorzubereiten.32 Ihre Angelegenheiten „verwaltete“ sie selbst, was nicht bedeutete, dass sie autonom in ihren Entscheidungen war. Sie unterstand dem Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, das 1934 zum Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung umgestaltet wurde. Die Aufsicht wurde vor Ort von einem Kurator ausgeübt, über den auch der Schriftwechsel mit dem Ministerium zu leiten war. Die ordentlichen Professoren, Instituts- und Klinikdirektoren wurden vom Minister ernannt und als Beamte vereidigt.33 Das Beamtenrecht erwies sich als scharfe Waffe, weshalb es auch die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung benutzten. Sie formulierten 31 Vgl. Mertens, Lothar: „Nur politisch Würdige“. Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933–1939, Berlin 2004, S. 192 ff. 32 Vgl. Richter, Werner und Hans Peters (Hg.): Die Statuten der preußischen Universitäten und Technischen Hochschulen, Teil 12. Die Satzung der Universität Greifswald, Berlin 1932. 33 Paragraph 3, 11 und 12 der Satzung. Vgl. ebd., S. 6.

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das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das am 7. April 1933 in Kraft trat. In § 4 des Gesetzes war festgelegt, dass nur jene Beamte sein könnten, die sich „jederzeit rückhaltlos“ für den „nationalen Staat“ einsetzen würden.34 Die vorliegende Studie versucht, auf die drei üblichen Untersuchungsebenen moderner Universitätsgeschichte einzugehen: Institution, Personal, Wissenschaft. Die Entwicklung der Institution – Häuser, Institute und Haushalte – stand dabei nicht im Mittelpunkt. Wichtiger waren die handelnden Personen, mit denen die fachwissenschaftliche Ebene untrennbar verbunden ist. Dabei wurde nicht vergessen, dass jedem einzelnen Professor und Privatdozenten Studierende anvertraut waren. Diese bildeten sie fachlich und prägten manchmal auch ihre Persönlichkeit. Deren Beispiel wirkte, auch weil die Studierenden ganz genau beobachteten, wie sich die Lehrenden zur nationalsozialistischen Ideologie positionierten. Zur Universität Greifswald in der Zeit des Nationalsozialismus existiert eine umfangreiche Forschungsliteratur unterschiedlicher Qualität.35 Diese Gesamtdarstellung schließt ihre Lücken durch vertiefte Archivstudien. Zugleich wurden durch neuere Forschungen zu anderen Universitäten und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft bisher nicht bearbeitete Fragen aufgeworfen, etwa zur Rolle der Universität im Krieg und in der Rüstungsforschung. Sie berücksichtigt daher, genauer als bisher üblich, die individuellen Herausforderungen, vor denen verschiedene Lehrstuhlinhaber standen. In ihren ersten Abschnitten folgt die Darstellung dem eigentlich Politischen und stellt fest, was sich durch den Druck und die repressiven Maßnahmen des Regimes änderte. Der zweite Teil rekonstruiert Anpassungen, welche von den Akteuren selbst in ihren Wissenschaftsbereichen vorgenommen wurden. Gerade in Greifswald, dessen Universität nur einen geringen Anteil des Lehrpersonals durch die antijüdischen „Säuberungen“ verlor, stand die Professorenschaft vor der Aufgabe, sich freudig zu öffnen, anzupassen oder passiv zu verhalten. Auf die einzelnen Fakultäten bezogen waren die Herausforderungen in spezifischer Weise existentiell. Die Theologie war mit der nationalsozialistischen Weltanschauung konfrontiert, die selbst den Charakter einer Religion angenommen hatte und sich in einem Verdrängungswettbewerb mit dem Christentum befand. Hitlers Buch Mein Kampf wurde zum neuen zentralen Werk eines Glaubensbekenntnisses, und seine Reden und Schriften geronnen zur Verkündigung eines neuen Messias.36 34 35

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Vgl. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, RGBl. I, 1933, S. 175 f. Vgl. Literaturverzeichnis. Dazu wertend vgl. Alvermann, Dirk: Vorwort, in: ders., „Die letzten Schranken fallen lassen …“. Studien zur Universität Greifswald im Nationalsozialismus, Köln u. a. 2014, S. 7–14. Für die Frage, ob es sich beim Entstehen einer neuen Religion um etwas Schädliches, Edles oder

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Die Rechtswissenschaftler mussten den Studierenden die Aushöhlung des Rechtsstaates erläutern und untermauerten diese im Einzelfall wissenschaftlich. Einige entzogen sich dieser Aufgabe, andere widmeten sich ihr umso intensiver. Der Aufstieg und Fall der wirtschaftlichen Staatswissenschaften ist noch enger mit der NS-Ideologie verknüpft, am Ende stand die Ausrichtung auf die nationalsozialistische Bevölkerungsökonomie. In der Medizinischen Fakultät vollzog sich eine schleichende Anpassung an die Vorgaben des Regimes, wobei der Hippokratische Eid für einige Ärzte an Bedeutung verlor. Für die Natur- und Geisteswissenschaftler der Philosophischen Fakultät gab es viele Möglichkeiten, sich einzubringen, sei es durch Forschungsarbeiten für die Autarkie oder die Untermauerung und offensive Verkündigung der nationalsozialistischen Ideologie. Die Universität folgte dabei einerseits den von der Partei aufgestellten Normen und den ministeriellen Weisungen. Andererseits konnten viele Akteure ihre Autonomie bewahren, da ihr Expertenwissen gefragt war. Häufig stellten sie dabei ihren Eigensinn unter Beweis, der sich sowohl aus dem Engagement für das Fach als auch aus Ehrgeiz speiste.37 Ihr Selbstbewusstsein nährte sich auch von dem Bewusstsein, zur intellektuellen Elite der Welt zu gehören. Diesen Ruf hatte sich die deutsche Wissenschaft im 19. Jahrhundert erarbeitet und trotz ihres Niedergangs bis 1933 noch nicht völlig verspielt.38 Trotz ihrer geringen Größe und der im Vergleich zu den Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft geringen Forschungskapazität erwies sich die Universität durchaus als ein „wertvolles Instrument“ des NS-Regimes, wie Gauleiter Schwede-Coburg konstatierte. Um der Frage nachzugehen, wie sie dazu wurde, war die Sichtung der Personalakten und des bisher weniger beachteten Bestands Kurator im Universitätsarchiv notwendig. Vertiefend konnten Archivalien eingesehen werden, die seit Beginn des Forschungsprojektes 2011 aufgefunden wurden und ins Universitätsarchiv überführt werden. Systematisch ausgewertet wurden die Akten des Bundesarchivs in Berlin und des Bundesarchiv-Militärarchivs Freiburg. Ergiebig war der durch Neuerschließung erweiterte Bestand des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung Verwerfliches handle, dürfe die moralische Beurteilung keine Rolle spielen, meint der Theologe Thomas Schirrmacher plausibel. Für ihn erscheint die Herausforderung als gegeben, auch wenn sie Zeitgenossen zunächst nicht als Verdrängungswettbewerb erschien. Vgl. Schirrmacher, Thomas: Hitlers Kriegsreligion, Bd. 1, Bonn 2007, S. 486 f. 37 Vgl. Kaiser, Tobias: Universitätsgeschichte und Totalitarismustheorien. Eine Diskussionsanregung, in: Gibas, Monika, Rüdiger Stutz und Justus H. Ulbricht (Hg.): Couragierte Wissenschaft. Eine Festschrift für Jürgen John zum 65. Geburtstag, Jena 2007, S. 240 f. 38 Vgl. Craig, Gordon A.: Über die Deutschen, München 1982, S. 197 ff.; Seier, Hellmut: Die Hochschullehrerschaft im Dritten Reich, in: Schwabe, Klaus (Hg.): Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, Boppard 1988, S. 247–295.

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und Volksbildung (R 4901) im Bundesarchiv. Wesentliche Aufschlüsse zu kriegswichtigen Forschungsthemen erbrachten die Förderakten des Reichsforschungsrats im Bundesarchiv. In den National Archives in London wurden Aussagen zur Virusforschung und zur Beteiligung eines Professors an der Rundfunkpropaganda gefunden. Die Akten des Bundesarchiv-Militärarchivs in Freiburg erwiesen sich im Hinblick auf die medizinische Kampfstoffforschung als teilweise ergiebig. Ein detailliertes Kriegstagebuch konnte von dem Internisten Gerhard Katsch ermittelt werden. In die Akten der Militärärztlichen Akademie flossen Berichte des Hygienikers Kurt Herzberg und des Psychiaters Rudolf Thiele ein. Es gab jedoch Lücken, die nicht vollständig geschlossen werden konnten, zum Beispiel zum Aufgabenbereich der Wehrwissenschaftlichen Abteilung des Physikalischen Instituts oder bei den Arbeiten des Chemischen Instituts. Die Sachakten der zuständigen Rüstungsinspektion Stettin sind mit Sicherheit vernichtet worden. Sie gelangten auch nicht in das sogenannte Sonderarchiv für die deutschen Beuteakten des Russischen Verteidigungsministeriums in Moskau. Die dort befindlichen Akten der Dienststellen der Geheimen Staatspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS gaben ebenfalls keinen Aufschluss über Vorgänge an der Universität. Insofern kann dieses Buch nicht den Abschluss der Forschung bilden. Ein Desiderat bleibt die sowjetische Entnazifizierung und Umgestaltung in den ersten Nachkriegsjahren. Die deutsche Wissenschafts- und Kulturpolitik gegenüber Skandinavien verlangt nach einer sortierenden Gesamtdarstellung, die alle „Nord-Universitäten“ und Berlin betrachtet. Wichtige Details der Medizingeschichte sind bisher nicht aufgearbeitet, wobei auch das Ameos-Klinikum Ueckermünde durch die Verweigerung der Einsichtnahme in Krankenakten möglicher Mordopfer Grenzen setzte. Greifswald und Halle, im März 2015 Henrik Eberle

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Am 30. Juni 1930 räumten die französischen Besatzungstruppen ihre letzten Garnisonen im Rheinland. Die Reichsregierung ließ ein Drei-Mark-Stück prägen, auf dem ein Zitat des pommerschen Dichters Ernst Moritz Arndt prangte: „Der Rhein – Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze“.39 In Koblenz fand am 22. Juli eine nationale Gedenkfeier statt, bei der Reichspräsident Paul von Hindenburg die Gebiete symbolisch wieder in Besitz nahm. Die Universität veranstaltete am 24. Juli in der Stadthalle ebenfalls eine Rheinlandbefreiungsfeier. Die Festansprache hielt Fritz Klingmüller, Professor für Bürgerliches und Römisches Recht an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. Alle seien Zeuge eines weltgeschichtlichen Vorgangs geworden, die letzte französische Staffel habe Mainz verlassen, schwarz-rot-goldene Fahnen seien aufgestiegen und überall habe in strahlendem Glanze geleuchtet: „Der Rhein ist frei!“ Die Deutschen hätten die Möglichkeit „zu eigener Selbstbestimmung und Entwicklung“ zurückerhalten. Klingmüller würdigte anschließend die Verdienste der Reichsregierung und ihres prägenden Ministers Gustav Stresemann. Sie habe in beharrlichen Verhandlungen zunächst die Räumung des Ruhrgebiets erreicht und dann die Locarno-Verträge mit den ehemaligen Kriegsgegnern abgeschlossen. Mit dem Eintritt des Deutschen Reiches in den Völkerbund sei es als „Großmacht“ wieder anerkannt. Auch die Regelung der Schulden durch den Young-Plan begrüßte Klingmüller, weil so der Weg zur Befreiung des Rheinlands habe frei gemacht werden können.40 Auf das Argument, Deutschland sei mit dem Schuldenabkommen einen Versklavungsvertrag eingegangen, antwortete Klingmüller mit deutlichen Worten. Derartige Verträge seien immer schon geschlossen worden, betonte er und zitierte Beispiele des schäbigen Umgangs des Römischen Reichs mit einstigen Kriegsgegnern. Dem „brutalen Zwange der Gewalt“ seien diejenigen, die solche Verträge unterzeichneten, allerdings immer dann gefolgt, wenn es darum gegangen sei, „die Existenz des Volkes oder des Einzelnen zu retten“.41 Solche Verträge seien aber oft auch Voraussetzung für den Wiederaufstieg gewesen, denn immerhin hafteten die Völker für die Niederlage nicht mehr mit ihrem „Blut“, sondern nur noch mit dem „Gut“. In diesem Sinne interpretierte Klingmüller das Schuldenabkommen des Young-Planes ebenso als Erfolg wie die Unterzeichnung des Vertrags von Versailles. Mithin sei auch der Staatsmänner 39 Vgl. Heyde, Philipp: Das Ende der Reparationen. Deutschland, Frankreich und der Youngplan 1929–1932, Paderborn 1998, S. 87. 40 Vgl. Klingmüller, Fritz: Der Rhein ist frei!, Greifswald 1930, S. 6. 41 Vgl. ebd., S. 7.

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zu gedenken, die in ihrem Opfergang für das Vaterland dahingegangen seien: Rathenau, Ebert, Stresemann.42 Am Schluss seiner Rede präsentierte Klingmüller die Vision einer europäischen Politik gleichberechtigter Nationen, die einhergehen müsse mit einer Revision des Versailler Vertrags. Außen- und Innenpolitik müssten aber kohärent sein, meinte er, weshalb die Demokratie die angemessene Staatsform für das Deutsche Reich sei. Nur die Demokratie lasse den „verständigen menschlichen Gesamtwillen“ einer Nation zum Ausdruck kommen und könne den Weg zur „Verständigungspolitik“ ebnen. Im Deutschen Reich komme es daher auf die „Zusammenfassung aller staatsbewussten Kräfte“ auf dem Boden der Weimarer Verfassung an. Das sei auch, und damit griff Klingmüller ein Schlagwort der Rechten auf, die seiner Meinung nach „einzig mögliche Ausdrucksform für die Idee der nationalen Volksgemeinschaft“. Diese Einigkeit müsse „tief und strahlend“ in der Seele aller ruhen wie „das Gold im Rhein“. Dann würden auch die „Wogen, aufgepeitscht von den politischen Leidenschaften einer ringenden Gegenwart“, darüber hinweggehen. Seine Ansprache ließ er mit dem Dreiklang der Nationalhymne ausklingen: Einigkeit – „so notwendig wie das täglich Brot“, Recht – „erkämpft für uns gegen die anstürmenden Mächte der Gewalt“ und Freiheit – „am Rhein endlich erreicht nach 12jährigem Kampf“.43 Nicht alle waren mit Klingmüllers Rede einverstanden, wie eine handschriftliche Randbemerkung belegt, die ein Leser an das gedruckte Exemplar der Rede in der Greifswalder Universitätsbibliothek schrieb. Er unterstrich das Wort von den „schwarzrotgolden“ Fahnen und notierte: „Pfui!“44 In der Rückschau erstaunt Klingmüllers Optimismus im Hinblick auf das Konzept der demokratischen Willensbildung. Sein offensiv vorgetragenes Bild der neueren Geschichte war zweifelsfrei umstritten. Im Münchener „Dolchstoß-Prozess“ hatte 1924 ein Gericht die Mitschuld der Sozialisten an der Niederlage des Jahres 1918 festgestellt.45 Die rechten Parteien, allen voran die Nationalsozialisten, begriffen den Versailler Vertrag als Schandvertrag. Gegen den Young-Plan, der das Deutsche Reich 42 43 44 45

Vgl. ebd., S. 9. Vgl. ebd., S. 10 ff. Vgl. ebd., S. 3. Der Prozess war vom Chefredakteur der Süddeutschen Monatshefte gegen seinen sozialdemokratischen Redakteur angestrengt worden. Nikolaus Cossmann und die Autoren der Süddeutschen Monatshefte argumentierten durchaus nicht so primitiv, wie dies heute oft unterstellt wird. Auch sie gestanden die Niederlage in der Schlacht an der Marne im August 1918 ein, behaupteten aber, dass eine „ehrenvolle“ Niederlage noch möglich gewesen wäre, wenn es nicht die sozialistische Revolution, eben den „Dolchstoß der Heimat in den Rücken der Front“ gegeben hätte. Vgl. Süddeutsche Monatshefte, Jg. 1924 sowie Hans-Christof Kraus: Süddeutsche Monatshefte, in: Historisches Lexikon Bayerns, http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/ artikel_44812, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

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tatsächlich maßgeblich entlastete, initiierten Deutschnationale und NSDAP gemeinsam ein Volksbegehren, dem immerhin fast sechs Millionen Menschen zustimmten. Das Thema der Kriegsniederlage und der Verträge hatte auch den Reichstag beschäftigt, dessen Untersuchungsausschuss eine sehr differenzierte Resolution dazu verabschiedete. Klingmüller trug in seiner Rede genau diesen Konsens vor, den der Reichstag 1928 mit den Stimmen aller Parteien angenommen hatte.46 Mit der Nominierung des ausgewiesenen Demokraten Klingmüller zum Redner bei der Befreiungsfeier demonstrierte die Universität, dass sie jetzt, im Jahr 1930, auf dem Boden der Verfassung stand. Untermauert wird das durch einen statistischen Befund. Vom engeren Lehrkörper zu Beginn des Sommersemesters 1933, also den 142 Professoren und Privatdozenten, gehörten 24 der Deutschnationalen Volkspartei an, was einem Anteil von 16,9 Prozent entsprach.47 Nationalsozialisten gab es zum Zeitpunkt von Klingmüllers Rede im Lehrkörper nicht. Der überwiegende Anteil war parteilos. Ein Bekenntnis zur Republik, wie es Klingmüller ablegte, war nicht selbstverständlich, auch wenn mehr als vier Fünftel der Demokratie offenbar nicht ablehnend gegenüberstanden. Das konservative Fünftel der Professorenschaft nahm in der gesamten Zeit der Weimarer Republik eine bewusste Gegnerschaft gegenüber der marxistisch geprägten Sozialdemokratie ein. Es engagierte sich in der Lokalpolitik und in Vereinen. Diese Aktivisten amtierten häufiger als Rektor und Prorektor der Universität und kamen bei Reden und Ansprachen öfter zu Wort als andere, so dass sie das Bild der Universität Greifswald in der Öffentlichkeit prägten. Bereits unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg hatte es Anlässe gegeben, welche die SPD-geführte preußische Landesregierung an der Verfassungstreue der Universität zweifeln ließen. Eine erste Untersuchung veranlasste das Kultusministerium nach dem gescheiterten Kapp-Putsch. Die Erhebung der Reichswehr und einiger Freikorps am 13. März 1920 war zwar nach einem Generalstreik der Arbeiter zusammengebrochen, die Reichsregierung war jedoch aus Berlin geflohen, die Lage während der fünf Tage des Aufstands insgesamt unübersichtlich.48 Der Senat der Universität hatte am 15. März 1920 die Einstellung aller Vorlesungen auf Bitten des Studentenausschusses verfügt, wie Rektor Friedrich Pels Leusden dem Kultusministerium später mitteilte. Der „größte Teil“ der Studierenden habe sich ohnehin Freiwilligenregimentern angeschlossen, was einen geregelten Vorlesungsbetrieb unmöglich machte.49 46 Vgl. Sammet, Rainer: „Dolchstoß“. Deutschland und die Auseinandersetzung mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg (1918–1933), Berlin 2003, S. 218 ff. 47 Vgl. Biographisches Lexikon in Kapitel 8. 48 Vgl. Könnemann, Erwin und Gerhard Schulze (Hg.): Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch. Dokumente, München 2002. 49 Vgl. UAG R 2195, Bl. 252.

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Dass die Reichsregierung abgedankt hätte, habe er der Zeitung entnommen, betonte Pels Leusden. Besondere Anstrengungen zur Aufklärung der Vorgänge unternahm er allerdings nicht. Von einem Studenten, den er als Rädelsführer vernehmen sollte, konnte er die Adresse nicht ermitteln. Aber dieser habe seine Exmatrikel schon erhalten, bevor etwas Belastendes vorgelegen habe. Zu einem angeblichen Anschlag am Schwarzen Brett könne er Genaueres nicht mitteilen.50 Auf den Vorhalt des Ministeriums, dass die „erregten politischen Meinungsverschiedenheiten zu sehr bedauerlichen Spannungen auch im Lehrkörper“ geführt hätten, die den „Ruf der Universität“ schädigten, antwortete Pels Leusden aggressiv. Die Spannungen habe es wohl gegeben, sie seien jedoch nicht nach außen getragen worden. Überhaupt nicht vorgekommen seien Angriffe von Studenten gegen angeblich missliebige Angehörige des Lehrkörpers. Unruhe habe es lediglich wegen einiger Flugblätter der Demokratischen Partei gegeben.51 Pels Leusden gehörte dem politischen Lager an, das einen Erfolg des Putsches durchaus begrüßt hätte. Er war Mitglied der republikfeindlichen Deutschnationalen Volkspartei, war von 1919 bis 1928 Mitglied der Bürgerschaft Greifswald und von 1919 bis 1928 Mitglied des Provinziallandtags.52 Tatsächlich verhielt es sich beim Kapp-Putsch in Greifswald so, dass der Philosoph Günther Jacoby, der bereits in einem Freikorps im Baltikum gegen die lettischen Bolschewisten gekämpft hatte, versuchte, eine Studentenkompanie zu formieren. Daran beteiligt war vermutlich der Assistent am Botanischen Institut Siegfried Lange.53 Die amtliche Ermittlung zeigte allerdings, dass dies nicht gelungen war. Einige schlossen sich dem in Greifswald stationierten Reichswehrbataillon an, das nach dem Zusammenbruch der Kapp-Lüttwitz-Regierung gegen die noch immer im Streik befindlichen Arbeiter vorging. Dabei wurden fünf Arbeiter erschossen, zwei Studenten wurden verwundet.54 Allerdings engagierten sich einige Professoren in der Technischen Nothilfe, um auf diese Weise den Generalstreik unwirksam zu machen. So sicherte das Physikalische Institut die Stromversorgung der Stadt, wobei der Ordinarius für Theoretische Physik Rudolf Seeliger und sein Assistent Georg Mierdel die Funktion der Transformatoren im Umspannwerk kontrollierten.55 50 51 52 53

Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. I Nr. 14, Bl. 2–5. Ebd., Bl. 15–24. Vgl. UAG PA 553 Pels-Leusden; BA R 4901/13273 und 20072. Vgl. BA R 4901/13267 Karteikarte Jacoby; R 4901/13270 Karteikarte Lange; UAG PA 236 Lange. 54 Nach Günther Jacobys Darstellung wurden sie ebenfalls getötet. Vgl. Mai, Joachim: Die Jahre der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur, in: Wernicke, Horst (Hg.): Greifswald. Geschichte der Stadt, Schwerin 2000, S. 124. 55 Vgl. Mierdel, Georg: Rudolf Seeliger und meine Jahre in Greifswald. In: Rudolf Seeliger – 12.11.1886 – 20.01.1965, Jugendobjekt aus Anlass des 100. Geburtstages, Greifswald 1986, S. 70.

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Aus der Teilnahme einiger Hochschullehrer und Studenten am Kapp-Putsch sind später weitreichende Schlussfolgerungen gezogen worden, die eine durchgängige Kontinuität von der Republikfeindschaft des Jahres 1920 zum Nationalsozialismus nahelegen. An dem Aufstandsversuch hatten allerdings lediglich sieben Studenten teilgenommen, die später in Greifswald als Professoren lehrten.56 Angesichts von 273 Professoren und Dozenten, die während der nationalsozialistischen Zeit an der Universität Greifswald tätig waren, ist die Zahl von zwei Prozent unerheblich. Rein statistisch verhielt es sich bei den Freikorps, welche die Republik bei den Kämpfen in Mitteldeutschland oder gegen die Münchner Räterepublik verteidigten, nicht anders. Diesen Freikorps waren nur zwölf spätere Greifswalder Professoren beigetreten. Dazu gehörten jedoch ganz unterschiedlich motivierte Personen, wie der Leiter der Einwohnerwehr in Halle (Saale) Karl Schmidt, in Greifswald Honorarprofessor für Papyrologie. Schmidt war nicht nur Gymnasiallehrer, sondern auch Offizier. 1916 war er durch zwei Schüsse am Kopf und in die Brust verwundet worden. Nach seiner Wiederherstellung war er im Ersatzbataillon Halle eingesetzt und gründete 1919 eine Einwohnerwehr. Sein Einsatz war motiviert durch die kommunistischen Unruhen in Mitteldeutschland.57 Eine ähnliche Motivation kann für sechs weitere Studenten und Dozenten angenommen werden, die sich an ihren Universitäten Einwohnerwehren angeschlossen hatten.58 An der Niederschlagung der Münchner Räterepublik waren fünf spätere Greifswalder Professoren und Dozenten beteiligt. Diese von der SPD angeordnete Aktion zur Wiederherstellung der Reichseinheit wurde mit regulären und irregulären Mitteln als Bürgerkrieg geführt. Es kam zu ideologisch motivierten Morden an Zivilisten, wie Untersuchungsausschüsse im Nachhinein feststellten. Der spätere Leiter der Frauenklinik Günter K. F. Schultze fand über den Traditionsverband der Brigade Erhardt den Weg zur SS. In Greifswald war er später Dekan der Medizinischen Fakultät. Der Syphilisspezialist Hans Großmann war wie der Geograph Wilhelm Hartnack im Freikorps Epp eingesetzt. Großmann erhielt später eine 56

57 58

Es handelte sich um die Theologen Joachim Jeremias, damals Leipzig, und Anton Jirku, Halle, den Volkskundler Lutz Mackensen, Berlin, den späteren HNO-Arzt Alexander Herrmann, Königsberg, und den Zahnarzt Paul Wustrow, Greifswald. Bei dem späteren Dermatologen Willi Leipold, damals Student in Würzburg, ist die Teilnahme unsicher. Diese Angaben wurden anhand der Dozentenkartei und der Personalakten erhoben, die Quellenachweise sind im Lexikon zu finden. Vgl. BA R 4901/13275 Karteikarte Schmidt. Es handelte sich um den Geschichtsstudenten Johannes Paul, Leipzig, die Philologen Wolfgang Stammler und Hans Volkmann, Hannover und Köln, sowie Lutz Mackensen, damals Berlin. Dieser hatte sich schon beim Kapp-Putsch den bewaffneten Kräften gegen die Republik angeschlossen. Der Botaniker Siegfried Strugger gehörte dem Kärntener Heimatschutz an und beteiligte sich an der Niederschlagung von Unruhen.

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Stellung an der Universität Posen. Für die Universität Greifswald wurde Hartnack wichtig, weil er als Denunziant maßgeblich die nationalsozialistische Umgestaltung der Universität vorantrieb. Für die Universitätsgeschichte prägender als der Kapp-Putsch waren zwei „Fälle“, die sich im Jahr 1924 ereigneten: das Wegmobben des jüdischen Hygienikers Ernst Friedberger und die Entlassung des nationalsozialistischen Politikers und Professors für Mathematik Theodor Vahlen. Mit Ernst Friedberger war 1915 ein innovativer Wissenschaftler auf den Lehrstuhl für Hygiene berufen worden. 1875 in Gießen geboren, promovierte er 1899 zum Dr. med. und habilitierte sich 1903 an der Universität Königsberg. Die Assistentenstelle in Königsberg gab er auf, um Vorsteher der Abteilung für experimentelle Therapie am Pharmakologischen Institut der Universität Berlin zu werden. Den Militärdienst absolvierte er bei der hessischen Infanterie und stieg nach der Absolvierung von Reserveübungen rasch auf. 1914 zog er als Korpsarzt des 23. Reservekorps in den Krieg und wurde bis zu seiner Berufung in Greifswald an der Front eingesetzt, wofür er die Hessische Tapferkeitsmedaille und das Preußische Eiserne Kreuz II. Klasse erhielt. In Pommern wirkte er bei der Bekämpfung mehrerer Epidemien mit, 1917 steckte er sich dabei mit Fleckfieber an und erkrankte schwer.59 Zu einem ersten Zusammenstoß mit Fakultätskollegen kam es, als Friedberger 1922 das Dekanat ausübte. Der „Volksbund rettet die Ehre“ in Bremen hatte um eine gutachterliche Stellungnahme zur Gefährlichkeit afrikanischer Besatzungstruppen im Rheinland gebeten. Nach kurzer Beratung im Kollegium gab Friedberger eine lakonische Stellungnahme ab. Es sei anzunehmen, meinte Friedberger, dass „die weißen Franzosen ihre schwarzen Landsleute“, bevor sie nach Deutschland kämen, „auf ihren Gesundheitszustand gründlich untersucht“ hätten, „schon um sich selbst vor Infektionen zu schützen“. Tropenkrankheiten seien darüber hinaus wegen des Klimas unwahrscheinlich. „Gefährden“ dürften die schwarzen Soldaten die Bevölkerung jedoch „durch die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten“. Diese Stellungnahme war aus Sicht des Chirurgen Pels Leusden eine „Konzession“ an die Franzosen, die im besetzten Rheinland deutsche Frauen zur Zwangsprostitution zwingen würden und auch nicht „das Geringste dazu täten, um die Schwarzen vom Herandrängen an unsere Frauen und Mädchen abzuhalten“. Es sei empörend, dass sich Friedberger so positiv über die Franzosen äußere. Als „Rassenhygieniker“ hätte er Stellung dazu beziehen müssen, „dass die Schwarzen an und für sich eine Pestseuche für die deutsche Rasse sind“.60 Die Beschwerde wurde zu den Akten genommen, zu einer grundsätzlichen Beanstan59 60

Vgl. UAG PA 489 Friedberger. Vgl. UAG Med. Fak. I Nr. 342.

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dung von Friedbergers Antwort konnte sich der Kurator als Vertreter des Kultusministers nicht durchringen. Wenig später kündigte Friedberger dem 1. Assistenten seines Instituts Erich Putter „wegen ungebührlichen Verhaltens“, woraufhin sich alle Angestellten mit Putter solidarisierten. Der habe eine Frau und drei Kinder zu versorgen und außerdem verhalte sich Friedberger ebenfalls oft grob und schreie die Mitarbeiter häufig ohne Grund an. Im persönlichen Umgang sei Friedberger unangenehm und nutze die Arbeitskraft seiner Mitarbeiter für persönliche Zwecke aus. Die Vorwürfe reichten bis hin zur sexuellen Belästigung und Korruption. Das Preußische Kultusministerium ordnete daraufhin eine Untersuchung an und beurlaubte Friedberger bis zur Klärung der Vorwürfe. Die Ermittlung ergab, dass Friedberger von japanischen Gastwissenschaftlern Gebühren in britischen Pfund angenommen, aber korrekt verbucht hatte. Im Hinblick auf den Umgang mit den Angestellten hatte sich Friedberger tatsächlich oft aufbrausend verhalten, der Vorwurf sexueller Belästigung erwies sich jedoch als frei erfunden. Bestätigt wurde hingegen der Vorwurf, dass sich Friedberger im Hinblick auf seine Manieren und seine Kleidung hatte gehen lassen. Trotzdem kam der Bearbeiter zu dem Schluss, dass Friedberger wieder in sein Amt einzusetzen sei. Von der Leitung des Instituts wurde er jedoch entbunden und es wurde ihm verboten, private Forschungen mit Haushaltsmitteln durchzuführen.61 Die Rückkehr Friedbergers mobilisierte die Greifswalder Rechtsextremisten, die im Norddeutschen Beobachter eine Kampagne gegen ihn entfesselten. Die Zeitung wurde vom Ordinarius für Mathematik Theodor Vahlen finanziert, wovon das Kultusministerium nichts wusste. Vahlen amtierte außerdem als Gauleiter der Großdeutschen Volkspartei, die als Ersatzpartei für die verbotene NSDAP gegründet worden war.62 Die Vorwürfe gegen Friedberger waren der Zeitung zugespielt worden, wahrscheinlich von Friedrich Pels Leusden. Im Blatt wurden die finanziellen Unregelmäßigkeiten, die es nicht gab, zu Tatsachen erklärt. Dann höhnte der Redakteur, Korruption sei wohl „ein Erbteil seiner [Friedbergers] Ahnen und eine Sippeneigenart“. Am 25. September 1924 setzte man noch einmal nach und thematisierte die Art und Weise des Umgangs mit den Angestellten: „Als Vorgesetzter brutal, als Mensch schamlos, das ist Herr Friedberger, der schwarze Jude.“ Dass er jetzt zurück an die Universität komme, sei nur der SPD und ihrer „Novemberrepublik“ zu verdanken. Wenige Tage später wurde Friedberger in dem Hetzblatt als „Sadist“ und „Exhibitionist“ verleumdet, mehr noch, „kein Weib“ sei vor ihm sicher gewesen, „das mit ihm in Berührung kam“. Die Behauptungen wurden von Walter Brunck aufgestellt, der 61 62

Vgl. UAG PA 489 Friedberger. Vgl. Lebenslauf Theodor Vahlen, in: UAG Album Ehrensenatoren.

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bei Friedberger promoviert hatte und ein Duzfreund von Wilhelm Karpenstein war, dem Chefredakteur des Norddeutschen Beobachters und späteren NSDAP-Gauleiter von Pommern.63 Die Reaktion der Fakultät war bezeichnend. Schon bevor die Untersuchung gegen Friedberger abgeschlossen war, fuhren zwei Mitglieder nach Berlin und versuchten, beim Minister dessen Ablösung zu erreichen. Im Sommer 1924 hatten sie einen studentischen Boykottaufruf am Schwarzen Brett geduldet und die Polizei aufgefordert, sie möge Friedberger den Waffenschein entziehen, der „Sicherheit des Instituts wegen“. Den hatte er sich samt einer Pistole zugelegt, nachdem er von einem Studenten Morddrohungen erhalten hatte. Jetzt, nach den Anschuldigungen im Norddeutschen Beobachter, verlangten die Fakultätsmitglieder ultimativ, dass Friedberger eine Beleidigungsklage einreichen müsse, weil das Ansehen der Fakultät sonst Schaden nehme. Friedberger beschied seinen Kollegen allerdings kühl, „dass er sich mit Dreck nicht befassen“ werde. Im Übrigen habe er den Minister informiert, weil er „allein“ seiner „vorgesetzten Behörde Rechenschaft schulde“.64 Das Kultusministerium scheute den Konflikt und übertrug Friedberger eine Stelle in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin. Hier leitete er bis zu seinem Tod 1932 eine Forschungsstelle für Hygiene und Immunitätslehre.65 Die Demokraten in Greifswald äußerten sich zum „Fall“ Friedberger nicht, wohl auch deshalb, weil er nicht zum beherrschenden Thema des Stadtgesprächs wurde. Es war der sogenannte Franzosenmontag, der für Aufruhr und den damit verbundenen Fall Vahlen sorgte. Ende Juli 1924 erschien in der Greifswalder Volkszeitung eine Anzeige, in der das Gewerkschaftskartell und der Internationale Bund der Kriegsopfer zu einer Antikriegskundgebung in Greifswald aufriefen. Angekündigt wurde als Redner Henri Barbusse, der in seinem bereits 1916 erschienenen Roman Das Feuer ein schonungsloses, unheldisches Bild des Krieges an der französischdeutschen Front gezeichnet hatte.66 Den Sinn des Krieges wollten die Greifswalder Studenten und Dozenten nicht in Frage gestellt wissen. 1921 hatte die Universität 63

64 65 66

So die sozialdemokratische Zeitung, die dann die Frage stellte, was das für ein Nationalsozialist sei, der bei einem jüdischen Professor um eine Anstellung bettle und auch noch um die Bürgschaft beim Ratenkauf eines Mikroskops nachgesucht hatte, die Friedberger bereitwillig übernahm. Vgl. Zeitungsausschnitte in: UAG PA 489 Friedberger. Vgl. UAG PA 489 Friedberger. Friedberger starb an den Spätfolgen seiner Fleckfieberinfektion aus dem Ersten Weltkrieg. Vgl. Nachruf einer Berliner Zeitung, in: UAG PA 489 Friedberger. Vgl. Preußisches Polizeiinstitut (Hg.): „Greifswald 1924“ – „Rathenow 1927“, Schriftenreihe des Preuß. Polizeiinstituts, Reihe A: Einzelfälle aus der Polizei-Verwendung, Heft 5, o. O. o. J., S. 3 f. Der Franzosenmontag wurde zu einem Lehrfall für die Schulung der Polizei, weshalb die Berichte Eingang in die als „vertraulich“ gekennzeichnete Literatur fanden.

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den Feldherren des Weltkriegs einen Gedenkstein gesetzt, die Akten der gefallenen Studenten waren im Rektorat gesammelt worden, um ihnen später ein Denkmal zu setzen, entweder mit einer Publikation oder einem Gedenkort. Der Polizeidirektor der Stadt Greifswald sprach wenige Tage nach der Ankündigung ein Verbot der Veranstaltung aus, das die Regierung in Stralsund wieder aufhob. Von radikalen Kräften wurde der Veranstalter allerdings in letzter Minute genötigt, die Stadthalle zu schließen. Erst als bekannt wurde, dass Barbusse nicht sprechen würde, öffnete er die Türen. Am Einlass durchsuchten Polizisten alle Teilnehmer auf Waffen, wobei nur einige Schlagstöcke und Gummischläuche sichergestellt wurden. Die Polizei wurde davon überrascht, dass es dann doch einen französischen Redner gab. Bevor der allerdings zu Wort kam, begann ein wütender Tumult und unter dem Gesang des Liedes Siegreich woll’n wir Frankreich schlagen flogen Stühle und Tische. Die Polizei versuchte, die Ruhe wiederherzustellen, was zu „einem erbitterten Handgemenge“ führte. Dabei zückte die Polizei Blankwaffen (Knüppel waren noch nicht eingeführt) und verletzte einige der Störer. Auch Schüsse aus Pistolen wurden abgegeben. Der Polizeibericht ist in dieser Hinsicht bemerkenswert unscharf, vermerkte aber, dass auch Karabinerschützen im Einsatz waren. Genau registriert wurden aber die Beschimpfungen, die den Polizisten von den aufgebrachten Gegendemonstranten zugerufen wurden: „Franzosenhunde, Franzosengarde, Mörder, Räuber, Vaterlandsverräter“.67 Die herbeigerufene berittene Verstärkung trieb die Versammlung auf dem Hohenzollernplatz vor der Stadthalle auseinander, wobei die Störer die Verteidigungsstellung am Mühlentor hielten und dabei das „Hakenkreuzlied“ sangen. Welches Lied der Polizeibericht meinte, ist nicht feststellbar, weil es das Horst-Wessel-Lied noch nicht gab – aber es scheint unzweifelhaft, dass die Polizisten glaubten, Nationalsozialisten vor sich zu haben. Die Polizei versuchte, mit Berittenen einen Kessel zu bilden. Als die Niederlage der Störer unausweichlich war, setzten sich die Ortskundigen ab. Nach dem Ende der Polizeiaktion wurden lediglich 30 Strafanzeigen gestellt, die Verfahren aber wegen der Amnestieverordnung vom 21. August 1925 ein Jahr später niedergeschlagen.68 Die Veranstalter der Antikriegsdemonstration glaubten nicht zu Unrecht, dass Theodor Vahlen der Strippenzieher bei den Protestaktionen im Saal und auf dem Hohenzollernplatz war (dem späteren Platz der SA und heutigen Platz der Freiheit). Unzweifelhaft war Vahlen Nationalsozialist, nach einem Besuch bei Hitler im Gefängnis in Landsberg wurde er zum Gauleiter der Ersatzorganisation in Pommern bestimmt.69 67 68 69

Vgl. Polizeiinstitut, Greifswald 1924, S. 5 ff. Vgl. ebd., S. 9 ff. Vgl. Inachin, Kyra: „Märtyrer mit einem kleinen Häuflein Getreuer“. Der erste Gauleiter der NSDAP in Pommern Karl Theodor Vahlen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 49, 2001, S. 31–51.

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Schon vorher war er 1923 zum Rektor gewählt worden, im Amt erhielt er nach kritischen Bemerkungen über explodierende Studiengebühren vom Kultusministerium eine Abmahnung. Im Mai 1924 wurde er für die Nationalsozialistische Freiheitspartei in den Deutschen Reichstag gewählt.70 Zugleich war er Prorektor der Universität, da der Rektor seinem Nachfolger im Amt traditionell immer als Prorektor zur Verfügung stand. Am Verfassungstag, dem 12. August 1924, oder zwei Tage später, die Quellen widersprechen sich, hielt Vahlen eine Rede, in der er den Tod zweier Studenten im besetzten Rheinland beklagte und dabei, so die amtliche Feststellung, Beleidigungen des Reichspräsidenten, der Behörden und der verfassungstreuen Dozenten ausstieß. Bereits am Tag zuvor, wohl am Verfassungstag selbst, hatte er die auf dem Universitätsgebäude wehende schwarz-rot-goldene Flagge der Republik einholen lassen. Greifswalds Demokraten entschlossen sich zum Einschreiten und meldeten das ihrer Meinung nach skandalöse Verhalten dem Kultusministerium.71 Dokument Nr. 1: Am 26. August 1924 wandte sich die Vereinigung verfassungstreuer höherer Beamter, Lehrer und Akademiker gemeinsam mit dem demokratischen Verein für Greifswald und Umgebung an den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin Für Montag, den 4. August d[iese]s J[ah]r[e]s war vom hiesigen Gewerkskartell und dem internationalen Bund für Kriegsopfer im großen Saale der Stadthalle eine pazifistische Kundgebung mit dem französischen Schriftsteller Barbusse als Redner angekündigt worden, die von der hiesigen Polizei auf Drängen nationalistischer Kreise verboten, von Herrn Regierungspräsident in Stralsund aber im Beschwerdewege gestattet wurde, nachdem der Herr Präsident vom auswärtigen Amte in Berlin die Auskunft erhalten hatte, Barbusse sei ein Schriftsteller von internationalem Rufe, der sich zwecks Abhaltung von Vorträgen mit ausdrücklicher Genehmigung des auswärtigen Amtes in Deutschland befinde. Seinem Auftreten seien daher die Wege zu ebnen und ihm unbedingter polizeilicher Schutz zu gewähren. Um das Zustandekommen der Kundgebung trotzdem zu verhindern, veranlassten die Gegner den Stadthallenwirt, den Saal nicht zu öffnen, obgleich er ihn an die Veranstalter der Kundgebung vermietet hatte. Durch dieses Verhalten geriet die Polizei naturgemäß in eine sehr schwierige Lage; denn wenn der Saal nicht geöffnet wurde, waren Gewaltakte von links und andernfalls von rechts zu befürchten. Diese kritische Situation schien sich jedoch kurz vor Beginn der Versammlung 70

71

Vgl. Reichstagshandbuch, 2. Wahlperiode 1924, Berlin 1924, S. 546. Die später vorgebrachten Entschuldigungen für Vahlens Brandreden mit dem permanenten Wahlkampf sind falsch, der Reichstag wurde erst im Oktober 1924 aufgelöst. Vgl. GStA PK I. HA 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 36 Bd. 1, Bl. 43.

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dadurch zu lösen, dass der Versammlungsleiter dem Polizeidirektor, Herrn Ratsherren Schmidt, wörtlich sagte: „Der Franzose kommt nicht.“ Herr Schmidt teilte diese Erklärung, durch die der Stein des Anstoßes zur Hauptsache beseitigt war, pflichtmäßig dem Stadthallenwirt mit, und dieser öffnete den Saal. Kurz nach Beginn der Veranstaltung stellte sich nun aber heraus, dass zwar nicht Barbusse, wohl aber ein anderer Franzose sprechen würde. Wer dies war, wusste Herr Schmidt nicht, nahm aber an, dass er von der Versammlungsleitung getäuscht sei, um das Auftreten des Barbusse hintenrum zu erreichen, und glaubte, in dem auftretenden Franzosen Barbusse vor sich zu haben. Im Hinblick auf die Auskunft des auswärtigen Amts hatte er daher, jetzt wo die Situation so weit gediehen war, keinen Anlass, polizeilich einzugreifen, im Gegenteil hatte er die Pflicht, für einen ruhigen Verlauf der Versammlung zu sorgen. Die nationalistischen Teilnehmer der Versammlung, die sich in einer Ecke des Saales geschlossen versammelt hatten, wollten sich jedoch auch jetzt noch nicht mit den Tatsachen abfinden und begannen ein solches Schreien und Toben, dass sie durch die anwesenden Mannschaften der Schutzpolizei mit Gewalt aus dem Saale befördert werden mussten. Die Versammlung verlief von da ab ruhig. Die Ruhestörer sammelten sich nunmehr vor dem Gebäude und zogen mit anderen Gesinnungsgenossen in geschlossenem Zuge durch die Straßen der Stadt. Hierbei ist es naturgemäß mehrfach zu erneuten Zusammenstößen zwischen der Schutzpolizei und den Tumultanten gekommen, wobei einige der Letzteren verhaftet wurden. Diese, durch den offenen Widerstand der Ruhestörer veranlassten Maßnahmen hatten nun aber in der stark nationalistischen Bürgerschaft eine ungeheure Erregung zur Folge, die sich in maßlosen Ausfällen der Presse, in einer die Sach- und Rechtslage völlig verkennenden Stellungnahme der Stadtverordnetenversammlung vom 8. d[ieses] M[ona]ts und in einer Protestkundgebung am 12. d[iese]s M[ona]ts Luft machte. […] Was bei den ganzen Vorgängen besonders befremdet, ist, dass außer der Greifswalder Stadtverordnetenversammlung sich namentlich der Rektor und Senat der hiesigen Universität mehrfach ganz unnötigerweise in die Sache gemischt und dadurch Öl ins Feuer gegossen hat. Besonders hervorgetreten ist dabei der Prorektor der Universität, Herr Professor Dr. Vahlen hier, der in der Protestversammlung am 12. d[ieses] M[ona]ts nach dem Berichte der Greifswalder Zeitung vom 14. d[ieses] M[ona]ts eine alles Maaß übersteigende Rede gehalten hat, aus der wir folgende Abschnitte hier wiedergeben. „Alle Behörden von Stadt und Provinz, von Staat und Reich waren gegen uns. Auch unsere Warnung, es würde Blut fließen, blieb unbeachtet. Nun, wir werden es uns merken, künftig werden wir uns nicht mit einem nachträglichen Protest begnü-

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gen, sondern wir werden eine solche Schande mit unseren Leibern abzuwehren wissen. Wenn es den Behörden gleich ist, ob Blut fließt, so soll es uns auch gleich sein. (Tosender Beifall.) Eine Schande für sämtliche Behörden ist der Franzosenmontag.“ Und an einer anderen Stelle: „Lassen wir diesen Geist in uns stark werden, wappnen wir uns mit diesem Geiste des unbeugsamen Widerstandes und Kampfes gegen alles Faule, Schlappe, Feige, Niedrige und Gemeine, was heute leider nur allzu mächtig ist. Der Franzosenmontag zeigt es uns. Der Franzosenmontag zeigt es uns in unseren Behörden, deren keine den Mut der Verantwortung hatte, jede sich hinter einer anderen verkroch.“ Und an dritter Stelle: „Alle Gewalt geht vom Volke aus verbürgt uns die Weimarer Verfassung. Der Franzosenmontag führt es uns vor Augen, wie der Wille der ganzen Bevölkerung mit Füßen getreten wird, wenn es den Behörden so gefällt. Dieselbe Verfassung, die immer versagt, wenn es sich um Volkswillen handelt, sollten wir gestern feiern. Eine Feier soll wirklich stattgefunden haben, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es feierten wohl nur die, die im November 1918 sich an die staatliche Futterkrippe herangepirscht haben und die nun in Fritze Ebert ihr würdiges Staatsoberhaupt verehren.“ Ein Kommentar zu den Worten des Herrn Vahlen erübrigt sich. Es sei deshalb weiter darauf hinzuweisen, dass auf seinen persönlichen Befehl am Verfassungstage um 11 Uhr vormittags die ordnungsgemäß gehisste Preußische und um 2 Uhr nachmittags die Reichsflagge am Universitätshauptgebäude eingezogen und in seinen Amtsschrank verschlossen worden ist. Auch wird noch festzustellen sein, ob und wieweit der Herr Prorektor bei seinen Maßnahmen durch Beschluss des Senats gedeckt ist. Eines steht jedenfalls für uns schon heute fest, dass ein Mann, der als Inhaber der höchsten akademischen Würde der Universität sich soweit vergisst, dass er die von ihm beschworene Verfassung und die oberste Spitze des deutschen Reichs ungezügelt öffentlicher Weise schmäht, Beamte, die nur ihre Pflicht getan haben, beschimpft, und das Gift der Auflehnung gegen den Staat und jede gesetzliche Autorität in unsere akademische Jugend in zynischer Weise hineinträgt, nicht weiter ein öffentliches Lehramt bekleiden kann. Wir bitten deshalb, gegen Herrn Professor Dr. Vahlen ein Disziplinarverfahren mit dem Ziele auf Dienstenthebung einzuleiten, ihn baldigst vom Amte zu suspendieren und die Untersuchung einem besonderen Kommissar des Herrn Ministers zu übertragen. Für die Vereinigung verfassungstreuer höherer Beamter, Lehrer und Akademiker Isensee, Rechtsanwalt und Notar zugleich für Universitätsprofessor Dr. Semrau

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Hasses, Stadtbaurat Dr. Sander, Studienrat L. Steinke, Mittelschulrektor Für den demokratischen Verein für Greifswald und Umgebung Austadt, Oberschullehrer zugleich für den abwesenden Universitätsprofessor Klingmüller Schloesser, Studienrat H. Ploetz, Ehrenobermeister Ch. Schulz, Lehrer Quelle: UAG PA 270 Vahlen, Bl. 8 ff.

Vahlen wurde vorgehalten, dass er die Flaggen vom Dach der Universität habe einholen lassen, was er am 26. September 1924 unumwunden zugab. Vom Kultusminister wurde er daher am 16. Dezember amtsenthoben und gleichzeitig ein Dienststrafverfahren eröffnet. Die Philosophische Fakultät bat schon vier Tage später einstimmig (!) um die Aufhebung der Suspendierung, weil es sich bei Vahlen um einen „vortrefflichen, lauteren Charakter“ handle, um eine „höchst ehrenhafte Persönlichkeit“. Nicht zuletzt habe er als Hauptmann der Artillerie „in vorderster Linie gestanden“ und sei schwer verwundet worden. Rektor und Senat schlossen sich der Resolution im Januar 1925 ebenfalls einstimmig an und betonten, dass die Stimmung durch den Franzosenmontag in der Stadt eine ganz außerordentlich aufgewühlte gewesen sei, außerdem habe sich Vahlen in der „Erregung des Wahlkampfs“ befunden. Die Amtsenthebung sei daher eine „besonders harte Maßnahme“.72 Das Kultusministerium wandelte die Amtsenthebung zunächst in eine Beurlaubung um. Im Dienststrafverfahren entschied der Disziplinarhof im Februar 1926, dass Vahlen versetzt werden müsse und zwei Besoldungsgruppen tiefer eingestuft werden sollte. Damit blieben Vahlens Status als Hochschullehrer und seine Beamteneigenschaft erhalten. Die preußische Regierung beschloss jedoch auf Druck des Ministerpräsidenten hin eine Abänderung des Urteils, weil Vahlen „in voller Öffentlichkeit das Oberhaupt des Reiches geschmäht“ habe und in „verächtlicher Weise“ mit den „verfassungsmäßigen Reichsfarben“ umgegangen sei. Die Verordnung über Straffreiheit bei politischen Delikten könne für ihn keine Anwendung finden.73 Vahlen selbst hielt seine Gegnerschaft zur Reichsregierung für verfassungsgemäß, wobei er sich auf Artikel 130 bezog, in dem es hieß: „Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei. Allen 72 73

Vgl. UAG PA 270 Vahlen, Bl. 16–22. Vgl. ebd. Bl. 37–65.

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Beamten wird die Freiheit ihrer politischen Gesinnung und die Vereinigungsfreiheit gewährleistet.“74 Seine Agitation sei außerdem „nicht gegen die Staatsform“ gerichtet gewesen. Darüber hinaus gab er eine Erklärung ab, sich künftig politischer Äußerungen zu enthalten. Die Universität erblickte in dem Verhalten des Ministerpräsidenten offenbar einen unangemessenen Eingriff in ihre Autonomie, protestierte aber nicht. Rektor Eduard von der Goltz bat jedoch diplomatisch um „Gnade“ und ein Ruhegehalt für Vahlen. Ministerpräsident Otto Braun wurde wegen der Personalie Vahlen im März 1928 sogar im Preußischen Landtag befragt, worauf er antwortete, dass jener die Flagge eingeholt habe und sich dabei vor Studenten abfällig über die Farben „schwarz-rot-Mostrich“ geäußert hätte. Die Studenten seien an dem ganzen Vorgang überhaupt nicht beteiligt gewesen, teilte Vahlen daraufhin dem Rektor mit. Die Worte über den Senf seien nie geäußert worden; wäre das der Fall gewesen, hätte das ja bereits im Dienststrafverfahren vorgebracht werden müssen. Er bitte „ergebenst“ darum, den Ministerpräsidenten „an geeigneter Stelle auf den Irrtum aufmerksam zu machen“. Von der Goltz teilte diese Stellungnahme umgehend dem Kultusminister mit.75 Im Professorenkollegium wurde für Vahlen gesammelt, was 2400 Mark einbrachte.76 Nach dem Rektoratswechsel im Mai 1928 setzte der neue Rektor Konrat Ziegler die Bemühungen zur Rehabilitierung Vahlens fort. Im Namen der von ihm geführten Ortsgruppe der Deutschen Demokratischen Partei bat er im Ministerium erneut um Gnade für Vahlen. Außerdem sprach er mit dem ihm persönlich gut bekannten Finanzminister Hermann Höpker-Aschoff und dem Oberpräsidenten Julius Lippmann über den Fall. Sein Parteikollege Theodor Heuss sprach informell mit Reichsinnenminister Carl Severing, der allerdings eine Intervention zu Gunsten des Nationalsozialisten Vahlen ablehnte. Ministerpräsident Braun wolle, so erfuhr Ziegler, gerade bei diesem Fall keine „Schwäche“ zeigen.77 Von den Bemühungen hinter den Kulissen erfuhr die kommunistische Volkswacht, die den ganzen Vorgang selbstverständlich missbilligte und Ziegler und seine Parteikollegen als „Jammerlappen-Republikaner“ brandmarkte.78 Ziegler wurde zur Erörterung der Personalie dann doch eine Audienz beim Ministerpräsidenten gewährt, die allerdings wegen dessen Erkrankung kurzfristig nicht zustande kam. Ziegler erhielt wenig später ein Schreiben, in dem der Ministerpräsident versicherte, dass er sich einem Ruf Vahlens an eine deutsch-

74 75 76 77 78

Vgl. Fischer, Erich und Werner Künzel (Hg.): Verfassungen deutscher Länder und Staaten, Berlin (Ost) 1989, S. 246 f. Vgl. UAG PA 270 Vahlen, Bl. 66 ff. Vgl. UAG PA 24 Braun, Bd. 2, Bl. 71. Vgl. UAG PA 270 Vahlen, Bl. 72–79. Vgl. ebd., Bl. 83.

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österreichische Universität nicht entgegenstellen würde.79 Damit war für die Universität Wien klar, dass bei einer Berufung keine diplomatischen Verwicklungen mit dem Deutschen Reich folgen würden. Vahlen fand hier 1930 eine neue Existenz.80 Das erhaltene Geld der Kollegen zahlte er an die Universität zurück, der damals amtierende Rektor teilte das den Spendern allerdings nicht mit, sondern benutzte die 2400 Mark für wohltätige Zwecke – was er vorher mit Vahlen abgesprochen hatte.81 Ausgestanden war die Sache damit nicht, der Fall würde die Universität 1933 noch einmal beschäftigen.

2.1 Widersprüchliche Bekenntnisse

Bereits der Fakt, dass die Professoren den Demokraten Klingmüller mit der Rede zur Reichsgründung betraut hatten, spricht dafür, dass die Universität 1930 ihren Frieden mit der Republik gemacht hatte. Viele der Professoren gaben sich auch deshalb unpolitisch, weil ihr Expertenwissen oder ihr Können als Arzt auch nach der Revolution von 1918 gefragt war. Die Privatpraxis der Klinikdirektoren wurde nicht angetastet, das aus heutiger Sicht günstige Einkommensteuerrecht zementierte ihre soziale Stellung in der oberen Mittelschicht. Zudem gab es Handlungsspielräume, die genutzt werden konnten. So konnte der Biologe Erich Leick 1930 mit dem Aufbau einer biologischen Station auf der Insel Hiddensee beginnen. Das nach dem Vorbild der Biologischen Station in Neapel konzipierte Forschungsinstitut wurde von der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Universität mitfinanziert Die Provinzialverwaltung war Mitglied in der Gesellschaft und unterstützte nicht nur Leick, sondern auch die archäologischen Publikationen von Wilhelm Petzsch. Für seine Veröffentlichungen zu archäologischen Funden wurden ihm von der Provinz regelmäßig Druckkostenzuschüsse gewährt. Dafür stellte sie jährlich einen kleinen Betrag in ihren Haushalt ein und begründete dies mit „kultureller Förderung“.82 Im Gegenzug erteilte die Universität dem Oberpräsidenten Julius Lippmann nach dessen Pensionierung 1930 einen dotierten Lehrauftrag für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Ver-

79 80 81 82

Vgl. ebd., Bl. 87. Vgl. BA R 129/120, UAG Phil. Fak. Nr. 465, GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 36 Bd. 1, Bl. 43 f. Vgl. UAG PA 24 Braun, Bd. 2, Bl. 71. Im Bestand Oberpräsidium im Staatsarchiv Stettin sind Akten dazu nicht erhalten, im Landesarchiv Greifswald ist ein Restbestand der Akten im Bestand Landeshauptmann, Rep. 54 überliefert.

2.1 Widersprüchliche Bekenntnisse

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waltungspolitik, möglicherweise gedacht als Akt der Dankbarkeit.83 Ihre Dankbarkeit für die Unterstützung der Provinz brachten auch Gustav Braun und sein Assistent Wilhelm Hartnack zum Ausdruck, indem sie sich 1932 mit einer Denkschrift in der Debatte um die Reichsreform positionierten. Im Gegensatz zu anderen forderten sie nicht die Auflösung der Provinz Pommern, sondern ihre Stärkung. Sie empfahlen die Aufteilung Mecklenburgs, wobei der dem Großraum Hamburg–Lübeck zugewandte Teil einer vergrößerten Nordprovinz zugeschlagen werden müsse. Der im Einzugsbereich Stettins liegende Osten Mecklenburgs sollte ebenso wie Mecklenburg-Strelitz zu Pommern kommen. Außerdem sei die Grenze zur Provinz Brandenburg unglücklich gezogen und müsse korrigiert werden. Die aus den Resten der Provinz Posen entstandene Provinz Grenzmark sei zwar aus „anerkennenswerten Pietätsgründen“ gebildet worden, sollte aber aus verwaltungstechnischen und ökonomischen Gründen ebenfalls Pommern zugeordnet werden.84 Mit der Bestandsgarantie für die Universität und nach der Ernennung des Greifswalder Volkswirts und DNVP-Politikers Wilhelm Kähler zum Staatskommissar für Kultus im Zuge des sogenannten Preußenschlags witterte die Universität Morgenluft und begann sich politisch wieder zu profilieren. Das erste Feld, das naheliegend schien, war das Einbringen „in den Abwehrkampf gegen Polen“. Dabei sei ihm jedoch aufgefallen, so Prorektor Braun am 31. Oktober 1932 in einem Brief an Kähler, dass eine wesentliche Voraussetzung für die „erfolgreiche Führung“ dieses Abwehrkampfes fehle, nämlich eine Professur für Slawistik. Deren Inhaber müsse „nicht nur ein ausgezeichneter Slawist“ sein, um „den polnischen Sprachklitterungen auf die Sprünge zu kommen“, sondern auch namentlich jüngere Leute für diese Dinge interessieren. Er erbitte daher die Haushaltsmittel für einen Lehrauftrag. Drei Wochen später setzte der Dekan der Philosophischen Fakultät noch einmal nach und nominierte auch einen Kandidaten für die Stelle, einen frisch habilitierten Berliner Privatdozenten. Im Dezember 1932 teilte man dem Ministerium mit, dass man von der Provinzialregierung finanzielle Mittel für den Aufbau einer Handbibliothek erhalten habe.85 Kähler behandelte die Anfrage dilatorisch, weil er anderes für wichtiger hielt. Er setzte im Kultusministerium erst einmal die „sozialistischen Juden an die Luft“, was er sich in seinen Memoiren als Verdienst anrechnete. Zugleich musste er aber konstatieren, dass der Umbau des Ministeriums nach seinen Vorstellungen mehr Zeit brauche als erwartet, „da mehr unerfreuliche Elemente da waren, als ich entlassen konnte“.86 83 Vgl. UAG K Nr. 886, Bl. 136. 84 Vgl. Braun, Gustav und Wilhelm Hartnack: Die preußische Provinz Pommern bei der Neueinteilung Deutschlands, Greifswald 1932, S. 35–38. 85 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 22 Bd. 24, Bl. 137. 86 Vgl. UAG PA 410 Kähler, Bd. 6, Bl. 20.

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Es ist unmöglich, das Weltbild eines Professorenkollegiums in einer pluralistischen Gesellschaft als Ganzes zu beschreiben. Die zu den Jubiläen, etwa den Reichsgründungsfeiern, gehaltenen Reden geben jedoch ein anschauliches Bild davon, wie die Universität wahrgenommen werden wollte, oder welche politischen Hoffnungen die Redner hegten. 1921 sinnierte zum Beispiel Wilhelm Kähler über Lage und Aufgaben der Universität in der Gegenwart. Wie zu erwarten geißelte er die sozialdemokratische Hochschulpolitik, streute dabei aber auch das Gerücht, dass die Sozialdemokraten die Universitäten Marburg, Halle und Greifswald schließen wollten, weil es an diesen starke Kräfte gegen „Spartakus“ gegeben habe.87 Die Gleichsetzung von Sozialdemokraten und Kommunisten war nicht die einzige Unverschämtheit, die sich Kähler auf seinem Vortrag in Hinterpommern erlaubte. Schließlich waren es die Sozialdemokraten gewesen, die Freikorps, Einwohnerwehren und Studentenbataillone zum Schutz der Republik und für die Einheit des Reiches aufboten. Die zweite Ungeheuerlichkeit war eine Aussage über die Professoren, mithin eine Selbstbeschreibung. Es sei oft beklagt worden, dass die Professoren sich aus der aktiven Politik zurückgezogen hätten, anders als im Paulskirchenparlament 1848. Aber wer wie er in einem modernen Parlament gearbeitet habe, könne diese Zurückhaltung verstehen. Dort tätig zu werden sei ein „täglich sich wiederholendes Opfer, in dieser Fülle von Oberflächlichkeit, in diesem Mangel an Sachkenntnis und Verantwortungsgefühl, in diesem Schwall auf breitester Massenwirkung berechneter Phrasen auszuhalten“. Nichts widerspreche dem Geist „echter Wissenschaftlichkeit so“ wie der „moderne Parlamentarismus“.88 Im Vergleich zu dieser Schmähkritik musste den Hörern die Rede des Historikers Adolf Hofmeister als außerordentlich gemäßigt erscheinen. Auf dem Höhepunkt der Nachkriegskrise im Januar 1923 sprach er über die „nationale Bedeutung der mittelalterlichen Kaiserpolitik“. Er betrachtete diese differenziert und wandte sich gegen zeitgenössische Auffassungen, die in der Hinwendung der Kaiser nach Italien ein historisches Unglück sahen. Am Schluss der Rede brachte er seine Hoffnung zum Ausdruck, dass einst wieder „Einigkeit der Führer und der Geführten“ herrschen würde. Nur so könne man „wieder frei werden von der Knechtschaft der Fremden“.89 Rassistische Gedanken äußerte im Mai 1923 Theodor Vahlen anlässlich der Rektoratsübernahme in seiner Ansprache über „Wert und Wesen der Mathematik“ und fand in ihr angeblich rassebedingte Eigenschaften. „Teutonisch“ sei die Geometrie, die besten „Geometer“ allesamt „Germanen“ mit einem ausgeprägten Raum87 Vgl. Kähler, Wilhelm: Lage und Aufgabe der Universitäten in der Gegenwart, Greifswald 1921, S. 8. 88 Vgl. ebd., S. 13. 89 Vgl. Hofmeister, Adolf: Die nationale Bedeutung der mittelalterlichen Kaiserpolitik, Greifswald 1923, S. 22.

2.1 Widersprüchliche Bekenntnisse

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sinn. Die „jüdische Mathematik“ zeichne sich hingegen durch einen „rein-logischen, scharf-kritischen Sinn“ aus, ja sogar „zersetzenden Kritizismus“. Wie Hofmeister sah er das Heil in der Volksgemeinschaft, aber es bedürfe eines starken Führers, der die „Masse Mensch“, die „aus sich selbst nur sinken“ könne, emporreiße. Das deutsche Volk müsse aber nicht „verzagen“. Wenn es nur wolle, würden einst die Männer da sein, „die es aufwärts führen“.90 Mit der Abkühlung der politischen Kämpfe mäßigten sich auch die Universitätsreden. Es kann auch sein, dass das an Vahlen statuierte Exempel Wirkung zeigte. Explizit politisch wurde erst wieder der Germanist Wolfgang Stammler im Januar 1931, als er zu den versammelten Studenten und Professoren über das „germanische Führerideal“ sprach. Als geschulter Rhetoriker baute er die Rede in drei Schritten auf. Auf dem neuesten Forschungsstand beschrieb er zunächst historisch korrekt die Beziehungen innerhalb der germanischen Stämme, soweit sie aus der Literatur zu rekonstruieren waren. Schritt 2 war dem Helden gewidmet, der nicht selten zum Führer der germanischen Stämme wurde. An historischen Beispielen, etwa Dietrich von Bern, schilderte er die Eigenschaften scheinbar idealtypischer germanischer Führer. Der dritte Schritt war als Klimax angelegt, aber für den Hörer zunächst nicht erkennbar. Kurz und bündig wies er die Überlegung zurück, die Germanen seien kein einheitliches Volk gewesen. Er sei der festen Überzeugung, rief er den Anwesenden zu, „wir“ hätten ein Recht darauf, „gemeinsame Grundzüge immer wieder aufzusuchen“. Denn „germanischer Geist“ lasse sich im Norden wie im Süden „immer schärfer wissenschaftlich feststellen“. Allerdings sei das ein Geist, der nicht von Schädelform und Haarfarbe abhänge. Auch unter Langschädeln und Blondschöpfen habe es stets „Feiglinge und Verräter“ gegeben. Der letzte Ostgotenführer Teja, der heldisch im Kampfe gegen die Oströmer gefallen sei, sei hingegen schwarzhaarig und dunkeläugig gewesen. „Irrwege“ einer „Pseudowissenschaft“ könne „ernste Forschung nicht mitgehen“, die ein „unverfälschtes Bild des Germanentums zu entwerfen“ versuche.91 Jetzt benutzte Stammler das ebenfalls antike Element der Überraschung bzw. des Erkennens (Anagnorisis). Vielleicht sei der „germanische Geist“ aber noch lebendig bis heute. Man erkenne ihn in dem „Ehrgefühl“, dass sich „mit Leib und Leben“ einsetze für „die eigene Überzeugung“. Eben das sei das „Band der inneren Treue, das Führer und Geführte miteinander“ verbinde. Wo dieser Geist verschüttet worden sei, gelte es, „ihn wieder zu neuem Leben heraufzuholen“.92 Eben das sei Aufgabe der Universität, denn ein Volk sei schließlich nur dann ver90 Vgl. Vahlen, Theodor: Wert und Wesen der Mathematik, Greifswald 1923, S. 21 ff. 91 Vgl. Stammler, Wolfgang: Germanisches Führerideal. Rede bei der 60. Reichs-Gründungsfeier der Universität Greifswald am 17. Januar 1931, Greifswald 1931, S. 13. 92 Vgl. ebd.

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loren, wenn es seine Seele verliere. Die Übermacht der Feinde habe dem deutschen Volk alle „äußeren Waffen“ aus der Hand geschlagen. „Nun wohlan“, so Stammler, „waffnen wir unseren Geist und geben damit den Völkern der Erde ein neues Beispiel“. Die Universität solle „Waffe sein“ für diesen „geistigen Lebens- und Völkerkampf“. Stammler appellierte an die Studierenden, die Gelegenheit zu nutzen, durch das Studium die „Wesensart“ des deutschen Volkes zu verstehen. Zur Bekräftigung forderte er die Anwesenden auf, einzustimmen in den Ruf: „Unser deutsches Volk, unser deutsches Vaterland, unser deutsches Reich, sie leben hoch!“93 Die fulminante Rede Stammlers stand nicht allein, kann aber nicht als repräsentativ gelten, wie die konträren Anschauungen der beiden Ordinarien für Philosophie Hermann Schwarz und Hans Pichler vor Augen führen. Der 1864 in Düren geborene Hermann Schwarz ergriff wie sein Vater den Beruf des Lehrers, wobei er sich für die Fächer Mathematik, Physik, Botanik und Zoologie entschied. 1888 promovierte er mit einer mathematischen Dissertation, habilitierte sich jedoch 1894 für Philosophie. Nachdem er Kaiser Wilhelm II. auf einer Nordlandreise begleitet und einen guten Eindruck hinterlassen hatte, erhielt er 1910 ein persönliches Ordinariat für Philosophie und Pädagogik an der Universität Greifswald.94 Schwarz rühmte sich später seiner Verdienste um die nationalsozialistische Bewegung, obwohl er nur 1923/24 der NSDAP angehört hatte. Nach der Verhaftung Adolf Hitlers und der Nominierung Ludendorffs zum Spitzenkandidaten bei den Reichstagswahlen 1924 trat er aus der Partei aus. Nichtsdestotrotz bezeichnete er sich später als Aktivist, der „zahlreiche Schriften im Geiste der nationalsozialistischen Weltanschauung“ verfasst habe.95 Die Lektüre der Schriften Schwarz zeigt jedoch, dass er aus der Gedankenwelt des Nationalsozialismus lediglich drei Aspekte herausgriff und an sie anknüpfte: Volksgemeinschaft, Frontkämpfergeist und Opferbereitschaft für die Nation. Explizit rassistische Ausfälle gegen die Juden fehlen, umso häufiger finden sich Polemiken gegen die christlichen „Pharisäer“, die nur äußerlich christlich argumentierten, aber „irreligiöse Naturen“ seien.96 Schwarz verstand sich als Philosoph des „Ungegebenen“ in den „Spuren der deutschen Mystik und des deutschen Idealismus“. Sein ganzes Werk war nach der Niederlage im Weltkrieg auf die Verbreitung eines Geistes der „volkbrüderlichen Willensverschränkung“ gerichtet. 97 1922 veröffentlichte Schwarz sechs Vorträge, die er an der Universität gehalten hatte. 93 Vgl. ebd., S. 14. 94 Vgl. UAG PA 148 Schwarz. 95 Vgl. BA R 4901/13276 Karteikarte Schwarz. 96 Vgl. Schwarz, Hermann: Über Gottesvorstellungen großer Denker, München 1922, S. 11. 97 Vgl. Schwarz, Hermann: Hermann Schwarz. Systematische Selbstdarstellung, Berlin 1933, S. 59 und 123.

2.1 Widersprüchliche Bekenntnisse

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Das Ziel dieser Vorlesungen war offensichtlich eine Art Sinnstiftung für die zurückgekehrten Frontkämpfer, wobei er ausdrücklich nicht an tradierte Wertvorstellungen anknüpfte. Schwarz bemühte sich um eine Wiederbelebung einer idealistischen Geisteshaltung, für die er historische Vorbilder ebenso beschwor wie das unmittelbare „Gotteserlebnis“. Ein solches „Gotteserlebnis“ sei die „Vaterlandsliebe“, die sich „ganz unreflektiert, ohne Vorstellungen über Ewiges“ im „eigenen Volkstum“ auswirke. 98 Mit dem Vaterland verband Schwarz den Gedanken vom „Opfersinn“ und der Volksgemeinschaft, die von einer „Kette des Helfens und Dienens von Beruf zu Beruf“ umschlungen werde. Mit der tätigen Teilhabe an dieser Form der Volksgemeinschaft verbinde sich, so Schwarz, eine „göttlich-geistige Kraft“. Dass dieser religiösen Sinnstiftung ein ausschließender Zug inhärent war, gestand Schwarz unumwunden ein. Mit dem Anwachsen der „Schar“ der in diesem Sinne „volklich belebten Persönlichkeiten“ bilde sich eine „große geschichtliche Prägung“, welche die „Ehre des gemeinsamen Blutes“ verkörpere. So erhebe sich der Begriff der „Volkskultur“, gegenüber dem der Begriff „der universalen Kulturmenschheit“ verblasse. Eine Synthese von „Volkskulturen“ sei unmöglich, behauptete Schwarz apodiktisch, denn dann sterbe ihre Eigenart ab.99 Philosophisch war Schwarz, als er diese Sätze 1933 verfasste, sehr nah bei Hitlers Vorstellungen vom „Arier“ als Kulturbegründer, als bloßer Replikator der Ideen Adolf Hitlers kann er jedoch nicht gesehen werden.100 „Demokratisch eingestellt“ war hingegen der andere Lehrstuhlinhaber für Philosophie, Hans Pichler, wie der Sicherheitsdienst (SD) der SS später urteilte. „Fachlich“ sei er „farblos“, heißt es in dem Dossier weiter, wenn auch seine „kath.[olische] Einstellung“ sich in Vorlesungen und Veröffentlichungen nicht bemerkbar mache.101 Als Lehrer verfügte der „mitreißende Redner“, so sein Fachkollege Günther Jacoby, über eine beachtliche Strahlkraft. Im Gegensatz zu Schwarz, der wegen einer Behinderung nicht gedient hatte, hatte sich Pichler freiwillig gemeldet und war mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden. Als Sohn eines erfolgreichen Komponisten und als Besitzer eines großen Mietshauses (Schlageterstraße 1a und 1b) war er zudem finanziell unabhängig und hatte den Beruf des Universitätslehrers eher aus Neigung denn als Broterwerb gewählt.102 In seinem philosophischen Werk versuchte 98 Vgl. Schwarz, Hermann: Über Gottesvorstellungen großer Denker, München 1922, S. 12 f.; so auch Schwarz’ Rede zur Übernahme des Rektorats am 15. Mai 1922. In ihr arbeitete er den Gedanken der Volksgemeinschaft stärker heraus, der in einen „deutschen Sozialismus“ münden müsse. Vgl. ders.: Alte und neue Pflichtgesinnung im Staatsleben, in: ebd., S. 484. 99 Vgl. Schwarz, Systematische Selbstdarstellung, S. 123 ff. 100 Vgl. Hitler, Adolf: Mein Kampf, München 1940, S. 317 ff. 101 Vgl. BA R 4901/12444, Bl. 75. 102 Vgl. UAG PA 247 Pichler, Adressbuch für die Stadt Greifswald 1942.

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er, im sogenannten „Irrationalen Rationales aufzuzeigen“, wie er in einem 1946 verfassten Lebenslauf schrieb. In einem Zeitalter des Irrationalen wirkte dieses Ansinnen allerdings reichlich deplatziert.103 Pichler las vor allem Geschichte der Philosophie und publizierte zur Ontologie sowie zur Aufklärung.104 Mit dem gescheiterten Deutschen Reich ging er in einer 1920 veröffentlichten Schrift ebenso hart ins Gericht wie mit nationalistischer und „völkischer“ Gesinnung. Das Ideal der Menschheit sei mehr und mehr von dem „Ideal des Volkstums“ verdrängt worden und nicht erst im Weltkrieg sei das Verständnis für Schillers Ruf „Seid umschlungen Millionen – diesen Kuss der Ganzen Welt!“ verlorengegangen.105 Nach einigen Ausführungen über die seines Erachtens richtig verstandene Liebe zur Nation und zum Zusammenhalt eines Volkes ging Pichler zu der damals hochaktuellen Frage über, wie ein sinnvoller „Völkerbund“ beschaffen sein könnte. Das internationale Völkerrecht gebe zwar sinnvolle Regeln vor, es fehle aber an einer Zwangsvollstreckung. Ein wirksamer Völkerbund könne nur durch „Tyrannis“ einer Weltmacht entstehen oder durch einen „übermächtigen Bund bestimmter Völker“. Für die „Stolzen und Unbändigen unter den Beherrschten“ sei das kein erwünschter Zustand, aber ein „Völkerbund indes, der jedes Volk zu einer Menschlichkeit zwingt, die nicht Preisgabe des eigenen sondern rechtliche Achtung fremden Volkstums wäre“, ein solcher könne „wünschenswert sein und lebensfähig“.106 Dem „internationalen Proletariat“ sprach er die Eignung zur Bildung eines solchen hegemonialen Bundes ebenso ab wie dem „internationalen Judentum“, in dem Kräfte am Werke seien, „die Menschheit durch Zersetzung jedes Volkstums zu verbinden“. Wohl aber könne es sein, dass einem „völkischen Egoismus“ die Zukunft gehöre, „der stark und weitherzig“ genug sei, „sich die Interessen der Menschheit zu eigen zu machen“. Deutschland habe diese Chance dadurch vergeben, dass der Idealismus einer „menschheitlichen Politik“ keinen Eingang fand in die „realistische deutsche Politik“. „Wir wären [dann] vielleicht nicht so freundlos in der Welt geblieben“, urteilte Pichler abschließend und verstärkte den Gedanken noch: „Unsere Feinde hätten uns nicht mit einem deutschen Gedanken“ – dem Idealismus – „den wir wegwarfen, zu Boden geschlagen!“107 Der Gedanke der deutschen Niederlage und einer zukünftig möglichen europäischen Einigung beschäftigte auch den Juristen Hermann Jahrreiß. Dieser sah Eu103 Vgl. UAG PA 247 Pichler. 104 Vgl. Sauer, Werner: Der frühe Hans Pichler, in: Binder, Thomas u. a. (Hg.): Bausteine zu einer Geschichte der Philosophie an der Universität Graz, Amsterdam und New York 2001, S. 255– 261. 105 Vgl. Pichler, Hans: Volk und Menschheit, Erfurt 1920, S. 3. 106 Vgl. ebd., S. 10 f. 107 Vgl. ebd., S. 13.

2.1 Widersprüchliche Bekenntnisse

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ropa vor einer gemeinsamen Herausforderung. Es müsse sich gegen außereuropäische Mächte behaupten und auf irgendeine Weise zusammenfinden, wie er in seinen Schriften immer wieder betonte.108 Seit 1931 hatte er die ordentliche Professur für Öffentliches Recht, Völkerrecht sowie Rechts- und Staatsphilosophie inne und wurde 1937 nach Köln berufen. Sein Weltbild offenbarte sich bei einem mitreißenden Vortrag, den er im November 1932 im Rügisch-Pommerschen Geschichtsverein hielt. Jahrreiß entfaltete ein bisher ungedachtes Panorama scheinbar germanischer Einflüsse auf den Kontinent Europa. Dabei grenzte er sich scharf von der herrschenden Meinung ab, dass Europa eine Schöpfung Roms, also der katholischen Kirche, sei. Zwar habe es ohne Zweifel seinen Staatenbau durch die griechische Philosophie und durch römisches Staatsdenken erhalten, meine der gebildete Europäer. Diese Auffassung sei jedoch zu hinterfragen, weil die „Organisationsgeschichte“ Europas auch einen anderen Aspekt, nämlich den germanischen enthalte.109 Europa sei „germanisiert“ worden, meinte Jahrreiß, mehr noch, er behauptete apodiktisch: „Erstmals die Germanen schaffen ,Europa‘“.110 Dem folgte eine erstaunlich kühne Interpretation der Völkerwanderung, in der die „staatenbildende“ Kraft der germanischen Stämme hervorgehoben wurde. Dabei erwähnte er die Goten, die, wenn auch lose, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer regiert hätten; auch die Vandalen, die das ganze westliche Mittelmeer unter „durchgreifende und übergreifende Herrschaft“ gestellt hätten. Ein „paar Schritte“ seien es nur zur Herrschaft der Franken gewesen, die sich als Erste in ihrem Volkstum nicht verloren hätten und zu den Gründern eines ersten „dauernden Germanenreichs“ geworden seien.111 Heutige Historiker scheuen die Einkürzung von 500 Jahren Geschichte auf einen Federstrich. Der Gedanke, dass die Germanen Europa „umzingelt“ hätten, erschien allerdings schon damals abwegig. Als Beleg führte Jahrreiß die Normannen an, die erst in der Normandie einen Staat gründeten und dann England beherrschten. Die schwedischen „Nordmänner“ hätten auch die Fürstentümer im Osten gebildet, um die „finnisch-mongolischen Völker“ zu „kolonisieren“. Sie seien allerdings „ziemlich rasch slawisiert“ worden.112 Auch diese Behauptung ist hochspekulativ und erklärbar durch eine Vorgeschichtswissenschaft, 108 Vgl. Jahrreiß, Hermann: Der Revisionskampf um Europa. Die Krise des Völkerbunds, Leipzig 1934. 109 Vgl. Jahrreiß, Hermann: Europa. Germanische Gründung aus dem Ostseeraum, Heidelberg u. a. 1939, S. 11; erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift für Geopolitik 1933. Die in der Wikipedia geäußerte Auffassung, dass Jahrreiß die Schrift nach 1933 zum Zweck der Anbiederung an die neuen Machthaber verfasst habe, ist falsch. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_ Jahrreiß, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 110 Vgl. Jahrreiß, Europa, S. 13. 111 Vgl. ebd., S. 14 f. 112 Vgl. ebd., S. 15.

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die den Slawen das Vermögen zur Staatenbildung absprach. Der Sprung ins Mittelalter und in die Neuzeit erscheint aus heutiger Sicht zumindest misslungen. Hier reklamierte Jahrreiß den Dänenherrscher Knut den Großen und den Schwedenkönig Gustav II. Adolf für die „ausgesprochen germanische Triebkraft“ des fast tausend Jahre währenden „höchst wechselvollen Kampfes“ um das scheinbar germanische Binnenmeer Ostsee. Insgesamt seien die Germanen jene „Triebkraft“ gewesen, die „England, Deutschland und Russland“ zu Großmächten machten, die ihre Gründung und den Aufstieg „dem Blut aus dem Ostseekreis“ verdankten.113 Der slawische Raum, so ein Muster, das für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Osten noch Bedeutung gewinnen sollte, sei dem „Ostseekreis“ immer fremd geblieben.114 Wie bei Jahrreiß gab es auch in den Schriften des Biologen Günther Just bereits vor 1933 nationalsozialistische Ideologeme. Im Wintersemester 1931/32 organisierte er in Greifswald einen Vortragszyklus zur Frage „Eugenik und Weltanschauung“. Die Vorträge publizierte er 1932 und nahm aber auch die Beiträge des Bielefelder Naturphilosophen Bernhard Bavink und des Jesuiten Hermann Muckermann auf, die nicht auf nationalsozialistischer Linie lagen. Als Vorsitzender der Eugenischen Gesellschaft Greifswald sei es seine Pflicht gewesen, die „niedergelegte Gedankenarbeit“ einem größeren Kreis zugänglich zu machen, schrieb er dazu entschuldigend im Vorwort.115 Die Distanzierung nutzte nichts, das Buch wurde 1933 wegen der Verbreitung von „Greuelpropaganda“ beschlagnahmt.116 In seinem Beitrag gab Just exakt die Mehrheitsposition der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene wieder, die 1933 mit dem Gesetz zur zwangsweisen Sterilisierung angeblich Minderwertiger verwirklicht wurde. Zugleich wies er auf notwendige „positive“ eugenische Maßnahmen hin, um die „Erhaltung der wertvollen Erbstämme in allen Volksschichten“ zu gewährleisten. Dazu gehörten Steuernachlässe für kinderreiche Familien, die Einführung eines Familiengeldes und Möglichkeiten zur Siedlung für zweit- oder drittgeborene Bauernsöhne, damit der Hof nicht mehr geteilt werden müsse.117 Just bezog auch zu der Frage der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ Stellung und bezeichnete das als individuelles Problem, pries aber Eugenik als Lösung an. Deren Aufgabe sei es ja, „künftiges lebensunwertes Leben nicht erst entstehen zu lassen“. Eben deshalb bedürfe es der „Abstoppung derjenigen Erbströme“, die zur Entstehung „neuen lebensunwerten Le113 Vgl. ebd., S. 19 f. 114 Vgl. ebd., S. 20 f. 115 Vgl. Just, Günther: Eugenik und Weltanschauung, in: ders.: Eugenik und Weltanschauung, Berlin und München 1932, S. 3. 116 Vgl. Felbor, Ute: Rassenbiologie und Vererbungswissenschaft in der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg 1937–1945, Würzburg 1995, S. 156 f. 117 Vgl. Just, Eugenik und Weltanschauung, S. 18.

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bens“ führen würden.118 In diesem Sinne sei Eugenik auch keine „Weltanschauung“ wie immer wieder behauptet werde, sondern eine Folgerung aus den Erkenntnissen der Naturwissenschaft. Es komme aber darauf an, sie zu einer „sittlichen Forderung“ zu erheben.119 Daher sei für die Erreichung der Ziele der Rassenhygiene bzw. Eugenik (er benutzte die Begriffe synonym) die „Belehrung und Erziehung“ der Jugend notwendig. In allen Schulen müsse ein „eugenisch gerichteter biologischer Unterricht“ durchgeführt werden. Um die Lehrer dafür auszubilden, müssten an allen Universitäten Lehrstühle für menschliche Erblehre und Rassenhygiene geschaffen werden. Und nicht zuletzt müsse Eugenik Lehr- und Prüfungsfach für Mediziner werden „und für alle anderen Berufe“, die „zur geistigen Führung des Volkes berufen“ seien.120 Wie groß die Nähe zum Nationalsozialismus in der Weimarer Republik war, ist nicht nur an den Schriften der Professoren abzulesen. Für die eingeschriebenen Parteimitglieder kann vor 1933 ein sicheres Wahlverhalten angenommen werden. Das betrifft das bereits erwähnte Fünftel der Professorenschaft, das der DNVP angehörte. Es gab aber auch einige Dozenten, die den konservativen oder demokratischen Parteien vorübergehend angehörten. Der Spezialist für Innere Medizin Gustav Velde etwa war 1928 Mitglied der Deutsch-Saarländischen Volkspartei. Als er 1929 Assistent in Greifswald wurde, gab er das parteipolitische Engagement auf. Im April 1933 trat er in die NSDAP ein und übernahm später mehrere Ämter in SA, Partei und Dozentenschaft, dort unter anderem für Geländesport.121 Es kann also vermutet werden, dass er nationalsozialistisch wählte, aber als Beamter der Partei nicht beitrat, weil es nicht erlaubt war. Der Pharmakologe Paul Wels gab nach 1933 an, er habe „von 1928 ab NSDAP gewählt“, sei aber „nicht Parteimitgl[ied]“ geworden.122 Über den Direktor der Ohrenklinik Alfred Linck schrieb die Greifswalder Zeitung 1939 in ihrem Nachruf: „Er war ein vorbildlicher Nationalsozialist. Schon lange vor der Machtübernahme trat er in aller Öffentlichkeit tatkräftig für die Bewegung ein und ließ es sich nicht nehmen, in der Kampfzeit Parteiveranstaltungen aufzusuchen und an ihren Kundgebungen teilzunehmen. Er bekannte sich schon 1931 als Lehrer seiner Studenten zu Adolf Hitler und gehörte zu den wenigen Hochschullehrern im Reich, die sich im Wahlkampf 1932 für den Führer einsetzten.“123 Der Physiker Friedrich Krüger gab bei Listenspenden „in hervorragender Weise“, wie ein SA-Sturmbannführer 1935 zu Protokoll gab. „Gelegentlich solcher Sammlungen“ habe er „häufig sein Bedauern 118 119 120 121 122 123

Vgl. ebd., S. 9 f. Vgl. ebd., S. 31. Vgl. ebd., S. 19. Vgl. BA R 4901/13279 Karteikarte Velde; UAG R 771, Bl. 35. Vgl. BA R 4901/13280 Karteikarte Wels. Vgl. UAG R 845, Bl. 127.

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darüber ausgedrückt, dass es ihm versagt sei, Mitglied der Partei zu werden, da er als preußischer Beamter der roten Regierung unterstellt sei.“ Krüger unterstützte auch den späteren Sachverständigen für Rasseforschung Achim Gercke finanziell bei der Erstellung einer „Statistik des Judentums an den deutschen Universitäten“.124

2.2 Der Aufstieg der nationalsozialistischen Studenten

Der Lehrkörper stand den nationalsozialistischen Studenten, deren Aufstieg sich seit 1927 unaufhaltsam vollzog, also vermutlich nicht ablehnend gegenüber. Trotzdem gab es Reibungen, die auch den Senat der Universität beschäftigten. De jure gab es nach dem Zerwürfnis zwischen der Deutschen Studentenschaft (DSt) und dem Preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker im Jahr 1927 keine „verfasste“ studentische Vertretung an den Universitäten mehr. Der parteilose Kultusminister hatte die antijüdische Ausrichtung der DSt nicht hinnehmen wollen und hob daher deren Mitwirkungsrechte an den Universitätsangelegenheiten auf. In der Folge gab es innerhalb der Studentenschaft hart geführte Richtungskämpfe zwischen Rechten und Rechtsextremisten. Da studentische Angelegenheiten aber irgendwie geregelt werden mussten, traten Kammern der Freien Studentenschaft an die Stelle der „verfassten“.125 In diesen Kammern dominierten zunächst die Korporationen, die den Hochschulring Deutscher Art gebildet hatten und mit diesem Verband in der DSt vorübergehend den Ton angaben. In Greifswald gab es jedoch seit 1927 eine sehr aktive Gruppe des Nationalsozialistischen Studentenbundes (NSDStB), die zu den konservativen Studenten zunächst auf Konfrontationskurs ging, dann aber auf scheinbar konservative Positionen umschwenkte.126 Die Freie Studentenschaft betrachtete sich daher als kameradschaftlichen Zusammenschluss einer „nationalbewussten Gesinnungsgemeinschaft“. Bei der Wahl zur Kammer der Freien Studentenschaft erreichten die Nationalsozialisten im Wintersemester 1929/30 allerdings die absolute Mehrheit. Die Wahlbeteiligung lag bei 56 Prozent. Da die nationalsozialistischen Studenten sofort auf Konfrontationskurs zu den konservativen, monarchistisch gesinnten Verbindungen gingen, zerbrach diese Einheit. Die farbentragenden Studenten nahmen vor allem daran Anstoß, dass die Nationalsozialisten die Universitätszeitung für Parteipropaganda missbrauchten, und traten daher im Mai 1930 aus der Kam124 Vgl. UAG PA 81 Krüger, Bd. 1, Bl. 7c; BA R 4901/13269 Karteikarte Krüger. 125 Vgl. Faust, Anselm: Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund. Studenten und Nationalsozialismus in der Weimarer Republik, Bd. 1, Düsseldorf 1973, S. 53 f. 126 Vgl. Mittenzwei, Jan: „Dem Führer entgegenarbeiten“ – NSD-Studentenbund und NSD-Dozentenbund in Greifswald, in: Alvermann, Schranken, S. 90–96.

2.2 Der Aufstieg der nationalsozialistischen Studenten

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mer aus.127 Den Anlass dazu bot die Februarnummer der Universitätszeitung, in der zahlreiche NS-Führer zu Wort kamen. Dort sinnierte der prominente revolutionäre Nationalsozialist Otto Straßer über den Sinn des Krieges und betonte wenig pietätvoll, dass dieser „Hammer des Schicksals“ überholte alte Formen zertrümmert habe, die von der Revolution nur noch „hinweggeschwemmt“ worden seien.128 Joseph Goebbels versuchte, in einem Aufsatz der Aprilausgabe dem Zerwürfnis gegenzusteuern, besserte die Sache aber nicht. Goebbels würdigte zwar den Idealismus der Jugend, der durch „vier Jahre voller Schmutz und Blut“ nicht zu erschüttern gewesen sei, grenzte den Nationalsozialismus jedoch scharf von der „Reaktion“ ab.129 Da der Führer des NSD-Studentenbunds Baldur von Schirach jedoch alle Konflikte zwischen Nationalsozialisten und Konservativen ersticken wollte und auf die Einheit im Kampf gegen den gemeinsamen Feind setzte, trug auch der Vorstand der Deutschen Studentenschaft diesen Konfrontationskurs nicht mit. Daher wurden die Greifswalder gebeten, „sich zu bemühen“, den Konflikt beizulegen.130 Die Nationalsozialisten mäßigten sich spürbar, weshalb die Korporationen einlenkten. Im Dezember 1931 bestand der Dreierausschuss der Freien Studentenschaft aus zwei Vertretern des NSDStB und einem Vertreter der Korporationen. Aufschlussreich ist, dass es sich bei dem Vertreter der Korporationsgemeinschaft um Kurt Mischke handelte, der seine Zugehörigkeit zur NSDAP geheim hielt.131 Der Dreierausschuss forderte eine „nationalpolitische Schulung und Erziehung der Studenten auf völkischer Grundlage“, außerdem Erziehung zur „Wehrtüchtigkeit“ und zur „Volksgemeinschaft“. Nicht zuletzt strebten die Studenten eine Mitwirkung bei der Stipendienverteilung an, von denen die Universität wegen ihrer ertragreichen Stiftungen nicht wenige zu vergeben hatte. 132 Die Mehrheit in der Studentischen Kammer war eine Sache, ein auskömmliches Verhältnis zu den Professoren eine andere. Dieses wurde durch den Theologiestudenten Alfred Lubbe nachhaltig gestört. Vom Republikanischen Studentenbund hatte Lubbe eine Einladung zu einer Vortragsreihe erhalten, bei der unter anderem der prominente Reichstagsabgeordnete Rudolf Breitscheid und die Professoren Klingmüller und Ziegler sprechen sollten. Er schickte das Schreiben mit der Bemerkung zurück, dass es für ihn „keine Gemeinschaft“ geben könne mit „den Leuten“, die „für ausländisches Geld“ ihr „Vaterland verraten“ hätten und die seine Heimat Ostpreußen „vernichten“ wollten. Der Republikanische Studentenbund, dem als Altmitglieder auch Klingmüller und 127 128 129 130 131 132

Vgl. BA R 129/120. Vgl. Greifswalder Universitätszeitung, 5. Jg., Heft 2, Februar 1930, S. 63. Vgl. Greifswalder Universitätszeitung, 5. Jg., Heft 3, April 1930, S. 87 ff. Vgl. BA R 129/120. Vgl. BA R 129/120 und R 4901/14256, Bl. 53. Vgl. BA R 129/120.

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2. Die Universität in der Weimarer Republik

Ziegler angehörten, war ob der persönlichen Beleidigung empört. Trotzdem lud dessen Vorstand Lubbe noch einmal zur Diskussion ein, um den Dissens auszuräumen. Da Lubbe nicht reagierte, beantragten die Republikaner ein Disziplinarverfahren. Die schlampige Behandlung der Sache durch Rektor, Kurator und Senat verschlimmerte die Sache und machte die unsachliche Pöbelei zum Fall. Angeblich sei das Verfahren am 28. Februar 1931 durchgeführt worden und Lubbe habe sich entschuldigt. Mitgeteilt wurde das dem Republikanischen Studentenbund jedoch nicht. Klingmüller, Ziegler und andere Alte Herren des Republikanischen Studentenbundes erhoben daraufhin Privatklage wegen Beleidigung. Damit trugen sie die Sache aus der Universität heraus in eine höchst feindselig gestimmte Öffentlichkeit. Die Klage hatte Erfolg und Lubbe wurde zu einem Monat Gefängnis mit Bewährung und 20 Mark Geldstrafe verurteilt. Ziegler wurden daraufhin die Fensterscheiben eingeworfen, vor dem Universitätsgebäude gab es Protestkundgebungen. Der Akademische Senat solidarisierte sich jetzt, am 13. Juli 1931, aber nicht mit den Kollegen Klingmüller und Ziegler, sondern bekundete sein „volles Verständnis für die Erregung der Studentenschaft“. Lubbe erhielt formal einen Verweis, wurde aber nicht von der Universität entfernt.133 Ursache für diesen Gesinnungswechsel war der im Mai 1931 vollzogene Rektoratswechsel. Dem kühlen Technokraten Gustav Braun, der Konflikte vermeiden wollte, indem er sie in die Studentenschaft zurückwies und seine Zuständigkeit leugnete, war der Neutestamentler Kurt Deißner gefolgt. Deißner nahm zwar nach 1933 gegen alle judenfeindlichen Bestrebungen in der Kirche Stellung und hatte sich schon 1925 gegen das „völkische Christentum“ ausgesprochen,134 die Studenten hielt er jedoch für aufrichtige Idealisten. Deißner kam den Studenten daher auf vielen Gebieten entgegen, etwa bei dem sich seit 1931 anbahnenden Konflikt um das „Studentenhaus“, das der Aufsicht seines Fakultätskollegen Walther Glawe unterstand und als gemeinnütziger Verein vom Reichsstudentenwerk in Dresden betrieben wurde.135 Die Stadt Greifswald und verschiedene Förderer der Universität hatten den Ankauf des Hauses betrieben und subventionierten dort die Mahlzeiten der Mensa. Als bedürftig und „würdig“ wurden 1928 immerhin 670 Studierende eingestuft, deren Mahlzeiten mit 7410 Mark subventioniert wurden. Im Zuge der Krise wurden diese Mittel 1932 um zehn Prozent gekürzt, was bemerkenswert gering erscheint.136 Außerdem organisierten dort Studenten allwöchentlich Tanzabende und gaben Bier zu Preisen aus, die unter denen der Greifswalder Kneipen lagen. Das empörte die Natio133 Vgl. UAG R 2200; Oberdörfer, Eckhard: Kurt Deißner. Der Rektor der 475-Jahrfeier der Universität Greifswald, in: Baltische Studien, Neue Folge Nr. 81, Bd. 127, 1995, S. 89 ff. 134 Vgl. Deißner, Kurt: Das völkische Christusbild, Berlin 1925. 135 Vgl. BA R 129/120. 136 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. XI, Nr. 2 Bd. 4.

2.3 Der Tod des Bruno Reinhard

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nalsozialisten und die Korporierten, die darin eine „ganz gemeine Konsumvereins­ angelegenheit“ erblickten und darüber hinaus den Studierenden ein falsches Bild der allgemeinen Lage vermittle. Da der Kampf gegen das Studentenwerk nicht zu den Prioritäten der Nationalsozialisten gehörte, zog sich die Sache hin, wurde aber im Mai 1932 noch einmal aufgegriffen. Es sei doch „untragbar“, so der Vorsitzende der Studentenschaft, dass der „gewerbliche Mittelstand“ unter der Ausdehnung der studentischen Wirtschaftstätigkeit leiden müsse und den Bestand der Korporationen gefährde. Außerdem herrsche bei den Tanzveranstaltungen ein „unmöglicher Ton“ und der Student werde durch die Bevorzugung im Studentenhaus „systematisch zu einer Kaste kollektiviert, die ihn vom Volk abschließt und verproletarisiert“.137 Diese Sätze offenbaren nicht nur eine für die Professoren schwer erträgliche Arroganz, weil sie das Studentenhaus ja mit dem Motiv geschaffen hatten, die soziale Lage der Studierenden zu verbessern. Der Geschäftsführer des Studentenwerks Hans Kretschmar genoss bei den Professoren, speziell bei Glawe, absolutes Vertrauen, und politisches Fehlverhalten war ihm auch trotz aller Bemühungen später nicht nachzuweisen. Der Volkswirt war Freikorpskämpfer gewesen, gehörte 1920/21 der Organisation Escherich an und hatte sich für rechtskonservative Verbindungen engagiert. Kretschmar verlor seinen Geschäftsführerposten 1933, was Rektor Deißner allerdings mit einem rasch erteilten Stipendium auffing. Wie viele Konservative integrierte er sich reibungslos in das NSRegime und wurde 1937 in die Partei aufgenommen. Später wurde er ordentlicher Professor in Göttingen und fiel in den letzten Kriegstagen bei Leipzig.138 Die Mensa wurde 1933 geschlossen, das Haus Stralsunder Straße 10/11 wurde jetzt von verschiedenen Instituten genutzt, außerdem fanden der akademische Zeichensaal und das Winterruderbecken des Instituts für Leibesübungen dort Aufnahme.139

2.3 Der Tod des Bruno Reinhard

Diese Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Professoren wurden nach 1945 zu einer grundsätzlichen ideologischen Konfrontation stilisiert. In ihren Rechtfertigungsschriften anlässlich der Entnazifizierung nahmen sie breiten Raum ein. Der 137 Deswegen habe er schon einmal mit dem Studentenführer Walter Lienau korrespondiert, teilte Finke dem Studentenbund auf Briefpapier der Hochschulzeitung am 29.5.1932 mit. Die Auseinandersetzungen um die Studentenführung waren mit zahlreichen Personalveränderungen einhergegangen, so dass Finke einen neuen Anlauf unternehmen musste. Vgl. BA R 129/120; Grüttner, Michael: Studenten im Dritten Reich, Paderborn u. a. 1995, S. 509 f. 138 Vgl. BA R 4901/23061. 139 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. X, Nr. 21, Bd. 7, Bl. 362.

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2. Die Universität in der Weimarer Republik

17. Juli 1932, den die nationalsozialistischen Studenten später zum „Greifswalder Blutsonntag“ erklärten, zeigt jedoch, dass es sich bei den Konflikten innerhalb der Universität eher um unbedeutende Rangeleien am Rand einer sich radikalisierenden Gesellschaft handelte. Diese Radikalisierung führte aber auch zu einer Überbrückung der Gegensätze, weil die Universität ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte. Einen Anlass lieferte der sogenannte Blutsonntag: die Tötung von drei SA-Männern, darunter des Studenten Bruno Reinhard. „Organisierter Massenmord – Roter Blutterror in Greifswald: 3 Tote, 27 Schwerverletzte“ titelte die Greifswalder Zeitung am Montagmorgen und nahm damit ein Ermittlungsergebnis vorweg, das dann doch etwas anders ausfiel.140 An dem Sonntag hatte die SA-Standarte einen Aufmarsch in Greifswald durchgeführt, auf dem Markt weihte der Gauleiter die Hakenkreuzfahne des Studentenbundes. 141 In der Mittagspause wurde getrunken, in der Langen Reihe pöbelten und rempelten SAMänner mutmaßlich „Andersdenkende“ an.142 Wenig später warfen sie Flaschen auf das Haus des Konsumvereins. Dessen Mitglieder warfen Steine zurück und begannen zu schießen. Die Polizei griff ein und stellte die Ruhe wieder her. Dann stürmten SAMänner den städtischen Wohnhof, in den angeblich einige Gegner der vorangegangenen Schlägerei geflüchtet waren. Die Lage beruhigte sich auch hier, und die Polizei bot den auswärtigen SA-Leuten jetzt Schutz an und geleitete mehrere Trupps aus der Stadt, ohne dass es zu weiteren Tätlichkeiten kam.143 Eine Gruppe von 19 SA-Männern lehnte Polizeischutz ab und radelte die Loitzer Landstraße stadtauswärts. Dabei kamen sie an Baracken vorbei, die überwiegend von Kommunisten bewohnt waren. Die Kommunisten gaben mindestens einen Schuss auf die Radfahrer ab. Außerdem fielen höhnische Rufe: „Kommt doch wenn ihr was wollt“.144 Eine regelrechte Falle vermochte die Staatsanwaltschaft jedoch nicht zu erkennen, weil die Barackenbewohner angesichts der Vorfälle beim Konsumverein und beim Stadthof „in begreifliche Unruhe“ versetzt worden seien. Auf Auseinandersetzungen waren sie aber durchaus vorbereitet, viele Bewohner hatten zum Beispiel ihre Kinder weggebracht.145 Nach den provozierenden Rufen holten die SA-Männer Verstärkung, zückten ihre Dolche, schnallten die Riemen ab und stürmten die Baracken. Die Bewohner setzten 140 Vgl. BA R 58/3965, Bl. 26. 141 Vgl. Greifswalder Universitätszeitung, Gedenkheft gewidmet unseren am 17. Juli 1932 gefallenen SA-Kameraden, S. 8. 142 Vgl. BA R 58/3965, Bl. 8. 143 So der erste Polizeibericht vom 18.7.1932. Die genauen Todesumstände wurden später in langwierigen und widersprüchlichen Verhören geklärt. Vgl. ebd., Bl. 2–4. 144 Vgl. ebd., Bl. 35. 145 Vgl. ebd., Bl. 40.

2.3 Der Tod des Bruno Reinhard

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die SA unter heftiges Feuer. Dann gingen sie mit Eisenstangen, Knüppeln und Forken zum Gegenangriff über. Der arbeitslose Schmied Ulrich Massow, schon mehrfach bei Straßenkämpfen verwundet, erhielt einen Lungenschuss. Seine NS-Kameraden zogen ihn auf die Straße. Dort wurde er von zwei Frauen mit Knüppeln erschlagen. Der Student Bruno Reinhard wurde ins Herz getroffen und war sofort tot. Der Handlungsgehilfe Herbert Schuhmacher wurde auf der Flucht angeschossen. Der Melker Albert Peters drosch auf den am Boden Liegenden mit einer Latte ein. Schuhmacher verstarb infolge „stumpfer Gewalt auf den Hinterkopf“.146 Obwohl einige SS-Männer zur Schlägerei hinzukamen, endete sie mit dem Rückzug der Nationalsozialisten, die Kommunisten verzichteten auf eine Verfolgung. Einige SA-Männer, die in Richtung Bahnhof flüchteten, wurden aber von Unbekannten so verprügelt, dass sie sich in ärztliche Behandlung begeben mussten.147 Die Beerdigung von Bruno Reinhard und Ulrich Massow fand vier Tage später statt und wurde zu einer nationalsozialistischen Opferfeier, bei der Gauleiter Wilhelm Karpenstein die Gedenkrede hielt. Massow und Reinhard hätten ihr Leben gelassen „im unbedingten Glauben an die Idee eines neuen Deutschland“. Dann beschwor er die Einheit von „Arbeiter und Student“ und stimmte auf weitere Kämpfe ein. SAOberführer Heinz Späing schloss die Feier, indem er eine Parole ausgab: „Über Gräber vorwärts!“148 Zu einem Eklat kam es bei der Einäscherung von Schuhmacher. Dessen Vormund, ein Anhänger Ludendorffs, hatte verboten, dass dieser ein christliches Begräbnis erhielt.149 Bei den SA-Männern sorgte das für Unruhe und als sie ihm nach der Einäscherung das letzte Geleit gaben, trat Standartenführer Arved Theuermann vor und segnete die Urne: „Vielen gefallenen Kameraden habe ich im Kriege den letzten Segen erteilt. Man will Dir, Du treuer Kamerad, den Segen verweigern. So segne ich Dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“ Dann sprach Theuermann das Vaterunser. Für die Familie sprach ein Vertreter des Tannenbergbundes und sagte: „[…] Du bist als Verführter gefallen.“ Niemand widersprach, stumm senkten die SA-Männer ihre Flaggen.150 146 Vgl. ebd., Bl. 35. 147 Vgl. ebd., Bl. 53. 148 Vgl. Greifswalder Universitätszeitung, Gedenkheft gewidmet unseren am 17. Juli 1932 gefallenen SA-Kameraden, S. 12. 149 Ludendorff entwickelte unter dem Eindruck seiner Frau Mathilde eine nichtchristliche Religion, die er dem Tannenbergbund, einer rechtsextremistischen Frontkämpferorganisation, überstülpte. Der Bund wurde durch die NSDAP marginalisiert. Vgl. Amm, Bettina: Die Ludendorff-Bewegung. Vom nationalistischem Kampfbund zur völkischen Weltanschauungssekte, Hamburg 2006, S. 186 ff. 150 Vgl. Greifswalder Universitätszeitung, Gedenkheft, S. 12 f.

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2. Die Universität in der Weimarer Republik

Der von der Presse als „Greifswalder Blutsonntag“ bezeichnete Vorfall hatte ein juristisches Nachspiel. Bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft schob Standartenführer Theuermann die Schuld für den Zwischenfall rundheraus auf die 19 nationalsozialistischen Radfahrer. Sie seien gewarnt worden, nicht an den Baracken vorbeizuziehen. „Der Vorfall hätte niemals passieren können“, so Theuermann, wenn seine Anordnungen „von den Unterführern befolgt worden wären“. Er habe ausdrücklich angeordnet, die Stadt nur unter Polizeischutz zu verlassen.151 Besonderen Wert legte die Staatsanwaltschaft auf die Klärung der Frage, wer zuerst geschossen hatte, SA oder Kommunisten. Ein unparteiischer Zeuge sagte aus, dass der Schuss von den Baracken abgegeben worden sei. Er habe das von seinem Fuhrwerk aus sehen können, mit dem er zufällig vorbeigekommen und nur 20 Meter von den noch friedlich radelnden SA-Männern entfernt gewesen sei. Ein anderer Zeuge sah allerdings einen SS-Mann, der geschossen habe, in schwarzer Hose, wie er sich erinnerte, die anderen hätten braun getragen. Ein Polizist fand das Geschoss bei der Tatortuntersuchung und konnte den Standort des Schützen anhand der Einschlagrichtung später genau identifizieren. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war damit die Schuldfrage klar. Die Kommunisten hätten sich defensiv verhalten, der erste Schuss sei von den Nationalsozialisten abgegeben worden.152 Vom Schwurgericht Greifswald wurden am 8. November 1932 daher sehr differenzierte Urteile gegen die 22 Angeklagten gefällt. Sieben wurden freigesprochen. Frau Güldner und Frau Möller, die Massow erschlagen hatten, erhielten acht Monate bzw. ein Jahr Gefängnis. Das Gericht erkannte dabei bei Güldner einen Erregungszustand als mildernd an. Sie habe geglaubt, dass Massow ihren Mann getötet habe, den sie blutüberströmt niedersinken sah. Die beiden ermittelten Totschläger, der Melker Albert Peters und Paul Behrens, wurden zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Kommunist Albert Tennert, der Massow angeschossen hatte, erhielt fünf Jahre. Zwei weitere bekamen langjährige Zuchthausstrafen.153 Der Stettiner Volksbote sprach von „drakonischen Strafen“, der sozialdemokratische Vorwärts nannte sie „ungeheuerlich“. Angesichts der Brutalität des Vorgehens hätten sie aber noch höher ausfallen können.154 Nicht nur das Ereignis selbst, sondern auch die Demonstration auf dem Friedhof führte allen Greifswaldern vor Augen, wie sich die künftigen Machtverhältnis151 152 153 154

Vgl. BA R 58/3965, Bl. 54 f. Vgl. ebd., Bl. 42. Vgl. ebd., Bl. 88. Vgl. ebd., Bl. 81 und 84. Die Mordmerkmale wurden erst 1933 nach der Heimtückeverordnung neu definiert und sind noch heute geltendes Recht. Die Justiz erwies sich hier also nicht auf dem linken Auge blind, sondern folgte gängigem Recht.

2.3 Der Tod des Bruno Reinhard

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se gestalten würden. Für die Konservativen konnte es nur noch darum gehen, den Anschluss nicht zu verpassen oder – zeitgenössisch gedacht – ein Bündnis zwischen Nationalsozialisten und Deutschnationalen herzustellen, um Politik wenigstens noch gestalten zu können. Rektor Kurt Deißner gab dem Willen der Nationalsozialisten daher nicht nur im Hinblick auf die Mensa nach. Die Institutionalisierung des Wehrsports trieb er voran, ab Herbst 1932 wurde Kleinkaliberschießen geübt.155 Die Reichswehr schuf zur selben Zeit auf Deißners Anregung eine „Studentenkompanie“, in der einige Dutzend Studenten gedrillt wurden.156 Der Wehrsport fand mit Ausnahme des Schießens dann aber doch an der Universität statt. Dafür wurde ein Wehrsportlehrer eingestellt, der im Herbst 1933 als Offizier zur SA wechselte.157 Die SA hatte den Schießstand der Jägerschaft übernommen, den Schlüssel und die Munitionsausgabe für das Klein­ kaliberschießen übernahm ein Hausmeister der Universität.158 Nicht wenige Studenten absolvierten den Wehrsport mit Inbrunst, zwischen 1932 und 1934 war gerade der militärische Charakter des NS-Studentenbundes attraktiv. Als die Reichswehr 1934 die Zugangsbeschränkungen für Freiwillige lockerte, wechselten rund 30 Studenten von der Universität zum Greifswalder Ausbildungsbataillon.159 Die Schießausbildung scheint später der Präparator des Botanischen Instituts Adolf Schilling übernommen zu haben. Schilling hatte eine Bildhauerausbildung in Hamburg absolviert und später Biologie studiert, 1914 erhielt er die Präparatorstelle in Greifswald. An der Westfront erkämpfte er sich das Eiserne Kreuz II. Klasse und das Hanseatenkreuz, in Russland erhielt er 1915 den Heimatschuss und war seitdem gehbehindert. Der Stahlhelm-Aktivist wurde später in die SA übernommen und war ab 1933 Schießwart der SA-Standarte 49 in Greifswald. Für den Wehrsport stand mit dem Sportlehrer Friedrich Rödiger ebenfalls ein Weltkriegsveteran zur Verfügung. Rödiger hatte sich 1914 freiwillig zur Kavallerie gemeldet, 1916 wurde er zum Offizier befördert. 1917 wurde er für die Tätigkeit zum patriotischen Unterricht aus der Front herausgezogen. Nach dem Philologenexamen und dem Referendariat arbeitete er in Schulpforta und war seit 1924 Universitätssportlehrer an der Universität Greifswald.160 Deutlich jünger war der 1935 an die Universität als Direktor des Instituts für Leibesübungen berufene Heinz Deckwerth, der wäh155 Vgl. UAG R 977, Bl. 253. 156 Vgl. Oberdörfer, Deißner, in: Baltische Studien, a. a. O., S. 88. 157 Vgl. UAG R 977, Bl. 200 ff. 158 Vgl. BA R 4901/14772. 159 Vgl. Lubs, IR 5, S. 95. 160 Rödiger trat 1933 in die NSDAP ein (Mitglied Nr. 2.147.260). Vgl. UAG K 663, Bl. 50, BA R 4901/14772.

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2. Die Universität in der Weimarer Republik

rend seines Studiums in England unterrichtet hatte und vom britischen Schulsport begeistert war. Deckwerth stellte seinen Aufnahmeantrag für die NSDAP 1935 und war Angehöriger der SS.161 Mit erheblichem Enthusiasmus warben die Studenten auch für die Etablierung eines Segelflugprogramms, wobei die Burschenschaft Germania die Führung übernahm. Im August 1932 bildeten Studenten und Professoren einen Verein für Luftfahrt, in dem sich Senator Glawe und der spätere Studentenführer Jürgen Soenke besonders engagierten und Mitglieder warben. Die Universität kündigte dem Pächter des Universitätsguts Ladebow einige Flächen, damit die Studenten dort einen Segelflugplatz einrichten konnten. In der Kuhstraße wurde eine Segelflugwerkstatt eingerichtet.162 Durch dieses Entgegenkommen hatte Rektor Deißner den Schulterschluss zwischen Studenten und Professoren hergestellt, der Ökonom Friedrich Hoffmann beschwor ihn dann am 18. Januar 1933 anlässlich der Reichsgründungsfeier. In seiner Festrede würdigte er den Idealismus der Jugend. Obwohl sie tief in links und rechts gespalten sei, spreche aus ihrem Wollen aber eine „durch nichts zu dämpfende Liebe zur Gemeinschaft“. Das politische Engagement zeige nichts anderes als ihre Opferbereitschaft, so wie die Generation der Älteren bereit gewesen sei, ihr Leben auf den Schlachtfeldern des Weltkriegs zu geben. Der Leitspruch der Jugend – „Mögen wir sterben, Deutschland stirbt nicht“ – sei auch das Bekenntnis der Älteren, ja aller Deutschen im Reich und in der ganzen Welt. Mit den Worten: „wir erheben uns von den Plätzen und gedenken des Deutschen Reiches und der deutschen Kultur, des deutschen Geistes und des deutschen Volkes“ leitete er über zur Nationalhymne, die aller Bekenntnis sei: „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt!“163

161 Vgl. PA 941 Deckwerth; Deckwerth, Heinz: Der Gemeinschaftsgedanke in der englischen Sporterziehung und sein Ausdruck im englischen Schulroman, phil. Diss., Breslau 1935, S. 18 ff. 162 Vgl. UAG R 077, Bl. 26–30, 149 ff. 163 Vgl. Hoffmann, Friedrich: Die bündisch-revolutionäre Ideologie in der deutschen politischen Gegenwart. Rede gehalten zur Feier des 18. Januar, Greifswald 1933, S. 28.

3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

3.1 Antisemitismus und Bücherverbrennung

Während die ersten Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ruhig verliefen, folgte auf den Brand des Reichstages in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 eine bis dahin beispiellose Terrorwelle. Sie ebbte auch nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933, die der NSDAP mit 43,9 Prozent einen Stimmenzuwachs brachte, nicht ab. Betroffen waren neben politischen Gegnern vor allem jüdische Geschäftsinhaber, an denen sich der SA-Mob austobte. Das führte zu internationalen Boykottdrohungen gegen das Deutsche Reich, die von der NSDAP mit einem antijüdischen Boykott, Terror und einer massiven Hetzkampagne beantwortet wurden.164 In dieser aufgeheizten Stimmung berief der außerplanmäßige Professor für Mathematik Clemens Thaer eine Versammlung ins „Gasthaus zur Grünen Linde“ in der Rotgerberstraße ein. Thaer, im Hauptberuf Studienrat am Gymnasium und seit 1919 Ortsgruppenvorsitzender der Deutschen Volkspartei, kündigte das brisante Thema in der Tageszeitung mit einer Anzeige an: „Wieweit ist das Judentum als Fremdkörper zu behandeln?“ Thaers Ansprache war defensiv, konnte es allerdings angesichts der Tagesereignisse auch nicht anders sein. Er knüpfte an die zeitgenössischen Fragestellungen an, um diese dann radikal in Frage zu stellen. So erklärte er den Aufstieg des Nationalsozialismus mit dem legitimen Kampf gegen den Bolschewismus und leitete dann über zu der symbolischen Geste des „Tages von Potsdam“. Dieser Schulterschluss von Monarchisten und Nationalsozialisten signalisiere, wie Thaer fälschlich meinte, dass der Staat des Soldatenkönigs wiedererstehen solle, ein Staat, der auf „Ehre“ gegründet worden sei. Die Judenfeindlichkeit des Nationalsozialismus erkläre sich wohl aus dieser Haltung heraus, dem Kampf gegen „Korruption und Schiebertum“, das nach dem Weltkrieg überhandgenommen habe. Inwieweit diese Auffassung berechtigt sei, fragte Thaer dann rhetorisch. Seine Antwort war unmissverständlich, es habe deutsche Schieber und Schwarzhändler gegeben, darunter auch jüdische. Die Juden hätten aber ihren Blutzoll im Weltkrieg ebenso erbracht, und nicht etwa in

164 Vgl. Plum, Günter: Wirtschaft und Erwerbsleben, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Die Juden in Deutschland 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft, München 1996, S. 273 ff.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

geringerer Höhe als andere Deutsche.165 Er beschrieb die Lebensläufe gefallener Juden und forderte eine Achtung vor diesen Toten, weil diese „der selben Ehren wert“ seien „wie die Jugend, die bei Langemarck verblutete“. Indem der Boykott sich gegen alle Juden gerichtet hatte, treffe er doch nicht die „direkt Schuldigen“. Sicher gebe es „verlogene Hetzer“ gegen Deutschland, diese seien aber jenseits der Grenzen zu finden, nicht bei den deutschen Juden. Es sei der deutschen Ehre unwürdig, Unschuldige zu bestrafen.166 Der Appell an deutsches Ehrgefühl verhallte ungehört. Wie der Boykott gegen die Juden war die „Aktion wider den undeutschen Geist“, die Bücherverbrennung, von zentralen Stellen geplant worden.167 Das neugebildete Propagandaministerium stellte die organisatorischen Ressourcen zur Verfügung, die Führung bei der Verbrennungsaktion sollte jedoch beim NSDStB liegen. Das sei auch „selbstverständlich“, so der Führer der Deutschen Studentenschaft, weil sich der NS-Studentenbund mit seinem „langen Kampf gegen das Judentum“ dafür qualifiziert habe. Das bekannte Plakat „Wider den undeutschen Geist“ wurde in der Reichsstudentenführung verfasst und an die Studentenführungen der einzelnen Universitäten geschickt. Zu lesen waren unter anderem folgende Thesen: „Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter. Der Student der undeutsch spricht und schreibt, ist außerdem gedankenlos und wird seiner Aufgabe untreu.“ Die Aktion diene dazu, diesen „Verrat“ zu „brandmarken“. Außerdem forderten die Thesen wider den undeutschen Geist eine Veränderung der Universitäten. Diese dürften keine Anstalten der „Gedankenlosigkeit“ mehr sein, sondern müssten zu Stätten der „Zucht und der politischen Erziehung“ werden. Vom Studenten forderte die Führung „den Willen und die Fähigkeit zur Reinerhaltung der deutschen Sprache“ und zur „Überwindung jüdischen Intellektualismus und der damit verbundenen Verfallserscheinungen im deutschen Geistesleben“. Sowohl unter Studenten als auch unter Professoren müsse eine Auslese getroffen werden nach „der Sicherheit des Denkens im deutschen Geiste“. Insgesamt müsse die deutsche Hochschule zu einem „Hort des deutschen Volkstums“ und zur „Kampfstätte“ werden, gespeist „aus der Kraft des deutschen Geistes“. 168 Eingesammelt und verbrannt werden 165 Jacob Rosenthal berechnete die jüdischen Toten des Ersten Weltkriegs noch einmal neu. Dabei stützte er sich auf Statistiken des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und diskutierte deren Erhebung. Vgl. Rosenthal, Jacob: „Die Ehre des jüdischen Soldaten“. Die Judenzählung im Ersten Weltkrieg und ihre Folgen, Frankfurt am Main und New York 2007, S. 49–55 und 119. 166 Vgl. UAG Dokumentation zur PA 269, Bl. 64–68. 167 Vgl. Evans, Richard J.: Das Dritte Reich, Bd. I; Aufstieg, München 2003, S. 553. 168 Vgl. BA NS 38/2415, Bl. 5 ff.

3.1 Antisemitismus und Bücherverbrennung

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sollte nach den Anweisungen der Reichsstudentenführung alles, was „Schund und Schmutz“ darstelle, außerdem die Schriften „jüdischen Zersetzungsgeistes“. Als Termin für das Autodafé wurde der 10. Mai 1933 24.00 Uhr festgelegt.169 In Greifswald war zunächst der Chef des Presseamts der Studentenschaft Ernst Lange mit der Sache befasst, ein Volkswirt, der 1933 mit einer Dissertation über Die politische Ideologie der deutschen industriellen Unternehmerschaft promoviert wurde.170 Die Redaktion der Greifswalder Zeitung brachte den Aufruf sofort und in korrigierter Form, änderte aber die herabsetzende Form des Namens von „Kurt Tucholski“ nicht, vielleicht weil ihr der Autor unbekannt war. Die Auswahl der zu verbrennenden Autoren verriet eine zentrale Regie, ein lediglich in der Reichshauptstadt populärer Theaterautor wie Otto Zarek wäre vielleicht sonst nicht auf die Verbrennungsliste gesetzt worden. Auch die Bücher von Johannes R. Becher hatten keine hohen Auflagen erreicht, und Ernst Glaesers brillante Beschreibungen der Kriegsgeneration und der mordlüsternen Freikorps im Südwesten erreichten zwar hohe Auflagen, waren aber nie als Herabwürdigung des Frontkämpfers gemeint gewesen. Glaeser beschrieb mit gnadenloser Klarheit den Missbrauch der idealistischen Jugend und sezierte die dekadente pseudorevolutionäre Nachkriegsgesellschaft. Wegen seiner unstrittigen Begabung wurde er später um die Rückkehr aus dem Exil gebeten.171 Aus eigener Initiative heraus benannten die Studenten keine Autoren, die verbrannt werden sollten. Zwar wurde die Aktion in Greifswald „durchgezogen“, es scheint jedoch so, als ob den Studenten die Einseitigkeit missfallen hätte. In einer begleitenden Kampagne legten sie den Schwerpunkt auf Werbung für die aus ihrer Sicht positiv zu beurteilende Literatur. Eine solche zusätzliche „Aktion“ gab es anderswo nicht, es lohnt daher, sie genauer zu betrachten.

169 Vgl. BA NS 38/2416. 170 Lange wurde am 20. April 1905 in Küstrin als Sohn eines Brauereidirektors geboren, besuchte das Gymnasium Beuthen und studierte in Würzburg, Breslau, Rostock, Münster und Greifswald Rechts- und Volkswirtschaftswissenschaft; 1931 Diplomvolkswirt, 1933 Promotion. In seiner Dissertation kam er zu dem Schluss, dass eine Wesensidentität der Pflichtauffassung eines Unternehmensführers mit der nationalsozialistischen Führerauffassung bestehe. Beide würden sich für die Gesellschaft aufopfern und die Freiheit des Individuums hinter die Vorgaben der Gemeinschaft stellen. Vgl. Lange, Ernst: Die politische Ideologie der deutschen industriellen Unternehmerschaft, Diss., Greifswald 1933, S. 83. 171 Vgl. Gläser, Ernst: Jahrgang 1902, Berlin 1928; ders., Frieden, Berlin 1930; Sarkowicz, Hans und Alf Menzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon, Hamburg und Wien 2002, S. 185 ff.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Dokument Nr. 2: Aufruf der Studentenschaft am 26. April 1933, verfasst vom Leiter des Presseamts, Ernst Lange

Unser Kampf wider den undeutschen Geist. Aufruf der Greifswalder Studentenschaft an die Greifswalder Bevölkerung. Die gesamte deutsche Studentenschaft führt in diesen Tagen eine groß angelegte Aktion durch unter der Parole „Wider den undeutschen Geist“. Die Greifswalder Studenten nehmen diese Parole freudig auf und geben ein Zeichen der Verbundenheit an die Einwohner ihrer Universitätsstadt weiter. Unser Kampf gilt in diesen Tagen jenem Geist, der stets nur verneint, dem Geist wurzelloser Asphaltliteraten, wie er sich besonders seit einem Jahrzehnt in der deutschen Literatur breit gemacht hat. Die Schriftstellerkliquen des Berliner Westens und ihr Anhang, die es systematisch verstanden haben, mit ihrer bestechenden Dialektik dem deutschen Volk seine höchsten Werte zu entfremden, die ihnen aus rassenmäßiger Fremdheit unbegreiflich sind und immer bleiben werden, wollen wir jetzt endgültig unschädlich machen und ihren Geist und seine Früchte in ein kulturelles Ghetto verweisen. Das deutsche Volk hat nach jahrelanger Infektion mit den Fremdkörpern dieses Geistes, für die es wegen seiner kindlichen Aufnahmefähigkeit und seiner selbstzerstörerischen Objektivität so sehr empfänglich war, genug Abwehrstoffe in sich gebildet und ist nunmehr immun geworden. Die Deutsche Studentenschaft, die immer an 1. Stelle stand, wenn große Bewegungen durch unser Volk gingen, will, nachdem sie den Sieg der nationalen Revolution miterkämpft hat, diesen Sieg auch sichern und befestigen. Als Nachwuchs der geistigen Führerschicht halten wir uns für berufen, auf kulturellem Gebiete den Anfang dazu zu machen und die Initiative zu ergreifen. Unsere Aktion, zu der wir der tatkräftigen Mitarbeit aller Volksgenossen bedürfen, umfasst ein negatives und positives Programm. Wir alle, Bürger, Arbeiter und Studenten wollen einmal in diesen Tagen bis zum 1. Mai an unseren Bücherschrank oder an unser bescheidenes Bücherbrett herantreten und prüfen, ob dort noch Bücher dieser Literatenschicht zu finden sind. Unser Kampf gegen den undeutschen Geist gilt sowohl dem undeutschen Buch wie dem undeutschen Verfasser in unserem Sinne. Von den fremdrassigen Verfassern wollen wir nicht etwa alle verdammen; diejenigen von ihnen jedoch, die das Gastrecht missbraucht haben und die Fundamente von Staat und Volk unterhöhlt haben, werden wir rücksichtslos bekämpfen, auch dann, wenn sie das eine oder andere Buch geschrieben haben, dessen Inhalt zu billigen ist. Ein Tucholzki [sic!] beispielsweise hat sich, obwohl er auch harmlose Dinge geschrieben hat, unsere Feindschaft durch die Tatsache geschaffen, dass er in seinem Buch „Deutschland über alles“ unsere Feldherren als Tiere bezeichnet hat und wir

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verwehren es ihm mit seinen Büchern weiter das Volk zu entnerven. Ein Emil Ludwig (Cohn) der aus seinem rassenmäßigen Instinkt heraus Bücher geschrieben hat wie „Wilhelm II.“ und „Juni 1914“, soll auf keinem deutschen Bücherbrett mehr zu finden sein. Er hat sich ebenso wie seine Art- und Rassegenossen Feuchtwanger, Gläser, Werfel, Toller, Zarek und Becher selbst aus unserer Volksgemeinschaft ausgeschlossen. Mag Remarque blutsmäßig nicht zu jenen gehören, so hat er sich doch durch seine Auswertung des Kriegserlebnisses, in die Reihe jener uns blutsmäßig und seelisch Fremden eingereiht. Wir deutschen Studenten, die wir für die Idee des dritten Reiches gekämpft haben und hinter dem Volkskanzler stehen, könnten auch eine sogenannte Wissenschaftlichkeit wie sie Sigmund Freud und seine Epigonen in Wissenschaft und Literatur eingeführt haben, nicht dulden. Sie ist mit ihrer grundsätzlich materialistischen Auffassung von Schöpfertum und Leistung vom Menschen und Volk ewig feindlich und hat keinen Platz in der neuen Universität u n s e r e s Staates, deren höchstes Ziel nicht die Wissenschaft an sich und nur um ihrer selbst willen ist, sondern nur wenn und so weit sie mit ihren Erkenntnissen der Volksgemeinschaft und ihrem sichtbaren Ausdruck, dem Staate dient. Wir können hier nicht alle jene Schädlinge der deutschen Kultur anführen, aber wir haben hier einige typische Vertreter jener Literatur genannt, denen unser Kampf heute gilt. Mit ihnen soll der Anfang gemacht werden. Wir deutschen Studenten der Universität Greifswald rufen hiermit die Volksgenossen unserer Universitätsstadt auf zur tätigen Mitarbeit an unserer großen Aufgabe. Reinigt eure Bücherbretter von diesen Feinden deutschen Geistes! Bringt sie uns in unser Studentenhaus. Wir wollen am 10. Mai in einer öffentlichen Kundgebung „Wider den undeutschen Geist“ eine symbolische Verbrennung dieser Bücher auf dem Markt vornehmen. Beteiligt euch an dieser Aktion zum Zeichen der Verbundenheit der Volksgemeinschaft. Auch an die Greifswalder Buchhandlungen und Büchereien ergeht unser Ruf. Auch sie sollen ihren Bestand säubern und [sich] hinter unsere Aktion stellen. Wir wollen jedoch nicht negativ bleiben und werden anschließend an die Verbrennung eine Aktion der positiven Werbung für echte volksverbundene Literatur beginnen. Männer und Bücher, die man bisher totgeschwiegen hat, werden wir 14 Tage lang in der hiesigen Presse in einem täglichen Artikel unter der Überschrift „Für den deutschen Geist“ besprechen und empfehlen. Lest diese Bücher und empfehlt sie weiter, damit sie bekannt werden. Jetzt gilt es erst den Sieg der nationalen Revolution zu festigen und auszubauen. Quelle: BA Berlin NS 38 Nr. 2417, Bl. 156 f.

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Auf dem Marktplatz versammelte sich eine vielköpfige Menschenmenge, die von einer Absperrkette von SA und Polizei kontrolliert wurde. Die studentischen Vereine und Korporationen, Stahlhelm und SA nahmen im Innenraum Aufstellung. Zuerst erklang das Studentenkampflied Burschen heraus, dann hielt ein Student in SA-Uniform die zentral vorbereitete Rede gegen den „Geist der kommunistischen und marxistischen Schriften“, die „Dekadenz“ eines Erich Kästner, den „literarischen Verrat des Frontsoldaten“ durch Remarque, Renn und Glaeser. Er sprach über die angebliche Herabwürdigung der Nation durch Tucholsky und die „Übertreibung des Geschlechtstriebs“ durch Sigmund Freud. „Jüdische Machwerke“, „Asphaltpresse“, „dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache“ waren weitere Schlagworte. Dann leitete er über zu dem, was er für gute Literatur hielt, nämlich jene, die den „nationalen Willen bejahe“ und helfe, das „Volk zur Einigkeit [zu] verschmelzen“. Nach dieser Tirade entzündeten Studenten einen Holzstoß und die aufgetürmten roten Fahnen und Transparente, die, so der Reporter der Greifswalder Zeitung, 14 Jahre lang „zum Klassenkampf“ aufgehetzt hätten. Jetzt warfen die Studenten in hohem Bogen Bücher in das „aufzüngelnde Flammenmeer“. Zum Abschluss sangen sie das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied.172 Von der Studentenschaft wurde in den kommenden Wochen eine Artikelserie in der Greifswalder Zeitung platziert, in der die für den geistigen „Aufbau“ der Nation geeigneten Schriftsteller vorgestellt wurden. Zu den Autoren der Texte gehörten auch die Professoren Wolfgang Stammler und Bruno Markwardt. Stammler würdigte den Schriftsteller Erwin Guido Kolbenheyer, dessen Literatur „aus tiefster Erkenntnis deutschen Wesens“ geschöpft sei.173 Markwardt schrieb über „Wert und Wesen der Gesinnungsdichtung“ und würdigte dabei Schiller und vor allem Heinrich von Kleist. Der bleibende Wert von Gesinnungsdichtung zeige sich da, „wo die Hingabe an eine erhabene Idee zur Erlebnisnotwendigkeit wird und so zur Ausdrucksnotwendigkeit sich organisch emporbildet“.174 Empfohlen wurden vor allem Kriegsbücher, etwa von Edwin Erwin Dwinger, Werner Beumelburg und Ernst Jünger, dessen „Frontkämpfergeist“ den Leser „atemnah“ erreiche.175 Da sich die Broschüre mit den Texten zu einem unerwarteten Erfolg entwickelte, schob Studentenführer Jürgen Soenke ein zweites Heft nach, das den Kriegsgefallenen gewidmet war: „Denen, die im Glauben an Deutschland fielen“.176 Leopold Magon steuerte einen Aufsatz über den Op172 Vgl. BA NS 38/2417. 173 Vgl. Aktion der Studentenschaft der Universität Greifswald (Hg.): Für den deutschen Geist, Greifswald 1933, S. 28. 174 Vgl. ebd., S. 39. 175 Vgl. ebd., S. 50. 176 Vgl. Aktion der Studentenschaft der Universität Greifswald (Hg.): Für den deutschen Geist. Heft 2: Die Kriegsgefallenen, Greifswald 1933.

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fergedanken im Denken und Dichten bei, sein Assistent Otto Fingerhut einen Text über Hermann Löns. Außerdem wurde auf die Edition der Kriegsbriefe gefallener Studenten eingegangen und der Dichter Walter Flex sowie der expressionistische Maler Franz Marc wurden gewürdigt. Obersturmbannführer Gerhard Adam, zu diesem Zeitpunkt Studentenführer der Universität, stellte die „nationalsozialistische Revolution“ in der Broschüre bewusst in die Tradition des Ersten Weltkriegs und betonte, dass sich die bücherverbrennende Jugend „bewusst oder unbewusst“ in die Reihe der Frontkämpfer einordnen wolle, in jene „große Armee der Toten“. Das Heft würde von ihnen, den „echten Soldaten des Dritten Reiches“ herausgegeben, um die Gefallenen zu ehren, auch die „gefallenen Kameraden“, die am 17. Juli 1932 bei den Straßenkämpfen ihr Leben gaben.177 Die Tendenz des Heftes gab jedoch Leopold Magon vor, der im Sinne Werner Sombarts und Oswald Spenglers eine Gegensätzlichkeit von „Händler“ und „Held“ konstruierte. Im Angelsächsischen habe sich eine Gesinnung manifestiert, die nur danach frage, was das Leben dem Individuum geben könne, der deutsche Held zeichne sich jedoch dadurch aus, dass er für die Frage lebe: „Was kann ich … geben?“ Der deutsche Held sei reich, „er will schenken, will sich verschwenden, will sich opfern – ohne Gegengabe“.178 Als Belege führte Magon Friedrich den Großen an („Mein Herzblut gäb’ ich für des Volkes Wohl“) und den Philosophen Fichte, der die vom Nationalsozialismus geforderte Volksgemeinschaft schon vorweggenommen habe: „Es gibt nur eine Tugend, die, sich selbst als Person zu vergessen, und nur ein Laster, das, nur an sich selbst zu denken.“ Die höchste Verkörperung dieses idealen Geistes finde sich bei Walter Flex: „Ich bin nicht mehr ich selbst, ich war / Ich bin ein Glied der heiligen Schar, / Die sich Dir opfert, Vaterland!“179 Magon konnte diese Position glaubhaft vertreten, weil er selbst ein Versehrter des Ersten Weltkriegs war.180 Fingerhut steuerte zur Broschüre eine Biographie von Hermann Löns bei, dessen Leben sich mit dem Tod im Sturmangriff vor Reims in höchster Bestimmung vollendet habe.181 Der Dichter Gorch Fock wurde in der Broschüre seines gesellschaftlichen Kontextes beraubt und auf einen nordischen Grübler reduziert, der Wotan nähergestanden habe als dem Christengott. Auch bei ihm habe sich das Leitmotiv der Gegnerschaft von England und Deutschland wiedergefunden: Die einen hätten bis zum letzten Penny gekämpft, die Deutschen hingegen bis „zum letzten Blutstropfen“.182 Alle Beiträge durchzog ein pathetischer Ton, wie ihn etwa der Kunstgeschichtsstudent 177 178 179 180 181 182

Vgl. ebd., S. 7 f. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 12 f. und 16 f. Vgl. UAB PA nach 1945, Magon, L. Vgl. Für den deutschen Geist, Bd. 2, S. 27. Vgl. ebd., S. 28.

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Kurt Leistikow anschlug, um jene zu ehren, die starben im Geiste eines „hellen, klaren, edlen, gesammelten Menschenwillens“.183 Durchweg findet sich der Gedanke des Opfers, etwa bei Zitaten von Walter Flex („Die Sieger werden unter den Toten sein“) oder von Franz Marc („Man muss sich gänzlich opfern […,] sein Kreuz tragen, an dem man für die Welt stirbt“).184 Ein drittes Heft der Reihe Für den deutschen Geist begleitete eine Wanderausstellung von Gemälden, die in den pommerschen Städten gezeigt wurde. In der Broschüre schrieben prominente Mitglieder des Kampfbundes für deutsche Kultur, etablierte Bildhauer sowie Nachwuchswissenschaftler aus Greifswald über „Deutsche Bildhauerkunst“, „Deutsches Bauen“ und über das „Wesen deutscher Kunst“. Schirmherr der Wanderausstellung war Gauleiter Karpenstein, die Künstler stellten ihre Bilder unentgeltlich zur Verfügung, diese konnten aber erworben werden.185 Der Greifswalder Doktorand Werner Rittich186 versuchte sich in der Broschüre an einer Definition für das „Wesen deutscher Kunst“ und machte das an „Gestalt, Inhalt und Gehalt“ fest. Der Inhalt der Kunst sei das Bestimmende, aber ohnehin durch „Blut und Boden“ geformt. Das Besondere der deutschen Kunst sei aber, so Rittich, dass sich das Wollen der Kunst auf die Erfassung des „Inneren“ richte. Seine Ratlosigkeit im Hinblick auf die künftige Kunst verdeutlichen die Phrasen, die Rittich an das Ende seines Textes stellte. Der deutsche Künstler werde der „nordischen Rasse“ angehören, und es sei „unmöglich“, dass er „nicht Deutscher ist“. Es sei auch „unmöglich“, dass er nicht Nationalsozialist sei. Denn ein solcher Künstler „würde den Inhalt nicht finden, der der Weltanschauung unserer Zeit entspricht“.187 Das Spektrum der gezeigten Bilder entsprach dieser Ratlosigkeit. Einige der gezeigten Maler verweigerten dem Regime die Gefolgschaft oder zogen sich ins Religiöse zurück, die meisten fielen dem Vergessen anheim.188 Die Antwort auf die Frage, warum die Bücherverbrennung in Greifswald, anders als an anderen Hochschulorten, dieses volkspädagogische Nachspiel hatte, dürfte in den Auffassungen von drei maßgeblichen Protagonisten zu sehen sein. Doktorand Rittich, Studentenführer Jürgen Soenke und sein Nachfolger im Amt Manfred Pechau waren von der Dringlichkeit des Kampfs um die Köpfe der Menschen über183 Vgl. ebd., S. 36. 184 Vgl. ebd., S. 40 und 47. 185 Vgl. Für den deutschen Geist, Bd. 3, S. 4 f. 186 Vgl. Rittich, Werner: Kunsttheorie, Wortkunsttheorie und lyrische Wortkunst im „Sturm“, phil. Diss., Greifswald 1933. 187 Vgl. Für den deutschen Geist, Bd. 3, S. 28. 188 Gezeigt wurden u. a.: Heinz Basedow, Georg Ehmig, Franz Radziwill, Erik Richter, Klaus Richter, Adolf Saenger, Christian Schad, Ewald Schönberg, Karl Storch. Vgl. ebd., S. 66 ff.

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zeugt. Pechau widmete sogar seine Dissertation diesem „Ringen um die Seele des deutschen Volkes“.189 Rittich publizierte später im Parteiauftrag Elogen auf nationalsozialistische Monumentalbildhauer.190 Eine Anstellung fand er als Redakteur im Amt Bildende Kunst beim Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP Alfred Rosenberg.191 Auch Soenke wurde hauptamtlicher Parteifunktionär. 1907 in Lübeck geboren, studierte er nach dem Abitur in Wien, Kiel und Greifswald Deutsch, Geschichte, Slawistik und Theologie. Ab Herbst 1932 war er Führer der Greifswalder Gruppe des NS-Studentenbundes. Im Herbst 1933 wechselte er ins Personalreferat des Reichserziehungsministeriums und nahm, so Soenke im Lebenslauf, einen „besonderen Auftrag“ wahr. Im Herbst 1934 ging er, inzwischen zum Obersturmbannführer ernannt, zurück nach Pommern, wo er die Spionageabwehr der SA leitete. Diese Abteilung wurde jedoch 1935 aufgelöst, so dass Soenke zur Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums wechselte.192 Hier leitete er die Abteilung „Führerreden“, in der dafür gesorgt wurde, dass diese gesprochenen Texte einen amtlichen, verbindlichen Charakter bekamen.193 Seine 1941 vorgelegte Dissertation über „zeitgenössische Zensursysteme“ sagt etwas über die Motive aus, die ihn zur Ausweitung der Bücherverbrennung zur „Aktion für den deutschen Geist“ brachten. Die „jüdische Literaturkritik“ habe aus ihrer „tiefverwurzelten Rassefeindschaft“ alles verteufelt, was dem Inhalt nach national gewesen sei.194 Demnach sei es folgerichtig gewesen, Bücher zu verbrennen und zu verbieten. Wichtiger sei aber das, was die Parteiamtliche Prüfungskommission tue, nämlich dafür zu sorgen, dass „die schöpferischen und befähigten Kräfte“ sich „fruchtbar und nutzbringend für das 189 Vgl. Pechau, Manfred: Nationalsozialismus und deutsche Sprache, phil. Diss., Greifswald 1935, S. 10. 190 Vgl. Gaupropaganda-Amt der NSDAP, Gau Köln-Aachen und die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (Hg.): Arno Breker. Einführung und Geleit durch die Ausstellung in Köln von Werner Rittich, Köln 1943. 191 Vgl. Tarnowski, Karin und Wolfgang (Hg.): Werner Rittich. Kriegstagebuch 17. Oktober 1944–28. April 1945, o. O. o. J. [Hamburg 2002], S. 9–12. 192 Der 1935 in Pommern als Gauleiter und Oberpräsident eingesetzte Franz Schwede-Coburg brachte eine ganze Reihe von ihm vertrauten Parteimitgliedern mit und etablierte sie an den Schlüsselstellen der Provinz. Die SA wurde in ihren Kompetenzen beschnitten, das Personal der Stapo-Stelle Stettin wurde komplett ausgetauscht, Soenke wird von dieser Personalumgruppierung betroffen gewesen sein. Vgl. Inachin, Kyra T.: Der Gau Pommern – Eine preußische Provinz als NS-Gau, in: John, Jürgen, Horst Möller und Thomas Schaarschmidt: Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralisierten „Führerstaat“, München 2007, S. 283. 193 Vgl. UAG Phil. Diss. II, Nr. 17. 194 Vgl. Soenke, Jürgen: Studien über zeitgenössische Zensursysteme, phil. Diss., Greifswald 1940, S. 57.

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Ganze“ betätigten.195Insofern schien ihm das nationalsozialistische Bewertungssystem effektiver als die Zensur der katholischen Kirche und das sowjetische Pressesystem. Erstgutachter Hermann Brüske sah das wohl genauso und hob den Wert des Kapitels über die Sowjetunion hervor. Soenke sei der Erste gewesen, der die dortigen Zensurmechanismen genauer betrachtet habe. Zweitgutachter Adolf Hofmeister urteilte, dass ihm die Arbeit als historische Dissertation etwas „dünn“ erscheine, aber als zeitungswissenschaftliche Dissertation gewertet werden könne.196 Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Soenke als Lehrer in Westfalen und erwarb sich als Heimathistoriker eine geachtete Stellung.197 Ein anderer Protagonist der Bücherverbrennung war Manfred Pechau, der seit 1929 Germanistik, Geschichte, Sport und Philosophie studiert hatte. Nach einigen Studiensemestern in Leipzig und Innsbruck kam er 1931 nach Greifswald, wo er in den Bann des charismatischen Germanisten Wolfgang Stammler geriet. Stammler gab ihm 1932 das Thema für seine Dissertation, die den Wortschatz des Nationalsozialismus untersuchen sollte. Pechau widmete sich dem Thema mit Leidenschaft, der NSDAP gehörte er seit 1931 an, bereits vorher war er dem NS-Studentenbund beigetreten, 1932 wurde er auch SA-Mann. Pechau gliederte die Arbeit in zwei Teile, zunächst stellte er Wortlisten zusammen und präsentierte zu einigen Begriffen eine wortgeschichtliche Abhandlung. Der lexikalische Teil versammelte Ausdrücke der Parteiorganisation, „Kampfsprachformen“ und Sprachformen aus dem „Kampf gegen das Judentum“. Ohne jegliche Distanz machte sich Pechau dabei die nationalsozialistische Ideologie zu eigen. Ganz selbstverständlich befürwortete er den Kampf der NSDAP „gegen die marxistischen Parteien“ und gegen den angeblichen „Vernichtungswillen des Judentums“ und zeigte sich begeistert von der wirkungsvollen und zweckmäßig eingesetzten NS-Propaganda.198 Daher sagt die Arbeit mehr über ihren Verfasser als zum Thema selbst. Hitler verkörperte für ihn wie für alle Nationalsozialisten „einen Idealmenschen“.199 Pechau zeigte sich aber auch begeistert von gesellschaftspolitischen Vorstellungen der NSDAP und würdigte den „preußischen Sozialismus“, der nahtlos in die „Volksgemeinschaft“ übergegangen sei. Den „Kampfsprachformen“ pflichtete er bei, besonders wenn sie sich gegen die Juden richteten. Die Schärfe dieser Formulierungen sei darüber hinaus geboten gewesen, weil „ja der 195 Vgl. ebd., S. 95. Die Dissertation wurde mit der Note „genügend“ bewertet. UAG Phil. Diss. II, Nr. 17. 196 Vgl. Schriftwechsel in: UAG Phil. Diss. II, Nr. 1117. 197 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Soenke, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 198 Vgl. Pechau, Manfred: Nationalsozialismus und deutsche Sprache, phil. Diss., Greifswald 1935, S. 10 f. 199 Vgl. ebd., S. 77.

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Jude im allgemeinen nicht als etwas Fremdes, sondern als unserem Volke zugehörig angesehen wurde“. Mehrere Seiten widmete Pechau den Sprachformen, die im Kampf gegen die „Weltfinanz“ und die „Zinsknechtschaft“ des Kapitals geschöpft worden waren, wobei er vor allem aus den Schriften Gottfried Feders und aus dem von Goebbels geleiteten Parteiblatt Der Angriff zitierte.200 Im Bereich der Kultur stellte er den Kampf gegen „jüdische Literaturerzeugnisse“ heraus, die „jedes echten und schönen Naturempfindens“ entbehrten, aber dafür „gern in dem Schmutz des großstädtischen Nachtlebens wühlen“ würden.201 Nach der Promotion wechselte Pechau 1936 nach Berlin in das sogenannte Amt Rosenberg, wo er sich neben dem Schuldienst der Beobachtung des politischen Katholizismus widmete. 1937 legte er das Zweite Staatsexamen ab und wurde Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der SS. Innerhalb der SS führte Pechau weltanschauliche Schulungen durch und wurde zum Offizier befördert. Während des Krieges gegen die Sowjetunion war er in der 1. Infanteriebrigade der SS eingesetzt. Sicher nachgewiesen ist deren Einsatz in der Aktion „Sumpffieber“, der mindestens 1500 als Partisanen verdächtige Personen zum Opfer fielen. Im Anschluss ermordete Pechaus Einheit etwa 6000 Menschen in Baranawitschy in Weißrussland, woraufhin Pechau zum Leiter des Einsatzkommandos 2 befördert wurde. 1944 folgte die Versetzung in die Amtsgruppe VI des Reichssicherheitshauptamtes, der im Jargon so bezeichneten Sabotageabteilung. Pechau tötete sich fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg selbst.202 3.1.1 Das Drängen der Studenten

Bei der Bücherverbrennung zeigten sich die Studenten als eine Kraft, die gestalten wollte und gestalten konnte. Sie trieben in den folgenden Wochen die Professoren vor sich her, so dass sich Jan Mittenzwei der Eindruck von ihrer „Machtübernahme“ an der Universität aufdrängte.203 Ermöglicht wurde das auch durch das neue Studentenrecht, das am 22. April 1933 verkündet wurde. Das Gesetz bestand aus lediglich drei Paragraphen. Der erste besagte, dass die eingeschriebenen Studenten deutscher Abstammung und deutscher Muttersprache die Studentenschaft dieser Hochschule bildeten. Der § 2 legte fest, dass die Studentenschaft die Studenten an der Hochschule vertrete und an der Pflichterfüllung der Studenten gegenüber „Volk, Staat und Hochschule“ mitzuwirken habe. Alles Weitere regelten, so § 3, die Studentenrechtsver200 Vgl. ebd., S. 16, 49, 52. 201 Vgl. ebd., S. 64 f. 202 Vgl. Henschke, Ekkehard: Junge Akademiker, völkische Ideologie und was daraus wurde: Greifswalder Biographien, in: Alvermann, Schranken, S. 160. 203 Vgl. Mittenzwei, NSD-Studentenbund, in: Alvermann, Schranken, S. 100.

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ordnungen.204 Da die Studentenschaft bereits nationalsozialistisch dominiert war und das „Führerprinzip“ wie in der NSDAP praktizierte, bedeutete das die institutionelle Verankerung des „Studentenführers“ im Universitätsgefüge und damit auch im Senat. Durch exzessive Mittelzuweisung aus dem Haushalt des Kultusministeriums entstand in Greifswald ein Apparat mit nicht weniger als 20 Ämtern.205 Diese nun hauptamtlich bestallten NS-Aktivisten widmeten sich der „Säuberung“ der Universität von Juden und „Unzuverlässigen“. So wurde im Wintersemester 1933/34 auch ein Amt für Rassefragen gebildet, um den Kommilitonen aller Fakultäten „Einblick“ in dieses „große Arbeitsgebiet“ zu geben. Geschult werden sollten aber vor allem die „berufenen Führer“, damit diese Studenten wiederum als politische Erzieher wirken konnten, wie Werner Lottmann, der Leiter des Amts in der Hochschulzeitung ankündigte.206 Der Entfernung jüdischer Studenten diente das Gesetz gegen die „Überfüllung“ der Hochschulen vom 25. Juli 1933, dessen Umsetzung in Greifswald eine bittere Pointe hatte. Im Gesetz wurde die Höchstzahl jüdischer Studierender auf 1,5 Prozent festgelegt. Von den mehr als zweitausend Immatrikulierten waren jedoch nur drei jüdischer Konfession, so dass die Studentenführung den Zuzug von jüdischen Studierenden von außerhalb befürchtete. Sie bat daher die vier Dekane Glawe, Hey, Fredenhagen und Kähler am 7. Juli 1933 zum Gespräch. Am Ende stand ein Beschluss, die für die Universität gültige Quote auf 1,5 Promille festzulegen. Diese war mit den drei Immatrikulierten erfüllt und somit war der Zuzug jüdischer Studierender unterbunden.207 Die Studenten sorgten auch für die Relegation politischer Gegner, von denen sie immerhin drei ausfindig machen konnten. Zwei junge Männer wurden wegen „Hochverrats“ verhaftet, wobei der eine, ein Amerikaner, nach der Intervention seiner Botschaft freikam. Auch bei dem anderen erwies sich der Verdacht als unbegründet, Rektor Meisner untersagte ihm trotzdem nach der Freilassung die Fortsetzung des Studiums. Die angebliche Kommunistin Helene Tietz konnte sich im Disziplinarverfahren von den Vorwürfen entlasten. Die Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen Ruth Feldmann nahm das aber zum Anlass, den Fachschaftsleiter der Mediziner zu denunzieren.208 Das schmutzige Mittel der Denunziation wurde, wie noch gezeigt wird, zu einem exzessiv angewandten Instrument, um die Hochschule umzugestalten. Es gab aber 204 Vgl. RGBl. I, 1933, S. 215. 205 Vgl. Vorholz, Irene: Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Ernst-Moritz-ArndtUniversität. Von der Novemberrevolution 1918 bis zur Neukonstituierung der Fakultät 1992, Köln u. a. 2000, S. 106. 206 Vgl. Greifswalder Universitätszeitung, Nr. 6 vom 27. Oktober 1933, Jg. 8, S. 823. 207 Vgl. Vorholz, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 107. 208 Vgl. Mittenzwei, NSD-Studentenbund, in: Alvermann, Schranken, S. 102.

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auch offenen politischen Druck. So erschien am 1. April 1933 eine Abordnung beim Universitätskurator, die aus dem Lektor Hermann Brüske, den NSDStB-Mitgliedern Soenke und Pfarr sowie dem SA-Standartenführer Theuermann und dem Kreisleiter Fritz Hube bestand und ultimativ die Entlassung des jüdischen Assistenzarztes der Nervenklinik Julius Zador forderte.209 Der Ungar war ein Protegé des Klinikdirektors Edmund Forster, dessen Habilitation bereits 1929 von der Medizinischen Fakultät eben wegen seiner Abstammung abgelehnt worden war.210 Ein eifriger Denunziant war auch der Leiter des Nordischen Amtes der Studentenschaft Günther Falk, der Material über den schwedischen Lektor Stellan Arvidson sammelte und zum Kultusministerium schickte. Das wiederum hatte zur Folge, dass sich der Direktor der Institute Leopold Magon dafür rechtfertigen musste, einen bekennenden Linken eingestellt zu haben.211 Falk war später Gaustudentenführer und SD-Offizier in Norwegen. Dort forschte er unter anderem eine patriotische norwegische Vereinigung aus, deren Mitglieder deutschfeindlich eingestellt waren, weil sie die Deutschen für rassisch minderwertig hielten.212 Die Studenten veranstalteten an der Universität mehrere Vorträge, unter anderem sprach der Sachverständige der NSDAP-Kreisleitung, der Chemiker Achim Gercke. Die Universitätszeitung zitierte ihn mit den Worten: „Ausgemerzt muss alles werden, was unserem Volke schädlich, was rassisch minderwertig ist.“ Die Juden müssten, „endgültig beseitigt werden“, forderte Gercke und forderte eben das, was dann Politik wurde: „Wir wollen uns auch hüten, zu viele Judengesetze zu schaffen. Der Jude versteht es, aus jedem Gesetz ein Recht herzuleiten.“ Gesetze könnten ohnehin nicht die „endgültige Lösung“ sein, die werde kommen und sehe dann „anders aus“. Bevor es aber so weit sei, habe jeder Parteigenosse „jetzt die Pflicht, das Volk über diese Frage aufzuklären“. Der „Jude“ besitze nicht „die Fähigkeit zur Volksgemeinschaft“, meinte Gercke und forderte dann, „frei von allem“ zu werden, „was nicht deutsch ist!“213 Mit der Greifswalder Universitätszeitung verfügten die NS-Studenten über ein eigenes Mitteilungsblatt, für das sie auch Professoren zur Mitarbeit heranzogen. Im 209 Vgl. ebd. S. 101. 210 Vgl. Armbruster, Jan: Edmund Robert Forster (1878–1933). Lebensweg und Werk eines deutschen Neuropsychiaters, Husum 2005, S. 57. 211 Vgl. BA NS 38/2476. Falk rühmte sich in seinem Tätigkeitsbericht auch, die angeblich „halbjüdische“ Lektorin für Norwegisch vertrieben zu haben. Ihr Name findet sich im Vorlesungsverzeichnis nicht. 212 Vgl. Gasche, Malte: Der „Germanische Wissenschaftseinsatz“ des „Ahnenerbes“ der SS 1942– 1945. Zwischen Vollendung der „völkischen Gemeinschaft“ und dem Streben nach „Erlösung“, Bonn 2014, S. 111. 213 Vgl. anonym: Lösung der Judenfrage, in: Greifswalder Universitätszeitung, 10. Juli 1933, Nr. 5, Jg. 8, S. 63 f.

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„Rasseheft“ vom Juli 1933 kam zum Beispiel der Theologe Wilhelm Koepp zu Wort und äußerte sich über „Das Christentum und die Juden“. Zunächst beschrieb Koepp das hergebrachte Verhältnis der Mehrheit der Christen zu den Juden. Vor Gott seien alle Menschen und Rassen gleich, der Mensch sei Gottes Ebenbild. Diese Auffassung sei jedoch nicht passend für ein Volk „im härtesten Daseinskampf“ wie das deutsche. Danach begründete er die Notwendigkeit des Ausschlusses der Juden theologisch. Mit Zitaten aus dem Neuen Testament wies er scheinbar nach, dass die Juden zwar das „auserwählte Volk“ gewesen seien, aber Gott werde sie „umbringen und den Weinberg andern geben“, sie gefielen Gott nicht und „allen Menschen zuwider“. Die Juden hätten sich durch ihr Handeln – gemeint war die Nichtanerkennung Jesu als Sohn Gottes und Heiland, mithin durch die Kreuzigung – „nur die Ausnahmestellung eines besonders von Gott verworfenen Volkes“ erworben. Die angenommene Gleichheit vor Gott sei nur durch die „große Verfälschung“ des Christentums im Zeitalter der Aufklärung erklärbar, dem „Brei von einer allgemeinen Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit“. Jetzt gelte es zurückzufinden zu „dem vollen Ernst des Urteils der Schrift“. Es sei ein „gesunder Wille“, wenn sich ein Volk „reinigen“ wolle, von einem „Verstockungsgeist“, der sich in „Wirtschaft, Rechtspflege, Literatur, Moral“ ausgebreitet habe. Mehr noch, das „christliche“ Urteil, gemeint war das neutestamentarische, falle zusammen mit einem Glauben an die Schöpfung Gottes. Jede Rasse stehe da in ihrer „unwiederholbaren Einmaligkeit“, die Abgrenzung erfordere. Die Juden seien, so Koepp „Gastvolk“, dem „klares Recht und seine klaren Grenzen“ zugewiesen werden müssten.214 Er legte nahe, die Verhältnisse von „Wirtsvolk und Gastvolk“ genau zu regeln. Die Juden seien nun einmal das „Volk des Verstockungsgeistes“, vor dessen Anblick und Macht das deutsche Volk sich „fürchten“ müsse.215 Der Germanist Bruno Markwardt empfand den nationalsozialistischen Umbruch ebenfalls als eine Art Notwehr gegen die „Träger von Zersetzungskeimen“, für die er als Beispiele die vielgelesenen Journalisten Emil Ludwig und Alfred Kerr anführte. Die Anpassungsfähigkeit des Juden an sich bringe „es gelegentlich zu einer erstaunlich weitgehenden Schutzfärbung“. Aber zum Beispiel Heinrich Heine habe sein wahres Antlitz gezeigt, sobald er im Ausland lebte. Und Berthold Auerbachs „Groll“ gegen die Romantik sei geführt worden, „mit der Waffe kühlen Aufklärichts“. Der „Fremdrassige“, so Markwardt weiter, bewahre sich eben „immer noch eine eigene innere Rasseheimat“, um sich so eine „letzte Zuflucht- und Rückzugsstellung“ zu sichern, weil er nicht „rückhaltlos hingegeben“ sei „an die bluts- und bodengebundenen Schicksale“. Im Kulturbetrieb an sich sei „der Jude“ schon deshalb so engagiert, 214 Vgl. Koepp, Wilhelm: Das Christentum und die Juden, in: Greifswalder Universitätszeitung, 10. Juli 1933, Nr. 5, Jg. 8, S. 57 f. 215 Vgl. ebd., S. 59.

3.2 Erfindung zweier Traditionen: Reinhard und Arndt

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„um das Spiel in der Hand zu haben“. Er sei aber „gern Spielleiter, weit seltener Werkschöpfer“. Den Schluss seines Artikels in der Universitätszeitung machte ein akademisch vorgetragener Wutanfall gegen die „zersetzende“ jüdische Kritik, die ersetzt werden müsse durch „ermutigende Beratung“, bis „eine Erstarkung künstlerischer Wuchsformen aus völkischem Boden gesichert“ sei.216

3.2 Erfindung zweier Traditionen: Reinhard und Arndt

In diesem Kampf um die kulturelle Hegemonie bedienten sich sowohl die nationalsozialistischen Studenten als auch die Professoren eines probaten Mittels, der Identitätsstiftung durch Tradition. Um an den „Blutsonntag“ des Jahres 1932 zu erinnern, setzten die Studenten einen Gedenkstein am Tatort, an dem alljährlich Kränze niedergelegt wurden. Am Universitätshauptgebäude brachten sie eine Gedenktafel an, die einen SA-Mann in Uniform zeigte. Darunter stand folgender Text: „Für die Volksgemeinschaft und im festen Glauben an das Dritte Reich fielen im Kampfe der Student Bruno Reinhard, der Kaufmann Herbert Schuhmacher, der Arbeiter Ulrich Massow. An dieser Stätte deutschen Wesens u. Wissens gedenken wir ihrer Allzeit in Ehren.“ Anstelle einer Unterschrift stand ein Hakenkreuz.217 In einer Sondernummer der Universitätszeitung beschrieben Zeitzeugen den Vorfall aus nationalsozialistischer Sicht und würdigten die Gefallenen in einem quasireligiösen Duktus als Märtyrer. Manfred Pechau verfasste einen Artikel, in dem er aus ihrem Tod die Verpflichtung ableitete, ebenfalls das Leben für den Nationalsozialismus einzusetzen.218 Er zitierte den Dichter Heinrich Lersch mit den Worten, die noch heute am Tor des Kriegerfriedhofs in Langemarck stehen: „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen.“219 Damit schlug er symbolisch den Bogen zur Professorengeneration, blieb aber rhetorisch in der Gegenwart. „Dankbar“ müsse jeder dafür sein, dass der Nationalsozialismus seinen Sieg durch „harten, schweren Kampf“ errungen habe, dass „harter, blutiger Kampf“ die Nationalsozialisten zusammengeschweißt habe. Was man im Kampf errungen habe, müsse man durch Kampf bewahren. Vor den Toten lege man einen Treueschwur ab und „jeder dieser Treueschwüre“ gemahne, „fest zu bleiben und härter zu werden im 216 Vgl. Markwardt, Bruno: Kultur und Rasse, in: Greifswalder Universitätszeitung, 10. Juli 1933, Nr. 5, Jg. 8, S. 59 f. 217 Vgl. Greifswalder Universitätszeitung, Gedenkheft, Umschlagseite 1. 218 Ebd., S. 13 f. 219 Vgl. Lersch, Heinrich: Soldatenabschied, in: ders.: Das dichterische Werk, Stuttgart, Berlin 1934, S. 275.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Kampfe“.220 Tatsächlich wurde dieser Treueschwur alljährlich am 18. Juli bei einer „Gefallenenehrung“ erneuert. Die Formationen der Partei marschierten auf, Kränze wurden niedergelegt und Gedenkreden gehalten.221 Die Professoren versuchten, die nationalsozialistische Kämpfertradition durch einen nationalkonservativen Aspekt zu ergänzen, und baten das Kultusministerium um die Benennung der Universität nach dem auf Rügen geborenen Historiker und Publizisten Ernst Moritz Arndt (1769–1860). Sie wählten damit einen sprachmächtigen Namenspatron, der durch seine „Vaterlandslieder“ außerordentlich populär geworden war. In diesen Gedichten besang er den Dreiklang „Gott, Freiheit, Vaterland“ und sparte dabei nicht mit Forderungen, Franzosen totzuschlagen und die Klingen zu röten.222 Den Kriegsdienst für das deutsche Vaterland verherrlichte er, indem er diesen zum Kampf für die Freiheit stilisierte. Der Tod für das Vaterland war ihm ein „süßer“ Tod, süßer noch als der Gruß der Braut oder als das Lallen des Kindes „auf dem Mutterschoß“.223 Es erstaunt nicht, dass Arndt in der Zeit nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg höchstes Ansehen genoss und in unzähligen Ausgaben gedruckt wurde. Dabei erreichten nicht nur die patriotischen Gedichte hohe Auflagen, Beachtung fanden auch Arndts poetische Märchen. Im Mittelpunkt standen jedoch Arndts politische Gedichte und die nationale Publizistik, wegen der er in den nationalen Pantheon gehoben wurde.224 Dieser verengte Blick war und ist kennzeichnend für die Wahrnehmung des Dichters und Publizisten.225 Im 20. Jahrhundert war Arndt zwangsläufig Gegenstand und Werkzeug politischer Propaganda, wobei sein Werk als Steinbruch benutzt wurde, um „nationale“ und „soziale“ Belange zu untermauern. Hinreichend stark eingekürzt und von christlichen Gedichten wie „Zuversicht auf Gott“ bereinigt, war sogar eine Vereinnahmung für das völkische Neuheidentum der NSDAP möglich.226 Eine wirkliche „Arndt-Tradition“ gab es an der Universität Greifswald zunächst nicht. Im Gegenteil, der nationale Radikalismus passte in der Zeit der napoleonischen Fremdherrschaft nicht ins Bild, danach galt der Demokrat Arndt als „Demago220 Vgl. Greifswalder Universitätszeitung, Gedenkheft, S. 15. 221 Vgl. Greifswalder-Zeitung, 19.7.1935, Pommernseite. 222 Vgl. Arndt, Ernst Moritz: Zuversicht auf Gott (1813), Soldatenlied (1812), Vaterlandslied, in: Kircheisen, F. M. (Hg.): Lieder für Teutsche von E. M. Arndt, Berlin 1913, S. 32, 35, 82. 223 Vgl. Arndt, Ernst Moritz: An die Teutschen, 1806, in: ders.: Lieder für Teutsche, Berlin 1913, S. 13. 224 Vgl. Alvermann, Dirk: Über Arndt, in: Wortmeldungen zu Ernst Moritz Arndt, Greifswald 2010, S. 29. 225 Vgl. Alvermann, Dirk und Irmfried Garbe: Ernst Moritz Arndt. Anstöße und Wirkungen, Köln u. a. 2011, S. 10. 226 Vgl. Staats, Reinhart: Ernst Moritz Arndt in politischer Propaganda des zwanzigsten Jahrhunderts, in: Ebd., S. 128–135.

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ge“, erst 1840 wurde er politisch rehabilitiert und wieder in sein Amt eingesetzt, allerdings an der Universität Bonn. Ab Mitte des 19. Jahrhundert nahm die Universität Greifswald aber an den verschiedensten Arndt-Ehrungen teil. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wurde Arndt öfter in den Universitätsreden erwähnt, etwa in der Ansprache zur Rheinlandbefreiung 1930. Der Jurist Fritz Klingmüller zitierte hier das bekannte Arndt-Wort: „Der Rhein ist Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze“.227 Die Namensgebung wurde aber nicht vom Demokraten Klingmüller, sondern von den Deutschnationalen angeregt. Die Initiative ergriff die Kreisgruppe des Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten, die zu dieser Zeit von dem Professor für Kirchengeschichte Walther Glawe geführt wurde. Dokument Nr. 3: Brief der Kreisgruppe Greifswald des Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten, an Rektor Kurt Deißner vom 4. April 1933

Im Namen des Stahlhelms, B. d. F., und besonders im Namen der StahlhelmHochschulgruppe unserer Universität wende ich mich an Seine Magnificenz und den hohen Senat mit der Bitte, den Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung um die Genehmigung dazu zu bitten, dass unsere Universität fortan den Namen „Ernst Moritz Arndt-Universität“ führt. In dieser Zeit des nationalen Erwachens ist die Erinnerung an den alten Greifswalder Studenten und Professor Ernst Moritz Arndt besonders lebendig. Eure Magnificenz haben gerade in den Reden der letzten Wochen immer wieder auf die geschichtliche Bedeutung jenes führenden Patrioten hingewiesen. Unsere Universität trägt, indem sie sich den Namen „Ernst Moritz Arndt-Universität“ beilegt, nicht nur eine alte Dankesschuld gegenüber diesem Manne ab, sondern sie bringt auch weiterhin zum Ausdruck, dass sie in dem nationalen Kampf der Gegenwart in vorderster Front steht, entsprechend der von ihr auch in den letzten Jahren treu gewahrten alten nationalen Tradition. Der Kreisführer Glawe Quelle: UAG R 1165, Bl. 276

227 Vgl. Alvermann, Dirk: Zwischen Pranger und Breitem Stein. Die Namensgebung der Universität Greifswald und die aktuelle Diskussion, in: Zeitgeschichte regional, Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, Heft 2, 2001, S. 45.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

In der Senatssitzung am 5. April 1933 wurde einstimmig beschlossen, den Reichskommissar für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung um die Genehmigung zu bitten, „dass unsere Universität in Zukunft den Namen ,Ernst Moritz Arndt‘ führt“.228 Die Bitte sei hervorgegangen, schrieb Rektor Kurt Deißner am nächsten Tag, „aus Kreisen des Senats und unserer nationalgesinnten Studentenschaft“. Auch vom Stahlhelm und der Stahlhelm-Hochschulgruppe liege ein entsprechender Antrag vor. Die Universität trage damit eine „Dankesschuld“ ab, gegenüber „dem Manne“ der als Greifswalder Student und Hochschullehrer für „Freiheit, Ehre und Macht unseres Vaterlands in erster Front“ gekämpft habe. Arndt sei „das Sinnbild des innersten Wesens unseres Volkstums“. Die Universität zeige mit dieser Namensgebung, „dass sie alle ihre Arbeit auf völkisch-nationale Grundlage stellen“ wolle. Die Universität sei „dankbar“, wenn der Reichskommissar die Erlaubnis erteile.229 Das Schreiben wurde von Bernhard Rust in seiner Funktion als Preußischer Kultusminister am 2. Mai 1933 dem Ministerpräsidenten vorgelegt, weil, wie seine Juristen herausgefunden hatten, das Recht zur Namensverleihung nach früherem Recht eine „Prärogative des Königs“ gewesen sei und es daher eines Beschlusses des Staatsministeriums bedürfe. Der Beschluss wurde im Umlaufverfahren gefasst und für die Universität eine Verleihungsurkunde ausgestellt, von Ministerpräsident Göring unterschrieben und mit dem großen Staatssiegel bekräftigt. Die Urkunde hatte folgenden Text: „Der Universität Greifswald, an der Ernst Moritz Arndt als Student und Hochschulprofessor stets für die Freiheit, die Ehre und die Macht des Deutschen Vaterlandes in erster Front gekämpft hat, wird hiermit der Name ,Ernst Moritz Arndt-Universität‘ verliehen.“230 Die Festrede zur Namensverleihung hielt der Professor für Kirchengeschichte Heinrich Laag, Oberkonsistorialrat der Landeskirche, seit 1933 Mitglied der NSDAP und der Deutschen Christen. Vor mehr als einhundert Jahren, genauer am 7. Oktober 1810, dem Geburtstag des schwedischen Königs, habe Arndt die Festrede halten sollen, berichtete Laag. Von den Trägern „kosmopolitischer Gedanken“ sei dies aber verhindert worden. Damals habe kaum ein Professor „nationales Empfinden“ gehabt oder gar „völkisches Denken“ vertreten. Heute aber sei das anders, die Universität zeige sich als „Trägerin starken nationalen Wollens“. Daher sei der Name auch nicht erinnernd gemeint, sondern solle vorwärts weisen. In seinem Geiste sollten Studenten und Dozenten heute wirken.231 Danach arbeitete Laag drei Aspekte aus den Schriften Arndts heraus, die ihm zeitgemäß erschienen. Laag sah in Arndt 228 Vgl. UAG PA R 1165, Bl. 279. 229 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. I Nr. 2 Bd. 4, Bl. 661. 230 Vgl. ebd., Bl. 664 f. 231 Vgl. Laag, Heinrich: Der Freiheitskampf des Greifswalder Dozenten E. M. Arndt. Greifswald 1933, S. 3 f.

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erstens den „Freiheitskämpfer“, der publizistisch mit seiner Schrift über die Leibeigenschaft in Pommern Aufsehen erregt und sich später gegen Napoleon gewandt habe, den „Despoten“, der Europa Unheil brachte. Laag verschwieg nicht, dass Arndt einst auch ein Bewunderer Napoleons gewesen war, dann aber sei er dessen schärfster Kritiker geworden, ebenso wie der der deutschen Fürsten, die ihr Volk im Stich gelassen hätten.232 Als „Hochschullehrer“, zweitens, habe sich Arndt gegen den Geist der Aufklärung gewandt, in dem er „Quell und Ausgangspunkt“ aller „Schwächlichkeit, Eitelkeit, Erbärmlichkeit“ seiner Zeitgenossen erkannt habe. Es sei eine Anmaßung gewesen, mit dem Verstand alles, auch die unendlichen Wahrheiten begreifen zu wollen. Daraus resultierte, drittens, Arndts starker Glaube. Nur der „Schwächling“ sei Atheist, zitierte Laag aus Arndts Schriften. Die reinen Verstandesmenschen seien Arndt „für eine vaterländische Erhebung“ völlig unbrauchbar erschienen, weil sie „alles Heilige“, was im Volk noch vorhanden gewesen sei, „bespöttelten“ und auch noch „niederrissen“. Arndts Freiheitswille sei getragen gewesen von einem hohen Verantwortungsgefühl „Gott und seinem Volke gegenüber“.233 Am Schluss seiner Rede betonte Laag, dass für den Wiederaufstieg Deutschlands die „geistige Erneuerung“ maßgeblich sei, so wie einst beim Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft. Wirtschaftsprogramme, Organisationsfragen und „äußerliche Dinge“ seien nicht maßgeblich, sondern der Arndt’sche Geist.234 Das Herunterbrechen des komplexen Weltbildes des pommerschen Historikers auf den Kampf gegen die Aufklärung und für die Freiheit der Nation war eine bewusste Verkürzung, die bei den anwesenden Studenten und Universitätsangehörigen ihre Wirkung aber nicht verfehlt haben dürfte, zumal sie Laag mit deutlich nationalem Pathos vortrug. Mit einer aufwändig gestalteten Broschüre über den „Geist der Ernst Moritz Arndt-Universität“ untermauerte die Universität noch einmal den Anspruch, in der Tradition des großen pommerschen Denkers zu stehen. Auf dem Titel prangte das Universitätssiegel, das Vorsatzblatt zierte ein ganzseitiges Porträt des Schriftstellers. Bereits mit seiner Schrift über die Leibeigenschaft der Bauern habe Arndt sein soziales Herz gezeigt. Das Wort sozial ließ Hermann Schwarz, der als Redakteur verantwortlich zeichnete, gesperrt drucken. In der nächsten Schrift Arndts zum Geist der Zeiten (I) habe dann der „nationale Glutmensch“ gesprochen, der „völkischen Freiheitssinn, Heldensinn, Vaterlandssinn“ habe erwecken wollen. Anders als Laag, der in Arndt den tiefgläubigen Christen sah, interpretierte Schwarz ihn als einen Menschen, dem „die Liebe zu seinen Blutsbrüdern und zum großen deutschen Vaterland zum 232 Vgl. ebd. S. 5 ff. 233 Vgl. ebd., S. 8 ff. 234 Vgl. ebd., S. 16.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Gebote über allen Geboten“ geworden sei. Dieser Geist der Freiheit, Volksverbundenheit und Vaterlandsliebe habe die Universität beseelt, die jetzt den Namen Arndts trage. Die Universität präsentiere mit dieser Broschüre Beispiele für diesen Geist, allesamt entstanden in der „deutschen Unzeit“, den Jahren 1919 bis 1933. Indem sie diese Beispiele in Erinnerung rufe, zeige sie, dass der „nationale und soziale Geist“ im „Schoß ihres Lehrkörpers und ihrer Studentenschaft schon immer gelebt“ habe.235 In erster Linie bekräftigte Schwarz mit seiner Zitatensammlung den Führungsanspruch der Professoren, die bei der Erziehung des Volkes dazu berufen seien, „völkische Einigkeit“ (so der Hygieniker Gerhard Dresel) herzustellen und den Akademiker zum „Führer“ der Massen zu erziehen, wie der Kirchenrechtler Günther Holstein meinte.236 Darüber hinaus präsentierte Schwarz mehrere Würdigungen der Weltkriegskämpfer und die von der Universität in den zwanziger Jahren erhobene Forderung nach körperlicher Ertüchtigung der Studenten, weil diesen das „Stahlbad“ der militärischen Ausbildung fehle. Die Broschüre enthielt auch wütende Angriffe gegen ein parlamentarisches System, das von „Mangel an Sachkenntnis und Verantwortungsgefühl“ geprägt sei.237 Gerade Letzteres erscheint als Vereinnahmung des Namensgebers absurd, schließlich gehörte Arndt der demokratisch gewählten Nationalversammlung von 1848 an. Arndt war Mitglied der Deputation, die dem Preußischen König die Kaiserwürde anbot, die Friedrich Wilhelm IV. ablehnte, weil ihm diese Krone von der Volkssouveränität angetragen wurde.238 Das Thema Arndt spielte in den nächsten Jahren keine Rolle, 1937 sah sich der neue Lehrstuhlinhaber für Praktische Theologie Walter Bülck aber veranlasst, zu „Glaube, Kirche und Volk“ bei Ernst Moritz Arndt Stellung zu nehmen. Zunächst würdigte er dessen geistiges Ringen, indem er sich vom Einfluss der Französischen Revolution und der deutschen Aufklärung befreit habe. Das sei der Geist der Bourgeoisie und des Banausentums gewesen, der Geist der Entwurzelung. Arndt habe sich daher nun „in ehrfürchtiger Anbetung der mütterlichen Erde“ zugewandt. Bülck stellte aber klar, dass diese in dessen Gedankengebäude „nicht an die Stelle Gottes“ getreten sei, sondern von ihm betrachtet wurde als „Trägerin göttlicher Offenbarung“. Das sei keine Hinwendung zum „Heidentum“ gewesen, auch keine „Kampfansage gegen das Christentum“. Arndt habe vielmehr einen „Intellektualismus“ angreifen wollen, der auch heute bestehe. Arndt könne heute also die Richtung weisen, schluss235 Vgl. Universität Greifswald (Hg.): Der Geist der Ernst Moritz Arndt-Universität Greifswald, Greifswald 1933, S. 5 f. 236 Vgl. ebd., S. 36 237 Vgl. ebd., S. 8–11 sowie 32. 238 Vgl. Barclay, David E.: Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, Berlin 1995, S. 282 ff.

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folgerte Bülck und forderte ein „Ja zur Natur als Schöpfung Gottes“ und konstatierte ein entschiedenes „Nein Gottes zur Sünde“, zugleich „die Verkündung der ewigen Liebe, die mächtiger ist als Sünde und Tod“.239 In einem zweiten Schritt erläuterte Bülck Arndts Verhältnis zu „Glaube und Volk“. Dabei stellte er die Bemerkung voran, dass die Protagonisten der Einigungskriege – Wilhelm I., Bismarck, Moltke und Roon – aus den Worten der Bibel „die Kraft zu ihrem verantwortungsschweren Tun“ geschöpft hätten. Anschließend zitierte er ausführlich aus Arndts Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann. Der Mensch habe ein Vaterland, „ein heiliges Land, ein geliebtes Land“, das dort liege, „wo dir Gottes Sonne zuerst schien“. Gemeinsam mit der Freiheit sei diese Gabe Gottes „das edelste Gut, was ein guter Mensch auf Erden“ besitze. Weil es Gottes Gebot sei, seine Gaben zu ehren, sei es von Gott geboten, für die Befreiung des Vaterlandes von fremder Knechtschaft zu streiten. Es sei also, so Bülck, „Gehorsam gegen den in der Schöpfung gegebenen Willen Gottes, für das Vaterland und seine Freiheit in den Kampf zu gehen“. Diese Auffassung bekräftigte er mit einem Arndt-Zitat. Christus sei gestorben am Kreuz für das, was er geliebt habe, „also sollen wir auch lieben, wie er geliebt hat, und tun, wie er getan, und uns hingeben und jede Stunde bereit sein, das Letzte zu tun …“ Daher kenne der Christ keine Angst; die Botschaft von der Liebe Gottes bewirke, so Bülck, „Furchtlosigkeit und Todesmut“. Das habe auch Arndt so gesehen, den Bülck mit folgenden Worten zitierte: „Der Christ ist fröhlich im Leben, fröhlich im Tode, freundlich gegen die Freunde und mutig gegen die Feinde; der Christ hat allein den Stahl der Seelen, die rechte eiserne Festigkeit, welche Sieg und Glück bringt und selbst das Unglück überwindet.“240 Bei der historisch sicher gerechtfertigten Vereinnahmung Arndts für den kommenden Revisionskrieg beließ es Bülck nicht. Im Kapitel „Volksgemeinschaft und konfessionelle Haltung“ beschrieb er den Publizisten des Befreiungskriegs als Vorkämpfer einer Ökumene der Freiheit. Arndt habe gefordert, alle Glaubensstreitigkeiten zurückzustellen und zu kämpfen für die „höchste Religion“ – „zu siegen oder zu sterben für die heilige Sache der Menschheit“, nämlich das Vaterland. Denn das sei die „höchste Religion“, zitierte er Arndt, „das Vaterland lieber zu haben, als Herren und Fürsten, als Väter und Mütter, als Weiber und Kinder“. Und weiter mit Arndt: „Dieses heilige Kreuz der Welterlösung, diese ewige Religion der Gemeinschaft und Herrlichkeit, die auch Christus gepredigt hat, macht zu eurem Banner und nach der Befreiung bringt unter grünen Eichen auf dem Altare des Vaterlands dem schützenden Gotte die fröhlichen Opfer.“241 Bülck nahm den 239 Vgl. Bülck, Walter: Christentum und Deutschtum bei Arndt, Bismarck, H. St. Chamberlain und heutigen Dichtern, Gütersloh 1937, S. 8–11. 240 Vgl. ebd., S. 13. 241 Vgl. ebd., S. 17.

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eigentlich unmissverständlichen Zitaten dann die Spitze, indem er suggerierte, Arndt habe mit Religion eigentlich die „religiöse Pflicht“ gemeint. Mit der Abstraktion vom Text entradikalisierte er den Denker. Dabei hatte Arndt eine zwingend logische Kaskade aufgebaut: Vaterland ist Gottes Geschenk – es gibt eine Pflicht zur Ehre des Gottesgeschenks –, das Gottesgeschenk ist durch Befreiung zu ehren – das Sterben im Kampf ist geheiligt durch den Kampf für das Gottesgeschenk –, aus dem heiligen Opfer muss die Volksgemeinschaft folgen: mithin ein vom Feind befreites, aber auch von Unterdrückung freies Vaterland. Indem Bülck dem Begriff des Vaterlandes die universelle Eschatologie absprach – Arndt sprach ausdrücklich von Welterlösung –, reduzierte er dessen Anspruch auf das bloße Segnen der Waffen und platte Sinnstiftung, im Sinne eines Opfers für das Vaterland. Es ist bezeichnend, dass Bülck dem Opfer für das Vaterland 16 Seiten widmete, Arndts Freiheitsbegriff jedoch keine einzige Zeile. In sich war die Argumentation jedoch schlüssig, weil Bülck bereits am Anfang seines Textes eine radikale Abkehr Arndts von den Idealen der Aufklärung setzte. Was aber war die Forderung, das Vaterland höher zu stellen als „Herren und Fürsten“, anderes als die französische Forderung nach „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“? Aus der „allgemeinen Begeisterung“ für Arndt, so der Forschungsantrag bei der DFG, entstand Mitte der dreißiger Jahre der Plan für eine wissenschaftliche Gesamtausgabe von dessen Werken. Initiator und maßgeblicher Bearbeiter war Paul Hermann Ruth, der 1934 in Wolfgang Stammlers Schriftenreihe den für die Gegenwart tauglichen Werkausschnitt des Historikers und Dichters präsentiert hatte. Die Edition war auf etwa 20 Bände angelegt, wobei der Schwerpunkt auf den politischen Schriften lag. Sie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, obwohl nicht an eine kritische Edition der Manuskripte gedacht war, sondern an eine kommentierte Edition der gedruckten Werke sowie der Briefe und sonstiger Lebenszeugnisse. Der Verlagsvertrag wurde 1939 unterschrieben. Beteiligt waren neben Ruth der pommersche Studienrat und Arndt-Experte Erich Gülzow, der sich den Heimatschriften widmen sollte, Leopold Magon für dessen dramatische Versuche und drei weitere Wissenschaftler aus dem Rheinland. Der Regionalproporz musste hergestellt werden, weil das Arndt-Archiv in Bonn sonst die Zuarbeit verweigert hätte. Auch die Aufsicht oblag der Universität Bonn, an der Arndt bis zu seinem Tod gewirkt hatte. Das Vorhaben verzögerte sich durch den Krieg. Ruth zum Beispiel war als Dolmetscher in Albanien tätig und kehrte erst 1944 nach Deutschland zurück, ein anderer Bearbeiter war bei der Militärverwaltung in Litauen eingesetzt. Gedruckt wurde kein Teil der Gesamtausgabe, auch Magon stellte seinen Band über die dramatischen Versuche nicht fertig und kam nach Kriegsende nicht noch einmal auf das Thema zurück.242 Die 242 Vgl. BA R 73/10096 und 10097.

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Herausgeber der geplanten Arndt-Ausgabe sprachen im Juli 1943 bei den erst- und letztmalig veranstalteten „Arndt-Tagen“ der Universität. In seinen Begrüßungsworten würdigte Rektor Carl Engel Arndt als Schöpfer „prophetischer Gedanken“, die erst in der heutigen Zeit „voll verstanden“ worden seien und jetzt der „Verwirklichung entgegengeführt“ würden. Damit sei der 1769 Geborene einer der „bedeutendsten Repräsentanten deutschen Geistes“, der um „deutsche Größe“ gekämpft habe und an der „deutschen Volkwerdung“ maßgeblich beteiligt gewesen sei.243 Ruth würdigte den Publizisten Arndt, der für die „politische Erweckung“ des deutschen Volkes in den Befreiungskriegen maßgeblich verantwortlich gewesen sei. Gülzow sprach über Arndt und Pommern, wobei er dessen Prägungen und dessen Verbundenheit mit der Landschaft akzentuierte. Magon würdigte den „Wegbereiter deutscher Wehrerziehung“ und beschwor pathetisch dessen „Geist und Wort“, was er für nötig hielt, „nachdem das deutsche Volk zum neuen Freiheitskriege angetreten“ sei. Im Gegensatz zu den in den dreißiger Jahren gehaltenen Reden stellte Magon den sozialrevolutionären Aspekt in Arndts politischen Schriften in den Mittelpunkt. So zitierte er zum Beispiel jene Stellen, in denen Arndt den absolutistischen Staat Friedrich des Großen als seelenlosen Mechanismus beschrieben und den König als volksfremden Despoten gegeißelt hatte.244 Auch Arndts Eintreten für die allgemeine Wehrpflicht sei eine Bestrebung gewesen, dem Volk das Recht auf den Dienst an der Waffe zu geben. Denn, so zitierte er Arndt, es sei erwiesen, „dass ein ganzes Volk waffengerüstet und waffengeübt“ sein müsse, „wenn es nicht Freiheit, Ehre, Glück, Gut und Mut verlieren wolle“.245 Und so interpretierte er Arndts Vorstoß für eine allgemeine Wehrpflicht konsequenterweise als einen Vorstoß, „die Verschmelzung der beiden bisher getrennten, ja feindlichen Faktoren Heer und Volk, die Einheit von Soldat und politischem Mann“ herbeizuführen. Arndt sei das damals nicht gelungen, auch weil ihn „die Reaktion“ durch die Suspendierung vom Lehramt und das Publikationsverbot von allem lebendigen Wirken abgeschnitten habe.246 Am Schluss kam Magon dann zum eigentlichen Thema seines Vortrags, Arndt als Wegbereiter der Wehrerziehung. Er erläuterte knapp den Inhalt der beiden 1812 und 1813 publizierten Katechismen für den deutschen Wehrmann und konstatierte, dass Arndt damals der Einzige gewesen sei, „der durch sein Wirken die Soldaten hat politisch erziehen wollen“. Diese Schriften seien mehr gewesen als nur „anfeuernder Anruf“, sondern umfangreiche Information über den Sinn 243 Vgl. Ruth, Paul Hermann, Leopold Magon und Erich Gülzow: Ernst Moritz Arndt. Ursprung, Wesen, Wirkung. Drei Vorträge an den Arndttagen der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald vom 19.–24. Juli 1943, Greifswald 1944, S. 3 f. 244 Vgl. ebd., S. 33 ff. 245 Vgl. ebd., S. 37. 246 Vgl. ebd., S. 41 f.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

des Krieges. Auf diese Weise wirke Arndt auch in die Gegenwart hinein, habe doch die Wehrmacht „zahlreiche Möglichkeiten geschaffen“, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. Wer immer sich auf diesem Gebiet betätige, knüpfe damit über mehr als ein Jahrhundert hinweg an Arndt an.247 Mit der Arndt-Tagung im Sommer 1943 fand die Beschäftigung der Universität mit ihrem Namenspatron zunächst ihr Ende. In den zwölf Jahren des Nationalsozialismus wurde ihr Namensgeber nur selten bemüht, aber für jeden Festredner und jeden Forscher bedeutete der sozial empfindende Publizist und nationale „Glutmensch“ (Hermann Schwarz) etwas anderes. Bei der Namensgebung wurden die Schlagworte Freiheit, Ehre und Macht bemüht. Dann wurde Arndt als Vordenker der Volksgemeinschaft reklamiert, später seine christliche Überzeugung beschworen und zuletzt seine Rolle als Vordenker des Wehrunterrichts herausgestellt. Insgesamt wurden Arndts Schriften immer wieder für verschiedene aktuelle Zwecke benutzt, ohne dass eine intensive Beschäftigung mit seinem Werk stattgefunden hätte.

3.3 Die ersten Denunziationen

Die Verleihung des Ehrennamens „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ gehörte in den Bereich der geistigen Auseinandersetzung um den Charakter der von den Akteuren so genannten „nationale Revolution“. Der Umbruch öffnete aber auch Verdächtigungen aller Art Tür und Tor, die zu deutlichen Veränderungen im Personalbestand der Universität führten. Das Mittel der Denunziation wurde bewusst eingesetzt, um bisherige Abhängigkeitsverhältnisse zu zerstören und Amtsträger zu eliminieren. Dabei fanden die NS-Aktivisten unter dem Vorwand des „gesunden Volksempfindens“ Gehör in Amtsstuben, aus denen sie vor 1933 rundheraus verwiesen worden wären. Obwohl eine Kategorisierung in der Rückschau aus Sicht der Betroffenen unsinnig erscheint – sie endete meist mit ihrer Entfernung von der Universität –, lohnt der genauere Blick, weil sich bestimmte Muster abzeichnen. Geahndet wurde durch offene Anzeige oder anonyme Denunziation zunächst das politische Verhalten in der Demokratie. Die Handlungsspielräume für die Beteiligten waren dabei gering, weil diese politische Positionierung oft zuverlässig zu ermitteln war. Eine zweite Art der Anschuldigung betraf das angebliche oder tatsächliche menschliche Fehlverhalten der Protagonisten. Hier waren die Opfer der Anschuldigungen auf die moralische Integrität der Entscheider angewiesen. Dekane, Rektor und Kurator oder die Vorgesetzten im Kultusministerium wurden oft mit „schmutziger Wäsche“ belästigt, mussten aber trotzdem ermitteln, weil die Anschuldigungen politisch aufgeladen wurden. 247 Vgl. ebd., S. 44 f.

3.3 Die ersten Denunziationen

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Eine dritte Methode der Denunziation war das vorsätzliche „Abschießen“ missliebiger Personen, etwa des konservativen Psychiaters und Neurologen Edmund Forster oder des desillusionierten Volkswirts Albert Forstmann. Der genauere Blick lohnt auch deshalb, weil die Universität die zu „Fällen“ erklärten Personen ganz unterschiedlich behandelte. Der Umgang mit den „Fällen“ offenbart Machtverhältnisse ebenso wie die moralischen Qualitäten einzelner Akteure. Wie schmutzig Denunzianten vorgingen, zeigt das Vorgehen im Fall des 1932 entlassenen Helmut Blittersdorf. Er wurde vom Kristallographen Rudolf Groß in einem Drittmittelprojekt der Osram-Gesellschaft beschäftigt, die dann aber die Forschungsmittel strich, so dass Groß Blittersdorf kündigen musste. Blittersdorf ersann nun, im März 1933, eine Geschichte, nach der die Ehefrau seines einstigen Vorgesetzten separat wohne und außerehelichen Verkehr pflege (was nicht stimmte), dass er die Industriemittel in die eigene Tasche gesteckt habe (was zum Teil stimmte, aber erlaubt war) und überhaupt sei der Professor Groß sittenlos. Das habe sich daran gezeigt, dass Blittersdorf 1931 gezwungen worden sei, mit Groß, dessen Frau, dem Hausmädchen und den Kindern in der Ostsee nackt zu baden. Sogar Fotos seien dabei gemacht worden. Wo Groß politisch stehe, gehe daraus hervor, dass der Institutsdiener Sozialdemokrat und Groß selbst darüber hinaus mit Juden in Berlin befreundet sei. In einer umfangreichen Untersuchung betrachtete der Kurator die Eheprobleme genauestens und es wurden zahlreiche Zeugen gehört, ungeachtet der Tatsache, dass das Paar seit langem wieder zusammenwohnte. Kurator Hermann Sommer sah von einer Strafverfolgung wegen der finanziellen Unregelmäßigkeiten schließlich ab, weil es tatsächlich einen breiten Ermessensspielraum für den Einsatz von Forschungsmitteln gab, wie ihm nach sechswöchiger Untersuchung aufging. Er mahnte Groß jedoch wegen des Nacktbadens ab. Das Kultusministerium sah die Sache noch gelassener und teilte Blittersdorf schließlich im Juni 1933 mit, dass die von ihm vorgebrachten Fakten sich nicht als „Verfehlungen des Professors Groß“ darstellten. Das Nacktbaden hingegen, an dem er „jetzt nach zwei Jahren Anstoß“ nehme, sei tatsächlich zu beanstanden gewesen, der Professor daher auf „das Unziemliche seines Verhaltens hingewiesen worden“. Der Vorgang wurde damit für erledigt erklärt, Groß blieb im Amt, Blittersdorf scheint später bei der Deutschen Keramischen Gesellschaft ein Auskommen gefunden zu haben.248 Das Ausmaß der Denunziationen war enorm, wobei eine Grenze nicht einmal bei anonymen Anwürfen gezogen wurde; weshalb sich Rudolf Seeliger, Direktor des Physikalischen Instituts, zu Anwürfen äußern musste, die am 29. März 1933 im Kuratorium der Universität eingingen. Die Denunziation war jedoch sehr plump formuliert. Seeliger sei lediglich wegen seiner „schwarzroten“ Gesinnung gefördert worden, am 248 Vgl. UAG PA 218 Groß, Bd. 1, Bl. 71 ff.

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Institut würden nur „abgebaute Herren“ aus der Industrie arbeiten und bei den Prüfungen der Mediziner habe es Unregelmäßigkeiten gegeben. Unterzeichnet war das Schreiben mit „Verband f. nationale Interessen“. Kurator Hermann Sommer warf den Brief nicht etwa in den Papierkorb, sondern forderte Seeliger und den NS-Aktivisten Hermann Brüske zur Stellungnahme auf. Außerdem bestellte er Dekan Hellmuth Kneser ein, der sich angewidert zeigte und dem Kurator nahelegte, anonyme Denunziationen künftig nicht zu beachten.249 Sommer gab das Schreiben aber erst als erledigt zu den Akten, als ihm Seeliger weitere anonyme Briefe präsentierte und darum bat, sie dem Ministerium vorzulegen. Seeliger forderte, die Angelegenheit weiter zu verfolgen, „um den Briefschreiber fassen zu können“.250 Sommer hatte daran kein Interesse, im Gegenteil. Ihm war daran gelegen, so viele Denunziationsfälle wie nur möglich zu erfassen, damit er als gewissenhafter Beamter erschien. Denn der eher mediokre Jurist verdankte seine Karriere der SPD und schien sich nun als Nationalsozialist profilieren zu wollen. Um den Kriegsdienst hatte sich Sommer erfolgreich gedrückt, ab 1919 verwaltete er Landratsstellen. 1924 folgte die Ernennung zum Kurator der Universität Halle, 1928 wechselte er an die Universität Greifswald. Anstrengungen Sommers, in der komplizierten Verwaltungsstruktur der Universität Ordnung zu schaffen, sind nicht nachweisbar. Bei den Verhandlungen über den weiteren Bau der Kliniken verhandelten die Professoren über Sommer hinweg direkt mit dem Ministerium. Im Hinblick auf die Karriere zahlte sich die Parteinahme für die Denunzianten für Sommer aus. Als Person mit gering ausgeprägtem Gestaltungswillen war er ungeeignet für die Ausfüllung der Kuratorstelle und wurde 1934 zum Oberverwaltungsgericht weggelobt.251 Seine Nachfolge trat Friedrich Kolbe an, dessen Amtsführung sich anders gestaltete, was später betrachtet wird. Bereits vor dessen Amtsantritt hatte Sommer im Winter 1933/34 jedoch ein informelles Rückversicherungsverfahren etabliert, welches die Lokalinstanzen der NSDAP stärkte. Als die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät überlegte, dem Lehrer der Berufsschule Dr. Willi Griebenow252 einen Lehrauftrag für Betriebswirtschafts249 Vgl. UAG PA 256 Seeliger, Bd. 1, Bl. 76 ff. 250 Vgl. ebd., Bl. 81. 251 Die in der Wikipedia geäußerte Auffassung, dass Sommer Präsident des Reichsverwaltungsgerichts wurde, ist falsch. Der 1941 ernannte Präsident war Walther Sommer, bis dahin im Rang eines Oberbefehlsleiters tätig im Stab Stellvertreter des Führers. Vgl. http://de.wikipedia. org/wiki/Hermann_Sommer, letzter Zugriff: 21. Mai 2015; Kohl, Wolfgang: Das Reichsverwaltungsgericht. Ein Beitrag zur Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, Tübingen 1991, S. 402, 464 ff. 252 In dem Schreiben der NSDAP fälschlich als „Griebow“ bezeichnet. Griebenow (1897–1991) wurde 1931 an der Universität Greifswald 1931 mit der Dissertation Symptomatologie der Kapitalbildung promoviert. Vgl. UAG Jur. Diss. Nr. 3512.

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lehre zu erteilen, fragte er bei der NSDAP-Kreisleitung nach, ob das genehm sei. Kreisleiter Richard Delang war dagegen, weil zum „Erzieher“ heute niemand mehr passe, „der sich bis heute nicht zur NSDAP gemeldet“ habe. Aber vielleicht empfehle es sich, in der Sache „den Gauleiter“ zu hören.253 Die Parteistellen arbeiteten beim Ausforschen vermeintlicher Gegner und von Juden mit den staatlichen Stellen zusammen. Gegen Seeliger zum Beispiel gab es eine gemeinsame Ermittlung des preußischen Innenministeriums und der NS-Auskunftei, die von dem Chemiker und Hobbygenealogen Achim Gercke aufgebaut worden war.254 Gercke, 1930/31 Assistent in Greifswald, war hier eine angeblich jüdisch aussehende junge Frau aufgefallen, bei der es sich um Seeligers Tochter handelte. Gercke ermittelte daraufhin im Auftrag der Studentenschaft und befragte nicht etwa Seeliger selbst, sondern schnüffelte in dessen Bekanntenkreis herum. Da Seeligers Vorfahren aus Österreich stammten, wusste niemand etwas Genaues. Aber die Stadt in „Galizien“ – es war Schlesien –, aus der Seeligers Vorfahren stammten, sei eine „Judenstadt“ gewesen, was ebenfalls nicht zutraf.255 Mit diesem Lügengebäude rechtfertigte Gercke seine Recherchen gegenüber dem Kultusministerium im Dezember 1933. Dort hatte sich Seeliger beschwert und eine amtliche Feststellung verlangt, dass er kein Jude sei. Gercke konnte Seeligers Empörung nicht nachvollziehen, und es sei auch nicht wahr, dass er sich an der „Ausstreuung gemeiner Lügen“ betätigt habe. Auch Gerüchte habe er nicht in die Welt gesetzt. „Die Vermutung aber zu hegen“, so Gercke, „konnte mir nach Lage der Dinge niemand bestreiten.“ Aus seiner Sicht sei die Ermittlung legitim gewesen und er verstehe nicht, warum sich Seeliger an eine übergeordnete Stelle gewandt habe. Es habe keinen Grund gegeben, den „amtlichen Apparat“ in Bewegung zu setzen.256 Die Dreistigkeit des Sachverständigen war typisch für das Handeln nationalsozialistischer Aktivisten, die anklagten und die Beweislast auf die Betroffenen verlagerten. Die Schwierigkeit, Gerüchte zu widerlegen, liegt jedoch darin, dass oft die für ihre 253 Vgl. UAG K 183, Bl. 160. 254 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Achim_Gercke, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. Gercke kam im September 1930 nach Greifswald und erhielt einen Zweijahresvertrag als planmäßiger Assistent. Am 9. Dezember 1930 wurde sein Ausscheiden zum Jahresende genehmigt. Vgl. UAG K 599, Bl. 209 f.; Gercke, Achim: Das Delta 9, 10-Oktalin, Diss. rer. nat., Freiburg 1930, Greifswald 1930; Schulle, Diana: Das Reichssippenamt. Eine Institution nationalsozialistischer Rassenpolitik, Diss. phil., Greifswald 1999, Berlin 2001, S. 31–40. 255 Gercke bezeichnete die Stadt als Viala, tatsächlich handelte es sich um Zülz, polnisch Biala, benannt nach dem Fluss, der hindurchführte. Polen verzichtete nach 1945 auf die Deportation eines Großteils der Bevölkerung, was dafür spricht, dass es sich um eine gemischt polnischdeutsche Population handelte. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Zülz, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 256 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 22 Bd. 24, Bl. 380.

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Entstehung bekannten Gründe nicht nachvollzogen und damit nicht ausgeräumt werden können.257 3.3.1 Der „Fall“ Gustav Braun

Während die unbeliebten Professoren Seeliger und Groß sich 1933 weitgehend unbegründeter Denunziationen erwehren mussten, hatten die Ankläger im Fall des Geographen Gustav Braun deutlich mehr vorzubringen. Es handelte sich um angebliche Devisenvergehen, weil Braun ausländische Währungen nicht angemeldet habe. Außerdem habe er eigenmächtig von beurlaubten Studenten, die aber seine Vorlesung besuchten, Kolleggelder eingesammelt und den Anteil, der dem Staat zustand, nicht abgeführt. Außerdem habe er Praktikumsgebühren eingezogen und auch diese nicht an die Universitätskasse abgeführt. Die Rundfunkgebühren für den Radioapparat wurden aus dem Haushalt des Instituts beglichen, obwohl Braun angeblich privat Radio hörte. Das Motorboot des Instituts habe er für Privatfahrten benutzt und mit Exkursionsgebühren Überschüsse erzielt.258 Die Denunzianten – es handelte sich um mehrere Studenten, Brauns Assistenten Wilhelm Hartnack und Hans Grellmann sowie den späteren Führer der Dozentenschaft Hermann Brüske – erstatteten beim Kurator am 26. März 1933 Anzeige. Da es keine Reaktion gab, telefonierte Grellmann am 6. April mit Joachim Haupt, ehemals studentischer NS-Aktivist in Greifswald und jetzt Referent im Preußischen Kultusministerium. Haupt ließ sich den Fall vortragen und empfahl Grellmann, die Polizei einzuschalten. Diese nahm gegen Braun am 8. April 1933 Ermittlungen auf, woraufhin Braun am 12. April ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst beantragte. Da aus Sicht der Polizei Fluchtgefahr bestand – Braun und seine Frau verfügten über gültige Ausreisevisa –, wurde wenig später Braun verhaftet.259 Der Hass auf Braun war durch mehrere Faktoren begründet. Im Kollegenkreis war der umtriebige und fleißige Professor unbeliebt, weil er 1920 die Ausgründung eines Finnischen Instituts aus dem Nordischen Institut betrieben hatte. Die Umwandlung einer Abteilung des Nordischen Instituts zu einem Institut, das sich nur mit einer Nation befasste, war rein pragmatisch motiviert, jedoch nicht wissenschaftlich begründbar, wie die anderen Vorstandsmitglieder des Nordischen Instituts meinten. Außerdem widersprach es dem Gründungsauftrag, in ganz Skandinavien Kulturpropaganda für das Reich zu betreiben. Braun hatte sich zwar bereits vor Kriegsende in diesem Sinne betätigt, jetzt schien er sich jedoch in den Trend zur Ökonomisierung 257 Vgl. Kapferer, Jean-Noël: Gerüchte. Das älteste Massenmedium der Welt, Berlin 1997. 258 Vgl. UAG PA 24 Braun, Bd. 1, Bl. 169 ff. 259 Vgl. UAG PA 24 Braun, Bd. 2, Bl. 240–250.

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der Wissenschaft einzuordnen. Denn Braun initiierte nicht nur mehrere wirtschaftsgeographische Studien, etwa zum Welthandel, sondern nahm auch Kontakt zu Stettiner Reedern auf. Von diesen verschaffte er der Universität erhebliche Geldmittel, die vor allem dem Geographischen Institut zugutekamen.260 Die regelmäßigen Studienfahrten zur Industrie Finnlands und den Bergwerken wurden ihm im Kollegenkreis keineswegs als Verdienst angerechnet.261 Besonders übel genommen wurde Braun das gute Verhältnis zu dem jüdischen Reeder Arthur Kunstmann, der die Geographie immer wieder unterstützte, etwa mit der Anschaffung eines Motorbootes. 1932 stellte Kunstmann eine große Geldsumme für den Ankauf des Hauses von Eduard von der Goltz zur Verfügung. Der Professor für Praktische Theologie hatte das Haus erworben, als es eine große Zahl von Theologiestudenten gab und das Aufkommen an Kolleggeldern erheblich war. Von der Goltz hatte jedoch die Betriebskosten unterschätzt, so dass er sich verschuldete und beim Ministerium immer wieder um Beihilfen nachsuchen musste. Das repräsentative Haus war jetzt für einen Preis zu haben, der unter dem ursprünglichen Kaufpreis lag, weshalb sich mehrere Professoren für den Erwerb einsetzten. Da das Ministerium nur einen Kaufpreis zum Marktwert akzeptierte, von der Goltz aber nur zum Einstandspreis verkaufen wollte, sprang Kunstmann auf Veranlassung Brauns ein. Die Universität ehrte Kunstmann daraufhin im Februar 1933 mit der Ehrendoktorwürde. Aus Sicht der nationalsozialistischen Studenten war die Verleihung eines Ehrendoktorats an einen Juden, noch dazu zu diesem Zeitpunkt, ein Affront. Zudem entstand der Eindruck, dass die Universität ihre Ehrentitel verkaufe.262 Der Hass gegen Braun hatte sich jedoch schon vorher aufgebaut, weil er eine Amtsführung nach Gutsherrenart betrieb. So eignete er sich Erkenntnisse seiner Mitarbeiter und Doktoranden ohne Skrupel an, sorgte aber andererseits auch dafür, dass sie Stellungen in staatlichen Einrichtungen erhielten. Im Fall seines Assistenten Hartnack war ihm das nicht gelungen, so dass dieser in Greifswald ein prekäres Leben fristete.263 Braun machte dafür dessen Unfähigkeit verantwortlich, im Habilitationsverfahren hatte er Hartnack jedoch unterstützt und später mit ihm gemeinsam Publikationen verfasst.264 An Studierende und Hilfskräfte stellte er hohe Ansprüche, wie sich bei deren Vernehmungen durch den Kurator herausstellte. 260 Vgl. Nase, Marco: „Att Sverige skall dominera här“. Johannes Paul und das schwedische Institut der Universität Greifswald 1933–1945, Greifswald 2014, S. 67 ff. 261 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. V Nr. 58 A Bd. 1; UAG K 1707, Bl. 52 und 138. 262 Vgl. Nase, Johannes Paul, S. 68 f. 263 Vgl. UAG PA 226 Hartnack. 264 Vgl. Braun, Gustav und Wilhelm Hartnack: Die preußische Provinz Pommern bei der Neueinteilung Deutschlands, Greifswald 1932.

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Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft bat Braun die Philosophische Fakultät darum, dass sein Assistent Hartnack nicht mit seiner Vertretung betraut werde, weil er annahm, dass er eben von diesem denunziert worden sei. Die Annahme war korrekt, weil das – nicht mehr auffindbare – Denunziationsschreiben sogar Interna des Instituts seit der Inflationszeit enthielt. Harnack beteuerte, dass er seinen Ordinarius keineswegs jahrelang bespitzelt habe. Es sei ihm nur darum gegangen, sich mit Notizen und Abschriften aus Institutsakten abzusichern für den Fall, dass irgendwann einmal etwas beanstandet werde. Gerade im Hinblick auf die schludrige Handhabung des Umgangs mit Spenden aus Finnland sei ihm das als geboten erschienen. Die Philosophische Fakultät stimmte der Vertretung dann zu und stellte damit Hartnack ein Leumundszeugnis aus. Der Subtext einer solchen Ehrenerklärung war unmissverständlich: Die Fakultät distanzierte sich von Braun und sanktionierte das Vorgehen der Denunzianten. Die Anklageschrift umfasste schließlich 39 Seiten, sie konzentrierte sich auf den informellen Umgang mit Devisen. Dieser war tatsächlich unkonventionell, so hatte Braun 1931 2000 Mark der Deutsch-Finnischen Gesellschaft und etwa 7000 bis 8000 Schwedische Kronen bei der Handelsbank in Malmö deponiert.265 Wegen der unbestreitbaren Vorwürfe wurde Braun vom Landgericht Greifswald im Juli 1933 verurteilt. Bereits wenige Tage später, am 5. August 1933, präsentierte die Philosophische Fakultät eine Berufungsliste und schlug als Nachfolger den außerordentlichen Professor an der Universität München Edwin Fels vor, auf Platz zwei setzte sie den Freiburger Hans Schrepfer aus Frankfurt am Main. Beide waren ausgewiesene Wirtschafts- bzw. Landschaftsgeographen und galten als „national“, gehörten aber nicht der NSDAP an.266 Dieses Vorgehen musste missverständlich wirken, weil einerseits die Kompetenz des Nationalsozialisten Hartnack nicht in Frage gestellt wurde, indem man ihn zum Lehrstuhlvertreter bestellte. Andererseits signalisierte die Philosophische Fakultät mit ihrer Berufungsliste, dass Hartnack eben doch nicht berufen werden sollte. Weil Braun jedoch in Revision ging, zog sich die Sache hin. Kurator Sommer versetzte Braun daher rundheraus zum 1. November 1933 nach § 6 des Berufsbeamtengesetzes (Vereinfachung der Verwaltung) in den Ruhestand. Das Verfahren vor dem Reichsgericht erwies sich als Debakel für die Denunzianten. Brauns Verteidiger Eduard Kohlrausch erreichte zunächst die Abtrennung der Anklagepunkte hinsichtlich der nicht an das Reich abgeführten, sondern in Schweden deponierten Devisen. Kurz danach wurde dieses Verfahren eingestellt, weil Gut265 Vgl. UAG PA 24 Braun, Bd. 2 Bl. 44–83. 266 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 22 Bd. 24, Bl. 354. Fels trat 1937 in die NSDAP ein. Vgl. Grüttner, Lexikon, S. 46 f.

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achter feststellten, dass Brauns Vorgehen nicht rechtswidrig war. Außerdem gelang Braun der Nachweis, dass er für die ausgeführten 2000 Mark eine Genehmigung hatte.267 Die Verfehlungen im Hinblick auf die Abrechnung von Vorlesungsgebühren waren unbestreitbar, aber nicht Braun anzulasten. Als Institutsdirektor hätte er vom Leiter der Universitätskasse aufgefordert werden müssen, Ordnung zu schaffen. Die gültigen Rechtsgrundlagen seien wohl einem Verwaltungsbeamten geläufig, nicht aber einem Professor. Die Vorwürfe hinsichtlich der Benzinvorräte, des Lautsprechers und diverser Kleinigkeiten hatte bereits die erste Instanz als irrelevant verworfen. Das Reichsgericht bestätigte noch einmal, dass es das Recht der Ordinarien sei, wissenschaftliche Geräte – gleich welcher Art – auch in ihren Wohnungen zu nutzen. Als Beispiel diente der Radioempfänger, mit dem sich Braun über das Wetter informiert hatte. Weil Geographen per se auch Meteorologen waren, stand ihm die Nutzung in jeder Form frei. Insgesamt sei der Staat durch Brauns Verhalten nicht geschädigt worden, nicht zuletzt deshalb, weil alle eingenommenen Gelder, auch die Devisen, immer dem Institut zugutegekommen seien. Darüber hinaus habe auch der Vorsatz für jede Form des Betrugs gefehlt. Das Reichsgericht schloss sich Kohlrauschs Argumentation an und sprach Braun am 3. Dezember 1934 frei.268 Braun zog nach Berlin um, wo er ein Lehrbuch zur Formenwelt des deutschen Bodens verfasste, das 1939 veröffentlicht wurde. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft zog ihn weiter als Gutachter heran, wenn es um Fragen der skandinavischen Länder ging.269 Im April 1940 wurde Braun als Hauptmann zum Stab des Wehrmachtsbefehlshabers Norwegen eingezogen. Er starb im November 1940 in Oslo. 3.3.2 Die Selbsttötung von Edmund Forster

Der Direktor der Universitätsnervenklinik Edmund Forster erschoss sich am 11. September 1933 in seiner Wohnung.270 Vorangegangen waren die Beurlaubung auf Grund einer Denunziation und die Einleitung eines Dienststrafverfahrens, in dem es um die Verschwendung von Haushaltmitteln und um abfällige politische Bemerkungen ging. Außerdem sei Forster, so der Denunziant Eugen Oklitz, Sohn des Universitätsquästors, eine „marxistische Systemgröße“ gewesen, „geistig stark verjudet“, und die Klinik sei unter seiner Leitung „sexualistisch verseucht“ worden. Bereits seine Berufung nach Greifswald sei 1925 auf eine „mehr als merkwürdig zu bezeichnende

267 Vgl. UAG PA 24 Braun, Bd. 3, Bl. 13. 268 Vgl. UAG PA 24 Braun, Bd. 2, Bl. 228–239. 269 Vgl. BA R 73/10349. 270 Vgl. Armbruster, Forster, S. 67.

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Art“ erfolgt.271 Die Vorwürfe erwiesen sich bei der Untersuchung als teils falsch und teils übertrieben. Falsch war auch, dass es bei der Berufung nicht mit rechten Dingen zugegangen sein sollte. Forster stand auf Platz zwei der Berufungsliste. Die Medizinische Fakultät lobte damals seine Theorie der Affekte und die „ausgezeichneten Arbeiten zur Aphasie“, der Sprachlosigkeit nach Hirnverletzungen. Zwar galt Forster als schwierige Persönlichkeit, aber, so der Berufungsvorschlag, die Fakultät halte das „nicht für schwerwiegend genug, um bei den wissenschaftlichen Leistungen“ von ihrem Vorschlag Abstand zu nehmen.272 Richtig war an dem Denunziationsschreiben allerdings, dass Forster keinerlei Sympathie für den Nationalsozialismus empfand. Forster, 1878 in München geboren als Sohn eines Universitätsprofessors, besuchte das Gymnasium in Amsterdam und studierte danach Medizin in Straßburg und München. Parallel absolvierte er eine militärische Ausbildung bei der Marine und wurde 1901 zum Marinearzt befördert. Im selben Jahr promovierte er in Straßburg zum Dr. med. Danach arbeitete er im Pathologischen Institut der Universität Genf, danach an der Universitätsnervenklinik Halle, wo er sich mit neurologischen Fragestellungen vertraut machte. 1905 erhielt er eine Assistentenstelle an der Nervenklinik der Charité in Berlin, wo er sich 1909 habilitierte. Wenig später wurde er zum Oberarzt der Klinik befördert. Forsters Mentor Theodor Ziehen gehörte wie der Direktor der hallischen Klinik zu den naturwissenschaftlich arbeitenden Psychiatern, was sich als prägend und folgenreich erweisen sollte. Die Habilitationsschrift Forsters war der Angstpsychose gewidmet, wobei er nachwies, dass es sich dabei nicht um eine eigenständige Krankheit, sondern um ein Symptom mit vielen Ursachen handelte. 273 1914 wurde Forster als Lazarettarzt nach Kiel eingezogen und war ab 1915 in Belgien eingesetzt. Gleichzeitig lehrte er ab 1916 als ordentlicher Professor an der flämischen Universität Gent. Für seinen Kriegsdienst erhielt Forster das Eiserne Kreuz I. Klasse und den recht exklusiven Bayerischen Militärverdienstorden 4. Klasse mit Schwertern. Nach seiner Berufung an die Universität Greifswald wurde Forster 1926 zum außerordentlichen Mitglied des Wissenschaftlichen Senats für das Heeressanitätswesen berufen. 1928 wurde er Mitglied des Preußischen Landesgesundheitsrates. Am 22. Juli 1933 wurde er erneut für eine fünfjährige Amtszeit in dem Gremium be271 Vgl. Viehberg, Maud Antonia: Restriktionen gegen Greifswalder Hochschullehrer im Nationalsozialismus, in: Buchholz, Werner: Greifswald und die deutsche Hochschullandschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2004, S. 296. 272 Vgl. UAG PA 486 Forster, Bl. 7. 273 Die Stellung als Oberarzt übertrug der 1912 aus Breslau berufene Karl Bonhoeffer dann einem seiner Schüler. Forster blieb jedoch an der Charité, wo er sich auf das Gebiet der progressiven Paralyse konzentrierte und ihm gemeinsam mit anderen der Nachweis von lebenden Spirochäten in Gehirnen von Paralytikern gelang. Vgl. Armbruster, Forster, S. 16–23.

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stimmt, was nicht geschehen wäre, wenn er für eine „Systemgröße“ gehalten worden wäre. Der Denunziationsbrief des Eugen Oklitz traf am 21. August 1933 im Kultusministerium ein. Er enthielt nicht nur phantastisch anmutende Begründungen für die erwähnten Vorwürfe, sondern auch nach dem Muster der erfolgreichen Denunziation gegen Gustav Braun die Forderung nach sofortiger Verhaftung. Da das Kultusministerium die Vorgänge jetzt lieber im eigenen Haus klärte, wurde eine Untersuchung eingeleitet und die Oberschwester Edith Braun nach Berlin einbestellt. Die Vorwürfe Brauns lauteten wie folgt: Forster habe behauptet, dass der Reichstagsbrand von der Regierung inszeniert worden sei. Die Aussage, dass die Reden des Reichskanzlers nur für „Irrsinnige und Geistesschwache“ geeignet seien, habe sie nicht selbst gehört. In Anwesenheit von Schwester Martha habe er aber gesagt, dass die Reden für „Provinzler“ und „Geistesschwache“ gedacht seien. Forster habe jüdische Assistenzärzte bevorzugt, „christliche Kräfte“ hätten sich bei ihm nicht durchsetzen können. Explizit benannte sie den Juden Zador, der seine Stelle aber zum 1. Juli 1933 aufgegeben habe. Die Versuche, die Forster mit einem „Kipptisch“ durchgeführt hatte, um unerwartete Reaktionen von Kranken und Gesunden bei Herausforderungen an den Gleichgewichtssinn zu testen, seien ihr als sinnlose „Quälerei“ erschienen. Der Tisch sei teuer gewesen, und der Jude Zador habe alles auf Film aufgenommen. Die sittlichen Zustände in der Klinik seien „nicht einwandfrei“ gewesen. Die Ärzte hätten im Kasino „Gelage“ veranstaltet, an denen auch die Laborantinnen teilgenommen hätten. Mitgefeiert hätten neben Zador auch Dr. Zucker und Dr. Weiß und dann sei die ganze Gesellschaft einschließlich Forster in einem Auto in der Nacht weggefahren, um weiter zu feiern. Erst gegen Morgen seien sie zurückgekommen und hätten dann bis elf oder zwölf Uhr geschlafen. Auch die Ärzte Dr. Goralewski und Dr. Vajda seien dabei gewesen. Forster habe mit der Laborantin Rietzkow ein Verhältnis gehabt, diese dann aber eins mit Dr. Zucker, während Forster seine Vorlesungen gehalten habe. Forster habe Zucker deshalb aus der Klinik geworfen. Die Laborantin Wilder habe ihr erzählt, dass man nach den Feiern an den Stand gefahren sei und nackt gebadet habe. Es gebe sogar ein Bild von Forsters Frau auf dem Schoß eines anderen Mannes, das sie aber nicht gesehen habe. Ihr „sittlicher Ruf“ sei „sehr schlecht“, gab Braun weiter zu Protokoll. Sie sei nicht nur Privatsekretärin des Zentrumspolitikers Erzberger gewesen, sondern „soll“ sich „mit jedem Studenten“ eingelassen haben. Die Familie Forster habe „daher [!] auch keinen gesellschaftlichen Verkehr in Greifswald“. Zador wiederum habe ein Verhältnis mit der Frau von Forsters Bruder. Forster selbst habe der Laborantin Oklitz nachgestellt, was sie „gehört“ habe. Am Schluss erklärte Braun noch, dass in der Klinik „viel marxistisches Personal“ gewesen sei, etwa der Betriebsrat Dinsel. Und über den

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Minister Rust habe Forster geäußert, dass sich dieser im Krieg „gedrückt“ und sich selbst verletzt habe, um nicht an die Front zu kommen.274 Die Untersuchung durch den Universitätskurator Sommer ergab, dass nichts davon wahr war. Forster hatte der Laborantin Oklitz nicht nachgestellt, deren Bruder hatte das erfunden, als er den Denunziationsbrief schrieb. Frau Oklitz wurde daher von der Universität verwiesen.275 Oberarzt Zucker, den Braun für einen Juden hielt, wurde nicht aus der Klinik entfernt, sondern er bekam, gefördert durch die Unterstützung Forsters, ein Stipendium für einen Forschungsaufenthalt in den USA. Zucker war überzeugter Nationalsozialist und gehörte später zu den Ärzten, die bei der sogenannten Euthanasie-Aktion Patienten töten ließen. Volontärarzt Vajda war ebenfalls kein Jude, sondern ein adeliger Ungar und nach eigener Aussage Mitglied der ungarischen Nationalsozialistischen Partei. Bei der Geburtstagsfeier von Dr. Goralewski sei zu Radiomusik getanzt worden und, ja, man habe dann auf dessen Zimmer in der Nähe des Kasinos weitergefeiert. Und es seien auch Pflegerinnen dabei gewesen, die dienstfrei hatten. Es sei richtig, dass er der Pflegerin Schulz einen Kuss gegeben habe, sie habe sich „dagegen nicht gesträubt“. Weiteres sei nicht gefolgt. Die Abschiedsfeier für Dr. Zador in Forsters Wohnung sei „in jeder Beziehung in korrekter Form verlaufen“.276 Dem für die Denunziantin Braun offenbar wichtigen Thema der Sittenlosigkeit wurde nach dem tadellosen Eindruck, den der ungarische Adelige gemacht hatte, nicht weiter nachgegangen. Die unsittlichen Fotos vom Nacktbaden konnten nie gefunden werden. Eine genaue Untersuchung hätte möglicherweise die Ehre von Forsters Ehefrau gerettet und die Glaubwürdigkeit der nationalsozialistischen Zeugin beschädigt, was nicht im Interesse des Kurators sein konnte. Der Laboratoriumsdiener Max Thürk, später Blockleiter in der NSDAP, konnte keine einzige abwertende Aussage Forsters über Hitler, den Reichstagsbrand oder den Minister Rust bestätigen. Dasselbe galt für Schwester Martha, die nichts davon gehört hatte, aber die Experimente Forsters mit dem „Kipptisch“ für eine Quälerei hielt.277 Am Ende der Ermittlungen bat Forster am 5. September 1933 um seine Entlassung, offenbar vermutete er, dass er mit 75 Prozent seiner Bezüge in den Ruhestand gehen könne. Kurator Sommer wiederum meldete nach Berlin, dass er die Aussagen der Denunzianten für glaubwürdig halte, obwohl die Ärzte Forster entlastet hätten. Dass das auch für Schwester Martha und den Diener Thürk zutraf, verschwieg Sommer. Er würde Forster die Äußerungen über den Reichstagsbrand zutrauen und halte ihn

274 Vgl. UAG PA 486 Forster, Bl. 71–74. 275 Vgl. Armbruster, Forster, S. 70–74. 276 Vgl. UAG PA 486 Forster, Bl. 65 f. 277 Vgl. ebd., Bl. 61 f.

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nicht für einen Nationalsozialisten.278 Forster zog das Gesuch um Entlassung zurück, als er erfuhr, dass er nach § 4 des Berufsbeamtengesetzes – aus politischen Gründen – entlassen werden sollte. Das Ministerium ließ ihn wissen, dass die Untersuchung nicht beendet sei, woraufhin sich Forster selbst tötete. Jan Armbruster hat in seiner Forster-Biographie gezeigt, dass es diesem nicht gelang und vielleicht auch nicht daran gelegen war, mit seinen Kollegen in der Fakultät in ein gedeihliches Arbeitsverhältnis zu kommen. Es gab daher keinen einzigen Ordinarius, der für ihn Partei ergriffen hätte – andererseits hatte sie in dem gerade 14 Tage andauernden Disziplinarverfahren, das noch dazu in den Semesterferien stattfand, auch niemand befragt. Angesichts der oft monatelang schwebenden Verfahren gegen Vahlen vor 1933 sowie gegen Klingmüller und Ziegler nach 1933 war das eine neue Erfahrung. Auch im Fall Braun gab es eine Art rechtsstaatliches Vorgehen, was bei Forster nicht der Fall war, nicht zuletzt, weil er selbst den Verfahrensweg bewusst abschnitt. Die Professoren und selbst der Kurator folgten nach dessen Tod den gesellschaftlichen Konventionen, bekundeten also Beileid und vergossen Krokodilstränen. Rektor Meisner bekundete gegenüber dem Kurator, dass Forster sich wohl hätte „behaupten können“, wenn er andere Mitarbeiter gehabt hätte. Der später in der Klinik tätige Hanns Schwarz versuchte den Tod Forsters später zu psychiatrisieren, indem er ihn auf eine „depressive Affektkrise“ zurückführte. Als Schwarz diese Diagnose in den siebziger Jahren stellte, war er selbst Direktor der Universitätsnervenklinik. Die angebliche Unruhe und ein „unschlüssiges“ Verhalten in Forsters letzten Lebenstagen beruhen auf den Aussagen des Kurators, der Forster mit Vorsatz in den Tod trieb.279 Die Annahme, dass Forster das unwürdige Spiel von Entlassung, Prozess, Revisionsprozess nicht mitspielen wollte, ist von Armbruster nicht in Betracht gezogen worden. Es ist jedoch vorstellbar, dass Forster der Schmuddelkampagne ein Ende bereitete, weil er als Offizier wusste, dass ein Kampf manchmal nicht gewonnen werden kann. Abstrahiert von der Person Forsters, waren für dessen Tod die sozialrevolutionären Umstände verantwortlich, die darauf abzielten, Standesunterschiede zwischen Ordinarien bzw. Klinikdirektoren und dem Personal einzuebnen.280 Die fehlende Kommunikation Forsters und seiner Ärzte mit den Schwestern und Angestellten ließ deren Handeln als einen geheimnisumwitterten Arkanbereich erscheinen. Die fehlenden Informationen ersetzten die Schwestern durch Tratsch und luden ihn sexuell auf, wohl auch deshalb, weil sie alle unverheiratete Frauen mit einer außerordentlich beschränkten Weltsicht waren. 278 Vgl. Viehberg, Restriktionen, S. 298 f. 279 Vgl. Armbruster, Forster, S. 67 ff. 280 Vgl. Beck, Hermann: The Fateful Alliance. German Conservatives and Nazis in 1933: The Machtergreifung in a New Light, New York und Oxford 2008, S. 170 ff.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Exkurs: Forster und die Hitler-Legende

Forsters Selbstmord muss, wie Armbruster ausdrücklich feststellte, als Greifswalder Ereignis interpretiert werden. Er hatte nichts zu tun mit einer angeblichen Hypnosebehandlung des Gefreiten Adolf Hitler durch Forster im Reservelazarett Pasewalk 1918. Diese Legende besagt, dass Hitler in Pasewalk nicht wegen seiner Gasvergiftung, sondern wegen einer hysterischen Erblindung behandelt worden sei. Aus dieser angeblichen Behandlung durch den berühmten Berliner Nervenarzt Edmund Forster sind weitreichende Schlüsse gezogen worden. Durch Hypnose habe der „mit einem dämonisch anmutenden Herrschaftswillen“ ausgestattete Professor die Psyche Hitlers verändert. Durch die fragwürdige Behandlung sei in diesem das unerschütterliche Selbstbewusstsein geweckt worden, das ihn zum politischen Führer habe werden lassen.281 Thomas Weber hat diese Legende mit weiteren Dokumenten scheinbar untermauert. Ein anderer berühmter Psychiater und Neurologe, der Breslauer Professor Otfrid Foerster, habe Hitlers Akte 1932 in Berlin eingesehen und dabei festgestellt, dass der im Oktober 1918 eingelieferte Gefreite wegen hysterischer Blindheit behandelt worden sei. Das habe er auf einem Kongress 1935 amerikanischen Psychiatern berichtet. Weber folgert daraus, Hitler habe als Soldat vier Jahre lang mit erstaunlichem Beharrungsvermögen durchgehalten, sei aber „schließlich nicht mehr imstande [gewesen], die Wirklichkeit des Krieges psychisch zu ertragen“.282 In die Welt gesetzt wurden diese Behauptungen durch den Arzt Ernst Weiß, der an mindestens einem Abendessen in Forsters Wohnung teilnahm, wie aus der Aussage des Dieners Thürk hervorgeht. Die Vermutung, dass Forster ihm 1933 seine stenographischen Aufzeichnungen über Hitlers Behandlung überließ, gehört allerdings in den Bereich der Phantasie. Weiß hatte den Klatsch über Hitler zu einem Roman mit dem Titel Der Augenzeuge verdichtet, der postum 1963 veröffentlicht wurde.283 Im Text beschreibt der Ich-Erzähler auch seinen ehemaligen Pasewalker Patienten Adolf Hitler („A.H.“). Auch wenn sich durch die Form des Romans Ungenauigkeiten ergaben, schien die historische Authentizität im Hinblick auf die dargestellten Personen und Begebenheiten durch Aussagen und Berichte von Zeitzeugen gesichert. Entscheidend ist, dass Weiß eine hypnotische Behandlung schildert, die zur Heilung des Patienten „A.H.“ führte. Diese Beschreibung wurde von mehreren Autoren als tatsachengetreu und unwiderlegbar dargestellt. Der Ich-Erzähler im Roman, gemeint ist Forster, suggeriert Hitler im Trancezustand Folgendes: Zwar gebe es keine Wunder 281 Vgl. Horstmann, Bernhard: Hitler in Pasewalk. Die Hypnose und ihre Folgen, Düsseldorf 2004, S. 202. 282 Vgl. Weber, Thomas: Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg – Mythos und Wahrheit, Berlin 2011, S. 295. 283 Vgl. Weiß, Ernst: Ich, der Augenzeuge, München 1977.

3.3 Die ersten Denunziationen

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mehr, aber möglich es sei, dass „an ausgewählten Menschen“ dennoch oft Wunder geschehen würden, vor denen sich „die Natur“ beuge. Er, der Erzähler, sei nur ein einfacher Arzt, vielleicht habe sein Patient aber „die seltene, in allen tausend Jahren einmal vorkommende Kraft, ein Wunder zu tun“. Die Heilung könne er, der Patient, also nur selbst vornehmen. In der Schilderung von Weiß gelingt das dem Patienten; er öffnet seine Augen und kann wieder sehen. Am Ende der Behandlung vergisst der Arzt jedoch, Hitler aus dem Trancezustand aufzuwecken, so dass Hitler weiter in Hypnose verbleibt; soweit der Roman. Warum das Vorbild des Ich-Erzählers, also der durchaus kompetente Psychiater Edmund Forster, auf die Reorientierungsphase, also das Erwecken aus der Trance, verzichtet haben soll, bleibt im Roman unklar; zumal Forsters Standardbehandlung von Hysterikern aus Kaltwasserduschen, Elektroschocks und schmerzhaften Prostatamassagen bestand. Forster hypnotisierte nicht, sondern versuchte die Erziehung von Hysterikern zu frontverwendungsfähigen Soldaten. Ihm war daran gelegen, den Aufenthalt im Lazarett als möglichst unangenehmes Erlebnis zu gestalten.284 Seine menschenverachtende Art der Behandlung scheint insgesamt recht erfolgreich gewesen zu sein, so erfolgreich, dass Forster später davon ausging, dass derartige Patienten eigentlich einer suggestiven Behandlung überhaupt nicht bedürften, da sie früher oder später von allein gesunden würden.285 Einen Zusammenhang zwischen einer Hypnosebehandlung und einer späteren Karriere als Massenredner und Politiker zu konstruieren ist aus medizinischer Sicht unseriös und „undiskutabel“, wie der inzwischen verstorbene Professor an der Charité Hans-Joachim Neumann 2009 feststellte.286 Ein Blick in die Personalakte Edmund Forsters offenbart zudem, dass Forster Hitler nicht behandelt haben konnte. In der Akte befindet sich ein Stammrollenauszug Forsters, der belegt, dass dieser bis September 1918 im Lazarett Gent diente. Am 4. September 1918 kehrte Forster an 284 Vgl. Forster, Edmund: „Hysterische Reaktion und Simulation“, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 42, 1917, S. 298–324, 370–381, bes. S. 317. Forster wies in einer Erwiderung noch einmal darauf hin, dass es nicht notwendig sei, die Patienten mittels Suggestion zu behandeln: „Es ist meiner Meinung nach unbedingt erforderlich, diesen Zitterern zu sagen, dass sie nicht krank sind, sondern dass sie selbst sehr gut wissen, dass ihr Zittern nur eine schlechte Angewohnheit ist, von der sie sich die Befreiung vom Frontdienst erwarten.“ Zur Behandlung der Kriegszitterer (Bemerkungen zu R. Hirschfelds Aufsatz) Münchener Medizinische Wochenschrift 34, 1917, Feldärztliche Beilage, S. 1126. 285 Damit ging Forsters Auffassung konform, dass es sich bei Hysterie überhaupt nicht um eine Krankheit handle, sondern um einen „normalen Zustand“. Vgl. Armbruster, Forster, S. 159– 174. 286 Vgl. Neumann, Hans-Joachim und Henrik Eberle: War Hitler krank? Ein abschließender Befund, Bergisch Gladbach 2009, S. 46.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

die Universität Berlin zurück. Danach war er in einer Außenstelle der Charité, dem Reservelazarett Hoppegarten bei Berlin, eingesetzt.287 Hitler wurde erst am 14. Oktober 1918 verwundet und kam am 21. Oktober nach Pasewalk. Hoppegarten ist von Pasewalk rund 130 Kilometer entfernt, und in Forsters umfangreicher Greifswalder Personalakte fehlt jeder Hinweis auf solche Dienstreisen. Auch Webers Verweis auf den Neurologen Foerster, der Hitlers Akte im Truppenamt in Berlin eingesehen haben wollte, führt ins Leere. Die Akten des Lazaretts Pasewalk gelangten nach dessen Auflösung in das Heeresarchiv Potsdam, das im April 1945 bei einem Luftangriff zerstört wurde. Hitlers Krankenblatt befand sich jedoch ohnehin weder in Berlin noch in Potsdam, es wurde am 23. November 1918 an den Ersatztruppenteil in München abgegeben.288 Foerster konnte es also nicht eingesehen haben. Jan Armbruster stellte zudem fest, dass es sich bei der von Forster verbreiteten Geschichte vom „hysterischen Blinden“ um ein Gerücht handelte, das von akademischen Nervenärzten nur zu bereitwillig geglaubt wurde. Die Professoren erzählten sie in München, Heidelberg und anderswo. Amerikanische Psychohistoriker hätten die Geschichte „unreflektiert“ übernommen, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen. Insgesamt bewertete Armbruster sie als „spekulative Pathographie“ und sieht in ihr ein Musterbeispiel für die „Entwicklung eines Mythos“.289 Dem Blick in die Krankenbücher des Reservelazaretts Pasewalk hält die These vom hysterisch erblindeten Hitler ebenfalls nicht stand. Im Gegensatz zu den Akten wurden diese nicht ins Heeresarchiv, sondern in ein spezielles Krankenbucharchiv gebracht und lagern heute in Berlin. Sie belegen, dass es sich bei dem Lazarett in Pasewalk tatsächlich um ein Genesungsheim für Leichtverletzte handelte, die üblicherweise nach vier Wochen entlassen wurden. Es war also kein Spezialkrankenhaus für psychisch Kranke oder „Kriegszitterer“, wie oft behauptet wurde. Die Liste der Krankheiten im Oktober 1918 bestätigt das: Geschosswunde Oberschenkel, Grippe, Lues (Syphilis), großer Splitter Unterarm, Tripper, Ischias, Rheumatismus, erneut Grippe, Gasvergiftung, lungenkrank, Darmkatarrh, Magenkatarrh, abgeschossener Zeigefinger, Bartflechte und so weiter. Die Diagnose „Gasvergiftung“ ist im Kran287 Vgl. UAG PA 486 Forster, Bd. 1, Bl. 113. Die falsche Angabe 15. September 1918 ist einem Lesefehler des Autors geschuldet. Vgl. Eberle, Henrik: Hitlers Weltkriege. Wie der Gefreite zum Feldherren wurde, Hamburg 2014, S. 45. 288 Vgl. Krankenbucharchiv Berlin, Nr. 28103, Hauptkrankenbuch des Reservelazaretts Pasewalk, korrigierte S. 164. Die in München befindlichen Personalunterlagen sind bisher nur für Offiziere erschlossen, nicht jedoch für die Mannschaften. 289 Vgl. Armbruster, Jan: Die Behandlung Adolf Hitlers im Lazarett Pasewalk 1918: Historische Mythenbildung durch einseitige bzw. spekulative Pathographie, in: Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie 10 (4), 2009, S. 18–23.

3.4 Der Umbau der Universität durch erzwungene Entlassungen

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kenbuch seltener verzeichnet als Geschlechtskrankheiten, jedoch eine der häufigeren. Auch der Befund „nervenkrank“ findet sich im Krankenbuch, etwa bei dem Maurermeister Franz K. aus einer pfälzischen Kleinstadt.290 Hitler ist unter der Nummer 7361 verzeichnet, als Beruf war „Kunstmaler“, als Diagnose „gasvergiftet“ angegeben. Dort vermerkte der Schreiber auch den Abgang des „kriegsverwendungsfähigen“ Gefreiten zum Ersatzbataillon des 2. Bayerischen Infanterieregiments am 19. November 1918.291

3.4 Der Umbau der Universität durch erzwungene Entlassungen 3.4.1 Rechtsgrundlagen und Dimension

Während die Denunziationswellen durch die Universität rollten, fand gleichzeitig eine Säuberung auf Grund des Berufsbeamtengesetzes statt. Mit dem am 7. April 1933 erlassenen Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums verfügten staatliche Stellen über ein justizkonformes Mittel zur Exekution des in den Denunziationen zum Ausdruck gebrachten politischen Willens. Der Titel gab das Ziel des Gesetzes nur zum Teil wieder. Zwar sollten auch fachlich ungeeignete Beamte von den Säuberungen getroffen werden, im Wesentlichen war es jedoch ein Mittel zur Herstellung einer „Gesinnungsgemeinschaft“, wie der Verwaltungsjurist Arnold Köttgen unumwunden zugab. Der öffentliche Dienst sollte damit „gegnerfrei“ gemacht und politisch „gleichgeschaltet“ werden, wie Köttgen in einem kommentierenden Aufsatz 1938 rückblickend urteilte.292 Entfernt werden sollten alle Personen, die „nicht arischer Abstammung“ waren, also jüdische Vorfahren hatten (§ 3). Die zweite zu entlassende Gruppe betraf Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür boten, „jederzeit rückhaltlos“ für den „nationalen Staat“ einzutreten (§ 4). Schließlich konnten auch Beamte zur „Vereinfachung der Verwaltung“ ohne Angabe von Gründen in den Ruhestand versetzt werden. Diese Stellen waren nicht wieder zu besetzen (§ 6).293 Zwar wurde der § 6 benutzt, um missliebige Personen zu entlassen, die Stellen wurden jedoch anderen übertragen, etwa bei den Ordinariaten für Germanistik (Stammler) und Geographie (Braun). Dieses Vorgehen wurde im Preußischen Kultus290 Vgl. Krankenbucharchiv Berlin, Nr. 28103, Hauptkrankenbuch des Reservelazaretts Pasewalk, korrigierte S. 148. 291 Vgl. ebd., korrigierte S. 164. 292 Der Aufsatz erschien im Jahrbuch für Öffentliches Recht. Zit. nach: Vorholz, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 87. 293 Vgl. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, RGBl. I, S. 175.

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ministerium wie auch in zahlreichen anderen Institutionen für zweckmäßig erachtet. Einerseits existierte ein merklicher Druck der NSDAP, „verdiente Parteigenossen“ in neue Stellungen zu bringen, andererseits waren die § 3 und 4 des Berufsbeamtengesetzes nicht flexibel genug, um Personen – einfach so – für unerwünscht zu erklären.294 Um die Zuverlässigkeit der Universitätsmitarbeiter zu überprüfen, mussten diese Fragebögen beantworten, mit denen die Mitgliedschaft in politischen Parteien und Gruppierungen (auch früheren) und die Abstammungsverhältnisse erhoben wurden. Bei der Abstammung war die Konfession der Eltern und Großeltern einzutragen, wobei auch Konversionen oder Taufen angegeben werden mussten. Die Interpretation folgte der nationalsozialistischen Rassenlehre, so galt zum Beispiel ein im Kindesalter getaufter jüdischer Großvater als Jude. Dessen Enkel galt gemäß der ersten Durchführungsverordnung als „nicht arisch“ und war in den Ruhestand zu versetzen oder, im Fall von Nichtbeamten, zu entlassen. Am 6. Mai 1933 wurde eine sogenannte Schutzklausel für die Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs eingebaut, weitere Ausnahmen waren nicht zugelassen. Da es aber offenbar eine große Zahl von Personen gab, die als unverzichtbar galten, wurde in einer Ergänzungsverordnung am 28. September 1933 festgelegt, dass der Innenminister weitere Ausnahmen verfügen könne. Die Betroffenen waren damit auf den Gnadenweg angewiesen.295 Zu einer juristischen Aufweichung des Berufsbeamtengesetzes kam es in der Folge der Nürnberger Gesetze. Da den sogenannten Vierteljuden die Eigenschaft als Staatsbürger ausdrücklich zuerkannt wurde, waren sie de jure auch berechtigt, Beamte zu sein. Das Wissenschaftsministerium beließ daher zum Beispiel den Historiker Fritz Curschmann, den Philosophen Hans Pichler und den Juristen Paul Merkel in ihren Stellungen. Alle drei waren anfangs durch die Frontkämpferklausel geschützt, nach deren Aufhebung 1935 bildete das Reichsbürgergesetz einen Hinderungsgrund für die Entfernung. Da das Wissenschaftsministerium aber an der Auffassung festhielt, dass „Vierteljuden“ nicht als zuverlässig einzustufen seien, entzog es ihnen die Prüfungsberechtigung. 294 Der Gesetzentwurf ging seit Januar 1933 durch viele Hände und wurde immer wieder umformuliert, um Rechtssicherheit zu erreichen. Die NSDAP zog im April 1933 einen Schlussstrich unter die Debatte und setzte das Gesetz in der von ihr gewünschten Form durch. Die Möglichkeit von Arbeitsrechtsklagen wurde für unerheblich erachtet, Hitler forderte unmissverständlich ein justizförmiges Instrument zur Säuberung der Beamtenschaft. Vgl. Adam, Uwe Dietrich: Judenpolitik im Dritten Reich, Düsseldorf 2004, S. 44–49. 295 Vgl. Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 11. April 1933. Aufgrund des § 17 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, RGBl. I, S. 195; Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 6. Mai 1933, Bl. 247; Zweite Verordnung zur Änderung und Ergänzung der zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 11. April 1933, RGBl. I, S. 678.

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Den Nichtbeamten wurde nach 1937 die Lehrerlaubnis gemäß der Reichshabilitationsordnung aberkannt. Die Begründung folgte aus der Forderung, dass als Dozenten nur jene zugelassen werden könnten, die auch Beamte werden könnten (§ 8), was Juden, sogenannte Mischlinge und mit jüdischen Frauen verheiratete Männer ausschloss. Die Befugnis, ein Lehramt auszuüben, verloren daher 1935 auch die sogenannten „jüdisch versippten“ Professoren und Dozenten. Gemeint waren diejenigen, die mit einer jüdischen Ehefrau verheiratet waren. Ihre Versetzung in den Ruhestand erfolgte nach § 6, „Vereinfachung der Verwaltung“.296 Das Berufsbeamtengesetz und seine Nebenbestimmungen erstreckten sich nicht allein auf die Professoren selbst, sondern auch auf die Familien. So wurde die jüdische Witwe des ehemaligen Professors Jakob Weismann von der Stadtverwaltung so schikaniert, dass sie unter Aufgabe ihrer Witwenpension nach Dänemark floh.297 Für die Universität Greifswald wurde eine Besonderheit wichtig, die bereits in der ersten Durchführungsverordnung zum Berufsbeamtengesetz festgeschrieben war. Die Fragebögen waren nicht nach bestem Wissen und Gewissen auszufüllen, sondern die Beamten hatten ihre Abstammung durch Urkunden (Geburtsurkunden, Heiratsurkunden) nachzuweisen. Bei unklarer Abstammung war ein Gutachten durch einen vom Reichsinnenministerium bestellten Sachverständigen einzuholen.298 Gegen diese Verordnung verstießen mehrere Professoren, etwa der Philosoph Günther Jacoby, der Psychiater Walter Jacobi und der Germanist Wolfgang Stammler. Der Verstoß gegen die Regelung galt als Entlassungsgrund, weil die Angabe einer Unwahrheit als Dienstvergehen angesehen wurde und mit einem Dienststrafverfahren geahndet werden konnte. Nicht für alle hier genannten Personen ließen sich Lebensläufe und Entlassungsgründe genau rekonstruieren, was bereits seinen Niederschlag in der Forschungsliteratur gefunden hat. Maud Antonia Viehberg sprach daher allgemein von „Restriktionen“ gegen die betroffenen Hochschullehrer, zog den Kreis der Betroffenen in der ersten wissenschaftlichen und um Vollständigkeit bemühten Studie zum Thema aber sehr weit. So beruht die Angabe, dass der Chirurg Friedrich Pels Leusden wegen einer

296 Vgl. Reichshabilitationsordnung vom 13.12.1934, Bl. 1 f. 297 Vgl. UAG R 2259, Bd. 2, Bl. 5. Nach Darstellung in einer Akte des Kurators starb sie, bevor sie ihre Witwenpension verlor, eine Aussage zur Emigration enthält die Akte nicht. Benannt wurde vom Kurator jedoch die Witwe von Theodor Posner († 1929), in deren Fall die Witwenpension geprüft werden sollte. Posner war Direktor des Chemischen Instituts und konvertierte zum evangelischen Glauben. Weiteres konnte nicht ermittelt werden. Vgl. UAG K 840. 298 Vgl. Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 11. April 1933; aufgrund des § 17 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, RGBl. I, S. 195.

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jüdischen Großmutter vorzeitig emeritiert wurde, auf Angaben der Familie. 299 Zum Zeitpunkt seiner Emeritierung war Pels Leusden 68 Jahre alt. Die Studenten verabschiedeten den überaus beliebten Professor mit einem Fackelzug in den Ruhestand.300 Die Feststellung, dass er mütterlicherseits ein jüdisches Urgroßelternpaar hatte, das 1805 vom jüdischen zum evangelischen Glauben übergetreten war, traf ihn hart. „Der Rasse nach“ müsse daher seine Großmutter als „Semitin“ gelten, teilte er dem Kurator mit. Der Sachverhalt sei ihm aber nicht bekannt gewesen. Pels Leusden formulierte dann, dass er selbst „also kein deutscher Vollbürger“ mehr sei, was er aber zugleich energisch bestritt. Von jeher habe er eine Abneigung „gegen alles demokratisch-jüdische gehabt“ und „stets rechts gewählt“.301 Das musste glaubhaft erscheinen, vertrat er doch die DNVP in der Bürgerschaft und saß bis 1928 für die konservative Partei im Provinziallandtag.302 Pels Leusden reklamierte ausdrücklich als Verdienst für sich, dass er als vier Jahre amtierender Dekan und langjähriges Mitglied der Fakultät seinen Einfluss geltend gemacht habe, „dass nur der Abstammung nach in meinem Sinne einwandfreie und national denkende Männer auf den Vorschlagslisten zum Ordinariat kamen“. Als der Jude Friedberger berufen wurde, habe er im Felde gestanden, als dieser angegriffen wurde, habe er als Dekan „entlastende Aktenstücke unterschlagen und beiseite geschafft“.303 Pels Leusden wurde ein ehrenvoller Abschied gewährt. Maud Antonia Viehberg bezog auch den jüdischen Historiker Ernst Bernheim in ihre Aufstellung über „Restriktionen“ an der Universität ein, obwohl die Re­ striktion in diesem Fall lediglich darin bestand, dass der 88-Jährige ab 1933 an den Fakultätssitzungen nicht mehr teilnehmen durfte.304 Die Dekane der Philosophischen Fakultät erwirkten jedoch immer wieder Genehmigungen im Wissenschaftsministerium, um dem Hochbetagten Glückwunschschreiben zum Geburtstag senden zu dürfen. Sie unterstützten Bernheim auch bei seinem Gesuch um Zuteilung des Reichsbürgerrechts, das ihm 1938 gewährt wurde.305 Dekan Metzner gratulierte auch Fritz Curschmann zum 70. Geburtstag, der als sogenannter Vierteljude 1936 die Prüfungsberechtigung verloren hatte.306 Metzner versuchte, obwohl Nationalsozialist, in einer Welt, die jeden Anstand über Bord geworfen hatte, einen Rest akademischer 299 Vgl. Viehberg, Restriktionen, S. 279. 300 Für diesen Hinweis danke ich Sven Kinas. 301 Vgl. Anlagen zu 21, in: UAG PA 553 Pels Leusden, Bd. 2. 302 Vgl. UAG PA 553 Pels Leusden. 303 Vgl. Anlagen zu 21, in: UAG PA 553 Pels-Leusden, Bd. 2. 304 Vgl. Viehberg, Restriktionen, S. 278. 305 Vgl. UAG PA 10 Bernheim, Bd. 1, Bl. 18–28; Blechle, Irene: „Entdecker“ der Hochschulpädagogik. Die Universitätsreformer Ernst Bernheim (1850–1942) und Hans Schmidkunz (1863–1934), Aachen 2002, S. 334 f. 306 Vgl. Viehberg, Restriktionen, S. 281 ff.

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Würde zu wahren. Der Umgang mit diesen verdienstvollen Gelehrten war sicher unwürdig, die folgenden Abschnitte beschränken sich aber auf jene Personen, die ihre Anstellung verloren oder Karrierebrüche und Verdiensteinbußen hinnehmen mussten. Im Gegensatz zu anderen Universitäten, die durch politische Eingriffe der Nationalsozialisten einem „riesigen Aderlass“ unterzogen wurden, 307 änderte sich in Greifswald zunächst nur wenig. Die Universität meldete Ende 1933 an das Preußische Kultusministerium lediglich fünf Entlassungen auf Grund des Berufsbeamtengesetzes. Entlassen wurde der Altphilologe Konrat Ziegler aus politischen Gründen (§ 4). Wegen jüdischer Vorfahren verloren die Privatdozenten für Innere Medizin Heinrich Lauber und Paul von Gara ihre Assistentenstellen. Zur „Vereinfachung der Verwaltung“ also nach § 6 des Gesetzes wurden der Geograph Gustav Braun und der Jurist Fritz Klingmüller entpflichtet.308 Die Aufhebung der Schutzklausel für Frontkämpfer sorgte jedoch für weitere Entlassungen, etwa die des Juristen Josef Juncker. Mit der Maßgabe, dass auch sogenannte Vierteljuden oder Dozenten mit jüdischen Ehefrauen als unzuverlässig zu entlassen seien, gab es weitere Entfernungen, etwa des Arabisten Werner Caskel. Insgesamt waren es 18 Entlassungen bei 164 Lehrenden, was 11 Prozent des Bestandes von 1933 entsprach.309 In einer Gesamtschau aller Professoren, Dozenten und Lehrbeauftragten kam Viehberg zu dem Ergebnis, dass von „Restriktionen“ während der NS-Zeit von den insgesamt 351 Hochschullehrern, einschließlich der Lehrbeauftragten, 28 betroffen waren, also acht Prozent.310 Diese Statistik gibt einen Anhaltspunkt über die Größenordnung, in der die Universität Greifswald von „Restriktionen“ betroffen war. Andere Berechnungen kamen mit Bezug auf den Lehrkörper im Wintersemester 1932/33 auf einen Anteil von 9,7 Prozent oder 11 Prozent.311 Im Vergleich zu Universitäten wie Heidelberg, Frankfurt oder Köln, die ein Fünftel oder sogar ein Drittel ihres Kollegiums verloren, war das wenig.312 In Berlin, Frankfurt und Heidelberg waren es mehr als 25 Prozent, gerechnet auf dem Bestand aller Hochschullehrer im Wintersemester 1932/33 sogar mehr als ein Viertel.313 Greifswald rangiert in dieser zynischen Statistik im unteren Mittelfeld, gemeinsam mit Leipzig, Königsberg, Jena oder München.314 Das Berufsbeam307 Vgl. Grüttner, Michael und Sven Kinas: Die Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten 1933–1945, in: VfZ 1, 2007, S. 123. 308 Vgl. BA R 4901/14767. 309 Vgl. Grüttner und Kinas, Vertreibung, S. 140. 310 Vgl. Viehberg, Restriktionen, S. 274. 311 Vgl. Grüttner und Kinas: Vertreibung, S. 127 und 139. 312 Vgl.  Viehberg, Restriktionen, S. 274. 313 Vgl. Grüttner und Kinas, Vertreibung, S. 140. 314 Vgl. ebd., S. 126 f.

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tengesetz und die anderen Erlasse waren jedoch bewusst flexibel gehaltenes Willkürrecht, so dass ausgemustert werden konnte, wer sich für die neue Gesellschaft nicht eignete. Andererseits schützte das Staatsbürgerrecht Professoren wie den Philosophen Hans Pichler, der zwar seine Prüfungsberechtigung verlor, wegen seiner rhetorischen Fähigkeit als „mitreißender Redner“ und unwidersprochener fachlicher Qualitäten aber immer noch viele Hörer hatte. 315 Das Wissenschaftsministerium hätte Pichler entlassen können, verzichtete aber darauf, um ein breites Lehrangebot zu erhalten. Eine Quantifizierung der Entlassungen ist auch deshalb schwierig, weil die Verdrängung von Nationalsozialisten durch Nationalsozialisten nur schwer als „politischer Fall“ gedeutet werden kann. An anderer Stelle ist die Aktenlage unklar. Die retrospektive Interpretation versagt vor allem dann, wenn „Fälle“ mündlich verhandelt wurden oder Grenzbereiche politischen Handels gegeben waren – die oft auch in den Bereich des Wissenschaftlichen hineinreichten. So nahmen Zeitgenossen die Versetzung oder Entlassung der Professoren Proell und Stammler als falsch wahr oder betrachteten sie zumindest als unklar, aber nach den Vorgaben des Berufsbeamtengesetzes erscheinen sie stringent. Denn nur wer „rückhaltlos“ zuverlässig zum NS-Regime stand, war „würdig“, Studierende auszubilden und Forschung zu betreiben. Gegen statistische Erhebungen ist allerdings einzuwenden, dass bestimmte Fälle durchaus verschieden interpretiert werden können. Verlor der Schwedischlektor Stellan Arvidson seine Stelle, weil sein Wiedererscheinen im Deutschen Reich nicht erwünscht war, oder verzichtete er freiwillig, weil er als ausgewiesener Linker ohnehin seit 1932 einen neuen Wirkungskreis in der Heimat suchte und die Kündigung nur eine Formsache war? Für den Italienischlektor Alberto Bartolini gibt es noch keine Biographie. Nachdem Italien zum Feindstaat erklärt wurde, lehrte er nicht mehr an der Universität, und es musste eine Nachfolgerin gesucht werden.316 Die beiden Nationalsozialisten Wilhelm Christian Hauck und Albrecht Forstmann sind in Viehbergs Statistik nicht enthalten. Für Forstmann ist das methodisch vertretbar, weil er durch seine Einlieferung ins KZ formal nicht zum Status des Dozenten gelangte. Für ihn war eine Lehre unter Aufsicht geplant. Hauck wurde von der Fakultät als Denunziant verstoßen, in die Statistik hätte er jedoch hineingehört, obwohl ihm heute wohl niemand Sympathie entgegenzubringen vermag. Viehberg bezog auch die Fälle von Dozenten nicht mit ein, die ihrer eigenen Inkompetenz zum Opfer fielen, etwa den Chemiker Fritz Wrede. Auch der Geologe Hans Frebold war kein politisches Opfer, suchte und fand aber offenbar den Weg nach Dänemark. An seiner Stellung in Greifs315 Vgl. UAG PA 247 Pichler. 316 Vgl. UAG PA 1036 Fischer.

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wald hielt er fest, weil sie Voraussetzung dafür war, in Dänemark Anerkennung zu finden. An der von Viehberg ermittelten Dimension ändert die Kritik im Detail nichts, Greifswald bleibt in der Rückschau eine Universität, die über 90 Prozent ihres lehrenden Personals von der Weimarer Demokratie in die nationalsozialistische Diktatur überführte. Vom Berufsbeamtengesetz waren auch die Angestellten und Arbeiter der Universität betroffen. Mindestens neun von ihnen wurden entlassen.317 Ermittelt wurde jedoch gegen mindestens 30 Personen, die als Bezieher kommunistischer Zeitungen galten, sich an Demonstrationen beteiligt hatten oder einfach nur ihren Mitmenschen unangenehm aufgefallen waren. Als Denunzianten betätigten sich dabei besonders der Krankenpfleger Richard Ockain und der Kliniksekretär Walter Kropka, beide waren Mitglieder der Nationalsozialistischen Betriebszelle der Universität. Kropka, geboren 1900, gehörte zu den ältesten Nationalsozialisten in Greifswald. Er war 1926 in die NSDAP eingetreten und wurde 1928 Ortsgruppenführer, ein Jahr später wurde er in die Bürgerschaft gewählt. Kropka wurde 1933 zum Klinikinspektor befördert, 1934 legte er eine Verwaltungsprüfung ab. Kropka zeigte sich nicht nur in den ersten Jahren des Regimes als politischer Aktivist. Klinikdirektor Paul Hilpert beschrieb ihn als „kompromisslosen“ Fanatiker, Dekan Linck schätzte ihn als „ehrlichen“ und „aufrechten Mann“, was bei einer Beurteilung eines Nationalsozialisten durch einen Nationalsozialisten dasselbe bedeutete.318 1942 wurde Kropka nach Prag versetzt, wo er beim Aufstand im April 1945 getötet wurde.319 Der größte Teil der Denunziationen ging jedoch anonym ein, wurde von Kurator Sommer aber trotzdem bearbeitet. Entlassen wurde am 7. April 1933 zum Beispiel der Krankenpfleger in der Psychiatrischen und Nervenklinik Wilhelm Dinsel, geboren 1899 in Bubkevitz auf Rügen, verheiratet, zwei Kinder, ehemaliger Stadtverordneter der SPD. Dinsel hatte sich jedoch schon 1933 bei der NSDAP angemeldet, wurde sofort zum Amtswalter in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt ernannt und engagierte sich auch in der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation der Universität.320 1937 wurde er in die NSDAP aufgenommen und wieder als Pfleger beschäftigt.321 Anders als Dinsel, 317 Vgl. UAG K 943, Bl. 296 ff. 318 Vgl. Pfau, Arne: Die Entwicklung der Universitätsnervenklinik (UNK) Greifswald in den Jahren 1933 bis 1955, Husum 2008, S. 32. 319 Vgl. UAG PA 2061 Kropka; http://www.was-fuer-ein-leben.de/anschauen_einzeln. php?id=773&sec=e3a68a85, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 320 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. X Nr. 21 Bd. 7, Bl. 391. 321 Vgl. Mitgliedskarte Dinsel, Wilhelm, in: NSDAP-Ortskartei, BA ehem. BDC.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

der sich sofort dem neuen Regime zuwandte, wurde sein Kollege Rudolf Wallis im Juli 1933 entlassen und nicht wieder eingestellt. Wallis, SPD-Mitglied, hatte, wie die örtliche Polizei anlässlich der Überprüfung nach einer Denunziation amtlich feststellte, unsinnige Reden über die Reichswehr geführt und sich darüber hinaus abfällig über Hitler geäußert. Er habe mit der Hand eine Bewegung zum Kopf gemacht und gesagt: „Der ist nicht ganz einwandfrei.“322 Der Verwaltungssekretär Bernhard Topp hatte wohl eine eher diffuse politische Orientierung. Bei der Führung der Kassenbücher der medizinischen Kliniken machte er jedoch derartig viele Fehler, dass diese bei einer Überprüfung beanstandet wurden. Die Medizinische Fakultät forderte daher 1931 seine Entlassung, woraufhin sich Topp an die Greifswalder Zeitung wandte, wo er die schlechte Bezahlung und die vielen Überstunden in den Kliniken anprangerte. Da die SPD-nahe Zeitung zur Skandalisierung nicht bereit war, schrieb er einen offenen Brief an die kommunistische Zeitung Der Hungrige, in dem er seine Vorgesetzten beschuldigte, die Angestellten im „Kasernenhofston“ herumzukommandieren. Nach einigem Hin und Her wurde Topp schließlich in die Nervenklinik versetzt, wo er Lohnlisten bearbeitete.323 Den Angriff auf ihre Autorität hatten die Professoren nicht vergessen, weshalb sie seine Entlassung nach dem Berufsbeamtengesetz durchsetzten. Nach den Buchstaben des Gesetzes war das gerechtfertigt, weil Topp nach der Revolution von 1919 in eine Stellung gelangt war, die seinen Fähigkeiten offenbar nicht entsprach. Für den Materialienverwalter August Hinz, ehemals SPD-Mitglied, war die Karriere vorbei, als seine Aussage über die toten Nationalsozialisten des „Blutsonntags“ zu den Akten genommen wurde. Von diesen „Schweinen“, gemeint waren die Nationalsozialisten, seien „noch viel zu wenig draufgegangen“.324 Besonders hart traf es die Familie Knop. Der Ehefrau war 1932 als „Doppelverdienerin“ vom Hygienischen Institut gekündigt worden. Im August 1933 wurde ihr Mann entlassen, der als Krankenwärter in der Ohrenklinik arbeitete. Paul Knop war zwar Kriegsteilnehmer, hatte aber dem sozialdemokratischen Reichsbanner angehört. Hier spielte er nicht nur in der Kapelle, sondern war als Kassierer auch Mitglied des örtlichen Vorstandes gewesen. Klinikdirektor Alfred Linck stellte Knop ein gutes Zeugnis aus. Er würde es bedauern, wenn er ihn verlieren würde, meinte Linck, weil sich Knop als „sehr ruhiger, bescheidener und fleißiger Arbeiter“ gezeigt habe, der alle übertragenen Tätigkeiten zur „vollsten Zufriedenheit“ ausgeführt habe. Andererseits erkenne er aber „selbstverständlich“ an, dass die Forderung, „nationalsozialistische Kämpfer“ statt „marxistisch belasteter Funktionäre“ einzustellen, berechtigt sei. 322 Vgl. UAG K 943, Bl. 201. 323 Vgl. UAG K 937. 324 Vgl. UAG PA 2780 Hinz, Bd. 2, Bl. 87.

3.4 Der Umbau der Universität durch erzwungene Entlassungen

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Wenn sich die Möglichkeit biete, „einen geeigneten Wärter mit bewährter nationalsozialistischer Gesinnung“ zu bekommen, würde er Knop dafür „jederzeit mit Freuden“ austauschen.325 Ob Linck eine bewährte Kraft bekam, konnte nicht nachvollzogen werden. Der Direktor des Botanischen Instituts Ernst Matthes wollte jedoch den Handwerker Burmeister auf keinen Fall einbüßen, obwohl dieser ebenfalls dem Reichsbanner angehört hatte. Matthes behauptete, dass Burmeister innerlich schon 1927 dem „Marxismus den Rücken gekehrt“ habe, außerdem sei er Kriegsteilnehmer, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und bei der Frühjahrsoffensive 1918 verwundet worden.326 Auch der Geologe von Bubnoff setzte sich für seinen bewährten Mechaniker Bruno Vierk ein. Dieser sei zwar Betriebsrat gewesen, habe aber der SPD nicht angehört. „Vom Standpunkt der Gerechtigkeit muss ich aus angegebenen Gründen eine fristlose Entlassung des Vierk als nicht angebracht erachten“, schrieb von Bubnoff und verwies auf eine Rede Hitlers, in der dieser betont hatte, dass es nicht angängig sei, „erfahrene und eingearbeitete Spezialisten lediglich wegen der Nichtzugehörigkeit zur NSDAP“ abzusetzen.327 Beim Gartenarbeiter Alfred Schröder zeigte sich Institutsdirektor Paul Metzner indifferent. Weil er auf Auslandsreise gewesen sei, kenne er Schröder nicht gut genug für eine Beurteilung. Diese übernahm dann sein Assistent Siegfried Lange, der Schröder politischer Kontakte zu Kommunisten beschuldigte und dessen Leumundszeugen sogar vorwarf zu lügen. Da Lange ultimativ Schröders Entlassung forderte, wurde dem Ersuchen stattgegeben.328 Die Näherin der Nervenklinik Elise Kräplin gehörte möglicherweise der KPD, vermutlich aber dem KPD-nahen Fichtebund an, weshalb ihr ebenfalls gekündigt wurde.329 Die 54-jährige Nachtfrau Ida Burmeister (nicht näher verwandt mit dem Arbeiter Burmeister) kam um ihre Entlassung herum, obwohl ihre vier Söhne Kommunisten waren. Für sie sagte die Krankenschwester Christa von Borries gut, Mitglied der NSDAP seit 1932. Frau Burmeister sei „zu dumm, um politisch eine eigene Meinung zu haben, oder politisch irgendwie tätig zu sein“, laute die abfällige, aber nützliche Beurteilung. Ihre Söhne hätten sie sogar einmal misshandelt, weil sie nicht kommunistisch, sondern deutschnational habe wählen wollen. Das habe sie ihr einmal „unter

325 326 327 328 329

Vgl. UAG K 943, Bl. 307 f. Vgl. ebd., Bl. 69. Vgl. ebd., Bl. 144. Vgl. ebd., Bl. 73 und 140 ff. Vgl. ebd., Bl. 47 und 321 ff.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Tränen“ gestanden.330 Ausdrücklich denunziert wurde durch von Borries allerdings die Nachtfrau Juliane Wyroslaski. Sie habe Wyroslaski 1931 bei einer kommunistischen Demonstration mitlaufen sehen, außerdem habe sie in der Medizinischen Klinik Patienten mit erhobener Faust und dem Ruf „Heil Moskau!“ gegrüßt.331 3.4.2 Die 1933 entlassenen Hochschullehrer 3.4.2.1 Fritz Klingmüller

Die Beurlaubung des Juristen Fritz Klingmüller ordnete das Preußische Kultusministerium per Drahterlass im Mai 1933 an.332 Da Klingmüller zu den exponierten Demokraten gehörte, erscheint seine Einbeziehung in die Sanktionen des Berufsbeamtengesetzes nicht als Überraschung. Der 1871 in Schlesien geborene Klingmüller hatte nicht nur bei der Rheinlandfeier der Universität 1930 ausdrücklich Stellung für die Demokratie bezogen, sondern sich auch im Fall des Studenten Lubbe eindeutig platziert. Der Universitätskurator war wohl wegen der Frontkämpferklausel nicht aktiv geworden. Klingmüller hatte Rechtswissenschaft an den Universitäten in Breslau und Halle studiert und habilitierte sich 1901 an der Universität Breslau für Römisches und Bürgerliches Recht. 1907 folgte die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor, 1908 erhielt er einen besoldeten Lehrauftrag und wurde 1910 als außerplanmäßiger Professor verbeamtet. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete er sich freiwillig zum Landsturm und diente an der Ostfront, zuletzt als Hauptmann. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. 1916 nahm er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Bürgerliches und Römisches Recht an der Universität Greifswald an. Er konnte dem Ruf jedoch erst 1917 folgen, weil er erkrankt war. 1924 positionierte er sich bei den Auseinandersetzungen um die Person Vahlens und auch später war er stets bereit, sich öffentlich beim Reichsbanner, dem SPD-Wehrverband zu zeigen. Das Zaudern beim endgültigen Rauswurf erregte den Unwillen der NSDAP-Gauleitung, die sich deshalb an das Ministerium wandte. Klingmüller sei ein „fanatisch überzeugter Demokrat und Liberaler“ schrieb Gauleiter Wilhelm Karpenstein am 18. August 1933. Mehr noch, und jetzt sprach aus Karpenstein der Rechtsanwalt, Klingmüller glaube „an Geist und Idee des römischen Rechts“. Schon auf Grund seines Alters sei er nicht in der Lage, „die neue Zeit zu begreifen“. Den Angriff verband Karpenstein mit einem Hieb gegen Konrat Ziegler. In diesen beiden Professoren sehe die „gesamte Bevölkerung Greifswalds“ die 330 Vgl. ebd., Bl. 129. 331 Vgl. ebd., Bl. 118 und 319. 332 Vgl. UAG PA 409 Klingmüller, Bd. 2, Bl. 14; Vorholz, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 89.

3.4 Der Umbau der Universität durch erzwungene Entlassungen

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„Repräsentanten“ einer „schwarz-rot-goldenen Weltanschauung“. Sie würde es nicht verstehen, so der Gauleiter, „wenn sich der neue Staat dieser beiden Männer nicht entledigte“.333 Im September 1933 wurde Klingmüller wie gewünscht nach § 4 des Berufsbeamtengesetzes entlassen. Es erschien Klingmüller abwegig, dass er als „altgedienter Beamter und Soldat“ mit dem Makel der nationalen Unzuverlässigkeit behaftet wurde. Seine Differenz teile er mit „Millionen“, die sich zum „Nationalsozialismus als Weltanschauung“ nicht „bekennen“ könnten. Klingmüller befürwortete jedoch ausdrücklich die „nationale Revolution und Erneuerung“ wie die anderen auch. Sie seien deshalb „nicht weniger nationale Männer und nicht weniger nationale Kräfte für den Neubau des Reichs und der Nation“.334 Klingmüllers Hinweis auf den Gesetzestext hatte den Effekt, dass seine Pensionierung nach § 6 im Januar 1934 erfolgte, was eine Erhöhung der Ruhestandsbezüge bedeutete.335 Nach dem Tod Klingmüllers verfasste Ulrich von Lübtow einen würdigenden Nachruf auf den „Anhänger einer schöpferischen Jurisprudenz“, in dem er allerdings kein Wort über dessen Engagement und die vorfristige Entlassung verlor.336 3.4.2.2 Konrat Ziegler

Auch im Fall des engagierten Demokraten Konrat Ziegler bildete der Brief des Gauleiters Karpenstein den Anstoß zu dessen endgültiger Entlassung, beurlaubt wurde er vom Universitätskurator jedoch bereits am 2. Mai 1933. Der 1884 in Breslau Geborene hatte Klassische Philologie und Alte Geschichte studiert. 1905 promovierte er mit einer Dissertation zu den Gebetsformen der Griechen zum Dr. phil. (De precationum apud Graecos formis quaestiones). 1907 wurde er nach Vorlage einer Studie über Die Überlieferungsgeschichte der vergleichenden Lebensbeschreibungen Plutarchs in Breslau habilitiert. 1910 erhielt er dort eine außerordentliche Professur. Ab 1915 wurde er militärisch ausgebildet und im Frontdienst eingesetzt. 1917 folgte die Kommandierung als Dolmetscher zum Nachrichtenoffizier bei der 2. Bulgarischen Armee. Hier machte er die Kämpfe in Ostmazedonien mit und wurde mit dem Bulgarischen Militärverdienstorden VI. Klasse ausgezeichnet.337 Von März bis Oktober 1918 war er Presseattaché bei der deutschen Gesandtschaft in Sofia. 1920 erhielt er in Breslau eine persönliche ordentliche Professur. 1923 wurde er auf einen Lehrstuhl an die Universität Greifswald berufen. Als Rektor bemühte er sich 333 Zit. nach Vorholz, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 90. 334 Zit. nach ebd., S. 91. 335 Vgl. UAG PA 409 Klingmüller. 336 Vgl. Lübtow, Ulrich von: In Memoriam Fritz Klingmüller, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung, Bd. 60, S. 340–346. 337 Vgl. UAG PA 196 Ziegler, Bd. 4, Bl. 83-90.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

um die Beilegung des noch immer schwelenden Falles des 1924 entlassenen Theodor Vahlen. Da Vahlen jedoch für Zieglers Entlassung plädierte und darauf hinwies, dass sich Ziegler im Vorstand des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus engagiert hatte, wurde er am 2. Oktober 1933 auf Grund von § 4 Berufsbeamtengesetz entlassen. Da Ziegler in einem der Universität gehörenden Haus wohnte, verlor er auch seine Wohnung und zog nach Berlin um.338 Dort arbeitete er als Nachhilfelehrer, offenbar auch bei jüdischen Familien. Weil er einem jüdischen Bankier beim Transfer seines Privatvermögens geholfen hatte, wurde er 1938 wegen Beteiligung an Devisenvergehen verhaftet und 1939 zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Nach der Verbüßung der Strafe wurde ein Dienststrafverfahren gegen ihn geführt mit dem Ziel, ihm die Beamtenpension abzuerkennen. Die Kammer kam jedoch zu dem Schluss, dass Ziegler dem Staat zwar geschadet, ihm jedoch der „Wille“ dazu gefehlt habe. Schon das Strafurteil habe festgestellt, dass sich die Tat „nur durch eine starke Dosis Weltfremdheit, gepaart mit außergewöhnlicher Hilfsbereitschaft“ erklären lasse.339 In Berlin wurde Ziegler 1943 ausgebombt und siedelte nach Freiheit bei Osterrode im Harz über. Dort versteckte er einen flüchtigen ehemaligen Greifswalder Kollegen und rettete ihn so vor der Ermordung, wofür ihm die Gedenkstätte Yad Vashem postum den Titel eines „Gerechten unter den Völkern“ verlieh. Nach der Besetzung Osterrodes wurde Ziegler von den Briten zum Landrat ernannt. 1946 erteilte ihm die Universität Göttingen einen Lehrauftrag, sah von einer Berufung des jetzt 62-Jährigen auf ein Ordinariat aus Altersgründen allerdings ab.340 Rufe nach Greifswald und Leipzig lehnte Ziegler jedoch ab, zumal er 1946 der SPD beigetreten war, die es in der Sowjetischen Besatzungszone nach der Zwangsvereinigung mit der KPD nicht mehr gab. 1953 wurde Ziegler auf dem Wiedergutmachungsweg das Gehalt eines Emeritus zugesprochen. Erst 1966 erhielt der 82-Jährige die Rechte eines entpflichteten Hochschullehrers der Universität Göttingen.341 3.4.2.3 Julius Lippmann

Eine unmittelbare Folge des Berufsbeamtengesetzes war die Beurlaubung des Lehrbeauftragten für Verwaltungslehre Julius Lippmann. Der liberale Politiker war bis 1930 338 Vgl. UAG Phil. Fak. II 465; vgl. Viehberg, Restriktionen, in: Buchholz, Hochschullandschaft, S. 291. 339 Vgl. UAG PA 196 Ziegler, Bd. 1, Bl. 3. 340 Vgl. Szabó, Anikó: Vertreibung Vertreibung. Rückkehr. Wiedergutmachung. Göttinger Hochschullehrer im Schatten des Nationalsozialismus. Mit einer biographischen Dokumentation der entlassenen und verfolgten Hochschullehrer: Universität Göttingen - TH Braunschweig - TH Hannover - Tierärztliche Hochschule Hannover, Göttingen 2000, S. 114 ff. 341 Vgl. ebd.

3.4 Der Umbau der Universität durch erzwungene Entlassungen

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Oberpräsident der Provinz Pommern gewesen und förderte die Universität, weshalb er 1927 zum Ehrensenator ernannt wurde. Die Forderung, den 69-Jährigen seines Lehramts zu entheben, wurde im April 1933 erhoben.342 Lippmann war Sohn eines jüdischen Kantors und schwenkte nach dem Beginn des Studiums der Philologie auf Rechtswissenschaft um. Nach seiner Zulassung als Rechtsanwalt engagierte er sich in der liberalen Volkspartei und war Mitautor des Preußischen Wassergesetzes, einer hoch­umstrittenen Gesetzesvorlage. Wegen seiner Betätigung in der liberalen Deutschen Demokratischen Partei und seiner jüdischen Abkunft geriet er spätestens im April 1933 unter Druck. Am 2. Mai wurde er formal für die Dauer des Sommersemesters beurlaubt.343 Per Erlass des Kultusministeriums wurde er am 25. Juli 1933 auf eigenen Antrag vom Lehrauftrag entbunden. Lippmann entschloss sich zu diesem Schritt, nachdem ihm die Fragebögen zum Berufsbeamtengesetz zugegangen waren.344 Laut Wikipedia zog er nach Berlin um und wurde 1934 Opfer eines Autounfalls.345 3.4.2.4 Heinrich Lauber (Henry Lauber)

Für den 1932 habilitierten Arzt Heinrich Lauber war die Einbeziehung in das Berufsbeamtengesetz offenbar ein Schock. Sein Vater war Generaldirektor eines Energieunternehmens, seine Mutter jedoch nach nationalsozialistischer Definition Jüdin. Diese stammte aus einer assimilierten Familie, wie Lauber betonte: „Dem Bruder meines Großvaters ist vom König von Württemberg der persönliche Adel verliehen worden, was für die einwandfreie Gesinnung meiner Familie spricht.“ Er selbst sei im Elternhaus „streng christlich und national erzogen worden“ und habe auch „stets die daraus sich ergebende Einstellung gehabt“.346 Die Frontkämpferklausel konnte Lauber nicht für sich beanspruchen, weil er 1917 wegen eines Darmabszesses hatte operiert werden müssen und, obwohl eingezogen, nicht mehr an die Front gekommen war. Lauber studierte Medizin in Marburg, Göttingen und Freiburg. Zunächst neigte er der Psychiatrie zu, hielt dann aber die Biochemie des Menschen für das lohnendere Arbeitsfeld. 1925 promovierte er mit einer pharmakologischen Studie, 1925/26 arbeitete er als Assistent am Physiologischen Institut der Universität Basel, dann wechselte er zum Internisten Hermann Straub an die Universität Greifswald. Zunächst interessierte ihn die Beeinflussung des Herzrhythmus durch Medikamente, nach der Übernahme durch Katsch wurde er von diesem zu experimentellen Untersuchungen zur Beeinflussung des Diabetes hingelenkt. Im Juli 1932 habilitierte er sich mit einer 342 Vgl. Vorholz, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 92. 343 Vgl. UAG K Nr. 886, Bl. 170; 173. 344 Vgl. Vorholz, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 92. 345 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Lippmann, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 346 Vgl. UAG K 392, Bl. 98 f.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Studie über die Blutströmung im Herzen. Lauber suchte 1933 um eine Ausnahmegenehmigung von § 3 des Berufsbeamtengesetzes nach, die ihm nicht gewährt wurde. Am 30. Juni 1933 bat er um Beurlaubung für drei Monate und begründete das „mit den derzeitigen Umständen“.347 Da Verwandte seiner Mutter bereits in England Aufnahme gefunden hatten, emigrierte Lauber nach England. Nach der Absolvierung weiterer medizinischer Studien und Prüfungen erhielt er dort die Zulassung als Arzt.348 1935 wurde er am German Hospital in London angestellt und 1940 mit dem gesamten Personal auf der Isle of Man interniert. Lauber kam 1941 frei, konnte wieder als Arzt arbeiten und wurde 1946 eingebürgert. 1947 wurde er Chefarzt der Inneren Abteilung des Krankenhauses und baute nebenbei eine umfangreiche kardiologische Privatpraxis auf. Henry Lauber starb 1979 in London. 349 3.4.2.5 Paul von Gara (Paul. F. de Gara)

Der 1902 in Südtirol geborene Paul von Gara war zum Zeitpunkt seiner Entlassung nicht in Greifswald, befand sich aber auch nicht an der Universität Halle, wohin er 1932 zur Weiterbildung auf dem Gebiet der Kinderkrankheiten beurlaubt worden war. Von Gara, römisch-katholischer Konfession, aber jüdischer Abstammung im Sinne des Berufsbeamtengesetzes, hatte die Reifeprüfung an einem Gymnasium der Benediktiner in Meran abgelegt. Er studierte zunächst Maschinenbau in München, dann Medizin in München und Heidelberg. Das nach dem Staatsexamen folgende Praktische Jahr verbrachte er an der Universitätspoliklinik in Heidelberg. 1926 promovierte er an der Universität Heidelberg mit einer Studie über den Abbau der Harnsäure im menschlichen Körper (Experimentelle Studien zur Frage der Urikolyse und der Harnsäureausscheidung). Danach arbeitete von Gara an der Universitätsklinik Padua (Italien), wo er mit einer Arbeit über Technik und Erfolge mit dem doppelseitigen künstlichen Pneumothorax erneut promovierte und 1928 die italienische Approbation erhielt. Bereits im Juli 1927 hatte von Gara eine planmäßige Assistentenstelle am Hygienischen Institut der Universität Greifswald angetreten, 1929 erhielt er auch die deutsche Approbation. 1931 wurde er in Greifswald für Hygiene und Bakteriologie habilitiert. Seine Antrittsvorlesung hielt er 1931 über die „Verhütung von Krankheiten durch hygienische Maßnahmen“. In Greifswald forschte von Gara zu Typhusbakterien und zu bakteriziden Flüssigkeiten des Körpers. Von 347 Vgl. ebd., Bl. 75. 348 Vgl. Ewert, Günter und Ralf Ewert: Emigrant Heinrich Lauber, in: dies.: Emigranten der Medizinischen Universitätsklinik Greifswald in der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 2011, S. 90. 349 Vgl. UAG K 392; Lebenslauf, in: Med. Fak. I, Nr. 84; PA 1437 Lauber; detailliert: Ewert und Ewert, Lauber, S. 72–98.

3.4 Der Umbau der Universität durch erzwungene Entlassungen

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Garas jüdische Herkunft war im Hygienischen Institut offenbar bekannt, weshalb er bereits im April 1933 beurlaubt wurde. Den Fragebogen zur Abstammung füllte er nicht aus. Er wurde aber im Dezember 1933 auf Grund der Annahme einer jüdischen Abstammung nach § 3 des Berufsbeamtengesetzes entlassen. Noch im selben Jahr erhielt von Gara eine Assistentenstelle an der Universität Mailand. 1939 wanderte er in die USA aus und ließ sich in New York als Facharzt für Allergologie nieder. Sein bekanntester Patient war der US-Präsident John F. Kennedy.350 3.4.3 Durch die Aufhebung der Schutzklausel für Frontkämpfer erfolgte Entlassungen 3.4.3.1 Alfred Lublin

Die Karriere des Internisten Alfred Lublin war trotz seiner Frontkämpfereigenschaft von dessen Mentor Gerhardt Katsch nicht zu retten. Lublin wurde 1895 in Ostpreußen als Sohn eines Landgerichtsrats geboren und besuchte das Gymnasiums in Königsberg, wo er 1913 das Reifezeugnis erhielt. Das Medizinstudium begann er in Genf, meldete sich aber mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges freiwillig. Er wurde zunächst als Sanitätsunteroffizier, dann als Feldunterarzt an der Ostfront, in Lazaretten, auf dem Balkan und an der Westfront eingesetzt. Die ärztliche Vorprüfung hatte er während eines Fronturlaubs 1916 in Königsberg bestanden, nach der Entlassung 1918 setzte er das Studium in Halle fort und promovierte noch im selben Jahr mit einer Dissertation über den Einsatz von Medikamenten bei Unterleibsblutungen. Danach arbeitete er am Festungslazarett in Königsberg und publizierte seine erste eigenständige Studie über das „eigenartige Verhalten der Rektaltemperatur bei Oberschenkelamputierten“. Im Mai 1920 erhielt Lublin eine Assistentenstelle an der Universität Breslau und habilitierte sich 1925 mit Beiträgen zum Stoffwechsel der endogenen Fettsucht. 1929 wechselte er zu Katsch an die Medizinische Klinik Greifswald. Hier hielt er seine Antrittsvorlesung über neuere Gesichtspunkte in der Theorie der Zuckerkrankheit. 1932 zum außerordentlichen Professor ernannt, erhielt er im März 1933 die Oberarztstelle der Medizinischen Klinik. Der bisherige Oberarzt Paul Wichels wechselte auf eine Chefarztstelle an das hessische Landeskrankenhaus in Hanau. Trotz erheblicher Widerstände wurde Lublin mit der Oberarztstelle betraut, wobei Klinikdirektor Katsch energisch auf die Qualifikation Lublins und dessen Verdienste während des Ersten Weltkriegs hinwies.351 Die wissenschaftlichen Verdienste waren tatsächlich bedeutend. Als Lublin 1931 350 Vgl. UAG Med. Fak. I Nr. 79, PA 2489 (nur Personalbogen); Nachruf auf: http://www.nytimes.com/1991/08/07/obituaries/paul-f-de-gara-88-allergist-for-kennedy.html, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 351 Vgl. UAG K 392.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

zum außerordentlichen Professor ernannt wurde, betonte die Medizinische Fakultät nicht nur, dass er sich „in seiner Lehrtätigkeit ausgezeichnet bewährt“ habe, „beliebt“ bei den Studenten sei und wissenschaftlich „sehr produktiv“. Lublin hatte über dreißig größere Arbeiten veröffentlicht, darunter experimentelle Forschungen zur Urämie, zur hormonellen Beeinflussung von Diabetes, Fett- und Magersucht. Lublin hatte auch die ersten zweihundert Fälle des mit der Klinik verbundenen Diabetikerheims in Garz auf Rügen ausgewertet. Dabei entwickelte er anerkannte chemische Methoden zur quantitativen Bestimmung verschiedener Stoffe, unter anderem des giftigen Acetons in geringen Blutmengen.352 Lublins Mentor Katsch urteilte überaus positiv. Lublin sei „über sein Lehrfach und sein reifes Können“ hinaus ein Mann „von großer allgemeiner Kultur und weit verzweigter Wissensbildung“. Sein „unermüdlicher Fleiss, starker Ehrgeiz und seine außerordentliche geistige Lebendigkeit“ bürgten dafür, dass er als Forscher weiterhin „produktiv“ sein werde.353 Obwohl die Aufhebung der Frontkämpferklausel noch nicht abzusehen war, bereitete Lublin seinen Weggang aus Greifswald vor. Im Januar 1935 erhielt er von der Fakultät einen Abschiedsbrief, in dem die ehemaligen Kollegen betonten, dass er sich als Dozent und Oberarzt „vielfache wissenschaftliche, literarische und praktische Verdienste um die Medizinische Wissenschaft“ und um die ihm anvertrauten Kranken erworben habe. Diese Verdienste würden von der Fakultät „dankbar und unter vollster Würdigung anerkannt“.354 In Königsberg war Lublin dann wie andere jüdische Ärzte den Schikanen und Ausgrenzungen des nationalsozialistischen Regimes ausgesetzt. Als er 1938 einen Patienten in Kaunas (Litauen) behandelte, wurde ihm die Wiedereinreise ins Deutsche Reich verweigert. Auf diese Art zwangsweise ausgebürgert, emigrierte Lublin 1939 nach Bolivien. Von der in Königsberg lebenden Ehefrau ließ er sich 1939 scheiden und erklärte auch seine Tochter für unehelich, in der Hoffnung, dass sie von Restriktionen verschont bleiben möge. Die Professur an der Universität in Sucre war jedoch so schlecht bezahlt, dass er nach Ablegung des bolivianischen Staatsexamens als Arzt zu einer Minengesellschaft wechselte. Später ließ er sich in Sucre als Arzt nieder, wo er 1956 starb. 355 352 Vgl. Lublin, Alfred und Robert Kroner: Produktive Diabetikerfürsorge. Ein Bericht über Ziele und Erfahrungen des ersten deutschen Diabetikerheims in Garz auf Rügen, Leipzig 1932. 353 Vgl. UAG Med Fak. I Nr. 83, Bl. 9 f. 354 Vgl. ebd., Bl. 29. 355 Vgl. Ewert, Günter und Ralf Ewert: Alfred Lublin (4. Mai 1895 – 20. August 1956) hat wieder ein Gesicht, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern 2, 2009, S. 62–72; Ewert, Günter und Ralf Ewert: Emigrant Alfred Lublin, in: dies.: Emigranten der Medizinischen Universitätsklinik Greifswald in der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 2011, S. 41–60.

3.4 Der Umbau der Universität durch erzwungene Entlassungen

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3.4.3.2 Josef Juncker

Mit der Aufhebung der Schutzklausel für Frontkämpfer im Berufsbeamtengesetz wurde 1935 auch der beamtete ordentliche Professor für Römisches und Deutsches Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht Josef Juncker entlassen. Juncker wurde als Sohn eines jüdischen Kaufmanns und Grundbesitzers 1889 in Pitesti in Rumänien geboren. Den ersten Unterricht erhielt der Sohn von seiner deutschen Mutter im Elternhaus. Ab dem elften Lebensjahr besuchte er die deutsche Realschule der evangelischen Gemeinde in Bukarest und später die Oberrealschule in Halle (Saale). Nach dem Reifezeugnis setzte er das Studium der Alten Sprachen fort und legte 1913 eine Ergänzungsprüfung für das gymnasiale Abitur ab. Durch eine Typhuserkrankung verzögert, studierte Juncker ab 1908 Rechtswissenschaft in Berlin und Leipzig. 1910/11 leistete er Wehrdienst in der rumänischen Armee und wurde 1913 zum Kriegsdienst eingezogen, als Rumänien gegen Bulgarien Krieg führte. Nach Deutschland zurückgekehrt, konvertierte Juncker zur griechisch-orthodoxen Konfession. 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst im Leipziger Ulanenregiment, wo er 1915 zum Vizewachtmeister befördert und eingebürgert wurde. Ausgezeichnet wurde er mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse. Während eines Fronturlaubs legte Juncker in Leipzig die Erste Juristische Staatsprüfung ab. In der Schlacht an der Somme 1916 zeichnete sich Juncker aus und wurde verwundet. Nach dem Eintritt Rumäniens in den Krieg gegen die Mittelmächte legte Juncker seinen Geburtsnamen Josefovici ab. 1917 wurde er zum Reserveoffizier befördert, zur Dolmetscherschule nach Berlin kommandiert und dann als Dolmetscher eingesetzt. Nach der Entlassung aus dem Heeresdienst kehrte er an die Universität Leipzig zurück, kämpfte dann aber ab 1919 als Zeitfreiwilliger bei den Straßenkämpfen in Leipzig gegen die Spartakisten. 1921 promovierte Juncker mit einer Dissertation über die Collectio Berolinensis, eine Glosse aus dem Kirchenrecht, die um 1180 entstanden war. Nach dem Tod seines Doktorvaters Friedrich Stein356 übernahm er die Bearbeitung von dessen Grundriss des Zivilprozess- und Konkursrechts. 1926 habilitierte sich Juncker an der Universität Königsberg mit einer Schrift über Haftung und Prozessbegründung im altrömischen Rechtsgang. Noch im selben Jahr erhielt er einen Lehrauftrag für Bürgerliches Recht, Zwangsvollstreckung und Konkurs an der Universität Bonn, 1927 wurde seine Venia Legendi auf Römisches Recht, Deutsches Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht ausgeweitet. Die Universität Bonn schlug ihn 1931 an erster Stelle für den Lehrstuhl

356 Vgl. UAH 16217 Stein; Winninger, S.: Große Jüdische National-Biographie, Bd. 5, 1930, S. 606; Landau, Peter: Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Heinrichs, Helmut u. a.: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, S. 207 f.; Zeitschrift für deutschen Zivilprozess, Bd. 49 (1925), S. III–XII.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

vor, der gegen den Willen der Fakultät mit Karl Theodor Kipp besetzt wurde.357 1932 erhielt Juncker den Professorentitel und die Universität Greifswald berief ihn zum 1. Oktober 1932 zum beamteten ordentlichen Professor für Römisches, Deutsches Bürgerliches und Zivilprozessrecht. Die Stelle war ein persönliches Ordinariat, und da die Fakultät weder an der fachlichen Qualifikation noch an der persönlichen oder politischen Persönlichkeit Junckers etwas auszusetzen hatte, setzte sie sich im September 1934 ausdrücklich dafür ein, dass Juncker ein planmäßiges Ordinariat erhalten sollte.358 Das Wissenschaftsministerium reagierte überaus gereizt. Der Vorschlag der Fakultät, das freie Ordinariat Juncker zu übertragen, „der 100%iger Nichtarier“ sei, stelle „eine bewusste Missachtung der grundsätzlichen Einstellung des Staates zur Nichtarierfrage“ dar, die ja „insbesondere in den Beamtengesetzen zum Ausdruck“ komme. Allen an diesem Vorschlag Beteiligten spreche er daher seine „schärfste Missbilligung“ aus, ließ Minister Rust dem Kurator mitteilen. Einen Extrarüffel erhielt der stellvertretende Dekan Jahrreiß, dessen Stellung „mit sofortiger Wirkung zu widerrufen“ sei.359 Der Fakultät gelang es jedoch glaubhaft zu machen, dass ihr Vorschlag mit dem Ministerium abgestimmt worden war. Erich Molitor habe die jüdische Abstammung von Juncker gegenüber Ministerialrat Johann Achelis zur Sprache gebracht, Einwände seien nicht erhoben worden. Der entsprechende Dialog ist in den Akten festgehalten und zeigt die zynische Wurstigkeit, mit der Personalfragen behandelt wurden. Molitor: „Professor Juncker wird wohl nicht in Frage kommen.“ Achelis: „Warum nicht?“ Molitor darauf mit Geste: „krumme Nase andeutend“.360 Trotz des Votums für Junckers Person wurde er nach der Aufhebung der sogenannten Frontkämpferklausel im September 1935 vom Lehramt beurlaubt und ihm das Prüfungsrecht aberkannt. 1936 wurde er formell aus dem Staatsdienst entlassen und in den Ruhestand versetzt. Die Universität kritisierte das bei der Pensionierung anerkannte Dienstalter und setzte eine Neuberechnung durch, so dass Juncker nach der Neuberechnung monatlich 513,99 Mark erhielt, wovon er, weil er ledig und ohne Kinder war, seinen Lebensunterhalt problemlos bestreiten konnte.361 Im Hinblick auf sein Gehalt und die Stelle selbst zeugt das Eintreten der Juristischen Fakultät von einer nach 1933 nur selten gezeigten Solidarität. Die Diskriminierung Junckers schlich sich im Briefwechsel jedoch fortlaufend ein. Im Oktober 1934 stellte er den Antrag, auf einem Kongress zum 1400-jährigen Jubiläum des Codex Justinianus einen Vortrag halten zu dürfen, und bat daher um einen Urlaub 357 358 359 360 361

Vgl. UAG PA 448, Bd. 1, Juncker Vgl. UAG K 183, Bl. 196. Vgl. ebd., Bl. 198. Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 20 Bd. 9, Bl. 290 ff. Vgl. UAG PA 448, Juncker, Bd. 2.

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von zehn Tagen. Rektor Meisner leitete das Schreiben „befürwortend“ weiter und vermerkte noch „Persönlichkeit und Abstammung des Herrn J. sind dem Minister bekannt“. Kurator Kolbe leitete das Schreiben dann allerdings an den Minister mit der Bemerkung weiter, dass er den Antrag nicht befürworte, weil es seines Erachtens „bedenklich sein würde“, wenn das „nationalsozialistische Deutschland durch einen Nichtarier vertreten würde“. Zugleich gab er das Schreiben an den Vertrauensmann der Gauleitung Brüske weiter. Wie nach diesem Votum zu erwarten, lehnte das Ministerium die Reise ab.362 Nach der Versetzung in den Ruhestand gab es im Sommer 1938 Streit um die Frage, ob Juncker weiter an seinem undotierten Forschungsauftrag zu kanonischen Rechtsquellen arbeiten dürfe. Kurator Kolbe schilderte den Fall am 22. August 1938 dem Ministerium und formulierte, dass es seines Erachtens „nicht schädlich sein kann, wenn ein Jude in diesem Rahmen auch in Deutschland forscht“. Zudem sei Professor Juncker, „abgesehen von seiner Abstammung eine, wie aus den Akten hervorgeht, positiv zu bewertende Persönlichkeit“. Das Ministerium verbot Juncker am 1. September 1938 jedoch jede wissenschaftliche Tätigkeit, was auch die Benutzung von Bibliotheken und Archiven einschloss. Juncker erhielt die Mitteilung am 9. September 1938, er starb fünf Wochen später in Bonn, vermutlich durch eigene Hand. Sein Erbe fiel der Witwe seines Doktorvaters Stein zu, außerdem einer Frau in Bonn. 3.4.4 Die wegen jüdischer Ehefrauen entlassenen Dozenten

Mit der Aufhebung der Frontkämpferklausel war das Vorgehen gegen die Hochschullehrer mit jüdischen Ehefrauen verbunden. So wie den bis dahin geschützten jüdischen oder jüdischstämmigen Wissenschaftlern unterstellt wurde, dass sie sich für den „nationalen Staat“ nicht einsetzen könnten (!), wurde diese Vermutung auch auf die sogenannt arischen Männer übertragen, die jüdische Frauen geheiratet hatten. Die gedankliche Konstruktion fand ihren Anker in der Formel, dass sich Beamte „rückhaltlos“ für den Staat einzusetzen hätten, wobei aus der ursprünglichen Formulierung „national“ des Jahres 1933 inzwischen das Wort „nationalsozialistisch“ geworden war. An der Universität Greifswald betraf das den Zoologen Ernst Matthes und den Kunsthistoriker Clemens Sommer. 3.4.4.1 Ernst Matthes

Für den ordentlichen Professor Ernst Matthes sollte es sich als wichtig erweisen, dass die Abteilung des Preußischen Kultusministeriums, die Dozenten in andere Länder 362 Vgl. UAG PA 448, Juncker, Bd. 2.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

vermittelte, immer noch bestand. Matthes, der mit Theodor Vahlen jahrelang kollegial zusammengearbeitet hatte, genoss auch das Wohlwollen des Ministeriums, so dass er im September 1935 einen internationalen Zoologenkongress in Lissabon besuchen durfte. Zum Besichtigungsprogramm gehörten auch die Neubauten der Universität Coimbra und Matthes brachte seine Bewunderung über die gut ausgestatteten Institute unverhohlen zum Ausdruck. Dabei äußerte er die Hoffnung, dass die Portugiesen einen deutschen Wissenschaftler zum Direktor des Zoologischen Instituts berufen würden. Dies kam einem Mitglied der portugiesischen Regierung zu Ohren, und man sondierte in Berlin, ob eventuell Matthes selbst für die Leitung zur Verfügung stehe. Die Nachfrage wurde nach Greifswald weitergeleitet, und Matthes sagte im November 1935 zu, in Coimbra als Gastprofessor zu wirken. Matthes wurde für drei Jahre beurlaubt und trat seinen Dienst in Portugal an. 1937 wurde er nach § 6 des Berufsbeamtengesetzes in den Ruhestand versetzt. Da er sich aber auf Wunsch der Regierung im Ausland befand, wurde ihm erlaubt, einen erheblichen Teil dieser Bezüge zu transferieren.363 Matthes, 1889 in Westpreußen geboren, hatte zunächst Maschinenbau und dann Naturwissenschaften in Charlottenburg und Breslau studiert. 1912 promovierte er hier mit einer Dissertation zur Entwicklung des Kopfskeletts der karibischen Seekuh (Die regio ethmoidalis des Promorialkraniums von Manatus latirostris) zum Dr. phil. Im selben Jahr erhielt er eine planmäßige Assistentenstelle. Im August 1914 meldete sich Matthes als Kriegsfreiwilliger zum Feldartillerieregiment 21, das überwiegend im Stellungskrieg an der Westfront, aber auch kurzzeitig an der Isonzofront eingesetzt war. Matthes diente zunächst als Kanonier, rückte aber bis zum Leutnant auf, wobei er mehrmals verwundet und mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet wurde.3641920 habilitierte er sich in Breslau für das Fach Zoologie mit einer Studie über die Schutz- und Stützorgane der wirbellosen Tiere.365 1924 wurde Matthes zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. 1927 erhielt er einen Ruf auf das Ordinariat für Zoologie an der Universität Greifswald und wurde zum Direktor des Zoologischen Instituts und Museums ernannt. Matthes wirkte vor allem als Universitätslehrer. 1931 überarbeitete er den Leitfaden seines Mentors Willy Kükenthal für das zoologische Praktikum, der bis in die siebziger Jahre nachgedruckt werden sollte. Außerdem verfasste er Lehrmaterialien für Studenten und trieb mit seinem Kollegen Erich Leick die Integration der Biologischen Forschungsanstalt Hiddensee in das Beobachternetz für den Vogelzug voran, was indirekt eine Aufwertung der 363 Vgl. UAG PA 109 Matthes. Das Universitätsarchiv in Coimbra beantworte Anfragen nach einer Personalakte oder zur Person Matthes nicht. 364 Vgl. BA R 4901/13271 Karteikarte Matthes. 365 Vgl. Matthes, Ernst: Die Schutz- und Stützorgane der wirbellosen Tiere, Breslau 1923.

3.4 Der Umbau der Universität durch erzwungene Entlassungen

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Forschungsanstalt bedeutete. 1935 wurde Matthes zum Präsidenten der Deutschen zoologischen Gesellschaft gewählt. In Coimbra modernisierte er den biologischen Unterricht und gründete das Biologische Museum. Die Forschung bereicherte Matthes durch zahlreiche Beiträge zur Biologie der Seekühe (Sirenia).366 Als das Deutsche Reich 1945 die Zahlung der Bezüge einstellte, schrieb Matthes einen Beschwerdebrief nach Greifswald, der von der Universität ignoriert wurde. 1947 bot ihm Rudolf Seeliger die Rückkehr auf seinen Lehrstuhl an. Matthes scheint in Verhandlungen eingetreten zu sein, lehnte jedoch 1951 endgültig ab.367 3.4.4.2 Clemens Sommer

Auch der Kunsthistoriker Clemens Sommer verlor seine Position in Greifswald wegen seiner jüdischen Ehefrau. Sein Wechsel ins Ausland gestaltete sich jedoch wesentlich schwieriger, finanziell prekär und war von der Ungewissheit begleitet, überhaupt eine Anstellung zu finden. Sommer wurde 1891 als Sohn eines Generals geboren. Er studierte ab 1911 Naturwissenschaften, Jura, Geschichte und Kunstgeschichte an den Universitäten Freiburg, München, Würzburg und wieder Freiburg. 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, wurde jedoch wegen einer Erkrankung nicht eingesetzt. Nach der Genesung begann er eine Ausbildung zum Offizier, erkrankte jedoch erneut. Ab 1917 war er als Vizefeldwebel bei der militärischen Postüberwachung tätig. 1919 promovierte er mit einer Dissertation über einen mittelalterlichen Bilderstreit zum Dr. phil. (Die Anklage der Idolatrie gegen Papst Bonifaz VIII. und seine Porträtstatuen). Danach trat er eine Hilfsarbeiterstelle an der Bibliotheca Hertziana in Rom an. Dort setzte er seine Studien zur römischen Baugeschichte unter Bonifaz VIII. fort. Ab 1922 hatte er eine Assistentenstelle am Augustinermuseum in Freiburg inne. 1925 veröffentlichte er eine Studie zu den Madonnenfiguren am Oberrhein. Unterstützt durch Stipendien der Notgemeinschaft reiste er zu den Werken des bedeutenden spätmittelalterlichen Bildhauers Nikolaus Gerhaert van Leyden und habilitierte sich 1932 an der Universität Greifswald. 1933 erklärte er seinen Beitritt zur NSDAP und wandte sich der nordischen Volkskunst zu. Für diese Studien erhielt er 1933 und 1934 Reisebeihilfen und publizierte über die Wandbehänge in Småland. 1934 wurde ihm ein dotierter Lehrauftrag für Nordische Kunstgeschichte erteilt. Ab August 1934 nahm Sommer seine militärische Karriere wieder auf und meldete sich als Ergänzungsführer beim Greifswalder Infanteriebataillon.368 1935/36 vertrat er nach Wegberufung Schmitts den vakanten Lehrstuhl. Die genaue Überprüfung der Fami366 Vgl. http://www.sirenian.org/biblio/browse/?nav=Matthes%2C%20Ernst, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 367 Vgl. UAG PA 109 Matthes. 368 Vgl. BA R 4901/13277 Karteikarte Sommer, Clemens.

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lienverhältnisse der Privatdozenten ergab die jüdische Abstammung von Sommers Ehefrau. In einem Verfahren vor dem Parteigericht wurde deshalb die Mitgliedschaft Sommers für ungültig erkannt. Ob Sommer bekannt war, dass sie jüdischer Abstammung war, ist nicht mehr nachvollziehbar. Die NSDAP-Kreisleitung betrachtete die falsche Angabe im Fragebogen jedoch als „Täuschungsmanöver“, wie Gaustudentenführer Günter Falk der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Juli 1937 mitteilte. Falk war wegen Sommers Bitte um eine Reisebeihilfe befragt worden, und er lehnte einen Aufenthalt Sommers „im verjudeten Wien“ rundheraus ab. Sommer hatte das Geld beantragt, um das Grabmal Kaiser Friedrichs III. gründlich untersuchen zu können. Auch das Wirken von dessen Schöpfer Nikolaus von Leyden am Hof des Kaisers wollte er genauer rekonstruieren. Der Antrag wurde von der DFG ohne Begründung abgelehnt. Einen Druckkostenzuschuss für Sommers fertiggestelltes Buch über Nikolaus von Leyden verhinderte dann Ministerialrat Hermann-Walther Frey vom Wissenschaftsministerium.369 Offenbar ohne zusätzliche finanzielle Mittel trat Sommer jetzt mit seiner Frau eine offiziell so genannte Vortragsreise nach Schweden an. Das Ehepaar kehrte nicht zurück und mit Wirkung zum 1. Januar 1938 wurde Sommer die Lehrbefugnis auf Grund § 18 Reichshabilitationsordnung entzogen. Der vom Ministerium bemühte Paragraph signalisiert, dass nicht die Universität die Initiative ergriffen hatte, sondern das Ministerium, das die Würde des Dr. habil. stellvertretend „im Interesse der Universität“ entzog.370 Dem Ehepaar gelang die Emigration in die USA. 1939 trat Sommer eine Stelle als Gastprofessor an der University of North Carolina in Chapel Hill an, 1940 wurde er Associate Professor und nach der Naturalisierung 1947 zum Full Professor ernannt. 1947 stellte ihm der Staat North Carolina eine Million Dollar zum Aufbau eines Kunstmuseums zur Verfügung. Sommer starb 1962 bei einem Autounfall.371 3.4.5 Wegen Verstoßes gegen das Berufsbeamtengesetz Entlassene

Den Hochschullehrern wurde 1933 mit der Aushändigung der Fragebögen auch die erste Ausführungsverordnung zum Berufsbeamtengesetz bekannt gegeben.372 Das 369 Vgl. BA R 73/16880. 370 Vgl. UAG PA 140 Sommer; Reichshabilitationsordnung § 18, a. a. O. 371 Vgl. Wendland, Ulrike: Biographisches Lexikon deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler, München 1999, S. 649 f. 372 Vgl. Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 11. April 1933; aufgrund des § 17 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, RGBl. I, S. 195.

3.4 Der Umbau der Universität durch erzwungene Entlassungen

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Nichtausfüllen oder Falschausfüllen bedeutete einen bewussten Verstoß gegen das Gesetz, der geahndet werden konnte. Im Fall einer angenommenen vorsätzlichen Täuschung wurde ein Dienststrafverfahren eröffnet, so bei dem Psychiater Walter Jacobi. Der Philosoph Günther Jacoby war ebenfalls betroffen, hatte das Ministerium jedoch nicht vorsätzlich getäuscht. 3.4.5.1 Walter Jacobi

Nach der Selbsttötung Edmund Forsters wurde dessen Stelle am 19. September 1933 zunächst vertretungsweise mit Gottfried Ewald besetzt, dem Oberarzt der Universitätsnervenklinik Erlangen.373 Die Fakultät nominierte ihn auf der Berufungsliste auf Platz 1, gleichberechtigt mit dem Münchner Oberarzt Kurt Beringer für den Lehrstuhl. Auf Platz 2 setzte sie den Chefarzt der Städtischen Psychiatrie in Magdeburg Walter Jacobi.374 Da Ewald bereits 1934 einen Ruf nach Göttingen erhielt und annahm,375 wurde Jacobi ohne neue Liste zunächst vertretungsweise zum Klinikdirektor in Greifswald bestellt.376 Jacobi hatte in Jena Medizin studiert, 1915 promovierte er bei einem Frontaufenthalt mit einer Dissertation über das „Zwangsmäßige“ im dichterischen Schaffen Goethes an der Universität Jena.377 1918 trat er eine planmäßige Assistentenstelle an der Jenaer Universitätsnervenklinik an und habilitierte sich 1922. Bereits zwei Jahre vorher hatte er eine Studie vorgelegt, in der er die Propheten des Alten Testamtes im Hinblick auf Ekstase, Hysterie und ähnliche Zustände „göttlichen Wahnsinns“ untersucht hatte. Abfällig war das nicht gemeint, im Gegenteil. Denn Jesus wurzle mit seinen Anschauungen tief in der Ideenwelt dieser Propheten, und er müsse als „Vollender“ der Prophetie gelten. Auch sprachlich zeigte sich Jacobi begeistert von diesem „Höhepunkt israelitischer Kultur“, von der „überwältigenden Wucht der Sprache“ und der „Fülle der poetischen Bilder“. Am Ende interpretierte er die Propheten als „Genies“ bzw. „Künstler“ die „auf Grund inneren dichterischen Schauens“ in diese „höchste und edelste Form prophetischer Ekstase“ gefallen seien.378 Jacobi publizierte außerdem mehrere Schriften in der Reihe Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens, unter anderem 1929 über Psychiatrie und Weltanschauung.379 373 Vgl. UAG PA 2486 Ewald. 374 Vgl. UAG Med. Fak. II Nr. 40, S. 276 ff. 375 Vgl. UAG PA 2486 Ewald. 376 Vgl. UAG PA 623 Jacobi. 377 Vgl. Jacobi, Walter: Das Zwangsmäßige im dichterischen Schaffen Goethes (psychiatrisch-klinische Studie), Diss. med., Jena 1915. 378 Vgl. Jacobi, Walter: Die Extase der Alttestamentlichen Propheten, München und Wiesbaden 1920, S. 1 f., 61 f. 379 Vgl. UAG PA 623 Jacobi.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

1924 wurde er zum außerordentlichen Professor für Psychiatrie und Neurologie ernannt. 1926 folgte die Berufung zum Vorstand der Thüringer Landesheilanstalten in Stadtroda. 1931 wechselte er als Klinikdirektor an die Neurologische Klinik in Magdeburg. Seit 1933 amtierte er als „Führer der medizinischen Gesellschaft deutscher Nervenärzte“.380 Die Fakultät hob bei ihrer Nominierung besonders hervor, dass Jacobi „besonders vielseitig und produktiv“ sei, und lobte seine neurologischen Arbeiten zur Encephalographie, Arteriographie und zu der Reliefdarstellung der Hirnrinde, die Jacobi freilich alle gemeinsam mit anderen Forschern verfasst hatte.381 Die Information, dass seine Ehefrau jüdischer Abstammung war, traf Jacobi anscheinend unvorbereitet. Das Ministerium hatte jedoch festgestellt, dass es Jacobi zweimal trotz Aufforderung versäumt hatte, den Fragebogen zur Abstammung seiner Frau korrekt auszufüllen. Daher werde man gegen ihn ein Dienststrafverfahren mit dem Ziel seiner Amtsenthebung einleiten. Gegen das am 10. April 1935 beim Kuratorium eingegangene Schreiben setzte sich Jacobi zur Wehr. Seine Frau sei eine geborene Baedeker und gelte als untadelig, schrieb er am 13. April. Er bestreite auf das „energischste“, Fragebögen unterschlagen zu haben. Seine Frau habe die Vorfahren stets als evangelisch angegeben.382 Er sei aus Überzeugung im März 1933 in die SS eingetreten (Mitglied Nr. 70.077), ebenso in die NSDAP. Die Politik der NSDAP hatte Jacobi als „Führer“ der Medizinischen Gesellschaft in Magdeburg seit 1933 und als „Führer der Medizinischen Gesellschaft deutscher Nervenärzte“ offensiv vertreten.383 Bei den Ermittlungen zum Dienststrafverfahren stellte sich dann jedoch heraus, dass Jacobi stets die Vorfahren seiner ersten Ehefrau in die Fragebögen eingetragen hatte, nicht jedoch die seiner zweiten Frau Clara Baedeker. Jacobi wurde daher beurlaubt. Der Ermittlungsführer im Dienststrafverfahren stellte am 7. September 1935 fest, dass sich Jacobi „von dem Vorwurf leichtfertiger und grob fahrlässiger Abgabe einer pflichtgemäßen Versicherung“ nicht werde „befreien können“. Jacobi reichte daher im Oktober 1935 eine Scheidungsklage ein, weil er seine Frau nicht geheiratet hätte, wenn er von ihren jüdischen Großeltern gewusst hätte (nach BGB § 1333, Irrtum über die persönlichen Eigenschaften des Ehegatten). Parallel dazu gingen Denunziationen von Jacobis Stellvertreter Paul Hilpert und von Max de Crinis, einem hochrangigen Ärztefunktionär der NSDAP, und von einem Kieler Professor in Stettin ein, die Jacobi beschuldigten, 1919 SPD-Mitglied gewesen zu sein.384 Das Urteil fiel im März 1936 dann mit einem Ver380 381 382 383 384

Vgl. R 4901/13267 Karteikarte Jacobi, Walter. Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 21 Bd. 13, Bl. 249. Vgl. UAG PA 623 Jacobi; Viehberg, Restriktionen, S. 301 f. Vgl. ebd. sowie BA R 4901/13267 Karteikarte Jacobi, Walter. Vgl. BA R 4901/15765, Bl. 49–68.

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weis vergleichsweise mild aus. Die Scheidung wurde im Juli 1936 rechtskräftig, und Jacobi wollte seinen Dienst zum 1. Januar 1937 wieder antreten.385 Die Fakultät zeigte sich mit dem Lehrstuhlvertreter Paul Hilpert, vorher Oberarzt an der Universitätsnervenklinik Jena, jedoch sehr zufrieden und bat darum, Jacobi an eine andere Universität zu versetzen. Da Hilpert aber zum 1. April 1937 einem Ruf nach Halle folgte, wurde Jacobis Beurlaubung aufgehoben. Am 6. Februar 1937 stellte Jacobi allerdings den Antrag, seine Exfrau wieder heiraten zu dürfen. Er bereue die Scheidung und könne sich des Gefühls nicht erwehren, dass er „durch die Vollzogene Trennung Verrat“ an seiner Familie geübt habe. Er habe mit seiner Frau „sechzehn Jahre lang zusammen gelebt, gearbeitet und gekämpft“, und auch jetzt könne er an seiner Frau und seinen Kindern „keinerlei undeutsche Züge erkennen“. Nach wochenlangem Hin und Her, Briefwechseln mit Parteistellen und dem Ministerium brachte Kurator Kolbe Jacobi dazu, eine Erklärung zu unterschreiben, dass er mit der sofortigen Pensionierung einverstanden sei, wenn er seine Frau wieder heiraten dürfe. Das war im Mai, am 20. Juli 1937 kündigte Jacobi dann an, in naher Zukunft wieder zu heiraten, und zwar eine Volontärärztin der Greifswalder Nervenklinik. Den Antrag auf Wiederverheiratung zog Jacobi wenige Tage später zurück und teilte das dem Kurator mit. Die rasche Heirat mit der Volontärärztin sorgte an der Klinik für Unruhe, und es wurden schmutzige Gerüchte verbreitet. Rektor Reschke schien es daher fraglich, dass Jacobi beim Klinikpersonal jemals wieder eine geachtete Stellung einnehmen könne, und bat um Jacobis Pensionierung, die das Ministerium am 13. September aussprach. Die Pensionierung erfolgte nach § 6 des Berufsbeamtengesetzes und ohne Mitteilung der Gründe. Jacobi hatte vor, eine Privatpraxis zu eröffnen, tötete sich jedoch im Juni 1938 selbst.386 3.4.5.2 Günther Jacoby

1937 wurde der Philosoph Günther Jacoby in den Ruhestand versetzt, weil er im Personalfragebogen einen jüdischen Großvater nicht angegeben hatte. Als sogenannter Vierteljude wäre er nach dem Berufsbeamtengesetz nicht entlassen worden, unrichtige Angaben wurden jedoch unnachsichtig geahndet. Um ein Disziplinarverfahren kam Jacoby jedoch herum, weil er suggerierte, dass der inkriminierte Großvater Sohn eines ehelichen Fehlverhaltens der Mutter gewesen sei. Denn das Kind war nach dem Tod der Mutter bei der Flucht vor den napoleonischen Truppen 1806 in ein Waisenhaus gegeben und dann von einer christlichen Familie aufgezogen worden. Jacoby folgerte daraus, dass der jüdische Urgroßvater ihn offenbar nicht als eigenen Sohn anerkannt, sondern im Säuglingsalter weggegeben habe. In seiner ersten Rechtferti385 Vgl. BA R 4901/15765, Bl. 85–91. 386 Vgl. Viehberg, Restriktionen, S. 302 f.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

gungsschrift strich Jacoby dann die Verdienste seiner Vorfahren heraus, die in der ostpreußischen Landeskirche hohe und höchste Ämter bekleidet hatten. Der Großvater war Führer der ostpreußischen Konservativen, sein Vater war Universitätsprofessor und Konsistorialrat. 387 Jacoby selbst, geboren 1891, hatte nach der Reifeprüfung und dem Einjährig-freiwilligen-Militärdienst Theologie und Philosophie in seiner Heimatstadt Königsberg und Tübingen studiert. 1903 promovierte er mit einer Arbeit über die Komposition des Buches Jeremias zum Lic. theol. 1904 legte er die Prüfung für den höheren Schuldienst an Gymnasien ab und war an Schulen in Allenstein und Lyck tätig. Danach setzte er seine Studien in Berlin fort, konzentrierte sich jedoch auf Philosophie und Psychologie. 1906 promovierte Jacoby an der Universität Berlin mit einer Dissertation über Herders und Kants Ästhetik zum Dr. phil. 1906/07 war er Gastlehrer in Vanves bei Paris und studierte zugleich am Institut de France, 1907/08 war er Gastlehrer in Glasgow und setzte seine Studien dort fort. 1909 wurde er an der Universität Greifswald für Reine Philosophie habilitiert, nachdem er noch ein Manuskript über die Philosophie Herders eingereicht hatte. Seine Antrittsvorlesung hielt er über den „Pragmatismus“ in der Wissenschaftslehre des Auslands. Danach war er, finanziert durch das Preußische Kultusministerium, Research Fellow an der Harvard University und ab 1911 Gastprofessor für Philosophie und deutsche Literaturgeschichte an der State University von Illinois, danach bis 1913 in Tokio und Kyoto. Ab Oktober 1914 leistete er Kriegsdienst an der Westfront und wurde verwundet. Seitdem war Jacoby schwerhörig, aber weiterhin in der Lage, Vorlesungen zu halten. Das Preußische Kultusministerium sorgte 1915 für seine Berufung an die Universität Istanbul, die er im November 1918 verlassen musste. Im Januar 1919 trat er als Kompanieführer in das Freikorps Karl von Plehwes ein und warb in Pommern Freiwillige. Das Freikorps nahm an den Kämpfen der Weißrussischen Befreiungsarmee in Lettland teil. Für sich strebte er einen Lehrstuhl für Internationale Philosophie an, der möglichst an der Universität Kiel angesiedelt sein sollte, wie er Carl Heinrich Becker von der Front in Kurland schrieb, dem für Geisteswissenschaften zuständigen Unterstaatssekretär im Kultusministerium. Die Universität Kiel lehnte ab, so dass Becker für die Zuweisung als außerordentlicher Professor an der Universität Greifswald sorgte. Die Philosophische Fakultät war mit der Etablierung Jacobys in Greifswald nicht einverstanden, weil kein Bedarf bestehe. Außerdem bemängelte der Dekan Jacobys „Streben nach Allgemeinverständlichkeit“ und seinen an der „Tagesliteratur“ orientierten Stil. Maßgeblich dürfte aber auch gewesen sein, dass Jacoby den amerikanischen Pragmatismus als Denksystem nicht rundheraus ablehnte und sich abfällig über die Weltanschauungsphilosophie geäußert hatte, wie Christan Tilitzki 387 Vgl. UAG PA 1255 Jacoby, Bd. 2, Bl. 13 f.

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herausfand.388 1921 erhielt Jacoby ein Extraordinariat, 1928 folgte die Beförderung zum außerordentlichen Professor.389 Durch die Versetzung in den Ruhestand geriet Jacoby in finanzielle Schwierigkeiten, so dass auch sein Hauptwerk, die erkenntnistheoretische Schrift Allgemeine Ontologie der Wirklichkeit zunächst ungedruckt blieb. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft hatte er einen Druckkostenzuschuss von ursprünglich 1000 Mark erbeten, was die DFG wegen begrenzter Mittel „in diesem Rechnungsjahr“ ablehnte. Jacoby wandte sich daraufhin an die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Universität und bekam von ihr einen Kredit in Höhe von 500 Mark bewilligt. Daraufhin wandte er sich erneut an die DFG und versicherte, dass durch Kürzungen nur noch 750 Mark Druckkosten entstehen würden. Er bat mithin um 250 Mark. Der Vertrauensmann der DFG an der Universität, der Physiker Friedrich Krüger, befürwortete den Antrag ausdrücklich, weil der Text „sehr günstig beurteilt“ werde. Der DFGSachbearbeiter Karl Griewank, ein dem Nationalsozialismus fernstehender Historiker, bat daraufhin den eindeutig nationalsozialistisch eingestellten Philosophen Max Wundt von der Universität Tübingen um ein Gutachten zum Manuskript. Wundt antwortete außerordentlich positiv. Das, was Jacoby über die Notwendigkeit der Erneuerung der Ontologie sage, könne er nur bestätigen. Dessen Forschungen gebühre ein „ehrenvoller Platz“, weil sein in langjähriger Arbeit geschaffenes Werk „mit großer Sorgfalt“ auch Einzelprobleme behandle und einen „selbstständigen“ Standpunkt einnehme. Er befürworte das Gesuch daher „auf das Wärmste“. Trotz der Fürsprache Wundts erteilte die DFG eine Ablehnung. „Unter den eingetretenen Umständen“, schrieb Griewank am 5. September 1939, sehe sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft „leider“ nicht in der Lage, dem Antrag auf Gewährung eines Druckkostenzuschusses zu entsprechen.390 Ob Griewank damit den Beginn des Zweiten Weltkriegs meinte oder die Stigmatisierung als „Vierteljude“ muss dahingestellt bleiben. Das Buch erschien 1955 in der DDR. Um seine Anstellung an der Universität zurückzuerhalten, verfasste Jacoby zahlreiche Bittbriefe und mobilisierte eine große Zahl von Unterstützern für seine Person. Zu ihnen gehörten Generalmajor Hans von Salmuth, unter dem Jacoby gedient hatte, und der einflussreiche Theologe Erich Seeberg, mit dem er befreundet war und der sich im Wissenschaftsministerium für ihn eingesetzt hatte. Seeberg empfahl ihm, ein Gnadengesuch an die Kanzlei des Führers zu richten.391 388 Vgl. Tilitzki, Christian: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Berlin 2002, S. 272–276. 389 Vgl. UAG PA 1255 Jacoby, Bd. 4, Bl. 172. 390 Vgl. BA R 73/11884. 391 Vgl. BA N 1248/14; Bl. 103–106.

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Dokument Nr. 4: Am 15. Juli 1939 richtete der Philosoph Günther Jacoby ein Gnadengesuch an die Kanzlei des Führers, Amt für Gnadensachen; das Dokument aus Seebergs Nachlass enthält keine Unterschrift

Betrifft III b/A-143423 Men/Sz Zu Anfang Mai dieses Jahres wurde mir anheim gegeben, in zwei Monaten nach der Entscheidung des Führers über mein Gesuch um Entpflichtung, wenn nicht Reaktivierung, anzufragen. Von dieser gütigen Erlaubnis mache ich heute Gebrauch. Hierbei bitte ich Folgendes ausführen zu dürfen. Je längere Zeit verstreicht, umso unverständlicher wird mir meine Pensionierung. Noch kürzlich bei dem hiesigen Kreistreffen der NSDAP brachte die Greifswalder Zeitung ein Bild von mir, wie ich die Fahne meiner Baltikumkämpfer weihe und dabei die Fahne der damals neugegründeten NSDAP Pate steht. Ein Exemplar der Zeitung lege ich bei. Und schon vor längerer Zeit brachte sie ein anderes Bild, wo die junge Fahne der nationalsozialistischen Freiheitsbewegung während des Kapp-Putsches zur Bestattung meiner beiden gefallenen Zeitfreiwilligen zog, denen ich mit der Kompanie das letzte Geleit gab. Immer habe ich Seite an Seite mit der alten Garde für dieselben Ziele gekämpft. Nie bin ich mit der Partei in Konflikt geraten. Mein einziges Verbrechen ist, dass ich das getan habe, was die Partei von jedem anständigen deutschen Manne erwarten muss: ich habe die Ehre meines Hauses verteidigt. Und zwar habe ich dies, wie heute auch das Kultusministerium anerkennt, völlig gutgläubig und sachlich wahrscheinlich zu recht getan. Dass ich nun darum kämpfe, dass meine Pensionierung aufgehoben oder wenigstens in Entpflichtung umgewandelt werde, wird, wie ich glaube, der Führer billigen. Angesichts der politischen Lage bitte ich, mich noch zu einer zweiten Frage äußern zu dürfen. Der Krieg steht, scheint es, vor der Tür. Ich bin seit meinem siebzehnten Lebensjahre Soldat. Da kann ich nicht zu Hause sitzen, wenn die Anderen an der Front sind. Besonders nicht nachdem ich als Ostpreuße auf die Abrechnung mit Polen seit zwanzig Jahren gewartet habe. Als einfacher Mann wieder einzutreten wäre mir Freude und Ehre. Aber wie ein Jude der Vorkriegszeit Unteroffizier oder Feldwebel zu werden und von der Beförderung zum Offizier Unwürdigkeitshalber ausgeschlossen zu sein und das, nachdem ich 36 Jahre lang ein, wie ich hoffe, makelloser Offizier gewesen bin, das, glaube ich, bringe ich nicht über mich. So stehe ich in einem Seelenkampfe zwischen meiner Ehrenpflicht vor dem Vaterlande und meiner Ehrenpflicht vor mir selber. Wenn der Führer meine deutsche Abstammung anerkennt oder mich von den Arierparagraphen enthebt, wäre mit einem Schlage alles klar. Ich bitte daher gehorsamst, diesen Antrag stellen zu

3.4 Der Umbau der Universität durch erzwungene Entlassungen

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dürfen. Das Material, das seine Genehmigung erleichtern dürfte, liegt bei meinen Akten. Ich hebe die Hauptpunkte in einer Anlage nochmals heraus. Im Zusammenhange hiermit bitte ich, Folgendes bemerken zu dürfen. Wir alle hoffen, dass, wenn es zum Waffengange kommt, die Entscheidung bald fällt. Aber nach den Erfahrungen der letzten Kriege kann es auch lange dauern und eine Zeit kommen, in der man dringend alle verfügbaren frontfähigen Offiziere braucht. Sich rechtzeitig für solche Zeit zu rüsten, ist Pflicht jedes ehemaligen Offiziers. Also auch die meine. Auch deshalb schreibe ich jetzt, wo es Zeit ist. Denn soll ich im Notfalle wieder eine Kompanie führen, so muss ich für die gegenwärtigen Verhältnisse umgeschult werden. Und dazu muss ich offizierfähig sein. Im Hinblick hierauf habe ich vor wenigen Tagen mit dem hiesigen Wehrbezirkskommando Fühlung genommen und meine Einberufung als Offizier für den Mobilmachungsfall beantragt. Einen Durchschlag dieses Antrages lege ich bei. Leider sind seit gestern alle Offiziere des Wehrbezirkskommandos bis August oder September abwesend, so dass ein dienstlicher Bescheid auf meinen Antrag nicht vor September eintreffen dürfte. Doch konnte mir der Adjutant des Kommandeurs kurz vor dem Aufbruch noch mündlich mitteilen, dass der Bescheid für mich voraussichtlich dahin lauten werde, dass die Klärung meiner Abstammungsverhältnisse eine Voraussetzung für die nähere Prüfung meines Antrages sei, und dass nach solcher Klärung diese Prüfung erfolgen werde mit dem Ziele meiner Vormerkung für eine Einberufung als Offizier im Kriegsfalle. Sobald ich vorgemerkt bin, beabsichtige ich, Herrn General von Salmuth, Chef des Generalstabs der Heeresgruppe I, der sich für mich, wie er mir schrieb, auch bei Herrn Reichsleiter Bouhler verwandt hat, um meine Verwendung im Felde zu bitten. Auf diese Weise hoffe ich, dass mein Wunsch nach Teilnahme an dem erwartenden Feldzug erfüllt wird. Dem Führer und Reichskanzler wäre ich zu unverlöschlichem Danke verpflichtet, wenn Sie mir dazu verhülfen. Heil Hitler! Tatsachen, die die Genehmigung meines Antrages erleichtern dürften (Das Nähere ist in meinen Akten ausgeführt und belegt.) Mein Großvater Johannes Jacoby geb. 1806 ist nach unserer Familienüberlieferung niemals Jude gewesen, nach meiner Überzeugung auch rassisch nicht. Er ist von seinem ersten Lebensjahre ab in evangelischen Häusern aufgewachsen und bis zu seinem Tode evangelischer Christ geblieben. Er war kgl. Preußischer Oberlehrer am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Berlin. Seine Persönlichkeit und seine

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Verdienste werden in seinem bei meinen Akten liegenden Nachrufe hoch gerühmt. Politisch kämpfte er als einer der Berliner Führer der damaligen Konservativen gegen den Liberalismus. Meine anderen Vorfahren sind alle rein arisch. Die Jacobys haben sich durch drei Geschlechter in ununterbrochener Folge als höhere preußische Staatsbeamte seit über hundert Jahren für einen starken Staat eingesetzt. Nie hat ein Jacoby liberalistisch gedacht. Meine beiden Großväter waren konservativ. Mein Vater war konservativ. Ich war konservativ und bin heute Nationalsozialist. Von der ersten bis zur letzten Stunde meiner Lehrtätigkeit, in meiner Forschung und in meiner kulturpolitischen Betätigung habe ich im Auslande und in der Heimat mehrfach gegen meine persönlichen Interessen, ausschließlich und unentwegt die Ehre und Macht unseres Vaterlandes verfolgt und werde das bis an mein Lebensende tun. Das wissen meine Freunde, meine Schüler und meine Kollegen. Meine Forschung folgt seit zwanzig Jahren, vielleicht als einzige in der heutigen Philosophie, wörtlich dem Programm, das uns der Führer in seiner Nürnberger Rede vom 7. September 1938 klar gewiesen hat. Ich bin seit 1899 Soldat, seit 1903 Offizier des Beurlaubtenstandes. Im Kriege wurde ich an der Westfront schwer verwundet. Nach dem Kriege kämpfte ich mit dem Freikorps von Plehwe im Baltikum. Während des Kapp-Putsches führte ich eine Zeitfreiwilligenkompanie. Erleichtern dürften die Genehmigung meines Antrages auch die, wie ich vermute, warmen Befürwortungen meines Gesuches durch meine Universitätsbehörden sowie ein Schreiben des Generals von Salmuth, das dieser, wie er mir mitteilte, an Herrn Reichsleiter Bouhler in meinem Interesse gerichtet hat. Quelle: BA Berlin N 1248/14; Bl. 103–106

Der für Gnadenakte zuständige Reichsleiter Philipp Bouhler legte Hitler nur sehr selten derartige Schreiben vor, weil dieser wenig Neigung zeigte, sich mit diesen Fällen zu beschäftigen. Ausnahmen gab es nur bei alten Parteigenossen.392 Für Streitfälle hatte Hitler das Parteigericht etabliert, an das sich Jacoby jedoch nicht wenden konnte, weil er kein Nationalsozialist war. Seine Beteuerung, er sei „heute Nationalsozialist“, war eine Behauptung ohne jede Substanz. Während des Ersten Weltkriegs war Jacoby bereit gewesen, für die deutsche Sache Partei zu nehmen, was sich in Flugschriften niederschlug, in denen er gegen die westlichen Demokratien agitierte. Gegen den „Bolschewismus“ hatte er in seinen Aufrufen für die Baltikumskämpfer 392 Vgl. Bestand Gnadensachen im RGWA Moskau.

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ohnehin Stellung bezogen.393 Eine Parteinahme für den Nationalsozialismus ist jedoch nicht nachweisbar. Er war Mitglied der DNVP bis zur Auflösung der Partei, und auch sein Gnadengesuch war in einer Form abgefasst, die von dem Verlangen nach Rehabilitierung Zeugnis ablegte. Indem Jacoby den Kotau verweigerte und sein „Recht“ auf Gnade einforderte, verlangte er nicht weniger, als das Wissenschaftsministerium, das ihn wegen Fragebogenbetrugs entlassen hatte, ins Unrecht zu setzen. Das war abwegig, trotzdem entstand bei den Professoren der Theologischen und der Philosophischen Fakultät der Eindruck, dass seine Wiederberufung möglich sein könnte. Dekan Leick wandte sich daher auch gegen ein Gutachten des Dozentenbundes, das Jacoby eine „betont abweisende Stellung“ zum Nationalsozialismus bescheinigte und dessen andauernde „passive Resistenz“ bemängelte. Die Philosophische Fakultät argumentierte 1944 offensiv, dass der Vorwurf des Fragebogenbetrugs ausgeräumt sei, obwohl das lediglich auf Jacobys eigenen Einlassungen beruhte und eine amtliche Stellungnahme dazu nicht abgegeben worden war. Im Etat war durch den Tod von Kurt Deißner eine Stelle freigeworden. Weil Theologen nicht mehr berufen wurden, wollte man das Ordinariat nun Jacoby zuweisen.394 Der Plan ging nicht auf, weil das Wissenschaftsministerium eine Entscheidung in der Sache bis zum Kriegsende zurückstellte. Ohnehin trug das Ordinariat Deißner im Stellenplan des Ministeriums einen „kw.“-Vermerk für „keine Wiederbesetzung“ (umgangssprachlich „kann weg“). Jacobys Stelle war ebenso eingestuft, auch das Ordinariat von Glawe. Der Lehrstuhl für Systematische Theologie (Rudolf Hermann) sollte nach Berlin verlegt werden. Die gewollte Verschiebung des Ordinariats aus der Theologischen in die Philosophische Fakultät war nichts anderes als das sprichwörtliche Haschen nach Wind, weil offenbar niemand genaue Kenntnis darüber hatte, wie das Ministerium künftige Stellenbesetzungen gestalten wollte.395 Jacoby wurde erst im August 1945 durch Ernst Lohmeyer wieder in sein Amt eingesetzt. Von Februar 1946 bis August 1948 amtierte er als Dekan. 1951 wurde Jacoby 70-jährig in den Ruhestand versetzt. Er hielt jedoch weiterhin Vorlesungen und wurde 1953 erneut mit der Leitung des Philosophischen Instituts betraut. Als er 1954 eine Denkschrift zum Zustand der DDR-Philosophie verfasste, wurde er massiv angegriffen und schließlich aus der Lehre verdrängt.396 393 Vgl. Tilitzki, Universitätsphilosophie, S. 273. 394 Vgl. UAG PA 1255 Jacoby, Bd. 2, Bl. 3. 395 Vgl. BA R 4901/1166. 396 Vgl. UAG PA 1255 Jacoby, Bd. 1, passim; Scholl, Hans: Der Greifswalder Philosoph Günther Jacoby (1881–1969). Ein Neuanfang geistiger Freiheit in der Philosophie bei sich anbahnender neuer Ideologieherrschaft, in: Gerhardt, Volker und Hans-Christoph Rauh (Hg.): Anfänge der DDR-Philosophie. Ansprüche, Ohnmacht, Scheitern, Berlin 2001, S. 274–287 und 537–551.

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3.4.6 Weitere durch das Ministerium erzwungene Entlassungen

Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung erzwang weitere Entlassungen, überwiegend gegen den Willen der Universität. Dazu wurde nicht das Berufsbeamtengesetz genutzt, weil dieses in der Handhabung zu sperrig erschien. Der Pädagoge und einstige Sozialdemokrat Adolf Busemann strich seine Segel nach mehrfacher Gängelung. Die Gymnasiallehrer und Universitätsdozenten Karl Schmidt und Clemens Thaer wurden mit Disziplinarverfahren überzogen, weil sie sich gegen die Politik des Regimes stellten. 3.4.6.1 Adolf Busemann

Der Pädagoge Adolf Busemann gab 1935 die Lehrbefugnis zurück, weil seine Karriere ins Stocken geraten bzw. vom Wissenschaftsministerium sichtlich hintertrieben worden war. Der 1885 in Emden Geborene hatte ab 1906 Psychologie, Theologie und Philologie in Göttingen studiert. Nach der Prüfung für das höhere Lehramt arbeitete er als Hilfslehrer in Liegnitz und als Lehrer an der höheren Privatschule in Orsoy an der Neiße. Danach war er Studienrat in Essen, Frankenberg und Bederkesa, unterbrochen durch Kriegsdienst im Landsturm 1917/18. Seit 1922 arbeitete er zunächst als Oberlehrer, dann als Seminarstudienrat in Einbeck. Nach der Auflösung des Lehrerseminars wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Die Zeit nutzte er für die Fortsetzung seiner Studien in Göttingen, wo er 1924 promovierte. 1925 siedelte er nach Greifswald über, wo er sich 1926 für Psychologie und experimentelle Pädagogik habilitierte, später lautete seine Venia Legendi auf Erziehungswissenschaft und Jugendkunde.397 1928/29 unterrichtete er als Professor an der Pädagogischen Akademie in Rostock. Nach der Schließung wurde er 1931 nach Breslau versetzt, nach der Auflösung dieser Pädagogischen Hochschule kam er im Mai 1931 nach Kiel. Nach der Schließung der Pädagogischen Akademie in Kiel kehrte er im April 1932 an die Universität Greifswald zurück, wo er beachtliche Lehrerfolge verzeichnen konnte.398 Die Studentenschaft der Universität wandte sich daher an das Wissenschaftsministerium, um für Busemann einen Lehrstuhl für Pädagogik zu erbitten. Dieser habe es verstanden, sich „so in die national-sozialistischen Erziehungsfragen“ und in „unsere Idee hineinzuarbeiten“, dass er sich das völlige Vertrauen der Studenten erworben habe. Auch als „persönlicher Lehrer“ sei er „sehr geschätzt und befähigt“. Obersturmbannführer Gerhard Adam befürwortete den Antrag in seiner Funktion als Studen397 Vgl. UAG PA 860 Busemann. 398 Vgl. BA R 4901/13266 Karteikarte Busemann.

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tenführer am 10. Januar 1934. Dessen Person biete „die Gewähr dafür“, ein solches „Amt im Sinne nationalpolitischer Erziehung auszubauen“.399 Da zunächst nichts geschah, erneuerte Dekan Fredenhagen die Bitte am 21. September 1934 und betonte, dass Busemann seit „einer Reihe von Jahren auf dem von ihm behandelten Gebiet der Pädagogik eine recht erfolgreiche Tätigkeit an unserer Universität ausgeübt“ habe, welche die Philosophische Fakultät „im Interesse des Lehrbetriebs gerne“ zu fördern bereit sei. Daher bitte er um die Bewilligung eines besoldeten Lehrauftrags. Der nach dem Weggang Sommers neubestallte Kurator Kolbe nahm wegen der umstrittenen Personalie Kontakt mit dem Kreisleiter der NSDAP auf, auch deshalb, weil dieser ja „zugleich“ Schulrat sei. „Nach dessen Auskunft hat Professor Busemann zwar s. Zt. vorübergehend der sozialdemokratischen Partei angehört“, gab Kolbe die Beurteilung wieder, er habe „sich aber im Laufe der Zeit ganz umgestellt“. Der Dekan befürworte Busemanns Etablierung aufs „wärmste“ und bei den Studenten sei er „beliebt“.400 Im Wissenschaftsministerium sah man das auf Grund der Aktenlage anders, hatte Busemann doch vor 1933 kurzfristig der SPD angehört. Das Regierungspräsidium Stettin versetzte ihn am 1. September 1934 in das Amt eines Volksschullehrers in Greifswald.401 Erich Leick, inzwischen Dekan der Philosophischen Fakultät, intervenierte im Dezember 1934 noch einmal, weil er voraussah, dass die Doppelbelastung als Volksschullehrer und Hochschuldozent auf Dauer nicht gestemmt werden könne: „Die Fakultät würde es dankbar begrüßen, wenn ein Weg gefunden werden könnte, dem Genannten die weitere Lehrtätigkeit zu ermöglichen.“402 Das Ministerium untersagte Busemann jedoch, einen Vertreter für seine Volksschullehrerstelle zu nominieren, weshalb Busemann die Venia Legendi 1935 zurückgab.403 Aus gesundheitlichen Gründen verzichtete er später auch auf die Volksschullehrerstelle und zog nach Marburg um. Dort arbeitete er als Personalgutachter beim Heer. Ab 1943 war er als Psychologe am Hirnverletztenlazarett in Marburg tätig. Vom Wintersemester 1946/47 an lehrte er Psychologie an der Universität Marburg, wo er einen Studiengang zur Ausbildung von Sonderschullehrern aufbaute.404

399 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 22 Bd. 24, Bl. 371. 400 Vgl. UAG PA 860 Busemann. 401 Vgl. BA R 4901/13266 Karteikarte Busemann. 402 Vgl. UAG PA 860 Busemann. 403 Vgl. ebd. 404 Vgl. Best, Karl-Heinz: Adolf Busemann (1887–1967), in: Glottometrics 16, 2008, S. 124–127.

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3.4.6.2 Karl Schmidt und Clemens Thaer

Im Sommer 1935 wurden die Dozenten Karl W. Schmidt und Clemens Thaer von der Universität entfernt.405 Es handelte sich dabei nicht um einen Angriff auf die Universität, sondern gegen das Gymnasium Greifswald, an dem Schmidt und Thaer tätig waren und das, nicht ohne Grund, als „Hort der Reaktion“ galt. Der Direktor des Gymnasiums Karl Friedrich Wilhelm Schmidt, in den Akten nur Karl oder Karl W. Schmidt, wurde 1873 als Sohn eines Gendarmen geboren. Der Vater wurde nach Göttingen versetzt, wo auf dem Gymnasium das Talent Schmidts für die Altphilologie bemerkt wurde. Nach der Absolvierung der Einjährig-freiwilligenMilitärausbildung406 studierte er Alte Sprachen, Sanskrit und Sprachvergleichung, Religion und Kunstgeschichte mit dem Ziel, Lehrer zu werden, obwohl ihn Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf für die Hochschullehrerlaufbahn gewinnen wollte. Nach dem Examen erhielt er eine Hilfslehrerstelle und wurde sehr rasch zum Studienrat ernannt und nach mehreren Wechseln 1912 zum Direktor des Stadtgymnasiums in Halle befördert. 1914 wurde Schmidt für den Kriegsdienst aktiviert. 1916 wurde er durch zwei Schüsse am Kopf und in die Brust verwundet. Nach der Genesung war er im Ersatzbataillon Halle eingesetzt und gleichzeitig wieder als Lehrer tätig. 1919 bildete Schmidt in Halle eine Einwohnerwehr und führte sie in den mitteldeutschen Kämpfen 1919/20.407 Das Engagement wurde honoriert, und Schmidt wurde 1921 zum Direktor des Domgymnasiums in Magdeburg befördert, schon ein Jahr später wechselte er nach Schulpforta, der angesehensten Internatsschule in Mitteldeutschland. Weil er die Schule für Frauen öffnen wollte und wegen seines Reformeifers als „rot“ galt, musste Schmidt 1928 nach heftigen Auseinandersetzungen gehen. Er wählte das Gymnasium Greifswald, weil ihm die dortige Philosophische Fakultät intellektuelle Anregung versprach. Schmidt hatte bis dahin mehr als hundert wissenschaftliche Arbeiten vor allem zur griechischen Philologie verfasst. Die Universität erteilte ihm einen Lehrauftrag für Papyruskunde. Außerdem engagierte sich Schmidt in der Lokalpolitik, wurde ins bürgerschaftliche Kollegium und 1931 zum Vorsitzenden der DNVP-Kreisorganisation gewählt. Zu einer ersten Auseinandersetzung kam es, als die Hitlerjugend die Eingliederung des Gymnasialsportvereins verlangte, ein zweiter Vorfall ereignete sich am 1. Mai 1934. Einem Erlass des Innenministers zufolge sollten die Schulen geschlossene Marschblöcke bilden. Die örtliche Hitlerjugendführung bestimmte jedoch, dass die Schüler, die ihrer Organisation angehörten, bei der HJ 405 Die Dokumente und Schriften der mehrfach geschilderten Fälle wurden vom Universitätsarchiv Greifswald in einem Band zur Personalakte von Clemens Thaer zusammengefasst. Vgl. UAG Dokumentation zur Personalakte Nr. 269. 406 Vgl. UAG PA 1914 Schmidt. 407 Vgl. BA R 4901/13275 Karteikarte Schmidt, Karl.

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mitzumarschieren hätten. Der „Rest“ habe sich am Schluss des Zuges einzureihen. Als Schmidt protestierte, weil er darin eine Zurücksetzung seiner Schüler und des Kollegiums sah, wurde er von einem HJ-Führer angepöbelt. Im Übrigen lege man auch keinen Wert auf die Teilnehme der Gymnasiasten. Lehrer und Schüler nahmen an dem Aufmarsch trotzdem teil, am Ende des Zuges. Schmidt beschwerte sich daraufhin beim Kultusministerium, das ihn ohne Antwort in der Sache ließ, ihm aber nahelegte, in den vorzeitigen Ruhestand zu treten. Da Schmidt das ablehnte, versetzte ihn die Aufsichtsbehörde der Provinz kurzerhand nach Pasewalk in ein Realgymnasium ohne Griechischunterricht. Daraufhin meldete sich Schmidt krank, akzeptierte die Versetzung in den Ruhestand und siedelte nach Göttingen über. Erich Leick wies als Dekan der Philosophischen Fakultät das Ministerium darauf hin, dass der Lehrbetrieb durch dessen erzwungenes Ausscheiden eine „Schädigung“ erfahren habe. Außerdem dankte er Schmidt per Brief für sein Wirken an der Universität. Die Verlegung der Honorarprofessur an die Universität Göttingen lehnte das Ministerium ab. Trotzdem arbeitete Schmidt weiterhin wissenschaftlich und konnte sein Lebenswerk, ein nach den Endsilben geordnetes Wörterbuch griechischer Begriffe, 1950 vollenden. Am Gymnasium dachte niemand daran, den aus den Osterferien gekommenen Schülern das plötzliche Verschwinden ihres Direktors zu erklären oder gar Schmidt zu danken. In der Schulandacht ging daher Clemens Thaer auf die Verdienste Schmidts ein und betonte, dass sich dieser in seinem Amt „keine Verfehlungen“ habe zuschulden kommen lassen. Den Lehrern sei er „allzeit ein sachlicher und kluger“, ja „ein weiser Vorgesetzter“ gewesen. Bei Tausenden von Schülern habe er „Denken und Wollen gefestigt“. Schmidt habe daher Anspruch darauf, „dass hier an der Stätte seines langjährigen Wirkens seiner dankbar gedacht werde“. Das war ein Affront, mehr noch, Thaer verglich Schmidts Schicksal mit dem bekannten Müller-Arnold-Fall, in dem erst der König Friedrich II. für Gerechtigkeit gesorgt hatte.408 Selbstverständlich wurde Thaer denunziert, woraufhin das Ministerium seine sofortige Versetzung anordnete. Außerdem verhängte es eine Geldstrafe von 300 Mark.409 Gegen diese Bestrafung legte Thaer Beschwerde ein, woraufhin sich Gauleiter und Oberpräsident Schwede-Coburg persönlich einschaltete. Er habe an einer „Maßnahme“ des Ministers „betreffend den Oberstudiendirektor Dr. Schmidt Kritik geübt“ und das auf „ganz unangebrachte und ungerechtfertigte“ Weise, teilte ihm Schwede-Coburg mit. Thaer wurde nach Cammin in Hinterpommern versetzt, zusätzlich entzog ihm das Wissenschaftsministerium die Lehrbefugnis. Erstaunlicherweise bekräftigte die Philosophische Fakultät die Aberkennung der Lehrbefugnis nicht, sondern betrachte408 Vgl. UAG Dokumentation zur Personalakte Nr. 269, Bl. 82. 409 Vgl. ebd., Bl. 47 ff.

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te Thaer formell als beurlaubt. Dekan Leick versicherte ihm, dass die Fakultät „Wert“ darauf lege, dass er „künftig wieder in der Lage“ sein werde, die Lehrtätigkeit an der Universität wahrzunehmen. Im Februar 1936 verlängerte Leick den Urlaub und teilte Thaer mit, dass er sich bemühen werde, dessen Rückversetzung nach Greifswald zu erreichen. Der Vorstoß wurde jedoch abgelehnt und die Universität angewiesen, ihn aus dem Vorlesungsverzeichnis zu streichen.410 In Cammin geriet Thaer erneut in Schwierigkeiten, weil er die Teilnahme an Straßensammlungen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt ablehnte. Er begründete das nicht politisch, aber neben seiner Tätigkeit als Lehrer arbeite er noch an der Übersetzung des Euklid, was eine aus seiner Sicht nützliche Tätigkeit sei, wie er den Parteistellen mitteilte. Diese Insubordination wurde mit einer Geldstrafe von 100 Mark geahndet. Ein Kesseltreiben in der Camminer Zeitung sorgte dafür, dass das Ministerium seine Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand betrieb. 1939 zog Thaer nach Detmold, lehrte ab 1940 jedoch an der Hermann-Lietz-Schule auf Spiekeroog, nach dem Krieg in der Hermann-Lietz-Schule Schloss Hohenwerda. Er starb 1974 in Detmold.411 Seine Übersetzung des griechischen Mathematikers Euklid wurde in den achtziger Jahren als Reprint in der DDR und der Bundesrepublik nachgedruckt und ist bis heute lieferbar. Die Antwort auf die Frage, warum sich Thaer gegen den Nationalsozialismus stellte, besteht aus drei Teilen. Zum Ersten war Thaer, geboren 1883 als Spross einer politisch engagierten Gelehrtenfamilie in Berlin, ein ebenfalls politisch engagierter Mensch. Er studierte in Gießen, Leipzig und Göttingen Mathematik, Naturwissenschaften und Philosophie. 1906 legte er die Prüfung für das höhere Lehramt ab und promovierte an der Universität Gießen mit einer Studie Über Invarianten, die symmetrischen Eigenschaften eines Punktsystems entsprechen zum Dr. phil. 1907 trat er eine Assistentenstelle an der Universität Jena an. Dort habilitierte er sich 1909 mit der Studie Eine Ausdehnung der Galoischen Theorie auf algebraische Gleichungen mit mehrfachen Wurzeln. 1911 trat er der Nationalliberalen Partei bei, 1913 kam er nach Greifswald und engagierte sich hier in der Kommunalpolitik. Als Patriot leistete er selbstverständlich Kriegsdienst, wurde aber 1916 krank entlassen. 1918 war er in heftige Auseinandersetzungen mit dem Greifswalder Arbeiter- und Soldatenrat verwickelt, dessen radikale Positionen er ablehnte. Der Ortsverband der Liberalen Deutschen Volkspartei bestimmte ihn daher zum Vorsitzenden, außerdem wurde er 1919 in die Verfassunggebende Versammlung für den Freistaat Preußen gewählt. Die zweite Ursache seines Engagements gegen den Nationalsozialismus war privat. 410 Vgl. ebd., Bl. 94 ff. 411 Vgl. UAG PA 269 Thaer.

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1911 heiratete er eine Tochter seines Doktorvaters Moritz Pasch, der jüdischer Abstammung war. Die beiden Söhne aus dieser Ehe galten daher als sogenannte Halbjuden, die Mutter starb 1929.412 Drittens, und nicht zuletzt, war Thaer von einem tiefen Gerechtigkeitsgefühl erfüllt. Es äußerte sich in seiner Andacht vor den Schülern des Gymnasiums ebenso wie in der Versammlung im April 1933, in der er den Boykott gegen die Juden kritisierte. 1944 verfasste Thaer für seine Familie einen autobiographischen Bericht, in dem er auch eine politische Bilanz des NS-Regimes zog. Das System habe alles, was nicht seinen Vorstellungen entsprach, mit „Hass“ verfolgt und an die Stelle des Strebens nach Wahrhaftigkeit ein anderes Leitbild gesetzt: Zweckmäßigkeit und Lüge. Für den angeblich höheren Zweck sei alles „rücksichtslos geopfert“ worden, was ein Leben lebenswert gemacht habe. Die „Lüge“ habe sich breitgemacht in einem Maße, „das wir vorher nicht kannten“. Und mit der Lüge verbreitete sich Furcht, denn, so Thaer, „der Mut, den das Bewusstsein des Rechts gibt, bricht zusammen mit dem Glauben an die Wahrheit des Rechtes“.413 3.4.7 Der Entzug der Lehrbefugnis auf Grund der Reichshabilitationsordnung

Ohne dass es dafür eine konkrete politische Veranlassung gab, wurden 1937/38 weitere Dozenten von der Universität entfernt. Als Mittel dafür diente die 1934 beschlossene Reichshabilitationsordnung. Sie entstand als Folge des Berufsbeamtengesetzes, um auch die nichtbeamteten Lehrkräfte an den Universitäten vom Lehramt ausschließen zu können, sofern dies dem Ministerium geboten schien. 1937 hielt das Wissenschaftsministerium den Zeitpunkt für gekommen, weil eine neue Generation von Nachwuchswissenschaftlern herangewachsen war. Den Betroffenen wurde als Begründung mitgeteilt, dass sie nach § 8 der Verordnung entlassen wurden, der vorsah, dass als Dozenten nur jene zugelassen werden könnten, die auch Beamte werden könnten. Das schloss nach den inzwischen immer weiter verschärften Beamtengesetzen Juden, sogenannte Mischlinge und mit jüdischen Frauen verheiratete Männer aus. 3.4.7.1 Hans Traub

Daher wurde 1937 auch dem Zeitungswissenschaftler Hans Traub die Lehrbefugnis entzogen, weil er wegen eines jüdischen Großelternteils als sogenannter Achteljude eingestuft wurde. Der Entzug ging auf eine Anweisung des Wissenschaftsministeriums 412 Vgl. BA R 4901/13278 Karteikarte Thaer. 413 Vgl. UAG Dokumentation zur Personalakte Nr. 269, Bl. 50.

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zurück, nach der alle Wissenschaftler mit jüdischen Vorfahren aus den Universitäten entfernt werden sollten, sofern sie nicht verbeamtet waren. Mit Traubs Weggang erlosch auch der Unterricht im Fach Zeitungswissenschaft. Bei seiner Habilitation im Jahr 1932 hatte sich die Philosophische Fakultät viel von ihm versprochen, war Traub doch bestens vernetzt und galt als hoffnungsvolles Talent in der noch jungen Disziplin.414 Die Philosophische Fakultät versuchte damit den Anschluss an eine Entwicklung zu gewinnen, die von der historischen oder germanistischen Forschung, die Zeitungen als Quellen betrachtete, zur Medienwissenschaft führte. Seit 1929 war die Universität Mitglied der Gesellschaft für Zeitungskunde und Buchdruck in Pommern, die Gründung eines zeitungswissenschaftlichen Instituts war geplant, konnte aber wegen fehlender Mittel nicht durchgeführt werden. Mit der Habilitation Traubs war jedoch ein Anfang gemacht.415 Traub war ein Schüler des Berliner Nestors der Zeitungswissenschaft Emil Dovifat, in dessen Deutschen Institut für Zeitungskunde er seit 1926 arbeitete. Politisch war Traub im rechtsextremistischen Spektrum zu verorten. Der 1901 geborene Sohn eines einflussreichen nationalkonservativen Politikers416 leistete als Schüler freiwilligen Arbeitseinsatz und zog sich dabei eine Verletzung zu, durch die er für den Militärdienst untauglich wurde. 1919 schloss er sich dem Freikorps Lichtschlag an, das 1920 im Auftrag des Reichs die Revolte der Roten Ruhrarmee niederschlug.417 Er studierte in Marburg und München vor allem Geschichte und promovierte 1925 mit einer Dissertation über die Augsburger Abendzeitung in der Revolution von 1848 zum Dr. phil.418 In München schloss sich Traub erneut Wehrverbänden an und nahm am Hitler-Putsch 1923 teil, weshalb er nach eigener Angabe „von der Polizei verfolgt“ wurde.419 Danach volontierte er zunächst bei einer Königsberger Verlagsbuchhandlung, dann im Berliner Scherl-Verlag, der zum Hugenberg-Konzern gehörte. 414 Vgl. Biermann, Frank: Hans Traub (1901–1943), in: Kutsch, Arnulf (Hg.): Zeitungswissenschaftler im Dritten Reich. Sieben biographische Studien, Köln 1984, S. 47–78. 415 Vgl. Averbeck, Stefanie: Kommunikation als Prozess. Soziologische Perspektiven in der Zeitungswissenschaft 1927–1934, Münster 1999, S. 359. 416 Der ehemalige Pfarrer Gottfried Traub hatte sich publizistisch profiliert und zog 1913 für die Fortschrittliche Volkspartei ins Preußische Abgeordnetenhaus ein. Seine Ansichten radikalisierten sich während des Ersten Weltkriegs, 1919 wurde er als Abgeordneter der DNVP in die Nationalversammlung gewählt. Wenig später übertrug ihm der Medienunternehmer Alfred Hugenberg die Herausgeberschaft der München-Augsburger Abendzeitung. 417 Vgl. Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt des Heeres: Die Niederwerfung der Räteherrschaft in Bayern 1919, Berlin 1939. 418 Vgl. Traub, Hans: Die Augsburger Abendzeitung und die Revolution im Jahre 1848. Ein Beitrag zur bayerischen Revolutionsgeschichte, phil. Diss., München 1925. 419 Vgl. BA R 4901/13278 Karteikarte Traub.

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Der NSDAP trat Traub 1933 bei. Von seiner teilweise jüdischen Abstammung erfuhr er erst bei der Erstellung eines „Ariernachweises“ im Sommer 1933. In der aufgeheizten Atmosphäre des Jahres 1933 wurde Traub als „Jude“ denunziert und damit zum „Fall“. Dovifat richtete daher ein Schreiben an Theodor Vahlen, inzwischen Leiter der Hochschulabteilung im Preußischen Kultusministerium, in dem er die nationalsozialistische Gesinnung Traubs herausstrich. Vahlen beschied Dovifat, dass das Berufsbeamtengesetz auf Traub nicht angewandt werde, weil er sich erwiesenermaßen an der Bekämpfung der Spartakisten 1920 beteiligt habe.420 Ob die Gerüchte bis nach Greifswald drangen, ist nicht nachzuvollziehen, die eingeschriebene Hörerschaft Traubs sank jedoch 1934 auf null.421 Traub kündigte trotzdem Vorlesungen zur „Macht des Bildes“ oder zum „Aufbau und Arbeitsweise der publizistischen Führungsmittel in den europäischen Staaten und USA“ an.422 Da sein Vater mit dem Direktor der Universum Film AG (UFA) befreundet war, erhielt er die Chance, ein Lehrinstitut für Filmkunde aufzubauen. Über die „Lehrschau“ der UFA, die eher praktischen Zwecken diente und nicht den von Traub angestrebten wissenschaftlichen Charakter erhielt, kam das Unternehmen nicht hinaus. Ob dies an Traubs teilweise jüdischer Abstammung lag, ist umstritten. Zumindest bot das Lehrinstitut ihm eine gesicherte Existenzgrundlage, weil „Achteljuden“ bei der UFA als unverzichtbare Experten geduldet waren. In Greifswald verschob sich Traubs Schwerpunkt in der Lehre folgerichtig von der Zeitungswissenschaft hin zur Filmkunde. Offenen politischen Repressalien war er nicht ausgesetzt, vermutlich auch deshalb, weil er weiterhin in Berlin wohnte und seiner Lehrverpflichtung als Pendler nachkam.423 Die Lehrberechtigung an der Universität wurde ihm 1937 entzogen.424 Traub konnte auch nach dem Verlust seiner Lehrbefugnis weiter publizieren. 1938 wurde er in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen. Im Handbuch der Zeitungswissenschaften verantwortete er 1940 den Artikel Filmzeitschriften. Darin lobte er, dass durch die „Neuregelung“ des Zeitungswesens zahlreiche „Missstände endgültig behoben“ worden seien, die bei bis 1933 „überwiegend von Juden“ geleiteten Filmzeitschriften entstanden seien.425 Traubs letzte größere Veröffentlichung war die Festschrift zum 25-jährigen Bestehen 420 Vgl. GStA PK, NL Dovifat, VI. HA Rep. 92, Nr. 60, o. Bl. 421 Vgl. Titze, Wachstum und Differenzierung, S. 260; Traub kündigte jedoch bis zum Wintersemester1937/38 Vorlesungen und Übungen an. Vgl. Averbeck, Kommunikation als Prozess, S. 536 ff. 422 Vgl. Averbeck, Kommunikation als Prozess, S. 536 ff. 423 Vgl. Lichtenstein, Manfred: Die UFA-Lehrschau, in: Jacobsen, Manfred: Babelsberg. Ein Filmstudio 1912–1992, Berlin 1992, S. 235–238; Biermann, Traub, S. 52. 424 Vgl. UAG PA 2040 Traub. 425 Vgl. Traub, Hans: Filmzeitschriften, in: Heide, Walther (Hg.): Handbuch der Zeitungswissenschaft, Leipzig 1940, Sp. 1035.

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der Universum Film AG. In diesem opulent ausgestatteten Werk – das Vorsatzblatt zeigte ein farbiges Porträt vom „Schirmherrn des deutschen Films“, also von Propagandaminister Joseph Goebbels – feierte Traub die Verstaatlichung der deutschen Filmindustrie ebenso wie die einheitliche Ausrichtung ihrer Inhalte. Die Filmschaffenden, ganz gleich ob bei Spielfilm, Kulturfilm oder Wochenschau, reihten sich, so Traub 1943, ein „in die große Schar der Kämpfer an der Front wie an der Heimat“.426 Das von ihm 1943 fertiggestellte Wörterbuch des Films verbrannte bei einem Bombenangriff in der Druckerei. Traub starb an einer Sepsis, die als Spätfolge seiner Verwundung im Ersten Weltkrieg auftrat. 3.4.7.2 Werner Caskel

1938 verlor auch der Spezialist für semitische Sprachen und Geschichte der Beduinen Werner Caskel seinen Lehrauftrag an der Universität Greifswald.427 Caskel wurde 1896 in Danzig geboren, sein Vater war getauft, jedoch erst selbst zum evangelischen Glauben übergetreten. Caskel begann das Studium der Theologie in Tübingen, wechselte jedoch sehr rasch nach Berlin, wo er sich besonders mit den semitischen Sprachen befasste. 1915 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst. Er wurde zunächst bei der Fußartillerie an der Westfront eingesetzt, dann jedoch ins Osmanische Reich versetzt, wo er an der Gallipolischlacht teilnahm und 1917 zum Offizier befördert wurde. Weitere Einsätze führten ihn nach Syrien und Palästina, wo er mit dem Eisernen Halbmond ausgezeichnet wurde. 1919 demobilisiert, legte er pro forma 1920 das Erste Theologische Examen ab und setzte seine Sprachstudien in Leipzig fort. 1923 erhielt er eine Assistentenstelle bei der Max-Freiherr-von-Oppenheim-Stiftung, welche die Grabungsfunde Oppenheims aus dem Vorderen Orient bearbeitete, unter anderem des Hügels Tell Halaf. 1928 habilitierte er sich an der Universität Berlin für Semitische Sprachen und Islamkunde. Seine Habilitationsschrift Die Erzählungen von den al jam Al arab behandelte die Erzählungen von den Kampftagen der Beduinen, wobei er diesen frühesten Überlieferungen kaum historische Substanz zusprach. Seine Probevorlesung hielt er über „Die Zenobia-Sage bei den Arabern“. 1930 wurde Caskel an die Universität Greifswald umhabilitiert, wo er einen gering dotierten Lehrauftrag für Semitische Philologie erhielt. 1932/33 vertrat Caskel einen Lehrstuhl an der Universität Rostock, wurde jedoch als „Nichtarier“ bei der Besetzung nicht berücksichtigt. Als Caskel, der nur wenige Studenten hatte, 1937 eine Vorlesung für Hörer aller Fakultäten „Die Beduinengeschichte und Kultur der arabischen Wüste“ 426 Vgl. Traub, Hans (Hg.): Die UFA. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Filmschaffens, Berlin 1943, S. 116. 427 Vgl. Hanisch, Ludmilla: Ausgegrenzte Kompetenz. Porträts vertriebener Orientalisten und Orientalistinnen, Halle 2011, S. 11.

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anbot, bat er den Kurator um die Erstattung der Kosten für die angefertigten Lichtbilder in Höhe von 62,25 Mark, die anstandslos übernommen wurden.428 Auch ein Gutachten der Dozentenschaft, erstellt vom Kunsthistoriker Kurt Wilhelm-Kästner, enthielt keine negativen Aussagen. Es ist allerdings bezeichnend, dass der überzeugte Nationalsozialist den „Halbjuden“ Caskel nicht einmal persönlich kannte. Dieser trete „wenig in Erscheinung“, lebe ziemlich abgeschlossen und habe kaum Hörer, so dass es schwer sei, eine nähere Auskunft über ihn einzuholen. „Er ist mir jedenfalls als ein stiller, zurückhaltender Mensch geschildert worden.“429 Im Sommer 1937 wies das Ministerium die Universität an, alle noch beschäftigten „Mischlinge“ oder „jüdisch versippten“ Dozenten zu melden und zu begründen, „ob besondere Gründe seine weitere Zugehörigkeit zum Lehrkörper rechtfertigen“. Dekan Lautensach antwortete dem Kurator, dass „besondere Gründe“ zwar nicht angeführt werden könnten, aber die Philosophische Fakultät „würde es bedauern, wenn mit dem Ausscheiden des Dozenten Caskel die orientalische Philologie überhaupt nicht mehr vertreten wäre“. Caskel wurde trotzdem am 21. Februar 1938 als „Mischling 1. Grades“ auf Grund § 18 der Reichshabilitationsordnung die Lehrbefugnis entzogen. Caskel bat um die Gewährung der Lehrauftragsvergütung bis zum Jahresende, da er seine persönlichen Verhältnisse neu ordnen müsse. Dekan Lautensach befürwortete das Gesuch mit der Bemerkung, dass es „zu persönlichen Beanstandungen“ niemals einen Anlass gegeben habe. Auch Rektor Reschke befürwortete das Gesuch, Kurator Kolbe strich das Wort „befürwortend“ allerdings und legte das Gesuch dem Ministerium „zur Entscheidung“ vor. Das Ministerium lehnte ab, gewährte allerdings eine Einmalzahlung von 900 Mark. Caskel zog mit seiner Frau und seinem Sohn zu seiner Mutter nach Zoppot. Da er im Ausland keine Anstellung finden konnte, siedelte er 1939 wieder nach Berlin über. Im Auftrag des Oberkommandos der Wehrmacht unternahm er eine Forschungsreise nach Ägypten.430 Da die Wehrmacht halbjüdische Offiziere nicht reaktivierte, aber deren weitere Ausgrenzung untersagte, blieb Caskel die Möglichkeit, eine untergeordnete Stellung im Orient-Forschungsinstitut (also der umfirmierten Max-Freiherr-von-Oppenheim-Stiftung) wahrzunehmen. De facto war er dessen wissenschaftlicher Leiter. 1946 erhielt Caskel eine Professur mit Lehrauftrag für Islamwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. 1948 nahm er einen Ruf nach Köln an. 1964 wurde er emeritiert.431

428 Vgl. UAG PA 911 Caskel, Bl. 40. 429 Vgl. ebd., Bl. 36. 430 Vgl. UAB Phil. Fak. Nr. 1243, Bl. 67 ff. 431 Vgl. Hanisch, Ausgegrenzte Kompetenz, S. 11.

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3.4.8 Der „Fall“ Hans Frebold: Ein Beispiel für die Entfernung eines Hochschullehrers ohne klar nachweisbare Begründung

Der Geologe Hans Frebold verzichtete 1939 auf seine Lehrberechtigung an der Universität Greifswald, ohne dass erkennbar politische Gründe vorlagen. Vorangegangen war eine zum Teil hinterhältig geführte Auseinandersetzung, die sich seit 1934 hinzog. 1936 war ihm die Venia Legendi bereits schon einmal entzogen, aber wieder zugesprochen worden. Parteipolitisch war der 1899 geborene Frebold indifferent. Wie er später betonte, habe er keiner Partei und keiner Organisation angehört und gehöre auch keiner an. Sein Patriotismus stand jedoch außer Frage. Bereits als 16-Jähriger unterbrach er die Schulausbildung, um freiwillig in der Krankenpflege zu arbeiten, ab 1917 leistete er Kriegsdienst an der Westfront, zunächst in einer Nachrichtenabteilung, dann bei den Heeresgeologen. Nach dem Studium der Geologie und Paläontologie, das er bereits 1921 mit einer Dissertation abschloss, arbeitete er als Assistent in Museen und im Kalibergbau, bevor er 1925 eine Assistentenstelle an der Universität Königsberg erhielt.432 Obwohl er, wie sein Mentor in Königsberg betonte, fleißig gearbeitet habe, musste er ihn doch nach dem einem oder anderen „Gelage“ in den Diensträumen entlassen. Dazu kamen „die allzu eifrigen Bemühungen“ um die im Institut arbeitenden Studentinnen, was diese veranlasste, von Exkursionen wegzubleiben.433 Frebold habilitierte sich daher 1926 in Greifswald, konnte jedoch mit dem kurz nach ihm gegen den Willen der Fakultät berufenen Lehrstuhlinhaber Sergius von Bubnoff kein gutes Arbeitsverhältnis aufbauen. Da ein besoldeter Lehrauftrag immer wieder abgelehnt wurde, suchte Frebold anderswo Arbeit und übernahm 1930 die geologische Leitung einer norwegischen Expedition nach Spitzbergen. 1931 wurde er Abteilungsleiter in der dänischen Drei-Jahres-Expedition nach Nordostgrönland. Die Universität versprach sich jetzt viel von dem jungen Wissenschaftler, der so perfekt in das nordische Profil passte. Sein in Spitzbergen gewonnenes geologisches und landeskundliches Material sollte den Grundstein einer arktischen Sammlung bilden, für die auch schnell ein Raum gefunden war. Außerdem setzte sie Frebolds Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor durch, wobei von Bubnoff nur die positiven Urteile über ihn an das Kultusministerium weiterleitete. An negativen Stimmen, etwa dass Frebold zu wenig auf dem Gebiet der Paläontologie gearbeitet hätte oder in seiner Persönlichkeit schwierig sei, fehlte es nicht.434 Bis 1934 war Frebold nach 432 Vgl. UAG PA 216 Frebold Bd. 1. 433 Vgl. Schreiben von Karl Erich Andrée an Sergej von Bubnoff, 17.7.1931, in: Archiv BBAW, NL Bubnoff, Nr. 577, Bl. 11. 434 Vgl. Archiv BBAW, NL Bubnoff, Nr. 577.

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Dänemark beurlaubt und bereitete von dort aus weitere Expeditionen nach Grönland vor, außerdem befand sich noch Material der ersten Spitzbergenerkundung in Oslo, das auszuwerten war. 1935 war Frebold kurz in Greifswald, um die arktische Sammlung aufzustellen und zu katalogisieren. Zur selben Zeit veröffentlichte der dänische Geologe und Leiter zahlreicher Expeditionen Lauge Koch in Deutschland ein Buch über die Geologie Grönlands.435 In Dänemark stieß das Buch auf wütende Ablehnung. Einerseits fühlten sich mehrere jüngere Forscher plagiiert, die dem Nestor der Grönlandforschung vertrauensvoll aktuelle Forschungsergebnisse mitgeteilt hatten. Andererseits war das Buch voller Fehler, so dass elf Wissenschaftler eine Kritik an Kochs Buch publizierten, die als unangemessen wahrgenommen werden konnte. Frebold hatte seine Unterschrift ebenfalls unter diese Kritik gesetzt, insbesondere weil er anzweifelte, dass Koch, wie behauptet, ein Faltengebirge selbst entdeckt hatte.436 Die Kontroverse wurde erbittert geführt437 und erhielt zusätzliche Brisanz dadurch, dass sich die Deutsche Botschaft in Kopenhagen eindeutig auf Kochs Seite stellte. Andererseits solidarisierten sich weitere 22 dänische Geologen hinter die Stellungnahme der elf Wissenschaftler.438 Frebolds Unterschrift erschien nun als Solidaritätserklärung mit Dänen, die einen deutschfreundlichen skandinavischen Wissenschaftler angriffen. Von Bubnoff nahm in der Kontroverse eindeutig Partei gegen Frebold und die zehn Dänen. Das Buch Kochs sei in Dänemark ungewöhnlich scharf angegriffen worden, schrieb Bubnoff. Aber da es sich um eine „innerdänische Angelegenheit“ handle, sei es die „selbstverständliche Pflicht der deutschen Geologen“, sich „einer Stellungnahme zu enthalten“. Der Prioritätsstreit „in Einzelfragen“ sei belanglos, meinte Bubnoff, und mit der Gelassenheit eines bereits verbeamteten Professors erklärte er in der Rezension, dass nur die ungeschriebenen Bücher ohne Fehler seien.439 In Dänemark ging es aber um knallharte Verteilungskämpfe knapper Forschungsressourcen, weshalb Koch einen Verleumdungsprozess anstrebte, in dem er Bubnoffs Rezension benutzen konnte, wofür er ihm herzlich dankte.440 Mitarbeiter der Deutschen Botschaft in Kopenhagen erhöhten im Herbst 1936 den Druck auf Frebold und drohten ihm mit dem Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft. Außerdem werde die Angelegenheit an die Geheime Staatspolizei weitergegeben. Er müsse also damit rechnen, so 435 Vgl. Koch, Lauge: Geologie von Grönland, Berlin 1935. 436 Vgl. UAG PA Frebold, Bd. 1. 437 Mit Quellenverweisen: http://en.wikipedia.org/wiki/Lauge_Koch, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 438 Vgl. UAG PA Frebold, Bd. 1. 439 Vgl. Bubnoff, Sergeij von: Besprechung zu Koch, Lauge: Geologie von Grönland, in: Die Naturwissenschaften, 24. Jg., Heft 15, S. 237 f. 440 Vgl. Archiv BBAW, NL Bubnoff, Nr. 499.

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zitierte Frebold die Mitarbeiter der Gesandtschaft in einem Brief an Kurator Kolbe, dass er „als Staatsfeind betrachtet werden würde“. Der Brief war verständlicherweise in sehr aufgeregtem Tonfall gehalten. Einerseits forderte er die Unterstützung des Ministeriums für einen zu Unrecht bedrohten Wissenschaftler ein, andererseits betonte Frebold, dass auch mit der Entziehung seines Professorentitels und dem Aufgeben des Rechts, Vorlesungen in Greifswald halten zu dürfen, „seine Stellung als Wissenschaftler“ nicht berührt sei. Derart selbstbewusst äußerten sich nur wenige, und obwohl Frebold in anderen Briefen immer wieder seine finanzielle Bedürftigkeit betonte – mit den üblichen Verweisen auf Frau und hungernde Kinder –, schien ihn der Entzug der Lehrbefugnis 1936 nicht zu schrecken. Die Lehrbefugnis wurde ihm entzogen, weil das Wissenschaftsministerium überhaupt nicht daran dachte, sich wegen eines Nachwuchswissenschaftlers in außenpolitische Belange einzumischen. Frebold setzte sich dagegen mit wortreichen Schreiben zur Wehr. In der Rückschau erscheint seine Polemik weltfremd, sie wandte sich gegen den Plagiator Koch, gegen missverständliche Abläufe im Ministerium und gegen deutsche Professoren, die ihn und seine dänischen Kollegen als „Schmeißfliegen“ bezeichnet hatten. Er wandte sich auch gegen Vorwürfe finanzieller Unregelmäßigkeiten, was ihm leichtfiel, weil er in die Finanzierung der Expeditionen nicht eingebunden gewesen war. Dieser Briefwechsel zur Wiedererlangung seiner persönlichen Ehre und der Lehrbefugnis zog sich über zwei Jahre hin. Von Vorteil war der Verleumdungsprozess, denn vor Gericht stellte Koch die Kritik Frebolds als die eines unbegabten, frustrierten Emigranten mutmaßlich jüdischer Herkunft mit dubioser politischer Motivation dar. Das wiederum wies der von den Dänen als Zeuge geladene Frebold zurück. Er gehöre keiner Partei an und habe auch niemals einer angehört. Außerdem seien weder seine Frau noch er selbst jüdischer Abstammung. Das Urteil fiel zu Ungunsten von Lauge Koch aus, wurde dann aber von der dänischen Presse politisch gegen Deutschland ausgeschlachtet. Daher bot Frebold an, das Urteil und dessen innerdänische Folgen in Berlin zu erläutern. Dieser Vorschlag wurde ignoriert, schließlich war Frebold die Lehrerlaubnis bereits entzogen worden. Stattdessen wurde ihm eine rüde Aufforderung zugestellt, sich sofort nach Greifswald zu begeben. Zugleich setzte die Botschaft ihn weiterhin unter Druck. Daher sandte Frebold am 9. September 1937 einen weiteren Brief an den Kurator, in dem er rundheraus verlangte, dass geklärt werden müsse, wer ihn warum verfolgt und bedroht habe. Diese „Machenschaften“ müssten aufgeklärt werden. Vor allem lag ihm am Herzen zu klären, ob er eine Entschuldigung für die Bezeichnung als „Schmeißfliege, die sich von Abfallstoffen anderer Lebewesen nähre“ erhalte. Auch wollte er wissen, wer das Gerücht gestreut habe, dass seine Frau Jüdin und er ein „Emigrant“ sei. Das Ministerium unternehme aber nichts, um ihn vor derartigen Anwürfen zu

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schützen, beklagte er, und habe ihm sogar „auf Grund unrichtiger Berichte“ die Existenz in Deutschland genommen. Wegen des Vorgefallenen werde wohl niemand von ihm erwarten, dass er jetzt nach Deutschland zurückkehre. Auch von seinem Kollegen Bubnoff erwartete er eine Richtigstellung.441 Es erstaunt, dass Frebold an eine Rückendeckung des Ministeriums glaubte, obwohl er kein NSDAP-Mitglied war. Die Lehrbefugnis erhielt er überraschenderweise zurück, wurde aber wunschgemäß beurlaubt. Außerdem erteilte man ihm eine „Rüge“. Frebold beließ es nicht dabei, sondern erhob noch einmal Protest gegen die erteilte Rüge. Daher musste sich der Dekan der Philosophischen Fakultät Hermann Lautensach 1938 erneut mit der Sache befassen. Nach der Durchsicht der inzwischen sehr dicken Akte kam er zu dem Schluss, dass Frebold offenbar zwischen „Hauptsachen und Nebensachen“ nicht unterscheiden könne. Außerdem empfinde er eine instinktive Abneigung gegen Menschen, die der Auffassung seien, dass „ein sehr großer Teil der sie umgebenden Mitmenschen böswillig“ sei und zu täuschen versuche. Dem Vorwurf, er habe sich in innerdänische Angelegenheiten eingemischt, habe sich Frebold selbst ausgesetzt, meinte Lautensach. Auch die „offene Gehorsamsverweigerung gegenüber der vorgesetzten Behörde“ sei, so der Dekan weiter, „niemals und unter keinen Umständen entschuldbar“. Frebold hätte demnach nach der Anweisung des Ministers „zurückkehren müssen“. Es wäre ihm unbenommen gewesen, sich nach der Rückkehr „persönlich zu verteidigen“. Rektor Reschke gab die Stellungnahme Lautensachs ohne Kommentar an den Kurator weiter.442 Das Wissenschaftsministerium strich daraufhin die Lehrauftragsvergütung, die Frebold trotz der Querelen immer noch, wenn auch in wechselnder Höhe, gewährt worden war. Es stehe ihm aber frei, nach Deutschland zurückzukehren. Eine „Wiederaufnahme“ seiner Lehrtätigkeit in Deutschland sei ihm ohne Honorierung nicht zuzumuten, schrieb Frebold daraufhin am 27. Januar 1939. Er ersuche daher um die Beurlaubung für weitere zwei Jahre. Im Übrigen gestatte er sich den Hinweis, dass ihm jetzt auch die Bearbeitung der geologischen Ergebnisse der zentralasiatischen Expedition Sven Hedins übertragen worden sei. Mithin beantrage er die Beurlaubung nicht nur für Dänemark und Norwegen, sondern auch für Schweden. Der selbstbewusste Tonfall erklärt sich durch eine Adressänderung, Frebold schrieb jetzt auf dem Briefpapier des Mineralogisch-Geologischen Museums Kopenhagen.443 Die Lehrbefugnis gab Frebold wenige Monate später zurück und löste so die Weisungsbefugnis des deutschen Wissenschaftsministeriums „freiwillig“, wie der Dekan der Philosophischen Fakultät Metzner am 12. November 1943 in einer Stellungnahme betonte. Als Leiter der Arktischen Abteilung des Museums in Kopenhagen sei Frebold „besonders geeignet“, die 441 Vgl. UAG PA 216 Frebold, Bd. 1. 442 Vgl. UAG PA 216 Frebold, Bd. 2, Bl. 82 f. 443 Vgl. UAG PA 216 Frebold, Bd. 1.

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„Zusammenarbeit deutscher und dänischer Wissenschaftler auf rein sachlicher Basis zu fördern“. Im Interesse dieser Arbeit „wäre es wünschenswert“, so Metzner, „ihn wenigstens formal – ohne Verpflichtung zur Lehrtätigkeit – wieder einer deutschen Universität“ einzugliedern. Er habe Gutachten eingeholt, in denen „übereinstimmend“ zum Ausdruck gebracht werde, dass Frebold ein „hervorragender Wissenschaftler“ sei und alle Voraussetzungen für einen Lehrstuhl für Arktische Geologie erfülle. Dozentenführer Schultze übergab das Schreiben Metzners „nach Kenntnisnahme“, aber ohne eigene Wertung an den Rektor. Dieser wiederum schloss sich den Äußerungen des Dekans „voll und ganz“ an und leitete den Antrag „unter wärmster Befürwortung“ weiter. Es ist nicht nachweisbar, dass Frebold aktiv an dieser Reintegration in den deutschen Forschungsbetrieb beteiligt war.444 Gegen die Statuserhöhung protestierte er jedoch nicht und er stellte sich außerdem der deutschen Marine als Geologe zur Verfügung. Ihm wurde im Juli 1944 ein Wehrmachtsauftrag der hohen Dringlichkeitsstufe SS (Sonderstufe) zugeteilt, der die Küstenmorphologie Dänemarks zum Thema hatte. Dabei untersuchte er den Küstenabbruch an den dänischen Küsten, durch den immer wieder Befestigungsanlagen bedroht waren.445 Das vergebene Kennwort „Düppel“ spielte auf die Düppeler Schanzen an, die im Preußisch-Dänischen Krieg 1864 von den Preußen recht schnell überrannt worden waren und spiegelt die Invasionsängste der Wehrmacht wider.446 Nach Deutschland kehrte Frebold nicht dauerhaft zurück. Zunächst arbeitete er für amerikanische Unternehmen im Bereich der Lagerstättenkunde, ab 1949 in Kanada. In Kiel wurde er ab 1949 als Honorarprofessor geführt, in Oklahoma war er ab 1963 Visiting Professor und erhielt dann den Status eines Principal Scientist. Er starb 1983 in Ottawa.447 3.4.9 Diskriminierte, aber nicht entfernte Hochschullehrer

Wie erwähnt führte an der Universität Greifswald nicht jede Diskriminierung zur Entlassung. Die Betroffenen hatten jedoch Nachteile beruflicher und finanzieller Art 444 Der Eintrag in Wikipedia, der auf einem dänischen Sachbuch beruht, dem wiederum eine Selbstauskunft Frebolds zu Grunde liegt, suggeriert eine Widerstandsbiographie, die nicht überprüft werden konnte. Zugleich wird die Beförderung zum Korvettenkapitän und Frebolds Mitgliedschaft im Deutschen Wissenschaftlichen Institut in Kopenhagen behauptet. Zumindest in Greifswald wusste man davon nichts. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Frebold, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 445 Vgl. Flachowsky, Sören. Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat. Wissenschaftspolitik im Kontext von Autarkie, Aufrüstung und Krieg, Stuttgart 2008, S. 349. 446 Der Auftrag hatte die Kennnummer SS-4891/0789-(2522/28), vgl. BA R 26/III/11, Bl. 85. 447 Vgl. Nachruf mit Bibliographie: http://2dgf.dk/xpdf/bull32-03-04-181-185.pdf, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

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hinzunehmen. Aus in ihren nach dem Krieg verfassten Stellungnahmen geht hervor, dass sie unter der gesellschaftlichen Stigmatisierung wegen ihrer teilweise jüdischen Abstammung litten, auch wenn sie es ableugneten wie der Philosoph Hans Pichler. Außer Pichler gehörten der Historiker Fritz Curschmann und der Physiologe Wilhelm Steinhausen zu den von antijüdischer Diskriminierung Betroffenen. Ihnen wurde die Prüfungsberechtigung entzogen, da sie jüdische Vorfahren hatten, entlassen wurden sie nicht. 3.4.9.1 Hans Pichler

Der Philosoph Hans Pichler wurde 1882 in Leipzig als Sohn eines erfolgreichen Komponisten geboren. Aus Neigung entschied er sich für das Studium der Philosophie und promovierte 1906 mit einer Studie Über die Arten des Seins. Er setzte seine Studien in Wien fort und veröffentlichte mehrere ontologische Schriften, etwa zur Erkennbarkeit der Gegenstände (1909) und der Erkenntnistheorie des großen Juristen der Aufklärung Christian Wolff (1910). 1913 habilitierte er sich an der Universität Graz. 1915 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger zu den Tiroler Kaiserjägern und wurde nach der Teilnahme an mehreren Schlachten als hochdekorierter Soldat zur Offiziersschule kommandiert. 1921 wurde er in Graz verbeamtet, nahm aber den Ruf an die Universität Greifswald an. Pichler las nicht nur zur Philosophiegeschichte, sondern immer wieder zu aktuellen politischen Themen. So philosophierte er in der Weimarer Zeit über das Objektive in der Politik, 1936 veröffentlichte er eine noch immer lesenswerte Besinnung über Glück und Unglück.448 1937 wurde ihm als „Mischling 2. Grades“ die Prüfungsbefugnis aberkannt. Pichler blieb jedoch Direktor des Philosophischen Seminars. Nach dem Krieg urteilte er versöhnlich: „In den Jahren des ,Dritten Reiches‘ war ich manchen Anfeindungen und Zurücksetzungen ausgesetzt, doch standen die Studenten immer entschiedener auf meiner Seite, so dass meine Lehrtätigkeit durchaus nicht gelähmt werden konnte.“449 1948 wurde er in den Ruhestand versetzt, weil er sich, inzwischen 66 Jahre alt, wegen seiner Tuberkuloseerkrankung den Anforderungen des Amts nicht mehr gewachsen fühlte. 3.4.9.2 Fritz Curschmann

Auch der Spezialist für historische Geographie Fritz Curschmann war wegen jüdischer Vorfahren unter Druck geraten. Wegen seines extrem spezialisierten Arbeitsgebiets, das außer ihm nur noch sein späterer Nachfolger Friedrich Mager an der Universität Königsberg pflegte, war Curschmann nach der Habilitation 1905 in 448 Vgl. Pichler, Hans: Besinnung über Glück und Unglück, Berlin 1936. 449 Vgl. UAG PA 247 Pichler, K 734; BA R 4901/13273 Karteikarte Pichler.

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Greifswald geblieben. Rufe an andere Universitäten ergingen nicht, für seine Arbeiten erhielt er jedoch den Professorentitel. Um seine Existenz zu sichern, erteilte ihm das Preußische Kultusministerium 1912 einen besoldeten Lehrauftrag. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Hauptmann bei der Artillerie und wurde nach einer Verwundung in eine Ausbildungsabteilung versetzt. Als Sachkundiger für Fragen der historischen Bevölkerungsverteilung und Geschichte der osteuropäischen Staaten war er in Armeeoberkommandos im eroberten Osten tätig. Am 1. September 1918 erhielt er einen Lehrstuhl an der Universität Dorpat, die traditionell in deutscher Sprache lehrte und als die Elitehochschule der Deutschen im Russischen Zarenreich galt. Die dann vom estnischen Staat übernommene Universität bot ihm den Verbleib an, was Curschmann ablehnte, so dass er als beamteter außerordentlicher Professor an die Universität Greifswald zurückkehrte. 1926 wurde er zum persönlichen ordentlichen Professor befördert. Bei der Überprüfung seiner Vorfahren ergab sich, dass Curschmann als „Vierteljude“ gelten müsse, denn offenbar waren die Eltern seiner Großmutter mütterlicherseits erst als Erwachsene getauft worden. Auf Druck des Wissenschaftsministeriums wurde er 1936 aus dem Prüfungsamt entfernt. Folgerichtig fiel damit auch der Anreiz weg, bei ihm zu hören. Da Curschmann durch den Wegfall der Prüfungsgebühren finanzielle Einbußen hinnehmen musste, erhöhte der Chef des Amts Wissenschaft Theodor Vahlen daraufhin die Kolleggeldgarantie. Mit Vahlen verband ihn nicht nur die Greifswalder Zeit, sondern auch die Kriegskameradschaft als Artillerist. Vahlen hatte sich schon 1919 für eine Rückkehr Curschmanns nach Greifswald eingesetzt. Am 22. Juni 1938 erging an Curschmann jedoch die Aufforderung, sich als „Mischling 2. Grades“ vorzeitig entpflichten lassen.450 Rektor Reschke befürwortete jedoch das Verbleiben im Amt bis zur Altersgrenze. Die philosophische Fakultät hatte sich hinter Curschmann gestellt und forderte zumindest dessen Verbleib bis zur Wiederbesetzung, obwohl es sich um ein persönliches Ordinariat handelte, das in den Akten des Ministeriums einen „kw“-Vermerk trug.451 Curschmann wurde mit dem Erreichen der Altersgrenze zum 31. März 1939 entpflichtet. Er las als Emeritus jedoch weiter, etwa zur „Geschichte der Völkerwanderung“. Es gelang ihm und der Philosophischen Fakultät auch, sein Forschungsgebiet, die historische Geographie, durch die Berufung von Friedrich Mager zu erhalten. 3.4.9.3 Wilhelm Steinhausen

Der Sohn eines erfolgreichen Kunstmalers wurde 1887 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte Medizin an den Universitäten Göttingen, Freiburg und Berlin. Nach 450 Vgl. UAG PA 274 Curschmann, Bd. 2. 451 Vgl. BA R 4901/1166.

3.5 Die Aberkennung akademischer Grade

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der ärztlichen Vorprüfung studierte er Naturwissenschaften in Frankfurt und Gießen und promovierte 1914 mit der Dissertation Zur Kenntnis der Luftschwingungen in Flöten zum Dr. phil. Im selben Jahr erhielt er eine Assistentenstelle am Physikalischen Institut der Universität Frankfurt. Während des Ersten Weltkriegs diente Steinhausen ab 1916 als Feldunterarzt an der Westfront. Für seinen Einsatz während der Stellungskämpfe vor Verdun erhielt er das Eiserne Kreuz II. Klasse. Danach war er in einem Seuchenlazarett tätig. 1918 erlebte er, wie das Infanteriebataillon, dem er als Feldarzt zugeteilt war, „völlig aufgerieben“ wurde.452 1918 legte er das medizinische Staatsexamen ab und promovierte 1919 zum Dr. med. mit einer Dissertation Über das Karzinomsarkom des Uterus. Im Februar 1919 erhielt Steinhausen eine Assistentenstelle am Institut für Animalische Physiologie in Frankfurt und habilitierte sich 1921 für Physiologie. Er veröffentlichte zahlreiche Studien zur Elektrophysiologie der Muskeln und wurde 1928 zum ordentlichen Professor für Physiologie an der Universität Greifswald berufen. Da er wegen einer jüdischen Großmutter als „Vierteljude“ galt, verlor er 1934 die Prüfungsberechtigung.453 1939 wurde sie ihm wieder erteilt. 1943 erkrankt, wurde er nach Kriegsende wieder zum Direktor des Physiologischen Instituts und 1951 zum Professor mit Lehrstuhl ernannt. Von seiner Berufung bis zu den gehässigen Auseinandersetzungen mit seinem Assistenten Fritz Wrede 1933 leistete Steinhausen Bahnbrechendes bei der Erforschung des Gleichgewichtssinnes. Unter anderem entwickelte er Methoden zur Untersuchung der Rezeptorsysteme im Labyrinth des Ohres.454 1953 wurde Steinhausen nach einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Chemiker Hans Beyer, seit 1950 Rektor der Universität, zwangsweise emeritiert. Steinhausen hatte dessen enge Zusammenarbeit mit der Polizei kritisiert.455

3.5 Die Aberkennung akademischer Grade

Eine weitere Folge der nationalsozialistischen Machtübernahme war die Aberkennung akademischer Würden. Die Aberkennung akademischer Grade zwischen 1933 und 1971 wurde nach 1999 durch eine interfakultäre Kommission untersucht, die 90 Fälle ermitteln konnte. Der Senat rehabilitierte im Jahr 2000 71 ehemalige Absolventen. Außerdem sprach sie sieben Ehrensenatoren die Würde wieder zu. Nicht reha452 Vgl. BA , R 4901/13277 Karteikarte Steinhausen. 453 Vgl. UAG PA 586 Steinhausen, Bd. 3, Bl. 29. 454 Vgl. Trincker, D. E. W.: Wilhelm Steinhausen (1887–1954), in: Reviews of Physiology, Biochemistry and Pharmacology, Bd. 87, 1980, S. 25 f. 455 Vgl. UAG PA 586 Steinhausen, Bd. 1.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

bilitiert wurden Personen, denen die Würde wegen krimineller Vergehen oder wegen Plagiats abgesprochen worden war.456 So gab es Ärzte, die verurteilt wurden, weil sie Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen hatten. Kriminell handelten einige Volkswirte, die in Schiebereien von rationierten Waren verwickelt waren, und es gab einen hochdekorierten Offizier, der seine geographische Dissertation aus 26 verschiedenen Schriften zusammenkopiert hatte, ohne Quellenbelege anzugeben.457 Von den 90 Fällen betrafen 53 die Aberkennung der Staatsbürgerschaft. Zugleich mit der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft wurde üblicherweise die Doktorwürde aberkannt, um Emigranten die berufliche Tätigkeit im Ausland zu erschweren. Das Procedere war vom Reichsinnenministerium vorgegeben, weshalb die Universität solche Fälle rein bürokratisch behandelte. Sie erhielt vom Innenministerium oder von der Geheimen Staatspolizei eine Mitteilung, dass der Betreffende ausgebürgert worden war. Danach entschieden die Rektoren immer auf Entzug des Doktortitels.458 Nachfragen gab es nicht. Hinter dem Terminus „Entzug der Staatsbürgerschaft“ verbarg sich manchmal auch die Deportation und Ermordung. So wurde der Juristin Hedda H. im März 1943 der Doktortitel aberkannt, sie starb in Auschwitz.459 Es gab nur drei Fälle, in denen die Aberkennung aus politischen Gründen vorgenommen wurde. Die Universität hielt das auch für geboten, wie der Fall des Arztes Johannes Eras belegt. Dieser war 1944 vom Volksgerichtshof zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, weil er sich skeptisch zum möglichen Ausgang des Krieges geäußert hatte. Die Strafe fiel mild aus, weil dessen Anwalt Eras als einen harmlosen, präsenilen Meckerer dargestellt hatte. Keineswegs habe er die Absicht gehabt, die Wehrkraft des deutschen Volkes zu zersetzen. Der Dekan der Medizinischen Fakultät Günter K. F. Schultze befürwortete den Entzug des Doktortitels, wie er dem Rektor mitteilte, nicht ohne einen Kommentar abzugeben. Es erscheine ihm „besonders bedenklich“, wenn ein Mann mit einem akademischen Titel, der ein „gewisses Ansehen“ verleihe, derartige Reden halte. Es sei also notwendig, das Ansehen dieses Mannes durch den Entzug des Titels zu „untergraben“, damit seine Klientel „misstrauisch gegen ihn gemacht“ werde.460

456 Vgl. Alvermann, Dirk: Die Aberkennung akademischer Grade an der Ernst-Moritz-ArndtUniversität Greifswald während der NS-Zeit und ihre Aufhebung 1945–66, in: Zeitgeschichte regional, Mitteilungen aus Mecklenburg Vorpommern 2, 2003, S. 14 ff. 457 Vgl. BA R 4901/14774. 458 Vgl. UAG K 1821, 1822, 1823. Der Senat der Universität Greifswald setzte daher eine Rehabilitierungskommission ein, die im Jahr 2000 71 Personen namentlich rehabilitierte. 459 Vgl. BA R 4901/14774; Stolperstein in Freising, http://www.dom-gymnasium.de/cms/index. php?option=com_content&view=article&id=105&Itemid=136, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 460 Vgl. BA R 4901/14774, Bl. 68.

3.6 Die Verfestigung nationalsozialistischer Machtstrukturen 

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3.6 Die Verfestigung nationalsozialistischer Machtstrukturen – Pfründen­ bildung, Dozentenschaft, Führerrektor

Viele der nationalsozialistischen Aktivisten des Jahres 1933 wanderten in den Parteiapparat ab, wie die geschilderten Karrieren von Rittich, Soenke, Pechau und Falk zeigen. Zu den Aktivisten des Studentenbundes gehörte auch Werner Lottmann, der, 1909 in Wuppertal geboren, an verschiedenen Universitäten Naturwissenschaften sowie Pä­ dagogik und Psychologie studiert hatte. 1932 kam er nach Greifswald, trat in die NSDAP ein und leitete im Kreisstab die Abteilung Ahnenforschung und rassenpolitische Schulung. 1933 trat er der SA bei, von September 1933 bis März 1934 arbeitete er als Referent für Rassefragen, Grenz- und Auslandsdeutschtum, Hygiene und Kulturarbeit bei der HJ Vorpommerns. Das nötige Gewicht für eine Parteikarriere erwarb er in dem großangelegten Schulprojekt Günther Justs, aus dem er eine Dissertation formte über Schulleistung und Lebensleistung ehemaliger Gymnasial­abiturienten. Dann war er persönlicher Adjutant des Berliner Studentenführers, arbeitete im Referat Jugendfürsorge der NSV und führte im Auftrag der DAF Schulungen durch. Daneben war er Lektor des Rassenpolitischen Amtes und im Amt Rosenberg. 1938 wechselte Lottmann zur SS, wo er Referent für Berufsberatung der NAPOLA-Schüler wurde. Nach 1945 arbeitete er als Dozent für Psychologie und Soziologie an der Bergschule in Moers und als Sekretär der Duisburger Universitätsgesellschaft.461 Einige der studentischen Aktivisten des Jahres 1933 blieben jedoch an der Universität und besetzten hier Funktionsstellen, in denen sie politische Regungen an der Universität steuern oder zumindest kontrollieren konnten. Einer von ihnen war der Historiker Heinz Krüger, Sohn eines ostpommerschen Volksschullehrers. 1931 begann er in Greifswald mit dem Studium der Theologie, wechselte jedoch sehr schnell zur Geschichte und bekräftigte den Glaubenswandel zum Nationalsozialismus durch den Kirchenaustritt. 1931 trat er in den NS-Studentenbund und im Oktober 1932 in die NSDAP ein. Durch ein Stipendium gefördert, arbeitete er ab 1935 an seiner Dissertation, einer Geschichte seines Heimatdorfes Groß Sabow. Es ist nicht nachvollziehbar, ab wann er inoffiziell für den Sicherheitsdienst der SS arbeitete, sein ehemaliger Vorgesetzter, der Studentenführer Karl-Heinz Bendt baute jedoch ab 1936 einen V-Mann-Apparat in Pommern auf.462 Krüger muss zumindest das Vertrauen des SD genossen haben, 1941 wurde er offiziell zum „Notdienst“ beim SD-Abschnitt II Stettin eingezogen.463 461 Vgl. Harten, Hans-Christian, Uwe Neirich und Matthias Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reiches. Bio-bibliographisches Handbuch, Berlin 2006, S. 179 ff. 462 Vgl. Mittenzwei, NSD-Studentenbund, in: Alvermann, Schranken, S. 120. 463 Vgl. UAG PA 4229 Krüger, Heinz.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Die Dissertation über das Dorf Groß Sabow war eine Rekonstruktion der Besitzverhältnisse einzelner Bauernhöfe vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, außerdem schrieb er die Geschichte der anderen Gebäude und ihrer Bewohner. Erstgutachter Johannes Paul lobte besonders, dass es Krüger verstanden habe, „den kleinen dörflichen Organismus“ in das „wirtschaftliche und politische Schicksal des Ostens“ hineinzustellen. Allerdings neige der Verfasser „etwas zu sehr zur Breite“ und auch Zweitgutachter Adolf Hofmeister meinte, dass „weniger sicherlich mehr gewesen wäre“, und empfahl Kürzungen.464 Im Druck umfasste die Dissertation immer noch 380 Seiten und enthielt Passagen, die in einer mit „sehr gut“ bewerteten wissenschaftlichen Arbeit nichts zu suchen hatten, aber die Gedankenwelt des Autors widerspiegeln. Dokument Nr. 5: Heinz Krüger über die Kirchenglocke von Groß Sabow (1938)

Diese Glocke ließ Jahrhunderte hindurch ihre erzene Stimme weit über das Land schallen. Die Bauern folgten ihrem Ruf in die Kirche, ihrem Gott zu danken oder ihn zu bitten. In Kriegszeiten und bei Feuersnot gellte ihr Ruf hinaus und klagte die Not dem Himmel, rüttelte die ruhigen, die Schläfer wach und führte sie ans Werk. Sie hat all das gesehen, gehört, erlebt, was wir hier lesen und gelesen haben. Manches uns verschlossen gebliebene ist um sie gewesen. Morgens und abends an jedem Tage erschallte ihre Stimme. Mit dem Klang der Glocke begann das Tagewerk. Mit dem Klang der Glocke wurde es geschlossen. Und diese Glocke ging im großen Kriege dahin, im Weltkrieg wurde sie zerschlagen. Sie wurde aus dem Turm genommen. Mit einem Schmiedehammer zerschlug und zertrümmerte man sie, zertrümmerte ein Erz, das über 360 Jahre lang Tote zu Grabe geläutet hatte, dessen Stimme aufschrie zum letzten Mal unter dem Hammer. Und die Menschen, die das Werk vollführten, sie glaubten an das Opfer, das sie der Nation brachten. Dieses Stück Metall, es hatte den Lebensbund der Generationen gesegnet, es hatte die Toten in den ewigen Frieden geläutet, dieses Metall sollte nun Menschen in den Tod führen. Einer Nation wird man stets diese Opfer bringen. Sonst wäre man nicht würdig, ihr zu gehören. Erfüllte aber dieses Opfer seinen Zweck, wenn es – wie die vielen, vielen anderen – in die Hände jüdischer Schieber fiel? Quelle: Krüger, Heinz: Geschichte des Dorfes Groß-Sabow. Das Schicksal eines ostdeutschen Kolonisationsdorfes, Greifswald 1938, S. 295 f.

464 Vgl. UAG Phil. Diss. II 975 Krüger.

3.6 Die Verfestigung nationalsozialistischer Machtstrukturen 

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Während er an der Promotion arbeitete, lernte Krüger Schwedisch und erhielt eine Assistentenstelle am Schwedischen Institut. Vorübergehend leitete er auch die beim Rektor angesiedelte Pressestelle der Universität. Krüger war ein nationalsozialistischer Multifunktionär. Im Sommersemester 1935 war er Führer des Stammhauses der Studentenschaft und Presseamtsleiter, ab 1936 Gauschulungsbeauftragter und Leiter des Amtes Wissenschaft, zugleich Gauwettkampfleiter des Reichsberufswettkampfs. In der Hitlerjugend amtierte er ab 1932 als Stabsführer des Bannes 42, dann als Führer des Unterbannes II/294, später wurde er Gefolgschaftsführer im Stab des Gebiets Pommern. Als Gaustudentenführer Falk einen Autounfall erlitt, vertrat ihn Krüger, außerdem leitete er das Presseamt im Stab der SA-Standarte. Damit war er zugleich Gaustellenleiter und damit Mitglied der Gauleitung. Außerdem wurde er von der parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutz des NS-Schrifttums nebenamtlich als Gutachter bemüht.465 Zu denen, die in Greifswald bepfründet wurden, gehörte auch der Geographiestudent Gustavkarl Hübner. Er hatte Nationalökonomie und Jura in Marburg und Gießen studiert, wo er zusätzlich naturwissenschaftliche Vorlesungen und Übungen belegte. Hier bestand er das Examen für die höhere Forstlaufbahn, entschied sich jedoch für die Fortsetzung des Studiums in Greifswald, wo er 1933 mit einer Dissertation über den Kautschuk promoviert wurde. Das mündliche Examen bestand er mit Auszeichnung, sein Buch wurde von der Deutschen Kautschukgesellschaft mit einem Ehrendiplom geehrt.466 Seit 1931 gehörte er der NSDAP an und engagierte sich in der SA. 1933 trat er in die SS ein, wo er es bis zum Oberscharführer brachte. Von seinem Vorgesetzten Hermann Lautensach wurde er nach dem Krieg als Mitarbeiter des SD denunziert, was jedoch unbewiesen blieb.467 Da Hübner das Ziel hatte, Hochschullehrer zu werden, erhielt er eine Förderung aus dem Universitätsfonds für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Ohne bereits habilitiert zu sein wurde er 1935 für die Arbeit der Dozentenschaft herangezogen und bekleidete das Amt für Arbeitsdienst. Im SS-Oberabschnitt Nord unterstützte Hübner den Führer des Rasse- und Siedlungswesens bei der Erstellung von „Rassekarten“ und wurde bis 1939 als „Spezialist für osteuropäische Fragen“ für Planungen im Siedlungswesen herangezogen. In der NSDAP-Gauleitung verwaltete Hübner das Amt des stellvertretenden Gaudozentenführers.468 1938 stieg er zum Referent für Nachwuchsförderung auf und übte in dieser Funktion einen starken Druck auf die Wissenschaftler aus, die solche För-

465 466 467 468

Vgl. PA 4229 Krüger, Heinz. Vgl. UAG Phil. Diss. II Nr. 692; Math. Nat. Habil. Nr. 33. Vgl. BA RS Rasse C 5022. Vgl. ebd.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

derung nötig hatten.469 Ob Hübner tatsächlich ein enger Mitarbeiter des damaligen Rektors Reschke gewesen ist, wie nach 1945 behauptet wurde, sei dahingestellt. Fest steht jedoch, dass Hübner als Stellvertreter des Dozentenbundsführers Beurteilungen abgab, die außerordentlich subjektiv gefärbt waren. So wurde der Geograph Blüthgen in seiner Karriere von Hübner nachweisbar gehindert,470 der Theologe Hans Eger, der die NSDAP 1932 wohl nicht nur aus finanziellen Gründen verlassen hatte, allerdings gefördert.471 Da die meisten Gutachten des Dozentenbundes anonym zu den Akten genommen wurden, ist unklar, wie viele solcher Beurteilungen er anfertigte. Fest steht, dass der Dozentenbund eigene Akten über „sein“ Personal gehabt haben muss, aus denen sich solche Beurteilungen ergaben. Hübner wurde 1940 als Kriegsverwaltungsrat zur Luftwaffe eingezogen, wo er als Meteorologe tätig war.472 Seine wissenschaftliche Karriere versandete mangels Fleißes, wie Lehrstuhlinhaber Lautensach 1945 rückblickend feststellte, als er Hübner denunzierte und angab, wo sich Hübner bei Kriegsende befand.473 3.6.1 Dozentenschaft

Ins Stocken geratene Karrieren gab es auch bei habilitierten Wissenschaftlern. Da es sich um ein Problem von allen Universitäten handelte, schuf das Wissenschaftsministerium ab 1938 beamtete Dozentenstellen. Mit ihnen wurden in erster Linie die nicht auf Lehrstühle berufenen nationalsozialistischen Aktivisten bedacht. Die Haushaltsmittel für dieses Verbeamtungsprogramm wurden jedoch systematisch ausgeweitet, so dass die Dozentur zum ersten Karriereschritt einer planbaren Wissenschaftlerkarriere wurde. Das Ministerium nahm damit Druck von bis dahin oft prekären Wissenschaftlerexistenzen und entspannte auf diese Weise auch den Konkurrenzkampf, der mit zu den Gründen für die zahlreichen Denunziationen gehörte. Zugleich unterwarf es so alle Dozenten dem Beamtenrecht und stellte die Weisungsbefugnis des Ministeriums sicher.474 Um die Rolle der Dozentenschaft gab es in der gesamten Zeit des Nationalsozialismus harte Auseinandersetzungen zwischen dem Ministerium und verschiedenen Parteistellen, aber auch innerhalb der Partei. In den Anfangsjahren der Diktatur agierten die NS-Aktivisten im Lehrkörper relativ eigen469 Vgl. UAG Phil. Fak. II Nr. 173. 470 Vgl. ebd. 471 Vgl. UAG PA 2596 Eger, Bl. 79. 472 Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 455. 473 Vgl. UAG Phil. Fak. II Nr. 173. 474 Vgl. Nagel, Anne C.: Hitlers Bildungsreformer. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934–1945, Frankfurt a. M. 2012, S. 276 f.

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ständig, wenn auch im Verbund mit der Studentenschaft und, im Falle Greifswalds, der NSDAP-Kreisleitung. Ab 1935 wurden sie im Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund zusammengefasst und damit fester Bestandteil der Parteihierarchie.475 Der Gaudozentenbundsführer war dem Gauleiter unterstellt, seinerseits unterstanden ihm in Pommern die örtlichen Dozentenbundsführer der Universität Greifswald und der Hochschule für Lehrerbildung in Lauenburg. Der Dozentenbund war dabei seit seiner Gründung 1935 dem Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung der NSDAP, also Reichsleiter Alfred Rosenberg unterstellt. Nach einer Auseinandersetzung zwischen Rosenberg und dem Sekretär des Führers, Martin Bormann, im Jahre 1941 wurde der Dozentenbund stärker an die Parteikanzlei angebunden. Beim Dozentenbund blieben die politische Schulung sowie der Einfluss auf die Forschung und deren „weltanschauliche Durchdringung“, die Parteikanzlei erhielt aber ein stärkeres Mitspracherecht bei der Besetzung von Lehrstühlen. Personalvorschläge waren mit der Stellungnahme des Dozentenbundes der Parteikanzlei zu übergeben. Gegenüber dem Wissenschaftsministerium trete die Parteikanzlei „allein“ in Erscheinung, machte Bormann Rosenberg in einem Notenwechsel klar.476 Für die Universitäten bedeutete das eine doppelte Kontrolle; einem Berufungsvorschlag musste zunächst der örtliche Dozentenbund zustimmen, der sich darüber selbstverständlich mit den übergeordneten Institutionen beriet. Dann wurde die Entscheidung noch einmal von der Parteikanzlei überprüft. Grund für diese Auseinandersetzung war die vermeintliche Duldsamkeit Rosenbergs im Kirchenkampf, sicher auch der Versuch Bormanns, seine Machtstellung innerhalb der Partei auszubauen. Praktisch bedeutete das, dass zu allen Entscheidungen im Vorfeld Konsens hergestellt werden sollte. Rektor und Funktionäre der Dozentenschaft stimmten sich ab, in Greifswald war das spätestens nach der Berufung des Chirurgen Karl Reschke zum Rektor im Frühjahr 1935 der Fall. Für andere Universitäten, etwa Jena, wurde der Befund erhoben, dass die Institutionen miteinander „vernetzt“ gewesen seien.477 Aus den Akten der Universität Greifswald ist dieser modern gedachte Netzwerkcharakter nicht abzulesen. Jede Institution sammelte ihre eigenen Informationen über Personen, 475 Vgl. dies.: „Er ist der Schrecken überhaupt der Hochschule“ – Der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund in der Wissenschaft des Dritten Reichs, in: Scholtyseck, Joachim und Christoph Studt (Hg.): Universitäten und Studenten im Dritten Reich. Bejahung, Anpassung, Widerstand, Berlin 2008, S. 115–132. 476 Vgl. BA NS 15/330. 477 Vgl. Schilling, Willy: NS-Dozentenschaft und Nationalsozialistischer Dozentenbund an der Universität Jena, in: Hoßfeld, Uwe u. a. (Hg.): „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln u. a. 2003, S. 190.

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der Kurator führte Personalakten, in die der Rektor Einblick hatte und Aktenstücke hinzufügte, etwa Gesprächsnotizen. Unabhängig davon wurden beim örtlichen Dozentenbundsführer Personalakten geführt. In diese Personalakten wurden Informationen und Gutachten von Dozentenführern anderer Universitäten aufgenommen. Vernetzt war die Dozentenschaft untereinander, mit den staatlichen Behörden wurde „amtlich“ verkehrt. Die auf diesem Weg weitergeleiteten Gutachten wurden in einer, so Dozentenbundsführer Hans-Jürgen Bruns 1941, „üblichen Form“ erstattet.478 Diese „übliche“ Form enthielt ein Curriculum Vitae in Kurzform, das auch die Mitgliedschaft in verschiedenen Parteigliederungen erwähnte, etwa die Art des Dienstes in der SA. Danach folgte eine knappe Einschätzung der wissenschaftlichen und menschlichen Qualifikation. Empfänger war das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, das die Gutachten der Dozentenschaft zu den Personalakten nahm, auch wenn sie widersprüchlich und damit wenig hilfreich waren, wie ein Beispiel belegt. Der aus Innsbruck stammende Frauenarzt Hans NevinnyStickel strich in seinen Lebensläufen die Verbundenheit mit der NSDAP heraus, für die er bereits als Student in München 1919 gespendet hatte. In der Beurteilung des Gemeinschaftslagers für die Dozenten kam er allerdings schlecht weg. Hier wurde dessen persönlicher Ehrgeiz hervorgehoben und negativ vermerkte der Verfasser, dass Nevinny „eigensinnig“ sei und die „ideelle Betonung nur dort echt“ sei, wo er seine „Selbstgeltung“ befriedigt sehe. Die Dozentenakademie beurteilte ihn 1937 gnädiger. Zwar spreche er immer zuletzt, habe dann aber auch „Brauchbares“ zu sagen. Immerhin lautete das Urteil, Nevinny sei „ein bewusster, aufrichtiger und einsatzbereiter Nationalsozialist“ und sei „zum Hochschullehrer durchaus geeignet“.479 Die Beurteilungen der Dozentenschaft waren vom Ministerium durchaus gewollt und die Hürde zur Dozentur wurde von der erfolgreichen Absolvierung eines Lagers abhängig gemacht. Die Lager wurden ab 1934 vom Ministerium gemeinsam mit der SA betrieben und bis zum Kriegsbeginn 1939 aufrechterhalten. Die Idee der Lager war, Gesinnung und militärische Nutzbarkeit zu beurteilen. Einer der Ersten, die den Lehrgang der Akademie in Kiel-Kitzeberg durchliefen, war der Physiologe Friedrich Richter, der sich 1933 mit Versuchen zur Reizleitung habilitiert hatte. Richter war Parteimitglied und seit April 1934 Zellenleiter, dem Pädagogen Ernst Krieck erschien er trotzdem „farblos, so wenig teilnehmend und hervortretend, dass [das] Charakterisieren fast unmöglich ist“. Weiterhin stellte Krieck fest, dass sich Richters Teilnahme auf „passives Dabeisein und Mitmachen“ beschränkt habe. Der andere Gutachter, der Chemiker Heinrich Cordes, stellte aber heraus, dass Richter ein „ausgesprochener 478 Vgl. UAB NS-Dozentenschaft G 86 Friedrich Goethert, Bl. 8. 479 Vgl. BA R 4901/25127, Bild 1340.

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Naturfreund“ sei, außerdem: „hochanständig, guter Kamerad, keine Führernatur, politisch von ehrlichem Wollen“.480 Die meisten Beurteilungen wurden allerdings von der Dozentenschaft der Universität erstellt, etwa wenn es darum ging, Wissenschaftler an andere Universitäten zu berufen. Dabei ist auffällig, dass der gehässige, denunziatorische Tonfall der Texte mit der Ernennung des nicht habilitierten Assistenzarztes Joachim Brinck zum Leiter der Dozentenschaft aufhörte. Auf diese Weise verhalf Brinck der Institution Dozentenschaft zu einem akzeptierten Status unter den Professoren und verschaffte ihr den Respekt des Rektors. Der 1900 in Strasburg (Westpreußen) geborene Sohn eines Generalmajors hatte als Medizinstudent dem Corps Borussia angehört und 1925 die Approbation erhalten. Er promovierte 1927 mit einer Reihenuntersuchung von 400 Paratyphusstämmen und wechselte mit seinem Mentor Werner Gerlach an das Pathologische Institut der Universität Halle. Er kam 1930 als außerplanmäßiger Assistent an die Medizinische Universitätsklinik Greifswald und wurde von seinem Ordinarius Gerhardt Katsch bald mit der Abhaltung von Spezialvorlesungen betraut. Seine geplante Habilitationsschrift zur Gastritis stellte er nicht fertig, weil er 1938 zum Leitenden Arzt der Inneren Abteilung des Stadtkrankenhauses Schwerin ernannt wurde. Brinck war seit 1933 NSDAP- und SA-Mitglied und Sturmarzt des Greifswalder Reitersturms, später wechselte er zur SS.481 Im Juni 1944 geriet er als Oberstabsarzt an der Ostfront in Gefangenschaft und gilt seitdem als verschollen.482 Sein Nachfolger wurde 1939 der Strafrechtler Bruns, ein profilierter SS-Mann. Nach dessen Berufung nach Posen versah der Rektor das Amt des Dozentenführers einfach mit. Brincks Gutachten zeigen den Versuch, nationalsozialistische Gesinnung und Achtung vor der Person in ein ehrliches Urteil einzubringen. Der Professor für Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches, Handels- und Arbeitsrecht Erich Molitor war für ihn „persönlich“ ein „durchaus anständiger Mensch“. Politisch sei er aber ein „starker Skeptiker, formell stets loyal, sicher aber kein Kämpfer im Sinne des Dritten Reiches“. Außerdem sei Molitor katholisch, allerdings „ohne früher Beziehungen zum Zentrum unterhalten zu haben“. Es sei also fraglich, ob er als „politischer Katholik“ bezeichnet werden könne. Seine schriftstellerische Tätigkeit auf dem Gebiet des Arbeitsrechts zeige aber, so SS-Mann Brinck weiter, „eine unbedingt positive Einstellung zum heutigen Staat“, Schwierigkeiten mit Studenten habe er nie gehabt. 483 Dabei erkannte Brinck erbrachte Anpassungsleistungen an das Regime durchaus an, etwa als er über den Mathematiker Hellmuth Kneser schrieb, dass dieser früher „zu 480 481 482 483

Vgl. BA R 4901/23400. Vgl. UAG PA 476 Brinck. Vgl. Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Yorck, Nr. 15, Juli 1944, S. 4. Vgl. UAG PA 417 Molitor.

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liberal-demokratischen Kreisen“ Beziehungen gehabt habe, jetzt aber Mitglied der SA sei; in Klammern notierte er dahinter: allerdings „nicht Pg.[Parteigenosse]“.484 Dem Historiker Johannes Paul fehle „ein gewisser begeisternder Schwung“, politisch könne er aber als „sicher und einsatzbereit“ gelten. Das Schwedische Institut habe er vorangebracht, wenn er auch die Dinge „zu sehr vom schwedischen Standpunkt aus“ betrachte. Hingegen wurde die schwedische Ehefrau nicht als Makel betrachtet.485 Über den Verwaltungsjuristen Arnold Köttgen schrieb er am 15. Dezember 1936: „Über die Grundsätzlichkeit seiner politischen Haltung werden von verschiedenen Seiten Bedenken geäußert. Er kann aber, gerade an seiner Tätigkeit an der Verwaltungsakademie gemessen, als um eine positive Haltung aufrichtig bemüht gelten… Die Bedenken, die gegen Köttgen vorgebracht werden, liegen im Wesentlichen wohl in seiner Art, sich zu geben und in seinem häufig gezeigten Ehrgeiz. Es ist schwer, diese Bedenken mit Einzelheiten zu belegen.“486 Ähnliche Gutachten wurden nicht nur bei Berufungen oder auf Nachfrage erstattet, sondern auch wenn Beihilfen, etwa zu einer Reise, gewährt werden sollten. Der Geologe Konrad Richter etwa gehöre „zu den erfreulichsten Leuten unter dem jüngeren Nachwuchs“, schrieb Brinck auf Nachfrage des Rektors 1936, politisch stehe er „ganz auf dem Boden des Dritten Reiches“, weshalb er den Antrag um Reisekostenbeihilfe für eine Finnlandexkursion „auf das Wärmste“ befürworte.487 Dem Philologen Franz Dornseiff wurden Reisen in der nationalsozialistischen Zeit hingegen unmöglich gemacht. Das Wissenschaftsministerium untersagte die Fahrt zur Sprachforschertagung nach Kopenhagen ebenso wie die Reise zum Papyrologenkongress in Oxford. Der Grund dafür war in einer Beurteilung durch den „Vertrauensmann“ in der Philosophischen Fakultät, dem Kunsthistoriker Kurt Wilhelm-Kästner zu sehen, der zwar nichts Konkretes vorzubringen hatte, aber schrieb: „Politisch ist Dornseiff allerdings kein Freund der nationalsozialistischen Bewegung. Er hält sich auch bewusst von allen offiziellen Veranstaltungen, einschl.[ießlich] Fakultätssitzungen fern.“488 Der denunziatorische Tonfall war insgesamt üblich, die ernsthaften Gutachten Brincks bildeten eine Ausnahme von der Regel. Das institutionalisierte, bürokratisierte System der Dozentenschaft verlor nicht an Schlagkraft im Hinblick auf eine nationalsozialistisch dominierte Universität. Die Denunzianten selbst büßten jedoch Boden ein, den sie durch den oft anonymen Charakter der Anschuldigungen gewonnen 484 485 486 487 488

Vgl. BA R 4901/23877, Bl. 6. Vgl. BA R 4901/23709. Vgl. BA R 4901/24005. Vgl. UAG PA 255 Richter. Vgl. UAG PA 209 Dornseiff, Bd. 3, Bl. 70.

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hatten. An den Biographien der Personen Hermann Brüske, Wilhelm Hartnack und Siegfried Lange ist ablesbar, wie wissenschaftlich minderqualifizierte Wissenschaftler mit Pfründen ausgestattet wurden und die Universität in ihrem Sinne umgestalteten. Der mit Abstand wichtigste Parteiaktivist Hermann Brüske wurde 1883 in Stettin als Sohn eines Oberpostsekretärs geboren. Er studierte in Dresden, Leipzig, Edinburgh und wieder Leipzig. Dort wurde er 1909 Hilfskraft am Russischen und Bulgarischen Institut. Während des Ersten Weltkriegs diente er als Kriegsfreiwilliger im Feldartillerie-Regiment 38.489 Infolge einer Granatsplitterverletzung am Kopf litt Brüske seit 1917 an Sehstörungen, die zum Verlust der Sehfähigkeit auf einem Auge führten.490 Daher wurde er 1917 zur Militärdolmetscherschule Berlin versetzt. Brüske dolmetschte an der Ostfront die wirtschaftlichen Verhandlungen zwischen ukrainischen und deutschen Politikern. Im Januar 1919 wurde er als Gefreiter entlassen. 1920 wurde er er mit einer Dissertation über die russischen und polnischen Elemente in der rumänischen Sprache zum Dr. phil. promoviert. 1923 legte er das Lehrerexamen ab. Seit 1922 war Brüske Lektor für Russisch in Greifswald, die Ernennung zum Studienrat folgte erst 1930. 1931 trat Brüske der NSDAP bei und war hier offensichtlich bestens vernetzt. Als er 1933 wegen der Übernahme der Dozentenführung im Lehramt beurlaubt wurde, übernahm auf seinen Wunsch hin SA-Standartenführer Theuerkauf den Russischunterricht.491 Die Philosophische Fakultät stellte am 9. November 1933 einen Antrag zur Ernennung Brüskes zum Honorarprofessor und bat gleichzeitig um eine auskömmliche Lehrauftragsvergütung „in Anerkennung seiner großen Verdienste um die Universität“.492 Obwohl Brüske nicht eigentlich unqualifiziert war, sorgte er jedoch nicht selten für Querelen. Eine mögliche Ursache dafür war seine Suchtkrankheit, die auf der gleichzeitigen Einnahme von Alkohol und Schlafmitteln beruhte. Im September 1934 musste die Nervenklinik epileptische Krämpfe behandeln, die als Nebenwirkung von Schlafmitteln auftraten. 1936 begab er sich wegen eines nervösen Zusammenbruchs in die Obhut von Gerhardt Katsch, dem Direktor der Medizinischen Klinik. 1937 folgten ein völliger Zusammenbruch und die Einlieferung in die Nervenklinik. Ab November 1941 musste er erneut vier Monate in der Klinik verbringen.493 In den Zeiten dazwischen gehörte er jedoch immer dem akademischen Senat an und verfügte wegen seiner hervorragenden Kontakte zur Partei über eine erhebli489 Vgl. UAG PA 23 Brüske; BA R 4901/13260 Karteikarte Brüske; Stamm-Kuhlmann, Philosophische Fakultät, in: Alvermann/Spieß, Universität und Gesellschaft, Bd. 1, S. 413–418. 490 Vgl. UAG UNK PA 305 Brüske, Bd. 1 und 2. 491 Vgl. UAG PA 23 Brüske, Bd. 1, Bl. 92. 492 Vgl. ebda., Bl. 140. 493 Vgl. UAG UNK PA 305 Brüske, Bd. 1 und 2.

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che Machtstellung. Erst eine Äußerung im Dezember 1936 führte zur Beschneidung seines Einflusses. Er hatte angekündigt, dass er seine alten SA-Stiefel wieder anziehen wolle und dem Kurator kräftig „in den Arsch treten“ werde. Die Folge war ein Verweis durch den Minister.494 Ganz erledigt war der Denunziant damit aber nicht. So zeigte er den Lektor Alfred Rammelmeyer 1937 wegen Diebstahls an, im Gegenzug erhob Rammelmeyer Privatklage wegen ungerechtfertigter Anschuldigung. Beide Verfahren wurden anlässlich einer Amnestie eingestellt. Rammelmeyer wurde nach Königsberg versetzt, Brüske blieb in Greifswald.495 Wegen seiner inzwischen chronischen Krankheit wurde er nach 1945 nicht wiederverwendet. Im Gegensatz zu Brüske war Wilhelm Hartnack ursprünglich kein nationalsozialistischer Aktivist gewesen. Der Geograph trat kurz nach seiner Übersiedlung nach Greifswald in die Deutschnationale Volkspartei ein. NSDAP-Mitglied wurde er mit dem Datum 1. Mai 1933, er muss also zwischen Januar und April 1933 den Aufnahmeantrag gestellt haben. Im November 1933 wurde er Mitglied des SS-Motorsturms Greifswald, bei dem er im Oktober 1934 zum Führer ernannt wurde.496 Der Lehrersohn wurde 1903 in der rheinischen Industriestadt Elberfeld geboren und hatte sich für den Beruf des Vaters entschieden. Nach dem Abitur schrieb er sich 1914 an der Universität Erlangen für Geschichte, Germanistik und Geographie ein. Zugleich begann er mit der Offiziersausbildung als Einjährig-Freiwilliger bei der Infanterie. Im September wurde er bei der Auffrischung seines Regiments an die Westfront verlegt, wo er den Übergang vom Bewegungs- zum Stellungskrieg miterlebte. Für seine Tapferkeit wurde Hartnack mit dem Preußischen Eisernen Kreuz und dem sehr selten verliehenen Bayerischen Militärverdienstkreuz 3. Klasse mit Krone und Schwertern ausgezeichnet. Nach einer schweren Verwundung war der zum Leutnant beförderte Rekrutenausbilder in Erlangen, im Winter 1916/17 wurde er wieder in Flandern eingesetzt. Hartnacks Regiment wehrte im August 1917 einen französischen Sturmangriff ab, der große Opfer auf beiden Seiten kostete.497 Bei den Kämpfen wurde Hartnack verschüttet, nach seiner Wiederherstellung war er nur noch kanzleiverwendungsfähig.498 Trotzdem diente er als Militärischer Jugenderzieher im Bezirksamt Forchheim (Oberfranken) und 1918 als Abwicklungsoffizier seines Regiments. Ab 1919 war er Mitglied des Freiwilligenkorps der Erlanger Studentenschaft, wechsel494 Vgl. UAG PA 23 Brüske, Bd. 2, Bl. 40 ff. 495 Vgl. UAG K 904. 496 Vgl. BA R 4901/13268 Karteikarte Hartnack. 497 Vgl. Krafft von Dellmensingen, Konrad und Friedrichfranz Feeser: Das Bayernbuch vom Weltkriege 1914–1918, Stuttgart 1930, Bd. 1, S. 112–118; Erinnerungsberichte in Bd. 2, S. 247– 445. 498 UAG PA 226 Hartnack; BA R 4901/13268.

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te dann aber zum Freikorps Epp, das beim Sturz der Münchner Räterepublik eine wichtige Rolle spielte und zahlreiche Verbrechen an der Bevölkerung verübte.499 Auf seinem Karteiblatt für das Wissenschaftsministerium vermerkte Hartnack, dass er an den „Kämpfen gegen Spartakisten“ teilgenommen habe.500 Obwohl er die Gelegenheit hatte, wie die meisten Angehörigen des Freikorps von der Reichswehr übernommen zu werden, entschloss er sich, sein Studium zu Ende zu bringen. Er ging nach Greifswald, legte hier das Staatsexamen ab, wurde promoviert und habilitierte sich 1928 mit einer Studie über das Rothaargebirge. Nach der Denunziation seines Mentors Gustav Braun vertrat er zwar den Lehrstuhl, musste aber feststellen, dass der Dekan der Philosophischen Fakultät Erich Leick einen anderen Kandidaten durchsetzte. Dazu benutzte Leick ein Gutachten, das der angesehene Geograph Albrecht Penck im November 1932 über Hartnack angefertigt hatte. Hartnack hatte durch die Vermittlung Brauns ein halbes Jahr bei Penck arbeiten dürfen und sich in Berlin mit kartographischen Fragen befasst. Hartnack sei ein „fleißiger Arbeiter“, urteilte Penck, mit einem allerdings „beschränkten Arbeitsfeld“. Die Geomorphologie der Küsten Hinterpommerns habe er aber ohne die neueren skandinavischen Arbeiten verfasst. Sein Buch über Madeira enthalte „hübsche Karten“ und sei in Ordnung. Die Studie über das Rothaargebirge biete allerdings manches, was „ganz hinfällig“ sei, vor allem gebe es ein Missverhältnis zwischen der Menge der beobachteten Tatsachen und den „daraus gezogenen Schlussfolgerungen“. Die Ergebnisse stünden „erheblich“ hinter dem Umfang der „breit geschriebenen“ Abhandlungen zurück. Insgesamt schöpfe keine von Hartnacks Arbeiten den Gegenstand „entsprechend demjenigen Stand der Wissenschaft völlig aus“. Leick gab das desaströse Gutachten im Juni 1935 an das Wissenschaftsministerium weiter und erklärte, dass es Hartnack in den Jahren seiner Lehrstuhlvertretung nicht gelungen sei, die „vorliegenden Missstände“ in dem „einst so blühenden Fach“ zu beheben. Dafür sei wohl Hartnacks Verschuldung verantwortlich, aus der dessen „eingeschränkte Wirksamkeit“ resultiere. Im Übrigen sei der Wirkungskreis des Wunschkandidaten Lautensach in Braunschweig „viel zu eng“, weil man dort nur Wirtschaftsgeographie betreibe.501 Lautensach kam, Hartnack wurde aber nicht, wie es Leicks Wunsch war, versetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er in Westfalen ein angesehener Heimatforscher. Zu den in Greifswald gebliebenen Dozenten gehörte auch der Biologe Siegfried Lange. 1891 in Schlesien geboren, studierte er Naturwissenschaften und Physik und 499 Vgl. Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt des Heeres: Die Niederwerfung der Räteherrschaft in Bayern 1919, Berlin 1939, S. 167 und 213; Tapken, Reichswehr, S. 89 f. 500 Vgl. BA R 4901/13268 Karteikarte Hartnack. 501 Vgl. UAG Phil. Fak. 474.

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legte die Prüfung für das höhere Lehramt ab. Er setzte seine Studien in Greifswald fort und konzentrierte sich auf das Fach Botanik. 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger zur Infanterie, kam vor Verdun zum Einsatz und wurde dreimal verwundet. Nach der Rückkehr aus britischer Gefangenschaft promovierte er mit einer Studie über Algen, 1927 habilitierte er sich mit einer Studie zur Lichtempfindlichkeit keimender Pflanzen. Politisch verortete er sich rechts, während des Kapp-Putsches trat er in eine Zeitfreiwilligeneinheit ein. Im April 1933 wurde er NSDAP-Mitglied. Obwohl Lange 1933 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt wurde, gehörte er weder zu den herausragenden noch zu den besonders fleißigen Wissenschaftlern. Er interessierte sich besonders für die Reizphysiologie und Pflanzenpathologie, ohne sich allerdings tiefer in das damit verbundene Gebiet der Hormone einzuarbeiten.502 Lange gehörte dem Senat 1933 als Nichtordinarienvertreter an und galt als Leiter der Dozentenschaft. Hier war er allerdings nur eine Galionsfigur, die aber gebraucht wurde, weil die nationalsozialistischen Aktivisten nicht habilitiert waren. Denn per Erlass des Kultusministeriums vom 11. Oktober 1933 sollte die Dozentenschaft als staatlich anerkannte Standesorganisation die außerordentlichen Professoren und Privatdozenten umfassen. Bereits wenig später wurde von dieser Regelung abgewichen und Hermann Brüske im Dezember 1933 zum Dozentenführer ernannt.503 Lange übernahm danach mehrere Ehrenämter, unter anderem als Leiter der Volksbildungsstätte in Greifswald, 1936 wurde er zugleich Leiter der Hauptstelle für Heimatforschung und -pflege an der Universität, vorübergehend leitete er die Pressestelle der Universität und das Gaupressereferat des NSD-Dozentenbundes. Rektor Reschke setzte sich 1938 daher für ihn ein und bat das Ministerium darum, Lange an der Universität zu halten und „ihm eine seinen Fähigkeiten und seiner Einsatzbereitschaft entsprechende Position“ zu geben. 504 Lange wurde wenig später zum beamteten außerplanmäßigen Professor ernannt. 1940 übernahm er die Abteilung für Pflanzenkrankheiten im Botanischen Institut. Seinen Fanatismus stellte er 1945 als Führer des Volkssturms unter Beweis. Er starb als Kriegsgefangener in der Sowjetunion. 3.6.2 Führerrektor und Kurator: die Doppelspitze der Universität

Im Preußischen Verwaltungssystem war die sogenannte Doppelspitze nicht unüblich und bürgerte sich auch bei den Universitäten ein. Der Rektor war zwar de facto Leiter einer sich selbst verwaltenden Institution und wurde vom Senat gewählt. Ihm zur 502 Vgl. PA 236 Lange; BA R 4901/13270 Karteikarte Lange. 503 Vgl. UAG R 771, Bl. 4 ff. 504 Vgl. PA 236 Lange, Bd. 2, Bl. 142.

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Seite stand der Kurator, der traditionell als eine Art Verwaltungsdirektor agierte. Da die Universitäten jedoch eine Nachfolgeeinrichtung des Kultusministeriums waren, konnte sich das Verhältnis schwierig gestalten, sobald eine der Führungspersönlichkeiten übertriebenen Gestaltungswillen oder Kompromissunfähigkeit an den Tag legte. Per Gesetz war der Kurator Dienstvorgesetzter aller Universitätsangehörigen und damit auch des Rektors. Da der Kurator in die Belange der Wissenschaft jedoch keinen Einblick hatte und deren Bedürfnisse aber an erster Stelle standen, konnte der Rektor in engen Grenzen autonom agieren. Mit der Verkündung des nationalsozialistischen Grundsatzes von einem „Führerrektor“ änderte sich an der Rollenverteilung in der Praxis nichts. Der im Mai 1933 zum Rektor gewählte Augenarzt Wilhelm Meisner agierte innerhalb der sich verfestigenden nationalsozialistischen Machtstrukturen glücklos. Politische Akzente wollte Meisner nicht setzen, bei seiner Antrittsrede sprach er demonstrativ über sein Fachgebiet.505 Er ließ die Studenten und anderen Naziaktivisten schalten und walten. Verstärkt wurde die Führungsschwäche des Rektors noch dadurch, dass der Kurator Hermann Sommer außerordentlich nachgiebig war und für Denunzianten jederzeit ein offenes Ohr hatte. Abgelöst wurde Sommer Ende 1934 durch Friedrich Kolbe. Der 1878 als Sohn eines Rittergutsbesitzers in Pommern Geborene hatte das Gymnasium in Anklam absolviert und in Heidelberg, Wien und Greifswald Rechtswissenschaft studiert. Hier schloss er sich dem Korps Vandalia an, was sich jedoch später nicht in einer besonderen Sympathie für die Korporationen äußerte. Kolbe absolvierte eine Karriere in der Reichszollverwaltung, in der er 1922 zum Oberregierungsrat befördert wurde. Tätig war er in Baden, weshalb ihn die badische Regierung mit Datum vom 1. Mai 1933 zum Landesfinanzamt versetzte und 1934 zum Landesfinanzdirektor beförderte. Politisch stand er zunächst der Deutschnationalen Volkspartei nah, aus der Partei trat er aber wegen ihrer „liberalistischen“ Tendenz aus und widmete sich, so sein selbstverfasster Lebenslauf im Album der Ehrensenatoren, der „außerparlamentarischen völkischen Aufbauarbeit“. Im September 1932 wurde er Mitglied der NSDAP, obwohl das Beamten noch untersagt war. Seit Mai 1933 war er auch für die Gauleitung Berlin tätig – über den Charakter der Arbeit schwieg er sich allerdings aus.506 Kolbe agierte tatkräftiger als Sommer, die Universität kam aber wegen der Schwäche Meisners nicht voran. Eine Umgestaltung der Wissenschaft nach nationalsozialistischen Grundsätzen blieb daher zunächst aus. Da dies an anderen Universitäten ebenso war, wurde im Ministerium nach einer Lösung gesucht und mit der Umprofilierung des Rektorenamts zum „Führerrektor“ auch gefunden. 505 Vgl. Meisner, Wilhelm: Die Blindheit. Rede bei der Übernahme des Rektorates am 15. Mai 1933, Greifswald 1933. 506 Vgl. UAG Lebenslauf im Album der Ehrensenatoren.

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In den „Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung“ vom 3. April 1935 sprach das Wissenschaftsministerium dem Rektor eine starke Stellung zu. Ernannt wurde der Rektor allein vom Ministerium. Dieser ernannte dann den Senat und die Dekane. Nominiert werden konnten entsprechende Kandidaten allerdings erst nach Rücksprache mit Dozentenbund und Studentenbund. Das Ministerium behielt sich die Bestätigung vor. Mit der engeren Anbindung an das Ministerium und der scheinbar von universitären Gremien unabhängigen Stellung gewann der Rektor als „Führer“ Handlungsfreiheit nach unten, nach oben wurde eine Interessenkongruenz zur nationalsozialistischen Politik als gegeben betrachtet.507 Der 1935 zum ersten Führerrektor ernannte Karl Reschke war erst kurz zuvor auf das Ordinariat für Chirurgie berufen worden. Reschke war seit 1919 Assistent bzw. Oberarzt in der Chirurgischen Klinik unter Pels Leusden gewesen. Seit Oktober 1932 leitete er die chirurgische Abteilung des Krankenhauses Bethanien in Berlin als Chefarzt. Für die Wiederbesetzung des Lehrstuhls war er 1934 Kandidat des Ministeriums, wie Dekan Paul Wels in Berlin unmissverständlich klargemacht wurde, als er wegen der Personalie im Ministerium vorsprach. Einige Mitglieder der Fakultät lehnten Reschke trotzdem ab, weil er zu wenig Eigenes geleistet habe. Otto Stickl, der Vertrauensmann der NSDAP in der Fakultät, erklärte die Notwendigkeit der Ablehnung sogar zum Prinzip. Fachlich stehe er hinter den übrigen in Frage kommenden Kandidaten zurück, und die Fakultät müsse klarmachen, dass sich die Universität Greifswald keinesfalls mit der Besetzung von Lehrstühlen durch Dozenten begnügen könne, die keine Aussicht hätten, „jemals einen Ruf an eine andere Universität zu bekommen“. Greifswald stufe sich so selbst als „Universität zweiter Klasse“ ein.508 Andere Fakultätsmitglieder plädierten aber durchaus für Reschke. Der Leiter der HNO-Klinik Alfred Linck gab sogar ein Sondervotum ab. Reschke sei durchaus geeignet, Wissenschaft, Klinik und Unterricht „nach jeder Richtung hin zu fördern“ und als Persönlichkeit und Lehrer den auf der Fakultätsliste genannten Herren „weit überlegen“. Besonders hervorzuheben sei dessen Buch über die Indikationsstellung bei chirurgischen Operationen, das von Fachkollegen hervorragend beurteilt worden sei. Das war so nicht ganz richtig. Die Chirurgische Operationslehre war besonders deshalb umstritten, weil Reschke sich nicht gescheut hatte, diagnostische Fehlschläge auch statistisch zu präsentieren.509 Auch zur Behandlung von Bauchfell- und 507 Vgl. Grün, Bernd: Der Rektor als Führer? Die Universität Freiburg i. Br. von 1933 bis 1945, Freiburg und München 2010, S. 726 ff. 508 Vgl. UAG Med. Fak. II 40, S. 305; Michel, Ulrike: Berufungspolitik der Greifswalder Medizinischen Fakultät, in: Alvermann, Schranken, S. 135 509 Vgl. Reschke, Karl: Chirurgische Indikationen für Ärzte und Studierende, Erster (allgemeiner) Teil, Berlin 1932, S. 287.

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Blinddarmentzündungen vertrat Reschke umstrittene Auffassungen.510 Ein weiteres Argument Lincks war allerdings aus praktischen Gründen nicht von der Hand zu weisen. Die Klinik benötige nach dem schnellen Weggang mehrerer Direktoren keinen „Kometen“, der Greifswald hell erstrahlen lassen solle, sondern einen Leiter, der den Privatdozenten und Assistenzärzten systematisches Arbeiten ermögliche.511 Die Mitgliedschaften Reschkes in NSDAP und SS wurden nicht thematisiert oder nicht verschriftlicht. Das Ministerium ernannte ihn keine vierzehn Tage nach Lincks Sondervotum zum ordentlichen Professor und Direktor der Chirurgischen Klinik. Am 23. Mai wurde Reschke dann zum Rektor ernannt, der wiederum Linck zum Dekan der Medizinischen Fakultät ernannte.512 „Innerlich“ habe er bereits vor 1933 zum Nationalsozialismus gefunden gehabt, betonte Reschke später. Ausschlaggebend sei nicht allein die Person des „Führers“ gewesen, sondern auch das Wirken Greifswalder Nationalsozialisten, etwa des Ortsgruppenleiters Walter Kropka. Da Kropka zum Zeitpunkt dieser Äußerung als Verwaltungsinspektor in der Nervenklinik arbeitete, ist es denkbar, dass Reschke hier einen Schulterschluss zur Belegschaft suchte.513 In seiner Antrittsrede als Rektor gab er sich allerdings demütig, auch er habe zu denen gehört, die sich der Bewegung nicht angeschlossen hätten „in den Zeiten, als es noch gefährlich war“. Er mahnte damit zur Bescheidenheit und betonte, dass die politische Führung nicht bei der Universität liege. Es gelte jetzt, „freudig“ mitzuarbeiten und nicht etwa „trauernd nach Vergangenem zurück[zu]schauen“. Durch die Mitarbeit beim Aufbau des Reiches sollten alle Universitätsangehörigen ihre Dankbarkeit gegenüber dem Führer und der Partei zum Ausdruck bringen und nie vergessen, „dass sie dem deutschen Volke die Ehre zurückgegeben haben“. „Wir wollen“, so Reschke weiter, jetzt die „letzten Schranken, die zwischen der geistigen Haltung der Partei und unserer Hochschule noch stehen, fallen lassen“. Die Studenten mahnte er zu Pflichterfüllung und Fleiß, als Arzt warne er vor der Gefahr der Geschlechtskrankheiten und rate zur Enthaltsamkeit. Eine besondere Mahnung gab er den Theologiestudenten mit. Der Riss, der durch die evangelische Kirche gehe, werde nicht von ihnen geheilt werden können. Daher sollten sie sich kameradschaftlich und brüderlich die Hände reichen: „Studieren Sie Theologie und überlassen Sie Kirchenpolitik den Älteren.“ Zum Schluss ermahnte er die anderen Studenten. Wenn sie „seelische oder materielle Sorgen“ hätten, seien 510 Vgl. Loeschke, Hermann und August Terbrüggen: 100 Jahre medizinische Forschung in Greifswald. Festschrift zur Feier des 75jährigen Bestehens des Medizinischen Vereins, Greifswald 1938, S. 241 f. 511 Vgl. UAG PA 563 Reschke, Bd. 4, Bl. 22. 512 Vgl. ebd., Bd. 3, Bl. 54. 513 Vgl. Pfau, Universitätsnervenklinik, S. 32.

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sie wie „Töchter und Söhne“ willkommen, er wolle so weit wie möglich helfen. Für „kleinliche Dinge“, für „Zank und Streit“ werde aber keine Zeit sein. Die Rede schloss er mit einem dreifachen „Sieg Heil!“ auf „unseren Führer Adolf Hitler, auf die nationalsozialistische Bewegung und auf unser geliebtes Vaterland“.514 Solche Worte waren in der Aula der Universität bis dahin nicht gesagt worden. Auch jenseits der Symbolpolitik intensivierte Reschke die Kontakte zur Gauleitung und sicherte durch Zuhören den Einfluss der Studentenfunktionäre. Diese Annäherung war sicher ideologisch motiviert, zugleich aber eine pragmatische Notwendigkeit. Denn obwohl die Universität als nachgeordnete Institution des Ministeriums zentral geleitet wurde, hatte die Gauleitung jedoch Befehlsgewalt über die Parteimitglieder und die Funktionäre, etwa die Dozenten- und Studentenführer. Insofern war ein auskömmliches Verhältnis mit der Gauleitung unumgänglich. Durch diese wissenschaftsexterne Einflussnahme gewannen die Gauleitungen im ganzen Reich an Gewicht. Da auch in Pommern das Führerkorps der Partei ab 1934 mit den staatlichen Institutionen verschmolz, erwiesen sich die Mittelinstanzen zunehmend als Machtfaktor.515 Zugleich gab es auch eine Interessenidentität zwischen der Provinz, der Gauleiter war ja auch Oberpräsident Pommerns, und der Universität. Das Aufeinanderzugehen schien auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge und der Landwirtschaft sinnvoll, wie in dem Abschnitt über die Profilierung der Universität gezeigt wird. Besondere Förderung ließ die Provinz bzw. Gauleitung auch geisteswissenschaftlichen Vorhaben zukommen, etwa dem Caspar-David-Friedrich-Institut für Kunstgeschichte und dem Pommerschen Wörterbuch. Die Annäherung an das Ministerium trieb Reschke ebenfalls mit symbolischen Handlungen voran. Er empfing nicht nur Minister Rust, sondern ernannte auch Theodor Vahlen, inzwischen Leiter des Amts Wissenschaft im Ministerium 1937 zum Ehrensenator der Universität. Diese würdigte den Geehrten als „stets einsatzbereiten Vorkämpfer des Dritten Reiches“, „weitblickenden Organisator“ und „warmherzigen Lehrer der akademischen Jugend“ und auch als „begeisterten Förderer des Segelsports“, dem er in Greifswald „eine bleibende Heimstätte geschaffen“ habe.516 Den Minister lud Reschke im Sommer 1938 ein und stellte für den Besuch ein Programm zusammen, das zeigt, worauf die Universität stolz war und was sie ihrem Dienstherrn präsentieren wollte. Um die „Besonderheiten“ seiner Universität hervor514 Vgl. Reschke, Karl: Arbeit und Haltung des Studenten, Greifswald 1935, S. 4 ff., 14. 515 Vgl. Stutz, Rüdiger: „Rassebollwerke“ und „Rüstungsschmieden“ des „Dritten Reiches“. Eine Skizze zur Typologisierung der NS-Gaue in den Vorkriegsjahren, in: Gibas u. a. (Hg.), Couragierte Wissenschaft, S. 53. 516 Vgl. BA R 4901/25559, Bl. 16.

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zuheben, forderte er drei Professoren zu je zwanzigminütigen Vorträgen auf. Der Mediziner Katsch sollte sprechen über „Das Diabetikerheim in Garz“, der Biologe Leick über „Die Biologische Forschungsstation auf Hiddensee“ und der Historiker Johannes Paul über „Die politische Bedeutung des Nordischen Instituts“. Dieses sollte der Minister auch besichtigen, ebenso wie das Stammhaus der Studentenschaft. Für den nächsten Tag war dann die Besichtigung des Diabetikerheims und der Forschungsstation vorgesehen.517 Der Besuch wurde, wie geplant, zu einem vollen Erfolg, Rust zeigte sich begeistert von der geleisteten Arbeit. Das Ministerium gab sich aber später hartleibig, als es um die Verwirklichung der mündlichen Zusagen ging. Da Reschke sich zwar als „Führerrektor“ verstand, das Amt jedoch patriarchalisch interpretierte, setzte er sich nach dem Besuch des Ministers auch für eine Reihe von Dozenten ein, die ungeklärte Zukunftsaussichten hatten.518 Der Pharmakologe Peter Holtz sei einer der „tüchtigsten jungen Forscher“ seiner Generation und müsse unbedingt einen größeren Wirkungskreis erhalten. Holtz wurde wenig später nach Rostock berufen und baute dort ein pharmakologisches Institut auf.519 Mit der Zuweisung von Günther F. K. Schultze als Direktor der Frauenklinik könne Greifswald zwar „mehr als zufrieden sein“, angesichts von dessen Qualifikation werde er aber wohl nicht lange in Greifswald bleiben. Mit dem Lehrstuhlvertreter Karl Herold habe man einen Mann mit „großer klinischer Erfahrung“ gehabt. Die Fürsprache Reschkes nützte diesem nicht, Herold kehrte nach Jena zurück und eröffnete dort eine Privatpraxis. Der Geograph Hartnack sei als Führer des Greifswalder SS-Sturms unentbehrlich und müsse endlich eine angemessene Dauerstellung erhalten. Er habe mit dessen Standartenführer gesprochen, der ihn aber nicht für die Wissenschaft allein freigeben wolle, weil es niemand anderen gebe, „der Studenten und Arbeiter in der SS so zusammenbringen könne“ wie Hartnack. Das abschätzige Urteil über den Volkskundler Kaiser, „das wir alle für ungerecht halten“, bitte er einer Revision zu unterziehen. Zu entfernen sei allerdings der Lektor Olesch, der ein „Gesinnungspole“ und deshalb an einer Grenzlanduniversität, in deren Nähe sich ein Fliegerhorst befinde, „nicht tragbar“ sei. Wie gewünscht wurde Olesch entfernt.520 Da die Verrentung des Kurators Kolbe anstand, empfahl er Güterdirektor Hoepner für dessen Nachfolge. Der sei Sturmführer im NS-Kraftfahrerkorps und unbedingt zuverlässig. Zugleich regte er aber an, die Befugnisse des Kurators zu beschneiden 517 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. I Nr. 1 Bd. 6, Bl. 30 ff. 518 Vgl. UAG K 6055, Bl. 15–32. 519 Vgl. Witte, Christina: „Ungestört wissenschaftlich weiterarbeiten …“ Der Pharmakologe Peter Holtz (1902–1970), Diss. med., Greifswald 2006. 520 Vgl. Stamm-Kuhlmann, Philosophische Fakultät, in: Alvermann/Spieß, Universität und Gesellschaft, Bd. 1, S. 417.

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und auf Haushaltsfragen zu beschränken. Denn, so Reschke: „Dem Rektor sollen die Menschen gehören, dem Kurator die Institute“.521 Zum Kurator ernannt wurde dann der Verwaltungsdirektor der Charité Hellmuth Kuhnert, ein leistungsfähiger Beamter, der der NSDAP angehörte, aber keine eigenen Ambitionen hatte und damit Reschkes Wünschen entsprach. 1945 wurde er von Rektor Lohmeyer entlassen, aber zugleich zum Geschäftsführer der Universitätswerke Rubenow GmbH bestellt.522 Reschkes Vorstoß im Jahr 1938 zeigt dessen patriarchalisches Selbstverständnis als Führerrektor, der sich zum Beispiel auch für Werner Caskel einsetzte, als 1937 dessen Entlassung wegen jüdischer Vorfahren vom Ministerium angeordnet wurde. Reschke plädierte dafür, dass der hochdekorierte ehemalige Offizier so lange wie möglich seine Lehrauftragsvergütung erhielt.523 Das Schreiben an das Ministerium illustriert aber auch den Unmut eines gestaltungsstarken und gestaltungswilligen Nationalsozialisten darüber, in seinem Amt eingeschränkt zu sein. Gerade die Berufungs- und Personalpolitik hätte Reschke gern wieder ganz in die Hände der Universität gelegt, obwohl ihn mit dem Kurator Friedrich Kolbe nicht nur eine gedeihliche Arbeitsbeziehung verband. Die beiden waren per du, wie ein bizarr anmutender Briefwechsel zeigt. Weil es dem Minister in Pommern so gefallen habe, schlug „Karl“ dem „lieben Fritz“, der zur Kur in Bad Wildungen weilte, vor, von irgendeinem Universitätsgut 20 Morgen abzutrennen und dem Minister zu schenken. Dort könne er sich ein angemessenes Ferienhaus errichten. „Fritz“ wiederum meinte allerdings, dass das nicht gut aussehen würde und hatte damit wohl die anderen Universitäten im Blick, die so eine Geste hätten missverstehen können. Aber er empfehle, mit dem Grafen Bismarck-Bohlen Kontakt aufzunehmen, dessen leerstehendes Schloss Niederhof zudem direkt am Meer liege.524 Da sich Reschke von Verwaltungsaufgaben freimachen und ganz auf die Planung des Neubaus der chirurgischen Universitätsklinik konzentrieren wollte, übergab er das Rektorenamt 1938 an den kurz zuvor berufenen Kunsthistoriker Kurt WilhelmKästner. Diesen Personalwechsel hatte er ebenso mit der Gauleitung abgestimmt wie die Ernennung des Strafrechtlers und SS-Offiziers Hans-Jürgen Bruns zum Leiter der Dozentenschaft. Reschke blieb allerdings Führer des Gaudozentenbundes und behielt so die Kontrolle über alle Vorgänge an der Universität.525 Sein Nachfolger im Amt war der Kunsthistoriker Kurt Wilhelm-Kästner, ein umtriebiger Sachse, der über eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit verfügte. Als 521 522 523 524 525

Vgl. UAG K 6055, Bl. 15–32. Vgl. UAG R 2263. Vgl. UAG PA 911 Caskel. Vgl. UAG K 6055, Bl. 47 f. Vgl. BA R 4901/13853.

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geschmeidiger Opportunist bewies er ein erstaunliches Vermögen, sich den jeweiligen Obrigkeiten anzupassen, Trends für den persönlichen Vorteil zu nutzen und mit Charme und scheinbarer Kompetenz Entscheidungsträger für seine Person einzunehmen. Die Universität leitete er dennoch ohne einen in der Rückschau erkennbaren Gestaltungswillen, was sicher auch der Tatsache geschuldet war, dass es nach Kriegsbeginn lediglich galt, das Bestehende zu verwalten. Gleichwohl agierte er als überzeugter Nationalsozialist, was er mit symbolischen Handlungen zum Ausdruck brachte. So legte er den Rektoreneid erstmals in deutscher Sprache ab und versprach anlässlich der Vereidigung, die Universität „im Geiste der nationalsozialistischen Bewegung zu führen“. 526 In der Seminarbibliothek des Caspar-David-Friedrich-Instituts ließ Wilhelm-Kästner Bücher jüdischer Autoren mit einem Davidstern kennzeichnen. Im Entnazifizierungsverfahren nach dem Zweiten Weltkrieg schob er die Verantwortung dafür einem an der Ostfront gefallenen Mitarbeiter zu. In dem Verfahren meldeten sich dann auch mehrere Personen, die Wilhelm-Kästner als „Gesinnungslumpen“ bezeichneten, weil sie den Eindruck hatten, von diesem denunziert worden zu sein. Nachweisbar war das aber nicht.527 Als Rektor erscheint Wilhelm-Kästners Führungsstil im Vergleich mit seinem Vorgänger lax. Während Reschke Berufungsfragen intensiv diskutierte und eigene Voten zu bestimmten Personen abgab, war dies Wilhelm-Kästner völlig gleichgültig. Den Dekanen und auch einzelnen Ordinarien räumte er große Freiräume ein, die besonders von der Philosophischen Fakultät für den Ausbau der Naturwissenschaften genutzt wurden. Dem Niedergang der juristischen Fächer sah er uninteressiert zu, so als würde er nicht die Verantwortung für die gesamte Universität tragen. Eine Beschäftigung mit theologischen Fragen ist nicht nachweisbar. Die Mediziner klärten ihre Probleme mit den Wehrmachtsstellen oder direkt mit dem Wissenschaftsministerium. Bei der Gauleitung wurde Wilhelm-Kästner seit seiner Berufung 1936 jedoch regelmäßig vorstellig, wenn es darum ging, Ressourcen für sein eigenes Institut zu erschließen, etwa in Form von Honorarverträgen für Mitarbeiter oder zur Akquisition einer Druckerpresse.528 Zu Gesprächen ins Ministerium begab er sich wohl nur einmal, 1942, als es um seine eigene Berufung nach Hamburg ging. Auch der in der Nachfolge Wilhelm-Kästners berufene Vorgeschichtler Carl Engel erscheint ausweislich der Akten als Mann ohne Blick für das große Ganze. Wie sein Vorgänger winkte er Vorschläge der Dekane samt und sonders nach Berlin durch. Wie detailliert er diese prüfte, kann nicht nachvollzogen werden. Aber ein spezifischer 526 Vgl. UAG R 59, Bl. 295. 527 Vgl. StAHH 361–6 Nr. IV–2061. 528 Vgl. Landesarchiv Greifswald, Rep. 54, Nr. 551.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Wille, in die Fakultäten als „Führerrektor“ eingreifen zu wollen, ist für ihn ebenfalls nicht feststellbar. Immerhin versuchte Engel, den geisteswissenschaftlichen Teil der Philosophischen Fakultät durch Habilitationen und die Zuweisung von Dozenten zu stärken. Die Berufungen blieben jedoch Makulatur, weil sich die Nachwuchswissenschaftler im Kriegsdienst befanden. Die Universität führte Engel, das weisen seine Tagebücher aus, mittels informeller Gespräche beim Nachmittagstee.529 Das für Engel handlungsleitende Motiv war nicht die Universität Greifswald, sondern ein diffuser Zielort, der sich in der Rückschau mit dem Begriff „Osten“ beschreiben lässt. Seine eigenen Forschungen hatte er immer mit einem sicheren ideologischen Anker im Amt Rosenberg vorangetrieben. Zugleich war er ein im Hinblick auf bestehende Institutionen (und mögliche persönliche Eitelkeiten) sehr behutsam tastender Vorgesetzter, der versuchte, den größtmöglichen Konsens herzustellen. Diese soziale Kompetenz half ihm als Professor im Baltikum, wo er sich kaum Gegner erwarb. Ebenso ging er mit den Nationalsozialisten um, wie sein Anschmiegen an den Gauleiter Kube zeigt, den er für die Grabungen in seinem Besatzungsgebiet begeistern konnte. Selbst die von ihm in Alleinregie geführte Stelle zur Sammlung und Auswertung von Bodenfunden in Greifswald deklarierte er demonstrativ als Außenstelle des Stettiner Vorgeschichtsmuseums, um dessen Leiter, den er kannte und wohl auch schätzte, nicht zu vergrätzen. Engel verstand sich darauf, den Etat seines eigenen Instituts durch die Zuweisung von Haushaltsmitteln für Regale, Kästen und die Renovierung des von ihm in Beschlag genommenen Logenhauses zu erhöhen. In die Personalpolitik griff er ebenso wenig wie sein Vorgänger Wilhelm-Kästner ein, was für ein Harmoniebedürfnis spricht, zugleich aber auch für Anstand oder Schwäche. Er ließ den Akteuren freien Lauf, was in der Konsequenz aber dazu führte, dass die Universität noch näher an die nationalsozialistischen Institutionen rückte. So begrüßte Engel zum Beispiel die Gründung eines wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituts für den Ostraum, die Peter Heinz Seraphim seit 1942 vorantrieb.530 Ob er aber zum Beispiel über die Details der Kampfstoffforschung am Chemischen Institut informiert war, muss bezweifelt werden. In Engels Amtszeit fällt allerdings die Reaktivierung der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Universität. Diese wurde 1918 gegründet und versammelte damals 167 Mitglieder, meist finanziell potente Unternehmer. Bis zu seinem Tod im Jahr 1942 amtierte der Generaldirektor der Stadtwerke Stettin und der Großkraft529 Vgl. Mangelsdorf, Günter (Hg.): Zwischen Greifswald und Riga. Auszüge aus den Tagebüchern des Greifswalder Rektors und Professors der Ur- und Frühgeschichte, Dr. Carl Engel, vom 1. November 1938 bis 26. Juli 1945, Stuttgart 2007. 530 Vgl. Grube, Klemens: Das Stettiner Oder-Donau-Institut im Spannungsfeld von Wirtschaftsinteresse, Wissenschaft und Krieg, in: Alvermann, Schranken, S. 208.

3.6 Die Verfestigung nationalsozialistischer Machtstrukturen

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werk AG Xaver Mayer als Vorstand der Freunde und Förderer. Reeder und Rohstoffhändler gehörten der Gesellschaft ebenfalls an, wovon die Nordischen Institute profitierten. Aber auch die Provinz war als Institution Mitglied der Vereinigung. In den Jahren von 1918 bis 1943 wurde etwa eine halbe Million Mark zu Gunsten der Universität aufgebracht. Ein großer Teil davon wurde für den Aufbau der Biologischen Station auf Hiddensee investiert, etwa durch den Kauf von drei Grundstücken und den Bau des sogenannten Kurshauses ab 1934. Außerdem steuerte die Gesellschaft regelmäßig Druckkostenzuschüsse für wissenschaftliche Publikationen bei, zum Beispiel für die archäologischen Fundberichte Wilhelm Petzschs. Die Gesellschaft verwaltete ein nicht unbeträchtliches Vermögen, zum Beispiel mehrere Häuser, die der Universität vererbt oder gestiftet worden waren. Die Stiftung des Chemikers Franz Meyer umfasste zum Beispiel ein Haus in Dresden und Bankguthaben von etwas mehr als 40.000 Mark. Dieser Stiftung angegliedert wurde eine Spende der Reichsgruppe Industrie in Höhe von 100.000 Mark zur Förderung des Hochschulnachwuchses. Diese Spende aus dem Jahr 1943 steht vermutlich im Zusammenhang mit der Ernennung des Chemikers Herdin Duden zum Geschäftsführer des Chemiewerks Pölitz bei Stettin. Der offenbar einflussreiche Sohn eines IG-Farben-Mitbegründers war nicht nur Geschäftsführer des Chemiewerks bei Stettin, das aus schlesischer Steinkohle Flugzeugtreibstoff herstellte, sondern auch SS-Obersturmbannführer. Den Beirat der Gesellschaft der Freunde und Förderer strukturierte er 1943 um und besetzte ihn mit hohen Funktionären der Provinz. Beigeordneter des Vorstands war jetzt zum Beispiel der SS-Obergruppenführer und General der Polizei Emil Mazuw, der vorübergehend auch Landeshauptmann der Provinz war. Zu weiteren Beigeordneten ernannte Duden den Regierungspräsidenten und Gauschulungsleiter Paul Eckardt und den SSOberführer Robert Schulz, zu dieser Zeit Gauhauptmann im Wartheland. Trotzdem ist eine politische Einflussnahme auch nach 1943 nicht nachweisbar. Die Zuweisungen erstreckten sich auf das Übliche. So erhielt der Botaniker Erich Leick 3000 Mark zur Vergabe eines Stipendiums, mit dem der Vitamingehalt des Sanddorns untersucht werden sollte. Der Botaniker Paul Metzner erhielt dieselbe Summe für Untersuchungen an Johanniskraut.531 Die von Engel vorgenommene Neustrukturierung des Vorstandes und der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Universität hätte erst im Fall eines deutschen Sieges im Zweiten Weltkrieg Bedeutung erlangt.

531 Vgl. UAG R 357.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

3.7 Die Fortsetzung der Denunziationen

Wie bei den Denunziationen des Jahres 1933 beschrieben, war das Anschwärzen missliebiger Dozenten ein erfolgversprechendes Mittel zur Umgestaltung der Universität im Sinne der nationalsozialistischen Aktivisten. Da Kurator Sommer den Kontakt zur Kreisleitung der NSDAP gesucht hatte und der Meinung war, dass diese zu hören sei, entwickelte sich diese auch zu einem Anlaufpunkt der Studierenden für ihren Protest gegen die Professoren, deren Einstellung sie aus welchen Gründen auch immer nicht schätzten. Manche Denunziation wurde dort aber bereits erstickt, bevor sie sich manifestieren konnte. So empörten sich die Studentinnen im Januar 1934 über eine Aussage des Hygienikers Ernst Dresel in seiner öffentlichen Vorlesung und fertigten, wie es mittlerweile üblich war, ein Gedächtnisprotokoll der inkriminierten Aussagen an. Unterstützt wurden sie von der Biologin Lilly Mudrow, Assistentin im Institut für Vererbungswissenschaft. Da sie in der Schulstudie ihres Mentors Günther Just beschäftigt war, bildete sie sich auf dem Gebiet der Sozialhygiene weiter und hatte Dresels Vorlesung selbst gehört.532 Dokument Nr. 6: Gedächtnisprotokoll einer Vorlesung von Ernst Dresel, das die empörten Studentinnen bei der NSDAP-Kreisleitung einreichten

Am Freitag, dem 26.1.1934 führte Herr Professor Dresel in seiner publice-Vorlesung über Bevölkerungspolitik und Erblehre unter anderem sinngemäß folgendes aus: Die körperliche und geistige Überanstrengung setze wahrscheinlich die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau herab und wies zur Bekräftigung dieser Ansicht auf statistische Erhebungen an amerikanischen Studentinnen hin, die wenig Kinder hatten. Unter positiven Maßnahmen der Rassenhygiene forderte er für die Mädchenerziehung in körperlicher Hinsicht: 1. Die Frau muss zur Gebärfähigkeit erzogen werden, 2. Die Frau darf von der Pubertät bis zum 20. Jahr geistig nicht überanstrengt werden, am besten beschäftigt sie sich während dieser Zeit überhaupt nicht mit geistigen Dingen. Bei jedem Kind bleibt die Frau geistig stehen. „Ich bin ein Gegner der geistigen Betätigung der Frau.“ Seiner Meinung nach sollen nur diejenigen Frauen studieren, die geistig hoch entwickelt sind, aber körperlich wenig Ergiebigkeit versprechen. Körperlich gut 532 Vgl. BA NS 38/4129.

3.7 Die Fortsetzung der Denunziationen

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entwickelte sollten nicht studieren. Er wüsste wohl, dass er sich hiermit im Gegensatz zu der Meinung der Vertreterinnen der Studentinnenschaft befände. Die Frauen verblühen durch das Studium, „oder haben Sie schon mal eine Studentin gesehen, die durch das Studium jünger und hübscher geworden wäre? Ich jedenfalls nicht.“ (Scharren und Trampeln) „Meine Herren und Damen, das ist eine Frage, die nicht mit den Füßen entschieden werden kann.“ Im Augenblick möge es scheinen, als ob er Unrecht habe, für die Dauer werde er aber Recht behalten. Quelle: BA Berlin NS 38/4129

Die Amtsleiterin der Studentenschaft besprach den „Fall Dresel“ mit verschiedenen Professorengattinnen und dem NSDAP-Kreisleiter und Schulrat Fritz Hube. Dieser erklärte die Aussagen Dresels kurzerhand zu sinnentstellten Gerüchten, wohl auch deshalb, weil mehrere Mütter von Schülerinnen des Lyzeums bei ihm auftauchten und Fragen stellten, etwa „ob sie ihre Töchter weiter auf der Schule lassen sollten, oder ob sie sie von jeder geistigen Arbeit fernhalten sollten, um ihnen die Fähigkeit Mutter zu werden zu erhalten“. Wer diese Gerüchte weiterverbreite, müsse strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, meinte der Kreisleiter.533 Wenn der Protest der Studentinnen gegen Dresel vom Kreisschulrat sehr rasch abgewürgt werden konnte, erscheint im Umkehrschluss wahrscheinlich, dass die scheinbar spontanen Proteste gegen die Professoren Wrede oder Proell, auf die noch genauer eingegangen wird, mit den lokalen Parteifunktionären abgestimmt waren.534 Die Anschuldigungen wurden aber nicht immer gleichartig behandelt, was sowohl am Empfänger als auch am Absender der Denunziation lag. Während Kurator Sommer dieser Beweislastverschiebung nur zu willig folgte, agierte der zum 1. Juli 1934 zum Kurator der Universität bestellte Friedrich Kolbe anders. Er versuchte die aus dem Ruder gelaufenen Denunziationen einzudämmen und behandelte die Professoren und Dozenten, die ja seine Untergebenen waren, streng nach Recht und Gesetz. Andererseits konnten die Denunziationen so massiv vorgetragen werden, dass amtliche Ermittlungen unumgänglich wurden. Diese förderten üblicherweise dann zu Tage, was ermittelbar war, im Fall des Dozenten Wrede wurden zum Beispiel mehr als zwanzig Personen um schriftliche Stellungnahmen gebeten. Beim Dozenten Albrecht Forstmann müssen es noch mehr gewesen sein, weil die Gestapo diesen Fall gründlich untersuchte. Handlungsspielräume hatte der Kurator aber durchaus, wie der Fall von 533 Vgl. Quartalsbericht der Amtsleiterin für Studentinnen Rothe vom 13. März 1934, in: NS 38/4129. 534 Im Fall Proell ist es offensichtlich, bei Wrede ergibt die Akte der Studentenführung kein klares Bild. Vgl. BA NS 38/4129.

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Gerhardt Katsch zeigt, der 1935 zum wiederholten Male angegriffen wurde. Während Sommer die Angegriffenen erst einmal beurlaubt hatte, beließ Kolbe Katsch im Amt. Da sich der Fragebogen nicht in den Universitätsakten befand, bat er ihn noch einmal um die Originalurkunden seiner Vorfahren. Katsch konnte aber vom Großvater mütterlicherseits nur einen Trauschein vorlegen, der ihn als evangelisch auswies. Den Fragebogen zum Berufsbeamtengesetz hatte er jedoch korrekt ausgefüllt, weil er vom familiären Hörensagen her wusste, dass dieser möglicherweise ein evangelisch getaufter Jude war.535 Katsch gehörte mithin laut NS-Diktion zu den „Vierteljuden“, die nur bis 1935 radikal verfolgt wurden, aber nach dem Berufsbeamtengesetz nicht zu entlassen waren, wenn sie trotzdem die Gewähr boten, sich für den nationalsozialistischen Staat einzusetzen. Die Vermutung, dass Katsch besonders rücksichtsvoll behandelt wurde, weil er Kolbes behandelnder Arzt war, ist daher ebenso abwegig wie die innerfamiliäre Legende, dass ein Rechtsanwalt die Abstammung habe verschleiern können.536 Auch für den Theologen Ernst Lohmeyer erwies es sich als Glücksfall, dass Kolbe nicht jedem Denunzianten Glauben schenkte. Nach der Ansprache des Gauleiters in der Aula im Sommersemester1938 habe sich Lohmeyer abfällig über dessen Rhetorik geäußert, gab ein Examenskandidat zu Protokoll, der in einer Gastwirtschaft in seinem Heimatdorf Glewitz, südlich Stralsund, von dem Vorfall erzählt hatte. Die polizeiliche Aufforderung erhielt der Theologiestudent, weil bei seinem Bramarbasieren der Bürgermeister am Tisch saß, der dies selbstverständlich meldete. Der inzwischen als Vikar in Fiddichow tätige Denunziant wurde daraufhin zur Polizei vorgeladen, wo er Lohmeyers Verhalten genauer beschrieb. Die Rede des Gauleiters habe sich „unter dem Niveau eines Sekundaners befunden“, was er aber nicht von ihm selbst, sondern von Teilnehmern aus dessen Kolleg gehört habe. Der Oberstaatsanwalt in Stettin leitete trotzdem ein Strafverfahren ein. Für dieses Verfahren wurde Lohmeyer von Kolbe vernommen. Lohmeyer stritt ab, sich im Kolleg zur Rede des Gauleiters geäußert zu haben. Vielmehr habe er gesagt, dass eine Erörterung an dieser Stelle nicht stattfinden könne. Auf „den genauen Wortlaut“ wisse er sich jedoch „nicht mehr zu besinnen“. Kolbe kommentierte das im Schreiben an die Staatsanwaltschaft, dass er es für „ausgeschlossen“ halte, dass sich Lohmeyer so geäußert habe, wie es dem Vikar „angeblich erzählt sein soll“. Das Verfahren wurde eingestellt.537 535 Vgl. UAG PA 1276 Katsch, Bd. 7, Bl. 73. 536 Vgl. Ewert, Günter, Ralf Ewert und Jürgen Boettiger: Der jüdische Familienhintergrund des Greifswalder Internisten Prof. Dr. Gerhardt Katsch und das Naziregime, Berlin 2014, S. 47; Garbe, Irmfried: Der Mensch, in: Alvermann, Dirk, Irmfried Garbe und Manfred Herling: Gerhardt Katsch. Greifswalder Tagebuch 1946–47, Kiel 2008, S. 48 f. 537 Vgl. UAG PA 347 Lohmeyer, Bd. 2, Bl. 54–64.

3.7 Die Fortsetzung der Denunziationen

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Ungerechtfertigte Denunziationen konnten die Professoren gelegentlich selbst entkräften, wie der Fall von Arnold Köttgen zeigt. Im Juni 1938 konfrontierte ihn Rektor Reschke mit der Anschuldigung, dass ihm zugetragen worden sei, dass Köttgen „der Bekenntnisfront“ angehöre. Köttgen gab beim Kurator umgehend eine Erklärung ab und bat darum, sie seiner Personalakte hinzuzufügen. Er habe „zu keiner Zeit“ der Bekennenden Kirche angehört, noch ihr nahegestanden. Im Gegenteil, 1933 sei er den Deutschen Christen beigetreten, weil er der Auffassung gewesen sei, dass es notwendig sei, „die evangelische Kirche getreu ihrer lutherischen Tradition in die neue politische Ordnung einzufügen“. Er sei dann in die Verfassungskammer der Deutschen Evangelischen Kirche berufen worden und an dem damals vorgelegten Verfassungsentwurf „nicht unwesentlich beteiligt“ gewesen. Dieser Entwurf sei von der „Bekenntnisfront […] schärfstens kritisiert worden“. Seinen Austritt aus den Deutschen Christen habe er gegenüber dem Kreisgruppenleiter damit begründet, dass ihm die Politik des Reichsbischofs „weder im staatlichen noch im kirchlichen Interesse zu liegen schien“. Einer neuen Gruppierung habe er sich nicht angeschlossen.538 Die Angelegenheit verlief im Sand, wohl auch deshalb, weil Köttgen innerhalb der Fakultät keine Feinde hatte. 3.7.1 Der „Fall“ Walter Hamel

Wie mühsam es für Dozenten sein konnte, Denunziationen zu widerlegen, wenn die Kollegen nicht zu ihnen standen, zeigt der Fall des Völker- und Staatsrechtlers Walter Hamel. Warum Hamel innerhalb der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät verhasst war, ist nicht exakt nachvollziehbar. Fest steht, dass Hamel, Parteimitglied seit 1932, politisch offensiv auftrat und die Mehrheit der Ordinarien der NSDAP noch reserviert gegenüberstanden. Als Jurist war er lediglich Mittelmaß und er versuchte das durch nationalsozialistisches Agieren zu kompensieren. Es scheint so, als hätte die Fakultät deshalb versucht, Hamel durch die Nutzung einer Denunziation loszuwerden. Den Anlass bot eine „Entdeckung“ von Studierenden im Sommersemester 1935: Hamel hatte seine Habilitationsschrift seinem Mentor Erich Kaufmann „in Verehrung und Dankbarkeit“ gewidmet. Der stets sehr betont „national“ auftretende Staatsrechtslehrer war allerdings ein evangelisch getaufter Jude und wurde 1934 von der Universität Berlin entlassen.539 Die empörten Greifswalder Studenten wandten sich nun in „kameradschaftlichem Vertrauen“ an den amtierenden Dekan Jahrreiß. 538 Vgl. UAG PA 407 Köttgen, Bl. (gestempelt) 64. 539 Vgl. Lösch, Anna-Maria Gräfin von: Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999, S. 201–207.

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Der fügte dieser „Verfehlung“ noch eine weitere hinzu, um Hamel als charakterlose Erscheinung darzustellen. Dieser habe eine „verletzende“ Rezension über ein Buch des Kollegen Friedrich Berber geschrieben und dabei angemerkt, dass Berber jüdische Autoren wohlwollend zitiert habe. Rektor Reschke ignorierte die Denunziation und da Hamel zur Vertretung an die Universität Frankfurt abgeordnet wurde, schien die Sache erledigt. Danach vertrat er den Lehrstuhl in Köln, den dann aber Jahrreiß erhielt. Der wurde pikanterweise Anfang 1937 gebeten, über Hamel ein Gutachten zu verfassen, weil das Ministerium erwog, ihn in Greifswald zum beamteten außerordentlichen Professor zu ernennen. Jahrreiß nutzte das, um den Unwillen der Fakultät über Hamel zum Ausdruck zu bringen, den im Übrigen auch Rektor, Dozentenschaft und Studentenführung teilen würden. Um das zu untermauern, baute er den denunzierenden Text, den Rektor Reschke 1935 nicht weitergegeben hatte, in sein Gutachten ein. Jahrreiß konstatierte auch, dass Hamel nicht nur Kaufmann lobend erwähnt habe, sondern auch Hugo Preuß, den Schöpfer der demokratischen Reichsverfassung von 1919. Trotzdem sei das Buch „gelegentlich“ als „tüchtige wissenschaftliche Leistung“ anerkannt worden. Die Arbeiten Hamels zum Polizeirecht, auf die noch eingegangen wird, entsprächen aber „nicht der Praxis unseres Staates“. Hamels Schriften, so das vernichtende Urteil von Jahrreiß, „helfen uns also nicht weiter“, besäßen aber „durch ihren Reiz zum Widerspruch anregende Kraft“.540 Nur sechs Tage später, am 20. Februar 1937 wurde Hamel vom Ministerium mitgeteilt, dass im Sommersemester „keine Möglichkeit“ bestehen werde, ihn „mit einem Vertretungsauftrag im deutschen Hochschuldienst zu betrauen.541 Da ihm aber der Dekan der Universität Köln ein untadeliges Arbeitszeugnis ausstellte, ihn die NSDAP demonstrativ zu Schulungsveranstaltungen heranzog und noch einmal klarstellte, dass Hamel der „einzige Pg. in der [Greifswalder] Fakultät“ sei, durfte er im Sommersemester immerhin einen vakanten Lehrstuhl in Hamburg vertreten.542 Wegen der von Jahrreiß erhobenen Anschuldigungen kontaktierte das Wissenschaftsministerium im April 1937 noch einmal die Reichsdozentenführung und setzte den großen bürokratischen Betrieb in Gang. Hamel verfasste nach Aufforderung eine ausführliche Rechtfertigungsschrift und erläuterte, wie er Kaufmann als nationalen Mann schätzen gelernt habe. Außerdem verwahrte er sich gegen den Vorwurf, er habe Auffassungen von Hugo Preuß gebilligt, diese vielmehr an „drei Stellen“ seines Buches „nachdrücklichst abgelehnt“.543 Da Hamel nach der Vertretung in Hamburg im Wintersemester 1937 wieder in Greifswald war, wandte sich Dekan Köttgen am 2. November 1937 an das 540 541 542 543

Vgl. BA R 4901/24717, gestempelte Bl. 8561–8564. Vgl. ebd., Bl. 8566. Vgl. ebd., Bl. 8576–8580. Vgl. ebd., Bl. 8587–8599.

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Wissenschaftsministerium und machte klar, dass dieser in Greifswald überflüssig sei. Das von Hamel „in Konkurrenz mit dem Fachordinarius“, das war der in Nachfolge von Jahrreiß berufene Curt Rühland, „angekündigte Kolleg“ solle angesichts der geringen Studierendenzahlen „besser nicht gehalten“ werden. Die Fakultät begrüße es außerdem, wenn für Hamel ein Tätigkeitsfeld „außerhalb Greifswalds gefunden werden würde“.544 Auch in Hamburg erhielt Hamel das besoldete Extraordinariat nicht, weshalb die NSDAP-Reichsleitung das Wissenschaftsministerium im Februar 1938 noch einmal darauf aufmerksam machte, dass Hamel „nicht ungeeignet“ für eine wissenschaftliche Laufbahn scheine, ihm aber immer wieder Schwierigkeiten „in den Weg gelegt“ würden. Nach dem Anschluss Österreichs bat Hamel dann um eine Stelle dort, zumal wegen des „feuchten Seeklimas“ in Greifswald gesundheitliche Probleme aufgetreten seien. Das Gesuch wurde zu den Akten genommen, aber nicht bearbeitet. In Greifswald war jetzt aber der überzeugte Nationalsozialist Curt Rühland Dekan, der Hamel durchaus nicht als Konkurrenz empfand, sondern für einen im politischen Gleichschritt marschierenden Kameraden hielt. Er bat daher im Mai 1939 um die Zuteilung einer Dozentenstelle für Hamel in Greifswald. Dozentenführer Velde unterstütze den Vorschlag und begründete das knapp: „Hamel gilt als guter Wissenschaftler. Politisch ist er zuverlässig und einsatzfähig. Er ist Mitglied der NSDAP seit 1932.“545 Hamel blieb trotzdem nicht in Greifswald, obwohl er dort wieder Vorlesungen hielt und im Justizdienst aktiv wurde. Im Dezember 1939 ließ er sich ans Amtsgericht Marburg versetzen und betrieb von dort aus seine Umhabilitierung an die Universität. Dekan Rühland bedauerte das, weil Hamel den Öffentlichrechtler Köttgen, der sich zum Dienst im Osten verpflichtet hatte, kompetent vertrat. Die Juristische Fakultät der Universität Marburg sträubte sich nun aber gegen den Neuzugang und wies darauf hin, dass Hamel seine Habilitationsschrift ja dem Juden Erich Kaufmann gewidmet habe. Seitdem habe er „keine wissenschaftlichen Leistungen mehr vorgelegt“. Seine Arbeiten zum Polizeibegriff zeugten von mangelnder „juristischer Einfühlung in die Problematik der Frage“. Ministerialrat Gerhard Kasper schrieb daraufhin der Fakultät, dass es „nicht mehr möglich gewesen“ sei, Hamel diese ablehnende Stellungnahme zur Kenntnis zu geben. Es dauerte aber noch bis zum März 1941, bis Hamel auch formell der Universität Marburg zugewiesen wurde.546 Die im Wissenschaftsministerium geführte Personalakte schwoll dann aber weiter an, weil Hamel ein Manuskript verfasst hatte, in dem er über die „Bekenntnisfreiheit“ nachdachte. Das Manuskript schickte er unter anderem zu Otto Koellreutter, Ordi544 Vgl. ebd., Bl. 8680. 545 Vgl. ebd., Bl. 8718. 546 Vgl. ebd., Bl. 8734 f., 8746 und 8763.

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narius für Öffentliches Recht an der Universität München, um es von ihm begutachten zu lassen. Koellreutter denunzierte Hamel umgehend beim NS-Dozentenbund, der nun befand, dass Hamel zur Ernennung zum außerplanmäßigen Professor „aus politischen und weltanschaulichen Gründen“ nicht in Frage komme. Mehr noch, für eine „weitere Hochschullaufbahn“ lasse ihn dieses Manuskript als „nicht geeignet“ erscheinen.547 Als Hamel von diesem Urteil Kenntnis erhielt, verfasste er eine umfangreiche Rechtfertigungsschrift, in der er betonte, dass er lediglich auf die „Nachwirkungen des Kirchenstreits“ habe positiv einwirken wollen. Er sei der Auffassung gewesen, damit „in Einklang“ mit „den Absichten der Führung“ gehandelt zu haben. Aber eben wegen seiner Zweifel habe er das Manuskript Koellreutter zur „Prüfung“ auf „politische Tragbarkeit“ vorgelegt.548 Die schmuddelige Angelegenheit zog sich bis zum 23. Januar 1945 hin, erst dann wurde Hamel zum beamteten außerordentlichen Professor ernannt.549 Die Ausführlichkeit der Darstellung des Falls Hamel erschien notwendig, weil sie das sich immer mehr verdichtende Geflecht von Partei und Staatsstellen verdeutlicht. Das informelle Machtgefüge der ersten Jahre des Regimes wurde durch ein förmliches ersetzt. Schmutzige Denunziationen wichen einer staatlichen und parteilichen Beurteilungskultur, in der „Unbefugte“ kaum noch eine Rolle spielten, „Ermächtigte“ jedoch Karrieren vernichten konnten. Vor allem in den ersten Jahren nach der Machtergreifung der NSDAP wurden Professoren Opfer der Denunziationen, etwa der entlassene Geograph Gustav Braun und der Psychiater Edmund Forster, der sich erschoss. Von Denunziationen waren aber auch Personen betroffen, die den Studenten als Erzieher der Jugend „unmöglich“ erschienen. Dazu gehörten die Nationalsozialisten Fritz Wrede, Friedrich Proell und Albrecht Forstmann, aber auch der Jurist Paul Merkel, der als „Vierteljude“ diskriminiert wurde und den Hitlergruß möglichst vermied. Der Zeichenlehrer Adolf Kreutzfeldt wurde wohl nur deshalb denunziert, weil es einen geeigneten Ersatz in Form eines nationalsozialistischen Aktivisten gab. Die Darstellung der Fälle ist chronologisch, weil ein inhaltlicher Zusammenhang nicht bestand oder nicht nachweisbar ist. 3.7.2 Der „Fall“ Fritz Wrede

Der 1934 entlassene Chemiker Fritz Wrede war kein Opfer seiner politischen Überzeugungen, sondern seiner Persönlichkeit. Als Abteilungsleiter im Institut für Physiologische Chemie war ihm der Ruf auf einen auswärtigen Lehrstuhl versagt ge547 Vgl. ebd., Bl. 8780. 548 Vgl. ebd., Bl. 8787. 549 Vgl. ebd., Bl. 8803.

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blieben, obwohl der Mangel an kompetenten Professoren ihn eigentlich als geeignet erscheinen ließ. Wrede hatte in Jena Medizin und Chemie studiert und legte das Verbandsexamen als Chemiker ab. Nach der medizinischen Approbation ließ er sich als Landarzt in der Lausitz nieder. Da ihm diese Tätigkeit „auf die Dauer“ nicht zusagte, bewarb er sich 1919 als Assistent am Physiologisch-Chemischen Institut der Universität Tübingen.550 1921 habilitierte er sich mit einer Schrift zur Synthese von schwefelund selenhaltigen Disacchariden an der Universität Greifswald. 1926 vertrat er seinen abberufenen Mentor und erhielt den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors. Im Antrag für diese Würde hob die Fakultät ausdrücklich sein experimentelles Geschick hervor, das es ihm ermöglicht habe, eine ganze Reihe schwieriger biochemischer Probleme zu lösen. Da Wrede 1928 ein Angebot der IG Farben für eine Laborleiterstelle erhielt, beantragte die Medizinische Fakultät für ihn eine Lehrauftragsvergütung und ein Stipendium. Um seinen Status zu erhöhen, verlieh ihm die Universität formal die Stellung eines Abteilungsleiters. Mit seinem Institutsdirektor Steinhausen kam es trotzdem immer wieder zu Auseinandersetzungen. Wrede hielt Steinhausen für unfähig und zurückgeblieben. 1932 machte der Kurator davon dem Ministerium Meldung und berichtete, dass der Ton der Auseinandersetzungen außerordentlich „grob“ sei. Die Verantwortung dafür trage Steinhausen, meinte der Kurator, ein abgeklärter und bescheidener Mitarbeiter werde aber wohl über die „Schrullen und Wirrheiten“ des Institutsdirektors hinwegsehen. Politisch hielt sich Wrede zunächst zurück, erst nach dem Mai 1933 beantragte er seine Mitgliedschaft in der NSDAP und wurde Mitglied der Reserve-SA. Im Oktober 1933 beschwerte er sich beim Kurator, dass viele Studenten seine Kollegs „schinden“ würden, also die Bezahlung verweigerten. Mehr als zweihundert hätten in seiner Vorlesung gesessen, die Universitätskasse jedoch nur neunzig Hörer abgerechnet. Außerdem hatte Wrede bei Prüfungen schlechte Noten verteilt und einige Studenten durchfallen lassen, was zum Unmut bei den Studierenden geführt habe. Eine Studentin schwärzte ihn daher beim Fachschaftsleiter an und behauptete, dass sich Wrede abfällig über die „andauernde Bettelei der NSDAP“, also deren Straßensammlungen, geäußert habe. Außerdem habe er im Kolleg „schweinische Zoten“ erzählt. Der Leiter der Medizinischen Fachschaft Waldemar Schumann richtete seine Beschwerde Ende November 1933 an den Gauobmann des Ärztevereins, von dem sie via NS-Ärztebund an das Wissenschaftsministerium weitergeleitet wurde. Schumann behauptete, dass Wrede „moralisch“ ungeeignet sei, weiterhin Studierende zu unterrichten, zu führen und zu prüfen. Sein Mangel an „Schamgefühl“ sei „von so erheblichem Einfluss auf die heranwachsenden künftigen Ärzte“, dass ein „nationalsozialis550 Vgl. UAG PA 605 Wrede, Bd. 1.

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tisches Interesse“ vorliege, Wrede „an seinem Einfluss auf die Charakterbildung und Lebenseinstellung der Studenten zu hindern“. Außerdem fügte Schumann mehrere Aussagen an, die Wrede belasten sollten. In ihnen wurden wüste Feiern im Physiologischen Institut beschrieben und ein Student stellte die Behauptung auf, dass die Prüfung für das Physikum „durch das Bett“ des Dozenten führe. Das Ministerium ordnete eine Untersuchung an. Festgestellt werden sollte, ob es tatsächlich zu moralischen Verfehlungen gekommen sei und ob es „Gelage“ im Institut gegeben habe, bei denen auf Staatskosten gekocht worden sei. Vom Kurator auf den zum „Fall“ gewordenen Wrede angesprochen, antwortete Rektor Meisner, dass bei ihm keine Beschwerden über diesen vorliegen würden. Schumann als Führer des „Angriffsverfahrens“ erscheine ihm „reichlich jung“ und nicht alle Zeugen glaubwürdig. Er warne davor, das Belastungsmaterial ernst zu nehmen, weil bei einem ähnlich gelagerten Gerichtsverfahren schon einmal alle Zeugen ihre Aussagen unter Eid revidiert hätten.551 Richtig sei allerdings, dass Wrede wohl mit „jedem“ Mitglied der Fakultät „ernste Zusammenstöße gehabt habe“. Meisner stimmte also einer gründlichen Untersuchung des Falls durch den Kurator zu. Von den Vorwürfen blieb nicht viel übrig. Wrede hatte eine junge Frau aus einer übel beleumundeten Familie gefördert, indem er ihr eine Ausbildung zur Laborantin am Hygienischen Institut ermöglicht und sie nach dem erfolgreichen Abschluss in seinem Institut beschäftigt hatte. Nach einem Zerwürfnis in der Familie der jungen Frau bot er ihr ein Mansardenzimmer in seinem Haus an. Den Einzug wiederum verhinderte ein Student, der sich für die Frau interessierte und das Angebot „unschicklich“ fand. Das Verhältnis zu der jungen Frau sei ebenso wenig sexueller Natur gewesen wie das zu weiteren vier Frauen, von denen eine bei ihm eine Dissertation geschrieben hatte. Sexuelle Kontakte zu Studentinnen habe er seit seiner Habilitierung nicht mehr gehabt. Gelage seien bei ihm nicht gefeiert worden, wenn er den Mitarbeitern auch nach der Arbeit gelegentlich ein Bier ausgegeben habe. Dass gekocht worden sei, sei ihm nicht erinnerlich, man habe aber ein Stück Rindfleisch und ein Huhn nach den Untersuchungen zubereitet und verzehrt. Wrede bestritt, „schweinische Zoten“ erzählt zu haben. Eine Bemerkung über das Stinktier und dessen Drüsen sei vielleicht missverstanden worden. Wrede bestritt auch, dass er bevorzugt Frauen nach der Beschaffenheit von Sperma und Scheidensekret befragt habe, auch das hatten die NS-Studentinnen vorgebracht. Es sei jedoch richtig, dass er sich geweigert habe, sein Kolleg zu verlegen, obwohl zur gleichen Zeit SA-Dienst anberaumt worden war. Die abfällige Bemerkung, die Universität sei kein „Spielplatz“, habe er in diesem Zusammenhang 551 Vgl. UAG PA 605 Wrede, Bd. 2; gemeint war das Gerichtsverfahren gegen Ernst Friedberger (1875–1932).

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nicht vorgebracht. Seine abfälligen Bemerkungen über unbegabte Studenten räumte Wrede allerdings ein, auch dass er einigen empfohlen habe, das Studium aufzugeben. Das sei doch aber seine „Dozentenpflicht“ gewesen.552 Ein vertrauenswürdiger Student, der keinen Konflikt mit dem angeschwärzten Professor hatte, bestätigte jedoch die Gewohnheit Wredes, zweideutige Formulierungen in seine Vorlesungen einzuflechten. Sturmbannführer Arndt, der auch bei Wrede Vorlesungen gehört hatte, bekräftigte das. Das abfällige Wort über den SA-„Spielplatz“ hätten ihm seine SA-Männer mitgeteilt, er habe es nicht selbst aus dessen Mund gehört. Insgesamt halte er Wrede als Dozent der Universität für „nicht mehr tragbar“. Der Sanitätstruppführer des SA-Motorsturms wollte seine Aussage, dass ein erfolgreiches Examen für Studentinnen durch Wredes Bett führe, nicht bestätigen. Das habe er nur gehört, aber er habe gesehen, dass Wrede Studentinnen in seinem Auto mitnahm und dass Studentinnen von ihm weniger hart geprüft worden seien als Männer. Das wiederum wies die Hauptamtsleiterin für Studentinnen Erna Lindner energisch zurück. Sie wisse auch von keiner Studentin, die mit Wrede ins Bett gegangen sei. In seinen Vorlesungen habe es keinerlei Zweideutigkeiten gegeben, auch in der Prüfung nicht, die sie selbst bei ihm abgelegt habe. Auf Wunsch der Fachschaftsleitung, so verzeichnet es das Protokoll, erschien Lindner einen Tag später erneut im Kuratorium. Zwar sei das, was sie ausgesagt habe, richtig, aber sie könne „nicht die Hand dafür ins Feuer legen“, dass es niemals zu sexuellen Beziehungen zwischen dem Professor und Studentinnen gekommen sei. Der Universitätskurator hätte sich also durchaus die Anschauung zu eigen machen können, die der ehemalige Vorsitzende der Greifswalder Korporationsgemeinschaft Gerd Kienbaum äußerte. Die Unzufriedenheit gegen Wrede sei so groß geworden, weil dieser in seinem Unterricht ungewöhnlich hohe Anforderungen an die Zuhörer stelle und jene, die nicht mitkämen, „rücksichtslos“ niedermache. Seinen Bericht vom 6. Februar 1934 leitete er mit einer Charakterisierung Wredes ein, den er als „besonders unsympathischen Menschen“ beschrieb. Dass er geeignet sei, „Anstoß zu erregen“, werde jeder glauben, der ihn kenne. Die sexuellen Anschuldigen gegen Wrede seien jedoch „unvorsichtig“ begründet und schössen über das Ziel hinaus. Es handle sich um „kühne Verallgemeinerungen“, die in jedem einzelnen Fall unbewiesen blieben. Wrede habe jedoch mit der Art seines Umgangs mit der jungen Frau diese „rücksichtslos und herausfordernd dem Kleinstadtgerede der Greifswalder“ ausgesetzt. Und wo viel Rauch, da sei „bestimmt aber auch etwas Feuer“. Im Hinblick auf die anstößigen Bemerkungen in Wredes Vorlesungen hätten das manche Zeugen bestätigt, der überwiegende Teil jedoch nicht. Für die abfälligen Be552 Vgl. UAG PA 605 Wrede, Bd. 2.

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merkungen über die NSDAP gebe es keine Belege, sie seien aber, „gleichgültig ob beweisbar“, in ihrer Schnoddrigkeit „typisch“. Und inzwischen seien auch der Dekan der Medizinischen Fakultät Hey und der Vertrauensmann der NSDAP-Reichsleitung Stickl bei „Würdigung der Gesamtpersönlichkeit“ Wredes zu dem Schluss gekommen, dass er für eine weitere Lehrtätigkeit „untragbar“ sei. Der Kurator schloss sich der Auffassung an, obwohl Wrede sicher kein schlechter Wissenschaftler sei. Aber schließlich sei dieser ja schon seit 1921 habilitiert und eben deshalb nie auf einen Lehrstuhl berufen worden, „weil jeder Fachkollege, der ihn kennen lernte, gegen den Menschen Wrede bald Abneigung empfand“. Die politische Führung der studentischen Jugend habe deshalb mit ihrer Meldung des Falls richtig gehandelt. Sie „wittere instinktiv“, was sie abstoße, sei aber in der Wahl der Mittel über das Ziel hinausgeschossen. Dann zitierte der Kurator den Sturmführer und studentischen Funktionär Karl-Heinz Bendt, der ihm in seinem Büro Folgendes gesagt hatte: „Ja, was hat dann unser ganzer Idealismus, unsere ganze politische Arbeit in der Studentenschaft überhaupt noch für einen Sinn, Herr Kurator, wenn Sie jetzt kühl und nüchtern Punkt für Punkt von unseren Anschuldigungen gegen Professor Wrede abwägen, was beweisbar ist und was nicht? Es kommt doch, weiß Gott, nicht auf diese einzelnen Punkte an, es kommt doch auf den ganzen Menschen Wrede an! Und dass dieser ganze Mensch das Gegenteil von dem ist, was wir als für die akademische Jugend charakterlich führendes Vorbild auf dem Katheder suchen und erstreben, das können Sie, Herr Kurator, doch nicht leugnen!“ Er könne das tatsächlich nicht leugnen, meinte der Kurator und empfahl, Wrede an einen anderen Ort zu versetzen. Es sei auch denkbar, ihn zu beurlauben oder, wenn sich keine Verwendung finde, zu entlassen. Auf jeden Fall müsse Wrede von seiner Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss entbunden werden. Diese Aufgabe könne der Privatdozent Richter übernehmen, denn „der gesundheitlich dauernd recht schwache Physiologe Professor Steinhausen dürfte dieser Mehrarbeit wohl nicht gewachsen sein“.553 Die bis zum 8. Februar 1934 vom Kurator eingeholten Zeugnisse suggerieren das klare Bild eines fähigen Wissenschaftlers, der für die politischen Zeitläufte kein Verständnis besaß und seine Studierenden ungerecht behandelte. Wenige Tage später traf jedoch ein Bericht von der Vernehmung von Herta Schwartzkopff aus Halle ein. Die aus „gutem Hause“ stammende junge Frau – ein Onkel war Professor, und sie gab als Postanschrift eine der feinsten Adressen in Halle an – bestätigte, dass Wrede ultimativ Beleggelder eingefordert habe; auch von ihr, obwohl sie ihm berichtete, dass sie vier Geschwister habe. Den Schein über das physiologische Praktikum, den sie bei Emil 553 Vgl. UAG PA 605 Wrede, Bd. 2; BA NS 38/4129.

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Abderhalden erhalten hatte, habe Wrede nicht anerkannt. Die schroffe Art habe sich jedoch während des Semesters geändert: „Er suchte sich den meisten Studentinnen durch besondere Freundlichkeit zu nähern.“ Das sei ihr peinlich gewesen, weil darüber gesprochen wurde, „dass er mit einzelnen Studentinnen in nähere Beziehungen getreten wäre“. Schwartzkopff wurde von Wrede ebenfalls gefragt, ob er sie im Wagen mitnehmen könne, und sie erinnerte sich an eine ganze Reihe deplatzierter Scherze, er habe es „überhaupt“ geliebt, sich in seinen Vorlesungen über Professoren „lächerlich oder verächtlich“ zu äußern. Er habe auch „regelmäßig“ jede Formulierung gewählt, die als besonders anstößig bewertet werden konnte. Als Wrede einmal sah, dass Schwartzkopff und eine Kommilitonin seinen Vorgesetzten Steinhausen mit einem eher unvollkommenen „Deutschen Gruß“ bedachten, kommentierte er das wie folgt: „Das ist recht, dass Sie Steinhausen nicht mit dem deutschen Gruß grüßen; Sie grüßen ja auch Juden nicht so.“ Wrede habe oft versucht, Steinhausen als „Gegner der Regierung“ darzustellen, was aber nach Einschätzung Schwartzkopffs „keineswegs der Fall war“. Die ersten Vorlesungen Wredes im Sommersemester verliefen ruhig. In der letzten Vorlesung vor den Pfingstferien inszenierte Fachschaftsleiter Schumann jedoch einen Tumult, der Wrede dazu zwang, den Hörsaal zu verlassen. Studenten höherer Semester warfen Knallerbsen, zündeten Feuerwerkskörper und brüllten Wrede nieder, als er etwas zu sagen versuchte. Auf seinem Weg hinaus flogen Eier. Die NS-Aktivisten räumten dann den Hörsaal und sorgten dafür, dass keine Studenten zurückkehrten. Dekan Hey wandte sich jetzt an den Minister und bat darum, Wrede fortzuberufen. Er kenne die hiesigen Medizinstudenten genügend gut, um zu wissen, dass eine solche Ablehnung nicht aus irgendwelchen leichtfertigen Motiven heraus erfolge, sondern in der Person des Professors Wrede zu suchen sei. Rektor Meisner reagierte anders, vermutlich ohne zu wissen, dass sein Dekan das studentische Vorgehen hingenommen hatte. Meisner beantragte die Einleitung von Disziplinarmaßnahmen gegen die Täter, deren Motive ihm „nicht alle ideal“ erschienen. Er halte es für „verhängnisvoll für die Zukunft“, einem „illegalen Drängen“ eines kleinen Teils der Studenten nachzugeben. Obwohl auch der Führer der Studentenschaft den Tumult verurteilte, verliefen die Verfahren im Sand. Ministerialdirektor Achelis antwortete mit einem Telegramm und wies an, für die ungestörte Fortsetzung der Vorlesungen Wredes, der im Amt bleibe, Sorge zu tragen. Im Juli ruderte das Ministerium zurück und legte dem Kurator nahe, dafür zu sorgen, dass Wrede um Beurlaubung nachsuche. Es sei auch über eine Versetzung in den Ruhestand nach § 6 des Berufsbeamtengesetzes (Vereinfachung der Verwaltung) nachzudenken. Meisner versuchte danach, den Fall Wredes abzumildern. Dazu bat er den Pharmakologen Paul Wels um ein positives Gutachten über dessen wissenschaftliche Qualitäten. Auch Wels war mit Wrede zu-

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sammengestoßen und verzichtete nicht darauf, dessen „unglückliche Charakterveranlagung“ zu erwähnen. Aber er betonte, dass Wrede immer hilfsbereit gewesen sei, wenn es sich um fachliche Fragen gehandelt habe, und er strich heraus, dass dessen Forschungen zum Stoffwechsel gefärbter Bakterien weltweite Anerkennung gefunden hätten. Wrede hänge „mit Leidenschaft“ an der wissenschaftlichen Arbeit, für die er sich „restlos“ einsetzen werde. Das Eintreten von Wels und Meisner für Wrede war insofern erfolgreich, dass dieser zwar in Greifswald beurlaubt und die Lehrauftragsvergütung nicht mehr gezahlt wurde, er aber im September 1934 eine Beschäftigung bei der Hydrotherapeutischen Anstalt der Universität Berlin antreten konnte. Als Wrede seiner Stellung enthoben war, setzte sich Meisner noch einmal für ihn ein. Die Schwierigkeiten, die sich dieser eingehandelt habe, beruhten wohl darauf, dass dieser das „weise Wort“ des Polonius nicht verstanden habe: „Gib dem Gedanken, den Du hegst, nicht Zunge“. Diese Eigenschaft sei es auch, die Wredes Wechsel in eine andere Fakultät erschwere, aber er sei doch „besser als sein Ruf“. 1935 erhielt Wrede einen Forschungsauftrag auf dem Gebiet der toxikologischen Chemie im Pharmakologischen Institut der Universität Kiel. Hier befasste er sich mit den Wirkungen der Mandelsäure, Morphinen, den Rauschgiften im Tabak und anderem. Im April 1939 wandte er sich an den Dekan der Medizinischen Fakultät Greifswald, um seiner Karriere eventuell doch noch einen Schub zu geben. Jetzt sei doch das Ordinariat in Prag frei, merkte Wrede an und bat Dekan Bischoff, sich bei der Besetzung für ihn zu verwenden. Wenn das nicht möglich sei, bitte er, sich für seine Verwendung in einem Kaiser-Wilhelm-Institut einzusetzen. Die kryptisch knappe handschriftliche Randbemerkung „(Mentzel)“ deutet darauf hin, dass Wrede wohl gern bei der Kampfstoffforschung eingesetzt worden wäre.554 Für Wrede erfüllte sich keiner der beiden Wünsche, 1939 strich ihn die Universität Greifswald als Dozent aus ihrem Personalverzeichnis. 3.7.3 Friedrich Proell

Der Zahnmediziner Friedrich Proell wurde wie Fritz Wrede wegen seiner Persönlichkeit von den Studenten abgelehnt. Diese erzwangen seine Beurlaubung 1935, wobei Proells Assistent eine maßgebliche Rolle spielte. Proell wuchs in Westpreußen auf und entschied sich für eine Karriere als Militärarzt. Er studierte an der Militärärztlichen Akademie Berlin Medizin und war ab 1904 als aktiver Militärarzt in Konstanz, Straßburg und Königsberg tätig. Er promovierte 1907 in Freiburg und absolvierte in Straßburg ein Zweitstudium der Zahnmedizin. 554 Vgl. UAG PA 605 Wrede, Bd. 2.

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1912 wurde er an der Medizinischen Fakultät der Universität Königsberg habilitiert. Ab 1914 leistete er Kriegsdienst, sowohl in Lazaretten als auch an der Front, wo er 1918 durch einen Granatsplitter einen Finger verlor. 1921 schied er aus dem aktiven Militärdienst aus und erhielt eine Anstellung als außerordentlicher Professor an der Universität Königsberg, 1923 wurde er auf ein persönliches Ordinariat für Zahnheilkunde in Greifswald berufen. Als Arzt war Proell durchaus kritisch, so veröffentlichte er 1925 eine vielbeachtete Studie über beobachtete Misserfolge nach Wurzelspitzenresektionen und regte zu anderen Behandlungsmethoden in der Praxis an. 1926 unternahm er eine Studienreise in die USA, über die er einen Bericht veröffentlichte. Er wurde nach Norwegen zu Gastvorlesungen eingeladen, in Greifswald hatte er zahlreiche Studenten aus skandinavischen Ländern. Durch diese internationale Reputation erhielt er vom Kultusministerium Mittel für den Umzug und die Neueinrichtung des Zahnärztlichen Instituts, das 1934 eingeweiht wurde.555 Die Fähigkeiten seines Oberassistenten Richard Plötz beurteilte die Medizinische Fakultät kritisch, genehmigte jedoch 1931 dessen Habilitation. Das Verhältnis zu Proell scheint gespannt gewesen zu sein, vor allem wegen der Honorare für die Privatbehandlungen, an denen sich später übrigens auch der Streit mit Proells Nachfolger Paul Wustrow entzündete.556 Ein besonders schlechtes Verhältnis hatte Proell zu seinem Assistenten Werner Gehrke. Proell hatte eigentlich einen anderen Assistenten einstellen wollen, Gehrke hatte nach seinem Examen 1934 jedoch auf der Übernahme in die Stelle bestanden, weil er als „Alter Kämpfer“ – er war seit 1929 SA-Mann und hatte im Gefängnis gesessen – einen Anspruch darauf habe. Rückendeckung bekam Gehrke vom Vertrauensmann der NSDAP in der Medizinischen Fakultät Otto Stickl. Proell hielt ihn jedoch für nicht qualifiziert, Gehrke habe das „Gut“ in seinem Examen nur deshalb bekommen, weil er ein „Alter Kämpfer“ sei. Diese Auffassung behielt er jedoch nicht für sich, sondern äußerte sie in der Öffentlichkeit, was die nationalsozialistischen Studenten als Herabwürdigung der Person Gehrkes und der Partei betrachteten. Proell neigte außerdem dazu, Prüfungsnoten nach Gusto zu verteilen, und stellte im Examen pseudohumoristische Fragen, etwa: „Was hören Sie dann?“ Die richtige Antwort darauf hätte gelautet: „Ich höre dann auf“, worauf der Prüfling aber nicht kam. Proell erzählte auch, dass ihm sein Finger von einem Pferd abgebissen worden sei, wahrscheinlich weil er das ebenfalls für witzig hielt. Das fanden die Studenten nicht, im Gegenteil, sie betrachteten das als unehrenhafte Lüge. Für ehrenrührig hielten sie auch, dass Proell bei der Veröffentlichung einer Doktorarbeit seinen 555 Vgl. UAG PA 2702 Proell. 556 Vgl. UAG PA 547 Plötz; UAG PA 600 Wustrow.

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Namen als Zweitautor auf das Deckblatt setzte.557 Ein Techniker war unzufrieden, weil er für den Institutsdirektor etwas angefertigt hatte, vom offenbar hohen Erlös aber nur ein Trinkgeld erhielt. Das Zerwürfnis vertiefte sich, als der Techniker für das Winterhilfswerk sammelte. Proell hielt ihm einen langen Vortrag, wie schlecht es ihm gehe – was angesichts eines Einkommens nach Steuern von monatlich über tausend Mark nicht zutraf. Dann spendete er eine (!) Mark. Die Situation eskalierte durch Proells inkompetente Kommunikation. Gegen die studentischen Angriffe meinte er sich durch Briefe an deren Eltern wehren zu müssen. Die nahezu geschlossene Front der Studierenden wollte er aufbrechen, indem er versuchte, einige Examenskandidaten dazu zu bringen, Ehrenerklärungen für ihn abzugeben. Von diesen wurde das als Zumutung empfunden, weil sie annahmen, dass davon das Prüfungsergebnis abhänge.558 Die Studenten setzten nun wiederum Lügen über Proell in die Welt, etwa dass er die Klinik am 1. Mai nicht geschlossen habe. Proell verbreitete im Gegenzug, dass Gehrke ihn wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten angezeigt, die Anzeige aber zurückgezogen habe, was ebenfalls gelogen war. Die Aussprache eskalierte in aller Öffentlichkeit, und Proell forderte Gehrke zum Pistolenduell. Als Gehrke annahm und um Mitteilung von Ort und Zeit bat, hörte er nie wieder davon. Auf Anregung Gehrkes veranstaltete Fachschaftsleiter Hans Ötjen danach eine Unterschriftensammlung, mit der Proells Entlassung gefordert wurde, weil das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört sei. Von 91 Studierenden unterzeichneten immerhin 82.559 Das Ministerium beurlaubte Proell umgehend. Über den Protest informierten Gehrke und Ötjen nicht nur das Ministerium, sondern auch die SA-Standarte 49, in der Proell als Sturmmann diente. Ein Mann, „gegen den derart ungeheuerliche Vorwürfe“ erhoben würden, die er nicht widerlegen könne, sei „unwürdig“, das „Ehrenkleid der nationalsozialistischen Bewegung zu tragen“. Als bekannt wurde, dass das Ministerium Proell versetzen und nicht entlassen wollte, legten Ötjen, Gehrke und Studentenführer Pechau noch einmal nach und verschickten am 16. September 1935 einen Rundbrief, in dem sie „alle“ (!) an Hochschulangelegenheiten Interessierten über die „moralische Verurteilung des Prof. Proell“ informierten. Dabei fassten die drei Denunzianten die Vorwürfe zum Teil sinnentstellt zusammen und handelten den verwickelten Fall auf vier Schreibmaschinenseiten ab. Beim Leser mussten die 557 Die aufwändige Studie untersuchte das Wachstum und die Zahnbildung beim Hund. Vgl. Proell, F. und H. Wyrwoll: Experimentelle Untersuchungen über das Wachstum des Unterkiefers und der Zähne, in: Deutsche Zahn, Mund- und Kieferheilkunde. Bd. 1, Heft 2, 1934, S. 81– 93. 558 Vgl. BA R 4901/23178, Bl. 31–80. 559 Vgl. ebd., Bl. 13.

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Schlagwörter Bedenken hervorrufen: „Unwahrheiten“, „Erpressung“, „Klassengeist“, „unsoziales Verhalten“, „Verletzung des Ehrbegriffs“, „Provokation der NSDAP“, „gemeines Verhalten“, „Unwürdigkeit“.560 Proell beauftragte daraufhin einen Rechtsanwalt mit der Einleitung einer Verleumdungsklage. Der Anwalt beschied ihn im Oktober 1935 jedoch kühl, dass er diese für „sehr wenig aussichtsvoll“, sogar „eigentlich für hoffnungslos“ halte.561 Die Medizinische Fakultät stellte aber sich bereits im Juni 1935, anlässlich seiner Beurlaubung, hinter ihn. Er genieße „durch seine persönlichen Eigenschaften“ und „seine wissenschaftlichen Leistungen“ „Achtung und Wertschätzung im Lehrkörper und darüber hinaus“, meinte Dekan Wels. Das Schreiben wurde im Ministerium zu Proells Akte genommen, jedoch nichts veranlasst. Erst nach der angekündigten Verleumdungsklage wurde der Universitätskurator Kolbe mit Ermittlungen beauftragt. Dieser stellte bereits nach wenigen Tagen vieles fest, „was nicht richtig“ in den Akten verzeichnet worden sei. Zudem habe er Gehrke eine ernsthafte Verwarnung erteilen müssen. Dieser habe sich beim Besuch einer „hiesigen Gastwirtschaft“ gegenüber einem an die Hautklinik kommandierten Militärarzt ungebührlich benommen. Er habe diesen „in total betrunkenem Zustand“ angerempelt, was zu einer „Schlägerei“ geführt habe. Der Amtsleiter Wissenschaft im Ministerium Theodor Vahlen nahm von der inzwischen auf über zweihundert Blatt angeschwollene Akte im Januar 1936 Kenntnis und wies Proells Versetzung nach Bonn an. Das Bonner Zahnärztliche Institut galt im gesamten Reich als das am schlechtesten ausgestattete und war in so miserablem baulichen Zustand, dass Proell die Erlaubnis erhielt, in seiner Wohnung eine Privatpraxis einzurichten.562 Das Dienststrafverfahren gegen Proell erbrachte später keine anklagewürdigen Vergehen, wie das Wissenschaftsministerium dem Reichssicherheitshauptamt im Mai 1937 mitteilte.563 Um der Stigmatisierung als Staatsfeind entgegenzuwirken, lancierte Proell 1935 einen Artikel in der quasi parteiamtlichen Monatsschrift Volk und Rasse, in dem er dem Zusammenhang von „Rasse und Zahnleiden“ nachging. Dabei erkundete er das Phänomen, dass „heute lebende Primitive“ unmittelbar nach der Berührung mit der Zivilisation auch mit den üblichen Krankheiten Karies und Parodontose konfrontiert seien. Weil aus seiner Sicht, nach „strenger Kritik“, kein Zusammenhang zwischen Rasse und diesen Erkrankungen bestehe, empfahl er weitergehende Forschungen. Auch die Frage, ob Zahnleiden erblich seien, mochte Proell nicht eindeutig beantworten. Eine Vererbung liege seiner Ansicht nach nur bei ausgesprochenen Bissanomalien vor, fest 560 561 562 563

Vgl. ebd., Bl. 123–127. Vgl. ebd., Bl. 186. Vgl. ebd., Bl. 204. Vgl. ebd., Bl. 262 – Ende der Blattzählung.

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stünden auch negative Auswirkungen von Rassenmischungen. Bei diesen „Bastarden“ wüchsen oft „zu kleine Zähne“ in einem „zu großen Kiefer“, oder es komme zu einer „gedrängten Zahnstellung“. Aus seiner Sicht bedürfe es weitgehender Studien, etwa in extrem gemischtrassigen Gebieten wie Nordafrika oder Hawaii. Im selben Absatz redete er diesen Forschungsansatz jedoch wieder schlecht, indem er darauf hinwies, dass dann aber noch die „Gewohnheiten“ der Ernährung untersucht werden müssten, „z. B. andere Nahrungszubereitung“. Es könne sein, so Proell, „dass die Annahme einer Rasseneigenschaft durch Bedingungen der Umwelt vorgetäuscht ist“.564 In Bonn wurde er von den Kollegen misstrauisch beäugt, entweder weil sie ihn für einen Spitzel oder aber für politisch unzuverlässig hielten. In seinem Entnazifizierungsverfahren gab er an, von der Gestapo überwacht worden zu sein, was angesichts der Abfrage des Reichssicherheitshauptamts zweifellos der Fall gewesen war. Im Wissenschaftsministerium versah man seine Personalakte mit einem Aufkleber, der ihn als „Logenangehörigen“ stigmatisierte. Proell hatte vor dem Ersten Weltkrieg einer Freimaurerloge angehört und galt damit als Adept „überstaatlicher Mächte“. 1945 wurde er in Bonn wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP entlassen, 1949 „entnazifiziert“ und mit einem Ruhegehalt emeritiert.565 3.7.4 Adolf Kreutzfeldt

1935 wurde auch der akademische Zeichenlehrer Adolf Kreutzfeldt denunziert, den man ob seiner unauffälligen Existenz bisher nicht entlassen hatte, obwohl er der liberalen Deutschen Demokratischen Partei bis zu deren Auflösung 1930 angehört hatte. Die Entlassung als akademischer Zeichenlehrer geschah am 23. März 1935 auf Anweisung des Wissenschaftsministeriums. 1884 im preußischen Altona geboren, hatte er Kunstgewerbeschulen in Hamburg und Altona besucht. Seine Studien setzte er an der Kunstakademie in Königsberg fort, wo er 1907 das Staatsexamen für das künstlerische Lehramt ablegte. Er bildete sich im Modellieren weiter und absolvierte das praktische Lehrjahr am Gymnasium in Gera. 1910 wechselte er an das Gymnasium Greifswald und wurde 1913 nebenamtlich als akademischer Zeichenlehrer beschäftigt. Nach Kriegsdienst und Gefangenschaft kehrte er zurück und wurde 1923 zum Oberzeichenlehrer und Studienrat befördert. Kreutzfeldt widmete sich nebenamtlich dem Ausbau des Greifswalder Museums.566 Die Entlassung erfolgte, obwohl Kreutzfeldt der SA als Sturmmann beige564 Vgl. Proell, Friedrich: Rasse und Zahnleiden. In: Volk und Rasse, Bd. V, 1935, Sonderdruck. 565 Vgl. Forsbach, Ralf: Die medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“, München 2006, S. 310 ff. 566 Vgl. UAG Jur. Fak. 92, Bl. 26.

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treten war. 1937 trat er in die NSDAP ein, was dazu führte, dass er 1946 wieder entlassen wurde, nachdem er 1945 eine Anstellung an der Universität erhalten hatte. 567 Die Denunziationen kamen 1935 von Studenten der Medizinischen Fakultät, wobei sie nicht nur Kreutzfeldts politische Vergangenheit thematisierten, sondern auch seine Qualifikation als akademischer Zeichenlehrer in Zweifel zogen. Die stand jedoch außer Frage, wie die Professoren für Anatomie und Pathologie übereinstimmend versicherten. Kreutzfeldt hatte zum Beispiel Abbildungen für einen anatomischen Atlas gezeichnet. Der Zeichenunterricht für die Mediziner lag aber wohl tatsächlich im Argen, und ein Ersatz stand mit Paul Barz bereit. Barz hatte in Berlin und Greifswald Kunst auf Lehramt studiert, am Gymnasium war Kreutzfeldt vermutlich sein Zeichenlehrer gewesen. 1933 gehörte er zu den Aktivisten des Nationalsozialistischen Studentenbundes, seine Plakate wurden von der Partei in hohen Auflagen gedruckt.568 Während seines Referendariats in Berlin war er nebenamtlich, so der Eintrag in der Personalkartei, „tätig im SD des RFSS“.569 3.7.5 Wolfgang Stammler

In einer Ausstellung zur Germanistik im Nationalsozialismus stellten die Autoren des Katalogs die Behauptung auf, dass der 1924 berufene Ordinarius für Germanische Philologie Wolfgang Stammler suchtkrank gewesen sei. Die Dissertation seines Schülers Manfred Pechau sei nicht mehr als ein an einem Sonntagnachmittag hingeschluderter Schulaufsatz gewesen. Die Benotung „gut“ sei wohl durch Erpressung zustande gekommen. Als Indiz für die Suchterkrankung Stammlers wurden die hohen Schulden Stammlers angeführt, wegen der er auch entlassen worden sei. Die von Stammler selbst in die Welt gesetzte Behauptung, dass dies wegen dessen jüdischer Ehefrau geschah, sei unwahr. Stammler sei ein überzeugter Nationalsozialist gewesen.570 Letzteres ist eine Selbstbeschreibung Stammlers, für die phantastische Erzählung von Sucht und Erpressung gibt es keine Belege. Stammler wurde 1886 als Sohn des Rechtsphilosophen Rudolf Stammler in Halle geboren, er hatte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Halle, Berlin und Leip567 Vgl. BA R 4901/13269 Karteikarte Kreutzfeldt; UAG PA 2442 Kreutzfeldt. 568 Vgl. UAG PA 2573 Barz. 569 Vgl. Karteikarte in: UAG PA 2573 Barz. 570 Vgl. Lerchenmüller, Joachim und Gerd Simon unter Mitwirkung von Stefan Blanz, Petra Geiling, Horst Junginger, Susanne Kirst, Ulrich Schermaul, Florian Vogel: Im Vorfeld des Massenmords. Germanistik und Nachfächer im Zweiten Weltkrieg, Tübingen 2009, S. 92 ff. Der Text ist mit dem Wikipedia-Eintrag über Stammler verlinkt, dort auch eine chronologisch geordnete Zusammenstellung von Aktenauszügen.

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zig studiert, 1908 promovierte er an der Universität seiner Heimatstadt mit einer Studie über das Drama Der Hofmeister von Jakob Michael Reinhold Lenz, einem Stück der Epoche des Sturm und Drang, in dem die Liebe eines Lehrers zu seiner Schülerin geschildert wird.571 Ein Studienfreund Stammlers war der spätere preußische Kultusminister Bernhard Rust, was später noch thematisiert wird. Stammler legte das Staatsexamen für das höhere Lehramt ab und absolvierte in Wernigerode und Halle das Referendariat. Danach diente er als Einjährig-Freiwilliger in einer Maschinengewehrkompanie, 1912 wurde er nach weiteren Übungen zum Reserveoffizier befördert. 1911 erhielt er eine Lehrerstelle in Hannover und habilitierte sich 1914 an der Technischen Hochschule Hannover mit einer Studie über den Journalisten und Schriftsteller Matthias Claudius.572 Im Kriegsdienst wurde Stammler zweimal leicht und einmal schwer verwundet, dekoriert wurde er unter anderem mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und der Hessischen Tapferkeitsmedaille. Er wurde als Oberleutnant der Reserve entlassen und erhielt im August 1918 eine Dozentenstelle an der wiedereröffneten Universität Dorpat. Mit den deutschen Truppen kehrte Stammler zurück, im Februar 1919 schloss er sich dem Freikorps Hülsen an und nahm an der Niederschlagung kommunistischer Unruhen in Braunschweig und Mitteldeutschland teil. 1923 erhielt er einen Ruf an das Herder-Institut in Riga, im Jahr danach wurde er auf die Professur in Greifswald berufen. Stammler publizierte trotz seines militärischen Engagements fleißig. 1920 erschien eine Geschichte der niederdeutschen Literatur, wenig später eine knappe Studie zu den Totentanzdarstellungen des Mittelalters und 1924 eine populär gehaltene Überblicksdarstellung der Literatur vom Naturalismus bis zur Gegenwart. Bei seiner Berufung lobte die Philosophische Fakultät Stammlers „problemkundige ideenreiche Durchdringung ganzer Zeitalter“, außerdem habe er das Forschungsfeld der niederdeutschen Mystik „fast neuentdeckt“. Ab 1925 beteiligte er sich an der Herausgabe des Reallexikons zur deutschen Literaturgeschichte. Stammlers Reputation wuchs auch international, 1931/32 hielt er Gastvorlesungen in London und Paris.573 Im selben Jahr übertrug er die sechsstündige Hauptvorlesung seinem Assistenten Lutz Mackensen, hielt jedoch weiterhin Seminare ab. Er begab sich in die Universitätsnervenklinik, wo ihm ein Erschöpfungszustand attestiert wurde, und machte in den Sommerferien einen ergiebigen Urlaub. Stammler hatte in diesen Jahren nicht nur ununterbrochen gearbeitet, sondern sich auch von seiner Frau Hildegard getrennt.574 571 Vgl. Stammler, Wolfgang: „Der Hofmeister“ von Jakob Michael Reinhold Lenz. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts, phil. Diss., Halle 1908. 572 Vgl. Stammler, Wolfgang: Matthias Claudius, der Wandsbecker Bothe. Ein Beitrag zur deutschen Literatur- und Geistesgeschichte, Halle 1915. 573 Vgl. UAG PA 266 Stammler, Bd. 2, Bl. 2, 45, 49. 574 Vgl. ebd., Bl. 47.

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Hildegard Stammler war die Tochter des hallischen Professors Edgar Loening, einem Sohn des Verlegers Carl Friedrich Loening. Loening hatte 1845 unter anderem den Struwwelpeter von Heinrich Hoffmann verlegt und das erste Buch des Autorengespanns Karl Marx und Friedrich Engels über Die heilige Familie. Hildegard Loenings Großvater wurde als Zacharias Löwenthal geboren, 1847 konvertierte er mit seiner jüdischstämmigen Frau zum christlichen Glauben. Loening war nicht nur finanziell erfolgreich, mit seiner Parteinahme für die Demokraten der Revolution von 1848 hatte er sich politisch positioniert. Den Rechtsextremisten galt er als einer derjenigen, der die Idee vom „Weltbürgertum“, „Christenhass“, „ätzenden Hohn“ und „Sprachverderbnis“ sowie „Gleichgültigkeit gegen die Größe der vaterländen Geschichte“ verbreitet, kurzum den „jüdischen Geist“ in Deutschland zur Wirkung gebracht habe.575 Die 1930 erfolgte Trennung von seiner Frau war offenbar teuer, zumal sie über ihren Rechtsanwalt einen Unterhalt von 150 Mark monatlich aushandelte. Außerdem hatte er bei der Verlagsbuchhandlung Bamberger Schulden in Höhe von 1700 Mark angehäuft. Mit der Buchhandlung handelte Stammler eine Ratenzahlung von 50 Mark monatlich aus. Im Trennungsprozess hatte Stammler sich jedoch Geld von seinem Vorgänger auf dem Lehrstuhl Gustav Ehrismann geborgt, das er nicht regelmäßig abzahlte. Außerdem war er beim Finanzamt in Verzug geraten. Stammler schloss im Vertrauen auf seine Leistungsfähigkeit einen Verlagsvertrag über ein Verfasserlexikon mittelalterlicher Autoren ab, der ihm 3000 Mark Vorschuss garantierte. Sein Segelboot im Wert von 6000 Mark wollte er jedoch nicht verkaufen, obwohl damit fast alle Schulden auf einen Schlag abbezahlt gewesen wären. Mit Hilfe des Kurators gelang es Stammler, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Die pfändbaren Teile seines Gehalts wurden ab 1934 von der Universitätskasse an die Gläubiger überwiesen. Nach drei Jahren, zum Zeitpunkt seiner Entlassung, war Stammler praktisch schuldenfrei und immer noch im Besitz seiner Jacht. Mit der Versetzung in den Ruhestand erhielt er ein Ruhestandsgehalt nach mehr als 32 Dienstjahren von mehr als 800 Mark monatlich, von dem der Unterhalt für Hildegard Stammler abgezogen wurde.576 Mit dem Buchvertrag und dem Ruhegehalt baute sich Stammler in Berlin eine Existenz als Privatgelehrter auf. Von seiner Frau Hildegard hatte sich Stammler zwar getrennt, sich jedoch nicht scheiden lassen. Nach außen betonte Stammler jedoch, dass er geschieden sei, was aber nicht zutraf.577 575 Vgl. Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 4, Leipzig 1913, S. 433 f. 576 Es wurde ein Jahresgehalt von 9748,80 Mark festgelegt. Vgl. UAG PA 266 Stammler, Bd. 2, Bl. 143. 577 Vgl. UAG PA 266 Stammler, Bd. 2, Bl. 130 ff.; eine zweite Ehe Stammlers ist ebenfalls nicht belegt, wurde aber behauptet.

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Für die Entlassung Stammlers waren wohl drei Gründe maßgeblich. Zum Ersten füllte er den angeforderten Fragebogen zu den jüdischen Großeltern seiner Ehefrau zuerst nicht, nach Aufforderung fehlerhaft aus. Als Kurator Kolbe ihm vorhielt, dass er wegen der Prominenz der Vorfahren seiner Ehefrau durchaus informiert hätte sein müssen, antwortete Stammler, dass er angenommen habe, dass schon deren Eltern getauft worden seien.578 Juristisch war seine Frau als „Vierteljüdin“ zu betrachten, was den Ehemann im Sinne des Berufsbeamtengesetzes unangreifbar machte. Stammler war das offenbar nicht bewusst, 1933 hatte er selbst die „Semiten“ im Prüfungsamt der Philosophischen Fakultät identifiziert und für die Herausdrängung der beiden „Vierteljuden“ Pichler und Steinhausen gesorgt.579 Der zweite Grund lag in den Denunziationen, die am 29. Oktober 1934 von Dozentenführer Brüske vorgebracht wurden. Er bitte um Stammlers Enthebung vom Amt des stellvertretenden Vorsitzenden der Wissenschaftlichen Prüfungskommission und brachte mehrere Argumente vor. Brüske monierte, dass Stammler einen Solidaritätsaufruf für „den berüchtigten Gumbel“ unterzeichnet habe, über den Minister Rust habe er verbreitet, dass jener „in einer Irrenanstalt gesessen“ habe und am Biertisch mache er sich „über den Nationalsozialismus und die für ihn eintretenden Studenten lustig“, wobei ihm der Lektor Mischke eifrig sekundiere. Außerdem pflege er in diesen Bierrunden „Amtsgeheimnisse“ zu verraten, wodurch angesehene Mitglieder des Lehrkörpers in Verruf gebracht worden seien. Außerdem sei Stammler wohl mit einer Jüdin verheiratet. Zur Sache vernommen erklärte Stammler, dass die Unterzeichnung des Aufrufs für Gumbel ein Versehen gewesen sei. Er sei dazu von Konrat Ziegler veranlasst worden, der ihm am Telefon aber nicht gesagt habe, dass es um den jüdischen Mathematiker und Publizisten Emil Julius Gumbel ging, sondern nur, dass es in Heidelberg studentische Übergriffe gegen einen Kollegen gegeben habe. Mit dem Minister Rust habe er in Halle studiert. Auf dem gemeinsamen Nachhauseweg seien sie überfallen worden, wobei dem späteren Minister mit einem bleigefüllten Schlauch derart auf den Kopf geschlagen worden sei, dass er bewusstlos geworden sei und wochenlang krank darniedergelegen habe. Die Verletzung habe er dann in einem Sanatorium ausheilen lassen. Von einem „Irrenhaus“ sei nie die Rede gewesen. Dass er Amtsgeheimnisse verraten habe, sei unwahr, und gegen die Behauptung, dass er sich über die Nationalsozialisten lustig gemacht habe, könne er sich nicht wehren, weil er den Ankläger nicht kenne. Im Übrigen habe er seit 1932 bei den Wahlen stets für Hitler gestimmt und seine Rede über das germanische Führerideal im Jahr 578 Vgl. ebd., Bl. 94 und 130 ff. 579 Vgl. UAG PA 23 Brüske, Bd. 3, Bl. 46–55.

3.7 Die Fortsetzung der Denunziationen

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1931 belege doch, dass er sich „manches von dem nationalsozialistischen Gedankengut angeeignet habe“. In seiner Ehre als Mensch und Lehrer sei er durch die Anzeige „in empfindlicher und leichtfertiger Weise gekränkt worden“, und das von einem Mann, der dafür bekannt sei, dass er Unfrieden in Universität und Partei stifte und der „ja auch als unzuverlässig von seinem Amt als Führer der Dozentenschaft entfernt worden“ sei.580 Stammler konnte so zwar die Denunziation zunächst abwehren. Als im März 1936 ein Gutachten bei der Dozentenschaft eingeholt wurde, formulierte Brüskes Nachfolger Brinck, dass er gegen Stammlers Teilnahme an einem Kongress in Kopenhagen prinzipiell nichts einzuwenden habe. „Bedenken“ fordere lediglich „sein bekanntes charakterlich und menschlich nicht immer einwandfreies Verhalten heraus.“581 Die 1934 erhobenen Vorwürfe gingen jedoch ohne Stammlers Stellungnahme in die Sachakten des Ministeriums ein. Abgeheftet wurde ein undatierter Auszug aus einem Schreiben, das wohl über die Gauleitung seinen Weg nach Berlin gefunden hatte. Indirekt wurde darin der ehemalige Studentenführer Adam zitiert, der sich wiederholt darüber beklagt hatte, „dass Prof. Stammler im Kreise von Studenten am Biertisch sich über den Nationalsozialismus und die für ihn eintretenden Studenten häufig lustig gemacht habe“. Sekundiert habe ihm dabei „eifrig“ der damalige Student und gegenwärtige Lektor Mischke. Von dessen Zugehörigkeit zur „alten Garde“ habe man allerdings nichts gewusst.582 Der dritte Grund für Stammlers Entlassung ist darin zu sehen, dass sein Status im Wissenschaftsministerium wegen der ständigen Querelen um Geld und Fragebögen auf null gesunken war, weshalb er ohne Begründung am 5. Dezember 1936 nach § 6 BBG (Vereinfachung der Verwaltung) in den Ruhestand versetzt wurde.583 Vom Dekan der Philosophischen Fakultät erhielt Stammler einen freundlichen Abschiedsbrief, für den Stammler dankte. In dem Brief beschrieb er auch seine Gefühle: „In mir war etwas zerbrochen. Ich glaube, stets meine Pflicht und darüber für die Universität und mein Amt getan zu haben; ich bin ein überzeugter Nationalsozialist, wie u. a. meine Tätigkeit in der SA und die dortigen Dienstzeugnisse ausweisen. Ich habe für meine Studenten gesorgt und mich um sie bemüht über die Studienzeit hinaus. Ich darf ohne Selbstüberhebung sagen, dass ich einer der besten Dozenten Greifswalds bin. Ich weiß, dass mancher Germanist um meinetwillen nach Greifswald gekommen ist. Und nun meint der Minister, meiner Dienste entbehren zu können, ohne Begründung, ohne Dank! Es ist schwer, da nicht verbittert zu werden.“584 580 581 582 583 584

Vgl. UAG PA 23 Brüske, Bd. 3, Bl. 46–55. Vgl. UAG PA 266 Stammler, Bd. 2, Bl. 102. Vgl. R 4901/14256, Bl. 56. Vgl. UAG PA 266 Stammler, Bd. 2, Bl. 135. Vgl. UAG PA 266 Stammler, Bd. 1, Bl. 2.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

3.7.6 Paul Merkel

Der Ordinarius für Straf- und Prozessrecht Paul Merkel bat 1936 um die vorzeitige Entpflichtung, nachdem er wegen des Nichterweisens des Hitlergrußes angezeigt worden war.585 Der Sohn eines Anatomen hatte Rechtswissenschaft in Göttingen und München studiert. 1896 promovierte er an der Universität Göttingen mit einer Dissertation über das Begehen durch Unterlassung zum Dr. jur. Er legte die Staatsprüfung ab und habilitierte sich 1900 an der Universität Marburg mit einer Untersuchung über die Entwicklung des Urkundenbegriffs im Strafrecht.586 1906 wurde er als außerordentlicher Professor an die Universität Königsberg berufen, 1909 wechselte er nach Greifswald, wo er ab 1913 als planmäßiger außerordentlicher Professor für Straf- und Strafprozessrecht wirkte. 1916 folgte die Ernennung zum ordentlichen Professor für Strafrecht und Zivilprozessrecht. Nach dem Einjährig-freiwilligen-Militärdienst absolvierte Merkel regelmäßig militärische Übungen. 1912 wurde er als Hauptmann zur Landwehrreserve II versetzt. Mit Kriegsbeginn ließ er sich reaktivieren und leistete als Kompanie- und Bataillonsführer Kriegsdienst an der Westfront. Er nahm an den Stellungskämpfen in der Champagne und vor Verdun teil und wurde unter anderem mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet. Im Mai 1918 deaktiviert, kehrte Merkel nach Greifswald zurück. 1927 veröffentlichte er einen knappen und außerordentlich klar geschriebenen Grundriss des Strafrechts, der einen Eindruck von seinen Qualitäten als Hochschullehrer gibt.587 Nach dem Berufsbeamtengesetz galt Merkel als „Vierteljude“, musste aber als Kriegsteilnehmer und schon vor 1918 ernannter Beamter nicht entlassen werden. Im Sommersemester 1933 wurde Merkel wegen abfälliger Äußerungen denunziert, von denen zwei als relevant zu den Akten genommen wurden. So habe er in einer Vorlesung die Annullierung der sozialdemokratischen Mandate im Reichstag für „haarsträubend“ erklärt, man stelle sich das vor! Dann habe er das Wort „haarsträubend“ wiederholt, wie die Denunziantin Charlotte Haak notierte. Den Arm zum Hitlergruß habe Merkel erst erhoben, nachdem das im Juli 1933 vorgeschrieben wurde. Bis dahin sei es ihm nicht möglich gewesen, weil er in dem „Brauch“ ein „politisches Glaubensbekenntnis“ gesehen habe. Dass es nicht seins war, geht aus einer wohl scherzhaft gemeinten Bemerkung hervor. Man tue das, wie wenn man in „die Kirche einer anderen Konfession“ gehe und die „dort üblichen Gebräuche“ auch mitmache. 585 Vgl. UAG PA 421 Merkel. 586 Erweiterte Fassung vgl. Merkel, Paul: Die Urkunde im deutschen Strafrecht. Eine historische und kritisch-dogmatische Untersuchung, München 1902. 587 Vgl. Merkel, Paul: Grundriss des Strafrechts. Teil I, Allgemeiner Teil, Bonn 1927.

3.7 Die Fortsetzung der Denunziationen

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Den Ermittlungen des Kurators zufolge sei Merkel zum „Staat der nationalen Revolution“ aber nicht „gegensätzlich“ eingestellt, der Professor zeichne sich durch „Weltfremdheit“ aus, und ihm fehle auch das Augenmaß für die Wirkung seiner Worte.588 1934 wurde Merkel jedoch von den Prüfungen für die Rechtsreferendare ausgeschlossen.589 Promotionen durfte er daher ebenfalls nicht mehr betreuen, was ihn „seelisch ganz besonders schwer getroffen“ habe. Diese Zurücksetzungen könne er „nicht ertragen“.590 Merkel fühlte sich persönlich gekränkt, weil er im Ersten Weltkrieg vier Jahre als Kompanieführer und Bataillonskommandeur an der Westfront gedient und an den großen Schlachten vor Verdun und an der Somme teilgenommen hatte.591 Neben der Demütigung erlitt Merkel auch finanzielle Einbußen durch den Wegfall von Prüfungs- und Promotionsgebühren. Als Besitzer eines großen Hauses habe er eine hohe Steuerlast zu tragen, weshalb er es verkaufen und aus Greifswald wegziehen wolle, teilte er dem Kurator mit. Dem Ersuchen wurde stattgegeben, und Merkel schied zum Ende des Wintersemesters 1935/36 aus, wobei er das Standardschreiben erhielt, das ihm Dank „für die akademische Wirksamkeit und die dem Reich geleisteten Dienste“ aussprach.592 Merkel zog nach München, wo er 1943 starb. 3.7.7 Albrecht Forstmann

Am 21. Dezember 1937 wurde der Dozent Albrecht Forstmann von der Gestapo wegen „staatsfeindlichem Verhalten verhaftet“ und „dem Konzentrationslager Sachsenhausen zugeführt“.593 Der Fall ist bereits von Helmut Heiber in seiner Untersuchung zur Universität unter dem Hakenkreuz behandelt worden, der ihn als Musterbeispiel für die moralische Verkommenheit des Denunzianten einerseits und für die unglaubliche Dummheit des Denunzierten behandelte. Jedenfalls sei es eine Auseinandersetzung rivalisierender Nationalsozialisten gewesen.594 Die inzwischen zugänglichen Akten offenbaren jedoch eine etwas andere Sicht, insbesondere auf die wissenschaftlichen Auffassungen von Denunziant und Opfer im Hinblick auf Währung und Geldpolitik. Im Kern ging es um Forstmanns Buch Der Kampf um den internationalen Handel. 588 Vgl. GStA PK I. HA. Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 20 Bd. 9, Bl. 205; Vorholz, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 99. 589 Vgl. UAG K Nr. 886, Bl. 158. 590 Vgl. UAG PA 421 Merkel, Bl. 11. 591 Vgl. BA R 4901/13271 Karteikarte Merkel, Paul. 592 Vgl. UAG PA 421 Merkel. 593 Vgl. BA BDC OPG Forstmann, Bl. 2588. 594 Vgl. Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 1, S. 288 ff.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Der als Sohn eines Tuchfabrikanten im Ruhrgebiet geborene Forstmann hatte keine geradlinige Biographie. Nach der Oberrealschule hatte er eine Ausbildung zum Weber gemacht und absolvierte dann eine Fachschule in den Niederlanden. Danach trat er als Lehrling in eine Bank ein, holte sein Abitur nach und machte in der Disconto-Bank Karriere. 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, erkrankte jedoch nach einigen Monaten an einer Rippenfellentzündung. Während der Genesung studierte er Nationalökonomie in Bonn und trat 1917 wieder in den Heeresdienst ein. Aus finanziellen Gründen entschied sich Forstmann gegen die Fortsetzung des Studiums und arbeitete sich beim Gerling-Konzern ein, wo er es bis zum Leiter der Transportabteilung brachte.595 Danach gründete er eine Firma und beschäftigte sich wissenschaftlich-praktisch mit Elektronenröhren und der Nutzbarmachung von Niederfrequenzverstärkern für den Rundfunk.596 Ab 1928 setzte er sein Studium in Greifswald fort. Ab Sommer 1929 war er wieder in Berlin und wurde 1931 NSDAPMitglied. Hier engagierte er sich im wirtschaftspolitischen Apparat und versuchte, seine Kompetenz in Finanzfragen einzubringen. Das schlug sich 1933 in einem Buch über Wege zu nationalsozialistischer Geld, Kredit- und Währungspolitik nieder, das auch als Schulungsmaterial der Partei diente. Forstmann schlug dabei zur Behebung der Arbeitslosigkeit die Anpassung der Kaufkraft der Mark an die Außenparität vor, also eine Abwertung. Mit dieser Abwertung steige die Exportfähigkeit und damit die industrielle Produktion. Zugleich empfahl er eine Gemeinschaftswährung ähnlich strukturierter Staaten, um auf diese Weise einen größeren, möglichst „autarken“ Wirtschaftsraum zu schaffen.597 Die Abwertung hätte eine teilweise Enteignung der Sparer bedeutet, was nach Forstmanns Ansicht aber vertretbar gewesen wäre. Zum einen hätte es nur die Besitzenden getroffen, zum anderen gebe es keine Begründung für ein „Primat des Eigennutzes vor dem Gemeinnutz“. Deflation hingegen bedeute eine „ungerechtfertigte Bereicherung“ aller Gläubiger auf Kosten der Schuldner.598 Der wirtschaftspolitische Apparat der NSDAP wurde allerdings nach massiven Machtkämpfen aufgelöst. Nach dem Verlust seines Postens setzte Forstmann seine volkswirtschaftlichen Studien in Greifswald fort, wo er 1935 mit einer Dissertati595 Vgl. BA R 4901/24551 PA Forstmann, gestempelte Zählung Bl. 6437 f. 596 Vgl. Forstmann, Albrecht und Hans Reppisch: Der Niederfrequenzverstärker. Seine Theorie und seine praktische Anwendung zur Sprach- und Musikverstärkung, Berlin 1928. 597 Vgl. Forstmann, Albrecht: Wege zu nationalsozialistischer Geld, Kredit- und Währungspolitik. Grundlagen positiver Wirtschaftsgestaltung, Berlin 1933, S. 234 ff. Über die parteiinternen Debatten um die Wirtschaftspolitik der Jahre 1931 bis 1933 geben die Memoiren von Hitlers Berater Otto Wagner Aufschluss, dem Leiter der Hauptabteilung IV der NSDAP-Reichsleitung. Vgl. Turner, Henry Ashby Jr.: Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten. Frankfurt am Main u. a. 1979. 598 Vgl. Forstmann, Wege, S. 241 ff.

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on mit dem Titel Der Kampf um den internationalen Handel zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften promoviert wurde. In dem Buch versuchte er sich in der Anwendung mathematischer Methoden auf volkswirtschaftliche Sachverhalte, wobei er weitgehende und radikale Schlüsse zog. Das Streben nach Autarkie führe zu einer Absenkung des Lebensstandards und sei daher abzulehnen. Außerdem rechnete er mit der Deflationspolitik der Brüning-Ära ab und forderte, mathematisch gut begründet, eine Abwertung der Mark.599 Für den Gutachter Friedrich Hoffmann war die Arbeit eine „äußerst fleißige, eindrückliche Leistung von bedeutender Qualität“. Er teile zwar die vertretenen Standpunkte nicht, bewertete die Arbeit aber mit „sehr gut“.600 Besonderen Unwillen erregte das Buch bei Wilhelm Keppler, dem Wirtschaftsbeauftragten Hitlers, weil das Ausland Forstmanns Analysen aufgriff und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Deutschlands groß aufmachte. Keppler reagierte erst einmal selbst und verneinte im Völkischen Beobachter jede Form einer „Autarkie-Ideologie“. Aber hätten nicht alle Völker, „die sich letzte Reste eines gesunden Selbsterhaltungsinstinkts bewahrten … die Ernährung auf eigener Scholle sicherzustellen gesucht?“ Danach sprach er von der Belebung des Binnenmarktes, umging aber das Thema Finanzpolitik.601 Die Dürftigkeit seiner Argumente muss ihm bewusst gewesen sein, denn er beauftragte jetzt den Betriebswirt Wilhelm Christian Hauck, der 1934 ein Wirtschaftsgutachten für Hitler geschrieben hatte, das diesem gefiel, mit einer Widerlegung. Das Gutachten fiel wie gewünscht negativ aus. Daraufhin wurde Hauck aufgefordert, diese Kritik schriftlich niederzulegen, das Propagandaministerium druckte den Text im Völkischen Beobachter ohne Autorennennung ab.602 Die Kritik erhielt den Titel Legenden um ein Buch, und Satz eins lautete: „In den Tagen vor den Wahlen haben wir in der Auslandspresse sehr häufig nachlesen können, dass die deutsche Reichsmark kurz vor der Abwertung stehe.“ Dabei beziehe man sich auf das Buch von Albrecht Forstmann über den internationalen Handel. Um den weiteren „Missbrauch dieser Publikation“ zu verhindern, müsse man hier einiges klarstellen. Forstmann habe das Buch „als Privatmann geschrieben“ und „nicht etwa wie im Auslande unter anderem angenommen wurde, im Auftrage der NSDAP“. Zwar habe dieser im ersten Halbjahr 1933 Beziehungen zum Wirtschaftspolitischen Amt gehabt, dieses sei aber im Juli 1933 aufgelöst worden. Forstmann sei daher nicht befugt, in wirtschaftlichen Fragen „maßgebende Ansichten für die Partei zu äußern“. Forstmann habe das sicher auch nicht beabsichtigt, aber er habe das leider durch „teils offene, teils versteckte Polemik“ verschuldet. Außerdem bezeichne er den „Freihandel als Endziel jeder 599 Vgl. Forstmann, Der Kampf um den internationalen Handel., S. 178, 197 ff. 600 Vgl. UAG Jur. Diss. Nr. 3658 601 Vgl. Völkischer Beobachter, Norddeutsche Ausgabe, 30.9.1933, S. 13. 602 Vgl. BA OPG Forstmann, Bl. 2810.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Handelspolitik“ und bekenne sich damit „zur wirtschaftlichen Auffassung vergangener Zeiten“. Einige Punkte seien zusätzlich herausgegriffen, „um zu zeigen, dass die Forstmann’schen Empfehlungen von der Reichsregierung gar nicht befolgt werden“ könnten. So spreche Forstmann davon, dass die wirtschaftliche „Gesundung“ mit einer „starken Senkung des Lebensstandards“ einhergehen müsse. Für einen Erfolg unabdingbar sei demnach auch die Abwertung der Mark. Was der Völkische Beobachter und damit die Partei davon hielt, konnte der Leser einer Zwischenüberschrift in Fettdruck entnehmen: „Diese Vorstellung ist vollkommen falsch“. Mit der Abwertung der Mark werde nichts erreicht, weil dadurch die ausländischen Rohstoffe teurer würden. Außerdem werde das Ausland niemals „beliebig viel Waren abnehmen“ oder etwa gar „seine eigenen Industrien stilllegen“. Kurzum, und das war wieder fettgedruckt, Forstmann liege falsch, „weil die Zeiten der freien Außenwirtschaft niemals zurückgezaubert werden können“.603 Ein Amtsleiter der NSDAP legte dann noch einmal einen verschleiernden Nebel über die von Forstmann kritisierte Autarkiepolitik. Im Völkischen Beobachter bekundete der Reichstagsabgeordnete, Chemiker und IG-Farben-Lobbyist Werner Daitz604 das „nordische Wirtschaftserwachen“ und betonte, dass Deutschland den „europäischen Kontinent“ zu einer „neuen Arbeits- und Kulturgemeinschaft souveräner Völker“ zusammenführen wolle.605 Der Verriss eines wissenschaftlichen Werks im Völkischen Beobachter war ungewöhnlich. Aber in dieser Zeit tobte eine Debatte über den finanz- und handelspolitischen Kurs des NS-Regimes.606 Der später hingerichtete konservative Finanzexperte Carl Goerdeler zum Beispiel empfahl wie Forstmann einen strikten Sparkurs und die Abwertung der Mark. Das sollte einhergehen mit Aufweichungen des harten Kurses in der Kirchen- und Judenfrage, um die Aufnahmebereitschaft für deutsche Waren im Ausland zu erhöhen.607 Forstmann sah die Sache genauso, wie ein Brief zeigt, der sich später in den Personalakten im Wissenschaftsministerium fand. Im Hinblick auf das „heutige System“ – „Währung, Wirtschaft, Außenlage, Kirchenfrage, Streicher“ – habe er sich kritisch geäußert und sei dabei von Ministerialrat Grüninger in seinen 603 Vgl. Völkischer Beobachter, Ausgabe A, Norddeutsche Ausgabe, 10.4.1936, S. 13. 604 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Daitz, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 605 Vgl. Völkischer Beobachter, Ausgabe A, Norddeutsche Ausgabe, 17.4.1936, S. 13. 606 Vgl. Kopper, Christopher: Hjalmar Schacht, München 2006; ders.: Zwischen Marktwirtschaft und Dirigismus. Bankenpolitik im „Dritten Reich“ 1933–1939, Bonn 1995, S. 159 f. 607 Goerdeler begründete das in einer Denkschrift für Göring mit den Wünschen des Auslands und forderte, in der „Judenfrage“, der „Rechtssicherheit“ und der „Kirchenfrage“ eine größere Übereinstimmung mit den „Anschauungen anderer Völker“ herzustellen, wenn auch nicht im Grundsätzlichen, aber doch in der „Handhabung“. Eben diese Passage unterstrich Göring und kommentierte sie mit der Randbemerkung: „Frechheit!“. Vgl. RGWA 700-1-2, Bl. 82–118.

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Auffassungen bestätigt worden. Mit „Streicher“ war die antijüdische Propaganda des Hetzblatts Stürmer gemeint, die im Ausland immer wieder als Beleg für die wahren Absichten des NS-Regimes benutzt wurde. Der Ministerialrat bestritt später selbstverständlich, dass er jemals in irgendeinem Punkt Forstmann zugestimmt habe.608 Unbeirrt von diesen Debatten stellte Forstmann im August 1935 beim Wissenschaftsministerium den Antrag auf Habilitation in Greifswald, was Dekan Jahrreiß befürwortete. Die Abgabe einer weiteren Schrift wurde ihm erlassen, so dass er nur eine Probevorlesung halten musste. Die Fachvertreter Preyer und Fleck lehnten das Vorgetragene ab, insbesondere die Forderung nach Abwertung der Mark um 50 Prozent, um Deutschland wieder zu einer starken Exportnation zu machen. Jedoch hielten sie ihn zu wissenschaftlicher Arbeit „befähigt“.609 Jahrreiß teilte dem Ministerium im April 1936 mit, dass sich der Bewerber über Fragen seines Faches „befriedigend auszusprechen vermag“, und bat das Ministerium darum, die Habilitation aussprechen zu dürfen. Der vertretungsweise amtierende Rektor Karl Fredenhagen zeigte sich besonders von den mathematischen Methoden angetan, darüber hinaus habe er den Eindruck einer „vorwärtsstrebenden einwandfreien Persönlichkeit“ gewonnen, welche die Gewähr einer „erfolgreichen Tätigkeit als Hochschullehrer“ biete.610 Das Ministerium wollte Forstmann jetzt der Universität Kiel zuweisen, weil es annahm, dass der überzeugte Nationalsozialist in der juristischen „Stoßtruppfakultät“611 besonders gut ankommen würde. Kiels Rektor Georg Dahm gewann jedoch einen höchst ungünstigen Eindruck. Die präsentierte „nationalökonomische Mathematik und abstrakte Begriffsbildung“ entstamme „einem längst überwundenen Stadium“ wissenschaftlichen Denkens. „Eine derart unpolitische und isoliert ökonomische Betrachtungsweise zu fördern“, dazu bestehe seines Erachtens „kein Anlass“.612 Da ihn auch Berlin nicht haben wollte, fragte das Ministerium jetzt in Greifswald an, ob es dort eine Verwendung für Forstmann gebe. Die gab es durchaus, zumal die Universität von der Reichsstelle für Raumordnung gedrängt wurde, ihre Kompetenz in ökonomischen Fragen zu erhöhen. Es scheine ihr also unumgänglich, um Zuweisung eines Dozenten zu bitten, der insbesondere die Gebiete der Statistik, Wirtschaftsplanung, Raumforschung und Sozialverwaltung vertreten könne. Dozentenführer Brinck und Rektor Reschke gaben den Antrag unter „wärmster Befürwortung“ weiter. Kurator 608 Vgl. BA R 4901/24551 PA Forstmann, gestempelte Zählung Bl. 6505. 609 Vgl. UAG K Nr. 886, Bl. 191–195. 610 Vgl. BA R 4901/24551, gestempelte Zählung Bl. 6445 f. 611 Vgl. Wiener, Christina: Kieler Fakultät und „Kieler Schule“. Die Rechtslehrer an der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät zu Kiel in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre Entnazifizierung, Baden-Baden 2013. 612 Vgl. BA R 4901/24551, gestempelte Zählung Bl. 6462.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Kolbe reichte den Antrag ebenfalls durch und verschwieg nicht, dass der zwangsweise nach Greifswald versetzte Professor Preyer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als volle Arbeitskraft betrachtet werden könne.613 Das Wissenschaftsministerium wies Forstmann also am 8. Dezember 1937 der Juristischen und Staatswissenschaftlichen Fakultät Greifswald zu, allerdings möge sich dieser angesichts der „hervorgetretenen Schwächen“ unter „Anleitung“ weiter qualifizieren. Eine Bestallung wurde in Aussicht genommen, man bitte um Bericht in Jahresfrist.614 Doch bevor Forstmann auch formell zum Dozenten ernannt wurde und damit in den Lehrkörper der Universität eintrat, nahm die Gestapo ihre Tätigkeit auf und machte Forstmann zum „Fall“. Denunziert wurde Forstmann vom Dozenten für Betriebswirtschaft ChristianWilhelm Hauck. Der einstige Widersacher im Autarkiestreit war inzwischen nach Greifswald versetzt worden, um hier das Fach Betriebswirtschaft zu vertreten. Im Gegensatz zur traditionsreichen Volkswirtschaftslehre war die Betriebswirtschaft hier nur durch Lehrbeauftragte vertreten. Zwar las der Volkswirt Muhs das Fach nebenbei mit, er wurde jedoch 1933 nach Halle berufen. Die Fakultät beantragte beim Wissenschaftsministerium, jetzt einen dotierten Lehrauftrag für das Fach zur Verfügung zu stellen, um einen ausgewiesenen Wissenschaftler zu gewinnen. Da dies nicht genehmigt wurde, vertrat der Berliner Dozent der Handelshochschule Walter Schuster das Fach für zwei Semester. Obwohl Schuster mit seinen am Sonnabend gehaltenen Vorlesungen und Übungen guten Lehrerfolg hatte, strich das Ministerium Schusters Honorar aus „Ersparnisgründen“.615 Ob das geschah, um Hauck den Weg nach Greifswald zu ebnen, war nicht zu ermitteln, in jedem Fall war es eine glücklose Entscheidung. Hauck, 1902 bei Karlsruhe geboren, hatte Betriebswirtschaft an den Universitäten Tübingen, Heidelberg und Frankfurt studiert. 1924 legte er das Examen zum Diplomkaufmann ab und arbeitete in Banken, Maschinenfabriken und im Großhandel. 1928 promovierte er an der Universität Frankfurt zum Dr. rer. pol. 1930 legte Hauck die Prüfung als Diplomhandelslehrer ab und wurde Privatassistent eines Professors. Im Juli 1933 habilitierte er sich mit der Arbeit Der Betriebsvergleich, Lehr- und Handbuch des Betriebsvergleichs für Theorie und Praxis. Ab November 1933 nahm er einen Lehrauftrag für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg wahr. Zum Ende des Semesters wurde Hauck nach einer Denunziation die Lehrbefugnis in Heidelberg entzogen. Die vorgetragenen Vorwürfe konnte Hauck jedoch entkräften. Die Vermutung, er habe sich von einer jüdischen Zuckermagnatenfamilie Flegenheimer finanzieren lassen, war falsch. Hauck hatte sich im Gästebuch als Professor 613 Vgl. ebd., Bl. 6492 ff. 614 Vgl. ebd., Bl. 6497. 615 Vgl. UAB PA Schuster, Walter, Bd. 2, Bl. 157, Bd. 3, Bl. 42 ff.

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eingetragen, vermutlich in dem Glauben, dass jeder, der an einer Universität lehre, eine Art Professor sei. Ein Telefongespräch mit dem zuständigen Ministerialrat habe ihm suggeriert, dass der Lehrauftrag in Heidelberg mit einer Professur verbunden sei. Erst später habe er erfahren, dass mit dem Titel „weitere Formalitäten“ verbunden seien. Jetzt habe er sich selbstverständlich nicht mehr als Professor bezeichnet. In die SS sei er 1934 eingetreten, Äußerungen über seinen Rang seien missverstanden worden. Aber sein Schulkamerad Leopold Gutterer könne bezeugen, dass sie zusammen bereits seit 1925/26 an NSDAP-Versammlungen teilgenommen und die Partei unterstützt hätten. Ob Gutterer, inzwischen Ministerialrat im Propagandaministerium, für Hauck gutsagte, ist nicht erwiesen. Das Wissenschaftsministerium ordnete im Sommersemester 1935 den Übertritt Haucks nach Greifswald an.616 Hier las er Buchhaltung, Bilanzen und Industriebetriebslehre. Der Eindruck, den er hier hinterließ, war jedoch zwiespältig. Dekan Jahrreiß schrieb im Januar 1937, dass die Fakultät nicht im Wege stehen wolle, wenn Hauck einen „größeren Wirkungskreis“ anstrebe. Möglicherweise könne er dort mit „innerer Freudigkeit“ tätig werden. Dozentenführer Brinck, als Arzt sicher nicht unberufen zu solcherart Einschätzung, konstatierte ein „hemmungsloses Geltungsbedürfnis“. Charakterlich und weltanschaulich halte er ihn nicht für „einwandfrei“. Studentenführer Falk bescheinigte Hauck jedoch am 23. Juli 1937, dass er „stets“ nationalsozialistische Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt habe. Darüber hinaus habe er seine kameradschaftliche Haltung durch Aufgeschlossenheit gegenüber den Belangen der Studentenkampfhilfe und des Altherrenbundes erwiesen, kurzum, Hauck habe immer „im Auftrag des Stellvertreters des Führers“ agiert. Dozentenführer Brinck bestätigte die Richtigkeit des Textes, sah sich jedoch zu einem eigenen Gutachten veranlasst. Wegen der Unterschiedlichkeit beider Auffassungen betonte Brinck am 23. August 1937, dass es sich bei Hauck um „einen wissenschaftlich hochbefähigten Mann“ handle. Gleichwohl zeichne er sich durch „großes Geltungsbedürfnis“ und „übermäßige Betriebsamkeit“ aus, was „unangenehm“ wirke. Erfreulich müsse allerdings vermerkt werden, dass Hauck zu den Studenten ein fruchtbares Verhältnis gefunden habe. Selbst die „trockenste Materie“ werde von ihm anregend dargestellt.617 Hauck und Forstmann waren sich 1935 anlässlich von Forstmanns Promotion zum ersten Mal in Greifswald begegnet, wobei Forstmann bei Gesprächen mit seiner Auffassung über den wirtschaftspolitischen Kurs nicht hinterm Berg hielt. „Zu Anfang kritisierte er wirtschaftspolitische Fragen sachlich“, später sei er ins „Unsach616 Vgl. UAG PA 404 Hauck. 617 Vgl. ebd.

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liche und sogar ins Gehässige“ übergegangen, sagte Hauck bei seiner Vernehmung vorm Obersten Parteigericht aus.618 Bei solchen Gesprächen konnte Forstmann mit Interna aus dem Wirtschaftsministerium aufwarten, die als geheim galten. Hauck teilte das der Gestapo mit und bekam daraufhin den Auftrag, diesen „vorsichtig zu beobachten“.619 Als Forstmann im Dezember 1937 wieder in Greifswald auftauchte, um seine Dozentur anzutreten, besuchte er auch Hauck und gab die üblichen kritischen Bemerkungen von sich. Daraufhin beschloss Hauck, diesem staatsfeindlichen Treiben ein Ende zu machen und verabredete sich mit Forstmann für den Abend in der Studentenkneipe „Zur Hütte“. Um einen Zeugen zu haben, brachte er den Studenten Karl Günther mit, der Forstmanns Buch gelesen hatte und – angeblich – den berühmten Verfasser kennenlernen wollte. 620 Wie der Abend verlief, ist dem Urteil des Obersten Parteigerichts vom 20. September 1939 zu entnehmen. Dokument Nr. 7: Auszug aus dem Urteil des Obersten Parteigerichts der NSDAP gegen Albrecht Forstmann vom 20.9.1939

Obwohl ihm der Zeuge Günther bisher völlig fremd gewesen war, begann der Angeschuldigte in seiner impulsiven Art üble politische Witze zu erzählen. Im Laufe der Unterhaltung, die bis 1 Uhr nachts dauerte, stellte dann der Angeschuldigte zahlreiche hetzerische und verleumderische Behauptungen insbesondere über den Führer und andere führende Persönlichkeiten in Staat und Partei auf. Die Zeugen nahmen energisch gegen die Äußerungen Stellung und hielten dem Angeschuldigten immer wieder vor, dass solche ungeheuerlichen Anschuldigungen doch gar nicht wahr sein könnten. Der Angeschuldigte betonte aber stets, dass seine Informationen aus bester Quelle stammten. Der Zeuge Günther war so erregt, dass er das Lokal verlassen wollte. Er konnte sich nur mit Mühe beherrschen, entschloss sich aber zu bleiben, in der Erwägung, dass es notwendig sei, Zeuge weiterer Äußerungen des Angeschuldigten zu sein. Denn er war der Überzeugung, dass der Angeschuldigte, den er schon auf Grund der Lektüre des Buches „Der Kampf um den internationalen Handel“ als Staatsfeind angesehen hatte, zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Quelle: BA Berlin OPG Forstmann, Bl. 2685

Um der Gestapo weiteres Material zu liefern, verabredeten sich Hauck und der Student für den nächsten Abend wieder mit Forstmann und nahmen noch einen weiteren Zeugen mit. Die Gespräche brachten sie dann zu Papier und gaben den Bericht 618 Vgl. BA OPG Forstmann, Bl. 2738. 619 Vgl. ebd., Bl. 2818. 620 Vgl. ebd., Bl. 2684.

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am 15. Dezember bei der Gestapodienststelle in der Baderstraße 11 ab. Wenige Tage später wurde Forstmann verhaftet. Die von Hauck angezeigten Vorwürfe waren durchaus politisch, obwohl sie sich meist aus Berliner Klatsch und Tratsch speisten, wie das Gestapoprotokoll zeigt. So beklagte Forstmann die Verschwendung öffentlicher Gelder durch die Großbauten in Berlin und anderswo, die in die „Kategorie Nero“ gehörten. Das gab er beim Verhör unumwunden zu und begründete es volkswirtschaftlich. Außerdem habe Forstmann geäußert, dass zwischen Nationalsozialismus und Bolschewismus „keinerlei Unterschied“ bestehe. Er habe das aber in einen politischen Witz gekleidet, sagte Forstmann im Verhör, bei dem auf die Frage, worin also der Unterschied zwischen den Systemen bestehe, die richtige Antwort laute: „In Russland ist es kälter“. Ihn hatte auch die deutsche Berichterstattung über die sowjetischen Schauprozesse empört, weil damit das Ausland angeregt worden sei, erneut über die Röhm-Affäre zu berichten. Seinen ehemaligen Vorgesetzten Goebbels nannte er einen „Talleyrand“, „Gangster“ und „liederlichen Gesellen“. Der Vergleich mit dem französischen Außenminister war abwegig, die zweite Charakterisierung bestritt Forstmann energisch und Goebbels’ Lebenswandel konnte auch von der Gestapo nicht beschönigt werden. Den Propagandaminister unterzog Forstmann besonders boshafter Kritik, indem er einen Zeitungsausschnitt herumzeigte, bei dem die Überschrift eines folgenden Artikels unter das abgedruckte Foto geraten war, was unfreiwillig ein schlechtes Bild auf Deutschland warf. Diese Kombination hatte das Bild eines zusammengebrochenen Eisenbahnzugs mit der scheinbaren Unterschrift „Aufmarsch zum Tag der Nationalen Solidarität“ ergeben. Mochte dieser schlechte Scherz noch durchgehen, war der folgende jedoch inakzeptabel. Die Regisseurin Leni Riefenstahl habe von Hitler ehrenhalber das Braunhemd der Partei verliehen bekommen, erzählte er. Daraufhin habe sie geantwortet: „Ich werde es, mein Führer, stets vor ihnen hochhalten“. Diesen Witz habe er nur erzählt, um die absolute Regimetreue von Frau Riefenstahl zu illustrieren. Die Vorwürfe gegen die „Bonzen“ in Berlin und gegen einige hohe Parteifunktionäre habe er erzählt, weil sie die Stimmung der „alten Kämpfer“, zu denen sich Forstmann zählte, wiedergäben. Der Führer der Einheitsgewerkschaft Deutsche Arbeitsfront und NSDAP-Reichsleiter Dr. Ley sei zum Beispiel bei seiner letzteren Rede so besoffen gewesen, dass er am Schluss gesagt habe: „Der Mai ist gekommen, ich kann nicht mehr, Heil Hitler!“ Das habe er von einem früheren Adjutanten Leys gehört. Wirtschaftsminister Funk sei ein ganz übler Geselle, er sei zwar verheiratet, aber trotzdem „175er“ und „mache es in allen Formen“. Auch Baldur von Schirach gehöre in diese Kategorie. Bei der Wiedergabe des Berliner Klatschs lag er nur im Hinblick auf von Schirach falsch, obwohl sich der Gedanke wegen dessen schwammiger unsoldatischer Haltung vielen aufdrängte. Er bezichtigte aber auch Hitler der Homo-

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sexualität, was falsch war. Die Quelle sei ein Berliner Bankier namens Lübken gewesen. Aufschlussreich ist eine Aussage, die Hauck wie folgt wiedergab. Der Führer sehe zur Zeit schlecht aus und habe „verschiedentlich derartige Tobsuchtsanfälle gehabt“, dass seine engste Begleitung geglaubt habe, „ihn in ein Irrenhaus bringen zu müssen“. Forstmann stellte klar, dass er mit Hauck über „das schlechte Aussehen des Führers“ gesprochen habe und auch dessen „durch die Arbeitslast heruntergekommenen Nerven“. In der Form, wie Hauck behaupte, sei diese Aussage aber nicht gefallen.621 Die „eingehenden Vernehmungen“ ergaben also, meinte das Geheime Staatspolizeiamt am 20. Juni 1938, dass die Angaben Haucks „in vollem Umfange“ zuträfen. Sie seien auch „nicht etwa aus einer einmaligen und zufälligen Verstimmung heraus gefallen“, sondern es habe sich gezeigt, dass Forstmann „seit Jahren jede sich bietende Gelegenheit benutzt“ habe, „um gegen Partei und Staat zu hetzen“.622 Die konkreten Anschuldigungen wurden in den Auskünften für Gerichte und die Familienangehörigen geheim gehalten. Sie seien „derart niederträchtig und gemein“, dass ihr „Bekanntwerden in einem größeren Personenkreis unbedingt verhindert werden“ müsse.623 Forstmanns Fall wurde daher auch nicht vor einem regulären Gericht, sondern vor dem Obersten Parteigericht verhandelt. Für diese Verhandlung fertigte Forstmann, der in Sachsenhausen zunächst im „Prominentenblock“ untergebracht war, eine Verteidigungsschrift an, die massive Korruptionsvorwürfe gegen NSDAP-Funktionäre enthielt. Bezeichnenderweise gab er nur wenige Zeugen dafür an, behauptete aber, dass es sich durchweg um alte Kämpfer mit Parteinummern um 4000 bis 5000 handle. Zum Schluss wolle er vorbringen, dass er seine Handlungsweise bereue. Bei der Strafzuweisung bitte er zu berücksichtigen, dass er „nicht aus schlechten Motiven, sondern aus inniger Besorgnis um eine Sache gehandelt habe, die mir ans Herz gewachsen ist“.624 Das Parteigericht sprach am 27. April 1938 Forstmanns formale „Ausstoßung“ aus der NSDAP aus, der Beschuldigte habe „ehrenrührig gehandelt“.625 Forstmann blieb also in Sachsenhausen. Die Universität stellte die Bezüge ein, allerdings erst, nachdem sie dazu aufgefordert worden war. Nach einer Beratung im Senat entzog sie ihm den Grad des Dr. habil.626 Wie es Forstmann nach dem Entzug der Doktorwürde in Sachsenhausen erging, zeigt ein Brief, den ein KZ-Kamerad 1946 schrieb, als er gebeten wurde, über Forstmann eine Beurteilung abzugeben.627 621 622 623 624 625 626 627

Vgl. ebd., Bl. 2626–2634. Vgl. ebd., Bl. 2604. Vgl. ebd., Bl. 2624. Vgl. ebd., Bl. 2654–2674 Vgl. ebd., Bl. 2680. Vgl. UAG PA 2601 Forstmann, Bd. 1, Bl. 53. Im Hinblick auf die Dienstränge der SS-Offiziere sind Scheins Angaben ungenau, ihr Verhalten

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Dokument Nr. 8: Aus dem Schreiben von Ingenieur Fr. Scheins, Direktor des brandenburgischen Industriekontors an Prof. Dr. Bruno Gleitze, Vizepräsident der Zentralfinanzverwaltung und Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität vom 14. Oktober 1946

Sehr geehrter Herr Professor! Ich schicke, ehe ich den Grund meines Schreibens darlege, eine kurze Schilderung über mich voraus. […] Forstmann kam Anfang 1938 ins KZ Sachsenhausen und arbeitete in meinem Arbeitskommando. Ich war täglich mit ihm zusammen und Zeuge, wie ihm zu wiederholten Malen der berüchtigte Lagerkommandant Baranowski (Vierkant genannt) bei den Appellen folgendes vorwarf: „Du verfluchtes Schwein bist Professor und vergiftest mit Deinen dreckigen Schreibereien eh’ bloß unsere Jugend und hetzt das ganze Ausland gegen uns auf. Du Lump sollst hier eingehen. Deine Schwarte Kampf um den internationalen Handel und Dein anderes Geschreibsel müssten wir Dir in die Fresse schlagen bis Deine Schnauze für immer still steht.“ Zu uns anderen Schutzhäftlingen gewendet sagte er dann noch: „Das ist solche Intelligenz, die jetzt ausgerottet wird. Doktor ist der Hund die längste Zeit gewesen, dafür sorgen wir.“ Die übrige SS-Meute, die begeistert den Worten ihres Oberführers lauschte, stellte sich dementsprechend gegen Forstmann ein und zu zahllosen Malen tobten diese Banditen ihre sadistischen Gefühle durch Schläge und Verwünschungen auf Forstmanns schriftstellerische Tätigkeit aus. In gleicher Weise verging sich der erste Lagerführer Hauptsturmführer Eisfeldt und der zweite Lagerführer SS-Obersturmführer Höß, durch den Auschwitzer Prozess bekannt geworden, gegen Forstmann. Als Forstmann Ende 1938 die Aberkennung des Dr. habil. durch den Lagerführer bekannt gegeben wurde, betonte er lächelnd, dass F. sich nun nie mehr Dr. nennen dürfte, das habe er durch seine Hetze gegen die Partei verdient. Nachdem Forstmann sehr heruntergekommen war und schwere Arbeit nicht mehr leisten konnte, arbeitete er kurze Zeit in der Häftlingskammer; dort stöberte ihn der berüchtigte Lagerführer Höß auf und schickte ihn sofort, wahrscheinlich auf Anordnung der Gestapo Berlin, in die Strafkolonie, das Klinkerwerk (Todeskommando) zu härtester Arbeit. Ich bin nicht allein Zeuge für obige Tatsachen […]. Hochachtungsvoll Scheins Quelle: Universitätsarchiv Berlin, PA nach 1945, Forstmann, Albrecht, Blatt 49

gegenüber Häftlingen beschrieb er glaubwürdig. Vgl. UA Berlin, PA nach 1945, Forstmann, Albrecht, Bl. 49.

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Forstmann kam durch die Weihnachtsamnestie im Dezember 1939 frei, sonst wäre er zweifelsfrei in Sachsenhausen gestorben. Es ist unklar, welcher Tätigkeit er nach seiner Entlassung nachging. In Berlin versuchte er Kontakt zu Wissenschaftlern und ehemaligen sozialdemokratischen Gewerkschaftern aufzunehmen, wurde aber geschnitten, weil man ihn für einen Gestapo-Spitzel hielt, was er nicht war.628 Forstmann konnte auch wieder zu sehr abstrakten Fragen publizieren. Der Münchner Nationalökonom Adolf Weber betraute ihn 1942 mit einer Zuarbeit zu dem von ihm geleiteten Forschungsprojekt über „Die Neuordnung des Geldwesens nach dem Kriege“.629 Forstmann sondierte auch, ob er nach Greifswald zurückkehren könne. Der zuständige Ordinarius Anton Fleck beurteilte die jüngsten Publikationen positiv, und er sei, wie Herr Kollege Seraphim auch, der Meinung, „dass die Aberkennung der akademischen Würde des Dr. rer. pol. habil. seinerzeit lediglich aus politischen, nicht aus wissenschaftlichen Gründen“ und „nur auf Veranlassung“ des Ministeriums hin erfolgt sei. Infolgedessen müsse die „Rehabilitierung“ lediglich „unter politischen, dagegen nicht unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten“ entschieden werden. Rektor Engel wandte sich daher im Mai 1944 an die Gauleitung Berlin und bat um eine Beurteilung Forstmanns. Fleck beurteilte dann auch noch das 1943 publizierte Buch Forstmanns über Die Volkswirtschaftliche Theorie des Geldes, wobei er das Fehlen jeglicher politischen Stellungnahme bemerkte, aber nicht kritisierte. Es könne keinem Zweifel unterliegen, dass Forstmann mit dem Buch „einen beachtenswerten Beitrag zur Förderung der Erkenntnis“ geliefert habe. Dekan Küchenhoff hakte dann Ende Juni 1944 fernmündlich beim Ministerium nach und erhielt die Auskunft, dass der SD keine Bedenken gegen eine Wiederbeschäftigung Forstmanns erhebe.630 Rektor Engel schien allerdings ohne die Zustimmung der Gauleitung nichts unternehmen zu wollen. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 geriet Forstmann in den Verdacht, von der Verschwörung gewusst zu haben. Er hatte versucht, zu dem ehemaligen Finanzminister Johannes Popitz und dem Volkswirt Jens Jessen Kontakte zu knüpfen. Da er wegen seiner Entlassung aus dem KZ für einen Gestapo-Spitzel gehalten wurde, hatte ihn jedoch niemand ins Vertrauen gezogen.631 Das Engagement der Juristischen Fakultät für Forstmann erstaunt in der Rückschau, weil sie sich in einem politischen Fall positionierte, der damals, im Herbst 1937, eindeutig schien. Aber sie hielt das Verhalten von Hauck schon damals nicht 628 Vgl. LA Berlin, C Rep. 118-01-2492, Bl. 56. 629 Vgl. UAG PA 2601 Forstmann, Bd. 1, Bl. 66. Das Buch erschien nicht mehr, Weber arbeitete seine Beiträge um und veröffentlichte sie nach dem Krieg. Vgl. Weber, Adolf: Hauptfragen der Wirtschaftspolitik, München 1950, S. 257. 630 Vgl. UAG PA 2601 Forstmann, Bd. 1, Bl. 57–69. 631 Vgl. LA Berlin C Rep. 118-01-2492, Bl. 58 ff.

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für „einwandfrei“. Dekan Köttgen animierte Kurator Kolbe dazu, eigene Ermittlungen anzustellen, nicht über Forstmann, dafür war die Gestapo zuständig, sondern über das Verhalten Haucks. Der gab beim Kurator dieselben weitschweifigen Erklärungen über das Buch über den internationalen Handel und Forstmanns nicht zu leugnenden Abscheu über Bonzentum und moralischen Verfall in der Reichshauptstadt zu Protokoll. Es kam aber auch heraus, dass Hauck und der Student Günther schon vorher über Dekan Köttgen negativ gesprochen hatten – die Sache mit der Bekennenden Kirche ging auf ihr Konto – und herumtratschten, dass Staatsminister Wacker, ein strammer SS-Offizier, und der Ministerialrat Grüninger „Zentrumsleute“ seien. Ein Mitarbeiter des Juristischen Seminars sattelte diesen absurden Anwürfen noch obenauf, dass Hauck in erregtem Zustand geäußert habe, dass der Minister Rust wohl bald abgesetzt werde. Außerdem wohnten Günther und Hauck beim selben Vermieter und kannten sich wohl näher, als sie bei ihren Befragungen zugegeben hatten. Kolbe bestellte nun auch Studentenführer Falk ein und befragte ihn zu den Gerüchten, Denunziationen und der Verhaftung. Falk war die Sache „höchst unangenehm“ und er beschuldigte wiederum Hauck, ihn gedrängt zu haben, dass er an der Universität eine Professur erhalte. Mit dem Wiedererscheinen Forstmanns habe Hauck nun gedacht, dass er als Dozent durch Forstmann ausgetauscht werden solle. Angesichts dessen, dass Hauck Betriebswirtschaft las und Forstmann volkswirtschaftliche Finanztheorie, war die Vermutung abwegig. Ob plausibel oder nicht, Kurator Kolbe empfand schon den Verdacht des Abdrängens eines Konkurrenten als schäbig. Da Hauck noch nicht Beamter sei, „dürfte sich ein besonderes Disziplinarverfahren erübrigen“, teilte er dem Ministerium am 7. März 1938 mit. Gleichzeitig gab er dem Ministerium zur Kenntnis, dass sich die Gauleitung auf Grund der erhaltenen Informationen „in Sachen Hauck desinteressiert gezeigt“ habe.632 Staatssekretär Zschintzsch entzog Hauck die Lehrbefugnis, Student Günther wurde vom Studium ausgeschlossen. Im Hinblick auf Rektor Reschke behalte er sich „Entscheidung vor“, weil dieser sich für Hauck eingesetzt hatte. Hauck bat den Minister jetzt um Gnade und brachte sein Unverständnis zum Ausdruck, dass er von verschiedenen Stellen „allgemein menschlich“ als „nicht günstig“ bewertet werde. Dekan Köttgen zeigte sich aber nicht geneigt, dieses Gnadengesuch zu unterstützen. Man habe mit dem hier früher tätigen Berliner Dozenten Robert Schweitzer „die besten Erfahrungen“ gemacht und bitte darum, diesen erneut zu beauftragen, vorerst für ein Semester, möglichst aber „unbefristet“. Dozentenführer Brinck befürwortete diesen Antrag, weil er Schweitzer „für in jeder Hinsicht zuverlässig“ halte. Kurator Kolbe, 632 Den Entwurf des Schreibens vom 7. März 1938 korrigierte Kolbe noch einmal und strich die Bemerkung, dass Falk „unangenehm“ berührt gewesen sei. In der Sache blieb er jedoch hart. Vgl. UAG PA 404 Hauck.

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mittlerweile im Umgang mit Denunzianten und Denunziationen geübt, fügte auch noch die Rechtfertigungsschrift Haucks auf die Vorwürfe des Jahres 1934 mit an, die in dem Zusammenhang ein negatives Licht auf ihn werfen musste. Auch Reschke bescheinigte Hauck jetzt ein „sonderbares Verhalten“ und bezeichnete die damalige Ankunft Haucks jetzt als Strafversetzung. Von Gauleiter Schwede-Coburg erbat sich Reschke demütig mehr Informationen über Vorgänge, die ihn und die der Universität unterstellten Dozenten angingen. Er halte es für einen „unmöglichen Zustand“, dass ein „unverantwortlicher Student“ zwischen Gauleitung und Dozentenführung einen Keil treibe: „In der ganzen Unterredung benahm sich Günther so, als wäre er das Gewissen der Partei selbst“.633 Reschke blieb im Amt, Hauck musste gehen. Die Waage hatte sich von den drängenden Elementen der nationalsozialistischen Revolution, den Studenten und nicht arrivierten Wissenschaftlern hin zu den Ordinarien geneigt. Dem Regime war es wichtig, dass die Hochschulen funktionierten und ihre Ausbildungsaufgabe wahrnahmen. Erst 1944 sollte es noch einmal einen großen Denunziationsfall geben. Die Studenten griffen dabei den scheinbar schwachen Rektor Carl Engel an, der jedoch im Amt Rosenberg über genügend Rückhalt verfügte, um diesen Versuch der Amtsenthebung abzuwehren.

3.8 Gab es eine Berufungspolitik? 3.8.1 Zuweisungen

Der Universität Greifswald wurde in der Zeit des Nationalsozialismus etwa ein Dutzend Dozenten zugewiesen, zum Beispiel der Chirurg Reschke, dessen Berufung mit ihrem Für und Wider bereits thematisiert wurde. Bereits die Zeitgenossen fürchteten solche Eingriffe in die Autonomie, wie sich in der Nachfolgeregelung für den Geographen Braun zeigte. Zu einem großen Thema wurde das allerdings erst nach 1945, als die Universitäten in Ost und West den Mythos entwickelten, dass man die aktiven Nationalsozialisten nicht hatte haben wollen, aber leider nichts gegen solche Übergriffe habe tun können. Vor Kriegsende zeigte sich zumindest die Universität Greifswald mit den Zugewiesenen überwiegend zufrieden. So gelangte 1936 der Anatom August Hirt auf einen Greifswalder Lehrstuhl, ohne dass er auf einer Berufungsliste gestanden hätte. Die Fakultät wollte das Ordinariat Otto Dragendorff übertragen, der bisher nur eine persönliche ordentliche Professur 633 Vgl. ebd.

3.8 Gab es eine Berufungspolitik?

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innehatte. Auf Platz 2 der Liste setzte sie den Rostocker Günther Hertwig, auf Platz 3 und 4 benannte sie außerordentliche Professoren in Kiel und Frankfurt.634 Hirt war jedoch der Kandidat des Wissenschaftsministeriums bzw. der SS. Wissenschaftlich war er ausgewiesen durch mikroskopische Untersuchungen am lebenden Gewebe und durch die Aufklärung der Morphologie der Niere.635 Hirt setzte im Anatomischen Institut Modernisierungen durch und erwies sich menschlich als umgänglich. In einem Dankesbrief an das Ministerium versicherte der Dekan der Medizinischen Fakultät, dass es inzwischen „nicht einen“ an der Fakultät gebe, „welcher nicht mit dankbarer Freude Herrn Hirt als wissenschaftlich wertvollen und persönlich angenehmen Zuwachs begrüßte“.636 Der Kotau mutet merkwürdig an, ist jedoch dadurch erklärbar, dass er unhaltbare Zustände am Anatomischen Institut beseitigte. Hirt mobilisierte nicht nur finanzielle Mittel zur Modernisierung, sondern löste auch das längst überholte Forschungsgebiet der Entwicklungsmechanik auf. Außerdem sorgte er für die Entlassung des nicht qualifizierten Oberassistenten Otto Popp.637 Politisch engagierte sich Hirt neben seiner Mitgliedschaft in der SS (seit April 1933) im Kampfbund für Deutsche Kultur (seit 1932). In die NSDAP trat er 1937 in Greifswald ein, hier erhielt er auch mit der Beförderung zum Untersturmführer den ersten Offiziersrang in der SS. Zweifelsfrei war Hirt ein glühender Patriot, 1914 hatte er sich als Schüler freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet und war schwerbeschädigt 1916 entlassen worden. Ab 1930 organisierte er den Wehrsport an der Universität Heidelberg.638 Der kleine Wirkungskreis in Greifswald befriedigte Hirt jedoch nicht. Unzufrieden war aber zugleich auch der 1934 nach Frankfurt berufene Wilhelm Pfuhl, der an einer nicht ausgeheilten Tuberkulose litt und der Belastung des Amts nicht mehr voll gewachsen war. Das Ministerium versetzte Pfuhl daher kurzerhand zurück nach Greifswald und Hirt an die Universität Frankfurt. Inzwischen gilt als erwiesen, dass dabei die SS Regie geführt hatte. In Frankfurt existierte eine SS-Studiengemeinschaft, der Hirt als Leiter neue Impulse verleihen sollte.639 634 Vgl. UAG Med. Fak. II Nr. 40, S. 320. 635 Vgl. Müßig, Katrin: Prof. Dr. med. August Hirt 1898–1945. Leben und Werk, Diss. med. ,Regensburg 2014, S. 63. 636 Vgl. UAG Med. Fak. I 88, Bl. 3. 637 Vgl. Alvermann, Dirk: „Praktisch begraben“. NS-Opfer in der Greifswalder Anatomie 1935 bis 1947, in: ders., Schranken, S. 322. Zur Entwicklungsmechanik und ihrem letzten Protagonisten Georg Wetzel vgl. Zwilling, Thomas: Leben und Werk des Anatomen Georg Wetzel, Diss. med. dent., Greifswald 2004. 638 Vgl. BA R 4901/13266 Karteikarte Hirt; Lebenslauf in BA BDC SSO Hirt. 639 Vgl. UAG PA 549 Pfuhl; BA BDC SSO Hirt; Reitzenstein, Julien: Himmlers Forscher. Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im „Ahnenerbe“ der SS, Paderborn 2014, S. 107.

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Später wechselte Hirt nach Straßburg, wo er sich der Kampfstoffforschung widmete. Er glaubte daran, vereinfacht gesagt, dass bestimmte, vorab eingenommene Medikamente den Körper gegen Lostschäden immunisieren könnten bzw. diese „abfangen“ würden.640 In Greifswald und Frankfurt war es ihm nicht möglich, vom Tier- zum Menschenexperiment überzugehen. Das Konzentrationslager Natzweiler bot ihm und seinem Assistenten Anton Kiesselbach diese Gelegenheit, die mindestens drei Menschen das Leben kostete.641 Auch bei der nächsten Berufung war die Fakultät angehalten, den Kandidaten des Ministeriums zu berufen. Paul Wels meinte daraufhin, die Aufstellung einer Liste sei daher „überflüssig“. Dekan Linck war jedoch nicht geneigt, einen solchen Affront zu begehen und setzte den vom Ministerium für den Lehrstuhl der Kinderheilkunde erwünschten Hans Bischoff lediglich auf Platz 2 der Liste, was zumindest als Signal nicht missverstanden werden konnte.642 Unerfahren war Bischoff als ehemaliger Oberarzt in Rostock und als Klinikleiter in Düsseldorf nicht. Er war jedoch ein nationalsozialistischer Aktivist, der sich in der HJ engagierte und 1933 an der Universität Rostock eine Arbeitsgemeinschaft zur Hochschulreform auf „nationalsozialistischer Grundlage“ leitete.643 Vom bisherigen Lehrstuhlinhaber Bernhard de Rudder war ein anderer, wissenschaftlich besser qualifizierter Kandidat für seine Nachfolge benannt worden.644 Nach dem überraschenden Tod des Pädiaters Bischoff stellte die Medizinische Fakultät eine Berufungsliste auf, die an erster Stelle den in Greifswald gut bekannten Albrecht Peiper aufführte.645 Peiper war der Sohn des Begründers der Kinderheilkunde in Greifswald Erich Peiper und hatte hier studiert und promoviert. Er habilitierte sich jedoch 1924 an der Universität Berlin und veröffentlichte 1928 ein vielbeachtetes Buch über die bedingten und unbedingten Reflexe des Kindes.646 1934 war er mit der vertretungsweisen Leitung der Universitätskinderklinik in Bonn betraut, übernahm jedoch im selben 640 Vgl. Reitzenstein, Forscher, S. 147. 641 Vgl.  Baader, Gerhard: Lost-Lewisit-Kampfstoffversuche in der deutschen Militärmedizin, in: Virus, Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin, Heft 3, 2002, S. 20; Reitzenstein, Forscher, S. 119 und 149. Frühere Annahmen gingen von ca. fünfzig Getöteten aus. Hirts Schuld wird durch diese geringere Zahl nicht relativiert, zumal Reitzenstein noch weitere vorsätzliche Tötungen nachweisen konnte, die Hirt entweder anwies oder sanktionierte. 642 Vgl. Michel, Ulrike: Zur Berufungspolitik der Greifswalder Medizinischen Fakultät zwischen 1933 und 1935, in: Alvermann, Schranken, S. 136 ff. 643 Vgl. Buddrus/Fritzlar, Rostock, S. 70. 644 Vgl. Michels, Berufungspolitik, in: Alvermann, Schranken, S. 137. 645 Vgl. UAG Med. Fak. II Nr. 81, S. 36 f. 646 Vgl. Peiper, Albrecht: Die Hirntätigkeit des Säuglings, Berlin 1928.

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Jahr eine Chefarztstelle im Städtischen Krankenhauses Wuppertal und damit auch die städtische Kinderfürsorge. Der NSDAP trat Peiper 1937 bei.647 Von allen Seiten werde Peiper als „bestqualifizierter Kandidat namhaft gemacht“, informierte Dekan Schultze die Kollegen in der Fakultätssitzung am 10. März 1943.648 In den Resten der Dozentenschaftsakten hat sich eines dieser Urteile erhalten. Peipers Verdienste um die Senkung der Kindersterblichkeit seien unbestritten, auf dem „umgrenzten Gebiet“ der Hirntätigkeit der Kinder sei er der bedeutendste Vertreter Deutschlands und genieße internationales Ansehen.649 Was der Berufungsvorschlag verschwieg, war Peipers wütende, wenn auch akademisch gehaltene Polemik gegen Ärzte, die eine Versorgung der „Frühchen“ als ohnehin „minderwertige“ oder „lebensschwache“ Menschen ablehnten. Konkret reagierte er auf Forderungen, eine zusätzliche Sauerstoffversorgung solcher Säuglinge aus Kostengründen abzulehnen, was ihm als unzulässige Einschränkung gegebener ärztlicher Mittel erschien. Für Peiper waren die zu früh geborenen Kinder lediglich „unreif“ und nicht „minderwertig“, weshalb er als Chefarzt des Kinderkrankenhauses in Wuppertal Behandlungsmethoden entwickelte, um solche Kinder zu retten. In einer umfangreichen statistischen Studie widerlegte er 1937 die Protagonisten einer Ideologie, die Kinder sterben lassen wollte, weil sie ohnehin zu „Minderwertigen“ oder „Schwachsinnigen“ würden. Peiper listete mehr als ein Dutzend solcher Studien auf und kritisierte sie durchgängig wegen offensichtlicher wissenschaftlicher Mängel. Einige dieser Annahmen hatte er selbst mit klinischen Studien widerlegt, in seinem Buch über „Unreife und Lebensschwäche“ stellte er sie alle in Frage. Zwar konzedierte er, dass es wohl eine erhöhte „Lebensschwäche“ bei Frühgeborenen gab, hinterfragte die Zahl jedoch mit der unzureichenden Familienanamnese. Der wichtigste Grund dafür, dass sich unreife Neugeborene später als „minderwertig“ erwiesen, sei in der „erblichen geistigen Belastung“ zu finden. Das Sterilisierungsgesetz werde hier langfristig Abhilfe schaffen. Bis zu dessen Wirksamkeit müsse aber alles getan werden, um allen (!) Frühgeborenen jede (!) Unterstützung des Arztes zu bieten. Die „Aufzucht der Unreifen“ bedeute „in den meisten Fällen gesunde, auch erbgesunde Kinder“.650 Die förmliche Berufung folgte 1944. Die Vorschläge für die Nachfolge des überraschend gestorbenen Chirurgen Hugo Puhl unterbreitete Dekan Schultze erst nach Abstimmung mit dem Fakultätsausschuss und dem Dozentenführer am 29. Oktober 1943. Unter den über dreißig Nennungen seien überwiegend Krankenhausdirektoren gewesen, etwa Peiper (West647 Vgl. BA BDC DS Peiper. 648 Vgl. UAG Med. Fak. II Nr. 81, S. 36 f. 649 Vgl. BA BDC DS Peiper. 650 Vgl. Peiper, Albrecht: Unreife und Lebensschwäche, Leipzig 1937, S. 82–90, bes. S. 90.

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endkrankenhaus, Berlin, ein Bruder des Kinderarztes) oder Bürkle de la Camp (Bergmannsheil, Bochum). Ihm scheine es aber richtig, so Schultze, „den Hochschullehrernachwuchs im engeren Sinne in den Mittelpunkt zu stellen“. Daher benannte er Herbert Junghanns (Frankfurt), Robert Wanke (Kiel) und Hans Hellner (Münster). Da er auch zu einer Äußerung zu Hans von Seemen gebeten wurde, der im September 1943 vom Ministerium mit der Vertretung beauftragt worden war, äußerte sich Schultze auch zu dessen Person. Der Fakultät sei er nicht persönlich bekannt. Aus seinen Personalakten gehe nicht hervor, warum er den Lehrstuhl in Graz nicht mehr innehabe. Er sei auch von keinem Fachvertreter genannt worden. „Seine persönlichen und menschlichen Verhältnisse erscheinen uns, auch ohne sich durch unkontrollierbare Gerüchte beeinflussen zu lassen, so wenig geklärt, dass die Fakultät vorläufig der Meinung ist, es nicht verantworten zu können, ihn dem Herrn Minister für die Besetzung des Lehrstuhls in Vorschlag zu bringen.“651 Die Gerüchte hatten einen realen Hintergrund. Von Seemen hatte seinen Lehrstuhl durch ein massives Drogenproblem verloren. Im Ersten Weltkrieg hatte er sich eine scheinbar nicht behandelbare Schädigung des Zwölffingerdarms zugezogen, die er selbst mit Schmerzmitteln eindämmte. An der Universität Graz pflegte er ein Verhältnis mit einer Adeligen, das gemeinsamen Drogenkonsum einschloss. Da dies nicht geheim blieb, wurde von Seemen denunziert und seines Lehrstuhls enthoben.652 Als die Besetzung mit dem Lehrstuhl im Februar 1944 noch immer nicht erfolgt war, fragte der Bevollmächtigte für das Sanitäts- und Gesundheitswesen nach.653 Noch bevor die Fakultät erneut Stellung nehmen konnte, wurde von Seemen zum Stabsarzt befördert und zum Leiter der Abteilung Chirurgische Klinik des Reservelazaretts ernannt.654 An den so geschaffenen Fakten kam die Fakultät nicht vorbei und so befürwortete sie im April die förmliche Bestallung von Seemens. Über die chirurgische und wissenschaftliche Qualifikation müsse dabei „nicht gesprochen werden“. Als Lehrer wirke er „eindringlich“, man spüre an seinem Vortrag die „Passion“. Für die Studenten scheine er „auch persönlich etwas Gewinnendes zu haben, obgleich er im Examen recht hohe Anforderungen“ stelle. Auf die Patienten wirke er „vertrauenerweckend und als guter Arzt“. Allerdings zeige er sich in der Leitung der Klinik „nicht so energisch und aktiv“, wie es „wünschenswert“ erscheine. Noch einmal kam Dekan Schultze auf die „persönlichen Verhältnisse“ zu sprechen. Sie seien ja „etwas undurchsichtig“ gewesen und hätten „Zweifel daran entstehen lassen, ob er sich in die Verhältnisse einer Kleinstadtuniversität gut einpassen würde“. Im Hinblick auf 651 652 653 654

Vgl. UAG Med. Fak. I Nr. 562, Bl. 232. Vgl. BA BDC DS von Seemen. Vgl. UAG Med. Fak. I Nr. 562, Bl. 242. Vgl. UAG K 731.

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die „früher ihm zum Vorwurf“ gemachten Verfehlungen hätten hier aber „keinerlei bestätigende Beobachtungen“ gemacht werden können. Möglicherweise seien „frühere Vorgänge zu einer systematischen Diffamierung“ aufgebauscht worden. Einzelne Fakultätsmitglieder würden sich aber immer noch „eindeutig gegen eine Berufung“ aussprechen. Im Ganzen aber habe Herr von Seemen fachlich und persönlich „einen so positiven Eindruck gemacht“, dass die Fakultät trotz der genannten Bedenken nicht gegen ihn Stellung nehmen würde. Er könne also „für eine endgültige Berufung in Betracht gezogen werden“.655 Der unzweifelhaft geeignete von Seemen wurde unmittelbar nach der Zustimmung berufen. Per Zuweisung kam aber auch ein Scharlatan an die Medizinische Fakultät. Durch die Fürsprache von Ludwig Klages hatte es der Graphologe Rudolf Pophal erreicht, einer Universität zugewiesen zu werden. Er wohnte in Stralsund, mithin wurde die Planstelle in Greifswald eingerichtet. Der 1893 Geborene hatte das Medizinstudium in Marburg begonnen und sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Er wurde zweimal verwundet und setzte sein Studium ab 1916 an der Universität Greifswald fort. Er spezialisierte sich auf das Fach Psychiatrie und erhielt nach der Promotion 1919 eine Assistentenstelle an der Universitätsnervenklinik. 1924 habilitierte er sich für Psychiatrie und Neurologie mit einer Studie über den Krankheitsbegriff in der Körpermedizin und in der Psychiatrie und ließ sich 1925 als Facharzt für Nervenkrankheiten in Stralsund nieder. 1928 schied er aus der Medizinischen Fakultät aus. Da Pophal einer der wenigen habilitierten Mediziner war, die sich ernsthaft mit Graphologie befassten, wurde er von Klages im Wissenschaftsministerium für einen Lehrauftrag vorgeschlagen, den er per Verfügung vom 30. Januar 1939 auch erhielt, nach Bitte um Aufnahme in die NSDAP. Das Lehrgebiet hieß freilich nicht allein Graphologie, sondern „angewandte Ausdruckskunde“. Nach kurzem Dienst als Sanitätsoffizier kehrte Pophal nach Greifswald zurück. 1942 wurde er zum beamteten Dozenten für Graphologie ernannt, gab seine Praxis in Stralsund auf und übernahm 1943 an der Universität auch die Vorlesung für Rassenhygiene.656 Pophal setzte sich vehement für eine Verwissenschaftlichung seines Faches ein, in dem sich viele „Unberufene“ tummelten, wie er unumwunden zugab. Gleichwohl handle es sich um eine „seit Jahrzehnten tagtäglich erprobte“ Technik, die in Ausleseverfahren in der Wirtschaft ebenso mit Erfolg eingesetzt werde wie bei der Wahl von Geschäftspartnern oder „zum Zwecke der charakterlichen Durchleuchtung des Ehepartners“.657 In Greifswald bot Pophal gut besuchte Kurse in Graphologie an und 655 Vgl. UAG Med. Fak. I Nr. 562, Bl. 247. 656 Vgl. BA 4901/24007 PA Pophal, unklare Blattzählung. 657 Vgl. Pophal, Rudolf: Graphologie als Studienfach, in: Industrielle Psychotechnik,18. Jg. Heft 2/4, 1941, S. 80 f.

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erhielt vom Ministerium Geldmittel zur Beschaffung der von ihm gewünschten Apparate für ein Laboratorium, das er nach Kriegsende aufbauen wollte. Ihm schwebte die Anerkennung als selbstständiges Hochschulfach vor, wobei er voraussetzte, dass der Staat für die Absolventen die nötigen Stellen schaffen werde, etwa in Militär- und Polizeiverwaltungen, Gerichten, Jugendämtern, der Fürsorgeerziehung und Heilpädagogik, bei Berufsberatungsstellen und schließlich auch in psychiatrischen Kliniken. In den Studienplan wollte Pophal „experimentell psychologische Kurse“ einbauen, die Handschriftenanalysen mit dem Studium von Schreib- und Bewegungsanalysen verbinden sollten. Mit der „Einseitigkeit der jetzigen Ausbildung lediglich unter Zugrundelegung der Handschrift“ müsse „ein Ende gemacht werden“. Verbunden werden solle das mit einer Unterweisung in Charakterkunde, einschließlich der experimentellen, medizinischen und psychoanalytischen Psychologie. Den Studenten müssten auch psychiatrische Patienten vorgestellt werden. Damit höre auch der „Unfug“ auf, dass Graphologen Analysen und Abhandlungen über „psychiatrische Dinge“ schrieben, obwohl sie noch nie einen hysterischen oder epileptischen Zustand, eine Melancholie oder eine Paralyse gesehen hätten. Komplett werden sollte der Studiengang mit einer Ausbildung in „Biologie, Rassekunde, Vererbungslehre und Berufskunde“.658 1945 floh er nach Hamburg, wo er seine Forschungen fortsetzte und später die universitäre Verankerung des Fachs in der Bundesrepublik erreichte. Versetzungen gab es auch in anderen Fakultäten. So kam 1938 der Psychologe Heinrich Schole nach Greifswald, ohne dass jemand darum gebeten hatte. Der 1886 im Oldenburgischen Geborene war zunächst Volksschullehrer geworden, hatte dann studiert und war mit einer wahrnehmungspsychologischen Studie 1916 promoviert worden. Er legte die Prüfungen für das Lehramt ab und habilitierte sich 1922 in Königsberg, wo er 1923 einen Lehrauftrag erhielt. Obwohl sich sein Mentor Narziss Ach für ihn einsetzte, wurde ihm die Vergütung 1931 entzogen. Es ist möglich, dass der Entzug der Vergütung politisch motiviert war, denn Schole war überzeugter Nationalsozialist, und das Kultusministerium wurde sozialdemokratisch geführt. Schole hatte schon 1926 der NSDAP beitreten wollen, was diese aber ablehnte, weil er aus der Kirche ausgetreten war. Trotzdem beteiligte er sich bei Straßenkämpfen und wurde dabei verwundet. Er habilitierte sich nach Göttingen um, wo ihm die Kreisleitung, in der die späteren Greifswalder Dozenten Jander und Mentzel aktiv waren, den Eintritt am 1. August 1932 ermöglichte. In der Partei machte Schole nach 1933 Karriere. Er war Blockleiter, Zellenleiter, Ortsgruppen-Propagandaleiter, Ortsgruppen-Schulungsleiter, Kreisredner und arbeitete „jetzt“, so seine Greifswalder Personalakte, an „zwei geheim gehaltenen Lektoraten bei der Reichsleitung“. Unter anderem verfasste er 658 Ebd., Bl. 84 ff.

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wohl eine Politische Ethik, die der Reichsleitung als Schulungsmaterial diente. Während des Zweiten Weltkriegs war Schole Ortsgruppenschulungsleiter der NSDAP.659 Menschlich wurde Schole als ehrlich und offen beschrieben. Als die Polizei 1933 in Göttingen gegen den Psychologen Heinrich Düker wegen dessen sozialistischer Gesinnung ermittelte, führte Schole die Befragungen an der Universität durch. Schole bezeichnete Düker in seinem Bericht als „sehr anständigen Menschen“, der zwar den Sozialismus als Ideal annehme, „aber den Marxismus, also den Kommunismus und die Sozialdemokratie entschieden“ ablehne. Düker konnte seine Anstellung behalten und wurde erst 1936 nach erneuten Ermittlungen verhaftet.660 1935 betraute das Ministerium Schole mit der Verwaltung des Lehrstuhls für Psychologie und Philosophie an der Universität Halle, wo er jedoch nicht akzeptiert wurde. Auch in Frankfurt reüssierte er nicht, was Schole zu einem schriftlichen Protest veranlasste. Er habe sich ein „Anrecht auf volle Einreihung“ verdient, schrieb er an den zuständigen Referenten Eugen Mattiat, weil er nun schon 14 Jahre lang den Kampf führe „gegen Judentum, Volksverfall, Liberalismus, Marxismus usw.“.661 Das Ministerium versuchte daraufhin ohne Erfolg, ihn in Hamburg, Berlin und Königsberg unterzubringen. Mit der Versetzung nach Greifswald war Schole dann versorgt und 1939 erhielt er eine Dauerstelle als außerplanmäßiger Professor. Als Dekan Metzner 1941 aufgefordert wurde, dessen Leistungen zu beurteilen, äußerte er sich positiv über dessen experimentelle Arbeiten.662 Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Schole für die Wehrmacht, die psychologische Beurteilungen von Offizieren benötigte. 1945 soll er sich wegen einer drohenden Verhaftung selbst getötet haben. 3.8.2 Berufungen zwischen Selbstbehauptung und Kotau

Im Laufe des 19. Jahrhunderts bildete sich in Preußen, aber auch in den anderen deutschen Staaten ein idealtypisches Berufungsverfahren heraus. Wurde eine ordentliche Professorenstelle frei, also eine, die im Haushalt der Hochschule fest verankert war, bat der Dekan die Lehrstuhlinhaber desselben Faches um Rat. War also zum Beispiel eine Professur für Strafrecht zu besetzen, schrieb der Dekan andere ordent659 Vgl. UAG PA 263 Schole. 660 Düker wurde 1936 wegen seiner Mitgliedschaft im Internationalen Sozialistischen Kampfbund verhaftet. Vgl. Paul, Rainer: Psychologie unter den Bedingungen der Kulturwende. Das Psychologische Institut 1933–1945, in: Becker, Heinrich, Hans-Joachim Dahms und Cornelia Wegeler: Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus. Das verdrängte Kapitel ihrer 250jährigen Geschichte, München u. a. 1987, S. 332. 661 Vgl. Geuter, Ulfried: Die Professionalisierung der deutschen Psychologie im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1988, S. 111 f. 662 Vgl. UAG PA 263 Schole, Bd. 3, Bl. 17.

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liche Professoren des Faches an, die ihm bestimmte Personen nannten. Dabei berücksichtigten sie üblicherweise Fachkompetenz, Lehrerfolg und Habitus. Die Fachvertreter benannten oft Personen, von denen sie annahmen, dass sie den Ruf auch annehmen würden. Ein Professor, der in München sechshundert Hörer hatte, was mit hohen Einnahmen verbunden war, würde nicht nach Greifswald gehen, wo er eventuell vor dreißig Hörern lesen würde. Für Greifswald kamen also vorwiegend junge Professoren in Betracht, die nicht an den großen, sogenannten Enduniversitäten Berlin, Heidelberg, Leipzig oder München lasen.663 Da die Hörerzahlen bei den meisten kleineren Universitäten jedoch vergleichbar waren, kamen für Greifswald durchaus auch Ordinarien aus Erlangen, Gießen oder Freiburg im Breisgau in Betracht. Auf Grund beamtenrechtlicher Regelungen wechselten die ordentlichen Professoren allerdings meist innerhalb des Bundesstaates, also innerpreußisch, zum Beispiel von Kiel nach Göttingen, von Königsberg nach Greifswald oder von Bonn nach Frankfurt. Die Vorschläge präsentierte der Dekan den Mitgliedern der Fakultät, die sich selbstverständlich ebenfalls Gedanken über einen geeigneten Fachvertreter gemacht hatten. Evangelisch geprägte Fakultäten hatten dabei oft wenig Interesse an gläubigen Katholiken, bei Juristen konnte das auch gut begründet werden, war doch oft auch eine kirchenrechtliche Vorlesung anzubieten. Diese konfessionelle Spaltung nivellierte sich spätestens in der Weimarer Republik, nicht selten wechselten jetzt zum Beispiel katholische Mediziner, Philologen oder Kunsthistoriker ins evangelisch geprägte Greifswald.664 Zugleich konnten bestimmte Vorlieben oder Abneigungen eine Rolle spielen. In der Fakultät wurde dann aus den Vorschlägen und eigenen Wünschen eine Vorschlagsliste formuliert, die üblicherweise drei Kandidaten enthielt. Angesichts dessen, dass das Reservoir an habilitierten Wissenschaftlern groß war, ging es bis in die vierziger Jahre tatsächlich darum, den geeigneten Kandidaten zu finden. In der Chirurgie gab es, nicht zuletzt durch die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs bedingt, zahllose ausgezeichnete Operateure, die neben ihrer Tätigkeit an Krankenhäusern an Universitäten unterrichteten. Durch die Neuregelung des Zugangs zum Hochschullehrerberuf wurde die Autonomie weiter eigeschränkt. Unter Bezugnahme auf das Berufsbeamtengesetz konstatierte der Preußische Kultusminister am 7. Juli 1933, dass in der letzten Zeit Habilitationen für Wissenschaftler ausgesprochen worden seien, deren Persönlichkeit nicht mit den Anforderungen übereinstimme. Daher untersage er künftig weitere 663 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler, Göttingen 1997, S. 225–251. 664 Vgl. Biographisches Lexikon in Kapitel 8.

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Habilitationen.665 Mit der am 18. Oktober 1933 erlassenen und 1934 noch einmal überarbeiteten Reichshabilitationsordnung trennte das Ministerium dann die Lehrbefähigung von der Lehrbefugnis. Die Befähigung, also Habilitation, wurde weiterhin von der Universität beurteilt, die dafür förmlich den Grad eines Dr. habil. verlieh. Die Dozentur, also Lehrerlaubnis, sprach das Reichs- und Preußische Ministerium für Erziehung, Wissenschaft und Kunst aus.666 Der Dr. habil. wurde bald als zweite akademische Graduierung angesehen und war für bestimmte Positionen Einstellungsvoraussetzung. Der Abteilungsleiter des Chemischen Instituts Karl Jahr etwa musste diesen Grad vorweisen, um eine Abteilungsleiterstelle beim Gasschutzlaboratorium der Wehrmacht in Berlin-Spandau zu erhalten. Dort wurde er als Regierungsrat eingruppiert.667 Der Arzt und SS-Offizier Horst-Günther Krainick arbeitete in der Medizinischen Klinik bei Katsch und verfasste nur sehr wenige wissenschaftliche Studien, da er parallel seine militärische Karriere vorantrieb. Er absolvierte militärische Übungen und spezialisierte sich auf den Einsatz von chemischen Kampfstoffen. Ab 1940 war er im Armeeoberkommando Paris für Gasschutz zuständig. 1943 drängte er die Medizinische Fakultät um die kumulative Habilitation, weil dies für weitere Beförderungen notwendig sei. Um die Dozentur wolle er sich später bewerben. Die Fakultät entsprach diesem Wunsch.668 Der Hochschullehrer im nationalsozialistischen Staat müsse als „Erzieher, Lehrer und Forscher besonders strengen Anforderungen an fachliche Eignung, Persönlichkeit und Charakter genügen“, schrieb Rust in der Präambel zu dem Erlass vom 13. Dezember 1934, weshalb die „Auswahl und Formung“ der „denkbar größten Sorgfalt“ bedürfe. Da die Habilitation allein die wissenschaftliche Befähigung erkennen lasse, müsse sie künftig als „Voraussetzung für eine Bewerbung um die Lehrberechtigung“ betrachtet werden. Die Erteilung der Dozentur erfolge durch den Wissenschaftsminister nach einer „strengen Beurteilung“ vor allem der „persönlichen und charakterlichen Eignung“. Als Dozenten wurden danach nur jene zugelassen, die Beamte werden könnten (§ 8), was Juden, sogenannte Mischlinge und mit jüdischen Frauen verheiratete Männer ausschloss. Nach der erfolgreichen Ablegung einer Lehrprobe (§ 10) musste der Bewerber ein Gemeinschaftslager und die Dozentenakademie besuchen (§ 11). Die Urteile „über die Bewährung im Lager und in der Dozentenakademie“ waren wieder dem Wissenschaftsministerium vorzulegen, das dann seine Entscheidung 665 Vgl.  Heinrich, Fritz: Die deutsche Religionswissenschaft und der Nationalsozialismus. Eine ideologiekritische und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung, Petersberg 2002, S. 202. 666 Vgl. Reichshabilitationsordnung vom 13.12.1934, Berlin 1934. 667 Jahr habilitierte sich 1936 mit einer Schrift Über den Verlauf komplizierter Hydrolysevorgänge, vgl. UAG Phil. Habil. Nr. 7. 668 Vgl. UAG Med. Habil. Nr. 218.

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über Erteilung oder Ablehnung der Lehrbefugnis fällte. Das Ministerium konnte die Lehrbefugnis auch entziehen, wenn es „im Universitätsinteresse geboten“ sei (§ 18). Damit war jedoch nicht zugleich die Aberkennung des akademischen Grads Dr. habil. verbunden, über dessen Verleihung und Entziehung die verleihende Fakultät entschied (§ 5), freilich in Abstimmung mit der zuständigen Landesunterrichtsverwaltung, also dem Wissenschaftsministerium (§ 7). 669 Mit der Neufassung der Reichshabilitationsordnung mit Wirkung vom 1. Oktober 1938 war die Absolvierung des dem Stellvertreter des Führers unterstehenden Reichslagers für Beamte vorgeschrieben (§ 16), die Dozentenakademien, die ohnehin eher einen Lagercharakter hatten, wurden geschlossen. An die Verleihung der Lehrbefugnis war die Ernennung zum Beamten auf Zeit gekoppelt, was zugleich eine ökonomische Sicherstellung der Personen bedeutete wie auch die Pflicht, ein bestimmtes Fach an einer Hochschule zu vertreten (§ 17). Die bisherigen Privatdozenten und nichtbeamteten außerordentlichen Professoren konnten ihre Ernennung zu Dozenten und außerplanmäßigen Professoren beantragen.670 In den Sitzungen der Berufungskommissionen waren stets Vertreter der Dozentenschaft bzw. des NSD-Dozentenbundes anwesend.671 Beurteilungen forderte aber auch der SD an, der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS. Auf einer solchen Weisung, nun endlich eine Beurteilung des Juraprofessors Köttgen abzugeben, findet sich der Vermerk: „SS-Obersturmbannführer Six vorlegen“.672 Franz Alfred Six vertrat zu dieser Zeit Reinhard Heydrich und leitete vertretungsweise das Geheime Staatspolizeiamt, ein Hinweis darauf, dass Berufungen für wichtige Stellenbesetzungen der Bestätigung durch die Gestapo unterlagen.673 Beteiligt war bei den Juristen auch das Reichsrechtsamt der NSDAP in der Reichsleitung der Partei, das über zu berufende Dozenten politische Gutachten anforderte.674 Die rigiden Zulassungsvoraussetzungen sorgten in einigen Gebieten für zunehmende Knappheit auf dem Arbeitsmarkt, etwa im Bereich der Rechtswissenschaft. Auch in dem vor 1918 elitären Fach der Kunstgeschichte gab es kaum noch Bewerber um ein Lehramt. Einerseits waren die Absolventenzahlen klein, weil die Arbeitsmöglichkeiten etwa in Museen oder im Kunsthandel ungleich geringer waren als heute. Andererseits neigten etablierte Museumsdirektoren nicht dazu, auf einen Lehrstuhl zu wechseln. 669 Vgl. Reichshabilitationsordnung, Bl. 1 f. 670 So die Ausführungsbestimmungen zu §§ 17 und 18. Vgl. Akademisches Auskunftsamt (Hg.): Reichs-Habilitations-Ordnung vom 17. Februar 1939 nebst Durchführungsbestimmungen, Berlin 1939, S. 19. 671 Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 479. 672 Vgl. BA BDC DS Köttgen, Bl. 964. 673 Vgl. Hachmeister, Lutz: Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six, München 1998. 674 Vgl. BA BDC DS Seidl, Bl. 778.

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Als der Kunsthistoriker Otto Schmitt 1935 an die Technische Hochschule in Stuttgart wechselte, versuchte er für sein Ordinariat einen geeigneten Kandidaten zu finden und hielt nicht mehr als fünf oder sechs Wissenschaftler für geeignet. Das war nicht einem überhöhten Anspruchsdenken geschuldet, sondern durch die Verdrängung der jüdischen Gelehrten waren so viele Lehrstühle frei, dass auch wenig geeignete Kandidaten diskutiert werden mussten.675 Noch trostloser sah es in der Philosophie aus, wo es 1940 im ganzen Deutschen Reich einschließlich des angeschlossenen Österreich ganze 61 Wissenschaftler gab, die bereits Lehrstühle besetzten oder für eine Besetzung in Frage kamen. In Greifswald existierte lediglich ein ernsthafter Nachwuchswissenschaftler, der sich für das Fach interessierte, dann aber seine Studien abbrach und ins Reichspropagandaministerium wechselte.676 In den Naturwissenschaften sah es nicht besser aus. Hier wanderten die Chemiker oft zur IG Farben ab, die ihnen glänzende Forschungsbedingungen und großzügige Neubauwohnungen in firmeneigenen Gartenstädten bot.677 Die gutqualifizierten Physiker wurden von den Siemens-Laboratorien, den Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft oder Physikalisch-Technischen Reichsanstalt abgeworben. Den Weg zurück an die Universität gingen nur wenige, und das aus Neigung. So habilitierte sich der Theoretische Physiker an der Universität Berlin Max Kohler bereits mit 25 Jahren und erhielt sofort einen dotierten Lehrauftrag, weil die Theoretische Physik in Berlin „z. Zt. sehr schwach vertreten“ sei, wie der Leiter der Dozentenschaft einräumte, ohne die Ursache, die Vertreibung der jüdischen Physiker, zu benennen.678 Den Mangel an geeigneten Doktoranden und daraus folgend künftiger Wissenschaftler benannte 1937 auch Rudolf Seeliger, Leiter des Seminars für Theoretische Physik. Seiner Meinung nach gab es genügend geeignete Studierende, denen allerdings die Mittel fehlten, ihre Studienzeit mit der Abfassung einer Dissertation zu verlängern. Eine Ausreichung von Forschungsstipendien in geringer Höhe, etwa 50 Mark monatlich, reiche bereits zur Nachwuchsförderung aus. Er vergebe daher oft Dissertationsthemen, für die sich die Industrie interessiere, die dann auch Mittel bereitstelle.679 Seeligers Vorstoß ging ins Leere, an einen derart grundsätzlichen Umbau des Stipendiensystems war in der NS-Zeit nicht zu denken. Trotz dieser ungünstigen Rahmenbedingungen bewies die Universität bei ihrer Profilierung einen deutlichen Gestaltungswillen. Ihre Dekane oder auch die Fakultäten als Kollektiv setzten sich für bestimmte Dozenten ein und lehnten andere ab. 675 Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 419. 676 Vgl. BA R 4901/12444, Bl. 6; UAG PA 104 Lutz; Tilitzki, Universitätsphilosophie, S. 895 ff. 677 Vgl. Wagner-Kyora, Georg: Vom „nationalen“ zum „sozialistischen“ Selbst. Zur Erfahrungsgeschichte der deutschen Chemiker und Ingenieure im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2009. 678 Vgl. BA R 4901/24006, Bl. 26. 679 Vgl. BA R 73/11154.

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Da zum Beispiel Wilhelm Hartnacks mangelnde wissenschaftliche Reputation auch durch sein Engagement als SS-Führer nicht zu kompensieren war,680 musste für die Nachfolge Gustav Brauns ein renommierter Geograph gefunden werden. Hartnack vertrat den vakanten Lehrstuhl nicht inkompetent, hatte jedoch lediglich zwei größere wissenschaftliche Publikationen vorzuweisen, eine Arbeit über die pommerschen Wanderdünen und eine Entstehungsgeschichte des nordostrheinischen Schiefergebirges.681 Hartnacks Reputation war daher auch im Ministerium gering, das für die Nachfolge Brauns zwei geeignete Kandidaten aus Berlin und Marburg vorschlug. Die Fakultät stellte jedoch 1935 eine eigene Liste auf und setzte den Ordinarius Wilhelm Credner von der TH München auf Platz 1. Credner hatte zwar ein gut dotiertes Ordinariat inne, war aber in Greifswald groß geworden und fühlte sich in München nicht wohl. Auch wissenschaftlich zog es ihn in den Norden, er hatte 1926 ein wegweisendes Buch über Schweden verfasst und interessierte sich für wirtschaftsgeographische Fragen.682 Credner war jedoch mit einer Jüdin verheiratet, so dass das Ministerium dessen Berufung ablehnte. Ausgewählt wurde der an Platz 2 gesetzte Hermann Lautensach, bisher außerplanmäßiger Professor der TH Braunschweig.683 Lautensach, geboren 1886 in Gotha, hatte breit studiert, unter anderem Physik und Chemie, aber 1910 bei dem berühmten Geographen Albrecht Penck in Berlin promoviert. Seine Dissertation war der glazialen/eiszeitlichen Überformung des Tessins gewidmet.684 Penck übernahm Erkenntnisse der Dissertation und beauftragte ihn als Assistenten mit dem Korrekturlesen seines großangelegten Werks über die Alpen im Eiszeitalter, hielt ihn jedoch nicht in der Wissenschaft.685 Von der Familie gedrängt, absolvierte Lautensach das Referendariat und erhielt eine Lehrerstelle in Hannover. 1915 meldete sich der inzwischen 29-Jährige freiwillig zum Kriegsdienst, den er in Frankreich, Bulgarien und Rumänien leistete. Zurück im Schuldienst publizierte Lautensach weiter, unter anderem ein länderkundliches 680 Vgl. UAG PA 226 Hartnack; zur mangelnden Qualifikation vgl. BA 4901/1814, Bl. 51 ff. 681 Vgl. Hartnack, Wilhelm: Wanderdünen Pommerns. Ihre Form und Entstehung; ders.: Morphogenese des nordostrheinischen Schiefergebirges (Sauerland, Siegerland, Waldeck, Westerwald). Ein Beitrag zur Morphologie deutscher Mittelgebirge; sowie zusammen mit Gustav Braun: Die Preußische Provinz Pommern bei der Neueinteilung Deutschlands, 1932 (Denkschrift); UAG PA 226 Hartnack. 682 Vgl. Rathjens, Carl: Credner, Wilhelm Georg Rudolf, in: Neue Deutsche Biographie Bd. 3, 1957, S. 405 f. 683 Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 474. 684 Vgl. Lautensach, Hermann: Die Übertiefung des Tessingebietes. Morphologische Studie, Leipzig 1912. 685 Vgl. Beck, Hanno: Hermann Lautensach – führender Geograph in zwei Epochen. Ein Weg zur Länderkunde, Stuttgart 1974, S. 4 f.

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Handbuch zum Standardatlas, dem „Stieler“. Das Werk war mehr als Handbuch, es war eine Kampfschrift. So erläuterte er den deutsch-französischen „Grenzkampf 1918–24“, geißelte die verfehlte Ostpolitik der mittelalterlichen Kaiser (Otto III. habe Polen „unglücklicherweise eine Nationalkirche geschenkt“, anstatt die deutsche Kolonisation voranzutreiben) und präsentierte auf einer Karte die dem Deutschen Reich „entrissenen Gebiete“, deren wirtschaftliche Bedeutung er im Erläuterungstext maßlos übertrieb. Mit scheinbar wissenschaftlichen Berechnungen untermauerte er die These vom deutschen „Volk ohne Raum“.686 Außerdem war das Werk mit rassistischen Äußerungen gespickt, etwa wenn er die „primitiven“ Verhältnisse in den von Slawen bewohnten Gebieten in der Tschechoslowakei beschrieb oder behauptete, der „Neger“ in Amerika sei deshalb arm, weil er eben nur so viel arbeite, „wie unbedingt nötig“.687 Im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Hartnack hatte Lautensach aber etwas von der Welt, die er erklärte, gesehen. 1927 ließ er sich für eine Reise nach Portugal beurlauben, wo er nicht nur das Land durchwanderte, sondern auch Verwandte besuchte. 1928 habilitierte er sich an der Universität Gießen mit einer Schrift zu den Küsten Portugals, die er später zu einer zweibändigen Landeskunde erweiterte.688 1933 unternahm Lautensach eine abenteuerliche Reise mit der transsibirischen Eisenbahn nach Korea und hielt sich längere Zeit dort auf. Sein Buch über das Land erschien nach mehrfacher Verschiebung 1945 in einem Leipziger Verlag.689 Nach seiner Rückkehr aus Korea erhielt Lautensach eine außerordentliche Professur an der TH Braunschweig und wurde wenig später mit der Vertretung des Lehrstuhls in Greifswald betraut. Seine Nichtmitgliedschaft in der NSDAP erklärte er in einem Lebenslauf damit, dass er sich außer Landes befunden habe. Er wurde 1937 in die Partei aufgenommen.690 Beim Ausfüllen der Dozentenkartei betonte Lautensach allerdings, dass er „seit März 1935 im SD des Reichsführers SS tätig“ sei.691 Obwohl mit Lautensach zweifelsfrei ein kompetenter Geograph gefunden war, kann diese Berufung auch politisch gedeutet werden. Berichte für den Sicherheitsdienst der SS sind nicht erhalten. Er übernahm jedoch sofort Verantwortung für die vom Vierjahresplan vorgegebene Richtlinie, Deutschland für einen künftigen Krieg autark zu machen, indem er die Universität in die Landesplanungsgemeinschaft für Pommern 686 Vgl. Lautensach, Hermann: Länderkunde. Ein Handbuch zum Stieler, Gotha 1926, S. 198– 206. 687 Vgl. ebd., S. 224 und 667. 688 Vgl. ders.: Portugal. Auf Grund eigener Reisen und der Literatur, Bd. 1: Das Land als Ganzes, Bd. 2: Die portugiesischen Landschaften, Gotha 1932 und 1937. 689 Vgl. ders.: Korea. Eine Landeskunde auf Grund eigener Reisen und der Literatur, Leipzig 1945. 690 Vgl. UAG PA 1429 Lautensach. 691 Vgl. BA 4901/13270 Karteikarte Lautensach.

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führte.692 Ab 1937 wirkte er als Dekan und „Führer“ der Philosophischen Fakultät.693 Lautensach zog sich jedoch aus der politischen Tätigkeit 1938 zurück. Beim Besuch des Ministers fuhren sein Sohn, er und seine Frau im Gefolge mit und erlitten einen Unfall. Die Frau starb, Lautensach und sein Sohn erholten sich nur langsam von ihren Verletzungen. Lautensachs zweite Frau Eugenie Löffler war eine, so Lautensachs Biograph Hanno Beck, „scharfe Kritikerin“ des Nationalsozialismus. 694 Sein 1943 fertiggestelltes und 1945 veröffentlichtes Handbuch über Korea enthielt auch bei den anthropologischen Betrachtungen keine rassistischen Auslassungen, die große Armut des Landes führte er auf die Rückständigkeit der Regierungsform zurück, nicht etwa auf eine angebliche rassische Minderwertigkeit der Menschen des „mandschu-koreanischen“ und „mongolomalaiischenTyps“.695 Besonderen Wert legten die Dekane aller Fakultäten darauf, dass es sich um jüngere, zukunftsträchtige Wissenschaftler handelte. So setzte Leick den soeben habilitierten Hans Volkmann für das Fach Alte Geschichte durch, der auch Wunschkandidat des Amtsvorgängers Josef Keil war. Franz Dornseiff plädierte hingegen für den erfahrenen Emil Orgetorix Forrer, den Leick aber für „überaltert“ und „ausgesprochen langweilig“ hielt. Entsprechend hymnisch war das Votum für Volkmann abgefasst. Neben der „gründlichen epigraphischen Schulung“ stellte Leick die Habilitationsschrift über die Rechtsprechung im Prinzipat des Augustus heraus. Diese biete auch „neue Gesichtspunkte für die Beurteilung des Prinzipats“, etwa „der eigenartigen Führerstellung des Augustus … die heute in einem der Brennpunkte des geschichtlichen Interesses“ stehe. Als Gaudozentenbundführer Philipp bei Dekan Leick nachfragte, warum Volkmann berufen werden müsse, behauptete er, dass es „so gut wie ganz an geeignetem Nachwuchs“ fehle. Überdies habe er von Volkmann einen „günstigen Eindruck“ gewonnen.696 Im Fach Archäologie war es schwieriger, den Wunschkandidaten Erich Boehringer durchzusetzen, weil dieser den Studenten als politisch unzuverlässig galt. So wandte sich die Deutsche Studentenschaft am 13. Juli 1935 an Eugen Mattiat, den für Geisteswissenschaften zuständigen Personalreferenten im Wissenschaftsministerium, um dessen Weiterbeauftragung von Erich Boehringer als Lehrstuhlvertreter zu hintertrei692 Vgl. Meyer, Konrad (Hg.): Volk und Lebensraum. Forschungen im Dienste von Raumordnung und Landesplanung, Heidelberg u. a. 1938, S. 436. 693 Vgl. UAG PA 1429 Lautensach. 694 Vgl. Beck, Lautensach, S. 15. 695 Die Arbeiten an dem Buch zogen sich hin, weil Lautensach einen japanischen Übersetzer für die Fachliteratur hinzuzog. Der erste Ausdruck wurde bei einem Bombenangriff auf Leipzig 1943 vernichtet. Vgl. BA R 73/12606; Lautensach, Korea, S. 142 ff. 696 Vgl. UAG PA 93 Keil, Bd. 3, Bl. 6 f.

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ben. Boehringer gehöre dem innersten Bezirk des George-Kreises an, was aus einem Brief hervorgehe, der der Studentenschaft zur Kenntnis gebracht worden sei. Darin habe Boehringer geschrieben, dass das berühmte Gedicht Georges Einem jungen Führer im ersten Weltkrieg an ihn gerichtet gewesen sei. Die „Tätigkeit Boehringers an deutschen Hochschulen sollte so schnell als möglich ein Ende finden“, meinten die Denunzianten.697 Boehringer sah in seiner Zugehörigkeit zum George-Kreis nichts Ungehöriges. Die Behauptung, dass er zum innersten Zirkel gehörte, war nicht abzustreiten, war er doch einer der Sargträger bei der Beerdigung des Dichters gewesen.698 Dekan Leick stellte sich jedoch vor Boehringer, der als Schüler freiwillig in den Ersten Weltkrieg gezogen, wegen Tapferkeit zum Leutnant befördert worden war und das Eiserne Kreuz I. Klasse erhalten hatte. Jetzt, im Sommer 1935, absolvierte Boehringer eine Reserveübung bei der Wehrmacht. Am 7. August nahm Leick Stellung zu den Vorwürfen und betonte, dass nicht erwiesen sei, dass Boehringer die „von diesem Kreis vertretene weltanschauliche Einstellung“ teile. Außerdem seien die Urteile, die „von nationalsozialistischer Seite“ über den Dichter George geäußert würden, „bisher uneinheitlich und z. T. sogar einander widersprechend“. Es sei der Fakultät daher unmöglich, „zu einer festumrissenen Stellungnahme zu gelangen“. Die zitierte Briefstelle, deren dubiose Herkunft Leick nicht hinterfragte, könne das Urteil der Fakultät über Boehringer daher nicht beeinflussen. In wissenschaftlicher Beziehung sei er „sehr günstig“ und in menschlicher „zum mindesten nicht ungünstig“ beurteilt worden. Boehringer, der nun seit drei Semestern den Lehrstuhl für Archäologie vertrete, habe sich „vortrefflich bewährt“, woran „kein Zweifel bestehen“ könne. Er werde sogar als „talentvollster und aussichtsreichster Archäologe der jüngeren Generation“ bezeichnet. Unter diesen Umständen müsse es dem Herrn Minister überlassen bleiben, ein Urteil über die „Schwere der gegen Boehringer erhobenen Bedenken zu fällen“.699 Bei einem Treffen zwischen Dekan Leick und Theodor Vahlen im Wissenschaftsministerium habe sich dieser in „Stillschweigen“ gehüllt, notierte Leick später, und mit den Achseln gezuckt, was Boehringers Karriere anging. Ein Referent habe ihm jedoch mitgeteilt, dass „aus einer an sich belanglosen Tatsache“ keine „weitreichenden Schlüsse“ gezogen werden könnten. Die Angelegenheit werde vermutlich im Sinne der Fakultät, „die nicht von ihrem Vorschlage abzugehen gewillt“ sei, gelöst. Leick forderte Boehringer zugleich auf, falls es ihm möglich sei, „zu einer Klärung der widersprechenden Meinungen beizutragen“.700 Da Boehringer bei der Wehrmachtsübung einen schweren Unfall erlitt (Schädelbruch), musste die Frage, ob er 697 Vgl. UAG PA 200 Boehringer, Bl. 121. 698 Vgl. Raulff, Ulrich: Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, München 2009, S. 36. 699 Vgl. UAG PA 200 Boehringer, Bl. 119. 700 Vgl. ebd., Bl. 124.

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zum ordentlichen Professor und damit dauerhaft bestallten Nachfolger von Erich Pernice berufen werden konnte, vertagt werden. Nach Boehringers Genesung und dem Wechsel Mattiats an die Universität Göttingen versuchte die Philosophische Fakultät erneut, ihn zum ordentlichen Professor ernennen zu lassen. Boehringer war inzwischen der NSDAP beigetreten und hielt regelmäßig Vorträge in den Adolf-HitlerSchulen. Dekan Lautensach trug in der Sache im Wissenschaftsministerium mündlich vor und schob dann am 9. Mai 1938 einen Brief nach. Lautensach stellte das Vertrauen, das die Hitlerjugend Boehringer entgegenbringe, besonders heraus und außerdem werde dem Reichsjugendführer Baldur von Schirach zum heutigen Geburtstag eben jener Cäsarkopf als Geschenk überreicht, den Boehringer vor einigen Jahren auf Sizilien ausgegraben habe. „Aus diesen Tatsachen scheint hervorzugehen“, so Lautensach, „dass Dr. Boehringer bei hohen Parteistellen voll geachtet und angesehen ist“.701 Boehringer wurde noch 1938 zum außerordentlichen Professor ernannt und 1942 auf Betreiben des damaligen Dekans Paul Metzner zum ordentlichen Professor befördert. Die Fakultät konnte ihren Willen durchsetzen, weil sie geschickt agierte, indem sie dem Ministerium die Verantwortung zuschob und sich gleichzeitig für ihr Mitglied einsetzte. Ein weiteres Bespiel für den eigenen Willen bietet die Nachfolge für den Germanisten Wolfgang Stammler. Dabei wurde auch erörtert, ob dessen Schüler Lutz Mackensen in Frage komme. Mackensen lehrte inzwischen an der Herder-Hochschule in Riga. Erich Leick wandte sich daher mit als „vertraulich“ gekennzeichneten „Bemerkungen zu der Kandidatur“ an Dekan Metzner und wies diesen noch einmal darauf hin, dass Mackensen 1929 Verbindungen zum Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens gehabt und sogar an dessen Zeitschrift mitgearbeitet habe, „die ja“, so Leick, „nichts anderes darstellte als eine fortlaufende Verunglimpfung aller nationalsozialistischen Ideen“. Metzner teilte das dem Minister mit und schrieb: „Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob diese Bedenken inzwischen durch das Verhalten des Herrn Mackensen ,gegenstandslos‘ geworden seien“.702 Mackensen blieb in Riga. Zu Stammlers Nachfolger wurde Hans-Friedrich Rosenfeld berufen, obwohl die Gutachten außerordentlich zwiespältig waren. So urteilte der nationalsozialistische Aktivist Otto Höfler 1935, damals in Kiel, dass Rosenfeld „keine Gewähr“ zu bieten scheine, „dass durch ihn neue Wege gebrochen und neues wissenschaftliches Leben geweckt werde“. Sein Kollege Gerhard Fricke urteilte ausgewogener, obwohl er ebenfalls ein ausgewiesener Nationalsozialist war: In Göttingen hatte er eine Rede zur Bü701 Vgl. ebd., Bl. 88. 702 Vgl. UAG PA 240 Mackensen Bd. 2, Bl. 6 ff.

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cherverbrennung gehalten. Jetzt war Fricke in Kiel und kannte Rosenfeld offenbar persönlich. Er hielt ihn für einen „ausgezeichneten, sprachlich ungemein kenntnisreichen Grammatiker und Philologen“, dessen zahlreiche Arbeiten zudem von „einer besonderen Arbeitsenergie“ zeugten. Von den „entscheidenden Fragen der germanischen Welt und des deutschen Mittelalters“ sei in dessen Arbeiten jedoch „nichts zu finden“. Ein anonymes Gutachten der Dozentenschaft beurteilte Rosenfeld als „sehr ehrgeizig“ und warnte davor, ihm ein Ordinariat zu übertragen, denn politisch sei er „genauso farblos wie als Persönlichkeit und als Forscher“.703 Die Reichsdozentenbundsführung beurteilte Rosenfeld allerdings „wissenschaftlich einwandfrei“. Er sei zwar persönlich „oft taktlos“, in Finnland habe er aber „Gutes gewirkt“. Es habe den Anschein, dass er über „ein bloß loyales Verhalten“ zum Nationalsozialismus hinausgekommen sei und sich jetzt „positiv“ zur Bewegung stelle.704 Die Philosophische Fakultät ließ sich von den negativen Gutachten ebenso wenig beeindrucken wie Rektor Reschke. Offenbar wurde der Nachweis fachlicher Qualität höher geschätzt als negative Voten, die nur auf Hörensagen beruhten. Auf negative Voten gab auch die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät wenig, weil sie sich ein eigenes Urteil gestattete. Dieses eigene Urteil brachte sie dazu, den überzeugten, aber naiven Nationalsozialisten Erich Schinnerer abzuschieben und zugleich den sachkundigen Strafrechtler Hans-Jürgen Bruns zu rekrutieren. Die parallel zur wissenschaftlichen Entwicklung verlaufende SS-Karriere von Bruns störte dabei nicht. Auch bei dem in der Nachfolge Bruns berufenen Karl Peters gab die Fakultät nichts auf entgegenstehende Stellungnahmen, weil sie dessen wissenschaftliche Qualifikation für unbestreitbar hielt. Von der Universität Jena war Peters 1938 jedoch „strikt“ abgelehnt worden, wie der zuständige Reichsamtsleiter der Dozentenschaft dem Ministerium am 1. Juli 1938 mitteilte. Peters werde von den dortigen Stellen als „gläubiger Katholik“ bezeichnet, sei „ein ausgesprochener Arrogant“ und lege „ehrgeiziges Verhalten an den Tag“. Wenn Peters auch seit 1933 Parteigenosse sei, so sei er „als überzeugungstreuer Katholik“ doch „weltanschaulich gebunden“. „Fachlich und als Lehrer“ werde er geschätzt und verfüge über „solides Wissen“.705 Nur selten nahm die Universität Bezug auf Entscheidungen des Ministeriums, durch die sie zum Personalwechsel gezwungen worden war. Ein deutliches Missfallen über den Weggang von Werner Caskel lässt sich aus den Akten allerdings herauslesen. Dekan Lautensach stand vor der Aufgabe, einen Dozenten für Arabisch zu finden, und wies ausdrücklich darauf hin, dass das Ministerium angewiesen habe, dass der bisherige Inhaber des Lehrauftrags „auszuscheiden hat“ und die Fakultät Vorschläge 703 Vgl. BA R 4901/24058, Bl. 14 ff. 704 Vgl. ebd., Bl. 67. 705 Vgl. BA R 4901/23943, Bl. 56.

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präsentieren müsse. Es habe sich trotz der Beratung durch auswärtige Ordinarien gezeigt, „dass es außerordentlich schwer ist, Orientalisten namhaft zu machen, von denen auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit“ gesagt werden könne, dass sie den nicht beamteten Lehrauftrag annehmen würden. Die meisten Persönlichkeiten seien in festen Anstellungen tätig, etwa an der Auslandshochschule in Berlin, Bibliotheken oder höheren Schulen. Es kämen daher nur zwei Personen ernstlich in Betracht, ein zurzeit in Teheran tätiger Wissenschaftler und Hans Wehr, zurzeit in Halle. Rektor Reschke leitete das Schreiben, das Unverständnis für die Entlassung Caskels signalisierte und indirekt sowohl auf die fehlende Attraktivität seiner Universität als auch auf das Fehlen von Nachwuchs hinwies, kommentarlos an das Ministerium „zur Entscheidung“ weiter.706 Der in Aussicht genommene Hans Wehr, geboren 1909 in Leipzig als Sohn eines Kaufmanns, hatte in Halle, Berlin und Leipzig Orientalische und Romanische Sprachen, Ägyptologie, Chinesisch, Religionsgeschichte und Philosophie studiert. Er interessierte sich besonders für den islamischen Orient, Arabisch und Persisch beherrschte er bereits als Schüler. In Halle wurde er zu den älteren semitischen Sprachen gelenkt, promovierte 1934 jedoch mit einer Dissertation zu den Besonderheiten des heutigen Hocharabischen, in der er besonders den Einfluss der europäischen Sprachen untersuchte. Der als Ausnahmetalent Geltende erhielt ein Stipendium zur Betreuung der Bibliothek der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. 1938 führte ihn eine Studienreise durch Libyen, Syrien und die Türkei. Seine Habilitationsschrift widmete er der arabischen Sprachreform anhand des Werks des mittelalterlichen Universalgelehrten Abu Hamid al Gazzali.707 Obwohl er an den Folgen einer spinalen Kinderlähmung litt – sein rechter Arm war gelähmt – und Wehr so weder an Wehrsport noch an Schulungslagern teilnehmen konnte, stellte ihm Gaudozentenbundsführer Wilhelm Wagner das denkbar beste Zeugnis aus. Er engagiere sich zwar nicht in der SA, wohl aber in der Partei, notierte Wagner, „charakterlich und pädagogisch“ mache er einen „sehr guten Eindruck“. Daher empfehle er eine weitere Förderung „wärmstens“. Die Stellungnahme der Reichsleitung des Dozentenbundes war weit reservierter, Wehr engagiere sich in der Volkswohlfahrt und im Kampfbund für deutsche Kultur, insofern bestünden politisch „keinerlei Bedenken“.708 Das Wissenschaftsministerium schien die Dringlichkeit der philologischen Bildung einer semitischen Sprache an der Universität Greifswald eher als nachrangig zu betrachten. Erst sicherte es Wehr einen auskömmlichen Lehrauftrag zu, stellte ihm dann aber anheim, sich um ein schlechter dotiertes Stipendium zu 706 Vgl. BA R 4901/25604, Bl. 6304. 707 Vgl. ebd., Bl. 6236 ff. 708 Vgl. ebd., Bl. 6288 f.

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bewerben. Daher schaltete sich am 2. März 1939 der Mediziner Gustav Velde ein, stellvertretender Leiter der Dozentenschaft der Universität Greifswald. Er forderte das Ministerium auf, diese passive Haltung zu beenden. Aus seiner Sicht sei Wehr ein „wissenschaftlich gut qualifizierter Mann“, der pädagogisch und charakterlich „sehr gut“ beurteilt werde, weshalb er den Antrag auf Dozentenbeihilfe befürworte.709 Das Ministerium gab dem Antrag statt, und die auf drei einstündige Vorlesungen angesetzte Lehrprobe Wehrs verlief außerordentlich erfolgreich. Wehr hatte sich als Thema den erst 1932 entstandenen Staat Saudi-Arabien gestellt, und er erläuterte detailliert, wie der Stammesführer Ibn Saud den Religionsstaat neu begründet hatte. Der Bericht von Dekan Metzner zeigt, wie es Wehr gelang, die Zuhörer in diese fremde Welt des fundamentalistischen Islam zu entführen. Wehr beschrieb Geschichte und religiöse Grundlagen der Wahhabiten und die besondere Begabung Ibn Sauds für die Realpolitik – Metzner urteilte, dass es dem Vortragenden mit großem pädagogischen Geschick gelungen sei, „aus der Fülle der Probleme, die das staatliche und religiöse Leben des modernen Arabien bewegen, alles Wesentliche herauszuschälen und zu einem eindrucksvollen Bilde zu vereinen“. Das verdiene „uneingeschränkte Anerkennung“. Von der Persönlichkeit Wehrs habe man „nach jeder Richtung hin den günstigsten Eindruck gewonnen“, weshalb die Fakultät um seine Zuweisung nach Greifswald nachsuche.710 Dem wurde stattgegeben, aber als Wehr 1942 signalisierte, dass er sich einem Wechsel nach Erlangen nicht verschließe, gab ihn Dekan Metzner frei. Die dortige Universität hatte beim Ministerium massiv insistiert, um ihn zu gewinnen. Wehr werde „als geborener Sprachforscher“ geschildert, der sich in Greifswald einen „steigenden Wirkungskreis“ verschafft habe. Seine „Aufgeschlossenheit“ für politische Fragen könne festgestellt werden, charakterlich sei er einwandfrei. Die NSDAP stellte sich dem nicht entgegen. Obwohl er „in politischer Hinsicht“ nicht als „Aktivist“ gelten könne, „scheine er doch der Bewegung positiv gegenüber“ eingestellt, befand der Gaudozentenbundsführer für Franken 1942.711 Obwohl Wehr den Antrag auf Aufnahme in die NSDAP – vermutlich 1940 in Greifswald – gestellt hatte, wurde dem Antrag – wahrscheinlich – nicht stattgegeben.712 Das auf den Wunsch Erlangens folgende Hin und Her entschied der in Greifswald amtierende Universitätskurator Reincke. Wehr habe sich „hier fachlich und menschlich so bewährt“, dass man „kaum einen besseren Nachfolger“ finden könne. Die „Unterrichtshilfsmittel und Räume“ seien jedoch „derart unzureichend“, dass es verständlich sei, wenn Wehr die Möglichkeit ergreife, ein „voll ausgerüstetes und mit einer durch Generationen aufgebauten 709 710 711 712

Vgl. ebd., Bl. 6333. Vgl. ebd., Bl. 6363 f. Vgl. ebd., Bl. 6391. Vgl. BA R 4901/13279.

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Bibliothek versehenes Institut“ zu übernehmen. Verhandlungen über eine Nachfolge seien im Gange.713 Die Verhandlungen waren nicht erfolgreich, womit der arabische Zweig der semitischen Philologie abstarb. Das Gleiche drohte der indogermanischen Sprachwissenschaft. Mit der Emeritierung von Ludwig Heller 1934 war der Lehrstuhl für Indogermanische Sprachwissenschaft weggefallen. Heller hatte sich 1897 in Greifswald habilitiert und lehrte hier als außerordentlicher Professor. 1918 wurde er als ordentlicher Professor an die im deutschen Besatzungsgebiet liegende Universität in Dorpat berufen und 1920 wieder der Universität Greifswald zugeteilt.714 Im Haushalt wurde die Professur als überzählig geführt und trug einen „kw“-Vermerk.715 Die Philosophische Fakultät empfand den Wegfall als schmerzhaft und insistierte. Hellers Vorlesungen und Übungen zur Formenlehre des Griechischen und Lateinischen würden von den Altphilologen besucht. Außerdem sei die vergleichende Sprachwissenschaft für die Anglisten und Germanisten unentbehrlich. Hellers Vorlesung zur „Vorgeschichte des neuhochdeutschen Lautsystems“ hätten im Vorjahr 103 Studierende gehört, teilte Dekan Leick im März 1936 dem Ministerium in Berlin mit. Daraufhin wurde die Erlaubnis erteilt, dass Heller sich selbst vertrat. Sprachwissenschaft und Sanskrit wurden also weiterhin gelesen.716 Da Heller die Altersgrenze jedoch weit überschritten hatte und nicht mehr gesund war, unternahm die Philosophische Fakultät einen erneuten Vorstoß zur Wiedereinrichtung einer außerplanmäßigen Professur. Bei Rektor Engel fand das Anliegen Gehör, so dass sich ein Ausschuss der Sprachwissenschaftler bildete und im Juli 1943 eine Berufungsliste vorlegte. Zur Finanzierung schlug Dekan Metzner die Heranziehung eines unbesetzten planmäßigen Extraordinariats aus der Theologischen Fakultät vor. „Es würde so erreicht“, meinte Metzner, „dass die Bezüge der momentan nicht besetzbaren Professur nicht verfallen, sondern lediglich für die Philosophische Fakultät Verwendung finden.“ Von Dozentenführer Schultze wurde der Vorschlag „mit bejahender Stellungnahme“ durchgereicht. Kurator Hellmuth Kuhnert gab den Vorschlag „mit wärmster Befürwortung“ an das Ministerium, zumal die Theologische Fakultät keinen Antrag auf Wiederbesetzung gestellt habe. Der zuständige Sachbearbeiter hielt es jedoch „aus politischen Gründen für unerwünscht“, eine theologische Professur umzuwidmen. Hochschulreferent Wilhelm Groh stimmte dem zu, nachdem er eine „grundsätzliche Entscheidung“ im Amt Wissenschaft herbeigeführt hatte. Demnach sollten theologische Lehrstühle „prinzipiell nicht für andere Zwecke in

713 714 715 716

Vgl. BA R 4901/25604, Bl. 6394 f. Vgl. UAG PA 222 Heller, Bd. 1, Bl. 56 f., 79. Vgl. BA R 4901/1166. Vgl. UAG PA 222 Heller, Bd. 3.

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Anspruch genommen werden“.717 Wegen der lückenhaften Aktenüberlieferung des Wissenschaftsministeriums ist unklar, aus welchem Haushaltstitel der künftige Fachvertreter besoldet werden sollte, das Ministerium gestattete jedoch die Wiedereinrichtung des Fachs indogermanische Sprachwissenschaft in Greifswald. Die von der Fakultät aufgestellte Dreierliste benannte drei ausgewiesene Fachvertreter: den außerplanmäßigen Professor Wilhelm Wissmann (Königsberg, später München), sowie die Dozenten Bernhard Rosenkranz (Würzburg, später Köln) und den Keltologen August Knoch (Bonn, † 1944).718 Das Ministerium entschied sich für Rosenkranz. Rosenkranz hatte nach der Ausbildung zum Volksschullehrer in Münster Klassische Philologie, Sanskrit und Slawische Sprachen studiert. 1929 promovierte er mit einer Dissertation über den „lokalen Grundton und die persönliche Eigenart in der Sprache des Thukydides und der älteren attischen Redner“ zum Dr. phil. und legte die Prüfung zum philologischen Staatsexamen ab. Nach dem Referendariat arbeitete Rosenkranz zunächst als Hilfslehrer, 1935 erhielt er eine Lehrerstelle in Wyler, 1937 in Uedem im Rheinland. 1942 habilitierte er sich an der Universität Würzburg mit einer Grammatik des Luwischen, einer bei den Ausgrabungen der Hethiterkultur in Boghazköi entdeckten Sprache. 1943 wurde er der Universität Würzburg als Dozent zugewiesen.719 Seine Publikationsliste umfasste 25 Titel, vorwiegend zu sprachwissenschaftlichen Fragen, etwa zu Formen des Ablativs oder griechischen Adverbien, aber auch Populärwissenschaftliches, etwa zu den Burganlagen auf dem Teufelsberg bei Wyler, und Besprechungen englischer, italienischer und französischer Fachliteratur. Als einer der wenigen deutschen Wissenschaftler befasste er sich intensiv mit dem Albanischen und dem Eturischen sowie mit der Sprachenvielfalt im Reich der Hethiter.720 Rosenkranz, der 1933 in die NSDAP eingetreten war, hatte aber auch in der Zeitschrift Volk und Rasse publiziert. Die Illustrierte Monatsschrift für deutsches Volkstum wurde von der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene und dem Reichsausschuss für Volksgesundheitsdienst herausgegeben und trug, nicht zuletzt durch den Herausgeberkreis, amtlichen Charakter. Zu ihm gehörten Karl Astel, Professor an der Universität Jena, Richard Walter Darré, Reichsminister für Landwirtschaft, und der Ministerialdirektor Arthur Gütt aus dem Innenministerium, der das Sterilisationsgesetz verantwortet hatte. Chefredakteur war der Rassenhygieniker Bruno K. Schultz,

717 718 719 720

Vgl. BA R 4901/25324. Vgl. UAG PA 254 Rosenkranz Bd. 2, Bl. 5; BA R 4901/25324. Vgl. BA R 4901/13274 Karteikarte Rosenkranz. Vgl. Schriftenverzeichnis in: BA R 4901/25324.

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Professor an der Reichsakademie für Leibesübungen.721 Rosenkranz äußerte sich 1935 zu „Sprache, Rasse und Volkstum in Alteuropa“ und beschrieb die von der Sprachwissenschaft schwer fassbaren Zuordnungen zu bestimmten Volksgruppen. „Allerdings“, so lautete sein bedauernder Befund, ließen sich die sprachwissenschaftlich fassbaren Gruppen, „nicht mit archäologischen gleichsetzen“. Zwar erkannte Rosenkranz Zusammenhänge von grammatischen Analogien oder Anomalien zum Verbreitungsgebiet der Band- und Schnurkeramiker, aber es sei nicht so, „dass einzelne Züge nur bei bestimmten Völkern“ vorkämen.722 Der zweite in Volk und Rasse veröffentlichte Artikel über Jüdische und deutsche Familiennamen, war dann aber unmissverständlich im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie gehalten.723 Zunächst bekundete er seine Freude über die „säuberliche Scheidung“ zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volk, die aus dem Reichsbürgergesetz724 und dem Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre725 resultiere. Diesen „erfreulichen Bestrebungen“ stehe jedoch ein vermeintlicher „Missstand“ entgegen: Die Angehörigen dieser beiden Völker trügen vielfach gleichlautende oder ähnlich klingende Familiennamen. Um dieses Phänomen zu erklären, ging Rosenkranz nicht etwa auf das Jiddische als Form eines deutschen Dialekts ein, was nahegelegen hätte und heute als Ursache herangezogen wird.726 Deutsche und jüdische Namen hätten oft denselben Ursprung, stellte Rosenkranz fest, etwa die Benennung nach Hauszeichen, Landschaften oder Orten. Danach verlor er sich ins Pseudowissenschaftliche. Der deutsche Name Meier bedeute ursprünglich einen Gutspächter oder Hausverwalter, wobei er verschwieg, dass dieser Name dem lateinischen major domus entstammte. Der jüdische Name Meier leite sich jedoch von Meir ab, was für „prächtig, glänzend“ stehe.727 Tatsächlich steht das hebräische Meir für „erleuchtet“ und wurde oft als Vorname gebraucht. Analog versuchte Rosenkranz die häufigen Namen Kaufmann oder Lehmann zu erklären. Der jüdische Name Kaufmann leite sich 721 Vgl. Harten, Neirich und Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie, Berlin 2006, S. 276 ff. 722 Vgl. Rosenkranz, Bernhard: Sprache, Rasse und Volkstum. In: Volk und Rasse, Heft VII, 1935, S.209. 723 Vgl. Rosenkranz, Bernhard: Jüdische und deutsche Familiennamen. In: Volk und Rasse, Heft IV, 1936, S. 143 ff. 724 Vgl. Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, RGBl. I, S. 1146. 725 Vgl. Gesetz zum Schutze des Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935, RGBl. I, S. 1146. Beide Gesetze wurden auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg verkündet und regelten die Diskriminierung und Entrechtung der jüdischen Bürger. 726 Vgl. Guggeneimer, Eva und Heinrich: Etymologisches Lexikon der jüdischen Familiennamen, München u. a. 1996, S. XIII. 727 Vgl. Rosenkranz, Jüdische und deutsche Familiennamen, S. 143.

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von Kob, aus dem Namen Jakob ab, meinte er, und während der deutsche Lehmann einen mittelalterlichen Lehensmann bezeichne, bezeichne der jüdische den Inhaber eines „Beleih-Geschäftes“. Umgekehrt leite sich der häufige deutsche Name Kuhn nicht von Cohen, also den Kohanim her, sondern vom deutschen Namen Kuno.728 Auf diese Weise suggerierte Rosenkranz, dass sich Juden diese Namen zur Tarnung gegeben hätten, ohne das Ziel der Verschmelzung mit dem deutschen Volk jedoch zu erreichen: „Die Juden blieben auch unter dem deutschen Namen ein Fremdvolk mit eigener Sitte und Kultur.“ Es bestehe daher kein Grund, die „verfehlte Maßnahme aufrechtzuerhalten“, meinte Rosenkranz und forderte eine „Bereinigung“ im Namensrecht. Zunächst sei zu fordern, alle Namensänderungen zurückzunehmen, dann sollten alle Juden wieder Namen tragen, aus denen zweifelsfrei ihre jüdische Herkunft abzulesen sei.729 Ob der Vorschlag Rosenkranz’ eigener Initiative entsprach, ist nicht festzustellen. Zur gleichen Zeit unternahm Justizminister Franz Gürtner einen ähnlichen Vorstoß, auch Martin Bormann plädierte als Vertreter der Parteikanzlei für eine eindeutige Namenskennzeichnung.730 Zwei Jahre später wurde das von Rosenkranz geforderte neue Namensrecht in eine praktikable Gesetzesform gegossen, derzufolge Menschen mit „deutsch“ klingendem Vornamen ein zweiter, jüdisch klingender, Vorname zugewiesen wurde.731 Es erstaunt daher nicht, dass die Dozentenschaft der Universität Würzburg 1942 urteilte, dass eine Dozentur für Rosenkranz „erwünscht“ sei. An der „politischen Zuverlässigkeit des Genannten“ könne „nach den angestellten Ermittlungen kein Zweifel bestehen“.732 Mit der Berufung auf eine Dozentur gehörte Rosenkranz zum Lehrkörper der Universität. Da er seit 1941 eingezogen war, lehrte er jedoch nie in Greifswald. 1943 war er als Obergefreiter einer Landesschützenkompanie in Warschau zugeteilt, wo er in der Schreibstube arbeitete.733 3.8.3 Die Grenzen der eigenen Profilbildung durch Berufungen

Bei der Personalie Eugen Wohlhaupter wurden der Universität jedoch die Grenzen ihres Gestaltungsspielraums aufgezeigt. Der Rechtshistoriker hatte sich 1929 mit 728 Vgl. ebd., S. 143 f. 729 Vgl. ebd., S. 145. 730 Vgl. Friedländer, Saul: Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung, München 2000, S. 276. 731 Vgl. Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Veränderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938, RGBl. I, 1938, S. 1044. 732 Vgl. BA R 4901/25324. 733 Vgl. UAG PA 254 Rosenkranz.

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einer Studie zu Hoch- und Niedergericht in der mittelalterlichen Gerichtsverfassung Bayerns für Deutsche Rechtsgeschichte, Deutsches Privatrecht und Kirchenrecht habilitiert. Als Stipendiat der katholisch geprägten Görres-Gesellschaft reiste er nach Spanien, um das Recht der Goten zu untersuchen (Gesetze der Westgoten, Altspanischgotische Rechte, beide 1936). 1933 wurde die Venia Legendi auf Bürgerliches Recht ausgedehnt. Im Sommer 1934 vertrat er den vakanten Lehrstuhl für Bürgerliches Recht an der Universität Greifswald. Die Akten des Dozentenbundes enthielten jedoch belastendes Material, das seine Karriere verhinderte. An der Universität München waren die Aktivitäten des jungen Privatdozenten genau registriert worden. Er hatte einer katholischen Studentenverbindung angehört und Vorträge im Bund demokratischer Studenten und beim Stahlhelm gehalten. Außerdem war er Mitglied in der Bayerischen Volkspartei gewesen, der bayerischen Schwesterpartei des Zentrums. Zudem wurde Wohlhaupter des Kontakts mit einem politisch zweifelhaften Prälaten verdächtigt und es half ihm auch nicht, dass er einen unfähigen Assistenten am Seminar für Rechtsgeschichte entlassen hatte. Der war inzwischen Nationalsozialist und rächte sich mit wütenden Anwürfen. Die Berufung nach Greifswald scheiterte, obwohl Wohlhaupter als außerordentliches Talent galt, sehr fleißig war und Georg Frommhold ihn unbedingt als seinen Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Rechtsgeschichte gewinnen wollte.734 Die Juristische Fakultät hatte sich im September 1934 ausdrücklich dafür eingesetzt, dass Wohlhaupter zum persönlichen ordentlichen Professor in Greifswald ernannt werden sollte. „Nach allgemeinem Urteil“, schrieb der stellvertretende Dekan Jahrreiß an das Wissenschaftsministerium, habe sich Wohlhaupter „wissenschaftlich außerordentlich bewährt“ und er möge „an erster Stelle“ berücksichtigt werden.735 Wenig später wurde Wohlhaupter dann von der nationalsozialistisch dominierten Juristischen Fakultät der Universität Kiel angefordert. Obwohl er der NSDAP beitrat, sich an der Verwaltungsakademie engagierte und Mitglied eines von der Gauleitung initiierten Instituts für Volks- und Landesforschung wurde, hingen ihm die Anschuldigungen aus München noch immer an. Eine ordentliche Professur würde er bis zum Ende des Regimes nicht erhalten.736 Die Juristische Fakultät der Universität 734 Vgl. Hattenhauer, Hans (Hg.): Rechtswissenschaft im NS-Staat: Der Fall Eugen Wohlhaupter, Heidelberg 1987, S. 8. Das Gutachten war auch zu den Akten des Wissenschaftsministeriums genommen worden und wurde für glaubhaft gehalten. Erst nachdem Wohlhaupter ein Parteigerichtsverfahren herbeigeführt und den Prozess gewonnen hatte, legte das RMfWEV die Bedenken ab. Vgl. Wiener, Kiel, S. 152 ff. und S. 299 f. (Gutachten). 735 Vgl. UAG K 183, Bl. 197. 736 Vgl. Hattenhauer, Wohlhaupter, S. 3 und 6 ff.; zur ablehnenden Haltung der NSDAP bei der Besetzung des Ordinariats in Wien vgl. BA R 4901/25695 bzw. DS G 205, Bl. 132.

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Greifswald nannte Wohlhaupters Namen 1941 bei der Nachfolge für das vakante Ordinariat für Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht, der Inhaber George Löning war nach Münster berufen worden. Sie benannte einen Wunschkandidaten, der allerdings den Lehrstuhl in Straßburg annahm. Dann erwähnte sie zwei weitere Gelehrte mit der ausdrücklichen Formulierung, dass deren Namen „nicht genannt“ würden, weil die Dozentenführung „Bedenken“ erhoben habe; einer der beiden war Wohlhaupter, der andere ein katholischer Dozent aus Breslau. Dozentenführer war zu dieser Zeit Hans-Jürgen Bruns, Professor für Strafrecht. Nachdem klar war, dass Bruns nach Posen gehen würde, formulierte die Fakultät am 14. Juli 1941 einen einstimmigen Vorschlag, in dem allein Wohlhaupter als Wunsch der Fakultät für die Besetzung des vakanten Ordinariats benannt wurde. Er gehöre „unbestritten zu den fähigsten und tätigsten Vertretern seines Fachs.“737 Berufen wurde Wohlhaupter nicht, stattdessen wurde die Fakultät genötigt, eine neue Vorschlagsliste abzugeben. Sie benannte im Februar 1942 wie gefordert drei Namen, brachte aber noch einmal Wohlhaupter ins Spiel mit der Bemerkung, „dass die genannten Herren, schon durch ihre Jugend, an wissenschaftlicher Bedeutung weit hinter Prof. Dr. Wohlhaupter zurückstehen“.738 Das Wissenschaftsministerium berief Bernhard Rehfeldt, dessen Habilitationsschrift über historische Todesstrafen noch nicht im Druck erschienen war.739 Im Fall der Berufung von Günther Küchenhoff für Öffentliches Recht setzte sich das Ministerium 1942 über eine ablehnende Stellungnahme der Parteikanzlei hinweg, die ihn „weltanschaulich“ nicht für „einwandfrei“ hielt. Eine Begründung blieb sie allerdings schuldig, nach Ausweis der Akten musste der Breslauer Dozent als mustergültiger Nationalsozialist erscheinen.740 Küchenhoff galt der Fakultät als fähig, was der Grund für seine Nominierung war, ebenso wie bei der Benennung von Kurt Emig, dessen Berufung Erich Molitor 1943 durchsetzte. Der Oberregierungsrat im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft hatte nur wenig publiziert, war aber ein versierter Fachmann für das Recht seines Fachgebiets. Seine 1941 veröffentlichte Studie Das Recht der Ernährungswirtschaft brachte Klarheit in das von Ad-hoc-Verordnungen dominierte Rechtsgebiet.741 Emig starb an einer inneren Erkrankung, ohne in Greifswald gelehrt zu haben.742 Ähnlich wie im Fall des Juristen Wohlhaupter zeigten die zentralen Institutio737 Vgl. UAG K 5977, Bl. 109. 738 Vgl. ebd., Bl. 126. 739 Vgl. Bernhard Rehfeldt: Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte. Zur Rechts- und Religionsgeschichte der germanischen Hinrichtungsbräuche, Berlin 1942. 740 Vgl. BA R 4901/14768. 741 Vgl. BA R 4901/15765; UAG K 5977, Bl. 167 ff. 742 Vgl. UAG PA 388 Emig.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

nen der Theologischen Fakultät ihre Grenzen bei der Berufung von neuen Kollegen auf. Vakant war 1936 der Lehrstuhl für Praktische Theologie, Nachfolge von der Goltz. Der „Fall Walter Bülck“, der das Ministerium zum Eingreifen bewog, hatte sich überraschenderweise wieder in Kiel ereignet. Bülck hatte sich 1921 in Kiel habilitiert, 1922 trat er eine Pfarrstelle in Laboe an. 1931 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. Im Herbst 1935 verklagte Bülck seinen Fakultätskollegen und Denunzianten Hermann Mandel auf Unterlassung folgender Behauptung: „Der Dekan Bülck hat auf dem theologischen Kursus Ostern 1934 geflissentlich dem Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus dem des Christentums entgegengestellt.“ Mit dieser Begründung hatte Mandel beim Rektor der Universität Kiel Bülcks Entlassung gefordert, weil dieser nicht „tragbar“ sei.743 Bülck betrachtete das als Angriff auf seine Ehre und so habe er das auch nicht gesagt. Er habe rein theologisch von einem „Absolutheitsanspruch“ des Christentums gesprochen, das bedeute keine „Beschränkung des Nationalsozialismus, weil die Kirche die Regelung gewisser Lebensgebiete gar nicht für sich allein in Anspruch nehmen und das politische Leben keineswegs von der Kirche her reglementieren wolle“. Und weiter: „Wer sich als Christ betätige, handle nicht gegen, sondern im Sinne des Nationalsozialismus.“ Daher sei auch die „deutschkirchliche Auslegung“, gemeint war die Theologie der Deutschen Glaubensbewegung, der sich Mandel angeschlossen hatte,744 ausdrücklich zurückzuweisen. Der Geltungsanspruch des Christentums beruhe darauf, „dass Gott in Jesus Christus sein Wesen und seinen Willen kundgetan habe, also darin, dass er die entscheidende einzige Offenbarung Gottes sei“.745 Das Gericht folgte dem Antrag Bülcks und stellte fest, dass Mandel ihn mit der Denunziation persönlich herabsetzen und „als einen Feind der Nationalsozialistischen Weltanschauung“ habe „kennzeichnen“ wollen. „Die Verletzung fremder Ehre“ aber sei „keineswegs das durch die Umstände gebotene Mittel“ gewesen, schon gar nicht zur „Interessenwahrnehmung“ im vermeintlichen Eintreten für den Staat.746 Obwohl er den Prozess gewann, wurde Bülck zwei Wochen später nach Greifswald versetzt. Der Denunziant entschied sich dafür, aus der Theologischen in die Philosophische Fakultät überzutreten. In Greifswald war Bülck jedoch keineswegs willkommen. Wegen der Querelen in Kiel hatte das Ministerium bereits im August 1935 bei Dekan Koepp angefragt, ob die Versetzung Bülcks genehm sei. Das war sie keineswegs, wie Koepp deutlich machte. Auf den Lehrstuhl gehöre ein Mann, der die „mit dem nationalsozialistischen 743 Vgl. UAG PA 835 Bülck, Bd. 1, Bl. 118. 744 Vgl. Baumann, Schaul: Die Deutsche Glaubensbewegung und ihre Gründer Jakob Wilhelm Hauer (1881–1962), Marburg 2006. 745 Vgl. UAG PA 835 Bülck, Bd. 4, Bl. 128. 746 Vgl. ebd., Bl. 132 f.

3.8 Gab es eine Berufungspolitik?

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Aufbruch des Volkes zugleich gegebene geistige Wende“ „restlos“ mitvollzogen habe. Koepp benannte daher Walter Birnbaum, der in Göttingen vertrat, Wilhelm Knevels (Heidelberg), zur Zeit Lehrer an einer Gewerbeschule, der besondere Verdienste um die Religionspsychologie habe, und den Pfarrer Karl Themel Berlin, der mit Schriften gegen den Bolschewismus hervorgetreten sei (Lenin anti Christus). Letzterer sei Dozent am Institut für Sozialethik und Innere Mission, die Vorbedingung lebensnaher Wissenschaftlichkeit sei bei diesem besonders stark gegeben. Eine Berufung von Bülck lehne er ab: „Eine andere Haltung ist mir unter fachwissenschaftlichem Gesichtspunkt nicht möglich.“747 Um eine reguläre Berufung handelte es sich 1937 bei der Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Altes Testament (Nachfolge Baumgärtel). Die Fakultät benannte den halleschen außerplanmäßigen Professor Kurt Galling und den Berliner Leonhard Rost. Beide gehörten Parteiorganisationen an, Galling wurde 1940 in die NSDAP aufgenommen.748 Rost war Mitglied des Nationalsozialistischen Fliegerkorps, des Luftschutzbundes und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. 1938 trat er nach „Aufforderung“ dem NS-Dozentenbund bei.749 Auch sein Patriotismus konnte nicht bezweifelt werden. Unmittelbar nach der Reifeprüfung trat er 1915 als Kriegsfreiwilliger in ein Ulanenregiment ein. 1916 erhielt er einen Steckschuss ins Becken, worauf ein längerer Lazarettaufenthalt folgte. Nach der Genesung war er ab 1917 als Kavallerist in der Ukraine eingesetzt und wurde zum Unteroffizier befördert. Nach der Demobilisierung studierte Rost Theologie und Philologie in Erlangen. Danach arbeitete er als Sprachlehrer an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen. Seine Studien konnte er 1925 und 1930 am Institut für Altertumswissenschaften des Heiligen Landes in Jerusalem vertiefen. Im Dezember 1925 promovierte er mit der Studie Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids zum Lic. theol. und wurde 1926 für das Fach Altes Testament habilitiert. 1929 wechselte er an die Universität Berlin, wo er einen Lehrauftrag für Hebräische Sprache erhalten hatte. Dort arbeitete er auch am Institutum Judaicum. Da sich Rost für die Bekennende Kirche engagierte, wurde er 1934 nicht auf den Lehrstuhl für Altes Testament an der Universität Breslau berufen. Weil ihm eine politische Opposition jedoch nicht nachgewiesen werden konnte und sich die Theologische Fakultät der Universität Berlin für ihn einsetzte, erhielt er 1935 den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors. Da ihn Gustaf Dalman zum Nachfolger als Leiter seines Palästinainstituts gewinnen wollte, wurde er 1937 mit der Vertretung der Professur für Altes Testament in Greifswald beauftragt. Die eingeholten Gutachten waren durchweg positiv. So beur747 Vgl. UAG Theol. Fak. I, Nr. 177, Bl. 40–44. 748 Vgl. Eberle, Martin-Luther-Universität, S. 276. 749 Vgl. BA R 4901/13274 Karteikarte Rost.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

teilte die Studentenführung der Universität Berlin am 11. Dezember 1937 seine politische Haltung als „einwandfrei“. Ein anonymes Gutachten bescheinigte ihm, „keine Beziehungen zur Bekenntniskirche“ mehr zu unterhalten. Er sei zwar nicht Parteigenosse, aber „doch überzeugter Nationalsozialist“ und folge „begeistert dem Führer“. Vom Reichsdozentenbund wurde er mit denselben Worten „überzeugter Nationalsozialist“, der „begeistert“ dem Führer folge, gelobt. Rost bejahe „restlos und freudig das Dritte Reich“, und weil es heute „noch nicht viele Vertreter alttestamentlicher Wissenschaft mit umfassenden Spezialkenntnissen“ gebe, die wie er „ausgesprochene Judengegner“ seien, seien Männer wie er „für den Staat geradezu unentbehrlich“.750 In welcher Form sich diese „Gegnerschaft“ niederschlug, ist unklar. Rosts Schriften sind sämtlich unpolitische philologische Studien und obwohl das Gustaf-DalmanInstitut sicher Material für sogenannte Gegnerstudien geboten hätte, ist es von Rost oder anderen nie dazu missbraucht worden.751 Weitere Berufungen gab es in der Theologischen Fakultät nicht, weil in der Parteikanzlei der Gedanke entstand, die Theologischen Fakultäten „auszutrocknen“. Am 24. Januar 1939 unternahm Martin Bormann einen entsprechenden Vorstoß beim Wissenschaftsministerium. „Grundsätzlich“ könne theologische Forschung nicht mit den übrigen Wissenschaftsgebieten an den Universitäten „gleichgestellt“ werden, „da sie weniger eine freie Wissenschaft, als vielmehr eine konfessionelle Zweckforschung“ darstelle. Daher erhebe er keine Bedenken, so signalisierte Bormann, wenn die Fakultäten „wesentlich eingeschränkt“ würden. Sogar eine Auflösung würde er „begrüßen“, zumindest aber müsse es „Zusammenlegungen, Vereinfachungen“ geben. Die frei werdenden Lehrstühle sollten den Forschungsgebieten „Rassenforschung, der Altertumskunde usw.“ zugeführt werden.752 Das Schreiben Bormanns fiel im Wissenschaftsministerium auf fruchtbaren Boden, weil dessen Mitarbeiter die Sache nicht anders sahen. Im Ministerium ging es also nur um das Wie, nicht um die Abschaffung der Universitätstheologie an sich. Rust verbat sich jedoch das ständige Drängen von Parteistellen, etwa des Gauleiters von Mecklenburg, der im April 1939 ultimativ eine Auflösung der Theologischen Fakultät in Rostock forderte. Stattdessen entwickelten die Mitarbeiter des Ministeriums eine Gesamtlösung, die eine radikale Reduzierung der Universitätstheologie vorsah. Der internen Planung zufolge sollten im Nordosten Königsberg (evangelisch) und Braunsberg (katholisch, nötig als Ausbildungsstätte des Bistums Ermland) bestehen bleiben. Im Osten Breslau und Wien, in Bayern Erlangen (evangelisch) und Würzburg (katholisch). In Mitteldeutschland 750 Vgl. BA R 4901/23974, Bl. 61–65. 751 Vgl. Männchen, Julia: Gustaf Dalman als Palästinawissenschaftler in Jerusalem und Greifswald 1902–1941, Wiesbaden 1994. 752 Vgl. BA R 4901/12909, Bl. 96.

3.9 Statistisches: Die Durchdringung des Lehrkörpers mit Nationalsozialisten

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waren die Schließung Leipzigs (ein Wunsch des Gauleiters Martin Mutschmann) und die Verlegung der Fakultät an die Universität Halle vorgesehen. Im Hinblick auf Tübingen, Heidelberg und Freiburg entwickelte sich ein umfangreicher Briefwechsel, bei dem das Wissenschaftsministerium den konfessionellen Gegebenheiten nachkommen wollte, Bormann jedoch genau die entgegengesetzte Verortung empfahl, um die Katholiken aus ihrem Umfeld herauszureißen, zu isolieren und besser kontrollieren zu können. Für den evangelisch-lutherisch geprägten Norden stellte sich Staatssekretär Zschintzsch ein anderes Szenario vor. Rostock solle nach Kiel verlegt werden, von dort aus könnten auch die Beziehungen nach Skandinavien gepflegt werden. Außerdem wollte er die Berliner Fakultät „mit der Greifswalder in Greifswald“ vereinigen. „Damit würde das Doppelte erreicht“, so Zschintzsch, einmal gewinne die schwach besuchte Universität Greifswald Studierende, zum anderen sei er der „unerfreulichen Zwangslage“ enthoben, die Theologische Fakultät in die neue Hochschulstadt Berlin zu integrieren.753 Dieses Projekt wiederum missfiel Bormann, der der Auffassung war, dass zu viele Theologen in der „Kleinstadt“ eventuell „dieser Stadt und womöglich noch der gesamten Umgebung das Gepräge geben“ könnten. In der Großstadt hingegen sei das ungefährlich, seiner Ansicht nach sollten Greifswald und Rostock geschlossen und beide Fakultäten nach Kiel verlegt werden.754 Der Streit um die Austrocknung der Universitätstheologie wurde erst mit Beginn des Krieges beendet. Zunächst gab Göring einen diskreten Hinweis, dass er diese Frage bis zum Ende des Krieges zurückgestellt sehen mochte, weshalb Bormann Wissenschaftsminister Rust am 29. April 1940 die Erledigung der Universitätstheologie auf „kaltem Wege“ nahelegte. Die Vertagung der Frage erfuhr eine Bestätigung durch Hitler selbst, der Bormann und die Reichsminister am 24. Juli 1940 wissen ließ, dass er „alle nicht unbedingt notwendigen Maßnahmen zu vermeiden“ wünsche, die „das Verhältnis des Staates und der Partei zur Kirche verschlechtern könnten“.755Berufungen fanden in der Theologischen Fakultät der Universität jetzt nicht mehr statt, anderswo nur in Ausnahmefällen.

3.9 Statistisches: Die Durchdringung des Lehrkörpers mit Nationalsozialisten

Der „Säuberungsprozess“ nach 1933, der sich in Greifswald sehr lange hinzog und auf eine zum Teil informelle Art verlief, führte zum Freiwerden zahlreicher Lehrstühle, die neu besetzt werden mussten. Die Frage, wie stark damit eine „Nazifizierung“ 753 Vgl. ebd., Bl. 104. 754 Vgl. ebd., Bl. 147. 755 Vgl. ebd., Bl. 165 ff.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

der Universität verbunden war, kann statistisch beantwortet werden. Die Auszählung wurde anhand der Vorlesungsverzeichnisse vorgenommen, wobei nur ordentliche Professoren, außerordentliche Professoren und Privatdozenten als zum „engeren Lehrkörper“ gehörig betrachtet wurden, was auch die zeitgenössische Auffassung war. Die zahlreichen Sprachlehrer auf Lektorenstellen mit hinzuzuziehen, hätte die Ergebnisse verfälscht. Diese kamen oft aus dem Ausland, konnten sich also der NSDAP nicht anschließen, und nationalsozialistische Parteien gab es in diesen Ländern meist nicht. Mit einbezogen wurden jedoch die Professoren, die zum Lehrkörper gehörten, aber bereits emeritiert waren, weil einige von ihnen in Greifswald lebten und lehrten. Statistisch relevant erscheint, dass einige Professoren sehr alt wurden und den Anschluss an das neue Phänomen Nationalsozialismus weder suchten noch fanden oder überhaupt finden wollten. Im Vorlesungsverzeichnis wurde zum Beispiel auf Antrag der Philosophischen Fakultät Ernst Bernheim weitergeführt, trotz seiner „volljüdischen“ Abstammung und mit Erlaubnis des Wissenschaftsministeriums. Auch mehrere Professoren, die weggezogen waren, wurden noch im Verzeichnis geführt, etwa der Chirurg Friedrich Pels Leusden oder der Jurist Paul Merkel. Der Historiker Fritz Curschmann und der Philosoph Hans Pichler hatten sich nicht vertreiben lassen, obwohl ihnen die Prüfungsberechtigung entzogen worden war. Die Professoren Gustaf Dalman und Erich Pernice waren trotz ihres hohen Alters in Greifswald noch präsent. Die Studierenden fanden jedoch immer mehr Nationalsozialisten vor, wie besonders die Statistik des Sommersemesters 1939 zeigt. Die Erhebung des Sommersemesters 1945 berücksichtigt auch Dozenten und Professoren, die eingezogen waren und nach dem Ende des Kriegs keineswegs die Neigung verspürten, in die Sowjetische Besatzungszone zurückzukehren. Die Erhebung erfolgte auf Grundlage der Personalakten und der beim Wissenschaftsministerium geführten Dozentenkartei, Zweifelsfälle wurden anhand der Mitgliederkartei der NSDAP überprüft. In der Auswertung wurde unterschieden zwischen ordentlichen Professoren, die de facto eine Endposition erreicht hatten, und außerordentlichen Professoren und (Privat)Dozenten, denen eine Karriere möglicherweise noch bevorstand. Im Sommersemester 1933 gehörten 143 Personen dem engeren Lehrkörper an, von denen in diesem Jahr 28 der NSDAP beitraten. Dazu kam der Greifswald wieder zugewiesene Theodor Vahlen. Es gehörten also 20,3 Prozent der NSDAP an. Den Organisationen der Partei, also der SA, dem Nationalsozialistischen Fliegerkorps, das in Greifswald sehr aktiv war, oder der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt NSV traten 75 Professoren und Dozenten bei, also 52,4 Prozent. Von den 80 ordentlichen Professoren wurden jetzt nur 6 Mitglied der NSDAP, bis auf Vahlen alle in der Medizinischen Fakultät. Die etablierten Theologen, Geisteswissenschaftler und Juristen

3.9 Statistisches: Die Durchdringung des Lehrkörpers mit Nationalsozialisten

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standen dem Nationalsozialismus also zunächst reserviert gegenüber. Später wurden jedoch weitere 13 Ordinarien in die NSDAP aufgenommen (23,8 Prozent der Professoren des Sommersemesters 1933). Beim Nachwuchs zeigt sich ein anderes Bild. Von den 63 nichtarrivierten Wissenschaftlern traten im Jahr 1933 mindestens 22 der NSDAP bei, was einem Anteil von 35 Prozent entsprach. Später traten weitere 17 der Partei bei, also noch einmal ein weiteres Viertel (27 Prozent). Im Sommersemester 1939 war die Zahl der Privatdozenten auf 47 zurückgegangen, auch die Zahl der zum Teil emeritierten Lehrstuhlinhaber hatte sich auf 69 reduziert. Von 116 Wissenschaftlern waren 66 Mitglied der NSDAP, also 56,9 Prozent. Den Gliederungen der Partei gehörten 87 Lehrende an, also 75 Prozent. Dabei hatte sich der Prozentsatz von Ordinarien und Nachwuchs angenähert. Bei den Ordinarien waren inzwischen etwa 40 Prozent Parteimitglieder, den Organisationen der Partei gehörten mehr als zwei Drittel an. Die Nichtarrivierten waren zu 74,5 Prozent Mitglied der Partei, deren Organisationen gehörten 85,1 Prozent an. Verteilt auf die Fakultäten waren es 100 Prozent bei den Theologen und Medizinern, die einer Parteigliederung angehörten; jeweils 75 Prozent waren es bei den Juristen und Staatswissenschaftlern und Philosophen bzw. Naturwissenschaftlern. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Durchdringung der Universität mit Nationalsozialisten das Ergebnis eines zentral gesteuerten Prozesses war, der durch Kontrolle des Zugangs zum Hochschullehrerberuf zielgerichtet vorangetrieben wurde.756 Nichtnationalsozialisten standen zur Berufung auf einen Lehrstuhl nicht mehr zur Verfügung, wobei Ausnahmen wie der Virologe Kurt Herzberg die Regel bestätigten. Die Zahlen änderten sich während des Zweiten Weltkriegs unwesentlich. Der Lehrkörper des Sommersemesters 1945 umfasste 129 Personen, davon 65 ordentliche Professoren und 64 Dozenten und außerplanmäßige Professoren. Von den ordentlichen Professoren gehörten 47,7 Prozent der NSDAP an, in Parteiorganisationen waren 69,2 Prozent erfasst. Nach wie vor gab es einen Unterschied zwischen Ordinarien und den Nichtarrivierten. Letztere gehörten zu 81,3 Prozent der NSDAP und zu 90,6 Prozent den Parteiorganisationen an. Im Hinblick auf die Verteilung in den einzelnen Fakultäten ist eine Angleichung zu verzeichnen, mit Ausnahme der Theologischen Fakultät, in die es keine Neuberufungen mehr gab.

756 Dieser Prozess zeigte an allen Universitäten eine etwa gleiche Quote der Durchdringung der Universität mit Nationalsozialisten. Im Hinblick auf die Universität Gießen und mit Diskussion der Ergebnisse für Frankfurt und Hamburg vgl. Chroust, Peter: Gießener Universität und Faschismus. Studenten und Hochschullehrer 1918–1945, Münster, New York 1994, Bd. 1, S. 298–305.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Tabelle 1: Zugehörigkeit des Lehrkörpers zur NSDAP NSDAPPersonal NDSAPNSDAPbestand im Mitglieder Mitglieder Mitglieder Rechts- und gesamt TheoloStaatswiss. gische Fakultät Fakultät Sommersemester 1933

29 von 143 2 von 16 = = 20,3 % 12,5 %

2 von 18 = 11,1 %

Sommersemester 1939

66 von 116 3 von 16 = = 56,9 % 18,8 %

5 von 14 = 35,7 %

Sommersemester 1945

83 von 129 3 von 13 = = 64,3 % 23,1 %

7 von 9 = 77,8 %

NSDAPMitglieder Medizinische Fakultät 14 von 42 = 33,3 % 25 von 33 = 75,8 % 31 von 37 = 83,8 %

NSDAPMitglieder Philosophische Fakultät

11 von 67 = 16,4 % 33 von 53 = 62,3 % 43 von 70 = 61,4 %

Quelle: Eigene Berechnungen anhand des Lexikons in Kapitel 8.

3.10 Die soziale Situation der Universitätsangehörigen 3.10.1 Hochschullehrer

Im Hinblick auf ihre Herkunft waren die in der Zeit des Nationalsozialismus zum engeren Lehrkörper der Universität Greifswald gehörenden 273 Hochschullehrer eine durchaus inhomogene Gruppe.757 Mehr als ein Drittel der Väter waren in freien Berufen tätig, etwa als Arzt, Landwirt oder Kaufmann. Im Staatsdienst stand jedoch mehr als die Hälfte der Familienvorstände. Fast alle gehörten im Hinblick auf ihr Einkommen jedoch zur gehobenen Mittelschicht. Einen Arbeiter zum Vater hatte nur der Chirurg Georg Konjetzny. Sein Vater war Maurer gewesen, hatte sich aber zum Polier hochgearbeitet, so dass sein Sohn hatte studieren können.758 Aus Handwerkerfamilien kamen zwölf, was über die realen finanziellen Möglichkeiten der Väter jedoch wenig aussagt. Ein Tischler- oder Fleischermeister konnte es durchaus zu Wohlstand gebracht und eine Wissenschaftskarriere seines Sohnes finanziell unterstützt haben. 757 Vgl. das Biographisches Lexikon in Kapitel 8. 758 Vgl. BA 4901/13268 Karteikarte Konjetzny.

3.10 Die soziale Situation der Universitätsangehörigen

231

Einige Väter wiesen eigene Karrieren auf. So war der Vater des Altphilologen Franz Egermann bei der Geburt des Sohnes Gendarm, später Gendarmerieoberinspektor.759 Der Vater des Germanisten Rosenfeld hatte sich vom Militärpfarrer zum Superintendenten hochgearbeitet, ähnlich wie andere Väter, die zum Teil hohe oder höchste Ränge in der Kirchenhierarchie bekleideten.760 Der DNVP-Politiker und Ökonom Wilhelm Kähler zum Beispiel war Sohn eines Theologieprofessors und Enkel eines Oberkonsistorialrats. Zur Familie gehörten und gehören zahlreiche andere Professoren verschiedener Disziplinen. Aus einer Familie von kirchlichen Amtsträgern kam auch der Theologe Otto Haendler, dessen Vater Generalsuperintendent war. 23 Professoren entstammten den Familien von Pfarrern und höheren Geistlichen (8,4 Prozent). Mindestens zwanzig Wissenschaftler hatten einen Vater, der Universitätsprofessor war, also 7,3 Prozent. Für diese Kinder war der Aufstieg in dasselbe Amt nicht nur durch gesicherte finanzielle Verhältnisse geebnet, sondern durch passgenaue Umgangsformen und eine gründliche Kenntnis des Wissenschaftsbetriebs beinahe vorgezeichnet. Ein Großvater des Kunsthistorikers Herbert von Einem war Preußischer Kriegsminister gewesen, seine Ehefrau eine geborene Jarres, die Tochter des Duisburger Oberbürgermeisters.761 Bei den Vätern, die Kaufleute oder Unternehmer waren, reichte die Spreizung vom Logierhausbesitzer auf Rügen bis zum Fabrikanten, Bankdirektor oder Großkaufmann. Als Kind eines Unternehmers aufzuwachsen bedeutete jedoch nicht automatisch finanzielle Unabhängigkeit, wie sie zum Beispiel der Archäologe Erich Boehringer als Sohn eines überaus erfolgreichen Pharmaunternehmers zweifelsfrei genoss. Der Germanist Theodor Steche war Teilhaber und Aufsichtsrat der Chemiehandelsfirma Heine & Co. AG, die von seinem Großvater gegründet worden war. Sein Vermögen wurde in der Weltwirtschaftskrise vernichtet. Um die Firma zu retten, opferte er sein Privatvermögen, bis 1939 waren die Schulden noch nicht abgetragen.762 Bei dem Anglisten Friedrich Schubel führte der Kriegstod des Vaters, eines Schuhmachermeisters und Kaufmanns, dazu, dass er zunächst nach finanzieller Sicherheit strebte und mit 19 Jahren das Volksschullehrerexamen ablegte. Im Beruf tätig, qualifizierte er sich weiter, legte extern das Abitur ab und studierte dann.763 Die weitaus größte Berufsgruppe der Väter stellten mit fast einem Viertel die Lehrer, was nicht erstaunt. Denn ganz gleich ob Volksschul-, Gymnasiallehrer oder Universitäts759 760 761 762 763

Vgl. UAG PA 212 Egermann; BA R 4901/13262 Karteikarte Egermann, Franz. Vgl. BA R 4901/24058 und 13274 Karteikarte Rosenfeld. Vgl. UAG PA 215 von Einem. Vgl. UAG PA Nr. 267 Steche; Math. Nat. Habil. Nr. 11. Vgl. UAG PA 260 Schubel; BA R 4901/13275 Karteikarte Schubel.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

professoren, alle werden ihren Kindern vermittelt haben, dass Bildung ein Wert an sich und der Hochschullehrerberuf ein sehr attraktiver war. Fast alle Professoren kamen aus anscheinend intakten Familienverhältnissen. Unehelich geboren waren nur zwei. Bei dem Oberarzt der Hautklinik Joachim Hartung erkannte ein Syndikus die Vaterschaft jedoch an.764 Der Vater des Dozenten für Fischereiwissenschaft Paul Friedrich Meyer war ein Uhrmachermeister aus Nijmwegen, möglicherweise hatte er das Kind während der damals auch bei Uhrmachern üblichen Wanderschaft gezeugt.765 Statistisch präsentiert sich der Befund wie folgt, wobei zu berücksichtigen ist, dass es Überschneidungen bestimmter Berufe gab, etwa Schulrektor und Pastor, Offizier und Postbeamter. Militärärzte wurden zu den Ärzten gezählt, den Anteil der Offiziere hätten sie jedoch nur unmerklich erhöht.766 Tabelle 2: Soziale Herkunft der Hochschullehrer Nicht ermittelt 1 Redakteur/Schriftsteller 3 Angestellte Techniker/ Ingenieure/Chemiker 3 Künstler (Maler und Musiker) 5 Offizier 7 Landwirt 10 Handwerker/Arbeiter 13 Jurist (Richter, Notar, Staatsanwalt) 15 Pfarrer und höhere Geistliche 23 Arzt/Tierarzt 26 Angestellte im Staatsdienst (auch Bahn, Post, Forst und 44 Justiz) Unternehmer und Kaufleute 57 Lehrer (Volksschullehrer bis Professor) 66 Gesamt 273

0,4 Prozent 1,1 Prozent 1,1 Prozent 1,8 Prozent 2,6 Prozent 3,7 Prozent 4,8 Prozent 5,5 Prozent 8,4 Prozent 9,5 Prozent 16,1 Prozent 20,8 Prozent 24,2 Prozent 100 Prozent

Quelle: Eigene Berechnungen anhand des biographischen Lexikons in Kapitel 8.

764 Vgl. UAG PA 499 Hartung; BA R 4901/13265. 765 Vgl. UAG PA 239 Meyer. 766 Der Zahnarzt Richard Plötz benannte seinen Vater vor 1945 als Postbeamten, nach 1945 beschrieb er ihn als schlichten Briefträger, um seinen sozialen Status dem Arbeiter-und-BauernStaat anzugleichen. Vgl. UAG PA 547 Plötz.

3.10 Die soziale Situation der Universitätsangehörigen

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Aus der Zugehörigkeit vieler Universitätsprofessoren zur gehobenen Mittelschicht sind von marxistisch inspirierten Historikern weitreichende Schlüsse gezogen worden. Die Universität sei, wie die Stadt Greifswald, „konservativ“ gewesen. Wobei das Attribut eindeutig pejorativ gemeint war, im Sinne einer „machtanbetenden Untertanenmentalität“, wie sie Heinrich Mann in seinem Roman karikierte. Als Erklärungsmuster wird dafür gelegentlich ein vermeintlich provinzieller Traditionalismus herangezogen.767 Nun war die Universität aber gerade keine Ansammlung pommerscher Gelehrter. Der konservative Chirurg und Kommunalpolitiker Friedrich Pels Leusden war im Rheinland geboren, erhielt seine wissenschaftliche Prägung in Göttingen und Marburg und arbeitete dann zwölf Jahre in der Berliner Charité. Der in Greifswald geborene Biologe Erich Leick hatte in Italien geforscht und in Istanbul gelehrt, im Ersten Weltkrieg lernte er Osteuropa kennen. Zum Pionier der Ökologie wurde Leick nicht durch den pommerschen Boden, sondern durch internationale Lektüre in verschiedenen Sprachen, die er wie andere Professoren selbstverständlich beherrschte. Der in Königsberg geborene Philosoph Günther Jacoby promovierte 1906 an der Universität Berlin, danach lehrte er in Vanves bei Paris und setzte seine Studien am Institut de France fort. Danach war er Gastlehrer in Glasgow. Nach der Habilitation in Greifswald 1909 war er als Research Fellow an der Harvard University in den USA tätig, bekleidete dann Gastprofessuren an der State University of Illinois, sowie in Tokio und Kyoto. Eine Dauerstellung strebte der national empfindende Jacoby dort nicht an; aber Geschichte und Gehalt der deutschen Philosophie im Ausland zu vermitteln, betrachtete er als Aufgabe, weshalb er 1915 eine ordentliche Professur an der Universität Istanbul annahm. In den USA hatten der Gynäkologe Ernst Philipp und der Zahnmediziner Friedrich Proell geforscht und gelehrt, ebenso die Mathematiker Wilhelm Maier und Gerrit Bol. Der Internist Gerhardt Katsch hatte in Paris studiert, um einen Gelehrten zu hören, der mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war. Geologen, Geographen und Volkswirte hatten an Expeditionen in die Arktis teilgenommen oder waren durch China, Korea, die Sowjetunion oder sogar um die Welt gereist. Der Wiener Archäologe Josef Keil, Professor in Greifswald von 1927 bis 1936, hatte in Ephesos gegraben, sein Nachfolger Erich Boehringer in beiden Sizilien und in der Türkei. Der rückwärtsgewandte Vorwurf, provinziell beschränkte Pommern hätten sich aus mangelnder Weltkenntnis konservativem Gedankengut zugewandt, läuft ins Leere, zu767 Vgl. Rautenberg, Mathias: Politische Herrschaft – Ressourcenkonstellationen – Anspruch akademischer Freiheit, in: Alvermann, Schranken, S. 26 ff.; zum konservativen Milieu vgl. Matthiesen, Helge: Greifswald in Vorpommern. Konservatives Milieu in Kaiserreich, Demokratie und Diktatur 1900–1990, Düsseldorf 2000. Die Sicht wurde allerdings vom zeitgenössischen Feuilleton untermauert. Vgl. Tageblatt für Vorpommern/Greifswalder Tageblatt, 109. Jg., Nr. 45, 22. Februar 1919, S. 1.

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mal er auch die Dozenten trifft, die in Berlin geboren wurden, dort lebten und Greifswald nur als Sprungbrett zur Habilitation benutzten. Manche Dozenten blieben in Berlin wohnen, schließlich war Greifswald von der Reichshauptstadt in drei Stunden mit dem Zug erreichbar. Ein D-Zug ging 7.50 Uhr in Berlin am Stettiner Bahnhof ab, Ankunft in Greifswald 10.53 Uhr. Zurück kam man am selben Tag mit dem D-Zug 20.06 Uhr ab Greifswald, an in Berlin am Stettiner Bahnhof um 23.18 Uhr.768 Eine Übersicht der Geburtsorte führt dieses Konzept völlig ad absurdum. Hier, in der Provinz, lehrte ein bunt zusammengewürfeltes Kollektiv von Bayern und Berlinern, Pommern, Schlesiern und Sachsen, von denen nicht wenige über Auslands­ erfahrung verfügten. Die politische Hinwendung zur deutschen Nation und die Abgrenzung zu anderen Völkern und zu ihren Regierungsformen erfolgte bewusst und ist mit dem sozialen Status oder der angeblich mangelnden Weltläufigkeit der Professoren nicht zu erklären. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zählten die ordentlichen Professoren zu den bestbezahlten Beamten Preußens, die anderen deutschen Staaten honorierten die Wissenschaftler ebenfalls gut, schon um beim Wettlauf um die besten Köpfe konkurrenzfähig zu sein. Die Bezahlung an den Spitzenuniversitäten Berlin, Leipzig, München und Heidelberg war dabei höher als an den kleineren Universitäten. Die Eingruppierung in die Gehaltsstufen war in Halle, Kiel, Münster oder Greifswald jedoch gleich. Die Neufestlegung der Gehälter nach dem Ende der Inflation änderte daran nichts. Die ordentlichen Professoren erhielten zwischen 8000 und 13.600 Mark jährlich. Hinzu kamen die Kolleggelder, die von den Studierenden an die Universitätskasse zu zahlen waren. Professoren in kleineren Universitäten oder Nischenfächern, etwa Sanskrit oder Astronomie, verdienten also weniger, was durch eine Kolleggeldgarantie ausgeglichen wurde.769 Die monatlichen Bruttogehälter lagen in der Besoldungsstufe H1 für die ordentlichen Professoren zwischen 625 und 1133,34 Mark, die Mehrzahl bekam zwischen 850 und 1000 Mark. Bei dem Juristen Erwin Seidl wurde allerdings eine Junggesellensteuer einbehalten, so dass er nur 516,67 Mark ausgezahlt bekam.770 Die Nebeneinnahmen der Mediziner, etwa durch das Betreiben einer Privatpraxis, waren in Greifswald deutlich niedriger als etwa in Berlin. Diese Tatsache erklärt das fast völlige Fehlen von sogenannten Professorenvillen in Greifswald, während sie etwa in Heidelberg oder Leipzig stadtbildprägend sind. 768 Diese Option nutzte zum Beispiel der Historiker Carl Petersen, der die 15,20 Mark für die Fahrkarte erstattet bekam. Vgl. UAG PA 128 Petersen; http://www.deutsches-kursbuch. de/1_61.htm, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 769 Vgl. z.B. UAG 222 Heller. 770 Vgl. UAG K 731; zu den grundsätzlichen Überlegungen zur Gehaltsregelungen bei Hochschullehrern vgl. BA R 4901/12629.

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Im Vergleich zu qualifizierten Arbeitern waren das jedoch Spitzengehälter. Ein Werftarbeiter in Norddeutschland bekam 1928 einen Stundenlohn von 109 Pfennig, was bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 51 Stunden und einigen Überstunden einen rechnerischen maximalen Jahreslohn von 2800 Mark ergab.771 Ein ordentlicher Professor erhielt also etwa das vierfache Jahresgehalt eines Facharbeiters. Durch seinen Beamtenstatus war er für das Krankheitsrisiko seiner Familie abgesichert und er erhielt nach Eintritt in den Ruhestand eine lebenslange Versorgung. Ein verheirateter Landarbeiter auf den Gütern im Kreis Greifswald hatte 1929 eine tarifliche Arbeitszeit von 56 Stunden und erhielt einen Barlohn von 247,86 Mark im Jahr. Dazu kamen freie Wohnung, 1,5 Tonnen Heizmaterial, zwei Ferkel und 2100 Kilogramm Getreide, was etwa 1400 Kilogramm Mehl entsprach.772 Außerdem war das Halten von Hühnern und Kaninchen erlaubt, dazu kam eine selbst nutzbare Anbaufläche von 31,9 Ar, also 3190 Quadratmetern.773 Ein lediger Knecht bekam gerade einmal 516 Mark im Jahr, also nicht einmal 40 Mark im Monat, eine Magd 414 Mark jährlich, was nicht einmal 35 Mark im Monat bedeutete.774 Eine Haushaltshilfe wurde in der Stadt nicht viel üppiger entlohnt. Ein „Mädchen“, das die Gattin eines außerordentlichen Professors bei der Führung des Haushalts und der Betreuung der fünf Kinder unterstützte, erhielt 1932 40 Mark im Monat und freie Verpflegung. Außerdem war sie bei der Krankenversicherung angemeldet.775 Der Verzicht auf Unterstützung war daher nicht lukrativ, wurde jedoch von einem Gelehrten erprobt, der später einen Ruf nach Greifswald erhielt, weshalb sich seine Argumentation in den Akten erhalten hat. „Um zu sparen“, habe seine Frau versucht, so sein Resümee, „ohne Haushaltsgehilfin zu wirtschaften, doch erwies sich schließlich der gesundheitliche und sonstige Schaden größer als der Nutzen“.776 Die Professoren gehörten in der beinahe industriefreien Kleinstadt Greifswald mithin zur finanziellen Elite, im Hinblick auf ihr Prestige ohnehin. Der Chirurg Friedrich Pels Leusden entstammte einer Unternehmerfamilie und 771 Überstunden waren gesetzlich höher zu vergüten. Die Verdienste lagen durch Krankheit, Ausfallzeiten und Streiks usw. real niedriger. Die Löhne des Boomjahres 1928 wurden erst nach 1936 wieder erreicht, so dass die Angaben auf die nationalsozialistische Zeit übertragbar sind. Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 49. Jg., Berlin 1930, S. 293. 772 Vgl. http://www.adler-muehle.de/info/frag/wieviel.html, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 773 Vgl. Statistisches Jahrbuch 1930, S. 308. Es ist anzunehmen, dass die Universität ihre Pächter zur Einhaltung von Tarifverträgen verpflichtete. 774 Vgl. Statistisches Jahrbuch 1930, S. 309. 775 Vgl. Schreiben Hartnack an Kultusministerium 4. August 1932, in: GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 15 Bd. 7. 776 Vgl. UAG PA 242 Mager, Bd. 4, Bl. 98.

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verfügte vor dem Ersten Weltkrieg über ein erhebliches Privatvermögen. Als Patriot zeichnete er für 270.000 Mark deutsche Kriegsanleihen, die mit der Niederlage wertlos wurden. Das nach dem Währungsschnitt erworbene Geldvermögen verlor er beim Bankencrash 1931. Pels Leusden besaß 1934, als die Einkommensverhältnisse der Professoren erstmals vom Wissenschaftsministerium erfragt wurden, in Greifswald aber mehrere Häuser, deren Erträge aus Vermietung und Verpachtung sich auf 2011 Mark beliefen. Laut Einkommensteuererklärung betrug sein Gehalt 1934 immerhin 11.470 Mark, die zusätzlichen Einnahmen aus der Privatpraxis beliefen sich auf 16.660 Mark. Das Kapitalvermögen erbrachte 1560 Mark an Zinsen. Von den Einnahmen waren Sonderausgaben in Höhe von 1428 Mark abzuziehen. Damit belief sich Pels Leusdens zu versteuerndes Einkommen auf insgesamt 30.273 Mark.777 Spitzenverdiener der Universität war der Internist Gerhardt Katsch, der mit seiner Privatpraxis 1932 über 40.000 Mark erwirtschaftete, 1933 sanken die Einkünfte auf 35.359,75 Mark, nahmen aber 1934 wieder die gewohnte Höhe an.778 Die abzuziehenden Ausgaben bewegten sich nach Katschs Angaben zwischen 15.000 und 20.000 Mark, so dass ihm jährlich ein zu versteuerndes Nettoeinkommen von etwa 20.000 Mark netto aus der ärztlichen Tätigkeit verblieb. Das war in Pommern zweifellos ein Spitzeneinkommen, jedoch nicht annähernd so hoch wie es Professoren in Berlin oder den Industriestädten generieren konnten. Der Internist Max Bürger in Leipzig versteuerte 1942 zum Beispiel ein Einkommen von 70.504 Mark, also weit mehr als das Doppelte.779 Die Universitätskliniken profitierten übrigens von der Privatpraxis der Professoren, weil sie den Patienten oder ihren Krankenkassen für die Bettenbelegung mehr als nur kostendeckende Rechnungen stellen konnten. Das Recht auf Privatpraxis war daher ausdrücklich gesetzlich verankert, blieb aber allein den ordentlichen Professoren vorbehalten.780 Die von Katsch geleitete Medizinische Klinik konnte durch seine Tätigkeit in jedem Jahr mehr als 600 Tage in der Ersten Klasse abrechnen und über 5000 Tage in der zweiten Klasse, was Mehreinnahmen von etwa 40.000 Mark bedeutete.781 Diese Mittel waren im Haushalt der Universität fest eingeplant, die Chirurgische Klinik etwa rechnete durch die Arbeit ihres Direktors Karl Reschke in den dreißiger Jahren mit einem zusätzlichen Plus von 10.200 Mark. Als Friedrich Pels Leusden sie leitete, waren es jährlich zwischen 36.000 und 44.000 Mark. Das spricht für Pels 777 778 779 780 781

Vgl. UAG PA 553 Pels-Leusden, Bd. 2. Vgl. UAG K 819 Bl. 19. Vgl. R 4901/13842. Vgl. UAG K 820 passim mit Bezug auf RGBl. I vom 6. Juli 1937, S. 753–756. Vgl. UAG K 819, Bl. 20 ff.

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Leusdens guten ärztlichen Ruf, andererseits strebte Reschke die Nutzung seiner Stellung zur Generierung von Einnahmen auch nicht an.782 Bei den Berufungsverhandlungen war der Staat daher sehr kulant, was die Zahl der Privatbetten betraf. So wurden dem Leiter der Nervenklinik zehn Zimmer für Belegungen mit Privatpatienten zugesprochen, ebenso in der Frauenklinik und der Augenklinik. Der Leiter der Universitätsnervenklinik nahm 1939 mit seiner Privatpraxis 12.016 Mark ein, zusätzlich zu seinem Professorengehalt. Hinzu kamen Gutachterhonorare in Höhe von 554 Mark.783 Zum Vergleich: Der in Stralsund niedergelassene Nervenarzt Rudolph Pophal gab 1939 sein gesamtes zu versteuerndes Einkommen mit 12.900 Mark an.784 Über relevante Nebeneinnahmen verfügte auch der Pathologe Loeschke, der durch Gutachten und Analysen 1941 etwa 9500 Mark einnahm.785 Chirurg Reschke leitete die Einnahmen für Gutachten, etwa von Versicherungen oder Gerichten ebenso wie Katsch an seine Oberärzte weiter.786 Der Hygieniker Kurt Herzberg war im Nebenamt Leiter des Städtischen Medizinaluntersuchungsamtes und nahm so 1943 und 1944 jeweils etwa 3000 Mark ein, die er komplett an seine Assistenten durchreichte.787 Die zahlreichen Gutachten für die Erbgesundheitsgerichte sorgten auch beim Direktor des Instituts für Vererbungswissenschaft Günther Just für zusätzliche Einnahmen, in nur sieben Monaten des Jahres 1943 beliefen sie sich auf 3470 Mark.788 Just gehörte zur Philosophischen Fakultät, in der die Professoren Nebeneinnahmen nur ausnahmsweise generieren konnten. Der Physiker Rudolf Seeliger und der Mineraloge Rudolf Groß, der sachlich richtiger als Strukturchemiker beschrieben werden müsste, hatten Werkverträge mit der Studiengesellschaft für elektrische Beleuchtung, die zum Osram-Konzern gehörte. Die Honorare für die Untersuchungen zu hochschmelzenden Metallen oder zu physikalischen Problemen der Gasentladungen investierten sie jedoch in die Anschaffung von Apparaturen und die Bezahlung von Hilfskräften.789 Ihre Forschungen waren chronisch unterfinanziert, so dass sie regelmäßig auch Unterstützungen der Deutschen Forschungsgesellschaft in Anspruch nehmen mussten. Diese Gelder flossen vollständig in die Forschung, so wie die Drittmittel des Biologen Erich Leick, der die Biologische Station auf Hiddensee aufbaute. 782 783 784 785 786 787 788 789

Vgl. UAG K 819, Bl. 26 ff. Vgl. UAG K 821, Bl. 83. Vgl. BA R 4901/24007. Vgl. UAG K 821, Bl. 75. Vgl. ebd., passim. Vgl. ebd., Bl. 156. Vgl. ebd., Bl. 147. Vgl. UAG PA 218 Groß, Rudolf; für Seeliger vgl. Förderakten BA R 73/16522.

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Die weniger gut gestellten beamteten außerordentlichen Professoren erhielten ein Jahresgehalt von 8500 Mark, wozu in Greifswald ein Wohngeldzuschuss von 1260 Mark kam. Als sich ein so bezahlter Professor 1934 ein Eigenheim baute, konnte er immerhin 50 Prozent der Bausumme aufbringen, die Hypothek für die Restsumme erhielt er wegen seines Beamtenstatus problemlos.790 Von einem dotierten Lehrauftrag in der Philosophischen Fakultät ließ sich der Lebensunterhalt eines noch nicht berufenen Professors bestreiten. Der Musikwissenschaftler Walther Vetter wurde 1936 zum Leiter des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Greifswald ernannt und erhielt dafür eine zu versteuernde Lehrauftragsvergütung von jährlich 4500 Mark.791 Knapp 5500 Mark verdiente der Historiker Werner Frauendienst, der vom Auswärtigen Amt monatlich 300 Mark für wissenschaftliche Arbeiten erhielt. Hinzu kamen eine Dozentenbeihilfe vom Preußischen Kultusministerium und Kolleggelder.792 Als die Geburt seines dritten Kindes anstand, bat der Geologe Hans Frebold 1932 um eine Beihilfe und listete in der Begründung sein monatliches Einkommen auf. Das belief sich auf 361 Mark, zusammengesetzt aus einem Stipendium, der Lehrauftragsvergütung und Kolleggeldern. Die Miete für die Drei-Zimmer-Neubauwohnung betrug 65 Mark. Wegen seiner Teilnahme an Arktisexpeditionen hatte er eine Risikolebensversicherung abgeschlossen, die immerhin 45 Mark monatlich kostete. Durch weitere Fixkosten für Heizung, Strom und Wasser summierten sich die Ausgaben auf 236 Mark. Für die vierköpfige Familie blieben also 125 Mark für Lebensmittel, also etwa 4 Mark täglich. Ein Kilogramm Brot kostete 40 Pfennig, ein Kilo Kartoffeln zehn, der Liter Milch immerhin 25 Pfennig. Ein Ei war mit zehn Pfennig nicht billig, teuer war Butter, 250 Gramm kosteten 80 Pfennig. In der Woche wird es daher Schmalzbrote gegeben haben, denn Schweineschmalz kostete pro Kilogramm nicht einmal eine Mark. Häufig werden auch Eintöpfe auf den Tisch gekommen sein. Ein Kilogramm Rindfleisch mit Knochen kostete 1,40 Mark, das Kilogramm Mehl für die Nudeln 54 Pfennig.793 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ein halber Liter Bier 39 Pfennig kostete, genauso viel wie 38 Gramm deutscher Rauchtabak.794 790 791 792 793

Vgl. UAG PA 127 Petzsch. Vgl. BA R 4901/13279. Vgl. UAG PA 217 Frauendienst. Angenommen wurden die Preise für Berlin, die etwa preußischen Durchschnitt widerspiegeln. In Süddeutschland waren die Grundnahrungsmittel teurer. Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 52. Jg., Berlin 1933, S. 251 ff. 794 Vgl. http://www.was-war-wann.de/historische_werte/bierpreise.html, letzter Zugriff: 21. Mai 2015; Statistisches Jahrbuch 1933, S. 141. Deutscher Tabak, etwa der Marke „Schwarzer Krauser“ war durch eine geringere Steuerlast gegenüber Importen begünstigt und hatte 88 Prozent Marktanteil. Der Preis von Zigaretten wies eine extreme Spreizung auf.

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Ledige Privatdozenten standen mit ihrem Stipendium jedoch gut da. Der 27-jährige Biologe Siegfried Strugger erhielt nach der Habilitation ein Privatdozentenstipendium von monatlich 212 Mark, also 2544 Mark jährlich.795 Ein gutes möbliertes Zimmer inklusive Morgenkaffee war bereits für 25 Mark zu finden. Damit blieben fürs Leben und für Fachbücher im Monat rund 175 Mark. An eine Familiengründung war mit einem Stipendium jedoch nicht zu denken. Erst die Umwandlung der Stellen von Stipendiaten in die habilitierter Assistenten und in beamtete Dozentenstellen beendete das würdelose Rangeln um Stipendien und Lehraufträge. Da das den Wettbewerb einschränkte, war das Konzept des Wissenschaftsministeriums nicht unumstritten. Das Ministerium setzte sich jedoch 1939 mit seiner Auffassung durch, dass der Zugang zur Habilitation so verengt worden war, dass alle zu Dozenten ernannten Wissenschaftler auf Grund ihrer Qualifikation den Beamtenstatus verdient hätten. Nebeneinnahmen aus der Beteiligung an Unternehmen hatten nur wenige Professoren, eine Ausnahme war der Volkswirt Eduard Biermann, der 15.000 Mark in eine Kommanditgesellschaft investiert hatte und 1933 immerhin 1468,10 Mark für die Einlage erhielt. Zusammen mit seinem Gehalt und den Vorlesungshonoraren erzielte er ein Jahreseinkommen vor Steuern von 13.648,88 Mark.796 Häufiger waren Einnahmen aus der Vermietung von Wohnungen, der Jurist Georg Frommhold etwa besaß ein Mietshaus in der Baustraße.797 Das Haus Schlageterstraße 1a und b (heute Goethestraße) gehörte dem aus Österreich stammenden Philosophen Hans Pichler, der es in der Inflationszeit mit seinem Familienvermögen erworben hatte. Das Haus hatte mehrere große Wohnungen, die an andere Professoren vermietet waren, außerdem eine Reihe von Zimmern, die sich für Studenten oder ledige Assistenten eigneten. In dem Mietshaus Karlsplatz 17 wohnten neben seinem Eigentümer Gustav Ehrismann fünf weitere Familien. Der Direktor der Forschungsanstalt auf der Insel Riems Otto Waldmann wohnte in der Moltkestraße 12 zur Miete, das ihm gehörende Haus Anklamer Straße 59 hatte er vermietet.798 Honorare aus schriftstellerischer Tätigkeit flossen keinem Dozenten in nennenswerter Höhe zu, Zeitungshonorare hielten möglicherweise den einen oder anderen Nachwuchswissenschaftler über Wasser.799 Zu den Bestsellerautoren gehörte aber kein Greifswalder Historiker, Philosoph 795 796 797 798

Vgl. BA R 4901/13278 Karteikarte Strugger. Vgl. UAG PA 377 Biermann. Vgl. UAG PA 395 Frommhold. Vgl. Greifswalder Einwohnerbuch mit Eldena, Ladebow, Neuenkirchen und Wieck, Greifswald 1942. 799 So war der Student Heinz Krüger regelmäßiger Autor der Greifswalder Zeitung. Er wurde später Leiter der Pressestelle der Universität. Die Beiträge in der Greifswalder Zeitung waren nicht namentlich gezeichnet.

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oder Geograph. Im Gegenteil, den Übertritt in die Beamtenstellung nahmen sie als Chance wahr, aus der Lohnschreiberei herauszukommen, wie das Beispiel des Geographen Hermann Lautensach zeigt. Als Assistent und Privatdozent produzierte er in schneller Folge Handreichungen für den Unterricht, für seine voluminöse und extrem detailreiche Landeskunde Koreas nahm er sich fast zehn Jahre Zeit. Der Landwirt Gerhard Naundorf schrieb in seiner Freizeit Science-Fiction-Romane, für die ihm der Verlag jedoch das Honorar schuldig blieb. Naundorf besaß auch Land, das er verpachtet hatte, wofür ihm der Pächter jedoch den Zins schuldete, wodurch 4800 Mark nicht eintreibbare Schulden aufgelaufen waren.800 Auf Naundorfs Habenseite standen jedoch Lizenzgebühren für von ihm entwickelte Pflanzenwuchsstoffe in Höhe von 13.600 Mark. Das entsprach einem mehr als komfortablem Jahreseinkommen, war jedoch prospektiv in der Höhe variabel, weil Naundorf prozentual am Gewinn seiner Innovationen beteiligt war. Daher verfasste Naundorf eine Habilitationsschrift und bewarb sich auf eine beamtete Dozentenstelle. Das Gehalt sicherte ihm 5360,52 Mark im Jahr.801 Damit war ein „standesgemäßer“ Haushalt zu finanzieren, unabhängig von den unkalkulierbaren Erträgen schriftstellerischer oder wissenschaftlicher Kreativität. Das Amt des Universitätspredigers wurde mit 192,50 Mark im Jahr entlohnt, was den Aufwand vermutlich nicht deckte.802 Der Kantor Rudolf Zingel erhielt für sein Amt 2112 Mark jährlich, wobei er als Universitätsmusikdirektor und Dirigent noch weitere Einnahmen hatte.803 Wirtschaftlich sichergestellt waren allerdings die Privatdozenten Otto Haendler und Erdmann Schott, die Pfarrstellen in den Patronatskirchen der Universität in Dersekow und Neuenkirchen innehatten. Schott versteuerte 1934 ein Bruttoeinkommen von 5932,79 Mark. Das Pfarramt wurde mit 5300,79 Mark vergütet, hinzu kamen Unterrichtsgelder von 237 Mark, außerdem erhielt er für die Abhaltung des Homiletischen Seminars 395 Mark.804 3.10.2 Angestellte

Die Personalakten der Angestellten der Universität wurden in den siebziger Jahren vernichtet. Ein systematischer Zugriff auf interessierende Informationen ist daher nicht möglich. Im Bundesarchiv ist jedoch zufällig eine Akte mit Personalbögen überliefert, außerdem fanden sich Lebensläufe in den Entnazifizierungsakten, die zwar 800 801 802 803 804

Vgl. BA R 4901/25114. Vgl. ebd. Vgl. UAG K 819, Bl. 4. Vgl. UAG K 817, Bl. 404. Vgl. ebd., Bl. 400.

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keine Rekonstruktion ermöglichen, aber Schlaglichter werfen. Die Verwaltungsangestellten erhielten ihre Gehälter analog der Reichsbesoldungsordnung von 1927.805 In der niedrigsten Besoldungsstufe A 11, die etwa Boten und Gehilfen zugedacht war, erhielten diese ein Einstiegsgehalt von 1500 Mark, das sich bis auf 2200 Mark steigern konnte. Das war weniger als das Gehalt eines Facharbeiters, da aber in Greifswald wegen der teuren Mieten ein Wohngeldzuschuss (später „Ortszuschlag“) gezahlt wurde, war selbst ein angestellter Bürogehilfe besser gestellt als ein Facharbeiter. Die weitaus häufigere Eingruppierung in A 9 begann mit einem Einstiegsgehalt von 1700 Mark und endete bei 2600 Mark. Die Sekretärin des Rektors war in Vergütungsgruppe VIII des Angestelltentarifs eingeordnet, was ein Nettogehalt von 194,80 Mark monatlich, also 2337,60 Mark im Jahr bedeutete. Auf Grund des höheren Dienstalters kam der in dieselbe Gruppe eingeordnete Verwaltungsangestellte auf ein Nettogehalt von 268,59 Mark.806 Besser bezahlt waren Oberschwestern in den Kliniken oder Verwaltungsangestellte im Universitätssekretariat, die bis in die Besoldungsstufe A 4 aufrücken konnten. Das Endgehalt betrug in dieser Position 4200 Mark. Diese Gehaltsstufe erreichten zum Beispiel der Universitätsoberinspektor Willi Petran und der Verwaltungsleiter der Nervenklinik Walter Kropka. Petran, geboren 1899 im ostfriesischen Dornumersiel, besuchte das Gymnasium und absolvierte eine Landwirtschaftslehre. Im Ersten Weltkrieg diente er als Fußartillerist und er erhielt 1919 eine Anstellung im Landratsamt Flensburg. Er wechselte zum Regierungspräsidium in Schneidemühl und kam infolge von Umstrukturierungen 1930 als Inspektor an die Universität Greifswald. 1933 wechselte er nach Halle, wo er die landwirtschaftlichen Institute verwaltete. 1935 nach Marburg versetzt, wechselte er 1937 als Oberinspektor nach Greifswald. In die NSDAP wurde Petran 1933 aufgenommen. In der Partei hatte er Ämter als Blockleiter und Zellenleiter inne. 1945 wurde er verhaftet und gilt seitdem als vermisst.807 Kropka, geboren 1900 in Sassen, Kreis Grimmen, hatte nach der Volksschule eine Tischlerlehre absolviert und legte auch die Meisterprüfung ab. Seit 1923 engagierte er sich in der NSDAP, in die er formal am 1. April 1926 aufgenommen wurde. Für die NSDAP wurde Kropka zum Multifunktionär: Stadtrat, Kreisleiter der Technischen Nothilfe und Provinziallandrat. Im Juli 1933 erhielt Kropka eine Stelle als Universitätsinspektor, wo er sich als Denunziant hervortat. Die formal notwendige Prüfung für den Verwaltungsdienst legte er 1934 ab.808 1942 nach Prag versetzt, wur805 Die preußische Landesbesoldungsordnung entsprach der Reichsbesoldungsordnung vom 16. Dezember 1927. Vgl. RGBl. I, 1927, S. 349–384. 806 Vgl. UAG K 942, Bl. 8–15. 807 Vgl. BA R 4901/14772. 808 Kropka hatte die Mitgliedsnummer 36.515. Vgl. BA R 4901/14772.

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de er beim dortigen Aufstand 1945 getötet.809 Zwar regte der Gauleiter der NSDAP Wilhelm Karpenstein im September 1933 an, weitere „alte Kämpfer“ in nichtwissenschaftliche Stellen an der Universität zu beschäftigen, dazu kam es jedoch nur noch in einem weiteren Fall. 810 Die 1904 geborene Näherin Felizitas Jung, NSDAP-Mitglied seit dem 1. April 1930 (Nr. 230.589), wurde als Materialienverwalterin mit der Besoldungsgruppe A 9 in der Frauenklinik eingestellt.811 Im nichtwissenschaftlichen Bereich gehörten außerdem noch drei Mitarbeiter der Bibliothek zu den „alten“ Parteigenossen. Der Bibliotheksgehilfe Erich Hein war der NSDAP 1927 beigetreten (Mitglied-Nr. 66.730). Der Büroangestellte Rudolf Lüder (Nr. 499.646) wechselte später zur Deutschen Arbeitsfront als „politischer Leiter“.812 Der Bibliothekar Hans-Christoph Messow (Mitglied-Nr. 605.309) ging im Januar 1940 zur Staatsbibliothek Wien.813 Insgesamt gehörten lediglich sechzehn von den über vierhundert Universitätsangehörigen zu den „alten Kämpfern“, die besondere Privilegien genossen, davon waren jedoch elf im engeren Wissenschaftsbetrieb zu finden. Eine besondere Gruppe bildeten die an der Universität beschäftigten Krankenschwestern. Sie gehörten zunächst der Evangelischen Frauenhilfe an, wurden aber spätestens seit 1939 systematisch durch Rot-Kreuz-Schwestern verdrängt.814 Von der Universität angestellt waren jedoch die Oberpflegerinnen. Alle drei Oberpflegerinnen, von denen sich im Bundesarchiv Personalbögen fanden, kamen von auswärts. Sie waren zwischen 1887 und 1895 geboren, hatten höhere Mädchenschulen besucht und staatliche Examina abgelegt. Zwei von ihnen hatten zwischen 1914 und 1918 Kriegsdienst in Lazaretten geleistet. Danach waren sie in Universitätskliniken beschäftigt. Zwei von ihnen hatten die Stellung mehrfach gewechselt und Erfahrungen in Breslau, Halle, Kiel oder Königsberg gesammelt.815 Am unteren Ende der sozialen Hierarchie standen die Tag- und Nachtfrauen, Näherinnen und Putzfrauen, die zwischen 20 und 40 Pfennig pro Stunde verdienten. Bei Vollbeschäftigung, die nicht selbstverständlich war, bedeutete das einen Monatslohn zwischen 40 und 80 Mark.816 Die Putzfrau der Biologischen Station auf 809 Sein Sohn wurde Angehöriger der KVP und später Lehrer in Greifswald, http://www.was-fuerein-leben.de/anschauen_einzeln.php?id=773&sec=e3a68a85, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 810 Vgl. UAG K 943, Bl. 292 und K 719. 811 Vgl. BA R 4901/14772. 812 Vgl. BA R 4901/15064. 813 Vgl. UAG K 719. 814 Vgl. UAG K 5991 und 5991. 815 Vgl. BA R 4901/14772. 816 Angenommen wurde eine Bezahlung wie bei weiblichen Hilfskräften in der Textilindustrie. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 52. Jg., Berlin 1933, S. 286.

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Hiddensee erhielt 38 Pfennig pro Stunde und einen Zuschlag von 1,08 Mark für Sonntagsdienste. Sie war halbtags beschäftigt, kam also auf ein monatliches Einkommen von 37,56 Mark.817 Erst im Dezember 1941 erhöhte Erich Leick als amtierender Rektor die Gehälter der Putzfrauen, ohne dass er dafür Rücksprache mit dem Ministerium hielt. Sie wurden jetzt prinzipiell 48 Stunden pro Woche beschäftigt und erhielten 47 Pfennig pro Stunde. Das entsprach einem Monatslohn von 90,24 Mark.818 3.10.3 Studierende

In der Zeit des Nationalsozialismus studierten vor allem Kinder aus der Mittelschicht an der Universität Greifswald. 32 Prozent kamen aus Familien, die den akademisch gebildeten Funktionseliten zugerechnet werden können. Dazu gehörten zum Beispiel Ärzte und Rechtsanwälte, mit 14 Prozent war Lehrer der häufigste Beruf des Vaters. Weitere 23 Prozent der Studierenden hatten einen Vater, der im öffentlichen Dienst als Beamter oder Angestellter tätig war. Immerhin 11 Prozent kamen aus Bauern, Fischer- oder Handwerkerfamilien, weitere 9 Prozent aus Familien mit Dienstleistungsberufen, etwa Gastwirten oder Kleinhändlern. Der Anteil der Kinder von Führungskräften machte 8 Prozent aus. Nur 2 Prozent kamen aus Haushalten von Berufssoldaten. Den sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten der Facharbeiter und ungelernten Arbeiter entstammten ganze 3 Prozent der Studierenden. Deren Anteil erhöhte sich während der Zeit des Nationalsozialismus nicht. Von einer Öffnung der Hochschule für Kinder aller Schichten konnte daher, trotz aller Bekundungen des Regimes, nicht die Rede sein.819 Obwohl statistisch keine signifikant messbare Erhöhung des Anteils von Studierenden aus den unteren Schichten messbar ist, offenbart der Blick in die Lebensläufe der Dissertationen oder in Stipendienanträge, dass es aber durchaus einige Aufsteiger gab, die Klassenschranken durchbrechen konnten. Die Erleichterung des Aufstiegs verdankte sich aber den üblichen, bereits im Kaiserreich angewandten Fördermöglichkeiten, etwa dem Gebührenerlass oder dem Freitisch. Der Physikochemiker Walter Rüdiger zum Beispiel, geboren 1914 in Glogau, war Sohn eines im Ersten Weltkrieg gefallenen Tapezierers, sein Studium wurde von der Verwandtschaft unter großen Mühen ermöglicht. Rüdiger hatte sein Studium in Jena begonnen, trat dort 1932 in die SA ein und war in der NSDAP auf verschiedenen Amtsleiterstellen tätig. 817 Vgl. UAG R 689, Bl. 71 ff. 818 Vgl. BA R 4901/14773. 819 Vgl. Dietrich, Stephanie-Thalia: Die Studierenden der Universität Greifswald im Nationalsozialismus – quantifizierende Analysen mit besonderer Berücksichtigung des Frauenstudiums, in: Alvermann, Schranken, S. 79 f.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

Die Universität Greifswald erließ seine Gebühren.820 Die Aktivität in der SA oder anderen Parteigliederungen wurde bei den Anträgen für Gebührenerlass vermerkt, sie war aber nicht Bedingung für diese Art der Förderung. Für die Bewilligung von Studienbeihilfen war das Reichsstudentenwerk zuständig. Der an der Universität bestehende Ausschuss für den Gebührenerlass holte Beurteilungen von Professoren und von Parteistellen ein, etwa dem NSKK oder der Studentenführung. Andere Waisen waren ebenso mittellos wie Rüdiger, traten politisch jedoch nicht hervor, erhielten aber ebenfalls Gebührenerlass. Die meisten dieser geförderten Studierenden waren allerdings Söhne gefallener Ärzte, Lehrer oder Offiziere. Eine größere Gruppe, die ab 1940 staatliche Ausbildungsbeihilfen erhielt, waren die Kinder aus kinderreichen Familien. So erhielt ein Lehramtsstudent pro Trimester 1941 vom Finanzamt 180 Mark Schulgeld und 200 Mark für Lebenshaltungskosten. Da es aber für die jungen Männer zunächst Pflicht war, ihren Kriegsdienst zu leisten, konnte diese Gruppe nicht signifikant groß sein.821 Ein Studium der Medizin oder der Naturwissenschaften kostete pro Semester etwa 220 Mark an Gebühren und Vorlesungsgeldern. Eine fünfstündige Hauptvorlesung in Pathologie oder Chirurgie wurde mit jeweils 12,50 Mark berechnet, Übungen oder Kurse mit zwei Semesterwochenstunden kosteten 5, die vierstündige Hauptvorlesung in Experimentalphysik oder Allgemeiner Botanik 10 Mark. Zu den Vorlesungsgeldern kam die allgemeine Studiengebühr in Höhe von 80 Mark, dazu Krankenkassen- und Wohlfahrtsgebühren.822 Ein Lehramtsstudium dürfte nicht kostengünstiger gewesen sein, da zwar die Fachausbildung weniger umfangreich war, aber noch Philosophie bzw. Pädagogik als drittes Fach hinzukam. Monatlich kostete das Studium einschließlich der Bude und der Lebenshaltungskosten etwa 70 bis 100 Mark, was für die Familien eine erhebliche finanzielle Belastung darstellte. Ein Volkschullehrer verdiente zwischen 2800 und 5000 Mark im Jahr, also etwa 400 Mark monatlich.823 Ein sozialer Aufstieg war mit dem Studium jedoch fast immer garantiert, vor allem wenn sich die Kinder für ein chancenreiches Studienfach entschieden. Der Biologe Walter Reinke zum Beispiel, Sohn eines Volksschullehrers auf der Insel Gristow bei

820 Vgl. BA R 73/14094. 821 Vgl. PA gef. Stud. Nr. 199, Mühlingshaus, Alfred; PA gef. Stud. Nr. 225 Neumann, Otto. Das Langemarckstipendium für Studierende mit dem „zweiten Bildungsweg“, also ohne Abitur, wurde in Greifswald nicht vergeben. 822 Vgl. Studienbuch von Werner Thiel, PA gef. Stud. Nr. 330 Thiel, Werner; Studienbuch Erich Brudermann, PA gef. Stud. Nr. 37 Brudermann. 823 Die hohe Spreizung war der Eingruppierung in zwei mögliche Lohngruppen geschuldet (VII und VIII), außerdem gab es mehrere Dienstaltersstufen und Amtszulagen, z.B. für den Rektor einer Schule. Vgl. Bölling, Rainer: Volksschullehrer und Politik, Göttingen 1978, S. 30 f.

3.10 Die soziale Situation der Universitätsangehörigen

245

Cammin, promovierte über die Geruchsorgane der Knochenfische.824 Danach erhielt er ein Forschungsstipendium der DFG zum Thema Fischzucht. Eine Festanstellung bekam er bei der Landesbauernschaft in Stettin, wo er verbeamtet wurde. Die weitere Karriere des Fischzuchtexperten führte ihn zur Landesbauernschaft Weser-Ems, er beschloss sie 1968 als Landwirtschaftsoberrat der Landwirtschaftskammer Oldenburg.825 Gymnasiallehrer verfügten im Monat über bis zu 700 Mark, so dass es nicht überrascht, dass ihre Kinder die größte Gruppe an der Universität stellten.826 Da es den Studienräten möglich war, auch in das Studium mehrerer Kinder zu investieren, erhielten oft auch die Töchter die Gelegenheit für eine Hochschulausbildung.827 Unter den Medizinstudentinnen fand sich aber auch die Tochter eines Generaldirektors aus Stettin. Sie kam 1943 bei einem Bombenangriff auf Stettin ums Leben.828 Zu den Frauen, die ihr Medizinstudium zum Abschluss bringen konnten, gehörte Elisabeth Waldmann, die Tochter des Leiters der Reichsforschungsanstalt auf der Insel Riems. Waldmann hatte das Oberlyzeum in Greifswald besucht und sich im Bund Deutscher Mädel als Sportreferentin engagiert. 1935 bestand sie die Reifeprüfung, 1937 trat sie in die NSDAP ein.829 Ab 1937 studierte Waldmann Medizin in Königsberg, Innsbruck und Greifswald, wo sie 1939 die Vorprüfung ablegte. Die Kriegstrimester 1940 führten sie nach Jena, das Studium schloss sie in Greifswald 1941 ab. Danach praktizierte sie in der Kinderklinik. In ihrer Dissertation verglich sie verschiedene Behandlungsmethoden der eitrigen Hirnhautentzündung. Verliefen diese Entzündungen vor der Entwicklung der Sulfonamide meist tödlich, gab es jetzt chemotherapeutische Heilungsmöglichkeiten. Waldmann untersuchte den Einsatz von Prontosil, Albucid und Eubasin. Dabei stellte sie fest, dass mit dem Eubasin ein Mittel gefunden war, dass zumindest zwei Formen der Meningitis heilen konnte.830 Während des Krieges 824 Vgl. Reinke, Walter: Zur Ontogenie und Anatomie des Geruchsorgans der Knochenfische, phil. Diss., Greifswald 1937. 825 Vgl. Personalnachrichten, in: Allgemeine Fischwirtschaftszeitung, Bd. 20, Jg. 1968, S. 20. 826 Die Gehaltsspreizung reichte von 4400 bis 8400 Mark. Vgl. Bölling, Volksschullehrer, S. 30. 827 Vgl. z.B. PA gef. Stud. Nr. 203 Meinhold, Ilse Veronika. Meinhold starb im Mai 1944 durch Fliegerbeschuss auf der Fahrt von Stralsund nach Greifswald. In Preußen stammten in den zwanziger und dreißiger Jahren etwa vierzig Prozent der Studentinnen aus Akademikerfamilien, etwa zwanzig Prozent hatten einen höheren Beamten als Vater. Vgl. Huerkamp, Claudia: Bildungsbürgerinnen. Frauen im Studium und in akademischen Berufen 1900–1945, Göttingen 1996, S. 31 ff. 828 Vgl. PA gefallener Studenten Nr. 9 Angstmann, Gertrude, geb. Bundfuss, Studentenakten gefallener Studenten. Angstmanns Mann, der Assistenzarzt Wilhelm Richard Angstmann, war im Oktober 1941 an der Ostfront gefallen. 829 Vgl.UAG R 2270, Bl. 4. 830 Bei der Meningokokken-Meningitis konnten von zwanzig Patienten zehn mit Prontosil vollständig geheilt werden, sechs starben, vier behielten dauerhafte Schädigungen zurück. Bei Eu-

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

war sie in der Kinderklinik beschäftigt und emigrierte später mit ihrem Vater und ihrem Ehemann, den sie auf der Insel Riems kennengelernt hatte, nach Argentinien. 3.10.4 Frauenstudium und -karrieren

Die „nationale Revolution“ war, was häufig übersehen wird, auch ein Aufstand gegen die Emanzipation der Frau. Diese habe zur Überfüllung der Universitäten beigetragen und nehme den Ernährern Stellungen weg und damit die Chance, eine Familie zu gründen.831 Im Zuge einer „Aktion zur Bekämpfung der männlichen Arbeitslosigkeit“ trafen sich am 14. August 1933 der Oberbürgermeister und der NSDAP-Kreisleiter mit den Klinikdirektoren, um diese dazu zu bewegen, „allen weiblichen Arbeitnehmern, die nicht unbedingt auf Erwerb ihres Lebensunterhalts durch eigene Lohnarbeit angewiesen sind, und die durch männliche Kräfte ersetzt werden können, das Arbeitsverhältnis binnen kurzem zu kündigen“. Obwohl die Klinikdirektoren zustimmten, verlief die Sache bei den Angestellten und Arbeitern im Sand, weil Männer Anspruch auf eine höhere Lohngruppe hatten und das Finanzministerium die „Aktion“ daher aus Kostengründen kurzerhand stoppte.832 Anders bei den Ärztinnen. Zu den Opfern dieser Entlassungen gehörte die Ärztin Ulrike Maahs, die 1932 eine außerplanmäßige Assistentenstelle an der Medizinischen Klink erhalten hatte. Maahs, Tochter eines Universitätsprofessors, geboren 1905 in Marburg, war nach dem Abitur zunächst als „Haustochter“ auf einem Rittergut tätig gewesen, studierte dann aber Medizin in Marburg und München, wo sie ihre Examina mit „gut“ bestand. Danach arbeitete sie im Seehospiz auf Norderney und promovierte 1931 in Marburg mit einer Dissertation über Analkarzinome zum Dr. med. Danach volontierte sie in der Diabetikerstation auf Rügen, bevor sie Gerhardt Katsch an die Klinik holte. Katsch beließ sie in der Stellung, obwohl von ihm gefordert wurde, diese einem Mann zu übertragen. Als ihr Vertrag zum 31. Dezember 1933 auslief, unternahm er jedoch keine Anstrengungen, diesen zu verlängern.833 Zu einer verstärkten Anstellung von Frauen kam es erst während des Krieges, wo bacin starben nur zwei von dreizehn Patienten. Bei der Influenza-Meningitis starben die beiden mit Prontosil behandelten Kinder, die mit Eubacin behandelten überlebten. Bei der Form der Pneumokokken-Meningitis versagten beide Mittel. Vgl. Waldmann, Elisabeth: Über die Behandlung eitriger Meningitiden mit Sulfonamiden, Diss. med., Greifswald 1941, S. 74 ff. und Lebenslauf. 831 Vgl. Huerkamp, Bildungsbürgerinnen, S. 81 ff. 832 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. X Nr. 2, Bd. 4, Bl. 604 ff. 833 Vgl. UAG K 392, Bl. 39.

3.10 Die soziale Situation der Universitätsangehörigen

247

insbesondere in der Kinderklinik mehrere Ärztinnen tätig waren. Zur Habilitation gelangte in Greifswald keine einzige Wissenschaftlerin, obwohl zum Beispiel in der Vererbungswissenschaft mit Lilly Mudrow eine geeignete Kandidatin zur Verfügung stand. Sie wechselte zur IG Farben und befasste sich fortan mit der Entwicklung von Arzneimitteln.834 Bei den Studentinnen war eine ähnliche Entwicklung wie bei den Ärztinnen zu verzeichnen: kurzzeitiger Rückgang in der Frequenz und Anstieg im Krieg. Im Sommersemester 1932 studierten 287 Frauen in Greifswald, was 11,9 Prozent entsprach. Im Sommersemester 1935 waren es 206, womit sich ihr Anteil auf 15,9 Prozent erhöhte. Vier Jahre später, im Sommersemester 1939, waren es nur 61, also 10,6 Prozent. Der Frauenanteil erhöhte sich während des Krieges dramatisch. Im Sommersemester 1943 waren es 410, also 44,4 Prozent und im Sommersemester 1944 studierten erstmals mehr Frauen an der Universität als Männer. Von 1523 eingeschriebenen Studierenden waren 946 weiblich, 62,11 Prozent.835 Da es keine Pastorinnen gab und im Justizdienst Frauen nicht eingestellt wurden, studierten die jungen Frauen vorwiegend in der Philosophischen Fakultät, etwa um Studienrätinnen zu werden oder, seltener, Naturwissenschaftlerinnen. Im Wintersemester 1942/43 lag der Frauenanteil bei fast drei Viertel der Studierenden. In der Medizinischen Fakultät betrug ihr Satz im Wintersemester 1927/28 10 Prozent, verdoppelte sich aber bis zum Wintersemester 1932/33 auf ein Fünftel. Durch die Studienbeschränkungen infolge des Gesetzes gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933 sank der Frauenanteil in der Medizinischen Fakultät wieder auf 10 Prozent im Wintersemester 1937/38. Im Wintersemester 1943/44 waren aber bereits 22 Prozent der Studierenden der Medizin Frauen, im Wintersemester 1944/45 stieg ihr Anteil auf 40 Prozent an.836 Zumindest die Studenten freuten sich über den hohen Frauenanteil. Es gebe nun einmal, frei nach Wilhelm Busch, „viele Sachen, die Mädchen nicht alleine machen …“.837 Die große Zahl weiblicher Studierender in Greifswald entsprach einem Trend, der sich im gesamten deutschen Reich vollzog. Die Universität unternahm nichts, um sich dem Trend entgegenzustellen, zeigte aber auch wenig Neigung, Frauen besonders zu fördern. 834 Vgl. Hulverscheidt, Marion: Die klinische Prüfung des Sontochin. Arzneimittelforschung im Krieg, in: Eschenbruch, Nicholas: Arzneimittel des 20. Jahrhunderts. Historische Skizzen von Lebertran bis Contergan, Bielefeld 2009, S. 144 f. 835 Vgl. Woigk, Carsten: Die Studierenden-Statistik der Universität Greifswald 1808–2006, in: Universität und Gesellschaft, Bd. 1, S. 573 f. 836 Vgl. Dietrich, Die Studierenden, in: Alvermann, Schranken, S. 87 f.; zur Entwicklung im Deutschen Reich vgl. Huerkamp, Bildungsbürgerinnen, S. 80–91. 837 Vgl. NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Yorck, Nr. 16, Oktober 1944, S. 63.

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3. Das Jahr 1933: Umbruch, Denunziation und geistige „Revolution“

In den Festreden der Universität wurde das Thema Frauenstudium nicht erwähnt und auch in den Akten zur Befreiung von Studiengebühren oder für (Teil)Stipendien finden sich ebenso wenig Anträge von Frauen wie in den Rechnungsbüchern des Unterstützungsfonds, über den der Rektor nach Gutdünken verfügen konnte.838 Was der Ordinarius für Frauenheilkunde und spätere Dozentenführer Günther F. K. Schultze von der Erwerbsarbeit der Frau hielt, beschrieb er 1939 in einem populär gehaltenen Band über die Hygiene der Frau und ihre biologischen Grundlagen. Mit dem Ratgeber beabsichtigte er, die „Volksgemeinschaft“ für „die Gesunderhaltung der Frau“ zu sensibilisieren, denn: „nur die gesunde Frau wird ihrem Volke viele und wertvolle Kinder schenken, nur die körperlich und seelisch leistungsfähige Frau kann allen Anforderungen der Ihren gerecht werden und tragfähiger Mittelpunkt der Familie sein“. Sein Buch solle die Frau nicht nur vertraut machen mit den „Eigentümlichkeiten ihres Körpers“, sondern auch den Sinn erwecken „für die gewaltigen Aufgaben“, die sie „durch ihre Weiblichkeit zu erfüllen habe“. „Voller Stolz“ möge die Frau „die Stellung erkennen, die ihr durch ihre geschlechtsgegebenen Fähigkeiten im Volksganzen bestimmt“ sei.839 Das Buch enthielt durchaus nützliche Fakten, wie von einem Ratgeber zu erwarten war, Schultze äußerte sich jedoch auch zur Frage des Frauensports, den er ausschließlich mit Blick auf die Rolle der Frau als künftiger Mutter betrachtete. Daher empfahl er tägliche Gymnastik, um „nicht nur Geräumigkeit, sondern auch Dehnungsfähigkeit“ sowie die „Anpassungsfähigkeit an das zunehmende Raumbedürfnis der wachsenden Gebärmutter und der wachsenden Frucht“ zu erhalten. Demgegenüber stelle Sport „nicht die idealste Form körperlicher Betätigung dar“. Die im männlichen Wettkampfsport entwickelten Übungen seien „überhaupt den Bedingungen des weiblichen Körpers nicht entsprechend“. Die Ausbildung bestimmter Muskelgruppen sei ebenfalls unerwünscht. „Interessant“ sei darüber hinaus die Feststellung, dass man unter Wettkämpferinnen mit hohen Leistungen zu einem hohen Prozentsatz „Frauen mit ganz oder in Einzelheiten unweiblichen Körperformen“ finde.840 Es erscheint selbstverständlich, dass Schultze auch das Thema Erwerbstätigkeit unter dem Gesichtspunkt des Wertes der Frau „für das Volksganze“ betrachtete. Die von „gewissen Richtungen der Frauenbewegungen“ aufgestellte „Forderung 838 Der Unterstützungsfonds wurde von den Städten Greifswald und Stettin gespeist. Vgl. UAG R 1327 und 1328. Zwischen 1906 und 1925 wurden 171 Frauen an der Universität Greifswald promoviert, überwiegend in der Philosophischen Fakultät. Besondere Hürden wurden den Frauen nicht gestellt, aber Anstrengungen zur Förderung von Frauen gab es offenbar nicht. Vgl. Pieper, Julia: Grypswaldia, Du magst ruhig sein, denn die Studentin zieht jetzt ein. Die Anfänge des Frauenstudiums in Greifswald 1873 bis 1925, Rostock 2007, S. 123 ff. 839 Vgl. Schultze, Günter K. F.: Hygiene der Frau und ihre biologischen Grundlagen, Leipzig 1939, Vorwort. 840 Vgl. ebd., S. 18 und 22 f.

3.10 Die soziale Situation der Universitätsangehörigen

249

der Berufstätigkeit und des außerhäuslichen Wirkens der Frau als ,Notwendigkeit zur Entfaltung der freien Persönlichkeit‘“ sei ein „Irrweg“. Die Frau brauche zur „Entwicklung ihrer Persönlichkeit bestimmt kein Berufsleben“. Die Bedeutung, die sie für ihre Umwelt „durch ihre weiblichen Eigenheiten“ gewinne, sei „unendlich viel größer als jeder Erfolg, den sie durch vergängliches Berufswirken“ erreichen könne. Daher bedauerte Schultze die „soziale Notwendigkeit“ der weiblichen Erwerbstätigkeit. Da diese aber gegeben sei, müssten die hygienischen Bedingungen am Arbeitsplatz aus dem Blickwinkel der „Fortpflanzungsleistung der arbeitenden Frau“ betrachtet werden. Aber da nicht nur das „Einzelschicksal“ der Frauen zähle, sondern „das Schicksal der Kinder und der Familie“, müsse ein Weg gefunden werden, sie „von dem Zwange zur außerhäuslichen Erwerbsarbeit zu befreien“, zu Gunsten der „Lasten, die sie für Fortpflanzung und Familie und damit für das Volksganze zu tragen haben“.841 Es erscheint nur folgerichtig, dass Schultze später die Forschungen der Frauenklinik auf dieses politische Ziel der Erhöhung der Geburtenzahlen ausrichtete.

841 Vgl. ebd., S. 131–140.

4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

4.1 Politische und militärische Veränderungen des Lehrprogramms

Mit dem Sommersemester 1933 schwoll die Zahl der Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten mit aktuellen Inhalten stark an. Die Volkswirte Hoffmann und Muhs lasen über „politische Bestrebungen“ und „Wirtschaftskrise“, der Historiker Frauendienst über die „Kriegsschuldfrage“ und der Biologe Just über „menschliche Erblehre und Eugenik“. Die „Physik im Heere“ wurde vom langjährigen Assistenten des Physikalischen Instituts Reinkober behandelt.842 Nicht im Vorlesungsverzeichnis gedruckt, aber am Schwarzen Brett angekündigt wurde eine Vorlesung des soeben pensionierten Generalmajors Walther Wendorff zur Wehrwissenschaft. Diese wurde von den Studenten außerordentlich stark nachgefragt, woraufhin Wendorff anbot, auch die praktische Ausbildung der Studenten im Wehrsport zu übernehmen. Das wiederum lehnten die nationalsozialistischen Studenten ab, weil Wendorff mit seiner Übersiedlung nach Greifswald in den Stahlhelm eingetreten war. Wehrsport aber war Sache der SA.843 Im Wintersemester 1933/34 boten die vier Fakultäten immer dienstags von 20 bis 22 Uhr jeweils eine Gemeinschaftsvorlesung an. Die Themen waren: „Rasse – Heimat – Geschichte“, „Sprache und Volkstum – Dichtkunst – bildende Kunst“, „Volksgesundheit – Arbeit – Staat und Recht“ sowie interdisziplinär gehalten vom Philosophen Schulze-Soelde, dem Juristen Köttgen und dem Theologen Beyer: „Geistesart – Staat und Recht – Kirche“. Dazu kam eine Reihe von Einzelvorlesungen. Die Juristen Hamel und von Gemmingen lasen über den „nationalsozialistischen Staat“ sowie über „nationalsozialistisches Strafrecht“. Bei den Medizinern waren es „Erbpflege und Bevölkerung“ (Dresel) und „Europäische Vorgeschichte und Rassengeschichte“, bei den Philosophen lasen die Historiker Curschmann und Paul über die Geschichte des Krieges 1914–18 und über „Nordische Führergestalten“. Allerdings dominierte das Militärische. Wendorff las am Sonntagmorgen von 8 bis 9 Uhr über „Wehrwissenschaftliche Tagesfragen, Pazifismus, Führertum, Grundbegriffe der Kriegsführung“, der Geograph Hartnack am Freitagabend über „Wehrgeographie“. Die Physiker Schlomka und Reinkober trugen über Grundlagen des Motorund Segelflugs sowie über „Heeresphysik“ vor.844 Darunter war vor allem Ballistik für 842 Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis, Sommersemester 1933, S. 47. 843 Vgl. UAG PA 2131 Wendorff. 844 Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis, Sommersemester 1933, S. 46 f.

4.1 Politische und militärische Veränderungen des Lehrprogramms

251

Fortgeschrittene zu verstehen, etwa die Erklärung, wie sich der Luftwiderstand eines Geschosses berechnen lasse. Außerdem behandelte Reinkober die Optik von Ferngläsern, Entfernungsmessern und Richtgeräten.845 Seine Vorlesung über „Optik im Heeresdienst“ bot er mehrfach an.846 Die Chemiker und Mediziner hielten verschiedene Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten zum Thema „Gaskampf und Gasschutz“. Der Dozent Fritz Brauch, der in der Medizinischen Klinik im Auftrag der Luftwaffe an seiner Habilitation gearbeitet hatte,847 las über Luftfahrtmedizin. Spezieller wurde der Chemiker Wolfgang Langenbeck, der versuchsweise eine Vortragsreihe nur über chemische Kampfstoffe hielt, was sich jedoch nicht bewährte, wie er später bilanzierte. Das wesentliche Material reiche als Stoff für eine Vorlesung nicht aus, so dass man gezwungen sei, sich in Einzelfragen zu verlieren. Daher baute er die Kampfstoffe in seine Hauptvorlesung über organische Chemie ein, so erläuterte er die Chemie des Kampfstoffs Senfgas, also Dichlorätylsulfid (bzw. Dichlordiethylsulfid) bei den Thioläthern, die Grünkreuzkampfstoffe bei den Kohlensäurederivaten. Der Vorteil sei dabei, dass man in einer Vorlesung mehrfach auf Luftschutzfragen zurückkommen müsse, „wodurch die Bedeutung dieses Gebiets dem Studenten um so eindringlicher klar“ werde.848 Institutsdirektor Jander behandelte ebenfalls Fragen des Gaskampfes, wobei er mit den Studierenden zum Beispiel die notwendige Konzentration von Lost für die Kontaminierung eines Geländes berechnete, unter Berücksichtigung verschiedener Umweltfaktoren, etwa Wind. Außerdem las er über Tarn- und Reiznebel sowie die Funktionsmechanismen der Absorptionskohle im Gasmaskenfilter. Der Physikochemiker Fredenhagen sprach bei dem Thema kinetische Gastheorie über die Grundlagen der Herstellung von Aerosolen. In den Übungen führte er am Tier die Ätzwirkungen von Senfgas bzw. Gelbkreuz oder Lost vor.849 Für Studentinnen, die an der Ausbildung des Reichsluftschutzbundes teilnehmen mussten, setzte Langenbeck besondere Lehrgänge zum Gasschutz an.850 Die politischen Themen waren von unpolitischen begleitet. Wer wollte, konnte sich auch mit der plattdeutschen Literatur (Lektor Mischke), der Geschichte der Gottesidee (Jacoby) oder den Ursprüngen des Islam (Caskel) vertraut machen. Die Mediziner hielten in jedem Semester eine Vorlesung über Geschlechtskrankheiten, das Thema konnte speziell gehalten sein („Der Tripper bei Mann und Frau“) oder allgemein.851 845 846 847 848 849 850 851

Vgl. UAG R 977, Bl. 378. Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis, Sommersemester 1939, S. 39. Vgl. UAG PA 457 Brauch, Bd. 3, Bl. 101. Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 504, Bd. 2. Vgl. UAG R 977, Bl. 387. Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 504, Bd. 2. Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis, Sommersemester 1933, S. 47; Wintersemester 1933/34, S. 46.

252

4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

Die Zahl der politischen Vorlesungen sank, weil sich das Interesse an ihnen verlor. Der Jurist Jahrreiß las im Sommersemester 1934 letztmalig für Hörer aller Fakultäten über „Die Weltpolitik der Hauptmächte“ und über „Das französische Bündnissystem“.852 Auch Generalmajor Wendorff stellte seine Vorlesungen im Dezember 1935 wegen „absolut fehlenden Interesses der Studentenschaft“ ein. Im Wintersemester 1936/37 las er jedoch noch einmal über den aktuellen Abessinienkrieg, der mit der Annexion Äthiopiens durch Italien endete.853 Im Sommersemester 1939 gab es noch ganze 8 Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten, im Wintersemester 1933/34 waren es 34 gewesen. Die angebotenen Themen waren 1939 zur Hälfte unpolitisch (Religionsgeschichte las Glawe, Magon über Knut Hamsun; das Thema Nutzpflanzen wurde von Metzner gelesen, die Bekämpfung und Verhütung der Geschlechtskrankheiten von Wilhelm Richter). Politisch inspiriert war ein Kolloquium, das der Historiker Hermann Christern anbot: „Ostmitteleuropa und Großdeutschland“. Der beauftragte Philosophiedozent und Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der SS Günther Lutz hielt „Übungen über den Kulturbegriff der Gegenwart“ ab. Was sich dahinter verbarg, kann durchaus vermutet werden. Denn seine Dissertation widmete Lutz dem SD-Chef Reinhard Heydrich und behandelte das „Gemeinschaftserlebnis in der Kriegsliteratur“.854 Das Militärische blieb trotz des allgemein nachlassenden Interesses für diejenigen wichtig, die sich zielgerichtet auf den Kriegsdienst vorbereiteten. Der militärischen Vorbereitung diente zum Beispiel auch der Sportunterricht, der nicht nur im Geländesportlager in Lubmin durchgeführt wurde. Die Universität hatte dort im November 1933 ein bankrottes Kurhaus samt Grundstück gepachtet und 1943 käuflich erworben.855 Alle Studierenden mussten innerhalb der ersten drei Semester einen benoteten Teilnahmenachweis über die Grundausbildung im Sport erbringen. Die Männer hatten wie die Frauen an der „allgemeinen Körperausbildung“ teilzunehmen, aber auch Prüfungen im Hallenturnen und im Boxen abzulegen. Ein fünf bis sechs Kilometer langer Geländelauf war ebenso Pflicht wie das leichtathletische Fünfkampftraining. Für die Teilnahme an Mannschaftsspielen, etwa Fußball oder Handball, wurden Punkte vergeben, im Kleinkaliberschießen war eine weitere Prüfung zu absolvieren.856 Außerdem wurde in den Kameradschaften intensiv gefochten, galt 852 Vgl. UAG K 183, Bl. 190. 853 Vgl. PA 2131 Wendorff. 854 Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis, Sommersemester 1939, S. 50–54; Lutz, Günther: Das Gemeinschaftserlebnis in der Kriegsliteratur, phil. Diss., Greifswald 1936, Vorsatzblatt. 855 Vgl. UAG K 5959; R 977, Bl. 270. 856 Vgl. Studienbuch Georg Seegrön, in: UAG PA gest. Stud. Nr. 305 Seegrön; NSDStB Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Münter (= Konrad von Jungingen), Nr. 2, Januar 1939, S. 7.

4.1 Politische und militärische Veränderungen des Lehrprogramms

253

der Fechtsport doch als „Verkörperung der Wehrhaftigkeit“.857 In den ehemaligen Eisenbahnwerkstätten wurde eine Boxhalle eingerichtet. Die akademische Reithalle existierte schon seit dem 19. Jahrhundert. Der Akademische Seglerverein zog in den ersten Jahren des NS-Regimes sicher viele Studierende in die Stadt, mit Kriegsbeginn wurde der Bodden freilich für Zivilfahrzeuge gesperrt. Der Lehrkörper lieferte dazu die ideologische Unterfütterung. So fand auf Bitten der Studentenführung am 25. November 1934, wenige Tage nach dem Jubiläum des später ideologisch überhöhten Gefechts von Langemarck,858 eine Gedenkfeier für die „gefallenen Kommilitonen“ statt. Im Ersten Weltkrieg waren viele Greifswalder Studenten gestorben, auf konkrete Schicksale ging Friedrich Baumgärtel in seiner Predigt jedoch nicht ein. Baumgärtel, der selbst an der Front gestanden und Tapferkeitsorden erhalten hatte, abstrahierte und versuchte, dem Sterben einen Sinn zu geben. Er verwies auf die Pflichterfüllung gegenüber dem Vaterland, vor allem aber auf das Erlebnis selbst, „das große Geschenk, das dem Frontsoldaten geworden“ sei. Es sei das Erlebnis des „media in vita in morte, mitten im Leben im Tod“. Sie hätten das Eine begriffen: „Leben ist Gesetztsein in die Todeswirklichkeit“, und dadurch erfahren, welch „Gottesgeschenk“ das Leben sei. Er habe auch „innere Not“ der Kameraden an der Front erlebt, von der wolle er aber nicht sprechen: „Es wäre nicht im Sinne unserer gefallenen Kameraden.“ Sprechen wolle er stattdessen über das „Heldische“.859 Zunächst grenzte sich Baumgärtel von denen ab, die nach dem Krieg gekommen seien, den „Remarques“ und „wie sie alle heißen“. Diese hätten behauptet, der Krieg sei „Grauen und Schwachheit und äußeres und inneres Elend im Felde und in der Heimat“. Das sei aber eine Wirklichkeit, in der Tod als „Sinnlosigkeit“ gelten müsse. Das „Sterbenmüssen“ habe aber einen Sinn gehabt, behauptete Baumgärtel dann. Die politischen Zusammenhänge hätten „klar vor Augen“ gelegen. Den Krieg zu verlieren habe für Deutschland bedeutet, „die wirtschaftliche Existenz [zu] verlieren“. Das sei bereits damals die „Wahrheit“ gewesen, aus der folge: „Weil unser Volk leben muss, müssen wir sterben.“ Dem „einfachen Mann“ sei dies jedoch nicht zu vermitteln gewesen und dieser habe damit durchaus recht gehabt: „Das konnte für ihn nicht der Sinn dieses Sterbenmüssens sein.“ Sinn habe das Sterben nur dann, wenn das Leben nicht auf den Tod, sondern auf „Erfüllung“ zustrebe. Mit dem Sterben der Gefallenen habe sich aber „etwas erfüllt“, nämlich die „innere Wendung unseres Volkes“.860 „Unser Volk“ aber, so Baumgärtel, stehe „heute am Scheidewege“ und das 857 Vgl. Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Münter, Nr. 2, Januar 1939, S. 7. 858 Zum Langemarck-Mythos vgl. Unruh, Karl: Langemarck. Legende und Wirklichkeit, Bonn 1997. 859 Vgl. Baumgärtel, Friedrich: Unseren gefallenen Kommilitonen zum Gedächtnis, Greifswald 1934, S. 3 ff. 860 Vgl. ebd., S. 7 ff.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

bedeute, „jeder von uns – mit ihm“. Sein Fazit kleidete Baumgärtel in rhetorische Fragen, deren Antwort den anwesenden Studenten nach dem Vorhergesagten klar war: „Hat die Sterbensnot unserer gefallenen Brüder einen letzten Sinn? Hören wir aus ihr heraus den Ruf des lebendigen Gottes an uns und an unser Volk?861

4.2 Friktionen im Kirchenkampf, Rückgang des Theologiestudiums

Bereits in seinem Buch Mein Kampf hatte Hitler angekündigt, dass seine Weltanschauung künftig nicht bereit sein werde, „mit einer zweiten zu teilen“. Jeder Träger dieser „Weltanschauung“ fühle daher „die Verpflichtung“, die „gesamte gegnerische Ideenwelt mit allen Mitteln zu bekämpfen“, was bedeute, deren „Einsturz“ vorzubereiten.862 Zahlreiche Nationalsozialisten waren jedoch Christen und konnten, wie der spätere Reichsbischof Ludwig Müller zum Jahreswechsel 1933/34 schrieb, eine „Discordia“ zwischen beiden Weltanschauungen bzw. Religionen nicht erkennen.863 Durch die Auseinandersetzungen zwischen fanatischen Nationalsozialisten und gemäßigten Kräften bei den Machtkämpfen innerhalb der Kirchen und weil mehrere Tausend Geistliche die Etablierung diktatorischer Verhältnisse in der Gesellschaft und die rassistischen Maßnahmen des Regimes gegen die Juden ablehnten, entwickelte sich in den folgenden Jahren eine Auseinandersetzung, die als „Kirchenkampf“ beschrieben worden ist. Innerhalb dieser Auseinandersetzung gab es wechselnde Bündnisse und Gegner, zahlreiche Vermittlungsversuche (auch durch Hitler selbst) und radikale Kurswechsel des Regimes.864 In Pommern konnte die der NSDAP nahestehende Glaubensgemeinschaft Deutscher Christen bei den Kirchenwahlen 1932 über 60 Prozent der Stimmen erreichen, die Kirchenwahlen im Juli 1933 erbrachten je nach Ort zwischen 60 und 80 Prozent der Stimmen. Durch die Radikalisierung der Deutschen Christen, ihre Ablehnung des Alten Testaments und die Bekämpfung gemäßigter Kräfte kam es jedoch auch in Pommern zu Unmut und öffentlichen Protesten. Die Deutschen Christen reagierten darauf mit Repressionen innerhalb der Kirche und versuchten, staatliche Stellen zur Verfolgung ihrer nun als solche bezeichneten „Gegner“ zu animieren.865 Die NSDAP 861 Vgl. ebd., S. 11 f. 862 Vgl. Hitler, Mein Kampf, S. 508. 863 Vgl. Siegele-Wenschkewitz, Leonore: Nationalsozialismus und Kirchen. Religionspolitik von Partei und Staat bis 1935, Düsseldorf 1974, S. 162. 864 Vgl. Baier, Helmut: Das Verhalten der lutherischen Bischöfe gegenüber dem nationalsozialistischen Staat 1933/34, in: Tutzinger Hefte, Sonderband 1: Kirche und Nationalsozialismus. Zur Geschichte des Kirchenkampfes, München 1969, S. 87–116. 865 Vgl. Thévoz, Robert, Hans Branig und Cécile Lowenthal-Hensel: Pommern 1934/35 im Spiegel von Gestapo-Lageberichten und Sachakten, Bd. 1: Darstellung, Köln, Berlin 1974, S. 112 ff.

4.2 Friktionen im Kirchenkampf, Rückgang des Theologiestudiums

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wiederum versuchte, den Streit aus der Gesellschaft in die Kirchen zurückzudrängen, und erklärte, sich der Stellungnahme zu enthalten. Der Nationalsozialismus sei „Staats­ idee“, so eine offiziöse Stellungnahme am 27. November 1933, und dürfe „nicht in Angelegenheiten gezogen werden, die die Einheit dieses Volkes zu bedrohen in der Lage sind“.866 Am selben Tag hielt jedoch der Bischof von Cammin, Karl Thom, eine Kundgebung ab, in der er unter dem Vorwand, den „wirklichen Frieden in der Kirche“ herstellen zu wollen, erneut jene „Gegner“ angriff, die sich der Verwirklichung des Führerprinzips in der Kirche – und damit auch den Deutschen Christen – widersetzten. Dagegen protestierten die Greifswalder Professoren und Dozenten Baumgärtel, Deißner, Fichtner, von der Goltz, Greeven, Hermann, Jeremias und Schultze. Sie könnten nicht zu Deutschen Christen werden, schrieben sie am 28. November, „und zwar aus ihrem Verständnis vom Evangelium und Kirche heraus – nicht weil sie ,Reaktionäre‘ wären“, wie man behaupte. Außerdem, so der mutige Brief, müsse die „unberechtigte Gleichschaltung in den kirchlichen Ämtern und Körperschaften behoben“ und das „gleiche Recht aller auf dem Boden des biblischen Evangeliums stehenden Gemeindeglieder und Pfarrer“ wiederhergestellt werden.867 Dieses Schreiben rief die Polizei auf den Plan, weil der Examenskandidat der Theologie Felix Moderow diesen Brief 600 Mal drucken ließ und beabsichtigte, ihn an alle Pfarrer zu versenden. NSDAP-Kreisleiter Hube wurde verständigt, der anwies, die Drucke zu beschlagnahmen und den Bischof in Kenntnis zu setzen. Zugleich fand der Brief abschriftlich Eingang in die Akten der Polizeidirektion Stettin. Veranlasst wurde aber nichts, da das Innenministerium entschied, in dieser „rein kirchlichen Angelegenheit“ nicht einzugreifen.868 Die Mehrzahl der Theologiestudenten engagierte sich jedoch für die Deutschen Christen oder in deren Kampfschar. Die Kampfschar wurde vom Systematischen Theologen Wilhelm Koepp geleitet und zog Anfang 1935 agitierend durch Vorpommern, was für Unmut unter der Bevölkerung sorgte, wie die Gestapo aufmerksam registrierte.869 Als der Dozent Erdmann Schott, Pfarrer in der Patronatskirche Dersekow, mit seiner Kirchengemeinde der Bekenntnissynode beitrat, ließ Koepp die Kampfschar agitierend durch das Dorf ziehen. Als sich Schott bei der Theologischen Fakultät deshalb 866 Vgl. Meier, Kurt: Der evangelische Kirchenkampf. Bd. 1: Der Kampf um die „Reichskirche“, Halle 1984, S. 139. 867 Vgl. RGVA Fond 503 Opis 1 Delo 267, Bl. 45. 868 Anordnung des RMdI v. 30.11.1933. Selbstverständlich wurden wegen expliziter politischer Äußerungen Pfarrer verhaftet, und das wurde auch in den Tageszeitungen, etwa der Pommerschen Tagespost, so veröffentlicht. Vgl. ebd., S. 80 ff. 869 Vgl. Thévoz, Robert, Hans Braning und Cécile Lowenthal-Hensel: Pommern 1934/35 im Spiegel von Gestapo-Lageberichten und Sachakten, Bd. 2: Quellen, Köln und Berlin 1974, S. 361.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

beschwerte, wurde der Sachverhalt aber lediglich zur Kenntnis genommen.870 Die Spaltung innerhalb der Fakultät ging noch tiefer, als die Professoren Deißner und Hermann in der Bekennenden Kirche mitarbeiteten und so ihre Distanz zur Kirchenpolitik des Regimes zum Ausdruck brachten. Als sie deshalb angegriffen wurden, betonten sie, dass das ihre Privatsache sei und mit dem Lehramt nichts zu tun habe.871 Hermann und andere distanzierten sich dann jedoch deutlich von der Bekennenden Kirche.872 Durch solche Querelen, aber auch durch das konkurrierende Angebot der Bekennenden Kirche für eine eigene Pfarrerausbildung ging die Zahl der Studierenden der Theologie von 361 im Sommersemester 1933 auf 32 im Wintersemester 1938/39 zurück.873 So erstaunt nicht, dass zu den regelmäßigen Andachten und Kursen, die von der Bekennenden Kirche abgehalten wurden, lediglich etwa sieben Teilnehmer kamen. Mit dem Antritt von Albrecht Schönherr als Leiter des Theologiestudentenamts intensivierte sich jedoch die Aktivität, nicht zuletzt deshalb, weil Schönherr im leerstehenden Haus der Borussia in der Arndtstraße 10 ein Studentenheim eröffnete, das zwölf Studierenden Platz bot. Später zog das Studienhaus um, zunächst in das Gebäude der Gothia, dann des Wingolfs. Möglicherweise war es die scharfe Frontstellung dieser Studierenden der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus,874 die den neuen Studentenführer Helmut Kreul875 zu einer radikalen Ansprache beim Antrittsappell zum Wintersemester am 5. November 1936 herausforderte. Am Ende der Rede kam er auf das Verhältnis des Nationalsozialismus zum Christentum zu sprechen, die als zwei sich ausschließende Weltanschauungen mit totalem Anspruch zu betrachten seien. Die 870 Vgl. Klän, Werner: Die Evangelische Kirche Pommerns in Republik und Diktatur. Geschichte und Gestaltung einer preußischen Kirchenprovinz 1914–1945, Köln u. a. 1995, S. 290 f.; UAG PA 892 Beyer. 871 Vgl. PA 321 Deißner; PA 337 Hermann; Klän, Kirche Pommerns, S. 344 ff. 872 Vgl. Magedanz, Bernd: Schöpfung kommt vor dem Fall – Grundzüge der Theologie Rudolf Hermanns, in: Garbe, Irmfried, Tilman Beyrich und Thomas Willi (Hg.): Greifswalder theologische Profile. Bausteine zur Geschichte der Theologie an der Universität Greifswald, Frankfurt am Main u. a. 2006, S. 254. 873 Vgl. Woigk, Carsten: Die Studierenden-Statistik der Universität Greifswald 1808–2006, in: Alvermann/Spiess, Universität und Gesellschaft, Bd. 1, S. 573 f. 874 Vgl. Nitzsche, Raimund und Konrad Glöckner (Hg.): Geistige Heimat ESG. In Freiheit leben aus gutem Grund, Erinnerungen aus 60 Jahren Evangelischer Studentengemeinde Greifswald, Greifswald 2006, S. 15 ff. 875 Kreul hatte Rechtswissenschaft in Hamburg, München und Rostock studiert und verbrachte die Examenssemester in Greifswald. Kreul war 1932 in München in die NSDAP und den Studentenbund eingetreten, eine Beurteilung aus dem Schulungslager Zossen bescheinigte ihm in der Rubrik „Weltanschauliche Haltung“, dass er „ganz gefestigt“ sei, „klar und bewusst“. Vgl. BA BDC Kreul; http://matrikel.uni-rostock.de/id/300000341, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

4.3 Die ausländischen Studierenden

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Semesterarbeit des Studentenbundes müsse daher darauf gerichtet sein, dass sich jeder Student entscheide, ob er Nationalsozialist sei oder Christ. Ohnehin sei Christus ungermanisch und damit abzulehnen. Dekan Koepp widersprach auf der Versammlung nicht, forderte aber den Leiter der theologischen Fachgruppe auf, eine Versammlung einzuberufen. Die überwiegend den Deutschen Christen angehörigen Studenten legten förmlichen Protest ein, was zur Folge hatte, dass die Fachgruppe aufgelöst und ihr Leiter einem Parteigerichtsverfahren unterzogen wurde.876 Um die religiöse Betreuung der Studierenden nicht unmöglich zu machen, ernannte der Provinzialausschuss der evangelischen Kirche den Nationalsozialisten Johannes Fichtner zum 1. Oktober 1938 zum Studentenpfarrer.877 Da sich Fichtner, so das Urteil von Studentenführer Kreul, „rückhaltlos“ zum nationalsozialistischen Staat bekannte,878 wurde die Personalie vom Nationalsozialistischen Studentenbund akzeptiert, so dass gemeinsame Gottesdienstbesuche, Leseabende und das Singen im Chor wieder möglich waren und nicht als oppositionelle Tätigkeit galten. Ohnehin hatte sich der radikale Kreul mit Beginn des Wintersemesters 1937/38 zum Wehrdienst gemeldet, so dass sich die Verhältnisse in dieser Hinsicht normalisierten. Der Kreis, den Fichtner um sich scharen konnte, war allerdings nicht groß, es waren meist etwa zwanzig bis dreißig Studierende, die sich im Gemeinderaum trafen.879

4.3 Die ausländischen Studierenden

Die Zahl der Ausländer an der Universität Greifswald ging seit 1930 zunächst zurück und stieg erst ab 1935 wieder allmählich an, wie auch an den anderen Universitäten. Holger Impekoven hat als Ursache dafür den Zivilisationsbruch 1933 verantwortlich gemacht, der mit einer heftigen Ablehnung alles Fremden einherging und in der Bücherverbrennung kulminierte.880 Die bereits vorher herrschenden bürgerkriegsähnlichen Zustände werden im Ausland vermutlich aber auch den Eindruck der Unsicherheit hinterlassen haben. Welche Familie befürwortet den Aufenthalt ihrer Kinder in einem gefährlichen Land? Die Attraktivität der deutschen Forschung blieb jedoch be876 Vgl. Meier, Kurt: Die theologischen Fakultäten im Dritten Reich, Berlin, New York 1996, S. 404 f. 877 Vgl. Nitzsche/Glöckner, Geistige Heimat, S. 9 878 Vgl. UAG PA 326 Fichtner, Bd. 3, Bl. 9. 879 Vgl. Winter, Friedrich: Ein pommersches Pfarrerleben in vier Zeiten. Bischof Karl von Scheven (1882–1954), Berlin 2009, S. 67. 880 Vgl. Impekoven, Holger: Deutsche Wissenschaft von außen beurteilt – Überlegungen zur Attraktivität deutscher Universitäten und Hochschulen für ausländische Wissenschaftler und Studenten (1933–1945), in: Scholtysek/Studt (Hg.), Universitäten und Studenten, S. 161 ff.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

stehen, gerade in den naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Wissenschaften. Die von Impekoven konstatierte Veränderung bei den Herkunftsländern war sowohl der Berichterstattung über das Deutsche Reich als auch einer geänderten Willkommenskultur zu verdanken. Auffällig ist dabei der Rückgang der Zahl der USAmerikaner und der Polen, die an deutschen Universitäten studierten. Die Gesamtzahl der ausländischen Studierenden lag im Deutschen Reich 1939 jedoch wieder bei über viertausend. Erst im Krieg ging die Zahl drastisch zurück.881 Die attraktivsten Universitäten waren zwischen 1933 und 1939 Heidelberg und München, allein in der bayerischen Hauptstadt waren in jedem Semester zwischen vier- und fünfhundert Ausländer immatrikuliert. In Greifswald studierten zwischen 1933 und 1945 lediglich 229 Ausländer, die aus 32 verschiedenen Ländern stammten. Die meisten kamen aus den skandinavischen Ländern Norwegen (50), Schweden (25), Dänemark (12) und Finnland (6). Eine weitere große Gruppe stellten die Studierenden aus der Tschechoslowakei bzw. dem Protektorat Böhmen und Mähren (39). Es ist jedoch nicht immer klar, ob es sich um „Sudetendeutsche“, „Auslandsdeutsche“ oder „reichsdeutsche Studenten nichtdeutschen Volkstums“ gehandelt hatte, wie Tina Kröger feststellte. Die von ihr eingesehenen Akten wiesen solche Zuschreibungen nur vereinzelt auf. Gleiches galt für die „Volksdeutschen“ fremder Staatsangehörigkeit, die vor 1939 vor allem aus Polen oder den baltischen Ländern stammten. Sie wurden oft rundheraus als deutsche Studierende gezählt.882 Der aus Reval stammende baltendeutsche Medizinstudent Georg Seegrön war zum Beispiel Sohn eines deutschen Vaters und einer Mutter mit russischer Staatsbürgerschaft. Diese wiederum hatte aber einen schwedischen Vater und ob deren Mutter Russin oder Estin oder Deutsche gewesen war, ist in den Akten nicht vermerkt. Seegrön wurde vom Studentenwerk gefördert und wohnte im Kameradschaftshaus von Jungingen, seinen Kommilitonen galt er als Deutscher.883 Es gab jedoch auch Studenten aus exotischen Ländern. So verließ der iranische Student der Wirtschaftswissenschaften Amir Aslan Afshar die Universität Greifswald 1941 mit einem Zeugnis, das ihm bescheinigte, dass er „mit Eifer und Fleiß seinen Studien oblegen“ habe. Dekan Rühland betonte, dass er auf Grund „persönlicher Kenntnis“ ein „gutes Zeugnis“ ausstelle.884 Afshar ging nach Wien und promovierte 1943 zum Dr. rer. pol. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er im diplomatischen Dienst und war unter anderem Botschafter in der Bundesrepublik. 1977 wurde er 881 Vgl. ebd., S. 164 ff. 882 Vgl. Kröger, Tina: Aspekte des Ausländerstudiums an der Universität Greifswald 1933 bis 1945, in: Alvermann, Schranken, S. 183 f. 883 Vgl. PA verst. Stud. 305, Seegrön. 884 In der Akte der Juristischen und Staatswissenschaftlichen Fakultät ist die Schreibweise des Namens Achar. Vgl. UAG Jur. Fak. Nr. 92, Bl. 177.

4.3 Die ausländischen Studierenden

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Chef des Diplomatischen Protokolls am Hof des Schah, mit dem er 1979 ins Exil ging.885 Ein ähnlich positiv lautendes Zeugnis erhielt auch Gholam-Hossein Maleki, ebenfalls ein Student aus dem Iran, dessen Spuren sich jedoch verloren.886 Die weitaus meisten ausländischen Studenten, es waren zu über 86 Prozent Männer, besuchten Lehrveranstaltungen der Medizinischen Fakultät. Die Skandinavier waren zu einem großen Teil Studierende der Zahnmedizin, weil dieser Studiengang zu dieser Zeit dort noch wenig entwickelt war.887 Die „Auslandsdeutschen“ und die aus dem Protektorat Böhmen und Mähren studierten überwiegend Allgemeine Humanmedizin. Wegen des Ärztemangels wurden während des Kriegs auch „zuverlässige“ Tschechen zum Abschluss und zur Promotion zugelassen. Diese wurden von dem Germanistikdozenten Theodor Steche überwacht, der zum Beispiel auch kontrollierte, dass an der Universität ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Es gab aber auch insgesamt 76 Studierende der Theologie aus anderen Ländern, also fast ein Drittel aller sogenannten Ausländer.888 Es ist anzunehmen, dass sich darunter um Deutsche mit anderer Staatsbürgerschaft handelte. So legten die evangelischen Kirchen der deutschen Minderheit Wert auf einen deutschen Studienabschluss und eine deutsche Prüfung. Die Lehrsprache der evangelischen Theologischen Fakultät der Universität Warschau zum Beispiel war Polnisch, was den angehenden Pfarrern nichts nützte.889 Enge Beziehungen bestanden aber auch zu den skandinavischen Kirchen, mehrere Greifswalder Professoren hielten in Schweden Vorträge. Über die Wahrnehmung von Stadt und Universität durch die Studierenden ist wenig bekannt, einige Ausländer fanden es zumindest „interessant“ oder „exotisch“, der Etablierung eines extrem nationalistischen und diktatorischen Regimes beizuwohnen, wie Tina Kröger in ihrer Analyse von Briefen und Berichten darlegte. Ein Flame freute sich 1934 über den „Wiederaufstand“ des deutschen Volkes und darüber, dass der „Germane“ zu sich selbst finde. Ein Brite wiederum wunderte sich darüber, dass der Erste Weltkrieg bei jeder Einladung zum Essen noch immer Thema sei. Er beobachtete ironisch distanziert auch, wie sich Greifswald von einer Universitäts- zur Garnisonsstadt wandelte und registrierte den Bau von Kasernen, der in Tag- und Nachtschichten vorangetrieben wurde. Die Umgestaltung der Universität blieb ihm selbstverständlich nicht verborgen, mit dem Ende des Sommersemesters 885 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Amir_Aslan_Afshar, letzter Zugriff: 21.Mai 2015. 886 Vgl. UAG Jur. Fak. Nr. 92, Bl. 176. 887 Vgl. Fietz, Jana: Nordische Studenten an der Universität Greifswald in der Zeit von 1815 bis 1933, Stuttgart 2004, S. 170–178. 888 Vgl. Kröger, Aspekte des Ausländerstudiums, in: Alvermann, Schranken, S. 183–186. 889 Vgl. Kneifel, Eduard: Geschichte der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen 1555–1939, Diss. theol., Hamburg 1957, S. 412.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

1938 verließ er das Deutsche Reich, ohne seine geplante Dissertation abgeschlossen zu haben.890

4.4 Kampf gegen die Korporationen und Erziehung durch Gemeinschaft

Um der Studentenschaft „endlich die notwendige SA.-mäßige straffe Gliederung“ zu geben, wurden sämtliche studentischen Verbindungen am 20. Januar 1934 der Deutschen Studentenschaft und damit dem Reichsführer des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes Oskar Stäbel „unterstellt“. Die Verbände waren damit nur noch für „interne Korporationsfragen“ zuständig. Der Greifswalder Studentenführer Obersturmbannführer Gerhard Adam formulierte etwas präziser und vorsichtiger, dass die Unterstellung in „allen politischen und hochschulpolitischen Angelegenheiten“ gemeint sei.891 Der studentische Aktivist Manfred Pechau nannte in der Universitätszeitung neben der „straffen Gliederung“ einen weiteren Grund für die Notwendigkeit der Eingriffe in die Verbände. In ihnen seien „Gesinnungslumpen“ zu finden, die im 30. Januar 1933 nicht „die Erfüllung eines langen Glaubens“ sehen würden. Unmittelbar nach Pechaus Artikel fand der Leser eine Aufforderung abgedruckt: „Schlagt die Reaktion!“ Für diesen „verrotteten Haufen“ hätten die SAMänner nicht ihr Blut vergossen und man möge sich hüten, der „Großmut des Führers“ könne durchaus auch zu Ende gehen und dann werde man „euch ausrotten vom Erdboden“.892 Diese anonyme Drohung wurde ausgestoßen, obwohl die Mehrzahl der Korpsstudenten der Hitlerjugend oder anderen NS-Organisationen angehört hatte, wie die Gestapo in einem Bericht feststellte.893 Sie reagierten jedoch sehr unterschiedlich. Einige Verbindungen wandelten ihre Häuser in Wohnkameradschaften um, andere stellten ihre Tätigkeit ein oder lösten sich zu Gunsten des NS-Studentenbundes auf. Die konservativ gesinnten Studentenverbindungen scheinen aber weiterhin Reichsgründungsfeiern abgehalten zu haben, weshalb das Wissenschaftsministerium 1936 das getrennte Abhalten von Reichsgründungsfeiern am 18. Januar und am 30. Januar, dem „Tag der nationalen Erhebung“, verbot. Beide Feierlichkeiten seien zusammenzulegen und hätten am 30. Januar stattzufinden. Für die Ausgestaltung der Feier „im Sinne der Ausrichtung auf das Dritte Reich“ sei der Rektor „persönlich verantwortlich“. Ein „starres Festhalten an altgewohnten Formen“ sei nicht erforderlich, 890 Vgl. Kröger, Aspekte des Ausländerstudiums, in: Alvermann, Schranken, S. 190 ff. 891 Vgl. Greifswalder Universitätszeitung, Nr. 1, 9. Jg., 20. Februar 1934, S. 1. 892 Vgl. ebd., S. 2. 893 Vgl. Thévoz, Branig und Lowenthal Hensel: Pommern 1934/35, S. 33.

4.4 Kampf gegen die Korporationen und Erziehung durch Gemeinschaft

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das Chargieren der Korporationen entfalle, von Ansprachen Studierender sei abzusehen. Das „geschlossene Auftreten weltanschaulich ausgerichteter Studentengruppen“, gemeint waren Verbände des NSDStB oder Mannschaften der Kameradschaftshäuser, sei hingegen erlaubt, auch das Mitführen von „Fahnen der Bewegung“. „Parallele Feiern“ dürften nicht abgehalten werden.894 Die nationalsozialistischen Studenten betrachteten das Studium als Dienst am Staat, weshalb „mit dem beschaulichen, individualistischen Studentendasein von früher“ Schluss sein müsse, forderte der Führer des Kameradschaftshauses mit Beginn des Wintersemesters 1933/34. Der nationalsozialistische Student wolle sich eingliedern in eine Gemeinschaft und zur „Gemeinschaftsarbeit“ erzogen werden. Diese Erziehung beinhalte „körperliche Ertüchtigung durch regelmäßiges Morgenturnen und wehrsportmäßige Erziehung“, weshalb das Kameradschaftshaus auch „schlicht soldatisch eingerichtet“ sei. Daneben werde politische Erziehung und Schulung durchgeführt. Die Hauptaufgabe sei allerdings die wissenschaftliche Arbeit, wobei jedem Studenten bewusst sein müsse, dass es ein „Vorzug“ sei, „studieren zu dürfen“. Der Student erhalte seine wissenschaftliche Ausbildung nicht für sich, „sondern für die Gesamtheit, für sein Volk“.895 Bereits im Dezember 1934 stellte Studentenführer Manfred Pechau fest, dass die Bereitschaft, sich diesem Regime zu unterwerfen, gering war. Den Rückgang der Studierendenzahlen interpretierte er als Rückzug in die Großstadt, wo sich der Student „um seine Pflichten gegenüber Staat und Bewegung leichter herumdrücken“ könne. In einer großen Masse könne er mit „Leichtigkeit“ untertauchen, in Greifswald gehe „das nicht“. Pechau empfahl daher die Benennung Greifswalds als „Ostuniversität“, an der Pflichtsemester zu absolvieren seien. Außerdem wies er auf die wertvolle kulturelle Tätigkeit im Osten und die geleistete vorgeschichtliche Arbeit hin, die hier geleistet werde, und auf die Notwendigkeit eines Lehrstuhls für Slawistik.896 Kurator Kolbe erklärte den Rückgang der Studierendenzahlen 1938 anders. Die Gründe, eine „kleine Universität“ aufzusuchen, hätten sich in den letzten Jahren erheblich geändert. Ein Anreiz seien die vielen Möglichkeiten für den Wassersport gewesen, was durch den frühen Semesterbeginn schon im April beeinträchtigt worden sei. Der besonders warme Monat Juli gehöre nun nicht mehr zum Semester. Daher falle auch der Vorteil weg, Rügen und die anderen Seebäder schnell erreichen zu können. Die Möglichkeit, die nordischen Länder, etwa das nahe Dänemark und Schweden zu bereisen, sei durch Devisenbeschränkungen nahezu weggefallen. Es bleibe noch zu erwähnen, dass Greifswald durch das Korporationswesen 894 Vgl. UAG Jur. Fak. Nr. 92, Bl. 30. 895 Vgl. Greifswalder Universitätszeitung, Nr. 6, 8. Jg. vom 27. Oktober 1933, S. 79. 896 Vgl. BA NS 38/2235.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

früher einen nicht unerheblichen Zuzug gehabt habe, gefördert durch die Alten Herren, Verwandte und Bekannte. Es sei der Studentenschaft aber nicht gelungen, Kameradschaften zu schaffen, die sich als geeignet erwiesen, „die Tradition der früheren Verbindungen in irgendeiner Weise fortzuführen“. Angesichts der Tatsache, dass die Studenten vor Beginn des Studiums bereits zwei Jahre mit Arbeits- und Wehrdienst hinter sich hätten, sei bei vielen auch der „Drang nach studentischer Freiheit“ besonders ausgeprägt. Sie hätten die „Befürchtung“, „an einer kleinen Universität in besonders starkem Maße von der Bevormundung der Studentenschaft beeinträchtig zu werden“.897 Tatsächlich sah der Lebenslauf eines Medizinstudenten, der sich 1938 immatrikulierte, wie folgt aus: Geboren 1917, Besuch des Gymnasiums, Reifeprüfung 1936, danach Arbeits- und Wehrdienst, am 31. März 1938 entlassen als Sanitätsunteroffizier. Beginn des Studiums im Sommersemester 1938, 1941 eingezogen zur Heeressanitätsstaffel Berlin, 1943 Medizinisches Staatsexamen.898 Den Wechsel von der strikten nationalsozialistischen, militärisch geprägten Erziehung der Studenten zu einem traditionell geprägten studentischen Leben leitete Studentenführer Gustav Adolf Scheel in enger Abstimmung mit dem Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers 1937 ein. Das Ziel dieses geschmeidigeren Umgangs mit den Menschen formulierte Studentenführer Scheel auf dem NSDAPReichsparteitag 1937. Es stehe fest, so Scheel: „[W]ir wollen keinen wissenschaftlichen Nationalsozialismus, sondern eine nationalsozialistische Wissenschaft.“ Diese müsse „aber“ (!) getragen sein, von „der weltanschaulichen Grundhaltung ihrer Vertreter“. Diese Grundhaltung zu schaffen, werde eine der „wichtigsten Aufgaben“ der Kameradschaftserziehung sein.899 Diese „Kameradschaftserziehung“ war durchaus etwas „Neues“, wie Kameradschaftsführer Siegfried Wetzel 1938 betonte, wenn man auch an Traditionen anknüpfe. Dabei werde der Student auf die Fragen hingewiesen, „deren Lösung völkisch am dringendsten ist“. Die drei bestehenden Kameradschaften befassten sich mit den skandinavischen Staaten, dem Auslandsdeutschtum und mit der Stellung Deutschlands zu Osteuropa. Sie erarbeiteten Referate und versuchten auch Fahrten zu den Studienobjekten zu organisieren, was jedoch anscheinend nicht gelang, weil es an den nötigen Devisen fehlte.900 Zur Kameradschaftserziehung gehörte eine dreisemestrige sportliche Grundausbildung, die aus Turnen, Boxen, Leichtathletik und Wassersport bestand. Jedes Mitglied der Kameradschaften musste zudem 897 Vgl. UAG Hbg. R 20, Bl. 8. 898 Vgl. Lebenslauf Richard Schütze, geb. 23. Januar 1917 in Berlin in dessen Dissertation. 899 Zit. nach: NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Konrad von Jungingen, Nr. 2, Januar 1939, S. 3. 900 Vgl. Taschenbuch der Universität, Greifswald 1938, S, 47.

4.4 Kampf gegen die Korporationen und Erziehung durch Gemeinschaft

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mit dem leichten Säbel fechten. Neben dem Sport gehörte der Landdienst zur Kameradschaftserziehung, was der Erziehung für die Volksgemeinschaft dienen sollte. Für die Studenten bedeutete das, in den Sommerferien Erntehilfe bei den Bauern in Hinterpommern zu leisten.901 Das Wohnen im Kameradschaftshaus war gewünscht, wurde jedoch nicht erzwungen, da es Kritik von verschiedenen Studentenführern – nicht aus Greifswald – gegeben hatte. Nach zweieinhalb Jahren in der Gemeinschaft, nach Arbeitsdienst und Wehrdienst sehne sich der Student nach „Pflege und Entfaltung der Einzelpersönlichkeit“, hieß es in einer internen Stellungnahme der Reichsstudentenführung.902 Unter dem Dach des Nationalsozialistischen Studentenbundes bildeten sich vier Kameradschaften, die das studentische Brauchtum wieder einführten und kulturelles und geselliges Leben wiederbelebten. Ziel war, wie vor dem Verbot der Korporationen, die Schaffung eines lebenslangen Bundes. „Aktive“ und „inaktive“ Burschen suchten und fanden Füchse. Diesen brachte ein „Fuchsmajor“ bei der wöchentlichen „Fuchsenstunde“ den traditionellen „Comment“ bei. Dreimal wöchentlich gab es um 7 Uhr morgens Fechtunterricht. Immer donnerstags war in der Kameradschaft Yorck Convent, also „Allgemeiner Kameradschaftsabend“. Der „Kneipe“ wurde wieder ein erzieherischer Wert zugemessen, beim Kameradschaftsabend am 17. Mai 1940 erklangen in der Moltkestraße „die alten Lieder der Burschenschaft“.903 In der „Falle“ richteten die Kameraden von Yorck einen Stammtisch ein, legten ein neues „Fallenbuch“ an, das sie in den Schrank der Bücher des Kösener SC stellten. Sie beschafften auch einen Yorckwimpel und platzierten ihn neben dem Helm des alten „Fallenpapstes“.904 Sie erhielt zwei Räume im Kameradschaftshaus, von denen einer mit Hilfe Alter Herren zu einer ansehnlichen Bibliothek ausgestaltet wurde. Benannt war die Kameradschaft Yorck nach dem preußischen General Ludwig Yorck von Wartenburg, der 1812 bei Tauroggen das Bündnis mit den Russen gesucht und so den Seitenwechsel Preußens gegen Napoleon erzwungen hatte. Die Kameradschaften reaktivierten auch zahlreiche Alte Herren aus den früheren Verbindungen. In der Kameradschaft Konrad von Jungingen hielten Alte Herren der Burschenschaft Germania Vorträge, ein Alter Herr der Burschenschaft Rugia überwies im Namen 901 Der Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft machte sich erstmals 1935 bemerkbar. Per Rundschreiben wies Landwirtschaftsminister Herbert Backe am 6. März 1935 darauf hin, möglichst keine Landarbeiter mehr in anderen Betrieben einzustellen. Vgl. UAG R 1165, Bl. 419. 902 Vgl. BA NS 38/3853. 903 Vgl. NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Konrad von Jungingen, Nr. 3, März 1940, S. 7. 904 Vgl. NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Yorck, Nr. 15, Juli 1944, S. 13.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

seines Bundes Geld.905 1940 bildete sich die Kameradschaft Ernst Moritz Arndt, die Alte Herren der Turnerschaften Cimbria, Markomannia und Teutonia aufnahm.906 Bemerkenswert erscheint, dass die Kameradschaftsführer vom Burschenring gewählt und nicht, wie in der NSDAP vorgeschrieben, ernannt wurden.907 Die nationalsozialistischen Aktivisten sammelten sich in der Kameradschaft Bruno Reinhard, die zugleich Altherrenschaft des VDSt war. Die Kameradschaft Bruno Reinhard knüpfte außerdem bewusst an die Tradition des VDSt an, dessen 62. Gründungstag in Greifswald im Juli 1944 mit einer zweitägigen Sause gefeiert wurde. Das Fest zielte bewusst darauf ab, „die Sorgen des Alltages bei frohem Gesang und guter Stimmung zu vergessen“.908 Vom amtierenden Gaustudentenführer, dem Oberstabsarzt Burmester, der auf der Semesterantrittskneipe am 1. Dezember 1944 einen historischen Vortrag über die Entwicklung der Burschenschaft hielt, wurden diese Bemühungen unterstützt. Der Alte Herr Oberfeldintendant Fischer meldete sich danach zu Wort und betonte, dass die Korpsstudenten seit jeher eine vom „alten Geist erfüllte Gemeinschaft“ gebildet hätten, die „Grundmaxime für die Aufstellung eines ganzen Staates hätte abgeben können“.909 Der Erfolg bei den Rekrutierungen gab dem Vorhaben recht, die Kameradschaft Konrad von Jungingen zählte im Sommersemester 1939 bereits 6 Alt- und 19 Jungmitglieder. Zur Attraktivität mögen auch die regelmäßigen Tanzfeste beigetragen haben, bei denen „schmissige Kapellen“ aufspielten. Die Kameradschaft Bruno Reinhard zählte im Sommersemester 1944 51 Mitglieder und übertraf damit jede vorherige Zahl nationalsozialistischer Aktivisten an der Universität. 910 In den Kameradschaften wurde eine soziale Kontrolle ausgeübt, die sich nicht nur auf die Studiendisziplin erstreckte. Der Medizinstudent Arndt Stadtlander erhielt von seinem Vater, Rektor einer Mittelschule, einen monatlichen Scheck von 80 Mark, was für die Bestreitung seiner Lebenshaltungskosten ausreichte. Die Studiengebühren wurden ihm erlassen. Der überzeugte Nationalsozialist wohnte selbstverständlich 905 Vgl. NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Konrad von Jungingen, Nr. 3, März 1940, S. 7. 906 Vgl. Mitteilungsblatt der Kameradschaft Ernst Moritz Arndt der Studentenbundsgruppe Universität Greifswald, Trimester 1941, S. 1. 907 Vgl. NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Bruno Reinhard, Nr. 7/8, August 1944, S. 1. 908 Vgl. ebd., S. 8. 909 Vgl. NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Yorck, Nr. 16, Oktober 1944, S. 57. 910 Vgl. NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Konrad von Jungingen, Nr. 3, März 1940, S. 15.

4.4 Kampf gegen die Korporationen und Erziehung durch Gemeinschaft

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im Kameradschaftshaus, dessen Führer jedoch im Februar 1941 Anstoß daran nahm, dass sich Stadtlander als Hilfskellner im „Café Corso“ etwas dazuverdiente. Nicht die Arbeit an sich sei zu beanstanden, betonte der Studentenführer, sondern der übel beleumundete Arbeitsort. Wechsle er ihn nicht, müsse Stadtlander die Kameradschaft verlassen, teilte er ihm mit. Das sei im Übrigen keine „Strafmaßnahme“, sondern bedeute „nur“, dass die Aufnahmebedingungen für den Studentenbund nicht gegeben seien.911 Da die Antragsformulare für den Gebührenerlass jedoch auch eine Zeile hatten, in der die Mitgliedschaft in der Partei oder ihrer Gliederungen einzutragen war, wäre der Ausschluss bemerkt worden und hätte die Streichung des Gebührenerlasses zur Folge haben können. Auch nach Kriegsbeginn wurde die politische Arbeit in den Kameradschaften fortgesetzt, „konzentrierter als sonst“, wie der Führer der Kameradschaft Konrad von Jungingen 1940 in einem Rechenschaftsbericht betonte. Bei einer Reihe von Informationsabenden hielten die Studenten Vorträge über den Gegner England, „das Wesen des Engländers, über sein Weltreich und seine Politik“. Theodor Oberländer sprach über die Handelsbeziehungen zu den Balkanstaaten, Curt Rühland über das „Seekriegsrecht im Minen- und Handelskrieg“.912 Die Kameradschaft Yorck engagierte sich auch bei der Gestaltung nationalsozialistischer Feierstunden und richtete im Sommersemester 1944 gemeinsam mit einer NSDAP-Ortsgruppe eine Feierstunde zum Muttertag aus. Den etwa dreihundert Frauen wurden Musikstücke dargeboten, unterbrochen von Gedichtvorträgen. Im Juni 1944 luden sie den Hamburger Bariton Georg Mund zu einer Gedenkveranstaltung zu „Beethovens Schicksalskampf“ in die Aula der Universität ein.913 Ein ganz besonderer Coup gelang der Kameradschaft Bruno Reinhard mit der Akquise des Generalintendanten und Starschauspielers Heinrich George, der Anfang 1944 die Würde eines Alten Herren annahm. George gab nicht nur eine großzügige Spende, sondern kam auch nach Greifswald und nahm mit seiner Frau an einem geselligen Abend teil. Außerdem sorgte George für ein zweitägiges Gastspiel des Schillertheaters in Greifswald, sicher eine kulturelle Bereicherung des Lebens in der Garnisons- und Universitätsstadt.914

911 Vgl. UAG PA gef. Stud. Nr. 317, Stadtlander, Arndt. 912 Vgl. NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Konrad von Jungingen, Nr. 3, März 1940, S. 16. 913 Vgl. NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Yorck, Nr. 15, Juli 1944, S. 12. 914 Vgl. NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Altherrenschaft und Kameradschaft Bruno Reinhard, Nr. 7/8, 1. August 1944, S. 12 f.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

4.5 Exkursionen

In allen Fakultäten führten die Professoren mit ihren Studierenden Exkursionen durch. Der Praktische Theologe Walter Bülck fuhr mit ihnen zur Inneren Mission nach Stettin, Walter Elliger reiste durch das jetzt polnische Westpreußen und dann weiter zum Tannenberg-Denkmal in Ostpreußen.915 Derartige Ost- bzw. Grenzlandfahrten erfreuten sich in der Philosophischen Fakultät großer Beliebtheit und wurden von der Provinz finanziell unterstützt. Theodor Oberländer und Hermann Christern besuchten mit 32 künftigen Volkswirten und Historikern im Januar 1939 Danzig und Gdingen, wo sie sowohl vom polnischen Bürgermeister als auch vom deutschen Senatspräsidenten herzlich willkommen geheißen wurden. In beiden Städten führten sie Hafenrundfahrten durch. Auf dem Hinweg hatten sie noch die Ausstellung „Entartete Kunst“ besichtigt, die in Stettin zu sehen war.916 Die Volkskundler unternahmen eine Studienfahrt in den Kreis Rummelsburg, dort entstand auch ein Foto, das die Greifswalder Zeitung nur zu gern abdruckte: Deutsche Studenten stehen an einem Schlagbaum der 1919 gezogenen Grenze und schauen ins ehemals deutsche Land. Ein symbolisches Foto produzierten auch die Geologen. In Helsinki erwiesen sie den deutschen Soldaten des Ersten Weltkriegs ihre Reverenz. Das Bild zeigt die Gruppe mit den zum Deutschen Gruß gereckten Armen am Denkmal. Das war allerdings der einzige politische Termin, den Sergius von Bubnoff angesetzt hatte. Die anderen Programmpunkte waren Lagerstätten und Bergbaubetriebe sowie erdgeschichtlich interessante geologische Formationen.917 Ähnliche Ziele verfolgte eine Exkursion, die der Historiker Johannes Paul gemeinsam mit Theodor Oberländer durchführte. Die Reise ging nach Schweden, wo besonders Erzgruben und Industriebetriebe besichtigt wurden.918 Die meisten Exkursionen führten jedoch zu Zielen im Deutschen Reich. Gerhart Jander reiste mit Chemiestudenten zu den Ölfeldern in Niedersachsen und zu den Hamburger Raffinerien, Paul Metzner mit den Botanikern zu den Saatzuchtbetrieben in Mitteldeutschland. Der Gerichtsmediziner Gottfried Jungmichel fuhr mit drei angehenden Ärzten zu einer offenbar interessanten Gerichtsverhandlung ins hinterpommersche Stolp. Ins Ausland gingen nur wenige Exkursionen. Kurt Wilhelm-Kästner fuhr üblicherweise die Denkmäler der norddeutschen Backsteingotik ab, nur 1938 führte die Exkursion nach Kopenhagen und ins schwedische Lund. Erich Boehringer reiste mit Studierenden 1938 nach Italien, wo sie in drei Wochen 915 Vgl. UAG K 143. 916 Vgl. UAG K 520, Bl. 116 ff. 917 Vgl. NL Archiv BBAW, NL Bubnoff, Nr. 83. 918 Vgl. Nase, Johannes Paul, S. 88.

4.6 Die Entwicklung des Landdienstes

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ein Mammutprogramm absolvierten: Florenz – Rom – Ravenna – Venedig. Während des Krieges wurden die Bildungsreisen nicht völlig eingestellt, gingen aber zurück. Größere Reisen unternahm nur Adolf Hofmeister mit den Geschichtsstudenten: 1940 zu den Grabungen von Haithabu, dem Danewerk und dem Ratzeburger Dom, 1942 ins Elsass, wo vor allem Straßburg besichtigt wurde.919 1944 wurde festgelegt, dass Exkursionen nur noch in hundert Kilometer Umkreis von der Universitätsstadt durchgeführt werden sollten. Erich Leick und Curt Heidermanns fuhren mit zwölf Studierenden nach Hiddensee. Paul Metzner besuchte mit einer weiteren Gruppe Rügen, Hiddensee und den Darß. Dreizehn Teilnehmer hatte ein Ausflug zur Reichsanstalt für Fischerei in Swinemünde. Carl Engel besuchte mit zwanzig Teilnehmern den Burgwall am Kap Arkona und eine Lehrgrabung auf Usedom. Hermann Lautensach fuhr mit den Geographiestudenten nach Neubrandenburg und Neustrelitz. Eine Ausnahme bildete die Studienfahrt von elf Kunsthistorikern ins Reichsprotektorat Böhmen und Mähren im Juni 1944. Programmpunkte waren die Burg Karlstein sowie Emmaus- und Strahov-Kloster in Prag.920

4.6 Die Entwicklung des Landdienstes vom freiwilligen Ernteeinsatz zur Ausbildung von Ostspezialisten

In der Landwirtschaft fehlten, wie der Beauftragte der Reichsstudentenführung 1937 notierte, zur Erntezeit 50.000 Arbeitskräfte in Ostpreußen, in der Kurmark 36.000, in Schlesien 15.000, in Pommern 8000 und in Ostbayern 2000 Arbeitskräfte.921 Das Bewusstsein für dieses Problem hatte sich jedoch eher zufällig hergestellt. Es waren idealistisch gestimmte Studenten der Universitäten Berlin, Greifswald und Rostock, die das Problem des Arbeitskräftemangels im Osten erkannten und sich im Sommer 1934 als Erntehelfer verpflichteten. Im martialischen Geist der Zeit tauften sie ihren Einsatz „Ostmarkendienst“ und mit Elan überwanden sie bestehende Bedenken bei den Bauern, die einer praktizierten Volksgemeinschaftsideologie eher skeptisch gegenüberstanden. In einer Werbebroschüre beschrieb ein Teilnehmer dieses Arbeitseinsatzes recht unverblümt, welche Situation er in einem Grenzdorf im Kreis Bütow vorfand. Zum einen habe sich „fremdes Volkstum“ breitgemacht, „gesund, kinderreich, bedürfnislos“ – gemeint waren Polen. Die Deutschen hätten beim Dorffest separiert gesessen, an einem Tisch die Bauern, am zweiten die Landarbeiter und am dritten die 919 Vgl. UAG K 144. 920 Vgl. UAG K 145. 921 Vgl. BA NS 38/3853.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

„Beamten“ der Großgrundbesitzer. Das weckte das Interesse weiterer Aktivisten: Im nächsten Jahr standen bereits 172 Studierende im „Osteinsatz“.922 Die Leiter dieser Landdiensteinsätze wurden jetzt in mehrtägigen Schulungslagern auf den Osten vorbereitet. Eines dieser Lager befand sich in Eldena bei Greifswald, in dem die Führung des Pommerschen NS-Gaustudentenbunds den Ton angab. 1935 standen auf dem Programm Vorträge zum Thema 1: „Gesundes Blut als Voraussetzung jedes Kampfes“, also zum Beispiel „Grundsätzliche Ausführungen zur Blutsfrage“, „Bedeutung der Erbkunde und Erbpflege“, „Arbeit und Zielsetzung der Gesundheitsämter“. Die Überschrift für das Thema 2 lautete: „Ostfragen: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“, und ein weiterer Tag war den konkreten Aufgaben für das kommende Jahr gewidmet.923 1936 wurde der Landdienst mit einem „Wissenschaftseinsatz“ verknüpft, für den sich jedoch nur zwanzig Männer meldeten. In Zusammenarbeit mit der Kreisbauernschaft Bütow erhoben sie Angaben zum Verhältnis von Acker und Wiese, was wichtig für die Landesplanung war. Geschichtsstudenten nahmen Kirchenbücher auf, um Sippenforschungen zu erleichtern. Andere unterstützten den Vorgeschichtler Petzsch bei Grabungen. Fünf Studierende höherer Semester machten Praktika im Krankenhaus, der Molkerei, dem Amtsgericht, der Chemiefabrik und der Apotheke.924 Rein quantitativ erscheint der Wissenschaftseinsatz in der Rückschau nicht imposant, aber in der Mikroperspektive gewinnt er an Bedeutung. So verlangte die Bauernschaft Informationen über die Familien der beiden Dörfer Sommin und Rudolfswalde, die wohl eine gemischte deutsch-kaschubische Bevölkerung hatten. Die Studenten nahmen am Ernteeinsatz teil, wodurch sie das Vertrauen der Bauern gewannen, abends fragten sie ihre Studienobjekte aus. Zugleich argumentierten sie für die „Stärkung des Familienbewusstseins“ und versuchten, Interesse für Familienforschung zu wecken.925 Eine solche Forschertätigkeit war insgesamt politisch bedeutungslos, schulte aber die Studierenden selbst, die sich auf diese Weise zu Experten für künftige Einsätze in Osteuropa qualifizierten. Sie erwarben soziale Kompetenz, indem sie sich mit der Bevölkerung vertraut machten – aber zugleich die Distanz bewahrten, um sie im Sinn einer höheren Idee auszuforschen. In den Schulungslagern wurden ihnen 1936 und 1937 Kenntnisse zur Geschichte Pommerns und Polens, zu Volksgruppen und der Besiedelung insgesamt vermittelt.926 1936 meinte die 922 Vgl. Wetzel, Siegfried (Hg.) im Auftrag der Gaustudentenführung Pommern: Landdienst Pommern, Greifswald 1937, S. 7 f. 923 Vgl. BA R 129/1007. 924 Vgl. Wetzel, Landdienst, S. 12. 925 Vgl. Siebke, Hannes (Hg.) im Auftrag der Gaustudentenführung Pommern: Greifswald, 1936, S. 13 f. 926 Vgl. Wetzel, Landdienst 1937, S. 15.

4.6 Die Entwicklung des Landdienstes

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Universität im Hinblick auf die Aneignung von „Ostkompetenz“ eine gewisse Masse erreicht zu haben und veranstaltete eine „Grenzlandtagung“. Die öffentliche Rhetorik war gewohnt radikal. „Grenzeinsatz“ sei „total“, schrieb ein Teilnehmer der Tagung, er fordere „den ganzen Menschen, für immer“. Dann wurde es aber konkret. Auf der Tagung sprachen verschiedene Redner über die wissenschaftliche Forschung im Grenzraum, über „Grenzschulung“ und „Grenzerziehung“.927 Ins Detail ging jedoch nur Wilhelm Petzsch, der den Missbrauch der polnischen Vorgeschichtswissenschaft beklagte und ein Gegenprogramm entwarf, um den Lebensraum der Ostgermanen zu rekonstruieren.928 Die eigentliche Motivation für den Willen, „Ostuniversität“ zu werden, erschließt sich aus den Akten der Studentenschaft. Die „pommersche Heimat“ sei aus volkstumspolitischer Sicht ein ebenso schwieriges Terrain wie Ostpreußen und Schlesien, argumentierte der Leiter des Amts Wissenschaft in der Studentenschaft.929 An der Universität sollten neben den üblichen Fächern vor allem auch Volkskunde, Wehrgeographie, Grenzlandkunde und Rassenkunde unterrichtet werden. Damit sollte der Abwanderung aus den Grenzgebieten entgegengesteuert werden, indem das Deutschtum gestärkt und „Entwurzelung“ bekämpft wurde.930 Eben diese Fächer versuchte die Universität abzudecken, im Fach Rassenkunde verfügte die Universität sogar mit Günther Just über einen der profiliertesten Rassenkundler im Deutschen Reich. Anhand der Lebensläufe der nationalsozialistischen Aktivisten und der Studienbücher der gefallenen Studenten ist nachweisbar, dass seine Vorlesungen und Übungen in Rassenkunde auch von Theologen, Philosophen und Juristen lebhaft nachgefragt waren.931 Unter Führung Theodor Oberländers wurde eine „wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft“ für Grenzlandfragen etabliert. Rektor Reschke stellte daher auch formell den Antrag, Greifswald zur Ostuniversität zu ernennen. Kurator Kolbe befürworte das Gesuch, dem im „Interesse der Grenzlandarbeit“ „unbedingt“ entsprochen werden solle. Das Ministerium stand den Bestrebungen skeptisch gegenüber. Mit gleichem Recht könne dann Kiel den Anspruch erheben, zur „Nord-Universität“ zu werden, und Ansprüche daraus ableiten. Im Osten fördere man bereits drei Hochschulen besonders (Königsberg, Breslau und Braunsberg). Es sei vielmehr notwendig, die Hochschulen im Westen zu einem Bollwerk auszubauen, weil dort geistige Strömungen eingesickert seien, die „nachteilige Folgen“ gehabt hätten, etwa „Liberalis927 928 929 930

Vgl. ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 30. Vgl. BA NS 38/2235. Harten, Hans-Christian: De-Kulturation und Germanisierung. Die nationalsozialistische Rassen- und Erziehungspolitik in Polen 1939–1945. Frankfurt a. M. 1996, S. 59. 931 Vgl. verschiedene Studienbücher in den Akten gefallener Studenten.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

mus, Demokratie, Marxismus“. Greifswald erhielt daher ein freundliches Schreiben, dass der Minister die „Wichtigkeit der Grenzlandarbeit“ keineswegs verkenne und es begrüße, wenn sich die Universität ihr „in stärkerem Maße“ widme. Eine offizielle Anerkennung als Ostuniversität könne aber nicht erfolgen.932 Wenn auch die Universität nicht „Ostuniversität“ wurde, setzten die Studenten ihren Einsatz in Hinterpommern fort. Die Koordination fand jetzt auf der Ordensburg Krössinsee statt, die Aufgaben wurden mit der Volksdeutschen Mittelstelle abgestimmt.933 In den Sommerferien 1939 wollten sie das Dorf Franzwalde bearbeiten, das „hauptsächlich“ vom „kaschubischen Volksstamm“ bewohnt wurde. Vorbereitet wurden die Studenten daher auf eine Konfrontation mit den „Resten eines slawischen Volkes“, das wegen seiner katholischen Religion historisch häufig Polen zugeneigt gewesen sei. Tatsächlich handle es sich aber um ein Volk, das eigentlich unabhängig habe bleiben wollen und für das Deutschtum gewinnbar sei. Das sei die „vornehmste Aufgabe“ beim Landdienst, durch die Gewinnung dieser Menschen „den Osten zu stärken“. Er wirke durch sein nationalsozialistisches Vorbild, berichte von „deutscher Leistung, deutschen Heldengestalten der Geschichte“ und bringe so „Deutschtum in den Osten“.934 Diese Art der Volkstumsarbeit trug deutlich die Handschrift Theodor Oberländers, der einen behutsamen und differenzierten Umgang mit den Ethnien Osteuropas zum Programm erhob. Nach der Eroberung Polens wurde die Volkstumsarbeit im Generalgouvernement der Hitlerjugend übertragen,935 entsprechende Arbeitsgemeinschaften scheint es an der Universität Greifswald nicht mehr gegeben zu haben.

4.7 Studentenwettkampf

Die Wissenschaftsarbeit der Studentenschaft entwickelte sich aus einem völligen „Fehlschlag“ des Wintersemesters 1934/35 heraus, wie der Leiter des studentischen Amts Karl Arnold später konstatierte.936 Arnold entwickelte daher ein Programm, das politisch motivieren sollte und ansprach. Die Studierenden sollten zur Berufsethik des Arztes ebenso forschen wie zur „Lügen- und Greuelpropaganda im Ausland“. Besonderen Wert legte Arnold auf das Thema „Slawenfrage und Ostraum“, das im932 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. I Nr. 1 Bd. 6, Bl. 22–29. 933 Vgl. BA NS 38/5451. 934 Vgl. NSDStB Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Münter (= Konrad von Jungingen ), Nr. 2, Januar 1939, S. 6. 935 Vgl. Harten, De-Kulturation und Germanisierung, S. 151 ff. 936 Vgl. BA NS 38/2235.

4.7 Studentenwettkampf

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merhin Platz 4 seiner 9 Punkte umfassenden Liste belegte. Ganz am Ende kamen „religiös-philosophische Arbeitsgemeinschafen“.937 In Greifswald wurden 1936 7, so der zeitgenössische Ausdruck, „Mannschaften“ mit insgesamt 54 Teilnehmern gebildet, die zu folgenden Themen forschten: – Das Problem vom Führer und Gefolgschaft in der deutschen Dichtung der Gegenwart – England und die Weltanschauungspolitik – Die nationalpolitischen Verhältnisse im Memelland – Die Freimaurerfrage – Wege zur politischen Leibeserziehung – Die alte und moderne Olympiade – Aufgabe und Gemeinschaftsform des studentischen Wettkampfwesens.938 Nur wenige der angefertigten Arbeiten haben sich im Bundesarchiv erhalten, überwiegend aus den Bereichen Vorgeschichte und Sport. Bei den Arbeiten zur Olympiade stellte ein Student den Gedanken des Friedens und der Völkerverständigung heraus, weshalb Hitler ja für 1936 zu den Olympischen Spielen geladen habe. Eine Mittelstreckenläuferin betonte, dass gemeinsame Wettkämpfe mit den Männern den Kampfgeist aller stärken würden. So sei bei den Hochschulmeisterschaften in Jena 1935 der Kameradschaftsgeist zwischen Männern und Frauen schon durch die gemeinsame Unterbringung in der SA-Kaserne gefestigt worden. Die Chemikerin Ellen Tramitz betonte den Wettkampfcharakter des Sports für die Bildung der Persönlichkeit. Nehme man den Leibesübungen den „Kampfgedanken“, entwerte man auch ihren Charakter als „Erziehungsmittel“. Die auf Frauen zugeschnittenen „Gesundheits-Leibesübungen“ lehnte sie ab, weil man mit deren Ausgestaltung wissenschaftlich „erst am Anfang“ stehe.939 Die Vorgeschichtler bildeten eine Arbeitsgruppe, die sich die Aufgabe stellte, die polnischen Thesen von der Gleichsetzung der Lausitzer Kultur mit dem Slawentum und von der durchgängigen slawischen Besiedlung Pommerns seit der Bronzezeit zu widerlegen. Die studentischen Aufsätze strebten dabei „die Verbindung zwischen Wissenschaft und Weltanschauung“ an, was für sie kein Widerspruch war. Gruppenleiter Herbert Bischoff formulierte im Vorwort zu den einzelnen Texten: „Pommern ist alter germanischer Boden, hier lebten die Vorfahren jener Burgunder, die uns im Nibelungenlied als die Urbilder unserer Vergangenheit geschildert werden. Dazu kommen die anderen Stämme, mögen sie nun Goten, Rugier oder sonst wie heißen. Der pommersche Boden ist heiliger Boden, den man gerne verteidigt, wenn man 937 Vgl. ebd. 938 Vgl. UAG K 6, Bl. 5. 939 Vgl. BA NS 38/4791.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

ihn lieben gelernt hat. Und verteidigen müssen wir ihn auch heute. Die Waffen dazu sollen auch diese Aufsätze schmieden helfen.“940 Die Studenten präsentierten mehrere angeführte Belege für durchgängig germanische Besiedlung bis etwa 650 aus Archäologie und Sagenwelt. Der Fund einer gotländischen Fibel in Nehringen bei Grimmen wurde als Beweis der Besiedlung durch Germanen gesehen, als hätten die germanischen Stämme des Nordens nur mit Germanen und nicht auch mit Slawen gehandelt. Auch die Möglichkeit, dass es sich um ein Beutestück gehandelt haben kann, kam dem Bearbeiter Heinrich Tuschy nicht in den Sinn. Und ob der Memonier Helgi, der Hundingstöter, seine Flotte wirklich im Örvasund, dem Sund der Pfeile, also dem Strelasund gesammelt hatte, mag ebenfalls zweifelhaft erscheinen. Völlig ins Ideologische glitt Tuschy ab, wenn er den aus Ungarn in den ehemals germanischen Raum vorgestoßenen Slawen attestierte, dass sie durch die „mongolischen Awaren vollkommen entnordet“ und kulturell „unfähig“ gewesen seien.941 In dieselbe Kerbe schlug ein anderer, der behauptete, dass die in Mittelpommern lebenden „mediterranen“ Illyrier ein unkriegerisches Bauernvolk gewesen seien, das von den Germanen aufgesogen worden sei. Dabei könne es durchaus zu einer Rassenmischung gekommen sein, dieser Einschlag sei aber verschwunden, weil die Germanen mit nicht „fremdrassigen Nachbarn“ Berührung gehabt hätten. Die plötzlich auftretenden Brandgräber im 5. Jahrhundert nach Christus seien den von Norden kommenden Burgundern zuzuschreiben. Insgesamt habe man für die gesamte Völkerwanderungszeit nur neun sicher datierbare Funde, von den Slawen in Pommern allerdings noch weniger, was bei der „schlechten und tiefstehenden Herstellungsart und Kultur der Slawen nicht wundern“ dürfe. Wissenschaftlich anspruchsvoller war der Beitrag Hans-Günther Hackbarths, der die Bevölkerung Mittelpommerns in der Stein- und Bronzezeit untersuchte, das Rätsel der Lausitzer Kultur jedoch vorsätzlich ungelöst ließ. In der Zeit zwischen 1300 bis etwa 500 vor Christus habe sie das Land an der Oder beherrscht und sei durch Gräber und Wallanlagen nachweisbar. Dass sie anders als die germanische Kultur gewesen sei, zeigten die Leichenverbrennungen und die Sitte, den Toten Tongefäße beizugeben, die unten geöffnet waren. Die „Lausitzer“ müssten also, so Hackbarth, die „Vorstellung von einem unterirdischen Reich der Seelen gehabt haben“. Die Auffassung der polnischen Prähistoriker, dass es sich um „Protoslawen“ gehandelt habe, sei aber falsch. Das werde erwiesen durch die „Töpferei höchster Blüte“ jener Kultur, und man müsse nur die früh- und mittelslawischen Tonerzeugnisse he940 Vgl. BA NS 38/4790. 941 Vgl. Tuschy, Heinrich: Die Bevölkerung Neuvorpommerns und Rügens in der Eisenzeit bis zur deutschen Ostkolonisation. Teil der studentischen Arbeit im Reichsleistungskampf 1935/36 „Der stammliche Charakter Pommerns“. Vgl. NS 38/4790.

4.7 Studentenwettkampf

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ranziehen, um zu sehen, „dass diese unmöglich aus der so hochstehenden Lausitzer Kultur hervorgegangen sein könnten“. Hackbarth schloss sich dann der Auffassung des Vorgeschichtlers Gustaf Kossinna an, dass es sich wohl um aus dem Süden vorgedrungene indogermanische „Illyrer“ gehandelt habe.942 Ein Teil der Arbeiten über den „stammlichen Charakter“ Pommerns entstand während des Landdienstes. Für diesen wurden die Studenten in einem Schulungslager vorbereitet, nach der Rückkehr gab es noch einmal ein Lager zur Auswertung. Vorträge hielten die Studenten selbst, aber auch Vertreter der NSDAP, der Referent für die Nationalpolitischen Bildungsanstalten Joachim Haupt und der Königsberger Professor Theodor Oberländer in seiner Eigenschaft als Funktionär des Bundes Deutscher Osten. Die Greifswalder Studenten werden dort auch ihre Arbeiten über die kaschubische Bevölkerung vorgestellt haben, zumal sie detaillierte Abstammungskarten und „Dorfmappen“ für die Bevölkerung des Kreises Bütow erstellt hatten. Für die Vervielfältigung erhielten sie einen Zuschuss von 200 Mark, dann aber wurde das ganze Forschungsprojekt für „geheim“ erklärt und das Material beschlagnahmt.943 Im Sommersemester 1938 bildete sich erneut eine Gruppe, die am Studentenwettkampf teilnahm. Mannschaftsführer war der Vorgeschichtsstudent Hans-Günther Hackbarth, die anderen vier studierten Geschichte, Vorgeschichte und nordische Sprachwissenschaften.944 Sie versuchten sich an einer populärwissenschaftlichen Darstellung der Wikinger in Pommern, erneut mit dem Ziel, den „Gegenbeweis“ zu führen, „gegen den modern-polnischen Versuch, Pommern als altslawisches Siedlungsland zu beanspruchen“. In der Arbeit würdigten sie die Wikinger zunächst als Staatenbildner und Kaufleute und korrigierten das christliche Bild vom plündernden Seeräuber. Danach erläuterten sie die verschiedenen Fundstellen, etwa die Ausgrabungen am Kap Arkona, wo sie mehrere Funde den Wikingern, also „Germanen“, zuordneten und so die Auffassung korrigierten, dass es sich um eine slawische Anlage handle. Dabei bezogen sie sich auf die Schriften ihres Lehrers Petzsch. Ebenso positionierten sie sich zur Jomsburg-Vineta-Wollin-Frage, indem sie eine fortgesetzte Besiedlung von Germanen und Wikingern behaupteten. Untermauert war die Argumentation mit einer Fundkarte, in der sie Fibeln, Schwerter und andere Artefakte verzeichneten. Um nicht nur rein theoretisch zu arbeiten, führten die Studenten auch eine Grabung auf dem Hügelgräberfeld in Menzlin (Kreis Greifswald) durch. Der von ihnen untersuchte Grabhügel erwies sich als bronzezeitliches Frauengrab, das auf etwa 1100 vor der Zeitrechnung datiert wurde. 500 Jahre später erfolgten zwei Nachbestattungen und etwa um 900 unserer 942 Vgl. ebd. 943 Vgl. BA R 129/1007; 254; 1097; BA NS 38/3760. 944 Friedrich-Wilhelm Pretzel, Ilse Pretzel, Hannes Spath, Heinz Gau. Vgl. NS 38/5048.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

Zeit zwei weitere Bestattungen. „Diesmal“, so die Studenten, „waren es Wikinger, also Leute des gleichen nordisch-germanischen Blutes.“945 1937/38 befasste sich eine Studentengruppe um Kurt Wiechert mit der Ausnutzung von Ablaugen und ihrer Weiterverwendung. Dabei referierten sie die Forschungsliteratur über Abwasser der Kaliindustrie, dachten über die Verwertung der bei der Aufschließung von Holz anfallenden Sulfitlauge nach und untersuchten die Einsatzmöglichkeiten für die Abwässer der Lebensmittelbetriebe. Die von ihnen gemachten Vorschläge waren nicht neu, aber zum Teil praktisch nutzbar, etwa wenn sie der Molkerei Greifswald vorschlugen, statt Magerquark industriell nutzbares Casein herzustellen, insbesondere in den Monaten mit Milchüberproduktion.946 Wichtiger war jedoch aus Sicht der Reichsstudentenführung, dass die Studenten sich zusätzliches Expertenwissen aneigneten, das aktuell für den Vierjahresplan nutzbar sei. Ähnlich verhielt es sich mit vier studentischen Arbeiten, welche die forstwirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten der Kreise Lauenburg, Rummelsburg, Stolp und Bütow untersuchten. Dabei ordneten sie den jeweiligen Bodenklassen Baumarten zu und gaben Empfehlungen für die bessere ökonomische Nutzung der Waldbestände. Drei der vier Bearbeiter enthielten sich explizit politischer Stellungnahmen, lediglich in der Studie zum Kreis Bütow findet sich eine Betrachtung zu dem durch Landflucht im Entstehen begriffenen „Raum ohne Volk“. Nach einigen ökonomischen Ausführungen zu den Ursachen beklagte der Autor das „Vordringen“ des „kaschubischen Bevölkerungselements“. Infolge seiner Anspruchslosigkeit werde es sich wirtschaftlich nicht tragfähige Ackerflächen aneignen und damit einen „Gefahrenpunkt“ bilden. Dem müsse mit staatlich gesteuerter Aufforstung begegnet werden. An dieser Stelle des Textes merkte ein Gutachter ein Fragezeichen an.947 Im fünften Reichsberufswettkampf für das Studienjahr 1939/40 erteilte die Reichstudentenführung den Befehl zur „planmäßigen Erforschung der Grenzgebiete des deutschen Ostens“. Den Gauen mit einer Ostgrenze, also auch Pommern, wurde die Erforschung zur Pflicht gemacht. Dabei sollten studentische Arbeitsgemeinschaften sich mit „Strukturuntersuchungen und Planungen aller Art“ befassen. Die Fachgruppe Medizin erhielt den Auftrag, Dorfuntersuchungen vorzunehmen, und zwar im Hinblick auf „1.) Bevölkerungsbewegung, 2.) Erfassung der Erbstruktur und 3.) Rassenkundliche Untersuchungen“. Punkt 1 umfasste dabei Zu- und Abwanderung, 945 Hackbarth u. a., Die Wikinger in Pommern, S. 86. RBWK 1938/39, Nr. 622. Vgl. BA NS 5048. 946 Wiechert, Kurt und Kurt Karbe, Martin Werth, Günther Janell, Heinz Möhr: Über die Verwendung einiger industrieller Ablaugen. RBWK 1937/38 Nr. 541. Vgl. BA NS 38/4957. 947 Hubbauer, Walter, Heimfried Wiebe, ohne Namen und Wolfgang Bandlow, RBWK Arbeiten Nr. 545, undatiert, fehlendes Deckblatt. Vgl. NS 38/4957.

4.8 Studieren im Krieg

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Heiratsalter, Kinderzahl und ähnliche statistische Fragen. Bei der Erfassung der Erbstruktur (Punkt 2) sollten Sippentafeln ausgewertet werden, um Familien festzustellen, „die sich besonders bewährten bezw. sich als lebensuntüchtig erwiesen“. Besonders fruchtbare Familien sollten namhaft gemacht werden. Geprüft werden sollte auch, ob ein Zusammenhang zwischen Abwanderung und Begabung zu erkennen sei. Außerdem sollten Erbkrankheiten und Inzucht registriert und die Frage beantwortet werden, ob die Rassegesetzgebung (etwa Sterilisations- oder Erbhofgesetz) bereits Auswirkungen zeige. Für die rassekundlichen Untersuchungen (Punkt 3) ordnete die Studentenführung höchste Genauigkeit an und gab ein Schema vor, nach dem Haarfarben und formen, Augenfarben, Schädel und Nasenformen prozentual erfasst werden sollten. Bestimmte morphologische Erscheinungen dürften dabei durchaus in Beziehung gesetzt werden, etwa Körpergröße und Haarfarbe. Eventuell vorkommende „reine“ Typen „bestimmter Rassen und alle typischen Vertreter des rassischen Gesamtbildes der betreffenden Einwohnerschaft“ beschrieben werden. Durchgeführt wurde der Wettbewerb nicht mehr.948

4.8 Studieren im Krieg

Die Wahl der Studienfächer veränderte sich durch die Bedingungen des Krieges dramatisch, wie das Wissenschaftsministerium 1943 in einer statistischen Bilanz feststellte. Zwar stieg die Zahl der Abiturienten von rund 31.000 1931 auf über 37.000 im Jahr 1942 an, seit 1935 entschieden sich jedoch viele für „Wehrberufe“. 1935 waren das über 5000, 1937 schon über 11.000. Kompensiert werde das durch das „Verschwinden der Berufswünsche Volksschullehrer und Theologe“, aber nur zum Teil. Zwar sprach das Rundschreiben nicht ausdrücklich von Personalmangel, aber die hohen Zahlen der für das Studium vom Wehrdienst beurlaubten Studenten sprechen eine deutliche Sprache. Immerhin 20.350 Studenten sollten ihr Medizinstudium abschließen, für das Studium der Naturwissenschaften waren nur 850 Studenten im ganzen Reich beurlaubt. Die Zahl der zivilen Studenten, wahrscheinlich überwiegend Frauen, betrug in der Medizin ganze 1850, in der Chemie und den anderen Naturwissenschaften immerhin 1350.949 Während mehrere Universitäten durch den Bombenkrieg schwer zerstört waren, blieb Greifswald arbeitsfähig. Von einer „Überfüllung“ konnte jedoch nicht die Rede sein, wie Dekan Metzner im März 1944 betonte. Zwar seien alle 50 Arbeitsplätze im 948 Mitteilungen der Reichsfachgruppe Medizin der Reichsstudentenführung für bevölkerungsbiologische und volksgesundheitliche Dorfuntersuchungen, S. 3 und 11 ff. Vgl. NS 38/4747. 949 Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 504, Bd. 2.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

chemischen Praktikum besetzt, in der Physik stünden jedoch noch 25 Arbeitsplätze zur Verfügung. Bei den Übungen Zoologie für Fortgeschrittene gebe es 16 Arbeitsplätze, aber nur 6 Anmeldungen für das kommende Sommersemester. Nicht anders in der Botanik, wo noch zehn Studenten Aufnahme finden könnten. Die Medizinerausbildung in Chemie könne ebenfalls durchgeführt werden, teilte er dem Ministerium mit, und die Lehrkräfte im Fach Physik reichten für 80 Medizinstudenten aus.950 Die Koordination der Prüfungen erforderte jedoch einen erhöhten Aufwand, da mehrere Hochschullehrer eingezogen waren. Da aber viele Professoren und Dozenten Dienststellen in Greifswald oder Berlin besetzten, konnten sie die Prüfungen in ihre militärischen Dienstpläne integrieren.951 Die Professoren nahmen Rücksicht auf die militärischen Belastungen, denen die Studenten ausgesetzt waren. So konnte ein Student die Doktorprüfung ablegen, obwohl seine Dissertation über den norwegischen Schriftsteller Olav Duun nur zum Teil fertiggestellt war, sie sollte als bestanden gelten, sobald die Arbeit druckreif vorlag.952 Manche schraubten die Anforderungen sehr weit herunter, wie ein Vermerk zeigt, den Rudolf Seeliger für die Personalakten des Kurators am 8. November 1944 anfertigte. Zwei Studenten hatten sich beim Ordinarius für Psychologie Heinrich Schole, der auch das Fach Philosophie vertrat, erkundigt, was sie für ihr Examen für das höhere Lehramt vorbereiten sollten. Schole entgegnete den beiden Studenten, „dass nach dem Willen des Staates und der Partei“ die philosophische Prüfung, „kein spezielles philosophisches Fachwissen zu Tage fördern solle, sondern in aller erster Linie das Verständnis für die weltanschaulichen Probleme der Gegenwart beweisen müsse“. Dabei wolle er nicht die „üblichen Parteiphrasen“ hören, sondern es müsse „ein wirkliches Verständnis für die politisch weltanschaulichen Kernprobleme vorhanden sein“. Es komme also nicht so sehr auf die Kenntnisse in der Geschichte der Philosophie an, denn von den Philosophen der Vergangenheit sei heute „nur noch Nietzsche von besonderer und ganz hervorragender Bedeutung“, während Kant nur mehr von „traditionellem Interesse“ sei. Schole teilte den Studenten dann mit, dass er die Kenntnis der wichtigsten Schriften der Gegenwart prüfen werde, also Adolf Hitlers Mein Kampf, Alfred Rosenbergs Mythos des 20. Jahrhunderts und außerdem Nietzsches Wille zur Macht. Auf die Nachfrage der Studenten, wie es sich mit Bernhard Bavinks Erkenntnissen und Problemen der Naturwissenschaft verhalte, das sie als Physikstudenten gelesen hatten, antwortete Schole, dass das Buch zwar eine „brauchbare Materialsammlung“ sei, aber wegen „reaktionärer Tendenz“ des Verfassers „nicht erwünscht“. Er 950 Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 504, Bd. 1. 951 Vgl. BA R 4901/13009. 952 Vgl. UAG Phil. Diss. 1146 Hartmann, Frithjof.

4.8 Studieren im Krieg

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werde seine Vorlesung aber zur notwendigen Prüfungsvorbereitung „so einrichten“, dass die Studenten das „notwendigste Rüstzeug“ empfangen würden. Er werde sie daher in Form eines Kolloquiums abhalten. Die Form eines Kolloquiums anstelle einer regulären Vorlesung garantierte jedoch nicht nur optimale Prüfungsvorbereitung, sondern verschaffte Schole auch eine intimere Kenntnis der weltanschaulichen Gebundenheit der Studierenden. Das erscheint nicht unwichtig, weil er „die bedauerliche Passivität“ der Studenten an sich beklagte. In heutiger Zeit – 1944 – würden sich eigentlich nur noch die Theologen „den politisch weltanschaulichen Kernproblemen“ stellen. Sie seien „die Einzigen“, die – wenn auch „häufig nicht mit der richtigen Orientierung“ – sich „aus eigenem Antrieb“ mit dem Ideengut der nationalsozialistischen Weltanschauung auseinandersetzen würden. Einigermaßen erfreulich stehe es allerdings noch mit den Medizinern und Biologen, die wegen der „Beschäftigung mit den Vererbungswissenschaften“ die „Einsicht in manche Problemstellungen“ gewinnen würden. Die Kulturwissenschaftler hingegen „versagten bei der Beantwortung solcher Fragen fast ausnahmslos“.953

953 Vgl. UAG PA 263 Schole, Bd. 4.

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4. Studieren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

Tabelle 3: Studierende an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität 1930 bis 1945 Semester 1930 1930/31 1931 1931/2 1932 1932/33 1933 1933/34 1934 1934/35 1935 1935/36 1936 1936/37 1937 1937/38 1938 1938/39 1939 1940/1 1940/2 1940/3 1941/1 1941 1941/42 1942 1942/43 1943 1943/44 1944 1944/45 1945

Studierende gesamt 2345 1974 2546 2082 2408 1893 2157 1625 1647 1303 1296 980 910 754 722 591 575 461 562 606 521 707 572 651 684 708 708 923 1010 1523 982 abgebrochen

Davon Frauen

%

Ausländer

%

287

11,9

70

2,9

163 206

12,5 15,9

99 92 74 53 61 52 95 137 131 221 188 269 246 410 501 946 502

13,7 15,6 12,9 11,5 10,6 8,6 18,2 19,4 22,9 33,9 27,5 38,0 34,8 44,4 49,6 62,11 51,1

43 38 37 42 22 45 33 35 22 30 9 5 8 7 3 11 14 37 51 38 48 52

3,3 2,9 3,8 4,6 2,9 6,2 5,6 6,1 4,8 5,3 1,5 1,0 1,3 1,2 0,5 1,6 2,0 5,2 5,5 3,7 3,2 5,3

Evangel. Theologie 361 305 412 368 419 311 361 262 262 220 198 134 102 89 64 46 48 32 37 7 5 8 6 3 4 1 3 8 6 15 6

Quelle: Eigene Berechnungen nach Woigk, Carsten: Die Studierenden-Statistik der Universität Greifswald 1808-2006, in: Universität und Gesellschaft, Bd. 1, S. 573 f.

% 15,4 15,5 16,2 17,7 17,4 16,4 16,7 16,1 15,9 16,9 15,3 13,7 11,2 11,8 8,9 7,8 8,3 6,9 6,6 1,2 1,0 1,1 1,0 0,5 0,6 0,1 0,4 0,9 0,6 1,0 0,6

4.8 Studieren im Krieg

Staats- und Rechtswissenschaften 530 435 485 407 437 325 374 264 257 221 182 146 122 98 77 75 71 70 69 35 48 63 48 34 57 35 50 44 61 125 156

% 22,6 22 19 19,5 18,1 17,2 17,3 16,2 15,6 16,9 14 14,9 13,4 13 10,7 12,7 12,3 15,2 12,3 5,8 9,2 8,9 8,4 5,2 8,3 4,9 7,1 4,8 6,0 8,2 15,9

Medizin und Zahnmedizin 553 457 712 573 784 699 747 614 691 483 549 443 472 399 429 337 346 261 358 506 384 493 406 493 507 548 499 676 708 983 550

% 23,6 23,2 28 27,5 32,6 36,9 34,7 37,8 42 37,1 42,4 45,2 51,9 52,9 59,4 57 60,2 56,6 63,7 83,5 73,7 69,7 70,1 75,2 74,1 77,4 70,5 73,2 70,0 64,5 56,0

Philosophische Fakultät 901 777 937 734 768 558 675 485 437 379 367 257 214 168 152 133 110 98 98 58 84 143 112 121 116 124 156 195 235 400 270

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% 38,4 39,3 36,8 35,3 31,9 29,5 31,3 29,9 26,5 29,1 28,3 26,2 23,5 22,3 21 22,5 19,1 21,3 17,4 9,5 16,1 20,2 19,6 18,6 16,8 17,5 22,0 21,1 23,3 26,3 27,5

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1

Die Aufregungen der Zeit seien an Greifswald vorbeigegangen, erinnerten sich die Zeitgenossen. Die unzerstörten Gebäude (Physikalisches Institut, Hauptgebäude, Hörsaalgebäude und Bibliothek sowie Augenklinik, o. im Uhrzeigersinn) sprechen für diese These. Die Aufmärsche von Wehrmacht, SA und Studentenbund prägten jedoch seit 1933 das Stadtbild (u.).

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Zu den Studenten pflegte Gauleiter Franz Schwede-Coburg ein besonderes Vertrauensverhältnis (o.). Bei Veranstaltungen überließ ihm die Universität den Sessel des Rektors (m.). Der Handschlag von Rektor Karl Reschke und dem Gauleiter war nicht nur symbolisch (u.). Als Oberpräsident der Provinz förderte SchwedeCoburg verschiedene Forschungsprojekte, etwa zu Bauernhäusern und zur Landwirtschaft.

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Eigentlicher Dienstherr der Universität war der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, den Reschke im Sommer 1938 begrüßte (o.). Bernhard Rust zeigte sich angetan von der an der Universität geleisteten Arbeit, hielt sich mit konkreten Zusagen jedoch zurück.

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284 8

Die Universität wählte 1933 den patriotischen Historiker Ernst Moritz Arndt (1769–1860) zu ihrem Namenspatron. Der Antrag war von der Hochschulgruppe des konservativen Wehrverbands Stahlhelm gestellt worden. Einer besonderen Begründung bedurfte es dafür nicht. Das Porträt ist einer offiziösen Broschüre entnommen, die den „Geist der ArndtUniversität“ beschreiben wollte.

285 9

Die nationalsozialistischen Studenten begründeten mit der Ehrung des ermordeten Bruno Reinhard eine eigene Tradition. Sie setzten einen Gedenkstein am Ort seines Todes (o.) und brachten am Hauptgebäude eine Gedenktafel an (u. l.). Alljährlich wurde des Toten mit einem Aufmarsch auf dem Friedhof gedacht, hier 1937 (u. r.).

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Die am Volkstrauertag 1933 zelebrierte Gemeinsamkeit zwischen Coleurstudenten und Nationalsozialisten erwies sich als brüchig (o.). Auf Veranlassung des DNVP-Politikers Wilhelm Kähler wurde von Ludwig Dettmann ein Gedenkfenster für das Universitätshauptgebäude geschaffen. Es erwies sich als zu groß zum Einbau. Die geplante Kapelle auf dem neuen Campus, in die es aufgenommen werden sollte, wurde nicht gebaut (m.). Konsens war die Einführung von Wehrsport, hier im Lager Lubmin (u.).

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In den ersten Jahren der NS-Diktatur prägten die Rektoren Kurt Deißner und Wilhelm Meisner die Universität (v. l. n. r.). Studentenführer Adam bemühte sich um die Einführung von Wehrsport und politischem Wehrunterricht, den der pensionierte General Wendorff (u. l.) übernahm. StahlhelmFührer und Senator Walther Glawe (u. r.) wurde 1933 die Zuständigkeit für Soziales entzogen. Die Vergabe von Stipendien und den Betrieb des Studentenwerks übernahmen jetzt Funktionäre der NSDAP.

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Fritz Klingmüller (l.) war der engagierteste Republikaner und Demokrat an der Universität. Der Jurist versuchte, nationalsozialistische Politiker und Studenten aus der Universität zu entfernen. Er wurde daher 1933 in den Ruhestand versetzt. Konrat Ziegler (m.) war liberaler Abgeordneter. Auch er wurde 1933 in den Ruhestand versetzt. Der Geograph Gustav Braun (r.) hatte sich durch seine Nähe zur Industrie und die Einwerbung von Drittmitteln Feinde unter Kollegen geschaffen. Als er im April 1933 von seinen Mitarbeitern wegen angeblicher Devisenvergehen denunziert und suspendiert wurde, gab es niemanden, der für ihn eintrat.

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Der Psychiater Edmund Forster (l.) wurde Opfer einer Denunziationskampagne. Angeblich habe er abfällig über Hitler gesprochen. Clemens Thaer (r.) setzte sich 1933 öffentlich für die Ehre der jüdischen Frontkämpfer ein. Später verweigerte er sich gegenüber Straßensammlungen für die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Der Nationalsozialist Albrecht Forstmann (u.) hatte eine abweichende Meinung zur Autarkiepolitik und vertrat sie offensiv. Er wurde denunziert und kam ins KZ Sachsenhausen. Sein Status als Verfolgter des Naziregimes wurde später aberkannt, weil er die Planwirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone für falsch hielt. Das wurde durch den Abriss der linken oberen Ecke des VVN-Ausweises kenntlich gemacht.

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Das Wissenschaftsministerium berief 1935 den Chirurgen Karl Reschke mit dem Ziel, ihn zum Rektor zu ernennen. Für das Taschenbuch der Universität ließ er sich traditionsfern ohne Ornat ablichten. Reschke stellte seine Durchsetzungsfähigkeit als „Führerrektor“ unter Beweis und suchte den Schulterschluss mit der Gauleitung der NSDAP (o.). Reschke versuchte die Universität zur „Ostuniversität“ zu erklären, wobei ihm der Volkswirt Theodor Oberländer assistierte. Der öffentlichkeitserfahrene Volkswirt blickt als einziger Teilnehmer der Osttagung 1937 in der Aula direkt in die Kamera (u.). 26

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Die Ordensburg Bütow, seit 1930 Jugendherberge, wurde zum Hauptquartier des studentischen Osteinsatzes. Ihr Foto oder eine Zeichnung (wie hier 1938) prangte auf den Rechenschaftsberichten der Studentenführung.

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1934 wurde ein bankrottes Hotel im Seebad Lubmin für die SA-Studenten angekauft (o.). Dort führte die Studentenschaft regelmäßig „Lager“ zu politischen Themen durch. Hier wurde mit Jungbauern und NSDAP-Funktionären der Sommereinsatz im Kreis Bütow vorbereitet. Das Foto, das in Broschüren und Zeitungen Verwendung fand, symbolisiert den Schulterschluss von Studenten und Bauern (m.). Das untere Bild aus dem Taschenbuch der Universität zeigt einen Studenten im Landeinsatz. Nach Arbeitsschluss befragten die Studenten die Bauernfamilien und erstellten Stammbäume, um „deutsche“ und „kaschubische“ Familien voneinander unterscheiden zu können.

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Durch einen Fahrtkostenzuschuss der NSDAP-Gauleitung wurde eine Grenzlandfahrt der Studierenden ermöglicht. Gedankt wurde mit einem Pressefoto vom sehnsüchtigen Blick ins einst deutsche Land (o.). Die Studentenführer der Universität (im Uhrzeigersinn) Hartmut Pechau, Harald Feldmann, Helmut Kreul und Günther Falk übten Druck auf die Professoren aus und sorgten für die Konformität der Studierenden.

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Die Universität kultivierte ihr Image als Wassersportuniversität. Realität war Geländesport. Jeder Student musste in den ersten drei Semestern bestimmte Leistungen im Wehrsport erbringen. In den Semesterferien wurde Erntehilfe geleistet.

295 Eine wissenschaftliche Attraktion war die Biologische Station auf Hiddensee. Obwohl sich ihr Gründer Erich Leick für eine wehrwissenschaftliche oder zumindest der Autarkie dienende Verwendung aussprach, blieb sie doch meteorologische Station, Vogelwarte und Wissenschaftsstandort. Das Kursgebäude (m.) wurde nicht mit Mitteln des Ministeriums erbaut, sondern mit Geldern der Freunde und Förderer der Universität.

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Die Nordischen Auslandsinstitute sollten den kulturellen Austausch mit Skandinavien stärken. Das Haus in der Roonstraße präsentiere sich beim Besuch des finnischen Oberbefehlshabers Hugo Österman voll beflaggt (o.). Das Institut für Finnlandkunde war zunächst wirtschaftsgeographisch orientiert, der neue Leiter Hans Grellmann betrieb ab 1933 Kulturpolitik und übernahm 1940 Wehrmachtsaufträge 43

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1930 wurde durch den Internisten Gerhardt Katsch ein Sanatorium in Garz auf der Insel Rügen als Diabetikerheim eingerichtet. 1936 konnte ein Laborgebäude übergeben werden (u. l.). Katsch nahm 1939 scharf gegen die geplante Sterilisierung der Diabeteskranken Stellung. 46

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Mit Unterstützung der Provinz baute Rektor Kurt WilhelmKästner das Kunstgeschichtliche Seminar zu einem kunstwissenschaftlichen Institut aus, in dem auch praktisch gearbeitet werden konnte. So wurden Druckerpressen angeschafft und der Zeichensaal wurde vergrößert (o.). Wilhelm-Kästner selbst, hier im Ornat des Rektors, widmete sich der von der Gauleitung geforderten Bauernhausforschung (u.). Das Bild zeigt niedersächsische, also „deutsche“ Bauernhäuser im ostpommerschen Kemp.

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Der Kunsthistoriker Kurt Wilhelm-Kästner legte 1938 den neuen, nicht in Latein gehaltenen Rektor­eid ab. Die Verpflichtung, das Amt im „Geiste der nationalsozialistischen Bewegung“ zu führen, betrachtete er als Auftrag. Der 1545 in den Statuten festgeschriebene Eid lautete wie folgt und war unvereinbar mit nationalsozialistischen Prinzipien: „Ich [N. N.] schwöre, dass ich bei der Bewahrung der Statuten, bei der Verteidigung der Privilegien und überhaupt beim Erwerb und bei der Vermehrung aller Dinge, die das Wohl dieser ruhmreichen Universität betreffen, alles redlich besorgen will. So wahr mir Gott helfe durch Jesus Christus, Amen.“

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Der Studentenwettkampf mobilisierte Ressourcen für die Vorgeschichtsforschung. Drei Studenten (und die Frau, die sie bei der Arbeit fotografierte) wiesen 1939 Wikingerbegräbnisse auf einem schon früher benutzten Gräberfeld nach (o.). Bei den Notgrabungen in Gützkow wurde viel Holz freigelegt. Bevor die Universität die Funde untersuchen konnte, wurden sie von den Stadtbewohnern verheizt. Der Lehrstuhlinhaber Wilhelm Petzsch sorgte dafür, dass der Bürgermeister 1934 „verschwand“ und der Bauunternehmer die Verwertung des Materials zurückstellte.

301 Der Erbbiologe Günther Just (o.) veranlasste eine gründliche Erforschung der Provinz Pommern nach eugenischen Grundsätzen. Sein Schüler Robert Hoyer illustrierte in seiner 1944 fertiggestellten Dissertation die „Bedrohung“ durch die angeblich Minderwertigen mit zwei Abbildungen. Die untere beschreibt die bürgerliche Normfamilie mit 2,3 Kindern. Darüber die Hilfsschülerfamilien, in denen durchschnittlich 5 Kinder lebten. Das Berufsziel des Vaters dieser Familie illustrierte Hoyer mit einem Besen, der bürgerliche Entwurf trug Schlips und Kragen.

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Für den Vierjahresplan kartierte das Geologische Institut unter der Leitung von Serguis von Bubnoff die Bodenschätze Pommerns. Dabei entstanden die Aufnahmen eines mächtigen Tonvorkommens (o.) bei Stettin und eines Kreidebruchs auf Rügen (u.).

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Der Leiter des Mineralogisch-Petrographischen Instituts Rudolf Groß untersuchte seit den zwanziger Jahren die Brüchigkeit von Wolframfäden (o.). In den vierziger Jahren begann die Züchtung von Kristallen; hier eine mikroskopische Aufnahme von Zinkoxid (u. r.).

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Die Mitarbeiter des Botanischen Instituts untersuchten die Physiologie von Nutzpflanzen, etwa von Mais (o.). Im Mittelpunkt stand der Einsatz von Wuchsstoffen. Außerdem führten sie Feldversuche mit Bakteriengemischen (zum Beispiel Radicin) durch. Ziel war es, den Stickstoff-Stoffwechsel der Pflanzen zu verbessern.

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Das Chemische Institut bearbeitete seit der Berufung von Gerhart Jander (o. l.) 1935 Forschungsaufträge des Heereswaffenamts. Bereits 1933 war der spätere Wissenschaftsfunktionär Rudolf Mentzel (o.r.) mit einer Studie zur Durchlässigkeit von Gasmaskenfiltern habilitiert worden. Die elektronenmikroskopische Aufnahme von Janders Schüler Karl Ernst Stumpf aus dem Jahr 1943 zeigt die Aggregation einer Modellsubstanz in einem Aerosol. Stumpf benutzte das Elektronenmikroskop des Gasschutzlaboratoriums der Wehrmacht in Berlin-Spandau.

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In der Hautklinik wurden seit 1936 Versuche mit dem Kampfstoff Lost (Gelbkreuz) durchgeführt. Unter anderem entfernten die Ärzte bei Männern politische Tätowierungen. Wo Wilhelm Richter die Probanden für die Menschenversuche fand, konnte nicht ermittelt werden. Die vom Kampfstoff verursachten Wunden heilten innerhalb weniger Monate ab.

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Mit der Behandlung von Lostschäden befasste sich nicht nur Wilhelm Richter (o. r.). Der Pharmakologe Paul Wels (u. l.) und der Physiologe Felix Hoppe-Seyler (u. r.) holten für die Versuche an Studenten eine Genehmigung ein.

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Das Physikalische Institut wurde 1942 zum Rüstungsbetrieb erklärt. Dort gab es eine wehrwissenschaftliche Abteilung, in der zum Beispiel zum „ultraroten“ Spektrum des Lichts geforscht wurde. Direktor Rudolf Seeliger leitete Arbeiten zu Hochstrombögen. Das Bild zeigt die Flamme zwischen Kathode und Anode. Der Doktorand untersuchte die Abbrenngeschwindigkeit verschiedener Kathoden. Der Anglist Reinhard Haferkorn (u.) leitete während des Krieges die antibritische Propagandaabteilung des Reichsrundfunks. Nach dem Krieg sagte er gegen seine Untergebenen aus.

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Auch andere Geisteswissenschaftler beteiligten sich an der ideologischen Vorbereitung oder Begleitung des Vernichtungskrieges. Wilhelm Koepp (l.), Ordinarius für Systematische Theologie propagierte eine antijüdische Religionswissenschaft. Peter-Heinz Seraphim (r.), Professor für Volkswirtschaftslehre, verfasste Pamphlete zur Rechtfertigung der Ausgrenzung der Juden und wissenschaftliche Studien zur Ghettobildung in osteuropäischen Städten. Die Zeichnung ist einer seiner Publikationen entnommen. Als Experte führte er Schulungen von Parteifunktionären durch.

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Im Hygieneinstitut forschten Kurt Herzberg (o. r.) und sein Assistent Walter Groß an Viren, die bei Tieren und Menschen Krankheiten auslösen. Die mit einem Lichtmikroskop hergestellte Aufnahme unten zeigt die Ballung eines Erregers, der in Mäusen und Kanarienvögeln nicht stabilisiert werden konnte und sich damit weiterer Forschung entzog. Honorarprofessor Otto Waldmann (o. l.) leitete die Forschungsanstalt für Viruskrankheiten auf der Insel Riems, wo Impfstoffe gegen verschiedene Erreger entwickelt und produziert wurden. Ab 1942 wurde dort ein waffenfähiger Erreger der Maul- und Klauenseuche hergestellt.

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Viele Ärzte der Universität leisteten ihren Kriegsdienst im Luftwaffenlazarett, das 1940 eingerichtet wurde. Die Aufnahme aus dem Jahr 1938 zeigt die Feier zum Richtfest (o.). Gaudozentenführer Reschke war als Beratender Chirurg eingesetzt und starb 1941 an einem Herzinfarkt. Die Trauerfeier wurde in der Aula inszeniert.

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Carl Engel (l.) war als Rektor an der kampflosen Übergabe der Stadt Greifswald beteiligt (u.). Nach der Vernichtung kompromittierender Akten räumte er seinen Platz für den unbelasteten Neutestamentler Ernst Lohmeyer (r.). Beide starben in sowjetischer Haft. Die Verhandlungen zur Übergabe führten Engel, Gerhardt Katsch und der Adjutant des Stadtkommandanten Oberst Max Otto Wurmbach.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

5.1 Die verschiedenen Formen des Engagements 5.1.1 Wege und Formen der Mobilisierung

In den vorherigen Kapiteln wurden vor allem die politischen Vorgänge an der Institution Universität beschrieben, die personelle Neuformierung des Lehrkörpers und die Neuorientierung der Lehre. Alle Wissenschaftler, die im Amt blieben, standen jedoch vor der Aufgabe, sich selbst in der Diktatur zu verorten. Dabei reichte das Spektrum, wie in diesem Kapitel gezeigt wird, von der freudigen Übernahme ideologischer Vorgaben bis hin zur Passivität. Einige nahmen übertragene Aufgaben willig an, andere nutzten die Chancen, die das Regime bot, für ihre persönlichen Forschungsinteressen. Eine weitere Gruppe konnte bereits auf ein beachtliches Lebenswerk zurückblicken, das es zu bewahren oder auszubauen galt. Für sie war das Geschaffene an sich von Wert, etwa die Biologische Station auf Hiddensee oder das Diabetikerheim in Garz auf Rügen. Von diesen Wissenschaftlern wurde eine Anpassungsleistung erwartet, sofern sie ihr Werk nicht vernichtet sehen wollten. Aber gerade weil zwischen 1933 und 1945 zahllose Naturund Geisteswissenschaftler – Genetiker, Theologen, Philosophen, Historiker, Juristen oder Betriebs- und Volkswirte – zur Untermauerung der nationalsozialistischen Ideologie herangezogen wurden, wandelte sich der Charakter der Wissenschaft insgesamt. Neben ihrer Lehrtätigkeit, die wegen der Flüchtigkeit von Worten nicht rekon­ struierbar ist, verfassten die Wissenschaftler zahlreiche teils wissenschaftliche, teils populäre Werke, in die zweifellos ihre Vorlesungskonzepte und Manuskripte einflossen. Indem sie sich selbst mobilisierten, schufen sie ein neues Profil der Universität. Einige verfassten solche Schriften aus eigener Initiative heraus, manchmal wurden sie auch um Mitarbeit ersucht. So arbeitete der Geograph Hermann Lautensach an einer Studie über Portugal für den kulturpolitischen Stab des Auswärtigen Amts, wurde damit bis Kriegsende jedoch nicht fertig.954 Andere ignorierten solche Anfragen. So wurde zum Beispiel der Palästinakundler Leonhard Rost im November 1944 um Mithilfe beim Aufbau einer „Forschungsstelle Orient“ gebeten. Ob Rost bekannt war, dass es sich um eine Deckorganisation der SS handelte, ist nicht bekannt. Eine 954 Vgl. BA R 4901/13843.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

Antwort gab er der Forschungsstelle nicht.955 Geograph Lautensach sagte dem Reichssicherheitshauptamt im Sommer 1944 zwar zu, einen Forschungsauftrag zu übernehmen, musste die Zusage jedoch wegen Arbeitsüberlastung durch „eine Überfülle an Studenten“ ablehnen.956 Der Volkswirt Dietrich Preyer lehnte 1940 aus offensichtlich politischen Gründen ab, im Auftrag der Reichsdozentenführung eine Propagandastudie über den „Einfluss jüdischen Denkens auf die englische Geldlehre“ zu verfassen.957 Der ehemalige Offizier und Russlandspezialist ließ sich jedoch für die Abwehr reaktivieren, was sich als patriotische Pflichterfüllung interpretieren lässt. Manche kamen für Anfragen von Institutionen nicht in Frage, weil sie als „nicht einwandfrei“ galten, oder wandten sich unpolitischen Themen zu. Der Arbeitsrechtler Erich Molitor wurde 1936 anlässlich eines Buches über Die Kündigung angegriffen, weil das Buch nicht aus Sicht der Partei, sondern „objektiv“ geschrieben sei. Er zog sich daraufhin in die Rechtsgeschichte zurück und stellte die Arbeit an der Interpretation geltenden Rechts ein.958 Seine historische Studie über Die Pflegschaften des Sachsenspiegels und das Siedlungsrecht im sächsischen Stammesgebiet wurde jedoch begeistert aufgenommen und verkaufte sich so gut, dass der Verlag Böhlau drei Viertel des Druckkostenzuschusses 1945 zurückzahlte.959 Nicht alle waren so schnell desillusioniert wie Molitor, aber es ist auffällig, dass die meisten Arbeiten aus Eigeninitiative in den ersten Jahren des Regimes geschrieben wurden. Viele wurden von den noch nicht arrivierten Privatdozenten oder außerordentlichen Professoren verfasst, wobei die Antwort auf die Frage, ob Karrierismus eine Rolle spielte, unerheblich ist. Als Erklärungsmuster kann ebenso herhalten, dass sich jüngere Dozenten von der Dynamik des Nationalsozialismus leichter mitreißen ließen, als die im Kaiserreich mental geprägte Hochschullehrergeneration. In den Dienst des Regimes stellte sich zum Beispiel der Verwaltungsjurist Arnold Köttgen, der ein Lehrbuch des Verwaltungsrechts verfasste, das eine überwiegend nüchterne Auslegung bestehender Vorschriften war. Er scheute sich jedoch nicht, die Vorzüge des Führerstaats gegenüber einem System, das auf Gewaltenteilung beruhte, herauszuarbeiten. Jetzt sei jeder Verwaltungsbeamte „Mitarbeiter des Führers“, und ob ein „Führerbefehl“ die Form eines Gesetzes habe oder nicht, sei „nicht mehr von grundlegender Bedeutung“. Daraus resultiere ein explizit „politischer Ansatz“ für das 955 956 957 958

Vgl. BA R 58/133, Bl. 89. Vgl. BA R 4901/13843. Vgl. UAG PA 2688 Preyer, Bd. 2. Vgl. UAG R 2269, Bl. 22a; Däumichen, Nadine: Erich Molitor. Mitbegründer der neueren Arbeitsrechtswissenschaft. Arbeitsverhältnis und Arbeitsvertrag zu Zeiten der Weimarer Verfassung und des Dritten Reichs, Berlin 2012, S. 36 f. 959 Vgl. BA R 73/13214.

5.1 Die verschiedenen Formen des Engagements

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Verwaltungshandeln.960 Demselben Grundsatz folgte er bei der Reorganisation der Pommerschen Verwaltungsakademie. Als deren neuer Leiter baute Köttgen das Vortragsprogramm um und verpflichtete Mitarbeiter des NSDAP-Gauschulungsamts für die „weltanschauliche Schulung“ der Beamten. Die „fachliche“ Weiterbildung baue ohnehin, so Köttgen in einem Rechenschaftsbericht, auf diesen „weltanschaulichen Voraussetzungen“ auf, weil nur so „einzelne Gegenstände … richtig begriffen werden“ könnten.961 Die säuberliche Abtrennung der Verwaltung vom politischen Handeln ließ Köttgen auch zum Fürsprecher der Beibehaltung der Verwaltungsgerichtsbarkeit werden. Eben weil die Grenzen zwischen politischem Handeln und Verwaltungsentscheidungen „flüssig“ waren, bedurfte es aus seiner Sicht, aber auch nach der Auffassung des Reichsinnenministeriums einer solchen Gerichtsbarkeit.962 Dass Köttgen, der 1940 in die NSDAP aufgenommen wurde,963 damit nicht etwa auf eine Kontrolle der Staatsführung rekurrierte, kann der Universitätsrede entnommen werden, in der er das Hohe Lied des Führerstaats sang und die Gleichschaltung der Länder mit dem Reich als „Vollendung der Reichseinheit“ pries.964 Die Anpassung an die politischen Realitäten war zunächst ein individuelles Problem, das Hochschullehrer mit Nichtanpassung, Zurückhaltung oder freudiger Bejahung des Regimes lösen konnten. In letzterem Fall kam es nicht selten zu einer Rückwirkung auf die wissenschaftliche Arbeit des Gelehrten selbst, wie ein Blick auf den Historiker Hermann Christern zeigt. Der Gymnasiallehrer für Geschichte, Germanistik und Geographie hatte sich 1931 an der Universität Berlin habilitiert, 1939 legte er sein Opus Magnum vor, eine Untersuchung über die Verfassungsentwicklung in Deutschland und England am Ende des 18. Jahrhunderts. Dabei untersuchte er die unterschiedlichen geistigen Vorstellungen der am Verfassungsprozess maßgeblich 960 Vgl. Köttgen, Arnold: Deutsche Verwaltung, Berlin 1937, S. 10 ff. 961 Vgl. Köttgen, Arnold: Die Verwaltungsakademie der Provinz Pommern, o. O. o. J. [Greifswald 1934], S. 3 f. Zum Charakter der Verwaltung im NS: Rebentisch, Dieter und Karl Teppe (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers : Studien zum politisch-administrativen System, Göttingen 1986. 962 Vgl.  Kohl, Wolfgang: Das Reichsverwaltungsgericht. Ein Beitrag zur Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, Tübingen 1991, S. 411. 963 Die Annahme, dass Köttgen eine jüdische oder halbjüdische Ehefrau gehabt hätte, beruht auf einem Lesefehler. Der Fragebogen in der Personalakte weist für die Vorfahren durchgängig „evangelisch“ aus. Vgl. Wallerath, Maximilian: „… Verwaltungsrecht besteht“. Arnold Köttgen (1902–1967), in: Lege, Joachim: Greifswald – Spiegel der deutschen Rechtswissenschaft, Tübingen 2008, S. 357. Korrekt: UAG PA 407 Köttgen, Bd. 2, Bl. 5 und BA R 4901/13268. 964 Vgl. Köttgen, Arnold: Der Weg zur Deutschen Einheit, Greifswald 1937. Die Einschätzung Walleraths, dass Köttgen gegen die typisch nationalsozialistischen antiföderalen Tendenzen immun gewesen sei, erscheint als nicht haltbar. Vgl. Wallerath, „… Verwaltungsrecht besteht“, S. 364.

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beteiligten Personen, wobei ihn besonders die eng mit England verbundenen Politiker Hannovers interessierten. An die solide Darstellung hatte Christern ein Schlusskapitel über die Verfassungen im Deutschen Reich angefügt, das deutliche Anklänge an den Nationalsozialismus erkennen lässt. So würdigte er Bismarck, der die parlamentarischen Mitwirkungsrechte eingeschränkt hatte, kritisierte allerdings, dass diese Art der Verfassung nie als eine „dem westeuropäischen Verfassungsideal ebenbürtige, gleichwertige oder gar überlegene Verfassungsform“ im deutschen Volk akzeptiert wurde. Dafür machte Christern das Fehlen einer deutschen Freiheitsidee verantwortlich, die eben nicht wie in England die Verantwortlichkeiten und Freiheiten des Individuums abgegrenzt habe.965 Durch die mangelnde wissenschaftliche Begründung des preußischen konstitutionellen Verfassungsideals und fehlende politische Propagierung dieser eigenständig deutschen Staatsform habe sich das deutsche Volk dem Gedanken der „westeuropäischen Demokratie“ unterworfen. Diese habe ihren „Vorrang­anspruch durch geistige Einkreisung und durch kriegerische Mittel“ dann im Weltkrieg durchgesetzt, wobei Deutschland längst besiegt gewesen sei, noch bevor es die Waffen habe niederlegen müssen. Die antimonarchistische Kritik verstärkte er noch, indem er den deutschen Fürsten vorwarf, dass sie während des Krieges eine Debatte über Verfassungsfragen überhaupt zugelassen hatten. Die Weimarer Verfassung sei dann nur noch das innenpolitische Symbol der „völligen geistigen Unterwerfung“ gewesen, wie der Versailler Vertrag außenpolitisch.966 Erst die „nationalsozialistische Revolution“ habe dem deutschen Volk wieder eine arteigene Verfassung gegeben, die alle anderen Regungen der „Erhaltung dieses Volkstums und seiner rassischen Urelemente“ unterwerfe. Das Zitat entstammte Hitlers Buch Mein Kampf, Christern leitete daraus im letzten Satz seines Buches die Verpflichtung ab, auch bei Verfassungsfragen immer wieder an „die lebendige Kraft des Volkstums“ anzuknüpfen.967 Das Buch ist Zeugnis für die mäandernde Wahrnehmung eines Historikers, der die britischen Stabilisatoren des Weltreichs um 1800 gegen die Herausforderungen der Französischen Revolution bewunderte und sich vom Kult um Bismarck absetzte, um dann zum glühenden Bewunderer des – eigentlich ohne eigene Verfassung regierenden – Nationalsozialismus zu werden. Relevant ist das für die Rekonstruktion dessen, was Christern gelehrt haben mag. In der gesellschaftlichen Debatte hat Christern wegen seines randständigen Themas keine Spuren hinterlassen. Es gab jedoch nicht wenige Greifswalder Professoren und Dozenten, deren Wirksamkeit in der Gesellschaft messbar war oder die sich zumindest brennenden Zeitfragen zugewandt 965 Vgl. Christern, Hermann: Deutscher Ständestaat und englischer Parlamentarismus am Ende des 18. Jahrhunderts, München 1939, S. 224 ff. 966 Vgl. ebd., S. 231 ff. 967 Vgl. ebd., S. 241 ff.

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hatten. Zu diesen gehörte der Privatdozent für Zeitungswissenschaften Hans Traub, der sich 1932 für das Fach habilitiert hatte. Traub versuchte als Leiter einer Ausbildungsabteilung bei der UFA die Professionalisierung der Medien voranzutreiben und verfasste eine Lehrschrift über den Film als politisches Machtmittel. Darin beschrieb er die Funktion von Unterhaltungs, Kultur- und Lehrfilm, erläuterte die Feinheiten des Einsatzes bewegter und erzählender Bilder und beschrieb Techniken von Einstellung und Montage, mit denen bestimmte Wirkungen hervorgerufen werden konnten. Ohne das Debakel des ersten Propagandaspielfilms S. A. Mann Brand explizit zu thematisieren, stellte Traub lakonisch fest, dass „Gesinnung“ nicht „Kunst“ sei, Technik aber auch nicht. Filmkunst sei ohne die Beherrschung der Technik jedoch „unmöglich“. Mithin bedürfe der Film der „Persönlichkeit“, nicht des Kollektivs, eine Regel, an die sich die UFA hielt, nachdem bei den ersten Filmen zu viele Parteistellen mitgesprochen hatten.968 Traub beleuchtete auch das Verhältnis der Propaganda zum Film. Ausgehend von Hitlers Definition, dass Propaganda ein Mittel zum Zweck sei, forderte er die Berücksichtigung von vier Gesichtspunkten: „1. Der mögliche subjektive Appell an die ,Welt der Gefühle‘, 2. Die Beschränkung im Inhalt, 3. Die Kampfansage von Beginn an, 4. Die Wiederholung in ,dauernder und gleichmäßiger Einheitlichkeit‘“, wie sie Adolf Hitler gefordert habe. 969 Das erste Gesetz aller Propaganda aber laute, „die Menschen aufnahme- und begeisterungsfähig zu erhalten“. Begleitend entwickelte Traub ein Sender-Empfänger-Kommunikationsmodell, das ihm geeignet schien, eine möglichst starke Übereinstimmung zu erzielen. Als Grundlage diene dabei das völkische Empfinden des Filmschaffenden, das sich an die „Empfängergrundlage“, die „Volksgemeinschaft“ wende.970 Im logischen Schluss resultierte daraus, dass das Empfinden der Volksgemeinschaft am besten dadurch zu beeinflussen sei, wenn der Regisseur, also die „Persönlichkeit“, dieses Empfinden teile. Traub vertiefte den Gedanken später nicht, obwohl die Annahme einer Wechselwirkung im Sinne der Semiotik von Charles Sanders Peirce oder der Sender-EmpfängerModelle US-amerikanischer Forscher, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, nahegelegen hätte.971 Immerhin präferierte Traub eine soziologisch fundierte Filmforschung, die mehr über den Empfänger aussagen würde. Aus seiner Sicht galt es, typi968 Vgl. Traub, Hans: Der Film als politisches Machtmittel, München 1933, S. 19 ff. 969 Vgl. ebd., S. 17 und 28. 970 Vgl. ebd., S. 34 f. 971 Die Kommunikationswissenschaftlerin Stefanie Averbeck beurteilte diese Publikation Traubs irrig als Anpassung an die „NS-Diktion“, um „so als Bürger und Wissenschaftler ,teiljüdischer‘ Herkunft vor Übergriffen geschützt zu sein. Vgl. Averbeck, Stefanie: Kommunikation als Prozess. Soziologische Perspektiven in der Zeitungswissenschaft 1927–1934, Münster 1999, S. 401 f.

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sche Kommunikationsmechanismen genauer zu untersuchen und zu perfektionieren. Innerhalb der Zeitungswissenschaft stellte diese Forderung jedoch eine Minderheitenposition dar, die Mehrheit lehnte diesen „sozialpsychologischen“ Ansatz vehement ab.972 5.1.2 Die Relevanz der Naturwissenschaften: Eine Universitätsrede im Januar 1935

Die Universität Greifswald stand den Naturwissenschaften seit jeher sehr aufgeschlossen gegenüber. Um einer offenbar wissenschaftsfeindlichen Umgebung entgegenzutreten, wurde im Januar 1935 der Ordinarius für Chemie Dr. phil. Dr. med. Robert Fricke mit der Rede zum Reichsgründungstag und der „siegreichen Vollendung der nationalsozialistischen Revolution“ beauftragt. In der Druckfassung blieb der Termin im Dunklen, die Ausführungen ließen als Bekenntnis zum Regime aber keine Fragen offen.973 Im ersten Teil seiner Rede widmete sich Fricke dem Verhältnis von Grundlagenforschung und angewandter Wissenschaft und stellte den Nutzen der Grundlagenforschung an den Beispielen von drahtloser Telegraphie, Röntgentechnik, der Vitamine und dem Elektromotor bzw. der Dynamomaschine anschaulich dar. Auch die Nutzung des Stickstoffs der Luft zur Sprengstoffherstellung thematisierte Fricke – ohne Wilhelm Ostwalds Grundlagenforschung im 19. Jahrhundert sei die „Stickstofffrage“ im Ersten Weltkrieg nicht zu lösen gewesen. Auch der Kampfstoff „Gelbkreuz“ sei bereits 1860 von einem deutschen Chemiker entdeckt worden, aber erst im Weltkrieg zum „wirksamsten Verteidigungskampfstoff“ geworden. Sogar in den Offensiven sei Gelbkreuz „einer der wirksamsten Faktoren“ gewesen, „wegen der dadurch gegebenen Möglichkeit, die feindlichen Verstärkungen fernzuhalten“. Man ersehe daraus, dass die Herstellung wirksamer Kampfstoffe „höchstwahrscheinlich“ nicht erfolgt wäre, wenn man im Kriege nicht „auf den Erfahrungsschatz eines guten Jahrhunderts chemisch-wissenschaftlicher Arbeit hätte zurückgreifen können“.974 Ebenso alt sei die Forschung des Augustinerabts Gregor Mendel, der die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung erforscht hatte. „Heute soll nach dem Willen des Führers die exakte Vererbungsforschung zur Grundlage einer Gesetzgebung gemacht werden, welche die Aufartung des deutschen Volkes zum Ziel“ habe, stellte Fricke mit Genugtuung fest. „Stille Forschungsarbeit“ komme also immer dem Volk zugute, ganz gleich ob „im Frieden oder im Kriege“. Dazu sei aber „reine und freie Forschung“ erforderlich, denn 972 Vgl. ebd., S. 404–413. 973 Die Feiern von Reichsgründungstag (18. Januar) und zur nationalsozialistischen Machtübernahme (30. Januar) wurden zusammengelegt. Vgl. Fricke, Robert: Die Wissenschaft im Dienst an Volk und Staat, Greifswald 1935, S. 3. 974 Vgl. ebd., S. 7 f.

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den Wissenschaftlern sei häufig „vollkommen unklar“, ob ihre Wissenschaft eine praktische Bedeutung besitze. Forschung produziere stets „mehr oder weniger genießbare Früchte am Baum der Wissenschaft“, sie auf ihre praktische Verwertung zu reduzieren hieße, „von einem wurzellosen Baume verlangen, dass er Früchte trägt“.975 Fricke benannte dann ganz klar die Aufgaben für die Forschung an der Universität. Physik und Chemie müssten gefördert werden, zugleich die Mathematik als deren „mächtiges Hilfsmittel“. Er begründete das mit den rüstungstechnischen Erfordernissen, etwa „flüssigen Brenn- und Treibstoffen“, neuen Textilien („Kunstseide!“) und Kautschuk. Ohne das Studium der Vererbungslehre seien die Verbesserung der Rassen der Haustiere und die Erhöhung der Erträge von Nutzpflanzen undenkbar. Ausdrücklich positiv bewertete er das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und betonte, dass dessen Verwirklichung „ja auch die genaue Kenntnis der Vererbungsmöglichkeit geistiger und körperlicher Schäden“ berücksichtigen müsse.976 Fricke meinte vor der akademischen Öffentlichkeit noch auf den Vorwurf eingehen zu müssen, „der oft gegen Professoren erhoben“ werde: Sie „seien stolz, eitel und eingebildet“. Wie bei allen anderen Berufen gebe es, antwortete Fricke auf die rhetorische Frage, Menschen „die jeden Maßstab für sich selbst verloren hätten“. Das seien aber „nicht die wirklich großen Geister“. Wirkliche Klugheit mache innerlich bescheiden und lehre, die Verdienste anderer anzuerkennen. Andererseits brauche der angeblich „zerstreute Professor“ eben auch einmal Ruhe und „unendlich viel Konzentration“, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen.977 Fricke benannte bei seiner Universitätsrede jedoch auch Defizite, die der deutschen Forschung angeblich innewohnten. Im Unterschied zum „angelsächsischen Forscher“, der „im Allgemeinen lange nicht so viel“ arbeite wie der deutsche, investiere der aber viel mehr Arbeit, „um für breitere Kreise sehr gut verständliche Vorträge zu halten und leicht lesbare Bücher zu schreiben“.978 Um diese Aussage zu untermauern, zitierte Fricke Adolf Hitler, der gesagt habe: „Damit der Deutsche stolz sein kann, auf die Leistungen seines Volkes, muss er sie erst kennen.“979 Den Fortschritt der Wissenschaft in diesen Ländern, den Fricke unumwunden anerkannte, verdankte sie aber auch der Bereitstellung „enormer Mittel“. Konkrete Forderungen verband er mit diesem Hinweis nicht.980 Den Schluss seiner Rede widmete er einer Huldigung Hitlers. Dessen Regierung habe das Problem des „Klassenhasses“ gemeistert und innenpolitische Erfolge erzielt, 975 976 977 978 979 980

Vgl. ebd., S. 9 f. Vgl. ebd., S. 15 ff. Vgl. ebd., S. 21–24. Vgl. ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 26 Vgl. ebd., S. 28.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

„die früher kein Mensch für möglich gehalten hätte“. Schon deshalb müssten die „Arbeiter der Stirn“, dem „Führer in Treue“ folgen und ihm nach Vermögen bestens „dienen“. Das sei, und damit sprach er die Anwesenden direkt an, „unser aller vornehmste Pflicht“. Im Sinne eines Treugelöbnisses bitte er, dass sich alle von ihren Plätzen erheben mögen und „einstimmen in den Ruf“: „Unserem Führer und Volkskanzler Adolf Hitler, dem Schöpfer der inneren Einheit und dem Erneuerer der sittlichen Kräfte unseres Volkes ein dreifaches ,Sieg Heil‘!“981 Wenig später wurde Fricke an die TH Stuttgart berufen, wo er Wehrmachtsaufträge der höchsten Dringlichkeitsstufen – Geheime Kommandosache und DE – bearbeitete. Im Auftrag des Heereswaffenamtes forschte er an Katalysatoren und arbeitete mit der Abteilung Gasschutz zusammen.982 Diese Zusammenarbeit hatte Fricke in Greifswald wahrscheinlich bereits angebahnt, zumindest ist nachweisbar, dass er den maßgeblichen Protagonisten der Kampfstoffforschung den Weg ebnete. An der Universität selbst wurde zu Kampfstoffen später in den Instituten für Chemie, Physiologie, Pharmakologe und in der Hautklinik geforscht. Wie von Fricke angekündigt, partizipierten Vererbungswissenschaft und Pflanzenbiologie von den Rahmenbedingungen, die das Regime schuf. Physiker und Mineralogen passten ihre Forschungen ebenso an die Vorgaben des Regimes an, wie die Geologen und Geographen. Einige Mediziner stellten sich den politischen und militärischen Herausforderungen, wobei sie die Vorgaben des Hippokratischen Eids unterschiedlich interpretierten. Das mühsame Ringen um Teilhabe und Akzeptanz zeigen die Initiativen der Geisteswissenschaftler, denen die Anpassung an die Vorgaben des Regimes nicht reibungslos gelang. Einige von ihnen preschten weit vor, um die nationalsozialistische Ideologie gründlicher zu fundieren. Andere hatten sich mit Konkurrenten oder Scharlatanen herumzuärgern, die aber an Schaltstellen des Apparates saßen. Die Geschmeidigen und die politischen Fanatiker fanden jedoch ihren Platz im heute zynisch so genannten Wissenschaftsbetrieb.

5.2 Politische Pädagogik, Philosophie und völkischer Antisemitismus

Die Erziehung im Nationalsozialismus folgte einer Prioritätensetzung: erstens Schaffung und Erhalt körperlicher Gesundheit, zweitens charakterliche Erziehung und drittens wissenschaftliche Ausbildung. Dabei wurde die Erziehung nicht Schule und Familie allein überlassen, sondern die Heranwachsenden wurden ab 1933 mit einem 981 Vgl. ebd., S. 29 f. 982 Vgl. BA R 26/III/11, Bl. 89.

5.2 Politische Pädagogik, Philosophie und völkischer Antisemitismus

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Netz von Institutionen umgeben, in denen körperliche Ausbildung und weltanschauliche Schulung selbstverständlich waren. Am Ende dieser Formationserziehung stand ein Mensch, der den Willen zur Unfreiheit verinnerlicht hatte und von rassistischen Vorstellungen durchdrungen war.983 Mit welchen konkreten pädagogischen Formen dieses Ziel erreicht werden konnte, war umstritten, aber es war unzweifelhaft, dass der Ausbildung der Erzieher besondere Bedeutung zukam. Das Fach der Pädagogik vertrat in Greifswald der Philosoph Hermann Schwarz, der sich als Nationalsozialist begriff und bei einem Vortrag am 29. Juni 1933 skizzierte, was er unter „völkischer Erziehung“ verstand. Diese umfasse dreierlei: „1. Erziehung zu völkischem Staatsbewusstsein, 2. Erziehung zu völkischem Kulturbewusstsein, 3. Erziehung zu völkischem Gottesbewusstsein“. Alle Erziehung beginne jedoch mit dem „völkischen Grunderlebnis“, worunter Schwarz das Erlebnis des Schützengrabens im Weltkrieg verstand, in dem eine „Gemeinschaftsgeistigkeit“ entstanden sei. Deren reine Flamme habe „alle soziale Ungerechtigkeit, allen Hass der Klassen, allen Hochmut der Besitzenden und Gebildeten, allen Streit der Konfessionen verzehrt“.984 Erziehung habe daher die Aufgabe, die Menschen „gliedwillig“ für die „Schicksalsgemeinschaft“ zu machen. In dieser „Staatspädagogik“ wusste sich Schwarz einig mit Ernst Krieck, dem wichtigsten Pädagogen in der Zeit des Nationalsozialismus. Er befürwortete daher dessen Konzept, dass junge Menschen in Verbänden geformt werden müssten, wo sie je nach deren Zweck „geformt, ausgerichtet und erzogen“ würden.985 Bei der Erziehung zu völkischem Kulturbewusstsein wollte Schwarz ein von „Wahrheit“ und „Schönheit“ geprägtes wissenschaftliches und künstlerisches Schaffen am Werke sehen, das von „der Eigentümlichkeit unseres Blutes“ bestimmt sei.986 Die Erziehung zu völkischem Gottesbewusstsein geschehe durch „Gotteserlebnisse“, deren größtes, „sich verflechtend mit anderen, die Volkheit selbst“ sei.987 Dies war kein plattes Argumentieren mit der häufig gebrauchten Formel: „Du bist nichts, Dein Volk ist alles“. Denn diese verneinte nach Meinung von Schwarz lediglich in scheinbar „veredelter“ Form jegliche individuelle Sinnstiftung des Lebens. Mit der Vergöttlichung des Gemeinschaftserlebnisses ging Schwarz weit über die „Forma­ tionserziehung“ von Krieck hinaus – wobei sich beide in ihrem totalitären Anspruch 983 Vgl. Keim, Wolfgang: Erziehung unter der Nazi-Diktatur, Bd. 1: Antidemokratische Potentiale, Machtantritt und Machtdurchsetzung, Darmstadt 1995, S. 15–19. 984 Vgl. Schwarz, Hermann: Grundfragen der völkischen Erziehung, in: ders.: Nationalsozialistische Weltanschauung. Freie Beiträge zur Philosophie des Nationalsozialismus aus den Jahren 1919–1933, Berlin 1933, S. 97. 985 Vgl. ebd., S. 99 ff. 986 Vgl. ebd., S. 107 f. 987 Vgl. ebd., S. 110.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

nicht unterschieden. Schwarz bezeichnete es lediglich anders und nannte sein System „Staatspädagogik“ und meinte, dass eine Verinnerlichung der Werte der – neuen – Gemeinschaft zu erreichen sei. Im Dezember 1933 hielt der Theologe Wilhelm Koepp einen Vortrag zur „christlichen Nationalerziehung“ in Berlin. Das von Koepp vorgetragene Programm unterschied sich nur unwesentlich von dem des Philosophen. Koepp ging vom Parteiprogramm der NSDAP aus und schlussfolgerte, dass Erziehung nur politische „Nationalerziehung“ sein könne. „Politischer Mensch“ habe aber „jeder“ zu sein, weil das „Schicksal der Gemeinschaft“ ganz und gar vor dem „seiner eigenen Person“ rangiere.988 Im Gegensatz zu Schwarz machte sich Koepp aber die Kategorien Rasse und Raum zu eigen, weil er sie für prägend hielt. Nationalerziehung bedeute daher „Erziehung zu germanischer Rasse, zum deutschen Raum, zur deutschen Sprache und zum deutschen Geist“.989 Koepp propagierte daraus folgend eine „Rassegemeinschaft“ im Sinne der SA, die zur „Wehr-Mannschaft“ würde und dem Grundsatz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ folge. Ein christliches Element finde sich darin nicht, räumte Koepp ein. Es sei aber möglich, in dem gerade entstehenden „Deutschglauben“ die „Vollendung“ zu begreifen. Der nordische Mensch sei eben, so Koepp, „selbst Herr des Göttlichen“, sein Prinzip sei nun einmal: „Du bist nichts, das Volk ist alles.“990 Diese Entchristlichung sei jedoch „gefährlich“, monierte Koepp, weil sie die Gefahr eines übersteigerten National- oder Rassebewusstseins in sich berge. Koepp empfahl daher eine Besinnung auf ein „positives Christentum“, wie es im Parteiprogramm verankert sei.991 Und er gab zu bedenken: „[E]in Jahrtausend deutscher Geschichte ist keine Verirrung“.992 Mit Beginn des Wintersemesters 1934/35 wurde Wolfgang Frommel beauftragt, in der Philosophischen Fakultät Vorlesungen, „und, soweit nötig“, Übungen über „Politische Pädagogik“ abzuhalten.993 Im Kultusministerium war man von dessen Buch über den Dritten Humanismus angetan, zögerte aber, weil Frommel kein Examen und keinen Doktortitel vorweisen konnte. Die Entscheidung traf Ministerialdirektor Theodor Vahlen, der für einen Lehrauftrag plädierte.994 Vahlen störte sich auch nicht daran, dass Frommel aus dem Kreis des Dichters Stefan George kam, zumal in 988 Vgl. Koepp, Wilhelm: Christliche Nationalerziehung, Breslau 1934, S. 8–13. 989 Vgl. ebd., S. 15 f. 990 Vgl. ebd., S. 25. 991 Vgl. ebd., S. 26 f. 992 Vgl. ebd., S. 49.; vgl. auch Heinrich, Fritz: Die deutsche Religionswissenschaft und der Nationalsozialismus. Eine ideologische und wissenschaftliche Untersuchung, Petersberg 2002, S. 210 ff. 993 Vgl. UAG Jur. Fak. Nr. 92, Bl. 18. 994 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 22 Bd. 24, Bl. 423.

5.2 Politische Pädagogik, Philosophie und völkischer Antisemitismus

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der Akte vermerkt war, dass Frommel sich im Gebietsstab der Hitlerjugend engagiert hatte und das besondere Vertrauen des Intendanten des Reichsrundfunks Walter Beumelburg genoss. Im Reichsrundfunk leitete Frommel das Referat für Wissenschaft und Weltanschauung, was ebenfalls für dessen politische Zuverlässigkeit sprach.995 Frommels Entwurf für einen „Dritten Humanismus“ richtete sich gegen den sinnentleerten „Fortschrittstaumel“ und war damit konservativ, zugleich aber „lebensgläubig, form- und gestaltgläubig“.996 Form- und Gestalt glaubte er im Heldischen und der denkerischen Strenge der Antike zu finden, wobei „echter Humanismus“ keine „schöngeistige Bildungsangelegenheit“ sei, sondern „die geistige Lehre vom Willen zur Macht“. Die Aufgabe des Pädagogen sah Frommel in der „Neubildung einer neuen geistigen Führerschicht“, die von diesem Herrschaftsanspruch durchdrungen war und der Gesellschaft eine andere Form geben könne.997 Dieser neue „Adel“ vereine in sich „Blutsadel“, also „beste Erbschaft“ und das Bewusstsein „eines kriegerischen Bundes im Zeichen einer göttlichen Idee“, also „höchste Kameradschaft“. Die „rein-nordische Rassenabkunft“ sei dabei weniger entscheidend, wichtig sei, „ob ein Mensch überhaupt noch jene ungebrochenen Blutskräfte“ besitze, die „unter neuer Zucht“ eine „gültige geistige Prägung“ erst ermöglichten. Alles „Rassische“ sei ohnehin nur „Rohstoff“, meinte er verächtlich.998 Das widersprach den gängigen nationalsozialistischen Theorien, das Elitäre in Frommels Konzept entsprach jedoch einem Zeitgeist, in dem Bauern einen „Neuadel aus Blut und Boden“ bilden sollten oder Heinrich Himmler mit der SS einen pseudogermanischen „Orden“ schuf. Weil Frommel die antijüdischen Rassentheorien ablehnte und ihm seine Zugehörigkeit zum George-Kreis angelastet wurde, ging er 1936 ins Exil. Während des Krieges lebte er in Amsterdam, wo er in seinem Haus jüdische Kinder versteckte und vor der Deportation bewahrte. Israel hat ihn deshalb 1972 als einen „Gerechten unter den Völkern“ anerkannt.999 Wie Frommel den Lehrauftrag in Greifswald verlor, ist nicht zu rekonstruieren. Fest steht, dass bereits dessen Erteilung den Unwillen von Walther Schulze-Soelde erregte. Er wandte sich deshalb an Vahlen, um nachzufragen, ob in der Beauftragung „zugleich ein Misstrauen des Ministeriums“ gegenüber seiner Person zum Ausdruck gebracht werde. Er widme sich bereits seit Jahren der politischen Pädagogik, halte 995 Vgl. BA R 4901/13263 Karteikarte Frommel. 996 Vgl. Helbing, Lothar (d.i. Wolfgang Frommel): Der Dritte Humanismus, Berlin 1935, S. 49. 997 Vgl. ebd., S. 85. 998 Vgl. ebd., S. 87 f. 999 Vgl. Philipp, Michael: „Vom Schicksal des deutschen Geistes“. Wolfgang Frommels Rundfunkarbeit an den Sendern Frankfurt und Berlin 1933–1935 und ihre oppositionelle Tendenz, Potsdam 1995.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

dazu Vorlesungen und als Zellenleiter auch Vorträge in der Parteiorganisation der Kreisleitung. Er bitte um Mitteilung und verwies im letzten Satz seines Schreibens darauf, dass er die „Hoffnung auf eine gesicherte Lebensexistenz“ noch immer nicht aufgegeben habe. Vahlen reichte das Schreiben an Joachim Haupt weiter, der als Inspekteur für die Einrichtung der Napolas zuständig war und in Greifswald studiert hatte. Haupt betonte dann, dass er aus genauer Kenntnis der Greifswalder Verhältnisse wisse, dass Schulze-Soelde „wissenschaftlich und politisch ausreichend geeignet“ sei, er zweifle aber daran, dass dieser „in seiner allzu zurückhaltenden, schwerfälligen, westfälischen Art ein ausreichendes Lehrgeschick“ besitze. Er verdiene es wohl, ebenfalls „berücksichtigt“ zu werden. Dem widersprach ein weiterer Referent, der in einer Randbemerkung auf Haupts Stellungnahme notierte, dass das „genaue Gegenteil der Fall“ sei. Schulze-Soelde sei ein „typischer Opportunist“, was Vahlen mit der Randbemerkung „richtig!“ kommentierte.1000 Der Lehrauftrag wurde Frommel trotzdem entzogen und Schulze-Soelde übertragen, eine Begründung wurde weder in dem einen noch in dem anderen Fall gegeben. Zumindest sparte die Universität damit erst einmal Geld, weil eine Vergütung für den Lehrauftrag nicht mehr erfolgte. Erst 1936 wurde Schulze-Soeldes Lehrauftragsvergütung wegen seiner tatsächlich prekären Lage erhöht.1001 Der Vorwurf des Opportunismus war zumindest nicht falsch, denn Schulze-Soelde passte seine politischen Überzeugungen tatsächlich stets dem Regime an, in dem er lehrte. Nach dem Ersten Weltkrieg sang er das hohe Lied des Individuums und der Demokratie, später wandelte er seine Auffassungen radikal.1002 Wie zeitgenössische Gutachten belegen, galt Schulze-Soelde manchen Kollegen trotzdem als „gediegener wissenschaftlicher Philosoph“.1003 Um endlich auf einen Lehrstuhl zu gelangen, veröffentlichte er 1937 ein Buch über Weltanschauung und Politik, das offenbar auf Vorlesungsskripten beruhte und deutlich macht, was Schulze-Soelde seinen Studierenden bot. Der Text versuchte das Wesen des Politischen und den Zusammenhang mit der „völkischen Lebensordnung“ zu ergründen, am Ende stellte er das Ganze in einen Zusammenhang mit dem „Sittlichen“. Seine „Politische Philosophie“ beziehe sich immer wieder auf die „weltanschauliche Grundidee“, die den „Rahmen“ für das Folgen-

1000 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 22 Bd. 24, Bl. 448 und 519. 1001 Vgl. UAG PA 1993 Schulze-Soelde, Bl. 11. Frommel ging zu dieser Zeit ohnehin auf Distanz zum Regime, weil sich seine politischen Ideen mit dem Nationalsozialismus nicht als vereinbar erwiesen. Vgl. Rauff, Kreis ohne Meister, S. 269 f. 1002 Vgl. Tilitzki, Universitätsphilosophie, S. 164 f. und 1083. 1003 Vgl. Pehnke, Andreas und Ulrich Wiegmann: Walther Schulze-Soelde (1888–1984). „Wüssten wir doch, was kommen muss!“, in: Alvermann, Schranken, S. 379.

5.2 Politische Pädagogik, Philosophie und völkischer Antisemitismus

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de abgab, stellte er im Vorwort klar.1004 Ein weiteres Bekenntnis folgte auf Seite 2. Politische Philosophie, wie er sie betreibe, gebe keinen Überblick über verschiedenartige Richtungen und Bestrebungen, sondern widme sich der „philosophischen Durchdringung der nationalsozialistischen Bewegung“. Er verschwieg dem Leser auch nicht, dass er sich dem Gegenstand mit „bejahender Liebe“ annähere. Obwohl der Nationalsozialismus eine „instinktive Scheu“ vor systematischen Begriffsgebäuden an den Tag lege, wohl weil das „Dynamische“ Vorrang vor dem „Statischen“ habe, versuche er, dessen Wesen in einer „Totalansicht“ darzubieten.1005 Die ersten Kapitel waren der Einheit von Geist, Seele und Natur, der „Erneuerung des deutschen Menschen“ und dem Wesen der Politik gewidmet. Im vierten Kapitel schrieb Schulze-Soelde dann über „Rasse und Volk“. Erst der Nationalsozialismus habe „das Blut“ als eine der „größten weltgeschichtlichen Mächte erkannt“, jetzt komme es darauf an, die daran gebundene „Rassenseele zum Leben [zu] erwecken“, meinte Schulze-Soelde und zitierte damit Alfred Rosenberg. Die Verleugnung der „Rassenseele“ als geschichtsbestimmenden Gesetzes habe in früherer Zeit zum Beispiel dem „Judentum“ ermöglicht, den Anschein zu erwecken, dass sich dessen „Angleichung an das deutsche Volk“ vollziehe. Jetzt sei jedoch mit den Nürnberger Rassegesetzen ein Anfang gemacht, einer „klaren Scheidung zwischen denen, die zum Volk gehören und denen, die nicht dazu gehören“.1006 SchulzeSoelde betonte nicht nur die Notwendigkeit der Ausgrenzung der Juden, er warnte auch allgemein vor „Rasselosigkeit“, weil diese „Volksvernichtung“ bedeute. Es sei ja bekannt, konstatierte er, ohne eine Quelle für diese Pseudoerkenntnis anzugeben, „dass der Mulatte als Produkt zwischen Weißem und Neger dem Weißen wie dem Neger bei weitem nachsteht“.1007 Die Verwirklichung der „rassenpolitischen Forderungen“ der Gegenwart sah Schulze-Soelde positiv, wenn auch noch nicht alle Ergebnisse der Rassenforschung „endgültig“ seien. Es sei jedoch richtig, dass der Staat sie in konkrete Politik überführe, weil das ein Gebot „gesunden Rassengefühls“ sei, denn: „Die Wiederherstellung einer verletzten rassischen Substanz wird besser von dem gesunden Instinkt geleitet.“1008 Den angestrebten quantitativen und qualitativen „Verbesserungen“ rassischer Eigenschaften widmete Schulze-Soelde im Anschluss mehrere Seiten. Zunächst setzte er sich von Friedrich Nietzsches Forderung nach einer überstaatlichen Elite, dem „Übermenschen“ ab, weil das für Nietzsche bedeutet habe, „sich zu entdeutschen“. Solche Forderungen zeugten von der „Verstiegenheit“ des Denkers, 1004 Vgl. Schulze-Soelde, Walther: Weltanschauung und Politik, Leipzig 1937, S. III f. 1005 Vgl. ebd., S. 2–6. 1006 Vgl. ebd., S. 53 f. und 63. 1007 Vgl. ebd., S. 54. 1008 Vgl. ebd., S. 55.

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entscheidend sei das, was in Angriff genommen worden sei. Die rein zahlenmäßige „Volksmehrung“ erschien ihm im Hinblick auf Siedlungspolitik und Erhöhung der „Wehrhaftigkeit“ ebenso wichtig wie die Verhinderung der „Fortpflanzung der Minderwertigen“. Mit dem Sterilisierungsgesetz werde die „allmähliche Beseitigung der Erbkranken“ erreicht, wenn auch rezessive Erbgänge noch nicht erkannt werden könnten. In „sozialpolitischer Hinsicht“ sei das Gesetz von „größter Bedeutung“. Die „Geisteskranken“ bedeuteten ja eine der „stärksten Belastungen des Staatshaushaltes“ und damit den Entzug der „Fürsorge“ für die „Erbgesunden“.1009 Im Kapitel „Volk und Staat“ skizzierte Schulze-Soelde ebenfalls die angeblichen Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit, womit er die in politischen Fehlleistungen begründete „Entfremdung des bodenständig-beseelten Menschen vom Staat“ einerseits meinte und andererseits die „Gleichgültigkeit des Bürgertums“ anprangerte. Dieses sei „vom Liberalismus infiziert“ gewesen und dadurch „entartet“. Nur deshalb habe das Reich am Ende des Ersten Weltkriegs „den Feinden des deutschen Wesens“ in die Hände fallen können.1010 Eine weitere Ursache für die Verachtung des Staates sah Schulze-Soelde im Urchristentum, welches das himmlische Reich zum einzigen Lebensinhalt erklärt habe. Auch spätere Spielarten des christlichen Glaubens hätten diesen Gegensatz nicht verwischen können.1011 Wenn aber anerkannt sei, dass das „Volk“ als solches das „Werk göttlicher Schöpfung“ sei – hier zitierte sich SchulzeSoelde selbst1012 – dann müsse die „vollkommene Ineinssetzung“ von Staat und Volk angestrebt werden.1013 Damit schloss sich der Kreis. Im Schlusskapitel präsentierte Schulze-Soelde nicht nur eine „Totalansicht“ der nationalsozialistischen Weltanschauung, sondern eine Einschätzung ihres totalitären Charakters. Die Vereinigung von Volk und Staat finde ihren Ausdruck in der Verschmelzung von Führer und Gefolgschaft zum „Volksstaat“.1014 Verkörpert werde das in der Person des Führers, der verpflichtet sei, die Herrschaft zu übernehmen. Die Ausübung seiner Herrschaft müsse unumschränkt sein, meinte Schulze-Soelde im Anschluss. Jede Art der Kontrolle von außen mindere die Verantwortung des Führers und stelle sich zwischen ihn und seine Gefolgschaft. Deshalb dürfe es auch keine „öffentlich zugelassene Opposition“ gegen dessen Regierung geben, weil diese ihn „in der Freiheit seiner Entschließungen beeinträchtigen“ würde. Die Handlungsfreiheit des Führers sei aber „Symbol der Freiheit der Nation“, und eben deshalb müsse sie „unangetastet“ bleiben. Die „frei1009 Vgl. ebd., S. 60–66. 1010 Vgl. ebd. S. 67 und 82. 1011 Vgl. ebd., S. 69 ff. 1012 Vgl. Schulze-Soelde, Walther: Politik und Wissenschaft, Berlin 1934, Abschnitt I: Wert und Volk. 1013 Vgl. Schulze-Soelde, Weltanschauung und Politik, S. 74. 1014 Vgl. ebd., S. 91.

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willige Unterordnung“ jedes einzelnen Willens unter den des Führers ergab sich daraus notwendig.1015 Diesen logischen Dreischritt – Führer gleich Volksgemeinschaft, Gemeininteresse vor Eigennutz und darum Aufgeben individueller Freiheit – untermauerte Schulze-Soelde auf den letzten Seiten des Buches mit mehr oder weniger plausiblen Argumenten. So dürfe die „Intensität“ des Führerwillens nicht durch „vermeidbare Widerstände“ gelähmt werden, bereits die „rein sachlichen Widerstände“ seien „schon groß genug“. Der Führer verkörpere die Richtigkeit der Auffassungen des Einzelnen und zerstöre damit den „falschen Glauben“ an die „Majorität“. Die Aufhebung der Gewaltenteilung in Gesetzgebung (Legislative), vollziehende Regierung (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) sei eine „Notwendigkeit“ für eine starke Regierung. Für die Person des Führers sei die Ausrichtung am Ideal der Volksgemeinschaft offenbar. Schulze-Soelde glaubte, mit dieser Auslegung des Nationalsozialismus eine Brücke zwischen „Staatsmoral“ und einer vermuteten „persönlichen Moral“ schlagen zu können. Wenn jeder sein Empfinden ebenso ausrichte, führe das zur „Beseitigung einer jeden gegensätzlichen Spannung zwischen der einzelnen Person und dem Staat“.1016 Die Schrift über Weltanschauung und Politik erregte Wohlgefallen bei der NSDAP-Reichsleitung. Sie wurde in die Bibliographie des NS-Schrifttums aufgenommen, dem Autor bescheinigte die dem Reichsleiter Alfred Rosenberg nachgeordnete Stelle eine „ausgeprägte nationalsozialistische Grundeinstellung“.1017 Mit Ausnahme von Schulze-Soelde entwickelte sich das Fach Philosophie an der Universität Greifswald jedoch nicht nach den erwünschten weltanschaulichen Zielvorgaben. Der Ordinarius Jacoby war wegen des Irrtums in seinem Fragebogen in den Ruhestand versetzt worden, sein Kollege Pichler galt als „Vierteljude“, weshalb ihm die Prüfungsberechtigung entzogen war. Er verfasste ein Buch über Glück und Unglück und galt dem Amt Rosenberg schlichtweg als „Scholastiker“, dem schon längst die Lehrbefugnis entzogen gehöre. Selbst der emeritierte Hermann Schwarz erregte Missfallen im Amt Rosenberg. 1935 hatte er ein Manuskript beim Beauftragten für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP eingereicht, in dem er begründete, dass der Nationalsozialismus seine geistigen Wurzeln in der Philosophie von Johann Gottlieb Fichte habe. Fichte sei Nationalist gewesen, und „echtem Nationalismus“ sei „echter Sozialismus nicht fern“. Im Text spürte er dann dem „nordischen Rassegefühl“ des Berliner Philosophen nach, das er in dessen Ablehnung des Kosmopolitismus seiner Zeit erkennen wollte.1018 1015 Vgl. ebd., S. 103 f.; Tilitzki, Universitätsphilosophie, S. 1083. 1016 Vgl. ebd., S. 105–113. 1017 Vgl. BA NS 15/230. 1018 Vgl. BA NS 15/231, Bl. 42–61.

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Der Versuch, Fichte für den Nationalsozialismus zu vereinnahmen, stieß jedoch auf entschiedenen Widerstand im Amt Rosenberg. „Nicht zum ersten Male“ versuche Schwarz „nachzuweisen, dass der Nationalsozialismus über 140 Jahre alt sei“, notierte Alfred Baeumler, Leiter des Amts Wissenschaft beim Stab Rosenberg. Die Gleichsetzung von Fichtes Gedankenwelt mit der Hitlers beruhe jedoch auf einem Irrtum. Der Begriff der Liebe sei bei Fichte zentral, stehe jedoch nicht im Mittelpunkt des nationalsozialistischen Wertesystems. Vor allem sei der Begriff der „Rasse“ Fichte nicht nur fremd, „sondern seinem ganzen Denken entgegengesetzt“. Fichte sei nicht national gewesen im eigentlichen Sinne, meinte Baeumler und belegte das mit der Antwort Fichtes auf die Frage, was denn das Vaterland des wahrhaft ausgebildeten Europäers sei: „Im Allgemeinen“ sei es Europa, aber in jedem Zeitalter „derjenige Staat in Europa, der auf der Höhe der Kultur“ stehe. Mit Blick auf die Rassenpolitik schob er ein zweites Zitat von Fichte nach, das der nationalsozialistischen Auffassung entgegengesetzt war: „Nichts was Menschengesicht trägt, ist ausgeschlossen von der gleichen Gnade, nichts sündig oder verworfen.“1019 Das Amt Rosenberg setzte bei der Gestaltung des Neuen üblicherweise nicht auf die Emeriti sondern auf die Zukunft. Zu diesen Hoffnungsträgern gehörte der Philosoph Günther Lutz. 1910 in Kiel geboren, war er vom Vater bereits früh zur Aktivität in der Hitlerjugend ermutigt worden, so dass er schon 1927 in deren Organisation aktiv war. Im selben Jahr trat er der NSDAP und der Hitlerjugend bei. Er wurde wenig später zum Gauführer der Hitlerjugend in Pommern befördert, ab 1929 arbeitete er in der Reichsjugendführung als Kulturreferent, 1931 trat er in die SA ein. Nachdem er die Reifeprüfung abgelegt hatte, wurde er Mitglied des NSDStudentenbundes. Im März 1933 trat er in die SS ein.1020 Das Studium der Theologie und Philosophie wurde ihm durch verschiedene Förderungen ermöglicht, etwa durch ein Stipendium der Stadt Stettin.1021 1936 promovierte Lutz mit einer Arbeit über Die Frontgemeinschaft – Das Gemeinschaftserlebnis in der Kriegsliteratur. Das Thema hatte Wolfgang Stammler angeregt, Korreferent war der Philosoph SchulzeSoelde. Die Arbeit selbst benutzte die Kriegsliteratur lediglich als Steinbruch und Quellensammlung für Aussagen wie diese: „Das Erlebnis der Opferbereitschaft ist Erlebnis der Kameradschaft. Kameradschaft ist Opferbereitschaft. So wird Kameradschaft zum Sinn und letzten Inhalt der Gemeinschaft der Front, zum Gewinn des Kriegserlebnisses überhaupt.“1022 Diesen Kameradschaftsgeist der Front habe der 1019 Vgl. ebd., Bl. 32 ff. 1020 Vgl. UAG PA 104 Lutz. 1021 Vgl. Tilitzki, Universitätsphilosophie, S. 895. 1022 Vgl. Lutz, Günther: Das Gemeinschaftserlebnis in der Kriegsliteratur, phil. Diss., Greifswald 1936, S. 54.

5.2 Politische Pädagogik, Philosophie und völkischer Antisemitismus

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Nationalsozialismus in die Volksgemeinschaft überführt und so „für weitere Jahrhunderte und Jahrtausende eine unerschütterliche Grundlage für alles politische, soziale und geistige Leben gelegt“.1023 Erstgutachter Stammler bewertete die Arbeit mit „sehr gut“, Zweitgutachter Schulze-Soelde zeigte sich mit dem Prädikat einverstanden. Adolf Hofmeister gab dann jedoch zu Protokoll, dass er zu der Arbeit nicht Stellung nehmen könne, weil „die Belege und Quellennachweise“ nicht mit vorgelegt worden seien. Der Sprachwissenschaftler Heller bemängelte, dass der Kandidat nicht eine Vorlesung oder Übung in Grammatik besucht habe. Johannes Paul hingegen meinte, dass er das Geschriebene als Frontkämpfer bestätigen könne, die Quellenbelege seien „minder wichtig“. Geprüft wurde Lutz dann in Theologie, Literaturwissenschaft und Philosophie, er erhielt zweimal die Note „sehr gut“ und einmal magna cum laude.1024 Lutz hatte die Absicht, sich zu habilitieren, und plante eine Ausweitung seiner Studie über das Gemeinschaftserlebnis zu einem Beitrag politischer Philosophie. Dazu wollte er die Ergebnisse psychologischer und biologischer Feldforschung einbeziehen, um charakterliche Haltungen als „Ausdruck rassischer Substanz“ nachzuweisen.1025 Die Gutachter Johannes Paul und Schulze-Soelde befürworteten den Antrag, und auch die DFG stimmte zu. In Greifswald wollte Lutz eine philosophische Arbeitsgemeinschaft etablieren und erbat dafür ein weiteres Stipendium. Dieses wurde auf Antrag Günther Jacobys gewährt, der ihn für ein vielversprechendes philosophisches Talent hielt. Lutz zeichne sich „durch gediegene Kenntnisse, durch eindringendes Verständnis und durch Gedankenreichtum“ aus. Er „glaube“, dass „er zu den besten des Nachwuchses“ gehöre. Das Stipendium wurde bewilligt, und Rektor Reschke, der sich zuvor mit Günther Jacoby ins Benehmen gesetzt hatte, war der Meinung, dass Lutz in Greifswald eine „Gemeinschaftswissenschaft“ aufbauen könne. Auch die Dozentenschaft hielt es für notwendig, Lutz der Universität zu erhalten.1026 Es steht fest, dass Lutz nebenamtlich für den Sicherheitsdienst der SS arbeitete, 1937 ging er nach Berlin, um eine nicht genau bestimmbare Parteifunktion zu übernehmen, 1938 wechselte er zum Stab des Reichsführers SS. Die philosophische Gemeinwissenschaft schlief nach einem Semester wieder ein. 1939 zog es Lutz erneut in die Wissenschaft. Das Wissenschaftsministerium erteilte ihm einen Lehrauftrag und ernannte ihn zum Mitglied des Prüfungsamts der Provinz Pommern, weil nicht genügend Prüfungsberechtigte vorhanden waren. Im Vorlesungsverzeichnis wurde Lutz als beauftragter Dozent geführt. Er gab sich jedoch als Dozent aus und verbreitete an der Universität Unruhe. Es scheint so, als habe er mit seinen Berliner 1023 Vgl. ebd., S. 92. 1024 Vgl. UAG Phil. Diss. II, Nr. 851. 1025 Zit. nach Tilitzki, Universitätsphilosophie, S. 896. 1026 Vgl. UAG PA 104 Lutz, Bd. 2, Bl. 33 ff. und 41–44.

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­ erbindungen geprahlt, wahrscheinlich offenbarte er sich als Mitarbeiter des SD, was V sich in seiner Akte im Wissenschaftsministerium niederschlug. „Sowohl in Berlin als auch in Greifswald“ werde Lutz von „SD-Kameraden“ abgelehnt, von den Studenten aber auch.1027 Das Habilitationsprojekt trieb Lutz offenbar nicht voran, weshalb das Wissenschaftsministerium die an Lutz gezahlten Beihilfen zurückforderte. Lutz war inzwischen im Propagandaministerium tätig, wo er den Deutschen Wissenschaftlichen Dienst, später Europäischen Wissenschaftsdienst herausgab. Um sich doch noch zu habilitieren, konzipierte Lutz mit Hilfe von Günther Just eine Studie zur Vererbung geistiger Eigenschaften, genauer der „psychophysischen Konstitution“ herausragender Persönlichkeiten im 19. Jahrhundert. Das Vorhaben versandete, und Lutz bedankte sich im Oktober 1941 bei Dekan Metzner für die „freundliche Hilfe“, die ihm von der Philosophischen Fakultät gewährt worden sei.1028 Lutz veröffentlichte lediglich eine Reihe von Zeitungsartikeln und einen wissenschaftlichen Aufsatz in den Kant-Studien, die er 1942/43 mit herausgab. Jetzt interessierte er sich verstärkt für Friedrich Nietzsche und wurde zum Vertreter des Propagandaministeriums im Nietzsche-Archiv bestellt.1029 1945 geriet Lutz in sowjetische Gefangenschaft, in der er 1948 verstarb.1030 Dass politische Überzeugungen allein nicht ausreichten, um den Grad des Dr. habil. zu erhalten, stieß bei Parteistellen durchaus auf Unverständnis. So lehnte die Philosophische Fakultät 1936 das Gesuch eines Oberschulrats aus dem Erzgebirge mangels Substanz und fehlender geistiger Tiefe ab, was zur Denunziation des Gutachters Günther Jacoby führte und folgerichtig zu dessen negativer Beurteilung durch die Dozentenschaft. Die Mitgutachter Leick und Lautensach machten dann jedoch unmissverständlich klar, dass Jacobys ablehnendes Votum nicht einem Parteigenossen gegolten habe, sondern einem Forscher, der bereits in Tübingen, Halle und Breslau abgelehnt worden war. Entscheidend sei nicht das Votum Jacobys gewesen, sondern das „einstimmige Urteil“ der eingesetzten Kommission. Damit habe man „ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl gegenüber der neuen Zeit“ erkennen lassen.1031 Ohne nachhaltigen Eindruck blieb die Tätigkeit von Gerhard Lehmann, auch wenn dieser seine Habilitationsschrift 1939 immerhin fertigstellte. 1900 in Berlin geboren, wurde er 1922 in Berlin mit einer Arbeit über die Setzung der „Individualitätskonstante“ und ihre erkenntnistheoretisch-metaphysische Verwertung promoviert. Danach arbeitete er an der Herausgabe von Kants handschriftlichem Nachlass mit. 1027 Vgl. BA R 4901/12444, Bl. 64. 1028 Vgl. UAG PA 104, Bd. 1, Bl. 1. 1029 Vgl. Tilitzki, Universitätsphilosophie, S. 897. 1030 Er starb am 7. März 1948 in der Sowjetunion. Vgl. Auskunft des Standesamts Kiel. 1031 Gemeint ist der Fall Ulrich Rudloff. Vgl. UAG PA 1255 Jacoby, Bd. 2, Bl. 54 ff.

5.2 Politische Pädagogik, Philosophie und völkischer Antisemitismus

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Die Habilitationsschrift Kants Nachlasswerk und die Kritik der Urteilskraft wurde von Pichler und Schulze-Soelde geprüft. Im Februar 1939 hielt er seinen Probevortrag über „Ontologie und Existenzphilosophie“. Dekan Metzner beurteilte die Diskussion günstig. „Die Fülle von Einzeltatsachen“ führe allerdings „zu einer nicht ganz übersichtlichen und den Hörer leicht ermüdenden Darstellungsweise“. Auf seinem Spezialgebiet verfüge Lehmann jedoch über „ein ungewöhnlich umfangreiches Wissen“ und genüge den wissenschaftlichen Anforderungen „völlig“. Es sei wünschenswert, dass sich Lehmann um eine Dozentur bewerbe, Hörer werde er jedoch „nur an einer großen Universität finden“.1032 Metzner lehnte die Zuweisung Lehmanns als Dozent wahrscheinlich deshalb ab, weil mit dem beauftragten Dozenten Günter Lutz, Schulze-Soelde und dem Psychologen/Philosophen Heinrich Schole drei prüfungsberechtigte Lehrkräfte zur Verfügung standen. Mit der Berufung Schulze-Soeldes nach Innsbruck und dem Unwillen von Lutz, sich systematischer wissenschaftlicher Arbeit zuzuwenden, war die Arbeitskräftelage jedoch wieder prekär. Die Fakultät begrüßte daher die Habilitation von Georg Brates, obwohl ein auswärtiger Gutachter versucht hatte, dessen Karriere zu hintertreiben. Brates, 1901 in Hinterpommern als Sohn eines Volksschullehrers geboren, hatte das Studium 1923 auf dem Höhepunkt der Inflation unterbrechen müssen. Danach arbeitete er in einer Bank und als Lehrer, schrieb sich jedoch 1927 in Greifswald erneut als Student ein. 1931 wurde er Mitglied der NSDAP und arbeitete für die Partei als Propagandaredner, dann als stellvertretender Ortsgruppenleiter. 1933 trat er eine Lehrerstelle im Kreis Stolp an und schloss sein Studium mit einer Dissertation zur Barockdichtung 1935 ab. In der Partei arbeitete er nun als Schulungsleiter, 1939 zog er nach Greifswald, um zu sich zu habilitieren. Als er sich um ein Stipendium bei der DFG bewarb, wurde Ferdinand Weinhandl, Professor und NS-Aktivist an der Universität Kiel, nach der Tragfähigkeit von Brates Habilitationsprojekt befragt. Weinhandl lehnte das Vorhaben deswegen ab, weil „vom nationalsozialistischen Standpunkt“ aus nur dann ein „bevorzugtes Interesse“ bestehe, wenn es „eine rassenkundlich begründete Erkenntnistheorie“ sein wolle.1033 Da dem Wissenschaftsministerium der Nachwuchsmangel auf dem Gebiet der Philosophie jedoch bewusst war, erhielt Brates Förderung. Aber tatsächlich ging es ihm nicht um eine rassisch begründete Erkenntnistheorie, sondern um eine Antwort auf die Frage, ob es biologische Gründe für eine andere Wahrnehmung der Wirklichkeit geben könne. Die schmale Schrift über das „Geltungsproblem“ wurde von der Philosophischen Fakultät günstig beurteilt, aber wegen des Krieges nicht mehr publiziert. Die 1032 Vgl. UAG K 890, Bl. 145. 1033 Vgl. R 73/10438; Tilitzki, Universitätsphilosophie, S. 891 f.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

Probevorlesung zum Thema „Der Mensch in der Philosophie der Gegenwart“ verlief erfolgreich, wenn auch Dekan Metzner „jede Bezugnahme auf die Stellung des Problems in unserer Weltanschauung“ vermisste. Brates wurde 1942 zum Dozenten mit dem Lehrgebiet Logik und Erkenntnistheorie ernannt. 1944 folgte die Erweiterung der Venia Legendi auf das Gesamtgebiet der Philosophie.1034

5.3 Das Ringen um eine zeitgemäße Frömmigkeit: Anschluss an Alfred Rosenberg

Nachdem die Bekennende Kirche und konservativ gemäßigte Kräfte das Projekt der nationalsozialistischen Deutschen Christen zur Etablierung einer evangelischen Nationalkirche verhindert hatten, ging die NSDAP auf Weisung Hitlers in die Defensive. Mit der Etablierung eines Kirchenministers wurde 1935 eine Art überkonfessionelle Schlichtungsstelle geschaffen, die einerseits theologischen Streit eindämmte, andererseits Gegner des NS-Regimes kontrollierte und Repressalien unterwarf. Die Vernichtung des Christentums war kein Teil der Weltanschauung Hitlers, das radikale Vorgehen im Kirchenkampf ergab sich aus taktischen Notwendigkeiten. Die Mäßigung, die Hitler vorschrieb, folgte der Annahme, dass konfessionelle Bindung eine historische Erscheinung sei, die durch das Bekenntnis zur nationalsozialistischen Weltanschauung überwunden werde.1035 Wie viele Professoren, Dozenten und Studenten der Universität diese Ablösung der einen durch die andere Weltanschauung verinnerlichten, ist nicht nachvollziehbar. Ein Indiz ist aber der Vermerk „gottgläubig“ in den Personalakten, der von den Betreffenden bewusst eingetragen wurde, um die Distanz zu den bestehenden Konfessionen zu dokumentieren. Die Angabe findet sich bei lediglich fünfzehn Angehörigen des Lehrkörpers, wobei sieben in der Philosophischen Fakultät tätig waren, drei in der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät und fünf in der Medizinischen. Immerhin drei gaben ausdrücklich an, „ohne“ Konfession zu sein.1036 Eine Entkonfessionalisierung des Lehrkörpers hatte sich mithin nicht vollzogen, mehrere Professoren setzten sich jedoch aktiv für die Ausgestaltung der nationalsozialistischen Ideologie ein und versuchten, sich in den ideologischen Gestaltungsprozess einzubringen. Der Optimismus, die nationalsozialistische Weltanschauung mitgestalten zu können, erscheint in der Rückschau einerseits professoral arrogant und besserwisserisch. Andererseits bot das Grundgerüst, das Hitler in seinem Buch Mein Kampf präsentierte, vielfältige Gestaltungsspielräume. 1034 Vgl. Tilitzki, Universitätsphilosophie, S. 893. 1035 Vgl. Schirrmacher, Hitlers Kriegsreligion, S. 503. 1036 Vgl. Angaben im Biographischen Lexikon in Kapitel 8.

5.3 Das Ringen um eine zeitgemäße Frömmigkeit

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Auch das Parteiprogramm der NSDAP lieferte mit seinen 25 Punkten lediglich eine grobe Struktur und schrieb eigentlich nur die Judenfeindschaft zwingend fest. Zu den engagiertesten Publizisten gehörte der Theologe Wilhelm Koepp, der sich schon in die Debatte zur Pädagogik eingebracht hatte. Koepp war seit 1922 Ordinarius für Systematische Theologie und übte bereits in der Weimarer Republik heftige Kritik an den Verfallserscheinungen der Kirche. Den gescheiterten Aufbau einer einheitlichen evangelischen Reichskirche betrachtete er als tragischen Sturz ins Chaos, der die Kirchen als „wüste Stätte“ zurücklassen werde.1037 Die Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte Koepp begrüßt, das „Dritte Reich“ erschien ihm als „Gottes Willen“.1038 In einer Broschüre, die sich offenbar auch an interessierte Laien wandte, skizzierte er seine Auffassung von dem Platz, den das Christentum im Nationalsozialismus einnehmen sollte. Dabei war die absolute Befürwortung des politischen Systems selbstverständlich, ein Christ müsse das „Selbstopfer“ für die Gemeinschaft in den Mittelpunkt seines Lebens stellen.1039 Der Gläubige müsse sich aber auch auf eine eigene Suche nach dem „kommenden biblischen Christus“ begeben. Dieser habe nichts mehr gemein mit den „Schatten“ einer „versunkenen Zeit“, sondern sei vor allem der „germanische Christus der Deutschen“. Um diesen nicht mehr jüdischen Christus herzustellen, bemühte Koepp das Argument, dass der „Weltenheiland“ in die „arische Welt“ gesandt worden sei. Das signalisiere schon das Wort „Christus“ selbst, das „nicht semitisch, sondern griechisch“ sei. Darüber hinaus hätten sich die Germanen einen „Krist“ angeeignet, der ihrer Art eigen gewesen sei, den „Besieger der Herzen“, den „gütigen Herrscher seiner Getreuen“.1040 Mit dieser Stellungnahme war er sehr nah bei Alfred Rosenberg, der es als Journalist zum Reichsleiter der NSDAP gebracht hatte. Rosenberg hatte sich seine Machtstellung durch eine kommentierte Herausgabe des Parteiprogramms und mehrerer antijüdischer Schriften erarbeitet.1041 Außerdem verfasste Rosenberg eine komplexe philosophische Schrift zum Mythus des 20. Jahrhunderts, der als „neuer Glaube“ erwacht sei. Das sei der „Mythus des Blutes, der Glaube, mit dem Blute auch das göttliche Wesen der Menschen überhaupt zu verteidigen“. In dem Buch behauptete Rosenberg, dass 1037 Vgl. Koepp, Wilhelm: Christus und sein Gericht über die Kirchentümer in Deutschland, Bonn 1936, S. 13. 1038 Vgl. ebd., S. 67. 1039 Vgl. ebd., S. 70 f. 1040 Als Beispiel für diese Aneignung führte Koepp das im 9. Jahrhundert niedergeschriebene Heliand-Epos an, das die Lebensgeschichte Jesu für den frühmittelalterlichen sächsischen Adel adaptierte. Vgl. ebd., S. 62 f. 1041 Vgl. Rosenberg, Alfred: Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik, München 1923; ders. (Hg.): Wesen, Grundsätze und Ziele der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei. Das Programm der Bewegung herausgegeben und erläutert, München 1923.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

sich jetzt das Streben einer nordischen „Rassenseele“ in Architektur, Kultur, Geschichte, Philosophie und anderswo Bahn breche.1042 Der nationalsozialistisch empfindende Philosoph Hermann Schwarz hielt dieses Werk für wertvoll, wie eine Werbung des der NSDAP gehörigen Hoheneichen-Verlags suggeriert. In den Nationalsozialistischen Monatsheften (Chefredakteur Alfred Rosenberg) schaltete der Verlag eine Anzeige mit einer Empfehlung von Schwarz: „Jeder Deutsche sollte das Buch mit regem Anteil lesen“, es fessele, so Schwarz weiter, „von Anfang bis Ende“.1043 Philosophisch erschien Schwarz Rosenbergs Buch trotz des publizistischen Erfolgs jedoch zu kurz gesprungen und nicht gut begründet. Das theoretische Bekenntnis des Nationalsozialismus sei insgesamt „noch nicht erschlossen“ und unklar sei die geradezu einebnende „religiöse Gewalt“, die von der Ideologie ausgehe. Vor seine Kritik schaltete Schwarz, der seine eigene Konfession immer mit evangelisch-lutherisch angab, ein Bekenntnis zum Kreuz. Das sei jedoch nicht das Zeichen „Jahwes“ und auch nicht das „Marterkreuz“ des hingerichteten Jesu, sondern das Sinnbild des „Sonnenrades“. Es gelte also noch „Aufgaben zu lösen“, um den Hitler’schen Blutsbegriff zu ergänzen. Dieser ermögliche nämlich nicht das Verständnis eines überpersönlichen Gotteserlebnisses – das Schwarz zu sehen glaubte. Weil dieses überpersönliche Gotterlebnis existiere, katholischer Wunderglaube aber abzulehnen sei, müsse Rosenbergs Grundgedanke bejaht werden, nämlich, dass diese Frage mit dem Begriff der nordischen Rassenseele „zu meistern“ sei. Schwarz betrachtete es als zielführend, dass Rosenberg auf die mittelalterliche Mystik zurückgriff. Die Auffassung des Meister Eckehart von einer „gestaltlos wesenden Gottheit“ sei ohne Zweifel prägend für den Nationalsozialismus – und für weitere Forschungen handlungsleitend.1044 Als Professor für Pädagogik schob Schwarz dann noch einen eigenen Gedanken nach. Rosenbergs Methodik der Rassenseele müsse verschmolzen werden mit dem preußischen Idealismus eines Fichte. So könne die konzise Weltanschauung eines „transzendentalen Nationalsozialismus“ entstehen, der, so Schwarz, ein pädagogisch-philosophisches „Instrument“ sein könne.1045 1042 Vgl. Rosenberg, Alfred: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1938, S. 114; zur Konstruktion und Funktion der Rassenseele vgl. ausführlich Bärsch, Claus-Ekkehard: Die politische Religion des Nationalsozialismus, München 2002, S. 207–210. 1043 Vgl. Nationalsozialistische Monatshefte, Jg. 2, Heft 11, Februar 1931, U2. 1044 Vgl. Schwarz, Hermann: Christentum, Nationalsozialismus und Deutsche Glaubensbewegung, Berlin 1938, S. 21 f. Rosenberg schrieb damit einen Gedanken Houston Stewart Chamberlains fort und stand damit im Gegensatz zur Herleitung des Rassengedankens aus biologischen Prinzipien. Seine Ideologie lief jedoch wie bei Hitler auf den Gegensatz von „Arier“ und „Jude“ hinaus. Vgl. Kroll, Frank-Lothar: Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich, Paderborn u. a. 1998, S. 103–106. 1045 Vgl. Schwarz, Christentum., S. 22.

5.3 Das Ringen um eine zeitgemäße Frömmigkeit

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Mit dem Anknüpfen an Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts machte sich Schwarz ein rassistisches Gedankengebäude zu eigen, dem zufolge alle Schöpfungen eines Volkes, etwa Religion und Moral, Kunst und Philosophie, selbst Wissenschaft und Technik ihren Ursprung in einer diesem Volk angeblich eigenen „Rassenseele“ hätten. Diese bilde sich durch andauernde „Seelenbetätigung“ in einer „mystischen Synthese“ heraus. Die Folge war laut Rosenberg ein Hinstreben aller Rassen zu dem immanenten „Höchstwert“ ihrer Rassenseele.1046 Da an verschiedenen Stellen der Erde verschiedene „Seelen“ am Werke gewesen seien, hätten sich ganz unterschiedliche „Höchstwerte“ und damit verbunden auch moralische Zielvorstellungen herausgebildet.1047 Dem nordisch-arisch-heroischen Lichtmenschen wies Rosenberg selbstverständlich eine Rassenseele zu, die den höchsten Idealen zustrebe, in der jüdischen Rassenseele verkörpere sich in erster Linie „Gier“ und es mangle ihr an „seelischer und künstlerischer Schöpferkraft“.1048 Inhaltlich war das Buch aus Begriffspaaren aufgebaut, die aus dem Gegensatz der „Rassenseelen“ resultierten, auch wenn es dem Buch Rosenbergs an äußerer Struktur mangelte, wie sein Biograph Ernst Piper herausgearbeitet hat. Der rassisch gebundenen Nation stellte er fremdvölkische Zersetzungselemente gegenüber, wobei die Juden angeblich als „Parasiten“ im „Wirtsvolk“ lebten. Die Reinheit des Blutes werde gefährdet durch jüdische „Blutschande“ und die schollengebundene Lebensform der germanischen Rasse durch ein jüdisch-intellektuelles Kosmopolitentum. Und selbstverständlich war nach Rosenbergs Ansicht auch der Unterschied von germanischer „Führerschaft“ und „liberalistischer Demokratie“ im Gegensatz der Rassenseelen begründet.1049 Das Gegensatzpaar von angeblich arteigener Religiosität der nordischen Völker und dem „jüdischen Christentum“ war für Rosenberg Anlass, das Christentum an sich, zumindest aber in seiner „römischen Form“, abzulehnen. Im katholisch geprägten Christentum erblickte er eine Herabwürdigung der moralisch eigenständigen und eigenverantwortlichen Persönlichkeit, zu einer von Furcht, Schuld- und Demutsgefühlen gegenüber Gott geplagten und in ihrer freien Willenskraft gebrochenen Knecht­ existenz, wie Frank-Lothar Kroll analysiert hat.1050 Rosenberg stilisierte den Kampf gegen den Katholizismus zum Widerstand, auch weil er ihn zu den „überstaatlichen Mächten“ zählte wie Judentum, Kommunismus und Freimaurerei. Die staatlichen Re1046 Vgl. Rosenberg, Alfred: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1938, S. 116 f. 1047 Vgl. Rosenberg, Mythus, S. 267. 1048 Vgl. ebd., S. 364 und 564 ff. 1049 Vgl. Piper, Ernst: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005, S. 198. 1050 Vgl. Kroll, Utopie als Ideologie, S. 135.

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pressionen gegen die katholische Kirche, die im März 1937 die Enzyklika von Papst Pius XII. Mit brennender Sorge drucken ließ, begrüßte er.1051 In dem Text wurde unter anderem in Punkt 12 die nationalsozialistische Rassenlehre angegriffen. „Wer die Rasse, oder das Volk, oder den Staat, oder die Staatsform“ zur höchsten Norm aller mache, selbst „der religiösen Werte“, und sie „mit Götzenkult“ vergötterte, der fälsche die „gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge“. Diese Menschen seien, so Papst Pius XII. „weit von wahrem Gottesglauben und einer solchem Glauben entsprechenden Lebensauffassung entfernt“.1052 Das zielte direkt gegen die Diskriminierung der Juden und fand auch bei evangelischen Theologen Anklang, bei denen die Durchführung des sogenannten Arierparagraphen, also die sinngemäße Anwendung des Berufsbeamtengesetzes nicht auf Zustimmung gestoßen war. Rosenberg antwortete mit einer scharfen Agitationsschrift auf diese „protestantischen Rompilger“.1053 Diese Schrift wurde von mehreren evangelischen Publizisten heftig kritisiert.1054 Das von Rosenberg angebotene Gespräch lehnten die lutherischen Theologen ab, woraus bestimmte Kirchenvertreter den Schluss zogen, dass es zwischen Nationalsozialismus und Christentum „unüberbrückbare Gegensätze“ gebe. Sie meinten, dass das deutsche Volk vor der Entscheidung stehe „zwischen dem nordischen Mythus und dem biblischen Christus“. Gegen eben diese Auffassung wandte sich Wilhelm Koepp und brachte dazu auch sein Gewicht als Ordinarius für Systematische Theologie ein. Diese Sicht der theologischen Kollegen sei einfach, bestechend und scharf, ja so einleuchtend, dass sich auch Nationalsozialisten diese Auffassung zu eigen machen könnten. Es sei doch aber merkwürdig, dass sich beide Seiten vehement gegen die gegenseitigen Vorwürfe zur Wehr setzten. Rosenberg erkläre, dass er keineswegs beabsichtige, „ein neues Heidentum wieder einzuführen“, meinte Koepp. Die christlichen Gegner von Rosenbergs Mythus-Schrift hielten es wiederum für eine „Beschimpfung, dass ihr religiöser Kampf“ eine „Tarnung für politische Opposition gegen den Nationalsozialismus“ sei.1055 Von vielen werde nun versucht, eine vermittelnde Position einzunehmen, was 1051 Zu Rosenbergs Agieren im Kirchenkampf vgl. Piper, Rosenberg, S. 399–423. 1052 Vgl. http://www.vatican.va/holy_father/pius_xi/encyclicals/documents/hf_p-xi_ enc_14031937_mit-brennender-sorge_ge.html, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 1053 Vgl. Rosenberg, Alfred: Protestantische Rompilger. Der Verrat an Luther und der „Mythus des 20. Jahrhunderts“, München 1937. 1054 Vgl. Müller, Dietrich: Buchbesprechung im politischen Kontext des Nationalsozialismus. Entwicklungslinien im Rezensionswesen in Deutschland vor und nach 1933, phil. Diss., Mainz 2007, S. 156 f. 1055 Vgl. Koepp, Wilhelm: Die Bestände zwischen Nationalsozialismus und Christentum. Eine Besinnung am Ende des Gesprächs zwischen den evangelischen Kirchentümern und Rosenberg, Bonn 1937, S. 6 f.

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Koepp für falsch hielt. Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts sei schließlich „allein politisch“ und „erklärtermaßen Privatansicht des Verfassers“. Seine Kritik richte sich nicht gegen das Christentum an sich, sondern gegen die Kirchen – und das zu Recht. Denn das Christentum der beiden großen Kirchen müsse, so Koepp zustimmend, frei werden von „Orientalisierung, Verjudung und Bastardisierung“. Nur so könne ein „positives Christentum“ entstehen, das die Seele des germanischen Abendlandes verkörpere. Die Fragen, die Rosenberg stelle, seien auch „unsere Fragen“.1056 In seiner Schrift arbeitete Koepp eine Reihe von Gemeinsamkeiten von Nationalsozialismus und Christentum heraus, etwa auf den Feldern Ehre und Liebe, Heroismus, Mythus und Offenbarung, Besinnung und Buße. Der zentrale Punkt seiner Argumentation betraf die „beiden Urgegebenheiten, Rasse und Reich Gottes“. Dabei machte sich Koepp die nationalsozialistische Auffassung zu eigen, dass eine „Grundwirklichkeit der Rasse“ bestehe und deren Reinheit durch die „Sünde wider das Blut“, als „Erbsünde dieser Welt“, gefährdet sei. Wenn „uns als Nationalsozialisten unser deutsches Blut, unsere nordische Art“ mehr wert seien als „die anderen Rassen dieser Welt“, könne man das kaum zum Vorwurf erheben: „Wir sangen schon immer in Deutschland: ,Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt‘!“1057 Die Frage, ob Jesus eine zentrale Figur der Offenbarung sein könne, bejahte Koepp rundheraus, obwohl dieser „aus dem allerfremdesten Volk“ stamme, „den Juden“. Denn Gott habe, als Zeichen seiner „unbegreiflichen Liebe“, seinen Sohn bewusst zu diesem Volk gesandt, weil es das am meisten gefährdete gewesen sei. Gott habe dieses Volk erlösen wollen, das „stamme von dem Teufel als ihrem Vater“, wie es der Apostel Johannes zutreffend formuliert habe. Dabei wies er auf Kapitel 4 von dessen Evangelium (Vers 22 ff.).1058 Mit seiner Aburteilung hätten die Juden bewiesen, dass Christus 1056 Vgl. ebd., S. 9 und 108. 1057 Vgl. ebd., S. 24 ff. Koepp verwies indirekt auf das Buch des nationalsozialistischen Bestsellerautors und früheren Gauleiters Arthur Dinter Die Sünde wider das Blut. In dem Buch gibt sich eine blonde junge Frau einem jüdischen Mann hin, der sich nach dem Verlust ihrer Jungfräulichkeit von ihr abwendet. Ihr erstes Kind, gezeugt von einem deutschen Mann, ist jedoch schwarzhaarig und hässlich, weil sich die Versündigung gegen die Rasse durchgesetzt habe. Dinter gründete nach dem Ausschluss aus der NSDAP eine Kirche, die jedoch 1937 verboten wurde. Vgl. Dinter, Artur: Die Sünde wider das Blut, Leipzig 1918; zur Biographie vgl. Beyer, Hubert: Dr. phil. nat. Artur Dinter – auch ein Teil der Geschichte Gräfenrodas, Waltershausen 2013. 1058 Es ist unklar, welche Übersetzung Koepp zu dieser Aussage bewogen haben kann. In der Luther-Übersetzung lautet die Textstelle in Kapitel 4 des Johannes-Evangeliums wie folgt: „22. Ihr wisset nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten, denn das Heil kommt von den Juden. 23. Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, dass die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit; denn der Vater will haben, die ihn also anbeten. 24. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit

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„den Juden nicht nur fremd, sondern der letzte Todfeind, der ewige Gegner“ gewesen sei. Jesus als göttliche Gestalt habe daher kein jüdisches Wesen, und seine Person sei aus der Herkunft auch nicht herleitbar. Den folgenden Satz ließ Koepp fett drucken: „Er ist selbst begreifbar nur unmittelbar aus Gott.“1059 Mit der Enthistorisierung der Person Jesu ließ es Koepp nicht bewenden. Folgerungen müssten auch für den Religionsunterricht gezogen werden. Es ginge nicht mehr an, das Alte Testament als „Beispielbilderbuch für die Erziehung deutscher Jungen und Mädchen“ zu verwenden. Das Jüdische gehe „uns“ nichts an, meinte Koepp, aber als „jüdisches Buch gelesen“ zeige es die „Entstehung des entsetzlichen Beispiels, was aus einem Volke wird, wenn es dem Willen Gottes“ widerstehe: „das besondere Gefäß des Antichrist gegen den Christus Gottes“. Aus dem Alten Testament dürfe daher niemals allein gepredigt werden, erst durch das „Licht des Neuen Testaments übergossen und entjudet“ erhalte es seinen Platz im christlichen Unterricht. Durch das „Evangelium“ sei alles Jüdische „zerbrochen und zerschlagen“, weshalb der Christ „mit seinem Glauben an den Weltheiland Gottes“ angesichts der „Tatsache des heutigen Judentums“ selbst „in der Rassenfrage jeden Augenblick auch Nationalsozialist“ sein könne.1060 Damit hatte Koepp nicht nur eine Verteidigungsschrift für Rosenberg und dessen Ideologie verfasst, sondern sich auch in dem Streit um das Alte Testament eindeutig positioniert, der die evangelischen Kirchen spätestens nach der nationalsozialistischen Machtergreifung spaltete und auch die Dozenten in Greifswald zu Stellungnahmen provozierte. Um die Sache zu diskutieren, hatte die Zeitschrift Deutsche Evangelische Erziehung 1936 zwei Autoren gebeten, standortgebundene Texte zu schreiben. Der Autor der Contra-Position, ein Pfarrer aus Schlesien, geißelte das Alte Testament wie erwartet als „Gewächs fremder Rasse“, das für politische Zwecke missbraucht werden könne.1061 Der Greifswalder Privatdozent für das Fach Altes Testament Johannes Fichtner nahm die Pro-Position ein und stellte grundsätzlich fest, dass die Forderung „Weg mit dem Alten Testament“ eins sei „mit der Ablehnung der ganzen Bibel“. Schon deshalb stehe die Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit dem Text außer Frage, aber das anbeten.“ Vom Teufel spricht Johannes in seiner 3. Epistel, Vers 8: „Wer Sünde tut, der ist vom Teufel; denn der Teufel sündigt von Anfang. Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre.“ Vgl. http://www.bibel-online.net; nur geringfügig anders: Die Bibel, Wuppertal und Zürich 1989, Zweiter Teil: Das Neue Testament, revidierte Elberfelder Übersetzung, S. 118. 1059 Vgl. Koepp, Bestände, S. 30–36. 1060 Vgl. ebd., S. 47. 1061 Vgl. Güldenberg, O.: Wozu Altes Testament?, in: Deutsche Evangelische Erziehung, 47. Jg., Heft 6, S. 226.

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Problem, welche Ausschnitte für Schüler geeignet seien, erkenne er durchaus. Das Alte Testament sei aber ein „Schatz“, den die Kirche habe und nutzen müsse. Dann zählte er die aus seiner Sicht für den Unterricht verwertbaren Bibelstellen auf. Das beginne mit der Stellung der Menschen untereinander, deren gottgewollte Beziehungen im Alten Testament aufgeschrieben seien. Als nächsten Punkt behandelte Fichtner die Schöpfungsgeschichte und zitierte danach ausführlich aus den Psalmen, von denen einige auch Luther zur Dichtung bekannter Kirchenlieder angeregt hätten. Außerdem sei das Alte Testament durch das Leben und die Tötung Jesu „nicht mehr der Juden Buch, nachdem sie den Christus Gottes, den verheißenen Messias, gekreuzigt haben“. Das sei die zentrale Erkenntnis, die im Religionsunterricht in der Schule verdeutlicht werden müsse.1062 Fichtner nahm damit, obwohl Nationalsozialist, eine vermittelnde und pragmatische Position ein.1063 Der 1936 gegen seinen Willen aus Kiel nach Greifswald versetzte Professor für Praktische Theologie Walter Bülck argumentierte ähnlich schwammig, in der Konsequenz aber mutiger als Fichtner. Bülck hatte nach dem Ersten Weltkrieg der demokratischen Deutschen Volkspartei angehört. Seit 1933 führte er einen Verleumdungsprozess gegen einen Denunzianten, der ihm die Loyalität zum nationalsozialistischen Staat absprach. Er gewann den Prozess, wenige Wochen später folgte die Versetzung, ausdrücklich gegen den Willen des damals amtierenden Dekans Koepp.1064 Bülck stellte 1937 ganz allgemein die Frage nach der „christlichen Botschaft in der heutigen Welt“ und gab in einer differenziert wertenden Broschüre mehrere Antworten. Bedingt durch sein Lehrfach trieb auch ihn die Frage, was an jedem Tag gepredigt werden könne und was nicht. Zunächst gab er all jenen recht, die es für einen Fehler hielten, das Alte Testament als „kanonische Urkunde“ zu betrachten. Dessen Text sei literarisch keine Einheit, sondern Ergebnis einer „äußerst verwickelten Geschichte“. In ihm fänden sich die alte israelische Volksreligion ebenso wie jüdische Gesetzestexte und die Verkündigungen der Propheten. Positive Grundlage christlicher Verkündigung könnten also nur Stücke des Alten Testaments bilden, die „dem prophetischen Offenbarungszeugnis“ angehörten. Wertvoll fand Bülck aber, wie Fichtner auch, die Texte, in denen sich die Natur als Offenbarung von „Gottes Macht und Herrlichkeit“ wiederfinde, also die gesamte Schöpfungsgeschichte. Eindeutig bekannte sich Bülck zum Monotheismus im Alten Testament, durch den die Grundlage für das Neue Testament geschaffen worden sei.1065 Kritisch betrachtete Bülck dann aber auch 1062 Vgl. Fichtner, J.: Welche Bedeutung hat das Alte Testament für den Religionsunterricht?, in: Deutsche Evangelische Erziehung, 47. Jg., Heft 6, S. 224. 1063 Vgl. BA R 4901/13262 Karteikarte Fichtner; UAG R 2269, Bd. 1, Bl. 57. 1064 Vgl. UAG PA 835 Bülck; Theol. Fak. I, Nr. 177, Bl. 40–44. 1065 Vgl. Bülck, Walter: Die christliche Botschaft in der heutigen Welt, Leipzig 1939, S. 7 ff. und 26 ff.

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das Neue Testament. Die Frage, ob das Evangelium, also die Lebensgeschichte Jesu bei der „Lebensgestaltung“ hilfreich sei, beantwortete Bülck zunächst mit einem entschiedenen, jedoch rhetorisch gemeinten Nein. Die christliche Lehre von der Sündigkeit der Menschen, von der göttlichen Liebe, die allen zuteilwerde, sei wenig tragfähig als Gesellschaftskonzept. Mit der Bergpredigt könne man nicht regieren, und der „Höchstwert der nordischen Rasse“ lasse sich ebenfalls nicht aus dem Neuen Testament ableiten. Die Fragen „nationaler Ethik und des sozialen Lebens“ habe Christus eben nicht angerührt. Im Gegenteil, Christus habe dem Staat distanziert gegenübergestanden, meinte Bülck und zitierte das Evangelium nach Markus: „Ihr wisset“, dass die, welche als die Herrscher bzw. Regenten der Völker gelten würden, diese beherrschten und, so Bülcks Wiedergabe der Bibelstelle, diese „unterjochen“ und „vergewaltigen“ würden.1066 Gleichwohl dürften die Christen „verlangen“, so Bülck in einem dritten logischen Schritt, dass für „das Verständnis dessen, was christliche Lebenshaltung ist“, auch das „reformatorische Glaubensbekenntnis“ als ebenfalls „maßgebend“ wahrgenommen werde.1067 Besonders wichtig sei dabei Luthers Bekenntnisschrift Von der Freiheit eines Christenmenschen, aus der Bülck eine Schlüsselstelle zitierte. Der Christ sei „freier Herr aller Dinge und niemand untertan“, zugleich aber „dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“. Das sei das Bekenntnis Luthers zur Gegenwart, zum Leben, zugleich aber Abkehr von Askese und von Christi Bewusstsein, dass der Weltuntergang mit der Erlösung der Gläubigen sehr bald bevorstehe. Luther habe die Frage der ethisch motivierten Radikalität mit dem Willen eines Gottes begründet, der den Weltuntergang abgewendet habe. Denn Gott habe die Gemeinschaft mit den Menschen gesucht, um sie zu Vollstreckern seines Willens zu machen. Mit dieser Vereinnahmung, sogar Kanonisierung Luthers ging Bülck dann einen weiteren Schritt. Wenn Gott uns mit der Fortexistenz beschenke, sei das ein Vertrauensbeweis seiner Liebe. „Predigt heute“, müsse daher „Lebenspredigt“ sein und darstellen, „dass die christliche Haltung allein [!] die Möglichkeit zu sinnvollem Leben gibt“. Predigt habe dem Politiker keine Lehren zu erteilen, ebenso wenig wie dem Techniker oder Kaufmann zur Ausübung seines Berufs. Sie habe es nicht „mit den Verhältnissen“ zu tun, sondern „mit den Seelen“. Die Predigt habe die Menschen zu Jesu zu führen, abseits „zeitgeschichtlicher Gebundenheit“ und den „Fesseln veralteter Denkformen“.1068 Trotz der scheinbaren Abkehr vom jüdischen Gott strebten Fichtner und Bülck die Vermittlung christlicher Normen an. Zugleich bezogen sie sich auf Jesus, der in einer 1066 Vgl. Markus-Evangelium, Kapitel 10, Vers 42. Die Bibel, 1989, Zweiter Teil: Das Neue Testament, S. 118. 1067 Vgl. Bülck, Botschaft, S. 57 ff. 1068 Vgl. ebd., S. 74 ff.

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Zeit der Repression des Christentums die Einordnung seiner Anhänger in das bestehende System gefordert hatte, wie sein Apostel Matthäus überlieferte: „Da spricht er zu ihnen: Gebt denn dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ 1069 Das war zweifelsfrei kein Widerstand, aber eine Aufforderung zur Bewahrung eines antitotalitären „Ich“ und damit die Ablehnung der Parteiforderung totaler Verinnerlichung der nationalsozialistischen Weltanschauung. Damit argumentierten sie ganz anders als ihre Kollegen Hermann Schwarz und Wilhelm Koepp. Mit der akademischen Adaption von Rosenbergs Thesen hatten diese dem Haupttheoretiker der NSDAP wissenschaftliches Gewicht verliehen. Darüber hinaus beeinflussten sie die Leser mit ihren Schriften und die Studierenden, die bei ihnen Vorlesungen hörten. Sie positionierten sich positiv zu einem politischen System, das den Entkonfessionalisierungsprozess durch Repression vorantrieb und die Menschen zur Suche nach einer individuellen, „arteigenen“ Spiritualität ermutigte.1070 Viele überzeugte Nationalsozialisten, vor allem SS-Angehörige, begrüßten diese Entkonfessionalisierung und trugen in ihre Personalbögen den Begriff „gottgläubig“ ein. Der Begriff blieb jedoch unscharf, weil er eben auf einem individuellen „Ringen“ um die „arteigenen“ Überzeugungen beruhte. Um diesen Suchenden eine Hilfestellung zu geben, meldete sich Hermann Schwarz 1937 noch einmal zu Wort. In einer Broschüre stellte er seine Reflexionen über die „Irminsäule als Sinnbild deutschvölkischen Gottesglaubens“ vor und befreite Kraft seiner Autorität als ordentlicher Universitätsprofessor hunderttausende SS-Mitglieder von dem Ruch des Atheismus. Ihm war aber auch daran gelegen, „die Seelen der Jugendlichen“ zu erreichen, die mit „der frischen Unbekümmertheit ihres ersten Idealismus“ nach Orientierung suchten. 1071 Seiner Broschüre stellte er eine Art Glaubensbekenntnis voran, das, obwohl stark verkürzt, an das Glaubensbekenntnis der beiden großen Kirchen erinnerte: „Gottheit, allwesende, der wir entstammen, Geheiligt sei dein Name! Zu uns komme dein Gottesleben, Deine Sehnsucht erfülle sich bei uns! Gib, dass wir Wertpersönlichkeiten werden 1069 Vgl. Matthäus-Evangelium Kapitel 22, Vers 21 f., in: Die Bibel, 1989, Zweiter Teil: Das Neue Testament, S. 31. 1070 Vgl. Rosenberg, Alfred: Nationalsozialismus, Religion und Kultur, in: Lammers, Hans-Heinrich und Hans Pfundtner: Die Verwaltungsakademie. Ein Handbuch für den Beamten im nationalsozialistischen Staat, 2. Auflage o. J. (um 1938), Bd. I, Gruppe 1, Beitrag 1, Bl. 8. 1071 Vgl. Schwarz, Hermann: Die Irminsäule als Sinnbild deutschvölkischen Gottesglaubens, Berlin 1937, S. 11.

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Und nicht zu selbstischem Ich verkümmern. Verwesentliche uns und lass uns lieben alles Wesentliche. Erlöse uns vom Ehrlosen. Dann geht mit allen Seelen, Deine Kraft und Herrlichkeit zur Ewigkeit.“1072

Die von Schwarz angenommene Gottheit zeichneten zwei Eigenheiten aus. Ihr Sein zeige sich in allem Sein einerseits, andererseits sei ihr eigenes Sein nirgends „verwirklicht, obwohl alles Sein der Dinge und Seelen in ihrem Schoße entsprungen ist und immerwährend neu entspringt“. Einen Namen gab Schwarz der Gottheit nicht, obwohl er sie als „Stamm des Lebensbaumes“ betrachtete. Ihr „göttliches Werdenwollen“ sei erkennbar, aber in der Natur entwickle und ergänze sich alles ins Endlose, „ohne dass göttliche Lebendigkeit erreicht“ werde. In der Seele des Menschen könne die Gottheit „zu Göttlichkeit erwachen“, daher sei es „unser Schicksal … Gefäß zu werden für das Gottwerden der Gottheit in uns“. Konsequenterweise könne jeder Mensch „nach freiem Willen“ seinen Weg zur Göttlichkeit beschreiten, „unbeirrt von jedem Dienst an einem Gottesbilde“.1073 Die Idee der Gottgläubigkeit wäre nur als zeittypische Abkehr von den christlichen Kirchen und ihren ethischen Normen zu betrachten, wenn Schwarz nicht ihre Verknüpfung mit dem Nationalsozialismus angestrebt hätte. Denn für Schwarz war der Weg zu Gott geprägt von „Hingabe über uns hinaus“, die sich vollende „in unserer von der Ehre des Blutes belebten Gemeinschaftsgesinnung (dem deutschen Sozialismus)“. Dadurch belebe sich die „Gottesflamme“, werde „Gottestum im Volkstum“, sogar „zur Gottessonne“. Unreflektierte „Nächstenliebe“ führe aber nicht zum Ziel, warnte Schwarz. Sie müsse „in erster Linie Liebe zu den Volksgeschwistern“ sein, weshalb der „deutsche Sozialismus“ die „Liebe – und nicht bloß die Nächstenliebe“ in die „Nähe des Blutes, der Heimat, der Volksgemeinschaft“ zurückrufe.1074 Im „Einsatz für Blut und Heimat, Volk und Führer“, für die „Ideen von Vaterland und Blutsgemeinschaft“ trete dann „göttliche Lebendigkeit bei uns hervor“, glaubte Schwarz und empfahl diese Auffassung den politischen Multiplikatoren.1075 Mit seiner Schrift wandte sich Schwarz selbstverständlich an die Erzieher, wie er betonte. Es sei die Aufgabe der Älteren, die Jüngeren, Suchenden für die Ideen von „Volk und Vaterland“ zu begeistern. „Der junge Deutsche“ glaube, so schrieb er, „an Blut und Volk, an Führer und Vaterland.“ Die Aufgabe der Älteren sei es nun, diesen „Gegenständen seiner Hingabe“ einen „Ewigkeitswert“ zu verleihen – „das ewige 1072 Vgl. ebd., S. 5. 1073 Vgl. ebd., S. 9. 1074 Vgl. ebd., S. 11. 1075 Vgl. ebd., S. 16.

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Deutschland, das unsterbliche Volk, die heilige Heimat“. Auf diese Weise eröffne sich „ein neues beglückendes Verständnis für das Wesen des Nationalsozialismus“, indem dessen „eigenes inneres Gottesgesicht offenbar“ werde. Diese Offenbarung führe zu einem religiösen Erlebnis des Nationalsozialismus, das diesem eine „heilige Tiefe“ verleihe. Diese „Helligkeit der Gottestiefe“ sei, wie Schwarz am Ende seiner Ausführungen meinte, auch notwendig, wenn es künftig darum gehe, Opfer zu fordern: „Gottestiefe umfing die Jugend von Langemarck, als sie im Gesange des Deutschlandliedes stürmend fiel. Sie umfing die Helden des Schützengrabens, so dass ihr Seelentum stärker wurde als aller Tod …“.1076 So abwegig diese philosophischen Gedanken aus heutiger Sicht scheinen mögen, für das Regime erschienen sie nützlich. 1939 erhielt Hermann Schwarz auf Betreiben des Amts Rosenberg die Goethe-Medaille. Geehrt wurde er als, so die Begründung, „Philosoph des deutschen Volkstums und des deutschen Gottes“.1077 Auch Koepp ließ es nicht bei seiner Kritik an den Kirchen und der Verteidigung Rosenbergs bewenden. Von Rosenbergs Konzept der Rassenseele ausgehend, wagte sich Koepp daran, eine „Gesamtgeschichte der Frömmigkeit der germanischen Seele“ zu schreiben. Dabei ging er von einer „Kontinuität von ihren ersten Anfängen bis zu ihrer Gegenwart in den germanischen Nachfolgevölkern“ aus. Unter Frömmigkeit oder Religiosität verstand Koepp dabei die „irgendwie gestaltete Beziehung und Bindung zu höchsten denkmöglichen Mächten“. Von der bloßen Erforschung der altgermanischen Religion grenzte er sich bewusst ab, weil es ihm um die Erfassung der „Rassenseele“ ging. Das, was Koepp im März 1941 auf einer Tagung des Instituts zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben präsentierte, war jedoch nicht mehr als ein Werkstattbericht.1078 Das Ergebnis seiner Studien stellte er an den Anfang seines Berichts und schrieb im ersten Satz: „Es ist unmöglich, dass die religiöse Linie in der germanischen Seelenhaltung nicht in der Tiefe immer dieselbe geblieben sein sollte; sie ist es in der Tat bis heute geblieben.“ Zu dem Schluss kam er durch die Untersuchung der „altgermanischen Seelenhaltung“ anhand von altisländischen Selbstzeugnissen, etwa bei dem Wikingerskalden Egil. Außerdem untersuchte er das Sittengedicht Hávamál.1079 Am Ende meinte er eine Überformung der altgermanischen Frömmigkeit durch das Christentum feststellen zu können. Dieses dränge das Heil den Menschen auf, während es vorher gesucht worden sei. Damit 1076 Vgl. ebd., S. 19 ff. 1077 Vgl. BA NS 15/31, Bl. 35. 1078 Vgl. Koepp, Wilhelm: Aus der Werkstatt einer Geschichte der Frömmigkeit der germanischen Seele, in: Grundmann, Walter (Hg.): Germanentum, Christentum und Judentum. Studien zur Erforschung ihres gegenseitigen Verhältnisses, Leipzig 1942, S. 119. 1079 Vgl. ebd., S. 131 ff. und 151 ff.

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sei durch das Christentum ein neuer Aspekt „in die religiöse Rassenart der germanischen Sache“ hineingekommen, eben die „Umkehrung des Verhältnisses von Gabe und Gegengabe in der germanischen Heilsaustauschgemeinschaft mit der Gottheit“. Obwohl dies nur eine „flüchtige“ Skizze war, wie Koepp zugab, zeigte er sich doch optimistisch. Weitere Studien, so schrieb er am Schluss, würden „uns noch vieles anders, tiefer, klarer in der Herzlinie germanischen Glaubens gegenüber den ewigen Mächten sehen lernen“.1080 Eine dieser Studien verfasste Koepps Schüler Horst Schülke, der sie 1941 zur Habilitation an der Theologischen Fakultät einreichte. Schülke, geboren 1913 in Zastrow in Westpreußen, hatte in Greifswald und Göttingen Theologie und Philosophie studiert und 1937 zum Dr. phil. promoviert1081 und 1939 den Lic. theol. erworben.1082 Politisch engagierte sich Schülke als Abiturient im NS-Schülerbund, danach im NSD-Studentenbund und der SA. Nach dem Pfarrerexamen trat er eine Stelle in der Landeskirchenverwaltung Mecklenburgs an. Zum Zeitpunkt der Habilitation diente er als Kriegspfarrer und nahm an den Feldzügen gegen Polen, Frankreich und im Osten teil.1083 Seine Habilitationsschrift verfasste er Zur deutschen Sicht des Bösen in der ersten Hälfte des Mittelalters. Dabei analysierte er anhand von Wolframs Parzival und dem Heliand-Epos die mittelalterlichen Vorstellungen der Untreue, dem Zweifel und selbstverständlich auch das Bild, das die mittelalterlichen Autoren vom Teufel hatten. Die Arbeit war eine überwiegend nüchterne philologische Rekonstruktion, gipfelte aber in einer Darstellung der Schicksalsgebundenheit des Menschen: „So steht der christliche Germane – immanent ethisch gesehen – in derselben Haltung unter dem Schicksal wie sein heidnischer Vorfahr: In der heroischen Aufrichtigkeit des Kämpfers, der seinen Schicksalsweg bewusst und frei zum Ende geht.“1084 Gutachter Rudolf Hermann brachte dann auch seine Distanz zum Ausdruck, als er dem „gegenwartsbezogenen jungen geistigen Arbeiter“ bescheinigte, „seine Texte zu stark auf das hin ab[zu]hören“, auf das, „was er aus ihnen gewinnen“ wolle. Gleichwohl sei die Arbeit „ausreichend“ für den Zweck der Habilitation. Doch auch Koepp, der den Kandidaten zur Habilitation durchgesetzt hatte, war der Meinung, dass gera1080 Vgl. ebd., S. 163. 1081 Vgl. Schülke, Horst: Kants und Luthers Ethik. Ein Vergleich unter besonderer Berücksichtigung der Lehre vom Bösen, phil. Diss., Greifswald 1937. 1082 Vgl. Schülke, Horst: Goethes Ethos. Eine systematische Darstellung der goetheschen Ethik und ein phänomenologischer Vergleich ihrer wesentlichen Züge mit der christlichen Ethik der Goethezeit, theol. Diss., Greifswald 1939, Schönberg 1939. 1083 Vgl. Schülke, Horst: Andacht an der Front über 2. Tim. 1,7, in: Christentum und Leben, 15. Jg., Heft 2, Februar 1940, Sp. 63 ff.; UAG K 885. 1084 Vgl. Schülke, Horst: Zur deutschen Sicht des Bösen in der ersten Hälfte des Mittelalters. Untersuchungen an Wolframs „Parzival“ und am Heliand. Typoskript, S. 215.

5.4 Germanisches und Slawisches: Volkskunde und Vorgeschichte

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de der Abschnitt über die Schicksalhaftigkeit vor der Drucklegung einer Überarbeitung bedürfe. Insgesamt aber sei die gestellte „Aufgabe“ gelöst worden, die „allgemeine Haltung einer Volksseele durch die Jahrtausende sicher festzustellen“.1085

5.4 Germanisches und Slawisches: Volkskunde und Vorgeschichte 5.4.1 Volkskunde

Die Volkskunde in der Provinz Pommern war von dem Gedanken bestimmt, dass „die Rückkehr, die Hinwendung zur praktischen Forschungsarbeit“ notwendig sei.1086 Diese Empirie schlug sich in Zehntausenden von ausgefüllten Fragebögen nieder, die zum Beispiel Bezeichnungen für bestimmte Dinge erfassten – von der Heuraufe im Stall bis zur Wiege der Kinder. Ein weiteres großes Thema waren Zäsuren eines Lebens und der Umgang mit ihnen, etwa Hochzeit und Tod. Außerdem interessierten sich die im Germanistischen Seminar tätigen Volkskundler für Volksbräuche und -glauben, Märchen, Sagen und auch dafür, welches Tier die kleinen Kinder bringe. Wie anderswo auch war es meist der Storch, nur auf Rügen brachte der Schwan die Kinder und sehr selten auch Habicht und Eule.1087 Außerdem richteten die Dozenten Lutz Mackensen und Karl Kaiser schon 1930 eine „Volksliedersammelstelle“ ein. Das Mitarbeiternetz umfasste etwa 1200 ehrenamtliche Helfer, vor allem Heimatforscher und Lehrer.1088 Als unpolitisch wollten die Wissenschaftler und Heimatforscher ihre Arbeit nicht verstanden wissen, wie Kaiser betonte, der die Arbeiten zum Deutschen Volkskundeatlas in Pommern leitete. Zum Ersten öffne die Volkskunde auf diese Weise „verschüttete Wege zum Volksbewusstsein“. Zum Zweiten erforsche sie, wie sich „pommersches als deutsches Volkstum von benachbartem fremden Volkstum“ heute unterscheide. Zum Dritten würden Antworten auf die Frage gegeben: „Wie ist Pommern siedlungsgeschichtlich geworden?“1089 Bezugspunkt war bei den Antworten immer die deutsche „Nation“, deren „ursprüngliches“ Volkstum von „fremden“ Einflüssen überformt worden sei. Kaiser unterzog daher auch die konfessionelle Volkskunde immer wieder schneidender Kritik. Denn Kirche war für ihn „römischer“ Einfluss, von dessen nega1085 Vgl. UAG Theol. Diss. Habil. Nr. 28. 1086 Vgl. Kaiser, Karl: Deutsche Volkskunde in Pommern, Greifswald 1934, S. 7. 1087 Vgl. Borchers, Walter und Karl Kaiser: Leben und Sterben, Stettin 1936, S. 5. 1088 Vgl. Herrmann-Winter, Renate und Matthias Vollmer: Pommersches Wörterbuch, Bd. 1: A–K, Berlin 2008, S. VII. 1089 Vgl. Kaiser, Deutsche Volkskunde, S. 10 ff.

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tiven Wirkungen die Befunde freigelegt werden müssten, etwa um der Frage nach der Volksfrömmigkeit nachzugehen.1090 Kaisers wissenschaftliche Arbeiten, aber auch die seines Kollegen Lutz Mackensen sind trockene empirische Studien ebenso wie die ihres politisch engagierten Schülers Matthes Ziegler, der 1936 mit einer komplett ideologiefreien Dissertation über die Frau im Märchen promovierte.1091 Der Doktorand Karl Heinrich Henschke widmete sich Hexen und Wehrwölfen, Wassergeistern und Unterirdischen, Schreckgestalten und Hausgeistern. Die Dissertation zog dabei keine weitreichenden Schlüsse, sondern war eine Art Kartierung des Verbreitungsgebietes dieser Zwischenwesen. Allein dem „wilden Jäger“ sprach Henschke eine die anderen Sagengestalten überragende Bedeutung zu. Bei ihm handle es sich um eine gebieterische Herrschergestalt, wahrscheinlich sei er „der Führer des Heeres der Toten“.1092 Kaiser und seine Mitarbeiter scheuten sich auch nicht, bei der Edition des Atlas der Pommerschen Volkskunde empirische Befunde so zu deuten, dass immer „noch zu viele Fragen unklar“ seien. Im Hinblick auf die „Slawenfrage“ arbeiteten sie heraus, dass das „slawische Element“ offenbar „weit geringer“ sei, als bisher angenommen, aber „selbstverständlich“ sei mit slawischer Überlieferung zu rechnen gewesen.1093 In dem Streit um die Ausrichtung der Volkskunde suchten und fanden die Greifswalder Volkskundler Unterstützung im Amt Rosenberg, in das Matthes Ziegler, der 1936 in Greifswald promoviert wurde, bereits 1934 eingetreten war.1094 Hier leitete er die Hauptstelle Weltanschauung und propagierte die Rosenberg’sche Ideologie, wobei er sich als rassistischer, germanophiler und kirchenfeindlicher Scharfmacher profilierte. Ziegler zensierte gegenteilige Auffassungen radikal und versuchte, die Volkskunde in ein der Partei genehmes Gleis zu lenken. Weil es ihm zweckmäßig erschien, diffamierte er dabei auch den Ministerialreferenten Heinrich Harmjanz, den er für einen Scharlatan und Plagiator hielt.1095 In diesen Macht- und Verteilungskämpfen musste sich auch Kaiser positionieren, der von Harmjanz ebenso wenig hielt wie sein Schüler Ziegler. 1090 Vgl. Kaiser, Karl: Lesebuch zur Geschichte der Deutschen Volkskunde, Dresden 1939, S. 7. 1091 Vgl. Ziegler, Matthes: Die Frau im Märchen. Eine Untersuchung deutscher und nordischer Märchen, phil. Diss., Greifswald 1937. 1092 Vgl. Henschke, Karl Heinrich: Pommersche Sagengestalten, Greifswald 1936, S. 77. 1093 Vgl. Kaiser, Karl: Atlas der Pommerschen Volkskunde, Textband, Greifswald 1936, S. 301–306. 1094 Zu Matthes, Kaiser und Henschke vgl. Henschke, Ekkehard: Junge Akademiker, völkische Ideologie und was daraus wurde: Greifswalder Biographien, in: Alvermann, Schranken, S. 161–176. 1095 Vgl. Kater, Michael H: Das Ahnenerbe der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1974, S. 174. Später würde er diesen zu Fall bringen, indem er nachwies, dass dessen Habilitationsschrift über Volkskunde und Siedlungsgeschichte Altpreußens ein Plagiat war, noch dazu das eines jüdischen Wissenschaftlers. Harmjanz wurde daraufhin aus der SS ausgestoßen. Dazu relativierend: Schmoll, Friedemann: Die Vermessung der Kultur. Der „Atlas der deutschen Volkskunde“ und die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1928–1980, Stuttgart 2009, S. 143–153.

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Den Machtkampf gewann zunächst Harmjanz, der das Atlasprojekt der Pommern wegen mangelnder „Volkstümlichkeit“ kritisierte und Kaiser daraufhin jede finanzielle Förderung strich.1096 Rektor Reschke hielt das für falsch und bemühte sich um andere Mittel, weil man Kaiser und seine Familie ja nicht „verhungern lassen“ könne, nur wegen unterschiedlicher wissenschaftlicher Auffassungen.1097 Um sich von dem Stigma reinzuwaschen, kein guter Nationalsozialist zu sein, publizierte Kaiser ein Lesebuch zur Geschichte der Deutschen Volkskunde, das einen guten Einblick in die zunehmende Professionalisierung dieser Disziplin gibt. Kaiser zitierte jedoch auch aus zahlreichen nationalsozialistischen Arbeiten, etwa der Bekenntnisschrift von Matthes Ziegler über Volkskunde auf rassischer Grundlage. Was Volkskunde sei, hatte Ziegler wie folgt definiert: „Eine deutsche Volkskunde, die auf dem Rassegedanken aufgebaut ist, denkt nicht in Ober- und Unterschicht, sondern geht aus von dem Gegensatz arteigener Wesenhaftigkeit und artfremder Einflussnahme.“ Geschichte insgesamt war aus dieser Sicht der „Widerstreit des nordischen Kulturbereiches im allgemeinen und des deutschen Seelentums im Besonderen, mit den Überfremdungen durch andersrassische Gesittungen“.1098 Als Angriff gegen Heinrich Harmjanz können zwei längere Zitate aus dessen Werken gesehen werden, in denen dieser Volkskunde schwammig als „Andacht zum Undeutsamen“ bzw. als „Seelenkunde“ bezeichnete,1099 eben das, was die um Genauigkeit bemühte empirische Greifswalder Volkskunde in keinem Fall sein wollte. In einem Anhang präsentierte Kaiser Aussagen jüdischer Volkskundler, die er für falsch oder das deutsche Volk herabsetzend hielt, etwa die des Tanzforschers Paul Jaques Bloch, der 1927 arrogant festgestellt hatte: „Dem Volk, der Masse geht die Fähigkeit zu künstlerischer Gestaltung und künstlerischem Eigenwillen ab.“ Bloch hatte diese Aussage auf die angeblichen Volkstänze hin gemünzt, die er samt und sonders für „gesunkene Kulturtänze“ hielt.1100 Ein ganzes Bündel von Aussagen jüdischer Autoren wurde mit dem Zweck zitiert nachzuweisen, dass der Versuch, Volkskunde als „Völkerpsychologie“ zu betreiben, offenbar jüdischen Ursprungs war.1101 Das Urteil des Volkskundlers Friedemann Schmoll, dass es sich bei den Greifswalder Wissenschaftlern um „Gesinnungs-Volkskundler“ handelte, ist insgesamt jedoch 1096 Der Pommersche Atlas erschien vor den anderen Bänden. Als Harmjanz bemerkte, dass auch die anderen Volkskundler keine „volkstümlichen“ Karten erstellen konnten oder wollten, plante er einen ideologisch aufgeladenen Einleitungsband. Vgl. ebd., S. 161–172. 1097 Vgl. BA R 73/12014, UAG PA 80 Kaiser. 1098 Vgl. Kaiser, Lesebuch, S. 171. 1099 Vgl. ebd., S. 189. 1100 Vgl. ebd., S. 221. 1101 Vgl. ebd., S. 214–219.

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irrig. Es ist unstrittig, dass Ziegler eine Volkskunde auf „rassischer Grundlage“ befürwortete und in seiner ideologischen Arbeit die Grenzen der Wissenschaft überschritt.1102 In seiner Dissertation über Die Frau im Märchen spiegelt sich das jedoch nicht wider. Und auch sein Kampf gegen die traditionelle Volkskunde war in erster Linie ein Feldzug gegen die Katholiken, denen er die Überlagerung deutschen Volkstums durch eine faktische Invasion fremdvölkischen Glaubens vorwarf1103 Die überaus heftigen Konflikte zwischen DFG, Wissenschaftsministerium und dem Amt Rosenberg erscheinen in der Rückschau lediglich als Verteilungskampf um Geldmittel, in dem scheinbar fachliche und politische Argumente als Instrument benutzt wurden.1104 Die antijüdischen Auslassungen Kaisers zielten denunziatorisch auf den aus Greifswalder Sicht unfähigen Heinrich Harmjanz, ideologischen „Rassenhass“ schürten sie weder gegen Slawen noch gegen Juden. 5.4.2 Das Pommersche Wörterbuch

Wertfreie Wissenschaft war die Volkskunde jedoch ebenso wenig wie die Arbeit am Pommerschen Wörterbuch, die 1925 begann. Initiiert wurde das Vorhaben vom Germanisten Wolfgang Stammler, der es in der Presse bekanntmachte und eine „Zentralsammelstelle“ ins Leben rief. Finanziert wurde das Unternehmen durch die Preußische Akademie der Wissenschaften und die Provinz, die ab 1930 1200 Mark jährlich als Beihilfe für einen Assistenten bereitstellte.1105 1932 verpflichtete Stammler als Bearbeiter Kurt Mischke, einen Studenten, der 1926 in die NSDAP eingetreten war und sich 1932/33 als Aktivist profiliert hatte. Der Sohn eines im Ersten Weltkrieg gefallenen Bauunternehmers und Landwirts hatte die Schule aus finanziellen Gründen abbrechen müssen und arbeitete danach bis 1927 in einer Bank. Die Reifeprüfung legte er extern ab und studierte dann in Berlin, Wien und Greifswald Germanistik. Nach eigener Aussage strebte er den Beruf eines Sprachforschers an, weil es „nichts an so rein Germanischem in unserem deutschen Volksleben“ gebe „als die Gesamtheit der Laute, die wir in unseren mundartlichen Sprachlandschaften hören!“1106 Mischke sammelte zunächst Sprachzeugnisse seiner engeren Heimat, woraus 1932 eine Dissertation über die Rummelsburger und Bütower Mundart entstand. Die Arbeit wurde vom Indogermanisten Ludwig Heller mit „sehr gut“ bewertet, wobei er den

1102 Vgl. Ziegler, Matthes: Volkskunde auf rassischer Grundlage, München 1939. 1103 Vgl. Schmoll, Vermessung, S. 146 f. 1104 Vgl. ebd., S. 142–151. 1105 Vgl. Herrmann-Winter/Vollmer, Pommersches Wörterbuch, Bd. 1: A–K, S. IV. 1106 Vgl. UAG PA 106 Mischke, Bd. 3 Bl. 96.

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Anhang über Geschichtliches bewusst ausnahm.1107 In diesem vierseitigen Anhang hatte Mischke Überlegungen zur Bevölkerungsgeschichte formuliert, etwa zur Assimilation der Kaschuben oder zum Zusammenhang von Sprach- und Lehnsgebieten. Am Schluss der Arbeit skizzierte er auch eine weitergehende Fragestellung: Es müsse versucht werden, „aus den Verschiedenheiten der Mundarten auf die Herkunft der Siedler zu schließen“.1108 Das Vorhaben nahm rasch gigantomanische Züge an, wie ein gemeinsamer Aufruf von Mischke und dem für Kultur zuständigen NSDAP-Gauamtsleiter Walter Godenschweger zeigt. Ohne die Erforschung der Sprache bleibe volkskundliche Arbeit eine „Halbheit“, formulierten die beiden in einem Aufruf am 15. August 1935. Ziel müsse die „Aufnahme des Sprachschatzes auch der kleinsten Ortschaft“ sein, ein „lückenloses Netz“ sollte sich über die Provinz spannen. Dabei strebten sie einen „dauerhaften Fluss zwischen organischem Volksleben und nationalsozialistischem Kulturbewusstsein“ an. Mit dem NS-Lehrerbund organisierte Mischke zunächst ein Fragebogensystem mit Mustersätzen, angelehnt an die Fragebögen des Deutschen Sprachatlas, der Ende des 19. Jahrhunderts in Marburg erstellt worden war. Um die Schwächen dieser nur schriftlichen Erhebung auszugleichen, die ohne phonetisch korrekte Transkription auskam, unternahm Mischke in Pommern ausgedehnte Reisen, um dialektgeographische Besonderheiten zu erkunden, zu denen es seiner Meinung nach keine aussagekräftige Literatur gab. Finanziert wurden diese Reisen mit einem Zuschuss von 1500 Mark von der Provinzialverwaltung, aber auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.1109 Zu einem ersten ernstlichen Zerwürfnis kam es, als der Reichsbund der deutschen Beamten an einem Schallplattenwerk für Adolf Hitler arbeitete, das dem Führer und Reichskanzler verehrt werden sollte.1110 Der Marburger Sprachatlas trat für das Projekt 1937 an Mischke heran und bat ihn, Schallplatten mit pommerschem Dialekt aufzunehmen. Die Aufgabe wurde erledigt, Mischke unternahm im Anschluss an die Aufnahmen für das Geschenk jedoch weitere Reisen, um die pommerschen Dialekte zu dokumentieren. Diese Reisen stellte er kurzerhand dem Reichsbund der deutschen Beamten in Rechnung, was Unwillen hervorrief. Die Texte ließ Mischke mit Unterstützung der Gauleitung zweisprachig drucken, um den Schulunterricht in Plattdeutsch zu unterstützen und Übersetzungsübungen zu ermöglichen. Im Vorwort äußerte er wieder die These, dass die vielen verschiede1107 Vgl. UAG Phil. Diss. 857 Mischke. 1108 Vgl. Mischke, Kurt: Rummelsburger und Bütower Mundart, phil. Diss., Greifswald 1936, S. 81. 1109 Vgl. BA R 73/15826. 1110 Vgl. Näser, Wolfgang: Das „Lautdenkmal reichsdeutscher Mundarten“ als Forschungsinstrument. Grundsätzliche Überlegungen und Daten, Marburg 2001 ff., http://staff-www.uni-marburg.de/~naeser/ld00.htm, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

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nen Mundarten „germanische Quellen“ seien, die „ihre Ursache in der großen Zahl der germanischen Volksstämme“ hätten. Ihre Bewahrung, so Mischke historisch falsch, aber emphatisch, sichere demnach „einen heiligen Schatz aus Urzeiten unseres völkischen Werdens!“1111 Die Texte selbst waren jedoch keine platten Propagandastücke, auch wenn das Buch dem Gauleiter Schwede-Coburg „zugeeignet“ war. Die Menschen aus den Orten zwischen Rügen und Hinterpommern berichteten Alltägliches, in dem sich jedoch der Zeitgeist deutlich widerspiegelt. Sie berichteten nicht nur vom traurigen Erlebnis mit dem ersten Haustier, einem Fuchs, der sein schönes Fell dann leider für die Bauersfrau habe lassen müssen oder dem amüsanten Julklappbrauch, sondern auch von ihren Erlebnissen im Ersten Weltkrieg oder von der Sturmflut, die das Fischerdorf Deep ins Meer gerissen hatte. Ein alter Fischer aus Alt Warp erzählte vom Angeln und den Konflikten mit den modernen Zeesenfischern. Bauer Kurt aus Gervin lobte die eifrigen Mädchen des Reichsarbeitsdienstes, die trotz ihrer vornehmen Väter – Rechtsanwälten und Hauptmännern – gemolken und Mist geschaufelt hätten. Mischke antwortete dem Bauern in plattdeutsch: „Dann kommen wir doch mal in die richtige Volksgemeinschaft.“ Von den Straßenkämpfen in Wolgast berichtete ein SA-Mann aus Weltzin, an die er sich genau erinnerte, weil sonst „in der Gegend nicht so viel zu tun“ gewesen sei, nur „ein bisschen Versammlungsschutz“. In Altefähr schilderte ein Arbeiter anschaulich den Bau des Rügendamms mit dem Einsatz großer „Spülbaggers“ und der „bannig schweren Arbeit“, für die er aber dankbar gewesen sei: „Was frühere Regierungen nicht geschafft haben, das hat Adolf Hitler wahrhaftig fertig gebracht.“ Und Bauer Wendorff aus Groß Sabow, dessen Familie mehrere hundert Jahre als Dorfschulze tätig war, erzählte von der größten Freude seines Lebens. Er gehörte zu den Ehrengästen des Bauerntags in Goslar, wo der Führer seine Hand genommen, ihm in die Augen gesehen und mit ihm gesprochen habe.1112 Solche Texte konnten schwerlich beanstandet werden, das Fass zum Überlaufen brachte aber Mischkes eigenwillige Personalpolitik. Er stellte zwei studentische Hilfskräfte ein, die nicht die Kriterien des Sprachatlas erfüllten. Ihr wissenschaftliches Bemühen sei nicht nachweisbar, monierte der Leiter des Deutschen Sprachatlas, Dissertationen seien innerhalb der vorgeschriebenen Jahresfrist kaum zu erwarten. Mischke konterte mit der Übersendung eines Lebenslaufs seines Mitarbeiters Herbert Niebuhr, der seines Erachtens nicht nur wissenschaftlich qualifiziert, sondern auch noch Aktivist in der Hitlerjugend seit 1929 sei. Eine Dissertation über die pommerschen Familiennamen habe er wegen des Wechsels im Ordinariat abbrechen müssen. Niebuhr 1111 Vgl. Mischke, Kurt: Texte aus dem pommerschen Plattdeutsch. Pommern im Lautdenkmal reichsdeutscher Mundarten zur Zeit Adolf Hitlers, 1. Teil: Texte, Stettin 1938, S. 8. 1112 Vgl. ebd. S. 57, 17, 11, 31.

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lege gerade die Prüfungen für das höhere Lehramt ab und plane zu promovieren. Der andere Mitarbeiter, Parteigenosse Bischoff, sei der wohl beste Kenner der Freimaurerfrage in Pommern, behauptete Mischke arrogant. Die Verzettelung der Werke pommerscher Dichter schreite jedenfalls voran, und die Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft sei eine Notwendigkeit. Der Leiter des Deutschen Sprachatlas urteilte vernichtend, als er im November 1937 über Mischkes Tätigkeit befragt wurde. Für die Verzettelung verschiedener Autoren, also das Erfassen der Wörter selbst benötige man wohl kaum akademisch geschultes Personal. Von „Forschung“ sei in Pommern „nicht die Rede“, übrigens sei die Zuständigkeit unklar. Die DFG bewilligte daher nur einen Teil der Forschungsanträge. Wie sich herausstellte, waren aber nicht nur die Gelder des Wörterbuchs selbst ungenau verbucht worden, auch Mischkes Privatfinanzen wiesen eine deutliche Schieflage aus. Im Dezember 1937 beliefen sich die Schulden auf über 20.000 Mark, wobei Mischke nur einen Teil des Geldes in seine Reisen investiert hatte. Mit seiner Ehefrau hatte Mischke zwei gemeinsame Kinder, mit dem Dienstmädchen aber weitere fünf. Mit Hilfe der Universität und der NSDAP-Gauleitung erhielt er ein langfristiges Umschuldungsdarlehen. Von der Ehefrau ließ er sich scheiden und heiratete das Dienstmädchen.1113 Trotz der nun geordneten Verhältnisse kam es bei den Arbeiten zum Pommerschen Wörterbuch sehr bald zum Zerwürfnis mit Stammlers Nachfolger Hans-Friedrich Rosenfeld. Dabei war Rosenfeld zwar geneigt, die Leitung des Vorhabens zu übernehmen, nicht jedoch Mischkes eigenwillige Art der Materialbeschaffung. Außerdem habe der es versäumt, sich wissenschaftlich weiterzubilden, gerade auf dem Gebiet der Phonetik. Es sei auch nicht notwendig, ganz Pommern „Dorf für Dorf“ zu bereisen, weil es sich bei einem Wörterbuch nun einmal um eine Materialsammlung handle. Der bisherige Ertrag sei „ganz ungewöhnlich gering“ und umfasse nur 20.000 Zettel. Da Rosenfeld durchblicken ließ, dass er das Vorhaben auch ohne Mischke bewältigen könne, nahm Mischke die sechzig Karteikästen 1938 kurzerhand mit nach Hause. Anschließend beschuldigte er Rosenfeld des geistigen Diebstahls und erhob den Vorwurf, dass man ihn um sein Lebenswerk bringen wolle. Rosenfeld wiederum beantragte wegen dieses Vorwurfs eine Untersuchung gegen sich selbst und eine gegen Mischke, weil dieser gegen seine Dienstpflichten verstoßen habe.1114 Mehrere Monate später war die Frage des Fortgangs der Arbeiten noch immer nicht geklärt, woraufhin sich nun auch die DFG zurückzog. Alle Angelegenheiten des Pommerschen Wörterbuchs müssten künftig als „private Angelegenheit“ des Herrn Lektor Mischke betrachtet werden, formulierte der Marburger Leiter des Sprachatlas abschließend.1115 1113 Vgl. UAG PA 106 Mischke, Bd. 3, Bl. 254, 243, 236 ff. 1114 Vgl. UAG PA 106 Mischke, Bd. 2, Bl. 178–189. 1115 Vgl. BA R 73/15826.

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Dieser hatte inzwischen mehrere militärische Übungen absolviert und wurde im September 1939 eingezogen. Oberleutnant Mischke fiel 1942 bei den Kämpfen um Sewastopol. Die Kartons mit den Wörterbuchzetteln wollte der Kurator später bei der Witwe abholen lassen.1116 Diese dachte jedoch nicht daran, die Kartei herauszugeben. Erst nach dem Krieg gelangte die Universität wieder in den Besitz der Unterlagen. Die Betreuung übernahm jetzt der als Nationalsozialist entlassene Germanist Hans Friedrich Rosenfeld, dem auf diese Weise der Verbleib in der Wissenschaft gelang. Er und seine ehrenamtlichen Mitarbeiter befragten vor allem Vertriebene, um die Mundarten Hinterpommerns noch vor ihrem Aussterben zu erfassen. Nach politischen Querelen und weiteren Bearbeiterwechseln erschien der erste Band (Buchstaben A–K) 2008.1117 5.4.3 Vorgeschichte

Die Vorgeschichte war in der NS-Zeit von der „ethnischen Deutung“ archäologischer Funde geprägt. Die Instrumentalisierung der Disziplin ging auf Gustaf Kossinna zurück, der, vereinfacht gesagt, in der Bronzezeit eine protogermanische Besiedlung des Gebiets östlich der Elbe annahm und daraus, imperialistisch gedacht, einen Anspruch auf alle ehemals „deutschen“ Gebiete ableitete. Ein namhafter Kossinna-Schüler, der Pole Józef Kostrzewski, ab 1919 Professor an der neugegründeten Universität Poznán nahm dieses Diktum auf und betrachtete die Lausitzer Kultur im Gegenzug als protoslawisch, wodurch wiederum Gebietsansprüche angemeldet werden konnten. Die dadurch entstandenen harten Fronten prägten nicht nur die Wissenschaft, im Deutschen Reich ergaben sich ideologisch fließende Übergänge zur nationalsozialistischen Rassenlehre.1118 Das Fach Vorgeschichte war, im Gegensatz zu der von Erich Pernice bereits vor dem Ersten Weltkrieg etablierten Klassischen Archäologie, in Greifswald nicht durch einen Lehrstuhl vertreten. Das Schicksal teilte sie mit den meisten deutschen Universitäten, das Fach verdankte seine wissenschaftliche Etablierung den Landesmuseen, die Funde aus der vorschriftlichen und vorchristlichen Zeit zu bearbeiten hatten. Ihre Mitarbeiter wandten die in Italien und Griechenland etablierte Methodik auf Funde aus der Bronze- oder Eisenzeit an. Die Vorlesungen und Übungen wurden ab 1928 von Wilhelm Petzsch angeboten, der sich als Privatdozent mit einer Studie zur Steinzeit habilitiert hatte. Im Hauptberuf war Petzsch Studienrat am Greifswalder Gym1116 Vgl. UAG PA 106 Mischke, Bd. 2, Bl. 272. 1117 Vgl. Herrmann-Winter/Vollmer, Pommersches Wörterbuch, S. VIII. 1118 Vgl. Hakelberg, Dietrich und Heiko Steuer (Hg.): Eine hervorragend nationale Wissenschaft: Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, Berlin, New York 2001.

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nasium, die Fakultät hatte den begeisterten Archäologen systematisch aufgebaut.1119 Denn vorher waren Vorlesungen im Fach Prähistorie vom Geologen Franz Klinghardt nebenher gelesen worden, was sicher nicht der Bedeutung des Fachs angemessen war.1120 Petzsch hatte in Greifswald und Freiburg Klassische Philologie, Archäologie und Geschichte studiert. Während des Ersten Weltkriegs leistete er freiwilligen Dienst in der Krankenpflege und wurde 1916 Lehrer am Pädagogium Putbus auf Rügen. 1921 promovierte Petzsch mit einer Studie über Cicero. Während seiner praktischen Ausbildung zum Studienrat wurde er von Pernice zur Neuordnung der Universitätssammlung „vaterländischer Altertümer“ herangezogen. Zurück in Putbus wurde er ab 1923 auch staatlich bestallter Pfleger der kulturgeschichtlichen Bodenaltertümer Rügens. 1926 übernahm er die Kustodenstelle der Vorgeschichtssammlung des Stralsunder Provinzialmuseums und habilitierte sich 1928 an der Universität Greifswald mit einer Arbeit zur Steinzeit Rügens. Seine Antrittsvorlesung hielt er über Kulturen und Völker im vorgeschichtlichen Raum Rügens. Im selben Jahr wurde er an das Gymnasium Greifswald versetzt. Damit war Petzsch in eine Beamtenstelle gelangt, das Fach an der Universität aber nicht durch ein eigenes Institut verankert. Als 1934 die nach sechs Jahren Dozentur übliche Ernennung zum außerordentlichen Professor anstand, vergewisserte sich das Wissenschaftsministerium über dessen politische Zuverlässigkeit. Das Gutachten der Fakultät war unumwunden positiv. Er habe es verstanden, für sein Fachgebiet einen ständig wachsenden Hörer- und Mitarbeiterkreis zu gewinnen. Bei ihm würden nicht nur Germanisten und Historiker, sondern auch Kunsthistoriker, Geologen und Geographen hören, die nicht nur die „erwünschte Einführung“ in diese Wissenschaft erhalten wollten, sondern das Fach auch als Prüfungsfach wählten. Wesentlich habe dazu beigetragen, dass Petzsch es verstanden habe, seine Schüler bei Grabungen zu sorgfältiger Beobachtung heranzubilden.1121 Kein Zweifel, Petzsch war ein begeisternder Lehrer, was sich auch in Studentenarbeiten niederschlug. Die Fakultät betonte auch, dass Deutschland auf Studien des germanischen Nordens „ganz besonders“ angewiesen sei. Denn hier müsse man sich vorwiegend mit „slawisch-ostdeutschen Problemen“ befassen, in die Dr. Petzsch die Studierenden auch „praktisch“ einführe. Dekan Fredenhagen bat daher um die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor. Petzsch gab zugleich eine Erklärung ab, wie er zur NSDAP stand, die ihn einerseits als völkisch radikal, andererseits als unpolitisch erscheinen ließ. In die Partei wurde er formell 1937 auf-

1119 Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1932, S. 18. 1120 Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1926/27, S. 15. 1121 Vgl. UAG PA 127 Petzsch. Bd. 1, Bl. 60.

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genommen.1122 Ob er schon vorher Mitglied der Partei gewesen sei, wusste Petzsch nicht genau zu spezifizieren. Nach einer Versammlung mit General Ludendorff habe er 1924 seinen Beitritt erklärt, eine Mitgliedskarte jedoch nicht erhalten. Von der NSDAP (die 1924 vorübergehend nicht existierte) habe er seitdem Propagandamaterial zugeschickt bekommen, das er „auftragsgemäß“ verteilte. Eine Nierenerkrankung habe ihn 1927 zur Aufgabe aller Funktionen genötigt.1123 Petzsch litt tatsächlich an Nierensteinen, so dass diese Aussage glaubhaft erscheint. Publizistisch hielt sich Petzsch im „Volkstumskampf“ auffallend zurück. Bei einer Beschreibung der Burg von Lossow (heute Frankfurt/Oder), hätten sich viele ideologische Ausflüge in den Deutungsstreit um die Lausitzer Kultur angeboten, was Petzsch in seinem 1933 erschienenen Buch über Deutsche Ausgrabungen auf deutschem Boden jedoch vermied. Stattdessen dozierte er über stratigraphische Fragen und die schwierigen Deutungen, die sich aus der Ablagerung von kultisch geopferten Rindern, Pferden und Menschen ergaben, in dieser Reihenfolge entsprechend der Menge der Funde. Rückschlüsse auf den Charakter der Lausitzer Kultur – um die sich Polen und Deutsche als Protogermanen oder Protoslawen stritten – ersparte er sich. Das Buch ist häufig im Konjunktiv gehalten und gespickt mit dem Wort „vielleicht“.1124 Petzsch war offenbar, wie alle Schüler des Klassischen Archäologen Erich Pernice, ein bedächtiger, fachlich exzellenter Wissenschaftler, bei denen Spatenwerk vor Deutung rangierte. Um das Fach Vorgeschichtswissenschaft auch durch eine Dauerstelle zu etablieren, holte die Philosophische Fakultät Gutachten über die eventuelle Besetzung eines Lehrstuhls ein. Angesichts dessen, dass die politisch exponierten Vertreter, etwa Himmlers Ansprechpartner Hans Hahne oder Alfred Rosenbergs Protegé Hans Reinerth, bereits Lehrstühle in Halle und Berlin erhalten hatten, war die Personaldecke dünn. Für Greifswald komme am ehesten Wilhelm Petzsch in Frage, urteilte Ende 1934 der Nestor der Frühgeschichte Schlesiens Hans Seger. „Die Auswahl an Kandidaten für eine Vorgeschichtsprofessur“ sei schon immer nicht groß gewesen und sei durch die in letzter Zeit erfolgten Berufungen „noch mehr eingeschränkt worden“. Bei Greifswald müsse man an einen Mann denken, der die „nord-deutsche und nordische Vor- und Frühgeschichte“ beherrsche und auch künftige Lehrer „in die heimische Altertumskunde einführen“ könne. „Hierfür wäre Herr Petzsch gewiss der berufenste“, schrieb Seger an die Philosophische Fakultät, die dieses Urteil umgehend nach Berlin weiterleitete. Obwohl die bürokratischen Mühlen langsam mahlten, lieferten sie das gewünschte Ergebnis. 1936 wurde Petzsch zum besoldeten außeror-

1122 Vgl. BA R 4901/13270 Karteikarte Petzsch. 1123 UAG PA 127 Petzsch, Bd. 1, Bl. 28. 1124 Vgl. Petzsch, Wilhelm: Deutsche Ausgabungen auf deutschem Boden, Karlsruhe 1933, S. 63 ff.

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dentlichen Professor ernannt.1125 Viel Zeit blieb Petzsch nicht. Bei einer Grabung auf Rügen stürzte er im Frühjahr 1938, wodurch sich ein Nierenstein löste und den Harnleiter verstopfte. Petzsch starb bei der Operation in der Chirurgischen Klinik der Universität. Ein Blick in seine Arbeiten zeigt, dass Petzsch vor allem trockene Fundberichte publizierte,1126 sich aber auch als Bodendenkmalpfleger stark engagieren musste. Obwohl mit der Begeisterung für alles Germanische die „Spatenwissenschaft“ einen enormen Aufschwung nahm, traf das zwar für die Intellektuellen insgesamt zu, nicht aber für ganz Pommern. Ein Streit, der die Grabungen auf dem Schlossberg in Gützkow betraf, illustriert das. Diese Grabung war nötig geworden, weil die archäologisch nicht untersuchte Stätte vom freiwilligen Arbeitsdienst abgetragen werden sollte, um einen Teich zuzuschütten, der vom Amtsarzt als Seuchengefahr eingestuft worden war. Petzsch setzte beim Landrat die Forderung durch, dass nicht der eigentliche Schlossberg, sondern ein anderer Hügel abgetragen werde. Daran hielten sich die Arbeitsdienstmänner, aufgewiegelt von Bürgermeister Herbert Jendis, jedoch nicht, war der Schlossberg doch näher am Teich, was unnötige Wege ersparte. Petzsch setzte daraufhin eine Sperrung des Bergs durch und ordnete eine Notgrabung an. Die Bewohner der Stadt zerstörten die Grabung mehrfach. Einmal war Petzschs Mitarbeiter Wilde auf eine mehrere hundert Jahre alte Holzschicht gestoßen, in der Nacht holten Diebe das „Brennholz“ ab. Als er eine Mauer aus Findlingen freilegte, ließ der Besitzer des Burgbergs das „Baumaterial“ herausbrechen und abtransportieren. Der daraufhin von Petzsch alarmierte Landrat sorgte dafür, dass, so die Worte Petzschs, „der Bürgermeister verschwand“.1127 Diesen Akt „böswilliger Sabotage“ meldete Petzsch auch dem Wissenschaftsministerium und forderte endlich die Veröffentlichung des neuen Ausgrabungs- und Denkmalschutzgesetzes, um den Grundsatz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ zu verwirklichen, „auch gegen den Willen des Besitzers“.1128 Während Petzsch in Gützkow rational begründete Eigeninteressen eindämmen musste, um die Fundstätte der Forschung zu erhalten, konnte er gegen den offensiv vorgetragenen völkischen Irrsinn in der Jomsburg-Vineta-Frage nicht einschreiten. Nach gründlicher Neuauswertung der mittelalterlichen Schriften nahm der Historiker Adolf Hofmeister an, dass der Ort der in den Wikingersagas genannten Stadt in 1125 Vgl. UAG PA 127 Petzsch, Bd. 1, Bl. 83. 1126 Vgl. Petzsch, Wilhelm: Ein wikingscher Waffenfund von Arkona, in: Petsch, Wilhelm und K. A. Wilde: Ein Wikingerfund von Arkona. Ausgrabungen auf dem Schlossberg von Gützkow, Greifswald 1933, S. 7–10. 1127 Vgl. Petzsch, Wilhelm und K. A. Wilde: Ausgrabungen auf dem Schlossberg von Gützkow, in: ebd., S. 16. 1128 Vgl. Mappe Gützkow, Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte.

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der Odermündung identisch mit Wollin sein müsse. Damit sei auch die Frage nach der Stadt Vineta gelöst, wie er durch eine akribische philologische Studie bewies.1129 Hofmeister regte Grabungen der Vorgeschichtler in der Stadt an, die zwischen 1934 und 1937 stattfanden und das Ergebnis der historischen Quellenkritik in vollem Umfang bestätigten. An diesen Grabungen nahmen auch Wilhelm Petzsch und seine Studenten teil.1130 Aus Sicht der Wissenschaft war das Rätsel 1932 gelöst und die Sache abgehakt. Für die Archäologen galt es, Ergebnisse zu sichern und die Details der Siedlung zu beschreiben. Mit Hofmeisters nüchterner Festlegung auf eine nicht übermäßig große Siedlung war dem Vineta-Jomsburg-Mythus nicht beizukommen; zumal diese Stadt nach dieser Darstellung nicht einmal wie in der Sage von der Ostsee wegen der Sündigkeit ihrer Bewohner verschlungen, sondern einfach von den Dänen niedergebrannt worden war. Unter den Mythengläubigen war ein sächsischer Korvettenkapitän a. D. namens Hellmuth von Müller-Berneck. Er betrachtete sich als deutsch-völkischen Christ, war Vorkämpfer der Bauernsiedlung und hielt 1933 das Zeitalter des Adlers für gekommen. Gemeint war selbstverständlich ein metaphorischer Aar, der für das Reich stand und für Adolf Hitler, gleichzeitig aber auch für das auffällige Sternbild, das im Sommer zweifelsfrei den Weg wies zum „Sonnen- und Adler-Heiligtum“ also „Ar-Kona“. Dort müsse zwingen gegraben werden.1131 Offenbar machte irgendjemand Müller-Berneck auf den bereits vorhandenen Grabungsbericht von Arkona aufmerksam, wo aber nichts gefunden worden war. Inzwischen hatte sich Müller-Berneck aber auf den Gedanken versteift, dass zum Heiligtum ja auch eine Stadt und ein Hafen gehören müssten, was auf Jomsburg hindeute, den legendären Ort der Wikinger. Wenn das Heiligtum ins Meer gestürzt wäre, dann müssten auch diese dort zu finden sein. Diese Hypothese stützte er mit einer phantasievollen Interpretation einer mittelalterlichen Münze. Diesen Brakteaten hatte Müller-Berneck abgezeichnet und sandte die Zeichnung an Petzsch. Der deutete sie aber wie folgt: In Runenschrift trug sie die Aufschrift „Alu“, ein germanisches Wort, das oft in „magischen“ Zusammenhängen eingesetzt worden war. Die Linien auf der Münze zeigten eine stilisierte menschliche Figur (Odin), ein Pferd (Sleipnir) und ei1129 Vgl. Hofmeister, Adolf: Die Vineta-Frage. In: Monatsblätter für pommersche Geschichte und Altertumskunde, 46. Jg., Heft 6, Juni 1932, S. 81–89; vgl. ders.: Der Kampf um die Ostsee vom 9. bis 12. Jahrhundert, Lübeck, Hamburg 1960, S. 64–67. 1130 Vgl. Grabungsberichte im UAG; Alvermann, Dirk: Jumne – Jomsburg – Vineta – Julin – Wollin. Eine Spurensuche, unveröffentlichtes Manuskript. 1131 Vgl. Müller-Berneck, Hellmuth von: Der Adler fliegt wieder. Sonderdruck aus Hag All – All Hag, Zeitschrift für Arische Freiheit, o. D.

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nen Vogel (Odins Rabe). Petzsch datierte den Brakteaten auch mehrere hundert Jahre früher, nämlich in die Zeit der Völkerwanderung, in der es Wikinger noch nicht gegeben hatte und die Siedlung Jomsburg ebenfalls nicht. Müller-Berneck beschied ihm, dass er sich irren müsse. Die Runen bedeuteten „Ulf“, was wohl eine Vorform des Namens Adolf sei. Der Vogel wiederum zeige nicht Odins Raben, sondern den Adler. Mit dem Aufgang des Sternbilds Adler zeige sie den Ort des Jomsburg-Hafens. Petzsch hielt das für Unfug. „Ulf“ sei falsch gelesen, der erste Buchstabe zweifelsfrei ein A. Es sei aber nicht völlig abwegig, dass sich an der Stelle des Svantewitkults (Arkona) ein älteres germanisches Heiligtum befunden haben könnte. Angesichts der Küstenabbrüche sei es vorstellbar, dass im Wasser archäologische Überreste gefunden werden könnten. Das germanische Heiligtum sei wohl nicht am Sternbild des Adlers ausgerichtet gewesen, obwohl dieses seit babylonischer Zeit bekannt war. Eine Nordost-Ausrichtung spreche für den Sonnenaufgang. Auch die vermeintliche Karte auf der Münze gehöre ins Reich der Phantasie. Aber die Kombination Wünschelrute-Taucher erscheine ihm methodisch „interessant“ und wenn er auch „in den wesentlichen Punkten“ nicht mit Müller-Berneck übereinstimme, erscheine ihm eine begrenzte finanzielle Förderung doch gerechtfertigt, „auch auf die Gefahr hin, dass positive Ergebnisse nicht erzielt werden“. Es scheint, dass Petzschs Zustimmung durch nicht unerheblichen Druck zustande gekommen war. Müller-Berneck hatte ihm einen Brief geschrieben und mitgeteilt, dass sich Hans Reinerth, der neuernannte Leiter des Reichsbunds für Deutsche Vorgeschichte, für seine Forschungen „besonders interessiere“. Gegen diese Autorität konnte Petzsch kaum protestieren. Die letzten Bedenken zerstreute Otto Kunkel, Direktor des Pommerschen Landesmuseums und damit Petzschs Vorgesetzter als Bodendenkmalpfleger. Er schrieb ihm am 12. Juni 1935, dass es „aussichtslos“ sei, sich dem Ansinnen entgegenzustellen. Es sei doch aber auch in seinem Sinne festzustellen, „ob am fraglichen Ort etwas kulturgeschichtlich wesentliches herauszuholen [ist] oder nicht“. Petzsch hielt Müller-Berneck zwar eindeutig für einen „Enthusiasten“, sah dem Treiben der Wünschler und Marinetaucher aber interessiert zu. Mit Hilfe der Rutengänger wurden Ende Juni 1935 eine Kanone und ein Eisenerzklumpen im Wasser gefunden, was Petzsch als mögliche Tragfähigkeit der Methode interpretierte. Beide Relikte habe er aber nicht sehen können, weil die Funde nach Kiel gebracht worden seien. Außerdem gab es eine eiserne Gabel, die Petzsch als Verankerung für einen Mast interpretierte, laut Müller-Berneck war es eine Torsäule vom Tor der Jomsburg. Eine Eisenstange mit Griff hielt jener für den Geschützspanner einer wikingischen Schleudermaschine. Ein Schmiedemeister aus Meißen, der sich als Badegast für die Arbeit der Taucher interessierte, gab ein „fachmännisches“ Gutachten zum Material

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ab. Auf Grund seiner Weichheit und Zähigkeit sei es wohl auf ein „Alter von 1500– 2000 Jahren“ zu datieren. Ein großer Runenstein mit der Aufschrift „Ulf“ wurde unter Wasser zwar geortet, konnte auf Grund seines Gewichts aber nicht gehoben werden. Für die Lösung der Frage, ob vor dem heutigen Steilküstenabbruch ein Heiligtum oder ein Hafen gelegen habe, hätten sich Anhaltspunkte nicht ergeben. Der Taucher habe aber eine „Steinpackung in Form einer kurzen Mauer“ ertasten können. Auch an anderen Stellen würden langgestreckte Steinmauern liegen, behauptete der Taucher, an dessen Glaubwürdigkeit Petzsch aber nicht zweifeln wollte. Im Sommer 1936 – der Irrsinn ging weiter und wurde mit Hilfe der Marine vorangetrieben – wurde ein kräftiger Vierkantbalken geborgen. Dieser sei angeblich der Bogen des Seetores der Jomsburg gewesen. An dem Balken deute aber nichts auf eine „irgendwie“ wikingische Herkunft hin, wie Petzsch bei der Betrachtung feststellte. Der Bogen des Tores sei der Jomswiking-Saga zufolge aus Stein gewesen, schob er nach. Außerdem gab es drei steinerne Kanonenkugeln. Der „Ulf“-Runenstein blieb unauffindbar. Für die Kulturgeschichte der Wikinger seien „alle“ Funde „gänzlich belanglos“. Da Herr Müller-Berneck die Grabungen unter Wasser wohl im nächsten Jahr fortsetzen wolle und wohl auch wieder eine staatliche Beihilfe beantragen werde, bat er darum, „vor der Entscheidung“ gehört zu werden.1132 Von Tauchern wird das „gebirgsähnliche Kreideriff in 5-12 m Wassertiefe vor Kap Arkona“ heute als „mehr als sehenswert“ beschrieben. Dieses „Naturschauspiel“ bestehe aus „tiefen Canyons, aufragenden Felsen, großen Findlingen, den bekannten ,Saßnitzer Blumentöpfen‘ (Paramoudras) und zahlreichen Muschelbänken“.1133 Ein Hinweis auf Bauten von Menschenhand fehlt auf der Webseite der Hobbytaucher. Müller-Berneck konnte den Jomsburg-Hafen vor Arkona aber ohnehin nicht lokalisieren, weil dieser ja in Wollin zu finden war. Der besessene Korvettenkapitän musste das Ergebnis hinnehmen, schlug aber weitere Forschungen vor. Auf den Luftbildern, die Flieger von Rügen gemacht hatten, erkannte er kreisrunde Stellen, die vermutlich die Weidestellen angepflockten Viehs zeigten. Müller-Berneck regte Grabungen an, weil das vermutlich die Plätze „eiszeitlicher Bauten“ seien, die in Verbindung stünden, mit einem unterirdischen Gang, den sein Wünschelrutengänger zuverlässig lokalisiert habe. Dieser führe zu dem uralten Vitte-Dreieckswall, der in einer Beziehung stehe mit dem Jomsburg-Hafen (den Müller-Berneck angeblich gefunden hatte) und der Sonnenaufgang-SonnenwendeAusrichtung, was sich aus dem Zusammenhang mit dem Sternbild des Adlers ergebe. 1132 Vgl. UAG Institut für Ur- und Frühgeschichte, Nr. 43. 1133 Vgl. http://aquanaut.de/tauchen/unterwasserarchaeologische-tauchexkursionen-kap-arkonaruegen/de. Letzter Zugriff: 6. Mai 2014.

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Damit sei zweifelsfrei die „allerälteste“ „Sonnen-Adler-Heimdalls-Heimatburg der Arier wiedergefunden“. Petzsch bekam eine Abschrift von Müller-Bernecks Vorschlag zugeschickt, wurde von dem Scharlatan selbst aber nicht wieder belästigt, weil nun auch andere den baren Unsinn solcher Vermutungen erkannt hatten.1134 Immerhin konnte Müller-Berneck seine Pseudoergebnisse 1938 im Nachrichtenblatt der Marine-Offiziersvereinigung publizieren. Außerdem erstellte er eine Karte, die den angeblich gefundenen Hafen 600 Meter östlich des Peilturms und eine Mulde 300 Meter ostsüdöstlich davon zeigte. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass die Schatzkarte auf dem Brakteaten mit den Ergebnissen der Vermessungen bis ins kleinste Detail übereinstimmte. Der Hafen der Karte hat eine Nord- und eine Südzufahrt, mehrere Molen, selbst die Küstenlinie bei Arkona war auf der Karte wie auf dem Brakteaten genau zu erkennen.1135 In dem Begleittext äußerte sich Müller-Berneck auch zur Vineta-Frage. Er habe immer nur die Jomsburg gesucht, könne aber nicht ausschließen, dass er das versunkene Vineta gefunden habe. Diese habe der „Allvater“ auf den Meeresgrund geschickt, damit diese Steine einmal reden könnten, „um die christlichen Lügenchronisten zu entlarven, die die Jomsburg (vielleicht Vineta) zu Julin-Wollin zerredeten.“1136 Trotz des taktischen Agierens in der Frage der angeblichen Funde vor Arkona ist Petzschs Befürwortung der Suche erklärbar. Einen vielversprechenden abgestürzten Klippenteil konnte es gegeben haben. Und wer, wenn nicht ein Korvettenkapitän konnte die Ressourcen dafür mobilisieren? Auf seinem eigenen Feld, der Siedlungsarchäologie, sind die Schriften angefüllt mit den Herausforderungen dieser neuen Methode. Die Sachlichkeit verlor Petzsch lediglich beim Thema der slawischen Besiedlung. So interpretierte er Hacksilberfunde prinzipiell als „slawisch“ und Funde von römischen Münzen als ausschließlich dem germanischen Kulturkreis zugehörig.1137 Er betonte jedoch, ausgehend von der Frage der Siedlungsarchäologie, dass Grabungen notwendig seien, um die „Kulturkreise der Urzeit“ gegeneinander abzugrenzen. Die Ergebnisse seien oft unspektakulär, ließen aber Rückschlüsse auf historische Ereignisse zu – Kampf, Zerstörung, Wiederaufbau – und durch wen?1138 Als Fazit seiner Überblicksdarstellung kann eine Wertung gelten. In den Völkerverschiebungen der Germanen in der Wanderungszeit bildeten sich Stämme her1134 Vgl. Mappe Bodenaltertümer 1935–1937, Lehrstuhl Ur- und Frühgeschichte. 1135 Vgl. Müller-Berneck, Hellmuth von: Meine Taucherforschungen auf Arkona-Riff, Sonderdruck aus: M. O. V.: Nachrichtenblatt, Heft 19, Oktober 1938, Bl. 1–8; Karte: Ergebnis der Taucherforschung auf Arkona-Riff nach der versunkenen Jomsburg. 1136 Vgl. Müller-Berneck, Meine Taucherforschungen, S. 7. 1137 Vgl. LA Greifswald Rep. 54 Nr. 522, Bl. 19 und 26; differenzierter in der Publikation: Petzsch, Wilhelm: Die vorgeschichtlichen Münzfunde Pommerns, Greifswald 1931, S. 24 ff. 1138 Vgl. Petzsch, Deutsche Ausgrabungen, S. 7.

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aus, „deren Hinterlassenschaft ihren hohen Kulturstand“ beweise. Nur östlich der Elbe sei das „anders“.1139 Die Abwanderung starker Teile der ostgermanischen Stämme habe den geringen Rest so geschwächt, dass er nicht imstande gewesen sei, den von Südost her vordringenden Slawen „Widerstand zu leisten“. Über die Slawen urteilte er wenige Zeilen später, dass der „Kulturstand“ im „Vergleich zu dem der Germanen erschreckend niedrig“ gewesen sei. Eisen sei nur „spärlich“ verwendet worden, Holz und Knochen spielten eine große Rolle, die staatliche Organisation sei „mangelhaft“ gewesen. Trotzdem hätten die slawischen Stämme bei der deutschen Kolonisation des Ostens „Widerstand“ geleistet, aufgehetzt und entflammt durch ein „fanatisches Priestertum“. Die Frage, ob ein Festhalten an hergebrachter Religion verbunden mit einem raschen Ausbau von Verteidigungsanlagen nicht auch eine Art staatlicher Organisation gewesen sei, stellte Petzsch nicht.1140 Gleichwohl schwärmte er vom slawischen „Troja“ im schlesischen Oppeln, wo auf der Oderinsel neun Siedlungsschichten nachgewiesen wurden und die Funde zweifelsfrei Handlungsbeziehungen mit Wikingern und Ungarn belegten.1141 Um seine Begeisterung zu relativieren, verglich er die Oppelner Siedlung dann mit Haithabu, der laut Petzsch einzigen großen „Wikingersiedlung“ auf deutschem Boden. Der Stand der Kultur war dort seiner Meinung nach deutlich höher als der in Schlesien, wofür er Gussformen für Silber- und Bronzefibeln ebenso ins Feld führte wie reich ausgestattete Grabkammern.1142 Zu den Grabungen der SS in Haithabu äußerte sich Petzsch nicht, wie er auch später angreifbare Deutungen anderer Vorgeschichtler öffentlich nicht in Zweifel zog. Der Nachruf der Greifswalder Zeitung beschrieb aber das undifferenzierte Bild, das Petzsch von seinen Forschungen gegenüber der NSDAP gezeichnet hatte. „Durch zahlreiche Ausgrabungen“ habe er „immer wieder nachgewiesen“, dass Pommern „ein urdeutsches Land“ sei.1143 Von Petzschs Interesse für die Völkerverschiebungen war die Dissertation seines Schülers Heinz Gau geprägt, der 1939 versuchte, die Geschichte der Westgermanen in Vorpommern zur ältesten Eisenzeit zu rekonstruieren. Bemerkenswerterweise stützte sich Gau ausschließlich auf archäologische Funde, die er mit Hilfe von Fundkarten systematisierte. Mit der Forschungsliteratur, die anhand römischer Texte entstanden war, insbesondere mit der Tacitus-Überlieferung, ging Gau außerordentlich hart ins Gericht. Die „schwierigen Fragen“ des ostmecklenburgisch-vorpommerschen Formenkreises seien mit der einfachen Formel eines „großsuebischen Stammesverbands“ nur unzureichend benannt. Besonders heftig war seine Kritik an den Historikern, die 1139 Ebd., S. 75. 1140 Ebd., S. 76 f. 1141 Ebd., S. 84. 1142 Ebd., S. 86 f. 1143 Vgl. UAG Phil. Fak. I. 454.

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Schlüsse aus nicht vorhandenen Funden zogen und großräumige „Wanderungen“ von Stämmen rekonstruierten, die es vermutlich gar nicht gab. Mit der Präsentation neuer Funde und dem Nachweis langer Belegungszeiten von Friedhöfen verband Gau dann das Plädoyer für eine dichtere Besiedlung Vorpommerns durch germanische Stämme als bisher angenommen.1144 An den Schluss seiner Dissertation stellte Gau die Frage nach der Suebenwanderung, dem sogenannten Zug des Ariovist, der von Cäsar beschrieben worden war. Dass der Zug stattgefunden habe, erschien Gau auf Grund der zahlreichen archäologischen Belege unzweifelhaft. Unklar war ihm jedoch das Phänomen der römischen Importe, die vereinzelt in Pommern und Mecklenburg auftauchten und in die entsprechende Zeit zu datieren waren. Entweder handelte es sich um Rückwanderungen oder aber um Handelsbeziehungen zwischen den gewanderten und gebliebenen Gruppen.1145 In ihren Gutachten drängten der neuberufene Carl Engel und der Archäologe Erich Böhringer darauf, dass Gau diese Frage möglichst rasch in Angriff nehmen möge, und waren auch sonst voll des Lobes über die „mit großem methodischen Geschick“ durchgeführte Untersuchung. Dazu kommen sollte es nicht, weil Gau 1939 eingezogen wurde und an der Ostfront fiel.1146 Zum Nachfolger Petzschs wurde 1939 Carl Engel ernannt, ein Buchhändler, der über die Faszination den Weg in die Wissenschaft gefunden hatte. Engel hatte von 1913 bis zum Kriegsausbruch an der Universität München studiert. 1919 kehrte er aus britischer Kriegsgefangenschaft zurück, bildete sich autodidaktisch weiter und studierte 1927/28 an der Universität Tübingen, wo er zum Dr. phil. promovierte und sich mit dem bereits erwähnten Hans Reinerth anfreundete. 1929 erhielt Engel auf Betreiben von Gustaf Kossinna eine Anstellung am Prussia-Museum in Königsberg. Hier führte er zahlreiche Grabungen durch, unter anderem auf dem Gräberfeld von Linkuhnen, das besonders reich mit Waffen und Schmuckbeigaben der altbaltischen und wikingischen Kulturen ausgestattet war.1147 Der NSDAP trat er 1933 bei, im Oktober 1934 wurde er zum Dozenten an die Herder-Hochschule in Riga berufen. Dort profilierte sich Engel als eifriger Verfechter der Idee eines germanischen Ostraums, die er durch Schriften und möglichst auch durch Grabungen untermauern wollte. Für „Polen und Litauen“ würden diese jedoch in „nationalpolitischer Hinsicht“ wohl „ungünstige Ergebnisse“ zeitigen, weshalb sich die Behörden Grabungen widersetzten. Aus seiner Sicht komme es jetzt, 1934, darauf an festzustellen, was ist. Für seine Forschungen zur gotischen und vandalischen bzw. zur – mutmaßlich pro1144 Vgl. Gau, Heinz: Die Westgermanen in Vorpommern zur ältesten Eisenzeit, MS, S. 150–160, in: UAG Phil. Diss. II Nr. 1039. 1145 Vgl. ebd., S. 161–166. 1146 Vgl. UAG Phil. Diss. II Nr. 1039. 1147 Vgl. Mangelsdorf, Aus den Tagebüchern, S. 1 ff.

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toslawischen – sudauischen und galindischen Kultur und der schwer zu deutenden Memelkultur beantragte er bei der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft reichlich bemessene Reisemittel. Auf Konfrontation wollte Engel allerdings weder mit den Behörden noch mit den einheimischen Wissenschaftlern gehen. Ihnen gegenüber werde er betonen, dass es um „Klärung“ von Sachverhalten, nicht um Politik gehe. Die DFG scheint den Antrag an die Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft weitergeleitet zu haben, die Engels Recherchen dann auch großzügig unterstützte.1148 1941, Engel war inzwischen zum Beauftragten für die Vorgeschichtsforschung im Baltikum ernannt worden, äußerte er sich wesentlich offenherziger, was den Sinn und den Gehalt seiner Forschungen anging. Ihm schwebte die Erstellung einer Chronologie der Besiedlung der baltischen Staaten und der angrenzenden Gebiete vor, in die er seit dem Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges seinen Tätigkeitsbereich ausgeweitet hatte. Dabei interpretierte Engel die nichtschriftliche Vorgeschichte der baltischen Länder als permanenten Kampf nordischer Ethnien mit ansässigen Völkern. Seit „mehreren tausend Jahren“ habe man um die Vorherrschaft gerungen, und es seien „die gleichen Mächte“ wie in der Gegenwart gewesen. Nach Engels Auffassung beruhten sämtliche Kulturen des baltischen Raums auf Einwanderung der „Nordleute“. Das Wort Nordleute ließ Engel in seinem Aufsatz für die populärwissenschaftliche Zeitschrift Jomsburg gesperrt setzen. Diese Einwanderung habe in der Steinzeit etwa 2500 vor der Zeitrechnung begonnen. Die Kulturträger seien die ethnisch nicht fassbaren Völker der Schnurkeramiker bzw. „Streitaxtleute“ gewesen, die das ganze Baltikum „überflutet“ und es so „endgültig dem Ostraum entrissen“ hätten. Mit der Einwanderung dieser „Streitaxtleute“ sei eine bis in die Gegenwart spürbare „Änderung des Rassen- und Bevölkerungsbildes“ entstanden.1149 Das Rassen- und Bevölkerungsgemisch des Baltikums illustrierte Engel dann platt mit zwei Fotos: Bild 1 zeigte das Porträt eines nach damaliger Diktion als „nordisch“ einzuordnenden Mannes, Bild 2 einen „Lettgaller ostbaltischen Typs“, aus dessen Gesichtsausdruck eine naive Primitivität und Brutalität herauszulesen war. Um den Eindruck zu verstärken, hatte Engel als Beispiel für den nordischen Rassentyp einen korrekt gekleideten Mann in Anzug und Krawatte ausgesucht, der sein dunkelblondes Haar sauber gescheitelt trug. Der finster blickende Mann aus Lettgallen war kahl geschoren, trug einen Drei-Tage-Bart und war ohne Kleidung porträtiert worden.1150 1148 Vgl. BA R 73/10902. 1149 Vgl. Engel, Carl: Der Kampf um die baltischen Lande in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, in: Jomburg, Jg. 6, Heft 1/2, 1942, S. 88 ff. 1150 Vgl. ebd., Tafel II. Bezeichnend ist die Freud’sche Fehlleistung in der Bildunterschrift, die nicht von einer „rassischen Zusammensetzung“ der Bevölkerung, sondern von einer „russischen“ sprach.

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In der Bronzezeit, um 1000 vor der Zeitrechnung, habe es eine „germanische Überschichtung“ Estlands und Südfinnlands gegeben, danach weitere starke „urgermanische Einflüsse“. Die um 100 vor der Zeitrechnung eingewanderten Germanenstämme, speziell Burgunden, Wandalen und Rugier, hätten dann eine lebhafte Beziehung zu den sesshaften Völkern angebahnt. Die in Südschweden ansässigen Goten seien zu Architekten einer Art „gotischer Hanse“ geworden, die mit ihrer „nachhaltigen Tätigkeit“ die „seit einem halben Jahrtausend völlig erstarrte Kultur der Baltischen Lande neu“ belebt habe. Mit der Abwanderung der Goten nach Südrussland habe ein starker Einfluss auf die innerrussischen Gebiete bestanden, meinte Engel, das „pulsierende kulturelle Leben“ im Baltikum sei aber erloschen. Mancherlei Umstände sprächen auch dafür, dass die dann folgende große slawische Ausbreitung des 6. bis 8. Jahrhunderts durch eben diese germanische Führerschaft ausgelöst worden sei. Mit den schwedischen Wikingern, die danach im Ostraum die Führung übernommen hätten, sei jedoch das russisch-orthodoxe Christentum Hand in Hand gegangen. Dieser Vormarsch sei dann durch die deutsche „Aufsegelung“ in „zwölfter Stunde“ gestoppt worden. Mit der kriegerischen Landnahme des Bischofs Meinhard und dem erfolgreichen Kampf des Deutschen Ordens sei die Entscheidung für die Verankerung des Baltikums im „Westen“ gerettet worden. Drei Jahrtausende vorgeschichtlicher „Kultur- und Kolonisationsarbeit“ hätten damit ihre „Krönung“ erfahren und das Land „endgültig“ dem Ostseeraum und dem nord- und mitteleuropäischen Kulturkreis angegliedert. Die „bolschewistischen Zwischenspiele“ hätten diesen Tatbestand nicht „entscheidend zu ändern vermocht“.1151 Da Engel mit seinen Koordinationsarbeiten im „Ostland“ ausgelastet war, bat er um Zuweisung eines geeigneten Vertreters und Dozenten. Seine Wahl fiel auf Hans Jürgen Eggers, Kustos am Landesmuseum in Stettin. Eggers, 1906 in St. Petersburg geboren, hatte es 1919 nach Greifswald verschlagen. Er studierte Germanistik, Volkskunde und Vorgeschichte in Tübingen, Berlin und Greifswald. Hier nahm er an Grabungen Petzschs teil, promoviert wurde er allerdings 1930 mit einer Dissertation über Die magischen Gegenstände der altisländischen Prosaliteratur, die Lutz Mackensen betreut hatte. Danach war er wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Museum für Vorgeschichte in Berlin. Ab 1933 arbeitete er am Provinzialmuseum in Stettin, wo er 1935 zum Kustos ernannt wurde.1152

1151 Vgl. Engel, Kampf um die baltischen Lande, S. 94–97. 1152 Vgl. UAG PA 211 Eggers, Phil. MN-Habil. Nr. 317; R 4901/13261 Karteikarte Eggers; Carnap-Bornheim, Claus von: Hans Jürgen Eggers und der Weg aus der Sackgasse der ethnischen Deutung, in: Steuer (Hg.): Eine hervorragend nationale Wissenschaft, S. 173–197.

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1941 habilitierte er sich an der Universität Rostock mit einer Untersuchung über Lübsow – ein germanischer Fürstensitz des 1. und 2. Jahrhunderts n. u. Ztr., womit „nach unserer Zeitrechnung“ gemeint war. Mit einer Nachgrabung hatte er an der Fundstätte in Lübsow (heute Lubieszewo) siebzig Kilometer westlich von Stargard, Unklarheiten über Bauart, Beigabenverteilung und anderes bei den Lübsower Prunkgräbern beseitigt. Methodisch war das bahnbrechend gewesen, weil er anhand der Neuvermessung einer Raubgrabung 1939 ursprüngliche Zustände hatte rekonstruieren können. Um die Habilitationsschrift in den Zeitgeist einzupassen, unternahm Eggers den Versuch, die Fürstengräber von Lübsow auch einem Stamm zuzuordnen. Skandinavischen Einfluss schloss er überzeugend aus, konstatierte aber „gemeingermanische“ Übereinstimmungen der verschiedenen Fürstengräber von Norwegen bis Schlesien.1153 Es sei falsch, die Gräber als Zeugnisse eines „germanischen Herrenstammes“ anzusehen. Man müsse sie vielmehr soziologisch deuten, vielleicht im Sinne eines „germanischen Hochadels“. Bei den antiken Schriftstellern sei dieses „frühe Königtum“ bezeugt, bei „Schweden, Goten, Wandalen, Sueben, Langobarden usw.“. Bei den freien niedersächsischen Bauern fehlten solche Zeugnisse jedoch „völlig“.1154 Es ist bezeichnend, dass Eggers die naheliegenden Schlussfolgerungen nicht vertiefte. Die Ausweitung hin auf eine konzise Staatenbildung im Nordraum mochte er nicht vornehmen, andererseits den in der NS-Zeit wild wuchernden Spekulationen zu den Germanenstämmen nicht explizit widersprechen. Die Gräber von Lübsow sprach er dann allerdings den Burgunden zu, dem Zeitgeist entsprechend, wenn auch, „unter allem Vorbehalt“.1155 Dem Erstgutachter Ernst Petersen, Teilnehmer am Hitler-Putsch und Mitarbeiter des SS-Ahnenerbes,1156 wäre eine Zuschreibung zu den Rugiern oder Lemoviern lieber gewesen, die bisher „archäologisch noch kaum fassbar“ waren. Auf diese Weise hätte Eggers den Quellenwert der Germanenberichte des Tacitus erhöht, was er jedoch offenbar ablehnte. Zweitgutachter Gottfried von Lücken urteilte positiv, legte aber ganz im Gegensatz zu Petersen eine noch stärkere Zurückhaltung nahe.1157 Eggers gehörte der NSDAP an, hielt sich jedoch von den Aktivitäten des Ahnenerbes fern und stellte Wissenschaft vor Propaganda.1158 Die zeitnahe Interpretation von 1153 Vgl. Eggers, Hans Jürgen: Lübsow. Ein germanischer Fürstensitz des 1. und 2. Jahrhunderts n. u. Ztr., Typoskript Phil. Habil. Rostock 1941, S. 99. 1154 Ebd., S. 99 f. 1155 Ebd., S. 102. 1156 Vgl. http://cpr.uni-rostock.de/file/cpr_derivate_00007182/petersen_ernst_cv.pdf, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 1157 Vgl. BA R 4901/24468, Bl. 12 f. 1158 Kritisch würdigend dazu Carnap-Bornheim, Claus von: Hans Jürgen Eggers und der Weg aus der Sackgasse der ethnischen Deutung, in: Steuer (Hg.): Eine hervorragend nationale Wissenschaft, S. 173–197.

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Funden beherrschte er jedoch perfekt. So inspirierte ihn der 1839 gefundene Runenring aus dem hinterpommerschen Körlin, auf dem sich Runen und ein Sonnenrad in Form eines Hakenkreuzes fanden, zu einer verwegenen Interpretation über den metaphysischen Sinngehalt der Runen.1159 Auch den Gedanken der „ethnischen Deutung“ von Funden im Sinne Gustaf Kossinnas verfocht er vor seiner Habilitation und der Ernennung zum Dozenten vehement. Die Analyse eines bronzezeitlichen Grabes leitete er 1936 mit der polemischen Fragestellung ein: „Wann wurde Ostpommern germanisch?“ Nach der korrekt vorgenommenen Datierung auf etwa 1200 bis 1000 vor Christus verstieg er sich zu der Schlussfolgerung, „dass ganz Mittel- und Ostpommern“ in der IV. Periode der Bronzezeit „von den Trägern der nordischen Kultur, den Germanen, erobert und besiedelt wurde“. Diese „organische Durchdringung“ des Siedlungsraums sei allerdings friedlich erfolgt und nicht ein Ereignis gewesen, das mit allem Vorhergehenden gebrochen habe.1160 Eggers ordnete sich damit eindeutig in den nationalsozialistischen Diskurs ein.1161 Nach 1945 distanzierte sich Eggers dann offen von Kossinnas Methode der ethnischen Deutung.1162 In die Debatte um die germanisch-slawische Vorgeschichte und slawisch-deutsche Bevölkerungsgeschichte brachten sich auch die Nachwuchshistoriker ein. 1943 wurde Erwin Assmann mit einer Studie über Stettins Seeschifffahrt und Seehandel im Mittelalter habilitiert. Assmann hatte in Marburg und Greifswald Geschichte und Klassische Philologie studiert und wurde 1930 mit einer Neuausgabe des römischen Pädagogen Lucius Ampelius promoviert. Von seinem Mentor Adolf Hofmeister wurde Assmann mit Arbeiten für die Monumenta Germaniae Historica betraut, zugleich absolvierte er das Referendariat und wurde 1934 Lehrer am Reformrealgymnasium Bergen auf Rügen. 1939 folgte die Ernennung zum Studienrat. Assmann engagierte sich ab 1933 in der SA und im NS-Lehrerbund, ab 1934 leitete er als Kreisgruppenführer des Luftschutzbundes den Ausbau des Luftschutzes auf der Insel Rügen. Später traten, wie Assmann in einem Lebenslauf schrieb, „Parteiämter in den Vordergrund“. Er amtierte als Ortsgruppenschulungsleiter und Kreisredner, als Kreisamtsleiter für Rassenpolitik in der NSDAP-Kreisleitung sowie als Sachgebietsbearbeiter für Geschichte im NSLB. Außerdem leitete er die weltanschauliche Schulung der Schutz1159 In einer Fußnote wies er allerdings darauf hin, dass die von „eifrigen Heimatfreunden“ gemeldeten Runenfunde meist einer kritischen Prüfung nicht standhielten, an „echten Runen“ sei „Pommern, wie ganz Ostdeutschland, äußerst arm“. 1160 Vgl. Eggers, Hans Jürgen: Das Fürstengrab von Bahn, Krs. Greifenhagen und die germanische Landnahme in Pommern, in: Pommersches Landesmuseum Stettin (Hg.): Erstes Beiheft zum Erwerbungs- und Forschungsbericht 1936, S. 1 und 39 f. 1161 Vgl. ebd., S. 45. 1162 Vgl. Carnap, Eggers, S. 183.

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polizei. 1941 war er vertretungsweise Ortsgruppenleiter der NSDAP in Bergen.1163 1938/39 leistete Assmann Militär- bzw. Kriegsdienst und nahm am Polenfeldzug teil. Danach war er für den Schuldienst unabkömmlich gestellt, leitete jedoch 1942 im Auftrag des Sonderstabs Vorgeschichte im Einsatzstab Rosenberg eine Grabung auf der Burgstätte Uexküll an der Düna, der Burg, von der die Christianisierung der Liven ausgegangen war.1164 Trotz dieser Mehrfachbelastung hatte Assmann eine Habilitationsschrift über Ausmaß und Bedeutung von Stettins Seehandel und Seeschifffahrt im Mittelalter verfasst. Dabei konzentrierte er sich besonders auf die deutsche Siedlung. Zur Begründung führte er die Verleihung des Magdeburger Stadtrechts als Zäsur an, die, so Assmann, für das gesamte Odermündungsgebiet den Augenblick markierte, in dem „eine alte Welt zugrunde ging und eine neue aus der Taufe gehoben wurde“.1165 Immerhin verwies Assmann auf die reichhaltigen Schatzfunde, die den „wendischen“ Handel bezeugten, und schloss sich pragmatisch dem Vorschlag an, vor dem Wiederaufbau des Stettiner Schlosses umfangreiche archäologische Grabungen auf dem alten Burgwall durchzuführen.1166 Assmanns Mentor Adolf Hofmeister war von der Arbeit begeistert, weil sie über das bisher Dargelegte hinausging. Aus dem „mehr oder weniger zufällig erhaltenen“ Material habe Assmann eine gelungene Gesamtdarstellung geformt. Hofmeister betonte die feste Verankerung des „trefflichen Philologen“ in der „altbewährten Tradition“ geschichtswissenschaftlicher Arbeit. Zugleich zeige sich Assmann in seinen „sippenkundlich-bevölkerungswissenschaftlichen Studien“ „aufgeschlossen für die Problemstellungen der Gegenwart“. Auch Zweitgutachter Engel zeigte sich von der Arbeit angetan, zumal er den Autor als sorgfältigen, wissenschaftlich exakten Archäologen kennengelernt hatte. In seinem Gutachten empfahl er nicht nur die Annahme der Habilitationsschrift, sondern äußerte auch die Hoffnung, dass es gelingen müsse, Assmann für die Hochschullaufbahn zu gewinnen, obwohl dieser inzwischen zum Oberstudienrat ernannt worden war.1167 Vor der Ernennung zum Dozenten hielt Assmann eine Probevorlesung, in der er nicht nur wissenschaftlich argumentierte, sondern auch politische Fragen erörterte. So beleuchtete er die „Gefahren fremdvölkischer Ansiedlung“ am Beispiel der Litauer in Ostpreußen und rechnete mit der preußischen Polenpolitik ab, die von „merkantilistisch aufklärerischem Geist“ geprägt gewesen sei. Den Schluss der Vorlesung bildete, so die Mitschrift von Dekan Metzner, 1163 Vgl. BA R 4901/24142. 1164 Vgl. Hellmann, Manfred: Meinhard, in: Neue Deutsche Biographie 16, 1990, S. 665 f. 1165 Vgl. Assmann, Erwin: Stettins Seehandel und Seeschifffahrt im Mittelalter, Habilitationsschrift, Greifswald 1943, S. 8; verlegt wurde die Arbeit 1951 in Kitzingen. 1166 Vgl. Ebd., S. 10 f. 1167 Vgl. BA R 4901/24142.

5.4 Germanisches und Slawisches: Volkskunde und Vorgeschichte

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„der Hinweis auf den erbitterten Volkstumskampf an der deutsch-polnischen Grenze“ und die „aus der Umsiedlung der letzten Jahre sich ergebenden Aussichten und Aufgaben“. Assmann gehöre „zu den befähigsten Köpfen unseres Historischen Nachwuchses“, urteilte Metzner und bat um dessen Zuweisung an die Universität Greifswald. Dozentenführer Schultze stimmte diesem Urteil ebenso zu wie Rektor Engel. Obwohl Assmann der Universität Greifswald zugeteilt wurde, lehrte er hier nicht. Erneut eingezogen, erlebte er das Kriegsende im Lazarett Lewenberg in Schwerin.1168 Hermann Bollnow, ebenfalls ein Schüler Hofmeisters und Studienrat in Anklam, war einer der eifrigsten Forscher an der Grenzlinie zwischen Geschichtswissenschaft und Archäologie. 1935 entwickelte er anhand der völkerwanderungszeitlichen Funde eine Chronologie und betrachtete die „fundarme Zwischenzeit“ genauer. In der Sache hatte Bollnow mit der Datierung der slawischen Funde ins 8. Jahrhundert sicher recht, er entwertete die Studie jedoch durch den Sprachgebrauch. Seiner Meinung nach seien „die slawischen Horden“ in das menschenleere Gebiet „eingesickert“ oder hätten sich als Fischer in den freien Niederungen „eingenistet“.1169 1937 untersuchte er einige von polnischen Vorgeschichtlern als Burgen der „Lausitzer Kultur“ bezeichnete Fundstätten und belegte, dass es sich in jedem einzelnen Fall um etwas anderes handelte (etwa eine Grabstätte oder eine Burganlage aus späterer Zeit), nicht aber um Burgen der Lausitzer Kultur.1170 1942 habilitierte sich Bollnow an der Universität Greifswald mit einer Schrift zur pommerschen Burg im 12. und 13. Jahrhundert. Das Dilemma, ob Slawen nur gesiedelt oder Städte gebildet hätten, löste er in der Habilitationsschrift, indem er sich auf juristische Definitionen zurückzog. Burg und Stadt waren für Bollnow gedanklich mit den entsprechenden Rechten verbunden, die selbstverständlich deutsch waren.1171 Erstgutachter Adolf Hofmeister pflichtete dem bei, habe die Einführung des „deutschen Städtewesens“ doch eine „Revolution von Grund auf“ dargestellt und einen „völligen Kulturneubau“ begründet. Bollnow sei also zuzustimmen, wenn er die slawischen „Burgen“ (in Anführungszeichen) als stadtartige Plätze oder Großsiedlungen beschreibe.1172 Mit der Sprachregelung „Großsiedlung“ folgte Bollnow einer Argumentationslinie, die von den Archäologen des Stettiner Landesmuseums vorgegeben war. Auch für sie waren die Orte 1168 Vgl. UAG K 890. 1169 Vgl. Bollnow, Hermann: Die völkerwanderungszeitlichen Funde in Pommern und das Problem der Slaveneinwanderung, in: Eggers, Hans-Jürgen und Otto Kunkel (Hg.): Beiheft zum Erwerbungs- und Forschungsbericht 1935, Stettin 1935, S. 27. 1170 Vgl. Bollnow, Hermann: Vor- und frühgeschichtliche Burgen im Kreise Naugard, Stettin 1937, S. 5 f. 1171 Vgl. Bollnow, Hermann: Untersuchungen zur Geschichte der pommerschen Burg im 12. und 13. Jahrhundert, Phil. Habil., MS, Bd. 1, S. 3. 1172 Vgl. BA R 4901/24277, Bl. 6.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

der Wikinger und Slawen Großsiedlungen, etwa Wollin an der Dievenow, bei dem es sich um das sagenumwobene Vineta oder Jomsburg handelte.1173 Ansonsten war die Schrift eine nüchterne Zusammenstellung von Aussagen zu den Städten Wollin, Kolberg, Kammin und Usedom in Urkunden und Darstellungen zeitgenössischer Schriftsteller, allen voran Otto von Bamberg. Die Arbeit brachte wenig Neues und enthielt einige Fehler, sei jedoch wertvoll, weil sie aufzeige, wo am dringlichsten mit der „systematischen Spatenarbeit“ begonnen werden müsse.1174 Zweitgutachter Carl Engel betrachtete die Arbeit als einen „grundlegenden und vielversprechenden Baustein“ zu einer „gesamtpommerschen Frühgeschichte“ und empfahl ebenfalls die Annahme.1175 Den Probevortrag über die verschiedenen Fassungen der Pommernchronik von Thomas Kantzow absolvierte Bollnow mit Bravour. Dekan Metzner bat um die Ernennung Bollnows zum Dozenten, weil dieser nicht nur über „gediegenes Einzelwissen“ und über den Blick für die „modernen Problemstellungen“ verfüge, seine Vortragsweise verrate auch den „erfahrenen Pädagogen“. Insgesamt sei Bollnow eine „Bereicherung des Unterrichtsplanes“.1176

5.5 Der Ausbau der Kunstwissenschaft 5.5.1 Die Berufung des Kurt Wilhelm-Kästner

Er sei ein „Kulturbolschewist“ gewesen, meinten einige, andere hielten ihn für einen „bedenkenlosen Streber“ mit dem „bösen Hang zum Intrigieren“. Vor allem aber neigte Kurt Wilhelm-Kästner zu unwahren Darstellungen. Bei seiner Berufung auf den Lehrstuhl in Greifswald habe er von seinem Vorgänger Otto Schmitt nur eine Bibel, ein Messbuch und katholische Erbauungsliteratur übernommen, pflegte er in Fachkreisen zu berichten.1177 Das war falsch, denn Schmitt, ein Gelehrter von Rang, und der mit ihm gut bekannte Zeichenlehrer Adolf Kreutzfeldt, der nebenamtlich auch das Stadtmuseum in Greifswald leitete, hatten erhebliche Mittel mobilisieren können, um kunsthistorische Literatur, Drucke von Caspar David Friedrichs Werken und Original1173 Kunkel, Otto und Kurt Wilde: Wollin. Jumne – „Vineta“ – Jomsburg – Julin, 5 Jahre Grabungen auf dem Boden der wikingerzeitlichen Großsiedlung am Dievenowstrom 1934–1939/40, Stettin 1941. 1174 Vgl. UAG Phil. Habil. Nr. 28. 1175 Vgl. BA R 4901/24277, Bl. 9. 1176 Vgl. UAG K 890, Bl. 203. 1177 Vgl. Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Bd. 2: Die Kapitulation der Hohen Schulen. Das Jahr 1933 und seine Themen, S. 376.

5.5 Der Ausbau der Kunstwissenschaft

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graphiken anderer Künstler anzukaufen. Geldgeber waren die Stadt und die Provinz, denn im Etat der Universität Greifswald war das Seminar für Kunstgeschichte nicht fest verankert. Schmitt war daher lediglich persönlicher Ordinarius, mit seiner Berufung an die Technische Hochschule Stuttgart hätte das Fach wegfallen können. Das war jedoch nicht im Sinne des damals amtierenden Dekans Erich Leick, der in beharrlichen Verhandlungen mit dem Wissenschaftsministerium eine Etatisierung erreichte. Die Einzelheiten dieser mündlichen Verhandlungen sind nicht nachvollziehbar, Leick und der zuständige Leiter des Amts Wissenschaft Theodor Vahlen waren jedoch seit langem persönlich bekannt. Für die Nachfolge Schmitts konnte also 1935 eine Stelle als ordentlicher Professor ausgeschrieben werden. Der Ernennung Wilhelm-Kästners ging dann ein bemerkenswerter Kampf um den Kandidaten selbst voran. Denn Wilhelm-Kästner war explizit der Wunschkandidat des scheidenden Lehrstuhlinhabers Otto Schmitt, dessen „Frische“ und die Aufgeschlossenheit gegenüber den Kunstströmungen der Gegenwart ihn begeisterten. Folgerichtig holte Dekan Erich Leick 1935 Gutachten ein, die diese Auffassung untermauerten. Wilhelm Pinder (Berlin) hielt den Bewerber zum Beispiel für „in hohem Maße geeignet“.1178 Negative Voten nahm Leick nicht zu den Akten, zumindest sind sie heute in der Berufungsakte des Universitätsarchivs nicht nachvollziehbar. Leick ließ es dabei nicht bewenden, sondern kämpfte um Wilhelm-Kästner mit einer Vehemenz, die als taktisches Meisterwerk der Berufungspolitik gelten kann. Die Fakultät präsentierte fünf statt wie üblich drei Personen und benannte zunächst den Königsberger Dozenten Karl-Heinz Clasen. Dabei strich sie dessen Verdienste um das Nordische in der ostpreußischen Architektur derart heraus, dass das Ministerium zu dem Schluss kommen musste, dass Clasen in Königsberg am richtigen Platz war und dort bleiben sollte. Zwei andere waren völlig unpolitische Gelehrte, denen das Wissenschaftsministerium nur wenig Gestaltungskraft in der Zukunft zutrauen konnte. Sie gelangten erst nach Wilhelm-Kästner auf Lehrstühle. Ein weiterer Kandidat war als Landeskonservator der Provinz Sachsen in einer gesicherten Stellung, und es war klar, dass er nicht nach Pommern gehen würde. Wilhelm-Kästner wurde in dem Schreiben an das Ministerium als vielseitiger Gelehrter beschrieben und dessen „ausgezeichnetes Buch“ über die Elisabethkirche in Marburg hervorgehoben. Seine Schriften zur Moderne verschwieg Leick allesamt.1179 Das Ministerium hatte jedoch einen eigenen Wunschkandidaten: Victor Kurt Habicht, außerordentlicher Professor an der Technischen Hochschule Hannover. Habicht war alter Parteigenosse und hatte sich bei der Bücherverbrennung hervorge1178 Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 419. 1179 Vgl. ebd., Bl. 50.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

tan.1180 Dekan Leick bat daher den inzwischen in Stuttgart lehrenden Otto Schmitt um eine Bewertung von dessen Kompetenz. Schmitts Urteil fiel vernichtend aus. Habicht pflege eine „nur auf den eigenen Vorteil bedachte Gesinnungstüchtigkeit“, meinte er, und diffamiere deshalb je nach Zweck und Anlass andere Wissenschaftler. Ihm mangle es an exakter Methodik, was sich bei der Publikation eines Buches über die Kunst in Skandinavien bemerkbar gemacht habe. Es sei dort zu Recht heftig angegriffen worden, was Schmitt anhand von falschen Zuschreibungen und Datierungen mittelalterlicher Kunst belegte. Habicht habe auch keinen Begriff davon, was originär deutsch und was fremder Einfluss in der Kunst des Mittelalters sei – in seinen Schriften habe er sich mal so oder so positioniert. Und nicht zuletzt missfiel Schmitt Habichts erotischer Roman aus dem Jahr 1920 mit dem Titel Die letzte Lust, den er für ein „Machwerk von auch für diese Zeit überwältigender Ekelhaftigkeit“ hielt. Sowohl Idee als auch Sprache seien „gleich widerlich“. Ihm sei es schwer erklärlich, dass der Verfasser einer solchen Schrift heute noch unterrichten dürfe, und es sei ihm „völlig unvorstellbar“, dass ein solcher Mann seinen Lehrstuhl einnehmen könnte.1181 Leick wiederum spitzte Schmitts Urteil in seinem Schreiben an das Ministerium noch einmal zu. Habicht weise häufig „fremden“ Einfluss auf die deutsche Kunst nach, auch wenn dieser nicht existiere. Er thematisierte die offensichtlichen „Mängel“ von dessen Skandinavienbuch und fügte als Beleg die Übersetzung einer Rezension an. Menschlich komme Habicht ebenfalls nicht in Frage, meinte Leick und verwies auf den pornographischen Roman.1182 Informell, möglicherweise durch einen Telefonanruf, wurde Leick mitgeteilt, dass Habicht nicht berufen werde, wovon er Schmitt umgehend Bericht erstattete. Vor den „Fängen des Habichts“ sei man nun sicher, aber im Hinblick auf andere Berufungen und Wegnahmen von Professuren noch lange nicht, schrieb Leick an Schmitt. Wenn er, Schmitt, ihm einen „ruhigen Portiersposten“ in Stuttgart anbieten könne, sei er sofort bereit, sich um diesen zu bewerben.1183 Dieses euphorische Fishing for Compliments unter Kollegen erscheint in der Rückschau als Kumpanei, zeugt jedoch davon, dass auch die konservativen Professoren das Instrument des Anschwärzens recht gut beherrschten, wenn es um die Behauptung eigenen Wollens ging. Habicht gelangte nie auf einen Lehrstuhl, obwohl die Gauleitung in Hannover ihn für einen geeigneten Kandidaten hielt.1184 Im Hinblick 1180 Vgl. Mlynek, Klaus: Bücherverbrennung, in: Mlynek, Klaus und Waldemar R. Röhrbein: Stadtlexikon Hannover. Von den Anfängen bis in die Gegenwart, Hannover 2009, S. 92. 1181 Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 419, Bl. 72–79; mit dem misslungenen Buch war das schmale Bändchen über Hanseatische Malerei und Plastik in Skandinavien, Berlin 1925, gemeint. 1182 Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 419, Bl. 83–85. 1183 Vgl. ebd., Bl. 86 f. 1184 Vgl. Jung, Michael: „Voll Begeisterung schlagen unsere Herzen zum Führer“. Die Technische

5.5 Der Ausbau der Kunstwissenschaft

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auf Wilhelm-Kästner hatte sich die Fakultät nicht getäuscht, er sollte sich als beliebter Lehrer und umtriebiger Organisator erweisen. Seine wissenschaftliche Tätigkeit stellte er allerdings mit dem Augenblick der Berufung ein und delegierte sie an Subalterne. 5.5.2 Kurt Wilhelm-Kästner: Ein Lebenslauf

Geboren wurde Kurt Wilhelm-Kästner 1893 in dem inzwischen weggebaggerten Dorf Cröbern südlich von Leipzig als Sohn eines Bauern. Er besuchte das Realgymnasium in Leipzig und legte 1913 das Abitur ab. Danach begann er ein Studium der Naturwissenschaften und meldete sich im August 1914 als Kriegsfreiwilliger zu einem Gardeschützenbataillon. Während des Ersten Weltkriegs war er überwiegend an der Westfront eingesetzt, wurde verwundet, zum Offizier befördert und erhielt Auszeichnungen, unter anderem das preußische Eiserne Kreuz I. Klasse und das Ritterkreuz des Sächsischen Albrechtsordens. Nach der Demobilisierung studierte er Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie in Marburg, Berlin und wieder Marburg. 1921 promovierte er mit einer Studie über die Elisabethkirche zu Marburg zum Dr. phil.1185 Betreut wurde diese Studie von Richard Hamann, einem der einflussreichsten Ordinarien der Zwischenkriegs- und NS-Zeit. Danach war Wilhelm-Kästner Hilfsassistent am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Berlin und erhielt 1923 eine Stelle als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Museum Folkwang in Essen.1186 1924 wurde er mit der erweiterten Fassung seiner Dissertation an der Universität Münster habilitiert. Seine Antrittsvorlesung hielt er über die Landschaftsmalerei der Romantik. Diese zeitübergreifende Kenntnis des Stoffs war für ihn typisch, in Münster hielt er Vorlesungen zur Romanik und Gotik, zur altniederländischen Malerei, aber auch eine Einführung in die Museumskunde. 1927/28 vertrat er den Lehrstuhl seines Mentors Martin Wackernagel. 1931 folgte die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor. Das Museum kündigte ihm jedoch 1933 fristlos, was auch Wilhelm-Kästners akademischer Karriere schadete und Gerüchte aller Art die Runde machten. Über die Frage, wie ein 1933 am Folkwang Museum in Essen entlassener „Kulturbolschewist“ später Rektor einer nationalsozialistischen Universität hat werden können, ist mangels Quellenzugangs viel orakelt worden, obwohl die Antwort naheliegt: Wilhelm-Kästner ist niemals „Kulturbolschewist“ gewesen. Bei der Wahl seiner Themen war Hochschule Hannover und ihre Professoren im Nationalsozialismus, Kindle-Ausgabe, Norderstedt 2013, Pos. 4802. 1185 Vgl. Hamann, Richard (Hg.): Die Elisabethkirche zu Marburg und ihre künstlerische Nachfolge, Bd. 1: Wilhelm-Kästner, Kurt: Die Architektur, Leipzig 1924. 1186 Akte Kurt Wilhelm-Kästner, Museum Folkwang mit Bezug auf den Personalbogen an der Universität Münster KA M/5/229 Bd. 2.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

er flexibel. So widmete er sich der modernen Kunst, als das en vogue war. Er huldigte dem Monumentalstil in der Architektur, weil der Geldgeber für die Publikation sie gebaut hatte. Und er wurde zum Experten für Backsteingotik, weil Pommerns Gauleiter Schwede-Coburg das für geboten hielt. Vom Folkwang Museum entlassen wurde er 1933 nicht wegen seines Engagements für die moderne Kunst, sondern weil er in eine Korruptionsaffäre seiner Vorgesetzten hineingeriet. Außerdem hatte das Folkwang Museum Kunst aus „schwarzen Kassen“ angekauft.1187 Wilhelm-Kästner wies aber nach, dass er von finanziellen Unregelmäßigkeiten nichts wissen konnte und entlastete sich politisch kurzerhand durch den Erwerb des SA-Sportabzeichens und engagierte sich im NSKK.1188 Als unbesoldeter Dozent verfasste Wilhelm-Kästner mehrere Schriften für den Markt, etwa eine Schrift über die romanische Baukunst in Südfrankreich. Dabei zeigte er sich als begabter Fotograf, der zudem anschaulich zu erzählen verstand. In bestem Baedeker-Deutsch schwärmte er zum Beispiel von der „Raumschönheit“ mit „unübertroffener Wirkung“, die von den Baumeistern der Kathedrale in Angoulême „hervorgezaubert“ worden sei. Geradezu entzückt zeigte er sich von dem „großartigen Rhythmus feierlicher Ruhe und gebundener Kraft“ des Kirchenhauses.1189 Eine völkisch gebundene Geschichtsbetrachtung sucht der Leser in dieser Schrift vergebens; nicht anders in einem Ausstellungskatalog über die Einflüsse des Werkbundes. Zwar lobte er hier die „individuelle künstlerische Durchbildung“ von Gerät und Schmuck, das Handwerk und den Willen zur Gestaltung allgemein, die Worte „deutsch“ oder „national“ finden sich nicht. Die „neue, wuchtige“ Bauweise der Werkbundarchitekten stellte Wilhelm-Kästner aber besonders heraus, weil es auf die „sachliche Gestaltung des Zweckgedankens“ abziele.1190 Als Mitarbeiter des Folkwang Museums wandte er sich jetzt den neuen Medien zu, 1929 betreute er eine Ausstellung zur „Photographie der Gegenwart“. Die ausgestellten Bilder hatte Wilhelm-Kästner bewusst unter dem Blickwinkel des „neuen Sehens“ ausgewählt, der Bauhaus-Künstler László MoholyNagy hielt den Eröffnungsvortrag.1191 Die klassische, abbildende Fotografie lehnte Wilhelm-Kästner ab, weil sie die Malerei nachempfinden wolle. Für ihn war bei 1187 Da weder das Essener Folkwang Museum noch die Stadt Essen über eine Personalakte zu seiner Person verfügen, ist es nicht möglich, seinen Aufgabenbereich genauer einzugrenzen. Als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter hatte Wilhelm-Kästner am Folkwang Museum keine Befugnis anzukaufen oder zu verkaufen. Die Säuberung des Museums von moderner Kunst nach 1933 fiel also nicht in sein Aufgabengebiet. 1188 Vgl. Akte Kurt Wilhelm-Kästner im Museum Folkwang. 1189 Vgl. Wilhelm-Kästner, Kurt: Romanische Baukunst in Südfrankreich, Leipzig 1924, S. 7. 1190 Vgl. Ausstellung Essen und der Werkbundgedanke, Sonderdruck überreicht von der Stadt Essen, 1926, in: Akte Kurt Wilhelm-Kästner, Museum Folkwang. 1191 Vgl. http://www.museum-folkwang.de/de/sammlung/fotografische-sammlung/geschichte.html, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

5.5 Der Ausbau der Kunstwissenschaft

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der Auswahl der Bilder entscheidend, wie die Bildwirkung gewonnen wurde, durch Nahaufnahmen, Ausschnitte oder auch besondere, scheinbar nicht fotogene Motive. Die Ausstellung war jedoch völlig unpolitisch konzipiert. Von der Pariser Künstlerin Germaine Krull waren Amsterdamer Dächer zu sehen, nicht etwa Aufnahmen aus der Münchner Zeit, wo sie zum Beispiel 1919 das Porträt des revolutionären Ministerpräsidenten Kurt Eisner aufgenommen hatte. Der Schweizer Fotograf Hans Finsler, Lehrer an der Kunstschule Halle-Giebichenstein war mit Aufnahmen von Dingen vertreten, die danach fragten, was das Abgebildete eigentlich sei: Ein textiler Stoff erwies sich in der extremen Nahaufnahme als eindrucksvolle Struktur.1192 1929 schrieb Wilhelm-Kästner die Einleitung zu einem in der Reihe Neue Stadtbaukunst veröffentlichten Band, der die neuen Bauten der Stadt Essen in Plänen und Fotografien abbildete. Herausgegeben wurde das Buch von Ernst Bode (1878–1944), dem Beigeordneten der Stadt, der nicht nur die Stadtplanung verantwortete, sondern auch viele der abgebildeten Gebäude selbst entworfen hatte. „Ergebenst zugeeignet“ war das Buch dem Oberbürgermeister der Stadt Franz Bracht, der später im Kabinett Papen als Innenminister amtierte. Daher erstaunt es nicht, dass Wilhelm-Kästner die in stadtplanerischen Fragen „weitschauende Politik“ des Stadtoberhauptes würdigte.1193 Im Hinblick auf die Person des Herausgebers fiel die Würdigung jedoch derart unbescheiden aus, dass bei heutiger Lektüre der Eindruck entsteht, als sehe der Autor im Baumeister tatsächlich einen der großen Architekten seiner Zeit. Selbst die Bauten des Schlachthofs und des Großmarkts stünden für die „formale Gestaltungskraft“ Bodes, mit der er „die absolute Sachlichkeit ins Künstlerische“ überführe. Diese Nutzgebäude schrieben keine Architekturgeschichte, aber mehrere Bauten Bodes gelten heute als prägnante Beispiele der konservativen Moderne, die den Monumentalstil der Jahrhundertwende in die Weimarer Republik transformierte. Sie sind, wie das Baedekerhaus im Stadtzentrum und andere, inzwischen denkmalgeschützt.1194 Wilhelm-Kästner würdigte auch die Anlage neuer Friedhöfe durch Bode, die der Industriestadt zu einer Art „grüner Lunge“ verhelfen sollten. Besonders angetan war er von der in „würdiger, ruhiger Formensprache“ gestalteten Einsegnungshalle des Parkfriedhofs in Essen-Huttorp. Das „schwere Quadermauerwerk ohne jegliche ornamentale Ausgestaltung“ sei „von einer gewissen monumentalen Feierlichkeit“, lobte WilhelmKästner. Die „Strenge der architektonischen Grundform“, unterstützt durch die Symmetrie der Gesamtanlage bezeugten den „Ernst, der diesen Bauwerken innewohnt“. Die Trauerhalle steht inzwischen ebenfalls unter Denkmalschutz. Ihre Fassade, die 1192 Vgl. Sonderdruck aus einer Zeitschrift in: Akte Kurt Wilhelm-Kästner, Museum Folkwang. 1193 Vgl. Bode, Ernst (Hg.): Neue Bauten der Stadt Essen. Berlin, Leipzig, Wien 1929, S. V. 1194 Vgl. ebd., S. IX, https://gdit.essen.de/webdaten/sta61/Denkmaeler/Foto_Htm_und_pdf/AK1_ Lfd_Nr_225.pdf, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

auf spätere Entwürfe nationalsozialistischer „Totenburgen“ nur zu deutlich hinweist, ist mittlerweile von dem Efeu befreit, der sie jahrzehntelang gnädigerweise verdeckte. Ihre besondere Würdigung durch Wilhelm-Kästner belegt seine geistige Nähe zu dieser Art von Monumentalarchitektur, die auch seine Empfänglichkeit für die nationalsozialistische Ideologie nahelegt. Nicht „Scheinkultur und falsches Pathos“ dürften die heutige Generation „beseelen, sondern ehrlicher Wille zum Wahren, Guten und Schönen“. Nicht zuletzt deshalb, so Wilhelm-Kästner, „dürfen wir heute wieder an einen Stil der Zeit, unserer Zeit, glauben“.1195 Die Vermutung, dass die Vorlesungen Wilhelm-Kästners nicht so einseitig waren, legt ein völlig unpathetisches und aber reich bebildertes Büchlein nahe, in dem er 1932 die Architektur des Essener Münsters und einige seiner bedeutenden Kunstschätze beschrieb. Die Informationen bereitete er für einen breiten Leserkreis knapp und präzise auf, wobei er auch auf bestimmte ikonographische Details hinwies, die sich dem Leser nicht ohne weiteres erschlossen.1196 Für den Markt aktualisierte er eines der beliebten Buchwerke, die in farbgetreuer Wiedergabe Gemälde präsentierten, die dem breiten Geschmack eines zahlungskräftigen Publikums entsprachen, das Sammelwerk mit dem Titel Hausgalerie berühmter Gemälde. Das Buch hatte in seiner zweiten Auflage 1920 mehr als 20.000 Exemplare erreicht, der Verlag erhoffte sich 1933 einen ähnlichen Erfolg.1197 Wilhelm-Kästner passte das Werk dem Zeitgeist an. So entchristlichte er das Buch durch die Streichung mittelalterlicher Gemälde. Die Auswahl gestaltete er weniger international, indem er mehrere Franzosen und Engländer des Barock und der Romantik wegließ. Er behielt jedoch Bilder von Watteau, Constable und Turner bei. Ausgeglichen wurde das durch ein Monumentalgemälde von Eugène Delacroix und Gemälde von Edouard Manet und Gustave Courbet. Ebenso fiel der einzige vertretene Russe weg. Ilja Repins berühmtes Gemälde, Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief war nun nicht mehr vertreten. Bei der „Nationalisierung“ des Hausschatzes entfernte Wilhelm-Kästner auch ein Bild des niederländischen Genremalers Jozef Israels. Es mag sein, dass er dessen frühimpressionistischen Stil nicht schätzte, es ist aber auch denkbar, dass er den Maler tilgte, weil der in Groningen Geborene aus einer jüdi1195 Vgl. Bode, Neue Bauten, S. X. 1196 So ging er z.B. auf das „eindringlich stilisierte“ Symbol des Evangelisten Lukas auf dem sogenannten Kreuz mit den großen Senkschmelzen ein, den Stier. Außerdem erläuterte er, was auf dem Buchdeckel der Äbtissin Theophanu zu sehen war. Vgl. Wilhelm-Kästner, Kurt: Das Münster in Essen, Essen o. J. [1932], S. 44 und 48. 1197 Vgl. Jessen, Jarno: Hausgalerie berühmter Gemälde. Ausgewählte Meisterwerke der bedeutendsten Maler aller Zeiten in farbengetreuer Wiedergabe der Originale mit kunsthistorischen Erläuterungen, Berlin 1920.

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schen Familie stammte.1198 Weit größer als in der vorigen Auflage fiel die Abteilung der deutschen Renaissancemalerei aus. Hier präsentierte Wilhelm-Kästner jetzt Matthias Grünewald, Hans Baldung Grien und Hieronymus Bosch, die in der Ausgabe der zwanziger Jahre erstaunlicherweise gefehlt hatten. Von den Deutschen fügte er Johann Heinrich Tischbein und Angelika Kauffmann hinzu, außerdem Karl Spitzweg, Ludwig Richter und Wilhelm Leibl. Von den Lebenden war allein Max Liebermann mit seinen Konservenmacherinnen vertreten.1199 Das Engagement blieb im Ministerium nicht unbemerkt. Wilhelm-Kästner erhielt im Dezember 1933 einen dotierten Lehrauftrag an seiner Universität Münster.1200 Hier las er im Sommersemester 1933 „Deutsche Malerei im 16. Jahrhundert“, im Wintersemester 1933/34 über „altniederländische Malerei“. Die Korruptionsvorwürfe aus Essen holten Wilhelm-Kästner jedoch in Münster ein, und der Dekan der Philosophischen Fakultät untersagte ihm mit Beginn des Sommersemesters 1934 jede Vorlesungstätigkeit. Wilhelm-Kästner beantragte deshalb ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst, das vom Kurator der Universität Münster salomonisch entschieden wurde. Jede Beweisaufnahme sei unerheblich; weil Wilhelm-Kästner nicht verbeamtet gewesen sei, könne „unter keinen Umständen“ eine „Amtspflichtsverletzung“ angenommen werden. Trotzdem stand Wilhelm-Kästner praktisch vor dem Nichts, da er einerseits stigmatisiert und andererseits „ohne Einkünfte“ war, wie der Dekan der Philosophischen Fakultät im Juni 1935 konstatierte. Er forderte für ihn daher wieder einen dotierten Lehrauftrag. Zugleich wies der Führer des Münsteraner SAMotorsturms die Universität darauf hin, dass ihr Professor das SA-Sportabzeichen errungen habe. Im Wintersemester 1935/36 durfte Wilhelm-Kästner daher wieder eine Vorlesung anbieten und las „Einführung in die Photographische Praxis für Kunsthistoriker“.1201 Zum Sommersemester 1936 wurde Wilhelm-Kästner dann mit der Vertretung des vakanten Lehrstuhls in Greifswald betraut und zum 1. Februar 1937 zum ordentlichen Professor ernannt.1202

1198 Israels, Jozef: Josef Israels und seine Kunst, Amsterdam 1913, S. 1. 1199 Wilhelm-Kästner, Kurt: Hausgalerie berühmter Gemälde. 100 ausgewählte Meisterwerke der europäischen Malerei in farbengetreuer Wiedergabe der Originale mit einer Einführung in die Geschichte der Malerei und mit Erläuterungen, Berlin o. J. (1933), S. 311 f. 1200 Akte Kurt Wilhelm-Kästner im Folkwang Museum Essen, Bezug auf den Personalbogen an der Universität Münster KA M/5/229 Bd. 2. 1201 Akte Kurt Wilhelm-Kästner, Museum Folkwang. 1202 Vgl. Akte Kurt Wilhelm-Kästner, Museum Folkwang mit Bezug auf UA Münster Bestand 5 Nr. 229 Bd. 1.

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In der Provinzialverwaltung bzw. der NSDAP-Gauleitung fand Wilhelm-Kästner sehr rasch Ansprechpartner, die er von der Notwendigkeit „nordischer Themen“ bzw. der Blut-und-Boden-geprägten Heimatforschung überzeugen konnte. Dabei war diese Forschung lediglich eine Neuinterpretation des erreichten Kenntnisstands, erwies sich aber offenbar als nützlich.1203 Mit professoraler Autorität und enormem Pathos trug er in seinen für die Provinzialverwaltung angefertigten Schriften vor, dass im „Bauerntum“ das „Urvätererbe“ noch lebe und sichtbar sei; zum Beispiel bei den altsächsischen Bauernhäusern in Tantow, deren „völkischer Stammescharakter“ sich in den Bauten manifestiere. „Mit unerschütterlicher Zähigkeit“ hätten die „Ahnen“ an ihrer bodenständigen Bauweise festgehalten. Daran zeige sich, so Wilhelm-Kästner 1937, „der Adel des Bauerntums“. Der „Pflege“ solcher Bauten aus der „Zeit der deutschen Wiedereroberung“ müsse eine Politik verpflichtet sein, die sich der „Pflege und Achtung dieses Erbgutes“ bewusst verschrieben habe. Die ideologisch nutzbaren Begriffe „niederdeutsch“, „mitteldeutsch“ und „altsächsisch“ taten ihr Übriges. Seine Assistentin Leni Telger würdigte analog die Restaurierung des Rathauses in Grimmen und betonte dessen deutschen „Charakter“, indem sie dessen Architektur als Gestaltungswillen der niedersächsischen und westfälischen „Siedler“ interpretierte.1204 Auf diese Art gewann Wilhelm-Kästner das Vertrauen der Gauleitung, die auch dessen Berufung zum Rektor 1938 unterstützte. Für sein Institut konnte er Geldmittel akquirieren, zum Beispiel für eine Druckerpresse. 1941 hatte der Ausbau des, nun so genannten, Caspar-David-Friedrich-Instituts eine Stufe erreicht, mit der sich Wilhelm-Kästner zufrieden zeigte. Neben dem Atelierraum gab es eine graphische Werkstatt, in der eine große und eine kleine Presse für Kupfertiefdruck standen. Außerdem verfügte das Institut über eine Ständerdruckpresse und alle Einrichtungen für den Hochdruck. Er stellte daher beim Ministerium den Antrag, das Caspar-David-Friedrich-Institut in ein Institut für Bildende und Angewandte Kunst umzuwandeln, wobei er betonte, dass alle Kurse in den Bildenden Künsten immer mehr als fünfzehn Teilnehmer hätten. Wilhelm-Kästners wichtigster Protagonist war dabei der Zeichenlehrer Barz, dessen Talent unbestritten war (nach 1945 lehrte er als Professor in Nordrhein-Westfalen). Der Antrag wurde allerdings am 4. Juli, wenige Tage nach dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion, abgelehnt.1205

1203 Vgl. LA Greifswald, Rep. 54, Nr. 551, Bl. 78 ff. 1204 Vgl. ebd., S. 81 ff. 1205 Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 481.

5.5 Der Ausbau der Kunstwissenschaft

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5.5.3 Zwei Deutungen über Caspar David Friedrich

Den 100. Todestag des Malers Caspar David Friedrich (1774–1840) nahm Kurt Wilhelm-Kästner zum Anlass, ein Jubiläumsbuch zu verfassen. Er widmete es jenen, die jetzt im „Entscheidungskampf des deutschen Volkes unter Waffen stehen“. Da Wilhelm-Kästner 1939 eingezogen wurde, konnte er es nicht selbst zu Ende schreiben und ließ es von seinen Mitarbeitern fertig stellen.1206 Das Exemplar in der Universitätsbibliothek enthält zahlreiche Bleistiftkorrekturen. So merkte der offensichtlich sachkundige Leser an, dass es sich nicht um die Wissower Klinken, sondern um den Kreidefelsen Stubbenkammer handelte. Außerdem korrigierte er mehrere Daten.1207 Interessant sind in der Rückschau jedoch nicht die Flüchtigkeitsfehler, sondern der Friedrich, den Kästner und seine Mitarbeiter den Lesern präsentierten. Es war ein stark vereinfachter Friedrich: der Romantik entrissen, entchristlicht und von germanischer Mythologie geprägt. Nach einer kurzen biographischen Skizze gingen die Autoren in Einzelkapiteln auf Friedrichs Verhältnis zu seiner Heimat ein, weil sich sein „Hingezogensein“ nicht nur auf „eine Bindung blutsmäßiger Art zur Sippe“ reduzieren lasse, es erstrecke sich vielmehr auf „seine Heimatlandschaft“. Denn der Pommer an sich, „wie der germanische Mensch überhaupt“, sei in hohem Maße naturverbunden und heimatbegeistert.1208 Um diese Plattheit wissenschaftlich zu untermauern, erörterten die Kunsthistoriker verschiedene Bezüge und verstiegen sich dabei zu unhaltbaren Spekulationen. Besonders auffällig zeigt sich diese Arbeitsweise bei den Mutmaßungen über Friedrichs Hünengräberbildnisse aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts. Ausgangspunkt sei, so vermutete Wilhelm-Kästner nicht einmal falsch, eine Krankheit gewesen, die sich Friedrich 1806 „durch Ärger über die Vaterländischen Angelegenheiten zugezogen“ habe. Friedrich habe dann Trost und Aufrichtung in seiner norddeutschen Heimat gesucht. „In dieser Zeit tiefer Erniedrigung und Ohnmacht des deutschen Volkes“ mussten ihm, so Wilhelm-Kästner weiter, „die ehrwürdigen Zeugen germanischer Totenehre und heidnischer Haltung von neuem bedeutsam werden“.1209 Angesichts dessen, dass bereits der Mecklenburger Altertumsforscher Georg Christian Friedrich Lisch in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Gräber eindeutig in die Steinzeit datiert hatte und sich diese Gräberform auch in später galli-

1206 Wilhelm-Kästner, Kurt, Ludwig Rohling und Karl Friedrich Degner: Caspar David Friedrich und seine Heimat, Greifswald 1940, S. 7. 1207 Vgl. ebd., , S. 51, 54. 1208 Vgl. ebd., , S. 15. 1209 Vgl. ebd., S. 58.

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schen und keltischen Gebieten befindet, war dies eine gewagte Behauptung.1210 Mehr noch, sie unterstellten Friedrich dann, die Gräber seien ihm „wie ein Sinnbild für die unzerstörbare Festigkeit germanischen Volkscharakters“ erschienen. Jetzt beschwöre er diesen Volkscharakter für die „Kräfte der Erneuerung“ heraus. Einen Beleg dafür führten sie nicht an, wie auch, war doch von einer „nationalen“ Erneuerung 1806 nicht die Rede gewesen. Selbst Ernst Moritz Arndt hatte im November 1806 nur „Ekel“ und zahlreiche „Tränen“ über die Zeiten zu Papier gebracht.1211 In den Sepiazeichnungen erkannten die Kunsthistoriker „ins Monumentale gesteigerte Größe und Wucht“, die tatsächlich dem „heroischen Geist dieser Frühzeit“ entspreche. So habe vor Friedrich niemand das „ewige Germanien“ im Bild sichtbar werden lassen. Die Gräber seien „keine romantische Staffage“ und schon gar keine „sentimentale Anempfindung, sondern unmittelbares Erlebnis germanischen Ewigkeitsdenkens“. Gerade die Einheit von Natur und künstlichem Denkmal lasse die Eigenart des germanischen Wesens aufleuchten, das die Natur als heilig empfinde und daher seine Denkmäler so gestalte, dass sie der Natur verwachsen blieben. Noch eindeutiger interpretierten Wilhelm-Kästner und seine Mitarbeiter das Hünengrab im Schnee (1807). Auch hier spiegle das Grab selbst die heroische Gesinnung der Deutschen wider, welche „ungebeugt und trotzig wie die Eichen im Bilde die strenge fremder Willkürherrschaft überdauern“. Auch andere Bilder wurden auf eine eindeutige Aussage reduziert. Aufgewühlte Meereslandschaften standen danach für „die Sturmzeichen des neuen Völkerringens“,1212 das Eismeer von 1823/24 hingegen fehlt. Die erstarrte Hoffnung hatte keinen Platz in dem 1940 erschienenen Buch. Ebenfalls unbetrachtet bleibt Friedrichs Beziehung zur Religion, selbst das Kapitel über die von Friedrich häufig gemalte Klosterruine Eldena erwähnt nicht, dass der Maler ein eher melancholisches Verhältnis zum christlichen Glauben hatte.1213 Auch im Abbildungsteil fehlen sämtliche christlichen Bezüge. So wurden dem Leser das Kreuz im Wald und das Kreuz an der Ostsee (beide 1813) ebenso vorenthalten wie der von freimaurerischer Symbolik geprägte Tetschener Altar 1210 Der Vorgeschichtler Wilhelm Petzsch datierte die Entstehung der Germanen großzügig an das Ende der von Großsteingräbern geprägten Epoche (Jungsteinzeit ca. 1500 v. Chr.). Dass Friedrich sie mit den Germanen in Verbindung brachte, ist mehr als unwahrscheinlich, zumal der Begriff im 19. Jahrhundert auf die Stämme der jenseits des Limes beschränkt und mit der frühen römischen Kaiserzeit umrissen war. Vgl. Petzsch, Wilhelm: Rügens Hünengräber und die ältesten Kulturen der Insel, Bergen 1938, S. 35 f.; Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm online, Stichwort Germane, http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB& mode=Vernetzung&lemid=GG09122#XGG09122, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 1211 Arndt, Ernst Moritz: Geist der Zeit, o. O. 1806 (zitiert nach der 2. Auflage 1807), S. 2 und 4. 1212 Vgl. Wilhelm-Kästner u. a., Friedrich, S. 58. 1213 Vgl. ebd., S. 44 ff.

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(1808).1214 Auch der Nachfolger Wilhelm-Kästners auf dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte hatte ein Buch über Caspar David Friedrich verfasst. Es erschien 1938, war opulent bebildert und enthält Wertungen, die erklären, warum von Einem erst 1944 einen Lehrstuhl erhielt.1215 Der 1905 in Lothringen geborene Enkel eines preußischen Kriegsministers hatte wenig von der „soldatischen Tradition“ seiner Familie bewahrt, wie der Leiter der Dozentenakademie 1937 konstatierte. Im Wesen sei von Einem „unsoldatisch“, was aber wohl „dem weichen Element der Einfühlung“ geschuldet sei, das man bei Kunsthistorikern öfter finde. Er gehöre wohl sehr stark zur „künstlerischen Zunft“, was sich auch in einer „dogmatischen Rechthaberei“ zeige. Von der Bewegung des Jahres 1933 sei von Einem „persönlich innerlich nicht berührt worden“, aber immerhin merke man ihm an, dass er mit „der neuen völkisch gesehenen und völkisch fruchtbar gemachten Kunstbetrachtung“ ringe. Er könne „nicht behaupten“, dass von Einem den Kunstbestrebungen des Nationalsozialismus „nicht mit Wohlwollen“ gegenübertrete, meinte der Gutachter. Auch am Kameradschaftsleben der Akademie habe von Einem teilgenommen, aber der Beurteilte habe „doch nicht ganz verbergen“ können, „dass er sich hier in einer fremden Welt“ fühle. „Formal“ sei von Einem zum Hochschullehrer geeignet, sein Vortrag immerhin „gewählt oratorisch und schwungvoll“.1216 Eine weitere Beurteilung aus dem Dozentenlager in Tännich fiel ähnlich aus. Weltanschaulich „undurchsichtig“ und nur „mäßig interessiert“ sei der Kandidat. Zu politischer Leidenschaft fehle es ihm an Stoßkraft und harter Entschlussfähigkeit. Auch körperlich seien die Leistungen nur „befriedigend“ bis „knapp durchschnittlich“ gewesen, in seinem Wesen sei er „weich“. Auch die weiteren Sätze der Beurteilung waren als Lob getarnte Abneigung. Bei von Einem handle es sich um einen „fein kultivierten Charakter von sicherem Selbstbewusstsein“ mit einer gewissen „aristokratischen Note“. In seiner Gesinnung zeigten sich zwar „Anstand und nationale Ausrichtung“, aber „Dinge wie Sozialismus und Gemeinschaftssinn“ seien ihm „weniger geläufig“.1217 Mit dieser Einschätzung lagen die nationalsozialistischen Gutachter nicht falsch. Von Einem hatte sich ohne finanziellen Druck, sondern aus Neigung der Kunstgeschichte zugewandt. Seine Ehefrau war die Tochter des Duisburger Oberbürgermeisters und demokratischen Präsidentschaftskandidaten Karl Jarres.1218 Als Mentor führte ihn Wilhelm Waetzoldt zur Habilitation, ehemals Generaldirektor der Staatlichen 1214 Vgl. Vitali, Christoph und Hubertus Gaßner: Einführung in die Ausstellung in München, in: Ernste Spiele. Der Geist der Romantik in der deutschen Kunst 1790–1990, Berlin 1995. 1215 Vgl. von Einem, Herbert: Caspar David Friedrich, Berlin o. J. [1938]. 1216 Vgl. BA BDC DS/Wiss. B 28. 1217 Vgl. ebd. 1218 Vgl. BA R 4901/13262 Karteikarte von Einem.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

Museen zu Berlin, der seines Amtes enthoben wurde, weil er Juden angestellt und die moderne Kunst gefördert hatte.1219 Wie Waetzoldt trat von Einem einer Parteigliederung bei, Waetzoldt entschied sich für das Kraftfahrerkorps, von Einem für die Volkswohlfahrt, in der er einen Sinn erkannte und wo er sich an Straßensammlungen bereitwillig beteiligte.1220 An seinem „Einsatzwillen für den Nationalsozialismus und den nationalsozialistischen Staat“ bestehe für ihn „auf Grund zahlreicher Beobachtungen kein Zweifel“, urteilte der Rektor der Universität Göttingen 1938.1221 1943, anlässlich der Ernennung von Einems zum außerplanmäßigen Professor, gab der Göttinger Rektor noch einmal ein positives Urteil ab. Von Einem sei ein „gediegener Wissenschaftler“ und habe als Hochschullehrer „allgemein anerkannten Erfolg“. Weil er ein guter Redner sei, habe ihn die Universität auch „außerhalb“ mit guter Wirkung einsetzen können.1222 Die Berufungszusagen lagen auf der Höhe seines Vorgängers: eine technische Hilfskraft, 5000 Mark zum Ausbau von Bibliothek und Fotosammlung und noch einmal 5000 Mark für den Ausbau des Caspar-David-FriedrichArchivs.1223 Mit seinem Buch über Caspar David Friedrich stellte sich von Einem ideologisch allerdings bewusst gegen den Trend einer Zeit, die Geniekult zelebrierte und in der nach der „Rassenseele“ des Individuums (so Alfred Rosenberg) gesucht wurde. Ganz traditionell beschrieb von Einem die historische Situation und verortete die Person des Malers in seinem persönlichen Netzwerk. Friedrich war bekannt mit dem Philosophen und Historiker Friedrich Schlegel, von Einem ging dieser Spur nach. Außerdem betonte er den Einfluss von Friedrichs pommerschem Malerkollegen Philipp Otto Runge auf dessen Werk. Die beiden hätten sich aneinander gerieben, meinte von Einem, ja mehr noch, Friedrich habe seine Landschaftsbilder als Gegenentwurf zu Runge konzipiert. Anders als jener habe Friedrich der Natur die Rolle zugewiesen, „Träger des religiösen Ausdrucks zu sein“.1224 Folgerichtig beschrieb von Einem ausführlich die ästhetische Debatte, die der wahrscheinlich 1807 entstandene Tetschener Altar ausgelöst hatte. Friedrich hatte das Gemälde in einem abgedunkelten Raum vorgestellt, das Publikum war zutiefst ergriffen. Die zeitgenössische Kunstkritik verwarf das Bild allerdings, weil Religiöses eben nicht durch Natur, sondern nur durch Figürliches dargestellt werden dürfe.1225 Um nicht selbst Stellung zu beziehen, griff 1219 Vgl. UAH PA 16543 Waetzoldt, DBE 10, S. 273. 1220 Vgl. UAG PA 215 von Einem; BA R 4901/13262. 1221 Vgl. UAG PA 215 von Einem, Bd. 3, Bl. 13. 1222 Vgl. ebd., Bl. 51. 1223 Vgl. ebd., Bl. 20. 1224 Vgl. von Einem, Friedrich, S. 22. 1225 Vgl. ebd., S. 37 und 83.

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von Einem zum Zitat. Dass Friedrich zutiefst religiös empfand, zeige sich daran, dass er „Gräber, Kruzifixe und heilige Bilder“ stets „auf überraschende Art“ in seine „herrlichen Landschaften“ verwebe.1226 Von Einem betonte auch, dass christliche Motive alle Schaffensphasen des Künstlers durchzogen. So zitierte er Friedrich, der selbst erläutert hatte, dass ihm die sinkende Sonne mit einer alten Welt identisch scheine, die mit Jesu Lehre gestorben sei. Das christliche Kreuz stehe aber so „unerschütterlich fest wie unser Glaube“.1227 Im Schlusskapitel des Buches betonte von Einem noch einmal, dass Friedrich nur als christlich-religiöser Mensch erkannt werden könne. Es sei durchaus ein individuelles Empfinden, aber, so von Einem: „Ähnlich wie Runges ­Visionen, so ist auch Friedrichs Naturansicht noch ganz durch das Erlebnis des Christlichen bestimmt.“ Es seien christliche Erfahrungen, die der Künstler „außerhalb der traditionellen christlichen Gedankenwelt“ gesucht habe.1228 Von Einem betonte noch weitere Aspekte, die kunsthistorisch korrekt waren, aber nicht in die nationalsozialistische Gedankenwelt passten. So erwähnte er fast beiläufig, dass Friedrich bei seiner Ausbildung in Kopenhagen in internationaler Barockmalerei geschult worden war.1229 Im Buch interpretierte er auch die zahlreichen Grabesbilder, bei denen die Zeitgenossen erschaudert waren, weil sie so „hoffnungsleer“ seien. „Man friert, wenn man es betrachtet, und glaubt den Schnee unter den Füßen knistern zu hören“, zitierte von Einem einen Kritiker Friedrichs.1230 1940 hatte sein Vorgänger Wilhelm-Kästner auf jegliche Bezüge zu Gräbern verzichtet, offenbar aus aktuellem Anlass. Von Einems Buch war dabei keineswegs bewusst als Gegenentwurf zu nationalsozialistischen Deutungen gedacht. Auch er betonte, dass die Jahre der französischen Fremdherrschaft „schwer“ auf dem vaterländisch empfindenden Künstler gelastet hätten.1231 So zeigte von Einem das Bild, in dem Friedrich einen französischen Chasseur (Gendarmen bzw. Jäger) malte, der verloren im deutschen Wald keinen Weg wusste.1232 Er vermied auch den Affront, Friedrichs spezifische Religiosität mit dessen Zugehörigkeit zu den Freimaurern zu erklären. Auf der Farbtafel, die in seinem Buch den Tetschener Altar zeigt (Das Kreuz im Gebirge), verzichtete von Einem auf die Wiedergabe des Rahmens. Diesen hatte der Tischler nach den Vorgaben des Künstlers gefertigt. Die geschnitzte Predella zeigt das Allsehende Auge, die Säulen links und 1226 Vgl. ebd., S. 46. 1227 Von Einem zitierte hier Friedrichs Bekenntnisse. 1228 Vgl. ebd., S. 106. 1229 Vgl. ebd., S. 27. 1230 Vgl. ebd., S. 59. 1231 Vgl. ebd., S. 30. 1232 Vgl. ebd., S. 62.

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rechts entsprechen den Säulen des Tempels Salomo (Boaz und Jachin). Ob von Einem diese Symbolik bewusst verschwieg oder ob sie ihm nicht bekannt war, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Denn in der Schwarz-weiß-Abbildung zeigte er das Bild mit Rahmen.1233 Insgesamt aber war es ein Buch, das wissenschaftlichen Standards genügte und Bezüge zur Gegenwart vorsätzlich vermied.

5.6 Nordische Kulturarbeit und die Akkumulation von Expertenwissen

Die Nordeuropainstitute der Universität Greifswald waren ein Kind des Ersten Weltkriegs. Auf Anregung des späteren preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker stellte der preußische Staat ab 1917 Mittel zur Verfügung, um an zahlreichen Universitäten Einrichtungen zu schaffen, die Kenntnisse über bestimmte Länder zusammentragen sollten, um bei den Studierenden „staatspolitisches Verstehen der Gegenwart und der großen weltpolitischen Zusammenhänge zu vermitteln“. Der Universität Greifswald fiel die „Pflege des nordischen Kulturkreises“ zu.1234 Dabei sollte es sich ausdrücklich nicht um die Vermittlung von Fachkenntnissen für eine kleine Zahl von Spezialisten handeln. Das Greifswalder Institut war dementsprechend interdisziplinär angelegt, in seinem über die Jahre mehrfach wechselnden Vorstand waren Ordinarien für Volkswirtschaft ebenso vertreten wie die für Geographie, Rechts- oder Sprachwissenschaften. Die Universität richtete ein Lesezimmer für Zeitungen und Zeitschriften Skandinaviens ein und begann mit dem Aufbau von Bibliotheken. Außerdem wurde alles gesammelt, was die nordischen Länder betraf, Informationen über Wirtschaft und Kultur ebenso wie Artefakte der Volkskunde oder geologische Proben. Verbunden mit der Institutsgründung war die Einrichtung von Lektoraten, denn so Leopold Magon, der langjährige Direktor der Institute: „Wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Norden ohne Sprachkenntnisse bleibt Stückwerk“.1235 Die Institute sollten in erster Linie jedoch den kulturellen Austausch des im Ersten Weltkrieg zunehmend isolierten Deutschen Reiches fördern, weshalb bereits 1918 schwedische Gelehrte die ersten Vorträge in Greifswald hielten. Die Greifswalder Professoren lasen „Recht der skandinavischen Staaten“, „Wirtschaftskrieg unter Berücksichtigung der Verhältnisse zu Skandinavien“ und „Landesbeschreibung Schwedens“. Außerdem wurden Dänisch und Schwedisch unterrichtet sowie eine 1233 Vgl. ebd., Tafel nach S. 28. 1234 Vgl. Magon, Leopold: Die Forschungsaufgaben der Nordeuropa-Institute. Sonderdruck aus: Brauer, Ludolf u. a. (Hg.): Forschungsinstitute, ihre Geschichte, Organisation und Ziele, Hamburg o. J. [1930 abgeschlossen], S. 1. 1235 Ebd., S. 4.

5.6 Nordische Kulturarbeit und die Akkumulation von Expertenwissen

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Einführung in die Edda gegeben.1236 Aus pragmatischen Gründen wurde das Nordische Institut unmittelbar nach dem Krieg in vier Abteilungen gegliedert, jeweils für die Länder Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland. Rivalitäten führten zur Ausgründung eines eigenständigen Instituts für Finnlandkunde, das eng mit der Person von Gustav Braun, dem ordentlichen Professor für Geographie verbunden war.1237 Direktor des verbliebenen Nordischen Instituts wurde 1928 der Germanist Leopold Magon, der sich den Historiker Johannes Paul als Assistenten wählte. Paul war Sohn eines vermögenden Reichsgerichtsrats, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Studienreisen nach Großbritannien und Schweden unternommen hatte. Ab 1917 war er Adjutant des deutschen Militärattachés an der Botschaft in Stockholm, in der Inflationszeit arbeitete er in Schweden als Lehrer und heiratete dort.1238 Der ehrgeizige Paul begann sofort mit der Herausgabe eines Deutsch-Schwedischen Nachrichtendienstes in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft zum Studium Schwedens, die Verbindung wurde jedoch 1929 gelöst.1239 Außerdem entstand eine Schriftenreihe unter dem Titel Nordische Studien, in der Dissertationen veröffentlicht wurden. Bis 1939 wuchs die Reihe auf 21 Bände an. Der letzte war eine Dissertation einer schwedischen Autorin über den Literaturnobelpreisträger Verner von Heidenstam.1240 Das Institut für Finnlandkunde publizierte unregelmäßig.1241 Außerdem arbeiteten die Institute an einer Nordischen Bibliographie, die alles erdenkliche Schrifttum über die skandinavischen Länder versammelte. Eine Spezialbibliographie zur Volkskunde wurde zwischen 1934 und 1936 von dem Geograph Joachim Blüthgen erstellt, wobei er den Inhalt der einzelnen Aufsätze exzerpierte und wertvolles Quellenmaterial, also Bilder, Karten und originale Texte besonders hervorhob. Gegliedert war die Bibliographie nach Vorgaben des Volkskundlers Karl Kaiser, der folgende Themen vorgab: 1. Allgemeine Volkskunde (auch Lebensbedingungen), 2. Namenskunde, 3. Handwerkliches (auch Fischerei und Jagd), 4. Sprachliches (auch Mundart und Berufssprache), 5. Kirche, 6. Volksspiele und Volkstänze, Volksbelustigung, 7. Geräte, Volkskunst, Heimarbeit, 8. Sitten und Gebräuche, 9. Volksglaube (auch Aberglaube und Phantasiegestalten), 10. Landwirtschaft, 11. Volkserzählung und dichtung, 12. Organisatorisches (Vereinswesen, Museen, Volkskundler Skandi1236 GStA PK I. HA Rep. 76 Va, Sekt. 7 Tit. X Nr. 58, Bl. 54. 1237 Vgl. Braun, Gustav: Das Institut für Finnlandkunde der Universität Greifswald, Greifswald 1922, S. 12. 1238 Vgl. UAG PA 248 Paul; UAG PA 241 Magon; ausführlich Nase, Johannes Paul. 1239 Vgl. Magon, Forschungsaufgaben, S. 6. 1240 Vgl. Carlberg, Marianne: Heimat und Nation in der Dichtung Verner von Heidenstams, Greifswald 1939, Nordische Studien Bd. 21, zugl. phil. Diss., Hamburg. 1241 Vgl. Magon, Forschungsaufgaben, S. 11.

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naviens), 13. Zeitschriften. Ziel war eine qualitative Verbesserung der deutschen Forschung über die nordischen Länder, die nach Einschätzung Leopold Magons deutliche Defizite aufwies.1242 Mit der Aktivierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Verbesserung der nordischen Bibliographie nutzte Magon einen allgemeinen Trend. In der NSDAP wurde der „nordischen Rasse“ eine außerordentliche Prägekraft für alle Kulturen zugeschrieben, die jemals mit ihr in Berührung gekommen waren.1243 Obwohl die vom Reichsleiter Alfred Rosenberg behaupteten Wirkungen wissenschaftlich nicht erwiesen waren, öffneten sie allem, was sich „nordisch“ gab, die Wege zu den verschiedensten Geldströmen. 5.6.1 Die Akkumulation von Kompetenz

Obwohl Leopold Magon und sein einstiger Assistent Johannes Paul heillos zerstritten waren und jede gedeihliche Zusammenarbeit sabotierten, kam es doch zu einer beachtlichen Anhäufung wissenschaftlicher Kompetenz. Die Rivalität der beiden gipfelte Anfang des Jahres 1933, als Paul gemeinsam mit seinen Studenten Magon angriff, weil dieser den Sozialisten Stellan Arvidson angestellt hatte. Der vom Ministerium angeordnete Kompromiss sah im Mai dann so aus, dass das Nordische Institut in vier bzw. fünf Institute geteilt wurde, je eines für jedes Land Skandinaviens. Direktor des Schwedischen Instituts wurde Johannes Paul, Gustav Brauns Assistent Hans Grellmann leitete das Institut für Finnlandkunde. Magon blieb die Zuständigkeit für Dänemark, Norwegen und Island. Später gab er die Leitung des Norwegischen Instituts an den nach Greifswald versetzten Historiker Ulrich Noack ab. Zumindest das Schwedische Institut entwickelte sich rasch im Sinne des ursprünglich gesetzten kulturpolitischen Ziels. Paul knüpfte in Schweden ein dichtes Netz von Kontakten und animierte mehrere Wissenschaftler, Vorträge in Greifswald zu halten. Von schwedischen Gönnern erhielt er darüber hinaus Buchspenden.1244 Der Etat der „nordischen“ Institute wurde jedoch nicht erhöht, ihre Kernkompetenz blieb die Vermittlung von Sprachkenntnissen. Es konnten daher auch nur wenige Nachwuchswissenschaftler gewonnen werden. Zu ihnen gehörte der Philologe und Assistent am Schwedischen Institut Otto Fingerhut. In seiner Dissertation untersuchte er die Heldenerzählung des dänischen Königssohnes Olger, den es als Geisel an den Hof Karls des Großen verschlägt, wo er zum erbitterten Gegner Karls wird. Später führt der große Krieger mehrere Feldzüge gegen die Heiden und wird von einer Fee nach Avalon gebracht, wo er die Freund1242 Vgl. BA R 73/10349. 1243 Vgl. Kroll, Utopie, S. 126. 1244 Vgl. Nase, Johannes Paul, S. 73 ff.

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schaft von Artus erringt und für ihn im Turnier in die Schranken tritt. Erlöst wird Olger schließlich nach 200 Jahren durch eine Jungfrau in weißen Kleidern, die ihn in den Himmel entrückt.1245 Fingerhut analysierte vor allem verschiedene Textstellen und ordnete sie bestimmten Großerzählungen zu. In der Summe erschien ihm die Olger-Chronik als kraftvolles Volksbuch mit lebendiger Zeichnung der Personen, geprägt von katholischer Religiosität und einem polemischen lutherischen Anhang, was bei der Entstehungszeit zwischen 1515 und 1534 nicht verwundert.1246 In Fingerhuts Dissertation fehlt jeder zeitgenössische Bezug, obwohl er sich angeboten hätte, etwa bei der Darstellung des Verhältnisses des dänischen Kriegers zu seinen sarazenischen Widersachern. 1937 wechselte Fingerhut in die Forschungsabteilung des Reichsluftfahrtministeriums, in der auch die Spionageaktivitäten der Luftwaffe gebündelt waren.1247 Fingerhut verfasste gemeinsam mit dem Lektor für Isländisch Eiður Kvaran ein Lehrbuch der modernen isländischen Sprache, das, so Leopold Magon, „eine fühlbare Lücke“ schließe.1248 Kvaran verfasste auch eine der wenigen Dissertationen mit nordischem Bezug, die eindeutig ideologische Inhalte trugen. Der Sohn eines Arztes und Politikers hatte sich bereits als Schüler für genealogische Forschungen interessiert und ging nach dem Abitur, das er in Reykjavík ablegte, nach München, wo er Geschichte, Anthropologie und Rassenhygiene studierte. Hier erlebte er auch die nationalsozialistische Machtergreifung, was ihn dazu anregte, gemeinsam mit anderen Aktivisten eine nationalsozialistische Bewegung für Island zu bilden. Kvaran übernahm die Schriftleitung einer NS-Zeitschrift (Islands Wiederaufrichtung), der allerdings keine große Verbreitung beschieden war.1249 Im April 1934 erhielt Kvaran in Greifswald eine Stelle als Lektor für Isländisch, das Lektorat war für ihn geschaffen worden. Nachgefragt waren sowohl seine Kurse für die moderne isländische Sprache als auch für Altisländisch, weil viele der nordischen Epen in Altisländisch überliefert sind. Ursprünglich hatte Kvaran eine anthropologische Dissertation schreiben wollen, wofür ihm zunächst jedoch die Mittel fehlten. Kvaran verfasste dann eine Dissertation über Sippengefühl und Sippenpflege im alten Island im Lichte erbbiologischer Betrachtungsweise. Publiziert wurde sie im ein1245 Vgl. Fingerhut, Otto: „Kong Olger Danskís Krønicke“ und ihr Verhältnis zur deutschen Übersetzung „Denmarckische Historien“ von Conrad Egenberger von Wertheim, Greifswald 1935, S. 7–10. 1246 Ebd., S. 79 f. 1247 Vgl. Nase, Johannes Paul, S. 96. 1248 Vgl. UAG K 633, Bl. 17. 1249 Die Zeitschrift ist im Katalog der isländischen Nationalbibliothek nicht nachgewiesen. Vgl. Lebenslauf Kvaran, in: UAG K 633, Bl. 3 f.

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flussreichen Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, der wichtigsten Fachzeitschrift für Rassenhygiene.1250 Kvaran wertete in seiner Schrift isländische Sagas mit dem Erkenntnisinteresse aus, welches Zeugnis sie von Ehe und Familie ablegten, und prüfte, inwieweit sie die nationalsozialistische Rassengesetzgebung vorwegnahmen. Dabei ging er davon aus, dass die isländischen Sagas ohne weiteres auf alle germanischen Völker zu übertragen seien.1251 Körperliche Merkmale seien für die alten Isländer von herausragender Bedeutung gewesen, stellte Kvaran zunächst fest. Denn der Charakter eines Menschen schlage sich auch in seinem Aussehen nieder, schienen sie zu glauben, ebenso wie an die Erblichkeit bestimmter Anlagen. So sei etwa Treulosigkeit und Verräterei in bestimmten Sippen erblich, während auch edle Erbanlagen sich selbst in widriger Umgebung immer wieder durchsetzten.1252 Mit „Sklavenblut“ hätten die Isländer „Feigheit und Mangel an Ehrgefühl“ verbunden.1253 In einem zweiten Abschnitt erläuterte Kvaran die Behandlung der Ehe durch die Isländer, die bei der Gattenwahl die ganze Sippe beteiligt hatten. Ihrer Meinung nach sei der einzelne Mensch nur „ein Glied in einer großen Kette“. Das belege „generatives“ Denken, dem Vorzug vor „individualistischen“ Gedanken gegeben worden sei.1254 Das Mannesideal der Frau sei auf tapfere und wagemutige Ehepartner ausgerichtet gewesen. Darüber hinaus hätten die Sippen darauf geachtet, ihr ausschließlich „leistungsfähiges und bewährtes Blut durch die Einheiratenden zuzuführen“. Sklaven, Berserker und „Minderwertige“ seien demnach von der Heirat ausgeschlossen worden. Es habe sogar ein Recht zur Entmannung von Landstreichern und Bettlern gegeben.1255 Damit schloss Kvaran den Kreis zur damals aktuellen eugenischen Gesetzgebung, auf die er ausdrücklich Bezug nahm. Am Schluss seiner Dissertation ging Kvaran auf den „Verfall des Sippengefühls und der Sippenpflege“ ein, für den er das einströmende Christentum verantwortlich machte. „Zersetzend“ habe auch die Aufhebung der Sklaverei 1250 Vgl. Weindling, Paul: The Medical Publisher Julius Friedrich Lehmann and the Racialising of German Medicine, 1890–1945, in: Stöckel, Sigrid: Die „rechte Nation und ihr Verleger. Politik und Popularisierung im J. F. Lehmanns Verlag 1890–1979, Berlin 2002, S. 162 ff. 1251 Vgl. Kvaran, Eidur S.: Sippengefühl und Sippenpflege im alten Island im Lichte erbbiologischer Betrachtungsweise (I), in: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 30, Heft 2, 1936, S. 97. 1252 Als Beispiel führte Kvaran die irische Königstochter Melkorka an, die auch Walter Darré zu einem Absatz in seinem Buch über das Bauerntum inspiriert hatte. Vgl. ebd., S. 110–114; Darré, R. Walther: Das Bauerntum als Lebensquelle der Nordischen Rasse, München, Berlin 1942, S. 412. 1253 Vgl. Kvaran, Sippengefühl (I), S. 119 ff. 1254 Vgl. Kvaran, Eidur S.: Sippengefühl und Sippenpflege im alten Island erbbiologischer Betrachtungsweise (II), in: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 30, Heft 3, 1936, S. 208. 1255 Vgl. ebd., S. 212–224.

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gewirkt, aber, so Kvaran, die Freigelassenen seien nicht automatisch in die alten freien Familien aufgenommen worden.1256 Belegt wurde diese Behauptung nicht. Auch die präsentierten Belegstellen der Familiensagas erscheinen nicht für jede vorgetragene These eindeutig. Die Saga von der schönen Königstochter Esa, die sich zwischen zwei Bewerbern entscheiden muss, war Kvarans stärkstes Argument für das weibliche Ideal von einem tapferen und wagemutigen Gatten. Esa bescheidet die Kandidaten mit der Maßgabe, dass sie in einem Jahr den Mann mit den schöneren Händen heiraten wird. Der durch Erbschaft wohlhabende Eyvindr pflegt seine Hände, trägt Handschuhe. Seine Hände sind weiß und weich. Asmundr geht wieder auf kriegerische Fahrt, erwirbt Reichtum und kehrt mit schweren Narben auf den schwieligen Händen zurück. Esa entscheidet sich für Asmundr, dessen Hände ihrer Ansicht nach die schöneren sind, „denn sie haben mannhaft gearbeitet“.1257 Der Frage, wie Eyvindr zu der Annahme kommt, dass gepflegte Hände die schöneren sind, ging Kvaran nicht nach. Offenbar ist der sagenhafte Eyvindr der Meinung, dass Esa auf Ruhe und Wohlstand erpicht sei. Und warum überhaupt war die Gattenwahl der Esa Anlass für eine eigene Saga? Doch wohl nur, weil ihre Entscheidung unüblich, wenn auch des Lobes wert war. Die mit absoluter Autorität vorgetragene Argumentationskette wird trotz ihrer Dürftigkeit wegen der perfekten Sprachkenntnisse und der Eleganz der Neuübersetzungen ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Kvaran galt als hoffnungsvolles Talent, das auch finanziell gefördert wurde. Unmittelbar nach dem Abschluss der Dissertation nahm Kvaran das Projekt einer anthropologischen Untersuchung wieder in Angriff, wofür er Reisemittel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhielt. Das Vorhaben wurde auch vom Stab des Reichsbauernführers unterstützt, wo Interesse an genealogischen Studien über isländische Bauerngeschlechter bestand. Offenbar verfügte Kvaran über Beziehungen zum Stabsleiter Horst Rechenbach, der später im Rasse- und Siedlungshauptamt Karriere machte und bis zum SS-Oberführer aufstieg. Kvarans Vorgesetzter, der Leiter der Nordischen Auslandsinstitute, befürwortete das Forschungsvorhaben, weil er in diesem „eine kulturpolitische Aufgabe“ sah und Kvaran zu „den alten und bewährten Freunden des neuen Deutschland im Norden“ gehöre.1258 In Island sollen Kvaran und sein Begleiter Wolf Helmut Wolf-Rottkay bei 1256 Vgl. ebd., S. 225 ff. 1257 Vgl. ebd., S. 212 f. 1258 Vgl. BA R 73/11998. Zur Person und der Anlage der Bauernkartei vgl. Heinemann, Isabell: „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas. Göttingen 2003, S. 55 f., 630 sowie Kimpel, Ulrich: Zur Person Rechenbachs, in: Kahrs, Horst u. a.: Modelle für ein deutsches Europa. Ökonomie und Herrschaft im Großwirtschaftsraum, Berlin 1992, S. 203 f.

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der Materialerhebung einen alten Friedhof geplündert haben, der dem Neubau einer Tankstelle weichen musste.1259 Kvaran erkrankte 1938 an Lungentuberkulose, an der er wenig später verstarb.1260 Sein Freund Wolf-Rottkay, der Nordische und Englische Philologie sowie Vererbungswissenschaft studiert hatte, arbeitete an der Universität als Übersetzer und Dolmetscher. 1938 übernahm er das deutsche Lektorat an der Universität Reykjavik. 1939 kehrte er zurück und war danach als Dolmetscher tätig. 1943 promovierte er an der Universität Greifswald mit einer Dissertation über das Sprachbewusstsein der Isländer.1261 In der Studie arbeitete Wolf-Rottkay heraus, dass es ungebrochenes Bewusstsein für die sprachlichen Zeugnisse der nordischen Vorzeit gegeben habe. Im Streit mit dem norwegischen Traditionsanspruch sei dann das isländische Nationalbewusstsein erstarkt, ja geradezu ein „völkischer Behauptungswillen“ entstanden.1262 Die Gutachter Magon und Rosenfeld erkannten in der Studie „in erster Linie ein Dokument des Fleißes“, das auch entlegenes und in Deutschland nicht zugängliches Schrifttum berücksichtigt habe. Der Verfasser identifiziere sich jedoch zu stark mit dem Streben des isländischen Volkes, weshalb er „mancherlei Schiefheiten“ und „agitatorische Verzerrungen“ übernommen habe.1263 5.6.2 Personelle Verstärkungen: Ulrich Noack und Theodor Steche

Mit Ulrich Noack kam 1940 ein Gelehrter nach Greifswald, der von Habitus und Anspruch her eher ins 19. Jahrhundert gepasst hätte: Sohn eines Universitätsprofessors, Schulbesuch im schweizerischen Davos, Studium zwar an deutschen Universitäten, unterbrochen jedoch durch Studienreisen nach Italien und Frankreich, dann ein längerer Aufenthalt in Oxford, bekannt mit dem britischen Großhistoriker Arnold J. Toynbee ebenso wie mit dem deutschen Großraumtheoretiker Karl Haushofer und der Industriellenfamilie Siemens.1264 Offenbar von persönlicher Liebenswürdigkeit und im Gespräch brillierend, war er außerdem zutiefst von seiner Gelehrsamkeit und 1259 Vgl. http://fornleifur.blog.is/blog/fornleifur/entry/1385163/, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 1260 Vgl. UAG R 1018. 1261 Geboren 1908 in Berlin, aufgewachsen im Allgäu, wegen gesundheitlicher Probleme (Asthma bronchiale) Schulbesuch in Davos (Schweiz). Danach studierte Wolf-Rottkay Englische Philologie in Rostock und München sowie am Dolmetscherinstitut Mannheim; 1932 Dolmetscherund Übersetzerdiplom; im Januar 1933 Aufnahme in die NSDAP (Mitglied Nr. 1.433.014); Studienaufenthalte in Schweden und Island. Vgl. UAG Phil. Diss. II Nr. 1176 Wolf-Rottkay. 1262 Vgl. Wolf-Rottkay, Wolf H.: Das Bewusstsein der undurchbrochenen sprachlichen Überlieferung als Ausdruck isländischen Nationalstolzes, Diss. phil., Greifswald 1943, S. 101–105. 1263 Die Arbeit wurde mit „genügend“ bewertet. Vgl. UAG Phil. Diss. II Nr. 1176 Wolf-Rottkay. 1264 Vgl. BA R 73/13415.

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Bedeutung durchdrungen. Regelmäßig suchte er den Kontakt zu den Mächtigen. An der Universität Frankfurt galt er für die Nationalsozialisten einem demokratischen „Klüngel“ zugehörig, der sich um den Universitätskurator geschart habe.1265 Weil er zum Referenten für Geisteswissenschaften im Wissenschaftsministerium Eugen Mattiat ein sehr gutes Verhältnis herstellen konnte, erhielt Noack 1937 ein Forschungsstipendium für einen Aufenthalt in Norwegen, wo er sich von 1938 bis 1940 aufhielt. Mit Mattiats Nachfolger stand er in regelmäßigem Briefkontakt.1266 Um die Kompetenz Greifswalds für nordische Fragen zu stärken, wurde Noack 1939 eine Stelle als beamteter Dozent an der Universität Greifswald zugeteilt. Dekan Metzner akzeptierte den Vorschlag, ohne Noack persönlich zu kennen.1267 Gaudozentenbundsführer Reschke nahm wie folgt Stellung: „Der Dozent Dr. Ulrich Noack ist uns persönlich nicht bekannt. Das Urteil, das uns aus Frankfurt zugegangen ist, ist negativ. Ich gebe seinen Antrag [auf Diäten] ohne Stellungnahme weiter.“1268 Wissenschaftlich war Noack ein unorthodoxer Kopf, seine Dissertation über Bismarck blieb daher nicht unwidersprochen. Seine Habilitationsschrift über John Dalberg-Acton, einen in Deutschland ausgebildeten katholischen Politiker und Denker im England des 19. Jahrhunderts, stieß wegen „übermäßiger Subjektivität“ auf Widerspruch, so dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1934 einen Druckkostenzuschuss verweigerte.1269 Noack ließ die Schrift auf eigene Kosten drucken und gab ihr den provokativen Titel Katholizität und Geistesfreiheit, was umgehend dafür sorgte, dass die Gestapo das Buch verbot und erst nach Begutachtung wieder für den Verkauf freigab.1270 Später stilisierte Noack seinen Akteur Lord Acton zu „einem leidenschaftlichen Gegner des politischen Katholizismus“.1271 1935 geriet Noack massiv in die Kritik, weil er in der englischen Halbmonatsschrift Spectator einen Artikel platzierte, der eine Neuordnung des Kolonialbesitzes in Afrika vorschlug. Dabei plädierte er für große Umsiedlungsaktionen und Grenzziehungen entlang ethnischer Grenzen, um die „Vorherrschaft des weißen Mannes“ dauerhaft zu sichern. Das Deutsche Reich solle dabei einen größeren Besitz in Westafrika erhalten, einschließlich der früheren Kolonien Kamerun und Togo. Der Vorschlag entsprang 1265 Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil II, Bd. 2, S. 579. 1266 Vgl. BA R 4901/23004. 1267 Vgl. ebd. 1268 Vgl. UAG PA 2445 Noack, Bd. 1, Bl. 50. 1269 Vgl. BA R 73/13415. 1270 Vgl. Noack, Ulrich: Katholizität und Geistesfreiheit. Nach den Schriften von John DalbergActon 1834–1902, Frankfurt am Main 1936. 1271 Im Buch selbst erscheint Acton als scharfer Kritiker des Unfehlbarkeitsdogmas, sonst eher als vehementer Kämpfer für die Emanzipation der Katholiken in einer protestantischen Umwelt. Vgl. UAG PA 2445 Noack, Bd. 1, Bl. 7; Noack, Katholizität, S. 107–151.

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allein Noacks Phantasie, angeregt worden war er dazu von dem britischen Historiker Arnold Toynbee, in dem Noack eine Art väterlichen Freund erblickte. Toynbee ließ den phantastischen Plan übersetzen und drucken, wodurch Noack in größte Schwierigkeiten geriet.1272 Die britische und französische Presse glaubte in dem Text einen offiziösen Versuchsballon der deutschen Politik zu erkennen, was er nicht war. Hinzu kam, dass es vorher innerhalb der NSDAP und dem Auswärtigen Amt eine heftige Auseinandersetzung um die koloniale Frage gegeben hatte, wovon Noack nichts wissen konnte, weil er keinen Einblick in die interne Debatte hatte. Um diese zu beeinflussen, hatte Hitler seinem Sonderbotschafter Joachim von Ribbentrop die Befugnis für alle kolonialpolitischen Planungen übertragen, weshalb Noacks Vorstoß zur Unzeit kam. Ribbentrop sandte dem Wissenschaftsministerium einen geharnischten Brief, in dem er klarstellte, dass alle kolonialpolitischen Schriften mit ihm bzw. seiner Dienststelle abgestimmt werden müssten.1273 Den Druck stellte das Ministerium an die Universität Frankfurt durch, wo Noack dem ausgesetzt war, was heute als Mobbing bezeichnet wird. Da das Ministerium, speziell Mattiat, Noack jedoch für einen begabten Historiker hielt, ließ es ihn den vakanten Lehrstuhl an der Universität Halle vertreten. Der Mediävist Martin Lintzel war von den Vorlesungen wenig angetan, Noack sei im Stoff „völlig versandet“ und trage „Handbuchwissen“ vor. Als sich Lintzel und Noack näherkamen und Lintzel feststellte, dass Noack wie er kein Nationalsozialsozialist war und sich lediglich aus Angst vor Überwachung und politischer Kontrolle ans Handbuch hielt, versuchte Lintzel zurückzurudern und erstattete einen zweiten, günstigeren Bericht. Die Berufung scheiterte vermutlich daran, dass sie von der Dozentenschaft hintertrieben wurde.1274 Gemeinsam mit Mattiat wurde die Idee entwickelt, Noack erst einmal aus dem Spiel zu nehmen und ihn für ein Forschungsprojekt einzusetzen, das eine Herausforderung war, der sich deutsche Historiker bisher nicht gestellt hatten. Noack sollte eine Gesamtgeschichte der nordischen Länder schreiben und erhielt dafür eine Beihilfe vom Wissenschaftsministerium. Noack erschien wegen seines universalhistorischen Blicks und seiner unbestreitbaren schriftstellerischen Begabung als geeignet. Außerdem hatte er die Tochter eines angesehenen norwegischen Arztes und Politikers geheiratet, sprach die Landessprache und hatte das Land seit 1927 intensiv bereist. 1938 zog er mit der Familie nach Norwegen, das seiner Frau gehörende Einfamilienhaus in Frankfurt wurde vermietet.1275 1272 Vgl. BA 4901/23004 Noack. 1273 Vgl. Hildebrand, Klaus: Hitler, NSDAP und koloniale Frage (1919–1945), Diss. phil., Mannheim 1967, München 1969, S. 362 f. Der auf S. 701, Fn. 939 genannte Obersturmführer Noack ist nicht identisch mit dem Historiker Ulrich Noack, obwohl das Personenverzeichnis das ausweist. 1274 Vgl. UAH PA 12034 Noack. 1275 Vgl. BA 4901/23004 Noack.

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Von dem auf drei Bände angelegten Werk erschien 1941 der erste Teil mit dem Titel Nordische Frühgeschichte und Wikingerzeit. Die anderen beiden Bände schrieb Noack nicht. Das Buch war umstritten, sein Fakultätskollege Johannes Paul kritisierte vor allem, dass eine nordische Geschichte das „nordischste Volk“, nämlich das deutsche, nicht behandelte, sondern sich auf Skandinavien beschränkte. Die Deutsche Akademie zeichnete das Buch mit einem Preis für die wissenschaftliche Förderung „zwischenvölkischer Geistesbeziehungen“ aus, das Amt Rosenberg setzte es allerdings auf die Liste der „nicht zu fördernden Bücher“. Bemängelt wurde, dass Noack angeblich für die wissenschaftliche Behandlung des Themas nicht qualifiziert war, weil er Altnorwegisch angeblich nicht lesen könne. Noack kompensierte das, indem er die aktuelle Forschungsliteratur auswertete.1276 Aus heutiger Sicht fällt vor allem auf, dass Noack auf Fußnoten verzichtete, weil das Buch für einen breiten Leserkreis gedacht war. Die Hoffnung des Verlags erfüllte sich, die Erstauflage war nach wenigen Wochen vergriffen. Das Bedürfnis nach einer „Großerzählung“, einem informativen Überblickswerk war offenbar stark. Das Buch war jedoch eher Sachbuch als Wissenschaft, weil es jede Saga für bare Münze nahm. Von Tacitus hingegen distanzierte er sich deutlich, für diese Zeit referierte er die archäologischen Quellen. Das Buch ist nicht frei von der zeitgenössischen mythischen Überhöhung des „Nordischen“ oder „Germanischen“, etwa wenn Bewunderung für die handelnden Personen mitschwingt. Geradezu hymnisch verklärte Noack geschichtsmächtige Gestalten wie den Dänenkönig Knut den Großen, der England „germanisiert“ habe, oder Rurik, den Herrscher Nordrusslands. 1277 Ehrfürchtig beschrieb er Raubzüge und Entdeckungsfahrten der Wikinger und geißelte den „innernordischen Verrat“, das „alte germanische Erbübel“, der sich auf die Staatenbildung ungünstig ausgewirkt habe.1278 Insgesamt fällt auf, dass Noack viele Geschichten aus norwegisch-heldischer Perspektive erzählte, die schwedischen Wikinger erscheinen in erster Linie als Händler und die Dänen kommen (mit Ausnahme Knuts) fast durchgängig schlecht weg. Diese Parteinahme für die Norweger und die Anmaßung, Politik aktiv mitgestalten zu können, ließen Noack aus Sicht der deutschen Besatzungsbehörden unmöglich werden, die dann auch am 1. August 1940 für seine Heimreise sorgten.

1276 Vgl. Petrick, Fritz: Der Historiker Ulrich Noack in Greifswald 1941–1945 unter besonderer Berücksichtigung seiner Tätigkeit in Norwegen 1938–1941, in: ders.: „Ruhestörung“. Studien zur Nordeuropapolitik Hitlerdeutschlands, Berlin 1998, S. 61. 1277 Vgl. Noack, Ulrich: Nordische Frühgeschichte und Wikingerzeit, München, Berlin 1941, S. 77, 173. 1278 Vgl. ebd., S. 170.

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Als ihm der Ortsgruppenleiter in Oslo die Frage vorlegte, ob er sich der Partei anschließen wolle, habe er „mit Freuden zugestimmt“, schrieb Noack im Juni 1939 in einem Lebenslauf.1279 Zunächst erhielt er im Februar das Mitgliedsbuch mit der Nr. 9 und betätigte sich eifrig.1280 Der Leiter der Ortsgruppe sprach sich dann jedoch gegen die Aufnahme Noacks in die Partei aus. Noack versuchte später seine Mitgliedschaft vor einem Parteigericht einzuklagen, was jedoch an ablehnenden Voten des SD und der Reichsdozentenführung scheiterte.1281 Im August 1939 wurde Noack wegen seiner guten Beziehungen zu den norwegischen Eliten vom Auswärtigen Amt zum Kulturattaché ernannt. Außerdem nahm er Kontakt zu Vidkun Quisling auf, dem Parteiführer der Nasjonal Samling, einer nach dem Vorbild der NSDAP geschaffenen Partei. Bereits im August 1939 ermutigte Noack Quisling, seine politischen Vorstellungen in Berlin vorzustellen, was der offiziellen deutschen Außenpolitik widersprach. Dieses Vorpreschen konnte als vorsätzliche Störung der deutschen Außenpolitik interpretiert werden, die damals eine Neutralität Norwegens befürwortete. Quisling wurde zwar demonstrativ von Alfred Rosenberg empfangen, nicht aber von Hitler und Außenminister Ribbentrop. 1282 Eine imaginäre rote Linie überschritten Quisling und Noack im Mai 1940, als sie einen Vorschlag zur Herstellung eines Friedenszustandes unterbreiteten. Kern der Denkschrift war die verfassungsgemäße Möglichkeit, mit Hilfe der bereits im besetzten Gebiet befindlichen Mitglieder des Parlaments der Regierung das Vertrauen zu entziehen und Quisling zum Regierungschef ernennen zu lassen. Die Übergangsregierung könne dann Neuwahlen anberaumen und mit ihrer Mehrheit den ins Exil geflohenen König zur Rückkehr aufrufen. Sollte der König nicht zurückkehren, stehe dem Parlament eigenmächtig der Friedensschluss mit Deutschland zu.1283 Dieses Konzept kollidierte jedoch mit dem deutschen Besatzungskonzept, in dem Wahlen nicht vorgesehen waren, selbst wenn ihr Ausgang wegen des politischen Drucks vorhersehbar war. Der Plan hätte auch eine Aufwertung des norwegischen „Führers“ Quisling zur Folge gehabt, und es war keinesfalls geplant, einem Kollaborateur politisches Gewicht zu verleihen, obwohl man ihm de facto die Regierungsgeschäfte übertrug. Es sollte deutlich sein, dass Quisling seine Regierung lediglich dem deutschen Wohlwollen verdankte, 1279 Vgl. UAG PA 2445 Noack, Bd. 1, Bl. 7. 1280 Vgl. Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Karton Oslo 229 (23/183), Geheime Reichssachen, Einzelfälle. 1281 Vgl. Petrick, Noack, S. 63. 1282 Vgl. Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945, Serie D 1937–1945, Bd. VIII, Baden-Baden und Frankfurt am Main 1961, S. 404 f.; Hartmann, Sverre: Ulrich Noack brachte Quisling nach Berlin. Der heutige Neutralisator befürwortete einst Angriffspläne gegen die Sowjetunion, in: Die Zeit, 19. Juli 1951, auf http://www.zeit.de. 1283 Vgl. Petrick, Noack, S. 66.

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und an einen förmlichen Friedensschluss war überhaupt nicht gedacht. Die Marine betrachtete die norwegische Küste als Operationsgebiet, weshalb derartige Überlegungen ebenfalls nicht opportun waren. Noack verstieß mit seiner Initiative gegen Prinzipien, die ihm nicht bekannt waren, weil er eben nicht mit dem engsten Führungszirkel der NSDAP bekannt war und seine Bemühungen anhand der offiziellen Propaganda ausrichtete. Noch im Mai wurde die Forderung erhoben, dass Noack Norwegen verlassen müsse, das Auswärtige Amt habe das Beschäftigungsverhältnis mit ihm zu lösen. Noack setzte sich zur Wehr und wies darauf hin, dass er in enger Abstimmung mit den „Herren vom SD und den Herren der Propagandaabteilung“ gehandelt habe. Nach einigem Hin und Her entschied Reichskommissar Terboven am 1. August 1940, dass Noack nach Deutschland zurückkehren müsse.1284 Noack konnte zunächst noch bleiben, weil er Vorlesungen an der Universität Oslo hielt. Möglich wurde das nur, weil das Wissenschaftsministerium sein Gehalt überwies, obwohl das Auswärtige Amt die Zahlungen für den Kulturattaché einstellte.1285 Da diese Vorgänge geheim waren, musste sich in Greifswald jedoch der Eindruck festsetzen, dass Noack in Norwegen mit seinen sichtbaren Kontakten zu Quisling eine gute Arbeit geleistet habe. Die negativen Voten des SD, die auf einer nur den innersten Kreisen nachvollziehbaren Bewertung beruhten, erschienen daher unverständlich. Aus Sicht der Universität gab es keinen Grund, ihn in irgendeiner Weise zu benachteiligen. Er wurde zum Direktor des Norwegischen Instituts ernannt und nahm auch an den Tagungen der Nordostdeutschen Forschungsgemeinschaft teil, was wütenden Protest in der Partei auslöste. Seine Arbeitskraft aber war gelähmt, wie er an das Wissenschaftsministerium schrieb.1286 Der gelernte Chemiker Theodor Steche (* 1895) war Erbe eines beachtlichen Aktienpakets einer Fabrik, die natürliche und künstliche Aromen herstellte (Heine & Co., Stammsitz Leipzig, Zweigwerk Gröba bei Riesa). Die Firma, die auch Niederlassungen in Indien und in den USA betrieb, war in der Weltwirtschaftskrise in ernsthafte Schwierigkeiten geraten und konnte nur gerettet werden, indem Steche und die anderen Teilhaber ihr gesamtes privates Vermögen einbrachten und Kredite aufnahmen. Steche behielt zwar den Sitz im Aufsichtsrat, zahlte aber 1939 noch immer Schulden ab. Das Zweitstudium der Germanistik hatte er 1928 aus Neigung begonnen, die wissenschaftliche Tätigkeit konnte er durch ein Stipendium der DFG fortsetzen. Dieses war vergleichsweise komfortabel, er erhielt 350 Mark plus 55 Mark Kinderzuschlag.1287 Politisch hatte sich Steche seit 1932 in Alfred Rosen1284 Vgl. Pol. Archiv des AA, Oslo 229 (23/183), Geheime Reichssachen, Einzelfälle. 1285 Vgl. Petrick, Noack, S. 67. 1286 Vgl. BA R 4901/23004. 1287 Vgl. UAG Math. Nat. Habil. Nr. 11. Die Firma Heine & Co nahm nach dem Krieg die Pro-

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bergs Kampfbund für deutsche Kultur profiliert, dessen Reichsleitung er angehörte. In NS-Zeitschriften polemisierte er gegen die „Verlotterung“ der deutschen Sprache, philosophierte über deren „Volksart“ und ging dem Zusammenhang von Rasse und Sprache nach. Im Völkischen Beobachter berichtete er über die wissenschaftlichen Kenntnisse der Germanen, referierte den gegenwärtigen Stand der Runenfrage, gratulierte aber auch Jakob Grimm zum 150. Geburtstag.1288 In die Partei war er 1933 eingetreten und amtierte als Blockleiter, Redner des Gauschulungsamts Berlin und als Ortsgruppenbeauftragter des Rassenpolitischen Amtes.1289 In dem für die Ausbildung von Verwaltungsbeamten verbindlichen Lehrbuch verantwortete er das Kapitel 11a über „Deutsche Vor- und Frühgeschichte“, das er später zu einem Buch über Deutsche Stammesgeschichte ausbaute.1290 Während diese Texte reine nationalsozialistische Ideologie darstellten, war die Habilitationsschrift, die Steche auf Drängen von Wolfgang Stammler angefertigt hatte, eine staubtrockene, philologisch fundierte Analyse des mittelhochdeutschen Rabenschlachtgedichts, in dem der vergebliche Kampf Dietrich von Berns um die Wiedererlangung seines Reichs beschrieben wird.1291 Die mündliche Habilitationsprüfung legte Steche bereits 1936 ab, aber da sein Buch erst 1939 gedruckt wurde, folgte die Verleihung des Dr. habil. erst jetzt. Bedarf für einen weiteren Dozenten für Deutsche Philologie sah Dekan Metzner aber nicht, weshalb er das Wissenschaftsministerium am 13. Juli 1939 bat, Steche „als Dozent einer anderen Universität zuzuweisen“. Das Ministerium wies ihn jedoch Greifswald zu.1292 Hier übernahm er die Leitung der Pressestelle und die Redaktion des Vorlesungsverzeichnisses und arbeitete aktiv in der Dozentenschaft mit. In seinem Wohnort Neuenkirchen bekleidete er vier Parteiämter, darüber hinaus leitete er die Untergruppe des Luftschutzbundes im Dorf. Dekan Metzner erkannte das Engagement an und bat im Juni 1944 um die Ernennung Steches zum außerplanmäßigen Professor.1293 Wissenschaftlich engagierte sich der Germanist als Vorsitzender des Rechtschreibevereins und verfasste 1931 eine Denkschrift zur deutschen Rechtschreibreform, in duktion in Leipzig wieder auf und wurde 1972 vollständig verstaatlicht. Vgl. Staatsarchiv Leipzig, Bestandsbeschreibung Nr. 20698 Heine & Co., http://www.archiv.sachsen.de. 1288 Vgl. BA R 4901/26013, Bl. 28 f. 1289 Vgl. BA R 4901/13277 Karteikarte Steche, Theodor. 1290 Vgl. Steche, Theodor: Deutsche Vor- und Frühgeschichte, Sonderdruck aus: Lammers, Hans Heinrich und Hans Pfundtner (Hg.): Die Verwaltungsakademie. Grundlagen, Aufbau und Wirtschaftsordnung des Nationalsozialismus, in: UAG Math. Nat. Habil. Nr. 11. 1291 Vgl. Steche, Theodor: Das Rabenschlachtgedicht, das Buch von Bern und die Entwicklung der Dietrichsage, Greifswald 1939. 1292 Vgl. UAG Math.-Nat. Habil. Nr. 11, UAG PA Nr. 267 Steche. 1293 Vgl. BA 4901/26013, Bl. 25.

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der er der Frage „Stillstand oder Verbesserung“ nachging. Dabei benannte er verschiedene Probleme, über die Expertenkonferenzen Konsens herstellen müssten. Anderes könne jedoch als Grundsatz ohne weiteres sofort durchgesetzt werden.1294 Doch bereits der von Steche benannte Grundsatz der Lauttreue spaltet Philologen bis heute und kollidierte mit dem, was Steche zwingend festschreiben wollte. Im Kampf um die Reinheit und Einheit der deutschen Sprache positionierte sich Steche ebenso wie der in Greifswald lehrende Lektor für Sprechkunde Richard Walter Wittsack gegen die staatliche Förderung der Dialekte und für das Vorantreiben der Vereinheitlichung der Hochsprache. Diese sei, so Steche, das „Gemeinschaftsband“ des Volkes und mache seine Angehörigen – neben der „Rasse“ – eben erst zu Deutschen. Wittsack formulierte es martialischer, nur eine einheitliche Hochsprache könne fremdsprachlichem Ausdehnungsstreben als „Bollwerk“ gegenüberstehen.1295 Dialektformen dürften daher auf keinen Fall in die deutsche Sprache eingehen, was mit der Lauttreue jedoch kollidierte. In der Denkschrift ruderte Steche daher selbst zurück. „Lauttreu“ müsse eine „Gemeinschreibung“ nicht sein, wohl „aber durchgeregelt und ausnahmenfrei“.1296 Dieser Minimalkonsens sollte sich durchsetzen lassen, meinte Steche und ließ sich im November 1933 als Sachberater für die Rechtschreibvereinfachung in das Reichsinnenministerium berufen. Auf die durchgängige Regelung verzichtete er zunächst, verkündete aber wenig später das Konzept für einen neuen Duden, das auf eine radikale Einkürzung hinauslief. Außerdem sollten alle Wörter mit Ausnahme der Satzanfänge und Eigennamen kleingeschrieben werden. Steche wollte das Programm mit Hilfe von Rudolf Buttmann, dem Leiter der kulturpolitischen Abteilung im Innenministerium durchsetzen. Dieser Nationalsozialist der ersten Stunde (Mitglieds-Nr. 4) war jedoch nicht so einflussreich, wie Steche annahm, so dass sein Projekt einer Rechtschreibreform scheiterte.1297 Obwohl er sich aus den hohen politischen Sphären desillusioniert zurückzog, blieb Steche journalistisch und populärwissenschaftlich aktiv. 1934 verfasste Steche eine volkstümliche Übersetzung wichtiger isländischer Sagas mit dem Titel Wikinger entdeckten Amerika. 1938 wurde von dem Text eine Schulbuchausgabe hergestellt. Aus den Wikingersagas schnitt er Geschichten aus und erzählte sie neu, so dass sie äsopschen Fabeln ähnelten. In der Geschichte der nor1294 Vgl. Steche, Theodor: Die deutsche Rechtschreibung. Stillstand oder Verbesserung? Breslau 1932, S. 144. 1295 Vgl. Birken-Bertsch, Hanno und Reinhard Markner: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Ein Kapitel aus der politischen Geschichte der deutschen Sprache, Göttingen 2000, S. 75. 1296 Vgl. Steche, Theodor: Die deutsche Rechtschreibung. Stillstand oder Verbesserung? Breslau 1932, S. 144. 1297 Vgl. Birken-Bertsch/Markner, Rechtschreibreform, S. 24–28.

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wegischen Könige von Snorri Sturluson fand er zum Beispiel den Bericht über die Seefahrt Leif Erikssons, der „Winland“, also Amerika entdeckte. Auf der Fahrt rettet Leif Schiffbrüchige, nahm aber auch einen Priester an Bord. Als Leif zu seinem König Olav kommt, reagiert dieser unwirsch. Er habe zwar die Männer gerettet, aber auch einen „Spiegelfechter“, also den Priester unterstützt. Das hebe sich auf.1298 In dem Buch erfuhren die Schüler auch, welche Bedeutung die isländischen Sagas für das hier und heute hätten. Der Text Steches gibt einen Einblick in seine Gedankenwelt, steht aber stellvertretend auch für ein Forschungsprogramm, das die völkischen Wissenschaften zu erfüllen versuchten. Weil er in seiner Klarheit unmissverständlich ist, sei er hier wiedergegeben. Dokument Nr. 9: Theodor Steche über die Bedeutung isländischer Sagas für das hier und jetzt, verfasst 1934, nachgedruckt in einem Schulbuch 1938

Die meisten isländischen Sagas haben für uns heutige Deutsche deshalb so große Bedeutung, weil sie uns von den altgermanischen Sitten, Anschauungen und Lebensformen ein Bild geben, das von der antiken Kultur gar nicht und vom Christentum nur wenig beeinflusst ist. Da in Deutschland die altgermanischen Zeugnisse bis auf das Hildebrandlied und einige andere kleine Reste verloren gegangen sind, müssen wir das altisländische Schrifttum zur Aufhellung des Bildes unserer Vorzeit mit heranziehen. Nach prüfender Ausscheidung von dem, was als isländische Sonderentwicklung, aber nicht als gemeingermanisch anzusehen ist, müssen wir aus den isländischen Sagas und den festländischen Quellen ein Bild unsrer in Deutschland siedelnden germanischen Vorfahren zu gewinnen suchen. Der reine Tatsacheninhalt der isländischen Sagas hat demgegenüber für uns Heutige weniger Bedeutung. Wir wollen wissen, wie ein altnordischer Germane in einer bestimmten Lage gedacht, gesprochen und gehandelt hat; ob ein bestimmtes Ereignis den einen oder den anderen Menschen betroffen hat, ist uns weniger wichtig. Deshalb vermindern etwaige Überlieferungsfehler den Wert der isländischen Sagas für uns kaum; denn weil alle von Isländern wenige hundert Jahre nach den Ereignissen abgefasst sind, bleibt es, auch wenn eine Rede oder Handlung fälschlich von einem Helden auf einen anderen übertragen und sogar wenn sie frei erfunden ist, durchaus altnordischer Geist. Quelle: Steche, Theodor: Wikinger entdecken Amerika. Die altisländischen Berichte übertragen und mit einer Einführung versehen, Hamburg 1934/1938, S. 4

1298 Vgl. Steche, Theodor: Wikinger entdeckten Amerika, Hamburg 1934/1938, S. 38.

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Steche war ein gut ausgebildeter Philologe und hatte mit seiner Habilitationsschrift bewiesen, dass er sich des methodischen Instrumentariums der historischen Quellenkritik bewusst war. Es muss daher ideologische Verblendung gewesen sein, die ihn zur Vernachlässigung solcher Maßstäbe in seinem 1942 publizierten Buch zur „deutschen Stammeskunde“ veranlasst hatte. Der Band erschien in der Sammlung Göschen, einer Reihe populärwissenschaftlicher Sachbücher, die hohe Auflagen erreichten. Steche ging dabei von einer Voraussetzung aus, die heute nicht mehr als haltbar angesehen werden kann. Er betrachtete die Germanen als ein einheitliches Volk, aus dem sich etwa um 700 das deutsche Volk herausgebildet habe. Die anderen indogermanischen Einflüsse, etwa von Kelten oder Slawen, verdrängte er ebenso wie spätrömische Anteile an der deutschen Volkswerdung. Dem Thema näherte er sich von der sprachwissenschaftlichen Seite, verschwieg dem Leser allerdings die Ungenauigkeiten solcher Analysen, die zu dieser Zeit kaum archäologisch abgesichert waren. Die Art und Weise seines Vortrags wirkt in seiner Absurdität unfreiwillig komisch, wie Aussagen über die Terwinger und Greutunger zeigen, die Steche als Teilvölker der Goten benannte. „Die Terwinger lebten in der heutigen Walachei, die bis 280 die Bastarner besaßen, und bis Südbessarabien, die Greutunger am unteren Dnjestr“, schrieb Steche und setzte mit etymologischen Ableitungen fort: „Vermutlich gehörte der Name Terwinger zu dem engl. Wort tree und bezeichnet die Bewohner eines baumreichen Landes, der Name Grutunger oder Greutunger war aus dem Wortstamm abgeleitet, der heute Grus oder Grieß lautet, und deutete auf ein an kleinen Steinen reiches Steppenland.“1299 Mit dem Verweis auf individuelle Scharlatanerie kann Steches Buch jedoch nicht abgetan werden, weil er einem historischen Trend folgte, der in der Zeit des Nationalsozialismus überhandnahm. Steche kompilierte – in dieser Hinsicht durchaus sachkundig – die Aussagen antiker Geographen, Historiker und Naturwissenschaftler zu Völkerstämmen jenseits der Grenzen des römischen Imperiums. Die vorhandenen Lücken, die oft mehrere Jahrhunderte umfassten, schrieb Steche einfach zu, wie ein Abschnitt über die Rugier zeigt. Dieser etymologisch als „Roggenesser“ klassifizierte Stamm sei (nach Tacitus) ein den Goten benachbartes Volk gewesen. Auf der Veroneser Völkertafel, die vermutlich erst 600 Jahre später entstand, wurde mit dem Namen ein Volk in Verbindung gebracht, das im Norden siedelte. Die germanischen Rugier hätten also die Insel Rügen in ihren Besitz gebracht und dann ihre Sprache nach der Eroberung mit der slawischen vertauscht. Ein Teil der Rugier musste laut Steche jedoch abgewandert sein, weil sie als Herrscher eines Gebiets im heutigen Österreich genannt wurden. Dort wurden sie bei einem Aufstand von Odoaker 487 besiegt, 541 beteiligten sie 1299 Vgl. Steche, Theodor: Deutsche Stammeskunde, Berlin 1942, S. 130.

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sich allerdings an der Wahl von Echarich zum Gotenkönig.1300 Die Eruler verortete Steche mit dem römischen Reisenden Jordanes im nördlichen Dänemark und Südschweden, dann mit dem Griechen Dexippos 150 Jahre später am Asowschen Meer. Nach dem Zusammenbruch des Hunnenreichs hätten sie als „Kriegerkaste“ an der oberen Donau und in Südböhmen geherrscht.1301 Dieses Hüpfen über die Jahrhunderte und das Springen von Raum zu Raum ließ die Völkerwanderungszeit als chaotische Epoche erscheinen, die als einzige Konstante die Herrschaft germanischer Kriegerstämme aufwies, und zwar in jeder Gegend Europas (das östlich der Elbe ansonsten ein „menschenleeres Land“ gewesen sei).1302 Steche unternahm nicht einmal den Versuch, die antiken Quellen auf ihre Aussagekraft hin zu überprüfen oder zu hinterfragen, ob die ähnlich klingenden Namen („Eruler/Eluroi/Heruli“) tatsächlich für ein und denselben Stamm gebraucht wurden.1303 5.6.3 Religionswissenschaften

In der ideologisch aufgeladenen „nordischen“ Forschung versuchte sich auch die Theologische Fakultät zu profilieren. Schon um dem unseriösen Zeitgeist etwas entgegenzusetzen, entschied sie sich für die Erteilung eines Lehrauftrags für „Germanische Religion“ für den Direktor des Realgymnasiums Bergen auf Rügen Walter Baetke. Dieser beherrschte Gotisch, Altsächsisch, Angelsächsisch und Althochdeutsch, aus dem Altisländischen hatte er Sagen übertragen, unter anderem über die Sturlunger und die Besiedlung Islands.1304 Laut Dekan Glawe sei Baetke „in Fachkreisen bekannt und anerkannt als exakter Forscher auf dem Gebiet der altgermanischen Kultur und der germanischen Religion“.1305 Zudem war Baetke wie Glawe Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei und passte daher gut in das Profil der Greifswalder Theologen.1306 Allerdings wurde er bereits 1935 als ordentlicher Professor für Religionsgeschichte an die Universität Leipzig berufen, was dort zu Denunziationen durch Nationalsozialisten führte, weil sich Baetke entschieden gegen die Deutschen Christen gewandt hatte.1307 Wilhelm Koepp, inzwischen Dekan der Theologischen Fakul1300 Vgl. ebd., S. 138 f. 1301 Vgl. ebd., S. 145 f. 1302 Exemplarisch die Stammesgeschichte der Astinger/Wandiler/Wandaler vgl. ebd., S. 140 ff.; zum „menschenleeren“ Osteuropa vgl. ebd., S. 161 f. 1303 Vgl. ebd., S. 145. 1304 Vgl. Baetke, Walter: Islands Besiedelung und älteste Geschichte, Jena 1928; ders.: Geschichten vom Sturlungengeschlecht, Jena 1930. 1305 Vgl. UAG PA 371 Baetke. 1306 Vgl. R 4901/13258 Karteikarte Baetke. 1307 Vgl. Heinrich, Religionswissenschaft, S. 272 ff.

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tät hielt aber an dem Projekt der Etablierung der Religionswissenschaft fest, schon um der bedrohten Universitätstheologie eine weitere Legitimation zu verschaffen. Bei den Fakultätskollegen stieß Koepp damit aber auf wenig Gegenliebe, so dass der Vorstoß versandete.1308 In dem seit 1941 in Greifswald tätigen Lektor für Schwedisch Åke Ohlmarks schien Koepp dann den richtigen Partner gefunden haben. 1309 Ohlmarks, eigentlich Literaturhistoriker, hatte sich auch mit der nordischen Mythologie beschäftigt und unter anderem 1937 eine Studie zum Asen Heimdall vorgelegt. Nach einer philologischen Analyse der verschiedenen Überlieferungen arbeitete er den Charakter des nicht sehr populären Gottes heraus und verglich dann die Astralmythologie der Germanen mit anderen Kulturen.1310 Zwei Jahre später veröffentlichte er ein Buch über den Schamanismus, in dem er sich insbesondere mit völkerpsychologischen Deutungen kritisch auseinandersetzte. Ohlmarks These jedoch, dass der Schamanismus ein Erzeugnis der „hocharktischen Umwelt“ mit der für sie typischen Häufigkeit der „arktischen Hysterie“ sei, hat sich als nicht haltbar erwiesen.1311 Beide Bücher waren zweifelsfrei wissenschaftliche Annäherungen an das jeweilige Phänomen und enthielten kaum ideologische Überhöhungen. Ohlmarks streute in den Text über das Schamanentum jedoch häufig zeittypische abfällige Bemerkungen über die angeblich niedrig stehende Kultur der Schamanismus praktizierenden Völker ein.1312 1941 veranstalteten Ohlmarks und Koepp die erste Arbeitsgemeinschaft zur Religiosität der altnordischen Sagas. Weitere Lehrveranstaltungen folgten. Da die Gründung eines religionswissenschaftlichen Instituts auch das Interesse des 1943 ernannten Rektors Carl Engel fand, wurden jetzt Gutachten über Ohlmarks eingeholt. Das schwedische Außenministerium pries diesen wortgewaltig an, „weltanschaulich“ stehe er „ganz auf dem Boden des Germanentums“. Und auch Engel selbst setzte sich am 10. Mai 1944 beim Ministerium wärmstens für den Bewerber ein, auf Grund seiner wissenschaftlichen Leistungen habe Ohlmarks schon längst eine Vollprofessur 1308 Vgl. ebd., S. 221 ff. 1309 Die Stelle in Greifswald nahm Ohlmarks an, obwohl er schon als Student in Tübingen angeblich eine innere Distanz zu den „ewigen SA-Märschen“ und dem „bombastischen Hitler-Kult“ gefunden habe. Publizistisch war davon nichts zu merken, seinen Landsleuten schilderte er es als „Kampf des deutschen Volkes für seine Eigenart und seine Freiheit, für sein besseres Ich“. Vgl. Marell, Ohlmarks, S. 95. 1310 Vgl. Ohlmarks, Åke: Heimdalls Horn und Odins Auge. Studien zur nordischen und vergleichenden Religionsgeschichte, Erstes Buch: Heimdall und das Horn, Lund und Kopenhagen 1937. 1311 Vgl. Ohlmarks, Åke: Studien zum Problem des Schamanismus, Lund und Kopenhagen 1939, S. 71 und 15 ff. Kritisch dazu: Znamenski, Andrei A.: Jenseits von Sibirien. Schamanismus in der Wissenschaft und in zeitgenössischen Bewegungen des Westens, in: Kasten, Erich (Hg.): Schamanen Sibiriens. Magier – Mittler – Heiler. Stuttgart 2009, S. 180. 1312 Vgl. Ohlmarks, Schamanismus.

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verdient. Zugleich versicherte er, dass dieser „ein warmer Freund und Anhänger des nationalsozialistischen Deutschland“ sei und sich dazu auch in Schweden eindeutig bekenne.1313 Der passende Leiter schien gefunden, jetzt wurde auch ein Konzept entwickelt. Das geplante Institut sollte nach Auffassung des jetzt amtierenden Dekans Walther Glawe sechs Abteilungen umfassen: Religionspsychologie und philosophie, Religion der Naturvölker, Germanische Religion, Indogermanische Religion, Orientalische Religionen und Religionen des Fernen Ostens und schlussendlich als Abteilung 6 Christliche Religion. Die Anschubfinanzierung in Höhe von 15.000 Mark wurde von einem Mitglied der schwedischen Gesandtschaft geleistet, dem Generaldirektor Lars Åkerberg. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache kam Minister Rust im Juni 1944 nach Greifswald und besprach die Gründung des Instituts mit Glawe. Wenige Tage später reichte Glawe den Antrag auf Institutsgründung ein, den Engel befürwortend ans Ministerium weitergab. Das Ministerium erteilte die Zustimmung am 3. November 1944, wies aber an, es institutionell in der Philosophischen Fakultät zu verankern, weil sich fünf von den sechs Abteilungen überhaupt nicht mit christlicher Religion beschäftigten.1314 Das einzige Werk, das in diesem Institut entstand und dessen Druck im Oktober 1944 wegen der erhofften Außenwirkung auf das neutrale Schweden noch genehmigt wurde, war eine schmale Schrift von Åke Ohlmarks und Lars Åkerberg über den Greifswalder Philosophen Thomas Thorild. Darin würdigten sie ihn hymnisch als einen „dynamisch schaffenden und strebenden Feuergeist, wie nur wenige in der germanischen, insbesondere der nordischen Geistesgeschichte“. Der Rest des Buches war deutlich sachlicher gehalten und strich vor allem Thorilds Bemühungen, Religion wissenschaftlich zu untersuchen, heraus, was ihn nach Ansicht der Autoren zum Geburtshelfer der Religionswissenschaft machte.1315 Für das Sommersemester 1945 kündigten Ohlmarks, Koepp und der 1944 für Sanskrit habilitierte Dozent Diether Lauenstein mehrere Lehrveranstaltungen an, etwa zum arktischen Schamanismus, zum Wesen des „indogermanischen Donnergottes“ und zum Buddhismus. Die Ernennung von Ohlmarks zum Honorarprofessor war im Frühjahr 1945 geplant, wurde dann aber von Johannes Paul hintertrieben, der klarstellte, dass es mit dessen Deutschfreundlichkeit nicht weit her sei.1316

1313 Vgl. UAG PA 2695 Ohlmarks, Bl. 54. 1314 Vgl. Heinrich, Religionswissenschaft, S. 230 f. 1315 Vgl. Ohlmarks, Åke und Lars Åkerberg: Thomas Thorhild als Vorläufer der neuzeitlichen Religionswissenschaft, Greifswald 1944, S. 8 und 27 ff. 1316 Vgl. Heinrich, Religionswissenschaft, S. 232.

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5.6.4 Politikwissenschaftliche Analysen

Im Nordischen Institut war bereits in der Zeit der Weimarer Republik eine Kartothek angelegt worden, in der Informationen zu Personen des öffentlichen Lebens in Skandinavien abgelegt wurden. Das war notwendig, weil Pressevertreter, Unternehmer und Behördenmitarbeiter mit Informationen versorgt werden sollten. Mit der Umstrukturierung kam die Kartei ins schwedische Institut, wo sie zügig erweitert wurde. Da die Studentenführer Falk und Krüger als wissenschaftliche Hilfskräfte dort arbeiteten und sie auch für den Sicherheitsdienst der SS tätig waren, wird sie auch für nachrichtendienstliche Zwecke genutzt worden sein. Aktualisiert wurde die Kartei auch von Studenten, die 1934 eine „Arbeitsgemeinschaft Geistesleben und Politik im modernen Schweden“ bildeten. Vor allem widmeten sie sich der Zeitungslektüre, weshalb Johannes Paul anregte, Auszüge anzufertigen und zu Presseprotokollen zusammenzufassen. Diese gaben einen aktuellen Überblick über die politische Landschaft Schwedens, zu den Adressaten gehörten Behörden, Parteistellen und verschiedene Stellen der Wehrmacht, zum Beispiel das Amt Abwehr. Bis zum Kriegsbeginn gab es etwa 40 Abonnenten, danach stieg die Zahl der Empfänger auf über 150 an. Vor allem militärische Stellen forderten die Informationen jetzt an, womit die Kapazität des Schwedischen Instituts überschritten war. Die Kontaktaufnahme zur Nordostdeutschen Forschungsgemeinschaft erbrachte jedoch nicht das gehoffte Ergebnis einer Aufstockung des Personals.1317 Institutsdirektor Paul wurde im Frühjahr 1941 eingezogen und für die Abwehr in Schweden eingesetzt. Später baute er ein Agentennetz in Finnland auf, was aber nicht lange geheim blieb, so dass die Abwehr Paul 1943 vermutlich gern ziehen ließ, als ihn der Kurator der Universität wieder anforderte.1318 Die Arbeit der Nordischen Institute wurde spätestens ab 1941 nur auf Sparflamme fortgesetzt, da sich Hans Grellmann meist in Finnland aufhielt und Leopold Magon zum Wehrbezirkskommando Greifswald eingezogen war. Immerhin versuchte sich der Assistent des Schwedischen Instituts Heinz Krüger 1941 an einer Analyse zum Scheitern des „Skandinavismus“, unter dem er den Versuch verstand, das politische und kulturelle Zusammenwachsen der Länder Schweden, Finnland, Norwegen und Dänemark zu gestalten. Diese von Sozialdemokraten, Liberalen und Konservativen gemeinsam aus Furcht vor Veränderung vorangetriebene Politik sei jedoch „illusionärer Art“ gewesen, urteilte Krüger rückschauend. Er beschrieb diese skandinavische Politik ausführlich, um dann aber anzumerken, dass sie angesichts der sowjetischen 1317 Vgl. Nase, Johannes Paul, S. 120 ff. 1318 Vgl. ebd., S. 136 f.

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Bedrohung gegen Finnland gescheitert sei. Der Norden habe sich nicht in der Lage gesehen, seine Sache gemeinsam zu verteidigen.1319 Danach suchte er nach den Ursachen für dieses moralische Versagen und machte dafür das Festhalten an den „demokratischen Idealen des 19. Jahrhunderts“ aus, was zur Folge gehabt habe, dass sich Skandinavien „ideologisch von England abhängig“ gemacht habe und „das Judentum und die jüdisch inspirierten Kreise“ sich hätten „breitmachen“ können. Die „von außen her und mit eigener Zielrichtung eindringenden Kräfte“ hätten die nordischen Länder durchsetzt, im Bund mit dem „dichten Netz“ der Freimaurerei, die „intime englische Verbindungen“ unterhalten habe und noch immer unterhalte.1320 Belege für die freimaurerisch-jüdische Weltverschwörung führte Krüger ebenso wenig an wie für seine optimistische Grundannahme, dass in Schweden jetzt ein Umdenken beginne. Dort begännen jetzt „in ihrem Wesen gänzlich andersgeartete Prinzipien“ hervorzutreten, die ein „positives“ Verhältnis zum „deutschen Volk und Reich“ gestalten wollten.1321 Solcherart Analysen waren nutzlos, weil sie mehr über den Autor als zur Sache aussagten. In den Instituten wurden aber auch Übersetzungen von Artikeln und Werken der skandinavischen Fachliteratur angefertigt. Ab 1942 übersetzte die gebürtige Norwegerin Valborg Noack von Magnus Olsen Ættegard og Helligdom (Erbhof und Heiligtum) und von Knut Listøl Upphavet til de islendske Ættesaga (Ursprünge der isländischen Familiensaga). Beide Werke stünden, so der antragstellende Leopold Magon als Direktor des Norwegischen Instituts, „in Norwegen in hohem Ansehen und gelten als Musterleistung norwegischer Forschung“. Insbesondere Olsens Buch behandle geschichtliche Probleme, die auch für die deutsche Ortsnamensforschung „und darüber hinaus für die Geschichte des germanischen Kults von Bedeutung sind“. Beide Übersetzungen waren 1944 noch nicht abgeschlossen, und es erschien dem Sachbearbeiter fraglich, ob die Bücher noch gedruckt werden könnten.1322 Von den Tagesarbeiten der Übersetzungen hat sich in den Akten fast nichts erhalten. Anita Ravnkilde vom Dänischen Institut übersetzte jedoch 1944 einen Artikel aus der Zeitschrift Ragnarøk über das sowjetische Kriegspotential. Der Journalist hatte anhand von sowjetischen Statistiken die mögliche Zahl kämpfender Sowjetsoldaten errechnet (7,3 Millionen). Die Übersetzung wurde im November 1944 an das Kuratorium (des Ahnenerbes?) beim Reichsführer SS gesandt.1323 1319 Vgl. Krüger, Heinz: Der letzte skandinavistische Versuch und die Ursachen seines Versagens, in: Jomsburg, Jg. 4, Heft 1, 1941, S. 102–114. 1320 Vgl. ebd., S. 111 f. 1321 Vgl. ebd., S. 114. 1322 Vgl. BA R 153/1188. 1323 Es handelte sich um Lund, Georg: Litt om Sovjets krigspotential, in: Ragnarøk 7/8 1943.

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Obwohl der wissenschaftliche Ertrag der Nordischen Institute außerordentlich bescheiden war, stand ihre Auflösung jedoch nicht zur Disposition, wie 1942 deutlich wurde. Nach der feierlichen Übergabe des Rektorats an Carl Engel am 2. Juni 1942 fand auch eine Besprechung statt, an der Engel, der Leiter der Publikationsstelle Dahlem Johannes Papritz, der einflussreiche „Nestor der Ostforschung“ Albert Brackmann und Gauleiter Schwede-Coburg teilnahmen. Brackmann war bei der Feier zum Ehrensenator der Universität ernannt worden, weil er den Volkswirten Oberländer und Seraphim den Zugriff auf die Finanzmittel der Ostforschung ermöglicht hatte, jetzt sollte es um die Neuausrichtung der nordischen Auslandsinstitute gehen. Schwede-Coburg betonte die „Wichtigkeit der Arbeit der nordischen Institute“, womit er einen Pflock einschlug und demonstrierte, dass ihre Existenz nicht zur Debatte stehe.1324 Im Dezember 1943 fertigte der SS-Untersturmführer Jürgen von Hehn ein Dossier über die Nordischen Auslandsinstitute an und kam zu dem Schluss, dass sie zur Zeit „entweder gar nicht oder in sehr beschränktem Maße arbeitsfähig“ seien. Sie befänden sich zudem im Zuständigkeitsbereich des Erziehungsministeriums, so dass Amt VI G, also die SD-Abteilung für wissenschaftlichen Nachrichtendienst und „Volkstumspolitik“, sich ihrer „nur in geringem Maße“ werde „bedienen können“. Die Ausstattung befand er jedoch für wertvoll. So sei die Bibliothek eine „gute schwedische Handbücherei“, und der Kartenbestand sei bedeutend. Die Bibliothek des Finnischen Instituts sei die größte finnische Bücherei außerhalb Finnlands. Die Buchbestände des Dänischen, Norwegischen und Isländischen Instituts seien jedoch „unbedeutend“ und kämen für „tatsächliche wissenschaftliche Arbeit“ nicht in Frage.1325 Trotzdem wurden die Institute von der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft 1944 in die jetzt dringliche „Skandinavienarbeit“ eingebunden. Um sich einen Überblick über den erreichten Stand zu verschaffen, setzte von Hehn für den 28. und 29. Februar eine Besprechung an, an der Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamts, der Leiter der Nord- und Ostdeutschen Arbeitsgemeinschaft Johannes Papritz, SS-Hauptsturmführer Falk vom Reichskommissariat Oslo, der Leiter des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts Stockholm Helmut Bauersfeld, mehrere Mitarbeiter des Auswärtigen Amts, der zur Deutschen Gesandtschaft in Stockholm abgeordnete Heinz Krüger und die Greifswalder Professoren Engel, Paul, Seraphim, Rosenfeld, Hofmeister, Noack und Magon sowie der Rostocker Dozent Hans Koch, ebenfalls ein SD-Mitarbeiter, teilnahmen. Krüger gab einen Überblick über die Lage in Schweden, Bauersfeld beschrieb die dortigen Emigrantenvereine und skizzierte die wissenschaftliche Arbeit seines neugegründeten Instituts, dem es al1324 Vgl. R 153/1712. 1325 Vgl. R 58/131, Bl. 284.

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lerdings an Mitarbeitern fehlte. Falk gab ein Bild der „geistigen Situation“ in Norwegen, wobei er insbesondere betonte, so das Protokoll, „dass die norwegische Intelligenz durch auflösende Ideen außerordentlich stark verseucht sei“. Außerdem gab er den Anwesenden Zitate aus Briefen norwegischer Studenten zur Kenntnis, die in Deutschland studierten und mit denen er die Hoffnung verband, dass sich „unter ihnen eine geistige Wandlung anbahne“. Koch berichtete über den in Rostock geschaffenen Lehrstuhl für „Nordisches“ und betonte die gute Entwicklung der Beziehungen zu Finnland. Papritz fasste die mageren Ergebnisse zusammen und kündigte an, vertrauliche Mitteilungen über verschiedene wichtige Fragen Skandinaviens zusammenzustellen, und bat die Anwesenden um Mitarbeit. Im kleinen Kreis wurde dann die Arbeit des Schwedischen Instituts scharf kritisiert. Die dort erstellten Presseberichte seien oberflächlich und falsch angelegt, urteilte Edith Lauda vom Auswärtigen Amt. Das Institut solle sich künftig auf Kulturpolitik, Landeskunde und Volkstumsfragen beschränken. Politische Fragen dürften von ihm nicht mehr behandelt werden. Paul und Krüger wehrten sich gegen die Kastrierung einerseits, andererseits stünden für tiefergehende Analysen keine Arbeitskräfte zur Verfügung. Dem Protokoll des SD-Mannes ist die Unzufriedenheit mit der Besprechung anzumerken. Wenn auch zugegeben werden müsse, „dass Wissenschaftler, die sich in der Arbeit mit Skandinavien beschäftigen, ein richtiges Bild der dortigen geistigen Situation“ hätten. Aber sie verfügten über „viel zu wenig Initiative, Schwungkraft und Elastizität, als dass die Hoffnung bestünde, mit ihrer Hilfe die Skandinavien-Arbeit zu aktivieren“. Es sei bezeichnend, dass Paul sich nach der Entlassung aus der Wehrmacht nicht in seine Arbeit hineinknie, sondern einen Skandinavienauftrag des Rundfunks angenommen habe. Darüber hinaus sei die „politische Zuverlässigkeit“ einiger „durchaus unsicher“, gemeint war damit ausweislich des Protokolls Ulrich Noack. Es sei sicher nötig, die Greifswalder Institute mit Personal zu unterstützen, so von Hehn, aber eigentlich müsse die Publikationsstelle Dahlem aus Sicht des Reichssicherheitshauptamts „zu einer intensiven eigenen Skandinavien-Arbeit“ kommen.1326

5.7 Nationalsozialistisches Strafrecht

Der 1902 geborene Hans Dieter Freiherr von Gemmingen hatte sich 1932 in Greifswald mit einer Schrift über die Rechtswidrigkeit des Versuchs für Straf- und Strafprozessrecht habilitiert.1327 1933 war er in die SA und in die NSDAP eingetreten, später bekleidete er ein Amt als politischer Leiter. Im September 1933 legte er eine 1326 Vgl. R 58/131, Bl. 286 ff. 1327 Vgl. Gemmingen, Hans Dieter Freiherr von: Die Rechtswidrigkeit des Versuchs, Breslau 1932.

5.7 Nationalsozialistisches Strafrecht

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Broschüre vor, mit der er die Umgestaltung des Strafrechts „im Geiste Adolf Hitlers“ forderte. Davon ausgehend, dass der Nationalsozialismus nicht die Lösung, sondern eine „Aufgabe“ sei, ging er der Frage nach, wie der „sozialautoritäre Gedanke“ des neuen Strafrechts auszugestalten sei.1328 Die NSDAP habe allerdings kein fertiges Strafrechtsprogramm mitgebracht, weshalb ergründet werden müsse, wie sich Hitler den Problemen stelle. Jener stehe für die „Erziehung“ der liberalistisch-atomistischen „Gesellschaft“ von Einzelwesen zur „organisch-völkisch gedachten Gemeinschaft, also zum Volk“. Es müsse also gestraft werden mit „dem Gefühlston des Vorwurfs“, weil nur so das Volk zu einer „lebendigen und fruchtbringenden Anteilnahme“ an „Hitlers großem Erziehungsprogramm“ gebracht werden könne. Daher sei auch der „Mut zum Fehlschlag“ zu begrüßen, weil ein energisches, straffes Durchgreifen notwendig sei. Schließlich habe Hitler seiner SA und SS eingeschärft, „dass Untätigkeit schlimmer sei, als ein Vergreifen in der Wahl der Mittel“.1329 Zugleich sei Hitler dabei, die präventiven Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung zu verstärken, was von Gemmingen begrüßte. Zu diesen Maßnahmen rechnete er nicht nur die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern auch „Sterilisationen“, „Beamtenauslese“, „Jugendertüchtigung“ und „staatliche Überwachung wirtschaftlicher Unternehmungen“.1330 Zusammengefasst fordere der Nationalsozialismus also die Strafe als „Vergeltung für Willensschuld“ und als Fernziel ihre „Überwindung“. Notwendig sei daher „eine Auflockerung und letzte Ethisierung der Strafrechtsnormen.“1331 Da die mit Denkschriften und Zeitschriftenartikeln geführte Debatte aus von Gemmingens Sicht in die verkehrte Richtung lief, nämlich zur Festlegung möglichst harter Mindeststrafen, schob er 1934 ein umfangreicheres Werk zur Praktikabilität im Strafrecht nach. Hier begründete er noch einmal die Notwendigkeit der Flexibilisierung der Strafrechtsnormen. Die „Vergeltung“ werde wieder zum geltenden Recht, wie die neue Dienst- und Vollzugsordnung für den preußischen Strafvollzug und das neue Gesetz zur Bekämpfung von Gewohnheitsverbrechern zeige. Die mit dem Gesetz eingeführte Sicherheitsverwahrung, so lange es die „öffentliche Sicherheit erfordert“, definierte von Gemmingen nicht als Strafe, sondern als präventive Maßnahme. Wenn der Gesetzgeber aber zu diesem Mittel greife, müsse die Frage gestellt werden, ob diese Prävention auch mit einem anderen Mittel erreicht werden könne, etwa die Verhängung der Todesstrafe über „nicht ganz zurechnungsfähige Täter“. So erreiche ein Richter „den Sicherungszweck auf eine höchst praktikable Weise, ja er erreicht ihn besser“, so 1328 Vgl. Gemmingen, Hans Dieter Freiherr von: Strafrecht im Geiste Adolf Hitlers, Heidelberg 1933, S. 10. 1329 Vgl. ebd., S. 16 ff. 1330 Vgl. ebd., S. 19 f. 1331 Vgl. ebd., S. 26.

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von Gemmingen, „als er dies durch Maßnahmen anderer Art erreichen könne“. Wenige Absätze später relativierte er diese Forderung etwas, indem er betonte, dass eine „vorwerfbare Willensbekundung“ vorliegen müsse, wenn diese fehle, sei die Strafe nicht zu verhängen.1332 Der Gesetzgeber verzichtete auf die Unterscheidung von Prävention oder Sühne, sondern begründete die Strafzumessung am 4. September 1941 mit beiden Motiven und erreichte so höchste Flexibilität. „Gefährliche Gewohnheitsverbrecher“, „Sittlichkeitsverbrecher“ verfielen der Todesstrafe, „wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne es erfordern“.1333 Nach dem Rücktritt Merkels war die ordentliche Professur für Strafrecht vakant, so dass die Fakultät eine Liste mit vier Vorschlägen einreichte. An Platz 1 setzte sie den Leipziger Kriegsgerichtsrat Ulrich Stock, einen Befürworter der exzessiven Ausweitung der Todesstrafe.1334 Die Fakultät erhoffte sich von ihm zugleich die Vertretung des Fachs Wehrrecht.1335 Platz 2 nahm Gottfried Boldt ein, Extraordinarius in Königsberg. Boldt, wie Stock ein überzeugter Nationalsozialist, wurde 1940 in die Kieler „Stoßtruppfakultät“ berufen.1336 Die Antwort des Ministeriums war ablehnend, alle Genannten seien „nicht verfügbar“. Man solle sich zum Lehrstuhlvertreter Erich Schinnerer äußern, außerdem zu Hans von Gemmingen, der als Privatdozent ohnehin in Greifswald gelehrt hatte und in Halle vertrat. Gemmingen wurde als Hausberufung betrachtet und rundheraus abgelehnt, über Schinnerer äußerte man sich freundlich.1337 Am 17. Februar 1937 präsentierte die Fakultät eine neue Berufungsliste. Gemmingen halte sie zwar für „durchaus“ geeignet, „das Strafrecht als zweiter Mann“ neben einem erfahrenen Ordinarius auszuüben. Noch einmal wies die Fakultät darauf hin, dass es „unzweckmäßig“ sei, einen Dozenten innerhalb der Fakultät aufrücken zu lassen. Dem Dozenten Schinnerer möge endlich ein „definitiver amtlicher Wirkungsbereich“ zugewiesen werden, der ihm „uneingeschränkt“ die Möglichkeit zu weiterer wissenschaftlicher Arbeit biete. Er sei zwar „geeignet“, aber durch seine Vertretungstätigkeit in seiner wissenschaftlichen Produktion gehemmt worden. Nach diesen beiden ablehnenden Voten brachte die Fakultät die Person Hans-Jürgen Bruns ins Spiel, dessen Habilitationsschrift ihr als „glückliche Synthese zwischen den im Reichsjustizministerium gewonnenen Erfahrungen und echter wissenschaftlicher 1332 Vgl. Gemmingen, Hans Dieter von: Probleme der Strafrechtsanwendung. Ein Beitrag zur Praktikabilitätslehre, Tübingen 1934, S. 137 ff. 1333 Vgl. Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4. September 1941, in: RGBl. I, 1941, S. 549. 1334 Vgl. Brümmer-Pauly, Kristina: Desertion im Recht des Nationalsozialismus, Berlin 2006, S. 86 f. 1335 Vgl. UAG K 5977, Bl. 6. 1336 Vgl. Wiener, Christina: Kieler Fakultät und „Kieler Schule“, S. 155. 1337 Vgl. UAG K 5977, Bl. 6 ff.

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Gestaltungskraft“ erschien. Es werde ja „gewünscht“, einen Mann zu gewinnen, der mit den „Reformarbeiten“ auf dem Gebiet des Strafrechts „bestens vertraut“ sei und daher geeignet, „den juristische Nachwuchs in die Fülle neuer Probleme einzuführen, die durch das neue Strafgesetzbuch aufgeworfen“ würden. Die Fakultät strich noch einmal heraus, dass Bruns kein „Praktiker“ im engeren Sinne sei, sondern wissenschaftlich arbeite, und betonte seine politische Zuverlässigkeit: „Der NSDAP gehört er seit Ostern 1933 an, der SS seit Juni 1933.“1338 Rektor Reschke nahm zum Antrag der Fakultät positiv befürwortend Stellung. Schinnerer sei zwar allen „ein lieber Kamerad“ geworden, in seiner ganzen Art eine „wirklich erfreuliche menschliche Erscheinung“. Er sei davon überzeugt, dass er einmal ein guter Universitätslehrer werde, wenn er Gelegenheit bekomme, „in aller Ruhe an einer für ihn geeigneten Stelle weiterzuarbeiten“. Bruns hingegen erscheine ihm nach den Schilderungen von Dekan Köttgen, „ein sehr geeigneter Mann für den Lehrstuhl“ zu sein. Es sei zwar ungewöhnlich, dass er aus der Praxis komme, aber „vielleicht nicht unerwünscht“. Voraussetzung für seine Ernennung sei „natürlich“ die Beurteilung durch den Wissenschaftsminister und den Stellvertreter des Führers, die in dessen Stab vorgenommen werden könne.1339 Bei der Berufung des SS-Offiziers Hans-Jürgen Bruns handelte es sich also ausdrücklich um einen Wunsch der gesamten Fakultät, das Schreiben an das Wissenschaftsministerium wurde von Dekan Köttgen und den Professoren Preyer, Molitor, Fleck, Rühland, Löning, Seidl und Oberländer unterschrieben.1340 Vertreten wurde der Lehrstuhl für Strafrecht durch Erich Schinnerer, dem allerdings auf dem 2. Internationalen rechtsvergleichenden Kongress in den Haag 1937 ein Fauxpas unterlief. Dort hielt er ein Referat zu Wirkungskreis und Organisation der Staatsanwaltschaften, das er wenig später in der Schriftenreihe der Akademie für Deutsches Recht veröffentlichte. Darin äußerte er deutliche Kritik daran, dass das Legalitätsprinzip und das staatsanwaltliche Anklagemonopol durch die selbstständige Tätigkeit der Polizei „ausgehöhlt“ würden.1341 Das war an sich eine nicht zu bestreitende Tatsache, weil das Gestapo-Gesetz Inhaftierungen zu einer nicht gerichtlich überprüfbaren Verwaltungsentscheidung gemacht hatte – brachte ihm aber eine vernichtende Kritik in der Zeitschrift Deutsches Strafrecht ein. „Sollte dies, was sehr zweifelhaft erscheint, tatsächlich zutreffen“, schrieb der Rezensent, „so würde dies eine Entwicklung sein, die sich im Widerspruch mit dem Gesetz vollzogen hätte.“ 1342 So 1338 ebd., Bl. 10 ff. 1339 ebd., Bl. 9. 1340 ebd., Bl. 12. 1341 Vgl. Schinnerer, Erich: Wirkungskreis und Organisation der Staatsanwaltschaften, Berlin 1938, S. 80. 1342 Klee [ohne Vorname]: Rezension zu ebd., in: Deutsches Strafrecht, Bd. 5, 1938, S. 408.

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weit war Schinnerer nicht gegangen, dass er die Polizei direkt angriff, er hatte lediglich die Frage aufgeworfen, inwieweit ein neues Strafverfahrensrecht dieser Entwicklung begegnen könne.1343 Da Schinnerer, der der NSDAP 1933 in Österreich beigetreten war, sich in London bei der Auslandsorganisation engagiert hatte und an der Berliner Universität dem Dozentenführer assistierte, erlebte er keinen Karrierebruch. Im Juli 1939 erhielt er eine Dozentenstelle und wurde wenige Monate später der KarlsUniversität in Prag als außerplanmäßiger Professor zugewiesen.1344 Nachdem Bruns 1938 an der Universität Breslau habilitiert war, wurde er 1939 zum außerordentlichen Professor für Strafrecht berufen. In seiner Habilitationsschrift widmete er sich den Tatbestandsmerkmalen und deren normativer Fassung. Ausdrücklich wandte er sich dabei gegen die Auffassung von Gemmingens, der festere „Konturen“ für das Strafrecht durch Aktivitäten des Gesetzgebers angemahnt hatte. Bruns forderte den Ausbau der „wertenden Freiheit des Richters“, der die Höhe der Strafe „in seiner weltanschaulichen Gebundenheit an die Werturteile der Gemeinschaft zu suchen und zu finden“ habe.1345 In der Zusammenfassung seiner Arbeit betonte er noch einmal, dass bei dem Finden eines Urteils vor allem das „natürliche Volksempfinden“ berücksichtigt werden müsse, wobei er sich ganz im Einklang mit den Entwürfen für das gerade im Entstehen befindliche neue Strafgesetzbuch befand.1346 In der von Roland Freisler herausgegebenen Zeitschrift Deutsches Strafrecht widmete er sich der Frage, wie ein versuchtes Verbrechen zu beurteilen sei, wenn es mit untauglichen Mitteln begangen wurde. Dabei konstatierte er, dass sich derzeit „die einhellige Wendung des kommenden Strafrechts zum Willensstrafrecht“ vollziehe, also die Person des Täters zum Maßstab genommen werde und nicht allein die Tat, selbst wenn sie wegen untauglicher Mittel nicht verübt werden konnte. Damit nicht genug; Bruns diskutierte dann ein Gerichtsurteil zur sogenannten Rassenschande und kam zur Bejahung des Grundsatzes, dass Irrtum nicht vor Strafe schütze, auch wenn Täter oder Täterin zum Zeitpunkt der „Tat“ nichts über die Konfession ihrer Vorfahren gewusst hätten.1347 Bruns stellte sich damit ausdrücklich auf die Seite jener Juristen, die im Gesetzeszweck nicht mehr die Ahndung der Tat erblickten, sondern Gesinnung unter Strafe gestellt wissen wollten. 1343 Vgl. Schinnerer, Wirkungskreis, S. 81. 1344 Vgl. Lösch, Geist, S. 341 ff. 1345 Vgl. Bruns, Hans-Jürgen: Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken. Beiträge zu einer selbständigen, spezifisch strafrechtlichen Auslegungs- und Begriffsbildungsmethodik, Berlin 1938, S. 316. 1346 Vgl. ebd., S. 332. 1347 Vgl. Bruns, Hans-Jürgen: Zur Frage der Strafbarkeit des „Versuchs“ eines untauglichen Subjekts. Änderung der bisherigen Rechtsprechung des Reichsgerichts?, in: Deutsches Strafrecht, Bd. 5, 1938, S. 161 f.

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Als Bruns 1942 an die Reichsuniversität Posen berufen wurde, platzierte die Fakultät Karl Alfred Hall (Gießen) auf Platz 1. Dabei handelte es sich um einen Dozenten, der 1933/34 vorübergehend der SA angehört hatte, aber ausweislich der Dozentenkartei im Wissenschaftsministerium „keine aktive politische Betätigung“ vorweisen konnte.1348 An zweiter Stelle benannte sie Karl Peters, der sich 1931 in Kiel mit einer, so die Fakultät, „gediegenen“ Studie über Die kriminalpolitische Stellung des Strafrichters bei der Bestimmung der Strafrechtsfolgen habilitiert hatte und in Köln als Staatsanwalt arbeitete. Seitdem hatte er eine Reihe von Aufsätzen veröffentlicht, wobei die Fakultät den Aufsatz über das Wesen der Revision in Strafrechtssachen besonders herausstellte.1349 Seinen Aufsatz über das Wesen des gesunden Volksempfindens benannte sie, kommentierte ihn aber nicht. Sie wies aber auf dessen Monographie zu Zeugenlüge und Prozessausgang aus dem Jahr 1939 hin, die in „maßgebenden Fachkreisen eine ausgezeichnete Besprechung gefunden“ habe. Außerdem habe er sich intensiv mit dem Jugendstrafrecht befasst. Die Fakultät wies noch darauf hin, dass er 1933 der NSDAP beigetreten und „in der Schulungsarbeit der Partei“ eingesetzt worden war.1350 Die erwähnte Habilitationsschrift wurde 1932 veröffentlicht und war eine außerordentlich klare und differenzierte Analyse der Folgen richterlichen Handelns. Peters stellte das Problem der Gebundenheit und des freien Ermessens der Richter in den Mittelpunkt seiner Arbeit und betrachtete akribisch alle Aspekte der Strafzumessung in sozialpolitischer und kriminalpolitischer Hinsicht. Einen eigenen Punkt widmete Peters dem „Fehlen einer einheitlichen Auffassung der Rechtsgemeinschaft“, was im Widerspruch zu dem später in der Rechtsfindung grundsätzlich gewordenen Gedanken eines „gesunden Volksempfindens“ stand. Auch die von Peters sehr breit dargestellte Möglichkeit einer Strafaussetzung bei „Wohlverhalten“ entsprach nicht dem nationalsozialistischen Zeitgeist. Peters begrüßte sie grundsätzlich, weil er den straffällig gewordenen Menschen mit seinen individuellen Entwicklungsmöglichkeiten als Mittelpunkt des Strafverfahrens sah.1351 Von diesen Auffassungen wich Peters nicht ab, wie eine Rezension zeigt, die er 1939 einem Buch über Die unbestimmte Verurteilung im Jugendstrafrecht widmete. Der Verfasser trat für die Einführung eines relativ unbestimmten Strafurteils mit oberer und unterer Grenze der Freiheitsstrafe ein, abgestellt auf die individuelle Entwicklung des Täters in der Haft. Dies jedoch per Gesetz vorzuschreiben ging Peters zu weit, er bevorzuge das „österreichische System“, das den Strafrahmen im Einzelfall vom Richter festsetzen ließ. Es sei notwendig, so 1348 Vgl. BA R 4901/13265 Karteikarte Hall. 1349 Vgl. Peters, Karl: Tat, Rechts- und Ermessungsfragen in der Revisionsinstanz, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 57, S. 53. 1350 Vgl. UAG K 5977, Bl. 138. 1351 Vgl. Peters, Karl: Die Kriminalpolitische Stellung des Strafrichters bei der Bestimmung der Strafrechtsfolgen, Berlin 1932.

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Peters, dabei auch den „Sühnegedanken“ zu berücksichtigen, der vom Verfasser in den Hintergrund gerückt worden war.1352 1944, als Peters bereits zum Ordinarius in Greifswald berufen worden war, kommentierte er das neue Reichsjugendgerichtsgesetz. In seiner Einleitung lässt sich zwischen den Zeilen eine vorsichtige Kritik am Grundsatz der Einheitsstrafe herauslesen, explizit äußerte er sie ebenso wenig wie an der Erweiterung des Begriffs vom jugendlichen Gewohnheitsverbrecher oder an der Allgemeinverfügung des Reichsjustizministeriums zum Vollzug der „Schutzhaft an Jugendlichen“. Diese Anordnung druckte er kommentarlos im Anhang ab.1353 Seiner Überzeugung, dass die Strafzumessung vom Richter im Hinblick auf die Person des Straffälligen trotzdem individuell festzulegen sei, gab er im Vorwort Ausdruck. Bei der „Rechtsverwirklichung“ müssten Staatsanwälte und Richter getragen sein „von der Liebe zur Jugend, von der Kenntnis ihrer seelischen Lage und Nöte und von dem ernsten Streben um die Einordnung der gefährdeten und gestrauchelten Jugendlichen in das Volksganze“. Der „Rechtsanwendende“ müsse die Fähigkeit besitzen, „mit der Jugend zu denken und zu fühlen, um sie leiten zu können“.1354 Diese Gedanken zur Individualisierung des Strafrechts und zur Gewissenhaftigkeit bei der Strafzumessung durch den Richter sollten Peters später zu einem der einflussreichsten Strafrechtslehrer der Bundesrepublik werden lassen.1355 Bevor er jedoch in Greifswald berufen wurde, stellte Peters seine Auffassung zur Frage des „gesunden Volksempfindens“ dar. Als Ausgangspunkt wählte er die historische Schule des 19. Jahrhunderts, die es sich zur Aufgabe gemacht habe, die Quellen des Rechts im Volk zu bestimmen. Daran knüpften die Leitsätze des NSDAP Reichsrechtsamts an. Sie würden eben das wiedergeben, wie auch das „reiche Schrifttum“ zu dieser Frage, vor allem das von Roland Freisler, damals Staatssekretär im Preußischen Ministerium für Justiz.1356 Nach weitschweifigen und unpräzisen Erörterungen zur kontrollierenden und konstituierenden Funktion des „gesunden Volksempfindens“ ging Peters zu konkreten Fällen über, in denen er Urteile aus der Weimarer Zeit anprangerte, die gegen „gesundes Volksempfinden“ verstoßen hätten, und leitete daraus eine „sittliche“ Bindung des „Volksempfindens“ 1352 Vgl. Peters, Karl: Rezension zu Helmut Meins: Die unbestimmte Verurteilung im Jugendstrafrecht, Hamburg 1939, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 59, 1939, S. 677 f. 1353 Vgl. Peters, Karl (Hg.): Reichsjugendgerichtsgesetz vom 6. November 1943 mit ergänzenden Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften aus dem Gebiete des Jugendstrafrechts, Berlin 1944, S. 5 und 526 f. 1354 Vgl. ebd., S. 6. 1355 Tiedemann, Klaus: Peters, Karl Albert Josef, in: Neue Deutsche Biographie 20, 2001, S. 241 f. [Onlinefassung], http://www.deutsche-biographie.de/pnd118740237.html, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 1356 Vgl. Peters, Karl: Das gesunde Volksempfinden. Ein Beitrag zur Rechtsquellenlehre des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Deutsches Strafrecht, Neue Folge, Bd. 5, 1938, S. 338.

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ab. Daraus folge, dass im Ausland begangene Straftaten auch dann verfolgt werden müssten, wenn sie nach dortigem Recht nicht strafbar waren. Das gelte, so Peters weiter, zum Beispiel für den Tatbestand der „Rassenschande“ nach dem „Blutschutzgesetz“ oder den der „widernatürlichen Unzucht“. Gemeint waren Geschlechtsverkehr mit Menschen jüdischer Herkunft oder homosexuelle Beziehungen. Peters empfahl sogar eine Neudefinition des Begriffs der „beischlafähnlichen Handlungen“ im Hinblick auf den „regelwidrigen, entarteten Verkehr“.1357 Im Strafrechtsprozess insgesamt sollten die „Verteidigungsrechte“ je nach „Person“ und „der Sache nach“ im Einzelfall eingeschränkt werden können. Denn das „ formale Recht“, müsse nur dann durchgesetzt werden, wie das Reichsgericht festgestellt habe, wenn die Durchsetzung dem „gesunden Volksempfinden“ entspreche.1358 Wonach aber bemaß sich Peters zufolge das „gesunde Volksempfinden“? In der Mehrzahl der Fälle sei ein „eindeutiges Erfassen der Volksanschauungen“ problemlos möglich, weil der Richter ja „selbst ein Glied des Volkes“ sei. In den Fällen, „wo die Ansichten auseinandergehen“, orientiere sich der Richter an „den Kundgebungen der Volks- und Staatsführung“, weil in den „politischen Grundanschauungen“ das „Volksempfinden“ eben seinen Ausdruck finde. Peters verknüpfte seine Auffassungen mit Überlegungen zur „Erziehung“ des künftigen „Rechtswahrers in der Justizausbildung“. Diese müsse geprägt sein von „lebendigen Beziehungen zu Volk und Wirtschaft“. Das geschehe vor allem durch die „Erfassung des Rechtswahrers in den verschiedenen Organisationen“, die ja alle Gliederungen der Partei waren. Außerdem habe sich jeder Jurist selbst zu erziehen im Sinne eines „völkischen Geistes“. Die daraus resultierende „Gleichartigkeit der politischen Anschauung, Gleichheit der Schulung, Gleichartigkeit der Bildung, Gleichartigkeit des Berufsethos“ bedingten dann notwendigerweise eine „gewisse gleichartige Stellung des Richters zum Volksempfinden“.1359 Die Aufgabe der Wissenschaft sei es, an der Entwicklung von „Auslegungsmethoden“ mitzuarbeiten und einzelne Tatbestände genauer zu untersuchen. Bei dieser Tätigkeit dürfe die Wissenschaft „eine Gefahr nicht übersehen, nämlich die Gefahr, dass die Aufstellung von Regeln und Grundsätzen – falsch durchgeführt und angewandt – zur Abstrahierung und Lebensferne“ führen könne. Damit werde gerade das Gegenteil von dem erreicht, „was die Einführung des Begriffs des gesunden Volksempfindens bezweckte“.1360

1357 Vgl. ebd., S. 346 f. 1358 Vgl. ebd., S. 347. 1359 Vgl. ebd., S. 349. 1360 Vgl. ebd., S. 350.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

5.8 Völker- und Polizeirecht

1933 wurde der Privatdozent Walter Hamel zur Mitarbeit an dem Handbuch zur Volksabstimmung für die Volksabstimmung im Saarland herangezogen. In diesem Handbuch bereiteten Historiker, Ökonomen und Juristen die Argumente für eine Zugehörigkeit des Saarlands zum Deutschen Reich wissenschaftlich auf. Es bekam ein gleichsam offizielles Gewicht dadurch, dass Vizekanzler Franz von Papen ein Vorwort beisteuerte. Hamel fiel dabei die Aufgabe zu, die staatsrechtliche Stellung des Saarlands zu untersuchen, wofür er den Versailler Vertrag auf seine Bestimmungen hin untersuchte und zu dem Schluss kam, dass der Völkerbund und die von Frankreich eingesetzte Regierungskommission lediglich eine internationale Mission ausübten, also „fremde Rechte und Interessen“ verwalteten. Das Saargebiet stelle also, anders als von Frankreich behauptet, „keinen Staat“ dar. Die Regierungskommission habe jedoch in die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten der deutschen Bewohner eingegriffen und damit ihre „Amtsgewalt missbraucht“. Damit habe Frankreich dazu beigetragen, dass die „Hoffnung, der Völkerbund werde einen gerechten Ausgleich internationaler Interessen herbeiführen immer mehr“ schwinde.1361 Die Analyse war logisch strukturiert und interpretierte die einzelnen Paragraphen des Versailler Vertrages in der Art eines Gutachtens, das auch vor einem internationalen Schiedsgerichtshof Bestand haben würde. Detailliert legte er dar, dass der Weg zur Volksabstimmung bereits durch den Versailler Vertag festgeschrieben war. Auch sei damals die Regierungskommission nicht mit hoheitlichen Rechten ausgestattet worden. Das könne nur durch das Mandat eines „souveränen Willens“ geschehen. Inhaber der Souveränität sei aber nach den Bestimmungen des Vertrags und des Saarstatus das Deutsche Reich. Das verpflichtend vorgeschriebene Plebiszit binde den Völkerbund also, und nur im Fall einer für Deutschland „ungünstigen Entscheidung“ könne Frankreich die Hoheitsrechte weiterhin wahrnehmen. Zudem seien weder die wirtschaftlichen Erträge des Saargebiets als „Wiedergutmachungsschuld“ verbucht worden, noch, so sein starkes Argument, habe das Saarland anteilig Schulden des Deutschen Reiches übernommen, wie es bei den abgetretenen Gebieten geschehen war.1362 Während Hamel außerordentlich trockene Argumente für ein damals schwebendes völkerrechtliches Problem zusammenstellte und gleichsam als Anwalt für das Deutsche Reich plädierte, fühlte sich Hermann Jahrreiß zu einem unaufgeforderten 1361 Vgl. Hamel, Walter: Die staatsrechtliche Stellung des Saargebiets, in: Grabowsky, Adolf und Georg Wilhelm Sante: Die Grundlagen des Saarkampfes. Handbuch zur Volksabstimmung, Berlin 1934, S. 159. 1362 Vgl. ebd., S. 135 ff.

5.8 Völker- und Polizeirecht

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Kommentar zum Austritt des Reichs aus dem Völkerbund veranlasst. In einer 1934 veröffentlichten Broschüre mit dem Titel Revisionskampf um Europa präsentierte er eine bunte Mixtur aus juristischen, philosophischen und politischen Überlegungen, mit denen Europa aus der „Sackgasse“ der französischen Hegemonie herausfinden könne.1363 Es war ihm wichtig zu betonen, dass diese Revision der Verhältnisse friedlich erfolgen müsse, aber eben das sei ja auch das Anliegen Hitlers, der den Austritt aus dem Völkerbund am 14. Oktober 1933 verkündete. Deutschland habe den Bund vergeblich „Jahr um Jahr zur Erfüllung seiner Aufgaben zu bringen versucht“, so Jahrreiß, der Austritt sei darum folgerichtig gewesen. Es stelle sich daher die Frage: Wie weiter? in einer durch und durch feindlich gesinnten Welt, die auf die deutsche Innenpolitik nur „hämische Scheinwerfer“ richte. Feindliches „Dunkel“ gelte es zu erleuchten, meinte Jahrreiß pathetisch, und es erschien ihm nützlich, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Frankreichs Triumph ein Friede ohne Sieg gewesen sei, nur errungen durch die außereuropäischen Mächte. Den europäischen Krieg habe „Deutschland nicht verloren“, wohl aber den Weltkrieg, auf den kein „Weltfrieden“ gefolgt sei.1364 Jahrreiß plädierte für eine neue Ordnung Europas jenseits nationaler Interessen, es müsse sich zusammenfinden, weil es eine „Schicksalsgemeinschaft“ sei, „ob es das wahrhaben will oder nicht“. Hoffnung auf diese Verwirklichung ergebe sich durch die Aufhebung des Klassenstaates und der scheinbaren Demokratie, also durch die Verwirklichung des Konzepts vom „Volksstaat“, in dem nicht verschleiert werde, „dass die einen herrschen und die andern gehorchen“, und in dem „Befehl Befehl“ sei. Dieser Staat beanspruche für seine „Aufgaben Totalität, für die Machtausübung Autorität, für die Machtgrundlagen Tag für Tag rechtfertigendes Vertrauen, für die Machtsicherung Gewissheit der Werte“.1365 Das war ein flammender Appell, der viel von Jahrreiß’ persönlicher Weltsicht offenbart. Obwohl er der NSDAP nie beitrat, bekannte er sich zum Prinzip der Ungleichheit, weil so für die Versachlichung der „Leistung“ gesorgt werde.1366 Das unbedingte Leistungsprinzip, der soziale Darwinismus, zeichne den Nationalsozialismus ebenso aus wie das Beharren auf scheinbar in der Gesellschaft verankerten „Werten“, von denen aber lediglich das scheinbar „gesunde Volksempfinden“ Eingang in die juristische Praxis gefunden habe. Wenn Jahrreiß zugleich für Geduld plädierte, die Deutschland üben müsse, tat er das, weil andere Staaten das Modell des nationalsozialistischen Volksstaats ganz sicher übernehmen würden. „Nation auf Nation“ werde sich „innerlich finden“, was die Chance auf Ge1363 Vgl. Jahrreiß, Hermann: Der Revisionskampf um Europa. Die Krise des Völkerbunds, Leipzig 1934, S. 30. 1364 Vgl. ebd., S. V–5. 1365 Vgl. ebd., S. 25–28. 1366 Vgl. ebd., S. 28.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

spräche „von Führung zu Führung“ ermögliche. Den Anfang dazu habe Hitler mit dem Austritt aus dem Völkerbund bereits „gemacht“.1367 Während Jahrreiß pathetische Erklärungen zur aktuellen politischen Lage abgab, arbeitete Hamel an einer neuen Grundlegung des Völkerrechts aus „Blut und Boden“. Die Studie veröffentlichte er in einer Zeitschrift, die der Hitlerjugend nahestand, für deren Führer Hamel mehrfache Schulungslehrgänge auf Ordensburgen bestritten hatte. Der Text war systematisch aufgebaut und widmete sich zunächst den Grundlagen. Das Dasein eines Volkes bewege sich zwischen zwei Polen: „dem subjektiven des Blutes und dem objektiven des Bodens“. Der Zusammenhang des Blutes bestimme „eine Menschengruppe zur gemeinsamen Entfaltung ihrer leiblichen und geistigen Eigenart“. Der Boden bzw. der Raum und die Sachen, die sich darauf befinden, seien das „Objekt“, an dem jene Entfaltung vorzunehmen sei. Die Ziele seiner Politik gewinne das Volk nicht frei, sondern aus der Lage, in der es sich befinde. Aber das gemeinsame Streben einer „Volksgemeinschaft“ lasse es zu, diese „eigenen Werte“, gemeint waren Interessen, zu entfalten. Ein Volk, das sich seiner Bedeutung bewusst sei, bedürfe zur Bündelung dieser Interessen eines „Führers“.1368 Nur so ließen alle „individuellen Zwecksetzungen“ sich „in die Bestimmung der Gemeinschaft einfügen“. Schritt 2 seiner Argumentation betraf die Gebietshoheit des Staates. Es liege im Wesen der Sache, so Hamel knapp und nicht übereinstimmend mit dem Gesetz, dass das Eigentum am Boden den „Volksgliedern“ vorbehalten bleiben müsse. Die Funktion der Volksgemeinschaft sei es ja, „alle Werte und Rechte“ auf ihrem Staatsgebiet „sich einzugliedern“. Daher widerspreche das Vorhandensein nationaler Minderheiten dem „vollen Selbstbestimmungsrecht der Völker“. Dieses Selbstbestimmungsrecht sei so lange unmöglich, wie nicht feststehe, „welcher Lebensraum zu jedem Volke gehört“.1369 Schritt 3 war dann die aktuelle Begründung für das, was Hamel als „völkerrechtliches Sachenrecht“ bezeichnete, was aber als Legitimation für Grenzrevisionen dienen sollte. Die „nationalsozialistische Idee, dass Blut und Boden für einander bestimmt“ seien, gebe jedoch „das Prinzip für die Verteilung der höchsten Lebensgüter – des Lebensraums der Länder – und damit das Rückgrat für ein wahres Völkerrecht ab“. Ein solches „wahres Völkerrecht“ baue sich auf dem „dinglichen Recht eines Volkes an seinem Boden und Lebensraum“.1370 Das war zwar nationalsozialistisch gedacht und wurde auch, wie im Fall des polni1367 Vgl. Jahrreiß, Revisionskampf, S. 29 f. 1368 Vgl. Hamel, Walter: Volk, Gebiet, Staat, in: Jugend und Recht, Nr. 7 v. 15. Juli 1934, Sonderdruck, S. 3. 1369 Vgl. ebd., S. 4. 1370 Vgl. ebd., S. 7.

5.8 Völker- und Polizeirecht

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schen „Korridors“ oder des Memellands, zum Argument für die Politik. Hamel beließ es jedoch nicht dabei, sondern er konstruierte aus seinem Dreisprung – 1. Identität von Blut und Boden – 2. Bündelung der Interessen durch Diktatur – 3. neues Blutsvölkerrecht – eine mit bestechender Klarheit vorgetragene Schlussfolgerung auf die Gesellschaft selbst. Der Staat als Verkörperung der Volksgemeinschaft habe daher „ein Obereigentum, in das alle anderen Rechte an Sachen“ eingegliedert seien. Dieses „Urrecht“ rechtfertige die Macht des Staates, die Nutzung aller Sachen in seinem Gebiet, nach den Belangen des Volkes zu gestalten. Aus diesem „höchsten Rechte“ folge, dass Rechte an Sachen nur dann bestünden, wenn die Ausübung von Rechten dem Volk diene. Damit sei das Recht des Einzelnen an seinen Sachen ebenso „wie die Freiheit des Einzelnen“ vom Staat „bestimmt und gestaltet“. So viel Klarheit über die „potentielle Totalität“ des Staats, so Hamel,1371 war jedoch durchaus unerwünscht bei jenen Juristen, welche die Fiktion eines scheinbar noch bestehenden Rechtsstaats in Fachzeitschriften pflegten. Darüber hinaus garnierte Hamel den Aufsatz mit scheinbar gelehrten Arabesken über die vermeintliche Verbundenheit der Germanen mit ihrem Boden. Doch selbst dem Laien musste auffallen, dass die germanischen Rechte wie ihre Stämme wanderten, im Fall der Goten aus der heute russischen Steppe bis nach Spanien. Sätze wie der folgende sprachen daher nicht für die Kompetenz eines Bewerbers um einen Lehrstuhl: „So wie Tuista, der erdgebundene Gott, die Germanen geschaffen haben soll, so gingen auch noch für die Deutschen des frühen Mittelalters alle Bande der Gemeinschaft, alle Hoheit und Rechtsordnung aus dem Lande, der ,terra‘ hervor.“1372 Der zu dieser Zeit einflussreichste Staatsrechtler Carl Schmitt stellte Hamel daher auch ein nicht eben freundliches Zeugnis aus. Zwar seien Hamels Schriften zu „Volkseinheit und Nationalitätenstaat“ als „ganz vortrefflich“ zu bezeichnen, aber mit seiner „Neigung zu einem oft verschrobenen Spintisieren“ werde „mancher gute Einfall seiner eigentlichen Wirkung beraubt“. Darüber hinaus litten dessen Arbeiten an einer umständlichen Philosophie und seien „stellenweise unleserlich“.1373 In den folgenden Jahren veröffentlichte Hamel eine Reihe von Aufsätzen zum Polizeir­echt, die als „sorgfältige und eingehende Untersuchungen“ galten und nicht ohne Einfluss auf die Neuformulierung der entsprechenden Gesetze blieben, wie Reinhard Höhn lobend feststellte. Dieser war nicht nur Professor an der Universität Berlin, sondern auch SD-Offizier und stellvertretender Leiter des Polizeirechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht.1374 Einen dieser Aufsätze aus dem Jahr 1371 Vgl. ebd., S. 6. 1372 Vgl. ebd., S. 5. 1373 Vgl. BA R 4901/24717, Bl. 72. 1374 Vgl. Grüttner, Lexikon Wissenschaftspolitik, S. 76.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

1935 sah Hamel selbst als besonders wichtig an, weshalb er ihn als Sonderdruck zum Wissenschaftsministerium schickte. In dem Aufsatz arbeitete er die Grundsätze für ein noch zu formulierendes einheitliches Polizeirecht aus, das unmittelbar nach der Machtergreifung durch eine Flut von Verordnungen und Gesetzen angeschwollen war.1375 Zunächst grenzte Hamel die Aufgaben der Polizei im neuen Staat von denen in der Zeit des „Liberalismus“ scharf ab. Dieser habe sich an einem „wesensfremden, rationalen Freiheitsbegriff“ orientiert und der Polizei lediglich die Aufgabe der Gefahrenabwehr zugewiesen. Der Nationalsozialismus habe durch die Abschaffung dieser „liberalen Freiheitsideologie“ auch dem Polizeibegriff eine „neue Substanz“ gegeben, wie etwa das Instrument der „Schutzhaft“ zeige.1376 Wie Carl Schmitt gezeigt habe, werde jetzt „die Freiheit des Einzelnen vom Führer und Reichskanzler nach den Belangen der Nation gestaltet“, so dass der Polizei die Aufgabe zufalle, „die Eingliederung aller individueller Tätigkeit in diese Belange durch Zwang sicherzustellen“. Damit sei dem Amt der Polizei sein politischer Gehalt wiedergegeben worden, den es „in der vorliberalen Zeit stets“ gehabt habe. Die Berechtigung der Verhängung von Schutzhaft ergebe sich aus dieser politischen Bestimmung, was aber „politisch wesentlich“ sei, also den „Bestand der nationalen Gemeinschaft unmittelbar“ berühre, könne nur „von der Geheimen Staatspolizei selbst entschieden werden“. Die Ausrichtung der polizeilichen Tätigkeit an den „Belangen der Nation“, rechtfertige „die Anwendung aller Mittel“.1377 Daraus ergäben sich, so Hamel, „völlig neue Gesichtspunkte“ für die polizeiliche Praxis. Die Polizei könne zum Beispiel die „Beachtung der vom Führer bezeichneten besonderen Pflichten“ durchsetzen, etwa die Beachtung des Gebots zum Eintopfsonntag in Gaststätten. Auch die Inhaber bestimmter Rechte könnten polizeilich zur Einhaltung bestimmter Grundsätze der Volksgemeinschaft aufgefordert werden, ohne dass es dazu einer Gesetzesänderung bedürfe. So dürfe die Polizei gegen Vermieter vorgehen, die sich weigerten, kinderreiche Familien aufzunehmen. Ein weiterer wichtiger Wandel sei aber darin zu sehen, dass nicht mehr geprüft werden müsse, ob eine bestimmte Handlung Anlass zu „Ärgernis“ gegeben habe, sondern jetzt komme es darauf an, ob solche Handlungen an sich „Moral und nationale Würde“ verletzten. So sei wegen der Pflicht zur „Reinheit und Gesundheit der Rasse“ ein „Konkubinat deutscher Volksgenossen mit fremdrassigen Personen

1375 Vgl. Graf, Christoph: Kontinuitäten und Brüche. Von der Politischen Polizei der Weimarer zur Geheimen Staatspolizei, in: Paul, Gerhard und Michael Mallmann (Hg.): Die Gestapo. Mythos und Realität, Darmstadt 1995, S. 76 ff. 1376 Vgl. Hamel, Walter: Die Polizei im nationalsozialistischen Staat, in: Deutsche Juristen-Zeitung, 40. Jg., Heft 6, 15. März 1935, Sonderdruck S. 1. 1377 Ebd., S. 2 ff.

5.9 Von der Volkswirtschaft zur Bevölkerungsökonomie

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polizeiwidrig, auch wenn ein öffentliches Ärgernis“ nicht vorliege.1378 Hamel nahm damit die Nürnberger Rassegesetze vorweg, die geschlechtliche Beziehungen zwischen Deutschen und Juden unter Strafe stellten.1379 Um die „nationalen Güter und Repräsentanten der Nation vor Verunglimpfung zu schützen“, seien früher besondere Gesetze notwendig gewesen. Heute werde die Polizei gegen jede derartige Äußerung gegen die Partei vorzugehen haben, weil diese „Trägerin des deutschen Staatsgedankens“ sei. Damit ende auch das Recht, Sympathie für andere Parteien nicht öffentlich zu bekunden, denn, so Hamel, „die Würde der Nation ist verletzt, wenn eines ihrer Glieder seine Sympathie mit Verbrechern an der Nation irgendwie zum Ausdruck bringt“. Damit begründete Hamel nicht nur die Existenz der Gestapo mit scheinbar wissenschaftlicher Exaktheit, sondern rechtfertigte auch deren geheimdienstlichen Methoden. Der Text war ein Angriff auf die sogenannte Generalklausel des Preußischen Polizeirechts, die der Polizei lediglich zugestand einzugreifen, wenn „öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ gefährdet seien. Im Geheimen Staatspolizeiamt fand der Artikel großen Anklang, so dass er mit einem erläuternden Schreiben an die nachgeordneten Gestapodienststellen geschickt wurde. Von Fachkollegen kam ebenfalls Zustimmung, aber auch Kritik. Ein Rezensent der Deutschen Juristen Zeitung hielt das Fallenlassen jeglicher Schranken der Polizeigewalt „in bewusster Anlehnung an den absoluten Staat“ für bedenklich.1380 Hamel wurde trotzdem immer wieder von der Akademie für Deutsches Recht zur Diskussion polizeirechtlicher Fragen herangezogen, stellte seine Publikationstätigkeit auf diesem Gebiet aber 1942 ein.1381

5.9 Von der Volkswirtschaft zur Bevölkerungsökonomie 5.9.1 Volkswirtschaft

Für die Wirtschaftswissenschaften versuchte die Universität Greifswald 1935 den Frankfurter Dozenten Klaus Wilhelm Rath zu gewinnen, der allerdings 1936 nach Göttingen versetzt wurde.1382 Aus Sicht der NSDAP-Parteikanzlei war Rath in Göttingen so unverzichtbar, dass er noch 1944, obwohl kriegsverwendungsfähig, „uk“ ge1378 Ebd., S. 6 f. 1379 Vgl. Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, in: RGBl. I, 1935, S. 1146 f. 1380 Vgl. Schwegel, Andreas: Der Polizeibegriff im NS-Staat. Polizeirecht, juristische Publizistik und Judikative 1931–1944, Tübingen 2005, S. 84 und 134 ff. 1381 Vgl. ebd., S. 319 f. 1382 Vgl. Szabó, Vertreibung, S. 299.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

stellt werden musste, weil seine Einberufung, „den Verlust der nationalsozialistischen Aktivität“ auf dem Fachgebiet der Wirtschaftswissenschaften in Göttingen „nach sich ziehen“ würde.1383 Zugewiesen wurde der Fakultät Dietrich Wilhelm Preyer, was sie nicht als Zugewinn betrachtete. Denn Preyer verstand sich trotz zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen, der Habilitation und zwei Doktortiteln als Politiker und, nach heutigen Maßstäben, als Lobbyist. An der Universität Königsberg trat er entsprechend auf. 1918 gründete er gemeinsam mit dem Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp den ostpreußischen Landesverband der Deutschnationalen Volkspartei und wurde deren stellvertretender Vorsitzender. Bis 1930 war er gewähltes Mitglied des Reichstags, wo er sich vor allem in Steuersachen engagierte. Nach den Verlusten der DNVP bei den Reichstagswahlen schied Preyer aus dem Parlament aus und widmete sich der Hochschulpolitik. Im Januar 1933 wurde er mit einem Stimmenverhältnis von 70 zu 30 zum Rektor der Universität Königsberg gewählt und im April 1933 einstimmig wiedergewählt.1384 Im Oktober 1933 wurde er ohne die Angabe von Gründen an die Universität Münster versetzt, was Preyer als persönlichen Affront empfand, weil es vor Ablauf seines Rektorats geschah. Trotzdem baute Preyer dort unverzagt Kontakte zur westfälischen Schwerindustrie auf und nahm den neuen Wirkungskreis an, obwohl er eigentlich ein Experte für Landwirtschaft war. Ohne Angabe von Gründen wurde er im Oktober 1935 an die Universität Greifswald versetzt, was mit einer Gehaltskürzung und anderen Unannehmlichkeiten verbunden war. Der Grund „politisch“ steht in seiner Berliner Personalakte, die Versetzung wurde Theodor Vahlen als Chef des Amts Wissenschaft von einer nicht mehr verifizierbaren Stelle nahegelegt. Ein Mitarbeiter Vahlens schlug daher eine Personalrochade vor: Hoffmann aus Greifswald wurde nach Münster versetzt, Preyer nach Greifswald. Preyer kam hier seinen Vorlesungspflichten nach, zeigte jedoch wenig Neigung, seinen Lebensmittelpunkt tatsächlich an die Ostsee zu verlegen. Auch wissenschaftlich engagierte er sich kaum, so dass die Fakultät ihn als nicht vollwertige Arbeitskraft betrachtete.1385 Mit der Personalie Theodor Oberländer schien sich im Fach Volkswirtschaft dann ein entscheidender Wandel zu eröffnen. Der weltgewandte, sprachbegabte und extrem fleißige Nachwuchswissenschaftler wurde im November 1937 nach Greifswald versetzt. Oberländers Biographie ist mehrfach geschrieben worden.1386 Der 1905 im thüringischen Meiningen Geborene hatte sich für ein Studium der Landwirtschaft in 1383 Vgl. BA BDC DS G 206, Bild Nr. 2572. 1384 Vgl. BA R 4901/20262; Grüttner, Lexikon, S. 134. 1385 Vgl. BA R 4901/20262. 1386 Vgl. Wachs, Philipp-Christian: Der Fall Theodor Oberländer (1905–1989). Ein Lehrstück deutscher Geschichte, Frankfurt am Main, New York 2000.

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München entschieden, wo er sich rechtsextremistischen Gruppen anschloss. Als Mitglied des Freikorps Bund Oberland nahm er am Hitler-Ludendorff-Putsch teil. In der NS-Zeit nutzte er seine eher zufällige Anwesenheit bei dem Ereignis für seine Karriere, nach 1945 beharrte er darauf, über Sinn und Zweck des Aufstandes nicht informiert gewesen zu sein.1387 Da er unmittelbar nach den ersten Schüssen die Flucht ergriffen hatte, konnte er sein Studium unbehelligt in Berlin fortsetzen, wobei er zahlreiche Praktika außerhalb des Reichs absolvierte. Seiner politischen Überzeugung blieb er jedoch treu und wurde Mitglied des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes, der später als Ersatzorganisation der NSDAP anerkannt wurde.1388 1927 erhielt er von der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin den Titel eines Diplomlandwirts, zwei Jahre später promovierte er dort mit einer Dissertation über Die landwirtschaftlichen Grundlagen des Landes Litauen zum Dr. agr.1389 1929 nahm er eine Assistentenstelle an der Universität Königsberg an, wo er in den Bann des nationalrevolutionären Historikers Hans Rothfels geriet. Unterstützt vom DAAD unternahm Oberländer eine Weltreise, die ihn zunächst in die UdSSR, nach China und Japan führte. Die Heimreise über Kanada und die USA finanzierte er durch Arbeit auf Farmen und in den Ford-Werken in Detroit. Inzwischen arrivierte Freunde in Deutschland animierten ihn zur Rückkehr und legten ihm eine akademische Karriere nahe. Oberländer kehrte daher nach Königsberg zurück und fand Aufnahme am Institut für Ostdeutsche Wirtschaft. Dieses Institut widmete sich nicht nur der ostdeutschen Wirtschaft, sondern auch der Ökonomie der östlichen Nachbarstaaten, was seinen Interessen nahekam. Noch einmal promoviert wurde er jedoch zunächst durch die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Königsberg mit einer knappen Studie Über die Landflucht in Deutschland und ihre Bekämpfung durch agrarpolitische Maßnahmen.1390 Oberländer profilierte sich jetzt als nationalsozialistischer Aktivist, der sich für das Deutschtum im Ausland stark machte. 1932 gründete er die Ortsgruppe des Vereins für das Deutsche Volkstum im Ausland, 1933 wurde er zum Landesvorsitzenden Ostpreußen des Bundes Deutscher Osten ernannt, dessen Reichsleitung er 1934 übernahm. Gefördert wurde diese Karriere von Rudolf Hess. Im Stab des Stellvertreters des Führers hatte Oberländer, der 1933 der NSDAP 1387 Vgl. ebd., S. 31 f. 1388 Ausdrücklich vermerkte er, „Inhaber des grünen Dauerausweises Nr. 419“ zu sein, was für sein Bestreben spricht, die Mitgliedschaft in der NSDAP „ununterbrochen“ anerkannt zu bekommen. Die entsprechenden Angaben bei Wachs sind zu relativieren. Vgl. BA R 4901/13278. 1389 Vgl. Oberländer, Theodor: Die landwirtschaftlichen Grundlagen des Landes Litauen, Berlin 1930. 1390 Vgl. Oberländer, Theodor: Über die Landflucht in Deutschland und ihre Bekämpfung durch agrarpolitische Maßnahmen, Langensalza 1933.

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beigetreten war, einflussreiche Freunde. Diese Blitzkarriere erregte wiederum den Unwillen des ostpreußischen Gauleiters Erich Koch, der Oberländer im Bund mit dessen Konkurrenten innerhalb der SS mit einer Intrige 1937 aus dessen Ämtern entfernte. Den Anlass boten angeblich geheime Schreiben, die Oberländer herumliegen gelassen habe, was nicht stimmte. Die eigentliche Ursache war seine abweichende Ansicht über den Wert der osteuropäischen Völker, die Koch rundheraus für „Untermenschen“ hielt, Oberländer hingegen nicht.1391 Zu diesem Urteil über die Osteuropäer war Oberländer durch die Forschungstätigkeit gelangt, die er in Königsberg angeregt hatte. Sein Institut für Osteuropäische Wirtschaft erstellte detaillierte Ressourcen- und Bevölkerungskarten, die bis in die Ebene der Bevölkerungszusammensetzung einzelner Gemeinden reichten. Zwar schwankte diese Tätigkeit in ihrer politischen Stoßrichtung zwischen nüchterner Analyse und radikaler „Gegnerforschung“, sie öffnete jedoch auch den Blick auf ökonomische Erfolge in den Nachbarstaaten.1392 Gefördert wurden diese Studien aus dem fast unerschöpflichen Haushalt der Publikationsstelle Dahlem, mit der die Nordostdeutsche Forschungsgemeinschaft eng verwoben war.1393 Nach den Auseinandersetzungen in Königsberg wurde Oberländer 1937 an die Universität Greifswald versetzt. Da er im Wissenschaftsministerium über enormen Rückhalt verfügte, gestattete man ihm zwei wissenschaftliche Mitarbeiter nach Greifswald zu überführen.1394 Die Versetzung war mit dem Amt Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht abgestimmt, für das Oberländer Fragen des Auslandsdeutschtums bearbeitete. Die Arbeitsgruppe, in der er tätig war, gehörte dort zur Abteilung II Sabotage und Propaganda.1395 Einer dieser Mitarbeiter war der Diplomvolkswirt Heinz Josupeit, der 1939 eine Dissertation über die Entwicklung und gegenwärtige Stellung des Genossenschaftswesens in Jugoslawien verfasste. Josupeit untersuchte die grundsätzliche Haltung der verschiedenen Volksgruppen zur Frage der Genossenschaften, nahm aber auch die Kapitalausstattung und wirtschaftspolitische Voraussetzungen in den Blick. An das Ende seiner Arbeit stellte er Überlegungen zur Bildung des „Gemeinschaftsgeistes“ bei der deutschen Volksgruppe und bejahte die Frage, ob die Bildung von Genossen1391 Vgl. Meindl, Ralf: Ostpreußens Gauleiter. Erich Koch – Eine politische Biographie, Osnabrück 2007, S. 231 ff., 342. 1392 Vgl. Haar, Ingo: Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf“ im Osten, Göttingen 2002, S. 310. 1393 Vgl. Haar, Ingo: Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft, in: Haar, Ingo und Michael Fahlbusch: Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München 2008, S. 432–443. 1394 Vgl. BA Berln R 153/1218. 1395 Vgl. Wachs, Oberländer, S. 45–60

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schaften die „Heranbildung einer Führerschicht“ in den deutschen Siedlungsgebieten fördern könne.1396 Die Schrift war akademisch, Josupeit hielt in Greifswald aber im selben Jahr noch einen öffentlichen Vortrag zu den wechselhaften Grenzziehungen zwischen Deutschland und Polen, der eher populär gehalten schien.1397 In Greifswald suchte Oberländer sofort wieder den Anschluss an die Ostforschung, nahm aber auch Kontakt mit den Parteistellen der Provinz auf. So arbeitete er ab 1938 mit dem Institut für Politische Erdkunde zusammen, dass die Gauleitung in der Ordensburg Crössinsee eingerichtet hatte. Außerdem arbeitete er in der Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung mit, deren Leitung er nach dem Unfall Lautensachs 1938 übernahm.1398 Dabei richtete er den Blick über die Grenzen hinaus und analysierte zum Beispiel die „wirtschaftliche Notlage“ in den früher preußischen Provinzen. Die „Notlage“ der dortigen Landwirtschaft beruhe auf ihrem Abgeschnittensein von ihren traditionellen deutschen Märkten. Jetzt, 1938, sah sie sich mit der Konkurrenz der polnischen Landwirtschaft konfrontiert, die wenig kapitalintensiv und sehr kostengünstig produzierte. Über den Protektionismus des Kaiserreichs, der die ostdeutsche Landwirtschaft mit Schutzzöllen vor Konkurrenz bewahrt hatte, verlor Oberländer kein Wort. Beeindruckend war allerdings die Akribie, mit der er seine Argumente vortrug. In der Studie präsentierte er eine Fülle von Statistiken etwa zum Besatz mit Schweinen und Rindern sowie Angaben zur Preisentwicklung landwirtschaftlicher Produkte, etwa Rüben, Roggen und Weizen.1399 Die Schriften seines Assistenten Peter-Heinz Seraphim waren von ähnlicher Genauigkeit geprägt, sie widmeten sich jedoch vor allem der Bevölkerung Osteuropas.1400 5.9.2 Volkstumsfragen und Bevölkerungsökonomie

Bei der Reichsgründungs- bzw. Machtübernahmefeier am 30. Januar 1939 hielt Theodor Oberländer die Festrede zu den Wahlen im Memelland, in denen am 11. Dezember 1938 die deutschfreundlichen Parteien 87,2 Prozent erhalten hatten. Oberländer rechnete vor, dass auch viele Litauer oder Litauisch- bzw. Polnischstämmige diese Parteien gewählt haben mussten. Daraus zog er den Schluss, dass die 1396 Vgl. R 73/11977; Josupeit, Heinz: Entwicklung und Stellung des Genossenschaftswesens in der jugoslawischen Volkswirtschaft, Diss., Greifswald 1940. 1397 Vgl. UAG K 6. 1398 Vgl. Vorholz, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 118. 1399 Vgl. Oberländer, Theodor: Die wirtschaftliche Notlage der früher preußischen Provinzen Posen und Westpreußen, in: Jomsburg, Jg. 1, Heft 3, 1938, S. 142 ff. 1400 Vgl. Petersen, Hans-Christian: Bevölkerungsökonomie – Ostforschung – Politik. Eine biographische Studie zu Peter-Heinz Seraphim (1902–1979), Osnabrück 2007, S. 122–140.

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Kennzeichen einer Bevölkerung wie „Sprache, Name, Rasse, Sitte und Brauchtum“ nur „sogenannte objektive Merkmale“ seien. Eine „klare Trennung“ der einzelnen Völker habe es in Osteuropa nicht gegeben, und es gebe auch „keine Grundsätze“, nach denen man Völker, „die Jahrhunderte lang miteinander gelebt und gesiedelt hatten“, trennen könne. Amerikanische Zustände seien trotzdem nicht wünschenswert, meinte Oberländer, der über die Bemühungen, am Status quo in Osteuropa etwas zu ändern, genau informiert und als Offizier der Abwehr darin involviert war. Die USA zeige, dass die „Einschmelzung des Volkstums“ zur „Verflachung“ führe. Der sowjetische Weg der „zwangsmäßigen Umsiedlung und Vernichtung“ führe zur „rassischen Vermischung“ und „zu einem völkischen, geistigen und wirtschaftlichen Chaos“. In Osteuropa habe es aber ohne jeden Druck, ohne Germanisierung, lediglich allein durch die Fühlung mit den Deutschen eine mentale Veränderung gegeben.1401 Die Juden würden Litauen bereits verlassen, die litauische Memelpolitik sei gescheitert und heute, rief Oberländer euphorisch aus, würden die neuen SA-Bataillone durch Memel marschieren. Entscheidend dafür sei das „Bekenntnis“ der Litauer und der Mischbevölkerung zum „Deutschtum“ gewesen.1402 Oberländer vertrat damit eine politische Position, die nicht mit der später maßgeblichen Bevölkerungspolitik übereinstimmte. Seine Forderung, dass „allein“ das Bekenntnis entscheidend sein müsse und nicht rassische Merkmale, sollte sich in der Praxis nicht durchsetzen. Hitler übertrug alle Siedlungsfragen 1936 der SS, die mit ihren Organisationen, etwa den Volksdeutschen Mittelstellen, ein anderes Germanisierungskonzept vorantrieb.1403 Mit der Abordnung zum Armeeoberkommando in Krakau erhielt Oberländer 1939 jedoch vorübergehend Gelegenheit, selbst in Siedlungsfragen tätig zu werden. In der Zeitschrift Neues Bauerntum gab er einen ersten Erfahrungsbericht, skizzierte jedoch wieder einmal Programm, nicht Wirklichkeit. Aus seiner Sicht müsse ein Grenzgebiet so geordnet werden, schrieb Oberländer, dass es auch in Zeiten der Schwäche von Bestand sei. Im früheren Posen und Westpreußen – also dem sogenannten Korridor – sei das nicht der Fall gewesen. Bei der Neusiedlung in dem gigantischen Raum, der ja eine Verdoppelung des zur Verfügung stehenden Bodens darstelle, müssten aus seiner Sicht mehrere Grundsätze beachtet werden. Zum „Siege des Volkstumskampfes“ seien notwendig „die Reinerhaltung der Rasse, eine starke biologische Kraft, eine feste Bindung an den Boden“ und, was die SS und Hitler anders sahen, „eine eigenvölkische dichte agrarische Unterschicht mit tiefem 1401 Vgl. Oberländer, Theodor: Nationalität und Volkswille im Memelgebiet, Greifswald 1939, S. 3 f. 1402 Vgl. ebd., S. 12 ff. 1403 Vgl. Leniger, Markus: Nationalsozialistische „Volkstumsarbeit“ und Umsiedlungspolitik. Von der Minderheitenbetreuung zur Siedlerauslese, Berlin 2006, S. 28–34.

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Gemeinschaftsgefühl“. Die Herstellung dieser notwendigen Unterschicht sei aber nur möglich, „wenn das fremde Volkstum voll und ganz das Land verlässt“. Die Eindeutschung der Ostgebiete müsse folglich eine „restlose“ sein. Oberländer plädierte daher für eine „klare Trennung“ von „Deutschtum und Polentum“, die allein die „Reinerhaltung der Rasse“ gewährleisten könne. Eine „Assimilierung des Polentums“ sei „abzulehnen“. Denn, so Oberländer: „Sie würde unserem Führerprinzip, unserem Volkstumsprinzip und dem Sinn unseres Kampfes für neuen Lebensraum widersprechen“. Aus Oberländers Sicht begann Landnahme von unten, weshalb ihm gerade die Gewinnung der landwirtschaftlichen Unterschicht notwendig schien. Kein Deutscher sei zu schade, „um Rüben zu hacken und Kartoffeln zu ernten“. Keiner sei „zu gut, um den Boden zu bebauen“, denn er schaffe damit des „Volkes Ewigkeit“. Die Grundlage einer „bodenständigen deutschen Herrenschicht“ sei, so meinte Oberländer weltfremd, dass sie den Boden selbst bebaue und das als „ihre Pflicht und Ehre“ betrachte. Diese Ehre wolle sie mit niemandem teilen, „am wenigsten mit Menschen fremden Blutes und fremden Volkstums“. Aufschlussreich ist im Sinne der osteuropäischen Gebietsverteilung, die Oberländer offenbar für dauerhaft hielt, dass er die anspruchslosen wolhynischen Deutschen für besonders geeignet hielt, im Warthegau und im ehemaligen Korridor zu siedeln. Es sei notwendig, Landarbeiter zu finden, die bodenständig und tüchtig seien.1404 Im Oktober 1940 wurde Oberländer an die Deutsche Karls-Universität Prag versetzt. Er blieb jedoch bei der Wehrmacht und war in der Abwehrstelle Krakau mit ukrainischen Angelegenheiten betraut. Das von ihm aus Exilukrainern aufgestellte Bataillon „Nachtigall“ war in den ersten Tagen des Kriegs gegen die Sowjetunion an der Eroberung Lembergs beteiligt. Ob sich seine Soldaten an den Morden und Ausschreitungen in der Stadt beteiligten, ist ungeklärt. Oberländer selbst gestand Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der Disziplin ein.1405 Später machte er sich mit einer Reihe von Denkschriften zur Besatzungspolitik unbeliebt. Zwar müssten die Juden „ausgeschaltet“ werden, die weitverbreitete Auffassung, dass der Osten von „unterwertigen“ Menschen bewohnt sei, sei aber falsch.1406

1404 Vgl. Oberländer, Theodor: Von der Front des Volkstumskampfes, in: Neues Bauerntum, 32. Jg., Heft 4/5, April/Mai 1940, S. 127–130. 1405 Vgl. Pohl, Dieter: Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941–1944. Organisation und Durchführung eines staatlichen Massenverbrechens, München 1996, S. 62 ff., 69, 394; Wachs, Oberländer, S. 86–89. 1406 Vgl. Oberländer, Theodor: Der Osten und die Deutsche Wehrmacht. Sechs Denkschriften aus den Jahren 1941–43 gegen die NS-Kolonialthese, Asendorf 1987, S. 94, 121.

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5.9.3 „Judenforschung“

Wie nicht anders zu erwarten, widmete sich Oberländers Institut nicht zuletzt der Beobachtung des aus weltanschaulichen Gründen zum Gegner erklärten „Judentums“. Oberländers Assistent Peter-Heinz Seraphim verfasste dazu ein umfangreiches Werk. Der 1902 geborene Sohn eines Journalisten hatte deutsche Schulen in Riga besucht und trat 1918 in die Baltische Landwehr ein. Noch während der militärischen Ausbildung nahm er an Gefangenenerschießungen im Rigaer Zentralgefängnis teil. Bei einem Gefecht gegen die regulären lettischen Truppen wurde er verwundet und kam ins Lazarett nach Mitau. Sein Vater siedelte nach der Niederlage der Deutschbalten nach Königsberg über.1407 Die Familie musste Anwürfe wegen angeblicher jüdischer Vorfahren zurückweisen, was problemlos gelang, wenn auch Verleumder mit Privatklagen zum Schweigen gebracht werden mussten. Seraphim war zweifelsfrei ein antijüdischer Fanatiker, seine Kenntnisse beruhten auf intensiver Feindbeobachtung und waren begleitet von einer Einordnung in die nationalsozialistische Ideologie. Seine journalistische Erfahrung und ein außerordentliches Talent zur Vereinfachung stellte er zum Beispiel bei einer Erklärung zu den Unterschieden zwischen West- und Ostjuden unter Beweis. Die Westjuden, einschließlich der deutschen, ließen sich taufen und ersetzten so den einen Glauben durch den anderen, meinte Seraphim. Das habe ihnen den Weg in die Nationen, also die Assimilation, ermöglicht. Die Ostjuden in Russland, Polen und anderswo hätten ihre „volkstumsmäßige, kulturelle und religiöse Bindung“ jedoch zu Gunsten eines „Diesseitigkeitsziels“ abgestreift. Das beinhalte „Gewinn- und Machtstreben“ einerseits, andererseits aber die Hinwendung zu einer Ideologie, die Erlösung nicht im Jenseits anstrebe wie das Christentum, sondern hier und jetzt, also den Sozialismus. Dieses „Diesseitigkeitsideal“ verkörpere sich „im Fernziel der Revolution aller Völker“. Aus Seraphims Sicht waren das aber lediglich zwei Seiten derselben Medaille. Ganz gleich, ob das Gewinnstreben „hochkapitalistischer Wirtschafts- und Finanzmagnaten“ optimiert werden sollte oder ob die Gleichheit aller Menschen das Ziel war, bei der Verwirklichung müssten alle tradierten Staatsformen eingerissen werden.1408 Seraphim forschte seit 1934 über das Judentum in Osteuropa, den Auftrag dazu hatte ihm Oberländer erteilt. 1938 war das Manuskript der Studie im Satz fertiggestellt und Seraphim stellte bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen Antrag für einen Druckkostenzuschuss, da das Buch bei einer geplanten Auflage von dreitau1407 Vgl. Petersen, Hans-Christian: Bevölkerungsökonomie – Ostforschung – Politik, Osnabrück 2007, S. 68 f. 1408 Vgl. Seraphim, Peter-Heinz: Die Judenfrage als Forschungsgegenstand deutscher Wissenschaftspolitik, in: Essener Almanach, Essen 1938, S. 60 ff.

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send Stück einen zu hohen Ladenverkaufspreis haben würde. Der zuständige Sachbearbeiter Karl Griewank erbat ein Gutachten zu dem Werk, das jedoch vernichtend ausfiel. Als „wissenschaftlich fundierte“ Arbeit sei die Schrift nicht anzusehen, weil Seraphim viele der polnischen und russischen Gesetze und Beschlüsse zum Beispiel von Synoden nicht zur Kenntnis genommen habe. Er zitiere die antijüdischen Gesetze in einer Fassung, wie sie in die jüdische Literatur eingegangen seien. Nicht zuletzt wegen dieser ungenauen Quellenbetrachtung aus zweiter Hand müsse das Buch als publizistisches Werk gelten, das „wissenschaftlichen Ansprüchen“ nicht genüge, urteilte der Berliner Ordinarius für Osteuropäische Geschichte Hans Uebersberger.1409 Die Druckkosten wurden schließlich von der Nordostdeutschen Forschungsgemeinschaft übernommen, zu der Seraphims Mentor Oberländer gute Beziehungen hatte. Das über siebenhundert Seiten dicke Buch über Das Judentum im osteuropäischen Raum war in fünf Teile gegliedert. Teil 1 behandelte die Geschichte der Juden in Osteuropa, wobei er besonders auf ihre Stellung im polnisch-litauischen Staat einging. In Teil 2 beschrieb er die Judenpolitik Russlands, Österreich-Ungarns und Rumäniens. Teil 3 war der Bevölkerungsstatistik gewidmet. Ein vierter Teil betrachtete die Rolle der Juden im Bildungswesen, und der letzte Teil widmete sich dem Wirtschaftsleben. Die Schrift war eine Zusammenführung geistesgeschichtlicher, soziologischer und religionswissenschaftlicher Erkenntnisse, beruhte aber vor allem auf Statistiken der jeweiligen Länder. Diese waren recht genau, da alle Länder in Osteuropa Juden als einen Bestandteil ihrer Nationen betrachteten, der genau beobachtet werden sollte. Antisemitische Ausfälle ersparte sich Seraphim, der seine Aussagen „streng sachlich“ präsentieren wollte, wie er im Vorwort versicherte.1410 Das Buch ist eingehender Kritik unterzogen worden, Susanne Heim und Götz Aly ordneten Seraphim in die Reihe der intellektuellen „Vordenker der Vernichtung“ ein.1411 Für Seraphims Wirken als Greifswalder Ordinarius für Volkswirtschaft ist es jedoch unumgänglich, seine Forschungsinhalte und die Methodik zu skizzieren. Als Beispiel soll ein Abschnitt seines Buches dienen, den Seraphim für so wichtig und gelungen hielt, dass er ihn der populärwissenschaftlichen Zeitschrift Jomsburg zum Vorabdruck überließ.1412 Hier berichtete Seraphim über die Ghettobildung zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer. Er zeichnete die wirtschaftliche Entwicklung nach und skizzierte die Ursachen für die Landflucht der Juden und die Prozesse, die dazu geführt hätten, dass sie ihre 1409 BA R 73/14731. 1410 Vgl. Seraphim, Peter-Heinz: Das Judentum im osteuropäischen Raum, Essen 1938, S. 14. 1411 Vgl. Aly, Götz und Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Frankfurt am Main 1993, S. 93–101. 1412 Vgl. Seraphim, Peter-Heinz: Das ostjüdische Ghetto, in: Jomsburg, Jg. 1, Heft 4, 1938, S. 439– 465.

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Wohnung in bestimmten Stadtteilen verschiedener Städte nahmen. Untermauert war der Aufsatz mit detaillierten Zahlenangaben, etwa zur jüdischen Bevölkerung in Lodz, Warschau, aber auch in ungarischen und rumänischen Städten. So vergaß er nicht zu erwähnen, dass allein in Warschau mehr als 350.000 Juden lebten, mehr als „in Palästina“. Mit dem Verstädterungsprozess sei die Ghettobildung Hand in Hand gegangen, mehr noch, diese habe sich als „eine der stärksten und wirksamsten Klammern der Erhaltung des traditionsreichen Judentums“ erwiesen.1413 Illustriert war der Text mit mehreren Graphiken und vielen Fotografien. Mit den Abbildungen von jüdischen Altwarenhändlern, sichtlich gelangweilten Geschäftsinhabern oder Rentnern, die in ein lebhaftes Gespräch vertieft waren, erzeugte Seraphim den Eindruck allgemeiner Untätigkeit. Keine der mehr als dreißig Abbildungen zeigte einen Menschen, der arbeitete, was Seraphim im Text scheinbar wissenschaftlich untermauerte. Der Jude, so Seraphim stereotyp, habe sich nach der Einführung der Gewerbefreiheit eben „nicht dem Ackerbau“ zugewandt, sondern sich Beschäftigungen gesucht, als „Händler, Vermittler, Handwerker, Fuhrhalter, Gastwirt“. Die Graphiken zeigten sowohl den Anteil der Juden in bestimmten Städten als auch die absolute Zahl, verteilt auf bestimmte Länder. Ganz besonders interessant erschien Seraphim die Ghettobildung in Lodz, die in dieser im 19. Jahrhundert gewachsenen Industriestadt nicht auf mittelalterliche Wurzeln zurückging. Auch für Riga, Kowno (Kaunas), Wilna (Vilnius) und Krakau rekonstruierte Seraphim die Ghettobildung im Detail und ließ sogar Karten der Städte zeichnen, die den jeweiligen jüdischen Bevölkerungsanteil hervorhoben.1414 Ob diese Karten von der Wehrmacht und der SS dazu benutzt wurden, diese historisch gewachsenen Ghettos als Zwangsghettos einzurichten, ist bisher ungeklärt. Auch an der These, dass es sich bei den Umsiedlungsplänen um eine gezielte Strategie der Wirtschaftsfachleute zur Ermordung der Juden gehandelt habe, ist Kritik geübt worden.1415 Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass die Expertise solcher Wissenschaftler den Boden für eine massenmörderische Politik bereitete. Seraphim und seine Hilfskräfte hielten die Judenstatistiken ständig auf dem neuesten Stand, wozu zum Beispiel amtliche polnische Statistiken, aber auch die jüdische Presse regelmäßig ausgewertet wurden. 1938 lieferte Seraphim eine knappe Darstellung über die Prozentsätze der jüdischen Studierenden an polnischen Hochschulen und dokumen1413 Vgl. ebd., S. 442. 1414 Vgl. ebd., S. 452. 1415 Vgl. Klein, Peter: Die „Ghettoverwaltung Litzmannstadt“ 1940 bis 1944. Eine Dienststelle im Spannungsfeld von Kommunalbürokratie und staatlicher Verfolgungspolitik, Hamburg 2009, S. 264; Michman, Dan: Judenräte, Ghettos, „Endlösung“. Drei Komponenten einer antijüdischen Politik oder separate Faktoren, in: Mlynarczyk, Jacek Andrzej und Jochen Böhler: Der Judenmord in den eingegliederten polnischen Gebieten 1939–1945, Osnabrück 2010, S. 172 f.

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tierte den „Verjudungsgrad“ einzelner Fachrichtungen.1416 1940 verfasste er einen Artikel für die Schulungsblätter für die NSDAP-Funktionäre im Generalgouvernement, in dem er die „rassische Zusammensetzung der Ostjuden“ beschrieb und auch auf dessen angebliche „seelischen Eigenschaften“ einging.1417 Obwohl dieser Text vor antjüdischen Stereotypen nur so triefte, hielt Seraphim, der ab 1939 als Kriegsverwaltungsrat im Generalgouvernement eingesetzt war, die radikalen Mord- und Umsiedlungsaktionen an Polen und Juden für unzweckmäßig. Bereits Anfang November 1939 erstattete er Bericht über die unzumutbaren Zustände, die ihm als Kriegsverwaltungsrat im besetzten Polen auffielen. Die Enteignung der polnischen Großgrundbesitzer befand er als hinnehmbar, volkswirtschaftlich entstehe jedoch nur ein kleiner „quantitativer“ Gewinn. Die Klein- und Mittelbauern zu enteignen sei unzweckmäßig, weil die „wehrwirtschaftlich notwendigen Überschüsse“ an Getreide, Milch und Fleisch sonst nicht produziert werden könnten. Auch in der Rüstungsindustrie seien Polen und Juden unverzichtbar. Insgesamt dürften maximal 50.000 Personen „umgesiedelt“ werden.1418 Da Oberländer 1940 nach Prag ging, rückte Seraphim in dessen Greifswalder Ordinariat auf. Selbstverständlich war das aber nicht. Die Fakultät erstellte im Dezember 1940 eine Dreierliste und setzte den profilierten Frankfurter Wirtschaftshistoriker Wilhelm Abel auf Platz 1, den späteren Wirtschaftsminister der ersten Großen Koalition der Bundesrepublik Karl Schiller auf Platz 2 und den Dozenten Peter-Heinz Seraphim auf Platz 3.1419 Alle waren wissenschaftlich ausgewiesen, politisch galten sie als zuverlässig und gehörten der NSDAP an. Während Abels Parteimitgliedschaft lediglich erwähnt wurde, strich der Vorschlag Schillers Engagement in der SA und im Nationalsozialistischen Studentenbund heraus.1420 Für Abel sprachen seine Studien zur Agrargeschichte und aktuellen Agrarpolitik, außerdem hatte er sich mit Bevölkerungsfragen befasst. Der gerade 29-jährige Schiller leitete am Kieler 1416 Vgl. Seraphim, Peter-Heinz: Das jüdische Schulwesen in Polen, in: Jomsburg, Jg. 1, Heft 3, 1938, S. 232 f. 1417 Vgl. Seraphim, Peter-Heinz: Der Rassencharakter der Ostjuden, in: Das Vorfeld. Schulungsblätter für den Nationalsozialisten im Generalgouvernement, Heft 3, November 1940, S. 10–13. 1418 Vgl. Petersen, Bevölkerungsökonomie, S. 154 f. 1419 Vgl. UAG K 5977, Bl. 85. 1420 Schillers Biograph Uwe Bahnsen spricht von „Verbeugungen vor dem NS-Regime“, die sich nur mit dem Bestreben erklären ließen, „auch unter den neuen politischen Verhältnissen beruflich voranzukommen“. Einen Beleg für diese wohlwollende Interpretation führt er jedoch nicht an. Schiller trat im Juli 1933 in SA und NSD-Studentenbund ein, nach dem Examen in den NS-Rechtswahrerbund. 1934 absolvierte er ein Wehrsportlager und arbeitete in der Zentrale des Studentenwerks. 1937 wurde Schiller in die NSDAP aufgenommen und 1939 trat er dem NSD-Dozentenbund bei. Vgl. Bahnsen, Uwe: Karl Schiller, Hamburg 2008, S. 29.

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Institut für Weltwirtschaft eine Forschergruppe, seine Bücher Arbeitsbeschaffung und Finanzordnung in Deutschland und Marktregulierung und Marktordnung in der Weltagrarwirtschaft (1940) hätten gleich nach Erscheinen die „Aufmerksamkeit der Fachwissenschaft auf den Verfasser gelenkt“. Außerdem bearbeite er Aufträge für das Oberkommando der Wehrmacht. „Trotz seiner jungen Jahre“ erscheine Schiller „als durchaus geeignet, eine Professur auszufüllen, da seine wissenschaftlichen Leistungen weit über dem Durchschnitt“ stünden.1421 Weniger euphorisch fiel das Urteil über den an dritter Stelle genannten und schließlich berufenen Seraphim aus. Die Fakultät benannte seine zahlreichen Schriften und verschwieg auch seine Tätigkeit als Journalist in Königsberg nicht, wo er „vor allem die praktische Seite der Kommunalwirtschaft und Politik kennen gelernt“ habe. 1931 war Seraphim an die Universität Königsberg zurückgekehrt, wo er sich „ostwirtschaftlichen Spezialfragen“ widmete, wie es in dem Berufungsvorschlag hieß. 1936 wurde Seraphim mit einer Studie über Ostseehäfen und Ostverkehr habilitiert, die Schrift sei „im In- und Ausland sehr gut beurteilt“ worden. 1422 Mit dem Umzug nach Greifswald übernahm Seraphim Oberländers Kontakte zur lokalen Politik und vereinbarte mit dem Gauwirtschaftsberater und Präsidenten der Handelskammer eine Zusammenarbeit über agrarpolitische Forschungsarbeiten. Außerdem sollte Seraphim pommersche Verkehrsfragen untersuchen, die sich jetzt, nach der Bildung des Generalgouvernements und der Eingliederung Südosteuropas in den deutschen Machtbereich, ganz neu stellten, etwa die Frage einer Wasserstraße, die Oder und Donau miteinander verbinden sollte.1423 Seraphim bemerkte auch, dass die „Skandinavienarbeit“ einer wissenschaftlichen Neuausrichtung auf pragmatische Ziele hin bedurfte, die Tätigkeit der Nordischen Auslandsinstitute hielt er für unzureichend. Sein wichtigstes Arbeitsfeld blieb jedoch die „Judenfrage“. 1941 veröffentlichte Seraphim ein Buch über Die Bedeutung des Judentums in Südosteuropa, das als Publikation der Deutschen Informationsstelle erschien. Zu Beginn schrieb Seraphim, das jüdische Volk sei überall „Minderheit“, „nirgends heimatverbunden“, aber traditionell, „blutmäßig“ und religiös in sich ruhend und immer „fremd in seiner Umgebung“. Die „sprachliche und zivilisatorische Assimilationsfähigkeit“ sei nur äußerlich, aber wegen seiner Anpassungsfähigkeit gelinge es immer, eine „unvergleichlich große Rolle im wirtschaftlichen, politischen und geistigen Leben der Wirtsvölker zu spielen“.1424 Danach formulierte er die Leitfrage seiner Studie, ob und wie weit sich 1421 Vgl. UAG K 5977, Bl. 85 ff. 1422 Vgl. ebd. 1423 Vgl. Petersen, Bevölkerungsökonomie, S. 177. 1424 Vgl. Seraphim, Peter-Heinz: Die Bedeutung des Judentums in Südosteuropa, Berlin 1941, S. 12 f. Hitler verglich in Mein Kampf das Wirken der Juden mit dem von „Parasiten“, wo sie

5.9 Von der Volkswirtschaft zur Bevölkerungsökonomie

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die Staaten Osteuropas „überhaupt der Fremdheit und Sonderheit des Judentums bewusst“ seien „oder nicht“.1425 Es folgten die üblichen Statistiken, mit denen Seraphim die jüdische Bevölkerungsverteilung in den einzelnen Ländern Osteuropas aufschlüsselte. Wie in allen Propagandaschriften der Deutschen Informationsstelle fehlte auch der kapitalismuskritische Ansatz nicht. Anhand der ungarischen Commerzialbank zeigte er auf, wie stark das angeblich ausschließlich jüdische Kapital Ungarn und Rumänien beherrschte, und klischeehaft behauptete er, dass die nichtjüdischen Banken von „jüdischen Hintermännern“ kontrolliert würden.1426 In einem letzten Kapitel schilderte Seraphim die antisemitischen Bestrebungen in den osteuropäischen Staaten und die staatlichen Maßnahmen, die vorgenommen worden waren, um deren „Dissimilation“ voranzutreiben. Dabei verschwieg er nicht, dass die Staaten im deutschen Einflussbereich, also Rumänien und Ungarn, sich von den deutschen Erfahrungen leiten ließen und die „Ausschaltung“ der Juden nach diesem Vorbild vorantrieben.1427 Im Frühjahr 1941 übernahm Seraphim außerdem die Chefredaktion der Zeitschrift Weltkampf. Die von NSDAP-Reichsleiter Alfred Rosenberg herausgegebene Monatsschrift erschien zwar bereits seit 1924, ab 1941 wurde sie jedoch zu einer „nichtjüdischen wissenschaftlichen Zeitschrift zur Judenfrage“ umprofiliert. Sie enthielt danach vor allem Aufsätze der Mitarbeiter des Instituts zur Erforschung der Judenfrage, das Rosenberg als erste Außenstelle der Hohen Schule der NSDAP 1939 in Frankfurt am Main einrichtete.1428 In der ersten Ausgabe der neuen Vierteljahresschrift veröffentlichte Seraphim einen Artikel über „bevölkerungs- und wirtschaftspolitische Probleme einer europäischen Gesamtlösung der Judenfrage“. Den Text hatte er auf einer Arbeitstagung des Instituts vorgetragen, jetzt sollte er ein größeres Publikum erreichen. Es handele sich um 5,3 Millionen Menschen, über deren künftigen Verbleib jetzt Entscheidungen getroffen werden müssten. Für diese „bevölkerungspolitische Massenfrage“ böten sich mehrere Lösungen an. In den Städten Mittel, Süd, Westund Nordeuropas würde „eine sofortige Ausschaltung bzw. ein Abtransport der Juden bevölkerungspolitisch keine Lücke entstehen lassen“, schrieb Seraphim; anders in den Städten Osteuropas, wo es einen jüdischen Anteil von einem Drittel oder der Hälfte der Bevölkerung gebe. Diese könne man nicht einfach „fortdenken“. Die „Beseitigung des jüdischen Bevölkerungselements“ müsse daher in einem Tempo vorgenomaufträten, sterbe „das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab“. Vgl. Hitler, Mein Kampf, S. 354 f. 1425 Vgl. Seraphim, Bedeutung, S. 18. 1426 Vgl. ebd., S. 42 f. 1427 Vgl. ebd., S. 72 und 88. 1428 Vgl. Schiefelbein, Dieter: Das „Institut zur Erforschung der Judenfrage Frankfurt am Main“. Vorgeschichte und Gründung 1935–1939, Frankfurt a. M. 1993, S. 33 ff.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

men werden, in dem „Ersatzkräfte“ zur Verfügung stehen würden.1429 Die praktische „Lösung der Judenfrage“ müsse in drei Schritten vorgenommen werden. Schritt eins sei die „Dissimilierung“, worunter Seraphim die Entfernung aus allen Verwaltungsund Funktionsstellen in der Wirtschaft verstand. Zugleich werde der Jude zu einer Person „minderen Rechts“ und in eine „wirtschaftliche Sonderstellung“ gebracht, „aber nicht beseitigt“. In Schritt 2 müssten die Juden in Ghettos zusammengefasst werden, zunächst die Osteuropas, „in der Folgezeit die Juden Gesamteuropas“. Den Schritt 3 bilde dann die „Entfernung aus Europa“ durch das Einleiten einer „planmäßigen Umsiedlungsaktion“. Auf diese Weise werde die „Zahl der reichen Juden“ verringert, was „soziale Verelendung und Umschichtung“ zur Folge habe, aber nicht die „physische Selbstauflösung des Judentums“.1430 Dann ging Seraphim der Frage nach, ob die Schaffung eines geschlossenen Siedlungsgebietes im Generalgouvernement möglich sei. Als möglichen Raum benannte er den Distrikt Lublin, um dann in einer bevölkerungsstatistischen und wirtschaftspolitischen Analyse nachzuweisen, dass dieser Weg nicht gangbar sei. Auch andere Gebiete eigneten sich nicht, es gebe „keinen Teil Europas“, der als „Wohngemeinschaft der Juden“ in Frage komme. Die einzige Möglichkeit sei daher eine „koloniale Neugestaltung und Neugliederung der Welt“, in deren Rahmen den Juden ein Gebiet außerhalb Europas zugewiesen würde. Die beiden wichtigsten „Vorzüge“ dieser „Groß-Ghetto-Lösung“ erwähnte Seraphim im Schlussabschnitt seines Artikels: „Nach Durchführung der Aktion ist Europa endgültig judenfrei. Eine Berührung von Europäern und Juden ist unmöglich gemacht.“1431 Seraphim hatte sich damit ein Konzept zu eigen gemacht, das im Reichssicherheitshauptamt entwickelt worden war, der sogenannte Madagaskarplan. Demnach sollten alle Juden auf die Insel Madagaskar umgesiedelt werden, die man aus dem französischen Kolonialbesitz herauslösen wollte. Dieses Konzept bestimmte tatsächlich für mehrere Monate die antijüdische deutsche Politik, deren Voraussetzungen sich mit dem Krieg gegen die Sowjetunion allerdings änderten.1432 In das eroberte Gebiet wurde Seraphim im August 1941 beordert, wo er im Auftrag der Rüstungsinspektion der Ukraine als Leiter eines Sonderkommandos in den Bibliotheken und Archiven der Ukraine wehrwirtschaftliche Unterlagen „sicherstellen“ sollte. Aus mehr als dreißig Bibliotheken der Ministerien und Technischen Hochschulen entnahmen Seraphim und seine Mitarbeiter über tausend Bücher und Akten, aus denen sie 1429 Vgl. Bevölkerungs- und wirtschaftspolitische Probleme einer europäischen Gesamtlösung der Judenfrage, in: Weltkampf, Heft 1/2, April – September 1941, S. 43 ff. 1430 Vgl. ebd., S. 46. 1431 Vgl. ebd., S. 50 f. 1432 Vgl. Browning, Christopher R.: The Origins of the Final Solution: The Evolution of Nazi Jewish Policy, September 1939 – March 1942, London 2005, S. 81–89.

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schließlich 220 zu den Bereichen Landwirtschaft, Industrie, Handel und Verkehr sowie Wirtschaftsplanung auswählten. Bücher zur Geologie und Landeskunde gaben sie an den Wehrmachtsbefehlshaber Ukraine ab.1433 Bei seiner Tätigkeit beobachtete Seraphim die Morde der SS-Einsatzkommandos, die seinem Konzept zur „Dissimilierung“ widersprachen. Mit der Ermordung der Juden drohe die Wirtschaft der Ukraine zusammenzubrechen, worauf er am 29. November 1941 in einem Bericht hinwies, den er außerhalb des Dienstwegs an den Chef des Wehrwirtschaftsamtes, den General der Infanterie Georg Thomas sandte.1434 Seraphim bemängelte zunächst die Art und Weise der Zivilverwaltung im Reichskommissariat Ukraine. Die Wehrmacht sei als Befreier begrüßt worden, jetzt jedoch würden „unzulängliche“ und inkompetente Besatzer „Herrentum“ praktizieren. Die jungen Herren liefen mit Reitpeitschen herum, träten brutal auf und hätten auch das Recht, jeden Ukrainer erschießen zu lassen. Dass von dieser Ermächtigung überaus häufig Gebrauch gemacht wurde, deutete Seraphim nur an. Die materielle Lage der Bevölkerung habe sich „sehr erheblich verschlechtert“ und so werde die künftige Haltung der Ukrainer zur „Magenfrage“: „Es ist zu befürchten, dass sich die Gesamtstimmung des ukrainischen Volkes gegen uns wendet, wenn sie merken, dass es ihnen wesentlich schlechter als vorher geht.“ Die „Beseitigung“ der Juden sah Seraphim ebenfalls kritisch. Diese seien in Handel und Handwerk das Rückgrat der Wirtschaft und die Wehrmacht sei mit ihrer Arbeitsleistung durchaus zufrieden gewesen. „Irgendeine Gefahr“ sei von ihnen nicht ausgegangen. Ihre „planmäßige Erschießung“ durch die Formationen der Ordnungspolizei sei der Art ihrer Durchführung nach „grauenhaft“ gewesen, aber wichtiger noch, erst bei den allerletzten „Hinrichtungen“ habe man einige wenige „nützliche“ Juden, insbesondere Handwerker, davon ausgenommen. Im Ergebnis, so Seraphim zynisch, sei wohl eine große Zahl „überflüssiger Esser“ beseitigt worden, aber eben auch die Mehrzahl „dringend notwendiger Handwerker“. Die „Abschöpfung“ der landwirtschaftlichen Produkte werde in die nächste Katastrophe führen. Der Viehbesatz liege gerade einmal bei 50 Prozent des ohnehin niedrigen Vorkriegsstands, das Getreide gelange nicht mehr in die Städte, und es sei „selbstverständlich“, dass sich die Bevölkerung gegen das ihr „zugedachte Verhungern“ wehren werde. Es müsse also „unausweichlich“ zum Hungertod von Zehntausenden kommen.1435 Seraphims Fazit kann nur als Ratlosigkeit angesichts der Zustände gedeutet werden. Es müsse doch „klar“ sein, dass letzten Endes in der Ukraine „nur die Ukrainer durch Arbeit Wirtschaftswerte“ erzeugen könnten. Aber, so Seraphim: „Wenn wir die Juden totschießen, die Kriegsgefangenen umkommen lassen, die Großstadtbevölkerung zum erheblichen Teile dem 1433 Vgl. BA-MA RW 30-92, Bl. 10 f. 1434 Vgl. BA-MA RW 30-130, Bl. 2 f. 1435 Vgl. ebd., Bl. 4–21.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

Hungertode ausliefern, im kommenden Jahre auch einen erheblichen Teil der Landbevölkerung verlieren werden, bleibt die Frage unbeantwortet: Wer denn hier eigentlich Wirtschaftswerte produzieren soll.“ Wenn er wenigstens „den Ukrainer“ am Leben erhalten wollte, forderte er das nicht „aus einem Sentiment“ heraus, sondern, wie er selbst nachdrücklich betonte, „aus nüchternen wirtschaftlichen Erwägungen“.1436 Als Seraphim diesen Bericht abfasste, befand er sich im westukrainischen Rowno, dem Sitz der Rüstungsinspektion. Wenig später kehrte er nach Greifswald zurück und im Januar 1942 nahm er Kontakt zu den Gauwirtschaftsstellen auf, um die Pläne für das nur grob gedachte Wirtschaftsinstitut zu konkretisieren.1437 Zur „Gesamtlösung der Judenfrage“ publizierte Seraphim allerdings weiter, obwohl er vom Genozid an den Juden in Osteuropa wusste und auf Grund seiner statistischen Kenntnisse sogar dessen Dimension abschätzen konnte. 1942 veröffentlichte er eine scheinbar sachliche Darstellung über Das Judentum, in dem er dessen Geschichte und Gegenwart wieder mit den bekannten Statistiken und Beschreibungen von Wanderungen skizzierte. Neu waren Aussagen zu einem „Riesenabstrom jüdischer Bevölkerung“ innerhalb der Sowjetunion nach „Osten“. Die Ursache dafür sei in der „Verjudung des Staats- und Wirtschaftsapparates in Sowjetrussland“ zu sehen. Indem er diesen angeblichen Zug der Juden nach Osten, nach Sibirien oder in die Wirtschaftsgebiete des Ural konstruierte, präsentierte er eine scheinbar plausible Erklärung für ihr Nichtmehrvorhandensein in seinen Statistiken.1438 Im Hinblick auf das jüdische Handwerk und den Handel äußerte sich Seraphim anders als in seinem kritischen Bericht vom November 1941. Sie erschienen ihm nun als „entbehrlich“. Die Umsiedlungen und Ghettoisierungen präsentierte er als „Übergangsmaßnahmen“, die bald in eine „planmäßige Massenumsiedlung“ münden würden. Gedacht sei dabei an ein „überseeisches Wohngebiet“.1439 1943 präsentierte er die Lüge von der geplanten Aussiedelung der Juden noch einmal. In der Kleinen Weltkampfbücherei Alfred Rosenbergs sinnierte er erneut über die Ansiedlung der Juden im Distrikt Lublin nach, wies die Unmöglichkeit des Vorhabens nach und plädierte dann für eine „Radikallösung“ in Form der „Auswanderung der Juden aus Europa“. Da Seraphim wusste, dass es dazu nicht kommen konnte, weil der Völkermord bereits stattfand, kann das nur als vorsätzliche Verschleierung des Holocaust gedeutet werden.1440 1436 Vgl. ebd., Bl. 17. 1437 Vgl. UAG R 334, Bl. 163. 1438 Vgl. Seraphim, Peter-Heinz: Das Judentum. Seine Rolle und Bedeutung in Vergangenheit und Gegenwart, München 1942, S. 47. 1439 Vgl. ebd., S. 52. 1440 Vgl. Seraphim, Peter-Heinz: Bevölkerungs- und wirtschaftspolitische Probleme einer europäischen Gesamtlösung der Judenfrage, München 1943, S. 23 ff.

5.9 Von der Volkswirtschaft zur Bevölkerungsökonomie

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5.9.4 Oder-Donau-Institut

Da Seraphim klar wurde, dass an „Judenexperten“ künftig kein Bedarf mehr bestehen würde, konzentrierte er sich jetzt auf andere ökonomische Fragen des Ostraums. Bereits im März 1941 teilte er der Publikationsstelle Dahlem mit, dass die Skandinavienstudien in Greifswald weitgehend brach liegen würden. Es sei notwendig, diese zu intensivieren, besonders in ökonomischer Hinsicht.1441 Wenige Wochen nach seiner Rückkehr aus der Ukraine ging er wohlwollend auf den Vorschlag des Gauwirtschaftsberaters Erwin Fengler ein, der sich schon mehrfach an die Universität gewandt hatte, weil für die Belange der Provinz ein wirtschaftswissenschaftliches Forschungsinstitut notwendig sei. Der Blick der Provinz richtete sich nach Osten und nach Norden, Stettin war der nach Umschlag größte Hafen der Ostsee und die Oder die wichtigste Verbindung zur Reichshauptstadt und ins oberschlesische Industriegebiet. Lediglich Ostseefragen zu bearbeiten sei daher kontraproduktiv, es müssten „der nähere und weitere Ostraum und der südosteuropäische Raum“ einbezogen werden, formulierte Peter-Heinz Seraphim in seinem Konzept am 29. Januar 1942. Aus seiner Sicht müsse es ein Lehr- und Forschungsinstitut sein, meinte Seraphim, und da er ein kompetentes Personaltableau anbieten konnte, wurde aus dem Konzept Wirklichkeit, wenn auch die Abstimmung mit den Vierjahresplanbehörden und rivalisierenden Institutionen noch ein Jahr dauerte.1442 Das Institut nahm seine Arbeit am 1. Mai 1943 auf. Es bezog repräsentative Räume auf der Hakenterrasse in Stettin. Die Höhe der Haushaltsmittel, die dem Institut zugestanden wurde, erstaunt. Während selbst als kriegswichtig eingestufte naturwissenschaftliche Institute der Universität mit wenigen tausend Mark auskommen mussten, standen Seraphim 135.000 Mark zur Verfügung.1443 Die offizielle Gründungsversammlung fand am 10. Januar 1944 in Anwesenheit des Oberpräsidenten und Gauleiters der Provinz statt. Gauleiter Schwede-Coburg hatte sich in der Satzung ein entscheidendes Mitspracherecht zusichern lassen, obwohl es sich um ein Institut handeln sollte, das mit der Universität verbunden war.1444 Die drei Referate des Instituts sollten den Südosten, den Osten und den Ostseeraum bearbeiten, wobei Gauwirtschaftberater Fengler besonderen Wert darauf legte, dass Verkehrsfragen im Mittelpunkt stehen würden. Er träumte von der Verwirklichung des Oder-Donau-Kanals, der Stettin auf kürzestem Weg mit Wien verbinden würde, womit eine Wasserstraße von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer

1441 Vgl. BA R 153/1483. 1442 Vgl. UAG R 334, Bl. 163–179. 1443 Vgl. Grube, Oder-Donau-Institut, in: Alvermann, Schranken, S. 211. 1444 Vgl. UAG R 343, Bl. 113.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

geschaffen wäre.1445 Verwirklicht wurde mit dem Institut ein detailliertes Berichtswesen über die osteuropäischen Gebiete, die sich im deutschen Machtbereich befanden. Außerdem blieb Skandinavien im Blick. Die in rascher Folge gefertigten und wohl auch nutzbaren Studien betrafen Beförderungsmittel und Betriebsstoffe, Arbeitskräftereserven und die Probleme der Ernährungslage. Mit der praktisch nutzbaren Tätigkeit konnte auch die Vermutung ausgeräumt werden, dass es sich bei dem Institut um eine Institution zur „Friedensplanung“ handle, sondern um eine kriegswirtschaftliche Notwendigkeit. Der Volkswirt Clemens Grube arbeitete heraus, dass mehr als 60 Prozent der Publikationen Schweden gewidmet waren, ein Fünftel betraf Finnland. Der Rest verteilte sich auf die ursprünglich benannten Länder im Südostraum.1446 Nichtsdestotrotz stellte Seraphim 1944 eine eher nutzenfreie Studie über Das Reich und Nordeuropa fertig, in der er die aktuelle Zusammensetzung der Bevölkerung in Skandinavien beschrieb und dafür historische Gründe, vor allem Wanderungsbewegungen beschrieb. Von seinem Forschungsgebiet Bevölkerungsökonomie wollte und konnte er offenbar keinen Abstand gewinnen.1447 Im Februar 1945 verfassten Seraphims Mitarbeiter einen Sonderbericht zur Erdölversorgung Schwedens, im März 1945 entstand nach dem Umzug des Instituts nach Prora ein fünfzehnseitiger Sonderbericht zur Kohlenlage Schwedens, abgedruckt wurden in den Berichten aber auch schwedische Zeitungsartikel über das neue amerikanische DC 4-Flugzeug, die Braunkohlenstaubbefeuerung von Kraftwerken und eine Meldung über synthetische Wolle aus Erdnüssen.1448

5.10 Rassenhygiene: Streit um die Vorlesung, zweifelhafte Forschungen

Obwohl eugenische Fragen seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der Ärzteschaft breit diskutiert wurden, wurden Vorlesungen zum Thema Rassenhygiene erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zur Pflicht.1449 Die Mediziner aller Uni1445 Vgl. Grube, Oder-Donau-Institut, in: Alvermann, Schranken S. 206. 1446 Vgl. ebd., S. 213 f., 211 f. 1447 Eine praktische Bedeutung hätte die Studie erlangt, wenn Schweden und Finnland militärisch besetzt worden wären. Das Oder-Donau-Institut arbeitete seit August 1944 mit der Amtsgruppe VI/G im Reichssicherheitshauptamt zusammen. Vgl. BA R 153/811; Grube, Klemens: Das „Ruhrgebiet des Ostens“ – die NS-Raumplanung für Oberschlesien, der Oder-Donau-Kanal und die pommerschen Wirtschaftsinteressen, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 101, Heft 4, 2014, S. 429 f. 1448 Vgl. UAG R 334, Bl. 8–23, 56–71. 1449 Vgl. Benzenhöfer, Udo: Zur Genese des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, Münster 2006, S. 21 ff.

5.10 Rassenhygiene: Streit um die Vorlesung, zweifelhafte Forschungen

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versitäten reklamierten die Vorlesungen wie selbstverständlich für ihre Fakultät. In Greifswald hatte sich jedoch der Biologe Günther Just seit mehreren Jahren mit Vererbungsfragen befasst.1450 Obwohl sich der außerordentliche Professor vor allem mit Grundlagenforschung beschäftigte, betrachtete er Rassenkunde und Eugenik als Teil der Humangenetik – Just prägte diesen Betriff in den dreißiger Jahren. Im Wintersemester 1931/32 bot Just einen Vortragszyklus mit drei Vorträgen zum Thema „Eugenik und Weltanschauung“ an. Der bekannte Jesuit Hermann Muckermann sprach über „Eugenik und Katholizismus“, der Bielefelder Naturphilosoph Bernhard Bavink über „Eugenik und Protestantismus“ und der Sozialdemokrat Karl Valentin Müller über „Eugenik und Sozialismus“. 1932 gab er die Vorträge als Buch heraus.1451 Ab 1932 bot Just zum Thema „Erbbiologie des Menschen und Eugenik“ eine Vorlesung an. Da er das als ergänzendes Lehrangebot der Philosophischen Fakultät für Hörer aller Fakultäten deklarierte, waren die Mediziner nicht dagegen.1452 Ab dem Sommersemester 1933 handelte es sich jedoch um eine Pflichtvorlesung für Ärzte zum ministeriell vorgeschriebenen Thema „Menschliche Erblehre und Rassenhygiene“. Just hängte seine Ankündigung ans Schwarze Brett, woraufhin der Lehrstuhlinhaber für Gerichtliche und Soziale Medizin Rolf Hey ausdrücklich protestierte und die Medizinische Fakultät am 11. Mai 1933 drängte, förmlich Protest bei der Philosophischen Fakultät einzulegen.1453 Just wollte die Vorlesung jedoch unbedingt halten, zumal ein solcher Lehrauftrag eine nicht unerhebliche Vergütung versprach. Dabei erhielt er Unterstützung von Eugen Fischer, dem Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik und Mitverfasser des berüchtigten Lehrbuchs über Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene. Er könne sich nicht in Form eines Gutachtens äußern, schrieb Fischer am 16. Mai 1933 an Just, aber er bestätige ihm gern, dass er „auch auf dem Gebiet der speziellen menschlichen Erblehre vorzügliche Sachen geschrieben“ habe und „über Rassenhygiene ausgezeichnet Bescheid“ wisse. Er, ­Fischer, habe den „großen Wunsch, dass alle, die jetzt vermutlich zum ersten Mal Vorlesungen über menschliche Erblehre und Rassenkunde oder Rassenhygiene halten werden, darunter auch Mediziner, darin so viel Kenntnisse hätten wie Sie“. Dass er das große Referat auf dem nächsten „Vererbungskongress“ halten werde, spreche ebenfalls für Just. Außerdem redete Fischer ihm Mut zu und äußerte Unverständnis über die „unangenehme diesbezügliche Erfahrung“, die Just durch die Nichtanerken1450 Vgl. Cottebrune, Anne: Der planbare Mensch. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die menschliche Vererbungswissenschaft 1920–1970, Stuttgart 2008, S. 26. 1451 Vgl. Felbor, Rassenbiologie, S. 155. 1452 Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1932, S. 45. 1453 Vgl. UAG Med. Fak. II Nr. 40, S. 267.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

nung seiner Leistung widerfuhr.1454 Die Vorlesung wurde trotzdem den Medizinern zugesprochen und von Dresel (Gerichtliche Medizin), Hey (Hygiene) und Runge (Gynäkologie) gehalten. Anatom Pfuhl, der seit 1925 über „europäische Rassen“ las, hielt seine Vorlesung weiterhin, wenn auch nicht als Pflichtveranstaltung.1455 Just las „Vererbungslehre“.1456 Der Hygieniker Kurt Herzberg handelte das Thema unter der Überschrift „Praktische Erbgesundheitspflege“ ab.1457 Pikant ist, dass Just später doch mit der Vorlesung „Rassenhygiene“ betraut wurde, weil Herzberg als Beratender Hygieniker im Wehrkreis II nach Kriegsbeginn überlastet war.1458 Nach Justs Berufung nach Würzburg 1942 trugen Herzberg, der Internist Katsch und der Ophtalmologe Velhagen den Stoff als Gemeinschaftskolleg vor.1459 Danach übertrug Dekan Schultze sie dem oktroyierten Psychiater und Graphologen Rudolf Pophal.1460 Den Antrag auf Schaffung eines außerplanmäßigen Lehrstuhls für menschliche Erblehre und Rassenhygiene in der Medizinischen Fakultät lehnte das Ministerium im April 1943 ab. Während des Krieges sei eine Ausweitung der Stellenpläne „nicht zulässig“.1461 Zumindest finanziell wurde Justs Arbeit jedoch schon 1933 anerkannt, entgegen den üblichen Sparsamkeitsbeteuerungen versiebenfachte das Wissenschaftsministerium seine Lehrauftragsvergütung und fügte noch ein Stipendium hinzu, so dass Just, der 1933 der NSDAP beitrat,1462 einem planmäßigen außerordentlichen Professor gleichgestellt war.1463 Die Anerkennung der von Just geleisteten Arbeit spiegelt auch die Verselbstständigung seiner Abteilung als Institut für Menschliche Erblehre und Eugenik im Mai 1933 wider, das personell rasch ausgebaut wurde. Im Dezember 1933 hatte er bereits zehn wissenschaftliche Angestellte (davon sieben Biologen und 1454 Vgl. UAG Phil. Fak. I 425, Bd. 1. 1455 Publiziert hat Pfuhl dazu nicht. Sein Buch über Entwicklung und Wachstum des Menschen ist eine populärwissenschaftliche anatomische Aufklärungsschrift über die Zeugung, die Entwicklung des Fötus im Mutterleib und das kindliche Wachstum. Vgl. Pfuhl, Wilhelm: Entwicklung und Wachstum des Menschen, Leipzig 1933. 1456 Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1934, passim; UAG PA 549 Pfuhl. 1457 Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1934, S. 36. 1458 Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1941/42, S. 38. 1459 Vgl. Kiesel, Sylvia und Erhard Kiesel: Differenzierungsprozess der Hygiene im Zeitraum von 1945 bis 1990 an der Universität Greifswald unter besonderer Berücksichtigung der Sozialhygiene, Diss. med., Greifswald 2003, S. 19. 1460 Vgl. BA R 4901/24007. 1461 Vgl. UAG K 5978, Bl. 247 ff. 1462 Vgl. BA R 4901/23491 und 13267. 1463 Justs Einkommen belief sich auf über 650 Mark monatlich. Vgl. UAG PA 229, Bd. 1, Bl. 56 und 74; Phil. Fak. I 425, Bd. 1; Felbor äußerte die Ansicht, dass sich Just in einer finanziell benachteiligten Situation befand, was nicht der Fall war. Vgl. Felbor, Rassenbiologie, S. 164.

5.10 Rassenhygiene: Streit um die Vorlesung, zweifelhafte Forschungen

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drei Ärzte), sieben technische Assistenten, einen Präparator und drei Laboratoriumsdiener. Dazu kamen von der DFG mehrere Stipendien für seine Mitarbeiter sowie Sachmittel.1464 Diesen überaus raschen Ausbau durch Drittmittel hieß das Ministerium gut, indem es auch eigene Mittel bereitstellte und den Umzug des Instituts in das Haus Stralsunder Straße 11 genehmigte.1465 Die großzügige Ausstattung einer Universität mit so wenigen Studenten im Fach Rassenhygiene bzw. Genetik wie in Greifswald führte offenbar zur Unruhe bei anderen Institutionen. Daher forderte das Wissenschaftsministerium die Philosophische Fakultät auf, sich zur Sache zu erklären. Dekan Fredenhagen stellte klar, dass es zwischen den Arbeitsgebieten von Anatom Pfuhl und Genetiker Just keine Überschneidungen gebe. Pfuhl lese über „Vorgeschichte, Rassengeschichte, Rassenkunde und die allgemeinen anthropologischen Grundlagen“, Just über „allgemeine Vererbungslehre, menschliche Erblehre und Rassenhygiene“. Beide Dozenten hätten „in Bezug auf die Abgrenzung ihrer Lehrgebiete niemals irgendwelche Streitigkeiten gehabt“. Auch in anderen Instituten, die beide Fächer unter einem Dach vereinigten, seien oft „mehrere Dozenten nebeneinander tätig“. In Greifswald habe sich das Bestehen einer „Forschungsstätte für Anthropologie im alten Sinne und eines besonderen erbbiologischrassenhygienischen Instituts sehr gut bewährt“. Die Doppelanschaffung teurer Geräte könne „bei dem guten Einvernehmen beider Dozenten“ ohne weiteres vermieden werden. Aber es sei selbstverständlich, dass manches mehrfach vorhanden sein müsse, so hätten ja auch Anatomisches und Pathologisches Institut ihre eigenen Mikroskope. Die Unterrichtsmittel und Sammlungen für den anthropologischen Unterricht und die Forschung seien zugegebenermaßen „sehr beschränkt“, und Pfuhl bitte zu Recht um die Erhöhung des Etats. Durch diese Bewilligung dürften aber, so Dekan Fredenhagen, die Zuwendungen für das „noch junge Institut für menschliche Erblehre und Eugenik“ nicht eingeschränkt werden. In dem Institut seien neben Just und seinem Assistenten zurzeit 14 Personen mit selbstständigen wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt, und die Zahl der Praktikumsteilnehmer habe sich mehr als verdoppelt.1466 Ein Kesseltreiben der Nationalsozialisten gegen seine Forschungen gab es in Greifswald zu keinem Zeitpunkt, obwohl Just das in seinem Entnazifizierungsverfahren behauptete.1467 Im Gegenteil, seine Forschungen genossen an der Universität höchstes Ansehen. Dekan Erich Leick bat im Mai 1936 das Wissenschaftsministerium darum, 1464 Vgl. Felbor, Rassenbiologie, S. 165. 1465 Vgl. Die DFG stellte insgesamt zehn neugebildeten Instituten finanzielle Mittel zur Verfügung. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 106; GStA PK I. HA Rep. 76 a Sekt 7 Tit. IV Nr. 22, Bd. 24 Bl. 326. 1466 Vgl. UAG Phil. Fak. I 425, Bd. 1. 1467 Vgl. Felbor, Rassenbiologie, S. 157.

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Just nun endlich eine planmäßige außerordentliche Professur zuzuweisen. Dabei betonte er noch einmal dessen Verdienste um Vererbungswissenschaft und Eugenik, bereits vor 1933. Die „äußere Anerkennung“ durch eine planmäßige außerordentliche Professur sei Just jedoch bisher versagt geblieben, obwohl er das Institut aufgebaut und zu einer „angesehenen Forschungsstätte“ gemacht habe. Es sei darüber hinaus das einzige „seiner Art“ geblieben, obwohl „die Vererbungswissenschaft und Rassenhygiene an unseren Hochschulen noch lange nicht die Pflege“ erfahre, „die ihr im nationalsozialistischen Deutschland unbedingt zukommen“ müsse. In Greifswald hätten die „biologischen Naturwissenschaften – wie aus dem tatsächlichen Ausbau ihrer Institute hervorgeht – eine besondere Pflege erfahren“. Die Philosophische Fakultät könne jedoch nach den Kürzungen nicht auf noch einen ihrer Lehrstühle verzichten, weshalb er darum bat, „von einer anderen Universität einen Lehrstuhl nach Greifswald zu verlegen“. Leick bat mit dem Antrag auch darum, die persönliche Stellung Justs zu verbessern. Mit nunmehr 44 Jahren sei er noch immer auf die Lehrauftragsvergütung angewiesen und in einer „nichtbeamteten und daher für die Zukunft nicht gesicherten Stellung“.1468 Das Wissenschaftsministerium entsprach Leicks Bitte nicht. Just übernahm daher 1937 eine Abteilungsleiterstelle im Erbwissenschaftlichen Forschungsinstitut im Reichsgesundheitsamt, mit Verbeamtung und höherem Gehalt. Er bestand jedoch darauf, sein Institut in Greifswald weiterzuführen,1469 zumal es, auch mit erheblichen Zuschüssen der Provinz, auf einen modernen Stand gebracht worden war. Von der Provinz erhielt Just darüber hinaus jährlich 1000 Mark zur freien Verfügung für Forschungen. Die Ursache für die nachlassende Förderung seiner Forschungen in einem Umfeld, das eugenischen Fragestellungen gegenüber mehr als aufgeschlossen war, ist in der Art und Weise zu sehen, wie Just sein Institut profilierte. Das Vorgehen stimmte er zwar mit dem frisch berufenen Kultusminister Rust bei einem Gespräch persönlich ab,1470 die reichlich erhaltenen Gelder schlugen sich jedoch in Beobachtungen nieder, die entweder nutzlos für das Regime oder aber Grundlagenforschung waren. Just selbst forschte zu den Allelen bei Drosophila, andere zur Farbwahrnehmung – beides war Grundlagenforschung. Mit dem Modellorganismus Drosophila melanogaster ließ Just auch mindestens zwei Dissertationen bestreiten. 1936 untersuchte ein Biologe den Faktorenaustausch am X-Chromosom von Drosophila melanogaster.1471 1943 1468 Vgl. UAG Phil. Fak. I 425, Bd. 1. 1469 Vgl. Felbor, Rassenbiologie, S. 160. 1470 Vgl. Just, Günther: Die Arbeit des Greifswalder Instituts für Vererbungswissenschaft, in: Der Erbarzt, Beilage zum Deutschen Ärzteblatt, Sonderdruck, Nr. 5, Jg. 1936, S. 65–76, Sonderdruck, S. 1. 1471 Vgl. Reck, Bruno: Untersuchungen über Faktorenaustausch am X-Chromosom von Drosophila melanogaster, phil. Diss., Greifswald 1936.

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promovierte ein Mediziner und Biologe mit einer Untersuchung über die Mutationsraten bei Bestrahlung und Fütterung der Fruchtfliegen mit Arsen.1472 Sein begabtester Schüler Fritz Steiniger führte zahllose Studien über Veränderungen des Phänotyps von Insekten und Spinnen durch.1473 1937 habilitierte er sich mit einer Schrift über Fütterungsversuche an Vögeln, in der er „Ekelgeschmack und visuelle Anpassung einiger Insekten“ untersuchte.1474 Ziel dieser Forschungen war, so Just, die „Physiogenese“ hochspezialisierter Anpassungsformen zu untersuchen zur Aufklärung der „Beziehungen zwischen Ganzheit und Ganzheitselementen“. 1475 Dasselbe Ziel strebte Just für den Menschen an, über dessen genetische Vielfalt jedoch noch nicht genug bekannt sei. Dem Rassenhygieniker, der „positive Auslese“ treiben wolle, komme es daher nicht auf den „genormten Menschen“ an, sondern auf die Herausarbeitung der „Mannigfaltigkeit psychophysischer Veranlagungen“.1476 Mit den Studierenden führte er zwar Praktika in menschlicher Erblehre durch, in denen die üblichen Fragen behandelt wurden. Die Problemkreise, zu denen er seine Schüler führte, waren jedoch zum Teil abwegig. Die Biologin Gisela Seidel zum Beispiel untersuchte die Vererbung des Geschmackssinns und konnte nachweisen, dass die Empfänglichkeit oder Unempfänglichkeit für salzigen, süßen oder bitteren Geschmack erblich war, wenn auch nicht nach „rein Mendelscher“ Gesetzmäßigkeit.1477 Auch wurden Probleme der „psychophysischen Konstitution“ anhand statistischer Erhebungen ermittelt. Die Dissertation von Eva Langner wirkt dabei wie ein Relikt des 19. Jahrhunderts – sie zählte Worte in den Werken zeitgenössischer Schriftsteller und verglich sie dann mit deren Körperbau. Die mehrfach eingestreuten Diagramme zu Wortnutzung und Metaphern reichten für einen Doktorgrad in der Philosophischen Fakultät aus, waren jedoch weder Beitrag zur Wissenschaft noch zur Ideologie.1478 1472 Vgl. Schütze, Richard: Die Beeinflussung der Mutationsrate bei Drosophila Melanogaster durch kombinierte Behandlung mit Arsen und Röntgenstrahlen, phil. Diss. Greifswald 1943, in: Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre, Bd. 81, Heft 3/4, 1943, S. 484– 499. 1473 Vgl. Just, Vererbungswissenschaft, in: Sonderdruck Erbarzt, S. 12. 1474 Vgl. Steininger, Fritz: Ekelgeschmack und visuelle Anpassung einiger Insekten: (Fütterungsversuche an Vögeln), Leipzig 1937, Sonderdruck aus der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 140, S. 221–257. 1475 Vgl. ebd., Sonderdruck, S. 12. 1476 Vgl. Just, Günther: Probleme der Persönlichkeit, Berlin 1934, S. 48. 1477 Vgl. Seidel, Gisela: Erbbiologische Untersuchungen über das Geschmacksverhalten gegen pÄthoxyphenylthioharnstoff, Natriumchlorid und Rohrzucker, phil. Diss., Greifswald 1943, Bl. 55. 1478 Vgl. Langner, Eva: Form- und Farbbetrachtung und psychophysische Konstitution bei zeitgenössischen Dichtern, in: Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre, Bd. 20, 1936, Heft 2, S. 93–147.

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Noch desaströser gestaltete sich Justs Vorstoß auf dem Gebiet der Bildungsforschung. Mit fünf Mitarbeitern hatte er statistisches Material von mehr als zehntausend Abiturienten in Preußen erhoben und konnte ermitteln, dass – ganz gleich, in welchem Fach – drei Viertel ihren Berufswunsch verwirklichen konnten. Dabei fiel den Forschern auf, dass diejenigen, die beim Abitur am schlechtesten abschnitten, überwiegend mittlere Beamte oder Ärzte wurden. Unter den Abiturienten mit Bestnoten waren die anderen Fächer und die höhere Beamtenschaft fast gleichmäßig vertreten. Allerdings räumte er ein wichtiges Vorurteil aus. Die Bildung der Frau – ganz gleich ob Abitur oder Hochschulstudium – beeinträchtige ihre „generative Leistung“ nicht. Für die Höhe der Kinderzahl sei allein ausschlaggebend, welche soziale Stellung der Ehemann als Ernährer der Familie erreicht hatte. Sein dürftiges Fazit, vorgetragen auf dem internationalen Kongress für Bevölkerungswissenschaft zu Berlin am 30. August 1935, lautete, dass eine möglichst einheitliche Volksbildung erfolgen müsse. Daran anschließen sollte sich eine differenzierte Schulform, die den Begabungen, dem „inneren Reichtum unseres Volkes“, möglichst Rechnung trage.1479 Die Forschungen zur Normal- bzw. Hochbegabung wurden nach diesem Fiasko nicht in dieser Form fortgesetzt.1480 Zwei Schülerarbeiten Justs befassten sich jetzt mit dem Zusammenhang von Schulleistung und psychischer Konstitution. Auch diese Untersuchungen endeten ohne greifbare Ergebnisse. Schizothyme Personen erreichten bessere schulische Leistungen als cyclothyme, die Unterschiede basierten jedoch nicht auf der „Intelligenzhöhe“, so die Bearbeiterin Waltraud Kramaschke, sondern auf „Unterschieden der Intelligenzform“.1481 Ebenso verhielt es sich mit den Rechtschreibfehlern, auch hier waren Schüler mit einer schizothymen Konstitution anderen Konstitutionstypen überlegen.1482 Justs besonderes Augenmerk richtete sich jetzt auf die Verwirklichung des anderen eugenischen Ziels, die „Ausschaltung leistungsungesunder Erblinien“.1483 Er ging 1479 Just veröffentlichte das Referat, das im Tagungsband nur gekürzt erschien, als Sonderdruck. Vgl. Just, Günther: Schulauslese und Lebensleistung. Vortrag gehalten auf dem Internationalen Kongress für Bevölkerungswissenschaft zu Berlin am 30. August 1935, Leipzig 1936, bes. S. 7–13. 1480 Die Förderakten des Innenministeriums zu diesen Forschungsprojekten scheinen verloren. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 147. 1481 Vgl. Kramaschke, Waltraud: Schulleistung und psychischer Konstitutionstypus, Sonderdruck aus der Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre, Bd. 22, 1940, Heft 1, S. 48. 1482 Vgl. Ruthemberg, Martin: Rechtschreibfehlleistung und psychischer Konstitutionstypus, phil. Diss., Greifswald, Sonderdruck aus: Zeitschrift für Kinderforschung, Bd. 48, Heft 2, 1939, S. 113. 1483 Vgl. Harten, Hans-Christian, Uwe Neirich und Matthias Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reiches. Bio-bibliographisches Handbuch, Berlin 2006, S. 290 f.

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dabei von einer erblichen Grundlage „biologischer Minusvariation“ in weiten Bereichen „asozialer und antisozialer Verhaltensweisen“ aus, obwohl noch „theoretische und praktische Arbeit“ zu tun bleibe.1484 Diese „Arbeit“ ließ Just von Doktoranden an den Hilfsschulen beginnen, weil er einen Zusammenhang zwischen geistiger Minderbegabung und „Leistungsunterwertigkeit“ annahm. Darüber hinaus handelte es sich um eine statistisch fassbare und bereits ausgegrenzte Personengruppe, weil minderbegabte Kinder nach einem Beschluss des Erziehungsministeriums seit 1935 zwingend in Hilfsschulen zu unterrichten waren. Die Zahl der Schüler in dieser Schulform stieg bis 1942 in Pommern um 68 Prozent an.1485 Die Provinz förderte diese Arbeiten finanziell und organisatorisch, so dass die Doktoranden keine Scheu vor kostspieligen Reisen oder aufwändigen Reihenuntersuchungen haben mussten. Außerdem wurde durch behördlichen Druck der Zugang zu den Probanden sichergestellt.1486 Der Diplomvolkswirt und SS-Untersturmführer Arthur Schultze-Naumburg erstellte 1935 eine Statistik der Hilfsschüler Pommerns, die den Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen bilden sollte. Er versandte 1992 Fragebögen an alle Hilfsschulen Pommerns, die von den Lehrern ausgefüllt wurden und Angaben zu Familie, zur Schulleistung des Kindes, zu dessen Intelligenzquotienten und einer möglichen Berufseignung erfassten.1487 Dabei stellte Schultze-Naumburg fest, dass die Familien der Hilfsschüler sich durch einen niedrigen Stand (67,5 Prozent ungelernte Arbeiter) und eine hohe Kinderzahl (durchschnittlich 5,6) von der übrigen Bevölkerung Pommerns unterschieden (10,6 Prozent ungelernte Arbeiter, Kinderzahl im Reich 2,3). Außerdem konstatierte er, dass 7,6 Prozent aller Hilfsschüler als „schwer schwachsinnig“ bezeichnet werden müssten.1488 Die Schlussfolgerung Schultze-Naumburgs war eindeutig. Für die „vorbeugende rassenhygienische Arbeit“ komme den Hilfsschulen eine besondere Bedeutung zu, indem sie ein „Sammelbecken“ darstellen würden, das die Möglichkeit biete, „die unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses fallenden Kinder frühzeitig auszulesen“.1489 Nach der Promotion zum Dr. jur. wurde Schultze-Naumburg Mitarbeiter der Reichsstelle für Sippenforschung und arbeitete 1484 Vgl. Just, Günther: Die erbbiologischen Grundlagen der Leistung, in: Die Naturwissenschaften, 27. Jg., Heft 10, 1939, S. 154. 1485 Vgl. Hoyer, Robert: Rassenhygienische Untersuchungen über Pommersche Hilfsschüler-Familien (mit besonderer Berücksichtigung des Handwerks), Diss. med., Greifswald 1944, S. 7. 1486 Vgl. StA Greifswald, Rep. 54, Nr. 553. 1487 Das Erziehungsministerium ordnete das Ausfüllen an, so dass eine hohe Rücklaufquote gewährleistet war. Vgl. Schultze-Naumburg, Arthur: Statistische Untersuchungen an den Hilfsschülern Pommerns, in: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 29, Heft 2, 1935, S. 155. 1488 Vgl. ebd., S. 163, 172 f. 1489 Vgl. ebd., S. 185.

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ehrenamtlich im Stab des Rasse- und Siedlungshauptamts der SS.1490 1943 ließ Just von dem tschechischen Medizinstudenten Josef Jerabek feststellen, wie sich das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses auf Zahl und Zusammensetzung der Hilfsschüler ausgewirkt habe. Ein messbarer Einfluss des Gesetzes war jedoch nicht feststellbar, es gab, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, so viele Hilfsschüler wie vorher.1491 Das Problem des „erblichen Schwachsinns“ ging Justs Doktorandin Gertrud Veit auf andere Weise an. Sie legte von Stettiner und Greifswalder Hilfsschülern „Sippentafeln“ an, um herauszufinden, in welcher Art und Weise sich Debilität vererbe. Die Befunde legten nahe, dass es sich um einen komplizierten Erbgang handle, weil nicht unbedingt alle Kinder eines Paares einen ähnlichen Grad an Beschränktheit aufwiesen. Eine „genetisch selbstständige Schwachsinnsgruppe“, die einem rezessivgeschlechtsgebundenen Erbgang folge, sei nicht nachweisbar.1492 Anhand mehrerer Familien zeigte sie jedoch auf, dass die Erbgesundheitsgerichte aus ihrer Sicht fehlerhaft entschieden hatten, als sie dem Vater die Zeugungsfähigkeit beließen.1493 Auch nach Justs Wechsel nach Würzburg 1943 gingen die von ihm angestoßenen Forschungen an den Hilfsschülern weiter. Der Arzt Robert Hoyer ließ 1107 Fragebögen ausfüllen, die ihm „rassenhygienische Untersuchungen“ in Handwerkerfamilien ermöglichen sollten. Er kam zu dem Schluss, dass im Handwerk ein „nicht zu vernachlässigender Anteil auch Erbschwachsinniger verborgen“ sei. Danach klassifizierte er die Kinder in „nicht schwachsinnig“ (2 Prozent), „leicht schwachsinnig“ (54 Prozent), „mittelschwer schwachsinnig“, wobei die Eingliederung in den Arbeitsprozess möglich sei (37 Prozent), und „schwer schwachsinnig“ (7 Prozent).1494 Die angehende Ärztin Erika Matthes untersuchte die Leistungsfähigkeit unehelich geborener Großstadtkinder und den Sozialstatus der Mütter mit unehelichen Kindern. Ihr Fazit für Berlin-Spandau war überraschend knapp und unpräzise, obwohl sie im Text durchaus differenzierte Statistiken vorgelegt hatte. Es habe sich bei allen „Probanden“ ein „außerordentlich ungünstiges Bild der familialen und sozialen Verhältnisse in den Sippen“ gezeigt. Zudem pflanzten sich, so Matthes’ letzter Satz der Arbeit, „bei insgesamt durchschnittlicher Fruchtbarkeit gerade diejenigen bevor-

1490 Vgl. Harten u. a., Erziehungsideologie, S. 486. In den sechziger Jahren veröffentlichte SchulzeNaumburg er eine Reihe von Büchern und Reiseführern zur Freikörperkultur. 1491 Vgl. Kröger, Tina: Aspekte des Ausländerstudiums an der Universität Greifswald 1933–1945, in: Alvermann, Schranken, S. 198 f. 1492 Vgl. Veit, Gertrud: Erbbiologische Untersuchungen an Stettiner und Greifswalder Hilfsschülern (Ein Beitrag zur Genetik des Schwachsinns), in: Zeitschrift für menschliche Vererbungsund Konstitutionslehre, Bd. 24, 1940, Heft 3, S. 243. 1493 Vgl. ebd., S. 275 ff. 1494 Hoyer, Rassenhygienische Untersuchungen über Pommersche Hilfsschüler-Familien.

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zugt fort, deren Erbgut das minderwertigere ist“.1495 Dieses Programm zur rassischen Durchleuchtung angeblich Minderwertiger setzte Just in Würzburg fort. Dort entstanden zwischen 1944 und 1948 14 Dissertationen etwa zu „mainfränkischen Verbrechersippen“ (1944) oder zur „Anstaltsbedürftigkeit und -pflege Schwachsinniger und ihre eugenische Auswirkung“ (1947!).1496 Er selbst untersuchte einen möglichen Zusammenhang zwischen der Konstitution von Menschen und deren Papillarlinien, insbesondere bei bestimmten erblichen Geisteskrankheiten. Diese Forschungen blieben letztlich zwar ohne Ergebnis, wurden von Just jedoch mit höchster Dringlichkeit durchgeführt, wie er der DFG am 9. Dezember 1942 darlegte. „Die Verwendung von Arbeitszeit und Arbeitsmitteln für die Sammlung dieses Materials stand deswegen ganz im Vordergrund, weil ein erheblicher Teil des Untersuchungsgutes sonst für die Forschung unwiederbringlich verloren wäre“, konstatierte er angesichts der andauernden Ermordung der Geisteskranken, ohne dass er das explizit erwähnte. In welchen Heil- und Pflegeanstalten Just und seine noch in Greifswald angestellte Mitarbeiterin Fingerabdrücke nahmen und die späteren Opfer untersuchten, geht aus dem Schriftwechsel mit der Forschungsgemeinschaft nicht hervor.1497 In Fachkreisen galten Justs Arbeiten, obwohl ihr Ertrag gering und ihre eugenische Ausrichtung unzweifelhaft war, als „erfolgreich und vielversprechend“.1498 Nach der Entnazifizierung erhielt Just 1948 einen Lehrstuhl in Tübingen, wo er zwei Jahre später starb.

1495 Matthes, Tochter eines Sonderschulrektors in Berlin-Spandau, geboren 1917, in Berlin hatte nach dem Abitur auf der Handelsschule zunächst als Stenotypistin gearbeitet. Ab 1940 studierte sie Medizin und Naturwissenschaften in Berlin, Greifswald und Würzburg. Ihre Dissertation wollte sie eingeordnet sehen in die Debatte um unehelich geborene Kinder, die angesichts der Kriegerwitwen geführt wurde. Auf dem Vorsatzblatt prangt die Widmung „Stalingrad!“. Vgl. Matthes, Erika: Untersuchungen zur Biosoziologie unehelicher Großstadtmütter und ihrer Partner, Diss. rer. nat., Greifswald 1944, Bl. 153; UAG Phil. Diss. II. 1148. 1496 Vgl. Felbor, Rassenbiologie, S. 189; die finanzielle Förderung der erbbiologischen Forschungsvorhabens wurde während des Krieges zu Gunsten wehrmedizinischer Projekte radikal eingeschränkt. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 153. 1497 Der Name von Justs Mitarbeiterin in Greifswald konnte nicht ermittelt werden. Vgl. BA R 73/11998; Deichmann, Ute: Biologen unter Hitler. Porträt einer Wissenschaft im NS-Staat, Frankfurt am Main 1995, S. 124. 1498 So ein Gutachten von Alfred Kühn, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie, vom März 1937. Kühn wechselte 1945 an die Universität Tübingen auf einen Lehrstuhl für Biologie. Vgl. BA R 73/11998.

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5.11 Praktizierte Eugenik: Zwangssterilisierungen und Euthanasie 5.11.1 Die Universität und die Zwangssterilisierungen

Das am 17. Juli 1933 verabschiedete Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses ordnete die Sterilisierung bei folgenden Diagnosen an: „1. angeborener Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. zirkuläres (manisch-depressives) Irresein, 4. erbliche Fallsucht, 5. erblicher Veitstanz, 6. erbliche Blindheit, 7. erbliche Taubheit, 8. schwere erbliche körperliche Missbildung“.1499 Ziel war die Ausrottung dieser Krankheiten durch die Verhinderung der Weitergabe an Nachkommen. Die Ausführungsbestimmungen stellten unmissverständlich klar, dass es die Pflicht der Ärzte war, ihnen bekannte Fälle beim Amtsarzt zu melden.1500 Im Ärzteblatt äußerte der im Reichsinnenministerium für die Formulierung des Gesetzes zuständige Ministerialrat Arthur Gütt, dass „die leichteren Formen“ aus erbbiologischer Sicht „genauso gefährlich“ seien „wie die schwersten Fälle“. Daher werde man „den Rahmen der zu erfassenden Personen nicht zu eng zu ziehen haben“, besonders, so Gütt, „wenn ethische und moralische Minderwertigkeit hinzukommen“.1501 Mit dieser Form der Auslegung erhielten die Ärzte die Möglichkeit, neben den scheinbar eindeutig erkrankten Patienten1502 soziale Indikationen in die Diagnose einzubeziehen. Die Handhabe dazu bot die im Gesetz eröffnete Möglichkeit, „Schwachsinnige“ zu sterilisieren. Das führte zur Einbeziehung von lebensuntüchtigen Menschen ebenso wie zu der von ledigen Müttern, die ein auffälliges Sozialverhalten zeigten.1503 Um dieser Willkür jedoch justizförmigen Charakter 1499 Vgl. RGBl. I, 1933, S. 529. 1500 Ministerialrat Gütt reagierte damit auf die Ablehnung des Gesetzes durch einige Ärzte, die ihren Patienten den Eingriff nicht zumuten wollten. Vgl. Ausführungsbestimmung, RGBl. I 1933, S. 1021. 1501 Vgl. Gütt, Arthur: Der deutsche Arzt und das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, in: Deutsches Ärzteblatt Nr. 6 vom 5. August 1933, S. 163. 1502 Die Erblichkeit der im Gesetz genannten Krankheiten ist aus heutiger Sicht nicht eindeutig erwiesen, zumal viele Erbgänge unklar sind. Zur Debatte vgl. Ratschko, Karl-Werner: Kieler Hochschullehrer in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Medizinische Fakultät der ChristianAlbrechts-Universität im „Dritten Reich“, Essen 2014, S. 180 ff. 1503 Vgl. Bock, Gisela: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, Opladen 1986, S. 403–410. Karl-Werner Ratschko stellte im Hinblick auf die Universität Kiel fest: „Zweifellos machten sich die Kieler Hochschulmediziner ebenso wie fast alle anderen in Zwangssterilisationen eingebundenen Ärztinnen und Ärzte einer gravierenden Verletzung ihrer ärztlichen Berufspflichten schuldig. Es ist zudem davon auszugehen, dass es auch Verstöße selbst gegen die damaligen Gesetze durch Inanspruchnahme unzulässig weiter Interpretationsspielräume gab, da die Handhabung des GzVeN durch Amtsärzte und Erbgesundheitsgerichte zunehmend willkürlich erfolgte und dies den Sterilisierungen durchfüh-

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zu verleihen, wurden Erbgesundheitsgerichte gebildet, die Sterilisierungsbeschlüsse zu fällen hatten. Die Kammern dieser Gerichte wurden von einem Amtsgerichtsrat geleitet, dem zwei medizinische Beisitzer zugeordnet wurden. Die Professoren für gerichtliche Medizin Rolf Hey und Kurt Goroncy gehörten dem Greifswalder Erbgesundheitsgericht an, Hey auch dem Erbgesundheitsobergericht in Stettin.1504 Als mögliche Vertreter benannte Hey die Direktoren der Frauen- und Nervenklinik ­Runge und Ewald sowie den Direktor des Instituts für Hygiene Dresel.1505 Hey gehörte zu den Wissenschaftlern, die die neue Gesetzgebung rückhaltlos befürworteten. Schon 1924 erklärte er begangene Verbrechen durch die „minderwertigen“ Erbanlagen der Täter und kritisierte Gerichte dafür, dass sie oft auf genaue psychiatrische Beurteilungen verzichteten.1506 „Ungewohnt leidenschaftlich“ formulierte Hey 1934 einen Aufsatz für die vielgelesene Medizinische Welt, wie Heys Biographin Anja Kuhrstedt urteilte. Der Text ist eine Huldigung für das Sterilisierungsgesetz, in dem Hey eine glücklichere Zukunft ohne diese Erbkrankheiten beschwor und zugleich die Ersparnisse durch künftig entfallende Anstaltsaufenthalte „Minderwertiger“ vorrechnete.1507 Hey, der 1933 der NSDAP beitrat, wurde wenig später an die Universität Frankfurt berufen. Der Direktor der Nervenklinik Gottfried Ewald benutzte die Vokabel „Minderwertige“ nicht, sah den Schwachsinn jedoch ebenfalls als ökonomisches Problem. Da diese Menschen nun einmal da seien, müsse die Gesellschaft Hilfsschulen betreiben, auch wenn die Kosten pro Kopf höher seien als bei der Ausbildung des „Durchschnittsschülers“. Die Gesellschaft müsse allerdings darauf achten, dass aus „falschem Mitleid“ nicht zu hoher Aufwand getrieben werde. Von einer Therapie „im engeren Sinne“ sei wenig zu erhoffen, weshalb die Sterilisation das einzige Mittel zur Bekämpfung des Schwachsinns sei. Um den erblich bedingten Schwachsinn auszurotten, hielt Ewald die Sterilisierung von etwa 300.000 Menschen für notwendig, schon deshalb, weil „sich Schwachsinnige relativ häufig miteinander paaren“ würden. Das Ziel von Ewalds Aufsatz über den Schwachsinn in der Münchener Medizinischen Wochenschrift war jedoch eine Handreichung „für die Praxis“ der Ärzte in Gesundheitsämtern oder für die Gutachter bei den Erbgesundheitsgerichten. Ewald plädierte für eine exakte Diagnose, eben weil „Schwachsinnszustände“ in den Mittelpunkt der „eugenischen Tätigkeit“ gerückt worden seien. Notwendig seien darenden Ärzten nicht verborgen geblieben sein kann.“ Vgl. Ratschko, Kieler Hochschullehrer, S. 185. 1504 Vgl. Kurstedt, Anja: Der Gerichtsmediziner Rolf Hey (1892–1940). „Mehr sein als scheinen“, Diss. med., Greifswald 2000, S. 67. 1505 Vgl. UAG K 189, Bl. 259. 1506 Vgl. Kurstedt, Hey, S. 36 und 72. 1507 Vgl. ebd., S. 181 f.

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her sachgemäße Intelligenzprüfungen und auch Abwägungen, ob das Urteilsvermögen einer zu sterilisierenden Person einer gesellschaftlichen Norm entspreche. Auch „Defekte“ auf dem Gebiet „des Gefühls, Trieb- und Willenslebens“ seien zu beurteilen, weil eben bei diesen Personen „die ganze Persönlichkeit verkümmert“ sei. Ewald wies dann aber auch auf die Möglichkeit des Verlustes geistiger Fähigkeiten durch Krankheiten hin und beschrieb mögliche Diagnosen.1508 Ewald wurde 1935 an die Universität Göttingen berufen, sein Nachfolger Thiele äußerte sich zu dem Problem nicht. Um die Frage zu beantworten, ob in Greifswald besonders viele sozial unerwünschte Personengruppen daran gehindert werden sollten, Kinder zu bekommen, ist ein Vergleich der Diagnosen notwendig. Von den sterilisierten Patienten und Patientinnen der Universitätsklinik Kiel lautete die häufigste Diagnose (64,9 Prozent) „angeborener Schwachsinn“, gefolgt von „Schizophrenie“ (11,2 Prozent) und „erblicher Fallsucht“ (11 Prozent). Auffällig war, so der Medizinhistoriker Karl-Werner Ratschko, dass für 9 Prozent keine Diagnose angegeben war und nur eine einzige Alkoholikerin sterilisiert wurde.1509 An der Universitätsfrauenklinik Freiburg waren die Diagnosen ähnlich. Auch hier war die ungenaue und soziale Definition des angeblichen „Schwachsinns“ mit 52,2 Prozent die häufigste. Höher lag der Anteil der schizophrenen Patientinnen (35,9 Prozent), an „erblicher Fallsucht“ litten 5,8 Prozent der Patientinnen, an „manisch-depressivem Irresein“ 3,8 Prozent.1510 An der Universität Heidelberg, in deren Umgebung es sehr viele städtische Kliniken gab, die für Sozialfälle zuständig waren, lag der Anteil der angeblich „Schwachsinnigen“ immerhin noch bei 42,1 Prozent.1511 In Greifswald hat die in der Frauenklinik tätige Assistenzärztin Renate Koehler eine Statistik für den Zeitraum 1. April 1935 bis 31. März 1936 auf Grund von 87 Fällen erhoben. Wegen vererbbarer Blindheit wurde eine Frau sterilisiert, manischdepressive Zustände führten zu drei Unfruchtbarmachungen, siebenmal war „Schizophrenie“ als Diagnose angegeben, neunmal war es Epilepsie, die im Gesetz als „erbliche Fallsucht“ bezeichnet wurde. 76 Mal lautete die Diagnose „Imbezillität“, also „Schwachsinnigkeit“, was 81 Prozent aller Fälle entsprach.1512 Im Zeitraum vom In1508 Vgl. Ewald, Gottfried: Über den Schwachsinn, in: Münchener Medizinische Wochenschrift, 16. August 1935, S. 1315–1321. 1509 Vgl. Ratschko, Hochschullehrer, S. 172 und 177. 1510 Vgl. ebd., S. 177. 1511 Vgl. Neeff, Dora: Die bisherigen Erfahrungen über Eingriff und Verlauf der sterilisierten Operationen bei der Frau, Diss. med., Heidelberg 1935, S. 18. 1512 Das Abrechnungsjahr der Kliniken dauerte üblicherweise vom 1. April bis zum 31. März, so wurden auch die Aufnahmebücher geführt, die für statistische Erhebungen benutzt werden können. Vgl. Koehler, Renate: Die eugenischen Sterilisationen vom 1.4.1935 bis 31.3.1936, Diss. med., Greifswald 1938, S. 18.

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krafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1934 bis zum 31. März 1936 wurden 137 Frauen sterilisiert, davon 107 wegen „erblichen Schwachsinns“, also 77,4 Prozent.1513 Die Diagnose „Schwachsinn“ wurde später weniger häufig gestellt, weil man sich, wie es der Assistenzarzt an der Frauenklinik Hans Heffe ausdrückte, zunächst der „krassesten Fälle“ annahm.1514 Zudem zogen sich Begutachtungen und Entscheidungen bei der Diagnose „erbliche Fallsucht“ (Epilepsie) hin, so dass die Sterilisierungen wegen dieser Krankheit ihren Höhepunkt 1938/39 erreichten.1515 Insgesamt wurden zwischen 1933 und 1945 an den Greifswalder Universitätskliniken 2403 Patienten sterilisiert. Dabei verteilten sich die Diagnosen wie folgt: 1. angeborener Schwachsinn 397 = 16,5 Prozent 2. Schizophrenie 836 = 34,8 Prozent 3. zirkuläres (manisch-depressives) Irresein 212 = 8,8 Prozent 4. erbliche Fallsucht 737 = 30,7 Prozent 5. erblicher Veitstanz 9 = 0,4 Prozent 6. erbliche Blindheit 80 = 3,3 Prozent 7. erbliche Taubheit 5 = 0,2 Prozent 8. schwere erbliche körperliche Missbildung 36 = 1,5 Prozent Diagnose nicht ermittelt oder nicht verzeichnet 91 = 3,8 Prozent1516 An den Greifswalder Universitätskliniken wurden Diagnosen also scheinbar genauer gestellt als an anderen Kliniken. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Greifswald nicht zu den sozialen Brennpunkten gehörte, in denen Zwangsterilisationen besonders häufig vorgenommen wurden.1517 In die Gruppe der nicht verzeichneten Diagnosen sind sechs sogenannte Zigeunerinnen eingeordnet, deren Sterilisierung nicht auf Grund des Gesetzes aus dem Jahr 1933, sondern aus „rassischen Gründen“ in der Frauenklinik vorgenommen wurde.1518 Es handelte sich um die Frauen einer dreizehnköpfigen Familie, die seit den zwanziger Jahren in Wolgast ansässig war und ihren Lebensunterhalt durch den Handel mit Kurzwaren, Filzpantoffeln und Klöppelspitzen bestritt. Der Familien1513 Vgl. Koehler, Sterilisationen, S. 29. 1514 Vgl. Heffe, Eugenische Sterilisierungen, S. 16. 1515 Vgl. Bady, Thomas und Manfred Blüthgen: Untersuchung von Patientenunterlagen der Universitätsnervenklinik Greifswald aus den Jahren 1933–1945 unter besonderer Berücksichtigung von Begutachtungen im Rahmen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, Diss. med., Greifswald 1994, S. 72. 1516 Vgl. Bady/Blüthgen, Patientenunterlagen, S. 37. 1517 In der Provinzhauptstadt Stettin war in den zwanziger Jahren eine große Frauenklinik errichtet worden, der Siegfried Stephan vorstand, der zugleich außerplanmäßiger Professor der Universität Greifswald war. 1518 Vgl. Bady/Blüthgen, Patientenunterlagen, S. 37.

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vater arbeitete als Musiker, sein Sohn hatte einen Gewerbeschein als Inhaber eines Kasperletheaters. In der Zeit der Weimarer Republik waren solche Schausteller gern gesehene Unterhalter in den Seebädern auf Usedom und Rügen.1519 1938 ließ der Bürgermeister von Bergen die Familie, die wie gewohnt den Sommer auf Rügen verbrachte, von der Insel schaffen.1520 Der Bürgermeister von Wolgast stellte dann 1944 den Sterilisierungsantrag für die Frauen der Familie, die sich in fortpflanzungsfähigem Alter befanden.1521 Über ihr weiteres Schicksal ist ebenso wenig bekannt wie über das der Männer.1522 Die Sterilisierungen der Wolgaster Frauen wurden in der Universitätsfrauenklinik vorgenommen. Neben der Frauenklinik war die Chirurgische Klinik berechtigt, solche Operationen durchzuführen.1523 Begonnen haben die Sterilisationen mit eugenischer Indikation unter dem Direktorat von Ernst Philipp.1524 Dieser war 1934 auf Veranlassung des Ministeriums von der Charité nach Greifswald gekommen. 1525 Philipp hatte nach eigener Aussage „seit 1931 nationalsoz.[ialistisch] gewählt“, gehörte ab 1933 der NSDAP an, tat Dienst in der SA und brachte es 1936 zum Gaudozentenbundsführer in Pommern. 1937 wurde er nach Kiel berufen.1526 Der bis zur Bestallung Philipps amtierende Oberarzt Rudolf Hubert, Oberarzt der Frauenklinik und nach dem Tod des Ordinarius amtierender Direktor, hatte sich 1934 in der Debatte um eugenische Sterilisierungen zu Wort gemeldet, sich aber nur mit der „temporären Sterilisierung“ befasst. Aus eugenischer Sicht sei das vorübergehende Unfruchtbarmachen abzulehnen, weil praktisch alle Maßnahmen zur Schädigung des Kindes führen müssten. Mechanische Verhütungsmittel seien unsicher und würden oft die Frau selbst schädigen. Die Sterilisierung durch Röntgenstrahlen sei höchst bedenklich, weil sie bei den trotzdem geborenen Kindern Missbildungen erwarten ließ. Die vorübergehende Unfruchtbarmachung durch die Verabreichung von Hormonen sei bisher nur im Tierexperiment gelungen. Die Anwendung beim Menschen sei „noch nicht angängig“, weil dabei sehr starke Veränderungen der Tiere beobachtet worden waren. Die häufig auftretende „Maskulinisierung“ stelle einen „Eingriff in das Gefüge des Organismus dar, wie er beim Menschen nicht erlaubt“ sei. Aus Huberts Sicht kam daher nur die dauerhafte Unfruchtbarmachung per Operation in Frage, was 1519 Vgl. StA Greifswald, Rep. 38b Wolgast Nr. 1697, Bl. 50 und 97. 1520 Vgl. ebd., Bl. 232. 1521 Vgl. UAG Frauenklinik 1, Lfd. Nr. 42–45, 54, 56. 1522 Die Recherche verlief ohne Ergebnis, da die Angehörigen der Familien außerordentlich häufige deutsche Namen trugen und Geburtsdaten nicht bekannt sind. 1523 Vgl. BA R 4901/964, Bl. 30, 46. 1524 Vgl. Koehler, Sterilisationen, S. 29. 1525 Vgl. UAG Med. Fak. I, Nr. 72. 1526 Vgl. BA R 4901/13273.

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damals herrschende Meinung unter Frauenärzten war1527 und der Parteilinie entsprach.1528 Hubert war der NSDAP wie Philipp 1933 beigetreten, ein sicheres Indiz dafür, dass er die gesundheitspolitischen Initiativen der NSDAP unterstützte. Er blieb bis zur Niederlassung in Kassel 1936 Oberarzt der Klinik und erhielt den Professorentitel.1529 Die Sterilisierung durch Hormone war aus Sicht der Universitätsfrauenklinik also keine Option, was auch der Dissertation Köhlers zu entnehmen ist, die verschiedene Operationsverfahren untersuchte. Die Mortalität von 1,4 Prozent der operierten Frauen schien ihr für das zu erreichende eugenische Ziel offenbar vertretbar, ohnehin gebe es keine Sterilisationsoperation, „deren Mortalität = null“ sei.1530 Die am häufigsten angewandte Methode war die Tubenquetschung nach Madlener, oft wurden auch die Eileiter der Frauen entfernt, wobei der Weg immer durch die Bauchdecke führte.1531 Über die Sterilisierungspraxis unter dem Klinikdirektor Günther F. K. Schultze ist wenig bekannt. Er intensivierte zwar die Hormonforschung, die gemeinsam mit der Landesfrauenklinik durchgeführt wurde, zur Unfruchtbarmachung von Frauen durch Hormonbehandlungen scheint es nicht gekommen zu sein. Das war auch darin begründet, dass die beiden Spezialisten für dieses Thema Herbert Buschbeck und Hans Nevinny Stickel ihre militärische Karriere vorantrieben und ab 1939 Kriegsdienst leisteten.1532 Das Ziel ihrer Forschung scheint außerdem die Behandlung der Sterilität gewesen zu sein, nicht ihre Herbeiführung.1533 1527 So eine 1933/34 in Kiel entstandene Dissertation von Frithjof Hager zum Thema. Vgl. Ratschko, Kieler Hochschullehrer, S. 203. 1528 Hubert, Rudolf: Zur praktischen Eugenik, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung, Nr. 4, 1934, S. 97. 1529 Hubert war Mitglied der Deutschen Volkspartei gewesen, was seine Witwe Elinor zur Konstruktion einer Widerstandsbiographie veranlasste, die ihre eigene politische Karriere nach 1945 beförderte. Sie war von 1949 bis 1969 Bundestagsabgeordnete und Sprecherin der SPD für Gesundheitspolitik. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Elinor_Hubert, letzter Zugriff: 21. Mai 2015; Rudolf Hubert war seit 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP (Mitglied Nr. 2.470.319), diente ab November 1933 im Reitersturm der SA und gehörte dem NSD-Dozentenbund und dem NS-Ärztebund an. Vgl. UAB PA Hubert, Rudolf; BA R 4901/13267 Karteikarte Hubert. 1530 Vgl. Koehler, Sterilisationen, S. 30. 1531 Vgl. Heffe, Hans Rudolf: Eugenische Sterilisierungen, Diss. med., Greifswald 1936, S. 17. In Heidelberg lag die Mortalität bei null, zur Diskussion der Operationsmethoden vgl. Neeff, Eingriff und Verlauf, S. 1–11. 1532 Vgl. PA 456 Buschbeck, Bd. 4; PA 1598 Nevinny-Stickel. 1533 Die Stettiner Hormonkartothek, für deren Betreuung und Ausbau Buschbeck von der Universität Würzburg nach Pommern kam, wurde bei Luftangriffen zerstört. Vgl. PA 456 Buschbeck, Bd. 4. Nevinny publizierte nach 1945 über Erfolge der Hormonbehandlung. Vgl. NevinnyStickel, Hans: Die Menstruation, ihre Störungen und deren Behandlung, Halle 1951, S. 53 ff., 83–102.

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Die Ärzte der Augenklinik leiteten nur bei sehr wenigen Patienten Verfahren bei den Erbgesundheitsgerichten ein. Auch Gutachten erstatteten sie extrem wenige. Stephan Töpel, der die Geschichte der Klinik geschrieben hat, konnte nur sieben solche Fälle ermitteln. Häufiger waren Bescheinigungen, die ehemaligen Patienten ausgestellt wurden und besagten, dass es sich nicht um eine erbliche Erkrankung handelte. Töpel macht dafür eine besondere Gewissenhaftigkeit der leitenden Ärzte verantwortlich, aber bei den Ophtalmologen war die Skepsis gegenüber der möglichen Erblichkeit von „Blindheit“ oder „Missbildungen“ weit verbreitet.1534 Rektor Meisner hatte das bei seiner Antrittsrede am 15. Mai 1933 über „Die Blindheit“ unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht. Er äußerte sich vorsichtig abwägend zum Entstehungsprozess des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, wobei er ein solches Gesetz durchaus bejahte, für sein Fachgebiet allerdings ablehnte. Bei der Blindheit handle es sich um eine „verdeckte Erbeigenschaft“, deren Erbgang „im Einzelnen noch recht unklar“ sei.1535 Anders urteilten die Ärzte in der Universitätshautklinik, wo die Geschlechtskranken behandelt wurden und wo es auch eine geschlossene Abteilung gab, in der Frauen zwangsweise behandelt wurden. Klinikdirektor Wilhelm Richter, 1936 berufen, betrachtete Geschlechtskrankheiten – wie alle Hautärzte seiner Generation – als „ernste Gefahr für die Volksgesundheit“, die mit „allen erdenklichen Mitteln“ bekämpft werden müsse.1536 Da die chemotherapeutischen Erfolge bei der Behandlung der Gonorrhoe sehr gering waren,1537 befürworteten die Ärzte soziale Maßnahmen. Die gesetzliche Handhabe bot das Ehegesundheitsgesetz, in dem Eheschließungen verboten wurden für den Fall, dass ein Verlobter unter „einer mit Ansteckungsgefahr verbundenen Krankheit litt“, die eine Schädigung des anderen Verlobten oder des Nachwuchses erwarten ließ. Alle Ehewilligen hatten vom zuständigen Gesundheitsamt ein „Ehetauglichkeitszeugnis“ beizubringen.1538 Gegen Personen mit miss1534 Vgl. Töpel, Universitätsaugenklinik, S. 190–200. 1535 Vgl. Meisner, Wilhelm: Die Blindheit. Rede bei der Übernahme des Rektorates am 15. Mai 1933, Greifswald 1933, S. 21. 1536 Vgl. Kapp, Tabea: Die Entwicklung der Universitäts-Hautklinik Greifswald in der Zeit des Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung von Patientenakten mit den Diagnosen Syphilis und Gonorrhoe, Diss. med., Greifswald 2011, S. 125. Die Zwangsbehandlung war jedoch bereits 1927 vom Gesetzgeber festgeschrieben worden. Vgl. Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 18. Februar 1927, § 2, RGBl. I, S. 61. 1537 Der Oberarzt der Klinik Joachim Hartung kombinierte daher die gängigen Chemotherapeutika mit anderen Behandlungen, fand jedoch keine sichere Behandlungsmethode. Vgl. UAG Med. Habil. Nr. 217. 1538 Vgl. Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes vom 18. Oktober 1935, § 1, RGBl. I, 1935, S. 1246; Erste Verordnung zur Durchführung des Ehegesundheitsgesetzes vom 18. November 1935, §§ 1, 2, RGBl. I, 1935, S. 1419.

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liebigem Lebenswandel konnte auf Grund von verschiedenen Polizeiverordnungen vorgegangen werden. Um diese zu vereinheitlichen, gab das Innenministerium 1937 einen grundlegenden Erlass über die „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ durch die Polizei heraus.1539 Mehrere Dutzend Erkrankte wurden von der Polizei in die Greifswalder Hautklinik eingeliefert, einige auch aus Gefängnissen, Arbeits- und Konzentrationslagern. Die Ärzte „fahndeten“ (!) aber auch aus eigenem Antrieb nach „charakterschwachen geschlechtskranken Mädchen“, die der Polizei gemeldet wurden, die dann die Einweisung in Arbeits- oder Konzentrationslager vornahm.1540 Das Sterilisierungsgesetz von 1933 schien geeignet, zumindest die Geburt von geschädigten Nachkommen zu verhindern. Die Ärztin Tabea Kapp hat untersucht, wie die Hautklinik das Sterilisierungsgesetz anwandte, und dazu 1134 Akten von syphiliskranken Patienten und 1802 von Kranken, die an Gonorrhoe litten, ausgewertet. Zur Sterilisierung wurden mindestens 41 Patienten überwiesen, wobei „Schwachsinn“ die häufigste Diagnose war. Sterilisierungen waren demnach eher unüblich. Gleichwohl empfahl Oberarzt Hartung bei einer Frau, die ihren Lebensunterhalt mit Geschlechtsverkehr bestritt und mehrfach behandelt werden musste, nicht nur die Einweisung in eine geschlossene Einrichtung mit „verschärften Strafbedingungen“, sondern auch die Sterilisierung wegen „moralischen Schwachsinns“.1541 Die Universitätsnervenklinik war auf zweifache Weise bei der Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses beteiligt. Ihre Ärzte fertigten Gutachten für die Verfahren bei Erbgesundheits- und Erbgesundheitsobergerichten an. Dazu wurden die Angeklagten in die Klinik zur Beobachtung oder zu Intelligenztests gebracht. Bei den eigenen Patienten stellten die Ärzte Diagnosen und beantragten gegebenenfalls die Sterilisierung. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Akten der Universitätsnervenklinik in ihrer Aussagekraft begrenzt sind. Einerseits wurden sie keineswegs nach bürokratischen Regeln geführt, andererseits enthalten sie nicht so viele Informationen, wie für die schlüssige Rekonstruktion von Fallbeispielen nötig wären. Ein Beispiel dafür bietet der Fall von Wilhelm E., Landwirt auf der Insel Usedom. E. hatte 1915 als Soldat bei einem Sturmangriff an der Westfront eine Schädelverletzung erlitten und war seitdem extrem reizbar. 1917 wurde er in die Universitätsklinik Kiel gebracht, weil er einen Vorgesetzten mit einem Schemel angegriffen hatte, woran er sich aber nicht erinnern konnte. Der Versuch, sich selbst zu töten, misslang. Als E. wegen auf1539 Vgl. Ayaß, Wolfgang (Bearb.), „Gemeinschaftsfremde“. Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933–1945, Koblenz 1998, Dokument Nr. 50, S. 94–98. 1540 Vgl. Kapp, Diagnosen, S. 131 f. 1541 Vgl. ebd., S. 138–142.

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fälligen Verhaltens in die Greifswalder Universitätsnervenklinik eingeliefert wurde, bescheinigte deren Leiter Edmund Forster, dass dieser „von Haus aus schwachsinnig sei“ und daher strafunmündig nach § 51 des Strafgesetzbuches. Die Vorschrift stellte eine Tat außer Strafe, wenn der Handelnde sie nicht aus freiem Willen begangen hatte. E. wurde später Kommunist und begrub 1933 seine verstorbene Mutter auf dem Dorffriedhof ohne geistlichen Beistand, was für Aufsehen sorgte. Als er im November 1933 sein Vieh verschenkte, war das Maß für die Verwandtschaft voll und sie ließ ihn erneut in die Nervenklinik einweisen. Der amtierende Klinikdirektor Gottfried Ewald plädierte für die Entmündigung, da E. nicht mehr in der Lage sei, seine Angelegenheiten selbst zu ordnen. Wilhelm E. wurde in die Landesheilanstalt Stralsund verlegt, wo er sterilisiert und nach Hause entlassen wurde. 1942 bat die Gestapo um ein Gutachten, weil sie E. in ein KZ einliefern wollte, in das aber „nur geistesgesunde Menschen“ verbracht werden dürften. Eben jenes Gutachten fehlt in der Akte und konnte auch anderswo nicht ermittelt werden.1542 Die Dürftigkeit der erhobenen Informationen illustriert der Fall des 27-jährigen Fruchteisverkäufers Fritz F. aus G., der in den Sommermonaten in einem pommerschen Strandbad arbeitete. F. war im November 1934 von der Greifswalder Polizei aufgegriffen worden, weil er nur mäßig bekleidet planlos in der Stadt herumirrte. Direktor Jacobi forderte einen Monat später seine dauernde Einweisung in eine Heil- und Pflegeanstalt, weil F. nicht in der Lage sei, sein Leben selbst zu gestalten. Außerdem verzeichnete er „religiöse Wahnideen“, später notierte ein Arzt „Versündigungsideen“. F. wurde nach Stralsund verlegt, das Erbgesundheitsgericht Greifswald informiert, weiteres ist nicht bekannt.1543 Obwohl das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses mit Ausnahme der sozial anwendbaren Diagnose „Schwachsinn“ strenge Vorgaben machte, war die Auslegung doch Sache des Arztes. Bei der Epileptikerin Margarete N. aus Ostpreußen konnte kein anderer Fall in der Familie nachgewiesen werden, Oberarzt Ernst Gustav Störring empfahl die Sterilisierung trotzdem wegen des klaren Krankheitsbildes.1544 Bei der elfjährigen Bauerntochter Thea D. beantragte die Universitätsnervenklinik die Sterilisierung nicht, obwohl die Anamnese für den Vater häufige epileptische Anfälle ergab. Die Krankheit habe bei ihm zu einer Wesensänderung geführt. Er besorge die „Wirtschaft“ nicht mehr und misshandle seine Frau, weshalb diese die Scheidung eingereicht habe. Der Intelligenztest von Thea fiel positiv aus. Sie wurde nach wenigen Wochen entlassen, wobei der behandelnde Arzt die Gabe von Luminal empfahl, was die Häufigkeit der Anfälle herabsetzte. Das Erbgesundheitsgericht forderte 1936 1542 Vgl. UAG UNK Parientenakte 1639. 1543 Vgl. UAG UNK Patientenakte 1892. 1544 Vgl. UAG UNK Patientenakte 9666.

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die Akte an, was bei der unzweifelhaften genetischen Veranlagung die Sterilisierung bedeutete.1545 Die Sterilisierung beantragte die Nervenklinik bei der gleichaltrigen Irmingard F. wegen derselben Diagnose, weil diese bereits ihre „Periode“ hatte und damit als geschlechtsreif anzusehen war. Der Fall wurde 1937 an das Erbgesundheitsgericht Stettin verwiesen.1546 Nicht gemeldet wurde zunächst der Epileptiker Ernst G., die Nervenklinik verordnete lediglich wie immer Luminal und entließ den Patienten nach Hause. Den Antrag auf Unfruchtbarmachung stellte erst die Landesheilanstalt Lauenburg 1938.1547 Die Vermutung, dass bei Männern zurückhaltender vorgegangen wurde, scheint auch der Fall von Hans D. zu bestätigen. Dem bis zum August 1933 im Ruhrgebiet tätigen Polizisten war eine Erwerbsminderung von 70 Prozent zugesprochen worden. Er hatte seine Stellung verloren, sei antriebslos und arbeite auch in der väterlichen Schmiede nicht mehr mit, stattdessen unternehme er endlose Spaziergänge, weil ihn in geschlossenen Räumen immer wieder eine unerklärliche Bedrückung überfalle. Für den Prozess beim Erbgesundheitsgericht gab die Nervenklinik ein Gutachten in dem Sinne ab, dass D. nicht zu sterilisieren sei, weil „sichere Anhaltspunkte“ für ein manisch-depressives Irresein „nicht vorhanden“ seien. Damit seien Voraussetzungen des Gesetzes nicht gegeben.1548 Bei Gertrud C. hingegen schloss die Klinik die Erblichkeit ihrer Epilepsie aus, empfahl aber trotzdem ihre Sterilisierung und zeigte sie 1935 beim Erbgesundheitsgericht an. Das Gericht erließ ein entsprechendes Urteil.1549 Rechtswidrig verhielt sich die Nervenklinik im Fall von Anna H. Während jeder Schwangerschaft hatte sie psychotische Schübe erlitten. Drei Kinder hatte sie zur Welt gebracht, außerdem drei Fehlgeburten erlebt, ein weiteres Kind war bei der Geburt gestorben. Als Ehefrau eines Arbeiters steuerte sie zur Ernährung der Familie durch Strickarbeiten einen wesentlichen Teil des Einkommens bei. Bei der nächsten Schwangerschaft traten wieder Krankheitserscheinungen auf. Jetzt überwies sie der niedergelassene Nervenarzt Rudolf Pophal in die Universitätsnervenklinik. Oberarzt Störring überwies sie nach Begutachtung an eine Klinik in Stralsund, wo der Abbruch der Schwangerschaft und die Sterilisierung der Frau vorgenommen wurden.1550 Eine rechtliche Grundlage dafür boten weder das Sterilisierungsgesetz von 1933 noch das Strafgesetzbuch in der damals aktuellen Fassung.1551 1545 Vgl. UAG UNK Patientenakte 1489. 1546 Vgl. UAG UNK Patientenakte 1936. 1547 Vgl. UAG UNK Patientenakte 2177. 1548 Vgl. UAG UNK Patientenakte 2541. 1549 Vgl. UAG UNK Patientenakte 1523. 1550 Vgl. UAG UNK Patientenakte 3189. 1551 Zu den verschiedenen Fassungen des Strafgesetzbuches vgl. http://lexetius.com/StGB/220 und http://lexetius.com/StGB/219, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

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1935 wurde die 1920 geborene Elli K. sterilisiert. Der Intelligenzgrad der fünfzehnjährigen Hilfsschülerin entsprach dem einer Fünfjährigen. Die Nervenklinik empfahl ihre Sterilisierung, obwohl sie keine Untersuchung der Genese der Bildungsunfähigkeit vorgenommen hatte. Die Familie wurde nicht gehört, die ausdrückliche Ausprägung von Elli K.s „Schwachsinn“ spreche aber für Vererbbarkeit. Das Erbgesundheitsgericht Greifswald, bestehend aus einem Amtsgerichtsrat, dem Professor für Gerichtliche Medizin Goroncy und einem Arzt schloss sich dem Votum an. Die Diagnose war mit Hilfe eines ausführlichen Intelligenztests gestellt worden, aber das Fehlen einer Familienanamnese spricht für eine leichtfertige Anwendung des Sterilisierungsgesetzes. Es wurde nicht einmal nachgefragt, ob die Bildungsunfähigkeit auf exogene Faktoren zurückzuführen war – in Frage gekommen wären eine Encephalitis, eine Hirnverletzung oder anderes. Die Grundlage für die Sterilisierung war allein die Aussage der „schwachsinnigen“ Elli, die mit Puppen spielte, davon träumte, einmal Schneiderin zu werden und sich auffällig verhielt.1552 5.11.2 Die mögliche Beteiligung an der „Euthanasie“

In diesem Zusammenhang soll erörtert werden, ob und in welchem Ausmaß die Universitätsnervenklinik in die Krankenmorde der Jahre 1939 bis 1945 einbezogen war. Es kann ausgeschlossen werden, dass in der Klinik selbst mit Vorsatz getötet wurde. Die Aufnahmebücher sind durchgängig erhalten und die in ihnen verzeichneten Diagnosen liefern plausible Ursachen für Sterbefälle.1553 Von der Räumung der Landesheilund Pflegeanstalten nach Kriegsbeginn war die Klinik nur insofern betroffen, als eine Verlegung von dauerhaft Kranken nach Stralsund nicht mehr möglich war. Gauleiter Schwede-Coburg hatte die Leerung der Anstalten in seiner Funktion als Reichsverteidigungskommissar für den Wehrkreis II befohlen, um Platz für Lazarette zu schaffen. Mindestens 1400 Patienten wurden nach Westpreußen deportiert und in den Wäldern erschossen.1554 Das Aufnahme- und Diagnosenbuch der Nervenklinik verzeichnet in diesem Zeitraum Entlassungen nach Hause sowie in die Heil- und Pflegeanstalten Stralsund (bis November 1939) und Ueckermünde.1555 In die folgende Ermordung 1552 Vgl. UAG UNK Patientenakte 4765. 1553 Vgl. UAG Diagnosenbücher 1939 bis 1944, Letzteres enthält Aufnahmen bis zum Kriegsende. 1554 Vgl. Klee, Ernst: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt am Main 1986, S. 95 ff.; zu den Details der Mordaktion vgl. Armbruster, Jan: Zur Geschichte der Provinzial-Heilanstalt von 1912–1939, in: Armbruster, Jan und Harald J. Freyberger (Hg.): Verwahrung, Vernichtung, Therapie. Zum 100-jährigen Bestehen der stationären Psychiatrie auf dem Gelände des Krankenhauses West in Stralsund, Hamburg 2012, S. 84 ff. 1555 Vgl. UAG Diagnosenbuch 1939/40.

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von Kranken in den Tötungsanstalten Bernburg, Brandenburg, Grafeneck, Hadamar, Hartheim und Sonnenstein war die Klinik ebenfalls nicht einbezogen. Sie war per definitionem eine Durchgangsklinik, die Kranke nach wenigen Wochen entließ oder in Heil- und Pflegeanstalten verlegte. Es gab also keine langjährigen Patienten, die von den Gutachtern der sogenannten Euthanasie-Aktion beurteilt werden konnten. Aber es ist sicher, dass Patienten, die von der Universitätsnervenklinik in den Vorjahren nach Stralsund verlegt worden waren, der Mordaktion Schwede-Coburgs zum Opfer fielen und andere bei dieser „Euthanasie“-Tötungswelle erfasst wurden.1556 Die Frage, inwieweit sich die Nervenklinik in das System der „dezentralen Euthanasie“ einbinden ließ, ist schwerer zu beantworten. In einigen Heil- und Pflegeanstalten wurden Kranke mit Medikamenten getötet, etwa durch hohe Dosen des Beruhigungsmittels Luminal, oder sie erhielten so wenig Nahrung, dass sie wenige Wochen nach Einlieferung verhungerten. Zu den Anstalten, in denen auf diese Weise getötet wurde, gehörte wahrscheinlich auch Ueckermünde.1557 Zwischen dem 1. Januar 1939 und dem 31. Dezember 1939 wurden von den mehr als siebenhundert Patienten der Klinik 65 in Heil- und Pflegeanstalten verlegt. 1940 stieg die Zahl der verlegten Patienten zunächst an. In diesem Jahr wurden 74 Kranke nach Ueckermünde gebracht. 1941 sank die Zahl der Verlegungen auf 30. 1942 waren es 15. 1943 wurden von den mehr als achthundert Patienten der Klinik noch 26 nach Ueckermünde verlegt, 1944 waren es 30 und 1945 7.1558 Das starke Absinken der Verlegungen lässt vermuten, dass die hohe Mortalität der Anstalt Ueckermünde den Ärzten der Universitätsnervenklinik bekannt war. Es ist möglich, dass sie deshalb weniger Patienten als noch in den Jahren 1939 und 1940 dorthin überstellten. Zumindest für das Jahr 1941 ist zu konstatieren, dass die Klinik versuchte, so viele Kranke wie möglich nach Hause zur Familie zu entlassen. 1556 Vgl. Armbruster, Jan und Freia Sachtleber: Zum weiteren Schicksal der deportierten Stralsunder Patienten und aktueller Stand der Aufarbeitung der NS-Euthanasie, in: Armbruster/Freyberger, Verwahrung, S. 95–115. 1557 Vgl. Bernhardt, Heike: Anstaltspsychiatrie und „Euthanasie“ in Pommern, Frankfurt a. M. 1994; Das Ameos-Klinikum Ueckermünde konnte Krankenakten einiger ehemaliger Patienten der Universitätsnervenklinik ermitteln. Krankenhausdirektor Fiedler verweigerte jedoch die Einsichtnahme für wissenschaftliche Forschungen im Rahmen der hier vorgelegten Studie. 1558 Die Vergabe der sogenannten Jahresnummern ist undurchsichtig, so dass die genaue Zahl der Patienten nicht ermittelt werden konnte. Im März 1943 wurden mindestens sechs Patienten verlegt, ohne dass ein Ort angegeben wurde. Vgl. UAG Diagnosenbücher 1939 bis 1944. Schmiedebach gibt statt der von mir ermittelten Zahlen knapp 190 Verlegungen an, es ist also möglich, dass die Patienten mit nicht notiertem Verlegungsort nach Ueckermünde gebracht wurden. Vgl. Schmiedebach, Hans-Peter: Die Medizinische Fakultät Greifswald in den letzten 200 Jahren – Akademische Tradition und gesellschaftliche Anforderungen, in: Alvermann/ Spiess: Universität und Gesellschaft, Bd. 1, S. 331.

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Bei den nach Ueckermünde verlegten Kranken handelte es sich um zwei Gruppen. Zur ersten, kleineren Gruppe zählten alte Patienten mit diagnostizierter Demenz. Die zweite Gruppe ist schwieriger zu fassen. Es handelte sich um Patienten, die einer dauerhaften Behandlung und Pflege bedurften. Nach Ueckermünde verlegt wurden sie, weil entweder stationäre ärztliche Behandlung notwendig war oder die Familien keine Möglichkeit hatten, sich um die Kranken zu kümmern. Ein Beispiel für die Notwendigkeit einer ärztlichen Betreuung war die Patientin Liesbeth E. Die 32-Jährige behauptete, „verhext“ worden zu sein und war an manchen Tagen teilnahmslos und aß nicht. An anderen Tagen erlitt sie grundlose Wutanfälle und beschuldigte den Schwager, dass der ihre Möbel stehlen wolle. Dann wieder weinte sie, weil der Wachtmeister sie bald verhaften würde. Die Familie brachte sie daraufhin am 13. September 1939 in die Universitätsnervenklinik, wo der „sehr reduzierte“ körperliche Zustand der Patientin festgestellt wurde. Die Stimmungsschwankungen besserten sich nicht. Ihrem Mann sagte sie, dass sie nach Hause wolle. Offensichtlich auf Rat der Ärzte blieb sie in der Klinik. Als sie das Personal angriff, wurde sie einer Zwangsbehandlung unterzogen (Dauerbad). E. verweigerte jetzt die Nahrungsaufnahme und musste mit der Nasensonde ernährt werden. Der besorgte Ehemann schrieb am 30. Oktober 1939 an die Klinik, dass er sich sehr um seine Frau sorge, weil sie „immer weniger“ werde. Weil er Angst habe, dass sie noch vor Weihnachten sterben könnte, würde er sie gern wieder nach Hause holen. Direktor Thiele lehnte das im Antwortbrief ab, weil Sondenernährung zu Hause nicht möglich sei. Liesbeth E. habe nicht nur Heimweh, sondern sei krank. Aber er verlege die Patientin nach Ueckermünde, weil das näher am Wohnort sei und der Ehemann sie dort einfacher besuchen könne.1559 Den Eltern des dreijährigen Hans-Georg Sch. legten Thiele und seine Assistenzärztin Dorothea Mohnike im September 1942 die Unterbringung in Ueckermünde nahe. Das Kind litt unter spastischen Lähmungen und zeigte nur geringe Augenreflexe. Ursache war vermutlich ein Hirntumor, der aber nicht genau lokalisiert werden konnte, oder ein inoperabler Hydrocephalus internus.1560 Die 37-jährige Patientin Else K. wurde im November 1939 mit der Diagnose Schizophrenie in die Greifswalder Klinik aufgenommen. Sie klagte über schwere Schmerzen und war unruhig. Häufig sang sie Soldatenlieder oder Schlager, die sie aus dem Radio kannte. Manchmal verließ sie aber auch das Bett nicht oder stand teilnahmslos in einer Ecke des Krankensaales. Ihr Mann war als Sanitätssoldat eingezogen. Da eine Rückkehr in ihre Häuslichkeit nicht in Frage komme, werde die Kranke „we1559 Vgl. UAG UNK Patientenakte 9708. 1560 Vgl. UAG UNK Patientenakte 9706.

5.11 Praktizierte Eugenik: Zwangssterilisierungen und Euthanasie

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gen Platzmangels“ der Heilanstalt Ueckermünde überwiesen.1561 Während Else K. als indirektes Opfer des Krieges anzusehen ist, zeigt der Fall von Else T. dessen direkte Auswirkungen. 1939 zeigten sich die ersten Anzeichen einer Schizophrenie, ausgelöst durch den Eintritt des Sohnes ins Heer. Sie machte sich große Sorgen um ihr Kind, die sich dann zu religiösen Wahnvorstellungen steigerten. Die Familie verzichtete zunächst auf eine Unterbringung in einer Pflegeanstalt. 1944 wurden T. und ihr Mann ausgebombt. Sie fanden Unterkunft in der Wohnung der alleinstehenden und berufstätigen Tochter. T.s Krankheit äußerte sich in häufigen Schreikrämpfen, dann wieder saß sie regungslos auf dem Bett und erzählte von der Ewigkeit, in die sie bereits eingegangen sei. Auf Ansprache antwortete sie mit Reden über Gott, den Teufel und die Hölle. Eine Kommunikation zu anderen Themen war nicht möglich. Die letzten Einträge in der Patientenakte lauten: „Diagnose Schizophrenie“, „Verlegung nach Ueckermünde“.1562 Für Frieda H. musste die Klinik ein Gerichtsgutachten erstellen. Die Landarbeiterin hatte die Scheune des Bauern angezündet, weil er sie dazu gedrängt habe. Ob eine finanzielle Belohnung in Aussicht gestanden oder ob eine sexuelle Beziehung bestanden hatte, geht aus der Akte nicht eindeutig hervor. Oberarzt Störring empfahl die Unterbringung der Frau wegen ihres sehr gering ausgebildeten Urteilsvermögens in einer geschlossenen Heilanstalt, da sie sich habe anstiften lassen und die Gefahr bestehe, dass sie wieder so handeln werde. Das Gericht verhängte eine Gefängnisstrafe und ordnete anschließende Unterbringung in einer Anstalt an.1563 Der Fall der 1907 in Litauen geborenen Milda J. zeigt jedoch, dass nicht alle Patienten mit der gleichen Sorgfalt wie Frieda H. behandelt wurden.1564 Sie wurde am 27. Juni 1941 aus einem Umsiedlerlager mit dem Verdacht auf Schizophrenie in die Klinik gebracht und schon am 2. Juli 1941 nach Ueckermünde verlegt.1565 Eine gründliche Untersuchung wurde nicht vorgenommen, auf eine Anamnese wurde verzichtet. Vermerkt ist, dass J. nachts aufwache und schreie, „dass die Russen kommen“ würden. Außerdem habe sie „lange und aufregende Vernehmungen durch die Gehei1561 Vgl. UAG UNK Patientenakte 9707. 1562 Vgl. UAG UNK Patientenakte 9705. 1563 Vgl. UAG UNK Patientenakte 9703. 1564 Eine systematische Auswertung der mehr als achttausend Patientenakten steht noch aus. Das Urteil von Thomas Bady, Manfred Blüthgen und Wolfgang Fischer, dass die Ärzte der Universitätsnervenklinik stets auf „äußerste Korrektheit“ achteten, scheint zumindest für die Kriegszeit verfrüht. Vgl. Bady, Thomas, Manfred Blüthgen und Wolfgang Fischer: Analyse der Begutachtungen im Rahmen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ an der Universitätsnervenklinik Greifswald, in: Fischer, Wolfgang und Heinz-Peter Schmiedebach (Hg.): 160 Jahre Hochschulpsychiatrie in Greifswald, Greifswald 1997, S. 68. 1565 Vgl. UAG UNK Patientenakte 9709.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

me Staatspolizei“ hinter sich.1566 Vermerkt ist auch J.s Abstammung: Vater Litauer, Mutter Deutsche, Ehemann Litauer, fünf Kinder. Assistenzärztin Ingeborg Bürger1567 entschied in Vertretung des Direktors, die Kranke „wegen Platzmangels“ nach Ueckermünde zu verlegen.

5.12 Diabetes: Vom Heim in Garz zum Institut in Karlsburg

Die Einrichtung des mit der Universität eng verbundenen Diabetikerheims in Garz auf Rügen ging auf eine Initiative des Internisten Gerhardt Katsch zurück. Bereits in früher Jugend war Katsch für die damals so genannte Zuckerkrankheit – Diabetes – sensibilisiert worden. Ein Mitschüler starb an der unheilbaren Krankheit und in dem Berliner Mietshaus, in dem er aufwuchs, wohnten zwei zuckerkranke Männer, von denen einer noch in jungen Jahren starb. Sein Vater, selbst Künstler, war mit einem Schriftsteller befreundet, der wegen der Krankheit nur noch „vegetierte“, wie sich Katsch erinnerte. Als junger Arzt habe er dann mehrmals am Bett eines komatösen Zuckerkranken gesessen und nur selten habe eine Behandlung das Leben des Patienten retten können. Katschs Mentor Gustav von Bergmann war aufgefallen, dass Insulingaben die Mortalität der Krankheit nicht deutlich senkten und das Stoffwechselproblem verkomplizierten. Häufig war damals eine Akutrettung möglich gewesen, nicht jedoch die dauerhafte Verlängerung des Lebens. Nach gründlicher Befassung mit der Krankheit entwickelte Katsch Methoden zur Beeinflussbarkeit ihres Verlaufs. Im Gegensatz zu vielen Kollegen betrachtete er sie nicht allein als Problem einer überernährten Oberschicht, sondern erkannte ihre genetische Disposition.1568 Zugleich nahm Katsch die Krankheit als „Volkskrankheit“ wahr. Die Häufigkeit der Krankheit ließ Katsch später in einer Dissertation untersuchen. Sein Schüler Gerhard Mohnike schätzte die Zahl der Behandlungsbedürftigen auf etwa 400.000 Personen.

1566 Die Volksdeutschen aus Litauen waren zunächst in den Warthegau umgesiedelt worden, wo aber nur „rassisch Wertvolle“ dauerhaft aufgenommen wurden. Die Kategorisierung in den Einwandererzentralen nahmen SS-Offiziere vor. Die anderen wurden auf verschiedene Gaue verteilt. Vgl. Heinemann, „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“, S. 232. Die Männer des Lagers in Grimmen wurden wenige Tage nach dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion zur SS gepresst. Vgl. http://www.auschwitz-prozess.de/index.php?show=Kieselbach-Oskar-Georg, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 1567 Vgl. Bürger, Ingeborg, geb. Palm: Zur Frage der Pupillenstörung bei neuraler Muskelatrophie, Diss. med., Greifswald 1942. 1568 Vgl. Mohnike, Gerhard: Diabetikerheim Garz/Rügen und Karlsburg. Anstalt zur Erforschung und Behandlung der Zuckerkrankheit 1930–1955, Greifswald 1956, S. 5 ff.

5.12 Diabetes: Vom Heim in Garz zum Institut in Karlsburg

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Heute sind etwa sieben Millionen Menschen in Deutschland an Diabetes erkrankt.1569 Katsch erschien die Krankheit daher als „soziale Frage“, auch, so erinnerte er sich, „wegen des Arbeitsausfalles, des Kümmerdaseins, der Invalidisierung“. Nach seiner Berufung nach Greifswald 1928 setzte Katsch seine Studien fort und gelangte zu dem Schluss, dass es möglich sein müsse, Zuckerkranke so gut ärztlich zu betreuen, dass sie als „bedingt gesund“ und „bedingt arbeitsfähig“ gelten konnten. Sein Ziel war es, den Kranken ein „normales Leben“ mit befriedigender Berufsausübung zu ermöglichen. Dem Staat sollten aber auch „unproduktive Kosten“ erspart werden. Die Diabetiker erschienen Katsch für die „Rehabilitation“, also eine „produktive Fürsorge“ zur Wiedereingliederung in das Arbeitsleben, geeignet. 1930 ergab sich die Gelegenheit, solche Vorstellungen anlässlich eines Empfangs des Regierungspräsidenten von Stralsund, Hermann Haussmann, einem Entscheidungsträger vorzutragen. Katsch weckte das Interesse des Politikers mit möglichen Einsparungen bei sozialen Leistungen. Auf die Frage, warum er das nicht einfach „mache“, wies ihn Katsch auf die beschränkten Einflussmöglichkeiten eines Universitätsprofessors hin. Am nächsten Tag rief Haussmann Katsch an und offerierte ihm ein bankrottes Fürsorgeheim der Inneren Mission in Garz auf Rügen.1570 Katsch strukturierte zunächst die Besitzstruktur um und bildete eine mildtätige Stiftung, deren Kapital zu einem Drittel von der Inneren Mission, zu einem Drittel von der Universität und einem Drittel von der Stadt Garz getragen wurde. Sie erhielt den Namen Arndt-Stiftung, weil der Dichter in der Nähe geboren war. Dadurch, dass Katsch die Landesversicherungsanstalt für das Vorhaben interessieren konnte, sollte eine Belegung mit bis zu 85 Patienten sichergestellt sein.1571 Der in Garz angewandte Ansatz der Arbeitstherapie war innovativ, weil der blutzuckersenkende Effekt der Muskelarbeit in den Therapieplan eingebaut wurde. Die Insulingaben konnten dadurch auf das Individuum besser abgestimmt werden. Unter den ersten Patienten befanden sich auch einige Angestellte der Reichsbahn, deren Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt werden konnte. Daraufhin buchten die Versicherungsanstalten immer mehr Kuren und innerhalb weniger Monate glichen sich die Einnahmen den Ausgaben an.1572 1936 konnte sogar ein neues Laborgebäude errichtet werden. Dazu wurden auf die mit einem Kredit des Innenministeriums erworbenen Grundstücke Hypotheken aufgenommen, die, wie aus dem Bericht des Finanzvorstands Heinrich Laag hervorging, mit Zins und Tilgung problemlos rückgeführt werden konnten. Die Laboreinrichtung wurde aus dem Universitätshaus1569 Vgl. http://profi.diabetesde.org/gesundheitsbericht/2012/, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 1570 Vgl. Mohnike, Diabetikerheim, S. 8 f. 1571 Vgl. UAG K 395 passim, bes. Bl. 100. 1572 Vgl. Mohnike, Diabetikerheim, S. 10–14.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

halt beglichen, was aber nur zögerlich geschah. Mehrfach verwies das Ministerium darauf, dass es die Mittel deshalb nicht zur Verfügung stelle, weil es sich nicht um eine Universitätseinrichtung handle, und legte am 4. April 1939 eine dringende Satzungsänderung nahe.1573 Am 10. Juni 1939 hakte man seitens des Ministeriums noch einmal nach und betonte, dass Mittel nicht zur Verfügung gestellt würden, solange das Diabetikerheim nicht fest im Universitätshaushalt verankert worden sei. Das sei mit „den dortigen Stellen“ doch „wiederholt besprochen worden“.1574 Es ist nicht dokumentiert, welche Hintergrundgespräche Katsch führte, aber offenbar beabsichtigte er nicht, sein Lebenswerk dem Ministerium zu überlassen, das bereits den notwendigen Neubau von Kliniken auf dem neuen Universitätsgelände nach Kräften verzögerte. Katsch drängte jetzt die Innere Mission aus der Arndt-Stiftung heraus und bestimmte einen neuen Vorstand, dem der Leiter der Landesversicherungsanstalt, der Landeshauptmann, der Bürgermeister der Stadt, er selbst und der Universitätskurator angehörten. Die Provinz versprach, einen Erweiterungsbau mit 1,2 Millionen Mark zu fördern. Die Satzungsänderung trat am 4. Juni 1940 in Kraft.1575 Die Satzungsänderung ordnet sich in einen größeren Kontext ein. Die Innere Mission der evangelischen Kirchen beklagte seit 1937 eine Enteignungswelle durch staatliche Stellen, wodurch die von ihr geschaffenen mildtätigen Werke entchristlicht würden. Sie protestierte auch gegen ihre Enteignung im Fall des Diabetikerheims, was Katsch zur Kenntnis nahm. Da aber eine Erweiterung des Betriebs nur mit Hilfe der staatlichen Stellen möglich war, stimmte er dem Eigentümerwechsel zu. Aus seiner Sicht galt es, den möglichst größten Geldgeber für seine Forschungen zu finden. Das Verfahren erscheint höchst fragwürdig, war aber durch das Eintreten für die Sache selbst motiviert.1576 Mit dem Heim in Garz stand eine große Zahl von Patienten zur Verfügung, wodurch die Menge der Publikationen spürbar anstieg. Auch ihr Charakter wandelte sich. Die ersten Studien behandelten vor allem Fragen des Stoffwechsels und Fragen der Therapie, etwa eines Diabetes, der als „Zweitkrankheit“ auftrat, oder Überempfindlichkeitsreaktionen bei der Insulintherapie. Später waren es zum Beispiel seltene Fälle, etwa das Auftreten von Pankreassteinen. Es kamen aber auch komplexe Studien hinzu, etwa zur Einwirkung von Insulingaben auf bestimmte Hormone.1577 So untersuchte Katschs Oberarzt Heinrich Bartelheimer 1940 Extrainsuläre hormonale 1573 Vgl. UAG K 395 passim, bes. Bl. 100. 1574 Vgl. ebd., Bl. 118. 1575 Vgl. ebd., Bl. 139–144 und 240–244. 1576 Für das Ausscheiden aus der Stiftung erhielt die Innere Mission 210 Pflegetage jährlich, also 7 Kuren zu 30 Tagen zugesprochen. Vgl. UAG K 2289, Bl. 4–54. 1577 Vgl. Bibliographie bei Mohnike, Diabetikerheim, S. 37–49.

5.12 Diabetes: Vom Heim in Garz zum Institut in Karlsburg

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Regulatoren im diabetischen Stoffwechsel und reichte die Studie zur Habilitation ein.1578 Sein Nachfolger Martin Gülzow beschrieb im selben Jahr die Diastase des Bluts bei Hunden, denen der Pankreas entfernt worden war, und versuchte daraus Rückschlüsse auf die Kohlenstoffwechselstörungen bei Diabetikern zu ziehen.1579 Seine Antrittsvorlesung hielt er dann über „langandauernde Unterernährung“, wie sie bei schlecht eingestellten Diabetikern häufig vorkommt.1580 Um Argumente für die Debatte um die Erblichkeit des Diabetes zu bekommen, ließ Katsch von Rudolf Pannhorst seit 1936 den Erbgang der Krankheit genauer untersuchen.1581 Mit einer sehr akribischen Studie mit Sippentafeln und zahllosen biochemischen Analysen wies Pannhorst 1941 die verbreitete Annahme eines dominanten Erbgangs zurück. Bei der Krankheit handle es sich um ein „genetisches Phänomen äußerst variabler Manifestierung“. Nur bei 32 Prozent der Fälle konnte er eine Erblichkeit nachweisen, wobei die Erbanlage nicht im Pankreas, sondern in der Funktion des Hydratstoffwechsels zu suchen sei.1582 Pannhorsts Wort hatte Gewicht, weil er nicht nur Parteimitglied war, sondern sich auch beim Rassenpolitischen Amt des Gaues Pommern engagierte.1583 Obwohl Katschs Vermutung vom nicht dominanten Erbgang der Krankheit noch nicht sicher erwiesen war, wandte er sich 1939 mit einer radikalen Stellungnahme gegen nationalsozialistische Überlegungen, alle Zuckerkranken zu sterilisieren und das „Problem“ damit zu lösen. Diese Forderung wurde zum Beispiel erhoben von Mitarbeitern des Rassehygienikers Ernst Rüdin. Aus deren Sicht würden die Diabetiker den „erwünschten nordischen Bestandteil unseres Volkes“ mit einer „Erbkrankheit“ durchsetzen. Rassehygienisch sei das „unbedingt abzulehnen“, meinte Rüdins Mitarbeiterin, weshalb der Verzicht der Diabetiker auf Nachkommenschaft verantwortbar sei. Dabei komme es auf die Zuverlässigkeit des Nachweises der Erblichkeit im Übrigen gar nicht an.1584 Ohne konkreten Adressaten antwortete Katsch in seiner Entgegnung, dass Stimmen laut würden, dass bei den Diabetikern „eine Erbanlage die Erkrankung verur1578 Vgl. UAG PA 630 Bartelheimer, Bd. 2. 1579 Vgl. Gülzow, Martin: Die Blutdiastase, Sonderdruck in: UAG PA 490, Bd. 2. 1580 Vgl. UAG PA 490 Gülzow, Bd. 2. 1581 Vgl. Pannhorst, Rudolf: Die Bedeutung des conjugalen Diabetes für die Erblichkeitsfrage der Zuckerkrankheit, in: Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für innere Medizin, 1936, S. 411. 1582 Vgl. Pannhorst, R.: Geopathologische Studie zur raumbegrenzten Verbreitung und zur Vererbung des Diabetes mellitus, in: Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre, Bd. 25, Heft 4, 1941, S. 515. 1583 Vgl. BA R 4901/13273 und 23423. 1584 Vgl. Then Bergh, Hildegard: Die Erbbiologie des Diabetes mellitus. Vorläufiges Ergebnis der Zwillingsuntersuchungen, in: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie einschließlich Rassen und Gesellschaftshygiene, Bd. 32, 1938, S. 298 f.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

sache“. Gewiss spielten Erbanlagen „oft eine Rolle“, mehr seien aber die Lebensbedingungen verantwortlich, etwa „unvernünftige Ernährungsweise“. Besonders Überernährung oder mangelnde Muskeltätigkeit seien für den Ausbruch der Krankheit verantwortlich, der „ja erst im Laufe des Lebens und oft ziemlich spät“ zustande komme. Hieraus folge, „dass die Anlage zum Diabetes zwar eine erbbedingte Minderwertigkeit“ bedeute, aber „das Wesen dieser Minderwertigkeit“ bestehe zum großen Teil „in einer mangelhaften Anpassungsfähigkeit an eine von der Zivilisation geschaffene ungesunde und unnatürliche Lebensweise“. Deshalb habe man den Diabetes „früher“ für eine „Krankheit der Begüterten“ gehalten.1585 Stattdessen empfahl Katsch in einer Broschüre die Anwendung der von ihm und seinen Mitarbeitern entwickelten Arbeitstherapie. Auf 32 Seiten stellte Katsch dann die guten Behandlungsmöglichkeiten durch Arbeit und Diät heraus und verwies auf die psychologische Bedeutung der Besserung des Krankheitszustandes. Denn die Wiederherstellung der eigenen Arbeitsfähigkeit bedeute eigene Leistung und damit „Stolz, Glück, faustische ,Erlösung‘“.1586 Den Gewinn hätten so einerseits die Zuckerkranken, andererseits aber auch „die Volksgemeinschaft, die aus kostspieligen Befürsorgten und Rentengängern aktive, nützliche Glieder“ gewinne.1587 Interessant ist der Sprachgebrauch Katschs. So benutzte er das Schlagwort von der „Minderwertigkeit“, das die Sterilisierungsbefürworter gebrauchten, ebenfalls, strich dann aber den Wert der erkrankten Menschen heraus. Die Broschüre war aber auch so abgefasst, dass biochemisch unzureichend ausgebildete Personen sie problemlos verstehen konnten, etwa ältere Ärzte, die Gutachten zu erstellen hatten, Ankläger und Verteidiger, die in Prozessen vor den Erbgesundheitsgerichten argumentieren mussten, oder Patienten, denen der Text half, ihre Krankheit zu verstehen.

5.13 Psychoanalyse: Theoretische Überlegungen und Praxis

Der Psychiater Rudolf Thiele verfasste 1940 ein Buch über Person und Charakter. Es handelte sich dabei um eine sehr vorsichtige Darstellung zu den Begriffen, mit denen die „Charakterologie“ arbeiten könne. Stellenweise liest sich die schmale Broschüre wie die Begründung zu einer Psychoanalyse, die ohne Sigmund Freuds Definitionen auskommen musste. Was zunächst verblüffend anmutet, war jedoch Teil eines wis-

1585 Vgl. Katsch, Gerhardt: Die Arbeitstherapie der Zuckerkranken, Dresden und Leipzig 1939, S. IV. 1586 Vgl. ebd., S. 1. 1587 Vgl. ebd., S. 31.

5.13 Psychoanalyse: Theoretische Überlegungen und Praxis

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senschaftlichen Diskurses, der auf die Professionalisierung der Psychologie zielte.1588 Die Nutzung psychotherapeutischer Methoden war vom NS-Regime aus pragmatischen Gründen gewollt und fand ihren Fürsprecher in der Person des hochgeachteten Philosophen Ludwig Klages. Zwar wurden alle derartigen Forschungsinstitute 1933 geschlossen, dann aber unter der Obhut eines Verwandten von Hermann Göring neu zusammengefügt.1589 Thiele bezog sich auf die Philosophie von Nikolai Hartmann, der agierende „Schichten“ in Person und Gesellschaft freilegen wollte, um von der Verengung der personalisierten Deutung von Geschichte wegzukommen. Aus Hartmanns Sicht gab es „Schichten“ in den Menschen selbst, von denen jede bewusst oder unbewusst ihr Handeln beeinflusste.1590 Dieser Gedanke inspirierte Thiele,1591 der mit seinem Diskussionsbeitrag eine Zusammenführung der verschiedenen Schichtenauffassungen versuchte. Die tiefste dieser Schichten sei die somatopsychische Schicht, die für eine vitale Grundstimmung sorge. Darüber liege die thymopsychische Schicht, in der bestimmte Erscheinungen, etwa tiefe Dysphorie oder krankhafte Euphorie, gebildet würden. Die dritte Schicht, die Poiopsyche oder Noopsyche, sei für die Willensbildung verantwortlich. Danach definierte Thiele ein „Ich“, in dem sich die ihrer selbst bewusste Persönlichkeit zentriere. Eine bestimmte Persönlichkeitsprägung entstehe dann aus „Konkordanz oder Diskonkordanz“ der verschiedenen Schichten.1592 Als Diskussionsangebot waren dann folgende Schlussfolgerungen gedacht: Der „Charakter“ eines Menschen äußere sich „allein“ in seinen Reaktionen auf gewisse „Erlebnisreize“, aus denen ein bestimmtes Handeln folge. Dieses resultiere nicht selten aus dem „Festhaltevermögen der Seele“, das wiederum Einfluss auf die charakterlichen Gegenpole „Haltstärke“ und „Haltschwäche“ habe. Berücksichtigt werden müsse die „habituelle Grundstimmung“, die stabil oder „zyklothym“, also von phasenhaften Stimmungsschwankungen geprägt sein könne. Eine besondere Stellung nehme 1588 Vgl. Sparing, Frank: Psychiatrie in Düsseldorf nach 1945, in: Woelk, Wolfgang, Frank Sparing, Karen Bayer und Michael G. Esch (Hg.): Nach der Diktatur. Die Medizinische Akademie Düsseldorf vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1960er Jahre, Essen 2003, S. 341 f. 1589 Matthias Heinrich Göring starb 1945 in Posen. Sein politisches Gewicht als Vetter des Reichsmarschalls Hermann Göring führte vermutlich dazu, dass das Deutsche Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie nicht angegriffen wurde, sondern seine Arbeit ohne Aufsehen verrichtete. Vgl. Fritsche, Christina: Wandlungen in Struktur und Funktion der Psychotherapie ab 1933 in Deutschland, in: Thom, Achim und Horst Spaer (Hg.): Medizin im Faschismus. Symposium über das Schicksal der Medizin des Faschismus in Deutschland 1933–1945, Berlin (Ost) 1985, S. 173–177. 1590 Die Nähe zu Freud, der Unbewusstes vom Bewusstsein schied, ist offenbar. Da Hartmann aber die Beschaffenheit einer Schicht für die Determinierung der Persönlichkeit ablehnte, war diese Auffassung anknüpfungsfähig. 1591 Vgl. Geuter, Professionalisierung, S. 174. 1592 Thiele, Rudolf: Person und Charakter, Leipzig 1940, S. 15–21.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

der „Antrieb“ ein, ebenso „Artung und Höhe der Intelligenz“. Am Schluss lud Thiele zur Debatte ein, um zu festen Begriffen zu kommen, die eine rasche Verständigung ermöglichten. Das könne auch, äußerte er optimistisch, bei der Typisierung von Psychopathen nützlich sein.1593 Der Vorstoß versandete jedoch, nicht zuletzt weil Thiele durch seine Tätigkeit als Beratender Psychiater der Wehrmacht in Anspruch genommen war. Im Gegensatz zu Thiele hatte sich der Praktische Theologe Otto Haendler bereits früh dafür entschieden, psychoanalytische Grundsätze in seine Arbeit zu integrieren. Da sich Haendler nicht bei Freud verortete, sondern bei dessen Schüler und späterem Gegner Carl Gustav Jung, konnte er seine Weiterbildung ungestört weiterführen und auch zur Psychoanalyse publizieren. Er wurde Mitglied des Deutschen Instituts für psychologische Forschung und Psychotherapie und absolvierte die vorgeschriebenen Kurse in dem von Matthias Göring geleiteten Institut. 1937 erhielt er die Genehmigung, als nichtmedizinischer „Laien-Psychotherapeut“ tätig zu werden.1594 Es ist nicht zu rekonstruieren, seit wann Haendler psychotherapeutische Vorstellungen in seine Vorlesungen einfließen ließ, aber 1941 veröffentlichte er ein Buch über die „Predigt“, in dem er die Vorstellungen C. G. Jungs in die Praxis übertrug. Nach Ansicht seiner Biographin Kerstin Voigt war es sogar „der erste umfassende Korrelationsversuch von Theologie und Tiefenpsychologie“.1595 Mehr noch, in der Rückschau erscheint es als mutige Stellungnahme für das Individuum in einer totalitären Gesellschaft. In dem Buch arbeitete Haendler die Bedeutung des Subjekts, also des Predigers, für das Gestalten der Predigt heraus. Was heute selbstverständlich erscheint, war es für die damalige lutherische Theologie, die an die Kraft des Wortes selbst glaubte, nicht. Aus Haendlers Sicht wirkten sich die in der Persönlichkeit des Predigers begründeten „Gefahren und Möglichkeiten“ unmittelbar auf die Wirksamkeit der Predigt selbst aus. Daraus ergebe sich für den Prediger die Aufgabe, zu einer eigenen Persönlichkeit, zu seinem Selbst zu gelangen. Nur so sei eine glaubwürdige christliche Verkündigung möglich.1596 Ein Rezensent des Buches, Martin Doerne, ebenfalls Professor für Praktische Theologie und Lazarettseelsorger, empfand das Buch als Angriff auf die „SachHomiletik“, also eine Predigtlehre, die sich an Themen orientierte und auf das Wort Gottes vertraute. Die Subjektivierung erschien ihm als eine metaphysisch gewendete Seelentheorie, außerdem fehle jeder Gegenwartsbezug. Insgesamt erschien Doerne

1593 Ebd., S. 34. 1594 Vgl. Voigt, Kerstin: Otto Haendler – Leben und Werk. Eine Untersuchung der Strukturen seines Seelsorgeverständnisses, Frankfurt a. M. u. a., 1993, S. 20. 1595 Vgl. ebd., S. 67. 1596 Vgl. ebd., S. 68.

5.13 Psychoanalyse: Theoretische Überlegungen und Praxis

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der Weg zu einer „selbst-gemäßen Verkündigung“ abwegig.1597 In seiner Erwiderung betonte Haendler, dass eben dieser subjektive Zugang notwendig sei, und er formulierte eine These, die sich ausdrücklich gegen die Selbstgewissheit der einst staatstragenden lutherischen Kirche richtete. Ob das Selbst, ob die Archetypen, also die „ohne unser Zutun wirkenden Urbilder“ überhaupt zur „Gestaltung eines christlichen Selbst“ beitragen würden, sei fraglich. Die Einordnung in „die alles tragende Macht des Christus“ erschien ihm gleichwohl wünschenswert. „Die Findung des Selbst“ solle aber dabei helfen, formulierte Haendler dann weniger scharf, „dass wir tiefer und eigentlicher, wirklich mit unserem ganzen Wesen, vor Gott stehen lernen“.1598 Anderen Rezensenten erschien Haendlers Buch „merkwürdig“, aber gleichwohl bedenkenswert, ja sogar „notwendig“. Das wurde offenbar auch von der Theologischen Fakultät der Universität Berlin so gesehen, die Haendler für diese wissenschaftliche Leistung 1943 einen Doktortitel ehrenhalber verlieh. Die eigentliche Rezeption des Buches fand erst nach dem Krieg statt, vor allem in der DDR, wo sich die Menschen erneut mit einem System konfrontiert sahen, das sie in eine nicht gestaltbare oder von anderen kontrollierte Wirklichkeit stellte.1599 Die Art und Weise, wie Haendler praktisch wirkte, ist anhand seiner publizierten Briefe an einen Freund rekonstruierbar. Dieser anonyme „Freund“ lag offenbar schwer verwundet in einem Lazarett und hatte eine lange Genesungszeit vor sich. Mit seinen Briefen führte ihn Haendler aus der Sinnkrise heraus und brachte ihn dazu, sich der Gegenwart wieder bejahend zuzuwenden. Voraussetzung dafür war die „unbedingte Entschlossenheit“, das Schicksal des Lebens nicht an sich vorübergleiten zu lassen, sondern es „ernsthaft anzufassen“.1600 Haendler brachte seinen Freund zunächst dazu, sich jeden Tag eine Viertelstunde Zeit zu nehmen, um „ganz gesammelt und unabgelenkt“ seine „Lage“, sein „Erlebnis“ und die Lazarettzeit „von allen Seiten her anzuschauen“. In diesen Meditationen sollte sich der Freund nicht nur selbst erkennen, sondern auch „Wirklichkeiten, die über den Menschen hinausgehen und unabhängig von ihm da sind“. Die entscheidende Wirklichkeit war aus Haendlers Sicht selbstverständlich der Krieg, der das Schicksal der Menschen bestimmte. Diesem „ungeheuren Umbruch unseres Seins“ gelte es nun „Tiefe und Fruchtbarkeit“ zu geben. Das könne aber nur gelingen, wenn man das Leben als Weg begreife, in dem das Ziel nicht am Anfang, sondern am Ende stehe.1601 In diesem Suchen nach Tiefe und Fruchtbarkeit 1597 Vgl. ebd., S. 70 f. 1598 Zit. nach ebd., S. 74. 1599 Rezensent war der praktische Theologe Leonhard Fendt, seit 1934 Lehrstuhlinhaber für das Fach Praktische Theologie an der Universität Berlin. Vgl. ebd., S. 79 ff. 1600 Vgl. Haendler, Otto: Briefe an einen verwundeten Freund, Berlin 1940, S. 3 1601 Vgl. ebd., S. 6–13.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

werde sich ihm dann auch die „Tür zu der göttlichen Wirklichkeit“ öffnen. Haendler empfahl seinem Freund dazu spirituelle Lektüre, selbstverständlich das Neue Testament, aber nicht nur. Am Leben von Jesus Christus werde er bemerken, dass das ganze Leben ein Kampf sei, der sich täglich vollziehe und bei dem er „in seinem persönlichen Schicksal über dieses hinausgeführt werde. Haendler verband damit auch eine ethische Dimension, denn es komme „nicht nur darauf an, dass wir siegen, sondern in welcher Richtung und auf welches Ziel hin“.1602 Daher gelte es unter Gottes Augen den „eigenen Weg zu finden“ und auszuhalten, „wenn er lang und dornig ist“. Dieser Weg könne zu Gott führen, auf jeden Fall sei das bewusste Gehen des Wegs ein „Stahlbad der Seele“ zu „männlich heldischer Kraft“. Zu Gott komme aber keiner, „der nicht durch seine Schmiede“ gegangen sei.1603 Was überzeugte Nationalsozialisten von dieser seelsorgerischen Laienpsychologie hielten, ist einem Vermerk von Max de Crinis zu entnehmen, der im Wissenschaftsministerium als Referent für Medizin zuständig war. De Crinis, Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charité, legte seine Abneigung gegen diese „Kurpfuscher“ und „Dilettanten“ in einem Aktenvermerk nieder. Psychologische Forschung dürfe künftig nur noch experimentell betrieben werden. Psychotherapie müsse den Ärzten vorbehalten bleiben. Und „im Übrigen“ scheine ihm „der Bedarf an DiplomPsychologen so unbedeutend zu sein, dass das Getue und das Geltungsbedürfnis dieser sogenannten praktischen Psychologen“ vollständig „unbegründet“ sei.1604

5.14 Geographie und Geologie: Raumordnung und Kriegsvorbereitung

Im Zuge der Autarkie- und Aufrüstungspolitik des Deutschen Reiches wurden 1936 Planungsgemeinschaften gebildet, deren Koordination die Reichsstelle für Raumordnung übernahm. An den Universitäten wurden interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaften für Raumforschung gebildet, deren Leitung einer Reichsstelle für Raumforschung oblag.1605 Leiter der Planungsgemeinschaft in der Provinz Pommern war der Gauwirtschaftsberater der NSDAP Erwin Fengler, Präsident der Industrie- und Handelskammer 1602 Vgl. ebd., S. 25–33. 1603 Vgl. ebd., S. 39–43. 1604 Vgl. R 4901/12918, Bl. 36. 1605 Vgl. Kegler, Karl R.: Ordnung aus dem Geist der Krise. Raumordnung als „Völkische Planwirtschaft“ nach 1933, in: Fahlbusch, Michael und Ingo Haar (Hg.): Völkische Wissenschaften und Politikberatung im 20. Jahrhundert. Expertise und „Neuordnung“ Europas, Paderborn u. a. 2010, S. 125 f.

5.14 Geographie und Geologie: Raumordnung und Kriegsvorbereitung

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sowie Besitzer einer Sackfabrik. Zum Beirat gehörten Vertreter von Heer, Marine und Luftwaffe, zum Leiter der Landesplanungsgesellschaft wurde Hermann Lautensach ernannt, wofür ihm der Reichsforschungsrat die Genehmigung erteilte.1606 Bei einer Tagung zog Lautensach 1938 Bilanz. Das wichtigste Ziel der Forschungsarbeiten sei gewesen, die Agrarstruktur Pommerns festzustellen, um „auf diese Weise dem Landesplaner Ansatzpunkte für eine Neuordnung zu geben“. Das Geographische Institut erarbeitete daher sechs Karten des relativen Anteils der Besitzgrößenklassen einzelner landwirtschaftlicher Betriebe. Begleitend dazu wurden zwei Dissertationen zur Entstehung dieser Eigentumsstrukturen verfasst. Die Ergebnisse wurden mit den Bodentypen abgeglichen, so dass die Landesplanung nun in der Lage sei zu beurteilen, an welchen Stellen eine „weitere Aufsiedelung in Frage“ komme „und in welcher Form eine solche mit Erfolg durchgeführt werden kann“.1607Im Geographischen Institut würden künftig weitere Untersuchen durchgeführt, etwa zur Fischerei oder zum pommerschen Obstbau. Lautensachs Assistent Joachim Blüthgen erstellte Karten und Diagramme zum Güterverkehr auf den pommerschen Wasserstraßen und Eisenbahnen. Aus diesen war ein Rückgang des Transports von Steinkohle auf den Wasserstraßen zu Gunsten von Steinen und Sand sowie Getreide ablesbar. Beim Transport auf der Eisenbahn wuchs der Anteil der Rüben und des Getreides.1608 In engerem Sinne landesplanerisch war auch eine Studie Theodor Oberländers, mit der er die Ursachen der Landflucht in Pommern untersuchte und Vorschläge zu ihrer Verhinderung unterbreitete. Das geeignete Mittel sei demnach, was angesichts von Blüthgens Karten wenig überrascht, die Ansiedlung gewerblicher Unternehmungen, speziell der landwirtschaftlichen Veredelungsindustrie.1609 Nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickte eine Studie Blüthgens, der sich 1935 vor Ort über die Erdölvorkommen im nördlichen Vorharzgebiet informiert hatte. Angesichts der hohen Bohrkosten und „zweifelhafter Dauerleistung“ der Quellen sei ihre Nutzung außerordentlich fragwürdig. Danach machte Blüthgen kurzerhand eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung auf. Die Versorgung aus dem Ausland beanspruche lediglich 3,6 Prozent der gesamten deutschen Devisen, angesichts der hohen Risiken und Kosten sei ein Weiterbetrieb der deutschen Erdölförderung nicht empfehlenswert.1610 1606 Vgl. BA R 133/659 und 660. 1607 Vgl. Meyer, Konrad (Hg.): Volk und Lebensraum. Forschungen im Dienste von Raumordnung und Landesplanung, Heidelberg u. a. 1938, S. 438. 1608 Vgl. BA R 73/10349. 1609 Vgl. Meyer, Volk und Lebensraum, S. 438 ff. 1610 Vgl. Typoskript J. Blüthgen: Neuere Angaben über deutsche Erdölvorkommen, 1935, in: Archiv BBAW NL Bubnoff, Nr. 40.

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Lautensach benannte auf der Tagung im Jahr 1938 noch andere Themen, die aber nur im weiteren Sinne der Landesplanung zugeordnet werden konnten, etwa zur Morphologie der Grundmoränenlandschaft. Von „größter Bedeutung“, die sich in der Rückschau zwar für die Forschung, nicht aber für die Landesplanung erschließt, seien auch die Arbeiten von Fritz Curschmann, der die politischen Besitzstandsverhältnisse Pommerns für die Zeit von 1780 untersuchte und die schwedische Matrikelkarte aus den Jahren 1692 bis 1697 auswertete. Als Beitrag zur Landesplanung gedacht war eine Studie zu den verschiedenen Typen des pommerschen Bauernhauses, die im Kunsthistorischen Seminar entstand. Sie sollte „zur Pflege einer gesunden, in Landschaft und Volkstum wurzelnden Bauweise“ beitragen. Ideologisch motiviert waren auch die Arbeiten der Studentenschaft, deren Amt Wissenschaft Studien zum „Grenzlanddorf“ anregte.1611 Des Weiteren habe man für die Verbesserung der Landesplanung seit 1936 eine „Inventur der nutzbaren Steine und Bodenschätze“ durchgeführt, teilte Lautensach in seiner Zwischenbilanz des Jahres 1938 mit. Der Ordinarius für Geologie Sergius von Bubnoff, 1929 von der Technischen Hochschule Breslau berufen, war Spezialist für Lagerstättenkunde und ging das Vorhaben mit einer Reihe von lokalen Zuarbeitern an. Außerdem ließ er die Bodenschätze der Provinz mit besonderer Rücksicht auf Menge, Verwertbarkeit und Bedarf bearbeiten. Es handle sich bei den in Pommern vorhandenen Rohstoffen „nicht um hochwertige Bodenschätze, wie Erz, Kohle usw.“, aber die zu klärende Frage sei gewesen, ob mit den Rohstoffen der Provinz der Bedarf der Bauindustrie und Landwirtschaft gedeckt werden könne. Das Ergebnis der Untersuchungen stellte von Bubnoff in Form geologischer Karten dar. 1938 war die Erfassung der relevanten Kies- und Sandvorkommen, Ton und Torf sowie Wiesenkalk in 20 Kreisen abgeschlossen. Außerdem waren Blockpackungen, also in Moränen gelagerte größere Steine, die sich zur Herstellung von Schotter eigneten, Magnetsande, Bernsteinlagerstätten, Heilschlamm- und Solevorkommen erfasst. Modern mutet die Idee Bubnoffs an, die lokale Versorgung mit Rohstoffen zu prüfen, sie war jedoch durch die schlechte Infrastruktur Pommerns bedingt.1612 Diesem Gedanken folgend, wurden die nutzbaren Lagerstätten in detaillierten Karten der Kreise eingetragen. Bubnoffs Assistent Konrad Richter erfasste die Rohstoffe des Kreises Rügen, etwa die Arkonaer Kreide, und gab Ratschläge für das Vorantreiben der Gruben. Außerdem präsentierte er neue abbauwürdige Kiesvorkommen und Tonvorkommen, die künftig die Selbstversorgung mit Ziegeln sicherstellen könnten. Bei einer weitsichtigen Zu1611 Die Studie von G. Krüger über den Typus des ostpommerschen Grenzlanddorfes, eine Gemeinschaftsarbeit der Studentenschaft Greifswald, konnte nicht ermittelt werden. 1612 Vgl. Bubnoff, S. von: Die Karte nutzbarer Lagerstätten Pommerns, in: Meyer, Volk und Lebensraum, S. 327–334.

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kunftsplanung könne auch die Erforschung des tieferen Untergrunds auf Erdöl und Doggereisenerz in Frage kommen, meinte Richter.1613 Eine gesonderte Arbeit befasste sich mit dem Raseneisenerz der Provinz, die aber „kaum ausbeutfähige“ Lagerstätten aufzeigte. Im Hinblick auf Braunkohle erbrachten die Untersuchungen sieben Vorkommen, die verzeichnet wurden, aber offenbar ebenfalls nicht für abbauwürdig gehalten wurden.1614 Bubnoff schloss die Arbeiten 1940 für alle 32 Landkreise Pommerns ab. Schließlich wurden 3054 nutzbare Lagerstätten in Karten verzeichnet und den Behörden übergeben. Das Fazit fiel 1940 nicht anders aus als bei der Zwischenbilanz 1938. In Pommern gab es ausreichend Kies, Sand, Ton, Kalkstein, Kreide und Wiesenkalk. Noch einmal wies Bubnoff auf die nutzbaren Blockpackungen hin und bezeichnete die Braunkohlevorkommen nach einer weiteren Untersuchung als nicht mächtig genug. Auch das Thema der Raseneisenerze hatte er noch einmal von einem Mitarbeiter des Geologischen Instituts genauer prüfen lassen. „Praktisch“ gehöre ihre Ausbeutung der „Vergangenheit“ an.1615 Mit den Tätigkeiten für die Landesplanungsgemeinschaft leistete Bubnoff einen Beitrag zu den Autarkiebestrebungen des Regimes, wenn auch der Ertrag wegen der Rohstoffknappheit Pommerns eher dürftig war. Seine Assistenten ließ er ebenfalls Fragen bearbeiten, die der Autarkie und der wirtschaftlichen Belegung der Provinz Pommern dienen sollten. Ab 1937 untersuchte Ernst Habetha die Bleicherdevorkommen in Pommern und Mecklenburg. Bei diesem Rohstoff, der sich als sekundäres Erzeugnis bei Tongruben fand, war das Deutsche Reich von ausländischen Importen abhängig, weil es nur ein größeres Vorkommen in Schleswig-Holstein gab. Denn nicht jede dieser Erden war für die Reinigungsprozesse in der Speiseölindustrie geeignet, die nutzbaren Erden mussten eine bestimmte chemische Zusammensetzung haben. Vom Landeshauptmann der Provinz Pommern wurden Habethas Untersuchungen für „äußerst wünschenswert“ gehalten, wie er in einem Begleitschreiben zu Habethas Förderantrag bei der DFG versicherte. Die Provinzialverwaltung habe für die Erforschung von Tonvorkommen bereits erhebliche Mittel aufgewendet, benötige für diese speziellen Untersuchungen aber die Beteiligung der Universität. Der Leiter der Fachsparte Geologie im Reichsforschungsrat Karl Beurlen (Universität Kiel), hielt dieses Forschungsgebiet nicht für „die vordringlichste Aufgabe“, betrachtete sie aber ebenfalls als wünschenswert. Außerdem solle 1613 Vgl. Richter, K.: Die nutzbaren Lagerstätten des Kreises Rügen, in: Meyer, Volk und Lebensraum, S. 335 ff. 1614 Vgl. Bubnoff, Karte nutzbarer Lagerstätten Pommerns, in: Meyer, Volk und Lebensraum, S. 327–334. 1615 Vgl. Archiv BBAW, NL Bubnoff, Nr. 197, Bl. 1–10; detaillierte Aufstellungen in den Akten der Reichsstelle für Raumordnung. BA R 113/1947, 1949; 1951.

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sich Habetha der ungeklärten Fragen der chemischen Zusammensetzung nutzbarer Bleicherde widmen. Habetha erhielt das Forschungsstipendium und konnte zwei große Lagerstätten mit der passenden Zusammensetzung ermitteln (in Bresewitz-Friedland und bei Wolgast). Mit aufwändigen chemischen Reihenanalysen entwickelte er das gewünschte Beurteilungsschema.1616 Um diese Forschungen durchführen zu können, beantragte Institutsdirektor von Bubnoff die Zuweisung von finanziellen Mitteln zur Anschaffung von Geräten. Das Wissenschaftsministerium lehnte 1937 jedoch Zuwendungen ab, die Deutsche Forschungsgemeinschaft vertröstete ihn auf das kommende Haushaltsjahr. Im Januar 1938 erhielt von Bubnoff 950 Mark, etwa ein Drittel der beantragten Summe. Ein gewünschtes Mikroskop zur Untersuchung von Pollen in Braunkohlelagerstätten erhielt das Institut jedoch leihweise aus dem Gerätepool der DFG.1617 Nach Kriegsbeginn setzten die Mitarbeiter des Geologisch-Paläontologischen Instituts ihre Studien über Lagerstätten fort. Bubnoff publizierte grundlegend zur geologischen Struktur Osteuropas. Sein Assistent Ernst Habetha untersuchte die Karpaten und berechnete die Kapazitäten des in Galizien lagernden Erdöls.1618 Für hydrologische Studien erhielt von Bubnoff von der Deutschen Forschungsgemeinschaft später noch einmal 2000 Mark.1619 Diese Untersuchungen waren durch den erhöhten Trinkwasserbedarf der Luftwaffe im Raum Greifswald-Anklam notwendig geworden. Im Juli 1938 wandte sich die Bauleitung des Fliegerhorsts Ladebow an die Universität und bat um Auskunft, warum es nicht gelinge, brauchbares Trinkwasser zu erbohren. Von Bubnoff erläuterte die genauen geologischen Verhältnisse rund um Greifswald und wies auf das Vorhandensein von salzhaltigem Tiefenwasser in bestimmten Tiefenschichten hin. Dann riet er zu Suchbohrungen im Neuenkirchener Forst und bezeichnete bestimmte Planquadrate für weitere Untersuchungen.1620 Bubnoff weitete die Grundwasseruntersuchungen systematisch auf ganz Pommern aus, weil er die Kenntnis von sauberem Trinkwasser für unverzichtbar beim weiteren Ausbau der Infrastruktur hielt. Nach 1945 intensivierte sich die Forschung noch, weil Hunderttausende Flüchtlinge zusätzlich versorgt werden mussten. Publiziert wurden die Ergebnisse der Forschungen für die Landesplanungsgemeinschaft Pommern 1949, allerdings nur für den nun zur DDR gehörenden Teil. In der Broschüre wies er ausdrücklich auf die Ergiebigkeit einiger wasserführender Schichten hin und empfahl die Anlage von Tiefbrunnen. Jetzt änderte er auch seine Stellung zum Heizmaterial 1616 Vgl. BA R 73/11410. 1617 Vgl. BA R 73/10513. 1618 Vgl. UAG R 319, Bl. 2. 1619 Vgl. BA R 73/10513. 1620 Vgl. Archiv BBAW, NL Bubnoff, Nr. 386, Bl. 7 ff. und 28 ff.

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Torf, weil Pommern von der schlesischen Steinkohle abgeschnitten war. Mehrere Vorkommen seien abbauwürdig, schrieb er 1949, etwa in der Ryck- und der Trebelniederung.1621 Während die geologische Forschung konkret nutzbare Ergebnisse erbrachte, waren die anderen landesplanerischen Arbeiten eher Entwürfe für künftige Politik. Mit dem erfolgreichen Polenfeldzug begannen die landes- und bevölkerungsplanerischen Arbeiten für den Ostraum, zu dem Pommern als Teil des Altreichs nicht mehr gehörte. Inwieweit die bei den landesplanerischen Arbeiten in Pommern geschulten Studenten und Nachwuchswissenschaftler an den sogenannten volkstumspolitischen Maßnahmen im Generalgouvernement beteiligt waren, konnte nicht ermittelt werden. Wenig praktischen Nutzen konnte sich das Regime von der historischen Geographie versprechen, die heute eher als historische Umweltforschung bezeichnet werden würde und inzwischen einen enormen Aufschwung genommen hat. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde ab 1935 eine Edition bzw. Neuzeichnung, der schwedischen Matrikelkarten unterstützt. Das Königreich Schweden hatte seit 1695 sein pommersches Gebiet vermessen lassen, um Steuereinnahmen abschätzen zu können. Die Karten von erstaunlicher Genauigkeit geben Aufschluss über den Zustand des Landes: Siedlungen, kultiviertes Land und „Unland“, Grenzen, Gewässer und Wege, wie Fritz Curschmann in seinem Antrag vom 22. Oktober 1935 betonte. Das ergebe eine Landesaufnahme, wie sie in keinem anderen Teil Deutschlands zu erreichen sei. Im Rheinland etwa halte man es schon für einen großen Erfolg, wenn man Karten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts veröffentlichen könne. Die Relevanz für historische Untersuchungen erschließe sich ohne weiteres, weil agrarwissenschaftliche Untersuchungen auf dieses Material angewiesen seien. Curschmann veranschlagte drei Jahre für die notwendigen Umzeichnungen in das preußische Messtischblattsystem und eine Übersetzung der zugehörigen Erläuterungsbände. Da diese in Altschwedisch abgefasst waren, bedurfte es einer geschulten Kraft. Das Vorhaben wurde gefördert, zugleich erwartete die DFG einen Zuschuss der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung, der bis Kriegsbeginn 1939 auch gewährt wurde. Die Fluktuation war trotzdem hoch, weil die geschulten Kräfte rasch in andere Stellungen wechselten, weshalb Curschmann immer neue Nachwuchswissenschaftler für das Projekt verpflichten musste.1622 Mit der Emeritierung Curschmanns fiel das Forschungsgebiet de facto weg, die Philosophische Fakultät beharrte jedoch darauf, das Fach zu erhalten. Maßgeblich dafür war sicherlich 1621 Bubnoff, S. von: Überblick über die Geologie Ostmecklenburgs (Vorpommerns) und seiner Grenzgebiete, Berlin (Ost) 1949, bes. 46–53; Ton- und Torftabellen mit Angaben zu Qualität und Größe zu allen pommerschen Vorkommen in: Archiv BBAW NL Bubnoff Nr. 191. 1622 Vgl. BA R 73/10640.

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nicht nur die persönliche Wertschätzung, die Curschmann von den einflussreichen Kollegen Leick und Metzner entgegengebracht wurde. Leick vertrat mit der Ökologie selbst ein Nischenfach, das er für wichtig hielt, und Metzner fühlte sich durch die ständige Ablehnung seiner Vorschläge zur Ausweitung der biologischen Forschung möglicherweise zurückgesetzt. Beide hielten Grundlagenforschung für nötig und insistierten darauf, das Gebiet als Planstelle zu verankern. Die Nachfolge wurde daher als Neuberufung deklariert. Nominiert wurde 1940 unico loco Friedrich Mager, bisher außerplanmäßiger Professor an der Universität Königsberg. Der 1885 im schlesischen Lauban Geborene war 1910 in Greifswald mit einer historischen Dissertation über die Schleswig-Holstein-Frage promoviert worden. Wegen einer Herzerkrankung war er nicht kriegsverwendungsfähig, arbeitete aber ab 1916 in Schleswig am Historischen Atlas Niedersachsens mit. Anschließend diente er bei der Etappeninspektion in Kurland, wo er eine Wirtschaftsgeographie Lettlands erstellte. 1919 erhielt er eine Assistentenstelle an der Universität Königsberg und 1920 einen Lehrauftrag für Wirtschaftsgeographie. 1922 wurde er zum nichtbeamteten Professor ernannt und war mehrfach mit der Vertretung von Lehrstühlen beauftragt. Magers Erfahrungen als Geograph waren jedoch eher marginal: 1912 war er auf einem Fischdampfer in den Nordatlantik mitgereist, 1935 unternahm er eine ähnliche Reise nach Schottland. Außerdem erwies er sich als wenig begeisternder Lehrer. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten war er für ein Forschungsprojekt zur Geschichte Westpreußens beurlaubt, angeblich war er an der Universität Königsberg Repressalien ausgesetzt. Anhand seiner Personalakte ist davon nichts nachweisbar. In Königsberg lebte Mager jedoch so zurückhaltend, dass die Dozentenschaft über ihn kein Urteil abgeben konnte (oder wollte). Der Rektor der Königsberger Universität hielt Magers Forschungen immerhin für so wertvoll, dass er 1939 die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor durchsetzte.1623 Selbstverständlich war das nicht, weil die historische Geographie als randständiges Lehrfach ohne jede zeitgemäße Bedeutung galt. Das Wissenschaftsministerium betrachtete die Bestallung als Gnadenerweis, der Rektor der Universität Königsberg sah das wie die Greifswalder Fakultät anders. Politische Bedenken gab es nicht, Mager gehörte der SS als Förderndes Mitglied an, außerdem dem NS-Lehrerbund und der Altherrenschaft des Studentenbundes. Die Ernennung Magers zum Professor für Historische Geographie und Kulturlandschaftsforschung wurde in der Presse als Neugründung eines Instituts verkündet, obwohl sich das Wissenschaftsministerium mit der Zusage von Berufungsmitteln schwertat. Um die Bedeutung seines Forschungsfelds zu unterstreichen, formulierte Mager nach seiner Ernennung eine Denkschrift, in der 1623 Vgl. UAG PA 242 Mager.

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er 10.000 Mark für den Ankauf von Büchern und Karten forderte, außerdem schien ihm die Erweiterung des Instituts von 7 auf 13 Räume notwendig, nicht zuletzt weil ja auch der emeritierte Professor Curschmann einen eigenen Arbeitsraum bekommen müsse. Die Universität leitete die Forderungen nicht ans Ministerium weiter.1624 Mager schickte daher seinen Assistenten, den amtierenden Gaustudentenführer Helmut Beske, vor, der den Antrag am 16. März 1942 beim Landeshauptmann der Provinz einreichte. Gefordert wurde die einmalige Summe von 13.000 Mark und eine jährliche laufende Zuweisung von 10.500 Mark. Dazu kam ein Assistentengehalt für Beske selbst, das Gehalt einer Sekretärin und für einen nebenamtlichen Kartographen. Landeshauptmann Mazuw reagierte ungehalten. Es sei ausgeschlossen, die „Finanzierungslast für ein derartiges Institut ausschließlich der Provinz aufzubürden“. Mager wandte sich daher an die Landesplanungsgemeinschaft und beantragte 6000 Mark für den Ankauf von Karten und Büchern. Die Antwort war aber auch hier abschlägig, weil die Arbeiten nicht kriegswichtig seien. Außerdem, so stellte der Landesplaner klar, sei die Zahl „der für die Praxis verwertbaren Arbeiten“ doch „sehr viel geringer“, als man geneigt sei in Kreisen der Wissenschaft anzunehmen. Das gelte für die gegenwartsbezogenen Wissenschaften, etwa Geographie, Geologie und Volkswirtschaft, und umso mehr noch für die historischen. Mit Unterstützung des Universitätskurators listete Mager jetzt die Mittel auf, die er vom Ministerium und aus dem zweckungebundenen Etat der Universität erhalten hatte. Die Summe belief sich auf 4500 Mark, außerdem wurde ein Stipendium von der DFG bewilligt, so dass die Provinz dann doch für den Ankauf von Karten und Büchern 4500 Mark bewilligte, dazu 1200 Mark für eine wissenschaftliche Hilfskraft.1625 Ein weiterer Antrag, den Mager im April 1942 bei der DFG für eine Stipendiatin stellte, wurde allerdings nicht genehmigt. Die promovierte Historikerin sollte an der Auswertung mittelalterlicher Urkunden mitarbeiten und danach mit den Vorbereitungen zu einer Forstgeschichte der Mittelmeerländer, namentlich Italiens, beginnen.1626 Greifbare Ergebnisse gab es bis Kriegsende nicht mehr. Handfester und militärisch nutzbar waren die Ergebnisse der Untersuchungen des Privatdozenten Joachim Blüthgen, der seit 1936 im Auftrag des Reichswetterdienstes die Vereisung der Ostsee untersuchte und ein präzises Modell für den Bottnischen Meerbusen vorlegte, indem er tägliche Eisstände und Luftströme miteinander verknüpfte.1627 Die Studien setzte er fort und verfasste 1937 eine rein praktische Schrift, 1624 Vgl. UAG PA 242 Mager. 1625 Vgl. StA Greifswald Rep. 54 Nr. 558, Bl. 19–37. 1626 Vgl. BA R 73/14379. 1627 Vgl. Blüthgen, Joachim: Die Eisverhältnisse des Bottnischen Meerbusens, in: Archiv der Deutschen Seewarte, Bd. 55, Nr. 3, 1936.

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in der er sein wissenschaftliches Modell für die Eisvorhersage auf den Finnischen und Rigaischen Meerbusen anwandte. Für die wichtigsten Fahrwasser und Hafengebiete stellte er Angaben zur Dicke und Form der Vereisung zusammen und listete die Daten auf, an denen das Eis üblicherweise aufbrach. Bei den Tabellen und Karten bezog er auch den Ladogasee mit ein.1628 Der Nordostraum beschäftigte Blüthgen weiter, 1939 motivierte er die geplante Forschungsreise nach Finnland bei der DFG vor allem mit seiner fehlenden Kenntnis des Landes. Er habe bereits alle anderen nordischen Länder bereist und arbeite an einer Landeskunde Nordeuropas. Besonders intensiv habe er Schwedisch-Lappland studiert, Finnland fehle ihm aber noch. Insbesondere wolle er das bisher unerschlossene Urwaldgebiet des Saariselkä erforschen, Profile der glazialen Überformung erstellen und dann mit dem Kanu zum Eismeer paddeln. Geplant war die Besichtigung von Petsamo und der Erzgruben von Kirkenes in Norwegisch-Finnmarken, die Rückreise werde ihn dann an der Ostküste Finnlands entlangführen. Die Reise sei auch deshalb notwendig, weil Finnland bei der gegenwärtigen „geopolitischen Lage“ als Grenzstaat Sowjetrusslands besondere Bedeutung zukomme. Besucht werde daher auch das erst jüngst kolonisierte Grenzgebiet.1629 Einige Ergebnisse dieser Studienreise präsentierte Blüthgen in verschiedenen geographischen Fachzeitschriften, wobei er vor allem über die Bedeutung dieser Gebiete als „Kolonisationsraum“ und deren „wirtschaftliches Gewicht“ schrieb. Seine meteorologischen Studien vertiefte er mit einer Berechnung der winterlichen Kaltlufteinbrüche. Nebenbei verfasste er eine Studie zum Ertrag der Walfanggebiete der Erde.1630 1942 wurde Blüthgen zum Marineobservatorium Greifswald eingezogen.1631 Während Blüthgens meteorologische Studien auch zivil interpretierbar waren, wurde Wilhelm Hartnacks Expertenwissen direkt in die Kriegsvorbereitung einbezogen. Im Auftrag des Oberkommandos des Heeres verfasste er 1937 eine Studie zur lothringischen Eisenerzproduktion. Diese wurde ebenso geheim gehalten wie seine Forschungsarbeit über russische Geheimkarten.1632 Da Institutsdirektor Lautensach die Geheimakten des Geographischen Instituts 1945 vernichtete und eine zweite Überlieferung nicht zu existieren scheint, ist eine genauere Analyse dieser Forschung unmöglich.

1628 Vgl. Blüthgen, Joachim: Die Eisverhältnisse des Finnischen und Rigaischen Meerbusens, Hamburg 1938. 1629 Vgl. BA R 73/10349. 1630 Vgl. UAG R 319, Bl. 11. 1631 Vgl. UAG K 731; PA 807 Blüthgen. 1632 Vgl. UAG R 319, Bl. 10.

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5.15 Ökologie, experimentelle Botanik und Landwirtschaft 5.15.1 Die Entwicklung der Biologischen Station auf Hiddensee

Der Gedanke, auf der Insel Hiddensee eine Biologische Station zu errichten, ging auf Erich Leick zurück. Sein Ziel war eine Forschungseinrichtung, die sich den besonderen ökologischen Bedingungen einer Insel widmen sollte. Erforscht werden sollte die besondere Fauna und Flora des Brackwassers, aber auch die biologischen Bedingungen des Landes, das von Salzwiesen und insgesamt von einer eigentümlichen Vegetation geprägt war.1633 In der Nordsee bestand die Biologische Station und Vogelwarte auf Helgoland, das Mittelmeer war durch die Biologische Station in Neapel abgedeckt. Für die Ostsee, das „deutscheste aller Meere“, fehlte eine solche Forschungseinrichtung, wie Leick betonte.1634 1882 in Greifswald geboren, hatte Leick hier das Gymnasium und die Universität absolviert. 1905 legte er die Staatsprüfung für die Fächer Biologie, Chemie, und Geographie ab, 1906 folgten die Prüfungen zum Turn- und Fechtlehrer sowie zum Spielleiter. 1907 erhielt er eine Studienratsstelle am Gymnasium in Greifswald. Leick bildete sich weiter und promovierte 1909 mit einer Dissertation über die Temperatur der Blüten von Aronstabgewächsen zum Dr. phil.1635 Im selben Jahr veröffentlichte er eine Studie zur Didaktik der Biologie.1636 1910/11 forschte Leick an der Zoologischen Station Neapel, 1913 habilitierte er sich in Greifswald für das Fach Botanik und Pharmakognosie. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete sich Leick als Freiwilliger und wurde im Dezember 1914 zum Gefreiten ernannt und mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Ab 1915 war er als Sanitätsunteroffizier eingesetzt und wurde bei den Kämpfen in Litauen schwer verwundet. Nach der Genesung erhielt er die Ernennung zum Professor der Universität Istanbul, der Hauptstadt des Osmanischen Reichs. Diese Stelle musste er 1918 räumen und kam mittellos nach Greifswald zurück. Wie alle deutschen Professoren, die im Ausland tätig waren und ihre Position aufgeben mussten, erhielt er eine vergleichbare Stellung, in seinem Fall war es eine außerordentliche Professur an der Universität Greifswald. Nach mehrfacher Vertretung des Ordinarius erhielt er 1928 eine persönliche ordentliche Professur, die mit einem „kw“-Vermerk versehen war und nach seinem Ausscheiden nicht wiederbesetzt werden sollte. 1633 Vgl. Gessner, Fritz: Die biologische Forschungsstation auf Hiddensee, Sonderdruck in UAG NL Leick Nr. 82. 1634 Vgl. UAG K 1709, Bl. 39 ff.; UAG Math.-Nat. Fak. 18a. 1635 Vgl. Leick, Erich: Untersuchungen über die Blütenwärme der Araceen, Diss. phil., Greifswald 1909. 1636 Vgl. Leick, Erich: Die biologischen Schülerübungen. Eine Einführung in ihr Wesen, ihre Geschichte, ihre Bedeutung und ihre Handhabung, Greifswald 1909.

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Wie sein ebenfalls aus Istanbul vertriebener Kollege Jacoby engagierte sich Leick als Werbeoffizier für das Freikorps Plewe, das im Baltikum eingesetzt werden sollte. Zusammen mit dem Nobelpreisträger Johannes Stark gründete Leick einen Mittelstandsverein für politische Aufklärung, der sich gegen den „Marxismus“ wandte. 1919 wurde er zum Vorsitzenden des Greifswalder Bürgerrats gewählt. 1922 trat er der rechtsextremistischen Deutschvölkischen Freiheitspartei bei, der er bis zu ihrer Auflösung 1923 angehörte. Leick hatte sich damit dem äußersten rechten Spektrum republikfeindlicher Organisationen angeschlossen. Vor 1933 spendete er für die NSDAP, 1934 wurde er Ratsherr in Greifswald, 1937 folgte die Aufnahme in die NSDAP und den NS-Dozentenbund. Im selben Jahr wurde Leick in den Provinzialrat Pommerns berufen; das Gremium beriet über den Haushalt der Provinz, verfügte damit über einigen Einfluss, wenn auch die politischen Entscheidungen vom Gauleiter und Oberpräsidenten getroffen wurden.1637 Das erste Haus der Biologischen Station in Kloster auf Hiddensee wurde 1930 vom Verein der Freunde und Förderer der Universität gekauft. Das Geld dafür brachte vor allem Hans Wriedt auf, Generaldirektor der Deutschen Hochseefischerei AG. Am 6. Juli 1930 wurde es feierlich eingeweiht. Darin waren ein Laboratorium mit vier Arbeitsplätzen, eine Bibliothek, eine Dunkelkammer und im Obergeschoss drei Wohnräume.1638 Vorgenommen werden sollten Untersuchungen zur Ökologie der vielgestaltigen Landschaft und ihrer Botanik sowie zur Brackwasserzoologie. Außerdem gab es eine meteorologische Station. Bereits 1931 etablierte Leick eine Vogelwarte, die in das Beobachternetz für Zugvögel integriert wurde. Eine Schutzwarte am Leuchtturm bot den Beobachtern eine Unterkunft, wo sie gefangene Vögel mit Ringen versahen. Zunächst erhielten die Vögel Ringe der Vogelwarte Rossitten. Erst nach mühsamen Verhandlungen mit den Leitern der Vogelwarten Rossitten und Helgoland und der Zustimmung des Reichsforstmeisters wurde die Beringung mit der Markierung Hiddensee anerkannt.1639 Mit der förmlichen Anerkennung der Vogelwarte wurde der dort tätige Sachbearbeiter Richard Stadie formell als Leiter anerkannt. 1938 habilitierte er sich an der Universität Frankfurt mit einer Studie zur hormonellen Beeinflussung der Gefiederfarben von einheimischen Vögeln.1640 Auf 1637 Vgl. BA R 4901/13270, Karteikarte Leick, Erich; UAG PA 238 Leick. 1638 Vgl. Gessner, Die biologische Forschungsstation auf Hiddensee; Wriedt wurde dafür 1937 die Würde eines Ehrensenators verliehen. 1938 wurde die Verleihung zurückgezogen, nachdem er wegen des Vorwands der Korruption die Stelle verlor. Vgl. UAG Album der Ehren­ senatoren. 1639 Vgl. UAG R 200, Bl. 32–35; Köppen, Ulrich: 70 Jahre Vogelwarte Hiddensee – eine kommentierte Zeittafel, in: Berichte der Vogelwarte Hiddensee, Nr. 17, 2006, S. 120 f. 1640 Vgl. Stadie, Richard: Ein Beitrag zur hormonalen Beeinflussung der Gefiederfarben, Sonderdruck in: UAG R 688.

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Hiddensee war Stadie auch politischer Schulungsleiter der NSDAP-Ortsgruppe. Mit Kriegsbeginn wurde Stadie eingezogen und diente vorwiegend an der Ostfront. Im November 1942 erlitt Stadie eine Hirnverletzung durch Granatsplitter. 1944 wieder auf Hiddensee, floh er 1945 mit einem Flugzeug nach Schleswig-Holstein.1641 Die wissenschaftlichen Untersuchungen ruhten seit Kriegsbeginn.1642 Die Freunde und Förderer kauften 1935 ein weiteres Haus bei einer Zwangsversteigerung. Das Hauptaugenmerk Leicks lag jedoch auf einem Grundstück des 1927 gestorbenen Schriftstellers Arved Jürgensohn.1643 Das Grundstück war unbebaut und grenzte an das Grundstück Gerhard Hauptmanns sowie an die Ostseeküste an. Leick hatte wohl schon vor 1933 Kontakt mit der Tochter Jürgensohns aufgenommen, am 31. Juli 1933 schloss er mit ihr einen Kaufvertrag, durch den der direkt nutzbare Teil der Preußischen Unterrichtsverwaltung zufiel. Rosa Jürgensohn war zu diesem Zeitpunkt 74 Jahre alt, unverheiratet und lebte in Berlin-Friedenau in Verhältnissen, die sie dazu veranlassten, auf ihr Vermögen zuzugreifen.1644 Mit dem Erwerb des ersten Grundstücksteils war das Vorkaufsrecht auf weitere Grundstücksteile verbunden. Diese Option wurde 1935 wahrgenommen, so dass weitere 6600 Quadratmeter Wald und 28 Morgen Ödland hinzukamen. Das Geld dafür kam aus dem Baufonds der Universität, wozu das Ministerium die Genehmigung erteilte.1645 Später baute die Universität ein Assistentenwohnhaus, wodurch in den anderen Gebäuden Platz für Laborgeräte und Bücher frei wurde.1646 Leick sorgte auch dafür, dass von den Provinzbehörden weitere 150 Hektar der Insel als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurden. Die Unterstützung des Wissenschaftsministeriums war, abgesehen vom Grundstückskauf, aber eher symbolisch. 1936 erlaubte es die Namensgebung Biologische Forschungsanstalt Hiddensee. Obwohl Leick mehrfach zu Gesprächen nach Berlin fuhr und dort mit dem Leiter des Amts Wissenschaft Theodor Vahlen konferierte, wollte das Ministerium keine Forschungsgelder bereitstellen. Wortreich beklagte Leick daher im April 1937 in einer seiner unzähligen Bitt- und Denkschriften, dass die Erforschung der Ostsee gegenüber der der Nordsee und des Mittelmeeres weit zurückliege. Man gebe für diese Forschungen nur einen „Bruchteil“ dessen aus, was anderen Forschungseinrichtungen, etwa Helgoland und Neapel, zur Verfügung stünde, ganz zu 1641 Vgl. UAG PA 268 Stadie; BA R 4901/13277 Karteikarte Stadie; Faust, Manfred: Hiddensee. Geschichte einer Insel. Von den Anfängen bis 1990 mit einer Chronik der wichtigsten Ereignisse von 1991 bis zur Gegenwart, Schwerin 2005, S. 249. 1642 Vgl. Köppen, Vogelwarte, S. 121 1643 Vgl. Faust, Hiddensee, S. 129–132. 1644 Vgl. UAG K 1708. 1645 Vgl. UAG R 357. 1646 Vgl. UAG K 690.

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schweigen von den Biologischen Stationen in Dänemark, Schweden und Polen, „mit denen wir uns nicht messen können“.1647 Seit etwa 1937 versuchte Leick, der konjunkturelle Strömungen in der Wissenschaft bisher weitgehend ignoriert hatte, an den Forschungstrend anzudocken. Die Mittel, die er bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft beantragte und erhielt, waren allerdings gering. 1938 bekam er 300 Mark zur Untersuchung des Algenbewuchses der Schiffe, damals ein Außenseiterthema.1648 Als wichtiger bewertet wurden 1937 seine Studien zur Aalrotseuche, die regelmäßig ein Massensterben des Fischs zur Folge hatte. Die Forscher zum Thema hatten bereits Stipendien erhalten, Leick verschaffte ihnen Sachmittel in Höhe von 500 Mark für laufende Kosten, die er nicht bezifferte. Es wird sich um Treibstoff und Verbrauchsmittel gehandelt haben. Die notwendigen Laboratoriumseinrichtungen stellte die Biologische Forschungsanstalt zur Verfügung.1649 1938 wandte sich Leick an den Oberpräsidenten der Provinz und bat um finanzielle Unterstützung, wobei er die Bedeutung der Pflanzenökologie als Forschungsgebiet betonte. Die „produktive Leistung“ einer Pflanze beruhe auf dem Wirken der Faktoren Klima, Boden und Umwelt, weshalb diese genauer untersucht werden müssten. In steigendem Maße würden die Einrichtungen der Anstalt „praktischen Zielen“ dienstbar gemacht, betonte Leick und verwies auf die Forschungen zur Aalrotseuche. Er erhielt zusätzlich zum üblichen Zuschuss von 1000 Mark eine einmalige Beihilfe von 900 Mark.1650 1939 beantragte er ein Projekt zur assimilatorischen Leistung von Heil- und Kulturpflanzen. Im Januar 1940 wurden alle Bewilligungen für Leick gestrichen, weil sie nicht als „kriegswichtig“ anerkannt wurden.1651 Auf Hiddensee entstanden jedoch noch drei Forschungsarbeiten über Halophyten (Salzpflanzen), zur Entwicklung von Nährstoffen im stark eutrophierten Brackwasser und, als Vergleich, dem Arkonabecken.1652 Die Biologische Station war in erster Linie Ausbildungseinrichtung. 1934 führten Leick und seine Mitarbeiter den ersten Ferienkurs durch, Themen waren Analysen des Brackwassers, Bestimmung der Planktonmengen, Bau und Funktion der Großalgen, die Ökologie der Salzwiesen und Untersuchungen der Bodenfauna. Der in Swinemünde tätige Fischereibiologe Paul Friedrich Meyer hielt Vorträge zu seinem 1647 Vgl. UAG Math. Nat. Fak. 18a. 1648 Der Algenbewuchs bei Schiffen wirkt sich auf den Treibstoffverbrauch und damit auf die Reichweite aus. So motivierte Leick das Vorhaben allerdings nicht. Vgl. BA R 73/12649. 1649 Vgl. BA R 73/12649. 1650 Vgl. UAG R 200, Bl. 32–35. 1651 Vgl. BA R 73/12649. 1652 Vgl. UAG R 319, Bl. 14.

5.15 Ökologie, experimentelle Botanik und Landwirtschaft

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Fachgebiet. In den folgenden Jahren wurden weitere Kurse durchgeführt und die Themenpalette erweitert. Leick untersuchte jetzt Fragen der Geomorphologie und Gewässerentstehung, mit einem Chemiker wurden Sauerstoff- und Nitratmengen im Wasser gemessen. Die Exkursionen gingen zu den Salzwiesen, den Verlandungen bei Alt-Bessin und zur Neuendorfer Dünenheide. Die Beobachtungen in der Vogelwelt wurden später abgekoppelt und eigenständige ornithologische Viertageslehrgänge unter Leitung von Richard Stadie veranstaltet.1653 1937 führte die Station wegen der großen Nachfrage spezialisierte Vier-Tages-Kurse zur Pflanzenökologie, Hydrobiologie, Algenkunde und Ornithologe durch.1654 1938 war es dann wieder ein zehntägiger, letzter, Kurs, der Hydrobiologie und ökologische Fragen umfasste.1655 5.15.2 Experimentelle Botanik und Landwirtschaft

Angesichts der „für das Reichsganze hervorragenden Bedeutung“ der Land- und Forstwirtschaft Pommerns sei es bedauerlich, klagte Dekan Lautensach 1938, dass die Provinz weder eine landwirtschaftliche noch forstwirtschaftliche Hochschule besitze, „ja dass nicht einmal an der Universität Greifswald Abteilungen“ für diese Forschungsgebiete existierten.1656 Botaniker Erich Leick sekundierte 1938 im Taschenbuch der Universität: Die Landwirtschaftsakademie in Eldena sei 1876 aus „falschem Sparsinn“ aufgelöst worden, „ein schweres Unrecht, das bis heute der Wiedergutmachung“ harre.1657 Die Provinz sah dies ebenso. Daher unternahm ihr Landeshauptmann Karl Jarmer bereits am 20. Juli 1934 einen Vorstoß beim Kultusministerium, um zu erreichen, dass die Universität durch eine Landwirtschaftliche Hochschule ergänzt werde. Jarmer verwies auf das Vorhandensein von Grundbesitz, der als Versuchsoder Mustergut genutzt werden könne. Zudem komme es aus Sicht der Provinz darauf an, an der Landwirtschaft interessierte Studenten in den „Osten“ zu ziehen und ihn so gegenüber dem „Westen“ aufzuwerten.1658 Vahlen stimmte zu und plädierte dafür, beim ohnehin anstehenden Umbau der Landwirtschaftsschule in Berlin einen Teil nach Greifswald zu verlegen. Das kam aus Sicht anderer Ministerialbeamter nicht in Frage, da die Reichshauptstadt eine „besondere Stellung“ einnehme. Der Staatssekretär wiederum erklärte, dass es unmöglich sei, einen Lehrstuhl für Agrarpolitik in Greifswald einzurichten, weil es dafür „gar keinen“ Nachwuchs gebe. Er habe daher 1653 Vgl. UAG R 200, Bl. 28 f., 63. 1654 Vgl. Math. Nat. Fak. Nr. 18a. 1655 Vgl. BA R 73/12649. 1656 Vgl. Meyer, Volk und Lebensraum, S. 437. 1657 Vgl. Taschenbuch der Universität, Greifswald 1938, S. 26. 1658 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. I Nr. 1 Bd. 6, Bl. 7–10.

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einige „als zuverlässig und tüchtig bekannte Parteigenossen“ angeregt, sich zu habilitieren. Die Sache ruhte und ging auch nach dem Wechsel des Staatssekretärs im September 1934 nicht voran, sondern wurde bis zur Wiedervorlage zurückgestellt.1659 Die Zahl der Habilitationen für Pflanzenzucht, Tierzucht und andere landwirtschaftliche Fächer stieg tatsächlich exponentiell an, blieb aber immer noch hinter dem Bedarf zurück. Auch die Fördermittel für die Landwirtschaft stiegen, diese erhielten jedoch die etablierten Institutionen, so dass für Greifswald weder Personal noch größere Geldbeträge freiwurden.1660 Die 1933 einsetzenden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wollte Institutsdirektor Paul Metzner dazu nutzen, den Botanischen Garten auszubauen. Gemäß dem 1924 aufgestellten Bebauungsplan für das Ostgelände trennte er ein Fünftel der Fläche, etwa 65.000 Quadratmeter ab und begann mit der Anlage eines neuen Gartenareals.1661 Ein Teil der Fläche gehörte jedoch noch der Stadt, so dass die Güterverwaltung Grundstücke tauschen und Pächter von ihren kleinen Äckern oder Wiesen ablösen musste. Im Zuge dieses Austauschs von Grundstücken übertrug die Universität der Stadt Greifswald auch die Klosterruine in Eldena mit dem angrenzenden Gelände. In Greifswald selbst wurden 24 Hektar für ein städtisches Baugebiet zur Verfügung gestellt.1662 Im Botanischen Garten ging man zunächst an die Anlage eines Arboretums, da dessen Bäume ohnehin eine sehr lange Wachstumszeit benötigten. Ein Klostergarten, ein Bauerngarten und ein Schulgarten sollten folgen. Die Arbeiten schritten rasch voran, im November 1934 waren Deutscher Wald und Heidelandschaft fertiggestellt. Für den weiteren Ausbau musste ein Brunnen gebohrt und mit einer Pumpanlage versehen werden, was sich bis 1936 hinzog. Da die Arbeitskräfte wegen des durch die Wehrmacht verursachten Baubooms in der Stadt knapp wurden, standen Metzner jetzt aber nur noch zwei Arbeiter zur Verfügung, so dass sich die Bauarbeiten am Teich und an dem Alpinum bis 1937 hinzogen. Immerhin konnten in diesem Jahr auch die Koniferen Nordamerikas gepflanzt werden. Die für Nutzpflanzen vorgesehenen Flächen erhielt das Botanische Institut ebenfalls erst jetzt, und Metzner musste feststellen, dass sie mit tiefwurzelndem Unkraut, vor allem Disteln, überzogen waren. Ein Antrag auf Einstellung weiterer zwei Arbeiter und von zwei Frauen zum Jäten wurde jedoch abgelehnt, so dass das 175-jährige Jubiläum 1938 verstrich, ohne dass an eine feierliche Einweihung gedacht werden konnte. Außerdem wurde das Eisenkontingent für die Bewässerungsanlage erst bewilligt, nachdem Metzner die 1659 Vgl. ebd., Bl. 11. 1660 Vgl. Deichmann, Biologen, S. 67–79. 1661 Vgl. UAG K 1686, Bl. 17. 1662 Vgl. UAG Hbg. Nr. 822.

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Wichtigkeit botanischer Forschung politisch begründet hatte. 1939 war die Anlage fertiggestellt, so dass im Sommer 1940 mit Feldstudien für den Vierjahresplan begonnen werden konnte. Im Herbst 1940 wurde die Anforderung einer nicht genauer bezeichneten Zahl von Kriegsgefangenen genehmigt, die den gesamten Garten jäteten und die tiefsitzenden Distelwurzeln ausgruben. 1941 wurden die Gelände Südeuropa, Orient und Japan bepflanzt. Der Ausbau des Gartens wurde 1943 abgebrochen, weil den Kliniken mehr Platz eingeräumt werden sollte als ursprünglich geplant. Die Feldversuche sollten künftig in Koitenhagen stattfinden.1663 Zum Zeitpunkt dieser Neuplanung verfügten der alte Botanische Garten und der neue Teil auf dem Ostgelände über 46.200 Quadratmeter Fläche im Freiland und 682 Quadratmeter im Gewächshaus und gehörten damit zu den größeren Botanischen Gärten in Deutschland.1664 Das Gut Koitenhagen wurde 1938 in Eigenregie übernommen und sofort wurde kräftig darin investiert.1665 Zwischen 1938 und 1941 wurden dort für 20.000 Mark Maschinen gekauft, die Saatgut und Düngerbestände wuchsen bis 1945 erheblich an. Außerdem gab es auf dem Gut 41 Milchkühe, 145 Schweine (davon 14 Sauen) und 10 Ackerpferde.1666 Den Besuch des Ministers in Greifswald und auf der Insel Hiddensee im Sommer 1938 nutzten Rektor Reschke und Erich Leick dazu, ihm ein weiteres Projekt zu unterbreiten. Das Gut Kloster auf Hiddensee, welches der Stadt Stralsund gehörte, sollte gepachtet werden. Leick schlug vor, dort Heilpflanzen für pharmazeutische Zwecke zu züchten, wofür sich das Klima der Insel besonders eigne. Die Hoffnung zerschlug sich allerdings, weil bei der DFG bemerkt wurde, dass bereits an anderer Stelle mit erheblichen Mitteln am selben Thema gearbeitet wurde.1667 Das Ministerium unterstützte die Bemühungen nicht, obwohl sich Kurator Kolbe der Sache 1938 noch einmal besonders annahm, als das Studium der Pharmazie in Greifswald gestrichen wurde. Sollte eine Änderung dieses Ministerbeschlusses nicht erreichbar sein, möge man doch auf eine „besondere Förderung ihrer Interessen bedacht sein“. Gerade die kleinen Universitäten seien „nicht nur besonders unterstützungsbedürftig, sondern auch besonders unterstützungswürdig“. Durch das enge, kameradschaftliche Verhältnis von Student und Hochschullehrer werde eine besonders gründliche wissenschaftliche Ausbildung geleistet. Außerdem sei die „nationalsozialistische Erziehung an einer kleinen Universität als besonders gesichert anzusehen“. Daher lenke er den Blick noch einmal auf die besondere Situation der Universität, 1663 Vgl. UAG K 1685 passim, zu den Kriegsgefangenen Bl. 98. 1664 Vgl. UAG K 575, Bl. 214. 1665 Vgl. UAG K 2322. 1666 Vgl. UAG K 3465. 1667 Vgl. UAG Hbg. R 20, Bl. 2 ff.

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obwohl „der starke Betätigungsdrang des Professors Leick und seine vielfachen Eingaben bei der einen oder anderen Stelle des Ministeriums ein gewisses Missbehagen“ hervorgerufen hätten. Die Voraussetzungen seien doch aber in Greifswald „die denkbar günstigsten“. Der Güterdirektor sei ein Mann von „seltener Tüchtigkeit“, der auch „über theoretische Kenntnisse“ verfüge. Einer „Versuchsstation“ bedürfe es daher nicht. Durch den nach Greifswald versetzten Theodor Oberländer würden Vorlesungen in Volkswirtschaft angeboten, das Fach Betriebswirtschaftslehre werde vertreten. Lehrstühle für Ackerbau und Viehzucht seien nicht erforderlich.1668 Obwohl Kolbe das nicht ausdrücklich sagte, war klar, was er meinte. Leick befasste sich besonders mit ökologischen Fragen, Metzner arbeitete ohnehin zur Pflanzenphysiologie, dessen Assistent Lange war bereits zu alt und zu wenig profiliert für einen Lehrstuhl. Lange las aber bereits über Pflanzenkrankheiten. Der Universitätsforstmeister würde demnächst einen Lehrauftrag erhalten. Wissenschaftlich waren die Voraussetzungen für ein landwirtschaftliches Studium also gegeben, formal jedoch nicht. Dessen ungeachtet trieb Metzner die Forschungen seiner Mitarbeiter zu wachstumsfördernden Wuchsstoffen (Hormonen) voran und erreichte sogar deren Einsatz im großräumigen Feldversuch im Versuchsgut Koitenhagen.1669 Zu den Wissenschaftlern auf diesem Gebiet gehörte Hans Ulrich Amlong, der seit 1934 durch ein DFG-Stipendium unterstützt wurde. Der 1909 in Grimmen geborene Sohn eines Postinspektors hatte die Reifeprüfung in Stettin abgelegt und zunächst Elektrotechnik in Berlin studiert. Nach einem Praktikum in der Industrie wechselte er 1930 an die Universität Jena, wo er Botanik, Physik und Agrikulturchemie belegte. In seiner Dissertation untersuchte er den Geotropismus der Pflanzen und wollte auf dem Gebiet der Pflanzenhormone, zeitgenössisch Wuchsstoffe genannt, weiterarbeiten. Obwohl über deren Wirkung auf das Wachstum bereits gesicherte Erkenntnisse vorlagen, war über die physikalischen und chemischen Vorgänge bisher wenig bekannt. Um ein Gutachten gebeten, zeigte sich Institutsdirektor Metzner angetan von den Qualifikationen seines zukünftigen Mitarbeiters. Bewerber mit „entsprechender technischer Vorbildung“ seien nur selten zu finden, weshalb er um die Gewährung des Stipendiums bitte. Es wurde gewährt, obwohl Amlong der NSDAP ebenso wenig angehörte wie SA oder SS. Als Begründung dafür gab er eine „körperliche Behinderung (Herzkrankheit)“ an.1670 1938 veröffentlichte Amlong eine Anleitung zum Gebrauch von Wuchshormonen in der gärtnerischen Praxis, etwa Gärtnereien,

1668 Vgl. ebd., Bl. 8 f. 1669 Vgl. UAG K 596, Bl. 1–6. 1670 BA R 73/10051.

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Baumschulen und Weingütern.1671 1939 wurde Amlong mit einer Studie über die Wanderung des Pflanzenhormons Auxin in der Wurzel der Ackerbohne (Vicia faba) habilitiert.1672 1940 wurde er mit dem Aufbau einer Landesforschungsanstalt für Angewandte Pflanzenphysiologie im Warthegau betraut und als Dozent der neugebildeten Reichsuniversität Posen zugewiesen. Die praktischen Untersuchungen im Botanischen Institut erstreckten sich darüber hinaus auf die Lagerungsfähigkeit des Getreides und Anbauversuche mit Buchweizen.1673 Explizit für den Vierjahresplan ließ Metzner eine Dissertation zur Substitution von Naturfasern durchführen. Die Doktorandin entwickelte ein Verfahren zur Einlagerung chemischer Substanzen, zum Beispiel Styrol, in Bast und Hanf. In einer zweiten Versuchsreihe imprägnierte sie einheimische Faserpflanzen mit Harz. Die Reißlänge verbesserte sich dadurch um 37 Prozent. Das war nicht das angestrebte Ergebnis im Sinne des Vierjahresplans, Metzner erhoffte sich aber Anknüpfungspunkte für weitere Studien.1674 Einen neuen Vorstoß zur Errichtung einer Landwirtschaftlichen Fakultät unternahm Metzner im Mai 1941, wobei er betonte, dass die Pommersche Landesbauernschaft fordere, die Ausbildung der Landwirte endlich in die Provinz zu verlegen. Er verschwieg nicht, dass seine Forschungen in der Landesbauernschaft Anklang gefunden hätten, und schlug in seinem Antrag acht Institute vor. Geschaffen werden sollten Institute für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung, Pflanzenernährung und Bodenphysiologie, Pflanzenkrankheiten, Kulturtechnik, landwirtschaftliche Maschinenkunde und für landwirtschaftliche Betriebslehre. Tierzucht, Milchwirtschaft und Krankheiten der Haustiere wollte Metzner mit Lehraufträgen abdecken.1675 Ob Metzner dabei an Lehraufträge für die Forscher der Insel Riems dachte, ist nicht nachweisbar, jedoch angesichts der Habilitation des dort forschenden Tierarztes Fritz Köbe naheliegend. Für diese Habilitation im Jahr 1936 erhielt die Medizinische Fakultät jedoch einen kräftigen Rüffel. Humanmedizinische Fakultäten dürften den Grad des Dr. habil. an Tierärzte nicht verleihen, man möge in Greifswald künftig den entsprechenden Erlass beachten.1676 Metzner und Leick nahmen nach dem gescheiterten Vorstoß beim Ministerium Kontakt zu Konrad Meyer auf, der Schlüsselfigur in der nationalsozialistischen Förderpolitik auf dem Gebiet der Landwirtschaft. Meyer scheint zumindest die For1671 Vgl. Amlong, Hans Ulrich: Die Wuchshormone in der gärtnerischen Praxis, Berlin 1938. 1672 Vgl. Sonderdruck aus: Jahrbuch für wissenschaftliche Botanik, Bd. 88, Heft 3, 1939, in: UAG Phil./MN Nr. 15. 1673 Vgl. UAG K 596, Bl. 1–6; R 319, Bl. 18. 1674 Vgl. Phil. Diss. II 1126 Avisiers. 1675 Vgl. UAG K 596, Bl. 1–6. 1676 Vgl. UAG K 888, Bl. 149.

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schungen zur experimentellen Botanik und Hormonisierung gutgeheißen zu haben, so dass ab 1940 Mittel für diese Gebiete flossen. Gefördert wurden dabei besonders Forschungen zum Stickstoff-Stoffwechsel der Pflanzen.1677 Bei der feierlichen Übergabe des Rektorats am 2. Juli 1942 an den Prähistoriker Carl Engel wurde der Öffentlichkeit das Ergebnis langfristiger Verhandlungen bekannt gegeben: die Gründung einer Pommerschen Akademie für Landesforschung. Sie sollte der Universität angegliedert sein, aber eng mit der Ordensburg Crössinsee zusammenarbeiten. Außerdem sollte sie die Kooperation mit der Landesbauernschaft vorantreiben, um, so der Gauleiter, eine Landwirtschaftliche Fakultät an der Universität zu etablieren. In einem ersten Schritt finanzierte die Landesbauernschaft ein landwirtschaftliches Forschungsinstitut. Im Detail wurden die Aufgaben der Akademie wie folgt festgelegt: 1. Anregung, Organisation und Finanzierung Einzelner oder von Arbeitsgemeinschaften, 2. Auszeichnung bedeutender Arbeiten und Forscher, 3. Förderung des Nachwuchses, 4. Förderung wissenschaftlicher Gesellschaften im Gau. Neben den Mitteln für das landwirtschaftliche Forschungsinstitut stellte Landeshauptmann Emil Mazuw 10.000 Mark in den Haushalt der Provinz ein.1678 Dabei übernahmen zunächst die Ordinarien und Dozenten die Leitung der einzelnen Abteilungen in der nun wieder so genannten Landeskundlichen Forschungsstelle: Hofmeister für Geschichte, Ahnenforschung und Sippenkunde, Engel für Vor- und Frühgeschichte, Rosenfeld für Volkskunde, Magon und Rosenfeld für Literarisches Schrifttum, Lautensach für Erdkunde, Seifert für Zoologie, Metzner für Botanik, Leick für Pflanzenökologie und Naundorf für Landwirtschaft. Für das Feld Kunstgeschichte und Denkmalpflege konnte noch kein Vertreter namhaft gemacht werden, da der Lehrstuhl nicht besetzt war.1679 Angesichts dessen, dass mit diesem Volumen lediglich ein Sekretär plus Büro finanziert werden konnten, war die Schirmherrschaft des Gauleiters symbolisch. Gleichwohl verlieh sie dem politischen Wollen zur Förderung der Landwirtschaftswissenschaften erhebliches Gewicht, so dass Anträge aus Greifswald bei der DFG jetzt wohlwollend bearbeitet wurden. Weitere Projekte der Akademie sind bisher nicht ermittelt worden. Das Landwirtschaftliche Forschungsinstitut wurde 1942 tatsächlich mit finanzieller Unterstützung der Landesbauernschaft gegründet. Die Leitung übernahm 1677 Vgl. BA R 73/13341; Deichmann, Biologen, S. 75 und 102. 1678 Vgl. BA R 153/1712. 1679 Vgl. UAG Phil. Fak. I Nr. 484.

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Metzner, sein wichtigster Mitarbeiter war der Dozent Gerhard Naundorf, der sich 1942 bei Metzner mit der Rolle von Hormonen bei der Stickstoffversorgung der Leguminosen habilitiert hatte. Metzner schätzte den umtriebigen Schwaben, der eine Landwirtschaftslehre absolviert und als Gutsverwalter gearbeitet hatte. Das Abitur legte Naundorf extern ab, zugleich amtierte er als Blockleiter der NSDAP, was seiner Karriere nicht abträglich gewesen sein dürfte.1680 In seiner Freizeit verfasste Naundorf Science-Fiction-Romane, die ihn zwar nicht als großen Stilisten auswiesen, aber Zeugnis von seiner Beredsamkeit und seiner Phantasie ablegen.1681 Der Roman Lebensstrahlen – anders gesehen knüpfte nur dem Titel nach an einen Bestseller von Hans Dominik an. Der Held des Romans war ein Forscher, der, wen wunderts, bahnbrechende Erfindungen auf dem Gebiet der Pflanzenhormone machte. Das Ergebnis im Roman war folgendes: „Durch eine hundertprozentige Erntesteigerung bei den Kulturpflanzen wurde es für Deutschland möglich, riesige Flächen von Freiland zum Anbau solcher Gewächse freizuhalten, die geeignet waren, die Eiweiß- und Fettlücke in der Volksernährung zu schließen.“ Die Hormonbehandlung der Wälder führe darüber hinaus zur überreichlichen Gewinnung von Spinnstoffen aus Holz.1682 Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde das Institut immer wieder mit Projektgeldern unterstützt. Die sieben bewilligten Anträge umfassten von 1942 bis 1945 30.350 Mark für Geräte, Chemikalien und Personal, darunter eine wissenschaftliche Hilfskraft, ein Laborant und technische Arbeitskräfte. Die Forschungsanträge waren stets auf Sachmittel gestellt, das wissenschaftliche und gärtnerische Personal beschäftigte Naundorf mit Privatdienstverträgen ohne Tarifbindung. Lapidar hieß es, im Jahr 1943 keine Selbstverständlichkeit: „Land und Arbeitskräfte sind vorhanden.“ Naundorf stellte sich zum Beispiel das Ziel, das damals nötige und sehr personalintensive Vereinzeln der jungen Zuckerrüben auf dem Feld abzuschaffen. Daher entwickelte und baute er gemeinsam mit dem Physikalischen Institut einen Automaten, der die Zuckerrübensamen vereinzelte und mit einer Hülle umgab. Das Verfahren 1680 Vgl. UAG PA 1588 Naundorf , K 731, R 989. Die Zellen- bzw. Blockleiter der NSDAP übernahmen später häufig auch die Funktion des Blockwarts im Reichsluftschutzbund, weshalb sich diese Bezeichnung einbürgerte. Vgl. Schmiechen-Ackermann, Detlef: Der „Blockwart“. Die unteren Parteifunktionäre im nationalsozialistischen Terror- und Überwachungsapparat, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 48. Jg., Heft 4, 2000, S. 586. 1681 In dem Roman Stern in Not (1938) besuchte eine Expedition mutiger Forscher drei Sterne, deren Zivilisationen für eine umgekehrte Evolution standen: degenerierte Menschen, intelligente Rieseninsekten und widerstandsfähige intelligente Amöben. Vgl. Brandt, Dina: Der deutsche Zukunftsroman 1918–1945. Gattungstypologie und sozialgeschichtliche Verortung, Tübingen 2007, S. 147. 1682 Vgl. Naundorf, Gerhard: Lebensstrahlen. Anders gesehen, Berlin 1941, S. 178 f.

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übertrug er später auf Maissamen, weil er sich davon eine Einsparung von Viehfutter versprach. Ab 1943 förderte die DFG Versuche zur Beeinflussung des Pflanzenwachstums durch Hormone und ein großangelegtes Forschungsprojekt zur Bodenkunde. Die Bodenuntersuchungsstelle der Landesbauernschaft nahm 20.000 Proben und bestimmte deren Kalk- und Kaligehalt. Das Landwirtschaftliche Forschungsinstitut sollte dann den Humusgehalt bestimmen, und zwar in einem biologischen Schnelltestverfahren. Das Anliegen der Bauernschaft war schlicht, die Erträge sollten durch bessere Düngung gesteigert werden, wozu aber genauere Kenntnisse der Böden notwendig waren. Die Hormonversuche hatten sich zum Teil aus eigenen Forschungen und zum Teil eher zufällig ergeben. Naundorf war ein radikaler Vertreter der Auffassung, dass die Behandlung mit Wuchsstoffen ebenso Allgemeingut werden müsse wie das Beizen von Saatgut gegen Schädlingsbefall. Sein Ziel war daher, die Wirkmechanismen bereits zugelassener Hormone im Feldversuch zu überprüfen und negative Wirkungen, die oft noch auftraten, auszumerzen. Andere Forscher hatten bei der Untersuchung von Abfallprodukten aus Ölmühlen das Wachstumshormon Auxin entdeckt, das darin offenbar in größerer Menge vorkam. Gemeinsam mit einer rheinischen Ölfabrik und der Landwirtschaftshochschule Brünn führte Naundorf Versuche zur Verbesserung des Fruchtansatzes bei Obstbäumen durch, wobei er die Wachstumshormone auch mit Schädlingsbekämpfungsmitteln kombinierte. Um statistisch verwertbare Ergebnisse zu erhalten, führte Naundorf die Versuche an dreihundert Obstbäumen durch. Ein Arbeitsplan aus dem Jahr 1943 zeigt, dass Naundorf und Metzner ihre Topf- und Feldversuche als großangelegtes integriertes Forschungsprogramm betrachteten. So wurden Feldversuche sechsfach durchgeführt, jeweils unter Betrachtung von acht verschiedenen Variablen, darunter Humusgehalt des Bodens, dessen Mikroflora, Feuchtigkeit und pH-Wert. Zugleich wurden die Hormone in den Pflanzen bestimmt. Bei den Hormonisierungsversuchen untersuchte Naundorf den Einfluss der Bodenbeschaffenheit, Stickstoff-, Phosphor- und Kalidüngung und Kalk, jeweils bei Hafer, Gerste, Kartoffel, Zuckerrübe, Runkelrübe, Lupine, Luzerne, Ölmalve, Gartenkresse, iberischem Drachenkopf „und einigen gärtnerischen Kulturpflanzen“. 1944 kamen weitere Forschungsvorhaben über stickstoffbindende Bodenorganismen, die Nährstoffe der Ölmalve, Kresse und die Ölpflanze Lallemantia iberica (Iberischer Drachenkopf ) hinzu. Die Ergebnisse ließen nicht auf sich warten, die Ölmalve zeigte zum Beispiel einen guten Fettgehalt, der sich bei günstiger Samenernte wirtschaftlich verwerten lasse, schrieb Naundorf im Abschlussbericht. Es seien aber noch Fragen im Hinblick auf Drillweite oder Aussaatzeit zu klären.1683 1683 Vgl. BA R 73/13341.

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Bei der raschen Anwendbarkeit dieser Forschungen erstaunt es nicht, dass Naundorf für den Kriegsdienst unabkömmlich gestellt wurde. Begründet wurde das mit der „Weiterführung der kriegswichtigen Versuche des landwirtschaftlichen Laboratoriums“.1684 Als Wehrmachtsaufträge wurden schließlich eingestuft:1685 ɡɡ Herstellung einer Zuckerrüben-Einkornsaat zur Einsparung von Arbeitskräften unter gleichzeitiger Anwendung von Wirkstoffen und Herstellung einer Mais­ embryonensaat zur Futtereinsparung, ɡɡ Anbauversuche mit neuen Ölfrüchten, ɡɡ Prüfung des Anbauwertes von Grassorten, ɡɡ Hormonisierungsversuche zur Erntesteigerung und Reifebeschleunigung mit dem Wirkstoffpräparat Radivit und Euradin, ɡɡ Untersuchung pommerscher Böden auf ihren Gehalt an Humus zur Beurteilung ihrer Ertragsfähigkeit, sowie Düngerbedürftigkeit. Im Februar 1944 trat Naundorf eine Dienstreise nach Spanien an, um dort ein Schädlingsbekämpfungsmittel gegen Olivenschädlinge zu testen. Außerdem sollte er dort mit Hormonisierungsversuchen beginnen. Veranschlagt war eine Dauer von drei Wochen. Im Oktober 1944 (!) gestand Metzner der DFG, dass Naundorf nicht zurückgekehrt war, und begründete das mit dem „unerwartet raschen Versiegen der Verkehrsmöglichkeiten“. Die Invasion hatte im Juni 1944 begonnen, hätte Naundorf die Reise wie geplant auf drei Wochen beschränkt, wäre er noch im März zurück in Greifswald gewesen. Die Fortführung der Forschungsaufträge blieb nun Metzner überlassen.1686 Die Landwirtschaftliche Fakultät wurde schließlich nach Kriegsende per Beschluss des Senats am 18. Juni 1945 gegründet. Sie umfasste ein Institut für Landwirtschaftliche Betriebslehre, ein Institut für Tierhaltung, Tierzucht und Tierernährung, ein Institut für Tierhygiene, ein Institut für Gemüse- und Obstbau, ein Institut für Ackerbau, Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung sowie ein Institut für Kulturtechnik. Bei der Bodenreform erhielt die Fakultät von der Landesregierung mehrere stadtnahe Güter zugesprochen, darunter Koitenhagen, Groß Schönwalde I und II sowie Boltenhagen.1687 1948 verfügte dann jeder Lehrstuhlinhaber über ein eigenes Lehr- und 1684 Vgl. UAG K 731. 1685 Vgl. Uk-Antrag des Rektors für Naundorf bei Osenberg, 2.11.1943, in: UAG R 989. 1686 Vgl. BA R 73/13341. Naundorf hatte seine Unabkömmlichkeitsstellung nicht nur mit den Landwirtschaftsversuchen motiviert, sondern bei der Reichsschrifttumskammer auch seinen zu schaffenden Roman über die Lebensstrahlen als kriegswichtige Aufgabe angegeben. Vgl. Brandt, Zukunftsroman, S. 297. 1687 Vgl. UAG R 580/1, Bl. 14, 36.

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Versuchsgut von 139 bis 222 Hektar Größe.1688 Metzner, der die Struktur der Fakultät entworfen hatte, wurde wegen seiner großen Nähe zum NS-Regime an das Forschungsinstitut Gatersleben in Sachsen-Anhalt versetzt. Die neue Fakultät wurde aber schon 1950 wieder aufgelöst, weil es keine Doppelstrukturen mit Rostock geben sollte. 5.15.3 Fischwirtschaft

Aus Sicht der Philosophischen Fakultät gehörte auch die Fischwirtschaft zu den unbedingt notwendigen Bereichen, die im Lehrplan einer künftigen Landwirtschaftlichen Fakultät abgedeckt werden müssten. Die Fischzuchtanstalt der Universität in Eldena war jedoch vom Kultusministerium verpachtet worden, seit der Weltwirtschaftskrise lag das Unternehmen brach. Die Fachgruppe Fischerei der Landesbauernschaft beabsichtigte einen Neustart, verfügte jedoch nicht über qualifiziertes Personal. Wegen der generell schlechten Aussichten in der Fischwirtschaft entschieden sich allerdings nur wenige Studierende für eine Promotion auf diesem Gebiet. Erst 1937 war ein geeigneter Kandidat zum Wiederaufbau der Fischzucht und zu weiterführenden Untersuchungen gefunden. Der Biologe Walter Reinke1689 war auf der Oderinsel Gristow aufgewachsen, deren Bauern die Fischerei schon in vorschriftlicher Zeit ausgeübt hatten.1690 Der Direktor des Zoologischen Instituts Ernst Matthes förderte Reinkes Interesse für die wissenschaftliche und praktische Fischereibiologie und gestattete ihm im Institut Aufzuchtversuche mit Bach- und Meerforellen in Süß- und Brackwasser, die überzeugende Ergebnisse zu Wuchsgeschwindigkeiten erbrachten. Die Fühlungnahme mit der Landesbauernschaft ergab, dass einer Übernahme der Anstalt durch Reinke nichts entgegenstand, eigene Forschungsmittel wollte die Landesbauernschaft jedoch nicht zur Verfügung stellen, weshalb Matthes am 23. September 1936 bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft anfragte und das wissenschaftliche Programm seines Schülers skizzierte. Reinke plante, Forellensetzlinge in den Brackwassergebieten des Boddens auszusetzen, weil das Nahrungsangebot dort nicht vollständig ausgenutzt werde. Sein zweites Vorhaben betraf die Untersuchung der Bäche rund um Eldena, die mit Meerforellen, Ostseeschnäpeln und Hechten besetzt werden sollten. Es sei von außerordentlicher Bedeutung für die Binnenfischerei, führte Matthes aus, wenn das Aussetzen der Meerwasserforellen in Süßwassergebieten gelingen könnte. 1688 Vgl. UAG K 7. 1689 Vgl. Personalfragebogen, in: BA R 73/13894. 1690 Vgl. Beschwerde der Gristower Fischer 1861 über die Bestallung eines Fischereiaufsichtsbeamten, in: Sammlung sämtlicher Drucksachen des Herrenhauses, Journal Nr. 67, S. 18, auf Google E-Books.

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Diese Versuche sollten in den Teichen der Fischzuchtanstalt durchgeführt werden. Als letzte und eigentlich wichtigste wissenschaftliche Punkte benannte Matthes die Ermittlung der optimalen Brütungstemperatur von Fischeiern und den Einfluss des Alters von Laich auf die Lebensfähigkeit von Jungtieren. Er bitte daher, den Antrag für ein Forschungsstipendium zu genehmigen, im Übrigen habe Herr Reinke seine Pläne dem zuständigen Referenten der DFG bereits mündlich vorgetragen. Obwohl Matthes wegen seiner jüdischen Ehefrau im Wissenschaftsministerium bereits als nicht mehr tragbar galt, befürwortete das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft den Antrag. Die „heruntergewirtschaftete“ Fischzuchtanstalt solle von der Universität als Eigner „in Ordnung“ gebracht werden, und sie müsse auch die Sachkosten tragen. Aber insgesamt ordne sich das Vorhaben in ein Gesamtkonzept ein, das den Besatz der Ostseeküste mit Meerforellen zum Ziel habe. Das Stipendium für Reinke könne daher „mehr als rein wissenschaftlichen Wert“ besitzen. Von der DFG bewilligt wurden schließlich 150 Mark monatlich. Da das Stipendium jedoch befristet war, nahm Reinke wenig später eine Festanstellung bei der Landesbauernschaft in Pommern an und wechselte noch vor Kriegsende zur Landesbauernschaft Weser-Ems.1691 Für die Fischzuchtanstalt war damit wenig gewonnen, zumal der Nachfolger von Matthes auf dem Lehrstuhl für Zoologie für Fische keinerlei Interesse zeigte, sondern sich als ausgewiesener Biochemiker für den Exkretstoffwechsel interessierte. Diese Forschungen betrafen zwar Haie und Rochen ebenso wie Krebse, ein genuines Interesse an ernährungswirtschaftlichen Fragen hatte Curt Heidermanns jedoch nicht.1692 Dekan Metzner betrieb daher die Zuweisung von Paul Friedrich Meyer nach Greifswald. Dieser hatte sich 1942 in Berlin habilitiert, und die Habilitationsschrift passte tatsächlich perfekt zu dem noch vagen Greifswalder Profil. In der Arbeit untersuchte er den erstaunlichen Aufschwung der Ostseefischerei seit 1933. Er führte das einerseits auf den Einsatz von neuartigen Fangmethoden mit sogenannten Tuckzeesen, einem Netz, das auf Grund geschleppt wurde, zurück, andererseits auf den verstärkten Fang und die Verwertung des Herings. Die Erträge beim Hering nahmen dadurch ab 1932 zu, der Fang von Plattfischen (etwa der Scholle) war aber wenige Jahre vorher zusammengebrochen. Meyer forschte nun nach der „biologischen Resistenz“ der Nutzfischbestände, zum Beispiel dem Dorsch, und kam zu folgendem Schluss: „Eine Gefahr für den Nachwuchs dieser Nutzfische besteht von Seiten der Tuckzeesenfischerei nicht.“ Nachgewiesen sei keine Gefahr für den Hering, im Hinblick auf den Sprott aber durchaus gegeben. Meyer untermauerte das durch 350 Analysen, bei denen 140.000 Heringe und 40.000 Sprotten untersucht wurden.1693 1691 Vgl. BA R 73/13894. 1692 Vgl. BA R 73/11554. 1693 Vgl. Meyer, Paul Friedrich: Die Zeesenfischerei auf Hering und Sprott ihre Entwicklung und

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

Die dazu notwendigen Hilfskräfte und Geräte finanzierte die Deutsche Forschungsgemeinschaft, von der Meyers Institut innerhalb weniger Jahre 24.300 Mark erhielt, eine recht hohe Fördersumme, wenn auch nicht ungewöhnlich für Projekte der Ernährungswirtschaft.1694 Insgesamt empfahl Meyer die Verringerung der Schleppzeiten, die Verbesserung der Netze, ein besseres Sortieren der Fänge an Bord und das völlige Abbrechen des Fangs auf Plätzen, die keine Erträge mehr versprachen. Die Forderung nach besseren Kühlräumen und dem gefrorenen Transport ins Binnenland vervollständigten einen Katalog, dem auch heute jeder EU-Beamte zustimmen würde.1695 Außerordentlich kritisch sprach Meyer das Problem des Beifangs an, plädierte aber trotzdem für ein Weiter-so. Im Schlusswort seiner Habilitationsschrift entwertete er seine eigenen Erkenntnisse mit der Bemerkung, dass die Nutzfischbestände der Ostsee eben einem „sehr starken Wechsel“ unterworfen seien. Die Nutzung von Schleppnetzen habe den „Niedergang der Plattfischerei“ aufgehalten und „ohne Schädigung“ in neue Bahnen gelenkt. Man werde abwarten, ob diese Fischerei „auch in Zukunft“ günstige Voraussetzungen finden werde.1696 Ab 1939 baute Meyer in Swinemünde ein Institut für Ostseefischerei auf, dem kurze Zeit später eine „Zentralstelle für kriegswirtschaftliche Untersuchungen auf dem Fischereigebiet“ angegliedert wurde. Ab 1940 leitete Meyer das ehemals polnische Meeresbiologische Institut in Gotenhafen (Gdingen), das er in die deutsche Forschung integrierte. Mit Unterstützung des Reichsnährstands der Provinz Pommern baute Meyer die Versuchs- und Lehranstalt für Fischzucht in Eldena aus, wofür er die Unterstützung der Philosophischen Fakultät gewann und in deren Tätigkeit er auch den Spezialisten für Brackwasserfauna Rudolf Seifert einband.1697

5.16 Festkörper- und Gasphysik 5.16.1 Mineralogie: Wolframdraht und Kristallzüchtung

Die Umprofilierung der klassischen Mineralogie zur modernen Werkstoffforschung ist in Greifswald mit dem Namen Rudolf Groß verbunden. Groß, 1888 als Sohn eines Baumeisters in Gaustadt bei Bamberg geboren, hatte in Jena und Rostock Bedeutung für die Ostseefischerei und ihre Auswirkungen auf den Blankfischbestand der Ostsee, Sonderdruck aus: Zeitschrift für Fischerei, Bd. XL, Heft 4–5, S. 642. 1694 Vgl. BA R 73/13134 und 13135. 1695 Vgl. Meyer, Zessenfischerei, S. 646. 1696 Vgl. ebd., S. 648. 1697 Vgl. UAG PA 259 Seifert.

5.16 Festkörper- und Gasphysik

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Naturwissenschaften, besonders Geologie, Mineralogie und Physik studiert. 1913 promovierte er in Rostock mit einer geologischen Studie zur Entstehung des Warnowtals. Im selben Jahr erhielt er eine Assistentenstelle am Mineralogisch-Geologischen Institut der Universität Leipzig. Im Herbst 1914 zum Kriegsdienst eingezogen, wurde Groß im Februar 1915 verschüttet und wurde als kriegsbeschädigt entlassen. Zum Sommersemester 1918 wechselte Groß an die Universität Greifswald, wo er sich im selben Jahr habilitierte. 1919 erhielt Groß eine außerordentliche Professur an der Universität Hamburg. Dort nahm er Kontakt mit der Studiengesellschaft für elektrische Beleuchtung (Osram-Gesellschaft) auf und forschte in deren Auftrag an hochschmelzenden Metallen. Als Groß 1922 nach Greifswald auf eine ordentliche Professur berufen wurde, hielt er den Kontakt aufrecht. Im Auftrag von Osram untersuchte Groß vor allem Wolframdraht und erstattete Gutachten für die Erteilung von Patenten verschiedener Drähte, die in Glühlampen Verwendung finden sollten. 1698 Groß finanzierte mit dem Geld der Osram-Gesellschaft einen außerplanmäßigen Assistenten, der sich weiterbildete, Experimente unter seiner Aufsicht vornahm und dann nach ein, zwei Jahren in die Industrie wechselte. Kofinanziert wurden die Forschungen von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, die Geräte und Sachmittel zur Verfügung stellte. 1932 stellte Osram die Förderung allerdings ein.1699 Institutsdirektor Groß betrieb seine Forschungen an dem Metall Wolfram jedoch weiter. 1935 beantragte er für röntgenographische Untersuchungen von Metallgittern Mittel für den Kauf eines Goniometers im Wert von ca. 1500 Mark. Die DFG fragte zurück, welche Geräte sich das Institut bereits ausgeliehen hatte. Es handelte sich um mehrere Röhren, die Licht unterschiedlicher Wellenlänge aussandten, zwei Spektrographen und zwei Mikroskope. Den Wunsch nach dem Gerät begründete Groß damit, dass er Kobalt-Kohlenstoff-Wolfram-Verbindungen und ihr Verhältnis zum Element Eisen untersuchen wolle. Diese Kenntnisse hätten Bedeutung für die „wirtschaftlich wichtig gewordenen Hartmetalle“.1700 Tatsächlich gehört Wolframstahl zu den wichtigsten Werkzeugstählen, die von Krupp entwickelte Marke Widia besteht aus Wolframcarbid und Kobalt.1701 Schriftwechsel mit Krupp konnte in den Unterlagen des Mineralogischen Instituts bisher nicht aufgefunden werden. Die anwendungsbezogene Grundlagenforschung zu den Wolframdrähten nahm Groß Mitte der dreißiger Jahre wieder auf. Das für Osram nicht erklärbare Problem, für das er konsultiert wurde, war das Temperaturverhalten des Glühdrahtes von Leuchtmitteln. Der kaltgezogene 1698 Vgl. Mineralogisch-Petrographisches Institut, Konvolut Wolfram; zur Biographie vgl. UAG PA 218 Groß, BA R 4901/13264 Karteikarte Gross, Rudolf. 1699 Vgl. UAG PA 218 Groß. 1700 Vgl. BA R 73/11335. 1701 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Widia, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

Draht wurde beim Erhitzen weich, bei hoher Temperatur allerdings wieder hart und spröde, beim Abkühlen war dasselbe Phänomen zu beobachten. Erklärbar war das mit herkömmlichen Methoden nicht, weshalb Groß unzählige Versuche unter den verschiedensten Laborbedingungen vornahm. Ihm gelang es, die Kristallbildung innerhalb der Drähte nachzuvollziehen, ob das Problem des Verschleißes damit einer Lösung näherkam, ist nicht bekannt. Osram hielt diese Forschungen für kriegswichtig und sorgte dafür, dass Groß seine Forschungen ungestört weiter fortsetzen konnte. Ihm wurde vom Reichsamt für Wirtschaftsausbau die Nummer 1731 zugeteilt, noch 1944 wurde sie in der Kartei des Forschungsrates als „kriegswichtig“ geführt. Der Auftrag galt aber weder als „geheim“ noch als „dringlich“.1702 Besondere Aufmerksamkeit richtete der Reichsforschungsrat jedoch auf eine Innovation, die Groß und seine Frau Nora Anfang der vierziger Jahre gelang: die zielgerichtete Züchtung von Monokristallen, die homogene Eigenschaften innerhalb des Materials aufwiesen. Als Substanz wählte Groß das Material Zinkoxid, weil es auf Grund seiner idealen Kristallstruktur als Modell dienen konnte, andererseits aber auch über Eigenschaften verfügte, die auf die Kriegswichtigkeit hinwiesen.1703 Die „Züchtung von Zinkoxydeinkristallen in Pfenniggröße“ wurde wegen der Möglichkeit zur Herstellung von piezoelektrischen Kristallen gefördert. Piezoelektrische Kristalle können durch Verformung bestimmte Reaktionen bewirken, etwa einen elektrischen Impuls, der in der Lage ist, die Detonation von Sprengstoffen auszulösen. Groß und seine Frau widmeten sich der Erforschung neuartiger Schmelzverfahren zur Gewinnung solcher Kristalle, was innovativ war, weil solche Strukturen üblicherweise durch Druck hergestellt werden.1704 Als Bombenzünder gewannen piezoelektrische Materialien erst nach dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung. Auch für die praktische Einsetzbarkeit von Zinkoxid in der Halbleitertechnik bedurfte es noch mehrerer Jahrzehnte. 5.16.2 Das Institut für Physik als Rüstungsbetrieb

Das Institut für Physik wurde als einziges Institut der Universität zum Rüstungsbetrieb erklärt. Dem Kriegstagebuch der Rüstungsinspektion ist jedoch nicht zu entnehmen, welchen Charakter diese Forschungen trugen.1705 Es steht jedoch fest, dass 1702 Vgl. UAG K 890, Bl. 193; Mineralogisch-Petrographisches Institut, Konvolut Wolfram. 1703 Vgl. Mineralogisch-Petrographisches Institut, Laborberichte Nr. 112. 1704 Das Vorhaben erhielt die Förderung in der Sonderstufe (Nr. s-4891-5187 (141/11) – III/43. Vgl. Mineralogisch-Petrographisches Institut Ordner Briefwechsel 1944–1947; UAG K 890, Bl. 193. 1705 Die Rüstungsinspektionen der Wehrkreise wurden 1942 eingerichtet. Vgl. BA-MA RW 20/2 Bd. 1–14; RGVA Fond 1458 Opis 49 Delo 5.

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Institutsleiter Rudolf Seeliger seine ohnehin laufenden Forschungen an Hochstrombögen im Auftrag der Luftwaffe fortsetzte. Der Forschungsauftrag ist in der 1943 erstellten Kartei des Reichsforschungsrats erfasst.1706 Diese Arbeiten waren als „Sonderstufe“ eingeordnet; bis zur Einführung der Stufe DE am 21. Juli 1942 – die für Seeligers Forschungen nicht vergeben wurde – galt die Sonderstufe SS als höchste Priorität bei Rüstungs- oder Forschungsaufträgen.1707 Seeliger führte im Auftrag des Luftfahrtministeriums Berlin auch Dienstreisen nach München und Graz durch, möglicherweise wurde er zu Konsultationen herangezogen.1708 Im Mai 1944 schlug Seeliger den Mechaniker Karl Schulze und die Sekretärin Luise Timm für das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse vor, die Gruppe Luftwaffe beim Rüstungskommando Stettin befürwortete den Antrag.1709 Verliehen wurde es nicht. Die Wehrphysik wurde 1942 auch im Haushalt verankert, indem eine eigenständige Abteilung für Angewandte Physik und Wehrphysik geschaffen wurde.1710 Die Leitung wurde dem langjährigen Assistenten Otto Reinkober übertragen, der sich mit zwei Forschungskomplexen gründlicher auseinandergesetzt hatte, der Festigkeit von Substanzen und der Entstehung von Spektren im ultraroten (infraroten) Licht. 1932 hatte Reinkober eine Studie über die Festigkeitseigenschaften dünner Quarzfäden publiziert.1711 Während des Zweiten Weltkriegs forschte er zur Zerreißfestigkeit dünner Schellackfäden und führte Festigkeitsuntersuchungen an Kunststoffen durch. Diese Arbeiten wurden nicht publiziert, ob sie militärisch relevant waren, ist unklar.1712 Forschungen zur Ultrarotspektroskopie hatten jedoch für die Entwicklung von Nachtsichtgeräten eine maßgebliche militärische Bedeutung. Die erste Generation der in den vierziger Jahren entwickelten Nachtsichtgeräte benötigte zur Erzeugung von Bildern einen aktiven Strahl im ultraroten Spektrum. Mit diesem nichtsichtbaren Lichtstrahl wurden die Objekte „angeleuchtet“, das Gerät übersetzte das reflektierte „Licht“ dann zu einem sichtbaren Bild.1713 Reinkober galt auf dem Gebiet als Ex1706 Auftrag Nr. SS-4602-6133-1204/43, vgl. UAG K 543, Bl. 158; BA R 26/III/5 Bl. 10. 1707 Vgl. RGVA Fond 1458 Opis 49 Delo 5. 1708 Vgl. UAG PA 256 Seeliger, Bd. 1, Bl. 144. Die Aufnahme von Edelgasen durch Metalle in: Naturwissenschaften 30, 1942, S. 461–468; Pflug, Horst und Rudolf Seeliger: Untersuchungen über den Werkstoffübergang im Schweißbogen, Wiss. Veröffentlichungen der Siemens-Werke 20, 1941, Nr. 1, S. 171–185. 1709 Vgl. UAG K Nr. 791, Bl. 318. 1710 Vgl. UAG K 543, Bl. 32 und 35. 1711 Vgl. Reinkober, Otto: Die Zerreißfestigkeit dünner Quarzfäden, in: Physikalische Zeitschrift, 32. Jg., 1931, S. 243–250; Reinkober, Otto: Festigkeitseigenschaften dünner Quarzfäden, Physikalische Zeitschrift, 33. Jg., 1932, S. 32–37. 1712 Vgl. UAG R 319. 1713 Vgl. Jahn, Karsten: „Uhu“ und „Falke“. Die Entwicklung von Nachtsichtgeräten für die Pan-

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

perte, weil er einen „Registrierapparat“ für die Lichtstrahlung dieses nichtsichtbaren Spektralbereichs entwickelt hatte.1714 Bereits seine Dissertation hatte er über die Absorption und Reflexion ultraroter Strahlen durch Quarz, Turmalin und Diamant geschrieben. Seine Habilitationsschrift behandelte die ultraroten Eigenfrequenzen von Ammoniumsalzen und deren Temperaturabhängigkeit.1715 1935 betreute er die Dissertation von Siegfried Fahrentholz über Das Absorptionsspektrum von Lithiumfluorid im kurzwelligen Ultrarot und seine Temperaturabhängigkeit.1716 Die von Reinkober während des Zweiten Weltkriegs bearbeiteten Forschungsprojekte hatten eindeutig einen militärischen Hintergrund. Er befasste sich mit den Ultrarotspektren von organischen Substanzen. Die Arbeiten zu diesem Thema waren als „zur Zeit nicht zu veröffentlichen“ eingestuft.1717 Der Nachfolgeauftrag betraf 1943 Emissions- und Adsorptionsspektren im Wasserdampf. Der Hintergrund solcher Forschungen ist offensichtlich. Mit der Bestimmung konkreter Spektren des Wasserdampfs – oder eines Nebels – konnten diese Informationen aus dem Bild „herausgerechnet“ werden.1718 Für die Marine war das eine faszinierende Perspektive, insgesamt aber wohl Zukunftsmusik. Es muss daher bezweifelt werden, dass Reinkober mit dem Heereswaffenamt bei der Entwicklung von Nachtsichtgeräten eng zusammenarbeitete. Die Abbildung differenzierter Strukturen, etwa die Unterscheidung von Menschen im Gebüsch, war von einer technischen Realisierbarkeit noch weit entfernt. Auch die Fähigkeit, Nebel durch Infrarotstrahlung zu entschleiern, war damals eine rudimentäre Hoffnung.1719 Die Frage der Strahlung beschäftigte auch Rudolf Schulze, Abteilungsleiter im Marineobservatorium. Der Ingenieur promovierte 1932 mit einer Dissertation über Optische und lichtelektrische Untersuchungen an dünnen Metallschichten, danach arbeitete er als Stipendiat der Notgemeinschaft am Institut für Strahlenforschung der zertruppen durch das Waffenamt (Heer) der Deutschen Wehrmacht, in: Richter, Klaus Christian (Hg.): Panzergrenadiere. Eine Truppengattung im Spiegel ihrer Geschichte, Munster/Örtze 2006, S. 202. 1714 Vgl. BA R 4901/13274, Karteikarte Reinkober. 1715 Vgl. Reinkober, Otto: Die Absorption und Reflexion ultraroter Strahlen durch Quarz, Turmalin und Diamant, Leipzig 1910; ders.: Ultrarote Eigenfrequenzen von Ammoniumsalzen und ihre Temperaturanhängigkeit, Habil. TH Danzig 1920, in: Zeitschrift für Physik, 3. Jg., 1921, S. 1–8, 318–328 (Sonderdruck). 1716 Vgl. Fahrentholz, Siegfried: Das Absorptionsspektrum von Lithiumfluorid im kurzwelligen Ultrarot und seine Temperaturabhängigkeit, phil. Diss., Greifswald 1935. 1717 Vgl. UAG R 319. 1718 Vgl. BA R 26/III/15, Bl. 81. 1719 Zum Forschungsbereich Ultrarot vgl. Nagel, Günter: Wissenschaft für den Krieg. Die geheimen Arbeiten der Abteilung Forschung des Heereswaffenamtes, Stuttgart 2012; BA R 26/III/15, Bl. 81.

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Universität Berlin. Hier befasste er sich mit Dosimetrie und der Wirkung von ultravioletter Strahlung auf die Pigmentbildung. 1934 erhielt er dort eine Assistentenstelle. Im August 1939 wurde er zur Luftwaffennachrichtenabteilung einberufen, wechselte aber im Juli 1940 als Regierungsrat zur Kriegsmarine. 1941 wurde Schulze zum Leiter der Meteorologisch-Technischen Abteilung im Marineobservatorium befördert, wo er den Bau und die Entwicklung von kriegswichtigen Geräten, zum Beispiel Radiosonden und automatischen Wetterstationen, koordinierte. Außerdem entwickelte er Dosenbarometer für den Bordeinsatz und befasste sich mit dem Problem der Entnebelung von Schiffen. Ein weiteres Feld war die Verbesserung von U-Booten; Schulzes Abteilung beteiligte sich an der Entwicklung eines Bootsantriebs ohne Dieselmotor, der Verbesserung der Schnorchelfahrt und an der Verbesserung der Messtechnik in U-Booten. 1943 kam Schulze mit dem Stab seiner Abteilung nach Greifswald. Da die Universität einen Dozenten für die Physikausbildung der Mediziner benötigte, wurde Schulze umhabilitiert. Unter anderem las er hier Strahlenkunde. Das wichtigste Forschungsgebiet Schulzes war jedoch die Wettermessung in großen Höhen. Er erstellte fünf Berichte über den Einsatz der Radiosonde in Meteo­ rologie und Ballistik, für die sich auch die Heeresversuchsstelle in Peenemünde interessiert haben dürfte.1720 Im Marineobservatorium tätig war auch der Doktorand der TH Berlin Heinz Büsscher der sich mit „Übertragungsbedingungen auf akustischen Signalstrecken“ befasste. Büsscher legte 1941 in Greifswald die Doktorprüfung ab. Die Dissertationsschrift wurde für geheim erklärt und verblieb beim Oberkommando der Marine, wohin auch die Gutachten gesandt wurden.1721 Die Zusammenarbeit zwischen Universität und Marineobservatorium wurde nicht verstetigt, da die Forschungsfelder der beiden Institutionen unterschiedlich waren. Die Initiative für eine Zusammenarbeit ging dabei üblicherweise vom Marineobservatorium aus.1722 Der kurze Weg zum Marineobservatorium führte aber dazu, dass die Professoren der Universität gelegentlich auch informell zu Konsultationen herangezogen wurden. Karl Fredenhagen zum Beispiel wirkte daher an der Entwicklung von Batterien für die Radiosonden mit. Seiner Einsatzfreudigkeit sei es zu verdanken, dass deren Betriebssicherheit für artilleristische und aerologische Zwecke erhöht werden konnte, weshalb ihn der Leiter des Marineobservatoriums 1943 für das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse vorschlug. Fredenhagen habe damit einen „wichtigen und erkennbaren Beitrag für die militärische Kriegführung geleistet“.1723 1720 Vgl. UAG PA 262 Schulze; UAG R 164, Bl. 18. 1721 Vgl. UAG Phil. Diss. 1123 Büsscher. 1722 Vgl. Schmaltz, Florian: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie, Göttingen 2005, S. 326–355. 1723 Vgl. UAG K 791, Bl. 267. Wegen des militärischen Charakters wurden die Systeme national

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Im Hinblick auf die Integration der Physik in die Rüstungsforschung war zu fragen, ob die Greifswalder Theoretischen Physiker in die Programme zum Bau einer deutschen Atombombe integriert waren. Die Tatsache, dass sowohl Max Kohler als auch Theodor Schmidt nach 1945 von den Alliierten deportiert wurden, legt diese Vermutung nahe. Max Kohler wurde 1936 mit einer Arbeit zur Elektronentheorie der Metalle regulärer und irregulärer Kristallformen habilitiert. An der Universität Berlin wurde er zum Dozenten ernannt und erhielt einen Lehrauftrag, weil die Theoretische Physik in Berlin „z. Zt. Sehr schwach vertreten“ sei, wie der Leiter der Dozentenschaft urteilte.1724 An der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt forschte Kohler zum Verhalten von Metallen bei tiefsten Temperaturen, 1943 wurde er zum außerplanmäßigen Professor und Direktor des Seminars für Theoretische Physik an der Universität Greifswald berufen. Am 26. August 1939 war Kohler jedoch bereits als Regierungsrat auf Kriegszeit zur Luftwaffe eingezogen worden. Er war als Meteorologe auf Sizilien eingesetzt und trat erst Ende 1944 die ihm übertragene Stelle in Greifswald an.1725 Für Schmidt, der 1945 in die Sowjetunion verbracht wurde, kann die Frage bejaht werden. Schmidt hatte seine Studien nach der Dissertation und dem Staatsexamen für das höhere Lehramt in Leipzig bei Werner Heisenberg fortgesetzt. Ab 1934 arbeitete er am Institut für Sonnenphysik in Potsdam, wo ihm mit anderen die Feststellung gelang, dass Atomkerne nicht kugelsymmetrisch aufgebaut sind.1726 1937 wechselte Schmidt nach Greifswald wo er sich mit der Schrift Die magnetischen Momente von 151/63 Eu, 153/63 Eu, 185/75 Re, 79/35 Br, 81/35 Br für Theoretische Physik habilitierte. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhielt Schmidt 12.000 Mark für Geräte zur Untersuchung von Atomkernen. Im Mittelpunkt sollten dabei die Elemente Jod und Rubidium stehen. 1939 legte er einen Zwischenbericht vor, in dem er die entwickelt, so dass erst nach dem Zweiten Weltkrieg in der Schweiz Versuchsaufstiege mit den verschiedenen Sonden durchgeführt wurden, um Abweichungen festzustellen und die gemeinsame Kalibrierung zu ermöglichen. Vgl. Müller, Hans: Die internationalen Radiosonde-Vergleichsaufstiege in Payerne (Schweiz) vom 8.–30.V.1950, Mitteilungen des Deutschen Wetterdienstes in der US-Zone, o. O. 1951, S. 3. 1724 Vgl. BA R 4901/24006, Bl. 26. 1725 Die im Schriftverkehr angegebene Feldpostnummer konnte einem Flugplatz auf Sizilien zugeordnet werden. Es ist unklar, ob Kohler überhaupt nach Greifswald kam, denn nach 1945 arbeitete Kohler für Hubert Schardins ballistisches deutsch-französisches Forschungsinstitut in Frankreich. Vgl. BA R 4901/24006; Goenner, H. und R. Klein: Nachruf auf Max Kohler, in: Physikalische Blätter, 38. Jg., Nr. 9, 1982, S. 298 f. 1726 Schmidt und Hermann Schüler stellten 1935 fest, dass der Atomkern als Quadrupol aufgebaut ist, und beschrieben die Wechselwirkung mit der Elektronenhülle. Vgl. Simonsohn, Gerhard: Die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die Forschung, in: Hoffmann, Dieter und Mark Walker (Hg.): Physiker zwischen Autonomie und Anpassung, Weinheim 2007, S. 260.

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von ihm gemessenen Spektrallinien bei der Verdampfung von Jod genau beschrieb.1727 Dass er sich auch den beiden stabilen Europium-Isotopen zugewandt hatte, geht vermutlich auf Seeligers Einfluss zurück. Das Element wurde für Kathodenstrahlröhren und in Leuchtstofflampen benutzt, was zum industriellen Forschungsprogramm des Instituts passte. Im August 1939 wurde Schmidt eingezogen, vorübergehend uk. gestellt und Ende 1940 erneut eingezogen. Seinen Kriegsdienst leistete er als Unteroffizier im Instandsetzungsstab für Funkmessgeräte in Halle (Saale). 1942 wurde Schmidt an das Amt für physikalische Sonderfragen der Reichspost in Mirsdorf über Zeuthen bei Berlin überstellt. Dort befand sich das Zyklotron Manfred von Ardennes.1728 Im März 1945 war er wieder in Greifswald und forschte in dem Projekt „Optische Untersuchungen an der Anodenflamme von Hochstrombögen“.1729 5.16.3 Rudolf Seeligers Forschungen zum Hochstrombogen und zur Plasmaphysik

Seeliger beschäftigte sich mit der Physik elektrisch geladener Gase. Da der Transport der Elektrizität an Ladungsträger geknüpft ist, verändern sich die Eigenschaften des Gases mit der Dichte und den Eigenschaften der Ladungsträger. Diese Gase – seit den dreißiger Jahren Plasma genannt – reagieren auf Druck und Temperatur sehr unterschiedlich.1730 Die Forschung stand zu dieser Zeit noch am Anfang und wurde eigentlich nur im Labor der Siemens-Schuckert-Werke in Berlin betrieben. Da Rudolf Seeliger mit dem Leiter der Abteilung Industrie bei Siemens, Rudolf Bingel, freundschaftlich verbunden war, konnte er von Siemens Drittmittel für dieses neue Forschungsgebiet einwerben. Im Gegenzug empfahl Seeliger seine besten Nachwuchskräfte bei Siemens, etwa Georg Mierdel, der sich 1928 in Greifswald mit einer Studie über den elektrischen Ringstrom habilitiert hatte.1731 Durch die Industriemittel standen Seeliger und seinen Mitarbeitern im Physikalischen Institut Vakuumpumpen und eine Hochspannungsmaschine zur Verfügung, wodurch Untersuchungen an Gasen in Röhren möglich wurden. Über lange Zeit war Seeliger der einzige Universitätsphysiker, der sich in Deutschland mit diesen Fragen befasste, teilte er der 1727 Vgl. BA R 73/14392, R 4901/23569 PA Schmidt. 1728 Vgl. UAG K 731. Die Akten Reichsforschungsrat R 78/10089 und 10090 zu Ardennes Zyklotron fehlen. Aus dem Kontext geht hervor, dass Schmidt spätestens ab 1944 für Ardenne arbeitete. In der russischen Literatur zur sowjetischen Atombombe fand sich kein Eintrag über Theodor Schmidt. 1729 Vgl. BA R 73/14693. 1730 Vgl. Seeliger, Rudolf: Einführung in die Physik der Gasentladungen, Leipzig 1934; Schallreuter, Walter unter Mitwirkung von Rudolf Seeliger: Grimsehl. Lehrbuch der Physik, Bd. 2: Elektromagnetisches Feld, Leipzig 1951. 1731 Vgl. Mierdel: Seeliger, in: Jugendobjekt, S. 75.

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Deutschen Forschungsgemeinschaft im Januar 1939 mit. Wegen der Wichtigkeit dieser Fragen bat er um die Zuweisung von 1100 Mark zur Beschaffung einer neuen Anlage. Der Antrag wurde abschlägig beschieden. Erst 1943, nach der Integration in die Rüstungswirtschaft, wurde für 6800 Mark ein neuer Hochfrequenzgenerator beschafft. Die Sonderanfertigung war teuer, weil sich der Generator von den üblichen Generatoren der Flakscheinwerfer unterschied.1732 Viele dieser Untersuchungen führten Seeliger und seine Mitarbeiter mit Unterstützung oder auch gemeinsam mit der Studiengesellschaft für elektrische Beleuchtung durch, die zum Osram-Konzern gehörte.1733 Gegenüber der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, später DFG, motivierte Seeliger die Forschungen auch mit dem Interesse der Industrie. Während man über die atomphysikalischen Elementarprozesse „theoretisch ziemlich gut informiert“ sei, schrieb er 1930 in einem Stipendienantrag für einen Nachwuchswissenschaftler, fehlten Erkenntnisse über „praktisch vorkommende Fälle fast vollständig“. Dieses Wissen sei aber für die „ökonomische Erzeugung von sichtbaren und unsichtbaren Strahlungen“, wie sie in der Lichttechnik, der Fotografie und in der Medizin Verwendung finden würden, „unerlässlich“. Der Antrag für Kurt Sommermeyer wurde unter der Bedingung bewilligt, dass sich Osram an den Kosten beteiligte.1734 Sommermeyer veröffentlichte in der Folgezeit einige Arbeiten über elektrische Ladungen in Edelgasen, seine Habilitationsschrift widmete sich dem Verhalten von Festkörpern, auf die ein Elektronen- oder Molekularstrahl gerichtet war.1735 Während des Zweiten Weltkriegs setzte Seeliger die Zusammenarbeit mit Osram fort. Auftraggeber war die Flakabteilung im Heereswaffenamt, die vor allem an leuchtstarken Scheinwerfern für die Flak Interesse hatte.1736 Das Licht dieser Scheinwerfer wurde zwischen zwei Elektroden aus Graphit in der Luft erzeugt.1737 Zwar war die Lichtausbeute erheblich, die Elektroden verschlissen jedoch rasch, weshalb sie häufig gewechselt werden mussten.1738 Die Forschung ging daher in zwei Richtungen. Zum einen wurde an der Verbesserung von Kathode und Anode gearbeitet. Zum anderen wurde versucht, die Lichterzeugung im Vakuum zu ermöglichen oder die Luft innerhalb des Leuchtmittels durch ein Gas zu ersetzen. Obwohl 1732 Vgl. Ba R 73/14693. 1733 Vgl. Alterthum, H., A. Lompe und R. Seeliger: Die Aufzehrung von Edelgasen in der elektrischen Entladung I, in: Zeitschrift für technische Physik, Jg. 17, Nr. 11, 1936, S. 407–412. 1734 Vgl. BA R 73/16522. 1735 Vgl. Sommermeyer, Kurt: Über den Stoß von Korpuskularstrahlen auf feste Körper, Sonderdruck in: UAG Phil./Math. Nat. Habil. Nr. 6. 1736 Vgl. UAG R 164, Bl. 71. 1737 Vgl. Abele, Johannes: Die Lichtbogenlampe, München 1995, S. 13–19. 1738 Vgl. Schuchtmann, Ernst: Der Dienstunterricht in der Flakartillerie. Ausgabe für den Flakscheinwerferkanonier, Berlin 1939.

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die Kohlebogenlampe technisch vervollkommnet werden konnte,1739 waren die physikalischen Grundlagen der Lichtentstehung weitgehend unbekannt. In Seeligers Institut wurde experimentell die Ausbreitung des Lichts in verschiedenen Gasen, etwa Helium, Argon und Neon, aber auch in Metalldämpfen von Quecksilber, Natrium, Kalium, Magnesium, Calzium, Zink und Aluminium untersucht. Auch dem Mechanismus des Bogenregimes waren mehrere Untersuchungen gewidmet, wobei auch der für die wirtschaftliche Anwendung entscheidende Materialverlust eine Rolle spielte. Darüber hinaus behandelten Seeliger und seine Mitarbeiter Fragen der elektrischen Gasreinigung oder die physikalischen Grundlagen des Werkstoffübergangs beim Schweißen mit Lichtbögen.1740 Ein Doktorand untersuchte experimentell verschiedene Theorien zur Entstehung von Glimmlicht.1741 Seeligers Assistent Walter Funk widmete sich vor allem den Fragen von Bogenentladungen bei niedriger Spannung. Die theoretisch angenommene Verteilung der Elektronen in diesen Bögen entspreche offenbar nicht den empirischen Befunden, seine Arbeiten sollten daher „rein experimenteller Art sein“, schrieb Seeliger 1937 in einem Stipendienantrag, und endlich „eine feste und zuverlässige Grundlage für theoretische Betrachtungen liefern“. Da ein Gutachter die Problemstellung ebenso sah, bewilligte die DFG das Stipendium.1742 Die dann folgende Einordnung des Instituts in die wehrphysikalische Forschung ging auf die Initiative Rudolf Seeligers zurück. Im Oktober und November 1939 schlug er der Deutschen Forschungsgemeinschaft dafür zwei Themen vor: die Behandlung fester Stoffe durch hochfrequente elektrische Wechselfelder und die Aufzehrung von Gasen in Entladungsröhren. Seine Ziele waren die Unabkömmlichstellung seines Assistenten Walter Funk und die Vergabe eines Forschungsstipendiums an einen geeigneten Nachwuchswissenschaftler. Inhaltlich gab Seeliger zu bedenken, dass die Trocknung fester Stoffe durch hochfrequente Wechselfelder zum Beispiel bei Holz oder Tabak bereits von der Industrie erprobt worden sei. Die eigentlichen physikalischen Vorgänge seien bisher noch nicht untersucht. Daher könne von einem planvollen Herangehen an dieses Problem nicht die Rede sein. Beim zweiten Thema skizzierte Seeliger zwei gangbare Wege. Die Gasaufzehrung scheine von der Oberflächenbeschaffenheit der Elektroden abzuhängen, wenn auch die ideale Beschaffenheit noch unbekannt sei. Fachspartenleiter Abraham Esau lehnte den ersten Vorschlag rundheraus ab, er sei von der Industrie bereits vielfach untersucht und verworfen 1739 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kohlebogenlampe, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 1740 Vgl. Rudolf Seeliger – 12.11.1886 – 20.01.1965, in: Jugendobjekt, S. 41–45. 1741 Vgl. Wolter, Eduard: Systematische experimentelle Untersuchungen an Hohlkathoden und Ergänzung der bereits bekannten theoretischen Überlegungen über den Mechanismus der Hohlkathodenwirkung, phil. Diss., Greifswald, Sonderdruck in Phil. Diss. II Nr. 1036. 1742 Vgl. BA R 73/11154.

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worden. Die Reduzierung der Gasaufzehrung in Entladungsröhren erschien Esau jedoch vielversprechend. Es sei von Vorteil, wenn es gelingen könnte, geeignete Oberflächen von Elektroden herzustellen, die Gase nicht mehr „aufzehrten“. Seeliger sei „zweifellos für derartige Untersuchungen der geeignete Mann“, und es möge veranlasst werden, ihm die nötigen Mittel zuzuweisen.1743 Im April 1940 wurde das Thema „Gasaufzehrung in Entladungsröhren“ vom zuständigen Fachspartenleiter im Reichsforschungsrat genehmigt und in die Dringlichkeitsstufe 1 a bzw. Sonderstufe eingeordnet.1744 Weiterer Haushaltsmittel bedürfe das Institut nicht, wie Seeliger der Deutschen Forschungsgesellschaft mitteilte, aber er bitte um ein Stipendium für einen Doktoranden.1745 Im November 1940 erneuerte Seeliger den Antrag für eine Hilfskraft, weil sein Assistent eingezogen und er mit „Wehrmachtsarbeiten außerordentlich in Anspruch“ genommen sei.1746 Die Folgezeit war von einem ständigen Wechsel der Assistenten und Hilfskräfte geprägt, zum Teil wurden sie von Seeliger gekündigt, andere wurden eingezogen.1747 Länger im Institut blieben nur Ernst Rohloff und Wilhelm Bartholomeyczyk. Da Seeliger die Ergebnisse für wichtig hielt, suchte er beim Reichsforschungsrat um die Genehmigung zur Publikation nach, „selbstverständlich“ wolle er nur „die rein physikalische bzw. theoretische Seite der Angelegenheit“ publizieren und „alle Angaben vermeiden, aus denen für die Praxis Folgerungen gezogen werden können“.1748 Der Aufsatz Über das Eindringen von Edelgasen in Metalle erschien noch 1941 in der Zeitschrift für Physik.1749 Ein Doktorand untersuchte den Verbleib von Neonatomen bei der Glimmentladung und die Diffusion des Gases im Eisen.1750 Das Thema der Getterung von Edelgasen behandelte Seeliger 1944 noch einmal.1751 In Röhren eingebrachte chemische Verbindungen konnten verhindern, dass sich die Gase, mit denen sie befüllt waren, an die Elektroden anlagerten. Erst nach dem 1743 Vgl. BA R 73/14693. 1744 In der Akte wurden I A und 1 a synonym benutzt. Vgl. BA R 73/14693; BDC DS Seeliger, Bl. 434–446. 1745 Vgl. UAG Phil. Diss. II Nr. 1134. 1746 Vgl. BA R 73/14693. 1747 Vgl. UAG K 545. 1748 Vgl. BA R 73/14693. 1749 Vgl. Seeliger, Rudolf, Wilhelm Bartholomeyczyk und Walter Funk: Über das Eindringen von Edelgasen in Metalle, in: Zeitschrift für Physik 117, 1941, S. 651–659. 1750 Vgl. Lumpe, Wilhelm: Der Verbleib von Neon bei der Aufzehrung in einer Glimmentladung und seine Diffusion in Eisen, phil. Diss., Greifswald 1944, in: UAG Phil. Diss. II Nr. 1134; UAG PA 2745 Lumpe. 1751 Seeliger, Rudolf und Renate Gambarana: Über die Getterung von Edelgasen, in: Physikalische Zeitschrift, Nr. 45, 1944, S. 146 ff.

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Krieg publizierte Seeliger die Erkenntnisse über die Abhängigkeit der Gase von der Beschaffenheit der Oberflächen der Elektroden.1752 Bereits 1943 publiziert wurde die Habilitationsschrift von Wilhelm Bartholomeyczyk Über die Aufzehrung von Edelgasen in Hohlkathoden und die damit verbundenen Vorgänge. In der Studie untersuchte er den Zusammenhang zwischen dem Abschmelzen der Kathode und den in sie eindringenden Gasatomen. Dabei wies Bartholomeyczyk die Abhängigkeit des Phänomens vom Druck nach. Außerdem vollzog sich der Prozess in Abhängigkeit von der Homogenität der Kathode.1753Eine Studie über die Die kontinuierliche Strahlung der Quecksilber-Hochdruckentladung nutzte Fritz Rössler, unterstützt von Seeliger, 1943 zur Habilitation. Rössler leitete die Forschungsgruppe bei Osram, die sich mit Gasentladungen befasste. 1939 war er zum Wetterdienst eingezogen worden und wurde zum Marineobservatorium versetzt, wo er Fragen der Strahlungsphysik bearbeitete. Die Studie war experimentell angelegt und untersuchte Energieniveaus der Stoß­moleküle.1754 1943 promovierte der Lehrer Fromund Franzmeyer aus Stralsund mit einer Dissertation über die sogenannte Beckflamme. Es handelte sich dabei um einen Lichtbogen zwischen zwei Kohleelektroden, der seine besonders große Helligkeit dadurch erhielt, dass der Anode bestimmte Salze beigegeben waren. Franzmeyer erstellte in der Arbeit die ersten brauchbaren Abbildungen von Bogenflammen, außerdem gelang ihm die Steuerung des Lichtbogens durch ein Magnetfeld. Das Verfahren wurde zum Patent angemeldet.1755 Die theoretische Seite der Bildung von Anodenflammen, genauer den „Dampfstrahlen, die aus dem Anodenkrater hervorbrechen“, wurde von Ernst Rohloff untersucht. Rohloff wurde mit der geheim gehaltenen Schrift 1944 habilitiert. Rohloff bestimmte in der Arbeit auch die Temperatur innerhalb eines jeden Punktes der Flamme, woraus Seeliger dann ein mathematisches Modell über die Schrumpfung eines thermischen Plasmas entwickelte.1756 Seeliger stellte 1944 einen weiteren Forschungsantrag mit dem Titel „Optische Untersuchungen an der Anodenflamme von Hochstrombögen“. Bei den optischen Untersuchungen der Anodenflamme wurden auffällige Sprünge in der „Intensität von Linien, Banden und Kontinuum“ beobachtet. Das 1752 Vgl. Seeliger, Rudolf und Wilhelm Bartholomeyczyk: Die Abhängigkeit des normalen Kathodenfalls von der Oberflächenbeschaffenheit der Kathode I, in: Annalen der Physik, Bd. 1, Jg. 1947, S. 241–250. 1753 Sonderdruck aus: Annalen der Physik, Bd. 42, Heft 7 und 8, 1943, in: UAG MN Habil. Nr. 29. 1754 Vgl. UAG Phil. MN-Habil. Nr. 31. 1755 Die Abbildung zeigt eine Beckflamme in der Anodenflamme eines mit 2,2 Amp/qmm überlasteten Beckkohle-Lichtbogens. Vgl. phil. Diss. 1129, Bl. 46 f. (Abb. 47). 1756 Vgl. Rohloff, Ernst: Die Anodenflamme des Hochstromkohlebogens, MS, S. 56, in: UAG Phil/ MN-Habil. Nr. 316.

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Verständnis dieser Probleme sei „auch für die technische Anwendung in den Scheinwerferbögen“ fruchtbar zu machen. Ob diese Arbeit abgeschlossen wurde, ist unklar.1757 Der 1942 an die Universität Straßburg neu berufene Experimentalphysiker Wolfgang Finkelnburg zog das Forschungsthema des Kohlestrombogens bzw. Hochstrombogens mit großer Energie an sich. Er arbeitete wie Seeliger mit Siemens zusammen, versprach jedoch stärker anwendungsbezogene Ergebnisse. In seinen Forschungsanträgen formulierte er, dass es das Forschungsgebiet der Plasmaphysik, in dem Seeliger und seine Mitarbeiter seit Jahren tätig waren, noch gar nicht geben würde.1758 Im Reichsforschungsrat scheint es deshalb zu Auseinandersetzungen gekommen zu sein, möglicherweise auch mit Seeliger. Zwar hatte er gemeinsam mit einem Mitarbeiter eine Studie über den Werkstoffübergang in Schweißlichtbögen publiziert, ein weiterer Ausbau der anwendungsbezogenen Forschung schien von ihm aber nicht beabsichtigt.1759 Die technisch relevanten Fragen bearbeitete ab 1942 Finkelnburg. Als Seeliger trotzdem einen Antrag zur Untersuchung des γ-Effekts stellte, betonte er, dass im Hinblick auf die in Straßburg laufenden Untersuchungen über Hochstrombögen mit Finkelnburg „eine Abstimmung“ erfolgt sei. Aus Sicht der DFG war besonders die Hochtemperaturforschung in Gasen relevant, weshalb Seeligers Schwerpunkt erhalten bleiben müsse. Die Forschungen wurden dann mit der höchsten Dringlichkeitsstufe versehen, zugleich aber als „nicht geheim“ eingestuft, was für den Status „Grundlagenforschung“ spricht.1760 Nach Rücksprache mit dem Fachspartenleiter für Physik Walther Gerlach bearbeitete Seeliger nur noch zwei Forschungsaufträge. Er selbst konzentriere sich auf den γ-Effekt bei Gasen, der andere befasste sich mit der spektralphotometrischen Untersuchung der Hochstrombögen. Für diese hatte er den Dozenten Theodor Schmidt aus Manfred von Ardennes Forschungsstelle bei Berlin nach Greifswald zurückbeordern lassen. Die von Gerlach zugesagten Mittel in Höhe von 10.000 Mark werde er im Haushaltsjahr also nicht verbrauchen können, teilte Seeliger dem Reichsforschungsrat am 24. November 1944 mit. Er bat daher um die Reduzierung auf 4000 Mark.1761 Die Untersuchung der Spektren, die bei einem Lichtbogen in Abhängigkeit von Temperatur, Druck und der Zusammensetzung der Kathode auftraten, blieb unveröf1757 Vgl. BA R 73/14693. 1758 Vgl. Kant, Horst: Zur Geschichte der Physik an der Reichsuniversität Straßburg in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, Berlin 1997, S. 16. 1759 Vgl. Seeliger, Rudolf und H. Pflug: Untersuchungen über den Werkstoffübergang in Schweißlichtbögen, in: Wissenschaftliche Veröffentlichungen aus den Siemens-Werken, Bd. 20, 1941, S. 171–185; UAG R 319. 1760 Vgl. BA R 73/14693; R 26/III/12, Bl. 172. 1761 Vgl. R 73/14693. Was Seeliger mit dem Gamma-Effekt genau bezeichnete, konnte nicht ermittelt werden.

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fentlicht. Finkelnburg, der für die Westalliierten einen FIAT-Report über die „Elektrische Entladung in Gasen“ verfasste, vermutete eine Cer-Kohlenstoff-Verbindung (CeC₂).1762 Nach der Besetzung durch die sowjetische Armee wurde das Physikalische Institut geplündert, aber wenig später versiegelt. Da Rudolf Seeliger als unbelastet eingestuft wurde, erhielt er die Aufforderung, sich um einen Forschungsauftrag zu bewerben, um die Zeit bis zur Wiedereröffnung zu überbrücken. Da er das Institut nicht betreten konnte, widmete er sich anhand der Forschungsliteratur Problemen der Ionosphäre.1763 Nach intensiven Gesprächen mit sowjetischen Wissenschaftsoffizieren wurde das Institut in den militärischen Forschungskomplex der Roten Armee in der SBZ integriert. Bearbeitet werden sollten Aufgaben aus zwei Themenbereichen. Zum einen sollte das Institut mit dem Büro Gröttrup zusammenarbeiten, das die Raketenforschung in der SBZ koordinierte.1764 Die zweite Fragestellung betraf Arbeiten des lichttechnischen Büros des Volkskommissariats für Elektroindustrie. Als Honorar erhielt das Institut „wirtschaftliche Unterstützung, besonders die Lieferung von Kartoffeln, Rauchwaren und Kaffee zugesichert“.1765 Die Zusammenarbeit mit den sowjetischen Wissenschaftlern endete mit der Deportation Theodor Schmidts in die Sowjetunion 1947. Rudolf Seeliger wandte sich wieder der Plasmaphysik zu. Ursprünglich hatte Seeliger vorgehabt, die „Abhängigkeit der Elektronenauslösung aus Metallen von der Oberflächenbeschaffenheit“ zu untersuchen, weil seine Forschungen über den Kathodenfall ergeben hatten, „dass dieser und deshalb der Gamma-Effekt von der Oberflächenbeschaffenheit der Kathode abhängt“. Durch die Demontage von Geräten war das jedoch nicht möglich.1766 Er nahm daher Kontakt zu Robert Rompe bei der Zentralverwaltung für Volksbildung auf und erarbeitete mit ihm ein Konzept für ein Institut, das der Akademie der Wissenschaften angeschlossen werden sollte.1767

1762 Vgl. Finkelnburg, Wolfgang: Elektrische Entladung in Gasen, in: Kappler, Eugen (Hg.): Physik der Flüssigkeiten und Gase, Weinheim 1953, S. 245. 1763 Vgl. UAG PA 256 Seeliger, Bd. 6, Bl. 31. 1764 Vgl. UAG PA 256 Seeliger, Bd. 6, Bl. 83; Uhl, Matthias: Stalins V 2. Der Technologietransfer der deutschen Fernlenkwaffentechnik in die UdSSR und der Aufbau der sowjetischen Raketenindustrie 1945, Bonn 2001. 1765 Vgl. UAG PA 256 Seeliger, Bd. 6, Bl. 83. Die Aktivitäten des sowjetischen Ministeriums für Elektrotechnik in der SBZ wurden noch nicht untersucht. 1766 Vgl. UAG PA 256 Seeliger, Bd. 6, Bl. 31. 1767 Vgl. Schriftwechsel Institut für Plasmaphysik Greifswald, Archiv der BBAW.

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5.16.4 Physikalische Chemie

Die Forschungen zur Physikalischen Chemie im Chemischen Institut wurden wegen ihres „kriegswichtigen“ Charakters bis 1945 vom Reichsforschungsrat unterstützt. Dabei wurden zwei Problemkreise bearbeitet. Abteilungsleiter Karl Fredenhagen und seine Stipendiatin Ellen Lange, geborene Tramitz, forschten zur Chemie des Fluorwasserstoffs und zu Zweistoffsystemen. Beides war Grundlagenforschung, wobei die teuren Chemikalien von der IG Farben zur Verfügung gestellt wurden.1768 Über die Chemie von Fluorwasserstoffverbindungen war damals wenig bekannt, obwohl ihre praktische Nutzung in Kühlanlagen oder als Polymer (Teflon) bereits begonnen hatte.1769 Die Nutzung von Fluorwasserstoff in Form seiner wässrigen Lösung (Fluss­säure) zur Herstellung des Kampfstoffs Sarin war noch unbekannt, als Fredenhagen 1935 einen Antrag bei der DFG zur „Messung der Dipolmomente des Flusssäuredampfes in Abhängigkeit von Druck und Temperatur“ stellte.1770 Der Experimentalphysiker Siegfried Fahrentholtz, den Fredenhagen für das Projekt gewonnen hatte, wechselte bereits wenige Monate später zur Physikalisch-Technischen Reichsanstalt.1771 Später leitete er die Echolotabteilung der Kieler Rüstungsfirma Elac.1772 Ein zweiter Forschungsantrag zum Thema Fluor wurde 1939 von Fredenhagens Mitarbeiter Walter Rüdiger gestellt. Rüdiger untersuchte den Bau verholzter Zellmembranen und ihr Verhalten unter Einfluss von Fluorwasserstoff. Dabei interessierte ihn, warum bei der technisch üblichen Herauslösung von Zellulose aus Holz ein Skelett aus Lignin übrig blieb. Das Forschungsprojekt endete ohne Abschlussbericht.1773 Die Forschungsförderung zu den Zweistoffsystemen wurde 1940 beim Reichsforschungsrat mit einem bislang nicht geklärten Phänomen motiviert. Die Korrosionsbeständigkeit von Rohrleitungen war abhängig vom Dampfdruck der durchgeleiteten Gase einerseits und von der Metalllegierung andererseits. Tramitz erstellte daher 1768 Vgl. BA R 73/15241. 1769 Überlegungen zur Anwendung bei der Anreicherung von Uran (als Uranhexafluorid mit Hilfe von Zentrifugen) sind in den Akten des Reichsforschungsrats nicht nachweisbar. 1770 Vgl. Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 446. 1771 Siegfried Fahrentholtz, geboren 1911 in Schwerin, studierte in Wien und Greifswald Physik, reine und angewandte Mathematik und Chemie. Für seine Dissertation entwickelte er ein automatisches Registrierverfahren für kurz- und langwellige Wärmestrahlung. Seit April 1933 gehörte er der SS im Dienstgrad eines Rottenführers an. Nach dem Krieg schloss er mit dem Erfinder des Echolots einen Lizenzvertrag und gründete später eine eigene Firma, die Echolote zum Aufspüren von Fischschwärmen produzierte. Vgl. BA R 73/16703; Schimmler, Jörg: Alexander Behm. Erfinder des Echolots, Norderstedt 2013, S. 160. 1772 Vgl. ebd., S. 142. 1773 Vgl. BA R 73/14094.

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Diagramme mit Schmelzpunktkurven von flüssigen Gemischen und Erstarrungsdiagramme von Metalllegierungen. Peter Adolf Thiessen, der Nachfolger Janders als Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie und Gutachter des Reichsforschungsrats, war von der „Kriegs- und Staatswichtigkeit“ dieser Forschungen überzeugt und empfahl ihre Fortsetzung. Weitergeführt wurden die Forschungen dann allerdings auf dem Gebiet der Mischbarkeit bzw. Nichtmischbarkeit von Flüssigkeiten. Fredenhagen entwickelte daraus eine allgemeine Theorie der Mehrstoffsysteme, die bei Thiessen und anderen auf Widerspruch traf. Fredenhagen wurde daher von Thiessen am 13. Juni 1944 nachdrücklich aufgefordert, sich auf „experimentelle Begründungen“ zu beschränken. Die Fragestellung selbst sei „als solche wissenschaftlich und technisch gerade gegenwärtig sehr wichtig“. Der letzte bewilligte Forschungsantrag zum Thema datiert vom 5. April 1945.1774

5.17 Kampfstoffforschung 5.17.1 Die Habilitation von Rudolf Mentzel und die Berufung Gerhart Janders

Rudolf Mentzel hatte seit 1926 an der Universität Göttingen bei Gerhart Jander Fragen der chemischen Kriegführung bearbeitet und war mit diesem zum KaiserWilhelm-Institut für Physikalische Chemie in Berlin gewechselt. Mentzel, der bereits 1922 in die NSDAP eingetreten war und 1931 Kreisleiter in Göttingen wurde, strebte nach einer höheren Position im Wissenschaftsmanagement oder der Rüstungsforschung, wofür der Besitz des Grades Dr. habil. unverzichtbar war.1775 Seine Habilitationsschrift fasste die Untersuchungen, die er in Göttingen für die Reichswehr durchgeführt hatte, zusammen. Er hatte versucht, Gasmaskenfilter auf chemischem Weg unbrauchbar zu machen oder aber eine „Durchschlagung des Filters zu erreichen“. Die Versuche erschienen dem Gutachter Walter Hückel willkürlich aneinandergereiht und mit „verhältnismäßig primitiven Vorstellungen“ begründet, die der weiteren Forschung „keine klaren Richtlinien zu geben vermögen“.1776 Robert Fricke formulierte es positiver, immerhin seien die Versuche mit großem Fleiß und großer Arbeitskraft durchgeführt worden, wenn auch „von dem Gesichtspunkt der praktischen Verwendbarkeit“ geprägt. Aber er halte ihn für „sehr geeignet“, eine „Abteilung für angewandte Chemie mit besonderer Berücksichtigung des Luftschutzes“ zu leiten. Wenn Mentzel die Gelegenheit erhalte, mit anderen Forschungsabteilungen zusam1774 Vgl. BA R 73/15241. 1775 Vgl. BA R 4901/25065. 1776 Vgl. Phil./MN Habil. 2; Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 58.

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menzuarbeiten, an denen zum Beispiel sehr exakt Kolloidchemie betrieben werde, könnte er seine Untersuchungen „noch viel fruchtbringender gestalten als bisher“. Persönlich mache der Kandidat „den Eindruck eines zielbewussten tatkräftigen Charakters“. Die Philosophische Fakultät scheute sich daher nicht, die Arbeit anzunehmen. Dekan Fredenhagen befürwortete die Annahme, weil er in Mentzel ein „großes Organisationstalent“ erkannte und ihn für den „gegebenen Verbindungsmann zwischen Wissenschaft und Praxis“ hielt.1777 Diese wissenschaftsfremden Überlegungen legen nahe, dass die Fakultät eine für höhere Aufgaben geeignete „Persönlichkeit“ fördern wollte; dass „politischer Druck“ ausgeübt wurde, ist den Akten nicht zu entnehmen. Wenige Monate nach seiner Habilitierung, durch die er formell zum Lehrkörper der Universität Greifswald gehörte, wechselte Mentzel an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin. Dort befasste er sich weiterhin mit Kampfstofffragen, wobei er vom kommissarischen Direktor des Instituts Gerhart Jander unterstützt wurde.1778 Bis 1933 stand Fritz Haber dem Institut vor, der die Stelle wegen seiner jüdischen Abstammung verlor, woran auch seine Verdienste um die deutsche Rüstungswirtschaft und die Waffenproduktion nichts änderten.1779 Haber hatte im Ersten Weltkrieg zu den Protagonisten des Gaskriegs gehört, sein kommissarischer Nachfolger Jander hatte sich in Göttingen ebenfalls mit der Kampfstoffforschung befasst. Diese Forschungen waren auf Grund des Versailler Vertrages verboten, wurden jedoch, wie ähnliche Forschungen an anderen Instituten und Universitäten auch, von der Reichswehr unterstützt. Legitimiert wurden sie mit der Notwendigkeit des Gasschutzes. In der Praxis waren die Forschungen zu Gaskrieg und Gasschutz jedoch untrennbar miteinander verbunden. Jander gehörte seit 1929 zur „Kommission für chemische Fragen“, die von der Reichswehr 1923 als beratendes Organ ins Leben gerufen worden war.1780 In Göttingen hatte er sich auf zwei Fragestellungen konzentriert. Er suchte erstens nach fluorhaltigen Verbindungen, welche die Wirksamkeit bisheriger Kampfstoffe übertrafen.1781 Seine zweite Fragestellung war aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs abgeleitet. Damals hatte man mit dem sogenannten Buntschießen hohe Kampfergebnisse erzielt. Zuerst wurde „Blaukreuz“ 1777 Vgl. BA R 4901/25065. 1778 Vgl. Nagel, Wissenschaft für den Krieg, S. 375 f. 1779 Haber war Mitentwickler des Haber-Bosch-Verfahrens zur Gewinnung von Stickstoff aus der Luft, wodurch die deutsche Erzeugung von Sprengstoffen im Ersten Weltkrieg sichergestellt war. 1780 Vgl. Baader, Kampfstoffversuche, in: Virus, Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin, Heft 3, 2002, S. 12 und 15. 1781 Vgl. Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 50.

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geschossen, das Gasmasken durchdrang und bei den gegnerischen Soldaten Brechreiz verursachte.1782 Die warfen daraufhin die Gasmaske ab, woraufhin die Deutschen „Gelbkreuz“ verschossen, den eigentlichen Kampfstoff. Jander suchte daher nach Stoffen, die beim Passieren der Kohleschicht im Gasmaskenfilter selbst giftige Stoffe produzierten. Auch das gelang nicht. Daher konzentrierte sich Jander jetzt auf die Chemie der Aerosole selbst, wobei es ihm auf eine möglichst feine und gleichmäßige Verteilung des Nebels in der Atemluft ankam. Dazu entwickelte er Methoden zur Bestimmung „kleinster Mengen schädlicher Nebel oder Staube“, wie er in einem Antrag für Forschungsmittel der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft am 17. Januar 1935 schrieb. Dieses Thema erfolgte in „nach wie vor engster Zusammenarbeit mit den hierfür besonders interessierten Regierungsstellen“, betonte er im Mai 1935, als sein Antrag schleppend bearbeitet wurde.1783 Die Ursache für die schleppende Bearbeitung war vermutlich in einem Machtkampf um die Konzentration der Kampfstoffforschung begründet, die besonders von Mentzel vehement gefordert wurde. Dieses Vorhaben wurde von der Wehrmacht unterstützt, die ihre eigenen Arbeiten auf dem Gebiet der chemischen Kampfstoffe in einer Forschungsabteilung des Heereswaffenamts konzentrierte (Abteilung 9, abgekürzt WaPrüf 9). In der Zitadelle Spandau entstand ein „Gasschutzlaboratorium“, über dessen Tätigkeit nur wenig bekannt ist. Ein Standort im westfälischen Munster wurde für Feldversuche und Manöver eingerichtet („Raubkammer“). In diesen beiden Institutionen waren mehr als fünfhundert Wissenschaftler und Soldaten beschäftigt.1784 Obwohl Jander auf seinem Gebiet ausgewiesen war, trieb er den Ausbau der Kompetenzen offenbar nicht energisch genug voran. Die Wehrmacht entschied sich für Peter Adolf Thiessen, der bisher in Münster als Professor gelehrt hatte und später in der Sowjetunion und in der DDR Institute leitete.1785 An Janders wissenschaftlicher Qualifikation gab es nichts auszusetzen, immerhin hatte ihn Nobelpreisträger 1782 Laut Römpp (https://www.thieme.de/de/thieme-chemistry/roempp-54843.htm) verursacht Diphenylarsinchlorid ((H₅C₆)2As–Cl, C₁₂H₁₀AsCl), britischer Name Clark I, starke reiz­ erregende Wirkung auf die oberen Atemwege. Der Reizschwellenwert liegt bei 0,1 mg/m³ (1 min), die Erträglichkeitsgrenze 1 mg/m³ (1 min). Kurzzeitige Einwirkungen hinterlassen keine ernsthaften Schäden. Im Ersten Weltkrieg wurden von deutscher Seite dreitausend Tonnen Clark-Kampfstoffe hergestellt. In der Ausbringungsform als Aerosol durchschlugen Clark I und II (Diphenylarsincyanid) die Atemschutzmasken, wenn diese nicht über ein SchwebstoffFilterteil verfügten. 1783 Vgl. BA R 73/11929; R 4901/1815, Bl. 185 ff. 1784 Vgl. Groehler, Der lautlose Tod, S. 115; Neumann, Alexander: „Arzttum ist immer Kämpfertum“. Die Heeressanitätsinspektion und das Amt „Chef des Wermachtssanitätswesens“ im Zweiten Weltkrieg (1939–1945), Düsseldorf 2005, S. 277. 1785 Vgl. Nagel, Wissenschaft für den Krieg, S. 52, 375 ff.

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Adolf Windaus zum Abteilungsleiter befördert. Die organisatorischen Fähigkeiten, große Forschungsprojekte zu koordinieren und für die Wehrmacht nutzbar zu machen, wurden ihm allerdings abgesprochen.1786 Sowohl Jander als auch Mentzel wurden zum Stellungswechsel gezwungen. Letzterer erhielt einen Lehrstuhl für Wehrchemie an der Wehrtechnischen Fakultät der Technischen Hochschule Berlin.1787 Jander wurde kurzerhand nach Greifswald versetzt. Sein Forschungsantrag zur Analyse kleinster Kampfstoffmengen wurde nach einem persönlichen Gespräch mit DFG-Präsident Johannes Stark am 3. Juni 1935 genehmigt. Das Wort militärisch fiel in den Briefen an die DFG nicht. Außerdem erbat Jander Geld für Untersuchungen zur Hydrolyse der Salze mehrwertiger, sauerstoffhaltiger, schwacher, anorganischer Säuren und Basen. Diese Forschungen hätten das Interesse nicht nur deutscher Forscher erweckt, sondern auch in Amerika und England. Jander wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass die wertvollen Geräte des Chemischen Instituts von Robert Fricke mit nach Stuttgart genommen worden waren, aber ohnehin der Notgemeinschaft gehörten. Jander erhielt eine Kreditlinie von 11.700 Mark. Angeschafft wurden ein Spaltultramikroskop und ein Spektrometer, außerdem konnte er zahlreiche Geräte aus dem DFG-Pool ausleihen.1788 Gegenüber dem Wissenschaftsministerium machte Jander klar, dass es das Heereswaffenamt (Abteilung 9 Prüfwesen) „sehr begrüßen“ würde, wenn er die Verbindung „weiter aufrecht erhalte“. Er betonte aber auch, dass ihm das „Prinzip der Universitäten und Hochschulen, der Parallelismus von Lehre und Forschung“ mehr entspreche „als die Leitgedanken der reinen Forschungsinstitute“. Daher wolle er dem „Ruf der Greifswalder Universität“ gern Folge leisten.1789 Mit der Versetzung wurde auch das Greifswalder Institut umprofiliert. Robert Fricke ging an die TH Stuttgart, der parteilose Ordinarius Walter Hückel wurde an die TH Breslau versetzt, wohin er seinen Assistenten Otto Neunhoeffer mitnahm, der ebenfalls als politisch „unsicher“ galt.1790 Durch die Zusammenarbeit mit dem Heereswaffenamt und dem Forschungsgebiet der „quantitativen Bestimmung kleinster Nebel oder Stäube, die aus „arsenhaltigen Substanzen“ bestanden, wurde das Chemische Institut nicht zum Rüstungsbetrieb, forschte aber auf militärischem Gebiet.1791 Denn arsenhaltig war von den gebräuchlichen Kampfstoffen nur Blaukreuz, weshalb vermutet werden kann, dass er seine Arbeit an den „Maskenbrechern“ fortsetzte. Im 1786 Vgl. Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 46 ff., 86 ff. 1787 Vgl. Nagel, Wissenschaft für den Krieg, S. 175 f. 1788 Vgl. BA R 73/11929. 1789 Vgl. BA R 4901/23102, Bl. 6. 1790 Vgl. UAG R 2259, Bl. 8; BA R 4901/1815. 1791 Vgl. Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 91.

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Oktober 1939 erhielten seine Forschungen vom Oberkommando des Heeres die Klassifizierung als Sonderstufe SS und später DE, also die höchstmögliche Dringlichkeit.1792 Es ist auch nicht genauer bekannt, womit sich Janders Abteilungsleiter Wolfgang Langenbeck beschäftigte, der 1940 nach Dresden berufen wurde, wo er die Nachfolge von Wilhelm Steinkopf antrat, einem der Entwickler und Namensgeber für den Kampfstoff Lost. In seinem Forschungsantrag bei der DFG schrieb er von Untersuchungen zur Fettsynthese bzw. Synthese von Fettsäuren und betonte im Dezember 1939, dass diese als „kriegs- und staatswichtig anerkannt“ worden seien.1793 Dessen Nachfolger Arthur Lüttringhaus nahm mehrfach an Konferenzen zu Rüstungsprojekten teil, so 1942 an einer Expertentagung im Forschungskomplex „Ultrarot“, bei der Fragen von Nachtsichtgeräten und der Ortung feindlicher Objekte besprochen wurden. 1794 Da Jander körperbehindert war – er hatte eine Kinderlähmung überstanden und benötigte Krücken, um sich zu bewegen –, ist es möglich, dass er seine Mitarbeiter zu diesen Tagungen schickte, um auf dem neuesten Forschungsstand zu bleiben. Lüttringhaus selbst forschte im Auftrag des Reichsamts für Wirtschaftsausbau über Schmiermittel, Lackersatzstoffe und pflanzliche Seifen. Außerdem arbeitete er an der Verbesserung des Flotationsverfahrens zur Erzaufbereitung.1795 Bereits seit 1936 leitete er am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie eine Arbeitsgruppe, die sich, so der Eintrag in der Personalakte, mit „staatsnotwendigen Arbeiten“ befasste.1796 Unter Janders Leitung wurden im Chemischen Institut zwei weitere Chemiker habilitiert, die sich mit Kampfstofffragen befassten, Otto Rebmann und Karl Ernst Stumpf. Während Rebmann seine Forschungen in der Hautklinik durchführte, experimentierte Stumpf im Chemischen Institut und im Heereswaffenamt. Nach dem Abitur hatte Stumpf Naturwissenschaften, insbesondere Chemie an der Universität Berlin studiert. 1931 legte er das Verbandsexamen als Diplomchemiker ab und trat der NSDAP und der SA bei. Im April 1932 wurde Stumpf bei einem kommunistischen Übergriff auf dem Weg zum Chemischen Institut, wo er an seiner 1792 Der Antrag wurde von der Abteilung Gasschutz des Heereswaffenamtes (Wa Prüf. 9) gestellt und hatte das Aktenzeichen 130.097 Wa Prüf 9 (Va) Nr. 5861/39g. Weder Schmaltz noch Nagel konnten Genaueres in Erfahrung bringen. Die Familie ist nicht im Besitz von Forschungsunterlagen. Vgl. UAG PA 228 Jander; UAG R 164, Bl. 71; Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, passim; Nagel, Wissenschaft für den Krieg, S. 372–381; persönliche Mitteilung. 1793 Vgl. BA R 73/12587; R 73/11482 (Forschungsantrag des Assistenten Werner Hanske zum selben Thema); Nagel, Günter: Wissenschaft für den Krieg. Die geheimen Arbeiten der Abteilung Forschung des Herreswaffenamtes, Stuttgart 2012, S. 277. 1794 Vgl. Nagel, Wissenschaft für den Krieg, S. 374 f. 1795 Vgl. UAG R 164, Bl. 71. 1796 Vgl. UAG PA 237 Lüttringhaus, Bd. 1, Bl. 8.

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Dissertation arbeitete, schwer verletzt.1797 1933 promovierte er mit einer analytischen Dissertation über metallorganische Verbindungen. Als nationalsozialistischer Aktivist erhielt Stumpf sofort eine Anstellung bei der Fachgruppe Luftschutz im Verband deutscher Chemiker und wechselte dann als Assistent zu Jander an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie. Bereits im Oktober 1934 wurde er beim Heereswaffenamt in der Abteilung Gasschutz (WaPrüf 9) eingestellt. Dienstort war allerdings das Chemische Institut der Universität Greifswald, wo er Janders Forschungen unterstützte. 1939 wurde er zum Oberassistenten befördert und leitete die Abteilung für „Zweckforschung“. Seine Habilitationsschrift wurde 1938 zunächst dem Heereswaffenamt zur Begutachtung eingereicht. Sie behandelte Die Bestimmung der Teilchenzahl aerokolloider Systeme mit dem Spaltultramikroskop und der Verlauf der Aggregation in Aerosolen.1798 Die Zusammenballung von Molekülen in versprühten Nebeln betrachtete auch die zivile Fassung der Habilitationsschrift, die Stumpf 1943 vorlegte. In den Versuchen hatte er eine Modellsubstanz untersucht und deren quantitativen und qualitativen Zerfall beschrieben. Interessant ist, dass Stumpf dabei ein Elektronenmikroskop benutzen konnte, das ihm Aufschlüsse über die Struktur der Zerfallsprodukte ermöglichte.1799 Das Thema der Aerosole scheint Stumpf später verlassen zu haben. Im Handbuch der analytischen Chemie (Fresenius/Jander) verfasste Stumpf den Artikel über Beryllium und forschte auch danach über das bei der Kernspaltung als Moderator eingesetzte Element.1800 Seit 1945 ist Stumpf verschollen. Sein Vorgesetzter Jander legte nach dem Krieg eine dreiseitige Publikationsliste vor, auf der keine Themen der Kampfstoffforschung enthalten sind. Aufgeführt werden lediglich wissenschaftliche Studien zu Aerosolen, die aber durchaus als Simulationen des Verhaltens von Modellsubstanzen gelten können. Bei der Entnazifizierung bestritt Jander, jemals Rüstungsforschung betrieben zu haben, was aber angesichts der von ihm ausdrücklich mit der Maßgabe, für das Heer tätig zu sein, verbundenen Unabkömmlichkeitsstellung unglaubwürdig erscheint. Janders Aussage, nicht militärisch geforscht zu haben, wird aber bestärkt durch eine Kritik Mentzels, der beklagte, dass Grundlagenforschung mit dem Etikett „Kampfstoff“ versehen worden sei. Allerdings 1797 Vgl. BA PK Stumpf, 1798 Vgl. UAG PA 265 Stumpf, Bd. 2, Bl. 22. 1799 Vgl. Stumpf, Karl Ernst: Untersuchungen über den Bildungsmechanismus und die Eigenschaften von Kondensationsaerosolen, insbesondere am Beispiel der photochemischen Zersetzung von Eisenpentacarbonyldampf in Gegenwart von Sauerstoff und der dabei entstehenden Eisenoxydaerosole, in: UAG Phil. MN Habil. Nr. 32. 1800 Vgl. Stumpf, K. E.: Zum mikrochemischen Nachweis von Beryllium mit Amoniummolybdat, in: Zeitschrift für analytische Chemie 123/1, 1942. Laut PA.

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hatte Mentzel, der inzwischen zum Nachfolger Theodor Vahlens im Amt Wissenschaft im zuständigen Ministerium aufgestiegen war, bereits 1938 in einer Denkschrift die Ziellosigkeit und das Verfolgen von Eigeninteressen kritisiert. An keiner deutschen Hochschule gebe es ein für „Gas-Chemie“ zuständiges Institut, der Forschungsbedarf sei aber immens angewachsen. Gerade die Fragen der Kolloidchemie, also Janders Gebiet, würden massiv vernachlässigt. Außerdem fehle die Grundlagenforschung für die Biologie. Man müsse doch erforschen, „was mit den Stoffen im Körper geschieht“.1801 Diese Forderung zur Neuausrichtung der Kampfstoffforschung lief an Greifswald aus zwei Gründen vorbei. Jander ignorierte die Forderung und blieb bei seinem Programm. In der Kartei rüstungswirtschaftlicher Forschungsprojekte, die 1943 an der TH Berlin bei Rudolf Mentzel angelegt und ins bombensichere Dorf Rossla im Vorharz ausgelagert wurde, wurde das Chemische Institut in Greifswald nicht mehr geführt.1802 Eine Ausnahme bildete der Rüstungsauftrag für den Abteilungsleiter Arthur Lüttringhaus, der 1943 einen Forschungsauftrag über Amide erhielt. Hintergrund waren die Forschungen des Heereswaffenamtes zur Herstellung neuer, effektiverer Sprengstoffe.1803 5.17.2 Lostforschung in der Hautklinik

Die von Mentzel 1938 angemahnte Grundlagenforschung auf biologischem Gebiet wurde seit 1934 an der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das Militärärztliche Bildungswesen in einer „gastherapeutischen Abteilung“ durchgeführt. Ihre Kapazitäten wurden 1938 verstärkt, wobei nicht klar ist, ob das auf Veranlassung Mentzels geschah. Das neugebildete Institut für Allgemeine Pharmakologie und Wehrtoxikologie der Militärärztlichen Akademie arbeitete eng mit den Universitätskliniken und -instituten zusammen.1804 Diese Kooperation ist für das Physiologisch-Chemische Institut nachweisbar, nicht jedoch für die Hautklinik, obwohl an ihr intensiv zu den Wirkungen des Kampfstoffs Lost geforscht wurde. Ihr Leiter Wilhelm Richter behandelte zum Beispiel Patienten, die unter der Krankheit Lupus vulgaris (Hauttuberkulose) litten, mit dieser Substanz. Außerdem wurden zahllose Tierversuche durchgeführt, um den Wirkmechanismus des Kampfstoffs aufzuklären. Und nicht zuletzt verfasste Richter das maßgebliche Handbuch zur Behandlung von Kampfstoffschäden. Die ersten Erfahrungen mit chemischen Kampfstoffen hatte Richter im Ersten Weltkrieg gemacht. Geboren 1892 in Köln, hatte er ein Studium der Medizin begon1801 Vgl. Nagel, Wissenschaft für den Krieg, S. 376. 1802 Vgl. BA R 26/III/13. 1803 Vgl. R 26/III/14, Bl. 75. 1804 Vgl. Baader, Kampfstoffversuche, in: Virus, Heft 3, S. 16.

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nen und sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Er diente auf einem Lazarettzug und in Sanitätskompanien. 1917 wechselte er zu einem Sturmbataillon, wurde dreimal verwundet und mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet. 1918 erlitt er eine Gasvergiftung und wurde nach der Genesung zum Abschluss des Studiums nach Berlin versetzt.1805 Danach erhielt er eine Assistentenstelle an der Charité, wo er in der Chirurgischen Klinik eine dermatologische Abteilung aufbaute. Richter forschte auf vielen Gebieten, zur Bekämpfung von Allergien zum Beispiel unternahm er zahllose Experimente mit Eigenbluttherapien, Blutegeln und diätischen Ernährungsplänen.1806 Sein Hauptarbeitsfeld war jedoch der Kampf gegen Geschlechtskrankheiten. So forderte er schon 1931 die Anlage von Registern zur „energischsten Erfassung sämtlicher luisch infizierter Schwangeren, um durch sachgemäße Behandlung die besten Aussichten für die Prognose des Kindes zu erreichen“.1807 In Richters Amtszeit in der Hautklinik stieg die Zahl der Zwangsbehandlungen von Frauen stark an, häufig wurden sie wegen ihres Lebenswandels, der für „moralischen Schwachsinn“ spreche, zur Sterilisierung in andere Kliniken überwiesen. Bei erkrankten Prostituierten leiteten die Ärzte nicht selten ein Verfahren zur Verbringung der Frauen in Straflager ein.1808 Als Richter 1931 habilitiert werden sollte, bescheinigten ihm Gutachter ein „gutes dermatologisches Verständnis“. In seinen Vorträgen verknüpfe sich „kritische Verarbeitung des Materials mit lebendiger, gewandter Darstellung“. Die Habilitationsschrift über die Psoriasis verbinde auf gelungene Art Krankheitsdiagnosen mit Stoffwechseluntersuchungen und der Bestimmung von Hormonen, wobei er jeweils eine Hyper- oder Hypofunktion zeigen konnte. Wertvoll seien aber auch die zahlreichen klinischen Studien über Hefepilzerkrankungen, Vitamine und Allergene, meinte Erstgutachter August Bier, in dessen Chirurgischer Klinik Richter tätig war. Der Zweitgutachter monierte jedoch methodische Schwächen, so sei seine Art der Hormonbestimmung „stark angegriffen worden“. Außerdem habe Richter den ursächlichen Zusammenhang Psoriasis und Arthritis wohl konstruiert, wenn auch die beiden Krankheiten oft gemeinsam aufträten. Sein Urteil war trotzdem ausgewogen. Richters Stärke liege wohl „im Praktischen“, aber die Arbeit bringe „so viel gutbeobachtetes und mit sorgsamer Erwägung verarbeitetes Material“, dass sie „durchaus“ den Anforderungen für eine Habilitation entspreche.1809 Bereits im 1805 Vgl. Lebenslauf in: UAB Med. Fak. PA 283 Richter, Wilhelm, Bl. 3. 1806 Vgl. Richter, Wilhelm: Die Dermatologie und Syphilidologie in Greifswald, in: 100 Jahre, S. 290. 1807 Vgl. Lebenslauf in: UAB Med. Fak. PA 283 Richter, Wilhelm Bl. 4. Maßnahmen zur Bekämpfung der Erblues, Med. Welt, 1931, Nr. 32. 1808 Vgl. Kapp, Diagnosen, S. 131–141. 1809 Vgl. UAB Med. Fak. PA 283, Bl. 33–38.

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November 1933 folgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor, weil sich die Medizinische Fakultät der Universität von dieser vorzeitigen Beförderung eines Nationalsozialisten eigene Vorteile versprach.1810 Im Sommersemester 1934 vertrat Richter den vakanten Lehrstuhl in Bonn, kehrte im Herbst 1934 nach Berlin zurück und wurde 1934 zum persönlichen Ordinarius ernannt. 1935 folgte die Ernennung in Greifswald, scheinbar ohne dass die Medizinische Fakultät über die Personalie beraten hätte. Richter war ein überzeugter Nationalsozialist, der für sein Engagement in der Dozentenschaft der Universität Berlin 1935 mit einer Einladung zum Reichsparteitag belohnt wurde. Hitler habe dem Volk die „Seele“ zurückgegeben, verkündete er bei der Festrede zum Gedenken an die Machtübernahme am 30. Januar 1936 an der Universität Greifswald, an die er wenige Wochen zuvor berufen worden war. Aufgabe der Ärzte sei es nun, das „seelisch gesunde Volk“ wieder zu einem körperlich gesunden zu machen. Dazu müssten die „drei wichtigsten wissenschaftlichen Grundlagen“, nämlich „Bevölkerungspolitik, Rassenhygiene und Erbbiologie“ in der praktischen ärztlichen Tätigkeit verwirklicht werden.1811 Ab März 1935 nahm Richter auch wieder an Wehrmachtsübungen teil. Als im Reichsforschungsrat eine Fachgliederung „Wehrwissenschaften“ eingerichtet wurde, übernahm er die Leitung.1812 Die Sparte zählte allerdings zu den kleinsten, 1939 wurden lediglich 6 Stipendiaten von ihr gefördert und 21 Sachbeihilfen gewährt. Bei insgesamt 2747 bewilligten Förderanträgen waren das nicht einmal ein Prozent aller vom Reichsforschungsrat geförderten Forschungsprojekte.1813 Bei der Reorganisation des Reichsforschungsrates 1943 wurde Richter nicht wieder mit der Leitung der Fachsparte betraut, sie wurde der Medizin zugeschlagen.1814 Als Leiter der Fachsparte Wehrmedizin unternahm Richter 1938 eine Studienreise zum chinesischen Kriegsschauplatz, von der er in Vorträgen berichtete. 1939 wurde Richter als Oberstabsarzt 1810 Vgl. Hess, Volker: „Es hat natürlich nur einen Sinn, wenn man sich der Resonanz des Ministeriums sicher ist“. Die Medizinische Fakultät im Zeichen der „Führeruniversität“, in: Jahr, Christoph (Hg.): Die Berliner Universität in der NS-Zeit, Bd. 1: Strukturen und Personen, Stuttgart 2005, S. 43. 1811 Richter beschloss die Rede mit dem Satz: „Der Nationalsozialismus bejaht die Wissenschaften, daraus erwächst der Wissenschaft die Verpflichtung, den Nationalsozialismus unumschränkt zu bejahen.“ Vgl. Richter, Wilhelm: Entwicklung der nationalsozialistischen Weltanschauung und ihr Einfluss auf die Wissenschaft, Greifswald 1936, S. 17 f., 23. 1812 Vgl. Richter, Wilhelm: Die Dermatologie und Syphilidologie in Greifswald, in: 100 Jahre, S. 292. 1813 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 384 f. 1814 Ursprünglich sollte Kurt Blome die Leitung übernehmen, der sich jedoch unter dem Deckmantel der Krebsforschung mit der Entwicklung von Biowaffen befasste. Vgl. ebd., S. 305.

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zur Kommandantur in Warschau eingezogen und im Dezember mit der Neuordnung des militärischen und zivilen Gesundheitswesens im gesamten Generalgouvernement betraut.1815 Dort arbeitete er mit Jost Walbaum, dem Leiter des Amts Gesundheit, eng zusammen.1816 Walbaum sorgte für die finanzielle Ausstattung einer „WilhelmRichter-Stiftung“, die ein Gesundheitsheim für genesende Soldaten in Karolin bei Warschau einrichtete. Das Haus war ein Sanatorium für Nervenkranke gewesen, das die Wehrmacht für ihre Zwecke requirierte.1817 Eine persönliche Verstrickung Richters in die Verbrechen, die unter dem Vorwand der Gesundheitsfürsorge im Generalgouvernement geschahen, ist bisher nicht nachweisbar. Fest steht, dass Richter nicht im Generalgouvernement bleiben wollte und sich 1943 als Divisionsarzt zur 302. Infanteriedivision in der neuaufgestellten 6. Armee versetzen ließ.1818 Hier führte er großangelegte Übungen mit einem simulierten Kampfstoffeinsatz durch, um die Truppe auf solche Gefechte vorzubereiten.1819 1944 fiel Richter bei den Abwehrkämpfen am Donbogen. Zu den Forschungsarbeiten, die der von Richter geleiteten „Wehrmedizin“ zugeordnet waren, gehörten Untersuchungen zur Entgiftung von Organismen, die Fritz Wrede am Physiologischen Institut der Universität Kiel vornahm.1820 An der Hautklinik der Universität Greifswald forschte der Chemiker Otto Rebmann, der hier mit einer vom Oberkommando der Wehrmacht für „geheim“ erklärten Studie habilitiert wurde. Rebmann, geboren 1896, hatte sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet und nach der Demobilisierung Chemie studiert. Als Student gehörte er dem 1923 verbotenen Freikorps Bund Oberland an. 1924 promovierte er in Würzburg zum Dr. phil. und war anschließend mit Gelegenheitsarbeiten beschäftigt. 1927 wurde er Assistent an der Biologischen Reichsanstalt und wechselte 1932 an das Institut für Gasanalyse, das im Auftrag der Reichswehr Kampfstoffforschungen durchführte. 1933 denunzierte Rebmann den Leiter des Instituts wegen angeblicher Unterschlagung und Plagiate. Da sich die Vorwürfe als unwahr erwiesen, musste Rebmann das Institut verlassen. 1934 beauftragte ihn Gerhart Jander im Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie mit Forschungen über den Wirkungsmechanismus von Kampfstoffen. Ab 1936 setzte er diese Studien an der Hautklinik in Greifswald bei Wilhelm Richter fort. Bei seinen Experimenten beträufelte 1815 Vgl. UAG PA 566 Richter. 1816 Vgl. Personalnachrichten, in: Dermatologische Wochenschrift, Bd. 113, 1941, S. 624. 1817 Vgl. Greifswalder Zeitung vom 25.3.1941. 1818 Vgl. UAG PA 566 Richter. 1819 Katsch besuchte eine dieser Übungen, notierte am 9. Juli 1943 über die Art der Durchführung jedoch nichts in seinem Kriegstagebuch. Vgl. BA MA RH 12-23-70. 1820 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 241.

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er die Haut von Meerschweinchen mit dem Kampfstoff Lost und untersuchte dann die Veränderungen der Organe der gestorbenen Tiere.1821 Die Habilitationsschrift wurde von den Gutachtern Jander und Richter sowie den auswärtigen Gutachtern Ludwig Lendle (Münster) und Ferdinand Flury (Würzburg) als „vollgültige Habilitationsleistung“ angesehen. Den Probevortrag hielt Rebmann über die Verwendung von radioaktivem Phosphor bei Untersuchungen über den biologischen Abbau von Kohlehydraten.1822 Das Oberkommando des Heeres ordnete am 2. November 1938 an, den Titel des Diploms abzuändern, anstelle von „Studien über den Mechanismus der Kampfstoffwirkung“ sollte dort stehen: „Studien über den Mechanismus einiger Schwefelverbindungen“.1823 Die Universität wollte Rebmann als Dozenten jedoch nicht übernehmen. Als sich dieser 1940 um eine Dozentur bewarb, formulierte Wolfgang Langenbeck unmissverständlich, dass dafür „nur solche Fachgenossen in Frage“ kämen, die über „hohe Fähigkeiten als Lehrer und Forscher“ verfügten. Rebmanns Vorträge seien zwar inhaltlich „richtig“, und es sei durchaus von Vorteil, wenn ein Dozent ernannt würde, der Spezialvorlesungen über biologisch-chemische Themen halten könne. Es müsse sich dabei aber um einen „jungen und zukunftsfreudigen Fachgenossen handeln, der die Gewähr für eine erfolgreiche akademische Laufbahn“ biete. Neben seinem fortgeschrittenen Alter sei auch die Vortragsweise „nicht so anregend und überzeugend“, wie man es im Interesse der studierenden Jugend verlangen müsse. Überdies habe Rebmann doch bereits eine Anstellung bei den Hoechst-Werken in Frankfurt am Main gefunden.1824 Die Gutachten zu Rebmanns Habilitation zeigen, wonach Richter seine Mitarbeiter suchen ließ. Ihm ging es um die Aufklärung der chemischen Mechanismen der Wirkung von Lost (Dichlorethylsulfit) im Organismus. Festgestellt wurden Veränderungen des Phosphorstoffwechsels und erhöhte Phosphorkonzentrationen in der Haut. Außerdem schieden die nicht verstorbenen Versuchstiere vermehrt Phosphor aus. Damit war der Wirkmechanismus des Kampfstoffs zwar nicht erklärt, aber es schien festzustehen, dass er verschiedene Reaktionen der damals „Fermente“ genannten Enzyme auslöste.1825 Auch Richters eigene Forschungsprojekte, die er in Greifswald von Assistenzärzten durchführen ließ, zielten auf die Aufklärung des Wirkungsmechanismus des Kampfstoffs Lost ab.1826 Die erforderliche chemische Weiterbildung erhielten sie von den 1821 Vgl. Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 100–103. 1822 Vgl. Phil. MN Habil. Nr. 315, Bl. 17. 1823 Vgl. ebd., Bl. 37. 1824 Vgl. ebd., Bl. 8. 1825 Vgl. ebd., Bl. 33 f. 1826 Vgl. Richter, Wilhelm: Kampfstoffwirkung und Heilung, Leipzig 1941, S. 143.

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Mitarbeitern des Chemischen Instituts und von Otto Rebmann, der in der Hautklinik biochemischen Unterricht erteilte.1827 Zwischen 1938 und 1940 untersuchte der Arzt Gerhard Marhoven1828 die Einwirkung von Lost auf Atmung und Glykolyse der Haut, wobei er das Thema auf Leberschädigungen erweitert hatte. Josef Werth1829 führte tierexperimentelle Studien über die Lostwirkung auf den Gesamtorganismus durch.1830 Benutzt wurde dabei der standardisierte „Prüflost“, also reines Bis(2-chlorethyl)sulfid. Dabei prüfte Werth, ob sich bei häufiger Einwirkung des Kampfstoffs auf einen Organismus dessen Abwehrfähigkeit verstärken oder abschwäche. Die von ihm vergifteten Tiere starben fast immer, ganz gleich, ob er ihnen die Substanz unter die Haut spritzte, in den Uterus einführte oder oral verabreichte. Die Sektionsbefunde offenbarten unspezifische Schäden, etwa Entzündungen des Bauchfells und der Lungen, innere Blasenbildungen mit Durchbrüchen der Haut. Das Maß der Schäden war bei Zweitinjektionen des Giftes dabei meist größer als bei der Erstinjektion.1831 Werth glaubte allerdings, bei den mit schwächeren Dosen behandelten Tieren, die überlebt hatten, die Bildung von „Antikörpern“ bemerkt zu haben. Eine positive Wirkung hatten diese auf den Krankheitsverlauf nach einer zweiten Injektion allerdings nicht, wodurch diese Annahme falsifiziert war.1832 Bei einer zweiten Versuchsreihe verfütterte er Kortikoide an Meerschweinchen und vergiftete sie dann. Hier wollte er ebenfalls eine positive Wirkung bemerkt haben, scheinbar hatte sich die Abwehrfähigkeit der Tiere erhöht. Wenn die Tiere vor und nach der Vergiftung mit Kortikoiden behandelt wurden, überlebten einige. Bei geringen Verätzungen war jedoch kein leichterer Krankheitsverlauf zu beobachten.1833 Marhoven ging bei seinen Versuchsreihen von der These aus, dass Lost die Zellatmung beeinflusse. Tatsächlich erwies sich die Glykolyse in der Leber bei geschädigten Tieren als herabgesetzt.1834 Führte er den Tieren das Stärkungsmittel Omnadin zu, 1827 Vgl. Phil. MN Habil. Nr. 315, Bl. 24 f. 1828 Marhoven hatte bei Richter 1938 mit einer zivilen Dissertation (Diät und Fasten als wichtige Faktoren in der Dermatotherapie) promoviert. 1829 Werth promovierte 1939 in Greifswald mit der Dissertation Über die Serologie der Lungen- und Hauttuberkolose mit besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zur Prognose. 1830 Vgl. BA R 73/314, Bl. 1. 1831 Vgl. ebd., Bl. 8. 1832 Vgl. ebd., Bl. 12 f. 1833 Vgl. ebd., Bl. 26. 1834 Vgl. ebd., Bl. 43. Die Forschungen von Marhoven (Einfluss von Lost auf die Glykolyse der Haut) und Klawki (Einfluss von Lost auf die Atmung der Haut) wurden von der DFG gefördert, die auch zwei technische Assistentinnen bezahlte. Das Volumen belief sich auf insgesamt etwa 13.000 Mark. Vgl. BA R 73/13955.

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war der Krankheitsverlauf abgeschwächt. Das von den Behringwerken entwickelte Mittel war seit den zwanziger Jahren angezeigt zur allgemeinen Stärkung des Organismus: Es enthielt Eiweiße, Lipide der Galle und animalische Fette.1835 Aus ärztlicher Sicht mochte das ein brauchbares Ergebnis sein, zur Aufklärung der Wirkung des Kampfstoffs auf den Organismus trugen Marhovens Forschungen nichts bei. Die Frage der Sinnhaftigkeit solcher Forschungen stellte sich auch bei folgendem Experiment, das in Richters Klinik vorgenommen wurde. Kaninchen erhielten einen Tropfen Lost ins Auge, was dazu führte, dass das Tier mit den Pfoten zu scheuern begann, die Dunkelheit suchte und das Auge zukniff. Schon nach kurzer Zeit entwickelte sich eine ödematöse Schwellung der Augenlider, die immer stärker wurde und auf die Umgebung übergriff. Die Augenlider konnten nicht mehr geöffnet werden, aus der Nase quoll milchige Flüssigkeit. Nach 24 Stunden konnte das Auge untersucht werden, wobei man „eine allgemeine Trübung der Hornhaut mit schwersten entzündlichen Veränderungen, Epithelverluste, Geschwürsbildung usw.“ feststellte. Im Lauf des nächsten Tages trat „zunehmender Zerfall“ des Auges ein.1836 Richter selbst verfasste für die Reihe Wehr und Wissenschaft ein Buch über Kampfstoffwirkung und Heilung, das 1939 erschien und 1941 in einer erweiterten Auflage nachgedruckt wurde. Das Buch war defensiv ausgerichtet, und Richter begründete die Notwendigkeit eines solchen Werks mit dem „Vernichtungswillen“ der Kriegsgegner, die ihre Kapazitäten zum „Ausbau chemischer Kampfstoffe“ eindringlich vorangetrieben hätten. Daher erwachse der deutschen Ärzteschaft die Verpflichtung, sich Kenntnisse über Kampfstoffe und der therapeutischen Maßnahmen anzueignen.1837 Das Buch war als Kompendium aufgebaut, das alle gängigen Kampfstoffe in ihrer Wirkung beschrieb und Anweisungen gab, wie Verletzungen zu behandeln seien. Dabei wertete er auch die amerikanischen Forschungen aus, die, anders als die britischen und französischen, ungehindert publiziert worden waren. Es ist unklar, welche therapeutischen Ratschläge auf Erfahrungen des Ersten Weltkriegs oder auf Nachkriegsforschungen beruhten. So gab er den Ratschlag, kleine Blasen, die sich nach der Einwirkung von Lost auf der Haut bildeten, zu ignorieren, größere mit einer ausgeglühten Nadel anzustechen. Behandelt werden könnten sie mit Aufschlägen, für die Richter auch die Rezeptur angab. Puder und Salben seien kontraindiziert. „Wir haben neuerdings durch Umschläge mit ultraviolett vorbestrahlter frischer Milch günstige Resultate erzielen können“, schrieb er in der 1941er Ausgabe seines Buches.1838 Da chemische Kampfstoffe im Zweiten Weltkrieg nicht eingesetzt wurden, 1835 Vgl. http://www.catalog.md/drugs/omnadin.html, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 1836 Vgl. Richter, Kampfstoffwirkung, S. 117. 1837 Vgl. ebd., S. III f. 1838 Vgl. ebd. S. 151.

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mussten Richter und seine Mitarbeiter diese Verletzungen zwischen 1939 und 1941 in der Hautklinik experimentell erzeugt haben. Darüber hinaus versuchten sie der Frage nachzugehen, ob der Kampfstoff vor allem über die Haut resorbiert werde oder ob dessen Wirkung auf Einatmen oder Verschlucken beruhte. Dazu führten sie mehrere Menschenexperimente durch. Dokument Nr. 10: Zur Prüfung, ob der Kampfstoff Lost durch Einatmen oder über die Haut aufgenommen wurde, führten Wilhelm Richter und seine Mitarbeiter um 1939 folgenden Versuch durch:

Zur Klärung der Frage, ob diese Beschwerden auf Resorption oder lokaler Einwirkung durch Verschlucken von Lostdämpfen beruhen, wurde von uns die Applikation auf die Haut unter völliger Ausschaltung jeglicher Möglichkeit der Einwirkung von Lostdämpfen auf den Respirationstraktus und Verdauungstraktus vorgenommen. Zu diesem Zwecke wurden Hautstellen im Bereich der Arme und Beine, um mit Sicherheit jede lokale Einwirkung durch Verschlucken eingeatmeter Dämpfe auszuschalten, unter dem Abzug nach vorherigem Anlegen einer Gasmaske mit Lost betupft. Wie vorher bei den therapeutischen Versuchen schon besprochen, wurde die mit Lost behandelte Stelle für ½ bis 1 Stunde unter dem Abzug belassen, danach ein Verband angelegt und der Behandelte zu einem mehrstündigen Spaziergang im Freien veranlasst. Auch bei einwandfreier Ausschaltung der Lostwirkung auf die Atmungsorgane und auf den Verdauungstraktus von außen, traten entsprechend der Dosierung, wie wir beobachten konnten, die gleichen Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen auf, die mitunter äußerst heftig waren und mehrere Stunden anhielten. Das Erbrechen stellte sich im allgemeinen 5 Stunden nach der Losteinwirkung auf die Haut ein. Nicht selten wird über auffallende Appetitlosigkeit geklagt, die erst nachließ, wenn die Wendung zur Heilung eingetreten war. Die subjektiven Beschwerden richteten sich nach dem Ausmaß der Schädigung. Quelle: Richter, Wilhelm: Kampfstoffwirkung und Heilung, Leipzig 1941, S. 119

Richter ordnete auch den Einsatz von Lost zur Behandlung von Krankheiten an. Bei Patienten mit Psoriasis stellte er fest, dass das bereits angegriffene Hautgewebe in größerem Umfang geschädigt wurde als gesundes. Auch bei Lupus hypertrophicus applizierte er den Kampfstoff mit dem Erfolg, dass das lupöse Gewebe völlig vernichtet wurde.1839 Richter setzte dabei auf die Fähigkeit der Haut zur Selbstregeneration. Warzen und Schwielen brachte er auf diese Weise ebenso zum Verschwinden 1839 Vgl. ebd., S. 105.

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wie Tätowierungen, wie er in seinem Buch stolz demonstrierte. Die tiefe Einlagerung der Farbpigmente machte eine hohe Dosierung nötig, weshalb die Wirkung über die behandelte Stelle bis zu fünf Zentimeter ausgriff. Die Hautveränderungen dokumentierte Richter mit Gewebeschnitten und mikroskopischen Aufnahmen. Er fügte auch Fotos hinzu, die dem Betrachter den Erfolg seiner kosmetischen Eingriffe verdeutlichen sollten. So brachte Richter die Tätowierung eines Sterns mit Hammer und Sichel zum Verschwinden, die ein anfangs muskulöser Mann auf seinem Arm gehabt hatte. Nach neun Tagen hatte sich die Haut in ein blasenübersätes Gewebe verwandelt, nach 28 Tagen war eine verkrustete Wunde zu sehen. Nach 42 Tagen war die Verschorfung räumlich begrenzt. Nach 72 Tagen waren weiß umrandete, streng definierte Hautstellen zu sehen, die jedoch noch immer schuppig wirken.1840 Der photographierte Arm des Mannes erscheint auf dem Bild abgemagert, was für das Auftreten der von Richter beschriebenen Nebenwirkungen seiner Therapie spricht, also Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit. Andere Fotografien zeigen glücklich lächelnde Frauen, deren Entstellungen beseitigt wurden, aber auch mehrere Männer mit Tätowierungen von Möwen oder Boxern. Das wirft die Frage auf, woher die Menschen kamen, an denen Richter diese Forschungen vornahm. Die in Greifswald therapierten Lupus- und Psoriarispatienten wurden nicht über die Art und Weise der Behandlung aufgeklärt. In den nicht vollständig erhaltenen Patientenakten sind 1938 zwei Fälle von Frauen nachgewiesen, die unter Lupus vulgaris litten, im Brief an den Hausarzt war die Rede von einer Ätzung, die „mit einer unserer Klinik eigenen Methode“ durchgeführt wurde. Beide Frauen wurden gleichzeitig einer konventionellen Behandlung unterzogen.1841 Bestimmte Krankenakten wurden bereits bei der Entstehung ausgesondert und den Handakten Marhovens zugeordnet, wie ein „Stellvertreter“ in einem Aktenstapel zeigt.1842 Da diese Akten nicht erhalten sind, ist unklar, ob es sich bei den tätowierten Probanden um Freiwillige handelte, obwohl das auch nicht ausgeschlossen werden kann. So könnte der Kommunist mit der Stern-Hammer-Sichel-Tätowierung den Wunsch geäußert haben, das Zeichen zu beseitigen, weil ihm seine Vergangenheit unangenehm war. Es ist aber auch möglich, dass Richter seine Studienobjekte in Gefängnissen und Konzentrationslagern fand. Schriftwechsel zwischen Richter und der SS konnten allerdings ebenso wenig gefunden werden wie Kontakte Richters zur Militärärztlichen Akademie, deren Professoren die Menschenversuche der SS im KZ Sachsenhausen begutachteten.1843 Die Hautklinik hielt jedoch 1840 Vgl. Richter, Kampfstoffwirkung, S. 85–99. 1841 Vgl. Institut für Geschichte der Medizin Greifswald, KA Hautklinik Nr. 1368, Emma Sch. analog Nr. 1316 Else H. 1842 Vgl. ebd., Notizzettel zwischen Nr. 1335 und 1337. 1843 Es steht fest, dass die SS zwischen Oktober und Dezember 1939 an 31 Häftlingen des Konzent-

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mehrere Zellen für Häftlinge vor, die ursprünglich für infektiöse Prostituierte eingerichtet worden waren. Mit der Einberufung von Marhoven und Richter endeten die Lostforschungen in der Hautklinik. Weil Richter im März 1944 an der Ostfront ums Leben kam, stellte die Fakultät im Juni 1944 eine Berufungsliste für dessen Nachfolge auf. Bei den Nennungen zeigte sich kein klares Bild, aber es fiel auf, dass es keine auswärtige Empfehlung für Richters Oberarzt Jo Hartung gab, obwohl er die Klinik „ohne Zwischenfälle“ geführt hatte. Die Aufstellung des Rostocker Professors Ernst-Heinrich Brill lehnte die Fakultät ab, weil es nicht richtig sei, so Karl Velhagen in seiner Stellungnahme, „wenn die ausgebombten Ordinarien ihre Wirkungsstätten verlassen“.1844 Die Fakultät nominierte schließlich auf Platz 1 den langjährigen Oberarzt der Hamburger Universitätsklinik Egon Keining.1845 Dass der überzeugte Nationalsozialist und erfahrene Kliniker noch keinen Ruf erhalten hatte, lag an einer lange zurückliegenden Denunziation wegen unkollegialen Verhaltens und angeblichen finanziellen Unregelmäßigkeiten. Obwohl sich die Angelegenheit 1921 zugetragen hatte und der Dozentenbund nichts zur Sache hatte ermitteln können, blieb ein Verdacht. Keining strengte daraufhin eine Privatklage an, die damit endete, dass der Denunziant seine Vorwürfe zurückzog. Es habe sich um ein Missverständnis gehandelt.1846 Ab 1940 vertrat Keining den Lehrstuhl in Rostock und 1941 wurde ihm die Leitung einer Abteilung in dem noch zu gründenden „Forschungsinstitut für Ostkrankheiten“ in Krakau angeboten. Keining lehnte jedoch ab, weil ihn „wissenschaftliche, menschliche, familiäre und wirtschaftliche Bindungen“ in Hamburg hielten. Die schlechten Wohn- und Schulbedingungen in Krakau würden seine Frau und seine Tochter in „Mitleidenschaft“ ziehen. Dann bemängelte er das Fehlen „einwandfreier Operationsräume“ und anderes mehr.1847 Diese Pflichtvergessenheit wurde Keining verübelt und war aus Sicht des Ministeriums eigentlich nicht hinnehmbar. Auf den Vorschlag, Keining zu berufen, erhielt die Medizinische Fakultät zunächst keine Antwort. Dekan Schultze mahnte daher Anfang September 1944 an, Keining wenigstens vertretungsweise mit der Stelle zu betrauen.1848 Dem Ersuchen wurde am 15. September stattge-

rationslagers Sachsenhausen Versuche vornahm. Dabei wurden die Personen mit einer Sub­stanz „geimpft“ und anschließend mit einem Gegenmittel behandelt. Das getestete Gegenmittel erwies sich als wirkungslos. Vgl. Ley, Astrid und Günter Morsch: Medizin und Verbrechen. Das Krankenrevier des KZ Sachsenhausen 1936–1945, Berlin 2007, S. 329–332. 1844 Vgl. UAG Med. Fak. I Nr. 558, Bl. 53. 1845 Vgl. ebd., Bl. 62 ff. 1846 Vgl. StA HH 361-6 IV Nr. 477, Bl. 6–70. 1847 Vgl. BA R 4901/24891, Bl. 90–93. 1848 Vgl. UAG Med. Fak. I Nr. 558, Bl. 95.

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geben.1849 Berufen wurde er bis Kriegsende nicht. Mit der Personalie Keining hätte jedoch die Lostforschung in der Hautklinik wieder aufgenommen werden können, 1939 erhielt er für ein Forschungsprojekt zur „Behandlung von Kampfstoffschäden der Haut“ finanzielle Förderung des Reichsforschungsrates.1850 Die Nachfolge Richters im Reichsforschungsrat hatte Keining auf Veranlassung von Karl Brandt, dem Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, bereits angetreten.1851 5.17.3 Lostforschung im Physiologischen Institut

1931 hatte sich Fritz Wrede, Abteilungsleiter im Physiologischen Institut, beim Dekan beklagt, dass für die obligatorischen physiologisch-chemischen Kurse der Mediziner und Zahnmediziner nur 35 Arbeitsplätze zur Verfügung stünden, die nur „notdürftig“ mit Gas- und Wasseranschlüssen ausgestattet seien. Die Zahl der betreuten Studenten lag in den vergangenen zehn Semestern regelmäßig über hundert. Wrede schlug daher die Trennung der Physiologischen Chemie von der Allgemeinen Physiologie und die Gründung eines eigenständigen Instituts vor.1852 Da Wrede auf Grund seiner Persönlichkeit von der Fakultät keine Unterstützung erhielt, unterblieb auch die notwendige Modernisierung. Das änderte sich mit der Berufung von Felix Adolf Hoppe-Seyler nach Wredes Vertreibung. Hoppe-Seyler, der sich 1930 in Würzburg habilitiert hatte, erhielt eine ordentliche Professur und wurde zum Direktor des Physiologischen Instituts ernannt. Der Enkel des Begründers der physiologischen Chemie fügte sich reibungslos in die konservative Fakultät ein. Hoppe-Seyler hatte als Artillerist am Ersten Weltkrieg teilgenommen und danach Medizin studiert. Nach der Approbation 1924 erhielt er eine Assistentenstelle in Heidelberg. Mit einem Rockefeller-Stipendium der Notgemeinschaft forschte er als Assistent von 1926 bis 1929 am Physiologisch-Chemischen Institut der Universität Würzburg. Er habilitierte sich 1930 und wurde zum Direktor des Physiologisch-Chemischen Laboratoriums in Würzburg ernannt.1853 Mit seiner Berufung konnten auch wieder Prüfungen im Fach Physiologie stattfinden.1854 Er erhielt finanzielle Mittel, um das Institut neu einzurichten und mit den nötigen Installationen zu versehen. Die Ausstattung mit Apparaten war jedoch ungenügend, 1849 Vgl. BA R 4901/24891, Blattzählung unklar. 1850 Vgl. Buddrus/Fritzlar, Rostock, S. 222. 1851 Vgl. UAG Med. Fak. I Nr. 558, Bl. 21. 1852 Nur im Wintersemester hatten sich für den Kurs lediglich 67 Studierende gemeldet. Vgl. UAG PA 606 Wrede. 1853 Vgl. UAG 625 PA Hoppe-Seyler. 1854 Vgl. BA R 4901/13266.

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und der Etat für Chemikalien werde im Lehrbetrieb verbraucht, wie er der Deutschen Forschungsgemeinschaft schrieb. An eine Weiterführung seiner in Würzburg begonnenen Studien über Abbauprodukte des Eiweißstoffwechsels sei daher ohne Unterstützung nicht zu denken. Daher stellte er 1937 den Antrag zur Finanzierung von zwei modernen Analysegeräten mit den zugehörigen Chemikalien im Wert von 3000 Mark. Da die Wirkung von Aminoxiden auf den Zellstoffwechsel ein Desiderat darstellte, wie auch andere Forscher betonten, erhielt Hoppe-Seyler die beantragten Mittel. Nach Vorlage eines Zwischenberichts bewilligte die DFG 1938 noch einmal 2000 Mark für die Weiterführung der Forschungsarbeiten.1855 1940 wurde Hoppe-Seyler zur Militärärztlichen Akademie Berlin eingezogen, 1942 jedoch an das Reservelazarett Greifswald versetzt. Gleichzeitig hielt er Vorlesungen an der Universität und nahm seine Forschungen zum Stoffwechsel wieder auf. Jetzt untersuchte er die Wirkung jener Stoffe, die bei Schockzuständen nach mechanischen, chemischen und thermischen Schädigungen entstanden. 1943 bewilligte die DFG dafür 4000 Mark, 1944 5000 Mark und 1945 noch einmal 2000 Mark. Das Thema hatte Hoppe-Seyler jetzt auf die kreislaufwirksamen Stoffe eingegrenzt, die nach Verbrennungen und traumatischen Schädigungen im Körper gebildet wurden und Schockzustände auslösten. Die Verletzungen durch chemische Stoffe führte er in seinem Forschungsantrag für das Jahr 1945 nicht mehr auf. Mit den Geldern finanzierte Hoppe-Seyler eine Hilfs- und Schreibkraft sowie Chemikalien. Außerdem konnte er aus dem Gerätepool der DFG moderne Messgeräte ausleihen, unter anderem einen Mikro-Schmelzpunktapparat und einen Ionographen. Die Versuche führte Hoppe-Seyler an narkotisierten Hunden durch. Obwohl die Ergebnisse nicht bahnbrechend waren, plante er die Publikation. Immerhin gelang der Nachweis, dass erhöhte Histaminwerte im Blut nicht zu Schockzuständen führten und dass sich Acetylcholin erst nach einer Kreislaufinsuffizienz im Blut nachweisen ließ, es also eine Folgeerscheinung der Insuffizienz, nicht der Auslöser derselben war.1856 5.17.4 Lostforschung im Pharmakologischen Institut

Paul Wels, Leiter des Pharmakologischen Instituts der Universität, hatte sich unmittelbar nach der Habilitation im Fach Innere Medizin ein neues Thema gesucht. Seit 1922 forschte er über die Wirkung von Strahlungen. Dabei interessierten ihn vor 1855 Das von Hoppe-Seyler bearbeitete Thema lautete: „Untersuchungen über die Bildung von einfachen tierischen Basen im intermediären Stoffwechsel und über die Bildung von Aminoxyden bei Menschen und Tieren“. Vgl. BA R 73/11799. 1856 Dass es sich bei seinem Mitarbeiter Robert Jonckheer um einen niederländischen Zwangsarbeiter handelte, erfuhr die DFG nicht. Vgl. ebd.

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allem biochemische Vorgänge, die durch Röntgen- und andere Strahlung ausgelöst oder beeinflusst wurden. Bis 1935 veröffentlichte er 45 Aufsätze zum Thema, wobei die zum Teil teuren Chemikalien für Nachweisreaktionen von der DFG bezahlt wurden. Seine Forschungen hatten quantitative und qualitative Belege dafür erbracht, wie sich Eiweiße durch Strahlungen veränderten, welche körpereigenen Stoffe dabei gebildet wurden und welche Strahlenwirkungen reversibel waren und welche nicht. Wels’ Forschungen fokussierten sich dabei zunehmend auf die Wirkung von Strahlung auf die Haut, die er experimentell an unbehaarten Schweinen untersuchte.1857 Zugleich war ihm daran gelegen, die chemischen Prozesse in den bestrahlten Organismen aufzuklären. Seine ebenfalls von der DFG finanzierten Mitarbeiter untersuchten dabei die Bildung „hormonartiger Substanzen“ aus körpereigenen Stoffen bei UV-Strahlung, etwa der Aminosäure Histidin.1858 Ihnen gelang es 1933, durch Bestrahlung die Synthese der heute in der Arzneimittelherstellung vielfach gebrauchten Aminosäure Cystin in Versuchstieren anzuregen.1859 Da die DFG die biologische Grundlagenforschung künftig weniger fördern wollte, verlängerte sie das Stipendium für Wels’ wichtigsten Mitarbeiter in dem seit 1925 geförderten Projekt „Untersuchungen der chemischen Umwandlungen von Aminosäuren und Eiweiß durch ultraviolettes Licht“ 1933 „letztmals“ für ein weiteres Jahr bis zum März 1934.1860 Als Wels 1935 einen weiteren Verlängerungsantrag bei der DFG stellte, wurde dieser für ihn überraschend abgelehnt. Ausschlaggebend dafür war ein Gutachten des Kieler Physiologen Ernst Holzlöhner. Wels sei ein „kritischer, solider und vorsichtiger Arbeiter, aber etwas phantasielos“, stellte Holzlöhner am Anfang seines Gutachtens klar. Er habe zwar in „mühevoller Kleinarbeit“ Beiträge zur Klärung zum „Mechanismus“ der Strahlenwirkung geleistet. Aus seiner Sicht falle jedoch die Art von Untersuchungen „aus dem Aufgabenkreis eines Pharmakologen“ heraus. Diese Untersuchungen sollten „richtig eingerichteten Strahleninstituten“ vorbehalten bleiben. Er halte es im Übrigen für eine Unsitte, wenn sich Pharmakologen mit Biochemie, Innere Mediziner mit Physiologie und Physiologen mit Mathematik beschäftigten, wie das in der deutschen Forschung zunehmend der Fall sei. Der anonyme DFG-Sachbear1857 Vgl. BA R 73/15609. 1858 Vgl. Szendrö, Paul: Untersuchungen über photochemische Umwandlungen von Imidazolverbindungen, in: Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, Jg. 1931, Bd. 228, Heft 1, S. 742–750. 1859 Vgl. Szendrö, Paul, Ulrich Lampert und Fritz Wrede: Entstehung von Cystin durch Bestrahlung, in: Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für Physiologische Chemie, Bd. 222, 1933, Bl. 16–21. 1860 Vgl. BA R 73/16759. Paul Szendrö (Lebensdaten unbekannt; † nach 1960) war Chemiker und arbeitete bis 1925 an der Universität Wien, danach, wahrscheinlich bis 1934, an der Universität Greifswald. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er u. a. als Übersetzer medizinischer Fachliteratur.

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beiter unterstrich diese Passage ebenso wie die Forderung Holzlöhners, dass sich Wels bei seiner Forschung künftig von „pharmakologischen Gesichtspunkten“ leiten lassen möge. Wels kontaktierte daraufhin den Vertrauensmann der DFG an der Universität, Friedrich Krüger, Direktor des Physikalischen Instituts. Im Dezember 1935 betonte Krüger noch einmal die Wichtigkeit der Forschungen von Wels und wies zugleich auf die Notwendigkeit der Förderung der historisch-geographischen Forschungen von Fritz Curschmann hin. Für Wels erwies es sich als fatal, dass Krüger dessen Untersuchungen mit denen eines jüdischen „Mischlings 2. Grades“ verknüpft hatte. Die DFG bearbeitete keinen der beiden Anträge. Wels versuchte, seinen Antrag zu beschleunigen, indem er ihn noch einmal präzisierte und darauf hinwies, dass der Etat seines Instituts von 14.000 Mark auf 8800 Mark gekürzt worden war.1861 Auch dieser Vorstoß war erfolglos, weshalb Wels 1937 einen Neuantrag stellte, der sich an die Forderungen Holzlöhners anlehnte. Beigelegt hatte er einen unzweifelhaften Kompetenznachweis, einen Aufsatz in der Zeitschrift Strahlentherapie, in dem er die bisherige Forschung bilanzierte.1862 Die DFG registrierte Wels’ Antrag mit dem Stichwort „Beihilfe … Gelbkreuz“. Denn Wels hatte sich jetzt von der Grundlagenforschung der anwendungsorientierten Forschung zugewandt. Die DFG befürwortete seinen Antrag mit dem Titel „Behandlung von Gelbkreuzschäden mit bestrahlten Eiweißlösungen“ am 10. Dezember 1937. Wie zweifelnd die DFG war, zeigt ein wiederum anonymer Beleg, der die Methode skeptisch beurteilte. Aber vom Prinzip her müssten alle Arbeiten unterstützt werden, die sich „auf die Therapie“ dieser Verletzungen erstreckten.1863 Das Vorhaben wurde von Walther Schultze, dem Ordinarius für Dermatologie an der Universität Gießen, begrüßt. Wels’ bisherige Forschungsergebnisse hätten gezeigt, dass er auch schwierige Themen richtig anfasse. Einzuwenden habe er lediglich, dass Wels nicht plane, die Forschungen „am Menschen“ vorzunehmen.1864 Wels hatte das tatsächlich nicht vor, wie sein Schriftwechsel mit der DFG belegt. Sein Antrag wurde bewilligt und 1937 durch ein Forschungsstipendium ergänzt. Jetzt lautete er wie folgt: „Behandlung von Gelbkreuzschäden mit bestrahlten Eiweißlösungen“. Bewilligt wurde das vergleichsweise geringe Budget von 1250 Mark vom Leiter der Fachgliederung Wehrmedizin im Reichsforschungsrat. Diese Funktion nahm zu dieser Zeit Wilhelm Richter wahr, Leiter der Hautklinik an der Universität Greifswald.1865 Die Forschung wurde mit geringer Intensität und ähnlichem Budget un1861 Vgl. BA R 73/15609. 1862 Vgl. Wels, Paul: Über einige kolloidchemische und chemische Strahlenwirkungen und ihre biologische Bedeutung, in: Strahlentherapie, Bd. 60, 1937, S. 355–369. 1863 Vgl. BA R 73/15610. 1864 Vgl. BA R 73/15609. 1865 Vgl. BA R 73/15610.

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ter dem Titel „Behandlung von Gelbkreuzschäden mit bestrahlten Eiweisslösungen“ bis 1942 weitergeführt, wobei in der Arbeitsgruppe eine hohe Fluktuation herrschte. Als Versuchstiere dienten, wie eine Abrechnung belegt, Kaninchen und weiße Mäuse. Hinzu kam ein weiteres, 1939 bewilligtes Projekt, „Untersuchungen über biologische Strahlenwirkungen“, wofür eine polarisationsmikroskopische Ausrüstung beschafft werden konnte. Untersucht werden sollten „Änderungen der Feinstruktur des bestrahlten Zellkerns“, die allerdings keine greifbaren Ergebnisse erbrachten, weil der Bearbeiter zur Wehrmacht eingezogen wurde. Die Forschungen sollten fortgesetzt werden, sobald ein „geeigneter Bearbeiter“ zur Verfügung stehe. Wels hatte, erst jetzt nach Kriegsausbruch, die Absicht, die Arbeiten in Greifswald auf ein höheres Niveau zu heben und beantragte daher im März 1940 Geld und Material für eine Absauge- und Warmluftzuführungsanlage für das, wie er Richter schrieb, „Ihnen bekannte wehrmedizinische Thema“. Dafür wurde ihm die zu dieser Zeit wichtigste Priorität „Sonderstufe“ zugeteilt. Zugleich kündigte Wels an, seine Forschungen in Greifswald mit denen der Militärärztlichen Akademie zu verbinden, wie er Richter per Brief mitteilte. Bereits im November 1940 wurde den Forschungen die höchste Priorität jedoch entzogen, weshalb die erforderlichen Handwerkerleistungen und Materialzuteilungen in Greifswald nicht sofort genehmigt und durchgeführt wurden.1866 5.17.5 Die Lostforschung der Militärärztlichen Akademie Berlin, später Greifswald

Wels und Richter bearbeiteten im Pharmakologischen Institut und in der Hautklinik nur sehr begrenzte Ausschnitte aus dem breiten Thema der Lostforschung, die vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Militärärztlichen Akademie (MÄA) in Berlin koordiniert wurden. Wels und Hoppe-Seyler wurden 1940 zur MÄA eingezogen, wo sie künftige Militärärzte unterrichteten und zugleich in die Lehrgruppe C integriert wurden. Die Lehrgruppe C war eigentlich eine Forschungsabteilung, die sich mit Fragen der Kampfstoffabwehr befasste. Wels und Hoppe-Seyler waren damit in ein Forschungsnetzwerk eingebunden, das mehrere Universitäten und Industrielabore umfasste und auch Beziehungen zur SS unterhielt. So bekamen sie Einblick in Forschungen, an denen sie selbst nicht beteiligt waren.1867 Auch wissenschaftlich blieben sie auf dem aktuellen Stand, etwa durch die Berichte des Forschungslaboratoriums des IG Farben-Werks Wuppertal-Elberfeld, zum 1866 Vgl. BA R 73/15611. 1867 Vgl. Neumann, Herressanitätsinspektion, S. 290–295.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

Beispiel zur Reaktionsfähigkeit von Lost in verschiedenen Lösungsmitteln. Nachdem Wels’ Forschungsbereich in Greifswald etabliert war, wurden die Berichte ins Pharmakologische Institut geschickt. Außerdem sandte ihm das IG-Laboratorium chemische Verbindungen, deren Überprüfung es wünschte.1868 Zu den wichtigsten Tätigkeiten der Lehrgruppe gehörten Experimente, in denen geprüft wurde, welche Behandlung von Kampfstoffverletzungen aussichtsreich erschien. Dazu wurden Versuche an Freiwilligen vorgenommen, die mit dem standardisierten Prüflost oder Schwefellost verletzt wurden. Anschließend wurden die Wunden mit Salben, Pulvern oder Spezialseifen behandelt und der Heilungsprozess dokumentiert.1869 Weil die Universität Gießen ebenso wie die Militärärztliche Akademie 1943 durch Bombenangriffe zerstört wurde, ließ Wels die Apparaturen zur Kampfstoffforschung im Pharmakologischen Institut in Greifswald installieren, vor allem eine Absaugeinrichtung.1870 Hier führte er an Mitgliedern der Studentenkompanien die Versuche zur Wirksamkeit von Entgiftungsmitteln weiter. Bei diesen Versuchen kämen nur kleine Kampfstoffmengen zur Anwendung, versicherte Wels’ Vorgesetzter Wolfgang Wirth der Heeressanitätsinspektion, die den Antrag genehmigen musste. Die „Gefährdung der Gesundheit der Versuchsteilnehmer“ sei „nach menschlichem Ermessen nur unbedeutend“. Den Versuchsteilnehmern sollte jedoch eine Aufwandsentschädigung von 10 bis 30 Mark gezahlt werden.1871 Welches Ausmaß die Kampfstoffversuche an den Studenten annahmen, konnte nicht rekonstruiert werden.

5.18 Kurt Herzbergs Forschungen zur epidemischen Gelbsucht

Die verbrecherische Hepatitis-epidemica-Forschung im Konzentrationslager Sachsenhausen wurde unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zum Gegenstand von spektakulären Gerichtsverfahren. Der leitende Erste Lagerarzt Heinz Baumkötter wurde 1947 gemeinsam mit anderen Tätern in Berlin angeklagt und wie die anderen zu lebenslanger Haft verbunden mit Zwangsarbeit verurteilt.1872 Baumkötter kam als „Spätheimkehrer“ 1955 in die Bundesrepublik, wo sofort staatsanwaltliche Ermittlungen gegen ihn begannen. Die Sowjetunion hielt Beweismaterial zurück, so dass die untersuchende Staatsanwaltschaft Münster erneut Hunderte Zeugen befragen musste. 1868 Der Bericht selbst war nicht bei den Akten. Vgl. BA MA RH 12-23-1299. 1869 Vgl. Neumann, Herressanitätsinspektion, S. 273–296. 1870 Vgl. BA R 73/15611; BA-MA RH 12-23-1715, Bl. 1–31. 1871 Vgl. BA-MA RH 12-23-1750. 1872 Vgl. Hilger, Andreas, Mike Schmeitzner und Ute Schmidt (Hg.): Sowjetische Militärtribunale, Bd. 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten, Köln u. a. 2003, S. 186–200.

5.18 Kurt Herzbergs Forschungen zur epidemischen Gelbsucht

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Der Nachweis der Beihilfe zum Mord wurde geführt, so dass Baumkötter zu acht Jahren Haft verurteilt wurde. Er verließ das Gerichtsgebäude als freier Mann, weil die Strafe mit der Gefangenschaft in der Sowjetunion verrechnet wurde. Die Ermittlungen zu den Menschenexperimenten waren von der Staatsanwaltschaft Münster jedoch nicht mit Nachdruck vorangetrieben worden, weil man sie als vorsätzliche Körperverletzung im Amt betrachtete. Diese sei nach § 340 Strafgesetzbuch strafbar, aber „verjährt“, wie ein interner Vermerk der Staatsanwaltschaft Münster 1959 festhielt.1873 Um die Persönlichkeit des Angeklagten zu charakterisieren, fanden die zum Teil bestialischen Quälereien trotzdem den Weg in die Anklageschrift. Baumkötter und andere Ärzte hatten in Sachsenhausen Menschen Wunden zugefügt und infiziert, ihnen mit Phosphor Verbrennungen zugefügt und an ihnen Krankheitserreger der epidemischen Gelbsucht getestet. Der Nachweis, dass Baumkötter die Menschen vorsätzlich hatte töten wollen, gelang der Staatsanwaltschaft nicht. Außerdem berief sich der Lagerarzt auf eine Anweisung seines unmittelbaren Vorgesetzten Richard Glücks, dem Inspekteur der Konzentrationslager.1874 Bei seiner Vernehmung wies Baumkötter jede persönliche Verantwortung zurück. Die Infizierungen von etwa zehn Personen mit dem Erreger der epidemischen Gelbsucht habe ein Dozent der Militärärztlichen Akademie durchgeführt, „an den Namen“, so Baumkötter, „kann ich mich nicht erinnern“.1875 Auch im Nürnberger Ärzteprozess waren die Versuche mit dem Hepatitiserreger 1946/47 thematisiert worden. Im Zentrum der Anklage standen jedoch die Massenverbrechen oder Menschenexperimente, die nachweislich Todesopfer gefordert hatten. So wurden die Versuche mit einem Impfstoff gegen Fleckfieber im Konzentrationslager Buchenwald zur Anklage gebracht.1876 Zur Sprache kamen auch Versuche zur epidemischen Influenza („Grippe“) und epidemischen Hepatitis („Gelbsucht“). Als Dokument der Anklagebehörde diente ein Brief des Straßburger Professors Eugen Haagen an den Präsidenten des Reichsforschungsrats vom 21. Januar 1944, in dem er seine Fortschritte erläuterte. Der Influenzaimpfstoff sei bereits an etwa zweihundert 1873 Vgl. LA NRW, Abt. Westfalen, Q 225 Nr. 390, Bd. 20, Bl. 22. Der Text des Paragraphen in der von 1876 bis 1969 gültigen Fassung lautete: „§ 340 [1] (1) Ein Beamter, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Amtes vorsätzlich eine Körperverletzung begeht oder begehen lässt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. [1] (2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Strafe bis auf einen Tag Gefängnis ermäßigt oder auf Geldstrafe bis zu neunhundert Mark erkannt werden. [2] (1) Ist die Körperverletzung eine schwere, so ist auf Zuchthaus nicht unter zwei Jahren zu erkennen. (2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein.“ 1874 Vgl. ebd., Bd. 1, Bl. 41 sowie passim. 1875 Vgl. ebd., Bd. 1, Bl. 258. 1876 Der Dozent der Universität Halle Joachim Mrugowski wurde dafür zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vgl. Eberle, Martin-Luther-Universität, S. 140 f.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

„Impflingen“ getestet worden. Bei der epidemischen Gelbsucht habe er bei Menschen drei verschiedene Virenstämme isolieren können. Mit diesen habe er Mäuse infiziert, die anschließend erkrankt seien. Danach sei die Ansteckung von Maus zu Maus gelungen, wobei ihm bis zu fünf solcher „Passagen“ glückten.1877 Parallel zu Haagen forschte ein Team um Kurt Gutzeit, ordentlicher Professor für Innere Medizin und Beratender Internist beim Heeressanitätsinspekteur, der es für geboten hielt, auch die Passage des Gelbsuchterregers von Mensch zu Mensch zu überprüfen. Gutzeit brachte den Gießener Dozenten Arnold Dohmen, mit dem er an der Militärärztlichen Akademie zusammenarbeitete, dazu, die entsprechenden Versuche praktisch durchzuführen. Dohmen wandte sich an Karl Brandt, den Generalbevollmächtigten für das Sanitätswesen, der wiederum am 1. Juni 1943 Heinrich Himmler fragte, ob Dohmen seine Menschenversuche zur Hepatitis epidemica in Sachsenhausen fortsetzen dürfe. Obwohl Dohmen nicht der SS angehöre (aber der SA und der NSDAP), befürworte er das, zumal solche Forschungsmöglichkeiten an der Heeressanitätsinspektion und dem Robert-Koch-Institut nicht gegeben seien. Wenige Tage später, am 16. Juni 1943, erteilte Himmler die Genehmigung. Dohmen solle an acht zum Tode verurteilten Juden forschen, wies der Reichsführer-SS an.1878 Dohmen reiste daraufhin nach Auschwitz und suchte zwölf Kinder zwischen zehn und siebzehn Jahren für seine Experimente aus.1879 In Sachsenhausen kamen elf von ihnen an. Baumkötter räumte für sie einen Raum in der Baracke 2 des Krankenreviers, wo sie Dohmen alle vierzehn Tage oder drei Wochen aufsuchte. Die Staatsanwaltschaft Münster konnte einen Überlebenden ausfindig machen, der sich daran erinnerte, dabei immer wieder Einspritzungen in die Arme oder das Gesäß erhalten zu haben, woraufhin er fiebrige Erkrankungen durchlitten habe. Seien sie abgeklungen, habe Dohmen erneut gespritzt. Insgesamt sei er etwa dreißigmal infiziert worden, erinnerte sich der damals jugendliche K. R.1880 Dohmen führte auch eine nicht genauer bezeichnete „rötlich braune Gallertmasse“ per Schlauch mittels einer Doudenalsonde in den Darm seiner Opfer ein. Als dabei etwas verschüttet wurde, wies er einen Pfleger an, die infektiöse Flüssigkeit mit einem starken Desinfektionsmittel aufzuwischen.1881 1877 Vgl. Ebbinghaus, Ärzteprozess, Mikrofiche-Edition, Bl. 4932 f. 1878 Vgl. LA NRW, Abt. Westfalen, Q 225 Nr. 390, Bd. 28, Bl. 115 ff. 1879 Wahrscheinlich wählte er Kinder aus, die in ihrem Leben noch nie mit dem Erreger der Hepatitis epidemica in Kontakt gekommen waren, weil die Forschungen der Militärärztlichen Akademie ergeben hatten, dass Ostfrontkämpfer Antikörper gegen die Krankheit entwickelt hatten. Vgl. Andreas, Rolf: Die Epidemiologie der Hepatitis epidemica auf Grund der Kriegserfahrungen, Diss. med., Hamburg 1946, S. 22 und 24. 1880 Vgl. LA NRW, Abt. Westfalen, Q 225 Nr. 390, Bd. 28, Bl. 117 (Anklageschrift 6 Js 121/56 S. 12). 1881 Vgl. ebd., Bd. 2, Bl. 244; auch Sonderakte K. R. in: Bd. 24, Bl. 40 f.

5.18 Kurt Herzbergs Forschungen zur epidemischen Gelbsucht

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Um welche Flüssigkeit es sich gehandelt hatte, geht aus einer Dissertation hervor, die 1946 am Bernhard-Nocht-Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten in Hamburg angenommen wurde. Hans Voegt, Assistenzarzt an der Universität Breslau, hatte Doudenalsaft von Hepatitiserkrankten entnommen, mit warmer Fleischbrühe vermischt und nichtinfizierte Menschen gezwungen, die Flüssigkeit zu trinken. Nach etwa vier Wochen war bei allen Versuchspersonen „ein mehr oder minder deutlicher Leberschaden nachweisbar“, wie es in einer Publikation aus dem Jahr 1946 lakonisch heißt. Bei weiteren Personen wurden Blutplasma, Serum oder rote Blutkörperchen injiziert. Außerdem bekamen Personen Harn von an Gelbsucht erkrankten Personen zu trinken. Die Ergebnisse dieser Versuche, die Voegt und Dohmen am Menschen durchführten, waren wenig ertragreich. Die Versuchspersonen erkrankten häufig, aber nicht immer, so die Bilanz des Arztes vom Bernhard-Nocht-Institut 1946. Auch blieb der Übertragungsweg der Krankheit unklar, sie konnte von Mensch zu Mensch, aber auch durch verunreinigtes Wasser übertragen werden.1882 5.18.1 Der Anteil Kurt Herzbergs an der Influenza- und Hepatitisforschung

Bei den Verhandlungen des Ärzteprozesses wurden das Hygienische Institut der Universität Greifswald und sein Direktor Kurt Herzberg mehrfach erwähnt. Eugen Haagen betonte als Zeuge, dass er im Hinblick auf Influenza und Hepatitis „zwecks Bearbeitung der einschlägigen Spezialfragen“ mit dem Direktor des Pathologischen Instituts der Universität Freiburg und eben auch mit Herzberg zusammengearbeitet habe.1883 Bei ihren Vernehmungen strichen auch andere Zeugen heraus, dass sie bei der Gelbsucht mit Straßburg (Haagen) und Greifswald (Herzberg) kooperiert hätten.1884 Auf einer Liste des Bevollmächtigten für das Sanitäts- und Gesundheitswesen wurde das Hygienische Institut der Universität Greifswald als federführend für die Hepatitisforschung genannt.1885 Diese Information fand ohne weitere Nachprüfung Eingang in die Forschungsliteratur.1886 Es erschien daher geboten, den Anteil der Universität Greifswald an diesen Menschenversuchen zu rekonstruieren. Das Fach Hygiene und Bakteriologie konnte an der Universität Greifswald zwar auf eine ruhmreiche Geschichte zurückblicken, war mit der Wegberufung Friedrich Loefflers nach Berlin und den Querelen um Ernst Friedberger in der Weimarer Re1882 Vgl. Andreas, Epidemiologie, S. 25. 1883 Vgl. Ebbinghaus, Ärzteprozess, Mikrofiche-Edition, Bl. 542. 1884 Vgl. ebd., Bl. 3803. 1885 Vgl. ebd., Bl. 6153. 1886 Vgl. u. a. Klee, Ernst: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, Frankfurt am Main 1997, S. 264.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

publik beim Wettbewerb um Forschungsgelder, Ausstattung und die besten Köpfe aber ins Hintertreffen geraten. Der 1926 als Nachfolger Friedbergers berufene Ernst Gerhard Dresel hatte zwar auch auf dem Gebiet der Bakteriologie geforscht, profilierte sich jedoch als Sozialhygieniker. 1934 wechselte er an die Universität Leipzig. Die Frage, wie das Fach wieder Anschluss an die moderne Entwicklung in der Bakteriologie finden könne, beschäftigte die Medizinische Fakultät in ihrer Sitzung am 25. Juli 1934. Zu den Beratungen zog sie Otto Waldmann hinzu, den Leiter der Forschungsanstalt auf der Insel Riems. Nach mehr als zwei Stunden wurde eine Dreierliste beschlossen, die ausschließlich Forscher enthielt, die auf dem Gebiet der Virologie ausgewiesen waren.1887 Für den Willen, vor Ort Spitzenforschung in einer Nische zu betreiben, spricht die Liste durchaus.1888 Auf Platz 1 setzte sie Dresels Stellvertreter Otto Stickl, der nicht nur Vertrauensmann der Reichsleitung der NSDAP war, 1889 sondern bahnbrechende Forschungen zur Variabilität der Thyphusbakterien geleistet hatte, wie die Fakultät in der Begründung hervorhob. Der Kieler Oberarzt Fritz Weigmann (Platz 2 der Liste) hatte sich 1927 mit hochkomplexen Untersuchungen zur Ätiologie der Rachitis habilitiert. Seine Bearbeitung epidemologischer Fragen bei Typhus und Brucellose stellte die Fakultät besonders heraus. Den dritten Platz nahm Hans Großmann ein, Privatdozent in Göttingen. Nach seiner Praktikantenzeit hatte er sich überwiegend mit bakteriologischen Fragen befasst und zu den verschiedenen Formen der Syphilis bei Menschen und Kaninchen gearbeitet.1890 Stickl wurde berufen, und es gelang ihm, den auf Platz 3 genannten Großmann als Assistent für das Hygienische Institut zu verpflichten.1891 Stickl und Waldmann gehörten auch der Kommission an, die eine Dreierliste für Stickls Nachfolge aufstellen sollte, wobei das Bestreben zu erkennen war, einen Virusforscher zu bekommen. Greifswald habe die älteste Tradition in Deutschland, betonte der Vorschlag der Fakultät. Außerdem hoffe 1887 Es wäre verfehlt, hier widerständiges Verhalten der Fakultät zu vermuten. Es gab nicht genügend ausgewiesene Rassehygieniker auf akademischem Niveau – und jene, die das Fach kompetent im Sinne des Regimes vertreten konnten, wurden, wie Dresel, an größere Universitäten berufen. 1888 Vgl. UAG PA 496 Großmann; BA R 4901/13264 Karteikarte Großmann, H. 1889 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 23 Bd. 13, Bl. 210. 1890 Vgl. UAG Med. Fak. II Nr. 40, S 286 f.; GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 23 Bd. 13, Bl. 182 ff. 1891 Stickl verfasste 1934 eine Denkschrift zur Ausdifferenzierung des Fachs Hygiene und Bakteriologie, die vom Kultusministerium zu den Akten genommen und von Heinz Zeiss, Hygieniker an der Universität Berlin und NSDAP-Funktionär, durchgearbeitet wurde. Zeiss, selbst Vertreter der mikrobiologischen Richtung, teilte Stickls Forderung der Trennung der Teilgebiete in Sozialhygiene und Mikrobiologie. Vgl. GStA PK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 23 Bd. 13, Bl. 191–201.

5.18 Kurt Herzbergs Forschungen zur epidemischen Gelbsucht

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sie auf eine enge Zusammenarbeit mit der Riemser Forschungsanstalt. Der in Düsseldorf tätige Kurt Herzberg „marschiere mit an der Spitze“ der Virusforschung. Die Fakultät benannte jedoch noch zwei andere Kandidaten, erneut Weigmann und Werner Otto Bachmann in Königsberg. Letzterer war deutlich häufiger als Herzberg von den befragten Ordinarien genannt worden, nämlich vierzehnmal, Weigmann neunmal und Herzberg lediglich viermal.1892 Rektor Karl Reschke gab den Vorschlag der Fakultät an das Ministerium weiter, fügte jedoch ein denunziatorisches Schreiben des Dozentenschaftsleiters der Medizinischen Akademie Düsseldorf an und teilte dem Ministerium mit, dass er die angeführten Vorwürfe für „schwerwiegend“ halte; wenn sie zuträfen, würde sich Herzberg „nicht für Greifswald eignen“, so gern man ihn „gerade“ wegen „seines Arbeitsgebiets“ hier hätte.1893 Das Schreiben aus Düsseldorf zog sowohl die charakterliche als auch die weltanschauliche Eignung Herzbergs für ein Hochschullehreramt in Zweifel, weil er der „Typ des Individualisten liberalistischer Prägung“ sei und, obwohl SA-Mann, immer noch mit Juden verkehre. Für ein reines Forschungsinstitut sei er wohl geeignet, als „Erzieher der akademischen Jugend im Dritten Reich dagegen nach Charakter und Haltung unbrauchbar“.1894 Herzberg, geboren 1896, war stark kurzsichtig, so dass er erst nach einigen Studiensemestern 1917 zum Kriegsdienst eingezogen worden war. Nach dem Staatsexamen arbeitete er im Pathologischen Institut der Charité und trat 1921 in die Bakteriologische Abteilung im Reichsgesundheitsamt ein. Hier beschäftigte ihn ab 1926 die Frage der Herpesviren. 1927 wechselte er als Oberarzt an das Hygienische Institut des Städtischen Krankenhauses Düsseldorf, wo er sich an der Medizinischen Akademie für Hygiene und Bakteriologie habilitierte. Dort wurde er 1934 zum außerordentlichen Professor ernannt. Wegen des angeblichen „gesellschaftlichen Verkehrs mit Juden“ wurde Herzberg denunziert, in einem langwierigen Ehrengerichtsverfahren beim NS-Ärztebund konnte er sich dieses Vorwurfs erwehren.1895 Herzberg wurde daher 1936 nur kommissarischer Direktor des Hygieneinstituts der Universität Greifswald. Erst 1938 folgte die förmliche Berufung auf die ordentliche Professur und die Ernennung zum Leiter des Medizinischen Untersuchungsamts für Vorpommern. In die lokalen Wehrmachtsstrukturen war Herzberg jedoch bereits vorher eingebunden worden. Ab 1937 absolvierte er Übungen bei der Sanitätsstaffel in Stettin und wurde zum beratenden Hygieniker im Wehrkreis II bestellt. Als Beratender Hygieniker war er 1940 in Lothringen und bei den Besatzungstruppen in Polen eingesetzt. Im November 1940 wurde er für die Lehre unabkömmlich gestellt. Zur 1892 Vgl. UAG Med. Fak. I Nr. 556, Bl. 20 ff. 1893 Vgl. UAG K 5978, Bl. 46. 1894 Vgl. ebd., Bl. 59 f. 1895 Vgl. UAG PA 632 Herzberg, Bd. 1, Bl. 21 ff.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

NSDAP fand Herzberg erst spät. 1933 trat er in die SA ein, wo er den Dienstgrad eines Sanitätsoberscharführers erreichte. 1937 wurde er Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. 1940 stellte er den Antrag auf Aufnahme in die Partei, der jedoch übersehen oder ignoriert wurde.1896 Einen Ruf nach Prag lehnte Herzberg 1941 ab. Im Oktober 1941 war er bei der Bekämpfung der Gelbsuchtepidemie beim Oberbefehlshaber Südost in Griechenland eingesetzt. Danach war er wieder in Greifswald tätig. Seine Personalakte weist jedoch mehrere Dienstreisen zu Besprechungen bei der Heeressanitätsinspektion in Berlin aus. Als Beratender Hygieniker im Wehrkreis II hatte Herzberg Kenntnis von allen Forschungen, die am Robert-Koch-Institut und in Haagens Laboratorium an der Universität Frankfurt und später in Straßburg durchgeführt wurden. Bei der Verteilung der Forschungsgelder ging Herzberg jedoch leer aus, weil der entsprechende Cluster bei der Person Haagens angesiedelt war. Die Laborversuche zur epidemischen Gelbsucht und zu Fleckfieber führte Haagen in Straßburg durch, eine Beteiligung Herzbergs an ihnen ist in den Akten des Reichsforschungsrats nicht nachweisbar.1897 Auch in der 1943 aufgestellten Kartei des Reichsforschungsrats ist Herzberg nicht für das Thema Gelbsucht registriert. Für Haagen sind nicht weniger als fünf Forschungsaufträge verzeichnet.1898 In Greifswald fanden daher nur Forschungen statt, die geringe Finanzmittel erforderten. Auch eine teure Apparatur zur Vermehrung von Viren in Hühnereiern fehlte. Experimentelle Untersuchungen sollten am Institut für Fleckfieber- und Virusforschung der Wehrmacht in Krakau vorgenommen werden.1899 Herzberg wandte sich daher 1943 der Ätiologie der Influenza zu.1900 Zur Schwächung des Forschungsstandorts führte auch die personelle Ausdünnung. Oberassistent Großmann wurde zwar turnusgemäß zum außerordentlichen Professor ernannt, erhielt jedoch vom Wissenschaftsministerium keine Dauerstellung. Im August 1938 trat er eine Stelle als Abteilungsvorsteher beim Hygieneinstitut in Landsberg an der Warthe an. Sein Antrag auf Umhabilitierung an die Universität Berlin wurde nicht genehmigt, so dass seine Venia Legendi erlosch.1901 Die Assistentenstelle nahm ab 1939 Walter Otto Groß ein.1902 Groß gelang es 1940, aus einer bereits erkrankt eingetroffenen Labormaus einen Erreger zu isolieren und zu kultivieren, der 1896 Vgl. UAG PA 632 Herzberg. 1897 Vgl. BA R 73/16, Bl. 14. 1898 Vgl. BA R 26/III/6, Bl. 83; 175. 1899 Vgl. BA R 73/14118. 1900 Vgl. BA R 26/III/6, Bl. 83. 1901 Vgl. UAG PA 496 Großmann; BA R 4901/13264 Karteikarte Großmann. Großmann wurde später an die Universität Posen berufen. 1902 Vgl. UAG K Nr. 888, Bl. 260; BA R 4901/13264 Karteikarte Groß.

5.18 Kurt Herzbergs Forschungen zur epidemischen Gelbsucht

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bei Mäusen Pneumonie hervorrief. Der nach dem Absendeort der Labormaus benannte Erreger „Schandau“ bildete bei der Kultivierung Ringformen und Fädchen, so dass ihn Groß nicht für einen Virus, sondern für ein bisher unbekanntes Bakterium hielt. Dabei konnte der „Schandau“-Erreger bei 90 Passagen stabil gehalten werden. Die gleichzeitig vorgenommenen Impfversuche ergaben eine vollständige Immunisierung gegen den Erreger. Diese Immunität stellte sich auch bei der Impfung mit „gramnegativen Stäbchen“ ein, die Groß für verwandt mit den kurz zuvor identifizierten „Mäuseinfluenzakeimen“ hielt, aber andere Stoffwechselprodukte bildeten. Für die Ätiologie der Krankheit waren sie jedoch nicht verantwortlich.1903 Groß wurde mit der im Typoskript fertiggestellten Arbeit 1942 habilitiert. Obwohl Groß neben dem Dr. med. auch die Approbation erhalten hatte, verfügte er über keinerlei ärztliche Praxis, wie er der Wehrmacht mitteilte, als er 1942 eingezogen werden sollte. Da zur selben Zeit das Wissenschaftsministerium nach einer Lehrkraft für das Fach physiologische Chemie an der Reichsuniversität Posen suchte, wurde Groß nach Posen versetzt.1904 Herzberg selbst begann seine Versuche zur Hepatitis auf Veranlassung der Heeressanitätsinspektion am 20. Oktober 1941.1905 Bis 1942 verfasste Herzberg mindestens zwei Berichte für die Heeressanitätsinspektion über die Ätiologie der Hepatitis epidemica.1906 Im August 1943 legte er einen weiteren Bericht vor.1907 Erhalten ist der Zwischenbericht vom 12. August 1942. Herzberg impfte Kanarienvögel mit Blut oder Urin von Gelbsuchtkranken und stellte fest, dass diese verstarben. Die von dem Pathologen Loeschke vorgenommenen Untersuchungen ergaben kein spezifisches Bild. In den Leberzellen zeige sich aber möglicherweise ein Schwund des Zellkerns. Alle gestorbenen Tiere wiesen jedoch keine „bakterielle Erkrankung der inneren Organe oder des Darms“ auf. Ausgangsmaterial waren vier Fälle, die Herzberg in Griechenland (also auf Kreta) untersucht hatte, dazu drei Erkrankungen 1903 Groß erwähnte einen weiteren Erreger „Greifswald“, dessen Filtrierbarkeit „schwierig“ sei und der auch nicht sichtbar gemacht werden konnte. Vgl. Groß, Walter: Untersuchungen über Mäusepneumonien und ihre Erreger sowie über die Maus als Versuchstier in der Virus- und Influenza-Forschung, in: UAG Med. Habil. 2, S. 140–144. 1904 Hier sollte er den Ordinarius für Physiologie Manfred Monjé bei seinen sinnesphysiologischen Forschungen unterstützen, wurde jedoch bereits im April 1943 eingezogen. Vgl. Majeweski, Medizin an der Reichsuniversität Posen, S. 223 f. 1905 Vgl. BA-MA RH 12-23-2013.  1906 Die nach Pertinenz geordneten Akten der Heeressanitätsinspektion, besonders die Kartothek, in der die Berichte der Beratenden Ärzte abgelegt wurden, wurden von den Amerikanern geplündert und bei der Rückgabe durch einen Archivar nach Provenienz umgeordnet. Die Berichte wurden abgelegt in Mappe 9d Nr. 17, die nicht mehr existiert. Vgl. RH 12-23-361, o. Bl.  1907 Vgl. BA-MA RH 12-23-2023.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

in Deutschland, offenbar Greifswalder Fälle aus dem Luftwaffenlazarett. Nach den tödlichen Impfungen lebten die Tiere unterschiedlich lang, zwischen 27 und 171 Tagen. Die Kanarienerkrankung ließ sich auf Kaninchen übertragen. Weitere Tiere prüfte Herzberg nicht, weil es ihm darauf ankam, einen stabilisierten Modellvirus zu erhalten, was nicht gelingen konnte. Die Wandelbarkeit von Viren war ein bis dahin unbekanntes Phänomen, Herzberg stellte die Tödlichkeit bis zur vierten Passage fest. Der Erreger war auch nicht filtrierbar, mit den gewonnenen Substraten konnte eine Erkrankung bei Versuchstieren nicht hervorgerufen werden.1908 Herzberg nahm im Luftwaffenlazarett Greifswald jedoch Leberpunktionen an Hepatitiskranken vor und übersandte sie an Haagen, der die Stabilität des Virus anhand desselben Materials bei Mäusen überprüfen sollte.1909 Eine Bestätigung scheint Herzberg nicht erhalten zu haben, weshalb er die Forschungsleistungen Haagens grundsätzlich in Frage stellte. Die angeblichen 60 Passagen des Erregers konnte er nicht nachvollziehen. 1910 Bei einer Tagung in der Militärärztlichen Akademie scheint es deshalb zum Eklat gekommen zu sein. Bei diesen Tagungen wurde sehr offen über medizinische und ethische Fragen diskutiert. Ein Zeuge sagte vor dem Nürnberger Tribunal aus, „dass auf solcher Beratenden-Tagung jeder in der Diskussion sagen konnte, was er wollte“.1911 Die führenden Hepatitisforscher trafen sich am 8. Juni 1944 an der Universität Breslau, wo Herzberg und Haagen über ihre Fortschritte berichteten. Herzberg verzichtete aber darauf, seinen Kollegen Haagen öffentlich bloßzustellen.1912 Das Muster wiederholte sich bei der Influenzaforschung. An Kanarienvögeln hatte Herzberg auch die grassierende Influenza und verschiedene Formen zu deren Immunisierung überprüft.1913 Die Sitzung der Beratenden Ärzte zu dem Problem der Influenza-Immunisierung in der Militärärztlichen Akademie muss am 30. Oktober 1944 sehr konfrontativ verlaufen sein. Herzberg und Haagen berichteten über Grippeimpfstoffe, die sie in ihren Laboratorien entwickelt hatten. Herzberg favorisierte die Immunisierung mit einem abgetöteten Grippevirus, Haagen präsentierte einen lebenden Virus, den er an

1908 Vgl. RH 12-23-361, Bl. 39–43. 1909 Vgl. Ärzteprozess, Blattzählung nicht lesbar, Rose-Dokument 27; dazu auch Aussage Heinrich Kalk, dass Punktionen an Erkrankten vorgenommen wurden, jedoch keine Infizierungen stattfanden; vgl. Ebbinghaus, Ärzteprozess, Mikrofiche-Edition, Bl. 8219 RS. 1910 Vgl. dazu die fachärztliche Stellungnahme im Verfahren gegen Baumkötter und andere. Vgl. Landesarchiv NRW, Staatsanwaltschaft Münster, Q 225, Nr. 390. Bd. 23. 1911 Vgl. Ebbinghaus, Ärzteprozess, Mikrofiche-Edition, Bl. 6257. 1912 Vgl. ebd. Bl. 06541, laut Bl. 07127. Über den Fortgang der Forschungen wurden von Haagen und Herzberg auch die Professoren Dresel (Leipzig) und Bachmann (Kiel) informiert, weil auch sie in das Netzwerk der Virusforschung der Wehrmacht eingebunden waren. 1913 Vgl. UAG R 2269.

5.19 Virusforschung und Biowaffen

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„Personal von Straßburger Kliniken“ erprobt haben wollte.1914 Die anwesenden Hygieniker verwarfen den von Herzberg vorgeschlagenen Weg, obwohl er sich bis heute als geeignet erweisen sollte, um beim Menschen die nötigen Antikörper für eine Immunisierung hervorzurufen. Stattdessen favorisierten die Wissenschaftler die Testung des Haagen’schen Impfstoffs „an einer größeren Zahl von Menschen“, wogegen sich jedoch Protest erhob, weil die Gefahr existiere, dass aus der Impfung eine Infektion entstehe. Trotzdem wurde entschieden, die Testimpfungen durchzuführen.1915 Obwohl sein Weg zur Immunisierung zunächst verworfen wurde, erhielt Herzberg das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse. Im April 1945 wurde es ihm auf Antrag des Reichsforschungsrats von Siegfried Handloser, dem Chef des Heeressanitätswesens übergeben. Als Grund war die Entwicklung eines „Grippeimpfstoff[s] nach Herzberg“ angegeben.1916 Die Tests für diesen Impfstoff waren vermutlich an der Militärärztlichen Akademie vorgenommen worden, aber da bei diesen Versuchen niemand zu Schaden kam, wurde in der Sache nach 1945 nicht ermittelt.1917

5.19 Virusforschung und Biowaffen 5.19.1 Die besonderen Beziehungen der Universität zur Insel Riems

Die damalige Reichsanstalt für Tierkrankheiten auf der Insel Riems (ihr Name wurde mehrfach geändert, heute heißt sie Friedrich-Loeffler-Institut) war mit der Universität Greifswald personell eng verbunden. Institutsgründer Friedrich Loeffler, der Entdecker des Maul-und-Klauenseuche-Virus, war Professor für Hygiene an der Universität gewesen und erhielt die Insel für weitere Forschungen zugewiesen. Während des Ersten Weltkriegs und nach Loefflers Tod ruhte die Forschungstätigkeit. Die Leitung des Instituts wurde 1920 dem Tierarzt Otto Waldmann übertragen, der bis 1917 eine Assistentenstelle am Pathologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule Berlin innehatte. 1914 leistete er kurzzeitig Kriegsdienst als Freiwilliger in einem Feldartillerieregiment, ab 1917 war er als Veterinär eingesetzt. Nach der Niederlage schloss er sich dem Freiwilligenregiment Reinhard an und nahm an der Niederschlagung des Spartakus-Aufstands in Berlin teil. Wissenschaftlich war Waldmann ausgewiesen, 1911/12 hatte er den Maul-und-Klauenseuche-Ausbruch in Schleswig-Holstein 1914 Vgl. Ebbinghaus, Ärzteprozess, Mikrofiche-Edition, Bl. 6254–6260, bes. 6258. 1915 Vgl. ebd., Bl. 6258 f. 1916 UAG K Nr. 791, Bl. 404. 1917 Zuständig war die von Paul Rostock (Universität Berlin) geleitete Abteilung Medizinische Wissenschaft und Forschung. Vgl. Ebbinghaus, Einleitung, in: Ärzteprozess, S. 54.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

erfolgreich bekämpft. Die Medizinische Fakultät in Greifswald habilitierte ihn 1923, weil sie seine Kompetenz für die Lehre verwerten wollte.1918 Das Forschungsinstitut auf der Insel baute er mit tatkräftiger Unterstützung des Preußischen Landwirtschaftsministeriums aus, 1933 zählte es über 120 Gefolgschaftsmitglieder. Wissenschaftlich war es international anerkannt, politisch schien es gespalten, weshalb Waldmann 1932 „jede politische Agitation“ und die Auslage von Parteizeitungen untersagte, wie Annette Hinz-Wessels in ihrer Studie über das Friedrich-Loeffler-Institut feststellte.1919 Auf Anregung des Hygienikers Otto Stickl wurde der Riemser Laborleiter Fritz Köbe 1936 an der Universität mit einer vergleichenden Untersuchung „über die pneumotropen Virusarten und die durch sie bedingten Krankheiten bei Mensch und Tier“ habilitiert. In der Schrift untersuchte er die Eigenschaften des menschlichen Grippevirus und die der Schweineinfluenza, Ferkelgrippe, des seuchenhaften Hustens des Pferdes und der infektiösen Bronchitis des Rindes. Stickl hielt diese Habilitation für notwendig, nicht nur, weil einige der auslösenden Viren von Waldmann und Köbe entdeckt worden waren und er diese Spitzenforschung auch in die Lehre überführen wollte. Er machte auch den zunehmenden Nachwuchsmangel geltend, für bestimmte Stellungen sei der Dr. habil. inzwischen eine wünschenswerte Voraussetzung. Mögliche politische Bedenken hatte Stickl bereits im Vorfeld durch Anfragen bei Kreisleitung und Dozentenschaft ausgeräumt. Köbe hatte um Aufnahme in die NSDAP nachgesucht und sich bereits aktiv in der Deutschen Arbeitsfront betätigt.1920 Ob Stickl die militärische Bedeutung der Forschungen Köbes bekannt war, geht aus der Habilitationsakte nicht hervor. Den Ausbau der Forschungskapazitäten motivierte Waldmann bei der DFG mit der Ansteckenden Blutarmut der Pferde. Die „Schlagkraft unseres Heeres“ sei im Falle eines Krieges gefährdet, wenn nicht Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Seuche beim damals häufigsten militärischen Transportmittel eingeleitet würden.1921 Der praktische Ertrag der Forschungen des Instituts gab Waldmann recht. 1938 konnte Köbe seine Vorgesetzten im Reichsinnenministerium davon informieren, dass es gelungen sei, einen Impfstoff gegen die Maul- und Klauenseuche zu gewinnen. Da der Seuchenzug der Krankheit nach 1937 einen Schaden von etwa 1,5 Milliarden Mark verursachte, rückte das Riemser Institut auf der Prioritätenliste der DFG nach ganz oben. Noch 1938 nahm die Anstalt die Produktion von Vakzinen auf, später konnten 1918 Vgl. UAG PA 604 Waldmann. 1919 Vgl. Hinz-Wessels, Annette und Jens Thiel: Das Friedrich-Loeffler-Institut 1910–2010. 100 Jahre Forschung für die Tiergesundheit, Berlin 2010, S. 71 ff. 1920 Auf der Insel leitete er das Werk „Schönheit der Arbeit“. Vgl. UAH Med. Habil. Nr. 213. 1921 Vgl. R 73/15467 sowie Hinz-Wessels, Loeffler-Institut, S. 74 f.

5.19 Virusforschung und Biowaffen

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Großgeräte angeschafft werden. So erhielt die Anstalt Ultrazentrifugen, mit deren Filtern auch nicht mehr sichtbare, also „ultravisible“ Viren, so die Wortschöpfung Waldmanns, gefunden werden konnten. Hinzu kam ab 1943 ein Elektronenmikroskop, das die ersten Bilder solcher Viren lieferte.1922 5.19.2 Otto Waldmann und Mitarbeiter: Biowaffenproduktion auf der Insel Riems

Da die Akten der Forschungsanstalt für die Jahre vor 1945 nicht erhalten sind, kam der in Berlin-Buch forschende Virologe Erhard Geißler in seiner Studie über Biowaffen im Zweiten Weltkrieg zu dem Schluss, dass sich solche „nicht in Hitlers Arsenalen“ befunden hätten.1923 Diese Annahme ist falsch, wie bereits 1945 amerikanische Nachrichtendienstoffiziere herausfanden. Sie interessierten sich aus zwei Gründen für die deutsche Virusforschung. Zum einen war die deutsche Forschung der amerikanischen weit voraus,1924 zum anderen waren bei der Erprobung von Impfstoffen Menschen gestorben. Die Verantwortlichen sollten abgeurteilt werden. Verhört wurde so unter anderem Joachim Mrugowski, Leiter des Hygiene-Instituts der Waffen-SS, der zur Erprobung von Sera in Konzentrationslagern Auskunft gab und hingerichtet wurde. Befragt wurde auch der Veterinär Heinrich Kliewe, Professor an der Universität Gießen. Kliewe hatte Versuche mit Viren im Heereswaffenamt durchgeführt. Nach einem ersten Verhör am 28. Juli 1945 regten Kliewes Vernehmer an, auch nach „Prof. Herzberg Greifswald“ zu fahnden, der Kanarienvögel infiziert habe. Außerdem sollte alles über die „Reichsforschungsanstalt Island Riems“ in Erfahrung gebracht werden, da es in Verbindung mit „BW“ also Biological Warfare stehe.1925 Das Informationsbedürfnis der amerikanischen Offiziere ist auch dadurch erklärbar, weil die „Gemeinde“ der Virusforscher damals sehr klein, exklusiv und kollegial war. Der Direktor der Forschungsanstalt auf der Insel Riems arbeitete zum Beispiel sehr eng mit Eugen Haagen, dem Leiter der Abteilung für Zell- und Virusforschung am RobertKoch-Institut Berlin zusammen.1926 Haagen bildete später einen Forschungscluster für menschliche Viruskrankheiten an der Reichsuniversität Straßburg. Der mögliche Einsatz von Erregern für militärische Zwecke erschien den hochran1922 Vgl. dazu die Förderakte des Arztes Herbert Ruska, Bruder des Entwicklers des Siemens-Elektronenmikroskops Ernst Ruska. Die Akten 14117 und 14118 sind bei der Verfilmung zu einer einzigen Doppelakte zusammengeführt worden. Vgl. BA R 73/14117/14118. 1923 Vgl. Geißler, Erhard: Biologische Waffen – nicht in Hitlers Arsenalen. Biologische und ToxinKampfmittel in Deutschland von 1915 bis 1945, Münster 1999, S. 799 f. 1924 Vgl. Jacobsen, Annie: Operation Paperclip: The Secret Intelligence Program that Brought Nazi Scientists to America , New York 2014. 1925 Vgl. NA London FO 1049/1008. 1926 Vgl. Hinz-Wessels, Loeffler-Institut, S. 76.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

gigen Militärs in den ersten Kriegsjahren als abwegig. Auch der Oberkommandierende Hitler wünschte keine Verseuchung der zu erobernden Gebiete, weil das den Vormarsch der Panzer und der Infanterie behindert hätte. Seine Weisung war diesbezüglich unmissverständlich, er verbot 1939 sowohl chemische als auch biologische Kriegführung.1927 Von der Forschungsanstalt Riems wurde daher 1939 fast ein Drittel der inzwischen 250 Mitarbeiter zum Kriegsdienst einberufen. Otto Waldmann machte dem Innenministerium jedoch klar, dass die Vakzinproduktion mangels Arbeitskräften gefährdet war und zugleich jederzeit mit einem neuen Zug der Maul- und Klauenseuche aus dem eroberten Osteuropa zu rechnen sei. Dafür holte er sich Rückendeckung beim Oberkommando des Heeres, das bestätigte, dass die hohe Mobilität in Kriegszeiten eine erhöhte Seuchengefahr mit sich bringe. Mit dieser Plausibilität gelang es Waldmann, die Anstalt wieder arbeitsfähig zu machen. So wurde der Laborleiter Erich Traub, der beim Grenadierregiment 116 Dienst tat, zurück auf die Insel versetzt.1928 Sein Forschungsgebiet wurde der Hühnerpestvirus.1929 Dem Veterinär Heinz Röhrer, einem ausgewiesenen Pferde- und Rinderspezialisten, wurde 1942 die neugebildete Abteilung für Histologie übertragen.1930 Röhrer, Nationalsozialist seit 1931 und in der Partei auch aktiv, hatte verschiedene Posten bei der Polizei bekleidet, war der Forschung jedoch treu geblieben. Die Universität Köln habilitierte ihn 1939 kumulativ, seine Lehrprobe hielt er zur Frage der „Rindertuberkulose als Zoonose“. Auf seine Initiative ging die Anregung zurück, die durch Virus hervorgerufene Schweinelähme auf militärische Verwendbarkeit zu prüfen.1931 Der Universität Greifswald wurde Röhrer, 1942 zum Professor ernannt, 1943 als Dozent zugewiesen. Für seine Tätigkeit auf Riems wurde er vom Artillerieregiment 26 formal zur Veterinär-Ersatz- und Ausbildungsabteilung 2 versetzt. Diese Heeresabteilung firmierte für Traub und Röhrer als Mobilisierungsdienststelle, tatsächlich forschten sie auf dem Riems an militärischen Aufgaben.1932 Bereits 1940 hatte Waldmann einen zur IG Farben abgewanderten Dozenten der Universität Greifswald, den Enzymchemiker Gottfried Pyl, zurückgewinnen können. Er wurde Leiter der Chemischen Abteilung am Institut und wurde 1942 zum außerplanmäßigen Professor der Universität ernannt. Pyl gelang es, den eigentlich wandelbaren Erreger der Maul- und Klauenseuche zu stabilisieren,1933 an der Herstellung der militärisch wichtigen „Tro1927 Vgl. Eberle, Hitlers Weltkriege, S. 276 f. 1928 Vgl. BA MA RW 59/1359, Bl. 169; anders Hinz-Wessels, Loeffler-Institut, S. 87 ff. 1929 Vgl. R 73/14118. 1930 Vgl. Hinz-Wessels, Loeffler-Institut, S. 89. 1931 Vgl. UAG PA 568 Röhrer, Bd. 2, Bl. 19. 1932 Vgl. BA MA RW 59/1359, Bl. 169. 1933 Vgl. Pyl, Gottfried und Ludwig Klenk: Die Haltbarkeit des Virus der Maul- und Klauenseuche in hochprozentigen Salzlösungen, in: Zentralblatt für Bakteriologie, Abt. I, 137, Jg. 1936, S. 433–437.

5.19 Virusforschung und Biowaffen

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ckenpräparate“ war er beteiligt, zumindest forschte er zur „reversiblen Inaktivierung“ gefrorener Viruspräparate.1934 In einem Arbeitsbericht heißt es im Frühjahr 1944 lakonisch, an der Erprobung „einer neu entwickelten Vakuumgefriertrockenkammer“ werde „gearbeitet“.1935 Auch die Aufgabe einer weiteren Abteilung ist unklar, ihr Leiter Werner Schäfer war ein später in der Bundesrepublik hochdekorierter Virologe, der über seine Forschungen vor 1945 nichts verlauten ließ.1936 Zu dieser Forschergruppe stieß 1943 der Mediziner Herbert Ruska, dessen Bruder Ernst und Bodo von Borries seit 1937 die Entwicklungsstelle für Elektronenmikroskope in den Siemens-Werken leiteten. Ruskas Arbeitsgebiet war die Darstellung der Viren und ihrer Bestandteile. Ruska konzentrierte sich dabei auf den Zusammenhang zwischen Größe und Form aufgespaltener Viren und der Fähigkeit solcher Bestandteile zur Auslösung von Krankheiten. Zu diesem Zweck wurden virushaltige Lösungen „zerschäumt“, um die Frage einer möglichen „Potenzierung“ der Pathogenität zu prüfen. Die Annahme bestätigte sich nicht, aber es konnten Aufschlüsse über die Morphologie von Viren, speziell die krankheitsauslösenden Teile, Phagen genannt, gewonnen werden.1937 Der Charakter der Forschungen des auf diese Weise verstärkten und sehr leistungsfähigen Clusters war eindeutig auf eine offensive Anwendung von Biowaffen gerichtet, wie Kliewe bei seiner Vernehmung betonte. Von der zuständigen Abteilung im Heereswaffenamt (also Wa Prüf 9) wurden als möglicherweise wirkungsvoll eingestuft: „1. Pestbakterien, 2. Typhus, Paratyphusbakterien, 3. Milzbrandbazillen, 4. Rotzbakterien, Erreger der Maul- und Klauenseuche, Erreger der Rinderpest“.1938 Die Forschungen zur Maul- und Klauenseuche, möglicherweise auch zu Pferderotz und Rinderpest wurden in den Laboratorien auf der Insel Riems durchgeführt. Ansprechpartner in der Veterinärinspektion beim Oberkommando des Heeres war Heinz-Christoph Nagel, der 1932 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover über Schweinepest promoviert hatte und seit 1933 in Waldmanns Forschungsanstalt arbeitete.1939 Nagel hatte zunächst als Veterinär in einem Grenadierregiment Kriegsdienst geleistet, im Februar 1942 wurde er zum Untersuchungsamt in der Veterinärinspektion versetzt und zum Oberstabsveterinär befördert.1940 Die ersten Ergebnisse der Zu1934 Vgl. Pyl, G., Karl Otto Hobohm und Kuno Holz: Die reversible Inaktivierung von Virusadsorbaten beim Befrieren, in: Zeitschrift für Immunitätsforschung 102, 45, Jg. 1942, nach UAG R 319. 1935 Vgl. BA R 73/14117/14118. 1936 Vgl. Hausen, Peter: Schäfer, Werner, in: Neue Deutsche Biographie 22, 2005, S. 514 f. 1937 Vgl. BA R 73/14117/14118. 1938 Vgl. NA London WO 208/4277. 1939 Vgl. Nagel, Günter: Wissenschaft für den Krieg, S. 323. 1940 Vgl. BA-MA RW 59/1359, Bl. 167; Heinz-Christoph Nagel (1908–1973) promovierte in Hannover über Das Blutbild bei der Schweinepest in akuten und chronischen Fällen, Alfeld 1933.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

sammenarbeit präsentierte er bei einer Sitzung des ad hoc gebildeten „Blitzableiter“Komitees, in dem sich Offiziere der Heeresveterinär-Inspektion (unter ihnen der später auskunftsfreudige Kliewe), Offiziere des Heereswaffenamts (Wa Prüf 9) und andere Bürokraten zusammengefunden hatten.1941 Am 30. März 1943 gab Stabsveterinär Nagel bei einer Sitzung mit anderen Heeresveterinären Ergebnisse eines Feldversuchs bekannt, den er selbst am Peipussee durchgeführt hatte. Es sei gelungen, so Nagel, „künstliche Infektionen bei Rindern hervorzurufen“. Der Erreger der Maulund Klauenseuche (MKS) könne „mit Erfolg“ gegen England eingesetzt werden, weil der dortige Rinderbestand „nur schwach immunisiert sei“. Kliewe schlug daraufhin vor, den Masseneinsatz durch Agenten vorzunehmen. Die Voraussetzung für den Einsatz aus der Luft sei zu prüfen, weitere Versuche zum Abwurf von Behältern seien durchzuführen. Getestet werden sollten auch Bomben mit mehreren Kammern, die den Kampfstoff Lost und „Bakteriennebel“ enthalten sollten.1942 Mit der neuen Kompetenzverteilung für die biologische Kriegführung wurde das Institut auf der Insel Riems im Juni oder Juli 1943 für die „Arbeiten mit MKS-Erregern herangezogen“, weil diesen zunächst die „größte Bedeutung“ zukomme.1943 Dieser Versuch wurde den amerikanischen Offizieren später vom zuständigen Abteilungsleiter beschrieben: Dokument Nr. 11: Aus der Aussage von Oberst Walter Hirsch, Leiter von WaPrüf 9 (Chemische und Biologische Kriegführung) am 20. Juni 1945 in amerikanischer Gefangenschaft1944 Der veterinärmedizinische Teilbereich hatte im Mai oder Juni 1943 ein Experiment angestellt. Es wurde von Nagel und Stantien1945 auf einer kleinen Insel im Peipussee durchge1941 Anwesend war bei einer späteren Sitzung am 21. Juli 1943 auch Walter Schreiber, der durch seine unklaren Aussagen im Nürnberger Ärzteprozess maßgeblich zur Verschleierung der Sachverhalte beitragen sollte. Schreiber befand sich in sowjetischer Haft und war für die Stelle des Obersten Hygienikers in der ostdeutschen NVA vorgesehen. Er verwirrte das Gericht vorsätzlich durch wirre Angaben zur Pest, verschwieg jedoch konkrete Forschungen, über die er den sowjetischen Vernehmern wahrscheinlich Auskunft gab. Schreiber floh wie Waldmann nach Argentinien. Vgl. NA London WO 208/4277, gestempelte Zählung Bl. 119; Geißler, Biologische Waffen, S. 773 ff. 1942 Vgl. NA London WO 208/4277, Bl. 98 ff. 1943 Kliewe säuberte die Akte offenbar vor der Übergabe an die Alliierten, die gestempelte Blattzählung weist zwischen 114 und 120 Lücken auf. Vgl. ebd., Bleistiftzählung 120 f.; im Auftrag des Bundesluftschutzverbandes verfasste Kliewe später ein Lehrbuch über biologische Kampfmittel, in dem Viruskrankheiten prominent behandelt wurden. Vgl. Kliewe, Heinrich und J. Albrecht: Lehrbuch biologische Kampfmittel. Einsatz- und Schutzmöglichkeiten, Köln 1963. 1944 Vgl. NA London WO 208/4277. Übersetzung von Kirsten Schulze, Reading, Mitglied des britischen Chartered Institute of Linguists. 1945 Kurt Stantien betrieb seit den zwanziger Jahren ein von der Reichswehr finanziertes Privatlaboratorium in Berlin-Dahlem.

5.19 Virusforschung und Biowaffen

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führt. Ein 20-seitiger Bericht mit Fotografien wurde erstellt, und Kopien gingen an das OKW, Wa.Prüf.9, RFR [Reichsforschungsrat], W.Wiss. [Amt Wissenschaft im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung] und V.I. [Veterinärinspektion] sowie an Prof. Waldmann. Hirsch gab an, sein eigenes Exemplar verbrannt zu haben. Er erinnerte sich an folgende Einzelheiten.

Aus der zermahlenen Mundschleimhaut von 5 bis 6 infizierten Rindern wurde eine Suspension des Maul- und Klauenseuche-Virus hergestellt. Diese wurde von Waldmann auf der Insel Riems zubereitet und in einer Thermosflasche zu einem Flugplatz in der Nähe des Peipussees geschickt. Dort verdünnte man die Suspension mit Kochsalzlösung auf ein Volumen von 40 Litern und lagerte sie einen ganzen Tag lang im Kühlschrank. Am Abend wurde sie in den Spritzmittelbehälter eines Flugzeugs gefüllt, das man über Nacht auf dem Flugplatz stehen ließ. Am nächsten Tag wurde die Suspension frühmorgens von einem in etwa 20 Meter Höhe fliegenden Flugzeug aus in der Mitte der kleinen Insel, die nur einen Umfang von ein paar Kilometern hat, auf einer Fläche von ungefähr 2–300 x 40 Metern versprüht. Inzwischen hatte man etwa 50 Rentiere speziell ausgewählt und auf Flöße getrieben, die vor der Insel verankert wurden. Etwa eine Stunde nach dem Versprühen wurden sie auf die Insel gebracht und konnten dort nach Belieben die gesamte Gegend durchstreifen. Infolgedessen infizierten sich etwa 80 % der Tiere, wobei er jedoch glaubte, dass es sich bei den meisten Fällen um Sekundärinfektionen handelte. Für dieses Experiment wurde der gewöhnliche deutsche Erregerstamm des Virus benutzt, gegen den es einen zuverlässigen Impfstoff gab. Das Experiment sollte 1944 mit einem vom Balkan stammenden aggressiveren Erregerstamm sowie mit immunisierten und nicht immunisierten Tieren wiederholt werden. Aufgrund der Kriegssituation kam es jedoch nicht dazu. Im Verlauf des Jahres 1944 wurde Nagel von der V.[eterinär] In.[spektion] zurückgerufen und an die Front geschickt. Quelle: NA London WO 208/4277

Fast ein Jahr nach dem Treffen der Veterinärmediziner gab Stabsveterinär Nagel zu Protokoll, dass seine letzthin geäußerten Angaben zum „flüssigen MKS-Präparat“ überholt seien. Das Protokoll dieser Sitzung zum flüssigen Kampfstoff fehlt in der Akte.1946 Aus den Begleitdokumenten kann jedoch geschlossen werden, dass Nagel am 24. Mai 1944 mitteilte, dass es „inzwischen“ gelungen sei, „ein lagerbeständiges Trockenpräparat“ herzustellen, das „noch in einer Verdünnung von 1:10000 wirksam“ sei. Er habe deshalb um die Gelegenheit gebeten, diese Proben „auf dem B-Feld-Ost“ 1946 Die ursprünglich freigegebene Akte mit der Aussage von Oberst Hirsch, beim Waffenprüfungsamt Abteilung 9 zuständig für die biologische Kriegführung, ist in den National Archives London wieder gesperrt.

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5. Die wissenschaftliche Selbstprofilierung der Universität

mittels Vernebelung zu erproben. Inzwischen war auch das zuständige Referat für die Bombenkonstruktion vorangekommen, weshalb das Waffenprüfungsamt Versuche mit dem Trockenpräparat und dem verflüssigten Präparat befürwortete.1947 Die Laborversuche rechtfertigten diese Vorgehensweise. Gelagertes Trockenmaterial und frisches Trockenmaterial wurden auf Riems in geringster Verdünnung an Rinder verfüttert. Bei zwei von drei Versuchen starben alle drei Tiere. Warum der Kampfstoff nicht in Serie produziert wurde, geht aus dem Protokoll vom 9. Juni 1944 ebenfalls hervor. Die Feldversuche würden „in Angriff genommen“, sobald ein geeignetes Gelände zur Verfügung stehe.1948 Die sowjetische Offensive im Bereich der Heeresgruppe Mitte („Operation Bagration“) im Sommer 1944 sorgte dafür, dass kein Testgelände mehr zur Verfügung stand. Die Forschungen auf der Insel Riems gingen jedoch weiter. Bei Passagen des dermotropen Maul-und-Klauenseuche-Virus im Mäusehirn bemerkten die Forscher eine Veränderung der Pathogenität, die aber erst nach etwa 100 bis 140 Durchgängen einsetzte. Das Virus griff dann die infizierten Meerschweinchen nicht mehr an, rief aber Veränderungen im Gehirn der Maus hervor und tötete diese. Ruska und Röhrer rekonstruierten die Vermehrungsgeschwindigkeit des mutierten Erregers und sicherten dessen Stabilität. Sie versuchten auch, eine beschleunigte Vermehrung durch Bestrahlung herbeizuführen, was ihnen gelang, wie Ruskas Abschlussbericht vom 19. März 1945 belegt.1949

1947 Vgl. NA London WO 208/4277, gestempelte Zählung Bl. 193 f. 1948 Vgl. ebd. gestempelte Zählung Bl. 196 f. 1949 Der Abschlussbericht wurde an den Reichsforschungsrat (Mentzel), den Präsidenten der eigenen Einrichtung (Waldmann) und an das Siemens-Laboratorium (von Borries und Ernst Ruska) gesandt.Vgl. BA R 73/14117/14118.

6. Die Universität im Krieg

6.1 Schließung und Einberufungen

Der Zweite Weltkrieg begann in den Semesterferien. Die meisten Studenten waren bereits im August mobilisiert worden ebenso wie die Assistenzärzte und die Professoren, die Reserveoffiziere waren. Das Prozedere war eingeübt, bereits anlässlich der Besetzung Österreichs und bei der Sudetenkrise hatte es Einberufungen gegeben. Die meisten jüngeren wehrpflichtigen Ärzte wurden nach ihrer Ausbildung der Sanitätsabteilung 2 zugeteilt, sofern sie in Pommern tätig waren. Diese im Wehrkreis II (Pommern und Mecklenburg) als militärische Parallelstruktur gebildete Krankenversorgung war verwaltungstechnisch in Stettin beheimatet, hatte aber auch eine Außenstelle in Greifswald.1950 Umgangssprachlich wurde sie als „Heeressanitätsstaffel Greifswald“ bezeichnet und war dem Ersatzheer zugeordnet. Die Ärzte, die für den aktiven Dienst bei der Truppe vorgesehen waren, wurden meist bereits den dort zuständigen Sanitätsabteilungen der Wehrkreise zugewiesen. Ähnliche Strukturen wurden für die Militärpfarrer geschaffen. Einige wenige Wissenschaftler wurden für ihre Forschung „unabkömmlich (uk.)“ gestellt, etwa die Chemiker, die sich mit Kampfstoffen befassten. Da keine Universität im September 1939 arbeitsfähig gewesen wäre, wurden sie per Erlass vom Wissenschaftsministerium am 7. September 1939 geschlossen.1951 Schon vorher hatte sich die Universität, wie fast alle anderen Universitäten auch, in Verträgen mit Heer und Luftwaffe verpflichtet Lazarettabteilungen in ihren Kliniken einzurichten.1952 Chefarzt des Reservelazaretts Greifswald war Gerhardt Katsch, für die Stellenbesetzung in den Abteilungen war ein bestimmter Schlüssel einzuhalten, der aber üblicherweise wegen Ärztemangels nicht erreicht wurde.1953 1940 wurde das Luftwaffenlazarett fertiggestellt, was die Reservelazarette aber nicht entlastete. Die meisten Dozenten der Universität dienten in Stabsverwendungen. Der Biologe Curt Heidermanns leistete seit August 1939 Kriegsdienst als Hauptmann in einer 1950 Vgl. Lubs, IR 5, S. 59 f. 1951 Vgl. UAG R 988. 1952 Vgl. Scheibe, Ralf: Universität und Militär in Greifswald in der Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Alvermann, Dirk und Karl-Heinz Spieß: Bausteine zur Greifswalder Universitätsgeschichte, Stuttgart 2008, S. 160 ff. 1953 Vgl. UAG PA 1276 Bd. 1

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6. Die Universität im Krieg

Kraftfahrabteilung und war im Polen- und im Frankreichfeldzug eingesetzt. Im Krieg gegen die Sowjetunion diente er im Stab eines Nachschubführers bei der Infanterie. Später kam er zur Heeresunterkunftsverwaltung im nordfranzösischen Caen. Er wurde mit dem Kriegsverdienstkreuz I. Klasse ausgezeichnet und zum Major befördert. Die Universität reklamierte ihn zum Wintersemester 1942/43 für die Ausbildung der Medizinstudenten.1954 Nach der Rückkehr Heidermanns wurde sein bisheriger Vertreter Rudolf Seifert eingezogen, dessen Engagement für die Fischzuchtanstalt in Eldena nicht kriegswichtig genug für eine Unabkömmlichstellung war. Ab 1943 diente er als Fahrer, war jedoch zugleich, wie sich andere Soldaten später erinnerten, die „rechte Hand“ des nationalsozialistischen Führungsoffiziers. In dieser Funktion hielt er nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler mehrere Vorträge, die er später selbst als problematisch bewertete. Im Januar 1945 wurde er zu einer hygienisch-bakteriologischen Untersuchungsstelle versetzt.1955 Der Geograph Hartnack wurde, obwohl SSOffizier, dem Nachschubführer 587 im Wehrkreis II zugeteilt, einer Einheit, die nach den ersten Tagen des Krieges gegen die Sowjetunion in Richtung Schwarzes Meer verlegt wurde. 1942 wurde Hartnack versetzt, wahrscheinlich zum kartographischen Verlag Perthes in Gotha.1956 Der Volkswirtschaftler und Russlandspezialist Dietrich Preyer ging im Juli 1941, obwohl bereits 63 Jahre alt, zum Amt Abwehr im OKW. Dort war er in der Gruppe VIII, Auswertung, eingesetzt1957 und widmete sich, wie er den Vorgesetzten im Ministerium mitteilte, „rein wissenschaftlicher Tätigkeit“.1958 Im September 1944 wurde er zum Oberstleutnant befördert und am 30. November dieses Jahres in den Ruhestand versetzt.1959 Der Germanist Wolfgang Stammler hatte 1938 eine Reserveübung bei der Luftwaffe absolviert und wurde mit Kriegsbeginn zur Kriegsgeschichtlichen Abteilung des Luftfahrtministeriums versetzt. In Norwegen war er mit der Sicherstellung von Akten beauftragt und kehrte 1942 nach Berlin zurück. Für den Einsatz wurde er nicht ausgezeichnet, weshalb er die Dekoration mit der Spange zum Eisernen Kreuz I. Klasse und dem Goldenen Verwundetenabzeichen selbst in seinem Wehrpass eintrug. Beim Wiederantritt in Berlin 1942 trug er diese Orden, wobei aber auffiel, dass sie ihm nicht verliehen worden waren. Stammler wurde degradiert und zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnisstrafe verurteilt, die er im Wehrmachtsgefängnis in Torgau verbüßte. Seine Einlassung, dass er sich nach dem anstrengenden Norwegeneinsatz „so leer“ vorgekommen sei, wurde nicht 1954 Vgl. UAG K 731, UAG PA 72 Heidermanns; BA MA RW 59/2077 Karteikarte Heidermanns. 1955 Vgl. UAG PA 259 Seifert. 1956 Vgl. BA-MA RW 59/2078. 1957 Laut Akte Abt. 8, korrekt ist Gruppe VIII. Vgl. UAG K 731. 1958 Vgl. BA R 4901/20262. 1959 Vgl. BA MA RW 59/2078 Karteikarte Preyer, Dietrich.

6.1 Schließung und Einberufungen

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berücksichtigt und er offenbar auch nicht auf seinen psychischen Zustand hin untersucht.1960 Der Gynäkologe Hans Nevinny-Stickel war Assistenzarzt in der Sanitätsabteilung 1 und wurde mit Kriegsausbruch dem 258. Feldlazarett zugeteilt und nach dem Einsatz im Polenfeldzug zum Oberarzt befördert.1961 Im März 1941 wurde er für die Universität uk. gestellt.1962 Der Weg konnte jedoch auch umgekehrt gegangen werden. Der Psychiater Edgar Schorre, der erst Anfang 1939 an die Universitätsklinik Greifswald gewechselt war, erhielt hier seine Anerkennung als Facharzt, wurde aber Ende August 1939 eingezogen. Er diente zunächst als Assistenzarzt in einer Heeressanitätskompanie, erhielt jedoch 1940/41 Arbeitsurlaub zur Fertigstellung seiner Habilitationsschrift. Als Dozent wurde er 1942 der Universität Greifswald zugewiesen und zur Sanitätsstaffel Greifswald versetzt. Hier war er im Teillazarett für periphere Nervenverletzungen tätig, das von der Nervenklinik betreut wurde. 1943 folgte die Beförderung zum Stabsarzt der Reserve, im Juli 1943 ließ sich Schorre „aktivieren“ und wechselte unter Widerrufung des Beamtenverhältnisses als Oberstabsarzt zur Wehrmacht.1963 Er wurde als Beratender Psychiater beim Armeeoberkommando 4 eingesetzt, das in Weißrussland stationiert war. Überliefert hat sich von ihm nur ein Bericht vom März 1944 über einen morphiumsüchtigen Arzt, dessen Dienstfähigkeit nach dem Entzug er beurteilen sollte. Schorre teilte dessen Vorgesetzten mit, dass die Menge des konsumierten Rauschgifts gering gewesen sei und der Arzt damit starke Schmerzen behandelt hatte. Nach einer Woche kaltem Entzug sei er in dem Lazarett, in dem er den Entzug durchgeführt habe, wieder mit steigendem Interesse und Arbeitseifer als Arzt tätig. Schließlich wurde er als voll dienstverwendungsfähig entlassen.1964 Sein Kollege Heinrich Bartelheimer, 1938 eingezogen, nahm als Unterarzt in einem Jagdgeschwader an der Besetzung des Sudentenlandes teil. 1940 lehrte er wieder als Dozent, wurde dann aber wieder eingezogen und war als Oberarzt im Standortlazarett Aalborg (Dänemark) tätig. Im Juni 1941 wurde er zum Luftwaffenlazarett Greifswald versetzt und zugleich in der Medizinischen Klinik beschäftigt. 1965 Der Spezialist für Innere Medizin Martin Gülzow diente im Polenfeldzug, wurde dann aber für die Universität reklamiert, weil, so Katsch im Juni 1941, „hier kein einziger

1960 Vgl. BA-MA RW 59/1644, Bl. 693 und RW 59/1628. 1961 Vgl. BA MA RW 59/2090 Karteikarte Nevinny-Stickel. 1962 Vgl. UAG K 731. 1963 Vgl. UAG PA 628 Schorre; BA MA RW 59/2090 und 2071 Karteikarten Schorre. 1964 Vgl. RH 12-23-674. 1965 Vgl. UAG PA 630 Bartelheimer, Med. Fak I 109 Bl. 1.

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6. Die Universität im Krieg

Röntgenologe zur Verfügung stand“.1966 Als Wehrmachtspathologe eingezogen war Hermann von Törne seit Dezember 1939.1967 Der Oberarzt der Augenklinik Sophus Mielke leitete von Kriegsbeginn bis Dezember 1940 die Lazarettabteilung der Augenklinik. Danach war er zur Trachombekämpfung bei den Umsiedlern aus Bessarabien und Litauen beurlaubt. 1942 arbeitete er erneut im Reservelazarett und stellte seine Habilitationsschrift Experimentelle Untersuchungen zur Frage der Schädigung des Auges durch intraokulare Fremdkörper aus Aluminium und seinen Leichtlegierungen fertig. 1943 zum Dozenten ernannt, war er danach als Beratender Augenarzt im Rang eines Stabsarztes bei der Heeresgruppe Mitte tätig.1968 Der Facharzt für Innere Medizin Rudolf Pannhorst war zum Kriegslazarett 2/614 eingezogen. Da ihn die weitverbreitete Hypothese interessierte, ob Tuberkulose und Mangelernährung in einem inneren Zusammenhang stünden, führte er in belgischen Gefangenenlagern im Oktober 1941 Röntgenreihenuntersuchungen durch. Durch die Ernährungslage wiesen fast alle Häftlinge Symptome der „Hungerkrankheit“ auf, wie Pannhorst konstatierte. Die Hauptsymptome waren Abmagerung, Schwäche und Leberschäden. Der kooperierende Lagerarzt führte nach Feststellung der Krankheiten eine Ernährungsumstellung durch, wie Pannhorst berichtete. Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren jedoch noch nicht alle Symptome abgestellt. Einige Häftlinge des Lagers hatten Abmagerungen auf (!) 40 Kilogramm zu verzeichnen und waren noch immer nicht wieder völlig gesund. Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Hunger und Tuberkulose war die Studie unergiebig. Da zwei Drittel der Häftlinge Juden waren, untersuchte Pannhorst auch den Unterschied zu sogenannten Ariern. Das Forschungsergebnis war, dass signifikante Unterschiede im Hinblick auf Tuberkuloseerkrankungen offenbar nicht bestanden.1969 Zur Luftwaffe eingezogen war der Oberarzt der Medizinischen Klinik Fritz Brauch. 1940 legte er seine Erfahrungen aus den Tauglichkeitsuntersuchungen zur Beeinträchtigung der fliegerischen Leistungsfähigkeit durch Magen- und Darmerkrankungen dar. Hier beschrieb er Erkrankungen von Fliegern, die vermeintlich an Höhenkrankheit oder psychischen Störungen, etwa scheinbar nervösem Erbrechen litten. Brauch konnte dabei das Vorliegen anderer Erkrankungen nachweisen, etwa eines Zwölffingerdarmgeschwürs oder, was erstaunt, eine nicht ausgeheilte Mandelentzündung. Brauch polemisierte dabei gegen die häufige Neigung der Piloten, gründliche 1966 Vgl. UAG PA 490 Gülzow, Bd. 2, Bl. 101. 1967 Vgl. UAG K 731. 1968 Vgl. Töpel, Universitätsaugenklinik, S. 107; BA MA RW 59/2090 Karteikarte Mielke; PA 537 Mielke. 1969 Vgl. BA-MA RH-12-23.

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Untersuchungen zu verschleppen, weil gerade Magen- und Darmerkrankungen im Anfangsstadium viel einfacher zu behandeln seien als in manifestiertem Zustand.1970 Ab 1941 war Brauch als Beratender Arzt im Stab einer Luftflotte in Königsberg stationiert. Von ihm ist einer der wenigen Feldpostbriefe in den Akten abgeheftet, in dem er seine Bewunderung für die Leistung der kämpfenden Truppe im Krieg gegen die Sowjetunion zum Ausdruck brachte. Es sei „unglaublich, was der deutsche Soldat“ in diesem Sommer 1941 leisten müsse, es sei wohl „der bislang hartnäckigste und erbittertste Feldzug der bisher geführt wurde. Die Russen verteidigen sich bis zum letzten.“ Er habe viel mit den Verwundeten und den nötigen Lufttransporten zu tun, die Seuchenlage sei trotz äußerster Hitze „äußerst günstig“, „hoffentlich bleibt das so“. Obwohl sich die Russen im Hinblick auf ihre Panzerwaffe „erstaunlich“ stark zeigten, schien Brauch doch optimistisch: „Die nächsten Grüße hoffe ich aus Moskau senden zu können.“1971 Ein weiterer Brief stammt von dem Arzt und Kampfstoffbeauftragten beim Armeeoberkommando in Paris Horst-Günther Krainick. Er schrieb ihn nach dem Scheitern des ersten Invasionsversuchs in der Normandie am 7. September 1942 an die Medizinische Fakultät: „Unsere Westfront hat inzwischen am Tage von Dieppe aller Welt zeigen können, dass sie nicht schlechter ist als die Ostfront. Leider haben sich die Briten allzu schnell unserer Prügel entzogen, wenn sie auch viele Haare lassen mussten.“ Auf seinem Gebiet – dem Gasschutz – werde fleißig gearbeitet, „um auch hier allen Überraschungen gegenüber gerüstet zu sein“.1972 Da kein geschlossenes Korpus von derartigen Feldpostbriefen vorliegt, kann nicht ermittelt werden, wie weit die Angehörigen des Lehrkörpers mit den Kriegszielen übereinstimmten.1973 Da viele jedoch der NSDAP angehörten und sich fast alle in irgendeiner Weise engagierten, kann zumindest eine patriotische Grundstimmung angenommen werden. Oder anders gesagt: Wenn schon Krieg, so sollte er gewonnen werden. Ein Zeugnis von der Geisteshaltung eines Studenten gibt das Gedicht eines Theologiestudenten, das er 1944 vor seinem Tod in Frankreich für seinen soeben geborenen Sohn verfasste.1974

1970 Vgl. Brauch, Fritz: Zur Frage der Beeinträchtigung der fliegerischen Leistungsfähigkeit durch Magen- und Darmerkrankungen, in: Der Deutsche Militärarzt, Heft 11, 1940, S. 462. 1971 Vgl. UAG PA 457, Bd. 3, Bl. 112 1972 Vgl. UAG Med. Habil. 218, Bl. 4. 1973 Zu den Schwierigkeiten einer retrospektiven Demoskopie vgl. Kershaw, Ian: Der Hitler-Mythos. Führerkult und Volksmeinung, München 2003, S. 17 ff. 1974 Vgl. NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Bruno Reinhard, Nr. 7/8, August 1944, S. 9 f.

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Dokument Nr. 12: Ein Zeugnis von der Geisteshaltung der studentischen Kämpfer in der Wehrmacht bietet das Gedicht des Theologen Friedrich Wilhelm Schmidt, der 1944 im Alter von 29 Jahren in Frankreich fiel; er widmete es seinem soeben geborenen Sohn

Sag Ja zu dem, was Du getan! Komm’ nachher nicht mit Reue an! Sag ja zu dem, so wie Du bist! Gott selber doch der Schöpfer ist. Sag ja zu dem, was Dir das Schicksal bringt! Dann gibt es nichts, was Dich bezwingt. Der Sieg selbst über’s Schicksal Dir gelingt. Jag’ nicht Hirngespinsten nach, Träum nicht von hohem Idol! Lebe Dein junges Leben! Dazu hat’s Gott Dir gegeben. Werte allein sind hohl! Bleib auf der Erde! Sei wach! Lebe Dein junges Leben, Aber nicht wie ein Tier, Nur der Materie ergeben, Nur im Hunger nach niedriger Gier! Lebe frei nach eigener Wahl, nach hohem und hehrem Ideal. Es gibt so viele Ideale, die sind hoch in den Himmel geschrieben und sind doch leere Worte geblieben. Sie haben erst Wert, wenn ein Mensch sich findet, der ewig sich an sie bindet. Des Mannes Ideale sind: Freiheit, Stolz und seine Ehr’ Treue, Kameradschaft, Tapferkeit, Kampf in Waffen und Wehr um Weib und Kind, um Volk und Vaterland.

6.2 Kriegseinsatz in der Heimat und an der Front

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Dein höchstes Gut Dein reines Blut. Quelle: NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft „Bruno Reinhard“, Nr. 7/8, August 1944, S. 9 f.

6.2 Kriegseinsatz in der Heimat und an der Front 6.2.1 Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften: Propaganda gegen die Westmächte

Bereits bevor Ende 1940 nationalsozialistische Wissenschaftsfunktionäre eine großangelegte „Aktion“ zur Mobilisierung der Geisteswissenschaften für den „Kriegseinsatz“ begannen,1975 hatten sich mehrere Universitätsangehörige für die Auslandspropaganda des Regimes engagiert. Den Anfang machte der Romanistikprofessor Edmund Schramm, der für die Deutsche Informationsstelle eine Broschüre über die französische Unterstützung für die Spanische Republik verfasste. Die Deutsche Informationsstelle gehörte zum Auswärtigen Amt und versorgte vor allem die neutralen Staaten mit Material zur deutschen Politik.1976 Bereits der Umschlag der 1940 veröffentlichten, knapp achtzigseitigen Broschüre über Frankreichs Einmischung im spanischen Bürgerkrieg gibt den Inhalt wieder: Die Fackel der Französischen Revolution stecke Spanien in Brand.1977 An den Anfang seines Buches stellte Schramm, der lange in Madrid gelebt hatte und die Verhältnisse genau kannte, eine Unwahrheit. Der Aufstand Francos, der tatsächlich mit der Revolte einer kleinen Offiziersclique in Nordafrika begonnen hatte, sei eine „Volksbewegung großen Stils“ gewesen, der sich „gegen den Terror und die Tyrannei“ der Volksfrontregierung gerichtet habe. Nur durch Frankreichs Eingreifen habe Franco nicht sofort gesiegt. Dann leitete er zur französischen Innenpolitik über. Auch in Frankreich habe man mit „Befremdung und Entrüstung die Nachrichten vernommen, die von An1975 Initiator Paul Ritterbusch war Rektor der Universität Kiel und wurde 1941 in das Wissenschaftsministerium berufen, um das groß angelegte „Gemeinschaftswerk“ zu koordinieren. Von den Greifswalder Professoren erklärte sich lediglich Reinhard Haferkorn zur Mitwirkung bereit. Er wollte den politischen Wortschatz in der englischen Gegenwartssprache untersuchen. Anspruch und Wirklichkeit klafften jedoch weit auseinander, wie Frank-Rutger Hausmann feststellte. Auch Haferkorns Beitrag zu dem auf elf Bände angelegten Projekt wurde nicht geschrieben. Vgl. Hausmann, Frank-Rutger, Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften, Aktion Ritterbusch , S. 30–33, 370–374, 386. 1976 Vgl. Sösemann, Bernd: Propaganda. Medien und Öffentlichkeit in der NS-Diktatur, Stuttgart 2001, S. 764. 1977 Vgl. Schramm, Edmund: Frankreichs Einmischung im Spanischen Bürgerkrieg, Berlin 1940.

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archie und völliger Auflösung der sozialen Ordnung, von Brandstiftung und politischem Mord berichteten“. Trotzdem sei die erste Reaktion „des offiziellen Frankreich“ eine „entschiedene Stellungnahme zugunsten der spanischen Volksfrontregierung“ gewesen. „Wie war das zu verstehen?“, fragte Schramm rhetorisch.1978 Auf den folgenden Seiten gab Schramm dann Erklärungen. Schon aus geopolitischen Gründen habe Frankreich Interesse an einer instabilen Lage in Spanien gehabt, denn dessen „politische Ohnmacht“ sei die beste Garantie dafür, dass ein Angriff gegen das Mutterland von Süden und auf die französischen Kolonien nicht erfolge. Es habe nicht riskieren wollen, dass aus Spanien „ein starker, innerlich gefestigter und militärisch gut gerüsteter Staat“ werde. Mit der Selbstbestimmung für Katalonien führte die Volksfrontregierung eine „entschiedene Schwächung der staatlichen Einheit Spaniens“ herbei, behauptete Schramm. Die Aufhebung religiöser Bindungen untergrabe „die letzten Reste von moralischer Übereinstimmung im Spanischen Volk“, die Heeresreform mindere Spaniens „Wehrkraft“ und die „überstürzte Agrarreform“ führe zur Zerrüttung seiner Wirtschaft. In Frankreich sei der Eindruck entstanden, so Schramm, dass Spanien endgültig zu einem machtlosen „Trabanten“ Frankreichs geworden sei. Eben deshalb habe es vom ersten Augenblick des Bürgerkriegs an die Volksfrontregierung „aktiv“ unterstützt und sei dadurch „mitschuldig“ geworden, dass dieser „mörderische Kampf um zwei ganze Jahre verlängert wurde“.1979 Schramm ergriff eindeutig Partei, wie auch die angeführten Statistiken zeigen. Er listete die Lieferungen, die aus Frankreich nach Spanien kamen, akribisch auf und kritisierte die francospanischen Unterstützungskomitees als Verletzung der Nichteinmischungspolitik. Er schreckte nicht einmal vor der Wiedergabe finsterster Gräuelpropaganda zurück, etwa wenn er beschrieb, wie die Pariser den Auftritt der „berüchtigten revolutionären Hetzrednerin Dolores Ibarruri“ hätten erleben dürfen. Es sei ein „einzigartiges Schauspiel“ gewesen, „dass eine Ausländerin, von der das Gerücht geht, sie habe höchstpersönlich einem Priester die Kehle durchgebissen, in einer öffentlichen Massenversammlung auf die Innen- und Außenpolitik Frankreichs Einfluss zu nehmen“ versucht habe.1980 Im Hinblick auf die Internationalen Brigaden argumentierte Schramm zumindest schief, wenn er diese „stoßkräftigen Einheiten“, die den Einmarsch Francos in M ­ adrid verhindert hätten, als allein aus rekrutierten Franzosen beschrieb. Die deutschen Freiwilligen unterschlug er völlig, zeichnete aber dann Porträts von französischen Offizieren, die sich wie ein Fahndungsaufruf lesen.1981 Selbstverständlich verschwieg er die be1978 Vgl. ebd., S. 7 f. 1979 Vgl. ebd., S. 10 und 13 f. 1980 Vgl. ebd., S. 40. 1981 Vgl. ebd., S. 42 ff. Dabei benannte er unter anderem den Kommunisten André Marty, ohne jedoch dessen Verbindungen zur Komintern zu erwähnen. Das war der politischen Lage ge-

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deutende Unterstützung, die das Deutsche Reich Franco in Gestalt der Legion Condor zukommen ließ und die zumindest von den Beteiligten als kriegsentscheidend gewertet wurde. Schramm thematisierte folgerichtig die Zerstörung von Guernica/ Gernika, der „heiligen Stadt“ der Basken, die ein weltweites Echo hervorrief. Dabei behauptete er rundheraus, dass die Stadt „von ihren Verteidigern in Brand gesteckt wurde“. Die Behauptung ist unwahr und war bereits damals eine Lüge, denn der Stabschef der Legion Wolfram von Richthofen war von einer großen Truppenkonzentration in der Stadt ausgegangen – weshalb er den massiven Luftangriff anordnete. Die Annahme erwies sich als unrichtig, weshalb die Legion zu der dürftigen und von Schramm wiedergegebenen Notlüge griff, dass die Verteidiger die Stadt niedergebrannt hätten. Angesichts des Angriffs in mehreren Wellen und des durch die Bombardements bewusst ausgelösten „Feuersturms“, erscheint die Behauptung absurd, entsprach aber der Verschleierungstaktik, die von Richthofen anwandte. Die Stadt sei von den „Roten“ selbst angezündet worden.1982 Angesichts bevorstehender Kriege war es von Bedeutung, dass ein scheinbar wissenschaftlich abwägender Autor mit Professorentitel die Legende von der völkerrechtskonformen Luftwaffe bzw. den Freiwilligen der Legion Condor perpetuierte. Die Deutsche Informationsstelle arbeitete bei einer Buchreihe mit dem Titel England ohne Maske mit der Reichsstudentenführung zusammen, die Kontakt zu dem Dozenten Friedrich Schubel aufnahm. Für seine Broschüre über Englands Ausbeutung der westindischen Inseln wählte er sich das Pseudonym Max Friedrich.1983 Schubel alias Friedrich geißelte die britische Kolonialpolitik und zog als Illustration die Aufstände und Streiks der Ölarbeiter auf Trinidad heran. Im Juni 1937 waren diese Unruhen von britischen Soldaten niedergeschlagen worden, was 14 Tote und 59 Verwundete kostete. Der Streik habe sich gegen die „Hungerlöhne“ gerichtet und der Marsch der Arbeiter, Frauen und Kinder habe nur durch „Bajonette“ gestoppt werden können. Das aber sei typisch für die Behandlung der Einheimischen in den ältesten kolonialen Besitzungen des Britischen Empire.1984 Schubel zitierte in der Broschüre ausschließlich englische Quellen, was seiner Studie eine tragfähige propagandistische Basis verlieh, nämlich „unparteiliche Sachlichkeit“. Denn die Engländer selbst hätten „eine ungeheure Anklage gegen die verantwortlichen Männer der englischen Regierung“ schuldet, das Deutsche Reich und die Sowjetunion hatten ein Jahr zuvor einen Grenz- und Freundschaftsvertrag geschlossen. 1982 Vgl. Schüler-Springorum, Stefanie: Krieg und Fliegen. Die Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg, Paderborn u. a. 2010, S. 188 ff. 1983 Vgl. UAG PA 260 Schubel. 1984 Vgl. Friedrich, Max (d. i. Friedrich Schubel): Englands Ausbeutung der westindischen Inseln, Berlin o. J. [1940], S. 7 ff.

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formuliert, die Schubel scheinbar objektiv wiedergab.1985 Tatsächlich war das Buch eine massive Anklage gegen den Kolonialismus. In den Kolonien würden nur profitable Pflanzenarten angebaut, was zu Monokultur führe. In den Städten hätten sich Slums ausgebreitet, für die das Fehlen selbst elementarster Dinge kennzeichnend sei. Eigentümer dieser Slums zögen oft erhebliche Profite aus den Elendsbehausungen, weil andere einfach nicht zur Verfügung stünden und oft entpuppe sich der Besitzer als Inhaber eines „herrschaftlichen Hauses“. Danach prangerte Schubel die „Demoralisation“ der Bevölkerung an und zitierte dazu britische Zeitungsartikel, die auf den skandalösen Anteil von 70 Prozent unehelich geborener Kinder hinwiesen. Die unzureichenden Schulverhältnisse täten ihr Übriges, auf Trinidad, wo die Verhältnisse noch am besten seien, besuchten nur 56 Prozent überhaupt eine Schule. Folgerichtig sei die Verwahrlosung der Jugend, die unter chronischer Arbeitslosigkeit leide.1986 Die Profiteure des Elends benannte Schubel ebenfalls und knüpfte damit an die sozialistische Propaganda der NSDAP in ihrer Kampfzeit an. Die Eigentümer der Ölgesellschaften erhielten Dividendenrenditen zwischen 8,75 und 32,5 Prozent, die der Pachtgesellschaften, also der landwirtschaftlichen Monokulturen von Zucker oder Kakao 7,5, 18,25 oder 30 Prozent. Die „unerhörten Methoden einer kleinen Clique englischer Plutokraten“, welche „keinerlei Verständnis für die elementarsten menschlichen Bedürfnisse der arbeitenden Massen“ hätten, seien allein verantwortlich für die Streiks und blutigen Revolten.1987 Zum Schluss prangerte Schubel das Kolonialsystem selbst an. Nicht nur die Aktionäre würden profitieren, sondern auch die britische Regierung selbst. Der Gouverneur der Regierung von Trinidad überwies als Zeichen der „dankbaren Verbundenheit“ mit dem britischen Mutterland jährlich hohe Summen nach London. In Trinidad mit einer Bevölkerung von 450.000 seien bei Wahlen stimmberechtigt ganze 26.000. Schubels Kommentar war höhnisch. Das sei also die britische Ausprägung von „Demokratie und Selbstverwaltung“, aber eigentlich „konsequent plutokratisch-kapitalistisch“. Der Masse der Eingeborenen sei es verwehrt, „ihre grauenhafte Lage“ auf legalem Wege zu bessern. Sie sei „rechtlos“ einem System ausgeliefert, das seine Privilegien mit „Gewalt“ aufrechterhalte. England, so Schubels Schlussfolgerung, betreibe nicht aktive „Kolonialpolitik“, sondern „Ausbeutung“.1988 So richtig Schubels Beschreibung der kolonialen Verhältnisse gewesen sein mag, war es jedoch eine einseitige Zuspitzung. Zudem blendete er bestimmte Sachverhalte einfach aus, etwa den, das Trinidad ein Zentrum des Sklavenhandels war und die indigene Bevölkerung ausgerottet worden war. Beides schien ihm offenbar nicht als 1985 Vgl. ebd., S. 13 f. 1986 Vgl. ebd., S. 40–49. 1987 Vgl. ebd., S. 65 ff. 1988 Vgl. ebd., S. 71 ff.

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kritikwürdig. Sein Bild war auch insofern schief, weil er die Zustände allein auf das Wirken Londoner Plutokraten zurückführte, denen die britische Regierung scheinbar untertan sei. Im Sinne der deutschen Propaganda war die Schrift jedoch eine Meisterleistung, weil sie an das Freiheitsgefühl unterdrückter Nationen appellierte, zu denen sich die Deutschen rechneten. Der Doktorand und Dolmetscher Wolf Helmut Wolf-Rottkay publizierte nicht unter Pseudonym, sein Thema war das britische Schulsystem, dessen „plutokratischen Grundzug“ er geißelte. Auch Wolf-Rottkay arbeitete mit der Studentenführung zusammen, konnte aber wohl auf Material des Auswärtigen Amts zurückgreifen.1989 Während Schramms 1940 publiziertes Frankreichbuch von den Ereignissen überholt wurde, behielt die Buchreihe England ohne Maske angesichts des andauernden Krieges ihre Aktualität. Sie richtete sich mit ihrem hohen Anspruch eindeutig an Multiplikatoren, etwa Schulungsoffiziere. Die Buchreihe war auch deshalb besonders wichtig, weil die deutsche Propaganda Großbritannien bisher großzügig behandelt hatte. Sie folgte damit Hitlers Vorstellung von einer deutschen Vorherrschaft auf dem Kontinent, während die Beherrschung des riesigen Kolonialbesitzes dem Empire vorbehalten bleiben sollte.1990 Für die Deutsche Informationsstelle verfasste der Volkswirt Peter-Heinz Seraphim 1941 eine Schrift über die Juden in Osteuropa, auf die an anderer Stelle Bezug genommen wird. Auf die Innenpolitik Großbritanniens zielte die Broschüre des Doktoranden WolfRottkay, die ebenfalls in der Reihe England ohne Maske erschien. Sein Buch beschrieb den „Aufstieg der Reichen“ durch das „plutokratische“ System der englischen „Public Schools“. Wolf-Rottkay begann ungeschickterweise jedoch nicht mit der Beschreibung der public schools, von denen sich vermutlich nur wenige Leser ein genaues Bild machen konnten. Erst später im Text kam er darauf zu sprechen, dass es sich keineswegs um „öffentliche Schulen“ handelte, weil deren Zugang durch hohe Schulgeldzahlungen begrenzt war und ist.1991 Die ersten dreißig Seiten widmete er dem skandalösen Zustand der englischen Grundschulen und den ungelösten sozialen Fragen der britischen Gesellschaft. Auch Wolf-Rottkay arbeitete mit Aussagen britischer Kritiker, um seinen Argumenten stärkere Kraft zu verleihen. Nicht zu Unrecht monierten die zitierten Politiker und Publizisten, dass in England „Millionen von Menschen in tiefster Armut und unter den unwürdigsten Lebensbedingungen“ existierten, auch die 1989 Vgl. UAG Phil. Diss. II Nr. 1176 Wolf-Rottkay. 1990 Hitler prangerte in seinem Buch Mein Kampf die falsche Freihandels- und „Bodenpolitik“ des Deutschen Kaiserreiches an und empfahl rückblickend den Verzicht auf die Flottenrüstung und die aggressive Exportpolitik. Vgl. Hitler, Mein Kampf, S. 153 f. 1991 Vgl. Wolf-Rottkay, W. H.: Der Aufstieg der Reichen. Der plutokratische Grundzug der englischen Schulen, o. O. o. J. [Berlin, 1940], S. 37 f.

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Aussage Wolf-Rottkays, dass es vor allem an einem fehle, war kaum zu bestreiten: am „Wille der Regierenden zur sozialen Tat“.1992 Das englische Schulsystem versage „den armen Bevölkerungsschichten“ sogar das Recht „auf eine ausreichende elementare Schulbildung“, die den Fähigen „den Weg zum weiteren Aufstieg“ ebne. Es sei offenbar, dass ein großer Teil der Bevölkerung „dazu verdammt bleiben solle, das Los der Armut und damit das Stigma sozialer Minderwertigkeit von der Wiege bis zum Grabe zu tragen“.1993 Damit schlug er den Bogen zum System der höheren Schulen, den „Kultstätten des Klassengeistes“. Zunächst wies er nach, dass es für Arbeiterkinder nahezu unmöglich war, eine public school zu besuchen. Danach präsentierte er eine eindrucksvolle Statistik des Cambridgeprofessors John Hilton, der nachwies, dass mehr als drei Viertel aller Bischöfe, Richter, Bankdirektoren und höheren Beamten aus den public schools entstammten. Von den 21 Ministern waren es 1937 20.1994 Alle „fortschrittlichen Nationen“ hätten erkannt, so Wolf-Rottkay im Schlusswort, „dass der Aufstieg der Begabten völlig getrennt werden muss von den finanziellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen früherer Jahrhunderte“, nur England nicht. „Alle anderen zivilisierten Völker“ seien bemüht, die „Auslese der Tüchtigsten ohne soziale Rücksichten“ voranzutreiben, nur England halte an der Maxime fest: „Freie Bahn dem Reichen!“1995 Ob die Themen Trinidad, britisches Schulwesen und Bruch der französischen Nichteinmischungspolitik sich für wirksame Propaganda eigneten, sei dahingestellt. Propaganda ist jedoch mehr als Beeinflussung der Massen, sondern oft auch Vorgabe von Sprachregelungen und Argumenten. Die mit der Attitüde der Gelehrsamkeit vorgetragenen Themen konnten sich auf diesem Umweg als innenpolitisch nützlich erweisen, etwa bei der Stärkung der Moral der in Frankreich stationierten Besatzungssoldaten oder bei Offizieren, die sich die Frage stellten, welchen Sinn der Krieg gegen das Britische Empire hatte. Wolf-Rottkay, Schramm und Schubel wurden später als Dolmetscher beschäftigt. Eine handfestere Aufgabe erhielt der Arabist Hans Wehr, der im Auftrag der kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes seit Ende 1941 eine Redaktion leitete, die ein deutsch-arabisches Wörterbuch erstellte.1996 Wehr war schon 1938 als Sachverständiger für Arabien vom OKH in Betracht gezogen worden, sein Einsatz scheiterte damals an seiner Behinderung.1997 Für die Erstellung des Wörterbuchs for1992 Vgl. ebd., S. 7. 1993 Vgl. ebd., S. 32 f. 1994 Vgl. ebd., S. 39. 1995 Vgl. ebd., S. 56 f. 1996 Vgl. BA R 4901/25604, Bl. 6389. 1997 Vgl. UAH PA Wehr.

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derte er 1942 einen Raum in Greifswald an, dringlich sei das aber nicht, weil er zur Erstellung des Textes noch die in der rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amts tätigen Ägypter und Araber benötige. Der Raum wurde freigemacht, Wehr aber 1943 an die Universität Erlangen versetzt, weshalb unklar ist, ob das Wörterbuch tatsächlich in Greifswald verfasst wurde.1998 6.2.1.1 Reinhard Haferkorn: Propagandist gegen Großbritannien

Während sich Schramm, Schubel und Wolf-Rottkay mit ihren Schriften an ein deutschsprachiges Publikum wandten, engagierte sich der Anglist Reinhard Haferkorn in der deutschen Auslandspropaganda. Als Leiter des Englandreferats in der Rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes war er Redakteur und Vorgesetzter zahlreicher Autoren. Der 1899 Geborene hatte seine ersten Karriereschritte nach der Promotion in Leipzig an der Technischen Hochschule Danzig absolviert. 1925/26 arbeitete er an der Universität von Aberystwyth als Lektor, die Britischen Inseln besuchte er immer wieder bei Urlaubs- und Studienreisen. Mit englischen und walisischen Wissenschaftlern, aber auch sonstigen Bekannten unterhielt er einen regen Briefwechsel, der von der britischen Spionageabwehr MI 5 überwacht wurde. Im März 1939 wurde er von der deutschen Botschaft in London eingeladen, um Vorträge über die Situation in der Freien Stadt Danzig zu halten. Ob er dabei bereits vom Auswärtigen Amt für andere Aufgaben verpflichtet wurde, sagte er bei seiner Vernehmung durch den MI 5 im Frühherbst 1945 nicht aus. Er gab jedoch einen detaillierten Bericht über seine Tätigkeit als Leiter des Englandreferats der Rundfunkpolitischen Abteilung im Auswärtigen Amt, zu dem er am 30. August 1939 berufen wurde.1999 In dieser Funktion kontrollierte er die Englische Redaktion, die eigentlich der Reichsrundfunkgesellschaft und damit dem Propagandaministerium unterstellt war. Obwohl es auf höchster Ebene zwischen den Ministern Goebbels und Ribbentrop ernsthafte Auseinandersetzungen wegen persönlicher Animositäten gab, beschrieb Haferkorn das Verhältnis auf der eigentlichen Arbeitsebene als „freundlich“. Bei der Kontrolle von Radio National, den Propagandasendungen des Auslandsfunks, und bei der Rekrutierung geeigneter Mitarbeiter arbeiteten Haferkorn und seine Kollegen im Propagandaministerium Hand in Hand. Gemeinsam erarbeiteten sie Sendekonzepte oder ließen sie von den britischen Kollaborateuren erstellen. Haferkorn selbst unterstand zum Beispiel der Offizier Norman Baillie-Stewart, der Nachrichtensendungen moderierte und Kom1998 Vgl. UAG K 346, Bl. 29. 1999 Vgl. NA London KV 2/826. Die Akte wurde vor der Freigabe gesäubert, so dass keine sinnvolle Blattzählung erhalten ist. Die folgenden Angaben beruhen auf dem Protokoll des Verhörs vom 13. Juli 1945.

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mentare sprach. Von den Engländern bekam er auf Grund seiner affektierten Sprechweise den Spitznamen „Lord Haw Haw“, der später auch auf andere Moderatoren übertragen wurde. Außerdem war ihm John Amery zugeordnet, ein prominenter britischer Faschist, der versuchte, ein British Free Corps für die Waffen-SS aufzustellen. Haferkorns Abteilung war auch ein Moderator namens Freeman (alias) Royston zugeteilt, der versuchte, „heiße“ Jazzmusik und politische Propaganda zu verknüpfen. Wenn ihm aus den Kriegsgefangenenlagern vielversprechende und kollaborationswillige Talente gemeldet wurden, führte Haferkorn die Interviews für die Re­ krutierung. Amery, immerhin Sohn eines britischen Kabinettsmitglieds, gewann er für den Rundfunk und er sprach mit ihm dessen erste Sendetexte durch. Haferkorn unterbreitete Vorschläge für Änderungen, die Amery bereitwillig akzeptierte. Andere Kandidaten schickte Haferkorn in die Kriegsgefangenenlager zurück, weil ihm deren Motivation suspekt erschien, weil er deren Probetexte als schlecht empfand oder einfach deshalb, weil sie bei Sprechproben durchfielen. Mit einigen bereits Rekrutierten gab es Schwierigkeiten. Wenn sie der Sache nicht mehr dienlich waren, wurden sie verhaftet. Zur Frage, wer die Verhaftungen angeordnet habe, schwieg sich Haferkorn aus und seine britischen Vernehmer fragten später auch nicht nach. Haferkorn war jedoch nicht nur zuständig für das Personal, nach eigener Aussage kontrollierte er die Programme der im Propagandaministerium angesiedelten Englischen Redaktion und empfahl „Sprachregelungen“. Er erließ tägliche Richtlinien zur Behandlung aktueller Fragen, ließ Hintergrundmaterial zusammenstellen und amtliche Kommentare verfassen. Zwar existierte auch für die Englische Redaktion keine durchgängige Vorzensur, trotzdem kontrollierte er wichtige Sendemanuskripte vorab. Für eine Sendereihe mit dem Titel The German Economist warb er um Autoren und legte die Themen fest. In den ersten Monaten nach Kriegsbeginn fungierte Haferkorn auch als Vorzensor der Manuskripte von William Joyce, dem wirkungsvollsten antibritischen Kommentator des deutschen Rundfunks. Er empfand die zynischen Bemerkungen von Joyce und dessen persönliche Angriffe auf britische Politiker unpassend. Joyce fühlte sich von Haferkorns Sprachregelungen gehemmt und sorgte durch seine Verbindungen zum Propagandaministerium dafür, dass seine Sendetexte nicht mehr von Haferkorn zensiert wurden. Insgesamt aber, so versicherte Haferkorn den Vernehmern, habe er sich sehr wohl für antibolschewistische Propaganda eingesetzt, nicht jedoch für ­antijüdische. Das war gelogen, gehörte doch die Aussage, dass die britische Regierung von den jüdischen Finanziers der „City“ kontrolliert werde, zum Standardrepertoire der deutschen Rundfunkpropaganda.

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6.2.2 Die hochrangigen Ärzte: Einsatz in Greifswald und an der Front 6.2.2.1 Beratende Wissenschaftler

Eine besondere Stellung nahmen die „beratenden“ Ärzte ein. Sie hatten oft während des Ersten Weltkriegs in Stabsstellen Erfahrungen für die spezifischen Anforderungen eines neuen Kriegs sammeln können und waren immer „in Fühlung“ mit der Reichswehr oder der Wehrmacht geblieben, wie es zeitgenössisch hieß. Üblicherweise handelte es sich um habilitierte Chefärzte oder Ordinarien verschiedener Universitäten. Zu ihren Aufgaben gehörte, die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs zu dokumentieren. Der Greifswalder Chirurg Otto Kingreen, ab 1939 Chefarzt in Lüdenscheid, wies zum Beispiel immer wieder auf die Nutzlosigkeit von Sulfonamiden im Fronteinsatz hin.2000 Der in Greifswald habilitierte René Sommer, Chefarzt des Städtischen Krankenhauses Nord in Dortmund, war als Oberstabsarzt der Reserve ab März 1940 als Beratender Chirurg eingesetzt. Er soll an den Folgen einer Verletzung gestorben sein, die er erlitt, als sein Fieseler Storch von sowjetischen Jägern abgefangen wurde.2001 Die Ordinarien blieben üblicherweise in Greifswald, etwa der Chef der Ohrenklinik Alexander Herrmann, der in der Ohrenklinik eine Lazarettabteilung leitete. In den Semesterferien war er kurzfristig als Beratender HNO-Arzt bzw. Chirurg eingezogen. 1944 wurde er auch formell zum beratenden Otologen im Wehrkreis II befördert.2002 Aus dem Krankenmaterial der Klinik generierte er Abhandlungen zur Luftfahrtmedizin. So publizierte er zum Beispiel über Schleimhautablösungen, die bei Sturzflügen auftraten, und unterbreitete Vorschläge zu deren Behandlung.2003 Die Mehrzahl seiner Publikationen beschäftigte sich jedoch mit der Operation von Abszessen und Karzinomen, Verletzungen der Speiseröhre und des Kehlkopfs.2004 Auch der Pathologe Hermann Loeschke amtierte seit Dezember 1939 als Beratender Arzt für den Wehrkreis in seinem Fachgebiet. In seinem Institut wurden auch die Sektionen der Versuchstiere von Kurt Herzbergs Virusstudien durchgeführt.2005 Die 2000 Vgl. BA MA RH 12-23-1734. 2001 Vgl. Behrendt, Karl Philipp: Die Kriegschirurgie von 1939–1945 aus der Sicht der Beratenden Chirurgen des deutschen Heeres im Zweiten Weltkrieg, Diss. med. Freiburg, S. 241. 2002 Vgl. UAG PA 498 Herrmann; BA MA RW 59/1360, Bl. 250. 2003 Vgl. Herrmann, Alexander: Über die Schleimhautablösungen in den Nasennebenhöhlen bei Sturzflügen, ihre Ursachen und ihre Behandlung, in: Luftfahrtmedizin Nr. 5, Heft 3, 1941, S. 271. 2004 Vgl. Herrmann, Alexander: Gefahren bei Operationen an Hals, Ohr und Gesicht und die Korrektur fehlerhafter Eingriffe, Berlin u. a. 1968, S. 689. Herrmann war weder in den Forschungskontext der Luftwaffe noch in den der SS eingebunden, wie er bei seiner Entnazifizierung betonte. UAG PA 498 Herrmann. 2005 Vgl. BA MA RW 59/1360, Bl. 250; Sektionsprotokolle sind weder von verstorbenen Menschen noch von Versuchstieren überliefert.

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Institutsgeschäfte führte er nebenbei.2006 Entlassen wurde er von der Wehrmacht im Dezember 1944.2007 Der Leiter der Universitätsnervenklinik Rudolf Thiele war ebenfalls der Sanitätsabteilung 2 zugeordnet und war als Beratender Psychiater im Wehrkreis II eingesetzt. Dafür erhielt er 1940 den Dienstgrad eines Stabsarztes und wurde 1944 zum Oberfeldarzt befördert, was dem Rang eines Oberleutnants entsprach.2008 Der Internist Katsch pflegte eine Art Rotationsprinzip mit seinen jeweiligen Oberärzten, damit er ebenfalls ins Feld kam, was ihm ein persönliches Anliegen war.2009 Der Ordinarius für Psychiatrie Rudolf Thiele war ebenfalls als Beratender Arzt im Wehrkreis II eingesetzt. Ihm oblag die Kontrolle der Lazarette und Reservelazarette für nervenkranke Soldaten. Diese Aufgabe beanspruchte ihn deutlich weniger als Katsch, weil es weniger Lazarette und weniger Kranke gab. Mit zunehmender Kriegsdauer kamen jedoch einige neue Einrichtungen hinzu oder bestehende wurden zu Spezialkliniken profiliert. In Stargard ließ er ein Lazarett einrichten, das auf Hirnverletzungen spezialisiert war. Wegen der hohen Zahl von Schussverletzungen der peripheren Nerven wurde das Lazarett in Neustrelitz in eine Klinik zum Wiedererlernen von Bewegungsabläufen umgewandelt. Thiele ließ die Patienten mit psychogenen Störungen verlegen, um in Neustrelitz die Konzentration auf die Rehabilitation voranzutreiben. Auch im Reservelazarett Lubmin wurde eine Abteilung für periphere Nervenverletzungen eingerichtet, die von ihm selbst oder seinen Oberärzten betreut wurde.2010 Einen Großteil von Thieles Arbeit machten aber Gutachten für Dienstunfähigkeit wegen psychischer Erkrankungen aus. Dieses Problem war durch die Erfahrungen und Spätfolgen des Ersten Weltkriegs akut und wurde intensiv diskutiert.2011 Eine systematische Überprüfung dieser Gutachten ist nicht möglich, weil die Akten der Reservelazarette vernichtet wurden. In den Patientenakten der Universitätsnervenklinik ist jedoch ein Gutachten für den Friseurmeister Erich Spitzenberg aus Franzburg erhalten. Der Patient war 1930, 1931 und 1938 wegen Depressionen in der Uni2006 Vgl. UAG K 731. 2007 Vgl. BA MA RW 59/2090, Karteikarte Loeschke. 2008 Thiele wurde bei der Einordnung in das Offizierskorps 1940 das Dienstalter 1923 zugesprochen. Aus seinen Personalakten in Greifswald und Berlin geht nicht hervor, ob Thiele zur Zeit der Weimarer Republik eine militärische Ausbildung erhalten hatte, die Karteikarte mit dem Datum Assistenzarzt am 15.7.23 legt das jedoch nahe. Vgl. BA MA RW 59/2090, Karteikarte Thiele. 2009 UAG PA 1276 Bd. 1; zum Einsatz von Katsch im Zweiten Weltkrieg vgl. Ewert, Günter, Ralf Ewert und Wolfgang Stemmer: Gerhardt Katsch als Militärarzt in zwei Weltkriegen, Berlin 2013, S. 37–49. 2010 Vgl. BA MA RH 12-23-672. 2011 Vgl. Binswanger, Otto: Die Kriegshysterie, in: Bonhoeffer, Karl (Hg.): Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/1918, Bd. 4, Leipzig, S. 45–67.

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versitätsnervenklinik in Behandlung. 1939 wurde er eingezogen und dem Landesschützenbataillon 14/II zugeteilt. Am 27./28. September 1939 ordneten die Offiziere dieses Bataillons im wiedereroberten Bromberg Erschießungen an.2012 Kurz danach war Spitzenberg wieder Patient in der Nervenklinik, diesmal in der Abteilung Reservelazarett. Diese Tätigkeit habe ihn, laut Anamnese, „seelisch sehr mitgenommen“. Er habe nicht mehr recht schlafen können und sich immer wieder daran erinnert, dass er „von dem herausspritzendem Blut und Gehirn über und über beschmutzt wurde“. Thiele leitete sofort ein Verfahren auf Dienstunfähigkeit ein, und Spitzenberg wurde am 21. Oktober 1939 nach Hause entlassen. 1944 meldete sich Spitzenberg wieder in der Klinik.2013 Weniger dramatisch, aber strafrechtlich relevant war ein anderer Fall, den Thiele begutachtete. Ein bislang tadellos dienender Offizier überraschte innerhalb einer kurzen Zeitspanne durch eine Reihe von strafbaren Handlungen. Er wurde disziplinarisch bestraft, blieb aber kriegsverwendungsfähig. Im August 1941 befand sich der Offizier in der Nähe einer detonierenden Granate und klagte seitdem über vegetative Störungen und eine Beeinträchtigung seines Gleichgewichtssinns. Zum Ersatzheer versetzt, erlitt er jetzt immer häufiger scheinbar epileptische Anfälle, zeigte sich bewegungsarm und wies eine deutliche Verlangsamung seines Gedankengangs auf. Thiele untersuchte die Zusammensetzung der Hirnflüssigkeit und fand eine erhebliche Änderung in der Zusammensetzung des Liquor vor, verbunden mit einem erhöhten Druck im Gehirn. Thiele ließ Lumbalpunktionen vornehmen und stellte innerhalb weniger Wochen eine Normalisierung des Hirndrucks her. Auch die Zusammensetzung des Liquors näherte sich dem Normzustand. Thiele regte an, bei den aufgetretenen Symptomen immer eine Liquoruntersuchung vorzunehmen. Zudem sei die Feststellung solcher Folgeschäden einer Verletzung auch bei der strafrechtlichen Beurteilung von Fehlverhalten zu würdigen.2014 Solche Berichte waren willkommen, weil sie der Verbesserung ärztlicher Diagnosen dienten. Thieles Kritik an einer Fehldiagnose, die zur Laparotomie eines Patienten geführt hatte, erregte jedoch den Unwillen der Militärärztlichen Akademie, die den Fall nicht publiziert sehen wollte. Thiele verzichtete auf die Publikation, wies aber darauf hin, dass auf die Möglichkeit von Fehldiagnosen hingewiesen werden müsse.2015 Solche beträfen zum Beispiel die echte Narkolepsie, teilte Thiele der Militärärztlichen Akademie im April 1944 mit. Die Krankheit könne einerseits angeboren sein, erläuterte Thiele anhand von Fällen 2012 Vgl. Böhler, Jochen: Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen, Frankfurt am Main 2006, S. 135–141. 2013 Vgl. UAG UNK Patientenakte 9702. 2014 Vgl. BA MA RH 12-23-683 und 672. 2015 Vgl. BA MA RH 12-23-674.

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und beschrieb andererseits weitere Patienten, bei denen es sich um eine erworbene Krankheit handelte, etwa durch einen Impfschaden oder eine Encephalitis. Wichtig sei es, so die Erinnerung an die Truppenärzte, den Diagnosen der Hausärzte Glauben zu schenken. So erhielt ein 25-jähriger, eigentlich kräftiger und gesund erscheinender Mann eine Psychostimulanz, die seine Neigung zu plötzlichem Einschlafen eindämmte. Weil ihm Vorgesetze den Bezug des Medikaments verweigerten, weil sie ihn für einen Simulanten hielten, sei es erst zu unerfreulichen disziplinarischen Konsequenzen und dann zu militärisch relevanten Vorfällen gekommen. Konkret hatte der bei der Flak eingesetzte Mann bei einem Luftangriff seine Pflicht nicht erfüllen können, weil er in dem Chaos plötzlich erstarrt und in eine Art Tagtraum gefallen sei, aus dem er erst erwacht sei, als alles vorbei war. Als die Vorgesetzten feststellten, dass sich der Soldat tatsächlich an den gesamten Angriff nicht erinnern konnte, ordneten sie eine Begutachtung an.2016 Eine weitere Empfehlung Thieles betraf die Arbeitstherapie bei peripheren Nervenverletzungen. Es sei unstrittig, dass dem Üben von Bewegungsabläufen bei der konservativen oder postoperativen Behandlung von Nervenverletzungen große Bedeutung zukomme. Daher habe er in dem neuen Reservelazarett der Nervenklinik in Lubmin eine Bastelstube einrichten lassen. Diese sei jedoch ein „Misserfolg“ geworden, die Patienten hätten zu den Bastelarbeiten geradezu „befohlen werden müssen“. Völlig entgegengesetzt sei jedoch der Einsatz der Rekonvaleszenten bei Arbeitstherapien. Jeder Verwundete, der auch nur irgendwie dazu in der Lage sei, melde sich freiwillig zur Arbeit. Ein Arbeitseinsatz, und dauere er auch nur wenige Stunden, werde als „sinnvolle und produktive Tätigkeit empfunden“. Besonders erfreulich sei die mentale Veränderung. Der „oft morose Gesichtsausdruck und die schlaffe Haltung vieler Verwundeter“ sei einer „frischen, gestrafften Haltung gewichen“, weil das Selbstvertrauen zur eigenen Leistungsfähigkeit wiedergekehrt sei. Von den 214 Verwundeten seien gegenwärtig, im Oktober 1944, 144 in industriellen und handwerklichen Betrieben eingesetzt, davon 81 ganztags. Die erforderlichen Behandlungen würden daher in den Abendstunden durchgeführt.2017 Während Thiele im Hinblick auf erbliche oder erworbene Krankheiten, etwa progressive Paralyse infolge von Geschlechtskrankheiten, höchste Genauigkeit forderte und stets dafür plädierte, gründliche Diagnosen vorzunehmen, wirken seine Berichte zu hysterischen Erkrankungen anders. Hier sah er stets eine aktive Mitwirkung des Patienten zur Verschlechterung seines Gesundheitszustands. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte er sehr selten hysterische Erkrankungen diagnostizieren müssen, weil „der 2016 Vgl. ebd. 2017 Vgl. BA MA RH 12-23-674.

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Pommer keine besondere Affinität zu derartigen Störungen“ besitze. Mit der Verlegung von Patienten aus anderen Landesteilen wurde Thiele jedoch häufiger mit dem Phänomen konfrontiert und sah sich im Juli 1943 veranlasst, einen Sonderbericht für die Militärärztliche Akademie abzufassen. Er systematisierte die Fälle und teilte sie in mehrere Gruppen. Erstens handle es sich um Soldaten, die bereits im Ersten Weltkrieg an einem „hysterischen Schütteltremor“ erkrankt gewesen seien. Diesen „zweckneurotischen Mechanismus“ brächten diese Soldaten jetzt „wieder in Anwendung“, weshalb sie, so seine Empfehlung, als „Infektionsquellen“ von jungen Soldaten zu separieren seien. Die zweite Gruppe seien Angehörige von Kriegszitterern des Ersten Weltkriegs, die sich das zweckmäßige Verhalten von ihren Vätern abgeschaut hätten. Einen aus seiner Sicht besonders krassen Fall machte er später noch einmal zum Thema. Die dritte Gruppe seien junge Soldaten, die von ihren Angstzuständen rasch geheilt werden könnten. Dazu empfahl er die Auslösung von Schocks, jedoch nicht Elektroschocks, weil diese Angstzustände verstärken könnten, sondern Injektionen von Cardiazol. Das wichtigste Mittel, um diesen „unerwünschten Tendenzen“ entgegenzutreten, sei aber immer noch das Auftreten des Arztes an der Front. Dieser solle „mit der erforderlichen Sicherheit und Bestimmtheit“ und, „wo nötig, mit der angebrachten Härte“ von „vornherein“ diesen Erscheinungen entgegenwirken. Ihm sei von Truppenärzten berichtet worden, dass sich eine solche Haltung „in dem Kreise der derart Gefährdeten rasch“ herumspreche, was besonders in den „GenesendenEinheiten“ von „größter Wichtigkeit“ sei.2018 Den angesprochenen besonderen Fall schilderte Thiele dem Beratenden Psychiater beim Heeressanitätsinspekteur im Februar 1944, weil es ihm wichtig war, den Themenkomplex hysterische Erkrankung – Simulation – gesundes Volksempfinden gesondert anzusprechen. Dabei schlug Thiele vor, die Frage neu zu beantworten, ob es „tatsächlich vertretbar“ sei, die „hysterische Reaktion bei Wehrmachtsangehörigen grundsätzlich für straffrei zu erklären“. Als Illustration führte Thiele den Fall von Oberleutnant St. an. Dieser sei bei der ersten Feindberührung verschüttet worden, was aber keine physischen Folgen gehabt habe. Organische Schäden seien nicht festgestellt worden. Dann habe St. Dienst bei einem Ersatztruppenteil gemacht und ein Zittern kultiviert, das sich in Gegenwart militärischer Vorgesetzter verstärkt habe. Der Oberleutnant wurde daraufhin wegen „Wehrkraftzersetzung“ angeklagt. Thiele, hinzugezogen als ärztlicher Sachverständiger, konnte eine „Simulation“ verneinen, weshalb der Oberleutnant freigesprochen wurde. Aber es widere ihn an, dass der Patient keinerlei Willensanstrengung unternehme, seine Erkrankung zu beheben. Er habe es vorgezogen, seine „weichliche, willensschwache, ungefestigte, psychopathische Persönlichkeit“ weiter auszubilden. Mehr noch 2018 Vgl. BA MA RH 12-23-672.

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empöre ihn, dass St. außerhalb der Klinik öffentlich „Schneidigkeit“ zur Schau stelle, obwohl es sich um einen Menschen handle, der eigentlich „schlaff und selbstunsicher“ sei. Aus seiner Sicht war das Urteil trotz seines entlastenden Gutachtens ein Fehlurteil, weil der Offizier die Deformation seiner Persönlichkeit vorsätzlich vorangetrieben habe. Es hätte geprüft werden müssen, ob damit nicht doch „eine strafwürdige Handlung“ vorliege. Die vielfach erfolgreichen Behandlungen junger Soldaten würden doch „zur Genüge“ belegen, dass eine Manifestierung einer hysterischen Erkrankung vom Patienten selbst verursacht werde. Da es sich nicht um Einzelfälle handle, sei „das Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft“ bedroht. Dem sei nur abzuhelfen, so Thiele, „wenn man die These von der grundsätzlichen Straffreiheit der hysterischen Reaktion fallen lässt“.2019 Generalarzt Wuth ließ die Anfrage von einem Oberstabsarzt beantworten, der Thiele höflich, aber deutlich mitteilte, dass es nicht angängig sei, die „grundsätzliche Strafffreiheit der hysterischen Reaktion fallen zu lassen“. Angesichts der Tatsache, dass „wir zur Zeit mit einer Reihe von weniger gut durchgebildeten forensischen Gutachtern rechnen müssen“, sei die „Gefahr einer heillosen Verwirrung“ gegeben. Es könne von „ärztlicher Seite“ dann zu „Willkürhandlungen“ kommen. Es sei doch so, dass der Zustand „Hysterie“ durch ärztliche Maßnahmen beseitigt werden könne. Die Simulation hingegen müsse als „rein juristische Angelegenheit“ betrachtet werden. Es sei daher sinnvoll, ärztlicherseits an einer verschiedenartigen Beurteilung festzuhalten. Wenn ein Hysteriker „im Interesse des Volksganzen“ bestraft werden müsse, gehe das den Arzt nichts an. Thiele nahm die Antwort zur Kenntnis und unterließ weitere Vorstöße auf juristisches Gebiet.2020 6.2.2.2 Gerhardt Katsch als Beratender Internist

In seiner Funktion als Beratender Internist im Wehrkreis II bereiste Katsch die Lazarette in Pommern, Mecklenburg und Teilen Brandenburgs. Das war nicht nur eine Kontrollfunktion, um mögliche Missstände abzustellen. Die Berater waren auch gefragt für Konsultationen bei schwierigen Fällen, außerdem schrieben sie Berichte für die Heeressanitätsinspektionen, in denen sie nahelegten, bestimmte Erfahrungen zu verallgemeinern. Katsch war 1942 auch auf Kreta und 1943 an der Ostfront eingesetzt. Ein großer Teil dieser Berichte liest sich pessimistisch, „viel Hepatitis“ zum Beispiel oder einfach „Gelbsuchtfälle“ mit einer Angabe der Zahl der Gestorbenen.2021 Auf Kreta zeigten auffallend viele Soldaten des Afrikakorps im Anschluss an eine Diphterie schwere Lähmungserscheinungen, was Katsch nicht erklären konnte. „Es 2019 Vgl. ebd. 2020 Vgl. BA MA RH 12-23-672. 2021 Vgl. BA MA RH 12-23-309.

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könnte sein“, schrieb er an die Heeressanitätsinspektion, „dass irgendwie ein B-Vitamin-Mangel im Spiele ist“.2022 Eine Krankheit, welche die Ärzte im Heeresdienst immer wieder beschäftigte, war das Fleckfieber, das vor allem in Russland auftrat. Auch Katsch suchte vergeblich nach den Übertragungswegen der Krankheit, wies aber mehrfach auf mögliche Ansteckungsgefahren hin. 1943 äußerte er die Vermutung, dass die Bindehaut des Auges besonders empfänglich für den Erreger sei. In einem anderen Bericht bestätigte er die Wirksamkeit von Impfungen gegen die Krankheit. Der Impfschutz hatte zwölf schwer erkrankten Soldaten das Leben gerettet. Vier ungeimpfte Soldaten starben nach dem Kontakt mit Fleckfieberkranken. Weil die Krankheit zweifelsfrei durch Läuse übertragen wurde, plädierte Katsch für die regelmäßige Entlausung der Bevölkerung.2023 Solche Berichte der Beratenden Ärzte wurden zentral ausgewertet, so dass auch andere Einheiten und Lazarette relevante Informationen erhielten. So wies Katsch zum Beispiel darauf hin, dass sich die chemischen Nachweisreaktionen für Fleckfieber und Typhus abdominalis sehr ähnelten. Das war eine Information, die für Lazarettärzte nützlich gewesen sein konnte.2024 Die epidemische Gelbsucht führte häufig zu einem Ansteigen des Blutzuckerspiegels, was häufig mit Insulin behandelt wurde. Katsch hielt das für falsch, weil sich der Stoffwechsel später selbst regulierte. Außerdem kam es oft zur Überdosierung von Insulin, ohne dass mit Zucker entgegengewirkt werde, wie er 1944 betonte.2025 Als Ergebnis seines Frontbesuchs auf Kreta konnte er feststellen, dass Insulingaben den Blutzuckerspiegel zu stark senkten und damit Todesfälle verbunden waren.2026 Ende 1943 wies Katsch auch darauf hin, dass eine SalvarsanBehandlung von Geschlechtskrankheiten als Nebenwirkung eine Gelbsucht zur Folge haben könne. 2027 Im September 1942 besuchte Katsch ein Lazarett in Fürstenberg, in dem ca. 250 Magen- und Ulcuskranke behandelt wurden. Er kritisierte, dass die Diätpläne vom Stabsarzt, im Zivilberuf Chefarzt eines Sanatoriums, mündlich festgelegt wurden. Er wies an, sie zu verschriftlichen und anderen Heeresärzten zur Verfügung zu stellen. Von der Behandlung selbst war er angetan, auch weil zum Teil „erstaunliche Gewichtszunahmen“ erzielt wurden. Die oft langfristigen Behandlungen sah er zwar für die Kranken als sinnvoll an, aber der „militärische Nutzeffekt“ sei oft nicht gegeben. Oft würden die Kranken der Truppe zugewiesen und vertrügen die dort angebotene Kost nicht. Eine besondere Diät für diese werde oft „radikal abge2022 Vgl. BA MA RH 12-23-299. 2023 Vgl. BA MA RH 12-23-314. 2024 Vgl. BA MA RH 12-23-304. 2025 Vgl. BA MA RH 12-23-309. 2026 Vgl. ebd. 2027 Vgl. ebd.

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lehnt“. Daher regte er an, die Magenkranken zu speziellen Truppenteilen zuzuweisen, wo eine „diätische Fürsorge einwandfrei sichergestellt“ sei. Er empfehle Standorte in Frontnähe, um „Verweichlichungen“ abzustellen und die „Möglichkeit der Rückgewöhnung an straffen, sinnvollen Dienst“ sicherzustellen. Dabei dachte Katsch ausdrücklich nicht an die Ostfront, sondern an eine Verwendung zum Beispiel bei der Flak.2028 Diese Auffassung präsentierte Katsch noch einmal auf der 3. Arbeitstagung Ost der Beratenden Fachärzte im Mai 1943.2029 Um auch an der Front tätig sein zu können, setzte Katsch eine befristete Versetzung seines Oberarztes Fritz Brauch nach Greifswald durch.2030 Brauch vertrat Katsch als Beratender Internist im Wehrkreis II. Katsch kam dadurch Ende Mai 1943 zur 6. Armee an die Ostfront, wo er mit derselben Intensität wie in Greifswald Inspektionsreisen unternahm, Ärzte beriet und Mängel abstellte. So fielen ihm am 3. Juli in einem Feldlazarett zwei extrem unterernährte Kranke auf, bei denen es sich um Strafgefangene handelte. Katsch inspizierte daraufhin sechs Tage später das Wehrmachtsgefängnis in Makejewka, wo er auf weitere Unterernährte stieß, die von derselben Feldstrafabteilung als nicht mehr arbeitsfähig eingeliefert worden waren. Noch am selben Tag fuhr Katsch zu dieser Feldstrafgefangenenabteilung, wo er auf unbeschreibliche Zustände stieß. Katsch informierte den Divisionsarzt und inspizierte mit ihm fünf Tage später die Strafabteilung. Laut Katschs Bericht fanden sie dort etwa zweihundert Gefangene mit „schweren“ Unterernährungsschäden vor. Es handelte sich um „zahlreiche Fälle von Hungerödemen, noch zahlreichere von schwerster Entkräftung mit trockener schuppender Haut, struppigen Haaren, Untergewicht bis 20 kg“. Eiternde Wunden von Arbeitsunfällen oder Schusswunden seien dadurch schlecht abgeheilt, was in der „Mehrzahl der Fälle zu Unrecht auf Manipulationen der Gefangenen an ihren Wunden zurückgeführt wurde“. In einem Fall hatte der Gefangene wegen chronischen Durchfalls nur noch trockenes Brot gegessen, in der Folge trat eine „Gangstörung vom Typ der Beri-Beri auf“. Katsch registrierte nicht nur das Auftreten dieser bisher nur aus Afrika bekannten Mangelerkrankung, sondern auch eine „dumpfe Apathie“, in deren Folge sich die Gefangenen „gleichgültig gegen Befehle oder unsauber im Anzug und in der Körperhaltung“ zeigten. Hierdurch hätten sie sich Sonderstrafen zugezogen, etwa Nahrungsentzug, wodurch sie, so der Bericht weiter, „in einen hoffnungslosen Schadenskreis gerieten“. Katsch wies die Überführung der etwa zweihundert Kranken in Lazarette an 2028 Vgl. BA MA RH 12-23-314. 2029 Vgl. BA MA RHD 43-53. Inwieweit der Anregung gefolgt wurde, konnte nicht nachvollzogen werden. 2030 Aus Brauchs Berichten ist lediglich bemerkenswert, dass er die technische Ausstattung der Lazarette, besonders der Reservelazarette für verbesserungsbedürftig hielt. Nicht zuletzt kämpfte er mit dem verstärkten Auftreten der Diphterie. Vgl. BA RH 12-23-37.

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und rettete ihnen so das Leben. Er wies auch darauf hin, dass der Missstand vorsätzlich herbeigeführt worden war. Der zuständige junge Unterarzt hatte sich gegen die Offiziere des Strafvollzugs nicht durchsetzen können und den Eindruck gewonnen, „dass derartige Vorkommnisse im Strafvollzug sein müssten oder sollten“. Dieser Arzt wurde sofort durch einen älteren Sanitätsoffizier ersetzt. Am 24. Juli fuhr Katsch mit einem Armeerichter und zwei anderen hohen Offizieren zur Strafgefangenenabteilung, wo sie gegen den Kommandanten der Strafabteilung ein Verfahren eröffneten. In seinem Abschlussbericht kritisierte Katsch ausdrücklich auch das „Prämiensystem“, das die Offiziere der Feldstrafabteilung eingeführt hatten. Sie teilten von der eigentlich ausreichenden Nahrung bestimmten Arbeitern mehr Lebensmittel zu, die den anderen dann fehlten. Katsch berichtete diesen Vorfall dem Armeeoberbefehlshaber Karl-Adolf Hollidt persönlich, was ihm wohl auch deshalb möglich war, weil er dessen behandelnder Arzt war. Auf Grund seines Berichtes und möglicherweise auch wegen Drucks, den Hollidt machte, wurde vom Heeressanitätsinspekteur eine Anweisung herausgegeben, dass die Wehrmachtsgefangenenlager künftig häufiger zu überprüfen seien.2031 Wenige Wochen nach Abgabe des Quartalsberichts, in dem Katsch diese Missstände offen kritisiert und einem größeren Kreis von Lesern zugänglich gemacht hatte, wurde er zur Heeressanitätsstaffel nach Greifswald zurückversetzt und kam nicht noch einmal in Frontnähe. Doch auch die Berichte, die Katsch über die Lazarette im Wehrkreis II anfertigte, waren überaus kritisch. So führte die falsche Behandlung von Diphteriekranken im Dezember 1943 zu einer Epidemie in Mecklenburg, was er deutlich monierte. Er wies darauf hin, dass mit der Einweisung in Isolierabteilungen zu lange gewartet worden sei und die Kranken zu gering dosierte Medikamente erhalten hätten. Der Standortarzt in Parchim entschuldigte das mit dem leichten Krankheitsverlauf bei den geimpften Patienten, weshalb er die Krankheit nicht erkannt habe. Katsch akzeptierte diese Erklärung und gab das als Warnung an andere Ärzte weiter: „Durch das Nichterkennen der leichten Verlaufsformen wird die Verbreitung der Krankheit begünstigt.“2032 6.2.3 Greifswalder Wissenschaftler im Osteinsatz

Im Gegensatz zu dem regulären Kriegseinsatz der jungen Dozenten und Ärzte gab es Wissenschaftler der Universität Greifswald, die sich in besonderem Maße für die Inbesitznahme der eroberten Ostgebiete engagierten. Weil das Engagement der Ökonomen Theodor Oberländer und Peter-Heinz Seraphim das Profil der Universität selbst ver2031 Vgl. BA MA RH 12-23-70. 2032 Vgl. BA MA RH 12-23-299.

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änderte, wurde es in dem Kapitel der Profilbildung behandelt. Der Einsatz der meisten Wissenschaftler im Osten hatte keine Auswirkungen auf die Heimatuniversität. So untersuchte der Assistent des Geologischen Instituts Ernst Habetha ab Ende 1939 die Ölvorkommen in den galizischen Karpaten, die nach dem Sieg über Polen im Generalgouvernement lagerten.2033 Im wieder an das Deutsche Reich angegliederten Oberschlesien war der Verwaltungsjurist Arnold Köttgen tätig. Köttgen hatte sich 1934 als „Ergänzungsführer“ beim Infanterieregiment Stettin gemeldet und seine militärische Ausbildung in Übungen fortgesetzt. Trotzdem kam der 37-Jährige ab Oktober 1939 in der Zivilverwaltung des neueingerichteten Regierungsbezirks Kattowitz zum Einsatz. In der neugebildeten Provinz Oberschlesien wurde er als Generalpolizeidezernent der engste innenpolitische Mitarbeiter des Regierungspräsidenten Walter Springorum und trat jetzt auch in die NSDAP ein. Mit diesem Amt war Köttgen nicht Befehlshaber der Polizei, weil diese dem Regierungspräsidenten unterstand, sondern Chef der Polizeiverwaltung und damit verantwortlich für Personal und Organisation.2034 Auch die zentral geleitete Gestapo unterstand ihm nicht, in der täglichen Arbeit gab es jedoch häufige Berührungspunkte, etwa bei der „Entjudung“ von Städten, der Beschäftigung von Zwangsarbeitern oder im Sommer und Herbst 1941 bei den Vorbereitungen zum Bau der Chemiefabrik der IG Farben in Auschwitz.2035 Juristisch fragwürdig war die Etablierung einer „Polizeigrenze“, die das Gebiet von Ostoberschlesien abtrennte und der SS unterstellte, die hier das Konzentrationslager Auschwitz errichtete und für Deportationen und Neubesiedlungen freie Hand benötigte. Die entsprechenden Vereinbarungen wurden 1940 zwischen der Regierung Kattowitz und der SS geschlossen. Bei Aussiedlungen oder der Verbringung von Juden in Vernichtungslager gab es jedoch eine intensive Zusammenarbeit. Bei den Beratungen zur Durchführung des Massenmords war Köttgen anwesend,2036 scheint jedoch nicht zu den eigentlichen Organisatoren dieser Tötungen gehört zu haben. Köttgen wurde im Sommer 1945 in Greifswald verhaftet, wo er als Arbeiter im Botanischen Garten der Universität beschäftigt war, und an Polen ausgeliefert. 1949 entließ ihn Polen in die Bundesrepublik Deutschland, wo er sofort als Verfassungsreferent im neugegründeten Bundesinnenministerium eine Anstellung fand.2037

2033 Vgl. Habetha, Ernst: Die Karpathen und das galizische Erdöl, in: Geologische Rundschau, Bd. XXXII, Heft 1/2, 1941, S. 138–172. 2034 Vgl. UAG PA 407 Köttgen; Steinbacher, Sybille: „Musterstadt“ Auschwitz. Germanisierungspolitik und Judenmord in Ostoberschlesien, München 2000, S. 107. 2035 Vgl. ebd., S. 214, 228, 267. 2036 Vgl. ebd., S. 286. 2037 Vgl. BA R 4901/13268; Stolleis, Michael: Köttgen, Arnold, in: NDB, Bd. 12, S. 412 f.

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Im Baltikum, also dem Reichskommissariat Ostland, waren der Biologe Fritz Steiniger und die Prähistoriker Carl Engel und Erwin Assmann eingesetzt. Fritz Steiniger arbeitete nach seiner Habilitation im Reichsgesundheitsamt, nebenamtlich bildete er die Schulungsredner der Berliner Gauleitung in rassenbiologischen Fragen weiter. 1940 zum Regierungsrat ernannt, wurde er 1941 zur Wehrmacht einberufen, zunächst tätig im Zentralarchiv für Wehrmedizin, ab Januar 1942 arbeitete er als Referent für Schädlingsbekämpfung und für Rassenpolitik beim Reichskommissar für das Ostland. In Riga-Kleistenhof richtete er ein Institut für Medizinische Zoologie ein, das sich vor allem der Fleckfieberbekämpfung widmete. Außerdem gründete er ein anthropologisches Laboratorium.2038 Ein von ihm selbst verfasstes Schriftenverzeichnis in der Personalakte weist jedoch keine anthropologischen Forschungen aus. Steinigers Arbeitsschwerpunkt war die Schädlingsbekämpfung. Steiniger befasste sich mit Fragen der Entlausung, der „Entwesung“ von Kleidung und der Suche nach Alternativen zum Ersatz des Schädlingsbekämpfungsmittels Zyklon B, was, so Steiniger am 27. Juni 1944, wegen der „Verknappung fortfallender Präparate im Vordergrund“ stand.2039 So schlug Steiniger den Einsatz von kombinierten Saunabäder- und Desinfektionsanstalten vor und ging mit Flugblättern gegen den Aberglauben vor, nachdem eine vollständige Entlausung zum Ausbruch des Fleckfiebers führe.2040 Außerdem wies er auf die Läusebekämpfung durch die Ausnutzung hoher Temperaturen oder deren biologischen Lebenszyklus hin. Läuse, etwa in Pelzen, konnten sich ohne zusätzliches Nahrungsangebot nicht vermehren und starben ab. Steiniger wies jedoch auch darauf hin, dass der Fleckfiebererreger nicht allein in der Laus zu sehen sei und der Begasung mit Blausäure der Vorzug gegenüber einer Quarantänebehandlung zu geben sei.2041 Seine Mitarbeiterin Annemarie Schlote untersuchte die Einwirkung von Schwefeldioxyd auf Fleckfiebererreger, die Verbrennung von Schwefelpräparaten zur 2038 Vgl. UAG R 164 Bl. 95, 101; BA R 4901/25493. 2039 Vgl. BA R 4901/25493. 2040 Steiniger wandte sich gegen die Vorstellung, dass es schädlich sei, sämtliche Läuse zu verlieren, weil diese „ungesunde Kräfte“ aus dem Körper saugen würden. Zunächst einmal müsse der Bevölkerung klar gemacht werden, „dass man auch ohne Läuse leben kann“. Vgl. Steininger, Fritz: Soll man bestehende Badeanstalten in Entlausungsanstalten umbauen?, in: Zeitschrift für Hygienische Zoologie und Schädlingsbekämpfung, 35. Jg., Heft 6, 1943, S. 93–97. 2041 Die übertragenden Bakterien der Gattung Rickettsia können auch in Milben oder anderen Kleinlebewesen überleben, was damals nicht bekannt war. Die Auffassung Steinigers fand Eingang in die Rundschreiben der lagerbetreibenden Institutionen. Vgl. Kalthoff, Jürgen und Martin Werner: Die Händler des Zyklon B. Tesch & Stabenow, eine Firmengeschichte zwischen Hamburg und Auschwitz, Hamburg 1998, S. 143; Werther, Thomas: Fleckfieberforschung im Deutschen Reich 1914–1945. Untersuchungen zur Beziehung zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik unter besonderer Berücksichtigung der IG Farben, phil. Diss., Marburg 2004, S. 148–153.

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Raumentwesung und den praktischen Einsatz von Schwefeldioxid zur Schädlingsbekämpfung.2042 1945 wurde sie mit einer Dissertation über Die Schwefelverbrennung in der Bekämpfung tierischer Gesundheitsschädlinge in Greifswald promoviert.2043 Das Institut in Riga-Kleistenhof führte auch Ausbildungskurse für die „an leitender Stelle einzusetzenden Dienstgrade der Entlausungsanstalten und sonstiger Desinfektoren und Schädlingsbekämpfer“ durch. Diese Desinfektoren wurden im Bereich des Wehrmachtsbefehlshabers Ostland und des Reichskommissars für das Ostland eingesetzt. Bis zum August 1944 führte Steiniger 27 Lehrgänge für Desinfektoren durch, außerdem zwei Lehrgänge zur Vorbereitung auf die Prüfung zum Erwerb der Befugnis zur „Anwendung hochgiftiger Gase“.2044 Die Formulierung „hochgiftige Gase“ bezog sich auf den Einsatz von Blausäure (Cyanwasserstoff) zur Schädlingsbekämpfung, wie sie bereits im Ersten Weltkrieg erfolgreich angewandt worden war. Dem weiterentwickelten und besser handhabbaren Stoff mit der Handelsbezeichnung Zyklon B war ein warnender Riechstoff beigefügt.2045 Auf Druck der SS, die Zyklon B in den Gaskammern zur Ermordung von Menschen einsetzte, wurde dieser Riechstoff entfernt, um den reibungslosen Ablauf des Massenmords zu gewährleisten. Die SS betrieb zur Anwendung des Mittels eine eigene Desinfektorenschule beim Konzentrationslager Sachsenhausen, führte aber auch Schulungskurse in Riga durch. Es ist nicht sicher nachweisbar, dass Steiniger in solchen Kursen Vorträge hielt oder auf andere Weise zur Weiterbildung von SS-Offizieren beitrug. Die Schulungen für das Personal der Gaskammern in den Tötungsanstalten hielten SS-Offiziere ab oder sie wurden von den Chemikern der Zyklon-B-Hersteller durchgeführt.2046 Da Steinigers Mentor Günther Just 1943 nach Würzburg berufen wurde und es keinen geeigneten Nachfolger für ihn gab, wurde er 1943 der Universität Greifswald als Dozent zugewiesen und zum Vorstand des Universitätsinstituts für Vererbungswissenschaft ernannt. Die Lehrtätigkeit erforderte regelmäßiges Pendeln von Riga nach Greifswald, was vom Wissenschaftsministerium genehmigt wurde. Auch die Berechtigung, in Riga angefertigte Dissertationen in Greifswald zu bewerten, wurde vom Ministerium zugesagt. 1945 folgte die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor. Steiniger war inzwischen auf seine Stelle als Regierungsrat in Berlin zurückgekehrt, blieb aber Mitglied des Lehrkörpers und leitete das Institut weiterhin.2047

2042 Vgl. BA R 4901/25493. 2043 Vgl. UAG Med. Diss. II Nr. 1168. 2044 Vgl. BA R 4901/25493. 2045 Vgl. Peters, Gerhard: Blausäure zur Schädlingsbekämpfung, Stuttgart 1933, S. 58. 2046 Vgl. Kalthoff, Die Händler des Zyklon B, S. 152. 2047 Vgl. BA R 4901/25493; UAG PA 308 Steininger, Bd. 4.

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Die Tätigkeit des Vorgeschichtlers Carl Engel im Generalkommissariat Ost war anders gelagert. Obwohl Engel schon zum Sommersemester 1939 nach Greifswald berufen worden war,2048 arbeitete er 1940 noch in Riga und erlebte die Übergabe des Baltikums an die Sowjetunion und die ersten Schritte der Bolschewisierung mit. 750 Jahre deutscher Kulturleistung seien „für immer dahin“, habe er geglaubt, und damit die Chance, diese ursprünglich osteuropäischen Länder dem Ostseeraum und somit „dem germanischen Kultur- und Lebenskreis“ anzugliedern. Das „abgründige Gesicht östlicher Barbarei“ habe sich wieder über Lande und Menschen geneigt, über Menschen, „die sich seit vielen Geschlechterfolgen zum Westen bekannten“.2049 Diese unverhohlene Kritik am deutsch-sowjetischen Freundschaftsvertrag konnte sich Engel erlauben, weil der Schirmherr der Zeitschrift Germanen-Erbe, der NSDAP-Reichsleiter Alfred Rosenberg, ihn ebenfalls als Fehler betrachtete.2050 Am 22. Juni 1941 habe daher für ihn die „größte Stunde“ geschlagen, als er im Rundfunk die Kunde von dem Beginn der „weltgeschichtlichen Auseinandersetzung“ zwischen Deutschland und der UdSSR gehört habe. Denn jetzt habe der „Kampf mit dem eigentlichen Erbfeind, dem Gegner auf Tod und Leben, begonnen“, ein Kampf, den er als „unvermeidbar seit langem erwartet“ habe. Mit „heißem Herzen“ habe er „den Siegeslauf unserer Wehrmacht“ verfolgt und gebangt um Riga, Dorpat, Reval und Narva.2051 Diese in einer parteiamtlichen Zeitschrift abgedruckten Worte zeigen Engels Motivation für den Osteinsatz, zu dem er im Juli 1941 als Leiter der Vorgeschichtlichen Forschungen im Ostland abgeordnet wurde. Organisatorisch wurde er dem Amt IIa, Wissenschaft und Kultur des Reichskommissariats zugeordnet. Tätig war er aber zugleich im Stab des Reichsleiters Rosenberg, der sich als Plünderungsinstitution unrühmlich hervortat.2052 Engels Arbeit im Reichskommissariat Ostland erstreckte sich, wie seine Bilanz des ersten Jahres zeigt, auf drei Aspekte. Zum Ersten widmete er sich der Sicherung des deutschen Kulturgutes, zum Zweiten gestaltete er die baltischen Museen so um, dass sie den deutschen ideologischen Vorgaben entsprachen. Zum Dritten initiierte er Grabungsprojekte, die ihm bei seiner Vorkriegstätigkeit in Riga als besonders dringlich aufgefallen waren. Sein Ziel umriss er in einer Mitteilung an 2048 Vgl. UAG PA 214 Engel. 2049 Vgl. Engel, Carl: Ein Jahr Vorgeschichtsarbeit im Ostland, in: Germanen-Erbe, Jg. 8, H. 1/2, 1943, S. 2 ff. 2050 Es sei falsch, den „Zerstörer Europas“ um Hilfe zu bitten, nur um die polnische Frage zu lösen. Es sei wohl eher ein Bittgesuch als ein Schritt aus freiem Entschluss gewesen, vertraute er seinem Tagebuch an. Vgl. Seraphim, Hans-Günther (Hg.): Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs 1934/35 und 1939/40, München 1964, S. 98. 2051 Vgl. Engel, Ein Jahr Vorgeschichtsarbeit, S. 2. 2052 Vgl. Heuss, Anja: Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Heidelberg 1999.

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den Stab Rosenberg. Für die Vor- und Frühgeschichtsforschung des Ostlandes bestehe die Aufgabe, „den seit der Jungsteinzeit in den baltischen Landen und z. T. nach Weißruthenien vorgedrungenen nordischen Einfluss forschungsmäßig aufzuzeigen und darzulegen, warum die baltischen Lande heute bevölkerungspolitisch und kulturell nicht dem Ostraum“ angehörten. Vielmehr seien die Völker „dem mitteleuropäischen Kulturkreis“ zuzuordnen. Erforscht werden müsse also, „warum“ ihre Kultur „vorwiegend germanisch-deutsch bestimmt“ sei.2053 Zur Verwirklichung des Programms installierte er eine Struktur nach preußischem Muster. In Riga bildete er eine Landesanstalt für die Vor- und Frühgeschichtsforschung des Ostlandes. Dieser wurden Bezirksämter für Estland, Lettland und Litauen zugeordnet, in denen die estnischen, lettischen und litauischen Forscher ihre Arbeiten fortsetzten.2054 Trotz der ideologischen Oberaufsicht durch Engel gestaltete sich das Verhältnis zu den baltischen Forschern durchaus kollegial, zumal Engel ausdrücklich auf die landes, volks- und kulturgeschichtlichen Besonderheiten der Bezirke Rücksicht nahm. Auf dem Arbeitsgebiet Sicherung des Kulturguts konnten Engel und seine Mitarbeiter erstaunliche Erfolge verzeichnen. Dabei war oft Glück im Spiel, weil einige Depots und Museen wie durch ein Wunder von Zerstörungen verschont geblieben waren, etwa in Dorpat. Anderes hatten die baltischen Museumsdirektoren 1939 versteckt, weil sie Zerstörungen durch die sowjetischen Besatzer fürchteten. Die Umgestaltung der Museen vollzog sich in der Weise, dass die meisten Ausstellungen deutsche Beschriftungen erhielten. In Riga wurde die vorgeschichtliche Sammlung allerdings so geordnet, dass sie „einen Überblick über die indogermanische und germanische Gestaltung des Ostlands“ gab. Sogar die von Engel angestoßenen Grabungen lieferten umgehend die erwünschten Funde, wobei es möglich ist, dass diese von den baltischen Forschern bisher zurückgehalten worden waren, um keine ideologische Munition für den „Volkstumskampf“ bereitzustellen. Der von Engel protegierte Archäologe Valdemars Ginters steuerte Wikingerfunde von seiner Grabung in Mesothen (Mežotne) bei. Ein anderer Forscher förderte bei Libau (Liepāja) „prachtvolle Silberfibeln“ und ein mit „germanischen Runenzeichen verziertes Beigefäß“ zu Tage. Die Untersuchung der Burgberge an der Düna und am Dnjepr war geplant.2055 Da Engels mit Unterstützung des für „Weißruthenien“ zuständigen Gauleiters Wilhelm Kube auch die Installierung eines Bezirksamts für Vor- und Frühgeschichte in Minsk gelang, konnte mit einheimischen Archäologen auch auf dem Gräberfeld der „Wi2053 Vgl. Gasche, Malte: Die Instrumentalisierung der Prähistorie im Reichskommissariat Ostland, in: Lehmann, Sebastian u. a. (Hg.): Reichskommissariat Ostland. Tatort und Erinnerungsobjekt, Paderborn u. a. 2012, S. 179. 2054 Vgl. Engel, Ein Jahr Vorgeschichtsarbeit, S. 5. 2055 Vgl. ebd., S. 4–9.

6.2 Kriegseinsatz in der Heimat und an der Front

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kinger“ – oder „Waräger“ bzw. laut Engels „Warjanen“ – bei Gnesdowo weitergearbeitet werden. Bei dem Gräberfeld von Gnesdowo handelte es sich um eine Anlage mit fast viertausend Bestattungen zum Teil in recht großen Kurganen. An der Stelle wurde seit 1874 geforscht, die Zahl der für „Volkstumsfragen“ verwertbaren Funde war jedoch vergleichsweise gering.2056 Engel besuchte die Kurgane mit Kube am 12. September 1942 und zeigte ihm Funde mutmaßlich aus dem 11. Jahrhundert.2057 Kube war begeistert und erklärte sie zu einem Geburtstagsgeschenk für den Reichsführer SS Heinrich Himmler. Es seien drei Frauenskelette gefunden worden, schrieb er an Himmler, dabei eine mutmaßlich „nordische“, also „germanische Fürstin“ von ca. 1,70 Meter Größe. Die beiden geopferten Begleiterinnen seien wohl ihre Dienerinnen gewesen. Bei der mutmaßlichen Fürstin habe man eine Urne entdeckt, auf der sich ein Sonnenkreuz befand. Dazu wurde ein Bronzering mit der Sigrune geborgen. Kube verkürzte den Grabungsbericht auf die für Himmler relevante Aussage, dass wir wohl auch auf dem „weißruthenischen Boden“ noch „vieles über frühe Germanenbesiedlung des Raumes“ erforschen könnten.2058 Die nach Engels Meinung „weltgeschichtlich bedeutsamen Stätten“, an denen 1184/85 im Baltikum die deutsche „Aufsegelung“ begonnen habe, behielt Engel deutschen Forschern vor. So wurde auch in Üxküll und Kirchholm der „Spaten angesetzt“, um Aufschluss zu gewinnen über „Form und Wesensart der ersten deutschen Burgen“. Tätig wurden hier der Greifswalder Dozent Erwin Assmann und Engels Mitarbeiter Walter Gronau.2059 An den Schluss seines in der Zeitschrift German-Erbe publizierten Artikels stellte Engel einige Träume, die er sich als Archäologe verwirklichen wollte. In Pleskau (Pskow) hoffte er die Geburtsstätte von „Helga (Olga)“, jener „wahrhaft königlichen Warjagentochter von echt wikingschem Geiste“ zu finden. Von Nowgorod erhoffte er sich Aufschluss über diese „älteste nordgermanische Hauptstadt im Osten“. Es wirke geradezu wie ein „verheißungsvolles und verpflichtendes Schicksal“, dass es der deutschen Vorgeschichtsforschung – also ihm selbst – „vorbehalten“ sein solle, die „zahllosen weltgeschichtlich bedeutsamen Fragen zu klären, die mit der nordgermanischen Begründung des Moskauer Staatswesens verknüpft“ seien.2060 Durch den Kriegsverlauf wurden Engels Träume obsolet, doch zumindest Erwin Assmann konnte erste Ergebnisse von den Grabungen in Üxküll berichten. Auch Assmann lud seinen ansonsten nüchternen Grabungsbericht mit ideologischen Prälimi2056 Vgl. Virtual Museum, http://www.gnezdovo.com. 2057 Vgl. Mangelsdorf, Aus den Tagebüchern, S. 193 und 400. 2058 Zit. nach Gasche, Instrumentalisierung, S. 181. Verweis auf NS 21/814 Ahnenerbe. 2059 Vgl. Engel, Ein Jahr Vorgeschichtsarbeit, S. 7. 2060 Vgl. ebd., S. 10.

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6. Die Universität im Krieg

narien auf. Die Erschließung des Ostraums sei die „größte Tat des deutschen Volkes im Mittelalter“ gewesen und so konnte auch die deutsche Geschichtsforschung im Osten „an keiner anderen Stelle ansetzen“ als eben an jener, „an der vor mehr als sieben Jahrhunderten deutsche Männer“ zum ersten Mal den Fuß auf den Strand der Düna gesetzt hätten – „[n]icht wie bisher, um bald wieder zu gehen, sondern um zu bleiben“.2061 Assmann verschwieg die komplexe Interessenlage der „Ostbewegung“ des 12. Jahrhunderts nicht. Im Gefolge der Lübecker Kaufleute war auch der Priester Meinhard aus dem Kloster Segeberg ins Land gekommen, um die Christianisierung der Liven voranzutreiben. Meinhards Burg Üxküll sei daher der „erste Wehrbau nach deutscher Weise“, wenn auch in Kriegen zerschossen, aber doch ein lohnenswertes Objekt.2062 Bei den Grabungen konnte Assmann den Verlauf mehrerer Mauern lokalisieren und Wirtschaftsgebäude feststellen, in denen sich jedoch nur Reste von Werkzeugen fanden, die allgemein gebräuchlich gewesen waren. Besondere Bedeutung hätten die Grabungen dennoch gehabt, weil sie sich in ein künftiges „Gesamtbild“ einordnen würden – die Düna werde sich als das zeigen, „was sie ist“, ein „Strom zwischen Ost und West, Schicksalsstrom in Europas Geschichte“.2063

6.3 Profitierte die Universität von Raubgut?

Die Plünderungen ukrainischer Bibliotheken und Archive durch Peter-Heinz Seraphim und die Verschickung der Hakenkreuzurne und des Rings der „Warägerfürstin“ nach Berlin werfen die Frage auf, ob die Universitätssammlungen und die Bibliothek vom Osteinsatz ihrer Wissenschaftler profitierten. Da Engel im Reichskommissariat Ostland nach preußischem Muster vorging, ließ er das Grabungsgut des Ostlands vermutlich nach Riga oder in die Bezirksämter für Bodendenkmalpflege bringen. Das Geschenk für Himmler verstieß gegen das Prinzip der Schaffung von Landesmuseen, war aber nicht Engel, sondern Gauleiter Wilhelm Kube anzulasten. Nach Greifswald gelangte vermutlich nur das pommersche Grabungsgut. In seinem Institutsgebäude eröffnete das Stettiner Landesmuseum eine Dependance. Die Frage, ob auch die Universitätsbibliothek von den Raubzügen in den europäischen Ländern profitierte, muss hingegen bejaht werden. Das Ausmaß ist jedoch durch die Verschleierungsversuche der Besatzungsbehörden unbekannt, was durchaus für ein Unrechtsbewusstsein der Zeitgenossen spricht. 2061 Vgl. Assmann, Erwin: Die Grabung auf Burg Üküll an der Düna, in: Germanen-Erbe, Jg. 8, Heft 1/2, 1943, S. 10. 2062 Ebd., S. 11 ff. 2063 Ebd., S. 17.

6.3 Profitierte die Universität von Raubgut?

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Die Bibliothek litt seit langem unter den beengten Verhältnissen und hatte einen Erweiterungsbau geplant, dessen Ausführung jedoch seit den zwanziger Jahren verschoben worden war. Außerdem beklagte sie in ihrem Jahresbericht 1938, dass weit über zweihundert Zeitschriften nur als „Bruchstücke“ vorhanden seien, was für „die Bedürfnisse der Auslandsforschung, sowohl der englischen wie der französischen wie der skandinavischen“ ebenso wenig ausreiche wie für die Naturwissenschaften und die Medizin. Immerhin konnte die Bibliothek im Berichtsjahr 21.440 Bücher erwerben, davon mehr als 13.000 durch Tausch. Dabei überstiegen die Ausgaben die Einnahmen erheblich und mussten durch Zuweisungen des Ministeriums gedeckt werden.2064 An der Situation änderte sich in den ersten drei Kriegsjahren nichts, wobei sich die Raumnot durch weitere Zugänge und die Umbauten für den Luftschutz vergrößerte. Die Bibliothek erhielt 1940 auch „zahlreiche polnische Schriften“ aus der radikal verkleinerten Universitätsbibliothek Posen.2065 Am Ende des Jahres wurden die Reichsuniversitäten (zum Beispiel Posen und Straßburg) in den regulären Büchertausch einbezogen, weshalb mögliche Zugänge nicht mehr in den Berichten erwähnt wurden. 1941 erhielt die Bibliothek spanische und norwegische Werke. Von einem nicht näher bezeichneten „Beschaffungsamt“ kamen französische Bücher aus der Stadtbibliothek in Metz. Außerdem erhielt sie ausdrücklich als solche bezeichnete „Dubletten“ aus der Universitätsbibliothek in Oslo.2066 Im selben Jahr erhielt das Geographische Institut „unaufgefordert und kostenlos“, wie Direktor Lautensach später versicherte, etwa 2700 Kartenblätter zugesandt. Es handelte sich um topographische Karten besetzter Länder, die den jeweiligen „Staatsdepots“ entnommen worden 2064 Einnahmen: 56050,50 Mark; Ausgaben: 63.100,58 Mark. Vgl. Jahresbericht 1938, in: R 4901/15063. 2065 Vgl. Jahresbericht 1940, in: ebd. Aus der Universitätsbibliothek Posen wurden etwa 700.000 Bücher aussortiert und in die zur Büchersammelstelle umfunktionierte Michaeliskirche gebracht. Dorthin kamen auch die Bibliotheken der Posener Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften, des Erzbischöflichen Archivs und der Bibliothek und die Sammlungen der Priesterseminare. Da der Platz nicht ausreichte, wurden Hunderttausende Bücher zu Altpapier erklärt und makuliert. Vgl. Kalisch, Johannes und Gerd Voigt: „Reichsuniversität Posen“, in: Anderle, Alfred (Hg.): Juni 1941. Beiträge zur Geschichte des hitlerfaschistischen Überfalls auf die Sowjetunion, Berlin 1961, S. 191 f. Die Büchersammelstelle in Posen unterstand ab 1941 der Gestapo, die dort Bücher sichtete und in das Altreich verteilte, darunter drei Waggons mit Büchern aus jüdischem Besitz, die aus Litzmannstadt eingeliefert wurden. Vgl. R 4901/13134. Posens Bibliotheksdirektor Alfred Lattermann war ebenso wie Jürgen von Hehn, der bis Oktober 1940 die Sichtung der Posener Bücher vornahm, Mitglied der nordostdeutschen Forschungsgemeinschaft, zu der auch Theodor Oberländer gehörte. Ob die polnischen Bücher für Oberländers damaliges Forschungsprojekt (Die Landbevölkerung Polens) angefordert wurden, konnte nicht ermittelt werden. 2066 Vgl. Jahresbericht 1941, in: R 4901/15063.

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6. Die Universität im Krieg

waren.2067 1942 wurden mit Mitteln der DFG Bücher über Finnland beschafft, der Reichskommissar in Norwegen schickte der Bibliothek eine nicht näher bezeichnete Zahl von Büchern.2068 1943 und 1944 schenkte Rektor Engel der Bibliothek zahlreiche Bücher, was ausdrücklich im Jahresbericht dankbar vermerkt wurde. Über die Herkunft schwieg sich Bibliotheksdirektor Menn jedoch aus. Aus Norwegen kamen weitere Lieferungen mit dem Absender Reichskommissar, außerdem schenkten ihr die Akademien der Wissenschaften in Oslo und Prag mehrere Bände. Beim Tauschverkehr mit dem Ausland war die Bibliothek in Greifswald nur nehmend, Literatur aus Pommern wurde nicht angefordert, wie Bibliotheksdirektor Menn bedauernd in seinem letzten, Mitte 1944 verfassten Bericht schrieb.2069

6.4 Die Beschäftigung von Kriegsgefangenen

Während des Zweiten Weltkriegs beschäftigte die Universität in jedem Kriegsjahr direkt oder indirekt etwa 100 bis 250 Zwangsarbeiter, überwiegend Kriegsgefangene.2070 Deren Einsatz war prinzipiell völkerrechtskonform; gemäß Artikel 6 der Haager Landkriegsordnung waren kriegführende Staaten befugt, Kriegsgefangene mit Ausnahme der Offiziere nach ihrem Dienstgrad und nach ihren Fähigkeiten als Arbeiter zu verwenden. Dabei sollten diese Arbeiten „nicht übermäßig sein“ und „in keiner Beziehung zu den Kriegsunternehmungen stehen“.2071 Bedarf an Arbeitskräften bestand vor allem auf den mehr als fünfzig verpachteten Universitätsgütern. Auf Bitten ihrer Pächter meldete der Güterdirektor Anfang Oktober 1939 Bedarf für 212 Kriegsgefangene an. Die Verteilung der Kriegsgefangenen fiel in die Zuständigkeit der Arbeitsämter, die Arbeitskräfte jedoch nach Dringlichkeit verteilten, weshalb die Universität und ihre Pächter zunächst nicht berücksichtigt wurden. Die Zuweisung von Arbeitskräften regelten die Pächter später direkt mit dem Arbeitsamt, die Universitätsverwaltung war daran nicht mehr beteiligt. Da das Universitätsgut Koitenhagen jedoch ab 1937 nicht mehr verpachtet, sondern in Eigenregie betrieben wurde, war die Güterverwaltung auch direkt mit dem 2067 Vgl. UAG Mat. Nat. Fak. Nr. 14. 2068 Vgl. Jahresbericht 1942, in: ebd. 2069 Vgl. Jahresbericht 1943/44, in: ebd. 2070 Vgl. Barz, Sascha: Zwangsarbeit an der Universität Greifswald und auf den Universitätsgütern 1939 bis 1945, in: Alvermann, Schranken, S. 256–279. 2071 Vgl. Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, abgeschlossen in Den Haag am 18. Oktober 1907, Artikel 6, http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19070034/index.html, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

6.4 Die Beschäftigung von Kriegsgefangenen

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Gefangeneneinsatz befasst. 1940 waren fünf polnische Kriegsgefangene beschäftigt, die im Winter auch zum Schneeräumen auf der Reichsstraße 109 eingesetzt wurden und mit „Instandsetzungsarbeiten“ allgemeiner Art betraut waren.2072 1941 waren elf, 1942 zwölf und 1943 elf „nicht ständig Beschäftigte“ in Koitenhagen tätig. 1941 waren davon 6 Kriegsgefangene für 63 Tage auf dem Gut, wahrscheinlich während der Erntezeit.2073 In der Kriegsstatistik der Universität sind darüber hinaus neun, acht und zwölf dauerhaft beschäftigte „Ausländer“ angegeben.2074 Für das Universitätsgut Koitenhagen arbeiteten demnach jährlich etwa zwanzig Zwangsarbeiter, die Lebensmittel für die Versorgung der Kliniken bereitstellten.2075 Zugleich wirkten sie damit, wissentlich oder unwissentlich, an den Versuchen des Botanischen Instituts bzw. dessen landwirtschaftlicher Abteilung mit. Der Leiter des Instituts Paul Metzner ließ 1940 den Bereich des heutigen Arboretums auf dem neuen Universitätsgelände durch Gefangene umgraben.2076 Das Universitätsforstamt wies für das Jahr 1941 44 beschäftigte Kriegsgefangene in der Statistik aus, 1942 waren es 29. Für 1943 und 1944 fehlen solche Angaben.2077 Der größte Einsatz von Kriegsgefangenen erfolgte bei den Luftschutzarbeiten, für die das Greifswalder Stammlager ein spezielles Arbeitskommando (Nr. 199) bildete, in dem ab Januar 1944 mindestens 73 Arbeiter beschäftigt waren. Ihre Zahl reduzierte sich später auf 18. Die Universität überwies an die Abrechnungsstelle des Stalag für erfolgte Bauleistungen über 6000 Mark. Die Kriegsgefangenen legten Feuerlöschteiche an der Ohrenklinik und an der Nervenklinik an. Letzterer sollte auch für das Chemische Institut mit benutzt werden können.2078 Die Feuerlöschteiche wurden fertiggestellt, der 1944 begonnene Bunkerbau an der Kinderklinik jedoch abgebrochen, weil die Kriegsgefangenen in Pölitz gebraucht wurden.2079 In den Kliniken wurden Kriegsgefangene als Pfleger und Hilfskräfte, etwa zu Reinigungsarbeiten, eingesetzt. Die meisten von ihnen kamen erst 1944 nach Greifswald. So arbeitete im Physiologisch-Chemischen Institut 1944/45 ein kriegsgefangener Belgier als wissenschaftliche Hilfskraft, außerdem ein niederländischer ziviler Zwangsarbeiter.2080 In der Psychiatrischen und Nervenklinik 2072 Vgl. UAG K 3450, Bl. 216–219 2073 Vgl. UAG K 3455, Bl. 218 und 223. 2074 Vgl. UAG K 5613, Bl. 13. 2075 Vgl. Barz, Zwangsarbeit, in: Alvermann, Schranken, S. 256–279. 2076 Vgl. UAG K 1685, Bl. 98. 2077 Vgl. Barz, Zwangsarbeiter, in: Alvermann, Schranken, S. 271 f. 2078 Vgl. UAG K 1247, Bl. 18–38. 2079 Vgl. ebd., Bl. 304. 2080 Der belgische Kriegsgefangene wurde im Stalag II C rekrutiert, der Niederländer hatte Chemie studiert, verweigerte 1943 eine Loyalitätserklärung für das Deutsche Reich und wurde daraufhin zum Arbeitseinsatz verpflichtet. Vgl. Barz, Zwangsarbeit, in: Alvermann: Schranken, S. 276 f.

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6. Die Universität im Krieg

wurden jetzt fünf Kriegsgefangene beschäftigt, außerdem jeweils drei in der Ohrenklinik und der Hautklinik. Sie werden vermutlich in den beiden Baracken tätig gewesen sein, die auf dem neuen Universitätsgelände für die Behandlung von Zwangsarbeitern aufgestellt worden waren. Jeweils ein Kriegsgefangener war in der Anatomie und vier anderen Kliniken tätig.2081

6.5 Die Auffütterungsversuche in der Medizinischen Klinik

Die deutsche Wehrmacht hatte keine Vorbereitungen für die enorme Zahl von Gefangenen getroffen, die versorgt und ernährt werden mussten. Daher traten in Gefangenenlagern Epidemien auf, gegen die Wehrmachtsärzte oft erfolglos kämpften. Heute, dank Antibiotika, mühelos beherrschbare Krankheiten, etwa Typhus oder Fleckfieber, forderten unvorstellbare Opfer. Auch der Hunger in den Kriegsgefangenenlagern war vor allem ein logistisches Problem. Nicht überall waren Brot und sauberes Trinkwasser erhältlich, was wieder zu Tausenden von Hungertoten und zu Epidemien führte. Das mag im Einzelfall unvermeidlich gewesen sein, die meisten Menschenopfer des Jahres 1941 waren es nicht, wie der Hamburger Historiker Hannes Heer festgestellt hat.2082 Obwohl in allen Lagern Hunger herrschte, wurden die Rationen für „nichtarbeitende Russen“ im Oktober 1941 noch einmal um 27 Prozent gekürzt. Da man für die Mehrzahl der Kriegsgefangenen keine Beschäftigung gefunden hatte, war das nichts anderes als Massenmord. Generalquartiermeister Eduard Wagner notierte beiläufig: „Nichtarbeitende Kriegsgefangene in den Lagern haben zu verhungern.“2083 Erst ein Befehl Hitlers, den er am Heiligabend 1941 erließ, veranlasste Wehrmacht und SS zum Umsteuern. Die Zuführung der sowjetischen Kriegsgefangenen in die Rüstungs- und Kriegswirtschaft sei notwendig, alle an der Bereitstellung „einsatzfähiger Arbeiter“ beteiligten Behörden und Dienststellen müssten „ihr Äußerstes daransetzen, die Einsatzfähigkeit der Kr.[iegs]Gef.[angenen] zu erweitern“. Hitler ordnete dann ausdrücklich an, „eine ausreichende Ernährung“ zu gewährleisten, damit möglichst viele Kriegsgefangene in Deutschland ankämen. Das Oberkommando der Wehrmacht änderte daraufhin seine Strategie der Massentötung und legte neue Richtlinien für den Arbeitskräfteeinsatz fest, denen zufolge so2081 Es ist unklar, ob es sich um zwei oder drei Baracken handelte. Mindestens zwei wurden aufgestellt, drei waren geplant. Vgl. Barz, Zwangsarbeiter, in: Alvermann, Schranken, S. 274 f. sowie UAG Med. Fak. I Nr. 128, Bl. 173 ff. 2082 Vgl. Heer, Hannes: Hitler war’s. Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit, Berlin 2008, S. 252 f. 2083 Vgl. Snyder, Timothy: Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, München 2010, S. 190.

6.5 Die Auffütterungsversuche in der Medizinischen Klinik

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wjetische Kriegsgefangene jetzt zunächst der Industrie „anzubieten“ seien.2084 Katsch stellte sich dem Problem bereits vor dem Hitler-Befehl, konnte sein Handeln dann aber als gedeckt ansehen. Als Beratender Internist im Wehrkreis II sah er, dass Kriegsgefangene in großer Zahl „zu Grunde gingen“. Also ordnete er im November 1941 an, einige sowjetische Soldaten in die Medizinische Klinik aufzunehmen, um sie „aufzufüttern“. Ihm ging es darum festzustellen, wie Durchfallerkrankungen abzustellen seien und, mehr noch, Ödeme in den Gliedmaßen rückgebildet werden könnten. Die „Auffütterung“ gelang durch saubere und ausreichende Kost, später durch „überkalorische Ernährung mühelos“. Insgesamt wurden sechzehn russische Kriegsgefangene so behandelt, zwei starben an Tuberkulose und einer, weil er, so Katschs Oberarzt Gülzow, „so erschöpft war, dass es nicht mehr gelang, sein Leben zu erhalten“. 2085 Der verstorbene Alexei Koslow, so das Krankenblatt, litt an extrem niedrigem Blutdruck, angegriffenen Nieren, Fieber und Appetitlosigkeit. Die Zuführung von Eiweiß in Form von Milch und Quark half ebenso wenig wie Traubenzuckerinfusionen. Sein Kreislauf war auch mit dem Medikament Strophantin nicht zu stabilisieren.2086 Andere wurden völlig wiederhergestellt, wobei die Gaben tatsächlich „überkalorisch“ waren. Nikolai Puschonkow erhielt 2250 Kalorien, davon 200 Gramm Quark täglich (Eiweiß) und 30 Gramm Fett. Außerdem erhielt er zur Kräftigung Hormonpräparate.2087 Die Frage eines „Mindestumsatzes“ diente bei den Auffütterungsversuchen nicht als erkenntnisleitende Fragestellung. Im Auftrag des Beratenden Internisten beim Heeressanitätsinspekteur fertigte Katsch dann im Juli 1942 einen Empfehlungsbericht über die „sparsame Auffütterung von schwer hungergeschädigten Kriegsgefangenen“ an. Den Bericht sandte er nicht nur an die Heeressanitätsinspektion, sondern auch an seinen Vorgesetzten im Wehrkreis, dem für die Kriegsgefangenen zuständigen Korpsarzt im Wehrkreis II.2088 Dabei zog er den Erfahrungsbericht heran, den Leo Hantschmann, Internist an der Universität Königsberg, angefertigt hatte. Hantschmann hatte sieben russische Kriegsgefangene mit schwersten Hungerödemen in seine Klinik aufgenommen und gründlich untersucht. Ein Schwerstkranker verstarb, so dass er für die Auffütterungsversuche ausfiel. Die Kranken erhielten zunächst eine Kost von 1500 Kalorien mit einem Gehalt von 20 Gramm Eiweiß, was der Kost im Kriegsgefangenenlager ent2084 Keitel leitete den Befehl vom 24. Dezember 1941 mit den Worten ein: „Der Führer hat daher befohlen“. Vgl. RGWA 1232-1-10, Bl. 53. 2085 Vgl. UAG R 808, Bl. 7 f. 2086 Vgl. ebd., Bl. 13. 2087 Vgl. ebd., Bl. 14. 2088 Katschs Bericht ist in der Akte nicht enthalten, nur der von Leo Hantschmann, Königsberg. Vgl. BA MA RH 12-23-1837.

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6. Die Universität im Krieg

sprach. Daraufhin änderte sich an ihrem Zustand wenig. Dann wurden 2500 Kalorien gegeben und 30 Gramm Eiweiß, zur Hälfte Pferdefleisch, zur anderen Hälfte Milcheiweiß in Form von Quark. Schon bei dieser Kost entleerten sich die Ödeme rasch, bei 40 Gramm Eiweiß trat rasch eine vollständige Ausheilung ein, so dass nach drei bis fünf Wochen volle Arbeitsfähigkeit erreicht wurde. Auch alle biochemischen Testwerte (Blutzucker, Kalzium, Cholesterin usw.) hatten wieder die Norm erreicht. Hantschmann folgerte daraus, dass der Eiweißmangel für die Hungerödeme verantwortlich sei, und empfahl daher, dass auch Kriegsgefangene täglich mindestens 30 Gramm Eiweiß erhalten müssten.2089 Die Zahlen Hantschmanns wichen bei den Eiweißgaben erheblich nach unten von den Mengen ab, die Katsch zur „Auffütterung“ als notwendig erachtete. Die Ursache ist eine unterschiedliche Zielsetzung: Hantschmann ging es um eine Aufrechterhaltung der Arbeitskraft im Sinne des Führerbefehls vom Heiligabend 1941. Er stellte daher den notwendigen Mindestumsatz für die Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit fest. Das aber war nicht das Ziel der Greifswalder „Auffütterungsversuche“, sondern die Rettung von Leben.2090

6.6 Das Sterben und die Sinnstiftung des Krieges

Die meisten Studenten starben bei Kämpfen an der Ostfront.2091 Die Art und Weise, wie die Soldaten den Tod fanden, war unterschiedlich. Der Philologe Martin Dodenhoeft wurde 1941 unmittelbar nach seinem Examen zu einem Grenadierregiment eingezogen, zeichnete sich aus und wurde zum Gefreiten befördert. Er starb im Januar 1943 bei einem Stoßtruppunternehmen am Ilmensee.2092 Ein Jurastudent diente auf U 404, das bei einer erfolglosen Feindfahrt in der Biskaya durch Wasserbomben getroffen und versenkt wurde.2093 Der Medizinstudent Josef Drescher war als Sanitäter eingesetzt und wurde beim Verbinden eines Kameraden von einem Granatsplitter in die Lunge getroffen. Er starb im Lazarett, obwohl er sich, wie sein Vater glaubte, auf dem Wege der Besserung befunden habe.2094 Hans-Jürgen Eulenberg hatte sich gefreut, als er mit seiner Sanitätsgruppe nach Tunis verlegt wurde, weil er glaubte, dort sein Französisch verbessern zu können. Bei einem Tieffliegerangriff erhielt er 2089 Bericht Hantschmann, 5. Mai 1942. Vgl. RH 12-23-1837. 2090 Zu Ernährungsexperimenten anderer Ärzte vgl. Neumann, Heeressanitätsinspektion, S. 268 ff. 2091 Vgl. UAG PA gef. Stud. Nr. 6 Babo, Hellmuth von. 2092 Vgl. UAG PA gef. Stud. Nr. 54, Dodenhoeft, Martin. 2093 Vgl. UAG Jur. Fak. Nr. 92, Bl. 189, http://www.ubootarchiv.de/ubootwiki/index.php/U_404, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 2094 Vgl. PA gef. Stud. Nr. 55 Drescher, Josef.

6.6 Das Sterben und die Sinnstiftung des Krieges

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zwei Bauchschüsse, die, so sein Vorgesetzter im Trostbrief für den Vater, „sofort tödlich“ gewesen seien.2095 Der Arzt der Hautklinik Konrad Brandsch hatte als Frontarzt unzählige Verwundete stabilisiert und ausgeflogen. Er wurde Opfer eines Flugunfalls. Truppenarzt Friedrich Wendel starb im Dezember 1941 irgendwo bei Rostow – dort war die Front mehrfach unter extremen Opfern hin- und hergeschoben worden. Über den Ort seines Grabes gab es keine Nachricht wie bei vielen Gefallenen an der sowjetischen Front. Die Sterbeorte blieben oft abstrakt, etwa: „am Ilmensee“, „im Donbogen“ oder „bei Rückzugskämpfen“. Nicht wenige Ärzte und Sanitätsunteroffiziere fielen Krankheiten zum Opfer, etwa der Medizinstudent Hans-Joachim Ziethen, der sich als Feldunterarzt in einem ukrainischen Lazarett mit Kinderlähmung ansteckte, an der er im September 1941 verstarb.2096 Andere wurden bei der Bergung von Verwundeten getötet, etwa Arnold Piper im März 1943,2097 oder kamen bei Partisanenüberfällen ums Leben wie der Gefreite in einer Nachrichtenabteilung Hans-Reinhard Holtz.2098 Als kämpfende Soldaten starben auch der Dozent für Volkskunde Karl Kaiser 1940 in den Vogesen und der Theologe Hans Eger, der als Pfarrer an der Ostfront tätig gewesen war.2099 Der Kampfstoffforscher und Hautarzt Wilhelm Richter verlor sein Leben, als die nach der Schlacht bei Stalingrad neuaufgestellte 6. Armee unterging. Der Dozent für Finnlandkunde Hans Grellmann starb wenige Tage nach Kriegsende in einem Lazarett in Thorn. Als Finnland Ende 1944 die Seiten wechselte, wurde seine Unabkömmlichkeitsstellung aufgehoben und er wurde einem Grenadierregiment zugeteilt. Als indirekte Kriegsopfer können der Historiker Hermann Christern und der Chirurg Reschke gelten. Christern wurde von der SS zur Truppenbetreuung angefordert und besuchte aus Neugier ein Lager für russische Kriegsgefangene in Ostpommern. Dabei steckte er sich mit Fleckfieber an und verstarb.2100 Der ehemalige Rektor der Universität Carl Reschke diente bei der Waffen-SS als Beratender Chirurg im Westen und erlitt dort einen Herzinfarkt.2101 Insgesamt forderte der Zweite Weltkrieg von den Greifswalder Universitätsangehörigen wahrscheinlich weniger Opfer als der Erste Weltkrieg.2102 Aber bis 1944 starben mindestens 101 Studenten, 6 Assistenten, 3 Angestellte und ein Waldarbeiter. Min2095 Vgl. PA gef. Stud. Nr. 65, Eulenberg, Hans-Jürgen. 2096 Vgl. PA gef. Stud. Nr. 380 Ziethen, Hans-Joachim. 2097 Vgl. PA gef. Stud. Nr. 239 Piper, Arnold. 2098 Vgl. PA gef. Stud. Nr. 123 Holtz, Hans-Reinhard. 2099 Rektor Lohmeyer hielt 1945 an der Fiktion fest, dass Eger „vermisst“ sei, damit die Witwe weiterhin ein Gehalt erhielt. Vgl. PA 2596 Eger. 2100 Vgl. UAG PA 26 Christern. 2101 Vgl. UAG PA 563 Reschke. 2102 Während des Ersten Weltkriegs ließen 197 Studenten ihr Leben. Vgl. UAG R 129/120.

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6. Die Universität im Krieg

destens 3 Studentinnen kamen bei Bomben- oder Tieffliegerangriffen ums Leben.2103 Die Vermissten wurden in den Akten nicht erfasst, die Opfer des sinnlosen Volkssturmeinsatzes im Frühjahr 1945 sind bis heute nicht gezählt. In den Zeitungsanzeigen der Familien wurde Trauer und Verlust bekundet, die Formulierung „für Führer und Vaterland“ findet sich häufig, aber nicht immer.2104 Die Familie Wilhelm Richters schrieb in ihrer Traueranzeige, „ein Leben, das Führer und Vaterland geweiht war, fand seinen heldischen Abschluss“.2105 Der Vater zweier gefallener Studenten betonte in seiner Traueranzeige, dass diese im „Kampf gegen den Bolschewismus“ ihr Leben geopfert hätten für „Führer und Volk“.2106 Auch die Traueranzeige der Familie Mischke zeugt von einem höheren Sinn, den sein Sterben angeblich gehabt habe. „In höchster Begeisterung für Führer, Volk und Vaterland“ habe der Oberleutnant und Kompaniechef Kurt Mischke, Inhaber des Eisernen Kreuzes II. Klasse und des Goldenen Parteiabzeichens den „Heldentod“ gefunden.2107 Dekan Metzner sprach der Witwe am 30. Juni 1942 im Namen der Philosophischen Fakultät sein Beileid aus, „zu dem schweren Schicksalsschlag, der Sie getroffen hat“. Er bedauerte, dass Mischke die Vollendung des Mundartwörterbuchs „nicht vergönnt“ gewesen sei. „Sie und ihre Kinder trifft der Verlust besonders schwer – das stolze Bewusstsein, dass Ihr Gatte sein Leben für das Reich gab, für das er schon vor der Machtergreifung der NSDAP kämpfte und dessen Aufstieg ihn begeisterte, mag Ihnen Trost in diesen schweren Stunden sein.“2108 Einen Nachruf verfasste die Universität für Karl Kaiser, der in den letzten Tagen des Frankreichfeldzugs gefallen war. In dem von Leopold Magon formulierten Text schimmert die Sinnlosigkeit von Kaisers Tod durch, als Magon das umfangreiche Werk Kaisers Revue passieren ließ. Zugleich würdigte Magon aber sinnstiftend das Opfer für das Volk: „In diese Trauer mischt sich Stolz, weil wir seinen Soldatentod als ein sinnvolles Opfer für das Volk empfinden, dem auch seine wissenschaftliche Arbeit galt.“2109 Anlässlich des Todes des Gaudozentenführers Karl Reschke organisierte die Universität eine große Trauerkundgebung. In der Greifswalder Zeitung erschienen am 20. Februar 1941 neun Anzeigen, von denen die der Familie mit eineinhalb Spalten die kleinste war. Alle anderen hatten jeweils zweispaltige Anzeigen für den „Banner2103 Eigene Berechnungen nach UAG K 6052 und anhand der Studentenakten gefallener Studenten. 2104 Vgl. UAG PA gef. Stud. 178 Neumann, Heinz; 123 Holtz, Hans-Reinhard. 2105 Vgl. UAB Med. Fak. PA 238 Richter, W., Bl. 68. 2106 Vgl. UAG PA gef. Stud. 164 Kramp, Robert; PA gef. Stud. 163 Kramp, Max. 2107 Vgl. UAG K 6052, Bl. 29. 2108 Vgl. UAG Phil. Fak. I-454. 2109 Vgl. ebd.

6.6 Das Sterben und die Sinnstiftung des Krieges

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träger des Führers“ und „Förderer der studentischen Arbeit“ geschaltet: Rektor und Senat, Gefolgschaft der Chirurgischen Klinik, der Kurator als Vertreter des Ministers, der nun amtierende Gaudozentenführer, die Fachgruppe Volksgesundheit der Studentenführung, die Medizinische Fakultät, der Studentenführer und der Gaustudentenführer.2110 Da die Menge der Traueranzeigen auch bei anderen Institutionen überhandnahm und das Propagandaministerium negative Auswirkungen auf die Stimmung der Bevölkerung befürchtete, untersagte das Innenministerium allen Behörden am 7. März 1941 per Runderlass die Veröffentlichung solcher Anzeigen.2111 In den Rundbriefen der Kameradschaften wurde der Gefallenen aber selbstverständlich weiterhin gedacht. Für die Mitglieder der Kameradschaft Konrad von Jungingen starb ihr Alter Herr Kurt Henning „den Heldentod für das Vaterland“, wie sie in ihrem Mitteilungsblatt bekundete. Der als Staatsanwalt in Stettin Tätige war am 3. September 1939 als Führer einer Schützenkompanie bei der ersten Feldberührung im polnischen Korridor getötet worden.2112 Mit der Formulierung vom „Heldentod“ wählten die Studenten eine im Ersten Weltkrieg etablierte offizielle Formulierung für die Sinnstiftung des Sterbens. Auch die Universität benutzte das Wort in ihrem Standardschreiben, mit dem sie in den ersten Kriegsjahren den Familien ihr Beileid bekundete: „Zu dem Heldentode, ihres [Angehörigen], spreche ich Ihnen und Ihrer Familie – zugleich im Namen der gesamten Ernst-Moritz-Arndt-Universität – das innigste Beileid aus. Die Universität ist stolz auf Ihren [Angehörigen] und wird sein Opfer, das er für Führer und Großdeutschland brachte, nie vergessen.“2113 Der 1943 zum Rektor ernannte Prähistoriker Carl Engel leitete das Schreiben anders ein. „Mit tiefster Erschütterung“ habe er von dem „Heldentod“ des Familienmitglieds erfahren und spreche in seinem Namen und der Universität „aufrichtigste Anteilnahme“ aus. Die Familie könne versichert sein, so der letzte Satz, „dass unsere Universität das Andenken“ ihres Angehörigen, „der das höchste Opfer für unser Vaterland gebracht“ habe, nie vergessen werde.2114

2110 Vgl. UAG PA 563 Reschke, Bd. 3, Bl. 65. 2111 Vgl. Fischer, Nadja: „Für Führer, Volk und Vaterland starb den Heldentod …“ Die Gefallenenanzeigen in den halleschen Tageszeitungen von 1939 bis 1945, Magisterarbeit Universität Halle 2013, S. 29. 2112 Vgl. NSDStB Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft Konrad von Jungingen, Nr. 3, März 1940, S. 3 und 17. 2113 Vgl. UAG PA gef. Stud. 339 Ulrich, Siegfried. 2114 Vgl. UAG PA gef. Stud. 327 Täger, Heinrich.

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6. Die Universität im Krieg

6.7 Erosion und Kriegsende

Das große Sterben ging mit einer Erosion der nationalsozialistischen Überzeugung, vielleicht auch der patriotischen Grundstimmung an der Universität einher.2115 Viele Universitätsangehörige verloren ihre Söhne im Krieg, etwa der Oberpräparator Max Schilling, dessen Sohn als Obergefreiter der Luftwaffe bei den Kämpfen im Südabschnitt der Ostfront fiel.2116 Der Sohn des Theologen Ernst Lohmeyer starb 1942 bei den Kämpfen von Demjansk, der des Historikers Adolf Hofmeister 1943 ebenfalls an der Ostfront.2117 Bei einem Heimaturlaub äußerte sich der Sohn des Klinikangestellten Justus Neuenfeldt 1943 abfällig über Hitler und den Kriegsverlauf. Er wurde denunziert, wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt und kam in eine Strafkompanie. Die Familie sah ihn nie wieder.2118 Viele Familien in der Stadt verloren Angehörige, als das in Greifswald beheimatete 92. Infanterieregiment in der Schlacht bei Stalingrad unterging. Das Regiment war am 3. September 1942 beim Vorstoß auf die Stadt eingesetzt worden. Das abgekämpfte Regiment wurde zwei Tage später zur Verstärkung ausgedünnter Truppen zum Hügel 139,7 verlegt. Von den dort eingesetzten etwa 25.000 Soldaten lebten dreizehn Tage später nur noch 5000. Diese starben bei den Abwehrkämpfen, als der Hügel am 18. September von sowjetischen Truppen in der sogenannten zweiten Kotluban-Offensive erneut angegriffen wurde.2119 Es ist nicht bekannt, ob überhaupt Gefangene gemacht wurden. Zu einem Kristallisationspunkt der Unzufriedenheit wurde das katholische Pfarrhaus von St. Joseph, in dem Pfarrer Alfons Maria Wachsmann kulturelle „Mittwochabende“ zu halten pflegte. Diese wurden von Studenten, aber auch von Wehrmachtsangehörigen besucht. Die Gestapo überwachte Wachsmann wie alle katholischen Geistlichen in Pommern und verhaftete ihn am 23. Juli 1943. Aufgefallen war Wachsmann bereits früher, weil er an staatlichen Feiertagen die Kirche nicht geschmückt hatte, weshalb ihn die Polizei verwarnt hatte. Zum Verhängnis wurde ihm, dass er, ungerührt davon, dass das Abhören von „Feindsendern“ seit Kriegsbeginn mit

2115 Vgl. Rautenberg, Mathias: Universitätsangehörige zwischen Erneuerung, Beharrungsstreben und Anpassungsdruck – einige Aspekte der Entnazifizierung am Beispiel der Greifswalder Universität, in: Zeitgeschichte regional, Nr. 10, Heft 1, 2006, S. 35–45. 2116 Vgl. UAG PA gef. Stud. 282 Schilling. 2117 Vgl. Köhn, Andreas: Der Neutestamentler Ernst Lohmeyer. Studien zu Biographie und Theologie, Tübingen 2004, S. 109; NSDStB, Gruppe Universität Greifswald: Mitteilungsblatt der Altherrenschaft und Kameradschaft Bruno Reinhard, Nr. 7/8, August 1944, S. 3. 2118 Vgl. UAG R 2270, Bl. 62. 2119 Vgl. Glantz, David M. und Jonathan M. House: Armageddon in Stalingrad. Bd. 2, September – November 1942, Lawrence 2009, S. 44, 55 und 172–177.

6.7 Erosion und Kriegsende

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dem Tode bestraft werden konnte, diese Informationsbeschaffung fortsetzte.2120 Beim geselligen Beisammensein in der Wohnung oder einem Gasthaus gab Wachsmann wieder, was er gehört hatte. Zugleich äußerte er sich kritisch zur deutschen Außenpolitik, die in einen Krieg geführt habe, den man nicht gewinnen könne. Damit habe Wachsmann, so die Anklageschrift, bei „weltanschaulich und politisch noch nicht gefestigten Studenten“ das „Vertrauen zur politischen Führung untergraben“ und das „Siegvertrauen“ der eingezogenen Studenten „zersetzt“. Obwohl mehrere Zeugen, darunter Studenten und Soldaten, leugneten, von Wachsmann negativ beeinflusst worden zu sein, reichte das Ermittlungsergebnis dem Volksgerichtshof zur Verhängung des Todesurteils aus.2121 Wachsmanns Schwester verfasste ein Gnadengesuch, dem sich allerdings nur wenige anschlossen. Studenten waren nicht darunter, von den Professoren waren es nur drei, obwohl es noch neun weitere Hochschullehrer katholischer Konfession gab und Erich Molitor, der mit Wachsmann befreundet war, sie alle befragte.2122 Molitor betonte in seinem Leumundszeugnis das außerordentliche Ansehen, das Wachsmann in Greifswald genieße, ganz besonders als Standortpfarrer. Die Aktiven und Reserveoffiziere schätzten ihn, was ohne eine „durchaus nationale Haltung“ wohl nicht möglich sei. Wachsmann habe seinen vier Söhnen Religionsunterricht erteilt, von denen einer „als besonders pflichttreuer Soldat“, wie dessen Vorgesetzte betonten, an der Ostfront gefallen sei. Außerdem habe Wachsmann auch mit Begeisterung von seinem eigenen Kriegsdienst auf dem Balkan gesprochen, was er wohl nicht getan hätte, wenn er „Kameraden in diesem Krieg in den Rücken zu fallen beabsichtigte“. Auch Karl Peters betonte, dass er an Wachsmanns „vaterländischer Gesinnung“ keinen Zweifel gehegt habe, voller Stolz habe dieser ihm von seiner Ernennung zum Standortpfarrer berichtet, „weil er darin eine besondere nationale und religiöse Aufgabe erblickte“. Gerhart Jander strich Wachsmanns Fürsorge für die studentische Jugend heraus, und er habe nichts feststellen können, was ihn daran habe zweifeln lassen, „einen national gesinnten, deutschen Pfarrer kennengelernt zu haben“.2123 Die Gestapo befragte daraufhin Jander, wie er zu Wachsmann stehe, und befragte auch andere über ihn. Offensichtlich brachte Jander über diese Nachforschungen seinen Unmut zum Ausdruck und wurde dafür vom NSDAP-Kreisleiter zur Rede gestellt. Von ihm als „altem Kämpfer“ erwarte er mehr Engagement, was Jander mit Berufung auf seine kriegswichtige Forschung ablehnte und sein Parteibuch kurzerhand zurück-

2120 Vgl. BA R 3001/125047 und DY 55/V287/280; Anklageschrift in R 3001/179559. 2121 Vgl. ebd. und BA ZC 15118/III. 2122 Vgl. UAG R 2269, Bl. 22a; BA ZC 15118/III (Gnadenheft). 2123 Vgl. BA ZC 15118/III, Bl. 10–13.

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6. Die Universität im Krieg

gab.2124 Einen ersten Knacks hatte seine nationalsozialistische Überzeugung bereits nach der Ermordung der Spitze des sozialrevolutionären Flügels der SA im Sommer 1934 erhalten.2125 Die Professoren galten als „unsicher“, weshalb die Gestapo die Überwachung der Universität verstärkte. Dabei schenkte sie auch unglaubwürdigen Zeugen Gehör. Eine Zugehfrau beschuldigte zum Beispiel den Sohn Erich Leicks, Feindsender abgehört zu haben, beim Prozess wurde sie jedoch als „haltlose Lügnerin und Denunziantin“ entlarvt.2126 Ins Visier geriet nun auch das protestantische Milieu. Spitzel erschienen in Gottesdiensten, schrieben Predigttexte mit, selbst bei Parteimitgliedern wie Walter Glawe. Auch der einstige Kreisführer des Stahlhelm galt jetzt als unzuverlässig, nicht ohne Grund, hatte er doch mit seinem Auftritt in der Kirche in Wieck dem Pfarrer Gottfried Holtz beistehen wollen, der vom Volksschullehrer politisch angegriffen worden war.2127 An die Volkswirtschaftsstudentin Gudrun Laetitia Sivkovich machte sich 1944 auf ziemlich plumpe Weise ein Student höheren Semesters heran. Sie war die Tochter des ehemaligen Reichstagsabgeordneten der Demokratischen Partei Hans Sivkovich, der nach 1919 vorübergehend Kultusminister in Mecklenburg gewesen war. 1938 legte er nachträglich die Pfarramtsprüfung ab und wurde 1943 Pfarrer in Prenzlau. Der Student verwickelte dessen Tochter in politische Gespräche und drängte darauf, ihren Eltern vorgestellt zu werden.2128 In die Theologische Fakultät kam die Gestapo sogar anlässlich eines Plagiatsfalls. Ein Doktorand hatte seine Arbeit aus eher unbekannten dänischen Arbeiten zusammenkopiert, ohne die Quellen zu nennen,2129 was einem Historiker auffiel, der die in der Bibliothek ausliegende Schrift gelesen hatte. Die positiven Voten der Gutachter waren damit hinfällig, der Doktorand aus Dä2124 Vgl. UAG R 2269, Bd. 1, Bl. 28. 2125 So Janders einstiger Mentor Adolf Windaus in einer Mitteilung anlässlich Janders Entnazifizierung 1946; vgl. Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 87. Jander selbst konnte anlässlich seiner Entnazifizierung einen Persilschein von Paul Rosbaud vorweisen, einem britischen Spion des MI 6. Rosbauds jüdische Ehefrau war emigriert, er selbst galt jedoch als zuverlässiger Nationalsozialist. Jander bot ihm in Greifswald Quartier, wo Rosbaud Informationen über Peenemünde sammelte. Daraus eine „antifaschistische“ Überzeugung Janders abzuleiten, ist nicht angängig, weil Jander von der Agententätigkeit Rosbauds nichts wusste. Die Personalakte Rosbaud in den National Archives London ist nicht freigegeben. Vgl. Kramish, Arnold: Der Greif. Paul Rosbaud – Der Mann der Hitlers Atompläne scheitern ließ, München 1987, S. 125–131. 2126 Aussage Leick im Juli 1945, er vermutete in ihr die Denunziantin bei den sowjetischen Behörden. Originalakten konnten nicht ermittelt werden. Vgl. UAG R 2259, Bl. 9. 2127 Aussage Glawe am 14. August 1945. Originalakten konnten nicht ermittelt werden. Vgl. UAG R 2269, Bl. 21. Holtz war 1934 in Mecklenburg denunziert worden und wechselte dann zur pommerschen Landeskirche. Vgl. Voigt, Haendler, S. S. 22. 2128 Vgl. UAG R 782, Bl. 167 f. 2129 Vgl. UAG Theol. Diss. Nr. 86.

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nemark denunzierte den Historiker, der nicht mehr an den Endsieg glaube und sich angeblich abfällig über Hitler geäußert habe. Rektor Engel nahm diesen in Schutz und konnte eine Verhaftung abwenden.2130 Im Fall eines von der Gestapo verhafteten Studenten versuchte Molitor Genaueres zu erfahren, um, wie er der Gestapo in Stettin im August 1944 schrieb, eventuell „Disziplinarmaßnahmen“ einleiten zu können. Das war jedoch nur ein Vorwand, denn Molitor war vom Vater um Intervention gebeten worden. Molitor kannte den Studenten nicht, holte aber von Peter-Heinz Seraphim ein Gutachten ein, der bestätigte, dass sich der Student in Greifswald, „soweit bekannt geworden ist, einwandfrei verhalten hat“. Die Gestapo würdigte Molitor keiner Antwort.2131 Zur Erosion der Stimmung trugen auch die Verhaftungen nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler bei. Obwohl der Historiker Ulrich Noack das Gefängnis nach wenigen Wochen wieder verlassen konnte, scheint sein Fall vor allem von Greifswalder Honoratioren intensiv diskutiert worden zu sein.2132 In der Rückschau mutig erscheint der Antrag, den Johannes Fichtner für seinen Singekreis im Winter 1944/45 stellte. Die Studenten wollten den verhafteten Pfarrer von Katzow im Gefängnis in Stettin besuchen und für ihn singen, was selbstverständlich nicht genehmigt wurde.2133 Zum Mentalitätswandel des Rektors Carl Engel wird das Ergebnis einer Arbeitstagung der Gaustudentenführung im Januar 1944 beigetragen haben. Engel hielt vor den Studentenführern eine Motivationsrede, von der ein Student ein Stenogramm anfertigte und ihn ob des Inhalts bei der Gauleitung denunzierte. Gauleiter Schwede-Coburg gab das Protokoll an Alfred Rosenberg, weil Engel als dessen Schützling galt. Er habe keinen Zweifel, dass Engel ein „gefestigter Parteigenosse“ sei, aber das Gesagte und die „Unfähigkeit“, als Rektor „klare Entscheidungen“ zu treffen, ließen doch Zweifel an der Personalie aufkommen. Engel habe „Warnungen und Ratschläge“, die ihm wegen des angeblich bedrohlichen Anwachsens „konfessioneller Kräfte im Bereich der Universität“ zugegangen seien, als „unerlaubten Eingriff in seine Rektoratsbefugnisse“ empfunden. Was Engel wirklich sagte, ist anhand der Mitschrift nicht rekonstruierbar, aber ein Murren gegen den Anspruch, „Wissenschaft“ als Mittel der „Erziehung“ zu missbrauchen, kann durchaus herausgelesen werden. Engel bekannte sich zur Unfreiheit der Wissenschaft, weil diese nun einmal aus dem Zwang der Verhältnisse geboren sei. Das deutsche Volk habe sich 1918 die „modernste, frei2130 Vgl. Thümmel, Greifswald, S. 205. 2131 Vgl. UAG Jur. Fak. Nr. 110, Bl. 71. 2132 Vgl. Matthiesen, Helge: Das Kriegsende 1945 und der Mythos von der kampflosen Übergabe, in: Wernicke, Greifswald, S. 136. 2133 Vgl. Gutsage Prof. W. Völger, Katzow, Vorsitzender der SPD-Ortsgruppe Katzow v. 4.2.46, in: UAG PA 326 Fichtner, Bd. 6, Bl. 7.

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zügigste und freiheitlichste Verfassung der Welt“ gegeben, sei aber damals „nicht reif“ und „nicht politisch gefestigt genug“ gewesen, um eine solche Verfassung „ertragen zu können“. Freiheit stelle sich jedoch nicht durch die Verfassung ein, der Mensch müsse innerlich ungebunden sein, meinte Engel und sagte laut Stenogramm: „Ich werde immer noch freier sein als meine Henker.“ Ein zweiter bemängelter Wutausbruch galt der Selbstbedienungsmentalität der Studentenfunktionäre. Vielleicht, so Engel, sei die Abschaffung der Korporationen doch ein Fehler gewesen, „schade drum“. Diese hätten viel Wertvolles enthalten, etwa die Fähigkeit zur Selbsterziehung, die er dem Nationalsozialistischen Studentenbund absprach. Dieser habe „keine werbende Idee“, um die Kameradschaften „mit neuem Leben zu erfüllen“. Es fehle den Studierenden insgesamt an „Pflichtbewusstsein in seiner höchsten Steigerung“ und darüber hinaus „an Bescheidenheit“. Diese Pflichtvergessenheit äußere sich darin, dass die „Verpflichtung der Volksgemeinschaft gegenüber, das Beste zu leisten, was wir vermögen“, offenbar nicht genug ausgeprägt sei. Zum Führersein gehöre doch mehr, als nur Forderungen zu stellen. Es sei doch so, dass man eine Sache um ihrer selbst willen tue, dieses Ideal habe schon die Griechen beseelt. Und nur durch diesen Idealismus reife der Charakter „in strenger und ununterbrochener Arbeit an sich selbst“. Ein großer Teil der Studierenden sei es aber gewohnt, „nur Forderungen an die Gesellschaft zu stellen“. Diese habe dann dafür zu sorgen, dass „das Studium bezahlt wird“. Um aber eine „wahrhaft geläuterte Persönlichkeit“ zu werden, müsse jeder Student einmal „den Kampf mit der Not bestanden haben“. Es sei zwar richtig, dass Jugend durch Jugend geführt werden müsse, aber die Jugend müsse auch „Ideal und Inhalt“ schaffen.2134 Angesichts dessen, dass „Ideal und Inhalt“ durch Hitlers Mein Kampf vorgegeben waren und die NS-Ideologie keineswegs durch einen Prozesscharakter, sondern durch feste Grundsätze gekennzeichnet war, wurden diese Anwürfe ernst genommen. Die Vorwürfe beschäftigten sogar Wissenschaftsminister Rust persönlich, der ihre Klärung aber an Rosenberg delegierte. Im Juli 1944 besprach ein Mitarbeiter des Amts Rosenberg die Vorwürfe mit Engel. Der ursprüngliche Eindruck werde abgemildert, weil das Stenogramm die frei gehaltene Rede nur „unvollständig und zum Teil nicht sinngetreu wiedergegeben“ habe. Der Satz zur Freiheit vor dem Henker etwa habe wie folgt gelautet: „Selbst wenn mich die Bolschewiken zum Galgen führen würden, würde ich immer noch freier sein als meine Henker.“ Im Hinblick auf den Rang der Verfassung habe der Stenograph wohl nicht die Ironie verstanden und seinen Hinweis vorsätzlich unterschlagen, dass die Weimarer Verfassung „von Juden geschaffen worden“ sei. Die Dementis im Hinblick auf den Prozesscharakter des Nationalsozialismus wirken allerdings kraftlos. Ja, er habe betont, dass es keine neuen 2134 Vgl. BA NS 8/158, Bl. 125–131.

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Ziele geben könne, weil der Nationalsozialismus diese ja vorgezeichnet habe. Eben deshalb sei es um so wichtiger, sich auf diese zu besinnen: „Siegen können wir nur als Nationalsozialisten, und darum müssen wir Nationalsozialisten sein, und zwar kompromisslose Nationalsozialisten.“ Von den Anwürfen gegen die Studentenführung nahm Engel nichts zurück. Sie müsse auf Grund der „Qualität der Leistung“ beurteilt werden, und es habe Missgriffe im Hinblick auf Einzelne gegeben. Außerdem sei der Vortrag vor einem kleinen, geschlossenen Kreis gehalten worden und „nicht für die Öffentlichkeit bestimmt“ gewesen. Die Bitte der Studentenführung, den Vortrag vor allen Studierenden zu halten, habe Engel mit der Begründung abgelehnt, dass solche Gedanken nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien. Der Mitarbeiter des Amts Rosenberg spielte den Ball nach der Vernehmung wieder zurück. Für die Zustände in Greifswald sei das Ministerium verantwortlich, das zum Beispiel den „scholastischen Philosophen“ Pichler noch immer nicht entfernt habe.2135 Engel erscheint in dem Verhör als überzeugter Nationalsozialist, aber zugleich als Mann mit moralischen Grundsätzen. Auch beim Rückzug aus dem Baltikum bewies Engel menschliche Größe, indem er Wissenschaftlern aus den besetzten Ländern Arbeitsmöglichkeiten in Greifswald verschaffte. Der estnische Geologe Armin Öpik wurde zum Beispiel zu Sergius von Bubnoffs Forschungsauftrag zu den hydrologischen Verhältnissen hinzugezogen.2136 Die Mineralogen Boris Popoff und Otto Melis kamen aus Riga, wo sie an der Universität gelehrt und geforscht hatten.2137 Die estnischen Sprachforscher Andrus Saareste und Mihkel Toomse flohen 1945 nach Flensburg weiter, vom Institut für Finnlandkunde bekamen sie Stipendien ausgezahlt.2138 Das lettische Anatomenehepaar Janis und Irma Eglitis war seit November 1944 in Greifswald und setzte sich am 20. März 1945 nach Schleswig ab, um, so Direktor Pfuhl in seiner Mitteilung an den Kurator lakonisch, „sich vor den Russen in Sicherheit zu bringen“.2139 Die Stimmung in der Stadt wurde sicher auch von den Verlegungen einiger Universitätseinrichtungen aus Ostpreußen seit dem 6. Dezember 1944 bestimmt.2140 So wurde die Frauen- und Kinderklinik der Universität Königsberg einschließlich Personal und Patienten nach Greifswald evakuiert. An der Universität sorgte die Verlegung sicher für Gesprächsstoff, auch deshalb, weil für die Flüchtlinge gesammelt wurde.2141 Weil der Universität Posen im Januar 1945 die Vernichtung drohte, richtete sie an 2135 Vgl. BA NS 8/158, Bl. 104–110. 2136 Vgl. BA R 73/13466. 2137 Vgl. Mineralogisch-Petrographisches Institut, Ordner Briefwechsel 1944–1947. 2138 Vgl. UAG Inst. f. Finnl. Nr. 25. 2139 Vgl. UAG PA 2320 Eglitis. 2140 Vgl. UAG R 782, Bl. 137. 2141 Vgl. Thümmel, Greifswald, S. 208; UAG R 782, Bl. 83.

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6. Die Universität im Krieg

der Universität Greifswald einen sogenannten Meldekopf ein und besetzte ihn mit Verwaltungsbeamten der Universität Posen. Außer der Einrichtung dieses Büros war in Posen keine geordnete Evakuierung der Universitätsangehörigen vorgesehen. Gemäß der Weisung des Reichsverteidigungskommissars hatten sich die Tauglichen zum Volkssturm begeben, andere schlossen sich Flüchtlingstrecks an oder flohen wie der Kurator mit vom NSKK requirierten Kraftfahrzeugen. Mehrere Hochschulangehörige mussten als Angehörige der Flak und der Feldartillerie in der zur Festung erklärten Stadt bleiben. Die Geflohenen sollten lediglich ihre neuen Anschriften an die Universität Greifswald mitteilen. Von „persönlicher Vorsprache in Greifswald wurde abgeraten“, wie der Bericht des Kurators über die Absetzbewegung vermerkte.2142 Trotzdem kamen einige Flüchtlinge aus Posen nach Greifswald, zum Beispiel der Musikwissenschaftler Walther Vetter.2143 Auch der in den Osten abgeordnete Güterdirektor Georg Hoepner kehrte nach Greifswald zurück, er hatte eine abenteuerliche Flucht aus Krakau und einen typischen Flüchtlingstreck aus dem Wartheland hinter sich.2144 Der Ernst der Lage wurde bei einer Besprechung aller Amtsträger und Behördenvorstände in der NSDAP-Kreisleitung am 8. Dezember 1944 deutlich. Es liege kein Grund zur Beunruhigung vor, aber „vorsorglich“ würden Schanzarbeiten rund um Greifswald durchgeführt. Jeder Betrieb müsse Belegschaftsmitglieder an einem Tag in der Woche zur Anlage von Wällen und Panzergräben freigeben. Erfasst werden sollten Männer bis 65 Jahre, Jungen ab dem 14. Lebensjahr, Frauen bis zum 45. und Mädchen ab dem 16. Lebensjahr. Werkzeug sei mitzubringen, Kleidung werde nicht gestellt. Freie Verpflegung konnte nicht gewährleistet werden, aber es gab zusätzliche Lebensmittelmarken für 50 Gramm Fleisch, 15 Gramm Fett und 200 Gramm Brot, dazu 2 Mark Tageslohn. Jedes Gefolgschaftsmitglied müsse vom Betriebsführer gefragt werden, ob es krank sei und den Einsatz nicht mitmachen könne. In den Listen seien diese Personen mit einem Kreuz zu kennzeichnen, die NSDAP werde dann eine amtsärztliche Untersuchung der Verweigerer beantragen. Auf Nachfrage des Kurators, ob auch die Professoren teilnehmen müssten, lautete die Antwort „selbstverständlich“ – ausgenommen seien lediglich die Klinikdirektoren.2145 Kurator Kuhnert gab ein hektographiertes Rundschreiben mit exakt denselben Drohungen an alle Dienststellen der Universität weiter, so dass es niemanden geben konnte, der nicht über die Absichten der NSDAP – Verteidigung bis zum Letzten – und die reale Lage – 2142 Vgl. Schaller, Helmut Wilhelm: Die „Reichsuniversität Posen“ 1941–1945. Vorgeschichte, nationalsozialistische Gründung, Widerstand und polnischer Neubeginn, Frankfurt am Main u. a. 2010, S. 237 ff. 2143 Vgl. UAG PA 2082 Vetter. 2144 Vgl. Mangelsdorf, Aus den Tagebüchern, S. 270. 2145 Vgl. UAG R 782, Bl. 141.

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Schanzarbeiten auch der deutschen Bevölkerung – informiert war.2146 Die Professoren rechneten mit dem Schlimmsten und bereiteten sich auch auf die Selbsttötung vor. Gerhart Jander brachte im Februar 1945 Gift ins Universitätssekretariat, wo es offenbar zur Abholung bereitstand.2147 Das rasche Vordringen der Roten Armee löste in Greifswald verschiedene Reaktionen aus. Akten und Kunstschätze der Universität wurden in den Meldekopf Göttingen verlagert. Sie wurden von Erich Boehringer und einigen Verwaltungsbeamten begleitet. Es ist unklar, ob eine Verlagerung der ganzen Universität geplant war, und wenn, wurde sie Mitte Februar gestoppt. Bei einer Besprechung im Wissenschaftsministerium erhielt Rektor Engel von Amtschef Mentzel den Befehl: „Ausharren!“2148 Trotzdem setzte sich ein Teil der Dozenten nach Westen ab. Dazu gab es zwei legale Möglichkeiten. Die „kriegswichtigen Institute“ sollten nach Lübeck verlagert werden, was beim Chemischen Institut zehn Arbeitskräfte und im Physikalischen Institut weitere Angestellte betraf; außerdem zwei im Physiologischen Institut, zwei im Pharmakologischen Institut, zwei im Mineralogischen Institut, zwei im Zoologischen Institut, eine im Mathematischen Institut und sechs im Botanischen Institut.2149 Geleitet wurde die Evakuierung vom Dozenten Bartholomeyczyk, aber auch Gerhart Janders Sohn Joachim, der inzwischen im Mineralogischen Institut arbeitete, fuhr mit neun Kisten wissenschaftlicher Apparate nach Kiel.2150 Eine andere Möglichkeit, sich der russischen Besatzung zu entziehen, bestand darin, sich trickreich abzusetzen. Der Romanist Hellmuth Petriconi erhielt von Kurator Kuhnert bereits Ende 1944 die Erlaubnis, seine Familie in Frankfurt am Main zu besuchen. Petriconi war seit 1934 geschieden, stand jedoch mit der Mutter seiner Kinder in enger Verbindung und kam nicht zurück.2151 Franz Dornseiff zog sich mit Erlaubnis von Rektor Engel unter Mitnahme wissenschaftlichen Materials für seine Wörterbücher im Februar 1945 nach Hessen zurück.2152 Der Praktische Theologe Bülck reiste mit Erlaubnis von Rektor Engel am 24. April nach Schleswig-Holstein, um dort angeblich eine Tätigkeit bei der Landeskirche wahrzunehmen.2153 2146 Vgl. UAG R 782, Bl. 140. 2147 Der Tagebucheintrag Engels lautet: „Sekretariat (Jander bringt Gift)“. Da sich mehrere Professoren nach der Besetzung selbst töteten, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um die typischen Zyankalikapseln handelte. Vgl. Mangelsdorf, Aus den Tagebüchern, S. 271. 2148 Vgl. ebd., S. 273. 2149 Vgl. BA R 4901/14767, unklare Blattzählung. 2150 Vgl. UAG Med. Fak. I Nr. 109, Bl. 12; Mineralogisch-Petrographisches Institut, Ordner Briefwechsel 1944–1947. 2151 Vgl. UAG PA 249 Petriconi. 2152 Vgl. Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 47; UAG PA 209 Dornseiff. 2153 Vgl. UAG PA 835 Bülck, Bd. 4.

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6. Die Universität im Krieg

Alfred Stange, ein Mitarbeiter des Stabs Rosenbergs und maßgebliche Figur des Kunstraubs in Paris, vertrat ab Januar 1945 den eingezogenen Kunsthistoriker von Einem. Dieser war zwar noch nicht tot, aber bewusst einem Frontkommando zugewiesen worden, damit seine Planstelle frei werde. Bevor Stange seinen Arbeitsvertrag unterschreiben konnte, teilte er dem Kurator im März 1945 mit, dass er auf „ärztlichen Rat hin“ ausspannen müsse. Er werde das bei Freunden in der Lüneburger Heide tun.2154 Ulrich Noack befand sich im Frühjahr 1945 in einem Erholungsheim auf Rügen und weigerte sich aus gesundheitlichen Gründen, an den Schipparbeiten teilzunehmen. Mit Beginn des Sommersemesters kehrte er jedoch nach Greifswald zurück.2155 Hans Pichler wartete auf Rügen das Kriegsende ab, er besaß dort ein Ferienhaus.2156 Erich Leick brach im April 1945 wie immer nach Hiddensee auf, um die Experimente des Sommers vorzubereiten.2157 Diese mentalen Erosionsprozesse riefen den Unwillen der NSDAP-Kreisleitung hervor, die offenbar auch die Gauleitung davon in Kenntnis setzte. Bereits am 8. Februar 1945 hatte Gauleiter Schwede-Coburg angeordnet, dass kein „Parteigenosse vorzeitig“ seinen Platz verlassen und auch die Familie nicht evakuieren dürfe. Getreu dem „Führereid“ werde man „aufrecht und vorbildlich leben, kämpfen und wenn es sein muss, sterben“.2158 Rektor Engel, von dessen Unterstützung der Absetzbewegung die NSDAP-Kreisleitung erfahren hatte, wurde von Kreisleiter Otto Schmidt „aus gegebenem Anlass“ gemahnt, sich dem Erosionsprozess entgegenzustellen. Männer, die im öffentlichen Leben eine Stellung bekleideten, dürften zum Beispiel Frauen und Kinder nicht evakuieren.2159 Die Kreisleitung zeigte daher den Dozenten des Pharmakologischen Instituts Gerhart Urban wegen Wehrkraftzersetzung an. Er hatte versucht, für seine Kinder einen Passierschein zu erhalten, um sie bei den Schwiegereltern im Hessischen unterzubringen. Ein Staatsanwalt verschleppte jedoch die Vernehmung und gab den Fall nicht, wie von der Partei gefordert, an ein Sondergericht weiter. Der Fall wurde an das Kreisgericht der NSDAP überwiesen, das Urban, immerhin Mitglied seit 1930, nicht ausschloss, ihm aber am 14. April 1945 eine „strenge Verwarnung“ aussprach.2160 Der Direktor der Ohrenklinik Alexander Herrmann wurde am 23. Februar 1945 aus der NSDAP ausgeschlossen, weil er seine 2154 Vgl. UAG K 5609. 2155 Vgl. UAG PA Noack. 2156 Vgl. UAG R 2259, Bl. 27. 2157 Vgl. UAG R 2259, Bl. 9 f. 2158 Vgl. UAG R 782, Bl. 71. 2159 Vgl. UAG R 782, Bl. 70. 2160 Vgl. UAG Med. Fak. I 109, Bl. 9. In der Personalakte der Humboldt-Universität ist angegeben, dass Urban ausgeschlossen wurde. Vgl. UAB PA nach 1945, Urban, Gerhart, Bl. 31 f.

6.8 Die Übergabe der Stadt

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Familie aus Greifswald zur Großmutter nach Höxter gebracht hatte. Damit habe er „als Parteimitglied in führender Universitätsstellung ein schlechtes Beispiel gegeben“, Einspruch beim Kreisgericht sei „zulässig“, befand der Richter salomonisch und gewährte so eine Gnadenfrist.2161 Ausgeschlossen wurde am 13. April 1945 auch Hildegard Schroeder, Lektorin für Polnisch, die ihr Parteibuch im Januar 1945 verbrannt hatte. Sie habe sich damit in der „jetzigen ernsten Zeit“ als „fahnenflüchtig“ erwiesen. Ihr Charakter sei als „feige gekennzeichnet“.2162 Aus der Partei scheinen zu dieser Zeit noch weitere Dozenten ausgeschlossen worden zu sein, was jedoch von Rektor Engel und Dozentenführer Schultze nicht als Grund für die Einleitung von Disziplinarverfahren erachtet wurde. Engel brach auch den gesellschaftlichen Kontakt zu den Stigmatisierten nicht ab, wenige Tage nach Herrmanns Parteiausschluss traf er sich mit ihm und dessen Frau zu einem Nachmittagskaffee.2163 Schultze hatte seine Kinder bereits nach Holstein evakuiert, weshalb er Herrmanns und Urbans Sorge um die Familie kaum verurteilen konnte.2164 Angesichts dieser Stimmung erstaunt es nicht, dass sich von Mitgliedern des Lehrkörpers lediglich zwei im Volkssturm engagierten. Der Historiker Johannes Paul soll als Volkssturmführer auf Rügen eingesetzt gewesen sein. Ob das zutraf, konnte nicht ermittelt werden.2165 Der Assistent des Botanischen Instituts Siegfried Lange hatte als Offizier am Ersten Weltkrieg teilgenommen, während des Zweiten Weltkriegs war er in der Besatzungsverwaltung in Frankreich eingesetzt. Mit 50 Jahren schied er aus der Wehrmacht aus und kehrte an die Universität zurück. Als Major der Reserve wurde er gemäß der geltenden Regeln für den Volkssturm aktiviert. Er geriet in Gefangenschaft und starb 1947 in einem russischen Lazarett.2166

6.8 Die Übergabe der Stadt

Mit der am 12. Januar 1945 begonnenen Weichsel-Oder-Operation war klar, dass die Eroberung Greifswalds nur noch eine Frage von Wochen sein konnte. Die Rote Armee hatte Brückenköpfe am Westufer der Oder gebildet und stand rund sechzig Kilometer östlich Berlins. Danach konzentrierte sich Marschall Schukow jedoch auf die Einkrei2161 Vgl. UAG R 2259, Bd. 2, Bl. 36. 2162 Vgl. UAG R 2269, Bd. 1, Bl. 45a. 2163 Vgl. Mangelsdorf, Aus den Tagebüchern, S. 275 f. 2164 Vgl. UAG PA Schultze, Bd. 2. 2165 Die Vermutung wurde von Ulrich Noack geäußert, der darin einen Grund für dessen Verhaftung erblickte. Verhaftet wurde Paul jedoch vermutlich wegen seiner nachrichtendienstlichen Tätigkeit. Vgl. UAG PA 2445 Noack. 2166 Vgl. UAG PA 236 Lange.

592

6. Die Universität im Krieg

sung der Reichshauptstadt und führte die Schlacht um Ostpommern eher defensiv. In hinhaltenden Kämpfen wurden die von Heinrich Himmler geführte Heeresgruppe Weichsel aufgerieben, die 2. Armee bei Danzig zerschlagen und weitere Kampfverbände der Wehrmacht systematisch zermürbt. Die Professoren diskutierten jetzt, wenn auch in kleinem Kreis und streng vertraulich, wie das Kriegsende überstanden werden könne. Im Kuratorium der Universität fand Ende Januar ein Gespräch zwischen Kurator Kuhnert, Rektor Engel, dem Stadtkommandanten Oberst Rudolf Petershagen, dem Feldstandortarzt und dem Stellvertreter des Oberbürgermeisters statt. Debattiert wurde dabei die Frage, ob Greifswald wegen seiner Lazarette zur „offenen Stadt“ erklärt werden könne.2167 Da die Kriegslage den Militärs nicht aussichtslos schien, wurde das Problem vertagt. Am 23. April suchte Engel noch einmal das Gespräch mit dem Standortarzt und dem Oberbürgermeister Richard Schmidt. Angesichts der über 10.000 Patienten schien der Standortarzt gesprächsbereit und war gewillt, mit den vorgesetzten Stellen Rücksprache zu nehmen. Da sich die Heeresgruppe Weichsel jedoch in einer chaotischen Flucht nach Westen befand, war kein Verantwortlicher mehr zu erreichen.2168 Mit Ausnahme der NSDAP-Kreisleitung setzten sich die anderen Behörden in den nächsten Tagen ab, zum Beispiel der im Juristischen Seminar residierende SD, aber auch der Standortarzt. Damit fiel das Kommando dem ranghöchsten Sanitätsoffizier zu, also dem Leiter der Medizinischen Klinik Gerhardt Katsch. In der Nacht vom 26. zum 27. April wurde Greifswald erstmals Ziel eines ernsthaften Luftangriffs, weshalb Engel am nächsten Morgen versuchte, Petershagen von einer kampflosen Kapitulation zu überzeugen. In Petershagens Leitstelle traf Engel auf den Kreisleiter Otto Schmidt, der gerade dabei war, Petershagen vom Gegenteil zu überzeugen. Das Gespräch blieb ohne Ergebnis, weshalb Engel frustriert nach Hause ging. Offenbar hatten sich Katsch und Petershagen aber bereits zu der Frage verständigt und baten Engel später per Telefon, am Abend zu einer Besprechung zu Katsch nach Hause zu kommen. Petershagen wurde während dieses Treffens ständig von Ordonnanzen mit den neuesten Informationen und Gerüchten versorgt. Gegen zwei Uhr morgens fielen wieder Bomben. Das Fazit der Besprechung fasste Engel in seinen Erinnerungen so zusammen: „Einmütigkeit über Sinnlosigkeit“. Obwohl sich Engel als Parlamentär anbot, meinten die Offiziere, dass die Details der Kapitulation der Wehrmacht überlassen werden sollten.2169 Es dauerte noch bis zum 29., bis wieder Bewegung in die Sache kam. In der Stadt hatten sich inzwischen Menschen zusammengefunden, die Oberbürgermeister Richard Schmidt und seinen Stellvertreter Siegfried Remertz zur Kapitulation drängten. Es gebe auch schon eine Gruppe des 2167 Vgl. UAG R 2259, Bd. 1, Bl. 20. 2168 Vgl. Mangelsdorf, Aus den Tagebüchern, S. 280 und 318. 2169 Vgl. ebd., S. 321 f.

6.8 Die Übergabe der Stadt

593

Nationalkomitees Freies Deutschland, die für Verhandlungen bereitstehe, wie Engel vom Theologen Lohmeyer erfuhr, der an diesem Sonntagnachmittag zum scheinbar untätigen Rektor nach Eldena geradelt war.2170 Da Engel nun selbst unruhig wurde, fuhr er in die Stadt, wo er von Katsch in Empfang genommen und in Petershagens Befehlsstelle geführt wurde. Die Militärs glaubten nicht an ein nächtliches Vorrücken der sowjetischen Front und meinten, dass noch Zeit für die Kapitulation bleibe. Weil Engel drängte, wurde jetzt zumindest die Verfügbarkeit von Dolmetschern und Kraftfahrzeugen geprüft. Wie sich herausstellte, hatten die Militärs nichts vorbereitet, weshalb Katsch in seiner Klinik Dolmetscher „organisierte“ und Engel in Katschs Wohnung mit dem Adjutanten Petershagens Grundzüge der Kapitulationsbedingungen entwarf. Da es keine weiße Fahne gab, stellte Frau Katsch einen Besenstiel und ein Tischtuch. Erst kurz vor Mitternacht rollten die beiden Kraftwagen mit den Parlamentären von Katschs Wohnhaus am Adolf-Hitler-Damm in Richtung Anklam. Die Fahrt war chaotisch, von den sowjetischen Truppen wurden die Autos jedoch durchgewunken und von fliehenden Deutschen nicht angegriffen.2171 Die Tatsache, dass es zur kampflosen Übergabe der Stadt kommen konnte, war also auch dem Wegschauen der einen und der Hilfe der namenlosen, bereits kriegsmüden anderen zu verdanken. Die Verhandlungen im brennenden Anklam begannen um 3 Uhr morgens und endeten erst nach zwei Stunden, obwohl sie knapp und sachlich geführt wurden.2172 Die Rückkehr der Parlamentäre gestaltete sich durch den Zustand des einen Pkw schwierig. Sie wurden daher von einem sowjetischen Trupp begleitet, der den NSDAP-Kreisleiter, der den Parlamentären auflauerte, kurzerhand erschoss.2173 Am 30. April 1945 um 11 Uhr morgens rollten die ersten Panzer in Greifswald ein. Rektor Engel begrüßte sie demonstrativ in der Anklamer Straße und geleitete die Offiziere zu einem feierlichen Empfang ins Rathaus. Dort erhielt er um 14 Uhr die telefonische Nachricht von seiner Frau, dass in Eldena die Plünderungen und Vergewaltigungen begonnen hatten.2174 2170 Lohmeyer war das einzige Mitglied aus dem Lehrkörper in dieser 1944/45 entstandenen Gruppe, die versuchte, eine friedliche Übergabe der Stadt Greifswald zu erreichen. Ihre Köpfe waren der Kommunist Hugo Pfeiffer, der 1943 vom Kriegsdienst entlassen wurde, und der nach Greifswald zwangsweise versetzte Richter und Sozialdemokrat Hans Lachmund. Vgl. UAG PA Lohmeyer 347, Bd. 7. Lachmund wurde noch im Mai 1945 verhaftet und in das sowjetische Lager Fünfeichen verbracht. 2171 Vgl. Mangelsdorf, Aus den Tagebüchern, S. 325–328; Matthiesen, Helge: Das Kriegsende 1945 und der Mythos von der kampflosen Übergabe, in: Wernicke, Greifswald, S. 135 ff. 2172 Vgl. Mangelsdorf, Aus den Tagebüchern, S. 281 und 329. 2173 Vgl. UAG R 2269, Bl. 2 2174 Vgl. Mangelsdorf, Aus den Tagebüchern, S. 281.

7. Die Universität im Schwebezustand und die Entnazifizierung

7.1 Die Universität bis zur Wiedereröffnung und der Fall Lohmeyer

Am 1. Mai 1945, morgens um 6 Uhr, kamen die sowjetischen Truppen in die Stadt und begannen mit der Plünderung.2175 Noch während die Offiziere der Wehrmacht und der Roten Armee die Übergabe im Rathaus feierlich besiegelten, vergewaltigten die Sieger die Frauen. Die Zahl der zu unfreiwilligem Geschlechtsverkehr gezwungenen Frauen in Greifswald wird auf ca. viertausend geschätzt. Einer der schlimmsten Exzesse ereignete sich in der Frauenklinik. Sowjetische Soldaten bedrohten den Klinikleiter Schultze mit Maschinenpistolen und vergewaltigten dann dessen Frau und die zu ihm geflohenen Verwandten, die Krankenschwestern und mindestens zwei Ärztinnen im Praktikum. Schultze und seine Frau töteten sich daraufhin mit Morphiuminjektionen selbst.2176 Das Leben nahmen sich auch die Professoren Theodor Steche, Heinrich Schole und Paul Wustrow. Wenige Tage nach den sowjetischen Truppen kamen die Mitarbeiter der kommunistischen „Gruppe Sobottka“ in die Stadt, die vorher von einem ukrainischen Oberst instruiert worden waren. Der Oberst beklagte die mangelnde Kompetenz der Stadtverwaltung und machte auch Bedenken gegenüber der Universität geltend. Sie gehöre nicht zu denen, die progressives Gedankengut vermittelten, eher „reaktionäres, konservatives“.2177 Die Stimmung in der Stadt war ebenfalls gegen die Universität gerichtet, weil ihr angeblicher Reichtum – 15.000 Hektar Land und Forst – Sozialneid hervorrief. Nirgendwo in Deutschland habe man „so viele SS-Uniformen in den Hörsälen und Seminarräumen gesehen“ wie an der hiesigen Universität, behauptete der sozialdemokratische Stadtrat Max Burwitz, wobei die Frage ungestellt blieb, woher er diese Information bezogen hatte.2178 Am 14. Mai 1945 wurde Engel gezwungen, das Rektorenamt niederzulegen. Die Bürde des Amts übernahm der Theologe Ernst Lohmeyer. Ein Protokoll dieser Senatssitzung ist nicht erhalten.2179 Bereits einen Tag später fand die Gründungsver2175 Vgl. ebd., S. 282. 2176 Vgl. Thümmel, Greifswald, S. 212; UAG PA Schultze, Bd. 2. 2177 Vgl. Grünberg, Gottfried: Kumpel, Kämpfer, Kommunist, Berlin 1977, S. 215. 2178 Vgl. ebd., S. 219. 2179 Vgl. Mangelsdorf, Aus den Tagebüchern, S. 284; Köhn, Lohmeyer, S. 116.

7.1 Die Universität bis zur Wiedereröffnung und der Fall Lohmeyer

595

sammlung eines „Hochschullehrerbundes für demokratische Erneuerung“ statt, bei der eine Grundsatzerklärung formuliert wurde. Die Vorstandsmitglieder Fleck, Katsch, Keining, Lohmeyer, Lüttringhaus, Magon, Noack und Seeliger forderten alle Mitarbeiter der Universität auf, sich der neuen Ordnung zur Verfügung zu stellen. In dem Aufruf distanzierten sie sich scharf von „Rassenhass“ und den „Verwerfungen einer totalitären Staatsidee“.2180 Damit setzten sich auch die ehemaligen NSDAPMitglieder demonstrativ von der gescheiterten Ideologie ab. Die Universität musste sich mit drei um die Gestaltung der Zukunft ringenden politischen Kräften auseinandersetzen. Die für am wichtigsten erachtete Gruppe war die sowjetische Besatzungsmacht, die für monolithisch gehalten wurde, was aber nicht zutraf, wie sich bald herausstellte. Der zweite Akteur war die von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) im Juli 1945 eingesetzte Landesverwaltung von Mecklenburg-Vorpommern. Restpommern wurde so per Verwaltungsakt Mecklenburg zugeschlagen. Das Land war nach dem Präsidialsystem aufgebaut, für die Universitäten Rostock und Greifswald war die Abteilung Kultur und Volksbildung zuständig.2181 Per SMAD-Befehl Nr. 17 wies Marschall Schukow am 27. Juli 1945 die Bildung von Zentralverwaltungen an, unter anderem für Volksbildung. Diese wurde von dem Kommunisten Paul Wandel geleitet und erwies sich als dritte politische Kraft, auf die von der Universität Rücksicht zu nehmen war.2182 Die gestaltende Persönlichkeit in der Zentralbehörde war – zumindest für den Bereich der Naturwissenschaften – der Kommunist Robert Rompe, der im Forschungslabor von Osram gearbeitet hatte und ein guter Bekannter Rudolf Seeligers war.2183 Diese Institutionen hatten noch keinen geregelten bürokratischen Umgang miteinander gefunden,2184 was die Universität nicht wusste. Weder einzelne Mitglieder des Senats noch Rektor Lohmeyer verfügten 1945 über verlässliche politische Ansprechpartner. Obwohl Rektor Lohmeyer dem Stadtkommandanten ein Konzept für die Weiterentwicklung der Universität vorlegte, wurde der Lehrbetrieb am 29. Mai 1945 auf Anweisung eines Majors vom Oberkommando in Stettin eingestellt. Die Kliniken und Institute durften jedoch weiterarbeiten, mussten jedoch die Lehrmittelsammlungen und Bibliotheken säubern. „Gesäubert“ werden sollte auch der Lehrkörper, wofür es kein klares Konzept gab.2185 Nach den ersten Tagen der unkontrollierten 2180 Vgl. Mineralogisch-Petrographisches Institut, Ordner Briefwechsel 1944–1947. 2181 Vgl. Vorholz, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 152. 2182 Vgl. Münch, Ingo von: Dokumente des geteilten Deutschland, Stuttgart 1968, S. 291 ff. 2183 Vgl. Archiv der BBAW, Schriftwechsel zur Gründung des Instituts für Gasphysik. 2184 Vgl. Creuzberger, Stefan: Die sowjetische Besatzungsmacht und das politische System der SBZ, Weimar 1996, S. 35 ff., 116 f. 2185 Vgl. UAG R 580/I, Bl. 6.

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7. Die Universität im Schwebezustand und die Entnazifizierung

Plünderungen wurden die Institute Ende Mai versiegelt und die Schlüssel der Stadtkommandantur übergeben. Die Professoren mussten Listen der noch vorhandenen Apparaturen erstellen, die den speziell ausgebildeten Offizieren der sogenannten Trophäenkommissionen übergeben wurden. Beim Abbau der für die Sowjetunion bestimmten Geräte halfen die Professoren mit, Rudolf Groß und seine Frau Nora demontierten zum Beispiel zwei Spektrographen für sichtbares und ultraviolettes Licht, die der Akademie der Wissenschaften in Moskau übergeben werden sollten.2186 Im Institut für Gerichtliche Medizin beschlagnahmten sowjetische Offiziere sämtliche Apparate, Instrumente und Materialien, lediglich zwölf Käfige für Kleintiere wurden zurückgelassen.2187 Das Geographische Institut gab im Juni 1945 etwa siebenhundert Karten von Polen und der Sowjetunion an sowjetische Offiziere ab. Zwei sowjetische Bergbauingenieure im Offiziersrang hatten vorher vier Wochen im Geographischen Institut gearbeitet und sich mit Informationen über die eroberten Gebiete versorgen lassen.2188 Geplündert wurde auch die Forschungsanstalt auf der Insel Riems; obwohl sie zunächst erhalten bleiben sollte, wurde sie zwischen Juli und Oktober 1945 komplett demontiert. Das Angebot, in die Sowjetunion zu gehen, lehnte ihr Leiter Otto Waldmann jedoch ab. Die Universität versuchte, ihn in Greifswald zu halten, wofür sprach, dass die Einrichtung des Veterinärmedizinischen Untersuchungsamts Stettin inzwischen nach hierher gelangt war. Waldmann wurde jedoch mit dem Aufbau einer neuen Forschungs- und Impfstoffproduktionsanstalt auf der Insel betraut. Bereits 1946 konnten die ersten Vakzine ausgeliefert werden. An die Universität kehrte er nicht zurück. Später überwarf er sich mit dem Betriebsrat und emigrierte 1948 nach Argentinien. Sein Mitarbeiter Heinz Röhrer musste die Universität verlassen und wechselte zur Außenstelle Rottenau des Anhaltischen Seruminstituts. Er trat später in die CDU ein und wurde Waldmanns Nachfolger auf der Insel Riems, wo er das Institut wieder zu einer anerkannten Forschungsstätte ausbauen konnte.2189 Nach mehreren Besprechungen mit den verschiedenen Behörden erhielt die Universität von einem sowjetischen Oberst die Anweisung, sich als autonome Institution zu betrachten, die keinem Ministerium unterstellt sei, auch nicht den neuen deutschen Behörden in Berlin oder Schwerin. Die Universität verstand sich fortan als Res publica academica und gab sich bei einer Senatssitzung am 27. Juni 1945 eine Verfassung, die den Rektor als Dienstvorgesetzten aller Universitätsangestellten betrachte-

2186 Vgl. Mineralogisch-Petrographisches Institut Ordner Briefwechsel 1944–1947. 2187 Vgl. BA R 73/11292. 2188 Vgl. UAG Mat. Nat. Fak. Nr. 14. 2189 Vgl. Hinz-Wessels/Thiel, Friedrich-Loeffler-Institut, S. 127–156.

7.1 Die Universität bis zur Wiedereröffnung und der Fall Lohmeyer

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te.2190 Damit war der Neuaufbau der Universität aber nur scheinbar in ihre Hände gelegt. Denn die Kommunisten waren keineswegs der Ansicht, dass die Universität allein sowjetischer Aufsicht unterstehen sollte. Die Landesregierung stellte Ende Juli 1945 unmissverständlich klar, dass sie die Vorgesetzte der Universitäten sei. An der Universität Rostock etablierte sie einen Kurator, der auch für Greifswald zuständig sein sollte.2191 Im April 1946 nominierte sie Franz Wohlgemuth für dieses Amt, einen ehemaligen Heeresoffizier, der bei Stalingrad in Gefangenschaft geraten und die NKWD-Schule in Krasnogorsk durchlaufen hatte. Zunächst war Wohlgemuth aber in der KPD-Kreisleitung Greifswald tätig, was seinen persönlichen Ehrgeiz nicht befriedigte und ihm auch keine wirksame Kontrolle über die universitäre Selbstverwaltung ermöglichte.2192 Der Senat setzte daher unberührt von kritischen Stimmen am 18. Juli 1945 eine Kommission zur Bildung einer Landwirtschaftlichen Fakultät ein. 14 Tage später wurde die Gründung beschlossen. Die sowjetische Administration wies im September 1945 auch die Bildung einer Pädagogischen Fakultät an.2193 Inzwischen hatten sich die Siegermächte auf der Drei-Mächte-Konferenz auf einen verbindlichen Umgang mit den ehemaligen Parteimitgliedern geeinigt. Obwohl sie in ihrer Entschließung, dem Potsdamer Protokoll vom 2. August 1945, forderten, „alle Mitglieder der nazistischen Partei, welche mehr als nominell an ihrer Tätigkeit teilgenommen haben […,] aus den öffentlichen oder halböffentlichen Ämtern“ zu entfernen,2194 war die flächendeckende Überprüfung der deutschen Bevölkerung in allen vier Zonen eher eine Suche nach neuen Verbündeten als eine Abrechnung mit der Vergangenheit.2195 Das entsprach der Kontrollratsdirektive Nr. 38, die ausdrücklich eine flexible Handhabung erlaubte und den nachgeordneten Behörden weite In2190 Vgl. UAG R 580/I, Bl. 11 sowie Rautenberg: Universitätsangehörige, S. 36. 2191 Vgl. UAG R 580/I, Bl. 18. 2192 Vgl. Rautenberg, Mathias: Franz Wohlgemuth. „Wie sieht sein wahres Gesicht aus?“ In: Zeitgeschichte regional, H. 1, 2000, S. 49–54. 2193 Vgl. UAG R 580/I, Bl. 14 f. und 18. 2194 Vgl. http://www.verfassungen.de/de/de45-49/potsdamerprotokoll45.htm, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 2195 Für die amerikanische Zone vgl. Rupieper, Hermann-Josef: Die Wurzeln der westdeutschen Nachkriegsdemokratie. Der amerikanische Beitrag 1945–1952, Opladen 1993; die britische Haltung beschreibt grundsätzlich Godau-Schüttke, Klaus-Detlev: Ich habe nur dem Recht gedient. Die „Renazifizierung“ der Schleswig-Holsteinischen Justiz nach 1945, Baden-Baden 1993, S. 13–18; in der französischen Zone sei die Entlassung „willkürlich“ erfolgt, urteilt Stefan Zauner mit Blick auf die Universität Tübingen und konstatiert das Vorhandensein einer scharfen Richtlinie und anderer Praxis. Vgl. Zauner, Stefan: Die Entnazifizierung (Epuration) des Lehrkörpers, in: Wiesing, Urban u. a.: Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus, Stuttgart 2010, S. 960 ff.

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7. Die Universität im Schwebezustand und die Entnazifizierung

terpretationen gestattete.2196 Besonders in der sowjetischen Besatzungszone wurden nicht nur hochrangige Nationalsozialisten verhaftet, sondern auch jene, von denen zu erwarten sei, dass sie sich an die neue Gesellschaftsordnung nicht anpassen würden.2197 Die Entnazifizierung wurde in Greifswald zu einem Instrument, das diejenigen entlastete, die für die neue Diktatur nützlich erschienen. Die tatsächlich „Belasteten“ betrachteten die Kommunisten jedoch – und zu Recht – als Feinde, schließlich waren sie von den Nationalsozialisten auch so behandelt worden. Am 4. September 1945 ordnete Marschall Georgi Schukow mit dem Befehl Nr. 50 der SMAD über die Neuaufnahme der Lehr- und Forschungstätigkeit der Hochschulen an, die Leiter und Dekane von Hochschulen und Fakultäten, Institutsdirektoren und Lehrstuhlinhaber zu „überprüfen und zu bestätigen“. Alle Fälle waren der Abteilung Volksbildung der SMAD vorzulegen.2198 Die Deutsche Verwaltung für Volksbildung formulierte mit ihrem Erlass vom 18. September die Ausführungsbestimmungen zum Schukow-Befehl. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter und alle notwendigen Hilfskräfte seien „in ihrer früheren Tätigkeit zu erhalten“. Es müsse jedoch eine „politische Überprüfung“ durchgeführt werden. Die Prüfung wurde also mit dem Ziel durchgeführt, „geeignete Fachkräfte“ für die zukünftige Arbeit zu erhalten. Dabei müsse die gegenwärtige „demokratische und antifaschistische Haltung“ festgestellt werden.2199 Die Landesregierung präsentierte der Universität am 18. September dieser Vorgabe entsprechend eine kurze Liste der zu entlassenden Personen, die auch einige ehemalige Nationalsozialisten im Amt belassen sollte. Im Dezember 1945 forderte die Landesregierung dann die Entlassung aller ehemaligen Nationalsozialisten. Verschärft wurde die Säuberungsanordnung dann von der Landesregierung noch einmal am 24. Januar 1946, indem die Entlassung aller angeordnet wurde, die auch Parteigliederungen angehört hatten, etwa der SA. Das kollidierte jedoch mit der sowjetischen Forderung nach einer raschen Eröffnung der Universität.2200 Da Rektor Lohmeyer die sowjetische Forderung erfüllen musste, das aber am Widerspruch des von der Landesregierung eingesetzten Kurators zu scheitern drohte, löste Lohmeyer das Kuratorialbüro im Januar 1946 kurzerhand auf und unterstellte sich die Personalabtei2196 Vgl. Kontrollratsdirektive Nr. 38, http://www.verfassungen.de/de/de45-49/kr-direktive38.htm, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 2197 Vgl. Kappelt, Olaf: Die Entnazifizierung in der SBZ sowie die Rolle und der Einfluss ehemaliger Nationalsozialisten in der DDR als ein soziologisches Phänomen, Hamburg 1997, S. 235–245. 2198 Vgl. Malycha, Andreas (Hg.): Geplante Wissenschaft. Eine Quellenedition zur DDR-Wissenschaftsgeschichte 1945–1961, Leipzig 2003, S. 108. 2199 Vgl. ebd., S. 110 f. 2200 Vgl. Rautenberg, Universitätsangehörige, in: Zeitgeschichte regional, H. 1, 2006, S. 38.

7.1 Die Universität bis zur Wiedereröffnung und der Fall Lohmeyer

599

lung selbst. Die Landesregierung reagierte am 11. Februar 1946 mit einer Verfügung, dass sie sich Einstellungen jedoch vorbehalte.2201 Aus Sicht von Franz Wohlgemuth, der sich in der KPD-Kreisleitung für den Neuaufbau der Universität zuständig fühlte, schien diese Reaktion aus Schwerin unangemessen weich. Er denunzierte Lohmeyer daher beim NKWD. 1939 habe dieser an den „Erschießungen in Bromberg“ teilgenommen,2202 außerdem sei er Ortskommandant in Belgien und in der Ukraine gewesen. Morgen solle Lohmeyer vom Vizepräsidenten die „Direktorenkette“ überreicht bekommen, notierte er lakonisch.2203 Lohmeyer wurde, wie von Wohlgemuth gewünscht, verhaftet. Die Eröffnung der Universität am 15. Februar 1946 geriet damit zum Problem. Alles war „verwirrt und bestürzt“, wie sich der anwesende Volksbildungsminister Gottfried Grünberg erinnerte, die Professoren liefen „verstört und verängstigt“ umher und „waren zu keiner Initiative fähig“. Von den 20 Senatsmitgliedern zeigte sich keiner bereit, die Rektorwürde und -bürde zu übernehmen. Stattdessen stellten die Professoren einen leeren Sessel auf, um ihre Solidarität mit dem Rektor zu demonstrieren.2204 In der anberaumten Sitzung kam es 9 Uhr morgens zu einer heftigen Debatte zwischen den Professoren und den aus Schwerin angereisten Ministerialbeamten. Um 10 Uhr trafen die Abgesandten der Besatzungsmacht und ihre deutschen Gehilfen ein. Der Vertreter der Zentralverwaltung für Volksbildung stieß wütende Beschuldigungen aus. Es habe ja so kommen müssen, weil Lohmeyer gegen die Bestimmungen verstoßen habe, nach denen die Universität „vollständig gesäubert“ werden sollte. Vizepräsident Grünberg stieß in dieselbe Kerbe. Die Professoren hinterfragten diese Prämisse und verwiesen auf die widersprüchlichen Regelungen durch die verschiedenen Behörden. Sie bewiesen dabei zunächst Rückgrat und wagten in der geschlossenen Sitzung den Widerspruch. Nach wenigen Wortwechseln wurde die Diskussion wieder zu einem würdelosen Feilschen. Der Nominierung von Rudolf Seeliger als Rektor stimmten sie dann aber zu und ließen die feierliche Eröffnungszeremonie geschehen.2205 Lohmeyer befand sich zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis in der Domstraße 9, also im Nachbarhaus. Als die evangelisch-lutherische Landeskirche davon erfuhr, bat sie die Sowjetische Militäradministration in Schwerin am 6. März um dessen 2201 Vgl. UAG K 7. 2202 Deutsche Polizeieinheiten führten als Rache für den sogenannten Bromberger Blutsonntag im September 1939 Massaker durch. Vgl. Böhler, Auftakt zum Vernichtungskrieg, S. 135–141. 2203 Vgl. UAG PA 347 Lohmeyer Bd. 5 mit Verweis auf KL Greifswald IV/4/02/46/16 Bl. 64; Matthiesen, Helge: Eine tödliche Intrige. Die Wiedereröffnung der Universität Greifswald und der Fall Lohmeyer, in: FAZ Nr. 64, 15.3.1996, S. 10; Rautenberg, Wohlgemuth, in: Zeitgeschichte regional, H. 1, 2000, S. 52. 2204 Vgl. Grünberg: Kumpel, Kämpfer, Kommunist, S. 294 f. 2205 Vgl. UAG R 580/I, Bl. 70–74.

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7. Die Universität im Schwebezustand und die Entnazifizierung

Freilassung, weil Lohmeyer für den Aufbau der Demokratie unverzichtbar sei. Das Verfahren gegen ihn war zu diesem Zeitpunkt noch nicht eröffnet, erst am 30. Mai konfrontierte ihn Untersuchungsrichter Iwanow mit dem Vorwurf, er habe als Ortskommandeur 708 in Slawiansk zwischen Juli 1942 und April 1943 eine „Hetzjagd“ auf sowjetische Bürger durchgeführt und 70 Personen verhaftet. 20 von ihnen habe er dem Feldgericht übergeben. Der Partisan Iwan Noschka zum Beispiel sei vom Feldgericht Krasnodar verurteilt und in Slawiansk öffentlich gehängt worden. Dies sei ein Beispiel für die „faschistische Willkürherrschaft“, die Lohmeyer als Stadtkommandant errichtet habe.2206 Es ist auffällig, dass Iwanow nur einen einzigen Fall präsentierte, dessen Hinrichtung zudem mit dem Völkerrecht vereinbar war. Noschka hatte Telefonleitungen, also militärische Infrastruktur sabotiert.2207 Lohmeyer wies in seiner Verteidigung darauf hin, dass alle Urteile von regulären Gerichten gefällt worden seien. Er wurde am 28. August 1946 trotzdem zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 19. September 1946 in Greifswald vollstreckt.2208 Lohmeyer wurde durch eine russische Rehabilitierungskommission 1996 vollständig entlastet. Die Richter stellten bei der Überprüfung der Prozessakten fest, dass Zeugenaussagen zu seinen Gunsten nicht zur Kenntnis genommen worden waren. Zudem seien Lohmeyer Verhaftungen angelastet worden, die vor und nach seiner Zeit in Slawiansk geschehen waren. Auch die Einleitung der Ermittlung drei Monate nach der Verhaftung habe nicht im Einklang mit der Strafprozessordnung der UdSSR gestanden. Ihr zufolge hätte der Verhaftung eine Ermittlung vorausgehen müssen.2209

7.2 Die Entnazifizierung des Lehrkörpers in Greifswald und die Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten 7.2.1 Verhaftungen, Überprüfungen, Versetzungen

Eine Liste, die Rektor Lohmeyer im Sommer 1945 anfertigen ließ, zeigt, dass die Universität trotz der unzerstörten Gebäude nicht einfach zur Tagesordnung überge2206 Vgl. UAG PA 347 Lohmeyer Bd. 5. 2207 Die Sowjetunion hatte sich den Abkommen zum Kriegsvölkerrecht nicht angeschlossen, so dass ihre Kombattanten nicht nach HLKO behandelt werden mussten. Zivilisten galten darüber hinaus als illegale Kombattanten, die von Militärgerichten abgeurteilt werden durften. Vgl. Hobe, Stephan und Otto Kimminich: Einführung in das Völkerrecht, Tübingen, Basel 2004, S. 516 f. 2208 Vgl. UAG PA 347 Lohmeyer Bd. 5 und 6; nach einer anderen Version wurde Lohmeyer in einem Wald bei Hanshagen erschossen. 2209 Mitteilung des Zentralarchiv des FSB an das DHI Moskau vom 17. Dezember 2013, Nr. 10/A5792.

7.2 Die Entnazifizierung des Lehrkörpers in Greifswald

601

hen konnte. In der Theologischen Fakultät waren noch acht Lehrkräfte vorhanden. Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät bestand noch aus vier Professoren. In der Medizinischen Fakultät waren bei 25 Dozenten noch fast alle Fächer vertreten, die Philosophische Fakultät umfasste immerhin noch 43 Professoren und Dozenten. Hier hätten sich Studierende für Geschichte und Geographie oder Physik und Chemie einschreiben können, jedoch nicht für Anglistik oder Alte Geschichte.2210 Die Aufstellung war jedoch nicht nur angefertigt worden, um die Arbeitsfähigkeit zu überprüfen, sondern diente als Grundlage für die von der Besatzungsmacht als notwendig erachtete Entnazifizierung. Daher war hinter allen Namen angegeben, ob der Dozent oder Lehrstuhlinhaber der NSDAP angehörte. Zwar gab es für „Spezialisten“, etwa Ärzte oder in der Ernährungswirtschaft Tätige, eine Regelung, sie nicht sofort zu entlassen, aber ihre Entfernung war mittelfristig vorgesehen. Obwohl die Aussagekraft einer solchen Statistik begrenzt ist, sei sie hier wiedergegeben: Tabelle 4: NSDAP-Angehörige des Lehrkörpers im Sommersemester 1945 Fakultät

Angehörige

Theologische Fakultät Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät Medizinische Fakultät Philosophische Fakultät Universität

Davon ehemalige In NSDAP-Mitglieder Prozent

8

2

25

Nichtpartei mitglieder 6

In Prozent

4

3

75

1

25

25

21

84

4

16

43

24

55,8

19

44,2

80

50

62,5

30

37,5

75

Quelle: Eigene Auszählung, auf Grund der Entnazifizierungakten in UAG R 2263.

Die retrospektive Aussagekraft dieser Statistik ist begrenzt, weil sich der Lehrkörper durch die Flucht und die Selbsttötungen einiger Professoren verkleinert hatte. Andere waren noch in Kriegsgefangenschaft und würden auf Grund ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit ganz sicher nicht in die sowjetische Besatzungszone zurückkeh2210 Vgl. UAG R 2263.

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7. Die Universität im Schwebezustand und die Entnazifizierung

ren. Es gab aber auch Professoren, die an Universitäten in Ostdeutschland berufen worden waren (etwa Breslau und Königsberg) und sich nun wieder zur Verfügung stellten. In dieser Statistik ist zum Beispiel der 1937 vertriebene Lektor für Slawistik Reinhold Olesch nicht enthalten, der als unbelastete Lehrkraft zur Verfügung stand und wieder in Greifswald untergekommen war. Enthalten ist jedoch sein damaliger Denunziant Hermann Brüske, für den eine Wiederaufnahme der Lehre auch aus gesundheitlichen Gründen nicht in Frage kam.2211 Nach Greifswald zurück kam auch der aus Posen vertriebene Musikwissenschaftler Walther Vetter, der als Professor eingestellt wurde. Der Jurist Arnold Köttgen fand im Botanischen Institut als Gartenarbeiter eine Anstellung.2212 Die Auflistung stellt daher lediglich eine Momentaufnahme dar und ist eher als Aufgabenbeschreibung für die Universität zu lesen. Die Mammutaufgabe, vor der Rektor Lohmeyer stand, wird durch die Listen verdeutlicht, die ihm von den Kliniken vorgelegt wurden. Die ursprünglich der Wehrmacht zugehörigen Lazarette waren kurzerhand der Universität zugeordnet worden. Obwohl zahlreiche Mediziner im Luftwaffenlazarett Dienst taten und alle Universitätsklinken Lazarettabteilungen betrieben, war die Universität vor Kriegsende nicht der eigentliche Dienstherr gewesen und hatte keinen Einfluss auf die Auswahl des Personals gehabt. Lohmeyer wurde zunächst eine Liste mit denjenigen Klinikangehörigen präsentiert, die nicht der NSDAP angehört hatten. Mit Nachträgen handelte es sich um nicht weniger als 691 Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Angehörige des Küchenpersonals. Eine Gesamtzahl der Mitarbeiter ist nicht überliefert, so dass eine Statistik nicht erstellt werden kann. Die hohe Zahl nicht parteigebundener Klinikangehöriger relativiert sich jedoch angesichts einer weiteren Liste des Klinikpersonals, in der 156 NSDAP-Mitglieder gemeldet wurden. Die Zählung scheint allerdings verfälscht, weil auch die Mitgliedschaft in der NS-Frauenschaft gemeldet wurde – bei den Professoren und Dozenten wurde zwischen Parteimitgliedschaft und der Zugehörigkeit zu Gliederungen differenziert. Demnach gab es im Sommer 1945 156 ehemalige Parteimitglieder in den Kliniken, davon 111 Frauen. Zu ihnen gehörten viele Schwestern des Roten Kreuzes, aber auch viele, die wegen ihrer aktiven Rolle im Bund Deutscher Mädel in die NSDAP überführt worden waren.2213 Die genaue Zahl der im Zuge der Entnazifizierung verhafteten Universitätsmitarbeiter ist unbekannt, eine Statistik ist nie erhoben worden. Es war nicht Aufgabe dieser Studie, dieser offenen Frage nachzugehen. Für Einzelfälle drängen sich allerdings Erklärungen auf. Als Volkssturmführer nötigte Siegfried Lange Männer zum sinnlosen Durchhaltekampf. Es scheint denkbar, dass solche Fälle zum Anklagepunkt 2211 Vgl. UAG UNK Patientenakte 305. 2212 Vgl. UAG R 2268. 2213 Vgl. UAG R 2270.

7.2 Die Entnazifizierung des Lehrkörpers in Greifswald

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wurden.2214 Ungeklärt sind die Fälle von August Thürk, Bademeister in der Medizinischen Klinik, Willi Dahlke, Pfleger in der Medizinischen Klinik, Walter Bautze, Glasbläser im Chemischen Institut, Max Mulack, Kassenangestellter, Willi Petran, Universitätsoberinspektor und Fritz Lemke, technischer Gehilfe im Pharmakologischen Institut.2215 Verhaftet wurde auch Otto Reinkober, der seine Tätigkeit für die Rüstungsindustrie bei einer Selbstauskunft am 14. August 1945 verschwieg. Er starb im Neubrandenburger Lager Fünfeichen.2216 Im September traf es Arnold Köttgen, der wegen seiner Tätigkeit in Oberschlesien an Polen ausgeliefert wurde. Der Philologe Hans Volkmann wurde als Offizier im Januar 1946 inhaftiert, nach einem Jahr in Kriegsgefangenschaft jedoch entlassen.2217 Die sowjetischen Atomwissenschaftler in den Uniformen der Geheimpolizei erfragten in den Berliner Forschungseinrichtungen gezielt die Namen und Aufenthaltsorte von Wissenschaftlern, die in irgendeiner Weise mit dem deutschen Atomprogramm zu tun hatten.2218 Wer den Hinweis gab, dass Theodor Schmidt wertvoll im Sinne der Besatzungsmacht war, konnte nicht rekonstruiert werden. Das Informelle brach sich wie in den Jahren nach 1933 Bahn. Selbstverständlich wurden jetzt auch viele Professoren denunziert. Erich Leick zum Beispiel habe Geheimakten der Gauleitung übernommen und besitze Waffen. Die Geheimakten gebe es nicht, schrieb er im Juli 1945 empört und selbstverständlich habe er Waffen besessen als Offizier, etwa seinen Degen und eine Mauserpistole. Außerdem habe er altertümliche Waffen gesammelt, etwa Pistolen mit Feuersteinschlössern und Türkendolche, eine Erinnerung an seinen Aufenthalt in Istanbul. Aber als er nach Hiddensee abgereist war, sei das noch kein Verbrechen gewesen. Leick wurde nicht verhaftet, aber seine Wohnung geplündert.2219 Über den Leiter der Ohrenklinik Alexander Herrmann wurde verbreitet, dass er Träger des Goldenen Parteiabzeichens gewesen sei. In die Partei war er aber erst 1938 aufgenommen worden und zwar rückwirkend zum 1. Mai 1937 mit der Nummer 5.860.455. Ihn jetzt „zu einem fanatischen Parteigänger“ und „Aktivisten“ stempeln zu wollen, sei „völlig absurd und unrichtig“, schrieb Herrmann an den Entnazifizierungsausschuss. Herrmann überraschte auch mit der Gutsage einer Frau Friedmann, die mit ihrem Mann bei ihm bis 1939 zur Miete gewohnt hatte. Er habe stets ein „harmonisches Verhältnis“ zu seinen Mietern 2214 Vgl. UAG R 2268. 2215 Vgl. ebd. 2216 Vgl. UAG R 2269, Bd. 1, Bl. 34a. 2217 Vgl. UAG R 459. 2218 Vgl. Karlsch, Rainer: Uran für Moskau. Die Wismut, eine populäre Geschichte, Berlin 2007, S. 42. 2219 Vgl. UAG R 2259, Bd. 1, Bl. 9.

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gehabt, und sie seien 1939 „freiwillig“ in das Haus ihrer emigrierten Kinder gezogen. Beglaubigt war das Schreiben von der Synagogengemeinde Erfurt. Außerdem legte er ein Dokument vor, das seinen Ausschluss aus der NSDAP bezeugte.2220 Als sein Antrag auf Entnazifizierung unbeachtet blieb, nahm Herrmann einen Ruf an die neugegründete Universität Mainz an.2221 Diese Denunziationen wegen „faschistischer“ Vergangenheit zogen sich über Jahre hin, angegriffen wurden dabei auch Professoren, deren Tragbarkeit schon einmal festgestellt worden war.2222 Die unklaren Vorgaben zur Entnazifizierung führten dazu, dass Rektor Lohmeyer nicht sicher wissen konnte, wer zu entlassen war und wer nicht. Darüber hinaus wurde er von den Professoren nicht in vollem Umfang über ihre Forschungstätigkeit informiert. Eine erste klare Anweisung erhielt er von der Landesregierung am 30. Juli 1945. Sie wies an, alle Parteigenossen zu entlassen, die vor dem 1. Januar 1937 in die NSDAP eingetreten waren. „Sofern unentbehrlich“, müssten sie vertretungsweise im Amt belassen werden. Alle Parteigenossen, die nach diesem Datum eingetreten waren, dürften keine leitenden Ämter bekleiden. Diese Anweisung entsprach in etwa der kurz danach verabschiedeten Kontrollratsdirektive Nr. 38. An der Universität wurde jetzt, am 31. Juli 1945, ein Überprüfungsausschuss für die ehemaligen NSDAP-Mitglieder gebildet. Ihm gehörten Rektor Lohmeyer, Senator Wels, je ein Fachvertreter pro Fakultät und ein Vertreter der politischen Parteien an.2223 Kommunikativ waren die Professoren, die bereits zwölf Jahre lang Denunziationen und Übergriffe abgewehrt und Rechtfertigungsmuster erprobt hatten, den naiven Mitgliedern des Blocks der antifaschistischen Parteien überlegen. Diese forderten „rückhaltlose“ Auskunft, die sie aber nicht erhielten. Außerdem fragten sie nicht genau nach, was die Professoren geforscht und geschrieben hatten. Und sie ließen sich auf eine Debatte ein, bei der Eintrittsdaten in die NSDAP oder falsche Beschuldigungen eine Rolle spielten.2224 Der von den Sozialdemokraten und Kommunisten dominierte Entnazifizierungsausschuss war ohnehin mehr daran interessiert, „Reaktionäre“ auszumustern, als die geschmeidigen Nationalsozialisten, die sich für den neuen Staat empfahlen. Ein Beispiel ist der im November 1945 an die Universität gekommene Oberforstmeister Hans-Heinrich von Tresckow, der in der neugebildeten Landwirtschaftlichen Fakultät Vorlesungen halten sollte. Von Tresckow, geboren 1885 in Berlin, war ab 1919 Forstmeister in Iben2220 Vgl. UAG R 2259, Bd. 1, Bl. 30–36 2221 Vgl. UAG PA 498 Herrmann, Bd. 1. 2222 Vgl. Fall Braun, Hautklinik, 1947 UAG K 2273, Bl. 90–94; vgl. Fall Ruge, Pharmakologisches Institut Humboldt-Universität, UAB PA nach 1945, Ruge, Ulrich. 2223 Vgl. UAG R 580/I, Bl. 16. 2224 Vgl. UAG K 724, Bl. 8.

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horst gewesen und wurde 1933 bei der Neustrukturierung des Naturschutzgebiets „Elchwald“ nach Königsberg versetzt und 1935 als ehemaliger Stahlhelm-Führer und Landtagsabgeordneter der DNVP auf ein unbedeutendes Forstamt im Kreis Samland abgeschoben. 1945 kam er nach Dobbertin in Mecklenburg. In Eldena hatte er die Reparationsleistungen der Besatzungsmacht zu erfüllen, was ihm gelang, „ohne den Wald völlig zu verwüsten“, wie er später in seinen Lebenserinnerungen schrieb.2225 In Greifswald engagierte sich von Tresckow in der „antifaschistischen“ CDU. Trotzdem wurde er als ehemaliges Mitglied des Stahlhelm und einstiger Vorsitzender eines Kriegervereins im Juli 1947 als Universitätsforstmeister entlassen und der bereits erteilte Lehrauftrag damit hinfällig.2226 Um in Greifswald eine Wiedereinstellung zu erreichen, mussten alle entlassenen Professoren einen „Bericht über [ihre] politische und soziale Entwicklung“ anfertigen.2227 In diesen Texten erläuterten sie die Umstände ihres Eintritts in die NSDAP, ihr Verhältnis zur Partei und deren Funktionären. Oft gingen sie auch auf ihr Verhältnis zur Arbeiterklasse ein. Nicht selten präsentierten sie dabei widerständiges Verhalten, das sich weder nachweisen ließ noch lässt, weil die Akten der Universität noch unter Rektor Engel „gesäubert“ wurden und auch sonst viele Unterlagen verloren gingen. Wie anderswo auch waren die Rechtfertigungen formelhaft. Viele Professoren betonten die innerliche Ablehnung bestimmter ideologischer Normen des Nationalsozialismus und strichen die stille und zurückgezogene, scheinbar politikferne wissenschaftliche Arbeit als persönliches Verdienst heraus. So weit wie an anderen Universitäten, wo Professoren dreist behaupteten, den „alten Idealen“ treugeblieben zu sein, ging in Greifswald allerdings niemand.2228 Ein Beispiel für die Nutzung rhetorischer Stereotypen zeigt der Bericht des Psychiaters Rudolf Thiele. Bis 1934 habe er sich von jeder politischen Tätigkeit „ferngehalten“, weil ihn wissenschaftliche Arbeiten und die ärztliche Tätigkeit voll ausgelastet hätten. Im Herbst 1934 sei er in die SA-Reserve eingetreten, weil er als Arzt in einem Berliner Betrieb eingesetzt war, „in einem ganz überwiegend nationalsozialistisch eingestelltem Milieu“. Im Herbst 1937 sei er ohne sein „Zutun“ auf die Liste der Parteianwärter gesetzt worden und „automatisch“ 1944 aufgenommen worden. Er wolle nicht verschweigen, so Thiele, dass er zu Beginn des NS-Regimes der Meinung gewesen sei, „dass es sich um eine Bewegung handle, die die Interessen des werktätigen Volkes“ tatsächlich wahrnahm. Diese hätten ihm „nach Herkunft und Entwicklungsgang immer am Herzen 2225 Vgl. Mitteilung der Enkelin Ulrike Wolterstorff per E-Mail am 25. Juli 2014. 2226 Vgl. UAG PA 2045 von Treskow/Tresckow. 2227 Vgl. UAB PA nach 1945 Rudolf Thiele, Bl. 17. 2228 Vgl. Wolgast, Eike: Die Wahrnehmung des Dritten Reiches in der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945/46), Heidelberg 2001, S. 318.

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gelegen.“ Zunehmend habe er sich jedoch davon überzeugen müssen, dass er „in dieser Hinsicht einem Irrtum verfallen sei“. Beziehungen zu prominenten Nationalsozialisten habe er nicht gehabt. Im Gegenteil, vom Gauleiter sei er „gemaßregelt“ worden, weil er eine „höhere Parteiführerin“ in der Vorlesung vorgestellt habe, „die an einer Psychose erkrankt war“ und für die Studierenden ein „interessantes Krankheitsbild“ zeigte. Er habe auch keine Gelegenheit vorübergehen lassen, seinen „Abscheu gegen die [von] Parteistellen durchgeführte Vernichtung geisteskranker Anstaltsinsassen in empörten Worten Ausdruck zu geben“.2229 Mit Dokumenten oder notariell beglaubigten Abschriften wies Thiele das nicht nach. Thiele erhielt einen Ruf an die Humboldt-Universität Berlin. Als Glücksfall erwies sich auch die Berufung Reschkes 1935, um die es in der Medizinischen Fakultät damals eine Debatte gegeben hatte. Die Professoren Loeschke und Wels deuteten ihre damalige Ablehnung, die aus fachlichen Gründen erfolgt war, jetzt als politischen Widerstand. Assistenz erhielten sie dabei von Wilhelm Steinhausen, der als sogenannter Vierteljude und Nichtnationalsozialist stark unter Druck gesetzt worden war. Loeschke schob dann noch eine Erklärung nach, dass er „rein sachlich“ seine Pflicht tun werde, „an der Stelle, an der ich beruflich eingesetzt bin“. Sein Parteieintritt sei im Übrigen 1939 erfolgt unter dem Eindruck des Attentats auf Hitler, das ihn zu der Überzeugung gebracht habe, sich demonstrativ hinter die Regierung zu stellen.2230 Loeschke wurde in Greifswald nicht weiterbeschäftigt, erhielt aber eine Professur an der Universität Rostock. Wels blieb in Greifswald und leitete weiterhin das Pharmakologische Institut, obwohl er formal wegen seiner Zugehörigkeit zur SA, zum Lehrerbund und Fliegerkorps als entlassen galt. Er wandte sich, ganz offiziell mit einem Forschungsauftrag versehen, den Heilpflanzen zu.2231 1948 wurde er als Professor mit Lehrstuhl wieder berufen.2232 Seinen Assistenten Gerhart Urban beschäftigte er als Angestellten weiter, wofür er Gelder des ihm zugeordneten Lebensmitteluntersuchungsamtes benutzte. Die NSDAP-Mitgliedschaft Urbans fiel jedoch erst Jahre später auf. Urban war Nationalsozialist seit 1930 und hätte demnach zwingend entlassen werden müssen. Da er sich jedoch nicht aktiv für die Partei engagiert hatte, wurde er entnazifiziert und erhielt einen Ruf an die Universität Jena, wo er mit Jenapharm bei der Entwicklung von Blutdrucksenkern eng zusammenarbeitete. 1953 wurde er an die Humboldt-Universität in Ostberlin berufen, die er nach Denunziationen durch SED-Mitglieder 1964 verlassen musste.2233 2229 Vgl. UAB PA nach 1945 Rudolf Thiele, Bl. 17 f. 2230 Vgl. UAG R 2273, Bd. 1, Bl. 123 f. 2231 Vgl. UAG R 459, Bl. 315. 2232 Vgl. UAG PA 2133 Wels, R 2269. 2233 Urban wurde an eine Außenstelle der Akademie der Wissenschaften in Jena versetzt. Vgl. UAB PA nach 1945 Urban, Gerhart, Bl. 136-140.

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Die Leiter der Kliniken sollten als unentbehrliche Spezialisten im Amt verbleiben, bis unbelasteter Ersatz zur Verfügung stehe. Außerdem nahmen sie Forschungsaufträge wahr. Gerhardt Katsch (Medizinische Klinik) und Albrecht Peiper (Kinderklinik) befassten sich daraufhin mit dem Problem der Unterernährung. Egon Keining forschte in der Hautklinik zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten.2234 Katschs ehemaliger Oberarzt Martin Gülzow wurde ebenfalls in dem Forschungsauftrag zur Unterernährung geparkt. Er hatte bereits die „Auffütterungsversuche“ an den Kriegsgefangenen geleitet. Nach mehreren Versetzungen erhielt er eine Professur in Rostock.2235 Der Chirurg Ernst Rulo Welcker übernahm im Juni 1946 eine Chefarztstelle am völlig zerstörten Krankenhaus Cottbus. Dank hervorragender organisatorischer Fähigkeiten und eines Bekenntnisses zum Gesundheitswesen nach sowjetischem Vorbild wurde er zum Ärztlichen Direktor ernannt.2236 Auch der Pathologe HorstGünther Güttner, seit 1944 Dozent, war trotz der Entlassung wegen seiner NSDAPMitgliedschaft seit 1938 jung genug, um als zukunftsfähig zu gelten. 1946 stellte er in Greifswald den Aufnahmeantrag für die SED und wurde kurz danach zum Leiter des Pathologischen Instituts des Krankenhauses Dresden-Johannstadt ernannt. Nach der Integration des Krankenhauses in die Medizinische Akademie folgte die Beförderung zum Professor mit Lehrstuhl. Von 1956 bis 1960 war er Rektor und Ärztlicher Direktor der Medizinischen Akademie Dresden. 1961 kam es zum Karrierebruch, fortan leitete er das Pathologische Labor an einem Krankenhaus der Wismut im Erzgebirge. Er verließ die DDR als Rentner.2237 Um die dauerhafte Schließung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zu verhindern, konstruierte Dekan Erich Molitor im Sommer 1945 die Legende, dass die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Greifswald als eine Art „Straffakultät“ behandelt worden sei. Unter Umgehung des Vorschlagsrechts seien mehrere Professoren nach Greifswald versetzt worden, zum Teil mit erheblichen finanziellen Einbußen. Als Beispiele benannte Molitor den Nichtnationalsozialisten Fleck und den aus Münster versetzten Dietrich Preyer, der als Rektor in Königsberg mit den aktivistischen Studenten kollidiert war. Die vom Ministerium nach Greifswald „entsandten Nationalsozialisten“ hätten nur „so geringe Leistungen“ aufgewiesen, „dass die Fakultät ihre Ernennung hintertreiben“ habe können. Stattdessen habe 2234 Vgl. UAG R 459, Bl. 315. 2235 Vgl. PA 490 Gülzow, http://cpr.uni-rostock.de/metadata/cpr_person_00002038, letzter Zugriff: 21. Mai 2015. 2236 Vgl. Horntrich, Josef: Von ihm konnte man lernen, was es heißt, Arzt zu sein. In: Brandenburgisches Ärzteblatt 12, 2004, S. 404 f. 2237 Vgl. Heidel, Carls-Petra und Marina Lienert: Die Professoren der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus Dresden und ihrer Vorgängereinrichtungen 1814–2004, München 2005, S. 99.

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7. Die Universität im Schwebezustand und die Entnazifizierung

sie versucht, „Gelehrte von wissenschaftlichem Ruf“ nach Greifswald zu holen, etwa den in Jena aus politischen Gründen abgelehnten Karl Peters. Vorschläge der Fakultät, wie etwa Freiherr Fritz von Schwind, seien abgelehnt worden.2238 Das war nicht falsch, aber Molitor erwähnte nicht, dass mit dem Niedergang der juristischen Disziplinen der Aufstieg der ökonomischen Fächer verbunden gewesen war. Molitor verschwieg in seiner Bilanz auch, dass exponierte Nationalsozialisten wie der Strafrechtler HansJürgen Bruns oder der Volkswirt Peter-Heinz Seraphim auf Wunsch der Fakultät an die Universität Greifswald berufen worden waren. Über die Schriften und das politisch-wissenschaftliche Profil der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät wurde 1945 ohnehin nicht gesprochen.2239 Obwohl die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät mit Sicherheit keine Zukunft hatte, stellte der zum Dekan ernannte Anton Fleck eine Studienordnung auf, die Vorlesungen zum Landwirtschaftsrecht, zur Verwaltung und zum Polizeirecht enthielt. Am 29. November 1945 zeigte er sich optimistisch, dass die Fakultät trotz ihrer „verhältnismäßig schwachen Besetzung“ im kommenden Semester die Vorlesungen und Übungen für das erste Semester werde „lesen können“; freilich mit Ausnahme der Rechtsgeschichte, für die ein Vertreter fehle. Und für höhere Semester müsse abgewartet werden, welchen Professoren die Genehmigung zum Lesen erteilt werde.2240 Fleck hielt die Wiederzulassung seiner Kollegen zum Lehramt also für möglich, die Landesregierung machte dann jedoch einen Schnitt und beendete die Existenz der Fakultät. Den einzigen unbelasteten Professor, nämlich Fleck, wies sie der neugebildeten Landwirtschaftlichen Fakultät zu.2241 Die Theologen waren zunächst von den Säuberungen kaum betroffen, weil nur zwei der NSDAP angehört hatten. Johannes Fichtner wechselte 1949 an die Bodelschwingh’schen Anstalten Bethel in Bielefeld. Heinrich Laag ging nach Hessen. Im Amt bleiben konnte Wilhelm Koepp, weil er der Partei nicht angehört hatte. Die herausragende Stellung, die er als Aktivist bei den Deutschen Christen gespielt hatte, wurde ignoriert, obwohl sie laut Kontrollratsdirektive Nr. 38 zur Entlassung hätte führen müssen. Koepp wurde 1952 zum Professor mit Lehrstuhl in Rostock ernannt. Erdmann Schott, vorübergehend SA-Mitglied, ging nach Halle. An die Theologische Fakultät der Humboldt-Universität Berlin berufen wurden Walter Elliger (1933/34 SA-Mitglied) und Otto Haendler (Angehöriger des NSD-Dozentenbundes). Nach ihrer Entlassung erhielten einige Professoren der Philosophischen Fakultät Forschungsaufträge. Die Botaniker Metzner und Heidermanns sollten zur besseren 2238 Vgl. UAG R 2259, Bd. 2. 2239 Vgl. Vorholz, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 152–157. 2240 Vgl. BA DP1/888, Bl. 70 ff. 2241 Vgl. Vorholz, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 157 ff.; PA 394 Fleck.

7.2 Die Entnazifizierung des Lehrkörpers in Greifswald

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Stickstoffversorgung der Böden und über Mutterkorn zur Heilmittelherstellung forschen, außerdem zur möglichen Steigerung der Ölproduktion in der Rapspflanze. Der Chemiker Kurt Wiechert erhielt einen Auftrag zur Erarbeitung einer neuen Methode zur Gewinnung von Harz und Terpentinöl aus Holzabfällen.2242 Sergej von Bubnoff setzte seine Forschungen zu Grundwasser und Bodenschätzen in Pommern fort. Der Geograph Lautensach erarbeitete eine Landwirtschaftsgeographie Mecklenburg-Vorpommerns. Die meisten von der Universität vorgeschlagenen Forschungsthemen wurden von der Landesregierung bestätigt, so dass die Universität zwar ohne diese Wissenschaftler eröffnet wurde, aber der Personalbestand der Philosophischen Fakultät zunächst erhalten blieb.2243 Die Rektoren Lohmeyer und Seeliger appellierten auch an die Loyalität. Erich Leick zum Beispiel arbeitete ohne Bezahlung weiterhin in der Biologischen Station auf Hiddensee, bis ein geeigneter Nachfolger für seinen Lehrstuhl gefunden war. Dieser verstand es, die neuen Verhältnisse zu nutzen, in einem enteigneten Haus wurde später ein Aquarium der Station eingerichtet. Die Universität ließ sich auch das Haus der Puppenfabrikantin Käthe Kruse übereignen und richtete dort 1947 ein Erholungsheim für Studenten und Angestellte ein.2244 Für die belasteten Geisteswissenschaftler wurde nach anderen Verwendungen gesucht, sofern ihre Qualifikation anerkannt werden konnte. Der Germanist HansFriedrich Rosenfeld betonte in seiner Erklärung, niemals der SA, der SS oder anderen Parteiformationen angehört zu haben, in der Partei habe er nach seiner Aufnahme 1934 nie ein Amt bekleidet. Zum Zeitpunkt der Aufnahme sei er in Finnland gewesen, dort habe die NSDAP-Auslandsorganisation auf ihn einen erheblichen Druck ausgeübt. Auf Wunsch seiner finnischen Mitarbeiter sei er dann der Partei beigetreten (Mitglied Nr. 3.603.973). Auf diese Weise habe er den „unpolitischen Charakter“ der DeutschFinnischen Gesellschaft zu retten versucht. Obwohl er angefragt worden sei, habe er nichts in den populären Zeitschriften der NSDAP publiziert.2245 Rosenfeld erhielt eine Stelle an der Akademie der Wissenschaften Berlin und wurde 1956 nach Greifswald auf eine Professur berufen. 1958 wurde er denunziert, weil er sich der Ernennung eines unqualifizierten SED-Mitglieds zum Professor mit Lehrstuhl widersetzte. Nach der Entlassung erhielt Rosenfeld einen Forschungsauftrag, floh jedoch in die Bundesrepublik. Ab 1960 lebte er in München, wo er den Status eines Professor emeritus erhielt.2246 2242 Vgl. UAG PA 72 Heidermanns. 2243 Vgl. UAG R 459, Bl. 332 ff. 2244 Vgl. UAG K 691, Bl. 1–19. 2245 Vgl. UAG R 2259, Bd. 1, Bl. 31. 2246 Vgl. UAG PA 1774 Rosenfeld; Alvermann und Spieß (Hg.), Universität und Gesellschaft, Bd. 1, S. 450 ff.

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7. Die Universität im Schwebezustand und die Entnazifizierung

Adressat der politischen Erklärungen waren nicht nur die Entnazifizierungsausschüsse, die SED-Landesleitung nahm sie ebenso zur Kenntnis wie die Zentralverwaltung für Volksbildung. Mögliche Lügen hinterfragten die Funktionäre üblicherweise nicht. So galt Leopold Magon (jetzt CDU) als „Parteianwärter“, obwohl er 1940 eine Mitgliedskarte erhalten hatte.2247 Mitgliedschaften in der NSV oder im NSDDozentenbund wurden in den Personalbögen nur noch lückenhaft erfasst, auch die Fördernde Mitgliedschaft in der SS wurde im Mai 1946 nicht mehr bei allen Professoren und Dozenten registriert.2248 Die Universität reichte 1947 und in den folgenden Jahren immer wieder Listen von Professoren und Dozenten zur Bestätigung in Berlin ein, unter denen sich ehemalige Nationalsozialisten befanden. Zu ihnen gehörte zum Beispiel der Dozent für Statistik Heinz Herz, der inzwischen der SED angehörte. Herz wurde als Hochschullehrer in Greifswald bestätigt, aber sehr rasch nach Rostock versetzt. Dort kam er mit der SED in Konflikt. Erst in Jena wurde er zu einem prägenden Universitätslehrer.2249 7.2.2 Die Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten in Greifswald

Eine Aufstellung des Personals der Universität vom 20. März 1946 enthält 37 Namen, die sich auf die vier Fakultäten Theologie, Medizin, Philosophie und Landwirtschaft verteilten. Hinter jedem Namen war die Parteimitgliedschaft vor und nach 1945 angegeben. 16 gehörten sogenannten antifaschistischen Parteien an, also etwas mehr als die Hälfte. Es gab je ein Mitglied der KPD und der LDP, drei der SPD und 11 der CDU. Die Liste enthielt zwei ehemalige Nationalsozialisten: Gerhardt Katsch und Gerhart Jander. Katsch sei „Internist von internationalem Ruf“ und als Lehrer „unentbehrlich“, lautete die Begründung und bei Jander war ebenfalls der „internationale Ruf“ vermerkt. Das ergab auf dem Papier einen Anteil ehemaliger Nationalsozialisten von 6,5 Prozent.2250 Tatsächlich war der Wert jedoch höher (9,7 Prozent), weil Arthur Lüttringhaus in den Listen nicht als ehemaliger Nationalsozialist erfasst war.2251 Im Januar 1949 gab die Universität Greifswald eine Liste bei dem im Entstehen begriffenen Staatssekretariat für Hochschulwesen ab. In dieser waren von dem 105 2247 Mitglied Nr. 8.277.610; vgl. BDC Mitgliedskarte Magon NSDAP-Ortskartei. 2248 Vgl. LHA Schwerin, SED-Landesleitung, Nr. 502, Bl. 30–33. 2249 Vgl. DR 2/966; UAG R 2269, Bd. 1, Bl, 50; Eintrag von „Heinz Herz“ im Catalogus Professorum Rostochiensium, http://cpr.uni-rostock.de/metadata/cpr_person_00002208, letzter Zugriff: 21. Mai 2015; Schäfer, Peter: Ein Universalhistoriker mit Humor und Freude am Gesang. Heinz Herz (1897–1983), in: Steinbach, Mattias: Ketzer, Käuze, Querulanten, Jena 2008, S. 340–354. 2250 Vgl. LHA Schwerin, SED Landesleitung Nr. 502, Bl. 26 f. 2251 Mitglied Nr. 8.159.499; vgl. BA BDC Mitgliedskarte Lüttringhaus NSDAP Ortskartei.

7.2 Die Entnazifizierung des Lehrkörpers in Greifswald

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Mitglieder umfassenden Lehrkörper 10 als Mitglieder der CDU aufgeführt. 28 Lektoren, Dozenten und Professoren gehörten der SED an. Liberal waren 2, 18 waren, laut dieser Statistik, Mitglied der NSDAP gewesen.2252 Die sogenannte Entnazifizierung endete also mit einem Bestand von 17,2 Prozent ehemaliger Nationalsozialisten. Ihr Anteil hatte sich fast verdoppelt. Damit war der Prozess der Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten jedoch nicht abgeschlossen. Der spätere Lehrstuhlinhaber für Kunstgeschichte Karl-Heinz Clasen hatte sich nach 1933 für sein Interesse an der Gotik als der am tiefsten vom Christentum geprägten Bauform rechtfertigen müssen. Folgerichtig betonte er fortan die „Kulturleistung des Ordensstaates“ für den „Osten“ und bald galt er als der beste Kenner des mittelalterlichen Wehrbaus überhaupt, wie die Philosophische Fakultät der Universität Rostock urteilte, als sie ihn im Januar 1940 für eine Professur vorschlug.2253 Clasen ging jedoch lieber nach Posen, wo er aber rasch vergrault wurde. Offenbar auf „Probe“ dort angestellt, erhielt er eine karrierehemmende Beurteilung durch die SS, die ihn als „weltanschaulich und menschlich vollkommen unbrauchbar“ einstufte. Sie betrachtete ihn als Blender, der es verstehe, die „großen Stichworte“ der Zeit überall anzubringen.2254 Nach 1945 diente sich Clasen den sowjetischen Offizieren sofort als kundiger Führer durch die Sammlungen Mecklenburgs an. Obwohl ihn die SED als „grundsätzlich“, für „menschlich wie politisch untragbar“ einschätzte und aus Rostock weghaben wollte, erhielt er einen Forschungsauftrag in Greifswald. Das Thema war der „Arbeiter und die Arbeit“ in der Bildenden Kunst. Ein Folgeauftrag behandelte ländliches Bauen und Siedlungswesen. Gedruckt wurde davon nichts. 1950 wurde er jedoch zum Professor mit Lehrstuhl und Leiter des Caspar-David-Friedrich-Instituts ernannt. In der DDR publizierte Clasen nur wenig, sein von christlichen Motiven durchzogenes Buch über den „Meister der schönen Madonnen“ erschien nach seiner Übersiedelung nach Westdeutschland 1974.2255 Der Biologe Rudolf Seifert lehnte die Erteilung eines Forschungsauftrags nach seiner Entlassung ab und arbeitete am Greifswalder Theater als Kulissenmaler. Er engagierte sich im FDGB und stellte einen Antrag auf Mitgliedschaft in der SED, der wegen seiner Propagandatätigkeit in der Wehrmacht allerdings zurückgestellt wurde. Als die Besatzungsbehörden die Bildung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands initiierten, um ehemalige Nationalsozialisten in den neuen Staat zu integrieren, trat Seifert ein und wurde 1950 Kreisvorsitzender. Im selben Jahr erhielt er eine Professur mit Lehrauftrag, ein Jahr später mit vollem Lehrauftrag. Zugleich 2252 Vgl. BA DR 2/966. 2253 Vgl. Buddrus/Fritzlar, Rostock, S. 104. 2254 Vgl. ebd., S. 106. 2255 Vgl. Clasen, Karl Heinz: Der Meister der schönen Madonnen, Berlin (West), New York 1974.

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7. Die Universität im Schwebezustand und die Entnazifizierung

wurde er zum Direktor des Zoologischen Instituts ernannt.2256 Eine Professur mit Lehrauftrag für Balneologie wurde für Karl Lühr 1955 geschaffen. Lühr, vor 1945 Führer einer SS-Sanitätsstaffel, war von Gerhard Katsch 1944 an die Medizinische Klinik geholt worden. Hier ermöglichte er ihm 1945 auch die Habilitation.2257 Das Vertrauen der Besatzungsmacht gewann er 1946 durch die erfolgreiche Bekämpfung einer Fleckfieberepidemie in Mecklenburg-Vorpommern. Die Militäradministration übertrug ihm 1947 die Leitung ihres Zentralsanatoriums Bad Elster im Vogtland.2258 Der Hygieniker Georg Tartler wurde 1952 als Nachfolger von Kurt Herzberg berufen. Er hatte sich 1939 an der Universität Halle habilitiert und war dort 1945 wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft entlassen worden. Der Partei gehörte er seit 1933 an. Nach dem Krieg arbeitete er als Leiter des Bakteriologischen Untersuchungsamts in Schwerin. Sehr bald nach seiner Ernennung zum Professor mit Lehrstuhl wurde er Prorektor für Forschungsangelegenheiten und 1965 Rektor.2259 Er folgte in diesem Amt dem Paläontologen Hans Wehrli, der ebenfalls der NSDAP angehört hatte und Gaustudentenführer in Westfalen-Nord gewesen war.2260 Dessen Vorgänger Heinrich Borriss war NSDAP-Mitglied seit 1937 an, hatte sich in der Kriegsgefangenschaft jedoch dem Nationalkomitee Freies Deutschland angeschlossen.2261

7.3 Der Umgang mit ehemaligen Nationalsozialisten in der Bundesrepublik

1948 fragte der Rektor der Universität Bonn in Greifswald nach dem „Charakter“ des Zoologen Curt Heidermanns, weil die Überlegung bestand, ihn auf einen Lehrstuhl zu berufen. Der Greifswalder Rektor versicherte ihm am 5. Februar, dass sie „einen der anständigsten Kollegen bekommen“ würden, die er kenne: „absolut integer, ge2256 Vgl. UAG PA 259 Seifert. 2257 Die Arbeit, in der dreitausend Magenspiegelungen ausgewertet worden sein sollen, ist nicht erhalten. Seine Probevorlesung hielt Lühr über Regulationsstörungen bei Fleckfieber. Vgl. UAG Med. Fak. II Nr. 81, S. 104. 2258 Vgl. UAG PA 1484 Lühr. 2259 Vgl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Studienjahr 1955/56, S. 48; Eintrag Tartler, Georg auf http://www.catalogus-professorum-halensis.de. 2260 Vgl. Wehrli, Hans, in: Wer war wer in der DDR, http://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/ wer-war-wer-in-der-ddr-%2363%3B-1424.html?ID=3721, letzter Zugriff: 21. Mai 2015; Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen (Hg.): Ehemalige Nationalsozialisten in Pankows Diensten. Berlin (West) 1960, S. 97. 2261 Vgl. Müller-Enbergs, Helmut, Jan Wielgohs und Dieter Hoffmann (Hg.): Wer war wer in der DDR?, Bonn 2000, S. 97; Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen (Hg.): Ehemalige Nationalsozialisten in Pankows Diensten. Berlin (West) 1960, S. 17.

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diegen und zuverlässig“. Er bedauere es, ihn nicht habe halten zu können, und er würde ihn jederzeit zurückholen, wenn er könnte, denn „auch politisch wüsste ich bis auf die formal vorliegende Belastung nichts Nachteiliges“.2262 Den Lehrstuhl in Bonn erhielt Heidermanns nicht, er wurde 1955 als Professor der Universität Köln emeritiert, wahrscheinlich ohne dass er dort je eine Vorlesung gehalten hatte. Der Umgang mit nationalsozialistischen Professoren ist nur punktuell thematisiert worden. Verlässliche Statistiken fehlen für Westdeutschland insgesamt. Aber auch für scheinbar besonders belastete Universitäten wie Kiel, wo mehrere Greifswalder Professoren eine neue Heimat gefunden hatten, bilden sie ein Desiderat, wie Christoph Cornelißen 2014 konstatierte.2263 Gutsagen wie für Heidermanns gab es für mehrere ehemalige Dozenten. Die Universität ignorierte aber die Bittbriefe von übel beleumundeten Nationalsozialisten, etwa den des Denunzianten Christian Wilhelm Hauck, der 1947 um seine „Rehabilitierung“ nachsuchte.2264 Der Geograph Joachim Blüthgen, der am Marineobservatorium in Greifswald Kriegsdienst geleistet hatte, wurde hingegen nach Kräften unterstützt. 1946 erhielt er nach Rücksprache der Universität mit der Besatzungsmacht einen Forschungsauftrag am noch immer arbeitsfähigen Marineobservatorium Greifswald. 1947 folgte die Wiederbeschäftigung mit einem Lehrauftrag.2265 Mit der Gründung des Marineobservatoriums der DDR wechselte Blüthgen nach Rostock. Die DDR verließ er 1951 und trat eine Dozentenstelle an der Universität Erlangen an. Hier wurde er 1954 zum außerplanmäßigen Professor ernannt. 1962 nahm Blüthgen den Ruf auf eine ordentliche Professur an der Universität Münster an.2266 Der Oberarzt der Hautklinik Jo Hartung war von 1948 bis 1977 Chefarzt der Hautklinik in Hannover-Linden. Außerdem lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Sein ehemaliger Vorgesetzter Egon Keining wurde ordentlicher Professor in Mainz und dort Direktor der Hautklinik. Besonderen Schutz durch ihre neue Besatzungsmacht erhielten die Bevölkerungsökonomen Theodor Oberländer und Peter-Heinz Seraphim. Sie wurden von amerikanischen Offizieren eingehenden Verhören unterzogen. Zum Dank für ihre erschöpfenden Auskünfte über Osteuropa wurden sie in den Entnazifizierungsverfah2262 Vgl. UAG PA 72 Heidermanns. 2263 Vgl. Cornelißen, Christoph: Zur Wiedereröffnung der Christian-Albrechts-Universität im Jahr 1945 – einige Momentaufnahmen, in: ders. (Hg.): Wissenschaft im Aufbruch. Beiträge zur Wiederbegründung der Kieler Universität nach 1945, Essen 2014, S. 29 ff. 2264 Vgl. UAG PA 404 Hauck. 2265 Vgl. UAG Phil. Fak. II, Nr. 173. 2266 Vgl. Berninger, Otto: Joachim Blüthgen. 4.9.1912 – 19.11.1973, Erlangen 1976.

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ren in die Gruppe der Minderbelasteten eingeordnet. Seraphim wurde Direktor der Verwaltungsakademie Bochum. Oberländer gelang eine bemerkenswerte Karriere, die ihn an die Spitze des Landesverbands Ost der CDU führte. Damit repräsentierte er die Christdemokraten unter den aus Schlesien, Ostpreußen, Pommern und anderswo vertriebenen Deutschen. Er vertrat deren Interessen als Bundesminister für die Angelegenheiten der Vertriebenen von 1953 bis 1960.2267 Auch diese Einstufungen als Minderbelastete standen im Einklang mit der Kontrollratsdirektive Nr. 38, in der festgelegt war, dass alle Zonenbefehlshaber nach ihrem „Ermessen“ die Einsortierung in eine Belastungskategorie vornehmen durften. Schwierigkeiten bei ihrer Integration hatten die Juristen, die sich exponiert hatten. So wurde der Protagonist des nationalsozialistischen Polizeirechts Walter Hamel in den Ruhestand versetzt. Der kreative Günther Küchenhoff wurde erst 1956 nach Würzburg berufen, wo er Vorschläge für das Weltraumrecht entwickelte. Erich Molitor, NSDAP-Mitglied seit 1940, reichte seine Entnazifizierungsanträge in der britischen und französischen Zone ein. Beide wurden genehmigt. Nach der Vertretung des Kölner Lehrstuhls nahm er 1946 ein Angebot aus Mainz an. Neben seinem Amt als Professor war er dort zugleich Präsident des Landesarbeitsgerichtes Rheinland-Pfalz.2268 Wie eine Entnazifizierung vor westdeutschen Gerichten ablief, zeigt exemplarisch der Fall des Strafrechtlers Hans-Jürgen Bruns. Als Sonderführer der Waffen-SS, 1944 befördert zum Sturmbannführer und Hauptabteilungsleiter im SS-Hauptamt, fiel er unter den automatischen Arrest der Besatzungsmächte. Eine interne Beurteilung bescheinigte ihm 1943, dass er „als vorzüglicher Kenner der Materie“ beim „Ausbau der SS- und Polizeigerichtsbarkeit maßgeblich beteiligt“ gewesen sei und sich „besonders große Verdienste erworben“ habe.2269 Im Hauptamt SS-Gericht war Bruns als Hauptabteilungsleiter mit Grundsatzentscheidungen befasst gewesen und hatte für juristisch „schwierige Fälle“ Gutachten zu erstellen.2270 Bruns hatte also die Gerichtsbarkeit der SS entscheidend mitgeprägt, die Völkermord ermöglicht, Massenmorde aus niedrigen Beweggründen gedeckt und Korruptionsfälle nur im Ausnahmefall verfolgt hatte.2271 Bruns Verteidigungsstrategie im Spruchkammerverfahren beruhte auf mehreren Säulen. Er sei als Rechtsreferendar zum Eintritt in die SS gezwungen worden. Als er 2267 Vgl. Petersen, Bevölkerungsökonomie, S. 231–245; Wachs, Oberländer, S. 199 f. 2268 Vgl. Schlosser, Hans: Molitor, Erich, in: Neue Deutsche Biographie 17, 1994, S. 726 f. 2269 Vgl. BA SSO Bruns, Bl. 499. 2270 Vgl. BA Koblenz Z 42 II/2457, Spruchkammerverfahren Bruns, Hans-Jürgen, Bl. 17. 2271 Vgl. Theel, Christopher: Der moralische Rigorismus der Unmoral. Die SS-Sonderstrafgerichtsbarkeit, in: Bialas, Wolfgang und Lothar Fritze (Hg.): Ideologie und Moral im Nationalsozialismus, Göttingen 2014, S. 329–345.

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habe austreten wollen, habe man ihm mit dem „Hinweis auf schwerste Bestrafung“ gedroht. Es sei ihm aber gelungen, in die Reserve versetzt zu werden, was gelogen war.2272 Außerdem sei er jüdisch versippt. Die Schwester seiner Frau habe einen jüdischen Professor geheiratet. Über die „Zusammenziehung“ der Juden habe er nichts erfahren, „ebenso nichts davon, dass sie in die Vernichtungslager“ deportiert worden waren. Von Unterdrückungsmaßnahmen gegen Fremdarbeiter habe er nichts gewusst, mehr noch, dem ukrainischen Dienstmädchen seiner Frau (!) habe es in Deutschland so gut gefallen, dass sie für immer hier habe bleiben wollen. Beim Krieg im Osten sei sehr hart gekämpft worden und dass es zu Völkerrechtsverletzungen „durch SSEinheiten gekommen sein mag“, sei denkbar. Aber, so Bruns: „Solche Fälle sind mir aber nicht bekannt geworden.“ Außerdem habe es innerhalb des SS-Gerichts „einen Kreis von Gleichgesinnten“ gegeben, die „unter allen Umständen dafür Sorge trugen, dass anständig, legal und ordnungsgemäß verfahren wurde“.2273 Die dreisten Lügen und die Stilisierung zum Wahrer des Rechtsstaats fanden eins zu eins Eingang in die am 16. August 1948 erhobene Anklage (!) des Schwurgerichts Benefeld-Bomlitz im britisch besetzten Niedersachsen. Mehr noch, das SS-Gericht sei lediglich „eine zentrale Verwaltungsstelle“ gewesen, formulierte der Ankläger.2274 Außerdem konnte er mehrere Zeugnisse dafür anführen, dass er Verfahren unterdrückt habe, etwa im Februar 1945 gegen den Lebensgefährten einer ihm bekannten Gräfin, der Feindsender hörte. Auch die Professoren aus Greifswald bzw. ihre Witwen deckten Bruns, obwohl er als Dozentenführer amtiert hatte. Karl Peters, ehemals Nationalsozialist und jetzt Professor in Münster, bescheinigte ihm, sich „tatkräftig“ für seine Berufung eingesetzt zu haben, obwohl er Katholik war. Der unbelastete Erwin Seidl, jetzt Professor in Erlangen, gab zu Protokoll, dass Bruns sich immer dafür eingesetzt habe, „dass nach Recht verfahren werde und jede Willkür vermieden werde“. Einen Persilschein stellte auch Erich Molitor aus, der inzwischen entnazifiziert war und sein Gewicht als Professor der Universität Mainz in die Waagschale warf. Er sei „sehr entsetzt“ gewesen, als sich herausstellte, dass der von ihm mitberufene Bruns der SS angehörte. Das war gelogen wie die die Berufungsakte zeigt.2275 Die Fakultät hatte Bruns ausdrücklich als SS-Mitglied nominiert und dessen politische Zuverlässigkeit herausgestellt.2276 Nach der Berufung sei aber offenbar geworden, so Molitor, dass man im Beisein von Bruns juristische Fragen problemlos habe debattieren können. Er habe nicht einmal dem „streng katholischen“ Professor Peters Schwierigkeiten gemacht, der deshalb „verfolgt“ 2272 Vgl. BA SSO Bruns, Bl. 484 ff. 2273 Vgl. BA Koblenz Z 42 II/2457, Bl. 8, 17 ff., 20. 2274 Vgl. ebd., Bl. 27. 2275 Vgl. ebd., Bl. 38–47. 2276 Vgl. UAG K 5977, Bl. 10 ff.

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worden sei, was einerseits wahr und andererseits gelogen war. Peters war nie verfolgt worden, im Gegenteil: Seine Ansichten zum „gesunden Volksempfinden“ hatten Eingang in die Rechtsprechung gefunden. Andererseits waren nach der Hinrichtung von Pfarrer Wachsmann alle Katholiken in Greifswald von der Gestapo überwacht worden. In der Rückschau erstaunt aber doch, dass das Nichtdenunzieren bei der Erörterung von Fachproblemen im kleinsten Kreis der Fakultät als Entlastung für Bruns dienen konnte.2277 Der angeklagte Sturmbannführer wurde schließlich „im Namen des Rechts“ am 8. Oktober 1948 zu einer Geldstrafe von 600 Mark verurteilt, die durch die „erlittene Internierungshaft“ als „verbüßt“ galt. Trotz „teilweiser Kenntnis vom Verbrechen seiner Organisation“ sei er „Mitglied geblieben“ und habe sich „rechtswidrig“ erfolgten Handlungen nicht entgegengestellt. Den Vorsatz des Angeklagten, einer Organisation anzugehören, die „im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit“ agiert habe, schrieb das Urteil fest.2278 Andererseits habe er seinen Beitritt „unter einem gewissen Druck“ erklärt und habe gegen „einen“ (!) politischen Gegner Toleranz geübt und Schaden von ihm abgewandt. Das Gericht folgte jedoch der Argumentation Bruns, dass er „geständig“ gewesen sei, wofür in der Akte kein Beleg zu finden ist, und er „in keiner Weise versucht“ habe, sich der Verantwortung zu entziehen, wobei das Gegenteil angesichts der Aktenlage hätte bemerkt werden können.2279 Der Freispruch Bruns beruhte auf einer Mischung von Gutsagen ehemaliger Nationalsozialisten, Unbelasteten und präsumtiver Opfer sowie mangelnden Ermittlungen und den Lügen des Angeklagten. Es dauerte aber noch bis 1952, bis Bruns zum ordentlichen Professor der Universität Erlangen für Strafrecht, Strafprozess, Rechtsphilosophie und Jugenderziehungsrecht berufen wurde. Nach seiner Emeritierung veröffentlichte er 1974 eine stark rezipierte Gesamtdarstellung des Strafzumessungsrechts. Wie die Juristen fanden auch die Geisteswissenschaftler Anschluss im Westen. Erwin Assmann, der im Auftrag des Stabs Rosenberg im Baltikum gegraben hatte und als NSDAP-Multifunktionär tätig gewesen war, arbeitete zunächst als Lehrer in Büsum. Von 1952 bis 1959 leitete er das Gymnasium Kieler Gelehrtenschule, danach wurde er Leiter der Abteilung für Gymnasien im schleswig-holsteinischen Kultusministerium. Von 1967 bis zu seiner Pensionierung 1973 war er Landesschuldirektor. Zugleich lehrte er ab 1955 auch als außerordentlicher Professor für Mittellateinische Philologie und Mittelalterliche Geschichte an der Universität Kiel. Der Anglist Friedrich Schubel wurde, obwohl SS-Mitglied, Professor an der Universität Mainz. Seinem Vorgesetzten in Greifswald Reinhard Haferkorn gelang die Rückkehr zur Lehrkanzel auf Umwegen. 1944 hatte er sich mit der Redaktion von 2277 Vgl. BA Koblenz Z 42 II/2457, Bl. 47. 2278 Vgl. ebd., Bl. 53. 2279 Vgl. ebd., Bl. 5.

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Radio National nach Apen im Oldenburgischen abgesetzt und geriet dort in britische Gefangenschaft. Da er fürchtete, als Kriegsverbrecher angeklagt zu werden, erklärte er sich bereit, über die Mitarbeiter seiner antibritischen Propagandaabteilung auszusagen. Im November 1945 bat Haferkorn um seine Entlassung, wobei er noch einmal darauf hinwies, dass er sich als Professor für Englische Sprache und Literatur stets für ein „peaceful understandig“ der beiden Nationen eingesetzt habe. Entlassen wurde er am 27. Dezember, als Dank für seine „evidenten“ Aussagen gegen britische „Renegaten“, so ein Offizier des MI 5 in der Begründung für seine Vorgesetzten.2280 Seine Aussagen trugen zur Verurteilung des Radiomoderators William Joyce („Lord Haw Haw“) und des Reporters John Amery bei. Die beiden wurden hingerichtet, andere, die Haferkorn in seinen Aussagen belastete, wurden zu langen Haftstrafen verurteilt, etwa die Offiziere Walter Purdy und Norman Baillie-Stewart.2281 In Hamburg schlug sich Haferkorn zunächst als Lehrer durch, 1953 erhielt er eine Stelle im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik. 1955 wechselte er auf eine ordentliche Professur an der Wirtschaftshochschule Mannheim, wo er 1959/60 als Rektor amtierte. Bewusst ausgemustert wurden in der Bundesrepublik nur wenige. Mittellos wurden sie deshalb nicht, weil ihnen als ehemaligen Beamten ein Ruhegehalt zustand. Der Geograph Wilhelm Hartnack erarbeitete sich als Heimatforscher wieder eine geachtete Position im Wittgensteiner Land. Der Philosoph Georg Brates lebte als nebenberuflicher Lehrer in Bad Harzburg, eine Druckfassung seiner Habilitationsschrift stellte er nicht fertig. Der Kunsthistoriker Ludwig Rohling ließ sich in Flensburg nieder und verfasste unter anderem eine Monographie über das Werk der Malerin Käte Lassen, deren monumentale Kirchenfenster in der Flensburger Kirche St. Marien zu sehen sind.2282 Der ambitionierte Historiker Johannes Paul wurde zwar 1955 mit seiner Rückkehr als „Spätheimkehrer“ sofort in den Ruhestand versetzt, las jedoch als Emeritus in Hamburg weiter. Von einem Gericht der Russländischen Föderation wurde er 2001 postum rehabilitiert. Die Verurteilung zu zehn Jahren Arbeitslager wegen „Spionage“ wurde als nicht vereinbar mit sowjetischem Recht erklärt.2283 Einige Ärzte ließen sich in Westdeutschland nieder und bemühten sich nicht um 2280 Vgl. NA PF 66725/V 1 (d. i. KV2/826). 2281 Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/William_Joyce; http://en.wikipedia.org/wiki/John_Amery; http://www.stephen-stratford.co.uk/walter_purdy.htm; http://en.wikipedia.org/wiki/Norman_ Baillie-Stewart, je letzter Zugriff: 21. Mai 2015 sowie Hausmann, Frank-Rutger: Anglistik und Amerikanistik im „Dritten Reich“, Frankfurt 2003, S. 461 f. 2282 Vgl. Rohling, Ludwig: Käte Lassen. Das Werk der Malerin, Flensburg 1956. 2283 Vgl. Auskunft des FSB am 17. Dezember 2013 an das Deutsche Historische Institut Moskau, Az. 10/A-5792.

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die Wiederberufung auf einen Lehrstuhl, wurden aber gelegentlich als Lehrbeauftragte nachgefragt, etwa der Augenarzt Sophus Mielke. Auch Theologen lehrten nebenamtlich an Universitäten, hauptamtlich vertraten sie Pfarrstellen. Der tatkräftige Heinrich Laag, der sich für die Deutschen Christen und in der Inneren Mission engagiert hatte, gründete in Schlüchtern (Hessen) eine Kirchenmusikschule. Er erhielt 1950 einen Lehrauftrag für Christliche Archäologie an der Universität Marburg. 1954 rief er eine Zentralstelle für modernen Kirchenbau ins Leben, die mit staatlicher und kirchlicher Unterstützung zu einer Lehr- und Forschungsstätte ausgebaut wurde.2284 Der Kunsthistoriker Kurt Wilhelm-Kästner erstritt sich auf dem Klageweg die Wiedereinstellung in Hamburg. Da er nach seiner Berufung nichts mehr geschrieben hatte, konnten seine Gegner auch keine Belege für eine besonders nationalsozialistische Gesinnung anführen, die ihn vom Lehramt hätten fernhalten können.2285 Wie die Universität Greifswald mitteilte, habe sich auch nicht feststellen lassen, ob die Kennzeichnung der Bücher jüdischer Autoren in der Universitätsbibliothek mit dem Davidstern auf seine Veranlassung geschehen sei.2286 Wilhelm-Kästner sei aber Rektor gewesen und habe „als solcher eng mit einigen nazistischen Dienststellen zusammengearbeitet“.2287 Da Entlassungen in der Bundesrepublik rechtsstaatlichen Kriterien folgten und eine derart pauschale Aussage keinen Wert besaß, war WilhelmKästners Klage gegen die Entlassung erfolgreich, so dass er bis zur Emeritierung wieder an der Universität Hamburg las. 7.3.1 Die statistische Bilanz der Entnazifizierung

Im Sommersemester 1945 gehörten 129 ordentliche Professoren, außerplanmäßige Professoren und Dozenten zum Lehrkörper der Universität. Etwa ein Fünftel starb noch vor 1949, als Kriegsgefangene oder in Lagern wie Rektor Engel, manche in hohem Alter, wie Erich Pernice, oder an Krankheiten, wie der Chemiker Karl Fredenhagen, dem ein Bein amputiert worden war. Die Umstände des Todes konnten nicht für alle ermittelt werden. Der vermisste Theologe Hans Eger zum Beispiel wurde für tot erklärt, der Chemiker Karl Ernst Stumpf gilt noch immer als verschollen. Der Slawist Brüske und der Ornithologe Richard Stadie waren dauerhaft krank. Manche waren zu alt, um wieder auf einen Lehrstuhl berufen zu werden. Reguläre Stellen als Universitätsprofessor oder Chefarzt eines staatlichen Krankenhauses erhielten 81 Professoren und Dozenten, die 1945 der Universität Greifs2284 Vgl. Fabricius, Ulrich: Heinrich Laag, in: NDB, Bd. 13, S. 358 f. 2285 Vgl. StAHH, Nr. IV-2061. 2286 Vgl. UAG R 184, Bl. 129. 2287 Vgl. ebd.

7.3 Der Umgang mit ehemaligen Nationalsozialisten in der Bundesrepublik

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wald angehört hatten, also 62,7 Prozent. Davon waren mindestens fünfzig ehemalige NSDAP-Mitglieder. Es gab vier Doppelberufungen. Der Chemiker Gerhart Jander verließ die DDR ebenso wie der Germanist Hans-Friedrich Rosenfeld und der Hygieniker Kurt Herzberg. Der Kirchenhistoriker Walter Elliger, der an der HumboldtUniversität lehrte, nahm 1963 einen Ruf an die in Gründung begriffene Ruhr-Universität Bochum an. In Ostberlin war er wegen seiner Ablehnung der Wehrpflicht unter Druck geraten, außerdem nahm er an Wahlen wegen der vorgeschriebenen Einheitslisten nicht teil.2288 Statistisch liest sich der Befund wie folgt: In der Bundesrepublik gelangten 51 ehemalige Greifswalder Dozenten des Jahres 1945 in verantwortliche Positionen. Davon waren 35 ehemalige Nationalsozialisten, 16 hatten der Partei nicht angehört. In der DDR waren es 33, die als Professoren oder Chefärzte von Krankenhäusern wieder an herausgehobenen Positionen tätig waren. Davon waren 14 ehemalige Nationalsozialisten. Sie bestimmten Forschung und Lehre in beiden deutschen Staaten mit, ebenso wie die von ihnen ausgebildeten Studenten und Studentinnen die Gesellschaft in beiden Systemen mitgestalteten.

2288 Vgl. UAB PA nach 1945 Elliger, W.

8. Biographisches Lexikon des engeren Lehrkörpers der Ernst-Moritz-Arndt-Universität (1933–1945)

8.1 Theologische Fakultät

Ordentliche Professoren Baumgärtel, Friedrich (* 14. Januar 1888 Plauen; † 11. Juni 1981 Erlangen) Vater: Studienrat Konfession: evangelisch-lutherisch Nach dem Besuch der höheren Bürgerschule und des Gymnasiums in Plauen studierte Baumgärtel in Greifswald, Bonn, Leipzig und Berlin Theologie und Orientalische Sprachen. Die Erste Theologische Prüfung legte er 1911 ab. 1914 promovierte er mit einer Studie über den Gottesbegriff (Elohim außerhalb des Pentateuch) zum Lic. theol. Im selben Jahr zur Ersatzreserve eingezogen, leistete Baumgärtel Kriegsdienst in einem Jägerregiment (ausgezeichnet unter anderem mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem ÖsterreichischUngarischen Militärverdienstkreuz 3. Klasse mit Dekoration). 1916 wurde er zum Leutnant befördert. Im selben Jahr habilitierte er sich an der Universität Leipzig, wo er 1919 eine Assistentenstelle erhielt. Im Jahr darauf wurde er zum Oberassistent am Alttestamentarischen Seminar befördert und 1921 zum nichtplanmäßigen außerordentlichen Professor ernannt. 1922 erhielt Baumgärtel den Ruf auf eine ordentliche Professur für Altes Testament an der Universität Rostock. Er wechselte 1928 nach Greifswald, 1937 nach Göttingen und 1941 nach Erlangen. Dort war er von 1948 bis 1950 Rektor. Baumgärtel nahm im Kirchenkampf eine vermittelnde Position ein und veröffentlichte 1958 eine Schrift über Kirchenkampf-Legenden, in dem er die Stilisierung der Bekennenden Kirche zu einer Kirche des Widerstands ablehnte. Zugleich verwahrte er sich deutlich gegen die Preisgabe des Alten Testaments (Die Kirche ist Eine – Die alttestamentlich-jüdische Kirche und die Kirche Jesu Christi, 1936). Organisationen: 1927 bis 1929 DNVP Quellen: UAG PA 2477 Baumgärtel; BA  BA R 4901/13258, Karteikarte Baumgärtel; WikipediaPersoneneintrag.

8.1 Theologische Fakultät

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Beyer, Hermann Wolfgang (* 12. September 1898 in Annarode (Mansfelder Gebirgskreis); † seit dem 25. Dezember 1942 im Donbogen vermisst) Vater: Pastor Konfession: evangelisch-lutherisch Nach dem Abitur wurde Beyer eingezogen und diente als Kanonier, dann auf einem Flakzug an der Westfront. Als Artillerist nahm er an der Marneschlacht und der Schlacht an der Aisne teil (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Ab 1919 studierte er Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie in Greifswald, Berlin, Freiburg und München, dann in Jena und Berlin Theologie, insbesondere Christliche Archäologie und Kirchengeschichte. Mit einer Dissertation über den syrischen Kirchenbau promovierte er 1923 an der Universität Jena zum Dr. phil. 1924 erhielt er eine Assistentenstelle im Kirchengeschichtlichen Seminar der Universität Berlin. Im Jahr darauf wurde er an der Universität Berlin mit einer Studie über die Religion Michelangelos zum Lic. theol. promoviert. 1926 ging er als Privatdozent für Kirchengeschichte nach Göttingen und wurde noch im selben Jahr zum ordentlichen Professor für Kirchengeschichte und Christliche Archäologie in Greifswald berufen. Beyer bekannte sich seit 1931 zum Nationalsozialismus und engagierte sich für die Deutschen Christen. Ab Ende 1933 war er kurze Zeit Kirchenminister der Deutschen Evangelischen Kirche (Reichskirche). 1936 wurde Beyer auf eine ordentliche Professur für Kirchengeschichte und Christliche Archäologie an der Universität Leipzig berufen, wo er ab 1937 das Dekanat führte. Ab 1940 leistete er Kriegsdienst als Divisionspfarrer. Beyer verfasste anerkannte historische Studien und stark ideologisch geprägte Schriften zum Beispiel über den antijüdischen Philosophen Houston Stewart Chamberlain, dessen Rezeption er zur inneren Erneuerung des Christentums für unverzichtbar hielt (1939). Organisationen: 1926 bis zur Auflösung 1933 Mitglied der DNVP; SA-Reserve ab November 1933 Quellen: UAG PA 892 Beyer; BA  R 4901/13259 Karteikarte Beyer; Catalogus Professorum Lipsiensium; Garbe, Irmfried: Theologe zwischen den Weltkriegen. Hermann Wolfgang Beyer (1998– 1942), Frankfurt am Main 2004.

Bülck, Walter (* 7. März 1891 Altona; † 20. April 1952 Hamburg-Altona) Vater: Volksschullehrer Konfession: evangelisch-lutherisch Nach dem Abitur in Altona studierte Bülck Theologie in Göttingen, Berlin und Kiel. 1915 legte er die Zweite Theologische Prüfung ab. 1916 trat er eine Pfarrstelle in Kellinghusen (Mittelholstein) an. 1917 wurde er Feldgeistlicher, zunächst bei einer Infante-

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Biographisches Lexikon

riedivision, dann beim Armeeoberkommando 5 (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Mit der Dissertation Geschichte des Studiums der praktischen Theologie an der Universität Kiel promovierte er an der Universität Kiel zum Lic. theol. 1921 wurde er in Kiel für das Fach Praktische Theologie habilitiert, im Jahr darauf trat er eine Pfarrstelle in Laboe an. 1925 erhielt er einen dotierten Lehrauftrag. Seine Ernennung zum ordentlichen Professor folgte 1931. Von nationalsozialistischen Studenten wurde Bülck nach 1933 als Liberaler heftig angegriffen. Gegen diese Vorwürfe setzte er sich nicht zur Wehr, im Herbst 1935 verklagte Bülck einen Fakultätskollegen, der ihn bezichtigte, sich dem Nationalsozialismus entgegenzustellen. Der Rektor der Kieler Universität forderte daraufhin Bülcks Entlassung, weil dieser nicht „tragbar“ sei. Das Gericht folgte dem Antrag Bülcks und stellte fest, dass der Denunziant ihn persönlich habe herabsetzen und „als einen Feind der Nationalsozialistischen Weltanschauung“ habe „kennzeichnen“ wollen. Obwohl er den Prozess gewann, wurde Bülck 1936, zwei Wochen nach dem Urteil, nach Greifswald versetzt. Die Greifswalder Fakultät war wegen dieser Zuweisung gespalten. Bülck beteiligte sich an der konservativen Traditionsgebung der Arndt-Universität und erwies sich als kompetenter Vertreter seines Fachs. 1941 wurde Bülck zum stellvertretenden evangelischen Wehrkreispfarrer im Wehrkreis II ernannt und wirkte auch als Lazarettpfarrer. Im April 1945 setzte sich Bülck nach Schleswig-Holstein ab. Später versuchte er an die Universität Greifswald zurückzukehren, was aber auf Ablehnung in der Fakultät stieß. Neben seinem Gemeindepfarramt in Altona nahm Bülck nach 1945 einen Lehrauftrag für Religionspädagogik an der Universität Hamburg wahr. Außerdem bekleidete er mehrere Ehrenämter. 1948 meldete er sich mit einer Schrift zur religiösen Erziehung in der Gegenwart noch einmal vernehmlich zu Wort. Organisationen: 1919 bis 1922 Deutsche Volkspartei; Reichsluftschutzbund; NSV Quellen: UAG PA 835 Bülck; BA R 4901/13260 Karteikarte Bülck; www.bautz.de; www.uni-kiel. de/ns-zeit/bios/buelck-walter.shtml, letzter Zugriff: 21.5.2015.

Dalman, Gustaf (* 9. Juni 1855 Niesky (Oberlausitz); † 19. August 1941 Herrnhut (Oberlausitz)) Vater: Kaufmann, Fabrikkassenbeamter Julius Marx Mutter: Laurentine von Dalmann Konfession: evangelisch-freikirchlich, später lutherisch Bemerkung: Dalman nahm 1886 den Namen der Mutter in seiner schwedischen Form an Dalman besuchte Bürgerschulen in Lauban und Niesky, dann das Pädagogium in Niesky. Er studierte ab 1874 am Theologischen Seminar der Herrnhuter Brüdergemeinde in Gnadenfeld (Oberschlesien), legte 1877 das Examen ab, danach arbeitete er als Erzieher in Klein-Welka und Gnadenfrei (Schlesien). 1879/80 absolvierte er den Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger. Ab 1881 lehrte er in Gnadenfeld als Dozent für Altes Testament und

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Praktische Theologie. 1883 promovierte er in Leipzig mit der Schrift Traditio Rabbinorum Veterrima de Librorum Veteris Testamenti ordine atque origine zum Lic. theol. (veröffentlicht 1891). Ab 1887 wirkte er als Lehrer am Institutum Judaicum in Leipzig und setzte seine Studien an der Universität fort. 1884 erhielt er in Gnadenfeld die Ordination zum Pfarrer, 1887 promovierte er mit der Dissertation Der leidende Messias nach der Lehre der Synagoge im ersten nachchristlichen Jahrtausend zum Dr. phil. 1891 wurde er habilitiert. 1895 folgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor an der Universität in Leipzig. 1899/1900 bereiste Dalman Palästina und Syrien. 1902 wurde er Gründungsdirektor des Deutschen Evangelischen Instituts und schwedischen Generalkonsulats für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem. Seine Forschungen zur Sprach- und Landeskunde musste er wegen des Kriegsverlaufs 1917 abbrechen. Im September 1917 wurde er ein persönlicher Ordinarius für Altes Testament an der Universität Greifswald. 1923 entpflichtet, erhielt er 1924 einen Lehrauftrag und gründete 1925 das später nach ihm benannte Gustaf-DalmanInstitut für Palästinawissenschaft. Organisationen: 1918 Bürgerwehr Greifswald; DNVP bis zur Auflösung 1933 Quellen: PA 320 Dalman; BA R 4901/13261; Dissertation; NDB 3 (1957), S. 493 f.; Männchen, Julia: Gustaf Dalman als Palästinawissenschaftler in Jerusalem und Greifswald 1902–1941, Wiesbaden 1994.

Deißner, Kurt (* 10. April 1888 Frohse bei Magdeburg; † 6. November 1942 Greifswald) Vater: Dampfmühlenbesitzer Konfession: evangelisch Deißner besuchte das Domgymnasium in Magdeburg. Nach einer Erkrankung bereitete er sich extern auf die Reifeprüfung vor, die er 1906 in Stendal bestand. Danach studierte er Theologie in Tübingen, Greifswald und Marburg. Die Erste Theologische Prüfung legte er 1910 in Stettin ab. Zwei Jahre später promovierte er mit der Dissertation Auferstehungshoffnung und Pneumagedanke bei Paulus in Greifswald zum Lic. theol. Seit 1912 war er Hilfsprediger an der Schlosskirche Stettin und ab 1914 Religionslehrer am Greifswalder Lyzeum. Während des Ersten Weltkriegs wirkte er als Lazarettgeistlicher. Mit einer Schrift über Paulus und die Mystik wurde er 1915 für das Fach Neues Testament habilitiert. In seiner Lehrprobe thematisierte er „Seneca über Paulus“. 1917/18 war er als Militärkrankenwärter im Reservelazarett Greifswald eingesetzt (ausgezeichnet mit der Rot-Kreuz-Medaille 3. Klasse). 1919 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt und im Dezember 1920 zum persönlichen ordentlichen Professor für Neues Testament befördert. Einen Ruf an die Universität Zürich lehnte er 1923 ab. Ab November 1926 erhielt er das Gehalt eines planmäßigen ordentlichen Professors, zugleich wirkte er als Konsistorialrat in Stettin. Von Sommer 1931 bis zum Mai 1933 amtierte er als Rektor und versuchte, Brücken zu den

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radikalen nationalsozialistischen Studenten zu bauen. Bereits 1925 polemisierte Deißner gegen völkische Auffassungen des Christentums (Das völkische Christusbild). 1933 schloss er sich der Gruppe „Evangelium und Kirche“ an, im Oktober 1933 gehörte er zu den Unterzeichnern einer Erklärung, die sich gegen die Übertragung des Berufsbeamtengesetzes auf die Kirche wandte (sogenannter Arierparagraph). Im Mai 1934 wurde er auf der Synode der Bekennenden Kirche in den Provinzialbruderrat gewählt. Außerdem gehörte er dem Greifswalder Bruderrat an. Mit der Bildung von Kirchenausschüssen 1936 schwenkte Deißner auf den Kompromiss des Reichskirchenministeriums ein und wurde wieder zum Konsistorialrat ernannt. Organisationen: 1919 bis 1933 DNVP; im Januar 1933 Eintritt in den Stahlhelm, in die SA-Reserve überführt, Dienstgrad: Sturmmann Quellen: UAG PA 321 Deißner; BA R 4901/13261; Bautz; Oberdörfer, Eckart: Kurt Deissner. Der Rektor der 475-Jahrfeier der Universität Greifswald, in: Baltische Studien Neue Folge 81, 1995, S. 84–93.

Elliger, Walter (* 8. Dezember 1903 in Heppens, Kreis Wittmund (Oldenburg); † 23. Mai 1985 Unna) Vater: Obergerichtsvollzieher Konfession: evangelisch-lutherisch Die Reifeprüfung legte Elliger 1923 in Soest ab. Danach studierte er Theologie in Tübingen, Halle und Münster. Dort bestand er 1928 sein Erstes Theologisches Examen, danach war er Vikar in Kreypau bei Halle. 1929 erhielt er eine nichtplanmäßige Assistentenstelle an der Sammlung für Christliche Archäologie der Universität Halle. 1930 promovierte er mit einer Arbeit zur Stellung der alten Christen zu den Bildern in den ersten vier Jahrhunderten. Noch im selben Jahr habilitierte er sich für das Fach Kirchengeschichte an der Universität Halle. 1931 und 1933 unternahm er Studienreisen nach Italien und Palästina. Seit 1932 planmäßiger Assistent, wurde er wegen seines Engagements für die „nationale Revolution“ auf ein Ordinariat für Christliche Archäologie und Kirchengeschichte an der Universität Kiel berufen, jedoch nach deutlich geäußerter Kritik bereits 1936 nach Greifswald versetzt. Von 1939 bis 1945 war Elliger zur Marineflak eingezogen (eingesetzt in Kiel und Gotenhafen, befördert zum Oberleutnant, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Im März 1945 wurde Elliger schwer verwundet (Verstümmelung der linken Hand). 1946 zunächst entlassen, wurde er rasch wieder eingestellt. 1950 erhielt er einen Ruf an die Humboldt-Universität Berlin, wo er mit den staatlichen Stellen kollidierte. An den Wahlen zur DDR-Volkskammer nahm er nicht teil. 1961 protestierte Elliger gegen die Dienstverpflichtung der Theologiestudenten für die NVA. 1963 nahm er einen Ruf an die Universität Bochum an, dort wurde er 1970 emeritiert. Organisationen: 1933/34 SA

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Quellen: UAH PA 5912 Elliger; UAB PA Elliger, Walter; BA R 4901/13262; Stengel, S. 489 f.; www.bautz.de.

Glawe, Walther (18. Juli 1880 Berlin; † 10. August 1967 Ranis (Thüringen)) Vater: Glasermeister Konfession: evangelisch-lutherisch Nach der Volksschule besuchte Glawe ein Realgymnasium, wo er 1900 die Reifeprüfung ablegte. Er studierte an der Berliner Universität Theologie, Philosophie und Orientalische Sprachen. Mit einer Dissertation über die religionsphilosophischen Ansichten Friedrich Schlegels promovierte er 1904 an der Universität Erlangen zum Dr. phil. Danach arbeitete er als Erzieher in der Familie Bismarck und heiratete 1909 Hertha Johanna Gräfin von Bismarck-Schönhausen, eine Enkelin des Fürsten Bismarck (Scheidung 1929). Mit einer Studie über die Hellenisierung des Christentums promovierte Glawe 1908 an der Universität Rostock zum Lic. theol. und wurde für das Fach Systematische Theologie habilitiert. Zum außerordentlichen Professor wurde er 1912 befördert, 1913 folgte die Erweiterung seiner Venia Legendi auf Kirchen- und Dogmengeschichte. 1914 erhielt er den Ruf auf eine außerordentliche Professur für Kirchengeschichte und Systematische Theologie der neugegründeten Evangelischen Theologischen Fakultät Münster. Die Stelle trat er jedoch nicht an, sondern arbeitete zunächst von Oktober 1914 bis Dezember 1918 als Feldprediger, zunächst bei der 17. Infanteriedivision, ab 1915 bei der Mecklenburgischen Kavallerie im Osten (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Militärverdienstkreuz Mecklenburg-Schwerin). Seit 1918 war er Garnisonspfarrer in Dorpat. Seine Lehrtätigkeit in Münster nahm er 1919 auf und wurde 1921 auf ein persönliches Ordinariat für Kirchengeschichte an der Universität Greifswald berufen. Die eigene wissenschaftliche Arbeit stellte Glawe mit der Berufung auf eine Professur ein. Er war jedoch überaus aktiv in der Hochschulverwaltung, etwa als langjähriger Dekan und Vorstand sozialer Einrichtungen. Glawe gehörte zu den Initiatoren der Namensgebung „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“. 1945 entlassen, erhielt er 1948 einen Forschungsauftrag. Seit Juni 1949 nahm er einen Lehrauftrag an der Universität Rostock wahr, ab 1950 lehrte er zugleich in Greifswald. 1951 wurde er zum Professor mit Lehrstuhl an der Universität Greifswald ernannt. Organisationen: Nach 1919 Organisation Escherich; 1923 Stahlhelm, ab 1924 Kreisführer, 1925 Gauführer, 1932 wieder Kreisführer, 1933 kommandiert zum Stab der SA-Brigade 7, als Scharführer in die SA überführt; bis 1933 DNVP, Mitglied im Vorstand des Völkischen Ausschusses des Kreisvereins Greifswald, mit dem Übertritt des Stahlhelmführers Seldte 1934 Eintritt in die NSDAP, Aufnahme 1937, Mitglied Nr. 4.404.762; nach 1945 SED Quellen: UAG PA 327 Glawe; BA R 4901/13263 Karteikarte Glawe, Mitgliedskarte Ortskartei; www.bautz.de.

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Goltz, Eduard Freiherr von der (* 31. Juli 1870 Langenbruck bei Basel (Schweiz); † 7. Februar 1939 Greifswald) Vater: Universitätsprofessor Konfession: evangelisch Gymnasien besuchte von der Goltz in Berlin und Jena, ab 1889 studierte er in Berlin, Halle und Bonn Theologie. 1893 wurde er in Berlin zum Lic. theol. promoviert und legte 1895 die theologischen Examina ab. Es folgten Studienreisen nach Italien, Griechenland und in die Türkei. 1898 trat von der Goltz eine Pfarrstelle in Deyelsdorf (Kreis Grimmen) an. 1902 wechselte er als Privatdozent für Praktische Theologie an die Universität Berlin. 1906 wurde er Direktor des Predigerseminars in Wittenburg (Westpreußen), 1907 außerordentlicher und 1912 ordentlicher Professor für Praktische Theologie in Greifswald. Während des Ersten Weltkriegs diente von der Goltz im Landsturm ohne Waffe (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz am schwarz-weißen Band und der Rot-Kreuz-Medaille). Ab 1925 war er Konsistorialrat im Konsistorium der pommerschen Landeskirche. 1927/28 amtierte er als Rektor der Universität. Von 1929 bis 1933 gehörte er dem Preußischen Kirchensenat an. Seine gesammelten Reden und Aufsätze erschienen 1926 in einer Gesamtausgabe (Christentum und Leben, 5 Bände). Organisationen: DNVP; später NSV Quellen: UAG PA 328 Goltz; R 4901/13264 Karteikarte Goltz; www.bautz.de.

Hermann, Rudolf (* 3. Oktober 1887 Barmen (Westfalen); † 10. Juni 1962 Berlin (Ost)) Vater: Pastor, Superintendent Konfession: evangelisch Das humanistische Gymnasium besuchte Hermann in Barmen. Er studierte an den Universitäten Marburg, Halle und Greifswald Philologie und Theologie. Das Erste Theologische Examen legte er 1911 in Koblenz ab. 1913 promovierte er an der Universität Göttingen zum Lic. theol. Danach bereitete er sich auf das Predigerexamen vor. Ab Herbst 1913 absolvierte Hermann den Einjährig-freiwilligen-Wehrdienst und wurde 1914 an die Westfront kommandiert. Als Unteroffizier geriet er im September 1914 verwundet in französische Gefangenschaft (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Verwundetenabzeichen). 1915 ausgetauscht, versah er fortan Dienst in rückwärtigen Truppenteilen, unter anderem in der Wachkompanie des Kriegsgefangenenlagers in Göttingen. 1916 wurde er an der Universität Göttingen habilitiert. Im Dezember 1918 wurde er als Vizefeldwebel aus dem Heer entlassen. Ab 1919 lehrte er als Privatdozent in Breslau und wurde dort 1923 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. Ein persönliches Ordinariat für Systematische Theologie erhielt er 1926 an der Universität Greifswald. 1953 wechselte er an die Humboldt-Universität in Berlin. Hermann verband theologische

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und religionsphilosophische Fragestellungen und widmete sich dem Werk Luthers. In den kirchenpolitischen Kämpfen engagierte er sich zunächst für die Bekennende Kirche, nahm dann aber eine Vermittlerposition ein. Nach 1945 amtierte er als Prorektor der Universität und bekleidete Ämter in der pommerschen Landeskirche. 1948 wurde er Leiter der Lutherakademie Sondershausen. Organisationen: 1934 NSV Quellen: UAG PA 337 Hermann; BA R 4901/13266 Karteikarte Hermann und 18027; Bautz; NDB Bd. 8, S. 644 f.; Wiebel, Arnold: Rudolf Hermann (1887–1962). Biographische Skizzen zu seiner Lebensarbeit, Bielefeld 1998; Wiebel, Arnold (Hg.): Rudolf Hermann. Aufsätze, Tagebücher, Briefe, Münster 2009.

Jeremias, Joachim (* 20. September 1900 Dresden; † 6. September 1979 Tübingen) Vater: Pfarrer, Oberkonsistorialrat Konfession: evangelisch-lutherisch Jeremias besuchte die Bürgerschule in Dresden und das Deutsche Realgymnasium in Jerusalem, wo sein Vater bis 1915 als Propst der evangelisch-lutherischen Gemeinde an der Erlöserkirche wirkte. Die Reifeprüfung legte Jeremias 1917 ab und begann das Theologiestudium. Nach kurzer militärischer Ausbildung absolvierte er 1918 einen Dolmetscherlehrgang und wurde an die Westfront versetzt. 1919 als Gefreiter entlassen, war er 1919/20 Angehöriger eines Zeitfreiwilligenregiments und des Vereins Silberner Schild (Organisation Escherich). Mit seinem Regiment nahm er an der Niederschlagung des kommunistischen Aufstandsversuchs nach dem Kapp-Putsch in Leipzig teil. Danach setzte er das Studium der Theologie und der Orientalischen Sprachen in Tübingen und Leipzig fort. Er promovierte 1922 an der Universität Leipzig mit einer Dissertation über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt Jerusalem unter römischer Besatzung zum Dr. phil. Am Studienkonvent der Brüdergemeine in Herrnhut arbeitete er danach als Repetitor, 1924 wechselte er als Dozent an das Herder-Institut in Riga. 1925 habilitierte er sich mit der Studie Golgatha in Leipzig für das Fach Neues Testament, in Riga erhielt er 1927 eine Stelle als ordentlicher Professor. Zum Direktor des 1883 zur Judenmission gegründeten Institutum Judaicum in Berlin wurde er 1928 berufen und an die Universität Berlin umhabilitiert. 1929 wurde Jeremias zum ordentlichen Professor in Greifswald berufen. Einen Ruf nach Göttingen nahm er 1935 an. Dort wurde er 1968 emeritiert. Er war Mitglied der Bekennenden Kirche. Jeremias widmete sich der historisch-kritischen Exegese des Neuen Testaments und versuchte, die Beziehungen Jesu zum zeitgenössischen Judentum zu rekonstruieren. Seine Neutestamentliche Theologie. 1. Teil. Die Verkündigung Jesu wurde in zahlreiche europäische Sprachen (aber auch ins Japanische, Koreanische und Chinesische) übersetzt und erlangte, so Bautz’ Bibliografisch-biografisches Kirchenlexikon „ökumenische Bedeutung“.

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Organisationen: – Quellen: UAG PA 338 Jeremias; BA R 4901/23090 und 13267 Karteikarte Jeremias; Janssen, Martina: Jeremias, Joachim auf www.bibelwissenschaft.de; www.bautz.de.

Jirku, Anton (* 27. April 1885 Birnbaum (Mähren); † 3. Dezember 1972 Graz) Vater: Ökonomiedirektor Konfession: evangelisch Jirku besuchte Gymnasien in Brünn und Krems an der Donau. Nach der Reifeprüfung (1904) studierte er in Wien und Berlin. 1908 wurde Jirku in Wien zum Dr. phil. promoviert, 1913 erwarb er den Grad des Lic. theol. und habilitierte sich 1914 in Kiel für das Fach Altes Testament. Während des Ersten Weltkrieges war er als Fähnrich in der k. u. k. Armee eingesetzt. Im Sommersemester 1919 vertrat er in Halle den erkrankten Carl Cornill, wurde jedoch von der Universität Kiel wieder für die Lehre angefordert. Hier nahm er am Kapp-Putsch teil. 1921/22 Lehrstuhlvertreter, wurde er 1922 auf ein Ordinariat in der Theologischen Fakultät der Universität Breslau berufen und profilierte sich als Orientalist. 1934 wechselte das Mitglied der Deutschen Christen nach Auseinandersetzungen mit anderen Nationalsozialisten nach Greifswald, 1935 nach Bonn, wo er 1945 aufgrund seines Engagements für den Nationalsozialismus entlassen wurde. 1959 wurde der jetzt als Privatgelehrter Tätige formal emeritiert. In seiner Deutung des Alten Testaments vertrat Jirku zeitweise, so konstatierte Hans-Paul Höpfner in seiner Studie über die Geschichte der Universität Bonn, die Ideen Houston Stewart Chamberlains. Als einer der wenigen Theologen, so schätzte er sich selbst 1936 ein, habe er den Mut gehabt auszusprechen, „dass sich auch in dem Sieg der nationalsozialistischen Revolution der Gott der Welten offenbart“ habe. Als Wissenschaftler erwarb er sich einen Ruf als exzellenter Kenner der alten und ältesten Geschichte Israels und Palästinas. Organisationen: Eintritt in die NSDAP im Frühjahr 1933, Mitglied Nr. 2.033.727; Deutsche Christen Quellen: UAG PA 339 Jirku; Hoepfner, Bonn, S. 169 f.; UAH PA 5212 Cornill; BA R 4901/13267 Karteikarte Jirku; www.catalogus-professorum-halensis.de.

Koepp, Wilhelm (* 1. November 1885 Zoppot bei Danzig; † 27. Dezember 1965 Kleinmachnow) Vater: Eisenbahnvorsteher Konfession: evangelisch Koepp besuchte das Humboldtgymnasium in Berlin und studierte an der Berliner Universität Theologie. Die Erste Theologische Prüfung legte er 1908 ab. 1910 promovierte er an der Universität Berlin zum D. theol. mit einer Arbeit über Johann Arndt, sein „wah-

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res Christentum“ und die Mystik im Luthertum. 1910/11 war er Mitglied des Berliner Domkandidatenstiftes, danach Schlossprediger in Österreich. 1912 bestand er die Zweite Theologische Prüfung. Danach arbeitete als Hilfsprediger in Berlin-Lichtenberg. Ende 1912 erhielt er eine Pfarrstelle in Strenz-Naundorf bei Belleben (Provinz Sachsen). Da er nicht kriegsdiensttauglich war, wurde Koepp erst 1917 als Militärpfarrer herangezogen. 1917/19 war er Lazarettpfarrer in Halle (ausgezeichnet mit der Rot-Kreuz-Medaille 3. Klasse und dem Eisernen Kreuz II. Klasse am schwarz-weißen Band). 1919 erhielt er die Inspektorenstelle am Schlesischen Konvikt in Halle. 1920 habilitierte er sich an der Universität Halle mit einer Arbeit über die Mystik und die lutherische Orthodoxie für das Fach Systematische Theologie. Probevortrag und Antrittsvorlesung hielt er über den Geltungswert eschatologischer Aussagen in der Dogmatik und über die religionspsychologische Methode. 1922 erhielt er einen Lehrauftrag für Religionspsychologie und Geschichte der Frömmigkeit. 1922 wurde er zum Ordinarius für Systematische Theologie an der Universität Greifswald berufen. Koepp, der sich neben seinen Forschungen zur Frömmigkeit und Metaphysik vorwiegend mit ethischen Fragen beschäftigte, übte in seinem 1930 veröffentlichten Buch Die gegenwärtige Geisteslage und die dialektische Theologie vernichtende Kritik an der geistigen Situation der Weimarer Republik und den „Verfallsphänomenen der Aufklärungskultur“, wobei er heftig gegen die Theologie Karl Barths polemisierte. Den Ideen der NS-Bewegung stand er aufgeschlossen gegenüber. Koepp verfasste antijüdische Propagandaartikel und engagierte sich stark für die Deutschen Christen. Als Dekan trat Koepp behutsam für eine Reform des Theologiestudiums ein, bei Berufungen konnte er sich mit seinen Vorschlägen nicht durchsetzen und wurde von seinem Amt entbunden. Ideologisch bezog Koepp Stellung für die Ideen Alfred Rosenbergs. Die Entnazifizierung überstand Koepp unbeschadet, 1952 wurde er zum Professor mit Lehrstuhl an der Universität Rostock und zum Direktor des Institutes für Systematische Theologie ernannt. 1954 wurde Koepp emeritiert. Organisationen: Opferring der NSDAP; NSLB; NSV; 1935 Beirat im Führerrat des Bundes nationalsozialistischer evangelischer Geistlicher; Deutsche Christen; RLB; 1933/34 Mitglied des NSDFB (Stahlhelm); 1945 CDU Quellen: UAG PA 344 Koepp; BA R 4901/13268 Karteikarte Koepp; UAH Rep. 27 Nr. 878; Meier, Theologische Fakultäten; Catalogus Professorum Rostochiensium.

Lohmeyer, Ernst (* 8. Juli 1890 Dorsten (Westfalen ); † 19. September 1946 Greifswald (hingerichtet)) Vater: Pfarrer Konfession: evangelisch Lohmeyer besuchte die Stadtschule in Vlotho und das Gymnasium in Herford (Reifeprüfung 1908). Er studierte Theologie, Philosophie und Orientalistik in Tübingen, Leipzig und Berlin. Mit der Dissertation Der Begriff der Diatheke in der antiken Welt und in der Grie-

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chischen Bibel wurde er 1912 zum Lic. theol. promoviert. Im selben Jahr bestand Lohmeyer in Münster die Theologische Staatsprüfung. Danach leistete er Militärdienst als EinjährigFreiwilliger. In Erlangen wurde er 1914 mit einer Dissertation über Die Lehre vom Willen bei Anselm von Canterbury zum Dr. phil. promoviert. Im Ersten Weltkrieg diente er zunächst in einem Jägerbataillon, später bei der Landwehr (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und dem Verdienstkreuz Schaumburg-Lippe). 1918 wurde Lohmeyer in Heidelberg habilitiert. Auf eine außerordentliche Professur für Neues Testament wurde er 1920 an der Universität Breslau berufen. Im Jahr darauf folgte die Beförderung zum ordentlichen Professor. In Breslau übernahm er 1930/31 das Rektorat und wurde 1932 als amtierender Rektor Ziel von nationalsozialistischen Protesten, weil er Störer aus der Vorlesung des jüdischen Juristen Ernst Cohen von der Polizei entfernen ließ. Nach 1933 trat er demonstrativ für jüdische Kollegen ein und schloss sich der Bekennenden Kirche an. Zum 15. Oktober 1935 wurde Lohmeyer ohne Angabe von Gründen an die Universität Greifswald versetzt (Nachfolge Jeremias). Ende August 1939 wurde Lohmeyer zu einem Landesschützenbataillon eingezogen. Danach war er in der Heeresverwaltung eingesetzt, unter anderem als Stadtkommandant in Belgien. Von Juli 1942 bis August 1943 leitete er die Ortskommandantur Nr. 708 in Slawiansk (Ostukraine). Im November 1943 wurde Lohmeyer für die Universität reklamiert und aus der Wehrmacht entlassen. Nach der Übergabe der Stadt an die sowjetische Armee wurde ihm am 14. Mai 1945 das Rektorenamt übertragen. Wegen der widersprüchlichen Anordnungen der Besatzungsmacht und deutscher Behörden agierte Lohmeyer bei der Entnazifizierung halbherzig, vor allem aber weigerte er sich, Anweisungen der KPD-Kreisleitung entgegenzunehmen. Am Abend vor der Wiedereröffnung wurde Lohmeyer durch den Sekretär der Kreisleitung Franz Wohlgemuth als Kriegsverbrecher denunziert und vom NKWD verhaftet. Das Verfahren gegen ihn wurde drei Monate später eröffnet, wobei entlastende Aussagen nicht zur Kenntnis genommen wurden. Wegen der Beteiligung an der Partisanenbekämpfung wurde Lohmeyer zum Tode verurteilt und erschossen. Das Verfahren entsprach nicht den Regeln der sowjetischen Strafprozessordnung. Lohmeyer wurde 1996 rehabilitiert. Organisationen: Reichsverband der Kriegsteilnehmer-Akademiker; 1945 Kulturbund; Mitgründer einer demokratischen Partei in Greifswald, die sich im September 1945 der CDU anschloss Quellen: UAG PA 347 Lohmeyer; Bautz; R 4901/13270 Karteikarte Lohmeyer; Koehn, Andreas: Der Neutestamentler Ernst Lohmeyer. Studien zu Biographie und Theologie, Tübingen 2004.

Rost, Leonhard (* 30. November 1896 Ansbach (bei Bayreuth); † 5. Dezember 1979 Erlangen) Vater: Bader und Leichenschauer Konfession: evangelisch-lutherisch Rost besuchte das Gymnasium in Ansbach. 1915 trat er als Kriegsfreiwilliger in ein

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Ulanenregiment ein. 1916 erhielt er einen Steckschuss ins Becken, worauf ein längerer Lazarettaufenthalt folgte (er wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet). Ab 1917 war Rost als Kavallerist in der Ukraine eingesetzt und wurde im selben Jahr zum Unteroffizier befördert. Nach der Demobilisierung studierte Rost Theologie und Philologie in Erlangen. Hier promovierte er 1922 mit einer Dissertation über das Buch der Schlaglichter des muslimischen Theologen Abu al Hasan al Aschʿari (ca. 873–935) zum Dr. phil. Danach arbeitete er als Sprachlehrer an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen. 1925 hielt sich Rost am Institut für Altertumswissenschaften des Heiligen Landes in Jerusalem auf. Im Dezember 1925 promovierte er mit der Studie Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids zum Lic. theol. und wurde 1926 für das Fach Altes Testament habilitiert. 1929 wechselte er an die Universität Berlin, wo er einen Lehrauftrag für Hebräische Sprache erhielt. Außerdem arbeitete er am Institutum Judaicum mit. 1930 war er Stipendiat des Deutschen Evangelischen Instituts in Jerusalem. Zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor wurde Rost 1935 ernannt und auf Wunsch Gustaf Dalmans 1937 mit der Vertretung von dessen Professur in Greifswald beauftragt. Die Ernennung zum ordentlichen Professor folgte 1938. Wegen seiner Mitgliedschaft in Parteigliederungen 1945 entlassen, wurde Rost im Juni 1946 erneut berufen, jedoch aus der Theologischen Fakultät in die Philosophische versetzt, um dort das Fach Vergleichende Sprachwissenschaft zu übernehmen. Gegen das Abhalten von Vorlesungen auf dem Gebiet des Alten Testaments wurden jedoch seitens der Landesregierung „keine Bedenken“ erhoben. Im selben Jahr wechselte er an die Humboldt-Universität Berlin. Hier reorganisierte er auch die Arbeit des Institutum Judaicum. 1956 ging Rost nach Erlangen, wo er 1965 emeritiert wurde. Organisationen: 1934 Förderndes Mitglied des Luftsportverbandes, überführt in das NSFK (Nr. 38.416); RLB; NSV; nach eigener Aussage vor 1945: „auf Aufforderung im Februar 1938 Aufnahme in den NS-Dozentenbund Berlin eingereicht“ Quellen: UAG PA 355 Rost; BA 4901/13274 Karteikarte Rost und 23974; www.bautz.de, Kürschner.

Schultze, Victor (* 13. Dezember 1851 Fürstenberg (Waldeck); † 7. Januar 1937 Greifswald) Vater: Pfarrer Konfession: evangelisch-lutherisch Schultze studierte ab 1870 Kunstgeschichte und Theologie in Basel, Jena, Straßburg und Göttingen. Seit 1877 arbeitete er als Stipendiat des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom und bereiste Süditalien und Sizilien. An der Universität Leipzig promovierte er 1879 mit einer Studie zum christlichen Begräbniswesen zum Lic. theol. Seit 1880 war er in Leipzig als Privatdozent tätig und wurde 1884 zum außerordentlichen Professor ernannt. 1888 erhielt er den Ruf auf eine ordentliche Professur für Kirchengeschichte und

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Christliche Archäologie an der Universität Greifswald. 1920 wurde er emeritiert. Schultze erforschte die römischen, neapolitanischen und sizilianischen Katakomben und die Bestattungskultur der frühen Christen. Den Übergang zur christlichen Staatskirche beschrieb er in zwei umfangreichen Bänden (Geschichte des Untergangs des griechisch-römischen Heidentums, 1887 und 1892). Mit seinen Handbüchern zur christlichen Archäologie trieb er deren Etablierung zu einem eigenständigen Fach voran. Außerdem verfasste er 1886 einen Ratgeber für den Kirchenbau der Gegenwart. Organisationen: DNVP bis zur Auflösung Quellen: UAG PA 357 Schultze, V. und R 845; BA R 4901/13276 Karteikarte Schultze; www. bautz.de; Claudia Nauerth: Wie das Altertum christlich wurde. Die Sicht Victor Schultzes, in: Garbe, Irmfried, Tilman Beyrich und Thomas Willi (Hg.), Greifswalder theologische Profile. Bausteine zur Geschichte der Theologie an der Universitaet Greifswald, Frankfurt am Main 2006, S. 95–108.

Wiegand, Friedrich (* 14. Oktober 1860 Hanau; † 5. Januar 1934 München) Vater: Kreissekretär, Regierungsrat Konfession: evangelisch-lutherisch Wiegand besuchte Schulen in Frankfurt/Oder, Kassel und Erfurt. Er studierte Theologie in Marburg, Leipzig und Erlangen. Nach dem Theologischen Examen (1883) arbeitete Wiegand als Lehrer am Evangelisch-Lutherischen Missionsseminar Leipzig. Mit einer kunsthistorischen Arbeit zur Ikonographie des Erzengels Michael wurde er 1886 an der Universität Leipzig zum Dr. phil. promoviert. Seine Lizentiatenarbeit (1891) befasste sich mit der Kirchengeschichtsschreibung über den englischen Reformator und „Ketzer“ John Wyclif (* um 1330, † 1384). Den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors erhielt er 1899. 1902 wurde er als außerordentlicher Professor für Kirchengeschichte an die Universität Marburg berufen. Die Berufung auf das Ordinariat an der Universität Greifswald, wo er vom Mai 1914 bis zum Mai 1916 als Rektor amtierte, erfolgte 1906. Nach der Emeritierung 1926 lebte er in München. Wiegand setzte sich kritisch mit den kirchlichen Bewegungen der Gegenwart und der Vergangenheit auseinander. Sein Buch Die Jesuiten (1926) war eine populärwissenschaftlich gehaltene, sachliche Überblicksdarstellung. Sein Hauptwerk war eine dreibändige Dogmengeschichte (1912, 1919, 1929). Organisationen: nicht ermittelt Quellen: UAG PA 366 Wiegand; Wikipedia-Personeneintrag; Dissertation.

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Honorarprofessoren Zingel, Rudolf (* 5. September 1876 Liegnitz; † 20. Februar 1944 Greifswald) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch Nach Volks- und Realschule besuchte Zingel die Präparandenanstalt in Liegnitz, von 1893 bis 1895 das Lehrerseminar. Den ersten Musikunterricht erhielt er privat. Ab 1895 studierte er an der Königlichen Akademischen Musikschule in Berlin. Zugleich arbeitete er als Organist an der Garnisonkirche in Spandau. 1898/99 studierte er in der Schweiz. 1899 wurde er Organist der Städtischen Hauptkirchen in Frankfurt/Oder und Dirigent der Singakademie. 1907 trat Zingel eine Stelle als Akademischer Musikdirektor an der Universität Greifswald an (besoldet als Lektor). Zugleich war er Organist an St. Nikolai, Dirigent des Städtischen Singvereins und Teildirigent am Stadttheater. 1915 erhielt er den Titel eines Königlichen Musikdirektors. Von 1915 bis 1917 leistete Zingel Kriegsdienst in Greifswald und wurde zum Unteroffizier befördert. 1920 gründete er die Greifswalder Musikfeste. Ab 1927 war er Direktor des Kirchenmusikalischen Seminars. Im März 1935 erlitt Zingel einen Schlaganfall und konnte sein Amt nicht mehr ausüben. Auf Antrag der Theologischen Fakultät wurde er 1936 zum Honorarprofessor ernannt und 1937 formal in den Ruhestand versetzt. Zingel gehörte seit 1906 der Freimaurerloge „Zum aufrichtigen Herzen“ an. Organisationen: ab Oktober 1933 NSV und NSKK Quellen: BA R 4901/13281 Karteikarte Zingel und 14770; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 248.

Außerplanmäßige Professoren Fichtner, Johannes (* 14. Juli 1902 Reichenbach (Oberlausitz); † 1. Juli 1962 Speyer) Vater: Superintendent Konfession: evangelisch uniert Fichtner besuchte die Volksschule in Reichenbach und das Pädagogium der Brüdergemeinde in Niesky. Ab 1922 studierte er Theologie in Breslau und Tübingen. Die Erste Theologische Prüfung legte er 1927 in Breslau ab. Danach besuchte er das Predigerseminar in Wittenberg. Mit einer Arbeit zum Alten Testament promovierte Fichtner 1929 in Breslau zum Lic. theol. Im selben Jahr legte er die Zweite Theologische Prüfung ab und erhielt einen Lehrauftrag an der Universität Greifswald, wo er vor allem die Sprachkurse

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übernahm. 1930 wurde er hier für alttestamentliche Wissenschaften habilitiert. Die Habilitationsschrift Die altorientalische Weisheit in ihrer israelitisch-jüdischen Ausprägung. Eine Studie zur Nationalisierung der Weisheit in Israel wurde erst 1933 gedruckt. Der Lehrauftrag Fichtners wurde 1934 auf theologische Hilfswissenschaften ausgedehnt. Den Titel eines außerordentlichen Professors erhielt er 1937, die Stelle eines außerplanmäßigen Professors 1939. Seit 1938 nahm Fichtner, der sich aus dem Kirchenkampf herausgehalten hatte, auch das Amt des Studentenpfarrers wahr. Mit Kriegsbeginn arbeitete Fichtner als stellvertretender Standortpfarrer und Lazarettseelsorger. Ende 1945 wurde er von der Universität entlassen, war aber ab Herbst 1946 wieder als Studentenseelsorger tätig. 1949 trat er eine Pfarrstelle in den Bodelschwingh’schen Anstalten Bethel in Bielefeld an. Von 1950 bis 1953 war er Leiter der Theologischen Hochschule Bethel, ab 1954 nahm er einen Lehrauftrag an der Pädagogischen Akademie Bielefeld wahr. Organisationen: DNVP; 1925 Stahlhelm, überführt in SA, 1934 Sturmmann; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.956.082; NSV, stellvertretender Blockwart; NSD-Dozentenbund, 1933 bis 1937 Kassenverwalter der Dozentenschaft Quellen: UAG PA 326 Fichtner; BA R 4901/13262 Karteikarte Fichtner, Mitgliedskarte Ortskartei; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 54.

Laag, Heinrich (* 12. April 1892 Boitzenburg (Mecklenburg); † 21. Dezember 1972 Marburg/Lahn) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch Das humanistische Gymnasium besuchte Laag in Landsberg/Warthe. Nach dem Abitur 1910 studierte er in Tübingen und Berlin Theologie. Nach dem Ersten Theologischen Examen arbeitete er ab 1914 als ziviler Erzieher an der Kadettenanstalt Oranienstein bei Diez. 1915 legte Laag das Zweite Theologische Examen ab. Ab 1916 war er Erzieher und Hilfsprediger an der Kadettenanstalt Lichterfelde (heute Berlin). Ab 1918 bekleidete er eine Pfarrstelle in Stojentin (Kreis Stolp, Pommern). Im November 1919 wurde er mit einer Schrift über die religiöse Entwicklung Ernst Moritz Arndts zum Lizentiaten der Theologie promoviert (gedruckt 1926). Ab 1922 arbeitete er als Pfarrer in Bünzow bei Greifswald. Mit einer Studie zur Entwicklung der altlutherischen Kirche in Pommern bis zum 19. Jahrhundert habilitierte er sich 1924 an der Universität Greifswald. Für die Teilnahme an Ausgrabungen in Tarragona (Spanien) erhielt er 1928 ein Stipendium. In den folgenden Jahren publizierte er zu Sarkophagen, Inschriften und Mosaiken. Außerdem unternahm er einen Rekonstruktionsversuch der frühchristlichen Basilika. 1930 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Greifswald. Im Jahr darauf wurde Laag zum Superintendenten auf Rügen ernannt. Probst in Cammin und Oberkonsistorialrat der Landeskirche wurde er 1933. In diesem Amt engagierte er sich zunächst für die Deutschen Christen, schwenkte

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dann aber auf den Kompromisskurs des Reichskirchenministeriums ein. Im Juni 1933 erhielt Laag den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors. 1938 gründete er die Kirchenmusikschule Finkenwalde bei Stettin. Zum außerplanmäßigen Professor wurde er 1939 ernannt. 1945 geflohen, übernahm Laag wenig später eine Pfarrstelle in Schlüchtern (Hessen). Dort gründete er eine Kirchenmusikschule und erhielt 1950 einen Lehrauftrag für Christliche Archäologie an der Universität Marburg. Seit 1953 Honorarprofessor, wechselte er auf die Pfarrstelle in Caldern. 1954 gründete Laag eine Zentralstelle für modernen Kirchenbau, die mit staatlicher und kirchlicher Unterstützung zu einer Lehr- und Forschungsstätte ausgebaut wurde. Organisationen: am 1. Mai 1933 NSDAP, Mitglied Nr. 1.948.239; Deutsche Christen Quellen: UAG PA 345 Laag; BA R 4901/13270 Karteikarte Laag; Fabricius, Ulrich: Heinrich Laag, in: NDB, Bd. 13, S. 358 f.; Klän, S. 230.

Dozenten Echternach, Helmut (* 20. März 1907 Waltersdorf, Kreis Heiligenbeil (Ostpreußen); † 25. Februar 1988 Hamburg) Vater: Pfarrer Konfession: evangelisch Das Gymnasium absolvierte Echternach in Königsberg. Er studierte von 1925 bis 1930 Evangelische Theologie, Philosophie und Indische Philologie in Königsberg, wo er 1928 mit einer Dissertation über den Begriff des Geistes bei dem Theologen und Philosophen Immanuel Hermann von Fichte (1796–1879) zum Dr. phil. promoviert wurde. Er setzte seine Studien in Basel, Berlin und Greifswald fort. 1929 legte er in Königsberg die Erste, 1932 in Stettin die Zweite Theologische Prüfung ab. In Greifswald wurde Echternach 1930 zum Lic. theol. promoviert und habilitierte sich am 18. April 1931 mit der Studie Der gegenwärtige Schriftbegriff (publiziert unter dem Titel Der reformatorische Schriftbegriff, seine ontologischen Wurzeln und sein Zerfall) für Systematische Theologie und Religionsphilosophie. Seit 1932 wirkte er als Hilfsprediger im Kreis Anklam, Braunsfelde bei Stettin, Gülzow bei Cammin und in Goddentow im Kreis Lauenburg, wo er am 1. Juli 1934 zum Pastor ernannt wurde. Für die Pfarrtätigkeit war Echternach seit November 1933 von der Fakultät beurlaubt. 1938 trat er eine Pfarrstelle an St. Marien in Stolp in Hinterpommern an und schied aus der Theologischen Fakultät aus. Echternach war von den Ideen Alfred Rosenbergs beeinflusst und publizierte zu „Rassenmystik und Christenglaube“ und zum Thema der „verborgenen Wahrheit“. Während des Zweiten Weltkrieges leistete Echternach 1939 und ab 1942 Kriegsdienst und geriet in britische Kriegsgefangenschaft. 1946 wurde

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er Pastor in Hamburg-Winterhude. An der Evangelischen Akademie Hamburg gründete Echternach 1947 den „Ökumenischen Aussprachekreis“, um die Gemeinsamkeiten zwischen Katholiken, Griechisch-Orthodoxen und Lutheranern auszuloten. Am Kirchlichen Vorlesungswerk, aus dem 1948 die Kirchliche Hochschule Hamburg hervorging, las er ab dem Sommersemester 1946 Praktische Theologie, Konfessionskunde, Neues Testament und Systematik. An der Kirchlichen Hochschule Hamburg wurde er am 17. Dezember 1948 zum nebenamtlichen Dozenten für Systematische Theologie ernannt, nach deren Auflösung übernahm er 1954 die Leitung der Kandidatenausbildung. An der neugegründeten Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Universität Hamburg nahm er ab dem Wintersemester 1954/55 einen Lehrauftrag für Systematische Theologie wahr. 1957 wurde er Pastor an der Kirche St. Petri in Hamburg, 1973 trat er in den Ruhestand. Echternach engagierte sich für die sogenannte hochkirchliche Bewegung. So initiierte er 1965 die St. Ansgar-Vespern, 1966 gründete er die St. Athanasius-Bruderschaft. Im Sommer 1966 erhielt er von der Apostolischen Sukzession in Genf die Bischofsweihe, 1970 übernahm er eine Professur für Systematische Theologie an der Europäischen Universität Amsterdam. Organisationen: 1933 Eintritt in die NSDAP, Nr. 2.148.064, Betätigung nach eigener Aussage: „Schulungsvorträge“ Quellen: UAG PA 370 Echternach; BA R 4901/13261 Karteikarte Echternach, PK B0442 Bild 1229: www.bautz.de.

Eger, Hans (* 2. März 1905 Insterburg; † 1944 (vermisst)) Vater: Rektor und Geistlicher Konfession: evangelisch Das Gymnasium besuchte Eger in Deutsch Eylau (Westpreußen). Er studierte ab 1922 in Greifswald Theologie und absolvierte 1926/27 das Predigerseminar in Berlin. Das Doktorexamen legte er 1929 ab. 1930 erhielt Eger eine Stelle als Studieninspektor am Predigerseminar Wittenberg. Ab dem Wintersemester 1932 war er nichtplanmäßiger Assistent am Kirchengeschichtlichen Seminar der Universität Greifswald. Die Promotion zum Lic. theol. wurde erst 1933 vollzogen, nachdem seine Dissertation über die Eschatologie des Kirchenvaters Augustinus veröffentlicht worden war. 1934 absolvierte er das Dozentenlager und habilitierte sich mit Studien zur Theologie und Geschichtsschreibung des Eusebius von Cäsarea (ca. 260 – ca. 339) für das Fach Kirchengeschichte. Seine Antrittsvorlesung hielt er über „Die ersten Ansätze zu einer politischen Theologie in der christlichen Kirche“. Mit der Zuteilung einer Pfarrstelle in Gristow wurde Egers wirtschaftliche Existenz gesichert. Die Ernennung zum beamteten Dozenten für Kirchengeschichte wurde trotz „warmer Befürwortung“ der Dozentenschaft 1939 nicht vollzogen. Eger meldete sich daher 1940 freiwillig zum Kriegsdienst. Seit August 1944 gilt er als vermisst. Vermutlich um Renten-

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ansprüche der Witwe zu begründen, wurde Eger 1946 von Rektor Lohmeyer zum außerplanmäßigen Professor ernannt. 1992 wurde Eger für tot erklärt. Organisationen: am 1. Februar 1931 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 484.388, Austritt im September 1932, der Austritt erfolgte laut Personalakte aus „finanziellen Gründen“; seit November 1933 SA-Mann Quellen: UAG PA 2596 Eger; R 4901/13262 Karteikarte Eger; PK B0446, Bild 2289, Auskunft des Standesamts Berlin.

Greeven, Heinrich (* 4. Oktober 1906 Thorn (Westpreußen); † 7. Juni 1990 Bonn) Vater: Garnisonspfarrer Konfession: evangelisch Nach dem Besuch des Gymnasiums in Bad Kreuznach studierte Greeven Theologie in Tübingen und Greifswald. 1930 legte er die Erste Theologische Prüfung in Koblenz ab und erhielt im Oktober dieses Jahres eine Stelle als Inspektor am Theologischen Studienhaus in Greifswald. Mit einer Dissertation über Gebet und Eschatologie im Neuen Testament promovierte er 1931 zum Lic. theol. Für das Fach Neues Testament wurde er im Mai 1933 mit einer Studie über Das Hauptproblem der Sozialethik in der neueren Stoa und im Urchristentum habilitiert. Seine Probevorlesung hielt er über „Die Lieder der ältesten Christen“. 1934 nahm er am ersten Dozentenlehrgang des SA-Hochschulamts in Zossen teil, ab 1935 absolvierte er regelmäßige Übeungen bei der Wehrmacht und wurde zum Reserveoffizier befördert. Die Zweite Theologische Prüfung legte Greeven 1936 in Stettin ab. Ab dem Wintersemester 1937 nahm er einen dotierten Lehrauftrag für Neues Testament an der Universität Heidelberg wahr. 1939 wurde er zum beamteten Dozenten ernannt. Im selben Jahr wurde Greeven eingezogen und zum Hauptmann befördert (ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz I. Klasse). 1945 geriet er in Kriegsgefangenschaft, aus der er im selben Jahr entlassen wurde. Im Oktober 1945 wurde er von der Universität als ehemaliger Nationalsozialist entlassen und trat eine Pfarrstelle in Wieblingen an. 1948 kehrte er als außerordentlicher Professor an die Universität Heidelberg zurück. Ab 1950 lehrte er an der Kirchlichen Hochschule in Bethel (bei Bielefeld) als Dozent. 1956 wurde Greeven auf eine ordentliche Professur für Neues Testament an der Universität Kiel berufen. Hier amtierte er 1960/61 als Rektor. 1964 wechselte er an die neugegründete Ruhr-Universität Bochum, wo er von 1965 bis 1967 das Rektoramt bekleidete. Greeven wurde 1972 emeritiert. Er wurde 1973 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet und mit einer Festschrift geehrt (Schrage, Wolfgang (Hg.): Studien zum Text und zur Ethik des Neuen Testaments, 1986). Greeven publizierte zu Spezialgebieten des Neuen Testaments und war Mitautor mehrerer Kommentare. Im Auftrag der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien leite-

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te er eine Expertenkommission, die Empfehlungen zur Berufstätigkeit der Frau aussprach (Die Frau im Beruf. Tatbestände, Erfahrungen und Vorschläge zu drängenden Fragen in der weiblichen Berufsarbeit und in der Lebensgestaltung der berufstätigen Frau, 1954). In Kiel und Bochum engagierte sich Greeven in der Hochschulpolitik. Sein Alterswerk war eine Synopse der drei ersten Evangelien. Mit Beigabe der johanneischen Parallelstellen (1981). Organisationen: 1933 Stahlhelm; im September 1933 Eintritt in die SA, Rottenführer im Nachrichtensturm 8/40; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.864.537 Quellen: UAG PA 373 Greeven; Theol. Diss./Habil. Nr. 11; BA R 4901/13264 Karteikarte Greeven; Eckart, Wolfgang Uwe und Volker Sellin (Hg.): Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus, Heidelberg 2006, S. 182 ; http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/ Dokument/ZLANIN7313.pdf?von=14&bis=14, letzter Zugriff: 21.5.2015.

Haendler, Otto (* 18. April 1890 Löwenhagen (Ostpreußen), † 12. Januar 1981 Berlin). Vater: Generalsuperintendent Konfession: evangelisch Haendler besuchte Schulen in Bromberg und Potsdam (Reifeprüfung 1908). Den Einjährig-freiwilligen-Militärdienst leistete er im Preußischen 5. Garderegiment zu Fuß. Er studierte ab 1909 Evangelische Theologie in Tübingen und Berlin und legte 1913 das Erste Examen ab. Danach setzte er die Ausbildung am Domkandidatenstift zu Berlin fort. 1914 wurde Haendler als Leutnant zum Kriegsdienst eingezogen (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Bei einem Heimaturlaub bestand er das Zweite Examen. Beim Kriegseinsatz an der Ostfront wurde Haendler 1915 schwer verwundet. Nach einem zweiten Lazarettaufenthalt wurde er felddienstuntauglich geschrieben und als Domhilfsprediger in Berlin angestellt. In Berlin wirkte er als Lazarettseelsorger, 1918 wurde er Standortpfarrer in Stralsund. 1919 erhielt Haendler eine Pfarrstelle in Gumtow (Priegnitz). 1925 wurde er Pfarrer an St. Nikolai zu Stralsund, hier wirkte er zugleich als Militärseelsorger. Mit einer Dissertation über die Christologie des lutherisch-orthodoxen Erlanger Theologen Franz Hermann Reinhold von Frank promovierte er im November desselben Jahres in Berlin zum Lic. theol. Seit 1927 gab Haendler homiletische und katechetische Seminare am Institut für Praktische Theologie der Universität Greifswald. Mit der Studie Die Idee der Kirche in der Predigt wurde er 1930 habilitiert. Ab 1931 leitete Haendler das Predigerseminar in Stettin-Kückenmühle. Da er dort 1933/34 Schwierigkeiten mit Kollegen bekam, die den Deutschen Christen angehörten, ermöglichte ihm die Theologische Fakultät die Rückkehr an die Universität. Sie forderte ihn für die Lehre an und übertrug ihm 1935 die Pfarrstelle in Neuenkirchen bei Greifswald, einer Patronatskirche der Universität. 1940 folgte die Ernennung zum beamteten Dozenten. Mit Fragen der Tiefenpsychologie beschäftigte sich Haendler seit dem Ende der zwanziger Jahre. Dabei lehnte er sich an die Auffassungen von Carl Gustav Jung an, mit dem

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ihn später eine intensive Brieffreundschaft verband. Um eine Zulassung als sogenannter Laienpsychologe zu erhalten, absolvierte er seit 1937 eine Weiterbildung am Deutschen Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie (Leitung Matthias Heinrich Göring). Das von ihm mehrfach überarbeitete Werk Die Predigt veröffentlichte Haendler 1941 (Neuausgaben 1949 und 1960). In dem Buch plädierte er für die Berücksichtigung tiefenpsychologischer Wirkungsmechanismen in der Homiletik. Obwohl das Buch nicht unumstritten blieb, wurde er dafür von der Universität Berlin 1943 mit einem Ehrendoktorat geehrt. Seit 1943 wirkte Haendler auch als Lazarettseelsorger. Im August 1945 wurde Haendler, der sich aus den kirchenpolitischen Tagesfragen herausgehalten hatte, zum außerordentlichen Professor für Praktische Theologie ernannt und im November 1946 zum ordentlichen Professor befördert. 1951 wurde er auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin berufen. 1959 trat er in den Ruhestand, hielt aber noch bis 1967 Vorlesungen. Da er im Ruhestand reisen durfte, besuchte er mehrfach C. G. Jung und arbeitete an seinem Spätwerk über die Meditation als Lebenspraxis (1977). Organisationen: Michaelsbruderschaft; NSLB; NSD-Dozentenbund; SA-Reserve II Quellen: UAG PA 336 Haendler; BA R 4901/13265 Karteikarte Haendler; www.bautz.de; Voigt, Kerstin: Otto Haendler – Leben und Werk. Eine Untersuchung der Strukturen seines Seelsorgeverständnisses, Frankfurt am Main u. a. 1993.

Schott, Erdmann (* 8. Dezember 1900 Geischen, Kreis Guhrau (Schlesien); † 9. Juni 1983 Halle (Saale)) Vater: Pfarrer Konfession: evangelisch Schott besuchte die Ritterakademie in Liegnitz und die Landesschule Pforta. Von Juni bis November 1918 wurde er als Soldat ausgebildet. Er studierte Theologie an den Universitäten Breslau, Greifswald, Berlin und Marburg. 1922 legte er das Erste 1926 das Zweite Examen ab und wurde mit einer Dissertation über Luthers Menschenbild (Fleisch und Geist nach Luthers Lehre unter besonderer Berücksichtigung des Begriffs „totus homo“, 1928) promoviert. Danach arbeitete er als Lehrer und Geistlicher in der Brüderanstalt „Zoar“ der Inneren Mission in Rothenburg/Oberlausitz. 1929 wurde er Pfarrer in Dersekow bei Greifswald (Patronatskirche der Universität Greifswald). 1930 habilitierte er sich für Systematische Theologie. 1939 wurde er zum Diätendozent ernannt und wenig später zur Luftnachrichtentruppe einberufen (ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse, befördert zum Oberleutnant). 1945 geriet Schott in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wurde im August 1945 entlassen und kehrte nach Greifswald zurück. Hier wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. 1953 wurde er auf eine ordentliche Professur an die Universität Halle berufen. Von 1963 bis 1974 war er zugleich wissenschaftlicher Leiter der Luther-Akademie Sondershausen (Nachfolge Rudolf Hermann).

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Organisationen: am 1. November 1933 Aufnahme in die SA, 1936 Austritt; bis 1937 Opferring der NSDAP Quellen: UAG PA 361 Schott; BA R 4901/13270 Karteikarte Schott; Wikipedia-Personeneintrag.

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Ordentliche Professoren Biermann, Wilhelm Eduard (* 16. Mai 1878 Bremen; † 11. Dezember 1937 Frankfurt am Main) Vater: Kommerzienrat, Großkaufmann Konfession: evangelisch-lutherisch Das Gymnasium absolvierte Biermann in Bremen. Danach studierte er ab 1897 Nationalökonomie, Philosophie, Rechtswissenschaft und Geschichte in Berlin, Leipzig, Caen und München. Mit einer nationalökonomischen Dissertation promovierte er 1901 in Leipzig zum Dr. phil. (Die deutsche Viehversicherung und ihre Reform). Seine Studien setzte er als Privatgelehrter in Bonn fort und habilitierte sich 1904 mit der Schrift Zur Geschichte und Kritik der individualistisch-atomistischen Staats- und Staatsinterventionslehre seit der Begründung der politischen Ökonomie als Wissenschaft an der Universität Leipzig für das Fach Nationalökonomie. Seine Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor folgte 1910. Während des Ersten Weltkriegs war Biermann in der Kriegsfürsorge in Leipzig tätig (ausgezeichnet mit dem Sächsischen Kriegsverdienstkreuz und dem Ritterkreuz I. Klasse des Albrechtordens). Ab 1917 vertrat er ein Ordinariat für Nationalökonomie an der TH Dresden. 1919 wurde er zum ordentlichen Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität Greifswald berufen und 1929 wegen Krankheit auf eigenen Wunsch hin emeritiert. Nach seiner Genesung lehrte er ab November 1929 als ordentlicher Honorarprofessor an der Universität Frankfurt. Dort wurde er 1933 mit der Verwaltung eines wirtschaftswissenschaftlichen Ordinariats betraut. Biermann setzte sich neben aktuell-politischen Problemen der Volkswirtschaft auch mit den Ideen des Marxismus und Kommunismus auseinander. Organisationen: 1934 Förderndes Mitglied der SS Quellen: UAG PA 377 Biermann; Professorenkatalog Leipzig: Biermann; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 21.

Fleck, Anton (* 1. November 1884 Kiel; † 19. Februar 1969 Wiesbaden) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch-lutherisch

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Fleck studierte seit 1902 Rechtswissenschaft an den Universitäten Kiel, Berlin, München, Tübingen und wieder Kiel. Den Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger leistete er 1908/09. Nach einer Studienreise durch Kanada promovierte er 1911 in Kiel mit einer Dissertation über Kanada – Volkswirtschaftliche Grundlagen und weltwirtschaftliche Beziehungen zum Dr. phil. Im selben Jahr erhielt er eine Assistentenstelle am Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Von hier aus unternahm er Studienreisen unter anderem nach Dänemark, Belgien, Frankreich, Österreich, Italien sowie in die Schweiz und die Türkei. Ab August 1914 leistete Fleck Kriegsdienst als Leutnant an der Westfront (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Nach einer überstandenen Typhuserkrankung wurde er 1915 als volkswirtschaftlicher Hilfsarbeiter zur Deutschen Zivilverwaltung in Brüssel versetzt. 1916 folgte die Berufung zum ordentlichen Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Istanbul. 1918 zurückgekehrt, erhielt er 1919 eine Stelle in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Kiel. 1920 arbeitete er kurze Zeit für die Reichszentrale für Heimatdienst in Berlin. Ab April 1920 war er Archivar des Bankhauses Mendelsohn & Co. in Berlin. Von 1922 bis 1934 arbeitete Fleck als Direktorial-Dezernent am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Die Universität Kiel ernannte ihn 1924 zum Honorarprofessor. 1935 folgte die Versetzung auf eine ordentliche Professur an die Universität Greifswald. Da Fleck als unbelastet eingestuft wurde, genehmigte die Landesregierung 1946 seine Weiterbeschäftigung und überstellte ihn der neuen Landwirtschaftlichen Fakultät. Zugleich hielt er Vorlesungen an der Universität Rostock. 1950 trat er in den Ruhestand Organisationen: 1934 NSV; 1946 Eintritt in die CDU Quellen: UAG PA 394 Fleck; BA R 4901/13264 Karteikarte Fleck; Dissertation; Kürschner.

Frommhold, Georg (* 20. Februar 1860 Landeck (Schlesien); 22. Januar 1943 Greifswald) Vater: Kreisrichter Konfession: evangelisch Frommhold studierte von 1881 bis 1884 Rechtswissenschaft an den Universitäten Breslau und Heidelberg und promovierte 1885 an der Universität Breslau mit einer Dissertation über das Anerbenrecht. Danach arbeitete er als Gerichtsassessor und habilitierte sich 1890 in Breslau mit einer Studie über die Widerspruchsklage in der Zwangsvollstreckung. Anschließend war Frommhold 1890/91 als Hilfsarbeiter im Preußischen Kultusministerium tätig, bis er 1892 eine außerordentliche Professur an der Universität Greifswald erhielt. Hier wurde er 1894 zum ordentlichen Professor befördert und amtierte 1909/10 als Rektor. 1911 wurde er mit einem Ehrendoktorat der University of St. Andrews ausgezeichnet, auf das er am 10. September 1914 demonstrativ verzichtete. Frommhold setzte seine Vorlesungen auch nach der Emeritierung 1925 fort.

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Frommhold verfasste einen Grundriss der Rechtsgeschichte (1894) und gab einen Quellenband über das rügische Landrecht heraus (1896), neben Schriften zum bäuerlichen Erbrecht legte er 1900 einen Kommentar zum Erbrecht im BGB vor, nach seiner Emeritierung forschte er zu historischen Themen, unter anderem zu der Idee der Gerechtigkeit in der bildenden Kunst (1926) und dem Erbhofrecht in Altfranken (1938). Organisationen: DNVP; Stahlhelm, 1934 überführt in SA-Reserve, 1937 entlassen Quellen: UAG PA 395 Frommhold, K Nr. 886, Bl. 151; R 4901/13263 Karteikarte Frommhold.

Hoffmann, Friedrich (* 13. Oktober 1880 Kiel; † 17. September 1963 Kiel) Vater: Rektor Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Hoffmann 1900 in Kiel ab. Er studierte Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft an den Universitäten Berlin und Kiel. Mit einer Dissertation über Geldwerttheorien promovierte er 1907 in Kiel zum Dr. phil. Er habilitierte sich 1910 mit einer wirtschaftsgeschichtlichen Studie über die englischen Sozialreformer Jeremy Bentham (1748–1832) und Adam Smith (1723–1790) an der Universität Kiel und trat eine Assistentenstelle am Staatswissenschaftlichen Institut an. 1911 wurde er wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Preußischen Kultusministerium. Den Professorentitel erhielt Hoffmann 1914, zugleich wurde er zum stellvertretenden Direktor des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel ernannt. 1915 nahm er den Ruf auf eine ordentliche Professur an der TH Hannover an, wechselte jedoch 1916 als ordentlicher Professor an die Universität Istanbul. Im Oktober 1918 zur Rückkehr gezwungen, nahm er wieder den Platz als stellvertretender Direktor des Instituts für Weltwirtschaft ein und wurde zum Honorarprofessor der Universität Kiel ernannt. 1922 wechselte er auf ein Ordinariat für Nationalökonomie an der Universität Rostock, 1924 nach Münster und 1931 auf eine ordentliche Professur für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität Greifswald. Aufgrund einer größeren personalpolitischen Rotation der Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaft wurde Hoffmann im Mai 1935 nach Münster versetzt. 1941 kehrte er an die Universität Kiel zurück, wo er eine ordentliche Professur für Staatswissenschaften annahm. Von der Besatzungsmacht wurde er 1946 zum kommissarischen Direktor des Instituts für Weltwirtschaft ernannt. Hoffmann wurde 1947 emeritiert. Organisationen: 1906 bis 1908 Liberaler Verein Kiel; 1909 bis 1911 „vielleicht“ einer Loge angehörend; 1933/34 NS-Juristenbund; 1934/35 NSV Quellen: UAG PA 2495 Hoffmann; BA R 4901/13266 Karteikarte Hoffmann; Gerken, Hannover, S. 207.

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Jahrreiß, Hermann (* 19. August 1894 Dresden; † 23. Oktober 1992 Köln) Vater: Prokurist Konfession: evangelisch-lutherisch Die Reifeprüfung legte Jahrreiß 1914 in Dresden ab. Er studierte Rechtswissenschaft an der Universität Leipzig, ab 1917 leistete er Garnisonsdienst bei der Artillerie in Dresden. Mit einer nichtveröffentlichten Dissertation über das Verhältnis der Krone zu den staatlichen Institutionen Sachsens im Jahr 1831 wurde er 1921 an der Universität Leipzig zum Dr. jur. promoviert. Im selben Jahr legte er das Referendarexamen ab. Danach war er Gerichtsassessor, ab 1922 Richter am Amtsgericht Leipzig. 1924 wurde er mit der Untersuchung Das Problem der rechtlichen Liquidation des Weltkriegs für Deutschland. Ein Beitrag zur Grundlehre vom Recht und zur Völkerrechtstheorie für die Fächer Rechtsphilosophie, Staatsrecht und Völkerrecht an der Universität Leipzig habilitiert. 1926 erhielt er den Professorentitel. Ein besoldetes Extraordinariat wurde ihm 1927 übertragen. Die Berufung zum ordentlichen Professor für Staatsrecht und Völkerrecht an der Universität Greifswald nahm Jahrreiß 1932 an. 1937 wechselte er an die Universität Köln. Dort amtierte er von 1939 bis 1942 und 1951/52 als Dekan der Juristischen Fakultät, von 1956 bis 1958 bekleidete er das Amt des Rektors und wurde 1962 emeritiert. Vor 1945 publizierte Jahrreiß vor allem zu den juristischen Folgen des Ersten Weltkriegs, wobei er seine Auffassung zur Notwendigkeit einer Revision zum Ausdruck brachte (Revisionskampf um Europa, 1934; Völkerrecht und Völkerfriede um Europa, 1937; Paris 1919 und Europa. Die Ordnungsversuche der atlantischen Weltmächte, 1943). Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess vertrat Jahrreiß gemeinsam mit dem angesehenen Strafrechtler Franz Exner den Angeklagten Alfred Jodl als Verteidiger. Dabei verfocht Jahrreiß zwei Grundsätze. Zum Ersten sei die Entscheidung zum Krieg nicht Sache der Soldaten, sondern der Politiker, in deren Auftrag Jodl als Chef des Wehrmachtführungsstabs mehrere Feldzüge geplant hatte. Zum Zweiten könne der Angriffskrieg als politisches Mittel nicht nachträglich zum Verbrechen erklärt werden. Mit dieser Auffassung wandte sich Jahrreiß gegen das Londoner Abkommen vom 8. August 1945, in dem die Grundsätze für den Prozess formuliert worden waren und das ausdrücklich festgelegt hatte, dass Handlungen, die bisher nicht strafbar gewesen waren, für strafwürdig erklärt werden konnten. Das Gericht folgte seiner Auffassung nicht, und Jodl wurde zum Tode verurteilt und gehenkt. Organisationen: laut eigenem Eintrag in der Dozentenkartei: „keine“ Quellen: UAG PA 2498 Jahrreiß; BA R 4901/13267 Karteikarte Jahrreiß; Kürschner; Catalogus professorum lipsiensium.

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Biographisches Lexikon

Juncker, Josef Namensform: Josef Josefovici (* 9. September 1889 Pitesti (Rumänien); † 18. Oktober 1938 Bonn) Vater: Kaufmann und Grundbesitzer Konfession: seit 1914 griechisch-orthodox Nach Privatunterricht im Elternhaus und der Absolvierung evangelischer Gymnasien in Bukarest und Halle (Saale) studierte er Alte Sprachen und legte 1913 die Reifeprüfung ab. Er studierte seit 1908 Rechtswissenschaft in Berlin und Leipzig. 1910/11 leistete er Wehrdienst in der rumänischen Armee und wurde 1913 zum Kriegsdienst eingezogen (Rumänien gegen Bulgarien). Als Kriegsfreiwilliger meldete er sich 1914 zum Leipziger Ulanenregiment. Er wurde 1915 eingebürgert und zum Vizewachtmeister befördert. Während eines Fronturlaubs legte Juncker in Leipzig die Erste Juristische Staatsprüfung ab. Er wechselte zur Feldartillerie und wurde in der Schlacht an der Somme 1916 verwundet. Nach dem Kriegsausbruch gegen Rumänien änderte er seinen Namen in Juncker. Zum Reserveoffizier befördert wurde Juncker 1917 und gleichzeitig zur Dolmetscherschule nach Berlin kommandiert. Nach der Entlassung aus dem Heeresdienst war er zunächst Privatgelehrter in Leipzig, An den mitteldeutschen Kämpfen gegen die Spartakisten nahm er als Zeitfreiwilliger teil. Mit einer Dissertation über eine spätmittelalterliche Gesetzsammlung promovierte Juncker 1921 an der Universität Leipzig zum Dr. jur. 1926 habilitierte er sich an der Universität Königsberg mit einer Schrift über Haftung und Prozessbegründung im altrömischen Rechtsgang. Juncker arbeitete danach für die Redaktion der Monumenta Germaniae Historica und nahm ab 1926 einen Lehrauftrag für Bürgerliches Recht, Zwangsvollstreckung und Konkurs, später für Römisches Recht, Deutsches Bürgerliches Recht und Zivilprozess an der Universität Bonn wahr. Die Universität Greifswald berief Juncker im Oktober 1932 zum persönlichen ordentlichen Professor für Römisches und Deutsches Bürgerliches Recht sowie Zivilprozessrecht. Im September 1934 setzte sich die Fakultät ausdrücklich dafür ein, Juncker trotz seiner jüdischen Abstammung ein planmäßiges Ordinariat zu übertragen. Im September 1935 wurde Junker vom Lehramt beurlaubt und 1936 in den Ruhestand versetzt. Nachdem ihm 1938 ein undotierter Forschungsauftrag entzogen und damit der Zugang zu Bibliotheken und Archiven verwehrt wurde, tötete sich Juncker selbst. Organisationen: 1917/18 Vaterlandspartei; Organisation Escherich, Mitglied Nr. 51.990 Quellen: UAG PA 448 Juncker, K 734; R 4901/13267 Karteikarte Juncker.

Kähler, Wilhelm (* 5. Februar 1871 Halle; † 16. Februar 1934 Greifswald) Vater: Universitätsprofessor Konfession: evangelisch

8.2 Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät

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Kähler besuchte das Stadtgymnasium und die lateinische Hauptschule der Francke’schen Stiftungen in Halle (Reifeprüfung 1888). Sein, wie er in einem Lebenslauf schrieb, „lebhaftes Interesse für politische Fragen“ bewog Kähler, Nationalökonomie zu studieren. Zunächst begann er jedoch in Halle Jura zu studieren, wandte sich verstärkt der Staatswissenschaft zu. 1890 unterbrach er das Studium für eine landwirtschaftliche Ausbildung. Er setzte seine Studien der Nationalökonomie an der Universität Berlin fort, 1891 kehrte er nach Halle zurück. 1892 legte er die Erste Juristische Staatsprüfung ab und wurde Referendar am Amtsgericht Alsleben. 1893 promovierte er zum Dr. jur. Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger leistete er 1893/94. Die weitere Ausbildung erfolgte am Landgericht Halle. 1886 promovierte Kähler zum Dr. phil. mit einer Arbeit über das Gesindewesen in Deutschland und suchte um Entlassung aus dem Justizdienst nach. In Berlin und Halle befasste er sich mit finanzwissenschaftlichen Studien, 1897 habilitierte er sich an der Universität Halle mit der Schrift Die preußischen Kommunalanleihen unter besonderer Berücksichtigung einer Zentralisation des Kommunalkredits. 1901 erhielt er einen Ruf an die Technische Hochschule Aachen. Hier widmete er sich neben wirtschaftshistorischen Studien (Entwicklung der Arbeitsschutzgesetzgebung, Geschichte des Aachener Vereins zur Beförderung der Arbeitsamkeit, Frühzeit der Firma Krupp) auch Fragen der Studienorganisation (Nationalökonomie und Ingenieursausbildung, 1906; Leitfaden über das Studium an der Handelshochschule, 1907). 1914 erhielt Kähler einen Ruf auf ein Ordinariat an der Universität Greifswald, leistete jedoch zunächst Kriegsdienst und nahm als Hauptmann der Infanterie an den Kämpfen an der Westfront (unter anderem Schlacht von Verdun) teil (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse). 1917 wurde er nach mehrmaliger Erkrankung zum Reichsamt des Inneren kommandiert. In Greifswald amtierte Kähler als Rektor und versuchte das Gedenken an die Kriegstoten fest an der Universität zu verankern. Politisch engagierte sich Kähler in der Deutschnationalen Volkspartei und war 1919 Mitglied der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung. Auf dem Gebiet der Wissenschaftspolitik versuchte er den Rang der Universitäten zu wahren und übte deutliche Kritik an der sozialdemokratischen Bildungspolitik. Zugleich trieb er die Profilierung Greifswalds als Universität der Provinz voran. Im Oktober 1932 zögerte er nicht, im Reichskommissariat Papen für das Land Preußen die Zuständigkeit für Unterricht und Hochschulen zu übernehmen. Im Februar 1933 wurde er in dieser Funktion durch Bernhard Rust, den späteren Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung abgelöst. In seine Amtszeit fielen zahlreiche Auseinandersetzungen an den Universitäten, in denen Kähler geschickt vermittelte. Im Konflikt um den Breslauer Professor Ernst Josef Cohn erreichte er ein vorübergehendes Stillhalten der Nationalsozialisten, die Hochschulrektorenkonferenz verweigerte Kähler jedoch – und nicht nur in diesem Fall – den Rückhalt, so dass ihm ein erfolgreiches Agieren versagt blieb.

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Organisationen: DNVP bis zur Auflösung der Partei Quellen: UAG PA 410 Kähler; UAH Rep. 21 Abt. III Nr. 143; Heiber, Teil 1, S. 124 ff.

Klingmüller, Fritz (* 8. September 1871 Strehlen (Schlesien); † 24. April 1939 Berlin) Vater: Kreistierarzt Konfession: evangelisch, 1931 aus der Kirche ausgetreten Klingmüller studierte ab 1890 Rechtswissenschaft an den Universitäten Breslau und Halle. Den Vorbereitungsdienst absolvierte er in Berlin, das Zweite Staatsexamen legte er 1899 ab und war danach Gerichtsassessor in Niesky. 1900 wurde er in Breslau mit einer Studie zur Deliktsfähigkeit juristischer Personen zum Dr. jur. promoviert. Bereits 1901 habilitierte er sich an der Universität Breslau für Römisches und Bürgerliches Recht mit einer Schrift Über den Begriff des Rechtsgrundes. 1907 wurde er zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt, 1908 erhielt er einen besoldeten Lehrauftrag. 1910 folgte die Ernennung zum außerplanmäßigen verbeamteten Professor. Im selben Jahr veröffentlichte er eine Untersuchung über die Idee des Staatseigentums im Römischen Reich. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete sich Klingmüller freiwillig zum Landsturm und diente an der Ostfront, zuletzt als Hauptmann (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). 1916 nahm er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Bürgerliches und Römisches Recht an der Universität Greifswald an. Er konnte dem Ruf jedoch erst 1917 folgen, weil er im Lazarett behandelt wurde. In Greifswald positionierte sich Klingmüller öffentlich gegen rechtsextremistische und revisionistische Bestrebungen und bekannte sich ausdrücklich – und im Namen der Universität – zur Außenpolitik der Reichsregierung. Am 2. Mai 1933 wurde er als exponierter Demokrat gemeinsam mit Konrat Ziegler per Drahterlass beurlaubt und im Oktober 1933 entlassen (aufgrund § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, im Januar 1934 auf Bitten der Universität umgewandelt in § 6, was eine günstigere Regelung der Pension zur Folge hatte). Wissenschaftlich befasste sich Klingmüller mit zahlreichen Aspekten des Römischen und Bürgerlichen Rechts. Dabei vermischte er historische und dogmatische Ansätze und machte sie zum Beispiel für das Vereinsrecht und das Recht der Obligationen fruchtbar. Organisationen: keine Parteimitgliedschaft, engagiert in demokratischen Vereinen Quellen: UAG PA 409 Klingmüller; Lübtow, Ulrich von: In Memoriam, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Bd. 60, Romanistische Abteilung, 1940, S. 340–346.

Köttgen, Arnold (* 22. September 1902 Bonn; † 10. Februar 1967 Göttingen) Vater: Vortragender Rat im Justizministerium Konfession: evangelisch

8.2 Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät

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Köttgen besuchte die Vorschule des Bismarck-Gymnasiums und das Bismarck-Gymnasium in Berlin-Wilmersdorf, wo er 1920 die Reifeprüfung ablegte. Er studierte Rechtswissenschaft in Marburg, Graz, München und Jena. Hier legte er 1923 die Staatsprüfung ab und promovierte 1924 an der Universität Berlin zum Dr. jur. Danach wurde er in den Verwaltungen der Regierungspräsidien Frankfurt/Oder und Potsdam beschäftigt. 1927 arbeitete er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter des Deutschen Landkreistages. 1928 habilitierte er sich an der Universität Jena für Staats- und Verwaltungsrecht. 1931 erhielt er eine ordentliche Professur für Öffentliches Recht an der Universität Greifswald. Sofort nach der Machtergreifung der NSDAP stellte sich Köttgen dem Regime zur Verfügung und strukturierte die Verwaltungsakademie der Provinz neu. Zum Standardwerk wurde sein Lehrbuch des Verwaltungsrechts. Da er keinen Wehrdienst geleistet hatte, meldete sich Köttgen 1934 als „Ergänzungsführer“ beim Infanterieregiment Stettin und setzte die militärische Ausbildung später in Übungen fort. Ab 1937 amtierte er als Dekan der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät. Im Oktober 1939 meldete sich Köttgen zum Dienst in der Zivilverwaltung des neueingerichteten Regierungsbezirks Kattowitz, wo er für Polizeifragen zuständig war. In dieser Funktion gestaltete er das Polizeirecht im eroberten Osten mit. Köttgen betrieb seine Rückkehr in die Wissenschaft erfolgreich und wurde 1943 an die Wirtschaftshochschule Berlin berufen, war aber zunächst weiter in Oberschlesien tätig. 1945 war er als Gartenarbeiter im Botanischen Institut der Universität Greifswald angestellt, wurde verhaftet und an Polen überstellt. 1949 aus der Gefangenschaft entlassen, übernahm er das Verfassungsreferat im Bundesinnenministerium in Bonn. 1951 erhielt Köttgen einen Ruf an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und wechselte 1952 als Ordinarius an die Universität Göttingen. Köttgen gestaltete das deutsche Verwaltungsrecht im 20. Jahrhundert maßgeblich mit und verstand es geschickt, es den politischen Vorgaben anzupassen. Organisationen: im November 1933 Eintritt in die SA, 1934 wegen Arbeitsüberlastung ausgeschieden; im Februar 1934 Eintritt in den NS-Juristenbund; NSV; 1933 Deutsche Christen, 1934 ausgeschieden; 1940 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 7.531.513 Quellen: UAG PA 407 Köttgen; BA R 4901/13268 Karteikarte Köttgen, Mitgliedskarte Ortskartei; Stolleis, Michael: Köttgen, Arnold, in: NDB, Bd. 12, S. 412 f.

Küchenhoff, Günther (* 21. August 1907 Breslau; 13. Februar 1983 Würzburg) Vater: Landmesser, Reichsbahnrat Konfession: evangelisch Küchenhoff erhielt zunächst Privatunterricht und besuchte später ein Gymnasium. Nach dem Abitur (1925) studierte er Rechtswissenschaft, Philosophie und Nationalökonomie an der Universität Breslau. 1929 promovierte er mit einer Dissertation über die

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Erhebung von Beiträgen nach dem Preußischen Kommunalabgabengesetz. Nach 1930 war er mehrfach Fakultätsassistent an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Breslau, strebte zunächst aber eine Laufbahn als Richter an und wurde sehr rasch zum Amtsgerichtsrat und Landgerichtsrat befördert. Am Landgericht Breslau leitete er die Gemeinschaftsausbildung der Rechtsreferendare. 1936 wurde er zum Hilfsrichter am Oberlandesgericht Breslau befördert, gleichzeitig war er deutscher Schiedsrichter beim Oberschlesischen Schiedsgericht. 1937 war er vom Justizministerium an die Akademie für Internationales Recht in Den Haag abgeordnet. Küchenhoff plädierte in Bekenntnisschriften für die volkstümliche und rassegebundene Auslegung des Rechts (Nationaler Gemeinschaftsstaat. Volksrecht und Volksrechtsprechung, 1934) und äußerte sich zu Führung und Verwaltung im „Dritten Reich“ (1936). Außerdem veröffentlichte er einen Überblick über die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1936 (1937). 1939 wurde Küchenhoff habilitiert und zum Dozenten ernannt. Wegen eines Beinleidens war Küchenhoff nur bedingt kriegsdienstverwendungsfähig und wurde 1942 als Vermittlungsfernsprecher bei der Flak in Breslau eingesetzt. Ab 1942 vertrat er den Lehrstuhl für Öffentliches Recht in Greifswald (Nachfolge Rühland) und wurde wenig später berufen. Zugleich war er Richter am Oberlandesgericht Stettin. Im November 1944 wieder zur Flak eingezogen, geriet er in Gefangenschaft. Von der Universität wurde er im November 1945 entlassen. Ab 1946 arbeitete er als Anwalt in Nordrhein-Westfalen und war als Syndikus für ärztliche Organisationen tätig. 1956 erhielt er eine oordentliche Professur für Öffentliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht sowie Rechtsphilosophie an der Universität Würzburg, wo er 1976 emeritiert wurde. Seit seiner Berufung nach Greifswald wadte sich Küchenhoff dem zwischenstaatlichen Recht zu, unter anderem versuchte er die Begriffe „Macht“ und „Recht“ in Großräumen zu definieren (Großraumgedanke und völkische Idee im Recht, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht, Nr. 12, 1944, S. 34–82). Von diesen Ordnungsgedanken ausgehend versuchte Küchenhoff später, Rechtsgrundsätze für den Weltraum zu entwickeln. Zum Erfolg wurde seine Allgemeine Staatslehre, die zwischen 1950 und 1977 in acht Auflagen erschien. Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 1.972.371; Gauamtswalter des NS-Rechtswahrerbundes Quellen: UAG PA 1406 Küchenhoff; Dissertation; BA Mitgliedskarte Ortskartei; WikipediaPersoneneintrag; Kürschner.

Langen, Arnold (* 5. Juni 1872 Münster; † 1. April 1939 Greifswald) Vater: Professor Konfession: altkatholisch Langen besuchte das humanistische Gymnasium in Münster. Ab 1891 studierte er

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Rechtswissenschaft in Freiburg, Bonn, Halle und Marburg. Nach der Ersten Staatsprüfung 1893 und der Promotion zum Dr. jur. an der Universität Marburg absolvierte er den Einjährig-freiwilligen-Militärdienst in einem Feldartillerieregiment. Danach folgten verschiedene Referendarstationen, unter anderem am Oberlandesgericht Kassel und im Regierungsbezirk Hannover (Zweite Staatsprüfung 1899). Außerdem qualifizierte er sich für den Militärverwaltungsdienst. 1900 habilitierte sich Langen an der Universität Marburg für das Fach Handelsrecht. 1902 folgte die Umhabilitierung für Römisches Recht, Bürgerliches Recht und Handelsrecht an die Universität Münster. 1904 erhielt Langen einen Lehrauftrag an der Universität Greifswald. Der Professorentitel folgte 1905 und 1910 wurde er zum planmäßigen außerordentlichen Professor ernannt. Während des Ersten Weltkriegs war Langen als Lazarettinspektor und ab 1916 als Lazarettoberinspektor in Greifswald eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse am schwarzweißen Band). 1919 folgte die Ernennung zum persönlichen ordentlichen Professor. 1925 erhielt Langen ein planmäßiges Ordinariat. Langens eigentliches Forschungsgebiet war das Recht der Wertpapiere. Langen wurde 1937 emeritiert und vertrat sich bis zu seinem Tod durch einen Herzschlag selbst. Organisationen: Kyffhäuserbund; von Juli 1933 bis Mai 1934 Stahlhelm Quellen: PA 412 Langen; BA R 4901/13270 Karteikarte Langen; UAG R. 845, Bl. 137.

Löning, George (* 7. März 1900 Bremen; † 15. Februar 1946 bei Kuibyschew (UdSSR)) Vater: Oberstaatsanwalt Konfession: evangelisch-reformiert Nach der Reifeprüfung 1918 am alten humanistischen Gymnasium in Bremen wurde Löning zum Kanonier ausgebildet, jedoch nicht mehr eingesetzt. Er studierte Rechtswissenschaft an den Universitäten Marburg, Freiburg, Göttingen und Jena. Das Referendariat absolvierte er in Bremen und Jena, wo er 1923 mit einer Dissertation über die Grundstücksmiete als dingliches Recht zum Dr. jur. promovierte. Das Assessorexamen legte er 1926 ab. 1925 trat Löning als Assistent in das Institut für Wirtschaftsrecht an der Universität Jena ein. Mit einer Studie über die Rechtsgültigkeit der Sprüche von Arbeitnehmerkammern habilitierte er sich 1929 an der Universität Kiel und erhielt hier einen Lehrauftrag für Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Handelsrecht. Auf ein planmäßiges Extraordinariat an der Universität Greifswald wurde er 1934 berufen. Die Beförderung zum ordentlichen Professor folgte 1938. An die Universität Münster wechselte er 1941. 1944 wurde Löning als Dolmetscher für nordische Sprachen zur Wehrmacht eingezogen. Bei Berlin geriet er 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft, in der er verstarb. Löning forschte zur deutschen und hansischen Rechtsgeschichte. 1937 legte er eine umfassende Darstellung des Münzrechts im Erzbistum Bremen vor, die sich mit den Kom-

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plikationen der fiskalischen Währungspolitik der städtischen Herrschaft und den bargeldlosen Zahlungen der Kaufleute befasste. Organisationen: 1928/29 Mitglied der DDP, Austritt; 1934 Eintritt in die SA, Sturmmann im Reitersturm 114, NSLB; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.957.770 Quellen: UAG PA 2670 Löning; BA R 4901/13270 Karteikarte Löning, Mitgliedskarte Ortskartei; Richter, Walther: Löning, George, in: NDB, Bd. 15, S. 49 f.

Merkel, Paul (* 18. September 1872 Rostock; † 10. Dezember 1943 München) Vater: Universitätsprofessor Konfession: evangelisch-lutherisch Der Sohn des Anatomen Friedrich Merkel wurde zunächst privat unterrichtet. Gymnasien besuchte er in Königsberg und Göttingen, wo er auch das Studium der Rechtswissenschaften begann. Er absolvierte 1891/92 den Einjährig-freiwilligen-Militärdienst bei der Infanterie und setzte seine Studien in München fort. 1894 legte er die Erste Staatsprüfung ab. Einen Teil des Referendariats absolvierte er am Landgericht Nürnberg und schloss seine Ausbildung zum Reserveoffizier ab (1896 befördert zum Leutnant). 1896 promovierte er an der Universität Göttingen mit einer Dissertation über das Begehen durch Unterlassung zum Dr. jur. Sein Referendariat setzte er am Bezirksamt Traunstein und in der Polizeidirektion München sowie in einer Münchner Rechtsanwaltskanzlei fort und schloss es mit der Zweiten Staatsprüfung ab. 1900 habilitierte er sich an der Universität Marburg mit einer Untersuchung über die Entwicklung des Urkundenbegriffs im Strafrecht (erweitert: Die Urkunde im deutschen Strafrecht. Eine historische und kritisch-dogmatische Untersuchung, München 1902). 1906 wurde er als außerordentlicher Professor an die Universität Königsberg berufen, 1909 wechselte er an die Universität Greifswald, wo er ab 1913 als planmäßiger außerordentlicher Professor für Straf- und Strafprozessrecht wirkte. 1916 folgte die Ernennung zum ordentlichen Professor für Strafrecht und Zivilprozessrecht. Obwohl Merkel 1912 als Hauptmann zur Landwehrreserve II versetzt wurde, ließ er sich reaktivieren und leistete als Kompanie- und Bataillonsführer ab 1914 Kriegsdienst an der Westfront. Er nahm an den Stellungskämpfen in der Champagne und vor Verdun teil und wurde mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und dem Mecklenburgischen Kriegsverdienstkreuz I. Klasse ausgezeichnet. Im Mai 1918 deaktiviert, kehrte er nach Greifswald zurück. 1927 legte er einen stark nachgefragten Grundriss des Strafrechts vor. 1934 wurde Merkel wegen seines jüdischen Großvaters mütterlicherseits von den Referendarprüfungen ausgeschlossen. Wegen dieser Demütigung bat er 1936 um seine vorfristige Entpflichtung, die ihm gewährt wurde. Organisationen: – Quellen: UAG PA 421 Merkel; BA R 4901/13271; www.merkelstiftung.de/.

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Molitor, Erich (* 3. Oktober 1886 Göttingen; † 24. Februar 1963 Wiesbaden) Vater: Bibliotheksdirektor Universität Münster Konfession: römisch-katholisch Zunächst erhielt Molitor Privatunterricht, danach besuchte er das Gymnasium in Münster. Er studierte Rechtswissenschaft in Lausanne, Straßburg, München, Berlin und Münster. In Münster wurde er 1910 mit einer Dissertation zur Stellung der Freien nach dem Sachsenspiegel promoviert. Während der üblichen Referendariatslaufbahn habilitierte er sich dort 1914 mit einer Schrift über den Stand der Ministerialen für die Fächer Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht. 1915 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger zum Landsturm und wurde ab 1915 bei verschiedenen Intendanturen eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Eine Lehrstuhlvertretung in Marburg nahm er 1920 wahr. Gleichzeitig war er als Landrichter tätig. 1922 wurde er als außerordentlicher Professor für Rechtsgeschichte an die Universität Leipzig berufen. Hier profilierte er sich für das noch neue Gebiet des Arbeitsrechts (Das Wesen des Arbeitsvertrags, 1925; Die Kündigung, 1935) und erhielt 1930 eine ordentliche Professur an der Universität Greifswald. Die Berufung Molitors nach Halle wurde 1937 vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung mit der Begründung abgelehnt, dass er der katholischen Soziallehre nahestehe. 1946 wurde Molitor für die britische und französische Zone entnazifiziert und vertrat sofort einen Lehrstuhl an der Universität Köln. Im Juni 1946 nahm er einen Ruf an die Universität Mainz an. Dort wirkte er als ordentlicher Professor für Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht und wurde 1954 emeritiert. Ab 1948 war er ehrenamtlicher Präsident des Obersten Arbeitsgerichts im Land Rheinland-Pfalz. Neben seinen wegweisenden Studien zum Arbeitsrecht veröffentlichte er nach dem Zweiten Weltkrieg zwei Kurzlehrbücher zur Verfassungsgeschichte und zur Geschichte des Privatrechts. Organisationen: 1934 NS-Rechtswahrerbund; zum 1. Januar 1940 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 7.370.596; NSD-Dozentenbund Quellen: UAG PA 417 Molitor; BA R 4901/13272 Karteikarte Molitor, Mitgliedskarte Ortskartei; Schlosser, Hans: Molitor, Erich, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 17, S. 726.

Muhs, Karl (* 23. Dezember 1891 Berlin; † 17. Oktober 1954 Berlin) Konfession: evangelisch Vater: Kaufmann Nach dem Abschluss der Volksschule besuchte Muhs ein Lehrerseminar. Von 1911 bis 1914 arbeitete er als Lehrer, studierte dann aber an der Universität Berlin Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. 1917 legte er extern die Reifeprüfung am Realgymnasium Stargard ab und immatrikulierte sich an der Universität Jena. Dort wurde er 1919 mit einer Disser-

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tation über Begriff und Funktion des Kapitals promoviert, in der er auch einen Versuch der Neubegründung der Kapital- und Zinstheorie unternahm. Im selben Jahr wurde er hier Assistent und konnte sich 1921 mit der Studie Materielle und psychische Wirtschaftsauffassung. Versuch einer Begründung des Identitätsprinzips der Wirtschaftstheorie habilitieren. 1923 wurde er zunächst auf ein Extraordinariat an die Handelshochschule Nürnberg berufen und erhielt im Dezember desselben Jahres ein Ordinariat an der Universität Greifswald. Nachdem er 1933 mit der Vertretung des vakanten staatswissenschaftlichen Lehrstuhls an der Universität Halle beauftragt worden war, wurde er 1934 dort berufen. Er amtierte als Direktor des Staatswissenschaftlichen Seminars und mehrfach als Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. Für seine Vortragstätigkeit bei der Luftwaffe erhielt er 1944 das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse. Im Oktober 1945 wurde Muhs von der Universität Halle entlassen. Zunächst als Schriftsteller, dann mit Forschungsauftrag wissenschaftlich tätig, erhielt Muhs ab 1947 Angebote für Lehrstühle in den westlichen Besatzungszonen. Doch erst 1951 nahm er den Ruf auf eine Professur für Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität in Berlin-Dahlem an. Organisationen: 1918 Eintritt in die DDP; von 1929 bis 1933 Mitglied der DVP; Aufnahme in die NSDAP am 1. Mai 1937 (Mitglied Nr. 4.979.096); im August 1945 Eintritt in die LDP Quellen: UAH Rep. 6 Nr. 1407, UAH PA 11776 Muhs, UAG PA 2686 Muhs; Kürschner; Schriften.

Peters, Karl (* 23. Januar 1904 Koblenz; † 2. Juli 1998 Münster) Vater: Jurist, später Kurator der Universität Münster Konfession: katholisch Nach dem Abitur in Münster studierte Peters Rechtswissenschaft in Königsberg, Leipzig und Münster, wo er das Erste Staatsexamen ablegte. 1926 besuchte er die Akademie für Internationales Recht in Den Haag. Mit einer Dissertation über die verfassungsrechtliche Stellung der nichtparlamentarischen Kammern promovierte er 1927 an der Universität Münster zum Dr. jur. Nach dem Staatsexamen 1929 war er in Staatsanwaltschaften tätig, 1930 erhielt er eine Assistentenstelle an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster. Er habilitierte sich jedoch 1931 an der Universität Köln mit einer Studie über die kriminalpolitische Stellung des Strafrichters bei der Bestimmung der Strafrechtsfolgen. In Jahr danach wurde er zum Staatsanwalt ernannt und später zum Staatsanwaltschaftsrat befördert. 1936 und 1937 absolvierte Peters Wehrmachtsübungen, ohne jedoch einen höheren Dienstgrad zu erlangen. Ab 1937 vertrat Peters einen Lehrstuhl für Strafrecht an der Universität Jena, wurde als Katholik aber vehement abgelehnt. Im Juli 1938 verzichtete er wegen der hinhaltenden Taktik der Universität auf die Fortführung der Berufungsverhand-

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lungen. Das Wissenschaftsministerium verlieh ihm im selben Jahr jedoch den Professorentitel und ernannte ihn 1939 zum außerplanmäßigen Professor der Universität Köln. 1941 folgte die Beförderung durch das Justizministerium, das ihn zum Ersten Staatsanwalt beim Oberlandesgericht Köln ernannte. Nach Fürsprache von Kollegen wurde Peters 1942 auf eine ordentliche Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Greifswald berufen (Nachfolge Bruns). Später wurde die Lehrbefugnis auf die Fächer Strafverfahrensrecht und Kriminologie erweitert. Am 2. August 1945 wurde Peters von Rektor Lohmeyer zum Direktor des Seminars für Kriminalwissenschaft ernannt. Im März 1946 folgte die Entlassung durch die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern. Kurz danach nahm er den Ruf auf eine ordentliche Professur an der Universität Münster an. Nebenamtlich war er als Richter am Oberlandesgericht Hamm tätig. 1962 wechselte Peters an die Universität Tübingen, wo er eine Forschungsstelle für Strafprozess und Strafvollzug gründete. Von der Bundesregierung wurde er mit der Aufklärung von Justizirrtümern beauftragt. Das dreibändige Werk über Fehlerquellen im Strafprozess (1970–1974) gilt, so die Neue Deutsche Biographie, als „Jahrhundertwerk“. Nach der Emeritierung kehrte er nach Münster zurück, wo er weiterhin lehrte und forschte. 1993 hielt Peters einen Vortragszyklus an der Universität Greifswald zu seinem, so die Wikipedia, „Lebensthema“ der Beweiswürdigung im Strafprozessrecht. Organisationen: von November 1933 bis November 1934 SA; seit 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP, Mitglied Nr. 2.099.184; stellvertretender Leiter der Ortsgruppe Blankenheimplatz des BNSDJ; Pressereferent und Obmann einer Arbeitsgemeinschaft im BNSDJ bzw. NSRB; NS-Dozentenbund; NSV Quellen: UAG PA 429 Peters; UAG K 354, Bl. 64; BA R 4901/23943, Bl. 57; Thiedemann, Klaus: Peters, Karl Albert Josef, in: NDB, Bd. 20, S. 241 f.; Wikipedia-Personeneintrag.

Preyer, Wilhelm Dietrich (* 6. Mai 1877 Düsseldorf; † 19. März 1959 Berlin) Vater: Kunstmaler Konfession: evangelisch Der aus einer wohlhabenden Künstlerfamilie stammende Wilhelm Dietrich Preyer studierte nach dem Abitur zunächst in Lausanne (Schweiz). 1895 trat er in das preußische Heer ein. Die Offizierslaufbahn musste er 1904 infolge einer Dienstverletzung beenden. Er studierte jetzt Rechtswissenschaft und Nationalökonomie in Greifswald, Cambridge, Königsberg und Moskau. Das Referendariat absolvierte er 1907. Mit einer Dissertation über das russische Zuckersyndikat wurde er 1908 an der Universität Königsberg zum Dr. phil. promoviert und trat eine Hilfsarbeiterstelle im Reichsschatzamt an. Im Jahr darauf wurde er Sektionschef am Internationalen Landwirtschaftsinstitut in Rom. An der Universität Greifswald folgte 1911 die Promotion zum Dr. jur. mit einer Dissertation über Die Genos-

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senschaften in der italienischen Gesetzgebung. Mit einer Schrift über die russische Agrarreform habilitierte sich Preyer 1913 an der Universität Freiburg für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft und lehrte dort als Privatdozent. Noch im selben Jahr wechselte er nach Straßburg. 1914 eingezogen, wurde er als Dolmetscher und Ordonnanzoffizier beim I. Armeekorps verwandt und in der Schlacht bei Tannenberg verwundet. Ab 1915 war er beim Stab des Oberbefehlshabers Ost (Ludendorff) eingesetzt (befördert zum Hauptmann, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und weiteren hohen Auszeichnungen). Später (1916/17) wurde er in der Militär, später Zivilverwaltung Rumäniens zugeteilt. Als Invalide (70 Prozent Schädigung) entlassen, habilitierte er sich im September 1918 nach Dorpat um. Nach der Vertreibung aus Estland erhielt er 1919 eine planmäßige außerordentliche Professur an der Universität Königsberg, 1921 ein persönliches Ordinariat für Russische Volkswirtschaft. Im Januar 1933 wurde Preyer zum Rektor der Universität Königsberg gewählt und einstimmig im April 1933 wiedergewählt. Im Oktober 1933 wurde er nach Konflikten mit Studenten an die Universität Münster versetzt. Dort wurde er von der NSDAP als nicht tragbar eingeschätzt und 1935 aus politischen Gründen nach Greifswald versetzt, wo er 1942 emeritiert wurde. Im Juli 1941 wurde er zur Auswertungsgruppe im Amt Abwehr zum Oberkommando der Wehrmacht eingezogen und 1943 als Oberstleutnant in den Ruhestand versetzt. Organisationen: 1918 Mitgründer des Landesverbands Ostpreußen der DNVP, 1919 Landesgeschäftsführer Ostpreußen, 1920 bis 1933 stellvertretender Vorsitzender in der Provinz Ostpreußen, 1921 bis 1924 Mitglied des Preußischen Landtags, 1924 bis 1930 Reichstagsabgeordneter; ab 1924 Stahlhelm Quellen: UAG K 731; BA R 4901/13273 Karteikarte Preyer und 20262; Grüttner, Lexikon, S. 134; BA MA RW 59/2078 Karteikarte Preyer, Dietrich.

Seidl, Erwin (* 6. November 1905 München; † 4. April 1987 Jettingen (Württemberg)) Vater: Landgerichtspräsident Konfession: evangelisch-lutherisch Seidl besuchte die Volksschule in München und das humanistische Wilhelmsgymnasium. Nach dem Abitur (1924) studierte er Rechtswissenschaft an der Universität München und promovierte 1929 mit einer Dissertation über den Eid im ptolemäischen Recht. Gefördert wurde Seidl durch seinen Mentor, der ihm eine Anstellung als Privatassistent gab. 1931 legte Seidl das Assessorexamen ab und habilitierte sich 1932 an der Universität München für Römisches Recht, antike Rechtsgeschichte und Deutsches Bürgerliches Recht. In Erlangen vertrat er 1934 eine ordentliche Professur für Bürgerliches Recht. Nachdem er 1935/36 als Stipendiat am Deutschen Archäologischen Institut in Rom verbracht hatte, folgte 1936 eine Lehrstuhlvertretung für Römisches und Zivilprozessrecht in Greifswald.

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Hier erhielt er 1937 eine außerordentliche Professur und wurde 1941 zum ordentlichen Professor befördert. Schon im Jahr darauf nahm er einen Ruf an die Universität Erlangen an. 1958 wechselte er nach Köln, wo er ein Institut für Römisches Recht gründete und 1971 emeritiert wurde. Seidl publizierte außer zum Römischen Recht vor allem zur Rechtsgeschichte Ägyptens. Organisationen: von Juni 1923 bis November 1923 Angehöriger des Freikorps Oberland; politische Betätigung nach eigener Auskunft; „keine“ Quellen: BA 4901/13277 Karteikarte Seidl, BDC DS Seidl; Avenarius, Martin: Seidl, Erwin Oskar Friedrich in: NDB Bd. 24, S. 182 f.

Seraphim, Peter-Heinz (* 15. September 1902 Riga; † 19. Mai 1979 Rosenheim) Vater: Journalist, Hauptschriftleiter Konfession: evangelisch Als Schüler kämpfte Seraphim in der Baltischen Landwehr (ausgezeichnet mit dem Baltenkreuz) und nahm an Gefangenenerschießungen teil. Die Reifeprüfung legte er in Königsberg ab. Er studierte in Dorpat, Königsberg, Graz und Breslau Volkswirtschaft und promovierte 1924 mit einer Dissertation über das Eisenbahnwesen Sowjetrusslands zum Dr. rer. pol. Von 1924 bis 1926 war er Assistent am Institut für Ostdeutsche Wirtschaft in Breslau, von 1926 bis 1930 Redakteur der Königsberger Allgemeinen Zeitung für Kommunalpolitik. 1930 wurde er Assistent, später stellvertretender Direktor am Institut für Osteuropäische Wirtschaft der Universität Königsberg. Seit 1934 arbeitete er an einer Studie über das Judentum im osteuropäischen Raum, die 1938 gedruckt wurde. Später verfasste er weitere Schriften, in denen er einen Zusammenhang zwischen angeblicher „Überbevölkerung“ und den Juden konstruierte und daraus die Forderung ableitete, diese aus Osteuropa zu entfernen. Im Wintersemester 1936/37 war Seraphim beurlaubt und erhielt eine militärische Ausbildung bei der Flak. Er habilitierte sich 1937 an der Universität Königsberg für Volkswirtschaft. Bereits 1938 erhielt er einen Lehrauftrag und amtierte von 1938 bis 1940 als Lehrstuhlvertreter in Königsberg. Im August 1939 eingezogen, war er bis August 1940 in der Heeresverwaltung des Generalgouvernements eingesetzt. Im Januar 1941 wurde er mit der Vertretung der vakanten Professur für Volkswirtschaftslehre an der Universität Greifswald betraut und mit dem Datum 1. Juni 1941 zum außerplanmäßigen Professor ernannt (Nachfolge Oberländer). Ende Juni 1941 wurde Seraphim erneut eingezogen und als Oberkriegsverwaltungsrat zur Rüstungsinspektion der Ukraine abgeordnet. Im November 1941 wurde ihm Arbeitsurlaub erteilt, um die Chefredaktion der antijüdischen Zeitschrift Weltkampf zu übernehmen. Diese Position gab Seraphim aber rasch auf und wandte sich anderen Fragestellungen zu. Im Auftrag der NSDAP-Gauleitung und der Gauwirtschaftskammer baute er ab 1942 das Oder-Donau-Institut auf, das sich mit wirtschaftswissenschaftlichen Fragen

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der Länder zwischen Ostsee und Schwarzem Meer beschäftigen sollte, sich jedoch sehr stark auf Skandinavien konzentrierte. Im November 1944 wurde Seraphim zur Flak eingezogen und das Institut auf die Insel Rügen verlagert. Seraphim wurde im Februar 1945 zu einem Offizierslehrgang nach Wolfenbüttel versetzt und geriet in britische Kriegsgefangenschaft. Er wurde im Mai 1945 an die Amerikaner überstellt und zur Befragung in die USA in das Camp Ritchie bei Washington gebracht. Hier interessierte man sich vor allem für die Infrastruktur, Wirtschaft und Bevölkerung Osteuropas. Im Juli 1946 kam er zurück, wurde als „Mitläufer“ entnazifiziert und in die Organisation Gehlen eingegliedert. 1949 veröffentlichte er mit Coautoren ein Buch über Osteuropa (gemeinsam mit Reinhart Maurach und Gerhard Wolfrum: Ostwärts der Oder und Neiße. Tatsachen aus Geschichte – Wirtschaft – Recht), dem unzählige Studien über Schlesien, Pommern und die Heimatvertriebenen in der DDR folgten. 1950 vertrat er einen Lehrstuhl an der Universität München und erhielt später einen Lehrauftrag. Trotz seiner Verankerung in der westdeutschen Ostforschung gelang ihm die Rückkehr an die Universität nicht. 1954 wurde er Studienleiter der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Bochum. Ab 1957 wurde Seraphim mehrfach zum Ziel von Kampagnen, die seine Rolle im Vernichtungskrieg thematisierten, aber ungenau darstellten. Deshalb blieb er im Amt, das er erst 1967 mit Erreichen des 65. Lebensjahrs niederlegte. Organisationen: 1933 SA; am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.331.678; NSV; NS-Dozentenbund Quellen: UAG PA 433 Seraphim, K 731; BA 4901/13277 Karteikarte Seraphim, Mitgliedskarte Ortskartei; Petersen, Hans-Christian: Bevölkerungsökonomie – Ostforschung – Politik, Osnabrück 2007.

Stampe, Ernst (* 2. Mai 1856 Schilde (Priegnitz); † 13. Januar 1942 Stettin) Vater: Landwirt Konfession: evangelisch Das Gymnasium besuchte Stampe in Rostock (Reifeprüfung 1873). Er studierte Rechtswissenschaft an den Universitäten Berlin und Göttingen. Den Wehrdienst als EinjährigFreiwilliger leistete er 1875/76 in einem Infanterieregiment, danach diente er bis 1880 als aktiver Offizier und wurde 1880 als Oberleutnant entlassen. Er setzte das Studium der Rechtswissenschaft in Leipzig und Straßburg fort und absolvierte von 1883 bis 1886 das Referendariat. 1885 promovierte er an der Universität Göttingen zum Dr. jur. und wurde 1886 habilitiert. 1889 wechselte er als außerordentlicher Professor nach Breslau, 1890 nach Greifswald. 1893 wurde er zum ordentlichen Professor befördert. 1913/14 amtierte er als Rektor. Für den Kriegsdienst wurde Stampe 1915 reaktiviert und diente als Stabs- und Waffenoffizier in Polen, Flandern und zuletzt Italien(ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). 1924 wurde er emeritiert.

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Stampe publizierte zum Bürgerlichen Recht, unter anderem ein Lehrbuch zum BGB (1920). Sein Alterswerk war eine Studie über das Zahlkraftrecht in den französischen Königsgesetzen von 1306 bis 1547 (1930). Organisationen: bis 1926 DNVP; Kriegerverein Greifswald; Ehrenmitglied der Offiziersvereinigung des Infanterieregiments 24 Quellen: UAG PA 440 Stampe, BA R 4901/13277 Karteikarte Stampe.

Außerordentliche Professoren Bieling, August (* 25. Februar 1905 Antwerpen (Belgien); † Oktober/November 1945 im Gebiet Tscheljabinsk (UdSSR)) Vater: selbstständiger Kaufmann Konfession: evangelisch Bieling besuchte die Schule zunächst in Antwerpen, nach der Vertreibung der Familie in Düsseldorf. Er studierte ab 1922 wirtschaftliche Staatswissenschaft in Köln, Freiburg und München. Mit einer Dissertation Über die Wirtschaftsauffassungen innerhalb der neueren evangelischen Theologie Deutschlands promovierte er 1928 an der Universität München zum Dr. rer. pol. Danach war er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf tätig. 1930 trat er eine Assistentenstelle im Verkehrsseminar beim Institut für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Münster an. Dort publizierte er zur Absatzfähigkeit von Eisen- und Stahlwaren (1933) und über das Monopol in der Schleppschifffahrt (1934) sowie zahlreiche Aufsätze zu Tarif- und Verkehrsfragen. Mit der Studie Der wirtschaftspolitische Sinn der Raumüberwindung. Grundlagen einer Verkehrsfinanzpolitik habilitierte er sich 1938 in Münster und absolvierte das Dozentenlager. 1939 erhielt er eine Dozentenstelle. Seit 1935 freiwillig in militärischen Übungen ausgebildet, leistete Bieling 1939 Kriegsdienst in einem Infanterieregiment und wurde zum Unteroffizier befördert. Ab 1940 war Bieling als Sachbearbeiter für Wirtschafts, Verkehrs, Tarif, Versicherungs- und Verordnungsangelegenheiten in der Hauptverkehrsdirektion Brüssel eingesetzt. Für seine Tätigkeit in der Abteilung Wasserstraßen erhielt er das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse. 1943 berief ihn die Universität Greifswald auf das durch die Beförderung Seraphims freiwerdende Extraordinariat für Volkswirtschaftslehre. Die Lehrtätigkeit konnte Bieling nicht mehr aufnehmen, weil er im November 1944 als Unteroffizier zur Infanterie eingezogen wurde. Kurz vor Kriegsende geriet er in Gefangenschaft und wurde nach Sibirien deportiert, wo er an Unterernährung verstarb. Organisationen: am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.244.935 Quellen: UAG PA 845 Bieling, BA R 4901/13259 Karteikarte Bieling; Mitgliedskarte der Ortskartei.

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Bruns, Hans-Jürgen (* 28. März 1908 Düren; † 12. Januar 1994 Baden-Baden) Vater: Regierungslandmesser Konfession: gottgläubig Da die Familie aus dem Rheinland unter französischer Besatzung vertrieben wurde, besuchte Bruns das Gymnasium in Gießen. Anschließend studierte er Rechtswissenschaft in Gießen, Freiburg und Frankfurt. 1930 bestand er das Referendarsexamen. Seine Dissertation (Breslau 1931) behandelte die Frage, ob die Organe juristischer Personen bestraft werden könnten, wenn sie im Interesse ihrer Körperschaft Rechtsgüter verletzten. Die Zweite Staatsprüfung legte Bruns 1934 ab und trat ins Reichsjustizministerium ein, wo er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Kommission für die Strafrechtsreform beschäftigt wurde. Zu militärischen Übungen wurde er nicht zugelassen, weil er nur als „arbeitsverwendungsfähig“ gemustert wurde. Mit der Studie Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken. Beiträge zu einer selbstständigen, spezifisch strafrechtlichen Auslegungs- und Begriffsmethodik habilitierte er sich 1938. Auf Wunsch der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät wurde er im September 1939 zum beamteten außerordentlichen Professor für Strafrecht in Greifswald berufen. Zugleich wurde er zum Führer der Dozentenschaft ernannt. Nach der Absolvierung eines Führerlehrgangs an der SS-Junkerschule Braunschweig wurde Bruns im selben Jahr in das neugebildete Hauptamt SS-Gericht versetzt, wo er ab 1941 als Richter tätig war. Zum Beginn des Wintersemesters 1941/42 wurde Bruns auf das Ordinariat für Strafrecht an der Reichsuniversität Posen berufen. Am Ausbau der SSund Polizeigerichtsbarkeit war Bruns „maßgeblich beteiligt“, wie sein Vorgesetzter Franz Breithaupt 1943 anlässlich einer Beförderung hervorhob. Nach Kriegsende lebte Bruns in Frankfurt am Main. 1952 wurde er als ordentlicher Professor für Strafrecht, Strafprozess, Rechtsphilosophie und Jugenderziehungsrecht an die Universität Erlangen berufen. Ab 1957 lehrte er auch Zivilprozessrecht. 1973 wurde Bruns emeritiert. Bruns veröffentlichte nach dem Zweiten Weltkrieg zur Teilrechtskraft und deren innerprozessualen Bindungswirkung (1961) sowie eine stark rezipierte Gesamtdarstellung des Strafzumessungsrechts (1974). Organisationen: zum 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.647.097; im Juni 1933 Eintritt in die Allgemeine SS, Mitglied Nr. 124.928, SS-Richter im Hauptamt SS-Gericht, 1942 Untersturmführer, am 21. Juni 1942 zum Sonderführer ernannt, 1. September 1941 rückwirkend Hauptsturmführer, am 9. November 1942 Obersturmführer, 1944 Sturmbannführer; NSD-Dozentenbund, ab 1939 kommissarischer Führer der Dozentenschaft der Universität Greifswald Quellen: UAG PA 381 Bruns, K 5607; BA R 4901/13260 Karteikarte Bruns, SSO Bruns; Witten, Professoren Erlangen, S. 107 f.; Kürschner, Auskunft des Standesamts Düren.

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Emig, Kurt (* 18. Januar 1902 Kempten (Allgäu); † 21. April 1945 Wasach (Allgäu)) Vater: Oberstleutnant Konfession: evangelisch-lutherisch Emig studierte ab 1921 Klassische Philologie, Geschichte und Rechtswissenschaft in Erlangen, Göttingen und München. 1925 promovierte er in Erlangen mit einer Dissertation über die Bekämpfung der Kapitalflucht zum Dr. jur. 1928 legte er die Prüfung für den höheren Justiz- und Verwaltungsdienst ab. Er erhielt eine Stelle als Regierungsassessor in Ansbach (Mittelfranken). 1930 wurde er Bezirksamtmann in Lichtenfels und 1933 Regierungsrat am Bezirksamt Erlangen. 1934 folgte die Ernennung zum Oberegierungsrat. Er absolvierte im selben Jahr das Wehrsportlager in Rieneck und die Dozentenakademie Rittmarshausen. Wenig später wurde er zum Oberregierungsrat im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft ernannt. 1943 wurde er als Vertreter für den vakanten Lehrstuhl für Öffentliches Recht bestellt und im Juni 1944 zum außerordentlichen Professor ernannt. Da Emig schwer erkrankte, trat er die Stelle nicht an. Emig war Mitarbeiter der Zeitschrift Öffentliche Verwaltungsblätter, in der er zwischen 1933 und 1935 die Gesetzgebung des Regimes erläuterte. Sein Hauptwerk war eine kommentierte Kompilation der Gesetze und Verordnungen auf dem Gebiet der Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung, die das neue Recht der Bewirtschaftung detailliert erläuterte (Das Recht der Ernährungswirtschaft, 1941) Organisationen: als Student Mitarbeit an völkischen Zeitschriften; 1933 SA; am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.848.672 Quellen: UAG PA 388 Emig, R 782; BA PK C 61, Mitgliedskarte Ortskartei; Schriften.

Esser, Josef (* 12. März 1910 Schwanheim bei Frankfurt am Main; † 21. Juli 1999 Tübingen) Vater: Magistratsrat Konfession: katholisch, später gottgläubig Esser besuchte das humanistische Gymnasium in Frankfurt. Er studierte Rechtswissenschaft in Lausanne, Paris und Frankfurt, wo er 1932 die Erste Staatsprüfung ablegte. Den Vorbereitungsdienst leistete er von 1932 bis 1935 in Frankfurt ab. Zugleich war er ab 1933 Assistent an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. 1934 promovierte er mit einer Dissertation über die Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr unter Berücksichtigung des durch die nationalsozialistische Revolution geschaffenen Auffassungswandels in der Reichsstraßenverkehrsordnung vom 28. Mai 1934 zum Dr. jur. 1935 legte Esser die Große Staatsprüfung ab und wurde 1936 Stadtsyndikus in Mönchengladbach und 1940 zum Rechtsrat befördert. 1939 habilitierte er sich an der Universität Frankfurt mit einer Studie über Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen, wenig später erschien sein Buch über die Grundlagen und

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Entwicklung der Gefährdungshaftung (1941). 1940 wurde er mit der Vertretung eines Lehrstuhls an der Universität Freiburg betraut und zum Dozenten ernannt. 1941 erhielt er die Stelle eines planmäßigen außerordentlichen Professors für Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht in Greifswald (Nachfolge Langen). Wegen einer chronischen Herzerkrankung war Esser kriegsdienstuntauglich. 1943 wurde Esser auf ein Ordinariat an der Universität Innsbruck berufen, vertrat jedoch den vakanten Lehrstuhl in München. Nach der Entnazifizierung wurde Esser 1949 auf ein Ordinariat für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Rechtsphilosophie, Rechtsvergleichung und Versicherungsrecht an der Universität Mainz berufen, 1961 wechselte er an die Universität Tübingen. Vorübergehend war er Leiter der Rechtsabteilung der Internationalen Energiebehörde. Esser verfasste ein mehrfach aufgelegtes Lehrbuch des Schuldrechts (1949) und eine Einführung in die Begriffe des Rechts und des Staats (1949). Für die Rechtstheorie bedeutend wurde sein Buch über Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts (1956, mehrere Auflagen und Übersetzungen). Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.398.843; in Greifswald Ortsgruppenschulungsleiter; NSLB; NS-Rechtswahrerbund; NS-Dozentenbund. Quellen: UAG PA 447 Esser; BA R 4901/13262 Karteikarte Esser; Kürschner; Schriften.

Haenel, Hans Georg (* 14. Januar 1890 Eutin; 4. September 1940 Neustadt (Holstein)) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch-lutherisch Das humanistische Gymnasium besuchte Haenel in Eutin, wo er 1909 die Reifeprüfung ablegte. Er absolvierte eine Lehre im Bank- und Getreidegeschäft, danach studierte er Rechtswissenschaft und Nationalökonomie in Kiel, München, Freiburg und Münster. 1914 promovierte er hier mit der Dissertation Die Quittungssteuer, eine finanzpolitische Erörterung unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzgebungen Österreichs, Frankreichs und Englands sowie der deutschen Reichsgesetzentwürfe zum Dr. rer. pol. Ab 1914 war Haenel in der Freiwilligen Krankenpflege, 1916 wurde er zur Ersatzartillerie eingezogen und ab Februar 1917 an der Westfront eingesetzt. Im September 1917 erkrankt, wurde er 1918 erneut bei der Feldartillerie eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Im Herbst 1918 wurde er als Unteroffizier in die Etappe versetzt, wo er als Pressezensor tätig war. 1920 trat Haenel eine Stelle als Hilfsarbeiter beim Landesfinanzamt Unterelbe in Hamburg an. 1921 wurde er Syndikus des Hamburger Wirtschaftsbundes. 1922 habilitierte er sich an der Universität Jena mit der Studie Wertbeeinflussung und Unternehmertätigkeit, eine organische Theorie der ökonomischen Wertrelationen und ihrer dynamischen Rückwirkungen. Im folgenden Jahr habilitierte er sich nach Greifswald um, wo er 1924

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einen Lehrauftrag für Nationalökonomie und ein Privatdozentenstipendium erhielt. Das Familienvermögen war in Staatsanleihen angelegt und wurde entwertet. 1930 vertrat er die Professur für Wirtschaftliche Staatswissenschaften. 1931 wurde Haenel wegen Krankheit beurlaubt. 1932 wieder arbeitsfähig, wurde er zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt, erkrankte jedoch im Dezember 1932 erneut an Schizophrenie. Da sich der Gesundheitszustand Haenels nicht besserte, wurde er mehrfach in verschiedenen Kliniken untergebracht. Die Universität erklärte 1936 seine Lehrbefugnis für erloschen, stockte jedoch die für die Unterbringung notwendigen Zuschüsse auf. Haenel verstarb in der Landesheilanstalt Neustadt (Holstein), bevor deren unheilbar Kranke deportiert und ermordet wurden. Organisationen: laut eigener Aussage „ab Oktober 1933 förderndes Mitglied der NSDAP“, womit vermutlich der sogenannte Opferring der Partei gemeint war Quellen: UAG PA 1160 Haenel; BA R 4901/13265 Karteikarte Haenel.

Herrfahrdt, Heinrich (* 22. Februar 1890 Genthin bei Magdeburg (Provinz Sachsen); † 12. September 1969 Marburg) Vater: Major, Postdirektor Konfession: evangelisch Nach der Reifeprüfung in Kolberg trat Herrfahrdt als Fahnenjunker in ein Infanterieregiment ein und wurde 1909 zum Leutnant befördert. Aus gesundheitlichen Gründen schied er 1911 aus und studierte Rechtswissenschaft in Bonn und München. Ab 1914 leistete er Kriegsdienst. Bei einem Genesungsurlaub legte er 1915 das Erste Juristische Examen ab und promovierte mit einer Dissertation über Lücken im Recht zum Dr. jur. Wieder eingezogen wurde er zum Hauptmann befördert (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse) und geriet 1917 in russische Gefangenschaft. Ab 1919 war Herrfahrdt Assistent an der Universität Bonn, ab 1920 Dozent am Politischen Kolleg Berlin, wo er eine Arbeitsstelle für Verfassung und Verwaltung gründete. Hier gehörte er zum Kreis um Arthur Moeller van den Bruck. 1923 legte er das Assessorexamen ab und war anschließend in der Kreisverwaltung in Rendsburg tätig. 1925 arbeitete als Hilfsrichter bei einem Amtsgericht in Berlin, 1926 wurde er Landgerichtsrat in Greifswald. 1926 habilitierte sich Herrfahrdt an der Universität Greifswald mit einer Studie über Revolution und Rechtswissenschaft für Staatsrecht, Verwaltungsrecht, Völkerrecht und Arbeitsrecht. Seine Antrittsvorlesung hielt er über „Das Recht der Kabinettsbildung nach der Weimarer Verfassung unter dem Einfluss der politischen Praxis“. 1930 vertrat er den vakanten Lehrstuhl für Öffentliches Recht und wurde 1932 zum außerordentlichen Professor ernannt. Im Oktober 1933 erhielt er eine persönliche ordentliche Professur in Marburg. Von 1939 bis 1941 leistete er Kriegsdienst. 1946 entlassen, wurde ihm 1949 eine beschränkte

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Lehrbefugnis für Verwaltungsrecht erteilt. Später war er Leiter der Abteilung Staat und Recht Ostasiens am Institut für Öffentliches Recht der Universität Marburg. 1958 wurde Herrfahrdt emeritiert. Herrfahrdt publizierte zu Fragen der wirtschaftlichen Verfassung (Das Problem der berufsständischen Vertretung, 1921), zur Verfassungsreform (Reich und Preußen. Vorschläge zur Verfassungsreform, 1928) Organisationen: – Quellen: UAG PA 2494 Herrfahrdt, K Nr. 886, Bl. 175, K 183, Bl. 307; Nagel/Sieg, PhilippsUniversität, S. 32 f.

Oberländer, Theodor (* 1. Mai 1905 Meiningen; † 4. Mai 1998 Bonn) Vater: Geheimer Regierungsrat Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Oberländer am Gymnasium Bernhardinum in Meiningen ab. Danach ging er für zwei Jahre in die Landwirtschaft. Er studierte sechs Semester Landwirtschaft und bestand das Diplomexamen. Nach weiteren zwei Semestern promovierte er zum Dr. agr. Nach weiteren zwei Semestern Volkswirtschaftslehre promovierte er zum Dr. rer. pol. Das Studium unterbrach er für zwei militärische Übungen als Zeitfreiwilliger. Danach reiste Oberländer durch Sowjetrussland, China, Asien und Amerika. 1932 erhielt er eine Assistentenstelle am Institut für Ostdeutsche Wirtschaft an der Universität Königsberg, an der er sich 1933 habilitierte. 1933 wurde er zum Direktor des Instituts für Osteuropäische Wirtschaft ernannt, das er in den Folgejahren zu einem Instrument der Gegnerforschung profilierte. 1934 wurde er nichtbeamteter außerordentlicher Professor an der TH Danzig. Parallel trieb er seine militärische Ausbildung voran und wurde 1935 zum Leutnant der Reserve befördert. 1937 wurde Oberländer, der eine steile politische Karriere gemacht hatte (unter anderem Leiter des Bundes Deutscher Osten), durch eine Intrige zu Fall gebracht und als beamteter außerordentlicher Professor an die Universität Greifswald versetzt. Sein Lehrauftrag umfasste wirtschaftliche Staatswissenschaften und Osteuropäische Wirtschaft. Im Oktober 1940 wurde Oberländer der deutschen Karls-Universität in Prag als ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik zugewiesen. Vermutlich seit 1933 arbeitete Oberländer mit dem Amt Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht zusammen. 1938 nahm er an der Besetzung der sudentendeutschen Gebiete teil. Im Mai 1939 absolvierte er erneut eine militärische Übung und wurde unmittelbar nach Kriegsbeginn im besetzten Polen eingesetzt. 1940 arbeitete er in der Verwaltung des Generalgouvernements und plädierte für eine neue Agrarstruktur. Da die SS für sämtliche Bevölkerungsfragen zuständig erklärt wurde, wechselte Oberländer wieder zur Abwehr, wo er die Zusammenarbeit mit ukrainischen Nationalisten vorantrieb und einen

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Sonderverband (Bataillon Nachtigall) aufstellte. Nach der Auflösung dieser Einheit wegen Insubordination und rassistischer Vorgaben der NSDAP stellte er einen Kampfverband aus Angehörigen der kaukasischen Völker in den eroberten sowjetischen Gebieten auf. In mehreren Denkschriften plädierte er für eine Besatzungspolitik, die den deutschfreundlichen Völkern größere Rechte einräumen sollte. Da das politisch nicht gewollt war, wurde er im August 1943 aus der Wehrmacht entlassen und trat seine Stelle in Prag an. Oberländer geriet 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er nach umfangreichen Verhören entlassen wurde. Danach arbeitete er in der Landwirtschaft. 1950 gehörte er zu den Gründern des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) und wurde zum Landesvorsitzenden in Bayern gewählt. 1951 wurde er Staatssekretär für Flüchtlingsfragen im Bayerischen Innenministerium und 1953 in den Bundestag gewählt. Jetzt folgte die Ernennung zum Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen. 1955 trat er mit anderen Abgeordneten zur CDU über. 1958 wurde er zum Landesvorsitzenden Oder/Neiße (für die besetzten Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie) gewählt. 1960 führte die DDR (in Abwesenheit) einen Schauprozess gegen Oberländer durch, um die Politik der Bundesregierung zu diskreditieren. Da sich die SPD und einige CSU-Politiker den von Ostberlin erhobenen Vorwürfen anschlossen, trat Oberländer von seinem Ministeramt zurück. 1964 verlor er auch das Amt des CDU-Vorsitzenden der Vertriebenen. Oberländer widmete sich fortan vor allem der Rehabilitierung seiner Person und führte zahlreiche Verleumdungsprozesse. 1993 wurde das Urteil zu lebenslangem Zuchthaus des Obersten Gerichts der DDR aufgehoben. Später wurde nachgewiesen, dass die Unterlagen, die Oberländers persönliche Beteiligung an Massentötungen hatten beweisen sollen, vom Ministerium für Staatssicherheit manipuliert worden waren. Organisationen: Bund Oberland, Teilnahme am 9. November 1923; Mitglied des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes („Inhaber des grünen Dauerausweises Nr. 419“); 1. Mai 1933 NSDAP, Mitglied Nr. 2.331.552; 1933 bis 1937 Leiter des Landesverbandes Ostpreußen des VDA, 1934 bis 1937 Leiter des Bundes Deutscher Osten; 1933 bis 1937 Gauamtsleiter der NSDAP im Gau Ostpreußen; SA-Hauptsturmführer; 1948 FDP; 1950 BHE; 1955 CDU Quellen: UAG PA 2693 Oberländer, K 791 Bl. 129; BA R 4901/13278 Karteikarte Oberländer, Mitgliedskarte Ortskartei; Wachs, Philipp-Christian: Der Fall Theodor Oberländer (1905–1989). Ein Lehrstück deutscher Geschichte, Frankfurt am Main und New York 2000.

Rehfeldt, Bernhard (* 29. September 1902 Schneidemühl; † 20. Oktober 1968 Köln) Vater: Oberst a. D. Konfession: evangelisch

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Die Reifeprüfung legte der Sohn einer schwedischen Mutter 1922 am humanistischen Gymnasium in Krefeld ab. Er studierte Rechtswissenschaft an den Universitäten Köln und Kiel. Die Referendarprüfung bestand Rehfeldt 1925. Im selben Jahr promovierte er an der Universität Kiel mit einer Übersetzung des „westgötischen Rechtsbuchs“ zum Dr. jur. Nach dem Referendariat legte er 1929 die sogenannte Große Staatsprüfung ab und trat als Assessor in eine Krefelder Anwaltskanzlei ein. Im August 1933 wurde er Amtsgerichtsrat in Mönchengladbach, 1936 folgte die Beförderung zum Hilfsrichter am Landgericht, 1937 die Bestallung als Landgerichtsrat in Mönchengladbach. 1938 wurde Rehfeldt zum Hilfsrichter am Oberlandesgericht Düsseldorf bestellt. Zwei Jahre später habilitierte er sich an der Universität München mit einer Untersuchung über die germanischen Hinrichtungsbräuche (Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte, 1942) und wurde 1941 der Universität Bonn als Dozent zugeteilt. Anfang 1942 wurde er zum Kriegsdienst in die Dolmetscherabteilung Berlin einberufen. Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Greifswald nominierte Rehfeldt im Sommer 1942 für die Besetzung einer außerplanmäßigen Professur für Rechtsgeschichte und betonte dabei, dass er die schwedische Sprache „vollständig“ beherrsche und auch die übrigen nordischen Sprachen verstehen könne. Durch seine „Kenntnis des nordischen Quellenkreises“ würde er „besonders gut nach Greifswald passen“. Rehfeldt wurde 1943 als beamteter außerordentlicher Professor für Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches und Handelsrecht nach Greifswald berufen. 1944 wurde er zugleich Oberlandesgerichtsrat in Stettin. Im Februar 1945 wurde Rehfeld erneut einberufen und geriet in Kriegsgefangenschaft. Die Universität Köln berief ihn 1948 zum ordentlichen Professor für Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Handelsrecht. Rehfeldt publizierte fortan nur sporadisch zum germanischen Recht. Stattdessen spezialisierte sich jetzt auf das Recht der Wertpapiere und verfasste 1950 ein Lehrbuch zum Thema, das bis 1978 in zwölf Auflagen nachgedruckt wurde. 1962/63 lehrte Rehfeldt als Gastprofessor an der Tulane University in New Orleans (USA). Organisationen: am 5. Oktober 1939 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 7.467.795; bis zur Einberufung Blockleiter; 1933 bis zur Einberufung Amtswalter im NSRB; Mitglied in NSV und Reichsluftschutzbund sowie im Reichskolonialbund Quellen: UAG PA 431 Rehfeldt; K 732, Bl. 235 f., K 5977, Bl. 129; BA R 4901/13274 Karteikarte Rehfeldt; Karteikarte Ortskartei, DBE Bd. 8, S. 248.

Rühland, Curt (* 22. Februar 1891 Braunschweig; † 17. Mai 1987 Braunschweig) Vater: Techniker Konfession: evangelisch-lutherisch Die Reifeprüfung legte Rühland 1910 am Wilhelmgymnasium Braunschweig ab. Er studierte Geschichte, Philosophie und Philologie in München, Berlin und Kiel. Mit Beginn

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des Ersten Weltkriegs meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und wurde als Infanterist viermal verwundet. 1918 wurde Rühland schwerbeschädigt (70 Prozent) als Oberleutnant entlassen (ausgezeichnet unter anderem mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse). Jetzt studierte er Rechtswissenschaft und Staatswissenschaft und legte 1920 das Referendarsexamen ab. 1922 erhielt er eine Assistentenstelle am Institut für Internationales Recht der Universität Kiel. Mit der Dissertation Theorie und Praxis des Einflusses des Kriegsbeginns auf Staatsverträge promovierte er 1923 an der Universität Kiel zum Dr. jur. Mit einer Studie über den Kieler Rechtsgelehrten Samuel Rachel wurde er 1925 an der Universität Kiel für die Fächer Völkerrecht und Internationales Privatrecht habilitiert. Die Venia Legendi wurde später auf Finanzrecht (1936) und Kirchenrecht (1937) erweitert. Die Beförderung zum Abteilungsleiter im Institut für Internationales Recht wurde 1926 vollzogen, 1930 folgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor. Nach der Entlassung des Institutsdirektors leitete Rühland das Institut für Internationales Recht 1933 kommissarisch, 1934 wurde er formal zum stellvertretenden Direktor ernannt. Zum planmäßigen außerordentlichen Professor für Öffentliches Recht an der Universität Greifswald wurde Rühland 1937 berufen. 1940 folgte die Beförderung zum ordentlichen Professor. An die Karls-Universität Prag wechselte er 1942, zugleich wurde er wissenschaftlicher Leiter der Verwaltungsakademien Prag und Brünn. Nach der Entnazifizierung erhielt Rühland 1947 einen Lehrauftrag an der TH Braunschweig und wurde 1958 zum Professor emeritus ernannt. Rühland beschäftigte sich sich vor allem mit dem Recht der nach dem Ersten Weltkrieg geschlossenen internationalen Verträge (System der völkerrechtlichen Kollektivverträge als Beitrag zur Kodifikation des Völkerrechts, 1929) und den daraus abgeleiteten Problemen. In der Zeitschrift für Völkerrecht kommentierte er regelmäßig die Beschlüsse des Völkerbunds und legte die nationalsozialistische Rechtsauffassung dazu dar. Organisationen: Reichsverband deutscher Offiziere; Offiziersvereinigung des R. I. R. 208, Regimentsverein des R. I. R. 208; Fachredner des NS-Rechtswahrerbundes in Kiel; 1938 Anwärter der NSDAP, Aufnahme in die Partei zum 1. Mai 1937, Mitglied Nr. 4.088.349 Quellen: UAG PA 430 Rühland; BA R 4901/13274 Karteikarte Rühland; Mitgliedsausweis in ehem. BDC; Kürschner; Wiener, Kiel, S. 142; Gutladt, Katharina: Rechtswissenschaften an der TU Braunschweig, Berlin 2013, S. 18.

Dozenten Gemmingen-Hornberg, Hans Dieter Freiherr von (18. August 1902 Neckarzimmern (Baden); † nach 1944 in Osteuropa) Vater: Offizier, Fideikommisbesitzer Konfession: evangelisch

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Die Reifeprüfung legte von Gemmingen-Hornberg 1920 in Karlsruhe ab. Er studierte zunächst Musikwissenschaft und Philosophie, ab 1923 Rechtswissenschaft in München, Heidelberg und Göttingen. Ab 1927 war er Referendar in Karlsruhe und promovierte mit einer Dissertation über den Status der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe nach dem Handelsgesetzbuch. Danach arbeitete er unter anderem als Staatsanwalt in Waldeshut und St. Blasien (Baden). 1929 wurde er Fakultätsassistent in Berlin, von 1930 bis 1934 war er nichtplanmäßiger Assistent an der Universität Greifswald. Hier habilitierte er sich 1931 mit der Studie Die Rechtswidrigkeit des Versuchs für Strafrecht, Strafprozess und Rechtsphilosophie. 1933 profilierte er sich mit einer Huldigungsschrift für die NSDAP (Strafrecht im Geiste Adolf Hitlers). Lehrstuhlvertretungen schlossen sich an: im Sommersemester 1934 war er in Bonn, im Sommersemester 1936 in Greifswald, vom Wintersemester 1936/37 bis Sommersemester 1938 in Halle tätig. Im Juli 1938 erhielt er an der Universität Halle ein persönliches Ordinariat, 1940 wurde er planmäßiger Ordinarius. 1939/40 leistete er Kriegsdienst in einer Landsturmeinheit und wurde zum Gefreiten befördert. 1943 erneut einberufen, gilt von Gemmingen-Hornberg seit 1944 als vermisst, 1949 wurde er für tot erklärt. Organisationen: Aufnahme in die NSDAP am 1. Mai 1933, Mitglied Nr. 2.147.007; 1936 Politischer Leiter (Presseamtsleiter); 1933 Eintritt in die SA; 1935 NSKK Quellen: UAH Rep. 6 Nr. 1407, UAH PA 6564 von Gemmingen-Hornberg; UAG K 183, Bl. 70 f.; UAG PA 2621 von Gemmingen.

Hamel, Walter (* 28. Oktober 1896 Berlin; † 5. August 1979 Marburg) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch Der seit einer Erkrankung an Kinderlähmung Gehbehinderte besuchte die Oberrealschule in Berlin, wo er 1917 die Reifeprüfung bestand. Während des Krieges arbeitete er im Rahmen des Vaterländischen Hilfsdienstes in der Kriegsbeschädigtenfürsorge der Provinzialverwaltung Brandenburg. Er studierte Staatswissenschaften und Rechtswissenschaft sowie Sprachen an der Universität Berlin. 1921 legte er das Staatsexamen ab und wurde zum Gerichtsassessor ernannt. Ab 1925 arbeitete Hamel im Auswärtigen Amt. 1928 promovierte er mit einer Dissertation zur Rechtsnatur der Offenen Handelsgesellschaft an der Universität Bonn zum Dr. jur. 1929 habilitierte er sich an der Universität Greifswald. 1931 erhielt er einen dotierten Lehrauftrag, 1933 wurde er zum Amts- und Landgerichtsrat befördert. Obwohl Hamel sich mit Schriften zum Völkerrecht und zum Polizeirecht zu profilieren suchte, wurde er nicht auf einen Lehrstuhl berufen. Der Denunziationen überdrüssig, betrieb er ab 1939 seinen Wechsel an das Landgericht in Marburg und erzwang so 1941 seinen Übertritt in die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der

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Universität Marburg, wo er zum Dozenten ernannt wurde. Anfang 1945 wurde Hamel zum außerplanmäßigen Professor für Öffentliches Recht, Rechtsgeschichte und Internationales Privatrecht ernannt. Nach 1945 vorübergehend suspendiert, lehrte er nach der Entnazifizierung wieder an der Marburger Universität. Nach 1945 publizierte Hamel zur Bekenntnisfreiheit, zum Völkerrecht sowie über Berufsverbote. Organisationen: 1917 Verein Deutscher Studenten; 1920 bis 1928 Mitglied des „JuniKlubs“ um Arthur Moeller van den Bruck; 1920 bis 1925 DNVP; seit Juli 1931 Engagement für die die NSDAP, Beitritt im Juli 1932, Mitglied Nr. 1.394.709; 1934 Vorträge im studentischen Schulungslager Binz und in Schulungslagern der HJ Quellen: UAG PA 2635 Hamel; BA R 4901/24717 und 13265 Karteikarte Hamel; UAG K Nr. 886, Bl. 274; Catalogus professorum academiae Marburgensis, S. 101, Kürschner.

Hauck, Wilhelm Christian (* 18. April 1902 Daxlanden bei Karlsruhe (Baden); † nach 1962) Vater: Großkaufmann Konfession: evangelisch Hauck besuchte die Realschule in Bühl (Baden). 1918 legte er das Einjährig-freiwilligeExamen ab. 1920 folgte das Abitur an der Oberrealschule Baden-Baden. Er studierte Betriebswirtschaft an den Universitäten Tübingen, Heidelberg und Frankfurt zum Teil als Werkstudent. 1924 legte er das Examen als Diplomkaufmann ab und promovierte 1928 an der Universität Frankfurt zum Dr. rer. pol. Seit 1924 arbeitete Hauck in Bankfilialen, im Großhandel und in verschiedenen Fabriken. 1930 legte er die Prüfung als Diplomhandelslehrer ab und wurde im selben Jahr Privatassistent eines Professors an der Universität Frankfurt. Hier habilitierte er sich im Juli 1933 mit der Arbeit Der Betriebsvergleich, Lehrund Handbuch des Betriebsvergleichs für Theorie und Praxis für das Fach Betriebswirtschaftslehre. Ab November 1933 nahm er einen Lehrauftrag für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg wahr, der ihm Ende März 1934 entzogen wurde, da er sich unter anderem einen Professorentitel angemaßt hatte, der ihm jedoch nicht verliehen worden war. Zum Sommersemester 1935 wurde sein Übertritt an die Universität Greifswald angeordnet. Hier las er mit gutem Erfolg Buchhaltung, Bilanzen und Industriebetriebslehre. Mit einer schmutzigen Intrige zerstörte er die Karriere seines Kollegen Albrecht Forstmann. Aus Sicht der Fakultät hatte er sich mit der Art und Weise seines Vorgehens jedoch selbst diskreditiert und die persönliche Nichteignung für den Lehrberuf nachgewiesen. Hauck wurde daher im März 1938 durch das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die Lehrbefugnis für alle deutschen Hochschulen entzogen. Hauck bewarb sich daraufhin um eine Anstellung beim Arbeitswissenschaftlichen Institut der Deutschen Arbeitsfront. 1947 unternahm er den vergeblichen Versuch der „Rehabilitierung“ und zog nach Österreich um. Wahrscheinlich war Hauck später in der Druckmaschinenindustrie

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tätig, sein letzter nachgewiesener Wohnsitz war in Mannheim. Bemerkung: laut Auskunft des Standesamts Karlsruhe wurde Hauck nicht in Daxlanden bzw. Karlsruhe geboren, sein Sterbedatum ist dort nicht registriert Organisationen: 1933 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.711.146, SS-Mitglied in der Standarte Offenburg in Baden Quellen: UAG PA 404 Hauck, K 183 Bl. 280; BA R 4901/13265 Karteikarte Hauck; Mantel, Betriebswirtschaftslehre, S. 714.

Kretschmar, Hans (* 20. Juli 1902 Dresden; † 18. April 1945 Leipzig) Vater: Sanitätsrat Konfession: evangelisch-lutherisch Das Gymnasium besuchte Kretschmar in Dresden, unterbrochen durch den Dienst in einem Zeitfreiwilligenregiment und im Grenzjägerregiment 23. Die Reifeprüfung legte er 1922 in Dresden ab. Er studierte Staatswissenschaften in Greifswald, Breslau und Leipzig, ab 1925 Volkswirtschaft in Kiel, wo er 1928 das Examen ablegte. Danach war er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter bzw. außerplanmäßiger Assistent am Wirtschaftsarchiv des Instituts für Weltwirtschaft angestellt. Mit einer Dissertation über Die Einheit der Volkswirtschaft in den älteren deutschen Wirtschaftslehren promovierte er 1930 an der Universität Jena. Um sich zu habilitieren, ging Kretschmar nach Greifswald, wo er zunächst Geschäftsführer der Zweigstelle des Studentenwerks wurde. Außerdem erhielt er ein Stipendium und forschte zur Entwicklung des Seehafens Stettin. Die Habilitationsschrift über Die programmatische Stellungnahme der landwirtschaftlichen Berufsverbände zu den Hauptfragen der Agrarpolitik in der Nachkriegszeit legte er 1932 vor. Seine Antrittsvorlesung hielt er zur Frage des Getreidemonopols. Später publizierte er zur Raumordnung und zur „politischen Wirtschaftsführung“. Ab 1935 vertrat Kretschmar einen Lehrstuhl für Volkswirtschaft an der Universität Göttingen, 1938 wurde er zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt und 1939 zum beamteten außerplanmäßigen Professor befördert. Seit 1935 hatte Kretschmar an militärischen Übungen teilgenommen und leistete ab 1939 Kriegsdienst. Er starb bei den Straßenkämpfen in Leipzig. Organisationen: 1920/21 Organisation Escherich; 1919 bis 1925 Großdeutscher Jugendbund; 1929 bis 1931 Jungkonservativer Klub Kiel; 1933 Stahlhelm; im September 1933 Übertritt zur SA, Sturmmann; Mitglied der Fliegerortsgruppe im DLV überführt in NSFK, NSLB, BNSDJ; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.888.008, NS-Altherrenbund Quellen: UAG PA 1360 Kretschmar; BA R 4901/23061; Mitgliedskarte Ortskartei; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 124.

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Lubenoff, Georg (* 4. April 1890 Breznik bei Sofia (Bulgarien); † nicht ermittelt) Vater: Kaufmann Konfession: griechisch-katholisch Zunächst wurde Lubenoff im Elternhaus unterrichtet. Mit 15 Jahren trat er in ein altsprachliches Gymnasium in Sofia ein und legte 1911 die Reifeprüfung ab. Er studierte Rechtswissenschaft in Sofia und legte 1916 das Staatsexamen ab. Seit März 1916 leistete Lubenoff Kriegsdienst und wurde 1917 zum Offizier befördert. Nach dem Krieg absolvierte er das Referendariat und wurde 1920 zum Amtsrichter ernannt. Während des Ausnahmezustands 1920/21 war er als Militärrichter eingesetzt. Um wissenschaftlich arbeiten zu können, ging Lubenoff 1921 nach Göttingen und promovierte 1924 mit einer rechtsvergleichenden Dissertation über Die allgemeine Lehre vom Verbrechen im deutschen und bulgarischen Strafrecht an der Universität Göttingen zum Dr. jur. Später publizierte zur Organisation der Lokalverwaltung in Rumänien und zum bulgarischen Presserecht. Verschiedene Studienreisen führten ihn vor allem nach Frankreich, wo er Material für Untersuchungen zum Internationalen Recht sammelte. 1930 erhielt Lubenoff eine Anstellung als Referent für die Balkanstaaten im Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin. Er habilitierte sich 1932 an der Universität Greifswald mit einer nichtveröffentlichten Schrift über Recht und Politik für die Fächer Rechtsphilosophie und Völkerrecht. Seine Probevorlesung hielt er 1932 über die Deutsch-Österreichische Zollunion. Die Lehrbefugnis gab Lubenoff im Sommer 1933 ausdrücklich aus gesundheitlichen Gründen auf. Die Anstellung im Institut für Ausländisches Öffentliches Recht hatte Lubenoff 1937 noch inne. Weiteres konnte nicht ermittelt werden. Quellen: UAG PA 415 Lubenoff; Professorenalbum, Bd. 3, S. 85; Dissertation.

Lübtow, Ulrich von (* 21. August 1900 Demmin; † 29. April 1995 Berlin) Vater: Regierungsrat Konfession: evangelisch Von Lübtow besuchte die Volksschule in Demmin und erhielt Privatunterricht. Danach absolvierte er das Gymnasium in Demmin (Reifeprüfung 1918). Von Juni 1918 bis Dezember 1918 wurde er militärisch ausgebildet, kam aber nicht mehr zum Einsatz. Er studierte Rechtswissenschaft und Staatswissenschaften an der Universität Greifswald, unterbrochen durch ein Semester an der Universität Freiburg. Danach absolvierte er das Referendariat und legte 1926 das Assessorexamen ab. Mit einer Dissertation über erzwungene Willenshandlungen (Quod metus causa gestum erit) promovierte er 1926 an der Universität Greifswald zum Dr. jur. 1930 wurde er zum ständigen Hilfsarbeiter am Landgericht Greifswald ernannt, außerdem wurde ihm die Ausbildung der Referendare am Landgericht übertragen. Zum Amtsrichter wurde er 1934 ernannt.

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An der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Greifswald erhielt von Lübtow 1931 einen Lehrauftrag für Römisches Recht und wurde 1933 für Bürgerliches und Römisches Recht habilitiert. Die Antrittsvorlesung hielt er über „Die Auslegung des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Geiste lebendiger Rechtsauffassung“. Ab 1935 vertrat er Lehrstühle für Römisches und Zivilrecht in Marburg (1935/36), Freiburg (1936/37) und Köln. Hier wurde er 1939 zum außerplanmäßigen Professor ernannt. 1940 erhielt von Lübtow eine ordentliche Professur für Römisches Recht, Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht in Rostock. Vertretungsweise lehrte er ab 1943 Privatrecht an der Universität Greifswald, die ihn für das vakante Ordinariat für Bürgerliches Recht und Römische Rechtsgeschichte gewinnen wollte. Die Universität Rostock gab ihn jedoch wegen Personalmangels nicht frei. Durch die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern wurde von Lübtow 1946 entlassen. 1948 wurde er als einer der ersten Professoren an die Freie Universität in Westberlin berufen, wo er 1968 emeritiert wurde. Von Lübtow verfasste mehrere grundlegende Studien zur Geschichte des Römischen Rechts, die 1996 in einer Gesamtausgabe neu herausgegeben wurden (Beiträge zur Geschichte des römischen Rechts, 4 Bände). Organisationen: im Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.160); ab März 1934 Blockleiter der Ortsgruppe West-Greifswald; seit Oktober 1934 Ortsgruppenschulungsleiter; seit November 1934 Mitglied des Kreisschulungsstabs; 1933 kurzzeitiger SA-Dienst Quellen: UAG PA 1477 v. Lübtow; K Nr. 886, Bl. 151, 272; BA R 4901/13270 Karteikarte v. Lübtow; Buddrus, Rostock, S. 261.

Traub, Hans (* 25. Januar 1901 Schwäbisch Hall; † 18. Dezember 1943 Berlin) Vater: Pfarrer, Politiker, Verleger Konfession: protestantisch Der Sohn des zunächst liberal, dann nationalkonservativen Politikers Gottfried Traub besuchte die Volksschule und das humanistische Gymnasium in Dortmund. Ab 1917 leistete er freiwillig Arbeitseinsatz und zog sich dort eine Verletzung zu, durch die er für den Militärdienst untauglich wurde. In den Jahren 1919/20 gehörte er Freikorpsverbänden an. Er studierte in Marburg und München Geschichte und angrenzende Fächer und wurde 1925 mit einer Dissertation über die Augsburger Abendzeitung in der Revolution von 1848 zum Dr. phil. promoviert. Danach volontierte er in Königsberg und in Berlin unter anderem beim Scherl-Verlag. 1926 erhielt er eine Assistentenstelle am Deutschen Institut für Zeitungskunde, die ihn zugleich zur Lehre an der Berliner Universität verpflichtete. Später wurde er zum Abteilungsleiter befördert. 1932 habilitierte er sich an der Universität Greifswald für das Fach Zeitungswissenschaft. Als sogenannter Achteljude verlor er die Lehrberechtigung 1937. Im Auftrag der Universum Film AG (UFA) begann Traub ab

8.2 Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät

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1933 ein Lehrinstitut für Filmkunde aufzubauen, das jedoch nicht den von ihm angestrebten wissenschaftlichen Charakter hatte. Stattdessen widmete sich die Lehrschau der UFA eher praktischen Belangen. Auch aus dem Institut für Zeitungswissenschaften verdrängt, betätigte sich Traub, der als Pionier der Filmwissenschaft gilt, fortan als Schriftsteller im Dienst der UFA (Die UFA. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Filmschaffens, 1943). Das von ihm 1943 fertiggestellte Wörterbuch des Films verbrannte bei einem Bombenangriff in der Druckerei. Traub starb an einer Sepsis, die als Spätfolge seiner Verwundung im Ersten Weltkrieg auftrat. Organisationen: Freikorps Lichtschlag, Teilnahme an den Kämpfen im Ruhrgebiet, dann bei den bayerischen Zeitfreiwilligen, Teilnehmer am Hitler-Putsch am 9. November 1923, nach eigener Aussage „von der Polizei verfolgt“; später in der Technischen Nothilfe als Kraftwagen- und Lokomotivführer; DAF; NSV Quellen: UAG PA 2040 Traub, K Nr. 886, Bl. 182, K 718; BA R 4901/13278 Karteikarte Traub; Frank Biermann: Hans Traub (1901–1943), in: Arnulf Kutsch (Hg.): Zeitungswissenschaftler im Dritten Reich. Sieben biographische Studien, Köln 1984, S. 47–78.

Habilitiert, zur Dozentur unter Aufsicht zugelassen Forstmann, Albrecht (* 26. August 1891 Werden an der Ruhr; † 4. Februar 1957 Berlin (Ost)) Vater: Tuchfabrikant Konfession: evangelisch Forstmann besuchte das Realgymnasium in Essen, das Pädagogium in Waren (Müritz) und die Oberrealschule in Gummersbach. Später arbeitete er in einer Tuchfabrik und absolvierte die Webeschule in Vaals (Niederlande). Danach begann er eine kaufmännische Ausbildung in der Norddeutschen Bank Hamburg und legte anschließend die Abi­ turprüfung in Berlin ab. Wegen einer Erkrankung wurde er 1914 als Kriegsfreiwilliger nicht berücksichtigt. Er leistete ab 1917 Kriegsdienst, absolvierte einen Offizierskurs und wurde bei der Feldeisenbahn eingesetzt. Nach dem Ersten Weltkrieg studierte Forstmann Volkswirtschaft an der Handelshochschule Köln und der Universität Bonn. Er arbeitete im Gerling-Konzern Köln und Berlin, zuletzt als Leiter der Transportabteilung. Mehrere Jahre arbeitete Forstmann als freiberuflicher Erfinder und entwickelte Elektronenröhren und Niederfrequenzverstärker. Außerdem konstruierte er einen Tonabnehmer und Geräte für Schallplattenaufnahmen. Seit 1931 engagierte er sich für die NSDAP und wurde im März 1933 vom Propagandaministerium mit der Neuorganisation des Kurzwellen­sendeund Empfangsdienstes beauftragt. 1933 veröffentlichte er die Schrift Wege zu nationalsozialistischer Geld, Kredit- und Währungspolitik. Ab Herbst 1933 studierte Forstmann

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Volkswirtschaft in Greifswald und wurde 1935 mit der Dissertation Der Kampf um den internationalen Handel zum Dr. rer. pol. promoviert. Im Januar 1936 stellte die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät den Antrag, Forstmann zu habilitieren, ihm jedoch die Vorlage einer Habilitationsschrift zu erlassen. Nach einer negativ verlaufenden Lehrprobe an der Universität Kiel wurde die Ernennung zum Dozenten vom Wissenschaftsministerium zunächst nicht ausgesprochen, aber die Lehrtätigkeit unter Aufsicht in Greifswald genehmigt. Wegen verfänglicher politischer Äußerungen wurde Forstmann verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht. Durch eine Amnestie kam er 1939 frei und arbeitete danach in einem Baustoffwerk. Im Januar 1946 wurde Forstmann zum Professor mit Lehrauftrag an der Humboldt-Universität Berlin ernannt, nach Denunziationen jedoch 1947 von der Lehre entbunden und 1948 entlassen. Forstmann lebte in Ostberlin als freier Schriftsteller. Eine einführende Darstellung über Geld und Kredit erschien 1952 in Göttingen. 1955 veröffentlichte er ein umfangreiches Werk zur Geld- und Währungspolitik (Volkswirtschaftliche Theorie des Geldes, 2 Bände). Organisationen: 1932 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 1.096.341; Mitarbeiter im Wirtschaftspolitischen Amt der NSDAP, 1938 ausgeschlossen; 1945 SPD Quellen: UAG PA 2601 Forstmann, K Nr. 886, Bl. 190; UAB PA nach 1945 Forstmann, Albrecht; Auskunft Stadtarchiv Essen.

8.3 Medizinische Fakultät

Ordentliche Professoren Bischoff, Hans (* 5. August 1894 Schweina (Sachsen-Meiningen); 16. Januar 1943 Greifswald) Vater: Arzt Konfession: evangelisch Bischoff wuchs in Berlin auf und studierte nach der Reifeprüfung (1912) zunächst Theologie und Philosophie, ab 1914 Medizin in Heidelberg und Berlin. Da er wegen einer habituellen Luxation der Kniescheibe als nur „arbeitsverwendungsfähig Heimat“ gemustert wurde, arbeitete er während des Ersten Weltkriegs als Hilfsassistent am Krankenhaus Bethanien in Berlin. 1919 legte er die ärztliche Prüfung ab und absolvierte Praktika in der Pathologie des Krankenhauses Lichtenberg und der Poliklinik der Charité. 1920/21 war er Assistenzarzt am Stadtkrankenhaus Solingen, dann Teilhaber einer Praxis in Berlin. 1922 volontierte er an der Universitätskinderklinik Leipzig, im Juli 1922 erhielt er eine Assistentenstelle an der Universitätskinderklinik Rostock, wo er 1923 zum Oberarzt ernannt wurde. 1925 habilitierte sich Bischoff mit einer Arbeit über Untersuchungen über die Resis-

8.3 Medizinische Fakultät

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tenz des Hämoglobins des Menschenblutes mit besonderer Berücksichtigung des Säuglingsalters. 1930 folgte die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor. 1933 war er Mitgründer einer Arbeitsgemeinschaft der Rostocker Dozenten zur Hochschulreform auf nationalsozialistischer Grundlage. 1935 vertrat er eine Dozentur an der Medizinischen Akademie Düsseldorf, zugleich war er Leiter der Städtischen Kinderklinik. 1936 erhielt er ein planmäßiges Extraordinariat an der Universität Greifswald und wurde zum Leiter der Kinderklinik ernannt. 1939 folgte die Beförderung zum Ordinarius, zugleich übernahm er das Dekanat der Medizinischen Fakultät. Bischoff forschte vor allem zur physiologischen Chemie des Blutes und zur Ernährungsphysiologie. Organisationen: VDSt; 1933 HJ-Bannarzt des Bannes 90; NSLB; zunächst Opferring, ab 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP; NSV (Lehrer in Mütterschulungskursen) Quellen: UAG PA 468 Bischoff; R 4901/13259 Karteikarte Bischoff; Buddrus, Rostock, S. 70.

Bleibtreu, Max (* 3. März 1861 Hardt bei Bonn; † 16. April 1939 Bonn) Vater: Chemiker, Dr. phil., Fabrikbesitzer Konfession: evangelisch Bleibtreu besuchte eine evangelische Elementarschule und das königliche Gymnasium in Bonn, wo er im März 1880 die Reifeprüfung bestand. Er studierte zunächst Mathematik und Naturwissenschaften an der Universität Bonn, 1887 legte er die Prüfung für den höheren Schuldienst ab. 1884 diente er als Einjährig-Freiwilliger, nach Übungen wurde er 1891 zum Unterarzt der Reserve befördert. Von 1887 bis 1890 absolvierte Bleibtreu auch ein Medizinstudium und promovierte 1890 mit einer Dissertation über die Resorption von Fremdkörpern im Zellgewebe der Unterhaut zum Dr. med. 1891 erhielt er die Approbation als Arzt. 1890 trat Bleibtreu eine Stelle als Assistent am Physiologischen Institut der Universität Bonn an und habilitierte sich 1894 für Physiologie. 1901 bekam er den Professorentitel zugesprochen. 1903 wurde er auf die ordentliche Professur für Physiologie an der Universität Greifswald berufen und wurde 1926 emeritiert. 1910/11 amtierte er als Rektor. Während des Ersten Weltkriegs war Bleibtreu als Lazarettarzt in Greifswald tätig. Bleibtreu beschäftigte sich mit Analysemethoden des Blutes, forschte zum Fettstoffwechsel und entwickelte eine Methode zur Gewinnung der „Gerinnungsfermente“, unter anderem gelang ihm die Darstellung des Thrombins, des wichtigsten Enzyms zur Blutgerinnung. Organisationen: bei Gründung der DVP eingetreten, Austritt 1922 Quellen: UAG PA 467 Bleibtreu; R 4901/13259 Karteikarte Bleibtreu; Ziewitz, Jens: Das Leben und Wirken von Max Bleibtreu (1861–1939) und sein Schülerkreis, Diss. med. Greifswald 1969.

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Dragendorff, Otto (18. August 1877 Dorpat; 14. April 1962 Greifswald) Vater: Universitätsprofessor Konfession: evangelisch Dragendorff besuchte Gymnasien in Dorpat und Rostock. Ab 1889 studierte er in München und Rostock Medizin. Die Staatsprüfung legte er 1903 ab und erhielt die Approbation. Im selben Jahr promovierte er mit der Arbeit Über experimentelle Untersuchungen über Degenerationsvorgänge am Auge und an der Linse bei Hühnerembryonen. 1903/04 war er Assistent am Anatomischen Institut der Universität Greifswald, 1904 erhielt er eine Stelle als Prosektor an der Universität Rostock. 1906 kam er wieder nach Greifswald und wechselte 1909 an die Universität Bonn. 1911 habilitierte er sich dort mit einer Arbeit über Die Teilungsarten der Blutgefäße. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Dragendorff zum Landsturm eingezogen und war als Garnisonsarzt tätig. 1915 wurde er aus dem Militärdienst entlassen, 1916 erhielt er den Professorentitel. 1919 wurde Dragendorff als außerordentlicher Professor für Anatomie an die Universität Greifswald berufen, wo er zum Abteilungsvorsteher ernannt wurde. 1921 erhielt er eine persönliche ordentliche Professur. In dem 1929 publizierten Handbuch der Anatomie des Kindes verfasste Dragendorff mehrere Abschnitte. Auch wegen seiner allergischen Reaktionen stellte er die Forschungstätigkeit allmählich ein und betrieb mehrfach die Versetzung in den Ruhestand. 1945 wurde Dragendorf zum Leiter des Anatomischen Instituts ernannt. Weil es im Anatomischen Institut Leichen ungeklärter Herkunft gab verhaftet, kam er aus dem sowjetischen Untersuchungsgefängnis 1948 jedoch frei. 1950 wurde Dragendorff von den Lehrverpflichtungen entbunden, wegen des Mangels an berufbaren Anatomen musste er sich jedoch bis 1955 selbst vertreten. Organisationen: Förderndes Mitglied des Deutschen Luftsport Verbandes, überführt in das Nationalsozialistische Fliegerkorps; NS-Altherrenbund; NSV; RLB; 1946 gab Dragendorff, der eine Pastorenwitwe geheiratet hatte, in einem Lebenslauf an, dass einer der Gründe, die ihn veranlasst habe, nicht in die NSDAP einzutreten, die „Unduldsamkeit den Religionen gegenüber“ gewesen sei Quellen: UAG PA 482 Dragendorf; K 724; BA R 4901/13261 Karteikarte Dragendorf; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 47 f.

Dresel, Ernst Gerhard (* 3. September 1885 Buckau bei Magdeburg; † 25. September 1964 Sehringen bei Badenweiler) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch Dresel studierte Medizin an den Universitäten Straßburg, Berlin, Kiel und Heidelberg. Ab 1910 studierte er in Heidelberg zugleich Staatswissenschaften. 1910 promovierte er

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hier mit der Dissertation Beiträge zur Therapie chirurgischer Tuberkulosen mit Alttuberkulin Koch zum Dr. med. Danach trat er eine Assistentenstelle am Hygieneinstitut der Universität Heidelberg an. 1913 promovierte er zum Dr. phil. mit einer Dissertation über standesrechtliche Vereinigungen der Ärzte. Ab 1914 war Dresel Leiter des Medizinaluntersuchungsamts für Infektionskrankheiten in Heidelberg. 1915 habilitierte er sich für die Fächer Bakteriologie und Hygiene. 1921 folgte der Titel eines nichtbeamteten außerplanmäßigen Professors. 1926 erhielt er den Ruf auf den Lehrstuhl für Hygiene an der Universität Greifswald, 1934 wechselte er auf das Ordinariat für Hygiene und Bakteriologie an der Universität Leipzig. Hier war er in das Netzwerk der Hepatitis-epidemica-Forschung eingebunden. 1945 wurde Dresel von der amerikanischen Armee verhaftet. Nach der Entnazifizierung war Dresel ab 1948 als wissenschaftlicher Berater einer chemischen Fabrik in Bremen tätig. Von 1950 bis 1956 leitete er ein privates Untersuchungsinstitut für Bakteriologie und Serologie in Bremen. 1958 wurde er formal emeritiert. Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.146.953; 1933/34 SA; 1936 SS, Mitglied Nr. 145.755; Beauftragter des SD für die Medizinische Fakultät der Universität Leipzig Quellen: UAG Med. Fak. I 59; K 5978, Bl. 19; Catalogus professorum lipsiensium; NSDAPOrtskartei; SSO PA Dresel; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 48.

Ewald, Gottfried (* 15. Juli 1888 Leipzig; † 17. Juli 1963 Göttingen) Vater: Theologe, Universitätsprofessor Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Ewald 1906 am Gymnasium Erlangen ab. Er studierte in Erlangen, Heidelberg und wieder Erlangen Medizin. 1911 promovierte er mit einer Dissertation über die Beeinflussung biochemischer Verdauungsvorgänge durch die Magensekretion zum Dr. med. 1913 erhielt er die Approbation. Ab Oktober 1914 war Ewald als Frontarzt bei der Infanterie an der Westfront eingesetzt und wurde verwundet (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Nach der Genesung wurde er in den Osten versetzt, wo er in Seuchenlazaretten tätig war. Bei einer Sektion zog er sich eine Sepsis zu und verlor einen Unterarm. Daher wechselte er von der Inneren Medizin zur Psychiatrie und bildete sich in Rostock und Berlin weiter. 1919 kehrte er nach Erlangen zurück und habilitierte sich 1920 in Erlangen mit einer Studie über die Bedeutung der Abderhalden’schen Reaktion (einem Schwangerschaftsnachweis) für die Psychiatrie. 1922 erhielt er die Oberarztstelle an der Universitäts-Nervenklinik Erlangen. Am 19. September 1933 wurde Ewald kommissarisch als Direktor der Universitätsklinik Greifswald eingesetzt und zum 1. April 1934 auf den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie berufen. Ewald wurde damit auch Mitglied des Erbgesundheitsobergerichts Stettin. Zum 1. Oktober 1934 wechselte er als ordentlicher

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Professor an die Universität Göttingen, wo er 1956 emeritiert wurde. 1940 protestierte Ewald erfolglos gegen die Ermordung der Geisteskranken. Entgegen der Annahme von Zeitgenossen war damit kein merklicher Bruch in der Karriere verbunden. Die Universität Göttingen verdankt Ewald den großzügigen Ausbau der Universitätspsychiatrie nach dem Zweiten Weltkrieg. Als Verfasser eines mehrfach aufgelegten Lehrbuchs (Erstausgabe 1944, 5. Auflage 1964) prägte er mehrere Studentengenerationen. Ewald glaubte an die biochemische Determination der Persönlichkeit (Der biologisch-anthropologisch (existentielle) Aufbau der Persönlichkeit, Stuttgart 1959) und gehörte daher zu den Protagonisten moderner pharmakologischer Behandlungsmethoden. Organisationen: 1923 Bund Oberland; VDA; Kyffhäuserbund, überführt in SA-Reserve II; 1933 NSLB; 1934 NSV, Förderndes Mitglied der SS; NSKOV; Kolonialbund Quellen: GStAPK Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV, Nr. 21 Bd. 13, Bl. 259; UAG PA 2486 Ewald; Dissertation; Wendehorst, Alfred: Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg 1743–1993, München 1993, S. 152; BA BDC-Unterlagen; Kürschner; Klee, Ernst: Euthanasie im NS-Staat, Frankfurt am Main 2004, S. 223 ff.

Forster, Edmund (* 3. September 1878 München; † 11. September 1933 Greifswald (Selbsttötung)) Vater: Universitätsprofessor Konfession: evangelisch Vorschule und Gymnasium besuchte Forster in Amsterdam. Ab 1896 studierte er Medizin in Straßburg und München. Zugleich absolvierte er militärische Übungen und wurde zum Marinearzt ernannt. 1901 wurde Forster zum Dr. med. promoviert. Danach arbeitete er 1902/03 am Pathologischen Institut in Genf und ab 1904 an der Universitätsnervenklinik Halle. 1905 erhielt er eine Assistentenstelle an der Nervenklinik der Charité in Berlin, wo er sich 1909 habilitierte und später zum Oberarzt befördert wurde. Im Ersten Weltkrieg arbeitete Forster zunächst als Lazarettarzt in Kiel, ab 1915 bis September 1918 war er Oberarzt der Nervenabteilung des Heeres-Kriegslazaretts II, das in Belgien stationiert war. 1916 wurde er zum ordentlichen Professor an der flämischen Universität Gent ernannt. Hier lehrte er Histologie, seine wissenschaftliche Tätigkeit erstreckte sich aber auf das gesamte Gebiet der Neurologie. Forster spezialisierte sich auf die neurologischen und psychologischen Folgen von Hirnverletzten. 1925 wurde er zum ordentlichen Professor der Universität Greifswald berufen, zugleich war er Direktor der Psychiatrischen Klinik. Als Marineoberarzt trat er 1926 auch in den Wissenschaftlichen Senat für das Heeressanitätswesen ein und war Mitglied des Preußischen Landesgesundheitsrates. Diese Mitgliedschaft wurde am 22. Juli 1933 erneuert. Nach Denunziationen wurde Forster am 31. August 1933 von seinem Amt als Hochschullehrer beurlaubt und verlor damit auch alle Ehrenämter. Wenige Tage später tötete sich Forster selbst.

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Pariser Exilantenkreise konstruierten eine Version von Forsters Selbsttötung, die mit einer angeblichen Behandlung Adolf Hitlers in Zusammenhang stand. Forster hatte Hitler jedoch nicht behandelt. Organisationen: Marine-Verein Quellen: UAG PA 486 Forster; Armbruster, Jan: Edmund Robert Forster (1878–1933). Lebensweg und Werk eines deutschen Neuropsychiaters, Husum 2005; Eberle, Henrik: Hitlers Weltkriege. Wie der Gefreite zum Feldherrn wurde, Hamburg 2014, S. 45 f.

Goroncy, Kurt (3. April 1896 Osterode (Ostpreußen); † 7. Juni 1952 Greifswald) Vater: Fleischermeister Konfession: evangelisch Goroncy besuchte das Gymnasium in Osterode und begann 1914 mit dem Studium der Medizin und Zahnheilkunde an der Universität Königsberg. Im Mai 1918 wurde er als Assistenzarzt eingezogen und war bis September 1919 in der Reichswehr tätig. 1920 promovierte er in Königsberg mit einer statistischen Dissertation über den Selbstmord. Im selben Jahr erhielt er die Approbation als Arzt und arbeitete danach kurzzeitig als Praktischer Arzt. Im Februar 1920 trat er eine Assistentenstelle im Institut für Gerichtliche Medizin der Universität Königsberg an und absolvierte im Sommersemester 1923 eine Zusatzausbildung für Pathologie an der Berliner Charité. 1925 legte er das Kreisarztexamen ab und wurde an der Universität Königsberg habilitiert. Im selben Jahr führte er das erste deutsche Urteil herbei, bei dem aufgrund einer Blutgruppenuntersuchung Recht gesprochen wurde. 1931 erhielt Goroncy den Titel eines außerordentlichen Professors. 1934 wurde er zum ordentlichen Professor für Rechtsmedizin an der Universität Greifswald ernannt. 1937 wurde Gonorcy auf eigenen Antrag hin beurlaubt, weil eine Mitarbeiterin seines Instituts das von ihm gezeugte Kind verlor. Die Frau wurde wegen Abtreibung verurteilt, Goroncy wieder in sein Amt eingesetzt. Durch jahrelangen Alkohol- und Medikamentenmissbrauch sowie starke Nikotinsucht geschwächt, erkrankte Goroncy häufig. Unter anderem litt er unter starker Polyneuritis und musste sich mehrfach in Kliniken unterbringen lassen. Im Februar 1944 wurde Goroncy in den Ruhestand versetzt und wegen Unterschlagung angeklagt, da er den konsumierten Alkohol aus Mitteln des Instituts bezahlt hatte. Organisationen: NSDAP seit Frühjahr 1933, Mitglied Nr. 1.845.960; NSD-Dozentenbund; bis zur Berufung nach Greifswald Mitglied der Gauleitung Ostpreußen als Leiter des NS-Ärztebundes; Vertrauensmann des NSLB und ärztlicher Sachverständiger im Amt für Beamte; nach eigener Angabe am 7. März 1944 aus der NSDAP ausgeschlossen Quellen: UAG PA 493 Goroncy, K 732 Mappe Goroncy; BA DS Goroncy, R 4901/13264 Karteikarte Goroncy; Kürschner.

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Hämel, Josef (* 18. November 1894 Straubing; † 9. April 1969 München) Vater: Volksschullehrer, Bezirksschulrat Konfession: katholisch, 1939 Austritt Die Reifeprüfung legte Hämel 1914 am humanistischen Gymnasium Straubing ab. Er meldete sich mit Kriegsausbruch freiwillig zu den Lanzenreitern und wurde zunächst an der West, später an der Ostfront eingesetzt (befördert zum Feldwebel, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Nach einer Verwundung arbeitete er als Dolmetscher in verschiedenen Stäben. Nach der Demobilisierung studierte er Medizin an der Universität Würzburg. Mit einer Dissertation Über verkalkte Schleimbeutel in der Schulter promovierte er 1922 zum Dr. med. Danach arbeitete er am Institut für Experimentelle Therapie Frankfurt am Main. Eine planmäßige Assistentenstelle erhielt er 1925 an der Universitätshautklinik Würzburg, wo er sich vor allem mit Nachweisreaktionen für verschiedene Tuberkuloseerkrankungen beschäftigte. Mit einer Studie über das Serum tuberkulöser Patienten wurde er 1929 habilitiert. 1933 folgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor. Im Juni 1935 wurde Hämel auf den Lehrstuhl für Haut- und Geschlechtskrankheiten an der Universität Greifswald berufen, wechselte aber bereits zum Wintersemester 1935/36 an die Universität Jena. Hier regte er zahlreiche Studien zu verschiedenen Geschlechtskrankheiten und deren chemotherapeutischen Behandlungsmethoden an. Außerdem beschäftigte er sich mit Diagnoseverfahren, die für Reihenuntersuchungen geeignet waren. Von 1939 bis 1944 amtierte er als Dekan der Medizinischen Fakultät. Während des Zweiten Weltkriegs leitete er die Reservelazarettabteilung der Hautklinik (1944 befördert zum Oberstabsarzt, ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse). Im Dezember 1945 wurde Hämel als Professor entlassen, erhielt jedoch die Erlaubnis, weiterhin in der Hautklinik zu praktizieren. Die Wiederberufung zum Professor mit Lehrstuhl erfolgte 1947. Von 1951 bis zum August 1958 war er Rektor der Universität Jena. Seine „Republikflucht“ begründete er mit einer geplanten Propagandakampagne gegen die Universitäten der Bundesrepublik, für die er sich nicht habe missbrauchen lassen wollen. Im März 1959 wurde er auf einen Lehrstuhl für Dermatologie an der Universität Heidelberg berufen. Hier amtierte er 1961/62 als Dekan und wurde 1963 emeritiert. Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.564.220, November 1933 SA, Sturmbannarzt Quellen: UAG MF I 87; BA R 4901/13267 Karteikarte Hämel; Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon, Bd. 3, S. 245; Siegling, Claudia: Prof. Dr. med. Josef Hämel (1894–1965). Leben und Werk, Diss. med. dent. Jena 2005.

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Herrmann, Alexander (5. November 1900 Darethen (Kreis Allenstein, Ostpreußen); † 6. August 1981 München) Vater: Gutsbesitzer Konfession: gottgläubig Herrmann besuchte die Volksschule und erhielt Privatunterricht. Das Gymnasium absolvierte er in Berlin und Rastenburg. 1917 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und war in einem Pionierregiment eingesetzt. Nach der Demobilisierung begann er das Studium der Rechtswissenschaft und der Medizin in Königsberg, das er für Einsätze in einer Freiwilligeneinheit unterbrach (1919 beim Grenzschutz in Ostpreußen, 1920 Teilnahme Kapp-Putsch). Er setzte das Studium in Kiel, Rostock, München und Berlin fort. Hier bestand er 1922 das Staatsexamen und 1923 erhielt er die Approbation. Mit einer Dissertation Über Kindsmord in Berlin zwischen 1914 und 1920 promovierte er 1923 an der Universität Berlin zum Dr. med. In der Chirurgischen Klinik der Universität Gießen trat Herrmann 1924 eine Assistentenstelle an. 1926 wurde er hier zum Oberarzt befördert. Ein Jahr danach wechselte er als Assistent in die Hals-Nasen-Ohrenklinik der Universität Gießen und habilitierte sich 1928 für HNO-Heilkunde. Den Professorentitel erhielt er 1934. Im selben Jahr wurde er Chefarzt der HNO-Klinik im Städtischen Krankenhaus Erfurt. Herrmann, der sich in der SS engagierte, wurde zugleich Führer der Sanitätsstaffel der 67. SS-Standarte Erfurt. Nach Auseinandersetzungen mit Dienstvorgesetzten legte Herrmann das Amt nieder und meldete sich 1936 als Reservist zur Heeres-Sanitätsstaffel in Meiningen (Thüringen). Auf das planmäßige Extraordinariat für HNO-Heilkunde an der Universität Greifswald wurde Herrmann 1939 berufen, 1943 folgte die Beförderung zum ordentlichen Professor. Während des Zweiten Weltkriegs leitete er neben der Ohrenklinik eine Lazarettabteilung im eigenen Haus. In den Semesterferien war er kurzfristig als Beratender HNO-Arzt bzw. als Chirurg eingezogen. Außerdem war er Beratender Otologe im Wehrkreis II. Im Frühjahr 1945 versuchte Herrmann seine Familie nach Hessen zu bringen, was von der NSDAP-Kreisleitung verhindert wurde. Er selbst wurde eingezogen und geriet im Frühjahr 1945 als Otologe in einer Heeresgruppe in Garmisch in amerikanische Gefangenschaft. 1946 erhielt Herrmann den Ruf auf eine ordentliche Professur für Chirurgie und HNOHeilkunde an der Universität Mainz. 1952 wurde er an die Universität München berufen. Herrmanns Spezialgebiet waren Röntgenologie und Chirurgie des Ohrs, für dessen Erkrankungen er neue Operationsmethoden entwickelte. Von 1935 bis 1945 war er Mitherausgeber der Zeitschrift Der Hals, Nasen- und Ohrenarzt. Sein Lebenswerk war ein Kompendium möglicher Operationsfehler und ihrer Behebung (Gefahren bei Operationen an Hals, Ohr und Gesicht und die Korrektur fehlerhafter Eingriffe, Berlin u. a. 1968). Organisationen: NS-Ärztebund; NSLB; NSV; NS-Kolonialbund; Reichsbund der Offi-

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ziere; SS; Führer der Sanitätsstaffel der 67. SS-Standarte Erfurt; am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.486.822, am 23. Februar 1945 ausgeschlossen, weil er Frau und Kinder aus Greifswald wegbrachte Quellen: UAG PA 498 Herrmann; BA R 4901/13266 Karteikarte Herrmann; für den Parteiausschluss UAG R 2259, Bl. 36; NSDAP-Ortskartei; Kürschner.

Herzberg, Kurt (* 29. April 1896 Berlin; † 15. November 1976 Frankfurt am Main) Vater: Regierungsrat, Professor, Direktor des Materialprüfungsamtes in Berlin-Dahlem Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Herzberg 1914 am Realgymnasium in Berlin-Steglitz ab. Vom Kriegsdienst wurde er wegen starker Kurzsichtigkeit zunächst zurückgestellt, so dass er in Berlin das Studium der Medizin beginnen konnte. Er wurde 1917 zur Artillerie eingezogen, leistete dann aber ab Januar 1918 Dienst als Unterarzt im Vereinslazarett Neustadt am Rübenberge. Nach der Entlassung setzte er das Studium in Rostock und Berlin fort. Das Staatsexamen legte er 1920 ab und arbeitete danach im Pathologischen Institut der Charité Berlin. Mit einer Dissertation über einen Fall bemerkenswerter Gefäßveränderungen nach Osteomyelitis promovierte er im selben Jahr zum Dr. med. 1921 trat Herzberg in die Bakteriologische Abteilung des Reichsgesundheitsamts ein, wo er 1926 mit selbstständigen Forschungen über Herpesviren begann. Um sich an der Medizinischen Akademie Düsseldorf für die Fächer Hygiene und Bakteriologie zu habilitieren, wechselte er 1927 auf eine Oberarztstelle am Hygienischen Institut des Städtischen Krankenhauses Düsseldorf. Hier setzte er seine Studien zu Viruserkrankungen fort und wurde 1934 zum außerordentlichen Professor ernannt. Obwohl Herzberg in Düsseldorf denunziert worden war, nominierte ihn die Medizinische Fakultät Greifswald wegen seiner bahnbrechenden Forschungen für den vakanten Lehrstuhl für Hygiene und Bakteriologie. Daher wurde Herzberg 1936 zunächst kommissarischer Direktor des Hygieneinstituts. Erst 1938 folgte die Berufung auf die ordentliche Professur, einen Ruf nach Prag schlug Herzberg 1941 aus. Zugleich leitete er das Medizinische Untersuchungsamt für Vorpommern. Seit 1937 hatte Herzberg Wehrmachtsübungen bei der Sanitätsstaffel Stettin absolviert. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er als Beratender Hygieniker der Wehrmacht in Polen und Lothringen eingesetzt. Nach dem Ende des Frankreichfeldzugs wurde er ins Generalgouvernement beordert, um die Fleckfieberbekämpfung zu unterstützen. Im Oktober 1941 war er beim Oberbefehlshaber Südost (Griechenland) bei der Eindämmung einer Gelbsuchtepidemie eingesetzt. Seit Kriegsbeginn arbeitete Herzberg mit der Militärärztlichen Akademie zusammen. Aus der Gelbsuchtforschung wurde er herausgedrängt und im Hinblick auf die Entwicklung einer Grippeschutzimpfung kam es zu Rivalitäten und harten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen. Für seinen Grippeschutzimpfstoff, der mit abgetöteten Viren hergestellt wurde,

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erhielt er 1945 das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse. Von Oktober 1945 bis Oktober 1946 war Herzberg Seuchenkommissar für Mecklenburg-Vorpommern und dämmte in Zusammenarbeit mit den sowjetischen Sanitätsoffizieren mehrere Epidemien ein. Eine Berufung an die Humboldt-Universität Berlin scheiterte 1947 an Herzbergs Forderungen im Hinblick auf die Ausstattung mit Versuchstieren. 1951 wechselte er als ordentlicher Professor für Hygiene an die Universität Marburg und wurde zugleich zum Direktor des MedizinalUntersuchungsamtes Marburg ernannt. Der Lehrstuhl für Hygiene und Bakteriologie an der Universität Frankfurt/Main wurde ihm 1956 übertragen. Bei der Entwicklung von Impfsera arbeitete er in Hessen mit den Behring-Werken zusammen. Organisationen: 1933 SA, Sanitätsoberscharführer; 1937 NSV; laut Klee: NSLB; NSDÄB. Quellen: UAG PA 632 Herzberg; Catalogus professorum academiae Marburgensis, Bd. 2, S. 265; Klee, Personenlexikon, S. 248.

Hey, Rolf (* 6. Dezember 1892 Berlin; † 14. Oktober 1940 Frankfurt am Main) Vater: Postdirektor Konfession: katholisch Das Gymnasium besuchte Hey in Emmerich im Rheinland. Nach der Reifeprüfung (1912) studierte er Medizin in Bonn, wo er die ärztliche Vorprüfung ablegte. Seit August 1914 leistete er freiwilligen Kriegsdienst bei der Kavallerie und war zunächst an der West-, dann an der Ostfront eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse sowie dem Hamburgischen Hanseatenkreuz). Nach einer schweren Verwundung wurde er als Genesender an der Militärstation der Universität Königsberg als Hilfsassistent beschäftigt. Parallel setzte er sein Studium fort und wurde 1917 zum Feldunterarzt befördert. Er kam wieder an der Westfront zum Einsatz und kehrte nach der Demobilisierung nach Königsberg zurück. Hier legte er das Staatsexamen ab und promovierte 1919 mit der Dissertation Über Pneumatosis cystoides intestini hominis zum Dr. med. Im selben Jahr ging er als Volontär an die Universität Köln, wo er 1920 eine planmäßige Assistentenstelle am Pathologischen Institut erhielt. Im März 1922 wurde er außerplanmäßiger Assistent in der Psychiatrischen Klinik der Universität Köln und wechselte im Herbst desselben Jahres als planmäßiger Assistent zum Institut für Gerichtliche und Soziale Medizin der Universität Bonn. Das Kreisarztexamen legte er 1925 ab und habilitierte sich mit einer Studie über Die forensische Bedeutung der individuellen Blutdiagnose. Er wurde zum Oberarzt befördert und 1927 auf den Lehrstuhl für Gerichtliche und Soziale Medizin an der Universität Greifswald berufen. Hey, der von den kriminal- und sozialpolitischen Vorstellungen seiner Lehrer Gustav Aschaffenburg (1866–1944) und Victor Müller-Hess (1883–1960) geprägt war, hielt hier neben kriminalistischen und

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gerichtsärztlichen auch Vorlesungen über „abnorme, verwahrloste und kriminelle Jugendliche, einschl.[ießlich] Jugendschutz und Jugendgerichtshilfe“. Hey gehörte zu den Befürwortern rassenhygienisch motivierter Sterilisierungen und publizierte auch über die aus nationalsozialistischer Sicht notwendige Behandlung angeblich „minderwertiger“ Menschen. Nach der Bildung von Erbgesundheitsgerichten gehörte er dem Erbgesundheitsobergericht Stettin an. Im Februar 1933 wurde Hey zum Dekan der Medizinischen Fakultät gewählt und trieb deren Umgestaltung voran. Im Oktober 1934 wurde er auf den Lehrstuhl für Gerichtliche Medizin an der Universität Frankfurt berufen. Hier war er vor allem mit der Neueinrichtung des Instituts beschäftigt. Eine geplante größere Studie über jugendliche Straftäter blieb wegen Heys plötzlichem Tod nach einer akuten Erkrankung unveröffentlicht. Organisationen: 1933/34 SA; zum 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP; Rassereferent bei der Kreisleitung; Vorsitzender der Ortsgruppe Greifswald der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene; in Frankfurt Schulungsreferent des Amtes für Volksgesundheit der NSDAP-Gauleitung Quellen: UAG MF I Nr. 63, K 5978, Bl. 32; Kurstedt, Anja: Der Gerichtsmediziner Rolf Hey (1892–1940). „Mehr sein als scheinen“, Diss. med. Greifswald 2000; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 88 f.

Hirt, August (* 29. April 1898 Mannheim; † 2. Juni 1945 Schönenbach am Schluchsee (Selbsttötung)) Vater: Gipsermeister Konfession: ohne Der Sohn eines Schweizers meldete sich als Schüler 1914 als Kriegsfreiwilliger zum 2. Badischen Grenadierregiment 110 (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Verwundetenabzeichen in Silber). Als schwer Kriegsbeschädigter wurde er 1916 entlassen. Die Reifeprüfung legte er 1917 am Gymnasium Mannheim ab. Danach studierte er Medizin an der Universität Heidelberg und erhielt 1922 die Approbation. Im selben Jahr promovierte er mit einer Dissertation über den Sympathicusnerv fossiler Saurier zum Dr. med. und wurde als Zweiter Prosektor im Anatomischen Institut eingestellt. Er habilitierte sich 1925 mit einer Schrift über den Faserverlauf der Nerven in der menschlichen Niere. Zum planmäßigen außerordentlichen Professor wurde Hirt 1930 ernannt. Seit Ende der zwanziger Jahre entwickelte er mit einem jüdischen, später emigrierten, Kollegen eine Methode zur Untersuchung lebender Zellen im Mikroskop, die sogenannte Fluoreszensmikroskopie. Seit Januar 1935 vertrat er den vakanten Lehrstuhl für Anatomie in Greifswald und wurde gegen den Willen der Fakultät 1936 auf das Ordinariat berufen. Er erwies sich als kompetent und durchsetzungsfähig und wechselte 1938 nach Frankfurt am

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Main, wo er sich ein größeres Wirkungsspektrum erhoffte. Da Hirts Zusammenarbeit mit der Militärärztlichen Akademie auf dem Gebiet der Kampfstoffe 1939/40 scheiterte, nahm er Kontakt zur SS auf und nutzte fortan deren Ressourcen zur Durchführung von Experimenten. Die Berufung auf einen Lehrstuhl an der Reichsuniversität Straßburg 1941 und die gleichzeitige Beförderung zum Leiter des Instituts für Wehrwissenschaftliche Zweckforschung eröffneten weitere Möglichkeiten. Hirt und seine Mitarbeiter untersuchten Vergiftungen mit dem Kampfstoff Lost an jüdischen Häftlingen des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof und unternahmen – vergebliche – Therapieversuche mit einem von Hirt entwickelten Wirkstoff auf Vitamin-A-Basis. Obwohl mehrere Probanden starben, wurde die Versuchsreihe fortgesetzt, was den Tod von weiteren Menschen zur Folge hatte. Hirt war außerdem eingebunden in eine anatomische Studie des SS-Ahnenerbes, bei der Schädel und Skelette von Juden für Forschungszwecke präpariert wurden. Für diese Morde an mindestens einhundert Menschen machten Hirts Mitarbeiter später allein ihn verantwortlich und entzogen sich so der Anklage. Organisationen: 1919 bis 1923 Technische Nothilfe; ab 1930 Organisation des Wehrsports an der Universität Heidelberg; 1932 NS-Bühnenkampfbund überführt in NS-Kulturgemeinde; 1. April 1933 SS; 1934 NSLB; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.834.923 Quellen: UAG MF I Nr. 88; Berlin BA R 4901/13266 Karteikarte Hirt; BDC-Unterlagen SSO Hirt, Karteikarte Ortskartei der NSDAP; Müßig, Katrin: Prof. Dr. med. August Hirt 1898–1945. Leben und Werk, Diss. med. Regensburg 2014.

Hofe, Karl vom (* 6. März 1898 Lüdenscheid (Westfalen); † 29. August 1969 Düsseldorf ) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch Die Notreifeprüfung legte vom Hofe 1916 am Realgymnasium Lüdenscheid ab. Nach kurzer militärischer Ausbildung wurde er als Musketier an der Westfront eingesetzt. Im September 1917 verwundet, schloss sich ein sechsmonatiger Lazarettaufenthalt an. Die letzten Kriegsmonate verbrachte er in einer Ausbildungseinheit. Ab 1919 studierte vom Hofe Medizin in Marburg und Bonn. 1923 erhielt er eine Assistentenstelle an der Universitätsaugenklinik Bonn und wurde 1924 approbiert. 1924/25 war er Assistent am Physiologischen Institut der Universität Berlin, 1926 an der Augenklinik der Universität Jena wo er sich 1927 mit einer Studie über Klinische und experimentelle Beiträge zur Wirkungsweise der medikamentösen Glaukomtherapie habilitierte. 1929 wechselte er als Oberarzt an die Universitätsaugenklinik Leipzig, 1930 an die Universitätsaugenklinik Köln, wo er 1933 zum außerordentlichen Professor ernannt wurde. 1935 wurde vom Hofe zum planmäßigen außerordentlichen Professor für Augenheilkunde an der Universität Greifswald

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berufen und 1937 zum ordentlichen Professor befördert. 1938 wurde vom Hofe an die Universität Köln berufen und nach 1945 dort weiterbeschäftigt. Vom Hofe verfasste unter anderem eine knappe Einführung in die Augenheilkunde, die mehrfach aufgelegt wurde. Organisationen: 1919 DNVP; Stahlhelm überführt in den NSDFB; in Köln Mitglied der Dozentenschaft; Leiter des Amtes für Geländesport; Aufnahme in die NSDAP zum 1. Mai 1937, Mitglied Nr. 5.737.800 Quellen: UAG MF I 61; BA R 4901/13266 Karteikarte v. Hofe; Kürschner; Töpel, Stephan: Die Universitätsaugenklinik im Nationalsozialismus unter besonderer Beachtung ihres ärztlichen Personals, Diss. med. Greifswald 2013, S. 49–64.

Hoppe-Seyler, Felix Adolf (* 25. September 1898 Kiel; † 11. November 1945 Greifswald) Vater: Universitätsprofessor, Internist Konfession: evangelisch Der Enkel des berühmten Physiologen Felix Hoppe-Seyler besuchte die Oberrealschule in Kiel. 1916 wurde er zur Artillerie eingezogen. Er nahm 1917 an den Stellungskämpfen in Frankreich und an der Isonzofront teil (ausgezeichnet mit dem Verwundetenabzeichen in Schwarz und dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Im Frühjahr 1918 wurde er auf der Schießschule Jüterbog ausgebildet und von Juni bis Dezember 1918 in Nordfrankreich eingesetzt. Von 1919 bis 1923 studierte er in Kiel, Freiburg und Tübingen Medizin. Die medizinischen Praktika absolvierte er am Pathologischen Institut Kiel und an der Medizinischen Klinik Heidelberg, wo er sich chemischen und präparatorischen Arbeiten widmete. Nach der Approbation 1924 erhielt er eine Assistentenstelle in Heidelberg. Ein Rockefeller-Stipendium der Notgemeinschaft ermöglichte ihm von 1926 bis 1929 Forschungen am Physiologisch-Chemischen Institut der Universität Würzburg. 1929 erhielt er dort eine planmäßige Assistentenstelle. 1930 habilitierte sich Hoppe-Seyler für das Fachgebiet Physiologische Chemie und wurde zum Direktor des Physiologisch-Chemischen Laboratoriums in Würzburg ernannt. 1934 folgte die Berufung auf eine ordentliche Professur an der Universität Greifswald. Als Direktor des Physiologischen Institutes trieb er dessen Modernisierung voran. 1940 wurde Hoppe-Seyler zur Militärärztlichen Akademie eingezogen (Dienstgrad Stabsarzt, 1944 Oberstabsarzt). 1942 folgte die Versetzung an das Reservelazarett Greifswald. Hoppe-Seyler untersuchte vor allem die Folgen traumatischer Schädigungen durch mechanische oder chemische Einwirkungen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft waren sie als kriegswichtig eingestuft. 1945 zum Dekan der Medizinischen Fakultät gewählt, bemühte er sich um Kontinuität beim Neuaufbau. Laut Wikipedia führte Diabetes mellitus zu seinem frühen Tod. Organisationen: Kyffhäuserbund; 1934 Hitlerjugend, Unterbannarzt, stellvertretender Bannarzt; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.742.912

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Quellen: UAG 625 PA Hoppe-Seyler; BA R 4901/13266 Karteikarte Hoppe-Seyler, R 73/11799; Wikipedia-Personeneintrag.

Jacobi, Walter (*5. August 1889 Gebstedt (Sachsen-Weimar); † 13. Juni 1938 Stettin (Selbsttötung)) Vater: Pfarrer Konfession: evangelisch Das Abitur legte Jacobi am Gymnasium in Weimar ab. Er studierte in Jena Medizin und erhielt dort 1914 die Approbation. 1911/12 absolvierte Jacobi die Einjährig-freiwillige-Ausbildung zum Reserveoffizier in einem Leipziger Infanterieregiment. Ab 1914 leistete er Kriegsdienst als Arzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse). Bei einem Frontaufenthalt promovierte er 1915 mit einer Dissertation an der Universität Jena über das „Zwangsmäßige“ im dichterischen Schaffen Goethes. 1917 wurde er zum Oberarzt der Reserve ernannt. 1918 wurde Jacobi als planmäßiger Assistent an der Jenaer Universitätsnervenklinik eingestellt und wurde 1922 habilitiert. 1924 wurde er zum außerordentlichen Professor für Psychiatrie und Neurologie ernannt. 1926 erhielt Jacobi die Stelle des Chefarztes der Thüringer Landesheilanstalten in Stadtroda. 1931 wechselte er als Klinikdirektor an die Neurologische Klinik in Magdeburg. Im Dezember 1934 wurde Jacobi, der sich selbst als „Führer der Medizinischen Gesellschaft in Magdeburg“ seit 1933 und als „Führer der medizinischen Gesellschaft deutscher Nervenärzte“ bezeichnete, zunächst vertretungsweise als ordentlicher Professor an die Universität Greifswald berufen (Nachfolge Ewald). Er selbst sah sich als Spezialist für „organische Erkrankungen des Zentralnervensystems“. Da er im Fragebogen unrichtige Angaben zur teilweise jüdischen Herkunft seiner zweiten Ehefrau Clara Baedeker gemacht hatte, wurde er 1935 beurlaubt und einem Disziplinarverfahren ausgesetzt. Nach mehreren Wendungen wurde Jacobi schließlich zum 31. Dezember 1937 aufgrund § 6 Berufsbeamtengesetz in den Ruhestand versetzt. Kurze Zeit später tötete er sich selbst. Organisationen: im März 1933 Eintritt in die SS, Mitglied Nr. 70.077, 1934 befördert zum Scharführer; 1934 NS-Ärztebund, Mitglied Nr. 5151; zum 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 1.983.800 Quellen: UAG PA 623 Jacobi; BA R 4901/13267 und 15765.

Katsch, Gerhardt (* 14. Mai 1887 Berlin; † 7. Mai 1961 Greifswald) Vater: Maler und Autor Konfession: evangelisch Katsch absolvierte das Französische Gymnasium in Berlin und bestand 1905 die Reifeprüfung. Er studierte Biologie, Physik und Philosophie in Paris, ab 1906 Medizin in

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Marburg und Berlin. 1911 legte er die ärztliche Prüfung ab und trat als Medizinalpraktikant in die Pathologie der Charité ein. 1912 erhielt er die Approbation und promovierte mit einer Studie zur Magenbewegung. Im Februar 1912 folgte Katsch seinem Mentor Gustav von Bergmann zum Krankenhaus in Altona, wo er rasch vom Assistenz- zum Oberarzt befördert wurde. 1913 leistete Katsch den Einjährig-freiwilligen-Dienst beim Infanterieregiment 91 ab. Während des Ersten Weltkriegs war Katsch seit August 1914 als Arzt eingesetzt und machte die Stellungskämpfe an der Westfront mit (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Verdienstkreuz von Mecklenburg-Strelitz). In der Schlacht an der Somme wurde er verwundet und 1917 vorübergehend beurlaubt. 1917 wurde Katsch, der mit von Bergmann an die Universität Marburg ging, dort kumulativ habilitiert. Von Juli bis November 1918 leitete er eine Kriegslazarettabteilung und erhielt den Professorentitel. 1920 wechselte er mit von Bergmann an die Universitätsklinik in Frankfurt am Main. 1926 schied er aus und wurde Chefarzt der Medizinischen Klinik des Hospitals zum Heiligen Geist in Frankfurt. 1928 wurde Katsch zum ordentlichen Professor für Innere Medizin und Direktor der Medizinischen Klinik an die Universität Greifswald berufen. Hier profilierte er sich als Pionier der Diabetesbehandlung durch Arbeitstherapie und begleitende biochemische Behandlungen. Katschs Therapie entwickelte sich noch vor dem Zweiten Weltkrieg trotz ihres experimentellen Charakters zum europäischen Modell. Bereits in Frankfurt erneuerte er den Kontakt zur Reichswehr und wurde 1927 als Stabsarzt der Reserve bestätigt. Die Beförderung zum Oberfeldarzt folgte 1943, die zum Oberstarzt am 9. November 1944. Am 26. August 1939 wurde Katsch zum Chefarzt des Reservelazaretts Greifswald ernannt, das im Wesentlichen aus den Lazarettabteilungen in den Universitätskliniken bestand, bis 1945 jedoch auf mehr als zehntausend Betten anwuchs. Da Katsch auch eine Verwendung an der Front anstrebte, entwickelte er ein Austauschsystem mit seinen jeweiligen Oberärzten. Daher war er von November 1941 bis Ende März 1942 auf dem Balkan und von Mai bis November 1943 an der Ostfront eingesetzt, wo er Missstände beseitigte. An der kampflosen Übergabe der Stadt Greifswald am 29./30. April 1945 wirkte er als dienstältester Sanitätsoffizier mit. Ende 1945 wurde Katsch wie alle ehemaligen Nationalsozialisten entlassen, von der Besatzungsmacht jedoch in seinem Amt bestätigt. Einen Ruf an die Universität Mainz lehnte er ab, der 1947 ergangene Ruf an die Universität Berlin wurde nicht bestätigt, so dass Katsch in Greifswald blieb. 1950 unterschrieb er einen Einzelvertrag. Im Zuge der Bodenreform erhielt die Universität das Schloss Karlsburg der Familie von Bismarck-Bohlen, wo Katsch ein zweites Diabetikerheim einrichtete, das aber an die Deutsche Zentralverwaltung für Gesundheitswesen abgegeben wurde. 1955 wurde Katsch das Amt des Rektors übertragen, um sein Prestige in Ost und West bei den 500-Jahr-Feierlichkeiten 1956 propagandistisch auszunutzen. Katsch nutzte diese Stellung aber auch, um sich für verhaftete Studenten einzusetzen und den Einfluss der SED-Parteiorganisation vorübergehend einzudämmen.

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Organisationen: am 1. März 1933 Eintritt in den Stahlhelm, 1934 überführt in SA, Scharführer, 1935 Sturmführer z. b. V.; am 24. Juli 1937 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.865.153; 1934 Förderndes Mitglied der SS; NS-Fliegerkorps; NSLB Quellen: UAG PA 1276 Katsch, R 2269; BA R 4901/13267 Karteikarte Katsch, Mitgliedskarte Ortskartei; BA-MA RW 59/2090 Karteikarte Katsch; Gerhardt Katsch: Greifswalder Tagebuch 1946–47, Kiel 2007.

Konjetzny, Georg (26. April 1880 Gleiwitz (Schlesien); † 10. Februar 1957 Hamburg) Vater: Bauführer, Maurerpolier Konfession: katholisch Konjetzny besuchte Volksschule, Oberrealschule und das Gymnasium in Gleiwitz und studierte ab 1901 Medizin an der Universität Breslau. 1906 promovierte er dort mit einer Studie über die Ausscheidung von Zucker im Harn nach Knochenbrüchen (Glykosurie nach Frakturen) zum Dr. med. Er arbeitete als Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus in Gleiwitz, 1907/08 im Pathologisch-Hygienischen Institut der Stadt Chemnitz, ab Mai 1908 in der Chirurgischen Universitätsklinik Kiel. 1913 wurde er an der Universität Kiel habilitiert. Ab 1914 leitete er als stellvertretender Direktor die Chirurgische Universitätsklinik. Während des Ersten Weltkriegs war er als landsturmpflichtiger Arzt, später als Assistenzarzt und Beratender Chirurg des XIV. Reservearmeekorps eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse, dem Badischen Verdienstkreuz und der Rot-Kreuz-Medaille). Als Beratender Chirurg führte Konjetzny 1918 auch Kurse für schwedische Militärärzte durch, wofür er den Wasa-Orden I. Klasse erhielt. 1918 wurde ihm der Professorentitel zuerkannt. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg engagierte er sich für den Verbleib Oberschlesiens beim Deutschen Reich (ausgezeichnet mit dem Schlesischen Adlerorden II. Klasse). 1921 wurde er zum Oberarzt der Chirurgischen Universitätsklinik Kiel ernannt. 1929 übernahm Konjetzny die Leitung der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses in Chemnitz, 1930 wurde er Chefarzt der Chirurgischen Klinik der Städtischen Kliniken in Dortmund. Im selben Jahr legte er eine zusammenfassende wegweisende Monographie über Die entzündliche Grundlage der typischen Geschwürsbildung im Magen und Duodenum vor. Im September 1934 wurde er als ordentlicher Professor für Chirurgie an die Universität Greifswald berufen (Nachfolge Pels Leusden). Bereits zum 1. April 1935 wechselte er als Ordinarius an die Universität Hamburg. 1945 wurde Konjetzny entlassen und nach der Entnazifizierung 1947 erneut zum Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Hamburg ernannt. Er wurde 1950 emeritiert. Organisationen: 1919/20 Abstimmungsausschuss der heimattreuen Oberschlesier; am 1. November 1933 Aufnahme in die SA, Dienstgrad Sanitätsrottenführer beim Stab der Brigade X; Förderndes Mitglied der SS; 1936 NSD-Dozentenbund; am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.350.343; 1939 NS-Ärztebund

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Quellen: UAG PA 2414 Konjetzny; BA R 4901/13268 Karteikarte Konjetzny, Mitgliedskarte Ortskartei; Klee, Personenlexikon, S. 330, Kürschner.

Linck, Alfred (* 29. August 1875 Guttstadt, Kreis Heilsberg (Ostpreußen); † 6. Mai 1939 Greifswald) Vater: Apotheker Konfession: evangelisch Linck besuchte Gymnasien in Königsberg und Elbing (Reifeprüfung 1895). Er absolvierte das Einjährig-freiwillige-Jahr als Arzt und danach weitere militärische Übungen (1910 Stabsarzt). Er studierte Medizin in Königsberg und Bonn. 1900 wurde er in Königsberg mit einer Dissertation über einen seltenen Fall von Eierstockkrebs zum Dr. med. promoviert (Ein Fall von Endothelioma lymphaticum kystomatosum beider Ovarien). Danach bekleidete er verschiedene Assistentenstellen, unter anderem am Hygiene-Institut Posen, dem Urban-Krankenhaus Berlin und der Städtischen Klinik Danzig. Kurzzeitig war er auch als niedergelassener Arzt tätig. 1909 erhielt Linck eine Assistentenstelle an der Universitätsohrenklinik Königsberg und habilitierte sich 1910 in Königsberg für Ohrenheilkunde. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs eingezogen, leistete Linck Kriegsdienst im Feld und in verschiedenen Reservelazaretten (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und der Österreichischen Rot-Kreuz-Medaille II. Klasse mit Kriegsdekoration). Aus der Reichswehr wurde Linck formal 1922 als Oberstabsarzt entlassen. Im November 1918 wurde er Oberarzt der Ohrenklinik der Universität Königsberg. 1926/27 vertrat er einen Lehrstuhl an der Universität Köln. Bei der Besetzung der Nachfolge des wegberufenen HNO-Arztes wies die Medizinische Fakultät der Universität Greifswald 1928 auf den „katastrophalen Zustand“ in den Kliniken hin, weshalb sie dem Ministerium empfahl, einem „Vertreter der jüngeren Generation“ den Vorzug zu geben. Dieser müsse „sich mit jugendlicher Spannkraft und idealistischer Hingabe ganz in den Dienst einer aufbauenden Arbeit“ stellen können. Den wissenschaftlich eher unbedeutenden Linck nannte sie nicht. Trotzdem wurde der erfahrene Organisator und Militärarzt zum ordentlichen Professor der Universität Greifswald berufen und mit dem Aufbau der Ohrenklinik beauftragt. Nachdem der Bau und die Einrichtung 1935 abgeschlossen waren, wurde er mit dem Amt des Dekans betraut. Anfang 1939 bat Linck um Urlaub, kurz danach verstarb er an einer nicht näher beschriebenen Erkrankung. Linck publizierte zu Geschwülsten im Kehlkopf und der Zunge. Die Greifswalder Ohrenklinik versuchte er für die Behandlung infektiöser Krankheiten und langfristiger Kriegsfolgen zu profilieren. Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.144 Quellen: UAG PA 616 Linck; BA R 4901/13270 Karteikarte Linck.

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Loeschke, Hermann (* 13. Mai 1882 Dorpat; † 27. September 1958 Rostock) Vater: Universitätsprofessor Konfession: evangelisch Loeschke besuchte das humanistische Gymnasium in Bonn. Er studierte in Bonn, Berlin und wieder Bonn Medizin. 1906 erhielt er die Approbation und trat eine Assistentenstelle an der Medizinischen Abteilung des Friedrich-Wilhelm-Stifts in Bonn an. 1907 wurde er an der Universität Bonn zum Dr. med. promoviert. Kurzfristig arbeitete er als Assistent an der Chirurgisch-Gynäkologischen Abteilung, 1908 trat er eine Stelle als Schiffsarzt an. Nach der Rückkehr volontierte Loeschke am Pathologischen Institut der Kölner Akademie für Praktische Medizin (Augusta-Hospital). Dort wurde er 1910 zum Sekundararzt und 1910 Prosektor befördert. 1911 wurde er an der Universität Köln habilitiert. Seit 1913 Direktor des Pathologischen Instituts der Städtischen Krankenanstalten in Mannheim, war der nur für die Ersatzreserve taugliche Loeschke während des Ersten Weltkriegs von der Stadt Mannheim für unentbehrlich erklärt worden. Für seine Verdienste bei der Seuchenbekämpfung erhielt er 1918 das Badische Kriegsverdienstkreuz. 1929 wurde er zum ordentlichen Honorarprofessor der Universität Heidelberg ernannt. 1931 wurde Loeschke, der als Spezialist für die Pathologie der Lunge und für Degenerationen des Knochenskeletts galt, auf eine ordentliche Professur für Pathologie an der Universität Greifswald berufen. In der mit Pathologen unterversorgten Provinz Pommern war Loeschke mit der Leitung des Untersuchungsamt von Anbeginn überlastet, so dass die wissenschaftliche Tätigkeit den Nachwuchswissenschaftlern zufiel. Während des Zweiten Weltkriegs übernahm er auch die Sektion der Versuchstiere, zum Beispiel bei der Virusforschung. Außerdem war er Beratender Pathologe im Wehrkreis II. Als Nationalsozialist 1945 entlassen, erhielt er 1947 wieder die Berechtigung, Vorlesungen zu halten. 1948 wurde er als Professor mit Lehrstuhl für Pathologie an die Universität Rostock versetzt. Organisationen: 1939 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 7.420.568; NSV; NSÄrztebund; NSFK Quellen: UAG PA 622 Loeschke; BA R 4901/13270; BDC Ortskartei, Kürschner.

Martin, August (* 14. Juli 1847 Jena; † 26. November 1933 Berlin) Vater: Universitätsprofessor Konfession: evangelisch Martin studierte Medizin in Jena und Berlin. 1870/71 nahm er als Unterarzt in Feldlazaretten des VII. Armeekorps am Frankreichfeldzug teil. Danach arbeitete er als Assistenzarzt seines Vaters an der Universitätsfrauenklinik Berlin und wurde 1875 zum Sekundärarzt befördert. 1876 habilitierte er sich an der Universität Berlin für Gynäkologie und Geburtshilfe. Er rich-

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tete eine Privatklinik ein, die sich als Weiterbildungsinstitut internationale Reputation erwarb. 1893 erhielt er den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors. 1899 wurde Martin an die Universität Greifswald berufen, wo er die Frauenklinik auf den neuesten Stand brachte. 1907 wurde er wegen eines Gehörleidens emeritiert und zog zurück nach Berlin. 1895 gehörte er zu den Mitbegründern der Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, besondere Anerkennung erarbeitete er sich als Operateur, der verschiedene Operationsmethoden entwickelte. Außerdem entwarf er mehrere Instrumente, die in die operative Praxis eingeführt wurden. Weit verbreitet war sein Leitfaden der Geburtshilfe (1877), seine Pathologie und Therapie der Frauenkrankheiten erschien in mehreren Auflagen und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Organisationen: nicht ermittelt Quellen: UAG PA 535 Martin; Stürzbecher, Manfred: Martin, August Eduard, in: NDB 16, 1990, S. 284 f.

Meisner, Wilhelm (5. Oktober 1881 Wanne (Westfalen); † 2. Januar 1956 München) Vater: Arzt Konfession: evangelisch Zunächst besuchte Meisner die Schule in Wanne (heute Herne) im Ruhrgebiet. Danach wurde er auf das Joachimsthalsche Gymnasium in Berlin geschickt, wo er 1901 die Reifeprüfung ablegte. Er studierte Medizin in Marburg, Berlin, Straßburg, Kiel und wieder Straßburg, wo er 1906 mi einer Studie über Herzerkrankungen zum Dr. med. promoviert wurde (Über Endocarditis im Kindesalter). Danach arbeitete er als Assistenzarzt in Gelsenkirchen. 1909 wechselte er als Assistent an die Universitätsaugenklinik in Königsberg, wo er sich 1912 habilitierte. Während des Ersten Weltkriegs war er zunächst in einer Sanitätskompanie, später in einem Feldlazarett eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse, befördert zum Stabsarzt). 1917 wechselte er als Privatdozent an die Universität Berlin. 1920 legte Meisner gemeinsam mit seinem Königsberger Mentor Art(h)ur Brückner einen 650-seitigen Grundriss der Augenheilkunde für Studierende und praktische Ärzte vor, der zum maßgeblichen Lehrbuch des Fachs wurde. 1921 wurde Meisner zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. 1924 erhielt den Ruf auf eine ordentliche Professur für Augenheilkunde an der Universität Greifswald. 1933 wurde er zum Rektor gewählt und vom Kultusministerium bestätigt. Sein Rektorat war von einer schleppenden Umsetzung zentraler Richtlinien und Querelen an der Universität geprägt. Zum 1. April 1935 wurde Meisner auf eine ordentliche Professur an die Universität Köln berufen, 1937 wechselte er an die Universität München. 1945 wurde er von der amerikanischen Besatzungsmacht als Nationalsozialist entlassen. Im Zuge der Entnazifizierung konnte Meisner durch zahlreiche Gutsagen seine förmliche Emeritierung erreichen.

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Organisationen: 1934 SA; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.187.447 Quellen: UAG Med. Fak. I Nr. 62; BA Karteikarte der NSDAP Ortskartei; Kürschner; Rohrbach, Jens: Augenheilkunde im Nationalsozialismus, Stuttgart 2007, S. 69 f., 112.

Peiper, Albrecht (* 23. Oktober 1889 Greifswald; † 7. Oktober 1968 Leipzig) Vater: Universitätsprofessor Erich Peiper Konfession: evangelisch Das Gymnasium besuchte Peiper in Greifswald. Ab 1908 studierte er Medizin in Greifswald, Freiburg und München, unterbrochen durch den Dienst als Einjährig-Freiwilliger. 1913 legte er das Staatsexamen ab, 1914 wurde er in Greifswald mit der Dissertation Über ein malignes embryonales Leberadenom promoviert. Danach arbeitete er kurz als Schiffsarzt und wurde mit Kriegsausbruch 1914 als Unterarzt zum Reservelazarett Stettin eingezogen. Ab 1915 war er als Arzt an der Ost- und Westfront eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse). 1919 erhielt Peiper eine planmäßige Assistentenstelle an der Universität Berlin und habilitierte sich 1924 für das Fach Kinderheilkunde. Im Wintersemester 1926/27 vertrat er den Ordinarius für Kinderheilkunde an der Universität Greifswald. 1928 veröffentlichte er ein vielbeachtetes Buch über die bedingten und unbedingten Reflexe des Kindes (Die Hirntätigkeit des Säuglings). 1930 erhielt Peiper den Professorentitel und wurde 1931 Oberarzt an der Kinderklinik der Charité. 1934 mit der vertretungsweisen Leitung der Universitätskinderklinik in Bonn betraut, übernahm er im selben Jahr die Chefarztstelle des Städtischen Krankenhauses Wuppertal und damit auch die städtische Kinderfürsorge. Nach militärischen Übungen zum Stabsarzt der Reserve ernannt, wurde er jedoch unabkömmlich gestellt. Nach dem Tod Bischoffs wurde er 1943 mit der Leitung der Greifswalder Kinderklinik betraut und 1944 auf den Lehrstuhl für Kinderheilkunde berufen. Vor der Wiedereröffnung der Universität im Frühjahr 1946 wurde er formal entlassen, zugleich aber mit der vertretungsweisen Leitung der Kinderklinik beauftragt und im Sommer 1946 wieder eingestellt. 1948 folgte Peiper einem Ruf an die Universitätskinderklinik Leipzig, wo er 1958 emeritiert wurde. Danach widmete er sich medizinhistorischen Forschungen. Organisationen: Stahlhelm; 1934 NSD-Dozentenbund; am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.698.670; 1946 FDGB Quellen: UAG PA 548 Peiper, A.; BA R 4901/13273, Mitgliedskarte in der NSDAP-Ortskartei; Autobiographie: Erinnerungen eines Kinderarztes, Berlin (Ost) 1969.

Peiper, Erich (* 19. Mai 1856 Kloster Lebus (Schlesien); † 13. September 1938 Greifswald) Vater: Pastor Konfession: evangelisch

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Erich Peiper besuchte das Gymnasium in Liegnitz (Schlesien) und studierte dann in Greifswald Medizin. Nach der Promotion 1881 war er Assistenzarzt an der geburtshülflichen, dann medizinischen Klinik und Poliklinik. 1884 habilitierte er sich für das Fach Innere Medizin. 1891 erhielt er den Titel eines außerordentlichen Professors und arbeitete als Direktor der Universitätspoliklinik. Ab 1904 vertrat er den erkrankten Direktor der Kinderklinik. 1908 wurde Peiper zum Direktor der Greifswalder Kinderklinik ernannt. Weil die Klinik noch keine Einrichtung der Universität war, erhielt Peiper 1915 den Titel eines ordentlichen Honorarprofessors. 1921 wurde die Klinik in die Universität überführt und Peiper zum Ordinarius ernannt. Peiper forschte zu Impfungen, Parasitologie und der Säuglingshygiene. Durch sein Wirken konnte die Säuglingssterblichkeit im vorpommerschen Raum deutlich gesenkt werden. Im Jahr 1913 weihte er den Neubau der Kinderklinik in Greifswald ein. Organisationen: im November 1933 Eintritt in den Stahlhelm, 1934 in SA überführt, 1935 ehrenvoll entlassen Quellen: UAG PA 556 Peiper, E.; Med. Fak. I 200; Wikipedia-Personeneintrag.

Pels Leusden, Friedrich (* 12. August 1866 Willich; † 16. März 1944 Mehlem) Vater: Seidenfabrikant Konfession: evangelisch Friedrich Pels Leusden besuchte Volksschule und Gymnasium in Lüdenscheid. Sein Abitur legte er am Gymnasium Wetzlar ab. Er studierte Medizin an den Universitäten Marburg, Freiburg und Würzburg. Dort wurde er 1891 promoviert und absolvierte den Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger. 1892 erhielt er eine Assistentenstelle am Pathologischen Institut der Universität Marburg und wechselte 1896 als Assistent an die Chirurgische Universitätsklinik Göttingen. 1899 nahm er die Stelle des 2. Assistenten in der Chirurgischen Klinik der Charité Berlin an und wurde noch im selben Jahr zum Oberarzt und Leiter der Chirurgischen Poliklinik befördert. Er habilitierte sich 1900. Zugleich trieb er seine militärische Karriere voran, 1905 wurde er zum Stabsarzt der Reserve befördert. 1910 verfasste Pels Leusden eine mehrfach aufgelegte Operationslehre für Studierende und Ärzte. 1911 erhielt er den Ruf auf das Chirurgische Ordinariat der Universität Greifswald. Von Sommer 1914 bis Oktober 1915 leistete Pels Leusden Kriegsdienst an der Front (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse), danach war er als Beratender Chirurg in der Heimat eingesetzt. Die Universität wählte ihn 1918 zum Rektor. In der Weimarer Repu­ blik engagierte sich Pels Leusden für die DNVP, die er in der Bürgerschaft Greifswald und im Provinziallandtag Pommern vertrat. Im Juni 1934 wurde er auf eigenen Antrag hin von den amtlichen Verpflichtungen entbunden. Organisationen: 1918 DNVP bis zur Auflösung; 1919 bis 1928 Mitglied der Bürger-

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schaft Greifswald; 1919 bis 1928 Mitglied des Provinziallandtags; 1928 Staatsrat; Stahlhelm von der Gründung bis zur Überführung in die SA Quellen: UAG PA 553 Pels Leusden; BA R 4901/13273 Karteikarte Pels Leusden und 20072; Wikipedia-Personeneintrag.

Peter, Karl (* 2. Juli 1870 Frankfurt/Oder; † 16. März 1955 München) Vater: Direktor der Fürstenschule Meißen Konfession: evangelisch Peter absolvierte die Fürstenschule St. Afra in Meißen. Trotz seiner eher zoologischen Interessen entschied sich Peter 1890 für das Studium der Medizin, das er in Freiburg, Kiel, Leipzig, Marburg und wieder Freiburg absolvierte. 1894 wurde er mit einer vergleichenden Arbeit über die Wirbelsäulen der Gynophionen in Freiburg zum Dr. med. promoviert. 1885 legte er das Staatsexamen ab und absolvierte den Einjährig-freiwilligen-Dienst bei der Infanterie. 1904 wurde er als Stabsarzt in die Reserve versetzt. Seit 1896 war Peter Assistent am Anatomischen Institut der Universität Breslau und wurde schon 1897 zum Zweiten Prosektor ernannt. Nach der Habilitation 1898 wurde er 1899 zum Prosektor befördert. 1904/05 amtierte er als Prosektor am Anatomischen Institut der Universität Würzburg. Im Herbst 1905 wurde Peter zum Abteilungsleiter und außerordentlichen Professor an der Universität Greifswald ernannt. Mit Kriegsbeginn 1914 war Peter als Truppenarzt im Reserveinfanterieregiment 101 an der Westfront eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und hohen sächsischen Orden). Ab 1916 war er Arzt im Lazarett Königsbrück. 1917 wurde Peter zum ordentlichen Professor ernannt. 1935 wurde Peter emeritiert, aber 1939 erneut mit dem Abhalten von Vorlesungen betraut. Das Kriegsende verbrachte Peter in seinem Sommerhaus in Oberbayern und kehrte nicht nach Greifswald zurück. 1946 erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität München und wurde 1948 zum ordentlichen Professor berufen. 1950 wurde Peter emeritiert. Peters eigentliches Interessengebiet war die Entwicklungsgeschichte. Seine mikroskopischen Analysen widmete er vor allem dem Bau der Embryonen der Wirbeltiere, vor allem den Amphibien. Neue anatomische Kenntnisse fügte er dem Bau der menschlichen Niere hinzu sowie der Struktur der Sertolizellen des menschlichen Hodens. Organisationen: DNVP bis zur Auflösung; 1923 Stahlhelm, überführt in den Nationalsozialistischen Frontkämpferbund Quellen: UAG PA 545 Peter; BA R 4901/13273 Karteikarte Peter.

Pfuhl, Wilhelm (* 29. Januar 1889 Berlin; † 28. April 1956 Regensburg) Vater: Militärarzt, Generaloberarzt, Professor Konfession: evangelisch

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Die Reifeprüfung legte Pfuhl 1907 am Wilhelms-Gymnasium Berlin ab. Er studierte Medizin in Berlin und Göttingen. Nach der Approbation 1913 war Pfuhl am Kaiserlichen Gesundheitsamt tätig. 1914 wurde er mit einer Dissertation zur Erkennbarkeit und Färbbarkeit der heute als Makrophagen bezeichneten sogenannten Fresszellen zum Dr. med. (Über die Natur der Substantia Granufilamentosa der Erythozyten und ihre Beziehungen zur Polychromasie) promoviert. Während des Ersten Weltkriegs war er zunächst in Lazaretten eingesetzt, von 1915 an diente er als Feldarzt in der 36. Infanteriedivision (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse) und ab 1917 im Feldlazarett Graudenz. Nach der Demobilisierung war er 1919 zunächst Volontärarzt in Marburg, 1919 wurde er II. Prosektor am Anatomischen Institut der Universität Greifswald. 1921 habilitierte er sich hier mit einer Studie zu den Gefäßen der Schweineleber, der mehrere Arbeiten über die menschliche Leber und die Maulwurfsleber folgten. 1923 wurde er zum Prosektor befördert und erhielt einen Lehrauftrag für Anthropologie, der in einer Vorlesung zur „europäischen Rassenkunde“ seinen Niederschlag fand. 1926 erhielt Pfuhl den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors. 1934 wurde er zum ordentlichen Professor an der Universität Frankfurt am Main ernannt. Hier war er 1935/36 Dekan. 1938 tauschte er mit dem Greifswalder Ordinarius für Anatomie August Hirt die Stellen. Hirt sollte so ein größerer Wirkungskreis ermöglicht werden, Pfuhl führte seine angegriffene Gesundheit auf das Klima der Großstadt zurück. Größere wissenschaftliche Arbeiten nahm Pfuhl in Angriff, vollendete sie jedoch nicht, zumal er 1943 auch noch an Tuberkulose erkrankte und sich nach St. Blasien in Behandlung begeben musste. Am 17. April 1945 wurde Pfuhl von einem Militärfahrzeug angefahren. Im November 1945 wurde er wegen der Zugehörigkeit zur NSDAP von der Institutsleitung entbunden, aber in der Stellung als Ordinarius belassen. Während eines Kuraufenthaltes im Harz wurde er im März 1946 endgültig entlassen. Bis 1952 nahm er einen Lehrauftrag für Anatomie an der Theologischen Hochschule Regensburg wahr. Organisationen: Wandervogel; Freideutsche Jugend; 1917 bis 1922 DVP; zum 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.227, seit November 1933 SA, Dienstgrad Sturmmann; NSLB; RLB; 1934 Deutscher Luftsportverband; 1946 Anmeldung bei der CDU Quellen: UAG PA 549 Pfuhl, K 887, Bl. 342; BA R 4901/13273; Kürschner.

Philipp, Ernst (* 22. Oktober 1893 Münsterberg (Schlesien); † 24. Dezember 1961 Kiel) Vater: Geheimer Regierungsrat und Schulrat Konfession: evangelisch Das Gymnasium absolvierte Philipp in Magdeburg. Er studierte ab 1912 an der Militärärztlichen Kaiser-Wilhelms-Akademie in Berlin Medizin, zugleich wurde er im Gar-

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defüsilierregiment ausgebildet. Ab 1914 leistete er Kriegsdienst, zunächst als Unterarzt, dann als Bataillonsarzt bei einem Infanterieregiment, das überwiegend an der Westfront eingesetzt war. Philipp wurde dreimal verwundet und mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet. 1919 demobilisiert, stellte er sich während des Spartakus-Aufstandes der Brigade Reinhardt zur Verfügung, danach war er bis Herbst 1919 Bataillonsarzt beim Freikorps von Oven. Das Studium schloss Philipp an der Universität Berlin ab und erhielt 1920 die Approbation. 1920 promovierte er mit einer Dissertation über den Einsatz von Elektrokardiogramm und Phonokardiogramm bei Herzrhythmusstörungen. Danach volontierte er an verschiedenen Kliniken. 1921 erhielt er eine außerplanmäßige, 1923 eine planmäßige Assistentenstelle an der Universitätsfrauenklinik Berlin. 1928 habilitierte er sich an der Universität Berlin mit der Studie Experimentelle Studien zur Frage der kongenitalen Trypanosomen- und Spirochäteninfektion für das Fach Frauenheilkunde. Ein einjähriger Studienaufenthalt an der Johns Hopkins University (USA) schloss sich an. 1932 wurde Philipp an der Frauenklinik der Charité zum Oberarzt befördert und 1933 erhielt er den Professorentitel. 1934 wurde er auf Veranlassung des Ministeriums zum ordentlichen Professor und Direktor der Universitätsfrauenklinik, Poliklinik und Hebammenlehranstalt in Greifswald ernannt. Philipp initiierte den Aufbau eines Hormonlabors und begann mit Forschungen zu Schwangerschaftshormonen. 1937 wechselte er an die Universität Kiel, wo er bis zu seinem Tod scheinbar bruchlos in Lehre und Forschung tätig war. Organisationen: zum 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.569.034, Oktober 1933 Eintritt in die SA, Dienstgrad SA-Mann; 1936 Gaudozentenbundsführer Pommern Quellen: UAG Med. Fak. I, Nr. 72; BA R 4901/23186 und 13273 Karteikarte Philipp; Kürschner.

Proell, Friedrich (* 14. September 1881 Gut Roggenhausen (Westpreußen); † 14. Oktober 1963 Bonn) Vater: Gutsbesitzer Konfession: evangelisch Proell besuchte das humanistische Gymnasium in Graudenz und studierte von 1900 bis 1906 Medizin an der Militärärztlichen Akademie Berlin. Mit einer Dissertation über Sehstörungen nach Blutverlust promovierte er 1907 an der Universität Freiburg. Seit 1904 war er als aktiver Militärarzt in Konstanz, Straßburg und Königsberg tätig. Von 1909 bis 1911 absolvierte er ein weiterbildendes Studium der Zahnheilkunde an der Universität Straßburg. An der Universität Königsberg wurde er 1912 habilitiert. Ab 1914 leistete er Kriegsdienst als Regimentsarzt und wurde zum Stabsarzt befördert (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse). 1918 wurde ihm ein Finger abgeschossen, was später bei Denunziationen eine Rolle spielte, weil nationalsozialistische Studenten die „Ehrenhaftigkeit“ der

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Verwundung bezweifelten. Aus dem aktiven Militärdienst schied Proell 1921 aus und erhielt eine außerordentliche Professur an der Universität Königsberg. 1923 wurde er auf ein persönliches Ordinariat für Zahnheilkunde an der Universität Greifswald berufen. Wegen seiner guten theoretischen Vorbildung und großen praktischen Erfahrung wurde Proells kritische Sicht auf bestimmte Behandlungsmethoden rezipiert. So veröffentlichte er 1925 eine vielbeachtete Studie über die beobachteten Misserfolge nach Wurzelspitzenresektionen und regte zu anderen Behandlungsmethoden in der Praxis an. 1926 unternahm er eine Studienreise in die USA („Eindrücke aus Amerika“). Es gelang ihm auch wegen seiner internationalen Kontakte (unter anderem Gastvorlesungen in Norwegen), Mittel für die Neueinrichtung des Zahnärztlichen Instituts zu erhalten. Es wurde 1934 in renovierten Räumen eingeweiht. Nach einer Denunziation durch seine Mitarbeiter wurde Proell 1935 an die Universität Bonn versetzt. Dort wurde er 1945 entlassen und 1949 mit der Entnazifizierung emeritiert. Organisationen: vor dem Ersten Weltkrieg Angehöriger einer Freimaurerloge; 1933 NSDAP, 1935 Ausschluss aus der Partei, 1937 erneut NSDAP; im November 1933 Aufnahme in die SA, Dienstgrad Sturmmann Quellen: UAG PA 2702 Proell; Med. Fak. Nr. 73; Ost 3/734/2; BA R 4901/13273; Wenig, Verzeichnis Bonn, S. 231 f.; Forsbach, Ralf: Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“, München 2006, S. 310 ff.

Puhl, Hugo (* 2. Juni 1894 Dieringhausen bei Gummersbach; † 19. September 1943 Greifswald) Vater: Fabrikbesitzer Konfession: evangelisch Nach dem Besuch der Oberrealschule Gummersbach studierte Puhl Medizin an den Universitäten Bonn, Marburg und Freiburg. Seit 1914 leistete er Kriegsdienst, ab 1916 in Flandern (unter anderem ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). 1920 erhielt er eine Assistentenstelle am Pathologischen Institut der Universität Freiburg und wurde mit einer Dissertation zu den Befunden der Paralyse promoviert. Danach arbeitete er an verschiedenen Universitätskliniken in Freiburg. 1923 erhielt er eine Assistentenstelle an der Chirurgischen Universitätsklinik Kiel und habilitierte sich 1929 mit einer Studie über die Entstehung des Magen-Duodenal-Geschwürs. 1934 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Nach militärischen Übungen folgte 1936 die Beförderung zum Stabsarzt der Reserve. Ab April 1939 war er Direktor des Stadtkrankenhauses Kassel und Leiter von dessen chirurgischer Abteilung. 1940 wurde er zum außerplanmäßigen Professor der Universität Göttingen ernannt. Ab 1. April 1942 war er ordentlicher Professor und Direktor der Chirurgischen Klinik der Universität Greifswald. Puhl starb „plötzlich und unerwartet“.

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Organisationen: 1933 SA; 1936 NSV; 1937 NSDAP Mitglied Nr. 3.982.660, NSÄrztebund Quellen: BA 4901/23333 PA Puhl; UAG PA 552 Puhl.

Reschke, Karl (* 23. Dezember 1886 Elberfeld; † 20. Februar 1941 Greifswald) Vater: Schuldirektor Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Reschke 1905 am Königstädtischen Gymnasium Berlin ab. Er studierte zunächst Alte Philologie, dann Medizin an der Universität Berlin. 1913 erhielt er die Approbation als Arzt und wurde mit einer Dissertation über Die autoplastische und homoioplastische Transplantation zum Dr. med. promoviert. Danach war er Assistenzarzt in der Chirurgischen Klinik der Charité. Im August 1914 meldete sich Reschke als Kriegsfreiwilliger und diente in verschiedenen Infanterieeinheiten. Nach dem Dienst als Arzt in einer Kavallerieabteilung (ausgezeichnet mit der Rot-Kreuz-Medaille) wurde er 1915 von der Charité reklamiert und ab Juni 1918 im Lazarett Sedan eingesetzt. 1919 wurde er mit dem Dienstgrad Oberarzt demobilisiert. Er wechselte 1919 als Assistenzarzt an die Chirurgische Universitätsklinik Greifswald, wo er 1921 zum Oberarzt ernannt und habilitiert wurde. 1926 folgte die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor. Ab Oktober 1932 war er Chefarzt der Chiurgischen Abteilung des Krankenhauses Bethanien in Berlin und schied 1934 aus dem Lehrkörper der Universität Greifswald aus. Reschke gehörte zu den streitbaren Vertretern seines Fachs. So plädierte er für eine deutliche Ausweitung chirurgischer Behandlungen und empfahl zum Beispiel eine sehr schnelle Operation des Wurmfortsatzes des Blinddarms und riet zur sofortigen Operation blutender Magengeschwüre. Da er diese Forderung mit Sterbestatistiken von nichtoperativ behandelten Patienten untermauerte, wurde er heftig angefeindet (Chirurgische Indikationen für Ärzte und Studierende, Bd. 1, 1931; Bd. 2 wurde nicht veröffentlicht). Innovativ war seine vorgeschlagene Operationsmethode des X-Beins durch das Einschlagen von Elfenbeinstiften in der Nähe der Wachstumslinien. 1935 wurde Reschke zum ordentlichen Professor für Chirurgie und Leiter der Chirurgischen Universitätsklinik berufen. Wenige Tage nach seiner Berufung folgte die Ernennung zum Rektor. Im Sinne des zeitgenössischen Postulats vom nationalsozialistischen Führerrektor trieb er die Entwicklung zu einer Institution voran, die sich der Ostforschung, den Landwirtschaftswissenschaften und der Rüstungsforschung verschrieb. Für sich selbst versuchte Reschke den Neubau einer chirurgischen Klinik auf dem Ostgelände durchzusetzen, was nicht gelang. Seit 1940 leistete Reschke Wehrdienst als Beratender Chirurg einer Armee im Westen. Er starb nach der Rückkehr 1941 unerwartet an einem Herzschlag in Greifswald. Organisationen: 1924 Stahlhelm; DNVP bis 1929; 1930 NS-Opferring, 1. Mai 1933

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NSDAP; seit 15. Juli 1934 SS, Hauptsturmführer; 1935 Gaudozentenbundsführer bis zu seinem Tod, örtlicher Dozentenbundsführer bis 1939 Quellen: UAG PA 563 Reschke, K 887, Bl. 341; R 847, BA R 4901/13274 Karteikarte Reschke; Kriegschirurgie, S. 235; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 192.

Richter, Wilhelm (* 29. November 1892 Köln; † 14. März 1944 Südabschnitt der Ostfront nördlich Nikolajew (UdSSR)) Vater: Regierungsbaumeister Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Richter 1912 ab. Danach diente er als Einjährig-Freiwilliger bei der Infanterie und begann das Medizinstudium in Berlin. Seit August leistete er 1914 Kriegsdienst auf einem Lazarettzug, danach in verschiedenen Sanitätskompanien. 1915 wurde Richter zum Feldunterarzt befördert und war ab 1917 in einem Sturmbataillon eingesetzt. Er wurde dreimal verwundet und mit hohen Orden dekoriert (unter anderem Eisernes Kreuz I. Klasse). Nach einer überstandenen Kampfstoffvergiftung wurde er zur Beendigung des Studiums nach Berlin abkommandiert, wo er an der Charité 1919 eine Assistentenstelle erhielt. Im selben Jahr promovierte er mit einer Dissertation Über Polyurien und legte das Staatsexamen ab. Richter engagierte sich besonders im Kampf gegen Geschlechtskrankheiten und erstellte in der Universitätsfrauenklinik ein Register infizierter Frauen. Ab August 1923 war er Assistent des Chirurgen August Bier und leitete eine dermatologische Abteilung in der Chirurgischen Universitätsklinik und Poliklinik der Universität, die 1932 in die Universitätshautklinik der Charité eingegliedert wurde. Habilitiert wurde Richter 1931 mit einer Studie zur Entstehung der Psoriasis. Die Ernennung zum nicht beamteten außerordentlichen Professor erfolgte bereits 1933, im Sommersemester 1934 vertrat er den vakanten Lehrstuhl in Bonn. Nach der Rückkehr wurde er zum stellvertretenden Direktor der Universitätshautklinik Berlin befördert und zum persönlichen Ordinarius ernannt. Die Berufung zum Ordinarius für Haut- und Geschlechtskrankheiten und Direktor der Klinik für Hautkrankheiten an der Universität Greifswald folgte 1935. Hier beschäftigte sich Richter zunächst mit Allergien und experimentierte mit Eigenbluttherapien, Blutegeln und verschiedenen Diäten. Nach der Absolvierung von Wehrmachtsübungen wandte sich Richter 1936 der Kampfstoffforschung zu. 1937 wurde er zum Leiter der Fachgliederung Wehrmedizin im Reichsforschungsrat ernannt. Gemeinsam mit den Ärzten seiner Klinik führte er seitdem Studien zur Wirkung von Kampfstoffen, insbesondere Lost, an Patienten und Versuchstieren durch. Zum Kriegsdienst eingezogen wurde Richter 1939 als Oberstabsarzt. Im Dezember 1939 erhielt er den Auftrag zur Neuordnung des militärischen und zivilen Gesundheitswesens im gesamten Generalgouvernement Polen. Mit dem Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion ließ sich Richter zur kämpfenden Truppe versetzen und gab

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seine Position im Reichsforschungsrat auf. 1943 wurde er Divisionsarzt der 302. Infanteriedivision in der neuaufgestellten 6. Armee, mit der er 1944 unterging. Organisationen: Deutscher Offiziersbund, Offiziersvereinigung des Infanterieregiments 131, 15. Februar 1933 SA, Sanitätsobertruppführer, Staffelarzt, 1935 Sanitätssturmführer; am 1. April 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 1.734.800; Staffelführer im NSKK; Technische Nothilfe Quellen: UAG PA 566 Richter; BA R 4901/13274 Karteikarte Richter, R 73/13955; UAB Med. Fak. PA 283 Wilhelm Richter.

Rudder, Bernhard de (* 11. August 1894 Eschenbach (Bayern); † 27. März 1962 München) Vater: Landrat Konfession: katholisch De Rudder studierte ab 1914 Medizin. 1914/15 war er zugleich in der Sanitätskolonne München eingesetzt. Ab 1915 war er Krankenpfleger im Bayerischen Kriegslazarett 22, das in Serbien und Nordfrankreich stationiert war (ausgezeichnet mit der Rot-Kreuz-Medaille III. Klasse). 1921 wurde er in München mit einer Studie über den Funktionsausfall des Hodens zum Dr. med. promoviert und arbeitete danach bei Rudolf Degkwitz an der passiven Impfung gegen Masern (Die Masernprophylaxe und ihre Technik von Rudolf Degkwitz gemeinsam mit dem Autor bearbeitet von Bernhard de Rudder, 1923). Als Degkwitz 1925 nach Greifswald berufen wurde, wechselte de Rudder als Oberarzt an die Kinderklinik in Würzburg. Hier habilitierte er sich 1927 mit einer Studie über die Ausbreitung von Seuchen (Masern, Scharlach, Diphterie). 1931 wechselte de Rudder als Oberarzt an die Universitätskinderklinik in München. Im Oktober 1932 wurde er als Nachfolger Degkwitz’ zum ordentlichen Professor für Kinderheilkunde an die Universität Greifswald berufen. 1935 wechselte er als Ordinarius und Direktor der Kinderklinik an die Universität Frankfurt am Main, wo er bis zu seinem Tod lehrte. Neben Studien zur Epidemiologie der akuten Zivilisationsseuchen (1934) veröffentlichte de Rudder zum Einfluss des Klimas auf die Gesundheit (Meteorobiologie des Menschen, 1938, mehrere Auflagen). Zum Bestseller wurde seine Kinderärztliche Notfall-Fibel (1949, 6. Auflage 1958), die auch nach seinem Tod mehrfach überarbeitet und neu aufgelegt wurde. Organisationen: 1933 Hitlerjugend; ab Oktober 1933 Förderndes Mitglied der SS Quellen: UAG PA 1781 de Rudder; BA R 4901/23698; Munzinger.

Runge, Hans (* 18. April 1892 Neustrelitz (Mecklenburg-Strelitz); † 16. Oktober 1964 München) Vater: Pastor Konfession: evangelisch-lutherisch

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Seit 1911 studierte Runge Medizin an der Universität Tübingen, wo er 1913 die ärztliche Vorprüfung ablegte. Das Wintersemester 1913/14 verbrachte er in Leipzig. Danach leistete er Kriegsdienst (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Mecklenburgischen Verdienstkreuz II. Klasse). 1918 demobilisiert, schloss er das Studium 1919 ab und erhielt noch im selben Jahr die Approbation. Danach volontierte er in der Pathologie und wurde 1920 mit einer Dissertation über die Röntgenbehandlung von Hirn- und Rückenmarkstumoren promoviert. Als Assistenzarzt war Runge zunächst an der Universitätskinderklinik in Rostock sowie der Hebammenlehranstalt in Elberfeld tätig. 1921 Assistent an der Universitätsfrauenklinik Rostock, wechselte er 1922 als Erster Assistent an die Universitätsfrauenklinik und Hebammenlehranstalt Kiel. 1924 habilitierte sich Runge mit einer Schrift über die plastische Dehnung der Geburtswege. Danach war er für die Weiterbildung an das Institut für Physikalische Chemie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft beurlaubt. 1927 erhielt er die Oberarztstelle an der Universitätsfrauenklinik in Kiel, wo er 1928 zum außerordentlichen Professor ernannt wurde. Im Oktober 1932 folgte er dem Ruf auf das Ordinariat für Geburtshilfe und Gynäkologie nach Greifswald. 1934 erhielt Runge Rufe an die Universitäten Breslau und Heidelberg. Den Ruf nach Heidelberg nahm Runge an. Hier veranlasste er zahlreiche Zwangssterilisierungen. Zugleich widmete er sich einem Forschungsprogramm zur Geburtensteigerung. 1945 wurde Runge entlassen, jedoch rasch entnazifiziert und wieder eingestellt. Die Klinik in Heidelberg leitete er bis 1964, er starb an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Organisationen: 1933 NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.241 Quellen: UAG PA 1785 Runge; Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon, Bd. 3, S. 511 f.; Baumeister, Julia: Hormone und Geburtenförderung: Leben und Werk des Heidelberger Gynäkologieprofessors Hans Runge (1982–1964), Diss. med. Heidelberg 2006.

Schönfeld, Walther (* 15. Mai 1888 Gersfeld (Röhn); † 26. März 1977 Heidelberg) Vater: Rechnungsrat Konfession: evangelisch Die Hochschulreife erwarb Schönfeld auf dem Gymnasium Johanneum (Ritterakademie) Liegnitz. Er studierte seit 1906 Medizin in Berlin, Würzburg, Rostock und München, unterbrochen durch den Dienst als Einjährig-freiwilliger-Militärarzt. 1912 wurde er in Würzburg mit einer Dissertation Über Rhinitis hyperplastica oedematosa zum Dr. med. promoviert und erhielt eine Assistentenstelle an der Universitätshautklinik. Von August 1914 bis 1916 leistete Schönfeld Kriegsdienst in einer Sanitätskompanie (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse, König-Ludwig-Kreuz). Zur Eröffnung des Sommersemesters 1916 wurde er an die Universität Würzburg zurückberufen und mit der Vertretung des Lehrstuhls betraut. Gleichzeitig war er Chefarzt der Kriegsstation für Haut- und Ge-

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schlechtskrankheiten des II. Bayerischen Armeekorps in Würzburg-Galgenberg, 1919 entlassen als Stabsarzt d. R. 1917 habilitiert, wurde er 1920 zum außerordentlichen Professor für Haut- und Geschlechtskrankheiten und Direktor der Hautklinik ernannt. 1922 nahm er den Ruf auf das Ordinariat in Greifswald an, wo er den Neubau der Universitätshautklinik plante (Einweihung 1929). 1935 wechselte er an die Universität Heidelberg. Schönfeld befasste sich vorwiegend mit Berufsdermatosen, der Syphilistherapie und den Herpeserkrankungen. 1938 gab er das Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten heraus, später den Atlas der Haut- und Geschlechtskrankheiten (gemeinsam mit Walter Frieboes) und das mehrbändige Werk Dermatologie und Venerologie (gemeinsam mit Heinrich Gottron). Schönfeld forschte auch zur Medizingeschichte (Frauen in der abendländischen Heilkunde, 1947). Er wurde 1959 emeritiert. Organisationen: 1919 Einwohnerwehr Würzburg; im Januar 1933 Eintritt in den Stahlhelm; am 25. Februar 1934 Eintritt in die SA, Dienstgrad Sturmmann; NS-Ärztebund Quellen: UAG Med. Fak. I Nr. 93; BA R 4901/13276 Karteikarte Schönfeld; Eckart, Wolfgang U.: Schönfeld, Walther Heinrich Paul, in NDB, Bd. 23, S. 409 f.; Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon, Bd. 3, S. 563 f.

Schultze, Günter Karl Friedrich (* 24. August 1896 Heringsdorf (Pommern); † 1. Mai 1945 Greifswald (Selbsttötung)) Vater: Fabrikant Konfession: evangelisch Da Schultzes Vater früh verstarb, lag seine Erziehung in den Händen seiner Mutter. Auf dem Gymnasium wurde sein Interesse für Chemie geweckt, weshalb er sich zum Studium der Medizin entschloss. Nach der Reifeprüfung trat er 1913 in ein Dragonerregiment ein und wurde militärisch ausgebildet. Mit Kriegsausbruch war er zunächst im Osten, später im Westen eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse). Mit dem Medizinstudium begann Schultze erst im Januar 1919, unterbrochen durch den Dienst im Freikorps Brigade Erhardt, mit der er an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik teilnahm. Das Erste Medizinische Examen bestand Schultze in Heidelberg 1922 mit der Note „sehr gut“ und erhielt noch im selben Jahr die Approbation als Arzt. Mit einer biochemischen Dissertation über den Nachweis von Hormonen in Blut und Urin wurde er 1923 zum Dr. med. promoviert. Seit Februar 1923 volontierte er an der Universitätsfrauenklinik Berlin, ab November war er dort außerplanmäßiger und ab 1926 planmäßiger Assistent. Mit der Studie Die Bewegungen der nicht schwangeren menschlichen Gebärmutter im Röntgenbild wurde Schultze 1930 habilitiert. Die Probevorlesung hielt er über „Die Sterilität im Röntgenbild“. Schultze befasste sich an der Charité vor allem mit der Radiumstrahlenbehandlung bei Uteruskrebs und bei Blutungen der Geschlechtsorgane. 1935

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erhielt er den Professorentitel. Militärische Übungen absolvierte er ab 1936 und wurde 1937 zum Oberarzt der Reserve befördert. Im selben Jahr erhielt Schultze den Status und das Gehalt eines planmäßigen außerordentlichen Professors. Ein Jahr später wurde er zum ordentlichen Professor für Frauenheilkunde an der Universität Greifswald und zugleich zum Leiter der Hebammenlehranstalt Greifswald ernannt. Schultze forschte vor allem zu den Auswirkungen von Hormonen auf Sterilität und Fruchtbarkeit der Frau. Schultze und seine Frau töteten sich mit Morphiuminjektionen nach dem Beginn der Massenvergewaltigungen durch sowjetische Soldaten in Greifswald. Organisationen: am 1. April 1933 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.007.691; 1933 Wiedereintritt in die Brigade Ehrhardt, am 10. März 1934 Übertritt in die SS, Mitglied Nr. 235.448, Dienstgrad 1936 Untersturmführer, 1938 Obersturmführer und Hauptsturmführer, 1938 Brigadeführer, Führer der Sanitätsabteilung Ost, dann der Sanitätsabteilung im SS-Hauptamt; Obmann des NSD-Dozentenbundes an der Universität Berlin, 1939 zum Referenten des NSD-Dozentenbundes der Medizinischen Fakultät ernannt Quellen: UAG PA 582 Schultze; UAB PA Schultze, Günther K. F.; BA SSO Schultze; BA R 4901/13276 Karteikarte Schultze.

Seemen, Hans von (* 16. Februar 1898 Colmar; † 13. Juli 1972 München) Vater: Chemiker Konfession: evangelisch (früher katholisch) Von Seemen wuchs in der Schweiz auf und legte die Reifeprüfung 1916 in Zürich ab. Danach leistete er freiwilligen Kriegsdienst bei der Infanterie und wurde 1917 vor Arras verwundet. 1918 nach einer Ruhrerkrankung entlassen, wurde er 1919 zu 50 Prozent als kriegsdienstbeschädigt eingestuft (später auf 30 Prozent reduziert). Ab 1919 studierte von Seemen Medizin in Zürich und Freiburg im Breisgau. 1924/25 volontierte er an der Universitätsklinik Zürich, danach war er Assistent an der Chirurgischen Klinik der Universität Freiburg. 1928 wechselte er mit seinem Mentor Erich Lexer nach München und habilitierte sich 1930 mit einer Arbeit über Operation und Gewebeschonung. 1933 erhielt er die Oberarztstelle und 1934 den Titel eines außerordentlichen Professors. 1936 war er Leiter des sportärztlichen Dienstes der Olympischen Winterspiele. 1938 leistete er eine militärische Übung ab. 1939 wurde er zum Direktor der Chirurgischen Klinik und ordentlichen Professor der Universität Graz ernannt. 1940 wurde gegen von Seemen ein Ermittlungsverfahren wegen Arzneimittelmissbrauchs eingeleitet. Die von der NSDAPGauleitung politisch aufgeladenen Vorwürfe konnten durch ärztliche Gutachten entkräftet werden. In der Untersuchung stellte sich heraus, dass von Seemen das Schmerzmittel Dicodid (ein Opioid) seit seiner Kriegsverletzung nahm. 1942 wurde das Verfahren nach

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einer Entziehungskur eingestellt. Nach der Intervention von Kollegen bei Max de Crinis (zu dieser Zeit nebenamtlich Referent im Wissenschaftsministerium) wurde er 1943 mit der Vertretung des vakanten Ordinariats für Chirurgie in Greifswald betraut. Seit 1944 leitete er die Chirurgischen Abteilung des Lazaretts (befördert zum Stabsarzt) und auch auf das Ordinariat berufen. Weil er einen Offizier in seiner Klinik versteckt hatte, verhaftete ihn das NKWD. Ihm gelang die Flucht in die amerikanische Besatzungszone. 1946 entnazifiziert, erhielt er 1947 die Gelegenheit, ein ehemaliges Lazarett zur chirurgischen Klinik umzubauen. 1948 wurde er Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Chirurgischen Krankenhauses München-Nord. Die Universität München ernannte ihn 1949 zum Honorarprofessor. Seit 1954 war er Vorsitzender der von ihm initiierten Arbeitsgemeinschaft für plastische, ästhetische und Wiederherstellungschirurgie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Von Seemen, der als bedeutendster plastischer Chirurg seiner Zeit galt, verfasste ein Lehrbuch über Allgemeine und spezielle Elektrochirurgie (1932) und einen mehrfach aufgelegten knappen Abriss zur Wundversorgung und Wundbehandlung (1938). Organisationen: NSD-Ärztebund; ab 1933 Bannarzt der Feldschergemeinschaft der HJ im Gebiet Hochland; NSV; NSD-Dozentenbund bis 1939; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.030.414, später aus der Partei gestrichen Quellen: UAG PA 573 von Seemen; BA BDC DS von Seemen; Kürschner; Behrendt, Kriegschirurgie, S. 39; Auskunft des UA München.

Solger, Bernhard (* 5. Dezember 1849 Untermerzbach (Bayern); † 21. Februar 1935 Neiße (Schlesien)) Vater: Patrimonialrichter, Rentenverwalter Konfession: evangelisch Solger besuchte die Volksschule in Coburg, dann Gymnasien in Coburg und Bayreuth. Er studierte Medizin an den Universitäten Erlangen, Würzburg, Tübingen und München. Während des Krieges gegen Frankreich war Solger als Arzt in einem Feldlazarett eingesetzt. 1872 promovierte er an der Universität Würzburg zum Dr. med., das Staatsexamen bestand er im selben Jahr in München. Solger trat eine Assistentenstelle an der Universität Breslau an und habilitierte sich 1875 für Anatomie (Beiträge zur Kenntnis der Nasenwandung und besonders der Nasenmuscheln der Reptilien). Zum Prosektor ernannt, wurde er 1877 an die Universität Halle versetzt. 1882 erhielt er auf Antrag der Fakultät ein besoldetes Extraordinariat, 1886 wurde Solger auf ein Extraordinariat an der Universität Greifswald berufen. Im selben Jahr wurde ihm das neueingerichtete Ordinariat für Anatomie übertragen. 1904 trat er freiwillig in den Ruhestand und übernahm zwei Jahre später die dermatologische Praxis seines Sohnes. Solger forschte vor allem zum Bau der Zelle, speziell des Zellkerns. Unter anderem entdeckte er die Zentralmasse der Pigmentzellen. Außerdem verfasste er Arbeiten über das Stützgewebe und zur Anatomie der Drüsen.

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Organisationen: DNVP Quellen: UAG PA 572 Solger; BA R 4901/13277; UAH Rep. 29 Nr. 188; Triepel, Hermann: Bernhard Solger †, in: Anatomischer Anzeiger, Bd. 80, Nr. 13/16, S. 241–320, 1.7.1935.

Steinhausen, Wilhelm (* 27. August 1887 Frankfurt am Main; † 3. März 1954 Greifswald) Vater: Kunstmaler, Professor Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Steinhausen 1906 ab. Er studierte Medizin an den Universitäten Göttingen, Freiburg und Berlin. Nach der ärztlichen Vorprüfung widmete er sich den Naturwissenschaften in Frankfurt und Gießen und promovierte 1914 mit der Dissertation Zur Kenntnis der Luftschwingungen in Flöten zum Dr. phil. Im selben Jahr erhielt er eine Assistentenstelle am Physikalischen Institut der Universität Frankfurt. Während des Ersten Weltkriegs diente Steinhausen ab 1916 als Feldunterarzt an der Westfront (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Später war er in einem Seuchenlazarett tätig, dann bei einem Infanteriebataillon. Das medizinische Staatsexamen legte Steinhausen 1918 in Frankfurt ab und promovierte ein Jahr danach mit der Dissertation Über das Karzinomsarkom des Uterus zum Dr. med. Im Februar 1919 erhielt Steinhausen eine Assistentenstelle am Institut für Animalische Physiologie in Frankfurt und habilitierte sich 1921 für Physiologie. Steinhausen veröffentlichte zahlreiche Studien zur Elektrophysiologie der Muskeln und eine wegweisende Untersuchung zur Funktionsweise des Labyrinths des Ohres. Den Professorentitel erhielt er 1927. Im Jahr darauf wurde Steinhausen auf eine ordentliche Professur an der Universität Greifswald berufen und zum Direktor des Physiologischen Instituts ernannt. Weil er als sogenannter Vierteljude galt, wurde ihm 1934 die Prüfungsberechtigung entzogen, 1939 jedoch wieder erteilt. In den beiden letzten Kriegsjahren war Steinhausen erkrankt, wurde im Sommer 1945 aber erneut zum Direktor des Physiologischen Instituts ernannt und 1951 trotz öffentlicher Kritik an der sozialistischen Umgestaltung zum Professor mit Lehrstuhl befördert. Nach politischen Auseinandersetzungen mit dem Rektor wurde Steinhausen 1953 emeritiert. Organisationen: – Quellen: UAG PA 586 Steinhausen; R 4901/13277 Karteikarte Steinhausen; Kürschner.

Stickl, Otto (* 11. Mai 1897 Rain am Lech; † 27. September 1951 Tübingen) Vater: Praktischer Arzt Konfession: katholisch, ab 1937 ohne Ab 1916 leistete Stickl Militärdienst, wurde jedoch nach zwei Monaten wegen Krankheit als dienstuntauglich entlassen. 1917 holte er die Reifeprüfung am humanistischen

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Gymnasium Bamberg nach und engagierte sich im Hilfsdienst in der Stadtverwaltung Füssen. Seit 1917 studierte er Medizin in München und legte 1922 das Staatsexamen ab. Das Praktische Jahr absolvierte er 1923 an der 2. Medizinischen Klinik der Universität München. Die Approbation erhielt er 1924 und promovierte mit einer Dissertation über die Pathologie der Nabelhernie zum Dr. med. Er volontierte an verschiedenen Instituten der Universität Heidelberg, unter anderem am Untersuchungsamt für ansteckende Krankheiten. Im Oktober 1926 erhielt er eine Stelle als planmäßiger Assistent am Hygieneinstitut der Universität Greifswald und wurde bald zum Oberassistenten befördert. Für die Fächer Hygiene und Bakteriologie sowie Chemotherapie habilitierte er sich 1928. Als Vertrauensmann der NSDAP trieb er 1933 die Umgestaltung der Medizinischen Fakultät voran und wurde 1934 zum ordentlichen Professor befördert. Er intensivierte die Forschung an den durch Viren hervorgerufenen Krankheiten und vertiefte die Kooperation mit der Forschungsanstalt auf der Insel Riems. 1936 wurde Stickl auf das Ordinariat für Hygiene an der Universität Tübingen berufen. Hier amtierte er 1938/39 als Dekan der Medizinischen Fakultät und von 1939 bis 1945 als Rektor und forcierte die Integration der Universität in die Rüstungsforschung. Stickl wurde im Mai 1946 entlassen und 1948 als „Mitläufer“ entnazifiziert. Er erhielt seinen Lehrstuhl zurück und lehrte seit Oktober 1949 erneut als Professor für Hygiene an der Universität Tübingen. Er starb an einem Herzinfarkt. Organisationen: 1. März 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 1.544.029; Ortsgruppenleiter des Kampfbundes für deutsche Kultur, 1934 Kreiskulturwart; laut eigener Aussage ab 1934 „Vertrauensmann der Reichsleitung der NSDAP für die medizinische Fakultät Greifswald“; Unterführer der Preußischen Dozentenschaft; 1938 Eintritt in die SA, 1944 befördert zum Obersturmbannführer Quellen: UAG PA 2520 Stickl, K 347; GStPK Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV, Nr. 21 Bd. 13, Bl. 209; BA R 4901/13278 Karteikarte Stickl; Grüttner, Lexikon, S. 168 f.; Kürschner.

Thiele, Rudolf (* 29. Juni 1888 Berlin; † 5. Mai 1960 vermutlich Berlin) Vater: Tischlermeister Konfession: evangelisch Nach Volks- und Realschule arbeitete Thiele zunächst für ein Jahr in einer Bank. Danach besuchte er die Oberrealschule und erhielt 1909 das Reifezeugnis. Er studierte Philosophie und Naturwissenschaften an der Universität Berlin. 1913 wechselte er zur Medizin. Im Jahr darauf promovierte er mit einer Arbeit über die Erkenntnistheorie Ernst Machs zum Dr. phil. Er absolvierte eine militärische Ausbildung und war ab März 1918 als Feldunterarzt eingesetzt. 1920 legte er das Staatsexamen ab und erhielt eine außerplanmäßige Assistentenstelle an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charité. Mit der Darstellung eines ungewöhnlichen Falles von Porphyrie promovierte er 1923 zum Dr. med.

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Seine Habilitationsschrift behandelte 1926 60 klinische Fälle von Encephalitis epidemica. Dabei konnte Thiele nachweisen, dass es sich oft, so Gutachter Bonhoeffer, „um reparable Zustände“ handle. Außerdem befasste er sich mit toxischen Schädigungen des Nervensystems. Die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor folgte 1929. Mit dem Datum 1. Januar 1933 wurde er zum Oberarzt der Wittenauer Heilstätten in Berlin ernannt, 1935 wechselte er als Dirigierender Arzt zur Heil- und Pflegeanstalt in Herzberge, blieb aber Professor der Universität Berlin. Seit Juli 1933 war er Mitglied des Preußischen Gesundheitsrats und ab März 1934 Richter am Erbgesundheitsgericht Berlin. Auf das Ordinariat für Psychiatrie an der Universität Greifswald wurde er 1938 berufen. Seit 1939 leistete Thiele, der bereits in der Weimarer Republik eine militärische Ausbildung erhalten hatte, Kriegsdienst als Oberfeldarzt bei der Heeressanitätsstaffel Greifswald. Seit Dezember 1939 war er Beratender Psychiater im Wehrkreis II (ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse). Von der Landesregierung wurde Thiele 1946 entlassen. Er fand eine Anstellung an den Kuranstalten Westend in Berlin. An die Universität Berlin wurde Thiele als Professor mit vollem Lehrauftrag zum 1. November 1948 berufen, gleichzeitig übernahm er die Leitung der Nervenpoliklinik der Charité. Er wurde 1956 emeritiert. Organisationen: 1933 NS-Opfergemeinschaft; NSLB; ab 1939 NS-Dozentenbund; RLB; NSV; im August 1934 Aufnahme in die SA, Sturmbannarzt; NSV; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.157.298 Quellen: UAG PA 2061 Thiele, Med. Fak. I Nr. 245; BA R 4901/13278; UAB PA nach 1945 Thiele, Med. Fak. Nr. 1358, Bl. 103 ff.; BA Mitgliedskarte NSDAP-Ortskartei; Kürschner; Kumbier, Ekkehardt: Kontinuität im gesellschaftlichen Umbruch. Der Psychiater und Hochschullehrer Rudolf Thiele (1888–1960), in: Helmchen, H. (Hg.): Psychiater und Zeitgeist. Zur Geschichte der Psychiatrie in Berlin. Lengerich 2008, S. 319–332.

Velhagen, Karl (* 22. September 1897 Chemnitz; † 19. Dezember 1990 Berlin) Vater: Augenarzt Konfession: evangelisch Velhagen schloss das Gymnasium in Chemnitz 1916 mit dem Notabitur ab und diente von 1916 bis 1918, zuletzt als Vizewachtmeister in einem Artillerieregiment (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Ab 1919 studierte Velhagen Medizin in München, Freiburg und Leipzig, wurde 1922 mit einer anatomischen Arbeit in Halle promoviert und absolvierte Praktika in Chemnitzer Kliniken. Von 1924 bis 1927 war er Volontär- bzw. Assistenzarzt an der Universitätsaugenklinik Freiburg, von 1927 bis 1929 an den Pharmakologischen Instituten in Freiburg und Berlin. Seit 1929 hatte er die Stelle des Oberarztes an der Universitätsaugenklinik Halle inne. Hier habilitierte er sich 1930. 1936 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt, lehnte er einen Ruf nach Ankara ab.

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Ab 1936 vertrat er den vakanten Lehrstuhl in Köln und leitete die dortige Universitätsaugenklinik. 1938 übernahm er die Leitung der Universitätsaugenklinik in Greifswald, wo er 1938 auf die Professur für Augenheilkunde berufen und 1940 zum persönlichen Ordinarius ernannt wurde. Während des Zweiten Weltkriegs war er zunächst in einem Lazarett in den Niederlanden tätig, kehrte jedoch im Herbst 1940 an die Universität Greifswald zurück. Neben der Leitung der Universitätsaugenklinik übernahm er eine Abteilung des Reservelazaretts der Luftwaffe. 1946 von der Universität entlassen, ließ sich Velhagen als Augenarzt in Chemnitz nieder. Ab 1947 baute er dort die städtische Augenklinik neu auf. 1950 nahm er einen Ruf an die Universität Leipzig an. Von 1958 bis zur Emeritierung 1967 war der Hochgeehrte (unter anderem Albrecht-von-Graefe-Preis, Vaterländischer Verdienstorden der DDR in Gold) Professor mit Lehrstuhl und Klinikleiter an der Humboldt-Universität Berlin. Organisationen: November 1933 bis Juli 1934 SA; DLV überführt in NSFK, dort Fliegersturmarzt; Luftschutzbund; NSLB; Vertrauensarzt des SA-Hochschulamtes, 1938 SA-Sanitätshauptsturmführer, Aufnahme in die NSDAP am 1. Mai 1937, Mitglied Nr. 4.482.514; NS-Ärztebund; NSD-Dozentenbund; NSV; Gesellschaft für Wehrpolitik; Deutsch-iberoamerikanische Ärzteakademie Autobiographie: Karl Velhagen: Ein Leben für die Augenheilkunde, in: Günter Albrecht und Wolfgang Hartwig (Hg.): Ärzte – Erinnerungen, Erlebnisse, Bekenntnisse, Berlin (Ost) 1976. Quellen: UAH PA 16.399 Velhagen, Rep. 6 Nr. 1407, BA R 4901/13279 Karteikarte Velhagen; Autobiographie.

Wels, Paul (* 2. Februar 1890 Binnenwalde (Ostpreußen); † 1. Juli 1963 Offenbach am Main) Vater: Förster Konfession: evangelisch Wels absolvierte nach dem Besuch des Realgymnasiums in Insterburg ein Studium der Medizin an der Universität Königsberg, unterbrochen durch den Dienst als Einjährig-Freiwilliger. Das Staatsexamen legte er 1914 ab. Seit Beginn des Ersten Weltkriegs leistete er Kriegsdienst in einem Feldlazarett (1915 ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). 1916 wurde er zum Assistenzarzt und im Jahr darauf zum Oberarzt befördert. Mit einer Dissertation über Experimentelle Untersuchungen über den hemmenden Einfluss von Adrenalin auf die Nierentätigkeit wurde er 1917 an der Universität Kiel promoviert. 1919 volontierte er an der Universitätsklinik Kiel und erhielt noch im selben Jahr eine Assistentenstelle. Anschließend bildete er sich in Erlangen auf dem Gebiet der Röntgenologie und Bakteriologie weiter und wurde in Kiel zum Leiter der Röntgenabteilung befördert. Seine Habilitation für Innere Medizin erfolgte 1924 an der Universität Kiel. Im Jahr darauf

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erhielt Wels eine Assistentenstelle am Pharmakologischen Institut der Universität Greifswald und wurde für das Fach Pharmakologie und Experimentelle Therapie umhabilitiert. Hier forschte er zur Wirkung der Röntgenstrahlung und entwickelte Bildgebungsverfahren mit Kontrastmitteln. 1928 erhielt Wels das Angebot einer Abteilungsleiterstelle am Berliner Institut für Strahlenforschung, entschied sich jedoch für eine ordentliche Professur für Pharmakologie an der Universität Greifswald. Hier forschte er vor allem zur Wirkung bestrahlter Substanzen. Außerdem untersuchte er die Heilung von Kampfstoffschädigungen, besonders von Lost (Senfgas). 1938 wurde Wels als Stabsarzt der Reserve für die Sanitätsinspektion im Wehrkreis II eingestuft. Im Juni 1940 wurde er als Oberstabsarzt reaktiviert und zur Lehrgruppe C der Militärärztlichen Akademie versetzt. Im November 1944 erhielt er die Beförderung zum Oberfeldarzt. Darüber hinaus nahm Wels jetzt die Funktion eines beratenden Pharmakologen im Wehrkreis II wahr. Sein Aufgabengebiet in Pommern betraf die Arzneimittelversorgung und die Beratung auf dem Gebiet der Kampfstoffabwehr. An der Militärärztlichen Akademie in Berlin untersuchte er die Heilungsmöglichkeiten von Schädigungen durch chemische Kampfstoffe. Nach der Zerstörung der Labore der Militärärztlichen Akademie verlagerte er die Forschungen 1943 an die Universität Greifswald. Formal wurde Wels Ende 1945 oder Anfang 1946 entlassen, setze seine Forschungen jedoch fort. 1948 wurde er erneut zum Professor mit Lehrstuhl berufen. Organisationen: ab 1. November 1933 SA, Sturmmann im Reservesturm 1/49 überführt in den Sturm 14/212; NSLB; NS-Fliegerkorps; NSV; NSKOV; 1946 CDU Quellen: UAG PA 2133 Wels, R 2269; K 889, Bl. 19; R 4901/13280 KarteikarteWels; BA MA RW 59/2090 Karteikarte Wels; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 342.

Wustrow, Paul (26. Juni 1890 Wesenberg (Mecklenburg); † 1. Mai 1945 Greifswald (Selbsttötung)) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch Wustrow besuchte die Oberrealschule in Berlin-Pankow, die Reifeprüfung legte er 1911 an der Oberrealschule in Flatow ab. Er studierte Medizin und Zahnmedizin an der Universität Berlin und erhielt im Juli 1914 die Approbation als Zahnarzt. Während des Ersten Weltkriegs diente er bis September 1918 als Zahnarzt in verschiedenen Feld- und Heimatlazaretten, zuletzt in Stolp. 1919 trat er in Greifswald dem Zeitfreiwilligenregiment bei, das am Kapp-Putsch teilnehmen wollte. Mit einer Studie über die Kieferbruchbehandlung und neuartige Drahtverbände wurde er 1919 zum Dr. med. dent. promoviert. Unmittelbar danach erhielt er eine Assistentenstelle an der Universität Greifswald. Der geschickte Operateur wurde bereits 1920 für das Fach Zahnmedizin habilitiert und wechselte im folgenden Jahr als Assistenzarzt an die Universität Erlangen. Hier setzte er sein Medizinstudium fort und erhielt 1926 die Approbation als Arzt und promovierte zum Dr. med. Ein

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planmäßiges Extraordinariat erhielt Wustrow 1927 an der Universität Würzburg. 1930 wurde er zum ordentlichen Professor befördert. Als die Universität Würzburg 1935 einen auswärtigen Rektor erhielt, der ebenfalls Ordinarius für Zahnheilkunde war, galt Wustrow als überzählig und wurde 1936 zum Wechsel von Würzburg nach Greifswald gezwungen. Wegen der nicht verstummenden Denunzianten beantragte Wustrow 1939 ein Dienststrafverfahren gegen sich selbst, um Gerüchte einzudämmen, die ihn wegen der angeblichen Beschäftigung von Juden als „strafversetzt“ stigmatisierten. 1940 wurde Wustrow eingezogen, kam aber nicht zum Einsatz. 1941 wurde er erneut eingezogen und an der Ostfront eingesetzt. Die Universität Greifswald reklamierte ihn 1943 für die Lehre. Im Luftwaffenlazarett baute er nach seiner Rückkehr eine kieferchirurgische Abteilung auf und erhielt 1944 den Dienstgrad eines Oberstabsarztes. Im Mai 1945 töteten sich Wustow und seine Frau selbst. Organisationen: 1911 bis 1914 Deutschvölkischer Studentenbund; 1921 bis 1925 Technische Nothilfe; 1933 NSDAP, Mitglied Nr. 2.676.737; NSKK Quellen: UAG PA 600 Wustrow; BA R 4901/13281 Karteikarte Wustrow; Mitgliedskarte Ortskartei; Kister, Cornelia: Paul Wustrow (1890–1945), Leben und Werk, Diss. med. Würzburg 1988.

Honorarprofessor Waldmann, Otto (* 2. Oktober 1885 Pforzheim; † 10. März 1955 Köln) Vater: Rechnungsrat Konfession: katholisch Die Reifeprüfung bestand Waldmann 1905 am Gymnasium Rastatt. Er studierte Tiermedizin in Stuttgart und Berlin. Das Staatsexamen legte er 1907 ab und erhielt 1909 die Approbation als Tierarzt. Mit einer Dissertation über Hufkrankheiten (Die lose Wand des Pferdes) promovierte er 1909 an der Universität Gießen zum Dr. med. vet. Danach erhielt er eine Assistentenstelle am Hygieneinstitut der Tierärztlichen Hochschule Berlin. 1911/12 war er nach Schleswig-Holstein abgeordnet, um eine Maul-und-Klauenseuche-Epidemie zu bekämpfen. In verschiedenen Praxen sammelte er 1912 weitere Erfahrungen und legte 1914 das Amtsarztexamen ab. Seit 1913 arbeitete er als Assistent am Pathologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule Berlin, 1914 unterbrochen durch kurzzeitigen Dienst als Kriegsfreiwilliger im I. Gardefeldartillerieregiment (ausgezeichnet unter anderem mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). 1917/18 wurde er als Veterinär erneut kriegsverpflichtet. Im November 1918 kehrte Waldmann an die Tierärztliche Hochschule Berlin zurück. 1920 wurde er in der Nachfolge Friedrich Loefflers (1852–1915) mit der Leitung der Staatlichen Forschungsanstalt für Tierkrankheiten auf der Insel Riems bei Greifswald betraut. Die Medizinische

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Fakultät der Universität Greifswald habilitierte Waldmann 1923 für das Fach Tiermedizin. Einen Ruf an die Universität Rostock lehnte er 1924 ab. Die Beförderung zum planmäßigen Direktor der Forschungsanstalt und die Ernennung zum ordentlichen Professor folgten 1925, zugleich erhielt Waldmann Mittel für den weiteren Ausbau der Forschungsanstalt. 1928 lehnte er auch den Ruf an die Tierärztliche Hochschule Berlin ab. Waldmann trieb auf dem Riems die Erforschung der Viruskrankheiten voran und kooperierte dabei insbesondere mit den Rockefeller-Forschungsinstituten in New York und Princeton. Ein erster Impfstoff gegen die Maul- und Klauenseuche konnte 1937/38 erstmals eingesetzt werden. In den Folgejahren wurden die gewonnenen Erkenntnisse auf andere Krankheiten übertragen. Die Anerkennung für diesen wissenschaftlichen Durchbruch spiegelte sich in der Zuweisung großer Forschungsetats ebenso wider wie in der Ernennung Waldmanns zum Präsidenten der Forschungsanstalt. Die Universität Greifswald ernannte ihn 1943 zum ordentlichen Honorarprofessor. Seit 1942 profilierte Waldmann die Forschungsanstalt um und ließ von seinen Mitarbeitern im Auftrag des Heeres biologische Waffen entwickeln. Fertiggestellt wurde zum Beispiel 1944 ein waffenfähiger Erreger für die Maul- und Klauenseuche, der wegen logistischer Schwierigkeiten bei der Luftwaffe nicht mehr zum Einsatz kam. Nach der Besetzung Pommerns durch die sowjetische Armee wurde die Forschungsanstalt demontiert; das Angebot, in die Sowjetunion zu gehen, lehnte Waldmann jedoch ab. Die Entbindung von der Vorlesungstätigkeit setzte die Landesregierung 1946 durch, zugleich übertrugen ihm andere Behörden die Leitung einer Anstalt auf der Insel Riems zur Erforschung von Tierseuchen. Obwohl Waldmann ohne Komplikationen entnazifiziert wurde, verließ er das Institut 1948 nach Auseinandersetzungen mit dem Betriebsrat und emigrierte nach Argentinien. Mit dem Versuch, dort ein ähnlich strukturiertes Forschungsinstitut aufzubauen, scheiterte er und kehrte 1954 in die Bundesrepublik zurück, wo er eine Anstellung bei der Bayer AG fand. Organisationen: 1918/19 Zeitfreiwilliger der Brigade Reinhard; 1933 zunächst Mitglied der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation und der SA Reserve II (ehemals Stahlhelm); am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.956.391 Quellen: UAG PA 604 Waldmann; UAG K 887, Bl. 318; BA R 4901/13279 Karteikarte Waldmann, Mitgliedskarte Ortskartei; Hinz-Wessels, Annette und Jens Thiel: Das Friedrich-Loeffler-Institut 1910–2010. 100 Jahre Forschung für die Tiergesundheit, Berlin 2010.

Außerplanmäßige Professoren Brauch, Fritz (* 2. Februar 1904 Lahr (Baden); † 4. Oktober 1972 Bochum) Vater: Arzt Konfession: evangelisch

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Brauch absolvierte das humanistische Gymnasium in Lahr, wo er 1922 die Reifeprüfung ablegte. Er studierte Medizin an den Universitäten Freiburg, München und Wien. Das Praktische Jahr verbrachte er an den Leipziger Universitätskliniken. Mit einer Dissertation über Das Carcinom des Ohres promovierte er 1927 an der Universität Freiburg und erhielt 1928 die Approbation. Nach kurzer Assistentenzeit in Karlsruhe trat er 1929 eine Stelle als Assistenzarzt in der Medizinischen Universitätsklinik Greifswald an. Von 1932 bis 1934 forschte er als Stipendiat der Notgemeinschaft am Physiologischen Institut der Universität Göttingen zur Rolle der Nebenniere im System der Kreislaufregulation, bearbeitete dort seit 1933 auch einen Forschungsauftrag der Luftwaffe. 1934 kehrte er als planmäßiger Assistent an die Medizinische Universitätsklinik Greifswald zurück, wo er experimentelle Arbeiten zur Peristaltik der Verdauungsorgane durchführte. Die Habilitationsschrift Über den Gleichstromwiderstand der menschlichen Haut legte er 1935 vor. Noch im selben Jahr wurde er zum Dozenten ernannt und erhielt einen Lehrauftrag für Luftfahrtmedizin. Zugleich arbeitete er als Leiter der Fliegeruntersuchungsstelle Greifswald und publizierte unter anderem Zur Bewertung elektrokardiographischer Befunde bei Fliegertauglichkeitsuntersuchungen. Brauch wurde 1939 zur Luftwaffe eingezogen, blieb aber Leiter der Fliegeruntersuchungsstelle in Greifswald und amtierte während der Abwesenheit Gerhardt Katschs als Klinikleiter. Im Sommer 1941 folgte die Versetzung zum Stab der Luftflotte 1, die an der Ostfront eingesetzt war (ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz I. Klasse, befördert zum Oberarzt). Ende 1944 kehrte Brauch nach Greifswald zurück, verließ die Stadt aber im Frühjahr 1945. 1953 wurde er zum Chefarzt der Inneren Abteilung der AugustaKrankenanstalt in Bochum ernannt. Organisationen: Juli 1933 bis 1935 SA, überführt in DLV bzw. NS-Flieger-Korps (Obersturmführer); NS-Ärztebund; NSD-Dozentenbund; 1937 NSDAP, Mitglied Nr. 5.636.861 Quellen: UAG PA 457 Brauch; BA R 4901/13259 Karteikarte Brauch; Dissertation; Kürschner; Auskunft des Standesamts Lahr.

Buzello, Arthur (* 5. Juli 1890 Angerburg, Ostpreußen; † 27. Juni 1967 Bergen bei Celle) Vater: Oberzollinspektor Konfession: evangelisch Buzello besuchte die Kadettenanstalt Lichterfelde und strebte zunächst eine Laufbahn als Offizier an. Er diente im Pionierbataillon Fürst Radziwill in Ostpreußen und erhielt 1910 das Leutnantspatent. Wegen Kurzsichtigkeit in die Reserve versetzt, studierte er an den Universitäten Halle und Greifswald Medizin. 1913 legte er die Vorprüfung ab. Während des Ersten Weltkriegs war er als Arzt erst in einem Reservelazarett, ab 1915 mit dem Feldartillerieregiment 38 an der Front (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse,

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dem Hanseatenkreuz und der Hessischen Tapferkeitsmedaille). 1919 legte er in Greifswald die Staatsprüfung ab und erhielt die Approbation als Arzt. Nach der Promotion zum Dr. med. mit einer Arbeit über chronische Darmerkrankungen volontierte er an der Chirurgischen Universitätsklinik. Zunächst planmäßiger Assistent am Hygieneinstitut, wechselte er 1920 zur Chirurgie, wo er sich 1923 mit einer Schrift zur chemotherapeutischen Behandlung der Blutinfektion habilitierte. Außerdem publizierte er zu Tetanus und chronischen Darmerkrankungen. 1929 erhielt er den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors. 1931 trat Buzello eine Stelle als Leitender Arzt am Diakonissen-Krankenhaus in Duisburg-Hamborn an und wurde von der Universität Greifswald beurlaubt. Im Dezember 1933 wurde er aus dem Lehrkörper gestrichen. Ab 1942 leistete Buzello im Rang eines Stabsarztes Kriegsdienst an der Ostfront und geriet als Leiter eines Lazaretts in Liebau (Lettland) in Gefangenschaft. 1948 in die britische Besatzungszone entlassen, arbeitete er zunächst als Chirurg in Duisburg und als ärztlicher Berater der gewerblichen Berufsgenossenschaften. 1950 nahm er den Ruf auf eine Professur mit Lehrstuhl für Chirurgie an der Universität Leipzig an und war ab 1951 Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik. Ab 1952 arbeitete Buzello als Chirurg an der Bergbau-Poliklinik in Holzweißig bei Bitterfeld. 1964 siedelte er in die Bundesrepublik über. Organisationen: zum 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.488.453; 1945 (?) FDGB Quellen: UAG Med. Fak. I Nr. 66; BA Mitgliedskarte Ortskartei; Arthur Buzello, in: Professorenkatalog der Universität Leipzig; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 36.

Großmann, Hans (14. März 1895 Forst bei Ansbach (Mittelfranken); † 11. August 1973 Bad Oeynhausen) Vater: Pfarrer, Lehrer Konfession: evangelisch-lutherisch Die Reifeprüfung legte Großmann 1914 am Alten Gymnasium in Nürnberg ab. Danach trat er als Freiwilliger in den Sanitätsdienst ein und wurde ab 1915 bei der Feldartillerie eingesetzt. Ende 1917 folgte die Entlassung als Vizewachtmeister der Reserve (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Ab September 1918 setzte er das Studium der Medizin fort und gehörte 1919 dem Freikorps Epp an, das sich an der Niederschlagung der Revolution in München beteiligte. Das Studium schloss Großmann 1922 in Würzburg mit der Approbation ab, wo er im selben Jahr mit der Dissertation Über die Erfolge bei Gehirn­ operationen im Allgemeinen, im besonderen bei Decompressionsoperationen am Schädel zum Dr. med. promoviert wurde. Danach arbeitete er als Assistent in der Universitätspoliklinik Würzburg und wechselte 1924 als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter zu einer nicht näher bezeichneten Forschungsstelle, die experimentelle Studien an Syphilispatienten durchführte. Zum Hygieneinstitut der Universität Freiburg ging er 1925 und absolvierte hier eine

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Fachausbildung für Bakteriologie und Serologie. Als Assistenzarzt wechselte er 1931 an die Universität Göttingen, wo er sich 1932 mit einer Studie zu Untersuchungen über das Vorkommen von Bakterien, insbesondere Streptokokken bei weißen Mäusen, zugleich Beiträge zur Streptokokkenfrage habilitierte. Die Medizinische Fakultät der Universität Greifswald setzte ihn wegen dieser Schrift auf die Berufungsliste für den Lehrstuhl für Hygiene und Bakteriologie und konnte ihn 1934 als Oberassistenten gewinnen. Hier forschte er zu Pneumokokken, Cholera, Streptokokken, Typhus und Paratyphus. Seit 1936 absolvierte er Übungen bei der Wehrmacht, erkrankte aber 1937 schwer an Grippe. Er wurde zwar zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt, jedoch von Kurt Herzberg genötigt, sich auf eine Stelle in der Verwaltung zu bewerben. Großmann ging als Abteilungsvorsteher an das Hygieneinstitut in Landsberg/Warthe. Sein Antrag auf Umhabilitierung an die Universität Berlin wurde aber 1940 abgelehnt, so dass seine Venia Legendi erlosch. Er wurde trotzdem 1941 auf eine ordentliche Professur für Hygiene an die Universität Posen berufen. Hier war Großmann wahrscheinlich an der Verübung von medizinischen Verbrechen beteiligt. Auf Anweisung des Gauleiters im Warthegau war das Hygienische Institut der Universität Posen auch mit Kontrollen in verschiedenen Städten beauftragt. Die Empfehlungen des Instituts führten zur Ermordung von mehreren Hundert an Tuberkulose erkrankten Polen und Juden in Litzmannstadt (Lodz) und anderen Orten. Großmann forschte experimentell zur Syphilis und zur Weil’schen Krankheit, die durch Rattenurin verursacht wurde und vor allem in Konzentrationslagern oder Ghettos auftrat. Nach der Vertreibung war er seit 1945 als Bakteriologe für die französische Militärverwaltung tätig. Als Wohnort gab er das Standortlazarett Bad Kreuznach an. Hier publizierte er 1947 einen Aufsatz zur Filtrierung von Erregern des Paratyphus. Seit 1952 lebte Großmann in Bad Münster am Stein, später in Bad Oeynhausen. Als Professor emeritus wurde er der Universität Münster zugewiesen. Organisationen: NSDAP seit 1. Mai 1933, Mitglied Nr. 2.371.647; SA; NSLB; NSÄrztebund; NSV; RLB Quellen: UAG PA 496 Großmann; R 4901/13264 Karteikarte Großmann; Kürschner; Piotrowski, Bernard: W Sluzbie Rasizmu i Besprawia. „Uniwersytet Rzeszy“ w Poznaniu 1941–1945, Poznan 1984, S. 157 f.

Hoffmann, Egon (* 10. Mai 1855 Rauden Kreis Rybnik (Oberschlesien); † 7. November 1933 Greifswald) Vater: Oberförster Konfession: evangelisch Hoffmann studierte in Greifswald Medizin. 1881/82 leistete er Wehrdienst als Einjährig-freiwilliger-Arzt. Die militärische Karriere setzte er in Übungen fort und wurde 1900 als Stabsarzt der Reserve entlassen. 1882 promovierte Hoffmann zum Dr. med. und erhielt

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in der Chirurgischen Klinik eine Assistentenstelle, 1894 wechselte er in die Chirurgische Poliklinik. 1888 wurde er für Ohrenheilkunde und 1894 für Chirurgie habilitiert. 1897 erhielt er den Professorentitel. 1904 gründete Hoffmann eine Privatklinik, die auch überregional für ihre Skoliosebehandlung bekannt war. Hoffmann publizierte vor allem zur Operation von Tumoren, aber auch zur Behandlung der Skoliose. Er war leidenschaftlicher Jäger und veröffentlichte auch zu diesem Gebiet. Organisationen: – Quellen: UAG PA 506 Hoffmann, Egon; K 189.

Hubert, Rudolf (* 24. Juni 1899 Leipzig; † 29. Januar 1942 Zürs am Arlberg) Vater: Lehrer (Oberschulrat) Konfession: evangelisch Durch die häufigen Versetzungen seines Vaters besuchte Hubert Gymnasien in Kiel, Hannover und Berlin. Das Notabitur legte er 1917 in Berlin ab. Danach leistete er Kriegsdienst (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Verwundetenabzeichen in Schwarz, befördert zum Leutnant). Ab 1919 diente er freiwillig im Grenzschutz Ost, 1920 war er Mitglied im Zeitfreiwilligenregiment Leipzig. Er studierte Medizin in Berlin und Leipzig und praktizierte an verschiedensten Kliniken und Instituten. 1923 promovierte er an der Universität Leipzig mit einer Dissertation Über Atonie infolge von kurzgestieltem Kystom zum Dr. med. Nach verschiedenen Stationen als Volontärassistent an der Charité und in einem röntgenologischen Institut trat Hubert 1925 eine Assistentenstelle an der Universitätsfrauenklinik Greifswald an. 1929 habilitierte er sich für das Fach Frauenheilkunde mit der Studie Der Einfluss der Röntgenstrahlen auf die energieliefernden Reaktionen des wachsenden Gewebes. 1932 erhielt er die Oberarztstelle an der Frauenklinik Greifswald, nach dem Tod des Ordinarius im Juli 1932 leitete er die Klinik stellvertretend. 1935 erhielt er den Professorentitel und ließ sich in Kassel nieder. Ab 1936 nahm er einen Lehrauftrag für Frauenkunde und Hygiene der Frau an der Universität Göttingen wahr. 1939 wurde Hubert außerplanmäßiger Professor an der Universität Göttingen. Nach Reserveübungen 1935 und 1936 wurde Hubert zum Stabsarzt der Reserve befördert. Im August 1939 wurde er zur Heeressanitätsstaffel Brandenburg eingezogen. Mit dem Datum 1. März 1940 zum Chefarzt der Frauenklinik der Städtischen Krankenanstalten Brandenburg (Havel) ernannt, blieb er Mitglied in der Heeressanitätsstaffel. Den Lehrauftrag übte er ab 1940 an der Universität Berlin aus. Hubert starb, so die Traueranzeige im Völkischen Beobachter, bei einer Urlaubsreise an einem Herzschlag. Huberts Witwe Elinor gehörte von 1949 bis 1969 dem Deutschen Bundestag an und war gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.

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Organisationen: früher DVP; seit 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP, Mitglied Nr. 2.470.319; seit November 1933 Reitersturm der SA; NSD-Dozentenbund; NSDÄrztebund Quellen: UAG Med. Fak. I 98; UAB PA Hubert, Rudolf; BA R 4901/13267; UAG K Nr. 888, Bl. 168.

Krisch, Hans (* 24. Februar 1888 Wirchlesch (Oberschlesien); † nach 1945) Vater: Gymnasialzeichenlehrer Konfession: katholisch Volksschule und Gymnasium besuchte Krisch in Patschkau und Breslau. Er studierte in Breslau Medizin und absolvierte dort das Praktische Jahr in den Universitätskliniken. 1913 bestand er das Staatsexamen und volontierte danach bei Alois Alzheimer (1864–1915) an der Psychiatrischen und Nervenklinik des Festungslazaretts Breslau. 1914 erhielt er eine Stelle als Zweiter Assistent an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Greifswald. Hier leistete er Kriegsdienst bei der Landwehr, wurde jedoch kurz nach Kriegsbeginn für das Festungslazarett Breslau dienstverpflichtet. An der Universität Breslau promovierte er 1915 mit Beiträgen zur Klinik der septischen Erkrankungen zum Dr. med. Ende 1915 kehrte er nach Greifswald zurück, wo er als Lazarettarzt eingesetzt wurde. Mit einer Studie zur Differentialdiagnose von Psychosen wurde Krisch 1919 habilitiert und im selben Jahr zum Ersten Assistent befördert. Die Ernennung zum Oberarzt folgte 1922, 1925 erhielt er den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors. Nach der Entlassung Edmund Forsters amtierte er 1933 als Geschäftsführender Direktor der Universitätsnervenklinik. 1934 wurde er zum Leiter der Psychiatrischen Nervenklinik im Stadtkrankenhaus Dresden versetzt und in Greifswald 1935 als Dozent gestrichen. Krisch soll nach 1945 als Chefarzt in Dresden weiter tätig gewesen sein. Organisationen: 1. November 1933 SA, Dienstgrad Rottenführer; NSLB; NSD-Dozentenbund; am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.823.743 Quellen: UAG Med. Fak. I 96; BA R 4901/13269 Karteikarte Krisch, Mitgliedskarte NSDAPOrtskartei; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 126.

Nevinny-Stickel, Hans Namensform bis 1938: Hans Nevinny (* 13. Januar 1900 Innsbruck; † nach 1952) Vater: Universitätsprofessor Konfession: gottgläubig, früher: römisch-katholisch Das Gymnasium besuchte Nevinny in Innsbruck, wo er später auch Medizin studierte. Dort schloss er sich 1918/19 einem studentischen Freikorps an, das in Innsbruck

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und München eingesetzt wurde. 1925 promovierte er an der Universität Innsbruck zum Dr. med. Im selben Jahr erhielt er eine Assistentenstelle am Pathologischen Institut der Universität Innsbruck. Danach war er am Anatomischen Institut, ab 1927 in der Frauenklinik Innsbruck tätig. Da Österreich nationalsozialistische Aktivisten nach einem gescheiterten Putschversuch auswies, kam Nevinny, der den Sanitätsdienst der SA in Österreich mit aufgebaut hatte (Dienstgrad Sturmbannführer) im August 1933 nach Deutschland und trat eine Stelle als Lagerarzt im Konzentrationslager Heuberg in Württemberg an. Bereits im November 1933 wechselte er an die württembergische Hebammenschule in Stuttgart, 1934 wurde er zum Ersten Assistenten befördert. Die Stelle des Oberarztes an der Universitätsfrauenklinik Königsberg vertrat Nevinny ab 1935. Im Jahr danach wurde er mit der Studie Die medikamentöse Bekämpfung der intrauterinen Asphyxie habilitiert und 1937 zum Dozenten ernannt. Die Frage der Auswirkungen von Medikamenten auf den Fötus beschäftigte Nevinny auch im Hinblick auf das sogenannte Mutterkorn. Außerdem publizierte er über die genitalen Missbildungen der Frau anhand von Fällen, die er bei Sterilisierungsoperationen kennengelernt hatte. Mit der Berufung von Günther K. F. Schultze zum Direktor der Frauenklinik Greifswald kam Nevinny-Stickel 1939 als Oberarzt an die Universität, weil Schultze dessen biochemische Ausbildung für nützlich erachtete. Nevinny-Stickel wurde jedoch mit Beginn des Krieges eingezogen und nahm an den Feldzügen gegen Polen und Frankreich teil. Für die Universität Greifswald wurde er 1943 unabkömmlich gestellt, gleichzeitig folgte die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor. Nach Kriegsende arbeitete Nevinny-Stickel als niedergelassener Frauenarzt in Greifswald. Nach dem plötzlichen Tod des Lehrstuhlinhabers und Klinikdirektors leitete er 1948 die Frauenklinik. Weiteres konnte nicht ermittelt werden. Organisationen: als Student in München finanzielle Spenden für die NSDAP, 1932 in Innsbruck Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 1.081.712; 1932 Eintritt in die SA, mitbeteiligt an der Organisation des Sanitätsdienstes für Parteiversammlungen, befördert zum Sturmbannführer; NSD-Ärztebund; Mitarbeit im Hauptamt für Volksgesundheit Quellen: UAG PA 1598 Nevinny-Stickel; BA R 4901/25127 PA Nevinny-Stickel.

Pannhorst, Rudolf (* 29. Juli 1904 Frankfurt am Main; † 10. März 1983 Berlin (West)) Vater: Schneidermeister Konfession: evangelisch Das humanistische Gymnasium besuchte Pannhorst in Frankfurt am Main. Nach der Reifeprüfung (1924) studierte er Medizin in Marburg und Frankfurt. Das Staatsexamen legte er 1929 ab und absolvierte danach Praktika am Pathologisch-Anatomischen Institut Nürnberg und der Universitätsklinik Greifswald (Approbation 1930). Mit der Dissertation Klinisch-experimentelle Beobachtungen über die Bedeutung der Lehre von den bedingten

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Reflexen promovierte er hier 1931. Er wurde zunächst als außerplanmäßiger Assistent, ab 1933 als planmäßiger Assistent in der Medizinischen Klinik beschäftigt. Seit 1934 war er als Universitätssportarzt tätig. Ab dem Folgejahr leistete Pannhorst Wehrmachtsübungen ab und wurde 1938 zum Assistenzarzt der Reserve befördert. Im selben Jahr habilitierte er sich mit einer Studie über Röntgenkymografische Untersuchungen der Bewegungsformen des Dünndarms von Tier und Mensch, in der ihm der Nachweis einer Spiralbewegung innerhalb der Peristaltik des Darms gelang. Zugleich wurde er der Universität Greifswald als Dozent für Innere Medizin zugewiesen. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Pannhorst in verschiedenen Lazaretten in der Heimat und in den besetzten Gebieten. Während des Westfeldzugs war er im Operationsgebiet des Heeres eingesetzt und arbeitete von Juli 1940 bis März 1942 bei der Besatzungstruppe in Belgien, wo er unter anderem eine nichtveröffentlichte Studie über „Das Verhalten der Tuberkulose bei Unterernährung“ an Insassen eines Lagers erstellte. Nach kurzer Zeit in Berchtesgaden ließ er sich 1943 an die Ostfront versetzen. Zum außerplanmäßigen Professor wurde er 1944 befördert. Seit 1945 war er Chefarzt am Krankenhaus in Meldorf (Schleswig-Holstein). In den fünfziger Jahren wurde er zum Chefarzt der Inneren Abteilung des Virchow-Krankenhauses in Westberlin ernannt. Zugleich lehrte er als außerordentlicher Professor an der Freien Universität Berlin. In den sechziger Jahren war er ärztlicher Direktor des Virchow-Krankenhauses. In den Ruhestand trat Pannhorst 1969. Pannhorst veröffentlichte und initiierte zahlreiche Studien zur Inneren Medizin, vor allem zu Erkrankungen des Magens und zum Diabetes. Außerdem war er Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Organisationen: 1922–1933 in der Deutschen Jugendbewegung; seit 1933 SA; am 1. April 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 1.678.601, Mitarbeiter im Rassenpolitischen Amt der NSDAP Gau Pommern Quellen: UAG PA 546 Pannhorst, MF Habil. Nr. 215, K 392; BA R 4901/13273 Karteikarte Pannhorst und 23423 PA Pannhorst, Mitgliedskarte Ortskartei; Kürschner.

Plötz, Richard (* 14. Oktober 1893 Grimmen; † 11. Mai 1967 Greifswald) Vater: Postassistent, Briefträger Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Plötz 1912 am Gymnasium Greifswald ab. Er begann das Studium der Mathematik und Naturwissenschaften, meldete sich jedoch als Kriegsfreiwilliger. Von November 1914 bis 1919 leistete er Kriegsdienst bei der Infanterie. 1915 wurde er zum Leutnant befördert und 1918 mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet. Nach der Rückkehr studierte er Zahnheilkunde und promovierte 1921 mit der Dissertation Die Einteilung der Anomalien des menschlichen Gebisses nebst kritischen Betrachtungen darüber zum Dr. med. dent. Im selben Jahr erhielt er die Approbation und wurde Assistent, seit 1923 Hilfslehrer für Zahn-

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heilkunde am Zahnärztlichen Institut Greifswald. Er habilitierte sich 1931 mit einer Studie Über die Beschaffenheit und physiologische Bedeutung der Schmelzoberfläche (zugleich ein Beitrag zur Frage der Entstehung des Schmelzes). Nach der Versetzung Plötz’ nach Bonn vertrat er 1935 die vakante Professur in Greifswald, erhielt das Ordinariat nach dem Einspruch der Medizinischen Fakultät jedoch nicht. Zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor wurde Plötz 1936 ernannt, zugleich wurde er Oberarzt und Leiter der Abteilung Zahnerhaltungskunde. 1939 folgte die Beförderung zum außerplanmäßigen Professor. Im Mai 1945 wurde er nach dem Tod Wustrows zum Leiter der Zahnklinik der Universität Greifswald ernannt, jedoch zum 1. Juli 1946 entlassen. Seit August 1947 praktizierte er als selbstständiger Zahnarzt. Auf Wunsch der Medizinischen Fakultät wurde Plötz 1953 zum Professor mit Lehrstuhl an der Universität Greifswald berufen. 1963 trat er in den Ruhestand. Organisationen: 1923 Stahlhelm; 1933 NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.212; 1936 NSDDozentenbund; 1946 FDGB; 1946 SED Quellen: UAG PA 547 Plötz; R 4901/23706 und 13273 Karteikarte Plötz.

Richter, Friedrich (* 4. Februar 1896 Ebersbach bei Döbeln (Sachsen); † 18. November 1951 Greifswald) Vater: Landwirt Konfession: evangelisch-lutherisch, ab 1939 gottgläubig Richter besuchte Realgymnasien in Döbeln und Frankfurt/Oder. Von 1914 bis 1917 leistete er Kriegsdienst an der Westfront, unter anderem in Ypern und Messines und wurde nach einer Verwundung entlassen. 1917 legte er in Berlin die Reifeprüfung ab. Er studierte Medizin in Greifswald, Gießen und wieder Greifswald. 1927 promovierte er mit einer physiologischen Studie zur Muskelkontraktion zum Dr. med. Danach arbeitete er als Assistent und später Oberassistent am Physiologischen Institut der Universität Greifswald (bei Steinhausen). 1933 habilitierte er sich mit einer Studie über die Registrierung bioelektrischer Potentiale mit Verstärkern und Oszillographen. Danach veröffentlichte er mehrere Untersuchungen zur Dehnbarkeit der Muskulatur unter bestimmten Voraussetzungen. 1939 wurde er zum außerplanmäßigen Professor für Physiologie ernannt und mit der Vertretung des Lehrstuhls für Physiologie betraut. 1945 kündigte er das physiologische Praktikum gemeinsam mit seinem Mentor Steinhausen an, wurde aber Ende 1945 entlassen und arbeitete danach am Seuchenkrankenhaus in Greifswald. 1949 wurde er zum Leiter der Inneren Abteilung im Krankenhaus Wolgast ernannt. 1951 folgte die Berufung zum Professor mit Lehrauftrag für Physiologie, die Richter wegen einer Erkrankung nicht mehr annehmen konnte. Organisationen: 1933 NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.266, seit 1934 Zellenleiter; NSV; NSLB; FDGB; 1949 NDPD Quellen: UAG PA 1751 Richter; BA R 4901/23400

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Röhrer, Heinz (* 23. März 1905 Leipzig; † 13. Juni 1992 Rathenow) Vater: Prokurist Konfession: evangelisch-lutherisch Röhrer besuchte verschiedene Schulen in Leipzig, wo er 1924 die Reifeprüfung ablegte. Er studierte Veterinärmedizin in Leipzig und erhielt 1928 die Approbation als Tierarzt. Im selben Jahr promovierte er mit einer Untersuchung über die Schrumpfniere des Hundes unter besonderer Berücksichtigung der Gefäßveränderungen zum Dr. med. vet. Seit Juli 1928 war er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Institut für Tierhygiene der Preußischen Landwirtschaftlichen Versuchs- und Forschungsanstalten in Landsberg/Warthe tätig. Zum 1. Januar 1930 trat er eine Assistentenstelle an der Staatlichen Forschungsanstalt auf der Insel Riems an. 1932 wechselte er als Oberassistent an das Tierhygienische Institut der Universität Freiburg. 1935 folgte die Ernennung zum Leiter des Staatlichen Veterinär­ untersuchungsamts Berlin. Seit 1936 absolvierte er militärische Übungen. Die Leitung des neuerrichteten Veterinärmedizinischen Untersuchungsamts in Köln wurde ihm 1938 übertragen (Ernennung zum Polizeiveterinärrat und Regierungsveterinärrat). 1939 wurde Röhrer als Leiter der Luftschutz-Veterinäruntersuchungsstelle in Köln einberufen, wo er eine Untersuchungsstation für den biologischen Kampfstoffnachweis leitete. An der Universität Köln wurde Röhrer, der zahlreiche Studien, etwa zur Leukämiediagnose beim Huhn, zur Histologie der Schweinepest, zu Vulva- und Penistuberkulose beim Rind sowie zur Maul- und Klauenseuche beim Stachelschwein verfasst hatte, 1941 kumulativ habilitiert. Die Lehrprobe hielt er zum Problem Die Rindertuberkulose als Zoonose. Zum Dozenten für Allgemeine Pathologie und Pathologie des Tieres wurde er 1942 ernannt, noch im selben Jahr zum außerplanmäßigen Professor befördert und als Abteilungsleiter zur Staatlichen Forschungsanstalt auf der Insel Riems versetzt. Die Umhabilitierung an die Universität Greifswald folgte 1943. Seit 1942 war Röhrer an der Entwicklung eines waffenfähigen Maul-und-Klauenseuche-Virus beteiligt (1943 ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse). Im Oktober 1945 wurde Röhrer entlassen und betrieb zunächst eine tierärztliche Praxis. Bereits im Januar 1946 wurde ihm die technische Leitung des Anhaltischen Serum-Instituts in Dessau bzw. auf dem Gut Rottenau bei Loburg übertragen. Im November 1948 wurde Röhrer zum Präsidenten der Forschungsanstalt auf der Insel Riems ernannt (seit 1952 Friedrich-Loeffler-Institut). Die Universität Greifswald erteilte ihm 1951 auf Veranlassung von Kurt Herzberg einen Lehrauftrag zur „Vergleichenden Pathologie der Viruskrankheiten“. 1960 wurde er zum Professor mit Lehrstuhl für Virologie an der Universität Greifswald ernannt und 1970 in den Ruhestand versetzt. Röhrer war am Wiederaufbau der demontierten Forschungsanstalt Insel Riems maßgeblich beteiligt und baute in der DDR ein System obligatorischer Maul-und-Klauenseuche-Impfung auf.

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Organisationen: am 1. Dezember 1931 Eintritt in die NSDAP; Ortsgruppenamtsleiter; 1946 FDGB; 1949 DSF; DS; 1950 Kulturbund; CDU, ab 1954 Mitglied ihres Hauptvorstands; 1954 bis 1963 Mitglied der Volkskammer der DDR Quellen: UAG PA 568 Röhrer; UAG K Nr. 888, Bl. 242; BA R 4901/13274 Karteikarte Röhrer; NA London WO 208/4277, FO 1031/83.

Rohrschneider, Wilhelm (* 30. April 1895 Berlin; † 17. Juni 1966 München) Vater: Ratsmaurermeister Konfession: evangelisch Seit 1901 besuchte Rohrschneider das Gymnasium in Berlin. Die Reifeprüfung legte er 1913 ab und begann das Medizinstudium in Berlin. 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst und wurde als Sanitätsunteroffizier, zuletzt als Feldunterarzt eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Im August 1918 geriet er in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er im März 1919 entlassen wurde. Das Studium setzte er in Berlin, Heidelberg und wieder Berlin fort. 1921 erhielt er eine Assistenzarztstelle am Kreiskrankenhaus in Nauen. Mit der Dissertation Ein Fall von primärem Sarkom der Iris mit ringförmiger Ausbreitung promovierte er 1922 an der Universität Berlin zum Dr. med. Danach volontierte er an der Universitätsaugenklinik Berlin. Durch ein Rockefeller-Stipendium gefördert, konnte er sich am Pathologischen Institut der Universität Marburg weiterbilden. 1924 erhielt er eine planmäßige Assistentenstelle an der Universitätsaugenklinik Berlin. Hier habilitierte er sich 1928 mit der Studie Experimentelle Untersuchungen über die Veränderungen normaler Augengewebe nach Röntgenbestrahlung. Auf Veranlassung des Klinikdirektors Wilhelm Meisner kam Rohrschneider 1931 als Oberarzt an die Universitätsaugenklinik Greifswald und wurde umhabilitiert. Den Titel eines außerordentlichen Professors erhielt er 1934. Mit Meisner wechselte er 1935 an die Universität Köln, 1936 wurde er als ordentlicher Professor an die Universität Königsberg berufen. Nach der Vertreibung ließ sich Rohrschneider als Augenarzt in Weimar nieder. Die Berufung auf eine ordentliche Professur an der Universität Münster folgte 1948. An die Universität München wechselte er 1953. Rohrschneider beschäftigte sich vor allem mit pathogenen Mikroorganismen und verfasste das Lehrbuch für einen Fortbildungskurs für Augenärzte (Augenheilkunde in Klinik und Praxis, 1958). Organisationen: seit 30. Oktober 1933 SA, Dienstgrad Sturmmann Quellen: BA R 4901/13274 Karteikarte Rohrschneider; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer S. 196; Töpel, Universitätsaugenklinik, S. 37.

Schäfer, Walter (* 16. Dezember 1894 Berlin; † 29. September 1952 Neumünster) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch

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Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums nahm Schäfer am Ersten Weltkrieg teil. Er studierte Medizin in Berlin und promovierte 1922 mit der Dissertation Zur Kasuistik der Strumarecidive nach Strumektomien zum Dr. med. Danach praktizierte er an verschiedenen Kliniken und erhielt 1927 eine Assistentenstelle an der Universitätsfrauenklinik Göttingen. Hier entwickelte er ein Gerät zur Bestrahlung von Geschwülsten der Gebärmutter, mit dem, so ein Gutachten, „überraschend hohe Heilziffern“ erreicht werden konnten (Die Röntgentherapie des Uteruskarzinoms mit dem Körperhohlrohr, 2. Auflage 1950). 1932 wurde Schäfer an der Universität Göttingen für Frauenheilkunde habilitiert und 1935 als Dozent an die Universität Greifswald versetzt. Hier wurde er im Oktober zum Oberarzt befördert und 1937 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. Mit seinem Mentor Ernst Philipp wechselte er 1937 an die Universitätsfrauenklinik Kiel. 1939 folgte die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor. Nach kurzer Lehrstuhlvertretung in Jena wurde er 1941 zum Direktor der Frauenklinik des Ostinstituts in Krakau berufen. 1951 kehrte er als außerplanmäßiger Professor an die Universität Kiel zurück. Organisationen: seit 1930 NSDAP, Mitglied Nr. 325.422; SA, seit 1931 SA-Sturmbannarzt; seit 1932 befördert zum Sanitätsstandartenführer; seit 1934 NS-Ärztebund; seit 1934/35 NSV Quellen: UAG Med. Fak. I 92; Bundesarchiv R 4901/13275 Karteikarte Schäfer, BDC-Unterlagen; Volbehr/Weyl, Professoren der Universität Kiel, S. 104.

Sommer, René (* 21. April 1891 Krefeld; † 12. Oktober 1941 im Osten) Vater: Zollbeamter Konfession: katholisch Bedingt durch die häufigen Versetzungen seines Vaters besuchte Sommer Gymnasien in Bochum, Flensburg, Berlin, Hannover und schließlich Passau, wo er 1910 die Reifeprüfung ablegte. Er studierte Medizin an den Universitäten Berlin und Münster. Hier leistete er auch den Militärdienst als Einjährig-freiwilliger-Arzt. Mit Kriegsbeginn wurde er 1914 einberufen und diente zunächst als Feldunterarzt bei der Fußartillerie an der Westfront. Im Dezember 1914 wurde er als Feldhilfsarzt zu einem Infanterieregiment versetzt, das im Baltikum eingesetzt war. 1917 wurde er zur Absolvierung des klinischen Semesters an die Universität Greifswald kommandiert. Hier legte er das Staatsexamen ab und promovierte mit der Dissertation Erfahrungen über Blasen- und Scheidenfisteln zum Dr. med. Danach wurde er als Arzt zu der neuen Luftwaffe versetzt. Nach der Demobilisierung erhielt Sommer 1919 eine planmäßige Stelle als Assistenzarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik Greifswald, arbeitete aber zunächst mehrere Monate in der Pathologie. 1920 wurde Sommer habilitiert und erarbeitete sich in den nächsten Jahren einen guten Ruf für traumatische Luxationen und zur Unfallchirurgie. Außerdem publizierte er zur Chirurgie der Ex-

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tremitäten und der Bauchhöhle. Die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor folgte 1928. Kurz danach trat er eine Chefarztstelle in der Chirurgischen Klinik des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Dortmund an. Die Universität Greifswald führte ihn als beurlaubtes Mitglied des Lehrkörpers und strich ihn auf Anweisung des Kultusministeriums im Dezember 1933. Sommer erhielt 1934 einen Lehrauftrag für Unfallkunde an der Hochschule für Lehrerbildung Dortmund und beriet die Reichsärzteführung bei der ärztlichen Betreuung der Gefolgschaftsmitglieder im Bergbau. Als Oberstabsarzt der Reserve war Sommer ab März 1940 als Beratender Chirurg eingesetzt (ausgezeichnet mit der Spange zum Eisernen Kreuz II. Klasse). Ab Juni 1941 war er an der Ostfront eingesetzt. Hier soll er an den Folgen einer Verletzung gestorben sein, die er erlitt, als sein Fieseler Storch von sowjetischen Jägern abgefangen wurde. Organisationen: VDSt; 1926 Stahlhelm; 1933 SA, Sanitätsobertruppführer; 1937 Aufnahme in die NSDAP Quellen: UAG K 887, Bl. 296; Nr. 888, Bl. 178; Behrendt, Karl Philipp: Die Kriegschirurgie von 1939–1945 aus der Sicht der Beratenden Chirurgen des deutschen Heeres im Zweiten Weltkrieg, Diss. med. Freiburg 2003, S. 241.

Stephan, Siegfried (* 14. August 1883 Gräfenhainichen; † 29. Februar 1948 Greifswald) Vater: Amtsrichter Konfession: evangelisch Das humanistische Gymnasium besuchte Stephan in Eberswalde. Er studierte seit 1904 Medizin in Marburg und Greifswald. Das Staatsexamen legte er 1909 ab und arbeitete danach als Zweiter Prosektor im Anatomischen Institut. Die Approbation erhielt er 1911 und trat im selben Jahr eine Assistentenstelle an der Universitätsfrauenklinik an. Mit einer Dissertation über die „kongenitale Nierendystopie beim Weibe in klinischer und embryologischer Beziehung“ promovierte er 1912 an der Universität Greifswald zum Dr. med. 1913 wechselte er als planmäßiger Assistent an die Universitätsfrauenklinik Gießen. Während des Ersten Weltkriegs war er 1915/16 an der Westfront in einem Feldlazarett eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse). Bei einem Heimaturlaub habilitierte er sich 1916 an der Universität Greifswald für Geburtshilfe und Gynäkologie. Er kehrte an die Front zurück, wurde aber im November 1917 nach dem Tod des Klinikdirektors nach Greifswald beordert und zum Oberarzt und stellvertretenden Klinikdirektor befördert. Gleichzeitig leistete er Kriegsdienst in der Landwehr. Nach der Berufung eines neuen Ordinarius blieb Stephan Oberarzt. Den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors erhielt er 1922. Im selben Jahr wurde ihm die Leitung der Landesfrauenklinik und Provinzialhebammenlehranstalt in Stettin übertragen, deren Neubau er Ende der zwanziger Jahre gestalten konnte. Stephan lehrte weiter an der Universität Greifswald und

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wurde 1939 zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Nach der Zerstörung der Stettiner Klinik kam Stephan Ende 1944 nach Greifswald und wurde im Mai 1945 zum Direktor der Universitätsfrauenklinik ernannt. 1946 folgten die Bestätigung im Amt und die Ernennung zum ordentlichen Professor. Seit Februar 1946 war er Dekan der Medizinischen Fakultät. Stephan publizierte zu allen Gebieten seines Fachs, insbesondere zur Biologie und den Entzündungen der Vagina. Außerdem entwickelte er Methoden zur Röntgentherapie der Genitaltuberkulose und gestalte Lehrfilme. Organisationen: DNVP; SA-Reserve II; Förderndes Mitglied der SS; CDU Quellen: UAG PA 1854 Stephan; R 845, K 887; BA R 4901/13277 Karteikarte Stephan; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 226.

Störring, Gustav Ernst (4. April 1903 Zürich (Schweiz); † 24. November 2000) Vater: Universitätsprofessor Gustav Störring Konfession: evangelisch Die Primärschule besuchte Störring in Zürich, danach das Lyzeum in Straßburg und das Realgymnasium in Bonn (Reifeprüfung 1925). Er studierte Medizin und Naturwissenschaften an den Universitäten Kiel, Königsberg und Bonn. Bereits 1922 promovierte er mit einer „pneumographischen Untersuchung von Gefühlszuständen“ zum Dr. phil. Mit der Promotion zum Dr. med. Über die psychogenen Reaktionen bei Epilepsie schloss er 1927 das Medizinstudium ab. Das Staatsexamen legte er 1928 ab und trat 1929 eine Assistentenstelle an der Psychiatrischen- und Nervenklinik der Universität Würzburg an. 1932 wechselte er an die Münchner Universitätsklinik, wo er sich 1933 mit der Studie Psychopathologie und Klinik der Angstzustände habilitierte. Eine Zusatzausbildung absolvierte er seit 1936 am Deutschen Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie. Im August 1937 erhielt er eine Oberarztstelle an der Universitätsnervenklinik Greifswald und wurde umhabilitiert. Die Berufung zum außerplanmäßigen Professor der Universität Göttingen folgte 1939. Die militärischen Übungen absolvierte er parallel bei der Luftwaffe, bei der er auch während des Krieges eingesetzt war (1942 befördert zum Stabsarzt). Nach der Entnazifizierung wurde Störring 1949 als außerplanmäßiger Professor an die Medizinische Akademie Düsseldorf berufen. 1954 wechselte er als ordentlicher Professor und Klinikdirektor an die Universität Kiel. Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.201.493 und die SA Quellen: BA R 4901/13278 Karteikarte Störring; BA-MA RW 58/1786; Kürschner; Sparing, Frank: Psychiatrie in Düsseldorf nach 1945, in: Woelk, Wolfgang, Frank Sparing, Karen Bayer und Michael G. Esch (Hg.): Nach der Diktatur. Die Medizinische Akademie Düsseldorf vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1960er Jahre, Essen 2003, S. 339 ff.

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Wrede, Fritz (* 7. Februar 1891 Bielefeld; † nach 1939) Vater: Fabrikant Konfession: evangelisch Wrede besuchte das Realgymnasium in Bielefeld (Reifeprüfung 1910). Er studierte in Jena Medizin und Chemie. 1912 bestand er das Examen des Chemikerverbands. Danach setzte er seine Medizinstudien in Heidelberg fort. Nach dem Physikum wechselte er erneut nach Jena und promovierte 1914 dort mit einer Dissertation über Glykoside. Das Medizinstudium setzte er in München und Jena fort und legte 1915 in Jena das Staatsexamen ab. Im selben Jahr promovierte er mit der Dissertation Das Glykosid und die Säuren der Achillea Millefolium L. zum Dr. med. Es folgten mehrmonatige Anstellungen an verschiedenen Universitätskliniken, am Städtischen Krankenhaus in Breslau und an einer Landesfrauenklinik. 1916 erhielt er die Approbation. 1917 ließ sich Wrede als Praktischer Arzt in Boxberg (Baden) nieder. Da ihm die Tätigkeit als Landarzt „auf die Dauer“ nicht zusagte, bewarb er sich 1919 als Assistent am Physiologisch-Chemischen Institut der Universität Tübingen. 1921 habilitierte er sich mit der Schrift Synthese von schwefel- und selenhaltigen Disacchariden durch Verkettung von zwei Glucoseresten in der C6-Stellung in Greifswald. 1926 vertrat er den Lehrstuhl für Physiologie und erhielt den Professorentitel. 1928 versuchte die IG Farben Wrede für eine Laborleiterstelle zu gewinnen, die Medizinische Fakultät beantragte daraufhin für ihn eine Lehrauftragsvergütung und ein Stipendium, das er auch erhielt. 1931 wurde er zum Abteilungsleiter ernannt. Nach Denunziationen wurde Wrede entlassen. Ab September 1934 war er bei der Hydrotherapeutischen Anstalt der Universität Berlin beschäftigt, 1935 erhielt er einen Forschungsauftrag auf dem Gebiet der toxikologischen Chemie im Pharmakologischen Institut der Universität Kiel. 1939 lebte Wrede wieder in Berlin, Weiteres konnte nicht ermittelt werden. Organisationen: November 1933 SA-Reserve, Dienst in der Reiterstandarte, 1934 krankheitshalber beurlaubt; Aufnahme in die NSDAP zum 1. Mai 1937, Mitglied Nr. 5.444.476 Quellen: UAG PA 605 Wrede, K Nr. 888, Bl. 171; BA R 4901/13282 Karteikarte Wrede; Sterbedatum beim Standesamt Bielefeld und beim Standesamt Berlin I nicht registriert.

Privatdozenten Bamberger, Philipp (* 22 Juli 1898 Münster; † 27. Juni 1983 Heidelberg) Vater: Amtsrichter Konfession: katholisch

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Die Reifeprüfung des humanistischen Gymnasiums legte Bamberger 1918 ab. Da er wegen Bronchialasthmas nicht kriegsdiensttauglich war, begann er sofort mit dem Studium der Chemie und Medizin in München. Nach der Approbation erhielt er 1925 eine Stelle als Assistenzarzt an der Universitätskinderklinik in Greifswald. 1927 promovierte er hier mit einer Arbeit über das Depot- und Zellfett bei wachsenden Tieren zum Dr. med. 1929 Oberarzt, habilitierte er sich 1932 für das Fach Kinderheilkunde. Im selben Jahr wechselte er mit seinem Mentor Degwitz als Oberarzt an die Kinderklinik in Hamburg. Formal wurde Bamberger im Januar 1933 in Greifswald beurlaubt und im März nach Hamburg umhabilitiert. 1938 wurde Bamberger auf eine ordentliche Professur für Kinderheilkunde an der Universität Königsberg berufen. 1945 geriet er als Direktor der Kinderklinik in sowjetische Gefangenschaft und wurde nach der Überprüfung als Arzt in einem Seuchenlazarett eingesetzt. Ende 1945 gelang ihm die Flucht nach München, 1946 wurde er auf die ordentliche Professur für Kinderheilkunde an der Universität Heidelberg berufen. Bereits kurze Zeit später wurde er suspendiert. Daraufhin leitete Bamberger ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst ein, um sich von dem Vorwurf zu befreien, es seien durch seine mangelnde Beaufsichtigung der Blutspendezentrale mehrere Kinder gestorben. 1951 wurde er von den Vorwürfen freigesprochen und wieder als Klinikdirektor eingesetzt. Mit Unterstützung des Landes baute Bamberger das Fach Kinderheilkunde in Heidelberg zielstrebig aus und konnte 1965 einen Klinikneubau einweihen. Organisationen: ab Februar 1934 HJ-Arzt Quellen: UAG PA 893 Bamberger; BA R 4901/13258; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 12. Eckardt, Wolfgang U.: Lange Schatten aus Königsberg. Philipp Bamberger (1898–1983) und die Heidelberger Kinderklinik in schwerer Nachkriegszeit. In: Hoffmann, Georg F., ders. und Philipp Osten. Entwicklungen und Perspektiven der Kinder- und Jugendmedizin, Mainz 2011, S. 99–135.

Bartelheimer, Heinrich (* 5. Juni 1908 Rotenburg (Hannover); † 8. Dezember 1985 Hamburg) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch-lutherisch Nach der Reifeprüfung in Bremen studierte Bartelheimer ab 1928 Medizin in Heidelberg, München und Hamburg. 1933 legte er das Staatsexamen ab und promovierte mit einer Dissertation über die Hausansteckungen bei der Ruhr zum Dr. med. Danach war er Assistenzarzt in verschiedenen Berliner Krankenhäusern und absolvierte ab 1935 militärische Übungen bei der Luftwaffe. 1937 war Bartelheimer zunächst Volontär, dann Assistenzarzt in der Medizinischen Klinik, wo er unter anderem die antiallergischen Wirkungen des Insulinschocks, etwa bei Asthma bronchiale, untersuchte. 1938 eingezogen, nahm er als Unterarzt in einem Jagdgeschwader an der Besetzung des Sudentenlandes teil. 1940 habilitierte er sich an der Universität Greifswald mit einer Studie über extrainsuläre hormonale Regulatoren im diabetischen Stoffwechsel. Die Probevorlesung hielt er über den Insulinschock und seine Bedeutung für die Innere Medizin. 1941 zum Dozenten er-

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nannt, wurde Bartelheimer wieder eingezogen und war im Standortlazarett Aalborg (Dänemark) eingesetzt (befördert zum Oberarzt). Im Juni 1941 wurde er zum Luftwaffenlazarett Greifswald versetzt und zugleich in der Medizinischen Klinik beschäftigt. Im Sommer 1945 wurde Bartelheimer Chefarzt des Diabetikerheims des Waldkrankenhauses ZevenAspe (südlich von Hamburg) und habilitierte sich an die Universität Kiel um. 1948 wurde seine Lehrbefugnis erneuert, 1950 folgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor. 1951 wurde Bartelheimer zum Chefarzt der I. Medizinischen Klinik der Städtischen Krankenanstalten Berlin-Moabit ernannt, 1954 wurde er Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik am Westendkrankenhaus und zugleich auf eine ordentliche Professur an der Freien Universität Berlin berufen. 1960 wechselte er als ordentlicher Professor für Innere Medizin an die Universität Hamburg und wurde zum Direktor der 1. Medizinischen Klinik des Universitätskrankenhauses Hamburg-Eppendorf ernannt. Bartelheimer galt als herausragende Autorität der Inneren Medizin und Endokrinologie. Organisationen: 1934 Deutscher Luftfahrtverband, überführt in NSFK, Mitglied der Sanitätsstaffel; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.781.175 Quellen: UAG PA 630 Bartelheimer, UAG Med. Habil. Nr. 216, K Nr. 886, Bl. 132; Kürschner; BA-MA RW 59/1778; Auskunft des Standesamts Rotenburg.

Baumecker, Heinz (* 15. Mai 1902 Berlin; † 20. Oktober 1947 Hanau) Vater: Arzt Konfession: evangelisch Baumecker studierte ab 1920 Medizin in Berlin, Innsbruck und Greifswald. 1925 legte er das Staatsexamen ab und war danach Medizinalpraktikant in Berlin. An der Universität Berlin promovierte er 1926 mit einer Arbeit über die Entstehung der Ansammlung von seröser Flüssigkeit in den Hodenhüllen (Die Aetiologie der Hydrocelen). Im selben Jahr erhielt er eine planmäßige Assistentenstelle am Pathologischen Institut der Universität Greifswald und wechselte 1927 als planmäßiger Assistent an die Chirurgische Klinik. Mit der Studie Untersuchungen über die Veränderung an der Gelenkkapsel und ihre Beziehungen zu den Ergüssen des Kniegelenks wurde er hier 1931 habilitiert. Die Antrittsvorlesung hielt er zum Thema „Unfallchirurgie und Unfallbegutachtung“. 1934 nahm Baumecker eine Stelle als dirigierender Arzt der Chirurgischen Abteilung des Landeskrankenhauses Hanau (Hessen) an. Von der Universität wurde er 1935 beurlaubt und als Dozent gestrichen. Baumecker publizierte weiterhin zu Knochenbrüchen und Verrenkungen sowie zu Strahlenpilzerkrankungen (Aktinomykose). Im Dezember 1944 wurde er nach der Einleitung eines Disziplinarverfahrens beurlaubt. Danach arbeitete er in einem Reservelazarett und führte eine Privatpraxis. Im Oktober 1945 als Mitläufer entnazifiziert, wurde er trotzdem aus dem Dienst am Stadtkrankenhaus entlassen.

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Organisationen: Eintritt in die NSDAP am 1. Mai 1933, Mitglied Nr. 2.146.890; SA seit 1. November 1933, 2. Sturmarzt im Reitersturm der Brigade 10 Quellen: UAG MF I 82, K Nr. 888, Bl. 137; BA R 4901/13258; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 14.

Buschbeck, Herbert (* 27. Juli 1906 Dresden; † nach 1992) Vater: Frauenarzt Konfession: evangelisch-lutherisch Nach dem Abitur am Vitzthum’schen Gymnasium in Dresden (1924) studierte Buschbeck Medizin an den Universitäten Tübingen, Rostock und München sowie an der Medizinischen Akademie Düsseldorf. Das Staatsexamen legte er 1929 ab. Die Praktika absolvierte er am Krankenhaus Dresden Johannstadt und an der Chirurgischen Universitätsklinik Berlin. Für seine Dissertation über die Häufigkeit des Lungenkarzinoms (1931) wertete er die Unterlagen des Pathologischen Instituts des Krankenhauses Dresden Johannstadt aus. Nach der Promotion zum Dr. med. war Buschbeck als Volontär an der Universitätsfrauenklinik in Würzburg tätig und erhielt 1934 die Anerkennung als Facharzt für Gynäkologie. 1937 habilitierte er sich in Würzburg mit einer Studie über die klinische Anwendung von Sexualhormonen in der Frauenheilkunde. 1938 folgte die Ernennung zum Dozenten für Gynäkologie und Geburtshilfe. Im Jahr darauf nahm er eine eigens für ihn geschaffene Stelle an der Landesfrauenklinik in Stettin (bei Stephan) an und wurde zum Oberarzt ernannt. Ziel war der Aufbau einer Hormonkartothek, mit deren Hilfe die Ermöglichung und Verhinderung von Schwangerschaften der Frau systematisch untersucht werden sollte. Zugleich wurde er als Dozent an die Universität Greifswald versetzt. Buschbeck wurde 1940 eingezogen. Zunächst als Stabsarzt bei einer Sanitätsersatzkompanie im Luftgau III (Berlin) eingesetzt, arbeitete er bis Ende 1942 an der Ostfront. Ab 1943 war Buschbeck im Luftfahrtmedizinischen Forschungsinstitut in Berlin tätig. 1944 musste er sich einer Behandlung in einem Reservelazarett unterziehen. Nach 1945 war er als Praktischer Arzt in Braunschweig und Wolfenbüttel tätig. Seinen Ruhestand verbrachte er in Grünwald bei München. Buschbeck verfasste mehrere Studien zur Wirkung von Hormonen, die unveröffentlicht blieben und deren Manuskripte nicht ermittelt werden konnten, unter anderem über „Fehler und Missbräuche bei der Anwendung weiblicher Keimdrüsenhormone“. Organisationen: 1933 NS-Ärztebund; 1934 SA, Rottenführer, in der SA wegen Kaufens in jüdischen Geschäften mit einer fünfjährigen Beförderungssperre bestraft; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.635.531 Quellen: UAG PA 456 Buschbeck; BA R 4901/13260 Karteikarte Buschbeck, Mitgliedskarte Ortskartei; Kürschner.

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Ebhardt, Klaus (* 18. November 1901 Berlin; † 1942?) Vater: Architekt Konfession: evangelisch Ebhardt besuchte das Realgymnasium in Berlin-Grunewald und legte 1919 die Reifeprüfung ab. Er studierte Medizin in Freiburg und Berlin und war Praktikant am Kreiskrankenhaus Berlin-Lichterfelde. 1925 promovierte er mit einer Dissertation über Hirnabszesse zum Dr. med. Im selben Jahr erhielt er eine Assistentenstelle am Pathologischen Institut des Krankenhauses Berlin-Lichterfelde. 1927 vertrat Ebhardt eine allgemeinärztliche Praxis, 1928 war er für elf Monate als Schiffsarzt beim Norddeutschen Lloyd angestellt. An das Krankenhaus Berlin-Lichterfelde kehrte er 1929 zurück, als er dort eine Assistentenstellte in der Chirurgischen Abteilung erhielt. Planmäßiger Assistent wurde er 1930 an der Chirurgischen Universitätsklinik in Greifswald. Hier habilitierte er sich 1933 mit einer Studie über die Entzündungsbereitschaft der Organe nach Operationen für das Fach Chirurgie. Wegen des Verstoßes gegen die Zollbestimmungen wurde er im Anschluss an eine Reise nach Österreich zu einer Geldstrafe verurteilt, das Verfahren wurde jedoch niedergeschlagen. Zum Oberarzt wurde Ebhardt 1938 befördert, die Ernennung zum Dozenten und zum außerplanmäßigen Professor folgte 1939. Wegen des Kriegseinsatzes des Klinikdirektors leitete Ebhardt die Chirurgische Klinik von September 1939 bis Anfang 1941. Am 17. Februar 1941 wurde er zum Direktor der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses in Pforzheim ernannt. Mit Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion wurde er eingezogen und starb wenig später. Organisationen: Großdeutscher Jugendbund (Admiral von Trotha); 1933 SA-Mann, kommandiert zum Sanitätssturm; 1933 NSDAP, Mitglied Nr. 2.146.961; HJ-Arzt; NSDDozentenbund; NS-Altherrenbund; RLB Quellen: UAG PA 483 Ebhardt; BA R 4901/13261 Karteikarte Ebhardt.

Gara, Paul von Namensform: Paul F. de Gara (* 11. November 1902 Meran (Südtirol; Österreich); † 3. August 1991 New York) Vater: Praktischer Arzt Konfession: römisch-katholisch Die Reifeprüfung legte von Gara am Gymnasium der Benediktiner in Meran ab. Er studierte zunächst ein Jahr Maschinenbau in München, dann Medizin in München und Heidelberg. 1925 bestand er das Staatsexamen, das Praktische Jahr verbrachte er an der Universitätspoliklinik in Heidelberg. 1926 promovierte von Gara an der Universität Heidelberg mit der Dissertation Experimentelle Studien zur Frage der Urikolyse und der Harnsäureausscheidung und arbeitete danach an der Universitätsklinik Padua (Italien), wo er mit

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einer Arbeit über Technik und Erfolge mit dem doppelseitigen, künstlichen Pneumothorax erneut promovierte und 1928 die italienische Approbation erhielt. Seit Juli 1927 bekleidete von Gara eine planmäßige Assistentenstelle am Hygienischen Institut der Universität Greifswald und erhielt 1929 auch die deutsche Approbation. Mit Untersuchungen über die Natur der Antikörper habilitierte er sich hier 1931 für Hygiene und Bakteriologie. Seine Antrittsvorlesung hielt er über die „Verhütung von Krankheiten durch hygienische Maßnahmen“. Von Gara forschte zu Typhusbakterien und den bakteriziden Flüssigkeiten des Körpers. Gemeinsam mit Otto Stickl untersuchte er Immunisierungsreaktionen gegen Tuberkulosebakterien sowie Maul-und-Klauenseuche-Viren. 1932 ließ sich von Gara an die Kinderklinik der Universität Halle beurlauben, um sich auf dem Gebiet der Kinderkrankheiten weiterzubilden. Im April 1933 wurde von Gara wegen seiner jüdischen Abstammung beurlaubt und im Dezember 1933 nach § 3 des Berufsbeamtengesetzes entlassen. Er emigrierte nach Italien, wo er eine Assistentenstelle an der Universität Mailand erhielt. 1939 wanderte er in die USA aus und ließ sich in New York als Facharzt für Allergologie nieder. Sein bekanntester Patient war der US-Präsident John F. Kennedy. Organisationen: – Quellen: UAG MF I Nr. 79, PA 2489 (nur Personalbogen); Nachruf auf: http://www.nytimes. com/1991/08/07/obituaries/paul-f-de-gara-88-allergist-for-kennedy.html, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

Groß, Walter Otto (* 23. November 1912 Pirmasens (Saarpfalz); † 11. Oktober 1998 WaldfischbachBergalben) Vater: Schuhfabrikant (gefallen) Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Groß 1932 am humanistischen Gymnasium Pirmasens ab. Er studierte Medizin an den Universitäten Kiel, Halle, Berlin und Hamburg. Danach leistete er Arbeitsdienst und verbrachte die klinischen Semester an der Medizinischen Akademie Düsseldorf. Dort wurde er seit 1935 von Kurt Herzberg zu Virusstudien herangezogen und promovierte 1936 über die Erreger der Pocken und Windpocken. Danach absolvierte er ein chemisches Praktikum an der Universität Tübingen. Das Staatsexamen bestand er 1937, im Jahr darauf erhielt er die Approbation und legte das Erste Chemische Verbandsexamen ab (die Prüfung zum Diplomchemiker folgte 1941). Von Herzberg wurde Groß 1939 als Assistent an das Hygienische Institut der Universität Greifswald geholt. 1942 habilitierte er sich hier mit der Studie Untersuchungen über Mäusepneumonien und ihre Erreger sowie über die Maus als Versuchstier in der Virus- und Influenzaforschung. Obwohl Groß sowohl für die Virusforschung (Diphterie, Influenza) als auch für die regelmäßigen Wasser und Milchanalysen herangezogen wurde, verfügte das Wehrbezirkskommando seine

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Ersatzdienstleistung als Landarzt. 1943 wurde Groß an die Reichsuniversität Posen versetzt. Weiteres konnte nicht ermittelt werden. Organisationen: 1936 NSFK; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.893.759 Quellen: UAG PA 492 Groß, W., Med. Habil. 2, K Nr. 888, Bl. 260; R 4901/13264 Karteikarte Groß, Karteiblatt Ortskartei; Kürschner; Auskunft des Standesamts Pirmasens.

Groth, Werner (* 15. November 1908 Berlin; † 7. Februar 1943 Oberschreiberhau) Vater: städtischer Angestellter, Bankbeamter Konfession: evangelisch Nach der Reifeprüfung 1927 studierte Groth Medizin in Berlin und wurde 1934 approbiert. Im selben Jahr promovierte er mit einer Untersuchung über Veränderungen im Darmgekröse zum Dr. med. Er war zunächst außerplanmäßiger, ab 1935 planmäßiger Assistent am Anatomisch-Biologischen Institut der Universität Berlin. 1938 erhielt er eine planmäßige Assistentenstelle am Anatomischen Institut der Universität Frankfurt/Main. 1939 habilitierte er sich an der Universität Frankfurt mit der Schrift Der Ursprung der Labyrinthplakode und des Ganglion statoacusticum im Vergleich zur Genese des Riechorgans beim Kaninchen. Mit Wilhelm Pfuhl wechselte er 1939 an die Universität Greifswald, wurde zum Dozenten ernannt und zum Oberassistenten befördert. Seine Antrittsvorlesung hielt er über die stammesgeschichtliche Entwicklung des menschlichen Schädels. Seit 1937 absolvierte Groth militärische Übungen. Im September 1939 wurde er als Arzt bei den Besatzungstruppen in Polen eingesetzt (befördert zum Unterarzt), danach folgte der Einsatz am Westwall bis Mai 1940. 1942 wurde Groth zur Heeressanitätsstaffel Greifswald eingezogen, erkrankte jedoch an Lungentuberkulose und verstarb in einem Reservelazarett. Organisationen: NSKK; im Mai 1937 Eintritt in die NSDAP Quellen: UAG PA 1125 Groth, K 731; BA R 4901/13264; Dissertation.

Gülzow, Martin (* 10. Mai 1910 Kemnitz bei Greifswald; † 5. Oktober 1976 Rostock) Vater: Pfarrer Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Gülzow zu Ostern 1929 am humanistischen Gymnasium Greifswald ab und studierte danach Medizin an den Universitäten Greifswald und Wien. Das Praktische Jahr leistete er an den Universitätskliniken Greifswald ab. 1935 erhielt er die Approbation und promovierte mit einer Dissertation Zur Röntgenbestrahlung des Morbus Basedow und der Thyreotoxikosen zum Dr. med. Zunächst war er Volontärassistent, 1936 erhielt er eine außerplanmäßige Assistentenstelle an der Medizinischen Klinik. 1939

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wurde er dort planmäßiger Assistent. Hier arbeitete Gülzow an mehreren Studien zu Erkrankungen der Pankreas und des Magens mit. Seit 1936 absolvierte Gülzow militärische Übungen und nahm 1939 als Unterarzt am Polenfeldzug teil (ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern). Ab Dezember 1939 war er als Vertreter des Direktors der Medizinischen Klinik Gerhardt Katsch unabkömmlich gestellt. 1941 habilitierte er sich mit der Studie Die Blutdiastase und wurde 1942 zum Dozenten für Innere Medizin und Röntgenologie an der Universität Greifswald ernannt. Im Auftrag Katschs führte er 1942 sogenannte Auffütterungsversuche an russischen Kriegsgefangenen in der Medizinischen Klinik durch, bei denen die Rettung der Mehrzahl der Patienten gelang. 1944 steckte sich Gülzow mit Tuberkulose an und verbrachte mehrere Monate zur Kur in St. Blasien. 1945 wurde Gülzow als ehemaliger Nationalsozialist entlassen, erhielt jedoch einen Forschungsauftrag zum Thema Unterernährung. Die ihm angetragene Leitung des Krankenhauses Dresden-Friedrichstadt lehnte er 1948 ab. Um ihn in Greifswald zu halten, berief man ihn hier 1949 auf eine eine Professur mit Lehrauftrag für Pathologische Physiologie an der Universität Greifswald. 1950 wurde er zugleich Chefarzt der Inneren Abteilung, ab 1954 auch Ärztlicher Direktor des Krankenhauses Am Sund in Stralsund. Nach Berlin wechselte Gülzow 1956, wo er eine Professur mit Lehrstuhl für das Fach Berufskrankheiten an der Akademie für Sozialhygiene BerlinLichtenberg übernahm. Im Jahr darauf wurde er zum Professor mit Lehrstuhl für Innere Medizin an der Universität Rostock berufen und zum Direktor der Medizinischen Klinik ernannt. Er trat 1973 krankheitshalber in den Ruhestand. Gülzow war Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gremien und Fachgesellschaften und wurde vielfach ausgezeichnet. Organisationen: 1933 Eintritt in die SA, Sturmbannarzt; 1937 NSDAP; SA; NSDDozentenbund; NS-Ärztebund; NS-Altherrenbund (Kassenverwalter); VDA; Reichskolonialbund; nach 1945 FDGB Quellen: PA 490 Gülzow; BA R 4901/13264; Kürschner; Catalogus Professorum Rostochiensium.

Güttner, Horst-Günther (* 4. März 1912 Kolmar (Provinz Posen); † 11. Juli 1983 Frankfurt am Main) Vater: Arzt Konfession: evangelisch Güttner besuchte die Volksschule und das Reformrealgymnasium in Kolmar, nach der Schließung der deutschen Schulen in Polen die Oberrealschule in Schneidemühl. Nach der Reifeprüfung studierte Güttner ab 1931 Medizin an den Universitäten Greifswald, Rostock und München. Das Staatsexamen legte er 1936 ab. Die praktischen Stationen absolvierte er an der Universitätsfrauenklinik Hamburg und in Landsberg/Warthe. 1938 erhielt Güttner die Approbation und promovierte an der Universität Halle mit einer Dissertation über Hodentumoren zum Dr. med. Im selben Jahr wechselte er als Assistent an das Patho-

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logische Institut der Universität Greifswald. Hier beschäftigte sich Güttner mit den pathologischen Befunden von Tuberkulose, Leukämie und Geschwulsterkrankungen, nahm aber auch zahlreiche gerichtliche Sektionen vor. Dabei zog er sich bei einer Leichenöffnung eine Sepsis zu und war seitdem zu 50 Prozent erwerbsgemindert. 1942 wurde ihm ein Lehrauftrag für Allgemeine und Spezielle Pathologie erteilt. Mit der Studie Untersuchungen zur Frage des Entstehens der akuten Miliartuberkulose habilitierte er sich 1943 für Allgemeine Pathologie und Spezielle Pathologische Anatomie und wurde zur Oberassistentenstelle am Pathologischen Institut befördert. 1944 folgte die Ernennung zum Dozenten. 1946 wurde Güttner entlassen, fand jedoch noch im selben Jahr als Leiter des Pathologischen Instituts des Krankenhauses Dresden-Johannstadt eine neue Stellung. Als das Krankenhaus 1954 in die Medizinische Akademie integriert wurde, erhielt Güttner den Status eines Professors mit Lehrauftrag, 1955 mit vollem Lehrauftrag. 1956 wurde er zum Professor mit Lehrstuhl befördert und noch im selben Jahr zum Rektor der Medizinischen Akademie sowie zum Ärztlichen Direktor ernannt. Das Rektorenamt legte er 1960 nieder. 1961 schied Güttner aus und übernahm die Leitung des Pathologischen Instituts am Heinrich-Braun-Krankenhaus Zwickau, 1970 wechselte er an das Krankenhaus Aue. 1977 trat er in den Ruhestand. Organisationen: SA, Arzt der Standarte 49; NSD-Ärztebund; NSV; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.550.862; 1946 SED Quellen: UAG PA 491 Güttner; Med. Habil. Nr. 4; BA R 4901/13264 Karteikarte Güttner, Mitgliedskarte Ortskartei; Kürschner; Heidel, Carls-Petra und Marina Lienert: Die Professoren der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus Dresden und ihrer Vorgängereinrichtungen 1814–2004, München 2005, S. 99.

Hartung, Joachim („Jo“) (* 5. November 1908 Boulogne sur Seine (Frankreich); † 30. Dezember 1980 Hannover) Vater: Kaufmann, Syndikus Konfession: evangelisch Der unehelich geborene, aber von einem wohlhabenden Kaufmann als Sohn anerkannte Hartung besuchte Gymnasien in Berlin. Die Reifeprüfung legte er 1927 ab. Er studierte Medizin in Jena und Berlin, wo er 1933 die Staatsprüfung ablegte. Die praktischen Stationen absolvierte er an der Berliner Charité und wurde 1934 approbiert. Seine Dissertation war 1935 einer Hautkrankheit gewidmet, die eine starke Pigmentierung verursachte (Über Poikiloderma Vascularis Atrophicans). Noch 1935 erhielt er eine planmäßige Assistentenstelle an der Hautklinik der Charité Berlin (Abteilung Ziegelstraße) bei Wilhelm Richter. Im selben Jahr wechselte er mit Richter nach Greifswald, wo er sofort als kommissarischer Oberarzt eingesetzt wurde. In der Hautklinik forschte er in der Wehrwissenschaftlichen Abteilung und publizierte 1937 eine als „geheim“ eingestufte Schrift Über Kampfgase. Seit 1936 absolvierte Hartung militärische Übungen und wurde 1937 zum Assistenzarzt der

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Luftwaffe ernannt. Er nahm 1938 an der Besetzung des Sudentenlands und am Polenfeldzug teil (1939 ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern). Ab Mai 1940 diente er am Fliegerhorst Ladebow und hielt zugleich Vorlesungen an der Universität. Zugleich war er Führer der Schülerkompanie 3/XI (Mediziner), später wurde er Abteilungsleiter am Luftwaffenlazarett. Mit der Studie Die Bedeutung der Abwehrlage des Organismus und ihre therapeutische Beeinflussbarkeit im Heilungsverlauf der Gonorrhoe wurde Hartung 1941 habilitiert. Ziel der Arbeit war die Entwicklung einer Behandlungsmethode, die klassische Arzneimittel mit alternativen Behandlungsmethoden verband, aber in Reihenversuchen nicht die gewünschten Ergebnisse erbrachte. 1942 wurde er zum Dozenten ernannt und zum planmäßigen Oberarzt befördert. Neben Publikationen zur Behandlung von Geschlechtskrankheiten drehte Hartung Unterrichtsfilme über „menschliches Ungeziefer“ (Krätzemilben), die „Behandlung des Lupus vulgaris“ und zur „Diagnostik der Gonorrhoe“. 1944 wurde Hartung zum Stabsarzt der Luftwaffe befördert. Er geriet in britische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1945 entlassen wurde. Zunächst wohnte er in Ratzeburg, 1948 wurde er zum Leiter der Hautklinik der Städtischen Krankenanstalten Linden (heute Stadtteil von Hannover) ernannt. Zugleich lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.642.902; NS-Fliegerkorps; NS-Lehrerbund; NS-Dozentenbund; Reichsbund für Leibesübungen, Deutscher Seglerverband, Mitarbeit im Amt für Volksgesundheit, Gaureferent für Hautund Geschlechtskrankheiten in der Gauärzteführung Pommerns Quellen: UAG PA 499 Hartung, BA R 4901/13265; UAG K Nr. 888, Bl. 290; Kürschner.

Holtz, Peter (6. Februar 1902 Stolberg im Rheinland; † 9. November 1970 Frankfurt am Main) Vater: Textilkaufmann Konfession: katholisch Holtz absolvierte das humanistische Gymnasium in Stolberg (Reifeprüfung 1920). Er studierte Medizin und Chemie an den Universitäten Bonn, Heidelberg, Würzburg, Freiburg und München. 1926 legte er das Verbandsexamen als Chemiker ab, 1929 das medizinische Staatsexamen. Mit einer Arbeit zur Entgiftung des Chloroforms im menschlichen Körper promovierte er 1929 an der Universität Bonn zum Dr. med. Die Approbation erhielt er 1930. Seit 1929 war er zunächst als Praktikant, dann als Assistent und Stipendiat am Pharmakologischen Institut der Universität Greifswald beschäftigt. Als Stipendiat der Rockefeller-Stiftung konnte er von November 1930 bis Mai 1932 in Cambridge und London forschen. Danach erhielt er eine planmäßige Assistentenstelle am Pharmakologischen Institut der Universität Greifswald. Er habilitierte sich 1935 mit einer Studie über Reduktions- und Oxydationswirkungen bestrahlter Zucker im Organismus. Seine Probevorle-

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sung hielt er über den „Mechanismus von Entgiftungen“ und wurde 1936 zum Dozenten für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Greifswald ernannt. Die Ernennung zum planmäßigen außerordentlichen Professor für Physiologische Chemie an der Universität Rostock folgte 1938. Hier baute er ein Institut auf, in dem in rascher Folge mehrere Entdeckungen gelangen, etwa des Hormons und Neurotransmitters Noradrenalin und des Enzyms Dopa-Decarboxylase. Durch die Aufklärung der Wirkungsweisen dieser Stoffe wurde der Weg zur Schaffung von zahlreichen Medikamenten eröffnet, etwa zur Regulierung des Blutdrucks. Nachdem sein Instituts im April 1942 bei einem Bombenangriff vollständig zerstört wurde, wechselte Holtz an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Zellphysiologie Berlin und nahm Kontakt zu August Hirt auf, um dessen Methode der Mikroskopie lebender Zellen für seine Forschungen nutzbar zu machen. Von der Universität Rostock wurde Holtz im Januar 1946 entlassen. Die Universität Greifswald erteilte ihm zeitgleich einen dotierten Lehrauftrag. Die Landesregierung berief ihn schließlich im Oktober 1946 zum ordentlichen Professor mit Lehrstuhl für Pharmakologie und Physiologie an die Universität Rostock. Anlässlich einer Dienstreise beging Holtz 1953 „Republikflucht“ und nahm einen Ruf an die Universität Frankfurt am Main an, wo er zum Direktor des Pharmakologischen Instituts ernannt wurde. Organisationen: 1. Mai 1933 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.061; 1933 SA; 1934 NSLB; später HJ-Arzt und Mitglied des NSD-Dozentenbundes; 1945 Eintritt in die SPD, 1946 überführt in die SED Quellen: UAG PA 1212 Holtz; Klee, Personenlexikon, S. 268; Buddrus/Fritzlar, Rostock, S. 197 f.; Witte, Christina: „Ungestört wissenschaftlich weiterarbeiten …“ der Pharmakologe Peter Holtz (1902–1970), Diss. med. Greifswald 2006; Wikipedia-Personeneintrag.

Jacobi, Hans (* 22. Juli 1901 Wernigerode; † 26. Januar 1999 Essen) Vater: Praktischer Arzt Konfession: evangelisch Mittelschule und Gymnasium absolvierte Jacobi in Wernigerode. 1919 trat er dem Freiwilligen Grenzschutz in Oberschlesien bei (befördert zum Gefreiten, ausgezeichnet mit dem Schlesischen Adler I. Klasse). Er studierte Medizin in Göttingen, Halle, München und Kiel. 1925 legte er das Staatsexamen ab und promovierte mit einer Studie über den Quellungsdruck des Blutes bei Mutter und Kind zum Dr. med. (Die Beziehungen von mütterlichem und kindlichem Ponk). Danach volontierte er in Dresden. 1926 erhielt er eine Assistentenstelle in Hamburg, 1928 an der Universitätsfrauenklinik Kiel. An die Universitätsfrauenklinik Greifswald wechselte er 1933 und habilitierte sich mit einer auf dem Patientenmaterial der Frauenklinik Kiel beruhenden Studie über die Unzuverlässigkeit der Sterilisierung von Frauen durch Röntgenstrahlung (publiziert gemeinsam mit J. Lindner:

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Indikation, Erfolge und Versager der Röntgenkastration). Bereits im Jahr darauf wechselte er mit dem Klinikdirektor Hans Runge an die Universität Heidelberg, wo er an dessen Hormonstudien maßgeblichen Anteil hatte. Hier wurde Jacobi 1939 zum außerplanmäßigen Professor ernannt und 1942 zum ordentlichen Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Reichsuniversität Straßburg berufen, nachdem Runge die zunächst ihm angebotene Stelle ausgeschlagen hatte. Nach 1945 arbeitete Jacobi als Leitender Arzt am Krankenhaus der Evangelischen Huyssens-Stiftung in Essen und wurde 1964 durch die Universität Bonn emeritiert. Danach wohnte er auf Amrum. Organisationen: 1933 NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.071; SA; NSLB Quellen: UAG Med. Fak. I 90; BA R 4901/13267 Karteikarte Jacobi; Schriften; Kürschner; Klee, Personenlexikon, S. 280.

Jungmichel, Gottfried (* 1. Mai 1902 Spantekow bei Anklam ; † 2. Februar 1981 Göttingen) Vater: Superintendent Konfession: evangelisch Zusätzlich zum Unterricht in der Dorfschule wurde Jungmichel vom Vater und von Hauslehrern auf das Gymnasium, das er dann in Anklam besuchte, vorbereitet. Nach der Reifeprüfung (1920) studierte er Medizin in Greifswald, 1921 unterbrochen durch Freiwilligen Grenzschutz in Oberschlesien. 1925 legte er das Staatsexamen ab und promovierte mit einer Arbeit über die Perthes’sche Krankheit im Röntgenbild. Nach verschiedenen Volontärstellen wurde er 1927 Assistenzarzt an der Heilanstalt Stralsund. 1928/29 arbeitete er im Pathologischen Institut am Landkrankenhaus Braunschweig. Anschließend erhielt Jungmichel eine Assistentenstelle am Institut für Gerichtliche Medizin der Universität Greifswald. Das Kreisarztexamen legte er 1931 ab. Mit einer Studie zur Bestimmung des Alkoholgehalts im Blut habilitierte er sich 1934 für gerichtliche und soziale Medizin. Zum Wintersemester 1934/35 wechselte er als Dozent an die Universität München. 1938 wurde Jungmichel zunächst vertretungsweise auf die vakante Professur für Gerichtliche Medizin an der Universität Göttingen berufen und 1939 zum ordentlichen Professor ernannt. Seit Anfang 1944 war er als Beratender Gerichtsmediziner einer Heeresgruppe in Frankreich eingesetzt. Nach der Entnazifizierung erlangte Jungmichel den Status eines Professors zur Wiederverwendung. Einen Lehrauftrag erhielt er an der Universität Göttingen 1952, die Berufung auf einen Lehrstuhl für Versicherungsmedizin folgte 1958. Zu diesem Zeitpunkt gehörte Jungmichel, der 1945 in die FDP eintrat, dem Stadtrat in Göttingen an. 1956 wurde er zum Oberbürgermeister der Stadt gewählt (bis 1966). In den niedersächsischen Landtag gewählt wurde er 1959 (bis 1967). Das ihm angetragene Amt des Kultusministers schlug er 1963 nach Vorwürfen über seine NS-Vergangenheit aus. Organisationen: 1920 Mitglied des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes;

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1933 Mitglied des Opferrings der NSDAP; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.586.782; im August 1933 NSLB; Kampfbund für deutsche Kultur; NS-Ärztebund; NS-Altherrenbund; Volksbund für das Deutschtum im Ausland; 1945 FDP Quellen: UAG Med. Fak. I 80, K Nr. 888, Bl. 164, MF 559 Bl. 8 f.; BA R 4901/13267 Karteikarte Jungmichel, Mitgliedskarte Ortskartei; Wikipedia-Personeneintrag; Der Spiegel, Nr. 24 v. 12. Juni 1963, S. 28 ff.

Kingreen, Otto (* 12. Juli 1895 Platvitz auf Rügen; † 1. Oktober 1973 Berchtesgaden) Vater: Gutspächter Konfession: evangelisch Kingreen besuchte das Gymnasium in Stralsund und das Pädagogium Putbus, wo er 1914 die Reifeprüfung bestand. Er studierte Medizin in Greifswald und wurde, weil lediglich als garnisonsverwendungsfähig gemustert, ab 1915 als Sanitätssoldat eingesetzt. Er promovierte 1920 mit einer Dissertation über die Beseitigung von entzündlichen Abszessen in der Bauchhöhle an der Universität Greifswald zum Dr. med. Danach arbeitete er als Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus Guben, kehrte aber 1922 als Assistent an die Chirurgische Universitätsklinik Greifswald zurück. Hier wurde er 1926 mit der Studie Vergleichende Betrachtungen der Röntgen- und Operationsbefunde Magenkranker habilitiert. Außerdem beschäftigte er sich mit dem Stoffwechsel krebskranker Patienten und der Strahlentherapie von Karzinomen. 1932 wurde er zum Oberarzt der Chirurgischen Klinik befördert und erhielt 1934 den Professorentitel. Kingreen befasste sich intensiv mit der Bauchchirurgie, war aber auch ein Befürworter der Operation von Frakturen, insbesondere der Nagelung des Schenkelhalses. 1938 übernahm Kingreen die Leitung der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Lüdenscheid. Als Beratender Chirurg der Heeresgruppe Nord wurde Kingreen 1941 eingezogen und nahm mehrfach Stellung zur zweckmäßigen Behandlung von Verletzungen mit Sulfonamiden. Bei Hamburg geriet er 1945 in Kriegsgefangenschaft und war danach im Lazarett Hellersen bei Lüdenscheid tätig. 1946 wurde er als Leiter der Chirurgischen Abteilung des Stadtkrankenhauses Lüdenscheid bestätigt. Von 1953 bis 1960 leitete er zugleich eine Station zur Behandlung Krebskranker in Düsseldorf. Von 1955 bis 1963 amtierte Kingreen als Chefarzt des Stadtkrankenhauses Lüdenscheid und praktizierte danach noch einige Jahre privat. Organisationen: 1933 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.110; 1934 Aufnahme in die SS, Dienstgrad Rottenführer Quellen: UAG PA 521 Kingreen; BA R 4901/13268 Karteikarte Kingreen und 23550.

Kiesselbach, Anton (* 13. Juni 1907 Kempenich (Kreis Mayen); † 27. Juli 1984 Düsseldorf ) Vater: Volksschullehrer

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Konfession: katholisch Die Reifeprüfung legte Kiesselbach 1927 am humanistischen Dreikönigsgymnasium Köln ab. Er studierte Zoologie, Botanik, Chemie und Physik in Köln und Freiburg und legte das Turnlehrerexamen ab. Mit einer Studie über die Fortpflanzungsorgane des Opossums (Untersuchungen über den Descensus testiculorum bei Didephis) promovierte er 1934 zum Dr. phil. Danach arbeitete er als Stipendiat am Deutsch-Italienischen Institut für Meeresbiologie in Rovigno. Eine Stelle als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter erhielt Kiesselbach 1935 im Institut für Entwicklungsmechanik an der Universität Greifswald und wurde noch im selben Jahr zum außerplanmäßigen Assistenten befördert. Die Ernennung zum planmäßigen Assistenten folgte 1937. Bei der Angliederung des Instituts an das Anatomische Institut wurde Kiesselbach von dem neuen Ordinarius August Hirt mit der Auflage übernommen, ein Medizinstudium zu absolvieren. Zunächst habilitierte sich Kiesselbach 1938 mit einer Untersuchung über das Verhalten einiger mariner Ciliaten (Wimpertierchen) bei normalen und veränderten Umweltbedingungen. Dabei untersuchte Kiesselbach in erster Linie, welche Schäden am Zellkern die Vermehrung des Organismus behinderten. Nach Absolvierung des Reichslagers für Beamte in Bad Tölz wurde Kiesselbach im Januar 1939 als Dozent für Entwicklungsmechanik der Medizinischen Fakultät der Universität Greifswald zugewiesen, aber bereits im März 1939 an die Universität Frankfurt versetzt. Dort erhielt er eine Assistentenstelle bei Hirt am Anatomischen Institut, mit dem er 1942 als Prosektor an die Reichsuniversität Straßburg wechselte. 1941 erhielt er die Approbation und promovierte 1943 zum Dr. med., woraufhin seine Lehrbefugnis auf menschliche Anatomie ausgedehnt wurde. Seit 1935 absolvierte Kiesselbach Wehrmachtsübungen und wurde 1938 zum Sanitätsunteroffizier befördert. Als Unterarzt der Reserve arbeitete er halbtags bei der Orthopädischen Versorgungsstelle Straßburg und beim Kraftfahrpark in Lingolsheim. Diese Aufenthalte bei militärischen Stellen führte Kiesselbach nach 1945 als Erklärung dafür an, dass er bei den tödlichen Kampfstoffexperimenten, die Hirt und sein Assistent Karl Wimmer 1942 im Konzentrationslager Natzweiler durchführten, nicht anwesend war. Er war jedoch an der Auswertung dieser Experimente beteiligt und präsentierte später in seinen Vorlesungen mikroskopische Schnitte männlicher Hoden, mit denen er nachwies, dass bei Personen mit Todesangst die Samenproduktion eingestellt werde. Nach der Flucht aus Greifswald wurde Kiesselbach zu einer Stabsverwendung eingezogen und geriet in München in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach der Entnazifizierung als Mitläufer erhielt Kiesselbach 1947 einen Lehrauftrag an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Regensburg. Dort wurde er 1955 zum beamteten außerordentlichen Professor ernannt und im selben Jahr zum Direktor des Topographisch-Anatomischen Instituts der Medizinischen Akademie Düsseldorf berufen. 1962 wurde er zum ordentlichen Professor befördert, 1963/64 war er Rektor der Akademie. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Düsseldorf wegen Kiesselbachs Beteiligung an den Häftlingsmorden wurde 1965 eingestellt.

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Organisationen: 1933 SA; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.955.534; NSV Quellen: UAG PA 90 Kiesselbach, Phil./MN Habil. 12; BA 4901/23539 PA Kiesselbach; Kürschner; Klee, Personenlexikon, S. 307 f.; Bayer, Karen und Wolfgang Woelk: Der Anatom Anton Kiesselbach – Brüche und Kontinuitäten, in: Woelk, Wolfgang, Frank Sparing, Karen Bayer und Michael G. Esch (Hg.): Nach der Diktatur. Die Medizinische Akademie Düsseldorf vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1960er Jahre, Essen 2003, S. 289–302.

Lauber, Heinrich (Henry) (* 24. Oktober 1899 Kassel; † 19. März 1979 London) Vater: Generaldirektor der Hohenlohe-Werke Konfession: evangelisch Lauber besuchte das Wilhelmsgymnasium in Kassel und legte das Notabitur ab. Er wurde 1917 eingezogen, kam aber durch eine langwierige Darmoperation nicht mehr an die Front. Später erkrankte er an Lungentuberkulose und erblindete nach einer Netzhauterkrankung einseitig. Das Studium der Medizin absolvierte Lauber in Marburg, Göttingen und Freiburg. Das Praktische Jahr verbrachte er in Freiburg und München. Danach volontierte er am Pharmakologischen Institut in München und promovierte dort 1925 mit der Dissertation Wertbestimmung von Herba Adonis Vernalis und Herba Convallaria. Anschließend arbeitete Lauber als Assistenzarzt am Physiologischen Institut der Universität Basel. 1926 erhielt er eine Stelle als Assistenzarzt an der Universitätsklinik Greifswald und wurde von Gerhardt Katsch 1929 übernommen. Zunächst forschte Lauber zur pharmakologischen Beeinflussung des Herzrhythmus. Gemeinsam mit Paul Wichels führte er mehrere biochemische Studien zur Behandlung des Diabetes mit Insulin durch. Im Juli 1932 habilitierte sich Lauber mit der Arbeit Arterielle Blutströmung in normalem und krankhaftem Zustand. Seine Lehrprobe hielt er über Die Größe der Herzleistung. Da er nach dem Berufsbeamtengesetz als sogenannter Halbjude galt, suchte Lauber 1933 zunächst um eine Ausnahmegenehmigung zur Weiterbeschäftigung nach, die nicht gewährt wurde. Daraufhin bat er um Beurlaubung für drei Monate und emigrierte nach England. Nach der Absolvierung weiterer medizinischer Studien und Prüfungen erhielt er dort die Zulassung als Arzt. 1935 wurde er am German Hospital in London angestellt. Das gesamte deutsche Personal wurde 1940 zunächst auf der Isle of Man interniert. Lauber kam 1941 frei, konnte wieder als Arzt arbeiten und wurde 1946 eingebürgert. 1947 wurde er Chefarzt der Inneren Abteilung des Krankenhauses und baute nebenbei eine umfangreiche kardiologische Privatpraxis auf. Organisationen: – Quellen: UAG PA 1437 Lauber, Lebenslauf in: MF I, Nr. 84, K 392; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 133 f.; Ewert, Günter und Ralf Ewert: Emigrant Heinrich Lauber, in: dies.: Emigranten der Medizinischen Universitätsklinik Greifswald in der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 2011, S. 72–101.

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Leipold, Willi (* 16. Februar 1893 Pirmasens; † 12. Dezember 1973 Baden-Baden) Vater: Bankdirektor Konfession: evangelisch Das Studium der Medizin unterbrach Leipold für den Kriegsdienst. 1914 wurde er als Sanitätsgefreiter ausgebildet, ab 1915 leistete er Frontdienst, unter anderem in Verdun, Flandern und Russland (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Bayerischen Militärverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern). Im April 1918 wurde er in die Etappe versetzt, weil er der letzte Sohn der Familie war. Leipold setzte das Studium in Würzburg fort und erhielt 1920 die Approbation. Danach arbeitete er an der Frauenklinik in Dresden und ab 1921 als Arzt mit eigener Praxis in Amberg (Oberpfalz). 1920 promovierte er mit einer Dissertation über den Übergang von Stoffen, insbesondere Arzneistoffen in die Rückenmarksflüssigkeit. Seit 1922 arbeitete Leipold als Volontärassistent an der Universitätshautklinik in Greifswald und erhielt 1924 eine planmäßige Assistentenstelle. 1927 wurde er Oberarzt der Hautklinik. Leipolds Forschungen waren breit angelegt, etwa zur Wirkung bestimmter Medikamente, zum Beispiel Salvarsan. Außerdem befasste er sich mit Tripper und Hauttuberkulose, verfasste Handbuchartikel und Berichte über Lepra sowie zu Hautkrankheiten, deren tuberkulöse Ätiologie zweifelhaft war. 1927 habilitierte sich Leipold für das Fach Haut- und Geschlechtskrankheiten unter Einschluss der Strahlenbehandlung mit einer Arbeit über die Durchlässigkeitsverhältnisse der Blut-Liquor-Schranke unter besonderer Berücksichtigung der Permeabilitätsprüfungen. 1935 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt und wechselte als Oberarzt an die Universitätshautklinik in Heidelberg. 1943 folgte der Ruf auf eine außerordentliche Professur an die Reichsuniversität Straßburg, wo er zum Leiter der Universitätshautklinik ernannt wurde. 1944 geriet Leipold in amerikanische Kriegsgefangenschaft und praktizierte danach als Hautarzt in Südfrankreich. 1947 wurde er Leiter der Hautabteilung des Städtischen Krankenhauses Lübeck und trat 1958 in den Ruhestand. Organisationen: im Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.162; 1933 Stahlhelm, 1934 überführt in SA-Reserve; 1934 NSV; NS-Ärztebund; NS-Dozentenschaft Quellen: UAG PA 2387 Leipold; BA R 4901/13270 Karteikarte Leipold; Kapp, Tabea: Die Entwicklung der Universitäts-Hautklinik Greifswald in der Zeit des Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung von Patientenakten mit den Diagnosen Syphilis und Gonorrhoe, Diss. med. Greifswald 2011, S. 68 ff.

Lublin, Alfred (* 4. Mai 1895 Bischofsburg, Kreis Rösel (Ostpreußen); † 20. August 1956 Sucre (Bolivien)) Vater: Landgerichtsrat Konfession: evangelisch

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Nach dem Besuch des Gymnasiums Königsberg (Reifeprüfung 1913) begann Lublin das Studium der Medizin in Genf. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete er sich freiwillig. Er wurde zunächst als Sanitätsunteroffizier, dann als Feldunterarzt an der Ostfront, später im Lazarett Königsberg, auf dem Balkan und zuletzt an der Westfront eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse). Die ärztliche Vorprüfung bestand er während eines Heimaturlaubs 1916 in Königsberg, nach der Demobilisierung 1918 setzte er das Studium in Halle fort und promovierte noch im selben Jahr mit einer pharmakologischen Dissertation Über die gleichzeitige Verwendung von Serale und Hydrastininpräparaten bei Unterleibsblutungen. Danach arbeitete er am Festungshilfslazarett in Königsberg mit Kriegsversehrten und am Pathologischen Institut Königsberg. Im Mai 1920 erhielt er eine Assistentenstelle an der Universität Breslau und habilitierte sich 1925 mit Beiträgen zum Stoffwechsel der endogenen Fettsucht. 1929 wechselte er an die Universitätsklinik Greifswald und hielt hier seine Antrittsvorlesung über neuere Gesichtspunkte in der Theorie der Zuckerkrankheit. Den Professorentitel erhielt er 1932 und wurde im April 1933 zum Oberarzt befördert. Im Januar 1935 bat er um die Beurlaubung, um eine Praxis in Königsberg zu eröffnen. 1939 emigrierte Lublin nach Bolivien. Wegen der schlechten Bezahlung an der Universität Sucre wechselte er als Arzt zu einer Minengesellschaft. Später ließ er sich in Sucre als Arzt nieder. Organisationen: Stahlhelm Quellen: UAG Med. Fak. I 83; K 392; BA R 4901/13270; Günter Ewert und Ewert, Ralf: Alfred Lublin (4. Mai 1895 – 20. August 1956) hat wieder ein Gesicht, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern 2/09, S. 62–72.

Mielke, Sophus (* 5. Mai 1909 Belgard an der Persante; † 12. Juni 2001 Helmstedt) Vater: Praktischer Arzt Konfession: evangelisch Mielke besuchte das humanistische Gymnasium in Belgard (Reifeprüfung 1927). Er studierte Medizin in Tübingen, München, Berlin und Greifswald. Nach der Staatsprüfung war er ab 1932 als Praktikant in der Universitätskinderklinik Greifswald, dann in der Landesfrauenklinik Stettin tätig. 1934 promovierte er mit der Dissertation Die Entgiftung eines hohen zellfremden Alkohols durch Kolloide zum Dr. med. und erhielt die Approbation. Danach volontierte Mielke an den Inneren Abteilungen der Städtischen Krankenhäuser Belgard und Stettin, ab August 1934 an der Universitätsaugenklinik Greifswald. 1935 erhielt er eine außerplanmäßige Assistentenstelle und ging 1936 mit Wilhelm Meißner als planmäßiger Assistent an die Universitätsaugenklinik Köln. Ab November 1937 war er dort kommissarischer Oberarzt. 1938 wechselte er mit dem neuberufenen Ordinarius Karl Velhagen als Oberarzt zurück nach Greifswald.

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Seit 1935 absolvierte Mielke militärische Übungen, zunächst bei der Infanterie. 1936 war er Sanitätsoffiziersanwärter, von 1939 bis Dezember 1940 Abteilungsarzt der Abteilung Augenklinik des Reservelazaretts Greifswald. Danach war er zur Trachombekämpfung bei den Umsiedlern aus Bessarabien und Litauen beurlaubt. 1942 arbeitete er erneut im Reservelazarett und stellte seine Habilitationsschrift Experimentelle Untersuchungen zur Frage der Schädigung des Auges durch intraokulare Fremdkörper aus Aluminium und seinen Leichtlegierungen fertig. 1943 zum Dozenten ernannt, war er danach als Beratender Augenarzt in der Heeresgruppe Mitte tätig, leistete nach deren Zerschlagung Kriegsdienst in einem Lazarett in Marxdorf bei Frankfurt/Oder und war dann in Dänemark. Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft eröffnete er eine Praxis in Emden, später zog er nach Helmstedt um. An der Universität Göttingen wirkte er als Gastdozent. Organisationen: 1933 NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.200; Hauptstabsarzt der HJ, Bann­ arzt der HJ im Bann 294 Greifswald; Leiter der Gesundheitsstelle Quellen: UAG PA 537 Mielke; BA R 4901/13271; BA R 4901/23725 PA Mielke; Töpel, Stephan: Die Augenklinik Greifswald im Nationalsozialismus unter besonderer Betrachtung ihres ärztlichen Personals, Diss. med. Greifswald 2013, S. 107.

Pophal, Rudolf (* 5. September 1893 Filehne (Provinz Posen); † 17. November 1966 Hamburg) Vater: Oberlehrer Konfession: evangelisch, später gottgläubig Das Reifezeugnis erwarb Pophal 1912 an der Oberrealschule in Stargard. Er studierte Medizin in Marburg und meldete sich als Kriegsfreiwilliger zur Artillerie. Nach zwei Verwundungen setzte er das Studium ab 1916 in Greifswald fort. 1917 wurde er kurzzeitig noch einmal als Feldhilfsarzt verpflichtet. 1918 legte er die Staatsprüfung ab und erhielt 1919 die Approbation. Inzwischen hatte sich Pophal für das Fach Psychiatrie entschieden. 1919 promovierte er mit der Studie Ein Fall von chronischer Tetanie bei einem infantilen Schwachsinnigen zum Dr. med. Zunächst Volontär, später planmäßiger Assistent an der Universitätsnervenklinik Greifswald, habilitierte sich Pophal 1924 für Psychiatrie und Neurologie an der Universität Greifswald mit einer Untersuchung über den Krankheitsbegriff in der Körpermedizin und in der Psychiatrie. 1925 ließ er sich als Facharzt für Nervenkrankheiten in Stralsund nieder und schied 1928 aus der Universität aus. Pophal wandte sich neben seiner florierenden Praxis als Nervenarzt dem Thema der Graphologie zu. Im Frühjahr 1939 erhielt er nach Fürsprache des Philosophen Ludwig Klages, als dessen Schüler sich Pophal verstand, einen Lehrauftrag für Graphologie an der Universität Greifswald. Im Herbst 1939 wurde Pophal als Sanitätsoffizier eingezogen und 1942 altershalber in die Führerreserve versetzt. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ernannte Pophal jetzt, 1942, zum Dozenten neuer Ordnung für das

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Fach Graphologie. Die Medizinische Fakultät übertrug ihm 1943 das Fach Rassenhygiene. Aus Greifswald geflohen, wurde ihm bereits 1946 eine außerplanmäßige Professur an der Universität Hamburg übertragen. 1954 gründete er eine graphologische Forschungsstelle und hielt Vorlesung zu dem akademisch nicht anerkannten Fach. 1958 wurde Pophal emeritiert. Pophal betrachtete die Handschrift tatsächlich als Ausdruck der Persönlichkeit und bemühte sich um eine wissenschaftliche Begründung für das Fach Graphologie. Pophal publizierte auch zu Angstzuständen und bemühte sich um die Verfeinerung psychiatrischer Untersuchungstechniken. Organisationen: Verein Deutscher Studenten; Stahlhelm; Reichskolonialbund; NSKK; 1939 Parteianwärter der NSDAP Quellen: UAG PA 550 Pophal; BA 4901/24007 PA Pophal; K 887, Bl. 324; Kürschner.

Schorre, Edgar (* 11. September 1911 Barmen; † 5. Januar 2001 Köln) Vater: Schuldirektor (gefallen 1915) Konfession: evangelisch Das Realgymnasium besuchte Schorre in Köln (Reifeprüfung 1929). Er studierte an den Universitäten Bonn und Köln Medizin. Hier promovierte er 1934 zum Dr. med. Danach war er außerplanmäßiger, ab 1937 planmäßiger Assistenzarzt in der Universitätsnervenklinik Köln. Auf Empfehlung des Klinikdirektors Max de Crinis wechselte er 1939 an die Universitätsnervenklinik Greifswald, wo er die Anerkennung als Facharzt für Psychiatrie und Neurologie erwarb. Hier forschte er zu den Auswirkungen von Medikamenten bei Patienten mit Leberfunktionsstörung und einem melancholischen Symptomkomplex. Experimentell untersuchte er bei Kaninchen Veränderungen des Liquors bei der Bestrahlug der Tiere mit Kurzwellen. Im August 1939 wurde er als Assistenzarzt zu einer Heeressanitätskompanie einberufen, erhielt aber 1940/41 Arbeitsurlaub zur Fertigstellung seiner Habilitationsschrift Beitrag zur Kenntnis der Blut-Liquor-Schranke, in der er die Auswirkungen von extrem hohen Kohlendioxidkonzentrationen auf die Hirnflüssigkeit von Kaninchen untersuchte. Zum Dozenten ernannt wurde er 1942 und zugleich der Heeressanitätsstaffel Greifswald zugewiesen. Außerdem war er im Teillazarett für periphere Nervenverletzungen tätig. 1943 ließ sich Schorre als Oberstabsarzt wieder in den aktiven Dienst versetzen und schied damit aus der Universität aus. Nach 1945 arbeitete Schorre als Psychiater in der Bundesrepublik. Von 1965 bis 1971 war er Chefarzt der Sauerlandklinik Hachen, der damals einzigen Spezialklinik zur Versorgung von an Multipler Sklerose erkrankten Patienten in Deutschland. Organisationen: 1931 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 570.214; NS-Ärztebund; NS-Altherrenbund; NSD-Dozentenbund; von Oktober 1932 bis Oktober 1933 in der SA; aber Oktober 1933 HJ-Arzt

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Quellen: UAG PA 628 Schorre, BA R 4901/13276 Karteikarte Schorre, Auskunft der Sauerlandklinik Hachen; Auskunft des Standesamts Wuppertal.

Schubel, Johannes (* 17. Dezember 1904 Zechin (Kreis Lebus); † 4. Dezember 1950 Greifswald) Vater: Pfarrer Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Schubel 1923 am humanistischen Gymnasium in Landsberg/ Warthe ab. Danach arbeitete er in der Landwirtschaft und in den diakonischen Anstalten Bethel als Helfer. Ab 1924 studierte er Medizin in Berlin, Freiburg, München, Kiel und Greifswald. Das Praktische Jahr absolvierte er in Greifswald und Bremen. 1930 bestand Schubel das Staatsexamen und promovierte mit einer Dissertation Über intraarticuläre Ellenbogenfrakturen zum Dr. med. Die Approbation erhielt er 1931, zugleich trat er eine außerplanmäßige Assistentenstelle an der Chirurgischen Universitätsklinik Greifswald an und wurde 1932 zum planmäßigen Assistenten befördert. Im Wintersemester 1932/33 bildete sich Schubel an der Universität Köln auf pathologischem Gebiet weiter. Im April 1933 kam er zurück nach Greifswald und erhielt eine planmäßige Assistentenstelle an der Ohrenklinik. 1935 wurde er zum Oberarzt befördert. Parallel trieb er seine militärische Ausbildung voran. Nach dem Tod Alfred Lincks leitete Schubel die Klinik bis zur Berufung Alexander Herrmanns und vertrat auch den vakanten Lehrstuhl. Ab September 1939 leistete Schubel Kriegsdienst im Reservelazarett Westerland auf Sylt. Im Herbst 1940 kam er zurück nach Greifswald, wurde aber wenig später zum Fliegerhorst Celle kommandiert und 1941 zum Stabsarzt befördert (ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern). Er habilitierte sich 1942 mit der Arbeit Die postoperative Angina, ihre Ursache und ihre Verhütung an der Universität Greifswald. Seine Probevorlesung hielt er über „Die Heiserkeit, ihre Ursache und ihre Behandlung“. Zum Dozenten wurde er 1943 ernannt und im Mai 1943 für die Universität unabkömmlich gestellt, im Mai 1944 formal zum Luftwaffenlazarett Greifswald versetzt. Seit April 1945 war Schubel kommissarischer Direktor der Ohrenklinik, wurde jedoch nicht zur Lehre an der Universität zugelassen. Nach dem Eintritt in die SED im Februar 1949 erhielt er die Lehrbefugnis zurück und wurde als Direktor der Ohrenklinik bestätigt. Im Oktober 1950 folgte die Beförderung zum Professor mit vollem Lehrauftrag. Schubel starb unerwartet an einer inneren Erkrankung. Organisationen: seit 1931 Opferring der NSDAP, am 24. März 1933 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 1.759.737; im Herbst 1933 Eintritt in die SA, 1934 überführt als Halbzugsarzt in das DRK; NS-Altherrenbund; NSLB; Reichskolonialbund; RLB; 1946 FDGB; 1948 Eintritt in die SED Quellen: UAG PA 2003 Schubel, J.

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Terbrüggen, August (* 9. Mai 1902 Ibbenbüren (Westfalen); † 7. Juli 1966 Bielefeld) Vater: Konrektor Konfession: evangelisch Das Realgymnasium besuchte Terbrüggen in Osnabrück. 1919 meldete er sich als Zeitfreiwilliger zum Freikorps des Otto Lichtschlag, das sich an der Niederschlagung des kommunistischen Aufstands im Ruhrgebiet beteiligte. Die Reifeprüfung legte er erst 1921 ab und studierte dann Medizin in Tübingen, Jena, Kiel, Wien und Münster, gleichzeitig auch Zoologie und Vergleichende Histologie. Das medizinische Staatsexamen legte er 1926 ab und promovierte 1927 mit einer Dissertation über Zysten und zystenartige Gebilde im Nasenrachenraum an der Universität Münster zum Dr. med. Nach verschiedenen Praktika erhielt er 1928 eine Stelle als Assistenzarzt am Diakonissenkrankenhaus in Mannheim. Im Oktober 1928 wechselte er als planmäßiger Assistent zum Anatomischen Institut der Universität Münster. 1931 trat er die Stelle als Oberassistent am Pathologischen Institut der Universität Greifswald an. Hier habilitierte er sich 1933 mit der Schrift Cytologische Untersuchungen zur Frage der Nierenfunktion unter normalen und abgeänderten Verhältnissen für Allgemeine Pathologie und Spezielle Pathologische Anatomie. Seine Antrittsvorlesung hielt er über die „pathologische Anatomie der Nephropathien und Nephrosen“. 1939 wurde er außerplanmäßiger Professor und noch im selben Jahr zum Kriegsdienst eingezogen. Zum ordentlichen Professor für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der Medizinischen Akademie Danzig wurde Terbrüggen 1941 ernannt. Später leitete er das Pathologische Institut der Städtischen Krankenanstalten in Bielefeld. 1961 erhielt er den Status eines Professor emeritus der Universität Münster. Organisationen: zum 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.368; im Juli 1937 Eintritt in die SA Quellen: UAG PA 594 Terbrüggen; BA R 4901/13278 Karteikarte Terbrüggen; Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Pathologie Nr. 51: 1967, S. 440 ff.

Törne, Hermann von (* 16. Juni 1909 Dorpat; † 24. Mai 1972 Krefeld) Vater: Arzt Konfession: evangelisch Törne besuchte das Deutsche Gymnasium in Dorpat, unterbrach den Schulbesuch aber „aus wirtschaftlichen Gründen“ durch Aufenthalte in Deutschland nach dem Tod seines Vaters. Nach der Reifeprüfung studierte er Medizin in Tübingen, Rostock, Bonn und Köln. Bereits während des Studiums famulierte er an verschiedenen Kliniken und legte 1935 das Staatsexamen in Köln ab. Hier promovierte er im selben Jahr mit einer Dissertation Zur Fiebertherapie des Asthma Bronchiale. Von Törne entschied sich für die Pathologie, erhielt

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1935 eine außerplanmäßige Assistentenstelle am Pathologischen Institut der Universität Köln und wurde 1937 zum planmäßigen beamteten Assistenten befördert. 1938 wechselte er als Assistent zum Pathologischen Institut der Universität Greifswald. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er als Bezirkspathologe für den Wehrkreis II eingezogen. Von Törne habilitierte sich 1941 mit Studien zu weiblichen Hypophysen verschiedener Altersklassen. Ihn interessierte dabei besonders die für die Hormonproduktion zuständige Hirnanhangsdrüse. 1942 wurde er zum Oberarzt ernannt. Parallel zur wissenschaftlichen Arbeit trieb von Törne seine militärische Karriere voran. 1939/40 war er zum Reservelazarett Greifswald eingezogen, wurde aber rasch zum beratenden Pathologen für den Wehrkreis II befördert. Mit dem Datum 1. Dezember 1942 wurde von Törne zum Leiter der Pathologischen Abteilung des Oskar-Ziethen-Krankenhauses Berlin-Lichtenberg ernannt. Seit 1945 war er als Prosektor in Uelzen tätig, später als Chefarzt des Pathologischen Instituts der Städtischen Krankenanstalten Krefeld. Organisationen: 1932 DNVP; 1932/33 Stahlhelm; ab 1933 SA; ab 1935 HJ-Arzt, in Greifswald stellvertretender Bannarzt; 1937 NSDAP, Mitglied Nr. 4.006.107; 1938 NSÄrztebund, 1939 NSD-Dozentenbund Quellen: UAG PA 595 Törne, H. und 2336 Törne, H., K Nr. 888, Bl. 278; BA R 4901/13278 Karteikarte von Törne, Kürschner.

Urban, Gerhart (* 2. März 1908 Merseburg; † 27. August 1988 Jena) Vater: Rentmeister der Feuersocietät Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Urban 1926 am Domgymnasium Merseburg ab. Danach arbeitete er drei Jahre in Apotheken in Mücheln (bei Merseburg) und Köln. Ab 1929 studierte er Medizin in Köln, Königsberg, Graz und Halle. Die medizinischen Praktika absolvierte er an den Universitätskliniken Halle. Hier wurde er 1936 mit einer toxikologischen Arbeit promoviert (Zur Frage der Entgiftung des Thalliums). Die Approbation als Apotheker erhielt er bereits 1933. Nach der Approbation als Arzt arbeitete er als Assistent im Pharmakologischen Institut der Universität Halle. Die militärische Ausbildung absolvierte Urban bei der Luftwaffe. Eine planmäßige Assistentenstelle erhielt Urban 1939 am Pharmakologischen Institut der Universität Greifswald. Mit Kriegsbeginn wurde er als Truppenarzt eingezogen, aber bereits zum Sommersemester 1940 unabkömmlich gestellt. Urban veröffentlichte mehrere experimentelle Studien zu Pflanzengiften und zu den Veränderungen der Haut nach der Einwirkung von Metallen und wurde 1944 für Pharmakologie habilitiert. 1944 wurde er mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse ausgezeichnet. Am 18. April 1945 wurde Urban zur Sanitätsersatzabteilung Salow/Zossen einberufen. Aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft wurde er 1946 entlassen und setzte seine Forschungen mit Unterstützung

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von Paul Wels fort. Zugleich arbeitete er im Lebensmitteluntersuchungsamt, das sich zu dieser Zeit im Pharmakologischen Institut befand. Da erst im Zuge der Entnazifizierung auffiel, dass Urban der NSDAP seit 1930 angehört hatte, wurde er entlassen, aber 1948 als Abteilungsleiter für Pharmakologie zum Institut für Mikrobiologie und Experimentelle Therapie des VEB Jenapharm versetzt. Seit 1950 lehrte er als Dozent an der Universität Jena, später als Professor mit Lehrauftrag. 1953 wurde Urban zum Leiter des Instituts für Pharmakologie und Pharmakognosie der Veterinärmedizinischen Fakultät der HumboldtUniversität Berlin berufen. Hier überstand er politische Auseinandersetzungen zunächst unbeschadet, wurde aber 1964 zur Aufgabe des Lehramts genötigt. Er kehrte nach Jena zurück, wo er sich bei Jenapharm mit der Entwicklung von blutdrucksenkenden Arzneimitteln befasste. Organisationen: am 1. Juli 1930 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 270.141; im Dezember 1931 Eintritt in die SA Quellen: UAG PA 596 Urban; BA R 4901/13279 Karteikarte Urban; UAB PA Urban nach 1945; Auskunft des Standesamts Merseburg; Kürschner.

Velde, Gustav (* 15. Juli 1897 Frankfurt am Main; † 16. Juli 1972 Pforzheim) Vater: Studienrat Konfession: evangelisch Das Realgymnasium besuchte Velde in Frankfurt. Nach der Reifeprüfung meldete er sich 1915 freiwillig zum Kriegsdienst. Er wurde in einem Fußartillerieregiment an der Westfront eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse, 1918 befördert zum Leutnant). Seit Dezember 1918 studierte Velde Medizin in Marburg und Frankfurt. Das Staatsexamen legte er 1922 ab und arbeitete danach in der Chirurgischen Universitätsklinik. 1922 erhielt er eine außerplanmäßige Assistentenstelle in der Medizinischen Universitätsklinik Frankfurt am Main. Seine Dissertation über Trauma und Krebs, die auf Gutachten aus der Chirurgischen Klinik beruhte, reichte er 1924 ein. Er wechselte 1926 an die Universitätspoliklinik und absolvierte eine Fachausbildung am Strahlentherapeutischen Institut der Universität Frankfurt. 1928 wurde ihm die Leitung der Röntgenabteilung des Bürgerhospitals in Saarbrücken übertragen. Im Jahr darauf wechselte er als planmäßiger Assistent an die Medizinische Universitätsklinik Greifswald. Mit der Studie Die Magenschleimhaut bei Achylia gastrica und perniciöser Anämie, ihr Verhalten und ihre Reize, mit der er die häufige Missdeutungen von Röntgenbefunden der Magenschleimhaut widerlegte, habilitierte er sich 1932. Velde engagierte sich 1933 in der Dozentenschaft und wurde 1934 mit der Leitung der Universitätspoliklinik beauftragt. 1935 wurde er Oberarzt der Medizinischen Klinik (bei Katsch). Velde ließ sich für die Wehrmacht reaktivieren und absolvierte militärische Übungen. 1936 wurde er zum Oberarzt befördert. Den Titel des

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nichtbeamteten außerordentlichen Professors erhielt er 1937, 1939 folgte die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor. Velde nahm jedoch die Chefarztstelle der Inneren Abteilung des Krankenhauses Pforzheim an, wo er zeitweise auch als ärztlicher Direktor amtierte. Von der Stadtverwaltung wurde er im Mai 1945 entlassen. Ob Velde, der nach Pforzheim zurückkehrte, wieder eingestellt wurde, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Organisationen: 1924 Stahlhelm; Artillerieverein Greifswald (im Kyffhäuserverband); 1928 Mitglied der Deutsch-Saarländischen Volkspartei; SA, Sturmführer und Standartenarzt, Vertrauensarzt beim Hochschulverbindungsführer; NSLB; NS-Ärztebund; RLB; Dozentenschaft (Unterführer der Medizinischen Fakultät); Kolonialbund; am 26. April 1933 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.377; Mitarbeiter des Hauptamts für Volksgesundheit und des Rassenpolitischen Amtes Quellen: UAG PA 2078 Velde, K Nr. 886, Bl. 132; R 4901/13279 Karteikarte Velde, Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 235.

Welcker, Ernst Rulo (* 11. Dezember 1904 Heringen; † 30. April 1971 Cottbus) Vater: Amtsgerichtsrat Konfession: evangelisch Der Nachfahre des berühmten Anatomen Hermann Welcker (1822–1897) absolvierte das Gymnasium in Wittenberg. Gemäß der Familientradition studierte er seit 1923 Medizin in Gießen und Halle, wo seine Vorfahren gewirkt hatten. Das einjährige Praktikum absolvierte er an der hallischen Chirurgischen Universitätsklinik, wo er nach der Approbation 1928 eine Assistentenstelle erhielt. Mit einer Arbeit über Narbenstrikturen der Speiseröhre promovierte er 1929 zum Dr. med. Danach volontierte er am Pathologischen Institut der Universität Freiburg, wo er sich mit experimentellen Studien zur Schädigung des Hodens und der Pathologie der extrahepatischen Gallenwege befasste. Im August 1933 erhielt Welcker eine Assistentenstelle an der Chirurgischen Universitätsklinik Greifswald und qualifizierte sich 1936 zum Facharzt. Mit einer Arbeit über die Experimentelle Erzeugung heterotoper Knochenbildungen habilitierte er sich 1938. Zum Dozenten neuer Ordnung wurde er 1939 ernannt. Mit Kriegsbeginn war er als Assistenzarzt der Luftwaffe eingesetzt, im Frankreichfeldzug führte er eine motorisierte Luftwaffensanitätsbereitschaft. Durch die Kriegsereignisse bedingt spezialisierte sich der seit 1940 unabkömmlich Gestellte auf das in Greifswald bisher nicht vertretene Gebiet der Orthopädie. 1943 erhielt er die Stelle als Oberarzt der Chirurgischen Klinik, die er nach dem Tod des Direktors vertretungsweise leitete. Die Beförderung zum außerplanmäßigen Professor folgte Anfang 1945. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er nach Stettin abgeordnet und leitete dort bis September 1945 eine chirurgischen Abteilung in einem nicht näher bezeichneten Krankenhaus. Er kehrte nach Greifswald zurück und wurde zum 1. Oktober 1945

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wieder als stellvertretender Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik beschäftigt. Im März 1946 folgte die Entlassung als Dozent, Welcker blieb aber Oberarzt und kündigte im Juli 1946, weil er eine Chefarztstelle am völlig zerstörten Krankenhaus in Cottbus übernahm. Dank hervorragender organisatorischer Fähigkeiten und seines Bekenntnisses zum Gesundheitswesen nach sowjetischem Vorbild wurde er zum ärztlichen Direktor des Krankenhauses ernannt. Ihm gelang die, so ein Zeitgenosse, Profilierung des Stadtkrankenhauses zur „medizinischen Leiteinrichtung für den neu entstandenen Energiebezirk Cottbus“. Im Dezember 1970 schied Welcker als Chefarzt aus, wenige Monate später starb er an einer Lungenentzündung. In einem Gedenkartikel hob das Brandenburgische Ärzteblatt 2004 hervor: „Er bekannte sich offen zum Aufbau des Sozialismus in der DDR. Seinen Mitarbeitern gegenüber übte er Toleranz und bedrängte sie nicht wegen anderer politischer Überzeugungen.“ Organisationen: 1933 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.146.287; SA; NSD-Ärztebund; NSD-Dozentenbund; NS-Altherrenbund; NSV Quellen: UAG PA 2110 Welcker, Med. Habil. Nr. 214; R 4901/13280 Karteikarte Welcker; Horntrich, Josef: Von ihm konnte man lernen, was es heißt, Arzt zu sein. In: Brandenburgisches Ärzteblatt 12/2004, S. 404 f.

Wichels, Paul (* 17. Februar 1892 Geestemünde; † 16. Oktober 1972 Hanau) Vater: Volksschullehrer Konfession: evangelisch-lutherisch Nach dem Besuch des Gymnasiums in Bremerhaven leistete Wichels Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger. Ab 1912 studierte er Medizin in Jena, Berlin, Heidelberg und Göttingen. 1914 als Sanitätsgefreiter eingezogen, arbeitete Wichels später als Feldhilfsarzt beim Reserveinfanterieregiment 235, wo er mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und dem Verwundetenabzeichen ausgezeichnet wurde. Sein Studium beendete er 1919 in Göttingen. 1920 promovierte er dort mit einer Untersuchung über die Wirkung verschiedener Medikamente auf das Herz von Tieren zum Dr. med. Wichels vertrat danach Arztpraxen, Kreisärzte und Assistenzärzte von Universitätskliniken. In Göttingen erhielt er eine Dauerstelle und habilitierte sich 1926 mit einer Schrift Über die Beeinflussung der Bluteiweißkörper durch parenterale Einverleibung antigener und nicht antigener Substanzen. 1928 wechselte er als Oberarzt an die Medizinische Universitätsklinik Greifswald. Hier verfasste er mehrere klinische Studien zu Gastritis und Lebererkrankungen und wurde zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. Im April 1933 wurde Wichels zum Leiter der Abteilung für innere Krankheiten des Landeskrankenhauses Hanau berufen und von der Universität beurlaubt. 1934 schied er auch formal als Dozent aus. Wichels wurde 1945 entlassen, aber 1947 am Landeskrankenhaus Hanau angestellt. 1960 trat er in den Ruhestand.

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Organisationen: Regimentsverein des RI 235; Aufnahme in die NSDAP zum 1. Mai 1937, Mitglied Nr. 5.924.206 Quellen: UAG 2158 Wichels; K 392; Kürschner.

Zucker, Konrad (* 7. Dezember 1893 Hannover; † 31. August 1978 Heidelberg) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch Im August 1914 meldete sich Zucker als Kriegsfreiwilliger und wurde bei der Feldartillerie eingesetzt. Im November 1916 krankheitshalber entlassen, studierte er Medizin in Göttingen, München und Freiburg. 1921 legte er in Göttingen das Staatsexamen ab und promovierte mit einer Dissertation über die Wirkungen des Physostigmins auf die Skelettmuskulatur. Danach volontierte er an verschiedenen Göttinger Universitätskliniken. 1923 arbeitete er als Volontärassistent an der Universitätsnervenklinik Heidelberg, danach als Assistent an der Psychiatrischen und Nervenklinik Rostock. 1926 wechselte er als Assistent an die Universitätsnervenklinik Greifswald. Hier forschte er unter anderem zur Wirkung von Meskalin. Im Februar 1928 habilitierte sich Zucker mit einer Zusammenfassung seiner Studien über Sinnestäuschungen. Im November 1932 ließ er sich für ein Jahr für die Arbeit am Maudsley Hospital (London) beurlauben. Nach Rückkehr im November 1933 ging er nach Heidelberg und wurde 1935 dorthin umhabilitiert. Im April 1936 erhielt er einen Lehrauftrag für Rassenpsychologie und wurde zum außerordentlichen nichtbeamteten Professor ernannt. 1938 leitete er kurzzeitig das Maria-Anna-Heim in Pirna und wurde Richter am Erbgesundheitsobergericht Dresden. Im selben Jahr kehrte Zucker als Oberarzt an die Psychiatrisch-Neurologische Klinik Heidelberg zurück (Leitung Carl Schneider). Im Sommer 1939 unternahm er eine Forschungsreise nach Island. Erst im Oktober 1939 zurückgekehrt, wurde er jetzt als Marinestabsarzt eingezogen und am 15. April 1940 beurlaubt. Während der sogenannten Euthanasie-Aktion fungierte er wie sein Vorgesetzter als Gutachter. Zugleich war er Stellvertreter Schneiders als Beratender Psychiater im Wehrkreis XII (Wiesbaden). Von Dezember 1942 bis Kriegsende war Zucker zur Sanitätsstaffel Heidelberg eingezogen. Auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung wurde Zucker im Oktober 1945 entlassen. Während Carl Schneider wegen seiner Mitwirkung an der Kindereuthanasie verhaftet wurde und sich 1946 im Gefängnis selbst tötete, fand Zucker später eine Anstellung beim Versorgungsamt. Organisationen: am 1. November 1933 Eintritt in die SA, Sturmarzt; NSKOV; am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.273.094 Quellen: UAG PA 2525 Zucker (Personalbogen); BA R 4901/13281 Karteikarte Zucker, Karteikarte Ortskartei; Welker, Lexikon der Greifswalder Professoren, S. 249 f.; Klee, Personenlexikon, S. 698 (Zucker), S. 551 (Schneider).

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Ordentliche Professoren Bernheim, Ernst (* 19. Februar 1850 Hamburg; † 3. März 1942 Greifswald) Vater: Überseekaufmann Konfession: jüdisch, ab 1886 evangelisch Bernheim besuchte eine Privatschule und das Gymnasium in Hamburg. Er studierte in Berlin, Heidelberg und Straßburg vor allem Geschichte. 1870 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, wurde jedoch wegen hochgradiger Kurzsichtigkeit abgewiesen. Das Studium schloss er 1873 an der Universität Straßburg mit einer Dissertation über Lothar III. und das Wormser Konkordat ab. Danach arbeitete er für die Monumenta Germaniae Historica. Dienstreisen führten ihn nach Italien, Österreich und in die Schweiz. Mit einer unveröffentlichten Schrift über mittelalterliche Quellen wurde er 1875 in Göttingen habilitiert. Später publizierte er das Werk Geschichtsforschung und Geschichtsphilosophie (1880). Im August 1883 erhielt er den Ruf auf ein Extraordinariat für mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften an der Universität Greifswald. 1889 wurde er zum ordentlichen Professor befördert. Im selben Jahr erschien sein Lehrbuch der historischen Methode, das bis 1908 sechs Auflagen erreichte und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. In dem Lehrbuch ging Bernheim auf methodische Probleme schriftlicher Darstellung, aber auch auf didaktische Fragen des Geschichtsunterrichts ein. Das Interesse für die Pädagogik führte zur Freundschaft mit Hans Schmidkunz, dem Begründer der Hochschulpädagogik, dessen Verankerung an der Universität Greifswald er 1919 erreiche konnte. Bernheim genoss hohes Ansehen bei seinen Kollegen, 1899 wurde er zum Rektor gewählt. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde er 1934 von den Fakultätssitzungen ausgeschlossen. Ein nationalsozialistischer Nachwuchshistoriker unterzog sein Werk wegen des von Bernheim vertretenen „Liberalismus“ und „Internationalismus“ einer vernichtenden Kritik (Edel, E.: Grenzen und Gefahren der Geschichtsauffassung Ernst Bernheims. Ein Beitrag zur Überwindung des Historismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, phil. Diss. Köln 1939). Durch die Unterstützung der Philosophischen Fakultät wurde Bernheim jedoch das Bürgerrecht zuerkannt. Organisationen: vor 1918 Nationalliberale Partei, später Deutsche Volkspartei; Verein für das Deutschtum im Ausland; Kolonialverein; Gesellschaft für deutsche Bildung; Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums Quellen: UAG PA 10 Bernheim, K 734; BA R 4901/13259 Karteikarte Bernheim; Blechle, Irene: „Entdecker“ der Hochschulpädagogik. Die Universitätsreformer Ernst Bernheim (1850–1942) und Hans Schmidkunz (1863–1934), Aachen 2002.

8.4 Philosophische Fakultät

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Boehringer, Erich (* 10. August 1897 Hamburg; † 3. April 1971 Hamburg) Vater: Chemiker, Industrieller Konfession: evangelisch Boehringer besuchte das Gymnasium in Basel und Lörrach. Zu Kriegsbeginn 1914 trat er als freiwilliger Fahnenjunker in die Fußartillerie ein. Er wurde 1915 zum Leutnant befördert (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse). Die Reifeprüfung legte Boehringer 1919 in Lörrach ab. Er studierte Nationalökonomie und Archäologie, Alte Geschichte und Griechisch in Freiburg, Würzburg, Basel und Berlin. Seine Dissertation (Die Münzen von Syrakus, Würzburg 1926) war der stempelvergleichenden Methode in der antiken Numismatik gewidmet. Danach war er als Hilfsassistent und Bibliothekar am Deutschen Archäologischen Institut in Rom tätig und nahm an Ausgrabungen in Samos, Sizilien und Pergamon teil. 1929 gelang ihm die Auffindung der Stadt Leontinoi (Lentini) auf Sizilien. Nach einer Malariaerkrankung habilitierte sich Boehringer 1932 an der Universität Greifswald für Klassische Archäologie. Wegen seiner Zugehörigkeit zum Kreis um den Dichter Stefan George war Boehringer Denunziationen ausgesetzt, so dass sich die Ernennung zum planmäßigen außerordentlichen Professor bis 1938 hinzog, obwohl er den Lehrstuhl seit 1934 offiziell vertrat. Die Beförderung zum ordentlichen Professor wurde nach einer Intervention der Philosophischen Fakultät 1942 vollzogen. In Greifswald bearbeitete Boehringer, der zahlreiche wissenschaftliche Studien verfasste, die Bände IX und X der Dokumentation für die Ausgrabungen von Pergamon. Da Boehringer nach einem bei einer Wehrübung erlittenen Schädelbruch nicht mehr voll wehrfähig war, wurde er ab März 1940 im diplomatischen Dienst eingesetzt. Bis April 1943 wirkte er als Kulturreferent bzw. Attaché an der Deutschen Gesandtschaft in Athen. Hier trieb er die Gründung mehrerer deutscher wissenschaftlicher Institute voran, unter anderem zur Byzantinistik und Wasserkunde. Außerdem entstanden ein deutsches Lehrerseminar, eine deutsch-griechische biologische Forschungsanstalt und ein deutsches Orchester. Im Mai 1943 kehrte er nach Greifswald zurück und vertrat neben seinem eigenen Fach auch die Lateinische Philologie. Das archäologisches Museum der Universität wurde auf sein Betreiben seit 1943 zum Schloss Niederhof des Ehrensenators Ulrich von Bismarck-Bohlen († 1945) ausgelagert. Danach war Boehringer für den Abtransport der Universitätsakten und schätze nach Göttingen zuständig. Da Boehringer die Akten begleitete, befand er sich bei Kriegsende in der britischen Besatzungszone. Hier erhielt er 1946 einen Lehrauftrag für Klassische Archäologie, Ausgrabungswesen, Antike Ikonographie und Numismatik. Daneben war er von 1945 bis 1948 ehrenamtlicher Geschäftsführer des Akademischen Hilfswerks der Universität Göttingen und gründete die Akademische Burse, die zum Beispiel den Bau von Wohnheimen nach dem amerikanischen Campusprinzip vorantrieb. Im April 1954 wurde Boehringer Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin (West) und arbeitete an der Wiederherstellung der wissen-

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schaftlichen Reputation der deutschen Archäologie. Zugleich lehrte er als Honorarprofessor für Klassische Archäologie an der Freien Universität Berlin. 1957 nahm Boehringer die Ausgrabungen in Pergamon wieder auf. 1960 ging er vorzeitig in Pension, um sich ganz der wissenschaftlichen Arbeit widmen zu können. Organisationen: NSV; NS-Studentenkampfhilfe überführt in den NS-Altherrenbund; am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.787.333; Luftschutzhelfer; nach 1945 FDP; vergebliche Kandidatur zum Bundestag 1961 Quellen: UAG PA 200 Boehringer, Phil. Fak. I Nr. 476; BA R 4901/13259 Karteikarte Boehringer; Wolbring: Barbara: Trümmerfeld der bürgerlichen Welt. Universität in den gesellschaftlichen Reformdiskursen der westlichen Besatzungszonen (1945–1949), Göttingen 2014, S. 224–234; Boehringer, Robert: Erich Boehringer. Leben und Wirken, Düsseldorf und München 1973; Wikipedia-Personeneintrag.

Braun, Gustav (* 30. Mai 1881 Dorpat ; † 11. November 1940 Oslo) Vater: Universitätsprofessor, Zoologe Konfession: evangelisch Das Gymnasium besuchte Braun in Rostock und Königsberg. Er studierte in Königsberg und Göttingen Nationalökonomie und Naturwissenschaften, insbesondere Geographie. 1903 promovierte er mit einer Dissertation über die Topographie der ostpreußischen Seen zum Dr. phil. Danach leistete er Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger und wurde nach weiteren Übungen 1913 zum Leutnant der Landwehr befördert. Für das Fach Geographie habilitierte er sich 1907 an der Universität Greifswald, 1910 erhielt Braun einen Lehrauftrag für Verkehrsgeographie der Meere an der Universität Berlin. Hier erarbeitete er sich sehr schnell hohes Ansehen, weil er in seinen Studien geomorphologische Phänomene geschickt mit anthropogenen Faktoren in Verbindung setzte (Das Ostseegebiet, 1912). Außerdem gründete er die Zeitschrift Erde und Wirtschaft. Nach der Ablehnung eines Rufs an die Universität Peking wurde er 1911 zum Leiter einer für ihn geschaffenen Abteilung am Institut für Meereskunde in Berlin ernannt. Auf Wunsch der Reichsregierung nahm er 1912 den Ruf auf eine außerordentliche Professur für Geographie an der Universität Basel an, wo er 1913 zum ordentlichen Professor befördert wurde. Mit Kriegsbeginn 1914 wurde Braun in einer Kavallerieeinheit im Elsass eingesetzt, erkrankte jedoch im Oktober dieses Jahres. Nach der Genesung folgte 1916 die Versetzung zu einer Vermessungseinheit. Für die Lehre in Basel wurde er 1917 freigestellt, jedoch auf Wunsch des Preußischen Kultusministeriums im April 1918 auf eine ordentliche Professur für Geographie an die Universität Greifswald berufen. Hier wurde er zum Direktor des Geographischen Seminars und zum Vorstandsmitglied des neugebildeten Nordischen Instituts ernannt. Nach inneruniversitären Querelen gründete er 1920 das Institut für

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Finnlandkunde, das sich wirtschaftsgeographischen und länderkundlichen Fragen widmete. Dem Auftrag einer intensiven Kontaktpflege zu den skandinavischen Ländern fühlte sich Braun verpflichtet und intensivierte die Kontakte zu Industrie, Reederei und Politik in Pommern und Finnland. Mit seinen allgemein verständlichen und nutzenorientierten Schriften wurde Braun zu einem Vorreiter der Länderkunde (Nordeuropa, 1926). Obwohl er sich mit seiner rastlosen Aktivität auch den Neid von Kollegen zuzog, wurde er im Mai 1930 zum Rektor der Universität gewählt. Im Amt zeigte sich Braun gegenüber den Forderungen nationalsozialistischer Studenten unnachgiebig. Aufgrund von Denunziationen ermittelten seit April 1933 Polizei und Staatsanwaltschaft gegen ihn, unter anderem wegen Devisenvergehen. Wegen angeblicher Verdunkelungs- und Fluchtgefahr wurde er verhaftet und im Mai 1933 vorläufig dienstenthoben. Im Juli 1933 wurde er vom Landgericht Greifswald verurteilt. Revision und Neuanklage führten zur Verurteilung zu zwei Monaten Gefängnis wegen vermeintlicher Untreue. Die erneute Berufungsklage Brauns führte zu einem Prozess vor dem Reichsgericht, in dem er im November 1934 in allen Punkten freigesprochen wurde. Noch vor diesem Freispruch wurde Braun auf Betreiben des Universitätskurators zum 1. November 1933 nach § 6 des Berufsbeamtengesetzes (Vereinfachung der Verwaltung) in den Ruhestand versetzt. Er zog nach Berlin um und verfasste ein Lehrbuch zur Formenwelt des deutschen Bodens (1939). Im April 1940 ließ sich Braun militärisch reaktivieren. Er starb bei seiner Tätigkeit im Stab des Wehrmachtsbefehlshabers Norwegen. Organisationen: – Quellen: UAG PA 24 Braun; BA MA RW 59/2078 Karteikarte Braun; Dissertation; Schriften.

Bubnoff, Sergius Namensformen: Serge von Bubnoff, Sergej Bubnoff (* 15. Juli 1878 St. Petersburg (Russland); † 16. November 1957 Berlin) Vater: Arzt, Russischer Staatsrat Konfession: evangelische Brüdergemeinde Von Bubnoff entstammte einer Familie des russischen Erbadels, sein Vater war Leibarzt des Zaren gewesen. Die Reifeprüfung legte er am Gymnasium in St. Petersburg ab. Danach studierte er Geologie und Paläontologie an der Universität Freiburg im Breisgau. 1910 erhielt er eine Assistentenstelle an der Badischen Geologischen Landesanstalt und promovierte 1912 mit einer Dissertation über die Tektonik der Dinkelberge bei Basel. Danach führten ihn Studienreisen nach Italien, Russland und Schweden. Bei Kriegsbeginn wurde von Bubnoff interniert, konnte seine wissenschaftliche Arbeit jedoch in Heidelberg fortsetzen. 1921 erhielt er eine Anstellung als Referent der Bergbauabteilung am Osteuropa-Institut Breslau und habilitierte sich an der Universität Breslau mit einer Studie über die hercynischen Brüche im Schwarzwald. An der Universität Breslau wurde ihm 1922 ein dotierter Lehrauftrag für Paläontologie erteilt. Die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor

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folgte 1925, kurz danach wurde er von der Technischen Hochschule Breslau habilitiert. Auf eine persönliche ordentliche Professur an der Universität Greifswald wurde Bubnoff 1929 berufen, zugleich folgte die Ernennung zum Direktor des Geologischen Instituts. Hier baute er ein Archiv für Geschiebeforschung auf, legte eine Kartei für Lagerstätten an und katalogisierte die Trinkwasserbohrungen in Pommern und nach 1945 in Mecklenburg. 1943/44 vertrat er den Lehrstuhl für Geologie und Paläontologie an der Universität Rostock. 1950 wurde er zum Professor mit Lehrstuhl an die Berliner Humboldt-Universität berufen, zugleich leitete er das Geotektonische Institut der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Organisationen: vor 1945 ohne; 1945 CDU; Kulturbund Quellen: PA 848 Bubnoff; BA R 4901/13260 Karteikarte Bubnoff; Buddrus, Rostock, S. 94 f.

Curschmann, Fritz (* 17. März 1874 Berlin; † 5. Februar 1946 Greifswald) Vater: Arzt, ordentlicher Universitätsprofessor Konfession: evangelisch Nach dem Abitur an der Nicolaischule in Leipzig studierte Curschmann Geschichte in Freiburg und Leipzig. 1898/99 leistete er Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger. Mit einer Studie über Hungersnöte im Mittelalter (vom 8. bis 13. Jahrhundert) promovierte er an der Universität Leipzig 1899 zum Dr. phil. Seine Studien setzte er in Berlin fort und habilitierte sich 1905 an der Universität Greifswald. Hier erhielt er 1909 den Professorentitel. Curschmann konzentrierte sich auf Forschungen zur historischen Geographie, zum Beispiel die Ortsnamen im nordostdeutschen Kolonialgebiet. Wegen seiner intimen Kenntnisse alter Karten erhielt er 1912 einen Lehrauftrag für Historische Hilfswissenschaften. Während des Ersten Weltkriegs kommandierte Curschmann von 1914 bis 1917 eine Artillerieabteilung, die zuerst an der West, später an der Ostfront eingesetzt wurde (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Ritterkreuz I. Klasse des Sächsischen Albrechtsordens). Danach war er zu den Armeeoberkommandos im Osten abgeordnet und unternahm mehrere Dienstreisen nach Russland. An der neugebildeten Universität Dorpat erhielt Curschmann 1918 eine Professur für Geschichte. Estland bot ihm 1919 die Übernahme an die, nun estnische, Universität Tartu an, was Curschmann jedoch ablehnte. Zur Kompensation erhielt er noch 1919 eine beamtete außerordentliche Professur an der Universität Greifswald und wurde 1928 zum ordentlichen Professor befördert. Curschmanns Interesse galt der deutschen Kolonisation des Ostraums, die er zunächst in Urkunden und später anhand von historischen Karten greifbar machte. Die Arbeit am Historischen Atlas für Pommern wurde jedoch nur bis 1935 gefördert, weil Curschmann als sogenannter Vierteljude galt. 1936 folgte die Entfernung aus dem Prüfungsamt. Da sich die Philosophische Fakultät für Curschmann einsetzte, konnte er bis zur Entpflichtung mit 65 Jahren weiterhin Vorlesungen, vor allem zu den historischen Hilfswissenschaften, halten.

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Organisationen: seit ca. 1906 Mitglied der konservativen Partei; seit 1918/19 DNVP bis zur Auflösung; Verein ehemaliger Artilleristen in Greifswald; Deutscher Offiziersbund Quellen: PA 274 Curschmann; BA R 4901/13260 Karteikarte Curschmann.

Dornseiff, Franz (* 20. März 1888 Gießen; † 20. Mai 1960 Markkleeberg) Vater: Richter (Senatspräsident) Konfession: keine, früher evangelisch Dornseiff absolvierte das Gymnasium in Gießen. Er studierte in Darmstadt, Heidelberg, München und Berlin Philologie. Nach dem Referendariat arbeitete er als Lehramtspraktikant in Freiburg im Breisgau und Wertheim. Mit einer Dissertation zur Buchstabenmystik promovierte er 1916 an der Universität Würzburg zum Dr. phil. Danach wurde er zum Soldaten ausgebildet und an der Westfront als Dolmetscher eingesetzt. Seit 1920 arbeitete Dornseiff als Lehrer am Gymnasium in Lörrach (Baden) und habilitierte sich im selben Jahr an der Universität Basel mit einer Untersuchung über die Dichtkunst des griechischen Philosophen Pindar (Pindars Stil, 1921). 1925 erhielt er eine planmäßige außerordentliche Professur für Klassische Philologie an der Universität Berlin und wurde 1926 auf eine ordentliche Professur für Klassische Philologie in Greifswald berufen. Der nationalsozialistischen Ideologie stand Dornseiff ablehnend gegenüber, was zu Denunziationen führte, die aber ohne Ergebnis zu den Akten gelegt wurden. In Greifswald verfasste er sein bekanntestes Werk: ein deutsches Wörterbuch, das den Wortschatz nach Sachgruppen ordnete. Trotz der Anerkennung als eigenständige Leistung war es für ihn nur ein Probedurchgang für ein gleich angelegtes Wörterbuch des Altgriechischen. Im Februar 1945 ermöglichte ihm Rektor Carl Engel die Flucht nach Hessen. Seit Dezember 1945 vertrat er einen Lehrstuhl an der Universität Erlangen, wurde aber zum Wintersemester 1946/47 wieder auf eine Professur mit Lehrstuhl an der Universität Greifswald berufen. Da die amerikanische Besatzungsbehörde seine Rückkehr verzögerte, gelang ihm der Wechsel in die sowjetische Besatzungszone erst 1948. Den Ruf an die Universität Greifswald schlug er jetzt aus, nahm aber einen Lehrstuhl an der Universität Leipzig an. Organisationen: 1934 RLB; 1935 NS-Altherrenbund; 1946 SPD Quellen: UAG PA 209 Dornseiff; BA R 4901/13261; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 46 f.; Werner, Jürgen: „Die Welt hat nicht mit den Griechen angefangen“. Franz Dornseiff (1888–1960) als Klassischer Philologe und als Germanist, Stuttgart/Leipzig 1999.

Egermann, Franz (* 13. Februar 1905 Rosenberg an der Moldau (Böhmen); † 9. Juli 1989 München) Vater: Gendarm, Gendarmeriebezirksinspektor Konfession: katholisch

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Das Gymnasium besuchte Egermann in Prag und Linz (Reifeprüfung 1924). Er studierte Klassische Philologie an den Universitäten Wien und Berlin. Mit einer Dissertation zu den Entstehungsbedingungen der platonischen Briefe VII und VIII promovierte er 1928 an der Universität Berlin zum Dr. phil. Schon im Jahr danach erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität Greifswald, wo er die Einführungskurse in den Alten Sprachen übernahm. Mit einer Studie zu den Proömien (Vorspielen) zu den Werken des römischen Schriftstellers und Politikers Sallust (86 – ca. 34) habilitierte er sich 1930. Später publizierte er eine Monographie zur Persönlichkeit im antiken Griechenland (Vom attischen Menschenbild, 1952). Seit 1933 vertrat Egermann den beurlaubten Ordinarius Konrat Ziegler. Nach dessen Entlassung wurde er 1934 zum beamteten außerordentlichen Professor, wenig später zum persönlichen Ordinarius ernannt. Zum Kriegsdienst eingezogen wurde er 1942 als Schütze. Nach der Beförderung zum Gefreiten diente er im Stab des stellvertretenden Generalkommandos in Stettin. Im November 1944 wurde er als Unteroffizier zu den Turk-Einheiten der Waffen-SS versetzt (Feldpost-Nr. 21.580). Nach der Entnazifizierung vertrat er ab 1948 den Lehrstuhl für Griechische Philologie an der Universität München. 1951 wurde er zum planmäßigen außerordentlichen Professor ernannt und 1955 zum persönlichen ordentlichen Professor befördert. 1962 folgte die Ernennung zum planmäßigen Ordinarius. 1970 wurde Egermann emeritiert. Organisationen: am 20. Mai 1933 Eintritt in die NSDAP; Blockwart; 1934 stellvertretender Führer der Dozentenschaft; November 1933 Aufnahme in die SA, dort 1934 in die Parteiorganisation überwiesen; 1933 Bezirksleiter im Kampfring der Deutschösterreicher Quellen: UAG PA 212 Egermann; BA R 4901/13262 Karteikarte Egermann; GStA PK I HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 22 Bd. 24, Bl. 487; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 50.

Ehrismann, Gustav (* 8. Oktober 1855 Pforzheim (Baden); † 9. September 1941 Hamburg) Vater: Goldwarenfabrikant Konfession: evangelisch Nach dem Besuch des Pädagogiums in Pforzheim und des Gymnasiums Karlsruhe studierte Ehrismann Germanistik und Romanistik in Heidelberg und Leipzig. 1880 promovierte er mit einer Dissertation über die Handschriften des mittelalterlichen Lehrgedichts Der Renner des Hugo von Trimberg. Aus gesundheitlichen Gründen zog er zurück nach Pforzheim und habilitierte sich erst 1897 in Heidelberg. 1901 erhielt er den Professorentitel, 1904 einen Lehrauftrag, 1909 eine ordentliche Professur für Germanistik an der Universität Greifswald. Nach Erreichen der Altersgrenze zog Ehrismann 1924 nach Heidelberg, später nach Berlin bzw. Hamburg um. In der Neuen Deutschen Biographie wird seine

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„einzigartige Vertrautheit mit der mittelalterlichen Philosophie und kirchlichen Literatur“ hervorgehoben, die es ihm ermöglichte, die frühen deutschen Schriften aus dem Denken des Mittelalters selbst zu erklären. Sein Hauptwerk war eine dreibändige Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. Organisationen: – Quellen: UAG PA 34 Ehrismann, BA R 4901/13261 Karteikarte Ehrismann; Neumann, Eduard: Ehrismann, Gustav Adolph, in NDB, Bd. 4, 1959, S. 359–360.

Einem, Herbert von (* 16. Februar 1905 Saarburg (Lothringen) ; † 5. August 1983 Göttingen) Vater: Offizier (Oberstleutnant a. D.) Konfession: evangelisch Von Einem entstammte einer preußischen Offiziersfamilie, sein Großvater war von 1903 bis 1909 Preußischer Kriegsminister. Er besuchte Gymnasien in Erfurt und Göttingen. Nach der Reifeprüfung studierte er ab 1923 zunächst Rechtswissenschaft, dann Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie an den Universitäten Göttingen, Berlin und München. Mit einer Dissertation über einen gotischen Altaraufsatz promovierte er 1929 an der Universität Göttingen zum Dr. phil. (Die Plastik der Lüneburger Goldenen Tafel). Danach arbeitete er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Kunstabteilung des Landesmuseums der Provinz Hannover. Seine Habilitationsschrift widmete er 1936 dem Weimarer Kunsttheoretiker und Bibliothekar Carl Ludwig Fernow (Eine Studie zum deutschen Klassizismus) und trat eine Stelle als außerplanmäßiger Assistent an der Universität Göttingen an. Nach Absolvierung eines Schulungslagers wurde er trotz kritischer Beurteilungen 1938 zum Dozenten der Universität Göttingen ernannt. 1939 absolvierte von Einem eine freiwillige Wehrmachtsübung und leistete unmittelbar danach bis 1941 Kriegsdienst bei der Luftwaffe. Kurzfristig vertrat er 1941/42 den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität Göttingen, danach war er bei der Luftwaffe in Paris eingesetzt (1943 zum Obergefreiten befördert). Seit 1943 vertrat er den vakanten Lehrstuhl in Greifswald (Nachfolge WilhelmKästner) und wurde 1944 zum ordentlichen Professor ernannt. Im Dezember 1944 wurde von Einem zur Flakersatzabteilung Weimar einberufen und geriet in amerikanische Gefangenschaft. Nach wenigen Wochen entlassen, vertrat er bereits ab 1945 die Professur für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. Nach Stationen in Göttingen und Frankfurt nahm er 1947 den Ruf an die Universität Bonn an, wo er 1970 emeritiert wurde. Der überaus produktive von Einem publizierte zur deutschen und italienischen Bildenden Kunst vom Mittelalter bis zur Romantik. 1938 veröffentlichte er eine Studie über Caspar David Friedrich, die den zeitgenössischen Vorstellungen von „Blut und Boden“ widersprach und dessen Werk in den Kontext der politischen und Geistesgeschichte einordnete. Auch seine Bücher über Goethes Kunstauffassung (1956) und zur deutschen Malerei des

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Klassizismus und der Romantik (1978) waren stark geistesgeschichtlich orientiert. Außerdem veröffentlichte er eine Monographie über den venezianischen Renaissancekünstler Giorgione (Giorgione: Der Maler als Dichter, 1972) und eine mehrfach aufgelegte Biographie Michelangelos (1959). Organisationen: 1933 NSBO überführt in DAF; ab 1938 Hilfsarbeiter in der NSV; 1943 NSD-Dozentenbund Quellen: UAG PA 215 von Einem; BA R 4901/13262 Karteikarte von Einem, BDC, Schriften.

Engel, Carl (* 2. Oktober 1895 Magdeburg; † 25. Januar 1947) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch Das Gymnasium besuchte Engel in Magdeburg. Er studierte ab 1913 in München Philosophie und Naturwissenschaften. Ab 1914 nahm er als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil (befördert zum Vizefeldwebel, ausgezeichnet unter anderem mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Verwundetenabzeichen in schwarz). 1918 geriet er in britische Kriegsgefangenschaft. Nach der Entlassung absolvierte er eine Buchhändlerlehre und arbeitete danach als Prokurist einer Buchhandlung. Seit 1925 publizierte er regelmäßig über Funde und Bodendenkmäler in Mitteldeutschland. Eine Stelle als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Magdeburger Museum für Natur- und Heimatkunde erhielt er im Oktober 1927. Im Wintersemester 1927/28 setzte er das Studium an der Universität Tübingen als Werkstudent fort, wo er 1928 mit einer Dissertation über steinzeitliche Funde im Mittelelbegebiet zum Dr. rer. nat. promovierte. 1929 wechselte Engel als Assistent zum Prussia-Museum in Königsberg. In Ostpreußen führte er mehrere Grabungen durch, unter anderem 1929 bis 1931 im Gräberfeld von Linkuhnen bei Tilsit. Gemeinsam mit dem Direktor des Westdeutschen Provinzialmuseums Wolfgang La Baume publizierte er 1937 einen Fundkartenatlas für das südliche Baltikum (Kulturen und Völker der Frühzeit im Preußenlande). Zu diesem Zeitpunkt war Engel bereits seit 1934 an der Herder-Hochschule Riga als Dozent tätig und hatte den Professorentitel erhalten. Die Beförderung zum ordentlichen Professor folgte 1937. Nach dem Tod Wilhelm Petzschs wurde Engel mit der Vertretung der vakanten Professur für Vorgeschichte in Greifswald betraut, zugleich leitete er weiterhin sein Institut an der Herder-Hochschule. Im Juli 1939 wurde er zum ordentlichen Professor und Direktor des Seminars für Vorgeschichte in Greifswald ernannt. Zugleich wurde er Leiter der zum 1. April 1939 neugebildeten Greifswalder Außenstelle des Pommerschen Landesmuseums in Greifswald. Mit dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion wurde Engel im Juni 1941 zum Leiter der Vorgeschichtlichen Forschungen im Reichskommissariat Ostland ernannt und dem Amt IIa Wissenschaft und Kultur des Reichskommissariats zugewiesen, das die baltischen Länder und Weißrussland umfasste. Hier etablierte Engel eine

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Struktur von Landesmuseen nach preußischem Muster, zu deren Leitern er einheimische Forscher ernannte. Zugleich unterstützte er Ad-hoc-Grabungen und die Plünderungen des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg, um ideologisch nutzbare Ergebnisse etwa zur germanischen Siedlung und zu den Herrschaftsverhältnissen im frühmittelalterlichen Russland zu erhalten. Im April 1942 wurde Engel zum Rektor der Universität Greifswald ernannt (Nachfolge Wilhelm-Kästner). Durch die Tätigkeit im Reichskommissariat Ostland – und deren Abwicklung 1944, die Konflikte mit nationalsozialistischen Aktivisten und umfangreiche organisatorische Arbeiten überlastet, gelang es ihm nicht, eigene Akzente in der Verwaltung der Universität zu setzen. Engel organisierte jedoch eine unbürokratische Fürsorge für deutschfreundliche Flüchtlinge aus dem Baltikum und ermöglichte ihnen ebenso wie nationalsozialistisch exponierten Dozenten die Flucht in Gebiete, die von den Westalliierten besetzt wurden. An der Kapitulation der Stadt Greifswald war Engel maßgeblich beteiligt, das Rektorenamt räumte er am 14. Mai nach einem Gespräch mit einem Offizier der Roten Armee. Im Juli 1945 wurde Engel verhaftet. Er starb, ohne angeklagt worden zu sein, im Lager Fünfeichen. Organisationen: 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.306.461, Schulungsredner, Hauptlehrer für Vor- und Frühgeschichte an den Ordensburgen der NSDAP; Beisitzer des Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte Quellen: UAG PA 214 Engel; R 4901/13262 Karteikarte Engel; Klee, Lexikon, S. 136; Mangelsdorf; Günter: Zwischen Greifswald und Riga. Auszüge aus den Tagebüchern des Greifswalder Rektors und Professors der Ur- und Frühgeschichte, Dr. Carl Engel, vom 1. November 1938 bis 26. Juli 1945, Stuttgart 2007, S. 1–5; Gasche, Malte: Die Instrumentalisierung der Prähistorie im Reichskommissariat Ostland 1941 bis 1944, in: Lehmann, Sebastian u. a. (Hg.): Reichskomissariat Ostland. Tatort und Erinnerungsobjekt, Paderborn u. a. 2012, S. 171–187.

Fredenhagen, Karl (* 11. Mai 1877 Loitz bei Greifswald; † 4. April 1949 Greifswald) Vater: Kaufmann und Senator Konfession: evangelisch-lutherisch Fredenhagen besuchte die Volksschule in Loitz, dann das Realgymnasium in Stralsund, wo er die Reifeprüfung ablegte. Er studierte ab 1896 Mathematik, Physik und Chemie an den Technischen Hochschule Hannover und Darmstadt sowie an den Universitäten Leipzig und Göttingen. 1902 promovierte er in Göttingen mit der Dissertation Zur Theorie der Oxydations- und Reduktionsketten zum Dr. phil. 1906 habilitierte er sich mit Spektralanalytischen Studien an der Universität Leipzig für das Fach Physikalische Chemie und wurde 1907 auch für Physik habilitiert. 1912 folgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor. 1914 meldete sich Fredenhagen als Freiwilliger zur Reserveinfanterie. 1916 wurde er zum Leutnant befördert (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und dem

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Ritterkreuz II. Klasse des Albrechtordens mit Schwertern). An der Front entwickelte er das Schallmessverfahren für die Artillerie weiter und wurde daher im August 1918 zur Artillerieschallmessschule in Wahn bei Köln versetzt. Obwohl er als zu 40 Prozent kriegsbeschädigt entlassen wurde, schloss er sich 1919 dem Zeitfreiwilligenregiment Leipzig an. Auf die Professur für Physikalische Chemie an der Universität Greifswald wurde Fredenhagen 1923 berufen. Hier übernahm er verschiedene Ämter in der akademischen Selbstverwaltung und war zum Beispiel 1933/34 Dekan und 1935 Prorektor. Mehrfach vertrat er bis 1945 die abwesenden oder erkrankten Rektoren. Fredenhagens Forschungsgebiet war, so die Neue Deutsche Biographie, „die Aufdeckung der Ursachen der Löslichkeit und der elektrolytischen Dissoziation in flüssigen Lösungen“. Die von ihm daraus entwickelte Theorie der Zweistoffsysteme war umstritten. Während des Zweiten Weltkriegs forschten Fredenhagen und seine Mitarbeiterin Ellen Tramitz zu verschiedenen Fragen des Einsatzes von Fluorwasserstoff (etwa der Verwendung zum Aufschluss von Holz), erstellten aber auch Erstarrungsdiagramme von Metallen. 1944 musste Fredenhagen das rechte Bein amputiert werden. 1945 wurde er deshalb emeritiert. Seine Darstellung der Theorie der Zweistoffsysteme erschien postum. Organisationen: Ab 1905 Nationalsoziale Partei, später Mitglied in Nachfolgeparteien; DDP bis 1932; 1933/34 SA; 1937 NSDAP, Mitglied Nr. 5.780.691; Artillerieverein Quellen: UAG PA 1056 Fredenhagen, K 791, Bl. 267, 283; BA R 4901/13263 Karteikarte Fredenhagen; Leipziger Professorenkatalog; Jung, Gerhard: Fredenhagen, Karl Hermann Heinrich Philipp, in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 386 f.; Wiechert, Kurt: Karl Fredenhagen. Lebenslauf und Lebenswerk, in: Fredenhagen, Karl, Grundlagen für den Aufbau einer Theorie der Zweistoffsysteme, Berlin 1950, S. VII–XXXI.

Fricke, Robert (* 6. September 1895 Mönchen-Gladbach; † 21. Oktober 1950 Lugano (Schweiz)) Vater: Augenarzt Konfession: evangelisch Fricke besuchte das Gymnasium in Gladbach und Arnsberg. Er studierte ab 1914 Naturwissenschaften und Medizin. Unterbrochen war das Studium durch Kriegsdienst an der Westfront, wo er verwundet wurde. Wegen eines „Schlotterknies“ (15 Prozent Beschädigung) wurde er 1915 zum Train versetzt. 1921 legte er das Medizinische Staatsexamen ab und erhielt 1922 die Approbation als Arzt. Fricke promovierte zweifach: in Münster 1919 zum Dr. phil. mit einer Arbeit über hydrolytische Reaktionen von Aluminiumsalzen und zum Dr. med. in Gießen 1922 mit einer Dissertation Über die analytische Erfassung und Differenzierung von Acetaldehyd. Seit 1921 war er planmäßiger Assistent an der Universität Münster und wurde 1922 für Chemie habilitiert. 1928 erhielt er den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors. Zwei Jahre danach wurde er auf eine ordentliche

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Professur für Anorganische Chemie an die Universität Greifswald berufen. 1935 wechselte er an die Technische Hochschule Stuttgart. Fricke forschte sehr breit zu den Eigenschaften verschiedener Metalloxide und deren wirtschaftlicher Bedeutung, etwa als Katalysatoren. Nach der Entlassung 1946 gründete er eine Firma für medizinische Chemie. 1947 wurde er von der TH Stuttgart wieder eingestellt. Organisationen: 1933 Obertruppführer im Reichsluftschutzbund, dort Ortsgruppenschulungsleiter und stellvertretender Ortsgruppenführer Greifswald; 1933/34 NSV; NSLB Quellen: UAG K 5979; BA R 4901/13269 Karteikarte Fricke; BDC Ortskartei, Welker, Hochschullehrer, S. 61 f.; Torkar, Karl: Fricke, Otto Robert, in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 434.

Glagau, Hans (* 3. Februar 1871 Berlin; † 3. Dezember 1934 Greifswald) Vater: Sekretär im Preußischen Kriegsministerium Konfession: lutherisch Glagau studierte Geschichte, Philosophie, Nationalökonomie und Literaturwissenschaft an der Universität Berlin. Archivreisen führten ihn nach London und Paris. Das Staatsexamen legte er 1896 ab und promovierte im selben Jahr an der Universität Berlin mit einer Dissertation über die Rolle der Legislative bei der Entstehung der französischen Revolutionskriege zum Dr. phil. Seit 1897 war er Mitarbeiter der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, in deren Auftrag er die Akten des Hessischen Landtags (1508–1521) edierte. Seine Habilitationsschrift an der Universität Marburg widmete Glagau 1899 der Landgräfin Anna von Hessen (1485–1525), die zeitweilig die Regentschaft für ihren unmündigen Sohn Philipp den Großmütigen (1504–1567) ausgeübt hatte und Glagau als eine streitbare Kämpferin für landesherrschaftliche Rechte galt. 1903 veröffentlichte er eine Studie, die sich mit der Quellengattung Autobiographie außerordentlich kritisch auseinandersetzte (Die moderne Selbstbiographie als historische Quelle). Die Verleihung des Professorentitels folgte im Jahr danach. Zum ordentlichen Professor für Neuere Geschichte an der Universität Greifswald wurde Glagau 1912 berufen. Hier forschte er zur französischen und preußischen Geschichte des 18. Jahrhunderts, stellte jedoch wegen häufiger Erkrankungen keine größere Studie fertig. Organisationen: DNVP Quellen: UAG PA 48 Glagau; Schriften.

Groß, Rudolf (* 22. Oktober 1888 Gaustadt bei Bamberg; † 12. Juli 1954 Greifswald) Vater: Baumeister Konfession: römisch-katholisch

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Volkschule und humanistisches Gymnasium absolvierte Groß in Bamberg. Nach der Reifeprüfung (1909) studierte er in Jena und Rostock Naturwissenschaften, besonders Geologie, Mineralogie und Physik. 1913 promovierte er mit einer Studie zur Entstehung des Warnowtals von Eickhof bis Rostock an der Universität Rostock zum Dr. phil. und erhielt eine Assistentenstelle am Mineralogisch-Geologischen Institut der Universität. Ab Herbst 1913 war er Assistent am Mineralogisch-Petrographischen Institut der Universität Leipzig. Im Herbst 1914 wurde Groß eingezogen und als Soldat an der Westfront im Februar 1915 verschüttet. Seitdem militärdienstuntauglich, zog er sich ganz in die Wissenschaft zurück. Ab dem Sommersemester 1916 war er erneut Assistent am Mineralogisch-Petrographischen Institut der Universität Leipzig tätig. Zum Sommersemester 1918 wechselte Groß an die Universität Greifswald, wo er im selben Jahr mit einer Studie Zur Theorie des Wachstums und der Lösung kristalliner Materie habilitiert wurde. Bereits 1919 erhielt er einen Ruf auf eine planmäßige außerordentliche Professur an der Universität Hamburg. Seit 1921 arbeitete er auch für die Studiengesellschaft für elektrische Beleuchtung (Osram-Gesellschaft) und untersuchte die Kristallbildung in Metallen, die auch bei hohen Temperaturen nicht schmolzen, vor allem das in Glühlampen eingesetzte Wolfram. Nach Greifswald, wo er eine ordentliche Professur für Mineralogie und Petrographie erhielt, kehrte Groß 1922 zurück. 1926 lehnte er einen Ruf nach Königsberg ab und wurde 1928 zum planmäßigen ordentlichen Professor und Direktor des Mineralogisch-Petrographischen Instituts Greifswald ernannt. Während des Zweiten Weltkriegs waren Groß’ Forschungen zur Kristallographie und Strukturlehre als kriegswichtig eingestuft. Auch die Forschungen zum piezoelektrischen Effekt und zur Kristallzüchtung galten als kriegswichtig, wurden aber als Grundlagenforschung nicht explizit gefördert. 1945 wurde Groß wegen seiner Fördermitgliedschaft in der SS entlassen, aber mit einem Forschungsauftrag zum Nährstoffgehalt der Böden weiterbeschäftigt. Die Wiederbeschäftigung folgte 1947. 1948 wurde er zum Rektor gewählt. Am 10. Juli 1954 wurde Groß vorfristig emeritiert, zwei Tage später starb er an einem, so die Kaderakte, „Unglücksfall“. Organisationen: seit 1934 Förderndes Mitglied der SS; 1939 vom ADAC in das NSKK überführt; 1948 Aufnahme in die SED Quellen: UAG PA 218 Groß; zum Tod vgl. Bd. 2, Bl. 89, Phil. Fak. 349, Bl. 33–43; BA R 4901/13264 Karteikarte Groß; NDB, Bd. 7, 1966, S. 145.

Haferkorn, Reinhard (* 26. Dezember 1899 Waldheim (Sachsen); † 24. Mai 1983 Speyer) Vater: Betriebsleiter Konfession: evangelisch-lutherisch Haferkorn absolvierte Realgymnasien in Waldheim und Döbeln (Sachsen). Nach dem Abitur leistete er 1918/19 Kriegsdienst als Kanonier bei der Feldartillerie. Er studierte An-

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glistik, Romanistik und Germanistik an der Universität Leipzig und wurde 1924 mit einer Dissertation über die Gotik und ihre Ruinen in der englischen Dichtung des 18. Jahrhunderts zum Dr. phil. promoviert. Im selben Jahr legte er das Staatsexamen für den höheren Schuldienst ab und absolvierte 1925 das Referendariat. 1925/26 lehrte er als Lektor am Universitätscollege von Aberystwyth in Wales. Danach bekleidete er eine Assistentenstelle an der Universität Leipzig. Zum Lektor an der TH Danzig wurde er 1928 ernannt und habilitierte sich dort 1930 mit einer Schrift über politische Prophezeiungen des 14. Jahrhunderts für englische Philologie. Bereits 1932 erhielt er den Titel eines außerordentlichen Professors. 1937 folgte eine planmäßige außerordentliche Professur. 1940 wurde er an die Universität Greifswald versetzt und 1941 als ordentlicher Professor berufen. Der als „unbedingt zuverlässige[r]“ Nationalsozialist eingestufte Haferkorn war seit dem 1. September 1939 Leiter des Englandreferats in der Rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, wo er die Propagandasendungen des Rundfunks mitgestaltete. Hier arbeitete er eng mit den Nachrichtensprechern und Redakteuren zusammen. Mit seiner Redaktion geriet er im Oldenburgischen in 1945 in Gefangenschaft und wurde nach England verbracht. Er sagte als Belastungszeuge gegen britische Kollaborateure aus, was zu deren Verurteilung führte. Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft war Haferkorn Handelslehrer in Hamburg, dann Leiter eines technischen Übersetzungsbüros. Seit 1953 wurde er als Legationsrat im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland wieder beschäftigt. Eine ordentliche Professur erhielt Haferkorn 1955 an der Wirtschaftshochschule Mannheim, wo er zugleich zum Direktor des Anglistischen Seminars ernannt wurde. Hier amtierte er 1959/60 als Rektor. Seit 1961 war er zugleich Honorarprofessor der Universität Heidelberg und wurde 1968 emeritiert. Organisationen: zum 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.844.360; 1934 SA; 1938 Gaustellenleiter, Vertrauensmann des NS-Dozentenbundes für Geisteswissenschaften an der TH Danzig, Mitarbeit im Amt Presse und Propaganda, ausgezeichnet mit dem Kreuz von Danzig II. Klasse Quellen: UAG PA 225 Haferkorn; BA R 4901/13265 Karteikarte Haferkorn; NA London KV 2/826; Pol. Archiv des AA PA 5.164 und 5.165 Haferkorn; Hausmann, Anglistik, S. 461 f.

Heidermanns, Curt (* 18. Januar 1894 Höllen (Kreis Jülich); † 7. März 1972 Bonn) Konfession: evangelisch Vater: Landwirt, Pächter Heidermanns absolvierte das Gymnasium in Jülich. Sein Studium begann er 1914, leistete jedoch ab Januar 1915 Kriegsdienst (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Ab 1919 setzte er sein Studium fort und promovierte 1922 zum Dr. phil. Nach der Prüfung für das höhere Lehramt für die Fächer Zoologie, Botanik und Chemie erhielt er 1925

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eine planmäßige Assistentenstelle am Zoologischen Institut der Universität Bonn. Dort wurde er 1928 zum Oberassistenten befördert und habilitiert. Auf die ordentliche Professur für Zoologie an der Universität Greifswald wurde er 1938 berufen. Seit August 1939 leistete Heidermanns Kriegsdienst beim Nachschub und nahm an den Feldzügen im Westen und Osten teil. 1943 wurde er zum Major befördert und in der Heeresunterkunftsverwaltung in Caen eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz I. Klasse). Nach 1945 war Heidermanns wahrscheinlich auf dem familieneigenen Gut im Rheinland tätig. 1955 wurde er als ordentlicher Professor der Universität Köln emeritiert. Heidermanns forschte auf dem Gebiet des Stoffwechsels der Ausscheidungen und publizierte zahlreiche Studien zum Exkretstoffwechsel. Organisationen: 1933 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.144.501 und die SA; 1933 in den NSLB, überführt in den Dozentenbund Quellen: UAG PA 72 Heidermanns; K 791, Bl. 172; BA R 73/11554; 4901/13265 Karteikarte Heidermanns; DS Heidermanns; Kürschner; www.heidermanns.net.

Heiler, Friedrich (* 30. Januar 1892 München; † 28. April 1967 München) Vater: Lehrer Konfession: katholisch, später evangelisch Heiler absolvierte das Wilhelmsgymnasium in München, wo er 1911 die Reifeprüfung ablegte. An der Universität München studierte er Theologie, Philosophie, Religionsgeschichte und Indische Sprachen. 1915/16 leistete er Kriegsdienst als Krankenpfleger. Mit einer religionspsychologischen Arbeit über Das Gebet in der Mystik promovierte er 1917 an der Universität München zum Dr. phil. Seine 1918 eingereichte Habilitationsschrift behandelte die Meditation im Buddhismus (Die buddhistische Versenkung. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung). Die Universität Marburg wollte ihn unbedingt als Professor gewinnen und gründete für ihn 1920 eine außerordentliche Professur für Religionsgeschichte und -philosophie in der Theologischen Fakultät. Wegen seines enormen Lehrerfolgs wurde er 1922 zum persönlichen Ordinarius befördert. In den folgenden Jahren publizierte Heiler vor allem zur Religionspsychologie, wobei ihn die katholische Marienfrömmigkeit ebenso interessierte wie die Suche nach der Erlösung in asiatischen Religionen. Weil er sich gegen die Anwendung des „Arierparagraphen“ in der Wissenschaft aussprach, wurde Heiler 1934 nach Greifswald versetzt (§ 5 Berufsbeamtengesetz). Bereits 1935 kehrte er nach Marburg zurück. 1945 war er Dekan der Philosophischen Fakultät und wurde 1947 in die Theologische Fakultät zurückversetzt. Nach seiner Emeritierung siedelte er nach München über und nahm dort einen Lehrauftrag für Religionsgeschichte wahr. Heiler versuchte zeitlebens, eine Ökumene aller christlichen Strömungen herzustellen und bekleidete nach 1945 Ämter in verschiedenen nicht kanonischen Kirchen.

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Organisationen: – Quellen: BA R 4901/13265 Karteikarte Heiler; GStAPK I HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 22 Bd. 24, Bl. 406; Damman, Ernst: Heiler, Johann Friedrich, in: NDB, Bd. 8, 1969, S. 259 f.

Heller, Ludwig (* 18. August 1886 Travemünde; † 21. August 1945 Greifswald) Vater: Pastor Konfession: evangelisch-lutherisch Das Gymnasium besuchte der Sohn eines doppelt promovierten Pastors in Lübeck. Nach der Reifeprüfung 1866 absolvierte Heller den Einjährig-freiwilligen-Militärdienst in Erlangen und wurde nach Übungen Reserveoffizier. Er studierte an den Universitäten Erlangen und Göttingen Philologie. 1893 promovierte er an der Universität Göttingen mit einer Studie über ein altindisches Lobgedicht auf einen Herrscher (Halâyudha’s Kavirahasya). Er setzte seine Studien in Berlin fort und habilitierte sich 1897 an der Universität Greifswald mit einer Studie über Die indische Lehre von der Bildung der Denominativa für Indische Philologie. 1904 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Im Ersten Weltkrieg diente er beim 15. Bayerischen Reserveinfanterieregiment und wurde zum Major befördert (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse, dem Lübecker Hanseatenkreuz und dem Bayerischen König-Ludwig-Kreuz). 1918 wurde er zum ordentlichen Professor an der Universität Dorpat ernannt. Dort vertrieben, erhielt er 1920 ein persönliches Ordinariat für Vergleichende Sprachwissenschaften an der Universität Greifswald. Organisationen: DNVP bis zur Auflösung; Reichsverband Deutscher Offiziere; NSKOV; NSV; Greifswalder Fliegerortsgruppe; Kriegerverein Quellen: UAG PA 222 Heller; BA R 4901/13266 Karteikarte Heller; Dissertation; Kürschner.

Heuckenkamp, Ferdinand (* 10. April 1862 Pappenheim (Mittelfranken); † 9. April 1938 Greifswald) Vater: Direktor eines Gaswerks Konfession: 1927 aus der evangelischen Kirche ausgetreten Heuckenkamp besuchte Schulen in Aarau, die Reifeprüfung legte er 1882 ab. Nach dem Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger in einem bayerischen Infanterieregiment studierte er Romanistische Philologie, Philosophie und Geschichte an den Universitäten Genf, München, Straßburg und Halle. 1887 promovierte Heuckenkamp an der Universität Halle mit einer Dissertation über Die heilige Dymphna, eine mittelalterliche Königstochter (um 700), deren katholische Legende sie zur Patronin der Besessenen und Geisteskranken erklärte, zum Dr. phil. Ebenfalls an der Universität Halle habilitierte er sich 1891 mit einer Studie über die französische Philosophin und Schriftstellerin Christine von Pizan (1364– 1429) für das Fach Romanische Philologie. In der Französischen Nationalbibliothek ermit-

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telte er einen französischen Artus-Roman, den er 1886 edierte (Le Chevalier du papegau). Einen dotierten Lehrauftrag für Französische Philologie erhielt Heuckenkamp 1901. Die Universität Greifswald berief ihn 1902 auf ein planmäßiges Extraordinariat. Heuckenkamp beschäftigte sich hier neben der französischen Frührenaissance mit dem altprovenzalischen Theater und wurde 1927 emeritiert. Organisationen: Förderndes Mitglied der Hitlerjugend und der Fliegerortsgruppe Greifswald Quellen: UAG PA 63 Heuckenkamp; BA R 4901/13266 Karteikarte Heuckenkamp; UAG R 845; Schriften.

Hofmeister, Adolf (* 9. August 1883 Rostock; † 7. April 1956 Greifswald) Vater: Universitätsbibliothekar Konfession: evangelisch-lutherisch Nach dem Besuch der Großen Stadtschule in Rostock studierte Hofmeister Geschichte, Historische Hilfswissenschaften sowie Sprachen an den Universitäten Rostock, Halle und Berlin. 1905 promovierte er in Berlin mit einer preisgekrönten Arbeit über Markgrafen und Markgrafschaften im italischen Königreich (774–962). Danach arbeitete er an der Monumenta Germaniae Historica mit und habilitierte sich 1909 mit Studien über den Bischof Otto von Freising aus dem Geschlecht der Babenberger. Er edierte zahlreiche mittelalterliche Quellen, vor allem Vitae herausragender Geistlicher. 1913 wurde er Direktorialassistent der Monumenta und erhielt den Professorentitel. Am Historischen Institut der Universität Berlin hielt er Einführungskurse ab. Während des Ersten Weltkriegs gehörte Hofmeister zur Gardetrain-Ersatzabteilung und war 1915/16 zum Kriegspresseamt, 1917 zur Dolmetscherschule kommandiert. 1918 wurde er zum Gefreiten befördert. 1919 demobilisiert, folgte eine viermonatige Tätigkeit als Archivar in Lübeck. 1920 erhielt er einen Lehrauftrag für Hilfswissenschaften (Genealogie, Heraldik, Sphragistik). 1921 wurde Hofmeister als Nachfolger Ernst Bernheims auf das Ordinariat für Mittelalterliche und Neuere Geschichte berufen. Obwohl er weiterhin an der Leitung der Monumenta beteiligt war, ab 1927 in ihrem Direktorium, wandte er sich vorwiegend der noch ungeschriebenen Geschichte Pommerns zu. So rekonstruierte er die Genealogie seiner Herzöge und beschrieb den „Kampf um die Ostsee“. In der vielumstrittenen Vinetafrage plädierte er aufgrund gründlicher Quellenstudien für die Lage der sagenumwobenen Stadt in Wollin (heute Wolin, Polen). Hofmeister wurde als Professor mit Lehrstuhl weiterbeschäftigt, 1953 in die Akademie der Wissenschaften berufen und erst 1955 emeritiert. Organisationen: Wingolf; 1933/34 Förderer der Hitlerjugend Quellen: PA 221 Hofmeister; BA R 4901/13266 Karteikarte Hofmeister; NDB, Bd. 9, S. 469.

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Hückel, Walter (* 18. Februar 1895 Charlottenburg; † 4. Januar 1973 Tübingen) Vater: Arzt Konfession: evangelisch Nach der Reifeprüfung am Gymnasium Göttingen (1913) studierte Hückel Naturwissenschaften, insbesondere Chemie an der Universität Göttingen. Er wurde 1915 zum Kriegsdienst bei der Infanterie eingezogen (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Im März 1918 wurde Hückel verwundet und nahm das Studium nach der Genesung wieder auf. Er promovierte 1920 an der Universität Göttingen mit der Dissertation Hydroaromatische 1,2-Dicarbonsäuren und ihr Verhalten bei der Destillation mit Essigsäureanhydrid. Im selben Jahr erhielt er eine Assistentenstelle und wurde 1923 habilitiert. 1927 veröffentlichte er zwei größere Studien zur Spannungstheorie in ringförmigen Kohlenwasserstoffen und zu Katalysationsvorgängen mit kolloidalen Metallen, woraufhin er zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt wurde. Noch im Oktober 1927 wurde Hückel als planmäßiger außerordentlicher Professor an die Universität Freiburg berufen, wo er eine Stelle als Abteilungsvorsteher am Chemischen Institut erhielt. Der Ruf auf eine planmäßige ordentliche Professur für Organische Chemie an der Universität Greifswald erging 1930. Hier legte er 1931 ein umfangreiches Lehrbuch zu den theoretischen Grundlagen der organischen Chemie vor (2 Bände, 5. Auflage 1948). Im Zuge der Versetzung von Gerhart Jander nach Greifswald und der Profilierung des Chemischen Instituts für die Bedürfnisse der Rüstungsindustrie wurde Hückel 1935 an die TH Breslau versetzt. Hier arbeitete er unter ungünstigen Bedingungen und befasste sich während des Zweiten Weltkriegs mit der Hydrierung ungesättigter Kohlenwasserstoffe. 1945 vertrieben, fand er Aufnahme in Göttingen. 1947 las er als Gastprofessor an der Universität Tübingen, an die er 1948 berufen und an der er zum Direktor des Pharmazeutisch-Chemischen Instituts ernannt wurde. 1963 wurde er emeritiert. Hückel hinterließ ein umfangreiches Werk. Neben Hunderten Experimentalstudien verfasste er mehrere Lehrbücher zur pharmazeutischen Chemie und zur organischen Chemie. Organisationen: – Quellen: R 4901/13267 Karteikarte Hückel; http://www.kipnis.de/index.php/alexander/ kurzbiografien/142-hueckel-walter-1895-1973-chemiker, letzter Zugriff: 21. Mai 2015; Schriften.

Jacoby, Günther (* 21. April 1881 Königsberg; † 4. Januar 1969 Greifswald) Vater: Universitätsprofessor, Konsistorialrat Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Jacoby 1899 in Königsberg ab. Nach dem Einjährig-freiwilligenWehrdienst absolvierte er weitere Übungen und wurde 1903 zum Leutnant, 1905 zum

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Hauptmann ernannt. Er studierte in seiner Heimatstadt und in Tübingen Theologie und Philologie. Mit der Dissertation Glossen zu den neuesten kritischen Aufstellungen über die Composition des Buches Jeremja promovierte er 1903 an der Universität Königsberg zum Lic. theol. 1904 absolvierte er den Vorbereitungsdienst für den höheren Schuldienst an Gymnasien in Allenstein und Lyck und legte die Staatsprüfung ab. Danach setzte er seine Studien in Berlin fort, konzentrierte sich jedoch auf Philosophie und Psychologie. Hier promovierte er 1906 mit einer Studie über Herders und Kants Ästhetik zum Dr. phil. 1906/07 war er Gastlehrer in Vanves bei Paris und studierte am Institut de France, 1907/08 war er Gastlehrer in Glasgow und setzte seine Studien dort fort. Für das Fach Reine Philosophie habilitierte er sich 1909 an der Universität Greifswald, ging jedoch bereits zum Studienjahr 1910/11 als Research Fellow an die Harvard University (Cambridge, USA), lehrte anschließend als Gastprofessor an der State University Illinois (Urbana, USA) und danach an den Universitäten Tokio und Kyoto. Nach der Rückkehr erhielt er 1913 den Professorentitel. Mit Kriegsbeginn wurde Jacoby eingezogen und im Dezember 1914 verwundet (befördert zum Hauptmann, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Auf Betreiben des Preußischen Kultusministeriums wurde er 1915 als ordentlicher Professor an die Universität Istanbul berufen. Ende 1918 kehrte er zurück und trat als Kompanieführer in das Freikorps Karl von Plehwes ein und warb in Pommern Freiwillige. Das Freikorps nahm an den Kämpfen der Weißrussischen Befreiungsarmee in Lettland teil. Inzwischen wurde Jacoby 1919 zum beamteten außerordentlichen Professor der Universität Greifswald ernannt, 1928 folgte die Ernennung zum persönlichen ordentlichen Professor. In Greifswald wandte sich Jacoby den Fragen der Erkenntnistheorie zu, 1925 erschien der erste Band seines philosophischen Hauptwerks Allgemeine Ontologie der Wirklichkeit, Band 2/I veröffentlichte er 1929. Den zweiten Teil des zweiten Bandes konnte er erst 1955 publizieren. Ein weiteres Arbeitsgebiet war die philosophische Logik, die er von der mathematisch begründeten Logik scharf abgrenzte. Im Juni 1937 wurde er in den Ruhestand versetzt, weil er im Fragebogen zum Berufsbeamtengesetz (unwissentlich) einen jüdischen Großvater verschwiegen hatte. Im August 1945 kehrte er als planmäßiger ordentlicher Professor an die Universität zurück. Von Februar 1946 bis Oktober 1948 versuchte er als Dekan den Neuaufbau der Philosophischen Fakultät zu steuern. Nach Auseinandersetzungen mit marxistisch-leninistischen Philosophen wurde Jacoby 1951 emeritiert, konnte seine Vorlesungstätigkeit aber fortsetzen. 1953 wurde er erneut mit der Leitung des Philosophischen Instituts betraut, aber seit 1955 abermals angegriffen und Ende der fünfziger Jahre schließlich verdrängt. Organisationen: 1919 Freikorps Plehwe, während des Kapp-Putsches war Jacoby beim Reichswehrbataillon in Greifswald tätig und versuchte, eine Freiwilligeneinheit aufzustellen; Leiter einer informellen Vereinigung der Baltenkämpfer in Greifswald; Mitglied des Vereins der Offiziere des Gardegrenadierregiments Königin Elisabeth

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Quellen: UAG PA 1255 Jacoby; BA R 4901/13267 Karteikarte Jacoby; Scholl, Hans: Der Greifswalder Philosoph Günther Jacoby (1881–1969). Ein Neuanfang geistiger Freiheit in der Philosophie bei sich anbahnender neuer Ideologieherrschaft, in: Gerhardt, Volker und Hans-Christoph Rauh (Hg.): Anfänge der DDR-Philosophie. Ansprüche, Ohnmacht, Scheitern, Berlin 2001, S. 274–287 und 537–551.

Jander, Gerhart (26. Oktober 1892 Alt-Döbern, Kreis Calau; † 8. Dezember 1961 Berlin (West)) Vater: Lehrer, Seminardirektor Konfession: evangelisch Der nach überstandener Kinderlähmung körperbehinderte Jander besuchte mehrere humanistische Gymnasien. Die Reifeprüfung legte er 1912 in Rinteln an der Weser ab. Er volontierte in einer Eisengießerei und Maschinenfabrik und studierte anschließend Chemie und Naturwissenschaften an der TH München und in Berlin. 1917 promovierte er in Berlin mit einer Arbeit über die Tellursäure und ihre Salze. Im April 1918 erhielt Jander eine Assistentenstelle am Institut für Anorganische Chemie der Universität Göttingen. Hier widmete er sich der Kolloidchemie, also dem Verhalten feinstverteilter Stoffe etwa in Dispersionen, Emulsionen oder gasförmigen Nebeln (zum Beispiel in Kampfstoffen wie Gelbkreuz (Lost)). Außerdem befasste er sich weiterhin mit den Salzen schwacher mehrbasiger Säuren und den mit ihrem Nachweis verbundenen analytischen Methoden. Ab 1919 war er Assistent, ab 1922 Oberassistent und Leiter der Anorganischen Abteilung in dem von Adolf Windaus (1876–1959) geleiteten Chemischen Institut. Mit einer analytischtechnischen Studie Über die Verwendung der Membranfilter in der Titrieranalyse habilitierte sich Jander 1921. Die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor folgte 1925. Nachweisbar führte er seit 1931 im Auftrag der Reichswehr Untersuchungen über chemische Kampfstoffe durch. Ab Oktober 1933 leitete er das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem (Nachfolge Fritz Haber (1868–1934)). Ein wegen der fehlenden Akten nicht mehr aufzuklärendes Revirement führte 1935 zur Versetzung Janders auf eine ordentliche Professur an die Universität Greifswald. Hier führte er wahrscheinlich weiterhin Aufträge der Gasschutzabteilung des Heereswaffenamts (WaPrüf 9) aus. Das von ihm geleitete Chemische Institut wurde deshalb in die höchste Dringlichkeitsstufe der Forschungsaufträge eingeordnet, nach 1943 wurde es jedoch in den Akten seines Schülers Rudolf Mentzel (jetzt Präsident des Reichsforschungsrats) nicht mehr als „kriegswichtig“ eingestuft. Die internationale Reputation als Autor des maßgeblichen Lehrbuchs zur analytischen Chemie und der Druck der Besatzungsmacht führten dazu, dass Jander nach einem informell geführten Entnazifizierungsverfahren im Amt blieb. 1951 wechselte er an die Technische Universität in Berlin (West) und wurde dort zum Direktor des Instituts für Anorganische Chemie ernannt.

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Organisationen: am 9. März 1925 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 2970; nach eigener Aussage trat Jander 1929 in die NSDAP ein und 1944 aus; 1926/27 Skaldenorden; NSLB überführt in den NSD-Dozentenbund Anmerkung: Die Darstellung von Kramish, Arnold: Der Mann, der Hitlers Atompläne scheitern ließ, München 1987, führt aus, dass Jander einem britischen Agenten den Weg zur Ausspionierung der Heeresversuchsanstalt Peenemünde ebnete. Die Akte des Agenten Paul Rosbaud in den National Archives in London konnte nicht eingesehen werden und ist noch immer gesperrt. Quellen: UAG PA 228 Jander; BA 4901/23102; BA 4901/13267 Karteikarte Jander; Blasius, Ewald: Jander, Gerhart, in NDB 10, 1974, S. 331; zur Gasforschung vgl. Schmaltz, Florian: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie, Göttingen 2005.

Keil, Josef (13. Oktober 1878 Reichenberg (Böhmen); † 13. Dezember 1963 Wien) Vater: Tucherzeuger Konfession: römisch-katholisch Die Reifeprüfung legte Keil 1897 in Reichenberg ab. An der Universität Wien studierte er Archäologie, Klassische Philologie, Alte Geschichte und Epigraphik. 1899/90 leistete er Militärdienst in einem Feldjägerbataillon. 1903 promovierte er zum Dr. phil. und legte das Staatsexamen für Latein und Griechisch ab. 1904 wurde er Sekretär des Österreichischen Archäologischen Instituts in Smyrna. Unter anderem war er an den Grabungen in Ephesos beteiligt. Im Ersten Weltkrieg diente er als Hauptmann an der Front (ausgezeichnet mit dem Österreichischen Militärverdienstkreuz 3. Klasse). 1915 wurde er nach schwerer Verwundung im Hinterland eingesetzt. Ab 1918 war er wieder in Wien, danach leitete er Grabungen am Limes und in Dalmatien, von 1926 bis 1935 die Grabungen in Ephesos, die er erheblich voranbrachte und deren Inschriften er publizierte. 1920 habilitierte er sich an der Universität Wien für das Fach Alte Geschichte. 1925 erhielt er den Professorentitel und wurde 1927 auf ein Ordinariat an der Universität Greifswald berufen. 1936 wechselte er als Professor für Griechische Geschichte an die Universität Wien. 1949 wurde er dort zum Direktor des Archäologischen Instituts berufen, gleichzeitig war er Mitdirektor des Österreichischen Archäologischen Instituts. 1945 berief ihn die Österreichische Akademie der Wissenschaften zu ihrem Generalsekretär. Organisationen: NSV; RLB Quellen: UAG PA 93 Keil; BA R 4901/13268 Karteikarte Keil; Baader, Gerhard: Keil, Josef, in: NDB, Bd. 11, 1977, S. 404 f.

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Kneser, Hellmuth (* 16. April 1898 Dorpat; † 23. August 1973 Tübingen) Vater: Universitätsprofessor, Mathematiker Konfession: evangelisch Kneser erhielt zunächst Privatunterricht und besuchte das Gymnasium in Breslau. Der wegen eines Herzfehlers Kriegsdienstuntaugliche studierte ab 1916 an der TH Breslau, später in Göttingen Mathematik. 1921 promovierte er an der Universität Göttingen mit der Dissertation Untersuchungen zur Quantentheorie. Im Jahr darauf wurde er kumulativ mit mehreren Arbeiten zur Bestimmung aller regulären Familien von Kurven auf geschlossenen Flächen habilitiert. Durch ein Rockefeller-Stipendium gefördert, hielt er sich 1925 zu Forschungen in Kopenhagen auf, wo ihn der Ruf auf eine ordentliche Professur für Mathematik an der Universität Greifswald erreichte. 1937 wechselte er an die Universität Tübingen, wo er 1963 emeritiert wurde. Kneser gilt als vielseitiger Mathematiker, der zahlreiche Gebiete bearbeitete. 1958 veröffentlichte er ein umfangreiches Werk zur „Funktionentheorie“. In der nationalsozialistischen Zeit exponierte sich Kneser kaum, nahm aber rüstungswirtschaftliche Aufträge für anspruchsvolle Berechnungen an. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte er Wilhelm Süss beim Erhalt des Mathematischen Forschungszentrums Oberwolfach, dessen Leitung er 1958 übernahm. Kneser gehörte mehreren Akademien an und betätigte sich als Zeitschriftenherausgeber. Von 1954 bis 1956 war er Präsident der Deutschen Mathematischen Gesellschaft. Organisationen: im Oktober 1933 Eintritt in den SA-Marinesturm, 1934 Sturmmann; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.104.945 Quellen: BA R 4901/23877 und 13268 Karteikarte Kneser, Mitgliedskarte Ortskartei; Wikipedia-Personeneintrag.

Krüger, Friedrich (* 29. Mai 1877 Blomberg (Lippe); † 21. April 1940 Dresden) Vater: Vorsteher der Stadtsparkasse Konfession: reformiert Nach dem Besuch des Gymnasiums in Lemgo studierte Krüger Physik und Chemie in Würzburg, München und Göttingen. Den Einjährig-freiwilligen-Militärdienst absolvierte er 1901/02. Ein Jahr später promovierte er im Physikalisch-Chemischen Institut in Göttingen zum Dr. phil. Danach erhielt er eine Assistentenstelle und wurde 1906 für Physik habilitiert. 1909 erhielt er eine außerordentliche Professur an der TH Danzig und wurde Leiter des Physikalisch-Chemischen Laboratoriums. Die Beförderung zum ordentlichen Professor für Physikalische Chemie der TH Danzig folgte 1913, kurz danach wurde er zum ordentlichen Professor für Physik und zum Vorstand des Physikalischen Instituts der TH Danzig ernannt. Seit Kriegsbeginn 1914 war Krüger als Unteroffizier im Stabsdienst

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an der Ostfront eingesetzt. Ab 1915 betreute er die Röntgengeräte im 17. Armeekorps und wurde zur wissenschaftlichen Unterstützung der Inspektion der Nachrichtentruppen in Berlin herangezogen (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse am schwarzweißen Bande und der Rot-Kreuz-Medaille). Auf das Ordinariat für Physik und Astronomie an der Universität Greifswald wurde Krüger 1920 berufen. Krügers wissenschaftliches Werk war breit. Er forschte zur Elektronentheorie der Metalle, zur Gasentladung und zur Oberflächenphysik. Außerdem befasste er sich mit akustischen Fragen und entwickelte einen genormten Widerstand aus Bernstein für die Messung von Strömen („KrügerWiderstand“). Seine eigentliche Stärke lag im Organisatorischen. Aus Berufungsmitteln konnte am ­Institut für Physik 1923 eine Sternwarte errichtet werden. In Verhandlungen mit der Stadt Greifswald erreichte er die Zuweisung des neuen Universitätsgeländes im Osten der Stadt. 1926 wurde Krüger zum Rektor gewählt, er scheiterte jedoch mit dem Plan, eine landwirtschaftliche Fakultät einzurichten. Als Vertrauensdozent der Deutschen Forschungsgemeinschaft war er Ansprechpartner für die zahlreichen Stipendiaten der Universität und unterstützte zahllose Drittmittelprojekte. Krüger erkrankte 1937 schwer und starb in einem Dresdner Sanatorium. Organisationen: 1926 Reichskriegerbund Kyffhäuser; 1920 VDA; Technische Nothilfe; 1921 DRK; seit 1930 finanzielle Unterstützung der NSDAP bei Straßensammlungen; 1933 WHW; 1934 NSV; RLB; 1935 Volksbund Kriegsgräberfürsorge; NS-Fliegerkorps; 1936 NS-Kulturgemeinde; 1937 NS Studentenkampfhilfe Quellen: UAG PA 81 Krüger; Ohne Autor: Friedrich Krüger in memoriam, Greifswald 1940; BA R 4901/13269 Karteikarte Krüger und 18917.

Langenbeck, Wolfgang (* 21. Juni 1899 Göttingen; † 26. März 1967 Rostock) Vater: Praktischer Arzt Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Langenbeck 1917 in Göttingen ab. Danach wurde er militärisch ausgebildet und ab April 1918 in einem Pionierbataillon eingesetzt. Nach der Demobilisierung studierte er ab 1919 Chemie an der Universität Göttingen. Mit der Dissertation Über neue synthetische Versuche mit Imidazolen promovierte er hier 1923 zum Dr. phil. Danach arbeitete er als Assistent an der TH Karlsruhe. Durch ein Stipendium gefördert, hielt er sich 1925 an der Yale University New Haven (USA) auf. Nach der Rückkehr erhielt er eine Assistentenstelle am Chemischen Institut der Universität Münster. Hier habilitierte er sich 1928 mit einer Studie über die Synthese Organischer Katalysatoren, die zu seinem Lebensthema wurden und deren Perfektionierung er so weit vorantrieb, dass sie natürliche Enzyme substituieren konnten. Die Verleihung des Professorentitels folgte 1935. 1936 erhielt er eine Stelle als Abteilungsvorsteher im Chemischen Institut und wurde zum

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persönlichen ordentlichen Professor berufen. Hier arbeitete er an geheim gehaltenen Forschungsprojekten mit, für Studenten der Naturwissenschaft hielt er eine Spezialvorlesung über chemische Kampfstoffe. Im August/September 1939 war Langenbeck kurzzeitig zur Heeressanitätsstaffel Greifswald eingezogen. 1940 nahm er den Ruf auf eine ordentliche Professur an der TH Dresden an. Im Mai 1945 wurde er zum Volkssturm eingezogen und geriet in Thüringen in Kriegsgefangenschaft. Nach der Entlassung im Dezember 1945 kehrte er nach Greifswald zurück, wo er bei der Rubenow GmbH (einer Ausgründung der Universität) eine Anstellung fand. Hier beschäftigte er sich vor allem mit der Insulinproduktion. Die Universität Rostock berief Langenbeck 1947 nach Rücksprache mit der Hochschulabteilung der Deutschen Verwaltung für Volksbildung auf einen Lehrstuhl für Organische Chemie, woraufhin er im März 1948 von einer Spruchkammer in Schwerin entnazifiziert wurde. Dem Ruf auf eine Professur mit Lehrstuhl für Organische Chemie an der Universität Halle folgte Langenbeck 1951. Hier errichtete er ein neues chemisches Institut auf dem Weinberg-Campus, wurde Fachrichtungsleiter für Chemie und konzipierte die für die DDR verbindlichen Leitlinien der Chemikerausbildung. Die Forschung an den organischen Katalysatoren setzte er in einem für ihn geschaffenen Institut der Akademie der Wissenschaften in Rostock fort. 1964 wurde Langenbeck emeritiert. Organisationen: am 24. Oktober 1933 Eintritt in die SA, Rottenführer; 1937 Aufnahme in die NSDAP; 1951 FDGB; 1948 Kulturbund Quellen: UAG PA 234 Langenbeck; UAH PA 27544 Langenbeck, PA 12159 Langenbeck; BA R 4901/13270 Karteikarte Langenbeck; Catalogus Professorum Rostochiensium.

Lautensach, Hermann (* 20. September 1886 Gotha; † 20. Mai 1971 Wildbad im Schwarzwald) Vater: Gymnasialprofessor Konfession: evangelisch-lutherisch Die Reifeprüfung legte Lautensach 1905 am Gymnasium Gotha ab. Er studierte zunächst Physik, Mathematik und Chemie, später vor allem Geographie an den Universitäten Göttingen, Freiburg und Berlin. 1910 promovierte er bei Albrecht Penck mit einer morphologischen Studie zur glazialen Übertiefung des Tessingebietes. Da Lautensach die wissenschaftliche Laufbahn unsicher schien, legte er 1911 die Prüfung für das höhere Lehramt ab und arbeitete danach als Studienreferendar in Berlin. Eine Studienratsstelle erhielt er 1913 an der Bismarckschule in Hannover. Formal schied er erst 1929 aus dem Schuldienst aus. Lautensach meldete sich jedoch 1915 zum Heer als Kriegsfreiwilliger und wurde in Frankreich, Bulgarien und Rumänien eingesetzt. Seit Januar 1919 war er wieder als Schulrat tätig und übernahm die Neufassung von Lehrbüchern für die Mittel- und Oberstufe und 1927 die Überarbeitung des allgemein gültigen Schulatlasses aus dem Gothaer Perthes Verlag. Während der Ferien hatte Lautensach mehrfach Portugal bereist, wo

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ein Teil seiner weitverzweigten Familie lebte. 1928 habilitierte er sich an der Universität Gießen mit einer Schrift zu den Küsten Portugals und erhielt eine Assistentenstelle am Geographischen Institut der Universität Gießen. Hier lehrte er als Privatdozent und wurde 1932 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. Anfang 1933 brach Lautensach zu einer Zugreise über Sibirien nach Korea auf. In der japanischen Kolonie sammelte er bei zahllosen Wanderungen und Studienreisen mit Unterstützung der Besatzungsmacht derart viel Material, dass ihn die Auswertung mehr als ein Jahrzehnt beschäftigte (Korea. Eine Landeskunde auf Grund eigener Reisen und der Literatur, 1945). 1934 wechselte Lautensach als planmäßiger außerordentlicher Professor an die TH Braunschweig. Auf Wunsch der Philosophischen Fakultät kam er 1935 an die Universität Greifswald, wo er 1936 zum ordentlichen Professor berufen wurde (Nachfolge Braun). 1937 wurde er zum Dekan ernannt. Der zunächst sehr ehrgeizige Nationalsozialist verlor seinen Enthusiasmus möglicherweise durch eine persönliche Tragödie. Bei einem Autounfall kam seine Frau ums Leben, er selbst wurde so schwer verletzt, dass er sein Lehramt ruhen lassen musste. Lautensachs zweite Frau, eine promovierte Naturwissenschaftlerin, half ihm bei der Fertigstellung des umfangreichen Koreabuches und hielt ihn vermutlich von der Übernahme anderer Aufgaben ab. Kurz vor Kriegsende wurde Lautensach zum Schippeinsatz für Panzergräben abgeordnet. Bereits seit Juni 1945 übernahm Lautensach Forschungsarbeiten für die Rote Armee und ab Herbst 1945 wissenschaftliche Planungsarbeiten für die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern zur Intensivierung der Landwirtschaft, dazu seit April 1946 eine Ausarbeitung über die Wasserläufe in Mecklenburg-Vorpommern. Von der Universität wurde er im März 1946 trotzdem entlassen, so dass Lautensach einen möglichen Wechsel in die Westzonen sondierte. Nach kurzen Stationen an der Dolmetscherschule in Germersheim und der neugegründeten Verwaltungsakademie Speyer übernahm er 1947 eine ordentliche Professur an der Technischen Hochschule Stuttgart, wo er 1954 emeritiert wurde. Organisationen: Philologenverband, Austritt 1928; 1933 NSLB; 1. November 1933 SA, Scharführer; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.108.325; RLB; NS-Altherrenbund; laut eigener Angabe „seit März 1935 im SD des Reichsführers SS tätig“; im März 1946 Antrag auf Aufnahme in die SED Quellen: UAG PA 1429 Lautensach; BA 4901/13270 Karteikarte Lautensach; Beck, Hanno: Hermann Lautensach – Führender Geograph in zwei Epochen. Ein Weg zur Länderkunde, Stuttgart 1974.

Lehmann, Franz (* 6. Februar 1881 Tarputschen (Kreis Darkehmen, Ostpreußen); † 13. Dezember 1961 Greifswald) Vater: Molkereipächter

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Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Lehmann 1900 am Gymnasium in Insterburg ab. Nach einer Apothekerlehre in Tilsit (Vorprüfung 1902) arbeitete er in dem Beruf. Ab 1904 studierte er Pharmazie und Chemie an der Universität Marburg. Dort promovierte er 1908 mit einer Dissertation über maßanalytische Methoden zur Bestimmung von Zuckerarten zum Dr. phil. und erhielt eine Assistentenstelle am Pharmazeutisch-Chemischen Institut. Die Prüfung zum Nahrungsmittelchemiker legte er wenig später ab und wechselte 1909 auf eine planmäßige Assistentenstelle im Pharmazeutisch-Chemischen Laboratorium der Universität Königsberg, wo er sich 1919 habilitierte. Zum ordentlichen Professor für Pharmazeutische Chemie an der Universität Greifswald wurde Lehmann 1921 berufen, zugleich wurde er Abteilungsvorsteher im Chemischen Institut. Hier forschte er vor allem zur Anwendung analytischer Methoden bei pflanzlichen Wirkstoffen. Neben der Lehre betätigte sich der Unverheiratete in mehreren karitativen Vereinigungen und leitete das örtliche Studentenwerk. Während des Zweiten Weltkriegs engagierte er sich bei der Einrichtung eines Versehrtenheims in Greifswald. Unmittelbar nach Kriegsende begann er mit der Einrichtung eines pharmazeutisch-medizinischen Instituts, wurde jedoch von der Landesregierung 1946 entlassen. 1947 wurde er wieder eingestellt und erhielt 1948 eine Professur mit Lehrauftrag. Seine Abteilung wurde als Pharmazeutisch-Chemisches Institut verselbstständigt, das Lehmann bis zu seiner Emeritierung 1953 leitete. Organisationen: November 1933/34 SA-Reserve; NS-Altherrenbund; 1933 NSLB; RLB; 1934 NSV; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 7.038.503; 1947 SED; 1948 DSF Quellen: UAG PA 1414 Lehmann; BA R 4901/13270 Karteikarte Lehmann, Mitgliedskarte Ortskartei; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 134 f.

Leick, Erich (* 14. Januar 1882 Greifswald; † 23. April 1956 Kloster (Hiddensee)) Vater: Schriftsteller Konfession: evangelisch Leick absolvierte das Gymnasium in Greifswald. Hier studierte er ab 1901 Naturwissenschaften und erhielt 1903 eine Hilfsassistentenstelle. 1905 legte er die Staatsprüfung für die Fächer Biologie, Chemie, Geographie ab, 1906 folgten die Prüfungen zum Turn- und Fechtlehrer sowie zum Spielleiter (Schiedsrichter). Er gehörte dem Pädagogischen Seminar an und erhielt 1907 eine Studienratsstelle am Gymnasium in Greifswald. Leick absolvierte zahlreiche staatliche Fortbildungskurse, unter anderem in Hygiene, und promovierte 1910 an der Universität Greifswald mit einer Dissertation über Blütenwärme der Araceen ­(Aronstabgewächse) zum Dr. phil. Durch ein Stipendium unterstützt konnte er 1910/11 an der Zoologischen Station in Neapel forschen. Nach der Rückkehr wurde er Mitglied der

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Prüfungskommission für das Lehramt in Pommern. Ein Lehrbuch zur Pflanzenkunde für die Schüler an Realschulen veröffentlichte er 1912, ein weiteres zur Tierkunde folgte 1913, beide wurden bis 1930 aufgelegt. An der Universität Greifswald habilitierte sich Leick 1913 für die Fächer Botanik und Pharmakognosie. Mit Kriegsbeginn meldete er sich freiwillig und wurde im Dezember 1914 zum Gefreiten ernannt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Seit 1915 war Leick als Sanitätsunteroffizier im Frontdienst eingesetzt und wurde bei der Schlacht um Kupischki (Nordlitauen) schwer verwundet. Nach der Genesung erhielt Leick auf Betreiben des Preußischen Kultusministeriums eine ordentliche Professur an der Universität Istanbul. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches kehrte Leick Ende 1918 nach Greifswald zurück, wo ihm eine außerordentliche Professorenstelle an der Universität Greifswald zugesprochen wurde. Hier baute er eine Abteilung für Pflanzenökologie auf. Nach mehrfacher Vertretung des Ordinarius wurde seine Stelle 1928 in eine persönliche ordentliche Professur umgewandelt. Seit 1930 trieb Leick den Ausbau seiner Abteilung zu einem eigenständigen Institut für Pflanzenökologie voran und begann mit dem Aufbau der Biologischen Station Hiddensee, für die er mehr als 200.000 Mark an Drittmitteln einwerben und so Gelände erwerben und Gebäude errichten konnte. Wissenschaftlich brachte Leick die Ökologie durch die Vergabe zahlreicher Dissertationen weiter. Eine Einbindung der Station in die Autarkiebestrebungen des Regimes gelang nicht. Von 1939 bis September 1940 diente Leick als Regierungsrat auf Kriegszeit als Meteorologe auf dem Fliegerhorst Greifswald. Er wurde für die Lehre unabkömmlich gestellt und vertrat von 1940 bis 1945 über längere Zeiträume hinweg den eingezogenen oder abwesenden Rektor. Im Frühjahr 1945 ging Leick nach Hiddensee. Von der Universität wurde Leick 1945 entlassen, 1947 erhielt er von der Landesregierung einen Forschungsauftrag. Organisationen: Ende 1918 gründete Leick zusammen mit dem Nobelpreisträger Johannes Stark einen Mittelstandsverein für politische Aufklärung, der sich gegen den „Marxismus“ wandte; 1919 war er Vorsitzender des Greifswalder Bürgerrates und vorübergehend Werbeoffizier für das Freikorps Plehwe, das im Baltikum eingesetzt war; 1920 Eintritt in die Deutschvölkische Freiheitspartei, Mitglied bis zu ihrer Auflösung; später Opferring der NSDAP; 1934 Ratsherr in Greifswald; Kriegerverein; Mitglied des Vereins der Baltikumkämpfer, SA-Reserve II seit deren Bestehen (1934); 1937 Aufnahme in die NSDAP und den NSD-Dozentenbund, 1940 vorübergehend Ortsgruppenschulungsleiter; ab 1937 Provinzialrat der Provinz Pommern Quellen: UAG PA 238 Leick, R 2259; BA R 4901/13270 Karteikarte Leick; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 137 f.; Witt, Henry: Leick, Erich (1882–1956), in: Biographisches Lexikon für Pommern, Bd. 1, S. 157 ff.

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Liljegren, Bodvar Sten (* 8. Mai 1885 Orrefors (Schweden); † 30. Dezember 1984 Uppsala (Schweden)) Vater: Bahnhofsoberinspektor Konfession: evangelisch Liljegren besuchte das Lateingymnasium in Kalmar. Er studierte Philosophie und Philologie an der Universität Lund und wurde 1918 mit einer Dissertation über den englischen Dichter John Milton (1608–1674) promoviert. Noch im selben Jahr folgte die Ernennung zum Dozenten für Englische Philologie. 1924 publizierte Liljegren eine umfangreiche Monographie über das Hauptwerk des englischen Philosophen James Harrington (1611–1677) The Commonwealth of Oceana. Auf den Lehrstuhl für Englische Philologie an der Universität Greifswald wurde Liljegren 1926 berufen. Hier wandte er sich stärker der zeitgenössischen amerikanischen Literatur zu. 1930/31 lehrte Liljegren als Gastprofessor an der Columbia University New York. Den Sommer 1939 verbrachte er in Schweden und kehrte nach Kriegsausbruch nicht nach Deutschland zurück. Im selben Jahr nahm er eine Professur an der Universität Uppsala an. Von 1954 bis 1957 hielt Liljegren noch einmal Gastvorlesungen an der Universität Greifswald. Liljegren beschäftigte sich auch mit vermeintlich trivialen Autoren wie James Fenimore Cooper (1789–1851) und den Ursprüngen des englischsprachigen utopischen Romans. Zu seinen Alterswerken gehörte eine amüsante Reflexion zur Abstammung (bzw. Schöpfung) des Detektivs Sherlock Holmes (The Parentage of Sherlock Holmes, 1971) Organisationen: – Quellen: UAG PA 102 Liljegren; UAG K 890; BA R 4901/13270 Karteikarte Liljegren; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 143.

Magon, Leopold (* 3. April 1887 Düsseldorf; † 7. Februar 1968 Berlin) Vater: Kaufmann Konfession: katholisch Volkschule und Gymnasium besuchte Magon in Hagen. Seit 1906 studierte er Klassische Philologie und Germanistik in Leipzig, Tübingen, Berlin, Innsbruck und Münster. 1912/13 leistete er Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger. Mit einer Dissertation über die dichterischen Anfänge Friedrich Rückerts promovierte er an der Universität Münster zum Dr. phil. Von 1914 bis zum 31. Januar 1919 leistete er Kriegsdienst (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Während der langwierigen Genesung nach einer Verwundung infolge eines Fußschusses habilitierte sich Magon 1917 für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Universität Münster und lehrte nach der Demobilisierung ab 1919 als Privatdozent. Gefördert durch das Auswärtige Amt reiste er 1921/22 und 1924/25 nach Skandinavien und setzte seine Studien in Kopenhagen, Uppsala, Stockholm und Oslo fort.

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1923 erhielt er einen dotierten Lehrauftrag für die Geschichte der Nordischen Literaturen. Das aus den Bibliotheksstudien resultierende Buch über die „Klopstockzeit in Dänemark“ erschien 1926 (Ein Jahrhundert geistiger und literarischer Beziehungen zwischen Deutschland und Skandinavien 1750–1850, Bd. 1). Im selben Jahr wurde Magon zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt und 1928 auf eine ordentliche Professur für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Greifswald berufen. Zugleich erfolgte die Ernennung zum Direktor des Germanistischen Seminars und der Nordischen Institute. Einen Ruf an die Universität Königsberg lehnte er 1931 ab. Da Magon den politisch links stehenden Schwedischlektor Stellan Arvidson eingestellt hatte, musste er sich 1933 gegen Denunziationen zur Wehr setzen. Die Leitung des Schwedischen Instituts wurde ihm kurze Zeit später entzogen und Johannes Paul übertragen, der es zu einem eigenständigen Institut ausbaute. Magon trieb die Arbeit der Nordischen Institute trotzdem voran, insbesondere den Ausbau einer für volkskundliche Fragen nutzbaren Bibliographie, und vergab mehrere Dissertationen zur skandinavischen Literatur. Seit August 1939 leistete Magon als Major Kriegsdienst im Wehrbezirkskommando Greifswald, lehrte jedoch zugleich an der Universität Greifswald. Anfang 1945 wurde er zum Wehrbezirkskommando Stralsund versetzt. Nach Kriegsende amtierte er von Mai 1945 bis Februar 1946 als Dekan der Philosophischen Fakultät und fungierte als kommissarischer Direktor mehrerer Institute. Zum 1. April 1946 wurde er erneut zum ordentlichen Professor für Germanistik berufen. 1950 wechselte er auf einen Lehrstuhl für Germanistik und Nordische Philologie an der Humboldt-Universität Berlin, wo er 1955 emeritiert wurde. An der Universität Berlin gründete Magon ein Institut für Theaterwissenschaft, seit 1952 leitete er die Abteilung für Neuere Deutsche Literatur an der Akademie der Wissenschaften der DDR und ließ dort bibliographische Arbeiten durchführen, unter anderem zu Goethe. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab Magon sämtliche Märchen und Geschichten Hans Christian Andersens heraus (1953) und publizierte Anthologien skandinavischer Erzähler (1961, postum 1970). Außerdem edierte er die Märchen und Erzählungen von Wilhelm Hauff (1956–1958) und eine Auswahl des Werks von August Strindberg (1964). Organisationen: 1906 bis 1934 im Verband katholischer Studenten; ab 1908 in der sozialen Studentenbewegung; 1940 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 8.277.610; 1945 Aufnahme in die CDU; FDGB; Mitgründer des Kulturbunds in Greifswald Quellen: UAG PA 241 Magon; UAB PA nach 1945 Magon, L.; BA Mitgliedskarte NSDAPOrtskartei; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 152 f.

Maier, Wilhelm (* 4. Januar 1896 Neuenbürg im Schwarzwald; † 10. April 1990 Winnenden) Vater: Oberamtmann Konfession: evangelisch 1914 legte Maier das Kriegsabitur in Ulm ab und wurde danach als Freiwilliger in einer

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Pioniereinheit in Frankreich eingesetzt (befördert zum Leutnant, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Verwundetenabzeichen in Schwarz). Das Kriegsende erlebte er im Reservelazarett der Universität Tübingen, wo er Anfang 1919 mit dem Mathematik- und Physikstudium begann. Er setzte das Studium in Berlin und Göttingen fort. Die Lehramtsprüfung legte er 1922 ab, trat als Studienassessor in den württembergischen Staatsdienst ein und arbeitete als Lehrer in Stuttgart, Spaichingen und Gmünd. 1927 reichte er an der Universität Frankfurt eine Dissertation über „Potenzreihen irrationalen Grenzwertes“ ein, mit der er zum Dr. phil. promoviert wurde. Noch im selben Jahr erhielt er eine Assistentenstelle an der Universität Frankfurt. Bereits im Folgejahr folgte die Habilitation mit einer Studie über „Euler-Bernoullische Reihen“. Seit 1930 arbeitete Maier in den USA. Zunächst war er Research Fellow am International Education Board in Chicago, 1931 ging er als Professor an die Purdue University in West Lafayette (Indiana, USA). Er kehrte 1935 zurück und trat eine Assistentenstelle am Mathematischen Institut der Universität Freiburg an. Die Ernennung zum Dozenten folgte 1936. Zum ordentlichen Professor der Universität Greifswald und Direktor des Mathematischen Seminars wurde Maier 1937 berufen. Am 15. März 1946 wurde er von der Landesregierung entlassen. Danach hielt er sich mit Privatunterricht und einer Tätigkeit als Statistiker an der Samenprüfstelle in Eldena über Wasser. Unmittelbar nach der Entnazifizierung berief ihn die Universität Rostock zum Professor mit vollem Lehrauftrag. 1949 wechselte er als Professor mit Lehrstuhl an die Universität Jena. Hier trat er 1961 in den Ruhestand. Organisationen: 1919 Einsatz mit der Studentenkompanie Tübingen gegen die Münchner Räterepublik; im September 1935 in die NSDAP aufgenommen, im Februar 1937 für ungültig erklärt, im selben Jahr wieder aufgenommen, Mitglied Nr. 4.025.962 Quellen: UAG PA 243 Maier; BA R 4901/13271 Karteikarte Maier, Mitgliedskarte Ortskartei; Catalogus Professorum Rostochiensium; Kürschner.

Matthes, Ernst (* 8. August 1889 Marienburg (Westpreußen); † 10. September 1958 Heidelberg) Konfession: evangelisch Vater: Geheimer Baurat Die Reifeprüfung legte Matthes 1908 am Elisabethgymnasium in Breslau ab. Danach arbeitete er ein halbes Jahr in einer Fabrik und schrieb sich an der TH Charlottenburg für das Fach Maschinenbau ein. 1909 wechselte er an die Universität Breslau, um Naturwissenschaften zu studieren. Hier promovierte er 1912 mit einer Dissertation zur Entwicklung des Kopfskeletts der Sirenen bzw. Karibik-Seekühe (Die regio ethmoidalis des Promorialkraniums von Manatus latirostris) zum Dr. phil. Im selben Jahr erhielt er eine planmäßige Assistentenstelle. Im August 1914 meldete sich Matthes als Kriegsfreiwilliger zum Feldartillerieregiment 21, das überwiegend im Stellungskrieg an der Westfront, aber auch kurz-

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zeitig an der Isonzofront eingesetzt war. Matthes diente zunächst als Kanonier, wurde aber rasch zum Leutnant befördert (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse). Für das Fach Zoologie wurde er 1920 habilitiert, 1924 folgte die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor. Den Ruf auf das Ordinariat für Zoologie an der Universität Greifswald nahm er 1927 an und wurde zum Direktor des Zoologischen Instituts und Museums ernannt. Gemeinsam mit Erich Leick trieb er den Ausbau der Biologischen Forschungsanstalt Hiddensee voran, die er in das Beobachternetz für den Vogelzug integrierte. 1935 wurde Matthes zum Präsidenten der Deutschen Zoologischen Gesellschaft gewählt. Ende 1935 nahm er einen Ruf auf eine Professur an der Universität Coimbra an und wurde beurlaubt. Da Matthes mit einer jüdischen Ehefrau verheiratet war, folgte 1936 die für Deutschland gültige Versetzung in den Ruhestand. Matthes forschte zur vergleichenden Anatomie und zur Physiologie des Geruchssinns. Er galt als Spezialist für wirbellose Tiere und Amphibien. 1931 überarbeitete er den Leitfaden seines Mentors Willy Kükenthal für das zoologische Praktikum, der bis in die siebziger Jahre aktualisiert und nachgedruckt wurde. Organisationen: Offiziersverein des Feldartillerieregiments 21; am 1. November 1933 Eintritt in den Stahlhelm, im Januar 1934 in die SA überführt, Dienstgrad Sturmmann, im Dezember 1934 in die Reserve versetzt Quellen: UAG PA 109 Matthes; BA R 4901/13271 Karteikarte Matthes; Kürschner.

Metzner, Paul (* 18. Januar 1893 Bad Warmbrunn (Schlesien); † 5. Mai 1968 Gatersleben) Vater: Buchdruckermeister Konfession: evangelisch, später gottgläubig Nach dem Besuch der Achtklassenschule trat Metzner in das Volksschullehrerseminar Bautzen ein. Er bestand die Abschlussprüfung und legte wenig später auch die Reifeprüfung ab. Bei Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig, wurde jedoch aus gesundheitlichen Gründen zurückgestellt und arbeitete für das Rote Kreuz. Seit dem Sommersemester 1915 studierte Metzner Biologie, Physik und Chemie an der Universität Leipzig. Im Juli 1916 wurde er als Sanitäter dienstverpflichtet und sowohl an der Front als auch in verschiedenen Lazaretten eingesetzt. Nach der Demobilisierung setzte er das Studium in Leipzig fort und promovierte 1920 mit einer Dissertation zur Reaktion von Bakterien (Spirillen) auf bestimmte Reize zum Dr. phil. Eine Stelle als Assistent erhielt er 1922 am Pflanzenphysiologischen Institut der Universität Berlin. Hier habilitierte er sich 1923 mit einer Arbeit über die Bewegungsmechanik der Spermatozoiden von Farnen und Moosen und klärte damit die Frage der Geißelbewegung. Wegen der Abwesenheit des Lehrstuhlinhabers vertrat Metzner die Professur mehrfach. Obwohl Metzner vor allem zu mikroskopischen Untersuchungsmethoden publizierte, wurde er 1929 auf eine außerordentliche Professur für Pharmakognosie

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an die Universität Tübingen berufen. Die Berufung auf eine ordentliche Professur für Botanik an der Universität Greifswald erfolgte 1930. Hier setzte er die Studien zur Reizphysiologie fort und regte zahlreiche Studien zu induzierten Stoffwechselvorgängen in Pflanzen an, etwa durch Licht, Schwerkraft oder andere physikalische Reize. Dem allgemeinen Trend folgend verschob sich der Forschungsschwerpunkt zu Stoffwechselvorgängen unter Einfluss chemischer Verbindungen, zum Beispiel von Hormonen. Dieses Programm wurde durch eine Reise nach Ostasien unterbrochen. Hier interessierte sich Metzner vor allem für die Kulturpflanzen auf Java und die Kultivierung der Ananas auf Hawaii. An der Universität von Honolulu lehrte Metzner 1932/33 als Gastprofessor. Nach der Rückkehr stellte Metzner die Botanik in den Dienst der Autarkiebestrebungen des Regimes und erreichte durch die Vernetzung mit der Landesbauernschaft und zentralen Behörden 1942 die Gründung eines landwirtschaftlichen Laboratoriums. Durch Metzners Initiative übernahm die Universität das Gut Koitenhagen 1938 in Eigenregie, was sich für die Kliniken im Hinblick auf die Versorgung der Patienten mit Milch und anderen landwirtschaftlichen Produkten als Glücksfall erweisen sollte. Hier wurden später mit Hilfe von russischen Kriegsgefangenen aber auch Anbauversuche in großem Stil durchgeführt. Für die Anlage des Botanischen Gartens (speziell des Arboretums) setzte Metzner ebenfalls mehrere Dutzend russische Kriegsgefangene ein. Von 1938 bis 1945 amtierte er als Dekan der Philosophischen Fakultät und trieb die Berufung von Nationalsozialisten aktiv voran. Metzner diente von 1939 bis Januar 1940 als Sanitätssoldat im Reservelazarett Lubmin, war aber danach für die Universität unabkömmlich gestellt. Nach Kriegsende trieb er die Schaffung einer landwirtschaftlichen Fakultät voran und entwickelte deren Struktur. Weil als nationalsozialistisch belastet eingestuft, konnte er jedoch keinen Einfluss auf die Stellenbesetzung nehmen. Er wurde im März 1946 durch die Landesregierung entlassen, aber mit Forschungsaufträgen weiterbeschäftigt, unter anderem zur Stickstoffanreicherung im Boden und zum Anbau von Ölsaaten. 1949 nahm Metzner eine Stelle als Leiter der Physikalisch-Physiologischen Abteilung am Institut für Kulturpflanzenforschung in Gatersleben in Sachsen-Anhalt an. Neben der Leitungstätigkeit interessierte er sich selbst vor allem für die Auswirkungen von Strahlung auf pflanzliche Substrate. Organisationen: 1933 Stahlhelm, überführt in SA; 1935 NSV; RLB; 1937 NS-Fliegerkorps; 1937 Aufnahme in die NSDAP; NSD-Dozentenbund Quellen: UAG PA 244 Metzner; Ansprachen anlässlich der Gedenkfeier für Prof. Dr. Paul Metzner, in: Die Kulturpflanze, Bd. 17, 1969, S. 9–24; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 161.

Müller, Gustav Wilhelm (* 17. Februar 1857 Mühlberg (Kreis Erfurt); † 18. Februar 1940 Greifswald) Vater: Pfarrer Konfession: evangelisch

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Müller besuchte die Volksschule in Mühlberg und das Gymnasium in Lippstadt. Ab 1876 studierte er Naturwissenschaften an den Universitäten München und Greifswald, wo er nach der Promotion 1880/81 als Assistent beschäftigt war. Seine Dissertation war der Fortpflanzung und den Geschlechterverhältnisse der Ostrakoden (Muschelkrebse) gewidmet. 1882/83 arbeitete Müller als Lehrer in Berlin. 1883 reiste er nach Brasilien, wo er vom Standort Blumenau aus mehrere Expeditionen unternahm und sich mit Raupen, Wanderameisen und der Fauna der Küstengewässer befasste. An der Universität Greifswald wurde er 1886 habilitiert und widmete sich fortan vor allem den Muschelkrebsen. Bei Forschungsaufenthalten an der Biologischen Station Neapel forschte er über die „Ostrakoden des Golfes von Neapel“. Nach der Ausschlagung eines Rufes an die Universität Berlin wurde er 1895 zum ordentlichen Professor für Zoologie und Anatomie der Universität Greifswald ernannt. Müller war ein anerkannter Spezialist für Krebstiere und publizierte dazu auch Überblicksdarstellungen (Deutschlands Süßwasser-Ostracoden, 1900). Außerdem forschte er über die im Wasser lebenden Schmetterlingslarven, zur Morphologie der Nematoden und zur Ökologie der Fluss- und Meeresfische. 1923 wurde er emeritiert. Organisationen: – Quellen: UAG PA 113 Müller; R 845; BA R 4901/13272 Karteikarte Müller; Kämpfe, Lothar: Müller, Wilhelm (1857–1940), in: Jörn/Alvermann, Biographisches Lexikon für Pommern, S. 197– 200.

Pernice, Erich (* 19. Dezember 1864 Greifswald; † 1. August 1945 Freest) Vater: Universitätsprofessor, Gynäkologe Konfession: evangelisch Der aus einer Gelehrtenfamilie stammende Pernice absolvierte das Gymnasium in Greifswald und studierte Rechtswissenschaft, Klassische Philologie und Archäologie in Berlin und Bonn. Den Einjährig-freiwilligen-Wehrdienst absolvierte er 1883/84 und ließ sich in Übungen weiter militärisch ausbilden. 1888 wurde er in Bonn mit der Arbeit Galeni de ponderibus et mensuris testimonia promoviert und legte im selben Jahr noch das Staatsexamen für den höheren Schuldienst ab. Studienreisen nach Italien und Griechenland, unterstützt durch Stipendien, folgten. 1894 habilitierte er sich an der Universität Greifswald mit einer Arbeit über griechische Gewichte. 1895 wechselte er an die Berliner Museen und habilitierte sich nach Berlin um. 1897 zum Direktorialassistenten befördert, nahm er 1903 den Ruf auf den außerordentlichen Lehrstuhl für Klassische Archäologie in Greifswald an. 1906 folgte die Rangerhöhung zum ordentlichen Professor. Rufe an andere Universitäten lehnte er ab. 1908/09 nahm er an den Grabungen in Milet teil (Athenatempel). Seit 1912 widmete er sich Forschungen zu Pompeji. Das mehrfach unterbrochene Grabungsprojekt wird noch heute fortgeführt. Während des Ersten Weltkriegs leistete Pernice Kriegsdienst

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in der Landwehr (1916 befördert zum Hauptmann, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). 1933 wurde Pernice emeritiert, vertrat seinen Lehrstuhl jedoch mehrfach. Organisationen: – Quellen: UAG PA 251 Pernice; BA R 4901/13272 Karteikarte Pernice; Fischer, Jutta: Pernice, Erich Anton, in: Neue Deutsche Biographie 20, 2001, S. 195 f.

Petriconi, Hellmuth (* 1. April 1895 Hamburg; † 1. November 1965 Frankfurt am Main) Vater: Gutsbesitzer Konfession: evangelisch-lutherisch Ein republikanisch gesinnter Vorfahr Petriconis emigrierte 1849 aus Italien nach Peru, baute sich dort eine Existenz als Landwirt auf und heiratete die Tochter eines deutschstämmigen Hamburger Gastwirts. Petriconi kam in Hamburg zur Welt, verbrachte aber einen Teil seiner Jugend in Südamerika und Spanien. Die deutsche Schulbildung erhielt er am Johanneum in Hamburg, wo er 1916 die Reifeprüfung ablegte. Er studierte an den Universitäten München, Berlin und Würzburg Romanische Philologie und promovierte 1922 an der Universität Würzburg mit einer Dissertation über Ricardo Palma, den Verfasser der Tradiciones Peruanas zum Dr. phil. Er trat eine Stelle als Lektor für Spanisch an der Handelshochschule Mannheim an und lehrte vom Wintersemester 1923/24 bis 1932 als Lektor an der Universität Frankfurt. Mit einer Studie über die „spanische Literatur der Gegenwart“ habilitierte er sich 1926. In den Jahren 1928 und 1930 lehrte Petriconi als Gastprofessor an der Universität Madrid, zum deutschen nichtbeamteten außerordentlichen Professor wurde er 1931 ernannt. Die Berufung auf den Lehrstuhl für Romanische Philologie an der Universität Greifswald folgte 1932. Hier wurde er misstrauisch beäugt und angepöbelt, erfuhr aber trotz seiner Abstammung keine Zurücksetzung. 1940 wurde Petriconi nach Italien beurlaubt, um in Rom die kommissarische Leitung des DAAD für Italien wahrzunehmen. Ende 1944 floh Petriconi zu seiner geschiedenen Ehefrau (und Mutter seiner Kinder) nach Frankfurt am Main. Bereits 1945 erhielt er den Ruf auf eine Professur an der Universität Hamburg, wo er bis zur Emeritierung 1963 lehrte. Hier befasste er sich mit vorwiegend metaphorisch gedachten Themen, etwa der verführten Unschuld (1953) und dem „Reich des Untergangs“ (1958). Organisationen: seit 9. April 1934 Förderndes Mitglied der SS Quellen: UAG PA 249 Petriconi; BA R 4901/13273 Karteikarte Petriconi und 23008; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 179 f.; Kruse, Margot: Petriconi, Hellmuth, in: NDB Bd. 20 (2001), S. 266 f.

Pichler, Hans (* 26. Februar 1882 Leipzig; † 10. November 1958 Mehlem bei Bonn) Vater: Komponist

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Konfession: katholisch Nach dem Abitur in Karlsruhe studierte Pichler ab 1901 Philosophie in Straßburg, Berlin und Heidelberg. Hier promovierte er 1906 mit der Dissertation Über die Arten des Seins. Die philosophischen Studien setzte Pichler in Wien fort und veröffentlichte in der Folgezeit mehrere ontologische Schriften (Erkennbarkeit der Gegenstände, 1909; Christian Wolffs Ontologie, 1910). Später wandte er sich der Logik zu und publizierte zur Geschichte der Philosophie, vor allem über Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716). An der Universität Graz wurde Pichler 1913 habilitiert. Als Kriegsfreiwilliger meldete er sich 1915 zu den Tiroler Kaiserjägern und wurde nach der Teilnahme an mehreren Schlachten zum Leutnant befördert (ausgezeichnet mit der Tapferkeitsmedaille und dem Goldenen Verdienstkreuz mit Krone). 1917 wurde er zum Amt für Volksernährung versetzt. Nach der Demobilisierung kehrte er an die Universität Graz zurück und wurde 1921 zum beamteten außerordentlichen Professor ernannt. Im selben Jahr wurde er auf eine ordentliche Professur für Philosophie an die Universität Greifswald berufen. Neben rein philosophischen Studien äußerte sich Pichler zu aktuellen Fragen, etwa zur Absage Hitlers an die „Objektivität in der Politik“ (Blätter für deutsche Philosophie, Bd. 7, 1934 S. 259–264) und schrieb eine durchaus erhellende lebensphilosophische Broschüre mit dem Titel Besinnung über Glück und Unglück (1936). 1937 wurde Pichler die Prüfungsbefugnis aberkannt, weil er als sogenannter Mischling 2. Grades galt. Darüber hinaus wurde er von Angehörigen des Sicherheitsdienstes der SS und Mitarbeitern des Amts Rosenberg beobachtet, die wegen dessen „katholischer“ und „demokratischer“ Einstellung die Entfernung von der Universität verlangten. Seine Lehrtätigkeit war trotz solcher Anfeindungen und Zurücksetzungen kaum beeinträchtigt, wie Pichler 1946 rückblickend feststellte. Wegen einer Tuberkuloseerkrankung ließ sich Pichler 1948 entpflichten und siedelte später in die Bundesrepublik über. Organisationen: – Quellen: UAG PA 247 Pichler, K 734; BA R 4901/13273 Karteikarte Pichler, R 4901/12444.

Reinhardt, Karl (* 27. Januar 1895 Frankfurt am Main; † 27. April 1941 Berlin) Vater: kaufmännischer Angestellter, Prokurist Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Reinhardt 1913 an einer Oberrealschule in Frankfurt ab. Er studierte an den Universitäten Frankfurt und Marburg Mathematik, Physik, Chemie und Philosophie. Kurzfristig leistete er Kriegsdienst als Musketier beim Landsturm; nachdem seine Erkrankung an Hämophilie festgestellt wurde, folgte die Ausmusterung. Danach arbeitete er 1917 für einige Monate als Hilfsassistent an der Universität Göttingen und trat 1918 eine Hilfslehrerstelle an einer Oberrealschule in Frankfurt-Sachsenhausen an. Im selben Jahr wurde er mit der Dissertation Über die Zerlegung der Ebene in Polygone an der

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Universität Frankfurt promoviert. Die Staatsprüfung für das Lehramt legte Reinhardt 1919 ab und absolvierte das Referendariat. Mit einer Studie über Abbildungen durch analytische Funktionen habilitierte er sich 1921 an der Universität Frankfurt für Reine und Angewandte Mathematik. 1924 erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität Greifswald und wurde umhabilitiert. Die Beförderung zum ordentlichen Professor folgte 1928. Reinhardt verfasste eine große Zahl von Arbeiten zur Zerlegung verschiedenartiger Ebenen und Räume. Außerdem gab er didaktische Empfehlungen zur Behandlung der Integralrechnung in der Schule und verfasste eine Methodische Einführung in die höhere Mathematik (1934). Reinhardt zog sich 1936 einen komplizierten Beinbruch zu und starb nach langer schwerer Krankheit. Organisationen: seit 1931 Mitglied des Opferrings der NSDAP; NSV; RLB Quellen: UAG PA 136 Reinhardt; R 4901/13274 Karteikarte Reinhardt.

Rosenfeld, Hans-Friedrich (* 5. Dezember 1899 Halberstadt; † 5. September 1993 München) Vater: Militäroberpfarrer, Superintendent, Geheimer Konsistorialrat Konfession: evangelisch Rosenfeld besuchte Gymnasien in Frankfurt an der Oder und Frankfurt am Main. Nach der Reifeprüfung (1917) wurde er zum Artillerieoffizier ausgebildet und kam im Frühjahr 1918 an der Westfront zum Einsatz. Ab 1919 studierte er Germanistik, Geschichte, Klassische Philologie und Theologie in Frankfurt, Freiburg und Berlin. 1924 übernahm er eine Stelle als Redakteur der Deutschen Literaturzeitung und wurde Assistent am Germanistischen Seminar der Universität Berlin. Im selben Jahr promovierte er mit der Dissertation Mittelhochdeutsche Novellenstudien zum Dr. phil. Von 1925 bis 1927 wirkte Rosenfeld an der Universität Amsterdam als Dozent für Deutsche Sprache und Literaturgeschichte. Mit einer Studie zum mittelalterlichen Versroman Herzog Ernst wurde er 1928 an der Universität Berlin habilitiert. Nebenamtlich leitete er seit 1929 die germanistische Ausbildung am Preußischen Staatsarchiv. Den Professorentitel erhielt Rosenfeld 1931 und wurde im selben Jahr zum ordentlichen Professor für Germanistik an der Universität Åbo ernannt. Seit 1932 lehrte er auch als Gastprofessor an der Universität Helsinki, in den Sommersemestern auch an der Universität Berlin. Zum ordentlichen Professor für Germanistische Philologie an der Universität Greifswald wurde Rosenfeld 1937 berufen (Nachfolge Stammler). Zugleich war er Direktor des Germanistischen Seminars und leitete ab 1942 das Pommersche Archiv für Volkskunde und die geplante Edition des Pommerschen Wörterbuchs. Wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP wurde Rosenfeld 1946 entlassen, erhielt aber einen Forschungsauftrag der Landesregierung (Leitung des Volkskundearchivs). Ab 1949 arbeitete er an der Akademie der Wissenschaften in Berlin am Pommerschen Wörterbuch. Die Universität Rostock berief ihn 1955 zum Professor mit Lehrstuhl. 1956 wech-

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selte er an die Universität Greifswald. Weil er sich der Ernennung eines unqualifizierten SED-Mitglieds zum Professor mit Lehrstuhl widersetzte, wurde er 1958 denunziert. Nach der Entlassung erhielt Rosenfeld einen Forschungsauftrag, floh jedoch in die Bundesrepublik. Ab 1960 lebte er in München, wo er den Status eines Professor emeritus erhielt. Rosenfeld befasste sich vorwiegend mit Wortstudien und der mittelalterlichen Dichtung, aber auch mit der Legende des heiligen Christophorus. Organisationen: 1920 Mitglied des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland; 1919 bis 1931 DNVP; 1933 NSLB; 1934 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.603.972 Quellen: UAG PA 1774 Rosenfeld; BA R 4901/24058 und 13274 Karteikarte Rosenfeld; Eintrag im Catalogus Professorum Rostochiensium.

Schmekel, August (* 29. Oktober 1857 Jastrow, Kreis Deutsch Krone; † 20. Juni 1934 in Greifswald) Vater: Tuchmachermeister Konfession: evangelisch Schmekel studierte Alte Philologie und promovierte 1885 an der Universität Greifswald mit einer Arbeit über Ovid. Da er stark kurzsichtig und von dürftiger körperlicher Konstitution war, kam eine Verwendung im Schuldienst nicht in Frage. Sein Mentor Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff hielt ihn für die Forschung jedoch für außerordentlich befähigt, so dass er ihn weiterempfahl. 1892 veröffentlichte er eine Studie zur Philosophie der mittleren Stoa in ihrem geschichtlichen Zusammenhang, die, so Wikipedia, bis heute als „Standardwerk“ gilt (3. Auflage 1989). An der Universität Berlin wurde Schmekel 1894 habilitiert. 1898 wurde er auf eine außerordentliche Professur an der Universität Greifswald berufen und 1906 zum beamteten außerordentlichen Professor ernannt. Dem Kirchenvater und Universalgelehrten Isidor von Sevilla widmete er eine Monographie (1914). Die Ernennung zum persönlichen Ordinarius folgte 1921. Schmekel trat 1925 in den Ruhestand. Die nachgelassenen Schriften wurden mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf Empfehlung des Philosophen Max Wundt unter dem Titel Forschungen zur Philosophie des Hellenismus 1938 publiziert. Organisationen: nicht ermittelt Quellen: UAG PA 158 Schmekel, BA R 73/14330; Wikipedia-Personeneintrag.

Schmitt, Otto (* 13. Dezember 1890 Weisenau bei Mainz; † 21. Juli 1951 Ulm) Vater: Oberlehrer Konfession: katholisch Schmitt studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Geschichte in Freiburg, Straßburg und Gießen. 1914 promovierte er an der Universität Gießen mit einer Disserta-

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tion über das Südportal des Wormser Domes und war danach mit der Inventarisierung der hessischen Kunstdenkmäler in Mainz befasst. Ab 1915 war er Assistent am Kunsthistorischen Seminar der Universität Frankfurt und habilitierte sich 1919 mit einer Schrift über Das heilige Grab im Freiburger Münster. Neben seiner Tätigkeit als Privatdozent arbeitete er als Direktorialassistent am Städel’schen Kunstinstitut Frankfurt. 1924 zum außerordentlichen Professor ernannt, erhielt er 1925 ein persönliches Ordinariat für Kunstgeschichte an der Universität Greifswald. Mit Max Semrau erarbeitete er dort ab 1927 das Konzept für das Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, das er nach Semraus Tod allein herausgab. 1935 wechselte er an die TH Stuttgart, von 1938 bis 1946 lehrte er zugleich an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. An der TH leitete er ab 1943 die geisteswissenschaftliche Abteilung. 1948 wurde er zum Rektor gewählt, ab 1950 amtierte er als Prorektor. Schmitt publizierte vor allem zur mittelalterlichen Plastik in Süddeutschland, in Greifswald erreichte er die Etatisierung des Fachs Kunstgeschichte, das von seinem gewünschten Nachfolger Wilhelm-Kästner ausgebaut wurde. Organisationen: 1917/18 Vaterlandspartei Quellen: UAG PA 2516 Schmitt; K 5979; NDB, Bd. 23, 2007, S. 240 f.

Schwarz, Hermann (* 22. Dezember 1864 Düren; † 12. Dezember 1951 Darmstadt) Vater: Lehrer, Gymnasialprofessor Konfession: evangelisch-lutherisch Schwarz besuchte die Realgymnasien in Hohenstein und Gumbinnen sowie die Lateinische Hauptschule der Francke’schen Stiftungen in Halle. Nach der Reifeprüfung (1884) studierte er Mathematik und Naturwissenschaften an der Universität Halle. 1888 promovierte Schwarz mit der Dissertation Ein Beitrag zur Theorie der Ordnungstypen zum Dr. phil. 1889 bestand er die Prüfung für das Lehramt in den Fächern Mathematik, Physik, Botanik und Zoologie. Aus dem Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger wurde Schwarz wegen herabgesetzter Hörfähigkeit entlassen. In den folgenden Jahren beschäftigte sich Schwarz vor allem mit Psychologie, 1892 habilitierte er sich an der Universität Halle mit einer Arbeit über das Wahrnehmungsproblem vom Standpunkt des Physikers, des Physiologen und des Philosophen. Als Gutachter fungierten der Philosoph und Psychologe Benno Erdmann, dazu die Ordinarien für Physik und Mathematik. Den Probevortrag hielt Schwarz über die „Lokalisation unserer räumlichen Empfindungen“. 1908 wurde Schwarz auf ein besoldetes Extraordinariat an der Universität Marburg berufen, 1910 wechselte er als Ordinarius für Philosophie an die Universität Greifswald. 1933 emeritiert, erhielt Schwarz 1934 einen Lehrauftrag an der Universität Frankfurt und lebte seitdem in Darmstadt. Schwarz suchte, ausgehend von seiner Beschäftigung mit der mittelalterlichen Mystik, die Auseinandersetzung mit Realismus und Materialismus. Er äußerte sich häufig zu Fragen der Weltan-

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schauung, insbesondere während des Ersten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit zu den „Pflichten“ des Staatsbürgers, und berührte pädagogische Fragen. Politisch stand Schwarz eindeutig auf republikfeindlichen, rechtsextremistischen Positionen. Er entwarf Ansätze zu einem „deutschvölkischen Gottesglauben“, einer „artdeutschen Philosophie“, bekämpfte die „Kriegsschuldlüge“ und entwickelte eine „Ethik der Vaterlandsliebe“, die von kollektivistischen, nationalsozialistischen Gedanken durchdrungen war. Obwohl sich Schwarz für einen Vordenker der „nationalsozialistischen Weltanschauung“ hielt, war seine Publizistik nicht unumstritten. Wegen seiner Nähe zu den Auffassungen des NSDAP-Reichsleiters Alfred Rosenberg erhielt er 1939 die Goethe-Medaille. Organisationen: 1913 bis Kriegsausbruch Vorsitzender der Ortsgruppe Greifswald des Deutschen Wehrvereins; 1923/24 NSDAP, ausgetreten mit der Aufstellung Ludendorffs zum Spitzenkandidat der Reichstagswahlen, „stets in Kontakt mit der Ortsgruppe Greifsw. geblieben, die 1929 eine Ehrenkarte ausgestellt hat“; 1929 Aufnahme in den Kampfbund für Deutsche Kultur Quellen: UAG PA 148 Schwarz; BA R 4901/13276 Karteikarte Schwarz; UAH Rep. 21 Abt. III Nr. 142, Mohler, Konservative Revolution, S. 375 f.

Seeliger, Rudolf (* 12. November 1886 München; † 20. Januar 1965 Greifswald) Vater: Universitätsprofessor Konfession: evangelisch Das Realgymnasium besuchte Seeliger in München. Nach der Reifeprüfung studierte er ab 1906 an den Universitäten Tübingen, Heidelberg und München Physik und Mathematik. Seine 1909 in München eingereichte Dissertation zur Leitung von Elektrizität in dichten Gasen wurde mit einem Preis ausgezeichnet. Er setzte seine Studien ab 1910 in Würzburg fort, wo er von seinem Mentor Wilhelm Wien als Privatassistent beschäftigt wurde. 1912 trat Seeliger eine Stelle als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an der PhysikalischTechnischen Reichsanstalt an und wurde 1915 an der Universität Berlin habilitiert. Danach erhielt Seeliger eine meteorologische Ausbildung und leistete dann bis 1917 als freiwilliger Vizefeldwebel Kriegsdienst beim Reichswetterdienst. Unter anderem leitete er eine Feldwetterstation, später war er bei der Luftschiffer-Ersatzabteilung 2 (Hannover) eingesetzt. 1917 wurde Seeliger an die 1916 gegründete Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft in die Abteilung III kommandiert (Leitung Walter Nernst). Im August 1918 wurde er als außerordentlicher Professor für Theoretische Physik an die Universität Greifswald berufen. Die Beförderung zum persönlichen ordentlichen Professor folgte 1921, nachdem Seeliger einen Ruf an die Karls-Universität Prag abgelehnt hatte. Seit 1932 war er Direktor des Seminars für Theoretische Physik, forschte jedoch weiterhin zu Fragen der Gasphysik und bearbeitete Industrieaufträge. Mit Kriegsbeginn 1939 profilierte Seeliger das Institut

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für Physik zum Rüstungsbetrieb. Die Industriekontakte wurden erneuert und durch Aufträge der Luftwaffe und der Marine ergänzt. In der Nachfolge Friedrich Krügers wurde Seeliger zum Institutsdirektor ernannt. Er erhielt jetzt eine planmäßige ordentliche Professur für Experimentalphysik. Wenige Tage nach der Besetzung Greifswalds durch die Rote Armee wurde das Physikalische Institut geplündert. Ab 1946 wurden Seeliger und seine Mitarbeiter von den sowjetischen Besatzungsbehörden für militärische Forschungen herangezogen. Da Seeliger als unbelastet galt, erhielt er 1946 wieder eine Professur mit Lehrstuhl und wurde nach der Verhaftung Ernst Lohmeyers im Februar 1946 zum Rektor ernannt. Die Amtsführung wurde von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern außerordentlich kritisch bewertet, zumal Seeliger der Meinung war, dass Sozialismus „nicht durchführbar“ sei, und er glaube, „dass eine dauernde Unfreiheit durch das heutige Regime begründet“ werde. Mit Unterstützung seines Schülers Robert Rompe, der in der Deutschen Zentralverwaltung eine Schlüsselposition auf dem Gebiet der Wissenschaftspolitik bekleidete, übernahm er 1949 die Leitung einer Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften in Greifswald, die er zum Institut für Gasentladungsphysik ausbaute. 1955 trat Seeliger in den Ruhestand. Organisationen: DNVP bis 1932; 1926 bis 1933 Stahlhelm; NSV; 1946 CDU; Kulturbund Quellen: UAG PA 256 Seeliger; BA R 4901/13277 Karteikarte Seeliger; UAG K 543 (Profilierung zum Rüstungsbetrieb); Hoffmann, Dieter: Seeliger, Rudolf Karl Hans, in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 150 f.

Stammler, Wolfgang (* 5. Oktober 1886 Halle (Saale); † 3. August 1965 Hösbach bei Aschaffenburg) Vater: Universitätsprofessor, Jurist Konfession: Deutsche Glaubensbewegung, vorher evangelisch Nach dem Besuch des Gymnasiums in Halle studierte er Germanistik, Philosophie und Geschichte in Berlin, Leipzig und Halle. Hier promovierte er über ein Theaterstück aus der Epoche des Sturm und Drang 1908 zum Dr. phil. und legte das Staatsexamen für das Lehramt ab. Das Referendariat absolvierte er in Wernigerode und Halle, den Dienst als EinjährigFreiwilliger leistete er in einer Maschinengewehrkompanie. 1912 wurde er zum Reserveoffizier ernannt. Bereits 1911 hatte Stammler eine Stelle als Oberlehrer an der Leibnizschule in Hannover angetreten. 1914 habilitierte er sich an der TH Hannover mit einer Studie über den Dichter und Redakteur Mathias Claudius. Ab 1914 leistete Stammler Kriegsdienst und wurde mehrfach verwundet und hoch dekoriert, unter anderem mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse. 1918 als Oberleutnant der Reserve entlassen, erhielt er im August 1918 eine Stelle als beamteter Dozent an der Universität Dorpat und wurde im Dezember 1918 mit dem Professorentitel geehrt. Von Februar 1919 bis September 1920 kämpfte Stammler im Freikorps Hülsen, unter anderem in Braunschweig und Mitteldeutschland. 1923 wurde er an das Her-

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der-Institut in Riga berufen, 1924 wechselte er auf die ordentliche Professur für Germanische Philologie in Greifswald. Stammler wandte sich hier verstärkt den Schriften des Mittelalters zu und nutzte sein enzyklopädisches Wissen zur Initiierung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte (1925–1933) und des Pommerschen Wörterbuchs. 1931 hielt Stammler Gastvorlesungen in London, Oxford und Paris. Durch die Trennung von seiner Frau Hildegard, geborene Loening, Enkelin des Verlagsbuchhändlers Carl Friedrich Loening, geriet Stammler in eine finanzielle Schieflage. Außerdem wurde er aus politischen Gründen denunziert. Im Dezember 1936 wurde Stammler aufgrund von § 6 BBG (Vereinfachung der Verwaltung) in den Ruhestand versetzt. Mit dem Verlagsvertrag zur Herausgabe des Verfasserlexikons zur deutschen Literatur des Mittelalters baute er sich eine Existenz als Privatgelehrter auf. Ab 1938 absolvierte Stammler Reserveübungen bei der Luftwaffe und wurde 1940 in Norwegen eingesetzt. 1942 begab er sich in ein Lazarett, im November 1942 wurde er wegen des unberechtigten Tragens von Orden verurteilt und im Wehrmachtsgefängnis Torgau inhaftiert. Nach 1945 lebte Stammler in Hößbach bei Aschaffenburg, 1951 wurde er als Professor an die Universität Freiburg im Üechtland (Schweiz) berufen. Organisationen: Oktober 1933 Eintritt in die Marine; SA, Rottenführer; NSLB Quellen: UAG PA 266 Stammler, K 734; BA R 4901/13277 Karteikarte Stammler; Eintrag im historischen Lexikon der Schweiz, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11688.php, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

Stengel, Edmund (* 5. April 1845 Halle (Saale); † 3. November 1935 Marburg) Vater: Maurermeister Konfession: evangelisch Stengel besuchte die Latina der Francke’schen Stiftungen und studierte Romanistik in Halle, Bonn, Paris, Oxford und Italien. 1868 promovierte er zum Dr. phil. und legte 1869 die Prüfung für das höhere Lehramt ab. 1870 habilitierte er sich an der Universität Basel für Romanische und Englische Philologie. 1873 wurde Stengel als ordentlicher Professor an die Universität Marburg berufen, aber wegen seines „entschiedenen Liberalismus“ 1896 zwangsweise nach Greifswald versetzt. Hier wurde er 1898 als Liberaler in das Bürgerschaftliche Kollegium, 1899 in den Kreistag und 1907 in den Reichstag gewählt. Wissenschaftlich widmete sich Stengel der Erschließung altfranzösischer und altprovenzalischer Texte (zum Beispiel des Rolandslieds) und edierte Briefe und Schriften der Brüder Grimm. Organisatorisch schuf er 1886 mit einem regelmäßigen Neuphilologentag eine Plattform für den Austausch. Organisationen: Mitglied der Freisinnigen Volkspartei, von 1907 bis 1912 Mitglied des Reichstags Quellen: UAG PA 172 Stengel; BA R 4901/13277 Karteikarte Stengel.

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Vahlen, Karl Theodor (* 30. Juni 1869 Wien; † 16. November 1945 Prag) Vater: Universitätsprofessor Konfession: römisch-katholisch Vahlen besuchte das Realgymnasium in Berlin und leistete nach der Reifeprüfung Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger. Er studierte Mathematik an der Universität Berlin und wurde 1893 mit der Dissertation Beiträge zu einer additiven Zahlentheorie zum Dr. phil. promoviert. Seine Habilitationsschrift Über die Geschichte des Sturm’schen Satzes und der Kronecker’schen Charakteristiken reichte er 1897 an der Universität Königsberg ein. 1904 wurde er als außerordentlicher Professor an die Universität Greifswald berufen und 1911 zum ordentlichen Professor und Leiter des Instituts für Angewandte Mathematik befördert. Während des Ersten Weltkriegs leistete er Kriegsdienst bei der Feldartillerie an der West- und der Ostfront, zunächst als Batteriechef, später als Kommandeur einer Artilleriegruppe (mehrfach verwundet, befördert zum Major, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und dem Ritterkreuz I. Klasse des Sächsischen Albrechtsordens). Im Mai 1923 wurde er zum Rektor gewählt, ab Mai 1924 amtierte er als Prorektor. Wegen republikfeindlicher Handlungen wurde er 1924 suspendiert und wenig später entlassen. Nach Interventionen von Kollegen und Politikern stimmte die Preußische Regierung einer Berufung ins Ausland zu, so dass Vahlen ab April 1930 an der Technischen Hochschule in Wien als ordentlicher Professor lehrte. Im März 1933 kehrte Vahlen zurück und wurde formal wieder der Universität Greifswald zugewiesen. De facto arbeitete er jedoch als Ministerialdirektor im Preußischen Kultusministerium und wurde wenig später zum einflussreichen Leiter des Amts Wissenschaft ernannt (überführt in das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung). 1935 erhielt Vahlen eine ordentliche Professur für Angewandte Mathematik an der Universität Berlin, blieb aber weiterhin im Ministerium tätig. 1939 wurde er pensioniert und zum Präsidenten der Preußischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Vahlen zog nach Wien um, später nach Prag. Nach der Besetzung der Stadt durch sowjetische Truppen 1945 wurde Vahlen dort inhaftiert und starb in Gefangenschaft. Im nationalsozialistischen Wissenschaftssystem nahm Vahlen eine Schlüsselstellung bei der Umgestaltung der Hochschulen nach 1933 ein, wurde seit 1937 jedoch in eine randständige Position gebracht. Seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen verfasste er fast vollständig vor dem Ersten Weltkrieg, etwa ein Lehrbuch der abstrakten Geometrie (1905) und eine Studie zu geometrischen Konstruktionen (Konstruktionen und Approximationen, 1911). Seine Erfahrungen als Artillerist fanden Eingang in ein Lehrbuch der Ballistik (1922, 2. Auflage 1942). Organisationen: bis zum 9. November 1923 DNVP; dann Eintritt in die Nationalsozialistische bzw. Deutschvölkische Freiheitspartei; am 4. April 1924 Gauleiter der NSFP in

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Pommern; von Mai bis Dezember 1924 Reichstagsabgeordneter; am 11. Mai 1925 Wiedereintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 3961; 1927 Rücktritt als Gauleiter; 1933 Eintritt in die SA; 1936 Übertritt zur SS, 1943 befördert zum Brigadeführer Quellen: UAG PA 270 Vahlen; BA R 4901/25559, Mitgliedskarte Ortskartei; Inachin, Kyra: „Märtyrer mit einem kleinen Häuflein Getreuer“. Der erste Gauleiter der NSDAP in Pommern Karl Theodor Vahlen, in: VfZ 49, 2001, S. 31–51.

Volkmann, Hans (* 19. März 1900 Köln; † 5. Oktober 1975 Köln) Vater: Generaloberarzt, Dr. med. Konfession: evangelisch Der Sohn eines 1914 gefallenen Generaloberarztes besuchte Gymnasien in Bromberg, Graudenz und Göttingen, wo er 1918 die Reifeprüfung ablegte. Ab Juli 1918 absolvierte Volkmann eine Offiziersausbildung, wurde jedoch im Januar 1919 entlassen. Er setzte sein Studium fort, diente jedoch von April bis September 1919 im Freikorps Graf Eulenburg und im Reichswehrinfanterieregiment 52. Zugleich studierte er ab 1918 in Göttingen Klassische Philologie und Alte Geschichte, ab 1920 in Marburg und im Sommersemester 1922 in Berlin. Seit 1922 arbeitete er als Lehrer in einem Marburger Privatgymnasium. Zum Dr. phil. promovierte Volkmann 1923 mit einer Arbeit über Demetrios I. Soter (162–150 v. Chr.) und Alexander I. Balas (150–145 v. Chr.) von Syrien. Im selben Jahr legte er das Staatsexamen für den höheren Schuldienst in Geschichte, Latein und Griechisch ab und absolvierte die pädagogische Prüfung 1925 in Kassel. In den Ferien belegte er archäologische Kurse, unter anderem in Pompeji, Neapel und Rom. Er arbeitete an Gymnasien in Hersfeld, Frankfurt am Main und wieder Marburg, wo er 1930 zum Studienrat befördert wurde. 1931/32 war er zur Bearbeitung der in Deutschland gefundenen römischen Ziegelstempel zur römisch-germanischen Kommission beurlaubt. 1934 habilitierte er sich an der Universität Marburg mit der Schrift Zur Rechtsprechung im Principat des Augustus. 1934/35 vertrat er den Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Universität Marburg, ab dem Wintersemester 1936 den vakanten Lehrstuhl für Lateinische Philologie in Greifswald. 1937 zum ordentlichen Professor ernannt, wurde Volkmann 1941 zum Kriegsdienst einberufen und 1942 zum Unteroffizier befördert. Er war zunächst als Schreiber in einem Stalag tätig, dann wechselte er zu einer Feldkommandantur. Im Januar 1945 wurde er während des Rückzugs aus Estland bei den Kämpfen in der Stadt Elbing schwer verwundet. Anfang April 1945 wurde er zur Genesendenkompanie Greifswald versetzt. Als Offizier wurde Volkmann im Januar 1946 verhaftet, aber im Februar 1947 als Unbelasteter und wegen Unterernährung aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Er bemühte sich um eine Wiedereinstellung in Greifswald, erhielt jedoch lediglich einen Forschungsauftrag. 1949 zog er aus Greifswald fort und wurde 1952 zum Honorarprofessor an der Universität Köln

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ernannt. 1955 folgte die Ernennung zum ordentlichen Professor für Alte Geschichte an der Universität Köln, wo er 1964 emeritiert wurde. Organisationen: im November 1933 Stahlhelm; im Mai 1934 Übertritt zur SA; NSLB, 1937 überführt in den NSD-Dozentenbund; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.864.883 Quellen: UAG PA 271 Volkmann; BA R 4901/13279 Karteikarte Volkmann, BDC, Karteikarte Ortskartei; Kürschner.

Wilhelm-Kästner, Kurt (* 7. Mai 1893 Cröbern (Sachsen); † 10. Juni 1976 Müllheim (Baden)) Vater: Bauer Konfession: evangelisch-lutherisch Wilhelm-Kästner besuchte ein Realgymnasium in Leipzig und legte 1913 das Abitur ab. Danach begann er das Studium der Naturwissenschaften. Im August 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger zu einem Gardeschützenbataillon und war überwiegend an der Westfront eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse, dem Ritterkreuz des Sächsischen Albrechtsordens und dem Österreichischen Militärverdienstkreuz III. Klasse). Nach der Demobilisierung studierte er Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie in Marburg, Berlin und wieder Marburg. 1921 promovierte er mit einer Studie über die Elisabethkirche zu Marburg zum Dr. phil. Danach war er Hilfsassistent am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Berlin und erhielt 1923 eine Stelle als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Folkwang Museum Essen. Im Jahr darauf habilitierte er sich mit einer erweiterten Fassung seiner Dissertation an der Universität Münster. Als Kustos des Folkwang Museums trat er in nähere Beziehung zu zeitgenössischen Künstlern, zugleich produzierte er mehrere Schriften für den Markt, die über das Niveau des Baedekers nicht hinauskamen. Angesichts der finanziell schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt sah der zuständige Ordinarius darüber hinweg und setzte Wilhelm-Kästners Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor 1931 durch. Wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten am Folkwang Museum verlor auch Wilhelm-Kästner seine Anstellung. Von dem Vorwurf, ein „Kulturbolschewist“ zu sein, konnte er sich jedoch rasch reinwaschen. Da er das SA-Sportabzeichen erwarb, um Aufnahme in die NSDAP nachsuchte und sich außerdem als Offizier des Heeres reaktivieren ließ, galt er als berufungsfähig. Zum 1. Februar 1937 wurde Wilhelm-Kästner zum ordentlichen Professor für Kunstgeschichte an der Universität Greifswald berufen. Hier amtierte er ab 1938 als Rektor, verzichtete aber darauf, eigene Akzente zu setzen. Nach der Berufung publizierte er auch keine, möglicherweise kompromittierenden Schriften mehr, sondern trat – etwa bei einer dubiosen Publikation über Caspar David Friedrich – nur noch als Herausgeber auf. Zum Kriegsdienst reaktiviert wurde Wilhelm-Kästner im Herbst 1939. Unter anderem war er in Frankreich und beim

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Kunstschutz in Italien eingesetzt. Auf seinen Wunsch hin wurde er 1942 als ordentlicher Professor an die Universität Hamburg versetzt, wo er als aktiver Nationalsozialist 1945 entlassen wurde. Gegen die Entlassung legte er 1947 erfolgreich Berufung ein, so dass er bis zur Emeritierung wieder an der Universität Hamburg las. Organisationen: am 1. Juli 1933 Eintritt in die Motor-SA, überführt in NSKK, Obertruppführer; NSV; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.105.441; NSLB, überführt in NSD-Dozentenbund, Dozentenbundsführer Greifswald, stellvertretender Gaudozentenbundsführer Pommern Quellen: UAG PA Nr. 272 Wilhelm-Kästner; Museum Folkwang: Akte Kurt Wilhelm-Kästner; BA R 4901/13280 Karteikarte Wilhelm-Kästner, Karteikarte in der NSDAP-Ortskartei; StAHH 361-6, Nr. IV, 2061.

Ziegler, Konrat (* 12. Januar 1884 Breslau; † 8. Januar 1974 Göttingen) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch, ab 1931 ohne Ziegler besuchte das Elisabethgymnasium in Breslau und legte 1902 die Reifeprüfung ab. Ab 1902 studierte er Klassische Philologie und Alte Geschichte in Breslau. 1905 promovierte er mit einer Dissertation zu den Gebetsformen der Griechen zum Dr. phil. (De precationum apud Graecos formis questiones). 1907 wurde er nach Vorlage einer Studie über Die Überlieferungsgeschichte der vergleichenden Lebensbeschreibungen Plutarchs in Breslau habilitiert. 1910 erhielt er dort eine außerordentliche Professur. Ab 1915 wurde er militärisch ausgebildet und im Frontdienst eingesetzt (befördert zum Vizefeldwebel). 1917 als Dolmetscher zum Nachrichtenoffizier bei der 2. Bulgarischen Armee kommandiert, machte er hier die Kämpfe in Ostmazedonien mit (ausgezeichnet mit dem Bulgarischen Militärverdienstorden VI. Klasse). Von März bis Oktober 1918 war er Presseattaché bei der deutschen Gesandtschaft in Sofia. 1920 erhielt er in Breslau eine persönliche ordentliche Professur. 1923 wurde er auf einen Lehrstuhl an die Universität Greifswald berufen, wo er 1928/29 das Rektorat innehatte. Wegen seines parteipolitischen Engagements wurde er am 2. Mai 1933 beurlaubt und am 2. Oktober 1933 aufgrund von § 4 Berufsbeamtengesetz entlassen. 1934 zog Ziegler nach Berlin um. 1938 wurde er wegen Beteiligung an Devisenvergehen verhaftet und 1939 zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt; er hatte einem jüdischen Bankier beim Transfer seines Privatvermögens ins Ausland geholfen. Nach der Verbüßung der Strafe wurde ein Dienststrafverfahren gegen ihn geführt mit dem Ziel, ihm die Beamtenpension abzuerkennen. Die Kammer kam jedoch zu dem Schluss, dass Ziegler dem Staat zwar geschadet, ihm jedoch der „Wille“ dazu gefehlt habe. Schon das Urteil habe festgestellt, dass sich die Tat „nur durch eine starke Dosis Weltfremdheit, gepaart mit außergewöhnlicher Hilfsbereitschaft“ erklären lasse. 1943 ausgebombt, siedelte er nach Freiheit

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bei Osterode im Harz über. Dort versteckte er einen flüchtigen ehemaligen Greifswalder Kollegen, wofür ihn die Gedenkstätte Yad Vashem postum den Titel eines „Gerechten unter den Völkern“ verlieh. Nach der Besetzung Osterodes wurde Ziegler von den Briten zum Landrat ernannt. 1946 erteilte ihm die Universität Göttingen einen Lehrauftrag, sah von einer Berufung des jetzt 62-Jährigen aus „Altersgründen“ aber ab. Rufe nach Greifswald und Leipzig lehnte er ab, zumal er 1946 der SPD beigetreten war, die es in der Sowjetischen Besatzungszone nicht mehr gab. 1953 wurde Ziegler auf dem Wiedergutmachungsweg nach dem Bundesentschädigungsgesetz das Gehalt eines Emeritus zugesprochen. Erst 1966 erhielt er die Rechte eines entpflichteten Hochschullehrers der Universität Göttingen. Organisationen: in Breslau Mitglied des Vereins für das Deutschtum im Ausland; bis 1931 Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft; DDP; 1946 SPD, Ratsherr in Göttingen Quellen: UAG PA 196 Ziegler; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 247 f.; Szabó, Vertreibung, S. 114 ff.

Honorarprofessoren Brüske, Hermann (* 5. Februar 1883 Stettin; † 22. April 1951 Greifswald) Vater: Oberpostsekretär Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Brüske 1901 am Gymnasium Stettin ab. Ab 1902 studierte er an der TH Dresden, Leipzig, Edinburgh und wieder Leipzig. 1909 wurde er Hilfskraft am Russischen und Bulgarischen Institut der Universität Leipzig. Gleichzeitig arbeitete er als Lehrer. 1915 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger zur Feldartillerie und wurde verwundet (Verlust eines Auges, Schädelverletzung). Ab 1917 arbeitete er als Militärdolmetscher bei verschiedenen Dienststellen in der Ukraine. Im Januar 1919 wurde Brüske als Gefreiter entlassen. 1920 promovierte er mit einer Dissertation über die russischen und polnischen Elemente in der rumänischen Sprache zum Dr. phil. 1921 legte er die wissenschaftliche Staatsprüfung, 1923 die Pädagogische Staatsprüfung ab. Seit 1922 war er Studienreferent und Lektor für Russisch an der Universität Greifswald, 1923 wurde er zum Assessor und 1930 zum Studienrat befördert. Seit 1931 trat Brüske als Nationalsozialist öffentlich auf, 1933 wurde er mit der Führung der Dozentenschaft beauftragt, die ihm jedoch bald entzogen wurde. Im November 1933 folgte die Ernennung zum Honorarprofessor und Brüske erhielt eine Lehrauftragsvergütung. 1934 wurde das Slawische Institut gegründet, dessen Leitung Brüske übernahm. Wegen ungerechtfertigter Denunziationen und Beleidigung wurde ihm 1935 die Kündigung ausgesprochen. Er lehrte jedoch weiter als Honorarprofessor, unterbrochen durch häufige Klinikaufenthalte. Im Herbst 1940 war er mit der Neu-

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ordnung einer Bibliothek bzw. mit der Zusammenlegung mehrerer Büchereien am Institut für Deutsche Ostarbeit in Krakau beauftragt. 1944 erhielt er einen Lehrauftrag am Institut der Deutschen Arbeitsfront in Radawnitz, kehrte jedoch bald nach Greifswald zurück, wo er seine letzten Lebensjahre als Invalide bei der Familie verbrachte. Organisationen: 1921 bis Juli 1930 DVP; 1927 geheimes Mitglied der NSDAP, 1931 öffentlich eingetreten, Aufnahme 1932, Mitglied Nr. 1.159.618, Januar 1932 Führer der NSDAP-Sektion Universität, Kreisschulungsleiter, ab März 1933 Vorsteher des Bürgerschaftlichen Collegiums, ab Dezember 1933 Führer der Dozentenschaft, 1935 Verlust aller Parteiämter; 1932 SA, September 1933 Schulungsleiter beim SA-Standartenführer im Kreis II und in der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation, im Juli 1933 wegen Überlastung von der SA beurlaubt Quellen: UAG PA 23 Brüske, UNK Patientenakte 305; BA R 4901/13260 Karteikarte Brüske, Mitgliedskarte Ortskartei.

Frebold, Hans (* 31. Juli 1899 Hannover; † 2. Juni 1983 Ottawa) Vater: Postsekretär Konfession: evangelisch-lutherisch Den Schulbesuch unterbrach Frebold 1915, um als Krankenträger beim Roten Kreuz zu arbeiten. Ab 1917 leistete er Kriegsdienst als Funker in einer Nachrichtenabteilung an der Westfront. Bei einem Urlaub legte er die Reifeprüfung in Hannover ab. Ab Herbst 1918 war er als Kriegsgeologe eingesetzt. Er studierte Geologie und Paläontologie an der TH Hannover, wo er 1919 dem Studentenbataillon angehörte. Das Studium setzte er an der Universität Göttingen fort und promovierte 1921 mit einer Dissertation über Phylogenie und Biostratigraphie der Amaltheen im mittleren Lias von Nordwestdeutschland zum Dr. phil. Zunächst Assistent am Museum für Natur- und Völkerkunde Essen, wechselte er zur Universität Tübingen und war ab 1922 im Kalibergbau tätig. 1925 erhielt er eine Assistentenstelle an der Universität Königsberg, habilitierte sich jedoch 1926 an der Universität Greifswald für Geologie und Paläontologie (Die paleogeographische Analyse der epirogenen Bewegungen und ihre Bedeutung für die Stratigraphie). Da besoldete Lehraufträge immer wieder abgelehnt wurden, orientierte sich Frebold nach Skandinavien. 1930 leitete er die norwegische Expedition nach Spitzbergen, ab 1931 war er Abteilungsleiter der dänischen Drei-Jahres-Expedition nach Nordostgrönland (ausgezeichnet mit der Dänischen Verdienstmedaille). In Greifswald baute Frebold gleichzeitig eine arktische Sammlung auf, die nicht nur geologische Funde, sondern auch völkerkundliche Objekte enthielt. 1931 erhielt er den Professorentitel, 1934 ließ er sich für die Arbeit in Dänemark beurlauben. Die deutsche Lehrbefugnis wurde ihm nach einer Denunziation 1936 entzogen, was jedoch 1937 rückgängig gemacht wurde. Ab 1938 hielt Frebold Vorlesungen an der

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Universität Kopenhagen und verzichtete 1939 auf die Lehrbefugnis in Greifswald. 1941 wurde er zum Leiter der arktischen Abteilung des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts Kopenhagen ernannt, 1943 folgte die Einberufung zur Kriegsmarine, wo er im Stab des Kommandierenden Admirals in Dänemark tätig war. 1944 wurde Frebold zum Honorarprofessor der Universität Greifswald ernannt, kehrte jedoch nicht zurück. Ab 1947 arbeitete er als Beratender Geologe der Danish American Prospector Co. in Kopenhagen. 1949 Honorarprofessor der Universität Kiel ging er jedoch im selben Jahr als Chief Division of Palaeontology zum Geological Survey in Kanada. 1963 war er Visiting Professor an der Universität Oklahoma, von 1964 bis 1969 lehrte und forschte er dort als Principal Scientist. Organisationen: – Quellen: UAG PA 216 Frebold, R 164 Bl. 11; R 4901/R 4901/13267 Karteikarte Frebold; Kürschner.

Schmidt, Karl W. (* 7. Dezember 1873 Bremervörde; † 23. März 1951 Göttingen) Vater: Gendarmerieleutnant Konfession: evangelisch-lutherisch Volksschule und Gymnasium absolvierte Schmidt in Göttingen. Nach dem Abitur leistete er 1892/93 Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger. Er studierte Alte Philologie, Theologie und Kunstgeschichte in Göttingen. 1898 arbeitete er als Lehrer für Alte Sprachen am Lyzeum Hannover, danach an mehreren Gymnasien in Westfalen. Nach der Absolvierung von Reserveübungen wurde er 1900 zum Leutnant, 1909 zum Oberleutnant befördert. Ab 1912 war er Direktor des Stadtgymnasiums Halle (Saale). Mit dem Kriegsausbruch wurde er 1914 eingezogen (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse, befördert zum Hauptmann). Nach einer schweren Verwundung und der Genesung wurde er seit 1916 im Ersatzbataillon Halle eingesetzt. 1919 gründete Schmidt in Halle die Einwohnerwehr und führte sie in den mitteldeutschen Kämpfen 1919/20. Danach wechselte er als Oberstudienrat an das Domgymnasium Magdeburg, wurde jedoch schon 1922 zum Rektor der Landesschule Pforta ernannt. Die Philosophische Fakultät Greifswald bot Schmidt, der mehr als hundert kleinere Mitteilungen zur griechischen Philologie veröffentlicht hatte, einen Lehrauftrag an. Schmidt ließ sich daher nach Greifswald versetzen und trat 1928 die Stelle des Direktors am Gymnasium Greifswald an. Die wissenschaftliche Anerkennung wurde Schmidt nicht versagt, 1923 ernannte ihn die Akademie der gemeinnützigen Wissenschaften zu Erfurt zu ihrem Mitglied, 1924 erhielt er den Dr. h. c. der Universität Halle, die Universität Greifswald ernannte ihn 1932 zum Honorarprofessor für Papyrologie. Da das Greifswalder Gymnasium den örtlichen Nationalsozialisten als „Hort der Reaktion“ galt, wurde Schmidt 1935 an ein Realgymnasium in Pasewalk versetzt. Da eine Beschwerde erfolglos blieb, bat Schmidt 1936 aus gesundheitlichen Gründen um die Ver-

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setzung in den Ruhestand. Er zog nach Göttingen um und arbeitete weiter an einem griechischen Wörterbuch, dessen Lemmata nach den Endsilben geordnet waren. Organisationen: bis 1918 Nationalliberale Partei; danach DNVP, ab 1931 bis zur Auflösung Kreisvorsitzender Stadt- und Landkreis Greifswald, bis 1934 Angehöriger des bürgerschaftlichen Kollegiums Greifswald; Reichsbund deutscher Offiziere; Kyffhäuserbund; 1929 Aufnahme in die Freimaurerloge Karl zu den drei Greifen, von 1933 bis zur Auflösung 2. Logenmeister Quellen: UAG PA 1914 Schmidt; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 204.

Außerordentliche und außerplanmäßige Professoren Allesch, Johannes von (* 25. Oktober 1882 in Graz; † 11. Juni 1967 Göttingen) Konfession: katholisch Vater: Oberst Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums Graz studierte von Allesch Geisteswissenschaften in Graz, München und Berlin. 1905/06 leistete er seinen Militärdienst, 1909 promovierte er in Berlin mit einer Arbeit über das Verhältnis der Ästhetik zur Psychologie zum Dr. phil. Aufenthalte in Italien, Frankreich, Belgien, Holland und Skandinavien folgten. 1912 wurde er außerplanmäßiger Assistent am Psychologischen Institut der Universität Berlin, 1914 meldete sich von Allesch als Freiwilliger, diente als Leutnant und erlitt während der serbischen Offensive 1916 einen Nervenzusammenbruch. Wieder kriegsdienstfähig, war er Kompanieführer unter anderem an der Isonzofront und wurde zum Oberleutnant befördert (ausgezeichnet mit dem Karl-Truppenkreuz). Im November 1918 entlassen, ging von Allesch zurück nach Deutschland und wurde 1921 planmäßiger Assistent am Psychologischen Seminar der Universität Berlin, wo er sich 1924 mit einer Studie über die ästhetische Erscheinungsweise der Farben für Philosophie habilitierte. Als Privatdozent lehrte er vor allem Psychologie und Ästhetik. 1927 erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität Greifswald für Psychologie, Ästhetik und Kunsttheorie (1929 Einengung des Lehrauftrags auf das Fach Psychologie und Leiter des Psychologisches Instituts). 1931 folgte die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor. Durch das Amt Wissenschaft in der Reichsleitung der NSDAP kam von Allesch 1938 im Zuge der „Rosenberg-Politik“ an die Universität Halle, um als ordentlicher Professor der Psychologie zu wirken. 1941 folgte er einem Ruf nach Göttingen, dort war er bis zur Emeritierung 1951 Direktor des Instituts für Psychologie und Pädagogik. Ab 1939 nahm er als Militärbeamter bei psychologischen Eignungsprüfungen im Wehrkreis IV teil, ab 1942 war er als Wehrmachtspsychologe in der Personalprüfstelle des Wehrkreises XI (Hannover) tätig.

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Organisationen: NSLB; NSV Quellen: UAG PA 199 Allesch; UAH Rep. 6 Nr. 1407, PA 3891 von Allesch; BA R 4901/13258 Karteikarte v. Allesch; Welker: Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 8; Paul, Rainer: Psychologie unter den Bedingungen der Kulturwende. Das Psychologische Institut 1933–1945, in: Becker, Universität Göttingen, S. 337–340.

Bol, Gerrit (* 29. Mai 1906 Amsterdam; † 21. Februar 1989) Vater: Hauptlehrer Konfession: gottgläubig Die Oberrealschule besuchte Bol in Amsterdam. Nach der Reifeprüfung 1923 studierte er Mathematik an der Universität Leiden und promovierte 1928 zum Dr. rer. nat. mit der Dissertation Vlakke Laguerre-Meetkunde. Danach absolvierte er eine militärische Ausbildung und nahm später regelmäßig an Übungen der niederländischen Armee teil (1935 Oberleutnant bei der Flugabwehrartillerie). Mit einem Stipendium ging er 1931 an die Universität Hamburg, wo er sich 1931 mit der Schrift Über topologische Invarianten von zwei Kurvenscharen im Raum habilitierte. Als Rockefeller-Stipendiat ging er im selben Jahr in die USA, wo er zur Topologie arbeitete. Gemeinsam mit seinem Hamburger Mentor Wilhelm Blaschke hielt er 1932 Gastvorlesungen in Chicago über die Galois‘sche Gleichungstheorie. Er kehrte als Assistent Blaschkes an die Universität Hamburg zurück, wo er sich mit Flächengeweben im drei- und vierdimensionalen Raum befasste. 1934/35 war er in den Niederlanden mit der Vertretung eines Ordinariats an der Universität Delft beauftragt, kehrte aber 1935 auf eine planmäßige Assistentenstelle an die Universität Hamburg zurück. Ab 1938 nahm er einen Lehrauftrag an der Universität Freiburg wahr. Hier wurde er 1939 zum beamteten Dozenten ernannt. Ab August 1939 bis zur Niederlage 1940 leistete Bol Kriegsdienst als Oberleutnant bei der Flak in der niederländischen Armee. Er kehrte nach Freiburg zurück, wo nach langen Erwägungen über seinen Status als Ausländer seine Stellung als Dozent neuer Ordnung 1941 bestätigt wurde. Da in Freiburg kriegswichtige Arbeiten liefen, wurde Bol 1942 nach Greifswald versetzt. Hier war er bis 1944 Direktor des Mathematischen Seminars. Im Herbst 1944 wurde er zum Reichsinstitut für Mathematik in Oberwolfach (Schwarzwald) abgestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Bol an die Universität Freiburg zurück und wurde 1948 zum ordentlichen Professor befördert. Hier arbeitete er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1971 und publizierte mehrere Monographien zur Differentialgeometrie (1950, 1954, 1967). Organisationen: – Quellen: UAG PA 20 Bol; R 989; BA R 4901/13259 Karteikarte Bol; R 4901/24.275; BA DS/ Wiss. B 30, Bl. 2070–2080; Wikipedia-Personeneintrag.

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Engel, Hans (* 20. Dezember 1894 Kairo (Ägypten); † 15. Mai 1970 Marburg) Vater: Sanitätsrat, Professor Konfession: evangelisch Nach dem Besuch des Realgymnasiums in München studierte Engel von 1913 bis 1924 an der Universität und an der Akademie für Tonkunst in München Klavier, Orgel, Komposition und Dirigieren sowie Musikwissenschaft. Von 1916 bis 1922 leistete er Kriegsdienst im Osmanischen Reich bzw. in der Türkei. Nach der Rückkehr arbeitete er als Theaterkapellmeister in München. Seine Studien schloss er 1925 mit einer Dissertation über die Entwicklung des Klavierkonzerts von Mozart bis Liszt ab und wurde zum Dr. phil. promoviert. Bereits im Jahr darauf wurde er an der Universität Greifswald habilitiert, wo er einen Lehrauftrag für Musikwissenschaft erhielt. Hier trieb er die Gründung eines Musikwissenschaftlichen Seminars voran, zu dessen Leiter er 1928 ernannt wurde. Die Beförderung zum außerordentlichen nichtbeamteten Professor folgte 1932. Seit 1935 vertrat Engel den vakanten Lehrstuhl für Musikwissenschaft an der Universität Königsberg, 1939 wurde er hier zum außerplanmäßigen Professor ernannt und 1944 zum ordentlichen Professor befördert. Durch die Evakuierung Königsbergs gelangte Engel zunächst nach Breslau, später nach Hessen. 1946 erhielt er an der Universität Marburg einen Lehrauftrag und wenig später eine ordentliche Professur. 1963 wurde Engel emeritiert. Er publizierte Monographien zu den Komponisten Carl Loewe (1934) und Franz List (1936) sowie zu den Beziehungen der deutschen und italienischen Musikgeschichte (1944). Organisationen: 1941 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 8.962.866 Quellen: UAG K 890; BA R 4901/13262 Karteikarte Engel, Karteikarte der NSDAP-Ortskartei; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 52 f.

Hartnack, Wilhelm (* 31. Januar 1893 Elberfeld; † 29. Juli 1963 Laasphe) Vater: Oberlehrer Konfession: gottgläubig, früher evangelisch Das Gymnasium besuchte Hartnack in Elberfeld. 1914 schrieb er sich an der Universität Erlangen ein und begann zugleich mit der militärischen Ausbildung als Einjährig-Freiwilliger bei der Infanterie. Von September 1914 bis zur Verwundung 1916 leistete er Kriegsdienst an der Westfront (ausgezeichnet mit dem Bayerischen Militärverdienstkreuz 3. Klasse). Danach war er Ausbilder, kam wieder an die Front, wurde verschüttet und für kriegsdienstuntauglich erklärt. Er setzte sein Studium der Geschichte, Germanistik und Geographie fort. In Erlangen diente er 1918 als Demobilisierungsoffizier in der Heeresverwaltung. 1919 kämpfte er im Freikorps der Erlanger Studentenschaft und nahm im Freikorps Epp an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik teil. Um seine Studien abzuschließen, wech-

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selte Hartnack an die Universität Greifswald, wo er 1921 das Staatsexamen ablegte und eine Assistentenstelle am Geographischen Institut antrat. Mit einer Schrift über die Küste Hinterpommerns promovierte er 1924 zum Dr. phil. Danach war Hartnack im Reichsamt für Landesaufnahme tätig, später allerdings ohne Stellung. Um ihm eine zweite Chance zu geben, ermöglichte ihm sein Mentor Gustav Braun 1928 die Habilitation mit einer Arbeit über die „Oberflächengestaltung der Rothaarlandschaft“. Trotz dieser Förderung geriet Hartnack wegen schwindender Kolleggeldeinnahmen in eine finanziell prekäre Situation. 1933 betätigte sich Hartnack, der erst in diesem Jahr den Weg zur NSDAP fand, aber auch der SS beitrat, als Denunziant und wurde wie erhofft durch einen dotierten Lehrauftrag für Kartenkunde und mathematische Geographie sichergestellt. Außerdem hielt er die Sondervorlesung zur Wehrgeographie und wurde 1934 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. Den Lehrstuhl erhielt er wegen mangelnder Qualifikation nicht, vertrat das Ordinariat aber wegen der Erkrankung des Inhabers mehrfach. 1939 folgte die Ernennung zum beamteten außerplanmäßigen Professor. Seit 1940 leistete Hartnack Kriegsdienst in verschiedenen logistischen Verbänden. Außerdem war er in Gotha beim Verlag Perthes/Haack mit der Adap­ tion sowjetischer Karten befasst. 1945 floh er in die Heimat seiner Familie und baute sich hier eine Existenz als Regionalhistoriker für das Wittgensteiner Land auf. Organisationen: 1922 DNVP; am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.180.260; NSLB; im November 1933 Eintritt in die SS, Mitglied Nr. 231.790, tätig im Motorsturm, befördert zum Obersturmführer, Sturmführer des Standortsturms Greifswald der SS Quellen: UAG PA 226 Hartnack, R 4901/13268 Karteikarte Hartnack; Schriften; WikipediaPersoneneintrag.

Hoheisel, Guido (* 14. Juli 1884 Breslau; † 11. Oktober 1968 Köln) Vater: Rentenbanksekretär Konfession: katholisch Volksschule und humanistisches Gymnasium besuchte Hoheisel in Breslau. Nach der Reifeprüfung 1914 schrieb er sich an der Universität Breslau ein. Am 2. September 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger, wurde aber als dienstuntauglich gemustert. Ab 1917 war er trotzdem beim Train der Feldartillerie eingesetzt. Sein Studium setzte er ab 1919 an der Universität Berlin fort und legte die Staatsprüfung für den höheren Schuldienst ab. 1920 promovierte er mit einer Dissertation über lineare funktionale Differentialgleichungen zum Dr. phil. 1921 Hilfsassistent an der TH Breslau, habilitierte er sich 1922 in Breslau und erhielt eine planmäßige Assistentenstelle. 1926 wurde ihm ein Lehrauftrag für Neuere Funktionentheorie erteilt. 1928 erhielt er den Titel eines außerordentlichen Professors. Seit 1935 nahm er einen Lehrauftrag an der Universität Greifswald wahr und vertrat

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ab 1938 eine Professur für Mathematik an der Universität Köln. Dort wurde er 1939 zum ordentlichen Professor ernannt und war ab 1940 Direktor des Mathematischen Instituts. 1962 wurde er emeritiert. Organisationen: 1930 Verein für das Deutschtum im Ausland; 1933 NS-Lehrerbund Quellen: BA R 4901/13266 Karteikarte Hoheisel; UAG PA 1238 Hoheisel, K 890; WikipediaPersoneneintrag.

Jung, Gerhard (24. August 1897 Barmen; † 24. Februar 1976 Kolbermoor (Bayern)) Vater: Lehrer Konfession: evangelisch Volksschule und Oberrealschule absolvierte Jung in Barmen (heute Wuppertal), das Notabitur legte er 1915 ab. Bereits 1914 hatte er sich als Kriegsfreiwilliger zur Infanterie gemeldet. Ab 1915 diente er als Leutnant in der Nachrichtenabteilung 8 Koblenz, wurde aber rasch zum Adjutanten befördert und im Stabsdienst beschäftigt. Ab November 1917 war er in höheren Stäben bei der Besatzungstruppe im Osten eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Ehrenkreuz 3. Klasse des Fürstentums Reuß). 1919 als Leutnant entlassen, studierte er Naturwissenschaften, insbesondere Mathematik, Physik und physikalische Chemie an der Universität Göttingen. Mit einer Arbeit zur photochemischen Chlorwasserstoffbildung promovierte er 1924 an der Universität Göttingen. Im selben Jahr erhielt er ein Stipendium der Notgemeinschaft und war an der Universität Berlin tätig. Dabei verzichtete Jung auf eine ihm angebotene Stellung „in der Technik“ und verfolgte den Weg zur Habilitation. 1926 erhielt er eine Stelle als Assistent an der Universität Greifswald und habilitierte sich im Mai 1927 am Chemischen Institut für das Fach physikalische Chemie. Eine planmäßige Assistentenstelle erhielt Jung zum 1. September 1933, ein Jahr später folgte die Verleihung des Professorentitels. 1936 wechselte Jung an das Forschungslaboratorium des Heeres in der Zitadelle Spandau und schied mit der Ernennung zum Oberregierungsrat der Heeresverwaltung als Dozent in Greifswald aus. Weitere biographische Daten konnten nicht ermittelt werden. Jung forschte zu photochemischen Prozessen, zur Reaktionskinetik, zu den optischen Eigenschaften von Oberflächenschichten und organischen Dipolen sowie der Abbildung von Molekülspektren verschiedener Gase. Organisationen: Ab November 1933 SA, Dienstgrad Sturmmann Quellen: UAG PA 230 Jung; BA R 4901/1814, Bl. 253; R 4901/13267 Karteikarte Jung, R 73/16.713; Auskunft des Standesamts Wuppertal.

Just, Günther (* 3. Januar 1892 Cottbus; † 30. August 1950 Tübingen) Vater: Eisenbahn-Oberingenieur

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Konfession: evangelisch Nach dem Besuch des Gymnasiums in Berlin studierte Just an der Universität Berlin Naturwissenschaften. 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst und wurde zunächst bei der Infanterie im Westen eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Später wurde er im Laboratorium des Beratenden Hygienikers der 18. Armee beschäftigt. Nach der Rückkehr promovierte er 1919 an der Universität Berlin mit einer Dissertation über den Nachweis von Mendelzahlen bei Organismen mit niedriger Nachkommenzahl und erhielt eine Assistentenstelle. 1920 konnte er mit einem Stipendium an der Biologischen Station auf der Insel Helgoland arbeiten, im Jahr darauf erhielt er eine Assistentenstelle am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie. Mit der Schrift Untersuchungen über Faktoraustausch. Untersuchungen zur Frage der Konstanz der Crossing-over-Werte habilitierte er sich 1923 an der Universität Greifswald und erhielt einen Lehrauftrag für Biologie und Vererbungslehre. Nach der Ablehnung eines Rufes an die Universität Santiago de Chile erhielt er 1928 den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors. 1929 wurde ihm die Leitung der neueingerichteten Abteilung für Vererbungswissenschaft am Biologischen Institut übertragen. Bereits 1933 profilierte er die Ausgründung zum Institut für Vererbungswissenschaft und sorgte noch im selben Jahr für die zukunftsträchtige Umbenennung zum Institut für Menschliche Erblehre und Eugenik, zu dessen Direktor er im Dezember 1933 formell bestellt wurde. Die Leitung des Instituts gab Just nicht ab, als er 1937 ins Reichsgesundheitsamt wechselte, wo er die Direktion eines für ihn geschaffenen erbwissenschaftlichen Forschungsinstituts antrat. Zum außerplanmäßigen Professor der Universität Greifswald wurde Just 1939 ernannt. 1942 folgte die Ernennung zum ordentlichen Professor der Universität Würzburg. 1945 entlassen, verbreitete Just anlässlich seiner Entnazifizierung die Legende, dass er von Nationalsozialisten systematisch in seiner Karriere gehemmt worden sei, was jedoch unzutreffend gewesen war. 1948 folgte die Berufung auf eine ordentliche Professur für Anthropologie an der Universität Tübingen. Organisationen: zum 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.180.259, 1933/34 Ortsgruppenschulungsleiter Greifswald-Ost; Förderndes Mitglied der SS; RLB; nach dem Umzug nach Berlin ab 1937 Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP Quellen: UAG PA 229 Just; BA R 4901/23491 und 13267 Karteikarte Just; UAG Phil. Fak. I Nr. 425; Der Erbarzt Nr. 5, 1936, S. 65; Felbor, Ute: Rassenbiologie und Vererbungswissenschaft in der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg 1937–1945, Würzburg 1995.

Klinghardt, Franz (* 24. November 1882 Dresden; † 11. Mai 1956 Berlin) Vater: Oberfinanzrat Konfession: evangelisch

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Klinghardt besuchte Gymnasien in Dresden und Frankfurt am Main. Er studierte in Freiburg und London Geologie, Paläontologie und Vorgeschichte und schloss das Studium an der Universität Jena 1911 mit einer Dissertation zur Stammesgeschichte kreidezeitlicher Seeigel ab. Den Militärdienst leistete er in einem Dragonerregiment in Mühlhausen (Elsass). Danach war er ab 1913 Assistent an der Universität Bonn und wurde 1914 in Greifswald habilitiert. Während des Ersten Weltkriegs betätigte er sich beim „vaterländischen Unterricht“ an der Front. Eigentlich war Klinghardt Spezialist für „Versteinerungskunde“ und insbesondere für die fossilen Muscheln. Von seinem auf vier Bände angelegten Werk über die Rudisten erschienen jedoch nur der Atlas zur Verbreitung und Figurenbeschreibung (1921) und ein schmaler Band zum Vergleich mit rezenten Muschelarten (1931). An der Universität Greifswald las Klinghardt unter anderem Vorgeschichte und Anthropologie. Außerdem leitete er die Grabungen zu den mittelsteinzeitlichen Siedlungen auf Rügen, zum Beispiel des Großsteingrabs bei Reddevitz. 1922 folgte die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor. Die Vorlesungstätigkeit musste Klinghardt wegen einer Nervenerkrankung jedoch 1926 einstellen und wurde dauerhaft beurlaubt. Er zog nach Berlin um und fand gelegentlich Beschäftigung an der Geologisch-Paläontologischen Sammlung der Universität. 1939 wurde er zum außerplanmäßigen Professor der Universität Berlin ernannt, war aber ab 1943 aus gesundheitlichen Gründen beurlaubt. Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.594.335; Kriegerverein Quellen: UAG K 5979, Bl. 10, 14; BA R 4901/13268 Karteikarte Klinghardt; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 114 f.

Kohler, Max (* 14. Mai 1911 Tuttlingen (Württemberg); † 31. März 1982 Sulzburg (Baden)) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch Die Abiturprüfung legte Kohler 1928 an der Oberrealschule in Tuttlingen ab. Er studierte Mathematik und Physik an den Universitäten Würzburg, Tübingen und Berlin. 1933 promovierte er mit der Dissertation Beiträge zum kosmologischen Problem und zur Lichtausbreitung in Schwerefeldern zum Dr. phil. und erhielt eine planmäßige Assistentenstelle am Institut für Theoretische Physik der Universität Berlin. Hier beschäftigte er sich mit der quantentheoretischen Begründung der Theorie der Röntgenstrahlung. 1936 wurde er mit einer Arbeit zur Elektronentheorie der Metalle regulärer und irregulärer Kristallformen an der Universität Berlin habilitiert und nach Absolvierung des Dozentenlagers zum Dozenten ernannt. Hier wurde ihm ein dotierter Lehrauftrag erteilt, seine Forschung zum Verhalten von Metallen bei tiefsten Temperaturen setzte er aber an der PhysikalischTechnischen Reichsanstalt fort. 1939 wurde Kohler zum Dozenten neuer Ordnung beru-

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fen. 1942 folgte die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor. Ein Jahr später wurde Kohler auf Wunsch Rudolf Seeligers zum außerplanmäßigen Professor und Direktor des Seminars für Theoretische Physik an der Universität Greifswald berufen. An die Universität kam er, ein förmlicher Dienstantritt ist nicht belegt, jedoch erst Ende 1944. Denn seit dem 26. August 1939 war Kohler als Regierungsrat auf Kriegszeit bei der Luftwaffe tätig (ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse) und arbeitete ab 1941 als Meteorologe auf einem Fliegerhorst auf Sizilien. Wahrscheinlich geriet er in französische Kriegsgefangenschaft und arbeitete ab 1945 im deutsch-französischen Forschungsinstitut in St. Louis im Elsass, dessen Aufgabe der Technologietransfer der deutschen Rüstungsforschung war. 1949 kehrte Kohler nach Deutschland zurück und wurde zum außerplanmäßigen Professor an der TH Braunschweig ernannt und 1953 zum ordentlichen Professor befördert. Dort amtierte er 1962/63 als Rektor. 1966 wechselte Kohler an die Universität Göttingen, wo er sich weiterhin mit experimentalphysikalischen Fragen befasste und sich der Wissenschaftsgeschichte widmete. Unter anderem gab er die Schriften Max von Laues heraus. Organisationen: seit 1. November 1933 SS-Mitglied, höchster Dienstgrad Unterscharführer; Beitritt zum NSD-Dozentenbund, Reichsluftschutzbund und dem DRK; Aufnahme in die NSDAP zum 1. Mai 1937, Mitglied Nr. 4.358.699 Quellen: UAG PA 231 Kohler, BA R 4901/24006 und 13268 Karteikarte Kohler; Kürschner; Goenner, H. und R. Klein: Nachruf auf Max Kohler, in: Physikalische Blätter, 38. Jg. 1982, Nr. 9, S. 298 f.

Lange, Siegfried (* 26. September 1891 Lüben (Schlesien); † 26. März 1947 Paschkowskaja bei Krasnodar (UdSSR)) Vater: Eisenbahnobersekretär Konfession: evangelisch Lange besuchte das Gymnasium in Görlitz (Reifeprüfung 1911). Er studierte Mathematik, Physik, Biologie und Philosophie an den Universitäten Berlin und Greifswald. Die erste Staatsprüfung für das höhere Lehramt in Mathematik, Physik und Biologie legte er bereits 1912 ab und konzentrierte sich jetzt auf das Studium der Botanik. 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger zum Infanterieregiment 19. Mit seiner Einheit wurde er vor Verdun eingesetzt, wobei sich Lange auszeichnete (1915 befördert zum Leutnant; ausgezeichnet unter anderem mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und dem Österreichischen Militärverdienstkreuz). 1916 wurde er nach dreimaliger Verwundung in eine Ausbildungsabteilung versetzt. Als Kompanieführer einer Nachrichtenabteilung geriet Lange 1918 in britische Gefangenschaft. 1919 entlassen, nahm er 1920 als Zeitfreiwilliger am Kapp-Putsch in Greifswald teil. Im selben Jahr erhielt Lange eine planmäßige Assistentenstelle am Botanischen Institut an der Universität Greifswald und promovierte 1921 mit der Dissertation Beiträge zu einer Algenflora der Umgegend von Greifswald. 1927 habilitierte er sich mit der

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Studie Die Verteilung der Lichtempfindlichkeit in der Spitze der Haferkoleoptile für Botanik. Die subjektive Fehlentscheidung für das damals randständige Gebiet der Reizphysiologie versuchte Lange durch Arbeiten zur Pflanzenpathologie zu kompensieren. Die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor folgte 1933. Lange engagierte sich in der Dozentenschaft und amtierte von November 1933 bis Herbst 1935 als deren Führer im Senat und an der Universität. Als Offizier ließ sich Lange 1935 reaktivieren. 1935 wurde er nebenamtlich Leiter der Volksbildungsstätte in Greifswald. Seit 1936 leitete er auch die Hauptstelle für Heimatforschung und -pflege an der Universität und war mit der Neuordnung der volkskundlichen Forschung betraut. Außerdem leitete er die Pressestelle der Universität und das Gaupressereferat des NSD-Dozentenbundes. 1938 nahm Lange als Hauptmann in einem Infanterieregiment am Einmarsch ins Sudetenland teil. Da Lange wegen seines geringen wissenschaftlichen Werks für einen Lehrstuhl nicht in Frage kam, erhielt er 1939 eine außerplanmäßige Professur und wurde 1940 zum Leiter der neueingerichteten Abteilung für Pflanzenkrankheiten im Botanischen Institut ernannt. Im selben Jahr zum Kriegsdienst eingezogen, war er in verschiedenen Stäben der Besatzungstruppe in Frankreich eingesetzt. Im April 1944 kehrte Lange nach Greifswald zurück und wurde im Frühjahr 1945 als Major für den Volkssturm reaktiviert. Er geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft und starb in einem Lazarett für Kriegsgefangene. Organisationen: im April 1933 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.155; im November 1933 Eintritt in die SA, 1935 Scharführer; NSLB; von November 1933 bis 1935 Dozentenschaftsführer; im Reichsluftschutzbund tätig als Blockwart Quellen: UAG PA 236 Lange; BA R 4901/13270 Karteikarte Lange; R 4901/1814, Bl. 244; UAG K Nr. 886, Bl. 136; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 131.

Lüttringhaus, Arthur (* 6. Juli 1906 Köln-Mülheim; † 27. Mai 1992 Freiburg im Breisgau) Vater: Fabrikant Konfession: römisch-katholisch Nach der Reifeprüfung am Realgymnasium Köln-Mülheim studierte Lüttringhaus ab 1924 Chemie in Münster und Göttingen. 1928 legte er das Diplomexamen ab und promovierte 1930 in Göttingen mit der Dissertation Über einige Dehydrierungen und Oxydationen in der Ergosterinreihe zum Dr. phil. In der Forschergruppe des Nobelpreisträgers Adolf Windaus gehörte er zu den maßgeblichen Mitarbeitern, denen die erstmalige Kristallisation der Vitamine D1 und D2 gelang. Danach finanzierte er die weitere wissenschaftliche Arbeit mit Stipendien der DFG, bis er eine Assistentenstelle bei Karl Ziegler in Heidelberg erhielt. 1936 trat Lüttringhaus eine Assistentenstelle am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie in Berlin an. Die Habilitation erfolgte 1937 in Heidelberg mit einer Studie „zur Stereochemie aromatischer Ringsysteme“. Nach kurzer Ausbildung bei der Flak

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wurde Lüttringhaus 1938 der Universität Berlin als Dozent zugewiesen. Im selben Jahr übernahm er eine Stelle als Abteilungsleiter für organische Chemie innerhalb des KaiserWilhelm-Instituts für Physikalische Chemie. 1940 vertrat er den Lehrstuhl für Organische Chemie an der Universität Greifswald, auf den er 1941 berufen wurde (eingestuft als planmäßiger außerordentlicher Professor). Hier forschte er im Grenzgebiet der militärisch und zivil nutzbaren Chemie und bearbeitete außerdem mindestens einen Auftrag der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes zu Sprengstoffen, der den unverfänglichen Titel Untersuchungen über Amide trug. Nach der Schließung des Chemischen Instituts war Lüttringhaus, der seine Mitgliedschaft in der NSDAP stets leugnete, im Sommer 1945 in der Stadtverwaltung Greifswald tätig und wurde als Verbindungsmann zur Universität angesehen. 1947 erhielt er einen Ruf auf eine ordentliche Professur für Organische Chemie an der Universität Halle. In die Bundesrepublik wechselte er 1951. Er erhielt ein Ordinariat für Organische Chemie an der Universität Freiburg, wo er 1972 emeritiert wurde. Organisationen: 1929 bis 1932 DNVP; 1932 Stahlhelm überführt in SA, Scharführer; NSD-Dozentenbund; NSV; RLB; 1940 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 8.159.499; 1945 CDU Quellen: UAG PA 237 Lüttringhaus; BA R 4901/13270 Karteikarte Lüttringhaus; Mitgliedskarte NSDAP Ortskartei; Nagel, Wissenschaft für den Krieg, S. 146.

Mager, Friedrich (* 13. Juli 1885 Lauban (Schlesien); † 17. März 1974 Greifswald) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch Das humanistische Gymnasium besuchte Mager in Lauban. Er studierte Orientalische Philologie, Germanistik, Geschichte, Geographie und Volkswirtschaftslehre in Greifswald, Halle und Breslau und promovierte 1910 in Greifswald mit einer historischen Dissertation über „Herzog Ernst II. und die schleswig-holsteinische Frage 1863‒1866“. Danach arbeitete Mager als Hauslehrer in Oberschlesien und Schleswig. Dort wurde er zur Mitarbeit am Historischen Atlas für Niedersachsen herangezogen. Danach unternahm er eine Reise auf dem Fischdampfer durch den Nordatlantik. Wegen seiner schwachen Konstitution und hochgradigen Kurzsichtigkeit wurde er zum Kriegsdienst zunächst nicht herangezogen. Er habilitierte sich 1916 an der Universität Königsberg für das Fach Geographie und wurde jetzt als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Etappeninspektion des Kurlands eingesetzt. Hier befasste er sich mit der Wirtschaftsgeographie des Baltikums. Eine beamtete Assistentenstelle erhielt Mager 1919 an der Universität Königsberg, zusätzlich 1920 einen Lehrauftrag für Wirtschaftsgeographie. 1922 folgte die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor. In den Folgejahren scheiterte Mager mehrfach bei Lehrstuhlvertretungen, unter anderem in Königsberg, Kiel und Marburg. Wegen seiner unstrittigen

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Qualifikation auf dem Gebiet der historischen Geographie wurde Mager jedoch 1939 zum außerplanmäßigen beamteten Professor ernannt und 1941 als außerplanmäßiger Professor für Geschichtliche Landeskunde an die Universität Greifswald berufen. Nach der Entnazifizierung erhielt Mager 1946 den Lehrstuhl zurück und forschte weiter zur historischen Geographie und zu der Entstehung von Kulturlandschaften. 1953 wurde er emeritiert. Mager veröffentlichte 1920 eine grundlegende Studie zur Wirtschafts, Siedlungs- und Verkehrsgeographie Kurlands (Lettlands) sowie patriotisch inspirierte Studien über Ostpreußen. Mit seinen Arbeiten zur historischen Waldforschung und zum Wildbann gilt er als Wegbereiter der Umweltgeschichte. Organisationen: NSV; NSLB; Altherrenschaft des NSDStB; Förderndes Mitglied der SS; 1945 CDU; 1946 FDGB; 1947 DSF; Kulturbund Quellen: UAG PA 242 Mager; BA R 4901/13271 Karteikarte Mager; Kürschner.

Markwardt, Bruno (* 19. April 1899 Göhren auf Rügen; † 17. März 1972 Stralsund) Vater: Logierhausbesitzer Konfession: evangelisch Markwardt besuchte das Gymnasium in Stralsund. 1917 wurde er nach dem Abitur zur Artillerie eingezogen, jedoch wegen einer psychischen Erkrankung als „kriegsunbrauchbar“ entlassen. Er studierte Germanistik in Greifswald, Leipzig und Berlin und promovierte 1922 mit einer Dissertation über Johann Gottfried Herders Kritische Wälder, ein Beitrag zur Kunst- und Weltanschauung des jungen Herder“ ab. Danach war er als Hauslehrer tätig. 1924 habilitierte er sich mit einer Studie über Lessings „Kampfprosa“ an der Universität Greifswald für Deutsche Sprache und Literatur. 1927 erhielt er einen Lehrauftrag für Stilkunde und Theaterwissenschaft, 1932 wurde er zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. 1939 folgte die Ernennung zum beamteten außerplanmäßigen Professor. Im September 1942 wurde Markwardt zum Kriegsdienst eingezogen, im Oktober 1943 jedoch wieder von der Universität angefordert. 1944 vertrat er einen Lehrstuhl an der Universität Kiel. 1946 wurde ihm von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern wegen seiner SA-Mitgliedschaft gekündigt. Markwardt erhielt jedoch einen Forschungsauftrag und wurde als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Germanistischen Seminar beschäftigt. 1949/50 lehrte er als Dozent an der Volkshochschule und wurde 1951 erneut als Dozent für Neugermanistik an der Universität beschäftigt. 1952 erhielt er eine Professur mit Lehrauftrag für Neuere Deutsche Literatur und wurde 1964 in den Ruhestand versetzt. Markwardt publizierte zur Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Unter anderem gab er die Werke Heinrich von Kleists und eine plattdeutsche Gedichtsammlung heraus. Sein Hauptwerk war eine fünfbändige Geschichte der deutschen Poetik (1937‒1967).

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Organisationen: von November 1933 bis Mai 1935 SA-Reserve; 1935 RLB überführt zum SA-Fliegersturm; 1936 Förderndes Mitglied des NSFK; 1945 CDU, Mitgründer der Ortsgruppe Greifswald; FDGB; Kulturbund Quellen: UAG PA 1494 Markwardt, BA R 4901/1814 und 13271 Karteikarte Markwardt; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 155 f.

Noack, Ulrich (* 2. Juni 1899 Darmstadt; † 14. November 1974 Würzburg) Vater: Universitätsprofessor für Archäologie Konfession: evangelisch Der an Asthma bronchiale Erkrankte besuchte zunächst das humanistische Gymnasium in Tübingen, später Schulen in der Schweiz. Die Reifeprüfung legte er 1919 in Davos ab. Er studierte Geschichte und Philosophie an den Universitäten Berlin, Göttingen und München. An der Universität Berlin promovierte er 1925 mit der schmalen Dissertation Balkanproblem und Präventivkrieg unter dem Fürsten Bismarck. Das System der Aushilfen 1887 zum Dr. phil. Das erweiterte Buch über Bismarcks Friedenspolitik und das Problem des deutschen Machtverfalls (1928) wurde wegen seiner kritischen Betrachtung des Reichskanzlers angefeindet. Seit 1925 unternahm Noack Studienreisen nach Italien und England, wo er sich mit dem Geschichtsphilosophen Arnold J. Toynbee (1889–1975) anfreundete, dessen geostrategisches Denken er adaptierte. Seit 1927 reiste er jährlich nach Norwegen zur Familie seiner Frau Valborg, der Tochter des Professors für Hygiene Axel Holst (1860– 1931). An der Universität Frankfurt wurde Noack 1929 habilitiert. Die erweiterte Habilitationsschrift über den britischen Gelehrten John Dalberg-Acton (1834–1902) publizierte er erst 1936 unter dem provokanten Titel Katholizität und Geistesfreiheit, was die Gestapo veranlasste, das Buch zu verbieten. Nicht zuletzt deshalb war Noack nach 1933 mehrfach in universitäre bzw. politische Konflikte verwickelt. Verübelt wurde ihm zum Beispiel eine Überlegung zu der Frage, wie sich ein deutsches Kolonialgebiet in Afrika sinnvoll etablieren ließe – auf Kosten Frankreichs und entlang ethnischer Grenzziehungen. Da es Noack gelang, trotz der Anfeindungen durch Kollegen der Universität Frankfurt ein gutes Verhältnis zum Wissenschaftsministerium herzustellen, wurde er 1937/38 mit der Vertretung des vakanten Lehrstuhls für Mittlere und Neuere Geschichte in Halle beauftragt. Wegen mangelnden Lehrerfolgs erhielt er das Ordinariat nicht, bekam aber ein Forschungsstipendium für ein Buchprojekt. Er zog nach Oslo um und trat dort der NSDAP bei. Band 1 der geplanten Geschichte der nordischen Staaten erschien 1941 (Nordische Frühgeschichte und Wikingerzeit). Bereits 1940 war er der Universität Greifswald als beamteter Dozent zugewiesen worden. In Norwegen entfaltete Noack politische Aktivitäten, unter anderem ermöglichte er Ende 1939 den Besuch Vidkun Quieslings (1887–1945) in Berlin, was vom Auswärtigen Amt als unangemessen empfunden wurde. Noack wurde daraufhin 1940

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nach Greifswald versetzt und zum Direktor des Norwegischen Instituts ernannt. Die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor folgte 1942. Da sich in Noacks umfangreichem Bekannten- und Freundeskreis Angehörige der Verschwörung des 20. Juli 1944 befanden, wurde er im Herbst 1944 verhaftet, aber nach wenigen Wochen entlassen. Ende 1944 fand Noack Kontakt zu einem Gesprächskreis, dem auch ehemalige Kommunisten und Sozialdemokraten angehörten, im Entnazifizierungsverfahren überhöhte er diese Kontakte zu widerständigem Verhalten. Er gehörte jedoch einem am 15. Mai 1945 gegründeten Hochschullehrerbund zur demokratischen Erneuerung an und trat wenig später der CDU bei. Da sich die personelle Überprüfung in Greifswald hinzog, nahm Noack 1946 den Ruf auf ein Ordinariat für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Würzburg an, wo er 1964 emeritiert wurde. Hier wirkte Noack vor allem als Publizist und Politiker. 1948 gründete er den Nauheimer Kreis, der sich für die politische Neutralität eines wiedervereinigten Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und Finnlands einsetzte und gegen die geplante Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland eintrat. 1951 aus der CSU ausgeschlossen, gründete er die Gruppe Freie Mitte. Von 1956 bis 1960 war er Mitglied der FDP, danach näherte er sich der SPD an. Organisationen: 14. Januar 1939 NSDAP-Anwärter, Parteiausweis Nr. 9 der Ortsgruppe Oslo Quellen: UAG PA 2445 Noack, zum Parteibeitritt vgl. ebd. Bd. 1, Bl. 7; UAH PA 12034 Noack, BA 4901/23004 Noack; DBE Bd. 7, S. 428; Altgeld, Wolfgang: Nauheimer Kreis, in: Historisches Lexikon Bayerns, www.historisches-lexikon-bayerns.de.

Paul, Johannes (* 12. Mai 1891 Leipzig; † 17. Mai 1990 Hamburg) Vater: Reichskriegsgerichtsrat Konfession: evangelisch-lutherisch Paul besuchte humanistische Gymnasien in Dresden und Leipzig, wo er 1910 an der Thomasschule die Reifeprüfung ablegte. Er studierte in Leipzig, München und wieder Leipzig vor allem Geschichte und Germanische Philologie. Schon seit 1907 reiste er regelmäßig nach Schweden und entwickelte eine enge Beziehung zu dem Land, aus dem auch seine spätere Ehefrau kam. Weitere Auslandsreisen führten ihn nach Großbritannien, wo er Bibliotheken und Archive nutzte. 1914 legte er das Doktorexamen (Rigorosum) ab, seine Dissertation über den Niedergang der hansischen Herrschaft in der Ostsee stellte er kriegsbedingt erst 1918 fertig (Lübeck und die Wasa, publiziert 1920). Mit Kriegsausbruch meldete sich Paul freiwillig und wurde an der Westfront eingesetzt. Er wurde rasch zum Leutnant und Kompanieführer befördert. Bei der Erstürmung des Fort Douaumont (bei Verdun) wurde er im März 1916 verwundet (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Ritterkreuz 2. Klasse des Albrechtsordens). Nach seiner Genesung wurde Paul in Stäben einge-

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setzt und 1917 als Adjutant zum Militärbevollmächtigten an der Deutschen Gesandtschaft in Stockholm versetzt. Die mit schwedischem Archivmaterial unterfütterte Dissertation reichte er im Sommer 1918 ein, reiste jedoch erst 1919 nach Leipzig, um das Staatsexamen für die Fächer Geschichte, Englisch und Deutsch abzulegen. Danach kehrte er nach Schweden zurück, arbeitete als Lehrer und setzte seine Studien fort. Nach eigener Angabe kämpfte er 1920 in einem Freikorps, möglicherweise bei der Niederschlagung kommunistischer Unruhen in Leipzig. Mit einer Studie über den schwedischen Nationalhelden Engelbrecht Engelbrechtson, den Führer des nach ihm benannten Aufstands am Ausgang des Mittelalters (1434–1436), habilitierte er sich 1921 an der Universität Greifswald für Mittlere und Neuere Geschichte. Er erhielt eine Assistentenstelle im Nordischen Institut und publizierte eine dreibändige Biographie des Königs und Heerführers im Dreißigjährigen Krieg Gustav II. Adolfm die zwischen 1927 und 1932 erschienen. Außerdem verfasste er zwei populärwissenschaftliche Schriften über Nordische Geschichte (1925) sowie Reformation und Gegenreformation (1931). Den Professorentitel erhielt er 1928. Von 1930 bis 1932 lehrte er als ordentlicher Professor am Herder-Institut in Riga. Während der Umgestaltungen des Jahres 1933 setzte Paul die Ausgründung eines Schwedischen Instituts aus dem Nordischen Institut in Greifswald durch, dessen Leitung ihm übertragen wurde. 1935 folgte die Ernennung zum planmäßigen außerordentlichen Professor für Mittlere und Neuere Geschichte. Als Institutsdirektor versuchte Paul sich eine Position als Vermittler zwischen den beiden Kulturen zu erarbeiten. Zugleich suchte er schon 1935 den Kontakt zum Amt Abwehr der Wehrmacht und absolvierte Übungen als Reserveoffizier. Da er 1938 einen Unfall erlitt, wurde er erst 1940 zum Kriegsdienst eingezogen. Er wurde noch im selben Jahr wieder entlassen, aber 1941 wieder eingezogen. Innerhalb der Abwehr war er danach in Finnland mit dem Aufbau von Strukturen beschäftigt, die das Einschleusen sowjetischer Agenten verhindern sollte (beim sogenannten Büro Cellarius, ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern und dem Finnischen Freiheitskreuz IV. Klasse). Im Februar 1944 wurde Paul auf Bitten des Propagandaministeriums von der Wehrmacht entlassen. Seit Mai 1944 war er bei der Ländergruppe Nord der deutschen Europasender in Königsberg eingesetzt. Nach Greifswald kehrte er im Oktober 1944 zurück. Im April 1945 wurde er für den Volkssturm reaktiviert, kapitulierte auf Rügen und wurde am 16. Mai 1945 vom NKWD verhaftet. Wegen „Spionage“ wurde er am 27. März 1946 zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt, jedoch 2001 von der russischen Justiz rehabilitiert. Paul kehrte 1955 als sogenannter Spätheimkehrer in die Bundesrepublik zurück und wurde als Professor emeritus der Universität Hamburg zugewiesen. Hier engagierte er sich für die Belange der pommerschen Vertriebenen und frischte Kontakte zur Wissenschaft in Skandinavien auf. Organisationen: seit Mai 1933 SA, 1934 Oberscharführer, Führer des Trupps II 31/49, Schulungsleiter; am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.963.877

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Quellen: UAG PA 248 Paul; BA R 4901/23709 PA Paul; Nase, Marco: „Att Sverige skall dominera här“. Johannes Paul und das schwedische Institut der Universität Greifswald 1933–1945, Greifswald 2014, Auskunft des FSB-Archivs Moskau.

Petersen, Carl (* 5. März 1885 in Hvidding (Nordschleswig); † 26. Januar 1942 Berlin) Vater: Pastor, später Generalsuperintendent Konfession: evangelisch-lutherisch Das Gymnasium besuchte Petersen in der 1920 an Dänemark abgetretenen Kreisstadt Hadersleben. Nach der Reifeprüfung (1904) studierte er Theologie, Geschichte, Philosophie und Germanistik an den Universitäten Tübingen, Leipzig und Berlin. Hier promovierte er 1911 mit einer Dissertation zur Geschichte des brandenburgischen Adels im 17. Jahrhundert. Ab 1915 leistete er Kriegsdienst im Osten (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse), dann in einem Kraftfahrbataillon. 1919 wurde er als Leutnant demobilisiert. Er trat eine Stelle als Hilfsarbeiter im Konsistorium in Kiel an und habilitierte sich 1922 an der Universität Kiel mit einer Geschichte des Kreises Beeskow-Storkow. 1924 erhielt er einen dotierten Lehrauftrag für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und wurde 1927 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. Seit 1931 arbeitete er im Auftrag der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften als Redakteur und Herausgeber des Handwörterbuchs des Grenz- und Auslandsdeutschtums. Neben dieser Tätigkeit veröffentliche Petersen Neuerzählungen germanischer Heldensagen, publizierte zur Geschichte der Musik, zum Dichter Friedrich Hölderlin und mehrfach zum „nordischen Geist“. Nach der Fertigstellung des Handwörterbuchs 1939 erhielt Petersen einen Lehrauftrag für Mittlere und Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der nordischen Geistes- und Kulturgeschichte an der Universität Greifswald. Er starb an einem Herzleiden. Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.733.236 Quellen: UAG PA 128 Petersen; BA R 4901/13273 Karteikarte Petersen; Fahlbusch, Michael: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik, Baden-Baden 1999, S. 149–172.

Petzsch, Wilhelm (* 29. Januar 1892 Schivelbein (Pommern); † 18. Juli 1938 Greifswald) Vater: Pastor Konfession: evangelisch-lutherisch Petzsch besuchte die Gymnasien in Stolp und Pyritz. Nach der Reifeprüfung 1911 studierte er in Greifswald und Freiburg Klassische Philologie, Geschichte und Archäologie. Das Staatsexamen legte er 1915 ab. Danach leistete er Kriegsdienst als Freiwilliger Krankenpfleger. 1916 erhielt Petzsch eine Stelle als Lehrer am Pädagogium Putbus. An der Universität Greifswald promovierte er 1922 mit einer umfangreichen Studie über Cicero zum

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Dr. phil. (De M. Tulli Ciceronis orationum textus historia questiones selectae). 1922/23 war Petzsch vorübergehend am Greifswalder Gymnasium tätig und wurde von Erich Pernice zur Neuordnung der Universitätssammlung vaterländischer Altertümer herangezogen. Zurück in Putbus wurde er ab 1923 auch staatlicher Pfleger der kulturgeschichtlichen Bodenaltertümer Rügens. Die Stelle als Kustos in der Vorgeschichtssammlung des Stralsunder Museums wurde ihm 1926 übertragen. 1928 habilitierte er sich an der Universität Greifswald mit einer Arbeit zur Steinzeit in Pommern für das bis dahin nicht an der Universität gelehrte Fach Vor- und Frühgeschichte. Seine Antrittsvorlesung hielt er über Kulturen und Völker im vorgeschichtlichen Raum Rügens. Im selben Jahr wurde er an das Gymnasium Greifswald versetzt und zum Teil von den Unterrichtsverpflichtungen befreit. Die Ernennung zum nichtbeamteten Professor erfolgte 1935. Im Jahr darauf erhielt er auf Betreiben der Philosophischen Fakultät eine Stelle als beamteter außerordentlicher Professor und wurde zum Direktor des neugebildeten Seminars für Vorgeschichte ernannt. Petzsch veröffentlichte vor allem Fund- und Grabungsberichte, aber auch eine sachliche Überblicksdarstellung zum Stand der Archäologie im Deutschen Reich (Deutsche Ausgrabungen auf deutschem Boden, 1933). In Reden und Zeitschriftenartikeln polemisierte Petzsch scharf gegen die Auffassung polnischer Vorgeschichtsforscher, dass Pommern durchgängig slawisch besiedelt gewesen sei. Er starb an den Folgen eines Unfalls, der sich bei einer Grabung mit Studierenden auf Rügen ereignete. Organisationen: Eintritt in den NS-Frontkämpferbund (Stahlhelm) im November 1933; NSLB; RLB; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.107.144 Quellen: UAG PA 127 Petzsch, R 845; BA R 4901/13270 Karteikarte Petzsch; Kunkel, Otto: Wilhelm Petzsch zum Gedächtnis, in: Mitteilungen aus dem Vorgeschichtlichen Seminar der Universität Greifswald Heft 11/12, 1938, S. 15–22.

Pyl, Gottfried (* 8. November 1897 Hoheheide Kreis Anklam; † 8. Mai 1956 Insel Riems) Vater: Forstmeister Konfession: evangelisch Pyl besuchte die humanistischen Gymnasien in Anklam und Greifswald. 1916 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst und wurde in einem Grenadierregiment zu Pferde in Russland und Serbien eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse). 1918 wurde er Zugführer in einer Maschinengewehrabteilung. 1919 wurde er als Leutnant der Reserve entlassen. Er studierte zunächst Jura, nach einem Jahr wechselte er zur Chemie. 1922 promovierte Pyl mit einer Untersuchung über Indigo- und Malonesterfarbstoffe zum Dr. phil. und wurde im Chemischen Institut der Universität Greifswald eingestellt. Hier bearbeitete er Industrieaufträgen unter anderem zur Hydrierung von Kautschuk. 1930 wechselte er an die Staatliche Forschungsanstalt auf der Insel Riems, wo er sich chemischen

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Analysen der Virusforschung widmete. 1932 habilitierte er sich in Greifswald für Enzymchemie, die Antrittsvorlesung hielt er über die technische Verwendung von Enzymen. 1936 wechselte Pyl zur IG Farben, wo er unter anderem in den Behringwerken Marburg tätig war. 1939 wurde Pyl zum Dozenten ernannt und kehrte 1940 als Abteilungsleiter für Chemie und Impfstoffbereitung auf die Insel Riems zurück. Pyl vertrat die These, dass es sich beim Virus um eine Eiweißstruktur handeln müsse, und versuchte dies experimentell zu belegen, was jedoch anderen schneller gelang. Er befasste sich hier mit der Reindarstellung und Konservierung von Maul-und-Klauenseuche-Viren, außerdem mit der Analyse von Mischkrankheiten. 1942 wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt. 1947 entlassen, ging er nach Anhalt, wo er den VEB Dessau-Serum (ASID) aufbaute. 1949 kehrte er nach Riems zurück und wurde erneut Abteilungsleiter. 1951 nahm er einen Lehrauftrag an der Universität Halle wahr, ab 1952 einen Lehrauftrag für Enzymchemie an der Universität Greifswald. Organisationen: 1919 bis 1930 DNVP; seit Gründung bis 1930 Stahlhelm; ab 5. November 1933 SA-Reserve I, Dienstgrad Sturmmann; 1936 bis 1945 DAF; 1947 FDGB; 1949 Kulturbund; 1951 DSF Quellen: UAG PA 246 Pyl; BA R 4901/13273 Karteikarte Pyl und 23643.

Reinkober, Otto (* 13. August 1884 Salzbrunn (Kreis Waldenburg, Schlesien); † 30. Juni 1947 Neubrandenburg (Lager Fünfeichen)) Vater: Kreisarzt Konfession: evangelisch Nach dem Besuch des Gymnasiums Wohlau studierte Reinkober an den Technischen Hochschulen in München und Berlin, ab 1906 an der Universität Berlin Naturwissenschaften. Mit einer Dissertation über Absorption und Reflexion ultraroter Strahlen promovierte er 1910 zum Dr. phil. und diente als Einjährig-Freiwilliger bei der Feldartillerie. 1911 wurde er Assistent an der TH Berlin, im Jahr darauf wechselte er als Assistent an das Physikalische Institut der TH Danzig. Von August 1914 bis September 1917 leistete er Kriegsdienst beim Feldartillerieregiment 36 und im Reservefeldartillerieregiment 19 (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und dem Braunschweigischen Kriegsverdienstkreuz). Ab 1918 arbeitete er in der Röhrenfabrik bei Telefunken. Mit einer Studie über ultrarote Eigenfrequenzen in Spektren von Salzen habilitierte sich Reinkober 1920 in Danzig. Mit seinem Mentor Friedrich Krüger wechselte er 1921 als planmäßiger Assistent an die Universität Greifswald und wurde 1926 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. Eine Festanstellung als außerplanmäßiger Professor erhielt er erst 1939. Mit Kriegsbeginn nahm Reinkober als Messtruppoffizier am Polenfeldzug teil. Im Januar 1940 wurde er unabkömmlich gestellt, um den Lehrstuhl des erkrankten Friedrich Krüger

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zu vertreten. 1942 wurde er zum Leiter der neueingerichteten Abteilung für Angewandte Physik und Wehrphysik befördert. 1945 entlassen, wurde Reinkober im Mai 1946 verhaftet und ins Lager Fünfeichen verbracht, wo er verstarb. Organisationen: 1923 Eintritt in den Stahlhelm, 1934 in die SA überführt, 1934/35 Sturmführer SA-Reserve I; Regimentsvereinigung des Reserve-Feldartillerieregiments 19; 1934 NSV; RdB; Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.956.095; Vereinsleiter des Akademischen Seglervereins Quellen: UAG PA 1735 Reinkober; BA R 4901/13274 Karteikarte Reinkober; Schriften.

Richter, Konrad (* 7. Oktober 1903 Stettin; † 12. August 1979 Hannover) Vater: Mittelschulkonrektor Konfession: evangelisch Richter legte die Reifeprüfung am Stadtgymnasium Stettin ab. Er studierte in Greifswald, Freiburg, Göttingen und wieder Greifswald Geologie, Paläontologie, Zoologie, Geographie, Botanik und Mineralogie. Außerdem absolvierte er einen Kursus in Moorgeologie bei der Preußischen Geologischen Landesanstalt. 1927 promovierte er mit einer Studie 1927 über Stratigraphie und Entwicklungsgeschichte mittelpommerscher Tertiärhöhen zum Dr. phil. Im Oktober 1927 erhielt er eine planmäßige Assistentenstelle am Geologischen Institut der Universität Greifswald und habilitierte sich 1933 mit einer Studie über Gefüge und Zusammensetzung des norddeutschen Jungmoränengebiets für Geologie und Paläontologie. Darin rekonstruierte er unter anderem die Fließrichtung von Gletschern, was weitreichende Rückschlüsse auf Landschaftsformen zuließ. Die Antrittsvorlesung hielt er über „Die Rolle des Radiums in Erdgeschichte, Phylogenie und praktischer Geologie“. Im Auftrag der Vierjahresplanbehörden (Büro Keppler) führte er ab 1936 Geländeuntersuchungen zur Auffindung von Phosphatlagerstätten und Doggereisenerzen in Ostpommern durch und befasste sich mit den Bodenschätzen Rügens. 1939 zum außerplanmäßigen Professor ernannt, wurde er 1939 eingezogen und als Wehrmachtsgeologe in Norwegen eingesetzt. Aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen, war er ab 1947 im Auftrag der Besatzungsmacht tätig und wurde später Bezirksgeologe am Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung. 1952 erhielt Richter eine außerplanmäßige Professur an der TH Braunschweig und wurde 1963 auf die ordentliche Professor für Geologie an der TH Hannover berufen, wo er als Direktor des Geologischen Instituts amtierte. Richter wurde 1971 emeritiert. Organisationen: Juni 1933 Eintritt in die SA und das NSKK, Sturmmann im Nachrichtensturm 8/49, 1937 NSDAP, Mitglied Nr. 3.956.459, ab 1938 Gaukassenwalter des NSD-Dozentenbundes; NSV; RLB; Reichskolonialbund; seit 1933 Mitglied im Bund völkischer Europäer (Alliance raciste universelle).

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Quellen: UAG PA 255 Richter, K.; BA R 4901/23035 und 13274 Karteikarte Richter, K., Karteikarte Ortskartei der NSDAP; Gerken, Hannover, S. 410.

Schole, Heinrich (* 2. September 1886 Habbrügge (Oldenburg); † 1. Mai 1945 Greifswald (Selbsttötung)) Vater: Hauptlehrer Konfession: deutschgläubig, früher evangelisch Schole besuchte die Volksschule in Driefel, dann das Lehrerseminar in Oldenburg. Nach der militärischen Ausbildung als Einjährig-Freiwilliger war Schole von 1907 bis 1912 Volksschullehrer. Ein Studium des Englischen, Französischen und der Philosophie an den Universitäten Gießen und Kiel schloss sich an, zugleich bereitete sich Schole auf das Abitur vor. Nach dem Abitur (1913) studierte der nach einem Unfall dauernd wehrdienstunfähige Schole Germanistik, Anglistik, Philosophie, Mathematik und Physik. 1916 promovierte er in Kiel mit einer Untersuchung über die Wahrnehmung und Zusammensetzung der Vokale U, O, A zum Dr. phil. Danach war er Lehrer in Sonderburg (Dänemark), musste das Land aber 1919 verlassen, 1921 legte er das Philologische Staatsexamen ab. 1922 habilitierte er sich an der Universität Königsberg. 1923 erhielt er einen Lehrauftrag. Dieser wurde ihm 1931 entzogen. Daher habilitierte sich Schole nach Göttingen um. Dort im Jahre 1933 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt, vertrat er 1935/36 den vakanten Lehrstuhl für Psychologie in Halle. Nach einer vernichtenden Beurteilung durch die Philosophische Fakultät erhielt Schole den Lehrstuhl nicht, lehrte jedoch in Königsberg und Göttingen weiter. 1938 wurde er außerordentlicher, 1939 außerplanmäßiger Professor in Greifswald und war dort Leiter des Psychologischen Instituts. Schole trieb den Ausbau des Faches voran und erhielt neue Arbeitsräume, in denen er „tonpsychologische Forschungen“ vornehmen konnte. Ab 1942 bot die Universität den Diplomstudiengang Psychologie an. Schole war zugleich Heerespsychiater und hielt Bildungsvorträge in verschiedenen Standorten, etwa zum Thema „Rasse und Politik“. Am 1. Mai 1945 tötete sich Schole selbst. Organisationen: 1926 wurde Scholes Eintritt in die NSDAP von den lokalen Stellen in Königsberg abgelehnt, weil er aus der Kirche ausgetreten war. Bei Straßenkämpfen verwundet, wurde sein Beitritt mit dem Datum 1. August 1932 (Mitglied Nr. 1.249.608) genehmigt. Schole war Blockleiter, Zellenleiter, Ortsgruppen-Propagandaleiter, Ortsgruppen-Schulungsleiter und Kreisredner. In Greifswald arbeitete er als geheimer Lektor für die NSDAP-Reichsleitung, wahrscheinlich für das Amt des Reichsleiters Alfred Rosenberg. Außerdem verfasste er anonym eine „Politische Ethik“, die der Reichsleitung als Schulungsmaterial diente. Während des Zweiten Weltkriegs war Schole Ortsgruppenschulungsleiter der NSDAP. Quellen: UAG PA 263 Schole; UAH PA 14170 Schole (darin keine biographischen Angaben); Heiber, Der Professor im Dritten Reich, Bd. 1, S. 395; Geuter, Psychologie, S. 579; BA BDC-Unterlagen, R 4901/13276 Karteikarte Schole.

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Schmidkunz, Hans (* 7. Februar 1863 Wien; † 9. Februar 1934 Greifswald) Vater: Hof- und Gerichtsadvokat Konfession: katholisch Nach der Matura am Wiener Schottengymnasium studierte Schmidkunz ab 1880 an der Universität Wien Germanistik, Archäologie und Kunstgeschichte, vor allem aber Philosophie. 1885 promovierte er mit einer Dissertation über Das Formschöne zum Dr. phil. Er setzte seine Studien in Kiel und München fort, wo er sich 1889 über Die Abstraction habilitierte und bis 1894 als Privatdozent lehrte. Er wandte sich psychologischen Fragen zu (Psychologie der Suggestion, 1892) und widmete sich der Hochschulpädagogik, einem Fach, das Schmidkunz eigentlich erst begründete. Er schuf auch einen Verband für das Fach, aus dem sich die Gesellschaft für Hochschulpädagogik entwickelte (1910 bis 1934). Schmidkunz führte deren Geschäfte und wirkte als Redakteur ihrer Zeitung. Von Ernst Bernheim unterstützt, habilitierte sich Schmidkunz 1920 an der Universität Greifswald für das Fach Hochschulpädagogik, 1922 erhielt er den ersten Lehrauftrag für dieses Fach an einer deutschen Universität. 1928 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Schmidkunz galt, so das Österreichische Biographische Lexikon würdigend, „als der geistig führende Kopf der unter den Zeitgenossen sehr umstrittenen hochschulpädagogischen Bewegung“. Organisationen: nicht ermittelt Quellen: UAG PA 275 Schmidkunz; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815‒1950, Bd. 10, S. 319; Blechle, Irene: „Entdecker“ der Hochschulpädagogik. Die Universitätsreformer Ernst Bernheim (1850–1942) und Hans Schmidkunz (1863–1934), Aachen 2002.

Schmidt, (Karl) Theodor (* 29. Juli 1908 in Düsseldorf; † 10. Dezember 1986 in Sulzburg) Vater: Oberstudienrat Konfession: katholisch Schmidt studierte nach dem Abitur in Düsseldorf ab 1927 an den Universitäten Göttingen, Wien und Greifswald Mathematik und Naturwissenschaften. 1932 legte er das Staatsexamen für das höhere Lehramt ab. Mit einer Dissertation Über die Zerlegung des n-dimensionalen Raumes in gitterförmig angeordnete Würfel promovierte er 1933 in Mathematik. Danach setzte er seine Studien in Göttingen und Leipzig fort und wechselte 1934 an das Institut für Sonnenphysik Potsdam. Hier arbeitete er zur Hyperfeinstruktur der Spektrallinien und deren Zusammenhang mit dem Bau der Atomkerne. Ihm und seinen Kollegen gelang der Nachweis, dass es im Atomkern keine kugelsymmetrische Verteilung der Kernladungen gab, sondern eher die Anordnung als Quadrupol anzunehmen sei. Vor­ übergehend wurde er an einem Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin-Dahlem beschäftigt. Schmidt habilitierte sich 1937 für das Fach Theoretische Physik mit einer Schrift

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zur Kenntnis der Zerfallsprodukte radioaktiver Strahlung (Die magnetischen Momente von 151/63 Eu, 153/63 Eu, 185/75 Re, 79/35 Br, 81/35 Br). Die Verwendung der beiden stabilen Europium-Isotope in Kathodenstrahlröhren und Leuchtstofflampen war damals noch nicht bekannt, ebenso wenig wie die Verwendung in Kernreaktoren, so dass diese Untersuchungen ebenso wie die der Elemente Rhenium und Brom als Grundlagenforschungen einzuordnen sind. Zum Dozenten für Theoretische Physik wurde Schmidt 1938 ernannt, 1939 erhielt er eine Dozentenstelle neuer Ordnung. Seit August 1939 leistete er Kriegsdienst, zunächst als Unteroffizier im Instandsetzungsstab für Funkmessgeräte in Halle (Saale). 1941/42 war er zur Lehrstuhlvertretung für Theoretische Physik nach Greifswald beurlaubt, 1942 wurde Schmidt jedoch zum Amt für Physikalische Sonderfragen der Reichspost versetzt. Hinter dieser Tarnbezeichnung verbarg sich das Zyklotronprojekt Manfred von Ardennes. Unmittelbar nach Kriegsende befand sich Schmidt in Greifswald, kurz danach wurde er in die Sowjetunion deportiert. In welcher Art und Weise er sich am sowjetischen Atomprogramm beteiligte, konnte nicht ermittelt werden. 1953 wurde Schmidt in die Bundesrepublik entlassen. Er erhielt 1956 eine außerordentliche Professur an der Universität Freiburg, wo er 1959 zum Ordinarius befördert und 1973 emeritiert wurde. Organisationen: NSV; 1937 Eintritt in das NSKK Quellen: BA R 4901/23569 und 13275 Karteikarte Schmidt, T.; Wikipedia-Personeneintrag; UAG K 73.

Schramm, Edmund (* 17. Mai 1902 Würzburg; † 28. Mai 1975 Mainz) Vater: Juwelier und Goldschmied Konfession: katholisch Bürgerschule und Realgymnasium besuchte Schramm in Würzburg. Er studierte Neuere Sprachen, insbesondere Spanisch und Französisch an den Universitäten München, Freiburg und Würzburg. 1925 legte er die Erste Staatsprüfung für das höhere Lehramt ab. Nach der Assessorzeit bestand Schramm 1926 die Zweite Prüfung für das höhere Lehramt und erhielt ein Stipendium des Auswärtigen Amtes für weitere Studien an der Universität Madrid. Zugleich war er Assistent an der Arbeitsstelle für deutsch-spanische Wissenschaftsbeziehungen. 1927 promovierte er in Würzburg zu den Werken Corneilles und Calderons. Ab 1929 war er Studienassessor bzw. Studienrat an der Deutschen Schule in Madrid. 1932 habilitierte er sich an der Universität Greifswald mit einer Schrift über den konservativen spanischen Philosophen und Politiker Donoso Cortés (Donoso Cortés. Leben und Werk eines spanischen Antiliberalen, 1935, spanisch 1936). Dabei bezog er auch unveröffentlichte Schriften und Briefe mit ein und kam zu einem differenzierteren Urteil, als es der Buchtitel nahelegt. Insbesondere verwies Schramm auf die merkwürdige Rezeptionsgeschichte des

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Autors, dessen Werk mehrfach von unterschiedlichen Strömungen vereinnahmt wurde. Da der zugesagte dotierte Lehrauftrag in Greifswald zunächst nicht zustande kam (Kürzung seitens des Ministeriums), kehrte er als Studienrat an die Deutsche Schule in Madrid zurück. Weil die Universität ihn jedoch unbedingt gewinnen wollte, verschaffte sie ihm eine Lektorenstelle. 1938 wurde Schramm zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt und 1939 zum außerplanmäßigen Professor berufen. Ab Dezember 1939 leistete Schramm Kriegsdienst beim Landesschützenbataillon in Greifswald. Später war er im Stalag II C in Greifswald tätig und wurde von der dortigen Abwehrstelle als Dolmetscher eingesetzt. Ab Juni 1941 arbeitete er als Dolmetscher bei der Feldkommandantur in Nevers (Zentralfrankreich). Aus der Kriegsgefangenschaft kehrte Schramm im Dezember 1945 nach Greifswald zurück, wurde von der Landesregierung jedoch am 9. März 1946 entlassen. Schramm wechselte daraufhin an die neugegründete Universität Mainz, in deren Auftrag er seit 1947 das Dolmetscherinstitut in Germersheim aufbaute. Organisationen: im März 1934 Eintritt in die SA; SA-Mann im Nachrichten­ sturm 8/49; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.108.478 Quellen: UAG PA 264 Schramm, K 903, Bl. 277 f.; BA R 4901/13276 Karteikarte Schramm, Mitgliedskarte in der NSDAP-Ortskartei; Wikipedia-Personeneintrag.

Schulze-Soelde, Walther (* 23. April 1888 Dortmund; † 24. Juli 1984 München) Vater: Generalstaatsanwalt Konfession: evangelisch Nach dem Reifezeugnis 1907 studierte Schulze-Soelde Rechtswissenschaft in Freiburg, Bonn, Münster und Heidelberg und promovierte 1913 mit einer Dissertation über den Vortrag von Tatsachen zum Dr. jur. Seine Studien setzte er fort, wobei er sich auf Philosophie und Geschichte konzentrierte und 1916 in Heidelberg mit einer Dissertation über Die Methode Spinozas im Lichte Kants promovierte. Kriegsdienst leistete er von Herbst 1917 bis 1919 im Landsturm. Seine 1920 in Greifswald vorgelegte Habilitationsschrift behandelte das Thema „der Einzelne und der Staat“. 1922 erhielt er einen Lehrauftrag für Ethik und Ästhetik. Die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor folgte bereits 1922. Obwohl Schulze-Soelde nach 1918 diffus pazifistische und republikanische Ansichten vertrat, erarbeitete er sich nach 1933 eine Position als nationalsozialistischer Philosoph. 1935 erhielt er einen Lehrauftrag für Politische Pädagogik, der ab 1936 auch vergütet wurde. Im Sommer 1939 wurde er mit der Vertretung eines Lehrstuhls in Innsbruck betraut und im Dezember 1939 als ordentlicher Professor für Philosophie und Pädagogik an die Universität Innsbruck berufen. Die Universität entließ ihn unmittelbar nach der Befreiung und sorgte für seine Ausweisung aus Tirol. Wegen der unmissverständlichen Aussagen in Schulze-Soeldes Bekenntnisschriften zog sich die Entnazifizierung hin.

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1950 erhielt er aber einen Lehrauftrag für Metaphysik an der Universität München, dem 1956 ein weiterer Lehrauftrag an der TH München folgte. 1964 wurde Schulze-Soelde als 76-Jähriger mit den Rechten eines ordentlichen Professors emeritiert. Organisationen: 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.331; seit Winter 1933/34 Ortsgruppenschulungsleiter der NSDAP; Leiter des Amts für Ahnenforschung der Kreisleitung der NSDAP Greifswald-Stadt; NSLB; außerdem engagierte sich SchulzeSoelde in der parteiamtlichen Prüfungsstelle des NS-Schrifttums Quellen: UAG PA 1993 Schulze-Soelde; R 4901/13276 Karteikarte Schulze-Soelde; Horn, Erziehungswissenschaft im 20. Jahrhundert, S. 340, Kürschner.

Seifert, Rudolf (* 17. September 1903 Breslau; † 11. Dezember 1952 Greifswald) Vater: Mittelschullehrer Konfession: katholisch Das Gymnasium, später das Realgymnasium besuchte Seifert in Breslau. Er studierte Naturwissenschaften, insbesondere Zoologie in Breslau. Mit einer Arbeit über die Nesselkapseln der Zoantherien (Krustenanemonen) promovierte er hier 1927. Mit seinem Mentor Ernst Matthes wechselte er 1928 als planmäßiger Assistent an die Universität Greifswald, wo er sich 1931 mit einer Studie zur „Raumorientierung und Phototaxis der anostrakten Euphyllopoden“ (Chirocephalus grubei, Lepidurus apus, Artemia salina) habilitierte. Die Antrittsvorlesung hielt er über das Problem des Todes und der Unsterblichkeit in der modernen Biologie. 1933 besuchte Seifert ein Dozentenlager, 1936 meldete er sich freiwillig zur Wehrmacht. Nach dem Weggang von Matthes vertrat er 1936 bis 1938 den vakanten Lehrstuhl an der Universität Greifswald. Seifert gestaltete neben seinen Forschungen zur Brackwasserbiologie und zu Krebsen einen Lehrfilm zur postglazialen Geschichte der Ostsee. In enger Zusammenarbeit mit dem Reichsnährstand koordinierte er den Ausbau der Fischzuchtanstalt Eldena. 1939 folgte die Ernennung zum beamteten Dozenten, 1940 zum außerplanmäßigen Professor. Da der Lehrstuhlinhaber eingezogen war, wurde Seifert für die Lehre zunächst unabkömmlich gestellt. Nach Heidermanns Rückkehr 1943 wurde der nur beschränkt Einsatzfähige 1943 zur Fahrersatz- und Ausbildungsabteilung in Schwerin kommandiert und war später als Fahrer in der Garnison Köslin tätig. Ab Januar 1945 wurde er in einer hygienischen-bakteriologischen Untersuchungsstelle eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse). Nach der Rückkehr wurde er 1945 als aktiver Nationalsozialist angezeigt und von der Universität entlassen. Die Zuteilung eines Forschungsauftrags durch die Landesregierung lehnte Seifert ab und arbeitete stattdessen als Kulissenmaler im Greifswalder Theater. 1950 kehrte er als Professor mit Lehrauftrag an die Universität Greifswald zurück. Ein Jahr später wurde er zum Professor mit vollem Lehrauftrag befördert und zum Direktor des Zoologischen Instituts ernannt.

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Organisationen: am 5. November 1933 Aufnahme in die SA, Dienstgrad SA-Mann; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.326.928; 1946 FDGB; 1946 stellte Seifert einen Antrag auf Mitgliedschaft in der SED, der zurückgestellt wurde; 1950 Eintritt in die NDPD, Kreisvorsitzender; DSF; KB Quellen: UAG PA 259 Seifert; BA R 4901/13277 Karteikarte Seifert, Mitgliedskarte Ortskartei; Schriften.

Thaer, Clemens (* 8. Dezember 1883 Berlin; † 2. Januar 1974 Detmold) Vater: Oberrealschuldirektor Konfession: evangelisch Thaer besuchte Gymnasien in Berlin, Halle und Hamburg. Nach der Reifeprüfung 1901 studierte er in Gießen, Leipzig und Göttingen Mathematik, Naturwissenschaften und Philosophie. 1906 legte er die Prüfung für das höhere Lehramt ab und promovierte an der Universität Gießen mit einer Studie Über Invarianten, die symmetrischen Eigenschaften eines Punktsystems entsprechen zum Dr. phil. 1907 trat er eine Assistentenstelle an der Universität Jena an. Dort habilitierte er sich 1909 mit der Studie Eine Ausdehnung der Galoisschen Theorie auf algebraische Gleichungen mit mehrfachen Wurzeln. Unmittelbar nach der Eheschließung nahm er eine Lehrerstelle für Mathematik am Gymnasium Greifswald an. An die Universität Greifswald umhabilitiert, hielt er seine Antrittsvorlesung 1913 über irrationale Zahlen. Seit 1915 militärisch ausgebildet, war er zunächst im Landsturm eingesetzt, dann in der Etappe bei Bialystok und mit dem Landwehrinfanterieregiment 49 an der Front vor Riga (befördert zum Unteroffizier). Nach der durch Krankheit bedingten Entlassung kehrte er nach Greifswald zurück und engagierte sich politisch. Für die Deutsche Volkspartei wurde er 1919 in die Preußische Verfassunggebende Versammlung gewählt. Nach deren Auflösung kehrte er nach Greifswald zurück und wurde 1921 zum außerordentlichen Professor ernannt. 1923 folgte die Beförderung zum Studienrat. Da aus Sparsamkeitsgründen 1925 die Lehrauftragsvergütung an der Universität gestrichen wurde, konzentrierte sich Thaer jetzt auf seine Forschungen zur antiken Mathematik, vor allem auf die Übersetzung des Euklid (Die Elemente, 1933–1937). Thaer war in erster Ehe mit einer jüdischen Ehefrau verheiratet, die 1929 verstarb und mit der er zwei als Nichtarier eingestufte Söhne hatte. Er protestierte 1933 vernehmlich gegen die Diskriminierung der Juden. 1935 opponierte er gegen die Entlassung des Direktors am Greifswalder Gymnasium Karl Schmidt. Gegen den Willen der Fakultät wurde Thaer deshalb nach Cammin in Hinterpommern versetzt und konnte seinen Lehrauftrag an der Universität nicht mehr wahrnehmen. Aus gesundheitlichen Gründen beantragte Thaer 1939 seine Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand und zog nach Detmold um. Seit 1940 arbeitete er aber wieder als Lehrer, unter anderem in der Hermann-Lietz-Schule auf Spiekeroog.

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Organisationen: 1911 Eintritt in die Nationalliberale Partei; 1918 bis 1933 Deutsche Volkspartei, Ortsgruppenvorsitzender, Mitglied der Preußischen Verfassunggebenden Versammlung 1919 bis 1921; Verein der ehemaligen 49er Greifswald; 1933 lehnte Thaer den Beitritt zum NSLB ab, wegen der Weigerung, in Cammin als Straßensammler der NSV tätig zu werden, wurde er in einen Disziplinarverfahren bestraft Quellen: UAG PA 269 Thaer; BA R 4901/13278 Karteikarte Thaer; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 232.

Vetter, Walther (* 10. Mai 1891 Berlin; † 1. April 1967 Berlin (Ost)) Vater: Kapellmeister Konfession: evangelisch-lutherisch Vetter besuchte das Gymnasium in Greiz und die Latina der Franke’schen Stiftungen in Halle (Saale). Er studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie in Halle, außerdem Musik am Konservatorium Leipzig. Während des Ersten Weltkriegs war er Musketier und seit 1915 Armierungssoldat an der Westfront, unter anderem in den Vogesen, am Hartmannsweilerkopf und vor Verdun. Nach dem Krieg setzte er das Studium der Musikwissenschaft in Halle fort und promovierte 1920 mit der Dissertation Die Arie bei Gluck zum Dr. phil. Danach arbeitete er als Musikredakteur der Danziger Neuesten Nachrichten. Mit einer umfangreichen Studie zur Entwicklungsgeschichte und Ästhetik des Kunstliedes im 17. Jahrhundert habilitierte er sich 1927 an der Universität Breslau (Das frühdeutsche Lied, 1928). Im folgenden Jahr erhielt er an der Universität Halle einen Lehrauftrag. Ab 1929 lehrte er an der Universität Hamburg und wurde 1934 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. 1934 wechselte er an die Universität Breslau. Zum Leiter des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Greifswald wurde er 1936 ernannt. Als beamteter außerordentlichen Professor für Musikwissenschaft an der Reichsuniversität Posen wurde er 1941 berufen. 1945 wurde er zum Volkssturm eingezogen, jedoch nach wenigen Tagen zum Heer versetzt, wo er die letzten Kriegswochen als Schreiber eines Versorgungsregiments erlebte. 1945 kehrte er nach Greifswald zurück. Die Humboldt-Universität Berlin berief ihn 1946 zum Professor mit Lehrstuhl. Vetter publizierte zum Politischen bei Beethoven und zur Musik der Antike sowie mehrfach über Johann Sebastian Bach. Sein Hauptwerk war eine umfangreiche Biographie über den Klassiker Schubert (2 Bände, 1953). Organisationen: 1939 NSKK; NSV; in Posen Aufnahme in den NSD-Dozentenbund; 1945 LDPD Quellen: UAG PA 2082 Vetter, UAG K 890; UAB PA nach 1945 Vetter, Walther; BA R 4901/13279 Karteikarte Vetter.

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Privatdozenten, Dozenten Assmann, Erwin (* 25. April 1908 Kolberg (Pommern); † 22. September 1984 Kiel) Vater: Obertelegraphensekretär Konfession: gottgläubig (früher evangelisch) Das Gymnasium besuchte Assmann in Danzig, nach der zwangsweisen Versetzung des Vaters nach der Abtrennung Danzigs vom Deutschen Reich in Kolberg. Nach der Reifeprüfung (1926) studierte er Geschichte, Klassische Altertumswissenschaft und Germanistik in Marburg und Greifswald. Durch den frühen Tod des Vaters (1929) musste sich Assmann die Mittel zum Studium selbst verdienen. 1930 wurde er mit einer neuen Textausgabe des antiken Pädagogen Lucius Ampelius promoviert (Liber memorialis, 1935). 1931 legte er die Staatsprüfung für Latein, Griechisch und Geschichte ab und wurde von Adolf Hofmeister mit Editionsarbeiten für die Monumenta Germaniae Historica betraut. Das Referendariat absolvierte Assmann in Stargard, die Zweite Staatsprüfung legte er 1933 ab. 1934 erhielt er eine Stelle als Studienrat am Gymnasium Bergen. Assmann bildete sich auf dem Gebiet der Archäologie weiter, nahm an mehreren Grabungen teil und führte auf Rügen Rettungsgrabungen durch. 1939 wurde er formal zum staatlichen Bodendenkmalpfleger ernannt. Den Militärdienst leistete er 1938/39 ab und nahm 1939 am Polenfeldzug teil. Für die Lehrertätigkeit wurde er Ende 1939 unabkömmlich gestellt und 1943 mit der Leitung der Schule betraut. Im Sommer 1942 führte Assmann als Mitarbeiter im Stab des Reichsleiters Rosenberg unter der Aufsicht von Carl Engel eine Grabung auf der Burgstätte Uexküll an der Düna durch. Ende 1943 wurde Assmann erneut eingezogen und zum Unteroffizier befördert. Im selben Jahr reichte er die Studie Stettins Seeschifffahrt im Mittelalter als Habilitationsschrift ein. Die Probevorlesung über Wandlungen in der Bevölkerung Nordostdeutschlands seit dem Mittelalter hielt er 1944 bei einem Heimaturlaub. Im Februar 1945 wurde Assmann verwundet und in das Reservelazarett Levenberg bei Schwerin überstellt. Nach dem Krieg arbeitete Assmann als Lehrer in Büsum, Flensburg, Plön und Rendsburg. Von 1952 bis 1959 war er Direktor des Gymnasiums Kieler Gelehrtenschule, dann Leiter der Abteilung für Gymnasien im Schleswig-Holsteinischen Kultusministerium und ab 1967 bis zu seiner Pensionierung 1973 Landesschuldirektor. Ab 1955 lehrte er auch als außerordentlicher Professor für Mittellateinische Philologie und Mittelalterliche Geschichte an der Universität Kiel. Assmann forschte vor allem zur Landesgeschichte Pommerns. 1961 gab er den Band 8 des Pommerschen Urkundenbuches (1331–1335) heraus. Außerdem engagierte er sich in mehreren historischen Kommissionen und Vereinen. Organisationen: 1933 SA; NSLB; NSV; Opferring; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.783.167; Ortsgruppenschulungsleiter; Schulungsleiter der Schutzpolizei;

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1941 vertretungsweise Kreisleiter; Kreisredner; Kreisamtsleiter für Rassenpolitik in der NSDAP-Kreisleitung Bergen; 1934 bis 1937 Kreisgruppenleiter des RLB Quellen: UAG K 890; BA R 4901/13258 Karteikarte Assmann und 24142; Hoffmann, Erich: Erwin Aßmann (25.4.1908 – 22.9.1984), in: Baltische Studien NF 71 (1985), S. 146–147.

Bartholomeyczyk, Wilhelm (* 27. Januar 1908 Emden; † 15. Januar 1966 Braunlage (Harz)) Vater: Zollinspektor Konfession: evangelisch Das Gymnasium besuchte Bartholomeyczyk in Delitzsch (Reifeprüfung 1927). Er studierte Mathematik, Physik und Angewandte Mathematik in Leipzig und Berlin und bestand 1932 die Prüfung für das höhere Lehramt. Den Vorbereitungsdienst absolvierte er an Schulen in Quedlinburg, Halberstadt und Halle. Die Staatsprüfung legte er 1935 ab. 1936 arbeitete er als Lehrer an einer Privatschule, 1936/37 an einem Gymnasium. Der an einem Herzfehler Leidende und Kurzsichtige wurde auf eigenen Wunsch hin vom Schuldienst entbunden und erhielt vom Wissenschaftsministerium eine Beihilfe. Nach Zuarbeiten für ein mathematisches Tafelwerk ging er an das Physikalische Institut der Universität Greifswald, um bei Rudolf Seeliger über Gasphysik zu forschen. Mit einer experimentellen Studie Über den Mechanismus der Zündung langer Entladungsrohre promovierte er 1941 zum Dr. rer. nat. Seit 1940 führte er Forschungsarbeiten für den Reichsforschungsrat durch, zunächst im Auftrag des Nachrichtenmittelversuchskommandos der Marine. In seiner Habilitationsschrift behandelte er die „Aufzehrung von Edelgasen in Hohlkathoden und die damit verbundenen Vorgänge“. Unmittelbar nach der Publikation folgte 1943 die Ernennung zum Dozenten. Im März 1945 wurde Bartholomeyczyk mit der Verwaltung und Betreuung des nach Lübeck ausgelagerten Geräts des Physikalischen Instituts betraut. Ab 1946 arbeitete Bartholomeyczyk als Lehrer an der Volkshochschule in Lübeck. Im April 1948 wurde er in Greifswald wieder als Assistent am Physikalischen Institut eingestellt und wechselte im September 1948 zur neugegründeten Forschungsstelle für Gasentladungsphysik der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Greifswald. Im Juni 1949 geflohen, arbeitete er zunächst in einer Lichtröhrenfabrik in Wolfenbüttel, 1952/53 bei der Deutschen Gesellschaft für Forschung im Graphischen Gewerbe e. V. als Gruppenleiter „Bildoptik“. Ab 1953 war er Regierungsrat an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Organisationen: 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.886.917; SA Quellen: UAG MN Habil. Nr. 29; PA 204 Bartholomeyczyk; BA BDC-Unterlagen, Mitgliedskarte NSDAP-Ortskartei; Auskunft des Standesamts Emden.

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Bollnow, Hermann (* 19. Juli 1907 Stettin; † 31. März 1962 Wilhelmshaven) Vater: Rektor Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Bollnow 1924 am humanistischen Gymnasium Anklam ab. Er studierte in Greifswald, Riga und Göttingen Geschichte, Germanistik und Philosophie. 1930 promovierte er an der Universität Greifswald mit einer Arbeit über Die Grafen von Werl, in der er deren genealogischen Verflechtungen vom 10. bis 12. Jahrhundert untersuchte. Das mündliche Examen hatte Bollnow bereits 1928 abgelegt, danach war er am Pommerschen Provinzialmuseum mit der Katalogisierung von Burgwällen befasst. Das Staatsexamen für das höhere Lehramt bestand Bollnow 1931 und absolvierte das Referendariat. 1933 wurde er in den Schuldienst übernommen und 1938 zum Studienrat am Gymnasium Anklam ernannt. Bollnow publizierte weiterhin zu Vorgeschichtsfunden und beteiligte sich an Grabungen. Ab August 1939 nahm er als Sanitätsunteroffizier am Polenfeldzug teil. 1940 wurde er für den höheren Schuldienst unabkömmlich gestellt. Im Februar 1943 wurde er erneut als Sanitätsunteroffizier eingezogen. Im selben Jahr habilitierte er sich an der Universität Greifswald mit Untersuchungen zur Geschichte der pommerschen Burg im 11. bis 13. Jahrhundert. Die Lehrprobe legte er im November 1943 mit dem Vortrag „Die Wohnsitze der germanische Stämme während des 1. und 2. Jahrhunderts“ ab. 1945 geriet er in Kriegsgefangenschaft, nach der Entlassung wurde er als Privatdozent der Universität Göttingen zugelassen. Zugleich nahm er einen Lehrauftrag für Soziologie an der Bergakademie Clausthal wahr. 1952 wurde er Dozent an der Hochschule für Sozialwissenschaften Wilhelmshaven. Organisationen: NSV, zeitweise Blockwart; NSLB, Geschäftsführer der Kreisgruppe; Aufnahme in die NSDAP zum 1. Mai 1937, Mitglied Nr. 5.734.767; Bezirksgruppenleiter im Bund Deutscher Osten; im DRK Leiter der Kreisstelle Anklam Quellen: UAG PA 203, Phil. Nat. Habil. Nr. 28, K 890; BA R 4901/13259 Karteikarte Bollnow, R 4901/24.277; Kürschner.

Blüthgen, Joachim (* 4. September 1912 Weißwasser (Oberlausitz); † 19. November 1973 Münster) Vater: Volksschullehrer Konfession: evangelisch Blüthgen besuchte Schulen in Weißwasser und Spremberg. Nach dem Abitur studierte er seit 1930 Geographie, Geologie, Biologie sowie Englisch, Russisch und nordische Sprachen in Rostock, Würzburg, Wien und Greifswald. Er promovierte 1936 mit einer geologischen Dissertation über Die Fauna und Stratigraphie des Oberjura und der Unterkreide von König-Karl-Land, einer Insel des im arktischen Ozean gelegenen Svalbard-Archipels. Das

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Studium finanzierte er durch Hilfstätigkeiten für die Nordischen Institute, 1936 erhielt er eine nichtplanmäßige Assistentenstelle am Geographischen Institut in Greifswald. Die Beförderung zum planmäßigen Assistenten folgte 1939. Im Auftrag der Ordinarien von Bubnoff und Lautensach übernahm er Arbeiten für den Vierjahresplan, etwa Studien zu den Erdölvorkommen in Niedersachsen oder die Erstellung von Karten zum innerdeutschen Güterverkehr. Blüthgen reiste mehrfach in die nordischen Länder, wobei er auch entlegene Gebiete aufsuchte, etwa Finnisch-Karelien, die Siedlungsgebiete der Samen am Polarkreis und die Rohstoffgebiete Finnlands und Schwedens. Da Blüthgen wegen Diabetes nicht militärdiensttauglich war, knüpfte er Kontakte zum Reichswetterdienst. Seine Habilitationsschrift widmete er 1940 konsequenterweise der „Geographie der winterlichen Kaltlufteinbrüche in Europa“. Daran schloss sich eine geheim gehaltene Studie zu den Vereisungen von Ostseehäfen an, die auch das Gebiet um Leningrad einschloss (zum Beispiel den Ladogasee). Zum Dozenten wurde Blüthgen 1942 ernannt und im selben Jahr zum Marineobservatorium Greifswald eingezogen. Er lehrte zugleich weiter an der Universität, an die er nach vorübergehender Suspendierung 1947 mit einem Lehrauftrag zurückkehren konnte. Bereits seit 1946 war er offiziell am Ostseeobservatorium der sowjetischen Armee in Greifswald tätig. Da das Observatorium 1949 in den Besitz der DDR überging und nach Rostock-Warnemünde verlegt wurde, hob die Universität Greifswald den Lehrauftrag mit dem Umzog Blüthgens auf. Blüthgen verließ die DDR 1951 und wechselte auf eine Dozentenstelle an der Universität Erlangen. Hier wurde er 1954 zum außerplanmäßigen Professor ernannt. 1962 nahm er den Ruf auf eine ordentliche Professur an der Universität Münster an. Zu einem Lehrbuch der Allgemeinen Geographie steuerte Blüthgen 1964 Band 2 bei, den Teil zur Klimatologie. Das Lehrbuch wurde mehrfach nachgedruckt und in zahlreiche Sprachen (unter anderem ins Russische) übersetzt. Organisationen: 1933 bis Oktober 1934 SA; ab 1939 NSV, Zellenwalter; 1940 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 8.276.399 Quellen: UAG PA 807 Blüthgen; Phil./MN Habil. 22, Phil. Fak. II, Nr. 173; BA R 4901/13259 Karteikarte Blüthgen, Mitgliedskarte Ortskartei; Berninger, Otto: Joachim Blüthgen: 4.9.1912 – 19.11.1973, Erlangen 1976.

Brates, Georg (* 12. Juni 1901 Wendisch-Buckow (Kreis Stolp); † 29. September 1970 Braunlage) Vater: Volksschullehrer Konfession: evangelisch Nach dem Besuch des Gymnasiums in Stolp studierte Brates ab 1921 Philosophie, Germanistik und Geschichte an den Universitäten Greifswald und Berlin. Aus wirtschaftlichen Gründen unterbrach er das Studium mehrfach, um als Lehrer und in einer Bank zu arbeiten. Seit 1927 setzte er seine Studien an der Universität Greifswald fort. Mit einer Dissertati-

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on über Hauptprobleme der deutschen Barockdramaturgie in ihrer geschichtlichen Entwicklung promovierte er hier 1935 zum Dr. phil. Danach arbeitete Brates als Schulleiter in Bartin (Ostpommern). 1939 war der nach einem Unfall Körperbehinderte (operative Entfernung des linken Tibiakopfes) kurzfristig zum Wehrdienst eingezogen. Um ihm die Habilitation zu ermöglichen, erhielt er ab 1940 ein Stipendium. Die Arbeit Kritik der Geltungstheorie wurde 1941 angenommen. Die Probevorlesung hielt er zum Thema „Der Mensch in der Philosophie der Gegenwart“. 1942 wurde Brates zum Dozenten mit dem Lehrgebiet Logik und Erkenntnistheorie ernannt. 1944 folgte die Erweiterung der Venia Legendi auf das Gesamtgebiet der Philosophie. Nach 1945 arbeitete Brates in Bad Sachsa (Niedersachsen) als Lehrer und veröffentlichte 1952 das populärwissenschaftliche Buch Du und die Philosophie. Organisationen: 1931 NSDAP, Mitglied Nr. 821.758; 1932 NSLB, Nr. 4093; 1932 Parteiredner in Sachsen, 1932 stellvertretender Ortsgruppenleiter, 1933 bis 1937 Schulungsleiter, später vorübergehend Ortsgruppenleiter Quellen: UAG PA 206 Brates; R 4901/13259 Karteikarte Brates; Tilitzki, S. 891 f., Kürschner; Auskunft des Ordnungsamts Bad Sachsa.

Bruggencate, Paul ten (* 24. Februar 1901 Arosa (Schweiz); † 14. September 1961 Göttingen) Vater: Notar, Geschäftsleiter des Deutschen Sanatoriums Arosa Konfession: evangelisch Der Sohn eines holländischen Juristen und einer deutschen Mutter ging in Arosa, Alkmaar und Stuttgart zur Schule. Er studierte ab 1920 Mathematik und Astronomie an der TH Stuttgart sowie an den Universitäten Göttingen und München. Mit einer Dissertation über die Konstitution von Sternhaufen promovierte er 1924 an der Universität München (Doktorvater Hugo Ritter von Seeliger). 1924 erhielt er eine Assistentenstelle an der Universitätssternwarte Göttingen. Von 1926 bis 1929 war er an der Sternwarte in Lembang auf Java und als Stipendiat am Mount Wilson Observatorium (Kalifornien) sowie am Harvard College Observatorium tätig. An der Universität Greifswald wurde ten Bruggencate 1929 habilitiert. In Jahr darauf erhielt er einen Lehrauftrag und wurde im Juli 1931 zum Direktor des Astronomisch-Mathematischen Instituts ernannt. 1935 wechselte er als Hauptobservator an das Astrophysikalische Observatorium in Potsdam und habilitierte sich an die Universität Berlin um. Zum ordentlichen Professor für Astronomie an der Universität Göttingen wurde ten Bruggencate 1941 berufen. Hier leitete er bis zu seinem Tod 1961 die Universitätssternwarte. Auf dem Hainberg bei Göttingen baute er ein Sonnenobservatorium auf. 1954/55 amtierte er als Rektor der Universität. Von 1958 bis 1961 war er Präsident der Göttinger Akademie der Wissenschaften. Organisationen: DDP; 1933 bis 1941 SA, Rottenführer; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.996.456

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Quellen: BA R 4901/13260 Karteikarte Bruggencate, Mitgliedskarte der NSDAP-Ortskartei; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 30.

Busemann, Adolf (* 15. Mai 1885 Emden; † 5. Juni 1967 Marburg) Vater: Oberlehrer Konfession: evangelisch, ab 1946 katholisch Busemann besuchte das Gymnasium in Northeim und legte 1906 die Reifeprüfung ab. Er studierte ab 1906 Psychologie, Theologie und Philologie in Göttingen. Nach der Prüfung für das höhere Lehramt arbeitete er als Lehrer in Essen, Frankenberg und Bederkesa. 1917/18 leistete er Kriegsdienst im Landsturm. Seit 1922 arbeitete er zunächst als Oberlehrer, dann als Seminarstudienrat in Einbeck und wurde nach der Auflösung des Lehrerseminars in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Nachdem er 1924 in Göttingen promoviert worden war, siedelte er 1925 nach Greifswald über, wo er sich 1926 für Psychologie und experimentelle Pädagogik habilitierte. Ab 1928 unterrichtete er als Professor an den Pädagogischen Akademien in Rostock, Breslau und Kiel. Nach der Schließung der Pädagogischen Akademie in Kiel kehrte er an die Universität Greifswald zurück, wo er beachtliche Lehrerfolge verzeichnen konnte. 1934 wurde er in das Amt eines Volksschullehrers versetzt. Da ihm die Rückkehr an die Universität trotz der Unterstützung der Philosophischen Fakultät nicht gelang, gab Busemann die Venia Legendi 1935 zurück. Aus gesundheitlichen Gründen gab er auch die Volksschullehrerstelle auf und zog nach Marburg um. Dort arbeitete er als Personalgutachter beim Heer. Ab 1942 war er als Psychologe am Hirnverletztenlazarett in Marburg tätig. Vom Wintersemester 1946/47 an lehrte er Psychologie an der Universität Marburg, wo er einen Lehrgang zur Ausbildung von Sonderschullehrern aufbaute. Busemann gilt als Pionier der Psychologie von Kindern und Jugendlichen, unter anderem entwickelte er Methoden zur Analyse des Spracherwerbs, die noch heute in der quantitativen Linguistik angewendet werden. Organisationen: 1919 bis 1922 DDP; 1923 und 1931 SPD; „betätigt“ habe sich Busemann nach eigener Angabe jedoch nur bei den Wahlen zur Nationalversammlung 1919 Quellen: UAG PA 860 Busemann, K 890; S. 124; BA R 4901/13260 Karteikarte Busemann; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 34 f.

Caskel, Werner (* 5. März 1896 Danzig; † 28. Januar 1970 Köln) Vater: Kaufmann Konfession: evangelisch Der Enkel eines jüdischen Gewürzkapitäns begann das Studium der Theologie 1914 in Tübingen. Ab 1915 leistete er freiwilligen Kriegsdienst bei der Fußartillerie, zunächst

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in Frankreich, dann in Gallipoli (Türkei). Er wurde zum Offizier befördert und in Syrien und Mesopotamien eingesetzt (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Eisernen Halbmond). Ab 1919 nahm er das Studium wieder auf und widmete sich besonders den orientalischen Sprachen. Das Erste Theologische Examen legte er 1920 ab und setzte das Studium in Leipzig fort. 1923 wurde er Assistent an der Max-Freiherrvon-Oppenheim-Stiftung und beschäftigte sich seitdem mit den Funden von Tell Halaf. Mit der Dissertation Das Schicksal in der altarabischen Poesie promovierte er 1924 an der Universität Leipzig zum Dr. phil. 1928 habilitierte er sich an der Universität Berlin für Semitische Sprachen und Islamkunde mit einer Schrift über Die Erzählungen von den al jam Al arab, also den frühesten Überlieferungen aus den Kampftagen der Beduinen. Die Probevorlesung hielt er über „Die Zenobia-Sage bei den Arabern“. 1930 habilitierte er sich an die Universität Greifswald um, wo er einen Lehrauftrag für Semitische Philologie erhielt. 1932/33 vertrat er einen Lehrstuhl an der Universität Rostock. Als „Mischling 1. Grades“ wurde Caskel 1938 die Lehrbefugnis entzogen (§ 18 Reichshabilitationsordnung). Er bemühte sich vergeblich um eine Anstellung im Ausland, wurde jedoch ab Sommer 1938 bei der Oppenheimstiftung auf Honorarbasis beschäftigt. Im Jahr darauf unternahm er eine Ägyptenreise und arbeitete während des Zweiten Weltkriegs für das Oberkommando der Wehrmacht. 1946 erhielt Caskel eine Professur mit Lehrauftrag für Islamwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. 1948 wechselte er an die Universität Köln, wo er 1964 emeritiert wurde. Organisationen: Mitglied der Offiziersvereinigung des Fußartillerieregiments 17 Quellen: UAG PA 911 Caskel, K 734; BA R 4901/13260 Karteikarte Caskel; UAB Phil. Fak. Nr. 1243, Bl. 67 ff.

Christern, Hermann (* 27. Juni 1892 Lübeck; † 1. Dezember 1941 Greifswald) Vater: Arzt Konfession: evangelisch Christern besuchte das Reformrealgymnasium Lübeck und legte 1913 die Reifeprüfung ab. Er begann das Studium der Geschichte, Germanistik und Geographie in Marburg. 1916 trat er in einer Pioniereinheit des Heeres ein (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Hanseatenkreuz). Mit einer Studie über die politische Entwicklung des liberal-konservativen Historikers und Politikers Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860) promovierte er 1920 zum Dr. phil. Er setzte seine Studien in München und Kiel fort und legte 1923 die Prüfung für das höhere Lehramt für die Fächer Geschichte, Germanistik und Geographie ab. Als Studienassessor war er für wissenschaftliche Arbeiten freigestellt. Christern gab 1928 eine Auswahl der Schriften des liberalen Politikers Friedrich List (1789–1846) heraus und verfasste eine Studie zur Entwicklung und zu den Aufgaben biographischer Sam-

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melwerke, mit der er 1931 an der Universität Berlin habilitiert wurde (veröffentlicht 1933). Einen dotierten Lehrauftrag für Neuere und Neueste Geschichte erhielt er 1936 an der Universität Greifswald. Christerns Hauptwerk war eine vergleichende Studie zur Entwicklung des Parlamentarismus in England und den deutschen Staaten (Deutscher Ständestaat und englischer Parlamentarismus am Ende des 18. Jahrhunderts, 1939). In Greifswald beschäftigte er sich mit historischen Fragen des „Lebensraums“, die Fragmente wurden von seiner Witwe 1942 ediert (Christern, Elisabeth (Hg.): Das Reich und der deutsche Lebensraum). Während des Zweiten Weltkriegs war er in der Truppenbetreuung eingesetzt. Bei der Besichtigung eines Gefangenenlagers steckte er sich mit Fleckfieber an, an dem er verstarb. Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.579.957; ab Juli 1933 SA; 1934 NSV; RLB; 1937 NSD-Dozentenbund Quellen: UAG PA 26 Christern; BA R 4901/13260 Karteikarte Christern; Schriften.

Eggers, Hans Jürgen (* 20. Dezember 1905/2. Januar 1906 St. Petersburg; † 19. April 1975 Bad Pyrmont) Vater: Gymnasialdirektor Konfession: evangelisch Eggers besuchte die Domschule in Reval, der sein Vater als Rektor vorstand. In den Wirren des Ersten Weltkriegs verschlug es die Familie nach Schweden, später nach Berlin. Ab 1919 lebte sie in Greifswald, wo der Vater eine Privatschule leitete. Eggers legte 1925 die Reifeprüfung ab und studierte Germanistik, Volkskunde und Vorgeschichte in Tübingen, Berlin und Greifswald. Während des Studiums nahm er an archäologischen Grabungen auf Rügen teil. 1930 promovierte er an der Universität Greifswald mit einer Dissertation über Die magischen Gegenstände der altisländischen Prosaliteratur. Danach war er wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Museum für Vorgeschichte in Berlin. Ab 1933 arbeitete er am Provinzialmuseum in Stettin, wo er 1935 zum Kustos ernannt wurde. Mit einer Untersuchung über Lübsow – ein germanischer Fürstensitz der älteren Kaiserzeit habilitierte er sich 1941 an der Universität Rostock. 1943 wurde er der Universität Greifswald als Dozent zugewiesen. Im Dezember 1944 wurde der nicht voll Kriegsverwendungsfähige eingezogen. Aus der Kriegsgefangenschaft wurde Eggers 1945 nach Hamburg entlassen. Hier erhielt er 1947 eine Anstellung am Museum für Völkerkunde, wo er 1951 zum Kustos und 1961 zum Oberkustos ernannt wurde. 1947 wurde er an die Universität Hamburg umhabilitiert und erhielt wenig später den Professorentitel. Eggers entwickelte das Instrument der Fundkarten weiter und machte sich mit präzisen Grabungen, etwa bei den germanischen Prunkgräbern in Lübsow (Ostpommern) einen Namen. Nach 1945 gehörte Eggers zu den Protagonisten einer Abkehr von der bis dahin in der Vorgeschichte herrschenden „ethnischen Deutung“. Eggers publizierte zum römischen Import im freien Germanien und verfasste eine grundlegende Einführung in die Vorgeschichte (1959).

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Organisationen: am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.742.177; NSV; VDA; Reichskolonialbund; DAF, überführt in den Reichsbund der deutschen Beamten Quellen: UAG PA 211 Eggers; BA R 4901/13261 Karteikarte Eggers und 24468; Carnap-Bornheim, Claus von: Hans Jürgen Eggers und der Weg aus der Sackgasse der ethnischen Deutung, in: Heiko Steuer (Hg.): Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, Berlin/New York 2001, S. 173–197.

Frauendienst, Werner (* 5. Februar 1901 Berlin; † 24. August 1966 Mainz) Vater: Lehrer Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Frauendienst 1921 in Berlin ab. Von 1921 bis 1926 studierte er Geschichte, Germanistik, Geographie und Philosophie an der Universität Berlin. Seine Dissertation behandelte 1925 den Philosophen Christian Wolff als Staatsdenker. Er trat in das Auswärtige Amt ein und wurde zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Britisches Reich, Amerika. Später wechselte er in die Abteilung Orient, dann in die Abteilung West, Süd- und Südosteuropa. Für das Fach Mittlere und Neuere Geschichte wurde er 1932 an der Universität Greifswald habilitiert. 1934 erhielt er dort einen unbesoldeten Lehrauftrag für „Die Vorgeschichte des Weltkriegs und die Kriegsschuldfrage“. 1935 wurde Frauendienst Legationssekretär in der Personal- und Verwaltungsabteilung des Auswärtigen Amtes, nebenberuflich wechselte er als Dozent an die Universität Berlin. Von März 1937 bis November 1938 leitete er das Politische Archiv und das Historische Referat des Auswärtigen Amtes. Eine ordentliche Professur für Neuere Geschichte erhielt er 1938 an der Universität Halle. Ab April 1939 war er Mitglied des Sachverständigenbeirates des Reichsinstitutes für Geschichte des neuen Deutschlands. Im Oktober 1939 zum Auswärtigen Amt eingezogen, arbeitete er in der Deutschen Informationsstelle (Auslandspropaganda). Aus den Archiven besetzter Staaten montierte er Publikationen, welche die Kriegsschuld dieser Länder belegen sollten. 1942 erhielt er einen Ruf an die Auslandswissenschaftliche Fakultät der Universität Berlin, bis 1943 nahm er seinen Lehrstuhl in Halle vertretungsweise wahr. Am 3. Oktober 1945 durch sowjetische Polizei verhaftet, war er bis 1950 in Zinna, Torgau und Buchenwald interniert. Am 3. Juni 1950 wurde er in Waldheim wegen „Unterstützung des Naziregimes“ zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, jedoch am 7. Oktober 1952 amnestiert. Im Februar 1953 erhielt er einen Forschungsauftrag an der Universität Halle, floh jedoch nach Westdeutschland. Von 1954 bis 1964 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz. Frauendienst wurde 1959 emeritiert. Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.224.576

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Quellen: UAH PA 6228 Frauendienst, UAG PA 217 Frauendienst; BA R 4901/13262 Karteikarte Frauendienst; Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 1, Paderborn u. a. 2000, S. 596 f.

Grellmann, Hans (* 22. Juni 1898 Weimar; † 8. April 1945 Thorn) Vater: Oberkassenrendant Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Grellmann im Frühjahr 1918 ab und wurde im Herbst 1918 zur Ausbildung als Musketier eingezogen. Er studierte in Tübingen, Jena, Rostock, München und Greifswald Germanistik, Geschichte und angrenzende Fächer und trieb, so sein Lebenslauf, „finnische und schwedische Studien“. Mit einer Arbeit über die Romane des Arztes, Wirtschaftswissenschaftlers und Schriftstellers Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817) promovierte er 1924 in Greifswald zum Dr. phil. Am kurz zuvor gegründeten Institut für Finnlandkunde arbeitete er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, später erhielt er eine außerplanmäßige Assistentenstelle. Seit 1923 unternahm Grellmann Studienund Forschungsreisen nach Skandinavien, 1927 beteiligte er sich an einer geographischen Erkundungsfahrt durch Lappland und zum Eismeer. Die Universität Turku versuchte, ihn 1933 für die Stelle des Deutschlektors zu gewinnen. Nach Rücksprache mit dem Kultusministerium lehnte Grellmann ab. Stattdessen wurde ihm die kommissarische Leitung des Instituts für Finnlandkunde übertragen. Grellmann setzte seine Reisen nach Finnland fort, pflegte wissenschaftliche und wirtschaftliche Kontakte und erkundete die karelischsowjetischen Grenzgebiete (ausgezeichnet mit dem Ritterkreuz I. Klasse der Finnischen Weißen Rose). Im August 1939 wurde Grellmann eingezogen und nahm am Polenfeldzug teil. Im November 1939 wurde er für den Dienst bei der Abwehr reklamiert. Im Institut für Finnlandkunde erstellte er bis Mitte 1940 Berichte über die Innen- und Außenpolitik Finnlands, für die er die fünf wichtigsten Tageszeitungen des Landes auswertete. Auch in den nächsten Jahren hielt sich Grellmann regelmäßig in Finnland auf. In Greifswald setzte er die wissenschaftliche Arbeit fort und unterstützte finnische Militärs und Wissenschaftler bei der Kontaktpflege im Deutschen Reich. Mit einer Studie über „Goethes Wirkung in Finnland“ wurde Grellmann 1941 habilitiert und zum Dozenten für Auslandskunde und Auslandswissenschaft für den finnischen Kulturkreis ernannt. 1943 ging Grellmann nach Helsinki, um die Leitung der Abteilung Wissenschaft am neueingerichteten Deutschen Wissenschaftlichen Institut in Finnland zu übernehmen (1944 ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse). Nach dem Seitenwechsel Finnlands im November 1944 wurde Grellmann wieder an die Universität Greifswald versetzt, jedoch sofort nach Neubrandenburg eingezogen. Bei den Kämpfen um Neustettin im Februar 1945 verwundet, starb er wenig später im nun russischen Lazarett in Thorn.

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Organisationen: 1933 SA, Dienstgrad Obersturmmann; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.163.247 Quellen: UAG PA 220 Grellmann; BA R 4901/13264 Karteikarte Grellmann.

Hoffmann, Tassilo (* 29. Mai 1887 Kolberg (Pommern); † 17. Dezember 1951 Berlin) Vater: Kaufmann und Stadtältester Konfession: evangelisch Hoffmann absolvierte das humanistische Gymnasium in Kolberg und Stettin, wo er 1907 die Reifeprüfung ablegte. Zunächst studierte er in Freiburg Jura und Nationalökonomie. Hier leistete er Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger. Für ein Jahr reiste er nach Frankreich und beschäftigte sich an der Universität Caen und den Pariser Sammlungen mit kunsthistorischen Studien zur Gotik. Er legte Examina in Französischer Sprache und Literatur ab, setzte das Ökonomiestudium jedoch in Heidelberg, Berlin und Greifswald fort. 1911 promovierte er an der Universität Greifswald mit einer Dissertation über Die Ursachen der Kriminalität in Pommern zum Dr. phil. Danach erhielt er eine Assistentenstelle am Stettiner Provinzialmuseum und wurde zum Leiter des dortigen Münzkabinetts ernannt. Seit 1914 leistete Hoffmann Kriegsdienst bei der Feldartillerie an der Westfront (befördert zum Oberleutnant, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Ritterkreuz vom Zähringer Löwen). Nach mehreren Verwundungen wurde er in der Verwaltung des Besatzungsgebiets Ober-Ost eingesetzt und 1918 zum Generalkommando Stettin versetzt, wo er die Einrichtung des Versorgungsamtes leitete. Nach nicht restlos bewiesenen Vorwürfen finanzieller Unregelmäßigkeiten wurde er von der Arbeit am Stettiner Museum entbunden. 1921 kaufte Hoffmann eine Münzhandelsfirma in Berlin, widmete sich dem Ausbau seiner privaten Sammlung mittelalterlicher Münzen und gab seitdem die Berliner Münzblätter (ab 1933 Deutsche Münzblätter) heraus. Die Firma verkaufte Hoffmann 1927, im selben Jahr reichte er in Greifswald seine Habilitationsschrift über die jüdischen Medailleure Abraham und Abrahamson, 55 Jahre Berliner Medaillenkunst 1755–1810 ein. Mit der Publikation der Schrift 1929 gehörte Hoffmann als Privatdozent für Numismatik zum Lehrkörper der Universität Greifswald. Er ließ sich jedoch 1931 zur Einrichtung eines Stempelarchivs an die Preußische Staatsmünze beurlauben. 1932 wechselte er als Direktorialassistent zum herzoglichen Münzkabinett in Gotha und habilitierte sich 1933 an die Universität Jena um, was aber wohl vom Wissenschaftsministerium nicht genehmigt wurde. Mit der Umgestaltung der Gothaer Museen verlor er die Stelle und zog nach Berlin um. 1936 wurde Hoffmanns Umhabilitierung an die Universität Berlin gestattet, wo er bis 1940 Lehrveranstaltungen zum brandenburgischen Münzwesen abhielt. Während des Zweiten Weltkriegs war er in der Propagandaabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht eingesetzt und wurde zum Major befördert. Seine wissenschaftlichen Unterlagen

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gingen durch den Bombenkrieg verloren, eine Wiederbeschäftigung in der Wissenschaft gelang ihm nach dem Zweiten Weltkrieg nicht. Hoffmanns Forschungen zur pommerschen Numismatik gelten als wegweisend, seine Monographie über die Gnadenpfennige der Herzöge (1933) als Standardwerk. Organisationen: Aufnahme in die NSDAP zum 1. Mai 1937, Mitglied Nr. 5.375.841 Quellen: UAG K 890; UAG PA 105 Leonhardt, betr. unklare Stellung der Privatdozenten Leonhardt und Hoffmann; BA R 4901/13266 Karteikarte Hoffmann; Auskunft des Universitätsarchivs Berlin; Henning, Eckart: Die Hilfswissenschaften in Berlin, in: Hansen, Reimer und Wolfgang Ribbe (Hg.): Geschichtswissenschaft in Berlin, S. 405; Fried, Torsten: Hoffmann, Tassilo, in: Biographisches Lexikon für Pommern, Bd. 2, 2015, im Druck.

Jahr, Karl (* 14. August 1904 Brüel (Mecklenburg); † 21. Juni 1973 Berlin) Vater: Pfarrer Konfession: evangelisch-lutherisch Das Gymnasium besuchte Jahr in Detmold. Seit 1923 studierte er Chemie an der Universität Göttingen. 1926 legte er das Erste Verbandsexamen ab und wechselte an die Universität Graz, um sich die Methoden der quantitativen Mikroanalyse anzueignen. 1927 kehrte er nach Göttingen zurück und promovierte 1930 mit einer Dissertation Über den Aufbau und Abbau hochmolekulater anorganischer Verbindungen in Lösung am Beispiel der Molybdänsäuren. 1929 erhielt er eine außerplanmäßige Assistentenstelle und ging im Dezember 1933 mit seinem Mentor Gerhart Jander an das Kaiser-Wihelm-Institut für Physikalische Chemie in Berlin-Dahlem. Mit Jander wechselte er 1935 nach Greifswald, wo er eine planmäßige Assistentenstelle erhielt. 1936 wurde er nach der Habilitation mit einer Studie Über den Verlauf komplizierter Hydrolysevorgänge zum Oberassistenten und Abteilungsleiter ernannt. 1937 wurde ihm die Dozentur zugesprochen, seine Antrittsvorlesung hielt er über intermetallische Verbindungen in Ammoniak. Gemeinsam mit Jander forschte und publizierte er zur Massenanalyse von Gasen. 1938 wechselte Jahr als Oberingenieur und Leiter einer Unterrichtsabteilung in das Anorganisch-Chemische Institut der TH Berlin-Charlottenburg und wurde 1939 dorthin umhabilitiert. Nach der Nominierung für ein Ordinariat an der Universität Posen (Platz 2 der Berufungsliste) folgte 1942 die Beförderung zum außerplanmäßigen Professor an der TH Berlin. 1945 wurde Jahr entlassen und war in der Wirtschaft tätig. Im März 1949 erhielt er eine Professur mit vollem Lehrauftrag an der Humboldt-Universität Berlin. 1951 floh Jahr nach Westberlin und lehrte als planmäßiger außerordentlicher Professor für Analytische Chemie an der Technischen Universität. Organisationen: 1930 NSDAP, Mitglied Nr. 219.916; NSD-Dozentenbund, zeitweilig Nichtordinarienvertreter in der Philosophischen Fakultät Quellen: UAG PA 70 Jahr, K 890; BA R 4901/23103; Klee, Personenlexikon, S. 282.

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Kaiser, Karl (* 23. September 1906 Bad Schwalbach (Nassau); † 22. Juni 1940 in den Vogesen) Vater: Kreisausschussoberinspektor Konfession: evangelisch Die Volks- und Oberrealschule besuchte Kaiser in Bad Schwalbach und Wiesbaden. Ab 1925 studierte er Germanische und Romanische Philologie und Geschichte sowie Theologie an den Universitäten Frankfurt, Wien und Greifswald. Mit der Dissertation Mundart und Schriftsprache. Versuch einer Wesensbestimmung in der Zeit zwischen Leibniz und Gottsched promovierte er 1930 in Kopenhagen zum Dr. phil. Dabei benutzte er die Namensform Kåre und widmete die Schrift seiner dänisch-deutschen Ehefrau. Unmittelbar danach erhielt er am Volkskundlichen Archiv für Pommern eine Assistentenstelle und wurde ab 1931 als Hilfsarbeiter in der Zentralstelle des Atlasses der deutschen Volkskunde in Berlin beschäftigt. Zum 1. Januar 1933 wurde Kaiser zum Leiter des Volkskundlichen Archivs für Pommern ernannt. Im Februar wurde er mit einer Studie über Das germanische Altertum und das Märchen habilitiert. Die Probevorlesung behandelte das Thema „Deutsche Sprache und Christentum“. In den nächsten Jahren entfaltete Kaiser eine außerordentliche Aktivität auf dem Gebiet der Volkskunde, die zunächst durch Stipendien der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wurde. Da er jedoch wissenschaftliche Maßstäbe setzte, die anderswo nicht erfüllt werden konnten, wurde er denunziert. Nach einer Kollision mit Eugen Mattiat, dem Hauptreferenten für Geisteswissenschaften im Wissenschaftsministerium, war seine Karriere 1936 de facto beendet. Kaiser glaubte in Mattiats Arbeiten Plagiate zu erkennen, Mattiat bezichtigte ihn ideologischer Abweichungen. Kaiser verfasste danach ein antijüdisch geprägtes Lesebuch zur Volkskunde und bemühte sich um seine Rehabilitierung. Obwohl er von Rektor Karl Reschke unterstützt wurde, konnte er die Denunziationen nicht vollständig entkräften. Im Frühjahr 1939 meldete sich Kaiser freiwillig zum Heeresdienst und wurde zum Unteroffizier und Ausbilder in einer Panzerabwehrabteilung befördert. Er meldete sich freiwillig zum Kriegseinsatz und fiel bei einem der letzten Angriffe in den Vogesen. Am 18. Dezember 1940 wurde seine Witwe, bereits Mutter von zwei Kindern, von Zwillingen entbunden. Organisationen: im November 1933 SA; für das Fürsorgeamt tätig; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.104.926; 1937 NSV; Studentenkampfhilfe; 1934 Reichsluftschutzbund; ab 1938 Referatsleiter Wissenschaft in der Gauarbeitsgemeinschaft für Deutsche Volkskunde im Amt Rosenberg; Gutachter für das Amt Rosenberg Quellen: UAG PA 80 Kaiser; BA R 4901/13267 Karteikarte Kaiser; Schriften.

Mackensen, Lutz (* 15. Juni 1901 Bad Harzburg; † 24. März 1992 Bremen) Vater: Gymnasiallehrer Konfession: evangelisch

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Das Gymnasium besuchte Mackensen in Gotha, wo er 1918 die Reifeprüfung ablegte. Ab 1919 studierte er Germanistik, Geschichte, Philosophie und angrenzende Wissenschaften in Berlin, ab 1920 in Heidelberg, unterbrochen durch den Dienst in einem Berliner Freikorps, das nach dem gescheiterten Kapp-Putsch aufgelöst wurde. Mit der Dissertation Der singende Knochen. Ein Beitrag zur vergleichenden Märchenforschung promovierte er 1922 an der Universität Heidelberg zum Dr. phil. Danach erhielt er eine Anstellung als Assistent bei der Redaktion des Deutschen Rechtswörterbuchs in Heidelberg. An der Universität Greifswald wurde er 1926 für Deutsche und Nordische Philologie und Volkskunde habilitiert. Auf Betreiben von Wolfgang Stammler erhielt er einen dotierten Lehrauftrag für Volkskunde und gründete eine Außenstelle des Deutschen Volksliedarchivs. Seit 1929 baute er diese Arbeitsstelle systematisch zu einem Volkskundlichen Archiv für Pommern aus. 1932 wurde Mackensen als Dozent für Deutsche Philologie und Volkskunde an die Herder-Hochschule in Riga berufen. In Greifswald galt Mackensen weiter als zum Lehrkörper gehörig, war jedoch beurlaubt. Ab 1940 vertrat er einen Lehrstuhl an der Universität Gent und wurde 1941 an die Reichsuniversität Posen berufen. Weil sich Mackensen im Baltikum und in Posen stark für die NSDAP engagiert hatte, gelang ihm die Wiederanstellung an einer westdeutschen Universität nicht. Vorübergehend war er ab 1949 bei der Gesellschaft für deutsche Sprache angestellt. 1956 erhielt er den Status eines Professor emeritus, 1957 gründete er ein Institut für Deutsche Presseforschung in Bremen und trat 1966 in den Ruhestand. Mackensen verfasste zahllose Lexikonartikel und war Autor mehrerer Wörterbücher, darunter eines bis heute aktualisierten etymologischen Nachschlagewerks. Sein Deutsches Wörterbuch trat in Konkurrenz zum Duden, außerdem edierte er niedersächsische und hansische Sagen. Organisationen: im November 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.331.290; Landesschulungsleiter der NSDAP für Lettland; Film- und Funkwart für Lettland; in Riga Kontaktperson des Amtes Rosenberg; Gaudozentenführer im Warthegau Quellen: UAG PA 240 Mackensen, K 890; BA R 4901/13271 Karteikarte Mackensen; NSDAPOrtskartei; Welker, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer, S. 150; Schriften.

Mentzel, Rudolf (* 28. April 1900 Bremen; † 4. Dezember 1984 Twistringen) Vater: Volksschullehrer Konfession: gottgläubig Die Reifeprüfung legte Mentzel 1918 am Realgymnasium Bremen ab, er trat ins Heer ein und wurde 1919 demobilisiert. Er studierte Chemie an der Universität Göttingen. Dort trat er ins studentische Bataillon ein und nahm mit dem Freikorps Wolff an den Kämpfen in Oberschlesien teil (ausgezeichnet mit dem Schlesischen Adler). 1925 legte er das Verbandsexamen ab und promovierte zum Dr. phil. (Stereoisomerie und ihre Um-

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wandlungen bei beta-substituierten Dekalinen). Danach arbeitete er als Chemiker in einem Mineralölkonzern. Eine Assistentenstelle erhielt er 1926 bei Gerhart Jander am Chemischen Institut der Universität Göttingen, wo er Aufträge der Reichswehr bearbeitete. 1933 habilitierte sich Mentzel in Greifswald für das Fach Angewandte Chemie unter besonderer Berücksichtigung des Gasschutzes. Am 1. November 1933 wurde er zum Abteilungsleiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie und Elektrochemie ernannt. Nach der Verdrängung Janders von der Institutsspitze wechselte er als ordentlicher Professor an die TH Berlin. Seit Juni 1934 war er jedoch zum Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung abgeordnet, wo er im Juni 1939 zum Ministerialdirektor und Leiter des Amtes Wissenschaft ernannt wurde. 1936 verdrängte er den Physiker Johannes Stark von der Spitze der Deutschen Forschungsgemeinschaft und nahm damit eine wichtige Stellung im Reichsforschungsrat ein. Nachdem er 1939 Vizepräsident des Reichsforschungsrats geworden war, avancierte er 1943 zum Leiter des Geschäftsführenden Ausschusses beim Reichsforschungsrat und damit zu dessen Koordinator. Ab 1945 in amerikanischer Gefangenschaft, wurde er 1948 entlassen und von einer deutschen Spruchkammer als „minderbelastet“ eingestuft. Danach war er in der Industrie tätig. Organisationen: 1922 Eintritt in die NSDAP, Mitgliedsnr. nach Wiedereintritt 2937; 1930 bis 1. Juli 1933 Kreisleiter in Göttingen; SA; ab Juni 1932 SS, später befördert zum Brigadeführer; NSV; NS-Altherrenbund; RLB; NS-Dozentenbund Quellen: UAG PA 110 Mentzel, Phil./MN Habil. 2; BA R 4901/25065 und 1814, Bl. 351; Grüttner, Lexikon, S. 117 f.

Meyer, Paul Friedrich Namensform: Meyer-Waarden, Paul-Friedrich (* 5. Dezember 1902 Barsinghausen (Hannover); † 15. Februar 1975) Vater: Uhrmacher Konfession: evangelisch-lutherisch Der wahrscheinlich unehelich geborene Sohn eines niederländischen Handwerkers besuchte ab 1917 das Lehrerseminar in Einbeck und die Präparandenanstalt in Diepholz. Das Lehrerexamen legte er 1923 ab. 1921 nahm er als Freiwilliger an den Kämpfen in Oberschlesien teil. Meyer studierte seit 1924 Naturwissenschaften an den Universitäten Berlin und Rostock. Mit einer preisgekrönten Dissertation über die Aufnahme pflanzlicher Farbstoffe in den Körper von Lepidopterenlarven wurde er 1929 an der Universität Berlin zum Dr. phil. promoviert. Im selben Jahr erhielt Meyer eine Assistentenstelle am Institut für Experimentelle Zellforschung der Universität Berlin. Ab 1930 arbeitete er für die Wissenschaftliche Kommission für Meeresforschung in Rostock, die vom Deutschen Seefischereiverein finanziert wurde. 1938 konnte er eine Forschungsreise in die Barents-

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see unternehmen, wo er die dort betriebene Hochseefischerei kennenlernte. Ab 1939 baute Meyer im Auftrag der Reichsanstalt für Fischerei ein Institut für Ostseefischerei in Swinemünde auf. Diesem Institut gliederte er eine Zentralstelle für kriegswirtschaftliche Untersuchungen auf dem Gebiet des Fischereiwesens an. Ab 1940 leitete er das ehemals polnische Meeresbiologische Institut in Gotenhafen (Gdynia), wofür er mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse ausgezeichnet wurde. Mit der Studie Die Zeesenfischerei auf Hering und Sprott wurde Meyer 1942 an der Universität Berlin für Fischereiwissenschaft und Hydrobiologie habilitiert. Dabei ging er der Frage nach, in welchem Ausmaß die Schleppnetzfischerei bestehende Fischbestände gefährde. Auf Betreiben der Philosophischen Fakultät wurde Meyer der Universität Greifswald als Dozent für Hydrobiologie und Fischereiwissenschaft zugewiesen. Bereits kurz nach Kriegsende erhielt Meyer eine Anstellung als Referent für Hochseefischerei in der Verwaltung des vereinigten Wirtschaftsgebiets in Frankfurt/Main. 1947 wurde er zum Direktor des Instituts für Küsten- und Binnenfischerei in Cuxhaven ernannt. Ab 1948 lehrte er als Dozent an der Technischen Hochschule Hannover. Zum Direktor der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg wurde Meyer 1953 ernannt. Meyer bzw. Meyer-Waarden erstattete zahlreiche Gutachten zum Bestand von Nutzfischen in Nord- und Ostsee sowie im Atlantik. Er äußerte sich zum Ausbau des Fischfangs mit Großreusen, publizierte über Fischkrankheiten und zur Krabbenfischerei. Außerdem ließ er experimentelle Studien zum Aussetzen von Salmoniden in der Ostsee durchführen. Organisationen: 1922 bis 1927 Jungdeutscher Orden; 1924 Berliner Burschenschaft Teutonia; 1933 SA; 1935 Aufnahme in die NSDAP Quellen: UAG PA 239 Meyer; Gerken, Hannover, S. 333; Kürschner; Meyer-Waarden, Paul Friedrich: Walther Herwig, 1838–1912: Portrait eines bedeutenden Staatsdieners und Pioniers, Hamburg 1977.

Mierdel, Georg (* 5. März 1899 Rathenow; † 29. Juni 1979 Dresden) Vater: Kaufmann und Mühlendirektor Konfession: evangelisch Mierdel besuchte das Realgymnasium in Rathenow und studierte ab 1917 Mathematik, Physik und Biologie sowie Musik an den Universitäten Marburg und Greifswald. Mit einer Dissertation über die Experimentelle Bestimmung der Anregungsfunktion promovierte er 1920 in Greifswald. Im Jahr darauf erhielt er eine Assistentenstelle am Physikalischen Institut. 1928 habilitierte er sich mit Untersuchungen über den elektrodenlosen Ringstrom. Sein Mentor Seeliger ebnete den Weg zu den Siemens-Schuckert-Werken in Berlin, wo Mierdel 1930 eine Stelle als Physiker antrat. Zum Sommersemester 1934 wurde er an die TH Berlin-Charlottenburg mit einer Venia Legendi für das Fach Gasentladungs-Elektro-

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technik umhabilitiert. 1939 erhielt er den Professorentitel. Bei Siemens etablierte Mierdel eine Abteilung zur Reinigung von Gasen und verfasste 1943 gemeinsam mit Joachim Dosse eine weltweit beachtete Studie über den „elektrischen Strom im Hochvakuum und in Gasen“. 1944 wurde Mierdels Abteilung zum Siemens-Betrieb nach Rochlitz an der Iser ins Riesengebirge verlagert. Von den tschechoslowakischen Behörden übernommen, leitete er ab 1949 die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Betriebs in Rokytnice nad Jizerou. 1953 kehrte Mierdel nach Greifswald zurück und erhielt eine Abteilungsleiterstelle am Institut für Gasentladungsphysik der Akademie der Wissenschaften. Im September 1953 nahm er jedoch eine Professur mit Lehrstuhl für Theoretische Elektrotechnik und Gleichrichter an der TH Dresden an, wo er 1963 emeritiert wurde. Organisationen: Deutscher Luftsportverband; 1942 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 8.982.654 Quellen: UAG PA 309 Mierdel; K 890; BA R 4901/13271 Karteikarte Mierdel; Mitgliedskarte in der NSDAP-Ortskartei; Mierdel, Georg: Rudolf Seeliger und meine Jahre in Greifswald, in: Rudolf Seeliger: 12.11.1886 – 20.01.1965, Jugendobjekt aus Anlass des 100. Geburtstages, Greifswald 1986, S. 67–79.

Naundorf, Gerhard (* 16. April 1909 Hechingen; † 23. September 1980 Essen) Vater: Kanzleisekretär Konfession: gottgläubig Naundorf besuchte Grundschulen in Hechingen, Greifswald und Stralsund. Danach absolvierte er eine Landwirtschaftslehre. Ab 1932 arbeitete er als Gutsverwalter. 1936 legte er extern die Reifeprüfung ab und studierte in Greifswald Botanik, Vererbungswissenschaft und Mineralogie/Petrographie. 1939 promovierte er mit der Arbeit Untersuchungen über den Phototropismus der Keimwurzel von Helianthus annuus zum Dr. rer. nat. und erhielt 1940 eine Assistentenstelle am Botanischen Institut. 1942 habilitierte er sich mit einer Studie über Pflanzenhormone und das Wurzelwachstum der Gramineen (Süßgräser). Seine Antrittsvorlesung hielt er zur Hormonisierung von landwirtschaftlichen Kulturpflanzen. Außerdem forschte er zur Stickstoffversorgung der Leguminosen (Hülsenfrüchtler). Naundorf hielt mehrere Patente für wirtschaftlich einsetzbare Wuchsstoffe und für Stoffe zur besseren Stickstoffversorgung von Pflanzen. 1942 wurde er Leiter des mit Unterstützung der Landesbauernschaft gegründeten Landwirtschaftlichen Forschungsinstitutes. Im Februar 1944 trat er eine Dienstreise nach Spanien an, um dort ein Schädlingsbekämpfungsmittel gegen Olivenschädlinge zu testen und mit Hormonisierungsversuchen zu beginnen. Naundorf kehrte nicht zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg publizierte er über tropische und subtropische Nutzpflanzen.

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Daneben verfasste er in den dreißiger und vierziger Jahren mehrere Science-FictionRomane, etwa Stern in Not (1938), Welt ohne Sonne (1939) sowie Lebensstrahlen anders gesehen (1941). Organisationen: 1. Mai 1937 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.963.947, Blockleiter; NSKK Quellen: UAG PA 1588 Naundorf, K 731, R 989; BA R 4901/25114; BA R 73/13341; Auskunft des Standesamts Hechingen.

Neumann, Friedrich-Wilhelm (* 13. Dezember 1899 St. Petersburg (Russland); † 23. Juli 1979 Mainz) Vater: Diplomingenieur, Leiter der Stadtwerke in Riga Konfession: evangelisch Neumann besuchte die deutschen Gymnasien in Dorpat und Riga. Nach der Reifeprüfung 1918 trat er in ein Freiwilligenregiment der Baltischen Landeswehr ein und nahm an den Kämpfen gegen die revolutionären Truppen in Kurland und Livland teil (ausgezeichnet mit dem Baltenkreuz). 1919 wurde er zum Unteroffizier befördert, in den Grenzschutz Ost überführt und 1920 demobilisiert. Er studierte Slawische und Germanistische Philologie, Geschichte und Philosophie an den Universitäten Jena, München und Königsberg. 1925 promovierte er mit einer Arbeit über den baltischen Schriftsteller Jakob Michael Reinhold Lenz an der Universität Königsberg zum Dr. phil. Ab 1926 war Neumann Assistent am Slawistischen Institut der Universität Leipzig, zugleich leitete er die Dolmetscherkurse beim 11. Sächsischen Infanterieregiment. Im November 1933 trat Neumann eine Stelle als planmäßiger Lektor für Russisch an der Universität und Handelshochschule Königsberg an und übernahm die Dolmetscherkurse der dortigen Garnison. An der Universität Königsberg habilitierte er sich 1935 mit einer „Geschichte der russischen Ballade“ und absolvierte 1936 das Dozentenlager. Obwohl Neumann als ausgezeichneter Kenner der russischen Dichtung galt, wurde er als Dozent wegen sprachwissenschaftlicher Schwächen von mehreren Universitäten abgelehnt. 1937 wechselte Neumann als Lektor an die Universität Greifswald. Hier trat er als Reserveoffizier in die Wehrmacht ein und leistete „Übungen bei einer Sonderformation“, vermutlich der Abwehr. Von August bis November 1939 war er als Abwehroffizier (Dienstgrad Leutnant) im Generalkommando des II. Armeekorps und im eroberten Polen eingesetzt. 1939 und von 1941 bis zum Juni 1943 diente er als Sonderführer bei einer OKW-Dienststelle (Abwehr), danach bei der Feldtruppe im Osten. Im Frühjahr 1944 wurde er zum Leutnant befördert (ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern). Eine Dozentenstelle an der Universität Greifswald erhielt Neumann im März 1944. Für die Universität wurde er jedoch nicht freigegeben. Ab Oktober 1945 arbeitete Neumann als Dozent an der Universität Hamburg und leitete zugleich das Slawistische Seminar in Schmalenbeck bei Hamburg.

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1955 wurde er als außerordentlicher Professor an die Universität Mainz berufen und 1957 zum ordentlichen Professor befördert. Hier war Neumann auch Direktor des Instituts für Osteuropakunde, emeritiert wurde er 1968. Organisationen: vor 1933 Mitglied im Deutschen Pfadfinderbund; VDA; Deutscher Hochschulring; VDSt, Leiter der politischen Schulungswochen; 1933 NSV; Blockhelfer; politischer Leiter; NSBO; Kampfbund für Deutsche Kultur; NSLB; NS-Dozentenbund; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.344.114; seit April 1938 Blockleiter, stellvertretender Zellenleiter und Ortsgruppenreferent Quellen: UAG PA 1599 Neumann; BA R 4901/25122 und 13272 Karteikarte Neumann, F.-W.; Kürschner.

Neunhoeffer, Otto (* 17. Oktober 1904 Stuttgart; † 2. Oktober 1998 Berlin) Vater: Augenarzt Konfession: evangelisch Die Reifeprüfung legte Neunhoeffer 1923 am humanistischen Karlsgymnasium Stuttgart ab. Danach diente er als Zeitfreiwilliger in der Reichswehr. Er studierte Chemie an den Technischen Hochschulen Stuttgart und München, wo er das Verbandsexamen ablegte, danach an den Universitäten Göttingen und Freiburg. 1930 promovierte er mit der Dissertation Über die Isomeriemöglichkeiten beim Dicyclohexyl zum Dr. rer. nat. an der Universität Greifswald, erhielt eine planmäßige Assistentenstelle und wurde 1933 habilitiert. Er absolvierte das Geländesportlager der SA und die Dozentenakademie in Kiel und wurde 1935 als Dozent der Technischen Hochschule Breslau zugewiesen, wo er 1940 eine außerplanmäßige Professur erhielt. Nach der Vertreibung kehrte er 1945 nach Greifswald zurück und arbeitete als Hauptreferent in der Stadtverwaltung. 1949 erhielt er eine Mitarbeiterstelle am Institut für Festkörperforschung der Akademie der Wissenschaften in BerlinBuch. Zwei Jahre später folgte die Ernennung zum Professor mit vollem Lehrauftrag an der Humboldt-Universität Berlin und 1952 zum Direktor des II. Chemischen Instituts. 1959 floh Neunhoeffer in die Bundesrepublik und wurde 1960 zum Professor für Organische Chemie an der Universität des Saarlands berufen. Neunhoeffer befasste sich vorwiegend mit der analytischen Chemie. Nach 1960 wandte er sich besonders den Stoffwechselprodukten der Krebserkrankungen zu (Die biochemischen Abweichungen der entarteten Zelle und die Konsequenzen für Krebsteste und Krebstherapie, 1978) Organisationen: im November 1933 Aufnahme in die SA, 1934 SA-Mann, im November 1934 Sturmmann; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 5.009.841 Quellen: UAG PA 1808 Neunhoeffer; BA R 4901/1814 und 13272 Karteikarte Neunhoeffer, Mitgliedskarte Ortskartei; Klee, Personenlexikon, S. 434; Schriften.

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Rohling, Ludwig (* 8. März 1907 Münster; † 27. November 1972 Markdorf, Kreis Überlingen) Vater: Handelsvertreter, Kaufmann Konfession: katholisch Von mehreren Krankheitsjahren aufgrund von Kinderlähmung unterbrochen, besuchte Rohling das staatliche Gymnasium und die Domschule in Münster. Von 1928 bis 1933 studierte er in Freiburg, Wien, München, Dresden und Münster Kunstgeschichte, Archäologie und Literaturgeschichte. Seine Studien schloss er im November 1933 mit einer Dissertation über die ältere Baugeschichte des Doms zu Osnabrück ab. Zeitgleich inventarisierte er die Kunstdenkmäler des Regierungsbezirks Osnabrück. Von Dezember 1933 bis Mai 1934 volontierte er am Landesmuseum Westfalen. Danach widmete er sich, finanziert durch ein Stipendium, der Bestandsaufnahme der Denkmäler in Schleswig-Holstein. Im November 1937 erhielt Rohling eine Assistentenstelle an der Universität Greifswald. Die amtsärztliche Untersuchung konstatierte anlässlich der Ernennung zum Dozenten, dass der 165 Zentimeter große und nur 47,5 Kilogramm schwere Rohling trotz einer überstandenen Kinderlähmung und der daraus resultierenden Behinderung zum Dozenten „geeignet“ sei. Ab 1940 vertrat Rohling den abwesenden Ordinarius für Kunstgeschichte WilhelmKästner. Besoldet wurde er in der Höhe eines Dozenten, bis er im September 1942 zum regulären Dozenten für Kunstgeschichte ernannt wurde. Seine Habilitationsschrift thematisierte „Germanisches Erbe in Bauzier und Bauplastik römischer Zeit in Westfalen und Sachsen“. Im Oktober 1943 wurde Rohling zur Reichsdozentenführung „ausgeliehen“. 1945 entlassen, laut Kürschner „a. D.“, lebte Rohling in Flensburg. Organisationen: 1. Oktober 1940 NSDAP, Mitglied Nr. 8.278.635 Quellen: UAG PA 253 Rohling; Dissertation; Kürschner 1961; Auskunft des Standesamts Münster.

Rosenkranz, Bernhard (* 13. April 1903 Montigny bei Metz (Lothringen); † 7. November 1986 Köln) Vater: Justizobersekretär Konfession: katholisch Nach dem Besuch der Volksschule und der Rektoratsschule in Lobberich besuchte Rosenkranz die Präparandenanstalt und das Lehrerseminar in Kempen. 1923 legte er die Lehrerprüfung ab und studierte danach an der Universität Münster Klassische Philologie, Sanskrit und Slawische Sprachen. Mit einer Dissertation über den „lokalen Grundton und die persönliche Eigenart in der Sprache des Thukydides und der älteren attischen Redner“ promovierte er hier zum Dr. phil. und legte das Philologische Staatsexamen ab. 1931 war er Referendar in Beuthen, 1932/33 Hospitant in Münster und danach Hilfslehrer in Borth und Leverkusen. 1935 erhielt Rosenkranz eine Lehrerstelle in Wyler, 1937 in Uedem (beide Rheinland). Er habilitierte sich 1942 mit einer Grammatik des Luwischen, einer Spra-

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che, die bei den Ausgrabungen der Hethiterkultur in Boghazköi entdeckt worden war. Der Universität Würzburg wurde er 1943 als Dozent zugewiesen und 1944 auf Wunsch der Philosophischen Fakultät nach Greifswald versetzt. Für die Universität wurde Rosenkranz, der in der Besatzungsverwaltung des Heeres in Warschau arbeitete (Dienstgrad Obergefreiter) jedoch nicht freigegeben. 1949 wurde er an die Universität Köln umhabilitiert und dort 1955 zum außerplanmäßigen Professor befördert. 1968 wurde er als persönlicher ordentlicher Professor pensioniert. Rosenkranz verfasste mehrere Studien zur Sprachgeschichte (Beiträge zur Erforschung des Luvischen, 1952; Historische Laut- und Formenlehre des Altbulgarischen, 1955; Der Ursprung der Sprache, 1961). In der NS-Zeitschrift Volk und Rasse veröffentlichte er eine Studie über Sprache, Rasse und Volkstum in Alteuropa und einen pseudowissenschaftlichen Aufsatz über Jüdische und deutsche Familiennamen. Organisationen: seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP, Mitglied Nr. 1.946.360; NSV; NSLB; Reichskolonialbund; VDA, Leiter der Gruppe des Vereins für das Volkstum im Ausland in Uedem Quellen: UAG PA 254 Rosenkranz; BA R 4901/13274 Karteikarte Rosenkranz; Kürschner; Auskunft des Standesamts Köln.

Ruge, Ulrich (* 29. Dezember 1912 Friedrichshof, Kreis Prenzlau; † 19. Oktober 1994 München) Vater: Rittergutsbesitzer Konfession: gottgläubig (früher evangelisch) Ruge besuchte das Realgymnasium in Pasewalk und studierte ab 1932 Biologie, Chemie und Physik in Freiburg, Rostock und Greifswald. 1936 promovierte er hier mit einer Dissertation über den Einfluss des Auxins auf das Wachstum der Sprossachse bei Sonnenblumen. Danach erhielt er ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ab April 1938 war er planmäßiger Assistent am Forstbotanischen Institut der Universität Freiburg. Im selben Jahr legte er die Prüfung für das höhere Lehramt ab. Im September 1939 kehrte er als Erster Assistent an das Botanische Institut der Universität Greifswald zurück und habilitierte sich 1940 mit der Schrift Kritische zell- und entwicklungsphysiologische Untersuchungen an den Blattzähnen von Elodea densa (Wasserpest). 1941 zunächst unabkömmlich gestellt, wurde Ruge 1943 als Grenadier eingezogen. Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft ging Ruge 1947 als außerordentlicher Professor an die Universität Kiel, wurde jedoch rasch zum ordentlichen Professor berufen und zum Direktor des Botanischen Instituts Sarstedt bei Hannover ernannt. 1949 wurde er ordentlicher Professor der TH Hannover, 1960 wechselte er auf ein Ordinariat an der Universität Hamburg. Dort wurde er 1978 emeritiert. Neben wissenschaftlichen Studien, vor allem zu Hormonen, verfasste Ruge auch eine „angewandte Pflanzenphysiologie für den Gartenbau“ (1966).

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Organisationen: am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.968.416, Blockleiter; SA bis 1938, Austritt aus gesundheitlichen Gründen Quellen: UAG R 164 Bl. 402, 413; BA R 4901/13274 Karteikarte Ruge und 23987; Kürschner.

Schlomka, Teodor (* 25. März 1901 Krockow (Kreis Putzig, Westpreußen); † 19. März 1985 Weimar) Vater: Praktischer Arzt Konfession: evangelisch Schlomka besuchte die Volksschule in Krockow, das Gymnasium in Neustadt (Westpreußen) und das Gymnasium in Danzig. Mit 17 Jahren meldete er sich zur Freiwilligen Krankenpflege und wurde 1918 in Frankreich eingesetzt. Nach der Rückkehr legte er das Abitur ab und schrieb sich für das Studium der Physik und Mathematik in Danzig ein. 1919 kämpfte er beim Grenzschutz Ost (ausgezeichnet mit dem Deutschen Ordensschild). Er setzte das Studium an der Universität Halle fort, wo er 1923 eine Assistentenstelle erhielt. Hier promovierte er 1924 zum Dr. rer. nat. mit einer Studie über die elektrische Selbstaufladung von Luftfahrzeugmotoren. 1928 wechselte er nach Greifswald, wo er sich 1931 mit einer Schrift über Gravitation und Erdmagnetismus für das Fach Geophysik habilitierte. Im Oktober 1935 wurde er als planmäßiger außerordentlicher Professor für Theoretische Physik an die TH Hannover berufen und 1940 als ordentlicher Professor an die Universität Prag versetzt, wo er zum Direktor des Geophysikalischen Instituts ernannt wurde. In den ersten Jahren nach 1945 lebte Schlomka in Hannover und finanzierte seinen Lebensunterhalt unter anderem durch Mathematik- und Physikunterricht für Kriegsheimkehrer; außerdem baute er hier das Hochschulvorstudium auf. Obwohl er 1951 in der Bundesrepublik als Professor zur Wiederverwendung eingestuft wurde, nahm er 1955 den Ruf auf eine Professur mit Lehrstuhl für Physik an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar an. 1966 wurde Schlomka in den Ruhestand versetzt. Organisationen: 1919 Aufklärungsreisen in Westpreußen im Auftrag der Antibolschewistischen Liga; 1928 Aufbau der Fliegergruppe Halle; am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.147.328; von 1934 bis 1935 Blockleiter; von November 1933 bis Juni 1934 Scharführer in der SA Quellen: UAG PA 1938 Schlomka; BA R 4901/13275 Karteikarte Schlomka; Der Lehrkörper der Technischen Hochschule Hannover 1831–1956, S. 21.

Schubel, Friedrich (* 24. September 1904 Stettin; † 28. September 1991 Bad Honnef ) Vater: Schuhmachermeister und Kaufmann, 1917 gefallen Konfession: evangelisch, 1942 aus der Kirche ausgetreten 1925 legte Schubel das Volksschullehrerexamen ab, 1927 folgte die Reifeprüfung. Er

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studierte Anglistik, Romanistik und Philosophie in Jena, Berlin und Greifswald, wo er auch Schwedisch lernte. 1930 promovierte er mit einer Dissertation über „romantische Elemente im englischen realistischen Roman von 1830 bis 1835“ zum Dr. phil. Im selben Jahr legte er das Staatsexamen für Englisch, Französisch und Philosophie ab. Das Referendariat absolvierte er in einer Oberrealschule in Stettin und arbeitete ab 1932 am Gymnasium in Misdroy (Pommern). In den Folgejahren hielt er sich mehrfach in England auf. 1937 wechselte er an das Lyzeum in Greifswald und habilitierte sich für Anglistik mit einer Studie über die südenglische Legende von den 11.000 Jungfrauen. Zugleich mit der Ernennung zum Dozenten wurde er zum Studienrat befördert. Seine Antrittsvorlesung hielt er über „Die Entwicklung der Kritik gegen den Victorianismus in englischen Romanen des 20. Jahrhunderts“. Anstelle einer militärischen Ausbildung absolvierte er 1938 eine Schulung beim Reichswetterdienst der Luftwaffe. Mit Kriegsbeginn bearbeitete er im Auftrag der Reichsstudentenführung einen Sonderauftrag für antibritische Propaganda. Das Buch Englands Ausbeutung der westindischen Inseln veröffentlichte er 1940 unter dem Pseudonym Max Friedrich. Das Dolmetscherexamen legte Schubel 1940 ab, bevor er 1941 zum Oberkommando der Wehrmacht einberufen wurde. Kurzfristig diente er im Rang eines Sonderführers beim Reichsrundfunk. 1943 wurde Schubel zum beamteten außerplanmäßiger Professor der Universität Greifswald ernannt. Er arbeitete jedoch nicht in Greifswald, sondern bei der Dolmetscherkompanie in Wiesbaden und übernahm einen Sonderauftrag in Rostow, über dessen Charakter nichts bekannt ist. 1944 wurde Schubel der Universität München zugewiesen. Nach der Kriegsgefangenschaft wurde Schubel bis 1949 in Moosburg und Dachau interniert. Ab 1949 arbeitete er als Studienrat in Köln. 1957 wurde er Oberstudienrat, wechselte jedoch im selben Jahr auf eine ordentliche Professur an der Universität Mainz. 1962 nahm er den Ruf nach Tübingen an, wo er 1972 emeritiert wurde. Schubel verfasste eine englische Literaturgeschichte und eine Methodik des Englischunterrichts für höhere Schulen, die 1971 in der 5. Auflage nachgedruckt wurde. Organisationen: NSLB; NSV; am 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.012.817; Angehöriger der SS, Mitglied Nr. 136.237, 1937 zur Unterstützung des Schulungsleiters der Standarte kommandiert Quellen: UAG PA 260 Schubel; BA R 4901/13275 Karteikarte Schubel; Kürschner.

Schulze, Rudolf (* 13. Mai 1906 Mügeln (Sachsen); † 16. Juli 1974 Hamburg) Vater: Direktor einer Gewerbeschule Konfession: evangelisch-lutherisch Seine Schulausbildung schloss Schulze 1926 mit dem Abitur an der Dresdner Dreikönigsschule ab. Von 1926 bis 1930 studierte er an der TH Dresden technische Physik (Abschluss als Diplomingenieur). Danach trat er eine Assistentenstelle an der TH an. 1932

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promovierte er mit der Dissertation Optische und lichtelektrische Untersuchungen an dünnen Metallschichten. Als Stipendiat der Notgemeinschaft arbeitete Schulze ab 1932 am Institut für Strahlenforschung der Universität Berlin. Hier befasste er sich mit Dosimetrie und der Wirkung von ultravioletter Strahlung auf die Pigmentbildung. 1934 erhielt er eine Assistentenstelle und habilitierte sich 1937 mit einer Neubestimmung der Eve’schen Konstante, einer zur Messung der Gammastrahlung notwendigen definierten Größe, für das Fach Physik. Er wurde jedoch erst 1940 zum Dozenten für Experimentalphysik ernannt. Im August 1939 wurde Schulze zur Luftwaffennachrichtenabteilung einberufen und war ab Juli 1940 als Hilfsregierungsrat der Kriegsmarine tätig. 1941 wurde Schulze zum Leiter der Meteorologisch-Technischen Abteilung im Marineobservatorium befördert, wo er den Bau und die Entwicklung von kriegswichtigen Geräten koordinierte, zum Beispiel Radiosonden, die Wetterverhältnisse in großen Höhen zur Erde funkten, oder automatischen erdnahen Wetterstationen. Außerdem entwickelte er Dosenbarometer für den Bordeinsatz und befasste sich mit dem Problem der Entnebelung von Schiffen. Ein weiteres Feld war die Verbesserung von U-Booten. Schulzes Abteilung beteiligte sich an der Entwicklung eines Bootsantriebs ohne Dieselmotor, der Verbesserung der Schnorchelfahrt und an der Verbesserung der Messtechnik in U-Booten (ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz I. Klasse). Ab 1943 befand sich Schulzes Dienststelle in Greifswald, 1944 wurde er an die Universität umhabilitiert und las hier Strahlungsphysik unter anderem für Mediziner. 1945 befand sich Schulze in Wyk auf Föhr, wo er sich mit dem Schutz vor UV-Strahlung beschäftigte und einen Technischen Bericht über die „biologischen Wirkungen der optischen Strahlung“ für die Field Information Agency der westlichen Besatzungsbehörden verfasste. Im April 1946 wurde Schulze zum Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung beim Meteorologischen Amt für Nordwestdeutschland in Hamburg ernannt. Er habilitierte sich an die Universität Hamburg um und lehrte hier als außerplanmäßiger Professor. 1952 wurde er zum Direktor des Meteorologischen Observatoriums des Deutschen Wetterdienstes in Hamburg ernannt. 1956 normierte Schulze den Schutzfaktor von Lichtschutzmitteln, der seit 1962 als Lichtschutzfaktor bezeichnet wird. Organisationen: im November 1933 Eintritt in die SA; NSV, hier ab August 1935 Blockleiter; 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.579.424, seit April 1938 Blockleiter. Quellen: UAG PA 262 Schulze, R 164, Bl. 18; BA R 4901/13276 Schulze; Lüdecke, Cornelia: Schulze, Rudolf Hermann, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23, 2007, S. 727–728; Habilitationsschrift.

Sommer, Clemens (* 16. September 1891 Cottbus; † 11. März 1962 Chapel Hill (North Carolina, USA)) Vater: General der Infanterie Konfession: katholisch

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Sommer besuchte Schulen in Freiburg und Wertheim am Main. Ab 1911 studierte er Naturwissenschaften, Jura, Geschichte und Kunstgeschichte an den Universitäten Freiburg, München, Würzburg und wieder Freiburg. 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, wurde jedoch wegen einer Erkrankung nicht eingesetzt. 1915 meldete er sich abermals, absolvierte die Fahnenjunkerausbildung, erkrankte jedoch 1917 erneut. Ab 1917 war er bei der militärischen Postüberwachung als Vizefeldwebel tätig. 1919 promovierte Sommer mit einer Dissertation über einen mittelalterlichen Bilderstreit zum Dr. phil. (Die Anklage der Idolatrie gegen Papst Bonifaz VIII. und seine Porträtstatuen). Danach trat Sommer eine Hilfsarbeiterstelle an der Bibliotheca Hertziana in Rom an. Dort setzte er seine Studien zur römischen Baugeschichte unter Bonifaz VIII. fort. Ab 1922 hatte er eine Assistentenstelle am Augustinermuseum in Freiburg inne und publizierte über die Madonnenfiguren am Oberrhein (1925). Unterstützt durch Stipendien der Notgemeinschaft reiste er zu den Werken des bedeutenden spätmittelalterlichen Bildhauers Nikolaus Gerhaert van Leiden und habilitierte sich 1932 an der Universität Greifswald für Kunstgeschichte. Seine Antrittsvorlesung hielt er über die Platzgestaltung in der italienischen Stadt unter besonderer Berücksichtigung der Stadt Rom. 1934 erhielt er einen Lehrauftrag für Nordische Kunstgeschichte. 1935/36 vertrat er den vakanten Lehrstuhl. 1933 und 1934 erhielt Sommer Reisebeihilfen nach Skandinavien und publizierte über die Wandbehänge in Småland. Als 1937 die Dozenten mit jüdischen Ehefrauen unter Druck gesetzt wurden, sich scheiden zu lassen oder ihr Amt niederzulegen, trat Sommer mit seiner Frau eine Vortragsreise nach Schweden an. Mit Wirkung zum 1. Januar 1938 wurde ihm die Lehrbefugnis aufgrund § 18 Reichshabilitationsordnung entzogen, woraufhin das Ehepaar in die USA emigrierte. 1939 trat Sommer eine Stelle als Gastprofessor an der University of North Carolina in Chapel Hill an, 1940 wurde er Associate Professor und nach der Naturalisierung 1947 zum Full Professor ernannt. 1947 stellte der Staat North Carolina eine Million Dollar zum Aufbau eines Kunstmuseums zur Verfügung, dessen „respektable“ Sammlung, so die rückblickende Einschätzung, Sommer aufgebaut habe. Obwohl Sommer vor allem zur spätmittelalterlichen Plastik forschte, publizierte er auch zur modernen Malerei, etwa zu Gauguin. Sommer starb bei einem Autounfall. Organisationen: am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied 2.147.279, am 12. November 1936 Mitgliedschaft für ungültig erklärt; am 15. Oktober 1934 SA; NSLB; NSV; RLB Quellen: UAG PA 140 Sommer; BA R 4901/13277; Wendland; Kunsthistoriker; S. 649 f.

Sommer, Johann Jakob (* 6. Dezember 1904 Danzig-Langfuhr; † nicht ermittelt) Vater: Hochschulprofessor Konfession: evangelisch

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Sommer studierte ab 1923 technische Physik an den Technischen Hochschulen Danzig und München, in Danzig legte er das Staatsexamen für das höhere Lehramt in den Fächern Mathematik, Physik und Chemie ab. In München erhielt er nach der Promotion eine planmäßige Assistentenstelle. 1933 war er Volontärassistent am Physikalischen Institut der Universität Greifswald, besondere Forschungsgebiete waren laut eigener Angabe „Elektrodynamik, Technische Mechanik, Wehrtechnik“. Außerdem absolvierte er die Marineartillerieschule Wilhelmshaven. 1935 wurde Sommer habilitiert. Die Probevorlesung hielt er über den gegenwärtigen Stand des Problems des Fernsehens, 1936 erhielt er einen dotierten Lehrauftrag. Ab Juli 1936 war er bei der Deutschen Versuchsanstalt für Luftsport in Adlershof bei Berlin beschäftigt. Nach dem Umzug der Versuchsanstalt nach Braunschweig war Sommer mit der Einrichtung eines Instituts beauftragt. Danach arbeitete er als Referent für Forschungsanlagen im Reichsluftfahrtministerium. Die Dozentur wurde 1938 an die TH Berlin verlegt. Später war Sommer Leiter der Entwicklungskommission Munition im Reichsministerium für Bewaffnung und Munition, nach dem Krieg soll Sommer in der Wissenschaftsverwaltung tätig gewesen sein. Organisationen: laut Dozentenkartei ohne politische Betätigung, jedoch befasst mit „Volkstums- und Grenzlandarbeit in Posen-Pomerellen“; am 1. Mai 1936 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.712.316 Quellen: UAG PA 2727 Sommer, J.; BA 4901/13277 Karteikarte Sommer; Mitgliedskarte NSDAP-Ortskartei; Sterbedatum beim Standesamt Berlin I nicht registriert.

Sommermeyer, Kurt (* 23. März 1906 Schleusingen; † 13. Februar 1969 Freiburg) Vater: Studienrat Konfession: evangelisch Sommermeyer besuchte das Gymnasium in Schleusingen. Ab 1924 studierte er an der TH Stuttgart und der Universität Göttingen mit dem Ziel, Ingenieur zu werden. 1929/30 arbeitete er in den Osram-Werken Berlin, wo er an der Entwicklung von Gasentladungslampen beteiligt war. Ab 1930 war er als Stipendiat der Notgemeinschaft am Seminar für Theoretische Physik Greifswald tätig, wo er sich mit den Energieumsätzen in Gasentladungen beschäftigte. 1936 habilitierte er sich an der Universität Greifswald. 1937 wurde er zum Dozenten ernannt. Nach der Einführung der Wehrpflicht war Sommermeyer 1937 zu einer Beobachtungsabteilung einberufen. Im selben Jahr erhielt Sommermeyer eine planmäßige Assistentenstelle am Radiologischen Institut der Universität Freiburg. 1941 wurde er dort außerplanmäßiger Professor und wurde auch nach 1945 weiterbeschäftigt. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelte Sommermeyer bei Siemens automatische Wetterstationen. Mindestens eine setzte er als Mitglied einer U-Boot-Besatzung auf Labrador selbst in Gang.

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Organisationen: ab September 1933 SA, seit 1935 Sturmmann im Nachrichten­ sturm 17/49; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.956.464 Quellen: UAG PA 257 Sommermeyer, Phil./Math. Nat. Habil. 6; BA R 4901/13277 Karteikarte Sommermeyer, R 73/16522; Karteikarte NSDAP-Ortskartei; Kürschner; http://uboat.net/ops/weather_stations.htm, letzter Zugriff: 21. Mai 2015.

Stadie, Richard (* 16. November 1904 Breslau; † 31. März 1972 Kiel) Vater: Betriebsdirektor Konfession: evangelisch Stadie legte die Reifeprüfung in Breslau ab. Hier studierte er als Werkstudent Zoologie, Chemie, Botanik und Physiologie und promovierte 1929 mit einer Dissertation über die schlesischen Lachmöwenkolonien. Danach war er Vorlesungsassistent am Zoologischen Institut der Universität Breslau. 1934 erhielt er eine Stelle als zoologischer Sachbearbeiter der Biologischen Forschungsstation auf Hiddensee. 1936 wurde er zum Leiter der neueingerichteten Vogelwarte ernannt. 1938 habilitierte sich Stadie an der Universität Frankfurt mit einer Studie zur hormonellen Beeinflussung der Gefiederfarben von einheimischen Vögeln. Im August 1939 wurde Stadie eingezogen und rasch befördert (1940 Leutnant, 1942 Oberleutnant, dekoriert mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und der Ostmedaille). Im November 1942 erlitt Stadie eine Hirnverletzung durch Granatsplitter. 1944 wieder auf Hiddensee, floh er 1945 mit einem Flugzeug nach Schleswig-Holstein. Dort vorübergehend mit dem Wiederaufbau des Zoologischen Instituts der Universität betraut, wurde er wegen seiner Konzentrationsschwäche als schwer kriegsbeschädigt entlassen. Er arbeitete als Berater einer Firma für Schädlingsbekämpfung und gründete 1951 ein Geschäft für Lehr- und Lernmittel. Ab 1961 unterrichtete er an einem Studienkolleg. Organisationen: SA, Dienstgrad Sturmführer; 1937 NSDAP, Mitglied Nr. 4.406.338, politischer Schulungsleiter der NSDAP-Ortsgruppe Hiddensee Quellen: UAG PA 268 Stadie, Habilitationsschrift in R 688; BA R 4901/13277 Karteikarte Stadie; Faust, Manfred: Das Capri von Pommern, Rostock 2001, S. 249; Gebhardt, Die Ornithologen Mitteleuropas, Bd. 3, S. 79 f.

Steche, Theodor (* 4. Dezember 1895 in Leipzig; † 30. April 1945 Neunkirchen bei Greifswald (Selbsttötung)) Vater: Chemiker und Unternehmer Konfession: evangelisch-reformiert Steche besuchte bis 1914 die Thomasschule zu Leipzig und begann das Studium der Chemie an der TH Dresden. Im Oktober 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger. Er

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diente in einem Feldartillerieregiment und wurde 1916 zum Leutnant befördert (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse, dem Ritterkreuz 2. Klasse des Albrechtsordens und der Silbernen Friedrich-August-Medaille). Im April und November 1918 wurde er am Kopf durch zwei Streifschüsse verwundet und demobilisiert. Er holte das Abitur nach und studierte ab 1920 Chemie an der TH Dresden und der Universität Göttingen. 1922 promovierte er zum Dr. phil. Danach arbeitete er in der chemischen Fabrik Heine & Co. in Gröba bei Riesa, die von seinem Großvater gegründet worden war. Von 1923 bis 1928 war er Assistent am Institut für Pflanzenbau der Universität Göttingen. Bei der Beschäftigung mit der chemischen Nomenklatur wurde Steche auf Fragen der Wortbildung aufmerksam. Sein puristisches Buch Neue Wege zum reinen Deutsch (1925) wurde positiv besprochen, so dass er seiner Neigung folgte und ab 1928 Germanistik in Göttingen studierte. Steche publizierte zahllose Zeitungsartikel zum Umgang mit der Sprache, aber auch zu vorgeschichtlichen Themen. Von 1934 bis 1939 war er Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Obwohl die Habilitationsleistungen 1936 erfüllt waren, wurde er der Universität Greifswald erst 1939 nach der Drucklegung der Schrift Das Rabenschlachtgedicht, das Buch von Bern und die Entwicklung der Dietrichsage als Dozent für Germanische Sprachen und Ältere Deutsche Literatur zugewiesen. Am 30. April 1945 vergiftete er sich, seine Frau und die 15-jährige Tochter. Organisationen: 1932 Kampfbund für Deutsche Kultur, Mitglied der Reichsleitung; am 1. Mai 1933 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 2.081.348, 1934 Blockleiter; 1935 stellvertretender Ortsgruppenschulungsleiter Berlin-Branitzer Platz; ab November 1936 Redner des Gauschulungsamts Berlin; Dezember 1937 Lehrkreisältester des Gaulehrkreises Deutsche Vorgeschichte (Berlin); Ortsgruppenbeauftragter des Rassenpolitischen Amtes der Ortsgruppe Branitzer Platz, Berlin; RLB; NSV; NS-Altherrenbund; an der Universität Greifswald bekleidete er verschiedene Ämter im NSD-Dozentenbund bzw. in der Dozentenschaft Quellen: UAG PA Nr. 267 Steche, Math. Nat. Habil. Nr. 11, K 890; BA R 4901/13277 Karteikarte Steche.

Steiniger, Fritz (* 23. Februar 1908 Aschbuden (Kreis Elbing; Westpreußen); † 9. November 1985 Hannover) Vater: Erbhofbauer Konfession: evangelisch Die Volksschule besuchte Steiniger in Aschbuden, das Gymnasium in Elbing. Nach der Reifeprüfung (1928) studierte er Mathematik und Naturwissenschaften sowie Geographie und Geologie an der Universität Königsberg, ab 1930 in Greifswald. Seit 1931 beschäftigte er sich an der Vererbungsabteilung des Zoologischen Instituts (bei Just) mit

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entomologischen Studien. 1932 promovierte er mit einer Dissertation über die Katalepsie bei Stabheuschrecken und Wasserläufern zum Dr. phil. Danach betreute er Praktika im Chemischen Institut und arbeitete am vorgeschichtlichen Teil des Pommernatlasses mit. Im Oktober 1933 erhielt Steiniger eine Assistentenstelle am Institut für Vererbungswissenschaft. 1937 habilitierte er sich mit einer Schrift über Fütterungsversuche an Vögeln, in der er „Ekelgeschmack“ und visuelle Anpassung einiger Insekten untersuchte. Im selben Jahr wurde er der Universität Greifswald als Dozent zugeteilt. Eine Anstellung erhielt er 1938 im Reichsgesundheitsamt, nebenamtlich bildete er die Schulungsredner der Berliner Gauleitung in „rassenbiologischen Fragen“ weiter. 1940 zum Regierungsrat befördert, wurde Steiniger 1941 zur Wehrmacht einberufen. Zunächst tätig im Zentralarchiv für Wehrmedizin, war er ab Januar 1942 Referent für Schädlingsbekämpfung beim Reichskommissar für das Ostland. In Riga-Kleistenhof richtete er ein Institut für Medizinische Zoologie ein, das sich vorwiegend mit Parasiten und der Bekämpfung von Fleckfieber befasste. Zugleich war Steiniger Referent für Rassenpolitik in der Abteilung Politik des Reichskommissariats Ostland und Leiter des Anthropologischen Laboratoriums dieser Abteilung. 1943 wurde Steiniger der Universität Greifswald erneut zugeteilt und zum Direktor des Universitätsinstituts für Vererbungswissenschaft ernannt (Nachfolge Just). Die Ämter in Riga versah er bis zur Räumung des Baltikums, danach arbeitete er wieder in Berlin. 1945 wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Nach Kriegsende war er in Schleswig-Holstein bei der Malariabekämpfung eingesetzt und wurde nach der Entnazifizierung zum Leiter des Hygienisch-Bakteriologischen Untersuchungsamts in Flensburg ernannt. 1949 leitete er zugleich ein Institut für Medizinische Biologie in Husum. 1952 wurde Steininger Direktor des Medizinaluntersuchungsamts Hannover. Im selben Jahr erhielt er einen Lehrauftrag an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. 1957 wurde er dort Direktor der Genetischen Abteilung, 1974 Vorstand ihres Genetischen Instituts. Steiniger publizierte zur Frage der Erblichkeit bei Mensch und Tier, nach 1945 legte er mehrere Handreichungen für die Schädlingsbekämpfung vor. Organisationen: 1928 bis 1930 Grenzschutzausbildung beim Wanderamt Tannenberg an der Universität Königsberg; ab April 1933 SA, 1934 Scharführer; am 1. August 1935 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 3.704.474, 1936 kommissarischer Blockleiter; seit Oktober 1936 Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP; seit 1938 Ausbildung der Gauschulungsredner in Berlin Quellen: UAG PA 308 Steiniger; R 164 Bl. 95, 101; BA R 4901/25493; Kürschner.

Strugger, Siegfried (* 9. April 1906 Völkermarkt (Kärnten); † 11. Dezember 1961 Münster) Vater: Professor Konfession: katholisch

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Der unehelich Geborene wuchs in Klagenfurt auf, wo sein Vater an der Lehrerbildungsanstalt wirkte. 1924 legte er die Reifeprüfung am Realgymnasium ab und studierte Naturwissenschaften unter besonderer Berücksichtigung der Biologie, Geologie und Mineralogie in Graz. Nach der Promotion zum Dr. phil. 1928 mit einer physiologischen Arbeit zum Zellplasma erhielt Strugger eine Assistentenstelle am Botanischen Institut der Universität Gießen. Struggers Arbeiten zur Zellphysiologie und physikalischen Chemie der Pflanzen wurden anerkannt, zumal ihm Beobachtungen am lebenden Zellkern gelangen. 1930 erhielt er, finanziert durch ein Stipendium der DFG, eine außerplanmäßige Assistentenstelle am Botanischen Institut der Universität Greifswald und habilitierte sich 1933 mit einer Arbeit zur protoplasmaphysiologischen Kausalanalyse des Streckungswachstums für das Fach Botanik. 1935 wechselte er als Leiter der Abteilung für Zellphysiologie an die Universität Jena, wo er sich vorwiegend mit Fragen der Vitalfärbung befasste und mit den Zeiss-Werken am Ausbau der Fluoreszensmikroskopie arbeitete. Durch den Einsatz neuer Farbstoffe gelangen ihm aufsehenerregende Mikrofilmaufnahmen. Außerdem bestimmte er erstmalig den isoelektrischen Punkt der Zelle. 1939 wurde er als ordentlicher Professor an die Tierärztliche Hochschule Hannover berufen. 1948 folgte der Ruf auf eine ordentliche Professur an der Universität Münster. Als Direktor des Botanischen Instituts leitete er dort den Neuaufbau des zerstörten Botanischen Gartens. 1950 war er Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät und 1951/52 Rektor. Einen Ruf an die Universität München lehnte Strugger ab. Strugger hatte zahlreiche Ehrenämter, unter anderem als Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Vorstand und Mitglied des wissenschaftlichen Rates der Kernforschungsanstalt Jülich sowie im Kuratorium des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung. 1959 erkrankte Strugger schwer. Organisationen: 1922 bis 1925 Kärntener Heimatschutz; NSBO; im November 1933 SA, SA-Mann Quellen: UAG PA 1873 Strugger; BA R 4901/1814, Bl. 172 und 13278 Karteikarte Strugger; UAG R 580; Behnke, Heinrich: Siegfried Strugger als Mensch, in: Siegfried Strugger, Drei Vorträge gehalten bei der Gedächtnisfeier der Math.-Naturw. Fakultät der Universität Münster am 14. Mai 1962, Münster 1962, S. 26 f. und 31 f.

Stumpf, Karl Ernst (* 24. Februar 1909 Berlin; † nicht ermittelt) Vater: Regierungsbaurat Konfession: gottgläubig (früher evangelisch) Nach dem Abitur (1927) studierte Stumpf Naturwissenschaften, insbesondere Chemie an der Universität Berlin. Ein Praktikum absolvierte er im Metallurgisch-Chemischen Labor der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) und 1931 das Verbandsexamen als

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Diplomchemiker. Im selben Jahr trat er der NSDAP bei und wenig später der SA. Im April 1932 wurde Stumpf bei einem kommunistischen Übergriff auf dem Weg zum Chemischen Institut schwer verletzt. 1933 promovierte er mit der Dissertation Über die Konstitution der komplexen Kupferverbindungen des Biurets, Guanylharnstoffs, Biguanids und Trimetyldioxypropylammoniumhydroxids. Beitrag zur Kenntnis der komplexen Biuret, Biguanid und Methylbiguanidverbindungen. Danach war er 1933/34 Mitarbeiter der Fachgruppe Luftschutz im Verband deutscher Chemiker. 1934 erhielt er eine Assistentenstelle am KaiserWilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie Berlin, ab Oktober 1934 war er Reichsangestellter des Heereswaffenamts (Wa Prüf 9). Von 1935 bis 1938 war er wissenschaftlicher Assistent im Heereswaffenamt. Sein Dienstort war das Chemische Labor der Universität Greifswald als Assistent Janders. Hier war er ab 1939 Oberassistent und leitete die Abteilung für „Zweckforschung“. Stumpf absolvierte mehrere Wehrübungen und wurde 1939 zum Feldwebel und ROA befördert. Stumpfs Habilitationsschrift wurde 1938 dem Heereswaffenamt zur Begutachtung eingereicht. Das Wissenschaftsministerium sträubte sich jedoch prinzipiell gegen geheim gehaltene Habilitationsschriften, so dass Stumpf später eine Schrift über das gleichartige Verhalten einer Modellsubstanz einreichte. Stumpf wurde daher 1943 mit einer Studie über Untersuchungen über den Bildungsmechanismus und die Eigenschaften von Kondensationsaerosolen, insbesondere am Beispiel der photochemischen Zersetzung von Eisenpentacarbonyldampf in Gegenwart von Sauerstoff und der dabei entstehenden Eisenoxydaerosole habilitiert und zum Dozenten ernannt. Im Handbuch der analytischen Chemie verfasste Stumpf den Artikel über Beryllium und forschte auch danach über das bei der Kernspaltung als Moderator eingesetzte Element. Stumpf gilt seit 1945 als vermisst. Organisationen: 1931 Eintritt in die NSDAP, Mitglied Nr. 738.813; 1932 SA, Obertruppführer; Übertritt in die SS, Offizier Quellen: UAG PA 265 Stumpf; MN Habil. Nr. 32; BA R 4901/13278 Karteikarte Stumpf, PK Stumpf; Sterbedatum beim Standesamt Berlin I nicht registriert; nicht im Kürschner.

Süss, Wilhelm (* 7. März 1895 Frankfurt am Main; † 21. Mai 1958 Freiburg) Vater: Lehrer Konfession: evangelisch Süss besuchte das Gymnasium in Frankfurt. Die Reifeprüfung legte er 1913 ab und studierte danach in Freiburg, Göttingen und Frankfurt Mathematik. Ab 1915 leistete er Kriegsdienst in einem Schallmesstrupp der Artillerie und wurde zum Vizefeldwebel befördert (1917 ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse). Süss promovierte 1921 in Frankfurt mit einer Dissertation über die „Inhaltstheorie von Polygonen in Räumen beliebiger Dimension“. Danach erhielt er eine Stelle als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter bei

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Biographisches Lexikon

der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft und war zugleich Assistent am Mathematischen Seminar der Universität Berlin. 1923 trat Süss eine Professur an der Hochschule in Kagoshima (Japan) an. Er veröffentlichte mehrere Arbeiten zur Geometrie, zum Beispiel über konvexe Körper, die gruppentheoretische Begründung der Geometrie und „relative Differentialgeometrie“. 1928 habilitierte er sich an der Universität Greifswald mit der Arbeit Beiträge zur gruppentheoretischen Begründung der Geometrie für Reine und Angewandte Mathematik. Seine Antrittsvorlesung hielt er über „Ziele und Ergebnisse der Geometrie in den letzten Jahrzehnten“. 1932 vertrat er den Lehrstuhl des erkrankten Karl Reinhardt. Zwei Jahre später wurde Süss als Professor an die Universität Freiburg berufen. Von 1938 bis 1940 amtierte er hier als Dekan der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät und war von 1940 bis 1945 Rektor der Universität. Sein Rektorat war bestimmt von dem Bemühen, die Universität für den Krieg nutzbar zu machen. Von 1938 bis 1945 war Süss Präsident der Deutschen Mathematikervereinigung. Ab 1943 war er Vertreter für Mathematik im Reichsforschungsrat und initiierte 1944 die Gründung des Reichsinstituts für Mathematik in Oberwolfach im Schwarzwald, wo zahlreiche ausgebombte und vertriebene Mathematiker Zuflucht fanden, das aber keine kriegsentscheidende Forschung mehr betreiben konnte. 1945 wurde Süss zunächst entlassen, aber bereits im Dezember 1945 entnazifiziert. Das Institut in Oberwolfach blieb jedoch erhalten und wurde Nukleus eines internationalen Forschungszentrums. In Freiburg gründete Süss 1954 ein Institut für Didaktik der Mathematik. Kurz vor seinem Tod wurde er 1958 nochmals zum Rektor der Universität Freiburg gewählt, war aber schon an Krebs erkrankt. Organisationen: 1933 SA; zum 1. Mai 1937 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 4.272.470; 1938 NSD-Dozentenbund Quellen: UAG PA 258 Süss; BA R 4901/1814, Mitgliedskarte Ortskartei; Grün, Bernd: Der Rektor als Führer? Die Universität Freiburg i. Br. von 1933 bis 1945, München 2010, S. 526–584, 704–721; Wikipedia-Eintrag: Mathematisches Forschungsinstitut Oberwolfach.

Wehr, Hans (* 5. Juli 1909 Leipzig; † 24. Mai 1981 Münster) Vater: Kaufmann Konfession: katholisch Wehr besuchte das Stadtgymnasium in Halle und studierte Sprachwissenschaft in Halle, Berlin und Leipzig. 1935 legte er in Halle eine preisgekrönte Dissertation über die Besonderheiten des damaligen Hocharabischen mit Berücksichtigung der Einwirkung europäischer Sprachen vor. Er erhielt eine Assistentenstelle und wurde zugleich als Bibliothekar der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft beschäftigt. 1938 unternahm er eine Studienreise nach Tripolis. Im selben Jahr habilitierte er sich mit der Schrift Einheitsprinzip und

8.4 Philosophische Fakultät

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Gottvertrauen, das 35. Buch von al Gazlis Hauptwerk übersetzt und mit Anmerkungen versehen an der Universität Halle. Hier erhielt er einen Lehrauftrag, wurde jedoch der Universität Greifswald als Dozent zugewiesen (Nachfolge Caskel). Wegen seiner Behinderung – ein Arm war gelähmt – wurde Wehr für nichtkriegsdiensttauglich erklärt. Seit Kriegsbeginn arbeitete Wehr jedoch an einem Wörterbuch des Arabischen, für das er die arabischen Rundfunksprecher des Deutschen Auslandsrundfunks mit heranzog, um die Worte der Gegenwarts- und Volkssprache zu erfassen. Diese Arbeit führte er in Berlin und Greifswald durch. 1943 ordnete das Wissenschaftsministerium den Übertritt zur Universität Erlangen an; zugleich vertrat er den vakanten Lehrstuhl in München. 1944 wurde Wehr zum Professor an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin ernannt. 1945 floh er nach Erlangen, wo er 1950 wieder einen Lehrstuhl erhielt. 1957 wechselte er als ordentlicher Professor an die Universität Münster, wo er 1974 emeritiert wurde. Wehr verfasste das bis heute wichtigste arabisch-deutsche Wörterbuch (Erstauflage Leipzig 1952). Gemeinsam mit Carl Brockelmann entwickelte er die zur DIN-Norm gewordene Umschrift des arabischen Alphabets. Organisationen: 1940 Aufnahme in die NSDAP, Mitglied Nr. 8.275.798; Blockwalter der NSV; von September 1933 bis zur Auflösung Mitglied des Kampfbundes für deutsche Kultur Quellen: UAG PA 2744 Wehr; UAG K 719; K 890; BA R 4901/13279 Karteikarte Wehr, Mitgliedskarte Ortskartei; Wikipedia-Personeneintrag.

9. Anhang

9.1 Abkürzungsverzeichnis

BA Bundesarchiv BBAW Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften BDC Berlin Document Center BHE Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten BNSDJ Bundnationalsoialistischer Deutscher Juristen CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CSU Christlich-Soziale Union in Bayern DAF Deutsche Arbeitsfront DHI Deutsches Historisches Archiv Diss. Dissertationsschrift oder –akte DLV Deutscher Luftsportverband DNVP Deutschnationale Volkspartei DSF Deutsch-Sowjetische Freundschaft DRK Deutsches Rotes Kreuz DSt. Deutsche Studentenschaft FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FSB Föderaler Sicherheitsdienst Habil. Habilitationsschrift oder -akte HJ Hitlerjugend HLKO Haager Landkriegsordnung IG Interessengemeinschaft K Kurator KB Kulturbund LDPD Liberaldemokratische Partei Deutschlands LHA Landeshauptarchiv MI Military Intelligence NA National Archives NDPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NF Neue Folge NS Nationalsozialismus, nationalsozialistisch NSBO Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDÄB Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund NSDDB Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund

9.2. Abbildungsnachweis

857

NSDFB Nationalsozialistischer Deutscher Frontkämpferbund NSDStB Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund NSFK Nationalsozialistisches Fliegerkorps NSKK Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps NSKOV Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung NSLB Nationalsozialistischer Lehrerbund NSRB Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund NSV Nationalsozialistsische Volkswohlfahrt PA Personalakte R Rektor RFSS Reichsführer SS RGWA Russisches Staatliches Militärarchiv RLB Reichsluftschutzbund ROA Reserveoffiziersanwärter SA Sturmabteilung SD Sicherheitsdient SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SS Schutzstaffel UA Universitätsarchiv UAB Universitätsarchiv Berlin UAG Universitätsarchiv Greifswald UAH Universitätsarchiv Halle uk. unabkömmlich VDA Verein für das Deutschtum im Ausland VDSt Verein Deutscher Studenten WHW Winterhilfswerk

9.2. Abbildungsnachweis

Universitätsarchiv Greifswald: 1, 2, 6, 7, 9, 10, 12, 15, 16, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 26, 28, 37, 40, 41, 42, 44, 47, 48, 50, 52, 55, 56, 57, 60, 62, 64, 65, 66, 68, 74, 75, 76, 77, 82, 83, 84, 87, 88, 89 Universität Greifswald Caspar-David-Friedrich-Institut: 51 Universität Greifswald Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte: 54 Universität Greifswald Institut für Geographie und Geologie: 58, 59, 61, 63 Taschenbuch der Ernst-Moritz-Arndt-Universität: 17, 33, 34, 35, 36, 39 Greifswalder Zeitung: 3, 4, 5, 11, 14, 27, 31, 32, 38, 43, 49, 85, 86 Deutsche Nationalbibliothek Leipzig: 8, 29, 30, 67, 69, 70, 71, 72, 73, 80, 81 Bundesarchiv Berlin: 13, 53

858

9. Anhang

Landesarchiv Berlin: 25 National Archives London: 78 Catalogus Professorum Rostochiensium: 79 Privat: 45, 46

9.3 Archivalien

Die Personenakten der gefallenen Studenten im Universitätsarchiv Greifswald wurden komplett gesichtet und sind nicht einzeln aufgeführt, im Text aber angemerkt. Benutzte Archivalien aus verstreuten Beständen diverser Archive wurden in den Fußnoten nachgewiesen, etwa die Prozessakten Wilhelm-Kästner im Staatsarchiv Hamburg. Die Unterlagen aus dem ehemaligen Berlin Document Center erhalten zurzeit im Bundesarchiv neue Signaturen. Sie sind in den Anmerkungen unter der Signatur nachgewiesen, unter der sie gefunden wurden, etwa: SSO und Name des SS-Offiziers oder PK (Personalkorrespondenz). Universitätsarchiv Greifswald Altes Rektorat (0.1.): R 58, R 59, R 60, R 164, R 184, R 195, R 200, R 205, R 214, R 319, R 324, R 330, R 334, R 349, R 357, R 365, R 365a, R 371, R 371a, R 459, R 479, R 500, R 502, R 507, R 569, R 580, R 580/1, R 689, R 745, R 750, R 757, R 763, R 765, R 767, R 769, R 770, R 771, R 782, R 797, R 804, R 808, R 845, R 847, R 862, R 977, R 982, R 987, R 988, R 989, R 1031, R 1041, R 1165, R 1195, R 1197, R 1213, R 2000, R 2195, R 2200, R 2256, R 2259, R 2261, R 2262, R 2263, R 2267, R 2268, R 2269, R 2270, R 2271, R 2272, R 2273, Hbg. 20, Hbg. 735, Hbg. 822, Hbg. 943, Hbg. 930, Hbg. 739 Kurator (1.1): K 6, K 7, K 93, K 143, K 144, K 145, K 183, K 189, K 194, K 255, K 258, K 266, K 344, K 345, K 347, K 348, K 350, K 354, K 392, K 395, K 402 K 442, K 464, K 520, K 543, K 545, K 547, K 575, K 580, K 596, K 610, K 630, K 633, K 636, K 663, K 688, K 689, K 690, K 691, K 710, K 714, K 718, K 719, K 723, K 724, K 731, K 732, K 734, K 735, K 776, K 787, K 791, K 814, K 815, K 817, K 818, K 819, K 820, K 821, K 840, K 885, K 886, K 887, K 888, K 889, K 890, K 891, K 903, K 904, K 905, K 933, K 937, K 942, K 943, K 1149, K 1150, K 1151, K 1214, K 1225, K 1244, K 1246, K 1247, K 1395, K 1454, K 1455, K 1475, K 1479, K 1676, K 1678, K 1679, K 1685, K 1686, K 1707, K 1708, K 1709, K 1710, K 1713, K 1721, K 1722, K 1764, K 1821, K 1822, K 1823, K 1886, K 1917, K 1995, K 2289, K 2293, K 2308, K 2322, K 3450, K 3455, K 3465, K 4729, K 5605, K 5606, K 5607, K 5608, K 5609, K 5612, K 5613, K 5850, K 5951, K 5959, K 5977, K 5978, K 5979, K 5980, K 5987, K 5991, K 5994, K 6004, K 6017, K 6052, K 6055, K 6072

9.3 Archivalien

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Universitätsverwaltung (1.2.): Univ. Verwaltung 12, Univ. Verwaltung 33 Personalakten (1.4): PA 10 Bernheim, PA 20 Bol, PA 23 Brüske, PA 24 Braun, PA 26 Christern, PA 34 Ehrismann, PA 44 Falk, PA 48 Glagau, PA 63 Heuckenkamp, PA 70 Jahr, PA 72 Heidermanns, PA 80 Kaiser, PA 81 Krüger, F., PA 90 Kiesselbach, PA 93 Keil, PA 104 Lutz, PA 105 Leonhardt, PA 106 Mischke PA 113 Müller, PA 110 Mentzel, PA 127 Petzsch, PA 128 Petersen, PA 140 Sommer, Clemens, PA 148 Schwarz, PA 158 Schmekel, PA 172 Stengel, PA 196 Ziegler, PA 199 Allesch, PA 200 Boehringer, PA 203 Bollnow, PA 204 Bartholomeyczyk, PA 209 Dornseiff, PA 206 Brates, PA 209 Dorfseiff, PA 211 Eggers, PA 212 Egermann, PA 214 Engel, PA 215 v. Einem, PA 216 Frebold, PA 217 Frauendienst, PA 218 Gross, PA 220 Grellmann, PA 221 Hofmeister, PA 222 Heller, PA 225 Haferkorn, PA 226 Hartnack, PA 228 Jander, PA 229 Just, PA 230 Jung, PA 231 Kohler, PA 234 Langenbeck, PA 236 Lange, S., PA 241 Magon, PA 238 Leick, PA 239 Meyer, PA 240 Mackensen, PA 242 Mager, PA 244 Metzner, PA 245 Pisot, PA 246 Pyl, PA 247 Pichler, PA 248 Paul, J., PA 249 Petriconi, PA 253 Rohling, PA 254 Rosenkranz, PA 255 Richter, K., PA 256 Seeliger, PA 257 Sommermeyer, PA 258 Süss, PA 259 Seifert, PA 260 Schubel, F., PA 262 Schulze, R., PA 263 Schole, PA 264 Schramm, PA 265 Stumpf, PA 266 Stammler, PA 267 Steche, PA 268 Stadie, PA 269 Thaer, PA 270 Vahlen, PA 271 Volkmann, PA 272 WilhelmKästner, PA 273 Zingel, PA 274 Curschmann, PA 275 Schmidkunz, PA 305 Häger, PA 308 Steiniger, PA 309 Mierdel, PA 320 Dalman, PA 321 Deißner, PA 326 Fichtner, PA 327 Glawe, PA 328 v. d. Goltz, PA 336 Haendler, PA 337 Hermann, PA 338 Jeremias, PA 339 Jirku, PA 344 Koepp, PA 345 Laag, PA 347 Lohmeyer, PA 355 Rost, PA 357 Schultze, V., PA 361 Schott, PA 366 Wiegand, PA 370 Echternach, PA 371 Baetke, PA 373 Greeven, PA 377 Biermann, PA 381 Bruns, PA 388 Emig, PA 394 Fleck, PA 395 Frommhold, PA 404 Hauck, PA 407 Köttgen, PA 409 Klingmüller, PA 410 Kähler, PA 412 Langen, PA 414 Larenz, PA 415 Lubenoff, PA 417 Molitor, PA 421 Merkel, PA 429 Peters, K., PA 430 Rühland, PA 431 Rehfeldt, PA 433 Seraphim, PA 440 Stampe , PA 447 Esser, PA 448 Juncker, PA 451 Arndt, G., PA 456 Buschbeck, PA 457 Brauch, PA 467 Bleibtreu, PA 468 Bischoff, PA 476 Brinck, PA 482 Dragendorf, PA 483 Ebhardt, PA 486 Forster, PA 489 Friedberger, PA 490 Gülzow, PA 491 Güttner, PA 492 Groß, W., PA 493 Goroncy, PA 496 Großmann, PA 498 Herrmann, PA 499 Hartung, PA 506 Hoffmann, PA 521 Kingreen, PA 535 Martin, A., PA 537 Mielke, S., PA 545 Peter, K., PA 546 Pannhorst , PA 547 Plötz, PA 548 Peiper, A., PA 549 Pfuhl, PA 550 Pophal, PA 553 Pels-Leusden, PA 556 Peiper, E., PA 563 Reschke, PA 566 Richter, W., PA 568 Röhrer, PA 572 Solger, PA 573 v. Seemen, PA 582 Schultze, G. F. K., PA 586 Steinhausen, PA 594 Terbrüggen, PA 595 v. Törne, PA 596 Urban, PA 600 Wustrow, PA 604 Waldmann, PA 605 Wrede, PA 616 Linck, PA 622 Loescke, PA 628 Schorre, PA 630 Bartelheimer, PA 623 Jacobi, W., PA 625 Hoppe-Seyler, PA 632 Herzberg, PA 669 Kolbe, PA 807 Blüthgen, PA 835 Bülck, PA 845 Bieling, PA 848 Bubnoff, PA 860

860

9. Anhang

Busemann, PA 886 Burkhardt, PA 892 Beyer, H. W., PA 893 Bamberger, PA 911 Caskel, PA 941 Deckwerth, PA 990 Luther, PA 1036 Fischer, R., PA 1042 Fleischmann, PA 1056 Fredenhagen, PA 1069 Fuchs, PA 1125 Groth, PA 1159 Zingel und Graupner, PA 1160 Haenel, PA 1212 Holtz, PA 1238 Hoheisel , PA 1239 Hoehne, PA 1255 Jacoby, PA 1276 Katsch, PA 1360 Kretschmar, PA 1406 Küchenhoff, PA 1414 Lehmann, F., PA 1429 Lautensach, PA 1437 Lauber, PA 1477 v. Lübtow, PA 1484 Lühr, PA 1494 Markwardt, PA 1588 Naundorf, PA 1598 Nevinny-Stickl, PA 1599 Neumann, F. W., PA 1608 Neunhoeffer, PA 1735 Reinkober, PA 1751 Richter, PA 1774 Rosenfeld, PA 1781 de Rudder, PA 1785 Runge, H., PA 1854 Stephan, PA 1873 Strugger, PA 1914 Schmidt, K., PA 1938 Schlomka, PA 1993 Schulze-Soelde, PA 2003 Schubel, J., PA 2040 Traub, PA 2043 Trautwein, PA 2045 Treskow, PA 2061 Thiele, PA 2078 Velde, PA 2082 Vetter, PA 2110 Welcker, PA 2131 Wendorff, PA 2133 Wels, PA 2158 Wichels, PA 2316 Hahn, H., PA 2320 Eglitis, PA 2324 Funk, PA 2325 Leick, G., PA 2336 v. Törne, PA 2387 Leipold, PA 2414 Konjetzny, PA 2442 Kreutzfeldt, PA 2445 Noack, PA 2477 Baumgärtel, PA 2486 Ewald, G., PA 2489 v. Gara, PA 2494 Herrfahrdt, PA 2495 Hoffmann, F., PA 2498 Jahrreiß, PA 2505 Avisiers, PA 2511 Oklitz, PA 2516 Schmitt, PA 2520 Stickl, PA 2525 Zucker, PA 2553 Schubel, A., PA 2573 Barz, PA 2578 de Boor, PA 2596 Eger, PA 2601 Forstmann, PA 2621 v. Gemmingen, PA 2622 Greulich, PA 2635 Hamel, PA 2643 Hermann, H., PA 2664 Langenohl, PA 2669 Linke, PA 2670 Löning, PA 2693 Oberländer, PA 2695 Ohlmarks, PA 2699 Pisot, PA 2702 Proell, PA 2704 Quodbach, PA 2710 Rohloff, PA 2745 Lumpe, PA 2741 Wohlhaupter, PA 2744 Wehr, PA 2711 Rolshoven, PA 2713 Schinnerer, PA 2727 Sommer, Jakob Johann, PA 2740 Wetzel, G., PA 2742 Wolf, PA 2780 Hinz, PA 3248 Pawulin, PA 4224 Wall, PA 4229 Krüger, H., PA 4514 Peiper, O. Philosophische Fakultät (2.1.): Phil. Fak. I-349, Phil. Fak. I-351, Phil. Fak. I-419, Phil. Fak. I-425, Phil. Fak. I-442, Phil. Fak. I-453, Phil. Fak. I-454, Phil. Fak. I-455, Phil. Fak. I-457, Phil. Fak. I-467, Phil. Fak. I-468, Phil. Fak. I-469, Phil. Fak. I-471, Phil. Fak. I-472, Phil. Fak. I-473, Phil. Fak. I-474, Phil. Fak. I-475, Phil. Fak. I-476, Phil. Fak. I-479, Phil. Fak. I-480, Phil. Fak. I-481, Phil. Fak. I-482, Phil. Fak. I-483, Phil. Fak. I-484, Phil. Fak. I-485, Phil. Fak. I-489, Phil. Fak. I-495, Phil. Fak. I-503, Phil. Fak. I-504, Phil. Fak. II-173 Institut für Historische Geographie (2.1.1.1.) Inst. f. Hist. Geogr. 40, Inst. f. Hist. Geogr. 43 Caspar-Davis-Friedrich-Institut (2.1.1.2) CDF-Inst. 4, CDF-Inst. 20 Institut für Finnlandkunde (2.1.1.6.) Inst. f. Finnl. 6, Inst. f. Finnl. 20, Inst. f. Finnl. 25, Inst. f. Finnl. 27, Inst. f. Finnl. 28, Inst.

9.3 Archivalien

861

f. Finnl. 31, Inst. f. Finnl. 40, Inst. f. Finnl. 60, Inst. f. Finnl. 66, Inst. f. Finnl. 75, Inst. f. Finnl. 117, Inst. f. Finnl. 118 Wissenschaftliche Prüfungskommission (2.1.3): WPK 2017 Philosophische Dissertationen (2.1.6.): Phil. Diss. II-17 Fernau, Phil. Diss II-692 Hübner, Phil. Diss. II-851Lutz, Phil. Diss. II857 Mischke, Phil. Diss. II-885 Wahry, Phil. Diss. II-896 Funk, Phil. Diss. II-975 Krüger, Phil. Diss. II-1038 Wrobel, Phil. Diss. II-1039 Gau, Phil. Diss. II-1117 Soenke, Phil. Diss. II-1123 Büscher, Phil. Diss. II-1126 Avisiers, Phil. Diss. II-1129 Franzmeyer, Phil. Diss. II-1134 Lumpe, Phil. Diss. II-1136 Kiesselbach, Phil. Diss. II-1146 Hartmann, Phil. Diss. II-1147 Müller, Phil. Diss. II-1148 Matthes, Phil. Diss. II-1159 Fleischmann, Phil. Diss. II-1168 Schlote, Phil. Diss. II-1176 Pinkpank, Phil. Diss. II-1178 Wolf-Rottkay Phil. und Math.-Nat. Habilitationen (2.1.7) Phil./Math. Nat. Habil. 2 Mentzel, Phil./Math. Nat. Habil. 6 Sommermeyer, Phil./Math. Nat. Habil. 8a Rudloff, Phil./Math. Nat. Habil. 9 Steiniger, Phil./Math. Nat. Habil. 11 Steche; Phil./Math. Nat. Habil. 12 Kiesselbach, Phil./Math. Nat. Habil. 15 Amlong, Phil./ Math. Nat. Habil. 19 Lehmann, Phil./Math. Nat. Habil. 21 Brates, Phil./Math. Nat. Habil. 26 v. Rauch, Phil./Math. Nat. Habil. 27 Assmann, Phil./Math. Nat. Habil. 28 Bollnow, Phil./Math. Nat. Habil. 29 Bartholomeyczyk, Phil./Math. Nat. Habil. 31 Rössler, Phil./Math. Nat. Habil. 32 Stumpf, Phil./Math. Nat. Habil. 33 Hübner, Phil./Math. Nat. Habil. 34 Naundorf, Phil./Math. Nat. Habil. 315 Rebmann, Phil./Math. Nat. Habil. 316 Rohloff, Phil./Math. Nat. Habil. 317 Eggers Medizinische Fakultät (2.2.): Med. Fak. I 59 Dresel, Med. Fak. I 61 vom Hofe, Med. Fak. I 62 Meisner, Med. Fak. I 63 Hey, Med. Fak. I 66 Buzello, Med. Fak. I 72 Philipp, Med. Fak. I 73 Proell, Med. Fak. I 79 v. Gara, Med. Fak. I 80 Jungmichel, Med. Fak. I 82 Baumecker, Med. Fak. I 83 Lublin, Med. Fak. I 84 Lauber, Med. Fak. I 87 Hämel, Med. Fak. I 88 Hirt, Med. Fak. I 90 Schäfer, Med. Fak. I 92 Schäfer, Med. Fak. I 93 Schönfeld, Med. Fak. I 96 Krisch, Med. Fak. I 98 Hubert, Med. Fak. I 109, Med. Fak. I 123, Med. Fak. I 128, Med. Fak. I 168, Med. Fak. I 172 Sommer, René, Med. Fak. I 193, Med. Fak. I 200 Peiper, E.; Med. Fak. I 217, Med. Fak. I 238, Med. Fak. I 239, Med. Fak. I 245, Med. Fak. I 342, Med. Fak. I 556, Med. Fak. I 558, Med. Fak. I 559, Med. Fak. I 562; Med. Fak. II 40, Med. Fak. II 41, Med. Fak. II 81 Universitätshautklinik (2.2.1.2.): UHK Diagnosenbücher 1933 bis 1945 (im Institut für Geschichte der Medizin); UHK 54,

862

9. Anhang

UHK  67, UHK  72, UHK  80, UHK  81, UHK  89, UHK  90, UHK  94, UHK  95, UHK 109, UHK 114, UHK 115, UHK 116, UHK 130; nichtgeordnete Patientenakten Universitätsnervenklinik (2.2.1.4.): Diagnosenbücher 1939 bis 1944 Patientenakte 305, Patientenakte 1489, Patientenakte 1523, Patientenakte 1639, Patientenakte 1892, Patientenakte 1936, Patientenakte 2177, Patientenakte 2541, Patientenakte 3189, Patientenakte 4765, Patientenakte 9666, Patientenakte 9702, Patientenakte 9703, Patientenakte 9705, Patientenakte 9706, Patientenakte 9707, Patientenakte 9708, Patientenakte 9709 Anatomisches Institut (2.2.2.1.): Anatom. Inst. 43 Medizinische Dissertationen (2.2.4.): Med. Diss. I-828 Vormann, Med. Diss. I-926 Bolduan, Med. Diss. I-995 Koehler, Med. Diss. I-1256 Klemp, Med. Diss. I-1272 Bürger, Med. Diss. I-1397 Hoyer, Med. Diss. I-1410 Leick, Med. Diss. I-1361 Schwerter Medizinische Habilitationen (2.2.5.): Med. Habil. 1 Bahls, Med. Habil. 2 Groß, Med. Habil. 3 Horsch, Med. Habil. 4 Güttner, Med. Habil. 5 Sprung, Med. Habil. 213 Köbe, Med. Habil. 214 Welcker, Med. Habil. 215 Pannhorst, Med. Habil. 216 Bartelheimer, Med. Habil. 217 Hartung, Med. Habil. 218 Krainick, Med. Habil. 219 Schubel Theologische Fakultät (2.3): Theol. Fak. I-126, Theol. Fak. I-127, Theol. Fak. I-145, Theol. Fak. I-170, Theol. Fak. I-177, Theol. Fak. I-191, Theol. Fak. I-196, Theol. Fak. I-208, Theol. Fak. I-224 Theologische Dissertationen und Habilitationen (2.3.2): Theol. Diss./Habil. 11 Greeven, Theol. Diss./Habil. 28 Schülke, Theol. Diss./Habil. 29 Krüger, Theol. Diss./Habil. 86 Engdahl-Thygesen Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät (2.4.) Math. Nat. Fak. 17, Math.-Nat. Fak. 18/a, Math. Nat. Fak. 31 Juristische Fakultät (2.5.): Jur. Fak. 92, Jur. Fak. 110, Jur. Fak. 148, Jur. Fak. 388 Juristische Dissertationen (2.5.2): Jur. Diss. 1695 Schmidt, E. O., Jur. Diss. 3658 Forstmann

9.3 Archivalien

863

Medizinischer Verein (3.1.2.) Med. Verein 3 Nachlässe (4.): NL Leick 82, NL Sielaff 28 Historische Bauzeichnungen und Pläne (5.1.) Pläne 8.9.12 Pläne 06.14 Anderes: Album der Ehrensenatoren Universitätsarchiv Berlin PA nach 1945 Elliger, W. PA Hubert, R. PA nach 1945 Urban, Gerhart PA nach 1945 Magon, L. PA nach 1945 F 101 Albrecht Forstmann Med. Fak. PA 283 Wilhelm Richter Med. Fak. PA nach 1945 1358 Thiele Med. Fak. PA 293 Schultze, G. K. F. Phil. Fak. 1243 Bundesarchiv Berlin Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung R 4901: 964, 1054, 1819, 1820, 1827, 12112, 12307, 12652, 12849, 12860, 13134, 13258, 13259, 13260, 13261, 13262, 13263, 13264, 13266, 13269, 13270, 13271, 13272, 13273, 13277, 13842, 13850, 13853, 14522, 14768, 14772, 14773, 14774, 15056, 15057, 15058, 15063, 15593, 15762, 15765, 15765, 18027, 18917, 20097, 20262, 21183, 23035, 23105, 23121, 23186, 23333, 23392, 23400, 23410, 23423, 23569, 23569, 23649, 23661, 23685, 23706, 23709, 23725, 23822, 23943, 23974, 23987, 24006, 24007, 24050, 24055, 24058, 24142, 24277, 24346, 24468, 24551, 24670, 24717, 24891, 24997, 25065, 25122, 25127, 25235, 25324, 25324, 25371, 25493, 25558, 25559, 25695, 25742, 25743, 25745, 25832, 25833, 25834, 25835, 25838, 26013

12918, 13267, 14396, 15254, 23004, 23539, 23823, 24151, 25114, 25604, 25870,

13009, 13268, 14397, 15572, 23008, 23550, 23877, 24275, 25120, 25612, 25880,

864

9. Anhang

Reichsforschungsrat R 26/III: 3, 4, 5, 6, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 43, 92, 93 Reichsforschungsrat R 73: 10051, 10349, 10513, 10640, 11154, 11335, 11410, 11482, 11554, 11566, 11570, 11884, 11954, 11998, 12053, 12274, 12606, 12649, 12724, 13134, 13135, 13366, 13341, 13415, 13894, 13291, 13955, 14094, 14174, 14379, 15007, 15350, 15826, 16853, 16880 Nationalsozialistischer Studentenbund NS 38: 18, 21, 2235, 2415, 2416, 2417, 2418, 3636, 3715, 3760, 3762, 3825, 3853, 3900, 4129, 4306, 4424, 4456, 4541, 4790, 4791, 4814, 4825, 4859, 4957, 4959, 5000, 5065, 5066, 5210 R 129 Deutsche Studentenschaft: 74, 120, 201, 202, 226, 282, 288, 530, 552, 555, 648, 787, 789, 815, 827, 839, 843, 960, 965, 1007, 1008, 1097 Publikationsstelle Dahlem (PUSTE) R 153: 811, 919, 1001, 1048, 1072, 1093, 1144, 1171, 1185, 1187, 1188, 1194, 1218, 1219, 1284, 1284, 1483, 1583, 1633, 1673, 1699, 1712, 1866 Bundesarchiv Berlin und Koblenz (verschiedene Bestände): R 133/659, 660 DA 5/BILD 56 DO 4/2183 DP 1/888 DR 2/636 DR 2/644 DR 2/699 DR 2/1438 N 2513/39 R 58/133

R 58/5522 R 58/5591 R 58/5642 R 58/5910 N 1248/14 BDC OPG Forstmann R 113/1947 R 113/1949 R 133/1951

Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg: RH12-23-37, RH12-23-70, RH12-23-299, RH12-23-304, RH12-23-309, RH1223-314, RH12-23-361, RH12-23-528, RH12-23-631, RH12-23-672, RH12-23-674, RH12-23-683, RH12-23-1057, RH12-23-1299, RH12-23-1715, RH12-23-1734,

9.4 Literaturverzeichnis (Auswahl)

865

RH12-23-1750, RH12-23-1802, RH12-23-1837, RH12-23-2023, RHD43-53, RLD 28-36, RW30-92, RW30-103 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz Kultus (Geistliche, Unterrichts- und Medizinalverwaltung): I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. I Nr. 1 Bd. 5 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. I Nr. 1 Bd. 6 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. I Nr. 14 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. I, Nr. 2, Bd. 4 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 20 Bd. 9 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 21 Bd. 13 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 15 Bd. 7 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 36 Bd. 1 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. X, Nr. 21, Bd. 7 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. X, Nr. 6, Bd. 10 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. XI, Nr. 2, Bd. 4 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. X, Nr. 26, Bd. 4 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. I Nr. 1 Bd. 6 I. HA Rep. 76 Va Sekt. 7 Tit. IV Nr. 22, Bd. 24 Nachlass Emil Dofivat VI. HA Rep. 92, Nr. 60 Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: Nachlass Sergius von Bubnoff 40, 191, 197, 386 Landesarchiv Greifswald Rep. 38b Wolgast 1697 Rep. 54 551, 552, 553, 554, 555, 556, 557, 558

9.4 Literaturverzeichnis (Auswahl) Zeitgenössisches Arndt, Ernst Moritz: Lieder für Teutsche, Berlin 1913. Baetke, Walter: Geschichten vom Sturlungengeschlecht, Jena 1930. Baetke, Walter: Islands Besiedlung und älteste Geschichte, Jena 1928.

866

9. Anhang

Barz, Paul: Pommersche Kunst. Malerei, Graphik, Plastik, Ausstellung in Pommern lebender Künstler, Greifswald 1936. Beyer, Hermann Wolfgang: Houston Stewart Chamberlain und die innere Erneuerung des Christentums, Berlin 1939. Blüthgen, Joachim: Die Eisverhältnisse des Finnischen und Rigaischen Meerbusens, Hamburg 1938. Bode, Ernst (Hg.): Neue Bauten der Stadt Essen. Berlin, Leipzig, Wien 1929. Bollnow, Hermann: Untersuchungen zur Geschichte der pommerschen Burg im 12. und 13. Jahrhundert, Typoskript 1944. Bollnow, Hermann: Vor- und frühgeschichtliche Burgen im Kreise Naugard, Stettin 1937. Borchers, Walter und Karl Kaiser: Leben und Sterben im Pommerschen Volksbrauch, Stettin 1936. Braun, Gustav: Die Formenwelt des deutschen Bodens, Berlin 1939. Braun, Gustav: Nordeuropa, Leipzig und Wien 1926. Braun, Gustav: Das Ostseegebiet, Leipzig 1912. Braun, Gustav und Wilhelm Hartnack: Die preußische Provinz Pommern bei der Neueinteilung Deutschlands, Greifswald 1932. Bruns, Hans-Jürgen: Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken. Beiträge zu einer selbständigen, spezifisch strafrechtlichen Auslegungs- und Begriffsbildungsmethodik, Berlin 1938. Bülck, Walter: Christentum und Deutschtum bei Arndt, Bismarck, H. St. Chamberlain und heutigen Dichtern, Gütersloh 1937. Bülck, Walter: Die christliche Botschaft in der heutigen Welt, Leipzig 1939. Bülck, Walter: Eduard Freiherr von der Goltz, Greifswald 1939. Christern, Hermann: Deutscher Ständestaat und englischer Parlamentarismus am Ende des 18. Jahrhunderts, München 1939. Curschmann, Fritz: Die deutschen Ortsnamen im Nordostdeutschen Kolonialgebiet, Stuttgart 1910. Curschmann, Fritz: Historischer Atlas der Provinz Pommern, Bd. I, Pommersche Kreiskarte, Stettin 1935. Curschmann, Fritz und Gertrud Steckhan: Historischer Atlas der Provinz Pommern, Bd. II, Pommersche Besitzstandskarte 1780, Stettin 1939. Deißner, Kurt: Das völkische Christusbild, Berlin 1925. Deutsche Wissenschaft. Arbeit und Aufgabe, Leipzig 1939. Eger, Hans: Luther und seine Bibel, München 1934. Eggers, Hans Jürgen: Fundberichte, Stettin 1935. Ein Ehrentag der deutschen Wissenschaft. Die Eröffnung des Reichsforschungsrats am 25. Mai 1937, Berlin 1937. Emig, Kurt: Das Recht der Ernährungswirtschaft, Hamburg 1941. Emig, Kurt: Deutsche Justiz und Verwaltung. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Tübingen 1935.

9.4 Literaturverzeichnis (Auswahl)

867

Fahrentholz, Siegfried: Das Absorptionsspektrum von Lithiumfluorid im kurzwelligen Ultrarot und seine Temperaturabhängigkeit, phil. Diss., Greifswald 1935. Fleischmann, Rose-Marie: Der geistige Werdegang Pierre Drieu La Rochelles, phil. Diss., Greifswald 1945. Forstmann, Albrecht: Wege zu nationalsozialistischer Geld, Kredit- und Währungspolitik. Grundlagen positiver Wirtschaftsgestaltung, Berlin 1933. Fricke, Robert: Die Wissenschaft im Dienst an Volk und Staat, Greifswald 1935. Friedrich, Max (d. i. Edmund Schubel): Englands Ausbeutung der westindischen Inseln, o. O. 1940. Für den deutschen Geist, Bd. 1, Greifswald 1933. Für den deutschen Geist. Bd. 2: Die Kriegsgefallenen, Greifswald 1933. Für den deutschen Geist. Bd. 3: Bildende Kunst, Greifswald 1933. Gau, Heinz: Die Westgermanen in Vorpommern zur ältesten Eisenzeit, phil. Diss., Greifswald MS [um 1940]. Gemmingen, Hans Dieter von: Probleme der Strafrechtsanwendung. Ein Beitrag zur Praktikabilitätslehre, Tübingen 1934. Gemmingen, Hans Dieter Freiherr von: Die Rechtswidrigkeit des Versuchs, Breslau 1932. Gemmingen, Hans Dieter Freiherr von: Strafrecht im Geiste Adolf Hitlers, Heidelberg 1933. Gercke, Achim: Das Delta 9, 10-Oktalin, Diss. rer. nat. Freiburg 1930, Greifswald 1930. Glawe, Walther: Vom Zweiten und vom Dritten Reich, Greifswald 1934. Grabowsky, Adolf und Georg Wilhelm Sante: Die Grundlagen des Saarkampfes. Handbuch zur Volksabstimmung, Berlin 1934. Greifswalder V.D.St.er Nachrichten, später Greifswalder Nachrichten. Mitteilungsblatt der Kameradschaft und Altherrenschaft „Bruno Reinhard“ 1925–1941. Grundmann, Walter (Hg.): Germanentum, Christentum und Judentum. Studien zur Erforschung ihres gegenseitigen Verhältnisses, Leipzig 1942. Haendler, Otto: Briefe an einen verwundeten Freund, Berlin 1940. Haendler, Otto: Die Predigt. Tiefenpsychologische Grundlagen und Grundfragen, Berlin 1941. Hamann, Richard (Hg.): Die Elisabethkirche zu Marburg und ihre künstlerische Nachfolge, Bd. 1: Wilhelm-Kästner, Kurt: Die Architektur, Leipzig 1924. Hartnack, Wilhelm: Die Küste Hinterpommerns unter besonderer Berücksichtigung der Morphologie, Greifswald 1926. Heide, Walther (Hg.): Handbuch der Zeitungswissenschaft, Leipzig 1940 ff. Helbing, Lothar (d. i. Wolfgang Frommel): Der Dritte Humanismus, Berlin 1935. Henschke, Karl Heinrich: Pommersche Sagengestalten, Greifswald 1936. Hitler, Adolf: Mein Kampf, München 1940. Hoffmann, Friedrich: Die Bündisch-revolutionäre Ideologie in der deutschen politischen Gegenwart, Greifswald 1933.

868

9. Anhang

Hofmeister, Adolf: Aus der Geschichte des pommerschen Herzogshauses, Greifswald 1938. Hofmeister, Adolf: Die nationale Bedeutung der mittelalterlichen Kaiserpolitik, Greifswald 1923. Hoyer, Robert: Rassenhygienische Untersuchungen über Pommersche Hilfsschüler-Familien (mit besonderer Berücksichtigung des Handwerks), med. Diss., Greifswald 1944. Israels, Jozef: Josef Israels und seine Kunst, Amsterdam 1913. Jacobi, Walter: Die Ekstase der Alttestamentlichen Propheten, München und Wiesbaden 1920. Jacobi, Walter: Das Zwangsmäßige im dichterischen Schaffen Goethes (psychiatrisch-klinische Studie), med. Diss., Jena 1915. Jahrreiß, Hermann: Deutschland und Europa, Köln 1941. Jahrreiß, Hermann: Europa, germanische Gründung aus dem Ostraum, Heidelberg 1939. Jahrreiß, Hermann: Der Revisionskampf um Europa. Die Krise des Völkerbundes, Leipzig 1934. Jahrreiß, Hermann: Völkerrecht und Völkerfriede um Europa, Stuttgart 1937. Jessen, Jarno: Hausgalerie berühmter Gemälde. Ausgewählte Meisterwerke der bedeutendsten Maler aller Zeiten in farbengetreuer Wiedergabe der Originale mit kunsthistorischen Erläuterungen, Berlin 1920. Josupeit, Heinz: Entwicklung und Stellung des Genossenschaftswesens in der jugoslawischen Volkswirtschaft, Diss., Greifswald 1940. Just, Günther: Die Arbeit des Greifswalder Instituts für Vererbungswissenschaft, Sonderdruck aus: Der Erbarzt, o. O. 1936. Just, Günther (Hg.): Eugenik und Weltanschauung, Berlin und München 1932. Just, Günther: Probleme der Persönlichkeit, Berlin 1934. Just, Günther: Schulauslese und Lebensleistung. Vortrag gehalten auf dem Internationalen Kongress für Bevölkerungswissenschaft zu Berlin am 30. August 1935, Leipzig 1936. Kähler, Wilhelm: Lage und Aufgabe der Universitäten in der Gegenwart, Greifswald 1921. Kaiser, Kåre (= Karl): Mundart und Schriftsprache. Versuch einer Wesensbestimmung der Zeit zwischen Leibniz und Gottsched, Leipzig 1930. Kaiser, Karl: Atlas der pommerschen Volkskunde. Textband und Kartenmappe, Greifswald 1936. Kaiser, Karl (Hg.): Beiträge zur Volkskunde. 10 Jahre volkskundliches Archiv für Pommern, Greifswald 1939. Kaiser, Karl: Die Deutsche Volkskunde in Pommern, Greifswald 1934. Kaiser, Karl: Lesebuch zur Geschichte der Deutschen Volkskunde, Dresden 1939. Katsch, Gerhardt: Die Arbeitstherapie der Zuckerkranken, Dresden und Leipzig 1939. Kircheisen, F. M. (Hg.): Lieder für Teutsche von E. M. Arndt, Berlin 1913. Klingmüller, Fritz: Der Rhein ist frei!, Greifswald 1930. Koepp, Wilhelm: Die Bestände zwischen Nationalsozialismus und Christentum. Eine Besinnung am Ende des Gesprächs zwischen den evangelischen Kirchentümern und Rosenberg, Bonn 1937.

9.4 Literaturverzeichnis (Auswahl)

869

Koepp, Wilhelm: Christliche Nationalerziehung, Breslau 1934. Koepp, Wilhelm: Christus und sein Gericht über die Kirchentümer in Deutschland, Bonn 1936. Köttgen, Arnold: Deutsche Verwaltung, Berlin 1937. Köttgen, Arnold: Die Verwaltungsakademie der Provinz Pommern, o. O. o. J. [Greifswald 1934]. Köttgen, Arnold: Der Weg zur Deutschen Einheit, Greifswald 1937. Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt des Heeres: Die Niederwerfung der Räteherrschaft in Bayern 1919, Berlin 1939. Küchenhoff, Günther: Nationaler Gemeinschaftsstaat. Volksrecht und Volksrechtsprechung, Leipzig 1934. Kunkel, Otto und Kurt Wilde: Wollin. Jumne – „Vineta“ – Jomsburg – Julin, 5 Jahre Grabungen auf dem Boden der wikingerzeitlichen Großsiedlung am Dievenowstrom 1934–1939/40, Stettin 1941. Laag, Heinrich: Der Freiheitskampf des Greifswalder Dozenten E. M. Arndt, Greifswald 1933. Lammers, Hans-Heinrich und Hans Pfundtner (Hg.): Die Verwaltungsakademie. Ein Handbuch für den Beamten im nationalsozialistischen Staat (39 Lieferungen), Berlin, Wien 1938 ff. Lange, Ernst: Die politische Ideologie der deutschen industriellen Unternehmerschaft, jur. Diss., Greifswald 1933. Lauenstein, Diether: Das Erwachen der Gottesmystik in Indien. Die Entwicklung des bhakti-Begriffes (der gläubigen Hingabe) innerhalb der älteren religiösen Vorstellungen der Inder, München 1943. Lautensach, Hermann: Korea. Eine Landeskunde auf Grund eigener Reisen und der Literatur, Leipzig 1945. Lautensach, Hermann: Länderkunde. Ein Handbuch zum Stieler, Gotha 1926. Lautensach, Hermann: Portugal. Auf Grund eigener Reisen und der Literatur, Bd. 1: Das Land als Ganzes, Bd. 2: Die portugiesischen Landschaften, Gotha 1932 und 1937. Lautensach, Hermann: Die Übertiefung des Tessingebiets. Morphologische Studie, Leipzig 1912. Leick, Erich: Die biologischen Schülerübungen. Eine Einführung in ihr Wesen, ihre Geschichte, ihre Bedeutung und ihre Handhabung, Greifswald 1909. Leick, Erich: „Soll“ und „Haben“ im Leben der Natur, Greifswald 1938. Leistikow, Kurt: Albrecht Dürers Sprachstil, phil. Diss., Greifswald 1934, Berlin 1937. Lersch, Heinrich: Das dichterische Werk, Stuttgart, Berlin 1934. Loeschke, Hermann und August Terbrüggen: 100 Jahre medizinische Forschung in Greifswald. Festschrift zur Feier des 75jährigen Bestehens des Medizinischen Vereins, Greifswald 1938. Lubenoff, G.: Das Pressrecht Bulgariens, Berlin 1931. Lubenoff, Georg: Die allgemeine Lehre vom Verbrechen im deutschen und bulgarischen Strafrecht, o. O. 1924.

870

9. Anhang

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880

9. Anhang

Jahr, Christoph (Hg.): Die Berliner Universität in der NS-Zeit, Bd. 1: Strukturen und Personen, Stuttgart 2005. Jakobi, Helga, Peter Chroust und Matthias Hamann: Aeskulap & Hakenkreuz. Zur Geschichte der Medizinischen Fakultät in Gießen zwischen 1933 und 1945, Frankfurt a. M. 1989. Jörn, Nils und Dirk Alvermann (Hg.): Biographisches Lexikon für Pommern, Köln 2013. John, Jürgen, Horst Möller und Thomas Schaarschmidt: Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralisierten „Führerstaat“, München 2007. Kalthoff, Jürgen und Martin Werner: Die Händler des Zyklon B. Tesch & Stabenow, eine Firmengeschichte zwischen Hamburg und Auschwitz, Hamburg 1998. Kannapin, Norbert: Die deutsche Feldpostübersicht 1939–1945. Vollständiges Verzeichnis der Feldpostnummern in numerischer Folge und deren Aufschlüsselung, bearbeitet nach den im Bundesarchiv-Militärarchiv verwahrten Unterlagen des Heeresfeldpostmeisters, 3 Bde., Osnabrück 1980 ff. Kapferer, Jean-Noel: Gerüchte. Das älteste Massenmedium der Welt, Leipzig 1996. Kapp, Tabea: Die Entwicklung der Universitäts-Hautklinik Greifswald in der Zeit des Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung von Patientenakten mit den Diagnosen Syphilis und Gonorrhoe, Diss. med., Greifswald 2011. Kappelt, Olaf: Die Entnazifizierung in der SBZ sowie die Rolle und der Einfluss ehemaliger Nationalsozialisten in der DDR als ein soziologisches Phänomen, Hamburg 1997. Kappler, Eugen (Hg.): Physik der Flüssigkeiten und Gase, Weinheim 1953. Karlsch, Rainer: Uran für Moskau. Die Wismut – eine populäre Geschichte, Berlin 2007. Kasten, Erich (Hg.): Schamanen Sibiriens. Magier – Mittler – Heiler, Berlin 2009. Kater, Michael H.: Das Ahnenerbe der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1974. Kehm, Barbara (Hg.): Hochschule im Wandel. Die Universität als Forschungsgegenstand, Festschrift für Ulrich Teichler, Frankfurt am Main 2008. Keim, Wolfgang: Erziehung unter der Nazi-Diktatur, Bd. 1: Antidemokratische Potentiale, Machtantritt und Machtdurchsetzung, Darmstadt 1995. Kiesel, Silvia und Erhard Kiesel: Differenzierungsprozesse der Hygiene im Zeitraum von 1945 bis 1990, Diss. med., Greifswald 2003. Klän, Werner: Die Evangelische Kirche Pommerns in Republik und Diktatur. Geschichte und Gestaltung einer preußischen Kirchenptovinz 1914–1945, Köln u. a. 1995. Klee, Ernst: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt am Main 1986. Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945?, Frankfurt am Main 2003. Klein, Peter: Die „Ghettoverwaltung Litzmannstadt“ 1940 bis 1944. Eine Dienststelle im Spannungsfeld von Kommunalbürokratie und staatlicher Verfolgungspolitik, Hamburg 2009.

9.4 Literaturverzeichnis (Auswahl)

881

Köhn, Andreas (Hg.): Ernst Lohmeyers Zeugnis im Kirchenkampf. Breslauer Universitätspredigten, Göttingen 2006. Köhn, Andreas: Der Neutestamentler Ernst Lohmeyer. Studien zu Biographie und Theologie, Tübingen 2004. Könnemann, Erwin und Gerhard Schulze (Hg.): Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch. Dokumente. München 2002. Kohl, Wolfgang: Das Reichsverwaltungsgericht. Ein Beitrag zur Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, Tübingen 1991. Kopper, Christopher: Hjalmar Schacht. Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier, München 2006. Kopper, Christopher: Zwischen Marktwirtschaft und Dirigismus. Bankenpolitik im „Dritten Reich“ 1933–1939, Bonn 1995. Kramish, Arnold: Der Greif. Paul Rosbaud – Der Mann der Hitlers Atompläne scheitern ließ, München 1987. Kroll, Frank-Lothar: Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich, Paderborn u. a. 1998. Kumbier, Ekkehardt: Kontinuität im gesellschaftlichen Umbruch? Die Nervenheilkunde an den ostdeutschen Hochschulen im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft zwischen 1946 und 1961, Rostock 2010. Kurstedt, Anja: Der Gerichtsmediziner Rolf Hey (1892–1940). „Mehr sein als scheinen“, Diss. med., Greifswald 2000. Kutsch, Arnulf (Hg.): Zeitungswissenschaftler im Dritten Reich. Sieben biographische Studien, Köln 1984. Lege, Joachim: Greifswald – Spiegel der deutschen Rechtswissenschaft 1815 bis 1945, Tübingen 2008. Lehmann, Hartmut und Otto Gerhard Oexle (Hg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, Bd. 1: Fächer – Milieus – Karrieren, Göttingen 2004. Leniger, Markus: Nationalsozialistische „Volkstumsarbeit“ und Umsiedlungspolitik 1939– 1945. Von der Minderheitenbetreuung zur Siedlerauslese, Berlin 2006. Lerchenmüller, Joachim und Gerd Simon: Im Vorfeld des Massenmords. Germanistik und Nachfächer im Zweiten Weltkrieg, Tübingen 2009. Ley, Astrid und Günter Morsch: Medizin und Verbrechen. Das Krankenrevier des KZ Sachsenhausen 1936–1945, Berlin 2007. Lindemann, Peter: Pommersche Gerichtsbarkeit. Oberlandesgerichtsbezirk Stettin, Kiel 2007. Lissok, Manfred und Bernfried Lichtnau (Hg.): Das steinerne Antlitz der Alma Mater. Die Bauten der Universität Greifswald 1456–2006, Berlin 2006. Lösch, Anna-Maria Gräfin von: Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999. Lubs, Gerhard: IR 5. Aus der Geschichte eines Pommerschen Regiments 1920–1945, Bochum 1965.

882

9. Anhang

Maier, Helmut (Hg.): Rüstungsforschung im Nationalsozialismus. Organisation, Mobilisierung und Entgrenzung der Technikwissenschaften, Göttingen 2002. Majewski, Olaf Edward: Medizin an der Reichsuniversität Posen (1941–1945) und der polnischen Untergrunduniversität der westlichen Gebiete U. Z. Z. (1942–1945), Diss. med., Heidelberg 2012. Malycha, Andreas (Hg.): Geplante Wissenschaft. Eine Quellenedition zur DDR-Wissenschaftsgeschichte 1945–1961, Leipzig 2003. Mangelsdorf, Günter (Hg.): Zwischen Greifswald und Riga. Auszüge aus den Tagebüchern des Greifswalder Rektors und Professors der Ur- und Frühgeschichte, Dr. Carl Engel, vom 1. November 1938 bis 26. Juli 1945, Stuttgart 2007. Männchen, Julia: Gustaf Dalman als Palästinawissenschaftler in Jerusalem und Greifswald 1902–1941, Wiesbaden 1994. Matthiesen, Helge: Greifswald in Vorpommern. Konservatives Milieu in Kaiserreich, Demokratie und Diktatur 1900–1990, Düsseldorf 2000. McKellar, Elisabeth: The German Hospital Hackney: A Social and Architectural History 1845–1987, London 1991. Meier, Kurt: Der evangelische Kirchenkampf, Halle 1984. Meindl, Ralf: Ostpreußens Gauleiter. Erich Koch – Eine politische Biographie, Osnabrück 2007. Mertens, Lothar: „Nur politisch Würdige“. Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933–1939, Berlin 2004. Mohnike, Gerhard: Diabetikerheim Garz/Rügen und Karlsburg. Anstalt zur Erforschung und Behandlung der Zuckerkrankheit 1930–1955, Greifswald 1956. Müller, Dietrich: Buchbesprechung im politischen Kontext des Nationalsozialismus. Entwicklungslinien im Rezensionswesen in Deutschland vor und nach 1933, phil. Diss., Mainz 2007. Müller, Hans: Die internationalen Radiosonde-Vergleichsaufstiege in Payerne (Schweiz) vom 8.–30.V.1950, Mitteilungen des Deutschen Wetterdienstes in der US-Zone, Bad Kissingen 1951. Müßig, Katrin: Prof. Dr. med. August Hirt 1898–1945. Leben und Werk, Diss. med. Regensburg 2014. Nagel, Anne Christine: Hitlers Bildungsreformer. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934–1945, Frankfurt am Main 2012. Nagel, Anne Christine: Die Philipps-Universität im Nationalsozialismus. Dokumente ihrer Geschichte, Stuttgart 2000. Nagel, Günter: Atomversuche in Deutschland. Geheime Uranarbeiten in Gottow, Oranienburg und Stadtilm, Zella-Mehlis 2002. Nagel, Günter: Himmlers Waffenforscher. Physiker, Chemiker, Mathematiker und Techniker im Dienste der SS, Aachen 2011. Nagel, Günter: Wissenschaft für den Krieg. Die geheimen Arbeiten der Abteilung Forschung des Heereswaffenamtes, Stuttgart 2012.

9.4 Literaturverzeichnis (Auswahl)

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884

9. Anhang

Rohling, Ludwig: Käte Lassen. Das Werk der Malerin, Flensburg 1956. Rohrbach, Jens Martin: Augenheilkunde im Nationalsozialismus, Stuttgart 2007. Rosenthal, Jacob: „Die Ehre des jüdischen Soldaten“. Die Judenzählung im Ersten Weltkrieg und ihre Folgen, Frankfurt am Main und New York 2007. Rudolf Seeliger – 12.11.1886 – 20.01.1965, Jugendobjekt aus Anlass des 100. Geburtstages, Greifswald 1986. Rupieper, Hermann-Josef: Der besetzte Verbündete. Die amerikanische Deutschlandpolitik 1949–1955, Opladen 1991. Rupnow, Dirk: Judenforschung im Dritten Reich. Wissenschaft zwischen Politik, Propaganda und Ideologie, Baden-Baden 2011. Ruttkowski, Wolfgang: Typen und Schichten. Zur Einteilung des Menschen und seiner Produkte, Hamburg 2012. Sammet, Rainer: „Dolchstoß“. Deutschland und die Auseinandersetzung mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg (1918–1933), Berlin 2003. Sarkowicz, Hans und Alf Menzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon, Hamburg und Wien 2002. Schaller, Helmut Wilhelm: Die „Reichsuniversität Posen“ 1941–1945. Vorgeschichte, nationalsozialistische Gründung, Widerstand und polnischer Neubeginn, Frankfurt am Main u. a. 2010. Schiefelbein, Dieter: Das „Institut zur Erforschung der Judenfrage Frankfurt am Main“. Vorgeschichte und Gründung 1935–1939, Frankfurt a. M. 1993. Schimmler, Jörg: Alexander Behm: Erfinder des Echolots, Norderstedt 2013. Schirrmacher, Thomas: Hitlers Kriegsreligion, Bonn 2007. Schleiermacher, Sabine (Hg.): Wissenschaft macht Politik. Hochschule in den politischen Systembrüchen 1933 und 1945, Stuttgart 2009. Schmaltz, Florian: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie, Göttingen 2005. Schmidt, Roderich (Hg.): Tausend Jahre pommersche Geschichte, Köln 1999. Schmoll, Friedemann: Die Vermessung der Kultur. Der „Atlas der deutschen Volkskunde“ und die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1928–1980, Stuttgart 2009. Scholtyseck, Joachim und Christoph Studt (Hg.): Universitäten und Studenten im Dritten Reich. Bejahung, Anpassung, Widerstand, Berlin 2008. Schöttler, Peter (Hg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, Frankfurt a. M. 1997. Schwabe, Klaus (Hg.): Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, Boppard 1988. Schwengel, Andreas: Der Polizeibegriff im NS-Staat. Polizeirecht, juristische Publizistik und Judikative 1931–1944, Tübingen 2005. Seraphim, Hans-Günther (Hg.) Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs 1934/35 und 1939/40, München 1964. Snyder, Timothy: Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, München 2010.

9.4 Literaturverzeichnis (Auswahl)

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Sösemann, Bernd: Propaganda. Medien und Öffentlichkeit in der NS-Diktatur, Stuttgart 2001. Steinbacher, Sybille: „Musterstadt“ Auschwitz. Germanisierungspolitik und Judenmord in Ostoberschlesien, München 2000. Steuer, Heiko (Hg.): Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, Berlin und New York 2001. Stöckel, Sigrid: Die „rechte Nation“ und ihr Verleger. Politik und Popularisierung im J. F. Lehmanns Verlag 1890–1979, Berlin 2002. Tapken, Kai-Uwe: Die Reichswehr in Bayern 1919 bis 1924, Hamburg 2002. Tarnowski, Karin und Wolfgang (Hg.): Werner Rittich. Kriegstagebuch 17. Oktober 1944 – 28. April 1945, o. O. o. J. [Hamburg 2002]. Technische Hochschule Hannover (Hg.): Der Lehrkörper der Technischen Hochschule Hannover 1831–1956, Hannover 1956. Thévoz, Robert, Hans Braning und Cécile Loewenthal-Hensel: Pommern 1934/35 im Spiegel von Gestapo-Lageberichten und Sachakten, Köln und Berlin 1974. Thom, Achim und Horst Spaer (Hg.): Medizin im Faschismus. Symposium über das Schicksal der Medizin in der Zeit des Faschismus in Deutschland 1933–1945, Berlin (Ost) 1985. Thümmel, Hans Georg: Greifswald – Geschichte und Geschichten. Die Stadt, ihre Kirchen und ihre Universität, Paderborn u. a. 2011. Tilitzki, Christian: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Berlin 2002. Titze, Hartmut: Wachstum und Differenzierung der deutschen Universitäten 1830–1945, Göttingen 1995. Töpel, Stephan: Die Augenklinik Greifswald im Nationalsozialismus unter besonderer Betrachtung ihres ärztlichen Personals, Diss. med., Greifswald 2013. Turner, Henry Ashby Jr.: Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten, Frankfurt a. M. u. a. 1979. Vitali, Christoph und Hubertus Gaßner: Einführung in die Ausstellung in München, in: Ernste Spiele. Der Geist der Romantik in der deutschen Kunst 1790–1990, Berlin 1995. Vogel, Stefan: Josef Esser. Brückenbauer zwischen Theorie und Praxis, Berlin 2009. Voigt, Kerstin: Otto Haendler – Leben und Werk. Eine Untersuchung der Strukturen seines Seelsorgeverständnisses, Frankfurt a. M. u. a., 1993. Volbehr, Friedrich und Richard Weyl: Professoren und Dozenten der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel 1665–1954, Kiel 1956. Vorholz, Irene: Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Ernst-Moritz-ArndtUniversität Greifswald. Von der Novemberrevolution 1918 bis zur Neukonstituierung der Fakultät 1992, Köln u. a. 2000. Wachs, Philipp-Christian: Der Fall Theodor Oberländer (1905–1989). Ein Lehrstück deutscher Geschichte, Frankfurt am Main und New York 2000.

886

9. Anhang

Wachter, Clemens: Die Professoren und Dozenten der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen 1743–1960, Teil 3: Philosophische Fakultät, Naturwissenschaftliche Fakultät, Erlangen 2009. Weber, Thomas: Hitlers erster Weltkrieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg – Mythos und Wahrheit, Berlin 2011. Weiß, Ernst: Ich, der Augenzeuge, München 1977. Weiß, Hermann: Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 1999. Welker, Meinrad (Bearbeiter), Buchholz, Werner (Hg.): Lexikon Greifswalder Hochschullehrer 1775 bis 2006, Bd. 3: 1907 bis 1932, Bad Honnef 2004. Wendland, Ulrike: Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler, 2 Bände, München 1999. Wenig, Otto: Verzeichnis der Professoren und Dozenten der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn 1818–1968, Bonn 1968. Wernicke, Horst (Hg.): Greifswald. Geschichte der Stadt, Schwerin 2000. Werther, Thomas: Fleckfieberforschung im Deutschen Reich 1914–1945. Untersuchungen zur Beziehung zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik unter besonderer Berücksichtigung der IG Farben, phil. Diss., Marburg 2004. Wiebel, Arnold: Rudolf Hermann (1887–1962). Biographische Skizzen zu seiner Lebensarbeit, Bielefeld 1998. Wiebel, Arnold (Hg.): Rudolf Hermann. Aufsätze, Tagebücher, Briefe, Münster 2009. Wiener, Christina: Kieler Fakultät und „Kieler Schule“. Die Rechtslehrer an der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät zu Kiel in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre Entnazifizierung, Baden-Baden 2013. Wiesing, Urban u. a.: Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus, Stuttgart 2010. Wilhelm, Johannes Paul: Rudolf Seeliger und die Plasmaphysik, Berlin 1987. Wilking, Stefan: Der Deutsche Sprachatlas im Nationalsozialismus. Studien zu Dialektologie und Sprachwissenschaft zwischen 1933 und 1945, phil. Diss., Heidelberg 1998. Winter, Friedrich: Ein pommersches Pfarrerleben in vier Zeiten. Bischof Karl von Scheven (1882–1954), Berlin 2009. Witte, Christina: „Ungestört wissenschaftlich weiterarbeiten …“ Der Pharmakologe Peter Holtz (1902–1970), Diss. med., Greifswald 2006. Witten, Renate (Hg.): Die Professoren und Dozenten der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen 1743–1960, Teil 1: Theologische Fakultät, Juristische Fakultät, Erlangen 1993. Woelk, Wolfgang, Frank Sparing, Karen Bayer und Michael G. Esch (Hg.): Nach der Diktatur. Die Medizinische Akademie Düsseldorf vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1960er Jahre, Essen 2003. Wolbring: Barbara: Trümmerfeld der bürgerlichen Welt. Universität in den gesellschaftlichen Reformdiskursen der westlichen Besatzungszonen (1945–1949), Göttingen 2014. Wolgast, Eike: Die Wahrnehmung des Dritten Reiches in der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945/46), Heidelberg 2001.

9.5 Dank

887

Wortmeldungen zu Ernst Moritz Arndt, Greifswald 2010. Zehnpfennig, Barbara: Adolf Hitler. Mein Kampf, Weltanschauung und Programm, Paderborn 2011. Zwilling, Thomas: Leben und Werk des Anatomen Georg Wetzel, Diss. med. dent. Greifswald 2004.

9.5 Dank

Der Beirat des Forschungsprojekts zur Geschichte der Universität Greifswald begleitete diese Studie und gab Anregungen für ihre Erstellung. Gedankt sei den Professoren Frieder Dünkel (Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät), Thomas Konrad Kuhn (Theologische Fakultät), Harald J. Freyberger (Universitätsmedizin), Thomas Stamm-Kuhlmann (Philosophische Fakultät) und Klaus Fesser (Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät). Dr. Immanuel Musäus übersetzte den Rektoreid von 1545, Kirsten Schulze die Aussage von Oberst Hirsch zur Maul- und Klauenseuche. Stellvertretend für das engagierte Team des Böhlau-Verlags seien Anja Borkam und Julia Roßberg genannt, die Korrekturen vornahmen, Schreibungen sinnvoll vereinheitlichten und organisatorische Hürden einebneten. Dr. Fred Ruchhöft stellte Akten Wilhelm Petzschs zur Verfügung, Ramona Kellotat die der Hautklinik, Dr. Walter Schumacher Unterlagen und Fotos aus dem Mineralogischen und dem Geologischen Institut. Dr. Melanie und Dr. Dirk Dobritzsch standen für biochemische und Virusfragen zur Verfügung. Dr. Dietmar Schulze war Ansprechpartner bei den Themen Zwangssterilisierung und „Euthanasie“. Mit Dr. Lydia Bittner diskutierte ich juristische Probleme, mit Marco Nase die Arbeitsfelder der Nordischen Institute. Maud Antonia Viehberg stellte Rechercheergebnisse zu Biographien zur Verfügung. Dr. Matthias Uhl ebnete Wege in Moskau, Jonathan Stubbs half in den National Archives in London. Jan Mittenzwei unterstützte die Recherchen im Bundesarchiv und half mit besonderem Sachverstand zur Regionalgeschichte. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Archive in Berlin, Freiburg, Koblenz, Greifswald und Schwerin sei wie immer für ihre Unterstützung gedankt. Das Team des Universitätsarchivs Greifswald unterstützte das Projekt in herausragender Weise, wobei Jutta Schüler, Heike Ewert und besonders Barbara Peters genannt werden müssen. Dr. Dirk Alvermann engagierte sich nicht nur als Leiter des Universitätsarchivs. Er initiierte und koordinierte das Projekt zur Erforschung der Geschichte der Universität Greifswald im Nationalsozialismus und war stets ein kundiger und hilfsbereiter Ansprechpartner.

888

9. Anhang

9.5 Register Abderhalden, Emil 173 Abel, Wilhelm 427 Ach, Narziss 204 Achelis, Johann 108, 173 Adam, Gerhard 59, 122, 183, 260, 287 Afshar, Amir Aslan 258 Åkerberg, Lars 400 Allesch, Johannes von 798 Amery, John 556, 617 Amlong, Hans Ulrich 482f. Ardenne, Manfred von 497, 502, 818 Armbruster, Jan 87–90 Arndt (Sturmbannführer) 171 Arndt, Ernst Moritz 20, 67–76, 284, 378, 634 Arnold, Karl 270 Arvidson, Stellan 12, 65, 96, 384, 778 Assmann, Erwin 365–367, 567, 571f., 616, 823 Astel, Karl 219 Aubin, Gustav 13 Auerbach, Berthold 66 Bachmann, Werner Otto 531 Baedeker, Clara 114, 685 Baetke, Walter 398 Baeumler, Alfred 328 Baillie-Stewart, Norman 555, 617 Bamberg, Otto von 368 Bamberger, Philipp 724 Baranowski, Hermann 195 Barbusse, Henri 27–30 Bartelheimer, Heinrich 460, 545, 725 Bartholomeyczyk, Wilhelm 500f., 589, 824 Bartolini, Alberto 96 Barz, Paul 179, 376 Bauersfeld, Helmut 403 Baumecker, Heinz 726 Baumgärtel, Friedrich 225, 253–255, 620 Baumkötter, Heinz 526–528 Bautze, Walter 603 Bavink, Bernhard 42, 276, 435 Becher, Johannes R. 55–57 Beck, Hanno 212 Becker, Carl Heinrich 44, 116, 382 Behrens, Paul 50 Bendt, Karl-Heinz 141, 172

Berber, Friedrich 166 Bergmann, Gustav von 458, 686 Beringer, Kurt 113 Bern, Dietrich von 37, 394 Bernheim, Ernst 94, 228, 750, 817 Beske, Helmut 473 Beumelburg, Walter 323 Beumelburg, Werner 58 Beurlen, Karl 469 Beyer, Hans 139 Beyer, Hermann Wolfgang 250, 621 Bieling, August 657 Bier, August 512, 698 Biermann, Wilhelm Eduard 239, 640 Bingel, Rudolf 497 Birnbaum, Walter 225 Bischoff, Hans 174, 200, 672, 691 Bischoff, Herbert 271, 351 Bismarck, Otto von 73, 316, 389 Bismarck-Bohlen, Ulrich von 158, 686, 751 Bleibtreu, Max 673 Blittersdorf, Helmut 77 Bloch, Paul Jaques 347 Blüthgen, Joachim 144, 383, 467, 473f., 613, 825 Bode, Ernst 373 Boehringer, Erich 212–214, 231–233, 266, 589, 751 Bol, Gerrit 233, 799 Boldt, Gottfried 406 Bollnow, Hermann 367f., 825 Bormann, Martin 145, 221, 226f. Borries, Bodo von 539 Borries, Christa von 99f. Borries, Ernst von 539 Borriss, Heinrich 612 Bouhler, Philipp 119f. Bracht, Franz 373 Brackmann, Albert 403 Brandsch, Konrad 579 Brandt, Karl 521, 528 Brates, Georg 331f., 617, 826 Brauch, Fritz 251, 546f., 564, 710 Braun, Edith 85

9.5 Register Braun, Gustav 35, 46, 80–95, 151, 168, 198, 210, 288, 383f., 752, 801 Braun, Otto 33 Breitscheid, Rudolf 45 Brill, Ernst-Heinrich 520 Brinck, Joachim 147f., 183, 189, 191, 197 Brüske, Hermann 62, 65, 78, 80, 109, 149–152, 182f., 602, 618, 795 Bruggencate, Paul ten 827 Brunck, Walter 26 Bruns, Hans-Jürgen 146f., 158, 215, 223, 406– 409, 608, 614–616, 653, 658 Bubnoff, Sergius von 99, 132–135, 266, 302, 468–470, 587, 609, 753, 826 Bülck, Walter 72–74, 224f., 266, 339f., 589, 621 Bürger, Ingeborg 458 Bürger, Max 236 Bürkle de la Camp, Heinrich 202 Büsscher, Heinz 495 Burmeister (Handwerker) 99 Burmeister, Ida 99 Burmester (Oberstabsarzt) 264 Burwitz, Max 594 Buschbeck, Herbert 449, 727 Busemann, Adolf 122f., 828 Buttmann, Rudolf 395 Buzello, Arthur 711 Caskel, Werner 95, 130f., 158, 215f., 251, 828, 855 Christern, Hermann 252, 266, 315f., 579, 829 Clasen, Karl-Heinz 369, 611 Cordes, Heinrich 146 Cornelißen, Christoph 613 Courbet, Gustave 374 Credner, Wilhelm 210 Crinis, Max de 114, 466, 703, 742 Curschmann, Fritz 92, 94, 137f., 228, 250, 468, 471–473, 524, 754 Dahlke, Willi 603 Dahm, Georg 189 Daitz, Werner 188 Dalberg-Acton, John 389, 809 Dalman, Gustaf 225, 228, 622, 631 Darré, Richard Walter 219

889

Deckwerth, Heinz 51f. Deißner, Kurt 46f., 51f., 69f., 121, 255f., 287, 623 Delang, Richard 79 Dinsel, Wilhelm 85, 97 Dodenhoeft, Martin 578 Doerne, Martin 464 Dohmen, Arnold 528f. Dominik, Hans 485 Dornseiff, Franz 148, 212, 589, 755 Dovifat, Emil 128f. Dragendorff, Otto 198, 674 Drescher, Josef 578 Dresel, Ernst Gerhard 72, 162f., 250, 436, 445, 530, 674 Duden, Herdin 161 Düker, Heinrich 205 Duun, Olav 276 Dwinger, Edwin Erwin 58 Ebert, Friedrich 21, 31 Ebhardt, Klaus 728 Echternach, Helmut 635 Eckardt, Paul 161 Eger, Hans 144, 579, 618, 636 Egermann, Franz 231, 755 Eggers, Hans Jürgen 363–365, 830 Eglitis, Irma 587 Eglitis, Janis 587 Ehrismann, Gustav 181, 239, 756 Einem, Herbert von 231, 379–382, 590, 757 Eisfeldt (Hauptsturmführer) 195 Eisner, Kurt 373 Elliger, Walter 266, 608, 619, 624 Emig, Kurt 223, 659 Engel, Carl 75, 159–161, 196, 198, 218, 267, 312, 316, 361–363, 366, 368, 399f., 403, 484, 567–574, 583, 585–594, 605, 618, 755, 758, 823 Engel, Hans 800 Engels, Friedrich 181 Eras, Johannes 140 Erzberger, Matthias 85 Esau, Abraham 499f. Esser, Josef 659 Eulenberg, Hans-Jürgen 578

890

9. Anhang

Ewald, Gottfried 113, 445f., 452, 675 Fahrentholz, Siegfried 494 Falk, Günther 65, 112, 141, 143, 191, 197, 293, 401–404 Feder, Gottfried 63 Feldmann, Harald 293 Feldmann, Ruth 64 Fels, Edwin 82 Fengler, Erwin 433, 466 Feuchtwanger, Lion 57 Fichte, Johann Gottlieb 59, 327f., 334 Fichtner, Johannes 255, 257, 338–340, 585, 608, 633 Fingerhut, Otto 59, 384f. Finkelnburg, Wolfgang 502f. Finsler, Hans 373 Fischer, Eugen 435 Fleck, Anton 189, 196, 407, 595, 607f., 640 Flegenheimer (Unternehmerfamilie) 190 Flex, Walter 59f. Flury, Ferdinand 515 Fock, Gorch 59 Foerster, Otfrid 88, 90 Forrer, Emil Orgetorix 212 Forster, Edmund 65, 77, 83–90, 113, 168, 289, 452, 676, 715 Forstmann, Albrecht 77, 96, 163, 168, 185– 197, 289, 667, 671 Franco, Francisco 549–551 Franzmeyer, Fromund 501 Frauendienst, Werner 238, 250, 831 Frebold, Hans 96, 132–136, 238, 796 Fredenhagen, Karl 64, 123, 189, 251, 353, 437, 495, 504–506, 618, 759 Freeman alias Royston (Rundfunkmoderator) 556 Freisler, Roland 408, 410 Freud, Siegmund 57f., 462, 464 Frey, Hermann-Walther 112 Fricke, Gerhard 215 Fricke, Robert 318–320, 505, 508, 760 Friedberger, Ernst 25–27, 94, 529f. Friedrich II. 59, 75, 125 Friedrich III. 112 Friedrich Wilhelm IV. 72 Friedrich, Caspar David 368, 377–382, 757, 793 Friedrich, Max (alias Schubel, Friedrich) 551– 554, 844

Schiller, Friedrich 40, 58 Frommel, Wolfgang 322–324 Frommhold, Georg 222, 239, 641 Funk, Walter (Assistent) 499 Funk, Walther (Wirtschaftsminister) 193 Galling, Kurt 225 Gara, Paul von 95, 104f., 728 Gau, Heinz 360f. Gehrke, Werner 175–177 Geißler, Erhard 537 Gemmingen-Hornberg, Hans Dieter Freiherr von 665 George, Heinrich 265 George, Stefan 213, 322f., 751 Gercke, Achim 44, 65, 79 Gerlach, Walther 502 Gerlach, Werner 147 Ginters, Valdemars 570 Glagau, Hans 761 Gläser, Ernst 57 Glawe, Walther 46f., 52, 64, 69, 121, 252, 287, 398, 400, 584, 625 Gleitze, Bruno 195 Glück, Richard 527 Godenschweger, Walter 349 Goebbels, Jospeh 45, 63, 130, 193, 555 Goerdeler, Carl 188 Goltz, Eduard Freiherr von der 33, 81, 224, 255, 626 Goralewski (Arzt) 85f. Göring, Hermann 70, 227, 463 Göring, Matthias 464, 639 Goroncy, Kurt 445, 454, 677 Götz, Aly 425 Greeven, Heinrich 255, 637 Grellmann, Hans 80, 296, 384, 401, 579, 832 Griebenow, Willi 78 Griewank, Karl 117, 425 Grimm, Jakob 394 Grimme, Adolf 15 Groh, Wilhelm 218 Gronau, Walter 571 Groß, Nora 492 Groß, Rudolf 16, 77, 80, 237, 303, 490–492, 596, 761 Groß, Walter Otto 310, 532f., 729

9.5 Register Großmann, Hans 24, 530, 532, 712 Groth, Werner 730 Grube, Clemens 434 Grünberg, Gottfried 599 Grüninger, Guenther-Hans 188, 197 Güldner (Ehefrau) 50 Gülzow, Erich 74f. Gülzow, Martin 461, 545, 577, 607, 730 Günther, Karl 192, 197f. Gürtner, Franz 221 Gütt, Arthur 219, 444 Güttner, Horst-Günther 607, 731 Gumbel, Emil Julius 182 Gustav II. Adolf 42, 811 (auf s. 811 steht Adolfm statt Adolf ) Gutterer, Leopold 191 Gutzeit, Kurt 528 Haagen, Eugen 527–537 Haak, Charlotte 184 Haber, Fritz 506, 769 Habetha, Ernst 469f., 566 Habicht, Victor Kurt 369f. Hackbarth, Hans-Günther 272f. Haendler, Otto 231, 240, 464–466, 608, 638 Haenel, Hans Georg 660 Haferkorn, Reinhard 308, 555f., 616f., 762 Hall, Karl Alfred 409 Hamann, Richard 371 Hämel, Josef 678 Hamel, Walter 165–168, 250, 412–417, 614, 666 Hamsun, Knut 252 Handloser, Siegfried 535 Hantschmann, Leo 577f. Harmjanz, Heinrich 346–348 Hartmann, Nikolai 463 Hartnack, Wilhelm 24f., 35, 80–82, 149–151, 157, 210f., 250, 474, 544, 617, 800 Hartung, Joachim („Jo“) 232, 451, 520, 613, 732 Hasses (Stadtrat) 32 Hauck, Wilhelm Christian 96, 187, 190–198, 613, 667 Haupt, Joachim 80, 273, 324 Hauptmann, Gerhard 477 Haushofer, Karl 388 Haussmann, Hermann 459

891

Hedin, Sven 135 Heer, Hannes 576 Heffe, Hans 447 Hehn, Jürgen von 403f., 573 Heiber, Helmut 185 Heidenstam, Verner von 383 Heidermanns, Curt 267, 489, 543f., 608, 612f., 763, 820 Heiler, Friedrich 764 Heim, Susanne 425 Hein, Erich 242 Heine, Heinrich 66 Heisenberg, Werner 496 Heller, Ludwig 218, 329, 348, 765 Hellner, Hans 202 Henning, Kurt 581 Henschke, Karl Heinrich 346 Herder, Johann Gottfried 116, 768, 808 Hermann, Rudolf 121, 255f., 344, 626, 639 Herold, Karl 157 Herrfahrdt, Heinrich 661 Herrmann, Alexander 557, 590f., 603f., 679, 743 Hertwig, Günther 199 Herz, Heinz 610 Herzberg, Kurt 19, 229, 237, 310, 436, 526– 537, 557, 612, 619, 680, 713, 719, 729 Hess, Rudolf 419 Heuckenkamp, Ferdinand 765 Heuss, Theodor 33 Hey, Rolf 64, 172f., 435f., 445, 681 Heydrich, Reinhard 208, 252 Hilpert, Paul 97, 114f. Hilton, John 554 Himmler, Heinrich 323, 354, 528, 571f., 592 Hindenburg, Paul von 20 Hinz, August 98 Hinz-Wessels, Annette 536 Hirsch, Walter 540f. Hirt, August 198–200, 682, 694, 734, 737 Hitler, Adolf 11f., 17, 28, 38f., 43, 62, 86, 88– 92, 98f., 120, 156, 182, 187, 193, 227, 254, 271, 276, 289, 316–320, 328, 332, 349f., 356, 390, 392, 405, 413f., 422, 513, 537f., 544, 553, 576, 582, 585f., 606, 666, 677, 770, 784 Hoepner, Georg 157, 588

892

9. Anhang

Hofe, Karl vom 683 Hoffmann, Egon 713 Hoffmann, Friedrich 52, 187, 250, 418, 642 Hoffmann, Heinrich 181 Hoffmann, Tassilo 833 Hofmeister, Adolf 36f., 62, 142, 267, 329, 355f., 365–367, 403, 484, 582, 766, 823 Hoheisel, Guido 801 Höhn, Reinhard 415 Höhne, Ottomar 15 Hollidt, Karl-Adolf 565 Holstein, Günther 72 Holtz, Gottfried 584 Holtz, Hans-Reinhard 579 Holtz, Peter 157, 733 Holzlöhner, Ernst 523f. Höpker-Aschoff, Hermann 33 Hoppe-Seyler, Felix Adolf 307, 521–525, 684 Höß, Rudolf 195 Hoyer, Robert 301, 442 Hube, Fritz 65, 163, 255 Hubert, Rudolf 448f., 714 Hübner, Gustavkarl 143f. Hückel, Walter 505, 508, 767 Ibarruri, Dolores 550 Impekoven, Holger 257f. Iwanow (Untersuchungsrichter) 600 Jacobi, Hans 734 Jacobi, Walter 93, 113–115, 452, 685 Jacoby, Günther 23, 39, 93, 113, 115–121, 233, 251, 327–330, 476, 767 Jahr, Karl 207 Jahrreiß, Hermann 40–42, 108, 165–167, 189– 191, 222, 252, 412–414, 643 Jander, Gerhart 16, 204, 251, 266, 305, 505– 511, 514f., 583. 589, 610, 619, 767, 769, 834, 837, 853 Jarmer, Karl 479 Jarres, Karl 379 Jendis, Herbert 355 Jerabek, Josef 442 Jeremias, Joachim 255, 627, 630 Jessen, Jens 196 Jirku, Anton 628 Janders, Joachim 589 Josupeit, Heinz 420f.

Joyce, William 556, 617 Jünger, Ernst 58 Jürgensohn, Arved 477 Jürgensohn, Rosa 477 Juncker, Josef 95, 107–109, 644 Jung, Carl Gustav 464, 638f. Jung, Felizitas 242 Jung, Gerhard 802 Junghanns, Herbert 202 Jungmichel, Gottfried 266, 735 Just, Günther 42, 141, 162, 237, 250, 269, 301, 330, 435–443, 568, 802, 850f. Kähler, Wilhelm 35f., 64, 231, 644 Kaiser, Karl 345–348, 383, 579f., 835 Kant, Immanuel 116, 276, 330, 768 Kantzow, Thomas 368 Kapp, Tabea 451 Kapp, Wolfgang 418 Karpenstein, Wilhelm 27, 49, 60, 100f., 242 Kasper, Gerhard 167 Kästner, Erich 58 Katsch, Gerhardt 19, 103, 105f., 147, 149, 157, 164, 207, 233, 236f., 246, 297, 312, 436, 458–462, 543, 545, 558, 562–565, 577f., 592–595, 607, 610, 612, 685, 711, 731, 738, 746 Kaufmann, Erich 165–167 Keil, Josef 212, 233, 770 Keining, Egon 520f., 595, 607, 613 Kennedy, John F. 105, 729 Keppler, Wilhelm 187, 815 Kerr, Alfred 66 Kienbaum, Gerd 171 Kiesselbach, Anton 200, 736 Kingreen, Otto 557, 736 Kipp, Karl Theodor 108 Klages, Ludwig 203, 463, 741 Kleist, Heinrich von 58, 808 Kliewe, Heinrich 537, 539f. Klinghardt, Franz 353, 803 Klingmüller, Fritz 20–22, 32, 34, 45f., 69, 87, 95, 100f., 288, 646 Kneser, Hellmuth 78, 147, 771 Knevels, Wilhelm 225 Knoch, August 219 Knop, Paul 98f.

9.5 Register Knut der Große 42, 391 Köbe, Fritz 483, 536 Koch, Erich 420 Koch, Hans 403f. Koch, Lauge 133f. Koehler, Renate 446 Koepp, Wilhelm 66, 224f., 255, 257, 309, 322, 333, 336–344, 398–400, 608, 628 Kohler, Max 209, 449, 496, 804 Kohlrausch, Eduard 82f. Kolbe, Friedrich 78, 109, 115, 123, 131, 134, 153, 157f., 163, 164, 177, 182, 190, 197, 261, 269, 481f. Kolbenheyer, Erwin Guido 58 Konjetzny, Georg 230, 687 Koslow, Alexei 577 Kossinna, Gustaf 273, 352, 361, 365 Kostrzewski, Józef 352 Köttgen, Arnold 91, 148, 165–167, 197, 208, 250, 314f., 407, 566, 602f., 646 Krainick, Horst-Günther 207, 547 Kramaschke, Waltraud 440 Kräplin, Elise 99 Kretschmar, Hans 47, 668 Kreul, Helmut 256f. Kreutzfeldt, Adolf 168, 178f., 368 Krieck, Ernst 146, 321 Krisch, Hans 715 Koellreutter, Otto 167f. Kröger, Tina 258f. Kroll, Frank-Lothar 335 Kropka, Walter 97, 155, 241 Krüger, Friedrich 43f., 117, 524, 771, 789, 814 Krüger, Heinz 141–143, 401–404 Kruse, Käthe 609 Kube, Wilhelm 160, 570–572 Küchenhoff, Günther 196, 223, 614, 647 Kükenthal, Willy 110, 780 Kuhnert, Hellmuth 158, 218, 588, 592 Kuhrstedt, Anja 445 Kunkel, Otto 357 Kunstmann, Arthur 81 Kvaran, Eiður 385–388 Laag, Heinrich 70f., 459, 608, 618, 634 Lammers, Hans Heinrich 262 Lange (geb. Tramitz), Ellen 504

893

Lange, Ernst 55f. Lange, Siegfried 23, 99, 149, 151f., 482, 591, 602, 805 Langen, Arnold 648 Langenbeck, Wolfgang 251, 509, 515, 772 Langner, Eva 439 Lauber, Heinrich (Henry) 95, 103f., 738 Lauda, Edith 404 Lauenstein, Diether 400 Lautensach, Hermann 131, 135, 143f., 151, 210–215, 240, 267, 313f., 330, 421, 467f., 474, 479, 484, 573, 609, 773, 826 Lehmann, Franz 774 Lehmann, Gerhard 330f. Leibl, Wilhelm 375 Leick, Erich 34, 110, 121, 123, 125f., 151, 157, 161, 212–214, 218, 233, 237, 243, 267, 295, 330, 369f., 437f., 472, 475–484, 584, 590, 603, 609, 775, 780 Leipold, Willi 739 Leistikow, Kurt 60 Lemke, Fritz 603 Lendle, Ludwig 515 Lersch, Heinrich 67 Ley, Robert 193 Leyden, Nikolaus Gerhaert van 111f. Liljegren, Bodvar Sten 776 Linck, Alfred 43, 97–99, 154f., 200, 688, 743 Lindner, Erna 171 Lintzel, Martin 390 Lippmann, Julius 33f., 102f. Lisch, Georg Christian Friedrich 377 Listøl, Knut 402 Loeffler, Friedrich 529, 535, 709 Loening, Carl Friedrich 181, 790 Loening, Edgar 181 Loening, Hildegard 181, 790 Loeschke, Hermann 237, 533, 557, 606, 689 Löffler, Eugenie 212 Lohmeyer, Ernst 121, 158, 164, 312, 582, 593– 604, 609, 629, 653, 789 Löning, George 223, 407, 649 Löns, Hermann 59 Lottmann, Werner 64, 141 Lubbe, Alfred 45f., 100 Lubenoff, Georg 669

894

9. Anhang

Lublin, Alfred 105f., 739 Ludendorff, Erich 38, 49, 354, 654, 788 Ludwig, Emil 57, 66 Lübtow, Ulrich von 101, 669 Lücken, Gottfried von 364 Lüder, Rudolf 242 Lühr, Karl 612 Lüttringhaus, Arthur 509, 511, 595, 610, 806 Luther, Martin 339f., 627, 639 Lutz, Günther 252, 328–331 Maahs, Ulrike 246 Mackensen, Lutz 180, 214, 345f., 363, 835 Mager, Friedrich 137f., 472f., 807 Magon, Leopold 58f., 65, 74f., 252, 382–385, 388, 401–403, 484, 580, 595, 610, 777 Maier, Wilhelm 233, 778 Maleki, Gholam-Hossein 259 Mandel, Hermann 224 Mann, Heinrich 233 Marc, Franz 59f. Marhoven, Gerhard 516–520 Markwardt, Bruno 58, 66, 808 Martin, August 689 Marx, Karl 181 Massow, Ulrich 49f., 67 Matthes, Erika 442 Matthes, Ernst 99, 109–111, 346f., 488f., 779, 820 Mattiat, Eugen 205, 212, 214, 389f., 835 Mayer, Xaver 161 Mazuw, Emil 161, 473, 484 Meisner, Wilhelm 64, 87, 109, 153, 170, 173f., 287, 450, 690, 720 Melis, Otto 587 Mendel, Gregor 318 Menn, Walter 15, 574 Mentzel, Rudolf 174, 204, 305, 505–511, 589, 769, 836 Merkel, Paul 92, 168, 184f., 228, 406, 650 Messow, Hans-Christoph 242 Metzner, Paul 94, 99, 135f., 161, 205, 214, 217f., 252, 266f., 276, 330–332, 366ff., 389, 394, 472, 480, 482–489, 575, 580, 608, 780 Meyer, Franz 161 Meyer, Konrad 483 Meyer, Paul Friedrich 232, 478, 489f., 837

Mielke, Sophus 546, 618, 740 Mierdel, Georg 23, 497, 838 Mischke, Kurt 45, 182f., 251, 348–352, 580 Mittenzwei, Jan 63, 887 Moderow, Felix 255 Mohnike, Dorothea 456 Mohnike, Gerhard 458 Molitor, Erich 108, 147, 223, 314, 407, 583, 585, 607f., 614f., 651 Möller (Ehefrau) 50 Moltke, Helmuth von 73 Mrugowski, Joachim 537 Muckermann, Hermann 42, 435 Mudrow, Lilly 162, 247 Müller, Gustav Wilhelm 781 Müller, Karl Valentin 435 Müller, Ludwig 254 Müller-Berneck, Hellmuth von 356–359 Muhs, Karl 190, 250, 651 Mulack, Max 603 Mund, Georg 265 Mutschmann, Martin 227 Nagel, Heinz-Christoph 539–541 Napoleon I. 71, 263 Naundorf, Gerhard 240, 484–487, 839 Neuenfeldt, Justus 582 Neumann, Friedrich-Wilhelm 840 Neumann, Hans-Joachim 89 Neunhoeffer, Otto 508, 841 Nevinny-Stickel, Hans 146, 545, 715 Niebuhr, Herbert 350 Nietzsche, Friedrich 276, 325, 330 Noack, Ulrich 384, 388–393, 403f., 585, 590, 595, 809 Noack, Valborg 402 Noschka, Iwan 600 Oberländer, Theodor 265f., 269f., 273, 290, 403, 407, 418–428, 467, 482, 565, 613f., 655, 662 Ockain, Richard 97 Ohlmarks, Åke 13, 399f. Oklitz, Eugen 83, 85f. Olav I. Tryggvason 396 Olesch, Reinhold 157, 602 Olsen, Magnus 402 Öpik, Armin 587

9.5 Register Oppenheim, Max Freiherr von 130f. Ostwald, Wilhelm 318 Ötjen, Hans 176 Pannhorst, Rudolf 461, 546, 716 Papen, Franz von 373, 412, 645 Papritz, Johannes 403f. Pasch, Moritz 127 Paul, Johannes 142, 148, 157, 250, 266, 329, 383f., 391, 400–404, 591, 617, 778, 810 Pechau, Manfred 60–63, 67, 141, 176, 179, 260f., 293 Peiper, Albrecht 200, 201, 607, 691 Peiper, Erich 200, 691 Pels Leusden, Friedrich 22–26, 93f., 154, 228, 233, 235f., 687, 692 Penck, Albrecht 151, 210, 773 Pernice, Erich 214, 228, 352–354, 618, 782, 813 Peters, Albert 49f. Peters, Karl 215, 409–411, 583, 608, 615f., 652, 693 Petersen, Carl 812 Petersen, Ernst 364 Petershagen, Rudolf 592f. Petran, Willi 241, 603 Petriconi, Hellmuth 589, 783 Petzsch, Wilhelm 34, 161, 268f., 273, 300, 352–363, 758, 812 Pfarr (Student) 65 Pfuhl, Wilhelm 199, 436f., 587, 693, 730 Philipp, Ernst 212, 233, 448f., 694, 721 Pichler, Hans 38–40, 92, 96, 137, 182, 228, 239, 327, 329, 331, 587, 590, 783 Pinder, Wilhelm 369 Piper, Arnold 579 Piper, Ernst 335 Pius XII. 336 Plehwe, Karl von 116, 120, 768, 776 Ploetz, Hugo 32 Plötz, Richard 175, 717 Pophal, Rudolf 203f., 237, 436, 453, 741 Popitz, Johannes 196 Popoff, Boris 587 Popp, Otto 199 Preuß, Hugo 166 Preyer, Wilhelm Dietrich 189f., 314, 407, 418, 544, 607, 653

895

Proell, Friedrich 96, 163, 168, 174–178, 233, 695 Puhl, Hugo 201, 696 Purdy, Walter 617 Puschonkow, Nikolai 577 Putter, Erich 26 Pyl, Gottfried 538, 813 Quisling, Vidkun 392f. Rammelmeyer, Alfred 150 Rath, Klaus Wilhelm 417 Rathenau, Walther 21 Ratschko, Karl-Werner 446 Ravnkilde, Anita 402 Rebmann, Otto 509, 514–516 Rechenbach, Horst 387 Rehfeldt, Bernhard 223, 663 Reincke (amtierender Kurator) 217 Reinerth, Hans 354, 357, 361 Reinhard, Bruno 47–49, 67, 264, 285f., 535, 549 Reinhardt, Karl 784, 854 Reinke, Walter 244, 488f. Reinkober, Otto 250f., 493f., 603, 814 Remarque, Erich Maria 57f., 253 Remertz, Siegfried 592 Renn, Ludwig 58 Reschke, Karl 115, 131, 135, 138, 144f., 152, 154–159, 165f., 189, 197f., 215f., 236f., 269, 282f., 290, 311, 329, 347, 389, 407, 481, 531, 579f., 606, 697, 835 Ribbentrop, Joachim von 390, 392, 555 Richter, Friedrich 146, 172, 718, Richter, Konrad 148, 468f., 815 Richter, Ludwig 375 Richter, Wilhelm 16, 252, 306f., 450, 511–521, 524f., 579f., 698, 732 Richthofen, Wolfram 551 Riefenstahl, Leni 193 Rietzkow (Laborantin) 85 Rittich, Werner 60f., 141 Rödiger, Friedrich 51 Rohling, Ludwig 617, 842 Rohloff, Ernst 500f. Röhm, Ernst 193 Röhrer, Heinz 538, 542, 596, 719 Rohrschneider, Wilhelm 720

896

9. Anhang

Rompe, Robert 503, 595, 789 Roon, Albrecht von 73 Rosenberg, Alfred 61, 63, 141, 145, 160, 198, 276, 325, 327f., 332–343, 346, 348, 354, 366, 380, 384, 391f., 429, 432, 569, 585– 587, 590, 616, 629, 635, 759, 784, 788, 798, 816, 823, 835f. Rosenfeld, Hans-Friedrich 214f., 231, 351f., 388, 403, 484, 609, 619, 785 Rosenkranz, Bernhard 219–221, 842 Rössler, Fritz 501 Rost, Leonhard 225f., 313, 630 Rothfels, Hans 419 Rudder, Bernhard de 200, 699 Rüdiger, Walter 243f., 504 Rüdin, Ernst 461 Rühland, Curt 167, 258, 265, 407, 648, 664 Ruge, Ulrich 843 Runge, Hans 699, 735 Runge, Philipp Otto 380f., 436, 445 Ruska, Herbert 537, 539, 542 Rust, Bernhard 70, 86, 108, 156f., 180, 182, 197, 207, 226f., 283, 400, 438, 586, 645 Ruth, Paul Hermann 74f. Saareste, Andrus 587 Salmuth, Hans von 117, 119f. Sander (Studienrat) 32 Sanders Peirce, Charles 317 Schäfer, Walter 720 Schäfer, Werner 539 Scheel, Gustav Adolf 262 Scheins, Fr. 195 Schiller, Friedrich 40, 58 Schiller, Karl 427f. Schilling, Adolf 51, 282 Schilling, Max Bitte auf S. 582, Zeile 3 Max streichen, nicht ins Register Schinnerer, Erich 215, 406–408 Schirach, Baldur von 45, 193, 214 Schlegel, Friedrich 380, 625 Schloesser (Studienrat) 32 Schlomka, Teodor 250, 844 Schlote, Annemarie 567 Schmekel, August 786 Schmidkunz, Hans 750, 817 Schmidt (Ratsherr) 30

Schmidt, (Karl) Theodor 496f., 502f., 603, 817 Schmidt, Friedrich Wilhelm 548 Schmidt, Karl (Friedrich) Wilhelm 24, 122, 124f., 797, 821 Schmidt, Otto 590, 592 Schmidt, Richard 592 Schmitt, Carl 415f. Schmitt, Otto 111, 209, 368–370, 786 Schmoll, Friedmann 347 Schole, Heinrich 204f., 276f., 331, 594, 816 Schönfeld, Walther 700 Schönherr, Albrecht 256 Schorre, Edgar 545, 742 Schott, Erdmann 240, 255, 608, 639 Schramm, Edmund 549–555, 818 Schrepfer, Hans 82 Schröder, Alfred 99 Schroeder, Hildegard 591 Schubel, Friedrich 231, 551–555, 616, 844 Schubel, Johannes 743 Schülke, Horst 344 Schuhmacher, Herbert 49, 67 Schultz, Bruno K. 219 Schultze, Günter Karl Friedrich 24, 136, 140, 157, 201f., 218, 248f., 255, 367, 436, 449, 520, 591, 594, 701, 716 Schultze, Victor 631 Schultze, Walther 524 Schultze-Naumburg, Arthur 441 Schulz (Pflegerin) 86 Schulz, Ch. (Lehrer) 32 Schulz, Robert 161 Schulze, Karl 493 Schulze, Rudolf 494f., 845 Schulze-Soelde, Walther 250, 323, 324–331, 819 Schumann, Waldemar 169f., 173 Schuster, Walter 190 Schwartzkopf, Herta 172f., Schwarz, Hanns 87 Schwarz, Hermann 38f., 71f., 76, 321f., 327f., 334f., 341–343, 787 Schwede-Coburg, Franz 11, 18, 125, 198, 282, 350, 372, 403, 433, 454f., 585, 590 Schweitzer, Robert 197 Schwind, Fritz von 608

9.5 Register Seeberg, Erich 117f. Seegrön, Georg 258 Seeliger, Rudolf 16, 23, 77–80, 111, 209, 237, 276, 308, 493, 497–503, 595, 599, 609, 788, 805, 824, 827, 838 Seemen, Hans von 202f., 702 Seger, Hans 354 Seidel, Gisela 439 Seidl, Erwin 234, 407, 615, 654 Seifert, Rudolf 484, 490, 544, 611, 820 Semrau, Max 787 Seraphim, Peter-Heinz 160, 196, 309, 403, 421, 424–434, 553, 565, 572, 585, 608, 613f., 655, 657 Severing, Carl 33 Schukow, Georgi 591, 595, 598 Sivkovich, Gudrun Laetitia 584 Sivkovich, Hans 584 Six, Franz Alfred 208 Soenke, Jürgen 52, 58, 60–62, 65, 141 Solger, Bernhard 703 Sombart, Werner 59 Sommer, Clemens 109, 111f., 846 Sommer, Hermann 77f., 82, 86, 97, 123, 153, 162–164 Sommer, Johann Jakob 847 Sommer, René 557, 721 Sommermeyer, Kurt 498, 848 Späing, Heinz 49 Spengler, Oswald 59 Spitzenberg, Erich 558f. Spitzweg, Karl 375 Springorum, Walter 566 Stäbel, Oskar 260 Stadie, Richard 476f., 479, 618, 849 Stadtlander, Arndt 264f. Stammler, Hildegard 181 Stammler, Rudolf 179 Stammler, Wolfgang 37f., 58, 62, 74, 91, 93, 96, 179–183, 214, 328f., 348, 351, 394, 544, 785, 789, 836 Stampe, Ernst 656 Stange, Alfred 590 Stantien, Kurt 541 Stark, Johannes 476, 508, 776, 837

897

Steche, Theodor 231, 259, 388, 393–398, 594, 849 Stein, Friedrich 107, 109 Steinhausen, Wilhelm 137–139, 169, 172f., 182, 606, 704, 718 Steiniger, Fritz 439, 567f., 850 Steinke, L. 32 Steinkopf, Wilhelm 509 Stengel, Edmund 790 Stephan, Siegfried 722, 727 Stickl, Otto 154, 172, 175, 530, 536, 704, 729 Stock, Ulrich 406 Störring, Gustav Ernst 452f., 457, 723 Straßer, Otto 45 Straub, Hermann 103 Stresemann, Gustav 20f. Strugger, Siegfried 239, 851 Stumpf, Karl Ernst 305, 509f., 618, 852 Süss, Wilhelm 771, 853 Tartler, Georg 612 Telger, Leni, 376 Tennert, Albert 50 Terbrüggen, August 744 Thaer, Clemens 53, 122, 124–127, 289, 821 Themel, Karl 225 Theuermann, Arved 49f., 65 Thiele, Rudolf 19, 446, 456, 462–464, 558– 562, 605f., 705 Thiessen, Peter-Adolf 505, 507 Thom, Karl 255 Thomas, Georg 431 Thorild, Thomas 400 Thürk, August 603 Thürk, Max 86 Tietz, Helene 64 Tilitzki, Christian 116 Timm, Luise 493 Toller, Ernst 57 Toomse, Mihkel 587 Töpel, Stephan 450 Topp, Bernhard 98 Törne, Hermann von 546, 744 Toynbee, Arnold J. 388, 390, 809 Tramitz, Ellen 271, 504, 760 Traub, Erich 538 Traub, Hans 127–130, 317, 670

898

9. Anhang

Tresckow, Hans-Heinrich von 604f. Tucholsky, Kurt 55, 58 Turner, William 374 Tuschy, Heinrich 272 Uebersberger, Hans 425 Urban, Gerhart 590f., 606, 745 Vahlen, Karl Theodor 25–37, 87, 100, 102, 110, 129, 138, 156, 177, 213, 228, 322–324, 369, 418, 477, 479, 511, 791 Vajda, Ladislaus von 85f. Veit, Gertrud 442 Velde, Gustav 43, 167, 217, 746 Velhagen, Karl 436, 520, 706, 740 Vetter, Walther 238, 588, 602, 822 Viehberg, Maud Antonia 93–97 Vierk, Bruno 99 Voegt, Hans 529 Voigt, Kerstin 464 Volkmann, Hans 212, 603, 792 Wachsmann, Alfons Maria 582f., 616 Wacker, Otto, 197 Wackernagel, Martin 371 Waetzoldt, Wilhelm 379f. Wagner, Eduard 576 Wagner, Wilhelm 216 Walbaum, Jost 514 Waldmann, Elisabeth 245 Waldmann, Otto 239, 310, 530, 535–541, 596, 709 Wallis, Rudolf 98 Wandel, Paul 595 Wanke, Robert 202 Weber, Adolf 196 Weber, Thomas 88, 90 Wehr, Hans 216–218, 554f., 854 Wehrli, Hans 612 Weigmann, Fritz 530f. Weinhandl, Ferdinand 331 Weismann, Jakob 93 Weiß, Ernst 85, 88f. Welcker, Ernst Rulo 607, 747 Wels, Paul 16, 43, 154, 173f., 177, 200, 307, 522–526, 604, 606, 707, 746 Wendel, Friedrich 579 Wendorff, Walther 250f., 287 Werfel, Franz 57

Werth, Josef 516 Wetzel, Siegfried 262 Wichels, Paul 105, 738, 748 Wiechert, Kurt 274, 609 Wiegand, Friedrich 632 Wilamowitz-Möllendorf, Ulrich von 124 Wilder (Laborantin) 85 Wilhelm I. 73 Wilhelm II. 38 Wilhelm-Kästner, Kurt 11, 131, 148, 158–160, 266, 298f., 368–381, 618, 757, 759, 787, 793, 842, 857 Windaus, Adolf 508, 769, 806 Wirth, Wolfgang 526 Wissmann, Wilhelm 219 Wittsack, Richard Walter 395 Wohlgemuth, Franz 597, 599, 630 Wohlhaupter, Eugen 221–223 Wolff, Christian 137, 831 Wolf-Rottkay, Wolf Helmut 387f., 553–555 Wrede, Fritz 96, 139, 163, 168­–174, 514, 521, 724 Wriedt, Hans 476 Wundt, Max 117, 786 Wustrow, Paul 175, 594, 708, 718 Wyroslaski, Juliane 100 Yorck von Wartenburg, Ludwig 263 Zador, Julius 65, 85f. Zarek, Otto 55, 57 Ziegler, Konrat 33, 45f., 87, 95, 100–102, 182, 288, 646, 756, 794 Ziegler, Matthes 346–348 Ziehen, Theodor 84 Ziethen, Hans-Joachim 579 Zingel, Rudolf 240, 633 Zucker, Konrad 85f., 749