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German Pages 628 Year 2023
Nicholas Maniu Queere Männlichkeiten
Image Band 228
Für Barbara, Christine, Mara, Danijel und Erdem. My (extended) family – ohne euch hätte ich es nicht geschafft! Mein großer Dank geht auch an David Halperin, Christopher Reed, Benjamin Wilck, Christine Tauber sowie das Forum Queeres Archiv München und die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung.
Nicholas Maniu, geb. 1985, ist Kunsthistoriker und arbeitet im Lenbachhaus München sowie im Forum Queeres Archiv München. Er promovierte bei Prof. Dr. Christine Tauber an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Queer Studies, Ikonographie/Ikonologie sowie Visual Culture Studies.
Nicholas Maniu
Queere Männlichkeiten Bilderwelten männlich-männlichen Begehrens und queerer Geschlechtlichkeit
Dissertationsschrift an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.
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Inhalt
I.
Einleitung ................................................................................. 7
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik...................................... 15 II.1 Begriffe und Konzepte .................................................................... 15 II.1.1 Männlich-männliches Begehren & Homosexualität(en)............................... 16 II.1.2 Konstruktivismus & Essenzialismus ................................................ 19 II.1.3 Devianz & Queerness .............................................................. 22 II.2 Palimpsest: Konstruktion und historische Diskursivierung queerer Männlichkeit(en) ........ 30 II.2.1 Handlungsorientierte Diskursivierungen – Päderastie, Sodomie und Amicitia ........ 34 II.2.2 Personenorientierte Diskursivierungen – Invertiten, Effeminierte und Homosexuelle ................................................................ 42 II.3 Eingebildete Männlichkeit: Die Konstituierung des ›männlichen‹ Körpers ................... 49 II.3.1 Umkämpfte Geschlechter-Modelle .................................................. 51 II.3.2 Körper-Grenzen ................................................................... 54 II.3.3 The Male Gaze – Der machtvolle Blick .............................................. 58 II.4 Inszenierungsmechanismen devianter Männlichkeiten und gleichgeschlechtlichen Begehrens: Kunsttheoretischer Ansatz und Methodik .............. 62 II.4.1 Inszenatorische Triade zur Darstellung queeren Begehrens: Körper – Attribute – Raum......................................................... 65 II.4.2 Camp: Eine queere Appropriationsstrategie .........................................72 II.4.3 Forschungstheoretische Desiderate: Weiblich-weibliches Begehren, Inter- und Transgeschlechtlichkeit ................................................ 78 III. Hauptteil ................................................................................ 85 III.1 Figurationen der Lust – Motive der paganen Antike und ihre Rezeption im Kontext männlich-männlichen Begehrens ................................................. 85 III.1.1 »›Wenn er sich nicht selbst kennenlernt‹«: Narziss und das Motiv der Spiegelung .. 86 III.1.2 Ambivalente Körper: Von Epheben, ›Hermaphroditen‹ und Herkulessen .............102 III.1.3 Paiderastia: Das Erbe der olympischen Päderasten................................. 127 III.1.4 Von kriegerischem Erotizismus zu erotisiertem Militarismus........................146
III.1.5 Apoll und Marsyas: Im Spannungsfeld zwischen apollinischem ›Ideal‹ und dionysischem Exzess .........................................................163 III.2 Figurationen des Verbotenen – Das christliche Vermächtnis sublimierten und geahndeten Verlangens .................................................................. 179 III.2.1 Monströse Körper: Die verdrehte Körperlichkeit der Sodomiten und ihre Nachwirkungen ..........................................................180 III.2.2 Amicitia: Saul, David und Jonathan – Jesus und Johannes – erastês und erômenos?........................................................... 206 III.2.3 Donatellos und Michelangelos David: Von der Renaissance zur Verqueerung begehrenswerter Körper ............................................ 225 III.2.4 Jakobs Kampf mit dem ›Engel‹: Die Externalisierung internalisierter Homophobie...................................................... 237 III.2.5 Der hl. Sebastian: Gefangen zwischen Eros und Thanatos ......................... 258 III.3 Präfigurationen homosexueller Identität(en) – Neuzeitliche Motive männlichmännlichen Begehrens und queerer Geschlechtlichkeit................................... 286 III.3.1 Mode und Körpersprache als Ausdruck einer queeren Semiotik (I): Macaronis, Dandys, Gay Machos und ›Tunten‹ ..................................... 288 III.3.2 Mode und Körpersprache als Ausdruck einer queeren Semiotik (II): Mollies, Drag Queens und das transgressive Potential der Travestie .................321 III.3.3 Romantisierte Projektionen auf das ›Andere‹ oder Die Homoerotisierung des ›Orients‹? ................................................. 348 III.3.4 Queere Räume (I): Situative Räume und die ›flüchtige Architektur‹ männlich-männlichen Begehrens ................................................. 372 III.3.5 Queere Räume (II): Konkrete Architektur als Ausdruck queerer Identität(en) ........ 393 IV. Ausblick: Manifestationen und Kontestationen queerer Identität(en) im 20. und 21. Jahrhundert ......................................................................... 421 V.
Bibliographie .......................................................................... 429
VI. Abbildungsteil .......................................................................... 491
I. Einleitung
»Am Anfang war die Beleidigung.«1 Mit diesen Worten beginnt der französische Soziologe Didier Eribon sein erstmals 2019 in deutscher Sprache veröffentlichtes Buch Betrachtungen zur Schwulenfrage (in frz. Sprache zuerst 1999), in welchem er sich mit der Diskursivierung von Homosexualität im ausgehenden 19. und 20. Jahrhundert beschäftigt. Eribons pointierter Satz macht dabei auf einen Umstand aufmerksam, der für jedwede Auseinandersetzung mit Themen jenseits heteronormativer Strukturen von Bedeutung ist: Innerhalb einer Kultur bzw. Gesellschaft, die nach wie vor von binären Geschlechtervorstellungen dominiert wird, ist die Wahrnehmung und (Selbst-)Darstellung von abweichenden geschlechtlichen und sexuellen Positionen immer nur in unmittelbarer Abhängigkeit von diesen kulturellen bzw. gesellschaftlichen Strukturen möglich. Die Ahndung bzw. Reglementierung männlich-männlichen Verlangens und queerer Männlichkeiten ist dabei unweigerlich auch in die Textur ihrer (Ab-)Bilder eingeschrieben.2 Ebendiesen zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung changierenden Bildfindungsprozessen, ihrer Geschichte und ihrem revolutionären Potential gilt im Folgenden das Interesse. Diese Arbeit3 versteht sich dabei als Ergänzung und Ausweitung bereits existierender Publikationen, allen voran Cecil L. Beurdeleys L’Amour Bleu (zuerst 1978), James Saslows Pictures and Passions (1999), Dominique Fernandez’s A Hidden Love (2002) sowie Catherine Lords und Richard Meyers Art & Queer Culture (2013).4 Doch während 1 2
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Eribon, Didier: Betrachtungen zur Schwulenfrage. Berlin 2019, S. 25. Whitney Davis erläutert hierzu: »[M]odern Western homoeroticism had been created homophobically; they [queere Menschen, NM] had partly accepted their impossibility, imaginariness or unacceptability as the very condition of social and cultural expression.« (Davis, Whitney: ›Homosexualism‹, Gay and Lesbian Studies, and Queer Theory in Art History, in: Cheetham, Mark A. et al. (Hrsg): The Subjects of Art History. Historical Objects in Contemporary Perspectives, Cambridge 1998, S. 115–143; hier: S. 123 (Kursivschrift übernommen, NM)). Die vorliegende Arbeit stellt eine Weiterentwicklung meiner Magisterarbeit dar. Vgl. Maniu, Nicholas: Ikonographie des Verlangens. Die Darstellung von männlich-männlichem Begehren in der Kunst, unveröffentlichte Magisterarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München 2013. Vgl. Beurdeley, Cecile: L’Amour Bleu. Die homosexuelle Liebe in Kunst und Literatur des Abendlandes, Köln 1994; Saslow, James M.: Pictures and Passions. A History of Homosexuality in the Visual Arts, Harmondsworth (Middlesex) 1999; Fernandez, Dominique: A Hidden Love. Art and Homo-
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Queere Männlichkeiten
Beurdeley, Saslow und Fernandez sich in ihren ebenso umfangreichen wie fundierten Monographien vorrangig auf das Zusammentragen einer Materialsammlung und die Etablierung eines ›schwulen Figurenkanons‹5 konzentrieren, interessiert sich die vorliegende Untersuchung für die Veränderungen und palimpsestartigen Überlagerungen queerer Ikonographien und will, unter verstärkter Einbindung der sich wandelnden Geschlechter- und Sexualitätsdiskurse, die Inszenierungsmechanismen queerer Bildsprachen in Relation zu den jeweils vorherrschenden Männlichkeits- und Wertevorstellungen setzen. Damit wird ein queer-theoretischer Gedanke aufgegriffen, wie ihn Lord und Meyer für das 20. und 21. Jahrhundert formuliert haben und in diachroner Weise von der paganen Antike über das christliche Mittelalter und die Neuzeit bis in die Gegenwart verfolgt. Oder kurz gesagt: Diese epochen- und medienübergreifende Arbeit begreift queere Bilder und Motive als visuelle Palimpseste, in denen sich eine zwischen Oppression und Emanzipation oszillierende Diskursgeschichte widerspiegelt. Die anschließende Analyse jener (kunst-)historischen Schichtungen will zur Ausweitung der kunstwissenschaftlichen Perspektive sowie zur Historisierung queerer Positionen beitragen. Ein derartiges Vorhaben sieht sich schnell mit dem Vorwurf des Anachronismus und der Politisierung konfrontiert.6 Ein Blick in die Vergangenheit macht jedoch deutlich, dass gleichgeschlechtliches Begehren (wohl aber nicht Homosexualität) und ›abweichende‹ Männlichkeitsbilder zu jeder Zeit und in jedem Kulturkreis vorkamen, insofern ist es durchaus legitim, wenn nicht sogar notwendig zu fragen, ob und wie diese Aspekte dargestellt wurden. Diese Auseinandersetzung ist indes nicht nur für eine kleine Gruppe von Interesse, sondern gewährt tiefe Einblicke in die (Macht-)Strukturen und Mechanismen der jeweils vorherrschenden Geschlechter-, Lust- und Körperordnungen.7 Dem Vorwurf der Politisierung bzw. der Verfolgung einer politischen ›Agenda‹ soll entgegengestellt werden, dass es nicht die Intention dieser Arbeit ist, Künstler_Innen oder Kunstwerke als ›homosexuell‹ zu vereinnahmen, sondern historisch variierende Konzepte und Darstellungen männlich-männlicher Sexualität und queerer Geschlechtlichkeiten zusammenzutragen, zu analysieren und zu kontextualisieren. Um ebenjenes Unterfangen umzusetzen, bedient sich die nachfolgende Analyse eines an Erwin Panofsky (1892–1968) angelehnten ikonographischen/ikonologischen Ansatzes, der die Inszenierung männlich-männlichen Begehrens und queerer bzw. devianter Männlichkeiten als Produkt einer langwierigen und komplexen Geschichte von Unterdrückung, Verfolgung und Liberalisierung begreift.8 Hierbei gilt es zu beachten,
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sexuality, München et al. 2002; und. Lord, Catherine; Meyer, Richard (Hg.): Art & Queer Culture. London und New York 2013. Vgl. Keilson-Lauritz, Marita: Ganymed trifft Tadzio. Überlegungen zu einem ›Kanon der Gestalten‹, in: Härle, Gerhard; Popp, Wolfgang; Runte, Annette (Hg.): Ikonen des Begehrens. Bildsprachen der männlichen und weiblichen Homosexualität in Literatur und Kunst, Stuttgart 1997, S. 23–40. Vgl. Davis 1998, S. 121ff. Eve Sedgwick unterscheidet zwischen einer minoritizing (›nur‹ eine Minderheit betreffend) und universalizing view (die gesamte Gesellschaft betreffend). Vgl. Sedgwick, Eve Kosofsky: Epistemology of the Closet. Berkeley, Los Angeles und London 2008, S. 43f. Siehe hierzu Erwin Panofskys dreistufiges Interpretationsmodell der Ikonologie, in dem er zwischen »Phänomensinn« (Stufe 1: Die vorikonographische Beschreibung), »Bedeutungssinn« (Stufe
I. Einleitung
dass es aufgrund der besagten oppressiven Vergangenheit jenseits der Antike lange Zeit kaum explizite Visualisierungen dieser Sujets gab und abweichende Geschlechtlichkeiten und Sexualitäten dementsprechend zumeist bloßer (inoffizieller) Subtext blieben. Konkretere Darstellungen finden sich nach der Antike deshalb mehrheitlich entweder in einem christlich-moralisierenden Kontext (Sodomitendarstellungen) oder in den ›niederen‹ Künsten, wie z.B. erotischen und pornographischen Illustrationen. Nichtsdestotrotz gibt es auch unverhohlen homoerotische Kunstwerke von kanonisierten Künstler_Innen, wie z.B. Albrecht Dürers Das Männerbad (vgl. Abb. 148).9 Es ist insbesondere das sich hier bereits abzeichnende Changieren zwischen Text und Subtext bzw. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, welches nicht nur ein bedeutsames Charakteristikum queerer Bilderwelten ist, sondern zugleich auch die Komplexität dieser Thematik belegt. Die Geschichte der Inszenierung männlich-männlichen Verlangens und queerer Männlichkeiten ist – ähnlich wie der historisch variierende Geschlechter- und Sexualitätsbegriff – gekennzeichnet durch Veränderungen und Widersprüchlichkeiten. All diese Brüche und Unstetigkeiten stehen laut Christopher Reed in starkem Kontrast zum Fach der Kunstgeschichte selbst, welches in großen Teilen auf der fundamentalen Annahme einer kontinuierlichen Entwicklung beruhe.10 Die Geschichte der Kunst und des männlich-männlichen Begehrens stünden sich diametral gegenüber, wie der Kunsthistoriker weiter erklärt.11 Entgegen der gängigen Vorstellung von einer entwicklungsorientierten und stark hierarchisierten Kunstgeschichte wird diese doch – und darauf weist auch Reed explizit hin – von zahlreichen Brüchen, Divergenzen und Rück-
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2: Ikonographie) und »Dokumentsinn« (Stufe 3: Ikonologie) unterscheidet. (Panofsky, Erwin: Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst. In: Derselbe: Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft. Hg. von Hariolf Oberer und Egon Verheyen, Berlin 1992, S. 85–99, hier S. 95); die ikonographische Analyse fragt nach dem »konventionellen Bedeutungssinn«, der mittels »herkömmlicher literarischer Quellen und Kulturvertrautheit erkannt wird«. (Kopp-Schmidt, Gabriele: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung, Köln 2004, S. 52); die Ikonologie hingegen ist »eine Interpretationsmethode, die aus der Synthese, nicht aus der Analyse hervorgeht«. (Panofsky, Erwin: Ikonographie und Ikonologie. In: Kaemmerling, E. (Hg.): Bildende Kunst als Zeichensystem. Ikonographie und Ikonologie, Band 1: Theorien – Entwicklung – Probleme, Köln 1979, S. 207–225; hier: S. 214); die »Synthese«, von der Panofsky spricht, meint hierbei die Einbeziehung aller zeitgenössischen ›externen‹ Faktoren, wie etwa den Auftraggeber, die zur Entwicklung eines Bildprogramms konsultierten Quellen usw. Die ikonologische Interpretation »verschiebt das Interesse des Betrachters von der ikonographischen Deutung zu einem Verständnis des Bildwerkes als Quelle (Dokument) für das Verständnis der Epoche« und bringt somit oftmals »[u]nbewusste Bildinhalte« zum Vorschein (Kopp-Schmidt 2004, S. 60 und S. 57). Vgl. hierzu Saslow 1999, S. 92f. Vgl. Reed, Christopher: Art and Homosexuality. A History of Ideas, Oxford und New York 2011, S. 4. Reed schreibt: »[T]he history of art, which is usually based on assumptions of continuity, is not easily integrated with the history of homosexuality, which is conventionally premised on alienation. The power of the art market, in which art derives much of its worth from claims for universal aesthetic appeal, augment these divisions and helps explain the defensiveness of many artists, gallerists, and curators toward linking the history of art with the alienating history of homosexuality.« (Ebd.).
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griffen bestimmt.12 Genauso wie die von Michel Foucault theoretisierte Geschichte der Sexualität bietet auch die der Kunst kein einheitliches und kontinuierliches Narrativ.13 Die vorliegende Arbeit ignoriert diesen verunsichernden, um nicht zu sagen queeren Aspekt sowohl der Kunstgeschichte als auch der Sexualitäts- und Geschlechtergeschichte nicht, sondern begreift ihn als essenziellen Bestandteil der zu untersuchenden Bildwelten, da sich gerade darin der ephemere und transgressive Charakter queerer bzw. devianter Männlichkeiten und gleichgeschlechtlichen Begehrens manifestiert. Wenn nun im Folgenden also davon ausgegangen wird, dass es eine Art ikonographischen bzw. ikonologischen ›roten Faden‹ in den Inszenierungen männlich-männlichen Verlangens gibt, so geschieht dies aufgrund der lediglich fragmentarisch rekonstruierbaren Vergangenheit in einem gänzlich anderen Bezugsrahmen als ihn etwa eine Auseinandersetzung mit christlicher Ikonographie bieten würde. Daher orientiert sich diese Arbeit auch verstärkt an den von Aby Warburg (1866–1929) in seiner Pathosformel und in seinem Reisebericht Schlangenritual (postum 1938/39 veröffentlicht) erörterten Gedanken über das Nachleben und die Kontinuität von Bildern als – überzeitlich und -regional wiederkehrende – motivgeschichtliche (Grund-)Konstanten.14 In Letzterem strebt Warburg eine »transkulturelle Erforschung von Mythos, Ritual und Symbolbildung« an, indem er die Schlangensymbolik amerikanischer Urvölker mit den antiken Themen des Laokoon sowie des Asklepios vergleicht.15 In Ersterem verfolgt er die Darlegung »universal gültiger ›Urformen‹« des emotionalen Ausdrucks, deren Ursprung er in der »pathetische[n] Gebärdensprache der antiken Kunst« vermutet.16 Dieser von Warburg als Pathosformel bezeichnete Gedanke beruht, ebenso wie das Schlangenritual, auf einem transkulturellen, transnationalen und transtemporalen Ansatz, den auch diese Arbeit aufgreifen und weiterentwickeln möchte, ohne allerdings den historischen Kontext zu übersehen – damit versteht sich die folgende Untersuchung schließlich auch dezidiert als Teil der Visual Culture Studies.17 Ehe eine solche kunsthistorische bzw. bildkulturelle Auseinandersetzung erfolgen kann, bedarf es zunächst jedoch einer ausführlichen forschungstheoretischen Grundlage, die im weiteren Verlauf anhand eines fundierenden Methodikkapitels erbracht wird. An erster Stelle steht eine genaue Analyse und Differenzierung zentraler Begrifflichkeiten und Konzepte: In Anlehnung an Foucaults Sexualität und Wahrheit I (zuerst 1976) so12 13 14
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Vgl. ebd., S. 4f. Vgl. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt a.M. 1983; der Originaltitel der mehrbändigen Reihe lautet Histoire de la sexualité. Siehe Warburg, Aby: Dürer und die italienische Antike. Leipzig 1906 (Erstausgabe), S. 55–60, photographische Reproduktion des Vortragtextes in: Kat. Ausst. Die entfesselte Antike. Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel, Wallraf-Richartz-Museum und Fondation Corboud 2012, Köln 2012, S. 86–93; siehe zudem Warburg, Aby: Schlangenritual. Ein Reisebericht, editiert von Fritz Saxl und Gertrud Bing, Berlin 2011, S. 9–79. Raulff, Ulrich: Nachwort. In: Warburg, Aby M.: Schlangenritual. Ein Reisebericht, editiert von Fritz Saxl und Gertrud Bing, Berlin 2011, S. 79–129; hier: S. 88; vgl. zudem Warburgs Vortragstext Warburg 2011, S. 9–79; für die Vergleiche mit der Antike hier vor allem S. 56ff. Wedepohl, Claudia: Von der »Pathosformel« zum »Gebärdensprachatlas«. In: Kat. Ausst. Die entfesselte Antike. Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel, Wallraf-Richartz-Museum und Fondation Corboud 2012, Köln 2012, S. 33–51; hier: S. 42. Warburg 1906/2012, S. 88.
I. Einleitung
wie David Halperins How to do the History of Homosexuality (zuerst 2002) gilt es zuerst, den geschichtsträchtigen Terminus der Homosexualität zu erläutern und zu erklären, weshalb er zumindest für die Zeit vor dem 20. Jahrhundert in dieser Arbeit durch die Umschreibung ›männlich-männliches Verlangen/Begehren‹ ersetzt wird.18 Damit in direktem Zusammenhang steht auch die darauf folgende Gegenüberstellung konstruktivistischer und essenzialistischer Erklärungsmodelle für die Existenz gleichgeschlechtlicher Sexualität sowie die Besprechung und Erläuterung des Devianz- und Queerness-Begriffs. Im Anschluss daran erfolgt ein zweiteiliger historischer Abriss über die verschiedenen Diskursivierungsversuche queerer Männlichkeiten bzw. Sexualitäten und deren Nachund Wechselwirkungen.19 Unter dem Titel Eingebildete Männlichkeit widmet sich der dritte Punkt den kulturellen Darstellungskonventionen der Geschlechter, wobei dem männlichen Körper als erotisches Objekt besondere Aufmerksamkeit zukommt.20 Im vierten und letzten Punkt der Methodik geht es dann zum einen um kunsthistorische und ästhetische Inszenierungsstrategien zur Darstellung queerer Geschlechtlichkeiten und Sexualitäten – von besonderer Relevanz erweist sich hier die Strategie der Appropriation.21 Zum anderen sollen mit weiblich-weiblichem Begehren und Trans- sowie Intergeschlechtlichkeit noch forschungstheoretische Desiderate explizit benannt werden, die in den folgenden Seiten zwar angeschnitten, aber bei weitem nicht erschöpfend besprochen werden. Im dreiteiligen Hauptteil richtet sich der Fokus auf die kunsthistorische Betrachtung männlich-männlichen Begehrens und queerer Männlichkeiten. Unter den Titeln Figurationen der Lust, Figurationen des Verbotenen und Präfigurationen homosexueller Identität(en) wird der Wandel pagan-antiker, christlicher und neuzeitlicher Motive, die im Zusammenhang mit gleichgeschlechtlicher Sexualität und/oder queeren Geschlechtlichkeiten stehen, bis in das 21. Jahrhundert exemplarisch analysiert – der hier verwendete Begriff der ›(Prä-)Figuration‹ nimmt dabei Bezug auf Gottfried Boehms Aufsatz Die ikonische Figuration (2007) und meint »ein visuelles Hervortreten von Etwas, eine auf Dauer gestellte Genese«.22 Dies bedeutet, dass die einzelnen Unterkapitel sich immer nur auf eine bestimmte Figur oder ein spezifisches Thema fokussieren und diese bzw. dieses bis in die Gegenwart verfolgen. Durch diese diachronische Vorgehensweise können die vi-
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Siehe Foucault 1983, S. 47; vgl. zudem Halperin, David: How to do the History of Homosexuality. Chicago und London 2004, S. 9. Siehe hierzu Dubermann, Martin B.; Vicinus, Martha; Chauncey, George Jr. (Hg.): Hidden from History. Reclaiming the Gay and Lesbian Past, New York 1989; vgl. zudem Woods, Gregory: A History of Gay Literature. The male tradition, New Haven und London 1998. Siehe Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a.M. 1991; siehe Bordo, Susan: The Male Body. A New Look at Men in Public and in Private, New York 2000; vgl. zudem Mulvey, Laura: Visual Pleasure and Narrative Cinema. In: Dies.: Visual and Other Pleasures. Bloomington and Indianapolis 1989, S. 14–28. Siehe hierzu Sontag, Susan : Notes on »Camp«. In: Cleto, Fabio (Hg.): Camp: Queer Aesthetics and the Performing Subject, Edinburgh 2008, S. 53–65. Boehm, Gottfried: Die ikonische Figuration. In: Boehm, Gottfried; Brandstetter, Gabriele; von Müller, Achatz (Hg.); Figur und Figuration. Studien zu Wahrnehmung und Wissen, München 2007, S. 33–55; hier: S. 36.
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Queere Männlichkeiten
suellen Kontinuitäten und Divergenzen sowohl innerhalb hegemonialer Ordnungen als auch innerhalb queerer Gegen- bzw. Un-Ordnungen deutlich herausgearbeitet werden. Obwohl im Zuge dieses Unterfangens eine umfangreiche Auswahl an Themen Beachtung findet, kann und wird kein Vollständigkeitsanspruch erhoben. Die im Vorfeld getroffene Auslese an Themen und Kunstwerken orientiert sich zum einen daran, wie häufig bestimmte Motive und Figuren in der bisherigen wissenschaftlichen Literatur auftauchen und als Bestandteil eines ›queeren Gestaltenkanons‹ gelten (hl. Sebastian, olympische Päderasten etc.) – von entscheidender Bedeutung für die Zusammenstellung war neben Beurdeley (zuerst 1978), Saslow (1999), Fernandez (2002) sowie Lords und Meyers (2013) vor allem Reeds Monographie Art and Homosexuality (2011), in welchem er sich mit der Verbindung von ›Homosexualität‹ und den kulturellen Konzeptionen von Künstler_Innen auseinandersetzt.23 Zum anderen kristallisierten sich bei der Sichtung des Materials auch noch Themen heraus, die insbesondere aus kunsthistorischer Perspektive noch nicht ausreichend besprochen wurden (das Spiel mit geschlechtsspezifischen Modemarkern, queere Räumlichkeiten etc.). Aufgrund der Seltenheit expliziter Darstellungen vor dem 20. Jahrhundert sei zudem angemerkt, dass sich die Auswahl nicht auf ein Medium beschränkt, sondern sowohl Malerei, Skulptur, Architektur und Kunsthandwerk als auch Grafiken, Illustrationen, Photographien und Filme gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Beginnend mit der polymorphen und -sexuellen Bilderwelt griechisch- bzw. römisch-antiker Gottheiten und Heroen, werden innerhalb dieses ersten Unterkapitels des Hauptteils einige inszenatorische Strategien und Motive beleuchtet, die bis heute Vorbildfunktion für die Ausformung queerer Bildwelten haben. Zunächst gilt das Interesse dem mythischen Narziss (III.1.1), dessen Selbstbespiegelung im Kontext dieser Untersuchung als Sinnbild eines ›Selbsterkennungsprozesses‹ bzw. einer ›Begehrenserkenntnis‹ gedeutet wird und damit im besonderen Maße die Intention dieser Arbeit verkörpert. Das visuelle Spiel mit geschlechtlichen Ambivalenzen steht im darauffolgenden Kapitel im Vordergrund (III.1.2) und soll u.a. anhand von Figuren wie Antinoos, Hermaphroditos und Herakles erforscht werden. Das sich hier eröffnende Spektrum ambivalenter Körper und Geschlechter ermöglicht einen differenzierten Blick auf die sich wandelnden Körperkonzeptionen und deren Rolle innerhalb einer queeren Ikonographie. Während es sich bei den zuvor betrachteten Bildmotiven stets um Einzelfiguren handelt, will das Kapitel III.1.3 einen Blick auf olympische Päderastenpaare, wie etwa Zeus und Ganymed, werfen. Es geht hierbei nicht nur darum, den Inszenierungsmechanismen derartiger Beziehungskonstellationen auf den Grund zu gehen, sondern auch auf deren teilweise problematisches Erbe hinzuweisen. Am Beispiel eines mythischen (Achill und Patroklos) sowie eines historischen (Harmodios und Aristogeiton) Päderastenpaares soll daran anschließend (III.1.4) die komplexe Wechselwirkung zwischen kriegerischem Erotizismus und erotisiertem Militarismus beleuchtet werden. Den Abschluss des pagan-antiken Kapitels stellt eine Auseinandersetzung mit dem dialektischen Motiv des Apoll-und-Marsyas-Mythos dar (III.1.5). Von Friedrich Nietzsches theoretischen Überlegungen in Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (zuerst 1872) ausgehend, werden Apoll und Marsyas als Visualisierung eines internalisierten 23
Vgl. Reed 2011.
I. Einleitung
Konflikts zwischen apollinischer, d.h. gesellschaftlicher Ordnung, und dionysischer, d.h. sexueller Erfüllung gedeutet.24 Indem die gesellschaftliche Reglementierung der Sexualität zum ikonographischen Bestandteil wird, gerät dieser Mythos zur Präfiguration der Eros-Thanatos-Thematik, wie sie uns später in ähnlich expliziter Weise am Beispiel des hl. Sebastian begegnen wird. Im zweiten Abschnitt des Hauptteils geht es um die von Paradoxien durchdrungenen Darstellungen männlich-männlichen Verlangens und queerer Geschlechtlichkeiten im Kontext einer christlichen Bildtradition. Im Vordergrund steht hierbei die explizite Aneignung und Überlagerung von zum Teil negativ konnotierten Motiven mit (queer-)emanzipatorischen Inhalten. In den ersten beiden Unterkapiteln werden zwei konträre und für das Christentum zentrale Diskursivierungen männlich-männlicher Beziehungen gegenübergestellt: Auf der einen Seite steht die monströse Gestalt des Sodomiten, der den im christlichen Kontext tabuisierten amor carnalis repräsentiert (III.2.1). Das in Sodomitendarstellungen häufig vorzufindende Motiv verdrehter und monströser Körperlichkeit soll zum Anlass genommen werden, um über die für queere Bildfindungsprozesse relevante Appropriation ›negativ‹ beladener Figuren und Motive nachzudenken. Auf der anderen Seite steht die im Christentum akzeptierte Form männlich-männlicher Beziehungen: die amicitia (III.2.2). Diese wird u.a. durch die vergeistigt-idealisierte ›Freundschaft‹ zwischen Jesus und Johannes verkörpert und spiegelt, trotz augenscheinlicher Parallelen zur antiken Päderastie, die für die christliche Morallehre entscheidende Hierarchisierung des Geistes über den Körper wider. Das gemäß der christlichen Vorstellung prekäre Verhältnis zwischen Körper und Geist ist auch Untersuchungsgegenstand in Kapitel III.2.3: Am Beispiel einer ausführlichen Betrachtung von Donatellos und Michelangelos Davidstatuen soll das Spannungsverhältnis zwischen der pagan-antiken und christlichen Körpervorstellung aufgezeigt und die anhaltende Relevanz konkurrierender Körperkonzeptionen erörtert werden. Um eine andere Form von Duell geht es im nächsten Kapitel (III.2.4), welches die queere Appropriation der alttestamentlichen Geschichte von Jakobs Kampf mit dem Engel als Sinnbild für den inneren Kampf mit dem eigenen Begehren bzw. der eigenen Identität zum Thema hat. Das Ende des zweiten Oberkapitels bestreitet der hl. Sebastian (III.2.5), dessen erotisierte Darstellung ab der Renaissance die von Daniela Bohde formulierte Frage aufwirft, ob der Märtyrer nicht ein Heiliger der Sodomiten sei.25 Der von zahlreichen Pfeilen penetrierte aber stets ansehnliche Körper des ehemaligen römischen Soldaten wird durch einen Akt der Appropriation und Umdeutung zur passenden Projektionsfläche für homosexuelle und queere Künstler_Innen, die in ihm ein Lustobjekt, eine Identifikationsfigur und einen Schutzpatron sehen. Im dritten und letzten Oberkapitel geht es um drei große Themenkomplexe, die sich im Zuge der Neuzeit als essenzielle Aspekte einer queeren Motivik herauskristallisieren.
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Vgl. Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie. In: Colli, Giorgio; Montinari, Mazzino (Hg.): Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe, Band 1, München et al. 1980, S. 9–156. Vgl. Bohde, Daniela: Ein Heiliger der Sodomiten? Das erotische Bild des hl. Sebastian im Cinquecento, in: Fend, Mechthild; Koos, Marianne (Hg.): Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierung in der Kunst seit der Frühen Neuzeit, Köln et al. 2004, S. 79–98.
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So behandeln die ersten beiden Unterkapitel etwa das Thema Mode: Während es in Kapitel III.3.1 hauptsächlich um die Konstituierung sowie Übertretung ›männlicher‹ Kleidungs- und Ausdruckskonventionen geht, fokussiert Kapitel III.3.2 das transgressive Potential der Travestie. Das anschließende Kapitel beschäftigt sich mit der Rolle, die nicht-europäische bzw. nicht-westliche Kulturen im Hinblick auf die Entstehung dezidiert queerer Bildwelten spielen (III.3.3). Exemplarisch hierfür soll die westliche Konzeption des ›Orients‹ analysiert werden, diente dieser doch bereits im 18. Jahrhundert europäischen bzw. westlichen Kunstschaffenden als romantisierter Sehnsuchtsort. In den beiden abschließenden Kapiteln geht es sodann noch um die Frage, inwiefern sich geschlechtliche und sexuelle Andersartigkeit auch auf räumlicher Ebene äußern kann, wobei zwischen situativ-ephemeren und konkret-materiellen Räumen unterschieden wird: Ersteres Kapitel (III.3.4) untersucht Räume, die unabhängig von einem konkreten architektonischen Kontext sind und primär aufgrund ihrer Rolle als soziale Treffpunkte als queer bezeichnet werden können (Toiletten, Cruising-Areale im Wald etc.). Letzteres Kapitel (III.3.5) hingegen will ergründen, ob sich Queerness auch unmittelbar in gebauter Architektur ausdrücken kann. Zur Klärung dieser Frage werden u.a. einige der architektonischen Hinterlassenschaften von Horace Walpole, William Beckford und dem bayerischen König Ludwig II. betrachtet, gelten diese drei Bauherren laut dem gegenwärtigen Forschungsstand doch im weitesten Sinne als ›queer‹. Am Beispiel aller hier aufgelisteten Themen kann die ab der Neuzeit stetig zunehmende Zuspitzung einer Vergeschlechtlichung gesellschaftlicher und kultureller Aspekte aufgezeigt werden, die sich bis heute auf die Ausformung (hetero-)normativer und queerer Visualitäten auswirkt.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
II.1 Begriffe und Konzepte Eine historisch übergreifende Auseinandersetzung mit den Inszenierungsmechanismen gleichgeschlechtlichen Begehrens unter dem Vorzeichen queerer bzw. devianter Männlichkeiten erfordert ein klares Bewusstsein von den damit verbundenen Problemen. Diese beginnen schon auf begrifflicher Ebene: Es herrscht, insbesondere im Kontext der Sexualitäts- und Geschlechterforschung, eine grundsätzliche (und durchaus berechtigte) Skepsis gegenüber der Betrachtung etablierter Bezeichnungspraktiken, da diese, wie bereits von der französischen Psychoanalytikerin und Kulturtheoretikerin Luce Irigaray festgehalten wurde, einer phallogozentrischen Sprache entspringen.1 Besagtem Phallogozentrismus, der den (heteronormativen) Mann als sprachliches wie auch kulturelles Zentrum denkt, von dem aus sich das Andere (gemeint ist alles NichtMännliche) konstituiert, kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu, die sich sowohl im Sprachlichen wie auch im Künstlerischen äußert.2 Die vorangestellte Erläuterung themenrelevanter Termini dient somit zum einen der Offenlegung dieser komplexen
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Irigaray bezieht sich hier auf ihre Muttersprache Französisch, die bekannt für die grammatikalische Unterjochung des Weiblichen ist. So wird z.B. aus der 3. Person Plural ›elles‹ ein ›ils‹, sobald sich auch nur eine männliche Person in der umschriebenen Gruppe befindet. Doch auch im Deutschen und Englischen lassen sich ähnliche Muster erkennen: Im Englischen meint z.B. das Wort ›man‹ nicht nur den Mann, sondern auch den Menschen an sich. Die deutsche Sprache fällt u.a. mit dem Gebrauch des generischen Maskulinums auf, das Frauen ebenfalls in die Unsichtbarkeit drängt. Entgegen aller Kritik an der feministischen Linguistik verbleibt die Tatsache einer sprachlichen und damit letztlich auch kulturellen Hierarchisierung des Maskulinen über das Feminine bestehen. Allerdings wird auch diese Arbeit im Zuge einer sprachlichen Simplifizierung auf das generische Maskulinum zurückgreifen. An Stellen, an denen die betonte Hervorhebung weiblicher bzw. queerer Präsenz wichtig erscheint, soll dies jedoch durch ›gendergerechte‹ Sprache expliziert werden. Vgl. hierzu Irigaray, Luce: Das Geschlecht, das nicht eins ist. Berlin 1979 u.a. S. 80 und 82; vgl. zudem Butler 1991, S. 27ff; in Bezug auf die deutsche Sprache vgl. u.a. Trömel-Plötz, Senta: Linguistik und Frauensprache. In: Linguistische Berichte 57 (1978), S. 49–68. Zum Begriff der Heteronormativität vgl. Warner, Michael: Introduction. In: Warner, Michael (Hg.): Fear of a Queer Planet. Queer Politics and Social Theory, Minneapolis und London 1994, S. VII–XXXI; hier besonders S. XIII und XXIff.
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Queere Männlichkeiten
Verflechtung sprachlicher bzw. begrifflicher und kultureller Konventionen, deren Bewusstmachung überhaupt erst eine wissenschaftliche Herangehensweise ermöglicht. Zum anderen – und das wird innerhalb dieser Arbeit zu zeigen sein – speist sich die Bildtradition bzw. Visualität gleichgeschlechtlichen Begehrens und queerer Männlichkeiten gerade in der Zeit nach der Französischen Revolution vor allem aus der ästhetischen Rebellion gegen jenen normierten und als universal geltenden Phallogozentrismus.
II.1.1
Männlich-männliches Begehren & Homosexualität(en)
Eine Vielzahl von Publikationen, die sich der Aufarbeitung einer ›homosexuellen Kunstgeschichte‹ gewidmet haben, wie z.B. Fernandez‹ A Hidden Love (2002), Saslows Pictures and Passions (1999) sowie Beurdeleys L’amour bleu (zuerst 1978), neigen oftmals dazu, den Begriff der Homosexualität epochenübergreifend als Synonym für männlich-männliche Sexualität zu verwenden.3 Dies ist nicht zwangsläufig falsch oder anachronistisch, verkennt jedoch die umfassende Geschichte des Terminus und dessen untrennbare Verknüpfung mit seinem Entstehungskontext. Es herrscht Uneinigkeit darüber, wann der Begriff Homosexualität zum ersten Mal auftaucht. Für Foucault gilt der Psychiater und Neurologe Carl Westphal mit seinem Artikel über Die conträre Sexualempfindung von 1870 als prägende Instanz für den Terminus.4 Whitney Davis hingegen korrigiert die Zuschreibung auf 1869 und spricht sie vielmehr dem Theoretiker Karl Maria Kertbeny zu.5 Während für Westphal als Mediziner der Ausdruck der Homosexualität eindeutig mit einer Pathologisierung einherging, fasste der Schwulenaktivist Kertbeny ihn als emanzipatorische Alternative zur abwertenden Bezeichnung des Sodomiten auf.6 Diese widerstreitenden Annahmen belegen die Historizität des Begriffs und dessen Verbundenheit mit der Entstehungszeit des 19. Jahrhunderts sowie mit modernen Vorstellungen von Sexualität und Persönlichkeit, die nicht ohne Weiteres auf vorangegangene Epochen übertragbar sind. Das Wort Homosexualität meint schließlich nicht nur männlich-männliches/weiblich-weibliches Begehren bzw. Sexualität, sondern verweist darüber hinaus auf seine medizinische und ju3
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Wenn im Folgenden die Zuschreibung ›männlich-männlich‹ bzw. ›weiblich-weiblich‹ verwendet wird, so erfolgt dies im Bewusstsein darüber, dass es sich bei ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ jenseits biologistischer Erklärungen um kulturelle und wandelbare Konzeptionen handelt. Vgl. auch Butlers Unterscheidung zwischen »sex« und »gender« (Butler 1991, S. 22). Vgl. Foucault 1983, S. 47; vgl. Westphal, Carl: Die conträre Sexualempfindung: Symptom eines neuropathologischen (psychopathischen) Zustandes, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, 2. Band, Berlin 1870, S. 73–108. Vgl. Davis, Whitney: Narzissmus in der homoerotischen Kultur und in der Theorie Freuds. In: Fend, Mechthild; Koos, Marianne (Hg.): Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierung in der Kunst seit der Frühen Neuzeit, Köln et al. 2004a, S. 213–232, hier: S. 215; vgl. auch Ordover, Nancy: American Eugenics: Race, Queer Anatomy, and the Science of Nationalism, Minneapolis und London 2003, S. 70. Vgl. Davis 2004a, S. 215; ›schwul‹ wird im Folgenden als Synonym für männlich-männlichen Begehren verwendet. Das Wort gilt als selbst gewählte Eigenbezeichnung und ist daher – gegenwärtige Umdeutungen im Jugendjargon außer Acht lassend – weniger negativ vorbelastet. Albert Moll weist den Begriff das erste Mal 1891 nach. Vgl. Moll, Albert: Die conträre Sexualempfindung. Berlin 1891, S. 252.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
ristische Ursprungsgeschichte. Die unbedachte Verwendung als Synonym für gleichgeschlechtliches sexuelles Verlangen läuft deshalb Gefahr, diese Vielschichtigkeit zu unterschlagen. Es ist somit eine bewusste Entscheidung, diesen Ausdruck im Titel der Arbeit zu umgehen und ihn durch die deskriptivere Begrifflichkeit des männlich-männlichen Begehrens zu ersetzen. Hierbei ist zu beachten, dass die Bezeichnung ›männlich‹ ein historisch unstetes Konstrukt ist und immer in Abhängigkeit von der jeweiligen Zeit und Kultur gesehen werden muss. ›Männlichkeit‹ steht demnach in Relation zu weiteren Strukturkategorien wie der Religion, dem Alter, der Ethnie und der Sexualität.7 Die verschiedenen historischen Vorstellungen vom ›Mannsein‹ unterscheiden sich folglich oftmals gravierend voneinander und so entspricht etwa das Männerbild der Renaissance kaum dem maskulinen Idealbild der Jetztzeit. Diese kritische Haltung gegenüber eines ahistorischen und kontinuierlichen Verständnisses der (Homo-)Sexualität sowie der Geschlechterkonzeptionen beruft sich auf Foucault. Das obsessive Bedürfnis westlicher Denkweise, alles ›Abnorme‹ zu kategorisieren und dabei parallel das ›Normale‹ zu institutionalisieren, führt, so Foucault in Sexualität und Wahrheit I, erst zur Entstehung der Homosexualität: »Die neue Jagd auf die peripheren Sexualitäten führt zu einer Einkörperung der Perversionen und einer neuen Spezifizierung der Individuen. Die Sodomie – so wie die alten zivilen oder kanonischen Rechte sie kannten – war ein Typ von verbotener Handlung, deren Urheber nur als ihr Rechtssubjekt in Betracht kam. Der Homosexuelle des 19. Jahrhundert ist zu einer Persönlichkeit geworden, die über eine Vergangenheit und eine Kindheit verfügt, einen Charakter, eine Lebensform, und die schließlich eine Morphologie mit indiskreter Anatomie und möglicherweise rätselhafter Physiologie besitzt. Nichts von all dem, was er ist, entrinnt seiner Sexualität. Sie ist überall in ihm präsent: allen seinen Verhaltensweisen unterliegt sie als hinterhältiges und unbegrenzt wirksames Prinzip; schamlos steht sie ihm ins Gesicht und auf den Körper geschrieben, ein Geheimnis, das sich immerfort verrät. Sie ist ihm konsubstantiell, weniger als Gewohnheitssünde denn als Sondernatur. […] Als eine der Gestalten der Sexualität ist die Homosexualität aufgetaucht, als sie von der Praktik der Sodomie zu einer Art innerer Androgynie, einem Hermaphroditismus der Seele herabgedrückt worden ist. Der Sodomit war ein Gestrauchelter, der Homosexuelle ist eine Spezies.«8 Foucault erteilt der (essenzialistischen) Annahme einer unveränderlichen Sexualität eine Absage und sieht diese, ebenso wie alle anderen menschlichen Erfahrungen, vielmehr in Abhängigkeit von der jeweiligen Zeit, Kultur und Gesellschaft.9 Es kommt hier zu einer strikten und durchaus problematischen Trennung zwischen einer sexuellen Handlung (der Sodomit) und einer sexuellen ›Persönlichkeit‹ (der Homosexuelle).10 Diese Dif7 8 9 10
Zur historischen Relationalität der Männlichkeit vgl. Martschukat, Jürgen; Stieglitz, Olaf: Geschichte der Männlichkeiten. Frankfurt a.M. 2008 u.a. S. 9f. Foucault 1983, S. 47 (Hervorhebung aus Originaltext übernommen). Halperin 2004, S. 9. Im Zusammenhang mit Foucault ist oft fälschlicherweise von einer ›sexuellen Identität‹ die Rede. Halperin stellt ganz korrekt fest, dass dieser Begriff in Sexualität und Wahrheit nicht auftaucht. Foucault wählt hingegen den Ausdruck der (sexuellen) »Persönlichkeit«. Für diese Arbeit sollen jedoch die Bezeichnungen der sexuellen Identität/Persönlichkeit synonym verwendet werden,
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ferenzierung führt häufig zu der (falschen) Annahme, es habe vor der kulturellen Konstituierung des Begriffs der Homosexualität 1870 (bzw. 1869) das Phänomen einer sexuellen Orientierung bzw. Persönlichkeit nicht gegeben, wobei mit der Nennung der »zivilen und kanonischen Rechte« doch vielmehr deutlich gemacht werden soll, dass es hier um diskursive und institutionelle Praktiken geht – also um die Schaffung ›des Homosexuellen‹ als medizinisches und juristisches Subjekt.11 Vermutlich orientiert sich Foucault an Louis Althusser, der in Ideologie und ideologische Staatsapparate (1970) das menschliche Subjekt und dessen Persönlichkeit als von kontrollierenden, staatlichen Institutionen geformt versteht.12 Die zunehmend rigidere Überwachung und Regulierung der Geschlechterrollen sowie der Sexualität, wie sie besonders in der Zeit nach der Französischen Revolution in immer breiteren Ausmaßen betrieben wurde, kann, so Foucaults Argumentation, als eine den Menschen formende Kontrollinstanz verstanden werden.13 Doch wie ist nun seine Formulierung über den »zu einer Persönlichkeit gewordenen« Homosexuellen zu verstehen?14 In seiner Besprechung von K. J. Dovers Greek Homosexuality (1978) relativiert Foucault die strikte Trennung von bloßer Handlung und sexueller Persönlichkeit und betont vielmehr, dass es ihm um den Terminus der Homosexualität, dessen Historizität – der Begriff ist unweigerlich mit den ihn prägenden medizinischen und juristischen Institutionen verbunden – und die ihm inhärente Ideologie geht;15 dass es zu jeder Zeit und in jeder Kultur zu gleichgeschlechtlichen sexuellen Kontakten und Beziehungen gekommen ist, die sich auch auf die Fremd- und Selbstwahrnehmung der jeweiligen Betroffenen ausgewirkt haben, steht außer Frage. Was Foucault hier fordert, ist ein nuanciertes Verständnis von Sexualität, Persönlichkeit und Geschichte.16 Eine ganz ähnliche Meinung vertritt auch Judith Butler in Das Unbehagen der Geschlechter (zuerst 1990) in Bezug auf den Stellenwert der Frau: Es gebe nicht ›die Frau‹, sagt Butler, sondern Individuen mit gleichartigen bzw. ähnlichen ›biologischen‹17
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wenngleich sich darüber streiten lässt, ob die beiden Begriffe dasselbe meinen. Vgl. Halperin 2004, S. 43. Ebd., S. 29. Althusser, Louis: From Ideology and Ideological State Apparatuses (Notes towards an Investigation). In: Leitch, Vincent B. (Hg.): The Norton Anthology of Theory and Criticism. New York/ London 2001, S. 1483–1509. Vgl. Foucault 1983, insbesondere S. 48. Ebd., S. 47. Foucault schreibt: »Of course, there will still be some folks disposed to think that, in the final analysis, homosexuality has always existed… To such naive souls Dover gives a good lesson in historical nominalism. [Sexual] relations between two persons of the same sex are one thing. But to love the same sex as oneself, to take one’s pleasure in that sex, is quite another thing, it’s a whole experience, with its own objects and their meanings, with a specific way of being on the part of the subject and a consciousness which he has of himself. That experience is complex, it is diverse, it takes different forms, it changes.« (Zit. nach Halperin 2004, S. 161 (aus den Endnoten)). Vgl. ebd., S. 161f. Obgleich der Begriff der ›Biologie‹ stark ideologisch aufgeladen ist, wird er hier dennoch verwendet, da es für eine (kunst-)historische Untersuchung unumgänglich ist, die kulturell geformte Kategorie der ›Biologie‹ im Sinne einer vermeintlich natürlichen Zweigeschlechtlichkeit zu berücksichtigen.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
Geschlechtsmerkmalen, die unter das kulturelle Joch einer einigenden Geschlechtsbezeichnung gedrängt werden.18 Dieselbe Strategie liegt auch der Konstitution ›der Homosexuellen‹ zugrunde, deren einigendes Merkmal die sexuelle Orientierung und damit einhergehend eine als abweichend wahrgenommene Geschlechtsidentität ist. Es gibt also weder ›die Frau‹ noch ›den Homosexuellen‹. Vielmehr bezeichnen diese Begriffe kulturell konstruierte Bilder, die eine trügerische Singularität gelebter Erfahrung suggerieren. Im Bemühen, der unangemessenen Bedeutungshoheit dieser Termini entgegenzuwirken bzw. sie zu relativieren, soll an dieser Stelle die Verwendung der Pluralform vorgeschlagen werden: Statt von ›Homosexualität‹ sollte man demnach besser von ›Homosexualitäten‹ sprechen.19 Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden, wird im Folgenden also entweder die Umschreibung ›männlich-männliches‹ bzw. ›gleichgeschlechtliches Begehren‹ oder die pluralisierte Bezeichnung der Homosexualitäten bzw. der Homosexuellen verwendet, sofern es nicht um eine bestimmte gesellschaftliche Auffassung von Homosexualität geht. Ersteres begründet sich schlichtweg aus der epochenübergreifenden Qualität des Begriffs: So bezieht sich männlich-männliches bzw. gleichgeschlechtliches Begehren doch nicht nur auf die Zeit nach 1869/70, sondern gleichermaßen auf die griechische Antike wie auf das Mittelalter, die Renaissance usw., ohne diesen Epochen ein falsches Verständnis von Sexualität aufzuzwingen, wobei immer auch die variierenden Konzeptionen von Männlichkeit berücksichtigt werden müssen. Letzteres ist insbesondere für die Diskussion des 20. und 21. Jahrhunderts von Bedeutung, und die vorgeschlagene Pluralisierung respektiert die Vielfältigkeit gelebter Sexualität.
II.1.2 Konstruktivismus & Essenzialismus Wie bereits durch die Berufung auf Foucault und Butler deutlich geworden sein dürfte, orientiert sich diese Arbeit an (sozial-)konstruktivistisch geprägten Theoretiker_Innen. Der Konstruktivismus repräsentiert hierbei jedoch nur eine Seite in der lang anhaltenden Debatte über die Entstehung gleichgeschlechtlicher Sexualität. Seitdem Homosexuelle im 19. Jahrhundert in den Fokus medizinischer und juristischer Instanzen geraten sind, wird darüber gestritten, ob nun Natur (Essenzialismus) oder Umwelt (Konstruktivismus) dieses Begehren verursacht. Folgt man dem essenzialistischen Erklärungsmodell, so wird gleichgeschlechtliche Sexualität als etwas Angeborenes verstanden – verursacht durch hormonelles ›Ungleichgewicht‹, bestimmte Gene etc. Vertreter_Innen dieser Auffassung reichen von den frühen Sexologen Karl Heinrich Ulrichs und Magnus Hirschfeld bis zu gegenwärtigen Genetiker_Innen wie beispielsweise Dean Hamer.20 Der Kon18 19
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Butler 1991, S. 22. Angeregt wurde die pluralisierte Form von der Ausstellung Homosexualität_En. Vgl. Kat. Ausst. Homosexualität_En. Deutsches Museum und Schwules Museum*, hg. von Birgit Bosold, Dorothée Brill und Detlef Weitz, Schwules Museum* und Deutsches Historisches Museum Berlin 2015, Dresden 2015. Vgl. u.a. Ulrichs, Karl Heinrich: Forschungen über das Rätsel der mannmännlichen Liebe. Leipzig 1898a; Hirschfeld, Magnus: Berlins Drittes Geschlecht. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Manfred Herzer, Berlin 1991 (zuerst 1904); Hamer, Dean; Copeland, Peter: The Science of Desire: The Search for the Gay Gene and the Biology of Behavior. New York 1994.
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struktivismus hingegen betrachtet sexuelles Begehren als Produkt äußerer bzw. kultureller Faktoren (Erziehung etc.). Neben Foucault und Butler muss hier natürlich auch auf einen der frühesten und vehementesten Verfechter dieser Ansicht hingewiesen werden: Sigmund Freud.21 Die Vorteile der essenzialistischen Erklärungsvariante liegen auf der Hand: Jegliche Diskussion darüber, ob es Schwule und Lesben bereits früher gab, wäre obsolet, wohingegen sich Umwelt bzw. Kultur konstant verändern. Fakt ist jedoch, dass sich weder das eine noch das andere Modell zweifelsfrei belegen lässt. Angesichts des von Eve Kosofsky Sedgwick in Epistemology of the Closet (zuerst 1990) angeprangerten Phänomens fortwährender und zum Teil institutionalisierter Homophobie scheint das auch besser so zu sein: Neben dem historisch begründeten Argwohn gegenüber der Idee eines ›homosexuellen Körpers‹ unterstreicht Sedgwick mit ihrem Verweis auf den wissenschaftlichen Sprachgebrauch, der Homosexualität stets im Sinne eines pathologischen Befunds beschreibt (»›excess,‹ ›deficiency,‹ or ›imbalance‹«), nochmals die immerfort waltende und tief verwurzelte Präsenz gesellschaftlicher Homophobie.22 Angeblich objektive (und wohlgemerkt auch zeitgenössische) naturwissenschaftliche Untersuchungen, z.B. in der Biologie, demaskieren sich mit dieser pathologisierenden Sprache als von kulturellen Konventionen durchdrungen. Auf der einen Seite steht eine als ausgeglichen und fehlerlos verstandene Norm (der/die Heterosexuelle), auf der anderen Seite wird das Bild einer von Exzessen, Mängeln und Ungleichgewicht bestimmten »Sondernatur« entworfen (der/die Homosexuelle/n, Trans- bzw. Intergeschlechtliche etc.).23 In Sedgwicks Feststellung äußert sich eine Vermutung, die Roger N. Lancaster in seinem Buch The Trouble with Nature (2003) bestätigt: Umwelt und Natur lassen sich nicht ohne Weiteres so radikal trennen.24
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Vgl. u.a. Freud, Sigmund: Zur Einführung des Narzißmus. Leipzig, Wien und Zürich 1924. Sedgwick schreibt: »And in this unstable context, the dependence on a specified homosexual body to offer resistance to any gay-eradicating momentum is tremblingly vulnerable. […] What whets these fantasies more dangerously, because more blandly, is the presentation, often in ostensibly or authentically gay-affirmative contexts, of biologically based ›explanations‹ for deviant behavior that are absolutely invariably couched in terms of ›excess,‹ ›deficiency,‹ or ›imbalance‹ – whether in the hormones, in the genetic material, or, as is currently fashionable, in the fetal endocrine environment. […] In this unstable balance of assumptions between nature and culture, at any rate, under the overarching, relatively unchallenged aegis of a culture’s desire that gay people not be, there is no unthreatened, unthreatening conceptual home for a concept of gay origins. We have all the more reason, then, to keep our understanding of gay origin, of gay cultural and material reproduction, plural, multi-capillaried, argus-eyed, respectful, and endlessly cherished.« (Sedgwick 2008, S. 43f). Diese Arbeit bevorzugt die Begriffe der Inter- bzw. Transgeschlechtlichkeit gegenüber denen der Inter- bzw. Transsexualität. Wie im Laufe dieser Arbeit deutlich werden wird, besteht zwar eine kulturelle Korrelation zwischen Sexualität und Geschlechtlichkeit, diese ist aber aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar. Da es sich bei Inter- und Transmenschen um Personen handelt, bei denen es vorranging um die Geschlechtsidentität geht, erscheint es daher verunklärend von Inter- bzw. Transsexualität zu sprechen. Vgl. hierzu Lancaster, Roger N.: the trouble with nature. Sex in science and popular culture, Berkeley, Los Angeles und London 2003.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
Im Naturbegriff drückt sich fast zwangsläufig auch immer das Weltbild der jeweiligen Epoche aus, oder wie Lancaster es formuliert: »The eye of the scientist, like that of everyone else, is a trained eye that has learned to see. The act of looking, and what is sought, affects what nature discloses.«25 Zur Untermauerung dieser Aussage zieht der Autor u.a. Charles Darwin als Beispiel heran, dessen ›wissenschaftlicher Blick‹ auf Mann und Frau deutlich von der ihn umgebenden viktorianischen Gesellschaft geprägt war bzw. ist.26 Während die ›sanftmütige‹ Frau laut The Descent of Man (1871) ›biologisch‹ dazu determiniert sei, ›selbstlos‹ die Rolle der Mutter zu übernehmen, gilt der Mann als ›kompetitives‹ und ›egoistisches‹ Wesen.27 Noch deutlicher wird Darwin, wenn er die mentalen Kapazitäten der Geschlechter direkt miteinander vergleicht: »The chief distinction in the intellectual powers of the two sexes is shown by man attaining to a higher eminence, in whatever he takes up, than women can attain«.28 Mit vermeintlich wissenschaftlicher Autorität präsentiert Darwin hier kulturelle Ansichten als unumstößliches Fakten. Dies führt nicht nur zu einer sehr begrenzten und widersprüchlichen Vorstellung von Geschlechtlichkeit (alle weiblichen Wesen sind angeblich schüchtern und wählerisch, alle männlichen Wesen hingegen ehrgeizig und aggressiv), sondern auch zu einer monolithischen Auffassung der Sexualität als eines rein reproduktiven Verhaltens.29 In diesen beiden Grundaussagen äußert sich eine einst religiös, nun aber wissenschaftlich/biologistisch autorisierte Zwangsvorstellung korrekter Geschlechtsidentität und Sexualität, die ab den 1990er Jahren u.a. von Michael Warner mit dem Begriff der Heteronormativität umschrieben wurde.30 Das Konzept einer gesellschaftlich eingesetzten Norm zur Regulierung und Sicherung des Fortbestandes, das sich in allen Kulturen und zu jeder Zeit – wenngleich auch unter deutlich unterschiedlichen Parametern – vorfinden lässt, basiert auf einem bereits seit der Antike herrschenden Binarismus. Dieser unterscheidet zwischen Norm/Abnorm, Mann/Frau oder eben auch Natur/Kultur bzw. Essenzialismus/Konstruktivismus und erzeugt somit gleichzeitig klare, aber auch illusorische Grenzen.31 Das auch bei zeitgenössischen Wissenschaftler_Innen noch häufig anzutreffende Unvermögen, die Homosexualität als etwas Anderes als eine »Sondernatur« oder ›Normabweichung‹ zu denken, offenbart schließlich die Persistenz jener binären (hetero-)normativen Demarkationslinien.32 25 26 27
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Ebd., S. 76 (Hervorhebung aus Originaltext übernommen). Vgl. ebd., S. 80. Über ›die Frau‹ schreibt Darwin: »Women seems to differ from man in mental dispositions, chiefly in her greater tenderness and less selfishness; […] Woman, owing to her maternal instincts, displays these qualities towards her infants in an eminent degree; therefore it is likely that she would often extend them toward her fellow-creatures.« Der Mann hingegen gilt als kämpferisch: »Man is the rival of other men; he delights in competition, and this leads to ambition which passes too easily into selfishness. These latter qualities seem to be his natural and unfortunate birthright.« (Darwin, Charles: The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex, London 1871, S. 326). Ebd., S. 327. Vgl. Landcaster 2003, S. 85f. Vgl. Warner 1994, S. XIII und XXIff. Vgl. hierzu Kristeva, Julia: Power of Horror. An Essay on Abjection, New York 1982; sowie Young, Iris Marion: Justice and the Politics of Difference. Princeton (NJ) 1990. Vgl. Lancaster 2003, S. 10.
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Obschon es letztlich unerheblich ist, ob nun ›biologische‹ oder kulturelle Faktoren männlich-männliches Verlangen verursachen, lässt sich nicht leugnen, dass die jeweils vorherrschenden Erklärungsmodelle die Fremd- bzw. Selbstwahrnehmung wie auch die Fremd- bzw. Selbstdarstellung gleichgeschlechtlich begehrender bzw. queerer Männer unweigerlich prägen. Das Wissen über diese Modelle und Vorstellungen ermöglicht somit erst den Zugang zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den im weiteren Verlauf analysierten Darstellungen. Über die anhaltende ›Hexenjagd‹ nach den Ursachen bzw. der einen Ursache verbleibt lediglich zu sagen, dass sich diese Arbeit sehr bewusst einer Stellungnahme verwehrt. Dies begründet sich, neben der Tatsache, dass es bisher keine eindeutigen Beweise gibt, vornehmlich in den folgenden drei Punkten: 1. Die Reduzierung eines derart komplexen Phänomens wie der Sexualität auf singuläre Erklärungen erscheint übermäßig simplifizierend und verkennt die Pluralität menschlichen Begehrens. 2. Die Ursachensuche zwingt gleichgeschlechtliches Verlangen dauerhaft in eine Rechtfertigungsposition, da es nie nur ›sein‹ kann. 3. Der Glaube an ein ›Homosexuellen-Gen‹ o.Ä. – darauf weisen Sedgwick und Lancaster wiederholt hin – birgt überdies große Missbrauchsgefahren.33 Dies wird nicht zuletzt am Beispiel der Nationalsozialisten evident, die Hirschfelds biologistisch argumentierende Idee eines ›Dritten Geschlechts‹ pervertierten und Homosexuelle als Anzeichen einer ›erblichen Degeneration‹ verfolgten und töteten.34 Auf Grundlage dieser Punkte und im Einklang mit der zuvor vorgeschlagenen Verwendung des pluralisierten Ausdrucks der Homosexualitäten versteht diese Arbeit gleichgeschlechtliches Verlangen als polymorphes Produkt essenzialistischer und konstruktivistischer Perspektiven.
II.1.3 Devianz & Queerness ›Der Homosexuelle‹ wird seit seiner Definierung im 19. Jahrhundert stets als Abweichung bzw. Devianz (von frz. dévier, von etwas abweichen) von der ›männlichen Norm‹ begriffen. Dabei ist die Verbindung von gleichgeschlechtlich ausgerichteter Sexualität und devianter Männlichkeit das Produkt einer ebenso langwierigen wie wechselhaften Geschichte, die in der Antike beginnt, sich jedoch erst mit Beginn der Neuzeit und insbesondere mit dem durch die Französische Revolution vollzogenen Umbruch konkretisiert.35 Innerhalb dieser Geschichte kristallisiert sich eine Interdependenz von 33 34
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Vgl. Sedgwick 2008, S. 43f sowie Lancaster 2003, S. 9f. Zur Umdeutung von Hirschfelds und Ulrichs Ansatz durch die Nazis sei auf James D. Steakleys Arbeit zur Geschichte der homosexuellen Emanzipationsbewegung in Deutschland verwiesen. Siehe Steakley, James D.: The Homosexual Emancipation Movement in Germany. New York 1975 u.a. S. 118; zudem sei auch auf Volkmar Sigusch Artikel diesbezüglich hingewiesen: Sigusch, Volkmar: 50 Jahre danach. Ein Leitartikel, In: Seeck, Andreas: Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit? Textsammlung zur kritischen Rezeption des Werks von Magnus Hirschfeld, Münster, Hamburg und London 2003 (Erstveröffentlichung 1983), S. 25–26; einen detaillierten Einblick in die Geschichte des Konzentrationslagers Dachau sowie eine Liste aller dortigen Träger_Innen des Rosa Winkels liefert Knoll, Albert (Hg.): Der Rosa-Winkel-Gedenkstein. Die Erinnerung an die Homosexuellen im KZ Dachau, Splitter 13, München 2015. Foucault nennt in Sexualität und Wahrheit I etwas unspezifisch das Ende des 18. Jahrhunderts als Zeitpunkt, an dem sich die bis dahin gültigen »Codes«, welche »die sexuelle Praktiken« zuvor be-
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
Norm und Devianz heraus, die ganz im Sinne sozial-konstruktivistischer Ansichten abhängig von Zeit und Kultur ist. Ehe im Nachfolgenden näher auf die Details dieser historischen Entwicklung eingegangen wird, soll zunächst eine Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit der Devianz sowie den inhaltlichen Parallelen zum modernen Konzept der Queerness erfolgen. Was eine Gesellschaft als normal und damit wünschenswert erachtet, wird, so Iris Marion Young in Anlehnung an Mary Douglas’ Buch Purity and Danger (1980) und Julia Kristevas Theorie des ›Abjekten‹, erst durch einen kontinuierlichen Abgrenzungsprozess bestimmt, der immer sogleich auch das ›Andere‹, d.h. das Deviante, erzeugt.36 Dieser Annahme liegt ein sozial-konstruktivistisches Devianzverständnis zugrunde, wie es der Soziologe Howard S. Becker bereits 1973 definiert hat und demgemäß »gesellschaftliche Gruppen abweichendes Verhalten dadurch schaffen, daß sie Regeln aufstellen, deren Verletzung abweichendes Verhalten konstituiert.«37 Devianz ist somit das Nebenprodukt eines identitätsstiftenden und normgenerierenden Abgrenzungsprozesses. Young beschreibt diesen Prozess in Justice and Politics of Difference (1990) als kulturimperialistische Deutungshoheit einer prävalenten sozialen Gruppe: Die jeweils dominierende soziale Gruppe beansprucht für sich, Vollstrecker einer wahlweise göttlichen oder natürlichen Ordnung zu sein, und erzeugt bzw. perpetuiert erst durch das Ausgrenzen des ›Anderen‹ eine bestimmte Version von Normativität.38 Die Gültigkeit von Youngs Aussage lässt sich allerdings noch erweitern, wenn man sie mit dem Foucault’schen Begriff des Dispositivs verknüpft, welcher die Komplexität gesellschaftlicher Machtstrukturen jenseits der simplifizierenden Vorstellung einer Repression von oben begreift. Das Dispositiv bezeichnet ein »heterogenes« Machtnetzwerk, das durch »Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, […], Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen [sowie] philosophische, mo-
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stimmten (»kanonisches Recht, christliche Pasotraltheologie und Zivilrecht«), zu verändern begannen. (Foucault 1983, S. 42 (Zitate) sowie S. 43); vgl. zudem die Darlegung der Verquickung von Kriminalität und Krankheit mit Homosexualität bei Hocquenghem, Guy: Das homosexuelle Verlangen. München 1974, S. 33ff (Kriminalität), S. 36ff (Krankheit) sowie S. 43ff. Vgl. Douglas, Mary: Purity and Danger. An analysis of the concepts of pollution and taboo, London, Boston und Henley 1980 (zuerst 1966) u.a. S. 4; vgl. Kristeva 1982 u.a. S. 3ff; Kristeva umschreibt mit dem Terminus der Abjection, die Ablehnung und Abstoßung all dessen, was den gemeinhin akzeptieren gesellschaftlichen Konsens bedroht; vgl. Young 1990 u.a. S. 47. Becker, Howard S.: Außenseiter. Zur Soziologie abweichenden Verhaltens, Frankfurt a.M. 1973, S. 8 (Hervorhebung aus Originaltext übernommen). Bei Young heißt es: »Culturally imperialist groups project their own values, experience, and perspective as normative and universal. […] When the dominant culture defines groups as different, as the Other, the members of those groups are imprisoned in their bodies. Dominant discourse defines them in terms of bodily characteristics, and constructs those bodies as ugly, dirty, defiled, impure, contaminated, or sick. Those who experience such an epidermalizing of their world […], moreover, discover their status by means of the embodied behavior of others: in their gestures, a certain nervousness that they exhibit, their avoidance of eye contact, the distance they keep.« (Young 1990, S. 123); mit der Formulierung »epidermalizing of their world« bezieht sich Young auf Slaughter, Thomas F. Jr.: Epidermalizing the World: A Basic Mode of Being Black. In: Harris, Leonard (Hg.): Philosophy Born of Struggle. Dubuque (IA) 1983, S. 283–288.
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ralische oder philanthropische Lehrsätze« gebildet wird.39 Im Gegensatz zur reinen Repressionstheorie versteht Foucault Macht als polyzentrales Gefüge, in dem schlussendlich auch die ›Machthaber‹ nur Bestandteil eines größeren Systems sind und somit selbst unterjocht werden. Dies lässt sich besonders eindringlich am Beispiel der in zahlreichen Kulturen und zu fast allen Zeiten festzuhaltenden männlichen Vormachtstellung erkennen: Die Machtposition des Mannes basiert auf einer ebenso scharfen wie fragilen Trennlinie zum Weiblichen, die im Falle einer Übertretung zum Verlust der Männlichkeit, d.h. der Macht, führt. In dieser strengen und größtenteils immer noch allgegenwärtigen Geschlechterbinarität wird, entsprechend dem von Young beschworenen Ausgrenzungsprozess, das Weibliche zum bedrohlichen ›Anderen‹ des Mannseins konstruiert, vor dem es sich beständig zu schützen gilt.40 Weicht der Mann von der korrekten Ausführung seiner Rolle ab, so gilt er der Logik dieses Systems nach als ›deviant‹ und gefährdet mit seinem ›Fehlverhalten‹ die Integrität der waltenden binären Gesellschaftsordnung. Er wird zu dem von Kristeva beschworenen ›Abjekten‹: »[W]hat disturbs identity, system, order. What does not respect borders, positions, rules. The in-between, the ambiguous, the composite […] heighten[ing] the display of fragility.«41 Die in der zitierten Textstelle aufgeführten Begriffe der Identität, des Systems und der Ordnung bilden hierbei eine Trias dynamischer Größen, die ihrerseits gleichermaßen abhängig von Zeit und Kultur sind. Aus der Schnittmenge dieser drei Teilelemente entspringt sodann die Konzeption fester Geschlechtsmodelle, die der Aufrechterhaltung einer bestimmten Version von Ordnung bzw. Norm dienen.42 Als Produkt dynamischer Größen verbleibt die Definition von Männlichkeit und Weiblichkeit somit mutabel, da sie, obschon maßgeblich von vorhergehenden Vorstellungen (mit)bestimmt, in jeder Epoche und in jeder Generation immer wieder aufs Neue erfolgt.43 Es ist insbesondere diese Inkonstanz der Geschlechterrollen und damit einhergehend des Devianz- bzw. Queerness-Begriffes, derer man sich angesichts einer Vielzahl historisch variierender Vorstellungen vom ›Mann- bzw. Frausein‹ stets bewusst sein muss. Die sich hieraus ergebenden vielgestaltigen Männlichkeitskonzeptionen unterscheiden sich zwar im Detail, werden jedoch durch die ihnen inhärente fundamentale
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Foucault, Michel: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978, S. 119f; vgl. zudem Deleuze, Gilles: What Is a Dispotif? In: Armstrong, Timothy J. (Hg.): Michel Foucault: Philosopher, New York 1992, S. 159–68; vgl. zudem Macey, David: The Lives of Michel Foucault. London 1993, S. 355; sowie Halperin, David: Saint Foucault. Towards A Gay Hagiography, New York und Oxford 1995, S. 189. Vgl. Butler 1991, S. 193ff; Butler bezieht sich bei ihrer Darstellung der geschlechtlichen Grenzen als kulturelle Produkte auf den Ansatz von Mary Douglas; vgl. Douglas 1980, S. 4. Kristeva 1982, S. 4. Ähnliche Mechanismen sind zudem im Zusammenhang mit anderen Abgrenzungsfaktoren wie beispielsweise dem Stand bzw. der Klasse oder auch der Ethnizität festzustellen. Martschukat und Stieglitz verwenden hierfür den Begriff der Relationalität, nach dem Männlichkeit immer in Relation zu weiteren Strukturkategorien (Religion, Ethnie, Klasse etc.) gesehen werden muss. Aufgrund dieser vielfältigen und unsteten Faktoren verstehen die Autoren das Konzept der Männlichkeit als grundsätzlich instabil und flexibel. Vgl. Martschukat und Stieglietz 2008, S. 9f.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
Ablehnung des Weiblichen – dessen Definition ebenfalls starken Schwankungen unterliegt – geeint.44 Zudem gleichen sich die unterschiedlichen Ideen von Mann bzw. Frau auch in der gängigen Verquickung von Geschlechtlichkeit und Sexualität, was sich vor allem in der Ahndung devianten Verhaltens offenbart.45 Gilt beispielsweise ein Mann in den Augen der Gesellschaft als Abweichler von einer wie auch immer gearteten (Geschlechts-)Norm, wird ihm sogleich eine anormale Sexualität unterstellt. Obwohl also deviante Männlichkeit nicht seit jeher mit gleichgeschlechtlichem Verlangen in Verbindung gebracht worden ist, besteht zumindest aus kultureller Perspektive eine unleugbare Korrelation zwischen geschlechtlicher und sexueller Devianz. Ein Beleg hierfür findet sich z.B. im griechisch-antiken Typus des effeminierten kinaidos, einem zwar nicht zwangsläufig gleichgeschlechtlich interessierten, aber aufgrund seines hedonistischen Lebensstils gesellschaftlich geächteten Taugenichts.46 In seinem Buch The Constraints of Desire: The Anthropology of Sex and Gender in Ancient Greece (1990) beschreibt John J. Winkler diese antike Gestalt wie folgt: »The kinaidos, to be sure, is not a ›homosexual‹ but neither is he just an ordinary guy who now and then decided to commit a kinaidic act. The conception of a kinaidos was of a man socially deviant in his entire being, principally observable in behavior that flagrantly violated or contravened the dominant social definition of masculinity. To this extent, kinaidos was a category of person, not just of acts.«47 Winkler betont zwar nachdrücklich, dass ein kinaidos kein Homosexueller sei, wohl aber eine eigenständige Persönlichkeit, die sich gänzlich über ihr Begehren definiert bzw. de-
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Hierin offenbaren sich »die Machtsysteme des Heterosexismus und des Phallogozentrismus«, wie Butler es in Anlehnung an Irigaray ausdrückt (Butler 1991, S. 59). »[D]urch eine stete Wiederholung ihrer Logik, Metaphysik und naturalisierten Ontologien« erzeugt die Idee einer reproduktiven Sexualität, oder im Sprachduktus des 19. Jahrhunderts ausgedrückt der Heterosexualität, eine vermeintliche »Natürlichkeit« dieser Ordnung, in der Männer und Frauen als binäre Pole verstanden werden (Ebd.). Butler verweist auf Monqiue Wittigs Konzept einer erzwungenen heterosexuellen Matrix und wie dieses starre binäre System durch die Existenz der Lesbier_Innen infrage gestellt wird. Sowohl für Butler als auch für Wittig sind die Heterosexualität sowie die Konzepte von ›Mann‹ und ›Frau‹ kulturellen Ursprungs. So schreibt Butler: »Da das ›Geschlecht‹ eine politische und kulturelle Interpretation des Körpers ist, gibt es keine Unterscheidung anatomisches Geschlecht (sex)/ Geschlechtsidentität (gender) gemäß den Linien der Konventionen. Die Geschlechtsidentität [die immer auch eine bestimmte normierte Sexualität mit einschließt] ist bereits in das Geschlecht eingebaut, und das anatomische Geschlecht ist, wie sich gezeigt hat, schon von Anfang an Geschlechtsidentität.« (Ebd., S. 169); vgl. zudem Wittig, Monique: One is not born a Woman. In: Abelove, Henry; Barale, Michèle Aina; Halperin, David M. (Hg.): The Lesbian and Gay Studies Reader. New York und London 1993, S. 103–109. Vgl. Gleason, Maud W.: The Semiotics of Gender: Physiognomy and Self-Fashioning in the Second Century C. E., in: Halperin, David M.; Winkler, John J.; Zeitlin, Forma I. (Hg.): Before Sexuality. The Construction of Erotic Experience in the Ancient Greek World, Princeton (NJ) 1990, S. 389–417, hier besonders: S. 411f; vgl. zudem Halperin 2004, S. 32ff. Winkler, John J.: The Constraints of Desire: The Anthropology of Sex and Gender in Ancient Greece, New York und London 1990a, S. 45f; vgl. zum Thema des kinaidos überdies Halperin 2004, S. 32ff.
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finiert wird.48 Die Figur des kinaidos liest sich damit wie die Präfiguration eines Homosexuellen, und in Winklers Beschreibung hallen daher nicht ganz zufällig die berühmten Worte Foucaults über den »zu einer Persönlichkeit geworden[en]« Homosexuellen nach.49 Ähnlich, wie das 19. Jahrhundert die ›neue Spezies‹ der Homosexuellen zum Inbegriff geistigen, körperlichen und moralischen Verfalls macht, gerät der kinaidos in der Rezeption der Antike zur Verkörperung eines gänzlich unreinen und korrupten Wesens, dessen größtes Vergehen darin besteht, die eigene Männlichkeit zu verraten.50 In Opposition zum damaligen maskulinen Ideal des Hopliten – ein in Verzicht und militärischer Strenge geübter Krieger im Haupttrupp des Heeres – wird der kinaidos als passives, schwaches und zügelloses Gegenbild entworfen.51 Die genannten Zuschreibungen sind nach antikem Verständnis weiblich kodierte ›Mängel‹ und stellen eine klare Übertretung der Geschlechtergrenzen dar. Insbesondere der Vorwurf der fehlenden Selbstbeherrschung ist in der Antike ideologisch aufgeladen, da die Frau im Gegensatz zum Mann angeblich nicht über das Potential verfügt, das eigene fleischliche Begehren zu überwinden bzw. zu sublimieren.52 Die hier stattfindende Vermischung von Weiblichkeit mit geistiger und körperlicher Schwäche erzeugt letztlich die Devianz-Kategorie der Effeminisierung, die sich als ebenso probates wie zeitloses Mittel zur Diskreditierung geschlechts-nonkonformer Männer erweist. Was genau jedoch mit der Umschreibung der geschlechtlichen Nonkonformität gemeint ist, hängt unmittelbar von der jeweils vorherrschenden Version von Norm ab: So werden beispielsweise durch die Eugenik-Bewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts schwarze und jüdische Männer als intrinsisch ›hypersexuell‹ bzw. ›pervers‹ gebrandmarkt und damit zur Negation des westlichen Ideals weißer, heteronormativer
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Winkler hinterfragt hierbei auch, ob es die Gestalt des kinaidos jenseits des bloßen Diskurses überhaupt gab (vgl. Winkler 1990a, S. 46). Natürlich handelt es sich bei dem kinaidos um ein überzeichnetes Stereotyp, nichtsdestotrotz drücken sich in ihm unmissverständlich die Grenzen antiker Männlichkeit aus. Foucault 1983, S. 47. Die zuvor beschworene Mannigfaltigkeit verschiedener Männlichkeitsbilder gilt überdies natürlich auch für das antike Griechenland. Scott Rubarth spricht z.B. von drei konkurrierenden Vorstellungen: dem bürgerlichen Model der Athener, dem kriegerischen Model der Spartaner sowie dem philosophischen Model der Stoiker. Wenngleich es auch hier Unterschiede gibt und man nicht von einer monolithischen Männlichkeit der griechischen Antike sprechen kann, verbindet alle drei Entwürfe eine bereits genannte Konstante, die Rubarth folgendermaßen charakterisiert: »The masculine is that which is not feminine.« (Rubarth, Scott: Competing Constructions of Masculinity in Ancient Greece. In: Athens Journal of Humanities & Arts. January 2014, S. 21–32; hier: S. 30); alle drei Beispiele folgen dieser etablierten Konvention und erzeugen ihr Verständnis von Maskulinität in Abgrenzung zum Femininen. Rubarth erwähnt den kinaidos in seinem Text zwar nicht direkt, visualisiert in einer Tabelle aber ganz klar Ideal- und Antibild griechisch antiker Männlichkeit. Vgl. ebd., S. 30; vgl. überdies Winkler, John J.: Laying Down the Law: The Oversight of Men’s Sexual Behavior in Classical Athens, in: Halperin, David M. et al. (Hg.): Before Sexuality. The Construction of Erotic Experience in the Ancient Greek World, Princeton (NJ) 1990b, S. 171–210, hier: S. 177f. Vgl. Fend, Mechthild: Grenzen der Männlichkeit. Der Androgyn in der französischen Kunst und Kunsttheorie 1750–1830, Berlin 2003, S. 16.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
Männlichkeit stilisiert.53 Sowohl im Falle des kinaidos als auch an den letztgenannten Beispielen offenbart sich nicht nur die Veränderlichkeit normierter Geschlechtervorstellungen, sondern auch deren Komplexität, werden diese doch auch von Faktoren wie der Sexualität, der Ethnizität oder der Religion mitbestimmt. Foucault deutet mit der Einführung des Dispositiv-Begriffs bereits auf diese komplexe Vernetzung hin, die zur Grundlage der u.a. von Kimberlé W. Crenshaw und Patricia Hill Collins formulierten Intersektionalitäts-Theorie wird, also der Annahme, »dass Kategorien wie Sexualität, Race, Geschlecht oder die Region/Sektion, der ein Mensch zugeordnet wird, unauflöslich miteinander verwoben sind.«54 Dies bedeutet, dass das Konzept der (geschlechtlichen) Devianz stets als Produkt intersektionaler Instanzen verstanden werden muss und man infolgedessen Geschlecht nicht getrennt von Sexualität, kulturellem Hintergrund etc. betrachten kann. Das Phänomen devianter Männlichkeit gebiert im Zuge seiner Ausgrenzung und Ansiedlung außerhalb des Pantheons gesellschaftlicher Normen bzw. Ideale eine neuartige Außenperspektive, die einen alternativen Blick auf die Mechanismen der waltenden Gesellschaftsstrukturen gewährt. Ironischerweise ist es gerade die mit dem Status der Devianz einhergehende aufoktroyierte Außenseiterposition, die zu einem Grundstein der modernen Homosexuellenbewegung wird, und die gegen Ende des 20. Jahrhunderts unter dem u.a. von Teresa de Lauretis geprägten Schlagwort queer auch im theoretischen Diskurs appropriiert und emanzipatorisch umgedeutet wird – eine Taktik, die auch symptomatisch für die Entstehung einer queeren Ikonographie ist. Aufbauend auf de Lauretis’ 1991 veröffentlichtem Aufsatz Queer Theory: Lesbian and Gay Sexualities etablierten sich die Queer Studies als legitime Nachfahren des Foucault’schen Konstruktivismus.55 Als solche begreifen sie Homosexuelle sowie andere ›Parias‹ als Subversionen tradierter Symbolisierungspraktiken. Ihre Ausgrenzung ermöglicht ihnen ebenjenen einzigartigen Außenblick auf das gesellschaftliche Machtgefüge. Im Fokus der Kritik steht ganz klar das kulturell aufgeladene Spannungsfeld zwischen ›biologischem‹ Ge-
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Bei der Eugenik-Bewegung handelt es sich um eine internationale Strömung, deren oberstes Anliegen die ›Reinhaltung der Rassen‹ ist und die u.a. auch von Adolf Hitler propagiert wurde. Vgl. hierzu u.a. Lancaster 2003, S. 10 und S. 45ff; zur Verleumdung schwarzer und jüdischer Männer vgl. Ordover 2003, S. 99ff (über jüdische Männer) und S. 162f (über schwarze Männer und Frauen); vgl. zudem Kerl, Kristoff: »Sodomy is not the crime of nature, barbarism or of lustful black brutes; it is the over-ripe fruit of civilization«. Krisenwahrnehmungen protestantisch–angloamerikanischer Männlichkeiten und rassifizierte Sexualitäten im Leo Frank Case, in: Finzsch, Norbert; Velke, Marcus (Hg.): Queer, Gender, Historiographie. Aktuelle Tendenzen und Projekte, Berlin 2016, S. 118–144; hier besonders: S. 125ff und S. 130ff. Kerl 2016, S. 118f (Race wird im Originaltext als Synonym für Rasse gebraucht; Hervorhebung aus Originaltext übernommen, NM); zur Intersektionalitäts-Theorie und der dazugehörigen Ursprungs-Debatte siehe Hancock, Ange-Marie: Intersectionality. An Intellectual History, Oxford 2016, S. 9ff; vgl. zudem Crenshaw, Kimberlé Williams: Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics«, in: University of Chicago Legal Forum, Vol. 1989, Ausgabe 1, S. 139–167; sowie Collins, Patricia Hill: Black Feminist Thought: Knowledge, Consciousness and the Politics of Empowerment, New York 2000 (zuerst 1990). Lauretis, Teresa de: Queer Theory: Lesbian and Gay Sexualities, An Introduction, in: Differences: A Journal of Feminist Cultural Studies, 3. 2 (1991), S. iii–xviii.
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schlecht (sex), sozialem Geschlecht (gender) sowie sexuellem Begehren. Das ›Andere‹ bzw. das Queere wird in diesem Zusammenhang neu evaluiert und wird zum Träger eines ebenso disruptiven wie revolutionären Potentials. Das aus dem Englischen stammende Wort queer reiht sich hierbei trefflich in die bisher besprochenen Begriffe der Devianz und Abweichung ein, beschreibt die ursprüngliche Wortbedeutung doch passenderweise seltsames, eigenartiges bzw. verrücktes Verhalten.56 So erläutert auch David J. Getsy in seinem Einführungstext zu einer Anthologie über queere Kunstschriften, dass dieser Terminus stets Abnormalität, Außenseitertum und Andersartigkeit impliziert.57 Es mag daher wenig überraschen, dass queer lange Zeit als Schimpfwort sowohl für Homo- bzw. Bisexuelle als auch für trans- sowie intergeschlechtliche Menschen verwendet wurde. Erst im Laufe der 1990er Jahre erfährt die Bezeichnung durch einen Prozess emanzipatorischer Aneignung eine positive Neubewertung, wobei dies längst nicht von allen akzeptiert wird.58 Getsy fasst dieses neue umkämpfte Begriffsverständnis wie folgt zusammen: »Outlaw sensibilities, self-made kinships […] and rage at institutions that police the border of the normal – these are among the attitudes that make up ›queer‹ in its contemporary usage.«59 Die Idee der Queerness positioniert sich demnach als Gegenpol zum binären Ordnungs- und Kategorisierungssystem, geht allerdings über den Begriff der Devianz hinaus. Anstelle vermeintlich fester Grenzen tritt die Vorstellung einer permanenten Unbeständigkeit, welche die Konzeption klarer Normen bzw. Abnormen ad absurdum führt. Die Queer Theory steht damit in direkter Nachfolge zu postmodernen bzw. poststrukuralistischen Denkanstäzen, die das Konzept fester Bedeutungsstrukturen als monilithisch zurückweisen. Laut Antje Landmann erscheint es nur konsequent, dass mit Jaques Derrida und Roland Barthes zwei Theoretiker an der Vorfront des facettenreichen Poststrukturalismus stehen, die gerade aufgrund ihrer persönlichen »Erfahrung der Alterität und der Marginalisierung« – Derrida als jüdischer Algerier aus einer französischen Kolonie und Barthes als homosexueller Protestant in einer vorherrschend katholischen und heterosexuellen Gesellschaft – prädestiniert dazu seien, die sie umgebende Gesellschaft und deren statische Bedeutungsproduktion zu sezieren und zu analysieren.60 Losgelöst von vermeintlich unumstößlichen ›Wahrheiten‹ zelebriert Barthes in Anlehnung an Derridas »poststrukturalistische Denkfiguren«61 vielmehr ein dynamisches Spiel der Signifikanten und plädiert für eine Verflüssigung des Bedeutungsbegriffs: »[L]e sens, avant de s’abolir dans l’in-signifiance, frissone encore: il y a du sens, mais ce sens ne se laisse pas
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Vgl. Nünning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, Stuttgart 2008, S. 235. Getsy, David J.: Introduction. Queer Intolerability and its Attachments, in: Getsy, David J. (Hg.): Queer. Documents of Contemporary Art, Cambridge (MA) und London 2016, S. 12 –23; hier: S. 13. Vgl. Jargose, Annamarie: Queer Theory. An Introduction, New York 2010 u.a. S. 1; eine umgekehrte Entwicklung ist in der deutschen Sprache festzustellen, in der das Wort ›schwul‹ zunächst eine positive Selbstbezeichnung war, die später auch als homophobes Schimpfwort benutzt wurde. Vgl. Nünning 2008, S. 236. Getsy 2016, S. 12. Landmann, Antje: Zeichenleere. Roland Barthes’ interkultureller Dialog in Japan, München 2003, S. 57. Ebd., S. 57ff.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
›prendre‹; il reste fluide, frémissant du’une légère ébullition.«62 Darauf fußend und in einer Art theoretischem Echo umschreibt die australische Geschlechtstheoretikerin Elizabeth Grosz in den 1990ern (Geschlechts-)Identität als in statu nascendi bzw. als fluides Phänomen: »It [identity] is not a question of being (-animal, -woman, -lesbian), of attaining a definite status as a thing, a permanent fixture, nor of clinging to, having an identity, but of moving, changing, being swept beyond one singular position into a multiplicity of flows, or what Deleuze and Guattari have described as ›a thousand tiny sexes‹: to liberate the myriad of flow, to proliferate connections, to intensify.«63 Für Norbert Finzsch führt die hier von Grosz aufgegriffene »Idee der verformbaren, flüssigen« Identitätskategorie zu der Schlussfolgerung, dass »auch die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Anderen, die konstitutiv für die Repräsentation ist, einem beständigen Refigurations- und Neuverhandlungsprozess ausgesetzt« ist.64 Anders aber als etwa Butler, die sich vornehmlich auf die Inkohärenz der Kategorien gender/sex konzentriert, geht es Grosz vielmehr um die Instabilität der Körper und der Sexualität selbst.65 Die von Grosz und Finzsch beschworene Wassermetaphorik ›fließender Körpergrenzen‹ versinnbildlicht die Kernaussage des queeren und poststrukuralistischen bzw. postmodernen Denkansatzes nochmals: Queerness bzw. die Queer-Theorie verweigern sich einer als zu simplifizierend empfundenen binären Weltordnung und verstehen Geschlecht bzw. Sexualität vielmehr als unkategorisierbare Teilaspekte menschlicher Erfahrung, die sich in einem anhaltenden Prozess des Werdens befinden. Die hierdurch entfesselte Desintegration fester Grenzen bedingt schließlich die Permeabilität kultureller Konzepte wie Geschlecht und Sexualität. Ein derart ›anarchischer‹ Ansatz, der an vermeintlichen Grundfesten der (westlichen) Kultur rüttelt, erzeugt zwangsläufig Abwehr, die sich aktuell in besonders harscher Kritik an den Queer Studies und den damit verbundenen Gender Studies entlädt. Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit wird laut, ebenso die Unterstellung, dass die Queerund Gender-Theorien ideologisch motiviert seien.66 Diese Behauptungen erscheinen 62
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Barthes, Roland: Roland Barthes par Roland Barthes. In : Barthes, Roland : Œuvres complètes, Bd. III, hg. von Éric Marty, Paris 1995 (zuerst 1975), S. 78–250; hier: S. 169 (Hervorhebung NM), zitiert nach Landmann 2003, S. 69; in der deutschen Übersetzung von Jürgen Hoch heißt es: »[B]evor der Sinn in der Nicht-Signifikanz zugrunde geht, erschauert er noch einmal: Sinn gibt es, doch dieser Sinn läßt sich nich ›fassen‹; er bleibt fließend, in einem leichten Sieden erbebend.« (Barthes, Roland: Über mich selbst. Übers. von Jürgen Hoch, München 1978a, S. 107 (Hervorhebung aus dem Original)). Grosz, Elizabeth A.: Space, Time and Perversion. New York 1995, S. 184. Finzsch, Norbert: Becoming Gay: Deleuze, Feminismus und Queer Theory, in: Invertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten, Jg. 12, 2010, S. 104 – 124; hier: S. 114. Grosz schreibt hierzu: »Isn’t it more threatening to show, not that gender can be at variance with sex […], but that there is an instability at the very heart of sex and bodies, that the body is what it is capable of doing, and what anybody is capable of doing is well beyond the tolerance of any given culture?« (Grosz 1995, S. 214). In der medialen Landschaft der letzten Jahre ist der Begriff gender zum großen Politikum geworden und sorgt besonders in den Rängen der AfD sowie der Demo für Alle für heftige Kontroversen. Vgl. hierzu u.a. Siri, Jasmin: Geschlechterpolitische Positionen der Partei Alternative für Deutsch-
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fast schon zynisch, wurzelt die Gegenargumentation doch zumeist in purem Essenzialismus, der selbst weder wissenschaftlich haltbar noch frei von Ideologie ist.67 Zum Gegenstand der Kritik wird überdies sowohl die begriffliche als auch die konzeptuelle ›Elastizität‹, die charakteristisch für die Queer-Theorie ist. Dieser Vorwurf verkennt jedoch die Essenz des Terminus und bestätigt die dogmatische Aufrechterhaltung fester Grenzen bzw. Kategorien. »It is not simply that queer has yet to solidify and take on a more consistent profile,« schreibt Annamarie Jargose, »but rather that its definitional indeterminacy, its elasticity, is one of its constituent characteristics.«68 Natürlich soll dies nicht heißen, dass die Queer-Theorie über eine kritische Auseinandersetzung mit ihr erhaben ist, ganz im Gegenteil. Gleichwohl möchte sich die vorliegende Arbeit an den Grundsätzen der Queer-Theorie orientieren und männliche (Geschlechts-)Devianz sowie gleichgeschlechtliches Begehren als etwas denken, das jenseits der limitierenden Rolle einer abweichenden Randerscheinung über eine unversalisierbare Bedeutung verfügt.69 Aus der Position einer immerwährenden Marginalisierung enttarnt das Queere bzw. das Andere die Illusion klarer Grenzen als Produkt kulturellen Wirkens und mahnt zu einer kritischen Haltung gegenüber etablierten Gesellschaftsordnungen. Die im Folgenden angestrebte Analyse künstlerischer Inszenierungen devianter bzw. queerer Männlichkeiten und gleichgeschlechtlichen Begehrens erfolgt ganz im Geiste dieser real-queeren Sichtweise.
II.2 Palimpsest: Konstruktion und historische Diskursivierung queerer Männlichkeit(en) Sexualität hat eine Geschichte. Diese ebenso einfache wie radikale Aussage, die Foucault zum (Original-)Titel seiner vielzitierten Werkreihe Histoire de la sexualité gemacht hat, ist für diese Arbeit von eminenter Bedeutung. Allerdings ist die Einnahme dieser
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land. In: Häusler, Alexander (Hg.): Die Alternative für Deutschland. Programmatik, Entwicklung und politische Verortung, Wiesbaden 2016, S. 69–81. Der Begriff der ›Natürlichkeit‹ bzw. ›Natur‹ wird auch heute immer noch als Totschlagargument gebraucht, wenn es um ›abweichende‹ Lebensformen geht. Unter Berufung auf die Disziplin der Biologie bemüht man sich, den Anschein der Wissenschaftlichkeit zu wahren. Lancaster stellt in seinen Beobachtungen ebendiesen immer noch währenden Aberglauben an die Objektivität der (Sozio-)Biologie an den Pranger: »Fields like evolutionary biology and genetics have always been subject to ideological influences – to the sway of received opinions and untested beliefs about the nature of men, women, and desire. […] In popular culture today, when it comes to questions about ›human nature,‹ biology is almost always taken to be sociobiology, a set of claims organized around the assumption that biology is destiny for humans, that genetic predispositions determine (or ought to determine) our behavior toward others and our institutional forms. SOCIOBIOLOGY and its offshoot, evolutionary psychology, which explains our attitudes and behaviors in terms of natural selection and sexual selection, are thus reductive, and unapologetically so: they reduce culture to nature, pure and simple – and to a very simple conception of nature, at that.« (Lancaster 2003, S. 11). Jargose 2010, S. 1. Die Umschreibung der ›universellen Bedeutung‹ bezieht sich auf Sedgwick 2008, S. 43f.
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konstruktivistisch motivierten Perspektive nur möglich und sinnvoll, wenn man sie mit einer historischen Betrachtung der Männlichkeit verbindet. Dem hier verfolgten und auf Foucault referierenden historischen Ansatz entsprechend, werden Geschlecht und Sexualität in Abhängigkeit von weiteren Faktoren wie z.B. der Ethnizität oder der Sozialen Klasse als variable Identitätskategorien gedacht, welche »die Positionierung von Menschen in einem soziokulturellen Feld, deren Ein- und Ausschlüsse, Hegemonialisierungen und Marginalisierungen beeinflussen«.70 Bereits ein kurzer Blick in die Vergangenheit genügt, um das facettenreiche Spektrum variierender Konzeptionen und Konstruktionen von Sexualität bzw. Geschlechtlichkeit freizulegen. Am Beispiel des kinaidos konnte dies zuvor schon exemplifiziert werden. Bezug nehmend auf zwei Publikationen – den Sammelband Hidden from History: Reclaiming the Gay and Lesbian Past (1989)71 sowie Halperins How to do the History of Homosexuality (2004)72 – soll nun ein umfassenderer Abriss der verschiedenen Diskursivierungen männlich-männlichen Begehrens sowie der damit einhergehenden ›Subjektwerdung‹ devianter Männlichkeiten in der westlichen Kultur gegeben werden. Beide Veröffentlichungen lehnen die Vorstellung einer Geschichte des gleichgeschlechtlichen Verlangens ab und unterscheiden vielmehr verschiedene Formen, die zum Teil zeitgleich oder zeitversetzt existieren. Die Herausgeber_Innen von Hidden from History differenzieren drei weitgreifende Beziehungsmuster: (1) Zwischen Erwachsenen und Jugendlichen mit häufig initiatorischem Hintergrund; (2) zwischen Personen, welche die Geschlechterkonventionen ihrer Kultur aufrechterhalten (d.h. ein sexuell passiver Mann nimmt die Rolle der Frau ein) bzw. Personen, die den Status eines ›Dritten Geschlechts‹ einnehmen und (3) zwischen gleichaltrigen und sozial gleichgestellten Personen (wie in unserer heutigen Gesellschaft vorherrschend).73 Halperins Differenzierung unterscheidet hingegen vier Kategorien: (1) Verweiblichung/ Effeminiertheit; (2) Päderastie bzw. ›aktive‹ Sodomie; (3) Freundschaft bzw. platonische Liebe sowie (4) Passivität bzw. Inversion.74 Der folgende Überblick möchte nicht nur eine geschichtliche Einordnung liefern, sondern setzt sich überdies zum Ziel, die moderne sexuelle Identität des schwulen bzw. queeren Mannes mit der Denkfigur des Palimpsests als eines kumulativen Produkts seiner ›Vorgänger‹ begreifbar zu machen. Bei dem hier eingeführten Begriff des Palimpsests (wörtlich: wieder abgeschabt) handelt es sich laut Harald Weinrich um »eine Handschrift […], bei der auf wertvollem Schreibstoff, meistens Pergament, eine neue Schrift eine alte Schrift überlagert, dass diese zwar verwischt und teilweise zerstört ist, gleichwohl mit einiger Anstrengung noch in Resten gelesen werden kann.«75 Diese wiederbeschriebene Pergamentrolle wird zum Sinnbild für ein »historische[s] Hin und Zurück«, in dem 70
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Martschukat, Jürgen; Stieglitz, Olaf; Albrecht, Daniel: Geschichtswissenschaft. In: Horlacher, Stefan; Jansen, Bettina; Schwanebeck, Wieland (Hg.): Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2016, S. 104–127; hier: S. 106. Siehe Dubermann, Vicinus und Chauncey 1989. Siehe Halperin 2004. Vgl. Chauncey, George Jr.; Duberman, Martin B.; Vicinus, Martha: Introduction. In: Dies. (Hg.): Hidden from History. Reclaiming the Gay and Lesbian Past, New York 1989, S. 1–17; hier: S. 9. Vgl. Halperin 2004 S. 109. Weinrich, Harald: Wie zivilisiert ist der Teufel? Kurze Besuche bei Gut und Böse. München 2007, S. 25.
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»das Alte nunmehr fast ebenso rücksichtslos das Neue [verdrängt], wie das Neue vorher das Alte verdrängt hatte.«76 Die sich hier entfaltende Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Vergangenheit veranlasste den britischen Schriftsteller Thomas de Quincey bereits 1854 dazu, das Palimpsest als ideale Metapher für das menschliche Gedächtnis zu bezeichnen: »What else than a natural and mighty palimpsest is the human brain? […] Everlasting layers of ideas, images, feelings, haven fallen upon your brain softly as light. Each succession has seemed to bury all that went before. And yet in reality not one has been extinguished. […] countless are the mysterious handwritings of grief or joy which have inscribed themselves successively upon the palimpsest of your brain; and like the annual leaves of aboriginal forests […] the endless strata have covered up each other in forgetfulness. But by the hour of death, but by fever, but by the searchings of opium, all these can revive in strength. They are not dead, but sleeping.«77 De Quinceys ebenso poetischer wie pointierter Kommentar lässt sich dabei gleichermaßen auf das kollektive Menschheitsgedächtnis bzw. die Menschheitsgeschichte anwenden, ist letzteres doch nichts anderes als die Akkumulation kollektiver und individueller Erinnerungen. Die Vorstellung immerwährender Schichten von Ideen, Bildern sowie Gefühlen, die de Quincey beschwört und welche er zum Charakteristikum des Palimpsests erhebt, kann hierbei auch auf den Ablauf der Geschichte übertragen werden: Keine Epoche ist ohne die Vorhergehende zu denken, alles durchdringt sich und wirkt aufeinander ein. Es ist insbesondere dieser Aspekt einer fluiden Historizität, der die Begrifflichkeit des Palimpsests nicht nur interessant für eine (kultur-)geschichtliche Betrachtung queerer Geschlechtlichkeit bzw. Sexualität macht, sondern auch für eine kunstgeschichtliche Analyse. Am Beispiel prähistorischer Höhlenmalereien formuliert Davis den Palimpsestgedanken auch im Sinne einer Geschichte des Bildes.78 Die übereinander gelagerten Figuren frühzeitlicher Malereien verbildlichen nach Davis nicht nur eine Abfolge von Geschehnissen, sondern thematisieren die Geschichte (und das Wesen) des Bildes bzw. der Bildhaftigkeit an sich. Vor Davis hat bereits Barthes den Palimpsestbegriff für die visuellen Künste fruchtbar gemacht, als er in seinem Aufsatz Der Dritte Sinn (zuerst 1970) u.a. über die »Palimpsestbeziehung« zwischen Film und Filmstills schrieb und damit die Idee
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Ebd. S. 26. Quincey, Thomas de: Confessions of an English Opium-Eater and Other Writings. Oxford & New York 1998, S. 144 und 146. Davis schreibt: »In the case of engraved figures superimposed on one antoher in prehistoric caves, it is possible literally to see (or in some cases to touch) the sequences and transformations or montages […]. Arguably the palimpsests were produced not only as a function of this history of pictoriality. They were also made to pictorialize that very history as such […].« (Davis, Whitney: A General Theory of Visual Culture. Princeton und Oxford 2011, S. 359f (aus den Fußnoten zitiert)); vgl. auch den Aufsatz von Margaret W. Conkey, in dem sie sich auf einen unveröffentlichten Vortrag Davis’ über Prehistoric Palimpsests bezieht. Davis hielt den Vortrag im Mai 1997 in der National Gallery of Art in Washington (DC). Siehe Conkey, Margaret W.: Thinking strings: On theory, shifts and conceptual issues in the study of Palaeolithic art, in: Blundell, Geoffrey; Chippindale, Christopher; Smith, Benjamin (Hg.): Seeing and Knowing. Understanding Rock Art with and without Ethnography, Walnut Creek 2010, S. 199–213, hier: S. 210.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
einer »Schichtung von [Bild-]Sinn« etabliert hat, »die den vorhergehenden Sinn immer bestehen lässt, wie in einer geologischen Konstruktion«.79 Ähnlich wie de Quincey löst Barthes das Palimpsest aus seiner rein materiellen Bedeutung heraus und bezieht ihn laut Klaus Krüger vielmehr auf die »mediale Struktur« von Bildwerken, wodurch er die »im Werk vermittelten Koexistenzen heterogener Vorstellungen und Referenzen, Sinnbezüge und Imaginarien« herausstellt.80 In seinem Beitrag für den 2007 von Hans Belting herausgegebenen Sammelband Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch plädiert Krüger dafür, dass von Barthes angestoßene »operative Denkmodell«81 des Palimpsests als essenziell für den bildnerischen Entstehungsprozess postmoderner Kunst anzuerkennen.82 Wenngleich Krüger sich ausdrücklich auf die Kunst der Postmoderne bezieht, erweist sich die von ihm getroffene Aussage für die gesamte Kunstgeschichte als relevant, entsteht doch jedes Bild und jedes Kunstwerk vor einem komplex vernetzten kulturellen Hintergrund, der gleichermaßen von Vergangenheit und Gegenwart geformt ist und sich unweigerlich auf die bildnerische Gestaltung auswirkt – man könnte demnach auch sagen, dass ein (visuelles) Palimpsest nichts anderes meint als das, was der Ausdruck der Ikonographie umschreibt bzw. die Ikonographie nichts anderes ist als ein diskursiviertes (visuelles) Palimpsest.83 Zum einen knüpft Krüger damit ganz klar an die von Barthes mitgeprägte poststrukturalistische Annahme einer »dynamischen Bedeutungsproduktion« an, die von einem prozessualen und veränderlichen Bildverständnis ausgeht.84 Zum anderen erweitert er den Bezugs- und Bedeutungsrahmen der Kunst auf das, was Davis in seinem Buch A General Theory of Visual Culture (2011) als visuelle Kultur bezeichnet.85 So liegt die von Barthes respektive Krüger angesprochene Idee der Bildgenerierung als Produkt eines Schichtungs-, Sedimentierungs- und Kontaminationsprozesses auch den von Davis verwendeten Begriffen Stylistic Succession und Iconographic Succession zugrunde, mittels derer er in Anlehnung an Heinrich Wölfflin eine Geschichte
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Barthes, Roland: Der dritte Sinn. In: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III, übers. von Dieter Hornig, Frankfurt a.M. 1990, S. 47–66, hier: S. 66 und S. 54. Krüger, Klaus: Das Bild als Palimpsest. In: Belting, Hans (Hg.): Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch, München und Paderborn 2007, S. 133–164; hier: S. 137. Ebd. Krüger erläutert hierzu: »Bildgenerierung enfaltet sich also nicht nur aus einer produktionsästhetisch definierten Dynamik heraus, sondern auch und gerade durch seine Rezeption als einem gleichermaßen dynamisch und gestaltungsaktiv bestimmten Prozess der Aneignung und Verdrängung: als fortwährende Bewegung des Eindringens und der Aufdeckung, der Enthüllung und Überlagerung und dabei der unablässigen Veränderung durch Projektion und Imagination. Kurz: Die Schichtung, Sedimentierung und Kontamination von Bildformeln der Vergangenheit und Lebensbildern der Gegenwart, von kollektiven und individuellen, von künstlerischen und nicht künstlerischen Bildern wird im Betrachter allererst als ein Ereignis des ästhetischen Erfahrung produktiv, und eben hierdurch vermag sich ihm das bildlich Geschichtete zugleich als ein Modus der Geschichte und des geschichtlichen Wandels, das bildliche Oszillieren zwischen Wirklichkeit und Inszenierung, Künstlichkeit und Leben zugleich als ein Modell der menschlichen Erfahrungsbildung zu erschließen.« (Ebd., S. 136). Vgl. auch Maniu 2013. Landmann 2003, S. 67; vgl. zudem Krüger 2007, S. 139. Vgl. Davis 2011.
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des Sehens entwirft, die den Bildkünsten bzw. allen visuellen Dokumenten eine fundamentale Bedeutung für jedwedes kulturelles Verständnis zuspricht und sie als Ausdruck komplexer historischer Vorgänge versteht.86 Zur besseren Kontextualisierung dieser Vorgänge, gilt es zunächst zu zeigen, dass es sich bei den u.a. von Halperin historisch unterschiedenen Beziehungsmustern männlich-männlichen Begehrens nicht um bloße ›Vorformen‹, sondern um integrale Bestandteile des Konstituierungsprozesses moderner Konzeptionen von Homosexualität und Queerness handelt, die sich – und dies ist Untersuchungsgegenstand des Hauptteils – als vergangene ›Bildschichten‹ auch auf visueller Ebene manifestieren. Die vorangestellte historische Betrachtung soll in zwei Unterkapiteln erfolgen: Der erste Abschnitt konzentriert sich auf antike und mittelalterliche Diskursivierungen, die laut Foucault in erster Linie die sexuelle Handlung und weniger den Handelnden selbst in den Mittelpunkt stellen.87 An zweiter Stelle stehen dann solche historischen Auseinandersetzungen, die den Fokus auf die »Persönlichkeit« gleichgeschlechtlich begehrende Männer und deren »Sondernatur« legen.88 Die Ausrichtung der Einteilung an Foucaults vorgeschlagener Diskursgeschichte der Homosexualität dient hierbei als Hilfestellung und sollte keinesfalls als dogmatische Gegebenheit verstanden werden, da sich diese Differenzierung nicht immer aufrechterhalten lässt.
II.2.1 Handlungsorientierte Diskursivierungen – Päderastie, Sodomie und Amicitia Zu Beginn der westlich-europäischen Geschichte männlich-männlichen Verlangens steht die griechisch-antike Päderastie als eine der frühesten und einflussreichsten Formen institutionalisierter gleichgeschlechtlicher Sexualität.89 Dieses initiatorische Beziehungsmodell beschreibt eine ritualisierte sowie streng reglementierte Handlung zwischen bürgerlichen Erwachsenen und Jugendlichen, die gesellschaftlich akzeptiert und gefördert wurde. Es korrespondiert mit der von Halperin als ›aktive‹ Sodomie bezeichneten zweiten Kategorie, in der er alle Akte sexueller Penetration eines untergeordneten Mannes/Jünglings fasst.90 Die Päderastie ist eine der wichtigsten Institutionen im antiken Griechenland bzw. in Athen.91 Während die Beziehung zwischen Mann und Frau vorrangig der Fortpflanzung und somit dem physischen Leben verpflichtet war, galt diejenige zwischen Männern als Wiege des geistigen Lebens, die erst das soziale Individuum (den Bürger) gebar. Sowohl Platon als auch Sokrates waren große Verfechter der Päderastie, deren Wirkungsweise und Funktion letzten Endes darin bestand, dass sich ein reiferer und oftmals 86 87 88 89 90 91
Vgl. Davis 2011 u.a. S. 5f (Wölfflin), S. 83ff (Stylistic Succession) und S. 192ff (Iconographic Succession). Foucault 1983, S. 47. Ebd. Vgl. Chauncey, Dubermann und Vicinus 1989, S. 9. Vgl. Halperin 2004, S. 113. Es ist natürlich immer Vorsicht vor Verallgemeinerungen geboten und so kann man nicht von den Griechen bzw. dem einen Griechenland sprechen. Das antike Griechenland war ein Gebiet mit sehr vielen lokalen Unterschieden. Deshalb hier der Vermerk, dass die meisten Dokumente über die antike Päderastie aus dem Umfeld Athens stammen.
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bärtiger Mann (erastês) eines heranwachsenden Jünglings (erômenos) annahm, um diesen zu einem ›ehrwürdigen‹ und ›vollwertigen‹ Bürger auszubilden. Die dem Jüngling immanente Eigenschaft, noch kein ›ganzer‹ Mann zu sein, erlaubte es ihm bei initiatorischen sexuellen Handlungen, die passive Rolle einzunehmen, zumindest solange, bis der erste Bartwuchs und damit die Mannwerdung eintrat. Jenseits einer Einteilung in erastês und erômenos lässt die Päderastie als institutionalisierter Initiationsritus allerdings keine weiteren Aussagen über die individuellen Personen zu, weshalb sie als Paradebeispiel für eine handlungsorientierte Diskursivierung der Sexualität gilt. Der wichtigste sexuelle Akt im päderastischen Verhältnis war der coitus in femoribus (auf Deutsch so viel wie Schenkelverkehr), wobei der ältere Mann seinen Penis zwischen die Schenkel des Jünglings einführte. Fellatio und analer Geschlechtsverkehr galten hingegen nicht als angemessene Ausdrucksformen, was jedoch nicht bedeuten soll, dass sie nicht vorkamen.92 Diese sich auf Gregory Woods Werk A History of Gay Literature (1998) stützende Erläuterung entspricht dem unter Forscher_Innen der Gay Studies bzw. Queer Studies gängigen Konsens, was im antiken Griechenland unter Päderastie zu verstehen war. Man beruft sich dabei auf überlieferte Darstellungen und literarische Quellen, insbesondere auf Platons Symposion (Das Gastmahl) – den berühmten fiktiven Dialog zwischen Männern der intellektuellen Elite Athens (unter ihnen auch Sokrates) über den Gott Eros und die Liebe.93 Neben Platons Phaidros und den Nomoi gilt das Symposion als einer der wichtigsten philosophischen Texte der Antike, der sich auch explizit mit der Diskursivierung männlich-männlichen Begehrens beschäftigt.94 Aufgeteilt in sieben Lobreden auf den Gott Eros gewährt Platons Symposion einen differenzierten Einblick in konkurrierende Auffassungen vom antiken Verständnis von Begehren und Liebe. Hierbei argumentiert er jedoch vor allem für die rein geistige Liebe zwischen Männern, die er zum erstrebenswerten Ideal erhebt und wodurch seine Philosophie letzten Endes auch anschlussfähig für das Christentum wird.95 Der erste Sprecher, Phaidros, beschwört etwa das päderasti-
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Vgl. für diesen Abschnitt Woods 1998, S. 20f. Vgl. Platon: Symposion. Hg. und übers. von Albert von Schirnding, München 2012; das im Originaltext verwendete (alt-)griechische Wort eròs wird zumeist mit Liebe übersetzt und soll daher auch in der nachfolgenden Besprechung von Platons Werk Verwendung finden. Wie in Kapitel II.1.1 erläutert wurde, bevorzugt die vorliegende Arbeit den Begriff des Begehrens. Vgl. hierzu u.a. Horn, Christoph: Enthält das Symposion Platons Theorie der Liebe? In: Ders. (Hg.): Platon: Symposion, Berlin 2012, S. 1–16. Der belgische Symbolist Jean Delville widmet dem Philosophen mit der Schule Platos (1898) ein Gemälde, in dem antike und christliche Topoi gänzlich zu verschmelzen scheinen: Inmitten einer pastoralen Landschaft spricht dort ein ikonographisch kaum von Christus zu unterscheidender Plato vor zwölf nackten, blumenbekränzten Jünglingen. Der Künstler entwirft die Szenerie als homoerotisches und päderastisches Pendant zum letzten Abendmahl. Siehe Jean Delville, Die Schule Platos, 1898, Öl auf Leinwand, 260 x 605 cm, Musée d’Orsay, Paris. Hierzu lässt sich beispielweise die neoplatonische Interpretation des Ganymed-Mythos als Aufstieg der Seele in den Himmel vergleichen. Vgl. hierzu u.a. Saslow, James M.: Ganymede in the Renaissance. Homosexuality in Art and Society, New Haven und London 1986, S. 1f; sowie Fernandez 2002, S. 65; siehe auch Jope, James: Platonic and Roman Influence on Stoic and Epicurean Sexual Ethics. In: Hubbard, Thomas K. (Hg.): A Companion to Greek and Roman Sexualities. Chichester 2014, S. 417–431; hier: S. 417f.
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sche Ideal einer militaristisch-kameradschaftlichen Liebe zwischen erômenoi und erastai, die sich, als höchstmöglicher Ausdruck ihrer Zuneigung, füreinander opferten.96 Diese Idealisierung männlich-männlicher Zuneigung und Opferbereitschaft wird im Laufe der Zeit immer wieder für militärische Zwecke instrumentalisiert und findet ihren vorläufigen Höhepunkt in der Propaganda der Diktaturen des 20. Jahrhunderts.97 Bleiben die meisten Redner im Unklaren darüber, über welche Art von Liebe sie sprechen (eine geistige oder körperliche Liebe), unterscheidet der nachfolgende Sprecher, Pausanias, ganz klar zwischen zwei Arten der Liebe und verweist dabei auf die unterschiedlichen Zeugungsmythen der Liebesgöttin Aphrodite: Die Aphrodite Pandemos, Kind des Zeus und der Dione, steht für die ordinäre, rein körperliche Liebe (unabhängig, ob Frauen oder Knaben/Männer das Objekt der Begierde sind); die Aphrodite Urania, diejenige, die aus den Geschlechtsteilen des kastrierten Uranos geboren wurde, steht für die himmlisch ideale und geistige Liebe, wie sie nur unter Männern zu finden sei.98 Basiert die Liebe auf einer geistigen Verbundenheit und Ebenbürtigkeit, so ist laut dieser Rede auch nichts gegen eine lustvolle körperliche Vereinigung einzuwenden.99 Interessanterweise bricht Pausanias insofern mit den Idealen der Päderastie, als er sich nicht nur gegen eine zeitliche Begrenzung dieses Beziehungsmodells stellt, sondern die lebenslange Treue zwischen Männern einfordert. Anhand des von ihm geschilderten Entstehungsmythos’ der Aphrodite Urania, in welchem er diese Inkarnation der Liebe als rein phallisches Geschöpf konzipiert, wird darüber hinaus nochmals die seit der Antike herrschende und für die westliche Kultur so prägende Hierarchisierung des Männlichen über das Weibliche verdeutlicht.100 Während Phaidros, Pausanias sowie auch der dritte Redner, der Arzt Eryximachos, sich vorrangig für eine Hierarchisierung verschiedener Begehrensarten zu interessieren scheinen, versucht der Komödiendichter Aristophanes, dem Ursprung unterschiedlicher Liebessehnsüchte an sich nachzuspüren. Er entwirft einen Schöpfungsmythos, laut dem es zu Anbeginn der Zeit drei verschiedene Geschlechter gab: die Männer von der Sonne, die Frauen von der Erde sowie ein hermaphroditisches Geschlecht (zu gleichen Teilen Mann und Frau) vom Mond. Diese frühzeitlichen Geschöpfe sollen von sphärischer Form und rebellischem Geist gewesen sein. Missmutig über ihre nur geringschätzige Anerkennung der olympischen Gottheiten, so Aristophanes weiter, 96 97 98
Vgl. Platon 2012, 178d–180c (S. 20ff). Siehe Bordo 2000, S. 91; vgl zudem ebd. S. 75ff. Vgl. Platon 2012, 181b–d (S. 36); die Aphrodite Urania lässt sich hierbei als umgestülpter Phallus des Uranos verstehen. Ohne jeglichen Entstehungsanteil einer Mutter ist sie das perfekte Symbol für die geistige und dem männlichen Geschlecht zugeteilte Sphäre. Die Aphrodite Pandemos hingegen steht für die gemeine, vollzogene Liebe und wird daher der materiellen, weiblichen Sphäre zugeordnet. 99 Siehe Sier, Kurt: Die Rede des Pausanias (180c1-185c3). In: Horn, Christoph (Hg.): Platon: Symposion, Berlin 2012, S. 53–69; hier vor allem S. 63f; vgl. zudem Dover, Kenneth James: Eros and Nomos. In: Bulletin of the Institute of Classical Studies 11, 1964, S. 31–42. 100 Es sei hier vor allem auf Aristoteles verwiesen, der sich explizit gegen eine Gleichstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit äußert, da er letzteres als ›geringer‹ erachtet: »Auch das Männliche verhält sich zu dem Weiblichen von Natur, wie das Bessere zu dem Geringeren und wie das Herrschende zu dem Beherrschten und dasselbe Verhältnis muss auch für alle Menschen gelten.« (Aristoteles: Politik. Band I, übers. von J. H. v. Kirchmann, Leipzig 1880, Kapitel 5, 1254b14).
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strafte Zeus diese Wesen, indem er sie jeweils in der Mitte teilte. Durch diesen Vorgang reduzierte sich die Anzahl der Geschlechter auf zwei, doch strebte jeder Mensch fortan danach, sich wieder mit dem ihm entrissenen Teil zu vereinen. Das Geschlecht der Männer von der Sonne suchte demnach nach Männern, die Frauen von der Erde nach Frauen und das ehemals hermaphroditische Mondgeschlecht nach dem jeweils anderen Geschlecht (dies würde nach modernem Verständnis der Heterosexualität entsprechen).101 Der Logik nach müsste dies eigentlich bedeuten, dass die Männer von der Sonne fortan gleichaltrige Partner begehrten, da sie einst Teil derselben Entität waren. Halperin weist jedoch darauf hin, dass Aristophanes dessen ungeachtet weiterhin von der Päderastie als idealem Ausdruck dieses Verlangens spricht.102 Hierin verdeutlicht sich erneut die Differenz zwischen antiken Begehrenskonzeptionen und der ›modernen‹ Homosexualität, für die ein Altersunterschied nicht normativ vorgegeben ist. Dennoch ist anzumerken, dass Aristophanes in seiner Rede den Fokus weg von der Handlung als solcher und hin auf die Begehrenden selbst verschiebt. Obgleich es fraglich ist, inwiefern man hier von einer Unterscheidung verschiedener sexueller Orientierungen im gegenwärtigen Sinne sprechen kann, deutet der Mythos zumindest auf ein rudimentäres Verständnis von sexuellem Verlangen als Ausdruck einer ›angeborenen‹ und lebenslangen Präferenz hin.103 Männlich-männliches Verlangen erscheint jedoch nicht in der von Foucault beschworenen Rolle einer »Sondernatur«, sondern als eine unterscheidbare und dem Menschen immanente Eigenschaft.104 Mit dieser Ansprache nimmt Aristophanes eine singuläre Position im Gastmahl ein. Auf die überschwängliche fünfte Rede des Agathon folgt schließlich der Auftritt Sokrates’. Er differenziert, ähnlich wie Phaidros und Pausanias, zwischen zwei verschiedenen Arten der Liebe, die jeweils alternative Möglichkeiten darstellen, um den menschlichen Drang nach Unsterblichkeit zu stillen: Die erste Variante ist die physische Liebe, die durch Zeugung von Nachwuchs das Fortbestehen der Elterngeneration garantiert; die zweite Variante ist die der spirituellen Liebe, wie sie nur zwischen Männern zu finden
101 Vgl. Platon 2012, 189d–191d (S. 43ff). 102 Vgl. Halperin, David: Sex before Sexuality: Pederasty, Politics, and Power in Classical Athens, in: Dubermann, Martin B.; Vicinus, Martha; Chauncey, George Jr. (Hg.): Hidden from History. Reclaiming the Gay and Lesbian Past, New York 1989, S. 37–54; hier S. 42ff. 103 Vgl. Boswell, John: Revolutions, Universals, and Sexual Categories. In: Dubermann, Martin B.; Vicinus, Martha; Chauncey, George Jr. (Hg.): Hidden from History. Reclaiming the Gay and Lesbian Past, New York 1989, S. 17–37; hier: S. 25; Boswell selbst sieht in seiner Auslegung des Kugelmenschenmythos die Bestätigung seiner Annahme, dass es bereits in der Antike eine ›homosexuelle‹ Identität gegeben habe (vgl. ebd.). Halperin kritisiert diese Deutung als unzutreffend und betont vielmehr, dass es Aristophanes zum einen um die Gleichheit jeglichen sexuellen Verlangens ginge – jeder Mensch sehnt sich gleichermaßen nach dem ihm entrissenen Teil (vgl. Halperin 1989, S. 44). Zum anderen würde Boswells Deutung übersehen, dass Beziehungen zwischen gleichaltrigen Männern eben nicht mit dem Mythos legitimiert würden, sondern nach wie vor die Päderastie als einzig akzeptable Form gleichgeschlechtlichen Verlangens gelte (vgl. ebd., S. 45). Auf diese Kritik reagiert Boswell wiederum in einer längeren Fußnote und korrigiert seine Aussage dahingehend, dass Platos Aristophanes zwar nicht unbedingt von einer klar unterscheidbaren ›homosexuellen‹ Identität ausgeht, aber von einer zu differenzierenden Begehrensstruktur (vgl. Boswell 1989, S. 25). 104 Vgl. Foucault 1983, S. 47.
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sei, welche zwar keine Kinder, dafür aber ›geistigen Nachwuchs‹ erzeugten. In Sokrates’ Augen stellt die Beziehung zwischen Männern die überlegenere und reinere Liebe dar, was auch seinen Zuspruch für die Institution der Päderastie erklärt.105 Diese Auszüge aus Platons Symposion vermitteln bereits ein Bild davon, wie männlich-männliches Begehren in der Antike zwar durchaus hochgeschätzt, doch gleichzeitig stark reglementiert und in unterschiedliche soziale Kontexte (z.B. Militär) eingebettet war. Bei der Betrachtung philosophischer Texte wie der Werke Platons ist jedoch Vorsicht geboten, inwiefern diese faktische Aussagen über den tatsächlichen Alltag treffen können. Es sei hier kurz auf Winklers Aufsatz über das Sexualverhalten im antiken Athen verwiesen, in welchem er treffend feststellt, dass das Beispiel der Päderastie zeige, wie stark ›natürliche‹ Sexualität auch von gesellschaftlichen Faktoren abhängig und im Grunde jede denkbare Konstellation der Lust institutionalisierbar sei: »[L]ike the geological changes in the earth’s surface over millennia, the moral landmasses and ›natural‹ boundaries can be shown to have undergone radical shifts.«106 Ähnliche Beziehungsmodelle wie in der antiken mediterranen Welt finden bzw. fanden sich auch in vielen anderen Kulturkreisen, wie z.B. in Japan, China, Australien, Neuguinea, bei einigen afrikanischen Stämmen oder in islamischen Ländern.107 Die im Symposion artikulierten Vorstellungen männlich-männlicher Liebe werden uns entsprechend dem anfänglich eingeführten Palimpsest-Begriffs nicht nur in verschiedenen Kulturen, sondern in abgewandelter Form auch zu anderen Zeiten begegnen. So erkennt auch Halperin in seiner Darlegung der Geschichte gleichgeschlechtlichen Begehrens deutliche Parallelen zwischen der Institution der Päderastie und beispielweise der florentinischen Halbwelt des Renaissancezeitalters.108 Hierbei erweitert er die Kategorie der Päderastie um den Zusatz der ›aktiven‹ Sodomie109 , um sie auch außerhalb des
105 Vgl. Platon 2012, 206a–207a (S. 75ff); vgl. zudem Crompton, Louis: Plato. In: Summers, Claude J.: The Gay and Lesbian Literary Heritage. A Reader’s Companion to the Writers and Their Works, From Antiquity To The Present, London 1997b, S. 548–551; hier: S. 549f; vgl. Woods 1998, S. 20f; sowie Saslow 1999, S. 14f. 106 Vgl. Winkler 1990b, S. 171. 107 Vgl. Trumbach, Randolph: The Birth of the Queen: Sodomy and the Emergence of Gender Equality in Modern Culture, 1660–1750, in: Dubermann, Martin B.; Vicinus, Martha; Chauncey, George Jr. (Hg.): Hidden from History. Reclaiming the Gay and Lesbian Past, New York 1989, S. 129–140, hier: S. 129f; ein sehr umfangreicher Abriss über die Diskursivierung gleichgeschlechtlichen Begehrens findet sich bei Greenberg, David F.: The Construction of Homosexuality. Chicago und London 1990. 108 Vgl. auch Saslow, James M.: Homosexuality in the Renaissance: Behavior, Identity, and Artistic Expression, in: Dubermann, Martin B.; Vicinus, Martha; Chauncey, George Jr. (Hg.): Hidden from History. Reclaiming the Gay and Lesbian Past, New York 1989, S. 90–105. 109 Für eine ausführliche Erläuterung über die Entstehung des Begriffs Sodomie siehe: Jordan, Mark D.: The Invention of Sodomy in Christian Theology. Chicago und London 1997; für eine Untersuchung der Homosexualität im christlichen Mittelalter siehe Boswell, John: Christianity, Social Tolerance, and Homosexuality: Gay People in Western Europe from the Beginning of the Christian Era to the Fourteenth Century, Chicago und London 1981; sowie Brinkschröder, Michael: Sodom als Symptom. Gleichgeschlechtliche Sexualität im christlichen Imaginären – eine religionsgeschichtliche Anamnese, Berlin und New York 2006.
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antiken Griechenlands insbesondere für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit brauchbar zu machen. Der gewählte Ausdruck der Sodomie, dessen erstes Auftauchen Mark D. Jordan auf das 11. Jahrhundert datiert, referiert auf die biblische Episode von Sodom und Gomorha und meint eigentlich alle unzüchtigen, sexuellen Handlungen, die nicht der Fortpflanzung dienen und sich damit gegen den ›Willen Gottes‹ richten.110 Dies entspricht auch der Definition Foucaults, für den »[d]ie Sodomie – so wie die alten zivilen oder kanonischen Rechte sie kannten – […] ein Typ von verbotener Handlung« war.111 Obschon »diese so verworrene Kategorie« der Sodomie zunächst als Sammelbegriff für zahlreiche Vergehen verwendet wurde (sexuelle Unzucht, Ketzerei usw.), verengt sich die Definition im Laufe der Zeit zunehmend und meint bald ausschließlich männlichmännliche Sexualakte.112 Der mittelalterliche Sodomit gilt gemeinhin als ein sündhafter Mann, der mit einem anderen Mann Analverkehr bzw. Unzucht praktiziert. Halperins auf den ersten Blick anachronistisch anmutende Vorgehensweise, die Sodomie mit der Päderastie in einer Kategorie zu verbinden, beruht auf der bereits erwähnten und von Foucault festgestellten Fokussierung auf den Aspekt der ›Handlung‹: Sowohl der antike Päderast als auch der mittelalterliche Sodomit werden zumeist als ›Urheber einer Handlung‹ und nicht als ›Persönlichkeit‹, wie etwa ›der Homosexuelle‹, verstanden.113 Überdies kennt das Konzept der Sodomie eine ähnliche Hierarchisierung des Begehrens, wie sie beispielweise auch in der Antike zu finden ist. So stellt das christliche Mittelalter der ›verdammungswürdigen‹ sodomia mit der amicitia, einer »Art sublimierte[n], [teilweise] sozial und kirchlich akzeptierte[n] Homoerotik«, eine anerkannte Form männlich-männlichen Verlangens entgegen, wie sie etwa durch Jesus Chirstus und Johannes verkörpert wird und besonders in klerikalen Zirkeln auftaucht.114 Damit knüpft das Christentum – gemäß dem Palimpsest-Begriff – an die bereits von Pausanias im Symposion diskutierte Differenzierung zwischen fleischlichem und geistigem Begehren an.115 Neu ist im Fall der Sodomie allerdings der auch von Foucault betonte Aspekt des Verbots.116 Das Christentum belegt das sodomitische Laster mit einer bisher nicht dagewesene moralische Verurteilung, die das europäische bzw. westliche Verständnis bis in die heutige Zeit prägt.117 Wenn der Begriff der Sodomie bei Halperin auftaucht, so meint er, ungeachtet seiner christlich-moralischen Implikationen, in erster Linie eine sexuelle Handlung: »[Pa110 111 112 113 114
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Vgl. Jordan 1997, S. 1. Foucault 1983, S. 47 (Hervorhebung, NM). Ebd., S. 100; vgl. zudem Brinkschröder 2006, S. 21f. Vgl. Foucualt 1983, S. 47. Castro-Gómez, Victor R.: Eros und Gewalt. Die Figur Sebastians als Leitmotiv homoerotischer Ikonographie (Yukio Mishima, Derek Jarman, Tennessee Williams), in: Härle, Gerhard; Popp, Wolfgang; Runte, Annette (Hg.): Ikonen des Begehrens. Bildsprachen der männlichen und weiblichen Homosexualität in Literatur und Kunst, Stuttgart 1997, S. 177–190; hier: S. 185; zur amor amicitiae bzw. der keuschen Männerfreundschaft/liebe in der Kunst vgl. Baader, Hannah: Das Selbst im Anderen. Sprachen der Freundschaft und die Kunst des Porträts 1370–1520, Paderborn 2015 u.a. S. 137ff; vgl. zudem Pfisterer, Ulrich: Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin 2008 u.a. S. 258ff. Vgl. Saslow 1999, S. 56f. Vgl. Foucault 1983, S. 47. Auf die Sodomie und das christliche Verständnis wird näher in Kapitel III.2.1 eingegangen.
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ederasty or ›active‹ sodomy] refer to the male sexual penetration of a subordinate male – subordinate in terms of age, social class, gender style, and/or sexual role.«118 Mit der betonten Verwendung des Wortes subordinate macht der Autor deutlich, dass für ihn der Schwerpunkt der Päderastie bzw. der ›aktiven‹ Sodomie auf einer Hierarchisierung liegt, wobei der zuletzt genannte Aspekt der sexuellen Position von besonderer Bedeutung ist. Sowohl in der antiken als auch in der mittelalterlichen Diskursivierung unterscheidet man klar zwischen Penetrierendem (aktiv) und Penetriertem (passiv). Während die Päderastie die Einnahme der passiven Rolle nur dem Jüngeren zugesteht, da dieser nach antikem Geschlechterverständnis noch kein ›richtiger‹ Mann ist, scheint auch die christliche Kategorie der Sodomie diese Position strenger zu verurteilen. So drohte eines der ersten Gesetze gegen gleichgeschlechtliche ›Unzucht‹, das 342 n. Chr. von den Nachfolgern Kaiser Konstantins (Konstantius und Konstans) erlassen wurde, den Männern, »die ihre geschlechtliche Rolle verkehrten und sich anderen Männern auf weibliche Art anböten«, mit dem Tode.119 Diese in der Antike wie auch im Mittelalter herausgestellte Differenzierung der passiven Position als weiblich – und damit letzten Endes als gefährlicher – wird sich bis in die Gegenwart durchziehen und verdeutlicht die nun schon öfter angesprochene Erhöhung des Männlichen über das Weibliche in der westlichen Kultur.120 Des Weiteren erscheint die Unterscheidung zwischen den Rollen auch deshalb von Bedeutung, da sich hier entgegen der von Foucault auf das 19. Jahrhundert datierten Geburt des »zu einer Persönlichkeit geworden[en]« Homosexuellen, bereits eine latente ›Personalisierung‹ des Begehrens wie auch der Begehrenden abzeichnet.121 Auch auf bildlicher Ebene setzen sich die Verknüpfungspunkte zwischen Päderastie und Sodomie fort. Denn obwohl die christliche Kirche im Mittelalter die Praktizierung der Päderastie vehement verdammte, wurde deren distinguierte Typologie – reiferer, bärtiger Mann und bartloser, gelockter Jüngling – von der christlichen Ikonographie unter dem Terminus der amicitia absorbiert. So können etwa die olympischen Päderasten Zeus und Ganymed als visuelles Palimpsest der späteren Paarung von Jesus und Johannes (Abb. 80) gesehen werden, was in der kunsthistorischen Werkanalyse des Hauptteils noch einmal konkret exemplifiziert werden soll.122 Mit Beginn der Frühen Neuzeit erfolgt neben der ikonologischen Vereinnahmung antiker Mythologie auch eine Inhaltliche. Unter dem
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Halperin 2004, S. 113. Brinkschröder 2006, S. 12; diese differenzierte Gewichtung der sexuellen Rollen bedeutet jedoch keinesfalls, dass sich der aktive Partner nicht versündigt. So merkt Brinkschröder an, dass Kaiser Justinian bereits 538 und 544 n. Chr. zwei Gesetze erlässt, welche explizit die »Schändung von Männlichen« verurteilen, »die einige Männer auf gotteslästerliche und unfromme Weise zu begehen wagen, indem sie abscheuliche Handlungen mit anderen Männern vollziehen«. (Zit. nach Brinkschröder 2006, S. 12.); vgl. hierzu Corpus Iuris Civilis: Novellae 141; 77. 120 Halperin schreibt hierzu treffend: »[T]he underlying notion is that a conventionally masculine man who sexually penetrates a subordinate partner of either sex is acting out a conventional male role.« (Halperin 2004, S. 115). 121 Foucault 1983, S. 47; zur Charakterisierung der Sodomiten als spätmittelalterliche Randgruppe vgl. Hergemöller, Bernd-Ulrich: Einführung in die Historiographie der Homosexualitäten. Tübingen 1999. 122 Auf diesen Aspekt gehen die Kapitel III.1.3 und III.2.2 nochmals gesondert ein.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
Deckmantel neoplatonischer Philosophie wird so z.B. der Ganymed-Mythos zum Sinnbild einer christlichen Apotheose umgedeutet.123 Die u.a. in den Publikationen von Saslow sowie Margaret A. Gallucci oder auch Michael Rocke festgehaltenen päderastischen Aktionen im Italien des Quattro- und Cinquecentos belegen jedoch, dass die der griechischen Mythologie inhärente Homoerotik nicht verloren ging.124 Vielmehr berief man sich insbesondere in intellektuellen Kreisen auf die Liebschaften eines Zeus oder Apollo, um sein eigenes Begehren zu legitimieren.125 Zudem begünstigten gewisse soziale Strukturen die Päderastie und machten sie damit auch wieder zur dominanten Form und Diskursivierung männlich-männlicher Sexualität von der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert hinein, wie z.B. das Lehrlingssystem in den Kunstwerkstätten.126 Dementsprechend folgen die meisten Inszenierungen dieser großen Zeitspanne den in der Antike geprägten Idealen und zeigen innige Männerpaare in den Rollen des erastês und des erômenos. Eines der seltenen visuellen Zeugnisse, das die Existenz gleichgeschlechtlicher Beziehungen zwischen zwei erwachsenen Männern in dieser Zeit belegt, ist ein anonymes Pamphlet aus dem England der 1640er Jahre (siehe Abb. 1). Die Darstellung zeigt den wegen Ehebruchs, angeblichem Inzests und Sodomie verurteilten anglikanischen Bischof John Atherton und dessen Geliebten John Childe am Galgen hängend. Beide Männer tragen Vollbart und stehen somit außerhalb klassisch-päderastischer Konventionen. Parallel zu der lange Zeit vorherrschenden Diskursivierung männlich-männlichen Begehrens als Päderastie entwickelt sich ab dem Mittelalter die bereits genannte amicitia.127 Als intimes, aber keusches Begehren zwischen Männern gilt die amicitia aus christlicher Perspektive als vollkommenste und einzig erlaubte Form gleichgeschlechtlichen Verlangens. Aus diesem Phänomen inniger Männerfreundschaft entwickelt sich ein weiteres Vorläufermodell moderner Homosexualität, das Sedgwick in ihrem Buch Between Men (1985) mit dem Begriff der Homosozialität bezeichnet und das Halperin unter der Bezeichnung der Freundschaft zur dritten Kategorie seiner geschichtlichen Betrachtung erhebt.128 Diese tiefe und ›kameradschaftliche‹ Liebe, wie sie sehr ähnlich auch Phaidros im Symposion beschwört, definiert sich, ebenso wie die Päderastie oder Sodomie, über den Aspekt der Handlung. Aufopferungsbereitschaft und Zuneigung stehen beispielsweise stärker im Mittelpunkt als die einzelnen Akteure selbst.
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Saslow 1986, S. 1f und 6; so verfasst beispielsweise der Mönch Petrus Berchorius (14. Jahrhundert) mit Ovidus moralizatus eine neoplatonisch ausgelegte und enterotisierte Interpretation der Ovid’schen Mythensammlung. 124 Vgl. Gallucci, Margaret A.: ACTing UP in the Renaissance: The Case of Benvenuto Cellini, in: Cestaro, Gary P. (Hg.): queer italia. Same-sex desire in italian literature and film, New York 2004, S. 71–82; vgl. zudem Gallucci, Margaret A.: Benvenuto Cellini. Sexuality, Masculinity, and Artistic Identity in Renaissance Italy, New York 2003; vgl. überdies Saslow 1986 sowie Saslow 1989; vgl. auch Rocke, Michael: Forbidden Friendships: Homosexuality and Male Culture in Renaissance Florence, New York und Oxford 1996. 125 Vgl. Saslow 1989, S. 93. 126 Vgl. ebd. 127 Siehe hierzu insbesondere Boswell 1981. 128 Vgl. Sedgwick, Eve Kosofsky: Between Men: English Literature and Male Homosocial Desire, New York 1985; sowie Halperin 2004, S. 118ff.
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Eine Besonderheit dieses Beziehungsmodells ist die erschwerte Differenzierung gegenüber erotisch ausgelebtem Verlangen. Als Paradebeispiel für besagte Problematik gilt neben der Konstellation von Jesus und Johannes vor allem die Beziehung zwischen den biblischen Gestalten David – Sohn Jesses (Isaias) – und Jonathan – dem Sohn Sauls, König von Israel: »Nach dem Gespräch Davids mit Saul schloß Jonatan David in sein Herz. Und Jonatan liebte David wie sein eigenes Leben. […] Jonatan schloß mit David einen Bund, weil er ihn wie sein eigenes Leben liebte.« (1 Sam 18, 1 – 4)129 Mit geradezu inbrünstigem Eifer offenbart diese Passage die Zuneigung zwischen Jonathan und David, in der durchaus auch eine erotische Komponente mitzuschwingen scheint. Das Verhältnis der mythischen Figuren Achilles und Patroklos aus der Ilias bleibt ähnlich ambig: Entweder gelten sie als Sinnbild platonischer (nichterotischer) Liebe/Freundschaft oder als heroisches und leidenschaftliches Beispiel für die Päderastie. Diese Diskussion ist jedoch nicht das Resultat jüngerer Studien, sondern beginnt bereits in der Antike selbst mit Aischylos’ päderastischer Deutung des homerischen Paares.130 Ungeachtet dieser diffizilen Unterscheidungen erweist sich die ambivalente Kategorie der Männerfreundschaft in Anbetracht einer ebenso ambivalenten Geschichte als hilfreiches Instrument, mit dessen Unterstützung selbst subtile Äußerungen gleichgeschlechtlichen Begehrens Beachtung finden können.131 Die Homosozialität bzw. Freundschaft stellt die letzte Vorform moderner Homosexualität dar, deren Fokus sich auf die Handlung richtet. Obgleich schon an mehreren Stellen darauf hingewiesen wurde, dass es durchaus bereits in der Antike, dem Mittelalter sowie der Frühen Neuzeit Tendenzen zur ›Personalisierung‹ Männer begehrender Männer kam, beginnt sich der Diskurs darüber erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf die Handelnden selbst zu verschieben.
II.2.2 Personenorientierte Diskursivierungen – Invertiten, Effeminierte und Homosexuelle Als zweite Vorform der modernen Homosexualität nennen die Herausgeber_Innen von Hidden from History das Konzept des ›Dritten Geschlechts‹, wie es u.a. durch die indigenen amerikanischen Two-Spirits verkörpert wird.132 Bei diesen handelt es sich um ›männliche‹, stets in Frauenkleidung gehüllte Schaman_Innen, die während des Geschlechtsverkehrs immer die ›weiblich‹ konnotierte – sprich passive – Rolle einnehmen und sich dieser auf Lebenszeit verpflichten.133 Im Mittelpunkt dieses personenorien-
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Alle Bibelzitate stammen, sofern nicht anders angegeben, aus Halliday, Sonia; Lushington, Laura (Hg.): Die Bibel von Chartres. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift von 1980, Augsburg 1998. 130 Laut Platon interpretierte Aischylos Achill als erastês und Patroklos als erômenos. Platon selbst erkennt jedoch in Patroklos die Rolle des erastês. Die Diskussion über die Rollenverteilung zwischen Achilles und Patroklos hat eine lange Tradition und äußert sich auch in unterschiedlichen Darstellungsweisen. Vgl. Platon 2012, 180a (S. 23); vgl. zudem Fernandez 2002, S. 26; vgl. Halperin 2004, S. 118. 131 Vgl. ebd. 132 Vgl. Chauncey, Dubermann und Vicinus 1989, S. 9. 133 Mit Abscheu nahmen die im 16. und 17. Jahrhundert eindringenden europäischen Kolonialmächte die gesellschaftliche Akzeptanz der indigenen Kultur für die ›Zwittrigkeit‹ der Two-Spirits wahr
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
tierten Diskursivierungsansatzes steht nun nicht länger die Handlung an sich, sondern die Handelnden selbst. Nichtsdestotrotz gibt es auch hier Überschneidungen mit anderen theoretischen Modellen wie etwa der antiken Päderastie, die gleichermaßen auf einer nachdrücklichen Verbindung von Passivität und Weiblichkeit basiert. So wird doch auch in der Antike dem passiven Partner stets die ›weibliche‹ Rolle zugeschrieben, wenngleich auch nur temporär. Diese dem Konzept des ›Dritten Geschlechts‹ inhärenten Eigenschaften der Verweiblichung sowie der Passivität finden auch in Halperins Differenzierung männlich-männlichen Begehrens Widerhall: in der ersten Kategorie der Verweiblichung wie auch in der vierten und letzten Kategorie der Passivität bzw. der Inversion.134 Wie am Beispiel der Two-Spirits oder auch des zuvor erwähnten kinaidos zu sehen ist, lassen sich diese beiden Aspekte jedoch oftmals nicht voneinander trennen. In beiden Fällen erfolgt eine unmittelbare Verquickung von Effeminiertheit (ein Aspekt der geschlechtlichen Identität) mit ›devianter‹ Sexualität (ein Aspekt der sexuellen Identität), wobei auch Halperin darauf aufmerksam macht, dass damit nicht zwangsläufig gleichgeschlechtliches Verlangen gemeint ist.135 Diese Vermischung geschlechtlicher und sexueller Identität, wie sie so typisch für die Geschichte gleichgeschlechtlichen Begehrens ist, bildet den Grundstein der im europäischen Kulturkreis des späten 18. und 19. Jahrhunderts immer populärer werdenden Idee des ›Dritten Geschlechts‹ und markiert einen Paradigmenwechsel, weg vom Konzept einer »Gewohnheitssünde«, hin zu einer »Sondernatur«.136 Ein bekannter Vertreter dieses Ansatzes war der deutsche Jurist, Schriftsteller und Sexologe Karl Heinrich Ulrichs (1825–1895), einer der ersten bekennenden Schwulenaktivisten. In den 1860er und 1870er Jahren prägte er die Theorie des Uranismus – der Name nimmt Bezug auf die Aphrodite Urania in Pausanias Rede im Symposion (vgl. Fußnote 140) –, in welcher gleichgeschlechtlich begehrende Männer als »anima muliebris virili
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und insbesondere die Spanier_Innen begründeten ihr brutales Vorgehen mit der vermeintlichen Bekämpfung des sodomitischen Lasters. Der Ausdruck Two-Spirits entspricht dabei der indigenen Eigenbezeichnung und löst die bis in die Gegenwart gebräuchliche und stark wertende Fremdbezeichnung Berdache (Lustsklave) ab. So verwendet Richard C. Trexler in seinem 1995 erschienenen Buch Sex and Conquest immer noch diesen Terminus: »a berdache is a biological male who dressed, gestured and spoke as an ›effeminate,‹ that is, as individual cultures said women did and expected women or effeminates to act; over the long rather than the short term, the berdache served macho males by assuming the female division of labor, often including the sexual servicing of males.« (Trexler, Richard C.: Sex and Conquest. Gendered Violence, Political Order, and the European Conquest of the Americas, Ithaca (New York) 1995, S. 64f); vgl. zudem ebd., S. 127f und 133f; der zwei Jahre später erschienene Sammelband Two-spirit people verwendet hingegen den Begriff Two-Spirit und enthält überdies indigene Stimmen zum Thema der Geschlechteridentität: Jacobs, Sue-Ellen; Thomas, Wesley, Lang, Sabine (Hg.): Two-spirit people: Native American gender identity, sexuality, and spirituality. Urbana und Chicago 1997; vgl. überdies Saslow 1999, S. 4f; Sabine Lang berichtet auch von weiblichen Two-Spirits, die sich als Jäger_Innen oder Krieger_Innen betätigten. Vgl. Lang, Sabine: Männer als Frauen, Frauen als Männer. Geschlechtsrollenwechsel bei den Indianern Nordamerikas, Hamburg 1990. Vgl. Halperin 2004, S. 109. Halperin strebt hier einen sehr differenzierten Überblick an und widmet der Effeminierung daher eine eigene Kategorie. Vgl. ebd., S. 111. Foucault 1983, S. 47.
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corpore inclusa« (eine weibliche Seele im männlichen Körper) aufgefasst wurden.137 Aus heutiger Sicht scheint diese Umschreibung zwar besser auf die Lebenswirklichkeit transidenter Menschen zuzutreffen, aber zugleich belegt dieses Beispiel die zuvor angemerkte kulturelle Tendenz, Geschlecht und Sexualität als Korrelat zu begreifen.138 Die von Ulrichs vertretene Theorie ist dabei keine singuläre Erscheinung, sondern wird im 19. Jahrhundert auch von anderen Sexualforschern geteilt. Mit dem Begriff der Inversion wurde bei gleichgeschlechtlich Begehrenden eine vermeintliche Disharmonie zwischen Körper und Geist beschrieben, die sich durch weibliches Verhalten bei Männern oder eben männliches Benehmen bei Frauen äußerte.139 Die Inversion steht damit im starken Kontrast zur Päderastie sowie zur innigen (homosozialen) Freundschaft zwischen Männern. Während diese Beziehungsmuster noch im Rahmen traditioneller Maskulinitätsvorstellungen agieren, da sie entweder der Stärkung der Virilität dienen (Päderastie) oder sich durch die völlige Ausklammerung von Frauen und damit vermeintlich von Weiblichkeit auszeichnen (Homosozialität), verkörpert der Invertit bzw. der Urning, wie Ulrichs ihn nannte, eine als monströs empfundene Devianz genormter Männlichkeit, einen ›Mutanten‹.140 Wie zuvor am Beispiel des kinaidos erörtert, kannte das antike Griechenland keine derartig direkte Verbindung von gleichgeschlechtlichem Begehren und Verweiblichung wie sie das Konzept der Two-Spirits sowie ihr späteres europäisches Pendant der Inversion impliziert. Ein weiterer Beleg hierfür findet sich in den Erôtes bzw. Amores, einem spätantiken Pseudo-Lukian zugeschriebenen Dialog, in dem zwei Männer darüber diskutie-
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Zit. nach Halperin 2004, S. 128; zu Ulrichs siehe auch Steakley 1975, S. 6 und S. 16; vgl. zudem Kennedy, Hubert: Ulrichs: The Life and Works of Karl Heinrich Ulrichs. Pioneer of the Modern Gay Movement, Boston 1988; vgl. überdies Platon 2012, 181b–d (S. 36). 138 Aufbauend auf Ulrichs Ansatz entwickelt Hirschfeld seine Theorie sexueller Zwischenstufen, die sich etwas differenzierter mit Sexualität und Geschlecht auseinandersetzt. Vgl. hierzu Hirschfeld, Magnus: Sexuelle Zwischenstufen: Das männliche Weib und der weibliche Mann. Dresden 2015 (zuerst Bonn 1918); sowie Hirschfeld, Magnus: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen unter besonderer Berücksichtigung der Homosexualität. Leipzig 1899–1932, mehrere Bände; zur aktuellen Debatte über die Begriffe ›transident‹, ›Transgender‹ sowie ›Transsexualität‹ bzw. ›Transgeschlechtlichkeit‹ vgl. Kleinert, Evelyn: Identitätserleben bei transsexuellen Menschen. Hamburg 2015, S. 3f; vgl. zudem Sonnenmoser, Marion: Transsexualität/Transidentität: Was ist weiblich, was ist männlich? In: Deutsches Ärzteblatt, Nr. 4, 2008, S. 174–176. 139 Ein vehementer Befürworter dieser Theorie war der britische Sexualforscher Havelock Ellis, wobei er nochmals zwischen ›echten‹ Invertiten – sprich effeminierten Männern – und ›gelegentlichen‹ Homosexuellen unterschied. Vgl. Ellis, Havelock: Studies in the Psychology of Sex. Volume II: Sexual Inversion, Philadelphia 1915 (3. Edition); siehe zudem Ordover 2003, S. 85f. 140 Vgl. Halperin 2004, S. 121f und S. 128; Ulrichs Bezeichnung ›Urning‹ geht auf die auch in Platons Symposion besprochene Göttin Aphrodite Urania zurück, die der Legende nach aus dem abgetrennten Geschlechtsteil des Uranus entsprang und aufgrund eines fehlenden gegengeschlechtlichen Pendandts – sprich einer Mutter – folglich eingeschlechtliche Liebe repräsentiert. Siehe auch Ulrichs, Karl Heinrich: Memnon. Die Geschlechtsnatur des mannliebenden Urnings, Eine naturwissenschaftliche Darstellung, Körperlich-seelischer Hermaphroditismus, Anima muliebris virili corpore inclusa, Als Fortsetzung der Schriften von Ruma Rumantius: Siebente Schrift, Schleiz 1868, S. VIII; online abrufbar unter: https://books.google.de/books?id=bAkQAAAAYAAJ&pg=PA22&dq=U rning&redir_esc=y#v=onepage&q=Urning&f=false (zuletzt 27.10.2020).
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
ren, ob nun Frauen oder Jünglinge die besseren Liebhaber_Innen seien.141 Interessanterweise ist es hier der Verfechter der Päderastie, der als hyperviril beschrieben wird, während sein Diskussionspartner als verweiblicht dargestellt wird.142 Tatsächlich galt Effeminiertheit in der Antike als Symptom eines exzessiven Lebenswandels und beschrieb Männer wie eben die kinaidoi, die in hedonistischer Manier den Genuss der Pflicht vorzogen, unabhängig von ihren sexuellen Präferenzen.143 Doch wann genau der Paradigmenwechsel einsetzt, nach welchem gleichgeschlechtlich begehrende Männer sowohl als ›Persönlichkeiten‹ im Fokus stehen als auch mit gewissen substantiellen ›Eigenschaften‹ wie z.B. der Effeminiertheit attribuiert werden, ist bis heute unklar. Wie zuvor angemerkt wurde, können Grundzüge dieser neuen personenorientierten Rezeptionsweise zwar bereits in der Antike sowie im Mittelalter ausgemacht werden, doch die von Foucault herausgestellte Veränderung der kulturellen Wahrnehmung von Sexualität ist in jedem Fall später anzusetzen. Bryan T. Ragan verweist in seinem Artikel The Enlightenment confronts Homosexuality (1996) auf den Historiker Randolph Trumbach, der, im Unterschied zu Foucault, das beginnende 18. Jahrhundert als Anfangspunkt einer zunehmenden Separierung des sexuellen Begehrens benennt.144 141
Vgl. Halperin 2004, S. 89–92 und S. 111f; siehe zudem Pseudo-Lucian: Erôtes/Affairs of the Heart. In: Lucianus Samosatensis: Lucian. Vol. 8, hg. von T. E. Page et al., übers. von M. D. Macleod, Cambridge (Mass.) und London 1967, S. 147–237; über die Autorenschaft des mit Eôtes betitelten Dialogs herrscht Ueinigkeit, da bezweifelt wird, ob wirklich Lukian von Samosate (um 125–180 n. Chr.) der Schreiber war. James Jope argumentiert in einem Aufsatz von 2014, dass die Erôtes bzw. Amores (beide Titel sind gebräuchlich) sehr wohl von Lucian von Samosata stammen können und widerspricht damit den Befürworter_Innen einer Pseudo-Lukian-Zuschreibung. Siehe Jope, James: Interpretation and Authenticity of the Lucianic Erotes. In: Helios. A Journal Devoted to Critical and Methodological Studies of Classical Culture, Literature, and Society, Volume 38, Nr. 1 (Spring 2011), S. 103–120; hier: S. 103f. 142 Vgl. Halperin 2004, S. 111f. 143 Vgl. ebd., S. 32ff; die Römer bezeichneten ›weibische‹ und genusssüchtige Männer als mollitia bzw. verwendeten die latinisierte Version cinaedus. In ihrer Wortbedeutung entsprechen sowohl kinaidos als auch mollitia am ehesten dem Wort der ›Tunte‹, wenngleich sie nicht automatisch ein gleichgeschlechtliches Verlangen implizieren. Vgl. ebd., S. 121f. 144 So schreibt Ragan unter Berufung auf Trumbach: »Four mutually exclusive genders emerged: man, woman, sodomite, and sapphist. From 1700 to 1720, males began to be separated into two distinct categories of people. The larger group comprised men who were supposed to engage in sexual activity only with women. The much smaller group was composed of sodomites, who tended to have sexual relations only with other men. Rather than the ›active‹ older man/'passive‹ younger man configuration, sodomites were now inclined to follow an adult/adult paradigm, in which either partner could play the active or passive role. In this new gender order, sodomites constructed themselves (and were constructed) as effeminate, in opposition to ›manly‹ men.« (Ragan, Bryant T. Jr.: The Enlightenment Confronts Homosexuality. In: Merrick, Jeffrey; Ragan, Bryant T. (Hg.): Homosexuality in Modern France. New York und Oxford 1996. S. 8–30; hier S. 12); Ragans Artikel ist unbedingt lesenswert, dennoch fällt an einigen Stellen eine gewisse Flapsigkeit der Formulierung auf, die manchmal zu fragwürdigen Schlussfolgerungen führt. So schreibt er etwa: »At the same time, there were few people [before the 18th century], men or women, who engaged exclusively in same-sex sexual relations.« (Ebd., S. 11) Diese Aussage erscheint äußert problematisch, da hier etwas behauptet wird, was nicht belegbar ist. Wir können nicht wissen, ob und wie viele Menschen es gab, die in der Antike oder dem Mittelalter exklusiv gleichgeschlechtlich orientiert waren. Es lässt sich aber festhalten, dass die Diskursivierung dieser Zeit in den sel-
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Die Verengung der Sexualität und des Geschlechts auf vermeintlich klar bestimmbare Kategorien steht im Zusammenhang mit dem Triumphzug der Aufklärung und dem damit einhergehenden Florieren der (Natur-)Wissenschaften, die den Sodomiten nun mehr und mehr entweder als Kuriosum oder aber als Abnormität betrachten. Er wird in Opposition zum männlichen Mann als effeminiertes Gegenbild entworfen, dessen Neigung sich in seinem Verhalten und Erscheinen manifestieren.145 Während sich die dem Sodomiten vorgeblich inhärente Trias aus gleichgeschlechtlichem Begehren, Passivität und Verweiblichung erst mit der Diskreditierung des französischen Adels gegen Ende des 18. Jahrhunderts endgültig zu verfestigen scheint,146 verbleibt das zum Schreckgespenst stilisierte Phänomen effeminierter Männer eine zeitlose Strategie zur forcierten Einhaltung einer strikten hegemonialen Männlichkeit.147 Jedoch ist es diese Furcht vor weiblichen Männern und auch vor männlichen Frauen, welche die ›Unnatürlichkeit‹ der kulturell implementierten Geschlechterbinarität enttarnen. ›Devianzerscheinungen‹ wie die Two-Spirits, die kinaidoi oder auch die Homosexuellen negieren jedweden dogmatischen Natürlichkeitsanspruch statischer Zweigeschlechtlichkeit. »Vielmehr ist die Natur eine Idee,« schreibt Butler in Bezug auf Monique Wittigs Theorie der »Zwangsheterosexualität«, »die zum Zwecke der gesellschaftlichen Kontrolle erzeugt und aufrechterhalten wird.«148 Dies bedeutet nicht, wie oft fälschlicherweise angenommen, dass man anatomische Unterschiede zwischen Männern und Frauen leugnen möchte, sondern lediglich, dass die daraus gezogenen Schlussfolgerungen ›kultureller Natur‹ sind. Neben der zunehmenden Verschiebung von einer handlungsorientierten auf eine personenorientierte Diskursivierung männlich-männlichen Begehrens ab dem 18. tensten Fällen von einer ›exklusiven Orientierung‹ ausgegangen ist, was jedoch im Umkehrschluss nicht bedeuten kann, dass es diese nicht gab. Vgl. hierzu u.a. auch Trumbach, Randolph: Erotic Fantasy and Male Libertinism in Enlightenment England. In: Hunt, Lynn (Hg.): The Invention of Pornography: Obscenity and the Origins of Modernity, 1500–1800, New York 1993, S. 253–282; vgl. auch Trumbach 1989. 145 Vgl. Ragan 1996, S. 12. 146 Ein theoretischer Ansatz, der in Kapitel III.3.1 näher ausgeführt wird. 147 Hierzu ergänzt Peter Hennen in seinem humorvoll betitelten Buch Fairies, Bears, and Leathermen (2008): »[E]ffeminacy is a historically varying concept deployed primarily as a means of stabilizing a given society’s concept of masculinity and controlling the conduct of its men, based upon a repudiation of the feminine that recognizes it as a ›present absence‹. It is present in that it marks an all-pervasive fear that informs nearly all aspects of masculine identity construction and absent in the sense that it suggests a lack of deficiency in qualities presumed to be critical to gender competence. Thus effeminacy can be seen as a disciplinary development within hegemonic masculinity, a mechanism that, despite its widely varying cultural and historical manifestations, provides a remarkably effective means of policing the boundaries of acceptably masculine behavior.« (Hennen, Peter: Fairies, Bears, and Leathermen. Chicago and London 2008, S. 48ff;) auch der transidente Theoretiker Jack Halberstam versteht die Verbindung weiblicher Maskulinität mit gleichgeschlechtlichem Begehren als kennzeichnend für die westliche Kultur. Die Publikation, auf die ich mich hier beziehe, wurde noch unter dem Namen Judith Halberstam veröffentlicht, findet sich auch unter dem Namen Jack Halberstam. Dies gilt auch für alle weiteren hier zitieten Arbeiten von Halberstam. Vgl. Halberstam, Jack: Female Masculinity. Durham 1998. 148 Butler 1991, S. 185.
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Jahrhundert erfolgt auch ein Wechsel der waltenden ›Autorität‹: Anstatt sich gegen den ›Willen Gottes‹ zu versündigen, verstößt gleichgeschlechtliche Sexualität nunmehr gegen den ›Willen der Natur‹. Diese Veränderung bedingt auch die voranschreitende Pathologisierung und Kriminalisierung durch medizinische sowie juristische Instanzen, aus deren Diskurs um 1869/70 der Terminus der Homosexualität entspringt. Geprägt durch die bereits erwähnten Arbeiten des Psychiaters und Neurologen Westphal sowie des Theoretikers Kertbeny knüpft die Bezeichnung der Homosexualität zunächst an die etablierte Ausgrenzungsgeschichte gleichgeschlechtlich Begehrender an, die jedoch angesichts einer biopolitischen Verdichtung bürgerlicher Konzeptionen von normativer Männlichkeit im 19. Jahrhundert einen neuen Höhepunkt erreichte.149 ›Der Homosexuelle‹ wurde innerhalb der kulturellen Auseinandersetzung der letzten drei Jahrhunderte zum Schlachtfeld widerstreitender Theorien und galt mal als das Produkt einer hormonellen Störung, mal als geisteskrank oder genetisch defizitär.150 Immer aber war er eine Devianzerscheinung und wurde mehr und mehr zum Antagonisten des maßhaltenden und selbstkontrollierten Bürgers stilisiert.151 Aus der ungewollten Rolle eines pathologisierten Diskursobjektes begann ›der Homosexuelle‹ und damit letzten Endes ›die Homosexualität‹, wie es Foucault ausdrückte, »von sich selber zu sprechen, auf ihre Rechtmäßigkeit oder auf ihre ›Natürlichkeit‹ zu pochen – und dies häufig in dem Vokabular und in den Kategorien, mit denen sie medizinisch disqualifiziert wurde.«152 Die Konstitution dieses »Gegen-Diskurses« und die damit einhergehende ›Subjektwerdung der Homosexuellen‹ markiert auch im Sammelband Hidden from History den Beginn einer schwul-lesbischen (Emanzipations-)Geschichte.153 Wenngleich ›die Homosexualität‹ gegenwärtig als vorherrschende Diskursivierung mann-männlicher bzw. frau-fraulicher Sexualität gilt, so hat sich in den letzten drei Jahrzehnten mit der QueerTheorie jedoch ein erneuter Gegen-Diskurs entwickelt, der sich einer Einschreibung in eine klar zu differenzierende Homo-Hetero-Binarität von Grund auf verwehrt. Die sich in den letzten 300 Jahren etablierende Fokussierung auf die Persönlichkeit gleichgeschlechtlich begehrender Menschen, die in der Kreierung und Emanzipierung ›der Homosexuellen‹ kulminiert, geht auch einher mit der Herausbildung einer eigenen Bildsprache. Anknüpfend an Darstellungen handlungsorientierter Diskursivierungen der Antike und des Mittelalters entsteht ein reichhaltiges Bildkorpus, das eine essenzielle Funktion in der ›Subjektwerdung‹ homosexueller bzw. queerer Menschen ein-
149 Vgl. Foucault 1983, S. 47; vgl. zudem Westphal1870, S. 73–108; zu Kertbeny vgl. Davis 2004a, S. 215.; zur Formierung einer neuen bürgerlichen Männlichkeitsnorm siehe Sarasin, Philipp: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765–1914, Frankfurt a.M. 2001. 150 Vgl. hierzu Ordover 2003, S. 74f, S. 77 und S. 85. 151 Zur Etablierung und Forcierung des kulturellen Systems einer scharf differenzierten Zweigeschlechtlichkeit in der bürgerlichen Moderne, wie sie sich seit dem Zeitalter der Aufklärung immer weiter verbreitet, siehe Hagemann-White, Carol: Sozialisation. Weiblich – männlich? Opladen 1984; sehr anschaulich wird diese Entwicklung des bürgerlichen Männlichkeitsideals auch am Beispiel der Männermode. Vgl. hierzu Teichert, Gesa C.: Mode. Macht. Männer. Kulturwissenschaftliche Überlegungen zur bürgerlichen Herrenmode des 19. Jahrhunderts, Berlin 2013 u.a. S. 40 und 114. 152 Foucault 1983, S. 101. 153 Ebd.; vgl. zudem Chauncey, Dubermann und Vicinus 1989, S. 9.
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nimmt. Aufgrund des gesellschaftlichen Diskurses, der nicht-heteronormative Sexualität immer problematisiert und damit politisiert, sind folglich auch die entsprechenden visuellen Inszenierungen zu einem gewissen Grad immer politisch. Das nun auf diesem historischen Abriss aufbauende Bemühen, die Bildwelt gleichgeschlechtlichen Verlangens und queerer Männlichkeiten zu analysieren und zu kontextualisieren, sieht sich daher häufig mit der Kritik mangelnder Objektivität konfrontiert. Dieses Urteil betrifft vor allem Tendenzen in den frühen Schwulen- und Lesbenstudien, eine Art Kanon homosexueller Figuren zu erstellen.154 Natürlich ist ein derartiges Unterfangen unweigerlich politisch motiviert. Es stellt den Versuch einer unterdrückten Minderheit dar, sich ihren rechtmäßigen Platz im Pantheon kultureller Bedeutung zu sichern und damit auch ihren Eigenwert zu bestätigen. Der emanzipatorische und höchst subjektive Charakter der Schwulen- und Lesbenstudien bzw. der Queer Studies steht dabei einer vermeintlichen Objektivität der Geschichtswissenschaft kritisch gegenüber.155 Doch das forcierte Postulieren absoluter Objektivität wurde bereits am Beispiel der Biologie im vorhergehenden Kapitel problematisiert. Diese kritische Haltung setzt sich auch in Bezug auf die kunsthistorische Forschung fort, die ja, wie Verena Krieger in ihrer Einführung zum konfliktreichen Thema zeitgenössischer Perspektiven in der Kunstgeschichte ganz richtig feststellt, »ohne ein emphatisches Verhältnis zu ihrem Gegenstand – der Kunst – nicht auskommt.«156 Anders ausgedrückt: Eine Kunstgeschichtsschreibung ohne Rezeptionsrekonstruktion ist weder sinnvoll noch möglich. Die vorliegende Arbeit möchte nicht in den anachronistischen Gestus einer nachträglichen Kanonbildung verfallen, sondern der Frage nachgehen, wie sich die historisch variierenden Konzeptionen gleichgeschlechtlichen Begehrens auf dessen Inszenierungen auswirken, wie sich diese verändern und wo sie sich gegebenenfalls überschneiden. Wie mit der anfänglichen Einführung des Palimpsest-Begriffs verdeutlicht wurde, bestehen zwischen den hier aufgeführten historischen Vorgängern immer wieder Querverbindungen und Kongruenzen, die sich auch auf die Konstitution ›homosexueller‹ bzw. queerer Identitäten auswirken. Es gilt zu zeigen, dass sowohl die kulturellen Prozesse als auch die visuellen Signifikatoren, die etwa dem kinaidos zu eigen waren, in vielerlei Hinsicht denen ähneln, die mehrere hundert Jahre später den Typus des effeminierten Invertiten oder der ›Tunte‹ kennzeichnen sollten. Die zu untersuchenden Inszenierungen queerer Männlichkeiten sind demnach bildnerische Palimpseste, in denen sich eine durch die historischen Vorläufer geprägte Eigen- und Fremdwahrnehmung äußert. Eine vergleichbare ›Überlagerung‹ unterschiedlicher (Homo-)Sexualitätskonzeptionen stellt 154
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Vgl. Keilson-Lauritz, Marita: Ganymed trifft Tadzio. Überlegungen zu einem ›Kanon der Gestalten‹, in: Härle, Gerhard; Popp, Wolfgang; Runte, Annette (Hg.): Ikonen des Begehrens. Bildsprachen der männlichen und weiblichen Homosexualität in Literatur und Kunst, Stuttgart 1997, S. 23–40. Vgl. Davis, Whitney: ›Homosexualism,‹ Gay and Lesbian Studies, and Queer Theory in Art History, in: Cheetham, Mark A. et al. (Hrsg): The Subjects of Art History. Historical Objects in Contemporary Perspectives, Cambridge 1998, S. 115–142; hier: S. 121f. Krieger, Verena: Zeitgenossenschaft als Herausforderung für die Kunstgeschichte. In: Krieger, Verena (Hg.): Kunstgeschichte & Gegenwartskunst. Vom Nutzen & Nachteil der Zeitgenossenschaft, Köln, Weimar und Wien 2008, S. 5–28; hier: S. 20; zur Debatte über die Objektivität der Wissenschaft vgl. zudem Haraway, Donna: Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective. In: Feminist Studies 14.3 (1988), S. 575–599.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
Nancy Ordover auch für den medizinischen Diskurs des 19. und frühen 20. Jahrhunderts fest: »Characterizations of homosexuality as inborn […] did not fade with the ascension of acquired […] models. […] The amalgamation of biological and psychotherapeutic discourses meant that even psychiatric diagnosis could mandate medical assaults: aversion therapy (chemical and shock), hormone inundation, psychosurgery (lobotomies), or any combination of these.«157 Das Akkumulieren sich widersprechender Theorien steht dabei symptomatisch für die kulturelle Rezeption gleichgeschlechtlichen Begehrens: Von der Päderastie über die Sodomie bis hin zur Pathologisierung als krankhaft bzw. fehlerhaft verfolgen die Geister der Vergangenheit den Homosexuellen bis heute und prägen unweigerlich sein Bild. Die nachfolgende Analyse versteht die zu untersuchende queere Bildsprache als Produkt ebenjener komplex vernetzten Geschichte, wie sie hier unter Zuhilfenahme von Halperin, Chauncey, Duberman und Vicinus nur bruchstückhaft rekonstruiert werden konnte. Dennoch erscheinen diese Vorformen als sinnvolle Wegweiser, um die zu analysierenden Kunstwerke und ihre unterschiedlichen Entstehungskontexte präziser erfassen zu können. Hierbei kann und soll allerdings keine einheitliche Entwicklungsgeschichte reproduziert werden, vielmehr wird ein differenzierter Blick auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten historischer Vorstellungen bzw. Inszenierungen von Männlichkeit sowie Sexualität angestrebt.
II.3 Eingebildete Männlichkeit: Die Konstituierung des ›männlichen‹ Körpers158 Der Titel dieses Kapitels – Eingebildete Männlichkeit – nimmt Bezug auf die gleichnamige Ausstellung des Künstlers Philipp Gufler (*1989) aus dem Jahr 2012, in der er sich mit männlicher Identitätsfindung und der palimpsestartigen Überlappung historisch variierender Männlichkeitskonzeptionen in der bildenden Kunst auseinandergesetzt hat.159 Hauptausstellungsstück war eine Videoarbeit, in der Gufler verschiedene kunsthistorische Darstellungen männlicher Identität wie etwa barocke Adelige oder einen der Warhol’schen Elvis Presleys in Cowboy-Kleidung, zitierte. Diese Bilder wurden auf transparente Stoffbahnen projiziert, hinter denen der Künstler in einer Performance mit männlichen und weiblichen Posen kokettierte: Er rauchte, er schminkte sich, er band eine Krawatte etc. In diesem Kunstwerk verdeutlicht sich – ebenso wie in den beiden vorherge157 158
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Ordover 2003, S. 102. Rudimentäre Versatzstücke dieses Kapitels wurden veröffentlicht in Maniu, Nicholas: Das Tabu des rezeptiven/penetrierten männlichen Körpers: Robert Mapplethorpes »Self Portrait with Whip« (1978), in Finzsch, Norbert; Velke, Marcus (Hg.): Queer, Gender, Historiographie. Aktuelle Tendenzen und Projekte, Band 20, Berlin 2016, S. 144–162. Die Ausstellung lief vom 24.04. bis 11.05.2012 in der Akademie Galerie in München. Der Begleittext zur Ausstellung wurde vom Autor der vorliegenden Arbeit verfasst und ist unter folgender Internetadresse abrufbar: http://philippgufler.blogspot.de/2012/02/eingebildete-mannlichkeit.h tml (zuletzt 12.06.2017).
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henden Kapiteln –, dass es sich bei den als essenzialistisch deklarierten kulturellen Implikationen, die mit dem Begriff der Männlichkeit einhergehen, zumeist um bloße ›Einbildungen‹ handelt, die lediglich den illusorischen Anschein von Natürlichkeit und Beständigkeit erwecken; eine Auffassung, die in Guflers vielschichtigem Werk eine adäquate Visualisierung findet. Darauf aufbauend, widmet sich der nachfolgende Teil nun der Frage nach den Ursprüngen sowie den Auswirkungen jener mutablen Vorstellungen von normativer (und devianter) Männlichkeit auf deren kulturelle Repräsentation(en). Zunächst steht die Entwicklung eines tradierten Männer- bzw. Geschlechterbildes im Fokus, demgegenüber sich ein abweichendes und nicht minder veränderliches Antibild formiert, welches sich in der Gestalt des effeminierten und/oder sodomitischen und/oder homosexuellen Mannes manifestiert. Geschlechterbilder sind als Produkte dynamischer und intersektionaler Größen (soziale Ordnung, Religion etc.) zu verstehen, woraus sich auch deren Mutabilität und Diversität erklärt. Dies wiederum erschwert eine eindeutige oder übergreifende Definition von Männlichkeit bzw. Weiblichkeit. Nichtsdestotrotz soll mit Blick auf die für den westlichen Kulturkontext scheinbar universale Hierarchisierung des Maskulinen über das Feminine das von Raewyn Connell geprägte Konzept der »hegemonialen Männlichkeit« als Leitfaden für die weiterführende Auseinandersetzung dienen.160 Connell begreift Männlichkeit als strukturelles Macht- bzw. Gewaltphänomen. Sie stützt sich dabei auf den Hegemoniebegriff von Antonio Gramsci, demzufolge stabile Herrschaft nur auf Basis »geteilte[r] Werte und gemeinsame[r] Deutungsmuster« funktionieren kann; der spätere Foucault’sche Begriff des Dispositivs basiert auf einer homologen Anschauung.161 Innerhalb der unbestreitbar patriarchalischen Kulturlandschaft Europas bzw. des Westens ist Männlichkeit daher einer jener »geteilten Werte«, der weit über ein bloßes Deutungsmuster hinausgeht und gemäß dem Beiwort ›hegemonial‹ vielmehr Deutungshoheit beansprucht. So sehr sich die Geschlechtervorstellungen im Laufe der Zeit also auch ändern mögen, gestattet Connells theoretischer Ansatz eine Annäherung an die elementaren Strukturen des Konstituierungsprozesses sowie die Hierarchisierung ›männlicher Identität(en)‹. Entscheidend für diesen Prozess sind vor allem drei ineinandergreifende, zeit- und kulturabhängige Aspekte, welche zugleich die Grundpfeiler ›hegemonialer Männlichkeit‹ darstellen: das jeweils vorherrschende Geschlechter-Modell, das damit zusammenhängende Verständnis der Körpergrenzen und die insbesondere im Kontext dieser Untersuchung relevante Macht des männlichen Blicks.
160 Connell definiert den Begriff wie folgt: »›Hegemoniale Männlichkeit‹ ist kein starr, über Zeit und Raum unveränderlicher Charakter. Es ist vielmehr jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann.« (Connell, Raewyn: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, 4. Auflage, Wiesbaden 2015, S. 130). 161 Meuser, Michael; Müller, Ursula: Männlichkeit in Gesellschaft. Zum Geleit, in: Connell, Raewyn: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, 4. Auflage, Wiesbaden 2015, S. 9–21, hier: S. 10; vgl. zudem Foucault 1978.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
II.3.1 Umkämpfte Geschlechter-Modelle Die alle Sphären menschlicher Existenz betreffende Differenzierung von Männlichkeit und Weiblichkeit ist mit einer ebenso langen wie komplexen Geschichte wechselnder Geschlechter-Modelle verflochten, die sich ihrerseits unmittelbar auf die Repräsentation und Wahrnehmung von Mann bzw. Frau auswirken. Nach Thomas Laqueur ist hier zwischen der im 18. Jahrhundert etablierten Anschauung eines ›natürlichen‹, nicht überschreitbaren Zwei-Geschlechter-Modells und dem z.B. im antiken Griechenland anzutreffenden Ein-Geschlecht-Modell zu unterscheiden.162 Das u.a. von dem antiken Arzt Galen überlieferte Ein-Geschlecht-Modell geht von einem einheitlichen ›biologischen‹ Geschlecht aus, dessen zwei Ausformungen sich dadurch unterscheiden, dass der Mann über einen »universalen Körper«, die Frau hingegen nur über »eine nicht vollständig entwickelte Version desselben« mit nach innen gestülpten, männlichen Geschlechtsorganen verfüge.163 Wenngleich die Annahme eines singulären Geschlechts eigentlich eine Gleichbehandlung von männlich und weiblich fordern würde, impliziert auch dieses Modell eine vermeintliche Inferiorität und Unterordnung des Weiblichen. Dies wird damit begründet, dass die Frau eben kein ›universeller‹ Mann, sondern lediglich dessen unfertige Vorform sei. Entgegen des späteren Zwei-Geschlechter-Modells, das eine fundamentale, über das bloße ›anatomische‹ Geschlecht hinausreichende Differenzierung vertritt, gestattet die Ein-Geschlecht-Variante eine graduelle Unterscheidung, da man davon ausging, dass in jedem Mann etwas Weibliches und in jeder Frau etwas Männliches enthalten sei.164 Laut Mechthild Fend, deren Buch Grenzen der Männlichkeit (2003) auf Laqueurs Theorien aufbaut, bedingt dieser Ansatz »ein hierarchisch strukturiertes polares Modell der Geschlechterdifferenz, mit einer Skala fließender Übergänge zwischen den Polen weiblich und männlich«.165 Ausgehend von Fends und Laqueurs Interpretationen ist das Ein-Geschlecht-Modell folglich als vertikaler Entwicklungsstrahl zu denken, an dessen unterem Ende die ›tumbe‹, stets auf das Fleischliche reduzierte Weiblichkeit steht, und an dessen oberem Ende die ›ideale‹, erstrebenswerte Männlichkeit positioniert ist. Hieraus leiten sich folglich auch die dem Mann zugestandenen und aktiv voranzutreibenden Entwicklungsstadien ab – vom ambivalenten Status des Knaben/Jünglings bis hin zum reifen Mann.166 Das Frausein wird in diesem Modell als »eher statisch definiert«, d.h. ihm wird jedwedes Entwicklungspotential abgesprochen, da es als an den Körper gebunden gilt und diesen angeblich nicht zu transzendieren vermag.167 Die Essenz dieses Modells, in dem sich der Binarismus von weiblicher Passivität und männlicher Aktivität wiederholt, lässt sich auf eine knappe Formel bringen: Während die Frau von vornherein ›weiblich‹ ist, muss der Mann erst ›männlich‹ werden.
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Vgl. Laqueur, Thomas: Making Sex. Body and Gender from the Greeks to Freud, Cambridge (MA) und London 1990. 163 Fend 2003, S. 7 und S. 15; vgl. zudem Laqueur 1990, S. 4f sowie S. 79ff. 164 Vgl. ebd., S. 5f und S. 149ff. 165 Fend 2003, S. 16. 166 Vgl. ebd., S. 15f. 167 Ebd., S 16.
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Mit diesem Geschlechterverständnis geht auch die beständige Gefahr einher, an der selbsttätig zu verfolgenden Entwicklung hin zum Mannsein zu scheitern und ›dem Weiblichen‹ zu erliegen: »Thus, ›woman‹ is not only the opposite of a man; she is also a potentially threatening ›internal émigré‹ of masculine identity.«168 In den zitierten Worten Winklers wird nochmals deutlich, dass Weiblichkeit in der Ein-Geschlecht-Theorie eine konstante Bedrohung männlicher Identität darstellt, vor der es sich fortwährend zu schützen gilt. Obwohl man insbesondere ab dem 18. Jahrhundert von einer ebenso elementaren wie ›natürlichen‹ Verschiedenheit zwischen Mann und Frau ausging – der eigentliche Kerngedanke des Zwei-Geschlechter-Modells –, blieb die Angst vor einer Transgression jener angeblich natur-/gottgewollten Grenze stets bestehen.169 Während die dem Ein-Geschlecht-Modell innewohnende graduelle Unterscheidung zwischen männlich und weiblich das Dasein von Zwischenformen mit einschließt, besteht innerhalb des Zwei-Geschlechter-Modells nur die Option eines Entweder-Oder, was sich insbesondere an der Negation der Existenz ›echter‹ – zu gleichen Teilen männlicher und weiblicher – ›Hermaphroditen‹ äußert.170 Doch eine präzise Trennung dieser Modelle erscheint kaum umsetzbar, was sich eben auch an der selbst im Zwei-GeschlechterModell bestehenden Angst vor effeminierten Männern und dem Bedürfnis nach der akkuraten Einhaltung des männlichen ›Verhaltensprotokolls‹ äußert. Hierin entlarvt sich die Inkonsistenz dieser Modellvorstellungen: »Die Gespenster der Diskontinuität und Inkohärenz, die ihrerseits nur auf dem Hintergrund von existierenden Normen der Kohärenz und Kontinuität denkbar sind, werden ständig von jenen Gesetzen gebannt und zugleich produziert, die versuchen, ursächliche oder expressive Verbindungslinien zwischen dem biologischen Geschlecht, den kulturell konstituierten Geschlechtsidentitäten und dem ›Ausdruck‹ oder ›Effekt‹ beider in der Darstellung des sexuellen Begehrens in der Sexualpraxis zu errichten.«171 Das kontinuierliche Patrouillieren korrekt ausgeführter ›Geschlechter-Performance‹ – um im Sprachduktus Butlers zu verbleiben – enthüllt sich dabei selbst als ein kulturelles Produkt, wider jeden Anspruch auf ›Natürlichkeit‹. Butler verweist diesbezüglich auf das Faszinosum der Travestie, die durch die Nachahmung von Geschlechterrollen »die Imitationsstruktur der Geschlechtsidentität als solche« offenbart.172 Diese Referenz unterstreicht wiederum Butlers strikte Trennung von ›biologischem‹ Geschlecht (sex) und gesellschaftlich konzipierten Geschlechterrollen (gender).173 Die Theorie einer gender performance steht zum einen im Einklang mit dem Ein-Geschlecht-Modell und der damit verbundenen Bringschuld des Mannes, sich seinen Status erkämpfen zu müssen. Zum anderen steht sie – zumindest in der Theorie – in Opposition zum Zwei-GeschlechterModell und dessen ›Naturanspruch‹. Besagter Konflikt besteht de facto nur theoretisch,
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Winkler 1990, S. 182. Zum beginnenden ›Triumphzug‹ des Zwei-Geschlechter-Modells siehe Laqueur 1990, S. 149ff. Vgl. Fend 2003, S. 13. Butler 1991, S. 38. Ebd., S. 202 (Hervorhebung aus dem Originaltext übernommen). Vgl. ebd., S. 22.
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so gibt es doch auch im Zwei-Geschlechter-Modell transgressive Existenzen (z.B. homosexuelle und transgeschlechtliche Personen), die es innerhalb der Logik dieses Systems eigentlich nicht geben dürfte. Die Chimäre einer naturgegebenen Geschlechtsidentität wird »durch die stilisierte Wiederholung« vermeintlich geschlechtsspezifischer Handlungen erzeugt und forciert somit »gleichermaßen unseren Glauben an ihre Natürlichkeit und Notwendigkeit«.174 An der sich hier bereits ankündigenden Schwierigkeit, die beiden Modelle strikt voneinander zu trennen, setzen auch viele Kritiker_Innen Laqueurs an, die ihm, überspitzt gesagt, Reduktionismus vorwerfen.175 Eine dieser kritischen Stimmen, Joan Cadden, räumt in ihrer Betrachtung mittelalterlicher Geschlechtlichkeit zwar ein, dass sich das Ein-Geschlecht-Modell auch in der Nachantike oftmals wiederfinden lasse, dennoch gebe es auch zahlreiche Gegenbeispiele, die vielmehr eine Modellpluralität suggerierten.176 Tatsächlich erscheint Laqueurs Theorie zu monolithisch und behäbig, um differenziert auf verschiedene intersektionale Faktoren wie den sozialen Rang oder das Umfeld (urban, ländlich, klösterlich etc.) eingehen zu können. Laut Cadden sind es aber insbesondere diese Aspekte, denen eine nicht zu unterschätzende Wirkmacht innewohnt.177 Die Vielfalt an konstitutiven Elementen, so das Argument der Autorin, führe dazu, dass unterschiedliche Geschlechterverständnisse zeitgleich nebeneinander existierten und man daher nicht allein von einer übergreifenden Idee wie dem Ein-Geschlecht-Modell ausgehen könne.178 Obzwar Laqueur an seinem dualen Ansatz festhält, räumt er in seinem Buch ein, man könne keinesfalls von einer klaren Grenzziehung sprechen, da die beiden Modelle sich oftmals gegenseitig überlappten und es dadurch zu einem Variationsreichtum an verschiedenen Ausformungen komme.179 Entscheidend sind angesichts dieser hier nur in Auszügen wiedergegebenen Diskussion zwei wesentliche Aspekte, die sowohl Laqueur als auch Cadden zugrunde legen: 1. ›Mann‹ bzw. ›Frau‹ sind kulturelle/gesellschaftliche Konstruktionen und keine natürlichen Gegebenheiten. Während diese Annahme für Cadden zu einer Vielzahl an Modellen führt, versucht Laqueur die Geschlechterdebatte auf nur zwei gegensätzliche Ansätze einzugrenzen. In beiden Fällen resultiert die geschlechtliche Differenzierung jedoch aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher, intersektionaler Faktoren (Philosophie, Religion, Medizin etc.). 2. Eine weitere essenzielle Gemeinsamkeit betrifft die Hierarchisie174 175
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Ebd., S. 206 (Hervorhebung aus Originaltext übernommen). Vgl. Cadden, Joan: Meanings of sex difference in the Middle Ages. Medicine, science, and culture, Cambridge 2003, S. 3; sowie Schnell, Rüdiger: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe. Köln, Weimar und Wien 2002, S. 71f. Vgl. Cadden 2003, S. 3. Vgl. ebd., S. 2. Cadden berichtet davon, wie sich medizinische bzw. wissenschaftliche Auseinandersetzungen auf das Thema der Geschlechtlichkeit auswirken: »[I]n short, the scientific ideas about sex differences in the later Middle Ages participated in the broader culture’s assumption about gender. Both the content and the dynamics of this participation were multivalent, thus revealing the extent to which medical and scientific learning operated within the medieval power structures and, at the same time, the variety and intricacy of the interactions. Medieval society in Western Europe was not homogeneous: it was peasant and noble; north and south; rural and urban; Christian, heretic, and Jew.« (Ebd., S. 2). Vgl. Laqueur 1990, S. viii.
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rung des Maskulinen über das Feminine. Diese scheinbar universale (Be-)Wertung der Geschlechtlichkeit, wie sie Laqueur mit Verweis auf Aristoteles für den antiken Diskurs ausmacht, sieht Cadden in ähnlicher Form auch für das Mittelalter bestätigt.180 Hierbei kristallisiert sich eine ebenso implizite wie explizite Besserstellung des Männlichen heraus, ein Umstand, den Connell mit dem Terminus der ›hegemonialen Männlichkeit‹ beschreibt.181 Die zwei genannten Punkte stellen so etwas wie den ›kleinsten gemeinsamen Nenner‹ innerhalb einer äußerst komplexen Auseinandersetzung mit Geschlechtlichkeit, Intersektionalität und Kultur dar.
II.3.2 Körper-Grenzen In beinahe symbiotischer Abhängigkeit von den soeben angesprochenen GeschlechterModellen und der allgegenwärtigen Furcht vor Verweiblichung spielt auch der zweite Aspekt der Körpergrenzen eine integrale Rolle in der Konstituierung hegemonialer Männlichkeit. Die auf die Antike zurückgehende Idee klar definierbarer Körpergrenzen, die das Subjekt gleichzeitig konstituieren und schützen sollen, ist seit jeher mit Vorstellungen von Geschlechtlichkeit sowie Identität verbunden. Bezug nehmend auf die bereits erwähnten Theorien von Douglas, Kristeva und Young ist die Entstehung von Identität – und dazu zählen immer auch geschlechtliche sowie körperliche Komponenten – als Abgrenzungsprozess zum ›Anderen‹ hin zu verstehen.182 Auch Butlers theoretische Grundlage stützt sich auf die zuerst von Douglas 1966 formulierte Prämisse einer kulturell motivierten, prozessualen Umgrenzung des Körpers und der Etablierung eines binären Ordnungssystems, welches »scharf« zwischen »Innen und Außen, Oben und Unten, Männlich und Weiblich« unterscheidet.183 Als notwendige Konsequenz aus dem von Douglas und Butler beschworenen binären Ordnungssystem, in dem das ›Weibliche‹ zumeist als minderwertig degradiert wird, erfordert sowohl die ›Mannwerdung‹ (wie z.B. bei Modellen des Ein-Geschlecht-Typus) als auch das ›Mannsein‹ (wie z.B. bei Modellen des Zwei-Geschlechter-Typus) eine radikale Abgrenzung von allem Nicht-Männlichen, sprich Femininen. Dies zeigt sich exemplarisch an zwei rekurrierenden ›Devianz‹-Erscheinungen: Effeminiertheit und gleichgeschlechtliches Begehren. Wird Verweiblichung bei Männern schon seit der Antike als Ausdruck des 180 181 182 183
Vgl. ebd. u.a. S. 55; sowie Cadden 2003, S. 169ff und S. 280. Vgl. Connell 2015, S. 85ff. Vgl. Douglas 1980 u.a. S. 4; vgl. Kristeva 1982 u.a. S. 3ff sowie S. 62; vgl. Young 1990 u.a. S. 47. Butler führt aus: »Mary Douglas’ Reinheit und Gefährdung weist darauf hin, daß die Umrisse ›des Körpers‹ durch Markierungen gezogen werden, die versuchen, bestimmte Kodes der kulturellen Kohärenz zu errichten. Jeder Diskurs, der die Begrenzung des Körpers zu errichten versucht, dient dem Zweck, bestimmte Tabus zu setzen und rational zu begründen. Diese Tabus betreffen die geeigneten Schranken, Haltungen und Formen des Austausches, die definieren, was den Körper konstituiert […] die Vorstellungen vom Trennen, Reinigen, Abgrenzen und Bestrafen [haben] vor allem die Funktion, eine ihrem Wesen nach ungeordnete Erfahrung zu systematisieren. Nur dadurch, daß man den Unterschied zwischen Innen und Außen, Oben und Unten, Männlich und Weiblich, Dafür und Dagegen scharf pointiert, kann ein Anschein von Ordnung geschaffen werden.« (Butler 1991, S. 193); in der deutschen Übersetzung Butlers wird zitiert aus Douglas, Mary: Reinheit und Gefährdung, Übers.: B. Luchesi, Frankfurt a.M. 1988, S. 15f; dieselbe Stelle findet sich in der englischen Ausgabe hier: Douglas 1980, S. 4.
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bedrohlichen Anderen schlechthin verstanden (kinaidos), ereilt männlich-männliche Sexualität (besonders analer Stimulus) eine solche Be- bzw. Verurteilung erst ab dem christlichen Mittelalter. Offenbart sich in dem Schreckbild effeminierter Männer insbesondere eine metaphorische Angst vor Transgressionen, so versinnbildlicht der tabuisierte Anus eine ganz konkrete, physische Furcht vor der Überschreitung oder besser gesagt vor der Penetration der sorgsam gezogenen Körpergrenzen, welche die eigene Person bzw. Identität umschließen. Denn im Gegensatz zur Frau wird der Mann nicht als rezeptives, sondern als austeilendes, gebendes Wesen begriffen und demzufolge bewahrt ihn die kulturelle Institution der Penetrationsangst vor einem vorgeblichen Verlust seiner Männlichkeit. Hierin äußert sich zum wiederholten Mal die in der westlichen Zivilisation seit der Antike vorherrschende und u.a. von Platon sowie Aristoteles vertretene Verbindung der Frau mit Materie/Körper/Passivität/Lust und des Mannes mit Geist/Verstand/Aktivität/ Selbstkontrolle.184 In seinem Buch The Penetrated Male von 2013 argumentiert Jonathan Kemp, dass das bis heute gültige Konzept ›Mann‹ den Körper als etwas Exzessives und Verschwenderisches erachtet.185 Mit Verweis auf die Arbeit Klaus Theweleits resümiert Kemp, dass im Zuge der geforderten Selbstkontrolle über die eigene Fleischlichkeit die Vorstellung eines in sich abgeschlossenen, unpenetrierbaren Körpers perpetuiert wird: »A body, that is, incapable of acknowledging its own penetrability. A ›male‹ body.«186 Die ideologisch bereits in der Antike verwurzelte Vorstellung eines unversehrten und abgeschlossenen Männerleibes (wie z.B. bei den Hopliten) findet ihre Pervertierung nach Theweleit in den stählernen »Körpermaschine[n]«, die das NS-Regime imaginiert hat.187 Zur Erhaltung der männlichen Integrität galt es hiernach und ganz im Sinne Douglas’, »alles zu verfolgen […] was sie [die Männer, NM] zurückverwandeln könnte in das schreckliche desorganisierte Gewimmel aus Fleisch, Haaren, Haut, Knochen, Därmen, Gefühlen«.188 Unter Berücksichtigung der bisher angesprochenen Gesichtspunkte ließe sich das äußerst bildhaft umschriebene »desorganisierte Gewimmel« als kritischer Verweis auf die ›Mängel‹ der weiblichen Konstitution verstehen, wie fehlende Selbstkontrolle, zu viel Emotionalität, zu wenig Ratio etc.189 Auch wenn es sich bei der
184 Vgl. u.a. Fend 2003, S. 16; Fend verweist hier auf Honegger, Claudia: Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib, Frankfurt a.M. und New York 1991; hier: S. 150. 185 Kemp schreibt: »It maintains that central to that denial of the flesh is the conceptual attachment of the body with woman, and the status of woman within binary logic as man’s other, resulting in men’s inevitable detachment from and domination of the body/woman/nature.« (Kemp, Jonathan: The Penetrated Male. New York 2013, S. 7 (Hervorhebung aus Originaltext übernommen)). 186 Ebd., S. 41; Theweleit setzt sich in seinem zweibändigen Buch Männerphantasien (zuerst 1977/78) mit der Pervertierung von Männlichkeitsvorstellungen im Nationalsozialismus auseinander. Siehe Theweleit, Klaus: Männerphantasien 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, Hamburg 1980a; sowie Theweleit, Klaus: Männerphantasien 2: Männerkörper. Zur Psychologie des Weißen Terrors, Hamburg 1980b. 187 Zur antiken Vorstellung vgl. Rubarth 2014, S. 21–32; zum Begriff der »Körpermaschine« siehe Theweleit 1980b, S. 160; zum Konzept der »›Stahlgestalt‹« siehe ebd., S. 158ff. 188 Ebd., S. 161. 189 Ebd.
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militaristischen Zuspitzung kultureller Männlichkeitskonzeptionen durch die Nationalsozialisten um ein zugegebenermaßen zeitlich sehr eingeschränktes Phänomen handelt, darf es jedoch nicht isoliert betrachtet werden, sondern soll als pointiertes Beispiel für die langwierige Diskursgeschichte über Geschlechtlichkeit, Körperlichkeit und Transgressionen dienen. Was sich anhand der im ›Dritten Reich‹ ad absurdum geführten Vorstellung vom Mannsein ganz deutlich zeigt, ist die ›Phallisierung‹ des Mannes als emphatischste Manifestation hegemonialer Männlichkeit.190 In einer »phallokratisch« strukturierten Gesellschaft wie der westlich-europäischen sind laut Guy Hocquenghem »alle gesellschaftlichen Beziehungen nach Art jener Hierarchie aufgebaut […], in der sich die Transzendenz des großen Signifikanten [der Phallus, NM] ausdrückt.«191 Daraus schlussfolgert Hocquenghem in Anlehnung an Gilles Deleuzes und Félix Guattaris Werk Anti-Ödipus (1972), dass es zu einer zweischneidigen ›Sublimierung‹ des Körpers komme: »Ist der Phallus seinem Wesen nach gesellschaftlich, so ist der Anus seinem Wesen nach privat. Um Transzendenz des Phallus, gesellschaftliche Organisierung durch den Großen Signifikanten entstehen zu lassen, bedurfte es der Privatisierung des Anus in individualisierten und ödipalisierten Personen.«192 Die Reduzierung des männlichen Leibes und damit einhergehend der männlichen Lust auf rein phallische Funktionen führt nach Butler erst zu der »Konstruktion fester Körperumrisse«, die »auf festgelegten Stellen der Körperdurchlässigkeit [Samenaustritt] und Undurchlässigkeit [After]« beruhen.193 »Die Begrenzung des Körpers«, so Butler weiter, wird »durch die Ausstoßung und die Umwertung eines ursprünglichen Teils der Identität in eine verunreinigende Andersheit gestiftet.«194 Allerdings erscheint diese konstruierte Trennlinie besonders im Hinblick auf die Sexualität höchst durchlässig, da sie, anders als z.B. Ethnizität, nicht an äußere Merkmale gekoppelt ist und damit die ›Gefahr‹ einer unbemerkten Unterwanderung besteht, der nur durch eine strikte Einhaltung des heteronormativen Protokolls entgegenzuwirken ist.195 In der Befürchtung, den (männlichen) Körper letztlich doch nicht versiegeln zu können, äußert sich zum einen die Fragilität der gesellschaftlich implementierten Idee vermeintlich stabiler Körpergrenzen, zum anderen veranschaulicht sie den komplexen Hybridcharakter unseres kulturellen Verständnisses von Geschlecht, Körper sowie Identität.
190 Mit der ›Phallisierung‹ des Mannes ist eine Pervertierung antiker Vorstellungen von absolut selbstbeherrschter Männlichkeit gemeint, welche die eigene Körperlichkeit negiert und sich vielmehr als Verkörperung des ›Phallus‹, d.h. einer Vorstellung von männlicher Überlegenheit, versteht. Der Mann selbst wird zum Phallus, was Susan Bordo in The Male Body eindrücklich am Beispiel der Statue Die Kameradschaft des NS-Künstlers Josef Thorak darlegt: »Remember the steel-hard, upwardpointing bodies of those two stalwart Nazi ›comrades‹ […]? Their penises are unremarkable; but their torsos perfectly exemplify the authority and power that the possession of a penis (the right kind of penis, of course; a Jewish penis wouldn’t do at all) is supposed to confer on its bearer.« (Bordo 2000, S. 91); vgl. zudem ebd. S. 75ff. 191 Hocquenghem 1974, S. 74. 192 Ebd., S. 74f. 193 Butler 1991, S. 195. 194 Ebd., S. 196. 195 Vgl. Young 190, S. 146.
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Wie komplex und fragil das Konzept der Körpergrenzen tatsächlich ist, wird erneut deutlich, wenn man sich, wie im Fall der umkämpften Geschlechtermodelle, die historischen Bedeutungsschwankungen derartiger Vorstellungen bewusst macht. Entsprechend der von Cadden geforderten Erweiterung der als zu restriktiv empfundenen Laqueur’schen Geschlechterdebatte betont etwa der Literaturwissenschaftler Michail Bachtin die differenzierte Körperwahrnehmung in der Antike und im Mittelalter.196 So stellt das von Bachtin festgehaltene mittelalterliche Konzept des grotesken und durchlässigen Körpers die ewige Nachtseite der antiken Vorstellung eines geschlossenen und individuellen Körpers dar: »Der groteske Körper ist […] ein werdender. Er ist nie fertig und abgeschlossen, er ist immer im Entstehen begriffen […]; er verschlingt die Welt und läßt sich von ihr verschlingen.«197 Und weiter: »Der groteske Körper besteht aus Einbrüchen und Erhebungen, die schon den Keim eines anderen Körpers darstellen, er ist eine Durchgangsstation für das sich ewig erneuernde Leben«.198 Der mittelalterliche Blick auf den Körper konzentriert sich weniger auf das Geschlecht als auf dessen »Ausstülpungen und Öffnungen«, seinen transitorischen Charakter, nicht aber auf seine Oberfläche, wie es die Antike und alle sich auf sie beziehenden Epochen taten.199 Trotz ihrer unterschiedlichen Ausrichtungen eint beide Konzepte die unterbewusste (Antike) bzw. bewusste (Mittelalter) Erkenntnis der Fragilität von körperlichen Grenzen. Wie bereits gezeigt wurde, galt der Mann im antiken Ein-Geschlecht-Modell erst dann als abgeschlossen und vollkommen, wenn er im Stande war, sich gegen das ›Andere‹ (gemeint ist das Weibliche) zu wehren. Der Mann als »kanonische[r] Mensch […] durchläuft im Prozess seiner Vervollkommnung das Stadium der Androgynie«, währenddessen weibliches Verhalten noch toleriert wird; sobald seine Mannwerdung jedoch einsetzt, muss und kann er, im Gegensatz zu der an ihren Körper gebundenen Frau, seine »körperliche Konstitution und sein Geschlecht […] transzendieren«.200 Die für die Entwicklung zum Mann notwendige Abwehr weiblich konnotierter Attribute, Lüste und Verhaltensweisen kann als unterschwellige Angst vor den »Ausstülpungen und Öffnungen« des menschlichen Körpers gelesen werden. So erweist sich also auch der Aspekt der Körpergrenzen als genauso ahistorisch und ebenso wenig einheitlich wie die Geschlechtermodelle. Doch trotz dieser hier evident werdenden kulturellen Dynamik verbleibt das Körper- und Geschlechterverständnis im Kontext hegemonialer Männlichkeit zumindest in seiner Ablehnung effeminierter und ›sodomitischer‹ Männer konsequent. Obgleich Bachtins theoretische Erläuterung den mittelalterlichen Leib als transitorisch und porös wiedergibt, was sich auch in der visuellen Inszenierung widerspiegelt und z.B. die sich langsam etablierende (christliche) Affinität zur Darstellung gemarterter Körper erklärt, bleibt das männliche Penetrationsverbot nicht nur unangetastet, sondern erlebt vielmehr eine Radikalisierung in der Sodomi-
196 Vgl. Cadden 2003; vgl. überdies Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt a.M. 1987; vgl. auch Laqueur 1990. 197 Bachtin 1987, S. 358 (Hervorhebung aus Originaltext übernommen). 198 Ebd., S. 359. 199 Ebd., S. 358 (Hervorhebung aus Originaltext übernommen). 200 Fend 2003, S. 16; vgl. auch Honegger 1991, S. 150.
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tenverfolgung.201 Auch hier treten zum wiederholten Male die von Butler angesprochenen »Gespenster der Diskontinuität und Inkohärenz« einer vielschichtigen Geschichte von Geschlechtlichkeit und Körperlichkeit in Erscheinung.202
II.3.3 The Male Gaze – Der machtvolle Blick Die bisher angesprochenen, eng miteinander verbundenen Themenfelder der Geschlechtermodelle und der Körpergrenzen – sämtliche Inkohärenzen mit eingeschlossen – wirken sich auch direkt auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie die kulturelle Inszenierung ›des Mannes‹ und ›der Frau‹ aus. Im Folgenden soll die intrinsische Dualität von Perzeption und (Re-)Produktion bestimmter Geschlechterund Körperbilder in Anlehnung an Jean-Paul Sartre unter dem Terminus des ›Blicks‹ subsumiert werden.203 Als drittes Element im Konstituierungsprozess hegemonialer Männlichkeit steht der Blick in einer komplexen Wechselbeziehung zu den beiden zuvor betrachteten Aspekten. In Ways of Seeing (zuerst 1972) verdichtet der britische Kunstkritiker John Berger die sich parallel zu den wechselhaften Geschlechter- und Körperkonzeptionen entwickelnden Inszenierungsmechanismen tradierter Männlichkeit und Weiblichkeit ungeachtet ihrer historischen Variabilität auf eine scheinbar zeitlose und allgemeingültige Formel: »[M]en act and women appear. Men look at women. Women watch themselves being looked at. This determines not only most relations between men and women but also the relation of women to themselves. The surveyor of women in herself is male: the surveyed female. Thus she turns herself into an object – and most particularly an object of vision: a sight.«204 Der Mann als aktives Subjekt, die Frau als passives Objekt – versteht man diese Aussage Bergers als Absolutum, so muss man ihr widersprechen, gibt es doch einige Gegenbeispiele, die vom passiv schlafenden Endymion der antiken Sagenwelt bis hin zur aktiven Heroin Judith des Alten Testaments reichen. Nichtsdestotrotz lässt sich mit Blick auf das westlich-europäische Kunstkorpus der letzten Jahrhunderte eine Tendenz zu den von 201 In der Antike finden sich nur wenige Beispiele für die Zurschaustellung verletzter und gemarterter Körper. Der römische Dichter Horaz spricht sogar eine Warnung vor der »Darstellung des Entsetzlichen« aus. Vgl. Fehl, Philipp: Über das Schreckliche in der Kunst: »Die Schindung des Marsyas« als Aufgabe. In: Kat. Ausst. Apoll schindet Marsyas. Über das Schreckliche in der Kunst, Adam Lenckhardts Elfenbeingruppe, Bayerisches National Museum 1995, München 1995, S. 49–92; hier: S. 75. 202 Butler 1991, S. 38. 203 Sartre liefert in Das Sein und das Nichts (zuerst 1943) das sogenannte ›Schlüsselloch-Beispiel‹, mit dem er die konstitutive Macht des Blicks zu erklären versucht: Er schildert eine Situation, in der eine unerkannte Person in einen Raum späht und alle beobachteten Personen zum Objekt ihres Blickes macht. Erst als Schritte hinter der spähenden Person ertönen, wird ihr bewusst, dass sie selbst die ganze Zeit das (Schau-)Objekt eines anderen Subjekts war. Sartre zieht hieraus die Erkenntnis, dass man nicht für sich alleine existiert, sondern immer auch für andere, die einen durch die Macht des Blickes zum Objekt ihrer eigenen Wahrnehmung machen. Siehe Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, übers. von Justus Streller, Hamburg 1974 (zuerst 1943), S. 338ff. 204 Berger, John: Ways of Seeing. New York 1977, S. 47 (Hervorhebung aus Originaltext übernommen).
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
Berger angesprochenen geschlechtsspezifischen Darstellungskonventionen nicht leugnen. Dies wird besonders evident, wenn man z.B. die Entwicklung der Aktkunst der letzten 200 Jahre betrachtet, in der die Frau als lasziv posierendes erotisches Objekt allgegenwärtig ist.205 Der nackte Mann hingegen wird, wenn überhaupt, zumeist im Zuge anatomischer Studien oder metaphorischer Überhöhungen inszeniert, selten aber als bloßes Schauobjekt.206 Diesen Umstand exemplifiziert Berger im obigem Zitat, wenn er auf die kulturelle Relevanz des Blickes eingeht und eine Korrelation zwischen ›Sehen‹ und Männlichkeit sowie ›Gesehenwerden‹ und Weiblichkeit festzustellen meint. In dieser Argumentation des Kunstkritikers wiederholt sich der Grundtenor des 1974 von Laura Mulvey verfassten Aufsatzes Visual Pleasure and Narrative Cinema, in dem die Autorin den Begriff des male gaze prägte.207 Mit diesem Terminus bezeichnete sie den dominierenden ›männlichen‹ (Kamera-)Blick, welcher die Frau in Hollywoodfilmen als passives Objekt inszeniert und konstituiert.208 Mulvey verweist u.a. auf Freuds Konzept der Kastrationsangst und sieht den male gaze als eine Ermächtigungsstrategie, die durch aktiven Voyeurismus und/oder einen Prozess der Fetischisierung das vermeintlich gefährliche Weibliche durch den Blick der Kamera zu unterwerfen sucht.209 Gleichzeitig wirkt sich der male gaze nach Mulvey auch auf die (Selbst-)Wahrnehmung der Männer aus: So stelle der männliche Protagonist doch die Identifikationsfigur für den männlichen Zuschauer dar und werde diesem damit suggerieren, stets das Zentrum jedweder Narrative zu sein, deren Erzählfluss er allein zu bestimmen vermag.210 Auch hier erscheint ein Verweis auf den Foucault’schen Begriff des Dispositivs sinnvoll, verdeutlicht dieser doch die komplexe Vernetzung von Machtstrukturen: Obzwar also der Mann durch den male gaze in eine mächtige und aktive Rolle erhoben wird, sieht er sich doch auch zwangsläufig mit gewissen Anforderungen an seine Männlichkeit konfrontiert.211 Man muss nun weder der Freud’schen Theorie der Kastrationsangst noch Mulveys an Jacques Lacan angelehnter Weiterführung folgen, um die transhistorische wie auch transdisziplinäre Präsenz des male gaze nachvollziehen zu können. Schließlich ist es doch der
205 Vgl. ebd. 206 Zum Männerakt siehe Natter, Tobias G.: Vorwort – Der lange Schatten des Feigenblatts. In: Kat. Ausst. Nackte Männer. von 1800 bis heute, Leopold Museum Wien 2012/13, München 2012, S. 4–13; hier: S. 7. 207 Mulvey 1989, S. 14–28; Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Screen 16.3 Autumn 1975, S. 6–18. 208 Bei Mulvey heißt es: »Ultimately, the meaning of woman is sexual difference, the visually ascertainable absence of the penis, the material evidence on which is based the castration complex essential for the organisation of entrance to the symbolic order and the law of the father. Thus the woman as icon, displayed for the gaze and enjoyment of men, the active controllers of the look, always threatens to evoke the anxiety it originally signified. The male unconscious has two avenues of escape from this castration anxiety: preoccupation with the re-enactment of the original trauma (investigating the woman, demystifying her mystery), counterbalanced by the devaluation, punishment or saving of the guilty object (an avenue typified by the concerns of the film noir); or else complete disavowal of castration by the substitution of a fetish object or turning the represented figure itself into a fetish so that it becomes reassuring rather than dangerous (hence overvaluation, the cult of the female star).« (Mulvey 1989, S. 21). 209 Vgl. ebd., S. 25. 210 Vgl. ebd., S. 20. 211 Vgl. Foucault 1978.
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männliche Blick, der den Großteil der visuellen Dokumente, mit denen sich die Kunstgeschichte beschäftigt, erzeugt bzw. erzeugt hat und dessen ungebrochene Herrschaft sich bis auf das Medium des Films erstreckt. Mehr noch: Das sich im Konzept des male gaze äußernde Geschlechterverständnis erweist sich als fundamentaler Bestandteil ›männlicher‹ Kunstproduktion. So beschreibt Ulrich Pfisterer in seinem Buch Kunst-Geburten (2014) etwa die neuzeitliche und maßgeblich von Aristoteles geprägte Diskursivierung des kreativen ›Schaffensprozesses‹ als »Zusammenwirken eines männlichen und eines weiblichen Prinzips«, wobei die Frau sinnbildlich für »die passive Materie« steht, die »nach der aktiven Formkraft« des Mannes verlangt.212 Der Terminus des male gaze begrenzt sich also nicht auf einen filmtheoretischen Ansatz, sondern beschreibt vielmehr eine kulturelle Praxis, die sich in sämtlichen künstlerisch-medialen Repräsentationen äußert.213 Aufbauend auf Freuds psychoanalytischem Ansatz (die Frau als Signifikat des Kastrationskomplexes) und unter Verweis auf »pre-existing patterns« macht Mulvey deutlich, dass sie die in ihrem Aufsatz untersuchte cineastische Inszenierung der Frauen als Fortsetzung einer langlebigen Bildtradition versteht, die stets in Opposition zur Darstellung der Männer erfolge.214 Unter Rückbezug auf Berger lässt sich jene transhistorische Tendenz in der Geschlechterdarstellung anhand empirischer Vergleiche auch in der bildenden Kunst erkennen. Die in der westlichen Zivilisation vorherrschende Dichotomie von ›hegemonialer Männlichkeit‹ und ›ohnmächtiger Weiblichkeit‹ erzeugt demnach Körper, die jenseits bloßer Biologie mit kulturellen Werten und Idealen beschrieben werden und deren Konstituierung auch im Feld der bildenden Kunst stattfindet.215 Die differenzierte Darstellung von normativen Männern und Frauen folgt, gemäß den bis hierhin gemachten Beobachtungen Mulveys und Bergers, etablierten Konventionen: Der Mann wird in der Regel als bewusstes und ›aktives Subjekt‹ – sei es nun denkend oder kämpfend – in Szene gesetzt, dessen Körper ein geschlossenes, undurchdringliches Ganzes ist. Überdies ist der männliche Leib selbst im unbekleideten Zustand
212
Pfisterer, Ulrich: Kunst-Geburten. Kreativität, Erotik, Körper, Berlin 2014, S. 24; an anderer Stelle verweist Pfisterer auf Cicero: Dieser »hatte konstatiert, dass die sehr ähnlich klingenden Begriffe für Penis (penis) und Pinsel (penellus/penicillus), damit letztlich auch die Schreibfeder (penna), dieselbe etymologische Wurzel hätten.« (Ebd., S. 48f) Dazu ergänzt Pfisterer, dass der Maler Agnolo Bronzino »eben diesen (männlichen) Pinsel« dafür rühmte, dass er »alle Lebewesen ›nach der Natur erschaffe‹« (Ebd., S. 49). Vgl. auch Quiviger, François: The Brush in Poetry and Practice. Agnolo Bronzino’s Capitolo del pennello in Context, in: Frangenberg, Thomas (Hg.): Poetry on Art. Renaissance to Romanticism, Donington 2003, S. 101–113. 213 Im Kunstkontext sei die häufig dargestellte biblische Episode der Susanna im Bade genannt. Dieses Thema versinnbildlicht die Kernaussage Mulveys treffend: Die Blicke der beiden alten Richter degradieren Susanna zu einem Objekt, dessen die Männer habhaft werden wollen. Obwohl das Sujet auch als Kritik am lüsternen und gewaltvollen männlichen Blick verstanden werden kann, so ist es doch bemerkenswert, dass fast jede Darstellung die entblößte Susanna in den Mittelpunkt stellt und somit den male gaze wiederholt. Das Bildthema erscheint insbesondere ab dem Cinquecento als Rechtfertigung für eine weibliche Aktdarstellung. Vgl. hierzu Herrmann, Michaela: Vom Schauen als Metapher des Begehrens. Die venezianischen Darstellungen der »Susanna im Bade« im Cinquecento, Marburg 1990, S. 9. 214 Vgl. Mulvey 1989, S. 14. 215 Vgl. Bordo 2000, S. 26.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
selten ›nackt‹ oder enthüllt, vielmehr ist der ganze Körper in den Worten Susan Bordos ein »natural armor« – eine natürliche Rüstung.216 Ausnahmen hierzu bilden u.a. die geschlechtlich ambivalenten und passiven Epheben bzw. Jünglinge der Antike sowie die von zahlreichen Pfeilen, Nägeln und/oder Schwertern penetrierten Märtyrerkörper des Christentums. Erklärt sich Ersteres mit dem antiken, auf Entwicklung hin ausgerichteten Ein-Geschlecht-Modell, drückt sich in Letzterem die zuvor aufgezeigte Parallele zwischen der sich ab dem Mittelalter etablierenden Vorstellung eines ›porösen Körpers‹ und der christlichen Ikonographie aus.217 Diese beiden Deviationen, auf die nochmals gesondert eingegangen werden soll, veranschaulichen nicht nur die Wechselbeziehung zwischen Geschlechtermodellen, Körpervorstellungen und der repräsentativen Ebene, sondern belegen auch deren »Diskontinuität und Inkohärenz«.218 Unter Berücksichtigung der hier nur beispielhaft genannten Ausnahmeerscheinungen erweist sich die historisch variable Differenzierung zwischen Mann und Frau als einziges kontinuierliches Element in der Inszenierung hegemonialer Männlichkeit. So gilt es in jedem Fall, den männlichen Körper vor etwaigen schwächenden (weiblichen) Einflüssen zu schützen. Dieses Verständnis findet in der bereits angeführten Kontrastierung des in Selbstkontrolle geübten Hopliten mit dem als hedonistisch und weibisch verrufenen kinaidos eine treffende Visualisierung.219 Während der Hoplit sowohl im ideologischen als auch im künstlerisch-repräsentativen Rahmen das antike sowie auch das universelle Männlichkeitsideal verkörpert, treten in der Gestalt des kinaidos jene Aspekte in Erscheinung, die aus einem normativ-männlichen Künstlerblick als ›essenziell‹ weiblich wahrgenommen und damit letzten Endes zu elementaren Bestandteilen einer Ikonographie der Weiblichkeit erhoben werden: Weichheit, Fleischlichkeit, Passivität. Diese Merkmale markieren und konstituieren ›das Weibliche‹ in der Kunst, gemäß der von Scott Rubarth formulierten Prämisse »[t]he masculine is that which is not feminine«, als Negativbild ›des Männlichen‹.220 Die Umschreibung als Negativbild ist hierbei im fotografischen sowie im wortwörtlichen Sinne zu verstehen: Einerseits verdeutlicht es die scharfe kulturelle Kontrastierung der Geschlechter. Andererseits betont es die implizierte Mangelhaftigkeit ›des Weiblichen‹, das entsprechend des zugrunde liegenden Verständnisses nicht stark, sondern schwach ist, nicht bewusst, sondern unbewusst, nicht kontrolliert, sondern unkontrolliert usw. Die mit dem westlichen Geschlechterverständnis verbundene Hierarchisierung des Männlichen über das Weibliche geht mit der den Männern auferlegten Bürde einer beständigen (Selbst-)Kontrolle der eigenen Geschlechterrolle, der körperlichen Grenzen und der Außenwirkung einher. Das Dilemma des Mannes ist, dass er sich niemals der Passivität – sei sie physisch oder psychisch – hingeben darf. Um seinen Status zu erhalten, muss er stets Virilität und Vigilanz unter Beweis stellen. Die scharfe Dichotomie 216
Ebd., S. 30; Bordo verwendet die Formulierung der »natural armor« im Hinblick auf die aggressive Zurschaustellung des männlichen Körpers im 20. Jahrhundert, nichtsdestotrotz erscheint diese auch als treffende und zeitübergreifende Beschreibung des männlichen Körperverständnisses. 217 Die Verbindung von christlicher Ikonographie und poröser Körperlichkeit ist ein häufig wiederkehrendes Thema (u.a. in der Barockkunst). Siehe auch Kapitel III.2.1 und III.2.3. 218 Butler 1991, S. 38. 219 Vgl. Winkler 1990b, S. 177f. 220 Rubarth 2014, S. 30.
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von ›Männlich‹ und ›Weiblich‹ sowie zwischen Innen und Außen ist der Preis für die zivilisatorische Illusion einer waltenden Ordnung.221 Alle bislang angeführten Theorien – von Douglas, Butler, Mulvey und Berger bis hin zu Laqueur, Cadden sowie Connell – erweisen sich als unverzichtbare Werkzeuge für die Entschlüsselung ebenjener vorherrschenden Ordnung hegemonialer Männlichkeit. Die Bewusstmachung der den Geschlechterrollen, den Körpervorstellungen sowie der Inszenierung von ›Mann‹ und ›Frau‹ inhärenten Inkonsistenz sowie der kulturellen Stellung der Männlichkeit ist grundlegend für jedwede Debatte über Geschlechtlichkeit und Sexualität. Ungeachtet dieser in der Queer- und Gender-Theorie wurzelnden kritischen Herangehensweise an die gesellschaftlich induzierten Rollen von ›Mann‹ und ›Frau‹ bleibt deren identitätsstiftende Funktion jedoch unberührt, wird der Mensch doch stets in eine Matrix sozialer Bedeutungen und Erwartungen hineingeboren. Obschon es schier utopisch ist, diesem Gefüge zu entfliehen, ist es dennoch möglich, es zu hinterfragen. So schrieb Simone de Beauvoir in Das andere Geschlecht (zuerst 1949): »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.«222 Diese Aussage trifft ebenso auf die Rolle des Mannes zu: Man kommt nicht als Mann zur Welt, sondern wird dazu gemacht. In ebenjenem Prozess der ›Mannwerdung‹ fällt den drei hier erläuterten, eng miteinander verbundenen Aspekten eine zweifache Bedeutung zu: Im selben Maße, wie sie ein tradiertes bzw. normiertes Geschlechter- bzw. Männerbild konstituieren, bilden sie zugleich ein deviantes Gegenbild aus. Für den weiteren Verlauf ist die Kenntnis der variierenden Konzeptionen von (tradierter) Geschlechtlichkeit, Körperlichkeit sowie deren Repräsentationen daher unerlässlich, stellt sie doch einen essenziellen Anknüpfungspunkt für eine Analyse devianter Männlichkeiten und gleichgeschlechtlichen Begehrens dar.
II.4 Inszenierungsmechanismen devianter Männlichkeiten und gleichgeschlechtlichen Begehrens: Kunsttheoretischer Ansatz und Methodik Standen im letzten Kapitel die konstitutiven Aspekte eines normierten bzw. hegemonialen Männerbildes im Zentrum, geht es nun ganz konkret um deren Auswirkungen auf die Darstellung devianter Männlichkeiten und gleichgeschlechtlichen Begehrens. Die mit Mulveys Theorie des male gaze im Vorfeld angesprochene Wirkmacht bildnerischer Repräsentation erweist sich auch für die Inszenierung ›abseitiger‹ Geschlechtlichkeit und Sexualität als signifikant.223 Die unterschiedlichen Kunstwerke werden hierbei als visuelle Dokumente begriffen, in denen sich die Geschlechter- und Sexualitätskonzeptionen der sie jeweils hervorbringenden Gesellschaft widerspiegeln.224 Kurz 221 Vgl. Douglas 1988, S. 15f. 222 Beauvoir, Simone de: Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau, Gesamtausgabe (2. Buch Gelebte Erfahrung), München und Zürich 1961b, S. 433. 223 Vgl. Mulvey 1989. 224 Damit wird an ein Kunstverständis angeknüpft, wie es Stefan Horlacher, Bettina Jansen und Wieland Schwanebeck in ihrem Sammelband zur Männlichkeitsforschung formuliert haben: »Die Künste werden dabei als produktive Medien aufgefasst, durch die sich eine Gesellschaft selbst re-
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
gesagt: Die Kunst dokumentiert und produziert die Fremd- und Selbstwahrnehmung gleichgeschlechtlich begehrender Männer und liefert einen entscheidenden Beitrag zur Historisierung männlich-männlichen Verlangens. Diese wichtige Rolle der Kunst betont auch Hocquenghem in seinem Eröffnungstext zu Lionel Soukaz‹ filmischem Vierteiler Race d’Ep (ein Wortspiel auf das abfällig verwendete pédéraste, kurz pd) von 1979: »Une histoire pas si vieille, mais il y a un siècle et dont les débuts pourraient encore être contés par des vivants. Naissance d’une nouvelle identité devenu en cent ans une quasi nature. Ils apparaissent un peu avant le tournant du 20e siècle mi-temps des arts de l’image et des sciences médicales, se découvrant progressivement à travers leur représentation comme espèce particulière. Entre les guerres dans les convulsions de l’Allemagne près concentrationnaire ils prolifèrent comme du chiendent construisant leur propre destin ce qui a formé une nouvelle définition de l’être humain; un peuple dispersé; un peuple sans mémoire, oublieux aussitôt des expériences vécues et des exterminations. Une conscience d’être autre qui n’est pas éternelle, mais ne pas née non plus dans la libération Américaine des années 60. Elle a eu il y a un demi-siècle son âge d’or, continent perdu, effacée par le bain de sang totalitaire.«225 Gleich zu Beginn verdeutlicht Hocquenghem, welchen Stellenwert er der Kunst und im Besonderen der Fotografie beimisst, wenn er sie neben der Medizin nicht nur als frühesten Indikator jener ›neuen Identität‹ der Homosexuellen bezeichnet, sondern darüber hinaus auch als essenzielles Element in deren ›Geburtsprozess‹. Die schrittweise Selbstfindung ›der Homosexuellen‹ steht laut Hocquenghem in einer Wechselbeziehung zur medizinischen wie auch bildnerischen Repräsentation. Er rekurriert damit auf die flektiert, neu entwirft und potentiell transzendiert, und in denen Akzentuierungen und Verstärkungen von in der Lebenswelt oft kaum wahrnehmbaren – weil vorbewusst bleibenden – Intuitionen und Schemata sichtbar werden«. (Horlacher, Stefan; Jansen, Bettina; Schwanebeck, Wieland: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2016, S. 1–10; hier: S. 5). 225 Transkription des Vorworts von Guy Hocquenghem durch NM. Vgl. Race d’Ep – 1. Le Temps de la Pose (1979). [Video] Regie: Lionel Soukaz. Frankreich: éditions libres/hallier. Online abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=yJvcrubBS5g&t=97s (09.10.2017); eine englische Übersetzung des Vorworts von Damon R. Young findet sich in der Begleitpublikation des in New York und Los Angeles stattfindenden queeren Filmprogramms Dirty Looks. Vgl. hierzu Hocquenghem, Guy : Preface to Race d’Ep! Un siècle d’images de l’homosexualité, eng. Übersetzung Damon R. Young, in: Lopéz Menéndez, Clara; Nordeen, Bradford (Hg.): Dirty Looks. Volume 1, New York 2016, S. 84–85; deutsche Übersetzung (NM): »Eine junge Geschichte – kaum ein Jahrhundert alt – von deren Anfänge auch noch Zeitzeugen berichten können. Die Geburt einer neuen Identität, die fast zu einer ›Quasi-Natur‹ geworden ist. Sie tauchen kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert im Bereich der Bildkünste sowie der Medizin auf und entdecken sich schrittweise selbst durch ihre Repräsentation als besondere Spezies. Zwischen den Weltkriegen, während der Konvulsionen politischer Zuckungen in Deutschland vor den Konzentrationslagern, vermehren sie sich wie Unkraut und konstruieren ihr eigenes Schicksal, das eine neue Definition des Menschen geformt hat: ein zersplittertes Volk, ein Volk ohne Erinnerung, vergesslich sowohl gegenüber den gelebten Erfahrungen als auch den Vernichtungen. Ein Bewusstsein, anders zu sein, das nicht ewig ist, aber auch nicht während der Amerikanischen Befreiungs-Bewegung in den 1960er geboren wurde. Es [das Bewusstsein] hatte sein Goldenes Zeitalter vor einem halben Jahrhundert; verlorener Kontinent, ausgelöscht durch ein totalitäres Blutbad.« (TC: 00:00:50-00:01:32).
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Foucault’sche Vorstellung einer ab dem 20. Jahrhundert anzutreffenden, klar definierbaren ›schwulen‹ Identität.226 Ähnlich wie zuvor Foucault betrachten auch Hocquenghem und Soukaz die Entstehung dieser Identität als Konsequenz einer zunehmenden Verengung der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Geschlecht und Sexualität, die, so das Argument in Race d’Ep, von der Medizin angetrieben werde und in der Kunst zu typologisierten Darstellungen führe. So werden in den vier Teilen des gemeinschaftlichen Filmprojekts exemplarische Momente einer homosexuellen Geschichte anhand von künstlerischen und medizinischen Beispielen verhandelt. Jede Episode widmet sich in chronologischer Reihenfolge einer bestimmten Dekade bzw. Person, die zur Etablierung eines ›modernen‹ Selbstverständnisses als sexuelle Minderheit sowie einer ›schwulen‹ Ästhetik beigetragen haben soll: Von den Anfängen fotografischer Darstellung männlichmännlichen Begehrens am Beispiel des Barons Wilhelm von Gloeden (1. Teil) über die Bemühungen des Sexologen Hirschfeld, homosexuelle und transidente Menschen als ›Drittes Geschlecht‹ zu naturalisieren bzw. zu normalisieren (2. Teil) bis hin zur Politisierung und Liberalisierung der Schwulen-Bewegung und ihrer Bilderwelt in den 1960er (3. Teil) sowie den 1970er Jahren (4. Teil). Sowohl historisch als auch visuell zeichnen Hocquenghem und Soukaz hier eine Entwicklung nach, in der das Bildnerische – ebenso wie etwa bei Mulvey – einen integralen Bestandteil im Entstehungsprozess von Identität bildet. Die vorliegende Arbeit möchte an diese Annahme von der Wirkmacht des Bildes anknüpfen, jedoch den zeitlichen Bogen über das in Race d’Ep maßgeblich bearbeitete 20. Jahrhundert hinaus spannen und so eine epochenübergreifende kunsthistorische Perspektive anbieten. Hierzu bedarf es allerdings noch einiger Erläuterungen zu dem in dieser Untersuchung verwendeten kunsthistorischen Ansatz und der Methodik, mittels derer die Inszenierungsmechanismen devianter Männlichkeit(en) und gleichgeschlechtlichen Begehrens analysiert werden sollen. So geht es an erster Stelle um die zum Einsatz kommende Betrachtungsmethode und die Frage, anhand welcher visuellen Aspekte sich eine thematische Verwandtschaft zwischen den teilweise äußerst divergenten Betrachtungsgegenständen erkennen lässt. An zweiter Stelle geht es um den diffizilen Prozess der Motivfindung innerhalb eines kulturellen Umfelds, in welchem männlich-männliches Begehren ab der Antike zunehmend marginalisiert und – wenn überhaupt – nur noch in einem negativen Kontext thematisiert wurde; angesichts dieser prekären Situation erweist sich die Strategie der Appropriation, so das Argument, als substanzieller und im Folgenden weiter auszuführender Bestandteil in der Entstehung einer gleichgeschlechtlichen Bildtradition. An letzter Stel-
226 Vgl. Foucault 1983, S. 47; Foucault war neben Barthes, Deleuze, Guattari, de Beauvoir und weiteren Vordenker_Innen auch maßgeblich daran beteiligt, gegen die scharfe Zensur und Beschlagnahmung von Race d’Ep vorzugehen. Der Film wurde damals von der französischen Zensurbehörde als Pornographie klassifiziert und wurde damit so gut wie unzugänglich gemacht. In einem Brief an das französische Kultusministerium schrieb Foucault: »[T]his documentary is based on historical research whose seriousness and interest I had the chance to prove«. Und weiter: »[I]t seems strange for a film about homosexuality to be penalized when it tries to remember the persecutions of which the Nazi regime has been responsible«. (Zit. nach Lopéz Menéndez, Clara; Nordeen, Bradford: Race D’Ep (Introduction). In: Dies. (Hg.): Dirty Looks. Volume 1, New York 2016, S. 78–79; hier: S. 79).
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le stehen noch die Desiderate zum weiblich-weiblichen Begehren sowie zur Inter- und Transgeschlechtlichkeit.
II.4.1 Inszenatorische Triade zur Darstellung queeren Begehrens: Körper – Attribute – Raum Wesentlich für den in dieser Arbeit verfolgten Ansatz ist die Problematik, wie queere Sexualität und Geschlechtlichkeit in einem künstlerischen Kontext visualisiert wird bzw. angesichts einer langen Geschichte von Unterdrückung und Verfolgung überhaupt nachvollzogen werden kann. Im Zuge eines Sichtungsprozesses themenrelevanter Kunstwerke haben sich drei wiederkehrende inszenatorische Aspekte devianter Männlichkeiten und gleichgeschlechtlichen Begehrens herauskristallisiert, die eine Annäherung an den Themenkomplex möglich machen: Erstens die körperliche, zweitens die attributive und drittens die räumliche Dimension. Der erstgenannte Punkt der Körperlichkeit nimmt bei der Betrachtung eines ebenso geistigen wie leiblichen Verlangens konsequenterweise eine ganz elementare Stellung ein. Wenn es um die Repräsentation von Queerness in der Kunst geht, steht der Körper zumeist im Mittelpunkt der künstlerischen Praxis. So schreibt der Queer- und Gender-Theoretiker Jack Halberstam: »Queer representational practices, and the work of gay and lesbian artists more generally, have been inordinately preoccupied with the body.«227 Diese von Halberstam angesprochene thematische Fokussierung spiegelt die bereits erläuterte fragile Konstruktion hegemonialer Männlichkeit in der westlichen Kultur wider, die einen Körper erzeugt, der zur Aufrechterhaltung des phallischen Machtanspruches stets die eigene Leiblichkeit negieren muss.228 Damit unterscheidet sich ›der Mann‹ völlig von ›der Frau‹, die laut de Beauvoir in einer patriarchalischen Kultur doch gänzlich über ihren Körper definiert wird: »Die Frau hat Ovarien und Uterus; das sind die besonderen Voraussetzungen für ihre subjektive Situation; man sagt gern, sie denke mit ihren Drüsen. Großzügig sieht der Mann darüber hinweg, dass zu seiner Anatomie ja ebenfalls Hormone und Testikel gehören. Er fasst seinen Körper als die direkte und normale Beziehung zur Welt auf, die er in objektiver Form darzustellen meint, während er den Körper der Frau als gleichermaßen belastet durch alles sieht, was ihr eigentümlich ist und was ihm als ein Hindernis, eine Fessel erscheint.«229 Während die von de Beauvoir geschilderte Zuordnung der Frau zur materiell-körperlichen Sphäre schon seit der Antike von Aristoteles und anderen Philosophen kultiviert wurde, ist das gesellschaftliche Verhältnis zum männlichen Körper hingegen geprägt von einem beständigen Changieren zwischen Ausblendung der eigenen Fleischlichkeit
227 Halberstam, Jack: Queer-Scapes or Spaces of Desire. In: Imesch, Kornelia et al. (Hg.): Inscriptions/ Transgressions. Kunstgeschichte und Gender Studies, Bd. 8 Kunstgeschichten der Gegenwart hg. von Peter J. Schneemann, Bern et al. 2008, S. 287–306; hier: S. 287. 228 Zum Konzept ›hegemonialer Männlichkeit‹ siehe Kapitel II.3 sowie Connell 2015, S. 85ff. 229 Beauvoir, Simone de: Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau, Gesamtausgabe (1. Buch Fakten und Mythen), München und Zürich 1961a, S. 10.
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sowie einer Vergeistigung bzw. Überhöhung des eigenen Geschlechts. Aus der kulturellen Bedeutung des männlichen Leibes als ›Universalkörper‹, in dem sich die phallische Vormachtstellung manifestiert, erklärt sich sodann die von Halberstam angemerkte Dominanz körperzentrierter Werke in einem ›queeren‹ Kunstkanon: Die Darstellung transgressiver Körperlichkeit stellt das probateste Mittel zur visuellen Markierung devianter Männlichkeiten und gleichgeschlechtlichen Begehrens dar. Dies muss jedoch nicht zwangsläufig mit einer Subversion gesellschaftlicher Konventionen einhergehen, ist doch der androgyne Körper der Epheben fester Bestandteil einer griechisch- und römisch-antiken Ikonographie. Ebenso stellt der passive und entblößte Körper des hl. Sebastian innerhalb einer christlichen Ikonographie keinen ›Verstoß‹ gegen eine tradierte Hagiographie dar. Beiden Beispielen ist jedoch gemein, dass sie Körper zeigen, die Grenzen transzendieren – die Epheben bewegen sich zwischen Jugend und Erwachsenenalter, der hl. Sebastian zwischen körperlichem Leid und himmlischer Ekstase. Es ist schlussendlich der in diesen Bildthemen evident werdende Aspekt leiblicher Grenzerfahrung, den Hocquenghem und Soukaz in Race d’Ep am Beispiel von Wilhelm von Gloedens ephebischen Fotografien sowie Magnus Hirschfelds Lehre von den geschlechtlichen Zwischenstufen als elementaren Bestandteil einer ›schwulen‹ Ästhetik verhandeln.230 Dieser Ansatz soll im Nachfolgenden weiterverfolgt und weitergedacht werden. Der bildnerische Topos transgressiver Körperlichkeit wird allerdings nicht nur in Form androgyner und gepeinigter Körper auftauchen, sondern auch in den ›monströsen‹ Gestalten der Sodomiten sowie den hypermaskulinen Phantasmen eines Tom of Finland und schließlich auch als explizite Ausformung fleischlicher Tabus wie etwa bei Robert Mapplethorpe. Ebenfalls unter den Oberbegriff der Körperlichkeit fallen darüber hinaus Gestik und Mimik, die bereits zum Gegenstand wissenschaftlicher Essays – Thomas A. Kings Performing ›Akimbo‹ (1994) – sowie künstlerischer Auseinandersetzungen – Henrik Olesens Some Faggy Gestures (vgl. Abb. 123.1) – geworden sind und denen auch diese Arbeit besonderes Augenmerk widmen will.231 Die Aspekte der körperlichen Inszenierung stehen in enger Beziehung zur attributiven Dimension. Was wäre der hl. Sebastian etwa ohne sein Marterinstrument, den Pfeil? An diesem Beispiel sieht man bereits, dass die einzelnen Komponenten – die räumliche Dimension miteingeschlossen – oft nicht isoliert vorkommen; vielmehr entsteht aus ihrem Zusammenwirken erst der Bedeutungsgehalt. In der künstlerischen Vermittlung
230 Vgl. Kachel, Andrew: He Likes The Tragic In Me. I’M An End Of Civilization, in: Lopéz Menéndez, Clara; Nordeen, Bradford (Hg.): Dirty Looks. Volume 1, New York 2016, S. 86–92; hier besonders: S. 88f; vgl. den zweiten Teil von Soukaz Film: Race d’Ep – 2. Le Troisieme Sexe (1979). [Video] Regie : Lionel Soukaz. Frankreich : éditions libres/hallier. Online abrufbar unter: https://www.youtube.com/ watch?v=7OstX2edKZ4&index=2&list=PLBfJGH-EI86l3EtuKiGG1eQMbEOpir-w8 (09.10.2017); vgl. Hirschfeld, Magnus (Hg.): Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen mit besonderer Berücksichtigung der Homosexualität. 23 Jahrgänge, Leipzig 1899–1923. 231 Vgl. King, Thomas A.: Performing ›Akimbo‹. Queer pride and epistemological prejudice, in: Meyer, Moe (Hg.): The Politics and Poetics of Camp. London und New York 1994, S. 23–50; vgl. zudem das von Henrik Olesen gestaltete Künstlerbuch, das anlässlich der Ausstellung Some GayLesbian Artists and/or Artists Relevant to Homo-Social Culture Born between c. 1300–1870/SEX-MUSEUM 2005–2007 im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich vom 2. Juni 2007 bis 12. August 2007 erschien: Olesen, Henrik; Munder, Heike: Some Faggy Gestures. Zürich 2008.
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gleichgeschlechtlichen Begehrens lassen sich zwei Attributarten differenzieren: Auf der einen Seite gibt es geschlechtsspezifische (Kleidung, Blumen etc.) und auf der anderen Seite abstrakte Attribute bzw. Symbole (Rosa Winkel, Regenbogenflagge etc.). Bei Ersterem handelt es sich um eine transgressive Aneignung von gesellschaftlich als ›weiblich‹ bzw. ›männlich‹ kodierten Attributen. Wird der Mann etwa mit Blumen oder Make-up inszeniert – zwei Beispiele für zumeist ›weiblich‹ konnotiertes Beiwerk in der westlicheuropäischen Kunst – so erfolgt eine ›Verweiblichung‹ und damit Erotisierung des Dargestellten. Damit ähnelt dieser Prozess der Sexualisierung körperlich androgyner Epheben, die im antiken Kontext gerade wegen der ihnen inhärenten ›Weiblichkeit‹ den Status von erotischen Objekten innehatten. Hierin spiegelt sich der kulturell tief verwurzelte und für die Inszenierungsstrategie der Effeminisierung zentrale Habitus einer Verquickung von Weiblichkeit und erotisierter Fleischlichkeit wider. Bei der Unterteilung geschlechtsspezifischer Attribute in ›weiblich‹ und ›männlich‹ ist jedoch darauf zu achten, dass diese stark zeit- und kulturabhängig ist. So stellt der schottische Maler William Bruce Ellis Ranken in seinem Bild Hibiscus Flower (siehe Abb. 2) von 1922 sein männliches Modell mittels farbprächtiger und orientalisch anmutender Stoffe sowie einer strategisch zwischen den Schenkeln platzierten Hibiskusblüte als lustvolles Bildobjekt dar, obgleich derartige Textilien von einem zeitgenössischen arabischen oder indischen Publikum nicht als sonderlich ›weiblich‹ wahrgenommen worden wären.232 Aus einer europäisch-westlichen Perspektive ist die malerische Intention einer Sexualisierung des dargestellten jungen Mannes jedoch kaum zu übersehen, zu offensichtlich bricht Ranken mit künstlerischen Konventionen ›männlicher‹ Inszenierung des frühen 20. Jahrhunderts und bedient sich stattdessen der in der westlichen Kultur fest verankerten Konvention der Effeminierung. Ähnlich verhält es sich auch mit spezifisch ›männlichen‹ Attributen und Paraphernalien wie etwa militärischen Uniformen (Matrosen etc.). Dieser gegenläufige Prozess einer Maskulinisierung gleichgeschlechtlich begehrender Männer, der sich insbesondere im 20. Jahrhundert verbreitet, ist als bewusste Distanzierung gegenüber einer ›verweiblichten‹ Bildtradition zu verstehen, wie sie sich emblematisch in den passiven Jünglingsdarstellungen eines Hippolyte Flandrin äußert (siehe Abb. 3).233 Darüber hinaus erweist sich das Spiel mit ›männlich‹ konnotierten Attributen auch für eine ab dem späten 19. Jahrhundert zu konstatierenden und zunehmend sichtbar werdende lesbische Subkultur als wichtiges Inszenierungsmittel, wie dies z.B. die Werbung für einen ›Damen-Ball‹ aus der lesbischen Zeitschrift Die Freundin von 1929 eindrücklich belegt (Abb. 128).234 Die hier nur kurz angerissene Entwicklung legt die Schlussfolgerung nahe, dass sich queere Menschen ›männlich‹ kodiertes Beiwerk aus einem emanzipatorischen Moment der Selbstbestimmtheit heraus aneignen, um sich aus einer als ohnmächtig wahrgenommenen Position ›schwächlicher‹ Weiblichkeit zu befreien. Dem entgegen gilt die Verwendung ›weiblicher‹ Attribute ganz besonders im Zusammenhang mit dem
232 Vgl. hierzu Boone, Joseph Allen: The Homoerotics of Orientalism. New York 2014. 233 Siehe auch Kapitel III.3.1 sowie Hennen 2008. 234 Siehe auch Romaine Brooks, Portrait von Una, Lady Troubridge, 1924, Öl auf Leinwand, Smithsonian Museum of American Art, Washington DC.
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Topos effeminierter Männlichkeit zumeist als Ausdruck einer kulturellen Fremdzuschreibung und Abwertung. Obschon dies in vielen Fällen zutrifft – man denke nur an den kinaidos –, spiegelt sich in der hier zugrundeliegenden Verknüpfung von Selbstbestimmtheit bzw. Aktivität mit Männlichkeit und Fremdbestimmtheit bzw. Passivität mit Weiblichkeit keineswegs eine ›tiefere‹ Wahrheit wider, sondern lediglich der kulturell vorherrschende Konsens. Zudem übersieht die hierin wiederholte Hierarchisierung des Männlichen über das Weibliche das zutiefst queere Potential einer bewussten und kämpferischen Aneignung ›weiblicher‹ Attribute als deutliche Abkehr von einem waltenden Phallogozentrismus bzw. einer hegemonialen Männlichkeit.235 Nicht minder komplex verhält es sich auch mit den abstrakten Symbolen bzw. Attributen, in denen sich oftmals geschlechtsspezifische Konventionen manifestieren: So wählten etwa die Nationalsozialisten mit dem Rosa Winkel eine ab den 1920er-Jahren (und bis heute) als ›mädchenhaft‹ geltende Farbe zur Kennzeichnung und visuellen ›Entmannung‹ homosexueller Häftlinge in den Konzentrationslagern.236 Mit dem Ende des ›Dritten Reichs‹ verschwindet der Rosa Winkel jedoch keineswegs, sondern wird zusammen mit der Farbe Rosa zu einem integralen Bestandteil eines explizit schwulen Bildund Symbolkanons des 20. Jahrhunderts und war u.a. Vorbild für den Namen und das Logo des 1975 in (West-)Berlin gegründeten Rosa Winkel-Verlags sowie das »Silence = Death«-Poster der AIDS-Aktivist_Innengruppe ACT UP in den 1980ern.237 Neben der visuellen Ebene nimmt das Wort Rosa darüber hinaus auch Eingang in die Umgangssprache und wird fortan »im Sinne von ›homosexuell/Homosexuelle betreffend‹« gebraucht.238 Das ein derart kontroverses und stigmatisierendes Zeichen wie der Rosa Winkel innerhalb eines homosexuellen Kontextes überhaupt ein Nachleben haben kann, ist allerdings nicht nur dem bereits öfter erwähnten und für die Entwicklung einer queeren Visualität wesentlichen Prozess der emanzipatorischen Vereinnahmung geschuldet, sondern
235 Vgl. Irigaray 1979 sowie Connell 2015; inwiefern diese zwei auf den ersten Blick so fundamental unterschiedlichen inszenatorischen Strategien zusammenhängen, ist im Hauptteil zu klären. 236 Zur Verfolgungsgeschichte der Homosexuellen in der NS-Zeit siehe Knoll 2015; zur Farbe rosa als ›mädchenhaft‹ sowie zum Zusammenhang mit Homosexualität vgl. Kaufmann, Caroline: Zur Semantik der Farbadjektive rosa, pink und rot. Eine korpusbasierte Vergleichsuntersuchung anhand des Farbträgerkonzepts, Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München 2006, https://edoc.ub.uni-muenchen.de/6326/1/Kaufmann_Caroline.pdf (zuletzt aufgerufen am: 19.10.2017), S. 65 und S. 101ff. 237 Eine deutsche Perspektive zur Appropriation des Rosa Winkels findet sich in der Zeitschrift Anstoß, einer Publikation der AIDS-Hilfe Trier. Darin schreibt Robert Loscheider über seine Beweggründe hinter der Aneignung dieses Symbols: »Der Rosa Winkel hat für mich sehr viel mit Deutschland zu tun und meinem Verhätlnis zu diesem Land, ein Verhältnis cum ira et studio. […] Für mich gibt es keinen Eiertanz um den 08. Mai. Fünfzig Jahre Kriegsende, Kapitulaton Deutschlands, war das Beste, was einem der völligen Barberei ergebenen Staat hat passieren können. […] Der Rosa Winkel ist für mich nicht nur ein Zeichen meiner Identität, sondern auch eine zur Schau getragene Mahnung, daß so etwas nie wieder passieren darf« (Loscheider, Robert: Gedanken zum Rosa Winkel. In: Anstoß. Nr. 18 (1995), S. 17). 238 Vgl. hierzu Kaufmann 2006, S. 101f; für den englischen Sprachraum ist ein ähnlicher Wortgebrauch festzustellen. Für die Verwendung des englischen Wortes pink im Sinne von homosexuell siehe u.a.: Rodgers, Bruce: The Queens’ Vernacular. A Gay Lexicon, San Francisco 1972, S. 149.
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darf auch als bewusste und scharf pointierte Kritik an der Regierung der Bundesrepublik Deutschland verstanden werden, die den unter den Nationalsozialisten verschärften Paragrafen 175 zur Verfolgung Homosexueller unverändert in das Strafgesetzbuch übernommen hatte.239 Das einstige Symbol der Stigmatisierung wurde somit »zielstrebig in ein Symbol des Selbstbewusstseins verwandelt und verschaffte die Möglichkeit, sich als Gruppe neu zu identifizieren.«240 Es sind demzufolge sowohl konkrete Attribute wie Kleidung als auch abstraktere Elemente wie etwa Farben, die gerade wegen ihrer transgressiven Qualitäten eine wichtige Rolle in der Inszenierung devianter Männlichkeit und mann-männlicher Sexualität spielen. Eine Aufwertung abstrakter Attribute und Symbole zum dekontextualisierten autonomen Bildmotiv erfolgt parallel zur allgemeinen kunsthistorischen Entwicklung erst im Laufe des 20. Jahrhunderts und findet im Nachfolgenden nur am Rand Erwähnung. Die körperlichen und attributiven Aspekte sollen nun an dritter und letzter Stelle noch um die räumliche Dimension, den queer space, ergänzt werden, wobei das Interesse im selben Maße bildnerisch wiedergegebenen sowie architektonisch konstruierten Räumen gilt. Zunächst erscheint die Vorstellung von Räumlichkeit als gestalterisches Mittel zur Darstellung queeren Verlangens etwas ungewöhnlich, bedenkt man jedoch, dass Menschen, die sich aufgrund ihrer Sexualität oder Geschlechtsidentität nicht überall frei bewegen konnten bzw. können, so erhält die räumliche Dimension eine ganz andere Relevanz. Der Architekturtheoretiker Aaron Betsky verweist diesbezüglich in seiner Monographie Queer Space. Architecture and Same-Sex Desire (1997) auf den Ursprung queerer Räume: »[Q]ueer space finds its origin in the closet, the place of hiding and constructing one’s own identity. It creates itself in darkness, in the obscene, in the hidden.«241 Im übertragenen Sinn repräsentiert der closet (dt. der Wandschrank bzw. Schrank) demnach einen inneren Raum, in dem von der Gesellschaft als deviant angesehene Facetten der eigenen Persönlichkeit verborgen werden.242 Obzwar das Konzept des closet nicht nur auf Themen wie abweichende Sexualität und/oder geschlechtliche Identität begrenzt werden kann, erweist sich der Prozess des bewussten Ver- und Enthüllens doch gerade für queere Menschen als universelle Erfahrung.243 Auch Sedgwick geht detailliert auf die komplexen Entstehungsursachen jener metaphorischen Räumlichkeit ein: »[T]he closet,
239 Zum Thema Homosexualität und Nationalsozialismus siehe auch Grau, Günther: Lexikon zur Homosexuellenverfolgung 1933–1945. Institutionen – Kompetenzen – Betätigungsfelder, Berlin 2011; vgl. zudem Grau, Günther; Schoppmann, Claudia: Homosexualität in der NS-Zeit: Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung, Frankfurt a.M. 2004. 240 Knoll, Albert; Richter, Burghard: Initiative zu dem Rosa-Winkel-Gedenkstein. In: Knoll 2015, S. 39–56; hier S. 41. 241 Betsky, Aaron: Queer Space. Architecture and Same-Sex Desire, New York 1997, S. 21; Betsky ergänzt: »It is a secret condensation of the orders of the home. Rather than allowing you to live in the fiction of established structures, which of course depend on a consent to live together, on economic development, and on institutionalized social practices, it proposes a world of fantasy that is directly related to the body and has no definite space. This is a harrowing, spooky space, but also one that is free from outside constraints.« (Ebd.). 242 Zur Konzeption des closet vgl. auch Sedgwick 2008 u.a. S. 56 und S. 65. 243 So kann auch in religiösen Zusammenhängen von einem closet gesprochen werden, wenn etwa die eigene Religion aufgrund zu befürchtender Repressalien verheimlicht wird.
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that curious space that is both internal and marginal to the culture: centrally representative of its motivating passions and contradictions, even while marginalized by its orthodoxies.«244 Es ist also primär die ›Außenwelt‹, die mit ihren Regeln, Konventionen und Tabus den closet erst notwendig macht und dessen Innenleben im selben Maße angsteinflößend und befreiend sein kann.245 Trotz der beständigen und zumeist berechtigten Furcht vor den Konsequenzen einer möglichen Entdeckung dieses ›Schutzraums‹ gestattet doch gerade seine einzigartige Position zwischen kultureller Hegemonie und Subversion sowie zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit die Genese einer spezifisch queeren Ästhetik. Obwohl die Idee des closet zweifellos eine moderne ist, hat sie in Anbetracht einer jahrhundertelangen Verfolgung gleichgeschlechtlichen Begehrens in der westlichen Welt doch auch eine epochenübergreifende Relevanz. Kurzum: Die Inszenierung devianter Männlichkeit und männlich-männlicher Sexualität ist ohne die dem closet immanente Eigenschaft einer räumlichen Grenzerfahrung nicht zu denken. Wie schon bei der Betrachtung der körperlichen und attributiven Dimension taucht auch hier wieder das Spezifikum der Transgression auf, weshalb auch die Visualisierung eines queer space der bekannten Strategie einer grenzüberschreitenden Performanz folgt. Für Betsky ist der closet jedoch nur eine Facette des queer space, meint er doch im Motiv des Spiegels eine weitere essenzielle Komponente zu erkennen.246 Neben seiner Funktion als identitätsstiftendes Moment247 sowie seinem ganz konkreten Einsatz in der Architektur, wie beispielweise in den verspiegelten Interieurs der Schwulendiskotheken der 1980er, schlägt Betsky die Lesart des Spiegels als Symbol für den ephemeren Charakter des queer space vor.248 Er schreibt: »[queer space] uses mirrors. If conventional architecture is more like a window into a perfect world, a fragment of a utopian world that we build every time we construct something new, then queer space just brings us back to ourselves. If queer space establishes itself at all, it surrounds us in a space that is often as invisible or as thin as the surface of a mirror. Mirror space is a strangely haunting space, one where the world comes back to us in a reversed manner. Everything is still there, in place but out of place. As a result, mirror space both affirms and confuses or destabilizes us.«249 Die Art und Weise, wie der Autor die Spiegelmetapher hier gebraucht, erinnert an Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln (zuerst 1871), entwirft er den queer space doch als eine ›seltsam verwunschene‹ Spiegelwelt, die zwar in der Realität verankert ist, sich aber nur den ›Eingeweihten‹ erschließt.250 In dieser poetisch anmutenden Deutung hallt auch das von 244 245 246 247 248 249 250
Sedgwick 2008, S. 56. Vgl. Betsky 1997, S. 21. Vgl. ebd., S. 17f sowie S. 21. Vgl. hierzu Kapitel III.1.1. Vgl. Betsky 1997, S. 160ff. Ebd., S. 21 (Hervorhebung durch den Verfasser). Während Carrolls Protagonistin Alice in Alice im Wunderland (1865) durch den Tunnel eines Hasenbaus in das titelgebende Wunderland gerät, tritt sie in der Fortsetzung Alice hinter den Spiegeln (im engl. Original: Through the Looking-Glass, 1871) durch einen Spiegel in eine nicht minder absurde Welt. Diese Parallelwelt hinter dem Spiegel gibt hierbei ein Zerrbild der Realität wider. Vgl. Carroll, Lewis: Through the Looking-Glass. London 2015.
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Foucault formulierte Raumkonzept der Heterotopie wider, unter welchem er »tatsächlich realisierte Utopien« versteht, »in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte, außerhalb aller Orte«.251 So meint die Foucault’sche Heterotopie einen spiegelartigen Ort, in dem sich die Gesellschaft im Angesicht des individuellen wie auch des kollektiven Antlitzes selbst konstituiert. »Der Spiegel«, so Foucault weiter, »funktioniert als eine Heterotopie in dem Sinn, daß er den Platz, den ich einnehme, während ich mich im Glas erblicke, ganz wirklich macht und mit dem ganzen Umraum verbindet, und daß er ihn zugleich ganz unwirklich macht, da er nur über den virtuellen Punkt dort wahrzunehmen ist.«252 Tatsächlich erscheint die Idee eines gleichzeitig wirklichen und unwirklichen Ortes etwa im Hinblick auf Cruising-Areale253 durchaus gewichtig, da es sich hier um wirkliche Räume handelt, die durch das gezielte Aufsuchen und eine explizite Nutzung zu einem ›unwirklichen‹ – da flüchtigen und gesellschaftlich tabuisierten – queer space werden. Indes verstärkt auch die Unabhängigkeit dieser speziellen Form des queer space von konkreter Architektur nochmals den Aspekt der Unwirklichkeit, tritt sie doch als temporärer Raum in Erscheinung, der nach Betsky durch eine »choreography of gestures« konstruiert wird.254 Durch den Vorgang menschlicher Interaktion entsteht eine ›flüchtige Architektur‹ des Begehrens, die für die Dauer eines Augenblickes eine Räumlichkeit erzeugt, welche im Folgenden als situativ-ephemer beschrieben werden soll. Die Errichtung eines solchen situativ-ephemeren Raums bedarf zum einen etablierter Gesten und Codes zur Verständigung und Sozialisierung. Zum anderen findet hier eine Aneignung und (positiv konnotierte) ›Entfremdung‹ allgemeiner Lokalitäten statt, die für ein als ›deviant‹ gebrandmarktes und kategorisch aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit ausgeschlossenes Verlangen zumindest für kurze Zeit einen Rückzugsort schafft. Jenseits dieses bloß episodischen Auftretens existieren auch materielle Manifestationen des queer space, wie sie beispielhaft durch die Schlösser Ludwigs II. oder die Fonthill Abbey
251
Foucault, Michel: Andere Räume. In: Barck, Karlheinz u.a. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 34–46; hier S. 39; vgl. zudem Betskys Auseinandersetzung mit dem Heterotopiebegriff: Betsky 1997, S. 193ff. 252 Foucault 1992, S. 39. 253 Damit sind (semi-)öffentliche Örtlichkeiten, in denen Männer Sex mit anderen Männern haben können, wie z.B. Toiletten und Parks, gemeint. Das in der englischen und seit neuestem auch in der deutschen Schwulenszene gebräuchliche Wort ›to cruise‹ lässt sich aus etymologischer Sicht auf das niederländische Wort ›kruis‹ im Sinne von (das Meer) überkreuzen zurückführen (siehe auch Kapitel III.3.4). Diese Verbindung zur Schifffahrt ist auch im Kontext mit der erotisch aufgeladenen Figur des Matrosen interessant (siehe Kapitel III.1.4). Vgl. Shipley, Joseph T.: Dictionary of Word Origins. New York 1945, S. 102; vgl. zudem Rodgers 1972, S. 56. 254 Betsky führt hierzu weiter aus: »[T]he methods by which queer space is actually constructed, encompass a choreography of gestures. Gesture is that which comes between the word and the body, between the order of communication that creates an artificial environment and the reality of lived experience. Gesture exaggerates the body, extending it into space, breaking through the mute boundaries of the skin to create a deformed image of the self in a social relationship. Gesture allows for freedom, because it can form an unspoken code that escapes notice and thus control. Gesture is ephemeral, lasting only as long as the act, and is nothing but the act itself: it leaves little residue.« (Betsky 1997, S. 22).
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von William Beckford verkörpert werden.255 Diese eklektischen Gebäude repräsentieren einen zum Monument gewordenen Schutzraum bzw. closet, in welchem die eigenen Begehrlichkeiten in vielschichtiger Weise Ausdruck finden.256 Diese Ausformung des queer space soll im weiteren Verlauf als konkret-materielle Räumlichkeit bezeichnet werden. Wie schon bei der Besprechung der attributiven Aspekte geklärt wurde, sollen die bisher vorgenommenen Differenzierungen nicht zu einer isolierenden Betrachtungsweise führen, sondern lediglich als Anknüpfungspunkte dienen. Die räumliche Dimension ist neben der attributiven und der körperlichen nur eine Komponente in einem komplexen inszenatorischen Geflecht. Der Raum kann sowohl als Teilelement eines Bildes auftauchen, wie etwa das Hamam in der Aquarellserie des Künstlers Charles Demuth (siehe Abb. 4), als auch als eigenständiges architektonisches Werk, welches dann im Sinne eines Gesamtkunstwerks verstanden wird, wie etwa Schloss Neuschwanstein. Bei der Fokussierung auf Räumlichkeit ist überdies zu bedenken, inwiefern situative und konkrete Räume eine ähnliche bzw. vergleichbare visuelle Signalfunktion besitzen wie z.B. die Figur des hl. Sebastian.257 Oder anders gefragt: Gibt es so etwas wie eine ›queere Raumikonographie‹? Diese Erläuterungen zu den drei Teilelementen der titelgebenden inszenatorischen Triade – Körper, Attribute und Raum – sollen als analytisches Grundgerüst dienen. Je nach Kunstwerk unterscheidet sich die Gewichtung der einzelnen Aspekte, können die Inszenierungsmechanismen doch in den verschiedensten Kombinationen oder auch in singulärer Form vorkommen. Es geht daher nicht darum, eine Strichliste zu führen, vielmehr sollen werkspezifische Strategien erfasst und historisch kontextualisiert werden. Allerdings fehlt noch ein für die Etablierung einer ›Ikonographie‹ devianter Männlichkeit und gleichgeschlechtlichen Begehrens essenzielles kunsttheoretisches Werkzeug, auf welches jedoch bereits an mehreren Stellen verwiesen wurde: die Appropriation.
II.4.2 Camp: Eine queere Appropriationsstrategie Der Terminus der Appropriation im Sinne einer kulturellen Aneignung ist insbesondere in den letzten Jahren und im Zuge eines vermehrten Interesses an den Folgen des Kolonialismus zu einem kontrovers diskutierten Thema geworden. Im akademischen Feld setzten sich in erster Linie die Postcolonial Studies intensiv mit den Aus- und Nachwirkungen der Kolonialzeit auseinander, die das Weltgeschehen bis heute entscheidend prägen.258 Angesichts der politischen Brisanz der Thematik erscheint es daher nur folgerichtig, zunächst Klarheit über die Verwendung des Appropriationsbegriffs zu schaffen, ehe es ganz konkret um die queere Ausformung dieser visuellen Aneignungs- und Inszenierungsstrategie gehen soll.
255 Vgl. ebd., S. 67ff; zu den utopischen Qualitäten der Bauten Ludwigs II. siehe Tauber, Christine: Ludwig II.: Das phantastische Leben des Königs von Bayern, München 2013. 256 Siehe Kapitel III.3.5. 257 Siehe Kapitel III.2.5 und III.3.5; vgl. zur Sebastiansikonographie Bohde 2004, S. 79–98; für den Kanon ›homosexueller Figuren‹ vgl. Keilson-Lauritz 1997, S. 23–40. 258 Vgl. u.a. Desai, Gaurav; Nair, Supriya (Hg.): Postcolonialisms. An Anthology of Cultural Theory and Criticism, Oxford 2005; siehe auch Kapitel III.3.3.
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Zuallererst gilt es festzuhalten, dass Appropriation an sich weder ›gut‹ noch ›böse‹ ist, sondern als wertneutraler Theoriebegriff ein in allen Kulturen und zu allen Zeiten anzutreffendes soziologisches und ästhetisches Phänomen beschreibt – ein Faktum, das vor allem in Folge der gegenwärtigen Politisierung des Begriffs oft übersehen wird.259 Eine konzise Definition kultureller Appropriation liefert James O. Young in The Ethics of Cultural Appropriation (2009): »Members of one culture (I will call them outsiders) take for their own, or for their own use, items produced by a member or members of another culture (call them insiders).«260 Mit den besagten »items« meint Young allerdings nicht nur greifbare Gegenstände. So differenziert der Autor fünf verschiedene Arten der Appropriation: 1. »object appropriation«261 – die Aneignung fremder Kultur- und Kultgegenstände, wobei dies ebenso den Kauf länderspezifischer Souvenirs aus einem bereisten Urlaubsland meint wie auch die (gewaltsame) Entwendung kultureller Artefakte durch Kolonisatoren. 2. »content appropriation«262 – die Aneignung von (erzählerischen) Inhalten, wie z.B. die Neuinterpretationen europäischer Märchen durch Walt Disney. 3. »style appropriation«263 – die Aneignung fremder Stilelemente, wie dies etwa häufig im musikalischen Zusammenhang stattfindet, wenn etwa ›schwarze‹ Musikelemente aus dem Jazz und Blues Eingang in ›weiße‹ Rockmusik finden. 4. »motif appropriation«264 – die Aneignung einzelner Motive und Ideen, vor allem in einem bildnerischen Kontext, so z.B. Vincent Van Goghs Appropriation japanischer Holzschnittmotive. 5. »subject appropriation«265 – die Aneignung ganzer kultureller Identitäten durch eine außenstehende Kultur, wie sie sich etwa in der durchweg rassistischen Darstellung indigener Völker im Westerngenre manifestiert. Youngs hier in aller Kürze zusammengefasste Unterteilung wie auch die gewählten Beispiele vermitteln bereits eindrücklich die thematische Komplexität und das diffizile Nebeneinander von problematischen und unproblematischen Appropriationsakten.266 Während etwa Van Goghs Bezugnahme auf japanische Grafikkunst als schöpferischer Kulturaustausch betrachtet werden kann, verbleibt die Aneignung und stereotypisierte Darstellung kultureller Identitäten sowie die Plünderung fremder Kulturgüter hingegen ein ausbeuterisches Vorgehen. Als generelle Richtschnur in dieser strittigen Diskussion über kulturelle Appropriation ist es hilfreich, stets den historischen und sozialen Kontext zu bedenken: Eine kulturelle Aneignung ist dann moralisch verwerflich, wenn sie auf einem hierarchischen Ungleichgewicht bzw. einem eindeutigen Machtgefälle basiert, wie es etwa im Hinblick auf das Verhältnis von Kolonisatoren und Kolonialisierten der Fall
259 Siehe etwa Köhler, Fabian: »Kulturelle Aneignung« Wem gehört welche Kultur? [16.08.2017] in: Deutschlandfunk Kultur, http://www.deutschlandfunkkultur.de/kulturelle-aneignung-wemgehoert-welche-kultur.1005.de.html?dram:article_id=393523 (03.11.2017). 260 Young, James O.: The Ethics of Cultural Appropriation. Malden (Massachusetts) 2009, S. 5. 261 Ebd., S. 5f. 262 Ebd., S. 6. 263 Ebd. 264 Ebd., S. 6f. 265 Ebd., S. 7ff. 266 Vgl. auch Youngs Kapitel »Objections to Cultural Appropriation« (ebd., S. 18–27) sowie »In Praise of Cultural Appropriation« (ebd., S. 27–32).
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ist.267 Die in der nachstehenden Analyse verhandelten bildnerischen Vereinnahmungen erstrecken sich über alle fünf hier genannten Kategorien. Aufgrund der prekären Situation queerer bzw. ›devianter‹ Menschen sind diese Aneignungen jedoch als emanzipatorische Momente einer unterdrückten Minderheit zu verstehen, weshalb sie in der Regel keine gewaltsamen Akte darstellen. Bei der queeren Appropriation handelt es sich daher zumeist um eine visuelle Ermächtigungsstrategie von unten nach oben, die im weiteren Verlauf als camp bezeichnet werden soll. Doch was meint das aus dem Englischen stammende und häufig thematisierte, aber meist falsch verstandene Wort camp?268 In seinem Lexikon der ›schwulen Sprache‹ schreibt Bruce Rodgers hierzu: »[C]amp became celebrated linguistically in 1986, when pop culture discovered the word: overnight everybody knew what it meant. Only they really didn’t. Camp firmly remains homosexual slang.«269 Entsprechend der im Folgenden exemplarisch aufgezeigten Vielschichtigkeit des Begriffs verwendet diese Arbeit ihn sowohl als Beschreibung für eine spezifisch ›schwule‹ Ästhetik als auch für den Prozess einer queeren (Bild-)Appropriation. »›[Camp] seems such an elastic expression.‹ ›Actually, it isn’t at all. But I admit it’s terribly hard to define. You have to meditate on it and feel it intuitively, like Lao-tze’s Tao. Once you’ve done that, you’ll find yourself wanting to use the word whenever you discuss aesthetics or philosophy or almost anything. I never can understand how critics manage to do without it.‹«270 Dieser kurze Dialogfetzen aus Christopher Isherwoods The World in the Evening (1954) führt in die Definitionsproblematik ein, die sich um den Begriff camp entsponnen hat. Camp gilt als ein postmodernes Phänomen, dessen Grundessenz sich nichtsdestotrotz 267 In Kapitel III.3.3 wird zu sehen sein, dass es auch komplexere Fälle gibt, wenn etwa queere/marginalisierte Gruppen an (vermeintlich) queere Aspekte nicht-westlicher Kulturen anknüpfen. 268 Zun den Ursprüngen des Wortes camp heißt es im Ausstellungskatalog Camp: Notes on Fashion: »In 1671, the celebrated French playwright Molière (Jean-Baptiste Poquelin), who was nearing the end of his career, wrote Les Fourberies de Scapin (the Impostures of Scapin), a three-act comedy of intrigue. In one scene, the crafty Scapin, servant to the household of Géronte, persuades Silvestre, servant to the householf of Argante, to disguise himself as a violent mercenary and ›camp it up‹ in order to deceive the family patriarch into parting with a large sum of money […]. ›Campe-toi sur un pied. Mets la main au côté. Fais les yeux furibonds. Marche un peu en roi de théâtre.‹ (›Camp about on one leg. Put your hand on your hip. Wear a furious look. Strut about like a drama king.‹) In modern usage, this is considered the first known reference of the reflexive verb se camper, ›to flaunt‹ or ›to posture‹; it is realted to the Italien intransitive verb campeggiare, ›to stand out‹. In the context of Molière’s comedy, se camper carries two meanings: the bent pose of Scaramouche, the archetypal ›crooked‹ servant of the commedia dell’arte, whom Scapin was based on; and the regal pose of Louis XIV, an aristocratic association that Scapin makes explicit when he proposes to Silvestere to ›Strut about like a drama king.‹« (Bolton, Andrew; Godtsenhoven, Karen van; Garfinkel, Amanda: Camp: Verb, in: Kat. Ausst. Camp: Notes on Fashion, Metropolitan Museum in New York 2019, New Haven und London 2019a, S. I/73– I/89, hier: S. I/74). 269 Rodgers 1972, S. 40. 270 Isherwood, Christopher: From The World in the Evening. In: Cleto, Fabio (Hg.): Camp: Queer Aesthetics and the Performing Subject, Edinburgh 2008, S. 49–52; hier: S. 52.
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bis hin zum infamen Renaissance-Künstler Giovanni Antonio Bazzi (Spitzname: Il Sodoma) aufspüren lässt.271 Da der Terminus Teil eines Ästhetik-Diskurses ist, nimmt er bei der kunsthistorischen Betrachtung queerer Themenkomplexe eine wichtige Position ein. Viel wurde bereits über camp geschrieben, doch wie sich zeigen wird, existiert keine allgemeingültige Definition, dafür aber eine Vielzahl von Interpretationsansätzen. So versucht etwa Susan Sontag sich in ihren Notes on »Camp« (1964) jener nebulösen ›schwulen Empfindsamkeit‹, die camp bezeichnet, anzunähern: »Many things in the world have not been named; and many things, even if they have been named, have never been described. One of these is the sensibility – unmistakably modern, a variant of sophistication but hardly identical with it – that goes by the cult name of ›Camp‹. […] the essence of Camp is its love of the unnatural: of artifice and exaggeration. And Camp is esoteric – something of a private code, a badge of identity even, among small urban cliques.«272 Sontag betont in dem zitierten Auszug die ästhetische Komponente von camp (»artifice and exaggeration«). Sie geht sogar so weit, die Wortbedeutung auf die reine Oberfläche zu reduzieren und negiert jedwede politische Dimension.273 Ferner löst sie das Wort aus einem explizit queeren Kontext heraus und vereinnahmt es für die Allgemeinheit.274 Gegen diese Vorgehensweise protestierten insbesondere queere Theoretiker_Innen der 1990er wie etwa Moe Meyer, der in dem von ihm edierten Sammelband The Politics and Poetics of Camp (1994) eine Repolitisierung des Begriffs anstrebte: »Camp is political; Camp is solely a queer (and/or sometimes gay and lesbian) discourse; and Camp embodies a specifically queer cultural critique.«275 Meyer erweitert camp hierbei um den Aspekt der Queerness – im Sinne einer vehementen Kritik an tradierten Geschlechterrollen – und greift damit auch die von Sontag erwähnte (campe) Vorliebe für Androgynie sowie Hypermaskulinität bzw. Hyperfemininität auf.276 Als postmoderne Entthronung konservativer Geschlechterkategorien versteht auch Cynthia Morrill den Terminus als politische Agitation gegen eine waltende Heteronormativität.277 Meyer und Morrill unterscheiden sich insofern von Sontag, als sie dem Konzept des camp die Möglichkeit einer Rekontextualisierung zugestehen und es auch bewusst in einer schwul/lesbischen bzw. queeren Subkultur verorten. Dies steht im starken Kontrast zu Sontag, die den
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Vasari, Giorgio: Sodoma und Beccafumi (1550). Übers. von Victoria Lorini, eingeleitet und kommentiert von Katja Lemelsen (Sodoma) und Jessica Witan (Beccafumi), Berlin 2006, S. 9, 10 und 12. Sontag 2008, S. 53. Vgl. ebd., S. 54; tatsächlich geht camp im Sinne einer queeren Appropriationsstrategie zumindest mit einer partiellen Ausblendung des ursprünglichen Kontextes einher. Vgl. ebd., S. 64. Meyer, Moe: Introduction. In: Meyer, Moe (Hg.): The Politics and Poetics of Camp. London und New York 1994, S. 1–14; hier: S. 1. Vgl. auch Woods, Gregory: Notes on Queer. In: Ders.: This is No Book: A Gay Reader, Nottingham 1994, S. 92; zu den Themen der Androgynität bzw. der Hypermaskulinität sowie Hyperfemininität bei Sontag siehe Sontag 2008, S. 56. Morrill, Cynthia: Revamping the Gay Sensibility. Queer Camp and dyke noir, in: Meyer, Moe (Hg.): The Politics and Poetics of Camp. London und New York 1994, S. 110–130; hier: S. 110.
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Terminus mehr oder weniger als inhaltslos charakterisiert und dabei das Potential für eine Neuaneignung bzw. Neubewertung übersieht. Der Reduzierung von camp auf die bloße Oberfläche verweigert sich auch Michael Bronski in seinem Buch Culture Clash: The Making of Gay Sensibility (1984), sieht er doch darin vielmehr eine Ermächtigungsstrategie.278 Wenn nun also beispielsweise ab dem späten 19. Jahrhundert zahlreiche gleichgeschlechtlich begehrende Männer sich mit dem hl. Sebastian identifizieren – der in seiner Rolle als katholischer Heiliger eigentlich unmöglich in einem derartigen Zusammenhang stehen kann –, dann findet hier eine queere bzw. campe Appropriation statt, in deren Zuge das Bild aus dem ursprünglichen Kontext herausgelöst wird und eine gänzlich neue (queere) Bedeutung erhält.279 Der fast immer entkleidet dargestellte christliche Märtyrer spiegelt die Situation der Homosexuellen im ausgehenden 19. Jahrhundert wider, vereinigt er doch die Lust am männlichen Körper (die Aktdarstellung) mit der gesellschaftlichen Reaktion auf ein solches Verlangen (die strafenden Pfeile). In Folge einer derartigen Rekontextualisierung ist allerdings keine völlige Loslösung vom einstigen Sinngehalt von Nöten, nimmt der hl. Sebastian doch etwa mit dem Ausbruch der AIDS-Epidemie in den 1980er wieder verstärkt seine traditionelle Funktion als Pestheiliger ein.280 Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein Heiliger der katholischen Kirche zu einer der bekanntesten modernen Schwulenikonen erhoben wird; wie Richard A. Kaye bemerkt, wäre es ähnlich absurd, Ophelia zum Symbol der modernen Frauenbewegung zu machen oder – er verbleibt in seiner Analogie bei Shakespeare – den Wucherer Shylock zur Galionsfigur des Judentums.281 Jener Aspekt der Ironisierung erweist sich als integrale Komponente einer campen Ästhetik, wie er sich auch in dem bewussten Spiel mit übersteigerten Formen von Männlichkeit und Weiblichkeit äußert.282 Camp unterwandert schlichtweg gesellschaftliche Dogmen wie eben Geschlechterkonformität und offenbart durch absichtliche Übertreibungen sowie Brüche die Artifizialität angeblich ›naturgegebener‹ Normen.283 Die dem Terminus inhärente Zwiespältigkeit – ein Changieren zwischen Ent- und Rekontextualisierung – erklärt zum Teil die Schwierigkeit einer konkreten Definitionsfindung. Der US-amerikanische Journalist und Aktivist Jack Babuscio, der 1990 an den Folgen von AIDS verstarb, baute diese Ambivalenz in seine Begriffsklärung einfach mit ein, laut ihm ist camp: »[A] heightened awareness of certain human complications of feeling that spring from the fact of social oppression« sowie »a means of dealing with a
278 Er schreibt: »On some level, it [camp] is a way to obtain power in one’s own life. On a deeper level, it is the ability to see beyond what is clearly evident; to grasp a reality beneath or totally separate from what is taught.« (Bronski, Michael: Culture Clash: The Making of Gay Sensibility. Boston 1984, S. 43). 279 Vgl. Kaye, Richard A.: Losing his religion. Saint Sebastian as contemporary gay martyr, in: Horne, Peter; Lewis, Reina (Hg.): Outlooks. Lesbian and Gay Sexualities and Visual Cultures, London und New York 1996, S. 86–105; hier: S. 87; vgl. zudem Castro-Gómez 1997, S. 177–190. 280 Vgl. Kaye 1996, S. 98. 281 Vgl. ebd., S. 87. 282 Vgl. Kleinhans, Chuck: Taking out the Trash. Camp and the politics of parody, in: Meyer, Moe (Hg.): The Politics and Poetics of Camp. London u. New York 1994, S. 182–202; hier: S. 182; sowie Sontag 2008, S. 56. 283 Vgl. Butler 1991, S. 202.
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hostile environment and, in the process, of defining a positive identity.«284 In der Funktion als queere Appropriationsstrategie funktioniert camp demnach sogleich als Kritik an repressiven Strukturen wie auch als Reservoir positiver (Selbst-)Bildnisse. An dieser Stelle sei nochmals auf die Motiv-Aneignung des hl. Sebastian verwiesen, der, zwischen Eros und Thanatos schwebend, einerseits die Schönheit und Erotik des männlichen Körpers zelebriert, in seinem Martyrium andererseits vor etwaigen Transgressionen warnt.285 Gerade in der sich hier offenbarenden thematischen Komplexität unterscheidet sich camp maßgeblich von dem oftmals fälschlicherweise synonym verwendeten Wort Kitsch: Während camp nach Sontag eine kritisch-analytische Perspektive darstellt, die alles in Anführungszeichen setzt – »not a woman, but a ›woman‹« –, bekräftigt Kitsch vielmehr etablierte Betrachtungsweisen – um Sontag zu paraphrasieren: not a ›woman,‹ but a woman!286 Kitsch ist demnach immer auch Ausdruck einer reaktionären Haltung: So benennt der zuvor zitierte Babuscio in seinem Aufsatz The Cinema of Camp (zuerst 1977) beispielsweise den Heimatfilm der Nationalsozialisten als cineastische Reinform des Kitsches, der ohne jegliche ironische Distanz propagandistisch die NaziIdeologie verherrlicht.287 Inwiefern der Begriff camp jenseits des 19./20. Jahrhunderts verwendet werden kann, bleibt indes strittig. Spuren camper Inszenierungselemente queeren Begehrens lassen sich allerdings bereits in den Londoner Molly Houses des 18. Jahrhunderts finden, Treffpunkten wie Tavernen und Kaffeehäuser für sexuell gleichgeschlechtlich interessierte Männer, die sich dort in weibliche Kleidungsstücke hüllen und sich in Scheinzeremonien vermählen lassen konnten.288 Zudem belegt King in seinem Aufsatz über die Entstehung eines ›aristokratischen Körpers‹ die Existenz vergleichbarer inszenatorischer Strategien in einem anderen Bereich: Seit der Frühen Neuzeit beginne das monarchische Selbstverständnis aufgrund einer zu Macht gelangenden Bourgeoisie zu bröckeln, so die Ausgangsthese.289 Angesichts eines drohenden Bedeutungsverlustes flüchtet sich die Oberschicht laut King in einen Rausch aus extravaganter Künstlichkeit und erschafft dadurch einen ›aristokratischen Körper‹, der bereinigt sei von allem, was ihn einst mit den übrigen Klassen verband.290 Hier klingen Parallelen zu den aufkeimenden queeren Subkulturen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts an, die sich doch selbst in einer vergleichbar ohnmächtigen Position wahrnahmen und zunächst in einen campen Ästhetizismus flohen. Im Gegensatz zum Hedonismus einer einst machtvollen Aristokratie und deren Angst vor dem Verlust des Status quo funktioniert camp im queeren Kontext dagegen als Ermächtigungsstrategie von unten nach oben.
284 Babuscio, Jack: The Cinema of Camp (aka Camp and the Gay Sensibility). In: Cleto, Fabio (Hg.): Camp: Queer Aesthetics and the Performing Subject, Edinburgh 2008, S. 117–136; hier: S. 118 und S. 126; Erstveröffentlichung des Aufsatzes unter dem Titel Camp and the Gay Sensibility 1977. 285 Vgl. Castro-Gómez 1997. 286 Sontag 2008, S. 56; zum Begriff Kitsch vgl. zudem Meyer 1994, S. 10. 287 Babuscio 2008, S. 122f. 288 Siehe etwa Norton, Rictor: Mother Clap’s Molly House. The Gay Subculture in England 1700–1830, London 1992; vgl. überdies Trumbach 1989, S. 129–140; hier: S. 137f. 289 Vgl. King 1994, S. 24f. 290 Vgl. ebd.
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Obgleich die Komplexität der Thematik hier nur skizzenhaft wiedergegeben werden konnte, sollte doch deutlich geworden sein, wo sich der vorliegende Text in der weitreichenden Debatte über camp und dessen gleichermaßen apolitischem wie politischem Charakter positioniert. Im Anschluss an die theoretischen Stimmen von Meyer, Bronski und Morrill definiert auch diese Arbeit den Terminus camp als Synonym für ein subversives, das klassische Geschlechterverständnis unterwanderndes – sprich queeres bzw. schwul/lesbisches – Ästhetikempfinden, welches einer unterdrückten Minderheit in einer repressiven Gesellschaft die Appropriation sowie (Weiter-)Entwicklung einer eigenen Bildsprache ermöglicht.291
II.4.3 Forschungstheoretische Desiderate: Weiblich-weibliches Begehren, Inter- und Transgeschlechtlichkeit Zum Abschluss soll noch auf zwei Desiderate in der queeren kunstgeschichtlichen Forschung hingewiesen werden: die lange Zeit in fast absolute Unsichtbarkeit verdrängte weiblich-weibliche Sexualität und die Inter- und Transgeschlechtlichkeit. Wie der Titel dieser Arbeit bereits suggeriert, steht die Inszenierung von Männern und Männlichkeit(en) im Fokus der Analyse. Zwar wird auch weiblich-weibliches Verlangen auf den nachfolgenden Seiten nicht unerwähnt bleiben, gleichwohl muss beachtet werden, dass eine ähnlich epochenübergreifende Untersuchung, wie sie hier für das männliche Pendant versucht wird, nicht im selben Maße für weiblich-weibliche Sexualität erarbeitet werden kann. Dies liegt hauptsächlich darin begründet, dass derartige Darstellungen vor dem 19. Jahrhundert einerseits sehr selten sind und andererseits zumeist aus einer männlichen Perspektive – dem male gaze – gegeben werden. Beides lässt sich durch die jahrhundertelange Reduzierung der Frauen auf den Status von Darstellungsobjekten erklären, auf den auch ihr systematischer Ausschluss als Akteurinnen aus der bildenden Kunst zurückzuführen ist. Gerhard Härle umschreibt diese sich im Terminus des male gaze manifestierende Vereinnahmung weiblicher Repräsentation durch patriarchale Strukturen als »Bemächtigungsart, die in der gesellschaftlichen Wirklichkeit als ›männlich‹ kodiert ist« und die uns somit nur einen verzerrten (männlichen) Blick auf die künstlerische Vergangenheit von Frauen – unabhängig ob gegen- oder gleichgeschlechtlich interessiert – gewährt.292 Sofern weiblich-weibliche Sexualität im bildnerischen Rahmen inszeniert wird, findet sie sich überwiegend entweder in negativ konnotierter Form, so z.B. in den Hexendarstellungen Hans Baldung Griens oder in der libertinen Malerei François Bouchers. Bouchers Gemälde Jupiter und Callisto von 1744 (siehe Abb. 5), in welchem der Künstler die pseudo-lesbische Begegnung zwischen einem als Diana verkleideten Jupiter und der Nymphe Callisto darstellt, verdeutlicht die Problematik in besonderer Weise: Der als Frau verkleidete und auf Callisto blickende Jupiter offenbart sozusagen die Inauthentizität des männlichen künstlerischen Blicks.
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Die Arbeit schließt sich damit der zuerst von de Lauretis vorgeschlagenen Definition des Wortes queer an, welche darunter eine Lesart versteht, die sich den Spannungsfeldern und Diskontinuitäten sexueller Diskurse widmet. Vgl. hierzu Lauretis 1991, S. iii–xviii. 292 Härle 1997, S. 20.
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Im Vordergrund steht eindeutig der erotische Kitzel eines männlichen und gegengeschlechtlich interessierten Publikums, das sich durch den hier in doppeltem Sinne in Szene gesetzten male gaze weiblicher Körper bemächtigt.293 Nun soll damit ein möglicher erotischer Anreiz für gleichgeschlechtlich begehrende Betrachter_Innen nicht negiert werden, doch handelt es sich um eine campe bzw. queere Appropriation des male gaze und keineswegs um das Produkt eines eigenständigen female gaze.294 Angesichts der Tatsache, dass das visuelle Repertoire der westlich-europäischen Kultur gerade wegen der strengen Einschränkung weiblicher Sphären fast ausschließlich von männlichen Künstlern produziert und dominiert wurde, konnte sich ein genuin weiblicher (Künstlerinnen-)Blick (oder female gaze) erst allmählich und parallel zu der erwachenden Frauenbewegung ab dem 19. Jahrhundert entwickeln. Wenngleich es schon vor Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder Künstlerinnen gab, denen der Durchbruch durch die sprichwörtliche Gläserne Decke eines männlich geprägten Kunstbetriebes gelang, handelt es sich in diesen Fällen stets um Ausnahmeerscheinungen. Hierzu zählen etwa Sofonisba Anguissola (um 1535–1625), Artemisia Gentileschi (1593–1653) sowie Élisabeth Vigée-Lebrun (1755–1842) und Marie-Gabrielle Capet (1761–1818), die in Folge einer zum Teil bis heute andauernden Fetischisierung eines männlichen Geniekults in der Kunstgeschichte lange Zeit ignoriert oder aber als bloße Nachahmerinnen ihrer männlichen Kollegen galten.295 Inwiefern sich die Œuvres der genannten Malerinnen überhaupt mit dem Thema weiblich-weiblicher Sexualität auseinandersetzen, bleibt eine zu bearbeitende offene Frage; zudem lässt sich feststellen, dass sich ihr künstlerisches Interesse außerhalb von Auftragsarbeiten vorwiegend auf eine Thematisierung ihrer Rolle als Künstlerinnen richtete.296 An dieser Stelle erscheint 293 Zu lesbischen Darstellungen bei Boucher siehe u.a. Rand, Erica: Lesbian Sightings: Scoping for Dykes in Boucher and Cosmo, in: Davis, Whitney (Hg.): Gay and Lesbian Studies in Art History. New York et al. 1994a, S. 123–141; hier: S. 129ff; eine vergleichbare Inszenierung beschreibt Pfisterer anhand einer Arbeit des römischen Künstlers Luca Penni aus den 1550er Jahren: Ein offensichtlich sexuell erregter Satyr beobachtet die enge Umarmung zwei nackter Nymphen. Siehe Pfisterer 2014, S. 127. 294 Zur Etablierung bzw. den Möglichkeiten eines female gaze siehe u.a. Gamman, Lorraine; Marshment, Margaret (Hg.): The Female Gaze. Women As Viewers of Popular Culture, Seattle 1989. 295 Vgl. Uppenkamp, Bettina: Kunst und Kunstgeschichte. In: Horlacher, Stefan; Jansen, Bettina; Schwanebeck, Wieland (Hg.): Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2016. S. 256–269; hier: S. 259f; in Anknüpfung an das antike Geschlechterverständnis wurde das angebliche Fehlen ›echten‹ künstlerischen Talents bei Frauen immer wieder mit der ›weiblichen Biologie‹ gerechtfertigt. Pfisterer dokumentiert diese Strategie für die Neuzeit anhand einer entsprechenden Stelle bei Vasari: »Es ist genau diese naturgegebene Fähigkeit des weiblichen Körpers zur Reproduktion, mit der Vasari bereits ein Jahrhundert zuvor die Leistungen von Künstlerinnen als denen ihrer männlichen Kollegen unterlegen diffamiert hatte. Anlass dafür war die Besprechung der Malerei von Sofonisba Anguissola, deren künstlerische Qualität offenbar Vasaris Vorurteile vom ›richtigen‹ Verhältnis von Mann und nachgeordneter Frau grundlegend herausforderte. Die Argumentation läuft darauf hinaus, dass das Erzeugen eines lebensvollen Abbildes für eine Frau aufgrund ihrer tatsächlichen Gebärfähigkeit viel leichter und daher weniger beeindruckend sei als die rein geistigen Hervorbringungen und Belebungsakte eines Mannes.« (Pfisterer 2014, S. 74; siehe auch S. 121f). 296 Siehe z.B. Marie-Gabrielle Capet, Atelierszene, 1808, Öl auf Leinwand, 69,0 x 83,5 cm, Neue Pinakothek, München.
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ein erneuter Verweis auf den Begriff der Intersektionalität angebracht, da sich in der weitestgehenden Abwesenheit weiblich-weiblicher Inhalte in der (Kunst-)Geschichte die doppelte Repression gleichgeschlechtlich begehrender Frauen äußert: Sie werden sowohl aufgrund ihres Geschlechts als auch aufgrund ihres sexuellen Verlangens marginalisiert.297 Die dadurch bedingte Unsichtbarkeit lesbischer Frauen exemplifiziert sich auch in der Seltenheit juristischer Diskursivierungen, wie sie uns in weitaus größerer Zahl zur mann-männlichen Sexualität vorliegen und auf welche sich diese Arbeit stützt.298 Trotz aller Widrigkeiten gibt es jedoch einige wenige positive Vertreterinnen weiblich-weiblichen Begehrens. Das mit Abstand bekannteste Beispiel findet sich nicht in der Kunst- sondern in der Literaturgeschichte: die Dichterin Sappho, die um 612 v. Chr. geboren wurde und in ihrer Poesie häufig gleichgeschlechtliches Verlangen thematisierte. Sappho war den Überlieferungen nach eine Art Lehrmeisterin in einem thiasos (einer Lehranstalt) auf ihrer Heimatinsel Lesbos, in dem junge Mädchen die Initiation zur Frau durchliefen. In ihrer Funktion war der thiasos laut Saslow der Institution der antiken Päderastie nicht unähnlich, diente diese doch auch dazu, Jünglinge in die Gesellschaft der Erwachsenen einzuführen.299 Dem weiblichen Pendant war mit der zunehmenden Unterdrückung der Frauen im antiken Griechenland allerdings eine weitaus kürzere Lebensdauer beschieden.300 Antike Darstellungen zeigen die Dichterin meistens sitzend und umgeben von Schülerinnen bzw. Adeptinnen. Bereits um 100 v. Chr. setzt jedoch eine Diffamierung von Sapphos Werk und Person ein. Reed berichtet hierzu, dass die Dichterin von zeitgenössischen Autoren als »deviant« dargestellt worden sei, um die Ambitionen nachfolgender Künstlerinnen im Keim zu ersticken.301 Infolgedessen wurden Aufzeichnungen der Lyrik Sapphos zerstört, weshalb uns bis auf eine vollständig erhaltene Hymne auf die Liebesgöttin Aphrodite nur noch Fragmente überliefert sind.302 »Manch andere wohl […] denkt noch an uns zurück«, verkündet eines der bekanntesten Fragmente, das insbesondere ab dem 20. Jahrhundert von zahlreiche Autor_Innen und Theoretiker_Innen zitiert und als Ausdruck einer verdrängten weiblich-weiblichen bzw. ›lesbischen‹ Vergangenheit gedeutet wurde und wird.303 Die Verquickung Sapphos mit lesbischer Identität ist jedoch ebenso anachronistisch wie etwa die Verwendung des Terminus der Homosexualität im antiken Kontext. Dies liegt zum einen daran, dass es sich
297 Vgl. Hancock 2016, S. 9ff; vgl. zudem Crenshaw 1989; sowie Collins 2000; Zitat: Kerl 2016, S. 118f. 298 Vgl. Ragan 1996, S. 11; sowie Simons, Patricia: Lesbian (In)Visibility in Italian Renaissance Culture: Diana and Other Cases of donna con donna, in: Davis, Whitney (Hg.): Gay and Lesbian Studies in Art History. New York et al. 1994a, S. 81–123; hier insbesondere: S. 82f. 299 Vgl. Saslow 1999, S. 19ff. 300 Vgl. ebd. 301 Reed 2011, S. 17 (Hervorhebung, NM). 302 Vgl. u.a. McIntosh Snyder, Jane: Sappho (ca. 600 B.C.E.). In: Zimmermann, Bonnie (Hg.): Lesbian Histories and Cultures: An Encyclopedia, Band 1, New York und London 2000, S. 668–669. 303 Rupé, Hans (Hg.): Sappho. Griechisch und deutsch, München 1945, S. 37 (Hervorhebung, NM); vgl. überdies Ashburn, Elizabeth: Lesbian Art: An Encoutner with Power, Roseville 1996, S. 6; sowie Miner, Valerie: Memory and Vision: Roads to and from Eressos. In: Women’s Studies Quarterly, Vol. 19. Nr. 3/4, Literature and History: Reading and Writing that Changes Lives (Fall–Winter, 1991), S. 43–49; hier: S. 43.
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bei dem Begriff der Lesbe im Sinne einer gleichgeschlechtlich begehrenden Frau um eine moderne Wortbedeutung handelt, die das antike Griechenland so nicht kannte. Zum anderen war Sappho mit einem Mann verheiratet und richtete einige ihrer Liebesgedichte auch an Männer.304 Frauen, die sexuell zu offensiv waren – egal ob andere Frauen oder Männer das Objekt ihrer Begierde waren – galten in der Antike als hypermaskulin und wurden gemeinhin als Tribaden bezeichnet (von gr. tribo, sich an etwas reiben).305 In einem Gestus der Pathologisierung, der fast schon an den medizinischen Diskurs des 19. Jahrhunderts erinnert, attestierte man diesen Frauen übergroße, ›phallische‹ Klitorides und versuchte somit, ihre Devianz auch äußerlich zu markieren.306 Die sich in der Spätantike auf weiblich-weibliches Begehren verengende Bedeutung des Worts Tribade war bis ins 19. Jahrhundert gebräuchlich, ehe sie allmählich durch die Bezeichnung lesbisch – benannt nach Sapphos Wohnort Lesbos – ersetzt wurde. Sappho gilt somit nicht nur als eine ›historische Ikone‹, sondern mehr oder weniger auch als indirekte Namensgeberin für lesbisches Begehren.307 Diese Appropriation erscheint umso verständlicher, wenn man die Singularität einer solchen Stimme wie die der Sappho berücksichtigt, sowie den Umstand, dass es lange Zeit weder für Schwule, Lesben, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche noch für heterosexuelle Frauen positive und emanzipatorisch einsetzbare Rollenvorbilder gab.308 Daraus erklärt sich vielleicht auch, weshalb Sappho in dem Werk des präraffaelitischen Malers Simeon Solomon (1840–1905) auftaucht, dessen Karriere aufgrund einer Klage wegen Unzucht mit Männern im Jahr 1873 abrupt beendet wurde.309 In seinem Bild Sappho und Erinna in einem Garten in Mytilene (Abb. 6) von 1864 gerät die ›maskulinisierte‹ Darstellung der Dichterin – es sei hier auf den körperlichen Kontrast zwischen der Weichheit Erinnas und der Herbheit Sapphos aufmerksam gemacht – zur ikonenhaften Chiffre für das eigene gleichgeschlechtliche Begehren des Künstlers. 304 Vgl. Saslow 1999, S. 21. 305 Vgl. hierzu Traub, Valerie: Tribade. In: Zimmermann, Bonnie (Hg.): Lesbian Histories and Cultures: An Encyclopedia, Band 1, New York und London 2000, S. 776–777. 306 Vgl. ebd. 307 Vgl. Saslow 1999, S. 21; parallel zur Bezeichnung ›Lesbe‹ war lange Zeit auch der Terminus ›Sapphistin‹ gebräuchlich, der sich direkt von Sappho ableitet. Siehe Traub 2000, S. 777. 308 Vgl. Chauncey, Dubermann und Vicinus 1989, S. 3; ein weiteres Beispiel für die Einbettung antiker Motive in einen lesbischen Kontext liefert die Labrys, eine beidseitig beschliffene Kampfaxt, die in einigen Mythen als Amazonenwaffe beschrieben wurde. Im Zuge der Suffragettenbewegung des 19. Jahrhunderts fand das Wort battle axe (Streitaxt) im englischsprachigen Raum Verwendung als herablassende Bezeichnung für emanzipierte Frauen. Sowohl die antike Verbindung zu den Amazonen als auch die moderne Verknüpfung mit der Frauenbewegung fließt sodann in der ab dem 20. Jahrhundert stattfindenden campen und transnationalen Vereinnahmung des Symbols durch Lesben zusammen. Vgl. Stevens, Christy: Symbols. In: Zimmermann, Bonnie (Hg.): Lesbian Histories and Cultures: An Encyclopedia, Band 1, New York und London 2000, S. 747–748; hier: S. 748; zum Terminus battle axe siehe Hamilton, Christine: The Book of British Battleaxes. London 2003 (zuerst 1998); sowie Kamm, Josephine: Rapiers and Battleaxes: The Women’s Movement and its Aftermath, London 1966. 309 Vgl. Fowle, Frances: Simeon Solomon – Sappho and Erinna in a Garden at Mytilene, 1864 [Dezember 2000] in: Tate Gallery, http://www.tate.org.uk/art/artworks/solomon-sappho-and-erinna-in -a-garden-at-mytilene-t03063 (zuletzt 16.11.2017); siehe auch Morgan, Thais E.: Perverse male bodies. Simeon Solomon and Algernon Charles Swineburne, in: Horne, Peter; Lewis, Reina (Hg.): Outlooks. Lesbian and Gay Sexualities and Visual Cultures, London und New York 1996, S. 61–85.
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Die Benennung dieses Unterkapitels als Desiderat soll nicht den Eindruck erwecken, dass es bisher keinerlei Forschung zur künstlerischen Vergangenheit weiblich-weiblichen Begehrens gegeben hätte. In ihrem Buch Lesbian Decadence (2015) verhandelt Nicole G. Albert etwa das kulturelle Erbe Sapphos in der Kunst- und Literaturszene im Frankreich des fin-de-siècle, und Elizabeth Ashburn widmet sich in Lesbian Art: An Encounter with Power (1996) der lesbischen Kunstszene im Australien des 20. Jahrhunderts.310 Bei beiden Monographien handelt es sich allerdings um Ausnahmewerke, die mitnichten auf ein größeres Forschungskorpus schließen lassen. So moniert Linda Garber in ihrem mit Where in the World Are the Lesbians? (2005) sehr passend betitelten Aufsatz ganz zu Recht das Fehlen wissenschaftlicher Literatur zu lesbischen Themen.311 Obzwar das eingangs erwähnte Problem fehlender und/oder unerschlossener historischer Dokumentation ein großes Hindernis für eine eingehende Beschäftigung mit weiblich-weiblichem Verlangen vor dem 19. Jahrhundert darstellt, liegen dennoch einige vielversprechende Ansätze vor, mittels derer das Desiderat zumindest teilweise eingelöst werden könnte. Angelehnt an das hier verfolgte Vorhaben wäre beispielsweise eine Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von male gaze und der Entwicklung einer distinkt ›weiblich-weiblichen Ikonographie‹ bzw. eines lesbian gaze denkbar. In der nachfolgenden Untersuchung richtet sich der Blick nur dann auf Bilder gleichgeschlechtlich begehrender Frauen, wenn diese auf ›männlich‹ kodierte Inszenierungsmechanismen zurückgreifen. Dies soll nicht bedeuten, dass sich diese Analyse an den »Unterlassungssünden« des tradierten kunsthistorischen Kanons, einem der »männlichsten und letztendlich auch […] anfechtbarsten«, wie es Nanette Salomon kritisiert, beteiligen will und weibliche Aspekte ausgrenzen möchte. Jedoch bietet die unleugbar stärkere Präsenz und strengere Ahndung männlich-männlichen Begehrens für kunsthistorische Untersuchungen eine solidere dokumentarische Grundlage, man denke etwa an die gerichtlichen Akten über die Sodomievorwürfe gegen Leonardo da Vinci, Michelangelo oder Cellini.312 Nichtsdestotrotz baut die vorliegende Untersuchung auf den Errungenschaften feministischer Theoretikerinnen wie z.B. Simone de Beauvoir, Judith Butler, Eve Sedgwick und Laura Mulvey auf. Die Unterdrückung von Homosexuellen und Frauen ist unweigerlich miteinander verbunden: »Homophobia directed by men against men is misogynistic. By ›misogynistic‹ I mean not only that it is oppressive of the so-called feminine in men, but that it is oppressive of women.«313 Ein weiteres Desiderat, welches zumindest kurz Erwähnung finden soll, betrifft den Mangel an kunsthistorischer Forschung zur Inter- und Transgeschlechtlichkeit. Obwohl diese Arbeit ihren Fokus vornehmlich auf männlich-männliches Begehren und damit auf einen Aspekt der Sexualität richtet, ist dieses Thema im kulturellen Diskurs doch untrennbar mit der Frage nach Geschlechtlichkeit bzw. Geschlechterrollen verbunden – es 310 Vgl. Ashburn 1996; sowie Albert, Nicole G.: Lesbian Decadence. Representation in Art and Literature of Fin-de-Siècle France, New York 2016 (zuerst 2015 auf Französisch). 311 Vgl. Garber, Linda: Where in the World Are the Lesbians? In: Journal of the History of Sexuality, Vol. 14, Nr. 1/2, Special Issue: Studying the History of Sexuality: Theory, Methods, Praxis (Jan. – Apr., 2005), S. 28–50; hier: S. 43f. 312 Salomon, Nanette: Der kunsthistorische Kanon – Unterlassungssünden*. In: Zimmermann, Anja (Hg.): Kunstgeschichte und Gender. Eine Einführung, Bonn 2005, S. 37–53; hier: S. 37. 313 Sedgwick 1985, S. 20.
II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik
sie etwa an Ulrichs Theorie eines ›seelischen Heramphroditismus‹ erinnert, in welcher gleichgeschlechtliches Begehren ganz explizit als eine Art ›trans-geschlechtliches‹ Phänomen gedeutet wurde.314 Aus diesem Grund erscheint es daher auch sinnvoll, auf die Forschungslücken bezüglich der Inter- und Transgeschlechtlichkeit hinzuweisen. Der vorliegende Text streift das Thema zwar anhand von Figuren wie dem intergeschlechtlichen Hermaphroditos und Cassils315 – als nichtbinäre_r Performancekünstler_In –, doch angesichts der Komplexität von inter- und transgeschlechtlichen Erfahrungen innerhalb einer auf Geschlechterbinarität ausgerichteten Kultur bedarf es ohne Zweifel einer eigenständigen und extensiven Erforschung dieses Themenfelds. Einen vielversprechenden (kunst-)historischen Ansatz verspricht Roland Betancourts Byzantine Intersectionality: Sexuality, Gender, and Race in the Middle Ages (2020), der sich darin u.a. mit Transgeschlechtlichkeit im Mittelalter auseinandersetzt.316 Auch Lords und Meyers Art & Queer Culture (2013) präsentiert trans- und intergeschlechtliche Künstler_Innen.317 Für einen Blick auf die zeitgenössische Kunstlandschaft und ihren Umgang mit diesem Thema sei zudem Halberstam genannt, der sich dezidiert mit der Darstellung von transgeschlechtlichen Körperen in der Gegenwartskunst beschäftigt.318 Anhand dieser explizit benannten Desiderate wird deutlich, dass es im Hinblick auf die Aufarbeitung und Historisierung queerer Inszenierungsmechanismen noch viel zu tun gibt. So lässt sich neben der Erforschung einer weiblich-weiblichen und einer transsowie intergeschlechtlichen Perspektive beispielweise auch fragen, inwiefern Bisexualität dargestellt wurde bzw. wird. All diese wichtigen Fragestellungen verhelfen letztlich dazu, pluralistische Sichtweisen innerhalb der Kunstgeschichte zu etablieren und bedeutende Themen, wie etwa Intersektionalität, verstärkt in den Fokus zu rücken.
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Vgl. Ulrichs 1868. Cassils bezeichnet sich als gender-non-conforming und verwendet they/them als Pronomen. Im Deutschen kann dies mit dem Neologismus dey/deren/denen übersetzt werden. Siehe https://www.ca ssils.net/cassils-about-the-artist (zuletzt 04.12.2022). Vgl. Betancourt, Roland: Byzantine Intersectionality: Sexuality, Gender, and Race in the Middle Ages, Princeton und Oxford 2020. Vgl. Lord und Meyer 2013, S. 251. Vgl. Halberstam, Jack: In a Queer Place and Time: Transgender Bodies, Subcultural Lives, New York 2005 u.a. Kapitel 5: Technotopias: Representing Transgender Bodies in Contempoary Art (S. 97–124).
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III. Hauptteil
III.1 Figurationen der Lust – Motive der paganen Antike und ihre Rezeption im Kontext männlich-männlichen Begehrens Narziss, Ganymed, Hermaphroditos, Apoll, Hyacinth1 – das polysexuelle Figurenarsenal der antiken Mythologie spielt, wie im historischen Abriss schon angedeutet, eine Schlüsselrolle in der Diskursivierung und Historisierung gleichgeschlechtlichen Begehrens und queerer Männlichkeiten im westlich-europäischen Kulturkreis. Von Michelangelos sexuell aufgeladenen Zeichnungen eines muskulösen Ganymeds (siehe Abb. 7) bis hin zu Freuds Narzissmus-Theorie werden diese Motive auch jenseits der paganen Antike zu grundlegenden Bestandteilen eines »›Kanons der Gestalten‹«, wie es Marita KeilsonLauritz in ihrem Aufsatz über das literarische Erbe der Männerliebe bezeichnet.2 Bei der Bildung dieses Kanons kommt es zu palimpsestartigen Überlagerungen verschiedener Bedeutungsschichten, so dass einige Figuren und Motive, wie etwa Narziss, oftmals erst im Laufe der Zeit zu Symbolträgern gleichgeschlechtlichen Verlangens umgedeutet werden.3 Demgegenüber gilt eine Gestalt wie beispielsweise Ganymed bereits in der Antike als erotisiertes Idealbild eines erômenos. Erst später wird seine ursprüngliche Bedeutung durch eine neoplatonische bzw. christliche Weltanschauung überlagert, die den Mythos entweder als entsexualisierte Apotheose des menschlichen Geistes oder aber als Warnung vor dem Laster der Sodomie interpretiert.4 Das zuvor anhand der Denkfigur des Palimpsests etablierte »historische Hin und Zurück« führt ab der Renaissance zu einer Doppeldeutigkeit Ganymeds als zugleich erotisierte und vergeistigte Ikone.5 Es ist insbesondere der hier evident werdende prozessuale Aspekt, der in den nachfolgenden Kapiteln von der Antike bis in die Gegenwart nachskizzieren werden soll. Im Fokus
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Die im Folgenden genutzten Namen der antiken Figuren richten sich nach den in der Forschungsliteratur gebräuchlichen Varianten, weshalb nicht immer die (alt-)griechischen Versionen Verwendung finden. Vgl. Keilson-Lauritz 1997, S. 23–40; zu Freuds Narzissmus-Theorie vgl. Freud 1924. Zu Narziss siehe Kapitel III.1.1. Zu Ganymed siehe Kapitel III.1.3. Weinrich 2007, S. 26.
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stehen die Produktion und Appropriation antiker Motive als Figurationen queerer Geschlechtlichkeit bzw. männlich-männlicher Lust und deren Einordnung in einen größeren kunsthistorischen Kontext.
III.1.1 »›Wenn er sich nicht selbst kennenlernt‹«: Narziss und das Motiv der Spiegelung Eine ominöse Warnung steht am Beginn der Ovid’schen Überlieferung des Narziss-Mythos: Ein Orakel prophezeit der Mutter des Jünglings, der Nymphe Liriope, dass ihrem Kind nur dann ein langes Leben beschert sei, »›[w]enn er sich nicht selbst kennenlernt.‹«6 Die Warnung verhallt scheinbar zunächst ohne Konsequenzen und Narziss wächst laut Ovid zum Inbegriff ephebischer Schönheit heran.7 Doch von »hartherzige[m] Hochmut« getrieben, verwehrt der begehrte Jüngling sich all seinen Verehrer_Innen und zieht mit seiner implizierten Provokation des Gottes Eros den olympischen Zorn auf sich.8 Voller Verzweiflung beschwört ein verschmähter Freier die Rachegöttin Nemesis herauf, welche die anfängliche Prophezeiung schließlich eintreten lässt, indem sie Narziss mit seinem Spiegelbild konfrontiert: »Am Boden liegend, betrachtet er seine Augen – sie gleichen einem Sternenpaar –, das Haar, das eines Bacchus oder eines Apollo würdig wäre, die bartlosen Wangen, den Hals wie aus Elfenbein, die Anmut des Gesichts, die Mischung von Schneeweiß und Rot – und alles bewundert er, was ihn selbst bewundernswert macht. Nichts ahnend begehrte er sich selbst, empfindet und erregt Wohlgefallen, wirbt und wird umworben, entzündet Liebesglut und wird zugleich von ihr verzehrt. Wie oft gab er dem trügerischen Quell vergebliche Küsse!«9 Der ersehnte, aber nie erwiderte Kuss wird zum Todesurteil des Narziss, der angesichts der Unmöglichkeit seines Verlangens vor Gram stirbt.10 Anstelle seines Leichnams findet sich am Ufer der Quelle nunmehr eine Blume – »in der Mitte safrangelb und umsäumt mit weißen Blütenblättern.«11 Galt der Mythos in der Antike hauptsächlich als Mahnung vor menschlicher Hybris – Narziss verweigert sich dem göttlichen Willen des Eros –, wird in den spät- bzw. nachantiken Auslegungen, wie dem altfranzösischen Ovide moralisé (14. Jahrhundert), vor allem
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Ovid: Metamorphosen. Hg. und übers. von Michael von Albrecht, Stuttgart 2003, hier: III, 350 (S. 149); im lateinischen Text heißt es: »si se non noverit«. Vgl. ebd., 345 und 350; S. 149. Ebd., 350; S. 149. Ebd., 420f; S. 153; in einer anderen Überlieferung gelangt Narziss zum spiegelnden Wasserquell, nachdem er vor der Nymphe Echo floh, die ihm unermüdlich nachstellte. Erschöpft und durstig lässt sich Narziss an einer Quelle nieder, in deren Wasseroberfläche er schließlich sein eigenes Antlitz erblickt. Zu beiden Versionen siehe auch Beurdeley 1994, S. 48. Die verschiedenen Versionen des Mythos unterscheiden sich insbesondere in der Art und Weise, wie Narziss zu Tode kommt. So heißt es auch häufig, der Jüngling sei im Teich ertrunken. Ovid 2003, III, 510 (S. 159).
III. Hauptteil
die Verwandlung des Jünglings in eine Blume als Vanitas-Motiv hervorgehoben.12 Die thanatische Verbindung von jugendlicher Schönheit und Vergänglichkeit, wie sie auch von anderen mythischen Epheben wie Hyacinth, Cyparissus und Endymion versinnbildlicht wird, war allerdings schon in der Antike verbreitet. Daraus erklärt sich auch die bereits damals übliche Verwendung der Narzisse als Grabschmuck.13 Während die heutzutage gängige Interpretation als Kritik an der Selbstliebe (amor sui) mit dem Triumphzug des Christentums in den Vordergrund tritt, verbreitet sich die Deutung des Stoffes als Ausdruck gleichgeschlechtlichen Begehrens erst im späten 19. Jahrhundert.14 Eine der frühesten Interpretationen, die eine campe bzw. queere Lesart der NarzissGeschichte liefert, findet sich in Oscar Wildes Gedicht The Disciple (1893): »When Narcissus died the pool of pleasure changed from a cup of sweet waters into a cup of salt tears, and the Oreads came weeping through the woodland that they might sing to the pool and give it comfort. And when they saw the pool had changed from a cup of sweet waters into a cup of salt tears, they loosened the green tresses of their hair and cried to the pool and said, ›We do not wonder that you should mourn in this manner for Narcissus, so beautiful was he.‹ ›But was Narcissus beautiful?‹ said the pool. ›Who should know that better than you?‹ answered the Oreads. ›Us did he ever pass by, but you he sought for, and would lie on your banks and look down at you, and in the mirror of your waters he would mirror his own beauty.‹ And the pool answered, ›But I loved Narcissus because, as he lay on my banks and looked down at me, in the mirror of his eyes I saw my own beauty mirrored.‹«15 Wilde, dessen eigenes gleichgeschlechtliches Begehren Gegenstand eines berüchtigten Gerichtsprozesses wurde und seine Karriere beenden sollte, relativiert die etablierte Moral dadurch, dass er die Selbstverliebtheit Narziss‹ mit der des Gewässers kontrastiert. Diese textuelle ›Invertierung‹, so argumentiert Gregory W. Bredbeck in Narcissus in the Wilde (1994), spiele auf die vermeintlich invertierte Libido des antiken Jünglings an.16 Die hier hauptsächlich im Subtext wiederzufindende Relation zwischen männlichmännlichem Verlangen und Narziss wird allerdings erst ab 1900 durch den Sexualforscher Havelock Ellis sowie Sigmund Freud explizit und manifestiert sich in der Nar-
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Gindhart, Marion: Nárkissos – Narcissus – Narziss: Reflexionen und Brechungen eines Mythos. In: Klein, Dorothea; Käppel, Lutz (Hg.): Das diskursive Erbe Europas. Antike und Antikenrezeption, Frankfurt a.M. 2008, S. 25–62; hier: S. 44. Orlowsky, Ursula; Orlowsky, Rebekka (Hg.): Narziß und Narzißmus – im Spiegel von Literatur, Bildender Kunst und Psychoanalyse. Vom Mythos zur leeren Selbstinszenierung, München 1992, S. 29. Vgl. ebd., S. 58; wobei bereits Seneca vor den Folgen der erotischen Selbstbetrachtung gewarnt hat. Vgl. Seneca: Naturalis questiones. Hg. von Piergiogrio Parroni, Mailand 2003, 1, S. 16f. Wilde, Oscar: The Disciple. In: Complete Works of Oscar Wilde. London and Glasgow 1969, S. 864; in The Picture of Dorian Gray (zuerst 1890) greift Wilde das Spiegelmotiv und seine Funktion in der ›Selbsterkennung‹ erneut auf. Siehe Wilde, Oscar: The Picture of Dorian Gray. London 2008. Bredbeck, Gregory W.: Narcissus in the Wilde. Textual Cathexis and the Historical Origins of Queer Camp, in: Meyer, Moe (Hg.): The Politics and Poetics of Camp. London und New York 1994. S. 51–74; hier: S. 56.
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zissmus-Theorie.17 Dessen ungeachtet findet sich eine implizit homoerotische Relation schon im Urtext, in dem die Schönheit und Begehrlichkeit eines männlichen bzw. jünglingshaften Körpers zentrale Elemente der Erzählung sind.18 Ellis vermutet dahinter gleichwohl mehr als eine bloße Implikation, meint er doch in einer nur fragmentarisch überlieferten Komödie des Kratinos, in der laut dem Altphilologen August Meineke und dem Sexualwissenschaftler Hans Licht vom olisbos (altgr. Begriff für einen Dildo) des Narziss die Rede ist, einen Hinweis für eine bereits in der Antike etablierte Verknüpfung von gleichgeschlechtlicher Sexualität und dem Mythos gefunden zu haben.19 Inwiefern dies jedoch tatsächlich als Beweis für die Überzeitlichkeit des propagierten Zusammenhangs zwischen Narzissmus, gleichgeschlechtlichem Verlangen und dem im olisbos verbildlichten Wunsch ›invertierter Männer‹ nach analer Penetration gedeutet werden kann, lässt Ellis offen.20 In Zur Einführung des Narzißmus (1925) und den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905) verfolgt Freud denselben theoretischen Ansatz und sieht im männlichen Narzissmus die Hauptursache der Homosexualität.21 Für Freud, der von einem potentiell
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Vgl. Ellis, Havelock: Studies in the Psychology of Sex. Volume VII: Eonism and Other Supplementary Studies, Philadelphia 1928, S. 347ff; vgl. auch Freud 1924; folgt man Bredbeck in seiner Argumentation, muss man davon ausgehen, dass die Betrachtung Narziss’ als Sinnbild Invertierter bereits vor Ellis’ und Freuds Schriften geläufig war, entstand Wildes Prosagedicht doch vor der Veröffentlichung von Studies in the Psychology of Sex und Zur Einführung des Narzißmus. Siehe hierzu Ellis 1928, S. 348. Zu Narziss als Teil eines schwulen Figurenkanons vgl. Keilson-Lauritz 1997, S. 32f. Vgl. Ellis 1928, S. 348; Ellis bezieht sich hier auf die zwischen 1839 und 1857 von Meineke angefertigte Fragmentsammlung griechischer Komödiendichtung (Fragmenta Comicorum Graecorum), aus welchem er den besagten Ausschnitt und dessen Auslegung bezieht, sowie auf den 1925 in der Zeitschrift für Sexualwissenschaft veröffentlichten Artikel Olisbos und Narcissmus von Hans Licht. Vgl. hierzu Meineke, August: Fragmenta Comicorum Graecorum. Band 2, Teil 1, Berlin 1839, S. 181f (182); Athenaeus XV p. 676f; vgl. zudem Licht, Hans: Olisbos und Narcissismus. In: Zeitschrift für Sexualwissenschaft. Redigiert von Dr. Max Marcuse, Band XII, April 1925 bis März 1926, hier: Dezember 1925, 9. Heft, S. 278–280; Licht berichtet in dem Aufsatz über den Gebrauch des Olisbos von männlichen Figuren in der antiken Mythologie. Neben einer Geschichte über Dionysos und den Jüngling Prosymnos geht es dem Autor vor allem um Narziss: »Ich bin aber in der Lage, noch ein zweites literarisches Zeugnis beizubringen, nämlich eine Stelle aus einer Komödie des Kratinos, wo von den ›Olisben des Narkissos‹ die Rede ist. Allerdings ist die Lesart unsicher und beruht nur auf einer Vermutung von Meineke, die aber die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat. Der verdienstvolle Herausgeber der griechischen Komödienfragmente, Theodor Kock, bemerkt naiv zu der Stelle: ›Was soll aber ein Mann mit einem Olisbos machen? Ich werde aus den Worten des Dichters nicht klug.‹« (Ebd., S. 279f). Vgl. Ellis 1928, S. 348. Freud unterscheidet in seinen Drei Abhandlungen jedoch genauer und vermerkt, dass »der Verkehr per anum« nicht zwangsläufig mit Inversion zusammenfällt. (Freud, Sigmund: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Wien 1920, S. 13); Margrit Brehm nennt überdies den deutschen Psychiater Paul Näcke (1851–1913), der bereits 1899 den Begriff des ›Narzißmus‹ zur »›Kennzeichnung (homo-)sexueller Perversionen‹« verwendet haben soll. (Brehm, Margrit: Sich sehend sehen – Narziß als reflektiertes Selbst. Einige Überlegungen zur Sichtweise eines Topos bei Caravaggio, Cindy Sherman und Mat Collishaw, in: Dombrowski, Damian (Hg.): Zwischen den Welten: Beiträge zur Kunstgeschichte für Jürg Meyer zur Capellen – Festschrift zum 60. Geburtstag, Weimar 2001, S. 336–345; hier: S. 344 (Fußnote 16)).
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bisexuellen Frühstadium des Menschen ausgeht, stellt gleichgeschlechtliches Begehren eine Störung ›normaler‹ Entwicklungsvorgänge dar.22 Als Ursache hierfür, so der Freud’sche Leitgedanke, wird der Kastrationskomplex benannt: Demnach seien alle Jungen der Annahme, dass man das männliche Genital »bei allen Menschen« vorfinde.23 »Diese Überzeugung«, so Freud weiter, »wird vom Knaben energisch festgehalten, gegen die sich bald ergebenden Widersprüche der Beobachtung hartnäckig verteidigt und erst nach schweren inneren Kämpfen (Kastrationskomplex) aufgegeben.«24 Es ist also jene ›traumatische‹ Erkenntnis über den fehlenden Penis der Mutter bzw. der Frau, in der Freud den Auslöser für den Kastrationskomplex bzw. den Kastrationsschreck zu erkennen meint. Wie Davis in Narzissmus in der homoerotischen Kultur und in der Theorie Freuds (2004) beschreibt, kann dieses einschneidende Erlebnis gemäß der Freud’schen Theorie den Wunsch erwecken, den Penis »zu erhalten, [ihn] zu verteidigen und zu vergrößern.«25 Im Sinne der Narzissmus-Theorie liebt der Homosexuelle deshalb sein eigenes Geschlecht, weil er »nicht nur in sich, sondern auch in der Person, die er liebt« den Penis zu bewahren sucht.26 Die ab dem 19. Jahrhundert einsetzende explizite Verbindung von Narziss und männlich-männlichem Begehren, wie sie anhand von Havelock und Freud exemplarisch dargelegt wurde, ist das Ergebnis eines (weiteren) Versuchs, die ›neue Spezies‹ der Homosexuellen zu pathologisieren. Ähnlich wie etwa der hl. Sebastian nimmt daher auch Narziss eine durchweg ambivalente Position innerhalb eines queeren ›Gestaltenkanons‹ ein.27 Gerade wegen dieser Ambivalenz erscheint es nur folgerichtig, diese antike Figuration queerer Lust an den Anfang zu stellen, verkörpert sie doch in besonderer Weise den Geist der vorliegenden Arbeit: Der sich im Wasser spiegelnde Narziss wird trotz oder gerade aufgrund seiner moralischen und medizinischen Interpretationen zum Sinnbild einer Auseinandersetzung mit dem eigenen ›devianten‹ Verlangen. Der eingangs zitierte Orakelspruch – »›[w]enn er sich nicht selbst kennenlernt‹« – bietet es geradezu an, Narziss und das ihm inhärente Spiegelmotiv auch im Sinne eines Selbsterkennungsprozesses zu deuten.28 Dieser Prozess verknüpft den Mythos ganz konkret mit den Inszenierungsmechanismen der modernen Queer-Bewegung, für welche die ›Selbsterkenntnis‹ im Sinne eines privaten Eingeständnisses über das eigene Begehren bzw. die Identität sowie eines öffentlichen Coming-outs zu einem essenziellen Bestandteil geworden ist.
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Zur ›ursprünglichen Bisexualität‹ siehe Freud 1920, S. 9. Ebd., S. 44. Ebd. Davis 2004a, S. 220; siehe auch Freud 1920, S. 8ff. Davis 2004a, S. 221. Vgl. Keilson-Lauritz 1997, S. 32f. Ovid 2003, III, 350 (S. 149); es sei auch auf den biblischen bzw. literarischen Sprachgebrauch von ›erkennen‹ im Sinne von ›Geschlechtsverkehr haben‹ hingewiesen, der die nachantike Auslegung des Narziss-Mythos verstärkt in eine sexualisierte Richtung lenkt.
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Für den weiteren Verlauf soll Narziss in Anlehnung an Lacan als Figuration des Stade du Miroir (Das Spiegelstadium, zuerst 1936) interpretiert werden.29 Mit dem Spiegelstadium umschreibt Lacan jene für die Entwicklung des ›Ich‹ so wichtige, erstmalige Selbstwahrnehmung des Kindes durch den Blick in den Spiegel: Das Kind nimmt sich dabei erstmals nicht mehr als fragmentarischen Körper wahr, sondern als abgeschlossenes und ganzheitliches Subjekt.30 Inspiriert von dem Lacan’schen Konzept des Spiegelbildes, versteht die nachfolgende Analyse Kunst demzufolge als konstitutive Instanz in der Bildung einer queeren Subjektivität.31 Die hier vorgeschlagene Ausdehnung von Lacans Theorie der ›Subjektwerdung‹ auf die Rolle und Funktion von Kunst veranschaulicht Narziss in besonders eindringlicher Manier: So hat Leon Battista Alberti in seinem 1435/36 veröffentlichten Malereitraktat den Jüngling bereits als »Erfinder der Malkunst« gepriesen, denn »[g]eht es schließlich beim Malen um etwas anderes als darum, mit Kunst jene Oberfläche des Quellteichs zu umarmen?«32 Pfisterer deutet diese Passage dahingehend, dass Narziss »am mythischen Ursprung der menschlichen Bewusstwerdung des Wesens und Potentials eines Bildes stehe«.33 Eine vergleichbar kunst- und subjektzentrierte Rezeption findet laut Marion Gindhart auch in der Romantik statt: Der romantische Dichter stilisierte sich selbst zum Narziss und sein künstlerisches Werk wurde »zum Spiegel für den Leser, in dem dieser sich wiederfinden und mit dessen Hilfe er seine Selbsterkenntnis vorantreiben kann.«34 Kunst – unabhängig ob literarischer oder bildnerischer Art – nimmt im Kontext des Narziss-Mythos insofern eine Spiegelfunktion ein, als dass sie Blickpositionen und Blickregime ebenso wie Selbst- und Fremdwahrnehmung einer Gesellschaft und der darin lebenden Menschen reflektiert; sie ist ein visuelles Palimpsest. Betrachtet man eine der ältesten erhaltenen Darstellungen des Narziss, ein pompejisches Fresco eines unbekannten Malers (Abb. 8), so offenbart sich darin die antike Konzeption eines zwar schönen, aber hochmütigen Jünglings: Der bekränzte und über einen kleinen Teich gebeugte Narziss betrachtet versunken sein eigenes Spiegelbild. Das einzige Kleidungsstück, ein fast durchsichtiges Tuch, ist derart weit nach unten gerutscht, dass es lediglich die Beine bedeckt und den Blick auf seinen nackten Torso sowie seinen Unterleib freigibt. Wenngleich Narziss auch seinen Blick abwendet, so wird sein Körper den Betrachtenden jedoch geradezu angeboten. Aus antiker Perspektive spricht hier unweigerlich die durch die Päderastie institutionalisierte und gesellschaftlich etablierte
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Vgl. Lacan, Jacques: The Mirror Stage as Formative of the Function of the I as Revealed in Psychoanalytic Experience. In: Leitch, Vincent B. (Hg.): The Norton Anthology of Theory and Criticism. New York und London 2001a, S. 1285–1290. Vgl. ebd., S. 1286; zur Verbindung Lacans und dem Narziss-Mythos siehe Neuffer, Karl: Caravaggio – Spiegelungen des Selbst. Versuch einer kunstphilosophischen Werkanalyse, Berlin 2016, S. 65ff. Siehe Kapitel II.4; vgl. Hocquenghem 2016, S. 84–85; vgl. auch Horlacher, Jansen, und Schwanebeck 2016, S. 5. Alberti, Leon Battista: Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei, hg. von Oskar Bätschmann und Christoph Schäublin, Darmstadt 2000, S. 237 (§26). Pfisterer 2014, S. 30; vgl. auch Pfisterer, Ulrich: Künstlerliebe. Der Narcissus-Mythos bei Leon Battista Alberti und die Aristoteles-Lektüre der Frührenaissance, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 64 (2001), S. 305–330. Gindhart 2008, S. 40; Gindhart bezieht sich auf den deutschen Romantiker August Wilhelm von Schlegel.
III. Hauptteil
Zelebrierung ephebischer Schönheit. Einen etwas anderen Fokus haben dementgegen spätere Inszenierungen von Nicolas Poussin (um 1629) oder John William Waterhouse (1903), die dem Schönling die von ihm zurückgewiesene Nymphe Echo an die Seite stellen und deren unerfüllte Liebe zu einem gleichwertigen Thema erheben.35 Näher betrachtet werden sollen zunächst zwei Werke, die sich allein auf die Figur des Narziss konzentrieren: zum einen Benvenuto Cellinis skulpturale Umsetzung (um 1548) und zum anderen ein Gemälde Caravaggios (um 1600). Cellinis (1500–1571) Aktskulptur gehört neben einem Gemälde von Alessandro Allori zu einer der wenigen neuzeitlichen Nacktdarstellungen des Narziss (Abb. 9.1).36 Als Aufstellungsort der Arbeit war ursprünglich ein Wasserbassin in den Boboli-Gärten in Florenz geplant, in dem sich der sitzende und leicht nach vorn beugende Jüngling gespiegelt hätte.37 Den angewinkelten Arm legt Narziss auf sein lockiges Haupt auf. Mit dieser Pose greift der Künstler, ähnlich wie Anne-Louis Girodet in seinem Gemälde Der Schlaf des Endymion (1791; vgl. Abb. 19), »die seit der Antike tradierte Geste des Schlafes und der Unbewußtheit« auf.38 Mittels dieser gestalterischen Entscheidung betont Cellini den transitorischen Charakter des mythischen Jünglings zwischen Leben und Tod sowie dessen Ungreifbarkeit. Die Skulptur ist in sich ruhend, keine Bewegung oder Gestik scheint nach außen zu streben, sondern ist durchweg verinnerlicht und auf sich selbst gerichtet. Wendet man den Blick der Rückseite zu (Abb. 9.2), dann zeigt sich die Detailverliebtheit Cellinis, der die Basis als kleinteilige Mauer wiedergibt, an der nicht nur ein Weinstock emporklettert, sondern auch eine Schlange zu erkennen ist. Unmittelbar hinter dem Gesäß des Narziss platziert der Künstler zusätzlich mehrere Früchte, die ihrer Form nach Feigen darstellen könnten. Ebenso wie der Weinstock ist die Feige nicht nur ein bacchantisches, sondern auch ein sexuelles Symbol: Cellini präsentiert die Kehrseite des Narziss als Ort ›sündhafter‹ Verlockung.39 Folgt man dieser Interpretation, dann wäre auch die Schlange als phallisches und/oder christliches Symbol der Versuchung zu deuten. Bedenkt man Cellinis ausführlich dokumentierte Verurteilung wegen eines vermeintlich sexuellen Verhältnisses zu seinem Lehrling und Modell Fernando da Montepulciano, so erscheint diese Auslegung des Sockelschmucks umso plausibler.40
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Poussins Gemälde Echo und Narziss befindet sich im Louvre. Die gleichnamige Umsetzung von Waterhouse ist in der Walker Art Gallery in Liverpool zu sehen. Alloris Bild befindet sich heute in der Türkischen Botschaft in Washington. Vgl. Lecchini Giovannoni, Simona: Alessandro Allori. Torino 1991, Abb. 69; vgl. auch Mersmann, Jasmin: Lodovico Cigoli: Formen der Wahrheit um 1600, Berlin und Boston 2016, S. 252. Vgl. Greer, Germaine: The Boy. London 2003, S. 29. Fend 2003, S. 61; vgl. auch Fend, Mechthild: Nebulöse Identitäten. Girodets Schlaf des Endymion, in: Härle, Gerhard; Popp, Wolfgang; Runte, Annette (Hg.): Ikonen des Begehrens. Bildsprachen der männlichen und weiblichen Homosexualität in Literatur und Kunst, Stuttgart 1997, S. 101–119. Zur Symbolik der Feige vgl. Kretschmer, Hildegard: Lexikon der Symbole und Attribute in der Kunst. Stuttgart 2011, S. 126f. Zu Fernando da Montepulciano siehe Gallucci 2003, S. 26; zu Cellinis Affären siehe Wolf, Gerhard: Der Splitter im Auge: »Cellini« zwischen Narziß und Medusa, in: Nova, Alessandor; Schreurs, Anna (Hg.): Benvenuto Cellini. Kunst und Kunsttheorie im 16. Jahrhundert, Köln 2003, S. 315–337; hier insbesondere: S. 323 (Fußnote 20); sowie Pope-Hennessy, John: Cellini. London 1985, S. 231.
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Die Caravaggio (1571–1610) zugeschriebene Behandlung des gleichen Themas ist ähnlich still und bedacht (Abb. 10).41 In der für den Künstler typischen Manier schält sich Narziss durch gezielte Lichtführung aus scheinbar vollkommener Dunkelheit heraus. Der am Ufer des Quells kniende Jüngling beugt sich, auf seine beiden Hände gestützt, leicht über die Wasseroberfläche und betrachtet seine Reflexion, welche fast die Hälfte der gesamten Bildfläche einnimmt. Im Einklang mit Ovids Beschreibung stellt Caravaggio Narziss bekleidet dar, wobei das Gewand nicht antikisiert ist, sondern dem höfischen Zeitstil des Künstlers entspricht.42 Die voluminösen Ärmel wie auch das ornamentierte Wams deuten einen ikonographischen Wandel an, wie er insbesondere ab dem 15. Jahrhundert vorzufinden ist: Die einstige Nacktheit des Jünglings weicht modischer Extravaganz. Während etwa Cellini die dem ephebischen Narziss inhärente moralische Ambivalenz durch eine ebenso ambivalente Körperlichkeit wiedergibt, betont Caravaggio diesen Aspekt durch die Kleiderwahl. Obschon die Kleidung den damals gängigen Modekonventionen entspricht, soll hier hingegen der Vermutung nachgegangen werden, dass Caravaggio angesichts der in seinem Bild stark zurückgenommenen Körperlichkeit die moralische und geschlechtliche Ambivalenz des Narziss durch dessen fashionable Erscheinung unterstreicht. Vergleicht man das Gemälde mit einigen anderen Jünglingsdarstellungen aus dem Œuvre des Malers, wie etwa dem Lautenspieler (Erstfassung 1695/96), so offenbaren sich zwei wiederkehrende inszenatorische Elemente: 1. Die Zartheit des jugendlichen Körpers wird sowohl im Falle des Narziss als auch des Lautenspielers durch die üppige Stofflichkeit der camicia umspielt und hervorgehoben. Die Mode dient demnach einer Erotisierung und damit zu einem gewissen Grad auch einer Effeminierung der Dargestellten, deren Inszenierung dem Zeitgeschmack entsprechend an die antike Idee geschlechtlich ambivalenter Epheben anknüpft.43 2. Die durch die Klei41
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Margit Brehm und Maren Welsch verweisen in ihren jeweiligen Arbeiten auf eine bis heute andauernde Zuschreibungsdebatte. Beide führen Mina Gregori an, welche bis heute an der Autorenschaft Caravaggios zweifelt und die Arbeit Giovanni Antonio Galli detto lo Spadarino zuspricht. Brehm und Welsch befürworten jedoch eine Caravaggio-Zuschreibung und folgen damit Maurizio Marini. Vgl. Gregori, Mina: Giovanni Antonio Galli detto lo Spadarino. In: Kat. Ausst. Michelangelo Merisi da Caravaggio. Come nascono i Capolavori, hg. von Mina Gregori, Florenz 1991, Mailand 1991, S. 357–371; hier: S. 359–368; sowie Marini, Maurizio: Michelangelo Merisi, detto il Caravagio, Narciso, in: Kat. Ausst. Il Cinquecento lombardo. Da Leonardo a Caravaggio, hg. von Flavio Caroli, Mailand 2000, Mailand und Florenz 2000, S. 486–489; vgl. zudem Brehm 2001, S. 344 (Fußnote 5); sowie Welsch, Maren: Vom Narziss zum Narzissmus. Mythos und Betrachter, Von Caravaggio zu Olaf Nicolai, Dissertation an der Christian-Albrechts-Universtität, Kiel 2002, S. 50f. Vgl. Ovid 2003, III, 480 (S. 157): »Und trauernd zerriß er das Gewand vom oberen Saum her«. Marianne Koos schreibt: »Bunte, luxuriöse und freizügige Kleidung oder langes Haar bei jungen Männern waren immer schon mit Sodomie assoziiert worden.« (Koos, Marianne: Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts – Giorgione, Tizian und ihr Umkreis, Emsdetten und Berlin 2006, S. 131); Saslow berichtet, dass die passiven Liebhaber im 15. und 16. Jahrhundert mit antiken Namen und Begriffen bezeichnet wurden: »Ganymede and cinaedus, androgyne and hermaphrodite, all borrowed from antiquity, conflate effeminacy, youthful androgyny, transvestism, and homosexuality into one constellation of gender transgressions; by implication, passive men were a psychic hybrid amounting to a third gender. One Florentine usage for a passive partner was si tiene come donna, ›he regards himself as a woman‹« (Saslow 1989, S. 99; Hervorhebung aus dem Original); zum Topos effeminierter Jünglinge bei Caravaggio siehe Posner, Donald: Caravaggio’s Homo-Erotic Early Works. In: The
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dung nur implizit thematisierte Sexualisierung wird in beiden Bildern durch den erwartungsvoll geöffneten Mund und die betont sinnlichen Lippen expliziert. Gilt das erotische Interesse des Lautenspielers den Betrachter_Innen – blickt er doch aus dem Bild hinaus –, so wendet Narziss seinen begehrenden Blick auf sein eigenes Spiegelbild. Karl Neuffer schreibt zu diesem Narziss: »Die Erotik erwacht in ihm, oder umgekehrt: sein Selbst erwacht an der Erotik […]. Narziss begehrt sich selbst, er will zu sich selbst finden.«44 Dieses auf sich selbst gerichtete Verlangen rückt Caravaggio in seinem Gemälde ins Bildzentrum: Kompositorisch bilden der ›reale‹ und der gespiegelte Narziss einen Kreis, in dessen Mittelpunkt sich das dramatisch beleuchtete Knie dem Publikum entgegenstreckt – eine »ergreifende visuelle Metapher des Geschlechts: die Metonymie seines Begehrens.«45 Alle drei gewählten Beispiele präsentieren sinnliche Verkörperungen des schönen Narziss: ein Objekt der Begierde, das sich selbst verzehrt. Gemäß den antiken Konventionen zeichnet sich die Ikonographie besonders durch die Passivität des Jünglings aus und ermöglicht die Darstellung subtiler Erotik, die zwischen männlich und weiblich irisiert. Im Zuge einer stetigen Moralisierung der Thematik wird Narziss zur Chiffre für ein Verlangen, das nicht sein darf, und somit zur passenden Allegorie gleichgeschlechtlicher Liebe. Moderne und postmoderne Visualisierungen des Mythos reichen von campen Appropriationen bis hin zu abstrakteren Auseinandersetzungen, in denen das Spiegelmotiv im Zentrum des Interesses steht.46 Die nachfolgende Analyse ausgewählter Werke des 20. und 21. Jahrhunderts erfolgt dabei nicht chronologisch, sondern richtet sich maßgeblich nach dem Grad der Verselbstständigung des Motivs.
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Art Quarterly. Hg. Von Jerrold Lanes, Volume 34, Nr. 3, Herbst 1971, S. 301–324; Posners Herausarbeitung der androgynen Ästhetik im Werk Caravaggios besticht auch heute noch. Die Schlussfolgerung des Autors, dass es sich aufgrund der von ihm geschaffenen Kunstwerke bei Caravaggio um einen Homosexuellen handeln muss, erscheint jedoch anachronistisch und kaum haltbar. Creighton E. Gilbert weist zu Recht darauf hin, dass es sich bei dem Begriff der Homosexualität um ein modernes Konzept handelt, das so nicht auf die Lebenszeit Caravaggios zu übertragen ist. Siehe Gilbert, Creighton E.: Caravaggio and his two Cardinals. University Park (Pa) 1995, S. 191ff und S. 215ff; dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass davon ausgegangen werden kann, dass Caravaggio keine sexuellen Beziehungen zu Männern unterhielt – Posner weist z.B. auf einen Sodomievorwurf hin (Posner 1971, S. 302) –, sondern dass sie nicht unter dem Terminus der Homosexualität zu subsumieren sind. Neuffer 2016, S. 62. Buci-Glucksmann, Christine: Die Sichtung oder das Auge des Phantasmas. In: Blümle, Claudia; Heiden, Anne von der (Hg.): Blickzähmung und Augentäuschung. Zu Jacques Lacans Bildtheorie, Zürich und Berlin 2009, S. 319–336; hier: S. 329. Beispiele für Ersteres finden sich im Œuvre des Künstlerduos Pierre et Gilles (siehe Abb. 11), in der Arbeit des Illustrators Herbert (siehe Abb. 13) und in dem Kunstfilm Pink Narcissus (1971) von James Bidgood (u.a. Abb. 14.1). Letzteres manifestiert sich hingegen in den Arbeiten von Konstantin Somov (siehe Abb. 16) und Peter Lyssiotis (siehe Abb. 17). Anhand dieser Werkauswahl soll im Folgenden die Appropriierung der Narziss-Ikonographie innerhalb eines explizit queeren Kontextes skizziert werden.
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Aus ikonographischer Sicht weist die übermalte Fotografie von Pierre et Gilles (Abb. 11) aus dem Jahr 2012 die stärksten Parallelen zu den bisher besprochenen künstlerischen Umsetzungen auf. Typisch für den, wie Simon Watney ihn nennt, devotionalen Stil des Künstlerduos, spielt das Bild mit Anleihen an eine kunsthistorisch etablierte Ikonographie.47 Die kompositorischen Parallelen zur Arbeit von Waterhouse sind besonders hervorzuheben: Nicht nur die Position des auf dem Boden liegenden und über das Quellufer gebeugten Jünglings, sondern auch die ihn umgebende Landschaft – inklusive der Narzissen – wirken wie bildnerische Zitate des präraffaelitischen Gemäldes.48 Anders als Waterhouse rücken Pierre et Gilles ihren Narziss allerdings in die Bildmitte, wobei das Quellufer die Darstellung halbiert. In beiden Bildhälften – ›Realität‹ und Spiegelung – überschneiden sich die Bilddiagonalen jeweils genau auf Höhe des unverhüllten Gesäßes. Ein weiteres erotisches Detail findet sich auf dem linken Bildteil: Im Gegensatz zu den meisten anderen Narzissbildnissen kommt es zur Berührung der Wasseroberfläche und damit im übertragenen Sinne zum Vollzug des narzisstischen Verlangens. Die in der exponierten Position des Hinterns wie auch in dem Moment der Berührung bereits deutlich werdende Erotisierung des Narziss wird überdies durch das ausgewählte Modell forciert, dessen Körperlichkeit und Antlitz an die männlichen Pin-ups des Fotografen Bob Mizer erinnert (vgl. Abb. 12). Mizer gründete 1951 die Zeitschrift Physique Pictorial in Los Angeles, die sich der »männlichen Körperfotografie« verschrieb und auch zahlreichen anderen schwulen Künstlern wie etwa George Quaintance, Harry Bush und Tom of Finland eine Plattform bot.49 Die in den Seiten des Physique Pictorial geprägte Ästhetik muskulöser (und eingeölter) Körperlichkeit, überzeichneter Männlichkeit sowie schwülstiger Künstlichkeit – man beachte die Kulissen in den späteren Farbfotografien (vgl. Abb. 12) – erweist sich als wiederkehrende und campe Inszenierungsmethode. So ist auch die für Pierre et Gilles so charakteristische mise-en-scène, deren Künstlichkeit durch den Übermalungsprozess der Fotografie nochmals verstärkt wird, als Rückgriff auf Mizer, aber auch auf James Bidgoods betont künstliche Ästhetik zu verstehen (vgl. Abb. 14.1). Analog zum Palimpsestgedanken ist dieser Narziss das Amalgam tradierter Kunstgeschichte sowie einer ausdrücklich homoerotischen Pin-up-Ästhetik des 20. Jahrhunderts. Einen vergleichbaren Ansatz wählt auch der weitestgehend unbeachtete und nur unter seiner Signatur bekannte Illustrator und Künstler Herbert (Abb. 13), dessen Arbeiten (inklusive der hier abgebildeten) in den 1980er-Jahren u.a. in dem schwulen Magazin
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Vgl. Watney, Simon: Signs of Sanctity: The Devotional Art of Pierre et Gilles. In: Kat. Ausst. Pierre Et Gilles. Hirschl & Adler Modern New York 1990/91, New York 1990, S. 1–3. Vgl. hierzu Noual, Pierre: Narcisse/Matthieu Charneau. In : Kat. Ausst. Pierre Et Gilles : Héros, Galerie Daniel Templon Paris 2014, Paris 2014, S. 42–43. Stanley, Wayne E. : Einleitung. Dt. Übersetzung von Thomas Stegers, in : Mizer, Bob; Stanley, Wayne E. (Hg.) : The Complete Reprint of Physique Pictorial. 1951–1964, Volume 1, Köln 1997, S. 18–30; hier: S. 24; Mizer war im nordamerikanischen Kontext ein Pionier homoerotischer Fotografie, die bis dahin unter den äußerst strengen Zensurgesetzen in den USA wenig Verbreitung fand. 1947 wurde Mizer deshalb auch »wegen Verbreitung obszönen Materials angeklagt und verhaftet« (Ebd., S. 25). In einem Berufungsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof wurde das Urteil 1953 aufgehoben. Vgl. ebd., S. 26.
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Blueboy veröffentlicht wurden.50 Seine Interpretation des Narziss: ein muskulöser, bärtiger und Jeans tragender Mann, der ganz dem in den 1970er- und 1980er-Jahren populären Ideal des gay clones entspricht, weswegen das Bild auch auf diesen Zeitraum zu datieren ist. Unter der Bezeichnung gay clone sind homosexuelle Männer zu verstehen, die einem völlig schematischen Modestil nacheifern, der sich an hypermaskulinen Ikonen wie etwa Marlon Brando, Tom of Finland und an Pornodarstellern wie Al Parker orientiert und sich damit ganz bewusst von den als zu effeminiert wahrgenommenen Figuren der Vergangenheit distanzieren möchte.51 Leila J. Rupp beschreibt die weite Verbreitung dieses urbanen Typus in A Desired Past (1999) sehr treffend mit einer popkulturellen Metapher: »To go to the Castro, San Francisco’s most celebrated gay male district, or to wander onto Christopher Street in New York in the 1970s and early 1980s was to believe that, as the famous Weathergirls song put it, ›It’s Raining Men.‹ And they all looked more or less alike: muscled body clad in a tight tank top (weather permitting), body-hugging Levi’s 501 jeans, work boots, short hair, carefully trimmed mustache or beard.«52 Betrachtet man Herberts Narziss, so sind viele der aufgelisteten Kriterien vorzufinden: Der Bart, der entblößte und durchtrainierte Körper sowie die freizügigen Jeans sind allesamt ›schwul‹ kodierte (Mode-)Elemente, die laut dem Fotografen Hal Fischer dem Bedürfnis nach Identifikation entspringen.53 Er ergänzt: »Like any other cultural group gay people have developed a semiotics intended both for identification and/or invisibility within the larger culture, as well as communication among themselves.«54 Fischer sieht diese Gay Semiotics als Zeichen sexueller Zugänglichkeit, die damit konträr zu tradierten Signifikanten wie dem Ehering stünden, der doch gerade die sexuelle Unzugänglichkeit einer Person anzeigt.55 Auf den hier illustrierten Narziss, der sich über ein künstliches und mit blühenden Seerosen bepflanztes Wasserbecken beugt, scheint dies jedoch nicht zuzutreffen: Obwohl er im Sinne Fischers und Rupps als (homo-)sexuell gekennzeichnet ist, ignoriert er die rechterhand ins Bild hineinragenden, körperlosen (männlichen?) Hände, die so begehrlich nach ihm greifen. War es bei Caravaggio das Knie, das zur Metonymie des narzisstischen Verlangens wurde, so verkörpern die scheinbar ins 50
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Diesen Hinweis habe ich von Branden Wallace erhalten, dem Archivar des Leslie-Lohman Museums of Gay and Lesbian Art in New York. Mehr Informationen zum Illustrator gibt es nicht. Es ist möglich, dass es sich bei der Signatur ›Herbert‹ um ein Pseudonym handelt. Die Veröffentlichung des Bildes in einer schwulen Zeitschrift, die hauptsächlich wegen ihres pornographischen Inhalts bekannt war, belegt jedoch, dass das ikonographische Erbe des Narziss bis in die Ebene schwuler Populärmedien durchgesickert ist. Siehe Geczy, Adam; Karaminas, Vicki: Queer Style. London et al. 2013, S. 89; zu Al Parker als Inbegriff des maskulinen Ideals siehe Moore, Patrick: Beyond Shame. Reclaiming the Abandoned History of Radical Gay Sexuality, Boston 2004, S. 25. Rupp, Leila J.: A Desired Past. A Short History of Same-Sex Love in America, Chicago und London 1999, S. 189; vgl. auch Levine, Martin P.: Gay Macho. The Life and Death of the Homosexual Clone, New York und London 1998. Vgl. Fischer, Hal: Gay Semiotics. A Photography Study of Visual Coding Among Homosexual Men, Los Angeles 2015 (zuerst 1977), S. 22. Ebd. Vgl. ebd., S. 20f.
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Leere fassenden Hände die Metonymie des (homo-)sexuellen Verlangens. Diese prononcierte Geste wird zum Symptom für den transitorischen Zustand homosexueller Identitäten im 20. Jahrhundert, die zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Zugänglichkeit und Unzugänglichkeit sowie Offenheit und Verschlossenheit changieren. Das Bild stellt somit auch eine Bestandsaufnahme seiner Entstehungszeit dar: Einerseits war die Zeit nach dem Stonewall-Aufstand von 1969 – der Geburtsstunde der modernen Queer-Bewegung – für große Teile der westlich-europäischen Welt geprägt von einer zunehmenden Emanzipierung queerer Menschen.56 Andererseits waren insbesondere die 1980erJahre geprägt von AIDS, einer Krankheit die nicht nur die Fragilität des menschlichen Körpers schmerzlich sichtbar machte, sondern angesichts der zahlreichen homophoben Reaktionen auf den Krankheitsausbruch auch die Fragilität des (vermeintlichen) gesellschaftlichen Fortschritts verdeutlichte.57 Während sich diese beiden Inkarnationen des Narziss aus ikonographischer Sicht stark an der etablierten kunsthistorischen Bildtradition orientieren, nutzt James Bidgood (1933–2022) den Mythos in Pink Narcissus58 (1971) hingegen als Startpunkt für eine vielschichtige visuelle Reise in die Phantasiewelt eines jungen Mannes (gespielt von Bobby Kendall), der seine Reize entdeckt und – ähnlich wie Narziss – ebendiesen Reizen zu erliegen droht (siehe Abb. 14.1). Bidgood, der u.a. als Schaufensterdekorateur und Kostümschneider59 arbeitete, war von 1963 bis 1967 zudem als freischaffender Fotograf für verschiedene homoerotische Publikationen tätig (The Young Physique, Muscleboy, DemiGods etc.).60 Über sechs Jahre (1964–1970) arbeitete er zusammen mit seiner männlichen Muse Kendall an einem Filmprojekt, aus dem letzten Endes Pink Narcissus entstand.61 Bidgood selbst fertigte hierfür jede Kulisse, jedes Kostüm und jede Requisite an und konzipierte für seinen Film eine völlig synthetische Welt.62 Die ebenso künstlerischen
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Zum Stonewall Inn, einer queeren Bar in New York, die zum Schauplatz eines ersten Aufbegehrens queerer Menschen gegen Polizeigewalt wurde, siehe Duberman, Martin B.: Stonewall. New York 1993. Derartige Reaktionen gab es sowohl in den USA als auch in Deutschland. So schrieb der ehemalige Nixon Berater Pat Buchanan: »The poor homosexuals – they have declared war on nature, and now nature is exacting an awful retribution.« (Interview in der New York Post, February 24, 1983; zitiert nach Pierceson, Jason: Sexual Minorities and Politics: An Introduction, Lanham 2016, S. 120); doch auch in Deutschland zeigte sich, wie tief verwurzelt die Abneigung gegen Homosexualität noch war, als etwa der Bayerische Kultusminister Hans Zehetmair zum »Vokabular der Herrenmenschen griff« wie der Spiegel 1987 berichtete: »Aids sei das Symptom einer maroden Gesellschaft, die gesellschaftlichen Randgruppen müßten jetzt ›ausgedünnt werden‹. Homosexualität gehöre in den ›Randbereich der Entartung‹. Zehetmair: ›Das Umfeld der ethischen Werte muß wiederentdeckt werden, um diese Entartung auszudünnen.‹« (Entartung ausdünnen. In: Der Spiegel, Nr. 12, 1987, S. 131–133, hier: S. 131). Pink Narcissus. Regie: James Bidgood. DVD. Salzgeber 2006; Pink Narcissus ist nicht die einzige ›schwule‹ Filminszenierung des Narziss-Mythos, so drehte Avery Willard 1967 einen pornographischen Hardcorefilm mit dem Titel Leather Narcissus. Zwei Berufsfelder, die sich auch in seinen reich ausgestatteten fotografischen sowie filmischen Inszenierungen bemerkbar machen. Vgl. hierzu Benderson, Bruce: Bidgood. James Bidgood, Köln et al. 1999, S. 160f. Vgl. ebd., S. 162f. Vgl. ebd., S. 163.
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wie künstlichen Interieurs und Landschaften speisen die von Bidgood verfolgte synthetische Ästhetik. Es ist ebendieser Aspekt absoluter Künstlichkeit und ›Unnatürlichkeit‹, der den Film zu einem campen Meisterwerk macht.63 Beim Betrachten von Pink Narcissus fühlt man sich daher nicht von ungefähr an den großen Ästheten und Dandy Jean Floressas Des Esseintes aus Joris-Karl Huysmans’ Roman Gegen den Strich (zuerst 1884) erinnert, jene fiktive Figur, die in ihrem eifrigen Bestreben, eine artifizielle und dem puren Ästhetizismus unterworfene Welt zu kreieren, zum Inbegriff der Décadence wurde. Des Esseintes’ Ambition »die Wirklichkeit durch den Traum von der Wirklichkeit zu ersetzen« beschreibt ebenso treffend Bidgoods weltentrücktes Werk.64 Der Film beginnt mit einer Kamerafahrt über eine arkadische, aber nur scheinbar friedvolle Nachtlandschaft, in der eine im Pflanzendickicht verborgene Spinne auf einen frisch geschlüpften Schmetterling mit gelben Flügeln lauert. Diese Rahmenerzählung – der Film kehrt am Ende wieder zu dieser Szene zurück – parallelisiert die Haupthandlung, die einem jungen männlichen Sexarbeiter (Kendall) folgt, der sich gleichermaßen narzisstischen wie erotischen Phantasien hingibt, während er in einem Hotelzimmer auf den nächsten Freier wartet. Die vorgeblich idyllische Anfangs- bzw. Endsequenz spiegelt diese Narration in einer verkürzten Allegorie: Der Schmetterling – ein Symbol für jugendliche Schönheit und Unschuld – läuft Gefahr, sich im Netz der Spinne zu verfangen – eine Anspielung auf die sexuellen und finanziellen Versuchungen, die eigene Jugend nicht nur zu gebrauchen, sondern zu verbrauchen.65 Genauso wie der Narziss-Mythos warnt also auch diese Adaption vor den Abgründen des Begehrens. Das Besondere an Bidgoods Version ist neben der ästhetischen Komponente vor allem die instabile Erzählstruktur, die beständig zwischen verschiedenen Ebenen wechselt: Realität, Traum und Erinnerung verwebt der Filmemacher mittels Parallelmontage und der Übereinanderlagerung von Szenen zu einem visuellen Palimpsest. So etwa inszeniert er die erste Traumszene, in welcher sich der titelgebende Pink Narcissus vor mehreren Spiegeln als umjubelter Torero imaginiert (Abb. 14.2), zugleich als Erinnerung an eine sexuelle Begegnung zwischen dem Protagonisten und einem ganz in Leder gekleideten Mann auf einer öffentlichten Toilette – die im schwulen Jargon auch als Klappen bezeichneten Örtlichkeiten waren/sind beliebte Cruising-Orte.66 In rasantem Wechsel springt der Film zwischen diesen beiden Ebenen hin und her, ehe er die Grenze zwischen Vergangenheit und Einbildung verwischt: Plötzlich taucht der Lederkerl in der Rolle des Stiers in der Arena auf und stürmt wie wild auf den kokettierenden Torero zu. Dieser ›Stierkampf‹ wird durch den Einsatz der Parallelmontage mit dem Ringen um die sexuelle Position auf der Toilette verbunden. Der Triumph der Hauptfigur ›zwingt‹ den 63 64 65 66
Vgl. Sontag 2008, S. 53; vgl. zudem Gefter, Philip: Off to Camp. The Photographs of James Bidgood, in: Aperture, Nr. 191 (Sommer 2008), S. 62–65; hier: S. 62. Huysmans, Joris-Karl: Gegen den Strich. Übers. von Brigitta Restorff, München 2011, S. 33. Vgl. hierzu Benderson 1999, S. 163. Vgl. ebd., S. 164f; siehe Pink Narcissus. Regie: James Bidgood. DVD. Salzgeber 2006, TC: 00:04:2500:14:00; zu Cruising-Orten siehe Kapitel III.3.4; vgl. zudem Bochow, Michael: Klappen: Kommerzfreie Szeneparadiese oder Zuflucht der verklemmten gewöhnlichen Homosexuellen? Laud Humphreys revisited, in: Küppers, Carolin; Schneider, Martin (Hg.): Orte der Begegnung – Orte des Widerstands. Zur Geschichte homosexueller, trans*-geschlechtlicher und queerer Räume, Hamburg 2018, S. 65–87.
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Lederkerl sprichwörtlich in die Knie und zur Fellatio. Sowohl der szenische als auch der sexuelle Höhepunkt kulminieren in einer milchartigen Flutwelle – eine recht eindeutige Metapher für das Ejakulat –, die den Unterlegenen umspült und letztlich allein (und unbefriedigt) auf dem Toilettenboden zurücklässt. Dieser Akt narzisstischer Selbstbespiegelung und Lustgewinnung wie auch die Dynamik zwischen Über- und Unterlegenem bzw. ›Meister‹ und ›Sklave‹ durchzieht auch alle weiteren Phantasien: Mal schlüpft Bidgoods Narziss in die Rolle eines despotischen Kaisers, eines Sklaven oder eines Sultans, immer aber stehen er und sein Begehren im Zentrum der Narration. Am eindringlichsten eröffnet sich das thematische Konzept von Pink Narcissus allerdings in einer über den gesamten Film verteilten Sequenz, die den Schönling in die anfängliche arkadische Landschaft versetzt: Nackt auf einer Wiese liegend fängt der schmollmündige Jüngling den gelben Schmetterling vom Beginn des Films ein und platziert ihn sanft auf seinem Genital (Abb. 14.3).67 Erregt vom Flügelschlag zerdrückt er den Schmetterling, bis nur noch eine milchige Substanz – sein Ejakulat bzw. sein Begehren – übrig ist. Auch dieser Narziss kann seinem Verlangen nicht entrinnen. Bruce Benderson schreibt dazu in der bisher einzigen Monographie zu Bidgood: »The symbolic narrative of Pink Narcissus is, in part, puritanical. It warns of the pitfalls of desire and shows how an appetite for beauty and pleasure can become corrupting.«68 Wenn der Film jedoch mit der Aufnahme einer noch ungeschlüpften Schmetterlingspuppe endet, dann äußert sich darin ein durchaus versöhnlicher Ton.69 Gefangen in einem ewigen Kreislauf von Eros und Thanatos folgt Bidgoods Narziss letzten Endes nur seiner ›naturgegebenen‹ Bestimmung. Obschon dieser Narziss die Last all seiner Vorgänger trägt – das unausweichliche Schicksal am eigenen Begehren zu scheitern –, ironisiert Bidgood diese laut Benderson ›puritanische‹ Moral, indem er sie als erotisches Lustspiel inszeniert, ohne dabei jedoch die Melancholie unerfüllbaren Verlangens zu unterschlagen.70 Pink Narcissus ist eine thematische wie auch visuelle Neuinterpretation der Narzissfigur. Auf visueller Ebene übersetzt Bidgood eine u.a. von George Quaintance (Abb. 15) bereits in der Malerei etablierte Ästhetik betonter Homoerotik und Künstlichkeit in das Medium der Fotografie sowie des Films. Für beide Künstler gilt: Gerade durch die Hervorhebung des Artifiziellen sowie durch die Überinszenierung ihrer Bilder gelang es ih-
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Siehe Pink Narcissus. Regie: James Bidgood. DVD. Salzgeber 2006, TC: 00:27:30. Benderson 1999, S. 76 (aus dem englischen Originaltext zitiert). Benderson: »However, it also accepts the cyclical process of nature as inescapable, and, in that sense the film is pagan. It sees sexual desire – including homosexual desire, as a part of nature’s workings.« (Ebd. (aus dem englischen Originaltext zitiert)). Eros und Thanatos beziehen sich auf die antike und u.a. von Freud (wieder-)thematisierte Dialektik des Liebes- (Eros) und Zerstörungstriebes (Thanatos), zwischen denen die menschliche Existenz angeblich changiere. Vgl. Freud, Sigmund: Jenseits des Lustprinzips, in: Mitscherlich, Alexander et al. (Hg.): Studienausgabe, Band III: Psychologie des Unbewußten. Frankfurt a.M. 1975 (zuerst 1920), S. 213–272.
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nen, ihrem gleichgeschlechtlichen Begehren unter dem Deckmantel des ›Kunstwollens‹71 Ausdruck zu verleihen.72 Auf thematischer Ebene orientiert sich der Film zwar grob am antiken Mythos, doch nutzt er diesen vielmehr, um ein ganzes Spektrum an verschiedenen lustvollen Identitäten durchzuspielen. Das Spiegelmotiv wird dabei immer wieder als transitorisches Element eingesetzt: Der Blick in den Spiegel zu Beginn des Films markiert zugleich den Übertritt in die Phantasiewelt sowie in die Vergangenheit des Protagonisten. Diese Rolle des Spiegels als ›Portal‹ in das eigene (Unter-)Bewusstsein, wie sie im Narziss-Mythos implizit bereits von Anbeginn enthalten ist, erfährt im Kontext queeren Begehrens eine zunehmende Verselbstständigung. Das von der konkreten Figur des Narziss losgelöste, aber dennoch thematisch verbundene Spiegelmotiv steht etwa im Fokus der Arbeiten von Konstantin Somow und Peter Lyssiotis. Der in Sankt Petersburg geborene und u.a. in Paris ausgebildete Künstler Konstantin Andrejewitsch Somow (1869–1939) war ein von den Kritiker_Innen gepriesener Designer, Illustrator und Portraitmaler, der maßgeblich an der Entstehung des losen Künstler_Innenkollektivs Mir Iskusstwa (Welt der Kunst) sowie der gleichnamigen Zeitschrift beteiligt war, die von 1898 bis 1904 erschien.73 Stilistisch und inhaltlich vertrat Mir Iskusstwa hauptsächlich ästhetische Positionen des Symbolismus und des Jugendstils, wobei aufgrund der Vielfältigkeit der Mitglieder kein durchgehend einheitlich stilistisches Profil festzustellen ist.74 Ein gemeinsames Interesse vieler Mitglieder galt vergangenen Epochen. Auch Somows Werk bietet zahlreiche retrospektive Momente, die vor allem das alte Versailles heraufbeschwören.75 Somows Vorliebe für rokokoartige Sujets wie etwa seine an die Commedia dell’arte angelehnten Harlekinsbilder fanden im vor- und postrevolutionären Russland jedoch immer weniger Anklang, weshalb er 1923 seine Heimat verließ und fortan in Paris lebte.76 In ihrer betonten Inszeniertheit, Stilisierung und Weltfremdheit spiegelt die Harlekinserie77 nicht nur Somows lebenslanges Festhalten an den Prinzipien des Ästhetizismus wider, sondern auch seinen Hang zu campen Darstellungsstrategien. Neben seinen Portraits und ›Historienphantasien‹ fertigte der Künstler auch eine Reihe von homoerotischen Akten an, wie etwa Der Boxer von 1933 und Nackte im Spiegel 71
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Der Begriff des ›Kunstwollens‹ geht auf den deutschen Archäologen Heinrich Brunn (1822–1894) sowie den österreichischen Kunsthistoriker Alois Riegl (1858–1905) zurück. Riegl schreibt dazu: »Alles Wollen des Menschen ist auf die befriedigende Gestaltung seines Verhältnisses zu der Welt (im umfassendsten Sinne des Wortes, inner- und außerhalb des Menschen) gerichtet. Das bildende Kunstwollen regelt das Verhältnis des Menschen zur sinnlich wahrnehmbaren Erscheinung der Dinge« (Riegl, Alois: Die spätrömische Kunst-Industrie. Paderborn 2013 (zuerst 1901), S. 215). »Bidgood«, so Philip Gefter, »found a way to give artistic expression to his homosexuality by cloaking it in the artifice of the stage, imbuing it with starry-eyed, Technicolor modernity, and portraying it in the context of an interpretive fairy-tale mythology. With this recipe, the homoerotic was hidden in plain sight. Now, how campy is that?« (Gefter 2008, S. 64). Bowlt, John E.: The Silver Age: Russian Art of the Early Twentieth Century and the »World of Art« Group. Newtonville (Mass.) 1979, S. 201 und S. 47ff. Vgl. ebd., S. 48. Vgl. ebd., S. 76. Vgl. ebd., S. 204. Das letzte Bild der Serie entstand 1935.
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vor offenem Fenster von 1934 (siehe Abb. 16). In beiden Bildern bringt Somow einen Spiegel zum Einsatz. Während er diesen in Der Boxer jedoch in den Hintergrund rückt, verleiht er ihm in Nackte im Spiegel kompositorisch und inhaltlich eine wesentlich zentralere Stellung: Vor einem halb geöffneten Fenster, das den Blick auf eine urbane Häuserlandschaft freigibt – vermutlich Paris –, steht ein aus dunklem Holz gefertigter Spiegeltisch, dessen Reflexion zwei nackte Männer zeigt, die nebeneinander in einem Bett schlafen. Das Genital des den Betrachter_Innen zugewandten Schlafenden wird von einer leeren Weinflasche verdeckt, die zusammen mit zwei halbvollen Gläsern sowie einer offenen Zigarettenpackung vor dem Spiegel angeordnet ist. Der zweite Mann wendet sich dementgegen ab und wird nur als abgewandte Rückenansicht gezeigt. Das strategisch platzierte Kissen, das den Hintern des Mannes verdeckt, akzentuiert ebenso wie die Weinflasche die sexuelle Natur der Szene und darf als kodierte Anspielung auf die Rollenverteilung verstanden werden – die phallische Weinflasche für den aktiven und das weiche Kissen für den passiven Part. Linker- und rechterhand des Spiegeltisches sind unachtsam hingeworfene Kleidungsstücke – eine beige karierte Schiebermütze, ein blaues Hemd sowie eine rote Krawatte – zu erkennen. Auch wenn das Bild kaum Zweifel daran lässt, dass es sich hier um eine postkoitale Szene zweier Männer handelt, wird diese Auslegung nochmals durch die rote Krawatte betont, da diese in urbanen Zentren wie Somows Heimatstadt Sankt Petersburg, aber auch Paris als visuelles Merkmal für gleichgeschlechtlich interessierte Männer bzw. männliche Sexarbeiter galt.78 Entscheidend ist in dieser Aquarellarbeit vorrangig die exponierte Rolle des Spiegels, der als eine Art Bild im Bild inszeniert wird. Das Substrat des Narziss-Mythos – die Spiegelung des narzisstischen Verlangens – verwandelt Somow in Nackte im Spiegel zum Substrat männlich-männlichen Begehrens: Sieht und begehrt Narziss sein eigenes Spiegelbild, so sieht und begehrt das Publikum bzw. der Künstler dieser Arbeit das in der Reflexion wiedergegebene Männerpaar. Dass es sich bei diesem Werk tatsächlich um eine Selbstbespiegelung von Somows eigenem gleichgeschlechtlichen Verlangen handelt, wie es die bemerkenswerte Bildkomposition suggeriert, erscheint ob der zahlreichen Verweise auf seine Homosexualität naheliegend.79 Ein vergleichbares Spiel mit Begehren, Spiegelung und Betrachtungsstandpunkt betreibt auch der in Australien lebende Künstler Peter Lyssiotis in einer fotografischen Collage aus dem Werkzyklus The Harmed Circle (1992), die bezeichnenderweise auch den Titel
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Vgl. Healey, Dan: Homosexual Desire in Revolutionary Russia. The Regulation of Sexual and Gender Dissent, Chicago und London 2001, S. 40; Healey macht zudem darauf aufmerksam, dass Somow seinen Freund, den Schriftsteller und Komponisten Michail Kuzmin, mit einer leuchtend roten Krawatte portraitiert hat. Sowohl Somow als auch Kuzmin werden in der Literatur einhellig als homosexuell bezeichnet, und somit gewinnt diese Farbkodierung weiter an Validierung. Dass die rote Krawatte als Symbol für gleichgeschlechtliche Sexualität nicht nur auf Russland beschränkt ist, belegt Healey überdies mit einem Verweis auf Thomas Manns Tod in Venedig, in welchem der Protagonist Gustav von Aschenbach einem alternden Schwulen mit roter Krawatte begegnet und später dann selber ein derartiges Accessoire trägt. Vgl. ebd.; sowie Mann, Thomas: Der Tod in Venedig. Frankfurt a.M. 2003, S. 34 und S. 131. Vgl. Bowlt 1979, S. 203 und S. 212; vgl. zudem Healey 2001, S. 40.
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von Halperins Buch How to do the History of Homosexuality ziert (Abb. 17).80 Für den 1949 auf Zypern geborenen und 1954 nach Australien emigrierten Künstler ist der Einsatz antiker Elemente, wie z.B. in der hier gezeigten Arbeit, fester Bestandteil seines künstlerischen Œuvres. Fred Freiberg verknüpft diese ästhetische Herangehensweise mit dem Umstand, das Lyssiotis in Australien Teil einer griechischen Diaspora ist, welche sich an die eigene Geschichte ›klammere‹.81 Jenseits dieser stark biographisch ausgerichteten Interpretation lohnt sich jedoch insbesondere im Kontext des Narziss-Mythos und queeren Begehrens eine genauere Analyse des ausgewählten Bildes. Die unbetitelte Collage setzt sich aus drei Bildschichten bzw. -ebenen zusammen: In der Vordersten ist rechterhand ein in ein weißes Hemd gekleideter Mann von hinten zu erkennen. Die mittlere Ebene verrät den Betrachtenden mit den am unteren Rand angeschnittenen Fliesen sowie dem am oberen Bildrand befindlichen Spiegel, dass es sich bei dem dargestellten Raum um eine Toilette handeln muss. Unter Berücksichtigung der Pose des vorderen Mannes darf vermutet werden, dass dieser möglicherweise vor einem Pissoir steht. Die dritte und hinterste Bildebene eröffnet sich durch den Blick in den Spiegel, der zum einen die Reflexion des davorstehenden Mannes als antike Büste zeigt und zum anderen die Präsenz eines weiteren Mannes im (Bild-)Raum enthüllt. Verbunden werden die drei Ebenen im Bild selbst durch das Zusammenspiel verschiedener Blickachsen: Sowohl der antike Statuenkopf als auch der stille Beobachter im Hintergrund scheinen ihre ›Augen‹ auf den vorderen Mann zu richten, dessen Blickrichtung wegen des im Schatten liegenden Gesichts aber nicht klar zu erkennen ist. Entweder blickt er an sich selbst herunter, oder er sieht verstohlen von unten herauf in den Spiegel. In jedem Fall orchestriert Lyssiotis eine Szene, in der er Begehren, Identität sowie Selbst- und Fremdwahrnehmung zu einem komplexen Geflecht verwebt. Fast möchte man beim Anblick des Bildes meinen, eine Visualisierung von Sartres berühmter Abhandlung zur Macht des Blicks in Das Sein und das Nichts (zuerst 1943) vor sich zu haben: »Der Andere verleiht bei seinem Auftauchen dem Für-sich ein An-sichinmitten-der-Welt-Sein wie eine Sache unter Sachen. Diese Versteinerung des Für-sich durch den Blick des Anderen ist der tiefere Sinn des Mythos von Medusa.«82 Beim Betrachten von Lyssiotis’ Arbeit stellt sich die Frage, wessen Blick im Spiegel reflektiert wird: Ist es der Blick des hinteren Mannes, in dessen Augen der Andere zum zwar begehrenswerten, aber auch versteinerten – sprich verdinglichten – Objekt wird? Oder
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Das Künstlerbuch The Harmed Circle war laut meiner Korrespondenz mit Lyssiotis als Tribut an einen an AIDS erkrankten Freund gedacht. Die hier ausgewählte Arbeit wurde weder darin noch in dem nachfolgenden Künstlerbuch From the Secret Life of Statues (1995) veröffentlicht. Erst 2002 fand die Arbeit als Titelbild von Halperins How to do the History of Homosexuality ihren Weg an die Öffentlichkeit. Freiberg schreibt: »Lyssiotis’s recurrent use of archaic and classical Greek statues and temple ruins may have been inspired by the poetry of [George] Seferis but can also be related to the propensity of the Greek diaspora to cling to a mythical past. […] Lyssiotis’s images of contemporary man shadowed or mirrored by a classical male statue show that he understands this process intellectually but also understands and remains susceptible to seduction.« (Freiberg, Fred: Peter Lyssiotis: At the cutting edge of Australian photography, in: Eyeline. Nr. 47, 1991, S. 17–21; hier: S. 20). Sartre 1974, S. 548.
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handelt es sich um einen Moment der narzisstischen Selbstbespiegelung und Verherrlichung, in dem sich der vordere Mann selbst als antikes Ideal erblickt? Ob Lyssiotis nun eine Cruising-Szene, einen urbanen Narziss, oder sogar beides imaginiert hat, verbleibt hinsichtlich der obskuren Blickachsen unklar. Es ist diese Ambivalenz, die beide Lesarten gleichermaßen legitimiert und das Werk so spannend macht. Die unbestreitbare Vermischung eines genuin schwulen Topos – die Toilette als Cruising-Szenario – mit ikonographischen Elementen der Antike – der Statuenkopf sowie die Narziss-Anleihen – dürfte Halperin dazu bewegt haben, dieses Werk zum Titelbild seiner Auseinandersetzung über die Differenzen und Parallelen antiker und moderner Konzeptionen von gleichgeschlechtlicher Sexualität zu machen. In allen hier ausgewählten Werkbeispielen des 20. und 21. Jahrhunderts verdeutlich sich der konstante Prozess einer künstlerischen ›Selbstbespiegelung‹ queerer Künstler_Innen anhand der Narziss-Figur. Die daraus resultierenden Arbeiten sind ebenso ambivalent wie der mythische Patron selbst und verorten homosexuelles Begehren zwischen unterschiedlichen Dualitäten wie etwa Eros und Thanatos. Neben dem offensichtlichen Anreiz eines schönen Jünglings ist es hauptsächlich die Thematik einer ›Begehrenserkenntnis‹, welche die Attraktivität des Motivs für ein homosexuelles bzw. queeres Publikum erklärt.
III.1.2 Ambivalente Körper: Von Epheben, ›Hermaphroditen‹ und Herkulessen Anhand der aufgeführten vielfältigen visuellen Interpretationen des Narziss dürfte schon deutlich geworden sein, wie komplex sich die Betrachtung einer queeren bzw. männlich-männlichen Bildtradition gestaltet. Die Figur des Narziss ist jedoch gerade wegen ihrer intrinsischen Verflechtung mit den Themen der Selbst- und Fremdwahrnehmung dafür prädestiniert, am Anfang dieser Arbeit zu stehen. Darüber hinaus gehört sie zu einem Figurenkanon der griechischen Mythologie und Geschichte, in dem körperliche sowie geschlechtliche Ambivalenz essenzielle inszenatorische Momente darstellen. Im ephebischen Narziss der Antike manifestiert sich das bereits im Grundlagen- und Methodikkapitel angesprochene Ein-Geschlecht-Modell: Von einem einheitlichen ›biologischen‹ Geschlecht ausgehend wird das Verhältnis von Weiblichkeit und Männlichkeit als vertikaler Entwicklungsstrahl gedacht, an dessen Spitze idealisierte Männlichkeit steht.83 Dies bedeutet zum einen, dass dieses Modell geschlechtliche Zwischenstufen mit einschließt und zum anderen, dass jeder Mann seine Geschlechtsidentität beständig verteidigen und erhalten muss. Dem Jüngling bzw. Epheben fällt in diesem Modell eine Sonderstellung zu, da er als zwischen den Geschlechterpolen befindlich verstanden wird, was sich auch in seiner Inszenierung widerspiegelt. Am Beispiel des Narziss wird diese ambivalente Geschlechtlichkeit etwa durch eine betont zierlich-ephebische Körperlichkeit unterstrichen, wie sie anhand des antiken Bildbeispiels (Abb. 8) oder der Skulptur Cellinis (Abb. 9.1) zu erkennen ist. Der Aspekt ambivalenter Geschlechtlichkeit wird hier mit einer ebenso ambivalenten Körperlichkeit verknüpft. Diese für eine queere Bildtradition zentrale Inszenierungsstrategie ist nicht nur auf
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Siehe hierzu Kapitel II.3.1.
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Epheben begrenzt, sondern eröffnet vielmehr ein breites Spektrum an visuellen Möglichkeiten, gleichgeschlechtliches Begehren zu evozieren. Insbesondere im Hinblick auf die Ausbreitung des Zwei-Geschlechter-Modells ab dem 18. Jahrhundert, das von einer biologistisch begründeten Grundverschiedenheit zwischen Mann und Frau ausgeht, erweist sich das Spiel mit geschlechtlicher und körperlicher Ambiguität als ebenso probates wie langlebiges Mittel zur Darstellung ›nicht-normativer‹ Bildinhalte. Der Fokus richtet sich im Folgenden demnach auf Figuren, deren körperliche Inszenierung mit den kulturell etablierten Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit spielen.84 Nach dem selbstverliebten Schönling am Wasserquell soll sich unsere Aufmerksamkeit zuerst auf den nicht minder begehrten Endymion richten, einen Hirten bzw. Jäger, der, in ewigem Schlaf versunken, allnächtlich von der Mondgöttin Selene bzw. Diana85 besucht und bewundert wird. Es existieren verschiedene Überlieferungen des Mythos, die sich vornehmlich in der Begründung für den Schlafzustand unterscheiden: In einer Version heißt es, Zeus habe Endymion verflucht, in einer anderen, dass Endymion sich ewige Jugend ersehne und diese »um den Preis des immerwährenden Schlafes erhält.«86 Folgt man der letztgenannten Variante, so offenbart sich eine von vielen Parallelen zum Narziss-Mythos: Beide Jünglinge geben ihre vita activa auf, um sich völlig dem Begehren nach ihrer eigenen Schönheit hinzugeben. In einem dem schlafenden Epheben gewidmeten Gedicht enthüllt Wilde die Konsequenz einer solchen Handlung: »Why spread that silver pavilion,/Why wear that veil of drifting mist?/Ah! thou hast young Endymion,/Thou hast the lips that should be kissed!«87 Das lyrische Ich, dessen Identität (und Geschlecht) ungeklärt bleibt, macht den Schlafenden zum Gegenstand seines Begehrens und reduziert Endymion damit auf die Rolle eines männlichen Dornröschens – Sinnbild absoluter Passivität. Wie auch Narziss wird er zur Verkörperung eines Schwebezustands zwischen Leben und Tod, was ihn ebenfalls zu einem beliebten Grabmotiv macht. So sind
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In Anbindung an Narziss soll dies zunächst an zwei weiteren Epheben der Antike erläutert werden: Endymion und Antinoos. Anhand ihrer Ikonographien soll deutlich werden, wie männliche Körper durch Rückgriffe auf weiblich konnotierte Elemente sowohl erotisiert als auch objektiviert werden. Entgegen der androgynen Ästhetik der Epheben, die nach der neoklassizistischen Antikenrezeption Johann Joachim Winckelmanns mit ihren »zweideutig [männlich und weiblich] beschriebenen Körperformen« als »Verkörperung des griechischen Idealschönen« galten, soll der Aspekt körperliche Ambivalenz anschließend noch mit drei weiteren Beispielen – Hermaphroditos, Dionysos und Herakles – erweitert werden (Fend 2003, S. 8; vgl. auch Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Hg. von Wilhelm Senff, Weimar 1964). Bei diesen Figuren geht es weniger um ein subtiles Spiel mit geschlechtlichen Merkmalen als um deren bewusste Überspitzung bzw. Kontrastierung. Aufbauend auf den daraus gewonnenen Kenntnissen soll das Motiv ambivalenter Körperlichkeit anhand weiterer Beispiele von Wilhelm von Gloeden (Abb. 30), Elisàr von Kupffer (Abb. 31), George Platt Lynes (Abb. 32) und einer Kollaboration von Cassils mit Robin Black (Abb. 33) bis ins 21. Jahrhundert verfolgt werden. Selene wurde später mit Artemis und Diana gleichgesetzt. Im Folgenden wird sie als Diana bezeichnet. Fend 1997, S. 101f; für einen Überblick über die unterschiedlichen Versionen des Endymion-Mythos verweist Fend auf Levitine, Georges: Girodet-Trioson. An Iconographical Study. New York 1978; sowie Davis, Whitney: The Renunciation of Reaction in Girodet’s Sleep of Endymion. In: Bryson, Norman; Holly, Michael Ann; Moxey, Keith (Hg.): Visual Culture. Middletown 1994b, S. 168–201. Wilde, Oscar: Endymion. In: Complete Works of Oscar Wilde. London and Glasgow 1969, S. 750f.
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etwa antike Sarkophage erhalten, auf denen das Motiv des ewigen Jünglings dargestellt ist (Abb. 18). Auf dem ausgewählten Beispiel ist linkerhand die Mondgöttin zu erkennen, die sich, geleitet von einem Zug fackeltragender Amoretten, dem am Boden liegenden Endymion nähert. Die Körperhaltung des Schlafenden – er stützt seinen zurückgelegten Kopf mit dem angewinkelten Arm – ist ein wichtiges ikonographisches Merkmal.88 Anne-Louis Girodet hält sich bei seiner Umsetzung des Stoffes gleichermaßen an die tradierte Ikonographie und präsentiert den Betrachter_Innen in seinem Gemälde Der Schlaf des Endymion (1791) einen vom Mondlicht bestrahlten nackten Jüngling, der schlafend gegen einen Felsen lehnt (Abb. 19). Ein knabenhafter Zephyr – erkennbar an seinen Schmetterlingsflügeln – hält das ringsherum wachsende Geäst zur Seite, so dass sich das Mondlicht auf den schutzlos nackten Körper ergießen kann. Entgegen der gängigen Konvention ist Diana in dieser Interpretation körperlich nicht anwesend, sondern wird durch den Mondstrahl substituiert. Anstelle des sehnsüchtigen Blicks der Mondgöttin setzt Girodet eine rein männliche Blickbeziehung ins Bildzentrum, indem er das Figurenpersonal auf den lächelnden Windgott Zephyr sowie den schlafenden Endymion reduziert.89 Den durch das Weglassen Dianas verursachten ikonographischen Bruch erklärt sich Fend mit den Anforderungen und Gegebenheiten der Académie Royale de Paris: So steht der männliche Akt einerseits im Zentrum der akademischen Ausbildung – Girodet fertigt den Schlaf des Endymion noch während seiner Studienzeit an –, und andererseits kann »das Ersetzen Dianas durch einen Mondstrahl […] auf einer institutionellen Ebene als Ausschluß weiblichen Begehrens, als Ausschluß einer weiblichen Sicht auf den männlichen und idealen Körper betrachtet werden«.90 Fend stützt sich in ihrer Argumentation auf Sedgwicks Theorie homosozialer Beziehungen unter Männern, die zwar keine Homosexualität beinhalten müssen und oftmals sogar äußerst homophob sind, durchaus aber männlich-männliche Begehrensstrukturen enthalten können.91 Ungeachtet des spezifischen Entstehungskontextes und Gerüchten über Girodets eigene Sexualität gehört sein Endymion zu den einflussreichsten und erotischsten Umsetzungen dieses Themas.92 Die Inszenierung des porzellanartigen, androgynen Aktes inmitten der Natur greift auf eine Ikonographie zurück, die in der europäischen Malerei ab dem 17. Jahrhundert fast ausschließlich der Darstellung von Frauen vorbehalten ist. Auch das am Boden ausgebreitete Pantherfell, das als dionysisches Symbol unweigerlich mit kulturell als weib-
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Wie bei Cellinis Narziss festgestellt wurde, gilt diese Haltung als antike Geste des Schlafes und des Unbewussten. Die Einbeziehung des Windgottes, der u.a. für seine eifersüchtige Liebe zu dem auch von Apoll begehrten Jüngling Hyacinth bekannt ist, kann als künstlerische Freiheit verbucht werden. Eine Darstellung des Hyacinth-Mythos mit Verweis auf den eifersüchtigen Zephyr findet sich u.a. bei Philostratos der Ältere: Die Bilder. Hg., übers. und erläutert von Otto Schönberger, Würzburg 2004, Hyakinthos I, 24 (S. 149f); laut Davis war es eine bewusste Entscheidung des Künstlers, die eigentlich mit diesem Mythos verbundene Gestalt des Eros in die des personifizierten Windes umzuwandeln; Girodet folgt hier zeitgenössischen Umsetzungen des Themas. Vgl. Davis 1994b, S. 181. Fend 1997, S. 103f. Vgl. hierzu Sedgwick 1985. Vgl. Reed 2011, S. 64.
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lich kodierter erotischer Lust verbunden ist, dient dazu, die geschlechtliche Ambivalenz des passiven Epheben zu unterstreichen und ihn als Objekt der Begierde kenntlich zu machen.93 Fend verweist ferner auf die Nähe zu Darstellungen schlafender Nymphen bzw. Bacchantinnen.94 Im Gegenzug dazu tritt die eigentlich weibliche Gestalt des Mythos als phallischer Mondstrahl in Erscheinung, der die Körpergrenze Endymions scheinbar durchdringt.95 Die geschlechtliche Ambivalenz Endymions wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass der Maler sich mit der glatten und fließenden Körperlichkeit wie auch der lockigen Haarpracht des schlafenden Hirten an der von Johann Joachim Winckelmann als schönstes Kunstwerk des Altertums gerühmten Skulptur des Apollo Belvedere (Abb. 20) orientiert. Wie sich aus den überlieferten Schriften Girodets entnehmen lässt, war er mit dem Werk Winckelmanns bestens vertraut und übernahm teilweise wortwörtlich dessen höchst erotisierte Beschreibungen.96 Insbesondere Winckelmanns episch-erotische Auseinandersetzung mit dem Apoll von Belvedere in seiner zweibändigen Abhandlung über die Geschichte der Kunst des Alterthums (zuerst 1764), die zu den eindrücklichsten literarischen Belegen männlich-männlichen Begehrens gehört, scheint Girodet nachhaltig beeindruckt zu haben. Darin umschreibt er die Statue als ambiges Amalgam aus den Schönheiten aller olympischen Gottheiten: »[D]ie einzelnen Schönheiten der übrigen Götter treten hier wie bei der Pandora in Gemeinschaft zusammen. Eine Stirn des Jupiter, die mit der Göttin der Weisheit schwanger ist, und Augenbrauen, die durch ihr Winken ihren Willen erklären: Augen der Königin der Göttinnen mit Großheit gewölbt ein Mund, welcher denjenigen bildet, der dem geliebten Branchus die Wollüste einflößt.«97 Im Bemühen, die Anmut der Skulptur in Worte zu fassen, teilt Winckelmann »die Inkarnation der Schönheit in Partialobjekte« auf und verwischt dabei die Geschlechter- und
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Vgl. Fend 1997, S. 112f und S. 116. Ebd., S. 113f. Vgl. Davis 1994, S. 181. Vgl. Fend 1997, S. 116f. Winckelmann 1964, S. 309f; Abigail Solomon-Godeau schreibt: »Winckelmanns hymnische Beschreibung des Apollo Belvedere oder seine Reaktion auf den Antinous zu lesen und kein erotisches Interesse zu erkennen, könnte, wie mir schien, nur eine Folge willentlicher Blindheit sein.« (Solomon-Godeau, Abigail: Ist Endymion schwul? Spannungsgeladene Fragen zwischen Feminismus, Gay und Queer Studies, in: Fend, Mechthild; Koos, Marianne (Hg.): Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierung in der Kunst seit der Frühen Neuzeit, Köln et al. 2004, S. 15–35; hier: S. 17).
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Körpergrenzen.98 Ebendiese Verschmelzung von maskuliner und femininer Körperlichkeit zeichnet auch Girodets ambivalenten Endymion aus. Ein weiteres Beispiel für die von Winckelmann gepriesene Schönheit der Epheben findet sich in der historischen Figur des Antinoos, des Geliebten des von 117–138 n. Chr. regierenden Kaiser Hadrian. Nach dem frühen und tragischen Tod des Antinoos – er ertrank unter ungeklärten Umständen achtzehnjährig im Nil (130 n. Chr.) – erhob Hadrian ihn zur Gottheit und mythologisierte den Verstorbenen durch einen ausufernden Totenkult mit zahlreichen Denkmälern, Statuen und der Errichtung einer ihm geweihten Stadt (Antinoopolis).99 Trotz dieses sehr eindrücklichen Belegs für die emotionale Bande zwischen Hadrian und Antinoos herrschen aufgrund mangelhafter und uneindeutiger Indizien Zweifel an der Annahme, dass es sich bei den beiden um ein Paar im Sinne eines erastês und erômenos gehandelt habe. Der Historiker Christopher Jones bezeichnet Antinoos sogar als »complete blank«, also als Leerzeichen.100 Derartige Bedenken finden sich jedoch nicht in der ubiquitären Rezeption des Antinoos als Ikone männlichmännlichen Begehrens um 1900. So berichtet Otto Kiefer in der achten Ausgabe des von Hirschfeld herausgegebenen Jahrbuch[s] für sexuelle Zwischenstufen folgendes: »Kaum eine andere historische Gestalt des Altertums ist von so romantischem Zauber umflossen […] wie die des schönen Jünglings Antinous, des Lieblings von Kaiser Hadrian.«101 In Anbetracht der opulenten Trauer Hadrians und ungeachtet der schwierigen Dokumentenlage erscheint Kiefers Interpretation der Beziehung als Liebesverhältnis schlüssig und nachvollziehbar. Wie genau dieses Verhältnis ausgelebt wurde, verbleibt jedoch im Bereich der Spekulation. Die Beliebtheit und Relevanz von Antinoos und Hadrian in der Zeit um 1900 lässt sich auch auf das tragische Schicksal ihrer Beziehung zurückführen, da sich 98
Fend 2003, S. 32; in der hier angesprochenen Verbindung zwischen Winckelmann und Girodet verdeutlicht sich die Idee einer (selbst-)referenziellen queeren Bild- und Kunsttradition, wie sie auch Saslow vertritt. Er verweist dabei auf die sich entsprechenden Posen von Caravaggios Amor vincit omnia (1602) und Michelangelos Skulptur Der Sieger (um 1530). Wenngleich diese Nebeneinanderstellung durchaus gängig ist, so verbleibt Saslows gedankliche Weiterführung zumindest in ihrer Formulierung fraglich, da man weder die beiden Künstler noch ihr Werk als ›homosexuell‹ im modernen Sinne bezeichnen kann. Vgl. Saslow 1999, S. 116f; dem steht Solomon-Godeau entgegen, welche die Anwendung der Termini Gayness/Queerness im Kontext einer kunsthistorischen Betrachtung am Beispiel von Girodets Gemälde als anachronistisch zurückweist und sich auf den konstruktivistischen Ansatz Foucaults stützt. Vgl. Solomon-Godeau 2004, S. 31; dass Sexualität kein zeit- und kulturunabhängiges Kontinuum ist, wurde bereits im Theoriekapitel bekräftigt, nur gilt selbiges nicht für das gleichgeschlechtliche Begehren an sich. Obgleich die Bedenken bezüglich einer anachronistischen Rückprojektion moderner Begriffs- sowie Identitätskonzepte berechtigt sind, ändert dies nichts an der Legitimität, Girodets Endymion als Repräsentant einer im westlicheuropäischen Kontext marginalisierten und nur dem Jüngling bzw. Epheben vorbehaltenen ambivalenten Männlichkeit zu deuten – unabhängig davon, ob er nun ›schwul‹ ist oder nicht, wie es Solomon-Godeaus Titel impliziert. Insofern ist Girodets Gemälde, das einen jugendlichen Mann als Objekt der Begierde inszeniert, sehr wohl Teil einer Bildtradition, welche sich mit ambivalenter und damit im Kern nichtnormativer Geschlechtlichkeit und Begehrlichkeit auseinandersetzt. 99 Vgl. Jones, Christopher: New Heroes in Antiquity. From Achilles to Antinoos, Cambridge (Massachusetts) und London 2010, S. 81f. 100 Vgl. ebd., S. 82. 101 Kiefer, Otto: Hadrian und Antinous. In: Jahrbuch für Sexuelle Zwischenstufen Nr. 8 (1906), S. 563–582; hier: S. 567; zitiert nach: Keilson-Lauritz 1997, S. 27.
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zu Zeiten erhöhter Ahndung sexueller ›Transgressionen‹ viele Betroffene mit der »Unmöglichkeit« und dem »notwendig tragische[n] Ende solchen [männlich-männlichen] Begehrens« identifizieren konnten.102 Obwohl Antinoos ähnlich wie etwa Ganymed Teil einer päderastischen Beziehungskonstellation ist, wird er im Gegensatz zu diesem meistens außerhalb jedweden Beziehungskontextes dargestellt.103 Neben unzähligen ›einfachen‹ Portraitdarstellungen, die ein durchaus individuelles, aber auch idealisiertes Antlitz mit dem für Antinoos charakteristischen Schmollmund zeigen, existieren ebenso viele Kunstwerke, welche ihn in den Rollen verschiedener ägyptischer (siehe etwa die Marmorbüste Antinoos als Osiris im Louvre) sowie griechischer Götter zeigen (siehe Abb. 21.1).104 Die Apotheose des Jünglings offenbart sich am deutlichsten im zuletzt aufgeführten Werk: Eine Kolossalstatue von mehr als drei Metern Höhe, die sich vermutlich einst auf dem Anwesen Hadrians in der Nähe Tivolis befand.105 Der mit Weinreben verzierte Kranz, der das gelockte Haupt mit den langen in den Nacken und auf die Schultern fallenden Strähnen krönt, wie auch der in der linken Hand gehaltene thyrsôs, ein Stab, dessen Spitze in einem Pinienzapfen mündet, sind Attribute des Dionysos bzw. Bacchus und weisen Antinoos unmissverständlich als eine Personifikation des Weingottes aus.106 Dass der Ephebe ausgerechnet mit Dionysos in Verbindung gebracht wurde, lässt sich einerseits mit ihrem gleichartigen Jünglingsstatus erklären und andererseits auch als Hinweis auf die Natur der Beziehung zwischen Hadrian und Antinoos deuten, bedenkt man die geschlechtliche Ambivalenz des Gottes und dessen Assoziation mit sexueller Lust.107 Die zwischen männlich und weiblich schillernde Ambiguität des Kunstwerks beruht vornehmlich auf dem Kontrast zwischen dem Kopf und dem Körper der Statue: Die reichlich verzierte Haarpracht sowie das weiche, feminine Gesicht mit den für Antinoos so typischen sinnlichen, vollen Lippen stehen dem entblößten Oberkörper entgegen, unter dessen zwar weich und glatt inszenierter Oberfläche sich aber eine prononciert maskuline Statur und Muskulatur abzeichnet.
102 Keilson-Lauritz 1997, S. 27. 103 Eine der wenigen gemeinsamen Abbildungen findet sich in einem der später am Konstantinsbogen angebrachten hadrianischen Tondi: Hadrian und der links im Hintergrund in strenger Profilansicht abgebildete Antinoos verfolgen auf Pferden einen fliehenden Eber. Die Identifizierung des Reiters als Antinoos ist jedoch umstritten. Vgl. Meyer, Hugo: Antinoos. München 1991, S. 220f. 104 Vgl. Bober, Phyllis Pray; Rubinstein, Ruth (Hg.) : Renaissance Artists & Antique Sculpture. New York 1986, S. 158; die Identifizierung der Skulpturen als Antinoos erfolgt zumeist an den recht charakteristischen Gesichtszügen: fülliger Mund mit leicht vorspringender Oberlippe, sanft gekrümmter Nasenrücken, gelocktes Haar, zumeist melancholischer Blick etc.; für eine genaue Erläuterung siehe Meyer 1991. 105 Vgl. Meyer 1991, S. 88f. 106 Vgl. Saslow 1999, S. 45; Hugo Meyer macht überdies auf ein Loch oberhalb der Stirnmitte aufmerksam, welches im Zuge von Restaurierungsarbeiten durch den Bildhauer Giovanni Pierantoni verschlossen wurde und der Anbringung eines Schmucks diente, wie man ihn von ägyptischen Kronen kennt. Daraus schlussfolgert Meyer, dass es sich bei der Statue um die hybride Gestalt eines Dionysos-Osiris handelt, was wiederum für eine Verselbstständigung des Kultes um Antinoos und die Entwicklung einer eigenen, wenngleich eklektizistischen, Ikonographie spräche. Vgl. Meyer 1991, S. 89f. 107 Narziss wird etwa mit Apollo und Bacchus verglichen. Siehe Ovid 2003, hier: III, 420 (S. 153).
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Ein weiteres kunstvolles Werk aus dem Reigen der Antinoos-Darstellungen ist das in der Villa Albani (Rom) befindliche Relieffragment, welches ihn als blumenbekränzten Frühlingsgenius zeigt (Abb. 21.2). Diese Darstellung ist als Versinnbildlichung des Werdens und Vergehens in der Natur zu verstehen.108 Während der Kopf in strenger Profilansicht abgebildet wird, neigt sich der teilweise enthüllte Oberkörper den Betrachter_Innen in Dreiviertelansicht entgegen. Der rechte Arm dringt plastisch aus der Relieffläche hervor und in der linken Hand hält Antinoos eine Blumengirlande. Winckelmann feiert dieses Bildwerk als »die Ehre und die Krone der Kunst dieser sowohl als aller Zeiten« und lässt sich von Anton von Maron in einem exzentrischen Aufzug, bestehend aus Turban und pelzbesetztem Hausmantel, sogar damit portraitieren (Abb. 22).109 Das Gemälde zeigt den ›Begründer der Kunstgeschichte‹ an seinem Schreibtisch sitzend, umgeben von Verweisen auf seine Beschäftigung mit der Antike, wie etwa der im Hintergrund angeschnittenen Büste des Homer. Der vor ihm liegende Stich des Antinoos-Reliefs ist in unmittelbarer Nähe zur federführenden Hand positioniert und könnte als Antrieb für die schriftstellerische Tätigkeit Winckelmanns gedeutet werden. In jedem Fall ist die herausgestellte Rolle Antinoos’ in dem Portrait aber vor allem auch deshalb bemerkenswert, da sie die Vermutungen über das eigene gleichgeschlechtliche Begehren Winckelmanns befeuert.110 Die in dem Relief gezeigte Verschmelzung des Antinoos mit der Jahreszeit des Frühlings, die als Sinnbild seiner Jugend zu sehen ist, demonstriert nochmals die ambivalente Bedeutung der Epheben: Narziss, Endymion und auch Hadrians Geliebter verkörpern zwar die Schönheit und Erotik junger Männer, welche durch den gezielten Einsatz weiblich konnotierter Elemente hervorgehoben werden, doch zugleich gemahnen ihre Darstellungen an die Vergänglichkeit. Während die mythischen Jünglinge u.a. als Grabschmuck dienten, entwickelte sich die gesamte Bildtradition des Antinoos aus einem Nekrolog heraus. Darin offenbaren sich zwei wiederkehrende Aspekte in der Inszenierung männlich-männlichen Begehrens: geschlechtliche bzw. körperliche Ambivalenz einerseits und eine sich zwischen Eros und Thanatos bewegende Dialektik andererseits. Diese Facetten vereint die antike Figur des Epheben in sich, da sie stets als in statu nascendi verstanden wird; sie schwebt nicht nur zwischen den Geschlechterpolen, sondern aufgrund ihrer temporalen Limitation – die ›verblühende‹ Jugend – auch zwischen Leben und Tod. Es ist dieses Changieren zwischen unterschiedlichen Bedeutungssphären, welches den Epheben zu einem zutiefst queeren Bildmotiv macht. Vergleicht man die untersuchten Darstellungen, so sind die Parallelen zwischen dem von Winckelmann gepriesenen Antinoos-Relief und Girodets Gemälde kaum zu übersehen, 108 Vgl. Meyer 1991, S. 77. 109 Zitiert nach ebd., S. 77f; in Marons Gemälde wird das Antinoos-Relief in Form eines Stichs auf dem Schreibtisch Winckelmanns dargestellt. 110 Zu Winckelmanns ›Homosexualität‹ vgl. etwa Tobin, Robert Deam: Winckelmann – Homosexualität, schwule Kultur und Queer Theory, in: Disselkamp, Martin; Testa, Fausto (Hg.): WinckelmannHandbuch. Leben, Werk, Wirkung, Stuttgart 2017, S. 65–72; auch im 20. Jahrhundert taucht Antinoos im Zusammenhang mit homoerotischer Motivik auf, wie etwa 1987 in einer Fotografie von Robert Mapplethorpe. Siehe Kat. Ausst. Mapplethorpe, Louisiana Museum Humblebaek (Dänemark) sowie Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg 1992, Mailand 1992, S. 267.
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verkörpern doch beide Figuren das Ideal androgyner Schönheit. Mit dem Begriff ›androgyn‹ wird die in den Kunstwerken beobachtete Verunklärung der Geschlechter sogleich auch treffend beschrieben. Dazu erläutert Andrea Raehs in ihrem Buch Zur Ikonographie des Hermaphroditen (1990), dass sich der Terminus aus den griechischen Wörtern ›andros‹ und ›gyne‹ zusammensetzt und »die Einheit von Mann und Frau in einem Wesen« bezeichnet.111 Die Androgynie umschreibt einen abstrakten Gedanken, »eine gedachte Idealform des Urgottes«, welcher in der Figur des Hermaphroditos zunächst ihre visuell deutlichste Manifestation erfährt.112 Ebenso wie um viele andere Gestalten der antiken Mythologie ranken sich auch um Hermaphroditos die unterschiedlichsten Entstehungsgeschichten: Laut dem griechischen Geschichtsschreiber Diodorus Siculus wird die Zwischengeschlechtlichkeit des Hermaphroditos auf seine Eltern Hermes und Aphrodite zurückgeführt und somit als etwas Angeborenes verstanden.113 Bei Ovid hingegen ist Hermaphroditos zunächst ›nur‹ ein schöner Jüngling, der Opfer des unglückseligen Begehrens der Nymphe Salmacis wird.114 Nachdem die Avancen der Nymphe ohne Erfolg bleiben, richtet sie sich flehend an die olympischen Gottheiten, die dem Wunsch nach ewiger Vereinigung mit dem Geliebten stattgeben, indem sie die beiden zu einem Körper verschmelzen. Hier wird die Zwischengeschlechtlichkeit demnach als etwas ›Angeeignetes‹ dargestellt.115 Unabhängig davon, welcher Überlieferung man folgt, stellt Hermaphroditos eine emblematische Verkörperung des antiken Geschlechterverständnisses dar und reflektiert dessen graduellen Entwicklungsgedanken zwischen einer vermeintlich minderwertigen Weiblichkeit und einer idealisierten Männlichkeit.116
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Raehs, Andrea: Zur Ikonographie des Hermaphroditen. Begriff und Problem von Hermaphroditismus und Androgynie in der Kunst. Frankfurt a.M., Bern, New York und Paris 1990, S. 8; Stefanie Oehmke weist nochmals gesondert darauf hin, dass die Gleichstellung von Hermaphroditos mit dem Konzept der Androgynie durchaus problematisch ist, obgleich es bereits zur Zeit der Antike üblich war, diese Begriffe synonym zu verwenden. Für den vorliegenden Text gilt zumindest, dass mit Hermaphroditos nur die mythologische Gestalt gemeint ist. Vgl. hierzu Oehmke, Stefanie: Das Weib im Manne. Hermaphroditos in der griechisch-römischen Antike, Berlin 2004a, S. 9f. Ebd., S. 16. Vgl. Diodorus Siculus: Griechische Weltgeschichte. Hg. von Gerhard Wirth (Übersetzung) und Thomas Nothers (Kommentar), Stuttgart 1992, 4, 6, 5; zu Diodorus vgl. zudem Oehmke, Stefanie: Der Spiegel seiner Schönheit. Hermaphroditos als effeminierter Jüngling, in: Dorgerloh, Annette et al.: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, Mitteilungsorgan des Ulmer Vereins – Verband für Kunst- und Kulturwissenschaften e.V., 2/2004b, Jahrgang 32, Heft 2, S. 9–15; hier: S. 5f. Vgl. Ovid 2003, IV, 272ff (S. 195ff). Vgl. auch hierzu Oehmke 2004b, S. 5f. Oehmke erläutert dazu: »Hermaphroditos entsteht in einer sich der Instabilität von Geschlechtergrenzen bewussten Gesellschaft. Für die jeweiligen Pole herrschen Idealvorstellungen, die beiderseitige Abweichungen kennen, aber jene von ›männlich‹ nach ›weiblich‹ negativ bewerten. Das System gründet sich auf der Beschreibung männlicher Ideale über deren Abgrenzung zum Weiblichen und, im Rahmen einer kulturellen Identität, zum Fremden. […] Hermaphroditos bringt die Gratwanderung dieses Denkmodells auf den Punkt. Er vereint Merkmale beider Geschlechter zu einer Gestalt von großer Schönheit und einem Charakter, der ebenso die Grenzen des Vertrauten überschreitet.« (Ebd., S. 5).
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In der Schwellenfigur des Hermaphroditos, der nach Ovid »eine Zwittergestalt« sei, »die man weder Frau noch Mann nennen kann,« da »sie […] als keines von beiden und doch als beides« erscheine, tritt nicht nur das in der Antike vorherrschende kulturelle Konzept einer permeablen Geschlechtlichkeit deutlich zu Tage, sondern auch die Vielfältigkeit inszenatorischer Möglichkeiten zur Darstellung ambivalenter Körper.117 Je nachdem, welche geschlechtlichen Merkmale überwiegen, lassen sich die Inszenierungen entweder der Androgynie oder der Gynandrie zuordnen, eine Differenzierung, auf die auch Raehs in ihrer Untersuchung des Themas aufmerksam macht. Sie schreibt dazu: »Dem [Androgyner] entgegengesetzt steht der Gynander, wobei das weibliche Element vorherrscht. Man könnte also ›Androgyner‹ mit ›Mannweib‹, ›Gynander‹ mit ›Weibmann‹ gleichsetzen.«118 Diese Unterscheidung spiegelt die lineare Konzeption des antiken Ein-Geschlecht-Modells wider, welches geschlechtliche Zwischenstufen zwar mit einschließt, diese aber stets in einem Dualismus zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit verortet. Auch die zahlreichen künstlerischen Interpretationen des Hermaphroditos können in das Spannungsfeld von Androgynie und Gynandrie eingeschrieben werden, je nachdem, ob das Männliche oder das Weibliche überwiegt. Während etwa der Berliner Hermaphrodit (Abb. 23) mit seinem kompakten und männlichen Körperbau lediglich durch den weiblich geformten Busen als geschlechtliches ›Doppelgeschöpf‹ zu erkennen ist und demzufolge der Androgynie zuzuordnen ist, verhält es sich bei dem berühmten Schlafenden Hermaphrodit (Abb. 24) genau andersherum. Die betont zierliche Körperlichkeit der liegenden Aktskulptur suggeriert ebenso wie das kunstvoll ondulierte Haar kulturell normierte Weiblichkeit, die allerdings durch das männliche Geschlechtsteil kontrastiert wird. Das gynandrische Kunstwerk ist so konzipiert, dass sein hermaphroditisches Wesen erst dann enthüllt wird, wenn es komplett umrundet und von allen Seiten betrachtet wurde. Dieses Spiel mit (erotischen) Erwartungen gerät im Laufe der Zeit zum festen und dominierenden Bestandteil der Hermaphroditos-Ikonographie und verdrängt zunehmend die ursprüngliche religiöse Bedeutung der Figur als Sinnbild einer zu gleichen Teilen männlichen wie weiblichen Göttlichkeit.119 Auf diesen Wandel geht auch Plinius der Ältere in der von ihm zusammengestellten Enzyklopädie Naturalis historia ein: »Es werden auch Menschen beiderlei Geschlechts geboren, welche wir Hermaphroditen nen-
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Ovid 2003, IV, 375ff (S. 201); es soll an dieser Stelle auf eine dem Hermaphroditos anverwandte Weiterführung dieses geschlechtlichen Vereinigungsgedankens hingewiesen werden: die Calla-Lilie. Diese hermaphroditische Blume stellt nicht nur ›biologisch‹, sondern vor allem auch visuell eine Verschmelzung männlicher und weiblicher Geschlechtsteile dar und taucht in der Kunstgeschichte immer wieder als Symbol für ambivalente Geschlechtlichkeit auf. So etwa in einem Gemälde des amerikanischen Malers Charles Demuth, welches er dem Travestiekünstler Bert Savoy gewidmet hat (Calla Lilies – Bert Savoy, 1927, Crystal Bridges Museum of American Art). Ganz aktuell sei zudem noch auf das Denkmal für die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung in Berlin verwiesen, das an die Arbeit von Galionsfiguren wie Karl Heinrich Ulrichs und Magnus Hirschfeld erinnert. Die skulpturale Arbeit besteht aus sechs großen Calla-Lilien in den Farben der Regenbogenflagge und wurde von Studenten der UdK Berlin entworfen. Raehs 1990, S. 8. Vgl. ebd., S. 8; vgl. zudem Oehmke 2004b, S. 5.
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nen; früher wurden sie Androgyne genannt und zu den Wundern gerechnet, jetzt aber dienen sie zum Vergnügen.«120 Darüber, ob diese Bedeutungsverschiebung auch mit einer visuellen Veränderung einhergeht, herrscht Uneinigkeit. Stefanie Oehmke argumentiert auf der einen Seite, dass die Erotisierung des Hermaphroditos mit einer verstärkten Orientierung an der Ovid’schen Mythosüberlieferung und einer betont jünglingshaften Erscheinung einhergeht.121 Auf der anderen Seite steht Raehs, die im Zuge »abnehmender Monumentalität« und damit letztlich einer schwindenden religiösen Bedeutung von einer zunehmenden Verweiblichung des Hermaphroditos spricht.122 Unter Berücksichtigung der im Grundlagenkapitel erarbeiteten prävalenten Hierarchie des Männlichen über das Weibliche in der griechischen Antike, erscheint Raehs Schlussfolgerung, dass eine verstärkte Effeminierung dazu diene, »eine göttliche Gestalt [zu] vermenschlich[en]« und damit zu einem »erotisch ansprechend[en] Objekt« zu machen, mehr als plausibel.123 Obschon sich die Autorin auf eine gynandrische und von ihr wie auch von Salmon Reinach als Apoll titulierte Statue bezieht (Abb. 25), verbleibt das Argument einer gleichzeitigen Erotisierung und Verweiblichung doch auch im Hinblick auf Hermaphroditos valide.124 Die in Raehs Text abzulesende Unsicherheit über die korrekte Identifizierung der Statue sowie die Tatsache, dass die gegenwärtige Bestandsliste des Louvre das Werk als Hermaphroditos/Dionysos führt, zeigt, dass es sich bei körperlicher bzw. geschlechtlicher Verunklärung um ein weitverbreitetes inszenatorisches Mittel handelt, welches nicht nur auf die Gestalt des Hermaphroditos beschränkt ist, sondern u.a. auch Apoll und Dionysos bzw. Bacchus betrifft.125 Gerade die Ikonographie des Dionysos bzw. Bacchus ist geprägt von einem Spiel mit weiblichen und männlichen Charakteristika, weswegen die Gleichsetzung von Androgynie, Hermaphroditos und Dionysos unter dem Begriff Ἀνδρόγυνος (androgynos) in der Suda, einem der ersten alphabetisch geordneten Lexika aus der Zeit des Frühmittelalters, nicht weiter verwundert: »Bacchus etiam est semivir, quod & ea faciat, quae sunt viri, & ea patiatur, quae sunt mulierum. Vel ignavus, & hermaphroditus.«126 Die durchlässigen Grenzen der Geschlechtlichkeit und damit auch der Sexualität versinnbildlicht die androgyne wie auch gynandrische Interpretationen umfassende Ikonographie des
120 Zitiert nach Oehmke 2004a, S. 11; im lateinischen Original heißt es: »Gignuntur et utriusque sexus quos hermaphroditos vocamus, olim androgynos vocatos et in prodigiis habitos, nunc vero in deliciis.« (Cajus Plinius Secundus d. Ä.: Naturkunde. Buch 7, Anthropologie, hg. und übers. von Roderich König und Gerhard Winkler, Düsseldorf 1996, S. 34). 121 Vgl. Oehmke 2004b, S. 5. 122 Vgl. Raehs 1990, S. 57. 123 Ebd. 124 Vgl. ebd.; Raehs macht hier bezüglich Salmon Reinachs Werk Répertoire du Statuaire grecque et romaine (Paris 1897–1931) allerdings unvollständige Angaben. Durch meine Nachfrage im Louvre konnte jedoch eruiert werden, um welchen Band es sich handelt: Reinach, Salomon: Répertoire de la Statuaire Grecque et Romaine. Band 2, Teil 1, Paris 1908, S. 104 (Nr. 8). 125 Siehe https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010276784 (zuletzt: 24.03.2022). 126 Suidas: Suda. Lateinische Übers. A. Portus, Colonia Allobrogum 1619, S. 260; sinngemäße Übersetzung (NM): »Bacchus ist halb Mann, da er die männlichen Dinge tut und die weiblichen Dinge mit ihm gemacht werden. Er ist unfruchtbar oder ein Hermaphrodit.«
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Dionysos besonders deutlich. Dabei existiert in der Antike neben der ephebischen Variante, die einmal androgyn ausfällt, wie z.B. bei Antinoos Braschi (Abb. 21.1), ein anderes Mal gynandrisch, wie im Falle des Louvre-Dionysos/Hermaphroditos (Abb. 25), noch eine frühere Version, welche den Weingott in drapiertem Gewand (bestehend aus einem langen Chiton und einem Himation) – eine Gewandung, die u.a. vom antiken Geschichtsschreiber Herodot (490/480-430/420 v. Chr.) mit Effeminiertheit und Weichheit in Verbindung gebracht wurde127 – sowie mit opulenter Bart- und Haartracht zeigt. Der letztgenannte und weitaus seltenere Typus, wie ihn beispielsweise der Dionysos Sardanapalus (Abb. 26) repräsentiert, ist im Hinblick auf die körperliche Ebene insofern interessant, als dass der Körper hier gänzlich verhüllt ist und der ambivalente Charakter vielmehr durch den Kontrast zwischen dem »gewissermaßen weibliche[n] Gewand« und dem bebarteten Gesicht eingefangen wird.128 Trotz der frappanten Wandlung des Dionysos ist also bereits seiner ›Urform‹ der Aspekt geschlechtlicher Ambivalenz inhärent, was die frühere Erscheinungsform mit den gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. auftauchenden und fortan dominierenden Epheben-Darstellungen verbindet.129 Kurzum: Ambivalente Geschlechtlichkeit bzw. Körperlichkeit ist seit jeher fester Bestandteil der Ikonographie des Dionysos. Diese Feststellung erstreckt sich auch auf die Gefolgschaft des Weingottes, die vornehmlich aus Satyrn und Mänaden besteht. Dem oftmals ithyphallischen Satyr, einem ambigen Hybrid aus Mensch und Ziegenbock, fällt hierbei die besondere ikonographische Aufgabe zu, die orgiastisch-sexuellen Facetten des Dionysos zu veranschaulichen, welche nicht durch den Gott selbst dargestellt werden können.130 Wenngleich Dionysos So berichtet Herodot im ersten Buch seiner Historien darüber, welche Strategie Kroisos (um 590–541 v. Chr.), der letzte König Lydiens (heutige Türkei), dem persischen Eroberer Kyros II. (um 590–530 v. Chr.) zur Beherrschung der kampfeslustigen Lyder empfahl: »Den Lydern aber verzeih und befiehl ihnen Folgendes, damit sie nicht wieder abfallen und keine Gefahr mehr für dich bedeuten: Sende einen Boten zu ihnen und untersage ihnen den Besitz von Kriegswaffen, befiehl ihnen, Chitone unter ihren Obergewändern anzuziehen und hohe Stiefel zu tragen, lass sie ihren Kindern Kithara-Spielen, Tanzen und Handeltreiben beibringen. Und bald wirst du sehen, o König, dass Männer zu Weibern geworden sind, so dass von ihnen ein Abfall nicht mehr zu befürchten sein wird.« (Herodot: Historien. Erstes Buch, Griechisch/Deutsch, übers. von Christine Ley-Hutton, hg. von Kai Brodersen, Stuttgart 2002, I:155 (S. 191)). 128 Aghion, Irène; Barbillon, Claire; Lissarrague, François: Reclams Lexikon der antiken Götter und Heroen in der Kunst. Stuttgart 2000, S. 108; der Dionysos Sardanapalus wird dann im Zusammenhang mit den sogenannten Anakreonten nochmals in Kapitel III.3.1 aufgegriffen, in welchem die Mode im Fokus steht. 129 Vgl. Aghion, Barbillon und Lissarrague 2000, S. 108; vgl. zudem Loraux, Nicole: Herakles: The Super-Male and the Feminine, in: Halperin, David M. et al. (Hg.): Before Sexuality. The Construction of Erotic Experience in the Ancient Greek World, Princeton (NJ) 1990, S. 21–52; hier: S. 37f. 130 François Lissarrague erklärt dazu: »Dionysos as depicted is scarcely sexed; he is never seen in an erect state of manipulating a phallos. Although the phallos often appears in a Dionysiac context (…) in no case does Dionysos present himself as a god with a phallos. It seems that any active relationship with the phallos is reserved for the satyr, for whom it expresses an inexhaustible energy and sexual appetite.« (Lissarrague 1990, S. 59); zum Satyr als wiederkehrendes Motiv homoerotischer Kunst (u.a. in den Fotografien von Wilhelm von Gloeden sowie bei Robert Mapplethorpe) siehe Kapitel III.2.1. 127
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zumeist mit diskreterer Anatomie dargestellt wird, offenbart sich insbesondere in den gynandrischen Abbildern des Gottes eine ähnliche inszenatorische Strategie, wie sie sich auch in den Satyrn manifestiert: Bezug nehmend auf die u.a. von Platon und Aristoteles getätigte Konnotation der materiellen Welt und damit auch des Körpers sowie des leiblichen Begehrens als genuin ›weiblich‹, ist das ›Mehr‹ an Materie bzw. Körper sowohl im Falle des ›maßlosen‹ weil üppigen Louvre-Dionysos/Hermaphroditos (Abb. 25) als auch im Falle des ›maßlosen‹ weil übergroßen Sexualorgans des Satyrs ein Anzeichen für Exzessivität und Verweiblichung.131 Diesem Verständnis entsprechend wird ein großer Penis in der Antike daher nicht als Ausdruck höherer Virilität gedeutet, sondern gilt – ebenso wie ein rundlicher Körper – als Indikator einer animalischen, unkontrollierbaren und – der zugrundeliegenden Logik nach – ›weiblichen‹ Sexualität, die mit dem Begriff des Dionysischen synonym ist.132 Auch in der Antikenrezeption der Renaissance ist man sich der zweideutigen und ekstatischen Natur des Weingottes bewusst, wie z.B. anhand der gegen Ende des 15. Jahrhunderts von Michelangelo angefertigten Aktskulptur eines trunkenen Bacchus klar zu erkennen ist (Abb. 27). Das dem Epheben-Typus entsprechende bildhauerische Werk, »dessen Gestalt und Aussehen in jeglichem Teil den Vorstellungen der alten Schriftsteller entspricht«, so der Kommentar des Zeitgenossen Condivi, vereint dabei androgyne wie auch gynandrische Züge der antiken Vorbilder.133 Die Skulptur zeigt einen etwa lebensgroßen, mit Weinreben bekränzten, ›aufrecht‹ stehenden Bacchus. Durch das Vorziehen der rechten Schulter über dem Spielbein sowie die Einseitigkeit der Bewegung – erhobener Arm und Spielbein auf der rechten Seite, herabhängender Arm und Standbein auf der linken Seite – erfolgt eine Umkehrung des antiken Kontraposts. Hierdurch wird der Figur der Eindruck des Torkelns verliehen.134 In der erhobenen Hand hält Bacchus den Grund für sein Schwanken: eine Trinkschale, auf die seine Augen begierig schielen. Mit der linken Hand drückt er ein Pantherfell gegen den Oberschenkel. An diesen Pelz klammert sich ein kleiner, hinter dem Weingott sitzender Satyr und nascht an Weintrauben. Im Gegensatz zu antiken Darstellungen wird dieser Satyr zwar als entsexualisiertes, puttenartiges Wesen inszeniert, doch seine halb menschliche, halb tierische Beschaffenheit verweist nach wie vor auf das animalische Wesen alles Dionysischen bzw. Bacchantischen. Wendet man den Blick der körperlichen Konstitution des Bacchus zu, so verfolgt Michelangelo auch hier das Konzept hybrider Existenzen weiter, vereint er doch zugleich eine betont männliche Muskulatur mit einer schwellenden, weiblichen Körperlichkeit.135 Wie schon bei den überdimensionierten Phalli der antiken Satyrn angemerkt wurde, 131 132 133 134 135
vgl. Bordo 2000, S. 75; vgl. zum antiken Geschlechterverständnis auch Honegger 1991, S. 150. Vgl. Platon 2012, 185b (S. 34). Condivi zit. in Einem, Herbert von: Michelangelo. Bildhauer, Maler, Baumeister, Berlin 1973, S. 25. Vgl. Einem 1973, S. 26. Giorgio Vasari hebt diesen Umstand in seiner dem Künstler gewidmeten Vita besonders deutlich hervor: »In dieser Figur sieht man, daß er eine Art Mischung herrlich gelungener Gliedmaßen angestrebt hat und dabei vor allem die jugendliche Schlankheit der männlichen Figur in Verbindung mit den fleischigen Rundungen eines weiblichen Körpers eingefangen hat – ein bewunderungswürdiges Werk, mit dem er in der Statuenkunst seine Überlegenheit über jeden anderen modernen Künstler, der bis zu diesem Zeitpunkt gearbeitet hatte, unter Beweis stellte.« (Vasari, Giorgio:
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geht nach platonischem bzw. aristotelischem Verständnis ein Mehr an Materie – sprich Körper – mit einer Verweiblichung einher.136 Beachtet man die trotz des wohlgenährten Bauches durchschimmernde Muskulatur, das runde Gesicht sowie die prononcierte Brust mit ihrem leichten Busenansatz, so lässt sich nicht leugnen, dass die Betrachter_Innen einem gelungenen Amalgam aus Maskulinität und Femininität bzw. Androgynie und Gynandrie gegenüberstehen. Einen auf den ersten Blick gänzlich konträren visuellen Ansatz zu den bisher besprochenen Typen der Epheben, des Hermaphroditos und des Dionysos, deren Inszenierung stets auf den Einsatz femininer Elemente angewiesen ist, verkörpert die Figur des Herakles. Entgegen seinem späteren Status als Inbegriff potenter Männlichkeit, ist die antike Konzeption des Herakles jedoch genauso durchdrungen von Ambivalenzen wie die zuvor behandelten Gestalten. In seiner überbordenden Fleischlichkeit visualisiert er das prekäre Gleichgewicht von Körperlichkeit, Geschlechtlichkeit und Sexualität. Ein passendes Anschauungsexemplar hierfür findet sich in der berühmten Statue des Herkules Farnese (Abb. 28). Diese allansichtige antike Monumentalskulptur wurde 1546 wiederentdeckt und ging umgehend in die private Antikensammlung des Papstes Paul III. ein.137 Die dem athenischen Bildhauer Glykon zugeschriebene Arbeit wurde für neuzeitliche Kunstschaffende zu dem Modell eines muskulösen Körpers. Jeder Muskel des bärtigen Herkules scheint sich unter der marmornen Haut anzuspannen und ist genauestens herausgearbeitet. Die Figur steht im Kontrapost und stützt sich auf der unter die rechte Achsel geklemmten Keule ab. Über die aus knorrigem Holz gefertigte Schlagwaffe ist zudem das Fell des nemäischen Löwen gelegt, ein Verweis auf die erste Heldentat des Heros. In der linken, hinter den Rücken gelegten Hand hält er die drei Äpfel der Hesperiden. Keule, Fell und Äpfel sind drei wichtige Attribute, die Cesare Ripa in der 1603 erschienenen Ausgabe seiner Iconologia als Zeichen für die virtù heroica deutet.138 Während Ripa Löwenfell und Keule als Symbol für die »Vernunft, welche die Lust beherrscht und bändigt« bezeichnet, stehen die drei Äpfel für die Tugenden des Halbgottes: »Erstens die Zügelung des Zorns, zweitens die Mäßigung der Habgier und schließlich die großmütige Verachtung der Wonnen und Vergnügen.«139 In Folge seiner Tugendhaftigkeit und seines beständigen Kampfes gegen das Böse wird er in der Neuzeit zum Herrscherideal stilisiert.140 Überdies wird Herakles als Präfiguration Christi verstanden, da er ebenso
Das Leben des Michelangelo. Übers. von Victoria Lorini, hg. von Caroline Gabbert, Berlin 2004, S. 47). 136 Siehe u.a. Honegger 1991, S. 150. 137 Vgl. Lukatis, Christiane: Der Herkules Farnese. »Ein schönes Muster der starken männlichen Natur«, in: Kat. Ausst. Herkules. Tugenheld und Herrscherideal, Das Herkules-Monument in KasselWilhelmshöhe, Staatliche Museen Kassel 1997, Eurasburg 1997, S. 35–60; hier: S. 35f. 138 Vgl. ebd., S. 50. 139 Cesare Ripa zit.n. Lukatis 1997, S. 51; Lukatis zit. aus Ripa, Cesare: Iconologia overo descrittione di diverse imagini cavate dall‹ antichità, e di propria inventione. Hildesheim, Zürich und New York 1984. 140 Vgl. hierzu Irle, Klaus: Herkules im Spiegelder Herrscher. In: Kat. Ausst. Herkules. Tugenheld und Herrscherideal, Das Herkules-Monument in Kassel-Wilhelmshöhe, Staatliche Museen Kassel 1997, Eurasburg 1997, S. 61–78.
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aus der Vereinigung eines Gottes (Zeus/Jupiter) mit einer Sterblichen (Alkmene) stammt und auch für ihn irdisches Leid mit Verheißung auf Apotheose vorherbestimmt ist.141 Im Zuge der Christianisierung wurde auch etwa die päderastische Beziehung des Heros zu seinem beständigen Begleiter Iolaus und deren antike Rezeption als ideales erastês-erômenos-Paar schlichtweg ausgeklammert.142 Eine derartige Episode vertrug sich nicht mit einem christlich geprägten Verständnis der Figur als männliches Idealbild. Nicht nur das Verhältnis zu Iolaus wurde negiert, auch die immanent wichtige Bedeutung des Weiblichen innerhalb des Herakles-Mythos wurde heruntergespielt bzw. rein negativ aufgefasst, und das, obwohl bereits sein Name eine unbedingte und notwendige Verknüpfung mit einer Frau impliziert: »This calls to mind the name of Herakles, which translates equally well into ›Glory to Hera‹ and ›Glory through Hera.‹ Either way, the very name of the hero expresses a tight link with his faithful persecutress.«143 Durch die Überwindung der von Hera gelegten Hindernisse offenbart sich erst die göttliche Natur des Herakles und eröffnet ihm den Zutritt in den Olymp.144 Auch weitere Episoden der herkulischen Mythologie, wie z.B. die Gefangenschaft bei Königin Omphale, legen seine Verbindung mit dem Femininen offen.145 Wie Nicole Loraux in ihrer Betrachtung Herakles: The Super-Male and the Feminine (1990) darlegt, verlangt der Erhalt exzessiver Virilität ein notwendiges Maß an Weiblichkeit: »An excess of virility leaves Herakles’ strength in constant danger of being exhausted, and so it is appropriate for him periodically to return to a more reasonable level of male energy. Given Herakles’ own ambivalence, such equilibrium will always be unstable, and he can only acquire it by balancing one excess against another – a surplus of femininity against an excess of masculinity. The feminine element in Herakles is essential, in that it is a major factor in keeping him within the human limits of andreia (maleness/masculinity). Herakles is all the more the masculine hero for being dressed as a woman and performing women’s tasks.«146 Es scheint, als entspräche die im antiken Ein-Geschlecht-Modell vorgesehene Entwicklung vom geschlechtlich ambivalenten Jüngling hin zum reifen Mann nicht einer linearen, sondern einer zirkulären Bewegung, wie sie von Winckelmann später auch über den Aufstieg und Verfall der Kunst formuliert wurde.147 Daraus lässt sich wiederum ableiten, dass das Maximum an Männlichkeit wieder an die Grenze zum Weiblichen stößt und dass selbst eine hypermaskuline Gestalt wie Herakles kontinuierlich darauf achten muss, die Balance zwischen den Geschlechterpolen zu halten. In der Mythologie des He-
141 Vgl. Poeschel, Sabine: Handbuch der Ikonographie. Darmstadt 2005, S. 329. 142 Zur Beziehung von Herakles und Iolaus siehe Davidson, James: The Greeks and Greek Love. A Radical Reappraisal of Homosexuality in Ancient Greece, London 2007, S. 295f; Beurdeley berichtet noch von weiteren päderastischen Beziehungen des Herakles, wie etwa zum »anmutigen Hylas« (Beurdeley 1994, S. 46). 143 Loraux 1990, S. 43. 144 Vgl. ebd., S. 48. 145 Vgl. Poeschel 2005, S. 333. 146 Loraux 1990, S. 39. 147 Vgl. Winckelmann 1964.
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ros wird so der die virilen Kräfte verstärkende und konstituierende Einfluss der Femininität evident. Auf visueller Ebene wird das ebenso komplexe wie fragile Konzept von (Hyper-)Maskulinität unter wiederholtem Rückgriff auf Platons Verständnis von weiblich konnotierter Materie anhand der sprichwörtlich herkulischen Körperlichkeit des Herkules Farnese ersichtlich: Die zur Schau gestellte dralle Muskulatur der Statue, dieses ›Mehr‹ an Körper bzw. Materie, verleiht ihm ähnliche Rundungen, wie sie etwa auch bei Michelangelos zwischen Androgynie und Gynandrie oszillierendem Bacchus zu finden sind. Insbesondere die Betonung der Hüftpartie akzentuiert einen Bereich, der sonst eigentlich bei Frauendarstellungen hervorgehoben wird. In ihrer ausschweifenden Leiblichkeit erhalten die beiden Statuen eine sinnliche, ›weibliche‹ Qualität und illustrieren damit deutlich die Visualität und Vielfältigkeit ambivalenter Körper. Ironischerweise wird der hier exemplarisch durch Herakles verkörperten Hypermaskulinität in der schwulen Subkultur der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts jedoch genau jene Ambivalenz aberkannt, und sie gerät – zumindest konzeptuell – zum emanzipatorischen Gegenentwurf zur passiven und als weiblich angesehenen Jünglingsfigur. In diesem Wandel, den die ans Karikaturhafte grenzenden Figuren eines Tom of Finland auf das Deutlichste illustrieren (siehe Abb. 56), macht sich die spätestens ab dem 18. Jahrhundert einsetzende Dominanz des Zwei-Geschlechter-Modells bemerkbar, welches anstatt einer permeablen Konzeption von Geschlecht und Körper ein weitaus restriktiveres Verständnis befördert, das Mann und Frau bzw. Männlichkeit und Weiblichkeit als zwei gänzlich getrennte Entitäten betrachtet.148 Ambivalente Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit, wie sie bisher an den mythischen Figuren Endymion, Antinoos, Hermaphroditos, Dionysos und Herakles skizziert wurde, findet sich wesentlich seltener und in geringerer Explizität auch im christlichen Kontext: So zeigt etwa Leonardo da Vincis Gemälde Johannes der Täufer (um 1515) den Heiligen als androgyne Gestalt, die einen breiten, ›männlichen‹ Körperbau mit weicher, ›weiblicher‹ Anmut vereint.149 Obzwar da Vinci mit seinem Werk einen ikonographischen Sonderweg beschreitet – mehrheitlich wird Johannes als älterer und bärtiger Mann wiedergegeben –, existieren des Weiteren biblische Figuren, bei denen geschlechtliche Ambivalenz zum festen Bestandteil ihrer Ikonographie gehört. Hier wäre ein weiterer (vermeintlicher) Johannes zu nennen: der ephebisch-androgyne Apostel und Lieblingsjünger Christi, der stets ohne Bart und mit jünglingshaften bis hin zu femininen Zügen abgebildet wird.150 148 Besonders deutlich ist dies in den Darstellungen von Mann und Frau regimetreuer NS-Künstler_Innen zu erkennen, wie etwa Josef Thoraks (siehe Kapitel III.1.4 und Abb. 51), welche jedwede geschlechtliche Ambivalenz vermeiden. Männer werden als ›Körpermaschinen‹ und Frauen als ›Gebärmaschinen‹ wiedergegeben. Auf das Spannungsverhältnis zwischen Hypermaskulinität und Effeminiertheit, das intrinsisch mit der Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts verflochten ist, geht Kapitel III.3.1 nochmals ein. 149 Vgl. hierzu Saslow 1999, S. 89f. Das Bild befindet sich heute im Louvre. 150 Als Beispiel sei hier auf Peter Paul Rubens’ Der Apostel Johannes (1610–1612) verwiesen, welches sich heute im Prado befindet. Außerhalb des sakralen Bereichs erlebt der Ephebe ab der Renaissance ein erneut aufflammendes künstlerisches Interesse, welches sich u.a. in den sehr intimen, lyrischen Männerportraits äußert. Siehe Koos 2006; vgl. zudem Greer 2003.
III. Hauptteil
Wenngleich sich das christliche Körperverständnis deutlich von antiken Auffassungen abgrenzt, verschwindet das Motiv ambivalenter Körperlichkeit also keineswegs. Neben den bisher erwähnten Beispielen wird dieser Umstand auch besonders an Christusdarstellungen erkennbar, in denen eine theologische Identifizierung seines Leibes mit der ecclesia erfolgt: »Ecclesia was identified in texts as Christ’s body, not merely his spouse, and such identification led in a number of passages to discussion of Jesus as mother. The connection was clearly the notion that teachers and authorities should be nurturing; therefore Church, and Church’s leaders, and Church’s head himself were mothers.«151 Diese Verquickung von Männlich und Weiblich offenbart sich jedoch nicht nur in Texten, sondern auch in Bildern, die den Heiland als gebärende und nährende Gestalt inszenieren (siehe Abb. 29). Die Vorstellung vom Blut Christi als lebensspendendem Nektar gründet dabei auf dem Ein-Geschlecht-Modell sowie der Annahme, dass es sich bei allen menschlichen Körperflüssigkeiten – Menstruationsblut, Schweiß, Muttermilch, Sperma etc. – um verschiedene ›Aggregatzustände‹ des Blutes und bei deren Ausscheidung um analoge Formen der Blutung handelt.152 Ausgehend von dieser im Mittelalter weit verbreiteten Anschauung eröffnete sich also für Schreiber_Innen und Künstler_Innen die Möglichkeit, geschlechtliche Attribute wesentlich freier einzusetzen.153 So wird z.B. die Parallelisierung des Blutes Christi mit Muttermilch häufig auch durch die verschobene Position des seitlichen Wundmals auf Höhe der Brustwarze kenntlich gemacht. Im Gegensatz zur Antike ist die geschlechtliche Ambivalenz aber in einen strengen theologischen Kontext eingebettet und sollte nicht als vorrangige Visualisierung erotischer Begehrlichkeit missverstanden werden.154 Im Zuge der allmählichen Formulierung einer ›homosexuellen Identität‹ im Foucault’schen Sinne gegen Ende des 19. Jahrhunderts erlebt das Motiv ambivalenter Körperlichkeit in Gestalt des Epheben sowie des Hermaphroditen eine Hochphase. Dies liegt hauptsächlich darin begründet, dass viele der damals gängigen Erklärungsansätze für die Existenz gleichgeschlechtlichen Verlangens auf der Idee eines ›seelischen Hermaphroditismus‹ beruhten und Homosexuelle als geschlechtlich ambige ›Mischwesen‹ bzw. als ›Drittes Geschlecht‹ angesehen wurden. Hierbei wurde an Vorstellungen angeknüpft, welche mit dem antiken Ein-Geschlecht-Modell verwandt sind: Sowohl Ulrichs Theorie des Uranismus als auch etwa Hirschfelds Idee des ›Dritten Geschlechts‹ fußen auf der Annahme, dass es entgegen des Zwei-Geschlechter-Modells geschlecht-
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Bynum, Caroline Walker: Fragmentation and Redemption. Essays on Gender and the Human Body in Medieval Religion, New York 1991, S. 93. Vgl. ebd., S. 109ff. Vgl. ebd., S. 114. Die Ikonographie des ungläubigen Thomas mit dem Finger in der Wunde Christi spielt ebenfalls mit dem Motiv geschlechtlicher Ambivalenz und wurde zumindest in der Rezeption des 20. Jh. in einen erotischen Kontext gestellt. Die Penetration der Wunde wird u.a. in Derek Jarmans Film Caravaggio (1986) eindeutig homoerotisch konnotiert. Siehe Saslow 1999, S. 306; siehe zudem Most, Glenn W.: Der Finger in der Wunde. Die Geschichte des ungläubigen Thomas, München 2007.
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liche Zwischenstufen jenseits von Mann und Frau gäbe, welche angeboren seien.155 Die Popularität derartiger Deutungsmuster ging dabei Hand in Hand mit einer visuellen Bildsprache, die sich ganz gezielt an antiken Vorbildern orientierte. Hocquenghem und Soukaz etwa widmen den kompletten ersten Teil ihres filmischen Schnelldurchlaufs einer ›homosexuellen Geschichte‹ des 19. und 20. Jahrhunderts dem Fotografen Wilhelm von Gloeden (1856–1931), dessen als antike Epheben inszenierten jungen Männer eine passende Visualisierung des ehedem herrschenden Diskurses über männlichmännliches Begehren darstellen (siehe Abb. 30).156 Obwohl von Gloeden auch zahlreiche Portrait- und Landschaftsaufnahmen anfertigte, nehmen seine Nachstellungen antiker Szenerien doch die prominenteste Stellung in seinem fotografischen Werk ein. Der sich 1878 in Taormina (Sizilien) niederlassende Freilichtfotograf gehört neben seinem Vetter Guglielmo (eigentlich Wilhelm) Plüschow (1852–1930) sowie dem Neapolitaner Vincenzo Galdi (1871–1961) zu den produktivsten Lieferanten erotischer Aktfotografie von Männern und Jünglingen um die Jahrhundertwende.157 Plüschow und von Gloeden sind sich dabei in ihrer Motivik und Ästhetik derart ähnlich, dass sie laut Ulrich Pohlmann oftmals »einzig an den Requisiten der Inszenierungen zu unterscheiden« sind.158 Wenn nun Saslow die antikisierten Phantasien von Gloedens als »costumed imitation[s] of classical pastorales littered with reminders of bacchanalien rites: panpipes, garlands, and the Dionysian panther skin« beschreibt, dann trifft dies in beinahe identischer Weise auch auf Plüschows Werk zu.159 Die stilistischen Ähnlichkeiten beider Fotografen und ihr kommerzieller Erfolg bezeugen die Beliebtheit und Nachfrage derartiger Motive.160 Während von Gloeden im ausgewählten Bildbeispiel zwei nackte junge Männer vor zerfallener Ruinenkulisse mit Tierfell, Panflöte und Blumenkranz inszeniert, die sich der sengenden Mittagssonne hinzugeben scheinen, lichtet Plüschow in Rückenakt, zwei junge Männer (um 1900) ein sich umarmendes nacktes Jünglingspaar vor drapierter Kulisse und mit Pantherfell ab. In beiden Fällen werden die Modelle mittels eklektisch eingesetzter dionysischer Anleihen als ephebische und gleichermaßen begehrliche sowie begehrende Bacchanten markiert. Trotz aller Re-
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Vgl. Ulrichs, Karl Heinrich: Sozial-juristische Studien über mannmännliche Geschlechtsliebe. Vindex, Band 1, 2. Auflage, Leipzig 1898b, S. 24f; vgl. überdies das Kapitel über Doppelgeschlechtlichkeit und die Zwischenstufentheorie in Hirschfeld, Magnus: Die Homosexualität des Mannes und des Weibes. Berlin 1914, S. 348–369; für einen Überblick siehe Steakley 1975 und Kennedy 1988. 156 Vgl. Race d’Ep – 1. Le Temps de la Pose (1979). [Video] Regie: Lionel Soukaz. Frankreich: éditions libres/hallier. Online abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=yJvcrubBS5g&t=97 s (09.10.2017). 157 Vgl. Albers, Bernhard: Gloeden, Plüschow, Galdi. Aktum 1900, Aachen 2009, S. 33 (Plüschow) und S. 45 (Galdi); zu Plüschow siehe überdies Pohlmann, Ulrich: Guglielmo Plüschow (1852–1930). Ein Photograph aus Mecklenburg in Italien, Grevesmühlen 1995. 158 Pohlmann 1995, S, 7. 159 Saslow 1999, S. 192. 160 Obschon sowohl Plüschow als auch von Gloeden kommerzielle Erfolge mit ihren Arbeiten feiern konnten, blieb Plüschow die künstlerische Anerkennung, die seinem Cousin zuteilwurde, versagt. Siehe Pohlmann 1995, S. 7.
III. Hauptteil
quisiten sind es aber stets ihre Körper – mal jünglingshaft, mal knabenhaft, aber nie gänzlich erwachsen –, die im Fokus der Arbeiten stehen.161 Nach Barthes gestattet insbesondere die Betrachtung von Gloedens Arbeiten »une aventure du sens«,162 da dieser im Zuge seiner Aneignung unterschiedlicher Bildtraditionen – griechisch-antik, römisch-antik etc. – eine Welt der Gegensätze erschaffe, die voller neuer sinnlicher sowie sinnhafter Erfahrungen sei: »Ces contradictions, ce sont des ›hétérologies‹, des frottements de langages divers, opposés. Par exemple, von Gloeden prend le code de l’Antiquité, le surcharge, l’affiche pesamment (éphèbes, pâtres, lierres, palmes, oliviers, pampres, tuniques, colonnes, stèles), mais (première distorsion), de l’Antiquité il mélange les signes, combine la Grèce végétale, la statuaire romaine et le ›nu antique‹ venu des Ecoles de Beaux-Arts : sans aucune ironie, semble-t-il, il prend la plus éculée des légendes pour de l’argent comptant.«163 Die ›antiken Phantasmagorien‹, die von Gloeden in seinen Fotografien heraufbeschwört und die Barthes als eine Art postmodernistisches Palimpsest beschreibt, werden durch die Modelle mit ihren schmutzigen Händen und Füßen wie auch ihrer oftmals wenig diskreten Anatomie konterkariert.164 In ihrer Verrohung ›erhabener‹ Kunstthemen erinnern die Fotografien an die Arbeiten Caravaggios, der u.a. einen Straßenjungen als siegreichen Amor inszenierte. Ebendiese kontrastive Vorgehensweise von Gloedens, sizilianische Bauernjungen als pueri aeterni zu inszenieren, verleiht den Arbeiten eine ganz eigenwillige Ästhetik, wie sie so auch sehr ähnlich bei Plüschow und in geringerem Maße bei Galdi zu finden ist. Im Deutschen Kaiserreich wilhelminischer Zeit treffen diese Visualisierungen einer Utopie gleichgeschlechtlicher Begehrlichkeit und ewiger Androgynität einen besonderen Nerv und erfreuen sich bei einem sowohl nach identitätsstiftender Repräsentation als auch nach erotischer Gratifikation verlangendem gleichgeschlechtlich orientierten Publikum großer Beliebtheit. Von Gloedens arkadische Aufnahmen zierten beispielsweise die Seiten der ersten deutschen Schwulenzeitschrift Der Eigene, einer 1896 von dem Autor Adolf Brand gegründeten Publikation »für Kunst und männliche Kultur«, deren Fokussierung auf antikische und androgyne Jünglingsdarstellungen eng mit dem damaligen Diskurs über die Entstehung der Homosexualität zu-
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Zum androgynen Körper bei von Gloeden vgl. Pohlmann, Ulrich: Sehnsucht nach Arkadien. In: Kat. Ausst. Wilhlem von Gloeden – Sehnsucht nach Arkadien. Münchner Stadtmuseum 1987/88, Berlin 1987, S. 9–63; hier S. 34–38. 162 Barthes, Roland: Wilhelm von Gloeden. Interventi di Joseph Beuys, Michelangelo Pistoletto, Andy Warhol, Neapel 1978b, S. 7; Warhol fertigte für dieses Buch eine Serie minimalistischer Kohlezeichnungen verschiedener Fotografien von Gloedens auf Büttenpapier an. 163 Barthes 1978b, S. 7; deutsche Übersetzung (NM): »Diese Widersprüche sind ›Heterologien‹, Reibung verschiedener, gegensätzlicher Sprachen. Zum Beispiel eignet sich von Gloeden die Zeichen der Antike an, er überlädt sie, stellt sie betont zur Schau (Epheben, Hirten, Efeu, Palmen, Olivenbäume, Reben, Tuniken, Säulen, Stelen), aber (erste Verzerrung) er vermischt auch die antiken Zeichen, er kombiniert sie mit der Flora Griechenlands, römischen Statuen und dem ›antiken Akt‹ der Ecole des Beaux-Arts: ohne Ironie, so scheint es, nimmt er die abgenutztesten Legenden für bare Münze.« 164 Ebd. S. 7f.
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sammenhängen dürfte.165 In der Gestalt des androgynen Jünglings – und in wenigen Fällen auch des ›Hermaphroditen‹ – sah man die perfekte Verbildlichung des Konzepts des ›Dritten Geschlechts‹ bzw. des Uranismus. Ein weiterer Künstler und Schriftsteller, der neben von Gloeden ab 1925 auch als fester Mitarbeiter der Zeitschrift Der Eigene tätig war und der sich im Medium der Malerei fast nur mit dem geschlechtlich ambivalenten Körper auseinandersetzte, ist Elisàr von Kupffer, der sich nach 1911 nur noch Elisarion nannte (1872–1942).166 Der Maler war zusammen mit seinem Partner Eduard von Mayer (1873–1960) Begründer der synkretistischen Kultbewegung des Klarismus, eines dem Gnostizismus nahestehenden Glaubens, dessen Anhänger Christus als Beispiel für die »Erdenüberwindung durch das Eigenwesen« anerkennen, den Menschen aber im Gegensatz zu den kirchlichen Institutionen nicht als bloßen Sünder, sondern als »Mit-arbeiter« und »Mit-schöpfer« verstehen.167 Einem wohlwollenden »Urgott«, der nach von Kupffer die paradiesische »Klarwelt« verkörpert, wird das Chaos gegenübergestellt, ein Sinnbild für die »Wirrwelt«, wie sie gegenwärtig auf Erden herrsche.168 Die zentrale und waltende Instanz, mittels derer sich der Mensch aus der Wirrwelt befreien kann, sieht der Klarismus im »Heiligen Eros«, über den von Kupffer schreibt: »Nennt es Minne, Eros, Liebe – es ist der Odem Gottes, der darin weht.«169 Diese dem Glauben immanente positive Bewertung der Erotik und der Sexualität wurde auch dem gleichgeschlechtlichen Begehren zuteil.170 Den klaristischen Positionen zur geschlechtlichen und sexuellen Identität widmet sich von Mayer ausführlich in der 1923 veröffentlichten Schrift Das Mysterium der
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Für eine historische Einbettung von Gloedens Werk und dem Thema der Homosexualität siehe Pohlmann 1987, S. 55–57. Vgl. Ebd., S. 56; für den nun folgenden Abschnitt über von Kupffer erwies sich die Monographie von Fabio Ricci als unentbehrlich. Die mit Ritter, Tod & Eros betitelte Arbeit stellt eine der wenigen und umfangreichsten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Künstler dar. Siehe Ricci, Fabio: Ritter, Tod & Eros. Die Kunst Elisàr von Kupffers (1872–1942), Köln, Weimar und Wien 2007. Mayer, Eduard von: Ein Kampf- und Friedenbuch. Die Zukunft der Natur, Band 2, Leipzig 1916, S. 396 und S. 147; die Zitate wurden aus Riccis Monographie übernommen. Siehe Ricci 2007, S. 45; für Kupffer kommt der Glaube an einen strafenden und zornigen Gott, der den eigenen Sohn zum Sühnetod verdammt, einer Gotteslästerung gleich. In Die Gotteslästerung der Bibel und der Antike (1912) schreibt er: »Also: nicht rückwärts heisst es, weder zu Testamenten noch Koranen, noch zum hellenischen Olymp, nein: sondern vorwärts! Zur wahren, befreienden Erkenntnis des Unbekannten Gottes und daher: aufwärts.« (Elisarion: Die Gotteslästerung der Bibel und der Antike. München 1912a, S. 4); vgl. auch Kat. Ausst. Otto Meyer-Amden, Wilhelm von Gloeden, Elisar von Kupffer. Band 4: Hieronimus, Ekkehard: Elisàr von Kupffer (1872–1942), Kunsthalle Basel 1979, Basel und Muttenz 1979, S. 8. Hieronimus 1979, S. 10; Hieronimus weist darauf hin, dass Elisarion in Was soll uns der Klarismus? eine Art Niederschrift des klaristischen Katechismus liefert. Vgl. ebd., S. 9f; vgl. zudem Elisarion: Was soll uns der Klarismus? – eine menschliche und soziale Neugeburt, München 1912b. Zit. nach Ricci 2007, S. 45. Elisarion: Heldische Sicht und froher Glaube. Band 1: Gespräche über Welt und Menschen, Locarno 1943, S. 124; vgl. auch Hieronimus 1979, S. 11; von Kupffer differenziert dabei jedoch zwischen der biologisch-medizinisch definierten Homosexualität und einem »araphroditischen« Eros, der jenseits der Geschlechtlichkeit stehe.
III. Hauptteil
Geschlechter.171 In dem Werk gibt von Mayer seine kosmosophische Vorstellung einer »Urzelle« wieder, der seiner Theorie nach »eine androgyne Beschaffenheit, die Verbindung von ›Urmannheit‹ und Urweibheit‹ als Eigenschaft zugrunde« liege.172 Demnach sei jeder Mensch von Geburt an ein sowohl leibliches als auch seelisches Doppelgeschlecht, dessen sexuelle Orientierung sich nach dem »Rhythmus« der Urzellen richte.173 In der gesellschaftlichen Missachtung und Ablehnung der Frau sowie alles »Weibhaften« sehen von Mayer respektive von Kupffer schließlich auch den Grund für die »Geringschätzung des Heterosexuellen gegenüber dem Bisexuellen und Homosexuellen«.174 Das von ihnen ersonnene Paradies der Klarwelt lässt die Dominanz einer ›falschen‹ Männlichkeit hinter sich und ist laut klaristischem Glauben nur noch von androgynen Wesen bevölkert, »die die Trennung der Geschlechter überwunden haben.«175 Da Männlichkeit und Weiblichkeit bei den Bewohner_Innen der Klarwelt in absolut harmonischem Gleichgewicht zueinanderstehen, nennt von Kupffer sie »Araphroditen«.176 Der Name leitet sich aus der Elternschaft der griechischen Göttin Harmonia ab, dem Kind des Ares und der Aphrodite.177 Die Parallelen zum Sexualitäts- und Geschlechterdiskurs eines Hirschfeld oder Ulrichs sind kaum zu übersehen. Die Rückkehr des Klarismus zu einem androgynen Wesensursprung, wie er recht ähnlich in der Kugelmensch-Rede des Aristophanes in Platons Symposion formuliert wurde und auch in zahlreichen anderen Religionen und Kulturen existiert, ist bestimmend für das von Kupffer entworfene kultische Bildprogramm.178 Das malerische Hauptwerk von Kupffers, der Bilderzyklus Die Klarwelt der Seligen, entstand in der Zeit von 1923 bis 1930 und schmückte ursprünglich den zentralen Raum des Sanctuarium Artis Elisarion, ein klaristischer Tempelbau in Minusio (Schweiz).179 Das gewaltige Rundbild (3,45 m x 25,90 m) führt den Betrachter_Innen in 33 Szenen die Paradiesvorstellung des Klarismus vor Augen: In Anlehnung an die Fresko-Technik der Renaissance erschafft von Kupffer mit leuchtenden Pastellfarben ein arkadisches Landschaftspanorama wechselnder Topographien und Jahreszeiten, in dem sich zahlreiche nackte Araphroditen tummeln. Wenngleich das umfangreiche Bildprogramm eine Vielzahl interessanter Details enthält, genügt für die Belange dieses Kapitels ein Blick auf einen kleinen Teilabschnitt des Werkes (Abb. 31). In der ersten Szene (Nr. 14)180 des ausgewählten Ausschnitts ist links eine Dreieckskomposition zu erkennen: An der Spitze steht eine vor einem Regenbogen schwebende
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Mayer, Eduard von: Das Mysterium der Geschlechter. Pfullingen 1923. Ricci 2007, S. 113. Ebd., S. 114; vgl. zudem Mayer 1923, S. 51. Mayer 1923, S. 51f. Hieronimus 1979, S. 11. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. hierzu Kapitel II.2.1 der vorliegenden Arbeit sowie Platon 2012, 189d–191d (S. 43ff). Als das Sanctuarium Artis Elisarion 1981 zu einem Gemeindezentrum umgebaut wurde, übernahm Harald Szeemann den Bilderzyklus, welcher sich nun bis heute in einem provisorisch erbauten Pavillon der Fonazione Monte Verità befindet. 180 Die Unterteilung des Wandgemäldes in 33 Szenen beruht auf Erläuterungsmaterial, das von Mayer im Namen Elisàr von Kupffers 1942 postum veröffentlichte. Vgl. Ricci 2007, S. 195.
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Messiasgestalt, die von einem darunter links versetzt stehenden Rückenakt angebetet wird, während rechterhand eine dem Publikum zugewandte Figur ein innig umschlungenes Paar auf die himmlische Erscheinung aufmerksam zu machen scheint. Den Abschluss der Szene bildet eine auf dem Boden liegende Figur, welche die gesamte Szenerie beobachtet. Rechts daneben fügt sich sogleich die nächste Szene (Nr. 15) des Rundbildes an: Vor einem Oleanderstrauch umarmen sich zwei weitere nackte Figuren, wobei der Rechte in einer intimen Geste den Linken am Kinn berührt. Danach folgen – in dem hier ausgewählten Bildausschnitt nur angeschnitten – die Szenen 16 und 17, welche einen Reigen tanzender Gestalten vor einer Meereskulisse zeigen. Alle Figuren weisen außer einer fast identischen Physiognomie auch ein vergleichbar helles Inkarnat auf. So denkt der Künstler die Araphroditen als Wesen »aus reinem Licht, aus gleichen, harmonischen Lichtteilen.«181 Was sich nun in dem Werkzyklus neben zahlreichen mythologischen, christlichen und literarischen Referenzen vor allem manifestiert, ist die Idee ambivalenter Körperlichkeit: Das Figurenpersonal in Die Klarwelt der Seligen vereint in sich sowohl männliche als auch weibliche Aspekte und stellt von Kupffers Visualisierung des klaristischen Konzepts der Araphroditen dar.182 Obzwar die Genitalien – sofern sichtbar – stets männlich sind, verunklären die grazil-femininen Körper sowie die androgynen Gesichter – die häufig an das Antlitz des Künstlers selbst erinnern – das Geschlecht der seligen Paradiesbewohner_Innen.183 Anknüpfend an von Kupffers Vorstellung der Araphroditen als ›Lichtgestalten‹, orientiert er sich bei der Wiedergabe ihrer ›göttlichen Androgynie‹ am griechisch-antiken Lichtgott Apoll.184 Die Androgynität sowie die große Ähnlichkeit der Gestalten verweist ebenso wie das Ineinanderfließen der verschiedenen Jahreszeiten im Hintergrund auf den klaristischen Kerngedanken einer Welt jenseits der Differenz und jenseits des Geschlechts. Es geht also nicht um die Inszenierung von Individuen, sondern um die visuelle Formulierung einer abstrakten Glaubensidee. Im Zusammenhang mit diesen Beobachtungen darf dann auch der in Szene 15 am Himmel erscheinende Regenbogen entsprechend gedeutet werden: ein flüchtiges Lichtphänomen, das Himmel und Erde verbindet und das stellvertretend für die ätherische Klarwelt mit ihren gleichermaßen ätherischen bzw. ambivalenten Bewohner_Innen steht.185 Inwiefern in dem Bilderzyklus allerdings wirklich eine ›Überwindung‹ der Geschlechter stattfindet, wenn doch alle Figuren ihrem Geschlechtsteil nach zu urteilen männlich sind, bleibt fraglich. So progressiv von Kupffer in einigen Belangen auch gewesen sein mag, verdeutlicht seine Erhebung des männlichen Androgynen zum Inbegriff des Araphroditen doch auch gewisse misogyne Tendenzen, da das Weibliche dem Männlichen letztlich doch nicht gleichgestellt, sondern lediglich untergeordnet wird. Zumindest in konzeptueller Hinsicht repräsentiert die von Kupffer und seinem
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Elisarion 1943, S. 251. Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit den einzelnen ikonographischen Motiven siehe Ricci 2007. 183 Vgl. ebd., S. 205f. 184 Vgl. ebd., S. 202. 185 Ricci liefert in seiner Analyse des Werkes noch eine weitere Deutung des Regenbogens als Verweis auf Platons Konzept der Seelenwanderung. Vgl. ebd., S. 216.
III. Hauptteil
Partner imaginierte Klarwelt als Paradies ohne Grenzen aber eine Art ›queeren Anarchismus‹, der sich auf visueller Ebene in den letzten beiden zu betrachtenden Arbeiten wesentlich konkreter äußert: auf der einen Seite eine Schwarz-Weiß-Fotografie des US-amerikanischen Fotografen George Platt Lynes (1907–1955), welche die Geburt des Dionysos aus dem Schenkel des Zeus zum Thema hat (Abb. 32). Auf der anderen Seite eine zeitgenössische Fotografie von Robin Black und Cassils, die sich mit dem Thema Genderqueerness auseinandersetzt (Abb. 33).186 George Platt Lynes, der in der Zeit von 1930 bis 1940 äußerst erfolgreich als Modefotograf für Publikationen wie Vogue und Harper’s Bazaar tätig war und sich zudem als begehrter Portraitist der US-amerikanischen Sozial-, Kunst- und Filmelite etablierte, wandte sich in seinen nichtkommerziellen, privaten Arbeiten vorrangig der männlichen Aktfotografie zu.187 Er galt neben dem Briten Cecil Beaton (1904–1980) und dem Deutschen Herbert List (1903–1975) als einer der wichtigsten Modefotografen seinerzeit und war ebenso wie diese Teil der internationalen Kunstavantgarde um Gertrude Stein, Jean Cocteau etc. Angeregt von den Pionieren homoerotischer Fotografie, insbesondere von Gloeden und dem in Massachusetts geborenen Fred Holland Day (1864–1933), sowie den surrealistischen Fotomontagen eines Man Ray (1890–1976) verknüpft Lynes in seinen erotischen Bildern oftmals mythologische Themen mit einem klaren, bühnenartigen Bildaufbau sowie einer an das Chiaroscuro angelehnten dramatischen Lichtführung. Obschon David Leddick sowie Thomas Waugh zu Recht anmerken, dass sich Lynes auch deshalb mythologischen Themen zugewandt hat, um die damals gültigen Zensurauflagen für Aktfotografie zu umgehen, gestatteten ihm diese Motive nichtsdestotrotz einen unermesslichen kreativen Spielraum.188 Wie sehr ihm diese privat entstandenen Arbeiten am Herzen lagen, belegt die Tatsache, dass er kurz vor seinem Tod 1955 einen Großteil seiner kommerziellen Arbeiten vernichtete, aber die über Jahre angewachsene Serie männlicher und gelegentlich auch weiblicher Aktfotografie (um die 600 Fotografien und etwa 2300 Negative) dem Sexologen Alfred Kinsey vermachte.189 Kinseys zuerst 1948 veröffentlichte Studie über das männliche Sexualverhalten, Sexual Behavior in the Human Male, laut welcher mindestens 37 Prozent der damaligen US-amerikanischen Männer homosexuelle Kontakte hatten, gilt als wichtiger Eckpfeiler der schwulen Emanzipationsbewegung in den USA.190 In der postumen Geste Lynes’, seine homoerotisch aufgeladenen Aktfotografien und zahlreiche Portraitaufnahmen befreundeter homosexueller Künstler_Innen dem Institut zu übergeben, äußert sich zwar zum einen
186 Siehe zu Cassils auch Kat. Ausst. Homosexualität_En 2015, S. 6. 187 Vgl. Reed 2011, S. 145ff. 188 Vgl. Leddick, David: George Platt Lynes 1907–1955. Köln 2000, S. 214; vgl. zudem Waugh, Thomas: Posing and Performance. Glamour and Desire in Homoerotic Art Photography, 1920–1945, in: Bright, Deborah (Hg.): The Passionate Camera. Photography and Bodies of Desire, London und New York 1998, S. 58–78; hier: S. 69. 189 Vgl. Leddick 2000, S. 147; vgl. zudem Crump, James; Lynes, George Platt: Photographien aus der Sammlung des Kinsey Institute. München, Paris und London 1993. 190 Vgl. Kinsey, Alfred C.; Pomeroy, Wardell B.; Martin, Clyde E.: Sexual Behavior in the Human Male. Philadelphia und London 1949, S. 623; 1953 folgte dann der zweite Teil über das Sexualverhalten der Frau: Kinsey, Alfred C.; Pomeroy, Wardell B.; Martin, Clyde E.; Gebhard, Paul H.: Sexual Behavior in the Human Female. Philadelphia 1953.
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die Tragik seines Lebens, das eigene Begehren und damit einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit zu Lebzeiten versteckt halten zu müssen. Zum anderen deutet sich darin auch ein gewisser Stolz auf das unverblümt sexuelle Œuvre sowie die eigene Identität als homosexueller Mann an. Bedenkt man hierzu auch noch den zeitlichen Kontext – das repressive kulturelle Klima der 1940er und 1950er ist aus homosexueller Perspektive besonders von der sogenannten Lavender Scare geprägt, einer von Joseph McCarthy und Everett Dirksen initiierten Hexenjagd auf homosexuelle Mitarbeiter_Innen der US-Regierung, denen man angesichts des Kalten Krieges vorwarf, ein Sicherheitsrisiko zu sein –, so erhält Lynes künstlerischer Beitrag noch mehr Gewicht.191 Unter Berücksichtigung der zeitlichen Umstände erklärt sich dann auch, weshalb den meisten von Lynes’ Arbeiten ein voyeuristischer Charakter anhaftet, oder wie Saslow es schreibt: »His surreal scenarios evoke a voyeuristic aura of peeping at half-hidden fantasies […]«.192 Den Betrachter_Innen wird sprichwörtlich ein Blick in den closet gewährt, der fernab gesellschaftlich akzeptierter Konventionen eine scheinbar völlig ›andersartige‹ Welt beherbergt, in der Männer willentlich ihren nackten Körper als sexuelles Objekt inszenieren, Zärtlichkeiten tauschen, oder, wie im nachfolgenden Bild dargestellt, Kinder gebären. In Die zweite Geburt des Dionysos (Abb. 32) von 1939 wendet Lynes sich dem mythologischen Thema der Schenkelgeburt zu: Zeus nähte sich seinen ungeborenen Sohn Dionysos für drei Monate in den Oberschenkel ein, nachdem dessen Mutter Semele einer Intrige Heras zum Opfer gefallen war und schwanger verstarb.193 In einer subtilen Parallele zu Semeles Schicksal inszeniert Lynes den Geburtsprozess des Dionysos als voyeuristisches Spektakel, das nicht für fremde Augen bestimmt zu sein scheint. Zur Visualisierung dieses phantastischen und im wahrsten Sinne des Wortes ›trans-geschlechtlichen‹ Moments bedient sich der Fotograf der Montagetechnik und kombiniert die Aufnahme eines dramatisch nach hinten gelehnten männlichen Aktes, dessen muskulöser Körper sich durch gezielte Lichtführung aus dem Schatten schält, mit dem Foto eines Säuglings, welches aus einer vaginalen Öffnung am Oberschenkel hervortritt. Gerade durch diese Kombination von Montagetechnik, einer stark forcierten Perspektive sowie der extremen Pose gelingt es Lynes, den männlichen Körper seines Fotomodells zu feminisieren und die Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit zu verwischen. Die Verquickung eines begehrlichen männlichen Körpers, der sich dem Blick der Betrachtenden geradezu hinzugeben scheint, zusammen mit der eindeutig als weiblich zu bezeichnenden Rolle als Gebärender, erzeugt ein durch und durch ambivalentes Bild von Geschlechtlichkeit und Körperlichkeit. Darüber hinaus kann die Fotogra191
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Siehe etwa Johnson, David K.: The Lavender Scare: The Cold War Persecution of Gays and Lesbians in the Fenderal Government. Chicago 2006; sowie Dean, Robert D.: Imperial Brotherhood. Gender and the Making of Cold War Foreign Policy, Amherst (Massachusetts) 2001; der Ausdruck lavender scare ist eine Anspielung auf die red scare, also die Verfolgung vermeintlicher Kommunist_Innen unter Joseph McCarthy und die Farbe helllila, die wie alle Pastellfarben zur damaligen Zeit als effeminiert galt; zur lavender scare siehe auch Kapitel III.2.4 und Kapitel III.2.5. Saslow 1999, S. 239f. Hera stachelte Semele dazu an, Zeus darum zu bitten, ihr seine ›wahre Gestalt‹ zu offenbaren. Die göttliche Natur des Zeus überlebt Semele allerdings nicht und verbrennt im Angesicht ihres Geliebten. Vgl. hierzu Ovid 2003, III, 260ff (S. 141ff).
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fie auch im Sinne einer positivierenden Verbildlichung des eigenen Künstlertums gelesen werden: Entgegen der damals vorherrschenden Ansicht vom devianten und gefährlichen Schwulen erschafft hier ein homosexueller Künstler unter Rückgriff auf ein antikes Thema eine Allegorie auf das schöpferische Potential einer marginalisierten Menschengruppe. Eine nicht minder radikale Position nimmt auch Robin Blacks Fotografie von Cassils ein, ein_er genderqueerer_en Performancekünstler_In und Bodybuilder_In (Abb. 33).194 Der mittels gezieltem Training, Ergänzungsmitteln und Steroiden erarbeitete stählerne Körper Cassils’, der die kulturelle Definition eines ›biologisch weiblichen‹ Körpers sprengt, steht nicht nur im Fokus des hier zu sehenden Bildes, vielmehr ist er essenzieller Bestandteil von Cassils’ Kunst.195 Die mit Advertisement: Homage to Benglis (2011) betitelte Aufnahme des Fotografen und Visagisten Robin Black rückt die antrainierte Muskelmasse Cassils’ in den Vordergrund: Vor neutralem weißen Hintergrund steht Cassils, lediglich mit einem Sportsuspensorium bekleidet, den Betrachter_Innen frontal gegenüber, wendet jedoch den Kopf wie auch den Blick nach rechts. Aus dem weißlich gepuderten Gesicht mit den überschminkten Augenbrauen stechen insbesondere die blauen Augen wie auch der mit rotem Lippenstift nachgezogene Mund hervor. Durch die bewusste Kontrastierung des travestieartigen Make-ups mit den androgynen Gesichtszügen, der herkulischen Statur sowie dem ›weiblichen‹ Brustansatz kreieren Black und Cassils ein Amalgam aus kulturell weiblichen (das Make-up) und vermeintlich ›biologisch männlichen‹ Versatzstücken (der muskulöse Körper). Der Titel wie auch die grundlegende Komposition der Fotografie spielt auf Lynda Benglis Arbeit Advertisement (1974) an, in welcher die US-amerikanische Künstlerin in der Zeitschrift Artforum nackt mit einem großen Dildo zwischen den Beinen posiert. Einerseits persifliert sie damit das mediale Frauenbild, andererseits kann das Foto auch als ganz konkrete Kritik an der männerdominierten US-amerikanischen Kunstlandschaft der 1960er und 1970er verstanden werden, in der das demonstrative Zurschaustellen eines vermeintlich ›männlichen Künstlertums‹ mit dem provokativ in die Kamera gehaltenen Phallussymbol parallelisiert wird.196 Was sich in seiner thematischen Relevanz bereits in Lynes’ Die zweite Geburt des Dionysos andeutete, macht Benglis mit ihrer inszenatorischen Verqueerung des vermeintlich rein männlichen Künstlertums nochmals besonders deutlich: künstlerische bzw. kunsthistorische Kanonbildung geschah und geschieht in vielen Fällen nach wie vor unter Ausschluss queerer, weiblicher und/oder nicht-weißer Perspektiven. Benglis’ aggressive Selbstinszenierung entspringt ähnlich wie Lynes’ Selbstmystifizierung aus dem Bedürfnis, einen auf Abgrenzung und kulturelle Deutungshoheit pochenden ›Kunstpantheon‹ zu unterwandern.197 Während Benglis im Hinblick auf ihre 194 Advertisment: Homage to Benglis wurde zudem als Titelbild sowie Werbeplakat für die Ausstellung Homosexualität_En in Berlin verwendet. Aufgrund einiger Beschwerden musste das Plakat aber abgenommen werden. Für das Plakat siehe Kat. Ausst. Homosexualität_En 2015, S. 185. 195 Vgl. Frizzell, Nell: Heather Cassils: The Transgender Bodybuilder who Attacks Heaps of Clay [03.10.2013], in: The Guardian, https://www.theguardian.com/artanddesign/2013/oct/03/heathe r-cassils-transgender-bodybuilder-artist (18.04.2018). 196 Siehe Doss, Erika: American Art of the 20th–21st Centuries. New York und Oxford 2017, S. 207. 197 Obschon es auch zu Benglis’ Zeiten homo- bzw. bisexuelle Künstler_Innen in den Kunstkanon geschafft haben, wie etwa Robert Rauschenberg und Jasper Jones, waren diese allesamt nicht
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Kritik an der Kunstlandschaft ihr Foto ganz bewusst in einer Kunstzeitschrift veröffentlichte, wandten sich Black und Cassils an queere Publikationen, um auf die prekäre Situation transgeschlechtlicher Menschen auch innerhalb der LGBTQIA*-Gemeinschaft aufmerksam zu machen.198 Anstatt eines Dildos als Repräsentant für eine Ermächtigung, wird hier Cassils’ durchtrainierter Körper zum ›phallischen‹, d.h. machtvollen Symbolträger, der durch das geschminkte Gesicht jedoch zugleich ironisch gebrochen wird. Advertisement: Homage to Benglis ist jedoch nicht als alleinstehendes Kunstwerk gedacht, sondern muss im Kontext der Langzeitperformance Cuts: A Traditional Sculpture (2011–2013) betrachtet werden, in deren Zuge Cassils den eigenen Körper mittels oben genannter Methoden gezielt zu ›transformieren‹ begann.199 In der Tradition der Body Art versteht Cassils den Körper als ›Rohmaterial‹ und bezeichnet das u.a. in Advertisment festgehaltene Ergebnis als »soziale Skulptur«.200 Die selbstbestimmte Formung des eigenen Leibes sabotiere laut Lena Nievers »die binären Geschlechterkonzepte und konstruiert einen kritischen Diskurs über Körper- und Genderideologie.«201 Auch wenn zwischen Lynes’ und Cassils’ Arbeiten mehr als 70 Jahre liegen, eint sie doch die Zelebrierung ambivalenter Körperlichkeit sowie derselbe transgressive Habitus, mit welchem sie sich dem Binarismus fester Geschlechtergrenzen widersetzen. Damit positionieren sich die Werke ganz konkret gegen das sich seit dem 18. Jahrhundert ausbreitenden Zwei-Geschlechter-Modell und unterwandern mit ihrer Darstellung ›femininer Virilität‹ und ›maskuliner Femininität‹ die gesellschaftlichen Konventionen. Dabei sind sie das Produkt einer seit der Antike bestehenden Tradition, die sich zwar ungebrochen – siehe etwa die Christus-als-Ecclesia-Darstellungen –, aber stets unter anderen Vorzeichen bis in die Gegenwart zieht.
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geoutet und vermieden allzu offensichtliche bzw. offensive Thematisierung ihrer Homosexualität. So produzierte Rauschenberg zwar durchaus Werke, die sich direkt auf homoerotische Themen wie den Ganymed-Mythos bezogen, so etwa die Combine-Arbeiten Canyon sowie Pail for Ganymed (beide von 1959), doch ihr abstrakter Charakter kaschierte den schwulen Subtext. Vgl. Needham, Alex: Robert Rauschenberg: »He was just something to be around« [19.11.2016], in: The Guardian, https://www.theguardian.com/artanddesign/2016/nov/19/robert-rauschenberg-ju st-something-be-around (17.05.2018); vgl. überdies Schimmel, Paul: Autobiography and Self-Portraiture in Rauschenberg’s Combines. In: Kat. Ausst. Robert Rauschenberg Combines. New York et al. 2005–2007, Los Angeles 2005, S. 211–230; hier: S. 226f. Siehe hierzu das Portfolio auf http://cassils.net/portfolio/cuts-a-traditional-sculpture/(zuletzt: 18.04.2018). Mit dem Titel Cuts: A Traditional Sculpture bezieht sich Cassils, wie schon bei Advertisement, wiederholt auf das Werk einer feministischen Künstlerin: In der Performance Carving: A Traditional Sculpture von 1972 unterzieht die Künstlerin Eleanor Antin sich für 37 Tage einer radikalen Diät und transformiert somit ihren Körper. Den eigentlichen Transformationsprozess hält Cassils in der ebenfalls zu Cuts gehörenden Fotoserie Time Lapse fest. Vgl. Nievers, Lena: Körpertransformation. In: Kat. Ausst. Mapping the Body. Der Körper in der heutigen Lebenswelt. Galerie im Taxispalais Innsbruck 2016, Wien 2016, S. 56–61; hier: S. 56. Zitiert nach ebd. Ebd.
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III.1.3 Paiderastia: Das Erbe der olympischen Päderasten Wie schon im Vorfeld anhand von Hadrians Geliebtem Antinoos angedeutet wurde, hat der Aspekt körperlicher Ambivalenz in der Antike insbesondere für die Institution der Päderastie große Relevanz. Die Rollenverteilung im päderastischen Beziehungsmodell orientierte sich an der Jugendlichkeit und ambivalenten Geschlechtlichkeit des erômenos, die dem männlichen und erfahrenen Status des erastês gegenübergestellt wird. Trotz des bewussten Ausschlusses der Frau spiegelt die Päderastie somit dieselbe Dynamik wider, die auch das kulturell sanktionierte Verhältnis von Mann und Frau bestimmt: Der jüngere, passive, vermeintlich ›weiblichere‹ Partner ist dem älteren, aktiven und vermeintlich ›männlicheren‹ Partner untergeordnet. In dieser stark hierarchischen Struktur verdeutlicht sich nochmals der eigentliche Sinn des päderastischen Verhältnisses, der darin bestand, eine gesellschaftliche, militärische und sexuelle Unterweisung zu gewährleisten. Ikonographisch knüpfen Darstellungen päderastischer Paare an die etablierten Inszenierungskonventionen der Epheben an und kontrastieren diese mit dem Bild ›idealer und reifer Männlichkeit‹ in Gestalt des erastês. Das Hauptaugenmerk richtet sich im weiteren Verlauf zunächst auf die Ikonographie olympischer Päderastie, die Herausarbeitung des ihr zugrundeliegenden performativen Geschlechter- bzw. Beziehungsverständnisses sowie den (kunst-)historischen Wandel der Inszenierung und der Rezeption.202 Der den Überlieferungen nach aus Phrygien stammende Ganymed gehört neben Narziss, Endymion und Antinoos zweifelsohne in die Riege der schönsten Epheben der Antike. Im Gegensatz zum tragischen Schicksal Narziss’ und Antinoos’ blieb dem in seiner jugendlichen Blüte stehenden Ganymed das Unglück eines irdischen Todes erspart. So schildert Ovid, dass Jupiter bzw. Zeus beim Anblick des Schönlings vor Liebe »entbrannte« und sich in einen Adler verwandelte, um den Begehrten in den Olymp zu entführen.203 Diese mythologische Beziehungskonstellation des geschlechtlich ambivalen202 Dies soll am Beispiel der mythischen Päderastenpaare Zeus und Ganymed sowie Apoll und Hyacinth bzw. Cyparissus erfolgen. Danach geht es um die Kontextualisierung und Problematisierung des Päderastiemotivs im Zusammenhang mit der politischen und sozialen Verfestigung einer ›homosexuellen Identität‹ ab dem 19. Jahrhundert. Durch die paarweise Gegenüberstellung der Arbeiten von Sascha Schneider (Abb. 42) und Robert Mapplethorpe (Abb. 43) auf der einen und Duane Michals (Abb. 44) sowie Nikolay Tolmachev (Abb. 45) auf der anderen Seite sollen zwei unterschiedliche Weiterführungen der antiken Ikonographie akzentuiert werden: Die ersten beiden Beispiele repräsentieren eine nicht unumstrittene Fortschreibung etablierter Bildkonventionen und paaren einen älteren, zumeist bärtigen Mann mit einem bartlosen Jüngling. Die zwei zuletzt genannten Künstler hingegen lösen vereinzelte Bildelemente aus dem päderastischen Kontext heraus und verwenden diese als eigenständige Bildmotive, wie etwa die u.a. auf den HyacinthMythos zurückgehende Verquickung begehrlichen Ephebentums mit Blumen. Ein bildlich anverwandtes, aber thematisch anders gelagertes Thema, die christlich geprägte amicitia, wird in Kapitel III.2.2 untersucht. 203 Ovid 2003, hier: X, 155f (S. 521); der Mythos wurde neben Ovid zuerst von Homer in der Ilias sowie später von Vergil in der Aeneis festgehalten. Homer: Ilias. Übers. von Johann Heinrich Voß, Frankfurt a.M. 1990 (zuerst 1793), 5. Gesang, 256ff sowie 20. Gesang, 215–235; Vergil: Aeneis. Übers. von Johann Heinrich Voß, Leipzig 1875 (zuerst 1799), 5. Gesang, 252–260.
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ten Epheben und des bärtigen, hypervirilen Oberhauptes der Olympioi wird zum Inbegriff eines päderastischen Paares. Seine irdische Entsprechung findet dieses Urbild eines erastês und erômenos am deutlichsten in der ebenfalls generationsüberschreitenden Verbindung von Hadrian und Antinoos, wenngleich diese auch kaum gemeinsam abgebildet wurden. Der Ganymed-Mythos galt Liebhabern von Jünglingen fortan als ›göttliche‹ Rechtfertigung ihres Begehrens, und zwar nicht nur im antiken Griechenland, sondern auch darüber hinaus.204 Der Name Ganymeds wird überdies zum Synonym für den passiven jugendlichen Partner innerhalb gleichgeschlechtlicher Akte.205 In den frühesten Aufzeichnungen bei Homer finden sich nach Gerda Kempters kunsthistorischer Untersuchung der Thematik allerdings noch keine Hinweise auf eine erotische Auslegung der Ganymed-Geschichte, beginne diese doch erst ab dem 6. Jahrhundert v. Chr.206 Gleichwohl wird bereits in Homers Ilias deutlich, dass der Jüngling aufgrund seiner Schönheit in den Olymp berufen wurde.207 Eine um 470 v. Chr. gefertigte Terrakotta-Statuette zeigt die Interpretation eines antiken Kunstschaffenden: Ein lüstern blickender Zeus ergreift einen nackten und knabenhaften Ganymed, der einen Hahn – Geschenk des Donnergottes – in der Hand hält (Abb. 34).208 Eine vergleichbare Szene findet sich in einer attischen rotfigurigen Vasenmalerei (ca. 530–430 v. Chr., Abb. 35). Im Unterschied zur vorhergehenden Figurengruppe erscheint Ganymed darin nicht nur in Anbetracht der Körpergröße als ebenbürtig, vielmehr setzt er sich entschieden zur Wehr und verbildlicht damit einen später sehr selten dargestellten Aspekt der Päderastie: Sofern ein erastês die Zuneigung eines erômenos für sich gewinnen wollte, musste dies, zumindest theoretisch, auf eine respektvolle Art und Weise erfolgen.209 Betrachtet man beide Werke, so fällt auf, dass es sich dabei nicht um die weitaus geläufigere Ikonographie mit Zeus in Adlergestalt handelt; zwar gibt es schon in der Antike derartige Darstellungen des Mythos, doch erst in der nachklassischen Zeit wird das Adlermotiv zur vorherrschenden Inszenierungsweise.210 Diese kodierte Darstellung des Themas erfreut sich insbesondere ab der Renaissance großer Popularität und wird in Folge eines sich ausbreitenden Neoplatonismus entweder als Aufstieg der menschlichen Seele bzw. des Intellekts in göttliche Sphären gedeutet oder als profane Chiffre für männlich-männliches Begehren.211 Panofsky führt diese
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Vgl. Woods 1998, S. 19. Vgl. Reed 2011, S. 51. Vgl. Kempter, Gerda: Ganymed. Köln und Wien 1980, S. 6. In der Übersetzung von Johann Heinrich Voß heißt es: »Dann Erichthonios zeugte den Tros zum Gebieter den Troern;/Aber von Tros entsprangen die drei untadligen Söhne,/Ilos, Assarakos auch, und der göttliche Held Ganymedes,/Welcher der schönste war der sterblichen Erdbewohner:/Ihn auch rafften die Götter empor, Zeus’ Becher zu füllen,/Wegen der schönen Gestalt, den Unsterblichen zugesellet.« (Homer 1990, 20. Gesang, 230–235). 208 Vgl. Fernandez 2002, S. 48; vgl. Aghion, Barbillon und Lissarrague 2000, S. 122f. 209 Vgl. Fernandez 2002, S. 48f. 210 Vgl. Aghion, Barbillon und Lissarrague 2000, S. 123; ein antikes Kunstwerk, welches Zeus in Adlergestalt zeigt, findet sich im Museo del Prado in Madrid. Die aus weißem Marmor gearbeitete Statue wird auf 160–170 n. Chr. datiert und stammt aus Rom (Inventarnummer: E000035). 211 Saslow 1986, S. 1f.
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konträren Auffassungen bereits auf Platon und Xenophon im 4. Jahrhundert v. Chr. zurück: Ersterer deutet den Mythos im Sinne einer Rechtfertigung der Jünglingsliebe, Letzterer hingegen als »Moralallegorie, die die Überlegenheit des Geistes gegenüber dem Leibe bezeichnet«.212 Später wird sich die enterotisierte, neoplatonische Lesart in dem Ovidus moralizatus des Mönchs Petrus Berchorius (14. Jahrhundert) manifestieren, der Ganymed mit dem Evangelisten Johannes, dessen Attribut auch ein Adler ist, gleichsetzt und den Mythos als Allegorie göttlicher Inspiration versteht.213 Das französische Pendant zu Berchorius’ Schrift, der Ovide moralisé, verweigert sich einer positiven Umdeutung und orientiert sich an einer seit dem 2. Jahrhundert etablierten Auslegung, welche die erotische Komponente des Mythos zwar nicht negiert, sie aber als Warnung vor dem Laster der Sodomie interpretiert.214 Eine sehr seltene künstlerische Umsetzung dieser Auffassung findet sich an einem Halbsäulenkapitell der Abteikirche Sainte Madeleine zu Vézelay (Abb. 36): Das kelchförmige Kapitell schildert die Entführung Ganymeds als Konsequenz teuflischen Wirkens. Der entsetzt blickende Knabe ist zentral auf der Frontseite des Kapitells abgebildet und hängt, an der Taille gepackt, kopfüber aus dem Schnabel eines großen Adlers, der zudem noch einen zähnefletschenden Hund in den Klauen hält. Hinter dem Vogel lugt eine Teufelsfratze hervor, die mit beiden Händen ihr Maul weit aufreißt. Von der linken Seite kommend eilen drei weitere Gestalten herbei, wobei nur noch die vorderste Figur erhalten ist, die mit erhobenen Händen ihrer Verzweiflung ob der Entführung Ausdruck verleiht. Die Identifizierung der Szene als Raub des Ganymed führt Kempter auf Jean Adhémar zurück, welcher die Darstellung von Virgils Aeneis ableitet, worin sich aber keine Erklärungen für die ikonographischen Eigenheiten des Kapitells finden.215 Die strategisch neben dem Adler platzierte Satansfratze muss in besonderer Weise hervorgehoben werden, weist sie den Ganymed-Mythos doch in aller Deutlichkeit als deviantes Laster aus.216 Die aus christlicher Perspektive schlimmste aller möglichen Transgressionen – die Sodomie – wird damit unmissverständlich als Werk des Teufels markiert. Mit Beginn der Renaissance gerät die Auslegung im Sinne des Ovide moralisé allerdings zunehmend in den Hintergrund und wird durch eine positivierende Aneignung des Mythos verdrängt. Dieser Deutungswandel lässt sich besonders gut anhand zweier sehr sinnlicher Kunstwerke illustrieren: Einerseits eine Zeichnung Michelangelos (um 1532), die er seinem innig begehrten Liebling Tommaso de‹ Cavalieri widmete und auf die schon im Einleitungsteil des Antike-Kapitels verwiesen wurde (Abb. 7). Andererseits eine Skulptur Cellinis (um 1550), die aus ikonographischer Sicht gerade auch deshalb interessant ist, weil sie die übliche päderastische Rollenverteilung – Zeus als dominanter Räuber und Ganymed als passives Objekt – invertiert (Abb. 37). Michelangelos Originalzeichnung vom Raub des Ganymed gilt bis heute als verschollen und liegt uns laut Saslow nur mehr als eine dem Künstler zugeschriebene Entwurfs-
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Panofsky, Erwin: Studien zur Ikonologie. Humanistische Themen in der Kunst der Renaissance, Köln 1981, S. 280. 213 Vgl. Saslow 1986, S. 6; vgl. auch Kapitel III.2.2. 214 Vgl. Saslow 1986, S. 6; für einen Vergleich beider Schriften siehe Kempter 1980, S. 27ff. 215 Vgl. Kempter 1980, S. 22. 216 Vgl. ebd., S. 25.
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skizze vor (Abb. 7) sowie als Kopie eines unbekannten Autoren.217 Indessen argumentiert Kempter, dass es sich bei der zuletzt genannten und im Windsor Castle aufbewahrten Ausführung um die akkuratere Wiedergabe des Originals handelt, woraus sich schließen lässt, dass sie die zuerst genannte Skizze nicht Michelangelo zuschreibt.218 Aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit können beide Versionen im Zuge einer ikonographischen Betrachtung jedenfalls als gleichwertig erachtet werden.219 Zu sehen ist ein nackter und äußerst muskulöser Ganymed mit lockigem Haar, der von einem Adler hinterrücks an den Waden ergriffen und in die Luft emporgehoben wird. In einer, wie Saslow es ausdrückt, zugleich aggressiven wie beschützenden Geste reckt der Vogel seinen Kopf vor die Brust des Jünglings, während seine kräftigen Klauen dessen Beine zu spreizen scheinen.220 Sowohl im Falle des Adlers als auch des Epheben unterstreicht Michelangelo durch gezielt eingesetzte Momente körperlicher An- und Entspannung die leibliche Präsenz der Dargestellten in einer für ihn typischen Manier. Der in sich verdrehte Körper Ganymeds parallelisiert mit fast tänzerischer Anmut die Bewegungen des Greifvogels und vice versa. Beim Anblick dieser unleugbar erotisch aufgeladenen Zeichnung, die so gekonnt zwischen aggressiver Lust und liebevoller Zärtlichkeit changiert, fühlt sich Baruch David Kirschenbaum unweigerlich an die Sonette Michelangelos erinnert.221 Er hebt das an Cavalieri gerichtete Sonett CIX, 19 hervor, in welchem der Künstler sein Begehren mit der Metapher eines Himmelflugs umschreibt: »Auf Deinen Flügeln, ob’s mir auch gebricht/ Am Glanzgefieder, mess’ ich Himmelsbahn,/Rot oder bleich, im Winter heiß, zum Wahn/Dem Sommer kalt machst Du mein Angesicht.«222 Die Darstellung des zwischen Agonie und Ekstase schwebenden und eng mit Zeus verschlungenen Ganymed thematisiert dieselbe Zerrissenheit, die auch im Sonett verhandelt wird. Zelebrieren die ersten beiden Verse mit der metaphorischen Apotheose noch den in Einklang mit der christlichen Lehre stehenden amor spiritualis bzw. die amicitia, kontrastieren die darauffolgenden Zeilen dies mit ihrer Betonung körperlichen Verlangens sowie wahn- und wechselhafter Emotionen bzw. des amor carnalis. In lyrisch komprimierter Form findet sich hier der amor spiritualis in direkter Gegenüberstellung zum amor carnalis.223 Im bildnerischen wie auch im literarischen Werk Michelangelos finden sich entsprechend diesen Beobachtungen immer 217 218
Saslow 1986, S. 19. Vgl. Kempter 1980, S. 86; laut Harvard Art Museum ist die hier abgebildete Version eine Kopie nach Michelangelo. 219 Vgl. Saslow 1986, S. 21. 220 Saslow beschreibt die Geste als »touchingly protective and aggressively thrusting« (Ebd., S. 19). 221 Vgl. Kirschenbaum, Baruch D.: Reflections on Michelangelo’s Drawings for Cavalieri. In: Gazette des Beaux-Arts, April/Juni (1951), S. 99–110. 222 Michelangelo: Sonette. Übers. und hg. von Edwin Redslob, Berlin und Frankfurt a.M. 1948, S. 90f; Kursivschreibung hinzugefügt; im Original heißt es: »Volo con le vostr’ale e senza piume;/col vostro ingegno al ciel sempre son mosso;/dal vostro abritrio son pallido e rosso,/freddo al sol, caldo alle più fredde brume.« (Ebd.) 223 Saslow verweist auf die Begriffe amor spiritualis und carnalis, die er als christliche Weiterführung der von Pausanias in Platons Symposion angesprochenen Idee zweier unterschiedlicher Arten von Liebe auffasst: Einerseits die körperliche, irdische Liebe (Aphrodite Pandemos) und andererseits die geistige, himmlische Liebe (Aphrodite Urania); vgl. Saslow 1986, S. 22; sowie Platon 2012, 181b–d (S. 26).
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wieder Spuren, die auf einen inneren Konflikt des Künstlers hinzuweisen scheinen, das eigene Begehren im Sinne einer neoplatonisch-christlichen Moral- und Sexuallehre zu sublimieren. Obschon damit keinesfalls das vielschichtige und facettenreiche Kunstkorpus auf eine einzige Lesart reduziert werden soll, bleibt der Aspekt eines Wettstreits des amor spiritualis und des amor carnalis nicht nur im Kontext der vorliegenden Arbeit ein wichtiger Schlüssel zum besseren Verständnis von Michelangelos Œuvre. Der aggressiv-sexuellen Leib- und Bildhaftigkeit von Michelangelos Zeichnung, die als Verweis auf unterdrückte und nicht ausgelebte Triebe gedeutet werden kann, soll nun die verspielte und weitaus zartere Statue Cellinis entgegengestellt werden (Abb. 37).224 Der für Cosimo I. de‹ Medici angefertigten Skulptur lag ein antiker Torso zugrunde, bei dessen Anblick der Künstler, laut seiner eigenen Vita, sofort auf die Idee gekommen sei, daraus einen Ganymed zu gestalten.225 Die aufrecht stehende, feingliedrige und mit leichtem S-Schwung versehene Jünglingsfigur blickt auf einen etwa halb so großen Adler hinunter, der sich sanft an das Spielbein anschmiegt. Im Gegensatz zu Michelangelos eher hünenhafter Interpretation entspricht die Körperlichkeit des hier dargestellten und mit üppiger Lockenpracht versehenen Ganymed wieder verstärkt dem antiken Ideal geschlechtlich ambivalenter Epheben: Der Leib ist weich und feminin, die Muskulatur zurückgenommen. Nichtsdestotrotz macht die Größe und Anordnung der Figuren unmissverständlich klar, dass der Jüngling die Zügel in der Hand hält. Dies wird in der Interaktion mit dem Adler umso deutlicher: In der rechten, erhobenen Hand hält er einen kleinen Vogel, mit dem er, allem Anschein nach, den darauf blickenden Adler spielerisch neckt. Mit dem Zeigefinger der linken Hand zerzaust der Jüngling sanft die Nackenfedern des göttlichen Vogels. In diesem kleinen Detail enthüllt sich eine überaus intime Sinn- und Begehrlichkeit. Dass Cellini mit der Homoerotik des Mythos vertraut war und daher ganz bewusst die sexuellen Konnotationen in seiner Arbeit herausstellte, bezeugt beispielsweise seine Antwort auf die Sodomieanschuldigung des rivalisierenden Bildhauers Baccio Bandinellis: »Aber wollte nur Gott, daß ich mich auf eine so edle Kunst verstände, denn wir lesen ja, daß Jupiter sie mit Ganymed im Paradiese trieb, und hier auf Erden geben die mächtigsten Kaiser und die größten Könige der Welt sich damit ab. Ich aber bin nur ein niedriges und geringes Menschlein, das mit einer so wundersamen Sache nicht umzugehen wüßte.«226 Diese bestenfalls als halbherzig zu bezeichnende Negierung seiner angeblich ›sodomitischen‹ Tendenz gerät mehr zu einer universalen Rechtfertigung männlich-männlichen Begehrens. So nobilitiert Cellini die Sodomie bzw. Päderastie, indem er auf antike und zeitgenössische Autoritäten verweist – unter ihnen Jupiter und Ganymed –, welche diese »edle Kunst« praktizieren.227 Die Tatsache, dass der Künstler wegen sexuellen Verge-
224 Zur Thematik von Michelangelos Sexualität siehe Saslow 1986, S. 48. 225 Vgl. Cellini, Benvenuto: Leben des Benvenuto Cellini. Übers. und hg. von Heinrich Conrad, München 1999, S. 410. 226 Ebd., S. 413. 227 Vgl. Saslow 1999, S. 113.
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hens mit einem Lehrling zu vier Jahren Hausarrest verurteilt wurde, legt zumindest die Vermutung nahe, dass er doch »mit einer so wundersamen Sache« umzugehen wusste und anders als Michelangelo seinem libidinösen Verlangen aktiv nachgegangen ist.228 Demnach dürfte dann auch die der Skulptur inhärente und nun schon öfter angedeutete Umkehrung päderastischer Machtstrukturen als künstlerische Absicht zu bewerten sein, denn entgegen der antiken Überlieferung verwandelt Cellini seinen Ganymed vom Entführten in einen Verführer, während er Zeus/Jupiter zu einem artigen Schoßhund reduziert. Darüber, ob es sich bei dieser ikonographischen Eigenheit nun um einen Kommentar des Künstlers auf den verführerischen Reiz schöner Jünglinge handelt, lässt sich nur spekulieren. In Anbetracht dieser von ihm verfassten Verse erscheint diese Deutung aber durchaus wahrscheinlich: »Porta fortuna, […] s’tu scoprivi prima/che ancora a me piacessi ›l Ganimede!/Son puttaniere ormai, com’ogni uom vede,/né avesti di me la spoglia opima«.229 Gewohnt unverfroren äußert sich Cellini hier zu seiner polymorphen Sexualität und verdeutlicht durch die direkte Erwähnung Ganymeds, dass sein Begehren auch das männliche Geschlecht mit einschließt.230 Unabhängig davon, ob und wie Cellini seinem Verlangen nachgegangen ist oder nicht, bleibt seine künstlerische Faszination für den ephebischen Körper eine Konstante in seinem Œuvre. Ganz besonders sind dabei seine drei bildhauerischen Behandlungen ephebischer Schönheit zu nennen, von denen mit Narziss und Ganymed bereits zwei besprochen wurden. Die dritte Arbeit, eine lebensgroße Apoll und Hyacinth-Gruppe (Abb. 38), entstand laut Saslow unmittelbar nach der Auseinandersetzung mit Bandinelli und verblieb bis zum Tod des Künstlers in dessen Atelier, was eine tiefe persönliche Verbindung impliziert.231 Eine Überlieferung für die mythologische Vorlage der Statue findet sich u.a. bei Philostratos dem Älteren, der uns davon berichtet, wie der gleichermaßen von Apoll und Zephyr begehrte Hyacinth bzw. Hyakinthos, ein Königssohn Spartas, der Eifersucht des Windgottes zum Opfer fällt und durch dessen Zutun von einem Diskus tödlich am Kopf verletzt wird. In seiner Trauer über den Verlust des schönen Epheben verwandelt Apoll dessen Leichnam in eine Hyazinthe.232 Cellinis Behandlung des Themas fällt still und subtil aus. In anmutiger Kontrapoststellung und deutlich erkennbar an der typischen Haartracht steht ein nackter Apoll vor dem verwundeten Hyacinth – ebenfalls eine Aktfigur –, der zusammengesackt auf dem Boden sitzt und sich an den Kopf fasst. Der Bildhauer folgt in seiner Figurengestaltung des Gottes dem Typus des Apoll von Belvedere, jener Statue, die Winckelmann später als »das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Alterthums« beschreibt und von der angenommen werden darf, dass Cellini sie kannte (Abb. 20).233 Während Apoll seine rechte Hand sanft auf das gelockte Haupt des Verwundeten legt, stützt er den linken, 228 Vgl. Gallucci 2004, S. 71–82; hier: S. 71f. 229 Zit. nach Gallucci 2003, S. 45; Gallucci übersetzt die Passage wie folgt: »Damn, cursed Fortune! If only you found out earlier that I also liked Ganymede. I am a whoremonger at last, as every man can see, nor did you conquer my rich spoils.« (Ebd.). 230 Vgl. ebd., S. 171ff. 231 Vgl. Saslow 1999, S. 113. 232 Vgl. Philostratos der Ältere: Die Bilder. Hg., übers. und erläutert von Otto Schönberger, Würzburg 2004, Hyakinthos I, 24 (S. 149f); siehe auch Ovid 2003, X, 162ff (S. 521ff). 233 Winckelmann 1964, S. 309.
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angewinkelten Arm an der Hüfte ab. Den auf ihn gerichteten Blick Hyacinths erwidert er nicht, sondern sieht abwesend in die Ferne, was Saslow zu der Behauptung verleitet, der Künstler hätte hier seine Abkehr von der Jünglingsliebe thematisiert.234 Da Cellini sämtliche Anschuldigungen wegen Sodomie stets negierte, handelt es sich jedoch um reine Spekulation. Bei der Betrachtung von Cellinis Gesamtwerk wird allerdings evident, dass er sich nach Fertigstellung der drei ephebischen Statuen (alle um 1550) nie wieder derart konkret mit gleichgeschlechtlichem Begehren auseinandergesetzt hat.235 Bemerkenswert ist die Skulptur von Apoll und Hyacinth außerdem auch aufgrund ihres bereits in der mythologischen Vorlage enthaltenen ikonographischen Bruchs mit bis dato etablierten päderastischen Konventionen: Da es sich bei beiden Figuren um Epheben handelt – Apoll darf als puer aeternus verstanden werden – erfüllen sie das visuelle Ideal eines kontrastiven erastês-erômenos-Paares im Sinne eines bärtigen, reiferen Mannes sowie eines zarten Knaben nicht. Nichtsdestotrotz befolgt auch dieses Beispiel olympischer Päderastie den von Halperin betonten Aspekt der Hierarchie: Unabhängig von ihrer gleichartigen körperlichen Konstitution handelt es sich bei einem der Partner um einen Gott, wonach die in der Antike waltende Machtstruktur gewährt bleibt.236 In Cellinis Version zeigt sich jener hierarchische Gesichtspunkt besonders durch die Haltung der Figuren wie auch durch das Größenverhältnis. Da aus der Antike bisher nur wenige Darstellungen Hyacinths bekannt sind, zählt Cellinis Statue zu einer der ersten erhaltenen künstlerischen Umsetzungen des Motivs.237 Mit Ausnahme einiger vereinzelter künstlerischer Interpretationen erlebt das Thema vor allem in der Epoche des Neoklassizismus zwischen 1750 und 1830 eine Blütezeit.238 Den Grund für das gesteigerte Interesse neoklassizistischer Kunstschaffender an der tragischen Geschichte von Apoll und Hyacinth sieht Fend in den homosozialen Strukturen der damaligen Kunstwelt.239 Die von Männern bestimmte Kunst- und Akademielandschaft erkennt in der hingebungsvollen Zuneigung Apolls zu Hyacinth ein vermeintlich ›göttliches‹ Ebenbild ihrer eigenen Konstitution: So wie Apoll das Abbild
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Vgl. Saslow 1999, S. 113. Vgl. Saslow 1986, S. 171. Vgl. Halperin 2004, S. 113. Es gibt etwa eine rotfigurig bemalte attische Trinkschale (ca. 490–480 v. Chr.) im Museum of Fine Arts in Boston, bei der jedoch Uneinigkeit darüber besteht, ob sie wirklich den mythischen Epheben darstellt. Die Darstellung ist vom Vasenmaler Douris signiert und zeigt entweder einen geflügelten Zephyr, der Hyacinth umarmt, oder aber es handelt sich um eine Allegorie auf Eros, der die personifizierte Schönheit der Epheben ergreift. Museum of Fine Arts, Boston, Katalognummer: Boston 95.31, ARV2, 443, Nr. 225, Beazley-Nummer: 205271, siehe: http://www.perseus.tufts.edu/hopper/artifact?name=Boston+95.31&object=Vase (zuletzt: 27.04.2018). 238 Vgl. Fernandez 2002, S. 58; sowie Fend 2003, S. 85; weitere neoklassizistische Umsetzungen des Themas stammen von Benjamin West von 1771 (Museum of Art, Philadelphia), von Trippel Alexander um 1775–1793 (Museo Nazionale del Palazzo di Venezia, Rom), sowie von Méry-Joseph Blondel von 1810 (Musée du Baron Martin, Gray). 239 Bei der Besprechung von Girodets Endymion wurde bereits auf die homozoiale Akademiestrukturen aufmerksam gemacht: »[D]as Atelier [ist] auch jetzt ein von intermaskulinen Identifikationen geprägtes psychosoziales Netzwerk. Ein solches Geflecht von Identifikationen und Begehren zeigen die Gemälde: Zu sehen sind an der Antike orientierte Idealkörper, und sehnsuchtsvolle männliche Blicke auf männliche Körper.« (Fend 2003, S. 90).
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des idealisierten Hyacinths in einer Blume verewigt, so verewigt auch der akademische Künstler in seinen männlich-ephebischen Akten das u.a. von Winckelmann propagierte Leitbild neoklassizistischer Schönheit. Ganz diesem Verständnis entsprechend gestaltet beispielsweise der unter JaquesLouis David ausgebildete Maler Jean Broc (1771–1850) die mythische Szene (Abb. 39).240 Broc inszeniert das tragische Geschehen inmitten einer lichten pastoralen Landschaft, in welcher der unglückselige Apoll den kraftlosen Leib des soeben tödlich getroffenen Hyacinth in Armen hält. In einem Moment größter Intimität drückt der trauernde Gott behutsam seine Wange auf die Stirn des Jünglings. Am Boden liegt der mit wenigen Blutstropfen behaftete Diskus, der in Anbetracht des unversehrten Körpers Hyacinths der einzige Hinweis auf das fatale Unglück ist. Das von hinten kommende Licht erleuchtet Teile ihrer Gesichter sowie beider golden gelocktes Haar. Fast scheint es so, als würden die Körpergrenzen verschwinden, um sie zu einer Einheit verschmelzen zu lassen. Einzig das auch von Fend in ihrer Bildbeschreibung hervorgehobene lachsfarbene und bogenförmig in der Luft wehende Tuch Apolls stört »die Intimität und Geschlossenheit des Paares« und kann als »indexikalischer Verweis auf Zephyr« gesehen werden.241 Im Unterschied zu Cellini, der sich in seinem Werk bemüht, die Protagonisten klar voneinander abzugrenzen, gestaltet Broc sie fast identisch knabenhaft, wodurch er das päderastische Ideal – jedenfalls in visueller Hinsicht – gänzlich unterwandert. An der Kenntnis über die päderastischen Konventionen zumindest der neoklassizistischen Künstler besteht wenig Zweifel, waren doch entsprechende antike Texte und Vasenmalereien weit verbreitet.242 Demzufolge darf dem Künstler durchaus Absicht unterstellt werden. Broc galt als einer jener rebellischen Schüler Davids, die sich unter der Bezeichnung »Primitifs« (auch Secte des Barbus) auf eine einfache, archaische Kunst, die sich an den klaren Kompositionen griechischer Vasenmalerei orientierte, rückbesinnen wollten.243 Der hohe Grad an kompositorischer und malerischer Reduktion wie auch die starke Betonung der Jugendlichkeit der dargestellten Figuren in Brocs Tod des Hyacinth unterstreichen diese These. Die Verjüngung des Kunstgottes Apoll scheint hier im Besonderen auf eine ›Verjüngung‹ der (akademischen) Kunst zu verweisen.244 Ein früher zu datierendes Gemälde (Abb. 40), das sich derselben Thematik annimmt und ikonographisch ebenfalls eigene Wege beschreitet, findet sich bei Giambattista Tiepolo (1696–1770). Der venezianische Maler inszeniert den Mythos ganz im Stile des Barocks als dramatisches Trauerspiel vor antiker Kulisse: Ein untröstlicher und vor Gram das Gesicht verdeckender Apoll betrauert den zu Boden gesunkenen Hyacinth, dessen Kopf auf dem Knie des Gottes ruht. Vor dieser ›profanen Pietà‹ befindet sich ein am Boden liegender Tennisschläger samt Bällen, neben denen einige frische Hyazinthen gerade zu blühen begonnen haben. Linkerhand wird die Szene von einer Gruppe Männer 240 Vgl. Rosenblum, Robert; Janson, Horst W.: Art of the Nineteenth Century. Painting and Sculpture, London 1984, S. 64f. 241 Fend 2003, S. 86. 242 Vgl. ebd., S. 87. 243 Vgl. Rosenblum und Janson 1984, S. 64f; vgl. auch Levitine, George: The Dawn of Bohemianism. The Barbu Rebellion and Primitivism in Neoclassical France, University Park und London 1978, S. 116f. 244 Zum jugendlichen Impuls der Barbus vgl. ebd., S. 55ff.
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betrachtet, deren Mimik sowohl als Bestürzung als auch Argwohn interpretiert werden kann. Gerahmt wird die Szene von antiken Architekturelementen, wobei hier besonders der am rechten oberen Bildrand abgebildete Atlant in Form eines Sartyrs zu erwähnen ist, dessen Gesicht ein ebenso süffisantes wie mysteriöses Grinsen ziert. Auf dem darüber herausragenden Gesims sitzt ein Papagei, den Fernandez als sexuelles Symbol deutet.245 Im Hintergrund schließt ein dramatischer Wolkenhimmel, vor dem rechterhand einige Zypressen in die Höhe ragen, den Bildraum ab. Die augenscheinlichsten Unterschiede zu Brocs Umsetzung des Motivs betreffen die zugefügten Staffagefiguren, den Austausch des Diskus durch den Tennisschläger und die sehr viel maskulinere Körperlichkeit der Hauptfiguren. Zum ersten Punkt: Entgegen der von Fernandez vorgeschlagenen und durchaus interessanten, aber kaum belegbaren Lesart, das zusätzliche Figurenpersonal als Symbol einer gesellschaftlichen Instanz zu begreifen, die gleichgeschlechtliches Begehren verurteilt, scheint die Gruppe der Beobachtenden eher im Kontext antiker Klageweiber zu stehen, die als Personifikation der Trauer zu einer verstärkten Emotionalität – man bedenke die Entstehungsepoche des Barocks – beitragen sollen.246 Tatsächlich ist hinter den Männern im Bildmittelgrund eine Frau mit erhobenen Händen dargestellt – eine kanonisierte Trauergeste. Zum zweiten Punkt: Die Abwandlung des Diskus in einen Tennisschläger lässt sich auf die von Tiepolo verwendete italienische Übersetzung von Ovids Metamorphosen zurückführen, in der Hyacinth beim gemeinsamen Spiel mit Apoll von einem Ball am Kopf getroffen wird.247 Durch die unmittelbare Positionierung des Schlägers neben den Hyazinthen erzeugt der Künstler eine Art visuelles Pars pro Toto des tragischen Mythos: Das gemeinsame Spiel ist zugleich Ausdruck ihrer Zuneigung, aber auch Ursache für den jähen Tod Hyacinths und seine Verwandlung in die nach ihm benannte Blume. Obzwar Tiepolo die körperliche Verfasstheit seines Apolls und seines Hyacinths weitaus athletischer und maskuliner gestaltet als Broc es getan hat, ist in beiden Fällen eine Angleichung der Körperlichkeit festzustellen. Während Tiepolo sich stärker am Ideal des erastês orientiert und beide Partner dieses olympischen Päderastenpaares als reif und männlich inszeniert, folgt Broc den Darstellungskonventionen des erômenos und unterstreicht hingegen ihre Jugendlichkeit und Androgynität. Dennoch vermitteln beide Künstler durch Größe, Haltung und Attribute Apolls unmissverständlich seine gehobene bzw. dominante Position. Lassen sich die Unterschiede in der körperlichen Konstitution und dem jeweils verwendeten Quelltext in den beiden malerischen Umsetzungen am ehesten durch einen veränderten Kunst- bzw. Zeitgeschmack erklären, bedingt sich die in der Besprechung des Staffagepersonals angemerkte Fokussierung und Betonung der Trauersymbolik in Tiepolos Der Tod des Hyacinth hauptsächlich durch den Entstehungskontext des Bildes: So handelt es sich bei dem Gemälde laut Filippo Pedrocco um einen Nekrolog des Auftraggebers Graf Wilhelm Friedrich zu Schaumburg-Lippe auf seinen 1751 verstorbenen
245 Vgl. Fernandez 2002, S. 61. 246 Vgl. ebd.; Fernandez interpretiert auch den grinsenden Pan in dieser Weise; vgl. zudem Zander, Sylvina; Fischer, Norbert: Gesten der Trauer – Imaginierte Weiblichkeit in der Grabmalkultur vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. In: Friedhof und Denkmal, Jahrgang 48, Heft 1 (2003), S. 6–14. 247 Vgl. Pedrocco, Filippo: Giambattista Tiepolo. Mailand 2003, S. 289.
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spanischen Liebhaber.248 Dazu würden auch die Zypressen im Bildhintergrund passen, denen ebenfalls eine Trauersymbolik zugesprochen wird und die zudem auf eine weitere tragisch endende, gleichgeschlechtliche Liebschaft Apolls hindeuten. Ovids Metamorphosen, das verlässliche Kompendium der polyamorösen griechisch- bzw. römischantiken Mythenwelt, erzählt, abgesehen vom schönen Hyacinth, noch von einem weiteren Epheben, bei dessen Anblick Apolls Herz augenblicklich entbrannte: dem jungen Jäger Cyparissus bzw. Kyparissos von der Insel Ceos. Der Jüngling habe, so will es Ovids Überlieferung, den Tod herbeigesehnt, nachdem er versehentlich einen von ihm umhegten und geliebten Hirsch getötet hatte. Jenem Flehen sei Apoll nachgekommen, indem er den Untröstlichen mit nachfolgenden Worten in eine Zypresse verwandelte: »Du wirst von mir betrauert werden, andere betrauern und Trauernden beistehen.«249 Die anhand dieser knappen Zusammenfassung schon deutlich gewordenen inhaltlichen Parallelen des Hyacinth- und Cyparissus-Mythos – zwei von Apoll begehrte Jünglinge, die nach ihrem frühen Ableben in eine Pflanze verwandelt werden – bestehen auch auf visueller Ebene, weshalb an dieser Stelle lediglich auf eine malerische Umsetzung Claude-Marie Dubufes (1790–1864) eingegangen werden soll (Abb. 41). Der hauptsächlich für seine Portraits bekannte Künstler, im Übrigen auch ein Schüler Davids, inszeniert die Figuren des Apollo und des Cyparissus als mythisches Pendant zur Beweinung Christi. Dubufes Apoll, der stark der im Belvedere stehenden Statue ähnelt, beugt sich über den auf dem getöteten Hirsch liegenden Jüngling und stützt mit einer Hand dessen Kopf, während er mit der anderen den Arm des Sterbenden ergreift. Im Hintergrund ist eine ins Dämmerlicht der untergehenden Sonne getauchte, weitläufige Landschaft zu sehen. Kühle, neoklassizistische Farben dominieren das Gemälde und verleihen den nackten, glatten Körpern beider Protagonisten zugleich die Anmut sowie die Zeitlosigkeit marmorner Statuen. Anders als Broc oder Tiepolo arbeitet Dubufe den Altersunterschied und damit den hierarchischen Aspekt der Päderastie in seinem Gemälde deutlich heraus: Die liegende und an Girodets Endymion erinnernde Aktfigur des Cyparissus kontrastiert in ihrer zierlichen Körperlichkeit die weitaus reifere und ältere Erscheinung des Apoll. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Dubufes Apollo und Cyparissus 1822 im Salon de Paris ausgestellt wurde, eine Ehrung, die einundzwanzig Jahre zuvor etwa auch Brocs Der Tod des Hyacinth widerfuhr, untermauert dies zwar zum einen die Popularität solch unleugbar homoerotischer Motive, zum anderen geht es auch mit einer von der Gesellschaft vorgegebenen Lesart einher: Hier werden keine Päderasten gezeigt, sondern Symbolfiguren, die über sich selbst hinausweisen und insbesondere das Wesen der Kunst thematisieren.250 Nichtsdestotrotz liegt den Werken Brocs und Dubufes dieselbe 248 Vgl. ebd.; Pedrocco verweist auf die Arbeit von W. L. Barcham. Die Tatsache, dass es sich um eine Auftragsarbeit handelt, erklärt auch das für Tiepolo untypische Motiv. Vgl. Kat. Ausst. Der Himmel auf Erden. Tiepolo in Würzburg, Würzburger Residenz 1996, München und New York 1996, S. 138ff. 249 Ovid 2003, X, 140 (S. 519); die Geschichten von Cyparissus, Hyacinth und Ganymed finden sich alle im zehnten Buch der Metamorphosen. 250 Laut Kunstkritikern stieß Apollo und Cyparissus beim Kunstpublikum auf wenig Begeisterung, galt die neoklassizistische Ästhetik im Sinne Jaques-Louis Davids 1822 doch als überholt. Siehe Bréon, Emmanuel: Claude-Marie, Edouard et Guillaume Dubufe. Portraits d’un siècle d’élégance parisienne, Paris und Madrid 1988, S. 48; anzumerken wäre auch, dass sowohl Brocs als auch Dubufes Werk kurz nach der Entkriminalisierung der ›Sodomie‹ in Frankreich 1791 entstanden. Allerdings
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Diskursivierung männlich-männlichen Begehrens zugrunde, wie sie auch in den weitaus konkreteren Visualisierungen dieser Thematik bei Michelangelo, Cellini und Tiepolo zu finden sind: die Päderastie. Die Päderastie ist zwar ein antikes Phänomen, dennoch dominiert sie den gesellschaftlichen und kulturellen Diskurs bis ins 20. Jahrhundert hinein und bestimmt die Art und Weise, wie gleichgeschlechtliches Verlangen gedacht und verhandelt wird. Obschon der unmittelbare Zeitkontext stets ein anderer ist – es wurde u.a. schon auf den spezifischen Zusammenhang mit dem männerdominierten Kunst- und Atelierbetrieb hingewiesen –, bleibt die Päderastie, oder wie Halperin sie losgelöst von der Antike bezeichnet, die ›aktive Sodomie‹, in ihren konzeptuellen wie auch visuellen Grundfesten unverändert: Aufbauend auf einer strikt hierarchischen Struktur, ahmt sie mit ihrem Fokus auf die Rollen des erastês und des erômenos die im westlich-europäischen Kulturraum seit der Antike etablierte Mann-Frau-Dichotomie nach.251 In allen bisher analysierten Werken dieses Kapitels konnte das mit dem Geschlechterbinarismus einhergehende Spiel von Dominanz und Unterwürfigkeit, Aktivität und Passivität, Männlichkeit und Weiblichkeit usw. in verschiedenen Graduationen nachgewiesen werden. Durch die wie auch immer geratene bildliche ›Maskulinisierung‹ des erastês bzw. die visuelle ›Femininisierung‹ des erômenos schreiben die Kunstwerke zwar einerseits diese Vergeschlechtlichung bestimmter Eigenschaften fort, doch gleichzeitig verunklären sie insbesondere in einer zunehmend vom Zwei-Geschlechter-Modell dominierten Gesellschaft die Rollen von Mann und Frau, indem sie die performativen Aspekte fester Geschlechtsidentitäten aufgreifen – der Reifere übernimmt den ›männlichen‹ Part, der Jüngling hingegen den der Frau. Aus Sicht einer nach Identifikation und Historisierung hungernden Schwulenbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts erscheinen die in Kunst, Literatur und Musik allgegenwärtigen olympischen Päderasten gerade auch wegen ihres spielerischen Umgangs mit Geschlechterrollen als passende visuelle und literarische Präfigurationen moderner Homosexualität. Als kulturhistorische Legitimierung des eigenen Begehrens werden olympische Päderasten wie Zeus und Ganymed in den ›Kanon der Gestalten‹ einer männlichmännlichen Kulturgeschichte erhoben.252 Diese Vereinnahmung der Päderastie im Sinne einer ›homosexuellen Vergangenheit‹ ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch: So wurde schon deutlich gemacht, dass die Päderastie bis auf die Gleichgeschlechtlichkeit der beiden Partner wenig mit dem modernen Verständnis von sexueller Identität
ging dieser juristische Schritt nicht mit einer gesellschaftlichen Entstigmatisierung der Sodomie – in der damaligen Terminologie: les passions anti-physiques – einher, weswegen eine konkrete Behandlung gleichgeschlechtlicher Sexualität in der Kunst auch in der Zeit nach 1791 nicht zu erwarten ist. Vgl. Ragan 1996, S. 24; zur Terminologie siehe Courouve, Claude : Vocabulair de l’homosexualité masculine. Paris 1985; zur Situation der französischen Homosexuellen im 20. Jhd. siehe Hocquenghem 1974, S. 16ff. 251 Vgl. Halperin 2004, S. 113. 252 Vgl. Keilson-Lauritz 1997, S. 27.
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gemein hat.253 Die Päderastie ist eine kulturell sanktionierte Beziehungskonstellation, die nicht gleichzusetzen ist mit einer homosexuellen Konstitution bzw. Identität.254 Eine weitere und weitaus delikatere Streitfrage betrifft den der Päderastie inhärenten Altersunterschied, der angesichts eines sich allmählich wandelnden Verständnisses von sexueller Reife und Selbstbestimmung im 20. bzw. 21 Jahrhundert zu Recht zunehmend problematisiert wird. Die unmittelbare Verknüpfung des generationsübergreifenden päderastischen Beziehungsmodells mit dem Konzept einer homosexuellen Orientierung ist vor allem das Produkt einer gleichermaßen medizinisch sowie juristisch motivierten Diskursivierung ab dem 19. Jahrhundert, die gemäß Foucault den Homosexuellen erst ›erzeugt‹ hat.255 Der Medizinhistoriker Florian Mildenberger datiert die Entwicklung dieses Diskurses unter Berufung auf Foucault auf die Zeit zwischen 1852 und 1869, als Nervenärzte verschiedene Konzeptionen von sexuellen Handlungen wie z.B. Sodomie – ein kirchengeschichtlicher Sammelbegriff für sexuelle Unzucht unterschiedlichster Kategorien –, Päderastie – eine kulturelle Praktik der griechischen Antike – sowie Pädophilie bzw. Pädosexualität – eine sexuelle Fixierung auf vorpubertäre Kinder – unter die Bezeichnung einer »conträren Sexualempfindung« subsumierten und damit nicht nur einer terminologischen, sondern auch einer konzeptuellen Gleichsetzung Vorschub leisteten.256 Im Zuge dessen wurden »früher gebräuchliche Typisierungen wie Päderastie oder Ephebophilie […] zugunsten einer Generalisierung aus der Diskussion« verdrängt und von Medizinern wie Albert Moll in einen scheinbar unauflöslichen »Konnex« mit Pädo- und Homosexualität gestellt.257 Als eine der ersten Stimmen gegen diese begriffliche Verunklärung gilt Richard von Krafft-Ebing, welcher in der 11. Auflage seiner Schrift Psychopathia Sexualis mit besonderer Berücksichtigung der conträren Sexualempfindung (1901) eine Separierung bzw. Differenzierung von Homosexualität und Pädosexualität einfordert, da seiner Meinung nach diese Phänomene nicht korrelativ seien.258 Eine erweiterte Resonanz erhält Krafft-Ebings Ansatz jedoch erst einige Jahre 253 Siehe Halperin 2004 u.a. S. 117. 254 Vgl. Keilson-Lauritz 1997, S. 31; Keilson-Lauritz bezieht sich hier zwar nicht ausdrücklich auf Päderastie, aber auf päderastische Paare (Zeus und Ganymed etc.). 255 Vgl. Foucault 1983, S. 47. 256 Mildenberger, Florian: Beispiel: Peter Schult. Pädophilie im öffentlichen Diskurs, Hamburg 2006, S. 20f; Mildenberger bezieht sich hier u.a. auf Foucault 1983, S. 58; Mildenberger bietet überdies einen interessanten Einblick in den Konflikt zwischen der politischen Schwulenbewegung und der sogenannten ›Pädobewegung‹ der 1970er- und 1980er-Jahre. Die Gleichsetzung des Schutzalters von homo- und heterosexuellen Kontakten – für Homosexuelle lag das Schutzalter bis 1994 bei 18 bzw. 21, während es für Heterosexuelle bei 14 lag – war zeitweise ein gemeinsames Ziel der Bewegungen und führte zu Streitigkeiten und Abgrenzungsdebatten innerhalb der verschiedenen Lager. Während es der Homosexuellenbewegung um eine Angleichung der Rechte ging, plädierte die Vertreter_Innen der Pädosexuellenbewegung für eine gänzliche Aufhebung des Schutzalters. Siehe hierzu Hax, Iris; Reiß, Sven: Vorstudie: Programmatik und Wirken pädosexueller Netzwerke in Berlin – eine Recherche, Berlin 2021 u.a. S. 53–56; online abrufbar unter: https://www.aufarbeitungskommission.de/wp-content/uploads/Vorstudie_Programmatikund-Wirken-paedosexueller-Netzwerke_Auarbeitungskommission.pdf (zuletzt 24.02.2021). 257 Mildenberger 2006, S. 18 und S. 22. 258 Vgl. ebd., S. 21; vgl. zudem Krafft-Ebing, Richard von: Psychopathia Sexualis mit besonderer Berücksichtigung der conträren Sexualempfindung. 11. Auflage, Stuttgart 1901 (zuerst 1886) u.a. S. 394; in dem von Hirschfeld herausgegebenen Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen schreibt Krafft-
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später, als sich Hirschfeld seiner Argumentationsstrategie annimmt und sie popularisiert.259 Den Bemühungen von Krafft-Ebing, Hirschfeld sowie deren Nachfolger_Innen zum Trotz machen sich politische Gegner_Innen einer Entkriminalisierung und rechtlichen Gleichstellung homosexueller Menschen die unglückselige und schlichtweg unzutreffende Verschmelzung von Päderastie mit Pädosexualität und gleichgeschlechtlichem Begehren bis heute zunutze, wenn sie vor einer vermeintlichen ›Frühsexualisierung‹ der Kinder und deren ›Rekrutierung‹ zur Homosexualität warnen.260 Die Uneindeutigkeiten des medizinisch-juristischen und damit auch gesellschaftlichen Diskurses über Homosexualität spiegeln sich, getreu dem bereits zitierten Einleitungstext zu Hocquenghems und Soukaz‹ Film Race d’Ep, neben der Medizin vor allem in der Kunst wider.261 Ebenso wie die Medizin verhandelt also auch die Kunst das uneindeutige Wesen der ›neugeborenen Homosexuellen‹ und läutet eine Suche nach identitätsstiftenden Bildern ein. In dem Bestreben nach Visualisierung, Historisierung und Legitimierung des eigenen Begehrens entziehen sich Künstler_Innen wie von Gloeden der auf Pathologisierung sowie Kriminalisierung ausgerichteten Diskursivierung männlich-männlicher Sexualität und flüchten sich mittels anachronistischer Rückprojektion hingegen in das Phantasiekonstrukt eines ›schwulen Arkadiens‹. Hierbei impliziert die visuelle Vereinnahmung päderastischer Motivik durch einen homosexuellen Kontext weniger eine konzeptuelle bzw. faktische Korrelation zwischen Homosexualität, Päderastie und Pädosexualität als vielmehr eine historisch bedingte Überschneidung eines ›homoerotischen‹ Figuren- und Bildkanons. Dies erklärt sich zum einen durch die Seltenheit konkreter Ikonographien gleichgeschlechtlichen Begehrens vor dem 20. Jahrhundert und zum anderen durch die hier in aller Kürze zusammengefassten terminologischen Wirren.
Ebing in einer seiner letzten Veröffentlichungen: »Es ist eine Fabel oder eine Verleumdung, dass der Konträrsexuale als solcher der Jugend gefährlich wird. Es ist dies ebenso wenig annehmbar als beim Heterosexualen an und für sich, denn die Homosexualität ist ein Aequivalent der Heterosexualität und der Geschlechtstrieb des erwachsenen normalen Heterosexualen niemals auf das Unreife gerichtet.« (Krafft-Ebing, Richard von: Neue Studien auf dem Gebiete der Homosexualität. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen. Nr. 3, Leipzig 1901, S. 1–36, hier: S. 6). 259 Vgl. Mildenberger 2006, S. 22f. 260 Bekannte Beispiele dafür reichen von der US-amerikanischen Sängerin Anita Bryant, die in den späten 1970er-Jahren mit ihrer vielsagenden Kampagne Save Our Children gegen homosexuelle Lehrer_Innen vorging, bis hin zu der gegenwärtig in mehreren europäischen Ländern agierenden Organisation Demo für Alle (ursprünglich aus Frankreich kommend unter dem Namen La Manif pour tous), die gezielt gegen eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare protestieren. In beiden Fällen wurde bzw. wird mit dem Wohlbefinden der Kinder argumentiert und dass diese zu ›sündhaftem‹ Verhalten verleitet werden sollen. Zu Anita Bryant vgl. Greenberg 1990, S. 467; zur Demo für Alle siehe Hark, Sabine, Villa, Paula-Irene: »Eine Frage an und für unsere Zeit«. Verstörende Gender Studies und symptomatische Missverständnisse, in: Dies. (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld 2015, S. 15–41; hier: S. 17 (Fußnote 3). 261 Siehe Kapitel II.4; vgl. zudem Race d’Ep – 1. Le Temps de la Pose (1979). [Video] Regie: Lionel Soukaz. Frankreich: éditions libres/hallier. Online abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v =yJvcrubBS5g&t=97s (09.10.2017).
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Des Weiteren kann das Fortbestehen des Päderastiemotivs besonders in der Kunst nach dem 19. Jahrhundert auch im Sinne einer queeren Appropriationsstrategie begriffen werden, da sich einige Künstler_Innen und Theoretiker_Innen ganz bewusst der gesellschaftlichen Fremdzuschreibung devianten Verhaltens bemächtigen und sie ironisch brechen. In seiner theoretischen Abhandlung Das homosexuelle Verlangen (zuerst 1972) macht Hocquenghem beispielsweise darauf aufmerksam, dass die französische Öffentlichkeit die Gruppe der Homosexuellen trotz einer Bandbreite an verschiedenen Bezeichnungen mit dem Begriff pédéraste ›getauft‹ oder besser gesagt gebrandmarkt hat, um ihre vermeintliche Devianz zu betonen: »Aus der Unterscheidung erwächst die Sicherheit, doch aus eben diesem Wort pédéraste erwächst etwas merkwürdig Verführerisches: pédérasque, wie das Ungeheuer tarasque, oder pédérastre, wie Zoroastre. Dergleichen gängige Fehler, gefunden in Leserbriefen an Zeitungen, sagen genug über das aus, was geschieht, wenn man dieses Wort ausspricht.«262 Anstatt sich der abwertenden Benennung als pédéraste (oder fälschlicherweise pédérasque bzw. pédérastre) zu erwehren, fokussiert Hocquenghem vielmehr die zwischen Monstrosität (»tarasque«) und Exotismus (»Zoroastre«) schillernde Vieldeutigkeit des Begriffs. Er beansprucht ihn, losgelöst von seiner auf Pädosexualität begrenzten Bedeutung, als kämpferisches Synonym für eine in den Augen der Gesellschaft ›deviante‹ bzw. ›queere‹ Männlichkeit für sich.263 Diese Taktik erinnert an die im Vorfeld geschilderte Aneignung
262 Hocquenghem 1974, S. 14; mit »tarasque« verweist Hocquenghem auf einen Drachen aus einer französischen Sage des Mittelalters. Laut den Überlieferungen rettete die Heilige Martha das Dorf Nerluc vor dem Monster, wonach sich die Siedlung in Tarascon umbenannte. Siehe hierzu Grandmaison, Jean-Marie: Tarascon. Cité du Roi René, Tarascon 1977, S. 2f; mit »Zoroastre« spielt Hocquenghem entweder auf den iranischen bzw. persischen Priester und Philosophen Zarathustra an, oder aber auf die gleichnamige und von zahlreichen persischen Motiven inspirierte Oper bzw. tragédies en musique des Komponisten Jean-Philippe Rameau von 1740. In jedem Fall scheint es Hocquenghem hier um die Herausstellung einer ›exotischen‹ Komponente der Homosexualität zu gehen. Zu Rameau siehe Girdlestone, Cuthbert: Jean-Philippe Rameau: His Life and Work, New York 1969 (zuerst 1957), S. 274ff. 263 In Noura Wedells englischer Übersetzung eines Aufsatzes Hocquenghems, welcher ursprünglich in Félix Guattaris Publikation Recherches No. 12 in einer Sonderausgabe mit dem Titel Trois Milliards de Pervers: Grand Encyclopédie des Homosexualités (März 1973) veröffentlicht wurde, wird pédé bzw. pédéraste direkt mit queer übersetzt. David Thorstad kritisiert, dass es dem damaligen Kontext entsprechend besser gewesen wäre, pédé mit »gay male« zu übersetzen. Allerdings weist das Wort queer nicht nur eine ähnliche Geschichte von Aneignung und Umdeutung wie pédé auf, sondern in ihm schwingt auch ein verwandter Devianzaspekt mit. Zudem drückt sich in beiden Begriffen eine Ambivalenz aus, in welcher sich die Hocquenghem’sche Abneigung gegenüber des gesellschaftlichen Binarismus von ›Mann‹ und ›Frau‹, ›aktiv‹ und ›passiv‹ usw. widerspiegelt: »Today’s homosexual does not embody polymorphic desire: he moves univocally beneath an equivocal mask. His sexual objects have already been chosen by social or political machination, and they are always the same: either weaker or stronger, older or younger, more in love with him or he more in love with them, more bourgeois or more proletarian, primitive or intellectualized, uber-male or sub-male, black or white, Arab or Viking, top or bottom, and so forth.« (Hocquenghem, Guy: The Screwball Asses. Übers. Noura Wedell, Los Angeles 2010 (zuerst Paris 1973), S. 17); zur Verwendung des Wortes ›queer‹ siehe ebd., S. 51; vgl. auch Thorstad, David: Guy Hocquenghem on Homosexual
III. Hauptteil
und Umdeutung des Wortes queer und ist ein integraler Faktor in der Entstehung einer gleichgeschlechtlichen Bildwelt.264 Inwiefern sich die soeben mit Verweis auf Hocquenghem beschriebene Verselbstständigung und Loslösung des Päderastiebegriffs auch auf bildlicher Ebene äußert, soll im Folgenden anhand von vier Beispielen erläutert werden: Während Sascha Schneider (Abb. 42) und Robert Mapplethorpe (Abb. 43) sich auf die etablierte Päderastentypologie beziehen, fertigen Duane Michals (Abb. 44) sowie Nikolay Tolmachev (Abb. 45) Bilder an, die demgegenüber den ursprünglichen Kontext abschwächen und nur mit herausgelösten ikonographischen Versatzstücken spielen. Die 1904 entstandene Arbeit Werdende Kraft (Abb. 42) des deutschen Symbolisten Sascha Schneider (1870–1927), der aufgrund seiner Illustrationen für den Schriftsteller Karl May nachhaltige Bekanntheit erlangte, stellt eine recht akkurate Wiedergabe antiker Päderastie dar. Das Gemälde zeigt linkerhand einen bärtigen und nur mit einem seitlich geöffneten Schurz bekleideten Mann, dessen großgewachsene Statur und definierte Muskulatur an den Herkules Farnese erinnert. Er begutachtet den Bizeps und Trainingsfortschritt eines rechts neben ihm stehenden lorbeerbekränzten, nackten Epheben. Die beiden Figuren befinden sich vor einer weitläufigen Schluchtenlandschaft, über der ein atmosphärischer Dunstschleier liegt. In ihrer Abhandlung über Leben und Werk des Künstlers identifiziert Christiane Starck die im Hintergrund angedeutete Szenerie als die Sächsische Schweiz – der damalige Wirkungs- und Wohnort Schneiders.265 Die Inszenierung der Landschaft sowie die Gegenüberstellung des gereiften und potenten Mannes in der Rolle des Gymnasiarchs bzw. Mentors mit einem im Werden begriffenen Jüngling in der Rolle des Schülers illustriert nicht nur die Quintessenz des päderastischen Beziehungsmodells, sondern auch die künstlerische Intention in aller Deutlichkeit: Die paiderasteia als ›Formungsstätte‹ idealer Männlichkeit ist dem Wunsch des Künstlers entsprechend »in das heimatliche Sachsen zu transportieren«.266 Der Bildinhalt parallelisiert in auffälliger Weise den weiteren Lebensweg Schneiders, der in seiner privaten Korrespondenz etwa mit Karl May keinen Hehl aus seiner homosexuellen Neigung machte und dessen Arbeiten ähnlich wie die von Gloedens oder von Kupffers auch in einschlägigen Magazinen wie z.B. Der Eigene veröffentlicht wurden.267
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Desire, Capitalism, and the Left [21.04.2011] in: Monthly Review Online, https://mronline.org/2 011/04/21/guy-hocquenghem-on-homosexual-desire-capitalism-and-the-left/(09.05.2018). Siehe Kapitel II.1.3. Vgl. Starck, Christiane: Sascha Schneider. Ein Künstler des deutschen Symbolismus, Marburg 2016, S. 272. Vgl. ebd., S. 261 und S. 272 (Zitat); es sei auch auf Hans Blüher (1888–1955) verwiesen, einem Mitglied des 1901 gegründeten Wandervogel Vereins, einem Wanderverein und Männerbund, der von der damaligen Jugendbewegung, der Lebensreformbewegung und der Freikörperkultur geprägt war. Für Blüher galt das Konzept des Männerbunds im Sinne des Maskulinismus »als Ideal gesellschaftlicher Organisation« und zudem vertrat er die Meinung, dass »alle Politik eine Sache männlicher Erotik« sei. (Jungblut, Peter: Ein Streifzug durch die schwule Geschichte Münchens 1813–1945. Splitter 3, München 2005, S. 59). Vgl. Starck 2016, S. 148f.
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So wird der Künstler 1919 in Nachfolge der um die Jahrhundertwende aufblühenden Lebensreform- und Naturismusbewegung Mitbegründer des Kraft-Kunst-Instituts, in welchem er selbst als Mentor agierte und junge Männer im Trainieren und Formen des Körpers unterwies.268 Fernerhin oblag Schneider auch die Ausstattung der Institutsräume, die er mit der von ihm gefertigten Plastik Knabe mit Siegerbinde bestückte.269 Das KraftKunst-Institut dient Schneider jedoch nicht nur als Vorbild für seine späteren Gemälde und Skulpturen, sondern er entdeckt dadurch auch den menschlichen Körper als neues, formbares ›Kunstmedium‹. Starck merkt dazu an: »Die Arbeit im Kraft-Kunst-Institut wurde zu Sascha Schneiders Methode, das Kunstwerk aus totem Material zu überwinden und seine kunstphilosophischen Überlegungen mit der Realität verschmelzen zu lassen.«270 In dieser ›neuen‹ Sichtweise auf den Körper klingen schon die Grundzüge der Body Art an, wie sie zuvor am Beispiel Cassils (vgl. Abb. 33) thematisiert wurden.271 Auch wenn das Bild Werdende Kraft ein Produkt seiner Entstehungszeit ist – die Idealisierung der Jugend und des Jünglings galt um die Jahrhundertwende auch außerhalb homosexueller Zirkel als beliebtes Kunstthema –, so blieben dem damaligen Kunstpublikum die päderastischen Komponenten in Schneiders Arbeiten nicht verborgen.272 Obgleich das Schneider’sche Œuvre keine expliziteren Darstellungen von erastai und erômenoi aufweist als etwa die neoklassizistischen Gemälde von Broc und Dubufe, lösten seine Arbeiten wiederholt hitzige Debatten über eine vermeintliche »Aufreizung zur widernatürlichen Unzucht« aus.273 Da Schneider nach außen hin stets Diskretion über seine Orientierung bewahrte, ist dieser Umstand vermutlich der medizinisch-juristischen Diskursivierung gleichgeschlechtlichen Verlangens im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert geschuldet, welche die damalige Gesellschaft für vermeintliche Anzeichen dieses Phänomens sozusagen ›sensibilisiert‹ hat.274 Mit derartigen Kontroversen bestens vertraut ist auch Robert Mapplethorpe (1946–1989), das Enfant terrible der New Yorker Kunstszene der 1970er- und 1980er-Jahre, der sich einige Jahrzehnte später in einer mit Charles & Jim (1974) betitelten schwarzweißen Fotoserie ebenfalls mit der Visualität ›päderastischer‹ bzw. generationsübergreifender Beziehungen auseinandersetzt (Abb. 43). Für die drei ausgewählten Abzüge konzipierte Mapplethorpe eigens den an einen Filmstreifen angelehnten Rahmen, der die Fotos als Sequenz präsentiert. Jedwede Zweideutigkeit vermeidend, hält der skandalerprobte und u.a. für seine als erotisch, bisweilen pornographisch zu bezeichnenden
268 Vgl. ebd., S. 233ff; vgl. auch Schlehahn, Britt: Das Bild des Mannes nach ›dem‹ Manne? Nackte, männliche Körper bei Max Klinger und Sascha Schneider, in: Schmidt, Hans-Werner; Stoschek, Jeannette (Hg.): Max Klinger. »Der große Bildner und der größte Ringer…«, Schriften des Freundeskreises Max Klinger e. V., Band 3, Berlin 2012, S. 114–129, hier: S. 124. 269 Zu ›queerer‹ Räumlichkeit siehe Kapitel III.3.4 und III.3.5. 270 Starck 2016, S. 239f; vgl. auch Scheller, Jörg: No Sports! Zur Ästhetik des Bodybuildings. Stuttgart 2010, S. 16. 271 Siehe Kapitel III.1.2. 272 Siehe Starck 2016, S. 262 und S. 155ff. 273 Wegen »Aufreizung zur widernatürlichen Unzucht« lehnte das Albertinum nach Schneider den geplanten Ankauf der von ihm angefertigten Marmorplastik Badender Knabe ab. Vgl. ebd., S. 156. 274 Eine Ausnahme dürfte allerdings seine Mitarbeit in der Schwulenzeitschrift Der Eigene sein, wo er 1925 als Mitarbeiter genannt wird. Vgl. ebd., S. 149f.
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Motive bekannte Fotograf in der vorliegenden Bilderfolge einen leidenschaftlichen Kuss zwischen zwei Männern fest.275 Die bereits durch den Altersunterschied implizierte Differenz der beiden Protagonisten, des jugendlichen Charles sowie des älteren Jim, wird mittels visueller Anhaltspunkte noch weiter verstärkt: Neben Jims kontrollierender Handgeste im mittleren Bild, mit der er Charles Kopf zu sich dreht, unterstreicht insbesondere seine überragende Statur die für die Rolle des ›erastês‹ – im neueren Sprachgebrauch: ›top‹ oder ›dom‹ – notwendige Dominanz.276 Im Gegensatz dazu steht der ephebische Charles, dessen devote Körpersprache ihn als passiven ›erômenos‹ – im neueren Sprachgebrauch: ›bottom‹ oder ›sub‹ – auszeichnet.277 Gleichwohl versteht Mapplethorpe es, das intime Zusammentreffen der beiden Modelle so zu inszenieren, dass er sie nicht auf einen bloßen Binarismus von aktiv-passiv und dominant-devot bzw. top-bottom reduziert, sondern die Gegenseitigkeit ihres Begehrens in einer Abfolge von Verführung, Zuwendung und Hingabe wiedergibt. Damit knüpft der Fotograf etwa an die Ganymed-Darstellungen Michelangelos (Abb. 7) und Cellinis (Abb. 37) an, die jeweils auch auf die kokettierende Rolle des erômenos eingehen. Das Neuartige und sehr spezifisch Mapplethorpe’sche dieses Werks, welches noch nicht ganz den strengen Formalismus der späteren Arbeiten erreicht, drückt sich in der Radikalität und Offensivität des Motivs aus:278 Hier werden nun keine mythischen oder historischen Figuren mehr vorgeschaltet, um gleichgeschlechtliches Begehren darzustellen, vielmehr ist das homosexuelle Verlangen selbst Gegenstand des Bildes. Diese visuelle Eindeutigkeit dürfte in unmittelbarer Beziehung zu den gesellschaftlichen Umwälzungen stehen, die sich 1969, dem Jahr, als Mapplethorpe nach Manhattan zog, ereignet haben.279 In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 löste eine Razzia der Polizei im Stonewall Inn, einer einschlägigen Bar für Homosexuelle, Transidente sowie Transvestiten im Stadtteil Greenwich Village, den Stonewall-Aufstand (Stonewall Riots) aus.280 Da zum damaligen Zeitpunkt in New York ein Ausschank- und Versammlungsverbot für Homosexuelle herrschte sowie eine Bekleidungspflicht, nach der jeweils mindestens drei
275 Als besonders ›berüchtigt‹ gilt das sogenannte X Portfolio, eine Zusammenstellung von Bildern, in denen SM-Praktiken explizit wiedergegeben werden. Als das X Portfolio 1989 in der Corcoran Gallery of Art (Washington, D. C.) gezeigt werden sollte, wurde die gesamte Ausstellung abgesagt, und es entbrannte eine heftige Debatte über Kunst und ›Obszönität‹. Vgl. hierzu Morrisroe, Patricia: Mapplethorpe. A Biography, New York 1995, S. 187 und S. 371ff. 276 In Roders The Queens’ Vernacular steht unter der Rubrik active partner u.a. top man als Synonym für den penetrierenden Partner. Gegenwärtig ist jedoch nur noch die Kurzform top gängig. Vgl. Rodgers 1972, S. 18; das aus dem Englischen stammende Kürzel sub leitet sich von submissive (devot, unterwürfig) ab. 277 Zu bottom Vgl. ebd., S. 36. 278 Zur Formierung von Mapplethorpes früher Ästhetik vgl. Celant, Germano: The Satyr and the Nymph: Robert Mapplethorpe and His Photography, in: Kat. Ausst. Mapplethorpe, Louisiana Museum Humblebaek (Dänemark) sowie Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg 1992, Mailand 1992, S. 11–66; hier: S. 28ff. 279 Vgl. White, Edmund: Altars. Altäre – Die Radikalität des Einfachen, in: Holborn, Mark; Levas, Dimitri (Hg.): Robert Mapplethorpe. Altars, München, Paris und London 1995, S. 128–134; hier: S. 128f. 280 Siehe Duberman 1993; vgl. zudem Eaklor, Vicki L.: Queer America: A GLBT History of the 20th Century, Westport (Connecticut) und London 2008.
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Kleidungsartikel getragen werden mussten, die dem ›biologischen‹ Geschlecht entsprachen, kam es immer wieder zu polizeilichen Übergriffen. Doch in der besagten Nacht setzten sich die schikanierten Gäste erstmals zur Wehr und lösten einen mehrtägigen Aufstand aus, der die queere Emanzipationsbewegung, die im US-amerikanischen Kontext bis dahin nur in aller Diskretion von Vereinigungen wie der Mattachine Society betrieben wurde, in eine neue und erheblich konfrontativere Richtung lenkte, die es auch notwendig machte, sich öffentlich zur eigenen Sexualität zu bekennen.281 Die kompromisslose Zurschaustellung gleichgeschlechtlichen Begehrens in Mapplethorpes Charles & Jim reflektiert jenen Kampfgeist. Dass der Künstler ausgerechnet ein schwules Paar mit einem offensichtlichen Altersunterschied ausgewählt hat, dürfte sowohl seinem Hang zu Provokationen als auch seinem Interesse an Vorbildern homoerotischer Kunst wie etwa von Gloeden zuzurechnen sein – verwandelte von Gloeden sizilianische Bauernjungen in olympische Päderasten, sind es bei Mapplethorpe New Yorker Bohemiens.282 Das kulturelle und künstlerische Erbe der antiken Päderastie reicht jedoch weit über die wort- bzw. bildgetreuen Nachahmungen eines Schneider oder Mapplethorpe hinaus und ist auch in Werken spürbar, die auf den ersten Blick keinen direkten Bezug erkennen lassen. Eine dem Päderastiemotiv anverwandte und durch mythische Figuren wie Hyacinth verbreitete Bildidee findet sich beispielsweise in der Attribuierung und Erotisierung von Epheben durch florales Beiwerk, wie sie so auch sehr ähnlich am Beispiel des Narziss beobachtet werden kann. Die Verquickung jugendlicher Schönheit mit der kurzlebigen Anmut einer Blume wie der Hyazinthe illustriert das notwendig tragische Ende päderastischer Beziehungen, die ja, mehr noch als die meisten anderen Beziehungsmodelle, einer strengen Zeitbegrenzung unterworfen sind. Darüber hinaus verweist die tragischschöne Gestalt Hyacinths auch auf das überzeitliche Thema von Eros und Thanatos, vereinen sich im Geliebten des Apoll Tod und Begehren doch auf untrennbare Weise.283 An diesen dialektischen Aspekt knüpfen auch die letzten beiden zu besprechenden Werke Die Mattachine Society (1950 gegründet) verlor nach 1969 zunehmend an Bedeutung, da sie den meisten jüngeren Menschen als zu angepasst galt. Inspiriert von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung sowie den Vietnamprotesten herrschte ein neuer Kampfgeist, den Duberman in seinem Buch Stonewall anhand eines sehr trefflichen Moments verdeutlicht: »[T]hey [die Polizeikräfte] found themselves face to face with their worst nightmare: a chorus line of mocking queens, their arms clasped around each other, kicking their heels in the air Rockettes-style and singing at the tops of their sardonic voices: ›We are the Stonewall girls/We wear our hair in curls/We wear no underwear/We show our pubic hair‹« (Duberman 1993, S. 200f); zur Mattachine Society siehe Eaklor 2008, S. 96–97; sowie Edsall, Nicholas C.: Toward Stonewall. Homosexuality and Society in the Modern Western World, Charlottesville und London 2003, S. 272ff. 282 In den frühen 1970ern erwarb Mapplethorpe zusammen mit dem Kurator und Mäzen Sam Wagstaff zwei Fotografien von Gloedens von 1900 (Satyr und Sizilianischer Knabe in klassischer Pose). Siehe Celant 1992, S. 33; zur Beziehung zwischen Mapplethorpe und Wagstaff siehe Morrisroe 1995, S. 111ff. 283 Obgleich Cyparissus in die weitaus langlebigere Zypresse verwandelt wird und nicht in eine flüchtige Blume, trifft die Eros-Thanatos-Dialektik auch auf ihn zu, da er nicht nur in einen Baum verwandelt wird, sondern in ein Trauersymbol, das intrinsisch mit Tod und Vergänglichkeit verflochten ist. 281
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von Duane Michals (Abb. 44) und Nikolay Tolmachev (Abb. 45) an, deren großes Thema die Flüchtigkeit von Begehren und Schönheit ist. Der Fotograf Duane Michals (* 1932), das Kind tschechischer Einwanderer, zog ähnlich wie sein Zeitgenosse Mapplethorpe in den 1960ern aus der US-amerikanischen ›Ödnis‹ (genauer gesagt einem Vorort von Pittsburgh) nach New York, wo er schnell kommerzielle und künstlerische Erfolge mit seiner Fotografie erzielte.284 Besondere Bekanntheit erlangt Michals primär für seine ab 1966 entstehenden Fotosequenzen bzw. ›Fotostories‹, in denen er sich angeregt von Künstler_Innen wie z.B. dem belgischen Surrealisten René Magritte mit Themen wie Realität, Traum, Lust, Tod und Jenseits auseinandersetzt. Ab 1974 erweitert er die bildliche Ebene seiner Fotografien um eine textliche und integriert fortan Bildtitel oder ganze Gedichte in seine Arbeiten, die er direkt auf die Abzüge schreibt.285 In A Dream of Flowers (A.I.D.S.) von 1986 (Abb. 44) lassen sich all diese Michals’schen Stilelemente wiederfinden: Die von links nach rechts fortschreitende Fotosequenz besteht aus vier Bildern. Sie zeigt die statische Aufnahme eines gelockten, schnauzbärtigen, scheinbar schlafenden Mannes, der seinen Kopf auf eine spiegelnde Oberfläche gelegt hat und der allmählich unter einem von Bild zu Bild anwachsenden Blütenmeer begraben wird. Die zunehmende Fülle an Blumen ist dabei die einzig wahrnehmbare Veränderung, die aber derart eklatant ist, dass die ruhende Gestalt im vierten und letzten Bild kaum mehr sichtbar ist. Während in der linken Ecke über den Fotografien der Titel der Arbeit steht (A Dream of Flowers), hat Michals unter jedes der vier Bilder mittig zentriert ein Akronym gesetzt, das von links nach rechts gelesen A. I. D. S. ergibt. Der handschriftliche Zusatz des Künstlers macht unmissverständlich klar, was hier dargestellt wird: Ein in der Blüte seines Lebens stehender Mann wird von AIDS dahingerafft und verschwindet sukzessive unter einem floralen Leichentuch. Die verschiedenen Blumen, unter ihnen Schleierkraut und Chrysanthemen, erfüllen dabei eine doppelte Symbolfunktion: So stellen sie auf der einen Seite den Fortschritt der Krankheit dar – die (Schnitt-)Blumen wie auch der Mann sind im Begriff zu verwelken – und auf der anderen Seite verkörpern sie, ausgehend von ihrer kulturell etablierten Konnotation mit Sexualität und Begehren, zudem eine Art todbringenden Eros. In Anbetracht der Tatsache, dass AIDS u.a. durch ungeschützten sexuellen Kontakt übertragbar ist, findet die
284 Vgl. Höft, Riccarda: Wo das Rätsel lauert… In: Kat. Ausst. Duane Michals – The Journey of the Spirit after Death. Fotosequenz 1970, hg. von Ann und Jürgen Wilde, Sprengel Museum Hannover 1998, Berlin 1998, S. 4–21; hier: S. 4. 285 Vgl. ebd., S. 7; siehe auch Michals’ Werk The Unfortunate Man (Could Not Touch The One He Loved) von 1976. Die Arbeit zeigt die Aktaufnahme eines Mannes, der sich mit Schuhen an den Händen an einer weißen Wand abstützt. Darunter befindet sich ein Text: »The unfortunate man could not touch the one he loved. It has been declared illegal by the law. Slowly his fingers became toes and his hands gradually became feet. He began to wear shoes on his hands to disguise his pain. It never occurred to him to break the law.« Mit surrealer Bild- und Schriftsprache schildert Michals die nur allzu reale Transformation eines homosexuellen Mannes, der sich, im Bemühen sich den gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen, zwanghaft verbiegt. Vgl. Michals, Duane: ABCDuane. A Duane Michal Primer, New York et al. 2014, S. 83; typisch für den Künstler ist sein offener Umgang mit Homosexualität u.a. prägte er folgendes Bonmot: »Homosexuality is just like heterosexuality except that it’s different.« (Ebd., S. 82).
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Dialektik von Eros und Thanatos in dieser Krankheit eine ebenso traurige wie dramatische Analogie. Obwohl es sich bei dem für A Dream of Flowers gewählten Modell angesichts des prominenten Schnauzbarts nicht um einen Jüngling im antiken Sinne handelt, besteht dennoch eine essenzielle Verbindung zum Hyacinth-Mythos: Wie bereits bei den mythischen Epheben werden auch in Michals’ Arbeit Blumen, Schönheit, Begehren und Tod in einen Kontext gesetzt. Eine aktuellere Arbeit, in der die Gewichtung auf den ersten Blick allerdings mehr auf der erotischen als auf der thanatischen Komponente zu liegen scheint, stammt von dem jungen ukrainischen Künstler Nikolay Tolmachev (* 1993).286 In der mit Melancholia betitelten Aquarellarbeit aus dem Jahr 2013 (Abb. 45) ist ein vom Bildrand angeschnittener oberkörperfreier Jüngling mit kurz geschorenen Haaren und verschlossenen Augen zu sehen, der seinen Arm in der Manier antiker Darstellungen (vgl. Abb. 18) auf seinen Kopf legt. Der den Betrachter_Innen frontal zugewandte Jüngling gibt durch diese Geste den Blick auf seine Achselhöhle frei, aus der dicht gedrängt zahlreiche Hibiskusblüten hervorsprießen, deren vereinter Duft bereits drei handgroße Bienen angelockt hat. Die olfaktorische Gleichsetzung des süßlichen Blumendufts mit dem Körpergeruch des jungen, athletischen Mannes sowie die um ihn schwirrenden Insekten stellen eine kaum verhüllte Metapher sinnlicher Begehrlichkeit dar. Die geschlossenen Augen sowie die Hand- bzw. Armgeste287 scheinen jedoch zu implizieren, dass sich die Figur ihrer verführerischen Anreize nicht bewusst ist. Bedenkt man überdies, dass der Titel der Arbeit Melancholia lautet, dann wird auch hier wieder der Einfluss von Thanatos evident: Der Liebreiz der Blume ist ebenso wie derjenige der Jugend nur von kurzer Dauer und wird als flüchtig-träumerischer Schwebezustand inszeniert. Das Erbe Hyacinths – die Blume als Pars pro Toto für die Eros-Thanatos-Dialektik gleichgeschlechtlichen Begehrens – erfährt in Tolmachevs kondensierter und fast emblematischer Arbeit eine zeitgenössische Inkarnation bzw. Interpretation. Der Topos der paiderastia, obschon ein klar auf die griechische Antike einzugrenzendes Phänomen, entpuppt sich als eine thematische Konstante im Kanon gleichgeschlechtlicher bzw. queerer Ikonographie. In den untersuchten Darstellungen wurden dabei nicht nur verschiedene Aspekte einer männlich-männlichen Beziehungsdynamik beleuchtet und deren Fortbestehen im 20. Jahrhundert – aus erastês und erômenos wird top und bottom bzw. dom und sub –, sondern auch die komplexe Verflechtung von Eros und Thanatos. Beide Aspekte werden sich auch als maßgebliche Komponenten der noch folgenden Kapitel erweisen.
III.1.4 Von kriegerischem Erotizismus zu erotisiertem Militarismus Die im vorhergehenden Kapitel skizzierte Mythologisierung der Päderastie am Beispiel verschiedener olympischer Liebschaften verdeutlicht bereits den integralen Stellenwert dieses Beziehungsmodells für den damaligen historischen und sozialen Kontext: Die
286 Der Künstler wird u.a. von der Pariser Galerie Da-End vertreten. Siehe http://www.da-end.com/ni colas-tolmachev/ (zuletzt 24.05.2018). 287 Eine »seit der Antike tradierte Geste des Schlafes und der Unbewußtheit« (Fend 2003, S. 61).
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Päderastie, wie man sie in der griechischen Antike kannte, galt als Eckpfeiler einer vorrangig homosozial strukturierten Gesellschaft sowie als wahrhaftigster Ausdruck des Eros. Als fester Bestandteil des griechisch-antiken Diskurses durchzieht die Päderastie daher alle Lebensbereiche und wird in Platons Symposion vom Redner Phaidros z.B. auch als Garant für ein erfolgreiches Heer propagiert: »Gäbe es eine Möglichkeit, ein Heerlager oder eine ganze Stadt aus Liebenden und ihren Lieblingen zu bilden, müßte unweigerlich eine ideale Polis entstehen, da alle unschönen Handlungen unterblieben und es nur edlen Wettkampf gäbe. Und wenn sie Seite an Seite kämpfen würden, müßte auch eine kleine Schar von ihnen, wie sie nun einmal miteinander verbunden sind, geradezu die ganze Menschheit besiegen. Von Eros ergriffen, würde nämlich ein Mann es weniger ertragen, vor den Augen seines Lieblings als vor jedermann sonst die Schlachtordnung zu verlassen oder die Waffen wegzuwerfen. Viel lieber wäre er tot. Und erst den Liebling im Stich zu lassen oder ihm nicht beizustehen, wenn er in Gefahr gerät, – keiner ist so schlecht, daß Eros ihn nicht zu seiner Höchstform begeistern, ihn nicht seinem idealen Ich angleichen könnte.«288 Der Rede zufolge wäre also ein Heer unbesiegbar, bestünde es nur aus einander liebenden erastês-erômenos-Paaren.289 Die perfekte Versinnbildlichung dieses Ideals meint Phaidros in der engen Beziehung von Achilles und Patroklos zu erkennen, zwei Figuren aus Homers Ilias. Die beiden Krieger sollen laut dem Homer’schen Text gemeinsam auf griechischer Seite im Trojanischen Krieg gekämpft haben. Als Patroklos durch die Hand des trojanischen Heerführers und Kronprinzen Hektor stirbt, schwört Achilles Rache.290 Trotz der Gewissheit, dass es seinen sicheren Tod bedeutet, lässt sich Achilles nach Phaidros’ Auslegung nicht davon abbringen, den Tod seines Geliebten am schuldigen Hektor zu rächen.291 Ein derart heldenhafter Liebesbeweis imponierte den Olympioi: »Im Übermaß ihrer Bewunderung ehrten ihn die Götter wie keinen sonst – eben weil er seinem Liebhaber [erastês] diesen Liebesdienst erwiesen hatte.«292 Phaidros betont nachdrücklich, dass Patroklos der erastês und Achill der erômenos sei und widerspricht damit der Auslegung des Aischylos. Damit erklärt sich Platons Gastmahlredner die übermäßige Bewunderung der olympischen Gottheiten für die Heldentat, denn die Aufopferung des jüngeren für den älteren Partner sei als höchstmöglicher Ausdruck des Eros zu verstehen.293 Ebendiese Rollenverteilung ist auch auf einer Vasenmalerei des späten 6. Jahrhunderts v. Chr. zu sehen (Abb. 46). Ein ephebischer Achilles sitzt
288 Platon 2012, 178e–179b (S. 20f). 289 Tatsächlich sollte diese Idee wenige Jahrzehnte nach der Veröffentlichung des Symposion (nach aktuellstem Forschungsstand um 400 v. Chr.) Wirklichkeit werden: Um 378 v. Chr. gründete u.a. der thebanische Feldherr Gorgidas die Heilige Schar, eine Eliteeinheit Thebens, die nur aus männlichen Päderastenpaaren bestand und einige Siege gegen die Spartaner erringen konnte. Vgl. hierzu Leitao, David: The Legend of the Sacred Band. In: Nussbaum, Martha C.; Sihvola, Juha (Hg.): The Sleep of Reason. Erotic Experience and Sexual Ethics in Ancient Greece and Rome, Chicago und London 2002, S. 143–169. 290 Vgl. hierzu Homer 1990, 18. Gesang u.a. 95ff. 291 Vgl. Platon 2012, 179e–180b (S. 23). 292 Platon 2012, 180a (S. 23). 293 Vgl. ebd.
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zwischen den Beinen eines bärtigen Patroklos’ und verbindet dessen verwundeten Arm. Beide Krieger werden mit angelegter Rüstung dargestellt. Die breitbeinige Sitzposition des Patroklos lenkt den Blick auf sein unverhülltes Geschlecht, was als Hinweis auf die erotische Komponente dieser Beziehung gedeutet werden kann. Phaidros’ Lesart des innigen Verhältnisses von Patroklos und Achilles als päderastische Beziehung wie auch seine wenige Jahrzehnte später in Theben tatsächlich umgesetzte Idee einer Armee von erastês-erômenos-Paaren – der sogenannten Heiligen Schar – verbinden den homosozialen Raum des Militärs auf ganz explizite Weise mit gleichgeschlechtlichem Begehren.294 Der visuellen Entwicklung des sich darin äußernden Topos kriegerischen Erotizismus gilt im Nachfolgenden ebenso das Interesse wie der ab dem 20. Jahrhundert allmählich einsetzenden Verselbstständigung eines erotisierten Militarismus als eigenständiges homosexuelles Motiv. Die auch im Titel dieses Kapitels vorgenommene Differenzierung zwischen kriegerischem Erotizismus und erotisiertem Militarismus beruht dabei auf der Beobachtung, dass ersteres das Hauptaugenmerk hauptsächlich auf die soldatische Identität an sich legt, während letzteres verstärkt das Beiwerk bzw. den militärischen Apparat – Uniform, Ästhetik, hierarchische Aspekte etc. – hervorhebt. Nichtsdestotrotz sind beide Aspekte eng miteinander verflochten und überlappen sich oftmals.295 Eine ähnlich päderastisch geprägte Kriegertypologie, wie sie einleitend etwa in der Darstellung von Achilles und Patroklos beschrieben wurde, kann auch an einem griechischantiken Monument für die Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton festgestellt werden (Abb. 47). Dieses historische erastês-erômenos-Paar kämpfte um 514 v. Chr. gegen die drakonische Herrschaft der Brüder Hippias und Hipparchus in Athen an; hierbei ließ Harmodios sein Leben und Aristogeiton geriet in Gefangenschaft.296 Die leicht überlebensgroße Marmorskulptur wird den Bildhauern Kritios und Nesiotes zugeschrieben, die beauftragt wurden, das von den Persern im Krieg entwendete Bronzeoriginal zu ersetzen.297 Die Helden werden nackt dargestellt und schreiten Seite an Seite der Tyrannei entschlossen entgegen. Auf der rechten Seite ist der bartlose Ephebe Aristogeiton (erômenos) zu sehen, welcher das Schwert bereits zum fatalen Schlag erhoben hat. Der bärtige Harmodios (erastês) auf der linken Seite, dessen Körper wesentlich definierter und muskulöser herausgearbeitet ist, steht seinem Geliebten bei und hält die über den linken Arm
294 Zur ›Homosozialität‹ vgl. Sedgwick 1985; sowie Halperin 2004, S. 118ff. 295 Zunächst soll anhand von zwei Beispielen – einer antiken Skulptur der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton (Abb. 47) sowie einem Hochrelief des französischen Bildhauers Aimé-Jules Dalou aus dem 19. Jahrhundert (Abb. 48) – die auch schon auf der antiken Vasenmalerei von Patroklos und Achilles präsente Vermischung päderastischer und kriegerischer Ikonographie untersucht werden. Im Anschluss erweitert das Kapitel den Blick auf das 20. und 21. Jahrhundert und verfolgt die ›Okkupierung‹ des antiken Konzepts eines kriegerischen Erotizismus durch totalitäre Strömungen einerseits sowie eine bereits um 1910 beginnende Verqueerung der Militärmotivik durch künstlerische Appropriationsprozesse andererseits. Dafür sollen Werke von Josef Thorak (Abb. 51), Marsden Hartley (Abb. 52 und 53), Kenneth Anger (u.a. Abb. 54.1) Tom of Finland (Abb. 55 und 56) sowie Alex Donis (Abb. 57) betrachtet werden. 296 Vgl. Saslow 1999, S. 17f. 297 Vgl. Boardman, John et al.: Die Griechische Kunst. München 1987, S. 128ff.
III. Hauptteil
gelegte chlamys (Mantel) schützend vor ihn. Die dynamische Körpersprache der Krieger wird dabei von ihren regungslosen Gesichtern kontrastiert. Dieses Monument erlangte im antiken Griechenland große Bekanntheit und wurde auf zahlreichen Vasen, Münzen und Reliefs reproduziert bzw. nachgeahmt.298 Interessanterweise gibt es eine Marmorkopie des Werkes von Kritios und Nesiotes, bei welcher Harmodios bartlos dargestellt wird und das päderastische Ideal zumindest visuell gebrochen wird.299 Das heldenhafte Werk der Tyrannenmörder findet auch in Pausanias’ Rede im Symposion Erwähnung: »Denn die leidenschaftliche Freundschaft, die Aristogeiton und Harmodios verband, ging so tief, daß an ihrer Festigkeit die Tyrannenherrschaft zerbrach.«300 In ihrer Opferbereitschaft und Kühnheit werden das mythische – Achilles und Patrokolos – sowie das historische Soldatenpaar – Aristogeiton und Harmodios – zu militärischen Topoi schlechthin, die sowohl die Ideologie des Krieges nähren als auch die Ikonographie unzähliger Denkmäler prägen. Obgleich ihre Inszenierung auf eine päderastisch geprägte Typologie zurückgreift, unterscheiden sie sich dennoch von anderen Päderastendarstellungen: Im Gegensatz etwa zu Cellinis Apoll und Hyacinth-Gruppe (Abb. 38), in der durch Anordnung und Größe der Figuren eine klare Hierarchie vermittelt wird, differenzieren die antiken Bildhauer Kritios und Nesiotes die beiden Krieger in ihrem Werk zwar durch unterschiedlich ausgeprägten Bartwuchs bzw. Nuancen in der körperlichen Beschaffenheit im Hinblick auf das Alter, nicht jedoch in Bezug auf ihren Stellenwert. Das gleichberechtigte Nebeneinander Aristogeitons und Harmodios’ leistet einer im Laufe der Zeit zunehmenden Entsexualisierung des Motivs ›kameradschaftlicher Liebe‹ Vorschub. Dies führte zu etwas missverständlichen künstlerischen Blüten wie dem Hochrelief La Fraternité (Abb. 48) von Aimé-Jules Dalou (1838–1902).301 Die ursprüngliche von Dalou angefertigte Gipsausführung – eine erst 1908 postum fertig gestellte Marmorfassung wird heute in einem Depot aufbewahrt – befindet sich seit dem Ankauf durch die Stadt Paris 1884 in einem Festsaal des Standesamts im 10. Arrondissement.302 Das kompositorisch in ein klares Unten und Oben aufgeteilte Relief zeigt eine turbulente Triumphszene, die als Allegorie auf die Französische Revolution zu verstehen ist. Im unteren Abschnitt stehen inmitten einer jubelnden Menschenmenge zwei nackte und sich leidenschaftlich umarmende Kämpfer, die sich auf die Wangen zu küssen scheinen. Der rechts aus der Menge ragende, bärtige Mann zieht dabei mit voller Inbrunst den links stehenden, bartlosen Jüngling an sich. Zu Füßen der Küssenden liegen die nicht länger notwen298 299 300 301
Vgl. Saslow 1999, S. 18. Diese Version befindet sich ebenfalls im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel. Platon 2012, 182c–d (S. 28). Zu Dalou vgl. Hunisak, John M.: The sculptor Jules Dalou. New York und London 1977, S. 111ff; sowie Dreyfous, Maurice: Dalou. Sa Vie et son Œuvre, Paris 1903, S. 140ff; sowie Simier, Amélie : Aimé-Jules Dalou. Poesie des Alltäglichen, in: Kat. Ausst. Elegant/Expressiv: Von Houdon bis Rodin. Französische Plastik des 19. Jahrhunderts, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 2007, Heidelberg 2007, S. 56–59. 302 Siehe hierzu Kisiel, Marine: La Fraternité dit aussi La République ou L’Union des peuples, 1882–1908, in: Kat. Ausst. Jules Dalou, le Sculpteur de la République, hg. von Amélie Simier und Marine Kisiel, Petit Palais – Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris 2013, Paris 2013, S. 84–85; hier : S. 85.
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digen Waffen und Helme, als Versinnbildlichung der überwundenen monarchischen Tyrannei. Im oberen Reliefabschnitt wacht eine Triade allegorischer Frauengestalten über dieses irdische Schauspiel: Die bekränzte Personifikation der Bruderschaft (La Fraternité) ganz links, die begleitet wird von zwei Blumen streuenden Putten, über ihr die Gleichheit (L’Égalité), erkennbar an dem Maurerwinkel auf ihrem Haupt und dem Liktorenbündel in ihrer rechten Hand, sowie zu guter Letzt die mit einer phrygischen Kappe und einer Feder attribuierte Freiheit (La Liberté) am rechten Bildrand.303 Im Zentrum von Dalous skulpturaler Arbeit steht der ›brüderliche Kuss‹ – eine enterotisierte Weiterführung des vorbildhaft durch Achilles und Patroklos bzw. Aristogeiton und Harmodios vertretenen antiken Konzepts kriegerischen Erotizismus. Aus der von Phaidros beschworenen ›kameradschaftlichen Liebe‹ wird nun ›kameradschaftliche Zuneigung‹. Nichtsdestotrotz sind die Parallelen zu den zuvor besprochenen päderastischen Darstellungen schlichtweg zu offensichtlich, um sie zu ignorieren, handelt es sich bei den beiden Männern in La Fraternité, zumindest rein ikonographisch gesehen, doch um ein erastês-erômenos-Paar. Die symbolische Bedeutung als ›brüderlicher Kuss‹ soll an dieser Stelle zwar nicht angezweifelt werden, gleichwohl unterstreicht das Werk durch die künstlerische Verschmelzung einer päderastisch-antiken Typologie mit einer entsexualisierten, neuzeitlichen Ikonographie die Ambivalenz des visuellen Erbes antiken Kriegertums. Dalous Relief ist allerdings nur eine von vielen Arbeiten, in denen sich die visuelle Kontinuität des in der Antike etablierten Motivs kriegerischen Erotizismus offenbart. So findet sich ein ähnlich intimer Moment zwischen zwei Kriegern, die rein optisch ebenfalls dem päderastischen Ideal entsprechen, beispielsweise in Jaques Louis Davids Leonidas bei den Thermophylen von 1814 (Abb. 49): Rechts hinter der im Bildzentrum positionierten Gestalt des Leonidas hat David ein eng umschlungenes Männerpaar platziert, das aus einem mit Blumen bekränzten, bartlosen Jüngling und einem älteren, bärtigen Mann besteht. Der Topos ›kameradschaftlicher Zuneigung‹ begrenzt sich jedoch nicht nur auf antike bzw. antikisierende Werke, sondern taucht etwa auch in Émile Jean Horace Vernets (1789–1863) Darstellung der 1745 im Zuge des Österreichischen Erbfolgekriegs stattgefundenen Schlacht bei Fontenoy auf (Abb. 50): In der rechten unteren Ecke des 1828 angefertigten Historiengemäldes zeigt der französische Maler zwei sich innig umarmende Soldaten – der rechte ist älter und größer, der linke kleiner und wesentlich jünger –, die ihr Wiedersehen sowie den Triumph Frankreichs zu feiern scheinen. Obschon die sowohl bei David als auch bei Vernet hervorgehobenen Soldatenpaare aus ikonographischer Perspektive zwar eine klare Weiterführung der etablierten erastêserômenos-Motivik indizieren, werden sie in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder als Vater und Sohn identifiziert.304 Da dafür allerdings keine stichhaltigen Beweise vorliegen und insbesondere Davids Gemälde aufgrund des historischen Kontextes – die
303 Vgl. ebd., S. 84. 304 Vgl. hierzu Gaehtgens, Thomas W.: Jacques-Louis David: Leonidas bei den Thermopylen, in: Beck, Herbert; Bol, Peter C.; Maek-Gérard, Eva (Hg.): Ideal und Wirklichkeit der bildenden Kunst im späten 18. Jahrhundert. Berlin 1984, S. 211–252; hier: S. 215; sowie Constans, Claire: Battaglia di Fontenoy (1745). Übers. von Elena di Majo, in: Kat. Ausst. Horace Vernet (1789–1863). Accademia di Francia in Rom sowie Ecole Nationale Supérieure des Beaux Arts in Paris 1980, Rom 1980, S. 77.
III. Hauptteil
Päderastie galt als essenzieller Bestandteil der spartanischen Gesellschaft und des spartanischen Heeres – wesentlich stärker für eine päderastische Auslegung spricht, sollte diese Lesart lediglich als eine von vielen Interpretationen verstanden werden.305 Für die vorliegende Untersuchung ist es jedoch nicht ausschlaggebend, ob es sich in den Werken nun um Vater und Sohn handelt oder hier eine bewusste Entsexualisierung von Seiten der Kunstgeschichte vorgenommen wird. Weitaus relevanter ist vielmehr, dass es sich bei dem Topos des kriegerischen Erotizismus im Gewand ›kameradschaftlicher Zuneigung‹ um einen wiederkehrenden Bestandteil militärischer Ikonographie auch jenseits der Antike handelt. Die mit dem Anbruch des 19. Jahrhunderts zunehmende Militarisierung der westlichen Gesellschaft, in der, wie Gisela Teichert mit Verweis auf Theweleit schreibt, das Körperliche und das Sexuelle »einerseits durch den militärischen Drill […] verdrängt wurden, anderseits aber Kampf- und Kriegserlebnisse eine erotische Aufladung erfuhren«, kulminiert schlussendlich in der Instrumentalisierung und Zuspitzung des Topos ›kameradschaftlicher Zuneigung‹ durch die Diktaturen des 20. Jahrhunderts.306 Die durch Achilles und Patroklos sowie Harmodios und Aristogeiton geprägten Darstellungskonventionen eines idealistischen Kriegertums erleben etwa unter dem nationalsozialistischen Regime eine beispiellose Radikalisierung, die sich u.a. in der Arbeit Kameradschaft (Abb. 51) von Josef Thorak (1889–1952) offenbart, dem »Lieblingsbildhauer Hitlers«.307 Die monumentale Bronzeplastik zeigt zwei leicht versetzt hintereinander stehende männliche Aktfiguren, die zum einen durch einen Handschlag und zum anderen durch die überkreuzten Beine zugleich Solidarität und körperliche Nähe implizieren. Thoraks körperliche Gestaltung der Figuren ist besonders hervorzuheben: Jeder Muskel und jede Vene ist detailliert herausgearbeitet. Bis auf leichte Variationen in der Haltung gleichen sich die Figuren nicht nur in ihrer Statur, Muskulatur und Proportion, sondern auch in ihrer Physiognomie auf fast identische Weise. Die frontal ausgerichtete Komposition der Skulptur wie auch das Detail der sich überkreuzenden Gliedmaßen der beiden Kameraden – eine Stellung, die an die militärische Phalanxformation erinnert – vermittelt einen Eindruck von Wehrhaftigkeit und Geschlossenheit. Die Kameradschaft wurde für die Pariser Weltausstellung 1937 angefertigt, wo sie zusammen mit Familie, einer weiteren Monumentalplastik Thoraks, den Eingang zu dem von Albert Speer entworfenen Deutschen Pavillon flankierte. Die exponierte Anordnung der beiden Figurengruppen an den Flügeln des Deutschen Hauses präsentiert sie als architektonische sowie als symbolische Eckpfeiler des Reiches: Die Familie ist selbstredend als Darstellung nationalsozialistischer Rassenideologie und Familienpolitik zu verstehen,
305 Vgl. Baltrusch, Ernst: Sparta. Geschichte, Gesellschaft, Kultur, München 2003, S. 68; vgl. zudem Schuller, Wolfgang: Griechische Geschichte. München 2002, S. 80. 306 Teichert 2013, S. 89. 307 Rolinek, Susanne: Der »Reichmarmormeister« und die Nachhaltigkeit. Thorak im Spannungsfeld von Kunst, (NS-)Politik und Erinnerungskultur, in: Gwiggner, Bernhard: Josek Thorak. Hitlers Lieblingsbildhauer und sein Bezug zu Salzburg: Eine künstlerische Re-Vision von Bernhard Gwiggner, Salzburg und Wien 2016, S. 81–103; hier: S. 86.
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während die Kameradschaft der militärischen Potenz des NS-Regimes Ausdruck verleihen soll.308 Aus diesem propagandistischen Entstehungskontext heraus erklärt sich auch Thoraks entindividualisierte Gestaltung der beiden Kameraden, suggeriert ihre große Ähnlichkeit doch, dass es nicht um die Darstellung zweier Individuen geht, sondern um eine Visualisierung des nationalsozialistischen Selbstverständnisses. Dazu schreibt Elke Frietsch: »Die männlichen Körper, die Ausdruck von Stärke und Einsatzbereitschaft waren, führten vor Augen, was der einzelne Bürger sein sollte: Ein Repräsentant des nationalsozialistischen Gesamtgefüges, stets bereit, sich für dieses politische System zu opfern.«309 Thorak nutzt demzufolge das uniforme Aussehen seiner Kameraden, um die Idee eines »nationalsozialistischen Gesamtgefüges« zu vermitteln. Die auffällige Betonung der Muskulatur dient dem Bildhauer zur Herausstellung soldatischer Stärke. Die hierdurch erzielte unübersehbare körperliche Präsenz der beiden Figuren bildet zusammen mit der blockartigen Komposition der Skulptur eine sprichwörtliche Menschenmauer. Mit der Hervorhebung von Gleichheit und Stärke demonstrierte Thoraks Kameradschaft zum einen dem internationalen Publikum der Weltausstellung die angebliche ›rassische Überlegenheit‹ der Deutschen. Zum anderen sollte das Werk dem heimischen Publikum das ›erstrebenswerte‹ Ideal arisch-deutscher Männlichkeit vor Augen führen. Doch anstatt der erhofften Visualisierung eines arischen ›Übermenschen‹ fällt das künstlerische Ergebnis mehr un- als übermenschlich aus. Obgleich etwa die übermäßig betonte Muskulatur der beiden Figuren in Thoraks Kameradschaft an die ›übermenschliche‹ Statur eines Herkules Farnese (vgl. Abb. 28) erinnern mag, entbehren sie aufgrund ihrer körperlichen Starrheit wie auch ihrer großen physiognomischen Ähnlichkeit jedweder ›Fleischlichkeit‹ und Individualität – zwei grundlegende Aspekte von Menschlichkeit – und strahlen vielmehr etwas Maschinelles aus. Diese schablonenhaften Krieger werden nicht durch ihre Liebe zueinander motiviert, sondern durch die Liebe zur Ideologie. Hierin enthüllt sich der kalte und militante Geist der Nationalsozialisten. Die beiden Soldaten Thoraks werden zum symptomatischen Emblem aller Diktaturen, in denen die Umsetzung und Befolgung einer Ideologie über jegliche Menschlichkeit gestellt wird. In Entsprechung dazu stellt der Bildhauer in Kameradschaft keine menschlichen Kämpfer dar, sondern ›phallisch‹ gewordene Körper.310 Der Phallus wird dabei gänzlich losgelöst von seinem anatomischen Ursprung und wird, nach
308 Vgl. hierzu Rolinek, Susanne: Der Bildhauer Josef Thorak als NS-Karrierist. In: Kat. Ausst. Politische Skulptur. Barlach/Kasper/Thorak/Wotruba, Landesgalerie Linz 2008, Weitra 2008, S. 77–98; hier: S. 81. 309 Frietsch, Elke: Nackte Männlichkeit als Repräsentation des Staates. Aktdarstellungen in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Kat. Ausst. Nackte Männer. von 1800 bis heute, Leopold Museum Wien 2012/13, München 2012, S. 99–106; hier: S. 102f. 310 Bordo schreibt hierzu: »In this statue [Josef Thoraks Kameradschaft], the penis’s potential for ›hardness‹ and all that it suggests has been displaced onto the whole male body, where it can function more unambiguously as a symbol of strength, power, and upward aspiration. Where it will suggest Prometheus, not Priapus.« (Bordo 2000, S. 91).
III. Hauptteil
Lacans Theorie, zum Signifikanten, d.h. zum Symbol der Macht.311 Die ›stahlharten‹ Körper von Thoraks Kameraden werden zum Exempel der Autorität und angeblichen Stärke des ›Dritten Reiches‹. Das Idealbild des Kriegertums, wie es Achill und Patroklos bzw. Harmodios und Aristogeiton darstellen, wird in den Diktaturen schließlich vollkommen pervertiert. Das Produkt dieser Pervertierung, jene militante, faschistische und hypermaskuline Ästhetik, wie sie u.a. Tom of Finland und Kenneth Anger aufgreifen, wird ab den 1940er Jahren ironischerweise vor allem in der schwulen Subkultur appropriiert und fetischisiert. Diese Entwicklung geht einher mit der zuvor angesprochenen Motivverlagerung: Mit zunehmender Industrialisierung des Militärs gerät der einzelne Krieger immer weiter in den Hintergrund und anstelle seiner tritt mehr und mehr der militärische Apparat an sich in den Vordergrund. Dieser Prozess setzt allerdings nicht erst mit dem NS-Regime ein, lassen sich doch die Fetischisierung militärischer Insignien wie auch eine sich zuspitzende Militarisierung beispielsweise bereits in den Arbeiten des US-amerikanischen Künstlers (Edmund) Marsden Hartley (1877–1943) ab den 1910er-Jahren ausmachen. Als Mitglied der weit vernetzten Gruppe um den New Yorker Galeristen Alfred Stieglitz (Galerie 291), zu welchem Künstler_Innen sowie Anarchist_Innen gehörten, erhält der aus dem ländlichen Maine stammende Hartley Zugang zur nationalen und internationalen Kunstszene.312 Dank der finanziellen Unterstützung von Mäzen_Innen des StieglitzKreises gelangt der Künstler 1912 nach Paris und ab 1913 nach Berlin, wo er mit Ausnahme einiger kleinerer Reisen (u.a. nach München zu den Künstler_Innen des Blauen Reiters) bis Ende 1915 bleibt.313 In Berlin wird Hartley mit einer Gesellschaft konfrontiert, die einerseits stark durch einen bereits im 18. Jahrhundert unter dem ›Soldatenkönig‹ Friedrich Wilhelm I. einsetzenden Militarisierungsprozess bestimmt ist, andererseits aber auch für liberale Positionen (Hirschfeld etc.) sowie eine extensive schwule Subkultur bekannt ist – diese florierte trotz des Paragraphen 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte.314 Als der Künstler 1913 in der Hauptstadt des Deutschen Kaiserreichs ankommt, wird er Zeuge der gesamten inszenatorischen Bandbreite des preu311
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Vgl. ebd., S. 92; sowie Lacan, Jacques: The Signification of the Phallus. In: Leitch, Vincent B. (Hg.): The Norton Anthology of Theory and Criticism. New York und London 2001b, S. 1302–1310; hier: S. 1306 und S. 1308. Siehe Scholz, Dieter: Marsden Hartley in Berlin. In: Kat. Ausst. Marsden Hartley. Die deutschen Bilder 1913–1915, hg. von Dieter Scholz, Neue Nationalgalerie Berlin und Los Angeles County Museum of Art 2014, Köln 2014, S. 18–63; hier: S. 20f; seinen ursprünglichen Namen Edmund legte der Künstler ab und wählte stattdessen einen Doppelnamen bestehend aus dem Familiennamen des Vaters (Hartley) sowie dem seiner Stiefmutter (Marsden). Vgl. ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 23ff und S. 28f; in Paris wird Hartley Teil des Zirkels um Gertrude Stein und lernt dort den ebenfalls homosexuellen Künstler Charles Demuth kennen, mit dem ihm eine lange Freundschaft verbinden sollte. Vgl. Weinberg, Jonathan: Speaking for Vice. Homosexuality in the Art of Charles Demuth, Marsden Hartley, and the First American Avant-Garde, New Haven und London 1993, S. 141. Zum Begriff der Militarisierung siehe Pröve, Ralf: Militär, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, München 2006 u.a. S. 91–94; sowie Wilson, Peter H.: Social Militarization in Eighteenth-Century Germany. In: German History. Band 18 (2000), S. 1–39; zu Hirschfeld und der queeren Berliner Subkultur siehe Weinberg 1993, S. 143.
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ßischen Militärs, finden in diesem Jahr doch zahlreiche Feierlichkeiten zu Ehren Kaiser Wilhelms II. statt, wie z.B. das 25-jährige Thronjubiläum (17. Juni 1913).315 Fasziniert von der hypermaskulinen Ästhetik kaiserlicher Militärparaden und im Besonderen von der Ausstrahlung eines jungen Offiziers namens Karl von Freyburg, den der Maler bereits in Paris kennengelernt hatte, macht er militärische Insignien fortan zu einem Hauptmotiv seiner Kunst.316 In The Warriors von 1913 (Abb. 52) präsentiert Hartley beispielsweise ein stilistisch an den deutschen Expressionismus sowie den französischen Kubismus angelehntes Bild des kaiserlichen Garde-Reiter-Regiments, in welchem seine Vorliebe für militärische Motive zum ersten Mal Gestalt annimmt. Die Heerestruppe, erkennbar an der Uniform und insbesondere den Helmen mit Paradebusch, wird in fast sakraler Manier verklärt: Die drei im Profil zu sehenden Reiter in der unteren Bildhälfte scheinen auf Wolken zu reiten und werden, ebenso wie die über ihnen angedeutete Rückenfigur eines vierten Reiters, jeweils von einer Glorie umgeben.317 Die restliche Bildfläche bedeckt Hartley mit zahlreichen weiteren Reitergestalten, die jedoch immer schemenhafter werden. Die im Bildzentrum stehende Dreieckskomposition mit den vier Reitern verleiht dem Gemälde eine nach vorne strebende Dynamik. Hartley gelingt hiermit eine doppeldeutige Visualisierung von avant-garde im militärischen sowie im künstlerischen Sinne. Auch die auffällig geformten Glorien, die jeweils einen der vier zentralen Reiter umhüllen, unterstreichen den Vorwärtsdrang des Bildes und eröffnen zugleich eine erotische Lesart des Bildes: Das als phallisch zu bezeichnende Formenvokabular der Glorien wie auch das an den berittenen Rückenfiguren und am unteren Bildrand vorkommende Sternensymbol, welches man in Anbetracht der Fokussierung auf die Hinteransicht der Soldaten als Anspielung auf einen Anus deuten könnte, evozieren durchaus sexuelle Konnotationen.318 Diese zunächst äußerst krude erscheinende Deutung wird umso plausibler, wenn man die erotisch-begehrlichen Hintergründe für Hartleys Interesse an von Freyburg und dem preußischen Militär bedenkt. So gesteht er seinem engen Vertrauten Stieglitz gegenüber: »The officer [Karl von Freyburg, NM] is so handsome […]. Since I have been here and seen the hideous French men – I turn to the Germans
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Vgl. ebd., S. 33; Gail R. Scott berichtet zudem davon, dass Hartley auch die Festlichkeiten zur Hochzeit von Wilhelms Tochter Viktoria Luise im Mai 1913 miterlebt hat. Siehe Scott, Gail R.: Marsden Hartley. New York 1988, S. 44. Vgl. Weißbrich, Thomas: Das Ende der Parade. Marsden Hartley und das preußische Militär, in: Kat. Ausst. Marsden Hartley. Die deutschen Bilder 1913–1915, hg. von Dieter Scholz, Neue Nationalgalerie Berlin und Los Angeles County Museum of Art 2014, Köln 2014, S. 128–139; hier: S. 129. Vgl. ebd., S. 139. Weinberg erläutert zum Sternensymbol, dass dies ein Symbol gewesen sei, welches Hartley überall in Berlin gesehen hätte. Zugleich unterstreicht er auch die im Bild evidente Erotisierung und bezeichnet es als »an altarpiece for a militaristic cult« (Weinberg 1993, S. 147).
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as to the gods«.319 Und in seinen unveröffentlichten Memoiren schreibt er beim Anblick einer Parade des preußischen Heeres: »It was of course the age of iron – of blood and iron. Every backbone in Germany was made of it – or had new iron poured into it – the whole scene was fairly bursting with organized energy and the tension was terrific and somehow more voluptuous in the feeling of power – a sexual immensity even in it, when passion rises to the full and something must happen to quiet it.«320 Sowohl in Hartleys Schwärmereien über den ›göttlichen‹ von Freyburg, von dem er kurz nach dem gemeinsamen Kennenlernen bezeichnenderweise eine Fotografie erbat, die den Offizier in Uniform zeigte, als auch in seinen beinah orgiastisch beschriebenen Eindrücken der berstenden Potenz preußischer Soldaten, vermischen sich sein sexuelles Begehren und seine Faszination für Militarismus zu einem untrennbaren Amalgam. Ebendiese Verquickung findet sich neben The Warriors auch äußerst prominent in der von Gail R. Scott als »The German Officer Series« betitelten Werkreihe Hartleys, die insgesamt zwölf Titel umfasst und auch unter dem Namen War Motifs bekannt ist.321 Das erste und bedeutendste Werk aus dieser Reihe trägt den Titel Portrait of a German Officer (Abb. 53) und entstand 1914, kurz nachdem den Künstler die Nachricht vom Tod des innig geliebten von Freyburg ereilt hatte, der drei Monate nach Beginn des Ersten Weltkriegs in Arras gefallen war.322 Dieses ›Portrait‹ treibt die schon in The Warriors evident werdende Faszination Hartleys für Militaria weiter voran und ersetzt das eigentliche Antlitz des Gefallenen komplett durch militärische Insignien: Vor schwarzem Hintergrund sind auf dem hochformatigen Bild Fragmente einer Uniform wie z.B. Epauletten, ein Helm mit Paradebusch, Quasten einer Offiziersschärpe, ein silberner Sporn zusammen mit einem Eisernen Kreuz sowie verschiedenen Flaggen zu einem collagenartigen und dem analytischen Kubismus anverwandten Epitaph arrangiert. Personalisiert wird dieses »abstractportrait«323 mittels mehrerer Verweise auf den Dargestellten, wie z.B. die Initialen »K. v. F.« in der linken unteren Bildecke, der blauen Schulterklappe mit der gelben »24« – das Todesalter von Freyburgs – auf der gegenüberliegenden Seite sowie dem im Hintergrund angedeuteten Schachbrett – laut Thomas Weißbrich das Lieblingsspiel des Verstorbenen.324 Von den abgebildeten Flaggen, unter ihnen etwa das weiß-blaue Rautenmuster
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Hartley an Stieglitz, kein Datum [vermutlich Juli 1912], zitiert nach Voorhies, James Timothy (Hg.): My Dear Stieglitz. Letters of Marsden Hartley and Alfred Stieglitz, 1912–1915, Columbia (SC) 2002, S. 19; eine deutsche Übersetzung findet sich in Scholz 2014: »Der Offizier ist so gut aussehend […]. Seit ich hier bin und die abscheulichen französischen Männer gesehen habe – wende ich mich den Deutschen zu wie Göttern […]« (Scholz 2014, S. 21); bezeichnenderweise erbittet Hartley von Freyburg nach dem ersten Kennenlernen eine Fotografie des Offiziers in Uniform. Vgl. ebd., S. 23. Zit. nach Weinberg 1993, S. 143; die zitierte Stelle stammt aus einer bisher unveröffentlichten Schriftensammlung Hartleys, die Gail R. Scott unter dem Titel A Life in the Arts zusammengetragen hat. Hartley, Marsden: A Life in the Arts, editiert von Gail R. Scott, unveröffentlichtes Manuskript, S. 264. Scott 1988, S. 53; vgl. auch Weißbrich 2014, S. 136. Vgl. ebd., S. 135f. Scott beschreibt die War Motifs als »abstract-portrait[s]«. Siehe Scott 1988, S. 53. Zu den Anspielungen auf Freyburg siehe die detaillierte Bildanalyse bei Weißbrich 2014, S. 136ff.
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Bayerns, ist vor allem die über den Initialen zu sehende Fahne des Deutschen Kaiserreiches zu beachten, deren Farbreihenfolge jedoch umgedreht wurde (von oben nach unten: rot-weiß-schwarz anstatt schwarz-weiß-rot). Während Weißbrich insbesondere in dem zentral positionierten Dreieck mit dem Eisernen Kreuz einen Hinweis auf die enge Beziehung zwischen Hartley, von Freyburg und dessen Cousin, dem Bildhauer Arnold Rönnebeck, als Hauptbildthema vermutet, sieht Jonathan Weinberg in dem Gemälde vielmehr ein solitäres Denkmal an den als Märtyrer stilisierten Offizier.325 Der schwarze Hintergrund spricht in jedem Fall dafür, dass es dem Künstler hier um die Gestaltung eines Nachrufs bzw. einer Trauerbekundung geht. Berücksichtigt man diesbezüglich auch noch die Tatsache, dass Hartley dem Verstorbenen elf weitere Bilder gewidmet hat, demonstriert dies nochmals die tiefe emotionale Verbundenheit, die der Künstler gegenüber dem Offizier empfunden haben muss. Es ist jedoch äußerst auffällig, dass der Künstler von Freyburg lediglich durch dessen Uniform repräsentiert.326 Viele zeitgenössische US-amerikanische Kunstkritiker_Innen sahen darin eine vermeintliche ›Glorifierzung‹ des Deutschen Kaiserreichs und des Krieges, die sie scharf verurteilten.327 Wenngleich diese Kritik angesichts der Fokussierung auf militärische Insignien zunächst berechtigt zu sein scheint, enthält das Bild dennoch auch Momente, die man als kritische Spitzen bzw. Infragestellungen des Militärs lesen kann. Außer dem schon zuvor erwähnten schwarzen Hintergrund, welcher die Fragmentstücke bedrohlich umhüllt und zu verschlucken droht, sind überdies die Flagge des Deutschen Kaiserreichs mit der umgedrehten Farbabfolge sowie das Schachbrettmuster zu nennen: Die Umkehrung der Fahne kann als Geste des Unmuts gelesen werden, die ebenso von einer Desillusionierung über den Sinn des Krieges zeugt wie die Einbettung des Schachbretts, auf dessen Feldern der Soldat zur bloßen Spielfigur wird. Wie immer man die einzelnen Bildelemente deuten mag, es besteht keinerlei Zweifel daran, dass die zentrale Stellung in Portrait of a German Officer der Uniform gebührt. Die Epauletten, der silberne Sporn, der Helm wie auch alle weiteren Fragmente werden nicht nur zum Pars pro Toto für den Verlust Hartleys, sondern auch für sein Begehren. Der uniformierte von Freyburg ist für Hartley das Inbild idealisierter Hypermaskulinität und die Zuneigung des Offiziers das ultimative Unterpfand. Dazu schreibt Weinberg: »In Freyburg’s love, Hartley might find approval from the very type of man who was supposed to despise homosexuals most. […] His [Hartleys, NM] desire to become a German was another aspect of his need to be loved by men who were, as Hartley might put it, ultramasculine.«328 Der von Weinberg beschriebene Vorgang, etwas zu idealisieren, zu erotisieren und letztlich auch zu fetischisieren, was einem aus kulturell-gesellschaftlicher Perspektive entgegensteht – in diesem Fall eine als ideal angesehene ›soldatische Männlichkeit‹ gegenüber einer mehrheitlich als kriminell und krankhaft perzipierten ›homosexuellen
325 Siehe Weißbrich 2014, S. 136 sowie Weinberg 1993, S. 151f. 326 Weinberg schreibt: »But by choosing to depict his subject through the paraphernalia of war – the bright colors of the German flag, the gold buttons and tassels or the officer’s uniform, the powerful and simple forms of the iron crosses […] – Hartley fails to suggest a sense of disillusionment with its deadly results.« (Weinberg 1993, S. 154). 327 Vgl. ebd., S. 154f; vgl. zudem Scott 1988, S. 58. 328 Weinberg 1993, S. 155.
III. Hauptteil
Männlichkeit‹ –, erweist sich als essenzielle Erfahrung gleichgeschlechtlich begehrender Männer und somit auch als fundamentaler Bestandteil einer männlich-männlichen bzw. queeren Ikonographie. Der von Hartley vertretene begehrende Blick auf das ebenso homoerotische wie homophobe Wesen des Militärs expliziert sich vor bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg nochmals deutlich in den Werken von Kenneth Anger und Tom of Finland. Im Œuvre beider Künstler vereint sich ein unverhüllt erotisches Interesse, wie es auch bei Hartley zu finden ist, mit einer radikal militaristischen und bisweilen brutalen Ästhetik, die ihrerseits an die Bildsprache diktatorischer Systeme angelehnt ist. Ein anschauliches Beispiel für diese Vereinigung liefert Kenneth Angers (* 1927) erster Film Fireworks von 1947.329 Der etwa vierzehnminütige Kurzfilm präsentiert den Betrachter_Innen eine eindringliche Abfolge traumartiger Sequenzen, in denen der in unruhigem Schlaf versunkene Protagonist (von Anger selbst gespielt) von erotischen (Alp-)Träumen heimgesucht wird: Unter dem flackernden Aufleuchten zahlreicher Feuerwerkskörper beginnt der Film zunächst mit einer Pietà-artigen Komposition, in der ein Matrose die scheinbar ohnmächtige Hauptfigur in Händen trägt (Abb. 54.1). Nach einer Szene, die das vermeintliche Aufwachen des Träumenden suggeriert, durchschreitet dieser wenig später eine mit »Gents« beschriftete Tür und gelangt in einen (Toiletten-)Raum, in welchem er auf einen Matrosen trifft. Dieser zieht sich vor ihm aus und stellt seinen muskulösen Körper zur Schau.330 Die anfängliche Erotik der Begegnung kippt jedoch alsbald, und der von Anger verkörperte Charakter wird plötzlich von dem Matrosen angegriffen.331 Was zunächst nach spielerischem Ringen aussieht, wird schnell blutiger Ernst, als eine große Gruppe weiterer Matrosen die Hauptfigur umzingelt und diese buchstäblich in Stücke reißt.332 Das groteske Blutbad kulminiert in einer Szene, in welcher einer der Angreifer den Brustkorb des Opfers mit einer zerbrochenen Flasche aufschneidet und darin die Skala eines Messgeräts freilegt. Im Anschluss an diese Gewalttat wird der blutige und malträtierte Körper mit einer weißen Flüssigkeit übergossen und dadurch reanimiert.333 Ein weiterer Matrose, aus dessen offenem Hosenstall ein angezündeter Feuerkörper ragt, scheint das getane Werk seiner Kameraden zu zelebrieren (Abb. 54.2). Der Film endet damit, dass zahlreiche Fotografien, auf denen die aus einem Matrosen und dem ohnmächtigen Protagonisten bestehende Pietà zu sehen ist, von einem brennenden Christbaum in Brand gesetzt werden. Mit Fireworks hat Anger einen der frühesten Beiträge einer sich insbesondere ab den 1950er- und 1960er-Jahren etablierenden nordamerikanischen Avantgarde- und Undergroundfilmszene hervorgebracht. Zusammen mit zeitgenössischen Filmemacher_Innen wie Maya Deren und Sidney Peterson wird Anger als Teil einer visionären,
329 330 331 332 333
Fireworks. Regie: Kenneth Anger. In: Magick Lantern Cycle. DVD. BFI Video 2009. Ebd., TC: 00:04:55. Ebd., TC: 00:06:13. Ebd., TC: 00:09:00. Ebd., TC: 00:10:40.
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poetischen Filmavantgarde verstanden, die sich um neue Erzähltechniken bemüht.334 In Fireworks unterstreicht Anger beispielsweise die Fieberhaftigkeit der symbolisch aufgeladenen Traumszenen durch eine neue, experimentelle Erzählstruktur: An Stelle der bewährten Filmkontinuität bevorzugt er eine Schnitttechnik, in der die Szenen nur lose miteinander verbunden werden.335 Das räumliche und zeitliche Verhältnis zwischen den verschiedenen Szenarien verbleibt somit stets unklar und betont gerade dadurch den Aspekt des Traumhaften. Angers strukturelle Verqueerung tradierter Filmkonventionen wird auf inhaltlicher Basis durch die Präsenz der Matrosenfigur gedoppelt: Der Matrose, eine Gestalt, die auch im Werk zahlreicher anderer homosexueller Kunstschaffender des 20. Jahrhunderts auftaucht, wie etwa bei Jean Cocteau, Paul Cadmus, Charles Demuth oder Jean Genet, ist in Fireworks zugleich erotisiertes Begehrensobjekt wie auch letale Gefahr.336 Anger inszeniert seine Matrosen als männliches Pendant zu den mythischen Sirenen, die den Protagonisten zunächst mit ihren Reizen anlocken, ihn dann aber letztlich für sein Verlangen bestrafen. Dieses dualistische Motiv von Eros und Thanatos führt der Regisseur gleich zu Beginn des Films ein, wenn er die Hauptfigur zwischen einer vermutlich afrikanischen oder ozeanischen Plastik, die kurz zuvor als Requisite zum Ausdruck sexueller Erregung genutzt wurde, und einer deformierten Christusfigur an der Rückwand positioniert (Abb. 54.3).337 Der Binarismus von (homosexueller) Lust – repräsentiert durch das außereuropäische Artefakt – und (gesellschaftlicher) Strafe – repräsentiert durch Christus – findet im Matrosen eine passende Analogie: Einerseits entspringt er einem militärischen Kontext, der für die strenge Einhaltung von Regeln sowie leibliche Selbstkontrolle bekannt ist, andererseits gilt er als romantisches Symbol für Freiheit, sowohl im räumlichen wie auch im sexuellen Sinne. Der spanische Poet Luis Cernuda (1902–1963) thematisiert in einem seiner explizit homoerotischen Gedichte diese doppeldeutige Freiheit: »Die Matrosen sind der Liebe Schwingen,/Sind der Liebe Spiegel,/Das Meer ihr Begleiter,/Und ihre Augen sind licht, genau wie die Liebe/Licht ist, so wie ihre Augen es sind./ Die wilde Freude, die sie in die Adern verströmen,/Ist ebenfalls licht,/Wie die Haut,
334 Peterson, James: Dreams of Chaos, Visions of Order – Understanding the American Avant-garde Cinema. Detroit 1994, S. 30 335 Suárez, Juan A.: Biker Boys, Drag Queens & Superstars, Avant-Garde, Mass Culture, and Gay Identities in the 1960's Underground Cinema. Bloomington und Indianapolis 1996, S. 129. 336 Die Figur des Matrosen hat schon vor dem 20. Jahrhundert ›homoerotische‹ Konnotationen. So verhandelt etwa Herman Melville (1819–1891) in seinem letzten und unvollendeten Prosawerk Billy Budd, Sailor (geschrieben zwischen 1886 und 1891, Erstveröffentlichung 1924), das Schicksal des ›schönen Matrosen‹ Billy auf dem englischen Kriegsschiff HMS Bellipotent: »Fulfilling the sexually ambiguous role of the ›Handsome Sailor,‹ Billy is said to embody both the masculine ideal, making him an object of envy for the other men on board, and a refined beauty, which simultaneously marks him as a feminized object of homoerotic desire.« (Eagle, Christopher: Organic Hesitancies: Stuttering and Sexuality in Melville, Kesey, and Mishima. In: Comparative Literature Studies, Vol. 48, Nr. 2 (2011), S. 200–218; hier: S. 201f). 337 Fireworks. Regie: Kenneth Anger. In: Magick Lantern Cycle. DVD. BFI Video 2009. TC: 00:02:39 und 00:03:57.
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die sie zeigen,/Laßt sie nicht fortfahren, denn sie lächeln,/Wie die Freiheit lächelt,/ Augenblendendes Licht hoch über dem Meer«338 Die Gestalt des Matrosen wird bei Cernuda mit »Schwingen« versehen und gerät zum libertinen Amor und zum ebenso unwiderstehlichen wie flüchtigen Verführer. Im Gegensatz zu diesem romantisierten Bild betont Anger in seinen zu gleichen Teilen erotischen wie thanatischen Matrosenfiguren aber auch deren nicht zu leugnende Verbindung zu einer Institution, die zwar homosozial strukturiert ist, welche aber gleichgeschlechtliches Verlangen, zumindest auf offizieller Ebene, lange Zeit ausdrücklich abgelehnt hat.339 Wenn nun also am Ende von Fireworks ein Matrose auftritt, der an Stelle eines Genitales einen brennenden Feuerwerkskörper hat, dann verbildlicht der Regisseur damit nicht nur jenen zwischen Begehren und Angst oszillierenden Status, sondern markiert den ›militärischen Körper‹ darüber hinaus auch als ›nicht-fleischlich‹ bzw. ›maschinell‹ (siehe Abb. 54.2). Damit greift Anger auf ein Konzept zurück, das beispielsweise auch der Kameradschaft (Abb. 51) von Thorak zugrunde liegt. Die intrinsische Verflechtung der widersprüchlichen Gegensatzpaare Eros und Thanatos wie auch Körper und Maschine ist ein zentrales Thema in Fireworks. Susan Powell bezeichnet den Film mit Blick auf das Gesamtœuvre Angers – es sei insbesondere auf das Ritualmotiv in Inauguration of the Pleasure Dome (1954), Scorpio Rising (1963) sowie Lucifer Rising (1966/70) verwiesen – als einen von Ambivalenzen durchdrungenen und auf Zelluloid gebannten ›Initiationsritus‹.340 Die Todesszene des Protagonisten in Fireworks versteht Powell als »symbolic death, rebirth and self-realisation« und den anschließenden Erguss einer weißen, Leben spendenden Flüssigkeit – »milk as sperm« – über den
338 Cernuda, Luis: Matrosen sind der Liebe Schwingen. Deutsche Übersetzung von E. Ahrendt, in: Campe, Joachim (Hg.): »Matrosen sind der Liebe Schwingen«. Homosexuelle Poesie von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt a.M. und Leipzig 1994, S. 134. 339 Greenberg erläutert hierzu: »Where people’s lives are encompassed by an organization, and the efficient and impersonal functioning of the organization is important, the relationships of members become important, too. One bureaucracy that meets these criteria is the military, and it has shown an exceptional preoccupation with homosexuality. In 1914, the German minister of war, [Karl] von Einem, ordered homosexual officers dismissed from the army. Buggery was a capital offense under the Articles of War for the British navy, which punished it with execution more consistently than it punished mutiny or desertion. […] In 1967, when the legal prohibition against homosexuality was lifted, men in the armed forces were explicitly excluded. […] Men in the military were likewise exempted in Spain when its sodomy law was repealed in 1976.« (Greenberg 1990, S. 444); zu diesem Zitat ist anzumerken, dass Karl von Einem 1914, entgegen Greenbergs Behauptung, nicht mehr Kriegsminister war und die angesprochene Rede gegen Homosexuelle im Militär bereits am 29. November 1907 (als von Einem noch den Ministerposten innehatte) in einer Reichstagdebatte bezüglich der Harden-Eulenburg-Affäre gehalten hatte. Von Einem: »Ein solcher Mann darf nie und nimmer Offizier sein. […] Wo ein solcher Mann mit solchen Gefühlen in der Armee weilen sollte, da möchte ich ihm zurufen: nimm deinen Abschied, entferne dich. […] Wird er gefaßt, meine Herren, […] so muß er vernichtet werden.« (Reichstagprotokoll der 61. Sitzung, Freitag den 29 November 1907, S. 1916; online abrufbar unter: http://www.reichstagsproto kolle.de/Blatt_k12_bsb00002839_00236.html (zuletzt 04.07.2018)); für einen knappen Überblick zum Skandal um Philipp zu Eulenburg-Hertefeld siehe Jungblut 2005, S. 27–31. 340 Powell, Anna: The Occult: A Torch For Lucifer, in: Hunter, Jack (Hg.): Moonchild – The Films of Kenneth Anger. London 2002, S. 47–104; hier: S. 62.
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blutigen Körper als Taufe.341 Zusammen mit dem vorausgegangen Gewaltakt, in dessen Zuge das Herz in Form einer Messskala freigelegt wurde, stellt die im Film präsentierte Initiation eine Art Kalibrierung der von Anger gespielten Figur dar: Die Hauptfigur wird dahingehend ›justiert‹, dass sie ihr fleischliches Verlangen gewaltsam unterdrückt und sich den gesellschaftlichen Erwartungen einer korrekt ausgeführten, sprich ›soldatischen Männlichkeit‹ unterwirft. Dies wird auch nochmals in der Endsequenz unterstrichen, als mit einem reich geschmückten Christbaum – ein Symbol für das Konzept der Kernfamilie – die fotografischen Darstellungen männlich-männlicher Zuneigung (die Pietà bestehend aus einem Matrosen und Angers Charakter, siehe Abb. 54.1) verbrannt werden. Die bei Anger schon deutlich gewordene Verknüpfung und Fetischisierung von Gewalt, ›militärischer Männlichkeit‹ sowie sexuellem Begehren ist auch ein zentrales Thema in den Illustrationen Tom of Finlands (eigentlich Touko Valio Laaksonen, 1920–1991). Während Anger die Gewalt in seinen Filmen stets auch als solche zeigt, obgleich auch mit erotischen Untertönen, gerät sie in der überzeichneten und pornographischen Welt Finlands zum erotischen Spektakel: Männer werden hier zu ityphallischen Muskelpaketen mit den Proportionen einer herkulischen Barbie, Uniformen werden zu Kostümen und Gewalt wird zur campen Performance sexueller Phantasien. Auf einer frühen Aquarellarbeit von 1947 (Abb. 55), in der zwei Soldaten sich mit einem entkleideten Dritten vergnügen, wird dies ebenso deutlich wie auf einer späteren Farbstiftzeichnung von 1981 (Abb. 56). Letztere Arbeit ist exemplarisch für das Œuvre Tom of Finlands. Sie zeigt einen muskulösen, sich komplett entblößenden Mann, der devot auf dem Boden liegt und von zahlreichen uniformierten Männern umstellt ist. Von den Uniformträgern ist aufgrund des Bildanschnittes nur das Beinkleid zu sehen: Alle tragen schwarze, kniehohe Lederstiefel sowie die in der Wehrmacht gängigen braunen und schwarzen Breeches (Reithosen). Die liegende Figur, welche die Betrachter_Innen auffordernd anblickt, scheint die Situation trotz oder gerade eher wegen der Überzahl und Übermacht der ihn umzingelnden Männer durchaus zu genießen – sein erigiertes Geschlechtsteil, auf welchem einer der Soldaten seinen Stiefel abstellt, lässt daran wenig Zweifel. Entgegen dem verspielten Ton seiner Arbeiten war dem in Finnland geborenen Touko Laaksonen die Brutalität des Krieges und des Militärs durchaus vertraut, wurde er 1939 doch zeitgleich mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in die finnische Armee eingezogen.342 Obzwar der Kampf dem damals 19-Jährigen ein Gräuel war – eine kämpferische Auseinandersetzung mit einem jungen russischen Fallschirmjäger, die für diesen tödlich ausging, überwand er nie –, faszinierten ihn die militärische wie auch die körperliche Präsenz der sowjetischen und insbesondere der deutschen Offiziere/Soldaten.343 Dian Hanson erläutert dazu: »Für den jungen Touko waren die Offiziere der Wehrmacht […] in allererster Linie eine Ansammlung eng sitzender Jacken […] und blitzblanker, feingeäderter schwarzer Leder-Reitstiefel: Fetischobjekte
341 Ebd., S. 62 und S. 64. 342 Siehe u.a. Hanson, Dian: Ein Mann in Uniform. In: Dies. (Hg.): The Little Book of Tom of Finland. Military Men, Köln 2016, S. 10–15; hier: S. 11. 343 Vgl. ebd., S. 11f und S. 14.
III. Hauptteil
erster Güte […].«344 Die von Finland in seinen Zeichnungen betriebene Loslösung einer totalitären Ästhetik wie der des NS-Regimes von ihren politischen und symbolischen Inhalten sowie deren anschließende Vereinnahmung als erotische Hintergrundkulisse ist dabei durch und durch als camper Inszenierungsmechanismus zu verstehen. Anders jedoch als Sontag dies in ihrem Aufsatz Notes on »Camp« impliziert, bedeutet eine Entkontextualisierung keineswegs immer eine Entpolitisierung;345 vielmehr unterwandert Finland gerade durch die Explizität seiner Bilder das von den Nazis propagierte Bild des Mannes als thanatische »Körpermaschine«, indem er den Fokus auf fleischliche Merkmale, die sinnliche wie auch tabubrechende Zurschaustellung der Körperöffnungen – insbesondere des Anus – und die sexuelle Erregung seiner Figuren legt.346 Anstatt der ›phallisch gewordenen Körper‹ eines regimetreuen Künstlers wie Thorak, der sich auf das phallische Potential der ›Erhärtung‹ konzentriert und mit seinen Werken der Repräsentation politischer bzw. militärischer Potenz dient, inszeniert Finland seine Hünen – bei aller militärischer Männlichkeit – entweder als verwundbare Herkulesse, die an ihrer eigenen Subversion Lust empfinden, oder als genussvolle und priapische Hedonisten, deren überdimensionierte Penisse nur einem einzigen Zweck dienen: der Befriedigung.347 Die technisch versierten und stilistisch mit den Gemälden Quaintances (vgl. Abb. 15) vergleichbaren Zeichnungen erlangen durch die Veröffentlichung in dem über die Grenzen des Publikationslandes USA hinaus bekannten Physique Pictorial 1957 auch internationale Bekanntheit.348 Das Figurenpersonal Finlands wächst dabei stetig weiter an und umfasst jenseits der military men bald auch weitere Formen idealisierter Männlichkeit: Cowboys, Biker, Bauarbeiter, Holzfäller, Lederkerle usw. Das von ihm popularisierte Bild hypermaskuliner schwuler Männer, die stets auch in einen maskulinen Kontext eingebettet sind, sei es das Militär, der Bau oder die Lederszene, ist zugleich Vor- und Spiegelbild der nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich aufkeimenden urbanen Schwulenszene.349 Entscheidend ist aber vor allem die Theatralität der Männerbilder, die Finland in seinen Arbeiten zum Ausdruck bringt: Durch die Überzeichnung seiner Figuren betont er nicht nur die performativen Aspekte ›militärischer Männlichkeit‹, sondern jedweder maskuliner Identitätskonstruktion. Anstatt einer bewussten Auseinandersetzung mit der Problematik jenes Konstruktionsprozesses unterwandert Finland diesen in camper Manier gleich gänzlich, indem er seine Bilder als träumerisches wie bacchantisches Schauspiel inszeniert, in welchem jeder Akteur die Rolle einnimmt und die Uni-
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Ebd., S. 12f. Vgl. Sontag 2008, S. 54. Theweleit 1980b (zuerst 1978), S. 160. Durk Dehner, der Gründer der Tom of Finland Foundation in Los Angeles, findet für die von Finland erschaffene Welt eine treffende Beschreibung: »Tom’s wartime experience made him determined to show all men as equals, to portray them with warm, welcoming faces devoid of hatred, and to ensure that their sex play, no matter how rough, always ended with mutual satisfaction.« (Hanson 2016, S. 43). 348 Vgl. Reed 2011, S. 167f. 349 Vgl. Geczy und Karaminas 2013, S. 89; siehe zudem Kapitel III.3.1.
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form trägt, die ihm am meisten Befriedigung verspricht.350 Gerade durch die unbekümmerte Appropriation verschiedenster Militaria sowie die sich in den Werken äußernde Eingrenzung des symbolpolitischen Gehalts der Uniformen auf das sexuelle Konzept von Dominanz und Unterwürfigkeit enthüllt der Künstler die Arbitrarität und Artifizialität des militärischen Inszenierungsapparats. Finlands respektive Hartleys Verwendung von Militärinsignien markiert einen Höhepunkt in der ›Entwicklung‹ vom kriegerischen Erotizismus hin zu einem erotisierten Militarismus: Beide erheben Militaria in ihrem Œuvre zu eigenständigen Begehrensträgern. Ein zeitgenössischer Künstler, der an den bei Finland deutlich werdenden Aspekt militärischer Inszeniertheit anknüpft, ist der in Los Angeles lebende und sich als queer identifizierende Künstler Alex Donis (*1964). In seiner Tusche- und Gouachearbeit Abdula & Sgt. Adams (La Fille Mal Gardée)351 von 2003/04, die Teil der Werkserie Pas de Deux ist, präsentiert er vor einem einheitlich weißen Hintergrund die Ballettchoreographie zweier auf entgegengesetzten Seiten stehender Soldaten (Abb. 57): linkerhand ein irakischer Kämpfer mit Kopfbedeckung sowie einem um den nackten Oberkörper geschnallten Patronengürtel. Rechterhand ein blonder US-amerikanischer Marinesoldat in einem weißen Tanktop. Beide Figuren sind in einer dynamischen Tanzpose eingefroren – ein wahrhaftes ›Kriegsballett‹. Der Untertitel der Arbeit, La Fille Mal Gardée, spielt auf eines der ältesten Ballettstücke an, das 1789 in Bordeaux uraufgeführt wurde. Im Zentrum seiner Handlung steht eine Dreiecksgeschichte: Lise, die Tochter einer reichen Bäuerin, soll den Sohn eines wohlhabenden Müllers heiraten, hat sich aber in den Hofarbeiter Colas verliebt und möchte mit diesem fliehen.352 Es gehört dabei zum festen Konzept von Donis’ Pas de DeuxSerie, verfeindete militärische Seiten in tänzerischen Posen des klassischen Balletts zu vereinen, seien es nun ein irakischer und ein amerikanischer Soldat in den Rollen der Lise und des Colas wie in Abdula & Sgt. Adams oder ein britischer Private und ein preußischer Pickelhaubenträger als Daphnis und Chloe in Lieut. A. Simmermacher & Private W. G. Swain (2006). Lord und Meyer schreiben über den Künstler: »Donis takes adversarial relationships marked by hatred and violence and restages them as dances of joy and mutual pleasure.«353 Mehr noch: Seinem stets männlichen Figurenpersonal weist Donis gemäß der Tradition des Pas de deux, dem Tanzduett und Höhepunkt eines jeden klassischen Balletts, sowohl die männliche als auch die weibliche Rolle des zentralen Liebespaares zu. Im Falle von Abdula & Sgt. Adams nimmt der irakische Soldat den weiblichen Duettpart der Lise ein, was durch seine im Kontrast zu Sgt. Adams ›femininere‹ Pose suggeriert wird. Durch die Kontrastierung der Uniformen mit der feinsinnigen Kunstgattung des Balletts gelingt Donis, ähnlich wie zuvor Hartley sowie Finland, eine Verschmelzung 350 Auch lange nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war bzw. ist die Lage für Homosexuelle im Militär schwierig. Es sei hier auf die USA hingewiesen, wo bis 2011 die rechtliche Praxis Don’t ask, don’t tell (DADT) galt, nach welcher homosexuelle Militärmitglieder nur dienen durften, wenn sie ihre Sexualität verschwiegen. 351 Siehe http://www.alexdonis.com/ART-deux/ART-deux-01.html (zuletzt: 12.07.2018). 352 Zu La Fille Mal Gardée siehe Gruen, John: The World’s Great Ballets: La Fille Mal Gardée to Davidsbündlertänze, New York 1981, S. 21ff. 353 Lord und Meyer 2013, S. 203.
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militärischer Insignien mit gleichgeschlechtlichem Begehren und damit schlussendlich eine Verqueerung ebendieser. Die hier nachgezeichnete Motivgeschichte von kriegerischem Erotizismus und erotisiertem Militarismus greift in vielerlei Hinsicht auf bereits betrachtete visuelle Themen zurück, sei es die Konzeption bzw. Abgrenzung von Männlichkeit und Weiblichkeit oder die eternalistische Verbindung von Eros und Thanatos. Besonders Letzteres erweist sich als häufig wiederkehrende Motivik: Hartleys Nekrolog für den geliebten Karl von Freyburg verschmilzt erotische und thanatische Komponenten ebenso wie Finlands orgiastische ›Nazis‹ oder Donis’ tanzende Soldaten. Die Vorstellung von Eros und Thanatos ist eng verwandt mit einem anderen antiken Dualismus, der im nachfolgenden und letzten Antikekapitel im Fokus stehen soll: der apollinische und dionysische Trieb.
III.1.5 Apoll und Marsyas: Im Spannungsfeld zwischen apollinischem ›Ideal‹ und dionysischem Exzess Mit den mythischen Figuren Apoll und Marsyas bzw. Apoll und Dionysos soll abschließend der antike Ursprung eines insbesondere ab dem 19. Jahrhundert immer populärer werdenden Motivs innerhalb eines Kanons ›queerer‹ Kunst ergründet werden: die Zerrissenheit des homosexuellen bzw. queeren Individuums zwischen gesellschaftlichen Konventionen (apollinisch) und dem eigenen sexuellen Begehren (dionysisch). Hierfür gilt es zunächst, das Konzept der apollinisch-dionysischen-Dialektik zu erläutern und ihre historische sowie theoretische Verknüpfung mit dem bereits angesprochenen Eros-Thanatos-Topos zu beleuchten. Daran anschließend erfolgt eine kunsthistorische Untersuchung relevanter Bildwerke.354
354 Anhand einer antiken Skulptur (Abb. 58) sowie einer Malerei des Barockkünstlers Guido Reni (Abb. 59) soll der Binarismus des Apollinischen und Dionysischen in der Kunstgeschichte verortet und untersucht werden. Danach stehen künstlerische Positionen des 20. und 21. Jahrhunderts im Fokus, die sich auf äußerst unterschiedliche Weise der Apoll-Marsyas-Motivik bedienen und sie in einen weitaus expliziteren Zusammenhang mit männlich-männlichem Begehren setzen, wie er so in der Antike noch nicht bestand. Den Beginn macht ein collagiertes Portrait des japanischen Fotografen Eikoh Hosoe (Abb. 60), welcher das Antlitz des skandalumwitterten Schriftstellers Yukio Mishima mit einem fotografischen Abzug der zuvor genannten Arbeit Renis (Abb. 59) überlagert. Die bei Hosoe und Mishima bereits intendierte Verwischung der Grenzen zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen und damit auch zwischen Eros und Thanatos findet in der an den klassisch-akademischen Stil angelehnten Malerei des zeitgenössischen irischen Künstlers Conor Walton eine aktuelle Entsprechung (Abb. 61). Während Hosoe und Walton sich noch ganz explizit auf das antike Figurenpersonal beziehen, werden daran im Anschluss die Werke zweier Künstler gegenübergestellt, die sich zwar von einer ikonographischen Weiterführung loslösen, deren Œuvre aber dennoch eng mit der apollinisch-dionysischen Dialektik verbunden ist: David Hockney (Abb. 63 und 64) und Francis Bacon (Abb. 62). Beide repräsentieren je eine unterschiedliche Facette der Diskursivierung gleichgeschlechtlichen Begehrens im 20. Jahrhundert, was sich in ihren komplett gegensätzlichen Konzeptionen eines ›homosexuellen‹ Körperbildes manifestiert. Vgl. zu Bacon u.a. Schmied, Wieland: Francis Bacon. Das Bewußtsein der Gewalt, München und New York 1996, S. 106ff; vgl. zu Hockney u.a. Ottinger, Didier: Perspektivischer Eros. Die umgekehrte Perspektive in der Malerei von David Hockney, in: Kat. Ausst. David Hockney – Exciting times are ahead – Eine Retrospektive, Kunst- und Ausstellungshalle Bonn 2001, Leipzig 2001, S. 11–21; hier: S. 11ff.
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Im bisherigen Verlauf der Arbeit wurde bei der Betrachtung zahlreicher Motive nun schon mehrmals auf den Binarismus von Eros und Thanatos verwiesen: Angefangen mit dem unglückseligen Narziss, dessen Begehren nach seinem eigenen Antlitz ihn in den Tod treibt, über die tragisch-schöne Gestalt des Hyacinth, welcher aufgrund der unerfüllten Liebe Zephyrs sein Leben lassen muss, bis hin zu den heldenmutigen Kriegern Achill und Patroklos, deren Liebe sie bis in den Tod vereint. Das in diesen mythologischen Episoden festzustellende dualistische Konzept von Eros und Thanatos, welches durch die Veröffentlichung von Freuds Jenseits des Lustprinzips (1920) in den psychoanalytischen Diskurs des 20. Jahrhunderts (wieder-)eingeführt und popularisiert wurde, gilt nach Alice Pechriggl bereits in der antiken Philosophie Platons wie auch Sapphos als essenzieller (An-)Trieb des Menschen.355 Wie Pechriggl in ihrem Buch Chiasmen: Antike Philosophie von Platon zu Sappho – von Sappho zu uns (2006) anmerkt, liegt dem philosophischen Denken Platons und Sapphos dieselbe chiastische Gegenüberstellung eines schöpferischen Lebenstriebes und eines zerstörerischen Todestriebes zugrunde wie Freuds Triebtheorie.356 Mit der titelgebenden Denkfigur des »Chiasmas« (vom gr. Buchstaben chi: χ) – »eine Figur der überkreuzten Verknüpfung von zuerst vertikal entgegengesetzten und horizontal korrespondierenden oder identifizierten Begriffspaaren« – gelingt es der Autorin die Komplexität und Verwobenheit der beiden Pole Eros und Thanatos zu verdeutlichen, die zugleich Gegensatz und Einheit sind.357 Mark Gisbourne greift diese Verbundenheit auf und erweitert sie im Sinne der Kunstproduktion als essenziellen Bestandteil des künstlerischen Arbeitsprozesses: »Begehren und Tod des Begehrens sind jedoch nicht als schlichtweg entgegengesetzte Kräfte zu verstehen, sondern lediglich als verschiedene Aspekte der menschlichen Identität – parallel ausgebildet wohnen sie uns ein. Als duale Grundbedingungen der Malerei und der conditio humana sind sie Teil und ermöglichen sie die zivilisierenden Prozesse des Lebens. Sie bedingen einander wie der Schatten und das Licht.«358 Eros (Begehren) und Thanatos (Tod des Begehrens) sind demnach als grundlegende und überhistorische Impulse menschlicher Existenz zu verstehen, die im Folgenden Vgl. Freud 1975; zur äußerst kritischen Rezeptionsgeschichte von Jenseits des Lustprinzips vgl. Lohmann, Hans-Martin; Pfeiffer, Joachim (Hg.): Freud – Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart und Weimar 2013, S. 158–161; zur Verbindung von Platon, Sappho und Freud siehe Pechriggl, Alice: Chiasmen. Antike Philosophie von Platon zu Sappho – von Sappho zu uns, Bielefeld 2006, S. 78ff, S. 88f sowie S. 91 (Fußnote 32). 356 Siehe Pechriggl 2006, S. 78; Wolfgang Bock merkt zu den Freud’schen Begrifflichkeiten an, dass Freud den Terminus des Todestriebs zwar popularisiert hat, dieser jedoch bereits 1911 von dem Nervenarzt Wilhelm Stekel (1868–1940) eingeführt wurde. Vgl. Bock, Wolfgang: Dialektische Psychologie: Adornos Rezeption der Psychoanalyse, Wiesbaden 2018, S. 256 (Fußnote 3); auch die Gleichsetzung des Todestriebs mit dem griechisch-antiken Gott des Todes (Thanatos) geht nicht direkt auf Freud zurück, sondern ist dem Psychoanalytiker Ernst Federn (1914–2007) zuzuschreiben. Vgl. Mende, Philipp Anton: Die Nihilismus-Party: Eine Achterbahnfahrt im Licht des Nichts, Norderstedt 2016, S. 378 (Fußnote 35). 357 Siehe Pechriggl 2006, S. 9. 358 Gisbourne, Mark: Eros und Thanatos. Tagträume von Begehren und Erfüllung, in: Kat. Priv. Eros und Thanatos. Hg. von Matthia Bleyl, Mark Gisbourne, Thomas Rusche et al., S∅R-Rusche Sammlung 2012, Leipzig 2012, S. 5–49; hier: S. 11. 355
III. Hauptteil
gemäß der von Pechriggl vorgeschlagenen Denkfigur des Chiasmas um ein zusätzliches Begriffspaar antiken Ursprungs erweitert werden sollen: das Apollinische und das Dionysische. Mit diesen binären Termini, die im Folgenden als Pendants bzw. Spiegelstücke zu Eros und Thanatos erachtet werden, beschreibt etwa Friedrich Nietzsche in Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (zuerst 1872) die Welt der griechischen Antike als eine dialektische, die sich zwischen der »eigentlichen Naturwahrheit und der sich als einzige Realität gebärdenden Culturlüge« bewegt.359 Die Natur entspricht dabei dem Einflussbereich des Dionysos – Gott des Weins, der Fruchtbarkeit, des Emotionalen und der Ekstase –, die Kultur hingegen dem des Apoll – Gott der Künste, der Reinheit, des Rationalen und der Mäßigung. Als genuin antikes Thema zeigt sich der Konflikt zwischen apollinischen und dionysischen Kräften beispielsweise bereits in dem von Euripides (480–406 v. Chr.) verfassten Stück Die Bakchen.360 In der um 406 v. Chr. verfassten Tragödie schildert der griechische Dichter den Konflikt zwischen Dionysos, der als Mensch getarnt in seine Geburtsstadt Theben zurückkehrt, und dem dortigen Herrscher Pentheus, der die Göttlichkeit des Heimgekehrten nicht anerkennt. Die Verweigerung des Pentheus kommt einer Hybris gleich und geht einher mit einer Ablehnung all dessen, wofür der Sohn des Zeus und der Semele steht: Ekstase, Chaos, Emotionalität, Lust etc. Die Chorführerin weist in der dritten Szene der Tragödie ganz explizit auf diesen Frevel hin: »Furcht hege ich, ein freies Wort zu richten an/Den Herrscher; aber gleichwohl soll’s gesprochen sein:/Dionysos ist geringer nicht als sonst ein Gott!«361 Der dem Dionysos konträr entgegengestellte Pentheus wird demzufolge zum Repräsentanten einer nur einseitig auf das Apollinische hin ausgerichteten Denk- und Lebensweise, der in seinem Bemühen, das ›Trieb- und Naturhafte‹ gänzlich zu verdrängen, letztlich scheitern muss. Das Stück endet damit, dass der ordnungsliebende Herrscher an seinen eigenen Ansprüchen scheitert und getrieben von unterdrückter Lüsternheit sich am Schauspiel der Mänaden, zu denen u.a. auch seine unter dem Bann des Dionysos stehende Mutter Agaue gehört, ergötzen will.362 Von den rasenden Bacchantinnen bemerkt, wird er schlussendlich von seiner eigenen Mutter und weiteren Mänaden in Stücke gerissen. Dieses drastische Finale von Euripides’ Die Bakchen verdeutlicht nochmals die intrinsische Verbundenheit zwischen dem Konzept des Apollinischen/Dionysischen und dem Binarismus von Eros/Thanatos: Sowohl im Apollinischen als auch im Dionysischen
359 Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Leipzig 1872, S. 37; vgl. hierzu die überarbeitete und von Giorgio Colli sowie Mazzino Montinari herausgegebene Fassung: Nietzsche 1980, S. 58f; vgl. auch Vogel, Martin: Apollinisch und Dionysisch. Geschichte eines genialen Irrtums, Regensburg 1966. 360 Euripides: Die Bakchen. Übers. von Oskar Werner, Stuttgart 2016 (zuerst 1968). 361 Ebd., S. 31 (775f); die Notwendigkeit, das Dionysische als festen Bestandteil menschlicher Existenz anzunehmen, wird auch in David Greigs (*1969) neuer Version von Die Bakchen hervorgehoben. So lässt der schottische Dramatiker am Ende seiner Fassung der Tragödie des Euripides den Chor folgende Worte verlauten: »No – you can’t choose the gods that you worship/No – you just have to worship them all/No – you can’t choose which prayers they will answer/No – you just have to answer their call/No – you can’t choose the gods that you worship.« (Euripides; Greig, David: The Bacchae. A New Version by David Greig, London 2007, S. 88). 362 Euripides 2016 u.a. S. 32f (810ff).
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schlummert ein ebenso schöpferisches (Eros) wie zerstörerisches (Thanatos) Potential. Durch Pentheus’ Negierung der Göttlichkeit des Dionysos und damit eines essenziellen Bestandteils des Eros kommt es zu einer Invertierung der Eros-Thanatos-Dialektik: Der von Gisbourne als »Tod des Begehrens« umschriebene Thanatostrieb wird im Zuge des in Die Bakchen thematisierten Ungleichgewichts zwischen apollinischen und dionysischen Kräften zum ›Begehren des Todes‹.363 Die Tragödie verhandelt also jene substanzielle Balance zwischen Ekstase und Mäßigung, Natur und Kultur etc., die Nietzsche zum Grundpfeiler seiner ästhetischen Betrachtung der Kunst in Die Geburt der Tragödie erhoben hat.364 »Der dionysische Trieb im Menschen«, so zitiert Annemarie Pieper Nietzsche in ihrem Aufsatz Das stille Auge der Ewigkeit. Nietzsches dionysische Rechtfertigung der Kunst (2003), »ist ein Ausläufer des kosmischen Urwillens, der in seinem rauschhaften Begehren zur ›orgiastischen Selbstvernichtung‹ führen würde.«365 Dass dem Apollinischen hierbei dieselben thanatischen Impulse innewohnen, wie Euripides dies in Die Bakchen für das Dionysische eindrücklich geschildert hat, belegt der grausame Ausgang eines Zusammentreffens zwischen Apoll und dem Satyr Marsyas. Laut der Ovid’schen Überlieferung in den Metamorphosen forderte der hochmütige Marsyas, der für sein kunstvolles Flötenspiel bekannt war, den göttlichen Apoll zu einem musikalischen Wettbewerb heraus. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei dem Herausgeforderten um den Gott der Musik handelt, muss Marsyas zwangsläufig verlieren. Die Strafe für solch eine Hybris fällt ungeahnt brutal aus: Apoll häutet den Naturgeist bei lebendigem Leibe.366 Antike Darstellungen dieser mythologischen Episode befolgen zumeist die von Horaz ausgesprochene Warnung vor der »Darstellung des Entsetzlichen«; sie zeigen also nicht die Schindung an sich, sondern deren Vorbereitung.367 Ein Beispiel dafür ist die römische Kopie einer antiken Skulptur, die einen zwar gepeinigten, aber noch unversehrten Marsyas zeigt (Abb. 58). Spätere Werke, die sich des Themas annehmen, legen jene Scheu vor der blutigen Grausamkeit ab und greifen in der Inszenierung des Leidens auf die Tradition christlicher Martyriumsdarstellungen zurück.368 So erinnert das schmerzverzerrte und verzweifelt in den Himmel blickende Gesicht des Satyrs in Guido Renis (1575–1642) Version der Geschehnisse an die Qualen des hl. Bartholomäus (Abb. 59). Ein blondgelockter und leichtfüßiger Apoll schneidet mit größter Präzision in die Achsel des an einen kargen Baum gefesselten bocksbeinigen Satyrs und löst mit der anderen Hand bereits die Haut vom Fleisch. Bei diesem Vorgang drückt sich das Knie des übergebeugten Gottes, ganz zentral in der Bildmitte, in den Schambereich seines Opfers. Die Kontrastierung von Schinder und Geschundenem wird auch durch die Verwendung 363 Gisbourne 2012, S. 11. 364 Vgl. Nietzsche 1872, S. 37f. 365 Pieper, Annemarie: Das stille Auge der Ewigkeit. Nietzsches dionysische Rechtfertigung der Kunst, in: Gerhardt, Volker; Reschke, Renate (Hg.): Nietzscheforschung: Ästhetik und Ethik nach Nietzsche, Jahrbuch der Nietzsche-Gesellschaft, Band 10, Berlin 2003, S. 287–298; hier: S. 293; zu Nietzsches Dialektik des apollinischen und dionysischen Triebs vgl. ebd., S. 292ff. 366 Vgl. Ovid 2003, hier: VI, 385ff (S. 307). 367 Fehl 1995, S. 75. 368 Vgl. ebd., S. 55ff.
III. Hauptteil
zweier verschiedener Inkarnate betont. Während der hybride Körper Marsyas’ in Brauntönen gehalten ist, die ihn als »erdgebundenes Wesen« kennzeichnen, erstrahlt Apoll als lichte, fast weiße Erscheinung.369 Wurde der Mythos in der Antike noch durchaus ambivalent wahrgenommen und der Ausgang des Wettstreits als ungerecht bezeichnet, setzte sich im Kontext der christlichen Morallehre die Auslegung im Sinne einer Gotteslästerung durch.370 In Einklang damit steht die neoplatonische Interpretation der Szene als Sieg göttlicher Harmonie über irdische Leidenschaft.371 Um das Thema für die vorliegende Arbeit fruchtbar zu machen, soll die letztgenannte Auffassung um das von Nietzsche formulierte und bereits zuvor erwähnte Konzept der apollinischen »Culturlüge« und der dionysischen »Naturwahrheit« erweitert werden.372 Eine korrespondierende Dialektik zu Nietzsches Ansatz findet sich auf geschickte Weise in die Textur der Marsyas-Geschichte verwoben. Auf der einen Seite steht der schöne Apoll als Personifikation göttlicher und kultureller Ordnung, auf der anderen Seite befindet sich mit dem Satyr ein Wesen aus der Gefolgschaft des ekstatischen Dionysos bzw. Bacchus und repräsentiert die unbändige und leidenschaftliche Natur. Selbst in der Lesart des Mythos als musikalischen Paragones bleibt diese Dichotomie spürbar. So macht Raimund Wünsche darauf aufmerksam, dass der Wettstreit zwischen den Protagonisten auch als Gegenüberstellung des von den Pythagoräern als erhaben und vergeistigt charakterisierten Saitenspiels und dem »aufreizenden, menschliche Leidenschaften weckenden Flötenton« verstanden werden kann.373 Die hier entscheidenden, den Musikinstrumenten zugesprochenen Attribute tauchen auch schon bei Nietzsche auf und verweilen in dem von ihm beschriebenen Dualismus zwischen Apoll und Dionysos.374 Der Philosoph unterstreicht mit der Verwendung des Wortes »Culturlüge« jedoch gezielt auch die negativen Aspekte apollinischer Vorherrschaft, die sich, und das ist auch in Renis Gemälde erkennbar, nur durch einen Gewaltakt der Natur bemächtigen kann. Aus diesem Grund ist die im Titel dieses Kapitels verwendete Begrifflichkeit des apollinischen ›Ideals‹ auch in Anführungsstriche zu setzen. Unter dem Gesichtspunkt des männlich-männlichen Begehrens wird Apoll in Entsprechung zur Figur des Pentheus in Die Bakchen zum Inbegriff kultureller bzw. gesellschaftlicher Normen. Marsyas, Sinnbild der dionysischen Natur und Triebhaftigkeit, steht hingegen für die zu zähmende Sexualität. Letzteres äußert sich in Renis Bild vor allem durch die prägnante Positionierung von Apolls Knie, wie sie recht ähnlich auch in einer von Jusepe de Riberas Behandlungen
369 Syre, Cornelia: Alte Pinakothek. Italienische Malerei, hg. von den Bayerischen Staatgemäldesammlungen in München, Ostfildern 2007, S. 200. 370 Vgl. Volk, Katharina: Marsyas in der antiken Literatur. In: Kat. Ausst. Apoll schindet Marsyas. Über das Schreckliche in der Kunst, Adam Lenckhardts Elfenbeingruppe, Bayerisches National Museum 1995, München 1995, S. 13–18; hier: S. 14; sowie Fehl 1995, S. 68. 371 Vgl. Fernandez, 2002, S. 65. 372 Nietzsche 1872, S. 37. 373 Wünsche, Raimund: Marsyas in der antiken Kunst. In: Kat. Ausst. Apoll schindet Marsyas. Über das Schreckliche in der Kunst, Adam Lenckhardts Elfenbeingruppe, Bayerisches National Museum 1995, München 1995, S. 19–48; hier: S. 27. 374 Nietzsche 1872 u.a. S. 9.
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desselben Stoffes von 1637 vorkommt.375 Riberas gestaltet die Ächtung derart transgressiver Wesen wie des hochmütigen Satyrs jedoch noch radikaler, indem er dem strafenden Apoll einen kalten und bösartigen Gesichtsausdruck verleiht. Die in beiden Werken implizierte Bedrohung des Genitales ist eine mehr als subtile Warnung vor dem Verlust der eigenen Triebkontrolle. Gemäß dieser Auffassung sind Apoll und Marsyas als Visualisierung eines internen Abwägungsprozesses zwischen der Befriedigung der eigenen sexuellen Bedürfnisse und den gesellschaftlichen Erwartungen zu verstehen. Der sich in diesem Mythos manifestierende und immer wiederkehrende Topos der Dualität menschlicher Existenz bzw. menschlichen Begehrens findet sich auch in der Figur des hl. Sebastian wieder.376 Ob sich Reni bei der Produktion seines Bildes allerdings über eine derartige Lesart bewusst war und, wie es Richard E. Spear andeutet, darin das Dilemma seines (angeblich) gleichgeschlechtlichen Begehrens verarbeitet, bleibt Spekulation.377 Mit Sicherheit lässt sich zumindest sagen, dass die Überwachung der eigenen Libido nicht erst im Christentum thematisiert wurde, sondern schon in der Antike Gegenstand philosophischer Betrachtungen war. Dies äußert sich z.B. in der bereits erwähnten Differenzierung und Wertung der Aphrodite Pandemos und der Aphrodite Urania im Symposion.378 Erstere steht für die irdische Liebe, die als gemein und schlecht gilt, da sie sich nicht auf die Seele, sondern auf den Leib (die Materie) richtet.379 Die »mutterlose Uranostochter« hingegen, die aus dem abgetrennten Phallus des Himmelsgottes entstand, wird bei Platon als rein männliche Wesenheit verstanden und mit der guten, himmlischen Liebe gleichgesetzt.380 In dieser unleugbar misogynen Theorie wird also die materielle, irdische Welt mit dem Weiblichen und das geistig Himmlische mit dem Männlichen assoziiert.381 Apoll und Marsyas können in denselben Binarismus einbeschrieben werden. Der Satyr mit seiner hybriden Körperlichkeit – er ist halb Mensch, halb Tier – stünde dabei als mahnendes Emblem für den Kontrollverlust über jene ordinären, animalischen Lüste, die durch die irdische Aphrodite verkörpert werden. Seine unbändige sexuelle Energie, welche in der Antike oftmals durch den ithyphallischen Charakter seines Genitales hervorgehoben wird, raubt ihm einen Teil seiner Menschlichkeit und rückt ihn in das Reich der Tiere.382
375 Das Bild befindet sich heute im Nationalmuseum Capodimonte in Neapel. 376 Vgl. Kapitel III.2.5. 377 Vgl. Spear, Richard E.: The »Divine« Guido. Religion, Sex, Money and Art in the World of Guido Reni, New Haven und London 1997, S. 60. 378 Vgl. Platon 2012, 185b–d (S. 34). 379 Vgl. ebd., 181a–c (S. 25). 380 Ebd., 180d (S. 24). 381 Bei Platon heißt es: »Was den anderen Eros betrifft, den Begleiter der Aphrodite Urania, so gehört er zu seiner Göttin, die ausschließlich männlicher Herkunft ist, sodann älter und also nicht so draufgängerisch ist. Die von diesem Eros Begeisterten sind dem männlichen Geschlecht zugeneigt, weil sie das lieben, was von Natur aus kraft- und geistvoll ist.«Ebd., 181c–d (S. 26). 382 Vgl. Lissarrague, François: The Sexual Life of Satyrs. In: Halperin, David M.; Winkler, John J.; Zeitlin, Forma I. (Hg.): Before Sexuality. The Construction of Erotic Experience in the Ancient Greek World, Princeton (NJ) 1990, S. 53–82; hier: S. 56.
III. Hauptteil
Während der Mythos von Apoll und Marsyas in der Antike noch keinerlei explizite Zusammenhänge zur Thematik männlich-männlichen Begehrens erkennen lässt, sind es besonders Künstler_Innen des 20. Jahrhunderts, welche in ihren Arbeiten diese Episode der griechischen Mythologie mit Homosexualität in Verbindung bringen. Dies geschieht entweder auf ganz konkrete Weise, wie bei Eikoh Hosoe und Yukio Mishima, deren Werk sich direkt auf den Apoll-Marsyas-Mythos bezieht, oder aber in verdeckter Form, wie bei David Hockney und Francis Bacon. Insbesondere ersterem Künstler ist zu eigen, dass er die im Mythos implizierte Thematisierung des Dualismus zwischen der apollinischen Sphäre der Kultur/Gesellschaft und der dionysischen ›Natur‹ des Menschen explizit mit gleichgeschlechtlichem Verlangen verknüpft. Die Portraitaufnahme des berühmt-berüchtigten Schriftstellers Yukio Mishima (1925–1970) von Eikoh Hosoe (*1933) illustriert diese Annahme auf recht eindringliche Weise: Die Fotoarbeit zeigt eine Großaufnahme von Mishimas Antlitz, die mit einem gleich großen, aber spiegelverkehrten Abbildung von Renis Apoll-und-Marsyas-Darstellung (Abb. 59) überlagert ist (Abb. 60). Mishima blickt den Betrachter_Innen mit gesenktem Kopf entgegen und trägt um seinen Hals eine grobe Metallkette, in deren Gliedern linkerhand eine Chrysanthemenblüte (vermutlich Chrysanthemum japonense) zu stecken scheint.383 Im Hinblick auf die Komposition wiederholt Hosoe die schon bei Reni festzustellende Zentrierung des ›Bedrohungsmoments‹ von Marsyas’ Genital, indem er das Gemälde deckungsgleich über die Aufnahme von Mishimas Kopf legt und mit dem Bildzentrum seiner Fotografie – die Stirn des Portraitierten – verschmilzt. Die Arbeit ist Teil einer erstmals 1963 veröffentlichten »pictorial biography« mit dem Titel Killed by Roses (die postum publizierte Neuauflage von 1971 trägt den Titel Ordeal by Roses),384 die in über vierzig Schwarz-Weiß-Bildern – Fotografien sowie Zeichnungen – die Gedankenwelt Mishimas wiedergibt.385 Der aufwendig gestaltete Kunstband ist das Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Hosoe und Mishima. Hierzu schreibt Mishima im Vorwort der 2. Auflage: »Yes, it was a strange city to which I was taken [by Hosoe, NM]… a city not to be found on the map of any lands, a city of awesome silences, where Death and Eros frolicked wantonly in broad daylight on the squares… We stayed in that city from the autumn of 1961 until the summer of 1962. This is the record of our stay, as told by Hosoes camera.«386 Das im Zitat ganz explizit angesprochene Thema von »Death and Eros« ist ein essenzieller Bestandteil von Mishimas künstlerischem Œuvre.
383 Die Chrysantheme gilt in Japan seit langer Zeit auch als ein Symbol für den Anus und mann-männliche Erotik. Siehe hierzu Pflugfelder, Gregory M: Cartographies of Desire. Male-Male Sexuality in Japanese Discourse, 1600–1950, Berkeley, Los Angeles und London 1999, S. 85 (Fußnote 164). 384 Für die vorliegende Arbeit wurde die Neuauflage von 1971 herangezogen. Siehe Hosoe, Eikoh; Mishima, Yukio; Yokoo, Tadanori: Ordeal by Roses. Reedited, Tokyo 1971, keine Seiten- oder Abbildungsangaben, engl. und jap. Text. 385 Thomas, Ann: Eikoh Hosoe – Killed by Roses. In: Journal. The National Gallery of Canada, Januar 1983, Nr. 45, S. 1–8; hier: S. 2 (Zitat) sowie S. 5. 386 Hosoe und Mishima 1971, keine Seitenangaben.
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Der Autor, dessen Geburtsname Hiraoka Kimitake lautet, erlangte in der Nachkriegszeit mit der Veröffentlichung seines semi-autobiographischen Romans Geständnis einer Maske (zuerst 1949, jap. Titel Kamen no Kokuhaku) große Bekanntheit in seinem Heimatland Japan.387 In dem aus der Ich-Perspektive geschriebenen Entwicklungsroman schildert der damals 24-jährige Schriftsteller die Kindheit und Jugend eines schwächlichen Heranwachsenden namens Kochan. Der Protagonist berichtet in Rückblicken, wie er sich im Laufe der Zeit seiner Homosexualität und damit seines Außenseiterstatus bewusst wurde: So erlebt er etwa seine erste Ejakulation beim Anblick einer Reproduktion von Renis zwischen »Agonie und Ekstase« schwebendem hl. Sebastian (siehe Abb. 107).388 Dieser sowie zahlreiche weitere Momente verfestigten in der Figur Kochans eine untrennbare Verbindung zwischen Eros und Thanatos bzw. Lust und Schmerz. Diese Thematik nimmt angesichts der Fülle an homoerotischen sowie sadomasochistischen Bildmotiven auch in dem ebenfalls autobiographisch motivierten Killed by Roses bzw. Ordeal by Roses eine zentrale Stellung ein. Neben Fotografien, die Mishima als kunstvoll gefesselten Bondage-Liebhaber zeigen, sind u.a. die doppelt belichteten Fotoarbeiten zu nennen: Im vierten von insgesamt fünf Kapiteln, das mit Dreams & Death betitelt ist und auch das hier betrachtete Werk enthält, versammeln Hosoe und Mishima zehn Arbeiten, in denen das Abbild des Portraitierten mit europäischen Kunstwerken der Renaissance und des Barocks überlagert bzw. verschmolzen wird, die dem Autor aus der kunsthistorischen Bibliothek seines Vaters bekannt waren.389 Der Begleittext in Ordeal by Roses erläutert dazu: »The model [Mishima, NM] appears in Renaissance pictures and plays with many historic and mythic images like a shadow in a time-machine in ›Dreams & Death‹.«390 In zwei dieser palimpsestartigen Arbeiten zitieren Mishima und Hosoe in metatextueller Anknüpfung an Geständnis einer Maske die Figur des hl. Sebastian – einmal eine Sebastian-Darstellung von Antonello da Messina (1429–1479) und das andere Mal von Giovanni Antonio Bazzi (auch genannt Il Sodoma, 1477–1549).391 Apoll und Marsyas tauchen gleichfalls in zwei Fotoarbeiten auf – zum einen in Form eines Gemäldes von Pietro Peruginos (1448–1523) und zum anderen in Form der bereits besprochenen Inszenierung Renis. Allen Werken ist dabei gemein, dass die in den kunsthistorischen Bild-
387 Mishima, Yukio: Geständnis einer Maske. Reinbek bei Hamburg 2002 (zuerst 1985); zu den biographischen Parallelen zwischen Mishima und dem Protagonisten Kochan schreibt Damian Flanagan: »The circumstances of Mishima’s early life can be reasonly ascertained by a comparison to the early sections of Confessions of a Mask […] However, from Mishima’s adolescence onwards, everything Mishima wrote about himself has to be treated with considerable suspicion, as calculated distortions of the truth abound.« (Flanagan, Damian: Yukio Mishima. London 2014, S. 52) Trotz dieser berechtigten Ermahnung, das schriftstellerische Kalkül Mishimas nicht zu übersehen, bietet Geständnis einer Maske einen erstaunlich intimen Einblick in das Leben des Autors. Zu Mishimas homosexuellen wie heterosexuellen Beziehungen siehe Flanagan 2014, S. 107–133. 388 Mishima 2002, S. 30; Mishima schiebt kurz nach dieser Stelle in Geständnis einer Maske ein ganzes Prosagedicht ein, welches dem hl. Sebastian gewidmet ist. Darin vergleicht er die Schönheit des hl. Sebastian u.a. mit der von Hadrians Lieblingsjüngling Antinoos sowie Hyazinth. Vgl. ebd, S. 31ff. 389 Vgl. Thomas 1983, S. 6. 390 Hosoe und Mishima 1971, keine Seitenangaben; Mishima übersieht hierbei, dass Reni kein Künstler der Renaissance war, sondern dem Barock zugeordnet wird. 391 Vgl. auch Thomas 1983, S. 6.
III. Hauptteil
motiven bereits vorhandene Mischung aus erotischen und thanatischen Komponenten durch die Präsenz des zumeist nur leicht bekleideten Mishima nochmals verstärkt wird. Zum besseren Verständnis von Hosoes und Mishimas dialektischer Ästhetik sowie ihrer Konzeption von Eros und Thanatos lohnt sich ein erneuter Blick auf ihre Arbeit (Abb. 60). Wie zuvor angemerkt wurde, erhebt der Fotograf das von Reni meisterhaft eingefangene Bedrohungsmoment von Marsyas’ Genital auch zum Bildzentrum seiner Arbeit. Mehr noch: Durch die schleierhafte Überlagerung und das Ineinanderverweben von Renis Gemälde mit einer Großaufnahme von Mishimas Kopf visualisiert Hosoe den unauflöslichen Konflikt zwischen dem (vermeintlichen) Sitz des apollinischen Triebs – dem Kopf – und dem des dionysischen Triebs – dem Geschlechtsteil. Im Hinblick auf die autobiographische Natur des Fotoprojekts erscheint es an dieser Stelle angebracht, darauf hinzuweisen, dass sich Mishima Zeit seines Lebens selbst zwischen diesen beiden Polen hin- und hergerissen sah: Einerseits widmete er sich sowohl im Privaten als auch im Künstlerischen der Erforschung seiner (Homo-)Sexualität, andererseits fühlte er sich auch den Erwartungen einer stark konservativ ausgerichteten japanischen Nachkriegsgesellschaft verpflichtet und heiratete 1958 Yoko Sugiyama, mit der er zwei Kinder hatte.392 Zieht man hierzu nochmals den gleichermaßen autobiographischen Roman Geständnis einer Maske heran, in dem der Protagonist Kochan eine Beziehung mit der jungen Sonoko in Erwägung zieht, um seine ›Maske der Angepasstheit‹ zu wahren, dann stellt sich die Frage, ob hier das Leben die Kunst oder die Kunst das Leben imitiert.393 Die hier vertretene Annahme, dass Mishima sich ganz bewusst der Figuren Apolls und Marsyas’ (sowie Sebastians) bedient hat, um seiner inneren Zerrissenheit zwischen dem Ausleben der eigenen Sexualität (das Dionysische) und den gesellschaftlichen Zwängen (das Apollinische) Ausdruck zu verleihen, erscheint hinsichtlich seiner expliziten literarischen Äußerungen wie auch seiner bildnerischen Selbstinszenierung mithilfe von Fotografen wie Hosoe mehr als plausibel. Bekräftigt wird diese Behauptung zudem durch die Erkenntnis, dass Mishima ein eifriger Leser und Bewunderer von Nietzsche war und besonders von dessen dualistischem Verständnis von Ästhetik und Kultur angetan war.394 Ken’ichi Mishima zitiert in seinem Aufsatz Mishima und Nietzsche – Fin de Siècle-Ästhetik und radikaler Nationalismus (2010) aus den erstmals 1952 publizierten Reiseaufzeichnungen Mishimas (Apollos Kelch, jap. Titel: Aporo no sakazuki), in denen der Schriftsteller davon schreibt, wie er sich in Griechenland angekommen von »Dionysos
392 Vgl. ebd., S. 3. 393 In Geständnis einer Maske heißt es: »Meine ›Maske‹, so sagte ich mir selbst, hatte schließlich aufgehört Maske zu sein, weil sie Bestandteil meines Wesens geworden war. Dadurch, dass ich mir bewusst geworden war, dass ich mich als normaler Mensch maskierte, hatte ich selbst das zersetzt, was an echt Normalem ursprünglich in mir gewesen ist; das endete damit, dass ich mir wieder und wieder sagte, selbst dies sei nur eine vorgespiegelte Normalität. Um es mit anderen Worten zu sagen: ich war auf dem besten Wege, zu einem Wesen zu werden, das schließlich an nichts anderes mehr glauben konnte als an Maskerade. Doch wenn dies stimmte, dann war auch der Wunsch, Sonoko anzublicken, große Fälschung, nicht als eine Maske, hinter der ich meinen wirklichen Wunsch verbarg, selber daran zu glauben, dass ich sie wirklich liebte.« (Mishima 2002, S. 94). 394 Siehe Mishima, Ken’ichi: Mishima und Nietzsche – Fin de Siècle-Ästhetik und radikaler Nationalismus, in: Hijiya-Kirschnereit, Irmela; Bierwirth, Gerhard (Hg.): Yukio Mishima. Poesie, Performanz und Politik, München 2010, S. 32–50; hier: S. 33ff.
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verführt« fühlt.395 Die Zwiespältigkeit, die Yukio Mishima sein Leben lang begleiten sollte, kulminiert letztlich in seiner dramatischen Selbsttötung.396 An den von Mishima angesprochenen ›Verführungsaspekt‹ des Dionysischen anknüpfend, sei im Folgenden noch auf einen zeitgenössischen Künstler verwiesen, der sich des in der Kunst des 20. Jahrhunderts zunehmend seltener werdenden Apoll-undMarsyas-Mythos auf ganz konkrete Weise annimmt: Conor Walton (Abb. 61). Der aus Irland stammende Walton (* 1970) ist vorrangig für seine fotorealistischen Stillleben und figurativen Motive bekannt.397 Zusammen mit Künstler_Innen wie dem schottischen Maler Paul Reid (* 1975), der sich in seinem Werkkorpus ebenfalls mit Apoll und Marsyas beschäftigt hat, gehört Walton insbesondere mit seinen früheren Arbeiten zu einer Art neomythologischer Kunstbewegung, in der die Neuinterpretation klassischer Mythen ein zentrales Thema ist.398 Walton imaginiert das Schicksal des Marsyas als dramatisches Chiaroscuro-Gruppenbild im Dämmerlicht: In der mittleren Bildachse ist ein kopfüber hängender Marsyas mit erschrockenem Gesichtsausdruck zu sehen, der den am linken Bildrand stehenden Apoll – erkennbar am goldenen Lorbeerkranz – flehend anblickt. Der göttliche Apoll scheint wenig Mitleid zu zeigen und weist hingegen mit einer mahnenden Handgeste gen Himmel – vielleicht ein Verweis auf den mit diesem Motiv eng verwobenen Topos der Hybris. Rechterhand sind zwei weitere Männer zu erkennen, die Apoll bei der Bestrafung des völlig menschlich aussehenden Satyrs helfen. Während die stehende Figur noch mit dem Festbinden von Marsyas beschäftigt ist, beugt sich die kniende Figur mit einem großen Messer in der Hand über das wehrlose Opfer. Alle vier Gestalten werden als Akte dargestellt, deren Körper sich scharf von dem stufenweise von Blau in Pink übergehenden Himmel abzeichnen. Mit der Idee, die Schindung des Marsyas als mehrfiguriges Bild darzustellen, nimmt Walton Bezug auf kunsthistorische Vorbilder wie etwa Tizians Die Häutung des Marsyas (um 1575).399 Im Gegensatz zu Tizians von zahlreichen Satyrn und allegorischen Gestalten bevölkertem Gemälde bewahrt Waltons Version trotz des erweiterten Figurenpersonals den Eindruck von ›Intimität‹. Diese Intimität wird hauptsächlich durch zwei Aspekte erzielt: zum einen durch die dicht gedrängte Komposition, die das Geschehen un395 Zit. nach ebd., S. 34; vgl. zudem Mishima, Yukio: Aporo no sakazuki. Tokyo 1982, S. 112. 396 Hierauf soll in Kapitel III.2.5 anhand von Mishimas Obsession mit der Figur des hl. Sebastian nochmals eingegangen werden. 397 Zu Conor Walton siehe u.a. Orlowski, Andres: Acess to Incandescene: The Paintings of Conor Walton (Künstlerinterview). [23.05.2014] in: Combustus, http://combustus.com/access-incandes cence-paintings-conor-walton/(08.07.2018); Waller, James: Pessimism, Painting and the Incandescent Spark (Künstlerinterview), [05.02.2017] in: West Cork Review, https://westcorkreview.co m/2017/02/05/conor-walton-pessimism-painting-and-the-incandescent-spark/(06.07.2018). 398 Im Interview mit Andres Orlowski betont Walton, dass sein Marsyas die letzte Arbeit war, in der er sich derart konkret mit antiker Mythologie auseinandergesetzt hat. In späteren Gemälden schöpft der Maler zwar immer noch reichlich Anregungen aus den Mythen der griechischen und römischen Antike, allerdings werden seine Referenzen obskurer. Vgl. dazu Orlowski 2014; zu Paul Reid vgl. Smith, Bill; Skipwith, Selina (Hg.): A History of Scottish Art. London 2003, S. 282–283. 399 Tizian, Die Häutung des Marsyas, ca. 1570–76, Öl auf Leinwand, Erzbischöfliche Gemäldegalerie in Schloss Kremsier (Tschechien); vgl. Humfrey, Peter (Hg.): Titian. The Complete Paintings. New York 2007.
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mittelbar an die Betrachter_Innen heranrückt. Zum anderen durch die Nacktheit und die Handlungen der Figuren, die gemäß der bisher etablierten Zwiespältigkeit von Apoll und Dionysos ebenso Eros wie Thanatos suggerieren. Anders als etwa zahlreiche barocke Interpretationen des Motivs, in denen die Häutung des Marsyas explizit gezeigt wird, deutet Walton dies nur äußerst vorsichtig an, wodurch die Doppeldeutigkeit des Werkes nur noch mehr betont wird. Der Bildinhalt kann daher als Abbildung eines tatsächlichen Strafakts gelesen werden, oder als erotisierter, sadomasochistischer Sexakt. Waltons Visualisierung des Mythos wohnt damit dieselbe Ambivalenz inne, wie sie etwa auch Hosoe und Mishima in ihrem fotografischen Palimpsest eingefangen haben.400 Gesteigert wird diese motivische Uneindeutigkeit jedoch nochmals durch die Farben des Horizonts, die vor allem in Kombination mit den nackten und trainierten Männerkörpern an die Ästhetik des Beefcake-Fotografen Bob Mizer erinnern (vgl. Abb. 12). Die Farben des Himmels sind im gegenwärtigen westlichen Kulturkreis nicht nur mit starken geschlechtlichen Konnotationen aufgeladen – Blau als männliche und Pink als weibliche Farbe –, ihr gradueller Übergang impliziert darüber hinaus ein Verschwimmen der Grenzen. Wenngleich es sich bei dem Phänomen des Zwielichts auch um ein wiederkehrendes malerisches Element im Œuvre des Künstlers handeln mag, nimmt die in Marsyas vorzufindende spezifische Farbkombination von Blau und Pink eine Sonderstellung ein. Ob der Künstler sich darüber bewusst war, dass es sich bei den gewählten Hintergrundfarben um dieselben handelt, die auch in der Flagge der Bisexuellen zum Einsatz kommen – Pink für Homosexualität, Blau für Heterosexualität und Lila für Bisexualität –, sei dahingestellt.401 In jedem Fall fängt Waltons Marsyas die dem Motiv immanente Dualität ein und verwischt auf geschickte Weise die Grenzen zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen sowie zwischen dem Erotischen und dem Thanatischen. Diese Annahme wird überdies durch einen weiteren Blick auf die Bildakteure unterstützt: So fällt etwa im Unterschied zu Renis Umsetzung des Themas (vgl. Abb. 59), in der Apoll und Marsyas durch ein jeweils dunkleres bzw. helleres Inkarnat voneinander getrennt werden, die kaum vorhandene Differenzierung zwischen den einzelnen Figuren auf. Hierin drückt sich entgegen der durch die christliche Auslegung propagierten antithetischen Lesart des Mythos eine motivische Verunklärung aus, welche auf die bereits von Euripides wie auch später von Nietzsche (wieder-)aufgegriffene Erkenntnis zurückverweist, 400 Dem Künstler ging es nach eigener Aussage um das dualistische Wesen der Natur. In seinem Gespräch mit Orlowski merkt er an, dass ihn die Dualität der Natur interessiert habe, die zwischen unfairer Grausamkeit und herrlicher Schönheit changieren würde: »I was really interested in the idea of ›tragic painting,‹ of being able to deal with death, suffering, cruelty, head-on and yet embed these within a scheme which retained a sense of a higher order, a sense of nature’s glory, despite the unfairness.« (Orlowski 2014). 401 Zur Flagge der Bisexuellen, die 1998 von dem US-Amerikaner Michael Page entworfen wurde, siehe Rosiek, Jerry: Rainbow Flag and Other Pride Symbols. In: Sears, Thomas James (Hg.): Youth, Education, and Sexualities: An International Encyclopedia, Volume Two: K – Z, Westport (Connecticut) und London 2005, S. 699–702; hier: S. 701; im Zuge aktueller Film- und Visualitätsdiskurse soll auch auf das Konzept des »Bi(sexual)-Lighting« verwiesen werden, nach welchem angeblich durch den Einsatz von pinkem und blauem Licht die ›fluide‹ Sexualität bestimmter Charaktere angedeutet wird. Vgl. Pierpoint, George: Is ›bisexual lighting‹ a new cinematic phenomenon? [22.04.2018] In: BBC News, Entertainment & Arts, https://www.bbc.co.uk/news/entertainment-arts-43765856 (09.08.2018).
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nach der die von Apoll und Dionysos verkörperten Pole nicht als konträr, sondern als wechselseitig zu verstehen sind.402 Die im Vorfeld zitierte Analogie Gisbournes über das Verhältnis von Eros und Thanatos lässt sich demnach ebenso auf die Beziehung von Apoll und Dionysos anwenden: »Sie bedingen einander wie der Schatten und das Licht.«403 Stand bisher eine direkte Weiterführung des Mythos um Apoll und Marsyas im Kontext männlich-männlichen Begehrens im Vordergrund, geht es abschließend noch um eine vom Motiv losgelöste Betrachtung ästhetischer Aspekte. Wie zuvor mit Verweis auf Nietzsche und Wünsche angedeutet wurde, entsprechen das Dionysische und das Apollinische jeweils einer von zwei unterschiedlichen ästhetischen Qualitäten: Während Apoll etwa mit den klaren, »nur angedeuteten Tönen« von Saiteninstrumenten wie der Kithara in Verbindung gebracht wird, steht Dionysos (bzw. Marsyas) demgegenüber für »die erschütternde Gewalt des Tones«, wie sie u.a. Blasinstrumenten oder dem Dithyrambos zu eigen ist.404 In dieser musikalischen Differenzierung verdeutlichen sich zwei sehr unterschiedliche ästhetische Ansätze, die im Nachfolgenden anhand repräsentativer Arbeiten von David Hockney und Francis Bacon auch für die bildende Kunst erschlossen werden sollen. Beide Künstler sind homosexuell und verhandeln in ihrem Werk jeweils ein komplett gegensätzliches Körper- bzw. Selbstbild, das sich in den von Apoll und Dionysos verkörperten Dualismus einbeschreiben lässt: Auf der einen Seite stehen Hockneys von klarer Geometrie eingefasste apollinische Poolboys (Abb. 63 und 64) und auf der anderen Seite Bacons in fortwährender dionysischer Ekstase befindliche Schemen (Abb. 62).405 Die markante Bildwelt Francis Bacons (1909–1992) könnte sich kaum radikaler von Hockneys lichterfüllten Poollandschaften unterscheiden, ist sie doch, wie Otto Werckmeister treffend anmerkt, geprägt von »visuellen Verunklärungen,« die sich in »Spaltungen und Spiegelungen der Räume, Brüche[n] und Schatten der Objekte, Verrenkungen und Verdrehungen der Körper, Verwischungen der Farben und Verzerrungen der Gesichter« äußern.406 Betrachtet man dazu das 1953 entstandene Werk mit dem ominösen Titel Zwei Figuren (Abb. 62), bestätigt sich Werckmeisters Beschreibung: Inmitten eines schwarzen und nur mit wenigen Linien angedeuteten Raumes befindet sich ein Bett mit weißen Laken, auf welchem zwei nackte und allem Anschein nach männliche Gestalten zu sehen sind, die offenbar miteinander ringen. Ihre aufeinandergepressten, bläulichvioletten Leiber, die Assoziationen mit verwesenden Leichnamen wecken, kontrastieren die durch das aufgewühlte Bett angedeutete Atmosphäre sexueller Intimität. Ebenfalls im Gegensatz dazu steht die durch das Ineinanderfließen der Gesichtskonturen angedeutete Auflösung körperlicher Grenzen, die ganz im Sinne der u.a. von Douglas formulierten Theorie der Identitäts- und Körperkonstituierung einen eindringlichen Moment
402 Für Nietzsche entsteht die Gattung der attischen Tragödie erst aus dem Zusammenspiel der beiden ›Kunstgottheiten‹ Apoll und Dionysos. Siehe Nietzsche 1872, S. 6; vgl. zudem Vogel 1966, S. 13. 403 Gisbourne 2012, S. 11. 404 Nietzsche 1872, S. 9; der auch von Nietzsche erwähnte Dithyrambos bezeichnet eine spezielle Art des griechischen Chorgesangs zu Ehren des Dionysos; vgl. überdies Wünsche 1995, S. 27. 405 Vgl. zu Bacon u.a. Schmied 1996, S. 106ff; vgl. zu Hockney u.a. Ottinger 2001, S. 11ff. 406 Werckmeister, Otto K.: Zitadellenkultur. Die schöne Kunst des Untergangs in der Kultur der Achtziger Jahre, München und Wien 1989, S. 73.
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des Body-Horrors darstellt: der Verlust der leiblichen Autonomie.407 Während die obere Figur diesem ›Verschmelzungsprozess‹ mit kühler und emotionsloser Mimik begegnet – dem verlaufenden Farbauftrag zum Trotz bleiben die Gesichtszüge beider Figuren erkennbar –, drückt sich in dem zur schreienden Fratze erstarrten Antlitz der unteren Figur sowohl Schrecken und Schmerz als auch Lust aus. Die düstere Farbigkeit des Gemäldes und die grotesken Verzerrungen der Gestalten einerseits sowie die explizite Nacktheit und die intime Umgebung andererseits erzeugen zusammen mit Bacons erratischem Pinselduktus, der zwischen scharfen Kanten und verschmierten Farbverläufen changiert, ein Bild, in welchem Eros und Thanatos auf gewaltsame Weise miteinander vereint werden. Obgleich die körperliche Nähe und das Bett einen sexuellen Akt implizieren, suggerieren Bildelemente, wie eben die morbiden Farben oder die fratzenhaften Gesichter, etwas Bedrohliches, wenn nicht Thanatisches. Begehren wird hier bis zum dionysischen Exzess getrieben und erscheint als brutaler Ermächtigungsakt, der in einer wortwörtlichen Verschmelzung zweier Körper kulminiert. In der motivisch ähnlich gelagerten Arbeit Zwei Figuren mit einem Affen von 1975 treibt Bacon diesen inszenatorischen Ansatz weiter voran und präsentiert den Betrachter_Innen wieder zwei miteinander ringende Figuren, deren Körper diesmal jedoch kaum mehr voneinander zu unterscheiden sind und die vielmehr als organische Einheit auftreten. Homosexuelles Begehren wird in diesen Bildern als ambivalenter Akt wiedergegeben, der dem Dionysischen entsprechend mit absoluter Hin- und Selbstaufgabe verbunden ist, die jedoch nicht kampflos erfolgt. Das in beiden Werken vorhandene Moment des Kampfes bzw. des Ringens408 spiegelt Bacons zwiespältiges Verständnis von Homosexualität wider, das er in einem Interview mit Fritz J. Raddatz im Herbst 1985 näher erläutert: »[E]s mag […] sein, daß diese Situation des Kampfes eine homosexuelle Erfahrung ist – Beziehungen zwischen Männern sind unerbittlicher; einer ist immer der Stärkere; und es gibt nie einen Kompromiß – nicht durch Geld, nicht durch den Zwang zu einem bürgerlichen Leben, nicht durch die Kinder. Diese Liebe hat etwas Konsequentes, Klirrendes und Erbarmungsloses.«409 In dieser Aussage wie auch in Bacons Œuvre verdeutlicht sich, dass Eros und Thanatos für ihn in einem unaufhörlichen Zweikampf miteinander verbunden sind und gleichge-
407 Die Bezeichnung des Body-Horror oder Horror-Body ist hauptsächlich in der Filmwissenschaft nach 1980 anzutreffen und meint eigentlich (Horror-)Filme, in denen die Dekonstruktion des menschlichen Körpers im Fokus steht, wie etwa in David Cronenbergs Videodrome von 1983. Nichtsdestotrotz knüpft dieser Terminus an eine menschliche Urangst an und liegt letztlich auch den theoretischen Arbeiten Kristevas und vor allem Douglas‹ zugrunde, die sich gerade eben mit dem Konstituierungsprozess fester körperlicher bzw. identitärer Grenzen sowie der Angst vor dem Verlust ebendieser auseinandersetzen. Überdies sei hier auch nochmals auf Grosz‹ Vorstellung der Geschlechtsidentität als in statu nascendi verwiesen, welche in Francis Bacons Arbeiten eine traumatische Visualisierung findet. Vgl. Powell, Anna: Deleuze and Horror Film. Edinburgh 2005 u.a. S. 64; vgl. zudem Kristeva 1982 u.a. S. 3ff sowie S. 62; vgl. Douglas 1980 u.a. S. 4; vgl. Grosz 1995 u.a. S. 184. 408 Zum Motiv des Kampfes bzw. Ringens siehe auch Kapitel III.2.4. 409 Werckmeister 1989, S. 74.
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schlechtliches Verlangen zwangsläufig mit (selbst-)zerstörerischen Impulsen verknüpft ist. Seine Bilder lassen sich dahingehend nicht nur auf autobiographische Erfahrungen beziehen – Bacons Privatleben war stark von Drogen und Tod geprägt410 –, sondern sie lassen sich auch als Visualisierung einer übergreifenden und durchaus als fatalistisch zu bezeichnenden Konzeption von gleichgeschlechtlichem Begehren und queere Männlichkeit lesen, nach der sich Homosexuelle im Zuge gesellschaftlicher Ächtung selbst als problematische Devianzerscheinung wahrnehmen und ihre Sexualität infolgedessen nur im Zustand dionysischen Rausches ausleben können. Dieses Phänomen, das in der Psychologie gemeinhin als ›internalisierte Homophobie‹ bezeichnet wird, findet bei Bacon eine passende Verbildlichung und bringt die prekäre Situation von gleichgeschlechtlich orientierten Männern zum Ausdruck, deren Selbstwahrnehmung durch die negative Fremdwahrnehmung der Gesellschaft überlagert wurde bzw. zum Teil immer noch wird.411 Die Bilder David Hockneys stehen mit ihren wesentlich helleren Farben in starkem Kontrast zu Francis Bacons düsteren Visionen.412 Im Werk des jüngeren Hockney (* 1937) manifestiert sich ein weitaus positiveres Bild gleichgeschlechtlicher Sexualität, das deutlich von der Ideologie der Schwulenbewegung der 1960er geprägt ist.413 Auf der ausgewählten Arbeit Two Boys in a Pool, Hollywood von 1965 eröffnet sich den Betrachter_Innen Einblick in ein scheinbar sorgenfreies Paradies (Abb. 63): Im Zentrum des Bildes entsteigen gerade zwei nackte Männer einem Pool. Ihre Nacktheit und ihre zueinander gewandten Köpfe suggerieren eine intime Vertrautheit. Die Wasseroberfläche, die in den für Hockneys Stil so charakteristischen Schleifenlinien dargestellt wird, nimmt beinahe die gesamte Bildhälfte ein. Die weitere Umgebung wird durch klar abgegrenzte, geometrische Farbfelder wiedergegeben. Von dieser glatt-kühlen Umwelt heben sich die beiden Männer durch ihr fleischliches Inkarnat kontrastiv hervor und verbleiben damit, anders als bei Bacon, zwei deutlich differenzierte Figuren. Die klare, bisweilen starre Geometrie, die Hockneys Poolboys ein- bzw. umfasst und damit ein ›Zerfließen‹ der Form wie bei Bacon verhindert, stellt dem rauschhaften Chaos des Dionysischen eine auf Beständigkeit und Kontrolle ausgerichtete Ästhetik entgegen, die zum Sinnbild einer apollinischen Ordnung wird. Für Bernhardt Schwenk wirken Hockneys Figuren »wie eingefroren und bewegungsunfähig, jede ihrer Bewegungen
410 Siehe hierzu etwa die autorisierte Biographie: Farson, Daniel: The Gilded Gutter Life of Francis Bacon. London 1994. 411 Zum Thema internalisierter Homophobie vgl. Meyer, Ilan H.; Dean, Laura: Internalized Homophobia, Intimacy, and Sexual Behavior Among Gay and Bisexual Men. In: Herek, Gregory M. (Hg.): Stigma and Sexual Orientation: Understanding Prejudice Against Lesbians, Gay Men, and Bisexuals, Thousand Oaks et al. 1998, S. 160–186; Meyer schreibt: »Thus, along with the recognition of same-sex attraction, a deviant identity […] begins to emerge that can threaten the psychological well-being of the homosexually oriented person […] The term internalized homophobia has been used by clinicians to refer to the internalization of societal antihomosexual attitudes«. (Ebd., S. 163). 412 Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil Hockneys Frühwerk sich zunächst noch sehr stark an Bacons düsterem, expressionistischem Stil orientierte. Vgl. hierzu Livingstone, Marco: David Hockney (New Edition). London 2017, S. 34ff. 413 Vgl. Reed 2011, S. 170.
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erstarrt wie in einer Lähmung.«414 Dieser Prozess der ›Versteinerung‹ bzw. des ›Einfangens‹ der Bildprotagonisten durch eine streng geometrische Bildästhetik unterstreicht den Aspekt der Kontrolle, auf den auch etwa Paul Melia in seinem Aufsatz Showers, Pools and Power (1995) hinweist: »The painting draws on a voyeuristic look, one that asserts control, is investigative«.415 Der voyeuristische Blick gibt nicht nur eine kontrollierte Umwelt wieder, sondern auch ein kontrolliertes Begehren: Die Blicke der Figuren zueinander sowie die durch ein helleres Inkarnat betonten Hinterteile verbleiben bloße Andeutungen männlich-männlichen Verlangens. Auch in dem 1972 entstandenen Gemälde Portrait of an Artist (Pool with two Figures) (Abb. 64), bei dem es sich um die zweite Version einer schon zuvor begonnenen Arbeit handelt, führt Hockney diese apollinische Ästhetik fort: Vor der Kulisse einer weitläufigen grünen Hügellandschaft ist eine Terrasse mit einem Pool zu sehen, unter dessen schillernder Wasseroberfläche ein Schwimmer zu erkennen ist, der eine weiße Badehose trägt. Über den Beckenrand gebeugt steht inmitten dieser idyllischen Szenerie rechterhand ein mit einem lachsfarbenen Jackett, einer weißen Hose und braunen Lederschuhen bekleideter Mann und blickt versunken auf den Schwimmenden. Wie viele von Hockneys Werken entstand auch dieses Bild unter Verwendung fotografischer Vorlagen. Nach Marco Livingston basiert etwa der Schwimmer auf Aufnahmen, welche der Künstler im April 1972 im Haus des befreundeten Regisseurs Tony Richardson im Süden Frankreichs anfertigte.416 Als Modell für die stehende Figur dienten Hockney hingegen Fotografien seines Exfreundes und Künstlerkollegen Peter Schlesinger, die kurz nach der Trennung im selben Jahr in London entstanden.417 Angesichts dieser biographischen Umstände darf die für den Bildaufbau wesentliche Komponente der Distanz zwischen den Figuren, die durch das Element des Wassers nochmals verstärkt wird, folglich auch als künstlerische Verarbeitung der Beziehung zwischen Maler und Model gelesen werden. Die ebenso klare wie kühle Komposition als auch die wie eingefroren wirkenden Bildprotagonisten, die lediglich durch eine begehrliche, aber bezeichnenderweise einseitige Blickachse miteinander verbunden sind, stünden demnach für die Verbildlichung eines unerfüllten und schlussendlich unerfüllbaren Verlangens. Dieses Werk Hockneys ist insbesondere deshalb von Bedeutung, da es den am Beispiel von Two Boys in a Pool vorrangig besprochenen formal-ästhetischen Aspekt des Apollinischen um eine inhaltliche Ebene erweitert, die auch zentral für Nietzsches theoretische Abhandlung ist. So beschreibt der Philosoph das Verhältnis zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen u.a. mit der Metapher des Schleiers: »Mit welchem Erstaunen musste der apollinische Grieche auf ihn [den Bacchanten, NM] blicken! Mit einem Erstaunen, das um so grösser war, als sich ihm das Grausen
414 Schwenk, Bernhardt: Francis Bacon. Aus heutiger Sicht, in: Kat. Ausst. Francis Bacon 1909–1992 Retrospektive. Haus der Kunst München 1996/97, Ostfildern-Ruit 1996, S. 72–77; hier: S. 75; der Autor vergleicht hier die Ästhetik Bacons und Hockneys miteinander. Die zit. Stelle bezieht sich auf Hockney. 415 Melia, Paul: Showers, Pools and Power. In: Melia, Paul (Hg.): David Hockney. Manchester 1995, S. 49–68; hier: S. 59 (Kursivschreibung NM). 416 Siehe Livingstone 2017, S. 137. 417 Siehe ebd., S. 139.
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beimischte, dass ihm jenes Alles doch eigentlich so fremd nicht sei, ja dass sein apollinisches Bewusstsein nur wie ein Schleier diese dionysische Welt vor ihm verdecke.«418 Nietzsche stellt das Apollinische als Schleier dar, welcher das Dionysische keineswegs verdrängt, sondern lediglich unter dem durchscheinenden Deckmantel einer vermeintlichen Kultiviertheit verbirgt. In Hockneys Portrait of an Artist kann dem Wasser eine vergleichbare Schleierfunktion zugesprochen werden, da es den Blick des stehenden Mannes auf das Objekt seiner Begierde – den halbnackten Schwimmer – zwar zulässt, aber zugleich verunklärt und eine (räumliche) Trennung impliziert. Folgt man dieser Lesart weiter, so ist die rechte Gestalt, deren Auftreten den Modekonventionen des westlicheuropäischen Kulturkreises folgt, als Repräsentant eines apollinischen und damit gesellschaftlich kultivierten Männlichkeitsbildes zu deuten, wohingegen die linke und fast völlig entblößte Gestalt des Schwimmers dem Dionysischen zuzuordnen ist. Dem hier vorgeschlagenen apollinisch-dionysischen Dualismus der Figuren entsprechend kann auch ihre Malweise und räumliche Position dahingehend auslegt werden: Der im Bildraum höher positionierte und mit beinahe fotorealistischer Genauigkeit wiedergegebene apollinische Repräsentant sieht, ähnlich wie Nietzsches ›apollinischer Grieche‹, durch den Schleier des Apoll hinab in die Tiefen des Pools, wo sein Blick auf die durch das Wasser schemenhaft gebrochene Reflexion seines eigenen Verlangens trifft.419 Indessen kommuniziert die Situierung und Gestaltung des untergetauchten und nur verschwommen angedeuteten Schwimmers eine Verbildlichung ›niederer‹ bzw. dionysischer Verlockungen. Die in Portrait of an Artist durch die Figur des Schwimmers zum Ausdruck gebrachte Präsenz des Dionysischen erhebt das Bild über einen bloßen Binarismus hinaus und visualisiert vielmehr – ganz im Sinne Nietzsches – eine chiastische Verschränkung apollinischer und dionysischer Kräfte. Nichtsdestotrotz wird auch in diesem Bild, ähnlich wie zuvor in Two Boys in a Pool, das Dionysische einer apollinischen Ästhetik- und Ordnungsvorstellung untergeordnet. Wenngleich Hockneys Œuvre auch noch weitaus explizitere Darstellungen gleichgeschlechtlicher Intimität enthält, wie etwa in Domestic Scene, Los Angeles von 1963, verbleiben auch diese Motive stets kontrollierte und damit apollinische Bilder männlich-männlichen Begehrens. Die Bildwelten Bacons und Hockneys entwerfen zwei unterschiedliche Vorstellungen gleichgeschlechtlicher Sexualität: Sofern sich männlich-männliches Begehren innerhalb apollinischer, d.h. gesellschaftlicher Strukturen bewegt, kann es nur als passive Blickstruktur und/oder in ruhiger, unterkühlter Zurückhaltung dargestellt werden wie bei Hockney. Das andere Extrem findet sich bei Bacon, in dessen Bildwelt Sexualität zwangsläufig zum dionysischen Exzess getrieben und somit zu etwas Monströsem wird. In beiden Fällen herrscht also ein Ungleichgewicht, ein Dazwischen gibt es offenbar nicht. In diesem strengen Dualismus äußert sich ebenso wie beim hl. Sebastian die von der Gesellschaft einerseits forcierte und andererseits verurteilte Bildung der Kategorie der ›Homosexuellen‹. Der sowohl in Freuds Eros-Thanatos-Theorie wie auch in Nietzsches apollinisch-dionysischem Konzept verankerte Binarismus wird in der ersten und
418 Nietzsche 1872, S. 10. 419 Ebd.
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größtenteils auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Leib des Homosexuellen eingeschrieben und gerät ihm zur unausweichlichen Persönlichkeitsstruktur. Mit der Betrachtung von Apoll und Marsyas bzw. dem Apollinischen und dem Dionysischen in der Inszenierung männlich-männlichen Begehrens kommt das Antike-Kapitel nun zum Ende. Die zahlreichen Topoi und Motive, die bisher behandelt wurden, werfen ihren Schatten jedoch auch auf die nun folgenden Kapitel. Das Kulturgut insbesondere der griechischen Antike erweist sich als ein bis heute relevantes Vorbild für die Konstituierung queerer Bildwelten: Von den ikonographischen Konventionen der erastês-underômenos-Darstellungen bis hin zu einzelnen Figuren, wie etwa Narziss, zeugen diese Bildthemen von einer ebenso langen wie komplexen Geschichte, anhand deren Entwicklung das wechselhafte Verständnis von Geschlecht und Sexualität nachskizziert wurde. Stand bisher das polysexuelle Figurenpersonal der antiken Mythologie im Vordergrund, richtet sich der Fokus nun auf christlich geprägte Motive. Wie im Nachfolgenden zu zeigen sein wird, löst das sich ausbreitende Christentum eine substanzielle Verschiebung der Geschlechter- und Sexualitätsvorstellung aus, die einhergeht mit einer verstärkten Sublimierung und Ahndung nicht ›normierter‹ Identitäten und Akte. Den Figurationen der Lust treten nun Figurationen des Verbotenen entgegen.
III.2 Figurationen des Verbotenen – Das christliche Vermächtnis sublimierten und geahndeten Verlangens »Darum sage ich: Laßt euch vom Geist leiten, dann werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen. Denn das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, so daß ihr nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt. Wenn ihr euch aber vom Geist führen laßt, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz. Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben« (Galater 5,16-21) Das einleitende Bibelzitat, das aus dem Brief des Paulus an die Galater stammt, bezeugt auf eindringliche Weise das konfliktreiche Verhältnis des Christentums zum menschlichen Körper und zur Sexualität. Noch heute erweist sich die darin zum Ausdruck kommende Leibes- und Erosfeindlichkeit als signifikant für die westliche Gesellschaft christlicher Prägung. Dieses defätistische Körper- und Sexualitätsverständnis entsteht jedoch nicht ex nihilo, sondern geht auf eine bereits in der Antike etablierte Dichotomie von Fleisch und Geist zurück, wie sie z.B. in Platons Symposion durch die zwei verschiedenen Aphroditen ausgedrückt wird.420 Die Hierarchisierung der geistigen über die körperliche Liebe führt im antiken Rom zur Entstehung einer Asketismusbewegung, deren Frauen- und Sexualitätsfeindlichkeit in der christlichen Morallehre Widerhall findet.421
420 Vgl. Brown, Peter: Bodies and Minds: Sexuality and Renunciation in Early Christianity, in: Halperin, David M.; Winkler, John J.; Zeitlin, Forma I. (Hg.): Before Sexuality. The Construction of Erotic Experience in the Ancient Greek World, Princeton (NJ) 1990. S. 479–494; hier: S. 480. 421 Vgl. Saslow 1999, S. 56.
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So wird etwa die in der griechisch-antiken Philosophie etablierte Assoziation des Weiblichen mit dem Körperlichen in fast unveränderter Weise übernommen: »spirit is to flesh as male is to female«.422 Ganz im Sinne des Palimpsestgedankens stellt das Christentum daher keinen vollständigen Bruch mit der Antike dar, vielmehr absorbiert es antike Theorien und macht sich diese zu eigen. Dies äußert sich auch in der für das nachfolgende Kapitel elementaren Weiterführung und Diskursivierung des päderastischen Beziehungsmodells, das im Zuge eines zunehmenden Dualitätsdenkens fortan in zwei Sparten gegliedert wurde: Die akzeptierte Form männlich-männlichen Begehrens wird der christlichen Theologie nach als amicitia bezeichnet, eine intime und der Theorie nach keusche Freundschaft; demgegenüber steht die zu verdammende Kategorie der sodomia, die zunächst alle nichtkonzeptionellen, außerehelichen Sexualakte meint.423 Nach damaligem Verständnis war niemand vor dem sodomitischen Laster gefeit. Fleischliche Unzucht wurde als dämonische Präsenz wahrgenommen, die im Herzen eines jeden Menschen lauere und gegen die es beständig anzukämpfen gelte.424 Der menschliche Körper wurde in der christlichen Theorie zum Gefängnis der Seele, zum notwendigen Übel irdischer Existenz. Die Überwindung des eigenen Fleisches mit all seinen Begehrlichkeiten wird schließlich zu einem der zentralen Punkte christlicher Theologie. Diese konzeptuelle Verschiebung indiziert eine in der Ikonographie des Christentums deutlich hervortretende Verlagerung des Begehrensdiskurses: Verhandelten antike Darstellungen die Thematik fleischlicher Begehrlichkeiten noch mit all ihren erotischen und thanatischen Konsequenzen, spiegeln die nachfolgenden Motive ein Weltbild, welches männlich-männliches Verlangen entweder gänzlich sublimiert oder, sofern dies nicht gelingt, bestraft. Der Produktion und späteren Appropriation ebenjener ›christlichen‹ Figurationen verbotenen Verlangens sowie deren langfristigen Auswirkungen auf das Selbst- und Fremdbild gleichgeschlechtlich begehrender und queerer Männer gilt in den nächsten fünf Unterkapiteln das Hauptinteresse.
III.2.1 Monströse Körper: Die verdrehte Körperlichkeit der Sodomiten und ihre Nachwirkungen Der schwer beladene Begriff der sodomia verdeutlicht wie kein anderer die komplexe und problematische Beziehung des Christentums zu Leib und Lust.425 Der bis ins 20. Jahrhundert gebräuchliche Terminus leitet sich von einer sowohl im Tanach als auch im Alten Testament geschilderten Episode über die Zerstörung der Städte Sodom und Gomorrah ab, deren Population – die Sodomiten – durch ihr transgressives Verhalten den Zorn Jahwes auf sich zogen.426 Nach Genesis 19 beherbergte der in Sodom ansässige Lot, ein Neffe 422 Bynum, Caroline Walker: Fragmentation and Redemption. Essays on Gender and the Human Body in Medieval Religion, New York 1991, S. 98. 423 Vgl. Saslow 1999 S. 56f; zur Sodomie siehe Kapitel III.2.1. 424 Vgl. Brown 1990, S. 481. 425 Zur Sodomie vgl. auch Kapitel II.2.1 dieser Arbeit. 426 Auch im Koran spielt die Geschichte vom Untergang Sodoms eine wichtige Rolle. In Sure 7, 80f heißt es: »Und (wir haben) den Lot (als unseren Boten gesandt). (Damals) als er zu seinen Leuten sagte: ›Wollt ihr denn etwas Abscheuliches begehen, wie es noch keiner von den Menschen in aller
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Abrahams, zwei als Männer getarnte Engel in seinem Heim, als eine Gruppe männlicher Stadtbewohner an seine Tür klopften und verlangten mit den Gästen sexuell zu ›verkehren‹ bzw. diese zu ›erkennen‹ (Genesis 19,5).427 Lot verweigerte sich dieser Aufforderung jedoch und bot dem wütenden Mob anstelle der Engel seine eigenen Töchter an (Gen 19,6-9). Als Dank dafür geleiteten die Engel Lot und seine Familie daraufhin aus der Stadt hinaus, ehe diese von einem Schwefel- und Feuerregen zerstört wurde (Gen 19,12-29). Eine der wenigen mittelalterlichen Darstellungen der Sodom-Erzählung, die dem komplexen und facettenreichen Vermächtnis des Sodomiekonzepts Rechnung trägt, findet sich in der sogenannten Egerton Genesis, einer Art Bilder-Bibel aus dem dritten Viertel des vierzehnten Jahrhunderts (Abb. 65).428 Darin ist eine zweiteilige Abbildung enthalten, die auf der rechten Seite Abrahams Fürbitte für Sodom vor Gott zeigt und auf der linken Seite Lot, welcher gerade die gesandten Engel vor den Stadttoren Sodoms empfängt. Hinter der mittig positionierten Empfangsszene bietet sich den Betrachter_Innen ein erstaunlich detaillierter Einblick in die sündige Stadt: Während im unteren Register
Welt vor euch begangen hat? Ihr gebt euch in (eurer) Sinnenlust wahrhaft mit Männern ab, statt mit Frauen. Nein, ihr seid ein Volk, das nicht maßhält.« (alle Koranzitate nach: Paret, Rudi (Hg. und Übers.): Der Koran. Stuttgart 2015 (zuerst 1979)) Diese Formulierung über das Schicksal der Sodomiter, welche im Koran stets als das ›Volk des Lot‹ umschrieben werden, taucht, leicht variiert, viermal im Koran auf (7,80f; 26,165f; 27,54f und 29,38f). Insgesamt wird die Geschichte Lots im Koran fünfzehnmal erwähnt. Wie Georg Klauda betont, adaptiert der Koran zwar einerseits die christliche Auslegung der Sodom-Mythe als Warnung vor der maßlosen (sexuellen) Begierde der Sodomiter. Andererseits spezifiziert Klauda unter Zitierung der Arbeit Arno Schmitts, dass »für Muhammad nicht das spezifische, konkrete (Un-)Tun der Leute im Vordergrund [steht], sondern ihr Nicht-auf-ihren-Propheten-Hören.« (Klauda, Georg: Die Vertreibung aus dem Serail. Europa und die Heteronormalisierung der islamischen Welt. Hamburg 2008, S. 32f; das Zitat stammt aus Schmitt, Arno: liwat im fiqh: Männliche Homosexualität? In: Journal of Arabic and Islamic Studies 4 (2001–2002), S. 49–110; hier: S. 61); erst im späteren Verlauf und in den sogenannten Hadithen (vermeintliche Überlieferungen der Aussagen Mohammeds) konkretisiert sich das Verhältnis des Islam zu homosexuellen bzw. ›sodomitischen‹ Handlungen (im islamischen Kontext als liwat bezeichnet). Hierzu David F. Greenberg: »Over time, Moslem religious writings became more punitive toward homosexuality. A number of hadith (sayings attributed to Mohammend and collected or forged after his death) call for the death penalty. Converts from Judaism and Christianity may have been responsible for this punitiveness. During its first two centuries, Islam grew primarily through conversion. Most converts were member of the upper classes who had had a classical Hellenistic education that exposed them to Roman, Jewish, and Sassanian law, as well as to the ecclesiastical law of the Eastern churches.« (Greenberg 1990, S. 173); Klauda verweist ebenfalls auf diese Stelle bei Greenberg. Siehe Klauda 2008, S. 33f. 427 Michael Brinkschröder weist allerdings darauf hin, dass diese sexuelle Deutung der Geschichte stark von der Übersetzung des hebräischen Wortes (jada‹) abhängt, welches zumeist mit ›erkennen‹ übersetzt wurde. Dieses Verb hat im Hebräischen eine doppelte Bedeutung: Es kann entweder als ›etwas wissen bzw. begreifen‹ gelesen werden, oder aber als Anspielung auf Geschlechtsverkehr. In der gängigen Rezeptionsgeschichte wurde der Begriff gemeinhin als Umschreibung von sexuellem Verkehr gedeutet. Siehe hierzu Brinkschröder 2006, S. 169, S. 183 und S. 185ff. 428 Siehe hierzu den Beitrag von Robert Mills zur Sodomitenikonographie, welcher die Arbeit einem flämischen Künstler zuschreibt, der in England tätig war: Mills, Robert: Seeing Sodomy in the Middle Ages. Chicago und London 2015, S. 58f; vgl. zudem Joslin, Mary Coker; Watson, Carolyn Joslin Coker: The Egerton Genesis. London 2001.
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gerade zwei Bettler vor den Augen eines inaktiven Beobachters attackiert werden, versammelt sich im oberen Teil gleich eine ganze Gruppe von Sündigenden. Neben jeweils zwei Einzelfiguren, die zum einen der Völlerei – ganz links – und zum anderen der Masturbation – oben mittig – frönen, sind auch noch zwei miteinander ›ringende‹ Männer zu erkennen, deren nach oben gerutschten Roben ihre Genitalien freigeben – ein Hinweis auf die sexuelle Natur ihrer Handlung.429 Dass die Zweisamkeit des zuletzt genannten Paares überdies als kämpferisches Ringen inszeniert wird, betont die vermeintliche Gewaltsamkeit des gleichgeschlechtlichen Sexaktes. Sodom ist gemäß der Egerton-Illustration wie auch der biblischen Textstelle also Schauplatz einer Schar von Vergehen: Gewalt, Unwirtlichkeit, Maßlosigkeit, gleichgeschlechtlicher Sex, Onanie etc. Das darin visualisierte Spektrum an unterschiedlichen Bedeutungen des Sodomie-Begriffs erfährt im Laufe der Zeit allerdings eine zunehmende Verengung auf nichtreproduktiven bzw. männlich-männlichen (Anal-)Verkehr. Hinsichtlich dieser Entwicklung ist besonders ein Detail der Abbildung von großem Interesse: Sowohl das Genital des Masturbierenden als auch die Geschlechtsteile der beiden miteinander verkehrenden Männer wurden zu einem späteren Zeitpunkt unkenntlich gemacht. Obwohl hier also viele verschiedene ›sodomitische Laster‹ dargestellt werden, sind es vor allem die sexuellen ›Untaten‹, denen besonderes Augenmerk zukommt. Entgegen der in der Bibelstelle implizierten und im vorhergehenden Bildbeispiel explizierten Vielfältigkeit sodomitischer Verfehlungen setzt sich bei Theologen wie dem Kirchenvater Augustinus von Hippo (354–430 n. Chr.) sowie weltlichen Richtern der Ausdruck der Sodomie als Bezeichnung für jedweden nicht-reproduktiven Sex sehr früh durch.430 So schreibt Augustinus in seinen Confessiones (397–401 n. Chr.): »Demnach sind die Schandtaten, die wider die Natur gehen, wie die der Sodomiter, überall und jederzeit verabscheuungswürdig und strafbar. Selbst wenn alle Völker sie verübten, sie wären alle in der gleichen verbrecherischen Schuld nach dem göttlichen Gesetz, das die Menschen nicht so eingerichtet hat, daß sie auf solche Weise miteinander verkehren dürfen. Denn nichts Geringeres als die Gemeinschaft, die uns mit Gott selbst verbinden soll, wird verletzt, wenn eben die Natur, die von ihm geschaffen ist, durch mißordnete Lust geschändet wird.«431
429 Vgl. Mills 2015, S. 58. 430 Michael Carden argumentiert z.B., dass in der jüdischen Auslegung der Sodom-Geschichte die Unwirtlichkeit der Stadtbewohner im Vordergrund steht. Siehe Carden, Michael: Sodomy. A History of a Christian Bible Myth, London und Oakville 2004, S. 79ff und S. 128f; Derrick S. Bailey war einer der Ersten, der die These vertrat, dass es bei der Sodom-Erzählung nur um das Gastrecht ging. Baileys Argumentation stützt sich dabei auf die Deutung des Wortes ›erkennen‹, welches er nicht im sexuellen Sinne versteht. Dieser Auslegung widerspricht u.a. Brinkschröder. Vgl. Bailey, Derrick Sherwin: Homosexuality and the Western Christian Tradition. London 1955, S. 8; sowie Brinkschröder 2006, S. 183. 431 Augustinus: Bekenntnisse. Lateinisch und deutsch, hg. und übers. von Joseph Bernhart, Frankfurt am Mai 1987, S. 120–123; zitiert nach Klinkert, Thomas: Gleichgeschlechtliche Liebe/Sodomie. In: Dickhaut, Kirsten (Hg.): Liebessemantik. Frühneuzeitliche Darstellungen von Liebe in Italien und Frankreich, Wiesbaden 2014, S. 477–516; hier: S. 479 (Fußnote 11); vgl. hierzu auch Carden 2004, S. 146–150.
III. Hauptteil
Mit der ›mißordneten Lust‹ mahnt Augustinus all jenen Geschlechtsverkehr an, der dem ›göttlichen Gesetz‹ zuwiderläuft und nicht in erster Linie der Fortpflanzung dient. Thomas Klinkert bemerkt hierzu, dass Sexualität im Unterschied zur Antike »nicht mehr primär nach sozialen, sondern nach moralischen Kriterien beurteilt« wird.432 Die christliche Fokussierung und Limitierung sexuellen Begehrens auf Reproduktion, so Klinkert weiter, »hat zur Konsequenz, dass gleichgeschlechtliche Sexualität das Böse schlechthin sein muss, weil sie per definitionem nicht zur Fortpflanzung dienen kann.«433 Das von Peter Cantor (gestorben 1194) als vitium sodomiticum und von Thomas von Aquin (1225–1274) als vitium contra naturam betitelte Laster, das auch mit dem mittelalterlichen Sündenkonzept der luxuria in Verbindung gebracht wurde, steht der göttlichen Lehre gemäß der etablierten Bibelexegese konträr gegenüber und wird daher häufig mit Häresie gleichgesetzt.434 Diese Verquickung von Sodomie und Ketzerei findet sich in recht ähnlicher Weise bereits in der aus dem 3. Jahrhundert stammenden Visio Sancti Pauli, in der gleichgeschlechtliche Sexualität von Paulus als »das äußere Zeichen des Unglaubens und Abfalls von Gott« interpretiert wird.435 Angesichts dieser Argumentationslinie verdeutlicht sich dann auch nochmals die in der Egerton-Illustration ersichtliche Parallelisierung von gleichgeschlechtlichem bzw. nichtreproduktivem Sex und Gewalt: Verkehr, der nicht der Fortpflanzung dient, stellt demnach einen Gewaltakt gegen Gott bzw. die Natur dar. Die u.a. durch die Schriften des Augustinus vorangetriebene ›Sexualisierung‹ des Sodomiebegriffs wird in späteren theologischen Abhandlungen und klerikalen Texten mehr und mehr durch eine ›Homosexualisierung‹ abgelöst.436 So stellt etwa der Benediktinermönch Bernhard von Cluny (erste Hälfe des 12. Jahrhunderts) in seinem zwei Bände füllenden Gedicht De Contemptu Mundi (Von der Geringschätzung der Welt bzw. Von der Verachtung der Welt) eine unmittelbare Verbindung zwischen Sodomie und männlich-männlichem Begehren her: »Faex Sodomae patet, innumerus scatet, heu! Ganymedes,/Dum scelus exhibet, haec fera quaslibet incolit aedes.«437 Mit der hier stattfindenden Rück-
432 Klinkert 2014, S. 479. 433 Ebd. 434 Carden 2004, S. 180f und S. 183; vgl. auch Klinkert 2014, S. 479ff; Glenn W. Olsen macht darauf aufmerksam, dass die Unterscheidung zwischen ›natürlichen‹ (gegengeschlechtlicher und potentiell fruchtbarer Sex) und ›unnatürlichen‹ (gleichgeschlechtlicher bzw. unfruchtbarer Sex) Sünden bereits in den Briefen Peter Damians erfolgt. Im Gegensatz zu Augustinus geht Damian aber nicht weiter auf den (unfruchtbaren) Analverkehr ein. Siehe Olsen, Glenn W.: Of Sodomites, Effeminates, Hermaphrodites, and Androgynes. Sodomy in the Age of Peter Damian, Toronto 2011, S. 290ff und S. 297ff. 435 Limbeck, Sven: »Turpitudo antique passionis« – Sodomie in der mittelalterlichen Visionsliteratur. In: Ehlen, Thomas; Mangei, Johannes; Stein, Elisabeth (Hg.): Visio Edmundi monachi de Eynsham. Interdisziplinäre Studien zur mittelalterlichen Visionsliteratur, Tübingen 1998, S. 165–227; hier: S. 171. 436 Der begriffliche Anachronismus der ›Homosexualität‹ dient dem verkürzten Ausdruck einer zunehmend auf die männlich-männliche Sexualität abzielende Definierung des Terminus der Sodomie. Brinkschröder spricht in ähnlicher Weise von einer »›Homosexualisierung‹ Sodoms« (Brinkschröder 2006, S. 429). 437 Bernard of Cluny: Scorn for the World – Bernard of Cluny’s De Contemptu Mundi, The Latin Text with English Translation and an Introduction, hg. und übers. von Ronald E. Pepin, East Lans-
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bindung des ›sodomitischen Lasters‹ an die antike Figur des Ganymed lässt Cluny wenig Zweifel daran, was er unter dem Wort Sodomie versteht. Als Meilenstein in der prozessualen Begriffsverschiebung nennen Mark Jordan in The Invention of Sodomy in Christian Theology (1997) sowie Michael Carden in Sodomy. A History of a Christian Biblical Myth (2004) das um 1051 entstandene Werk Liber Gomorrhianus von Peter Damian (auch Petrus Damiani, um 1006–1072).438 Der angesehene Geistliche liefert darin eine ebenso eindrückliche wie eindringliche Anklage gegen die sexuellen Vergehen des damaligen Klerus: Sowohl ein- und gegenseitige Masturbation als auch Schenkel- bzw. Analverkehr zwischen (geistlichen) Männern sind Gegenstand der Klageschrift.439 Nach Jordan ist Damian der Ursprung der intrinsischen Verflechtung von gleichgeschlechtlichem Begehren und Sodomie; indessen sieht Carden in ihm vielmehr einen ›Geburtshelfer‹, der in seinen Schriften lediglich bereits gängige Ressentiments und Annahmen festhält bzw. wiedergibt.440 Die bei Damian zunächst auf den Stand des Klerus begrenzte Anwendung des Sodomiebegriffs als Umschreibung für gleichgeschlechtliche Akte konkretisiert sich u.a. in den darauffolgenden Veröffentlichungen Peter Cantors sowie Thomas von Aquins: Während Ersterer das Sodomiekonzept auf mann-männliche und frau-frauliche Kontakte ausweitet, ist es insbesondere Letzterer, der mit seinem zwischen 1265 und 1273 entstandenen Werk Summa Theologiae nicht nur die Gleichsetzung von Sodomie mit gleichgeschlechtlichem Sex verfestigt, sondern auch die Tragweite dieses ›Tatbestandes‹ festlegt.441 In seiner Auflistung der schwerwiegendsten »Sünden gegen die Natur« liefert Thomas von Aquin eine recht eindeutige Definition der Sodomie: So folgt auf die an oberster Stelle stehende Sünde »der Vertierung«, also des Verkehrs mit Tieren, »die sodomitische Sünde, wo das gebührende Geschlecht nicht eingehalten wird.«442 Diese widernatürlichen Sünden richten sich »ebenfalls gegen Gott und sind um so schwerer wie Gottesraub«.443
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ing (Michigan) 1991, 3. Buch, Vers 191–192, S. 146; Pepins Übersetzung lautet: »Alas, the filth of Sodom is openly seen, countless Ganymedes are swarming, while this wild beast displays its wickedness, while it inhabits any dwelling you please.« (Ebd., S. 147); bei Salsow findet sich eine weitaus freiere Übersetzung des ersten Satzes: »The law of Sodom obtains in a land that is teeming with Ganymedes.« (Saslow 1999, S. 57). Siehe hierzu Jordan 1997, S. 45–66; sowie Carden 2004, S. 166ff sowie S. 174–180. Der lateinische Text lautet: »Alii siquidem secum alii aliorum manibus, alii inter femora, alii denique consummato actu contra naturam delinquunt.« (Petri Damiani: Opusculum Septimum – Liber Gomorrhianus, ad Leonem IX Rom. Pont., in: Ders.: Patrologoiae cursus completus: S. Petri Damiani Opera Omnia. Band 2 (PL 145), hg. von Jacques Paul Migne, Paris 1853, Caput I (S. 161). Carden 2004, S. 175 und S. 177. Ebd., S. 180ff (Peter Cantor) und S. 183ff (Thomas von Aquin). Im lateinischen Text heißt es: »Gravissimum autem est peccatum bestialitatis, ubi non servatur debita species. […] Post hoc autem est vitium sodomiticum, ubi non servatur debitus sexus.« (Thomas von Aquin: Summa Theologiae. IIa –II æ, q. 154 a. 12 ad 4); deutsche Übersetzung übernommen aus: Thomas von Aquin: Die katholische Wahrheit, oder die theologische Summa des heiligen Thomas von Aquin. Siebenter Band, übers. von Ceslaus Maria Schneider, Regensburg 1888, S. 902 (Kursivschreibung NM); online abrufbar unter: http://www.unifr.ch/bkv/summa/kapitel670-12.htm (zuletzt: 26.08.2018). Hier heißt es im lateinischen Text: »Ad secundum dicendum quod etiam vitia contra naturam sunt contra Deum, ut dictum est. Et tanto sunt graviora quam sacrilegii corruptela«. (Summa Theologiae. IIa –II æ, q. 154 a. 12 ad 2); deutsche Übersetzung übernommen von Schneider 1888, S. 902.
III. Hauptteil
Dieselbe Gewichtung wie in dem hier nur angerissenen religiösen Diskurs erfährt die Thematik der Sodomie bzw. des gleichgeschlechtlichen Begehrens auch von weltlicher Seite: Fast jedes europäische Land führte bis zum Jahr 1300 Gesetze ein, die sodomitische Vergehen mit der Todesstrafe ahndeten.444 Sowohl in der sakralen als auch in der profanen Sphäre nimmt die Sodomie demnach eine zentrale Rolle ein. Nichtsdestotrotz sind mittelalterliche Darstellungen des Themas vergleichsweise selten, was sich u.a. mit Cantors Auslegung des Schicksals von Lots Frau erklären lässt: Entgegen der göttlichen Warnung sich nicht umzudrehen, blickt diese nach erfolgter Flucht zurück und erstarrt beim Anblick der verwüsteten Städte zu einer Salzsäule (Gen 19,2429). Cantor deutet diese Bestrafung dahingehend, dass bereits das bloße Erblicken von verbotenen Akten Gefahr in sich birgt.445 Saslow kommentiert hierzu: »Homosexuality was not only morally unspeakable, but artistically ›un-image-inable.‹«446 Wie am Beispiel der Egerton-Illustration gezeigt wurde, existieren paradoxerweise dennoch einige Darstellungen jener ›unaussprechlichen‹ und ›unvorstellbaren‹ Sünde, deren Zweck hauptsächlich darin besteht bzw. bestand, vor den Konsequenzen sodomitischen Begehrens zu warnen: Die wenigen erhaltenen Sodomitendarstellungen finden sich daher zumeist entweder im Zusammenhang mit Höllenszenen oder aber mit moralisierenden Manuskripten wie der Bible moralisée oder dem Ovide moralisé. Dieses beständig zwischen Repression und Repräsentation changierende Verhältnis zur Figur des Sodomiten offenbart die besondere Stellung, die ihr innerhalb des theologischen Diskurses zugesprochen wird. Oder wie es Michael Brinkschröder in Sodom als Symptom (2006) formuliert: »Durch seine Funktion als Modell für das Imaginäre der eschatologischen Vergeltung macht der Sodom-Mythos Männer, die gleichgeschlechtliche Sexualität praktizieren, quasi zu den ›Ureinwohnern‹ der Hölle.«447 Für die nachfolgende kunsthistorische Betrachtung sind jene visuellen Dokumente von Bedeutung, in denen die Monstrosität der sich gleichgeschlechtlich ›versündigenden‹ Sodomiten im Vordergrund steht, da vor allem dieser Aspekt weitreichende Nachwirkungen haben sollte.448 Als erstes richtet sich der Fokus auf das aus Kalkstein gearbeitete Relief der Kathedrale von Lincoln, welches Bestandteil eines mehrteiligen und ursprüng-
444 Siehe Smalls, James: Die Homosexualität in der Kunst. New York 2003, S. 57; sowie Saslow 1999, S. 67ff. 445 Siehe Carden 2004, S. 182. 446 Saslow 1999, S. 57. 447 Brinkschröder 2006, S. 391. 448 Am Anfang stehen zwei Höllendarstellungen, die auch in der für dieses Kapitel relevanten Untersuchung Seeing Sodomy in the Middel Ages (2015) von Robert Mills eine entscheidende Rolle spielen: ein Relief der Lincoln–Kathedrale von ca. 1145–55 (Abb. 66) sowie ein Fresko von Taddeo di Bartolo in der Kollegiatskirche San Gimignanos von ca. 1393–1413 (Abb. 68). Hierzu sollen noch zwei kleinere Arbeiten herangezogen werden: die um 1220 entstandene Manuskriptseite aus der Bible moralisée: Codex Vindobonensis 2554 (Abb. 67) sowie eine Manuskriptmarginalie aus dem 12. Jahrhundert (Abb. 69). Im Anschluss an diese historische Betrachtung wendet sich der Blick noch in die Gegenwart und an jeweils einem Werk von Mapplethorpe (Abb. 70), Richard Hawkins (Abb. 72) und David Altmejd (Abb. 73) sollen die Nachwirkungen des mittelalterlichen Bildes monströser Sodomiten analysiert werden.
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lichen an der Westfront des Kirchenbaues angebrachten Frieses ist.449 Im Zuge aufwendiger Restaurierungsarbeiten an der Fassade im Jahr 2001 wurden Teile des Friesbandes durch Rekonstruktionen ersetzt (Abb. 66).450 Die beschädigten und im Inneren der Kirche ausgestellten Originaltafeln des Frieses wie auch die von John Roberts und Alan Mickelthwaite erstellten Rekonstruktionen sollen im Folgenden als gleichwertig erachtet werden.451 Die hier zu betrachtende Tafel bzw. deren Rekonstruktion befindet sich in der nordwestlichen Ecke der Westfront und steht laut der Nummerierung George Zarneckis an zweiter Stelle des insgesamt siebzehnteiligen Friesbandes, das sich über die gesamte Fassadenlänge erstreckt.452 Die gemeinhin als Abbildung der sodomitischen (d.h. gleichgeschlechtlichen) Sünde interpretierte Tafel wird linkerhand von einer Darstellung der Wollust – eine nackte Frau und ein nackter Mann, die von zwei Drachen in die Genitalien gebissen werden – und rechterhand von einer Visualisierung der Habgier – ein nackter und von zwei Teufeln malträtierter Mann, um dessen Hals ein Geldbeutel hängt – eingefasst.453 Auch die Sodomiten müssen vergleichbare Qualen über sich ergehen lassen: Zwei nackte und allem Anschein nach männliche Figuren, deren dichtgedrängte Hintereinanderreihung Anal- bzw. Schenkelverkehr impliziert, werden von einem großen Dämon umschlungen und an den Haaren gezogen.454 Die klauenartigen Füße des Dämons sind unterdessen so positioniert, dass er die beiden Figuren auf Hüfthöhe umgreift und damit ihre Geschlechtsteile verdeckt. Die Gesichter der Sünder, deren Züge im beschädigten Original nur noch zu erahnen sind, wurden in der Rekonstruktion klar herausgearbeitet: Bei der rechten Figur handelt es sich um einen älteren, bärtigen Mann, dem449 Eine »›bande dessinée in Stein‹«, wie Willibald Sauerländer das Medium nennt (Sauerländer, Willibald: Romanesque Sculpture in its Architectural Context. In: Kahn, Deborah (Hg.): The Lincoln Symposium Papers. The Romanesque Frieze and its Spectator, London 1992, S. 17–44; hier: S. 28 und S. 42); zur Geschichte des Frieses und der Kathedrale siehe Cocke, Thomas: Lincoln Cathedral: The West Front and the Romanesque Reliefs – Post-Medieval Perceptions, in: Kahn, Deborah (Hg.): The Lincoln Symposium Papers. The Romanesque Frieze and its Spectator, London 1992, S. 163–176; Cocke weist u.a. auf den Architekten James Essex (1722–1784) hin, der im 18. Jahrhundert umfangreiche Restaurationsarbeiten an der Kathedrale von Lincoln überwachte und die Meinung vertrat, dass es sich bei dem Fries um eine Spolie aus einer älteren Kirche handeln muss. George Zarnecki widerspricht dieser These jedoch. Vgl. Zarnecki, George: Romanesque Sculpture at Lincoln Cathedral. London, Hertford und Harlow 1963 (?), S. 3f; sowie Zarnecki, George: Romanesque Lincoln. The Sculpture of the Cathedral, Lincoln 1988, S. 38. 450 Vgl. Butler, Lawrence; Clark, Jonathan: Behind the Romanesque Frieze at Lincoln Cathedral. In: Archaeological Journal Vol. 172, Nr. 2 (2015), S. 423–442. 451 Siehe Mills 2015, S. 284. 452 Ich folge hier Zarneckis Aufzählung, welche die vierte Tafel, bei der es sich wohl um eine Arbeit des 18. Jahrhunderts handelt, nicht mitzählt. Siehe Zarnecki 1988, S. 66 sowie Butler 2015, S. 424; für eine schematische Widergabe der Anordnung und der Motive des Frieses siehe Zarnecki 1988, S. 109ff sowie Butler 2015, S. 426. 453 Zu den ikonographischen Besonderheiten der Tafeln siehe Zarnecki 1988, S. 67ff; Mills interpretiert die von Zarnecki als Wollust betitelte Tafel noch spezifischer als Darstellung eines Ehebruchs. Siehe Mills 2015, S. 282. 454 Es sind u.a. Zarnecki und Mills, welche die Figuren als Männer interpretieren und die Tafel demnach als Darstellung des sodomitischen Lasters verstehen. Vgl. Zarnecki 1988, S. 68 und Mills 2015, S. 282.
III. Hauptteil
gegenüber wird die linke Gestalt jünger und bartlos wiedergegeben. Ob es sich hier um einen bewussten Rückgriff auf die antike erastês-erômenos-Ikonographie handelt, bleibt Spekulation. Es sei jedoch angemerkt, dass die bärtige Figur in dem Relief vorne steht und damit, entgegen der antiken Konventionen, die passive Rolle einnimmt. Umrahmt wird die gesamte Szene zudem noch von vier großen Schlangen, die in Arme und Beine der Sodomiten beißen. Besonders auffällig an dem Relief ist die dominante Position des Dämons, der als treibende Kraft hinter der ›sodomitischen Kopulation‹ zu stehen scheint. Robert Mills interpretiert die überwältigende Präsenz des Teufels mit einem Verweis auf die Visio Monachi de Eynsham, dem Visionsbericht eines jungen Mönches aus der Benediktinerabtei von Eynsham bei Oxford aus dem Jahr 1196.455 In dem Bericht wird geschildert, wie der Mönch in Begleitung des heiligen Nikolaus durch das Jenseits streift. Von besonderem Interesse ist in erster Linie jener Abschnitt, in welchem die beiden Wanderer im Purgatorium auf die namentlich nicht direkt genannten Sodomiten treffen: »Omnes enim, qui ibi puniebantur, sceleris illius, quod nec nominari decet non modo a christiano sed nec a quolibet ethnico, in seculo fuerunt patratores.«456 Die Strafe derer, die noch unter den Heiden stehen und deren Sünde derart gravierend ist, das sie nicht einmal benannt werden darf, fällt dementsprechend grausam aus: »Hos itaque monstra quedam ingentia, igneam qualitatem preferantia, uisu horribilia, iugiter impetebant et quamlibet et renitentes ac refuientes sibi abusionis genere dampnabili permisceri cogebant.«457 Für Mills’ Interpretationsansatz ist insbesondere das im lateinischen Text verwendete Verb »permisceri« und dessen englische Übersetzung »medylle« von Bedeutung: Beide Wörter sind doppeldeutig, bezeichnen sie doch sowohl den Vorgang etwas zu (ver-)mischen als auch den Akt sich zu (ver-)mischen, d.h. Geschlechtsverkehr zu haben; diese sprachliche
455 Mills 2015, S. 280f; Mills bezieht sich dabei auf die von Robert Easting herausgegebene englische Prosaübersetzung aus dem 15. Jahrhundert. Easting präsentiert parallel zur Übersetzung allerdings auch jenes lateinische Manuskript, welches dem Übersetzer aus dem 15. Jahrhundert vorlag und das angeblich direkt vom Bruder des Mönches stammt (der sogenannte C-Text). Siehe Adamus de Einesham: The Revelation of the Monk of Eynsham. Hg. von Robert Easting, Oxford 2002, S. XVII. 456 Das Zitat wurde übernommen aus Limbeck 1998, S. 188; vgl. Adam of Eynsham: Vision of the Monk of Eynsham. In: Eynsham Cartualry, hg. von Herbert E. Salter, Band 2, Oxford 1908, S. 255–371; hier: S. 324 (C-Text, Kapitel XXV); vgl. überdies den wenige Jahre zuvor von Michael P. Huber herausgegebenen und leicht abgewandelten lateinischen Text: Adamus de Einesham: Visio Monachi de Eynsham. Zum ersten Male kritisch hg. von Michael P. Huber, in: Romanische Forschungen. Band 16, Ausg. 3 (1. Januar 1904), S. 641–733; hier: S. 682 (F-Text, XXV); sinngemäße Übersetzung (NM): »Alle nämlich, welche dort bestraft wurden, für jene Sünde, welche zu nennen sich nicht schickt, nicht nur von einem Christen, sondern auch nicht von irgendeinem Heiden, waren durch ihr Geschlechtsteil(chen) zu Tätern geworden.« 457 Zitiert nach Limbeck 1998, S. 189; vgl. Salter 1908, S. 324 (C-Text, XXV); vgl. zudem Huber 1904, S. 683 (F-Text, XXV); sinngemäße Übersetzung (NM): »Diese [gemeint sind die Sodomiten, NM] wurden von gewissen gewaltigen Monstern, welche ihre feurige Beschaffenheit zeigten und schrecklich anzusehen waren, immer fort angegriffen und gezwungen, egal wie sehr sie auch sträubten und zu fliehen versuchten, sich mit ihnen in einer verdammenswürdigen Weise zu mischen [gemeint ist Geschlechtsverkehr zu erdulden, NM].«
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Ambivalenz evoziert ein Bild sich auflösender Körpergrenzen und menschlich-dämonischer Durchmischung, das auch dem Lincoln-Fries zugrunde liegt.458 Während der abstrakte Aspekt verschwimmender (Körper-)Grenzen im Visionsbericht mit sprachlichen Mitteln kommuniziert wird, verbildlicht der Urheber des Frieses dies durch das leibliche Verschränken von Teufelsfigur und Sodomiten.459 Aufgrund der besonderen Schwere des sodomitischen Lasters werden die Sodomiten hier auf eine Stufe mit den Dämonen gestellt und als ebenso monströs dargestellt. Diese Inszenierungsstrategie mag an das zuvor besprochene Ganymed-Kapitell der Abteikirche Sainte Madeleine zu Vézelay (Abb. 36) erinnern, wird doch auch hier die Sodomie – repräsentiert durch den Raub Ganymeds – als direkte Konsequenz teuflischen Wirkens gezeigt. Ein weiteres analoges Bildbeispiel findet sich in einer der frühesten Ausgaben einer Bible moralisée, dem sogenannten Codex Vindobonensis 2554, der sich heute in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien befindet. Das wohl um 1220 in Paris angefertigte Manuskript kommentiert und erweitert biblische Episoden um moralisierende Auslegungsansätze.460 Auf einer der bekanntesten Manuskriptseiten des Codex wird beispielweise die Versuchung Adams und Evas einem sodomitischen Frauenund Männerpaar gegenübergestellt (Abb. 67). Dass es sich bei den im unteren Medaillon dargestellten Figuren tatsächlich um Sodomiten handelt, wird nochmals durch den danebenstehenden altfranzösischen Text bestätigt: »Ce qeve et adam sunt deceu et ont trespassei le commandement deu par antiscement del deiable senefie cels qi por la volentei de lors cors trespassent le commandement deu et deiables les enlace et par col et par boche et par rains et les trabuche en enfer.«461 Die sowohl visuell als auch textuell implizierte Verbindung zwischen Adam und Eva sowie den Sodomiten regt Saslow zu folgender Interpretation an: »[J]ust as our first parents sinned through the mouth by eating from the Edenic tree […], the kissing sodomites lying on their beds below take in the forbidden fruit of another’s body.«462 Mills greift diesen Kerngedanken in seiner Betrachtung auf und formuliert ihn weiter: In Entsprechung zum altfranzösischen Kommentartext zieht er eine Parallele zwischen dem ›Ungehorsam‹ des ersten Menschenpaars und dem der Sodomiten, da beide Male eine Verweigerung hierarchischer und ›gottgewollter‹ Strukturen besteht.463 Als Urheber für dieses ›rebellische‹ Verhalten ist sowohl 458 Mills schreibt hierzu: »The monk’s Visio, then, visualizes sodomy as a blurring or ›meddling‹ of the boundaries differentiating monster and sinner as well as evoking the exchange of sexual fluids associated with sodomitic acts. […] Although the motif of monstrous meddling was not an especially common theme in medieval art, there is a scene on the carved frieze of Lincoln cathedral [gemeint ist das Sodomiten-Fries, NM], roughly contemporary with the monk of Eynsham’s twelfth-century vision« (Mills 2015, S. 282). 459 Es sei noch angemerkt, dass in keiner der anderen Relieftafeln, welche sich der Bestrafung der Sünder widmen, eine derartige Verschränkung von Dämonen und Sündigenden vorzufinden ist. 460 Vgl. Mills, Robert: Seeing Sodomy in the Bibles moralisées. In: Speculum. A Journal of Medieval Studies, Vol. 87, Nr. 2 (April 2012), S. 413–468; hier: S. 415f. 461 Ebd., S. 421; Mills übersetzt diesen Abschnitt wie folgt: »That Eve and Adam were deceived signifies those who through the desire of their bodies transgress the commandment of God, and the devil ensnares them by the neck and by the mouth and by the loins and pulls them into hell.« (Ebd.). 462 Saslow 1999, S. 69. 463 Mills 2015, S. 28 und S. 38.
III. Hauptteil
im oberen als auch im unteren Medaillon Satan auszumachen. Während der ewige Gegenspieler Gottes Adam und Eva in Gestalt einer menschenköpfigen Schlange in Versuchung führt, wird seine Präsenz (und sein Wirken) in der unteren Abbildung durch drei Teufelsfiguren wiedergegeben, die das ›sodomitische Treiben‹ anzufeuern scheinen. Die Sodomie erfährt hier nicht nur eine unmittelbare Verknüpfung mit dem Dämonischen bzw. dem Bösen, wie dies etwa auch in den beiden vorhergehenden Bildbeispielen festzustellen war, sondern wird direkt auf eine Stufe mit dem Sündenfall gestellt. Eine Höllen- bzw. Bestrafungsszene, in der die Monstrosität der Sodomiten weniger durch eine Gleichsetzung bzw. Parallelisierung mit dämonischen Wesen geschieht als vielmehr durch eine visuelle Pervertierung ihres angeblich ›fehlgeleiteten Körpergebrauchs‹, stammt von dem in Siena geborenen Künstler Taddeo di Bartolo (Abb. 68). Die auf den Zeitraum zwischen 1393–1413 zu datierende Freskenmalerei befindet sich im Innenraum der Kirche Collegiata Santa Maria Assunta in San Gimignano, genauer gesagt im ersten Joch des südlichen Hochschiffs, und gewährt Einblick in die Untiefen der Hölle: Das die gesamte Wand einnehmende Fresko ist in sieben auch malerisch differenzierte Bildfelder aufgeteilt, wobei jeder Bereich gemäß des »Siebener-Kanon[s] der Todsünden« einen bestimmten Höllenkreis repräsentiert.464 Die Einteilung der »Höllengruben« richtet sich nach den begangenen Sünden, wobei diese entweder auf gemalten Schriftrollen oder aber auf den Kopfbedeckungen einiger gequälter Seelen klar benannt werden.465 Die Reihenfolge der Höllenkreise entwickelt sich aufgrund der architektonischen Gegebenheiten in diesem Fall von unten nach oben, d.h. die schwerwiegendsten Sünden (superbia und invidia) sind oben positioniert.466 Der unterste Abschnitt des Wandgemäldes, welcher direkt an den daruntergelegenen bogenförmigen Arkadendurchgang angrenzt, zeigt links die Sünde der Trägheit (acedia) und rechts die Sünde des Zorns (ira). Darüber folgt ein dreiteiliger Bildbereich, in dem ganz links die Völlerei (gula), in der Mitte der Geiz (avaritia) und rechts die Wollust (luxuria) dargestellt werden. In der das Wandfeld nach oben hin abschließenden Lünette thront im tiefsten Höllenkreis ein monumentaler Satan, der linkerhand von Sündigenden des Hochmuts (superbia) und rechterhand von Sündigenden des Neids (invidia) umgeben ist. Von den hier dargestellten sieben Todsünden ist primär die der Wollust von Interesse.
464 Siehe Opitz, Marion: Monumentale Höllendarstellungen im Trecento in der Toskana. Frankfurt a.M. et al. 1998, S. 187; die Vorstellung vom Aufbau der Hölle in Kreise speist sich sowohl aus der mittelalterlichen Visionsliteratur, wie etwa die Visio Monachi de Eynsham, als auch aus Die göttliche Komödie von Dante Alighierie (1265–1321), welche zwischen 1303 und 1320 entstand und ursprünglich schlichtweg als La Commedia betitelt wurde. Dante selbst wurde von Visionsliteratur sowie insbesondere durch die Jenseitsvorstellung des Thomas von Aquin geprägt. Das Werk des Autors wird von Marion Opitz als eine der Hauptinspirationsquellen für Maler wie Taddeo di Bartolo benannt. Vgl. ebd., S. 69–77; die Bestrafung von Sodomiten in der Hölle geht jedoch noch weiter zurück und findet sich u.a. in apokryphen Schriften wie dem slawischen Henoch-Buch (2 Hen), der Offenbarung des Petrus (ApkPetr) als auch den Testamenten Isaaks (TIsaak) und Jakobs (TJak). Siehe Brinkschröder 2006, S. 430ff und S. 441. 465 Vgl. Opitz 1998, S. 176. 466 Vgl. ebd.
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Im Höllenkreis der luxuria werden fünf nackte Sünder_Innen von fünf dämonischen Gestalten u.a. mittels Auspeitschung und Aufspießung malträtiert. So ist im oberen Abschnitt des Bildes neben einer singulären Sünderfigur, die von einem Dämon umklammert wird, auch noch ein Frau-Mann-Paar zu sehen. Das Paar hat sich laut dem über ihm schwebenden Spruchband des Ehebruchs (»ADULTERIA«) schuldig gemacht und wird von einem Dämon ausgepeitscht. Von links eilt zudem noch ein zweiter Teufel herbei und bohrt einen Dreizack in das Bein des männlichen Sünders, dessen Kopfbedeckung ihn als Kuppler (»RUFFIANO«) identifiziert.467 Unterhalb dieses Geschehens finden sich zwei weitere Verdammte, deren Höllenqualen besonders perfide ausfallen: In der unteren Bildmitte ist ein am Boden liegender Mann zu erkennen, der ebenso wie der Kuppler einen beschrifteten Hut trägt, der ihn als »SOTOMITTO« (Sodomit) ausweist. Durch seinen Körper treibt ein am rechten Bildrand kauernder Dämon einen Spieß, der durch den Anus des Opfers ein- und aus dem zum Schrei erstarrten Mund wieder austritt. Die Spitze des Spießes endet im Mund des zweiten Verdammten, der gefesselt am linken Bildrand sitzt und über dessen Haupt die Inschrift »CATIVO« (schlecht bzw. schändlich) zu sehen ist.468 Doch damit nicht genug: Parallel zur Aufspießung der beiden Männer schindet ein weiterer Teufel die Füße des Liegenden mit einer Zange, während die exponierten Genitalien des Sitzenden von Flammen umzüngelt werden. Das hier von Bartolo visualisierte grausame Schicksal der Sodomiten – die Inschrift »SOTOMITTO« auf der Kopfbedeckung der rechten Figur ist hierbei auf beide Sünder zu
467 Interessanterweise unterscheiden sich hier die Betrachtungen von Mills und Opitz sehr stark voneinander: Während Opitz die Annahme vertritt, dass der Teufel mit seinem Dreizack in das Bein des Kupplers bohrt, ordnet Mills die teuflische Gestalt dem liegenden Sodomiten zu. Nach Mills handelt es sich bei der Waffe des Dämons nicht um einen Dreizack, sondern um ein Instrument zum Träufeln von heißem Wachs oder Öl (vgl. Mills 2015, S. 286). Mit dem genannten Sünder bezieht Mills sich dabei auf den aufgespießten und ›bekrönten‹ Sodomiten. Ich folge in meiner Betrachtung des Gemäldes Opitz, da sich mir ihre Beschreibung deutlicher erschließt. Nichtsdestotrotz sei angemerkt, dass aufgrund der stark verblassten Farben nicht eindeutig zu erkennen ist, was genau hier geschieht. Vgl. Opitz 1998, S. 180. 468 Auch hier unterscheiden sich die Betrachtungen von Opitz und Mills wieder: Wird die Inschrift »CATIVO« bei Mills explizit erwähnt, taucht sie in der Bildbeschreibung von Opitz überhaupt nicht auf. Laut Mills ist dem Begriff »CATIVO« eine sprachliche Mehrdeutigkeit zu eigen, die sich in identischer Weise auch in dem anverwandten englischen Wort ›caitiff‹ wiederfindet. Sowohl das italienische ›cattivo‹ wie auch das englische ›caitiff‹ bezeichneten zunächst einen Gefangenen, doch im Laufe der Zeit erlebten beide Begriffe eine Bedeutungsverschiebung und wurden zu einem Synonym für ›schlecht‹ bzw. ›schändlich‹. Eine spezifische Verbindung des italienischen Wortes ›cattivo‹ zum Laster der Sodomie führt Mills auf Giovanni Boccaccios Il Decamerone (ca. 1349–53) zurück. Darin taucht eine Figur namens Pietro di Vinciolo auf, ein sexuell an Männern interessierter Adelsmann, der zur Wahrung seines sozialen Status eine Frau heiratet: »Significantly Boccaccio’s tale of Pietro di Vincolo of Perugia, the tenth story of the fifth day of the Decameron, which describes Pietro’s sexual indifference to women and his erotic preference for young men, refers to Pietro as ›il cattivo uomo‹ (the caitiff man/husband); here Boccaccion is clearly applying the term to a man possessing sodomitical leanings.« (Mills 2015, S. 286 und S. 352) Angesichts der Datierung wie auch der damals schon großen Bekanntheit des Decamerone, verstärkt sich die Annahme, dass dem Verfasser der Inschrift – ob es Taddeo di Bartolo selbst war, sei dahingestellt – diese Wortbedeutung bzw. -nuance bekannt gewesen sein dürfte.
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beziehen, da sie durch ihre gemeinsame Bestrafung als visuelle Einheit präsentiert werden469 – verdeutlicht eine unmittelbare Korrespondenz zwischen Strafe und Sünde, die symptomatisch für die christliche Scholastik und damit auch für das Bildprogramm der Höllendarstellungen werden soll.470 Die Aufspießung der sodomitischen Sünder durch den Anus bzw. den Mund ist demnach als Anspielung auf den sexuellen Akt des Analbzw. Oralverkehrs zu verstehen und avanciert zu einem wiederkehrenden Bildtopos mittelalterlichen Höllendarstellungen.471 Mit dem sexuell suggestiven Charakter der Foltermethode werden die Sodomiten überdies klar als effeminiert gebrandmarkt, was laut Mills am Beispiel von Bertolos Fresko mit der Inschrift »SOTOMITTO« betont wird: »Sotomitto conflates two other words, sodomito (meaning ›sodomite‹) and sottometto (meaning ›I submit‹), underscoring the punished sinner’s status as a person who submits, while the term sotto (below) is also a euphemism for anus.«472 In dieser drastischen Invertierung eines Lustaktes in einen Bestrafungsakt spiegeln sich zwei zentrale und miteinander verbundene Aspekte wider: zum einen die Entwicklung und Veränderung des Konzepts der ›Hölle‹ und zum anderen das mittelalterliche Verständnis einer sodomitischen ›Persönlichkeit‹. Wurde die Hölle in der Bibel selbst zumeist nur recht vage als Ort des Chaos, der Finsternis und des Feuers beschrieben,473 wird ihr im Zuge einer zunehmenden theologischen Diskursivierung des Jenseits mehr und mehr Bedeutung beigemessen.474 Marion
469 Vgl. hierzu Opitz 1998, S. 180. 470 Opitz sieht diese Analogie im Zusammenhang mit der »ars memoriae«: »Sie [die Höllendarstellungen, NM] fungierten als ethische Merkbilder, die sich dem Betrachter als christliche Norm des Bösen in der Art einer scholastischen Gedächtnisübung einprägen sollten, unterstützten somit die ›Gedächtnis-loci‹ der Erinnerung.« (Ebd., S. 8). 471 Mills weist noch auf weitere vergleichbare Darstellungen hin: So findet sich eine fast identische Szene in einem Fresko an der Südwand des Camposanto in Pisa, welches ehemals Bunoamico Buffalmacco zugeschrieben wurde und wohl eine der ältesten Höllendarstellung sein dürfte (ca. 1332–42), in der die Korrespondenz von Sünder und Strafe derart im Fokus steht. Siehe Mills, Robert: Suspended Animation. Pain, Pleasure and Punishment in Medieval Culture, London 2005, S. 85ff (Mills schreibt das Werk hier noch Buffalmacco zu); auch Opitz betrachtet dieses Werk, siehe Opitz 1998, S. 77ff; im Unterschied zu Bartolos Höllenbild fehlen in der pisanischen Wandmalerei allerdings die Inschriften, welche die Sünder_Innen klar benennen. Diese schriftliche Identifizierung findet sich wiederum in einer Wandbemalung der Kirche San Francesco in Leonessa (Lazio). Im Zuge einer Restaurierung der Krypta wurde ein Höllenfresko freigelegt, in welchem ein aufgespießter Sünder ebenfalls mit der Inschrift »Sodomito« versehen wurde. Vgl. Mills 2015, S. 290. 472 Mills 2015, S. 287. 473 In einer der wenigen Bibelstellen, in welcher die Hölle direkt Erwähnung findet, bezeichnet Jesus sie beispielsweise als einen Ort, »wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht verlöscht.« (Markus 9,48). 474 Zur Thematik der Hölle und gleichgeschlechtlichen Begehrens siehe auch das Kapitel Homosexualität und Hölle: Die apokalyptische Sodom-Eschatologie in Brinkschröder 2006, S. 389–458; Brinkschröder erläutert mit Verweis auf eine Stelle im Henoch-Buch (2 Hen 10,2-6): »Dominierende Merkmale der Hölle sind Feuer und Finsternis. Bei seiner Beschreibung greift der Autor zu kühnen Metaphern, wie z.B. ›dunkles Feuer‹ oder ›brennendes Eis‹, womit er mögliche Gedanken an eine Linderung des Schreckens durch die positiven Effekte von Feuer und Eis im Keim erstickt.« (Brinkschröder 2006, S. 433).
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Opitz, die diese These in ihrer Abhandlung über Monumentale Höllendarstellungen im Trecento in der Toskana (1998) ausarbeitet, weist diesbezüglich auf den Erlass Benedictus Deus des Papstes Benedikt XII. von 1336 hin, in welchem festgelegt wurde, dass die Verdammten nicht erst ab dem Tag des Jüngsten Gerichts in die Hölle fahren, sondern bereits nach ihrem Tod.475 Dort müssen sie alsdann bis in alle Ewigkeit verweilen. Einhergehend mit dieser verstärkten theologischen Gewichtung wird auch die visuelle Inszenierung der Hölle aus didaktischer bzw. dogmatischer Sicht immer bedeutungsvoller, da sie den Gläubigen einen klaren Sünden- und Strafenkatalog vor Augen führen soll, den es in diesem Ausmaß bis dahin nicht gab. Neben apokryphen Höllenberichten (Offenbarung des Petrus, Henoch-Buch, Testament Isaaks etc.) und Visionsschilderungen ist es zuvorderst der klar geordnete Jenseitsaufbau in Dante Alighieris Die Göttliche Komödie (zwischen 1303 und 1320), der den Auftraggebenden und Kunstschaffenden die Idee eines strukturieren Höllenraums vermittelt, in dem »eine Systematisierung und Korrespondenz [bei Dante als contrapasso bezeichnet, NM] zwischen Sünden und Strafen« herrscht.476 Die exemplarische Visualisierung einer ebensolchen Höllenvorstellung finden wir schließlich in Bartolos Fresko. Diese Spezifizierung und Ausdifferenzierung der Hölle sowie der Höllenstrafen wird unmittelbar auf die Sündigenden selbst übertragen: So wird den Sodomiten in den Infernodarstellungen ihr fleischliches ›Vergehen‹ buchstäblich in bzw. auf den Leib geschrieben und wird für sie zum charakterisierenden Alleinstellungsmerkmal. Eine Strategie, die Robert M. Durling etwa auch als grundlegendes Prinzip in Dantes Inferno ausmacht: »[T]he individual’s actions and their significance are inscribed in his [/her] body and become legible there.«477 Die sodomitischen Sünder werden hier ebenso wie alle anderen Verdammten nur noch durch ihr begangenes Laster definiert und stehen damit der Foucault’schen Annahme einer dem 19. Jahrhundert vorausgehenden Konzeption gleichgeschlechtlicher Sexualität als bloße temporäre Erscheinung entgegen.478 Im Gegensatz zu Foucaults Umschreibung des Sodomiten als »Gestrauchelter«, mittels welcher er den Aspekt der Zeitlichkeit betont, wohnt der u.a. in Bartolos Höllendarstellung anzutreffenden Konzeption gleichgeschlechtlich orientierter Menschen bereits die Grundidee einer ›sodomitischen Persönlichkeitsstruktur‹ bzw. ›Charakteristik‹ inne, die sich auch an475 Siehe Opitz 1998, S. 6f. 476 Ebd., S. 7; siehe zudem Brinkschröder 2006, S. 429ff. 477 Durling, Robert M.: Deceit and Digestion in the Belly of Hell. In: Greenblatt, Stephen (Hg.): Allegory and Representation. Baltimore 1981, S. 61–93; hier: S. 72; dasselbe Zitat Durlings findet sich auch in einem Aufsatz von Michael Camille, in welchem dieser sich mit einer Darstellung aus der von Guido da Pisa kommentierten Ausgabe von Dantes Inferno auseinandersetzt (MS 1424, Chantilly, Musée Condé, Fol. 113v und 114r). Die Abbildung zeigt das Zusammentreffen zwischen Dante und seinem ehemaligen Lehrer Brunetto Latini im Höllenkreis der Sodomiten. Camille argumentiert, dass sowohl Latinis Pose als auch sein Körper ihn angeblich als ›queer‹ bzw. ›sodomitisch‹ ausweisen. Siehe Camille, Michael: The Pose of the Queer. Dante’s Gaze, Brunetto Latini’s Body, in: Burger, Glenn; Kruger, Steven F. (Hg.): Queering the Middle Ages. Minneapolis und London 2001, S. 57–86; hier: S. 74. 478 Nach Foucault ist der Sodomit »ein Gestrauchelter« (im Original heißt es: »Le sodomite était un relaps«). Der ›Sodomit‹ wird im Gegensatz zum ›Homosexuellen‹ nicht als eigenständige Identität wahrgenommen, sondern als bloße zeitweise Verirrung. Vgl. Foucault 1983, S. 47; vgl. auch Mills 2015, S. 291.
III. Hauptteil
hand ihres Äußeren manifestiert.479 Mills macht auf zwei relevante Komponenten aufmerksam, die das mittelalterliche Bild der Sodomiten prägen. Zunächst verweist er darauf, dass zeitgleich mit dem Aufkommen des Aufspießungsmotivs die Sodomiten in der zeitgenössischen Literatur immer wieder mit Schweinen gleichgesetzt wurden und ihre Bestrafung infolgedessen auch eine ›kulinarische‹ Dimension enthält: »Sodemite maledette/che pecchevate contra natura./Rostite a guisa de porchette!/Zabrin, si aggie quista cura,/fa encender bien lo forno/e volta bien l’arosto atorno.«480 Bei diesen um 1340 anonym entstandenen Zeilen handelt es sich um einen Auszug aus einem geistlichen Theaterspiel, einer Rappresentazione Sacra, in welcher ein Dämon namens Zabrin dazu aufgerufen wird, das Feuer unter den aufgespießten Sodomiten bzw. ›Spanferkeln‹ anzufachen. Ebenjener Vergleich knüpft an die damals schon prävalente Assoziation zwischen Schweinen und sinnlichem Exzess an.481 Diese Vorstellung von Sodomiten weist eindeutige Parallelen zum antiken Konzept des kinaidos auf, das gemeinhin mit unkontrollierter Genusshingabe assoziiert wurde. Des Weiteren stellt Mills in seiner Behandlung der Thematik die Pose des aufgespießten Sodomiten heraus: Die durch die Rotation des Spießes verdrehte Perspektive und Körperlichkeit des Sünders – seine Wahrnehmung ist aufgrund seiner ›Rückenlage‹ buchstäblich auf den Kopf gestellt – ist als Vergeltung für eine ›Umkehrung‹ der göttlichen Ordnung im Diesseits zu verstehen.482 Der gekrönte Sodomit ist als Repräsentant des aktiven Parts zu verstehen, da er Zeit seines Lebens andere Männer bzw. Jünglinge penetriert hat und infolgedessen nun im Jenseits selbst zum Penetrierten wird; der sitzende Sodomit hingegen wäre dann der ehemals passive Part, der nun mehr oder weniger aktiv an der Bestrafung des Anderen beteiligt ist.483 Obgleich diese Auslegung der 479 Vgl. hierzu Camille 2001, S. 66ff und S. 72ff. 480 Zitiert nach Mills 2015, S. 291; Mills zitiert hier aus der von Vincenzo de Bartholomaeis (1867–1953) herausgegebenen Sammlung geistlicher Theaterspiele: Bartholomaeis, Vincenzo de: Laude Drammatiche e Rappresentazioni Sacre. Band 1, Florenz 1943, S. 52, Vers 427–432; englische Übersetzung nach Mills: »You cursed sodomites/who have sinned against nature/roast like little piggies!/ Zabrin, let this remedy be followed,/fire up the furnace well/and give the roast a good turning.« (Mills 2015, S. 291); kurz zuvor im selben Kapitel der Lauda Drammatiche trifft Christus in der Hölle auf die Sodomiten und verurteilt sie: »Tu, sodomito puzolente,/m’haie crocifiso notte e giorno;/va a lo ›nferno tostamente/en quille pene a far sogiorno./Mettel tosto en gran calura/ché peccò contra natura.« (Bartholomaeis 1943, S. 49, Vers 343–348); vgl. hierzu die Übersetzung von Mills: »You, stinking sodomite/have crucified me night and day;/go quickly to hell,/to stay a while amid those punishments./Put him quickly in that great heat,/since he sinned against nature.« (Mills 2005, S. 96.); die Tatsache, dass Christus selbst die Qualen der Sodomiten befeuert, verdeutlicht nochmals den Stellenwert der Sünde im damaligen Diskurs. Mills sieht die Radikalität, mit der Sodomiten sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Literatur ab dem 13. Jahrhundert in Italien dargestellt werden, als Ausdruck einer »›sodomophobia‹«, welche durch Prediger wie Bernardino von Siena angestachelt wurde. Vgl. ebd., S. 84. 481 Vgl. Mills 2015, S. 291. 482 Mills schreibt: »Thus the penetrated victim’s orientation – a facing-the-world that is at once both forced (the demon rapes him with the rod) and chosen (his transgressions is a question of will rooted in the soul’s responsibility) – has the effect of reclassifying him as a particular variety of sin identity. The man is positioned as an inverted, feminized piece of meat, his regendered status conceived in terms of its alignment and its directional capacity.« (Ebd., S. 294). 483 Siehe ebd., S. 292.
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Strafe insbesondere im Hinblick auf die Idee einer invertierten ›Sündenkorrespondenz‹ legitim erscheint, stellt sich die Frage, ob die Inschrift der Krone und des von Mills selbst hervorgehobenen Wortspiels mit sotto metto (›ich unterwerfe mich‹) nicht doch dafür sprechen, dass die Bestrafung hier in direkter Korrelation geschieht, also der passive Part aufgespießt wird und der aktive Part zusehen muss. Unabhängig davon, wie man die Gestalten in Bartolos Höllenfresko deuten mag, erzeugt das Zusammenspiel von Tieranalogie – der Sodomit als Schwein – und verdrehter Körperlichkeit bzw. Perspektive das distinkte und zugleich monströse Bild einer ›sodomitischen Wesenheit‹.484 Diesen Aspekt der Monstrosität greift auch eine Manuskriptmarginalie aus dem 12. Jahrhundert auf: Die Abbildung (Abb. 69) entstammt einer Ausgabe der weitverbreiteten frühchristlichen Naturlehre des Physiologus mit dem Titel De inventione linguarum, in welcher die damals bekannte Flora und Fauna nicht nur ausführlich beschrieben, sondern auch im Sinne der christlichen Heilslehre interpretiert wird.485 Auf der vorliegenden Manuskriptseite ist die Illustration zweier sich umarmender Hyänen zu sehen. Der danebenstehende Absatz erläutert, dass es sich bei der Hyäne um ›ein unreines Tier‹ handle, das ›manchmal männlich und manchmal weiblich‹ sei und daher ›den Kindern Israels‹ ähnle, da diese sich ebenfalls ›der Lust‹, ›der Habgier‹ wie auch ›falschen Idolen‹ hingäben.486 Obschon der Text vorrangig auf die vermeintlichen Parallelen zwischen Hyänen und Angehörigen des jüdischen Glaubens eingeht, verweisen die Illustration wie auch die im Text betonte Doppelgeschlechtlichkeit doch klar auf die ›pervertierte Sexualität‹ der Tiere. Wesentlich deutlicher wird dieser Konnex in der im 20. Jahrhundert zerstörten griechischen Physiologus-Kosmas-Handschrift, deren einzig erhaltene Abbildungen und Beschreibungen aus Josef Strzygowskis 1899 veröffentlichter Monographie Der Bilderkreis des griechischen Physiologus stammen.487 In dem von Strzygowski auf ca. 1100 datierten Manuskript wird die Hyäne unmittelbar mit der Geschichte Sodoms verknüpft: »Gleiche nicht der Hyäne! Röm 1,27: Mann mit Mann haben Schande getrieben.«488 In dem doppelseitigen Kapitel Über die Hyäne beschreibt ein kurzer Text das Tier auf der Vorderseite ebenfalls als unrein und doppelgeschlechtlich. Eine darunter angebrachte Miniatur illustriert diese Aussage mit der Darstellung einer Hyäne, die gerade ihre Jungen säugt. Die Abbildung auf der Rückseite, die den Besuch der Engel bei Lot in Sodom zeigt (Gen 19,1-8), als auch der dazugehörige Text betten die Hyäne in das christliche Weltbild ein.489
484 Vgl. Camilles Darlegung der Sodomiten-Inszenierung in Dantes Inferno. Camille 2001, S. 74ff. 485 De inventione linguarum. Manuskript M.832, vermutlich Göttweig (Österreich) um 1150, Pierpont Morgan Library, New York; vgl. hierzu Boswell 1981, Farbtafel 9; zum Thema des Physiologus siehe Henkel, Nikolaus: Studien zum Physiologus im Mittelalter. Tübingen 1976, S. 175f (zur Hyäne). 486 Siehe Boswell 1981, Farbtafel 9. 487 Strzygowski, Josef: Der Bilderkreis des griechischen Physiologus des Kosmas Indikopleustes und Oktateuch. Nach Handschriften der Bibliothek zu Smyrna, als Ergänzung der Byzantinischen Zeitschrift, hg. von Karl Krumbacher, Heft 2, Leipzig 1899, S. 30; zur Datierung siehe ebd., S. 5; zum Schicksal des Manuskripts siehe Boswell 1981, S. 143 (Fußnote 27). 488 Strzygowski 1899, S. 30. 489 Strzygowski erläutert zur Physiologus-Kosmas-Handschrift: »Lot hat den Engeln Gastfreundschaft geschenkt; da kommen Leute aus der Stadt und verlangen, dass ihnen die Jünglinge ausgeliefert würden. Das Laster, das an ihnen begangen werden soll, bildet das Bindeglied zwischen der Hyä-
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Die Verknüpfung der Hyäne mit ›den Kindern Israels‹ einerseits und den Sodomiten andererseits impliziert jedoch keine Diskrepanz, sondern eine gedankliche Einheit der beiden Konzeptionen: Es handelt sich dabei um eine weitverbreitete Diffamierungstaktik, mittels derer Menschen jüdischen Glaubens und ›Sodomiten‹ (gemeint sind gleichgeschlechtlich orientierte Männer) gleichermaßen als Abweichung von der sozialen (gottgewollten) Ordnung charakterisiert wurden.490 In beiden Fällen scheint das verbindende Element die angebliche Doppelgeschlechtlichkeit der Hyäne zu sein, in welcher sich der nach damaliger Auffassung sowohl den Angehörigen des Judentums als auch den Sodomiten unterstellte ›charakterliche Wankelmut‹ widerspiegelt.491 Die zugrundeliegende Annahme, die Hyäne sei ›hermaphroditisch‹ oder wechsle gar ihr Geschlecht ist ein bereits in der Antike grassierender Irrglaube, den Aristoteles erfolglos zu widerlegen versucht hat und der laut diesem wohl der besonderen Anatomie der Tiere verschuldet war – u.a. sind die Genitalien der Männchen und Weibchen äußerlich kaum zu unterscheiden.492 Aufbauend auf den Schriften des Aristoteles sowie einer dem hl. Barnabas (vermutlich 61 n. Chr. auf Salamis verstorben) zugeschriebenen Epistel, in welcher der Autor Bezug auf die im dritten Buch Mose vorkommende Einteilung in reine und unreine Tiere nimmt, ist es vor allem Clemens von Alexandria (150–215 n. Chr.), der die Hyäne in der christlichen Auffassung schließlich zum Sinnbild einer ›pervertierten‹ – sprich gleichgeschlechtlichen – Sexualität erhebt.493 Die Verquickung gleichgeschlechtlicher Sexualität mit Hyänen entwickelt sich ähnlich wie der Name Ganymeds alsbald zu einem feststehenden Topos, der fortan zur Umschreibung ›sodomitischer Männer‹ dient.494 Dabei werden ganz im Sinne der Tierfabel alle der Hyäne zuge-
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nenfabel und der Stelle Röm 1, 27, die am Schlusse der Ερμηνεία [Auslegung, NM] erwähnt wird.« (Ebd.). Vgl. Boswell 1981, Farbtafel 9. Es sei auf die Parallelen zur Lavender Scare des 20. Jahrhunderts hingewiesen. Siehe Kapitel III.1.2 und III.2.5. Siehe Pendergraft, Mary: »Thou Shalt Not Eat The Hyena«, A Note on »Barnabas« Epistel 10.7, in: Vigiliae Christianae 46 (1992), S. 75–79; hier: S. 75 und S. 76f; vgl. hierzu auch die verschiedenen Schriften Aristoteles, in welchen er sich mit dem Phänomen der Hyäne auseinandersetzt: Aristotele: History of Animals. In: Ders.: The Complete Works of Aristotle. Volume 1, hg. von Jonathan Barnes, Princeton 1995, S. 774–994; hier: Buch 6, 579b 15–30 (S. 908); sowie Aristotele: Generation of Animals. In: Ders.: The Complete Works of Aristotle. Volume 1, hg. von Jonathan Barnes, Princeton 1995, S. 1111–1219; hier: Buch 3, 757a, 2–13 (S. 1172). Pendergraft übernimmt hier eine Argumentation, welche so auch recht ähnlich bei Boswell zu finden ist. Vgl. Pendergraft 1992, S. 76 sowie Boswell 1981, S. 137ff; darüber, ob die Hyäne bereits in der Bibel vorkommt, herrscht Uneinigkeit, da es hierzu unterschiedliche Übersetzungen gibt. Peter Riede schreibt in seinem Beitrag im Calwer Bibellexikon: »Das hebr. Wort ṣābûa‹ (Jer 12,9), das Luther mit ›bunter Vogel‹ übersetzte, meint die auch in Palästina vorkommende Streifen-H. (vgl. schon das ›Hyänental‹ 1Sm 13,18 und die Ortslage Zeboim Neh 11,34), deren Fell aus einem gelblichen Weißgrau mit schwarzen Querstreifen besteht« (Riede, Peter: Hyäne. In: Betz, Otto et al. (Hg.): Calwer Bibellexikon. Band 1, Stuttgart 2003, S. 596); vgl. zudem Frey-Anthes, Henrike: Hyäne. [April 2008, zuletzt geändert am 29.09.2018] In: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/hyaene/ch/700c426261e65c05bc38d4d22b3c8b92/(28.11.2018). So taucht die Hyäne neben Ganymed ebenfalls in Bernhard von Clunys De Contemptu Mundi als Umschreibung für gleichgeschlechtliches Begehren auf: »[A]nd a thousand years later Bernhard
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sprochenen negativen Attribute, wie beispielsweise die anomale Geschlechtlichkeit oder auch ihre angeblichen hexerischen Fähigkeiten, auf die Sodomiten projiziert – eine weitere Facette ihrer ›Monstrosität‹.495 Die bisher betrachteten Bildbeispiele zeigen unterschiedliche Inszenierungsstrategien zur Darstellung von Sodomiten, nichtsdestotrotz teilen sie dieselbe Intention: Der Sodomit bzw. die Sodomie soll dämonisiert und als Werk des Teufels enttarnt werden. Ebendies wird durch die Gleichsetzung bzw. Parallelisierung mit Dämonen (vgl. Abb. 66 und 67) und Hyänen (vgl. Abb. 69) wie auch durch die Fokussierung auf die verdrehte Körperlichkeit der Sodomiten in Bartolos Höllendarstellung (vgl. Abb. 68) erreicht. Hier kristallisiert sich ein für den weiteren Verlauf dieses Kapitels wichtiger Aspekt heraus: Die durch die verschiedenen Strategien zum Ausdruck kommende Monstrosität gerät den Sodomiten zur unausweichlichen Disposition und manifestiert sich in ihrer ›anomalen‹ Geschlechtlichkeit bzw. Sexualität.496 Auch wenn die Konzeption des Sodomiten ab dem 19. Jahrhundert zunehmend durch die neue, vermeintlich wissenschaftlichere Gestalt ›des Homosexuellen‹ ersetzt wird, verschwindet die negative Auffassung von gleichgeschlechtlichem Begehren als ›sündhaft‹ und ›monströs‹ keineswegs. Vielmehr verlagert sich der Diskurs von einer zunächst hauptsächlich religiös motivierten Perspektive zu einem (vermeintlich) wissenschaftlichen Betrachtungsstandpunkt, ohne dabei jedoch eine Neubewertung der männlich-männlichen bzw. weiblich-weiblichen Sexualität vorzunehmen – Vorstreiter wie Ulrichs und Hirschfeld sind eine Ausnahme.497 Gleichgeschlechtliches Verlangen wird fortan entweder als psychische und/oder als körperliche Devianzerscheinung definiert, die je nach Theorie das eine Mal ansteckend und das andere Mal angeboren of Cluny could assail homosexual relations with the simple observation that a man who thus ›dishonors his maleness‹ is ›just like a hyena.‹« (Boswell 1981, S. 143); im Originaltext heißt es: »Plangite secula, plangite singula crimine plena. Mas maris immemor, O furor! O tremor! est ut hyaena.« (Bernard/Pepin 1991, 3. Buch, Vers 183–184, S. 146); Pepin übersetzt die Stelle wie folgt: »Bewail the times, bewail all things full of sin. O madness! O terror! the male, unmindful of his manliness, is like a hyena.« (Ebd., S. 147). 495 Zu den Parallelen zwischen Hyänen und Hexen verweist Pendergraft auf Gordon, Robert L.: Reality, Evocation and Boundary in the Mysteries of Mithras. In: Journal of Mithraic Studies, Heft 3 (1980), S. 19–99; vgl. zudem Pendergraft 1992, S. 76 und S. 78. 496 Gelten die Sodomiten wegen ihrer geschlechtlichen und sexuellen Übertretung als ›Monster‹, gibt es auch Beispiele, die zeigen, dass bereits bloße ›optische Übertretungen‹ der Geschlechterrollen im damaligen Kontext als ›monströs‹ wahrgenommen wurden. Ein Hinweis darauf findet sich z.B. in der kuriosen Hagiographie der hl. Wilgefortis (im süddeutschen Raum auch als hl. Kümmernis bekannt). Laut ihrer Hagiographie handelte es sich bei der Heiligen um eine zum Christentum konvertierten Adelstochter, die sich dem Willen ihres heidnischen Vaters widersetzt hat, eine Zwangsehe einzugehen. Ihrem Flehen nach Erlösung gab Gott nach und ›verunstaltete‹ sie, indem er ihr einen Bart wachsen ließ. Daraufhin verlor der Freier das Interesse und sie wurde von ihrem eigenen Vater zum Tode am Kreuz verurteilt. Darstellungen der hl. Kümmernis zeigen zumeist eine gekreuzigte Frau mit Bart. Von kirchlicher Seite wurde diese Ikonographie aber zunehmen unterdrückt. Siehe hierzu Weckwerth, Alfred: Kümmernis (Kummernus, Ontkommer, Wilgefortis, St. Gwer, Hülpe, Liberatrix, Europia, Caritas u.a.), in: Bober, Jochen et al. (Hg.): Lexikon der christlichen Ikonographie. 7. Band, Ikonographie der Heiligen: Innozenz bis Melchisedech, Rom et al. 1974, Sp. 353–355. 497 Siehe Foucault 1983, S. 47
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ist.498 In diesem Zusammenhang sei erneut auf die von Ordover in American Eugenics (2003) formulierte Feststellung hingewiesen, nach der sich die verschiedenen wissenschaftlichen Erklärungsmodelle (›biologistisch‹, medizinisch und psychologisch) trotz der untereinander bestehenden Widersprüche nicht gegenseitig ablösen, sondern in dem von ›natürlichen‹ Normen bestimmten Diskurs des 19. und 20. Jahrhunderts verschmolzen werden.499 Für die hier verfolgte Argumentation soll Ordovers Beobachtung noch um eine religiöse Dimension erweitert werden, denn die unterschiedlichen wissenschaftlichen Theorien schließen die Konzeption der Homosexualität als Sünde nicht zwangsläufig aus, sondern subsumieren sie. Durch dieses ›additive‹ Verfahren werden ›die Homosexuellen‹ innerhalb des gesellschaftlichen Konstituierungsprozesses zu einer Art Chimäre: Sie werden zu einer uneindeutigen, monströsen Erscheinung und sind zugleich Sündigende sowie Kranke, Kriminielle als auch bedauernswerte Opfer ihrer eigenen Veranlagungen. In dieser zwiespältigen Wahrnehmung, welche die Diskursivierung der Homosexualität bis ins 21. Jahrhundert hinein bestimmt, tritt wiederholt der Kerngedanke des Palimpsests zutage: Obwohl die mittelalterliche Konzeption der Sodomiten nicht kongruent mit ›der neuen Spezies‹ der Homosexuellen ist, fußt die ab dem 19. Jahrhundert voranschreitende Pathologisierung gleichgeschlechtlich Begehrender doch auf einem vergleichbaren Dualismus von ›Gut‹ und ›Böse‹ bzw. ›Norm‹ und ›Abweichung‹. Aus dem sündhaften Sodomiter wird nunmehr ein Patient, dessen ›Erkrankung‹ als Bedrohung für die bestehende Gesellschafts- und Geschlechterordnung verstanden wird; stets positioniert sich dabei eine sich als ›normativ‹ gebärdende Gesellschaft vis-à-vis einer als ›monströs‹ und ›abnorm‹ erachteten Gruppe.500 Hierin offenbart sich das ›Erbe der Sodomiten‹: gleichgeschlechtliches Begehren gilt nun nicht mehr (nur) als Antithese zu Gott, sondern auch zur ›Natur‹. Der Verbotsdiskurs bleibt letztlich unangetastet, vielmehr verlagert sich die Perspektive von einem ehemals sakralen zu einem angeblich wissenschaftlicheren Standpunkt. Vor dem Hintergrund dieses vorrangig von Verachtung und Ablehnung geprägten Diskurses über gleichgeschlechtliches Verlangen sowie ›abweichende‹ Geschlechtsbilder ist auch das aus der Film- und Literaturtheorie übernommene Konzept des ›queeren Monsters‹ zu sehen, anhand dessen nun ein abschließender Bogen in die Gegenwart geschlagen werden soll. Nach Foucault entsteht »Monstrosität«, sobald eine »Überschreitung des Naturgesetzes […] sich auf ein gewisses Verbot des bürgerlichen, religiösen oder göttlichen Rechts bezieht oder es in Frage stellt oder sogar zu der Unmöglichkeit führt, dieses zivile, religiöse oder göttliche Recht in Anwendung zu bringen.«501 Dies trifft gemäß der Etymologie des Begriffs ›Monster‹ – das lat. monstrum, welches auf das gr. téras
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Vgl. Ordover 2003 u.a. S. 74f, S. 77 und S. 85. Vgl. hierzu ebd., S. 102; sowie Kapitel II.2.2. Vgl. dazu auch das Kapitel II.1.3 über Devianz & Queerness. Foucault, Michel: Die Anormalen. Vorlesungen am Collège de France (1974–1975), aus dem Franz. übers. von Michaela Ott und Konrad Honsel, Frankfurt a.M. 2013, S. 87; vgl. auch Parr, Rolf: Monströse Körper und Schwellenfiguren als Faszinations- und Narrationstypen ästhetischen Differenzgewinns, in: Geisenhanslüke, Achim; Mein, Georg (Hg.): Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anormalen, Bielefeld 2009, S. 19–42; hier: S. 22.
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(Wunder, Omen, Monster) verweist und sich vom lat. monere (ermahnen, warnen, erinnern, raten, anweisen) herleiten lässt, steht überdies in einem lexikalischen Konnex mit dem lat. monstrare (zeigen, hinweisen, lehren)502 – sowohl auf ›die Sodomiten‹ als auch auf ›die Homosexuellen‹ zu, da diese durch ihre sexuelle und geschlechtliche ›Abnormität‹ auf die Fragilität der sorgsam konstruierten Rollen von Mann und Frau hinweisen. Sie werden laut Rasmus Overthun als Erscheinungen ex negativo betrachtet, da sie stets nur das Differenzbild zur eigentlich ›richtigen‹ Norm darstellen.503 Im Zuge der Eugenikbewegung wird zwanghaft versucht, dieses Differenzbild anhand von äußeren Faktoren sichtbar zu machen, wobei es zu eklatanten Vermischungen mit anderen Phänomenen wie beispielsweise der Inter- und Transgeschlechtlichkeit kommt.504 Vor dieser Strategie waren auch emanzipatorische Gestalten wie eben Hirschfeld nicht gefeit, der etwa in Anlehnung an Ulrichs Männer und Frauen, deren Begehren sich auf das eigene Geschlecht richtet, als »psychische Hermaphroditen« bezeichnete.505 Entgegen der ursprünglichen Absicht von Hirschfeld und einigen anderen Sexologen werden derartige biologistische Schlussfolgerungen von dem in der westlich-europäischen Gesellschaft vorherrschenden Mann-Frau-Binarismus absorbiert. Dadurch wird eine dementsprechende (Fremd-)Wahrnehmung von Homosexuellen als grenzüberschreitenden »Menschenmonster[n]« befördert, um einen Foucault’schen Begriff zu zitieren, mit dem der Philosoph u.a. ›Hermaphroditen‹ sowie andere geschlechtliche und sexuelle Grenzgänger umschrieben hat.506 Dies hat unweigerlich Konsequenzen für die Selbstwahrnehmung gleichgeschlechtlich orientierter wie auch inter- und transgeschlechtlicher Menschen, wie Nicola Griffith in ihrer Einleitung zur queeren Horroranthologie Bending the Landscape (2001) ganz richtig feststellt: »Lesbians and gay man have, historically, had a fair amount to fear. For a very few, the fear takes the form of becoming the monster
502 Overthun, Rasmus: Das Monströse und das Normale. Konstellationen einer Ästhetik des Monströsen, in: Geisenhanslüke, Achim; Mein, Georg (Hg.): Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anormalen, Bielefeld 2009, S. 43–80; hier: S. 47. 503 Siehe ebd. 504 Ordover verweist auf die Studien von Havelock Ellis, laut denen es einen klar erkennbaren lesbischen Körperbau gäbe. Siehe Ordover 2003, S. 93; Lancaster schreibt dazu: »The emerging field of psychiatry took up the theme of the homosexual body, held to be physiologically distinct from other bodies. Indeed, the notion became central to early sexological concerns. But where Ulrichs had seen benign variation, Richard von Krafft-Ebing and a host of others saw pathological deviation.« (Lancaster 2003, S. 10). 505 Hirschfeld, Magnus: Die objektive Diagnose der Homosexualität. In: Ders. (Hg.): Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen unter besonderer Berücksichtigung der Homosexualität. Leipzig und Berlin 1899, S. 4–35; hier: S. 23; vgl. auch Ordover 2003, S. 83f. 506 Foucault 2013, S. 421ff; es sei auch nochmals auf Hocquenghem hingewiesen, der sich in Das homosexuelle Verlangen ebenfalls zur ›Monstrosität‹ des als pédéraste gebrandmarkten Homosexuellen äußert. Siehe Hocquenghem 1974, S. 14; es sei in diesem Zusammenhang auch die künstlerische Arbeit Nach Magnus Hirschfeld aus dem Jahr 2008 von Hernik Olesen (*1967) erwähnt, in welcher der Künstler auf mehreren Schautafeln kunsthistorische Werke in einen Zusammenhang mit Homosexualität bringt. Auf einer mit »MONSTERS« betitelten Tafel versammelt Olesen Kunstwerke, welche sich nach seiner Lesart mit der Dämonisierung von (Homo-)Sexualität auseinandersetzen. Zu Olesen siehe Kapitel III.3.1.
III. Hauptteil
in their own eyes; for others, it is being regarded as the monster.«507 An ebenjenen Gedanken setzt auch die Queer-Monster-Theorie an, die eine Appropriationsstrategie umschreibt, mittels derer sich nicht-heteronormative Menschen der ihnen kulturell aufoktroyierten Monstrosität ermächtigen und sie umdeuten. Wie sich zeigen wird, handelt es sich um eine Taktik, die insbesondere im Kontext einer wachsenden Reglementierung geschlechtlicher und sexueller Ausdrucksformen von religiöser, rechtlicher wie auch medizinischer Seite an Bedeutung gewinnt. Ein Paradebeispiel queerer Monstrosität meint der Filmwissenschaftler Harry Benshoff unter Verweis auf Sedgwick etwa im Genre der Gothic Novel und ganz besonders in der von Wilde ersannten ambigen Figur des Dorian Gray zu erkennen.508 Dass der ebenso monströse wie queere Dorian – »›To define is to limit‹«, wie der Charakter Lord Henry Wottons passend zum Konzept der Queerness sagt509 – ausgerechnet gegen Ende des 19. Jahrhunderts die literarische Weltbühne betritt, ist wohl als unmittelbarer Ausdruck der Zeit zu verstehen. So war die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur von der mit dem Urbanisierungsprozess einhergehenden Vergrößerung einer zunehmend sichtbar werdenden ›homosexuellen Unterwelt‹ in Metropolen wie London und Paris geprägt, sondern auch von der etwa gleichzeitig einsetzenden öffentlichen Diskursivierung bzw. Problematisierung jener ›neu aufgetauchten Spezies‹ des Homosexuellen.510 Das moralisch ambivalente Bildnis, welches Wilde von seinem Antagonisten zeichnet, spiegelt dieselbe Wechselbeziehung zwischen Gesellschaft und Individuum sowie Selbst- und Fremdwahrnehmung wider, die auch dem Diskurs über männlich-männlichem Begehren und queeren Männlichkeiten zugrunde liegt: Ähnlich wie der ursprünglich unschuldige Dorian Gray durch die Verlogenheit der Londoner Aristokratie und Bourgeoise immer weiter korrumpiert wird, verzerrt sich auch das Bild gleichgeschlechtlichen Verlangens durch den gesellschaftlichen Blick auf die ›neugeborenen‹ Homosexuellen, der beständig
507 Griffith, Nicola; Pagel, Stephen (Hg.): Bending the Landscape. Original Gay and Lesbian Writing, Horror, Woodstock 2001, S. 9; zitiert nach Schanda, Flora; Schoßböck, Judith: Das Queere des Horrors. Sexuelle Identitäten zwischen Transgression und Schrecken, in: Biedermann, Claudio; Stiegler, Christian (Hg.): Horror und Ästhetik. Konstanz 2008, S. 133–149; hier: S. 141; Griffith fügt hinzu: »A monster has no civil rights, deserves no human treatment; few condemn those who treat monsters monstrously.«(Ebd.). 508 Benshoff schreibt hierzu: »[I]t is Wilde’s 1891 book The Picture of Dorian Gray that contains the quintessential imagery of the monster queer – that of a sexually active and attractive young man who possesses some terrible secret which must perforce be locked away in a hidden closet. The common gothic trope of the ›unspeakable‹ was now (partially, incompletely) derepressed; it had become, in the words of Wilde’s young lover Lord Alfred Douglas, ›the love that dare not speak its name.‹« (Benshoff, Harry M.: Monsters in the Closet. Homosexuality and the Horror Film, Manchester und New York 2004, S. 20); zu Benshoffs Auseinandersetzung mit Sedgwick siehe ebd., S. 17. 509 Wilde 2008, S. 187 (Chapter 17). 510 Vgl. Benshoff 2004, S. 18; zwei in dieser Hinsicht bedeutende sexologische Schriften erschienen 1864 (die erste Veröffentlichung aus Ulrichs Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe) respektive 1886 (die Erstpublikation von Richard von Krafft-Ebings Psychopathia sexualis). Vgl. Ulrichs, Karl Heinrich: Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe. I–V, hg. von Hubert Kennedy, Berlin 1994; sowie Krafft-Ebing: Psychopathia sexualis. Stuttgart 1886 (online abrufbar unter: https://archive.org/details/b20421746; zuletzt 05.12.2018).
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zwischen Verdammung, Kriminalisierung und Pathologisierung changiert. Die Gesamtheit dieser Widersprüchlichkeiten manifestiert sich in der Gestalt des ›queeren Monsters‹. An diesen facettenreichen und hier nur kurz angerissenen Topos queerer Monstrosität bzw. monströser Queerness knüpfen die drei zum Abschluss zu betrachtenden Arbeiten von Robert Mapplethorpe, Richard Hawkins und David Altmejd an. Während die Werke von Hawkins und Altmejd (siehe Abb. 72 und 73) aufgrund ihrer eklektischen Zusammensetzung mit der von Victor Frankenstein erschaffenen Kreatur verglichen werden können und demzufolge dem queeren Monster der Gothic Novel näher stehen, referiert Mapplethorpe mit seinem Selbstportrait von 1985 (Abb. 70) auf ein pagan-antikes ›Monster‹, dessen Hybridität zwischen Mensch und Tier im Zuge der Christianisierung zum Symbol für das Böse schlechthin wurde: den Satyr. Das 1985 entstandene Brustportrait Mapplethorpes, welches Teil einer umfangreichen Serie von Selbstbildnissen ist, in denen sich der Künstler mit dem Thema der Identität und deren Wandlung auseinandergesetzt hat, zeigt ihn als gehörnte Gestalt mit nacktem Oberkörper vor einem schwarzen Hintergrund. Mittels dramatischer Schlaglichtbeleuchtung schält sich der Portraitierte aus der Dunkelheit heraus und blickt den Betrachter_Innen entgegen. Die hellen Hörner, die unter dem dunklen Haarschopf hervorragen, setzten sich dabei ebenso kontrastreich ab wie die scharf umrissene Silhouette Mapplethorpes von der tiefschwarzen Umgebung. Der fast weiße Leib des Künstlers reflektiert das Licht auf so intensive Weise, dass es scheint, als würde er leuchten. Das hier vorherrschende Stilmittel des Chiaroscuro verleiht der Fotografie nicht nur eine gewisse malerische Qualität, sondern greift auch das bereits durch die Hörner verbildlichte Motiv des Grenzgängertums auf: Verweisen die Hörner auf ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Mensch und Tier, unterstreicht der starke Hell-Dunkel-Kontrast die visuelle Abgrenzung von Licht und Schatten; Mapplethorpe inszeniert sich damit als doppelter Grenzgänger, der sich zwischen zwei Polpaaren (Mensch und Tier/Licht und Schatten) bewegt. Die darin zum Ausdruck kommende Ambivalenz setzt sich gleichermaßen auf ikonographischer Ebene fort, bedenkt man die Doppeldeutigkeit der Hörner: So sind diese gemäß der christlichen Ikonographie nicht nur ein Attribut des Teufels, sondern galten zuvor etwa als Kennzeichen der aus der antiken Mythologie stammenden Gattung der Satyrn.511 Die dem Gefolge des Dionysos zuzuordnenden Satyrn, hybride Wesen – halb Mensch, halb Ziegenbock – mit oftmals überdimensionierten Geschlechtsteilen, zählen in der Antike zu den Wald- bzw. Naturgeistern und sind Sinnbild für enthemmtes sexuelles Verlangen und orgiastischen Exzess.512 Zu den Satyrn gehört auch der ebenfalls ziegengestaltige Hirtengott Pan, der »vielerorts unter Rückgriff auf die ständige Paarungsbereitschaft der als sexuell besonders aktiv geltenden Ziegenböcke als ithy-
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Siehe Celant 1992, S. 32f; sowie Santorius, Nerina: Das andere Ich. Mephisto als Gegenspieler, in: Kat. Ausst. Du bist Faust. Goethes Drama in der Kunst, Kunsthalle München 2018, München, London und New York 2018, S. 54–73; hier: S. 62. Siehe Westermann, Thilo H. G.: Die Rezeption den Pan-Mythen in der bildenden Kunst zwischen Klassizismus und Moderne. Petersberg 2017, S. 11–15; vgl. zudem Boardman, John: The Great God Pan. The Survival of an Image (29th Walter Neurath Memorial Lectures), London 1997.
III. Hauptteil
phallische Fruchtbarkeitsfigur zur Darstellung [kam].«513 Dass eine derartige Figur wie der Satyr bzw. Pan im Kontext des weitaus rigideren christlichen Sexualitäts- und Körperverständnisses mit dem Bösen bzw. dem Teufel assoziiert und in ikonographischer Hinsicht gar absorbiert wird, begründet sich vor allem in der hier herausgestellten Konnotation mit dem Animalischen, Sexuellen und Ungezähmten.514 So wird aus dem einstigen Gott Pan das Monster schlechthin, ein Gegenbild zum christlichen Gott, dessen ursprüngliche Bedeutung und Motivik erst wieder ab der Renaissance Einzug in den kulturellen Diskurs und die Kunst findet. Mapplethorpe scheint sein Selbstbildnis ganz bewusst in dieser palimpsestartigen Überlagerung von Bedeutungsschichten zu verorten, da er zugleich Satyr und Teufel ist.515 Entgegen der in der Renaissance einsetzenden ›Rehabilitierung‹ des Satyrs behält Mapplethorpe ganz bewusst die historische Vielschichtigkeit des Motivs bei und so »oszilliert [sein Werk] zwischen dem Außenbild von Homosexuellen in der Gesellschaft als diabolisch-infernalische Monster und der narzisstischen Selbststilisierung zum alle Freiheiten und Lustbarkeiten ausschöpfenden, restriktive Sexualnormen verletzenden und sich jeglicher kollektiven sozialen Kontrolle entziehenden Luzifer in romantischer beziehungsweise satyrisch-dionysischer Tradition.«516 Obgleich es sich beim Satyrn auch um ein wiederkehrendes Thema im Œuvre anderer queerer Künstler_Innen, wie z.B. Wilhelm von Gloedens (Abb. 71)517 , handelt, knüpfen diese im Gegensatz zu Mapplethorpe stärker an eine ›purifizierte‹ Vorstellung der mythologischen Gestalt an und inszenieren sie demnach als Ausdruck einer vermeintlich arkadischen Sexualität und Freiheit, die (noch) nicht durch das Christentum kompromittiert wurde. In Mapplethorpes doppelbödiger Selbstinszenierung als ›amoralischer‹ Teufel einerseits sowie als hedonistisches Phantom der Antike andererseits verdeutlicht sich das intrinsische Zusammenspiel von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Die leibliche Hybridität bzw. Ambiguität als derjenige Aspekt, der sowohl den Satyr als auch den Teufel auf visueller Ebene zum Monster macht, erfährt in den Arbeiten von Richard Hawkins und David Altmejd eine Potenzierung bzw. Radikalisierung. Die beiden Künstler imaginieren queere Monstrosität in Form zusammengesetzter Assemblagen (Hawkins) und Plastiken bzw. Skulpturen (Altmejd), die das ›Erbe der Sodomiten‹ – gleichgeschlechtliches Verlangen als Antithese zu Gott bzw. zur ›Natur‹ – mit dionysischem Exzess und der Ästhetik moderner (Body-)Horrorfilme verbinden.
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Ebd., S. 11. Vgl. Lettner, Natalie: Bilder des Bösen? Teufel, Schlange und Monster in der zeitgenössischen Kunst, Bielefeld 2015, S. 156f und S. 180ff; sowie Arasse, Daniel: Bildnisse des Teufels. Berlin 2012, S. 33ff. Oder, wie Germano Celant es ausdrückt: »He is a satyr and a devil, a symbol of pleasure and of a repressed and satisfied lustful libido.« (Celant 1992, S. 33). Lettner 2015, S. 180. Nach Celant ist bekannt, dass Mapplethorpe einen Abzug der Fotografie besaß. Vgl. Celant 1992, S. 33; der Satyr in Verbindung mit männlich-männlichem Verlangen taucht z.B. auch im Titelbild von James Bidgoods Pink Narcissus auf.
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Der 1961 in Texas geborene Hawkins ist ein multimedialer Künstler, der sich u.a. der Medien der Malerei, der Assemblage, der Collage wie auch der Installation bedient. Lisa Dorin beschreibt den ständigen Wechsel der künstlerischen Ausdrucksformen als »[p]romiscuous shifts among styles and mediums [which] continually upend expectations of what his practice should be or do.«518 In dieser stilistischen und medialen Sprunghaftigkeit deutet sich eine fast schon queer zu nennende Verweigerungshaltung an, sich nicht festlegen lassen zu wollen. Als eines der wenigen verbindenden Elemente lässt sich im Œuvre Hawkins’, der bereits als Kind fasziniert von den Ikonen des Horrorgenres war, ein gewisser Hang zu den ästhetischen Strategien des Horrorfilms ausmachen.519 Dies trifft auch auf die hier zu betrachtende und nach einer Hair-Metal-Band der späten 1980er benannten Assemblage (Every Mother’s Nightmare) von 1991 zu (Abb. 72): An eine in Streifen geschnittene, mal hängend und mal liegend ausgestellte Gummimaske sind drei Zeitungsausschnitte mittels Büroklammern befestigt. Die angehefteten Ausschnitte zeigen allesamt junge, langhaarige Männer, bei denen es sich um die vom Künstler favorisierten Mitglieder der titelgebenden Band handelt. Every Mother’s Nightmare gehört zu einer mehrteiligen Werkserie, deren einzelne Arbeiten stets demselben Schema folgen: Der Künstler zerschneidet Halloweenmasken bekannter Horror- und Monsterfiguren (Teufel, Freddy Krueger etc.) und heftet Fotos bekannter Musiker der Heavy-Metal-Szene daran – hypervirile Idealfiguren des damals in der Popkultur vorherrschenden Männlichkeitsbildes –, wobei die jeweiligen Bandnamen den Assemblagen den Titel geben. Mit diesen Arbeiten spricht Hawkins nicht nur Themen wie Identität und Verlangen an, sondern auch die Flüchtigkeit von Ruhm bzw. dem Begehren des Publikums. Den zuletzt genannten Punkt artikuliert etwa Dorin in ihrem Einführungstext zu Richard Hawkins: Third Mind (2010), wenn sie schreibt: »Like a human body, Hawkins’s masks dry, stiffen, and eventually crumble and ›die,‹ mirroring the arch of celebrity and loss of popularity, which these rockers had already begun to experience in the early 1990s.«520 Von besonderem Interesse sind hier allerdings die beiden zuerst genannten Aspekte: Identität und Begehren. Ein immer wiederkehrendes Motiv in den Arbeiten von Hawkins ist der begehrliche männliche Körper, der im Fall von Every Mother’s Nightmare durch die Pin-up-Fotos der Musiker repräsentiert wird. Die Topoi der Begehrlichkeit und Körperlichkeit werden zudem anhand der Materialität der Maske aufgegriffen: Die Textur wie auch die Farbigkeit der Gummistreifen evozieren unweigerlich das Bild von exponiertem Fleisch bzw. Leder, wodurch die Arbeit eine gleichermaßen brachiale, organische und taktile Dimension erhält.
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Dorin, Lisa: Pretty on Top of Pretty. In: Dies. (Hg.): Richard Hawkins: Third Mind, Chicago et al. 2010, S. 9–28; hier: S. 12. 519 In einem Interview spricht Hawkins darüber, was ihn an Figuren des klassischen Horrorgenres, wie z.B. Franksteins Monster fasziniert: »Frankenstein['s creature] because he’s clumsy, shy and misunderstood; Dracula because he’s dandyish, nocturnal and misunderstood« (Hawkins, Richard: An Interview with Richard Hawkins, simultaneously, in: Kat. Ausst. Richard Hawkins. Of two minds, simultaneously, hg. von Ann Demeester, Apple arts center Amsterdam 2007/08, Köln 2009, S. 25–34; hier: S. 25). 520 Dorin 2010, S. 17.
III. Hauptteil
Mit dem Element der Maske verweist der Künstler darüber hinaus explizit auf die Thematik der Identität, besteht die eigentliche Objektfunktion der Maske doch im Verund Enthüllen der eigenen Person, oder um Dorin zu paraphrasieren, in der Möglichkeit mit Identität(en) zu spielen.521 Nun zeichnen die Masken in Hawkins’ Serie zwei Besonderheiten aus: Zum einen handelt es sich um Masken berühmter Monster, zum anderen wurden sie durch das Zerschneiden ihrer ursprünglichen Funktion beraubt. Während Letzteres als ebenso bildhafte wie persönliche Outing-Metapher gelesen werden kann – Hawkins will sich nicht mehr hinter einer Maske verbergen – lässt sich auch in der Wahl der Masken eine selbstreferenzielle Anspielung auf die eigene queere Sexualität entdecken, bedenkt man die Aussage des Künstlers, wonach er sich bereits als Kind mit Monstern wie Frankensteins Kreatur und Dracula identifiziert habe. In diesem Zusammenhang würde auch der Titel der Arbeit, Every Mother’s Nightmare, eine gewisse Doppelbödigkeit erhalten: So könnte man ihn nicht nur als popkulturelle Referenz verstehen, sondern auch im wörtlichen Sinne als Reaktion einer Mutter auf die nicht-normative Sexualität des eigenen Kindes.522 Allerdings ist das Gesicht der Maske infolge ihrer ›Dekonstruktion‹ nicht mehr ohne Weiteres zu erkennen; vielmehr bilden die Gummistreifen nun ein ineinander verschlungenes Geflecht, das einem Netz ähnelt, in dessen Maschen sich die Bilder ebenso begehrenswerter wie unerreichbarer Männer verfangen zu haben scheinen. Hawkins ebenso präzise wie brutale Bearbeitung der Maske erweckt dabei den Eindruck, als haben die Betrachter_Innen das Resultat eines ›Sezierungsprozesses‹ vor Augen. Der ›Befund‹ dieser Inzision: die Offenlegung einer intrinsischen Verflechtung von Identität und Begehren. Folgt man der hier vorgeschlagenen Auslegung weiter, so ergibt sich eine direkte Gegenüberstellung zweier Männlichkeitsbilder: Auf der eine Seite steht eine durch die Maske als ›monströs‹ gekennzeichnete queere Männlichkeit. Auf der anderen Seite repräsentieren die Fotos berühmter Vertreter eines für seine Härte gefeierten Musikstils eine virile und ›ideale‹ Männlichkeit – zumindest nach dem damaligen Geschmack einer westlich orientieren Jugend- bzw. Popkultur, auf welche Hawkins klar Bezug nimmt. Das Œuvre Hawkins’, das Charlie Fox in seinem Artikel Why Frankenstein’s Monster Haunts Queer Art (2017) treffend als »complex wrestling match with the meanings of the Monster« umschreibt, findet auf konzeptueller Ebene Widerhall in den Arbeiten des 1974 in Kanada geborenen Bildhauers David Altmejd.523 Ein verbindendes Element scheint die Assoziation mit Mary Shelleys (1797–1851) unglückseligem Monster sowie dessen Schöpfer Victor Frankenstein zu sein.524 Doch stärker noch als bei Hawkins, 521 Vgl. ebd. 522 Weitere Titel der Serie wie Trixter und Extreme evozieren eine ähnliche rebellische Haltung und können ebenfalls als Anspielungen auf Queerness verstanden werden. 523 Fox, Charlie: Why Frankenstein’s Monster Haunts Queer Art. [13.10.2017] In: The New York Times Style Magazine, https://www.nytimes.com/2017/10/13/t-magazine/art/frankenstein-monster-qu eer-art.html (17.12.2018). 524 Victor Frankenstein schildert die Erschaffung seines Monsters im Sinne einer ›menschlichen Assemblage‹ als Zusammentragen von Materialien: »As the minuteness of the parts formed a great hindrance to my speed, I resolved, contrary to my first intention, to make the being of a gigantic stature; that is to say, about eight feet in height, and proportionally large. After having formed this determination and having spent some months in successfully collecting and
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Queere Männlichkeiten
dessen künstlerisches Agieren hauptsächlich ›handwerkliche‹ Parallelen zu der Figur Victors aufweist – u.a. erinnern seine ›monströsen‹ Assemblagen an das Vorgehen des Protagonisten, welcher seine Kreatur ebenfalls aus verschiedenen ›Bestandteilen‹ zusammensetzt525 –, wirken die eklektischen und oftmals kolossalen Werke Altmejds, als ob sie selbst Kreationen eines größenwahnsinnigen Wissenschaftlers seien: So bewegen sich seine u.a. aus Gips, Kristallen, Spiegeln und ästhetischen Versatzstücken der Taxidermie gefertigten Plastiken beständig zwischen Organik und Anorganik wie auch zwischen Werden und Vergehen. Mit dieser Fokussierung auf Transformation und Transgression greifen die Arbeiten dieselben Motive auf, die auch in Frankenstein; or, The Modern Prometheus (zuerst 1818) von essenzieller Bedeutung sind. Altmejd erweitert die zwei genannten Trans-Präfixe jedoch noch um den Aspekt der ›Transfiguration‹: Anknüpfend an die katholische Bild- und Kunsttradition, strebt der Künstler in seinem Werk nach der Wiedergabe eines ›transfigurativen‹ Zustandes jenseits von Geburt und Tod.526 Zur Visualisierung dieser Idee eines ewigen Kreislaufes lässt der einstige Biologiestudent, dessen anatomisches Wissen bei der Betrachtung seiner Arbeiten mehr als evident wird, beispielsweise Kristalle oder Hände aus seinen fragmentarisch wirkenden Skulpturen wachsen. Er deutet hiermit einen nie enden wollenden transformativen, transgressiven sowie transfigurativen Prozess an.527 Die auf einem gläsernen Podest ausgestellte Plastik The Egg von 2008 (Abb. 73) ist eine charakteristische Arbeit für den Künstler: Zu sehen sind zwei aus Gips gearbeitete und pastellfarbene Figuren, die bestenfalls als ›humanoid‹ zu bezeichnen sind. Der
arranging my materials, I began.« Und weiter: »The dissecting room and the slaughter-house furnished many of my materials; and often did my human nature turn with loathing from my occupation, whilst, still urged on by the eagerness which perpetually increased, I brought my work near to a conclusion.« (Shelley, Mary: Frankenstein; or, The Modern Prometheus, London 2013 (Version von 1831), S. 54 und S. 55f (Chapter 4)). 525 Die Art und Weise wie Frankenstein seine Kreatur aus unterschiedlichen Leichenteilen zusammenstückelt, versinnbildlicht auf ideale Weise die Essenz dessen, was das Wesen des Monsters ausmacht: Zusammengesetzt aus Teilen, die nicht zusammengehören – sei es die Verbindung von menschlichen und tierischen (Medusa etc.) oder von männlichen und weiblichen Elementen (der Androgyn bzw. Hermaphrodit in der gesellschaftlichen Wahrnehmung ab dem 18. Jahrhundert) –, verweist das Monster auf die Gefahren der Transgression hin. Zum Hermaphroditen als ›Monster‹ siehe Foucault, Michel: Das wahre Geschlecht. In: Ders.; Barbin, Herculine: Über Hermaphrodismus. Hg. von Wolfgang Schäffner und Joseph Vogl, Frankfurt a.M. 1998, S. 7–18; hier: u.a. S. 8. 526 Hierzu schreibt Anne Prentnieks: »As a petrified reliquary might hold a fetishistic significance, absorbing and transferring the intentions of centuries of pilgrims, so do Altmejd’s figures flourish (and even blossom) with the internally charged power of their own decay.« (Prentnieks, Anne: Evolutionary Arc. In: Altmejd, David; Kotara, Jason (Hg.): The Flux and the Puddle . New York 2014, S. 14–25; hier: S. 22); vgl. auch Hobbs, Robert: David Altmejd: Beyond the Apocalypse, in: Venero, Isabel (Hg.): David Altmejd. Bologna 2014, S. 196–213; hier: S. 197. 527 Altmejd versucht einen künstlerischen Ausdruck für den physikalischen Energieerhaltungssatz zu finden, wonach Energie zwar verändert, aber nicht vernichtet werden kann. Der Künstler bemerkt hierzu: »My interest in science is the same as my interest in art. I’m interested in things that grow and reproduce, that don’t come from meaning but are able to generate meaning. I’m into making objects that really intensely exist in this world. And for that, I have to give the impression that they are generating energy, or that they are containting an infinite space.« (Zitiert nach Prentnieks 2014, S. 20).
III. Hauptteil
Künstler stellt die beiden Wesen, die anhand ihrer deutlich sichtbaren Genitalien zunächst als ›männlich‹ bezeichnet werden sollen, beim ekstatischen Geschlechtsakt dar – das Werk The Healers von 2008 behandelt ein ähnliches Motiv, wobei sich hier allerdings gleich mehrere Figuren einer dionysischen Orgie hingeben. Während die liegende rosafarbene Männergestalt allem Anschein nach zum Anilingus ansetzt, wird deren überdimensionierter Penis bereits von der rücklings über ihr knienden Gestalt fellationiert. Die ebenso konkrete wie flüchtige Körperlichkeit der hier behelfsmäßig als ›humanoid‹ charakterisierten Plastiken Altmejds ist in Anlehnung an Grosz wohl am treffendsten mit einem Zustand in statu nascendi528 umschrieben: Die ›fließenden‹ Körper(-grenzen) der Figuren scheinen simultan von zahlreichen Händen geöffnet und erweitert bzw. an anderer Stelle wieder geschlossen zu werden. Wendet man den Blick etwa auf den Rücken des Knienden, so tritt auf Höhe der Schultern ein komplett ausgeformtes Handpaar hervor, welches im Hinblick auf die Positionierung an zwei Flügel erinnert, während unwesentlich tiefer ein weiteres Handpaar von innen heraus eine vaginale Öffnung in den Leib reißt. Auch bei der liegenden Figur brechen vielerorts Hände aus dem Körper hervor oder verschmelzen wieder mit ihm – ein beständiges Spiel von Werden und Vergehen, welches auch als bildgewordener Geburtsakt bzw. Genese des Kunstwerks gelesen werden kann. Dieses Nebeneinander von ›männlich‹ und ›weiblich‹ konnotierten Körperteilen und Öffnungen verunklärt die anfängliche Identifizierng der Figuren als ›männlich‹. Altmejd, der sein Werk nach eigenen Aussagen mehr in der Welt der Märchen als der des Horrors verortet529 – zwei durchaus verwandte Genres –, bringt mit den ›inkonsequenten‹ Leibern in The Egg das zum Ausdruck, was Overthun angelehnt an Foucault und Hans Richard Brittnacher als »Körpermonster« bezeichnet.530 Unter diesen Terminus fasst Overthun jene Monster, deren Monstrosität sich laut Brittnacher vorrangig »in ihrer exzessiven Abweichung von der Norm physischer Integrität« zusammen.531 Diese ›exzessive Abweichung‹ der (Körper-)Monster konkretisiert Michael Toggweiler wie folgt: »[Als] Wesen des Mangels oder des Überflusses […] bestehen [Monster] zwar aus uns vertrauten Teilen, aber sie bilden damit Formen des ›Nicht‹, ihre scheinbar beliebig zusammengewürfelten Körper sind wie eine Parodie auf alles, was wir kennen. In diesem Sinn sind Monster negative Wesen. Ihre Monstrosität beruht auf dem Verstoss (sic!) gegen die gängige Norm.«532
528 Vgl. Grosz 1995, S. 184. 529 Vgl. hierzu Glazek, Christopher: Taking Control of the Nightmare: David Altmejd’s Dream Work, in: Venero, Isabel (Hg.): David Altmejd. Bologna 2014, S. 104–107; hier: S. 105. 530 Overthun 2009, S. 53. 531 Brittnacher, Hans Richard: Ästhetik des Horrors. Gespenster, Vampire, Monster, Teufel und künstliche Menschen in der phantastischen Literatur, Frankfurt a.M. 1994, S. 183; vgl. auch Overthun 2009, S. 53ff. 532 Toggweiler, Michael: Kleine Phänomenologie der Monster. [Januar 2008; zuletzt geändert 2013] in: Kobi, Madlen et al. (Hg.): Arbeitsblatt Nr. 42, Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern, Bern 2008 (Nachbearbeitung 2013), https://boris.unibe.ch/38147/1/42korrNetzversion.pdf (21.12.2018), S. 25; Overthun zitiert in seinem Aufsatz ebenfalls Toggweiler, jedoch aus der älteren Textversion von 2008. Siehe Overthun 2009, S. 50f.
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Diese Definition scheinen die Kreationen Altmejds sogar noch zu übertreffen, da sie zugleich ›Wesen des Mangels und des Überflusses‹ sind – was an einer Stelle fehlt, manifestiert sich andernorts als handartiger Auswuchs. Obwohl es sich bei den Figuren in The Egg angesichts ihrer nicht-normativen Körperlichkeit demzufolge um ›(Körper-)Monster‹ handelt, sind sie entgegen der Aussage Toggweilers nicht als negativ zu verstehen. Vielmehr unterwandert Altmejd in seinen Arbeiten sämtliche Konventionen und entbindet seine ›monströse Ästhetik‹ von jedweder moralischen Wertung.533 Losgelöst von der jahrhundertelangen Darstellungstradition gleichgeschlechtlich Begehrender als ›sodomitische Monster‹ steht hier nun nicht mehr deren Moralisierung im Vordergrund, sondern die ›Transfiguration‹ eines queeren Sexaktes. Auch wenn Altmejd sich auf den ersten Blick der visuellen Sprache des Monsters bedient, invertiert er die ursprüngliche Bedeutung und erhebt sie in eine gänzlich neue Sphäre: Der Künstler zelebriert eine transfigurative sexuelle Erfahrung, die ganz im Sinne der Queer-Theory sämtliche Körper- und Gesellschaftsgrenzen durchbricht und auflöst. Mit dieser Verqueerung ›sodomitischer Monstrosität‹ gelingt es Altmejd, ein besonders eindringliches Bild queerer Selbstund Fremdwahrnehmung zu zeichnen, welches ebenso wie der Diskurs über gleichgeschlechtliches Begehren von palimpsestartigen Überlagerungen und intrinsischen Widersprüchen geprägt ist.534 Das ›Erbe der Sodomiten‹ äußert sich in allen drei hier besprochenen Beispielen des 20. und 21. Jahrhunderts als eine Verzerrung der Fremd- und Selbstwahrnehmung von Homosexuellen, die dem jahrhundertlangen Verbotsdiskurs über gleichgeschlechtliches Begehren verschuldet ist. Obschon sich die drei Arbeiten in vielen Gesichtspunkten unterscheiden, verbindet sie doch eine ähnliche künstlerische Strategie: Sowohl in der Selbstinszenierung Mapplethorpes als Satyr wie auch in den Frankenstein’schen Assemblagen bzw. Skulpturen von Hawkins und Altmejd wird die Konzeption ›sodomitischer Monstrosität‹ nicht einfach nur appropriiert, sondern stets auch problematisiert bzw. ironisiert. Die ästhetischen und thematischen Anspielungen auf die Figur des Sodomiten werden hierbei einer tradierten moralischen Bewertung enthoben, wodurch aus dem ehemaligen Sinnbild einer christlichen Verbotsübertretung ein ambivalentes und konfliktreiches Bild queerer Emanzipation wird.
III.2.2 Amicitia: Saul, David und Jonathan – Jesus und Johannes – erastês und erômenos? Wie schon dargelegt wurde, unterscheidet man im christlich geprägten Diskurs zwei verschiedene Arten männlich-männlichen Begehrens: Auf der einen Seite steht die Sodomie als verbotenes Pendant zum amor carnalis. Dementgegen steht auf der anderen Seite
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Altmejd erläutert hierzu: »I see my work as post-apocalyptic. The basis is disaster, but then it’s about how things grow on top of that. There’s nothing negative in my work.« (Zit. nach Hobbs 2014, S. 196). 534 Glazek führt die Inspiration für Altmejds queeres Werk auf die Klarträume zurück, welche der Künstler bereits in jungen Jahren erlebte und in denen er sich auch mit seiner eigenen Sexualität konfrontiert sah. Vgl. Glazek 2014, S. 105.
III. Hauptteil
die sublimierte und daher erlaubte amicitia, eine christliche Weiterführung des amor spiritualis.535 Der vielschichtige Terminus der amicitia taucht jedoch nicht erst im christlichen Mittelalter auf, sondern war schon im Römischen Reich gebräuchlich und erlangte u.a. durch Ciceros Laelius de amicitia (auch schlicht De amicitia genannt, um 44 v. Chr.) besondere Prominenz als Umschreibung für eine innige, seelisch-geistige Freundschaft.536 In der an seinen Freund Titus Pomponius Atticus adressierten Schrift definiert Cicero (106–43. v. Chr.) diese wie folgt: »Est enim amicitia nihil aliud nisi omnium divinarum humanarumque rerum cum benevolentia et caritate consensio«.537 Auf diese Definition der Freundschaft stützt sich auch der Zisterziensermönch Aelred von Rievaulx (1110–1167), welcher mit seiner Schrift De spirituali amicitia (zwischen 1164 und 1167) Ciceros Ideen und Vorstellungen für das Christentum aufbereitet.538 Obwohl Aelred in allen wesentlichen Punkten Cicero folgt, merkt er dennoch an, dass dieser die eigentliche Essenz der Freundschaft bzw. der amicitia verkennt, weil er, so resümiert Ulrich Köpf, »ihren Grund und ihr Ziel, nämlich Christus, nicht gekannt habe.«539 Trotz dieser signifikanten Differenz stehen sowohl bei Cicero als auch bei Aelred männlich-männliche Freundschaften im Vordergrund.540 Bekannte Freundespaare wie Achilles und Patroklos 535
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Zur amicitia siehe Kapitel II.2.1; zur gesellschaftlichen Rolle der amicitia im Frühmittelalter siehe die umfassende Arbeit von Verena Epp, in welcher sie auch auf die Kritik gegenüber Boswell eingeht, dem eine »Vernachlässigung der Möglichkeit von Freundschaften ohne erotische Komponente« vorgeworfen wird. (Epp, Verena: Amicitia: Zur Geschichte personaler, sozialer, politischer und geistlicher Beziehungen im frühen Mittelalter, Stuttgart 1999, S. 89); zur amicitia in der Kunst vgl. Baader, Hannah: Das Selbst im Anderen. Sprachen der Freundschaft und die Kunst des Porträts 1370–1520, Paderborn 2015 u.a. S. 137ff; zum Thema enger Männerfreundschaften siehe auch Pfisterer 2008 u.a. S. 258ff. Die Römer verwendeten den Begriff der amicitia auch, um eine politische Beziehung zwischen verschiedenen Fraktionen zu bezeichnen. Dieser Facettenreichtum an verschiedenen Bedeutungen der amicitia bleibt auch im Mittelalter bestehen. Siehe hierzu Köpf, Ulrich: Das Thema der Freundschaft im abendländischen Mönchtum bis zum 12. Jahrhundert, in: Appuhn-Radtke, Sibylle; Wipfler, Esther P. (Hg.): Freundschaft. Motive und Bedeutungen, München 2006, S. 25–44; hier: S. 25. Cicero: Laelius de amicitia. Hg. von Carl F. W. Müller, Leipzig 1884, VI, 20 (online abrufbar unter: http://forumromanum.org/literature/cicero/amic.html#20; zuletzt 07.01.2019); deutsche Übersetzung NM: »Die Freundschaft ist aber nichts anderes, als die vollkommenste Übereinstimmung in allen sowohl göttlichen als auch menschlichen Dingen, verbunden mit Wohlwollen und gegenseitiger Liebe.« Zur Datierung siehe Dutton, Marsha L.: Introduction. In: Aelred of Rievaulx: Spiritual Friendship. Hg. von ders. und übers. von Lawrence C. Braceland, Collegeville (Minnesota) 2010, S. 13–50; hier: S. 22. Köpf 2006, S. 37; Köpf bezieht sich in den Fußnoten auf diese relevanten Stellen aus dem Werk Aelreds: »Quid enim sublimius de amicitia dici potest, quid uerius, quid utilius, quam quod in Christo inchoari, et secundum Christum produci, et a Christo perfici debeat probetur.« (Aelred von Rieval: Über die geistliche Freundschaft. Lateinisch – deutsch, übers. von Rhaban Haacke, Trier 1978, I, 10 (S. 8)); die deutsche Übersetzung: »Was kann man Schöneres, Wahreres, Heilsameres über die Freundschaft lehren, als dass sie in Christus ihren Beginn, in Christus ihren Fortgang, in Christus ihre Vollendung erhält?« (Ebd., S. 9). Cicero schreibt stets nur von tugendhaften Männern und deren Potential für ›wahrhaftige Freundschaft‹: »Qui autem in virtute summum bonum ponunt, praeclare illi quidem, sed haec ipsa virtus amicitiam et gignit et continet nec sine virtute amicitia esse nullo pacto potest. Iam virtutem ex consuetudine vitae sermonisque nostri interpretemur nec eam, ut quidam docti, verborum ma-
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Queere Männlichkeiten
oder David und Jonathan bzw. Jesus und Johannes verkörpern die ›Idealform‹ der amicitia: eine homosoziale Verbindung zweier gleichgestellter Männer.541 Es ist insbesondere diese Fokussierung auf männlich-männliche Beziehungen sowie Aelreds Aussagen über seine eigene Vergangenheit, die John Boswell dazu veranlasst haben, den Mönch als ›homosexuell‹ bzw. ›gleichgeschlechtlich orientiert‹ zu charakterisieren.542 Im Prolog zu De spirituali amicitia berichtet Aelreds Folgendes: »Cum adhuc puer essem scholis, et sociorum meorum me gratia plurimum delectaret, et inter mores et vitia quibus aetas illa periclitari solet, totam se mea mens dedit affectui, et deuouit amori; ita ut nihil mihi dulcius, nihil iucundius, nihil utilius quam amari et amare videretur.«543 Obschon Boswells Behauptung angesichts solcher Äußerungen durchaus plausibel erscheint und darüber hinaus durch eine breite Auseinandersetzung mit den Schriften Aelreds gestützt wird544 , wäre darauf hinzuweisen, dass der Mönch bereits in dem früheren Traktat Speculum charitatis bzw. De speculo caritatis eine klare Unterscheidung zwischen fleischlicher und geistiger ›Liebe‹ trifft:
gnificentia metiamur virosque bonos eos, qui habentur, numeremus, Paulos, Catones, Galos, Scipiones, Philos; […] Talis igitur inter viros amicitia tantas opportunitates habet, quantas vix queo dicere.« (Cicero 1884, VI, 20ff) deutsche Übersetzung (NM): »Diejenigen dagegen, die in der Tugend das größte Gut finden, haben eine vortreffliche Ansicht; allein ebendiese Tugend ist es, der die Freundschaft ihr Dasein und ihre Erhaltung verdankt; und ohne Tugend ist überhaupt die Freundschaft auf keine Weise vorstellbar. Wir wollen uns die Tugend so denken, wie man sie nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch des gemeinen Lebens bestimmt, ohne sie nach der Art gewisser Philosophen in einem überspannten Wortgepränge darzustellen; und wir wollen unter die tugendhaften Männer diejenigen zählen, die wirklich als solche gelten, Männer wie Paulus, Cato, Galus, Scipio und Philus. […] Unter derartigen Männern hat die Freundschaft unaussprechliche Vorteile.« 541 In Über die geistliche Freundschaft werden u.a. sowohl Orestes und Pylades als auch Jesus und Johannes als Paradebeispiele für ›wahrhaftige Freundschaft‹ erwähnt. Vgl. Aelred 1978, I, 28 und I, 69 (S. 12 und S. 24). 542 Boswell 1981, S. 222. 543 Aelred 1978, Prolog, 1 (S. 2); vgl. auch Boswell 1981, S. 222 (Fußnote 43); deutsche Übersetzung: »Als ich noch Kind war und zur Schule ging, wo ich mich sehr freute, weil meine Gefährten mich gern hatten, in einem Alter, das zwischen Tugenden und Lastern hin und her schwankte, ergab ich mich ganz den Neigungen und setzte alles auf die Liebe. Nichts Süßeres, nicht Erfreulicheres, nichts Heilsameres gab es für mich als Lieben und Geliebtzuwerden (sic!).« (Aelred 1978, S. 3); vgl. auch die englische Übersetzung, welche den Aspekt der Homoerotik stärker betont: »While I was still a boy at school, the charm of my companions gave the greatest pleasure. Among the usual faults that often endanger youth, my mind surrendered wholly to affection and became devoted to love. Nothing seemed sweeter to me, nothing more pleasant, nothing more valuable than to be loved and to love.« (Aelred of Rievaulx: Spiritual Friendship. Hg. von Marsha L. Dutton und übers. von Lawrence C. Braceland, Collegeville (Minnesota) 2010, S. 53). 544 Vgl. Boswell 1981, S. 222f; Epp macht hierbei auf die Kritik an Boswell aufmerksam, welchem u.a. »Extrapolation« vorgeworfen wird, sowie die Tatsache, dass er die Existenz »von Freundschaften ohne erotische Komponente« ignorieren würde (Epp 1999, S. 89); obgleich Boswells Hang zur ›Homosexualisierung‹ des Mittelalters tatsächlich problematisch erscheint, tätigt er keine allumfassende Aussage über die amicitia an sich, sondern konzentriert sich auf ganz spezifische Beispiele.
III. Hauptteil
»Sed amare, inquis, et amari, quid tranquillius. Siquidem in Deo, et propter Deum, non improbo, imo et probo plurimum. At si secundum carnem vel mundum, cerne quot invidiæ, quot suspiciones, quot zelantis animi urentia flagra quietem mentis excludunt. Quod si nihil horum evenerit, mors quam experiri omnes habent, hanc dirimet unitatem; dolorem viventi, poenam importabit discedenti.«545 Trotz etwaiger gleichgeschlechtlicher Erfahrungen definiert Aelred die amicitia demnach zwar als leidenschaftliche, aber als rein geistige bzw. selbstlose ›Liebe‹ im Sinne der Agape und grenzt sie somit scharf von der verdammungswürdigen Sodomie ab.546 Jedwedes fleischliches Verlangen muss demzufolge unterdrückt bzw. ›sublimiert‹ werden.547 Mit seinen Schriften prägt der Mönch letzten Endes nicht nur die monastische Konzeption der amicitia, sondern die christliche bzw. mittelalterliche Auffassung im Allgemeinen. Doch wie Boswell anmerkt, wird die intrinsisch mit dem Mönchsleben verbundene Idee der amicitia bzw. der ›leidenschaftlichen Freundschaft‹ vor allem im klösterlichen Umfeld beschworen, um männlich-männliche Beziehungen zu ›regulieren‹.548 Im Folgenden soll die visuelle Umsetzung der christlichen amicitia am Beispiel einiger Freundespaare aus dem Alten und Neuen Testament untersucht werden.549 An ers545 Aelred von Rievaulx: Speculum Charitatis. In: Ders.: Patrologoiae cursus completus: Beati Aelredi abbatis Rievalensis opera omnia. Hg. von Jacques Paul Migne, Brepols und Turnhout 1965, S. 501–612; hier: Liber I, Caput XXV (S. 528); deutsche Übersetzung: »Aber – sagst du – was gibt größere Ruhe als lieben und geliebt werden? Wenn du es in Gott und um Gottes willen tust, habe ich nichts dagegen, ja, ich bin sogar ganz dafür. Wenn aber deine Liebe fleischlich oder rein irdisch ist, bedenke einmal, wie viel Neid, wie viel Verdacht, wie viele brennende Flammen der Eifersucht dann die Ruhe der Seele verjagen! Und selbst, falls nichts Derartiges vorkommt, so wird doch der Tod, den alle kosten müssen, diese Einheit zerreißen und für den Lebenden Schmerz und für den Verscheidenden die Strafe bringen.« (Aelred von Rievaulx: Spiegel der Liebe. Übers. von Sr. M. Hildegard Brem und hg. von der Zisterzienserinnen-Abtei CH-6274 Eschenbach, Eschenbach 1989a, Buch I, Kapitel 25, 71 (S. 96)). 546 Vgl. Boswell 1981, S. 223; vgl. auch Köpf 2006, S. 35f sowie S. 43 (Fußnote 116); Köpf bezieht sich hier ebenfalls auf die zuvor zitierte Stelle aus Speculum charitatis, wobei er sie in den Fußnoten fälschlicherweise dem Traktat De spirituali amicitia zuschreibt; zum Konzept der Agape in Aelred siehe Conolly, Brian W.: Mirror of Charity: A Reflection of Aelred’s Humane Spirituality. In: Mystics Quarterly, Vol. 16, Nr. 3 (September 1990), S. 123–132; hier: S. 127f. 547 Aelred schreibt in Speculum charitatis hierzu weiter: »Wer daher die Freude hat, eine Freundschaft zu genießen, achte darauf sie im Herren zu genießen (vgl. Philemon 20), nicht in der Welt, nicht in fleischlicher Lust, sondern in der Freude des Geistes.« (Aelred 1989a, Buch III, Kapitel 40, 111 (S. 256)). 548 Bei Boswell heißt es: »During the early Middle Ages the type of ›passionate friendship‹ familiar to the early church was common and comprised the subject matter of much clerical writing, including almost all of the love poetry of the period. In a society in which there was strong pressure for celibacy, particularly among theologians and regular clergy, and in which communities of celibates occupied the same small space – sometimes the same beds – for life, it is hardly surprising that literature celebrating passionate, if not erotic, friendships would gain a powerful hold on the imagination. The loving relation of teacher and student in religious communities was very much a medieval ideal, despite its obvious parallel to Greek homosexuality« (Boswell 1981, S. 188). 549 Zu Beginn steht die komplexe Beziehung zwischen König Saul und David, die anhand jeweils eines Werks von Rembrandt (Abb. 74) sowie von Ernst Josephson (Abb. 75) und Julius Kronberg (Abb. 76), zwei weniger bekannte schwedische Maler des 19. Jahrhunderts, besprochen werden soll. Da-
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ter Stelle steht die Beziehung zwischen König Saul und seinem Diener/Ziehsohn David. Das Alte Testament (1 Sam 16–19) schildert, dass der von Gott mit ›Melancholie‹ gestrafte König durch das Harfenspiel des jungen David kurzzeitige Linderung erhielt. Doch, so heißt es weiter, habe alsbald Eifersucht vom Oberhaupt der israelischen Stämme Besitz ergriffen und der einstige Liebling wurde zum geächteten Feind: »Der Krieg ging weiter, und David zog wieder gegen die Philister in den Kampf. Er brachte ihnen eine schwere Niederlage bei, und sie ergriffen die Flucht. Doch wieder kam vom Herrn ein böser Geist über Saul, während er in seinem Haus saß und den Speer in der Hand hielt und David auf der Zither spielte. Da versuchte Saul, David mit dem Speer an die Wand zu spießen; aber er wich Saul aus« (1 Sam 19, 8–10) In einer Darstellung dieser Bibelpassage von Rembrandt van Rijn (1606–1669) sehen wir den Moment kurz vor dem Attentat – das lässt zumindest der vergrämte Gesichtsausdruck Sauls vermuten (Abb. 74).550 Dramatisch beleuchtet blickt die ›orientalisch‹ gekleidete und bärtige Gestalt mit argwöhnischem Blick auf den musizierenden Jüngling zur Linken, der lediglich als angeschnittene und schattenhafte Silhouette in das Bild ragt. In seiner rechten Hand hält der König den suggestiv zwischen den Beinen hervortretenden Speer fest umschlossen, so als ob er im Begriff sei, die Waffe gegen seinen Zögling zu erheben. Der zu Füßen Sauls sitzende und gänzlich in sein Harfenspiel versunkene David, dessen knabenhafte Züge trotz seiner schemenhaften Darstellungsweise erkennbar sind, scheint sich der feindlichen Gefühle seines Gegenübers (noch) nicht bewusst zu sein. Dieses spannungsgeladene Beziehungsgeflecht visualisiert Rembrandt in seinem Gemälde, indem er den Blick der Betrachter_Innen zugleich auf den im Bildzentrum befindlichen Speer sowie die linkerhand ins Bild hineinragende Harfe lenkt. Die Positionierung beider Objekte spielt dabei auf eine ›phallische Machtsymbolik‹ im Lacan’schen Sinne an:551 Demnach wäre der Speer sowohl ein Symbol für Sauls ›herrscherliche Potenz‹, als auch ein Emblem für die zwiespältige Beziehung zu David, denn während der König die Jugend und das Talent seines Günstlings einerseits begehrt, nimmt er
nach richtet sich der Blick zum einen auf das Verhältnis zwischen David und Jonathan – wieder bei Rembrandt (Abb. 78) und in einer Manuskriptillumination (Abb. 77) sowie einem Gemälde von Frederic Leighton (Abb. 79) – und zum anderen auf deren neutestamentliche Entsprechung Jesus und Johannes (Abb. 80). Entscheidend für die Werkanalysen sind zwei Aspekte: Erstens soll hinsichtlich des der gesamten Arbeit zugrundeliegenden Palimpsestgedankens eruiert werden, inwiefern sich die christlichen Darstellungen der amicitia an antiken Vorbildern orientieren. Zweitens geht es auch darum zu untersuchen, welche Rolle der amicitia im Kontext eines queeren Motivkanons zukommt. Der zuletzt genannte Punkt soll an drei weiteren Werken des 20. (Abb. 81 und Abb. 83) bzw. 21. Jahrhunderts (Abb. 82.1) veranschaulicht werden. 550 Vgl. Bruyn, Josua et al.: A Corpus of Rembrandt Paintings, Band I, 1625–1631, The Hague, Boston und London 1982, S. 263; für mittelalterliche Umsetzungen des Themas vgl. Hourihane, Colum (Hg.): Between the Picture and the Word. Manuscript Studies from the Index of Christian Art, University Park 2005, Abb. 111 (Drei Szenen aus dem Leben Sauls, Ms. M 638, Fol. 30v, Pierpont Morgan Library, New York) und Abb. 190 (Ms. M 730, Fol. 39r, Pierpont Morgan Library, New York). 551 Vgl. Lacan 2001b, S. 1302–1310.
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sie gleichzeitig als Gefährdung seiner Herrschaft wahr.552 Der phallische und energisch umgriffene Speer visualisiert nach dieser Lesart Sauls ebenso bedrohte wie bedrohliche Macht, an die er sich verzweifelt zu klammern scheint. Die nicht minder phallische Harfe, die aus dem Körper Davids herauszuwachsen scheint, stünde dementgegen für die ›aufsprießende Potenz‹ des zukünftigen Königs von Israel. Die kompositorische Gegenüberstellung des bezeichnenderweise durch eine Waffe repräsentierten Machtanspruchs Sauls und der ins Bild drängenden Harfe, die den Aufstieg Davids präfiguriert, knüpft damit letztlich an eine bereits im Mittelalter gängige Bildtradition an, nach welcher die beiden alttestamentlichen Figuren als Gegensatzpaar gesehen wurden: Saul als schlechter König, der an seiner Herrscheraufgabe scheitert, und David als guter und reumütiger König, der stets dem Willen Gottes folgt.553 Der Umstand, dass Rembrandt in einer weiteren ihm zugeschriebenen Version dieses Themas den Speer erneut zwischen den Beinen Sauls platziert, unterstreicht die Annahme einer ›phallischen Machtsymbolik‹.554 Bemerkenswert an der um 1659 entstandenen Version, die sich heute im Mauritshuis Museum in Den Haag befindet, ist ein kleiner, aber eklatanter Unterschied: Anders als in dem um 1630 entstandenen Gemälde hält Saul den Speer nicht fest in seiner Hand, vielmehr scheint er sich auf ihn zu stützen – ein Zeichen für die schwindende Kraft und damit Macht des Königs?555 Aus rein typologischer Perspektive gleichen sich die beiden Versionen jedoch sehr stark, da Rembrandt in beiden Fällen auf die in der Antike tradierten Typen des erastês (der bärtige, ältere König) und des erômenos (der knabenhafte David) zurückgreift, obschon die künstlerische Absicht wohl in der Betonung des hierarchischen Gefälles zwischen den Figuren liegen dürfte. Dieser päderastischen Typologie, welche fast alle künstlerischen Umsetzungen des Sujets durchzieht, folgt auch der schwedische Maler Ernst Josephson (1851–1906) in seinem 1877 entstandenen Gemälde (Abb. 75).556 Mit entblößtem Oberkörper und nach oben gewandtem Blick spielt ein jünglingshafter David auf seinem Instrument vor einem fast die gesamte rechte Bildhälfte einnehmenden Saul, der in sich zusammengefallen mit 552 In Anbetracht der Tatsache, dass David ihn tatsächlich als Herrscher beerben wird, scheinen sich Sauls Befürchtungen zu bewahrheiten. Vgl. Bal, Mieke: Reading »Rembrandt«. Beyond the WordImage Opposition, Cambridge et al. 1991, S. 355ff (Bal bezieht sich hier allerdings auf die Version von 1659). 553 Siehe hierzu Guest, Gerald B.: Between Sauld and David: Picturing Rule in the Morgan Library Old Testament, in: Hourihane, Colum (Hg.): Between the Picture and the Word. Manuscript Studies from the Index of Christian Art, University Park 2005, S. 72–80; hier: S. 74ff. 554 Zur Zuschreibung vgl. Kat. Ausst. Rembrandt, oder nicht? Die Gemälde, Hamburger Kunsthalle 2000/2001, Hamburg 2000, S. 80; und Wright, Christopher: Rembrandt. München 2000, S. 110, Abb. 94. 555 Vgl. Bal 1991, S. 356. 556 Zu Josephson vgl. Schneede, Uwe M.: Ernst Josepshon: Lebensdaten, in: Kat. Ausst. Vor der Zeit: Carl Fredrik Hill/Ernst Josephson – Zwei Künstler des späten 19. Jahrhunderts, Kunstverein Hamburg, Städt. Galerie im Lenbachhaus München und Württ. Kunstverein Stuttgart 1984/1985, Hamburg 1984, S. 129–133; sowie Zennström, Per-Olov: Ernst Josephson. En studie, Lund 1978, S. 59ff; siehe überdies Mesterton, Ingrid: Ernst Josephson. In: Kat. Ausst. Ernst Josephson. 1851–1906 Bilder und Zeichnungen, Städtisches Kunstmuseum Bonn und Museum Bochum 1979, Bochum-Wattenscheid 1979, keine Seitenangaben.
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finsterem Gesichtsausdruck den Klängen der Harfe lauscht. Am rechten unteren Bildrand ragt eine glänzende Speerspitze ins Bild hinein, die auf den Phallus Davids verweist und damit auf die vermeintliche Bedrohung, die von seiner Person ausgeht. Stärker noch als etwa bei Rembrandt referiert Josephsons Bild insbesondere mit der spärlich bekleideten Gestalt Davids auf päderastische Motive der Antike. Doch die wohl ›erotischste‹ Umsetzung stammt von Julius Kronberg (1850–1921), einem Zeitgenossen und Landsmann Josephsons, der seinen ephebischen David nicht nur in ein knappes Pantherfell hüllt (Abb. 76), sondern ihn im Gegensatz zu allen anderen hier vorgestellten Versionen auch in direkten Blickkontakt mit dem über ihm auf einem Triclinium thronenden Saul setzt.557 Das Pantherfell gilt als Attribut des Dionysos/Bacchus und könnte in dem vorliegenden Gemälde als Hinweis auf eine mögliche erotische Interpretation verstanden werden. Wendet man den Blick zu Saul, welcher den Speer bereits griff- bzw. wurfbereit in der rechten Hand hält, so fällt besonders dessen verdrehte Körperhaltung auf: Während der auf den Armen abgestützte Oberkörper eine gewisse Lethargie ausstrahlt, erweckt das über die Kante des Tricliniums hängende linke Bein den Eindruck, als ob der König jeden Moment aufspringen würde. In dieser Pose drückt sich jedoch nicht nur der innerliche Konflikt Sauls aus, sondern der Künstler erzeugt damit auch eine auffällige körperliche Intimität, da er den linken Fuß Sauls in unmittelbare Nähe zu David rückt. Dies ist insofern bemerkenswert, als sowohl Rembrandt als auch Josephsons in ihren Kompositionen hingegen die Distanz zwischen den Figuren hervorgehoben haben. Obzwar die untersuchten Darstellungen Sauls und Davids durchaus homoerotische Elemente wie etwa recht unverhohlene Anspielungen auf die antike Päderastie enthalten, kann eine Einbettung in den Kontext dieser Arbeit nur unter größtem Vorbehalt erfolgen. In dieser istoria steht nicht die gleichgeschlechtliche Begehrlichkeit – sei sie rein freundschaftlicher oder erotischer Natur – sondern die Missgunst und der Wahnsinn des Königs im Vordergrund.558 Verbleibt die Beziehung zu Saul ambivalent, so kann über das vertrauliche Verhältnis zwischen David und Jonathan, dem Sohn Sauls, kein Zweifel bestehen, waren die beiden doch untrennbar und beschworen wiederholt ihre ›Liebe‹ füreinander (1 Sam 18,1-4). Selbst nachdem sich König Saul gegen seinen ehemaligen Diener und Günstling gewandt hatte, weicht Jonathan nicht von seiner Seite und büßt dafür letztlich mit dem Leben. Von großer Trauer ergriffen, lamentiert David über den Verlust seines Freundes: »Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonatan. Du warst mir sehr lieb. Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen.« (2 Sam 1, 25–27)559 Im Klagelied Davids enthüllt 557
Zu Kronberg vgl. Lundwall, Sten: Julius Kronberg och den europeiska idealismen. In: Konsthistorisk Tidskrift, Nr. 32 (1963), S. 34–55. 558 Keilson-Lauritz schreibt, dass das Paar Saul und David »eine relativ bescheidene Rolle« im Kanon schwuler Ikonen spiele (Keilson-Lauritz 1997, S. 30). 559 An dieser Stelle soll noch auf die bemerkenswerten Parallelen zu dem über viertausend Jahre alten Gilgamesch-Epos aus Mesopotamien hingewiesen werden, in welchem die Beziehung zwischen dem titelgebenden Gilgamesh, dem Herrscher über die Stadt Uruk, und seinem Freund Enkidu auf ähliche Weise beschrieben wird, wie das Verhältnis zwischen David und Jonathan. In einer 2005 veröffentlichten Monographie analysiert und vergleicht die Bibelwissenschaftlerin Sus-
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sich eine ›reine Liebe‹, wie sie auch in der Rede von Sokrates im Symposion beschrieben wird.560 David und Jonathan werden zum Paradigma der amicitia.561 Auf einer illuminierten Manuskriptseite der Somme le roi (um 1300), die ursprünglich als moralisches Leitwerk für den französischen König Philipp III. angefertigt wurde und Szenen des Alten Testaments mit ihren entsprechenden Allegorien paart, werden David und Jonathan im linken unteren Bildfeld in inniger Umarmung dargestellt (Abb. 77).562 Da es sich bei Jonathan um einen Königssohn handelt, wird er wohl durch die bekrönte, etwas ältere Figur repräsentiert, und bei dem blond gelockten Jüngling handelt es sich folglich um David. Ihnen gegenüber zeigt der Buchmaler die Attentatsszene des eifersüchtigen Saul, der bereits den Speer zum Angriff erhoben hat. In Korrespondenz zu diesen Szenen finden sich darüber die allegorischen Figuren der Freundschaft (Ammitié, links) und des Hasses (Hainne, rechts). Auch Rembrandt nahm sich der biblischen Gestalt Davids wiederholt an und zeigt ihn in einem Gemälde aus dem Jahre 1642 kurz vor seiner Flucht vom Hofe Sauls bei der emotionalen Verabschiedung von seinem treuen Gefährten Jonathan (Abb. 78).563 Die beiden in prunkvoll ›orientalisches‹ Gewand gekleideten Figuren werden ähnlich wie bei der Manuskriptillumination in ihrer hierarchischen Stellung deutlich unterschieden: So ist Jonathan wesentlich älter und größer, zudem verleiht ihm der imposante Turban monarchische Autorität. Der blonde David hingegen vergräbt sein Gesicht in der Brust seines Freundes und betrauert den nahenden und – wie sich bald herausstellen soll –endgültigen Abschied. Die Dramatik der Szene wird überdies durch die bühnenartige Lichtführung gesteigert: Vor dem im Hintergrund angedeuteten Palast Sauls schälen sich David und Jonathan in ihrer silber- und goldglänzenden Kleidung als lichte Erscheinungen aus der sie umgebenden Dunkelheit heraus.
an Ackerman das homoerotische Beziehungsgeflecht der beiden Figuren. In Bezug auf den Gilgamesch-Epos schreibt sie: »Early on in the Epic, for example, Gilgamesh imagines himself ›loving‹ Enkidu ›like a wife‹, and he is elsewhere said to act toward Enkidu as if Enkidu were a ›bride.‹« (Ackerman, Susan: When Heroes Love. The Ambiguity of Eros in the Stories of Gilgamesh and David, New York 2005, S. 45) Auch Jonathan wird wiederholt als ›(Ehe-)Frau‹ Davids beschrieben. Ackermann führt hierzu weiter aus: »Gilgamesh visualizes himself as loving and caressing his heoric counterpart to be as if Gilgamesh were a newlywed husband and Enkidu, like Jonathan in I Sam 18:1-4, were ›like a wife‹.« (Ebd., S. 174). 560 Vgl. Platon 2012, 206a–207a (S. 75ff). 561 Vgl. Castro-Gómez 1997, S. 185. 562 Vgl. auch Saslow 1999, S. 74f. 563 Nach langwierigen Diskussionen über das Bildmotiv hat man sich in neuerer Zeit darauf festgelegt, dass hier tatsächlich der Abschied Davids von Jonathan gezeigt wird und nicht etwa die Wiedervereinigung Davids mit seinem Sohn Absalom. Hierfür spricht der in der rechten Ecke auf dem Boden liegende Köcher wie auch die reiche Gewandung Davids, welche ihm Jonathan als Dank für den Sieg über Goliat überreichte (1 Sam 18, 1–4). Obgleich das Gemälde in der älteren Literatur stets Rembrandt zugeschrieben wurde, gibt es seit den 1980ern Kunsthistoriker_Innen, die dies anzweifeln. Die Richtigkeit der Zuschreibung ist im Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht weiter von Belang. Vgl. hierzu Bruyn, J. et al.: A Corpus of Rembrandt Paintings, Band III, 1635–1642, Dordrecht, Boston und London 1989, S. 533ff; sowie Gerson, Horst: Rembrandt Gemälde. Gesamtwerk, Amsterdam und Gütersloh 1969, S. 316f.
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Die sich in diesem Werk manifestierende Emotionalität hat laut Christopher Wright eine Sonderstellung im Werk Rembrandts: »Das Bild fällt durch seine Sentimentalität auf, denn solche Zartheit, besonders zwischen zwei Männern, ist kein typisch Rembrandtscher Zug.«564 Wright führt diese Besonderheit letzten Endes auf den biblischen Quellentext zurück, der »ausdrücklich davon [spricht], daß beide weinten und sich küssten.«565 Es ist in erster Linie diese von Rembrandt eingefangene Innigkeit und Leidenschaft, welche David und Jonathan zum Inbegriff der amicitia macht. Eine gänzlich andere Darstellung der vertrauten Zweisamkeit Davids und Jonathans liefert der englische Künstler Frederic Leighton (1830–1896) mit seinem um 1868 fertiggestellten Werk Jonathan’s Token to David (Abb. 79): Anstatt der Verabschiedung widmet sich der 1878 zum Rektor der Royal Academy gewählte und 1896 von Königin Victoria zum Baron ernannte Leighton in seinem Bild dem Moment, als Jonathan drei Pfeile abschießt, um dem untergetauchten David zu signalisieren, dass Saul ihn umbringen will (1 Sam 20, 19–38). Mit diesem Verrat am eigenen Vater macht Jonathan seine Zuneigung und Loyalität gegenüber David unmissverständlich klar. Leighton setzt diese Bibelpassage in einem ganzfigurigen Gemälde um, auf dem ein antikisch gekleideter Jonathan allem Anschein nach gerade dabei ist, aus seinem Köcher den ersten Pfeil zu ziehen. Der fast die gesamte Bildlänge einnehmende Jonathan wendet seinen Kopf im Profil nach links und blickt in die Ferne. Am linken Bildrand steht ein junger, nur mit einem Lendenschurz bekleideter Knabe – wohl der in der Bibelstelle erwähnte Diener – und überreicht den in einer Umhängetasche getragenen Bogen. Im Hintergrund erstreckt sich eine mediterrane Wald- und Berglandschaft, die in derselben warmen und goldenen Farbigkeit gehalten ist wie der Rest des Bildes. Obschon Leighton sich in Jonathan’s Token to David für ein Motiv entschieden hat, das im Unterschied zu den zuvor behandelten Beispielen vor allem durch die Abwesenheit Davids auffällt, gelingt es ihm dennoch, die Intimität und körperliche Zärtlichkeit dieses alttestamentliche Freundespaares durch eine geschickt eingesetzte kunsthistorische Referenz einzufangen: Jonathans Pose – der Kontrapost, das seitlich abgewandte Gesicht wie auch die Armhaltung – ist ein exaktes Spiegelbild von Michelangelos David (vgl. Abb. 85). Jongwoo Jeremy Kim erläutert dazu, dass die visuellen Parallelen zwischen den beiden Werken nicht nur die Verbundenheit des Paares unterstreichen würden, sondern auch, dass der im Gemälde eigentlich abwesende David durch den Körper seines Geliebten repräsentiert sei.566 Die durch den Körper bzw. die Körperhaltung Jonathans zum Ausdruck gebrachte Präsenz Davids ist ebenso sinnig wie sinnlich und verleiht dem Gemälde eine unleugbare ›Homoerotik‹.567 Zusätzlichen Rückhalt bekommt diese Lesart 564 Wright, Christopher: Rembrandt. München 2000, S. 100. 565 Ebd. 566 Bei Kim heißt es dazu: »[A]ll is closely mimicked and laterally reversed. This strong bodily identification in Leighton’s painting visually affirms their union. David, unseen in the canvas, exerts his presence through his beloved’s body.« (Kim, Jongwoo Jeremy: Painted Men in Britain, 1868–1918. Royal Academicians and Masculinities, Farnham 2012, S. 22). 567 In Masculinities in Victorian Painting (1995) argumentiert Joseph A. Kestner zudem, dass auch der prominent in Szene gesetzte Bogen als erotische Anspielung auf Amor bzw. Eros verstanden werden kann. Diese Auslegung macht insbesondere im Zusammenhang mit Leightons Gemälde Hit! von 1893 Sinn, in welchem der Künstler unter Rückgriff auf päderastische Motive der Antike die
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durch die zahlreichen Gerüchte über Leightons sexuelle Orientierung – u.a. blieb er unverheiratet und unterhielt innige Beziehungen zu männlichen Modellen wie Alessandro di Marco sowie jüngeren Künstlerkollegen wie John Hanson Walker.568 Doch auch wenn diese Mutmaßungen darauf hindeuten, dass der Künstler vertraut mit gleichgeschlechtlichem Begehren war, folgt die vorliegende Arbeit der von Joseph A. Kestner vorgeschlagenen Deutung, das Werk Leightons als Verhandlung ›sublimierten Begehrens‹ – ein Kerngedanke der amicitia – zu verstehen.569 Diese Deutung überzeugt nicht nur in Anbetracht der intrinsisch mit der David-Jonathan-Geschichte verbundenen Idee der amicitia, sondern auch hinsichtlich Leightons Gesamtwerk, das viele weitere Arbeiten aufweist, die als Auseinandersetzungen mit der Sublimierung körperlichen Verlangens gelesen werden können.570 An Bekanntheit übertroffen werden David und Jonathan in ihrer Rolle als (alttestamentliche) Paradebeispiele für ›leidenschaftliche und brüderliche Liebe‹ nur noch von ihrem neutestamentlichen Entsprechung: Jesus und sein ›Lieblingsjünger‹ Johannes, der üblicherweise als junger, bartloser und schöner Mann mit gelocktem Haar dargestellt wird.571 Ähnlichkeiten zu antiken Epheben lassen sich kaum abstreiten, besonders die bereits erwähnte Attribuierung Johannes’ mit einem Adler legt eine Verbindung zu Ganymed nahe.572 Die ikonographischen Parallelen werden noch evidenter, wenn man beachtet, dass die Kirchenväter Gregor I. und Hieronymus dem Evangelium des Johannes die vierte und letzte Lebensphase Christi zugewiesen haben: die Himmelfahrt.573 Während der Adler in der Antike einen schönen Jüngling in den Olymp aufrückt, wird er im christlichen Kontext zum Symbol für den Aufstieg des Gottessohnes in das Himmelreich. Dass es sich bei dem Jünger und dem Evangelisten um dieselbe Person handelt,
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Unterweisungen eines Knaben durch einen älteren Jungen ins Bogenschießen darstellt. Kestner schlussfolgert: »The presence in the canvas [Jonathan’s Token to David, NM] of bows, arrows and quivers eroticizes it as they had done in Hit!« (Kestner, Joseph A.: Masculinities in Victorian Painting. Aldershot et al. 1995, S. 254); vgl. überdies Kestner, Joseph A.: Mythology and Misogyny. The Social Discourse of Nineteenth-Century British Classical-Subject Painting, London 1989, S. 146f; in einem Ausstellungskatalog von 1996 wird dementgegen die These vertreten, dass es sich bei Hit! um einen Vater und seinen Sohn handelt. Siehe Jones, Stephen: 56. Jonathan’s Token to David. In: Kat. Ausst. Frederic, Lord Leighton – Eminent Victorian Artist, hg. von Stephen Jones, Christopher Newall, Leonée Ormond et al., Royal Academy of Arts in London 1996, New York 1996, S. 160–161; hier: S. 160. Siehe Kestner 1989, S. 143; sowie Ormond, Leonée; Ormond, Richard: Lord Leighton. New Haven 1975, S. 48. Im Hinblick auf weitere Arbeiten Leightons ergänzt Kestner hierzu: »While there is no evidence that Leighton was actively homosexual, a suppressed homosexual inclination is suggested« (Kestner 1989, S. 147); siehe auch Jones 1996, S. 160. Vgl. Reed 2011, S. 83f; siehe auch Kapitel III.2.4. Vgl. Büttner, Frank; Gottdang, Andrea: Einführung in die Ikonographie. Wege zur Deutung von Bildinhalten, München 2006, S. 92ff; sowie im Neuen Testament Joh 21, 7: »Da sagte jener Jünger, den Jesus liebte«. Vgl. Kapitel III.1.3. Vgl. Büttner und Gottdang 2006, S. 96; die Zuweisung der Symbole zu den Evangelien erfolgt in Ezechiel 1–28 sowie Apokalypse 4, 1–2.
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legt das Ende des Johannesevangeliums nahe, welches darauf verweist, dass der Schreiber »der Jünger« sei, »der über diese Dinge Zeugnis ablegt und dies geschrieben hat« (Joh 21, 24).574 Neben seiner Rolle als Zeuge des Kreuzestodes kommt dem Lieblingsjünger in den Abendmahlsdarstellungen eine herausgehobene Rolle zu. So heißt es im Johannesevangelium: »Einer von seinen Jüngern lag bei Tisch an der Brust Jesu, der, den Jesus liebte.« (Joh 13, 23)575 Diese intime Szene erfuhr ab 1300 eine besondere Aufwertung: Herausgelöst aus dem Kontext des Abendmahls wurde sie zum eigenständigen Motiv (Abb. 80).576 Die hier zu betrachtende Holzfigur zeigt die tradierte christliche Typologie: Jesus trägt schulterlanges Haar und Bart und legt seinen linken Arm behutsam um einen bartlosen und gelockten Johannes. Dieser erwidert die Geste der Zuneigung, indem er sein Haupt auf der Brust Jesu ruhen lässt und seine Hand in dessen Hand legt. Rein dem Phänomensinn nach lässt sich auch hier eine große Nähe zu päderastischen Darstellungen der Antike feststellen. Derartige Figurengruppen fand man vermehrt in den Eingangshallen von Klöstern, in denen es häufiger zu ›Überlappungen‹ von amor spiritualis und amor carnalis kam.577 Der eingangs besprochene Aelred von Rievlaux, der in seinen Schriften die amicitia zwischen Männern als Idealform zwischenmenschlicher Beziehungen beschwört, sieht in dem Bund von Jesus und Johannes die geeignete Legitimierung dieser Sichtweise.578 So beendet er das erste Buch von De spirituali amicitia mit einem leicht abgewandelten Zitat aus dem Johannesevangelium: »Qui manet in amicitia, in Deo manet, et Deus in eo.«579 Aelred ersetzt hier das Wort ›Liebe‹ durch ›amicitia‹ und verklärt damit, überspitzt ausgedrückt, sein Freundschaftskonzept zum Ausdruck wahrer ›Göttlichkeit‹. Dem Abt galt das innige Verhältnis Jesu zu seinem Lieblingsjünger Johannes dabei nicht nur als Leitbild der amicitia, sondern auch als das Vorbild für klösterliches Zusammenleben schlechthin. Im Speculum charitatis äußert er sich dazu wie folgt: »Porro non modicum vitæ hujus solatium est, habere quem tibi affectu quodam intimo ac sacratissimi amoris unire possis amplexu, habere in quo requiescat spiritus tuus, […] quem vinculis charitatis in illud secretarium tuæ mentis inducas, at licet absens copore, spiritu tamen præsens sit, ubi solus cum solo conferas; ac quiescente mundi strepitu, in somno pacis, in amplexu charitatis, in osculo unitatis […] Cujus charitatis sacratissimum genus ne cui improbandum videretur, ipse Jesus noster per omnia nobis condescendens, per omnia nobis patiens et comatiens, suæ dilectionis exhibitione transformans, uni, non omnibus, suavissimi pectoris sui reclinatorium in signum præcipue dilcetionis indulsit, ut virgineum caput virginei pectoris floribus fulciretur, ac thalami
574 Vgl. Büttner und Gottdang 2006, S. 95. 575 Im Folgenden wird nicht näher auf das Thema der Sexualität Christi eingegangen. Siehe dazu Steinberg, Leo: The Sexuality of Christ in Renaissance Art and in Modern Oblivion. New York 1983. 576 Siehe Saslow 1999, S. 68f. 577 Vgl. Boswell 1981, S. 188; sowie Saslow 1999, S. 69. 578 Vgl. Boswell 1981, S. 225. 579 Aelred 1978, I, 70 (S. 26); deutsche Übersetzung: »Wer in der Freundschaft bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm.« (Ebd., S. 27).
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cælestis odorifera secreta fragrantiam spiritualium unguentorum virgineis affectibus quanto vicinius, tanto copiosius instillarent. Hinc est, quod licet a piissimo magistro discipuli omnes summæ charitatis dulcedine foverentur; huic tamen hoc cognomen familiarioris affectus prærogativa concessit, ut diceretur discipulus ille, quem amabat Jesus.«580 Mit diesen ebenso inbrünstigen wie poetischen Worten rechtfertigt Aelred das Ideal der amicitia und umschreibt die Beziehung zwischen Jesus und Johannes mit dem Begriff »thalamus« (Gemach oder Ehe bzw. Ehebett), der laut Boswell in diesem Kontext nur zutreffend mit ›Ehe‹ übersetzt werden kann.581 Vergleicht man Boswells Übersetzung mit deutschen Versionen, so fällt auf, dass die entsprechende Passage entweder gar nicht (Aelred 1989b) oder aber »thalamus« mit ›Gemach‹ übersetzt wird (Aelred 1989a).582 Unabhängig davon, wie man nun diese mit allerhand olfaktorischen Anspielungen gespickten Zeilen versteht, drückt sich in ihrem Wortlaut in jedem Fall ein Höchstmaß an Sinnlichkeit, Intimität und Vertrautheit aus, was vielen Übersetzer_Innen scheinbar zu weit 580 Aelred 1965, S. 501–612; hier: Liber III, Caput XXXIX (S. 619; Kursivschreibung NM); deutsche Übersetzung: »Es ist kein geringer Trost in diesem Leben, jemanden zu haben, mit dem du in innigster Zuneigung in der Gemeinschaft heiliger Liebe vereint sein darfst und auf dem dein Geist ruht (vgl. 2 Kön 2,15; Num 11,25f). […] Ihn kannst du durch die Fesseln der Liebe (vgl. hos 11,4) in jenes geheime Gemach deiner Seele einführen, wo er auch bei körperlicher Abwesenheit im Geist dennoch gegenwärtig ist, wo du allein mit um so lieber plauderst, je größer die Abgeschiedenheit ist, wo du allein mit ihm Gedanken austauscht und fern vom Lärm der Welt im Schlummer des Friedens, in der Umarmung der Liebe, im Kuss der Einheit allein mit ihm ruhst […] Damit diese Form heiliger Liebe niemandem verwerflich erscheint, hat sie Jesus, der in allem zu uns herabstieg und in allem mit uns fühlen und mitfühlen wollte, im Erweis seiner Liebe umgewandelt. Auch er erlaubt einem einzelnen, – nicht allen –, als Zeichen seiner besonderen Liebe an seiner geliebten Brust zu ruhen. So sollte das jungfräuliche Haupt an den Blüten der jungfräulichen Brust erquickt werden (Hld 2,5). Die duftende Abgeschiedenheit des himmlischen Gemaches aber sollte der jungfräulichen Liebe den Wohlgeruch geistlicher Salben (vgl. Hld 1,3; 4,10) umso reichlicher einflößen, je größer die körperliche Nähe war. Daher kommt es auch, dass zwar alle Jünger vom gütigen Meister mit der Innigkeit höchster Liebe umfangen wurden, dass er aber trotzdem diesem einen durch das Vorrecht einer innigeren Zuneigung den Beinamen gewährte: ›der Jünger, den Jesus liebte‹.« (Aelred 1989a, Buch III, Kapitel 39, 109–110 (S. 255f, Kursivschreibung NM)). 581 Boswell: »›Marriage bed,‹ or by analogy ›marriage‹ or ›marriage contract,‹ are the only possible translations for ›thalamus‹ in twelfth-century Latin.« (Boswell 1981, S. 226 (Fußnote 57)) In einer 1990 veröffentlichten englischen Übersetzung wird »thalamus« mit »bridal-chamber« übersetzt. Siehe Aelred of Rievaulx: The Mirror of Charity. Übers. von Elizabeth Connor und komm. von Charles Dumont, Kalamazoo (Michigan) 1990, S. 299. 582 In der ebenfalls 1989 veröffentlichten und auch auf einer Übersetzung Hildegrad Brems basierenden Version von Spiegel der Liebe, fehlt die »thalami«-Passage gänzlich. Es heißt dort: »Damit diese Form heiliger Liebe niemandem verwerflich erscheint, hat sie Jesus, der in seiner Erniedrigung in allem mit uns fühlen und mitfühlen wollte, im Erweis seiner Liebe geweiht. Auch er erlaubt einem einzelnen – nicht allen – als Zeichen seiner besonderen Liebe an seiner geliebten Brust zu ruhen. So sollte das jungfräuliche Haupt an den Blüten der jungfräulichen Brust erquickt werden. Daher kommt es, dass zwar alle Jünger vom gütigen Meister mit der Innigkeit höchster Liebe umfangen wurden, dass er aber trotzdem diesem einen durch das Vorrecht einer innigeren Zuneigung den Beinamen gewährte: ›der Jünger, den Jesus liebte‹.« (Aelred von Rievaulx: Spiegel der Liebe. Übers. von M. Hildegard Brem und hg. von Hans Urs von Balthauser, Trier 1989b, Buch III, Kapitel 39, 110 (S. 193f)).
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ging.583 Die geflissentliche Auslassung dieser Stelle sagt somit letztlich mehr über ihre Brisanz aus als die entschärfenden Übersetzungen. Aelreds Traktate lassen wenig Zweifel an der Perzeption und Konzeption von Jesus und Johannes als idealisiertes und ›intimes‹ Freundespaar, allerdings verkörpern sie weniger einen mann-männlichen Eros als vielmehr ›Liebe‹ in Form der selbstlosen Agape. Nichtsdestotrotz bekräftigt die in den Schriften Aelreds und auch im 16. Jahrhundert beispielsweise von Christopher Marlowe dargelegte Verquickung von Jesus und Johannes mit gleichgeschlechtlicher Intimität, ganz gleich ob diese tatsächlich erotischer oder ›nur‹ platonischer Natur war, die Zugehörigkeit dieses Motivs zum hier behandelten ikonographischen Spektrum.584 Sowohl David und Jonathan als auch Jesus und Johannes gehören spätestens ab dem 19. Jahrhundert offiziell einem Kanon historischer bzw. fiktionaler Figuren an, die besonders als literarische Referenz immer wiederkehren und eine homoerotische oder homosexuelle ›Signalfunktion‹ besitzen.585 So nimmt etwa Wilde 1895 in seiner Verteidigungsrede gegen die ›Sodomie‹-Anschuldigungen des Marquis von Queensberry – des Vaters von Wildes Protegé und Partner Lord Alfred Douglas – Bezug auf das alttestamentliche Paar David und Jonathan: »›The love that dare not speak its name‹ in this century is such a great affection of an elder for a younger man as there was between David and Jonathan, such as Plato made the very basis of his philosophy, and such as you find in the sonnets of Michael Angelo and Shakespeare. It is that deep spiritual affection that is as pure as it is perfect.«586 Ungeachtet der ›wahren Natur‹ von Wildes Beziehung zu Lord Douglas ist die Nennung von David und Jonathan hier zunächst ganz im Sinne der sublimierten amicitia bzw. einer entsexualisierten Päderastie zu verstehen und nicht als offizielles Eingeständnis homosexuellen Begehrens. Gleichzeitig wird Wilde sich der kodierten ›Signalwirkung‹, welche die Nennung dieser Namen in ›homosexuellen‹ Kreisen hatte, bewusst gewesen sein. Er setzt der juristischen wie auch der gesellschaftlichen Anklage ein dezidiert positives Bild mann-männlicher Beziehungen entgegen. Dieses ambivalente Spiel von Verund Enthüllung erweist sich dabei als symptomatisch für die Erfahrung einer Vielzahl gleichgeschlechtlich orientierter Menschen, die ihre Existenz angesichts gesellschaftlicher Geschlechter- und Sexualitätsnormen stets kompartimentalisieren mussten bzw. müssen, um einen Begriff der modernen Psychologie zu verwenden. In diesem Kontext 583 Vgl. Boswell 1981, S. 226 (Fußnote 58): Boswell verweist hier auf die englische Übersetzung von A. Walker und G. Webb, welche ebenfalls die besagte »thalami«-Stelle auslässt. Siehe Aelred of Rievaulx: The Mirror of Charity. Übers. von A Walker und G. Webb, London 1962, S. 139f. 584 Zu Jesus und Johannes bei Marlowe vgl. Saslow 1989, S. 100. 585 Vgl. Keilson-Lauritz 1997, S. 26. 586 Zitiert nach Millard, Christopher John E. S.: Oscar Wilde: Three Times Tried, London 1912, S. 271f; obschon es verschiedene Protokolle über die Verhandlungen Oscar Wildes gibt, sei hier anzumerken, dass in jeder Version die Referenz von David und Jonathan auftaucht. Vgl. hierzu: Moran, Leslie J.: Transcripts and Truth: Writing the Trial of Oscar Wilde, in: Bristow, Joseph (Hg.): Oscar Wilde and Modern Culture: The Making of a Legend, Athens (Ohio) 2008, S. 234–258; hier: S. 244ff.
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wird auch klar, welche Rolle dem Konzept der amicitia innerhalb eines ›queeren Motivkanons‹ zukommt, da es in Zeiten gesellschaftlicher Ächtung und Verfolgung eine Möglichkeit darstellt, diesem Verlangen einerseits (positiven) Ausdruck zu verleihen, es aber andererseits zugleich zu maskieren. Losgelöst von konkreten Freundespaaren ist für das Ende des 19. Jahrhunderts und den Beginn des 20. Jahrhunderts festzustellen, dass die Begriffe des Freundes und der Freundschaft von einer aufkeimenden homosexuellen Subkultur zunehmend vereinnahmt werden. Während etwa eine der ersten deutschen Publikationen, die von 1919 bis 1933 in Berlin verlegt wurde und sich gezielt an ein schwules Publikum richtete, den Namen Die Freundschaft trägt, bemüht sich der in München ansässige Aktivist August Fleischmann (1859–1931) in seinen Schriften den Ausdruck »Freundling« als Alternative zu der damals gängigen und von Ulrichs geprägten Selbstbezeichnung homosexueller Männer als »Urninge« zu etablieren.587 Dass sowohl Die Freundschaft als auch der »Freundling« Namen bzw. Begrifflichkeiten sind, die unmittelbar aus der homosexuellen Subkultur selbst entspringen, bezeugt eine erste (breitere) emanzipatorische Tendenz, den gesellschaftlichen Diskurs über gleichgeschlechtliches Begehren verstärkt mitzubestimmen und ihn sowohl zu entmythologisieren als auch zu entdämonisieren und entpathologisieren.588 Die Anknüpfung an das Konzept der Freundschaft, die eine der wenigen gesellschaftlich akzeptierten Ausdrucksformen homosozialer Beziehungen darstellt, erweist sich insbesondere im Hinblick auf ein von Verfolgung und Ausgrenzung bestimmtes Gesellschaftsklima als Möglichkeit, das eigene Begehren nicht nur auszuleben, sondern die damit einhergehenden Repressalien auch ›zu überleben‹. Im Kontext einer explizit queeren Kunst des 19., 20. und 21. Jahrhunderts spielen die bisher betrachteten Bilder der amicitia wohl gerade wegen ihres sublimierten Charakters und angesichts einer fortdauernden Ahndung gleichgeschlechtlichen Begehrens nach
587 Die Freundschaft. Monatsschrift für ideale Freundschaft erschien von 1919–1933 und wurde von der Karl Schultz-Verlaggesellschaft in Berlin herausgegeben; als Pendant für ein lesbischen Publikum gab es von 1924–1933 auch Die Freundin, welche von Friedrich Radszuweit verlegt wurde; zum Freundling: Fleischmann verknüpfte mit seinem Vorschlag für eine neue Selbstbezeichnung sogleich einen (recht derben) Aufruf zur Sexualaufklärung der Gesellschaft: »Wo ist das Amt, das die geschlechtsreife Jugend richtig und rechtzeitig in den Geschlechtssachen aufklärt, wenn die Eltern zu dumm, zu blöde oder zu prüde sind? […] Wenn die Jugend Kenntnis erhält in Geschlechtssachen, so schöpft sie meist aus trüben Quellen. Ganz falsch und verkehrt bekommt der junge Mensch seine Kenntnisse in diesen Dingen und sein Geist behält oft diese Ansichten durch sein ganzes Leben! Unter diesen verkehrten Ansichten haben viele Menschen zu leiden, besonders aber die Urninge oder wie ich diese Leute von jetzt ab richtiger heissen will: ›Die Freundlinge‹.« (Fleischmann, August: Der Freundling. Oder die neusten Enthüllungen über das Dritte Geschlecht, 5. Auflage, 1902, S. 4). 588 Zur Entstehung einer homosexuellen Emanzipationsbewegung in Deutschland schreibt Steakley: »Nonetheless, this decade [gemeint sind die 1860er Jahre, NM] witnessed the end of homosexual invisibility. One way in which this manifested itself was the sudden proliferation of names for homosexuals. Under impact of the medival injunction that homosexuality is a sin so horrible that it should not even be mentioned among Christians, the only socially acceptable word up to 1860s were Sodomit, Päderast, and Knabenschänder (literally, ›boy-ravisher‹).« (Steakley 1975, S. 13); vgl. überdies Beachy, Robert: Gay Berlin. Birthplace of a Modern Identity, New York 2014.
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wie vor eine Rolle. So spielt etwa der deutsche, dem Expressionismus zuzurechnende Künstler Karl Hofer (1878–1989) in dem 1926 entstandenen Werk Zwei Freunde (Abb. 81), welches vorher den Titel David und Jonathan trug, auf das homoerotische Wesen der amicitia an. Zu sehen sind zwei etwa gleich große und versetzt hintereinanderstehende Männer mit entblößten Oberkörpern, die den Betrachtenden frontal entgegentreten. Während der hintere Mann den vor ihm Stehenden anblickt und sowohl an Hüfte als auch Schulter umgreift, hebt der Vordere seine zusammengefalteten Hände vor die Brust und wendet seinen Blick in die Ferne. Trotz der groben Malweise differenziert Hofer die beiden Figuren ganz deutlich voneinander: Der im Vordergrund stehende Mann wirkt nicht nur jünger, sondern sticht auch durch seine helle und zum Teil grün schimmernde Haut aus dem sonst in dunklen Farben gehaltenen Bild hervor. Der Mann im Hintergrund wirkt dagegen älter und weist auch ein weitaus dunkleres Inkarnat auf.589 Das 1937 in der Ausstellungsreihe Entartete Kunst von den Nationalsozialisten diffamierte Bild, welches bereits zu diesem Zeitpunkt den unverfänglicheren Titel Zwei Freunde trug,590 befindet sich heute im Bestand des Städel Museums in Frankfurt. Im Museumskatalog heißt es zum Gemälde, dass »nur der Ältere, dessen begehrlicher Blick den Jüngeren fixiert, […] physische Nähe« suche, der Jüngling dies aber nicht erwidere.591 »Das Ungleichgewicht von Nähe und Distanz«, so der Katalogtext weiter, »verleiht dem Bild eine beklemmende Wirkung.«592 Wenngleich der Jüngling tatsächlich weder die Berührungen noch den Blick des Anderen erwidert, ist jedoch anzumerken, dass er dem Älteren seinen Kopf zu- und nicht abwendet, was durchaus eine gewisse Vertrautheit impliziert. Der hierdurch enstehende Kontrast zwischen der bildimmanenten Beklommenheit einerseits und der ›zutraulichen‹ Körpersprache des Jünglings andererseits unterstreicht nochmals die spannungsgeladene und von Ambivalenzen bestimmte Bildkomposition. Bedenkt man, dass das Gemälde ursprünglich nach dem alttestamentlichen Paar David und Jonathan benannt war, ein Titel, der »die Homoerotik der Männerfreundschaft anklingen lässt«,593 erscheint es nur konsequent, dieses durch und durch ambivalente Werk in Verbindung mit dem Motiv der amicitia zu bringen. Das kompositorische Spannungsverhältnis rührt möglicherweise daher, dass Hofer hier den Konflikt zwischen fleischlichem und geistigem Begehren bzw. zwischen Eros und Agape inszeniert. Demnach wäre
589 Eine fast identische Arbeit fertigte Hofer 1943 unter dem Titel Zwei Männer an, wobei im Gegensatz zu Zwei Freunde die vordere Figur älter wirkt und die hintere jünger. Vgl. Eisenbeis, Markus (Hg.): Karl Hofer. Werkverzeichnis der Gemälde. Band 1, Köln 2007a, S. 158 (Nr. 1710). 590 Auf einer Fotografie des Werks im Rahmen der Ausstellung Entartete Kunst in Halle ist der Titel deutlich zu erkennen. Siehe Hüneke, Andreas: Die faschistische Aktion »Entartete Kunst« 1937 in Halle, Halle 1987, S. 86; zu Hofer und der Ausstellung Entartete Kunst vgl. Grimm, Dagmar: Karl Hofer. In: Kat. Ausst. »Degenerate Art«. The Fate of the Avant-Garde in Nazi Germany, hg. von Stephanie Barron, Los Angeles County Museum of Art sowie The Art Institute of Chicago 1991, New York 1991, S. 255–257. 591 Schwerdtfeger, Paula: Karl Hofer, Zwei Freunde, 1926, in: Kat. Mus. Kunst der Moderne. 1800–1945 im Städel Museum, Ostfildern 2016, S. 284. 592 Ebd. 593 Leuthäußer, Franziska: Moderne. Zeit der Avantgarde, in: Kat. Mus. Meisterwerke im Städel Museum. Hg. von Max Hollein, München, London und New York 2015, S. 178–221; hier: S. 203.
III. Hauptteil
der ältere und, wie es im Museumskatalog heißt, ›begehrlich‹ blickende Mann die Verkörperung eines mann-männlichen und aktiven Eros. Der passive Jüngling würde als Abbild der rein geistigen amicitia gelten, wofür auch dessen auffällige und an einen Gebetsgestus erinnernde Handhaltung spräche. Obzwar dieser Interpretationsansatz spekulativ ist, fällt mit Blick auf das Gesamtwerk des Künstlers auf, dass das Freundschaftsmotiv immer wiederkehrt.594 Dies merkt auch Kirsten Muhle in ihrer Dissertation Karl Hofer (1878–1955). Untersuchungen zur Werkstruktur (1999/2000) an.595 Im Gegensatz zu Muhle, die in ihrer Analyse von Zwei Freunde bzw. David und Jonathan keinerlei Verweis auf eine etwaige homoerotische Komponente der Arbeit macht und das Werk vielmehr als Ausdruck einer der Romantik verbundenen Freundschaftskonzeption versteht, erscheint die erotisierte Deutung des Motivs insbesondere im Zusammenhang mit der Entstehungszeit für die vorliegende Arbeit mehr als plausibel.596 Zwei Freunde entstand in der Mitte der 1920er Jahre, einer Zeit, in der Hofer in Berlin lebte und fester Bestandteil der avantgardistischen Boheme war.597 Die Verortung des Künstlers in der für ihre sexuelle Freizügigkeit bekannten Berliner Boheme ist gerade deshalb von Bedeutung, weil es in Werken wie dem wohl nur kurze Zeit nach Zwei Freunde entstandenen Tiller Girls (vor 1927) ganz ausdrücklich thematisiert wird.598 Die Tatsache, dass die beiden Gemälde derselben Entstehungszeit zuzuordnen sind, legt nahe, dass sich in Zwei Freunde dieselbe urbanistisch-avantgardistische Haltung äußert wie in Tiller Girls und weniger, wie von Muhle behauptet, »[d]as Fortleben romantischer Tradition«.599 Zieht man hierzu überdies noch Hofers kritische Einstellung gegenüber
594 Es wurde u.a. schon auf die fast identische Arbeit Zwei Männer von 1943 hingewiesen. Ein weiteres Werk, das sich ebenfalls mit dem (diesmal weiblich-weiblichen) Freundschaftsmotiv auseinandersetzt, findet sich in Freundinnen, um 1919, Öl auf Leinwand, im Privatbesitz (siehe dazu Eisenbeis, Markus (Hg.): Karl Hofer. Werkverzeichnis der Gemälde. Band 2, Köln 2007b, S. 77 (Nr. 371)). 595 Bei Muhle heißt es: »Mit Darstellungen, in denen paarweise und in wechselnder Zusammenfügung weibliche und männliche Figuren dicht beieinanderstehend sich umschlingen oder halten, gelingt Hofer eine Gebärde des Menschen, die Zuflucht, Nähe, Hilflosigkeit, Schutzlosigkeit und Bedrängnis ausdrückt. […] Zu einer Formel verdichtet wendet Hofer die Form, in der die Figuren beieinanderstehen, in nur geringfügig abgewandelter Weise immer wieder an – bis in das Spätwerk hinein.« (Muhle, Kirsten: Karl Hofer (1878–1955). Untersuchungen zur Werkstruktur, Lohmar und Köln 2000, S. 168). 596 Vgl. ebd., S. 171. 597 Oder wie Christina Grevenbrock es ausdrückt: »Damals war er Professor an der Berliner Kunsthochschule, nahm rege am gesellschaftlichen Leben der Stadt teil und war Gast auf vielen Festen: In seiner Autobiografie schildert er zahlreiche Symposien, spontane Zechgelage und rauschende Bälle.« (Grevenbrock, Christina: Zwischen Fest, Rausch und Wahn: Bilder des Kontrollverlusts, in: Kat. Ausst. Karl Hofer. Von Lebensspuk und stiller Schönheit, hg. von Katharina Henkel, Kunsthalle Emden 2012, Köln 2012, S. 78–89; hier: S. 79). 598 Siehe hierzu Schlenker, Sabine: Verhaltener Tanz und in sich gekehrtes Spiel. Karl Hofers Tiller Girls und seine Variationen der Mädchen mit Laute, in: Kat. Ausst. Karl Hofer. Von Lebensspuk und stiller Schönheit, hg. von Katharina Henkel, Kunsthalle Emden 2012, Köln 2012, S. 148–163; hier: S. 148f; zur Präsenz von Homosexualität im Berlin der Weimarer Republik siehe u.a. Beachy 2014, S. 187ff. 599 Muhle 2000, S. 171.
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der Kirche heran,600 so verfestigt sich die Annahme, dass die ›Homoerotisierung‹ der alttestamentlichen Figuren in Zwei Freunde als eine künstlerische Provokation christlicher Ikonographie zu verstehen ist. Eine zeitgenössische Arbeit, die denselben Titel trägt wie ursprünglich Hofers Gemälde, stammt aus dem Œuvre des u.a. für seine subversiven Soldatenportraits601 bekannten israelischen Fotografen Adi Nes (*1966): Die 2004 entstandene Fotografie Untitled (David and Jonathan) (Abb. 82.1) zeigt einen jüngeren, scheinbar verwundeten Jüngling – vermutlich David –, der sich auf einer Krücke abstützt und zusätzlichen Halt bei einem direkt neben ihm stehenden, etwas älteren Mann mit Dreitagebart findet – vermutlich Jonathan. Während der ›Verwundete‹, dessen weißes T-Shirt voller roter und dunkler Flecken ist, seinen Kopf mit geschlossenen Augen auf die Schulter des Älteren legt, blickt dieser direkt in die Kamera und hebt seinen rechten Arm schützend vor den Jüngeren. Beide Modelle tragen längeres gelocktes Haar, das ganz zerzaust ist und zusammen mit der fleckigen Kleidung einen etwas lädierten Eindruck vermittelt. Der Hintergrund, eine mit zahlreichen Graffitis versehene Unterführung, verleiht der Szene eine ebenso urbane wie kontemporäre Atmosphäre. Untitled (David and Jonathan) ist Teil einer fotografischen Serie, in welcher sich der homosexuelle und jüdische Nes mit unterschiedlichen Episoden aus dem Tanach auseinandersetzt, die laut Bill Horrigans das ›ethische Substrat‹ Israels versinnbildlichen.602 Neben David und Jonathan widmet sich Nes auch Figuren wie Noah, Hagar, Job, Kain und Abel etc. Die Art und Weise, wie der Künstler dieses tanachische Figurenpersonal inszeniert und mit Modellen besetzt, die in ihrem Auftreten sowie ihrer Kleidung ganz dem zeitgenössischen Geschmack entsprechen, erinnert an Caravaggios dramatischen Einsatz des Chiaroscuro sowie an dessen ›unvollkommene Modelle von der Straße‹ (Sexarbeiter_Innen etc.) für seine profanen und sakralen Motive. Diese ästhetische Strategie reproduziert Nes, der Caravaggio als wichtiges Vorbild benennt, in seiner Fotografie: Dramatische Lichteffekte sind ebenso wie der bewusste Verzicht auf idealisierte Darstellungen elementare (Stil-)Aspekte der Biblical Stories-Serie.603
600 Hofer: »Die christlich-religiöse Malerei war eine reine Kunst der Propaganda« (Hofer, Karl: Kunst und Politik (1947/48). In: Ders.: Schriften. Hg. von Daniel Kupper, Berlin 1995, S. 236–239; hier: S. 236). 601 Siehe Ratzeburg, Wiebke: Geschminkter Heldentod. Der israelische Fotograf Adi Nes und seine ›Soldatenpietà‹, in: Sykora, Kathraina; Derenthal, Ludger; Ruelfs, Esther (Hg.): Fotografische Leidenschaften. Marburg 2006, S. 226–231. 602 Horrigan schreibt: »As a project with an Israeli pedigree, Adi Nes’s Biblical Stories mines the Old Testament, a source of his nation’s ethical substrate, to produce a remarkably resonant study of the look of dispossession as it descends on the faces of his compatriots.« (Horrigan, Bill: Adi Nes Biblical Stories. Wexner Center for the Arts in der Ohio State Universität, 02. Februar bis 13. April 2008 [02.02.2008], online abrufbar unter: http://www.adines.com/content/w exner_center_for_the_arts_brochure.htm (zuletzt 31.01.2019)). 603 Vgl. auch Horrigan: »Nes further inflects his portraits by often modeling them on art historical precedents, an instinct strongly recommended for the Biblical Stories series by the tradition of European old master painters reinterpreting characters from Scripture through the use of contemporary models (the sly and louche Caravaggio being the exemplar closest to Nes’s heart).« (Hoorigan 2008)
III. Hauptteil
Vergleicht man Untitled (David and Jonathan) noch mit dem gleichfalls zur Werkserie gehörigen Foto Untitled (Cain and Abel),604 das die Tötung Abels durch seinen älteren Bruder Kain zeigt (Gen 4,1-16), so werden neben der Thematik einer ›israelischen Identität‹ noch zwei weitere Motive erkennbar, die sich durch das ganze Œuvre Nes’ ziehen: Die Verhandlung eines Männlichkeitsbildes zwischen Stärke und Schwäche einerseits sowie die Instrumentalisierung kulturell aufgeladener Geschlechterkonzeptionen andererseits.605 Bereits in der zuvor erwähnten Soldier-Serie beschäftigte sich der Fotograf mit dem konstruierten Bild einer als Ideal geltenden hypermaskulinen Männlichkeit, die schon in der Antike zur Beschwörung militärischer Stärke benutzt wurde. Die affektierte Inszeniertheit dieser Bilder gibt Nes mittels visueller Brechungen preis: In einer von Wiebke Ratzeburg als »Soldatenpietà« betitelten Arbeit von 1995 ist etwa ein Sanitäter zu sehen, der einen gefallenen Soldaten gerade mit einem Pinsel schminkt (Abb. 82.2). Nes greift hier zwar eine idealisierte Soldaten- bzw. Kriegsikonographie auf – der trauernde und der gefallene Kamerad –, die er aber durch den bildimmanenten ›Schminkprozess‹ bloßstellt und so deren Konstruiertheit und Künstlichkeit enttarnt.606 Während der Fotograf in dieser Arbeit sowie auch in Untitled (Cain and Abel) die drastischen Konsequenzen jener militärisch-aggressiven Hypermaskulinität beleuchtet, entwirft er mit Untitled (David and Jonathan) ein Gegenstück zu diesem einseitigen Männlichkeitsideal: Dem desolaten und in kaltes Licht getauchten Gewaltakt in Untitled (Cain and Abel) setzt Nes mit seinem von einem warmen Lichtkranz umgebenen David-undJonathan-Paar ein Bild der Hoffnung entgegen. Anstatt des in einer militarisierten Gesellschaft verklärten Aspekts mann-männlicher Dominanz stehen hier mann-männliche Zuneigung und Liebe im Vordergrund – eine homoerotische und queere Utopie jenseits brutaler (Militär-)Gewalt. Wird im Falle von Untitled (David and Jonathan) der alttestamentliche bzw. tanachische Bezug erst einmal über den Titel hergestellt, greift der aus Nigeria stammende und aufgrund eines Militärputsches 1966 nach Großbritannien geflohene Künstler Rotimi FaniKayode (1955–1989) in seiner fotografischen Arbeit Every Moment Counts (Ecstatic Antibodies) (Abb. 83) aus der gleichnamigen Serie von 1989 direkt auf die Jesus-und-JohannesIkonographie zurück: Ein mit einem Heiligenschein bekrönter schwarzer Mann, der seinen Kopf in der tradierten Märtyrerpose gen Himmel richtet, teilt seinen roten mantelartigen Überwurf mit einem etwas kleineren und ebenfalls schwarzen Jüngling zu seiner Rechten. Das Haupt des Älteren ist mit einer aus Perlen sowie filigranen roten Stäben 604 Siehe http://www.adines.com/content/wexner_center_for_the_arts_brochure.htm (zuletzt 31.01.2019). 605 Die Biblical-Stories-Serie scheint die erste Werkreihe zu sein, in der auch weibliche Modelle auftauchen. 606 Ratzeburg schreibt dazu: »Sie [die »Soldatenpietà«, NM] idealisiert ihrerseits die innige Kameradschaft zwischen den Soldaten und blendet das grausame Kampfgeschehen aus. Darüber hinaus bedient sie sich der Ikonografie des Opfers, der Mildtätigkeit und des sinnvollen Heldentodes. […] Andererseits zerstört sie all diese Bildaussagen selbst, indem sie ihre Konstruiertheit aufdeckt. Die Würdeformel der Pietà lässt die Dargestellten zunächst als Helden erscheinen. Das so erzeugte Pathos wird in dem Moment gebrochen, in dem der Betrachter die Inszenierung entdeckt und die Täuschung erkennt.« (Ratzeburg 2006, S. 230).
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gefertigten Gloriole bekrönt, die an das Kunsthandwerk der Yoruba erinnert, des westafrikanischen Volks, von dem auch Fani-Kayode abstammt und auf dessen Kunst er sich immer wieder bezieht.607 Da es sich bei der Form des Heiligenscheins um einen Kreuznimbus handelt, ein Symbol, das der Trinität vorbehalten ist, kann davon ausgegangen werden, dass mit der linken Figur tatsächlich Jesus gemeint ist. Bei dem jüngeren Mann, der seinen Kopf in einer Geste der Intimität und Vertrautheit auf die Schulter des Anderen legt, dürfte es sich um Johannes handeln. Fani-Kayode, der als schwuler und schwarzer Künstler mit Geflüchtetenhintergrund gleich auf mehrfache Weise eine Außenseiterposition einnimmt,608 beschäftigt sich in seinen Arbeiten ganz gezielt mit den aus seiner Biographie herrührenden Erfahrungen der Transgression: Durch ein bewusstes Vermischen europäischer und afrikanischer Elemente, eine stilistische Eigenheit, die Kobena Mercer als »Afro-Greek«609 bezeichnet, wandelt der Fotograf seine Erlebnisse der Transgression in eine von Ambivalenzen bestimmte, transzendentale Kunst um. Die Fotografie aus der geradezu visionär betitelten Werkserie Every Moment Counts, die Fani-Kayode noch kurz vor seinem Tod an den Folgen von AIDS 1989 fertiggestellt hat, spielt und bricht dabei nicht nur mit tradierten Sehgewohnheiten, sondern eben auch mit einer essenzialisierten westlichen ›Identität‹: Zwar bezieht sich der Künstler mit seinem Werk sowohl inhaltlich als auch ästhetisch auf ein Motiv, das einem westlichen bzw. christlichen Publikum vertraut ist, doch anstatt der tradierten Christus-und-Johannes-Typologie der europäischen Kunst
607 Vgl. Mercer, Kobena: Mortal Coil: Eros and Diaspora in the Photographs of Rotimi Fani-Kayode, in: Ders.: Travel & See. Black Diaspora Art Practices Since the 1980s (zuerst 1999), Durham und London 2016, S. 97–128; hier: S. 108ff; in der Kultur sowie im Kunsthandwerk der Yoruba spielen (Glas-)Perlen eine bedeutende Rolle, so zeichnet etwa die korallfarbige akori-Perle Priester bzw. Beamte aus und auch die Robe des obas (Königs) besteht aus kunstvoll verflochtenen (Glas-)Perlen. Insbesondere junge Yoruba-Frauen drücken den Wohlstand ihrer Familie durch aufwendigen Perlenschmuck aus. Siehe hierzu Drewal, Henry John; Pemberton III, John; Abiodun, Rowland: The Yoruba World. In: Kat. Ausst. YORUBA: Nine Centuries of African Art and Thought, hg. von Henry John Drewall, John Pemberton III, Rowland Abiodun und Allen Wardwell, The Center for African Art in New York 1989, New York 1991 (2. Auflage), S. 13–44; hier: S. 38 (über die Perlen im Gewand des obas); überdies Abiodun, Rowland: The Kingdom of Owo, in: Kat. Ausst. YORUBA: Nine Centuries of African Art and Thought, hg. von Henry John Drewall, John Pemberton III, Rowland Abiodun und Allen Wardwell, The Center for African Art in New York 1989, New York 1991 (2. Auflage), S. 91–116; hier: S. 91 (über die Perle bei Yoruba-Frauen). 608 Fani-Kayode beschreibt sich selbst etwa als ›dreifachen Außenseiter‹: »On three counts I am an outsider: in matters of sexuality; in terms of geographical and cultural dislocation; and in the sense of not having become the sort of respectably married professional my parents might have hoped for.« Und weiter: »My identity has been constructed from my own sense of otherness, whether cultural, racial or sexual. The three aspects are not separate within me. Photography is the tool by which I feel most confident in expressing myself. It is photography therefore – Black, African, homosexual photography – which I must use not just as an instrument, but as a weapon if I am to resist attack on my integrity and, indeed, my existence on my own terms.« (Fani-Kayode, Rotimi: Traces of Ecstasy. In: Ten 8 – International Photography Magazine, Volume 1, Nr. 28, S. 36–43: hier: S. 39; zitiert nach Mercer 2016, S. 106f); vgl. zudem Nelson, Steven: Transgressive Transcendence in the Photographs of Rotimi Fani-Kayode. In: Art Journal. Vol. 64, Nr. 1 (Frühling 2005), S. 4–19; hier: S. 5. 609 Mercer 2016, S. 126; vgl. hierzu auch Nelson 2005, S. 6.
III. Hauptteil
zu folgen, lässt er den Erlöser und seinen Lieblingsjünger von zwei schwarzen Modellen verkörpern. Dieser augenfällige Bruch mit der geläufigen Ikonographie – Jesus und Johannes als Idealtypen europäischer (weißer) Schönheitsvorstellungen – hinterfragt nicht nur das Selbstverständnis westlich-europäischer Kunst, sondern thematisiert auch das Schicksal homosexueller Männer im Angesicht von AIDS. Fani-Kayode, der sonst nie vor expliziter Sexualität zurückscheute, nimmt hier ganz bewusst Bezug auf ein Figurenpaar, das für eine ›reine Liebe‹ jenseits bloßer Fleischlichkeit steht, und setzt es einem öffentlichen Diskurs entgegen, der ›die Schuld‹ für die AIDS-Epidemie im männlich-männlichen Begehren selbst sucht.610 Mehr noch: Der von Teilen der Gesellschaft als ›Strafe Gottes‹ angesehene AIDS-Tod wird vom Künstler zum Märtyrertod umgedeutet. An den hier besprochenen Werkbeispielen konnte demonstriert werden, wie das Thema der amicitia anhand tradierter Figurenpaare des Tanachs bzw. des Alten und Neuen Testaments in unterschiedlichen Kontexten wiederkehrt. Hierbei fällt insbesondere in Anbetracht der letzten beiden Arbeiten auf, dass das Konzept der amicitia, welches im Christentum stets als Antithese zur Sodomie galt, eine zunehmende Verunklärung bzw. (Homo-)Sexualisierung erlebt: Queere Künstler wie Adi Nes und Rotimi Fani-Kayode verwischen die einstige Differenzierung in dem Bemühen, das eigene Begehren innerhalb einer zutiefst homophoben Kultur zu legitimieren und aufzuwerten. Hierin spiegeln sich ähnliche Bestrebungen wider, wie sie wohl auch Wilde bewegt haben, sich in seiner Verteidigungsrede auf Jesus und Johannes zu beziehen. Obschon die amicitia zumindest ihrer christlichen Interpretation nach dezidiert nicht als erotische Beziehung gedacht war, spielt sie dennoch eine Rolle im homosexuellen bzw. queeren Motivkanon.
III.2.3 Donatellos und Michelangelos David: Von der Renaissance zur Verqueerung begehrenswerter Körper Im Folgenden sollen zwei Kunstwerke untersucht werden, die den alttestamenlichen David als Bezwinger Goliats zeigen und die als fester Bestandteil eines queeren bzw. homoerotischen Bildkanons gelten: Einerseits der knabenhafte David von Donatello (Abb. 84) und andererseits der kolossale David von Michelangelo (Abb. 85). Die Auseinandersetzung mit diesen Arbeiten ist dabei unweigerlich verbunden mit dem im Methodikkapitel angesprochenen Spannungsverhältnis zwischen einer geschlossenen und einer durchlässigen Körpervorstellung, stehen doch beide Skulpturen emblematisch für die Renaissance eines antiken Körperbildes, das der im Mittelalter prävalenten Idee des Leibes als »unausschöpfbares Gefäß von Tod und Befruchtung« mit zahlreichen »Ausstülpungen und Öffnungen«, wie es Bachtin formuliert hat, diametral entgegensteht.611 Ehe sich der Blick
610 Zu den öffentlichen Reaktionen auf die AIDS-Krise siehe z.B. Pierceson, Jason: Sexual Minorities and Politics: An Introduction, Lanham 2016, S. 120; für den deutschen Raum siehe Frings, Matthias: Gemischte Botschaften. Der Umgang der deutschen Printmedien mit dem Thema AIDS, in: Marcus, Ulrich (Hg.): Glück gehabt? Zwei Jahrzehnte AIDS in Deutschland, Berlin und Wien 2000, S. 238–261. 611 Bachtin 1987, S. 359 und S. 358 (Hervorhebung aus Originaltext übernommen); vgl. zudem Kapitel II.3.2 der vorliegenden Arbeit.
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auf Donatellos Plastik bzw. Michelangelos Skulptur und deren ›Nachleben‹ richtet, erscheint es zunächst sinnvoll, an zwei ausgewählten Beispielen – Matthias Grünewalds Kreuzigungsszene des Isenheimer Altars (Abb. 86) sowie Michelangelos Christus mit dem Kreuz bzw. Auferstandener Christus (Abb. 87) – noch einmal das sich im christlichen Mittelalter etablierende ›transitorische‹ Körperbild zu veranschaulichen und mit dem der Neuzeit zu kontrastieren.612 Das Konzept eines zwischen Zerfall und Entstehung oszillierenden Körpers, dessen Fleischlichkeit nicht als etwas Sinnliches, sondern als etwas Schmerzhaftes inszeniert wird, ist essenziell für die christliche Ikonographie des Mittelalters. Der Grund für diese Fixierung auf das Motiv des gepeinigten Körpers ist in der frühen Geschichte des Christentums selbst zu finden, welche maßgeblich von Verfolgung und Martyrium bestimmt war.613 Im Zentrum des christlichen Glaubens steht das Leiden des ersten großen Dulders, Jesu Christi. Der Tod am Kreuz wird zum Kernpunkt der christlichen Heilslehre wie auch zum zentralen (Bild-)Topos. Die Darstellung des Gekreuzigten zeigt eine allmähliche Entwicklung vom frühen Typus des Christus triumphans, der siegreich vor dem Kreuz steht, hin zum leidenden und am Kreuz sterbenden Typus des Christus patiens.614 Diese ikonographische Veränderung ist ein Resultat der 325 n. Chr. auf dem Konzil von Nicäa kodifizierten Zweinaturenlehre, die den schmerzhaften Tod am Kreuz als Beweis für die ›Fleischwerdung‹ Christi betrachtet.615 Eine der intensivsten Darstellungen des Kreuzestodes findet sich an dem von Matthias Grünewald (1470–1528) gemalten Isenheimer Altar (Abb. 86). Obwohl dieser erst nach 1500 gefertigt wurde, also zu einer Zeit, als die Renaissance in Italien bereits in vollster Blüte stand, illustriert es doch den von Bachtin beschworenen mittelalterlichen Topos des »groteske[n] Körper[s]« auf eindringlichste Weise.616 Grünewald orientiert sich bei seiner Gestaltung des geschundenen Leibes Christi am Typus des Crucifixus dolorosus (im deutschen Sprachraum als Pestkruzifix bekannt), der nach 1300 im Zuge christlicher Passionsmystik entstand und als übersteigerte Version des Christus patiens angesehen werden kann.617 Der Gottessohn des Isenheimer Altars ist also eine späte Manifestation jener Pestkruzifixe, die ihre Hochphase bereits im 14. Jahrhundert erreichten.618 Das Altarbild Grünewalds zeigt den ans Kreuz geschlagenen Christus im Moment seines Todes auf dem Berg Golgotha. Die Proportionen des Gekreuzigten sind Daran anknüpfend erfolgt eine (kunst-)historische Betrachtung der beiden David-Statuen mit dem Fokus auf erotisierte Lesarten. Den Abschluss bildet schließlich eine Analyse zweier Werke – Jerry Janoscos Innocence von 1981 (Abb. 88) und Hans-Peter Feldmanns David von 2006 (Abb. 89) –, die das Thema begehrenswerter Leiblichkeit sowie duellierender Körperkonzeptionen am Beispiel von Michelangelos David für das 20. und 21. Jahrhundert verhandeln. 613 Woods schreibt hierzu: »Medieval Christian culture is understandably obsessive about the fates of the early Christians: all those curious methods of execution, each making its uniquely cruel mark on that particular body.« (Woods 1998, S. 47). 614 Vgl. Kopp-Schmidt 2004, S. 75ff. 615 Vgl. ebd., S. 68 und S. 74. 616 Bachtin 1987, S. 359. 617 Vgl. Müller, Christian: Grünewalds Werke in Karlsruhe. Karlsruhe 1984, S. 24; sowie Martin, François-René; Menu, Michel; Ramond, Sylvie: Grünewald. Köln 2013, S. 168; und Kopp-Schmidt 2004, S. 79. 618 Vgl. Kopp-Schmidt 2004, S. 79. 612
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leicht verzerrt, um der Körperlichkeit mehr Dringlichkeit und Präsenz zu verleihen. Das grün-gelbliche Inkarnat des gemarterten und ausgemergelten Körpers, der mit zahlreichen Wunden übersät ist, unterstreicht die Intensität des Leidens. Die Finger der durchbohrten Hände sind krampfhaft gespreizt. Auf dem Haupt lastet eine große Dornenkrone. Aus den geöffneten rissigen blauen Lippen scheint der letzte Atemzug zu dringen. Von tiefem Mitgefühl ergriffen stehen dem Gepeinigten zur Linken Maria, der Lieblingsjünger Johannes und Maria Magdalena sowie zur Rechten Johannes der Täufer bei. Sicherlich nehmen Grünewalds Passionsszene ebenso wie die Pestkruzifixe in ihrer visuellen Drastik eine kunsthistorische Sonderrolle ein, spiegeln sie doch hauptsächlich die Frömmigkeitsbewegung der compassio des Spätmittelalters wider.619 Nichtsdestotrotz versinnbildlichen jedoch gerade diese Werke auf nachdrückliche Weise die christliche Vorstellung eines ›transitorischen‹ bzw. ›grotesken‹ Körpers, den es mitsamt all seinen Begierlichkeiten zu ›überwinden‹ gilt. In der Kunst und Philosophie der Renaissance und des Humanismus kommt es zu einer sukzessiven Abkehr von dieser defätistischen Körperkonzeption, wie man an Michelangelos Christus mit dem Kreuz bzw. Auferstandener Christus (Abb. 87) zeigen kann. Diese Skulptur könnte sich nicht drastischer von Grünewalds Darstellung unterscheiden. Obschon es sich hier um zwei verschiedene Ikonographien handelt – Gekreuzigter und Auferstandener bzw. Schmerzensmann – lässt sich an diesem Vergleich die ab dem 15. Jahrhundert einsetzende Tendenz zu einer verhalteneren Darstellung des Leidens als auch einer verstärkt antikisierten Körperlichkeit erkennen.620 Entgegen der repräsentativen Zeichenhaftigkeit seines nördlichen Kollegen stellt Michelangelo seinen Christus ohne Wundmale und Blut dar. Die 1521 fertiggestellte Skulptur zeigt einen lebensgroßen, nackten, stehenden Christus, der die Werkzeuge seines Martyriums in den Händen hält: Kreuz, Strick, Schwamm und Rohr. In der überlieferten Korrespondenz zwischen Künstler und Auftragsgeber wird das Werk auch als Auferstandener Christus bezeichnet, was zu der heroischen Nacktheit und dem Kreuz passen würde, nicht aber zu den übrigen Passionswerkzeugen, die man sonst eher bei dem Typus des Schmerzensmannes findet.621 Es handelt sich hier um eine ikonographische Innovation Michelangelos, die durch die Verschmelzung dieser zwei Darstellungstypen »zur Dramatisierung der Skulptur im Sinne einer Passionsfrömmigkeit« beiträgt.«622 In ihrer antiken, fast apollinischen Schönheit steht diese Figur in absolutem Kontrast zum mittelalterlichen »Schmerzensmann als Elendsgestalt«.623 In seiner völligen Nacktheit und dem gemäßigt muskulösen Bau seiner Glieder verliert dieser Christus jedwede geschlechtliche Ambivalenz, er wird eindeutig zu einem »männliche[n] Geschlechtswesen«.624 Der Leib hat nichts Durchlässiges oder Groteskes mehr, er ist schön, in sich ruhend und geschlossen. Inszeniert Grünewald 619 Vgl. ebd. 620 Vgl. ebd. 621 Vgl. Zöllner, Frank; Thoenes, Christof; Pöpper, Thomas: Michelangelo. 1475–1564, Das vollständige Werk, Köln et al. 2007, S. 426. 622 Ebd. 623 Einem 1973, S. 122. 624 Schmale, Wolfgang: Nacktheit und männliche Identität. Verhandlungen im öffentlichen Raum, in: Kat. Ausst. Nackte Männer. von 1800 bis heute, Wien 2012/13, München 2012, S. 26–35; hier: S. 29;
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den entblößten Leib Christi als Ausdrucksträger fleischlicher Pein, gestaltet Michelangelo ihn als ebenso sinnliche wie triumphale Rückkehr zur idealschönen Körperlichkeit der Antike und steht damit exemplarisch für das neue Körperbild der Renaissance. Die Figur Davids wurde bzw. wird der tradierten Exegese nach immer wieder als alttestamentliche Präfiguration Christi gedeutet. In den jeweiligen Werken Donatellos respektive Michelangelos wird die Heldengestalt der Israeliten zwar auf äußerst unterschiedliche, aber ganz im Sinne der Renaissance stets sinnlich-schöne Weise imaginiert: Während Donatellos David (Abb. 84) mit seiner zarten und fast schon androgynen Statur dem idealisierten Bild eines Knaben enstpricht, scheint Michelangelos Version (Abb. 85) insbesondere durch ihre Größe sowie die betonte Herausarbeitung der Muskulatur einen Jüngling darzustellen, der kurz vor der ›Mannwerdung‹ steht. Donatellos (1386–1466) zwischen 1430 und 1450 im Auftrag Cosimo de‹ Medicis (1389–1464) entstandene androgyne Bronzeplastik gehört zu den ersten männlichen Aktfiguren der Nach-Antike.625 Die schlanke und zarte Gestalt des israelitischen Helden und zukünftigen Königs steht im triumphierenden Kontrapost über dem abgeschlagenen Kopf des Philisters Goliat. In den Händen hält David die Waffen seines Sieges – den Stein der Wurfschleuder und das Schwert des Besiegten, mit dem er ihn enthauptet haben soll. Die Figur ist fast völlig nackt, nur ein auffälliger Hut und verzierte Beinschienen bekleiden ihn spärlich. Betrachtet man ihn von der Rückseite bzw. seitlich, so fällt die lange Feder von Goliats Helm auf, welche sich an das Bein des Knabens anschmiegt und deren Spitze zwischen seinen Schenkeln verschwindet. Diese ikonographische Besonderheit verleiht diesem David eine unleugbare sexuelle Komponente.626 Ob es sich bei Donatellos Arbeit aber tatsächlich um ein genuin ›schwules‹ Kunstwerk eines ›homosexuellen‹ Künstlers handelt, wie dies Saslow etwas undifferenziert ausdrückt, ist jedoch fragwürdig.627 Zunächst gilt es nochmals zu betonen, dass es sich bei diesem David um eine Auftragsarbeit Cosimos handelt, der als einflussreicher Staatsmann die Geschicke der Stadt Florenz über einen langen Zeitraum lenkte.628 Die Plastik, welche ursprünglich im Innenhof des Palazzo Medici aufgestellt war, ist daher als politisches Symbol für das von den Medici propagierte Selbstbild der Stadt als ebenbürtige Konkurrentin und ›Bezwingerin‹ der Großmächte Mailand und Neapel zu verstehen.629
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sowohl Schmale als auch Saslow verweisen neben dem nackten Christus Michelangelos auf eine ebenfalls gänzlich entkleidete Gottessohnskulptur von Cellini. Vgl. Saslow 1999, S. 113f. Saslow kommentiert dazu: »[The statue] turned a traditional religious subject into a pederastic hymn to pagan ideals of bodily beauty and grace […] The cloaking of Hebrew content in Greek form, of moral beauty in corporeal beauty, was startling in its novelty.« (Saslow 1999, S. 83). Hierzu resümiert Adrian W. B. Randoloph: »Die poetisch-streichelnde Berührung des enormen Federflügels sowie die deutlich phallische Konnotation des massiven Schwertgriffs scheinen die Betrachter provozieren zu wollen.« (Randoloph, Adrian W. B.: Donatellos David. Politik und der homosoziale Blick, in: Fend, Mechthild; Koos, Marianne (Hg.): Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierung in der Kunst seit der Frühen Neuzeit, Köln et al. 2004, S. 35–51; S. 48). Vgl. Saslow 1999, S. 82f; zudem ist das Bild eher eine päderastischen Ikonographie zuzuordnen. Zur Auftragsgeschichte siehe Shearman, John: Only Connect… Art and the Spectator in the Italian Renaissance, Princeton (NJ) 2019 (zuerst 1992), S. 17. Bei Reed heißt es: »The Davids [gemeint sind sowohl Donatellos als auch Michelangelos DavidUmsetzungen, NM] were, first and foremost, symbols of Florence’s selfperception as a tiny citystate that could vanquish seemingly greater powers.« (Reed 2011, S. 50); vgl. zudem ebd., S. 44.
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Gleichwohl erscheint die Einbettung der Statue in einen homosozialen bzw. päderastischen Kontext legitim, galt Florenz doch bereits zu Dantes Zeiten als Epizentrum der ›Sodomie‹ bzw. Päderastie: Jährlich wurden hier mehrere hundert Männer aufgrund eines vitium contra naturam angeklagt.630 Gestützt wird diese erotisierte Auslegung überdies durch die von Donatello herausgearbeitete androgyne Körperlichkeit der Figur, sowie den auffälligen und in der kunsthistorischen Literatur immer wieder kommentierten Hut, der laut Adrian W. B. Randoloph einen Zusammenhang mit ›sodomitischen Praktiken‹ impliziert: »[Der Hut] kann jedoch sinnbringend im sozialen Kontext sodomitischer Beziehungen gedeutet werden. In den Verfahrensaufzeichnungen der Anklagen wegen Sodomie finden wir eine kuriose Florentiner Praktik dokumentiert: Auf den Straßen der Stadt sollen ›interessierte‹ Männer die Hüte der heranwachsenden Knaben, auf die ihr Augenmerk gefallen war, weggeschnappt und sie erst wieder herausgegeben haben, nachdem die Knaben sich ihren sexuellen Annäherungen ergeben hatten. Dieses spielerische Erpressen sexueller Beziehungen kann uns möglicherweise einen sozial-ikonographischen Anhaltspunkt für die Deutung von Davids prominentem Hut liefern. Ein heranwachsender Knabe, der so geschmückt ist, signalisiert seine Erwerblichkeit und erweckt so das Interesse eines reifen Mannes.«631 Doch zu keinem Zeitpunkt ist dieser David nur ein bloßes Begehrensobjekt, vielmehr bricht Donatellos doppeldeutiges Werk mit dem Bild knabenhafter Gefälligkeit, schließlich verliert hier nicht der Knabe seinen Hut, sondern der bärtige Goliat, der als Sinnbild eines erastês gelesen werden kann, seinen Kopf.632 Die der Statue inhärenten Widersprüchlichkeiten versinnbildlichen ein Spannungsverhältnis, welches charakteristisch für den christlichen Begehrensdiskurs ist: In einer Eros-Thanatos-Dialektik erweckt und bestraft der siegreiche Knabe den begehrlichen Blick des älteren Mannes.633 Donatellos David wird somit zum Emblem einer zutiefst ambivalenten christlichen Ikonographie, die zwischen antiker Ästhetik, unterdrückter Sexualität und moralischer Tugendhaftigkeit changiert.634 Diese Ambivalenz ist das Produkt einer forcierten Repression fleischlichen Begehrens im Christentum, denn erst durch dessen striktes Verbot wird es zur allgegenwärtigen Gefahr.635 Sexualität wird
630 Vgl. ebd., S. 42; vgl. zudem Randoloph 2004, S. 43. 631 Randoloph 2004, S. 49; der Autor stützt sich hier auf Forschungserkenntnisse von Michael Rocke. Siehe Rocke 1996, S. 155. 632 Vgl. Saslow 1999, S. 83; vgl. Reed 2011, S. 44. 633 Vgl. Randoloph 2004, S. 50. 634 Ein recht ähnliches Werk zu dem David Donatellos findet sich in der Malerei Caravaggios, welcher in seiner Version der Bibelpassage von 1610 (Galleria Borghese) sich selbst im abgetrennten Kopf Goliats darstellte und damit auf seine (vermutlich) sexuellen Beziehungen zu jüngeren Männern Bezug nahm. Vgl. Saslow 1989, S. 102. 635 In Sexualität und Wahrheit I schreibt Foucault: »Man darf nicht vergessen, dass die christliche Pastoral, indem sie den Sex zum Gegenstand des Geständnisses par excellence machte, ihn zugleich in die Rolle des beunruhigenden Geheimnisses versetzt hat: der Sex ist nicht das, was sich hartnäckig zeigt, sondern das, was sich überall verbirgt, die heimtückische Präsenz, die man leicht überhört, solange sie nur leise und verstellt spricht.« (Foucault 1983, S. 40).
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zum beständigen Schatten der christlichen Doktrin und manifestiert sich so auch in den unter kirchlicher Patronage entstandenen Kunstwerken. In ebendieses Spannungsfeld fällt auch Michelangelos David (Abb. 85). Im Gegensatz zu Donatellos Version zeigt die 1504 vollendete und ursprünglich als Bauschmuck für die Außenfassade der Kathedrale Santa Maria del Fiore gedachte Kolossalstatue laut Herbert von Einem den heldenhaften Verteidiger der israelitischen Stämme nicht nach, »sondern vor der Tat, den Gegner ins Auge fassend, die Schleuder zum Angriff bereit.«636 Die erste kolossale Aktfigur der Renaissance steht im klassischen Kontrapost und ist nur mit einer über die linke Schulter gelegten Schleuder attribuiert, deren Identifizierung und genaue Funktionsweise immer wieder in der kunsthistorischen Literatur debattiert wird.637 Durch die Reduzierung der Ikonographie auf das Nötigste gerät der nackte und athletisch definierte Körper zum zentralen Motiv. Michelangelo folgt in seiner Darstellung nicht dem biblisch korrekten Typus in Gestalt eines Knabens, vielmehr ersinnt er einen athletischen und deutlich reiferen bzw. ›männlicheren‹ Jüngling in der Rolle des David.638 Der geschwungenen und androgynen Leiblichkeit von Donatellos David setzt Michelangelo eine feste und scheinbar undurchdringliche Körperlichkeit entgegen. Trotz dieser offensichtlichen Unterschiede referieren beide Werke eindeutig auf die Antike.639 Angesichts der ikonographischen Eigenheiten, die Michelangelos Skulptur aufweist, verwundert es nicht, dass es beim zeitgenössischen Publikum immer wieder zu Fehlidentifikationen kam.640 John T. Paoletti vermutet hinter Michelangelos Bruch mit der tradierten David-Ikonographie mehr als eine bloße künstlerische Präferenz – die Vorliebe des Künstlers für muskulöse Körper – und argumentiert, dass das Werk als Reaktion auf die damalige politische Situation zu verstehen sei: Demnach stelle Michelangelos David, der sowohl nach der kurzzeitigen Vertreibung der Medicis aus Florenz (1494–1512) 636 Einem 1973, S. 34. 637 Siehe hierzu Coonin, Victor A.: From Marble to Flesh. The Biography of Michelangelo’s David. Florenz 2014, S. 108ff; sowie Paoletti, John T. Michelangelo’s David. Florentine History and Civic Identity, Cambridge 2015, S. 76ff. 638 Vgl. Saslow 1999, S. 96; vgl. zudem Zöllner, Thoenes und Pöpper 2007, S. 413; obgleich Michelangelos David deutlich reifer und ›männlicher‹ wirkt als das Pendant von Donatello, können seine verzerrten Proportionen (übergroßer Kopf und Hände etc.), die insbesondere bei einer unmittelbaren Frontalansicht auffallen, als bildimmanenter Verweis auf den sich noch im Wachsen befindlichen Jünglingskörper gelesen werden. Bei den übergroßen Händen könnte es sich nach John Shearman zudem um eine Anspielung auf eine damals gängige Interpretation des Namen Davids als fortis manu (starke Hand) handeln. Zugleich macht Shearman allerdings auch darauf aufmerksam, dass das Werk ursprünglich für eine stark erhöhte Position auf einem der Stützpfeiler des Duomo gedacht war und Michelangelo daher vermutlich bewusst mit einer perspektivischen Verzerrung der Proportionen gearbeitet hat. Da die Anbringung der Skulptur an der Kirchenfassade auch dann noch eine Option war, als das zuständige Beratungsgremium am 25. Januar 1504 tagte und nach einem alternativen Aufstellungsort auf der Piazza Signoria suchte, erscheint letztere Deutung am wahrscheinlichsten. Siehe Shearman 2019, S. 215f; sowie ebd. Fußnote 23. 639 Tatsächlich ist Michelangelos David das Ergebnis intensiver Antikenstudien des Künstlers in Rom. Vgl. Einem 1973, S. 35. 640 Bei Paoletti heißt es dazu: »The Florentine diarist Luca Landucci consistently referred to the statue simply as the ›giant,‹ while foreign visitors to the city […] either gave it a generic label or misidentified it.« (Paoletti 2015, S. 78).
III. Hauptteil
als auch nach der überstandenen Schreckensherrschaft Girolamo Savonarolas in Auftrag gegeben wurde, ein ›erwachseneres‹ Gegenbild zum ›Jugend- bzw. Knabenkult‹ der vertriebenen Machthaber dar.641 Die Annahme, dass das Werk seinen historischen Hintergrund reflektiert, erklärt zumindest teilweise die ikonographischen Innovationen. Die einzigartige Umsetzung des Motivs ginge folglich mit einem (kurzzeitigen) Neubeginn in der Stadt einher: Das ehemals durch die Medici und Savonarola fremdbestimmte Florenz wird unabhängig und parallel dazu emanzipiert sich auch die städtische Identifikationsfigur des David, die sich vom schmächtigen Knaben zum kraftstrotzenden Jüngling wandelt. Ähnlich wie bei Donatello existieren auch zu dieser Skulptur zahlreiche Interpretationsansätze, die sich verstärkt auf die ›erotische Dimension‹ des Werks fokussieren. Diese erotisierten Lesarten des David fußen zumeist auf zwei Aspekten: zum einen auf den Vermutungen über Michelangelos eigenes sexuelles Begehren und zum anderen auf der durch die reduzierte Ikonographie in den Vordergrund gerückten idealisierten Körperlichkeit und Nacktheit der Figur642 – in der kunsthistorischen Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass dieser David das begehrenswerte Idealbild jugendlichmännlicher Schönheit sei.643 Mit Blick auf die feine und detaillierte Herausarbeitung jeder Ader und jedes Muskels erscheint es fast unvermeidlich, David mit Michelangelos eigenem homoerotischem Verlangen in Verbindung zu bringen.644 Beinah schwärmerisch mutet Michelangelos Umsetzung der alttestamentlichen Heldengestalt an und doch ist auch sein David nie nur ein bloßes Begehrensobjekt, sondern ein autonomes Kunstwerk: Durch ihre kolossale Größe, das schöne, aber abgewandte Gesicht sowie den entblößten, doch fast panzerartigen Körper scheint die Statue jedweden begehrlichen Blick zugleich anzuziehen und auch abzuweisen und erinnert damit an die nicht minder ambivalente Version Donatellos. Diese Beobachtung würde zu der von Michelangelo behaupteten sexuellen Abstinenz passen sowie einerseits zu seinem von zahlreichen Kunsthistoriker_Innen immer wieder theoretisiertem Zwiespalt zwischen gesellschaftlicher bzw. kirchlicher Verdammung gleichgeschlechtlichen Verlangens und andererseits seiner auf antike Philosophie referierenden Idealisierung des männlichen Körpers und mann-männlicher Verbindungen.645 641 Paoletti erläutert: »His treatment of David as a mature male, differing as it does from the decidedly youthful figures portrayed during the second half of the fifteenth century, may have resonance beyond the artist’s own preferences or the heroics demanded by the colossal size of the figure. Youthful representations of David are contextualized in time under the rule of the Medici family. They could be seen as a domestication of earlier heroic presentations of biblical warriors that paralleled ›a cult of youth‹ under Lorenzo [de‹ Medici, NM] and also under Savonarola, who concentrated on young males to spearhead his reform of public morals and the education of the youth from 1492 until his execution 1498.« (Ebd., S. 83). 642 Vgl. hierzu Coonin 2014, S. 187f und S. 189. 643 Siehe Reed 2011, S. 47; Coonin 2014, S. 187; Paoletti 2015, S. 179. 644 Vgl. Saslow 1986, S. 102. 645 Zu Michelangelos sexueller Abstinenz schreibt Coonin: »His assistant Tiberio Calcagni records Michelangelo advising one to refrain from sexual intercourse. The sculptor intoned, »This I have always done, and if you want to prolong your life, do not indulge in it or at least as little as you can.« (Coonin 2014, S. 190); zum Kampf mit dem eigenen Begehren schreibt Reed über Michelangelo wie auch Leonardo da Vinci: »Taken together, the freewheeling libertines,
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Wenngleich die jüdisch-christliche Motivwelt weniger Möglichkeiten zur Darstellung männlich-männlichen Begehrens bot, so lässt sich doch anhand der künstlerischen Umsetzungen Donatellos und Michelangelos eine Anspielung auf jenes Verlangen vermuten.646 Explizitere Darstellungen waren nur im Kontext antiker und nun als profan angesehener Themen möglich, wie z.B. bei Cellinis Ganymed (vgl. Abb. 37). Der mit der Renaissance beginnende Rückgriff auf antike Errungenschaften in der bildenden Kunst und der Philosophie geht jedoch mit einer Relativierung der christlichen Weltsicht einher.647 Beide David-Statuen bezeugen die Renaissance antiker Körperlichkeit und eröffnen die Möglichkeit, auch andere christliche Figuren als Archetypen antiker Schönheit darzustellen, so z.B. den fast zwanzig Jahre nach Michelangelos David entstandenen Christus mit dem Kreuz bzw. Auferstandenen Christus (Abb. 87).648 Im Falle Davids stützt sich die Deutung im Sinne gleichgeschlechtlicher Begehrlichkeit jedoch nicht allein auf eine erotisierte Ikonographie. In der Bibel wird der Sohn Isaias nicht nur als ausgesprochen schön beschrieben (1 Sam 16,12), er ist, wie im vorherigen Kapitel erörtert, auch in ein Geflecht männlich-männlichen Begehrens verstrickt: Zum einen ist er dem israelischen König Saul ein geliebter Diener, zum anderen besteht eine enge Bande zu dessen Sohn Jonathan, die zum Inbegriff der amicitia wird. Jenseits dieser aus der unmittelbaren ›Biographie‹ der David-Figur herrührenden Anknüpfungspunkte an homoerotische Themen entwickelt insbesondere Michelangelos Interpretation ein gänzlich eigenes ›queeres Nachleben‹, das zum Abschluss an zwei künstlerischen Positionen der Appropriation Art des 20. und 21. Jahrhunderts untersucht werden soll: die Keramikarbeit Innocence von Jerry Janosco aus dem Jahr 1981 (Abb. 88) sowie der farbigen David-Kopie von Hans-Peter Feldmann aus dem Jahr 2006 (Abb. 89). Im Zuge seiner Erforschung ›schwuler Schönheitsideale‹ berichtet Bronski in seinem Buch Culture Clash: The Making of Gay Sensibility (1984) folgendes: »Until a decade ago, a plaster reproduction of Michelangelo’s David was a fixture in gay male households: besides being beautiful, it was respectable enough to be safe.«649 Die zum Teil bis heute zu konstatierende Omnipräsenz von Michelangelos Skulptur in der schwulen Subkultur lässt sich dabei u.a. auf die drei zuvor genannten Aspekte der ›David-Biographie‹ (zuvorderst die homoerotischen Verflechtungen mit Saul und Jonathan), der Künstlerbiographie sowie der idealisierten Nacktheit der Skulptur zurückführen. Bronski referiert in der zitierten Textstelle allerdings noch auf eine weitere Facette, welche Victor A. Coonin in From Marble to Flesh. The Biography of Michelangelo’s David (2014) nochmals benennt:
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Cellini and Sodoma, and the artist-scholars, Michelangelo and Leonardo, demonstrate the Renaissance’s contradictory attitdues toward sex among men. While homosexual acts were officially condemned, Cellini and Sodoma show that these rules, along with other forms of propriety – were flouted by men with powerful friends. In contrast, Michelangelo and Leonardo struggled to reconcile civic and religious sanctions against homosexual acts with competing philosophical ideals valorizing male bonding and male beauty.« (Reed 2011, S. 47). Vgl. Saslow 1986, S. 102. Vgl. ebd., S. 104f. Vgl. Fernandez 2002, S. 104ff. Bronski 1984, S. 46.
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»The David is an exquisitely shaped masculine body, a confident display of nudity, a male statue with explicit and powerful sexuality, and a recognized masterpiece of world art. As such, it resonates deeply in straight and gay culture alike. As a tangible expression of idealized male beauty and a symbol of male desire, it has been used as a covert signpost as well as an outward symbol of gay liberation.«650 Es war bzw. ist gerade die Allgegenwart des David in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung und sein Status als ›Weltkunst‹, welche es der schwulen Subkultur ermöglicht haben, das Werk unter dem Deckmantel der Kultiviertheit als Kommunikationsmittel für männlich-männliches Verlangen zu appropriieren.651 Diese Art der verdeckten Verständigung war ganz besonders in Zeiten größter Ächtung und Verfolgung gleichgeschlechtlichen Begehrens von immenser Bedeutung.652 Welch kuriose Blüten die Popularität dieses Kunstwerks innerhalb homosexueller Kreise annimmt, demonstrieren Coonins sowie der Literaturwissenschaftler Raymond-Jean Frontains, wenn sie neben New Yorker Pornokinos der 1970er Jahre, welche Namen wie The David bzw. The New David tragen, etwa auch auf einen mit Michael, Angelo and David humorvoll betitelten Pornofilm von 1976 hinweisen – ein Zusammentreffen von High- und Low-Art, in welchem sich die von Sontag beschworenen ästhetischen Grundsätze des camp widerspiegeln.653 Mit ebenjener Rolle des David als ›schwuler‹ Kunst- und Schönheitsikone beschäftigt sich der amerikanische Künstler Jerry Janosco (* 1947) in seiner David-Serie, die er 1982 in der Gruppenausstellung Extended Sensibilities. Homosexual Presence in Contemporary Art des New Museum in New York präsentierte. Die drei dort von ihm gezeigten Arbeiten können als eine Art appropriierter Skulpturcollage bezeichnet werden, verwendet er dafür doch kommerzielle Reproduktionen sowohl von Michelangelos David als auch von Figurinen und Keramikwaren. In der mit Innocence betitelten Arbeit (Abb. 88) kombiniert der Künstler in einer Vertikalanordnung die Büste des David mit zwei Keramik- bzw. Porzellanfigurinen: An der Spitze steht das erblondete Haupt Davids, das auf der zartgliedrigen Porzellanfigurine eines nackten Hermaphroditen ruht, dessen schamhafter Versuch, sein Gesicht zu
650 Coonin 2014, S. 187. 651 Den Aufstieg Davids zur weltweit bekannten Kunstikone skizziert u.a. Coonin. Er benennt neben Giorgio Vasaris hymnischer Verehrung des Kunstwerks in Le Vite (1550 und 1568) vor allem das 19. Jahrhundert und die Verlegung der Statue von der Piazza della Signoria in die Räume der Accademia delle Belle Arti im Jahre 1873 als Anbeginn seines weltweiten Ruhmes. Doch schon im 18. Jahrhundert galt Michelangelos Werk als Reiseziel für die Grand Tour junger Adliger. Vgl. ebd., S. 135f (Vasari), S. 138 (Grand Tour), S. 142 und S. 160 (19. Jahrhundert und Verlegung); zu den Auswirkungen der Verlegung Davids von einem öffentlichen Platz in einen geschlossenen Ausstellungsraum siehe Paoletti 2015, S. 9f. 652 Hierzu schreibt Raymond-Jean Frontain: »Because it [Michelangelos David, NM] is recognized as ›high art,‹ any person of taste is justified in displaying it. As such, it’s also a sign that closeted or guarded gay men can use to communicate to liked-minded persons without arousing the suspicions of the censorious.« (Frontain, Raymond-Jean: The Fortune in David’s Eyes. In: The Gay and Lesbian Review Worldwide, Juli–August 2006, S. 12–15; hier: S. 15; online abrufbar unter: https://glreview.org/article/article-980/(zuletzt: 28.02.2019). 653 Vgl. hierzu Coonin 2014, S. 188 und Frontain 2006, S. 15.
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verbergen, im starken Kontrast zu seinem kaum übersehbaren und weit hervorstehenden Penis steht.654 Der Kurator von Extended Sensibilities Daniel J. Cameron beschreibt den vorpubertären Oberkörper wie auch die Geste der hermaphroditischen Gestalt dabei als Ausdruck einer idealisierten ›weiblichen Unschuld‹ (daher wohl auch der Titel), der jedoch durch das männliche Genital gebrochen wird.655 Den Sockel der Arbeit bildet schließlich eine kleine und ebenfalls aus Keramik gearbeitete Vierergruppe Frauen mit enblößten Oberkörpern, die mit ihren erhobenen Armen die beiden oberen Plastiken stützen. Doch Janoscos Arbeiten sind stets mehr als ›nur‹ bloße Zusammenstellungen appropriierter Versatzstücke, da er die einzelnen Elemente seiner Skulpturcollagen häufig nochmals modifiziert. Die offensichtlichste Veränderung des Ausgangsmaterials in Innocence stellt die Maske dar, die mit einer rosa Schleife um den Kopf der David-Büste gebunden ist. Bei dieser Maske handelt es sich um einen Abguss des darunterliegenden Gesichts von Michelangelos David; in einem Akt künstlerischer Dopplung ziert die Maske also dasjenige Antlitz, welches sie eigentlich zu verbergen sucht.656 Anstatt jedoch eine identische Kopie anzufertigen, versieht Janosco die David-Maske mit einem auffälligen Make-up, das in seiner Theatralik an das Auftreten von Drag Queens bzw. Travestiekünstler_Innen erinnert. Janoscos spannungsgeladene Verbindung von Kitsch und Kunst eröffnet hierbei eine ganze Reihe von Interpretationsansätzen. Nach einer Lesart wäre die gesamte David-Serie etwa als Kommentar auf die kommerzielle Ausschlachtung von Michelangelos wohl bekanntester Skulptur und deren damit einhergehender Reduzierung auf ›Kunstkitsch‹ zu verstehen.657 Für das hier verfolgte Argument ist allerdings ein anderer, wenn auch 654 Es ist unklar, ob die Figur erst durch Janosco zum Hermaphroditen gemacht wurde oder ob er die Figurine so vorgefunden hat. Laut meiner Korrespondenz mit Christopher Reed, durch dessen Buch Art and Homosexuality (2011) ich auf das Werk aufmerksam gemacht wurde, lebt der Künstler zwar noch, hat sich aber aus der Öffentlichkeit gänzlich zurückgezogen. Die Betrachtung der Arbeit anhand der mir zur Verfügung stehenden Fotografien lässt zumindest keinen offensichtlichen Eingriff erkennen. 655 Daniel J. Cameron schreibt dazu: »As the kitsch personification of innocence, this idealized nineteenth-century virginal-female form shields her eyes modestly, though this gesture also serves to distract attention from the elongated circumcized penis grafted onto her pelvis.« (Kat. Ausst. Extended Sensibilities. Homosexual Presence in Contemporary Art, hg. von Daniel J. Cameron, The New Museum 1982, New York 1982, S. 20). 656 Dies behaupten zumindest Reed in Art and Homosexuality sowie Cameron im Extended SensibilitiesAusstellungskatalog. Siehe Reed 2011, S. 203; sowie Kat. Ausst. Extended Sensibilities 1982, S. 20. Ulrich Luckhardt wiederum spricht in seiner Auseinandersetzung mit der Ausstellung davon, dass die Maske das Antlitz der Venus von Milo tragen würde. Vgl. Luckhardt, Ulrich: Extended Sensibilities: Überlegungen zu einer Ausstellung in New York, in: Kritische Berichte. Jahrgang 11, Heft 1, 1983, S. 63–66; hier: S. 64; tatsächlich erscheint eine genaue Identifizierung schwierig, aber vermutlich handelt es sich um eine feminisierte Version von Davids eigenem Antlitz, wie dies so auch im Ausstellungskatalog vertreten wird: »A feminized face-section taken from David’s countenance has been gently tied around the back of his neck with a pink ribbon, aligned so that when one is eye-level to the lightly drooping mask, David’s eyes look down into one’s own.« (Kat. Ausst. Extended Sensibilities 1982, S. 20). 657 Bei Reed heißt es: »Jerry Janosco’s (b. 1947) combinations of kitschy ceramic casts of neoclassical sculptures both revealed elements of campy artificiality lurking within consumer culture.« (Reed 2011, S. 202).
III. Hauptteil
verwandter Aspekt von Bedeutung: die campe Ironisierung bzw. Verqueerung einer idealisierten Geschlechtlichkeit und Körperlichkeit. Wie kaum ein anderes Kunstwerk versinnbildlicht Michelangelos David in der breiten gesellschaftlichen Wahrnehmung des 20. Jahrhunderts den Archetypus des ›großen, starken, jungen Mannes‹ und genau dagegen positioniert sich die der absoluten Gekünsteltheit frönende Innocence. Während sich Michelangelos Darstellung des alttestamentlichen Helden in erster Linie durch Klarheit und Direktheit auszeichnet – zwei Merkmale, die im kulturellen Diskurs ›männlich‹ konnotiert sind –, besticht Janoscos ›Umarbeitung‹ vor allem durch ihre Fragmentierung sowie durch ihre ästhetische Verspieltheit und Ambivalenz. Insbesondere die hermaphroditische Figurine sowie die stark geschminkte Maske konterkarieren die ursprünglich unzweideutige Maskulinität des David. Eine sehr aufschlussreiche Interpretation der Maske wie auch des werkimmanenten Zusammenpralls zweier konträrer Ästhetiken stammt von Reed, der die visuelle Affektiertheit von Innocence als doppelbödige Kritik am Glauben an die ›Natürlichkeit‹ von Geschlechterbildern liest: Janosco visualisiere mit seinem Spiel von Maskierung und Demaskierung sowie Feminisierung und Maskulinisierung »suppressed gay meanings behind masculine guises usually perceived as natural or authentic.«658 Das eigentliche Antlitz des David, seinerseits wohl eines der prominentesten Gesichter idealisierter Männlichkeit in der westlichen Welt, gerät ihm in Innocence demnach zur verhüllenden Maske, deren grelles Make-up das durch ihn verkörperte Ideal ad absurdum führt und es als gleichermaßen künstlich und konstruiert entlarvt. Mit Innocence zielt Janosco auf eine ›Verkitschung‹ bzw. ›Verweichlichung‹ des im westlichen Diskurs zum ästhetischen Leitbild der Männlichkeit hochstilisierten Werks Michelangelos ab. Damit thematisiert er die Notwendigkeit vieler queerer Menschen ihr eigenes Begehren hinter einer Maske zu verbergen – ein Topos, den etwa Mishima in Geständnis einer Maske verhandelt.659 Gleichzeitig problematisiert der Künstler damit die weiterreichenden Implikationen, die mit der Vorstellung binärer Geschlechterbilder auftreten, wie z.B. die Essenzialisierung bestimmter Eigenschaften als genuin maskulin oder feminin. Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgt der deutsche Konzeptkünstler Hans-Peter Feldmann (* 1941) mit seiner ›Farbkopie‹ von Michelangelos David aus dem Jahre 2006 (Abb. 89). Die etwa neun Meter hohe Skulptur wurde speziell für den Außenbereich der Ausstellung Das achte Feld. Geschlechter, Leben und Begehren in der Kunst seit 1960 im Museum Ludwig in Köln angefertigt, einer Schau, die im begleitenden Katalogtext als »Bestandsaufnahme zum Topos marginalisierte[r] Sexualität in der Kunst« angepriesen wird.660 Mit dem David führt Feldmann seine bereits 1971 begonnene Werkserie fort, in
658 Ebd., S. 203. 659 Zu Mishima siehe Kapitel III.1.5 und III.2.5. 660 Wagner, Frank: Das achte Feld. Klappentexte zum Ausstellungsexperiment, in: Kat. Ausst. Das achte Feld. Geschlechter, Leben und Begehren in der Kunst seit 1960, hg. von Frank Wagner, Kasper König und Julia Friedrich, Museum Ludwig 2006, Ostfildern 2006, S. 19–40; hier: S. 19; der Titel der Ausstellung bezieht sich auf eine Regel im Schachspiel, nach welcher ein Bauer zur Dame wird, sofern er das achte Feld bzw. die achte Reihe des Gegenspielers erreicht (siehe hierzu König, Kasper: Vorwort. In: Kat. Ausst. Das achte Feld. Geschlechter, Leben und Begehren in der Kunst seit 1960,
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der er kommerziell produzierte Repliken antiker Skulpturen mit grellen Farben ›nachkoloriert‹.661 Neben antiken Kunstwerken wie etwa der Venus von Milo widmet sich der Künstler auch wiederholt Michelangelos Kolossalstatue, wobei die unterschiedlichen Ausführungen allesamt demselben Farbschema folgen: Der einst weiße Leib des alttestamentlichen Heros ist mit einem knallig rosaroten Inkarnat überzogen; die Lippen sowie die Brustwarzen sind rot, das Kopf- und Schamhaar grellblond, die Augenbrauen braun und die Augen blau bemalt. Das farbintensive Resultat beschreibt Petra Gördüren treffend als »Pin-up-Boy.«662 Während es Feldmann nach eigenen Aussagen zunächst um die ›Verschönerung‹ bzw. die ›Korrektur‹ der irrtümlichen Annahme einer ›klassisch weißen Antike‹ ging – ein Topos, der u.a. der fehlgeleiteten Antikenrezeption Winckelmans ge- bzw. verschuldet ist –,663 erzielt er durch den Bemalungsprozess jedoch noch einen ganz anderen Effekt: Er verleiht den scheinbar aus der Zeit entrückten und unantastbar wirkenden Skulpturen Nahbarkeit.664 Dadurch, dass Feldmann die (Akt-)Figuren der Antike, der Renaissance und des Klassizismus »bemalt, bekleidet, schmückt, ja sogar in zum Teil intime Beziehung zueinander treten lässt, zollt er […] ihrer unübersehbaren Körperlichkeit Tribut und gibt den museal entrückten Figuren ein Stück Alltagswirklichkeit zurück«.665 Neben dem Aspekt der Alltäglichkeit bzw. Nahbarkeit besticht die Werkserie aber primär durch die farblich (neu-)akzentuierte Leiblichkeit der Statuen: Die künstlerische Entscheidung, die Repliken mit einem derart auffälligen und beinah schon cartoonhaften Inkarnat zu versehen, hat zur Konsequenz, dass den Arbeiten eine übersteigerte ›Fleischlichkeit‹ anhaftet – im taktilen wie im sexuellen Sinne. Lässt sich die Nacktheit von Michelangelos David noch als Visualisierung von Tugendhaftigkeit rechtfertigen, scheint Feldmanns Version mit ihrer indiskreten Farbwahl einer solchen
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hg. von Frank Wagner, Kasper König und Julia Friedrich, Museum Ludwig 2006, Ostfildern 2006, S. 11–14; hier: S. 11). Zu den Anfängen von Feldmanns Werkserie siehe Gördüren, Petra: Hans-Peter Feldmann und die bunten Heroen. In: Kat. Ausst. Die beunruhigenden Musen. Hans-Peter Feldmann in der Antikensammlung der Kunsthalle zu Kiel, hg. von Dirk Luckow, Antikensammlung Kiel 2005, Köln 2005a, S. 17–22. Ebd., S. 17. Dirk Lockow schreibt dazu: »Feldmann möchte den ›Originalzustand‹ in geradezu kindlicher Weiser wiederherstellen. Er beruft sich darauf, dass die Tempel in früherer Zeit wie Trödelmärkte ausgesehen hätten« (Luckow, Dirk: Rede anlässlich der Eröffnung der Ausstellung »Hans-Peter Feldmann in der Antikensammlung« am 9. Dezemebr 2005, in: Kat. Ausst. Die beunruhigenden Musen. Hans-Peter Feldmann in der Antikensammlung der Kunsthalle zu Kiel, hg. von Dirk Luckow, Antikensammlung Kiel 2005, Köln 2005, S. 13–15; hier: S. 13); vgl. auch den Ausstellungskatalog Bunte Götter (2010), in dem auch auf die bereits im 19. Jahrhundert geführte Polychromiedebatte eingegangen wird. Siehe Brinkmann, Vinzenz: Einführung in die Ausstellung. Die Erforschung der Farbigkeit antiker Skulptur, in: Kat. Ausst. Bunte Götter. Die Farbigkeit Antiker Skulptur, hg. von Vinzenz Brinkmann und Andreas Scholl, Pergamonmuseum Berlin 2010, München 2010, S. 16–28. Vgl. Luckow 2005, S. 13f. Gördüren, Petra: Hans-Peter Feldmann und die Nackten. In: Kat. Ausst. Die beunruhigenden Musen. Hans-Peter Feldmann in der Antikensammlung der Kunsthalle zu Kiel, hg. von Dirk Luckow, Antikensammlung Kiel 2005, Köln 2005b, S. 99–104; hier: S. 104.
III. Hauptteil
›Apotheose des Fleisches‹ gezielt entgegenzusteuern und drängt vielmehr die körperliche Dimension der Statue in den Vordergrund. Implizierte der Körper des Kolosses zuvor Undurchdringlichkeit und Stärke, vermittelt er nach seiner Einfärbung nunmehr Sinnlichkeit und Weichheit. Es dürfte wohl insbesondere diese Fokussierung auf das Körperliche und das Fleischliche gewesen sein, die das Werk so interessant für die Kurator_Innen von Das achte Feld gemacht hat, war es doch ihr dezidiertes Ziel, künstlerische Positionen zusammenzutragen, die sich mit Geschlechtlichkeit, Körperlichkeit und Begehren auseinandersetzen.666 Feldmanns Ausstellungsbeitrag stellt, wie auch von Coonin angemerkt, nicht nur eine Transformation sondern auch eine Transgression des durch Michelangelos David verkörperten Bildes idealisierter Männlichkeit dar;667 anstatt den Betrachter_Innen alttestamentliches Heldentum zu kommunizieren, tritt dieser David als eine mit ihren Reizen kokettierende Ken-Puppe in Erscheinung. Sowohl Feldmann als auch Janosco verqueeren in ihren referenziellen und vielschichtigen Arbeiten die gesellschaftlich prävalente Idee binärer Geschlechterrollen. Anhand einer campen Ironisierung des im 20. Jahrhunderts zum omnipräsenten Männlichkeitsideal avancierten David von Michelangelo kommentieren und dekonstruieren die zwei Künstler die mediale und kulturelle Inszenierung von Geschlechtlichkeit sowie von Verlangen. Für beide künstlerische Positionen gilt hierbei, dass nicht länger der alttestamentliche David im Fokus steht, sondern Michelangelos Kunstwerk und dessen Rezeption – wie schon gezeigt, verschwindet die biblische Figur Davids jedoch keineswegs gänzlich aus der (queeren) Kunstlandschaft der Gegenwart, vielmehr taucht sie wiederholt im Œuvre von Adi Nes sowie von Pierre et Gilles auf. In einer fast ironisch anmutenden Entwicklung erlebt Michelangelos Skulptur, die in ihrer unmittelbaren Körperlichkeit und Nacktheit einst die Rückkehr begehrlicher Körperbilder in der Kunst eingeläutet hat, in den Händen von Janosco und Feldmann eine derartige ästhetische Verunsicherung bzw. Verunklärung, dass sie jetzt mehr mit dem von Ambivalenzen bestimmten mittelalterlichen Konzept durchlässiger Leiber gemein hat als mit dem der Antike entlehnten Ideal klar definierter und geschlossener Körper, welches sie ursprünglich repräsentierte. Michelangelos David wird somit zum symbolträchtigen Schlachtfeld einer anhaltenden und widersprüchlichen Diskursivierung duellierender Körper-, Geschlechter- und Begehrenskonzeptionen.
III.2.4 Jakobs Kampf mit dem ›Engel‹: Die Externalisierung internalisierter Homophobie Dieses Kapitel konzentriert sich auf das Motiv kämpfender bzw. ringender Männer oder genauer gesagt auf die queere Rezeption dieses Themas als Sinnbild eines internen Konflikts mit dem eigenen Begehren. Die Idee, das Ringen als Metapher für einen ›inneren Kampf‹ zu deuten, reicht bis in die Antike zurück und spiegelt laut der Historikerin Reinhild Stephan-Maaser die besondere Rolle wider, die dieser Sportdisziplin in der antiken 666 Vgl. König 2006, S. 11ff. 667 Coonin umschreibt die Arbeit Feldmanns mit den Schlagwörtern der »transformation« und »transgression« (Coonin 2014, S. 207).
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Kultur zugesprochen wurde: So galt der Ringkampf nach Platon und Aristoteles nicht nur als unverzichtbarer Bestandteil der Ausbildung junger aristokratischer Männer, sondern wurde u.a. anhand der Halbgötter Herkules und Theseus auch wiederholt in der antiken Mythologie thematisiert.668 Für Stephan-Maaser entspringt aus ebenjener engen Wechselbeziehung zwischen antiker Pädagogik und Mythologie letztlich die »symbolisch-moralische« Dimension des Ringens als Kampf zwischen ›Gut‹ und ›Böse‹.669 Als eine der frühesten schriftlichen Quellen, in welcher der Ringkampf mit einem internen Abwägungsprozess zwischen ›gut‹ bzw. ›gerecht‹ und ›böse‹ bzw. ›ungerecht‹ in Verbindung gebracht wird, benennt Bruno Snell das Werk des griechischen Lyrikers Archilochos (ca. 680–645 v. Chr.).670 Nach Snell thematisiert Archilochos als erster antiker Schriftsteller »das Ringen um ein moralisches Ziel«, wobei er der ›guten‹ Vernunft der schwer zu bändigenden und ›unheilvollen‹ thymós (Leidenschaft) gegenüberstellt.671 Obzwar das Bild des Ringens als Metapher für einen inneren Konflikt demnach schon in der Antike bekannt ist und auch in etlichen Skulpturen und Vasenmalereien dargestellt wurde, gewinnt es erst im Kontext eines alttestamentlichen bzw. christlichen Begehrensdiskurses an Bedeutung für die hier behandelte Fragestellung; denn erst die gesellschaftliche Degradierung zur ›sodomitischen Sünde‹ macht das gleichgeschlechtliche Begehren zum moralischen Konfliktfall, der (s)eine passende Visualisierung im (Ring-)Kampfmotiv findet. Ausgehend von einer queeren Re-Lektüre der alttestamentlichen Geschichte von Jakobs Kampf mit einem ›Fremden‹ am Fluss Jabbok (Gen 32, 23–32) soll der Topos des Ringens zunächst nicht nur hinsichtlich seiner christlichen Bedeutung analysiert werden, sondern auch in Bezug auf seine unterschwellige Homoerotik und unmittelbare Kör-
668 Stephan-Maaser, Reinhild: Ringen mit Leib und Seele. Jakobs Kampf mit dem Engel in der älteren Kunst, in: Ebach, Jürgen; Gutmann, Hans-Martin; Frettlöh, Magdalena L.; Weinrich, Michael (Hg.): »Schau an der schönen Gärten Zier…« Über irdische und himmlische Paradiese. Zu Theologie und Kulturgeschichte des Gartens (Jabboq, Band 7), Gütersloh und München 2007, S. 286–310; hier: S. 292ff. 669 Stephan-Maaser erläutert: »Außer in die Erziehung der aristokratischen Jünglinge war der Ringkampf der Griechen auch fest in die Mythologie eingebunden. Schutzgottheit und Vorbild der Ringer zugleich war Herakles, der aus zahlreichen Ringkämpfen gegen tierhafte und menschliche Ungeheuer (Antaeus, Acheloos etc.) als Sieger hervorgegangen war. […] Aus der pädagogischen und mythologischen Wertschätzung des Ringkampfes resultiert, dass diesem immer auch eine symbolisch-moralische Bedeutung im Sinne eines Strebens nach dem Guten und des Kampfes des Gerechten gegen das Ungerechte zukam.« (Ebd., S. 293f). 670 Siehe Snell, Bruno: Szenen aus griechischen Dramen. Berlin 1971, S. 56. 671 Bei Snell heißt es: »Die Metapher vom inneren Kampf taucht zuerst bei Archilochos auf […], da er sagt, gegenüber dem Leiden gäbe es das stärkere, siegreiche Ertragen, Erdulden […]. Die moralische Aktivität des Geistes, das Ringen um ein moralisches Ziel wird erst durch das Bild vom inneren Kampf, bei dem es Sieg und Niederlage gibt, begriffen. Wenn Archilochos in den homerischen Vorstellungen beharrt, dass man dem Thymós [die Leidenschaft, NM] nicht seinen freien Lauf lassen soll, und wenn dabei ein positives moralisches Ziel noch nicht ins Spiel kommt, so appelliert doch die von ihm, wenn auch nur beiläufig, zum ersten Mal verwandte Kampfmetapher auf neue Art an die innere Aktivität des Menschen.« (Ebd., S. 56f).
III. Hauptteil
perlichkeit.672 In Genesis 32, 23–32 wird geschildert, wie Jakob, der Sohn Rebekkas und Isaaks, nach langer Zeit in sein Heimatland zurückkehrt, um sich mit seinem Zwillingsbruder Esau zu versöhnen. Diesen hatte der verschlagene Jakob einst mit einer List der Mutter hintergangen, als er dem erblindeten Vater den Erstgeburtssegen abrang – ein Privileg, das eigentlich seinem zuerst geborenen Bruder zustand (Genesis 27, 1–40).673 Aus Angst vor Esaus Rache flieht Jakob zu seinem Großvater Laban von Beerscheba nach Aram. Während seines vierzehnjährigen Exils gründet er dort mit Leah und Rahel, den Töchtern Labans, sowie deren Mägden Bilha und Silpa eine ›polygame‹ Großfamilie, aus der insgesamt zwölf Söhne hervorgehen – die späteren Gründer der zwölf Stämme Israels. Auf Geheiß Gottes macht sich Jakob mit seiner gesamten Familie auf den Weg in sein Geburtsland (Gen 31, 3). In der Nacht vor dem Zusammentreffen mit Esau rastet Jakob alleine am Rand des Flusses Jabbok, nachdem er sowohl seine Familie wie auch sein Hab und Gut auf die andere Uferseite übergesetzt hat. Von Zweifeln geplagt, wie sein Bruder auf ihn reagieren wird, sieht er sich plötzlich mit einem Unbekannten konfrontiert und beginnt mit diesem zu ringen: »Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel [»Gottesstreiter« laut Lutherbibel, NM]; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob nannte die Stätte Pnuel [»Angesicht Gottes« laut Lutherbibel, NM]: Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.« (Gen 32, 23–32)674 Die traditionelle Exegese geht davon aus, dass es sich bei dem plötzlich auftauchenden Fremden, der in künstlerischen Darstellungen zunächst als Mensch und erst später 672 Am Beispiel je einer Arbeit von Alexandre-Louis Leloir (Abb. 91), Léon Bonnat (Abb. 92) sowie Hendrik Christian Andersen (Abb. 93) wendet sich der Blick im Anschluss auf drei künstlerische Interpretationen des Themas, in denen die homoerotische Komponente der biblischen Episode eine deutliche Präsenz einnimmt.1015 Besonders Leloirs Werk ist eng mit einer queeren Rezeptionsgeschichte verbunden, die anhand von Tony Kushners Theaterstück Angels in America: A Gay Fantasia on National Themes (zuerst 1991) – dessen Verfilmung von 2003 das Gemälde direkt zitiert – sowie François Harrays fotografische Hommage Jacob Wrestling with the Leloir Angel (Abb. 94) näher beleuchtet werden soll. Mit der abschließenden Betrachtung von Frederic Leightons An Athlete Wrestling with a Pyhton (Abb. 95) und Barbara Krugers Untitled (You Construct Intricate Rituals) (Abb. 96) wird die erotisierte Ringkampfmotivik auch jenseits der Jakobsgeschichte analysiert. 673 Die List besteht darin, dass sich Jakob Ziegenfell über seine Arme und seinen Hals streift, um sich damit bei seinem erblindeten Vater als Esau auszugeben, welcher in der Bibel als stark behaart beschrieben wird (Gen 27, 11). Nach Kerstin Söderblom verkörpert der behaarte Esau im Vergleich zum ›glatten‹ Jakob »das Inbild von Männlichkeit.« (Söderblom, Kerstin: Kampf mit einem queeren Gott? Aspekte einer queeren Theologie, in: Schmelzer, Christian (Hg.): Gender Turn. Gesellschaft jenseits der Geschlechternorm, Bielefeld 2013, S. 173–188; hier: S. 178). 674 Bibeltext aus der revidierten Übersetzung der Lutherbibel von 2017 zitiert.
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als geflügelter Engel dargestellt wird,675 um Gott selbst handelt – eine Auffassung, die auch zu den im obigen Zitat eingefügten Übersetzungen der Namen ›Israel‹ und ›Pnuel‹ passt.676 Für Jakob erweist sich die Begegnung am Jabbok als ebenso zentraler wie einschneidender Moment: Die Taufe auf den Namen Israel wie auch die Verletzung seiner Hüfte markieren Jakob in zweifacher Weise als Gesegneten bzw. Auserwählten, der fortan seiner gottgewollten Bestimmung folgt. In seinem Bibelkommentar schreibt der Theologe Gordon J. Wenham hierzu: »But instead of merely blessing him, his opponent changes Jacob’s name thus announcing Jacob’s new character and destiny.«677 Der auf ewig gezeichnete Jakob – der erlittene Schlag auf die Hüfte lässt ihn für den Rest seines Lebens humpeln – wird zum Inbegriff eines reuigen Sünders, der durch das wortwörtliche Eingreifen Gottes auf den ›richtigen‹ Weg gelenkt wird. Der nächtliche Ringkampf fungiert letzten Endes als notwendiges kathartisches Moment, welches einerseits die Versöhnung der verstrittenen Brüder durch die Segnung Gottes ermöglicht.678 Andererseits wird der heimkehrende Jakob auch auf seine Rolle als dritter Stammesvater der Israeliten vorbereitet; der von Gott errungene bzw. ihm abgerungene Segen wird hierbei als besonders wichtig erachtet, da Jakob dadurch von seiner Schuld, den Erstlingssegen einst erschlichen zu haben, rehabilitiert wird. Wie Kerstin Söderblom zusammenfasst, ist dies vor allem deshalb von Bedeutung, weil Jakob »– genauso wie Abraham und Isaak – als Ahnherr des davidischen Geschlechts und damit als Ahnherr von Jesus [gilt].«679 Spätestens seit dem Mittelalter verbreitet sich analog hierzu allerdings auch eine allgemein moralisierende Auslegung, die das Ringen zwischen Jakob und Gott mit dem Kampf gegen unchristliche Laster vergleicht. Stephan-Maaser verweist in ihrem Artikel beispielsweise auf die Bible moralisée: Codex Vindobonensis 2554 aus dem 13. Jahrhundert, in welcher die alttestamentliche Episode »als allgemeine Aufforderung zum Kampf gegen
675 Stephan-Maaser macht in diesem Kontext darauf aufmerksam, dass die Darstellung von Jakobs ›Kontrahenten‹ als Engel auf die Verknüpfung von Gen 32 und Hosea 12, 5 zurückzuführen ist: »Das Fehlen der Flügel deutet darauf hin, dass der in Gen. 32 geschilderte Kampf in frühchristlicher Zeit noch nicht wie in der späteren Rezeptions- und Kunstgeschichte mit Hosea 12, 5 zusammen gesehen wurde, wo es heißt: ›Er (Jakob) wurde Herr über einen Engel und obsiegte‹« (Stephan-Maaser 2007, S. 291); vgl. zudem Kauffmann, C. M.: Jakob. In: Kirschbaum, Engelbert et al. (Hg.): Lexikon der christlichen Ikonographie. 8 Bände, Rom et al. 1970, 2. Band (1970), Sp. 370–383; hier besonders: Sp. 376–380; darüber hinaus erläutert Michael Carden in seinem Bibelkommentar, dass Jakob in der jüdischen Tradition explizit mit einem Engel ringt. Im Koran taucht die Episode laut Carden hingegen gar nicht auf. Siehe Carden, Michael: Genesis/Bereshit. In: Guest, Deryin; Goss, Robert; West, Mona; Bohache, Thomas (Hg.): The Queer Bible Commentary. London 2006, S. 21–60; hier: S. 50. 676 Zur Übersetzung der Namen siehe auch Söderblom 2013, S. 179; vgl. zudem die ausführliche etymologische Besprechung in Wenham, Gordon J.: Word Biblical Commentary. Volume 2: Genesis 16–50, Nashville, Dallas, Mexico City und Rio de Janeiro 2000, S. 288 und 296f. 677 Wenham 2000, S. 296. 678 Hierzu nochmals Wenham: »[A]nd so Jacob confesses that his prayer for deliverance from Esau is answered. If he has survived meeting God, he will survive his meeting with Esau.« (Ebd., S. 297). 679 Söderblom 2013, S. 179
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das Böse« gedeutet wird.680 Als passende Visualisierung dazu stellt das illuminierte Manuskript der Darstellung von Jakobs Kampf mit dem Engel (Abb. 90 oben rechts) – hier in einer Doppelszene mit Jakobs Traum von der Himmelsleiter (links) – im darunterliegenden und ebenfalls zwei Szenen beinhaltenden Medaillon eine allegorische Ausdeutung gegenüber: So wird linkerhand dem träumenden Jakob eine Abbildung des an der Brust Christi ruhenden Apostels Johannes zugewiesen, wobei der nebenstehende Kommentar thematische Parallelen zwischen dem im Traum versunkenen Jakob, dem schlafenden Johannes und den »guten Christen« zieht, »die nach guten Werken schlafen.«681 Die rechte Szene des unteren Medaillons nimmt hingegen Bezug auf die Begegnung Jakobs mit dem Engel und zeigt laut Hans-Walter Stork einen Ehrenmann bzw. Edelmann (ganz rechts), der einen Teufel sowie zwei kniende Männer zu konfrontieren scheint. Dabei fällt insbesondere der vordere, in ein blaues Gewand gehüllte Mann auf, um dessen merkwürdig verdrehten Hals eine Art Umhängetasche bzw. ein Geldsack geschlungen ist, die bzw. der Assoziationen zu einem Galgenstrick aufkommen lassen – vielleicht eine Referenz auf den der Habgier zum Opfer fallenden Judas?682 Der dazugehörige Kommentar der Bible moralisée erläutert diesbezüglich, dass das Ringen Jakobs mit Gott gleichzusetzen sei mit dem »Edelmann, der mit der Welt und dem Fleisch und mit dem Teufel kämpft.«683 Der Teufel wie auch die beiden knienden Gestalten stellen folglich fleischliche und weltliche Laster dar, denen sich der Edelmann entgegenstellt. Gemäß ihrer moralisch-erzieherischen Intention impliziert die Bible moralisée also eine thematische Parallele zwischen dem Gottesstreiter Jakob auf der einen Seite und der Konfrontation des Edelmannes mit sinnlich-irdischen Verlockungen auf der anderen Seite: Jakob, der sich dem Engel bzw. Gott im Ringkampf stellt, um Buße für sein Vergehen zu tun, wird zum Vorbild für den ›guten und tugendhaften Christen‹, welcher beständig gegen jedwede Sünde und Versuchung ankämpfen muss.684 An die der moralisierenden Bibelexegese zugrundeliegenden Vorstellung eines internen Ringens mit weltlichen und fleischlichen Gelüsten knüpft die von Michael Carden, Kerstin Söderblom und Susannah Cornwall betriebene queere Relektüre der Jakobs-
680 Stephan-Maaser 2007, S. 303. 681 Stork, Hans Walter: Bible moralisée: Codex Vindobonensis 2554 der Österreichischen Nationalbibliothek. Transkription und Übersetzung, St. Ingbert 1988, S. 13; die lateinische Transkription Storks lautet: »Ce qe icaob dormi sor la pierre senefie saint iehan euvangeliste qi dormit sor la poitrine iesucrist et les boens crestiens qi dorment en bones oevres.« (Ebd.). 682 Auf die Analogie zur Figur des Judas geht auch Stephan-Maaser ein. Im Gegensatz zu Stork interpretiert sie die Gestalt des Ehrenmannes allerdings als Christus, wodurch die gesamte Szene und vor allem die mögliche Inkludierung Judas’ eine gänzlich andere Gewichtung bekämen. Gegen die Lesart Stephan-Maasers spricht jedoch der fehlende Nimbus der (angeblichen) ChristusFigur – ein Umstand auf den die Kunsthistorikerin selbst hinweist, den sie aber nicht überzeugend erörtert. Daher folgt diese Arbeit der Lesart Storks, wobei seine Interpretation auch im Einklang mit dem Randkommentar der Bible moralisée steht. Siehe Stephan-Maaser 2007, S. 302; siehe auch Stork, Hans-Walter: Die Wiener französische Bible moralisée: Codex 2554 der Österreichischen Nationalbibliothek. St. Ingbert 1992, S. 137. 683 Stork 1988, S. 13; Storks Transkription des lateinischen Textes lautet : »Ce qe iacob luita a langle senefie le prudome qi luite au munde et a la char et au deiauble.« (Ebd.). 684 Siehe auch Stephan-Maaser 2007, S. 300f.
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geschichte an.685 Während Carden in seinem Kommentar zum Buch Genesis zunächst auf die implizite Erotik des Ringkampfes am Jabbok hinweist – »wrestling, especially wrestling all through the night, is a powerfully masculine image of male/male lovemaking«686 – konzentriert sich Cornwall auf die Idee eines internalisierten Konflikts: »But there is a sense, too, in which he [Jacob, NM] is wrestling himself, as we all do from time to time in the dead of night when self-abrogating feelings of unworthiness and hopelessness spin round and round in our minds.«687 Die von Cornwall genannten Gefühle der Unwürdigkeit und Hoffnungslosigkeit bringt die Theologin mit der Lebenserfahrung queerer Menschen in Verbindung: Sie führt diese Emotionen auf das Spannungsverhältnis zwischen queerem Begehren sowie dessen institutionalisierter Verdammung zurück und interpretiert Jakobs Kampf mit dem Engel im Sinne einer Externalisierung internalisierter Homophobie, also einer äußerlichen Kenntlichmachung der unbewussten Übernahme negativer bzw. homophober Stereotype.688 Das queere Individuum wird hier gegenüber einer als monolithisch erscheinenden ›christlichen‹ Weltanschauung positioniert, deren negative Konzeption jedweder Queerness sich als bestimmender Faktor der Fremd- wie auch der Selbstwahrnehmung gleichgeschlechtlich begehrender Menschen erweist. Ausgehend von diesem Ansatz formuliert Söderblom in Anlehnung an Cornwall schließlich folgende Annahme: »Aus queerer Perspektive kann auch jeder Coming-out-Prozess von Lesben und Schwulen, von AusländerInnen und MigrantInnen, von Kranken oder Behinderten als körperlicher, geistiger und seelischer Kampf um Leben und Tod gelesen werden. Er ist ein Kampf mit normierten und normalisierenden Werten in einem heteronormativen Umfeld und mit einem Lebensabweisenden Gott.«689 Wird der Kampf Jakobs in der Bible moralisée als Ringen mit weltlichen Versuchungen gelesen, erfolgt mit der queeren Lesart eine Invertierung dieser Auslegung: An Stelle von fleischlichen Gelüsten wird hier mit dem Abstraktum institutioneller Unterdrückung gerungen sowie mit den Auswirkungen auf das Selbstbild queerer Menschen, die in eine Gesellschaft bzw. Kultur hineingeboren wurden bzw. werden, die sie als ›deviant‹ erachtet. Die Legitimität dieses Interpretationsansatzes untermauern Carden, Cornwall und Söderblom, wenn sie auf die der Jakobsgeschichte inhärente Queerness verweisen. So
685 Vgl. Carden 2006; vgl. zudem Söderblom 2013; vgl. überdies Cornwall, Susannah : Wilde Rise and Queer Dissent. In: Isherwood, Lisa et al. (Hg.): Wrestling with God. Leuven 2010, S. 61–74. 686 Carden 2006, S. 48. 687 Cornwall 2010, S. 68. 688 Diese gedankliche Verknüpfung wird besonders deutlich, wenn Cornwall die folgende Frage stellt: »To what extent should we [queere Menschen, NM] identify ourselves as Christian when the Christian tradition has proven hostile and oppressive to many marginal groups […]?« (Ebd., S. 72); für Cornwall ist das Ringen um eine Antwort auf diese Frage nicht eindeutig, vielmehr ficht sie die Deutungshoheit der tradierten Bibelexegese an: »The wrestling is not finished: it is likely that the wrestling never will be finished, but Jacob asserts that face-to-face encounter with Esau, whom he heared would kill him, is very much like face-to-face encounter with God.« (Ebd., S. 73). 689 Söderblom 2013, S. 182.
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macht etwa Carden darauf aufmerksam, dass Jakob in Opposition zu seinem ›männlichen‹ Bruder, welcher der Jagd nachgeht und als behaart beschrieben wird, als weichlich und feminin gilt (Gen 25, 27–34 und Gen 27, 11).690 Schon von Geburt an wird Jakob folglich als eine uneindeutige Figur charakterisiert, welche die Erwartungen einer patriarchalischen Gesellschaft scheinbar nicht erfüllt. Jakobs geschlechtliche Ambivalenz kann als äußerliche Markierung seines nicht minder ambigen Charakters sowie seines von Umbrüchen und Umwegen bestimmten Schicksals verstanden werden. In ihrer Abhandlung umschreibt Cornwall Jakob als Dissidenten und Unruhestifter, der fortlaufend in Konflikte mit Autoritäten bzw. gesellschaftlichen Strukturen gerät – u.a. mit seinem Vater, mit Laban sowie eben auch mit Gott.691 Aus diesem Grund ist er laut Söderblom respektive Cornwall ein passendes Sinnbild für Gläubige, die mit sich und ihrem Glauben ringen.692 Auch das in Genesis 32 dargelegte Gottesbild ist durchsetzt von Ambivalenzen und bricht mit den gängigen Erwartungen: Anstatt als entrückte und erhabene Entität wird Gott hier als streitbar und körperlich fassbar präsentiert. Nach Söderblom drückt sich gerade im Aspekt der Körperlichkeit ein queeres Gottesverständnis aus: Gott »lässt sich körperlich berühren und berührt selbst und sprengt damit dichotome Aufspaltungen von Kampf und Erotik, Körper und Geist, Subjekt und Objekt und verflüssigt sie.«693 Es erscheint passend, dass sich diese grenzüberschreitende Erfahrung eines Ringkampfes zwischen Mensch und Gott am Ufer des Flusses Jabbok ereignet, handelt es sich bei diesen doch um einen Grenzort bzw. Schwellenraum zwischen Wasser und Land.694 Ebenso uneindeutig wie die topographischen Verhältnisse verbleibt auch der mysteriöse und aus dem Nichts auftauchende ›Unbekannte‹, dessen Nahbarkeit wie auch Leiblichkeit im Kontrast zu seiner göttlichen Identität bzw. der tradierten Vorstellung von einem unnahbaren und unberührbaren Gottes steht.695 Für Cornwall drückt sich gerade in diesen Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen das ›wahre‹ Wesen Gottes aus: »the nature of
690 Carden ergänzt: »Esau is red and hairy, an outdoors man, a hunter. Esau represents heteronormative masculinity, the patriarchal ideal, and consequently he is loved by his father, Isaac. […] In contrast, Jacob is said to be ›a quiet man, living in tents‹ (Gen 25, 27) […] the tent is the women’s space in the patriarchal order. In declaring Jacob to be a man living in tents, Genesis is questioning his masculinity« (Carden 2006, S. 47). 691 Vgl. Cornwall 2010, S. 69 und S. 71; Cornwall umschreibt Jakob auch mit der Metapher »semer la zizanie« (wilden Reis säen), was soviel bedeutet wie ›Unruhe zu stiften‹ (Ebd., S. 61). Entgegen der rein negativen Konnotation plädiert die Autorin dafür, Jakobs Hartnäckigkeit und Kampfesbereitschaft als Aufforderung zum Dialog mit Gott zu verstehen (siehe ebd., S. 73f). 692 Vgl. Söderblom 2013, S. 182; vgl. Conwall 2010, S. 71; bei Carden und Cornwall wird noch auf eine weitere Lesart hingewiesen, laut der Jakob hier in Antizipation vor dem bevorstehenden Wiedersehen mit einem Schattenbild seines Zwillingsbruders ringt. Carden schreibt dazu: »The other pattern I find significant here is the fact that Esau and Jacob are twins. The image of the Divine Twins is one of the mythic representations of same-sex love. Same-sex, homo-sexual love can be understood as a marriage of likeness, most clearly signified by the twins« (Carden 2006, S. 47); vgl. auch Cornwall 2010, S. 67. 693 Söderblom 2013, S. 182. 694 Vgl. ebd., S. 181. 695 Vgl. ebd. S. 184.
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God is never to be finished, never to be pinnable-down by only one group of ideology or way of understanding.«696 Wie anhand der hier nur auszugweise reflektierten Argumentationen deutlich wird, handelt es sich bei der queeren Relektüre keineswegs um einen bloßen anachronistischen Umdeutungsversuch, vielmehr fußen die Lesarten der Autor_Innen auf einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Bibeltext. Die Fokussierung auf die ambivalente Darstellung von Jakob und Gott in Genesis 32 dient weniger der Etablierung eines Gegennarrativs zur tradierten bzw. moralisierenden Auslegung, als vielmehr der Verunsicherung einer sich als monolithisch gebärdenden christlichen Deutungshoheit. Ganz im Geiste der Queer Theory geht es demzufolge um die Stärkung eines Deutungspluralismus und nicht, wie Söderblom schreibt, um die »Vereinheitlichung der Traditions- und Wirkungsgeschichte« biblischer Texte.697 Diese drei Lesarten sollen als Referenzrahmen für die nachfolgenden Werkbesprechungen fungieren. Obgleich die künstlerischen Umsetzungen des Kampfes zwischen Jakob und dem Engel ebenso vielschichtig und zahlreich sind wie die unterschiedlichen Auslegungen von Genesis 32, sollen im weiteren Verlauf nur einige ausgewählte Arbeiten betrachtet werden, in denen vornehmlich die homoerotischen bzw. queeren Aspekte der Thematik im Vordergrund stehen – sei es aufgrund ihrer Rezeption, ihres Entstehungskontextes, ihrer Bildsprache etc. Zu Beginn richtet sich der Blick auf das 1865 entstandene Ölgemälde La Lutte de Jacob avec l’Ange (Abb. 91) des französischen Malers und Illustrators Alexandre Louis Leloir (1843–1884). Der aus einer generationenübergreifenden Familie von Kunstschaffenden stammende Leloir feierte 1863 sein Debüt im Pariser Salon mit einer Darstellung des Bethlehemitischen Kindermords.698 Zunächst ganz der Gattung der akademischen Historienmalerei verschrieben, wandte sich Leloir später vermehrt dem Medium des Aquarells zu und fand damit großen Anklang beim zeitgenössischen Publikum.699 In La Lutte de Jacob avec l’Ange zeigt Leloir den Kampf zwischen Jakob und dem Engel inmitten einer kargen und finsteren Wüstenlandschaft. Der äußerst eng gewählte Bildausschnitt rückt die Betrachter_Innen unmittelbar an das Geschehen heran: Der linkerhand stehende und gänzlich entkleidete Jakob, hinter dem sich auf dramatische Weise ein rotes Tuch im Wind aufbauscht, umklammert mit aller Kraft den geflügelten und lediglich in ein weißes Lendentuch gehüllten Engel auf der rechten Seite.700 Mit voller
696 Cornwall 2010, S. 70. 697 Vgl. Söderblom 2013, S. 184. 698 Sein Großvater Alexandre-Marie Colin (1798–1875), sein Vater Jean-Baptiste Auguste Leloir (1809–1892), seine Mutter Héloïse Suzanne Colin (1820–1874) wie auch sein jüngerer Bruder Maurice Leloir (1853–1940) waren allesamt als Kunstschaffende tätig. Siehe Montrosier, Eugène : Les Artistes Modernes. Première Partie : Les Peintres de Genre, Paris 1881, S. 81–83; vgl. zudem Bénézit, Emmanuel : Dictionnaire des Peintres, Sculpteurs, Dessinateurs et Graveurs. 3. Band, Paris 1939, S. 86. 699 Vgl. Montrosier 1881, S. 83. 700 Ein erwähnenswertes Detail hinsichtlich der Gestaltung des Engels: Während die Betrachtenden einen guten Blick auf das angestrengte Gesicht Jakobs erhalten, wird das Antlitz des himmlischen Gegners durch dessen hochgezogene Schulter fast gänzlich verhüllt.
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Kraft stemmt sich der blonde und klar als männlich zu identifizierende Engel dabei gegen den Klammergriff und setzt mit der rechten Hand bereits zum fatalen Schlag auf die Hüfte des dunkelhaarigen Jakob an. Die Heftigkeit dieses Kräftemessens wird sowohl durch die angespannte Muskulatur der beiden Kontrahenten wie auch durch die Bewegtheit der Stoffe betont. Ein besonders eindringliches Detail, das der Tatsache Rechnung trägt, dass Jakob in Genesis 32 als ebenbürtiger Gegner beschrieben wird – »Und als er [der Engel, NM] sah, dass er ihn [Jakob, NM] nicht übermochte« (Gen 32, 23–32) –, findet sich am unteren Bildrand: Jakob umgreift den Engel mit einer derartigen Wucht, dass dessen Flügelspitzen den staubigen Boden berühren. Der darin zum Ausdruck gebrachte Kontrast zwischen himmlischer Wesenheit und irdischer Realität fasst die Essenz des Jakobskampfs in einem kleinen Detail zusammen. Mit seiner Betonung eines austarierten Kräfteverhältnisses unterscheidet sich Leloirs Inszenierung gänzlich von der nur wenige Jahre zuvor enthüllten und ihm sicherlich bekannten Umsetzung des Themas durch Eugène Delacroix (1798–1863) in der Südkapelle von Saint Sulpice in Paris.701 Während Delacroix die Überlegenheit des göttlichen Gegners betont, indem er der Heftigkeit von Jakobs Angriff die tänzerische und ätherische Feinheit des Engels entgegensetzt, inszeniert Leloir beide Figuren als gleichermaßen angestrengt und ›geerdet‹. Im Hinblick auf die farbliche Kontrastierung von Jakob und dem Engel bestehen allerdings sehr wohl Ähnlichkeiten zwischen den zwei Künstlern: Ebenso wie Delacroix verleiht auch Leloir seinem durch das im Hintergrund wehende rote Tuch gerahmten Jakob ein dunkleres Inkarnat und grenzt ihn damit von der Engelsfigur ab, welche in beiden Bildern als lichte und weiße Gestalt dargestellt wird.702 Durch die farbliche Differenzierung der Figuren sowie ihre Platzierung in der Bildmitte unterstreicht Leloir die kompositorische Zweiteilung seines Bildes und damit auch nochmals die Dynamik und die Wucht des Kampfes. Leloir wusste auf dem Salon von 1865 mit La Lutte de Jacob avec l’Ange zu überzeugen und so wurde das Gemälde laut Eugène Montrosier unmittelbar nach Beendigung der Ausstellung für das Musée de Clermont-Ferrand akquiriert.703 Die von zeitgenössischen 701 Auch der zeitgenössische Kunstkritiker A. de Bullemont bringt Leloirs Bild in Verbindung mit Delacroix‹ Werk und applaudiert dem Mut des jungen Künstlers, sich des Themas anzunehmen: »Monsieur Louis Leloir, sans se laisser effrayer par la chapelle de Delacroix à Saint-Sulpice, a représenté la lutte de Jacob avec l’Ange. C’est une saine et vigoureuse peinture, pleine d’habilité et de savoir.« (Bullemont, A. de : Salon de 1865 : La Peinture d’histoire. In : Les Beaux-Arts. Revue de l’Art Ancien et Moderne, Band 10, Paris 1865, S. 292); deutsche Übersetzung (NM): »Monsieur Louis Leloir präsentiert, ohne sich von der Kapelle Delacroix‹ in Saint-Sulpice einschüchtern zu lassen, Jakobs Kampf mit dem Engel. Es ist ein gesundes und kräftiges Gemälde, voller Können und Wissen.«; zu Delacroixs Version in Saint Sulpice siehe Oevermann, Ulrich: Das biblische Vorbild for »Jakobs Kamps mit dem Engel« in St.-Sulpice: Inhaltsangabe und kurze Interpretation der Bedeutungsstruktur, unveröffentlichtes Manuskript, Frankfurt a.M. 1984, online abrufbar unter: https:// d-nb.info/975327798/34 (zuletzt 05.02.2021). 702 Dasselbe Farbschema findet sich in zahlreichen weiteren Versionen, z.B. bei Rembrandt (um 1659). 703 Siehe Montrosier 1881, S. 82; das Gemälde befindet sich auch heute noch in Clermont-Ferrand, allerdings wurde das Museum umbenannt und heißt heute MARQ bzw. Musée d’Art Roger-Quilliot; nach meiner Korrespondenz mit dem Archiv des Museums wurden mir zwei interne Inventartexte von Marion Pacot sowie Christelle Meyer zugeschickt, laut denen Kaiser Napoléon III. das Bild am 26. Mai 1865 erstanden hatte und es am 28. Juli 1865 dem Museum übergeben wurde.
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Kunstkritikern wie A. de Bullemont und Paul Mantz als intensiv und gelungen gepriesene Darstellung schien demnach ganz und gar dem akademischen Geschmack entsprochen zu haben.704 Insbesondere Leloirs Entscheidung, die Bildprotagonisten mehr oder minder entkleidet darzustellen, dürfte in Anbetracht des hohen Stellenwerts, den der männliche Akt in der akademischen Malerei im Frankreich des 18. und 19. Jahrhunderts hatte, mit ausschlaggebend für die positive Rezeption des Gemäldes gewesen sein.705 In jedem Fall ist festzuhalten, dass nachfolgende Künstler_Innen, die sich des Themas annahmen, vermehrt dem Beispiel Leloirs folgten und den Kampf zwischen Jakob und dem Engel in der Form einer antiken Ringkampfszene als Kräftemessen zweier nackter Leiber wiedergaben. Anders als in vielen früheren Behandlungen des Motivs, wie etwa einer Version von Rembrandt aus den Jahren 1659/60, in der die Kontrahenten nicht nur komplett bekleidet sind, sondern in der auch die Gewalttätigkeit des Kampfes abgeschwächt wird und einer beinah tänzerischen Anmut weicht,706 betonen spätere Künstler wie Leloir, aber auch Léon-Joseph-Florentin Bonnat (1833–1922) sowie Hendrik Christian Andersen (1872–1940) in ihren Umsetzungen von Genesis 32 vielmehr die taktile Dimension der Szene sowie die körperliche Präsenz der Figuren. Bonnat wie auch Andersen steigern die bereits bei Leloir deutlich in den Vordergrund gerückten Aspekte der Körperlichkeit und der Haptik nochmals um ein Vielfaches: Die Darstellung von Bonnat (Abb. 92), die uns hier als detaillierte Studie zu einem Gemälde707 vorliegt, das der Künstler im Salon von 1876 ausgestellt hat, knüpft in ihrer Komposition deutlich an Antonio del Pollaiuolos Inszenierung des mythischen Ringkampfes zwischen Herkules und Antaeus an.708 Bonnats Jakob, der lediglich mit einem Lendenschurz aus Pelz bekleidet ist und den Betrachter_Innen den Rücken zuwendet – die Pose ist fast identisch mit Pollaiuolos Herkules –, umklammert mit voller Kraft den himmlischen Widersacher,
704 Vgl. Bullemont 1865, S. 292; Paul Mantz ergänzt zu dem Bild: »Constatons un grand effort dans la lutte de Jacob avec l’Ange, de M. Alexandre Leloir, l’auteur d’un Daniel [gemeint ist damit der letztjährige Beitrag Leloirs, eine Darstellung von Daniel in der Löwengrube, NM] récompensé l’année dernière.« (Mantz, Paul : Salon de 1865. In : Gazette des Beaux-Arts (Juni 1865), S. 506). 705 Bezeichnender Weise wurde der männliche Akt aufgrund seiner fundamentalen Rolle in der akademischen Ausbildung als académies bezeichnet. Vgl. Fend 2003, S. 63f. 706 Zu Rembrandts Jakob ringt mit dem Engel, welches sich heute in der Gemäldegalerie in Berlin-Dahlem befindet, vgl. Wright 2000, S. 111f; Gerson, Horst: Rembrandt Paintings. Amsterdam 1968, S. 412 und S. 501; sowie Schwartz, Gary: Rembrandt. Sämtliche Gemälde in Farbe, Stuttgart 1987, S. 324, Abb. 375. 707 Das vollendete Gemälde befindet sich heute vermutlich in einer Privatsammlung. Das Musée Bonnat-Helleu in Bayonne verfügt über eine Ölskizze sowie über zwei Entwurfszeichnungen. Vgl. Saigne, Guy : Léon Bonnat. Le Portraitiste de la IIIe République, Cataloque Raisonné des Portraits, Paris 2017, S. 59 (Fußnote 31 und 32); vgl. Ducourau, Vincent : Musée Bonnat, Bayonne, Paris 2004, S. 80f. 708 Guy Saigne macht in seiner Monographie über Bonnat ebenfalls auf die Ähnlichkeiten zu Pollaiuolos Werk aufmerksam und ergänzt, dass Bonnat mehrere Skizzenhefte des Renaissance-Malers besaß. Siehe Saigne 2017, S. 59 (Fußnote 32); ein weiterer Künstler, der sich für seine Inszenierung von Jakobs Kampf mit dem Engel ebenfalls von Pollaiuolo inspirieren ließ, ist Paul Baudry (1828–1886). Dessen Behandlung des Themas stammt von 1853 und befindet sich im Musée de La Roche-surYon.
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der auch hier als geflügelter, diesmal aber komplett nackter Engel gegeben ist. Ähnlich wie bei Leloir verengt auch Bonnat den Fokus seiner Arbeit auf die beiden Hauptfiguren und stellt deren Zweikampf ins Zentrum seines Bildes. Darüber hinaus kann die fast völlige Nacktheit von Bonnats Figuren, die einen unverhohlenen Blick auf das Spiel der Muskeln gestattet, als Referenz auf Leloir verstanden werden. Zwar soll der unmittelbare Kontakt von Haut zu Haut bzw. Körper zu Körper bei Bonnat laut Vincent Ducourau die ›Existentialität‹ des spirituellen Kampfes zwischen irdischem Dasein und göttlicher Erlösung visualisieren, doch entbehren die ineinander verschränkten und aufeinander gepressten Leiber von Jakob und dem Engel nicht einer gewissen homoerotischen Komponente.709 Ob Bonnat mit seinem Werk allerdings tatsächlich eine Erotisierung des alttestamentlichen Motivs beabsichtigt hat, muss zunächst offenbleiben. Zumindest lässt sich unter Berücksichtigung seines gesamten Œuvres sagen, dass er wiederholt Bilder gemalt hat, die homoerotische Elemente aufweisen.710 Überdies unterhielt Bonnat eine enge Freundschaft zu seinem US-amerikanischen Malerkollegen Thomas Eakins (1844–1916), der in seiner Heimatstadt Philadelphia immer wieder aufgrund seiner homoerotischen Aktdarstellungen und vermeintlichen Sexskandale angefeindet wurde. Die beiden lernten sich kennen, als Eakins bei einem Aufenthalt in Paris für kurze Zeit bei Bonnat studierte.711 Nicht weniger ambivalent und homoerotisch gestaltet auch der 1872 in Norwegen geborene, aber in den USA aufgewachsene Maler, Bildhauer und Stadtplaner Hendrik Christian Andersen seine skulpturale Interpretation des Motivs (Abb. 93). Andersen fertigte Jacob and the Angel zwischen 1909 und 1911 in seinem Atelier in Rom an, wohin er 1897 zusammen mit seiner Mutter gezogen war.712 Der Künstler imaginiert das Ringen Jakobs mit dem Engel als idealisierte Aktstatue in kolossalem Format: Ein bärtiger und äußerst muskulöser Jakob umfasst mit seinen Armen den Kopf des direkt hinter ihm stehenden Engels. Der ebenfalls muskulöse Engel, aus dessen Rücken zwei gewaltige Flügel wachsen, umgreift seinerseits den Oberkörper seines Vordermanns. Durch dieses Zusammenspiel der nach vorne gerichteten Bewegung des Engels auf der einen Seite und der nach hinten gerichteten Dynamik Jakobs auf der anderen Seite erzeugt Andersen eine ambivalente Dualität von Anziehung und Abstoßung, welche der gesamten Komposition eine innere Spannung verleiht. Er ordnet die Figuren direkt hintereinander an und
709 Bei Vincent Ducourau heißt es : »Bonnat traita son sujet dans un registre existentiel : le corpsà-corps acharné symbolise le combat spirituel de l’homme sur terre« (Ducourau 2004, S. 80). 710 Das Gemälde Der Barbier von Suez (Abb. 139), welches ebenfalls im Jahr 1876 entstand und in Kapitel III.3.3 näher betrachtet werden soll, ist nur ein weiteres Beispiel. 711 Zur Freundschaft von Eakins und Bonnat siehe Jeanpierre, Henri : Bonnat, Peintre de Tableaux Religieux, in : Revue d’Histoire de Bayonne, du Pays Basque et du Bas-Adour, hg. von Société des Siences, Lettres et Arts de Bayonne, Bayonne 1979, S. 393–399; hier : S. 396f; zu Eakins Sexualität siehe McFeely, William S. : Portrait. The Life of Thomas Eakins, New York und London 2007 u.a. S. 46f. 712 Zum Lebensweg des Künstlers siehe Majo, Elena di: Chronology. In: James, Henry: Beloved Boy. Letters to Hendrik C. Andersen 1899–1915, hg. von Rosella Mamoli Zorzi, Charlottesville und London 2004, S. 137–149; vgl. hierzu auch Dies. (Hg.): Museo Hendrik Christian Andersen. Mailand 2008; sowie Dies.: Il Museo Andersen. Rom 2001.
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stellt durch ihre gespiegelte Pose – beide stehen versetzt im Ausfallschritt – eine visuelle Einheit her, der in ihrer Geschlossenheit beinah schon etwas Soldatisches anhaftet. Dieser Eindruck wird überdies durch die Körper der Figuren verstärkt, deren herkulische Proportionen und detailliert ausgearbeitete Muskulatur sowohl an die Hünen Tom of Finlands als auch an die von Theweleit im Zusammenhang mit dem faschistischen Männlichkeitsbild geprägten Begriffe der »Körpermaschinen« bzw. der »Stahlgestalt« denken lassen.713 Mit Blick auf das Gesamtwek Andersens und seinen darin evident werdenden Hang zur Überdimensionierung erscheint es verlockend, ästhetische Parallelen zwischen den Arbeiten des Künstlers und der Kunst des italienischen sowie des deutschen Faschismus zu ziehen.714 Doch im Gegensatz zu den stählernen Körpern, wie sie in der Kunst des faschistischen Italiens oder des nationalsozialistischen Deutschlands (vgl. Abb. 51) zu finden sind, gestattet Andersen seinen Figuren eine verletzliche und sinnliche Realität: Zum einen zeigt er durch die Hände des Engels, die sich in Jakobs Leib zu drücken scheinen, dass es sich hier nicht um ›stählerne‹, sondern um ›fleischliche‹ und damit schließlich
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Siehe Theweleit 1980b, S. 160 und S. 158ff. Hinsichtlich einer Verbindung Andersens zu den italienischen Faschisten ist bekannt, dass Benito Mussolini das Werk des Künstlers kannte und schätzte. Laut Millicent Bell kam es 1926 zu einem kurzen Treffen zwischen den beiden, währenddessen Mussolini u.a. seine Bewunderung für Andersens Idee zu einer utopischen Stadt (»World City«) äußerte. Vgl. Bell, Millicent: Introduction to the English-Language Edition, in: James, Henry: Beloved Boy. Letters to Hendrik C. Andersen 1899–1915, hg. von Rosella Mamoli Zorzi, Charlottesville und London 2004, S. ix–xxxv; hier: S. xxxi; wie Elena di Majo dazu ergänzt, bot Mussolini Andersen in einem Brief sogar Land in der Gemeinde Fiumicino an, um das Projekt zu realisieren. Vgl. Majo 2004, S. 148; es muss allerdings gesagt werden, dass Andersens Vision der »World City« – eine Art Welthauptstadt –, welche einzig und allein von (akademischer) Kunst und Schönheit geprägt sein sollte, in ihrem Kern durch und durch pazifistisch war. Zur Idee der »World City« siehe Andersen, Hendrik Christian; Hébrard, Ernest et al.: Creation of a World Centre of Communication. Paris 1913 (online abrufbar unter: ht tps://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/andersen1913/0001/image; zuletzt 18.06.2019); Rosella Mamoli Zorzi macht zudem darauf aufmerksam, dass Henry James, ein enger Freund Andersens, ihn davor warnte, dem Größenwahn (»megalomania«) zu verfallen. Wie sich am Beispiel seiner monumentalen Skulpturen zeigen sollte, verblieb die Warnung von James jedoch ohne Erfolg. Vgl. Zorsi, Rosella Mamoli: Introduction. In: James, Herny: Beloved Boy. Letters to Hendrik C. Andersen 1899–1915, hg. von Rosella Mamoli Zorzi, Charlottesville und London 2004, S. xxxvii–lv; hier: S. xxxviii; siehe auch James’ Brief an Andersen vom 14. April 1912, in welchem er schreibt: »[Y]our mania for the colossal, the swelling & the huge, the monotonously & repeatedly huge, breaks the heart of me for you […] & when you write me that you are now lavishing time & money on a colossal ready-made City, I simply cover my head with my mantle & turn my face to the wall, & there, dearest Hendrik, just bitterly weep for you« (James, Henry: Beloved Boy: Letters. In: Ders.: Beloved Boy. Letters to Hendrik C. Andersen 1899–1915, hg. von Rosella Mamoli Zorzi, Charlottesville und London 2004 2004, S. 1–119; hier: S. 101); zu den angeblich ›protofaschistischen‹ Tendenzen in Andersens Werk schreibt Fred S. Licht: »The fullest flowering of Anderson’s insidious blend of erotic impulses with utopian socio-political ideals occurs first in Italy and then rapidly spreads worldwide with what is often and probably erroneously called the Fascist style.« (Licht, Fred S.: American Artists in Twentieth-Century Italy. In: Kat. Ausst.: The Lure of Italy. American Artists and the Italian Experience 1760–1914, hg. von Theodore E. Stebbins Jr., Museum of Fine Arts in Boston, Cleveland Museum of Art und Museum of Fine Arts in Houston 1992/1993, New York 1992, S. 129–145; hier: S. 137).
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auch ›verletzliche‹ Körper handelt. Zum anderen schafft er durch den langen Bart Jakobs, der in der Dynamik des Kampfes nach hinten geweht wird und die Schulter des Engels karessiert, einen weiteren Berührungsmoment, der durchaus als sinnlich, wenn nicht (homo-)erotisch zu bezeichnen ist. Die hier unterstellte Homoerotik der Statue, die laut Elena di Majo nur ein einziges Mal auf der Esposizione Internazionale di Roma (1911) in einer kleineren Bronzeversion außerhalb des Künstlerateliers ausgestellt wurde, gewinnt nochmals an Bedeutung, wenn man die Biographie des Künstlers und seine intensive Beziehung zum US-amerikanischen Schriftsteller Henry James (1843–1916) bedenkt.715 Andersen, der unverheiratet blieb und zeit seines Lebens enge Kontakte zu einflussreichen Männern aus homosexuellen Kreisen unterhielt, wie etwa dem skandalumwitterten Lord Ronald Sutherland-Levenson-Gower716 (1845–1916), lernte James 1899 durch Bekannte in Italien kennen. Auch wenn James’ (Homo-)Sexualität bis heute debattiert wird, sprechen seine zahlreichen Beziehungen zu jungen attraktiven Männern sowie Anhaltspunkte in seinem literarischen Werk dafür, dass auch der Schriftsteller Teil jener ›Zirkel‹ war.717 Die über fünfzehn Jahre andauernde Freundschaft der beiden Männer, die bis zu James’ Tod im Jahr 1916 bestand, ist durch eine umfangreiche Korrespondenz dokumentiert. Obgleich es nur selten zu tatsächlichen Treffen kam – James lebte ab 1875 vorrangig in London und in der in East Sussex gelegenen Kleinstadt Rye – gewähren insbesondere die edierten Briefe von James tiefe Einblicke in die intime und homoerotische Natur dieser Beziehung. So sind hier beispielsweise die mehr als expliziten Schlusssätze zu nennen, mit denen sich der gefeierte Autor von seinem, wie er ihn oftmals nennt, »beloved boy« verabschiedet: »I feel, my dear boy, my arm around you; & I feel the pulsation, thereby, as it were, of your excellent future & you admirable endowment«.718 Ein weiteres äußerst emotionales Beispiel für die enge Bindung der beiden Männer findet sich in James’ Kondolenzschreiben zum Tod von Andersens Bruder: »The sense that I can’t help you, see you,
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Siehe Majo 2004, S. 144f; vgl. zudem Majo 2001, S. 25; zum Thema von James’ (vermeintlicher) Homosexualität siehe Bradley, John Robert: Henry James and Homo-Erotic Desire. Basingstoke et al. 1999; sowie Haralson, Eric L.: Henry James and Queer Modernity. Cambridge et al. 2003. Gower, der sowohl als Politiker wie auch als Künstler und Kunstmäzen tätig war, wurde immer wieder von ›homosexuellen Skandalen‹ verfolgt. Lange Zeit gehörte er auch zum innersten Kreis von Oscar Wilde. Wie Davis darlegt, basierte Wilde den amoralischen und dekadenten Charakter von Lord Henry Wotton aus Picture of Dorian Gray angeblich auf Gower und dessen stadtbekannte Eskapaden. Siehe Davis, Whitney: Lord Ronald Gower and ›the Offending Adam‹. In: Getsy, David J. (Hg.): Sculpture and the Pursuit of a Modern Ideal in Britain, c. 1880–1930, Aldershot et al. 2004b, S. 63–104; hier besonders: S. 64f und S. 66ff; nach Bell bot Gower dem aus eher bescheidenen Verhältnissen stammenden Andersen sogar an, ihn zu adoptieren und somit zum Erben seines Vermögens zu machen. Siehe Bell 2004, S. xx. Siehe Majo 2004, S. 142; siehe zudem Zorzi 2004, S. xxxvii. James 2004, S. 11f; hier: S. 12 (Brief vom 20. März 1900); das doppeldeutige Wort »endowment« bietet zwei Interpretationen: Einerseits kann der Begriff mit ›Begabung‹ übersetzt werden und auf das künstlerische Potential Andersens bezogen werden. Andererseits drückt das Wort in der Umgangssprache auch aus, dass jemand ›gut bestückt‹ ist. Im Kontext des Satzes, in welchem James davon spricht, Andersen zu umarmen und ›das Pulsieren‹ (»pulsation«) zwischen ihnen zu spüren, ergibt sich aber ganz klar eine erotische Konnotation; zur erotisierten Deutung siehe auch Bell 2004, S. xiv.
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talk to you, touch you, hold you close & long, or do anything to make you rest on me; & feel my deep participation – this torments me, dearest boy«.719 Inwiefern die Beziehung zwischen Andersen und James jemals körperlich wurde, kann und soll nicht beantwortet werden, vielmehr dienen die hier zusammengetragenen biographischen Fragmente dazu, die Homoerotik als ein latentes Leitmotiv sowohl im Leben als auch im Œuvre des Künstlers aufzuzeigen.720 Jacob and the Angel kann dahingehend als Visualisierung ebenjener gleichgeschlechtlichen Erotik gelesen werden, die zwar implizit da ist, die aber aufgrund der damaligen kulturellen Umstände – siehe hierzu die Skandale, die Lord Gower, Oscar Wilde oder Thomas Eakins anhingen – niemals explizit zutage treten durfte. Die unübersehbare Zurschaustellung der männlichen Anatomie in Verbindung mit der physischen Nähe der Kontrahenten – zwei Aspekte, welche allen drei Werkbeispielen zu eigen sind – verleihen dem Kampf zwischen Jakob und dem Engel eine implizite Erotik, die dem Motiv laut Carden immanent ist.721 Doch von den bisher analysierten Werken ist es in erster Linie das Gemälde Leloirs, welches die Phantasie eines queeren Publikums am stärksten beflügelt hat, worauf die im 20. und 21. Jahrhundert zunehmende queere Rezeption des Bildes hindeutet. Als ein prominentes Beispiel sei hier etwa die von Mike Nichols inszenierte Adaption von Tony Kushners zweiteiligem Theaterstück Angels in America: A Gay Fantasia on National Themes (1991 und 1993)722 genannt, in der Genesis 32 bzw. das Bild Leloirs (Abb. 91) direkt zitiert werden. Angesiedelt im New York der 1980er-Jahre folgt die Handlung des Stücks mehreren Charakteren, deren Wege sich im Zuge der verheerenden AIDS-Epidemie kreuzen. In seinem magisch-realistischen Werk vermischt der offen homosexuelle Kushner geschickt historische Ereignisse und Personen mit religiösen sowie fantastischen Elementen und kreiert damit ein pointiertes Bild der amerikanischen Gesellschaft unter Präsident Ronald Reagan. Eine der zentralen Figuren in Angels in America, anhand
719 James 2004, S. 26 (Brief vom 9. Februar 1902; Kursivschreibung übernommen, NM). 720 Hinsichtlich der sexuellen Orientierung von Andersen sei auf ein bemerkenswert freizügiges Gemälde seines Bruders Andreas Martin Andersen (1869–1902) verwiesen, welches 1894 in Florenz entstand und den Titel Hendrik Andersen and John Briggs Potter in Florence trägt. Auf dem Bild ist linkerhand der blonde Hendrik zu sehen, welcher nackt im Bett liegt, wobei sein Unterleib durch eine Decke verhüllt wird. Mit seiner rechten Hand streichelt er eine schwarz-weiß gemusterte Katze, die auf dem Boden sitzt. Hendriks Blick scheint nach rechts gerichtet zu sein und wird von einem dunkelhaarigen Mann mit Bart erwidert, der nackt auf einem kleinen Schemel neben dem Bett sitzt und gerade seine schwarzen Socken anzuziehen scheint. Bei diesem Mann handelt es sich laut Titel um John Brigg Potter (1864–1949), ein aus den USA stammender Künstler, den eine enge Freundschaft mit Hendrik verband. Die Intimität der dargestellten Szene erinnert an Somows Nackte im Spiegel von 1934 (Abb. 16) und evoziert den Eindruck, als ob man hier Zeuge bzw. Zeugin eines postkoitalen Moments wird. Das Bild befindet sich heute im Museo Hendrik Andersen in Rom. Siehe https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hendrik_Andersen_and_John_Briggs_P otter_in_Florence.jpg (zuletzt 12.05.2021). 721 Vgl. Carden 2006, S. 48. 722 Siehe Kushner, Tony: Angels in America. A Gay Fantasia on National Themes, Part One: Millenium Approaches, New York 1993; Kushner, Tony: Angels in America. A Gay Fantasia on National Themes, Part Two: Perestroika, New York 1994; siehe zudem die Verfilmung: Angels in America. Regie: Mike Nicholas. DVD. HBO Video & Warner Home Video 2005.
III. Hauptteil
derer die Widersprüchlichkeiten einer zwischen moralischem Konservatismus und monetärem Hedonismus oszillierenden Dekade veranschaulicht werden, ist der ungeoutete Anwalt, Republikaner und gläubige Mormone Joe Pitt. In Kushners Text wie auch in Nichols Adaption wird dieser ambivalente Charakter wiederholt mit dem biblischen Jakob assoziiert. Joe, der zusammen mit seiner Ehefrau Harper vor kurzem nach New York gezogen ist, um eine Stelle am Berufungsgericht anzutreten, ist eine zutiefst zerrissene Figur, die sich im Stück gleich mit mehreren Konflikten konfrontiert sieht: Einerseits hadert er mit den unlauteren Forderungen seines Ziehvaters und politischen Mentors Roy Cohn, der Joe u.a. dazu drängt, einen Posten in der Justizbehörde in Washington D.C. anzunehmen, um ein bevorstehendes Verfahren wegen Veruntreuung zu seinen Gunsten zu manipulieren. Die Figur des erzkonservativen Anwalts und Republikaners Roy Cohn basiert auf der gleichnamigen historischen Person, die an der Seite des Senators Joseph McCarthy in den 1950er-Jahren Bekanntheit erlangte und maßgeblich an der umstrittenen Verfolgung vermeintlicher Kommunist_Innen und Homosexueller – in US-amerikanischer Diktion als Red Scare bzw. Lavender Scare bezeichnet – beteiligt war.723 Roy, der sowohl im Theaterstück als auch im echten Leben seine Homosexualität wie auch seine fatale AIDS-Erkrankung bis zu seinem Tod leugnete und konsequent gegen die Gleichberechtigung homosexueller Menschen anarbeitete, nimmt in Angels in America die Rolle des mephistophelischen Verführers ein, der Joe Macht und Erfolg verspricht. Neben diesem Konflikt zwischen moralischer Integrität und politischem Erfolg, ringt Joe andererseits mit dem scheinbar unüberbrückbaren Zwiespalt zwischen seinem Glauben und seiner Homosexualität. Nachdem er sich später im Stück in den Büroangestellten Louis Ironson verliebt und seinem Mentor davon berichtet, rät dieser ihm dazu, sich nicht zu seiner Sexualität zu bekennen, sondern sein Begehren – wie Roy selbst – im Geheimen auszuleben. Die innere Zerrissenheit von Joes Charakter bringen Kushner respektive Nichols an mehreren Stellen mit der alttestamentlichen Gestalt Jakobs in Verbindung. Es sei hier auf eine besonders intime Szene zwischen Joe und Harper verwiesen, in der er sich letztlich zu seiner Homosexualität bekennt: »I had a book of Bible stories when I was a kid. There was a picture I’d look at twenty times every day: Jacob wrestles with the angel. I don’t really remember the story, or why the wrestling – just the picture. Jacob is young and very strong. The angel is… a beautiful man, with golden hair and wings, of course. I still dream about it. Many Nights. I’m… It’s me. In that struggle. Fierce, and unfair. The angel is not human, and it holds nothing back, so how could anyone human win, what kind of a fight is that?
723 Vgl. Miller, James: Heavenquake: Queer Analogies in Kushner’s America, in: Geis, Deborah R.; Kruger, Steven F. (Hg.): Approaching the Millennium. Essays on Angels in America. Ann Arbor 1997, S. 56–77; vgl. auch Cadden, Michael: Strange Angel: The Pinklisting of Roy Cohn, in: Geis, Deborah R.; Kruger, Steven F. (Hg.): Approaching the Millennium. Essays on Angels in America, Ann Arbor 1997, S. 78–89.
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It’s not just. Losing means your soul thrown down in the dust, your heart torn out from God’s. But you can’t not lose.«724 Zur Inszenierung dieses Monologs, an dessen Ende die Trennung von Joe und Harper steht, blendet Nichols das Gemälde Leloirs ein und zoomt mit der Kamera an die eng umschlungenen Figuren von Jakob und dem Engel heran. Obwohl Kushner in seinem Skript keine spezifischen Angaben macht, welches Bild gemeint ist, erscheint die von Nichols gewählte Umsetzung doch als treffende Bebilderung von Joes ebenso begehrlichen wie ängstlichen Worten. Jakobs Kampf mit dem Engel ist nicht nur das perfekte Sinnbild für Joes Zwiespalt zwischen seiner konservativ-mormonischen Erziehung und seiner unterdrückten Sexualität, sondern auch für den Widerstreit zwischen seinen moralischen Überzeugungen und den durch Roy symbolisierten Verlockungen.725 Ein bildender Künstler, der sich in seiner Fotoserie Dedicated to Hell ebenfalls explizit auf Leloirs Darstellung von Genesis 32 bezieht, ist der 1962 in Brüssel geborene Fotograf und Kunsthistoriker François Harray. In seiner humorvoll überspitzten Fotografie Jacob wrestling with the Leloir Angel von 2017 (Abb. 94) zeigt der offen homosexuelle Harray in einer halbnahen Aufnahme einen nackten und das Gesicht zur Grimasse verzogenen Jakob, der mit einem geflügelten Engel ringt. Der Engel, dessen Gesicht zum Schrei verzerrt ist und der ein Gewand aus einem stark glänzenden roten Stoff trägt, erhebt seinen linken Arm in einer ebenso defensiven wie offensiven Geste. Wenngleich sich der Fotograf in kompositorischer Hinsicht sehr weit von der gemalten Vorlage entfernt, bezieht er sich mit dem Titel und der Farbgestaltung doch deutlich auf Leloirs La Lutte de Jacob avec l’Ange. Insbesondere mit der roten Farbe des Engelsgewands scheint Harray einen visuellen Bezug zu Leloirs Arbeit herzustellen, in der jedoch nicht der Engel, sondern Jakob mit einem auffälligen roten Mantel attribuiert ist. Diese eklatante Veränderung, die unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Harray Kunsthistoriker ist, wohl als künstlerische Absicht zu bewerten ist, kann als subtiler Verweis auf eine Vermischung von Himmel (der Engel) und Erde (Jakob) gedeutet werden: In einem Moment bildlicher Metatextualität hüllt der Fotograf die himmlische Erscheinung des Engels in jenes rote Gewand, welches in Leloirs Werk eigentlich der irdischen Gestalt Jakobs zugeordnet war. Mit diesem ›Kleidertausch‹ bringt Harray das zum Ausdruck, was Leloir durch die den Boden berührende Flügelspitze visualisiert hat: die für Genesis 32 essenzielle Grenzüberschreitung zwischen der göttlichen und der menschlichen Sphäre. Wie auch in den anderen Fotos seiner Serie Dedicated to Hell, in der er sich u.a. mit Kunstwerken von Egon Schiele, Tamara de Lempicka, Francis Bacon und Caravaggio auseinandersetzt, übersteigert Harray mit seiner bewusst amateurhaften und campen Inszenierungsweise die in den Vorlagen oft nur angedeuteten Aspekte der Homoerotik bzw. Queerness. In Jacob wrestling with the Leloir Angel erzielt der Fotograf diese Überbetonung z.B. durch die unmittelbare Blitzlichtästhetik des Bildes, welche die affektierte Mimik der Modelle wie auch die aufdringliche Materialität des Engelsgewands unmittelbar an 724 Zitiert nach Kushner 1993, S. 49f (Act Two: In Vitro. Scene 2); die Verfilmung von Nichols übernimmt diesen Monolog unverändert. Vgl. dazu Angels in America. Regie: Mike Nichols. DVD. HBO Video & Warner Home Video 2005, Millennium Approaches. Chapter 2: In Vitro, ab 01:02:00. 725 Zu Joes innerer Zerrissenheit vgl. Nielsen, Ken. Modern Theater Guides: Tony Kushner’s Angels in America. London und New York 2008, S. 44.
III. Hauptteil
die Betrachter_Innen heranrückt und gerade dadurch die Künstlichkeit der Inszenierung bloßstellt. In camper Manier unterwandert Harray damit die Ernsthaftigkeit des Sujets und verwandelt den existenziellen Kampf von Jakob und dem Engel in ein theatralisches Lustspiel. Dient das approriierte Motiv des Jakobskampfs bei Nichols zur exemplarischen Visualisierung des Konflikts homosexueller Menschen mit dem eigenen Begehren sowie den gesellschaftlichen Erwartungen, interpretiert Harray es im Sinne einer campen Ironisierung als eine Möglichkeit, die der christlichen Ikonographie inhärente Homoerotik zu exponieren. Doch auch jenseits der alttestamentlichen Episode von Jakob und dem Engel taucht das Bildthema ringender Männer sowohl implizit wie auch als explizit queeres bzw. erotisiertes Motiv auf. In abgewandelter Form begegnet uns der erotisierte Topos kämpfender Männer etwa in einer 1877 von Frederic Leighton gefertigten Bronzefigur, welche den Titel An Athlete Wrestling with a Python (Abb. 95) trägt.726 Wie der deskriptive Titel bereits erahnen lässt, zeigt die in etwa lebensgroße Plastik allerdings keine miteinander ringenden Männer, sondern einen Athleten, der mit einer gewaltigen Schlange kämpft. Der Athlet, der als idealisierte männliche Aktfigur dargestellt ist, würgt mit seiner rechten ausgestreckten Hand den Nacken des aggressiven Reptils und stößt es von sich weg – mit einer bemerkenswerten Detailverliebtheit zeigt Leighton, wie sich hierbei die Hand des Athleten in das scheinbar elastische Fleisch des Tieres hineindrückt. Die Schlange, die sich bereits um das linke Bein ihres menschlichen Kontrahenten gewickelt hat, antwortet auf diese Gegenwehr mit einem bedrohlich aufgerissenen Maul. Die im Kampf miteinander verschlungenen Gegner kontrastiert der Künstler durch seine meisterliche Bearbeitung der Oberfläche: Während der Leib des Athleten ein glattes und poliertes Bronzematerial aufweist, das durch seine glänzende Oberfläche nicht nur die detailliert herausgearbeitete Muskulatur betont, sondern auch den Eindruck verschwitzter Haut evoziert, hat die Schlange im Gegensatz dazu eine raue Schuppentextur, die gleichermaßen spröde und wehrhaft wirkt. An Athlete Wrestling with a Python stieß beim zeitgenössischen Publikum auf große Begeisterung, wobei wiederholt Leightons ›neuartige‹ Mischung aus einer klassizistischen Formensprache und einem anatomischen Naturalismus positiv hervorgehoben wurde.727 Der Kunstkritiker Edmund Gosse (1849–1928) bezeichnete das Werk in seiner
726 Leighton fertigte zunächst ein Bozzetto des Werks an und übergab den Auftrag für die Ausführung der Bronzeversion schließlich an den befreundeten Bildhauer Thomas Brock (1847–1922). In Folge der positiven Rezeption des Werks entstanden im Laufe der Zeit weitere Versionen (u.a. in Marmor). Zu Leighton vgl. Kapitel III.2.2; vgl. zudem Ormond, Leonée; Ormond, Richard: Lord Leighton. New Haven 1975; sowie Kat. Ausst. Frederic, Lord Leighton – Eminent Victorian Artist, hg. von Stephen Jones, Christopher Newall, Leonée Ormond et al., Royal Academy of Arts in London 1996, New York 1996. 727 Siehe hierzu Hammerschlag, Keren Rosa: Frederic Leighton. Death, Mortality, Resurrection, Farnham 2015, S. 88f; zur Entstehungsgeschichte und Rezeption wie auch zu den unterschiedlichen Ausführungen der Plastik siehe Ormond, Richard; Ormond, Leonée: An Athlete Wrestling with a Python. In: Kat. Ausst. Frederic, Lord Leighton – Eminent Victorian Artist, hg. von Stephen Jones, Christopher Newall, Leonée Ormond et al., Royal Academy of Arts in London 1996, New
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mit The New Sculpture, 1879–1894 betitelten Aufsatzreihe für das Art Journal (1894) als Wegbereiter der New Sculpture-Bewegung in Großbritannien.728 Neben der formalen Ebene sticht die Arbeit auch auf ikonographischer Ebene heraus: Trotz thematischer bzw. visueller Parallelen zum mythischen Kampf zwischen Apoll und dem Drachen Python auf der einen Seite und der antiken Laokoon-Gruppe auf der anderen handelt es sich bei An Athlete wrestling with a Python doch um ein gänzlich eigenständiges und losgelöstes Motiv. Wie Keren Rosa Hammerschlag bei ihrem Vergleich der Bronzeplastik mit der hellenistischen Laokoon-Gruppe anmerkt, scheint Leighton das antike Vorbild in mehrfacher Weise ›übertrumpfen‹ zu wollen: »Hence, in Athlete Leighton attempted to transcend the Laocoön Group by transforming its excessive musculature, most notably expressed in the central figure of Laocoön, and writhing pain into physical refinement and stoic reserve. Leighton’s athlete is younger than Laocoön; he is also alone, no longer a recognizable Classical character within a group, but rather a generic Classical type to which all Victorian men could aspire.«729 Leightons Plastik stellt also weniger eine konkrete mythische Episode dar als vielmehr ein erstrebenswertes Ideal (viktorianischer) Männlichkeit: Der nackte idealisierte Athlet wird hier zum Sinnbild moralischer Tugend- und Standhaftigkeit, der selbst im Angesicht einer lebensbedrohlichen Gefahr nicht aufgibt, sondern sich mit aller Kraft zur Wehr setzt. Zu dieser Auslegung würde zudem passen, dass der Athlet im Gegensatz zu Laokoon und seinen Söhnen – eine der Schlangen setzt an der Hüfte Laokoons bereits zum Biss an – den Kampf gegen den tierischen Widersacher noch nicht verloren hat.730 Neben der existenziellen Bedrohung, welche durch die Schlange in An Athlete Wrestling with a Python zum Ausdruck gebracht wird, verleiht Leighton dem Reptil durch seine Positionierung auch eine erotische Konnotation. Der Python umwickelt das linke Bein des Athleten und drückt sich dabei gegen dessen entblößtes Genital.731 Im Zuge der vi-
York 1996, S. 182–183; zu Leightons Naturalismus vgl. zudem Østermark-Johansen, Lene: The Apotheosis of the Male Nude: Leighton and Michelangelo, in: Barringer, Tim; Prettejohn, Elizabeth (Hg.): Frederic Leighton: Antiquity, Renaissance, Modernity, Studies in British Art, Vol. 5, New Haven und London 1999, S. 111–134; hier: S. 126f. 728 Vgl. Gosse, Edmund: The New Sculpture, 1879–1894, in: Art Journal. Vol. 56 (1894), S. 138–142, hier: S. 140; siehe zudem Newall, Christopher: The Art of Lord Leighton. Oxford und New York 1990, S. 92. 729 Hammerschlag 2015, S. 89; Hammerschlag nimmt hier Bezug auf Stearns, Peter N.: Be a Man! Males in Modern Society. New York und London 1979, S. 102. 730 Einige zeitgenössische Kunstkritiker_Innen fokussierten sich fast ausschließlich auf den Ausgang des Kampfes und wägten mit voyeuristischem Genuss die Überlebenschancen des Athleten ab. Ein Kritiker der Zeitschrift The Times, der dem Athleten keine Überlebenschancen einräumte, beschrieb den Anblick des Werks mit folgenden mitreißenden Worten: »The struggle will soon be over, and then Heaven help the man! We can fancy we hear his bones cracking‹.« (Ormond und Ormond 1996, S. 182) Leighton reagierte auf derartige Interpretationen mit Gleichgültigkeit, da es für ihn hauptsächlich um die Idee der Skulptur und Plastik an sich ging. Vgl. ebd., S. 182. 731 Auf dieses Detail macht auch Hammerschlag aufmerksam: »[T]he body of the python wraps around the athlete’s leg, brushes past his diminutive penis and comes to a head at the point at which the man grabs on to it to produce an extremely violent image of masturbation. Read
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suellen Parallelisierung der Schlange mit dem Genital des Mannes liegt es nahe, Ersteres als Verbildlichung des bedrohlichen Phallus zu verstehen, den es unter Kontrolle zu bringen gilt.732 Eine derartige Lesart erhält nochmals mehr Relevanz, wenn man die historischen Umstände berücksichtigt: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte ein wahres Wetteifern zwischen den neuen medizinischen Forschungsdisziplinen der Neurologie, der Sexologie und der Psychatrie ein, die sich allesamt an der Pathologisierung der Sexualität und vor allem der Homosexualität beteiligten. Ein für diese Entwicklung bedeutendes Werk stammte von dem Briten Francis Galton (1822–1911), der mit seinem 1869 veröffentlichten Buch Hereditary Genius als Begründer der Eugenik-Bewegung gilt.733 Innerhalb dieser Bewegung galt die Masturbation – ein Begriff, der im damaligen Kontext alle sexuellen Akte meinte, die nicht der Fortpflanzung dienten (z.B. Selbstbefriedigung oder Homosexualität) – als größtmögliches Übel, das sich angeblich negativ auf Körper und Geist sowie auf mögliche Nachkommen auswirken sollte.734 Wenngleich nicht bekannt ist, ob Leighton sich mit den Schriften Galtons auseinandergesetzt hat, darf hinsichtlich ihrer breiten gesellschaftlichen Rezeption doch angenommen werden, dass der Künstler zumindest ansatzweise mit dem Diskurs vertraut war. Dieser historische Rahmen untermauert die Annahme, dass An Athlete wrestling with a Python auch als Verbildlichung eines internen Kampfes mit den eigenen Trieben gedeutet werden kann.735 Die Statue wäre demnach als Ermahnung zu verstehen, sich in Selbstkontrolle zu üben, oder wie Hammerschlag es mit Verweis auf Foucault ausdrückt: »Sanity could be maintained or restored through the exercise of self-control, which is so valiantly attempted by Leighton’s athlete.«736 Dass das Kunstwerk überdies von einem Künstler stammt, über dessen eigene homosexuelle Neigungen in der kunsthistorischen Literatur wiederholt spekuliert wurde und wird, unterstützt diese erotisierte Auslegung.737 as a manifestation of his own threatening phallus, the python represents not just the daemon without, but also the daemon within.« (Hammerschlag 2015, S. 90). 732 Ein symptomatisches Bild für eine Gesellschaft bzw. eine Kultur, in welcher davon ausgegangen wird, dass Männlichkeit etwas sei, was beständig erkämpft werden müsse. Siehe auch Kapitel II.3.1. 733 Siehe Galton, Francis: Hereditary Genius. London 1869. 734 Vgl. Ordover 2003, S. 71; Ordover verweist hierbei auf James Foster Scott und dessen 1898 veröffentlichtes Buch The Sexual Instinct: Its Use and Dangers, as Affecting Heredity and Morales: Essentials to the Welfare of the Individuals and the Future of the Race. Sie schreibt: »He was particularly concerned with the eugenic consequences of masturbation and onanism, catchall terms used in the nineteenth century to refer to all nonprocreative sex, including homosexuality. Masturbation, Scott wrote, was sometimes ›a legacy inherited along with an unstable nervous system.‹« (Ebd.). 735 Vgl. Hammerschlag 2015, S. 90f. 736 Ebd., S. 91; Hammerschlag bezieht sich hier auf Foucault 1983. 737 Siehe etwa Reed 2011, S. 82–86; vgl. zudem Saslow 1999, S. 178f; die Spekulationen über Leightons Sexualität gehen weit über die Tatsache hinaus, dass der Künstler unverheiratet blieb. So wird wiederholt auf die enge Beziehung zwischen ihm und seinem Freund Henry William Greville (1801–1872) hingewiesen, ein reicher Aristokrat, den Leighton 1856 in Florenz kennengelernt hat. Obzwar hauptsächlich Briefe von Greville an Leighton erhalten geblieben sind – ähnlich wie bei der Korrespondenz zwischen James und Andersen –, gestatten diese dennoch einen kleinen Einblick in die vertraute und intime Beziehung der beiden Männer. Greville gibt Leighton in den Briefen etwa den femininen Spitznamen »Fay« (dt. ›Fee‹) und überschüttet ihn mit poetischen Zärtlich-
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Verbleibt die Erotisierung des Kampfmotivs im Falle von An Athlete wrestling with a Python noch im Bereich der Implikation und Doppeldeutigkeit, setzt die US-amerikanische Künstlerin Barbara Kruger (*1945) mit ihrem collagierten Plakat Untitled (You construct intricate rituals to touch the skin of other men) von 1981 (Abb. 96) die Verbindung von Homoerotik und Ringen explizit in Szene. Kruger, die nach ihrem Studium an der Parsons School of Design in New York zunächst als Grafikdesignerin tätig war, verschmilzt in ihrer Kunst die kommerzielle Bildsprache der Werbung mit politischen Positionen.738 In ihren Arbeiten spielt die Künstlerin mit der Gegenüberstellung von (zumeist) appropriiertem Bildmaterial – sie verwendet fast ausschließlich schwarz-weiße Bilder aus der Werbung, Zeitungen etc. – und gesellschaftskritischen Beschriftungen. Im vorliegenden Werk wird z.B. die schwarz-weiße und von einem roten Rahmen umfasste Fotografie einer vergnügten Männergruppe, deren Mitglieder gerade an einem in der Mitte stehenden Mann zu zerren scheinen, rechterhand von folgendem Text ergänzt: »You construct intricate rituals which allow you to touch the skin of other men.« Der Satz, welcher in untereinander angeordnete und abwechselnd schwarz auf weiß und weiß auf schwarz gedruckte Fragmente zerteilt ist, überlagert dabei das Foto teilweise. Die von Kruger hier wie auch in fast allen anderen Arbeiten verwendete Schriftart – eine fettgedruckte Futura – unterstreicht die Eindringlichkeit der Aussage und verleiht dem Bild einen plakativen Werbecharakter. Der rote Rahmen, die Schriftart wie auch das Wechselspiel von Schwarz und Weiß sind allesamt visuelle Elemente, die im Œuvre Krugers wiederholt auftauchen und, um im Sprachgebrauch der Werbeindustrie zu bleiben, eine Art wiedererkennbares Corporate Design darstellen. Die Arbeit gehört neben Untitled (Your gaze hits the side of my face) von 1981 und Untitled (We won’t play nature to your culture) von 1983 zu den repräsentativsten frühen Arbeiten der Künstlerin. Allen dreien ist gemein, dass sie sich mit dem Thema der Geschlechterrollen auseinandersetzen. Während die beiden zuletzt genannten Werke einerseits den Objektstatus der Frau und andererseits die Idee des Weiblichen als ›unkultiviert‹ und ›naturnah‹ verhandeln, fokussiert die hier betrachtete Arbeit die Rolle und Selbstwahrnehmung des Mannes im Kontext eines soziokulturellen Umfelds, welches von dem prävalenten Konzept hegemonialer Männlichkeit bestimmt ist.739 Wie schon gezeigt wurde, geht die Vormachtstellung des Männlichen allerdings mit gewissen Anforderungen einher, wie etwa der Abhärtung des männlichen Körpers und Geistes. Hier knüpft Kruger mit ihrem Plakat an, wenn sie die raufende Männergruppe im Text mit einem ›komplexen Ritual‹ gleichsetzt: In einer heteronormativen Kultur, in der Männlichkeit mit Dominanz und Aggressivität und Weiblichkeit mit Zärtlichkeit und Weichheit in Verbindung
keiten. In Emilie Isabel Barringtons Buch über den Künstler (zuerst 1906) finden sich einige dieser Briefe abgedruckt. Siehe Barrington, Emilie Isabel (Hg.): The Life, Letters and Work of Frederic Leighton. 2 Bände, Band 1, New York 1973, S. 252–268; zur vermeintlichen Homosexualität Leightons siehe auch Hammerschlag 2015, S. 79ff. 738 Zum Werbehintergrund der Künstlerin siehe Harper, Jenny: Barbara Kruger Gives You All She’s Got. In: Kat. Ausst. Barbara Kruger. National Art Gallery New Zealand 1988, Wellington 1988, S. 9–25; hier besonders: S. 10; vgl. zudem den knappen Lebenslauf in Alberro, Alexander; Gever, Martha; Kwon, Miwon; Squiers, Carol (Hg.): Barbara Kruger. New York 2010, S. 301–307. 739 Zum Konzept der hegemonialen Männlichkeit siehe Kapitel II.3 sowie Connell 2015, S. 130.
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gebracht wird, ist das Berühren unter Männern nur dann legitim, wenn es in Form ›ritualisierter Aggressionen‹ geschieht.740 Diese ›Rituale‹ reichen beispielsweise von sportlichen Ringkämpfen bis hin zu vorgeblich spielerischem Dominanzgebaren unter Männergruppen.741 Mit ihrer Arbeit unterstreicht die Künstlerin letztlich die Absurdität einer Gesellschaft, deren Männlichkeitskonzeption auf der beständigen Abgrenzung von allem Weiblichen fußt und in der Körperkontakt zwischen Männern nur als kämpferische Aggression möglich ist, zumindest sofern man dem Verdacht der Effeminiertheit und der Homosexualität – zwei Aspekte, denen angesichts einer Kultur, in der das Männliche über das Weibliche gestellt wird, stets ein Stigma anhaftet – entgehen will. Mit Krugers Untitled (You construct intricate rituals to touch the skin of other men) erhält das Motiv ringender Männer eine neue Facette: Repräsentieren die untersuchten queerkünstlerischen Aneignungen von Jakob und dem Engel einen nach innen gerichteten Blick auf den Konflikt zwischen homosexuellem Begehren und den internalisierten Erwartungen einer Gesellschaft, die ihrerseits geprägt ist von hegemonialer Männlichkeit, Geschlechterbinarimus und Heteronormativität, nimmt Kruger mit ihrem Werk eine (weibliche) Außenperspektive auf die restriktive Rolle des Mannes innerhalb ebenjener gesellschaftlichen Strukturen ein. In ihrer Arbeit offenbart die Künstlerin die intrinsische Verknüpfung von Misogynie und Homophobie, die den Mann in das enge Korsett der Maskulinität zwingt, um es mit einer möglichst queeren Metapher auszudrücken. Sowohl die Misogynie als auch die Homophobie fungieren dabei als notwendige Grundpfeiler, auf denen die Hegemonie des Männlichen nicht nur beruht, sondern welche sie überhaupt erst ermöglicht.742 Im Zusammenhang mit Krugers kritischer Hinterfragung etablierter Geschlechterrollen sollte dann auch die Direktheit des bildimmanenten Textes nicht etwa als Anklage einer konkreten Person gelesen werden, vielmehr wäre der klar als männlich gekennzeichnete Adressat – »You construct intricate rituals […] to touch the skin of other men.« – wohl als das ungreifbare Konstrukt männlicher Vormachtstellung zu deuten.743 Durch das Zusammenspiel von bildlicher und textueller Ebene demaskiert die Künstlerin das Motiv kämpfender Männer als Ausdruck einer Kultur, die zutiefst von homophoben und misogynen Vorstellungen geprägt ist und die Maskulinität daher nicht jenseits streng reglementierter Normen denken kann. 740 Vgl. auch Harper 1988, S. 13. 741 Zur Verbindung von Gewalt mit Homosexualität und Homophobie siehe etwa Ward, Jane: Not Gay: Sex Between Straight White Men, New York 2015. 742 Es sei hier nochmals an eine bereits im Theorieteil zitierte Aussage von Sedgwick erinnert: »Homophobia directed by men against men is misogynistic. By ›misogynistic‹ I mean not only that it is oppressive of the so-called feminine in men, but that it is oppressive of women.« (Sedgwick 1985, S. 20). 743 Wie Lita Barrie in ihrem Aufsatz über Kruger feststellt, spielt die Künstlerin beständig mit einem Wechsel der Sprecher- und letztlich der Geschlechterrollen: »Kruger’s work takes its impetus from Jacques Derrida’s strategy of ›deconstruction‹, which aims to displace patriarchal binary oppositions to re-inscribe them with different meanings. In Kruger’s work the displaced oppositions are: identity/difference, subject/object, surveyor/surveyes, prowess/pose, active/passive, culture/nature, history/fiction, based on the opposition man/woman, which she emphasizes with the shifting pronouns, You/I, They/We.« (Barrie, Lita: Beyond The Looking Glass: Your Truths are Illusions, in: In: Kat. Ausst. Barbara Kruger. National Art Gallery New Zealand 1988, Wellington 1988, S. 25–34; hier: S. 28).
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Am Beispiel der alttestamentlichen Konfrontation zwischen Jakob und dem Engel wurde in diesem Kapitel zunächst die ikonographische Appropriation des Motivs durch eine queere bzw. homosexuelle Perspektive geschildert. Jakob, der in Gen 32 mit einem übermächtigen Engel ringt, erweist sich dabei als passendes Sinnbild für homosexuelle Menschen, die sich mit einem schier unüberwindbaren Gegner konfrontiert sahen und zum Teil immer noch sehen: ein soziokulturelles Umfeld, welches gleichgeschlechtliches Begehren zuerst als Sünde und dann als Krankheit brandmarkt. Dass sich eine solche Sichtweise auch auf die Eigenwahrnehmung der Betroffenen auswirkt, thematisieren Nichols respektive Kushner in Angels in America, wenn sie auf die biblische Episode von Jakob am Jabbok verweisen, um die innerliche Zerrissenheit eines Mannes zu visualisieren, der seine eigene Homosexualität aus Angst vor gesellschaftlichen Repressalien zu bekämpfen sucht. Der in der Bibelexegese oftmals als innerlicher Konflikt gedeutete Kampf zwischen Jakob und seinem himmlischen Widersacher erweist sich aus queerer Perspektive als adäquates Bildmotiv zur Externalisierung bzw. Sichtbarmachung internalisierter Homophobie. Die Arbeiten von Leighton und Kruger manifestieren eine Verselbstständigung des Motivs ringender Männer: Leightons Athlet, der sich im Zweikampf mit einem Python befindet, und Krugers raufender Männertrupp versinnbildlichen eine Maskulinität, die beständig erkämpft werden muss. Für ein queeres Publikum, welches in der Gesellschaft stets als geschlechtliche und sexuelle ›Devianzerscheinung‹ wahrgenommen wurde bzw. wird, gewinnen diese Werke gerade dadurch ihre Relevanz: Obgleich beide Arbeiten auf visueller Ebene eine aggressive und kämpferische Männlichkeit zeigen, entblößen sie auf jeweils unterschiedliche Weise – Leighton im Subtext und Kruger im wortwörtlichen Text – die latente Homoerotik sowie die Fragilität der vorherrschenden Männlichkeitskonzeption.
III.2.5 Der hl. Sebastian: Gefangen zwischen Eros und Thanatos »Having a Coke with You is even more fun than going to San Sebastian, Irún, Hendaye, Biarritz, Bayonne […] partly because in your orange shirt you look like a better happier St. Sebastian partly because my love for you, partly because of your love for yoghurt […] partly because of the secrecy our smiles take on before people and statuary it is hard to believe when I’m with you that there can be anything as still as solemn as unpleasantly definitive as statuary when right in front of it in the warm New York 4 o’clock light we are drifting back and forth between each other like a tree breathing through its spectacles and the portrait show seems to have no faces in it at all, just paint you suddenly wonder why in the world anyone ever did them
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I look at you and would rather look at you than all the portraits in the world«744 In dem Gedicht Having a Coke with You des US-amerikanischen Dichters und Kurators Frank O’Hara (1926–1966), das nach einer Spanienreise im Jahr 1960 enstand und dem langjährigen Lebensgefährten Vincent Warren (1938–2017) gewidmet ist, spielt der offen homosexuelle O’Hara mit einem beständigen Changieren zwischen Insignien der Hochkultur (geschichtsträchtige Städte wie Irún und Bayonne, der hl. Sebastian, Portraitkunst etc.) und denen einer vornehmlich US-amerikanischen Populärkultur (vor allem Coca Cola).745 Mit seinen ebenso mondänen wie alltäglichen Sprachbildern bringt der Autor seine Liebe zu einem Mann zum Ausdruck, dessen Gesellschaft ihm mehr bedeutet als Reisen, Kunst etc. und den er in apotheotischer Weise als einen »better happier St. Sebastian« umschreibt. Der hl. Sebastian wird hier jedoch nicht nur zu einer Art Eponomasie für einen jugendlichen und attraktiven Mann – bei ihrem Kennenlernen war Warren 20 Jahre alt und arbeitete als Balletttänzer an der Metropolitan Opera in New York746 –, sondern O’Hara knüpft mit der Nennung des Heiligen darüber hinaus auch an eine literarische und künstlerische Tradition an, die den Märtyrer mit männlich-männlichem Begehren in Verbindung bringt. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei Sebastian um einen Heiligen der katholischen Kirche handelt – einer Institution, die gleichgeschlechtliches Verlangen immer wieder verdammt hat –, stellt sich die Frage, wie aus dem einstigen römischen Soldaten und (Pest-)Heiligen ein Sinnbild begehrlicher und homoerotischer Männlichkeit werden konnte bzw. inwiefern eine derartige Lesart bereits von Anbeginn gegeben sein könnte. Zudem ist der Frage nachzugehen, welche inszenatorischen Mechanismen damit im Zusammenhang stehen und wie diese sich auf eine queere Kunstperspektive auswirken – hierbei soll auf die bereits erwähnte Ähnlichkeit mit Apoll und Marsyas sowie auf den dualistischen Symbolcharakter des Heiligen eingegangen werden.747 744 O’Hara, Frank: Having a Coke with you. In: Ders.: The Collected Poems of Frank O’Hara. Hg. von Donald Allen, New York 1972, S. 360. 745 Siehe Perloff, Marjorie: Frank O’Hara. Poet Among Painters, New York 1977, S. 80; vgl. überdies Gooch, Brad: City Poet. The Life and times of Frank O’Hara, New York 1993, S. 346f. 746 Zu Warrens Werdegang siehe Swoboda, Victor: Vincent Warren: An Artist of Compassion. In: Dance Collection Danse. Nr. 72 (Fall 2012), S. 28–34. 747 Dazu wird ein Blick auf die Hagiographie sowie die ikonographische Entwicklung des Heiligen geworfen, um anschließend ausgewählte Sebastian-Darstellungen von Giovanni Antonio Bazzi (Abb. 99), Jacopo de‹ Barbari (Abb. 100), Jusepe de Ribera (Abb. 101) sowie Mattia Preti (Abb. 102) zu analysieren. Anhand dieser Beispiele soll auf die unterstellte Homoerotik und den ambivalenten Charakter des Motivs eingegangen werden. Danach werden Kunstwerke des 19., 20. und 21. Jahrhunderts untersucht, die den hl. Sebastian explizit als queere Figur thematisieren bzw. appropriieren: angefangen mit der erotisierten Sebastian-Darstellung von Fred Holland Day (Abb. 104) und Alfred Courmes (Abb. 105), über die Selbstinszenierungen als hl. Sebastian von Elisar von Kupffer sowie Yukio Mishima (Abb. 106), bis hin zu den Arbeiten von David Wojnarowics (Abb. 108 und 109) und Ron Athey (Abb. 110), welche den Märtyrer als Ausgangsmotiv zur Verhandlung unterschiedlicher homosexueller bzw. queerer Lebenserfahrungen verwenden. Mit der Arbeit von Jasper Jones (Abb. 111) soll eine künstlerische Position untersucht werden, die sich zwar zunehmend von der Sebastian-Ikonographie loslöst, die aber auf thematischer Ebene mit ihr verbunden bleibt. Zum Abschluss erfolgt ein Blick auf zeitgenössische Sebastians-Interpretationen: Naruki Kukitas Virtu-
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In der Legenda Aurea (um 1264) von Jacobus de Voragine (1228/29-1298) wird berichtet, dass Sebastian ein zum Christentum konvertierter Offizier und zudem ›geliebter‹ Leibwächter von Kaiser Diokletian (284–305) sowie von dessen Unterkaiser Maximian (ca. 240–310) gewesen sei, der, nachdem er sich für das Leben zweier Glaubensgenossen – die Zwillingsbrüder Marcus und Marcellianus – eingesetzt hatte, von Diokletian zum Tode verurteilt wurde.748 Angebunden an einen Pfahl wurde Sebastian von Kriegsknechten mit Pfeilen beschossen, »dass er stund gleich einem Igel.«749 Interessanterweise überlebte Sebastian den Überlieferungen zufolge das so untrennbar mit seiner Ikonographie verbundene Pfeilmartyrium und wurde daraufhin von der hl. Irene gesund gepflegt.750 Eine besonders eindrückliche malerische Umsetzung dieser eher selten behandelten Szene stammt vermutlich von dem französischen Künstler Trophime Bigot (1579–1650) und befindet sich im Musée des Beaux-Arts in Bordeaux.751 Diese ›Auferstehung‹ verstärkt den für das Märtyrertum so zentralen Aspekt der Imitatio Christi und erklärt womöglich, weshalb Sebastian zu einem der meistdargestellten Heiligen wurde.752 Im Glauben, Diokletian werde sein Überleben als Beweis für das Wirken Christi akzeptieren, trat der genesene Sebastian dem Kaiser ein weiteres Mal gegenüber, nur um erneut zum Tode verurteilt zu werden. Das Martyrium Sebastians endet schließlich damit, dass der einstige Liebling Diokletians auf dessen Geheiß im Circus Maximus erschlagen und sein lebloser Körper in die Cloaca Maxima geworfen wurde – Darstellungen dieser hagiographischen Episode sind vergleichsweise selten. Eines der wenigen Beispiele, in welchem die ›Entsorgung‹ des Leichnams als eigenständiges Bildmotiv fungiert, findet
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al Saint Sebastian von 2017 (Abb. 112) und Kehinde Wileys St. Sebastian (Columbus) von 2006 (Abb. 113). Siehe Voragine, Jacobus de : Legenda Aurea. Hg. von Christoph Wetzel, Freiburg, Basel und Wien 2007, S. 56–59; dass Sebastian sowohl von Kaiser Diokletian als auch von seinem Offizier bzw. Unterkaiser Maximian ›geliebt‹ wurde, ist ein Detail, welches besonders in Salows Untersuchung der Sebastian-Figur hervorgehoben wird. Saslow bezieht sicht dabei jedoch nicht auf die Legenda Aurea, in der allerdings auch davon berichtet wird, sondern auf die Acta Sanctorum, in welcher geschrieben steht: »[I]ntatum caras erat Imperatoribus Diocletiano et Maximano« (Zitiert nach Kaye, Richard A.: Losing his Religion. Saint Sebastian as Contemporary Gay Martyr, in: Horne, Peter; Lewis, Reina (Hg.): Outlooks. Lesbian and Gay Sexualities and Visual Cultures, London und New York 1996, S. 86–105; hier: S. 89; ursprünglich aus: Saslow, James M.: The tenderest Lover: Saint Sebastian in Renaissance painting. A proposed Iconology for North Italian Art 1450–1550, in: Gai Saber: Journal of the Gay Academic Union, New York, Nr. 1 (Spring 1977), S. 58–66); sinngemäße Übersetzung (NM): »[Sebastian] wurde innigst von Kaiser Diokletian und Maximian geliebt«; vgl. zudem Castro-Gómez 1997, S. 177. Voragine 2007, S. 58. Zu den unterschiedlichen Darstellungsweisen der Sebastians-Hagiographie siehe Assion, Peter: Sebastian. In: Kirschbaum, Engelbert; Braunfels, Wolfgang (Hg.): Lexikon der christlichen Ikonographie. 8 Bände., Rom et al. 1976, 8. Band (1976), Sp. 318–324; hier besonders: Sp. 322. Zur Zuschreibungsfrage siehe Boyer, Jean: The One and Only Trophime Bigot, in: The Burlington Magazine, Vol. 130, Nr. 1022 (Mai 1988), S. 355–357; auf der Webseite des Musée des Beaux-Arts de Bordeaux wird das Gemälde nun aber wieder dem Meister des Kerzenlichts zugeschrieben und damit die Autorenschaft Bigots infrage gestellt. Vgl. https://www.musba-bordeaux.fr/fr/article/maitre-chandelle (zuletzt 21.05.2021). Vgl. Bohde 2004, S. 98; sowie Castro-Gómez 1997, S. 177.
III. Hauptteil
sich im Œuvre des italienischen Barockmalers Lodovico Carracci (1555–1619).753 Die Legenda Aurea schildert weiter, dass der hl. Sebastian kurz nach seinem Ableben der hl. Lucina im Traum erschienen sei und sie mit der Bergung seines Leichnams beauftragt habe.754 Gemäß seiner Rolle als Offizier der kaiserlichen Garde wurde der hl. Sebastian im Mittelalter zumeist als bejahrter und häufig bärtiger Mann in Rüstung abgebildet, ehe sich in der Renaissance die Darstellungsweise als unbekleideter, bartloser Ephebe durchsetzte, die den Heiligen als Ausdruck eines apollinischen Schönheitsideals imaginierte.755 Diese ikonographische Verschiebung sowie die Fokussierung auf das Pfeilmartyrium könnten im Zusammenhang mit der Funktion Sebastians als Pestheiliger – der Pfeil gilt seit der Antike als Symbol für Krankheit und Seuchen – stehen: So sprechen mehrere Indizien dafür, dass sich die Sebastian-Verehrung wie auch erste Darstellungen des Heiligen als ein von Pfeilen durchbohrter puer aeternus (ewiger Jüngling) bereits kurz nach dem Ausbruch der Pest in Europa um 1348 verbreiten.756 Betrachtet man hierzu beispielsweise ein vermutlich nach 1380 entstandenes Altarbild (Abb. 97) des in Florenz tätigen Giovanni del Biondo (1356–1399) sowie eine 1367 von Nicoletto (auch Niccolò) Semitecolo (tätig von ca. 1353–1370) für einen Reliquienschrein im Dom zu Padua angefertigte Bildtafel (Abb. 98), so lassen sich zwei wichtige Punkte festhalten: Auf der einen Seite parallelisiert die Anfertigung beider Kunstwerke die Pestepidemie in den Entstehungssorten Padua und Florenz.757 Auf der anderen Seite lässt sich anhand der Ikonographie der Bilder von Biondo und Semitecolo überdies eine graduelle und keineswegs geradlinige Entwicklung hin zum Typus des puer aeternus feststellen: Während der Heilige in Biondos Altarbild zwar immer noch mit Bart, aber bereits nur noch mit einem Lendenschurz bekleidet dargestellt wird, entspricht Semitecolos Inszenierung des Märtyrers als bartloser, nackter Jüngling, dessen Körper im Vergleich zu
Das im Jahr 1612 vollendete Gemälde befindet sich heute unter dem Titel Saint Sebastian Thrown into the Cloaca Maxima in den Archivbeständen des J. Paul Getty Museum in Los Angeles. 754 Siehe Voragine 2007, S. 58. 755 Vgl. Kaye 1996, S. 87; sowie Castro-Gómez 1997, S. 179. 756 Zum Zusammenhang zwischen der Pestepedemie und der zunehmenden Verehrung des hl. Sebastian siehe Meiss, Millar: Painting in Florence and Sience After the Black Death. Princeton (NJ) 1951, S. 77; für einen knappen historischen Überblick zur Pest siehe Bergdolt, Klaus: Pest. In: Gerabek, Werner E.; Haage, Bernhard D.; Keil, Gundolf; Wegner, Wolfgang (Hg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin und New York 2005, S. 1122–1127; sowie zur Rolle des hl. Sebastian als Pestheiliger siehe Dinzelbacher, Peter: Sebastian. In: Gerabek, Werner E.; Haage, Bernhard D.; Keil, Gundolf; Wegner, Wolfgang (Hg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin und New York 2005, S. 1313. 757 Florenz verfügte zum Entstehungszeitpunkt des Altarbildes sogar über eine Reliquie des hl. Sebastian, die nach 1348 von Rom dorthin gebracht worden war, um Abhilfe von der Pest zu schaffen. Siehe Meiss 1951, S. 77f; Padua kam hingegen erst 1472 in den Besitz einer Sebastian-Reliquie, was deshalb verwunderlich ist, da der 100 Jahre zuvor von Semitecolo gestaltete Reliquienschrank fast ausschließlich Szenen aus dem Leben des hl. Sebastian zeigt; scheinbar war der Glaube an dessen Wirkmacht so groß, dass man hoffte, sein bloßes Abbild könnte gegen die Pest helfen. Siehe Elston, Ashley: Pain, Plague, and Power in Niccolo Semitecolo’s Reliquary Cupboard for Padua Cathedral, in: Gesta. International Center of Medieval Art, Volume 51 (2/2012), S. 111–127; hier: S. 112.
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Biondos Version zudem von weitaus weniger Pfeilen durchbohrt ist, schon in allen wesentlichen Zügen dem Ideal des puer aeternus. Sowohl die bei Semitecolo zu beobachtende ›Ephebisierung‹ bzw. ›Ästhetisierung‹ des hl. Sebastian und seines Martyriums (die reduzierte Anzahl an Wundmalen und Pfeilen) als auch seine anwachsende Popularität zur Zeit des Pestepidemie – zwei Aspekte, die sich gegenseitig zu bedingen scheinen – könnten damit erklärt werden, dass der ansehnliche und vom Soldatendasein trainierte Körper des Märtyrers über das irdische Leiden hinaus auf das verheißungsvolle Himmelsreich verweisen und den von der Pest geplagten Gläubigen Hoffnung spenden sollte.758 Verfolgt man die ikonographische Entwicklung des hl. Sebastian weiter bis in die Renaissance, so vermischen sich – ähnlich wie etwa bei den David-Darstellungen – zunehmend pagan-antike und christliche Elemente.759 Ein zentraler Aspekt für die sich mit bzw. ab der Renaissance immer stärker ausbreitende Inszenierungsweise des hl. Sebastian als puer aeternus ist die Vereinigung antiker mit mittelalterlichen Körpervorstellungen: Mit ihrem Fokus auf die leibliche Schönheit des Heiligen eifern die Darstellungen des Märtyrers somit zum einem dem antiken Ideal einer geschlossenen Körperlichkeit nach, zum anderen erinnern die klaffenden Pfeilwunden aber an das durchlässige Körperbild des Mittelalters. Dieses spannungsgeladene Aufeinandertreffen konträrer Vorstellungen sollte sich jedoch alsbald zugunsten einer antikisierten sowie vermehrt unversehrten Körperlichkeit verschieben und manifestierte sich vornehmlich in einer reduzierten Anzahl der Pfeile wie auch der Wundmale. Ein anschauliches Beispiel für die polymorphe und zwischen Antike und Mittelalter oszillierende Vorstellung von dem Heiligen stammt von dem berühmt-berüchtigten Giovanni Antonio Bazzi (1477–1549), dessen vermeintliche Liebe zu jungen, bartlosen Männern und exaltierter Lebenswandel ihn gemäß Giorgio Vasari zu einer Art frühzeitlichen Präfiguration eines campen Dandys machten und ihm den Spitznamen Il Sodoma einbrachten (Abb. 99).760 Doch ungeachtet seines angeblichen Hangs zur ›Sodomie‹ sowie seines exzentrischen Auftretens – neben seinem auffälligen Kleidungsstil soll der Maler auch stets mit einem kleinen Privatzoo unterwegs gewesen sein – wurde er für 758 Vgl. hierzu Castro-Gómez 1997, S. 179. 759 Dazu Castro-Gómez: »Der utopische Traum einer niemals verblühenden physischen Schönheit konkretisiert sich in diesem, durch künstlerische Überhöhung gesellschaftlich legitimierten, ikonographischen Zeichen [des hl. Sebastian]. Christlicher Asketismus und neo-platonische Philosophie, sexuelle Ambiguität und masochistische Ekstase, die Metaphysik des Leidens und das Lob der Körperlichkeit vermischen sich hier.« (Ebd.). 760 Lemelsen, Katja: Einleintung zum Leben des Sodoma. In: Vasari, Giorgio: Sodoma und Beccafumi (1550). Hg. von Alessandro Nova et al., neu übersetzt von Victoria Lorini, eingeleitet und kommentiert von Katja Lemelsen (Sodoma) sowie Jessica Witan (Beccafumi), Berlin 2006, S. 7–11; hier: S. 9; Vasari berichtet in seiner Vita Sodomas von dem »leichtsinnig geführten [Leben], das immer abwegig und triebhaft war« (Ebd., S. 11). Der Autor schildert en détail die modische Geckenhaftigkeit Sodomas sowie die ›Absurdität‹ seines Heimzoos, in welchem u.a. ein Affe und ein Rabe lebten. Siehe Vasari, Giorgio: Das Leben des Malers Giovan Antonio, genannt Sodoma, aus Vercelli, in: Ders.: Sodoma und Beccafumi. Hg. von Alessandro Nova et al., neu übersetzt von Victoria Lorini, eingeleitet und kommentiert von Katja Lemelsen (Sodoma) sowie Jessica Witan (Beccafumi), Berlin 2006, S. 11–37; hier: S. 12f.
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sein künstlerisches Talent geschätzt und erhielt wiederholt Aufträge von kirchlicher Seite.761 Die Sodoma nachgesagte ›Exzentrik‹ und Vorliebe für Epheben wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts begeistert von einem homosexuellen Publikum rezipiert, dass sich nach ›historischen Vorbildern‹ sehnte. So widmete etwa der homosexuelle Künstler und Schriftsteller Elisàr von Kupffer (Elisarion)762 Sodoma 1908 eine dem Biographismus zuzuordnende Monographie, in welcher er davon schwärmte, dass die Werke des Renaissancemalers »von so tiefem religiösen Gefühl inspiriert« seien und doch zugleich »von einer unbefangenen Schönheit und Natürlichkeit«.763 Nach von Kupffer, der Sodoma mit großem Pathos und der für den unwissenschaftlichen Biographismus üblichen Psychologisierung u.a. eine »zarte weibliche Seele« attestierte, gelang dem Maler mit seinem Werk eine harmonische Vereinigung von »›Olympia und Golgatha‹«, also von paganer Antike und christlichem Mittelalter.764 Weniger wohlwollend fiel das Urteil von Sodomas Zeitgenossen Vasari aus, der ihn in seiner Vita des Künstlers u.a. einen »Unmenschen« (bestia) schimpft und seine künstlerischen Leistungen wiederholt herabwürdigt.765 Gleichwohl räumt auch Vasari ein, dass der hier zu betrachende Sebastian »großes Lob« verdiene.766 Sodomas Hl. Sebastian war ursprünglich Teil eines beidseitig bemalten Banners (gonfalone), welches ab 1525 im Auftrag der Bruderschaft des hl. Sebastian in Camollia – ein Stadtteil in Siena – entstand und als Schaustück städtischer Prozessionen gedacht war.767 Während die eine Seite mit der Madonna mit Kind und den Heiligen Sigimund und Rochus sowie sechs Brüdern der Bruderschaft des Heiligen Sebastian768 bemalt war, zierte die andere Seite der Namenspatron der Auftragsgeber: Inmitten einer weitläufigen Hügelbzw. Gebirgslandschaft erduldet der an einen Baum gefesselte und lediglich mit einem
761 Siehe hierzu Reed 2011, S. 45f. 762 Siehe auch Kapitel III.1.2. 763 Kupffer, Elisàr von (Elisarion): Der Maler der Schönheit: Giovan Antonio – il Sodoma. Eine Seelenund Kunststudie, Leipzig 1908, S. 22. 764 Ebd., S. 19 (Zitat) sowie S. 22 und S. 31; Olympia und Golgatha ist zudem der Name eines von Kupffer verfassten Artikels, welcher in der von ihm und Eduard von Mayer herausgegebenen Zeitschrift Lebenswerte veröffentlicht wurde. Siehe Kupffer, Elisàr von; Mayer, Eduard von (Hg.): Lebenswerte. Heft 1: Die religiöse Frage: Olympia und Golgatha, Jena 1907. 765 Vasari 2006 u.a. S. 13f sowie S. 36; vgl. zudem Lemelsen 2006, S. 9; von Kupffer geht in seinem Text direkt auf Vasaris Beurteilung Sodomas ein: »[V]or allem aber, wenn er [Vasari, NM] gehässig falsche Berichte und Beurteilungen bringt, wie über Sodoma’s Schaffen und Art; so ist das wohl geeignet, das Verdienst seiner wissenschaftlichen Arbeit herabzusetzen und besonders auch den Charakter des Autors.« (Kupffer 1908, S. 77). 766 Siehe Vasari 2006, S. 24. 767 Siehe hierzu Hayum, Andrée: Giovanni Antonio Bazzi – »Il Sodoma«. New York und London 1976, S. 191ff; während die Auftragsvergabe im Jahre 1525 laut Hayum sicher belegt ist, spricht sich der Kunsthistoriker gegen die Annahme aus, dass das Werk erst 1531 vollendet wurde, wie dies oftmals angegeben wird. Vgl. Ebd., S. 192; vgl. zudem Radini Tedeschi, Daniele: Sodoma. La vita, le opere e gli allievi di uno dei massimi artisti del Rinascimento, Subiaco 2010, S. 211f; zur Korrespondenz zwischen Sodoma und den Auftraggebern und zur Datierung siehe Bartalini, Roberto; Zombardo, Alessia (Hg.): Giovanni Antonio Bazzi, il Sodoma. Fonti documentarie e letterarie, Vercelli 2012, S. 89ff und S. 269. 768 Vgl. Vasari 2006, S. 89 (Fußnoten).
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Lendentuch bekleidete Sebastian sein erstes Martyrium. Drei Pfeile durchdringen seinen Körper: durch den Hals, in die Seite des Brustkorbs sowie durch das linke Spielbein. Seinen Kopf und den »tränenumflorte[n] Blick« hebt Sebastian erwartungsvoll zu einem Engel empor, welcher ihm mit der Krone der Märtyrer_Innen entgegenschwebt.769 Den Eindruck himmlischer Erlösung betont Sodoma auch durch seine Farbwahl, indem er das Blau des Himmels mit den eher erdigen Farben der Landschaft sowie des Leibes des hl. Sebastian kontrastiert. Löst man nun in camper Manier die Darstellung aus dem religiösen Kontext, so eröffnen sich zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten. Für von Kupffer, der den Sebastian in seiner Sodoma-Monographie als »eine araphroditische Erscheinung«770 preist, also eine Gestalt, die weder männlich noch weiblich ist, sondern eine perfekte Balance zwischen den Geschlechtern darstellt, drückt sich in dem Bild die Essenz des Künstlers aus: »Der heilige Sebastian, nach meiner obigen Ausführung, steckt in der Tat in Giovan Antonio.«771 Von Kupffer projiziert hier Aspekte seiner Klarismus-Philosophie auf Sodoma und dessen Werk: So zieht er eine Parallele zwischen dem seiner Meinung nach als ›araphroditisch‹ zu bezeichnenden Charakter Sodomas auf der einen Seite und der der künstlerischen Produktion des Malers zugrundeliegenden Verbindung einer christlichen Motivik mit einer antikisierten Ästhetik auf der anderen Seite.772 Die Schlussfolgerung von Kupffers, dass sich im Leben Sodomas und in seiner Darstellung des hl. Sebastian das absolute Gleichgewicht zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit wie auch zwischen Christentum und paganer Antike widerspiegle, sagt sodann mehr über ihn selbst aus, als über den Renaissancekünstler. Inwiefern Sodoma mit seinem Hl. Sebastian nun aber tatsächlich ein Bild angefertigt hat, in welchem sich sein Leben und Begehren widerspiegelt, bleibt unklar.773 Saslow verweist in Pictures and Passions (1999) und in Homosexuality in the Renaissance: Behavior, Identity, and Artistic Expression (1989) diesbezüglich aber auf die Möglichkeit, die im Œuvre Sodomas häufiger anzutreffende Sebastian-Figur als Kommentar auf das eigene ›Martyrium‹ des Künstlers zu verstehen.774 Vermutlich spielt Saslow mit dem Begriff des ›Martyriums‹ hier auf eine von Vasari überlieferte Anekdote aus dem Leben Sodomas an, 769 Kupffer 1908, S. 54; Spear weist auf die ähnliche Pose von Sodomas Sebastian und der antiken Statue des Antinoos Belvedere hin, einer weiteren ›queeren Ikone‹. Vgl. Spear 1997, S. 70. 770 Kupffer 1908, S. 53; zur körperlichen Beschaffenheit und Androgynität von Sodomas Hl. Sebastian äußert sich auch Timothy B. Smith. Er weist darauf hin, dass in der Forschung seit längerem die Vermutung besteht, dass sich Sodoma mit der Gestaltung des Märtyrerkörpers auf zwei antike Skulpturfragmente bezieht: Einerseits auf einen hellenistischen Torso eines Satyrs oder Kentauren, der unter dem Namen Gaddi Torso bekannt ist. Andererseits auf eine römische Büste, die oftmals als Sterbender Alexander tituliert wird. Sowohl der Torso als auch die Büste befinden sich heute in den Uffizien in Florenz. Siehe hierzu: Smith, B. Timothy: Queer Fragments: Sodoma, the Belvedere Torso, and Saint Catherine’s Head. In: Rose, Marice; Poe, Alison C. (Hg.): Receptions of Antiquity. Constructions of Gender in European Art, 1300–1600, Leiden und Boston 2015, S. 169–199; hier insbesondere: S. 183ff. 771 Kupffer 1908, S. 57. 772 Vgl. ebd., S. 56f. 773 Von Kupffer schreibt diesbezüglich, dass Sodoma mit seinem Hl. Sebastian ein »eignes wunderbares Spiegelbild« geschaffen habe (Ebd., S. 55). Belege hierfür gibt es jedoch nicht. 774 Saslow 1999, S. 99; sowie Saslow 1989, S. 102.
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laut welcher der Maler aufgrund seines extrovertierten Auftretens und seines obszönen Namens während eines Pferderennens in Florenz am 11. Juni 1515, bei dem sein Pferd als Sieger hervorging, den Unmut der restlichen Besucher_Innen auf sich zog und beinahe gesteinigt worden wäre.775 Allerdings gibt es bisher noch keine eindeutigen Belege, welche die von Saslow vorgeschlagene Verknüpfung des hl. Sebastian mit Sodomas Martyrium interruptus bekräftigen würden – es sei nochmals explizit angemerkt, dass man die Genauigkeit bzw. den Wahrheitsgehalt von Vasaris Schilderungen hinterfragen muss, da es sich bei seinen Viten um literarische und nicht um wissenschaftliche Texte handelt.776 Vielmehr gibt es zahlreiche kritische Stimmen, die der Annahme widersprechen, dass der hl. Sebastian schon vor dem 19. Jahrhundert in einem Zusammenhang mit gleichgeschlechtlichem Begehren gesehen wurde.777 So steht z.B. Daniela Bohde in ihrem mit Ein Heiliger der Sodomiten? Das erotische Bild des hl. Sebastian im Cinquecento (2004) betitelten Aufsatz der von einigen Studien aufgestellten Behauptung, dass der Heilige schon früher als ›homoerotisches‹ Symbol aufgefasst wurde, äußerst skeptisch gegenüber.778 Die Autorin verweist auf ihre Quellenrecherche, die keinerlei Erwähnung des Heiligen im Kontext männlich-männlichen Begehrens vor dem 19. Jahrhundert hervorgebracht habe.779 Das Fehlen von schriftlichen Belegen entkräftet im Rückschluss jedoch nicht zwangsläufig die von Saslow und anderen vertretene Auffassung einer dem Bildmotiv des hl. Sebastian immanenten Homoerotik. Natürlich war und ist der Märtyrer kein offizieller Heiliger der Sodomiten, wie es Bohdes Titel zu unterstellen scheint, und in der Tat lassen sich queere bzw. campe Aneignungen des Märtyrers bisher erst ab dem 19. Jahrhundert zweifelsfrei belegen.780 Mit Sicherheit lässt sich aber sagen, dass der Hagiographie des hl. Sebastian ein unleugbares ›homoerotisches Potential‹ innewohnt – hierauf macht auch Bohde selbst aufmerksam: So spielt die Geschichte nicht nur in der homosozialen Welt des kaiserlichen Heeres, auch das Martyrium suggeriert durch die Nacktheit sowie die den Körper penetrierenden Pfeile sowohl eine Erotisierung als auch eine Feminisierung des Heiligen.781 Die bereits in den hagiographischen Schilderungen implizit vorhandenen (homo-)erotischen Komponenten treten im Zuge der Renaissancekunst, die eine christli775
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Siehe Vasari 2006, S. 21ff; vgl. zudem Fußnote 40 ebd., S. 88f; eine weitere Sebastian-Darstellung von Sodoma findet sich beispielsweise in einem Fresko der Jakobuskapelle von Santo Spirito in Siena (1530). Siehe Hayum 1976, S. 223–229. Der US-amerikanische Kunsthistoriker Paul Barolsky hat die Viten etwa als »ein Meisterwerk der Belletristik« bezeichnet. (Barolsky, Paul: Warum lächelt Mona Lisa? Vasaris Erfindungen, Berlin 1995 (zuerst 1991), S. 9) Er schreibt: »So wie Dichter sich selbst und ihre Stoffe immer wieder umgestalten, verdichtet Vasari Geschichtsschreibung, Biographie und Autobiographie zu einer langen Reihe von Novellen.« (Ebd., S. 140); zu Sodoma im Speziellen siehe ebd., S. 43–44 und S. 66. Vgl. Kaye 1996, S. 102 (Endnote 2). Siehe Bohde 2004, S. 84; für eine Studie, die dem »homosexuellen Aspekt des Sebastian-Kultes« in der Renaissance nachspürt, vgl. Sternweiler, Andreas: Die Lust der Götter. Homosexualität in der italienischen Kunst von Donatello zu Caravaggio, Berlin 1993, S. 115–118; Zitat: S. 116; vgl. zudem Kaye 1996, S. 88. Vgl. Bohde 2004, S. 84; Kaye hingegen sieht in der Figur des Sebastians in Shakespears Twelfth Night (1600) eine homoerotische Allusion auf den Heiligen. Vgl. Kaye 1996, S. 102 (Fußnoten). Vgl. Bohde 2004, S. 86. Vgl. ebd., S. 81; sowie Kaye 1996, S. 89.
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che Motivik mit einer antikisierten Bildsprache zu verbinden sucht, mehr und mehr in den Vordergrund. Der vermutlich zwischen 1460 und 1470 in Venedig geborene Jacopo de‹ Barbari,782 der ab 1500 als Hofmaler an verschiedenen Orten nördlich der Alpen tätig war, liefert mit seiner Interpretation des hl. Sebastian (Abb. 100) wohl eine der deutlichsten Veranschaulichungen besagter Erotisierung: Sein um 1510/12 entstandener Kupferstich zeigt den Heiligen mit gefesselten Händen, die über dessen Kopf an einem Baum gebunden sind – Jay Alan Levenson umschreibt die sich den Betrachtenden geradezu anbietende Körperhaltung als »provocative pose«.783 Barbari attribuiert die Figur dabei weder mit Wundmalen noch mit Pfeilen. Laut Levenson kennzeichnet lediglich der entrückte und nach oben gerichtete Blick diesen Sebastian als Märtyrer.784 Doch das wohl eindrücklichste Moment dieses Stiches eröffnet sich erst bei näherer Betrachtung von Sebastians Unterleib: So wird das wenig verhüllende Lendentuch nur durch das scheinbar erigierte Glied des Heiligen vor dem Abrutschen bewahrt.785 Bohde macht hier auf das für männliche Darstellungen ungewohnte »Spiel mit Enthüllung und Verhüllung« aufmerksam, das »gepaart mit Passivität und Schmerz, […] den Gedanken nahe[legt], dass mit der Figur Homosexualität thematisiert wird.«786 Diese innerbildliche Erotisierung des Heiligen, die selbst in neueren Künstlermonographien wie Beate Böckems Jacopo de‹ Barbai. Künstlerschaft und Hofkultur um 1500 (2016) oder Simone Ferraris Jacopo de‹ Barbai: Un Protagonista del Rinascimento tra Venezia e Dürer (2006) völlig unkommentiert bleibt,787 könnte auf die von Andreas Sternweiler angesprochene Doppeldeutigkeit der Sebastian-Ikonographie sowie »auf die gleichzeitige Bedeutung des Pfeiles als Liebessymbol und als Todessymbol« zurückzuführen sein.788 Sternweiler sieht in dem Martyrium des hl. Sebastian eine Analogie zum Schicksal von antiken Gestalten wie etwa Hyacinth und Cyparissus: »Das aus Liebe zu Gott ertragene christliche Martyrium beschert dem Heiligen genauso einen besonderen Tod wie die Liebe der antiken Götter den von ihnen geliebten Sterblichen.«789 Obgleich die genauen Hintergründe zum Stich Barbaris nicht bekannt sind, werden anhand seiner Arbeit nochmals zwei zentrale Aspekte der Sebastian-Ikonographie deutlich: Zum einen ist der hl. Sebastian seit Beginn der Renaissance eine der wenigen
782 Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem nur fragmentarisch überlieferten Werdegang des Künstlers siehe Böckem, Beate: Jacopo de‹ Barbari. Künstlerschaft und Hofkultur um 1500, Köln, Weimar und Wien 2016; sowie Ferrari, Simone: Jacopo de‹ Barbari. Un Protagonista del Rinascimento tra Venezia e Dürer, Mailand 2006. 783 Levenson, Jay Alan: St. Sebastian. In: Kat. Mus. Early Italian Engravings from the National Gallery of Art. Hg. von Jay Alan Levenon, Konrad Oberhuber und Jacquelyn L. Sheehan, Washington DC 1973, S. 380. 784 Levenson, Jay Alan: Jacopo de‹ Barbari and Northern Art of the Early Sixteenth Century. Dissertationsschrift an der New York University 1978, New York und Ann Arbor 1978, S. 264. 785 Bohde 2004, S. 80f. 786 Ebd. S. 81. 787 Sowohl bei Böckem als auch bei Ferrari wird der Stich des Hl. Sebastian nur kurz erwähnt und vorrangig auf seine formalen Eigenschaften hin untersucht. Siehe Böckem 2016, S. 23, S. 81 und S. 427; siehe auch Ferrari 2006, S. 55f und S. 145f. 788 Sternweiler 1993, S. 116. 789 Ebd.
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idealisierten männlichen Aktfiguren innerhalb eines christlichen Bildkanons. Zum anderen stellt die Fokussierung auf die körperliche Dimension des Märtyrers eine der wenigen Möglichkeiten erotischer Sublimierung in der sakralen Kunst dar.790 Als weiteres Beispiel sei in diesem Zusammenhang auch Johannes der Täufer erwähnt, dessen asketisches Leben in der Wüste oftmals als Rechtfertigung für seine Darstellung als erotische Aktfigur diente, wie etwa bei Leonardo da Vinci (um 1515, heute im Louvre), Reni (um 1640, heute in der Dulwich Picture Gallery, London) oder in überspitzt paganisierter Form bei Caravaggio (1606, heute im Capitolini Museum, Rom).791 Der Aspekt der Erotisierung geht im Falle des hl. Sebastian fast immer mit dem erwähnten Aspekt einer Femininisierung einher. Diese Verquickung ist den Spezifika der Sebastian-Ikonographie wie auch des Pfeilmartyriums geschuldet: Als gefesselte, entkleidete und von Pfeilen durchbohrte Gestalt wird der Heilige zwangsweise in eine passive, und damit dem binären Geschlechterverständnis nach weiblich konnotierte Rolle gedrängt. Besonders deutlich tritt diese latente Verweiblichung etwa in den barocken Sebastian-Bildern von Jusepe de Ribera (1591–1652; Abb. 101) sowie von Mattia Preti (1613–1699; Abb. 102) zutage. In den beiden Gemälden, die eine fast identische Bildkomposition und Lichtführung aufweisen, nimmt der entblößte Körper des Märtyrers eine gleichermaßen ekstatische wie rezeptive, d.h. feminine Pose ein. Mit ihrer Körperhaltung und dem erwartungsvollen, aber keineswegs qualvollen Gesichtsausdruck evozieren diese Sebastiane eine spezifisch weiblich konnotierte Erotik. Vergleicht man Riberas und Pretis Sebastian-Darstellungen z.B. mit Jan Gossaerts Danaë 792 (der Maler ist auch als Jan Mabuse bekannt) von 1527 (Abb. 103), so zeigen sich bemerkenswerte visuelle Parallelen: Der Leib Danaës, der gerade Zeus in Form eines Goldregens ›empfängt‹, gleicht in seiner Inszenierungsweise und Stellung dem des Heiligen, der sich seinem Martyrium er- bzw. hingibt. Beide Bildmotive können daher als Visualisierungen eines ›Penetrationswunsches‹793 verstanden werden; doch während Danaë wortwörtlich von einer göttlichen Entität penetriert wird – aus diesem Beischlaf entsteht der Heros Perseus –, sind es bei Sebastian die leidbringenden Pfeile, die dessen Körper penetrieren und ihn durch das erlittene Martyrium näher an Gott rücken. Wie schon mit der Doppeldeutigkeit der Pfeilsymbolik angedeutet, werden die unterschiedlichen Bedeutungsebenen in der Sebastian-Ikonographie zunehmend verwischt: Die schmerzvollen Pfeilwunden werden mit der süßen Verheißung auf das Paradies verflochten und so zu einer untrennbaren Einheit, in welcher die Grenzen zwischen Begehren und Leid verschwimmen. Es ist die sich hierin offenbarende Ambivalenz der Sebastian-Figur, ihr Oszillieren zwischen Leben und Tod, Verlangen und Schmerz, die neben dem zumeist entblößten und schönen Körperbau des Heiligen die Relevanz für einen queeren Motivkanon erklärt.
790 In seiner Lebensbeschreibung Fra Bartolomeos berichtet Vasari über einen hl. Sebastian des Malers, welcher derart ansehnlich und sinnlich geriet, dass die Frauen »nass wurden, als sie sie [die Kunst Bartolomeos, NM] ansahen.« (Zitiert nach Bohde 2004, S. 89). 791 Vgl. hierzu Fernandez 2002, S. 104ff. 792 Dem Mythos nach ist Danaë die Tochter des Königs Akrisios, Geliebte des Zeus und Mutter des Perseus. Vgl. etwa Ovid 2003, hier u.a.: IV, 610 (S. 217). 793 Zum ›Penetrationswunsch‹ bei Sebastian siehe Kaye 1996, S. 89.
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Aus queerer Perspektive lässt sich dieser intrinsisch mit dem Martyrium des hl. Sebastian verbundene Schwebezustand dabei auch als Schweben zwischen Eros und Thanatos bzw. apollinischem ›Ideal‹ und dionysischem Exzess lesen.794 Die beiden Denkfiguren, welche die Menschheit in einem fortwährenden Dualismus zwischen zwei entgegengesetzten Polen sehen, sind von besonderer Bedeutung für eine queere Lesart der Sebastian-Figur: Die Ikonographie des Heiligen ist ebenso wie etwa das untersuchte Apollund-Marsyas-Motiv durchzogen von spannungsgeladenen Ambivalenzen, und so wird der Dulder Sebastian gerade deswegen zum passenden Sinnbild eines zugleich internen wie auch externen Konflikts zwischen christlicher Tugend bzw. gesellschaftlicher Norm und dem eigenen gleichgeschlechtlichen Begehren.795 Ob nun die Sebastian-Figur bereits zu Zeiten von Sodoma als Heiliger der Sodomiten vereinnahmt wurde, kann weder be- noch widerlegt werden. Wie jedoch Hirschfeld in seiner Beschreibung ›typischer‹ Zimmereinrichtigungen von Homosexuellen 1914 festhält, gehört der hl. Sebastian spätestens ab dem Ende des 19. bzw. ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts zum festen Bestandteil eines ›schwulen Kunst- und Figurenkanons‹: »Abgesehen davon, dass Zimmereinrichtung und Wandschmuck besonders bei femininen Urningen oft das Zarte, Weichliche, bisweilen auch das Exzentrische ihrer Persönlichkeit verraten, sind es die gleichen, sich häufig wiederholenden Kunstwerke, denen wir in den Wohnungen von Homosexuellen vielfach begegnen. Zu solchen bevorzugten Kunstwerken gehören von Bildern unter anderen: der heilige Sebastian in den verschiedensten Darstellungen der italienischen Blütezeit«796 Dass die Popularität des puer aeternus in homosexuellen Kreisen ausgerechnet um die Jahrhundertwende zunimmt bzw. nachweisbare Ausmaße annimmt, dürfte in direktem Zusammenhang mit dem Zeitkontext stehen: Mit dem Anbruch des Maschinenzeitalters sowie mit den großen medizinischen Fortschritten verstärkt sich nicht nur der prüfende Blick auf das Individuum, sondern auch das Bedürfnis, den Menschen zu ›verbessern‹. Aus diesem Geist heraus entstand ab dem 19. Jahrhundert die schon öfter erwähnte Eugenikbewegung, die den Menschen nicht nur als formbares, sondern als verbesserungsbedürftiges Wesen begriff.797 Die Schaffung einer ›bestmöglichen‹ Gesellschaft schien aufgrund zahlreicher neuer Errungenschaften plötzlich realisierbar. Dieses Gedankenkonstrukt gebar schließlich die Idee einer künstlichen Selektion. Die entsetzliche Kulmination solch einer Ideologie offenbarte sich mit dem Holocaust. Obschon es früher bereits geächtete und verfolgte Minderheiten gab, erreichte die brutale ›Effizienz‹ der Vernichtung neue Ausmaße. Auch das gleichgeschlechtliche Begehren fiel unter die Kategorie des Unerwünschten und wurde ab 1869/70 unter dem Terminus der ›Homosexua-
794 Wie in Kapitel III.1.5 dargelegt, beziehen sich letztere Begrifflichkeiten einerseits auf die von Freud thematisierte Dialektik des Liebes- (Eros) und Zerstörungstriebes (Thanatos) und andererseits auf die anverwandte und von Nietzsche behandelte Idee apollinischer und dionysischer Kräfte. Vgl. Freud 1975, S. 213–272; vgl. zudem Nietzsche 1980, S. 58f. 795 Vgl. das in Kapitel III.2.4 behandelte Motiv von Jakob und dem Engel; vgl. auch Keilson-Lauritz 1997, S. 32. 796 Hirschfeld 1914, S. 66; vgl. zudem Kaye 1996, S. 89f. 797 Siehe hierzu Ordover 2003 sowie Steakley 1975.
III. Hauptteil
lität‹ zum pathologischen Befund.798 Somit wurde ›der Homosexuelle‹ im Moment seiner Definierung und Konstituierung zum Sinnbild des Krankhaften bzw. Abnormen, gegen das sich eine gesunde Gesellschaft zu schützen hat.799 Diese Sichtweise ist natürlich nicht neu und die Überwachung der Sexualität sowie der Einhaltung geschlechtlicher Normen existierte bereits in der Antike. Neu ist jedoch die von Foucault festgehaltene Einschreibung der Sexualität in den Körper und in die Persönlichkeit. Die Homosexualität wird zum schamlosen »Geheimnis, das sich immerfort verrät.«800 War die gleichgeschlechtliche Begehrensstruktur früher entweder in die Gesellschaft integriert, wie z.B. teilweise im antiken Griechenland, oder galt als eine von vielen Sünden, wie etwa im Mittelalter, gerät sie nunmehr zur bedrohlichen »Sondernatur«.801 ›Der Homosexuelle‹ wird im übertragenen Sinn fixiert, entkleidet, begutachtet und verurteilt; welche Figur wäre also besser geeignet, diesem modernen ›Martyrium‹ ein Gesicht zu geben, als der hl. Sebastian? Laut Richard A. Kaye gibt es für die Ausbreitung der Sebastian-Figur als ›homosexuelles‹ Bildmotiv im 19. Jahrhundert drei wesentliche Gründe: Erstens spiegele die passive, weibliche Darstellung Sebastians die zu der Zeit gängige Inversions-Theorie wider, also die Annahme bei Homosexuellen handle es sich um krankhaft verweiblichte Männer;802 zweitens entspreche die bereits in der Renaissance kanonisierte androgyne Schönheit Sebastians dem Zeitgeist des fin de siècle und drittens biete sein Außenseiterstatus eine passende Identifikationsmöglichkeit für die Lebenssituation schwuler Männer.803 Der für sein Glaubensbekenntnis bestrafte Sebastian wird zum idealen Spiegelbild für den von der Gesellschaft wegen seines Liebesbekenntnisses verurteilten Homosexuellen. Hierin äußert sich auch der im Theorieteil angesprochene Paradigmenwechsel, der den Fokus weg vom homosexuellen Akt als solchem hin zu einer homosexuellen Persönlichkeit lenkt.804 Überdies ist es eine campe Strategie, einen der prominentesten Märtyrer der katholischen Kirche zu okkupieren und den ehemaligen Pestheiligen zum ›Patron der Sodomiten‹ zu küren.805 Eine der frühesten ›modernen‹ Auseinandersetzungen mit der Figur des hl. Sebastian ist im Œuvre des Amerikaners Fred Holland Day (1864–1933) zu finden (Abb. 104), einem Fotografen und Verleger, der enge Kontakte zu Galionsfiguren des Ästhetizismus wie etwa Oscar Wilde und Aubrey Beardsley pflegte.806 Als Künstler verschrieb Day sich dem
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Vgl. Reed 2011, S. 138. Vgl. Eaklor 2008, S. 33 Foucault 1983, S. 47. Ebd. Vgl. Kaye 1996, S. 87 Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 91. Vgl. Bohde 2004, S. 87; einer der ersten Kunsthistoriker, der die Lesart des hl. Sebastians als ›Heiliger der Sodomiten‹ formulierte war Louis Réau in den 1950er: Réau, Louis: Iconographie de l’art chrétien: Iconographie des Saints. Vol. 3, Band 3, Paris 1959, S. 1190ff. 806 Zu Day siehe Roberts, Pam: Fred Holland Day (1864–1933). In: Kat. Ausst. F. Holland Day. Hg. von Pam Roberts, Museum of Fine Arts in Boston, Van Gogh Museum in Amsterdam und Museum Villa Stuck in München 2000/01, Zwolle 2000, S. 11–29.
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Piktorialismus bzw. der Kunst-Fotografie, einer künstlerischen Bewegung der Jahrhundertwende, die inhaltlich dem Symbolismus nahestand und die Fotografie als ebenbürtige Disziplin zur Malerei und Bildhauerei propagierte.807 Gemäß den piktorialistischen Grundsätzen war Day nicht an bloßen Momentaufnahmen interessiert, vielmehr verfolgte er den Anspruch, fotografische Werke zu schaffen, deren Thematik, Komposition und Inszenierung den ›alten Meistern‹, wie z.B. Velázquez und Rembrandt, in nichts nachstehen sollten. Hieraus erklärt sich zumindest teilweise die Affinität des Fotografen zu christlichen Motiven: Zum einen entsprachen sie den spirituellen Interessen Days, zum anderen galten sakrale Themen aufgrund ihres hohen Stellenwertes als probates Mittel zur Legitimierung eines piktorialistischen bzw. fotografischen Kunstanspruchs. Besonderes Aufsehen erregte Day dabei 1898 mit seiner mehrteiligen Fotoserie The Seven Words, in der er sich selbst als abgemagerten Christus inszenierte.808 Von Bedeutung ist im Folgenden eine auf 1906 datierte Sebastian-Fotografie, in der Day den Märtyrer getreu seiner ästhetizistischen Vorbilder sowie seines opportunistischen Religionsverständnisses809 nicht nur zunehmend profaniert, sondern auch erotisiert:810 Sowohl die leicht geöffneten Lippen dieses Sebastian als auch das gewählte Format der beinah schon voyeuristischen Nahaufnahme verleihen dem Foto Sinnlichkeit und Intimität. Der zentrale Fokus liegt einzig und allein auf der ephebischen Körperlichkeit des Fotomodells und nicht etwa auf dem Pfeilmartyrium, welches lediglich durch einen Pfeil sowie das über den strahlend weißen Jünglingskörper gespannte Seil angedeutet wird – ein Heiligenschein oder eine Märtyrerkrone fehlen. Gesteigert wird der sinnliche Eindruck von Days Sebastian darüber hinaus auch durch den über das Bild gelegten Dunstschleier, der eine zugleich erotische wie traumhafte Atmosphäre erzeugt und charakteristisch für das piktorialistische Werk des Künstlers ist.811
807 Posever Curtis, Verna: Actors and Adolescents – The Idealised Eye of F. H. Day. In: Kat. Ausst. F. Holland Day. Hg. von Pam Roberts, Museum of Fine Arts in Boston, Van Gogh Museum in Amsterdam und Museum Villa Stuck in München 2000/01, Zwolle 2000, S. 39–53; hier besonders: S. 39; zum Piktorialismus siehe u.a. Kat. Ausst. Lichtmaler. Kunst-Photographie um 1900, hg. von Felix Thürlemann und Bernd Stiegler, Städtische Wessenberg-Galerie in Konstanz 2011/12, Stuttgart 2011. 808 Vgl. Spear 1997, S. 73f; laut Pam Roberts sah Day in der Christus-Figur eine passende Allegorie für das Leid unverstandener Künstler: »In keeping with fin-de-siècle beliefs, Day doubtlessly saw the crucified Jesus as a symbol for the suffering and lack of understanding of the artists – amongst them Keats, Wilde, Beardsley and Day himself.« (Roberts 2000, S. 18); vgl. Jussim, Estelle: Slave to Beauty: The Eccentric Life and Controversial Career of F. Holland Day. Photographer, Publisher, Aesthete, Boston 1981. 809 Hierzu schreibt Anne Havinga: »Adressing religion in his own way, Day nevertheless appreciated the parahernalia of belief.« (Havinga, Anne E.: Setting the Time of Day in Boston. In: Kat. Ausst. F. Holland Day. Hg. von Pam Roberts, Museum of Fine Arts in Boston, Van Gogh Museum in Amsterdam und Museum Villa Stuck in München 2000/01, Zwolle 2000, S. 29–39; hier: S. 30); über das Verhältnis von Day zum christlichen Glauben schreibt Roberts: »Day, although seemingly holding no strong beliefs in any organised religion himself, began to work in earnest on a series of 250 negatives of sacred subjects in an attempt to use the camera to produce religious art« (Roberts 2000, S. 18). 810 Siehe Bohde 2004, S. 87. 811 Edwin Becker bezeichnet dieses fotografische Stilmittel in Anlehnung an Leonardo da Vinci als »sfumato« (Becker, Edwin: F. Holland Day and Symbolism. In: Kat. Ausst. F. Holland Day. Hg. von
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Die bei Day festgehaltene Erotisierung des Heiligen wird im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend auf die Spitze getrieben. Ein besonders eindrückliches Beispiel liefert hierzu der französische Maler Alfred Courmes (1898–1993) mit seinem 1974 vollendeten Gemälde St. Sébastien de dos à l’écluse St. Martin (Abb. 105), bei welchem sich der Künstler auf ein 1934 von ihm angefertigtes vertikales Diptychon bezieht, das eine fast identische Komposition aufweist: Die lediglich mit einem weißen T-Shirt sowie einer Matrosenmütze bekleidete Rückenaktfigur des hl. Sebastian steht im Zentrum des Bildes. Die Arme des Märtyrers sind hinter seinem Rücken zusammengebunden. Eine leuchtend weiße Gloriole umgibt seinen Kopf und kontrastiert mit der in Braun- und Beigetönen gehaltenen urbanen Umgebung – wie der Titel des Bildes nahelegt, dürfte es sich um eine Schleuse am Canal Saint-Martin in Paris handeln, einem Ort, der im Œuvre Courmes häufiger auftaucht und der ihm vertraut gewesen sein muss, da er dort selbst lange lebte.812 Zwei Pfeile stecken in der linken Hinterbacke dieses hl. Sebastian. Neben sechs nackten Bogenschützen, die in der oberen Hälfe des Bildes verteilt sind, ist in der linken Bildecke ein Mann im Anzug zu erkennen. Die eklatantesten Unterschiede zur Version von 1934 betreffen neben dem Format des Bildes und der größeren Anzahl an Pfeilwunden vor allem die im Hintergrund befindlichen Bogenschützen, die in der früheren Version nicht nackt sind, sondern alle Matrosenuniformen tragen. Dieses Werk reiht sich ein in eine Serie von Sebastian-Darstellungen, in denen Courmes wiederholt die Ikonographie des Heiligen mit visuellen Elementen der französischen Marine anreichert und dadurch dem Märtyrer eine »zwielichtige Aura« verleiht, da er ihn mit der libertinen Gestalt des Matrosen in Verbindung bringt.813 Die urbane Kulisse, die Matrosenmütze, die Nacktheit der dargestellten Figuren sowie die zwei strategisch an Sebastians Hintern platzierten Pfeile sind demnach allesamt als homoerotische Anspielungen zu verstehen: Ausgehend von der Schrift Autobiographie de Jeunesse. D’une Dissidence Sexuelle au Socialisme (zuerst 1972) des französischen Autors und Anarchisten Daniel Guérin (1904–1988), der darin über eine Schwulenbar am Canal Saint-Martin in den 1920er- und 1930er-Jahren schreibt – jener Zeit also in der die erste Version des Bil-
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Pam Roberts, Museum of Fine Arts in Boston, Van Gogh Museum in Amsterdam und Museum Villa Stuck in München 2000/01, Zwolle 2000, S. 53–65; hier: S. 62). Siehe Gaudibert, Pierre : Alfred Courmes ou le déournement des images. In : Kat. Ausst. Alfred Courmes. Musée de Peinture in Grenoble 1979, Grenoble 1979, S. 3; siehe zudem Bernard, Gilles; Andriveau, Vitalie : Alfred Courmes. Paris 2003, S. 152. Waldegg, Joachim Heusinger von: Der Künstler als Märtyrer. Sankt Sebastian in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Worms 1989, S. 67; die bekannteste Sebastian-Darstellung von Courmes dürfte wohl das Gemälde von 1934 sein, in welcher der Maler den Heiligen als nackte Frontalfigur zeigt, die ebenfalls Versatzstücke einer Matrosenuniform trägt: Alfred Courmes, Hl. Sebastian, 1934, Öl auf Leinwand, Musée National Centre Culturel George Pompidou in Pairs; vgl. dazu Derouet, Christian : Le »Saint Sébastien«, 1934 D’Alfred Courmes, in : Les Cahiers du Musée National d’Art Moderne. Nr. 15 (1985), S. 32–41; eine fast identische Sebastian-Figur zur Version von 1974 findet sich in dem Bild L’Ex-voto à Sebastien von 1935, in dem der Heilige ebenfalls von hinten und mit zwei Pfeilen im Hintern dargestellt wird: Alfred Courmes, L’Ex-voto à Sebastien, 1935, Öl auf Leinwand, Privatsammlung.
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des entstand –, darf angenommen werden, dass die Gegend um den Kanal einst als Treffpunkt für Homosexuelle bekannt war.814 Courmes konkrete Verortung der Szene am Canal Saint-Martin sowie das Spiel mit Versatzstücken einer homoerotisch aufgeladenen Matrosenuniform, die ihrerseits als Hinweise auf das ursprüngliche homosoziale Umfeld des Heiligen im römischen Heer verstanden werden können, unterstreichen die explizite Homoerotik des Gemäldes, ebenso wie die zwei Pfeile, die wohl auf den Akt einer analen Penetration anspielen.815 Darüber hinaus haftet auch der Einbettung von Aktfiguren in eine zeitgenössische Stadtansicht – vor allem im Hinblick auf den im Kontrast zu den anderen Figuren stehenden Mann im Anzug – etwas Erotisches an.816 Etwa zeitgleich mit Day nimmt sich auch von Kupffer des Sebastian-Motivs an, doch anstatt sich mit einer bloßen Erotisierung des Heiligen zu begnügen, inszeniert sich der Maler und Begründer des Klarismus-Kultes in einer um 1905 entstandenen Fotografie selbst in der Pose des Märtyrers: Nur mit einem Lendenschurz bekleidet, posiert von Kupffer inmitten einer flachen Wiesenlandschaft vor einem Baum.817 Ein einzelner Pfeil sowie ein ›Heiligenschein‹ kennzeichnen ihn als hl. Sebastian. Dieses Werk steht nach Joachim Heusinger von Waldegg am Beginn einer langen Tradition von Selbstbildnissen, in denen sich Künstler_Innen mit dem Martyrium Sebastians identifizieren: »Die Bezüge der Sebastianlegende zur ästhetischen Praxis bieten sich an. Von der Schönheit am Marterpfahl, die dem Gespött der Menge ausgeliefert ist, zum Künstler, der von seiner Mitwelt verachtet, von Kritikern gemartert, für die Schönheit leidet, ist es nicht weit. […] Zieht man noch die im Kreis um van Gogh und Gaugin verbreitete Identifikation des verkannten Genies und Außenseiters mit dem Märtyrerleben heran, die sich in der Selbstdarstellung dieser Künstler mit christomorphen Zügen spiegelt,
814 Siehe Guérin, Daniel : Autobiographie de Jeunesse. D’une Dissidence Sexuelle au Socialisme, Paris 1972, S. 169; vgl. zudem Tamagne, Florence : History of Homosexuality in Europe. Berlin, London, Paris 1919–1939, Volume I & II, New York 2006, S. 53. 815 Zum Matrosen als homosexuelle Bildfigur siehe auch Kapitel III.1.4 der vorliegenden Arbeit. 816 Für Kaye besteht kein Zweifel daran, dass sich Courmes mit seinen Inszenierungen des Märtyrers »als herausgeputzter Matrose« auf »ein explizit homoerotisches Bildvokabular« stützt. (Kaye, Richard A.: Der heilige Sebastian: Vom Nutzen der Dekadenz, in: Kat. Ausst. Heiliger Sebastian. A Splendid Readiness for Death, Kunsthalle Wien 2003/04, Bielefeld 2003, S. 11–18; hier: S. 14); ob der Maler, der 1927 in Ostende eine junge Belgierin heiratete und mit ihr drei Kinder bekam, allerdings selbst sexuelles Interesse am eigenen Geschlecht hatte, ist unklar. Jean-Marc Campagne bemerkt in seiner Künstlermonographie mit spitzer Zunge lediglich Folgendes : »Le peintre des ›Saint-Sébastien‹ nus (et de dos) ne nie pas, aujourd’hui, que des offres, recto-verso, de camarades de pension l’aient intrigué. Mais il déclare n’avoir rien pour les garçons. Rien contre, non plus, ajoute cet hédoniste libéral« (Campagne, Jean-Marc : Alfred Courmes. Prospecteur de Mirages entre Ciel et Chair, Paris 1973, S. 33; Hervorhebung aus dem Originaltext übernommen, NM); sinngemäße Übersetzung (NM): »Der Maler der Bilder des nackten und von hinten dargestellten hl. Sebastian bestreitet heute nicht, dass ihn die Angebote der sexuell aktiven wie passiven Zimmergenossen irritiert/neugierig gemacht haben. Aber er sagt, er habe nichts übrig für Jungs. Auch nichts dagegen, fügt dieser liberale Hedonist [Jean-Marc, Campagne, NM] hinzu«. 817 Ein Abzug befindet sich heute im Museo Elisarion in Minusio. Siehe Waldegg 1989, Abb. 17.
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ergibt sich eine dichte Kette von Bildern, die bis zu Elisarions [bzw. Elisars von Kupffer, NM] Foto-Pose als Sebastian […] führt.«818 Obwohl von Kupffer hier als Urheber einer thematischen Parallelisierung von ›Künstlertum‹ und ›Märtyrertum‹ ausgemacht wird, sollte nicht übersehen werden, dass seine Selbstidentifikation mit dem hl. Sebastian nicht nur durch sein Künstlerdasein, sondern auch durch sein eigenes gleichgeschlechtliches Begehren motiviert war. Wie bereits erwähnt, verstand von Kupffer den Heiligen als passendes Sinnbild für den von ihm geprägten Begriff eines »Araphroditen«, also eines Menschen, dessen Geschlechtlichkeit und Begehren ganz im Sinne des modernen Terminus der Queerness zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit bzw. Mann und Frau changiert.819 Für den Künstler drückt sich in dem Heiligen daher ebenso ein künstlerischer wie auch ein sexueller bzw. geschlechtlicher Außenseiterstatus aus: Der entblößte und zur Schau gestellte Märtyrer wird für von Kupffer zur passenden Identifikationsfigur, die sowohl seine gesellschaftliche Situation als missverstandener Künstler wie auch als geächteter ›Homosexueller‹ widerspiegelt. An diese Auffassung des hl. Sebastian als Außenseiterfigur knüpft auch das japanische Enfant terrible Yukio Mishima mit seiner Selbstinszenierung als geschundener Märtyrer an (Abb. 106). Wie schon zuvor mit Apoll und Marsyas820 findet auch in diesem Bildnis Mishimas eine transnationale und kunstkulturelle Aneignung jenseits eines westlichen Kulturzentrismus statt: In Zusammenarbeit mit dem befreundeten Fotografen Kishin Shinoyama ließ sich der (nicht-christliche) Autor 1966 als gefesselter und von Pfeilen durchbohrter christlicher Dulder ablichten.821 Die keineswegs uneitle wenn nicht gar narzisstische Selbstidentifikation Mishimas mit dem gemarterten Heiligen fußt zum einen auf seinem eigenen homosexuellen Begehren und zum anderen auf
818 Ebd., S. 35; man beachte hier auch die Parallelen zu Day, dessen Selbstinszenierung als Christus laut Roberts auf ähnlichen Ansichten gründet. Siehe Roberts 2000, S. 18. 819 Siehe Kupffer 1908, S. 53; vgl. zudem Kat. Ausst.: Elisàr von Kupffer (1872–1942). Mit einem Text von Ekkehard Hieronimus, Kunsthalle Basel 1979, Basel und Muttenz 1979, S. 11. 820 Siehe Kapitel III.1.5. 821 In Ordeal by Roses befinden sich weitere Arbeiten, die auf die Figur des hl. Sebastians Bezug nehmen: Ganz im Sinne des Palimpsestgedankens überlagert der Fotograf in einer Arbeit beispielsweise das angeschnittene Foto eines frontal knienden Mishimas mit dem Bild einer üppig geschmückten Rokoko-Uhr sowie einer Sebastian-Darstellung von Antonello da Messina. Siehe Hosoe und Mishima 1971, keine Seiten- oder Abbildungsangaben; vgl. auch Kaye 2003, S. 13; vgl. zudem Hosoe, Eikoh: Eikoh Hosoe. In: Kat. Ausst. Heiliger Sebastian. A Splendid Readiness for Death, Kunsthalle Wien 2003/04, Bielefeld 2003, S. 45–52; zur Vorliebe Mishimas für den Märtyrer verweist der Sozialphilosoph Ken’ichi Mishima auf das von Gabriele D’Annunzios verfasste Vorwort zur japanischen Übersetzung seines Bühnenwerk Le Martyre de Saint Sébastien (1911): »Wie D’Annunzio war auch [Yukio] Mishima von der Figur des hl. Sebastian fasziniert und hat ihre Darstellungen gesammelt. Zusammen mit einem japanischen Romanisten hat Mishima dann auch 1966 D’Annunzios Theaterstück übersetzt und im eigens dafür geschriebenen ausführlichen Nachwort erläutert: ›Sebastian war eben die letzte Schönheit der antiken Welt; ihre Jugend, ihr Fleisch, ihre Sinnlichkeit war in ihm kondensiert. […] Er vertritt – neben seiner Rolle als Märtyrer für das Christentum – die Gesamtheit der schönen Jünglinge der heidnischen Welt. Apollo, Orpheus, Adonis und Antinous – er war alles von denen.« (Zitiert nach Mishima 2010, S. 42; Originaltext stammt aus D’Annunzio, Gabriele: Sei Sebastian no junkyoh (Der Märtyrertod des Hl. Sebastian). Tokyo 1988, S. 324).
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seinem politischen Aktivismus als nationalistischer Monarchist – zwei Aspekte, die ihn im Japan der Nachkriegszeit zum Außenseiter machten.822 Mit der Gestaltung des ›Portraits‹ orientiert sich Shinoyama an Renis Gemälde von 1615, welchem auch in Mishimas semi-autobiographischem Roman Geständnis einer Maske eine Schlüsselrolle zukommt (vgl. Abb. 107).823 Wie bereits besprochen, erlebt der Protagonist des Buches – ein Charakter, der auf Mishima selbst beruht –, beim Anblick einer Reproduktion von Renis hl. Sebastian seine erste Ejakulation.824 Diese erste (bewusste) sexuelle Erfahrung der Hauptfigur beschreibt Mishima mit sinnlichen aber zugleich verstörend aggressiven Worten: »Als ich an jenem Tage das Bild betrachtete, durchzuckte mich eine heidnische Freude. Das Blut schoß mir ins Gesicht, und meine Lenden schwollen an wie im Zorn. Das monströse Glied war nahe daran zu zerplatzen«.825 Das von Reni gemalte Bild des an einen Baum gefesselten, völlig schutzlosen jungen Mannes, dessen makelloser Körper von zwei Pfeilen durchbohrt wird, löst in Kochan sexuelle und an den Marquis de Sade (1740–1814)826 erinnernde Machtphantasien aus, in denen Eros und Thanatos mehr und mehr zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen: »In meiner Phantasie schlachtete ich auf diese Weise so manchen griechischen Soldaten, so manchen weißen arabischen Sklaven, viele Prinzen wilder Stämme, Liftboys, Kellner, junge Burschen, Offiziere, Zirkusakrobaten… Ich war wie ein Wüstling, der irrtümlicherweise die Menschen umbringt, die er liebt, weil er nicht weiß, wie er seine Liebe zum Ausdruck bringen soll. Im Geiste pflegte ich die Lippen der Opfer, die am Boden im Todeskampf zuckten, zu küssen.«827 In Geständnis einer Maske verdeutlicht sich die Paradoxie Sebastians als ›Schwulen-Ikone‹: Das Martyrium ist hier nicht länger eine bloße Metapher für gesellschaftliche Repression, vielmehr wird der strafende Aspekt auch zum Bestandteil des Eros und kulminiert in sadomasochistischen Phantasien.828 Die von der Gesellschaft oktroyierte Vorstellung, dass gleichgeschlechtliches Begehren nur von todessehnsüchtigen und faustischen Gestalten ausgelebt werde, findet in Mishimas Text wie auch in seiner Selbstdarstellung konkreten Widerhall und scheint vom Autor gänzlich internalisiert worden zu sein.829 So wird der hl. Sebastian im Werk des Schriftstellers zu einem »idol of perversity«830 und wandelt sich im Zuge dieses queeren Ermächtigungsaktes vom geschundenen Opfer 822 Auf politischer Ebene beklagte Mishima die Hinwendung Japans zum Kapitalismus sowie den damit zusammenhängenden Niedergang des japanischen Kaisertums. Siehe Kaye 2003, S. 13. 823 Siehe Mishima 2002. 824 Ebd., S. 30; vgl. hierzu auch Kapitel III.1.5. 825 Mishima 2002, S. 30. 826 Es sei auf ein Buch hingewiesen, in dem der Marquis de Sade und sein Werk im Hinblick auf die Queer Theory untersucht werden. Siehe Edmiston, William F.: Sade: Queer Theorist, Oxford 2013. 827 Mishima 2002, S. 59. 828 Vgl. Castro-Gómez 1997, S. 180ff. 829 Vgl. Kaye 1996, S. 87. 830 Die Bezeichnung geht auf den Literaturwissenschaftler Bram Dijkstra zurück. Er verwendet »idol of perversity« zur Beschreibung von Frauendarstellungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Frau in der Rolle der femme fatale (Sirenen, Mänaden etc.) einerseits und der femme fragile (Nymphen etc.) andererseits wird zum Sinnbild einer zutiefst misogynen Einstellung gegenüber allem Weiblichen. Dijkstra spricht dabei von einer »iconography of misogyny« (Dijkstra, Bram: Idols of
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zum (willentlichen?) Masochisten. Die Grenzen zwischen externer und interner Homophobie scheinen hierbei zu verschwimmen – die Figur Kochans lamentiert etwa gegen Ende des Buches, dass er »von dem Bann eines bösen Dämons« befreit würde, wenn er doch nur mit Frauen schlafen könnte.831 Die Lesart des Heiligen als sadomasochistische Galionsfigur, welche die Grenzen zwischen Eros und Thanatos bzw. Leben und Tod wie auch zwischen Selbst- und Fremdhass aufweicht und verwischt, nimmt nicht nur in Mishimas Roman, sondern auch in seinem eigenen Leben eine ebenso zentrale wie tragische Rolle ein: Angetrieben von einem radikalen Nationalismus, begeht Mishima 1970 nach einem missglückten Putschversuch zusammen mit einem engen Vertrauten rituellen Selbstmord.832 Dass es der hl. Sebastian in Form einer ›schwulen BDSM-Ikone‹ bis nach Japan geschafft hat, belegt seine queere ›Bildkraft‹. Der transkulturelle und -nationale Anreiz des puer aeternus dürfte wohl gerade in seiner Ambivalenz und den unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten liegen, die seine Ikonographie bietet. Man kann diesem Märtyrer nicht eine konkrete Bedeutung zuweisen, vielmehr lässt er einer Vielzahl unterschiedlicher Assoziationen Raum: »And his varying associations have accumulated over time, Saint Sebastian’s homosexually inflected symbolism has come to suggest the intricate procedure through which is formed what we might call ›homosexual experience‹. For it is not simply that gay men saw in Sebastian an idealized likeness of themselves. Rather, the Roman martyr helped from the very foundation for a sense of self that encompassed homosexual desire.«833 Die Vielschichtigkeit dieser »›homosexual experience‹« findet in der facettenreichen Figur des hl. Sebastian eine ideale Projektionsfigur, in welcher sich auch Lesarten und Vorstellungen unterschiedlicher Kulturen ganz im Sinne eines Palimpsests überlagern. Die in den Sebastian-Darstellungen von Courmes, von Kupffer und Shinoyama respektive Mishima besonders in den Vordergrund gerückte Verhandlung einer peripheren Identität bzw. Sexualität, deren gesellschaftliche Ablehnung sich am Beispiel Mishimas als universeller Bestandteil einer queeren Lebenserfahrung auch jenseits des westlich-europäi-
Perversity: Fantasies of Feminine Evil in Fin-de-siècle Culture, New York und Oxford 1986, S. viii); vgl. auch Kaye 1996, S. 87f. 831 Mishima 2002, S. 115; es soll damit auf keinen Fall eine allgemeingültige Korrelation zwischen BDSM-Praktiken und internalisierter Homophobie angedeutet werden, sondern lediglich auf die sehr spezifische Perspektive Mishimas hingewiesen werden. 832 Vgl. Castro-Gómez 1997, S. 183; vgl. zudem Kaye 2003, S. 13. 833 Kaye 1996, S. 101.
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schen Kulturkreises erweist,834 erfährt in den Werken der US-amerikanischen Künstler David Wojnarowicz und Ron Athey eine zunehmende Politisierung und Historisierung. Sowohl im Œuvre von David Wojnarowicz (1954–1992) als auch in der Performancekunst von Ron Athey (*1961) erhält der hl. Sebastian angesichts der aufkommenden AIDS-Epidemie in den 1980er-Jahren seine einstige Funktion als Pestheiliger zurück: Während Athey in der Performance Martyrs & Saints von 1992 (Abb. 110) selbst das Martyrium des hl. Sebastian durchlebt, verschmilzt Wojnarowicz die Ikonographie des Heiligen in dem collagierten Gemälde Bad Moon Rising von 1989 (Abb. 109) mit visuellen Fragmenten, die zum einen auf die Immunkrankheit verweisen und zum anderen auf das Versagen der US-amerikanischen AIDS-Politik. Für Wojnarowicz, der 1992 an den Folgen von AIDS starb, nahm die Auseinandersetzung mit der Krankheit insbesondere nach dem Tod seines intimen Freundes und ehemaligen Lebensgefährten Peter Hujar im November 1987 eine zentrale Stellung in seinem Spätwerk ein. Bad Moon Rising ist dabei keineswegs das erste Mal, dass Wojnarowicz sich der Figur des hl. Sebastian gewidmet hat, so taucht der Märtyrer etwa bereits in der 1982 entstandenen Arbeit Peter Hujar Dreaming/Yukio Mishima: St. Sebastian (Abb. 108) auf, die Teil einer Werkserie ist. Der Künstler überlagert darin das abstrahierte Portrait Hujars – dessen Kopf ist das Bindeglied, das alle Arbeiten der Serie vereint – mit den Umrisslinien einer von gelben Pfeilen penetrierten Sebastian-Figur sowie einer masturbierenden männlichen Gestalt. In dieser früheren Darstellung des Motivs steht der christliche Märtyrer noch nicht als Seuchenheiliger im Mittelpunkt, vielmehr dient er hier als erotisches Sinnbild für das homosexuelle Verlangen Hujars sowie als Referenz auf das literarische Werk Mishimas.835 In Bad Moon Rising (Abb. 109), das Wojnarowicz ein Jahr nach seiner eigenen positiven HIV-Diagnose836 anfertigte, ist von dieser erotischen Verspieltheit, wie sie in Peter Hujar Dreaming/Yukio Mishima: St. Sebastian noch festzustellen ist, nichts mehr übrig: Vor einem tapetenartigen Hintergrund, der aus verschiedenen Dollar-Scheinen zusammengesetzt ist, erstreckt sich in der Bildmitte ein in grauen und grünen Farbtönen gemalter männlicher Leib, der von unzähligen Pfeilen durchbohrt ist und dessen Arme hinter dem Rücken gefesselt sind – trotz der erlittenen körperlichen Traumata handelt es sich nach 834 Zu kultur- und nationübergreifenden Parallelen queerer Lebenserfahrungen siehe Kapitel III.3.3. Siehe dazu auch die Arbeit von Katja Kahlina, die sich mit ihrer Auffassung einer »›global sexuality‹« auf Dennis Altmann bezieht. Vgl. Kahlina, Katja: Nation, State and Queers. Ethnosexual Identities in the Interface between Social and Personal in Contemporary Croatia, in: Jónasdóttir, Anna G.; Bryson, Valerie; Jones, Kathleen B. (Hg.): Sexuality, Gender and Power. Intersectional and Transnational Perspectives, New York und London 2011, S. 30–45; hier: S. 37; vgl. zudem Altmann, Dennis: Global Sex. Chicago 2001. 835 Die Verbindung des hl. Sebastian mit der masturbierenden Figur lässt an den Protagonisten Kochan aus Geständnis einer Maske denken. Vgl. Mishima 2002, S. 30; zur Werkserie Peter Hujar Dreaming siehe Kiehl, David: Peter Hujar Dreaming. In: Kat. Ausst. David Wojnarowicz. History Keeps Me Awake at Night, hg. von David Breslin und David Kiehl, Whitney Museum of American Art in New York 2019, New Haven und London 2018a, S. 174–184. 836 Wojnarowicz, David; Carr, Synthia: Biographical Dateline. In: Kat. Ausst. Wojnarowicz. History Keeps Me Awake at Night, hg. von David Breslin und David Kiehl, Whitney Museum of American Art in New York 2019, New Haven und London 2018, S. 285–310; hier: S. 307.
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wie vor um einen athletischen und schönen Körper, womit auch hier der Binarismus von Eros und Thanatos aufgegriffen wird. Aus der kopf- wie auch fußlosen Gestalt scheinen zwei karge Bäume zu wachsen, deren Wurzeln nach unten hin aus dem Torso der Sebastian-Figur dringen. An den vier Bildecken wird diese Szene von jeweils einer mit einem roten Faden auf die Bildfläche aufgenähten quadratischen Schwarz-Weiß-Fotografie gerahmt, wobei es sich bei den beiden Bildern auf der rechten Seite – eine schwule pornographische Szene oben und eine nicht genau zu definierende Nahaufnahme unten – um Abzüge eines Negativfilms und bei den Pendants auf der linken Seiten – ein alleinstehendes Haus oben sowie eine weitere schwule pornographische Szene unten – um Abzüge eines Positivfilms handelt.837 Am linken, rechten und oberen Bildrand sind zudem drei kreisförmige Formen zu erkennen, die ein Ziffernblatt darstellen, das von einer mikroskopischen Aufnahme von Blutkörperchen überdeckt wird. Mit Bad Moon Rising bringt Wojnarowicz, der nach dem Tod von Hujar zunehmend als AIDS-Aktivist838 in Erscheinung trat, in aller Deutlichkeit seine ganze Wut und Verzweiflung zum Ausdruck: Der entindividualisierte und gemarterte Leib im Zentrum des Bildes wird hier zum Symbol für die vom AIDS-Virus geschundenen und von weiten Teilen der Gesellschaft verstoßenen Opfer, denen von der Reagan-Regierung nicht mit Mitgefühl, sondern mit Ignoranz begegnet wurde – die Einbettung schwuler Pornographie macht indes deutlich, welche Opfergruppe genau gemeint ist. So wurde etwa der um 1982/83 vorgelegte Plan des US-amerikanischen Center for Disease Control and Prevention (CDC), eine umfangreiche Aufklärungskampagne, HIV-Tests und Beratungsstellen für bereits Erkrankte einzurichten, laut Don Francis, einem der führenden Epidemiologen des CDC, wegen zu hoher Kosten abgelehnt.839 Angesichts einer solch fahrlässigen Politik, die anstatt schnell zu reagieren – wie bei einer Pandemie dringend erforderlich – lieber abwartete, erklärt sich die wütende und verstörende Bildsprache Wojnarowicz’. Sowohl die Geldscheine im Hintergrund als auch das Motiv des Ziffernblatts scheinen in direkter Weise den Geiz und die Trägheit der Reagan-Regierung zu kommentieren. Das Ziffernblatt, welches keine Uhrzeiger mehr aufweist, kann darüber hinaus als persönlicher Verweis auf den Krankheitsverlauf des Künstlers gelesen werden. 837 Dieses auffällige Spiel mit fotografischen Negativen und Positiven kann auch als indexikalischer Verweis auf einen negativen bzw. positiven HIV-Test verstanden werden. 838 Kiehl, David: Room 1423. In: Kat. Ausst. David Wojnarowicz. History Keeps Me Awake at Night, hg. von David Breslin und David Kiehl, Whitney Museum of American Art in New York 2019, New Haven und London 2018b, S. 232–248; hier: S. 234. 839 In einem Interview beschreibt Francis diesen fatalen Moment wie folgt: »That program was outlined in several pages by me, and several pages [of the] document went to the director of CDC. It went to Washington, and the word that we got back from Washington, as best as I can recall, was something like, ›No, we’re not going to fund it, and want you to look pretty and do as little as you can.‹« (Interview mit Don Francis. Frontline PBS [editierte Transkription eines Interviews, welches 02.12.2004 geführt wurde, zuletzt geändert am 30.05.2006], https://www.pbs.org/ wgbh/pages/frontline/aids/interviews/francis.html, (18.09.2019)); Francis antwortet dabei auf die Frage, ob die Ausbreitung von AIDS hätte verhindert werden können, wenn zeitnahe Maßnahmen ergriffen worden wären; zur erschreckend trägen Reaktion der Regierung siehe auch den nachfolgenden Artikel, der von zentraler Bedeutung für die Entwicklung eines kämpferischen AIDS-Aktivismus war: Kramer, Larry: 1,112 and Counting. In: New York Native. Ausgabe 59 (14–27 März 1983), online abrufbar unter: https://www.indymedia.org.uk/en/2003/05/66488.html (18.09.2019).
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Von vergleichbarer Wut ist auch die Arbeit Ron Atheys geprägt. Athey, der 1961 im Bundesstaat Connecticut geboren wurde, ist ein Performancekünstler, der sich mit dem Medium der Body-Art und dem des Theaters auseinandersetzt. Der Künstler, der seine Kindheit in einem streng religiösen bis fanatischen Haushalt verbrachte, fand eine neue Heimat in der Post-Punk- und Gothszene im Los Angeles der 1980er-Jahre.840 Dort entwickelte er nach dem Vorbild des österreichischen Malers und Aktionskünstlers Hermann Nitsch (*1938) seine Peformance- bzw. Bühnenkunst.841 Als erste größere Ensembledarbietung Atheys außerhalb der Club- und Musikszene gilt die 1992 in den Räumen der LACE (Los Angeles Contemporary Exhibitions) aufgeführte Performance Martyrs & Saints (1992–1993), deren erste Szene der Künstler dem im selben Jahr verstorbenen Wojnarowicz widmete.842 In der Eröffnungsszene des Stücks wurde laut dem Journalisten Achy Obejas, der 1993 einer Aufführung der Performance in Chicago beiwohnte, eine von Kopf bis Fuß in Gaffer-Tape einbandagierte Gestalt von drei Krankenschwestern mit Infusionen, Einläufen etc. auf der Bühne ›behandelt‹.843 Eine der Schwestern verkörperte Athey selbst, der sich dem Publikum als Drag Queen mit verschmiertem Make-up und zugenähtem Mund präsentierte. Im Verlauf dieser ersten Szene, die den Titel »Nurse’s Penance« trägt, entfernten die zwei anderen Krankenschwestern den Faden, der Atheys Mund verschloss, woraufhin dieser an ein Mikrophon trat und sich zu seiner HIV-Infektion bekannte.844 Es folgten drei weitere Szenen (»A New Blood Cure«, »Surgical Stigmata« und »The Casting Out«), die letztlich in der Nachstellung des Sebastian-Martyriums kulminierten: In der Abschlussszene, dem Ende dieses Stationsweges, bohrt einer der Nebendarsteller lange spitze Pfeile in den Körper des mit erhobenen Armen von der Decke hängenden Athey – die Pose ist eine Referenz auf Mishimas Selbstdarstellung als hl. Sebastian845 – und bringt Martyrs & Saints damit zu einem blutigen Ende.846 Athey umschreibt den Schlussakt seiner Performance mit durchaus 840 Dominic Johnson schreibt über das Elternhaus: »[H]e was raised under the spell of prophecies, scrying, visions, and spiritual powers; and in his adolescence he refused the faith that had been his ›Calling‹.« (Johnson, Dominic: Introduction: Towards a Moral and Just Psychopathology. In: Ders. (Hg.): Pleading in The Blood. The Art and Performances of Ron Athey, Bristol 2013b, S. 10–42; hier: S. 14). 841 Siehe Ebd., S. 22. 842 Über die Konzeption der Performance berichtet Athey Folgendes: »Martyrs & Saints is a meditation fuelled by the rage and grief I felt in the early 1990s, tackling the dark ambiance created by the AIDS catastrophe, and tying it into my inheritance – a grandiose martyr complex (which was all my Jesus-freak family could afford to leave me with). […] The piece unfolded like Stations of the Cross, each scene fluctuating between chaotic action and contrived set-up.« (Athey, Ron: Deliverance: The ›Torture Trilogy‹ in Retrospect, in: Johnson, Dominic (Hg.): Pleading in The Blood. The Art and Performances of Ron Athey, Bristol 2013, S. 100–110; hier: S. 102). 843 Für eine Beschreibung der Performance siehe z.B. die Kritik von Achy Obejas über die Aufführung von Martyrs and Saints in Chicago im Mai 1993. Obejas, Achy: Martyrs and Saints. In: Chicago Reader, 10. Juni 1993, online abrufbar unter: https://www.chicagoreader.com/chicago/martyrs -and-saints/Content?oid=882158 (18.09.2019). 844 Vgl. Ebd. 845 Siehe Athey 2013, S. 102. 846 Bei den Darstellenden von Atheys Darbietungen handelt es sich stets um Mitglieder der BDSMSzene, die mit ›Nadelspielen‹ und weiteren derartigen Praktiken vertraut sind, wodurch schwerwiegende gesundheitliche Risiken minimiert werden.
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humorvollen Worten: »Martyrs & Saints ended with myself – a shameless drama queen – as Saint Sebastian martyred in a Zen garden.«847 In dieser Performance verarbeitete der Künstler nicht nur den traumatischen Verlust zahlreicher seiner Freunde an AIDS, sondern auch seine eigene Infizierung. Wie schon in Wojnarowicz‹ Bad Moon Rising drückt sich auch in Atheys Selbstkasteiung schiere Verzweiflung und eine ungefilterte Wut angesichts des massenhaften AIDS-Sterbens aus, wenngleich auch in weitaus drastischerer Form. Die Fotografie Ron Athey/Sebastian (from Martyrs & Saints) von 2000 (Abb. 110), die in Zusammenarbeit mit der Fotografin Catherine Opie (*1961) entstand, stellt laut Athey die Essenz bzw. »Endfassung« seiner Auseinandersetzung mit dem hl. Sebastian dar.848 Opies Fotografie gewährt den Betrachter_Innen einen schonungslosen Blick auf den von Pfeilen penetrierten Körper Atheys sowie sein entstelltes Genital – die kurzzeitige Schwellung der Hoden und des Penis wurden durch eine Kochsalzinjektion verursacht.849 Das kolossale Format des Fotos (279,4 x 104,1 cm) sowie die sich auf den gemarterten Körper konzentrierende Inszenierung vor einem schlichten petrolfarbenen Hintergrund bekräftigen die ikonenhafte Wirkung von Opies respektive Atheys Werk. Der gefesselte, entblößte und von Pfeilen durchbohrte Körper des Künstlers wirkt »wie an den Pranger gestellt.«850 Gemäß ihrer ursprünglichen Funktion werden die Pfeile hier wieder zum Symbol für die AIDS-Seuche. Doch gleichzeitig verweisen sie auf die mit der Erkrankung einhergehende gesellschaftliche Stigmatisierung. Die Fokussierung des Bildes wie auch der Performance auf die körperliche Dimension steht dabei im Einklang mit Atheys Zugang zur Body-Art: Der Künstler nimmt mit den zahlreichen Anspielungen auf eine ›medizinische Ikonographie‹ in seiner Martyrs & Saints-Inszenierung (Krankenschwestern, Latexhandschuhe, Spritzen etc.) wie auch mit der augenscheinlichen Sebastian-Referenz (sowohl in Opies Fotografie als auch in seiner Performance) ganz bewusst Bezug auf die Politisierung bzw. Pathologisierung homosexueller und kranker Körper. Mit seiner Arbeit konfrontiert Athey eine Gesellschaft, die in weiten Teilen Homosexuelle und AIDS-Kranke zum ›Abjekt‹ erklärt hat, um den von Kristeva851 geprägten Begriff zu gebrauchen, und hält ihr einen grausamen und blutigen Spiegel vor.852 Die in den Werken von Wojnarowicz sowie Athey festzustellende Rückkehr Sebastians in bzw. zu seiner Rolle als Pestheiliger verhilft dem Märtyrer im Zuge der AIDS-Krise zu neuer, wenn auch trauriger, Prominenz und Aktualität. Neben dieser sehr konkreten ›Wiederauferstehung‹ des Heiligen in der Kunstlandschaft des 20. Jahrhunderts kann 847 Athey 2013, S. 102. 848 Athey, Ron: Ron Athey. In: Kat. Ausst. Heiliger Sebastian. A Splendid Readiness for Death, Kunsthalle Wien 2003/04, Bielefeld 2003, S. 18–19; hier: S. 19. 849 Siehe hierzu Opie, Catherine: Flash: On Photographing Ron Athey, in: Johnson, Dominic (Hg.): Pleading in The Blood. The Art and Performances of Ron Athey, Bristol 2013, S. 142–152; hier: S. 144. 850 Bohde 2004, S. 89. 851 Vgl. Kristeva 1982, S. 3ff; siehe zudem Kapitel II.1.3 der vorliegenden Arbeit. 852 Zu den gesellschaftlichen Reaktionen auf die AIDS-Epidemie sowie die Graswurzelbewegung des AIDS-Aktivismus in den USA siehe France, David: How to Survive a Plague: The Inside Story of How Citizens and Science tamed AIDS, New York 2016.
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seine Anwesenheit aber auch in zahlreichen Werken nachvollzogen werden, die sich zunehmend von der Sebastian-Ikonographie entfernen und auf rein thematischer Ebene an das Schicksal des Märtyrers anknüpfen. Ein besonders eindringliches Beispiel für die ›Abstrahierung‹ des hl. Sebastian stammt vom homosexuellen, US-amerikanischen Künstler Jasper Johns. Der 1930 im Bundesstaat Georgia geborene Johns, zu dessen engen Freunden prominente homosexuelle Persönlichkeiten wie etwa der eingangs zitierte Dichter Frank O’Hara853 sowie der Maler Robert Rauschenberg (1925–2008) gehörten – mit Letzterem verband ihn eine intime und langjährige Partnerschaft854 –, nimmt im amerikanischen Kunstkanon eine besondere Rolle ein: Er gilt als Vermittler bzw. Bindeglied zwischen dem Abstrakten Expressionismus und der Pop-Art.855 Bereits mit seiner ersten Einzelausstellung in der Leo Castelli Gallery in New York im Jahr 1958, in welcher Johns auch die hier zu besprechende Arbeit Targets with Plaster Casts zeigte, gelang ihm der künstlerische Durchbruch – Alfred H. Barr Jr., der damalige Direktor des Musem of Modern Art in New York, erwarb gleich zu Beginn der Ausstellung drei Arbeiten für die Museumssammlung.856 Johns’ Karrierebeginn und künstlerischer Aufstieg Mitte der 1950er-Jahre fällt in die sogenannte McCarthy-Ära, einer Zeit, die von antikommunistischen und homophoben Ressentiments sowie politischer Verfolgung geprägt war. Der US-amerikanische Senator Jospeh McCarthy (1908–1957) beförderte mit seiner Rhetorik eine im US-amerikanischen Kontext als (Second) Red Scare sowie Lavender Scare bezeichnete Hatz auf (angeblich) kommunistische und/oder homosexuelle Mitarbeiter_Innen im Regierungsapparat.857 Die Vermengung von Kommunismus und Homosexualität führt David K. Johnson u.a. auf die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem 2. Weltkrieg sowie damals allgegenwärtige Vorurteile zurück: Sowohl Kommunist_Innen als auch Homosexuelle, denen eine Art Schwarm-Verhalten unterstellt wurde, galten als unberechenbare und ›unsichtbare‹ Gefahren, welche die US-amerikanische bzw. westliche Gesellschaft von innen heraus zu unterwandern drohten.858 Obgleich McCarthy bereits Mitte der 1950er-Jahre an Ansehen
853 Zur Beziehung zwischen O’Hara und Johns siehe Gold, Alexandra: Coming Unhinged: Art and Body in Frank O’Hara and Jasper Johns, in: Interdisciplinary Literary Studies, Vol. 17, Nr. 3 (2015), S. 330–351; hier: u.a. S. 331. 854 Zur Beziehung von Rauschenberg und Johns siehe Reed 2011, S. 157. 855 Siehe Wallace, Isabelle Loring: Jasper Johns. London 2014, S. 5 und S. 7. 856 Siehe Butt, Gavin: Between You and Me. Queer Disclosures in the New York Art World, 1948–1963, Durham und London 2005, S. 136f; vgl. zudem Wallace 2014, S. 13. 857 Siehe auch die in Kapitel III.2.4 besprochene historische Persönlichkeit Roy Cohn. 858 Bei David K. Johnson heißt es: »Over the previous decades, particularly during the disruptions of World War II, a homosexual subculture had flourished in American cities, particularly Washington, D.C., as it experienced unprecedented growth of the civilian and mility bureaucracies. Many saw this as another sign of America’s moral decline, a fear reinforced with the 1947 publication of the Kinsey Report, which indicated that American men engaged in high rates of premartial, extramarital, and homosexual sex. In this climate, the threat posed by homosexuals and that posed by Communists were easily conflated. Security officials claimed that Communists blackmailed homosexuals, but that was only one way to make the connection. In the popular culture of the 1950s, both groups seemed to comprise hidden subcultures, with their own meeting places, literature, cultural codes, and bonds of loyalty. Members of such subcultures were feared to have a loyalty to one another transcending that toward their class, race,
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und Macht verlor, ehe er 1957 vermutlich an einer Alkohol-Hepatitis starb,859 hatte die Lavender Scare weitreichende und langanhaltende Folgen: Die unter McCarthy beschlossene Executive Order 10450, die es Homosexuellen verbot, für die Regierung zu arbeiten, hatte zumindest für das Militär bis Mitte der 1990er-Jahre Gültigkeit.860 Erst 1993 wurde das Verbot von Homosexuellen im Militärdienst durch das nicht minder kontroverse Don’t Ask Don’t Tell-Gesetz (DADT) ersetzt, nach welchem schwule und lesbische Soldat_Innen nur dann dienen durften, solange sie ihre Sexualität geheim hielten bzw. nicht in der Truppe auslebten.861 Das hier kurz umrissene Klima der 1950er-Jahre stellt den historischen Kontext für eine von Johns bekanntesten frühen Arbeiten dar, in der Aspekte der bisher behandelten Sebastian-Darstellungen mitzuschwingen scheinen: Targets with Plaster Casts von 1955 (Abb. 111). Bei diesem Werk handelt es sich um eine Assemblage, in welcher der Künstler die Enkaustikmalerei einer grafischen Zielscheibe mit den monochrom bemalten Gipsabdrücken männlicher Körperteile sowie eines tierischen Knochens kombiniert hat.862 Die Abgüsse, die sich in einer Reihe am oberen Bildrand befinden, werden in kleinen abschließbaren Kompartimenten aus Holz präsentiert, deren Innenwände in derselben Farbe gestaltet sind wie das jeweils enthaltene Fragment. Von links nach rechts beinhalten die Fächer einen Teil eines lila bemalten Fußes; ein blaues Kästchen ohne Inhalt; die in weiß gehaltene untere Häfte eines Gesichts mit Nase und Mund; den in rot bemalten Abguss einer Hand, deren kleiner Finger fehlt; eine Brust bzw. Brustwarze in rosa; ein Ohr in orange; einen Penis in grün; eine Ferse in gelb; einen tierischen Knochen in schwarz.863 Ebenso wie die blau-gelbe Zielscheibe auf rotem Grund, wurden auch die
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or nation. Both groups were thought to be hostile to family formation and exhibit psychological or moral abnormalities that weakened America’s defenses.« (Johnson, David K: America’s Cold War Empire: Exporting the Lavender Scare, in: Weiss, Meredith L.; Bosia, Michael J. (Hg.): Global Homophobia. Sates, Movements, and the Politics of Oppression, Urbana, Chicago und Springfield 2013a, S. 55–75; hier: S. 63). Siehe etwa Herman, Arthur: Joseph McCarthy: Reexamining the Life and Legacy of America’s Most Hated Senator, New York 2000, S. 302f. Siehe Johnson 2013a, S. 58 und S. 72 (Fußnote 5). Siehe hierzu Burrelli, David F.; Feder, Jody: Homosexuals and the U.S. Military: Current Issues, in: Davis, Brandon A. (Hg.): Don’t Ask, Don’t Tell. Background an Issues on Gays in the Military, New York 2010, S. 1–35; hier u.a.: S. 2f; im Jahr 2011 wurde DADT schließlich abgeschafft, wodurch Homosexuelle nun ›offiziell‹ in der US-amerikanischen Armee dienen dürfen. Siehe Bumiller, Elisabeth: Obama Ends ›Don’t Ask, Don’t Tell‹ Policy [22.07.2011]. In: The New York Times, https://ww w.nytimes.com/2011/07/23/us/23military.html (19.09.2019); ähnliche Diskussionen gab es zuletzt auch unter der Trump-Regierung über transgeschlechtliche Soldat_Innen. Zur Frage nach dem Geschlecht der Körperfragmente siehe Silver, Kenneth E.: Modes of Disclosure: The Construction of Gay Identity and the Rise of Pop Art, in: Kat. Ausst. Hand-painted Pop. American Art in Transition, 1955–1962, hg. von Russell Ferguson, Museum of Contemporary Art in Los Angeles, Museum of Contemporary Art in Chicago und Whitney Museum of American Art in New York 1993, Los Angeles et al. 1993, S. 179–203; hier: 188. Zur Identifizierung der Abgüsse und insbesondere des schwarzen Abgusses als Tierknochen siehe Bernstein, Roberta; Colsman-Freyberger, Heidi; Sweeney, Caitlin; Zinn, Betsy Stepina: Jasper Johns. Catalogue Raisonné of Painting and Sculpture: Painting, 1954–1970, Band 2 von 5, New York, New Haven und London 2017, S. 12f.; siehe zudem Butt 2005, S. 139.
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Abgüsse in der Enkaustiktechnick bemalt, weshalb sie eine leicht glänzende Oberfläche aufweisen und dem Werk eine sinnliche Haptik verleihen. Wie Gavin Butt in Between You and Me: Queer Disclosures in the New York Art World, 1948–1963 (2005) darlegt, entzündeten sich insbesondere an der expliziten Zurschaustellung des männlichen Genitals in Targets with Plaster Casts die Gemüter: So bekundete etwa Barr in seiner Rolle als Direktor des MOMA Kaufinteresse an der Arbeit, allerdings unter der Bedingung, dass man das Kompartiment mit dem Penisabguss für den Fall einer Ausstellung abschließen müsste, ›um die Gefühle der Besucher_Innen nicht zu verletzen‹.864 Johns, der auf der Autonomie seines Werks bestand, ging jedoch auf diesen Vorschlag nicht ein, und so erwarb letzten Endes der Galeriebesitzer Leo Castelli die Arbeit.865 Laut Butt lässt sich anhand von Barrs Reaktion erahnen, wie Johns’ Werk von weiten Teilen des damaligen Kunstpublikums aufgefasst worden wäre: »Nevertheless, the idea that the lids may be open or closed, that the body casts could be closed off and hidden from view, might habe been highly significant in determining how and what they were seen as in 1958. Bodys casts in closable boxes might have been read as something that could be, or, with more moral force, should have been hidden from view. Reading the cast in this way would have made any gaze upon them an illicit or furtive activity, a covert and voyeuristic ›peep‹ at them.«866 Das visuelle Spiel mit Ver- und Enthüllung in Targets with Plaster Casts im Sinne einer Peepshow zu deuten, liegt auch der Deutung von Kenneth Silver zugrunde, welcher das Werk 1992 als »portrait of a homosexual man of the post-war period« beschreibt, »[whose] besieged gay body – and gay psyche – is fragmented and sorted into compartments, each one capable of being alternately closeted or exposed«.867 Nach Silver, der das Werk in seiner Interpretation ganz explizit in einen Kontext mit den historischen Rahmenbedingungen stellt, visualisiere Johns mit seiner Arbeit zum einen die in den 1950erJahren für Homosexuelle überlebenswichtige Kompartimentalisierung der eigenen queeren Identität bzw. des queeren Begehrens – in der Assemblage repräsentiert durch die Körperfragmente, wobei das u.a. von Roberta Bernstein als Tierknochen identifizierte schwarze Fragment868 in diesem Zusammenhang als ironisierender Verweis auf die ›indiskrete‹ bzw. ›monströse‹ Natur homosexueller Menschen verstanden werden könnte – und zum anderen die möglichen Konsequenzen einer ›Enttarnung‹, repräsentiert durch die Zielscheibe. Es ist insbesondere das zuletzt genannte Motiv der Zielscheibe, welches eine Verbindung zur Sebastian-Ikonographie nahelegt869 – die Verquickung bzw. Gleichsetzung des Märtyrers mit einer Zielscheibe fand sich beispielsweise bereits in Alfred Courmes’ Gemälde Saint Sébastien aux fléchettes von 1934.870 Für Silver ergibt 864 865 866 867 868 869 870
Butt 2005, S. 136f. Ebd., S. 137. Ebd., S. 143 (Hervorhebungen aus dem Original). Silver 1993, S. 190; siehe auch Reed 2011, S. 157. Vgl. Bernstein 2017, S. 12f. Vgl. Silver 1993, S. 190; vgl. zudem Saslow 1999, S. 247. Man beachte die auffällige Komposition des Gemäldes: Der am linken Bildrand gegen die Wand gelehnte und mit einer beschossenen Zielscheibe auf dem Bauch gezeigte Sebastian scheint sich vor der Außenwelt, von welcher Courmes durch die rechts befindliche Tür nur einen kleinen Aus-
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sich aus dem Zusammenspiel der Bildelemente sowie den ikonographischen Anleihen an den hl. Sebastian folgende Deutung: Angesichts der gesellschaftlichen Intoleranz gegenüber nicht-normativen Identitäten bzw. Sexualitäten, sieht sich der Homosexuelle gezwungen, sein Begehren zu zerstückeln und in einem sprichwörtlichen closet zu verschließen, will er nicht, wie etwa der hl. Sebastian, zur Zielscheibe werden.871 Obgleich sich Silver mit seinem Interpretationsansatz dezidiert gegen den Wunsch von Johns wendet, dessen Kunst eben nicht als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit zu verstehen,872 werden die Arbeiten gerade aufgrund ihrer nebulösen Bildsprache und Intention zum passenden Sinnbild für die Lebenserfahrung homosexueller Menschen, die ihr Verlangen stets nur in kodierter bzw. verhüllter Form zum Ausdruck bringen konnten bzw. können. Trotz offensichtlicher Anleihen an einen homoerotischen Motivkanon873 lehnten es sowohl Johns als auch Rauschenberg vehement ab, ihre Arbeit in einen Zusammenhang mit dem Thema der Homosexualität zu stellen.874 Die im Werk von Johns und Rauschenberg festzustellende Paradoxie einer simultanen Ver- und Enthüllung – einerseits wird die Thematik der Homosexualität aufgegriffen, andererseits jedoch nur in impliziter bzw. stark kodierter Form –, scheint auf ironische Weise die von Johnson geschilderte Angst vor einer im Untergrund agierenden Parallelgesellschaft zu bestätigen, wenngleich auch unter gänzlich anderen Vorzeichen: Nicht von den Homosexuellen geht eine Bedrohung aus, sondern von einem auf Konformität pochenden Staatsapparat, der gleichgeschlechtlich begehrende Menschen zur Zerstückelung und Verhüllung ihres Verlangens, aber auch eines wesentlichen Teils ihrer Identität zwingt. Die bei Johns festzustellende Loslösung von der konkreten Sebastian-Ikonographie spiegelt eine von zwei inszenatorischen Strategien wider, wie sie schon öfters zu beobachten waren: Neben der queeren Appropriation und Kontinuation einer ikonographischen Traditionslinie, wie sie etwa bei Courmes anzutreffen ist, etabliert sich die künstlerische
schnitt preisgibt, zu verstecken. Blickt man durch die geöffnete Tür, wird deutlich, weshalb sich dieser Sebastian angstvoll gegen die Wand drückt: Im Außenbereich ist noch einer der Bogenschützen zu erkennen, der in Begleitung einer Frau an einer marmornen Umsetzung des antiken Motivs des Dornausziehers vorrüber zieht. Das in der antiken Bildhauerei häufig vorzufindende Motiv des Dornausziehers, das einen Knaben zeigt, der sich einen Dorn aus dem linken Fuß zieht, gehört spätestens seit Manns Novelle Der Tod in Venedig (1911) auch zu einem homoerotischen Figurenreigen, wie z.B. Ganymed – von Aschenbach, der Protagonist des Buches, vergleicht den von ihm begehrten Jüngling Tadzio mit ebenjener Statue. Vgl. Mann 2003, S. 51. 871 Oder wie Silver es selbst ausdrückt: »[W]e might say that in Target with Plaster Casts Johns has created an image of gay martyrdom in a demystified age.« (Silver 1993, S. 190). 872 Jasper Johns äußert sich hierzu wie folgt: »I didn’t want my work to be an exposure of my feelings […] I worked in such a way that I could say it’s not me.« (Zitiert nach Reed 2011, S. 158); zu Silvers Begründung, weshalb er Johns’ Œuvre dennoch zu interpretieren ›wagt‹ siehe Silver 1993, S. 188. 873 Während sich Johns mit Target with Plaster Casts augenscheinlich an der Sebastian-Ikonographie orientiert, widmete sich Rauschenberg in Pail for Ganymede von 1959 etwa der Figur des Ganymed. 874 Reed resümiert hierzu: »Unsurprisingly perhaps, given their commitment to artistic strategies of veiling, coding, and filtering, Johns and Rauschenberg resisted analysis of their art in relation to homosexuality […] Such secretiveness itself may be, paradoxically, the clearest expression of homosexual identity in the art of the postwar decades.« (Reed 2011, S. 158).
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Strategie einer thematischen, aber nur bedingt motivischen Weiterführung der Bildidee, wie etwa im Fall von Johns. Mit Blick auf das 20. und 21. Jahrhundert ist also festzuhalten, dass der hl. Sebastian schon längst kein bloßes sakrales Sujet mehr ist, sondern fester Bestandteil einer queeren Inszenierungspraktik: Neben Claude Debussys (1862–1918) Musik-Opus Le Martyre de Saint Sébastien von 1911, in dessen Uraufführung die Titelrolle des Sebastian von der jüdischen Tänzerin Ida Rubinstein (1885–1960) verkörpert wurde – eine Besetzungsentscheidung, die erwartungsgemäß einen großen Skandal auslöste –, hat sich etwa auch der britische Filmregisseur und Künstler Derek Jarman (1942–1994) in seinem homoerotischen Debütfilm Sebastiane von 1976 der Verqueerung des Heiligen angenommen. Auch in der zeitgenössischen queeren Kunstlandschaft ist der hl. Sebastian nach wie vor ein häufig anzutreffendes Bildthema: Der japanischstämmige Maler Naruki Kukita greift in seinem Gemälde Virtual Saint Sebastian von 2017 (Abb. 112) z.B. auf die tradierte Sebastian-Ikonographie zurück, verqueert sie jedoch zum einen dadurch, dass er als Modell für den Märtyrer einen queeren Pornodarsteller wählt.875 Zum anderen brechen auch die im Mittelgrund eingefügten Mangafiguren mit der üblichen akademischen Malweise Kukitas und verleihen dem Werk etwas dezidiert Campes – die Verschmelzung von akademischer Malkunst und greller Manga- bzw. Animeästhetik ist ein häufig wiederkehrendes Stilmittel im Repertoire des Künstlers. Fast scheint es so, als hätte Kukita mit Virtual Saint Sebastian das visuelle und aktualisierte Pendant zu O’Haras Having a Coke with You geschaffen. In Entsprechung zu O’Haras Gedicht, in welchem der Schriftsteller Hoch- und Populärkultur vermischt, um die Schönheit seines Geliebten zu beschreiben, vereint auch Kukita in seinem Gemälde zwei vermeintlich disparate (Kunst-)Ideen miteinander: Ist die der Hochkultur zuzuordnende akademische Malerei um eine naturalistische, wenngleich auch idealisierte, Wiedergabe bemüht, so ist die in der Populärkultur verwurzelte Mangaästhetik gerade durch ihre stilistische Vereinfachung und Plakativität charakterisiert. Mit dem Aufeinanderprallen dieser zwei gegensätzlichen Konzepte unterstreicht Kukita das in der SebastianIkonographie enthaltene Motiv des Grenzgängertums – sein Schweben zwischen Eros und Thanatos sowie zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit – auf eindringliche Weise. Ein letztes hier zu besprechendes Werk in dem die Eros-Thanatos-Thematik mit einer dringlichen politischen Dimension verknüpft wird, stammt vom schwarzen US-amerikanischen Künstler Kehinde Wiley (*1977). In St. Sebastian (Columbus) von 2006 (Abb. 113) inszeniert Wiley mit akademischer Präzision ein schwarzes männliches Modell vor einem hellen Hintergrund in der Pose des Märtyrers. Der entblößte und tätowierte Oberkörper des Dargestellten wird dabei von einem gräulich-silbernen Rankenwerk umspielt. Die tief getragene Hose, die den Blick auf die Unterhose dieses Sebastian freigibt – ein Modephänomen, das zum ersten Mal in den 1990er-Jahren in der Hip Hop- und Skater-Szene auftauchte876 – verortet das Bild klar in der Gegenwart.
875 Kukita hat das Modell in einem Instagram-Beitrag vom 07. Juni 2018 als Pornodarsteller Matthew Camp identifiziert. Siehe: https://www.instagram.com/p/BjuiJA4AE2k/(zuletzt 08.10.2019); vgl. zudem die Künstlerwebsite: https://www.narukikukita.com/(zuletzt 08.10.2019). 876 Vgl. Koppel, Niko: Are Your Jeans Sagging? Go Directly to Jail, [30.08.2007] in: The New York Times, https://www.nytimes.com/2007/08/30/fashion/30baggy.html (zuletzt 25.01.2020).
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Mit seiner Malerei orientiert sich der offen schwule Wiley augenscheinlich am Stil der Akademischen Kunst, ein Umstand, der z.B. auch durch die oftmals religiöse Motivwahl, sowie den Rückgriff auf sakrale Ausdrucksformen im Œuvre des Künstlers deutlich wird – es sei hier etwa auf die Lamentation-Serie verwiesen, in welcher Wiley u.a. Buntglasfenster mit afroamerikanischen Modellen als Heiligenfiguren anfertigte.877 Auch in St. Sebastian (Columbus) kann die Inszenierung eines Schwarzen in der Rolle des hl. Sebastian878 sowohl im Sinne einer Erotisierung, als auch einer Politisierung verstanden werden: Einerseits stellt der Künstler den muskulösen Körper seines Modells demonstrativ zur Schau und betont etwa mit der glänzenden Beschaffenheit der Haut die unmittelbare Leiblichkeit und Erotik dieser Sebastian-Version. Andererseits ist der schwarze Körper insbesondere im US-amerikanischen Kontext politisch stark aufgeladen und verkörpert wohl wie kaum ein anderer die Idee von Eros und Thanatos, wurde er im kulturellen Diskurs doch nicht nur wiederholt (über-)sexualisiert, sondern auch als gefährlich und kriminell stigmatisiert – eine Taktik, die auf das Engste mit der Institution der Sklaverei verbunden ist und mit der man durch die Abwertung schwarzer Menschen deren Unterdrückung zu rechtfertigen suchte. Patricia Hill Collins spricht diesbezüglich von einem »sexualized racism«: »Black people experience a highly visible sexualized racism, one where the visibility of Black bodies themselves reinscribes the hypervisibility of Black men and women’s alleged sexual deviancy. Because U.S. understandings of race rely on biological categories that, while renegotiated, cannot be changed – skin color is permanent – Black hypersexuality is conceptualized as being intergenerational and resistant to change.«879 Wie Collins hier festhält, wird die behauptete sexuelle Devianz dem schwarzen Körper sprichwörtlich eingeschrieben. Mehr noch: Auch der vermeintliche Hang zu Kriminalität und Zerstörung ist gemäß rassistischer Überzeugung angeboren und kulminiert in der Vorstellung schwarzer Männer als ›brutes‹ (Tiere, Barbaren).880 Als queerer Künstler mit afroamerikanischem Hintergrund881 nimmt sich Wiley in St. Sebastian (Columbus) ebendieser fatalen Stereotypisierung schwarzer Männlichkeit an 877 Siehe Hockley, Rujeko: Heores, Saints, and Martyrs, in: Kat. Ausst. Kehinde Wiley: A New Republic, Brooklyn Museum in New York 2015, München, London und New York 2015, S. 162. 878 Ein berühmter Vorreiter für das Motiv eines schwarzen Sebastian stammt aus dem Jahr 1968: Auf dem Titelbild der Aprilausgabe des Esquire-Magazins wurde der afroamerikanische Boxweltmeister Muhammad Ali vom Photographen Carl Fischer als von Pfeilen penetrierter hl. Sebastian inszeniert. Siehe Gotthardt, Alexxa: The Photograph that made a Martyr out of Muhammad Ali [07.11.2018] in: Artsy Editorial, https://www.artsy.net/article/artsy-editorial-photograph-mademartyr-muhammad-ali (25.01.2020). 879 Collins 2000, S. 130. 880 Linda Tucker erläutert hierzu: »[T]he association between criminality and black masculinity is the legacy of historically consistent efforts to control and manipulate images of black men.« (Tucker, Linda: Lockstep and Dance. Images of Black Man in Popular Culture, Jackson 2007, S. 127). 881 Zum Zusammenspiel der queeren und der schwarzen Identität in Wileys Werk siehe Jackson, Brian Keith: Quiet as it’s Kept. In: Golden, Thelma; Wiley, Kehinde (Hg.): Kehinde Wiley. New York et al. 2012, S. 110–156.
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und schafft mit dem Werk eine visuelle Repräsentation der komplexen Diskursivierung schwarzer und queerer Identitäten. Während Wiley mit dem Rückgriff auf die passive Märtyrerpose des hl. Sebastian u.a. die Objektifizierung des schwarzen Körpers innerhalb einer nach wie vor von Rassismen geprägten Gesellschaft thematisiert, entzieht sich sein Sebastian zugleich den Fremdzuschreibungen: In einem Akt körperlicher Autonomie scheint dieser Sebastian seinen Körper bereits selbst mit Tätowierungen beschriftet zu haben. Er signalisiert damit eine bildmächtige Emanzipation von der Deutungshoheit hegemonialer Strukturen. Beginnend mit einer Auseinandersetzung mit Sodomas Sebastian-Banner und der kunsthistorischen Auslegung dieses Werks durch von Kupffer wurde die allmähliche Entwicklung dieses Märtyrers hin zu einem Heiligen der Sodomiten, der mal als erotisiertes Lustobjekt (Day und Kukita), mal als künstlerische Identifikationsfigur (Mishima und von Kupffer) und mal als Schutzpatron vor den Auswüchsen einer homophoben bzw. rassistischen Gesellschaft inszeniert wurde (Wojnarowicz, Athey, Johns und Wiley), nachgezeichnet. Zudem wurde dargelegt, wie sich dem defätistischen Körper- und Sexualitätsverständnis des dominierenden kirchlichen Diskurses zum Trotz sowohl eine queere Appropriation als auch Umdeutung des biblischen und/oder christlichen Figurenpersonals konstituieren konnte. Wie mit der begrifflichen Differenzierung von Appropriation und Umdeutung kenntlich gemacht werden soll, erfolgt der Prozess einer queeren ›Bildermächtigung‹ auf unterschiedliche Weise: Einerseits kam bzw. kommt es zu radikalen Umdeutungen bestimmter Motive, wie es vor allem anhand der Sodomiten-Figur deutlich wurde. Andererseits werden Bildthemen, wie etwa der hl. Sebastian oder der alttestamentliche Jakob, samt ihrer ikonographischen und motivischen Essenz direkt appropriiert und Ambivalenzen hervorgehoben bzw. queergelesen.
III.3 Präfigurationen homosexueller Identität(en) – Neuzeitliche Motive männlich-männlichen Begehrens und queerer Geschlechtlichkeit Lag der Fokus bisher auf klar umrissenen Ikonographien bzw. Figuren und deren motivischer Entwicklung, richtet sich der Blick im weiteren Verlauf auf zunächst etwas allgemeiner erscheinende Themenfelder, wie z.B. Mode, die aber nichtsdestotrotz eine wesentliche und sehr spezifische Rolle in der Bildung eines queeren Motivkanons spielen. Zeitlich setzt dieses Kapitel um das 18. Jahrhundert ein, einer Epoche, in der nach Ragan respektive Trumbach einschneidende Veränderungen in der Geschlechterwahrnehmung stattfanden: Zwischen 1700 und 1720 hätten sich den beiden Autoren zufolge vier unterschiedliche ›Geschlechter‹ herauskristallisiert (Männer, Frauen, Sodomiten und Sapphistinnen), die nicht nur mit bestimmen Charakteristika (männlich, weiblich, effeminiert etc.), sondern auch mit einer konkreten Begehrensweise verknüpft seien.882
882 Ragan erläutert hierzu: »This new four-gender paradigm helped lead to the beginning of distinct sexual identities. It does not mean that the sodomite and sapphist were like late-nineteenth-century inverts or late-twentieth-century gays and lesbians. But, especially in the case of sodomites, they began to see themselves as being different from other people. With the birth of the ›new sodomite,‹ sodomitical subcultures developed in many Western European
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Diese bereits anhand von Laqueur angesprochene Verschiebung von einem Ein-Geschlecht-Modell zu einem Zwei- bzw. Vier-Geschlechter-Modell883 , die auch mit einer Neukonzeption von Geschlecht und Sexualität als feststehende Identitätsmarker einherging, bereitet den Boden für das moderne Verständnis von Homosexualität. Wenngleich die »sodomites« und »sapphists« des 18. Jahrhunderts nicht gleichzusetzen sind mit ›den Schwulen und Lesben‹ des 20. Jahrhunderts, so präfigurieren sie diese doch in grundlegenden Zügen.884 Gleichzeitig wird mit der von Ragan gewählten Bezeichnung der ›sodomites‹ bzw. ›sapphists‹ wiederholt deutlich, dass auch die Konzeption dieser ›neuen Geschlechtsidentitäten‹ – Geschlecht und Sexualität werden hier als eine Einheit betrachtet – ganz im Sinne des Palimpsestgedankens auf antike (Sappho) und mittelalterliche (Sodomiten) Vorbilder zurückgreift. Diese Umwälzungen im Geschlechterdiskurs ab dem 18. Jahrhundert müssen auch parallel zu den größeren sozioökonomischen Umbrüchen, wie der industriellen Revolution und dem damit zusammenhängenden Wachstum der Städte, betrachtet werden: Zunehmende Arbeitsmöglichkeiten sowie die Anonymität, welche wachsende Ballungsräume, wie Paris und London, boten, ermöglichten letzten Endes erst die Entstehung von größeren queeren Subkulturen.885 Mit den nachfolgenden Unterkapiteln erfolgt eine zunehmende Annäherung an das ›moderne‹ Verständnis sexueller Identität(en), die gemäß der vorherrschenden Geschlechterkonzeption als untrennbare Einheit mit der Kategorie des Geschlechts gedacht werden. Es erscheint daher nur allzu passend, mit dem Thema der Mode zu beginnen, da sich die Kleidung im Angesicht einer stetig rigider werdenden Differenzierung zwischen ›natürlicher‹ Männlichkeit und Weiblichkeit auf der einen Seite sowie ›devianter‹ Geschlechtlichkeit auf der anderen Seite zu einem der bestimmenden Marker queerer Sichtbarkeit entwickelt.
cities, including Paris.« (Ragan 1996, S. 12); vgl. auch Trumbach 1989, S. 130 und S. 137; vgl. auch Kapitel II.2.2. 883 Vgl. Laqueur 1990 u.a. S. 5f. 884 Siehe auch Ragan 1996, S. 12. 885 Bezüglich Paris ist anzumerken, dass ›Sodomie‹ im Jahr 1791 entkriminalisiert wurde und dies zum Wachstum queerer Subkulturen beitrug. Wie Florence Tamagne allerdings betont, ging dieser juristische Schritt nicht zwangsläufig mit größerer gesellschaftlicher Akzeptanz einher: »France had been the first country to decriminalize sodomy in 1791 and, for many years, Paris would be seen as a refuge for sexual outcasts. However, even though France, and especially its capital city, enjoyed a reputation of licentiousness […], public space has always been strictly regulated. Indecent exposure as well as indecent assault remained liable to prosecution, in the case of homoor heterosexual relations.« (Tamagne, Florence: Paris: ›Resting on its Laurels?‹ In: Cook, Matt; Evans, Jennifer V. (Hg.): Queer Cities, Queer Cultures. Europe since 1945, London, New Delhi, New York und Sydney 2014, S. 240–261; hier: S. 241); zu London schreibt Norton: »Narrowly defined, homosexuals have of course existed during all periods of history, but it was not until about 1700 that gay men began to gather together within a structured social organisation which we can properly call a subculture. What is not widely recognised is that 250 years ago, there was a thriving gay subculture in England, and that there were actually more gay clubs and pubs in the heart of London in the early 1720s that there were in the 1950s when Parliament began to debate the consequences of reforming the laws against homosexuality.« (Norton 1992, S. 9).
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III.3.1 Mode und Körpersprache als Ausdruck einer queeren Semiotik (I): Macaronis, Dandys, Gay Machos und ›Tunten‹ Im Dokumentarfilm Paris is Burning886 , der 1990 auf dem Toronto Film Festival sein Debüt feierte, gewährt die US-amerikanische Regisseurin Jenny Livingston (*1962) einen Einblick in die sogenannte drag ball culture887 bzw. ballroom culture (dt. Travestie und (Tanz-)Ballkultur) von queeren PoC888 aus dem ärmlichen Stadtteil Harlem im New York der späten 1980er-Jahre – die Ursprünge der ballroom culture reichen bis in die 1920erJahre zurück.889 Für die Hauptfiguren des Films, bei denen es sich fast nur um homo- und bisexuelle sowie transidente Menschen mit afro- und lateinamerikanischen Wurzeln handelt, stellen die balls eine Art Schutz- und Rückzugsraum dar, in welchem sie ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung aufgrund des ethnischen Hintergrundes, der geschlechtlichen bzw. sexuellen Identität wie auch der sozialen Klasse zumindest kurzzeitig entfliehen können.890 Eine zentrale Rolle in diesen balls, die am ehesten als eine Mischung aus Feier und Travestie-Wettbewerb zu bezeichnen sind, spielt die modische Selbstinszenierung, die Körpersprache sowie das Spiel mit ›Geschlechtsmarkern‹: In 886 Paris is Burning. Regie: Jenny Livingston. DVD. Second Sight Films Ltd. 2009. 887 Als eines der ersten schriftlichen Dokumente, in welchem das Wort ›drag‹ (›to drag‹ meint eigentlich ›ziehen, schleppen‹) zur Beschreibung transvestitischer Bekleidung verwendet wird, gilt ein Artikel in der britischen Zeitung The Times vom 30. Mai 1870 mit dem Titel The Men in Women’s Clothes. Darin berichtet ein unbekannter Verfasser über das Verfahren gegen die Transvestiten Thomas Ernest Boulton und Frederick William Park, besser bekannt unter ihren weiblichen Namen Stella und Fanny, denen vorgeworfen wurde, sich prostituiert zu haben – es ist nicht bekannt ob Fanny und Stella sich selbst als Transvestiten oder Transgender verstanden haben, die hier verwendete Bezeichnung als Transvestiten ist der damaligen Berichterstattung entlehnt. Der Begriff ›drag‹ findet sich in der Aussage eines nicht näher benannten Zeugen: »I know what ›in drag‹ means; it is the slang for going about in women’s clothes.« (The Men in Women’s Clothes. In: The Times, 30. Mai 1870, S. 13; online abrufbar unter: https://www.thetimes.co.uk/archive/art icle/1870-05-30/13/1.html?region=global#start%3D1870-05-29%26end%3D1870-05-30%26term s%3Dclothes%26back%3D/tto/archive/find/clothes/w:1870-05-29%7E1870-05-30/1%26next%3 D/tto/archive/frame/goto/clothes/w:1870-05-29%7E1870-05-30/2 (zuletzt 11.03.2020)); obgleich die etymologische Herkunft für diese Wortbedeutung von ›drag‹ umstritten ist, deuten einige Stimmen jedoch darauf hin, dass die Bezeichnung dem Theaterumfeld entstammt: »Sense of ›women’s clothing worn by a man‹ is by 1870, perhaps originally theater slang, from the sensation of long skirts trailing on the floor (another guess is Yiddish torgn ›to wear,‹ from German tragen)« (Drag (n.). In: Online Etymology Dictionary, https://www.etymonline.com/word/drag#etymonli ne_v_37736 (11.03.2020)). 888 Das hier verwendete Akronym PoC steht für Person bzw. People of Color und meint afro-, latein- und asiatisch-amerikanische Menschen. Siehe hierzu das von Amnesty International veröffentlichte Glossar für diskriminierungssensible Sprache: https://www.amnesty.de/2017/3/1/glossar-fuer-dis kriminierungssensible-sprache (zuletzt 16.10.2019). 889 Zu den Anfängen der ballroom culture siehe Chauncey, George: Gay New York: Gender, Urban Culture, and the Makings of the Gay Male World, 1890–1940. New York 1994, S. 291–299; siehe auch Weems, Mickey: The Fierce Tribe. Masculine Identity and Performance in the Circuit, Logan (UT) 2008, S. 86–89. 890 Es sei an die im Theorieteil erwähnte und von Crenshaw und Collins geprägte Theorie der Intersektionalität erinnert, erleben die Teilnehmer_Innen der balls doch Ausgrenzung auf verschiedenen Ebenen. Vgl. Crenshaw 1989, S. 139ff; siehe auch Collins 1990.
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verschiedenen Disziplinen, wie Executive Realness oder Femme Queen Realness, treten die Teilnehmenden gegeneinander an und versuchen sowohl mit ihrer Kleidung als auch ihrer körperlichen Darbietung eine Jury davon zu überzeugen, dass sie z.B. eine erfolgreiche Führungsperson oder eine ›weibliche Frau‹ glaubhaft verkörpern können, ohne zwangsläufig dieser Berufsgruppe bzw. diesem ›biologischen‹ Geschlecht zu entsprechen. Die von Livingston für das Filmprojekt interviewte Travestiekünstlerin Dorian Corey erläutert die Essenz des Wettbewerbs am Beispiel der Kategorie der Executive Realness wie folgt: »In real life, you can’t get a job as an executive unless you have the educational background and the opportunity. Now, the fact that you are not an executive is merely because of the social standing of life. […] Black people have a hard time getting anywhere. And those that do are usually straight. In a ballroom, you can be anything you want. You’re not really an executive but you’re looking like an executive. And therefore you’re showing the straight world that ›I can be an executive. If I had the opportunity, I could be one, because I can look like one.‹«891 Für marginalisierte Menschen bietet ein ball demzufolge also die Möglichkeit, in ›Rollen‹ zu schlüpfen, die aufgrund verschiedener Faktoren, wie eben der Hautfarbe, dem sozialen Status und der geschlechtlichen bzw. sexuellen Identität, außerhalb ihrer Reichweite sind. Der Begriff der Realness meint jedoch mehr, als das bloße Nachahmen einer augenscheinlichen ›Wirklichkeit‹.892 Er beschreibt nicht nur eine äußerliche, sondern eine soziale Realität, die sich insbesondere durch ihre Fragmentierung auszeichnet: Die Kluft zwischen der ›Realität‹ einer schwarzen Transfrau oder eines lateinamerikanischen Homosexuellen aus ärmlichen Verhältnissen einerseits und der Lebenswirklichkeit einer weißen, heterosexuellen Person aus der Oberschicht andererseits wird zum thematischen Kernpunkt der balls. Obgleich die in den ballrooms stattfindende Zelebrierung von Opulenz und Statussymbolen diese Kluft auf den ersten Blick zu verhüllen scheint, macht sie doch vielmehr auf den Ausschluss von nicht-weißen, nicht-heteronormativen Positionen in bzw. aus bestimmten kulturellen sowie wirtschaftlichen Sphären aufmerksam.893 Trotz allem Hedonismus sind sich die Teilnehmenden der balls dabei ihrer pre891 Paris is Burning. Regie: Jenny Livingston. DVD. Second Sight Films Ltd. 2009, TC: ab 00:14:20. 892 So verdeutlicht etwa Shon Faye nochmals die weitaus komplexere Bedeutung des Terminus: »›Realness‹ has become a beloved password among modern drag queens and their gay audiences. But what is often forgotten in modern use of the term is that, in fact the word ›realness‹ in Paris is Burning means the very opposite – it is not just a sassy by-word for a convincing costume but a tragicomic disguise of the chasm between what is being emulated and what is absent (namely racial justice, class equality and safety). ›Realness‹, in this sense, ought to be as harrowing as it is captivating and enchanting.« (Faye, Shon: Looking at Paris is Burning 25 years after its Release [23.08.2016]. In: Dazed Digital, https://www.dazeddigital.com/artsandculture/a rticle/32530/1/looking-at-paris-is-burning-25-years-after-its-release (zuletzt 17.10.2019)). 893 Es sei auf Jackie Goldsby verwiesen, die über Paris is Burning schreibt: »The trope of ›realness‹ derives its charge from the gesture of erasure precisely because the marks of race, class, and sexuality limn these image(s) indelibly and cannot be suppressed no matter how hard the children [gemeint sind die Szenemitglieder, NM] try. At the same time, the improbability of the synthesis that is drag reframes just what is liminal in the term of the ball world. Dislocating the
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kären Situation innerhalb einer von institutionellem Rassismus sowie institutioneller Misogynie und Homophobie durchzogenen Gesellschaft, die einen ›Schutzraum‹ überhaupt erst nötig macht, stets bewusst. Dieses Bewusstsein über die Doppelbödigkeit und Fragmentierung des Realitätsbegriffs, in welchem die von Barthes in seiner Vorlesungsreihe über Die Vorbereitung des Romans (1978–1980) vorgenommene Differenzierung zwischen ›dem Realen‹ und ›der Realität‹ widerhallt894 , spiegelt sich auch im Modeverständnis der ballroom-Szene wider: Hat die Mode895 im gesamtgesellschaftlichen Kontext vorrangig eine identitätsstiftende und damit sogleich separierende bzw. strukturierende Funktion, unterwandert die ball culture ebendiese Ordnungsfunktion durch ihre Fokussierung auf das performative Potential von Mode. Oder anders gesagt: Mode wird als arbiträres Blendwerk einer künstlichen Ordnung enttarnt und in camper Manier rekontextualisiert bzw. appropriiert, um eine neue ›queere Un-Ordnung‹ zu schaffen. Die in Paris is Burning festzustellende Strategie einer queeren Appropriation und Umdeutung von »vestimentären Codes«896 , um nochmals Barthes zu bemühen, ist zentraler
opposition of male/female, colored/white, power/disenfranchisement, margin/center, the aislecum-runway at the Imperial Elks Lodge (where many of the competitions were filmed) becomes a path in to the psyche of ball culture; its logic unfolds in subversive splendor.« (Goldsby, Jackie: Queens of Language. Paris is Burning, in: Gever, Martha; Parmar, Pratibha; Greyson, John (Hg.): Queer Looks. Perspectives on Lesbian and Gay Film and Video, New York und London 1993, S. 108–116; hier: S. 110). 894 Barthes formuliert die Trennung der beiden Begriffe wie folgt: »›Das Reale ist das, was sich beweisen lässt‹, während ›die Realität zum Trugbild gehört.‹« (Barthes, Roland: Sitzung vom 17. Februar 1979. Effekt des Realen oder vielmehr Realitätseffekt (Lacan) et al., in: Ders.: Die Vorbereitung des Romans. Vorlesung am Collège de France 1978–1979 und 1979–1980, übers. von Horst Brühmann, Frankfurt a.M. 2008, S. 126–135; hier: S. 126 (zitiert aus Fußnote 167)). 895 Die Verwendung des Wortes »Mode« folgt hier Barthes, der sich in Die Sprache der Mode (zuerst 1967) mit dem Verhältnis von realer und ge- bzw. beschriebener Mode auseinandersetzt. Für den Philosophen steht der Begriff der Mode darin in einer unmittelbaren »Bedeutungsrelation« zur Kleidung (»Welt, [Mode] Kleidung«). (Barthes, Roland: Die Sprache der Mode. Frankfurt a.M. 1985, S. 32 und S. 35); siehe hierzu auch Emily J. Rozier, die sich mit ihrer Definition von Mode auf SarahGrace Heller bezieht: »Fashion does not simply refer to the wearing of clothing, or even to an interest in personal adorment and finery. Instead, fashion is the creation of, and adherence to, a codified approach to sartorial display in which there is an established, and yet constantly metamorphosing, popular concept of what constitutes stylish dress. Fashion is thus a unifying force, in that its followers must adhere to the sartorial aesthetic in vogue at the time, which is based on a consistent desire for constant and systematic change.« (Rozier, Emily J.: Fashion. In: Classen, Albrecht (Hg.): Handbook of Medieval Culture. Fundamental Aspects and Conditions of the European Middle Ages, Volume 1, Berlin und Boston 2015, S. 415–431; hier: S. 415); vgl. Heller, Sarah-Grace: Fashion in Medieval France. Cambridge 2007, S. 8–10. 896 Barthes meint damit die Gesamtheit aller »Bedeutungsebenen« der Mode: »Die Analyse muss also in die Tiefe gehen und hat die Bedeutungsebenen herauszuarbeiten, die sich in der Modeaussage überlagern. Wenn sich nun andererseits herausstellen sollte, dass sich sämtliche vestimentären Zeichen nach einem System von Differenzen anordnen, so ließe sich in der geschriebenen Kleidung die Präsenz eines vestimentären Codes entdecken, in dem eine Klasse von Signifikanten (die Kleidung) das Passende (le valant-pour) zu einer Klasse von Signifikaten wäre (der Welt oder der Mode).« (Barthes 1985, S. 35 (Kursivschreibung aus dem Original übernommen, NM)).
III. Hauptteil
Aspekt dieses wie auch des nachfolgenden Unterkapitels, wobei sich letzteres vornehmlich auf das Modephänomen der Travestie konzentriert. Vorweg geht es aber darum, aufzuzeigen, wie es zu einer immer strikteren Trennung zwischen ›männlicher‹ und ›weiblicher‹ Kleidung kommen konnte, da sich dieser Prozess einer Vergeschlechtlichung der Mode als essenziell für die Entstehung der queeren Inszenierungsstrategie modischer Übertretungen erweisen soll.897 In ihrem Artikel From Ambiguity to Ambivalence: A Dionysiac Excursion Through The ›Anakreontic‹ Vases (1990) beschäftigen sich Françoise Frontisi-Ducroux und François Lissarrague mit antiken Vasenmalereien sogenannter ›Anakreonten‹. Dabei handelt es sich um einen oftmals wiederkehrenden Figurentypus, der nach dem berühmten Dichter Anakreon (gestorben 495 v. Chr.) benannt ist; der Autor und die Autorin machen allerdings gleich zu Beginn ihres Aufsatzes deutlich, dass Anakreon im Gegensatz etwa zu den olympischen Gottheiten über keine feste Ikonographie verfügt und daher im Rückschluss nicht zwangsläufig jede diesem Typus ähnelnde Figur als Anakreont bezeichnet werden kann.898 Anakreon, der einst am Hofe des Tyrannen Polykrates in Samos tätig gewesen sein soll, befasste sich in seiner Dichtkunst zumeist mit dionysischen Genüssen und wurde oftmals als bärtiger Mann dargestellt, der auf einem Barbitos spielt, in einen langen Chiton mit Überwurf (Himation) gekleidet ist – laut Herodot eine verweiblichende bzw. verweichlichende Kleidung899 – und eine antike Mitra trägt.900 Bei Letzterem handelt es sich um eine aus Persien stammende Kopfbedeckung in Form eines Turbans oder auch Stirnbands, die im antiken Griechenland mit weiblichen und ›orientalischen‹ Konnotationen einherging.901 Es ist die Kombination aus der Gewandung und der Kopfbedeckung, welcher dieser Version Anakreons etwas dezidiert
897 Am Beispiel zweier Sonderpositionen in der Geschichte der Männermode – Macaronis und Dandys – soll verdeutlicht werden, wie es ab dem 18. Jahrhundert und insbesondere ab der Französischen Revolution zu einer zunehmenden Vermengung von Mode, Effeminiertheit und gleichgeschlechtlichem Begehren kam. Danach folgt eine kunst- bzw. bildhistorische Analyse ausgewählter Werke, anhand derer verschiedene Strategien zur Verqueerung bzw. (Homo-)Sexualisierung vestimentärer und auch gestischer Codes offengelegt werden sollen: Zum einen erfolgt eine Auseinandersetzung mit Henrik Olesens Arbeit Some Faggy Gestures von 2007/08 (Abb. 123.1), einem Werk, in dem es zuvorderst um die Rekontextualisierung und Bedeutungsverschiebung von historischen Elementen der Männermode und einer ›männlichen‹ Körpersprache geht. Zum anderen soll es auch um queere Modeerscheinungen des 20. Jahrhunderts gehen, wie etwa der Hinwendung zu einer hypermaskulinen Ästhetik – hier am Beispiel von Hal Fischers fotografischer Studie Gay Semiotics von 1977 (Abb. 124) und Lars Theuerkauffs Gemälde ADIDAS 12 von 2012 (Abb. 125) – und dem diesem Ansatz diametral gegenüberstehenden Konzept des effeminierten Mannes – dies wiederum am Beispiel einer Fotografie von Arka Patra (Abb. 126). 898 Siehe Frontisi-Ducroux, Françoise; Lissarrague, François: From Ambiguity to Ambivalence: A Dionysiac Excursion Through The ›Anakreontic‹ Vases. In: Halperin, David M. et al. (Hrsg): Before Sexuality. The Construction of Erotic Experience in the Ancient Greek World, Princeton (NJ) 1990, S. 211–257; hier u.a.: S. 212, S. 214 und S. 216. 899 Zu den weiblichen Konnotationen des langen Chitons und dem Himation, welche sich erst im späteren Verlauf der Antike entwickelt haben und keineswegs allgemeingültig sind, siehe Herodot 2002, I:155 (S. 191). 900 Vgl. Frontisi-Ducroux und Lissarrague 1990, S. 214 sowie Abbildung 7.6 auf S. 237. 901 Vgl. ebd., S. 212f und S. 220.
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Feminines verleiht.902 In Entsprechung dazu wurden auch die unter der Bezeichnung der ›Anakreonten‹ subsumierten Figuren in ähnlicher Weise dargestellt: bärtige Männer deren Kleidung und Attribute weiblich konnotiert waren (vgl. Abb. 114).903 Die Gestaltung Anakreons wie auch der ›Anakreonten‹ erinnert stark an die bereits besprochene geschlechtlich ambivalente Figur des Dionysos Sardanapalus (vgl. Abb. 26), dessen ›weibliches‹ Gewand ebenfalls im Kontrast zu seinem Bart steht.904 Es ist diese Diskrepanz zwischen ›männlicher‹ Behaarung und weiblich konnotierter Kleidung, die zum zentralen ikonographischen Aspekt des ›Anakreonten‹-Typus wird.905 Diese Parallelen zwischen Anakreon bzw. ›Anakreonten‹ und Dionysos sind kein Zufall: Während die Verbindung zwischen Anakreon und Dionysos vermutlich auf die hedonistische Themenauswahl des Dichters zurückzuführen ist, bringen Frontisi-Ducroux und Lissarrague die ›Anakreoten‹ mit dionysischen Festlichkeiten in Verbindung, in denen die männlichen Bürger Athens dem Weingott huldigten, indem sie sich durch das Tragen ›weiblicher‹ Kleidung seiner geschlechtlichen Ambivalenz anzunähern suchten, ohne dabei jedoch ihre Maskulinität einzubüßen.906 Dieser kleine Exkurs in die griechische Antike verdeutlicht zwei Punkte, die im Folgenden von Bedeutung sind: 1. Obgleich der vestimentäre Code griechisch-antiker Mode keine derart strikte Geschlechtertrennung kannte, wie sie sich etwa in der gegenwärtigen Kultur manifestiert, lässt sich am Beispiel des Dionysos und des ›Anakreonten‹Typus dennoch festhalten, dass es auch in der Antike Kleidungsstücke mit geschlechtsspezifischen Konnotationen gab. 2. Die Schlussfolgerungen, welche ein Mensch im antiken Griechenland aus dem ›Bruch‹ mit geschlechtsspezifischen Kleidungselementen zog, unterscheiden sich insofern vom zeitgenössischen Modediskurs, als die heute gängige Verquickung von femininem Auftreten und männlich-männlicher Sexualität damals noch nicht bestand. Diese Annahme wird durch die Teilnahme der Anakreonten an den dionysischen Festlichkeiten gestützt, in denen das Element der Travestie Bestandteil kultischer Handlung und damit auch Ausdruck einer normierten Männlichkeit gewesen zu sein scheint. Zudem sei erneut an den spätantiken Dialog von Lukian von Samosate bzw. Pseudo-Lukian erinnert, in welchem der Verfechter der Päderastie als hyperviril
902 Siehe ebd., S. 217. 903 Neben der Mitra gehörte u.a. ein skiadeion, eine Art Sonnenschirm, zu diesen Attributen. Vgl. ebd., S. 212f. 904 Aghion, Barbillon und Lissarrague 2000, S. 108; siehe auch Frontisi-Ducroux und Lissarrague 1990, S. 232. 905 Frontisi-Ducroux und Lissarrague schreiben dazu: »As for the ›Anakreontic‹ figures themselves, these male adults who clothe their hirsute maleness in women’s garb, they do not for all that become effeminate, and they give up nothing of their masculinity. […] By appropriating certain signs of the feminine, they show themselves off to be ambisexed beings, striving to transcend gender categories.« (Frontisi-Ducroux und Lissarrague 1990, S. 228f); zum Thema anakreontischer Vasen siehe auch Miller, Margaret C.: Reexamining Transvestism in Archaic and Classical Athens: The Zewadski Stamnos, in: American Journal of Archaeology. Band 193 (Nr. 2, April 1999), S. 223–253. 906 Vgl. Frontisi-Ducroux und Lissarrague 1990, S. 228f und S. 231f.
III. Hauptteil
und der Verteidiger der gegengeschlechtlichen Liebe als effeminiert beschrieben werden.907 Bis hierhin lässt sich im Hinblick auf die Bedeutung der Mode in der Antike festhalten, dass ›weibliche‹ Modeelemente bei Männern noch nicht zwangsläufig mit männlich-männlichem Begehren in Verbindung gebracht wurden und, dass die modische Differenzierung zwischen den Geschlechtern zwar vorhanden aber weitaus weniger strikt war.908 Zu Beginn des 14. Jahrhunderts etablierten sich jedoch schrittweise zwei sehr unterschiedliche (Mode-)Silhouetten für Männer und Frauen: Während im 13. Jahrhundert sowohl für Männer als auch für Frauen noch ein langes Obergewand verbreitet war (der Tappert bzw. Houppelande), zeigten die Männer bald schon immer mehr (behostes) Bein und prägten damit eine bis ins 20. Jahrhundert als ›männlich‹ konnotierte Silhouette.909 Diese zunehmende modische Geschlechtertrennung ging auch mit klaren Regelungen und Verboten einher: Kleidete sich ein Mann in ›weiblicher‹ bzw. eine Frau in ›männlicher‹ Kleidung, so galt dies als Vortäuschung einer falschen Identität.910 In diesem Zusammenhang sei etwa auf die historische Figur der Jeanne d’Arc (1412–1431)
907 Über den Verfechter der Frauenliebe (Charicles) heißt es in den Erôtes des Pseudo-Lukian: »Charicles a young man from Corinth who is not only handsome but shows some evidence of skillful use of cosmetics, because, I imagine, he wishes to attract the women« (Pseudo-Lucian 1967, S. 163 bzw. Absatz 9) Dementgegen heißt es über den Befürworter der Knabenliebe (Callicratidas): »Callicratidas, the Athenian, a man of straightforward ways. For he was pre-eminent among the leading figures in public speaking and in this forensic oratory of ours. He was also a devotee of physical training, though in my opinion he was only fond of the wrestlingschools because of his love for boys.« (Ebd.); vgl. auch Halperin 2004, S. 89–92 und S. 111f; vgl. zudem Kapitel II.2.2. 908 In der Bibel (Dtn 22,5) wird Transvestitismus allerdings seit jeher scharf verurteilt: »Eine Frau soll nicht die Ausrüstung eines Mannes tragen, und ein Mann soll kein Frauenkleid anziehen; denn jeder, der das tut, ist dem Herrn, deinem Gott, ein Greuel.« (Dtn 22,5). 909 Katherine L. French erläutert hierzu: »By the fourteenth century, men’s and women’s clothing was increasingly differentiated. Men typically wore three layers of clothing. Underclothes consisted of linen breeches, a shirt, and hose for the legs. […] Over the underclothes went a doublet, a buttoned hip-length jacket. Covering both layers was a final coat or gown, often called a houppelande. Young men began to leave off the houppelande in the fourteenth century, in order to show off tight-fitting doublets that displayed their legs and emphasized their torsos. […] By the fifteenth century the houppelande had disappeared altogether. […] At the same time men gave up the houppelande, women changed to gowns, a more form-fitted garment that emphasized the waist and the wearer’s height. Thus by the fourteenth century, both genders wore close-fitting but differentiating garments.« (French, Katherine L.: Genders and Material Culture. In: Bennett, Judith M.; Karras, Ruth Mazo (Hg.): The Oxford Handbook of Women and Gender in Medieval Europe. Oxford et al. 2013, S. 197–213; hier: S. 199); vgl. zudem Rozier 2015, S. 420; sowie Arvanitidou, Zoi; Gasouka, Maria: Construction of Gender through Fashion and Dressing. In: Mediterranean Journal of Social Sciences. Vol. 4, Nr. 11 (Oktober 2013), S. 111–115; hier: S. 112. 910 Dies steht in Einklang mit den im Spätmittelalter vielerorts gültigen Vorschriften für standesgemäße Kleidung, die letztlich auch das Vorspielen einer falschen Identität bzw. einer falschen Standeszugehörigkeit verhindern sollten. Im Gegensatz zur geschlechtlichen Trennung wurde die vestimentäre Standestrennung jedoch zunehmend aufgeweicht bzw. ignoriert. Siehe Wilson, Laurel Ann: Status. In: Heller, Sarah-Grace (Hg.): A Cultural History of Dress and Fashion: In the Medieval Age, Band 2 von 6, London et al. 2017, S. 107–125; hier: S. 114–119.
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verwiesen, deren Wagemut, sich in ›männliche‹ Gewänder zu kleiden zwar nicht alleine ausschlaggebend für ihre Verurteilung zum Tode auf dem Scheiterhaufen war, aber doch eine wichtige Rolle in ihrer auf Häresie lautenden Anklage spielte.911 Ähnlich wie die Sodomie wird auch der Transvestitismus implizit als Umkehrung der ›göttlichen Ordnung‹ verstanden und somit zu einer weiteren Facette der Häresie – Frauen, die sich ›männlich‹ kleideten, wurde unterstellt, dass sie nach den Privilegien und der Macht der Männer strebten.912 Im Gegensatz zum prominenten Beispiel der Jeanne d’Arc existieren über Männer in Frauenkleidung zur Zeit des Mittelalters nur wenige Überlieferungen. Wenn überhaupt tauchten transvestitische Männer zumeist nur in einem ›geschützten‹ Kontext, wie etwa dem Theater oder dem Karneval auf, in welchem das Tragen von ›weiblichen‹ Gewändern als Aspekt einer normierten Kulturpraxis erachtet wurde.913 David Lorenzo Boyd und Ruth Mazo Karras berichten in ihrem Aufsatz »Ut cum muliere«: A Male Transvestite Prostitute in Fourteenth-Century London (1996), über einen der wenigen dokumentierten Gerichtsfälle eines männlichen Transvestiten: Nach der Verhaftung der Sexarbeiter_In Eleanor Rykener im Jahr 1349 stellte die Obrigkeit fest, dass die Angeklagte als John Rykener geboren wurde und scheinbar nicht nur beständig zwischen ihrer bzw. seiner männlichen und weiblichen Persona wechselte, sondern zugleich mit Männern und Frauen Geschlechtsverkehr hatte.914 Bemerkenswert dabei ist, dass das Gericht sich weniger auf den Tatbestand der Prostitution bzw. der Sodomie konzentrierte – der eigentliche Grund für die Inhaftierung –, als vielmehr auf die Frage nach der ›wahren‹ Geschlechtsidentität von John/Eleanor Rykener.915 Es ist also vor allem die geschlechtliche Transgression, die Rykener zur Last gelegt wurde: Seine Selbstdarstellung als Frau – »[h]e commits the sex act ›modo muliebri‹ (›in a womanish manner‹)« – und seine Bereitschaft die ›weibliche Rolle‹ beim Sex einzunehmen – »men have sex with him ›ut cum muliere‹ (›as with a woman‹)« –, sind die zentralen Punkte der Anklageschrift.916 911
Siehe French 2013, S. 203; laut E. Jane Burns, die sich in ihrer Lesart auf Marjorie Garber stützt, verstand Jeanne d’Arc sich trotz ihrer männlichen Kleidung aber keineswegs als Mann: »Joan’s intent was never to deceive […] Rather, Joan identified herself throughout the trial as a women in man’s clothes. It was the very indeterminacy of her position, according to Marjorie Garber, the fact that she insisted on being both a woman and a man simultaneously, visibly and publicly, that so disturbed her accusers.« (Burns, E. Jane: Gender and Sexuality. In: Heller, Sarah-Grace (Hg.): A Cultural History of Dress and Fashion: In the Medieval Age, Band 2 von 6, London et al. 2017, S. 87–107; hier: S. 88); vgl. auch Garber, Marjorie: Vested Interests: Crossdressing and Cultural Anxiety. New York 1992, hier: S. 217–217. 912 Siehe French 2013, S. 203; siehe auch Boyd, David Lorenzo; Karras, Ruth Mazo: »Ut cum muliere«: A Male Transvestite Prostitute in Fourteenth-Century London, in: Fradenburg, Louise; Freccero, Carla (Hg.): Premodern Sexualities. New York und London 1996, S. 99–116; hier u.a.: S. 107f und S. 109. 913 Siehe French 2013, S. 203. 914 Es wird allerdings spezifiziert, dass der Sex mit Frauen unentgeltlich gewesen sei, wohingegen der ›sodomitische Akt‹ mit Männern immer nur gegen Bezahlung erfolgte. Siehe Boyd und Karras 1996, S. 101f und S. 103; siehe überdies French 2013, S. 203f. 915 Boyd und Karras 1996, S. 109. 916 In den Dokumenten werden männliche Pronomen verwendet. Boyd und Karras erläutern: »His ›error,‹ to use a medieval phrase, was not primarily, then, that he committed these ›sins,‹ [sodomy and prostitution, NM] but, rather, that he renounced his male body and the privilege
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Die konstante Gleichsetzung des Angeklagten mit einer Frau ist nicht nur alleine auf seine weibliche Erscheinung zurückzuführen, sondern spiegelt auch ein bereits in Peter Damians Liber Gomorrhianus (um 1051) äußert präsentes Verständnis von Sodomie wider, nach welchem der passive Partner durch die anale Penetration stets ›feminisiert‹ – sprich zur Frau gemacht – würde.917 Trotz dieser Parallelen können hinsichtlich der Singularität dieses Falles sowie dem Unwissen über den Ausgang des Prozesses918 keine Schlussfolgerungen über die Relation von gleichgeschlechtlicher Sexualität und modischer Effeminiertheit im Mittelalter gezogen werden.919 Nichtsdestotrotz lässt sich sowohl am Beispiel von John/Eleanor Rykener als auch von Jeanne d’Arc erkennen, dass Übertretungen der Geschlechterrollen, im sexuellen wie auch im modischen Sinne, im Mittelalter schon weitaus problematischer gesehen wurden als noch in der Antike. Eine Verunklärung der Geschlechter wurde nicht nur als Störung der ›göttlichen Ordnung‹ aufgefasst, sondern als Verrat an der männlichen Vormachtstellung: Während der mittelalterliche Geschlechterdiskurs ›maskulinisierte‹ Frauen mehr oder weniger ›nur‹ als Usurpator_Innen erachtete, die sich unerlaubterweise männlicher Privilegien ermächtigen wollten, galten Männer, welche sich ›wie Frauen gaben‹, als weitaus größere Bedrohung, da sie den Anspruch hegemonialer Männlichkeit zu untergraben drohten.920 Wie angesichts dieser Beobachtungen deutlich wird, stellt das Mittelalter einen wichtigen Entwicklungsschritt in der allmählichen ›Vergeschlechtlichung‹ der Mode dar. Die im Spätmittelalter zunehmende vestimentäre Geschlechterdifferenzierung spitzt sich mit Anbeginn der Neuzeit immer weiter zu und kulminiert schließlich in der Französischen Revolution, die laut Barbara Vinken auch eine Moderevolution war, die »eine segregationistische Gesellschaft hervor[brachte], deren schärfste Trennungslinie nicht mehr horizontal – Adel oder Nichtadel – verlief, sondern vertikal – Mann oder Frau.«921 Diese ›neue‹ modische Demarkationslinie wurde bereits im Vorfeld der Französischen Revolution von Seiten des zunehmend mächtiger werdenden Bürgertums instrumentalisiert und zur bewussten Diskreditierung eines fortan als ›effeminiert‹ gebrandmarkten Adels verwendet: Die sorgsam kuratierte monarchische Selbstinszenierung versinnbildlichte aus bürgerlicher Perspektive nicht so sehr die vermeintliche Erhabenheit des absolutistischen Adels, als vielmehr dessen ›Unnatürlichkeit‹ und ›Effeminiertheit‹. Letzterer Begriff ist gleichwohl im antiken Sinne zu verstehen und meint
that masculine morphology entailed, a renunciation that allowed these sins subsequently to take place.« (Boyd und Karras 1996, S. 109). 917 Siehe ebd., S. 107, S. 109 und S. 113 (Fußnote 16); zu Peter Damian siehe auch Jordan 1997, S. 45–66. 918 Die Anklageschrift ist das einzig überlieferte Dokument. 919 Siehe Boyd und Karras 1996, S. 110. 920 Bei Boyd und Karras heißt es: »The male-dominated medieval social order, built upon clearly delineated and constantly reenforced [sic!] gender roles, naturalized and maintained these roles through a variety of practices: differences in dress, mannerism, sexual position and activities […] legal rights, and duties all functioned to distinguish the masculine from the feminine. Male cross-dressing undermined the male dominance and status that these practices created, exposing gender roles as performative and constructed.« (Ebd., S. 109). 921 Vinken, Barbara: Mode nach der Mode. Frankfurt a.M. 1993, S. 18; vgl. Arvanitidou und Gasouka 2013, S. 112.
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weiblich konnotierte ›Unarten‹ bzw. ›Mängel‹ wie Arroganz, Affektiertheit, Faulheit und Verschwendungssucht.922 Eine beispiellose Veranschaulichung der vom Bürgertum als unnatürlich und exzessiv diffamierten Auswüchse der Aristokratie findet sich in Hyacinthe Rigauds Paradebildnis Louis XIV. (Abb. 115): Dieses überlebensgroße Gemälde, das den absolutistischen Herrscher mit aufgetürmter Allongeperücke, üppigem Krönungsornat sowie in die Hüfte gestemmtem Arm zeigt (engl. ›arms akimbo‹) – eine von bürgerlichen Kritiker_Innen als affektiert und aristokratisch verurteilte Pose, die Macht und Körperkontrolle symbolisieren sollte923 –, visualisiert die geballte Künstlichkeit eines Adels, der sich angesichts sozialer Umbrüche in seiner Rolle als ›über-natürliche‹ bzw. ›über-menschliche‹ und von Gott eingesetzte gesellschaftliche Ordnungsinstanz zunehmend bedroht sah. So argumentiert etwa auch King in seinem Aufsatz Performing ›Akimbo‹: Queer Pride and Epistemological Prejudice (1994), dass sich die adlige Oberschicht Englands als Reaktion auf den stetigen Machtzuwachs des Bürgertums und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust im 17. und frühen 18. Jahrhundert in einen Rausch aus absoluter Künstlichkeit flüchtete und einen ›aristokratischen Körper‹ formte, der gänzlich jenseits der übrigen Klassen stand bzw. stehen sollte.924 Der Autor setzt die sich zuspitzende Differenzierung zwischen adliger und nicht-adliger Mode und Körpersprache hierbei in Zusammenhang mit der Regierungszeit des frankophilen Charles I. (1600–1649), der neben seinen Söhnen Charles II. (1630–1685) und James II. (1633–1701) zu den letzten englischen Königen gehörte, die gegen das Parlament aufbegehrten und wieder eine absolutistische Herrschaftsform wie in Frankreich einführen wollten.925 Obgleich King sich hier 922 King verweist im Zusammenhang mit dem Terminus der ›Effeminiertheit‹ auf den englischen Naturphilosophen John Bulwer (1606–1656), der sich in seinen Werken Chirologia und Chironomia (1644) mit dem Phänomen der Handgestik auseinandergesetzt hat: »For John Bulwer, ›effeminacy‹ had several implications. Occasionally, he used this or similar terms misogynistically to describe the presence in men of behaviors that he attributed to women. More frequently, he used the term effeminacy to describe the arrogance, affectation, and sloth of the ruling classes, and what he perceived as their difference from the bourgeois values of dependability and productivity. […] [For Bulwer] gestural excess, then, was the lowest common denominator of all sorts of effeminacy.« (King 1994, S. 26f); vgl. auch Bulwer, John: Chirologia: Or the Natural Language of the Hand and Chironomia: Or the Art of Manual Rhetoric, hg. von James W. Cleary, Carbondale 1974 (zuerst 1644) u.a. S. 219. 923 Vgl. King 1994, S. 25 und S. 30. 924 Siehe ebd., S. 24f; vgl. Kapitel II.4.2. 925 Siehe ebd., S. 25; laut Maria Hayward wurde die Vorliebe Charles I. für Kleidung im französischen Stil von seinen politischen Feinden sogleich als Anzeichen von Schwäche und Effeminiertheit gedeutet: »For Charles I, suits of satin, pastel colours, and elegant, softer tailoring was the opposite of his father’s court and all it represented. While he undoubtedly considered this shift in positive terms, Charles I’s critics found plenty to vilify including the effeminate, luxurious [sic], and Francophile nature of his wardrobe.« (Hayward, Maria: Virtue and Vice: Clothing and Kingship at the Courts of Charles I and Charles II (1625–85), in: Brachmann, Christoph (Hg.): Arrayed in Splendour. Art, Fashion, and Textiles in Medieval and Early Modern Europe, Turnhout 2019, S. 199–219; hier: S. 218); wie Hayward an anderer Stelle mit einem Zitat des zeitgenössischen Dichters Richard Braithwait belegt, wurde Männerkleidung aus ›weichen‹ Stoffen, wie z.B. Satin, schon damals von vielen als ›effeminiert‹ wahrgenommen: »Charles I. was noted for the formality of his court and his household, yet the style of doublet and breeches that he
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vorrangig mit der englischen Aristokratie auseinandersetzt, weist die von ihm behandelte Entwicklung signifikante Parallelen zu anderen europäischen Ländern auf: So war das Konzept eines über der Natur stehenden ›aristokratischen Körpers‹, der nach dem damaligen Selbstverständnis des Adels nicht das Produkt einer Verweiblichung, sondern einer apotheotischen Überhöhung war und sich in der Körpersprache (›arms akimbo‹) wie auch im Kleidungsstil (Allongeperücke etc.) ausdrücken sollte, doch gerade im Kontext des französischen Absolutismus von gravierender Bedeutung. Doch entgegen der eigentlichen Intention des Adels, sich als ›über-menschlich‹/›über-natürlich‹ stilisieren zu wollen, war es letzten Endes das Bürgertum, welches im Hinblick auf England mit der Glorious Revolution (1688/89)926 und im Hinblick auf Frankreich mit der Französischen Revolution (1789/99) die gesellschaftliche Deutungshoheit an sich reißen und damit maßgeblich die (Fremd-)Wahrnehmung der aristokratischen Klasse bestimmte konnte.927 Das von der Aristokratie zur Legitimierung ihres Machtanspruches kultivierte (Selbst-)Bild einer von der übrigen Gesellschaft entrückten sozialen Schicht galt nach der nun vorherrschenden bürgerlichen Lesart nicht länger als ›über-natürlich‹, sondern als ›un-natürlich‹ und wurde zunehmend mit ›Perversionen‹ wie Effeminiertheit und Sodomie in Verbindung gebracht.928 Der durch die Französische Revolution eingeläutete Wechsel von einer feudalen zu einer postfeudalen Gesellschaft und die dadurch beförderte Diskreditierung des Adels wird in modischer Hinsicht insbesondere durch das Auftauchen des bürgerlichen Anzugs (der habit noir) markiert.929 Der habit noir ist unmittelbarer Ausdruck der bürgerlichen Auflehnung gegen das System der absolutistischen Monarchie und repräsentiert eine zurückgenommene Ästhetik jenseits des adligen Prunks sowie aller damit verbundenen ›Ausartungen‹ – auch wenn gemeinhin die Französische Revolution als bedeutendster Meilenstein in der Entstehung dieser neuen bürgerlichen Ästhetik genannt wird, gin-
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favoured were softer and more comfortable than those favoured at the Jacobean court. While Charles undoubtedly considered this to be a ›decent‹ style, others including Richard Braithwait stated that ›soft Clothes introduce soft Mindes. Delicacy in the habit begets an effeminacy in the heart.‹« (Ebd., S. 216f); vgl. auch Braithwait, Richard: The English Gentleman and Gentlewoman. London 1641, S. 278. Mit der Glorious Revolution, die zur Absetzung von King James II. führte, der für eine absolutistische Herrschaftsform im Stile Louis XIV. plädierte, gelang es den Engländern bereits 100 Jahre vor der Französischen Revolution den Absolutismus in England abzuschaffen und durch ein parlamentarisches Regierungssystem zu ersetzen. Zur Vorgeschichte sowie den gesamteuropäischen Konsequenzen der Revolution von 1688 siehe Pincus, Steven C. A.: 1688: The First Modern Revolution, New Haven und London 2009. King schreibt hierzu: »Aristocratic self-display became resistantly represented by the bourgeoisie as empty shows, dissimulations concealing a lack of social being. […] The aristocratic adoption of a studied casualness [gemeint ist hier vor allem die als affektiert geltende Körpersprache der Aristokratie, NM] as a way of marking their difference from the social body was reread by the bourgeois critics as a kind of perversion, a disjunction of the self and the social body.« (King 1994, S. 25f). Vgl. ebd., S. 29f; King macht auch darauf aufmerksam, dass die Verquickung der Aristokratie mit Sodomie bereits vor dem 17. Jahrhundert gängig war und vor allem als Symptom eines übersteigerten aristokratischen Stolzes verstanden wurde. Siehe ebd., S. 31. Siehe Arvanitidou und Gasouka 2013, S. 112.
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gen doch entscheidende Impulse für diese Entwicklung von England (Glorious Revolution etc.) aus.930 Das durch den Niedergang der Aristokratie erstarkte Bürgertum verstand sich als Antithese zu dem als künstlich und ›unnatürlich‹ wahrgenommenen Adel und gebar einen ›neuen‹ Stil, der bürgerliche Werte, wie »Reinlichkeit, Ordentlichkeit, Mäßigung, Sparsamkeit, Vernunft und Fleiß […] als eine Art Grundbedingung für die Tugendhaftigkeit [und] die Natürlichkeit« propagieren sollte.931 All diese Aspekte spiegeln sich im habit noir wider: Anstatt aus ›aristokratischen‹ Materialien wie Samt oder Seide besteht der neue, dreiteilige Anzug (Hose, Weste und Sakko bzw. Gehrock) aus schlichten Woll- und Leinenstoffen in dunklen gedeckten Farben (vgl. Abb. 116).932 Auch auf Schmuck musste der Träger des habit noir weitestgehend verzichten, lediglich Hut, Krawatte, Uhren und Gehstock galten als akzeptable Accessoires.933 Der habit noir stellt insofern einen radikalen Einschnitt in der Modegeschichte dar, als dass er die ab dem Mittelalter zunehmende Differenzierung zwischen einer ›männlichen‹ und einer ›weiblichen‹ Kleidungsform nochmals um ein Vielfaches verstärkt, indem er das ›Männergewand‹ in seiner Gestaltung sowie Materialität uniformiert und es damit gänzlich aus der Sphäre der Mode herauszulösen sucht. Der schnörkellose und nüchterne habit noir hat in erster Linie die Aufgabe, den männlichen Körper zu verhüllen und ihn dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen.934 Auch hierin lehnt sich der habit noir gegen aristokratische Modekonventionen wie die culotte auf, welche den Blick auf die Waden der adligen Träger freigaben und ihnen damit sehr wohl eine körperlich-sinnliche Dimension zugestanden.935 Zur Veranschaulichung dieser sinnlichen Körperinszenierung lohnt sich ein erneuter Blick auf Rigauds Portrait des Sonnenkönigs (Abb. 115): Obschon es sich bei dem hier dargestellten Beinkleid nicht um eine culotte, sondern um die vergleichbaren Rheingrafenhosen handelt, betonen die glänzenden Seidenstrümpfe auf dezente Weise die Fleischlichkeit des Monarchen.936 Dem steht die Konzeption des bürgerlichen Anzugs entgegen, der mittels verhüllenden Schnittes, Stehkragen und Hut einzig und allein den Kopf des Mannes als geistiges Zentrum in den Fokus rückt.937 Der ›Geschlechtscharakter‹ des Mannes wird inner930 Siehe Wolter, Gundula: Modische Männer – Stutzer, Gecken, Elegants, in: Kat. Ausst. Ridikül! Mode in der Karikatur, 1600 bis 1900, hg. von Adelheid Rasche und Gundula Wolter, Staatliche Museen zu Berlin 2003/04, Köln 2003, S. 289–312; hier: S. 292. 931 Teichert 2013, S. 55. 932 Dieser Kleidungstypus, der ab dem 19. Jahrhundert in allen westlichen Kulturkreisen verbreitetet war, ist auch Grundlage für den heute ubiquitären und ›männlich‹ konnotierten Geschäftsanzug. Vgl. ebd., S. 110ff. 933 Vgl. Weinelt, Nora: Minimale Männlichkeit. Figurationen und Refigurationen des Anzugs, in: Jüner, David; Nitsche, Jessica; Voigt, Sebastian (Hg.): Relationen – Essays zur Gegenwart, Band 5, Berlin 2016, S. 34. 934 Vgl. ebd. 935 Vgl. Teichert 2013, S. 122. 936 Vgl. Weinelt 2016, S. 31. 937 Teichert schreibt dazu: »Denn Kleidung sollte nach bürgerlicher Auffassung dem Geschlechtscharakter entsprechen und somit nicht auf den Leib des Mannes verweisen, sondern auf seinen Geist. Die durch die adligen Kniehosen betonten starken männlichen Waden und das durch den beutelförmigen Latz betonte Geschlecht wurden nun mittels der langen, weit geschnittenen ›Sansculotte‹ effektiv verborgen. Aber die bürgerlichen Männerbeine verschwanden nicht nur unter den
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halb der bürgerlichen Ideologie mit den Begrifflichkeiten des Geistes und der Rationalität verbunden. Hier kommt ein Geschlechterverständnis zum Ausdruck, das sich so bereits in der antiken Philosophie bei Platon und Aristoteles finden lässt: Dem Mann wird ein Entwicklungspotential zugestanden und damit das Vermögen, über seine körperlichen und geschlechtlichen ›Grenzen‹ hinauswachsen zu können.938 Der Frau wird dieses Potential indessen versagt, da sie dieser Theorie zufolge allein durch ihren ›biologischen‹ Körper bestimmt wird.939 Die hier zugrundeliegende und schon zuvor angesprochene Verquickung von Weiblichkeit mit Materie/Körper/Passivität und Männlichkeit mit Geist/Verstand/Aktivität ist symptomatisch für das gesamte neuzeitliche Geschlechtermodell und liefert zugleich die passende Begründung, die ›unmündige Frau‹ aus politischen Angelegenheiten fernzuhalten.940 Mit dem nüchternen habit noir findet der bürgerliche Mann letzten Endes die passende Visualisierung seiner ›neuen‹ Identität: Die starke modische Vereinheitlichung sowie das ›Verschleiern‹ des männlichen Körpers verleihen der bürgerlichen Herrenkleidung einen uniformierten Charakter, der das Bild eines massiven Staatskörpers evozieren soll.941 Die Entstehung dieser ›bürgerlichen Uniform‹ geht dabei Hand in Hand mit einem zunehmenden Normierungsdruck in der Männermode des 19. Jahrhunderts.942 Der dunkle Anzug wird zum Sinnbild einer angeblich stabilen und ›natürlichen‹ Identität, die über jeden Wandel – sei er modisch oder politisch bedingt – erhaben sein soll. Wie der Soziologe Thorstein Veblen bereits 1899 in seiner Theorie der feinen Leute anmerkt, sind es aber einzig und allein die Männer, welche zum demokratischen Idealbild des Bürgertums werden und in deren Auftreten sich dementsprechend die bürgerlichen Tugenden der Genügsamkeit und Selbstbeherrschung zeigen (vgl. Abb. 116).943 Anders als es Louis XIV. im berühmten Paradebildnis Rigauds demonstriert, ist es dem bürgerlichen Mann nun nicht mehr möglich seine Potenz am eigenen Körper zum Ausdruck zu bringen, weil er sonst Gefahr läuft in die als überwunden geglaubten Ausdrucksformen der Aristokratie zu verfallen.944 Die Aufgabe der Repräsentation kommt fortan der Frau zu: Im selben Maß wie der habit noir die Rationalität und Mündigkeit des männlichen Geschlechtscharakters untermalen sollte, oblag es nun den bürgerlichen Frauen, das zum Ausdruck zu bringen, was der Mann nicht länger zeigen durfte. Die Frauen in
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Pantalons, sie wurden vielmehr zusammen mit allem, was unterhalb der Gürtellinie lag, zur Zone des ›Unaussprechlichen‹.« (Teichert 2013, S. 122f). Vgl. Fend 2003, S. 16. Vgl. Ebd. Vgl. Honegger 1991, S. 150. Weinelt verweist auf das von Jean-Jacques Rousseau entworfene Bild einer »Gemeinschaft von Männern (›plusieurs hommes réunis‹), die sich als einen einzigen Körper betrachtet und daher auch nur einen einzigen gemeinsamen Willen – die berühmte volonté générale – vertritt.« (Weinelt 2016, S. 38); vgl. zudem Rousseau, Jean-Jacques : Du contrat social ou Principes du droit politique. In : Gagnebin, Bernard; Raymond, Marcel (Hg.) : Œuvres complètes du Jean-Jacques Rousseau, Bd. 3, Paris 1964, S. 349–685, hier : S. 437. Vgl. Teichert 2013, S. 40 und S. 114. Vgl. Veblen, Thorstein: Die Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, München 1971 (zuerst 1899), S. 136–138. Vgl. Weinelt 2016, S. 37.
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ihren kostspieligen und opulenten Roben, die sich kaum vom Protz der einstigen Aristokratie unterschieden, wurden somit zum Schauobjekt, dessen bloße Raison d’Être es war, den Reichtum des Ehemannes oder Vaters sichtbar zu machen. Diese nach bzw. mit der Französischen Revolution einsetzende Entwicklung ist, wie Nora Weinelt in ihrem Buch Minimale Männlichkeit. Figurationen und Refigurationen des Anzugs (2016) darlegt, das Ergebnis einer »begriffliche[n] Engführung von Aristokratie, Weiblichkeit und Mode. […] Die Aufgabe der Frau ist nun, was einst das Vorrecht der gefallenen Aristokratie war: die Inszenierung der reinen Oberfläche.«945 Hieraus ergeben sich zwei wichtige und miteinander verschränkte Aspekte: Einerseits spitzt sich die in westlichen Kulturkreisen seit der Antike präsente Objektivierung der Frau innerhalb des bürgerlichen Geschlechterdiskurses auf eklatante Weise zu, da die ›bürgerliche Pflicht‹ der Frau den Status ihres Mannes oder Vaters zu repräsentieren, sie nun vollends ihrer körperlichen Autonomie beraubt und ihren Leib vielmehr zum Schauplatz männlicher Potenz macht. Die kostbar ausgestattete Frau wird demzufolge zur Ausdrucksfläche bürgerlicher Subjektivität und verbleibt dabei selbst jedoch nur bloßes Objekt.946 Mit dieser ›Re-Evaluierung‹ der Frauenrolle im Bürgertum geht andererseits aber noch eine weitere Entwicklung einher: Dadurch, dass die äußerliche Repräsentation von Macht und Geld nun einzig und allein der Frau zugeschrieben wird, kommt es zu einer Feminisierung der Mode.947 Dies hat zur Folge, dass der Mann ab sofort außerhalb des Modischen steht und jeder etwaige ›modische Ausbruch‹ aus seiner ›bürgerlichen Uniform‹ sofort mit dem Verdacht der ›Effeminiertheit‹ und ›Perversion‹ bestraft wird. Zur besseren Veranschaulichung dieser letzten beiden Punkte, die essenziell für die Stellung und die Funktion von Mode innerhalb eines queeren Kontextes sind, soll die Verbindung von Kleidung, Männlichkeit und Sexualität am Beispiel zweier historischer Modegrenzgänger konkretisiert werden: den Macaronis und den Dandys. Beide Gestalten stehen exemplarisch für das zeitlose und unter vielen verschiedenen Namen bekannte Phänomen modischer Männer.948 Zunächst zu den im späten 18. Jahrhundert auftauchenden Macaronis, bei denen es sich um äußerst modische und zumeist junge adlige Männer aus England handelte, die im Zuge ihrer Ausbildung auf eine Grand Tour durch Europa geschickt wurden und nach ihrer Rückkehr in die englische Heimat insbesondere mit ihrer neu akquirierten Garderobe sowie ihrer betont ›internationalen‹ Art Aufsehen
945 Ebd., S. 36. 946 Oder, wie Vinken es zusammenfasst: »Die in der wirklichen Frau verkörperte ideale Weiblichkeit bedeutet also paradoxerweise ›Mann‹. Nur dem Mann kommt im Gegensatz zu ihr das Privileg der Bedeutung, das Privileg einer buchstäblichen Identität zu.« (Vinken, Barbara: Transvestie – Travesite. Mode und Geschlecht, in: Musen und Mythen 7 (1998), S. 39–61, hier: S. 50); siehe auch Weinelt 2016, S. 37. 947 Arvanitidou und Gasouka schreiben: »The feminization of fashion started with the fall of the aristocracy and the rise of the bougeoisie and was accelerated by the French Revolution. (Arvanitidou und Gasouka 2013, S. 112). 948 Dazu Wolter: »Der modische Mann hat viele Namen. Die Bezeichnungen können weit gefasst und über eine lange Zeitspanne gültig sein – beispielsweise Stutzer, Geck, Fashionable, Fop, Buck, Elegant, Beau, Dandy – oder ein relativ kurzlebiges, national begrenztes Phänomen meinen, wie Alamodos, Macaronis, Poodles, Muscadins oder Incroyables.« (Wolter 2003, S. 291).
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erregten. Vertraut mit ausländischen Kulturen und eingekleidet in Gewänder, die sich vornehmlich am Kleidungsstil des absolutistischen Versailler Hofes orientierten, stellten die Macaronis einen starken Kontrast zum übrigen englischen Adel dar, der sich seit der Hinrichtung von König Charles I. zunehmend von einer als absolutistisch empfundenen französischen Mode distanzierte.949 Hierzu erläutert Geoffrey Squire, dass der englische Hof seit der Hinrichtung Charles I. keine Relevanz mehr für die Modewelt gehabt hätte und dass die englische Aristokratie darüber hinaus weitaus ländlicher und weniger urban geprägt gewesen sei als ihr französisches Pendant.950 Diesen Aspekt eines StadtLand-Gefälles zwischen dem französischen und dem englischen Adel greifen auch Adam Geczy und Vicki Karaminas in ihrer Beschreibung der Macaronis auf und ergänzen dazu: »From a cultural and philosophical perspective, the macaroni flew in the face of Rousseauian naturalness and the English way of life by dressing in way that made the most of overplayed sophistication. In contrast to the eighteenth-century notion of taste – poise, balance and grace, all coalescing into the aloof yet sympathetic notion of courtly politesse – the macaroni insistently signified a way of functioning that was outside of his local social ambit«951 Die im Zitat angesprochene Fremdheit der Macaronis innerhalb der englischen Gesellschaft spiegelt sich auch in ihrem spöttischen und ›exotischen‹ Namen wider, der sich von der italienischen – sprich dezidiert nicht-englischen – Pasta (maccheroni) herleiten lässt, einer hohlen Nudel, die auf die vermeintliche Hohlheit der Macaronis anspielt.952 Zwei Karikaturen aus den Jahren 1773 (Abb. 117) und 1774 (Abb. 118) geben noch mehr Aufschluss über die zeitgenössische Wahrnehmung der Macaronis: Die erste Darstel949 Vgl. Hayward 2019, S. 218; laut Isabelle Paresys setzte sich spätestens mit der Glorious Revolution eine neue und dezidiert englische Männermode durch, die sich ganz bewusst von der französischen Männermode abgrenzte: »This informal style, based on a pared-down and sober elegance, privileged comfort and simplicity […] After the Glorious Revolution of 1688, this loose look was associated with an English male national identity and with his political liberty.« (Paresys, Isabelle: The Body. In: McNeil, Peter (Hg.): A Cultural History of Dress and Fashion. In the Age of Enlightenment, Band 4 von 6, London et al. 2017, S. 63–87; hier: S. 83). 950 Geoffrey Squire schreibt: »Since the execution of Charles I the Court had hardly counted as a focus for fashion, and English tradition has always shown a marked preference for the privacy of country and domestic life, as opposed to continental urban and public formality.« (Squire, Geoffrey: Dress Art and Society. 1560–1970, London 1974, S. 127). 951 Geczy und Karaminas 2013, S. 50; wie Peter McNeil mit Verweis auf Matthew Craske schreibt, zeichnete sich der englische Stil im 18. Jahrhundert im Gegensatz zum französischen Geschmack primär durch eine Hinwendung zur ›Natürlichkeit‹ aus: »[D]uring the eighteenth century the ›English became associated with a stylish naturalness in demeanour, dress and landscape.‹« (McNeil, Peter: Introduction. In: Ders. (Hg.): A Cultural History of Dress and Fashion. In the Age of Enlightenment, Band 4 von 6, London et al. 2017, S. 1–23; hier: S. 7; McNeil zitiert hier Craske, Mathew: Art in Europe 1700–1830. Oxford 1997, S. 161). 952 Vgl. Burde, Julia: »Miss-Gestalten« Macaronis und Dandies in Mode-Karikaturen, in: Lehnert, Gertrud; Weilandt, Maria (Hg.): Ist Mode queer? Neue Perspektiven der Modeforschung, Bielefeld 2016, S. 73–87; hier: S. 74; McNeil ergänzt: »The first use of the term ›macaroni‹ appeared in actor and theatre-manager David Garrick’s play The Male-Coquette (1757), which included the foppish character ›il Marchese di Macaroni.‹« (McNeil, Peter: Pretty Gentlemen. Macaroni Men and the Eighteenth-Century Fashion World, New Haven u. London 2018, S. 19).
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lung (Abb. 117), ein koloriertes Schabkunstblatt von Philipp Dawe, zeigt einen Macaroni, der in einem mit auffällig vielen Spiegeln versehenen Ankleidezimmer tänzerisch zu posieren scheint. Neben dem reichlich gemusterten und bunten habit à la française, der aus einer gepunkteten Weste und Culotte, gestreiften Strümpfen sowie einem roten Justaucorps besteht, ist es primär die weiß gepuderte, dramatisch aufgetürmte und mit einem winzigen Dreispitz (Nivernois) bekrönte Perücke (Cadogan wig), welche die abgebildete Gestalt zweifellos als Macaroni kennzeichnet. Die Affektiertheit dieser Gewandung wird noch durch das ebenfalls stark gepuderte und mit zwei großen Schönheitsflecken versehene Gesicht sowie das am Reverse angesteckte üppige Blumensträußchen unterstrichen. Wie der Untertitel des Blattes (»The Macaroni. A real Character at the Late Masquerade«) und eine von Peter McNeil aufgeführte Alternativfassung des Stichs deutlich machen, zeigt die Darstellung »Lord P.«, der sich im Boudoir des Londoner Klubs »Pantheon« fertig macht, um einen Maskenball zu besuchen.953 Hierin äußert sich der ›große Clou‹ des Bildes: Der Macaroni muss sich nicht mehr maskieren, da er nach Ansicht des Karikaturisten bereits eine ›Maskerade‹ trage.954 Die zweite Karikatur aus dem Jahr 1774 (Abb. 118) zeigt einen Macaroni, der in der Stadt lebt und von seinem Vater, einem Landwirt, besucht wird – diese Lesart ergibt sich aus dem am unteren Bildrand stehenden Text und Titel (»What is this my Son Tom«).955 Das Gewand dieses Macaronis ist fast identisch zur Version von 1773 – der Kleidungsstil der Macaronis hatte trotz aller individualistischen Züge letztlich doch auch uniformativen Charakter956 – und sorgt insbesondere mit der pompösen Perücke für Spott bei dem ›rustikal‹ gekleideten Vater, der mit einer Reitgerte in der rechten Hand auf den die Perücke krönenden Dreispitz deutet und sich mit den linken Hand wortwörtlich den Bauch vor Lachen hält. Der Unterschied zwischen Vater und Sohn könnte dabei kaum größer sein: Während die Gestalt des aufwendig geschmückten Sohnes grazil, bisweilen tänzerisch wirkt, suggeriert der mit Reiterstiefeln und schwerem Mantel gekleidete Vater Bodenständigkeit und entspricht damit voll und ganz dem (neuen) bürgerlichen Modeverdikt von Schlichtheit und ›Natürlichkeit‹.957 In derartigen karikaturistischen Darstellungen wird der Macaroni nicht nur als Witzfigur verhöhnt, sondern zudem werden laut Gundula Wolter auch »die Ausdrucksformen des Ancien Régimes«, denen sich der Macaroni augenscheinlich bedient, »als künstlich-hohl und weichlich angeprangert«.958 Einen besonderen Fokus legen die Karikaturisten auf die extravaganten und als phallisch zu bezeichnenden Perücken, die zum pièce de résistance der Macaroni-Mode stilisiert werden.959 953 Siehe Wolter 2003, S. 295; siehe zudem McNeil 2018, S. 159. 954 Siehe auch Burde 2016, S. 75f. 955 Siehe hierzu auch die Webseite des Britischen Museums: https://research.britishmuseum.org/re search/collection_online/collection_object_details/collection_image_gallery.aspx?assetId=9662 12001&objectId=3351308&partId=1 (zuletzt 27.11.2019). 956 Vgl. Geczy und Karaminas 2013, S. 51. 957 Vgl. hierzu Paresys 2017, S. 83. 958 Wolter 2003, S. 295. 959 Dagmar Freist erläutert zu den Perücken: »Because of its extreme size and extravagance, and the latent sexual meanings traditionally associated with hair, the macaroni wig seemed to subvert traditional meanings of masculinity and ally instead with femininity and homosexuality.
III. Hauptteil
Obwohl diese Karikaturen bereits einen guten Eindruck davon vermitteln, wie die Macaroni-Mode aussah, und wie sie gesellschaftlich aufgenommen wurde, erscheint es an dieser Stelle noch sinnvoll, ein Portrait anzuführen, das ein weniger überzeichnetes Bild einer historischen Macaroni-Persönlichkeit liefert: ein um 1774 entstandenes Portrait des Dramatikers Richard Paul Jordell von Thomas Gainsborough (1727–1788, Abb. 119). Jordell wird mit den typischen Macaroni-Insignien dargestellt: Zum einen trägt er die charakteristische Macaroni-Perücke mit dem auftoupierten Haaransatz, den definierten Haarlocken und der ausladenden Haarschlaufe am Nacken. Zum anderen sind auf dem Gemälde auch die vom englischen Schriftsteller und Politiker Horace Walpole (1717–1797) als Lieblingsfarben der Macaronis deklarierten Farbtöne Lindgrün und Blassrosa zu sehen.960 Die Vorliebe für solche Pastellfarben – die nach der Französischen Revolution bald schon als effeminiert galten – steht auch im Zusammenhang mit der Frankophilie der Macaronis, da diese zarten Farben durch die ab dem 18. Jahrhundert in Frankreich immer populärer werdende Pastellmalerei des Rokokos vermehrt Verbreitung fanden.961 In der Entwicklung einer Ikonographie gleichgeschlechtlichen Begehrens und queerer Männlichkeit nimmt der unangepasste Macaroni eine zentrale Rolle ein, da er aufgrund seiner bewusst inszenierten optischen Andersartigkeit als Störfaktor in der sonst eher zurückgenommenen britischen Adelsmode gilt und damit das Außenseitertum glorifiziert. Der Macaroni ist, ohne selbst zwangsläufig gleichgeschlechtlich interessiert zu sein, sozusagen die Präfiguration des vermeintlich ›unnatürlichen‹ und ›modebesessenen‹ Homosexuellen, wie er im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts zum dominierenden (Bild-)Typus wird. Allerdings wurden die Macaronis schon von ihren Zeitgenoss_Innen mit ›Sodomie‹ in Verbindung gebracht und häufig als ›Ganymede‹ bezeichnet, eine Anspielung auf gleichgeschlechtliche Sexualität.962 Auf jeden Fall erweist sich das Macaro-
The figure of the macaroni was a catalyst for disputes over the social and moral bounds of male fashion, embodying the dangers of inauthenticity and effeminacy that excess seemed to entail.« (Freist, Dagmar: Belief. In: McNeil, Peter (Hg.): A Cultural History of Dress and Fashion. In the Age of Enlightenment, Band 4 von 6, London et al. 2017, S. 87–105; hier: S. 92f); Freist verweist auch auf Karikaturen, in denen die phallische Perücke nicht nach oben aufgestellt ist, sondern schlaff ins Gesicht hängt: »Caricaturists presented these fashionable young men with wigs turned back to front, ›so that the tail hangs down over the face like a floppy penis.‹« (Ebd., S. 92); vgl. auch McNeil, Peter: »Beyond the horizon of hair«: Masculinity, Nationhood and Fashion in the Anglo-French Eighteenth Century, in: Freist, Dagmar; Schmekel, Frank (Hg.): Hinter dem Horizont. Projektion und Distinktion ländlicher Oberschichten im europäischen Vergleich, 17.–19.- Jahrhundert, Band 2 von 2, Münster 2013, S. 79–90; hier: S. 84; während die nach oben aufgetürmten Macaroni-Perücken eine pervertierte Sexualität suggerieren, verunglimpfen die nach unten hängenden Perücken die Macaronis im doppeldeutigen Sinne als weichlich und schlaff. 960 Siehe McNeil 2018, S. 51 und S. 57. 961 Zur Pastellmalerei und Kunstschaffenden des Rokoko, wie etwa Antoine Watteau, siehe Charles, Victoria; Carl, Klaus H.: Das Rokoko. Kunst des 18. Jahrhunderts, New York 2010, S. 44ff; zur kulturgeschichtlichen Rolle der Pastellfarben siehe Gräf, Robert: Das Pastell im 18. Jahrhundert – Zur Vergegenwärtigung eines Mediums, Dissertationsschrift an der Ludwig-Maximilians-Universität München, München 1982, S. 124f und S. 132ff. 962 Siehe McNeil 2018, S. 173ff.
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ni-Phänomen als ein bedeutender Schritt in der sich ab dem 18. Jahrhundert allmählich zuspitzenden gesellschaftlichen Stereotypisierung von gleichgeschlechtlich begehrenden Männern als ›nicht authentisch‹ und ›effeminiert‹.963 Das Auftauchen der Macaronis im 18. Jahrhundert markiert überdies die Zeit, als sich die Konzeption moderner modischer Geschlechtsmarker zu verfestigen beginnt. In gewisser Weise sind die Macaronis das Bindeglied, welches Effeminiertheit, Luxus und zur Schau gestellten Protz mit (moralischer) Korruption und Homosexualität verbindet und damit erst die Grundlage für das die Gesellschaft fortan dominierende Bild ›des tuntigen, auffälligen, narzisstischen und exzessiven Schwulen‹ produziert.964 In direkter Nachfolge zu den Macaronis lässt sich auch die im 19. Jahrhundert erscheinende Gestalt des Dandys sehen, die sich mit ihrem betont modischen Auftreten gegen zeitgenössische Gesellschaftskonventionen stemmte. Während der Macaroni zum Anbeginn der sich allmählich verstärkenden modischen Geschlechterdifferenzierung in Erscheinung tritt, kennzeichnet der Dandy vielmehr einen Höhepunkt dieser Entwicklung: Der Dandy, der mit seiner modischen Selbstdarstellung an die Macaronis und damit auch an den untergegangenen absolutistischen Adel anknüpfte, tauchte parallel zum Siegeszug der bürgerlichen (Mode-)Revolution auf, die dem bürgerlichen Mann gemäß seiner Rolle als geistiges und politisches Subjekt den nüchternen habit noir zuordnete und dementgegen alle repräsentativen Aufgaben der zum Schauobjekt reduzierten Frau zuwies. Die bürgerlichen Anstrengungen, diese angeblich ›natürliche‹ Subjekt-ObjektDichotomie zu wahren, zwang nicht nur die Frau, sondern auch den Mann in ein sprichwörtliches Korsett gesellschaftlicher Erwartungen – in der Mode nimmt dieses metaphorische Männer-Korsett die Gestalt des habit noir an. Ebenjenen modischen und sozialen Zwängen entzieht sich der Dandy jedoch und stellt damit die behauptete ›Natürlichkeit‹ der bürgerlichen Ordnung infrage. Nun gilt es zunächst Klarheit darüber zu schaffen, was mit der Bezeichnung ›Dandy‹ gemeint ist: Das 19. Jahrhundert begreift den Dandy gemeinhin als ebenso vornehmen wie geckenhaften »Herr[n] der eleganten Welt, der sich auffallend kleidet und be-
963 Für Geczy und Karaminas stellen die Macaroni ein Fallbeispiel jener vermeintlich allgemeingültigen Idee queerer Männlichkeit dar: »Macaroni fashion is a signal case study in the history of male gay fashion and of queer fashion in general. In many respects, it contains the imprint of the patterns it would follow until the present. […] The macaroni encapsulates the false but abundantly insinuated equation between inauthenticity and effeminacy in gay men […]. They supplied the social prototype of the nineteenth-century typologizing of sexual invert as a woman in a man’s body; neither one nor the other.« (Geczy und Karaminas 2013, S. 51); McNeil teilt diese Ansicht, wobei er die Macaroni-Figur jedoch nicht nur als Präfiguration der ab dem 19. Jahrhundert vorherrschenden singulären Version von queerer Männlichkeit versteht – der homosexuelle Mann als verweiblichter und affektierter Invertit –, sondern auch als Indikator einer größeren kulturellen Veränderung: »The macaroni persona played with the conventions of court dress in different ways; some macaroni may have utilised aspects of high fashion in order to effect new social identities, but others may have asserted what we would now label a queer identity. It seems all the more significant that the macaroni appeared at a time when modern gender identifiers were being consolidated in mainstream society« (McNeil 2018, S. 181). 964 Vgl. ebd., S. 182; vgl. zudem Geczy und Karaminas 2013, S. 51 und S. 53.
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nimmt.«965 Diese Definition aus einem Konversations-Lexikon von 1903 greift jedoch etwas zu kurz, da sie die tiefgreifende Relevanz dieser neuartigen Figuration von Männlichkeit verkennt. In Anlehnung an das Buch Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten. Eine kulturgeschichtliche Studie über den europäischen Dandyismus (2000) von Hans-Joachim Schickedanz lässt sich der Dandy am treffendsten als »ästhetischer Rebell« bzw. »rebellischer Ästhet« bezeichnen, der in seinem Auftreten sowie seinen eigenen künstlerischen Leistungen beständig gegen die sorgsam reglementierte bürgerliche Ordnung verstößt und sich mit der kulturell ›weiblich‹ kodierten Sphäre der Mode beschäftigt.966 In Entsprechung dazu steht der Dandy zudem in enger Verbindung zu gleichermaßen ›subversiven‹ Kunstbewegungen wie dem englischen Aestheticism und der französischen Décadence.967 Wie sich nun dieses mit dem Dandy assoziierte ›ästhetische Rebellentum‹ in modischer Hinsicht bemerkbar machte, soll anhand von zwei historischen Figuren und deren Selbstinszenierung analysiert werden: Zum einen an einer Portraitfotografie Oscar Wildes (1854–1900), zum anderen an einem Bildnis, das den in Paris geborenen Conte Robert de Montesquious (1855–1921) zeigt. Das Schicksal Wildes belegt, dass man als exaltierter Dandy durchaus Erfolg haben konnte, aber zugleich ist es ein Mahnmal für die Grenzen der bürgerlichen Toleranz: Die zunächst von großen Erfolgen bestimmte Karriere des umjubelten Ästheten fand ein jähes Ende als er 1895 nach einer langen und öffentlichkeitswirksamen Gerichtsverhandlung aufgrund von ›Sodomie‹ verurteilt wurde.968 Nachdem Wilde seine Haftstrafe von zwei Jahren Zuchthaus mit schwerer Zwangsarbeit abgesessen hatte, ging er angeschlagen durch die harschen Haftbedingungen und in der britischen Gesellschaft als Persona non grata verschrien ins Exil nach Paris, wo er 1900 verstirbt. In einer Fotografie (Abb. 120) des gebürtigen Kanadiers Napoleon Sarony (1821–1896), der sich als Portraitfotograf sowohl in Nordamerika als auch in Europa einen Namen gemacht hatte, ist Wilde in ›dandyhafter‹ Tracht zu sehen: Den Betrachter_Innen sitzend
965 Beitrag aus Meyer’s Konversations-Lexikon aus dem Jahre 1903; zitiert nach Schickedanz, HansJoachim: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten. Eine kulturgeschichtliche Studie über den europäischen Dandyismus, in: Kreuzer, Helmut; Riha, Karl; Schnell, Ralf (Hg.): Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte. Band 66, Frankfurt a.M. et al. 2000, S. 9. 966 Vgl. Ebd.; vgl. zudem Weinelt 2016, S. 41. 967 Reed schreibt hierzu: »›Dandyism,‹ a term that originally referred to the elaborate fashion of eighteenth-century male aristocrats, but by the end of the nineteenth century was associated with the daring androgyny of the Aesthetes« (Reed 2011, S. 95); Reed macht vor der zitierten Textpassage auf die starken Parallelen zwischen dem englischen Aestheticism und der französischen Décadence aufmerksam, weshalb die beiden Bewegungen hier zusammengefasst wurden. 968 Ironischerweise war es das Œuvre Wildes, welches in Form des Skandalromans The Picture of Dorian Gray (zuerst 1891) über die hedonistischen und kriminellen Umtriebe des titelgebenden Protagonisten als Beweisstück für die fehlende Moral des Angeklagten herangezogen wurde. Zum Prozess siehe Millard 1912; zur Rolle von The Picture of Dorian Gray im Wilde-Prozess schreibt Norbert Kohl: »Wie sehr im Bewusstsein der Öffentlichkeit die Darstellung des moralischen Niedergangs eines jungen Mannes mit der Person des Autors identifiziert wurde, zeigt sich einige Jahre später, als Staatsanwalt Edward Carson während des Wilde-Prozesses lange Passagen aus dem Dorian Gray vorlas, um den Eindruck zu erwecken, als vertrete Wilde selbst die ›perverted moral views‹ seines Romans.« (Kohl, Norbert: Oscar Wilde: Das literarische Werk zwischen Provokation und Anpassung, Anglistische Forschungen, Heft 143, Heidelberg 1980, S. 226).
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zugewandt trägt Wilde einen samtenen Gehrock mit Weste, Kniebundhosen und seidene Strümpfe. Ganz besonders die Kniebundhose sowie die glänzenden Strümpfe sind hier als spezifisch dandyhaft hervorzuheben, da sie einen eindeutigen Bezug zur aristokratischen Mode des 18. Jahrhunderts darstellten und sich damit ganz dezidiert gegen das bürgerliche Kleidergebot richten. Anstatt den Körper zu verhüllen, wie es die neue bourgeoise Ordnung verlangt, betont Wilde mit seiner culotte und der schimmernden Materialität seiner Strümpfe vielmehr seine Leiblichkeit. Bis hierin lässt sich festhalten, dass sich die Dandys, ähnlich wie vor ihnen schon die Macaronis, in ihrer Auflehnung gegen gesellschaftliche Modekonventionen am Vorbild absolutistischer Adelsmode orientierten. Diese aristokratischen Rückbezüge waren jedoch nicht immer so offensichtlich wie in der Portraitfotografie Wildes. Das 1897 vom italienischen Maler Giovanni Boldini (1842–1931) angefertigte Portrait des Conte Robert de Montesquiou gibt uns einen weitaus differenzierteren Eindruck von der ebenso grenzgängerischen wie nuancenreichen Dandy-Ästhetik (Abb. 121). Der homosexuelle Montesquiou, der eng mit Boldini befreundet war, entstammte dem südfranzösischen Hochadel und galt als begnadeter Schriftsteller, Ästhet, Kunstsammler und Muse; so soll er nicht nur die Figur des ›sodomitischen‹ Baron de Charlus in Marcel Prousts siebenteiligen Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (zuerst 1913–1927) inspiriert haben, sondern auch Vorbild für den weltfremden Protagonisten Jean Floressas Des Esseintes in Huysmans’ Gegen den Strich (1884) gewesen sein.969 Das halbfigurige Bildnis zeigt Montesquiou, der den Betrachter_Innen in einem grauen dreiteiligen Anzug mit übereinander geschlagenen Beinen frontal gegenübersitzt und dabei sein Gesicht so abwendet, dass dieses nur im Profil zu sehen ist. Stolz scheint er seinen perfekt gepflegten Bart sowie die ondulierten Haare zu präsentieren. An seinen Händen trägt er elegante weiße Handschuhe. Während die linke Hand auf dem Sessel ruht, präsentiert er in der Rechten, äußerst demonstrativ, einen aus Ebenholz gefertigten Gehstock mit blauem Griff. Der Gehstock im Stil Ludwig XV. sowie die sehr inszenierte Pose verweisen deutlich auf den aristokratischen Hintergrund des Dargestellten.970 Unter dem Jackett und der Weste trägt Montesquiou ein weißes Hemd mit Stehkragen und loser schwarzer Krawatte. Aus den Ärmeln des Jacketts schauen zudem die Manschetten hervor und in perfekter farblicher Abstimmung zum Gehstock sieht man an der linken Hand auch noch einen bläulichen Manschettenknopf. Anders als die normierte bürgerliche Uniform ist der Anzug Montesquious sehr tailliert geschnitten und weist im Gegensatz zu den nüchternen und dunklen Materialien des habit noir eine glänzende Stofflichkeit auf. Der schlanke Körper des Dargestellten wird hier nicht verhüllt, sondern mittels modischer Rückgriffe auf aristokratische Kleidung akzentuiert: Neben dem körperbetonten Schnitt sowie dem schimmernden Satinseidenstoff ist es zudem der auffällig gestaltete Gehstock, dessen blauer Griff sich
969 Vgl. Panconi, Tiziano: Giovanni Boldini. L’Opera Completa, Florenz 2002, S. 381. 970 Zum Gehstock siehe Guidi, Barbara: At the Height of Success. In: Kat. Ausst. Giovanni Boldini in Impressionist Paris. Hg. von Sarah Lees, Palazzo dei Diamanti, Ferrara und Sterling and Francine Clark Art Institute, Williamstown (MA) 2009/10, New Haven und London 2009, S. 192–201; hier: S. 193.
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farblich äußerst raffiniert in den Manschettenknöpfen wiederholt, der einen offensichtlichen Verweis auf die Verspieltheit der einstigen Adelsmode darstellt. Die Farbe Blau kann neben der gedanklichen Verbindung zur Aristokratie – blaues Blut – hier aber auch als Hinweis auf die Homosexualität Montesquious verstanden werden, galt diese Farbe in urbanen Zentren wie Paris zur Zeit des 19. Jahrhunderts doch als Erkennungsfarbe der Homosexuellen.971 Im Zusammenhang mit dieser Deutung sollte abermals auf die Position des Gehstocks hingewiesen werden, lenkt dieser doch den Blick der Betrachter_Innen direkt auf den Intimbereich des Portraitierten. Wenngleich der Gehstock auf Montesquious Andersartigkeit aufmerksam machen soll, erfreut er sich auch in der bürgerlichen Herrenmode großer Beliebtheit und avanciert schnell zum unverzichtbaren Accessoire.972 Dieser Umstand ist deshalb bemerkenswert, da der Gehstock eine unleugbare Vergangenheit als Macht- und Gewaltsymbol der ehemals herrschenden Monarchie hat. Das sich der Gehstock trotzdem als fester Bestandteil der bürgerlichen Uniform durchsetzen konnte, liegt daran, dass er eine der wenigen Möglichkeiten für individuellen Selbstausdruck bot: Anstatt aristokratischer Macht repräsentiert der Gehstock im bürgerlichen Kontext jedoch eine wirtschaftliche Vorrangstellung.973 Für den Dandy waren solche Differenzierungen aber unerheblich, da er sich doch ganz bewusst aristokratischer Modeelemente mitsamt all ihrer ›weiblichen‹ Konnotationen bediente. Mit Blick auf das Bildnis Montesquious und dessen modischer Aufmachung wird allerdings ein wichtiger Aspekt deutlich: bereits kleinste Abweichungen vom Konzept des habit noir, wie etwa in der Stofflichkeit, dem Schnitt oder der Beschaffenheit eines Accessoires, reichten aus, um fortan als dandyhaft und transgressiv zu gelten. Diese Tatsache belegt einerseits, wie rigide und allumfassend die Schranken der bürgerlichen Norm waren, und enthüllt andererseits, wie leicht man dagegen verstoßen konnte. Die strenge Kleiderordnung des Bürgertums macht jeden Mann, der sich den modischen Zwängen widersetzt, sofort als ›Abweichler‹ sichtbar und diskreditiert ihn als ›unmännlich‹ und ›deviant‹. Vergleicht man nun etwa das Bild Montesquious mit einem ebenfalls von Boldini angefertigten Pastellportrait des Komponisten Giuseppe Verdis von 1886 (Abb. 122), welches als Paradebeispiel für die ›korrekte‹ Selbstdarstellung männlicher Bürger angesehen werden kann, so wird offensichtlich, was nun spezifisch dandyhaft an der Inszenierung des adligen Ästheten ist: Während Boldini Montesquiou als sitzende Halbfigur in einem tailliert geschnittenen Anzug präsentiert und damit den Fokus sowohl auf die vestimentäre als auch auf die körperliche Dimension des Dargestellten lenkt, wählt er für das Portrait Verdis das Format des Brustbildes, in welchem der Kleidung – ein schwarzer Zylinder, ein weißer umgebundener Schal sowie ein schwarzer Mantel – nur noch eine Rahmenfunktion zukommt, die einzig und allein die Aufgabe hat, den Kopf des Komponisten als ›das Zentrum männlicher Ratio und Genialität‹ in den Vordergrund zu rü-
971 Siehe hierzu Kat. Ausst. Homosexualität_En 2015, S. 148. 972 Die Gestaltung und Inszenierung des Gehstocks spielen sowohl auf die Homosexualität als auch auf den Adelstitel des Dargestellten an. Zum Gehstock als modisches Herrenaccessoire vgl. Teichert 2013, S. 197ff. 973 Vgl. Ebd. S. 205.
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cken.974 In dem Pastellportrait Verdis manifestiert sich in anschaulicher Weise die hinter dem bürgerlichen Anzug stehende Idee von Männlichkeit: Die neue Gewandung der männlichen Bürger, so Weinelt, »privilegiert den Träger als Individuum, indem er die Kopfpartie durch die Schlichtheit der Kleidung exponiert zum Ausdruck bringt,« doch »zugleich entindividualisiert und abstrahiert er jedoch den Köper durch seine uniforme Gestaltung.«975 Auch wenn ein Dandy nicht zwangsläufig homosexuell sein muss, provoziert sein Interesse an der ›weiblich‹ konnotierten Mode und macht ihn zum Grenzgänger zwischen den Geschlechtern.976 Er verweigert sich einer »a priori a-modisch[en]« Haltung, wodurch die vom Bürgertum postulierte authentische und natürliche Idee vom Mannsein gefährdet wird.977 Hierin äußert sich die Labilität des bürgerlichen Männlichkeitskonzepts, das sich primär durch seine Abgrenzung zum und vom ›Weiblichen‹ definiert.978 Doch die modische Rebellion des Dandys verletzt nicht nur die strikte und für das bürgerliche Geschlechterverständnis essenzielle Mann-Frau-Dichotomie, sondern wird im Zuge der zuvor dargelegten Verquickung von Aristokratie mit Weiblichkeit und Mode auch als konterrevolutionär bzw. anti-bürgerlich aufgefasst. Das Bürgertum straft derartige Grenzüberschreitungen mit den Mitteln der Kriminalisierung (siehe Wilde) sowie der Pathologisierung ab. So argumentierte u.a. der Arzt und Schriftsteller Max Nordau (1849–1923), dass die Lust der Dandys am spielerischen Umgang mit Mode und ihr Drang nach Aufmerksamkeit als Symptome einer »Entartung« und »Hysterie« zu deuten seien: »In den geringeren Graden der Hysterie nimmt dieses Bedürfnis, aufzufallen, harmlosere Formen an. Es äußert sich in Wunderlichkeiten der Tracht und des Benehmens.«979 Nordau untermauert seine These anschließend mit einem Zitat des französischen Arztes Paul Maurice Legrain (1860–1939), welcher bereits 1886 in Le délire chez les Dégénérés über die vermeintliche Degeneration modischer Männer berichtete: »›Die Hysteriker lieben leidenschaftlich grelle Farben und
974 Ein weiteres, ebenfalls 1886 von Boldini angefertigtes Ölportrait Verdis (Giovanni Boldini, Portrait des sitzenden Gisueppe Verdis, 1886, Öl auf Leinwand, 122x87 cm, Casa di Riposo per Musicisti Giseuppe Verdi, Mailand) funktioniert auf ganz ähnliche Weise und zeigt den Komponisten wieder in schwarzer Gewandung. Lediglich Kopf und Hände – Sinnbilder für den Geist und das ›Handwerk‹ des Dargestellten – kontrastieren mit dem dunklen Anzug sowie dem in dunkelbraunen Farbtönen gehaltenen und weithin undefinierten Hintergrund. 975 Weinelt 2016, S. 38. 976 Dennoch markiert das Auftauchen des Dandys den Zeitpunkt, an dem sich die Trinität aus gleichgeschlechtlichem Begehren, devianter Männlichkeit und femininem Auftreten verfestigt. Vgl. Geczy und Karaminas 2013, S. 56ff. 977 Weinelt 2016, S. 41. 978 Vgl. Vinken 2013, S. 112; zum Wechselspiel von Abgrenzung und Identitätsfindung siehe Kristeva 1982 sowie Young 1990. 979 Nordau, Max: Entartung. 1. Band, Berlin 1896, S. 49f; im 2. Band von Entartung benennt Nordau Joris-Karl Huysmans, den Verfasser des Skandalromans À Rebours, und dessen literarische Kreation, den Protagonisten Jean Floressas Des Esseintes, als Paradebeispiele für ›entartete‹ und ›hysterische‹ Männer, die sich ›krankhaft‹ gegen die Mehrheitsgesellschaft zu stellen suchen. Er schreibt: »Der dekadente Snob ist ein an Widerspruchswahnsinn leidender, gesellschaftsfeindlicher Philister ohne jede Empfindung für das Kunstwerk selbst.« (Nordau, Max: Entartung. 2. Band, Berlin 1893, S. 103; siehe zudem S. 91 und S. 96); vgl. überdies Teichert 2013, S. 239.
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ausschweifende Formen, sie wollen den Blick auf sich ziehen und von sich reden machen.‹«980 Die von Nordau respektive Legrain attestierte Diagnose der ›Hysterie‹ ist im Hinblick auf die medizingeschichtliche Entwicklung dieses Begriffs im direkten Zusammenhang mit dem Befund der Effeminierung zu sehen.981 Wie Gesa Teichert hierzu weiter ausführt, wird das als krankhaft geltende und ›weiblich‹ konnotierte Modeinteresse des Dandys somit nicht nur »pathologisiert«, sondern »gleichzeitig als Mittel der Diagnostik missbraucht«, um ihn zum »Negativstereotyp vom ›entarteten‹, […] ›unmännlichen‹ Mann« zu machen.982 Die Angst vor den ›effeminierten‹ Dandys und das panische Bedürfnis nach der akkuraten Einhaltung eines geschlechtsspezifischen ›Verhaltens- und Kleidungsprotokolls‹ enthüllt die Inkonsistenz der bürgerlichen Vorstellung von ›natürlicher‹ Männlichkeit und Weiblichkeit. Das beständige Patrouillieren einer richtig ausgeführten »Performanz der Geschlechtsidentität (gender performance)« enttarnt auf ironische Weise die Künstlichkeit und Fragilität der kulturellen Konzeption von ›Frau‹ und ›Mann‹.983 Ebendiese Diskrepanz visualisiert der Dandy mit seinem ›unnatürlichen‹ Hang zur Mode und demaskiert damit die Idee einer naturalisierten (Geschlechter-)Hierarchie als ebenso künstliche Ordnung wie es einst die Monarchie war. Die bis Ende des 19. Jahrhunderts zumeist nur vage implizierte Verbindung der hier exemplarisch durch Wilde und Montesquiou vertretenen Dandy-Ästhetik mit Homosexualität sollte sich in der gesellschaftlichen Wahrnehmung des 20. und 21. Jahrhunderts u.a. wegen dem hochmediatisierten Wilde-Prozess, der weltweites Interesse weckte, zunehmend verfestigen.984 Die in der Wilde-Verhandlung ausgeschlachtete Verbindung des Dandyismus mit Homosexualität bzw. einer nicht ›normativen‹ Sexualität wird infolgedessen zum probaten Instrument, um Dissidenten des bürgerlichen Ideals zu diffamieren und eine uneingeschränkte Unterordnung zu erzwingen.985 Während die Macaronis von Zeitgenoss_Innen zum Teil noch unabhängig von männlich-männlicher Sexualität wahrgenommen wurden, markieren die Dandys den Zeitpunkt, ab welchem gleichgeschlechtliches Begehren in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer Trinität mit dem Konzept ›devianter Männlichkeit‹ sowie einem ›feminin-modischen‹ Auftreten verschmilzt. Aufbauend auf diesem umfassenden modegeschichtlichen Abriss sollen zum Abschluss nun noch insgesamt vier Kunstwerke des 20. und 21. Jahrhunderts betrachtet werden,
980 Legrain zitiert nach Nordau 1896, S. 50; siehe auch Legrain, Paul Maurice : Le délire chez les Dégénérés. Paris 1886, S. 39. 981 Ursula Link-Heer und Jamie Owen Daniel schreiben dazu: »As long as the affliction of hysteria has been acknowledged, it has been defined as feminine.« (Link-Heer, Ursula; Daniel, Jamie Owen: »Male Hysteria«: A Discourse Analysis, in: Cultural Critique. Nr. 15 (Spring 1990), S. 191–220; hier: S. 196). 982 Teichert 2013, S. 239. 983 Butler 1991, S. 202; siehe auch Kapitel II.3.1. 984 Reed ergänzt: »A […] long-term effect of the trials was to make Aestheticism the ›look‹ of homosexuality, and thus a touchstone in the emergence of gay subcultures for decades to come.« (Reed 2011, S. 97). 985 Vgl. Teichert 2013, S. 239ff.
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die sich explizit mit der Verbindung von Homosexualität und Mode sowie Körpersprache auseinandersetzen. Den Anfang soll die Arbeit Some Faggy Gestures des 1967 in Dänemark geborenen Künstlers Henrik Olesen machen (Abb. 123.1). Die erstmals 2007 im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich gezeigte Arbeit ist eine von sieben nummerierten Bildtafeln der Installation Some Gay-Lesbian Artists and/or Artists Relevant to HomoSocial Culture Born Between c. 1300–1870.986 Anhand von unterschiedlichen Kunstwerken und Textfragmenten, die Olesen in einer zweijährigen Recherchephase zusammengetragen hat, beschäftigt er sich in diesem Werk mit der Darstellung bzw. Nicht-Darstellung gleichgeschlechtlichen Begehrens in der bildenden Kunst.987 In Some Faggy Gestures, der vierten der insgesamt sieben Bildtafeln, widmet sich der Künstler dem Thema der Mode und Körpersprache: Auf dieser Tafel versammelt er kleinformatige Ausdrucke von kunsthistorisch bedeutungsvollen Portraits männlicher Monarchen aus mehreren Jahrhunderten, um am Beispiel ihrer Kleidung und Posen eine Entwicklung von ehemals als ›aristokratisch‹ aber heute als ›tuntig‹ wahrgenommenen Männlichkeitsinszenierungen nachzuzeichnen.988 Formell orientiert sich Olesen bei der Gestaltung der Bildtafeln am Mnemosyne-Bilderatlas Aby Warburgs: Vor schwarzem Hintergrund sortiert und kuratiert Olesen zahlreiche Bildausdrucke nach thematischen bzw. visuellen Gesichtspunkten, die ihrerseits nochmals klar durch eine in weißen Großbuchstaben geschriebene Überschrift benannt werden (»DOMINANCE«, »MÄNNERFREUNDSCHAFT« etc.).989 Unter der Überschrift »SOME FAGGY GESTURES« gruppiert der Künstler die von ihm ausgewählten Portraitbilder990 zu Bildblöcken, die wiederum nach der Art der dargestellten Kleidung (Paraderüstung, Kopfbedeckung etc.), der Körperhaltung (›arms akimbo‹ etc.)991 oder aber dem Bildformat (Ganzkörperportrait, halbfiguriges Portrait etc.) geordnet sind. Im Vergleich zu Warburg betätigt sich Olesen hier jedoch nicht als Kunsthistoriker, da er doch wiederholt bewusst mit der scheinbar kunsthistorischen Sortierung bricht, wenn er etwa in
986 Im Jahr 2008 wurde in Zusammenarbeit mit dem Migros Museum sowie dem Züricher JRP-Ringier-Verlag ein Künstlerbuch zum Werk veröffentlicht, aus welchem auch die im Abbildungsverzeichnis verwendeten Bilder stammen. Vgl. Olesen und Munder 2008. 987 Siehe auch Munder, Heike: Some Faggy Gesures. In: Olesen, Henrik; Munder, Heike: Some Faggy Gestures. Zürich 2008, S. 166–171; hier: S. 166 und S. 171. 988 Olesen selbst äußert seine Intention wie folgt: »[T]o trace the historical arc of ›faggy gestures‹ now codified in contemporary stereotypes of gay male comportment.« (Olesen, Henrik: Some Faggy Gestures. In: Art Journal. Vol. 72,Nr.2 (Summer 2013), S. 90–97; hier: S. 91); obgleich Olesen selbst behauptet, in dieser Arbeit nur Darstellungen aristokratischer Männer zu versammeln, hat sich mit dem zwischen 1565 und 1570 angefertigten Portrait Der Schneider von Giovanni Battista Moroni (heute in der National Gallery in London) ein Bild eingeschlichen, welches keinen Aristokraten, sondern einen Kunsthandwerker zeigt. 989 Zu den Warburg-Parallelen siehe u.a. Munder 2008, S. 170. 990 Ihrer Gattung gemäß stehen hier modische und körpersprachliche Aspekte im Vordergrund. 991 Eine weitere Körperhaltung, die im Laufe der Zeit zu einem Synonym für homosexuelle Männer wurde, ist das schlaff abgeknickte Handgelenk (engl. ›limp wrist‹), suggeriert dieses doch fehlende Körperkontrolle bzw. Körperspannung und wurde daher als ›weibisch‹ deklariert. Vgl. hierzu etwa das Cambridge-Wörterbuch: https://dictionary.cambridge.org/dictionary/english/limpwristed (zuletzt 17.08.2020).
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der Some Faggy Gestures-Tafel eine Fotografie des Musikers Freddie Mercury mit einbaut (siehe Abb. 123.2). Mit dieser ebenso widersprüchlichen wie vielschichtigen Arbeit spricht der dänische Künstler gleich mehrere Themen auf einmal an: Einerseits verweist er auf die Sehnsucht von queeren Menschen nach historischen Vorbildern zur Legitimierung ihres Begehrens und Wesens hin und macht damit gleichzeitig auf den teilweise auch heute noch andauernden Ausschluss von queeren Perspektiven aus der Geschichtsschreibung aufmerksam. Anderseits thematisiert Olesen aber auch die historische Veränderlichkeit von Männlichkeitsidealen und deren Wahrnehmung, wenn er etwa bestimmte Gesten, die in adligen Männerportraits der Renaissance oder des Barocks üblich waren, wie z.B. der in die Hüfte gestemmte Arm, aus heutiger Sicht als ›unmännlich‹ und ›tuntig‹ deklariert. Laut der Künstlerin und Queer-Theoretikerin Renate Lorenz geht es Olesen nicht darum, sich auf kunsthistorischer Ebene mit den Bildinhalten auseinanderzusetzen, sondern diese auf radikale und ahistorische Weise neu zu betrachten, wodurch dem Publikum die ›Konstruiertheit‹ der (Kunst-)Geschichtsschreibung vor Augen geführt werden soll.992 Olesen plädiert mit seinem Werk für ein Aufbrechen tradierter Sehgewohnheiten und für eine Loslösung von einem heteronormativen Geschichtsbewusstsein, das marginalisierte Gruppen nach wie vor in die Unsichtbarkeit drängt. Mit seiner ebenso archivarischen wie anachronistischen Arbeitsweise gelingt es dem Künstler sowohl die Geschichtlichkeit von Mode und Geschlecht als auch die Gleichzeitigkeit konkurrierender Bedeutungsschichten zu visualisieren. Während Olesen sich in Some Faggy Gestures mit der Historizität sowie dem Zusammenspiel von Mode und Geschlecht bzw. Sexualität befasst, fokussieren sich die nachfolgenden Künstler auf jeweils ein bestimmtes queeres Modephänomen des 20. und 21. Jahrhunderts: Auf der einen Seite stehen der Fotograf Hal Fischer und der Maler Lars Theuerkauff, die in ihren Arbeiten die Konstruktion und Dekonstruktion einer betont maskulinen (Mode-)Ästhetik untersuchen und sich damit gegen das ephebische Schönheitsideal des 19. Jahrhunderts stellen. Demgegenüber steht auf der anderen Seite eine Fotografie von Arka Patra, in welcher ganz bewusst mit verweiblichenden Elementen gespielt wird. Zuerst zu dem 1950 geborenen Fotografen, Kunstkritiker und späterem Kurator Hal Fischer, der in seiner erstmals 1977 gezeigten Fotoserie Gay Semiotics: A Photographic Study
992 Renate Lorenz schreibt: »[T]he work ›Some Faggy Gestures‹ makes no effort to pursue the images at the level of meaning. Instead it rigorously rewrites history from the perspective of current gender practices and queer futurities. […] In place of the widespread practice of discovering heterosexuality, family, or Christianity everywhere, this gaze only sees effeminized youths and adults, homophilic men, and the furnishings and clothing known from subculture.« (Lorenz, Renate: Queer Art. A Freak Theory, Bielefeld 2012, S. 113); diese Auslegung unterstützt auch Heike Munder, die Mitherausgeberin von Olesens Künstlerbuch Some Faggy Gestures (2008), wenn sie schreibt: »Olesen establishes new associations in the visual language by interpreting selected motifs anew and integrating them into a homosexual context. […] This confrontational handling of established visual material may be provocative, and certainly the subjects of the portraits would feel so, as their postures were designed to express power and position, not sexual preference. However, Olesen’s reinterpretation indicates the hitherto existing marginalization of a gay/lesbian culture and visual history« (Munder 2008, S. 166 und S. 170).
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of Visual Coding Among Homosexual Men einen Einblick in die damalige schwule Subkultur San Franciscos gewährt. Die noch im selben Jahr in Buchform publizierte Serie verfolgt laut Fischer die Absicht, die visuellen Kodes der Schwulenszene, welche nach den Stonewall-Aufständen von 1969 zumindest in Nordamerika und Europa zunehmend offensiver auftrat, nicht nur zu dokumentieren, sondern sie auch unter strukturalistischen Gesichtspunkten zu analysieren: »The gay culture’s new visibility has exposed a subculture developing its own myths, cultural heroes, stereotypes, and sign language (semiotic). Long before the current women’s journals began picturing naked men as sex objects, gay magazines were exploring aspects of male eroticism. And since gay men needed a method to communicate sexual preferences, a sexual semiotic was developed. […] Like the straight culture, gay culture has evolved a set of public, sexual prototypes. […] Within the gay community certain characteristics of the fantasy have been adopted as fashion, thereby creating a ›gay look‹, ie Gay Prototype«993 Eben den hier genannten ›schwulen Prototypen‹, die durch die wachsende SchwulenPresse auch jenseits der USA verbreitet wurden, widmet sich Fischer in seinen SchwarzWeiß-Fotografien.994 Er lichtet die ausgewählten Modelle, die je einem bestimmten ›Ideal‹ entsprechen (»STREET FASHION JOCK« etc.), zumeist in Form einer Ganzkörperaufnahme ab und beschriftet im Anschluss die vestimentären Komponenten, denen eine besondere Bedeutung als ›gay signifiers‹ zukommt, mit fettgedruckten und durchweg großgeschriebenen Helvetika-Buchstaben. Betrachtet man beispielsweise die in der Buchveröffentlichung an erster Stelle kommende Fotografie, so erschließt sich das u.a. durch die Schriften von Claude Lévi-Strauss (1908–2009) angeregte strukturalistische Konzept995 hinter Fischers Gay Semiotics (siehe Abb. 124). Anhand der Rückenfigur eines schnauzbärtigen Mannes in Jeans und Collegejacke, der breitbeinig vor einer Mauer posiert, präsentiert der Künstler uns mittels Beschriftung die »SIGNIFIERS FOR A MALE RESPONSE«, wie etwa ein Ohrring, ein Schlüsselbund und – ganz besonders wichtig – ein Taschentuch in der Gesäßtasche. In der rechten und linken oberen Ecke prangen zudem zwei weitere Beschriftungen – »LEFT AGGRESSIVE« und »RIGHT PASSIVE« –, die eine zentrale Funktion in der Entschlüsselung der Gay Semiotics einnehmen: Sie kennzeichnen, ob der Träger die aktive oder passive Rolle beim Sex einnimmt. Das Tuch in der linken Gesäßtasche besagt demzufolge, dass der Dargestellte den aktiven Part übernehme möchte. Neben der Platzierung der Tücher ist auch ihre Farbe von Bedeutung. Da es sich bei den Fotografien allerdings um Schwarz-Weiß-Aufnahmen handelt, erschließt sich die auf den beiden nachfolgenden Seiten des Buches thematisierte Farbbedeutung nur durch die erläuternde Beschriftung Fischers: So stehen z.B. blaue Tücher für Analverkehr – links als Aktiver, rechts als Passiver.
993 Fischer 2015 (zuerst 1977), S. 15. 994 Fischer wählte nach eigenen Aussagen ganz bewusst ›Prototypen‹ aus, die auch häufig in homosexuellen Magazinen zu sehen waren. Vgl. ebd. 995 Zur Rolle von Lévi-Strauss siehe Bryan-Wilson, Julia: Gay Semiotics Revisited. Hal Fischer in Conversation with Julia Bryan-Wilson, in: Aperture (January 2014), S. 32–39; hier besonders: S. 34.
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In den Fotografien der Gay Semiotics-Serie beweist Fischer ein dokumentarisches Interesse an der durch Mode ausgedrückten nonverbalen Kommunikation unter gleichgeschlechtlich begehrenden Männern, einem überzeitlichen Phänomen, welches sich als Reaktion auf die gesellschaftliche Ablehnung und Sanktionierung mann-männlicher Sexualität entwickelt hatte; es sei hier sowohl an die rote Krawatte als Symbol für mannmännliches Interesse erinnert, wie sie u.a. in Somows Gemälde Nackte im Spiegel vor offenem Fenster von 1934 zu sehen ist (vgl. Abb. 17), als auch an den blauen Gehstock in Boldinis Portrait des Conte Robert de Montesquiou (vgl. Abb. 121). Doch während ein Dandy wie Montesquiou in seiner modischen Selbstinszenierung mit der gesellschaftlich festgesetzten Geschlechtsspezifik vestimentärer Marker spielt, wenn er sich etwa als Mann in den einst aristokratischen, aber nun weiblich konnotierten Satinseidenstoff kleidet, fällt bei der Betrachtung von Fischers Arbeit auf, dass dieser sich durchweg auf eine ›maskuline‹ Ästhetik und Typologie fokussiert. So gehen etwa alle Kleidungselemente des von Fischer fotografierten Mannes, wie z.B. dessen Collegejacke, mit dezidiert ›männlichen‹ Konnotationen einher: Bei dem um 1900 das erste Mal dokumentierten und aus den USA stammenden Kleidungsstück der Collegejacke (letterman bzw. varsity jacket) handelt es sich um einen aus schwerem Wollstoff gefertigten Blouson mit ledernen Ärmeln, der bis in die 1970er-Jahre fast ausschließlich Männern vorbehalten war.996 Dieser Jackentyp entwickelte sich aus dem sogenannten letterman/varsity sweater, einem mit Schul- bzw. Universitätsinitialen bestickten Pullover, der männliche Schüler bzw. Studenten auszeichnen sollte, die sich für ihre jeweilige Uni- bzw. Schulmannschaft im Sport verdient gemacht hatten.997 Aus diesem Entstehungskontext heraus erklärt sich auch die bis heute anhaltende Verbindung der Collegejacke mit dem maskulinen Idealtypen des jocks.998 An die durch den jock versinnbildlichte Idee einer aggressiven, kompetitiven und athletischen Männlichkeit knüpft auch Fischer in seiner Fotografie an.999 Der augenscheinliche Fokus des Fotografen auf ›männliche Mode‹ und ›männliche Attribute‹ erklärt sich durch den Entstehungszeitraum der Gay Semiotics-Serie: Mit Beginn der 1970er-Jahre breitet sich der gay clone- bzw. gay macho-Stil aus, eine (hyper-)maskuline Ästhetik, die sich u.a. an den Figuren Tom of Finlands sowie an den 996 Obwohl junge Frauen oftmals die Collegejacken ihrer Freunde trugen, fand diese Jackenart erst mit der Verabschiedung von Title IX (1972), einem Gesetz, welches die Ungleichbehandlung von Frauen in Erziehungs- und Sportprogrammen aufheben sollte, auch als ›weibliches‹ Kleidungsstück allmählich Verbreitung. Siehe hierzu Harris, Karin: Letter Perfect: The History of Varsity Jackets [15.07.2019] in: History Daily, https://historydaily.org/letter-perfect-the-history-of-varsity-jacke ts (28.01.2020); zur Geschichte der varsity jacket siehe zudem Gallagher, Jake: Dropping Knowledge: The Varsity Jacket [12.09.2012] in: GQ, https://www.gq.com/story/dropping-knowledge-t he-varsity-jacket (28.01.2020). 997 Siehe Harris 2019. 998 Ein jock ist ein betont männlicher und sportlicher junger Mann, der durch dominantes Verhalten auffällt. Vgl. hierzu Gallagher 2012; Kathleen E. Miller et al. schreiben über den jock: »It may be that jock identity is less about a narrow, focused commitment to athleticism than it is about the wider embrace of a dominant vision of masculinity and the imperatives associated with it.« (Miller, Kathleen E.; Melnick, Merrill J.; Farrell, Michael P.; Sabo, Donald F.; Barnes, Grace M.: Jocks, Gender, Binge Drinking and Adolescent Violence. In: Journal of Interpersonal Violence, Vol. 21, Nr. 1 (January 2006), S. 105–120; hier: S. 114). 999 Zur Erscheinung des jocks in der schwulen Subkultur siehe u.a. Fischer 2015, S. 47.
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muskulösen Modellen der Beefcake-Magazine (Physique Pictorial etc.) orientierte.1000 Der gay macho positioniert sich mit seiner Hervorhebung ›männlicher‹ Attribute und Modeelemente bewusst gegen das im 19. und frühen 20. Jahrhundert dominierende Ideal des geschlechtlich ambivalenten und passiven Epheben, der ganz im Einklang mit der damals weitverbreiteten Inversions-Theorie stand.1001 Um nun die Bedeutung des gay macho-Stils innerhalb einer männlich-männlichen Bildtradition verstehen zu können, soll nochmals kurz auf die Rezeption des Epheben-Typus eingegangen werden. Eine exemplarische Veranschaulichung des einstigen ephebisch-androgynen Idealtypus des ›langen 19. Jahrhunderts‹ findet sich in dem zwischen 1835 und 1836 entstandenen Gemälde Junger Mann am Meer (Studie) von Hippolyte Flandrin (1809–1864), das durch zahlreiche fotografische Reproduktionen zu einer ›schwulen‹ Kunstikone wurde (Abb. 3).1002 Der Maler stellt in dem Bild einen nackten jungen Mann mit gelocktem Haar dar, der kauernd auf einem Felsen am Meer sitzt. Die Stirn stützt er auf den Knien ab, die Augen sind geschlossen. Diese auch in den Fotografien von Wilhelm von Gloeden sowie Fred Holland Day zitierte Pose belegt die Beliebtheit des Motivs in homosexuellen Zirkeln.1003 Obwohl die Figur auf dem Gemälde klar als Mann zu erkennen ist, verleiht ihr die in sich gekehrte und passive Pose, ähnlich wie dies etwa bei Narziss oder Endymion zu beobachten war, etwas ›Feminines‹.1004 Für das männlich-männlich orientierte Publikum des ausgehenden 19. Jahrhunderts wird Flandrins Junger Mann am Meer gerade wegen dieser Elemente geschlechtlicher Ambivalenz zum passenden Sinnbild für die von Ulrichs formulierte Idee einer »anima muliebris virili corpore inclusa« (eine weibliche Seele im männlichen Körper).1005 Die beinah ohnmächtige Haltung des Epheben kann zudem als Reaktion auf die Ausbreitung des kapitalistischen Produktionsethos der Industriegesellschaft gelesen werden, der zu einer zunehmenden Verhärtung der Geschlechterdifferenzen führte. »Men were given work, the task of manufacturing products,« schreibt Fernandez, »while women were allotted the care of ›manufacturing‹ children. To produce and to reproduce: this was the new gospel that imposed a single form of sexuality – [heterosexual] monogamy – on everyone.«1006 Auch in der ›neuen‹ und vermeintlich fortschrittlicheren Gesellschaft des Maschinenzeitalters findet männlich-männliches Ver1000 Zur Omnipräsenz des gay clones bzw. gay machos ab den 1970er-Jahren siehe Rupp 1999, S. 189; sowie Geczy und Karaminas 2013, S. 89; siehe auch Levine 1998; vgl. überdies Kapitel III.1.1. 1001 Siehe auch Kapitel III.1.2. 1002 Ob Flandrin, der zusammen mit seinem Bruder Paul (1811–1902) von Ingres unterrichtet wurde, selbst homosexuell war, ist nicht bekannt. Er heiratete 1843 Aimée Ancelot (1822–1882), mit der er mehrere Kinder bekam. Siehe Dubois, Claire : Biographie d’Hippolyte et Paul Flandrin. In : Kat. Ausst. Hippolyte & Paul Flandrin. Paysages et Portraits, hg. von Cyrille Sciama, Musée des Beaux-Arts de Nantes 2007, Paris 2007, S. 143–150; hier : S. 146. 1003 Siehe Wilhelm von Gloeden, Cain, 1912, Archivi Alinari, Florenz; sowie Fredrick Holland Day, Ebenholz und Elfenbein, 1897, Fotografie, The Royal Photographic Society, Bath; vgl. dazu Fernandez 2002, S. 217. 1004 Prettejohn hebt diesbezüglich auch die Rundheit der Körperformen hervor, die dem Jüngling eine apollinische Schönheit verleihen würden. Siehe Prettejohn, Elizabeth: Beauty & Art. 1750–2000, Oxford et al. 2005, S. 65. 1005 Zitiert nach Halperin 2004, S. 128; vgl. auch Steakley 1975, S. 6 und S. 16. 1006 Fernandez 2002, S. 214.
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langen demnach keinen Platz, weil es gegen das allumfassende Edikt der Produktivität verstößt. Das bei Flandrin, von Gloeden sowie Day wiederkehrende Motiv eines ephebischen Träumers kann insofern als Reaktion auf diesen gesellschaftlichen Ausschluss gelesen werden, als es dem zeitgenössischen homosexuellen Publikum die Möglichkeit bot, das eigene und von der breiten Menge abgelehnte Verlangen in anachronistischer Weise auf eine romantisierte Antike zu projizieren. In dieser queeren Appropriation des Motivs vermischen sich antike und christliche Topoi: Der in allen Ausführungen als schön und antikisiert inszenierte Jüngling versinnbildlicht durch seine Passivität die Idee eines christlichen Märtyrers bzw. Dulders, der sich von der Welt abwendet und von einer besseren Zeit träumt. Ein derartiges Duldertum schien allerdings ausgereizt, als sich nach den beiden Weltkriegen bis in die 1950er Jahre keine Besserung für die Situation von Homosexuellen einstellte. Die schwule Subkultur erlebte tiefgreifende Umwälzungen: So gerieten z.B. Ulrichs und Hirschfelds Theorien geschlechtlicher Zwischenstufen nach dem Zweiten Weltkrieg völlig in Diskredit. Dies lag zum einen daran, dass die Nationalsozialisten den genetischen Aspekt dieser Idee entgegen der ursprünglichen Intention als Rechtfertigung vielmehr als Argument für die Tötung Homosexueller verwendeten. Zum anderen geriet der Aspekt ambivalenter Geschlechtlichkeit ins Fadenkreuz eines antifeministischen Flügels schwuler Aktivisten, welche darin einen Angriff auf ihre Männlichkeit sahen.1007 In der Glorifizierung des Maskulinen und der Ablehnung des Femininen bewegt sich die Argumentation jener Aktivisten jedoch gefährlich nahe am sozialen Darwinismus des ›Dritten Reiches‹.1008 Die von den damaligen Aktivisten vertretene Grundannahme, dass das Männliche von Natur aus besser sei als das Weibliche, findet sich auch heute noch unter dem Begriff des ›Maskulinismus‹ in den vorherrschend heteronormativ ausgerichteten Männerrechtsbewegungen.1009 Die Visualisierung dieser neuen ›maskulinen‹ Homosexualität findet ihren Höhepunkt in den Männerfiguren Tom of Finlands, die auch zum großen Vorbild für den von Fischer fotografisch dokumentierten gay macho-Stil werden. Die Übernahme dieses neuen überpotenten und teilweise aggressiven Männlichkeitsbildes durch große Teile der homosexuellen Subkultur indiziert eine Abkehr vom Ideal des ewig passiven Duldertypus hin zu einem weitaus selbstbewussteren und aggressiveren Auftreten.1010 Die Appropriation eines maskulinen Auftretens dient folglich als emanzipatorische Ermächtigungsstrategie und entlarvt zugleich den performativen Charakter der als ›natürlich‹ deklarierten Geschlechterrollen, die, wie es Butler formuliert, letztlich durch »die wie-
1007 Vgl. Steakley 1975, S. 118 und S. 16. 1008 Vgl. ebd., S. 16. 1009 Vgl. Eribon 2019, S. 182ff; zum ›Maskulinismus‹ siehe Blais, Melissa; Dupuis-Déri, Francis: Masculinism and the Antifeminist Countermovement. In: Social Movement Studies Vol. 11 (January 2012), S. 21–39. 1010 Hennen schreibt: »[A]dopting this [hypermasculine, NM] image helped some gay men resolve an intimate identity issue (to the extent that it successfully divorced their self-image from the stigma of effeminacy)« (Hennen 2008, S. 140); vgl. zudem Suárez 1996, S. 157; sowie Saslow 1999, S. 255.
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derholte Stilisierung des Körpers […] den Schein der Substanz bzw. eines natürlichen Schicksals des Seienden hervorbringen.«1011 Diese Entwicklung war jedoch ein zweischneidiges Schwert: Das gesteigerte Selbstwertgefühl, welches homosexuelle Männer in der (hyper-)maskulinen Inszenierung zu finden glaubten, ging mit einer zunehmenden Ablehnung effeminierter Männer einher. Fortan wurde der feminine Schwule – ›die Tunte‹, ›die Schwuchtel‹ etc. – in der eigenen Gruppe zur Außenseiterfigur, von der es sich abzugrenzen galt.1012 Die von Butler als campe Taktik gepriesene »Re-Signifzierung und Re-Kontextualisierung«1013 der Geschlechterkategorien, die so eng mit der Ikonographie gleichgeschlechtlicher Begehrlichkeit verwoben ist, erliegt in diesem Fall ihrer eigenen Darbietung. Hierzu erläutert der Soziologe Peter Hennen: »[G]ay leathermen have become convinced by their own performances of masculinity – a social and historical process that has enervated leather culture’s transgressive potential«.1014 Das revolutionäre Potential eines solchen »hypermasculine drag«1015 verpufft zunächst und wird vielmehr zum Zeugnis für die hegemonialen Kräfte heteronormativer Männlichkeit: Was als ironische Performance maskuliner Rollenvorbilder begann, wird letztlich absorbiert und scheint die gesellschaftliche Annahme, dass ein Mann ›männlich‹ zu sein habe, zu bestätigen. Die negativen Auswüchse dieses neuen ›homosexuellen Idealbildes‹ einmal außer Acht lassend, stellt die exemplarisch durch Finland sowie die gay machos/gay clones vertretene hypermaskuline Ästhetik ein wichtiges Kapitel in der Selbstinszenierung homosexueller Männer dar. Das lustvolle Spiel mit Männlichkeitsmarkern verdrängt die nunmehr als zwanghaft empfundene Passivität alter Ikonen und entspricht damit ganz dem Zeitgeist der Prä- und Post-Stonewall-Ära.1016 Der Wandel von einem ephebisch-androgynen zu einem (hyper-)maskulinen Ideal markiert einen wichtigen Schritt in der Emanzipationsbewegung homosexueller Männer. Die Differenzierung dieser zwei zunächst als grundverschieden angesehenen Konzeptionen bzw. Idealvorstellungen von ›homosexueller Geschlechtlichkeit‹ wird auch im Werk einiger zeitgenössischer Künstler_Innen wiederholt aufgegriffen, wenngleich auch unter anderen Vorzeichen. Betrachtet man das 2012 angefertigte Gemälde ADIDAS 12 (Abb. 125) des in Berlin lebenden Malers Lars Theuerkauff (*1968), so eröffnet 1011 1012 1013 1014 1015 1016
Butler 1991, S. 60. Vgl. Hennen 2008, S. 139. Butler 1991, S. 203. Hennen 2008, S. 173. Ebd., S. 168. Nach Eribon scheinen diese ›Maskulinisierungsversuche‹ jedoch keinen langfristigen Effekt zu haben: »Im Lauf der letzten dreißig oder vierzig Jahre haben die männlichen Homosexuellen insbesondere durch ›Maskulinisierung‹ ihrer Körper, ihrer Gestik, ihrer Kleidung (usw.) versucht, das Bild tiefgreifend zu ändern, dass sie sich von sich selbst bieten. Aber alle ihre Bemühungen haben die traditionelle Vorstellung vom Schwulen als ›Schwuchtel‹, ›Tunte‹, ›Schwulette‹, als männliche Version der Genderinversion, nicht wirklich entkräftet […] George L. Mosse weist darauf hin, dass die meisten schwulen Periodika seit den zwanziger Jahren fast durchweg versucht haben, ein ›männliches‹ Bild von Homosexuellen zu vermitteln […] Aber das hat in keiner Weise verhindert, dass männliche Homosexuelle im selben Zeitraum in der Karikatur und im homophoben Diskurs als effeminiert aufgefasst und präsentiert wurden.« (Eribon 2019, S. 136); vgl. Mosse, George L.: Das Bild des Mannes. Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit, Frankfurt a.M. 1997, S. 195.
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sich eine neue Herangehensweise an das Thema: In ADIDAS 12 inszeniert Theuerkauff einen in ein Fußballtrikot gekleideten Mann – eine zeitgenössische Ikone heteronormativer Männlichkeit – als homoerotisches Bildobjekt und verbindet hierfür eine maskuline mit einer femininen Bildsprache. In einem eng gewählten Bildausschnitt präsentiert der Künstler einen in Pastellfarben wiedergegebenen Mann, der gerade sein Trikot nach oben sowie seine Sporthose nach unten schiebt und in die Betrachtung seiner Bauch- und Leistenmuskeln vertieft zu sein scheint.1017 Sowohl die demonstrative Zurschaustellung des muskulösen Körpers als auch die Tatsache, dass das Gesicht des Modells im Schatten liegt und es somit entindividualisiert wird, verstärken den Aspekt einer Objektifzierung. Durch die Anonymisierung der Figur erhält diese auch einen übergreifenden Verweischarakter: Theuerkauff scheint weniger einen bestimmten Mann darstellen zu wollen als vielmehr ein Bild gegenwärtiger Männlichkeitsideale. Diese Ideale werden insbesondere durch das Fußballtrikot repräsentiert, welches in Entsprechung zum US-amerikanischen Typus des jocks für eine aggressive, athletische, kompetitive und dezidiert homophobe Form von Männlichkeit steht.1018 Ebendiese durch das Trikot zum Ausdruck gebrachte Idee von Maskulinität persifliert der Künstler aber sogleich durch die Verwendung von zarten Pastellfarben, die, wie anhand der Macaronis zu sehen war, in der gesellschaftlichen Wahrnehmung zunehmend weiblich konnotiert wurden. Jenseits der (Homo-)Erotisierung einer heteronormativen Bildikone kann Theuerkauffs Werk allerdings auch als selbstkritische Betrachtung einer schwulen Subkultur gelesen werden, in welcher das im Gemälde abgebildete Konzept von Männlichkeit nach wie vor in hohem Maße fetischisiert wird.1019 In der queeren Vereinnahmung eines vestimentären Markers wie des Fußballtrikots, welches mit einer betont männlichen und homophoben Haltung assoziiert wird bzw. wurde, hallt eine bekannte Strategie wider, die so in vergleichbarer Weise bereits anhand des hl. Sebastian oder des Jakob-Kampfes beobachtet wurde.1020
1017 Zum Künstler siehe Tannert, Christoph: Verwischungen, die aufs Ganze gehen. Über die Bilder von Lars Theuerkauff, in: Theuerkauff, Lars; Irrek, Hans; Perdomo, Óscar Armando et al.: Theuerkauff. Heidelberg 2019, keine Seitenangaben; siehe auch Rätzel, Oliver: Vom Chaos zum Kosmos. Die Methoden und Malstrategien von Lars Theuerkauff, online abrufbar unter: http://larstheuerkauff.de/biografie/(zuletzt 04.11.2020); siehe überdies Theuerkauff, Lars: Katalog: Werkauswahl 2006–2011, Berlin 2011. 1018 Der Fußballsport wird oftmals als ›letzte Domäne der Männlichkeit‹ beschrieben. Siehe Degele, Nina: Fußball verbindet – durch Ausgrenzung. Wiesbaden 2013, hier besonders die Kapitel »Homosexualität draußen halten« (S. 83–110) sowie »Geschlechter differenzieren« (S. 111–142). 1019 Anhand des Sneaker-Fetischs erläutert Ingo Mocek mögliche Beweggründe hinter der anhaltenden Fetischisierung homophober Männlichkeitsbilder: »Der nicht zu bremsende SneaxfetischBoom lässt sich zum einen damit erklären, dass der deutsche homosexuelle Mann gern das zum Fetisch macht, wovor er insgeheim Angst hat (Ostprolls, Türkenprolls). Je mehr der erniedrigende Akt, von einem Turnschuh tragenden Typen aus Brandenburg vermöbelt zu werden, sexuell aufgeladen wird, desto weniger wird er als Bedrohung empfunden; eine Strategie, sich nicht zum Opfer zu machen. Zugleich sind Dominanz und Ergebenheit immer wiederkehrende Topoi beim Sneakersex.« (Mocek, Ingo: Sneaker Sex Manual. In: HORST Magazine, Nr. 1 (2011), S. 202). 1020 Dies gilt auch für die von Fischer dokumentierte ›all American jock‹-Collegejacke.
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Die Aneignung von ›maskulin‹ konnotierten Attributen, Kleidungsstücken etc. spielt auch in der lesbischen Subkultur eine Rolle: So kleidet und gebärt sich die sogenannte butch (engl. maskulin) im Gegensatz zu ihrem femininen Pendant der femme (frz. weiblich) ebenfalls in einer explizit männlichen Art und markiert damit (zumindest ursprünglich) auch ihre dominante Rolle beim Geschlechtsverkehr – die Rollen der butch und femme entsprechen den schwulen Rollen des top (der Aktive) und bottoms (der Passive).1021 Das Auftreten einer butch-Lesbe unterscheidet sich dabei kaum von der Aufmachung eines gay machos, da beide derselben maskulinen Ästhetik nacheifern, wie sie etwa durch Tom of Finland oder durch Schauspieler wie James Dean in Rebel Without a Cause (1955) und Marlon Brando in The Wild One (1953) verkörpert wird.1022 Obwohl der gay macho-Stil ein bis heute andauerndes Ideal darstellt, existiert parallel dazu auch ein ästhetischer Ansatz, der an die Grenzübertretungen der Dandys und Macaronis anknüpft und der mit den verschiedensten Adjektiven bezeichnet wird: effeminiert, tuntig, flamboyant, affektiert, camp etc. Zu den prominentesten und sichtbarsten Vertretern dieser Gegenästhetik gehören u.a. die US-amerikanischen Radical Faeries sowie die deutsche Tuntenbewegung.1023 Diese zwei Gruppen, die sich beide in den 1970erJahren formierten, instrumentalisieren und politisieren das von der breiten Gesellschaft als Provokation wahrgenommene Spiel mit ›weiblichen‹ Modemarkern und hinterfragen damit die Geschlechterrollen. Sowohl die Vertreter_Innen der Radical Faeries als auch der Tuntenbewegung positionieren sich gegen das Konzept einer ›maskulinisierten‹ Homosexualität. So seien Tunten nach Patrick Hamm Männer, die ihre Rolle als Mann hinterfragen und ihre ›weiblichen‹ Charakteristika und Interessen ganz bewusst herausstellen würden.1024 Eine Unterkategorie stellen hierbei die ›politisierten Tunten‹ dar, welche das binäre Geschlechtermodell und die kulturelle Geringschätzung des ›Weiblichen‹ als Ursache von Homophobie und Misogynie sehen – nicht jede Tunte ist automatisch po-
1021 Siehe hierzu Geczy und Karaminas 2013, S. 24f und S. 32ff. 1022 Siehe ebd., S. 33. 1023 Zu den Radical Faeries siehe Hennen 2008, S. 59–94; zur Tuntenbewegung siehe Griffiths, Craig: Konkurrierende Pfade der Emanzipation. Der Tuntenstreit (1973–1975) und die Frage des ›respektablen Auftretens‹, in: Pretzel, Andreas; Weiß, Volker (Hg.): Rosa Radikale. Die Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Hamburg 2012, S. 143–159; zur Etymologie der ›Tunte‹: Das Wort meint im 19. Jahrhundert zunächst eine »›alberne, zimperliche, langsame Frau‹« und fand erst im 20. Jahrhundert auch Verwendung, um einen homosexuellen Mann zu bezeichnen. Zunächst wurde der Begriff abschätzig verwendet, dann jedoch von der schwulen Subkultur appropriiert (ähnlich wie das Wort ›queer‹ im englischen Sprachraum). Vermutlich ist es mit dem Wort ›Tante‹ verwandt – im Französischen ist ›tante‹ (dt. ›Tante‹) ebenfalls als Selbst- und Fremdbezeichnung von Homosexuellen gängig. (»Tunte«, in: Pfeifer, Wolfgang et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/Tunte (06.02.2020)); vgl. zur Wortherkunft und Bedeutung auch Purkart, Klaus: Woher stammen die Wörter ›Tunte‹ und ›Travestie‹? In: Hamm, Patrick (Hg.): Die Diva ist ein Mann. Das große Tuntenbuch, Berlin 2007, S. 18–25. 1024 Hamm, Patrick: Vorwort. In: Ders. (Hg.): Die Diva ist ein Mann. Das große Tuntenbuch, Berlin 2007, S. 7.
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litisch, jedoch ist das Tuntige innerhalb einer heteronormativen Gesellschaft immer ein Politikum.1025 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch die eklektische Gruppe der Radical Faeries, die zum großen Teil aus homosexuellen Männern besteht, welche sich einem tradierten Verständnis von Männlichkeit verwehren. Wie Hennen hierzu feststellt, wird diese Gegenwehr in fast identischer Weise zu den Tunten hauptsächlich durch eine Betonung ›weiblicher‹ Aspekte zum Ausdruck gebracht: »This is signaled in part by an active embrace and satire of the historically sedimented associations between same-sex orientation and effeminacy, which is most apparent in the way the community deploys drag.«1026 Hennen benennt mit dem Wort ›drag‹ bereits die radikalste Ausformung einer anti-maskulinistischen Ästhetik: die Travestie. Ein Phänomen, das im nachfolgenden Kapitel näher ergründet wird. Zum Abschluss und zur Überleitung auf das Thema der Travestie soll ein Kunstwerk betrachtet werden, welches zum einen die verschwommenen Grenzen der Travestie und zum anderen auch nochmals die Strenge der in der westlichen Kultur vorherrschenden Kleider- und Verhaltensordnung verbildlicht: In einer Fotografie aus der Serie Portraits of Men präsentiert der indische Künstler und Modefotograf Arka Patra (*1992) den Rückenakt eines jungen Mannes, der sich mit in die Hüfte gestemmtem Arm zu den Betrachter_Innen umblickt (Abb. 126).1027 Die androgyne Erscheinung des Fotomodells und Musikers Chittajit Bandopadhaya wird noch durch eine um den Hals getragene Perlenkette komplementiert. Die Androgynität der Inszenierung ist essenziell für Patras künstlerischen Ansatz, stellt doch der Bruch mit tradierten Vorstellungen von Männlichkeit einen roten Faden in seiner Fotografie dar.1028 Im vorliegenden Beispiel ›feminisiert‹ der Künstler sein Modell durch die Pose und den Perlenschmuck.1029 Beides gilt aus gegenwärtiger Sicht als ›effeminiert‹ und ›tuntig‹: Während die ›arms akimbo‹-Pose, bekanntermaßen seit der bürgerlichen (Mode-)Revolution als Ausdruck von Effeminiertheit verstanden wird, gilt auch die Perle seit Beginn des 20. Jahrhunderts als exklusiv ›weibliches‹ Schmuckstück. Über die vermeintliche ›Weiblichkeit‹ der Perle schreibt der US-amerikanische Herausgeber des Lotus Magazine’s Gustav Kobbé (1857–1918) im Jahr 1912: »A pearl worn by a woman is more than a mere jewel. It is the most distinctively feminine article of adornment there is. Sexless, for after all a pearl is a thing, not a person, yet it ever has seemed so much a part of the personality of the woman 1025 Laut des Historikers Craig Griffith wollen die ›politisierten Tunten‹ aufzeigen, »dass fixierte Geschlechterrollen die Grundlage jeder Unterdrückung von Homosexualität seien. Daher politisierten sie das Fummel-Tragen und ihr Tuntigsein als Durchbrechen dieser [heteronormativen, NM] Stereotype.« (Griffiths 2012, S. 145). 1026 Hennen 2008, S. 59. 1027 Zu Arka Patra siehe dessen Künstlerwebseite: https://arkapatra.com/ (11.02.2020). 1028 Hierzu der Künstler: »I mostly talk about gender in my images. […] We are so used to seeing women as delicate and vulnerable. I try to do similar portrayals but on a man’s body.« (Sharma, Khushboo: Visual Artist Arka Patra Is Bringing Out The Delicate Side Of The Male Body. Interview [16.07.2019] in: Indian Women Blog, http://www.indianwomenblog.org/visualartist-arka-patra-is-bringing-out-the-delicate-side-of-the-male-body/ (zuletzt 11.02.2020)). 1029 Vgl. hierzu die ästhetische ›Vertuntung‹ in Jerry Janoscos David-Serie (vgl. Abb. 88).
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it adorns, that it has come to partake of sex and may be regarded as the eternal feminine among jewels.«1030 Diese Definition der Perle als ›weibliches‹ Juwel sollte mit dem in den 1950er-Jahren aufkommenden Idealbild der Kernfamilie auch noch eine dezidiert heteronormative Bedeutung erhalten: die perlentragende Frau als fürsorgende Hausfrau und Mutter.1031 Die ›Verweiblichung‹ der Perle ist aber kein rein westliches Phänomen, sondern gilt im selben Maße auch für Indien, das Herkunftsland Patras; denn obwohl die Perle in Indien – ähnlich wie früher in Europa – einst auch männliche Monarchen zierte, verbreitete sich im Zuge der Kolonialisierung zunehmend ein westliches Männlichkeitsbild im Sinne des habit noir.1032 Anhand von Patras Fotografie lässt sich abermals zeigen, wie stark bestimmte Körperhaltungen aber auch Kleidungs- und Schmuckstücke in der heutigen Gesellschaft mit geschlechtsspezifischen Konnotationen aufgeladen sind. Bereits kleinste Details wie eine Perlenkette1033 oder aber eine affektierte Geste genügen, um das heteronormative Bild von Männlichkeit zu erschüttern. Diese niedrige ›Hemmschwelle‹ führt zur Annahme, dass innerhalb einer heteronormativ ausgerichteten Gesellschaft im Grunde genommen jede Form einer gegengeschlechtlichen Aneignung von ›männlichen‹ oder ›weiblichen‹ Attributen als ›transvestitisches Moment‹ bezeichnet werden kann. Dies erklärt auch die zuvor erwähnten verschwommenen Grenzen der Travestie, denn auch wenn es nicht Patras Intention ist, sein Fotomodell als Frau zu inszenieren, so arbeitet er dennoch mit ›transvestitischen‹ Mitteln im engeren Sinne. Aufbauend auf einem modehistorischen Abriss konnten verschiedene queere Modepositionen beleuchtet werden: Zunächst wurde am Beispiel der Macaronis und Dandys erläutert, wie es zur Vermengung von gleichgeschlechtlichem Begehren und einer als affektiert gebrandmarkten Ästhetik kommen konnte. Während diese Art der Selbstinszenierung und der damit einhergehende spielerische Umgang mit vestimentären Geschlechtsmarkern im 20. Jahrhundert von einigen Teilen der homosexuellen Subkultur zelebriert wurde (Tunten, Radical Faeries etc.), formierte sich demgegenüber allerdings auch eine Gegenbewegung, die sich der Gemengelage von Homosexualität und vermeintlicher Weiblichkeit ganz bewusst entgegenstellte (gay machos, Lederkerle
1030 Kobbé, Gustav: The Pearl. In: The Lotus Magazine, Vol. 4, Nr. 1 (Oktober 1912), S. 12–24; hier: S. 12. 1031 Siehe hierzu Ainsworth, Janet: What’s wrong with Pink Pearls and Cornrow Braids? Employee Dress Codes and the Semiotics Performance of Race and Gender in the Workplace, in: Wagner, Anne; Sherwin, Richard K. (Hg.): Law, Culture and Visual Studies. Heidelberg, New York und London 2014, S. 241–260; hier: S. 253. 1032 Es sei z.B. der ›Perlenfürst‹ Rana Nihal Singh von Dholpur (1863–1901) genannt. Vgl. Dubin, Lois Sherr; Togashi, Kiyoshi: Alle Perlen dieser Welt. Eine Kulturgeschichte des Perlenschmucks, Köln 1997, S. 298 und S. 300; zum Perlenschmuck bei europäischen Monarchen siehe z.B. das Triple Portrait of Charles I von Anthony van Dyck (1635) in der Royal Collection of the United Kingdom, in welchem der König einen Perlenohrring trägt. Vgl. hierzu Chadour-Sampson, Beatriz; Bari, Hubert: From the Renaissance to Rococo: A Profusion of Pearls, in: Kat. Ausst. Pearls. Victoria and Albert Museum in London 2014, London 2013, S. 61–94; hier: S. 76ff. 1033 Aktuell ist in der Mode der Trend zu beobachten, dass junge Männer vermehrt Perlenketten tragen und damit die tradierte Zuschreibung der Perle als ›weiblich‹ unterwandern.
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etc.). Trotz der fundamentalen Differenzen zwischen diesen beiden Ansätzen, fußen sie doch auf derselben Grundannahme, dass es sich sowohl beim Geschlecht als auch bei der Mode um performative Aspekte handle und man dementsprechend in verschiedene Rollen schlüpfen könne. Diese Erkenntnis ist auch zentraler Dreh- und Angelpunkt des im Folgenden zu betrachtenden Modephänomens der Travestie.
III.3.2 Mode und Körpersprache als Ausdruck einer queeren Semiotik (II): Mollies, Drag Queens und das transgressive Potential der Travestie Anknüpfend an die bisher gewonnenen Einsichten in die Geschichte geschlechtsspezifischer Mode soll mit der Travestie nun noch eine weitere queere Modeerscheinung untersucht werden, die eine wichtige Rolle in der Entstehung eines männlich-männlichen bzw. queeren Bildkanons einnimmt. Wenngleich Männer, die weiblich konnotierte Kleidungs- und Schmuckstücke tragen, schon zuvor thematisiert wurden, wie etwa am Beispiel der antiken Anakreonten oder der zeitgenössischen Fotografie Patras, so fehlt bisher eine differenzierte Betrachtung und Historisierung der Travestie. Im Nachfolgenden soll die noch ausstehende Untersuchung der Travestie nachgereicht werden, wobei der Fokus sich auf dezidiert queere Travestieformen richtet, d.h. auf Formen, die unmittelbar mit gleichgeschlechtlichem Begehren verknüpft sind und nicht auf solche, die gesellschaftlich akzeptiert wurden, wie z.B. innerhalb des Theaters oder der Oper (Männer in Frauenrollen, Castrati etc.). Eines der frühesten und besonders ausführlich dokumentierten Beispiele, in welchem es zu einer expliziten Vermischung von queerer Männlichkeit und dem Tragen ›weiblicher‹ Kleidung kam, findet sich im London des späten 17. Jahrhunderts: In den sogenannten Molly Houses versammelten sich hauptsächlich gleichgeschlechtlich begehrende Männer der arbeitenden Klasse, um dort mit Gleichgesinnten in einem (halbwegs) geschützten Raum zu trinken und Sex zu haben.1034 London, das um 1700 über eine halbe Million Einwohner zählte, bot mit seiner Größe und der damit einhergehenden Anonymität ideale Voraussetzungen für die Bildung solcher Etablissements.1035 Allerdings blieben die Molly Houses nicht lange unentdeckt. Angesichts der damals herrschenden Strafverfolgung von gleichgeschlechtlichem Verkehr wurden diese Häuser mitsamt ihrer Klientel – Mollies genannt1036 – immer wieder Opfer von polizeilichen Razzien 1034 Siehe etwa Holmes, Michael M: Mollies. In: Haggerty, George E.; Beynon, John; Eisner, Douglas (Hg.): Encyclopedia of Lesbian and Gay Histories and Cultures. New York und London 2015, S. 933–935; zur Entstehung der Molly Houses siehe Trumbach 1989, S. 137f; sowie Norton 1992, S. 54ff. 1035 Vgl. Saslow 1999, S. 152f; ähnliche Etablissements gab es u.a. in Lissabon. Vgl. Greenberg 1990, S. 334. 1036 Die Bezeichnung Molly leitet sich laut Robert L. Mack von einem umgangssprachlichen Ausdruck für weibliche Sexarbeiter_Innen ab, der alsbald auch für effeminierte Männer Verwendung fand. Siehe Mack, Robert L.: Molly Houses. In: Haggerty, George E.; Beynon, John; Eisner, Douglas (Hg.): Encyclopedia of Lesbian and Gay Histories and Cultures. New York und London 2015, S. 935–936; hier: S. 935; eine andere Herleitung geht davon aus, dass der Name Molly mit dem lateinischen Begriff mollitia (von lat. mollis für sanft) zusammenhängt. Mollitia ist das römisch-antike Äquivalent zum griechisch-antiken Konzept des kinaidos. Vgl. hierzu den Beitrag Mollis. In: Dynes, Wayne R. (Hg.): Encyclopedia of Homosexuality. New York 1990, S. 826–827; hier: S. 827; zum kinaidos siehe Kapitel II.1.3; zu mollitia siehe Halperin 2004 u.a. S. 74.
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sowie Zielscheibe der 1691 in London gegründeten Society for the Reformation of Manners, einer religiösen Organisation, welche sich die ›Beseitigung‹ von ›Sodomiten‹, Sexarbeiter_Innen sowie anderen ›Sündigenden‹ aus dem Stadtbild zur Aufgabe gemacht hatte.1037 Die strenge Verfolgung und Niederschlagung der Mollies und ihrer Treffpunkte ist aus historischer Sicht insofern ein ›Glücksfall‹, als dass der Nachwelt dadurch zahlreiche Dokumente erhalten geblieben sind. So lässt sich aus den besagten Überlieferungen rekonstruieren, dass dem Rollenspiel und der Travestie in den Molly Houses eine große Bedeutung zukam: Fast alle Gäste hüllten sich dort demnach regelmäßig in weibliche Kleidung und sprachen sich auch mit weiblichen Namen bzw. Bezeichnungen wie Molly, Mary, queen, sister etc. an – dieser ›female dialect‹ existiert auch heute noch in vielen queeren Subkulturen.1038 Der berüchtigte Kriminelle Jonathan Wild (1683-1725), der einst eine Feier in einem Molly House besuchte, beschreibt die Mollies in abwertender Art als »HeWhores […] rigg’d in Gowns, Petticoats, Head cloths, fine lac’d Shoes, Furbelow Scarves, and Masks.«1039 Und der Satiriker Edward (Ned) Ward (1667-1731) ergänzt in seinem Buch The History of the London Clubs (1709) hierzu, dass die Mollies nicht nur der Travestie gefrönt, sondern auch Scheinhochzeiten (Hochzeitsnacht inklusive) in ihren Häusern gefeiert hätten.1040 Konfrontiert mit solchen ›Ausschweifungen‹ hält sich auch Ward nicht mit verächtlicher Kritik zurück: »There are a particular Gang of Wretches in Town, who call themselves Mollies, & are so far degenerated from all Masculine Deportment or Manly exercise that they rather 1037 Zur Strafverfolgung siehe Holmes 2015, S. 934f; Norton merkt noch an, dass es in der Molly-Szene deshalb besonders viele Verurteilungen gab, weil die meisten Gäste aus der arbeitenden Klasse stammten und nicht dieselben finanziellen Möglichkeiten hatten wie reichere Männer, die sich oftmals von Sodomie-Anklagen freikauften. Siehe Norton 1992, S. 221; zur Society for the Reformation of Manners siehe Bray, Alan: Homosexuality in Renaissance England. London 1982, S. 82, S. 89f. 1038 Vgl. Mack 2015, S. 936; sowie Holmes 2015, S. 934; Norton spricht sich dagegen aus, die Molly Houses als explizite Transvestiten-Clubs zu verstehen. Doch auch er betont, dass die Travestie ein wichtiger Bestandteil der Molly-Kultur war. Siehe Norton 1992, S. 96; zu den Ursprüngen des ›female dialects‹ in der Molly-Szene siehe Bolton, Andrew; Godtsenhoven, Karen van; Garfinkel, Amanda: Camp: Adjective, in: Kat. Ausst. Camp: Notes on Fashion, Metropolitan Museum in New York 2019, New Haven und London 2019b, S. I/89– I/98; hier: S. I/90; sowie Norton 1992, S. 92ff; siehe zudem Smorag, Pascale: »From Closet Talk to PC Terminology«: Gay Speech and the Politics of Visibility [14.05.2008] in: Transatlantica. Vol. 1 (2008), https://journals.openedition.org/transatlant ica/3503 (21.02.2020); Eribon sieht den Ursprung dieser ›feminisierten‹ Sprechweise ebenfalls im 18. Jahrhundert: »Es ist auffallend, dass die schwule Kultur eine Art eigene Sprache entwickelte, einen spezifischen Slang. In Réflecions sur la question gay zitierte ich jene Textpassage von Proust, wo jemand von sich als Frau spricht. Im Grunde ist das eine linguistische, bis ins 18. Jahrhundert zurückreichende Tradition schwuler Kultur.« (Eribon, Didier; Jocks, Heinz-Norbert: Philosophische Überlegungen zur Schwulenfrage. Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks, in: Kunstforum: Der Homoerotische Blick, Band 154 (April und Mai 2001), S. 95–105; hier: S. 101). 1039 Zitiert nach Greenberg 1990, S. 333; Greenberg bezieht sich auf Howson, Gerald: Tief-Taker General: Jonathan Wild and the Emergence of Crime and Corruption as a Way of Life in Eighteenth Century England. New Brunswick 1970, S. 49. 1040 Ward, Edward (Ned): The History of the London Clubs. Or, The Citizens’ Pastime, London 1896 (zuerst 1709), S. 28f; siehe auch Greenberg 1990, S. 333.
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fancy themselves Women, imitating all the little Vanities that Custom has reconcil’d to the Female sex, affecting to speak, walk, tattle, curtsy, cry, scold, & mimick all manner of Effeminacy.«1041 Anders als es Wards Worte vermuten lassen, wollten die meisten Mollies jedoch keine Frauen sein, vielmehr hatte das Anlegen weiblicher Kleidung für einen Großteil von ihnen wohl nur performativen Charakter und geschah zumeist nur innerhalb der Clubs – daraus sollte jedoch keineswegs geschlussfolgert werden, dass es nicht auch Mollies gab, die sich selbst anderweitig definierten, sei es nun als Transvestiten oder als transgeschlechtliche Individuen.1042 Auch wenn die am Beispiel von Ward und Wilde dargelegten historischen Beschreibungen oftmals zu Übertreibungen neigen, so spricht die Vielzahl an ähnlichen Berichten doch dafür, dass uns hier ein mehr oder weniger akkurater Einblick in die MollyKultur gewährt wird.1043 Von Relevanz für die weitere Argumentation ist dabei ein ganz bestimmter Punkt: Im Gegensatz zu früheren Formen der Travestie, wie den Anakreonten, bei denen das Tragen weiblich konnotierter Kleidung Bestandteil einer gesellschaftlichen Kulturpraxis war und unabhängig von männlich-männlicher Sexualität gesehen wurde, war bzw. ist gleichgeschlechtlicher Sex eine wesentliche Komponente der MollyKultur.1044 Mit ihrer offensiven Sexualität und der gezielten Verunglimpfung einer ›heteronormativen‹ Ordnung (Kleidung, Rituale etc.) überschritten die Mollies die damals üblichen Konzeptionen von ›Sodomiten‹ und ›Effeminierten‹.1045 In der Tat stellen die Molly Houses eines der frühesten Beispiele für eine Subkultur dar, in welcher der später gängige Konnex zwischen einer von der Gesellschaft als ›deviant‹ angesehenen Geschlechtlichkeit
1041 Ward 1896, S. 28; die Verwendung des Wortes ›degeneriert‹ erinnert an Nordau 1896, S. 49f. 1042 In diesem Zusammenhang verweist Norton auf den Metzger John Cooper aka »Princess Seraphina«, der bzw. die (es ist nicht bekannt, wie er/sie sich definierte) auch außerhalb der Molly Houses in weiblicher Kleidung auftrat (siehe Norton 1992, S. 93–95; hier: S. 94). Nach Norton handelt es sich bei der »Princess« um die erste Drag Queen Englands: »Princess Seraphina was a gentleman’s servant, and a kind of messenger for mollies (gay men), and a bit of a hustler. More to the point, she was the first recognizable drag queen in English history, that is the first gay man for whom dragging it up was an integral part of his identity« (Norton, Rictor: Princess Seraphina, 1732, [02.01.1999, zuletzt geändert 31.01.2006] in: Ders. (Hg.): Homosexuality in Eighteenth-Century England: A Sourcebook, http://rictornorton.co.uk/eighteen/seraphin.htm (26.02.2020)); Simon Doonan beschreibt die Molly-Szene in seiner Monographie von 2019 ganz konkret als »a gay/trans subculture« (Doonan, Simon: Drag: The Complete Story, London 2019, S. 122); bezüglich transvestitischer Verkleidungen außerhalb der Molly Houses schreibt Trumbach unter Berufung auf Jonathan Wild, dass es vorkam, dass Mollies in weiblicher Kleidung auch Maskenbälle in anderen Etablissements besuchten. Vgl. Trumbach 1989, S. 138. 1043 Vgl. Greenberg 1990, S. 333. 1044 Laut Bray haben sich die Molly Houses wohl aus »homosexual ›brothels‹« des frühen 17. Jahrhunderts entwickelt. Er ergänzt jedoch, dass die Prostitution in den Molly Houses eine untergeordnete Funktion gespielt habe und diese daher eher als Clubs zu bezeichnen sind und nicht als Bordelle. Vgl. Bray 1982, S. 85. 1045 Holmes schreibt: »[M]olly travesty went beyond mere effeminacy to involve the parodie performance of heteronormative experiences and institutions.« (Holmes 2015, S. 934).
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und einer gleichermaßen ›devianten‹ (Homo-)Sexualität gezogen werden kann. In vielfacher Weise präfigurieren die Mollies damit spätere queere Subkulturen, wie z.B. die ballroom culture, in welcher ganz bewusst mit etablierten Geschlechterbildern gespielt wird.1046 Ebenso wie sich die Teilnehmer_Innen der balls einer Gesellschaft erwehren, welche die Menschen nach strikt heteronormativen Grundsätzen beurteilt, können auch die Mollies als Reaktion auf eine zunehmende Verhärtung der Geschlechter- und Sexualitätsvorstellung verstanden werden: Eine zu dieser Zeit wachsende Gleichsetzung von Männlichkeit mit gegengeschlechtlichem bzw. ›heterosexuellem‹ Begehren habe laut Trumbach dazu beigetragen, dass das einst undifferenzierte Bild der ›Sodomiten‹ durch die Idee einer ›sodomitischen Spezies‹ abgelöst wurde, von der es sich unbedingt abzugrenzen galt.1047 In den effeminierten Mollies meinte man schließlich die ›erschreckende‹ Verkörperung dieser ›neuen Spezies‹ gefunden zu haben.1048 Passend zu dieser Ausdeutung der Molly-Kultur als Antwort auf einen sich allmählich zuspitzenden Geschlechterdiskurs und eine zunehmende Differenzierung sexueller Identitäten1049 beschreibt der Historiker Alan Bray das performative Spiel der Mollies als ›identitätsstiftend‹: »Effeminacy and transvestism with specifically homosexual connotations were a crucial part of what gave the molly houses their identity.«1050 Diese ›Identität‹ geht mit der Entwicklung einer sich bewusst abgrenzenden Modesemiotik sowie der Entstehung eines eigenständigen Jargons einher.1051 Hier werden eindeutige Parallelen zur ball
1046 Siehe Kapitel III.3.1. 1047 Vgl. Trumbach 1989, S. 140. 1048 Trumbach erläutert: »The molly was therefore a wall of separation between the genders rather than a bridge. […] Men would never know what it was like to desire men: Only women knew that. And the molly’s outcast status was the demonstration of what awaited a man who tried to cross the boundary between sexual desire in the two legitimated genders.« (Ebd.). 1049 Man denke an Trumbachs und Ragans Geschlechterdifferenzierung (Männer, Frauen, Sodomiten und Sapphistinnen). Siehe Ragan 1996, S. 12; vgl. zudem Trumbach 1989 u.a. S. 130. 1050 Bray 1982, S. 88; Holmes, der sich ebenfalls auf Bray bezieht, sieht die Aussagen des Historikers in Opposition zu der u.a. von Trumbach vertretenen Meinung, dass die Mollies hauptsächlich das Produkt einer Internalisierung gesellschaftlicher Ansichten seien. Trumbach schreibt: »It [die MollyKultur, NM] makes it clear that the sodomite viewed himself, and was seen by others, no longer as a rake but as a species of outcast woman.« (Trumbach 1989, S. 137) Dem entgegnet Holmes: »Randolph Trumbach and others have argued that by 1700 a shift in public attitudes had occurred toward gender and sexuality, such that masculinity was henceforward largely defined by the desire for, and performance of, sex with women; effeminacy, in turn, became linked with homosexual sodomy. Mollies’ behavior may represent an internalization of this equation. A more likely explanation is that their practices frequently involved a deliberate, transgressive flouting of conventions and, as Alan Bray, suggests, a willfully ironic dislocation of heterosexual norms.« (Holmes 2015, S. 934) Ob die Mollies nun das Resultat einer Internalisierung oder aber einer bewussten Ironisierung etablierter Geschlechterrollen waren – wahrscheinlich trifft beides zu –, lässt sich aus heutiger Perspektive nicht mehr endgültig beantworten. Fest steht jedoch, dass ihr Auftauchen in direktem Zusammenhang mit dem Erstarken eines auf Differenzierung ausgerichteten Geschlechterdiskurses steht. Vgl. Hierzu Greenberg 1990, S. 334. 1051 Bray führt weiter aus: »But most of all what gave it [Molly Houses, NM] its independence in society was its elaboration of its own distinctive conventions: ways of dressing, of talking, distinctive gestures and distinctive acts with an understood meaning, its own jargon.« (Bray 1982, S. 86).
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culture des 20. Jahrhunderts deutlich, welche sich ebenfalls durch einen eigenen Jargon und eine eigene Kleider(un)ordnung auszeichnet. Diese Ähnlichkeiten bekräftigen die Annahme, die Mollies als Präfigurationen späterer queer-transvestitischer Subkulturen zu lesen. Eine entscheidende Frage, welche sich auch hinsichtlich späterer Formen queerer Travestie noch stellt, betrifft die Motivation der Mollies hinter der Aneignung ›weiblicher‹ Attribute: Erfolgte die Appropriation aus emanzipatorischen oder aber aus misogynistischen Beweggründen? Oder anders gefragt: Mokierten sich die Mollies über Frauen – eine Annahme, die sowohl von zeitgenössischen als auch von gegenwärtigen Stimmen vertreten wurde bzw. wird –, oder sahen sie in der Vereinnahmung ›weiblicher‹ Marker eine Möglichkeit sich von gesellschaftlichen Erwartungen zu emanzipieren?1052 Ein von Saslow angeführtes und 1707 entstandenes Holzschnitttriptychon eines unbekannten Londoner Illustrators (siehe Abb. 127), welches den zynischen Titel The Women-Hater’s Lamentation trägt, lässt zumindest vermuten, dass gleichgeschlechtlich begehrende Männer von weiten Teilen der damaligen Gesellschaft als frauenfeindlich erachtet wurden.1053 Auf dem Triptychon ist mittig ein sich innig umarmendes Männerpaar zu sehen, welches linker- und rechterhand von je einer Darstellung gerahmt wird, die den Freitod eines (rechts) bzw. zweier (links) ›Sodomiten‹ zeigt. Alle ›sodomitischen‹ Figuren tragen einen Justacorps sowie eine Allongeperücke und sind damit klar als Männer zu erkennen. Wie Rictor Norton in seinem Buch Mother Clap’s Molly House. The Gay Subculture in England 1700–1830 (1992) sowie seiner online zur Verfügung gestellten Quellensammlung Homosexuality in Eighteenth-Century England (1999) dazu weiter ausführt, bezieht sich der Holzschnitt, der zusammen mit einer Spottballade in Form einer broadside (ein pamphletartiges Liederblatt) veröffentlicht wurde, auf einen konkreten Vorfall: 1707 wurde unter Mitwirkung der Society for the Reformation of Manners eine Gruppe von ›Sodomiten‹ verhaftet, darunter auch welche, die sich in einem ›Club‹ (wohl ein Molly House) versammelt hatten.1054 In der Haft nahmen sich drei der Männer das Leben, was sich auch mit der Anzahl der Selbstmörder im Holzschnitt deckt.1055 Die Spottballade kommentiert den tragischen Vorfall wie folgt: »Nature they lay aside,/To gratifie their Lust;/Women they hate beside,/Therefore their Fate was just.«1056 Die ›Sodomiten‹, welche nach Meinung des Balladenschreibers den Freitod verdient hätten, werden aufgrund ihrer Sexualität als Frauenhasser deklariert. Für Norton äußert sich in diesen Zeilen das auch heute noch verbreitete Stereotyp, welches gleichgeschlechtliches Begehren und Misogynie als intrinsisch miteinander verbunden versteht.1057 In der Gleichsetzung von männlich1052 Für ein zeitgenössisches Beispiel zum Vorwurf der Misogynie in der Molly-Szene siehe Ward 1896, S. 28f; und für ein gegenwärtiges Beispiel siehe Holmes 2015, S. 934. 1053 Siehe Saslow 1999, S. 152. 1054 Norton 1992, S. 49ff; siehe zudem Norton, Rictor: The Women-Hater’s Lamentation, 1707, [zuletzt geändert 01.12.1999] in: Ders. (Hg.): Homosexuality in Eighteenth-Century England: A Sourcebook, http://rictornorton.co.uk/eighteen/hater.htm (20.02.2020). 1055 Einer der Männer wird im Untertitel der broadside als der Stoffhändler Mr. Grant identifiziert. 1056 Zitiert nach Norton 1999 (http://rictornorton.co.uk/eighteen/hater.htm). 1057 Norton ergänzt: »It is worth noting that certain gay stereotypes were already well in place as early as 1707, notably the linking of homosexuality with brutal and ›unnatural‹ lust, and the
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männlichem Begehren und Frauenfeindlichkeit drückt sich jedoch keine ›soziologische Wahrheit‹ aus, vielmehr ist auch diese gedankliche Verknüpfung auf den sich damals ausbreitenden Geschlechterdiskurs zurückzuführen, der Sexualität und Geschlecht zunehmend in eine Wechselbeziehung zueinander stellte und damit die kulturell gespeisten Rollen von ›Mann‹ und ›Frau‹ essenzialisierte.1058 Im Hinblick auf die zuvor gestellte Frage nach den Beweggründen der Mollies darf angenommen werden, dass es sich bei deren Appropriation ›weiblicher‹ Marker nicht pauschal um einen ›misogynen‹ Akt gehandelt hat. Zumindest scheint es auch viele Frauen gegeben zu haben, die sich gut mit den Mollies verstanden, wenn nicht sogar enge Beziehungen zu ihnen pflegten: Neben Margaret Clap, der Betreiberin eines der bekanntesten Molly Houses in London, sind hier auch die Zeuginnen zu nennen, die sich während eines Gerichtsprozesses für die stadtbekannte Molly Princess Seraphina verbürgten.1059 Da uns zur Rekonstruktion der Molly-Szenen jedoch überwiegend Dokumente vorliegen, die lediglich eine Außenperspektive auf die Vorgänge in den Molly Houses gestatten, verbleibt die wahre Motivation hinter der Aneignung von ›Weiblichkeit‹ im spekulativen Bereich. Doch die bisher gesammelten Kenntnisse über die Mollies bilden eine gute Grundlage, um das nächstgrößere Aufkommen einer queeren Travestiekultur zu untersuchen: die drag ball- bzw. ball room-Kultur. Der Ursprung der am Beispiel des Dokumentarfilms Paris is Burning besprochenen drag balls bzw. der ball room culture lässt sich auf die jahrhundertealte Tradition der Maskenbälle zurückführen und stellt damit ein weiteres Bindeglied zu den transvestitischen Festlichkeiten in den Molly Houses dar, die ebenfalls aus diesem Brauch hervorgingen.1060 Alle drei genannten Veranstaltungsarten eint, dass es sich gemäß Foucault um Heterotopien handelt, also um Räumlichkeiten, in denen eigene Gesetzmäßigkeiten gelten bzw. in denen geltende Ordnungen invertiert werden.1061 Entscheidend für das heterotopische Wesen von Maskenbällen, Molly-Festen und drag balls ist vor allem die Maskerade bzw. das Spiel mit vestimentären Markern: Erst durch den Bruch mit der jeweils vorherrschenden Kleiderordnung entsteht, zumindest für die Dauer der Veranstaltung, eine temporäre Heterotopie, in welcher die soziale und geschlechtliche Ordnung verunklärt wird.
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characterization of a homosexual personality type as a misogynist. These men […] are said to despise women and admire their own sex.« (Ebd. (http://rictornorton.co.uk/eighteen/hater.ht m)). Dies soll nicht heißen, dass es keine misogynen ›Sodomiten‹ bzw. Mollies gab, sondern lediglich, dass sich gleichgeschlechtliches Begehren und Misogynie nicht zwangsläufig gegenseitig bedingen. Zu Margaret Clap siehe Norton 1992, S. 54–56; zu den Zeuginnen und dem Prozess siehe ebd., S. 95. Mack sieht die Travestiefeiern in den Molly Houses als Anzeichen für die steigende Popularität von Maskenbällen in der breiten Bevölkerung: »Cross-dressing was apparently a common activity in the houses, some of which reflected the growing popularity of the masquerade as a form of entertainment and social intercourse by encouraging an aggressive transvestism.« (Mack 2015, S. 936). Siehe Foucault 1992, S. 39; zu queerer Räumlichkeit siehe auch Kapitel III.3.4 und III.3.5.
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Allerdings unterscheiden sich die drag balls und damit einhergehend auch die Travestiefeiern der Mollies in einigen wesentlichen Punkten von gesellschaftlich sanktionierten Formen der Maskerade.1062 Während sich die ursprüngliche Idee der Maskenbälle an ein möglichst breites und vorrangig gegengeschlechtlich interessiertes Publikum gerichtet hatte, in welchem die Travestie nur eine von vielen Verkleidungsoptionen darstellte, wandten sich die Travestiefeiern in den Molly Houses sowie die gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts auftauchenden drag balls an ein dezidiert queeres Publikum, welches sich aufgrund seiner geschlechtlichen und sexuellen Identität außerhalb der Mehrheitsgesellschaft befand und gerade deswegen der Travestie eine weitaus wichtigere Position einräumte: Der spielerische Umgang mit weiblich und männlich konnotierter Kleidung ermöglichte eine unmittelbare Rebellion gegen die oppressive Hegemonie eines scharf differenzierten Mann-Frau-Binarismus. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass die Entstehung der drag balls zugleich ein direktes Resultat der Unterdrückung queerer Geschlechtlichkeit und Sexualität war.1063 Obwohl gleichgeschlechtlich begehrende Menschen auch an ›regulären‹ Maskenbällen teilnahmen, waren sie aufgrund ihrer prekären gesellschaftlichen Situation immer wieder großen Gefahren ausgesetzt und wurden beispielsweise wiederholt Opfer von Polizeischikanen oder Gewaltakten – letzteres hat auch heute noch traurige Relevanz.1064 Die drag balls waren daher von Beginn an stets auch als Schutz- bzw. Zufluchtsräume gedacht, in denen die eigene Andersartigkeit zelebriert werden konnte. Dieser Schutzgedanke, den bereits die Molly Houses verfolgten und der sich über die in Paris is Burning geschilderte Szene der 1980er-Jahre bis in die Gegenwart durchzieht, manifestiert sich auch auf sprachlicher Ebene: So ist es sowohl im US-amerikanischen Jargon als auch darüber hinaus üblich, den Zusammenschluss von mehreren Mitgliedern der Szene als »house« zu bezeichnen, welches unter der Leitung einer ›Mutterfigur‹ (»mother«) den oftmals von ihren eigenen Familien verstoßenen »children« (die Selbstbezeichnung der House-Mitglieder) eine Ersatzfamilie bietet – hier zeigen sich erneut Parallelen zur Molly-Kultur.1065
1062 Julie M. Cox definiert den drag ball in Abgrenzung zum gängigen Maskenball: »Drag balls are a combination of masked balls, theatrical performance, and fashion show in which cross-dressing plays an integral role. They are masked balls that have been assimilated into gay subculture. Drag balls, like their earlier incarnation, the masked ball, allow for an obscuring of identity. The primary difference between the two is that masked balls were traditionally assumed to be for heterosexual audiences, whereas drag balls were not.« (Cox, Julie. M: Drag Balls. In: Haggerty, George E.; Beynon, John; Eisner, Douglas (Hg.): Encyclopedia of Lesbian and Gay Histories and Cultures. New York und London 2015, S. 409–410; hier: S. 409). 1063 Siehe Chauncey 1994, S. 293. 1064 Hierzu berichtet Chauncey: »They [queer people, NM] were able to attend some balls because the setting made it difficult to distinguish them from other participants. They were tolerated – and even welcomed – at other balls precisely because their presence contributed to the conceit of inversion already central to the affairs. But homosexuals were harassed at still other balls, perhaps because […] their cross-dressing seemed less a masquerade than an expression of their ›genuine perversion‹« (Ebd., S. 292f). 1065 Vgl. Goldsby, Jackie: Queens of Language. Paris is Burning, in: Gever, Martha; Parmar, Pratibha; Greyson, John (Hg.): Queer Looks. Perspectives on Lesbian and Gay Film and Video, New York und London 1993, S. 108–116; hier: S. 108f.
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Zeitlich sind die ersten drag balls auf die Jahrhundertwende zu datieren und knüpfen damit an eine Hochphase der Maskenbälle von 1880 bis 1890 an.1066 Wie schon die Molly Houses und andere vergleichbare Etablissements waren bzw. sind auch die drag balls hauptsächlich ein urbanes Phänomen, welches sich primär in großen Städten, wie etwa New York, Paris, London sowie Berlin, etablierte.1067 Das deutsche Pendant zu den drag balls, die sogenannten Tuntenbälle bzw. Urningsbälle (abgeleitet von Ulrichs Bezeichnung ›Urning‹ für Homosexuelle), entstand in etwa zeitgleich zu den nordamerikanischen Ablegern und galt nach Hirschfelds Schrift Berlins Drittes Geschlecht (zuerst 1904) bereits um 1900 als große Attraktion: »Von einigen Wirten urnischer Lokale […] werden namentlich im Winterhalbjahr große Urningsbälle veranstaltet, die in ihrer Art und Ausdehnung eine Spezialität von Berlin sind. Hervorragenden Fremden, namentlich Ausländern, die in der jüngsten europäischen Weltstädte etwas ganz Besonderes zu sehen wünschen, werden sie von höheren Beamten als eine der interessantesten Sehenswürdigkeiten gezeigt.«1068 Einen dieser Bälle besuchte Hirschfeld selbst und beschrieb das Ereignis wie folgt: »Viele Besucher sind im Gesellschafts- oder Straßen-Anzug, sehr viele aber auch kostümiert. Einige erscheinen dicht maskiert in undurchdringlichen Dominos, sie kommen und gehen, ohne dass jemand ahnt, wer sie gewesen sind; […] ein Teil kommt in Phantasiegewändern, ein großer Teil in Damenkleidern […] Nicht wenige wirken in ihrem Aussehen und ihren Bewegungen so weiblich, dass es selbst Kennern schwer fällt, den Mann zu erkennen.«1069 Obwohl vereinzelt auch Frauen an den Tunten- bzw. Urningsbällen teilnahmen, entwickelten sich analog zu diesen Herrenveranstaltungen auch Ballabende für lesbische Frauen bzw. ›Uranierinnen‹, in denen zahlreiche Teilnehmer_Innen in männlicher Tracht auftraten.1070 Sowohl die Frauen- als auch die Herrenbälle wurden in einschlä-
1066 Vgl. Chauncey 1994, S. 291. 1067 Zur ›Urbanität‹ von Homosexuellen schreibt Hirschfeld bereits 1904: »Es ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, dass in Berlin mehr Homosexuelle geboren werden, wie in der Kleinstadt oder auf dem Lande, doch liegt die Vermutung nahe, dass bewusst oder unbewusst diejenigen, welche von der Mehrzahl in nicht erwünschte Form abweichen, dorthin streben, wo sie in der Fülle und dem Wechsel der Gestalten unauffälliger und daher unbehelligter leben können.« (Hirschfeld 1991, S. 13). 1068 Ebd., S. 103; jenseits dieser temporären Veranstaltungen existierten in Berlin während der ersten Hälfte des 20. Jhd. auch ›Transvestitenlokalen‹. Siehe Sternweiler, Andreas: Schwules Selbstbewusstsein. In: Kat. Ausst. Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung. Schwules Museum und Akademie der Künste in Berlin 1997, Berlin 1997a, S. 123–128; hier: S. 124f und S. 127; in allen anderen deutschen Städten gab es zu dieser Zeit eine weniger differenzierte Szene. Dies führte u.a. dazu, dass sich das Publikum in Städten wie Hamburg stärker vermischte und Transvestiten hier mit Matrosen, Strichern sowie Mitgliedern der Bourgeoisie feierten. Vgl. Micheler, Stefan: Zeitschriften, Verbände und Lokale gleichgeschlechtlich begehrender Menschen in der Weimarer Republik. Unveröffentlichtes Dissertationskapitel, [01.08.2008], S. 63, online abrufbar unter: http://www.stefa nmicheler.de/wissenschaft/stm_zvlggbm.pdf (01.04.2020). 1069 Hirschfeld 1991, S. 104. 1070 Ebd., S. 106ff; Hirschfeld nimmt mit seiner Verwendung des Wortes »Uranier« bzw. »Uranierin« explizit Bezug auf Ulrichs. Siehe ebd., S. 15.
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gigen Publikationen, wie etwa Die Freundschaft (1919–1933) oder Die Freundin (1924–1933) – zwei der bedeutendsten deutschsprachigen schwulen bzw. lesbischen Zeitschriften des frühen 20. Jahrhunderts –, auch öffentlich beworben. Eine dieser Werbungen stammt z.B. aus einer Juliausgabe der Freundin aus dem Jahr 1929 und wirbt mit der Ganzkörperfotografie einer rauchenden Frau im Herrenanzug für einen »Damen-Ball« im Berliner Klub Violetta (siehe Abb. 128).1071 Bei dem Modell, welches auch die Titelseite der besagten Ausgabe ziert, handelt es sich um Lotte (Charlotte) Hahm (1890–1967), eine Galionsfigur der queeren Szene in Berlin, die neben der Leitung zahlreicher (lesbischer) Bars und Treffpunkte (Violetta, Manuela Bar etc.) auch Mitglied im Bund für Menschenrecht e. V. (ehemals Deutscher Freundschaftsverband) war und sich dort für die Abschaffung des Paragraphen 175 einsetzte.1072 Für Hahm, die in der Freundin nicht nur wiederholt als ›Aushängeschild‹ der Violetta in den Werbespalten auftauchte1073 , sondern auch regelmäßig Beiträge für die Zeitschrift verfasste, war das Anlegen männlicher Kleidung ein zentraler Aspekt ihrer eigenen Identität. So gründete sie 1929 die Transvestitenvereinigung D‘Eon1074 , welche weibliche und männliche Transvestiten willkommen hieß und überdies als Veranstaltungsorgan der in der Freundin beworbenen transvestitischen Tanzabende in Erscheinung trat.1075 Die von Hirschfeld dokumentierte und von Hahm exemplarisch verkörperte Sichtbarkeit queeren Lebens in Berlin zur Zeit der Weimarer
1071 Siehe Radszuweit, F. (Hg.): Die Freundin Nr. 1, 5. Jahrgang (02. Juli 1929), keine Seitenangaben; für Frauen, die sich in männlicher Kleidung bzw. als Männer präsentieren, hat sich in der anglisierten Umgangssprache der gegenwärtigen Szene die Bezeichnung Drag King etabliert. Siehe Halberstam, Jack: Mackdaddy, Superfly, Rapper: Gender, Race, and Masculinity in the Drag King Scene. In: Social Text: Queer Transexions of Race, Nation, and Gender, Nr. 52/53 (Herbst/Winter 1997), S. 104–131. 1072 Zu Hahm siehe Schader, Heike: Virile, Vamps und wilde Veilchen. Sexualität, Begehren und Erotik in den Zeitschriften homosexueller Frauen im Berlin der 1920er-Jahre, Königstein 2004, S. 76f; über Hahm berichtet Schader zudem, dass diese 1935 in das Frauenkonzentrationslager in Moringen kam und 1938 entlassen wurde. Nach 1945 nahm Hahm ihre aktivistischen Tätigkeiten wieder auf und gründete einen Frauenklub. Kurz vor ihrem Tod 1958 versuchte sie noch den Bund für Menschenrechte wiederzubeleben (vgl. Ebd., S. 77). 1073 Vgl. Radszuweit, F. (Hg.): Die Freundin Nr. 19, 5. Jahrgang (06. November 1929), keine Seitenangaben. 1074 Benannt nach der Chevalière Charlotte d’Éon (1728–1810, Geburtsname Charles-Geneviève-LouisAuguste-André-Timothée d’Éon), welche die eine Hälfte ihres Lebens als Mann und die andere Hälfte als Frau lebte. Der Sexologe Havelock Ellis prägte später unter Bezug auf d’Éon die Bezeichnung des »Eonismus«, um Transvestitismus zu beschreiben. Ob es sich bei d’Éon allerdings um einen Transvestiten oder aber um ein transgeschlechtliches Individuum gehandelt hat, verbleibt ungeklärt. Ein 1792 von Thomas Stewart (1766 bis ca. 1801) nach einer Vorlage von Jean Laurent Mosnier angefertigtes Brustportrait der Chevalière d’Éon zeigt diese in weiblicher Tracht. Das Gemälde befindet sich heute in der National Portrait Gallery in London (https://www.npg.org.uk/collections/search/portrait/mw217942.; zuletzt 12.05.2020). Zu d’Éon siehe Califa, Pat: Sex Changes: The Politics of Transgenderism, San Francisco 2003, S. 12. 1075 Siehe Schader 2004, S. 77; Hirschfeld gilt mit seiner zuerst 1910 veröffentlichten Schrift Die Transvestiten als einer der ersten Sexologen, der den Begriff des Transvestiten/des Transvestitismus prägte. Siehe Hirschfeld, Magnus: Die Transvestiten: Eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb, Leipzig 1925.
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Republik1076 fand in Deutschland mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 zunächst ein jähes Ende. Jedoch wuchs die queere Subkultur nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in Europa als auch insbesondere in den USA im Untergrund stetig weiter, ehe sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend an die Oberfläche trat.1077 Ausgehend von dieser skizzenhaft wiedergegebenen Geschichte queerer Travestie folgt nun eine Analyse ausgewählter Bild- und Kunstwerke, welche die Übertretung vestimentärer und damit kultureller Geschlechtergrenzen als zentrales Thema behandeln.1078 Zu Beginn steht eine Auseinandersetzung mit Arbeiten der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts, die die Travestie ganz explizit zum Thema machen und auf eine mythologische oder anderweitige Rechtfertigung verzichten, wie dies sonst in der Kunstgeschichte bis dahin üblich war.1079 Für die avantgardistischen Kunstbewegungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die sich durch ihr beständiges Streben nach neuen Motiven und Sichtweisen auszeichneten, übte das Spiel mit den Geschlechtern ein großes Faszinosum aus: von der androgynen Ästhetik zahlreicher symbolistischer Künstler_Innen bis hin zur zunehmenden Abstrahierung menschlicher und damit auch geschlechtlicher Formen in den Werken des Expressionismus scheint geschlechtliche Ambivalenz sowohl auf visueller als auch auf thematischer Ebene ein allgegenwärtiges Thema der Avantgarden gewesen zu sein.1080 Zwei bemerkenswerte Beispiele hierfür stammen von den russischstämmi-
1076 Eine Zeit, die Christopher Isherwood in seinem 1939 veröffentlichten autobiographischen Roman Goodbye to Berlin festhielt. Siehe Isherwood, Christoph: Goodbye to Berlin. London 2010. 1077 Zur Nachkriegsentwicklung der homosexuellen Szene in den USA, die ihrerseits nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die einst von Deutschland innegehaltene Vorreiterrolle innerhalb der queeren Emanzipationsbewegung übernahm, siehe Eaklor 2008, S. 55 und S. 62; vgl. zudem Bérubé, Allan: Coming Out Under Fire. The History of Gay Men and Women in World War II, Chapel Hill 2010 (zuerst 1990), S. 255ff. 1078 Neben je einem Gemälde von Marianne von Werefkin (Abb. 129) und einem von Alexej von Jawlensky (Abb. 130), welche beide den oftmals in Frauenkleidern auftretenden Tänzer Alexander Sacharoff zum Bildthema haben, gilt das Interesse im Folgenden einer Fotografie von Man Ray, die in Zusammenarbeit mit Marcel Duchamp um 1921 entstand und letzteren als dessen weibliches Alter Ego Rrose Sélavy (Abb. 131) zeigt. Daran im Anschluss soll am Beispiel jeweils einer Arbeit von Diane Arbus (Abb. 133), Andy Warhol (Abb. 134.1) und dem Performancekünstler Leigh Bowery (Abb. 135) die weitere Entwicklung der Travestie als queeres Bild- und Kunstsujet bis ins 21. Jahrhunderts nachgezeichnet werden. 1079 Es sei an das in der Kunstgeschichte immer wieder auftauchende Sujet von Herkules bei Omphale erinnert, in welchem die transvestitische Darstellung des antiken Heros dazu dient, seine Unterjochung und Entmachtung durch Omphale zu visualisieren. Als Bildbeispiel sei Herkules bei Omphale (1537) von Lucas Cranach dem Älteren genannt, welches sich heute im Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig befindet. 1080 Zum Zusammenhang zwischen Androgynität und Abstraktion schreibt Annegret Hoberg in Bezug auf das Portrait des Tänzers Alexander Sacharoff von Alexej von Jawlensky (Abb. 130): »Das Androgyne der Erscheinung Sacharoffs muss besonders anziehend auf Jawlensky gewirkt haben, der in den Serien seiner späteren ›Köpfe‹ der zwanziger und dreißiger Jahre zunehmend alle individuellen Merkmale, auch die des Geschlechts, zugunsten einer schematisierten und meditativen Auffassung des menschlichen Gesichts auslöschen sollte.« (Hoberg, Annegret: Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff. In: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. München, London und New York 2013, S. 278–279; hier: S. 278).
III. Hauptteil
gen und expressionistischen Künstler_Innen Marianna von Werefkin (1860–1938) und Alexej von Jawlensky (1865–1941): Werefkins Der Tänzer Sacharoff (1909; Abb. 129) und Jawlenskys Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff (1909; Abb. 130) zeigen den androgynen und homosexuellen Tänzer Alexander Sacharoff (1886–1963), welcher mit seiner transvestitischen Erscheinung und seinen neuartigen Tanzdarbietungen die rigiden Geschlechtergrenzen zu überwinden suchte.1081 Werefkin lernte den ebenfalls in Russland geborenen Sacharoff zusammen mit ihrem zeitweiligen Lebenspartner Jawlensky 1905 in München kennen.1082 Im Jahr 1909 gründeten Werefkin, Jawlensky und Sacharoff gemeinsam mit weiteren Künstler_Innen, wie etwa Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, die Neue Künstlervereinigung München, die den künstlerischen Austausch und die Formulierung gemeinsamer Kunstideale zum Ziel hatte.1083 Sacharoff erfuhr in der Künstlervereinigung besonders viel Zuspruch, da er mit seinen tänzerischen Darbietungen das von der Gruppe angestrebte Ideal einer synästhetischen Verschmelzung von »Kunst, Musik, Theaterreform und Körperkultur« auf ideale Weise verkörperte.1084 Werefkin und Jawlensky waren derart fasziniert von Sacharoff, dass sie ihn wiederholt zum Thema ihrer Arbeiten machten: Allein im Jahr 1909 fertigte Jawlensky drei Portraits des Tänzers an und Werefkin füllte ganze Skizzenbücher mit unzähligen Studien, welche Sacharoff in verschiedenen Tanzposen zeigen.1085 Auf formaler Ebene unterscheiden sich die beiden Gemälde nur wenig: Sowohl Werefkin als auch Jawlensky orientieren sich in ihren Sacharoff-Bildnissen stilistisch am Japonismus und setzen auf eine flächige Malweise sowie eine klare Bildkomposition, welche den Dargestellten als Halbfigur vor einem schmucklosen Hintergrund zeigt.1086 In beiden Fällen weist der Portraitierte ein stark geschminktes Gesicht mit androgynen Zügen sowie eine eindeutig weiblich konnotierte Gewandung auf: Bei Werefkin trägt der Tänzer eine Art blauen Kimono, der nur lose übergeworfen zu sein scheint und der den
1081 Im gegenwärtigen Sprachgebrauch würde man Sacharoff wohl als nicht-binär bzw. genderqueer bezeichnen. Zum Tänzer Sacharoff und seiner Beziehung zu Werefkin und Jawlensky siehe Stamm, Rainer: Alexander Sacharoff – Bildende Kunst und Tanz, in: Kat. Ausst. Die Sacharoffs: Zwei Tänzer aus dem Umkreis der Blauen Reiters, hg. von Frank-Manuel Peter und Rainer Stamm, Paula-Becker-Modersohn-Haus in Bremen, Deutsches Tanzarchiv in Köln 2003 und Villa Stuck in München 2002/2003, Köln 2002, S. 11–46; hier besonders S. 26 und S. 35; obwohl Sacharoff 1919 seine Tanzpartnerin Clotilde von Derp heiratete, besteht kein Zweifel an der Homosexualität des Tänzers. Über die platonische Ehe schreibt Klaus Sator: »Für seine lebenslange Partnerin ›Clotilde von Derp‹ empfand S. große Hochachtung. […] Die Ehe blieb jedoch platonisch. Sexuell begehrte S. Männer. Im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen pflegte er einen relativ offenen Umgang mit seiner Homosexualität.« (Sator, Klaus: Sacharoff, Alexander, in: Hergemöller, Bernd-Ulrich; Clarus, Nicolai (Hg.): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum, Berlin 2010, S. 1011–1013; hier: S. 1012); da Sacharoff selbst jedoch männliche Pronomen verwendete, tut diese Arbeit es ihm gleich. 1082 Siehe hierzu Stamm 2002, S. 17; zur turbulenten Beziehung zwischen Werefkin und Jawlensky siehe Fäthke, Bernd: Marianne Werefkin. München 2001, S. 34f. 1083 Siehe Stamm 2002, S. 20; vgl. auch Salmen, Brigitte: Marianne von Werefkin München 2019, S. 30. 1084 Stamm 2002, S. 35. 1085 Siehe ebd., S. 26. 1086 Zum Japonismus bei Werefkin und Jawlensky siehe Fäthke 2001, S. 133ff.
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Blick auf seine nackte Brust sowie seinen unbedeckten linken Arm preisgibt. In Jawlenskys Version trägt Sacharoff ein rotes hochgeschlossenes Kleid mit akzentuierten Schultern und einer roten Ansteckblume. Die Blume ist ein weiteres verbindendes Element, findet sich doch auch in Werefkins Darstellung von Sacharoff eine »schmetterlingsartige Blüte«, die der Tänzer in seiner zur kunstvollen Geste erhobenen Hand präsentiert.1087 Zwei Aspekte in denen sich die Bilder deutlich voneinander unterscheiden, sind zum einen die Farbigkeit und zum anderen die Mimik des Dargestellten: Werefkin imaginiert den Tänzer als beinah monochrome Erscheinung in kühlen Blautönen, der sich lediglich durch die enthüllte bläulich-weiße Haut sowie das grell geschminkte Gesicht vom gleichermaßen blauen Hintergrund hervorhebt. Zusammen mit dem süffisanten Schmunzeln und dem abgewandten Blick verleiht diese Farbgebung Werefkins Version von Sacharoff nicht nur etwas Passives, sondern auch etwas entrückt Geisterhaftes und Zerbrechliches. Eine solche Inszenierungsweise erinnert insbesondere hinsichtlich der Körpersprache an Darstellungen adliger und gehobener Frauen aus japanischen Holzschnitten.1088 Dementgegen steht die Ausführung Jawlenskys, in welcher Sacharoff nicht als passive und ätherische Gestalt visualisiert wird, sondern als streitbare Präsenz, die sich klar und deutlich vom Hintergrund abhebt und die das Publikum zugleich herausfordernd und verführerisch anblickt. Diesen ›offensiveren‹ Gesichtsausdruck parallelisiert der Maler mit dem nicht minder kühnen Farbkontrast zwischen dem zartgrünen Hintergrund und dem leuchtend roten Kleid – innerhalb des Bildes kommt es zu einer Dopplung dieses Kontrastschemas, da sich die rot geschminkten Lippen Sacharoffs auf ähnlich drastische Weise vom grünlich-weißen Gesicht abheben. Vergleicht man die Bildnisse unter dem Gesichtspunkt der Geschlechtlichkeit, so kristallisieren sich auch hier zwei konträre Darstellungsweisen heraus: Während sich Werefkin in Der Tänzer Sacharoff eher ›weiblich‹ konnotierter Inszenierungsmechanismen bedient und damit die zerbrechliche und passive Seite des Tänzers betont, spricht aus Jawlenskys Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff eine aggressivere und gemäß dem in der westlichen Gesellschaft waltenden Mann-Frau-Binarismus ›männlichere Künstlerstimme‹, die dem Portraitierten eine konfrontative Ausstrahlung verleiht. Die von Werefkin und Jawlensky angewandten Inszenierungsstrategien können noch mit zwei anderen Topoi in Verbindung gebracht werden, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Kunstkreisen besonders großer Beliebtheit erfreuten: die femme fragile und die femme fatale. Obgleich dieses duale Frauenbild kein reines Produkt des 19. und 20. Jahrhunderts ist – derartige Vorstellungen von Frauen durchziehen die Geschichte von der Antike bis in die Gegenwart –, so war es doch ein auffallend häufig wiederkehrendes Kunstthema um die Jahrhundertwende.1089 Betrachtet man den Typus der femme fatale, so steht die-
1087 Ebd., S. 136. 1088 Siehe hierzu ebd., S. 135f. 1089 Im antiken Kontext seien Medea oder Andromeda genannt, die jeweils die Vorstellung einer monströsen aber auch schutzbedürftigen Frau bedienen. Auch das 20. Jahrhundert bietet zahlreiche Rückbezüge auf dieses duale Frauenmodell, wie z.B. der Film Noir. Siehe Günther, Stephanie: Weiblichkeitsentwürfe des Fin de Siècle. Berliner Autorinnen. Alice Verend, Margarete Böhme, Clara Viebig, Bonn 2007, S. 178; zur Rolle der Frau im Hollywoodfilm siehe auch Mulvey 1989.
III. Hauptteil
ser in einer Traditionslinie mit ›historischen‹ Vorbildern wie der mythologischen Medea oder der biblischen Salome.1090 Die Gefahr, die von der stets sinnlichen und reizvollen femme fatale ausgeht, beruht auf der Umkehrung der Geschlechterverhältnisse: »Die Frau übernimmt die Rolle der Überlegenen, während dem Mann die Rolle des Wehrlosen, Ausgelieferten, Passiven und Unterlegenen obliegt.«1091 Die Diffamierung der Frau als femme fatale erfolgt somit in dem Moment, in welchem sie »aus dem ihr zugedachten Funktionsbereich ausbricht und tradierte Geschlechterrollen subvertiert.«1092 Beständig zwischen Gefahr und Erotik changierend, bleibt das Bild der femme fatale ebenso ambivalent wie die Reaktionen, welche sie in den Männern auslöst: sie ist Schreckens- und Wunschbild in einem. Ganz im Gegensatz dazu steht die Vorstellung der femme fragile, die »mit Krankheit, Zerbrechlichkeit und Tod« in Verbindung gebracht wird und die sich in erster Linie durch ihre »prinzipielle Unterlegenheit« dem Mann gegenüber auszeichnet.1093 Ariane Thomalla erklärt zum Typus der femme fragile: »Die Frau in ein kindliches oder ästhetisches Reich zu entrücken, war die sicherste Methode, sie aus der Reichweite der Macht zu verbannen und ungefährlich zu machen.«1094 Die als kindlich charakterisierte femme fragile ist ein ätherisches Wesen, deren zerbrechliche Körperlichkeit ihren ›Funktionsbereich‹ zwangsläufig auf das Häusliche und Ästhetische begrenzt. In ihrer Puppenhaftigkeit ist sie die perfekte Projektionsfläche für die männliche Phantasie einer devoten und in ihrer Unschuld aber auch sinnlichen Frau. Vorbilder für die femme fragile finden sich ebenfalls von der Antike bis in die Gegenwart und schließen Figuren wie Andromeda oder Dornröschen mit ein.1095 Mit Blick auf die Sacharoff-Bildnisse werden einige Parallelen zu den hier umrissenen Topoi evident: Sowohl der direkte Blickkontakt als auch die aggressive Farbigkeit in Jawlenskys Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff erzeugen ein Bild, welches sich deutlich an der Vorstellung der temperamentvollen, verführerischen und konfrontativen femme fatale anlehnt. Werefkins Version des Tänzers, die den Portraitierten als passive und blasse Erscheinung mit gespenstischen Zügen zeigt, orientiert sich hingegen am Bild der 1090 Diese Figuren waren mehrfach Gegenstand künstlerischer Darstellungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. So gibt es z.B. von Oscar Wilde eine literarische (1894) und von Franz von Stuck eine malerische (1906) Version der Salome. Die monströse Medea findet sich sowohl im Werk von Anselm Feuerbach (1870), Gustave Moreau (1865) als auch bei Eugène Delacroix (1838 und 1862). 1091 Günther 2007, S. 162. 1092 Vgl. Ebd. 1093 Catani, Stephanie: Das fiktive Geschlecht: Weiblichkeit in anthropologischen Entwürfen und literarischen Texten zwischen 1885 und 1925, Würzburg 2005, S. 103 und S. 107. 1094 Thomalla, Ariane: Die »Femme fragile«. Ein literarischer Frauentypus der Jahrhundertwende, Düsseldorf 1972, S. 75; zitiert nach Günther 2007, S. 174. 1095 Im Zusammenhang mit Andromeda und Dornröschen sei auch auf den Topos der ›Jungfrau in Nöten‹ verwiesen (im Französischen als ›demoiselle en détresse‹, im Englischen als ›damsel in distress‹ bezeichnet), in welchem die Frau zum Objekt einer Rettungsmission vor einem Ungeheuer etc. wird. Diese scheinbar zeitlose Thematik ist auch in heutigen Medien (Filme, Literatur, Computerspiele etc.) häufig anzutreffen und stellt eine beinah unveränderte Fortsetzung der SubjektObjekt-Dichotomie dar, wie sie in der Kunst des 19. Jahrhunderts anzutreffen ist. Vgl. Fleischmann, Alice: Frauenfiguren des zeitgenössischen Mainstreamfilms. A Matter of What’s In the Frame and What’s Out, Wiesbaden 2016, S. 340–343.
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femme fragile. Zwar ist nicht bekannt, ob Werefkin und Jawlensky sich bewusst dieser Frauenbilder angenommen haben, doch die visuellen Anleihen an die Typologien der femme fatale und der femme fragile sind nicht von der Hand zu weisen. In jedem Fall stellen die Bilder keine bloßen Reproduktionen dieser Typologien dar, vielmehr unterwandern sie diese kulturellen Vorstellungen von Weiblichkeit durch die Präsenz Sacharoffs: Dadurch, dass ein Mann sich in der Rolle der femme fatale und der femme fragile zeigt, bricht er mit dem in diesen Bildern zum Ausdruck kommenden und bis heute in der Gesellschaft verankerten Mann-Frau- bzw. Subjekt-Objekt-Gefüge. Letztlich sind die femme fragile sowie die femme fatale, ebenso wie ihre Vorbilder, männliche Konzeptionen von Weiblichkeit und Ausdruck eines Geschlechterverständnisses, in welchem der Mann stets das Subjekt und die Frau stets das Objekt ist.1096 Auch wenn die femme fatale sowie die femme fragile jeweils unterschiedliche Entstehungskontexte aufweisen – die eine ist das Produkt von Kastrationsängsten, die andere das bürgerliche Phantasma einer Idealfrau –, äußert sich in beiden doch eine zunehmende Verunsicherung des Mannes.1097 Angesichts drastischer gesellschaftlicher Veränderungen um die Jahrhundertwende (Industrialisierung, steigende Anonymisierung, beginnende Emanzipation der Frauen etc.) bemühte sich der Mann, der Frau und im Umkehrschluss auch sich selbst einen festen Platz zuzuweisen, um somit eine illusorische Ordnung aufrechtzuerhalten.1098 Die Bildnisse des transvestitischen Sacharoff offenbaren die Fragilität ebenjener Ordnung und illustrieren überdies nicht nur die Durchlässigkeit vermeintlich fester Geschlechtergrenzen, sondern hinterfragen auch die Legitimität gesellschaftlich etablierter Konzeptionen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Ein weiteres avantgardistisches Kunstwerk des frühen 20. Jahrhunderts, in welchem der Transvestitismus Hauptthema ist, entspringt der Kollaboration zweier Galionsfiguren des Surrealismus und des Dadaismus: die Portraitfotografie Rrose Sélavy (Abb. 131) des französischen Künstlers Marcel Duchamp (1887–1968) und des US-Amerikaners Man Ray (1887–1968).1099 Letzterer ist hauptsächlich für sein fotografisches Werk bekannt, war aber auch als Regisseur und Maler tätig. Die Fotografie entstand im Sommer 1921, nachdem Man Ray (eigentlich Emmanuel Rudnitzky) nach Paris gekommen war – Duchamp und Man Ray lernten sich bereits 1915 in New York kennen.1100 Die Arbeit zeigt Rrose Sélavy, das weibliche Alter Ego Duchamps. Bei dem Namen Rrose Sélavy handelt es sich um einen phonetischen Wortwitz – ausgesprochen: ›Eros, c’est la vie‹ –, der unter der Schreibweise Rose Selavy das erste Mal 1920 als Inschrift auf Duchamps Arbeit Fresh
1096 Stephanie Günther erläutert dazu: »Indem der Mann die Frau stilisiert und modelliert, behandelt er diese als ein Objekt, weist sich selbst als Subjekt aus und macht implizit auf die Überlegenheit seiner eigenen Stellung aufmerksam.« (Günther 2007, S. 176). 1097 Vgl. Ebd. S. 176f. 1098 Vgl. Ebd. 1099 Zu den verschiedenen Versionen der Fotografie siehe Schwarz, Arturo: The Complete Works of Marcel Duchamp. Third Revised and Expanded Edition, Band 2, New York 1997b, S. 692–693. 1100 Siehe Affron, Matthew: Rrose Sélavy. In: Kat. Ausst. The Essential Duchamp. Hg. von Matthew Affron, Tokyo National Museum, National Museum of Modern and Contemporary Art in Seoul und Art Gallery of New South Wales in Sydney 2018/19, Philadelphia, New Haven und London 2018, S. 71–109; hier: S. 78.
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Widow auftauchte.1101 Die erste visuelle Repräsentation von Duchamps weiblichem Alter Ego, die ebenfalls in Zusammenarbeit mit Man Ray entstand, wurde im Frühjahr 1921 in Form der Collage Belle Haleine: Eau de Voilette als Titelblatt der Zeitschrift New York Dada veröffentlicht.1102 In dem nur ein Jahr später erstellten Brustportrait inszeniert Man Ray das Alter Ego von Duchamp als fashionable Erscheinung, die in einen dunklen Mantel mit üppigem Pelzkragen gehüllt ist und einen Glockenhut mit auffällig gemustertem Band trägt.1103 Rrose, die sich mit ihren von mehreren Ringen und einem Armreif geschmückten Händen an den opulenten Pelzkragen fasst – ein ebenso sinnlicher wie verführerischer Moment –, blickt direkt in die Kamera. Das dem Publikum zugewandte androgyne Antlitz von Rrose ist nur dezent geschminkt und wird durch das diffuse Licht sowie die von Duchamp selbst dokumentierte Nachbearbeitung feminisiert. Arturo Schwarz, ein persönlicher Freund Duchamps und Herausgeber von dessen Catalogue raionné, macht darauf aufmerksam, dass sich diese Version gerade durch die Nachbearbeitung und das sorgfältige Arrangement von anderen Rrose-Darstellungen unterscheidet, in denen die ›männlichen‹ Körpermerkmale Duchamps kaum kaschiert wurden.1104 Mit der Inszenierung dieser Fotografie orientierten sich Man Ray und Duchamp zum einen an zeitgenössischer Modefotografie und zum anderen an modischen Frauen aus ihrem eigenen Umfeld – Hut, Mantel und Schmuck sind allesamt klar weiblich konnotierte vestimentäre Marker und dernier cri.1105 So ist der Hut etwa eine Leihgabe der Journalistin Germaine Everling, die sich im Dada-Kreis bewegte und zeitweise auch die Lebensgefährtin des Künstlers und Mitbegründers der Pariser Dada-Bewegung Franics Picabia war.1106 Ebenfalls eine ›Leihgabe‹ Everlings sind die ins Bild hineinragenden Hän-
1101 Ab diesem Zeitpunkt erschien das weibliche Pseudonym immer wieder als (Co-)Urheber_In in Duchamps Œuvre. Siehe Sudhalter, Adrian: R/rose Recontextualized: French and American Identity and the Photographic Portraits for Dadaglobe and New York Dada, in: Goodyear, Anne Collins; McManus, James W. (Hg.): aka Marcel Duchamp. Meditations on the Identities of an Artist, Washington (D.C.) 2014, S. 20–45; hier: S. 36 und S. 43 (Fußnote 27); Fresh Widow befindet sich heute im MOMA: https://www.moma.org/learn/moma_learning/marcel-duchamp-fresh-widow1920/(zuletzt 20.05.2020); zur Autorenschaft von Rrose Sélavy siehe auch Affron 2018, S. 77. 1102 Auch dieser Titel enthält wieder ein Wortspiel bzw. Homonym: Belle Haleine (guter Atem) klingt genauso wie »Belle Hélène« (gemeint ist die schöne Helena aus Troja). Siehe zum Werk Sudhalter 2014, S. 28 (Bildtafel 8) und S. 36; bei dem Titelblatt handelt es sich um eine fiktive Parfumwerbung, in welcher die Fotografie eines mit dem Antlitz von Rrose Sélavy verzierten Parfumflakons von einem auf den Kopf gestellten Schreibmaschinentext gerahmt wird. Der besagte Text besteht aus der Wiederholung des Zeitschriftentitels und des Datums: »new york dada april 1921«. Vgl. dazu Affron 2018, S. 80f; zum Wortspiel des Titels siehe Schwarz, Arturo: The Complete Works of Marcel Duchamp. Third Revised and Expanded Edition, Band 1, New York 1997a, S. 216. 1103 Es handelt sich dabei um einen glockenartigen Hut mit schmaler Krempe, der in den 1920er Jahren beliebt war. 1104 Vgl. Schwarz 1997b, S 692 und S. 693; Schwarz schreibt zu der hier betrachten Version von Rrose: »In this portrait, the femininity of Duchamp’s alter ego Rrose Sélavy emerges for the first time.« (Ebd., S. 692). 1105 Siehe Sudhalter 2014, S. 39. 1106 Siehe ebd., S. 40.
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de, ein Umstand, den Duchamp selbst in einer rückseitigen Beschriftung auf einem mittlerweile verschollenen Abzug der Fotografie enthüllte.1107 Mit Hilfe dieser fotografischen Trickserei und der Nachbearbeitung konstruieren Man Ray und Duchamp das Bild einer geschlechtlich ambiguen Erscheinung: Die weiblich konnotierten Marker – die Kleidung, das Make-up sowie die zarten (Frauen-)Hände – verschmelzen mit den androgynen Gesichtszügen Duchamps zu einer spannungsgeladenen Einheit, welche die Sehgewohnheiten des damaligen Publikums gemäß der Dada-Grundsätze irritieren sollte.1108 Dass es den Künstlern nicht um die Schaffung einer perfekten ›weiblichen‹ Illusion ging, sondern um die ›Irritation‹ etablierter Geschlechtervorstellungen, wird in einem späteren Abzug der Fotografie noch deutlicher: 1924 schenkten Man Ray und Duchamp dem in Philadelphia ansässigen Kunstsammler Samuel S. White III einen Abzug, der noch durch zwei handschriftliche Signaturen am oberen linken und am unteren rechten Bildrand ergänzt wurde. Die Widmung in der linken oberen Ecke stammt von May Ray und lautet: »To my friend Sam White/Feb 1924«.1109 In der rechten unteren Ecke findet sich Duchamps Widmung: »lovingly/Rrose Sélavy/alias Marcel Duchamp«.1110 Mit dieser Signatur macht Duchamp unmissverständlich klar, dass hier keine ›biologische Frau‹ zu sehen ist, wohl aber ein Individuum, das über zwei geschlechtlich unterschiedliche Identitäten bzw. Alias verfügt. Dieses bewusste Spiel mit Ambivalenzen ist symptomatisch für Duchamp, der einst laut Schwarz über sich selbst sagte: »I don’t wanna be pinned down to any position. My position is the lack of position«.1111 Hierin äußert sich ein gedanklicher Ansatz, der in fast identischer Weise auch einer queer-theoretischen Schrift entsprungen sein könnte. Die Grundidee hinter der Queer Theory – das Verschmelzen und Überwinden nicht nur der Geschlechtergrenzen, sondern auch der Geschlechterdiskurse – ist ein essenzieller Teil von Duchamps Drag-Persona.1112 So treffen in den Rrose-Darstellungen verschiede1107 1108 1109 1110 1111
Schwarz 1997b, S. 693. Siehe auch Sudhalter 2014, S. 40. Siehe Schwarz 1997b, S. 692. Ebd. Schwarz, Arturo: The Complete Works of Marcel Duchamp. London 1969, S. 194; später schreibt Schwarz über Duchamp: »[W]e may notice the strength of Duchamp’s predilection for undifferentiated categories and for creative activities that would broaden the traditional concept of art. This attitude may also derive from his unrestricted and restrictive lifestyle, a manner of living determined by his awareness of the servitude that social obligations impose on the individual. Duchamp’s all-encompassing defiance of these obligations was directed against preestablished categories« (Schwarz 1997a, S. 73); vgl. auch Jones, Amelia: Postmodernism and the En-gendering of Marcel Duchamp. Cambridge et al. 1994, S. 105; vgl. Dejaco, Victoria : Rrose Sélavy alias Marcel Duchamp. In: Gezeit: rosa und andere farben, Zeitung der GEWI, November 2010, S. 27–29. 1112 Jones ergänzt: »[T]he images [of Rrose] confuse the normative alignments of homosexuality with effeminacy or feminization, as well as that of heterosexual masculinity with artistic genius.« (Jones 1994, S. 171); zu Jones muss noch angemerkt werden, dass die Kunsthistorikerin in Postmodernism and the En-Gendering of Marcel Duchamp männliche Transvestiten bzw. Drag Queens unter Berufung auf Sandra Gilbert und Susan Gubar gänzlich undifferenziert als ›antifeministisch‹ bezeichnet. Vgl. ebd., S. 171; siehe zudem Gilbert, Sandra M.; Gubar, Susan: No Man’s Land: The Place of the Woman Writer in the Twentieth Century, Band 2: Sexchanges, New Haven 1989, S. 324–376; dieser Ansicht wird hier entschieden widersprochen. Obzwar es sicherlich vorkommt, dass Travestie dazu genutzt wurde und wird, die eigene Männlichkeit unter Beweis zu stellen oder
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ne zeitgenössische Geschlechter- und Sexualitätsvorstellungen aufeinander: Neben der Verknüpfung von Homosexualität mit Transvestitismus und Effeminiertheit – eine vermeintlich obligatorische Wechselbeziehung, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert besonders verbreitet war und sicherlich auch Duchamp bekannt gewesen sein dürfte – darf das weibliche Alter Ego des Künstlers aber auch als Anspielung auf den damals und teilweise heute noch gängigen Irrglauben verstanden werden, wonach sich künstlerisches Genie und Männlichkeit gegenseitig bedingen würden – ein Aspekt, der vor allem durch das Auftreten Rroses als Autor_In einiger Kunstwerke (Fresh Widow etc.) unterstrichen wird.1113 Im Gegensatz zu Belle Haleine: Eau de Voilette blieb die hier untersuchte Rrose-Darstellung der Öffentlichkeit zunächst verborgen. Wie Adrian Sudhalter hinsichtlich der aufwendigen Nachbearbeitung anmerkt, ist jedoch anzunehmen, dass das Bild ursprünglich für eine größere Veröffentlichung gedacht war.1114 Sudhalter nennt als möglichen Publikationskontext das Projekt Dadaglobe, ein nie fertiggestelltes Buch, das als eine Art Dada-Atlas fungieren und zahlreiche künstlerische Positionen des Dadaismus präsentieren sollte.1115 Ungeachtet dieser Komplikation konnte sich das Portrait nichtsdestotrotz als ein essenzieller Bestandteil von Duchamps Gesamtwerk etablieren und fand auch bei vielen queeren Künstler_Innen großen Widerhall. Der japanische Künstler Yasumasa Morimura (*1951) schlüpfte etwa für die Fotografie Doublonnage, (Marcel) von 1988 in die Rolle der Rrose Sélavy (Abb. 132).1116 Die Arbeit ist eine detailgetreue und farbige Nachahmung
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Frauen zu verspotten, hält sie in queeren Subkulturen doch eine gänzlich andere Funktion inne: Travestie wird hier in der Regel dazu genutzt, sich vom heteronormativen Geschlechterdiktat zu befreien. Es steht also nicht die Aufrechterhaltung, sondern die Dekonstruktion der männlichen Vormachtstellung im Fokus. Wie Mira Fliescher über Yasumasa Morimuras Nachstellung des Rrose-Portraits (Abb. 132) anmerkt, ist Künstlerschaft um die Jahrhundertwende männlich konnotiert. Unter Berufung auf Irit Rogoff schreibt sie: »Irit Rogoff macht für Künstler-Selbstportraits um 1900 darauf aufmerksam, dass hegemoniale Autorenschaft darauf basiere, dass ihre inhaltliche Besetzung durch heteronormale Männlichkeit unmarkiert sei.« (Fliescher, Mira: Signaturen der Alterität. Zur medialen Reflexivität der Kunst Yasumasa Morimuras, Bielefeld 2013, S. 257); vgl. zudem Rogoff, Irit: Er selbst – Konfigurationen von Männlichkeit und Autorität in der deutschen Moderne, in: Lindner, Ines; Schade, Sigrid; Wenk, Silke; Werner, Gabriele (Hg.): Blick-Wechsel. Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Kunst und Kunstgeschichte, Berlin 1989, S. 21–40; eine weitere Lesart versteht Rrose Sélavy als Sinnbild für die Kommodifizierung von Weiblichkeit. Besondere Relevanz erhält diese Interpretation im Hinblick auf Belle Haleine: Eau de Voilette, einer Arbeit, in welcher das Abbild von Rrose gleichgesetzt wird mit einem käuflichen Produkt. Siehe hierzu Sudhalter 2014, S. 36f und Jones 1994, S. 173. Siehe Sudhalter 2014, S. 40. Vgl. ebd., S. 40f; ein weiterer Grund könnte auch das Auseinanderbrechen der Pariser Dada-Gruppe gewesen sein. 1922 fand der sogenannte »Kongress von Paris« statt, der als Auflösung des Dadaismus gilt. Siehe Papanikolas, Theresa: Anarchism and the Advent of Paris Dada. Art and Criticism, 1914–1924, London und New York 2016 (zuerst 2010), S. 143–165. Diese Arbeit ist repräsentativ für Morimuras Œuvre, der sich immer wieder der westlichen Kunstgeschichte und der Travestie angenommen hat, wie etwa in Mona Lisa in its Origin von 1998, in welcher er da Vincis Gemälde mit sich als ›Mona Lisa in drag‹ nachgestellt hat. Zum Künstler siehe Fliescher 2013, S. 259ff.
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von Man Rays Fotografie, in der allerdings zwei Bildelemente gedoppelt wurden: Zum einen trägt Morimura/Rrose zwei identische und aufeinander gestapelte Glockenhüte und zum anderen sind auf dem Bild zwei Paar Hände mit unterschiedlicher Hautfarbe zu sehen. Hierzu schreibt Catherine Lord: »By including both a pair of female hands, as in the pose of the original Rrose, and his own darker hands, Morimura undercuts the belief that drag is a simple gender reversal […] and that whiteness is an unmarked racial category.«1117 Wie Lord hier anmerkt, wird der geschlechtlichen und sexuellen Dimension von Rrose durch die unterschiedliche Hautfarbe der Handpaare noch eine ethnische Facette hinzugefügt. Jedoch ist die von Lord sowie auch von anderen Autor_Innen durchgeführte Zuweisung des dunkleren Handpaars zu Morimura fragwürdig und Mira Fliescher äußert in ihrer Besprechung des Bildes zu Recht Unbehagen angesichts einer solchen »Zurechnung« und »Rassierung von Körperteilen, wobei hier asiatische Haut als dunkel statt (wie konventionell) als gelb lanciert wird.«1118 Tatsächlich gestattet das Bild keine eindeutige Zuweisung der verschiedenen Körperteile und letztlich scheint es auch dem Kerngedanken von Morimuras Arbeit zuwiderzulaufen, ist es doch ein zentrales Anliegen des Künstlers, die tradierten Sehgewohnheiten aufzubrechen und sich fester Zuschreibungen hinsichtlich der Ethnie, des Geschlechts, der Sexualität etc. zu erwehren – Morimura, der in fast allen Fotografien mit entweder aufhellendem oder aber abdunkelndem Make-up arbeitet, verschleiert seinen ›wirklichen‹ Teint ganz bewusst. Anlässlich einer Ausstellung von Morimuras Werk im Andy Warhol Museum in Pittsburgh 2013/14 beschrieb Robert C. Morgan die inszenatorische Strategie des Künstlers als »transgender/transcultural«, wobei das Wort »transgender« hier im wortwörtlichen Sinne als ›jenseits fester Geschlechtlichkeit‹ zu verstehen ist.1119 In Morimuras Arbeiten wird Identität zur performativen Spielwiese und die Trennung zwischen dem Ich und dem Anderen konsequent unterwandert.1120 Doublonnage, (Marcel) stellt damit eine konsequente Weiterführung und Explizierung der dem Werk von Duchamp und Man Ray inhärenten Idee von Queerness dar. Anhand der bisherigen Werkbetrachtungen konnte ein erster Eindruck über die künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Thema der Travestie gewonnen werden. Wenngleich die analysierten Arbeiten nicht zu den ersten Visualisierungen transvestitischer Figuren bzw. Individuen gehören, so markieren sie mit ihrem bewussten Verzicht auf eine mythologische oder anderweitige Rechtfertigung doch eine Verselbstständigung des Bildthemas innerhalb des kunsthistorischen Diskurses. Die Verbindung von Travestie mit männlich-männlichem Begehren ist im Fall von Jawlensky und Werefkin 1117 Lord und Meyer 2013, S. 159. 1118 Fliescher 2013, S. 262; Fliescher bezieht sich hier nicht auf Lord, sondern auf Schmidt-Linsenhoff, Viktoria: Ästhetik der Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. Bis 21. Jahrhundert, 15 Fallbeispiele, Band 1: Texte, Marburg 2010, S. 111. 1119 Morgan, Robert C.: Yasmuasa Morimura’s Kingdom of Art. In: Kat. Ausst. Yasmuasa Morimura. Theater of the Self, The Andy Warhol Museum in Pittsburgh 2013/14, Pittsburgh 2013, S. 35–59; hier: S. 41. 1120 Morgan schreibt dazu: »[I]dentity becomes a fleeting and floating sensation, an ironic plaything always up for grabs, always ready to change, ready to transform one’s unknown self and to become the other.« (Ebd., S. 45); hier werden auch nochmal die inhaltlichen Parallelen zur Künstlerin Cindy Sherman deutlich.
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ganz explizit, da es sich bei dem portraitierten Sacharoff um einen – allen Berichten zufolge – homosexuellen Mann handelte. Im Fall von Duchamps und Man Rays Rrose Sélavy ist dieser Konnex hingegen nur implizit, da er sich vornehmlich aus den damals gängigen Geschlechter- und Sexualitätsvorstellungen speist – ›Transvestitismus = Homosexualität‹. Was alle drei behandelten Werke eint, ist ein bewusstes Kokettieren mit der Pose ›weiblicher‹ Verführung: Während Sacharoff dafür in die Rollen der femme fatale und der femme fragile schlüpft und sich damit zweier stark erotisierter Frauenbilder bedient, äußert sich dieser Aspekt in Duchamps und Man Rays Arbeit primär durch kleinere Details, wie z.B. die bewusst in Szene gesetzten Hände, welche sich beinah zärtlich an Rroses Pelzkragen schmiegen und dem Bild damit eine taktile und erotische Komponente verleihen. Diese in den drei Werken anzutreffende Vermischung von Travestie mal mit einer offensiveren und mal mit einer subtileren Homoerotik erfährt im Verlauf des 20. Jahrhunderts und insbesondere im Zuge einer wachsenden queeren Emanzipationsbewegung nicht nur eine zunehmende Explizierung, sondern auch eine eklatante Politisierung. Ebendiese zwei Aspekte sollen in den beiden nachfolgenden Werkbetrachtungen untersucht werden. Zunächst zu einer Künstlerin, die sich in ihrem fotografischen Werk immer wieder dem Phänomen der Travestie gewidmet hat: Diane Arbus (1923–1971). Die aus New York stammende Fotografin mit russisch-jüdischen Wurzeln, welche lange Zeit zusammen mit ihrem Mann erfolgreich als Modefotografin tätig war, nahm sich in ihren künstlerischen Arbeiten immer wieder der Thematik der ›Außenseiterexistenz‹ an.1121 Neben Menschen mit Behinderungen, Zirkusartist_Innen und Nackttänzer_Innen galt auch den Damenund Herrenimitator_Innen des New Yorker Nachtlebens das Interesse der Künstlerin. Die aus den Begegnungen mit diesen Menschen entstandenen Bilder sind aber nie ausbeuterisch, sondern bezeugen die genuine Faszination der Fotografin für Identitäten, die von einer auf Normativität pochenden Gesellschaft an den Rand und oft auch in die Unsichtbarkeit gedrängt wurden bzw. werden. Ein Beispiel für Arbus’ künstlerische Intention einer ›Sichtbarmachung des Unsichtbaren‹ stellt eine 1959 angefertigte Fotoserie dar, in welcher sie männliche Travestiekünstler bei deren ›Verwandlung‹ in ihre weiblichen Alter Egos dokumentiert hat. Eines dieser Bilder soll hier exemplarisch betrachtet werden. Die mit dem deskriptiven Titel Blonde female impersonator standing by a dressing table, Hempstead, L. I. (Abb. 133) versehene Schwarz-Weiß-Fotografie von 1959 zeigt, einen männlichen Damenimitator mit geschminktem Gesicht und blonder Perücke im Hollywood-Pin-up-Stil vor einem Schminktisch – optisch orientiert sich der Imitator klar an damals populären Frauentypen, wie sie etwa durch Marilyn Monroe und Jane Russell verkörpert wurden. Der nur mit einem Korsett und einer Strumpfhose bekleidete Mann
1121 Zu den Berufsanfängen und dem Karriereverlauf von Arbus siehe Phillips, Sandra S.: The Question of Belief. In: Kat. Ausst. Diane Arbus – Revelations. San Francisco Museum of Modern Art und Los Angeles County Museum of Art 2004, München 2003, S. 50–121; hier u.a. S. 52; sowie Rosenheim, Jeff L.: In the Beginning. In: Kat. Ausst. Diane Arbus. In the Beginning. 1956–1962, Metropolitan Museum of Art in New York und San Francisco Museum of Modern Art 2016/17, London 2016, S. 203–219; S. 203.
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blickt direkt in die Kamera. Seine Pose mit den nach unten hängenden Armen wirkt etwas unbeholfen, was die Vermutung nahelegt, dass die Fotografie spontan entstanden ist. Der Portraitierte wird rechterhand von einem Wall aus ins Bild ragenden Kleidungsstücken, wie etwa einem Pelzmantel, gerahmt. Linkerhand befindet sich der nur angeschnitten wiedergegebene Schminktisch, dessen Spiegelelement, das außerhalb des Bildausschnittes liegt, einen hellen Lichtstrahl in den Raum reflektiert. Dieser Lichtstrahl ergießt sich über die Körpermitte des Dargestellten und lenkt den Blick der Betrachter_Innen auf den flachen (›männlichen‹) Oberkörper – eine Parallele zu Girodets Enydmion (vgl. Abb. 19.2). Wie der Titel der Arbeit deutlich macht, handelt es sich bei dem abgelichteten Modell um einen Damenimitator. Im Gegensatz zur Bezeichnung des Transvestiten, welche lediglich die Tatsache umschreibt, dass sich eine Person in Kleidungsstücke hüllt, die kulturell gesehen nicht ihrem zugeschriebenen Geschlecht entsprechen, beinhaltet der Begriff des Damenimitators (engl. female impersonator bzw. Drag Queen1122 ) immer auch einen darstellerischen Aspekt.1123 So steht bei dem von Arbus fotografierten Damenimitator die Darstellung einer ›Hyperfemininität‹ im Vordergrund, wie sie damals u.a. im Hollywoodfilm konstruiert wurde. Diese Annahme wird dadurch bekräftigt, dass das Modell Teil der wandernden Jewel Box Revue war, einer »all-gay troupe of ›crossdressers‹«, die auf burleske und erotisch Darbietung von Damenimitatoren spezialisiert war.1124 Die Differenzierung zwischen der Bezeichnung des ›Transvestiten‹ und des ›Damenimitators‹ ist hinsichtlich der Arbeit von Arbus deshalb von Bedeutung, weil die Fotografin eben nicht nur einen transvestitisch gekleideten Mann ablichtet, sondern einen Mann, dessen Kunst in der Schaffung einer ›weibliche Illusion‹ bzw. eines ›weiblichen Idealbildes‹ besteht. Doch mit dieser Illusion bricht Arbus in ihrer Fotografie bewusst: Es besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen dem durch Perücke und Make-up als ›hyperweiblich‹ markierten Gesicht und dem durch den Lichtstrahl hervorgehobenen entblößten Oberkörper, der, anders als es die Anleihen an die Hollywood-Pin-up-Ästhetik erwarten lassen, eben nicht mit ›weiblichen‹ Rundungen aufwartet, sondern eine gemeinhin als ›männlich‹ deklarierte flache Brust offenbart.1125 Durch diesen visuellen Bruch enttarnt das Werk von der Kultur naturalisierte Marker und Vorstellungen von Weiblichkeit, wie etwa lange Haare, als das, was sie sind: künstlich. Für Butler besteht genau in
1122 Der Begriff der Drag Queen erfährt im Verlauf des 20. und 21. Jahrhunderts nicht nur eine internationale Ausbreitung, sondern auch eine begriffliche Ausweitung. So meint die Bezeichnung nicht mehr nur Menschen, die sehr ›realistisch‹ Frauen imitieren, sondern generell alle vestimentären Ausdrucksformen, die mit weiblichen Modemarkern in einer zugespitzten Weise spielen. 1123 Oder kurz gesagt: Jede Drag Queen ist ein Transvestit, aber nicht jeder Transvestit ist eine Drag Queen. 1124 Doonan 2019, S. 23; zur Identifizierung des Dargestellten als Teil der Jewel Box Revue siehe Rinaldo, Karan: Notes from the Archive. In: Kat. Ausst. Diane Arbus. In the Beginning. 1956–1962, Metropolitan Museum of Art in New York und San Francisco Museum of Modern Art 2016/17, London 2016, S. 219–240; hier: S. 225f. 1125 Die differenzierte Wortwahl soll darauf aufmerksam machen, dass ein Busen nicht zwangsläufig mit Weiblichkeit gleichzusetzen ist. Dies wird auch durch Frauen verdeutlicht, die im Zuge einer Mastektomie ihren Busen verloren haben und dadurch nicht ihre Geschlechtsidentität wechseln.
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dieser Demaskierung arbiträrer Geschlechtsmarker das große Potential der Travestie: »Indem die Travestie die Geschlechtsidentität imitiert, offenbart sie implizit die Imitationsstruktur der Geschlechtsidentität als solcher – wie auch ihre Kontingenz.«1126 Arbus’ Blick hinter den Vorhang einer Travestieshow expliziert die von Butler mit dem Begriff der »Imitationsstruktur« bezeichneten Mechanismen hinter der Konstruktion von Geschlechtlichkeit: Das Abbild des Damenimitators, den die Künstlerin sozusagen in flagranti bei der Verwandlung in sein weibliches Alter Ego ›erwischt‹, wird einerseits zum Sinnbild für die Künstlichkeit vermeintlich ›natürlicher‹ Geschlechtervorstellungen. Andererseits wird das Bild zugleich zum visuellen Exempel für die Durchlässigkeit ebenjener gesellschaftlichen Ideen von ›Mann‹ und ›Frau‹. Das geschlechtspolitische Potential der Travestie wird durch den unverstellten Blick von Arbus in aller Deutlichkeit in Szene gesetzt. Anknüpfend an diese Hinwendung zu einer expliziteren Inszenierung der Travestie soll nun ein Werk aus der Ladies and Gentlemen-Serie von Andy Warhol (1928–1987) betrachtet werden (Abb. 134.1), für welches die selbsternannte Drag Queen und queere Aktivistin Marsha P. Johnson Modell saß (1945–1992) und das die Travestie-Thematik um eine explizit politische Ebene erweitert.1127 In der 1974 vom Galeristen Luciano Anselmino in Auftrag gegebenen Serie richtete Warhol seinen künstlerischen Blick auf schwarze und lateinamerikanische Drag Queens aus der New Yorker Untergrundszene und fertigte zunächst eine Vielzahl von Polaroids an, auf deren Grundlage er dann eine Serie von teilweise be- bzw. übermalten Siebdrucken erstellte.1128 Der Titel der Serie, Ladies and Gentlemen, spielt auf die von den Drag Queens verkörperte geschlechtliche Ambivalenz an, können diese doch zwischen der Rolle der ›Lady‹ und der Rolle des ›Gentleman‹ wechseln. Wie für alle Werke der Serie zutreffend orientiert sich der Siebdruck am Format des Brustportraits und rückt Johnson ins Bildzentrum – Warhol führt damit eine klare Bildkomposition weiter, wie er sie u.a. für seine Serie von Adelsportraits verwendet hat.1129 Johnson, die eine auftoupierte Perücke und Modeschmuck trägt, tritt dem Kunstpublikum mit nach oben gerollten Augen und breitem Grinsen entgegen und liefert damit ein wahrlich ungewöhnliches Portrait ab. Warhols nachträgliche Kolorierung des Mundes und der Augen mit einem hellen Rosa und mit einem hellen Grün unterstreicht abermalig den schelmischen Gesichtsausdruck, heben sich die Farben doch deutlich vom rötlich-braunen Farbton ab, den der Künstler für den Teint verwendet hat. Dieses Spiel mit
1126 Butler 1991, S. 202 (Kursivschreibung aus dem Originaltext übernommen, NM). 1127 Zu Johnsons Selbstbezeichnung als Drag Queen: »›I was no one, nobody, from Nowheresville, until I became a drag queen,‹ Ms. Johnson said in 1992.« (Jacobs, Julia: Two Transgender Activists Are Getting a Monument in New York [29.05.2019] in: The New York Times, https://ww w.nytimes.com/2019/05/29/arts/transgender-monument-stonewall.html (20.07.2020); das Zitat stammt aus Michael Kasinos Dokumentation Pay It No Mind – The Life and Times of Marsha P. Johnson. Siehe Pay It No Mind – The Life and Times of Marsha P. Johnson (2012). [Video] Regie: Michael Kasino. USA: Redux Pictures. Online abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= rjN9W2KstqE&list=FLdTtEeNj5uCzgLT8WbSFIJA&index=3&t=2196s (20.07.2020), TC: 21:11. 1128 Zur Auftragsgeschichte siehe Butin, Hubertus: Andy Warhol’s Royal Queens and Drag Queens. In: Dedichen, Henriette (Hg.): Warhol’s Queens. Ostfildern 2013, S. 53–101; hier: S. 65f; vgl. zudem Wrbican, Matt: Minding his Ps and Qs. In: Dedichen 2013, S. 103–151; hier: S. 112. 1129 Eine Parallele, die u.a. in Dedichens Warhol’s Queens besonders betont wird. Siehe Dedichen 2013.
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Kontrasten führt Warhol auch an anderer Stelle fort: So hebt sich die ockergelb gefärbte Perücke doch deutlich vom blau-gräulichen Hintergrund ab. Innerhalb von Warhols Gesamtwerk nimmt dieses Siebdruckportrait eine besondere Position ein. Um diese Sonderrolle nachvollziehen zu können, erscheint es sinnvoll, einen kurzen Exkurs über die hier portraitierte Johnson einzuschieben: 1945 im Bundesstaat New Jersey in bescheidenen Verhältnissen geboren, ging Malcom Michaels Jr., so der Geburtsname Johnsons, 1966 nach New York. Im liberalen Stadtviertel Greenwich Village, einem Zufluchtsort für queere Menschen,1130 fand Johnson ein Umfeld vor, in welchem sie ihre sexuelle und geschlechtliche Identität trotz ihrer prekären finanziellen Situation – einen Großteil ihres Lebens war sie obdachlos und arbeitete als Sexarbeiter_In – frei entfalten konnte.1131 Sowohl Johnsons Sexualität als auch ihre Geschlechtsidentität sind zwei bis heute diskutierte Aspekte. Angesichts dessen, dass sich Johnson selbst als Drag Queen bezeichnete und laut dem Zeitgenossen Robert Heide weiterhin als Malcolm auftrat, erscheint es zunächst schlüssig, dass es sich bei Johnson um einen homosexuellen Mann in drag gehandelt hat.1132 In einem Interview mit Allen Young aus dem Jahr 1972 äußert sich Johnson jedoch wie folgt: »A drag queen is one that usually goes to a ball, and that’s the only time she gets dressed up. Transvestites lives in drag. A transsexual spends most of her life in drag. I never come out of drag to go anywhere. Everywhere I go I get all dressed up. A transvestite is still like a boy, very manly looking, a feminine boy. You wear drag here and there. When you’re a transsexual, you have hormone treatments and you’re on your way to a sex change, and you never come out of female clothes.«1133 Unter Berücksichtigung dieser Aussage sowie der Tatsache, dass Johnson zusammen mit ihrer engen Freundin Sylvia Rivera 1970 die Street Transvestite Action Revolutionaries
1130 Über die Verbindung von urbanen Räumen und queeren Menschen schreibt Eribon: »Es liegt auf der Hand, dass eines der strukturierenden Prinzipien schwuler und lesbischer Subjektivitäten in der Suche nach Möglichkeiten besteht, durch Selbstverleugnung oder Emigration an freundlichere Orte Beschimpfungen und Gewalt aus dem Weg zu gehen. Dies bewirkt, das Schwule sich der Stadt und ihren sozialen Netzwerken zuwenden.« (Eribon 2019, S. 30) Eribon geht sogar soweit, queere Enklaven wie z.B. San Francisco als »›Flüchtlingslager‹« zu bezeichnen (ebd., S. 31); siehe auch Kapitel III.3.4. 1131 Siehe Chan, Sewell: Marsha P. Johnson. A transgender pioneer and activist who was a fixture of Greenwich Village Street Life [zuletzt geändert 08.03.2018] in: The New York Times, https://www.nytimes.com/interactive/2018/obituaries/overlooked-marsha-p-johnson.html (17.07.2020). 1132 Siehe Carter, David: Stonewall. The Riots that sparked the Gay Revolution, New York 2004, S. 66. 1133 Zitiert nach Cohen, Stephan L.: The Gay Liveration Youth Movement in New York. »An Army of Lovers Cannot Fail«, New York und London 2008, S. 95; ursprünglich stammt das Zitat aus Young, Allen: Rapping with a Street Transvestite Revolutionary: An interview with Marcia [sic!] Johnson, in: Jay, Karla; Young, Allen (Hg.): Out of the Closets: Voices of Gay Liberation, New York 1972, S. 112–120; hier: S. 119.
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(STAR)1134 gründete, ergibt sich allerdings ein weitaus komplexeres Bild ihrer Vorstellung von Geschlecht und Sexualität. Johnson zählte sich selbst zu einer sehr spezifischen Gruppe von street transvestites, die laut Stephan L. Cohen zwar oftmals Hormone zu sich nahmen, aber keine geschlechtsangleichende Operation wollten und ihren Lebensunterhalt zumeist mit Sexarbeit bestritten.1135 Sich selbst bezeichneten die Mitglieder entweder als »transvestites«, »›girlies‹« oder »›femme queens‹«.1136 Das spielerische Geschlechterverständnis der street transvestites spiegelt sich auch in Marsha P. Johnsons Namen wider, so steht doch das P. für »›Pay it no mind‹« und war Johnsons Standardantwort auf die Frage nach ihrem ›echten‹ Geschlecht.1137 In Anbetracht all dieser Aspekte plädiert die Gender-Forscherin Susan Stryker dafür, Johnson als »›gender-nonconforming‹« zu begreifen.1138 Die vorliegende Arbeit möchte sich dieser Lesart anschließen und versteht Johnson daher als geschlechtlich non- bzw. nicht-binäre Person, deren verschiedene Eigenidentifikationen als Drag Queen, street transvestite, transgeschlechtlich und homosexuell alle gleichwertig nebeneinander existieren.1139 Dieses nicht-binäre Geschlechterverständnis offenbart und politisiert Johnson auch in ihrem Auftreten: Durch ihr öffentliches Spiel mit vestimentären Geschlechtsmarkern1140 versinnbildlicht sie den queeren Protest gegen die heteronormativen Parameter der waltenden Gesellschafts- und Geschlechterordnung. Anders ausgedrückt: Johnson war ein durch und durch politisches Subjekt, das sich trotz polizeilicher und gesellschaftlicher Repressalien – das Auftreten in transvestitischer Kleidung wurde bis zu Beginn der 1970er-Jahre oftmals mit Inhaftierung geahndet1141 – zu behaupten wusste. Bald nach ihrer Ankunft in New York etablierte sich Johnson gerade wegen ihrer unverstellten und offensichtlichen Queerness als politische und aktivistische Größe: Sie war nicht nur eine der treibenden Kräfte während der Stonewall-Aufstände, sondern auch Gründungsmitglied der Street Transvestite Action Revolutionaries.1142 Die in diesem Aktivismus sowie dem queeren Geschlechterverständnis Johnsons evident werdende Verweigerung den repressiven Status quo zu akzeptieren kommt auch in Warhols Portrait zum Ausdruck: Das zur Grimasse verzogene Gesicht Johnsons bricht sowohl mit den üblichen Portraitkonventionen als auch mit Warhols stilistischer Uniformierung und lässt den re-
1134 Eine Anlaufstelle für jugendliche Obdachlose, die aufgrund ihrer Sexualität und ihrer Geschlechtsidentität von zu Hause rausgeworfen wurden. Siehe Cohen 2008, S. 89–165. 1135 Ebd., S. 94. 1136 Ebd. 1137 Siehe Carter 2004, S. 65; vgl. zudem Cohen 2008, S. 106. 1138 Siehe Chan 2018. 1139 Nichtsdestotrotz verwendet diese Arbeit weibliche Personalpronomen, da Johnson diese ebenfalls zur Selbstbezeichnung verwendete. 1140 Im Gegensatz zu anderen Queens trat Johnson nach eigener Aussage auch tagsüber in drag auf die Straßen. 1141 Vgl. hierzu Ryan, Hugh: How Dressing in Drag was labeled a Crime in the 20th Century [25.06.2019, zuletzt geändert 28.06.2019] in: HISTORY, https://www.history.com/news/stonew all-riots-lgbtq-drag-three-article-rule (23.07.2020); siehe auch Cohen 2008, S. 92. 1142 Johnson war in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 Teil des queeren Aufstandes gegen Polizeigewalt und -willkür im Stonewall Inn. Zur Rolle von Johnson in den Stonewall Riots siehe Carter 2004 u.a. S. 162 und S. 188; zu STAR siehe Cohen 2008, S. 89–165.
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bellischen Charakter der Wahl-New Yorkerin trotz aller künstlerischen Verfremdungen durchscheinen. Es ist ebendieses Spannungsverhältnis zwischen dem von Johnson verkörperten unangepassten Individualismus und dem Warhol’schen Stilisierungsdrang, aus welchem sich die besondere Position der Arbeit im Gesamtwerk Warhols erklären lässt. Nach David Bourdon zeichnen sich Warhols Siebdruckportraits doch eigentlich durch einen Aspekt aus: »His silk-screened faces are essentially stylized, cosmetic, skin-deep treatments of surfaces rather than a probing of the individual’s personality.«1143 Obgleich diese Beobachtung auf viele Werke aus Warhols Œuvre zutreffen mag, lässt sich im Hinblick auf das hier untersuchte Portrait nicht leugnen, dass es trotz aller stilisierenden und uniformierenden Eingriffe immer noch Johnsons ›laute‹ und individualistische Persönlichkeit wiedergibt.1144 Auch wenn Warhol im Laufe seiner Karriere immer wieder mit Drag Queens zusammengearbeitet hat, so inszenierte er diese doch zumeist gemäß tradierter Weiblichkeits- und Schönheitsideale, wie sie durch das Hollywoodkino oder die Modebranche propagiert wurden bzw. werden. Es sei auf die ebenfalls aus der Ladies and Gentlemen-Serie stammenden Siebdrucke der Drag Queen Wilhelmina Ross hingewiesen, welche ganz der Ästhetik der Film- und Modewelt entsprechen (Abb. 134.2). Der Siebdruck Johnsons verweigert sich einer derartigen Ästhetisierung und repräsentiert gerade dadurch die Essenz der sich 1969 zunehmend radikalisierenden queeren Emanzipationsbewegung: Während Modelle wie Ross mit ihren grazilen Posen die Welt der Haute Couture beschwören, verkörpert Johnson vielmehr die rebellische Kampfeslust der Straße. Konnte anhand der Arbeit von Arbus eine Explizierung der Travestie als Kunstmotiv beobachtet werden, hält Warhol mit dem Portrait von Johnson eine zunehmende Politisierung der Thematik fest. So sind die Sichtbarkeit und politische Selbstbehauptung queerer Menschen zu Beginn der 1970er-Jahre doch intrinsisch mit Individuen wie Johnson verbunden. Mit ihrem Aktivismus sowie ihrer augenscheinlichen ›Andersartigkeit‹ bildeten diejenigen, die nicht in den strengen Mann-Frau-Binarismus passten, die Vorhut der queeren Bewegung und gaben entscheidende Impulse für das Aufbegehren gegen eine heteronormative Hegemonie. Das Erbe, welches Johnson und ihre Mitstreiter_Innen hinterließen, ist die Erkenntnis, dass eine schwule bzw. lesbische Emanzipationsbewegung zwangsläufig auch queere Geschlechtsidentitäten berücksichtigen muss, fußt doch sowohl die Ausgrenzung homosexueller als auch trans- bzw. intergeschlechtlicher Menschen auf denselben zwei zentralen Annahmen: Einerseits auf der Vorstellung, dass sich Geschlecht und Sexualität gegenseitig bedingen, und andererseits auf dem Glau-
1143 Bourdon, David: Andy Warhol. New York 1989, S. 340; zitiert nach Butin 2013, S. 64f. 1144 Zur Untermalung von Johnsons ›lautem‹ Charakter zitiert Wrbican die Webseite der Drag-Performancegruppe Hot Peaches, in welcher Johnson lange tätig war: »MARSHA P. JOHNSON aka The Saint of Christopher Street. Audiences adored her. Critics also, to their great consternation. Her comedy – true, natural and startling – never missed. She embodied the early Gay movement proudly and very LOUDLY.« (Wrbican 2013, S. 113; siehe auch: http://www.hotpeachesnyc.com/h otpeachesnyc/Marsha_P.html (zuletzt 20.07.2020)).
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ben, dass der ›heterosexuelle Cis-Mann‹ und die ›heterosexuelle Cis-Frau‹ die einzigen ›natürlichen‹ Geschlechter- bzw. Sexualitätsidentitäten bilden.1145 Zum Abschluss soll noch ein Künstler Beachtung finden, der durch sein Spiel mit Mode die Idee einer geschlechtlichen Binarität ad absurdum führte und anstatt dessen eine chimärische Geschlechtlichkeit imaginierte: Der homosexuelle Performancekünstler Leigh Bowery (1961–1994) liefert mit seinen ›Mode-Skulpturen‹ eine komplette Trivialisierung und Unterwanderung ›männlicher‹ wie auch ›weiblicher‹ Inszenierungsmechanismen. Der in einem Vorort von Melbourne geborene Australier zog 1980 nach London, wo er zunächst als Mode- und Kostümdesigner tätig war, ehe er sich 1985 mit seiner eigenen Clubnachtreihe (Taboo) auch als Veranstalter und Performancekünstler einen Namen machte.1146 Die Taboo-Veranstaltungen, welche auch unter Künstler_Innen sehr beliebt waren, boten Bowery eine Plattform, seine maßgeschneiderten Modekreationen bzw. ›Modekreaturen‹ einem großen Publikum zu präsentieren und gleichzeitig Kontakte zur Kunstszene zu knüpfen. So lernte er dort u.a. den Maler Lucian Freud (1922–2011) kennen, mit dem ihn eine enge freundschaftliche sowie künstlerische Beziehung verband.1147 Im Zentrum von Bowerys Kunst steht sein eigener Körper, welchen er durch Kleidung und taping – das Umwickeln und Formen des Körpers mit Klebeband – modifizierte und zu »vestimentären Selbst-Plastiken« formte, wie es Katharina Sykora ausdrückt.1148 So nutzte Bowery etwa die in der Drag-Szene verbreitete taping-Technik u.a. dazu, sein eigenes Fettgewebe an Brust und Bauch zu ›weiblichen‹ Brüsten zu formen, oder aber seinen Penis zu kaschieren und so die Illusion eines weiblichen Genitals zu erzeugen.1149 Ein eindrückliches Bildbeispiel, welches den ästhetischen Ansatz des Künstlers repräsentiert, entstammt einer Kollaboration mit dem britischen Fotografen Fergus Greer: Das im Todesjahr Bowerys angefertigte Bild (Abb. 135) – er starb am 31. Dezember 1145 ›Cis-gender‹ meint eine Übereinstimmung von Geschlechtsidentität und dem Geschlecht, dass einer Person bei der Geburt zugewiesen wurde. 1146 Siehe Weinelt 2016, S. 15; siehe auch Steele, Valerie: The Exaggerated Body of Leigh Bowery. In: Zidianakis, Vassilis et al. (Hg.): NOT A TOY. Fashioning Radical Characters, Berlin 2011, S. 26–31; hier: S. 27. 1147 Freud nutzte Bowery wiederholt als Modell für seine Gemälde (u.a. Lucian Freud, Leigh Bowery, 1991, Öl auf Leinwand, Tate-Sammlung in London). 1148 Sykora, Katharina: Leigh Bowery: Becoming Photography, Mediale Expansion des Geschlechts, in: Söll, Änne; Schröder, Gerald (Hg.): Der Mann in der Krise? Visualisierungen von Männlichkeit im 20. und 21. Jahrhundert, Böhlau et al. 2015, S. 118–137; hier: S. 118; siehe zudem Steele 2011, S. 28. 1149 Dieser radikale Einsatz des eigenen Körpers als formbares ›Werkmaterial‹ verdeutlicht die fließenden Übergänge zwischen der Kunst des Drag und der Body Art. Zum taping siehe Weinelt 2016, S. 18; die zunehmende Konvergenz der Drag-Kunst und der Body Art verortet Hubertus Butin auf die 1970er-Jahre. In Bezug auf Warhols Drag-Fotografien schreibt er: »These photographic works by Warhol and [Christopher] Makos can be related historically to certain aspects of the Body Art of the seventies. Especially in the first half of that decade various artists employed their own bodies in photographs, performances, and videos to explicitly address the fundamental question of ›masculinity‹ and ›femininity.‹ They questioned and put into perspective gender identity both in its outward manifestation and in its performance in model self-presentation. Through the use of costumes, masquerades, props, or other direct means of physical alteration, the boundaries of the self and the possibilities for transformation were explored.« (Butin 2013, S. 91).
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1994 an den Folgen einer AIDS-Erkrankung – zeigt den Künstler als groteske Erscheinung in einem enganliegenden Ganzkörperanzug aus schwarzem glänzenden Latex. Auch sein Kopf, den eine buschige schwarze Perücke bekrönt, die zu einem massiven Pferdeschwanz frisiert wurde, ist komplett verhüllt. Lediglich eine kleine kreisrunde Öffnung am Mund sowie zwei vertikale Augenschlitze, in die ein Netzstoff eingesetzt wurde, unterbrechen die glänzende Latexoberfläche. Die Bizarrheit dieser Aufmachung wird durch die sich unter dem Anzug abzeichnende deformierte Körperlichkeit verstärkt: Bowery, der sich auf der Fotografie mit in die Hüfte gestemmtem Arm stolz zu präsentieren scheint, ist hier nicht nur mit zwei steil nach oben gerichteten Brüsten zu sehen, sondern auch mit einem großen Klumpfuß, der ihm eine skulpturale Präsenz verleiht.1150 Die in diesem Look – mit diesem Begriff bezeichnete Bowery seine Kreationen – deutlich werdende Verbindung von ambivalenter Geschlechtlichkeit mit körperlicher Deformation einerseits und dem eindeutig sexuell konnotierten Latex-Material andererseits ist symptomatisch für Bowerys Ästhetik.1151 Der ästhetische Ansatz des Künstlers ist irgendwo zwischen der von Bachtin in Rabelais und seine Welt (zuerst 1965) so treffend beschriebenen Vorstellung des grotesken Körpers, der Zeichenwelt der Fetischsubkultur sowie den Ausdrucksformen der Travestie zu verorten.1152 Doch trotz der Anleihen an der Travestiekunst und den teilweise feminisierenden Körpermodifikationen ging es Bowery nie darum, als Frau aufzutreten, vielmehr wollte er die binären Kategorien von ›Mann‹ und ›Frau‹ hinter sich lassen und die Geschlechtergrenzen auflösen.1153 Ebenjene ›Grenzauflösung‹ erreichte der Künstler dadurch, dass er sowohl in seinen Kostümen als auch in seinen Performances stets mit Markern von ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹ spielte. Obzwar sich Bowery für seine Looks zumeist sein Geschlecht mit Klebeband ›kaschierte‹ und oftmals mit Brüsten auftrat, konterkarierte er diese ›femininen‹ Elemente sogleich durch die ›Monstrosität‹ seiner Körpermodifikationen sowie durch sein betont aggressives und viriles Verhalten.1154 In dem Aufeinanderprallen gegensätzlicher kultureller Zeichen sowie der Abkehr vom ›natürlichen‹ Körper und gesellschaftlichen 1150 René Zechlin stellt die skulpturale Qualität von Bowerys Körpermodifikationen besonders heraus: »Die Deformation des Körpers macht ihn zu etwas anderem, enthebt ihn der Körperlichkeit. Der Körper wird zum Objekt, zur Skulptur.« (Zechlin, René: Einleitung – Der Körper als Kunstwerk. In: Kat. Ausst. Kat. Ausst. Leigh Bowery: Beautified Provocation, hg. von René Zechelin, Kunstverein Hannover 2008, Heidelberg 2008, S. 21–31; hier: S. 21). 1151 Zur Rolle von Latexkleidung im Fetischbereich siehe u.a. das Kapitel Second Skin in Steele, Valerie: FETISH. Fashion, Sex & Power, Oxford et al. 1996, S. 143–163. 1152 Siehe hierzu Bachtin 1987, S. 358f; zum grotesken Körper bei Bowery siehe Sykora 2015 u.a. S. 121. 1153 Die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen schreibt über Bowery: »Seine prothetischen Looks stellen kein drittes Geschlecht dar, kein androgynes Zwitterwesen, sondern führen mit der Verschränkung von vollkommener Schönheit und grotesker Hässlichkeit eine Aufhebung der Grenze zwischen den Geschlechtern vor.« (Bronfen, Elisabeth: Sein Körper sein: Die letzte Diva Leigh Bowery, in: Kat. Ausst. Kat. Ausst. Leigh Bowery: Beautified Provocation, hg. von René Zechelin, Kunstverein Hannover 2008, Heidelberg 2008, S. 67–75; hier: S. 68). 1154 Weinelt erläutert: »Bowery jongliert nicht nur mit traditionellen Zeichen des Weiblichen, sondern auch mit männlich konnotierten Elementen […]: anarchisches Rebellentum, ordinäre Spiele mit Fäkalien und brutale Geißelung des eigenen blutenden Leibes als Figurationen phallischer Macht. […] Es entsteht ein chaotisches Durcheinander an Zeichen, das mehr ist als bloße Ge-
III. Hauptteil
Konventionen äußert sich der Kerngedanke von Bowerys Werk: die Transgression. Auch das vorliegende Beispiel illustriert die für das Œuvre so essenzielle Thematik der Übertretung auf eindringliche Weise, so impliziert doch etwa der kolossale Klumpfuß eine wortwörtliche Ausdehnung der körperlichen Grenzen. Die sich bei Bowery offenbarende Radikalität der Ver- und Umformung von Körper und Geschlecht kann als konsequente Weiterentwicklung des transgressiven Potentials der Travestie verstanden werden. Die uneindeutigen Kreationen des Künstlers präfigurieren, was George Dvorsky und James Hughes in ihrem Aufsatz Postgenderism: Beyond the Gender Binary (2008) mit den Begrifflichkeiten des »Postgenderism« bzw. der »Postgender Future« umschrieben haben: Laut den Autoren gestatten die aus dem Poststrukuralismus sowie der Queer Theory gewonnenen Erkenntnisse zusammen mit den Fortschritten in der Biotechnologie die Möglichkeit, das Ende des Mann-Frau-Binarismus einzuläuten.1155 Die von Dvorsky und Hughes prophezeite Überwindung einer von ihnen als zwanghaft empfundenen Geschlechterdifferenzierung scheinen Bowerys Looks in überspitzter Art zum Ausdruck zu bringen. Durch die Vereinnahmung ›männlicher‹ und ›weiblicher‹ Elemente und die gleichzeitige Negierung jedweder Geschlechtlichkeit konstituierte Bowery einen Mode- und Körperbegriff jenseits der Mann-Frau-Dichotomie. Seine Arbeiten führen die vestimentären Transgressionen der Macaronis, Dandys, Mollies und Drag Queens zu ihrem logischen Ende und enttarnen dabei die Mode sowie die Idee der naturalisierten Zweigeschlechtlichkeit als bloße Maskeraden. Die von Bowery vertretene Form einer ›postgender Travestie‹ findet auch in der Gegenwart großen Widerhall und wird etwa von Drag-Künstler_Innen, wie der in Berlin lebenden Hungry (Geburtsname Johannes Jaruraak) sowie dem Performance-und DesignDuo Fecal Matter, welches aus Steven Raj Bhaskaran und Hannah Rose Dalton besteht, weitergeführt.1156 Diesen unterschiedlichen Künstler_Innen ist gemein, dass sie in Anknüpfung an Bowery die transformativen Möglichkeiten der Travestie und der Körpermodifikationen neu ausloten. Während Hungry mit ihren ebenso filigranen wie fremdartigen Looks eine Ästhetik ätherischer Androgynität verkörpert (Abb. 136), repräsentieren Fecal Matter dementgegen eine betont fleischliche und monströse Form des Drags (Abb. 137). Die Tatsache, dass sich mit Hannah Rose Dalton auch eine ›biologische‹ Frau der übersteigerten Ausdrucksformen der Travestie bedient und dabei nicht in die Rolle eines Mannes schlüpft, wie es z.B. die Drag Kings tun, sondern sie sich mit vorherrschenden Vorstellungen von Weiblichkeit auseinandersetzt, bestätigt erneut die Maskenhaf-
schlechtermaskerade, denn Bowerys Kunstfiguren leugnen jeglichen Bezug zum natürlichen Körper.« (Weinelt 2016, S. 18f). 1155 Sie schreiben: »Postgenderism is a radical interpretation of the feminist critique of patriarchy and gender, and the genderqueer critique of the way that binary gender constraints individual potential and our capacity to communicate with and understand other people. […] Today […] biotechnologies, neurotechnologies and information technologies make it possible to complete the project of freeing ourselves from patriarchy and the constraints of binary gender.« (Dvorsky, George; Hughes, James: Postgenderism: Beyond the Gender Binary, [20.03.2008] in: IEET Monograph Series 03, https://ieet.org/archive/IEET-03-PostGender.pdf (13.08.2020), S. 13). 1156 Zu Hungry siehe Doonan 2019, S. 62; zu Fecal Matter siehe Satenstein, Liana: Yes, »Fecal Matter« is the Name of an Instagram You Should Be Following [27.02.2018], in: Vogue, https://www.vogue.com/vogueworld/article/fecal-matter-instagram-duo-to-follow (14.08.2020).
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tigkeit tradierter Geschlechterbilder.1157 Besonders pointiert kommt diese Verhandlung der Weiblichkeit in den von Dalton und Bhaskaran getragenen ›Fleisch-High Heels‹ zum Ausdruck, suggerieren diese doch eine bizarre Naturalisierung und Einverleibung gesellschaftlich tradierter Marker von Weiblichkeit. In den beiden vorangegangenen Kapiteln wurde der Rolle und Funktion der Mode im Kontext einer queeren Bildtradition nachgespürt. Die infolgedessen untersuchten Figuren der Macaronis, Dandys, gay machos, Tunten, Mollies und Drag Queens sind alle unterschiedliche Ausformungen desselben Grundgedankens: Durch die Manipulation und Aneignung der vestimentären Codes der waltenden binären Geschlechterordnung kann die eigene queere Identität – siehe etwa die ›Modeskulpturen‹ Bowerys – bzw. das eigene queere Verlangen – siehe z.B. die Fotografien Fischers – visualisiert und kommuniziert werden. Zugleich enttarnt das queere Spiel mit der Mode die Arbitrarität und Künstlichkeit ebenjener Kleider- und Geschlechterordnung. Aus dieser gesellschaftspolitischen Sprengkraft erklärt sich im Rückschluss auch die strenge und bis heute zu beobachtende Ächtung modischer aber besonders transvestitischer Übertretungen. Die Mode nimmt damit eine zentrale Rolle in den Inszenierungsmechanismen einer queeren Bild- und Zeichensprache ein.
III.3.3 Romantisierte Projektionen auf das ›Andere‹ oder Die Homoerotisierung des ›Orients‹?1158 Rückblickend auf die bisherigen Kapitel lässt sich festhalten, dass sich eine Strategie in der Bildung eines queeren Motivkanons besonders deutlich herauskristallisiert hat: die Appropriation. So wurde u.a. schon die Vereinnahmung und Umdeutung eines christlichen Märtyrers sowie zuletzt die Aneignung ›weiblich‹ konnotierter Modemarker behandelt. Auch für dieses Kapitel, welches den Blick gen Osten richtet und exemplarisch den Topos des Exotismus innerhalb einer männlich-männlichen Bildwelt erforschen will, wird sich die Appropriation in all ihrer Komplexität als wichtiges Instrument erweisen. Stammte der Großteil der bisher betrachteten Motive und Werke aus einem gemeinhin als ›westlich‹ deklarierten Kulturkreis, so stehen im Nachfolgenden ausgewählte Kunstwerke im Fokus, die sich vermeintlich ›orientalischer‹ Elemente bedienen, um homoerotische bzw. queere Bildinhalte zu vermitteln. Zur Erforschung dieser mutmaßlichen ›Homoerotisierung des Orients‹ soll zunächst einmal die stark
1157 Eine Cis-Frau, die sich einer Drag Queen-Ästhetik bedient, wird als Bio Queen bzw. Faux Queen bezeichnet. Siehe hierzu Coull, Jamie Lee: Faux Queens: An Exploration of Gender, Sexuality and Queerness in Cis-Female Drag Queen Performance [20.11.2015], Dissertation an der Curtin University in Perth, https://espace.curtin.edu.au/bitstream/handle/20.500.11937/2117/235643_Coull %20J%202015.pdf?sequence=2&isAllowed=y (14.08.2020), S. iii. 1158 Unter dem Titel Der sehnsüchtige Blick in den Osten: Männliche Homoerotik, Orientalismus und Appropriation wurde 2016 eine stark verkürzte und rudimentäre Version dieses Kapitels veröffentlicht. Darin wird aufgrund unglücklicher Kürzungen Jacques-Louis David als Künstlerbeispiel für den ›Orientalismus‹ genannt und nicht, wie ursprünglich geschrieben, Jean-Auguste-Dominique Ingres. Siehe Maniu, Nicholas: Der sehnsüchtige Blick in den Osten: Männliche Homoerotik, Orientalismus und Appropriation, in: Hopf, Rinaldo; Schock, Axel (Hg.): Mein schwules Auge. Band 13, Tübingen 2016, S. 28–34.
III. Hauptteil
aufgeladene Begrifflichkeit des ›Orients‹ bzw. des ›Orientalismus‹ kontextualisiert und erörtert werden. Der britische Schriftsteller und Kunstsammler William Beckford (1760–1844), der zu Lebzeiten Gegenstand eines Sodomieskandals wurde, beschwor in seiner 1786 erstmals auf Englisch veröffentlichten Schauergeschichte Vathek das Bild eines hauptsächlich von sinnlichen Genüssen bestimmten ›Orients‹.1159 Das Buch erzählt die Geschichte des titelgebenden Kalifen Vathek, der sein Dasein ganz den weltlichen Freuden verschrieben hat und zur Stillung seines Verlangens auch nicht vor Menschenopfern und einem Pakt mit einem Dämon zurückschreckt. Dieser grenzenlose Hedonismus spiegelt sich jedoch nicht nur in der von Beckford erdachten ›orientalischen‹ Genusswelt wider, die besonders eindrücklich von Vatheks fünfflügeligem Palast repräsentiert wird, in welchem jeder Sinnesempfindung ein eigener Gebäudeteil gewidmet ist, sondern auch im schwelgerischen Schreibstil des Autors.1160 An einer Stelle gegen Ende des Buches demonstriert Beckford diesen Hang zu ausschweifenden Beschreibungen äußert anschaulich : »Les regards langoureux et tendres, les mots à l’oreille les sourires enchanteurs qui accompagnaient les petites confidences, la douce odeur des roses, tout inspirait une volupté«.1161 Mit diesen betörenden Worten evoziert Beckford die romantisierte Vorstellung des ›Orients‹, wie sie vor allem gegen Ende des 18. Jahrhunderts populär wurde und teilweise bis ins 20. Jahrhundert hinein anhielt. Demnach galt der fremde und vermeintlich in der Zeit stehengebliebene ›Orient‹ als sinnlicher Gegenentwurf zu westlichen Gesellschaftsnormen, christlicher Orthodoxie und industriellem Fortschritt.1162 Er wurde zur Projek-
1159 Geschrieben wurde Vathek bereits 1782 in französischer Sprache. Zu Beckford siehe Kapitel III.3.5; vgl. zudem Haggerty, George E.: Beckford’s Paederasty. In: DiPiero, Thomas; Gill, Pat (Hg.): Illicit Sex. Identity Politics in Early Modern Culture, Athen und London 1997a, S. 123–142; hier: S. 123f; zur Veröffentlichungsgeschichte von Vathek – die Erzählung wurde aufgrund des Sodomieskandals zunächst ohne Nennung Beckfords als angebliche Übersetzung eines arabischen Textes veröffentlicht – siehe Beurdeley 1994, S. 150 und S. 156. 1160 Edward W. Said reiht Beckford in eine Folge von Autoren ein, die in ihrem literarischen Werk ein sehr spezifisches und einseitiges Bild des ›Orients‹ zeichnen, welches lange Zeit die europäische Wahrnehmung bestimmten sollte: »Ebenso strukturierten William Beckford, Byron, Goethe und Hugo durch ihre Kunst den Orient neu und machten seine Farben, Lichter und Menschen durch ihre Bilder, Rhythmen und Motive sichtbar. Der ›reale‹ Orient provozierte höchstens einen Autor zu seiner Vision; er bestimmte diese selten.« (Said, Edward W.: Orientalismus. Frankfurt a.M., Berlin und Wien 1981, S. 32). 1161 Beckford, William: Vathek. Conte Arabe, d’après une correction de Louis-Sébastien Mercier, Paris 2019, S. 112; bei der hier zitierten Version handelt es sich um die von Beckford mit Louis-Sébastien Mercier überarbeitete Originalversion; eine deutsche Übersetzung, welche die sinnliche Essenz von Vathek besonders treffend einfängt, stammt von Karl Toth. In Toths Fassung lautet der hier zitierte Satz: »Es lockten die Augen, es wisperten die Lippen, es flatterte Hexenlächeln von Mund zu Mund, es flutete Rosenduft um jeden wachen Sinn und Wollust sang durch Luft und Wasser und alle Poren der nackten Geschöpfe so süß, so süß« (Beckford, William: Vathek. Umdichtung von Karl Toth, Zürich, Wien und Leipzig 1921, S. 83). 1162 Zur Vorstellung eines in der Zeit eingefrorenen Orients – eine Konzeption, die eng mit der Annahme verknüpft war, dass der Orient ›rückständig‹ und ›degeneriert‹ sei – schreibt Said: »Darüber hinaus neigt die männliche Konzeption der Welt [hiermit ist die Hegemonie einer weißen, männlichen und westlichen Perspektive auf die Welt gemeint, NM] in ihrem Effekt auf den aktiven Orientalisten dazu, statisch, eingefroren, ewig festgestellt zu sein. Die Möglichkeit der Entwicklung
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tionsfläche unterdrückter Wünsche und Lüste. Diese verklärte Sichtweise Europas bzw. des Westens erhielt mit Anbruch des Maschinenzeitalters und den sich zeitgleich verstärkenden Kolonialbestrebungen des Westens dann noch mehr Aufschwung.1163 Die Konzeption sowie die Begrifflichkeit des ›Orients‹ – abgeleitet vom Lateinischen ›sol oriens‹, was ›aufgehende Sonne‹ bedeutet und zumeist als Synonym für das geographische Gebiet östlich von Europa gebraucht wurde – sind jedoch seit jeher von Ambivalenzen bestimmt: Zum einen ist die Verwendung und Bedeutung des Begriffs historischen Wandlungen unterlegen und variiert stark. So kann das Wort ›Orient‹ sowohl die vorrangig islamischen Länder des Nahen Ostens sowie Nordafrikas meinen – also selbst Länder, die geographisch gesehen nicht im Osten liegen –, als auch fernöstliche Länder wie Indien, China und Japan. Zum anderen ist das Konzept des ›Orients‹ aber auch das Produkt einer eurozentristischen Weltanschauung. Der ›Orient‹ wird, wie zuvor erwähnt, seit jeher als Gegenentwurf zum ›Okzident‹ verstanden, wobei diese Dichotomie symptomatisch für eine Denkweise ist, die durch angeblich klar voneinander abzugrenzenden Gegensatzpaaren bestimmt ist (Mann – Frau, gut – böse, Westen – Osten etc.) und die zudem mit einer entsprechenden Attribuierung einhergeht: Während also der ›Okzident‹ mit Männlichkeit, Fortschritt und Rationalität verbunden wurde, assoziierte man den ›Orient‹ aus westlicher Perspektive mit Weiblichkeit, Stagnation und Irrationalität – derartige Vorstellungen sind auch in der Gegenwart nach wie vor geläufig.1164
selbst, der Transformation, der menschlichen Bewegung – im tiefsten Sinne des Wortes –, ist dem Orient wie dem Orientalen versagt.« (Said 1981, S. 233); vgl. auch ebd., S. 231f. 1163 Auch zur Kolonialisierung des ›Orients‹ schrieb Said in seinem Werk. Siehe ebd., S. 40–45 (hier geht es im speziellen um die britische Kolonialherrschaft über Ägypten) und S. 236. 1164 Said findet für diese Vergeschlechtlichung von Ost und West einen treffenden Vergleich, wenn er auf Gustave Flauberts (1821–1880) Reisebericht Voyage en Égypte (1881 postum veröffentlicht) hinweist, in welchem der französische Schriftsteller die ägyptische Tänzerin Kuchuk Hanem (1850–1870) als Sinnbild der ›orientalischen Frau‹ beschreibt und davon auf das Machtverhältnis zwischen ›Orient‹ und ›Okzident‹ schließt: »Man kann z.B. Übereinstimmung damit in der Tatsache finden, dass Flauberts Begegnung mit einer ägyptischen Kurtisane ein weithin einflussreiches Modell der orientalischen Frau ergeben hat, denn sie sprach niemals über sich selbst, sie vertrat niemals ihre Gefühle, ihre Präsenz oder ihre Geschichte. Er sprach für sie und vertrat sie. Er war fremd, vergleichsweise reich, männlich, und dies waren die historischen Tatsachen der Herrschaft, die es ihm erlaubten, Kuchuk Hanem nicht nur physisch zu besitzen, sondern auch für sie zu sprechen und seinen Lesern zu sagen, in welcher Hinsicht sie ›typisch orientalisch‹ war. Mein Argument lautet hierbei, dass Flauberts Situation der Stärke im Vergleich zu Kuchuk Hanem kein isoliertes Beispiel war. Es gibt ziemlich genau das Muster relativer Stärke zwischen Ost und West wieder und den Diskurs über den Orient, den es ermöglichte.« (Said 1981, S. 13); vgl. zudem ebd., S. 338; zur Vorstellung eines effeminierten ›Orients‹ siehe auch Boone, der z.B. auf das langlebige Stereotyp des effeminierten Paschas eingeht. Vgl. Boone 2014, S. 96f; es sei überdies angemerkt, dass Menschen aus ›orientalischen‹ Ländern häufig ähnliche Vorurteile gegenüber dem Westen hatten. Darauf macht etwa Daniel Varisco aufmerksam; dennoch darf nicht übersehen werden, dass durch die westliche Vormachtstellung den durch Europa und den Westen propagierten Bildern des ›Orients‹ mehr Gewichtung zukommt. Siehe Varisco, Daniel Martin: Reading Orientalism. Said and the Unsaid, Seattle und London 2007, S. 164f.
III. Hauptteil
Diese Wahrnehmung und Konstruktion des ›Orients‹ als effeminiert und antithetisch gegenüber der westlichen Welt reicht bis in die Antike zurück.1165 Edward W. Said (1935–2003), ein Literaturkritiker mit palästinensischen Wurzeln, schrieb in dem für die Postcolonial Studies1166 wegweisenden Buch Orientalismus (zuerst 1978) hierzu Folgendes: »Der Orient war fast eine europäische Erfindung, und er war seit der Antike ein Ort der Romantik, des exotischen Wesens«.1167 Und weiter: »Der Orient ist nicht nur Europa benachbart, er ist auch […] eines seiner ältesten und am häufigsten wiederkehrenden Bilder des Anderen. Zusätzlich half der Orient Europa (oder dem Westen) sich als dessen kontrastierendes Bild, Idee, Persönlichkeit, Erfahrung zu definieren.«1168 Dieses antagonistische Verständnis des ›Orients‹ als Gegenbild zum ›Okzident‹ verstärkte sich nochmals mit den mittelalterlichen Kreuzzügen, in denen Menschen muslimischen Glaubens als Barbaren und Feinde des (christlichen) Gottes geächtet wurden.1169 Mit der zunehmenden Dominanz des Westens und im Zuge der Kolonialisierung geriet der einstige Erzfeind dann jedoch mehr und mehr zum großen Faszinosum für Adel und Bürgertum. Es kam zu einer Kommodifizierung des ›Orients‹, was sich u.a. in einer Flut an literarischen, künstlerischen und pornographischen Darstellungen aber auch (vermeintlich) wissenschaftlichen Untersuchungen dieses Themas verdeutlichen sollte. Laut Said ist es diese wechselvolle westlich-europäische Diskursivierung des ›Orients‹ und die daraus resultierenden verzerrten Darstellungen, die den Kern des ›Orientalismus‹ ausmachen.1170 Oder anders
1165 Nach Frontisi-Ducroux und Lissarrague bestand schon im antiken Griechenland eine Korrelation zwischen ›Orient‹ und ›Effeminiertheit‹: »Wine, music, song, and dance… Here is the framework for reading these ambivalent images in which bearded men, undoubtedly virile, seem quite happy to become feminine, to become Eastern (both of which, for a Greek male, often came down to the same thing).«(Frontisi-Ducroux und Lissarrague 1990, S. 219f). 1166 Zu Saids Rolle für die Postcolonial Studies siehe Varisco 2007, S. 9f; sowie Boone 2014, S. 24; laut Varisco empfand Said die Bezeichnung »post-colonialism« als unzureichend; vielmehr sollte es »neocolonialism« heißen, da dieser Begriff eine kolonialistische Kontinuität impliziere, die nach wie vor das Verhältnis zwischen ›Orient‹ und ›Okzident‹ bestimmen würde (Varisco 2007, S 10). 1167 Said 1981, S. 8. 1168 Ebd. (Kursivschreibung NM); Varisco schreibt dazu: »Said pens a portrait of despotic Orientalism, the malformed creation of Western romantics, masochistic explorers, ardent imperialists, and text-driven university dons. It is necessary to stress that in many ways Said hardly scratched the surface of the vast sewerage of racist and ethnocentrist writing, art, and cinema that for so long has severed an imaginary East from the dominating West.« (Varisco 2007, S. 5). 1169 Siehe u.a. Said 1981., S. 71. 1170 Said schreibt hierzu: »Ich selbst glaube, dass der Orientalismus viel besser als ein Zeichen europäisch-atlantischer Macht über den Orient verstanden werden sollte und nicht als ein wahrheitsgemäßer Diskurs über den Orient (welcher in seiner akademischen oder wissenschaftlichen Form das ist, war er zu sein angibt).« (Ebd., S. 13) Und an anderer Stelle heißt es: »Der Orientalismus ist eher, (als dass er ausdrückt), ein bestimmter Wille oder eine Absicht, das zu verstehen oder in einigen Fällen zu kontrollieren, manipulieren und sich selbst einzuverleiben, was eine deutlich andere (oder alternative oder neue) Welt ist. Es ist vor allem ein Diskurs, der unter keinen Umständen in direkter, korrespondierender Beziehung mit der rohen politischen Macht steht, sondern eher in einem ungleichen Austausch mit verschiedenen Machtformen produziert wird und existiert.« (Ebd., S. 20f).
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ausgedrückt: Der ›Orientalismus‹ umschreibt nichts anderes, als die von einem hegemonialen Selbstverständnis bestimmte Rezeption des ›Orients‹ durch den ›Okzident‹.1171 Künstler wie Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780–1867) illustrieren in ihren Werken ebenjene verzerrte Wahrnehmung des ›Orients‹, wie sie Said in Orientalismus darlegt. So begeisterte Ingres im 19. Jahrhundert das europäische Publikum etwa mit ›orientalisierten‹ und erotisierten Frauen- bzw. Haremsdarstellungen. Es sei auf sein Gemälde Die große Odaliske (1814) hingewiesen, einer Auftragsarbeit für Caroline Murat (1782–1839), der jüngsten Schwester Napoleon Bonapartes, in welcher der Künstler den manieristisch in die Länge gezogenen Rückenakt einer Frau inmitten einer ›orientalischen‹ Draperie zeigt (Abb. 138) – u.a. ist auf dem rechterhand herabhängenden Vorhang das aus der persischen Kultur entlehnte Boteh-Muster zu erkennen, aus welchem sich später das weitverbreitete Paisley-Muster entwickeln sollte.1172 Wie der Titel der Arbeit verrät, imaginiert Ingres hier eine Haremsfrau, deren Leib fast die gesamte Bildlänge ausfüllt.1173 Sie ist mit einem aufwendigen Turban, goldenen Armbändern sowie einem strategisch unterhalb des Gesäßes platzierten Fächer mit Pfauenfedern ausstaffiert. Die zarte Beschaffenheit der Pfauenfedern neben der nackten Haut betont die sensualistisch-erotische Ebene des Motivs. Wendet man den Blick nach links und weg von dem im Bildzentrum positionierten Leib der Odaliske, so ist zu erkennen, dass diese ihren Kopf über die rechte Schulter dreht und aus dem Bild herausblickt. Hierdurch wird trotz des Rückenaktformats eine direkte Verbindung zwischen der Dargestellten und dem Kunstpublikum erzeugt. In Reading Orientalism: Said and the Unsaid (2007) führt der Autor Daniel Martin Varisco Die große Odaliske von Ingres als Sinnbild für die westliche Wahrnehmung des Orients an.1174 Besonders der vermeintlich emotionslose Blick der Odaliske demonstriert laut Va1171 Das ambivalente Verhältnis von ›Orient‹ und ›Okzident‹ fasst Said gegen Ende seines Buches nochmals treffend zusammen, wenn er einige dogmatische Charakteristika des Orientalismus aufzählt, welche »die absolute und systematische Differenz zwischen dem Westen, der rational, entwickelt und menschlich überlegen ist, und dem Orient, der andersartig, unterentwickelt, unterlegen ist«, zusammenfassen. (Ebd., S. 338) Das vierte Dogma besagt nach Said: »[D]ass der Orient im Grund etwas ist, das entweder befürchtet werden muss (die gelbe Gefahr, die mongolischen Horden, die braune Herrschaft) oder kontrolliert werden soll (durch Beruhigung, Forschung und Entwicklung, direkte Okkupation, wenn möglich).« (Ebd., S. 339). 1172 Siehe Karpinski, Caroline: Kashmir to Paisley. In: The Metropolitan Museum of Art Bulletin Vol. 22, Nr. 3 (1963), S. 116–123; hier: S. 122f. 1173 Da Ingres zur Entstehungszeit des Gemäldes in Rom war, wird angenommen, dass es sich bei dem Modell um eine Römerin handelte und nicht um eine ›orientalische‹ Frau. Siehe Varisco 2007, S. 165; vgl. zudem Vergnette, François de : La Grand Odalisque. In: https://www.louvre.fr/en/ oeuvre-notices/une-odalisque (zuletzt 08.09.2020). 1174 Es sei auch Ingres’ Gemälde Das türkische Bad (1852–1859) genannt. Darin ist eine große Gruppe nackter Frauen beim gemeinsamen Baden zu sehen. Die entkleideten aber mit reichlich Schmuck behangenen Frauen werden beim Baden, Musizieren, Tanzen sowie der gegenseitigen Liebkosung gezeigt und bedienen damit die europäische Vorstellung der übersexualisierten und enthemmten ›Orientalen‹. Die Arbeit wurde erst lange nach dem Tod Ingres’ öffentlich ausgestellt – wohl wegen der doch sehr expliziten Erotik. Dennoch gehört auch dieses Bild neben Die große Odaliske zu den repräsentativsten Darstellungen westlicher Orient-Vorstellungen des 19. Jahrhunderts. Das Bild befindet sich heute im Louvre: https://www.louvre.fr/oeuvre-notices/le-bain-turc (zuletzt 28.08.2020).
III. Hauptteil
risco eine Passivität und Objekthaftigkeit, die nicht nur symptomatisch für die westliche Wahrnehmung des ›Orients‹ sei, sondern auch zur Legitimierung der hegemonialen Bestrebungen Europas verwendet wurde: »There is little emotion in her face, barely a hint of what she feels. How convenient for Western domination of a feminized East.«1175 Ob man dieser Auslegung der Mimik nun folgen mag oder nicht, so lässt sich doch zumindest nicht bestreiten, dass sich Ingres in diesem Gemälde ›orientalischer‹ Elemente bedient hat, um der europäischen Oberschicht ein erotisches Schaustück zu liefern.1176 Wie hier beispielhaft an Ingres zu sehen ist, bot die Bildwelt des ›Orients‹ westlichen Künstler_Innen die Möglichkeit, die eigenen gesellschaftlichen Konventionen zu umgehen und erotische Themen unter dem Deckmantel ›orientalischer‹ Phantasien abzubilden.1177 Die dadurch offensichtlich werdenden Aspekte einer westlich-europäischen Diskursivierung des ›Orients‹ einerseits und der damit verbundenen selektiven Vereinnahmung einer (angeblich) ›orientalischen Ästhetik‹ andererseits sollten alsbald auch von einer ›neuen‹ sozialen Gruppierung der westlichen Welt des 19. Jahrhunderts genutzt werden: ›den Homosexuellen‹. Denn während die ›zivilisierte‹ Welt des späten 18. sowie des 19. Jahrhunderts, angetrieben von wirtschaftlichen Interessen und gefördert durch medizinische und juristische Instanzen, immer mehr einem Optimierungswahn menschlicher Existenz verfiel, geriet die Idee des ›exotischen Orients‹ zum verheißungsvollen Paradies für all diejenigen, deren Wesen und Verlangen nicht zur neuen Kernideologie von Produktion und Reproduktion passen wollte – es ist sicherlich kein Zufall, dass die Gründung der Eugenikbewegung, ihres Zeichens Wegbereiterin für eine fehlgeleitete Ideologie der Rassenhygiene, in diese Zeit fällt.1178 Im weiteren Verlauf soll zum einen anhand ausgewählter Kunstwerke das Phänomen eines homoerotisch aufgeladenen Orientbildes hinsichtlich seiner Herkunft, Entwicklung und Bildsprache ergründet werden.1179 Zum anderen soll parallel dazu die Rolle
1175 Varisco 2007, S. 165. 1176 Reed macht hinsichtlich Ingres’ Das türkische Bad auf den Kunstkritiker und Schriftsteller Théophile Gautier (1811–1872) aufmerksam, der das Gemälde mit den sinnlichsten Worten beschrieben hat. Reed zitiert hier eine englische Übersetzung von Gautiers Worten: »The critic Théophile Gautier described this work […] as ›a lovingly caressed canvas from his most suave brush, twenty times abandoned and taken up again, like a woman with whom one cannot decide to break relations, a sort of harem that he did not dismiss until the end of his life, and into which he came from time to time to take an odalisque or nymph.‹« (Reed 2011, S. 74) Reed schlussfolgert aus dieser erotisierten Beschreibung: »Here the critic proposes the male artist as a sultan, with the male viewer – the conspiratorial ›one‹ who has relations with women – allowed a peek into his private harem. Gautier’s remarks exemplify the eroticization of both the production and consumption of nineteenth-century art.« (Ebd.). 1177 Eine ähnliche Legitimierungsstrategie kann am Beispiel mythischer Aktdarstellungen beobachtet werden. 1178 Vgl. hierzu etwa Fernandez 2002, S. 214. 1179 Motive eines homoerotisch aufgeladenen Orientbildes finden sich neben der bildenden Kunst auch vermehrt in Literatur und Pornographie: Neben dem eingangs zitierten Beckford beschworen auch Literaten wie André Gide (1869–1951) sowie der infame Okkultist Aleister Crowley (1875–1947) die Verquickung von Homoerotik mit dem ›Orient‹ in ihren Werken. Eine gedankliche Verbindung, die ihre visuelle Explizierung im Genre der Pornographie finden sollte und besonders prominent von Jean Daniel Cadinot (1944–2008) vertreten wurde.
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des Exotismus innerhalb einer queeren Bildwelt hinterfragt werden sowie die Idee einer transnationalen Ikonographie männlich-männlichen Begehrens. Dabei gilt es zu beachten, dass sich die nachfolgenden Werkanalysen entgegen der mittlerweile im deutschen Sprachraum gängigen Verwendung des Wortes ›Orient‹ zur Umschreibung des Nahen Ostens sowie der muslimisch geprägten Länder Nordafrikas sowohl auf Bildbeispiele aus dem Nahen als auch aus dem Fernen ›Orient‹ fokussieren werden.1180 Diese Entscheidung soll nicht nur der historisch vagen Konzeption des ›Orients‹ Rechnung tragen, sondern sie ermöglicht auch, auf Parallelen in der westlichen Rezeption des Nahen und Fernen Ostens einzugehen.1181 Den Anfang in dieser kunsthistorischen Erforschung des Verhältnisses zwischen Homoerotik und Orientalismus soll das 1876 von Léon Bonnat im Salon de Paris gezeigte Gemälde Der Barbier von Suez machen (Abb. 139). Das Gemälde wurde laut dem Kulturwissenschaftler Joseph Allen Boone acht Jahre nach einer Ägyptenreise Bonnats vollendet und erstmalig ausgestellt.1182 Es stellt den Endpunkt einer kurz andauernden Werkphase des hauptsächlich für seine Portraits bekannten Künstlers dar, in welcher er sich orientalistischer Motive gewidmet hatte.1183 Mit seiner Hinwendung zum Orientalismus folgte Bonnat dem damaligen Zeitgeschmack und stieß mit Werken wie eben Der Barbier von Suez beim Kunstpublikum auf Wohlwollen. Wie Guy Saigne in seiner Monographie über den Maler darlegt, quittierte man das Werk als gelungenes, wenngleich schlichtes Genrebild, das jedoch weder mit Bonnats religiösen Arbeiten noch mit seinen Portraits mithalten könne.1184 Tatsächlich scheint das Gemälde auf kompositorischer Ebene zunächst um Unmittelbarkeit und nicht um Komplexität bemüht zu sein: Vor einer schmucklosen Wand, die in warmen Gelb- und Ockertönen erstrahlt, befinden sich zwei dunkelhäutige und dicht hintereinander positionierte Männer im Zentrum des Bildes. Der vordere Mann, der im Schneidersitz auf dem Boden sitzt, trägt eine glänzend blaue Robe, die seinen muskulösen Körper jedoch nur zum Teil bedeckt und seine Brust, sein rechtes Bein sowie seinen
1180 Nach Varisco entspricht die neuere Verwendung des ›Orient‹-Begriffs dem Verständnis von Said, da auch dieser eine Engführung von ›Orient‹ mit dem Mittleren Osten und dem Islam vollführt. Siehe Varisco 2007, S. 4. 1181 Ausgehend von dem Werk Der Barbier von Suez (Abb. 139) des Malers Léon Bonnat, das als Bildbeispiel für die westliche Vorstellung des (islamischen) ›Orients‹ dient, und drei kleineren Arbeiten (Abb. 140, 141 und 142) des in Paris geborenen und in Japan aufgewachsenen Künstlers Paul Jacoulet, die ihrerseits den Fernen Osten repräsentieren, soll zunächst die Visualisierung homoerotischer Bildmotive mittels gezielter Rückgriffe auf ›orientalistische‹ Elemente analysiert werden. Dann soll anhand zweier osmanischer Miniaturen (Abb. 143 und 144.1/2) sowie einer japanischen Druckgrafik aus dem 18. Jahrhundert (Abb. 145) exemplarisch ergründet werden, ob und wie männlich-männliches Begehren außerhalb Europas dargestellt und bewertet wurde. Den Abschluss bildet eine Invertierung des westlichen Blicks gen Osten, und so soll am Beispiel zweier nicht-westlicher Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts – Sadao Hasegawa (Abb. 146) und Sinan Tunçay (u.a. Abb. 147.1) – untersucht werden, wie gleichgeschlechtliches Verlangen aus einer modernen ›östlichen‹ Perspektive dargestellt wird bzw. wurde und in welcher Relation die betrachteten Werke zu ›westlichen‹ Bildnissen queerer Männlichkeit stehen. 1182 Siehe Boone 2014, S. 350. 1183 Vgl. Saigne 2017, S. 36. 1184 Siehe ebd., S. 36f.
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linken Fuß enthüllt.1185 Der helle Farbton dieses Kleidungsstücks kontrastiert in auffälliger Weise mit dem dunklen Inkarnat des Sitzenden und betont gerade dadurch dessen Körperlichkeit. Richtet man das Augenmerk auf das Gesicht des Mannes, so fällt außerdem auf, dass dieser mit seinen halbgeöffneten Augen aus dem Bild herausblickt und direkten Blickkontakt zu den Betrachter_Innen zu suchen scheint. Hinter ihm ist der titelgebende Barbier zu finden, der, lediglich mit einem weißen Lendenschurz bekleidet, gerade seiner Arbeit nachgeht.1186 Hierbei beugt sich der ebenfalls bemerkenswert muskulöse Barbier – die Arm- und Beinmuskulatur der Figur bietet ein auffälliges Wechselspiel der körperlichen An- und Entspannung – über seinen auf dem Boden hockenden Kunden, so dass sein Gesicht nicht zu sehen ist. Während er mit der rechten Hand gerade das Rasiermesser an das Kinn des sitzenden Mannes ansetzt, umfasst er mit seiner linken Hand dessen Kopf und lehnt diesen gegen seinen Schritt. Es ist insbesondere das zuletzt genannte Berührungsmoment zwischen dem fast nackten Barbier und seinem körperlich nicht minder freizügigen Kunden, welches eine unleugbare Homoerotik erzeugt und wiederholt die Frage nach Bonnats eigener Sexualität aufwirft.1187 Auf diese mehr als offensichtliche männlich-männliche Erotik macht auch Boone aufmerksam, der dem Gemälde eine »aura of sensuous potency« attestiert.1188 Zudem ist das Bild in einer dezidiert homosozialen Umgebung angesiedelt, handelte bzw. handelt es sich bei Barbier-Läden doch um Räumlichkeiten, die fast
1185 Bei dem Gewand handelt es sich wohl um eine Galabija bzw. Dschallabija, ein in Nordafrika weitverbreitetes Gewand, welches dem im Nahen Osten gängigen Kaftan ähnelt und nochmals die Verortung des Bildes in Ägypten unterstreicht. Obgleich die Galabija zumeist weitere Ärmel als ein Kaftan hat, ähneln sich diese Gewänder doch sehr und wurden von einem zeitgenössischen europäischen Publikum wohl ohnehin unter dem Sammelbegriff des ›Orientalischen‹ subsumiert. Da der Titel des Gemäldes jedoch einen eindeutigen Bezug zu Ägypten herstellt, wird hier die Bezeichnung Galabija verwendet. Vgl. hierzu Rugh, Andrea B.: Reveal and Conceal. Dress in Contemporary Egypt, Syracuse (NY) 1986, S. 13f und S 115. 1186 Hier wiederholt Bonnat den Hell-Dunkel-Kontrast, welchen er bereits bei dem sitzenden Mann verwendet hat. Der weiße Lendenschurz betont jedoch nicht nur den Körper des Barbiers, sondern bietet auch einen kontrastreichen Hintergrund für den Kopf des sitzenden Kunden. 1187 Bereits in Kapitel III.2.4 wurde anhand einer Arbeit Bonnats (Abb. 92) darauf aufmerksam gemacht, dass es im Œuvre des unverheiratet gebliebenen Künstlers immer wieder homoerotische Motive gab und er auch eine enge Beziehung zu seinem US-amerikanischen Malerkollegen Thomas Eakins unterhielt. Letzterer geriet in seiner Heimatstadt Philadelphia in einen Skandal wegen seiner vermeintlich homoerotischen Aktdarstellungen. Auch bei der Betrachtung von Der Barbier von Suez sollte die Rolle der Homoerotik nicht unterschätzt werden. Siehe Boone 2014, S. 351; Boone verweist hier auf Christine Peltre, die in ihrer Bildanalyse auf Bonnats mögliche Homosexualität anspielt. Siehe Peltre, Christine: Orientalism in Art. New York 1998, S. 162. 1188 Boone 2014, S. 353; Boone bezieht sich hier auf Robert Aldrich, der sich ebenfalls zu den homoerotischen Elementen in Der Barbier von Suez äußert und auf die Nähe zwischen dem Kopf des Sitzenden und dem Genital des Stehenden hinweist. Aldrich schreibt: »The contact between head and genitals, the tenderness and intimacy of the barber’s gesture, as he spreads the fingers of his free hand over the side of his client’s face, and the blissful look of the man being shaved, combined with the general portrayal of handsome partially unclothed black men, might well have struck responsive chords in homosexual viewers.« (Aldrich, Robert: Colonialism and Homosexuality. London und New York 2007, S. 153).
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ausschließlich von Männern besucht wurden bzw. immer noch werden.1189 Das Motiv des Barbiers taucht bei Bonnat im Übrigen bereits einige Jahre zuvor schon einmal auf: In Der türkische Barbier von 1872 behandelt der Künstler eine identische Thematik und offenbart damit eine gewisse Faszination für dieses sehr spezifische Sujet.1190 Neben dem Aspekt der (Homo-)Erotik ist auch der Aspekt des Orientalismus in Bonnats Der Barbier von Suez deutlich erkennbar: Die Ethnizität der Modelle sowie die im Gemälde wiedergegebene Umgebung und Gewandung sind klar ›orientalisch‹ bzw. ›exotisch‹ konnotiert. Was in der Arbeit zudem offenkundig wird, ist die für den Orientalismus charakteristische Verschmelzung ›orientalischer‹ und ›erotischer‹ Aspekte. So zeichnet sich der Orientalismus ab dem späten 18. Jahrhundert gerade dadurch aus, dass er die aus der ursprünglichen Kultur herausgelösten ›orientalischen‹ Motive durch eine westliche Perspektive filtert und einen angeblichen Konnex zwischen erotischer bzw. sexueller Freizügigkeit und dem ›Orient‹ impliziert. Diesem erotisierenden Blick auf den ›Orient‹ setzt Bonnat in seinem Werk den aus dem Bild gerichteten Blick des sitzenden Mannes entgegen und scheint damit das Publikum mit dem eigenen Voyeurismus zu konfrontieren.1191 Durch das Wechselspiel der Betrachtungsstandpunkte verstärkt Bonnat den Eindruck, dass die Betrachter_Innen einem intimen Moment beiwohnen, der eigentlich nicht für fremde Augen bestimmt ist. Das Werk versprüht folglich nicht nur eine Aura ›sinnlicher Potenz‹ sondern kokettiert auch mit einer Aura des Verbotenen und bedient damit jene westliche Phantasmagorie, die den ›Orient‹ als ›mystischen‹ Ort imaginiert.1192 Es waren vor allem Bilder wie Der Barbier von Suez, in denen die Fremdartigkeit und das vermeintlich Geheimnisvolle des ›Orients‹ herausgestellt wurde, die sich bei einem westlichen Publikum besonders großer Beliebtheit erfreuten, zumal sie auch ein entschei1189 Auf das homosoziale Umfeld macht auch Aldrich aufmerksam, der jedoch infrage stellt, ob das damalige westliche Publikum überhaupt die homoerotischen Aspekte des Gemäldes verstanden habe. Er begründet diese Vermutung damit, dass ein Großteil des Publikums nicht mit der Homosozialität der ›orientalischen‹ Barbier-Läden vertraut gewesen sei. Dagegen lässt sich jedoch zum einen argumentieren, dass es das Wissen über die Beschaffenheit der Barbier-Läden nicht unbedingt bedarf, um die Homoerotik dieses Bildes zu erkennen. Zum anderen stellt sich auch hinsichtlich der europäischen Begeisterung für den ›Orient‹ und der damit einhergehenden Verbreitung von Reiseberichten die Frage, ob das Wissen über homosoziale Räume in ›orientalischen‹ Kulturen wirklich eine so große Seltenheit war – Barbiere gab es zudem auch in Europa. Für Aldrichs Überlegung spräche hingegen, dass die etwa von Saigne zitierten Kritiker sich nicht über die Homoerotik des Gemäldes äußern. Wahrscheinlich ist dieses ›Schweigen‹ aber schlichtweg dem in der europäischen Gesellschaft vorherrschendem Tabu einer offen besprochenen Sexualität geschuldet. Vgl. Aldrich 2007, S. 153; vgl. zudem Saigne 2017, S. 36f. 1190 Das Bild befindet sich seit 1948 im Puschkin Museum in Moskau. Siehe http://www.newestmuseum.ru/data/authors/b/bonnat_l/j_3490/index.php?lang=fr (zuletzt 12.09.2020). 1191 Boone schreibt dazu: »The barber’s client, eyebrow slightly raised, stares from behind halfparted eyes directly at the viewer – almost as if he is silently asking, ›Why are you looking?‹« (Boone 2014, S. 351). 1192 Aleister Crowley war einer der prominentesten Vertreter jenes ›mystischen Orientalismus‹. Nach einem Aufenthalt in Ägypten gründete er seine eigene Glaubensphilosophie (Thelema), in der er jüdische, christliche und islamische Elemente mit der Mythologie des antiken Ägyptens verband. Vgl. Boone 2014, S. 280f.
III. Hauptteil
dendes Instrument in der Legitimierung kolonialistischer Bestrebungen und Denkweisen waren.1193 In der Kunst des Orientalismus spiegelt sich daher immer auch die Perspektive der Kolonisten wider, die den ›Orient‹ zwar als attraktiven, aber stets auch als zu zähmenden Ort darzustellen suchten.1194 Die sexualisierten Bilder des ›Orients‹, die uns von Künstlern wie Bonnat oder Ingres überliefert wurden, müssen daher stets im Zusammenhang mit der (geo-)politischen Ebene betrachtet werden. Auch beim nachfolgenden Künstler gilt es, die politischen und kulturellen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, die dessen Karriere begleiteten. Der in Paris geborene Paul Jacoulet (1896–1960)1195 zog 1899, nachdem sein Vater eine Lehrerstelle an einer Sprachenschule in Tokyo erhalten hatte, nach Japan, wo er bis zu seinem Tod 1960 den Großteil seines Lebens verbringen sollte.1196 Der oftmals kränkliche Künstler, dessen Vater, Frédéric Jacoulet (1872–1921), ihn laut Richard Miles in einem Brief als »damaged little worm« bezeichnet haben soll, wandte sich schon in jungen Jahren der japanischen Kultur und Kunst zu.1197 Dies geschah sehr zum Leidwesen seines Vaters, der 1907 für mehrere Monate mit seinem Sohn nach Frankreich reiste, um ihm dort die europäische Heimat näher zu bringen.1198 Trotz aller Bemühungen blieb das musische und künstlerische Interesse des Sohnes jedoch tief in der japanischen Kultur verwurzelt: So gab er nicht nur die Violine zugunsten der samisen (jap. Zupfinstrument) auf, sondern orientierte sich auch in seinen künstlerischen Bestrebungen an japanischen Vorbildern – nichtsdestotrotz finden sich später auch europäische bzw. französische Elemente in seiner Kunst.1199
1193 Obwohl das bei Bonnat gezeigte Ägypten nur kurzzeitig eine französische Kolonie war (1798–1801), gehörten andere nordafrikanische Länder wie Algerien bis in die 1960er-Jahre offiziell zum französischen Hoheitsgebiet. 1194 Reed merkt hierzu an: »Reflecting the colonist’s perspective, this art depicted the colonies as both powerfully attractive (a source of both human and material resources) and in need of regulation (wild lands populated by cruel pagans). Sex was central to creating this image of the colonies as both seductive and needy.« (Reed 2011, S. 73). 1195 Jacoulets Grabstein nennt das Jahr 1902 als Geburtsjahr. Es gibt auch Quellen, die die Geburt des Künstlers auf 1896 datieren. Siehe Miles, Richard: The Prints of Paul Jacoulet. London 1982, S. 12; Christian Polak bestätigt in einem 2003 veröffentlichten Buch das Jahr 1896 als Geburtsjahr – im weiteren Verlauf folgt der vorliegende Text den Jahresangaben von Polak. Zudem ergänzt er, dass 1902 der Bruder Paul Jacoulets geboren wurde, der jedoch nur wenige Tage alt wurde. Siehe Polak, Christian: Paul Jacoulet (1896–1960): The Last of the Ukiyo-e Artists, in: Kat. Ausst. Paul Jacoulet. Hg. von Kiyoko Sawatari und Hideko Numata, Yokohama Museum of Art 2003, Yokohama 2003, S. 184–191; hier: S. 185. 1196 Vgl. Miles 1982, S. 13–16; Miles gibt das Jahr 1906 für die Ankunft Jacoulets in Japan an. Siehe ebd., S. 16; Polak hingegen benennt das Jahr 1899 als Ankunftsjahr. Vgl. Polak 2003, S. 185. 1197 Miles 1982, S. 12 (Zitat) und S. 16. 1198 Vgl. Polak, Christian: Paul Jacoulet, L’Autre Utamaro. In : Kat. Ausst. Un Artiste Voyageur en Micronésie. L’Univers Flottant de Paul Jacoulet, Musée du Quai Branly in Paris 2013, Paris 2013, S. 13–18; hier : S. 13. 1199 Richard Miles liefert zum angespannten Vater-Sohn-Verhältnis eine interessante Anekdote: »After abandoning the violin for the samisen, Jacoulet learned dozens of the traditional ballads known as joruri, which he loved to sing while accompanying himself, whether anyone wished to listen to it or not. It is hard to know which Frédéric disliked more, paying for the endless music lessons of listening to his son practice while kneeling in the garden in full kimono, his handsome, painted young face frozen in concentration.«(Miles 1982, S. 16).
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Nach der Rückkehr aus Europa nahm er Unterricht bei renommierten Künstler_Innen, wie Kuroda Seiki (1866–1942), Kume Keiichiro (1866–1934), Ikeda Terukata (1883–1921) sowie dessen Frau Shoen Terukata (1886–1917), die ihn die ästhetischen Prinzipien japanischer Kunst lehrten.1200 Die angestrebte Künstlerkarriere erfuhr jedoch eine jähe Unterbrechung, als Frédéric Jacoulet, der zeitweise nach Frankreich zurückgekehrt war, um in der Schlacht von Verdun gegen das Deutsche Kaiserreich zu kämpfen, im Jahr 1921 überraschend an den Folgen einer Kriegsverletzung starb.1201 Fortan sah sich Paul gezwungen, seine künstlerischen Ambitionen für eine lukrative Übersetzertätigkeit in der französischen Botschaft in Tokyo auszusetzen, um den Lebensunterhalt für sich und seine Mutter, Jeanne Jacoulet (1874–1940), zu verdienen.1202 Erst nachdem die Mutter 1929 erneut geheiratet hatte und ihn finanziell unterstützen konnte, war er wieder in der Lage, sich ganz seiner Kunst zu widmen.1203 Es folgten zunächst mehrere Reisen u.a. durch Japan, Korea und Mikronesien, die den entscheidenden Impuls für die Künstlerkarriere Jacoulets lieferten.1204 Denn im Zuge dieser Expeditionen entstanden zahlreiche Aquarelle der Landes- und Inselbevölkerung, welche die spätere Grundlage für die mithilfe professioneller Blockholzschnitzer angefertigten Holzschnittserien des Künstlers bilden sollten.1205 Die Aquarelle und Holzschnitte orientieren sich stilistisch sowie inhaltlich am japanischen Kunstgenre des Ukiyo-e (›Bilder der fließenden Welt‹).1206 Sowohl beim japanischen als auch beim 1200 Siehe Polak 2003, S. 186. 1201 Siehe ebd. 1202 Siehe ebd.; siehe auch Rubinstein, Donald H.: Paul Jacoulet’s Vision of Micronesia. Guam 2007, online abrufbar unter: https://www.academia.edu/12458941/Paul_Jacoulets_vision_of_Micronesia (zuletzt 06.11.2020); hier: S. 8ff. 1203 Die Mutter war kurz nach dem Tod ihres ersten Mannes nach Frankreich zurückgekehrt und hatte dort einen gut situierten japanischen Arzt kennengelernt. Siehe Polak 2003, S. 187; siehe zudem Rubinstein 2007, S. 10. 1204 Siehe Polak 2003, S. 187; Jacoulet nahm sich Paul Gaugin zum Vorbild. Vgl. Rubinstein, Donald H. : Paul Jacoulet es ses Paysages Rêves des Mers du Sud. In: Kat. Ausst. Un Artiste Voyageur en Micronésie. L’Univers Flottant de Paul Jacoulet, Musée du Quai Branly in Paris 2013, Paris 2013, S. 19–43; hier: S. 20; als Begründung für die Reisen wird wiederholt auf den schlechten Gesundheitszustand Jacoulets hingewiesen, dem das Klima in Tokyo nicht behagte. Vgl. hierzu ebd.; dem widerspricht Wakako Higuchi. Sie vermutet hinter der Reise einen anderen Grund: Jacoulet war kurz zuvor aufgrund seines femininen Auftretens sowie seiner vermeintlichen Homosexualität ins Visier der Polizei geraten. Vgl. Higuchi, Wakako : Paul Jacoulet et la Micronésie sous Mandat Japonais, 1929–1932, in : Kat. Ausst. Un Artiste Voyageur en Micronésie. L’Univers Flottant de Paul Jacoulet, Musée du Quai Branly in Paris 2013, Paris 2013, S. 43–55; hier : S. 44 und S. 45. 1205 Zum Arbeitsprozess siehe Polak 2003, S. 187; sowie Sawatari, Kiyoko : The Rainbow Visions of French Ukiyo-e Artist Paul Jacoulet, in : Kat. Ausst. Paul Jacoulet. Hg. von Kiyoko Sawatari und Hideko Numata, Yokohama Museum of Art 2003, Yokohama 2003, S. 176–183; hier : S. 178f, S. 181; vgl. zudem Miles 1982, S. 20. 1206 Ukiyo-e ist ein breitgefächerter Sammelbegriff, mit dem stilistische und thematische Aspekte in der japanischen Malerei und Druckgrafik umschrieben werden. Inhaltlich wird das Ukiyo-e oft als japanische Version des Vanitasmotivs verstanden: »Ukiyo-e prints emphasized the supremacy of nature and the fleeting character of a moment.« (Abdou-Jaoude, Amir Lowell: A Pure Invention: Japan, Impressionism, and the West, 1853–1906, in: The History Teacher. Vol. 50, Nr.1, 2016, S. 57–82; hier: S. 59; online abrufbar unter: http://www.jstor.org/stable/44504454 (08.10.2020)).
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internationalen Kunstpublikum konnte Jacoulet mit seinen Arbeiten beachtliche Erfolge erzielen.1207 Das Interesse des Künstlers an der indigenen Bevölkerung des Pazifikraums verleiht den Arbeiten zudem einen fast dokumentarischen Charakter.1208 In der Tat fanden die Bilder nicht nur beim Kunstpublikum Anklang, sondern auch bei Anthropolog_Innen: So gehören etwa die Darstellungen der Ainu – der indigenen Bevölkerung Japans – zu den wenigen visuellen Überlieferungen einer mittlerweile fast gänzlich untergegangenen Kultur.1209 Neben den offensichtlichen Bezügen zu Japan bzw. zu ›fernöstlichen‹ Kulturen ist das Werk Jacoulets aber auch wegen der Bi- bzw. Homosexualität1210 und queeren Geschlechtsidentität des Künstlers von Interesse. Wie die Historikerin Wakako Higuchi festgehalten hat, geriet der Künstler aufgrund seines auffälligen Auftretens – er schminkte sich und trug ab und an auch ›weibliche‹ Kleidung1211 – sowie seiner intimen Beziehungen zu Männern – Higuchi impliziert hier u.a. eine Beziehung zu Eitarô
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Yoshiaki Shimizu fügt hinzu: »Ukiyo-e, a genre of the painting and prints of this period [die Edo-Zeit, die von 1603–1868 andauerte, NM], is indeed unique not only for its artistic properties – strong colors, sensuous forms and bold compositions – […] but also for its subject matter. To those who have been fortune in having collections of Ukiyo-e paintings and prints, it is almost universally the aesthetics – or the beauty of forms and colors – that first attracted them. The next attraction might be the understanding of their subject matter – or themes: courtesans, theater scene of portrait of the actor, lover’s tales gleaned from popular narrative, or simply genre scene that depict townsmen’s activities in the city of Edo, Osaka or Kyoto.« (Shimizu, Yoshiaki: Ukyio and Ukiyo-e. In: Impressions.Nr.16, Sommer 1991, keine Seitenangaben; hier: erster Absatz; online abrufbar unter: http://www.jstor.org/stable/42597748 (08.10.2020)). Anhand dieser Zitate wird deutlich, wie schwer es ist, eine konkrete Definition von Ukiyo-e zu geben. Für die Belange dieser Arbeit genügt es zu wissen, dass es sich um eine traditionsreiche japanische Kunstform handelt, die im 20. Jahrhundert von Künstler_Innen wie Jacoulet und Kawase Hasui (1883–1957) wiederbelebt wurde. Vgl. Sawatari 2003, S 182. Siehe Polak 2003 S. 188 u. S. 190; sowie Sawatari 2003, S. 181; siehe zudem Miles 1982, S. 22ff u. S. 27. Vgl. Miles 1982, S 22; siehe auch Sawatari 2003, S. 182. Vgl. Miles 1982, S. 38. Obwohl Jacoulet als homosexuell bezeichnet wird, deutet Higuchi eine mögliche Bisexualität des Künstlers an, wenn sie davon berichtet, dass dieser Hausbesuche von einer großen Anzahl junger Männer und Frauen empfangen haben soll. Dieses Detail ist deshalb bekannt, da Jacoulet aufgrund seiner angeblichen ›Amoral‹ sowie seiner ausländischen Herkunft lange Zeit von der japanischen Polizei überwacht wurde. Vgl. Higuchi 2013, S. 44; zur Bezeichnung des Künstlers als homosexuell siehe Harrity, Christopher: Artist Spotlight: Paul Jacoulet [30.03.2013], in: Advocate, https://www.advocate.com/arts-entertainment/art/artistspotlight/2013/03/30/artist-spotlight-paul-jacoulet (07.10.2020); Miles, Sawatari und Polak umgehen das Thema der Sexualität zumeist. Higuchi äußert sich sehr direkt zum ›femininen‹ Auftreten Jacoulets, wenn sie aus dessen Polizeiakte zitiert: »On raconte aussi qu’il ›se promène souvent maquillé comme une femme‹.« (Higuchi 2013, S. 44); siehe zu Jacoulets Vorliebe für Make-up auch Miles 1982, S. 9.
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Mochizuki, dem ehemaligen Sekretär des Vaters1212 – ins Visier der Tokyoter Polizei. In diesem Zusammenhang verweist Higuchi insbesondere auf einen Vorfall im Dezember 1926: Jacoulet wurde laut eines Polizeiberichts von einer Gruppe rechter Nationalisten wegen seines ›transvestitischen‹ Aussehens angegriffen.1213 Fortan stand sein Name auf einer Liste ›unmoralischer‹ Personen und er wurde – wahrscheinlich auch wegen seiner ausländischen Herkunft – von der Polizei bespitzelt.1214 Es ist diese besondere und von Polaritäten bestimmte Biographie Jacoulets, die ihn und sein Werk so spannend macht: Obgleich er einerseits gut in die japanische Gesellschaft integriert und mit ihren kulturellen Eigenheiten vertraut war, galt er andererseits aufgrund seiner queeren Sexualität bzw. Geschlechtsidentität sowie seiner Herkunft zeit seines Lebens auch als Außenseiter. Dieses Oszillieren sowohl zwischen Inklusion und Exklusion als auch zwischen europäischer Herkunft und japanischer Heimat drückt sich auch in den Arbeiten des Künstlers aus. Betrachtet man beispielsweise ein Aquarell aus dem Jahr 1934, welches einen nackten jungen Mann mit traditioneller Haartracht von der Insel Yap zeigt (Abb. 140), so offenbaren sich darin palimpsestartig die verschiedenen Facetten von Jacoulets Vita: Während die reduzierte und flächige Ausarbeitung auf seine japanisch geprägte Kunstausbildung zurückzuführen ist, weckt die Komposition des Bildes sowie die Leiblichkeit des Rückenakts Assoziationen mit der europäischen Kunst. Fast könnte man meinen, hier eine männliche Version von Ingres’ Odaliske vor sich zu haben, so üppig und sinnlich erscheint der Körper des jungen Mannes. Es ist dieses Zusammenspiel verschiedener künstlerischer Traditionen mit einer ›fernöstlichen‹ Motivwelt zum einen und dem distinguierten queeren Blick des Künstlers zum anderen, welche die Besonderheit seines Œuvres ausmacht. Ein weiteres Beispiel, in welchem der zuletzt genannte Aspekt eines queeren Künstlerblicks noch deutlicher hervortritt, stellt das nachfolgende Aquarell dar (Abb. 141). Hier sind erneut zwei männliche Bewohner der Insel Yap zu sehen: Auf der rechten Bildseite sitzt ein junger Mann mit einem angewinkelten und einem ausgestreckten Bein. Während seine linke Hand in seinem Schritt ruht, hält er in der Rechten eine Zigarette. Ihm gegenüber sitzt der zweite Mann. Dieser raucht ebenfalls und stützt sich mit dem rechten Arm auf seinen angewinkelten Beinen ab. Mit der linken Hand umgreift er sein rechtes Fußgelenk. Beide Männer sind tätowiert und lediglich mit einem Lendenschurz bekleidet. So minimalistisch ihre Kleidung auch sein mag, so opulent ist hingegen ihr (Körper-)Schmuck sowie ihre Haartracht: Neben den Tätowierungen zieren Ketten, Armbänder und Ohrringe ihre Körper. Die Haare, die kunstvoll nach oben gebunden sind, wer1212 Vgl. Higuchi 2013, S. 44; bei Miles heißt es zudem, Jacoulet habe sich mit ›Dandys‹ umgeben: »With the hope of enlarging the circle of admirers for his art, Jacoulet formed a ›Rainbow‹ Club, made up as much of young men who liked to drink and amuse themselves as of true lovers of the arts.« (Miles 1982, S. 23) Auch wenn Miles die Beziehungen zu den ›Dandys‹ als geschäftliches Unterfangen einzubetten sucht, verstärkt sich unter Berufung auf Higuchi die Vermutung, dass es sich hier um einen intimen Zirkel homosexueller Männer gehandelt haben könnte. 1213 Higuchi schreibt : »Un jour, il est agressé dans le quartier de Ginza par de jeunes militants d’extrême droite, qui se moquent de son travestissement. C’est en raison de cet incident qu’en décembre 1926 son nom figure dans un dossier de la police japonaise, sur une liste d’individus exerçant des ›activités non conformistes‹ et ayant une ›moralité douteuse‹.« (Higuchi 2013, S. 44). 1214 Siehe ebd.
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den von Blüten und aufwendigen Haarkämmen bekrönt. Im Hintergrund ist das Meer zu erkennen sowie linkerhand ein üppiger und in voller Blüte stehender Passionsblumenstrauch, der in intensivem Violett leuchtet. Die körperliche Nähe und der direkte Blickkontakt der beiden jungen Insulaner zueinander evoziert nicht nur eine vertraute Intimität, sondern auch eine homoerotische Spannung. Dieser Eindruck wird noch durch zwei Bilddetails verstärkt, auf die Donald H. Rubinstein hinweist: Als erstes sei hier die im Hintergrund befindliche violette Passionsblume genannt. Diese in Asien weitverbreitete Blume gilt laut Rubinstein in Japan seit der Edo-Zeit (1603–1868) als Symbol für männlich-männliche Sexualität.1215 Die Verbindung dieser Blume mit gleichgeschlechtlichem Begehren lässt sich entweder auf die Zwittrigkeit der Blume zurückführen – sie kann sich potentiell selbst bestäuben – oder auf eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Blüte und dem Anus.1216 Da sich Jacoulet in seinem Werk häufig mit Blumen und ihrer Symbolik beschäftigt hat und zudem mit der japanischen Kultur vertraut war, ist davon auszugehen, dass ihm diese Deutung der Passionsblume bekannt gewesen sein dürfte. Möglicherweise kannte er aufgrund seines europäischen Hintergrundes auch die christliche Interpretation der Pflanze als Symbol der Passion Christi und das Aquarell wäre demzufolge als provokanter Kommentar auf den Kontrast zwischen ›östlicher‹ und ›westlicher‹ Wahrnehmung zu verstehen. Das zweite erotisierende Element, auf welches hier aufmerksam gemacht werden soll, sind die Tätowierungen der beiden Männer. Diese komplementieren sich gegenseitig, da sie jeweils genau die entgegengesetzten Körperteile bedecken.1217 Während etwa der rechte Mann tätowierte Oberarme aufweist, sind bei seinem Gegenüber die Unterarme tätowiert usw. Wie bei einem Puzzle fügen sich die verschiedenen Tattoos zu einem kompletten Bild zusammen, was als Andeutung auf eine körperliche Vereinigung der beiden Männer verstanden werden kann.1218 Eine derartige Deutung wird durch die Schriften des Anthropologen William Ellis respektive des Soziologen David F. Greenberg unterstützt, die mann-männliche Sexualität als institutionellen Bestandteil der Eliten in Teilen Mikronesiens und Polynesiens – zu der die beiden Dargestellten laut Werktitel gehörten – bezeichnen.1219 1215 Siehe Rubinstein 2013, S. 35. 1216 Hierbei weist die Passionsblume, die im japanischen als ›tokeisō‹ (dt. ›Uhrenblume‹) bekannt ist, eine große Ähnlichkeit zur Chrysantheme auf, die im japanischen Kulturkreis ebenfalls mit dem Anus und männlich-männlicher Sexualität assoziiert wird. Vgl. hierzu Pflugfelder 1999, S. 85 (Fußnote 164). 1217 Siehe Rubinstein 2013, S. 35. 1218 Der erotisierte Blick auf die beiden Männer wird überdies durch einen undatierten und von Rubinstein zitierten Brief unterstrichen, den Jacoulet auf Yap verfasst hatte: »[M]y friends, with their large combs holding their splendid oiled hair, having their lips all reddened, and being covered in jewelry. Their fine sunburned bodies […] were heavily perfumed, and the strong scent intoxicated me.« (Rubinstein 2007, S. 23). 1219 Siehe Greenberg 1990, S. 110; William Ellis umschreibt die kulturelle Bedeutung männlich-männlicher Sexualität in seinem Bericht über Polynesien mit größter Abscheu: »They included ›All monstrous, all prodigious things;‹ and these were ›abominable, unutterable.‹ In some of their meetings, they appear to have placed their invention on the rack, to discover the worst pollutions of which it was possible for man to be guilty, and to have striven to outdo each other in the most revolting practices.« (Ellis, William: Polynesian Researches. 3 Volumes, 1. Vol.: Polynesia, Rutland
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Nun handelt es sich bei diesen Arbeiten um Aquarelle, die, soweit bekannt, nicht ins Medium des Holzschnitts übersetzt wurden und daher nur einem kleineren Personenkreis bekannt gewesen sein dürften. Über die Gründe hierfür lässt sich nur spekulieren, aber möglicherweise empfand Jacoulet die Motive als zu explizit homoerotisch für ein breiteres Publikum. Daraus sollte jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass der Künstler sich gänzlich zierte, seine erotisierten Männerdarstellungen als Holzschnitte umzusetzen, er wählte lediglich etwas weniger deutliche Motive. Ein Beispiel für diese ›gedämpften‹ Bilder stellt der 1936 angefertigte Holzschnitt Das Lied der Wellen, Pohnpei, OstKarolinen (Abb. 142) dar. Darin zeigt Jacoulet einen jungen Mann, der eine gelbe Blüte in seinem schwarzen Haar trägt und lediglich mit einem um die Hüften drapierten fliederfarbenen Tuch bekleidet ist. Mit seiner rechten Hand hält er eine imposante Muschel an sein Ohr und lauscht, wie es auch der Titel suggeriert, dem ›Lied der Wellen‹. Diese Arbeit visualisiert ein Männlichkeitsbild, welches jenseits ›westlicher Normen‹ existiert und wohl gerade deshalb begeistert von einem westlichen Publikum aufgenommen wurde. Zur illustren Kundschaft Jacoulets gehörten bzw. gehören prominente Amerikaner_Innen und Europäer_Innen wie etwa Greta Garbo, Joan Fontaine, Papst Pius XII. sowie Königin Elisabeth II. von England.1220 Sowohl die Arbeiten Jacoulets als auch das Gemälde Bonnats repräsentieren auf unterschiedliche Weise eine exotisierende und zugleich (homo-)erotisierende Perspektive auf nicht-westliche Kulturen. Auf der einen Seite steht Bonnat, der in seinem Werk zwei schwarze Ägypter zu einem für europäische Augen bestimmten sinnlichen Kunst-Objekt machte. Auf der anderen Seite steht Jacoulet, zu dessen Lieblingsmotiven die wenig bis leicht bekleideten Insulaner von Mikronesien gehörten, welche er in der Art des japanischen Ukyio-e portraitierte. In beiden Fällen lässt sich die mit dem ›Orientalismus‹ verbundene Strategie der Bildermächtigung bzw. Bildmachung aufzeigen: Bonnat und Jacoulet appropriieren Motive und Kulturen, die außerhalb ihres eigenen kulturellen Umfelds liegen und machen sie zu Bestandteilen ihrer jeweiligen Werkzyklen – obschon argumentiert werden kann, dass Jacoulet Teil der japanischen Kultur war, sind (VT) 1969 (zuerst 1831), S. 243); zu männlich-männlicher Sexualität im mikronesischen Kulturkreis sei auch auf einen Aufsatz von Greg Dvorak hingewiesen, der sich am Beispiel der Marshallinseln mit dem Thema beschäftigt. Dvorak geht in seinem Aufsatz u.a. auf die Probleme ein, die damit einhergehen, wenn westliche Wissenschaftler_Innen das Verhalten indigener Völker zu beschreiben versuchen. Siehe Dvorak, Greg: Two Sea Turtles. Intimacy between Men in the Marshall Islands, in: Besnier, Niko; Alexeyeff, Kalissa (Hg.): Gender on the Edge. Transgender, Gay, and Other Pacific Islanders, Honolulu 2014, S. 184–213; hier: S. 187; auch die Anthropologin Beatriz Moral betont, dass gleichgeschlechtliche Zuneigung in Mikronesien und im Speziellen auf den Karolinen verbreitet war. Ebenso wie Dvorak mahnt auch sie an, dieses Verhalten nicht automatisch als ›homosexuell‹ im westlichen Sinne zu deuten. ›Homosexualität‹ bzw. männlich-männliche Sexualität scheint innerhalb des sexuellen Diskurses der indigenen Insulaner_Innen keine große Rolle gespielt zu haben, vielmehr war es die Tabuisierung des (gegengeschlechtlichen) Inzests, welche im Zentrum ihrer gesellschaftlichen Ordnung stand. Siehe hierzu Moral, Beatriz: L’Intime. In: Kat. Ausst. Un Artiste Voyageur en Micronésie. L’Univers Flottant de Paul Jacoulet, Musée du Quai Branly in Paris 2013, Paris 2013, S. 75–85; hier: S. 75ff; siehe zudem Moral, Beatriz: Erotic Legends and Narratives in Chuuk, Micronesia, in: Micronesian Journals of the Humanities and Social Science, Vol. 1, Nr.1-2 (Dezember 2002), S. 26–38; hier: S 33. 1220 Siehe etwa Miles 1982, S. 10.
III. Hauptteil
doch zumindest seine Bilder von Mikronesien als motivische Aneignungen mit kolonialistischem Hintergrund zu werten.1221 Nun darf und soll der Prozess der Appropriation hier nicht als reines Negativum, geschweige denn als bloßer Ausdruck kolonialistischer Bestrebungen verstanden werden, zumal die Produktion kultureller Güter ohne motivische Aneignungen kaum zu denken ist.1222 Dennoch stellen die Werke beider Künstler einen klaren Fall von romantisierten und vor allem auch homoerotisierten Projektionen auf das ›Andere‹ dar: Während für Bonnat Ägypten zur sehnsuchtsvollen Kulisse wurde, vor der er sein Bild erotisierter schwarzer Männlichkeit inszenierte, waren es für Jacoulet die Pazifikinseln, die ihm den Rahmen für seine am stärksten homoerotisch aufgeladenen Arbeiten lieferten. Ein derartiger Projektionsgedanke gehört zur Essenz dessen, was im kulturellen Diskurs gemeinhin als ›Orientalismus‹ tituliert wird. Eine zentrale Frage die sich jedoch stellt, ist, ob es hier zu einer ›Homoerotisierung des Orients‹ oder aber zu einer ›Orientalisierung der Homoerotik‹ gekommen ist? Oder anders ausgedrückt: Gibt es tatsächliche Anknüpfungspunkte für die vermeintliche Verqueerung des ›Orients‹, oder handelt es sich bei diesen Werken nur um Visualisierungen rassifizierter Sexualvorstellungen, die fernab jeder sozialen Realität liegen und eine idealisierte Projektionsfläche für gleichgeschlechtliches Begehren repräsentieren? Zunächst soll dieser Fragestellung am Beispiel des ›Nahen Orients‹ nachgegangen werden. In der Tat mag es aus gegenwärtiger Sicht verwundern, islamisch geprägte Länder wie etwa Ägypten oder Syrien mit einem Thema wie männlich-männlicher Sexualität in Verbindung zu bringen, hat sich die westliche Wahrnehmung aufgrund der dortigen politischen Unruhen und Umstürze während der letzten Jahrzehnte doch drastisch verändert. Die einst von Künstler_Innen wie André Gide (1869–1951) beschworene Vorstellung eines ›homoerotischen Orients‹ scheint nicht länger mit dem aktuellen Bild vereinbar zu sein, welches vom Erstarken extremistisch gesinnter Kräfte wie z.B. der Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) dominiert wird.1223 Der ehemals so verträumte Blick gen Osten ist nun, ähnlich wie im Mittelalter, primär von Angst geprägt. Den aktuellen Ereignissen geht jedoch eine jahrhundertealte Geschichte voraus, die belegt, dass das Phänomen der ›morgenländischen‹ Homoerotik weder das reine Produkt einer Diffamierung durch den Westen noch eine bloße Wunschvorstellung ist, sondern den eigenen Kulturkreisen entspringt. Unterschiedlichste Kunstgattungen wie die der Poesie oder der bildenden Kunst liefern zum Teil ungewöhnlich deutliche Darstellungen männlich-männlichen Begehrens. Neben den oftmals humoristischen Versen des Hofdichters Abu Nuwas (gest. 815), der nicht selten darüber schrieb, von attraktiven 1221 In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass von 1919 bis 1945, also zu der Zeit, in der der Großteil von Jacoulets werkprägenden Reisen stattfand und er seine Aquarelle von Mikronesien etc. anfertigte, Inseln wie Yap, Truk und Saipan unter japanischer Vorherrschaft standen. Siehe hierzu Polak 2003, S. 187; bevor Japan die Inseln ›eroberte‹, waren diese bereits lange Zeit ein Spielball kolonialistischer Interessen und wurden zuvor schon von Spanien und Deutschland beansprucht. Siehe Sapper, Karl et al.: Karolinen. In: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon. 3 Bände, 2. Band, Leipzig 1920, S. 237-239; hier: S. 237ff. 1222 Siehe auch Kapitel II.4.2. 1223 Vgl. hierzu Gides L’immoraliste (zuerst 1902), in welchem der Protagonist eine Vorliebe für arabische Jünglinge hat. Gide, André: Der Immoralist. München 1997; vgl. zudem Boone 2014 u.a. S. 271.
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Männern ›sodomisiert‹ zu werden, sind insbesondere die erhaltenen Miniaturmalereien von großer Bedeutung.1224 Der Islam gilt, ähnlich wie das Judentum, als ›bilderfeindliche‹ Religion und daher herrscht auch die Annahme vor, es gebe keinerlei künstlerische Darstellungen jenseits der Kalligraphie. In seinem Buch The Homoerotics of Orientalism (2014) beweist Boone das Gegenteil und zeigt, wie vielfältig die malerische Inszenierung männlich-männlichen Begehrens in der alten islamischen Kunst tatsächlich ist: In einer osmanischen Miniatur aus dem 15. Jahrhundert mit dem vielsagenden Titel Das Fest der Liebe (Abb. 143) wird beispielsweise eine ganze Schar männlich-männlicher Paare gezeigt, die in einem reich geschmückten Raum miteinander feiern.1225 Das Paar in der linken unteren Bildhälfte küsst sich sogar und ist innig miteinander verschlungen. In einer ebenfalls aus dem osmanischen Reich stammenden mehrteiligen Miniatur des 18. Jahrhunderts wird eine ganze mann-männliche Verführungsgeschichte gezeigt, die auch explizite Sexszenen zwischen Männern enthält (Abb. 144.1 und 144.2).1226 Während das linke Bild die Umwerbung eines jungen Mannes von drei männlichen Verehrern zeigt, die durch ihre Bärte deutlich als älter markiert sind, ist im rechten Bild zu sehen, wie derselbe Jüngling von einem der Männer anal penetriert wird. Ein zweiter Mann wartet bereits mit erigiertem Glied, bis er an der Reihe ist. Die auffällige Differenzierung der Figuren durch den Bartwuchs scheint eine ähnliche Hierarchisierung männlich-männlicher Beziehungen anzudeuten, wie sie mit der Päderastie auch in der griechischen Antike vorkam. Die ›Rollenaufteilung‹ im Sinne eines erômenos und erastês gestaltet sich im ›orientalischen‹ Kulturkreis jedoch weitaus flexibler als im antiken Griechenland.1227 Es lässt sich also festhalten, dass sowohl explizit als auch implizit homoerotische Darstellungen in Literatur und Kunst Teil der islamischen Kultur waren bzw. sind und nicht erst durch europäische Künstler_Innen wie Bonnat in den ›Orient‹ kamen. Ob nun allerdings die Inhalte jener genuin ›orientalischen‹ Kunst mit unserem modernen Verständnis von Homosexualität gleichzusetzen sind, ist fraglich. Vielmehr drückt sich darin ein völlig anderes Verständnis von Begehren aus. Während sich in der westlichen Welt bereits weit vor dem 19. Jahrhundert das System heteronormativer Ausgrenzung etablierte, welches zwischen ›normalem‹ und ›abnormen‹ Verlangen differenziert, begriff man im ›islamischen Orient‹ Verlockung lange Zeit als universell. Ein Beleg hierfür findet sich in den Schriften des islamischen Gelehrten Ibn Hadschar al Haytami (gest. 1566): »Es gibt bartlose Knaben, die Frauen an Schönheit übertreffen und daher verlockender sind […] und deshalb noch stärker des Verbots bedürfen.«1228 Haytami unterscheidet nicht zwischen den Geschlechtern und betont damit die Idee einer indifferenten Begehrensstruktur. 1224 In einem Gedicht von Nuwas heißt es: »O Sulayman, sing für mich und gib mir einen Becher Wein…/ Wenn der Wein herumgereicht wird, ergreif ihn und gib ihn mir!/Gib mir einen Becher Ablenkung vom Ruf des Muezzin/Gib mir Wein, ihn öffentlich zu trinken/Und sodomitisier und fick mich jetzt.« (Zit. nach Klauda 2008, S. 48). 1225 Siehe Boone 2014, S. 324. 1226 Siehe ebd., S. 398. 1227 Siehe ebd., S. 67ff. 1228 El-Rouayheb, Khaled: Before Homosexuality in the Arab-Islamic World. 1500–1800, Chicago 2005, S. 112.
III. Hauptteil
Betrachtet man die aktuelle Radikalisierung in Teilen des ›islamischen Orients‹ und die damit einhergehende Verfolgung nicht-heteronormativer Sexualität, drängt sich die Frage auf, wie es zu diesem Umbruch kommen konnte. Eine nicht unerhebliche Rolle spielten sicherlich die westlichen Hegemoniebestrebungen, die auch mit einer Ausbreitung westlicher Wertevorstellungen einhergingen: »Die Transformation der erotischen Beziehungen unter Männern vom System der Freundschaft zu dem der Homosexualität verändert die eigene Lebenswelt auf bedrohliche Weise. Sie markiert den panischen Beginn einer Sortierung von Menschen nach ihrer geschlechtlichen Orientierung.«1229 Die Einführung fester sexueller Identitäten bedingt laut Foucault eine »Hermeneutik des Begehrens«, welche das eigene Verlangen seziert, kategorisiert und be- bzw. verurteilt.1230 Obwohl bereits der Koran zwischen ›richtiger‹ und ›falscher‹ Sexualität unterscheidet, herrschte in den Ländern des ›islamischen Orients‹ lange Zeit eine Laissezfaire-Einstellung gegenüber männlich-männlichem Begehren, die jedoch im Zuge der Ausweitung des westlichen Interessensgebiets ein jähes Ende fand. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass das damalige Europa den ›Orient‹ als zwar sinnlichen, aber auch lasterhaften Ort darstellte, Europa heute aber in den Augen radikaler Muslim_Innen vice versa als Zentrum der Devianz und Dekadenz gilt. Wendet man den Blick in den ›Fernen Orient‹, so lässt sich am Beispiel Japans erkennen, dass männlich-männliches Begehren und ›nicht-heteronormative‹ Geschlechtlichkeit auch in fernöstlichen Kulturkreisen eine lange Darstellungstradition hat. Besonders eindrücklich wird das facettenreiche Sexual- und Geschlechterverständnis Japans in den sogenannten Shunga (Frühlingsbilder) illustriert.1231 Dabei handelt es sich um weitverbreitete künstlerische Arbeiten, die dem Ukiyo-e-Genre zuzuordnen sind und in denen sexuelle Inhalte explizit dargestellt wurden.1232 Weit entfernt von einer scharfen Unterscheidung zwischen ›hoher‹ und ›niederer Kunst‹ beteiligten sich auch renommierte japanische Kunstschaffende wie Kitagawa Utamaro (gest. 1806) an der Produktion von Shunga.1233 In einem gegen Ende des 18. Jahrhunderts1234 entstandenen Blatt
1229 Klauda 2008, S. 22. 1230 Vgl. Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste: Sexualität und Wahrheit 2, Frankfurt a.M. 1985, S. 12; sowie Klauda 2008, S. 22. 1231 Siehe Gerstle, Andrew C.; Clark, Timothy: Introduction. In: Japan Review, Nr. 26, Shunga: Sex and Humor in Japanese Art and Literature (2013), S. 3–14; hier: S. 3; online abrufbar unter: https://www. jstor.org/stable/41959814?seq=1 (zuletzt 26.10.2020); vgl. hierzu auch Reed, Christopher: Bachelor Japanists. Japanese Aesthetics and Western Masculinities, New York 2017, S. 34. 1232 Siehe Gerstle und Clark 2013., S. 3ff. 1233 Utamaro war mit seinen detaillierten und individualistischen Farbholzschnitten auch ein großes Vorbild für Jacoulet. Siehe Sawatari 2003, S. 182. 1234 Fernandez datiert das Werk auf das Ende des 18. Jahrhunderts. Siehe Fernandez 2002, S. 170f; Anne Ishii, Chip Kidd und Graham Kolbeins hingegen geben das Jahr 1802 an und beschreiben das Blatt als Bestandteil der Shunga-Serie On the Road. Love Songs for the Thick-Necked Shamisen. Siehe Ishii, Anne; Kidd, Chip; Kolbeins, Graham: A Brief History of Male-Male Sexuality in Japanese Culture. In: Dies. (Hg.): Massive. Gay Erotic Manga and the Men who Make It, Seattle 2014, S. 274–277; hier: S. 274.
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(Abb. 145) stellt Utamaro das Zusammentreffen eines Freiers mit einem jungen Sexarbeiter dar, welches von einer neugierigen Beobachterin in der linken Bildhälfte verfolgt wird: Am rechten Bildrand ist der etwas ältere Freier zu erkennen, der gerade seine linke Hand mit Spucke befeuchtet, um sein ithyphallisches Glied für die Penetration des vor ihm knienden jungen Mannes vorzubereiten. Die hanpatsu-Frisur mit dem Dutt (chonmage) sowie dem weit nach hinten gerückten Haaransatz (sahayaki) identifiziert die Figur entweder als Samurai oder als Bürger.1235 Der passive Partner hingegen wird durch seine Haartracht als wakashū gekennzeichnet, also als junger Mann bzw. Jüngling, der in der japanischen Kultur lange Zeit für ältere Männer die Rolle eines feminisierten Begehrensobjekts einnahm – auch hier bestehen Parallelen zum antiken Konzept des erômenos.1236 In Antizipation streckt der Jüngling sein entblößtes Hinterteil dem älteren Mann entgegen, wobei sein haarloses Glied sowie sein Anus deutlich dargestellt werden.1237 Trotz der deutlichen Differenzierung der beiden männlichen Figuren fällt auf, dass ihre Kimonos und insbesondere ihre gestreiften haori-Jacken – eine hüft- bis schenkellange Überjacke – fast identisch sind. Das Bemerkenswerte hierbei ist, dass dieses Kleidungsstück eigentlich erwachsenen Männern vorbehalten war.1238 Die Tatsache, dass ein als feminin konnotierter wakashū ebenfalls eine solche Jacke trägt, indiziert die fließenden und keineswegs fixierten Übergänge zwischen den verschiedenen ›Geschlechterstadien‹.1239 Zudem war es unter männlichen Sexarbeitern weit verbreitet, den Status als wakashū durch ein betont jugendliches Auftreten so lange wie möglich zu erhalten, da
1235 Vgl. Toby, Ron P.: Engaging the Other: ›Japan‹ and its Alter-egos, 1550–1850, London und Boston 2019, S. 211 (Fußnote 63); Suzanne G. O’Brien identifiziert diese Frisur als hanpatsu und erläutert, wie diese Haartracht im 19. Jahrhundert zum Ausdruck der Ablehnung gegenüber der erzwungenen Öffnung Japans durch den Westen wurde. Für das vorliegende Bild spielt dies aber noch keine Rolle, da es einige Jahrzehnte vor der Öffnung Japans (1853) entstand. Vgl. O’Brien, Suzanne G.: Splitting Hairs: History and the Politics of Daily Life in Nineteenth-century Japan, in: The Journal of Asian Studies Vol. 67, Nr.4 (November 2008), S. 1309–1339; hier: S. 1311. 1236 Zur Bedeutung der Haare bei den wakashū, die im Gegensatz zu älteren Männern über Stirnlocken verfügten, siehe Pflugfelder 1999, S. 33; zur Rolle des ›schönen Jünglings‹ (jap. bishōnen) siehe ebd., S. 26f und S. 227. 1237 Derartige sexuelle Beziehungen zwischen älteren und jüngeren Männern wurden zur Edo-Zeit mit dem japanischen Wort shudō beschrieben. Der Begriff nanshoku hat zwar dieselbe Bedeutung, fand jedoch vor und nach der Edo-Periode Verwendung. Vgl. ebd., S. 26. 1238 Zur haori-Jacke siehe Kinoshita, Mitsuo: Sanctions, Targetism, and Village Autonomy: Poor Relief in Early Modern Rural Japan, in: Tanimoto, Masayuki; Wong, R. Bin (Hg.): Public Goods Provision in the Early Modern Economy. Comparative Perspectives from Japan, China, and Europe, Oakland (CA) 2019, S. 78–99; hier: S. 87; mittlerweile tragen auch Frauen eine haori-Jacke, auch wenn diese zumeist länger ist als das Männerpendant. 1239 Pflugfelder macht auch nochmal deutlich, dass es kein bestimmtes Alter gab, ab dem ein wakashū zum Mann wurde. Siehe Pflugfelder 1999, S. 33; hieraus lässt sich auch induzieren, dass lebenslange Partnerschaften durchaus möglich waren, solange die Rollenverteilung optisch aufrechtgehalten wurde. Vgl. Beyer, Sandra: Die Wege des Jünglings: Der homosexuelle Städter im frühmodernen Japan, in: Das Blättchen, Jahrgang 14, Nr. 26 (26. Dezember 2011), keine Seitenangaben, online abrufbar unter: https://das-blaettchen.de/2011/12/die-wege-des-juenglings-der-homosexuelle-st aedter-im-fruehmodernen-japan-9180.html (zuletzt 27.10.2020); bestand diese Unterscheidung nicht, wurden erotische Beziehungen unter Männern gesellschaftlich abgelehnt. Siehe Pflugfelder 1999, S. 33 (Fußnote 23).
III. Hauptteil
die Einnahme der passiven Rolle beim Sex davon abhing, welcher Altersklasse man angehörte.1240 Anhand dieses einen Exempels, das eine sehr spezifische Art männlich-männlicher Beziehungen beleuchtet, wird deutlich, wie komplex die Geschichte der Geschlechterrollen und des gleichgeschlechtlichen Begehrens in Japan ist.1241 Fernandez verweist in diesem Zusammenhang auf den Autor Ihara Saikaku (1642–1693), der in seinem 1687 veröffentlichten Werk Nanshoku Ōkagami (Der große Spiegel der männlichen Liebe) argumentiert, dass die mann-männliche Liebe der Liebe zu Frauen vorzuziehen sei.1242 Dies erinnert wieder einmal an den spätantiken Dialog des Pseudo-Lukian, in welchem zwei Männer darüber diskutieren, ob nun Männer oder Frauen die besseren Liebhaber_Innen seien.1243 In Saikakus Werk fällt die Antwort auf diese Frage mehr als eindeutig aus: »In each case above, even if the woman were a beauty of gentle disposition and the youth a repulsive pug-nosed fellow, it is a sacrilege to speak of female love in the same breath with boy love. A woman’s heat can be likened to the wisteria vine: though bearing lovely blossoms, it is twisted and bent. A youth may have a thorn or two, but he is like the first plum blossom of the new year exuding an indescribable fragrance. The only sensible choice is to dispense with women and turn instead to men.«1244 Die hier lediglich skizzierte Darstellungstradition männlich-männlicher Sexualität in der japanischen Kunst und Literatur verschwindet zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend.1245 Im Zuge der erzwungenen Öffnung Japans durch die USA im Jahr 1853 – damit endete eine in den 1630er-Jahren begonnene Isolationsphase Japans1246 – wird dieser Prozess zusätzlich beschleunigt: Die Einführung westlicher Ideen und Vorstellungen führte zu einer Pathologisierung und auch zu einem kurzzeitigen Verbot gleichgeschlechtlicher Sexualität.1247 In einer historischen Parallele zum ›islamischen Orient‹ kommt es aufgrund der westlichen – sprich europäischen bzw. amerikanischen – Expansionspolitik auch im ›Fernen Orient‹ zu einer Verschiebung des Sexualitäts1240 Da der wakashū zudem als Schönheitsideal galt, war es schlichtweg auch einfach im ökonomischen Interesse der Sexarbeiter, mit ihrem Aussehen eine breitestmögliche Kundschaft anzusprechen. Siehe ebd., S. 34. 1241 Einen knappen Überblick über die Darstellung männlich-männlicher Sexualität in der japanischen Kunst und ihrer Weiterführung in der Welt der Mangas liefert Ishii, Kidd und Kolbeins 2014, S. 274ff. 1242 Siehe Fernandez 2002, S. 170f. 1243 Siehe u.a. Kapitel III.2.2. Siehe zudem Halperin 2004, S 89–92 und S. 111f. 1244 Saikaku, Ihara: The Great Mirror of Male Love. Translated, with an Introduction, by Paul Gordon Schalow, Stanford (CA) 1990, S. 56. 1245 Siehe u.a. Pflugfelder 1999, S. 95. 1246 Zwar pflegten die Niederlande in der Isolationsphase Handelsbeziehungen zu Japan, doch diese wurden von japanischer Seite streng kontrolliert und überwacht. Vgl. Lavery, Grace E.: Quaint, Exquisite. Victorian Aesthetics and the Idea of Japan, Princeton und Oxford 2019, S. 16. 1247 Siehe Pflugfelder 1999, S. 175 und S. 311f; vgl. auch Fernandez 2002, S. 180f; wie Ishii, Kidd und Kolbeins darlegen, bestand von 1873 bis 1882 eine Kriminalisierung von Analverkehr. Dieses Verbot wurde 1882 mit der Einführung eines neuen Strafgesetzbuches, welches sich am Code Napoléon orientierte, wieder aufgehoben. Siehe Ishii, Kidd und Kolbeins 2014, S. 274.
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und Geschlechterdiskurses. Doch ähnlich wie im Falle des ›islamischen Orients‹, dem eine Abwertung bzw. Reglementierung gleichgeschlechtlichen Verlangens bereits vor dem wachsenden Eingriff westlicher Mächte bekannt war, gab es auch im japanischen Kulturkreis schon vor 1853 Bestrebungen, Sexualität zu kontrollieren bzw. zu ›normieren‹.1248 Nichtsdestotrotz lassen sich die massiven Auswirkungen der durch den Kolonialismus ausgelösten geopolitischen Veränderungen nicht negieren.1249 Das in Japan auf fruchtbaren Boden fallende ›westliche Ethos‹ der Industrialisierung und des Imperialismus führte zur Ausbildung jenes japanischen Nationalismus, der in den Zweiten Weltkrieg münden sollte und der die eigene queere Vergangenheit mehr und mehr in den Hintergrund zu drängen suchte.1250 Hier sei erneut auf Jacoulet verwiesen, der trotz seiner Kenntnisse über die queere Geschichte Japans seine homoerotischen Motive zumeist außerhalb des Landes lokalisierte.1251 So fand Jacoulet etwa im mikronesischen Inselraum trotz der auch hier deutlich spürbaren Folgen des Kolonialismus1252 Kulturen vor, in denen die geschlechtlichen und sexuellen Ausdrucksformen noch nicht gänzlich unter das westliche Ideal der ›Heteronormativität‹ subsumiert waren.1253 Ausgehend von den hier ausgewählten historischen Beispielen lässt sich erkennen, dass männlich-männliches Begehren sowohl im ›Nahen‹ als auch ›Fernen Orient‹ nicht nur eine zentrale gesellschaftliche Rolle gespielt hat, sondern auch als kunstwürdiges Thema galt. Wenngleich Künstler wie Bonnat und Jacoulet mit ihren Werken einer ›Homoerotisierung des Orients‹ Vorschub geleistet haben, so war bzw. ist gleichgeschlechtliche Sexualität seit jeher ein genuiner Bestandteil zahlreicher ›orientalischer‹ Kulturen. Bei der Verknüpfung des ›Orients‹ mit Homoerotik und männlich-männlicher Sexuali-
1248 Pflugfelder schreibt hierzu: »An examination of legal discourse serves as a useful counterweight to the all too frequently encountered idealization of the Edo period as a ›golden age‹ for the pursuit of male-male sexual pleasures […] For, in addition to a profusion of popular discourse on shudō, the Edo period witnessed – not coincidentally – an unprecedented proliferation of legislative efforts to regulate male-male erotic behavior, albeit not always so effectively as lawmakers hoped.«(Pflugfelder 1999, S. 98). 1249 Fernandez kommentiert diese Entwicklung mit Blick auf den asiatischen Großraum in zugespitzter Weise wie folgt: »Japanese and Chinese homosexual culture was gradually obliterated by the impact of Western morality and the encroachment of capitalist ideology. […] In the nineteenth [century], however, by which time the bourgeoisie has ascended to power and set up a moral system based on efficiency and yield, it [die gleichgeschlechtliche Sexualität, NM] was to be outlawed and vituperated.« (Fernandez 2002, S. 180). 1250 Vgl. auch Ishii, Kidd und Kolbeins 2014, S. 274. 1251 Die queere Vergangenheit Japans dürfte Jacoulet aufgrund seiner Auseinandersetzung mit dem Ukiyo-e-Künstler Utamaro vertraut gewesen sein. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass Jacoulet selbst zum Opfer dieses nationalistischen Gedankenguts geworden war, als er 1926 überfallen wurde. Siehe Higuchi 2013, S. 44. 1252 Ein Großteil der mikronesischen Inseln (u.a. die Karolinen) geriet mit ihrer Entdeckung im 16. Jahrhundert ins Visier der Kolonialmächte und stand zunächst unter spanischer, dann deutscher und zuletzt japanischer Fremdherrschaft. Siehe Rauchholz, Manuel : Aspects Ethnographiques de la Micronésie, in : Kat. Ausst. Un Artiste Voyageur en Micronésie. L’Univers Flottant de Paul Jacoulet, Musée du Quai Branly in Paris 2013, Paris 2013, S. 65–75; hier : S. 68. 1253 Siehe Greenberg 1990, S. 110.
III. Hauptteil
tät handelt es sich also nicht um eine bloße ›westliche‹ Projektion.1254 Vor allem für die marginalisierten Homosexuellen der westlichen Welt versprach der ›Orient‹ lange Zeit, ein paradiesischer Ort sexueller Möglichkeiten zu sein. Wie jedoch anhand der Arbeiten und des Lebenswegs von Jacoulet gezeigt wurde, ist dem hier zugrundeliegenden Konzept eines Sehnsuchtsorts eine gewisse geographische Flüchtigkeit und Unbeständigkeit zu eigen: Während Japan für japanophile Homosexuelle in Europa und Nordamerika bis in die 1960er-Jahre hinein eine Kultur und Kunst bot, die vermeintlich jenseits westlicher Regularien operierte und gerade deswegen geeignet schien, der eigenen sexuellen Identität Ausdruck zu verleihen, wandte sich Jacoulet, der die gesellschaftlichen Veränderungen im Land hautnah miterlebte, verstärkt Ozeanien zu.1255 Dort fand er um 1930 noch jene mit dem ›Orient‹ assoziierte Freiheit vor, die Japan bereits verloren hatte.1256 Zum Schluss sollen noch ein türkischer und ein japanischer Künstler Beachtung finden, die sich in ihren Werken mit männlich-männlicher Sexualität im Spiegel ihrer jeweiligen Kultur auseinandersetzen bzw. auseinandergesetzt haben. Zuerst der 1945 in der Tōkai-Region in Japan geborene Sadao Hasegawa (gest. 1999), ein Illustrator und Künstler, der mit seinen erotischen und zumeist auch expliziten Darstellungen homosexueller Männer an das Erbe der Shunga anknüpft. In seinen Arbeiten visualisiert Hasegawa eine betont maskuline und dezidiert japanische bzw. asiatische Männlichkeit. Damit griff er eine Ästhetik auf, die im Vorfeld von Illustratoren wie Go Hirano und Go Mishima popularisiert wurde.1257 Mit ihrer überbordenden und perfekt herausgearbeiteten Muskulatur erinnern Hasegawas Figuren aber auch an die Hünen von Tom of Finland (vgl. Abb. 56) und George Quaintance (vgl. Abb. 16).1258 Mehr noch: Sie verkörpern denselben idealisierten Körper- bzw. Männertypus, wie er zu dieser Zeit in Europa und den USA unter der Bezeichnung des gay clone verbreitet war.1259 Im japanischen Kontext 1254 Said schreibt hierzu: »[S]o war der Orient der Ort, an dem man eine sexuelle Erfahrung suchen konnte, die in Europa nicht erhältlich war.« (Said 1981, S. 216). 1255 Vgl. hierzu Reed 2017, S. 291 und S. 293. 1256 Eribon beschreibt diese Sehnsucht nach einem queeren Paradies äußerst treffend: »Es gibt und gab wohl immer noch bei Homosexuellen und anderen ›Abweichlern‹ die Phantasmagorie eines ›Anderswo‹, in dem Wünsche und Bestrebungen in die Wirklichkeit umgesetzt werden können, die im eigenen Land aus tausend Gründen undurchführbar, unausdenkbar sind.« (Eribon 2019, S. 32). 1257 Bei den Namen der Künstler handelt es sich um Pseudonyme, da sie ihre Werke aus Angst vor sozialer Ächtung stets anonym veröffentlichten. Die Werke der beiden Illustratoren wurden deshalb so populär, da sie die Titelseiten von Schwulen-Magazinen wie Barazoku zierten. Zu Go Hirano sind weder die Lebensdaten, noch sein richtiger Name bekannt. Lediglich seine Publikationshistorie lässt sich rekonstruieren. Vgl. Ishii, Kidd und Kolbeins 2014, S. 275; zu Go Mishima, der mit echtem Namen Tsuyoshi Yoshida (1924–1982) hieß, siehe ebd., S. 275f; vgl. auch die Biographie auf der Webseite der in Tokyo ansässigen Galerie Naruyama: http://www.gallery-naruyama.com/japa nese/exhibition/mishima.html (zuletzt 30.10.2020); zu beiden Künstlern siehe überdies Tagame, Gengoroh: Gay Erotic Art in Japan Vol. 1: Artists from the Time of the Birth of Gay Magazines, Tokyo 2003, S. 10, S. 13ff sowie S. 25–57 (Go Mishima) und S. 125–155 (Go Hirano). 1258 Zunächst orientiert Hasegawa sich stark an Quaintance. Spätere Arbeiten ähneln verstärkt dem Werk Tom of Finlands. Vgl. Tagame, Gengoroh: Gay Erotic Art in Japan Vol. 2: Transitions of Gay Fantasy in the Times, Tokyo 2006, S. 10f; zu Hasegawas Œuvre siehe ebd., S. 33ff; zu den Parallelen zwischen Hasegawa und Tom of Finland siehe Cooper, Emanuel: The Sexual Perspective. London 1994, S. 330. 1259 Vgl. hierzu Geczy und Karaminas 2013, S. 89.
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ist dieses Männerbild ein zentraler Aspekt des sogenannten bara- bzw. ML-Genre, einem Manga-Genre, welches sich mit seinen explizit sexuellen Inhalten an ein schwules Publikum richtet – das verwandte, aber verkaufsstärkere Genre des yaoi bzw. BL (Boys Love) wird hingegen verstärkt an eine weibliche Leserschaft vermarktet.1260 Neben dem betont ›männlichen‹ Körperbau zeichnen sich Hasegawas Arbeiten durch die zahlreichen Bezüge zur japanischen Mythologie und Kultur aus, mittels derer die Motive überdeutlich als Bestandteil dieses Kulturkreises markiert werden – teilweise eignete sich Hasegawa auch eine aus Indien oder Thailand stammende Bildersprache an und stilisierte seine idealisierten Figuren zu Sinnbildern einer queeren ›asiatischen‹ Männlichkeit.1261 In einer unbetitelten Arbeit von 1982 (Abb. 146) inszeniert Hasegawa das orgiastische Treiben muskulöser japanischer Männer als collagehaftes Geflecht aus nackten Körpern und traditionellen Ukiyo-e-Darstellungen berühmter Kabuki-Schauspieler. Die hier demonstrativ in Szene gesetzten erotisierten Männerkörper bilden im Zusammenspiel mit den eingestreuten Ukiyo-e-Zitaten ein visuelles Palimpsest, welches als bildliches Aufbegehren gegen die mit dem Ende der Edo-Periode einsetzende Verdrängung gleichgeschlechtlicher Sexualität aus dem japanischen Kulturdiskurs verstanden werden kann – trotz der zuvor am Beispiel der ML- und BL-Mangas angesprochenen medialen Präsenz von Homosexualität, ist das Thema in der japanischen Öffentlichkeit nach wie vor stark
1260 Die Bezeichnung ›bara‹ (dt. Rose) ist eher im Westen verbreitet, während in Japan entweder die Abkürzung ML für Men’s Love oder aber Homo- bzw. Gei-Komi (dt. Homo- bzw. Gay-Comics) verwendet wird. Bara war eigentlich ein Schimpfwort für Homosexuelle, das von japanischen Schwulen aber in den 1960er-Jahren appropriiert wurde. Die im Laufe dieser Arbeit schon öfters bemühte Blumensymbolik erfreut sich in der japanischen Kultur großer Beliebtheit und ist in diesem Fall wohl ebenfalls als Andeutung auf die Genitalien (die Dornen) sowie den Anus (die Rose) zu verstehen – es sei hier auch an Hosoes und Mishimas Ordeal by Roses erinnert. So gab es etwa das Schwulen-Magazin Barazoku (dt. Stamm der Rose) und ab 1986 dessen Begleitheft Bara-Komi (dt. Rosen-Comic), welches die erste rein schwule Manga-Anthologie in Japan war. Während sich das bara- bzw. ML-Genre überwiegend an ein homosexuelles Publikum richtet und fast ausschließlich von homosexuellen Männern produziert wird, spricht das Genre des BL (Boys Love) bzw. yaoi vermehrt ein weibliches Publikum an und wird häufig von Frauen produziert. Ästhetisch unterscheiden sich die beiden Genres primär darin, dass ML zumeist sehr männliche und BL hingegen sehr androgyne Figuren zeigt – diese einstige Differenzierung wird von zeitgenössischen Mangaka jedoch zunehmend aufgehoben. Vgl. hierzu Kolbeins, Graham: Glocalizing Gei Manga. In: Ishii, Anne; Kidd, Chip; Kolbeins, Graham: Massive. Gay Erotic Manga and the Men Who Make It, Seattle 2014, S. 32–36; hier: S. 32ff; siehe auch Ishii, Kidd und Kolbeins 2014, S. 275; zu Barazoku und der schwulen Subkultur der 1970er-Jahre in Japan siehe zudem Mackintosh, Jonathan D.: Itō Bungaku and the Solidarity of the Rose Tribes (Barazoku): Stirrings of Homo Solidarity in Early 1970s Japan, in: Intersections: Gender, History and Culture in the Asian Context, Ausgabe 12 (Januar 2006), online abrufbar unter: http://intersections.anu.edu.au/issue12/aoki.html (zuletzt 30.10.2020); zum weiblichen Konsum von BL-Mangas siehe Welker, James: Flower Tribes and Female Desire: Complicating Early Female Consumption of Male Homosexuality in Shōjo Manga, in: Mechademia: Second Arc, Vol. 6 (2011), S. 211–228. 1261 Hasegawa reiste häufig nach Bali und Thailand – er verstarb in Bangkok. Dort lernte er andere asiatische Kulturen kennen und appropriierte zahlreiche Elemente für seine Kunst. Siehe Hasegawa, Sadao: Paradise Visions. Engl. Übers. von Greg Knight und Toshihiko Nakaura, Japan 1996, S. 12.
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tabuisiert und wird oftmals als Devianzerscheinung gebrandmarkt.1262 Als ein zentrales Anliegen in Hasegawas Œuvre ergibt sich somit die Wiedereinbindung queeren Begehrens in eine durch und durch japanische bzw. asiatische Bildwelt. Auch der 1986 in Istanbul geborene und multimedial arbeitende Künstler Sinan Tunçay verhandelt in seinem Œuvre die Wechselbeziehung zwischen einer heute als queer verstandenen Männlichkeit mit der eigenen türkischen Kultur und Geschichte. Besonders deutlich wird diese Thematik in der Videoarbeit Treat Me Like A Friend/Bir Dost Gibi Davran Bana (2019) des offen schwulen Künstlers. In diesem Werk stellt Tunçay zwei Ganzkörperselbstportraits einander gegenüber, die ihn auf der linken Seite mit einer Schmalztolle und auf der rechten Seite mit einem Schnauzbart sowie einer Perückenkappe zeigen. In beiden Portraits ist er zunächst lediglich mit einer weißen Unterhose bekleidet, ehe in schneller Abfolge verschiedene Gewänder und Accessoires über ihn gelegt bzw. projiziert werden – die Arbeit orientiert sich am Konzept der Papierpuppe, was auch durch die betonte Zweidimensionalität der Bildelemente hervorgehoben wird.1263 Dabei handelt es sich zum einen um Kleidungsstücke, die die Idee einer vermeintlich ›türkischen (Hyper-)Maskulinität‹ widerspiegeln, wie sie sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts zunehmend verfestigte. Hierzu zählen u.a. das Fußballtrikot und die Soldatenuniform (siehe Abb. 147.1 rechts), die ein klarer Verweis auf die gegenwärtig festzustellende Nationalisierung und Militarisierung ›türkischer Männlichkeit‹ sind.1264 Zum anderen tauchen in Treat Me Like A Friend Elemente einer ›weiblich‹ und ›homosexuell‹ konnotierten Garderobe auf, wie etwa Kleider, Strapse oder die in der schwulen Lederszene verbreiteten Lederchaps (siehe Abb. 147.2 und 147.3). Durch die schnelle Abfolge der auftauchenden und dann wieder verschwindenden Gewänder und Attribute kommt es zur Kollision unterschiedlicher ›Zeichensphären‹. So ist Tunçay öfters als ›vestimentärer Hybrid‹ zu sehen und erscheint u.a. als berockter Bauchtänzer mit einem FedoraHut (Abb. 147.1 links) oder als Sturmgewehrträger in Strapsen, High Heels und mit einem Fes auf dem Kopf (Abb. 147.2).
1262 Siehe McLelland, Mark J.: Male Homosexuality in Modern Japan: Cultural Myths and Social Realities, London 2005, hier besonders: S. 237; ein weiterer Indikator für die gegenwärtige Situation für Homosexuelle in Japan ist das Fehlen eines Ehe- bzw. Partnerschaftsgesetzes. Siehe hierzu Kusakabe, Motomi; Fujisawa, Miyuki: Same-sex Marriage Lawsuits to be Filed on Valentine’s Day by 13 Couples Nationwide, in: The Mainichi (04. Februar 2019), online abrufbar unter: https://main ichi.jp/english/articles/20190204/p2a/00m/0na/022000c (zuletzt 31.10.2020). 1263 Tunçay hat passend zu dem in Treat Me Like A Friend/Bir Dost Gibi Davran Bana nachgeahmten Prinzip der Papierpuppe auch ein begleitendes Künstlerbuch (You Told Me Not to Be/Utanma Benden, 2019) herausgebracht. Darin verwendet er die auch in der Videoinstallation erscheinenden Bilder und komplementiert seine Idee einer Papierpuppe als Sinnbild wettstreitender Identitätskonzeptionen. Vgl. hierzu auch Larson, Vanessa H.: Collaging an Alternate Reality for Gay Life in Turkey [17.10.2019], in: Hyperallergic, https://hyperallergic.com/522820/sinan-tuncay-istanbul-c-a-m-g allery/(zuletzt 31.10.2020). 1264 Es sei auf einen Aufsatz von Deniz Öksüz und Onur Çiftci hingewiesen, in welchem der Wechselbeziehung zwischen dem türkischen Militärdienst und der Etablierung rigider Geschlechtervorstellungen nachgegangen wird. Siehe Öksüz, Deniz; Çiftci, Onur: »Is Your Favorite Color Pink?« Crisis of Masculinities and the Turkish Armed Forces’ Approach towards Gender Diversity, in: Finzsch, Norbert; Velke, Marcus (Hg.): Queer, Gender, Historiographie. Aktuelle Tendenzen und Projekte, Berlin 2016, S. 191–217; hier besonders: S. 193f.
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Mit viel Humor visualisiert Tunçay in der Videoarbeit die Konstruktion und Dekonstruktion einer behaupteten ›türkischen Männlichkeit‹ und lässt so das ›vestimentäre Zeichensystem‹ zusammenbrechen: Indem er nicht nur mit geschlechtlichen und sexuellen Kleidungskonnotationen spielt, sondern auch mit dezidiert ›östlichen‹ und ›westlichen‹ Modemarkern, wie dem Fes oder dem Cowboyhut (siehe Abb. 147.4), führt er die Konzeption einer heteronormativen Geschlechtsidentität nationalistischer Prägung ad absurdum. Das in Teilen der türkischen Gesellschaft zelebrierte Phantasma des wahrhaftigen ›türkischen Mannes‹ wird als bloße Pose enttarnt und etwa mit dem US-amerikanischen Männlichkeitsideal eines Cowboys parallelisiert. Das Auftauchen ›westlicher‹ Kleidungsstücke unterstreicht den transnationalen Anspruch der Arbeit und weist auf die auch in Europa oder den USA präsenten Mechanismen einer Geschlechterstereotypisierung hin. Sowohl Tunçay als auch Hasegawa verqueeren in ihren Arbeiten Männlichkeitsentwürfe, die zwar tief in ihren jeweiligen Kulturkreisen verwurzelt sind, die aber auch stark von ›westlichen‹ Geschlechter- und Sexualitätskonzeptionen geprägt sind. Während sich Tunçay etwa auch ›westlicher‹ Kleidungsstücke bedient, um die Konstruktion hegemonialer Männlichkeitsvorstellungen in der Türkei und darüber hinaus zu persiflieren, wehrt sich Hasegawa mit seinen übersexualisierten und an Quaintance und Finland angelehnten Figuren, die er in einen dezidiert japanischen Kontext eingebettet hat, gegen eine Verdrängung mann-männlicher Sexualität aus der japanischen Kultur. In den Werken beider Künstler spiegeln sich so nicht nur die Veränderungen in der kulturellen Selbstwahrnehmung wider, die durch den (teilweise) erzwungenen Import ›westlicher‹ Vorstellungen ausgelöst wurden, sondern auch der komplexe Prozess einer queeren Bildfindung, der an die Wiederentdeckung der eigenen kulturellen Vergangenheit anzuknüpfen sucht. Spannt man zum Abschluss nochmal den Bogen zum einleitenden Thema des Orientalismus und der damit intrinsisch verwobenen ›westlichen Perspektive‹ auf ›nicht-westliche‹ Kulturen, so offenbart sich anhand der Arbeiten von Tunçay und Hasegawa ein vom Westen ebenso inspirierter wie emanzipierter Blick auf die eigene queere Geschichte.
III.3.4 Queere Räume (I): Situative Räume und die ›flüchtige Architektur‹ männlich-männlichen Begehrens In dem erstmals 1956 veröffentlichten Roman Giovanni’s Room des afroamerikanischen homosexuellen Schriftstellers James Baldwin (1924–1987) wird ein Einzimmerappartement in Paris zum zentralen Dreh- und Angelpunkt für die aussichtslose Liebesbeziehung zweier Männer: Der US-amerikanische Protagonist David, der mit seiner Verlobten in die französische Hauptstadt gereist ist, lernt dort in einer Schwulenbar den italienischen Barkeeper Giovanni kennen.1265 Bereits kurz nach der ersten Begegnung zieht David in das kleine Appartement ein, welches Giovanni bewohnt, und eine ebenso kurze wie intensive Affäre nimmt ihren Lauf. Für David, der mit seiner eigenen internalisierten Homophobie kämpft und sich seine Homosexualität nicht eingestehen will, stellt das Zimmer Giovannis die einzige Möglichkeit dar, sein Begehren auszuleben. Nur im 1265 Baldwin, James: Giovanni’s Room. London 2007 (zuerst 1956).
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Schutz dieser vier Wände traut er sich, seine wahren Gefühle zu offenbaren. Gegen Ende des Buches kommt es in der kleinen Wohnung jedoch zur großen Konfrontation zwischen dem Paar. David, der davon überzeugt ist, seine Männlichkeit zu verlieren, wenn er seine Homosexualität weiter auslebt, erteilt dem gemeinsamen Leben mit Giovanni eine Absage: »›Yes,‹ I said, wearily, ›I can have a life with her [die Verlobte Davids, NM].‹ I stood up. I was shaking. ›What kind of life can we have in this room? – this filthy little room. What kind of life can two men have together, anyway? […]‹ ›But I’m a man,‹ I cried, ›a man! What do you think can happen between us?‹«1266 Das titelgebende Appartement wird in Baldwins Erzählung zur zentralen Metapher für den internen Konflikt der Hauptfigur: Das Zimmer Giovannis wird für David zu einer Erweiterung bzw. einer realen Entsprechung seines closet (dt. der Wandschrank bzw. Schrank), also jenes ›inneren‹ bzw. ›metaphorischen Raums‹, in dem er seine durch den gesellschaftlichen Diskurs problematisierte queere Sexualität zu verstecken sucht.1267 Davids Unvermögen, den closet zu verlassen und seine Vorstellung von Männlichkeit mit seiner Homosexualität zu vereinen, löst schließlich eine unaufhaltsame Kettenreaktion aus, die das Leben beider Männer letzten Endes zerstört. Das sich am Beispiel von Baldwins Roman herauskristallisierende spezifisch queere Raumverständnis soll in den zwei abschließenden Unterkapiteln aus einer kunsthistorischen Perspektive näher untersucht werden. Wie Halberstam dazu anmerkt, werden räumliche Aspekte bei der Betrachtung queerer Kunst nur allzu häufig vernachlässigt, da der Fokus zumeist auf dem Körper liegt.1268 Diese Untersuchung will sich an dieser Auslassung nicht beteiligen und vielmehr der Frage nachgehen, ob es so etwas wie eine queere Raumikonographie gibt. Die räumliche Dimension nimmt bei der Behandlung queerer Themen schon allein deshalb eine wichtige Rolle ein, da gleichgeschlechtlich Begehrende bzw. queere Menschen angesichts einer mancherorts bis heute andauernden gesellschaftlichen Ablehnung und Verfolgung auf geschützte Rückzugsräume angewiesen waren und sind. Bei diesen ›Schutzräumen‹ kann es sich einerseits um den metaphorischen closet handeln, wie er etwa von Baldwin in Giovanni’s Room thematisiert wurde und der laut Betsky in Queer Space (1997) den Ausgangspunkt für alle anderen queeren Raumkonzeptionen darstellt.1269 Andererseits gibt und gab es aber stets auch flüchtige sowie substanzielle Manifestationen solcher ›Schutzzonen‹, die im Nachfolgenden als situativ-ephemere und konkret-materielle Räume bzw. Orte bezeichnet werden sollen. Wie das Einzimmerappartement in Baldwins Erzählung bereits belegt, überschneiden sich die hier differenzierten Raumaspekte jedoch oftmals und versinnbildlichen damit die Genealogie zwischen dem metaphorischen, dem situativ-ephemeren sowie dem konkret-materiellen queer space.
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Ebd., S. 126 (Kursivschreibung aus dem Originaltext übernommen, NM). Siehe hierzu Kapitel II.4.1 sowie Sedgwick 2008 u.a. S. 56 und S. 65; siehe auch Betsky 1997, S. 16. Siehe Halberstam 2008, S. 287–306; hier: S. 287. Vgl. Betsky 1997, S. 21.
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In ihrer Einleitung zum Sammelband Orte der Begegnung – Orte des Widerstands. Zur Geschichte homosexueller, trans*-geschlechtlicher und queerer Räume (2018) verhandeln die Herausgeber_Innen Carolin Küppers und Martin Schneider die Geschichte ebenjener Ausformungen queerer Räumlichkeit, die hier als situativ-ephemer und konkret-materiell umschrieben werden: »Wenn wir die Geschichte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, Inter* und queeren Menschen […] betrachten, so ist sie geprägt von verschiedensten Formen der Aneignung von Orten und Räumen. Von Orten, die Möglichkeiten boten sich zu begegnen, und von (Frei-)Räumen, die explizit erkämpft wurden, um Sexualität und Geschlechterdarstellungen jenseits normativer Vorstellungen (aus)leben zu können – Räume, die der Konstituierung und internen Selbstdefinition der Gruppe wie auch als Symbol ihrer Außendarstellung dienen.«1270 Die Schaffung bzw. kurz- oder langzeitige Aneignung von Räumen und Orten ist ein ebenso fester wie bedeutender Bestandteil im Konstituierungsprozess queerer (Sub-)Kulturen.1271 Es erscheint daher nur folgerichtig anzunehmen, dass dem Topos des Raumes auch in der Entwicklung einer queeren Bildwelt eine zentrale Funktion zukommt. Dieses Kapitel möchte sich dabei auf situativ-ephemere bzw. temporäre Räume konzentrieren. Damit sind Räume gemeint, die zu einem gewissen Grad unabhängig von einem konkreten architektonischen Zusammenhang sind und hauptsächlich aufgrund ihrer Rolle als soziale Treffpunkte eine eindeutige, wenn auch manchmal nur eine flüchtige queere Bedeutung erhalten. Dazu gehören etwa abgeschiedene Cruising-Areale in Wäldern und an Seen, aber auch ›einschlägige‹ Toiletten, Badehäuser etc.1272 Betsky spricht diesbe1270 Küppers, Carolin; Schneider, Martin: Orte der Begegnung – Orte des Widerstands. Einleitung, in: Dies. (Hg.): Orte der Begegnung – Orte des Widerstands. Zur Geschichte homosexueller, trans*geschlechtlicher und queerer Räume, Hamburg 2018, S. 9–27; hier: S. 9. 1271 Zum queeren Stadtraum schreibt Eribon: »Die Stadt ist daher der Ort, an dem die ›Schwulenkultur‹, aber auch deren banale, alltägliche soziale Kontrolle und die Interaktion beider Phänomene überhaupt erst existieren können.« (Eribon 2019, S. 64); am Beispiel des Dampfbades elaboriert auch Hocquenghem, wie wichtig Räume für queere Gemeinschaften sind: »Man denke an die öffentlichen Dampfbäder, jene berühmten Orte, an denen sich die homosexuellen Begierden anonym treffen und verbinden, ungeachtet der Angst vor der jederzeit möglichen Anwesenheit der Polizei. Die Gruppalisierung des Anus bietet der Sublimierung keinen Ansatzpunkt mehr und auch keinerlei Spalt, durch den das Schuldbewusstsein eindringen könnte.« (Hocquenghem 1974, S. 98) Die kryptische Formulierung der »Gruppalisierung des Anus« meint dabei nichts anderes, als die Bildung einer Gemeinschaft, die sich über das geteilte homosexuelle Begehren definiert, welches für Hocquenghem gleichbedeutend mit der Erotisierung und Enttabuisierung des Anus war. 1272 ›Einschlägige Toiletten‹ sind auch als Klappen bzw. im US-amerikanischen ›Gay-Slang‹ als tearoom bekannt. Ralph J. Poole erläutert: »Der tearoom als Ort geschlechtlich kodierten, sozialen Miteinanders erhält nämlich dann eine funktionale und topographische Konkretisierung als öffentliche Toilette, in der Männer verkehren. Die amerikanischen Slang-Begriffe rund um den tea bilden eine Wortgruppe, die kodifizierte Bedeutungen produziert. Im queen’s vernacular, also der schwul-lesbischen Umgangssprache, steht tearoom für eine öffentliche Toilette, wo sexuelle Handlungen unter Männern stattfinden […] Ein solches Glossar homosexueller Sprachbedeutungen von 1929 (in einer Zeitschrift für Urologie und Hautkrankheiten!) definierte auch tea house als ›a public lavatory frequented by homosexuals‹ […] Tea kann außerdem umgangssprachlich Urin bedeuten oder – als Verb ›to tea‹ – stehen für ›sich auf jemanden einlassen‹« (Poole, Ralph J.: Gefährliche Maskulinitä-
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züglich von einer »choreography of gestures«, welche diese Örtlichkeiten im Zuge der dort stattfindenden ›homosexuellen Interaktionen‹ für kurze Dauer zu dezidiert queeren Räumen macht.1273 Es ist kein Zufall, dass die situativ-ephemere Räumlichkeit hier an erster Stelle betrachtet wird, spiegelt sich in ihrem oft temporären Wesen doch die grundlegende Schwierigkeit wider, queere Räume bzw. Orte innerhalb einer Gesellschaft zu etablieren, die nicht-heteronormative Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten immerzu marginalisiert und problematisiert – genau aus diesem Grund sind alle Formen des queer space, d.h. situativ-ephemere und konkret-materielle Räume, stets politisch.1274 Zu Beginn der thematischen Erschließung situativ-ephemerer Räumlichkeit steht mit dem Bautyp des Badehauses ein Beispiel, welches nicht nur über eine lange Geschichte verfügt, die weit bis in die Antike zurückreicht, sondern das auch veranschaulicht, wie eng die situativ-ephemere sowie die konkret-materielle Raumkonzeption miteinander verknüpft sind: Obzwar die Architektonik des Badehauses, die sich doch hauptsächlich aus den Hygienebedürfnissen größerer Siedlungen und Städte heraus entwickelt hatte, nicht per se als queer bezeichnet werden kann, ist ihr nichtsdestotrotz eine implizite Queerness inhärent.1275 Am Beispiel römisch-antiker Badehäuser macht Betsky jene queeren Implikationen besonders deutlich, wenn er die vom Wasserdampf verschleierten Räume, in denen das Publikum nur wenig bis gar keine Kleidung trug, als ›Traumwelt‹ beschreibt.1276 Das ›Unwirkliche‹ bzw. ›Traumhafte‹ der Badehäuser ergibt sich dabei vor allem aus der diesig-nebelhaften Atmosphäre, die nicht nur zu einer kurzzeitigen Grenzauflösung zwischen dem öffentlichen und privaten Raum führt, sondern auch dazu, dass die zur Schau gestellten Leiber ihre klaren Konturen und damit ihre eindeutigen (Körper-)Grenzen verlieren. Es ist ebendiese räumliche und körperliche Verunklärung,
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ten. Männlichkeit und Subversion am Rande der Kulturen, Bielefeld 2012, S. 272). Zur Klappe siehe auch die Besprechung von Bidgoods Pink Narcissus und Peter Lyssiots’ Collage in Kapitel III.1.1. Betsky 1997, S. 22. Die Differenzierung zwischen situativ-ephemeren und konkret-materiellen Räumen ist nicht als scharfe Grenzziehung zu verstehen, sondern soll eine fokussierte Analyse unterschiedlicher Facetten ermöglichen. Ausgehend von zwei Werken des 15. und 17. Jahrhunderts – Albrecht Dürers Das Männerbad (Abb. 148) und Domenico Crestis Die Badenden bei San Niccolò (Abb. 149) – soll das kunsthistorische Thema von badenden Männern exemplarisch aufgearbeitet werden. Im Anschluss wird anhand von Charles Demuths Turkish Bath-Serie (Abb. 6) das Zusammenspiel situativ-ephemerer und konkret-materieller Aspekte bei der Ausbildung eines queeren Raumes untersucht. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse dienen sodann dazu, am Beispiel von Christian Siekmeier (Abb. 150), Patrick Angus (Abb. 151) und Wolfgang Tillmans (Abb. 152) weitere Materialisationen situativephemerer Räume zu beleuchten: das außen gelegene Cruising-Areal, das Sexkino und die Disco. Den Abschluss bildet ein Ausblick auf den digitalen Raum – die aktuellste Form eines situativephemeren queer space. Zur Entwicklung der Badekultur siehe Bonneville, Françoise de: Das Buch vom Bad. München 1998, S. 19ff. Betsky schreibt: »The drama of the baths was unmistakable. Their vaults were so large, and the steam from the water so intense, that they created a dream world where the strict orders defining the public spaces of the rest of the city disappeared.« (Betsky 1997, S. 37); vgl. auch Yegül, Fikret: Baths and Bathing in Classical Antiquity. New York 1992, S. 5; es ist indes nicht klar, ob die Besucher_Innen antiker Badehäuser nackt waren oder Lendenschürze tragen mussten. Vgl. Yegül, Fikret: Bathing in the Roman World. Cambridge (NY) 2010, S. 28.
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die das Badehaus zu einem Schwellenraum macht und ihm eine »sexually permissive atmosphere« verleiht, wie es der Architekturhistoriker Fikret K. Yegül ausdrückt.1277 Zieht man zudem die Tatsache hinzu, dass eine Vielzahl der damaligen Bäder nach Geschlechtern getrennt waren – Kaiser Hadrian sprach unter seiner Herrschaft sogar ein explizites Verbot gegen gemeinschaftliches Baden von Männern und Frauen aus1278 –, so ergibt sich eine als homosozial wenn nicht sogar als homoerotisch zu bezeichnende Räumlichkeit. Verfolgt man die westlich-europäische Kulturgeschichte des Badens und der öffentlichen Bäder weiter, so wird erkennbar, dass diese auch in der nachantiken Zeit in einer konstanten Wechselbeziehung mit der Diskursivierung körperlicher und sexueller Freizügigkeit steht, wenngleich auch unter anderen Vorzeichen: Galt das Baden in der Antike sowohl als hygienische Notwendigkeit wie auch als Möglichkeit des (körperlichen) Genusses, trat Letzteres im Verlauf der Christianisierung Europas zunehmend in den Hintergrund. In Einklang mit der für das Christentum zentralen Negation des Leibes und leiblicher Freuden, war das Baden sowie der Besuch von Badehäusern – zumindest offiziell – nur noch erlaubt, wenn es rein hygienischen und medizinischen Zwecken diente.1279 So definierte etwa der Papst und Kirchenvater Gregor der Große (540–640) die Rolle des Badens und damit auch der Badeanstalten wie folgt: »Wenn es nun also verboten ist, den Leib um der Gelüste willen zu pflegen, so ist es gestattet, ihm die notwendige Pflege zuzuwenden.«1280 Die darin zum Ausdruck kommende Verknüpfung von Körperpflege mit erotischer ›Unsittlichkeit‹ ist allerdings kein rein christliches Gedankengut, sondern spiegelt eine bereits in der Antike vorzufindende Angst wider, die sich im Laufe der Geschichte noch zuspitzen sollte: Während gemeinschaftliche Badeanstalten von der Antike bis zur Renaissance trotz vereinzelter Kritik stets eine präsente Rolle im sozialen Leben einnahmen, verschwanden derartige Einrichtungen im 16. und 17. Jahrhundert zeitweise fast gänzlich.1281 Als Grund hierfür ist erstens die von der Kirche zunehmend propagierte Ansicht zu nennen, wonach Badehäuser Orte des Exzesses und der Libertinage seien.1282 Zweitens waren es aber auch die damals in Europa wütenden Epidemien, wie die Pest oder die durch Rückkehrende aus dem neuentdeckten Amerika eingeschleppte Syphilis1283 , die zusammen mit einer weitverbreiteten »medizinischen und na1277 1278 1279 1280
Yegül 2010, S. 27. Siehe ebd., S. 33. Vgl. ebd., S. 204f. Gregor der Große: Des heiligen Kirchenlehrers Gregorius des Großen ausgewählte Briefe. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Theodor Kranzfeld, Bibliothek der Kirchenväter, 1. Serie, Band 27, Kempten 1874, online abrufbar unter: http://www.unifr.ch/bkv/buch378-665.htm (zuletzt 17.11.2020); hier: Dreizehntes Buch, I, 1; siehe auch Yegül 2010, S. 204. 1281 Zur antiken Kritik der Badehäuser siehe Yegül 2010, S. 24; zum ›Verschwinden‹ der europäischen Badekultur siehe Bonneville 1998, S. 40ff; vgl. zudem Yegül 2010, S. 218. 1282 Vgl. Bonneville 1998, S. 39. 1283 Obgleich es Annahmen gibt, dass die Syphilis bereits vor der Entdeckung Amerikas durch Christopher Columbus im Jahr 1492 in Europa grassierte (Pre-Columbian Theory), halten die meisten Medizinhistoriker_Innen an der These fest, dass die Krankheit durch den Columbian Exchange nach Europa kam (Columbian Theory). Vgl. Rothschild, Bruce M.: History of Syphilis. In: Clinical Infectious Diseases Vol. 40, Nr.10 (15.05.2005), S. 1454–1463; hier: S. 1460f; zur Pre-Columbian-Theorie vgl. Gaul, Johanna Sophia; Grossschmidt, Karl; Gusenbauer, Christian; Kanz, Fabian: A probable
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turwissenschaftlichen Unkenntnis« zum Untergang öffentlicher Bäder führten.1284 Und drittens kam es im Europa des 17. Jahrhunderts infolge militärischer Offensiven des Osmanischen Reiches – die Zweite Wiener Osmanenbelagerung fand im Jahr 1683 statt – zu einem erneuten Aufflammen alter Ressentiments gegenüber Menschen muslimischen Glaubens, was sich u.a. in der propagandistisch motivierten Ablehnung einer fortan als ›muslimisch‹ bzw. ›pagan‹ geltenden Badekultur äußerte, die mit moralischem Verfall und sexueller Ausschweifung gleichgesetzt wurde.1285 Diese drei Faktoren führten zu jener europäischen Epoche, die Françoise de Bonneville als die »Zweihundert Jahre ohne Bäder« betitelt hat.1286 Erst ab dem Ende des 18. Jahrhunderts kehrten öffentliche Bäder allmählich wieder nach Europa zurück; eine Entwicklung, mit der ein sich wandelndes Hygieneverständnis einherging.1287 Anhand dieses kurzen historischen Abrisses über das kulturgeschichtliche Erbe öffentlicher Bäder wird deutlich, wie eng die europäische Diskursgeschichte dieses Ortes mit der Angst vor einer enthemmten Sexualität verbunden ist. Wendet man nun den Blick auf künstlerische Darstellungen von Badehäusern bzw. Badeanlagen, so offenbart sich auch darin auffällig häufig derselbe Konnex. Ein Beispiel hierfür stammt von Albrecht Dürer (1471–1528), der in dem kurz nach der Rückkehr von seiner ersten Italienreise 1496/97 entstandenen Holzschnitt Das Männerbad (Abb. 148)1288 ein Motiv behandelt, in welchem er mit zahlreichen (homo-)erotischen Anspielungen aufwartet: In dieser Arbeit gewährt der Künstler dem Publikum Einblick in eine offen angelegte Badeanstalt vor einer mittelalterlichen Stadtkulisse. In dem überdachten Bad tummelt sich eine Gruppe von sechs (fast) unbekleideten Männern, die unter dem neugierigen Blick einer im Hintergrund stehenden Figur, bei der es sich wohl um einen Jüngling handelt, ein gemeinschaftliches Bad genießen.1289 Während sich im Vordergrund gerade zwei Männer unterhalten, die jedoch nur vom Torso aufwärts zu sehen sind, verteilen sich die restlichen vier Männer im Mittelgrund des Bildes. Ganz rechts ist ein beleibter sitzender Mann zu erkennen, der gerade einen Schluck aus einem Steinkrug nimmt. Neben ihm stehen ein Mann mit einem Streichinstrument sowie ein bebarteter Flötenspieler, die zusammen musizieren. Am linken Bildrand ist der sechste und letzte Badegast zu sehen
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Case of Congenital Syphilis from pre-Columbian Austria. In: Anthropologischer Anzeiger Vol. 72, Nr.4 (2015), S. 451–472. Bonneville 1998, S. 39; man glaubte, dass der bloße Kontakt mit Wasser gesundheitsschädlich sei. Vgl. ebd. Vgl. Yegül 2010, S. 220. Bonneville 1998, S. 40; nach Yegül gab es jedoch sogar im 16. und 17. Jahrhundert einige wenige Ausnahmen, die dem Bäder-Bann entkamen. Vgl. Yegül 2010, S. 222. Vgl. Bonneville 1998, S. 42. Zur Datierung vgl. Mentzel, Jan-David: Körper und Welt. Albrecht Dürers Männerbad in neuer Deutung, in: Schauerte, Thomas; Müller, Jürgen; Kaschek, Bertram (Hg.): Von der Freiheit der Bilder. Spott, Kritik und Subversion in der Kunst der Dürerzeit, Petersberg 2013, S. 58–73; hier: S. 60; zum Frauenbad, in welchem Dürer sechs nackte Frauen beim Baden zeigt, siehe Metzger, Christof: Der Künstler als Voyeur. In: Kat. Ausst. Albrecht Dürer. Albertina in Wien 2019/2020, München, London und New York 2019, S. 210–213; hier: S. 210f. Vgl. Mentzel 2013, S. 58.
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– ebenfalls ein Bartträger –, der sich gegen einen hölzernen Pfeiler lehnt, aus dem rechterhand eine Armatur in der Form eines Hahns ragt. Da das Werk unmittelbar nach Dürers erster Italienreise entstanden ist, wird es oftmals als bildgewordene Synthese aus einer nord- und südalpinen bzw. antikischen Bildtradition verstanden.1290 Thomas Schauerte geht sogar so weit, den Holzschnitt als ein nach Nürnberg verlegtes arkadisches Symposion und die beiden vordersten Figuren als Sokrates und Platon im Dialog zu deuten.1291 Insbesondere aber in der detailliert herausgearbeiteten Körperlichkeit – Dürer stellt hier keine ›porösen‹, sondern schöne und in sich geschlossene Körper dar – und den unterschiedlichen Posen der badenden Männer, die sich wie ein Auszug aus einem Aktstudienkatalog lesen, verdeutlichen sich die visuellen Bezüge zur italienischen Frührenaissance sowie zur Kunst der Antike.1292 Im Gegensatz zu einem Großteil italienischer Künstler bettet Dürer seine Aktfiguren jedoch nicht in einen mythologischen oder religiösen Kontext ein, vielmehr verortet er sie in der damaligen (nordalpinen) Gegenwart.1293 Von Interesse sind vor allem die homosozialen sowie die homoerotischen Aspekte des Werks. Wird die Homosozialität des Motivs schon durch den Titel des Holzschnitts mehr als deutlich kommuniziert, enthüllt sich die immanente Homoerotik primär durch das Zusammenspiel einiger auffälliger Bilddetails, wie z.B. dem Kontrast zwischen den nackten Männerkörpern im Vorder- bzw. Mittelgrund und dem vollständig bekleideten Beobachter im Hintergrund. Dieses Wechselspiel von Verhüllung und Nacktheit verleiht dem Holzschnitt etwas dezidiert Voyeuristisches. Richtet man das Augenmerk auf die Badenden, dann stechen der sich auf dem Holzpfeiler abstützende Mann am linken Bildrand sowie der in der Bildmitte stehende Flötenspieler hervor.1294 Die beiden Männer, die sich gegenseitig mit Interesse betrachten, werden einerseits durch eine geschickte Positionierung und andererseits durch eine bewusste Attribuierung erotisiert: So wird der Schritt des linken über den Pfeiler gebeugten Mannes mit dem daraus hervorspringenden Wasserhahn parallelisiert. Die phallische Form der Armatur sowie das Öffnungsventil in Form eines Hahns – dieser Vogel wird seit der Antike nicht nur mit der (männlichen) Urognostik in Verbindung gebracht, sondern ist im Deutschen laut Grimm’schem Wörterbuch auch eine umgangssprachliche Bezeichnung für den Penis – verweisen überdeutlich auf das männliche Genital.1295 In Entsprechung dazu kann auch das Flötenspiel
1290 Siehe hierzu Metzger 2019, S. 212; vgl. zudem Mentzel 2013, S. 61. 1291 Siehe Schauerte, Thomas: Dürer & Celtis. Die Nürnberger Poetenschule im Aufbruch, München 2015, S. 117ff. 1292 Vgl. Mentzel 2013, S. 60f. 1293 Vgl. ebd., S. 61. 1294 Die Körperhaltung des linken Mannes wird in der wissenschaftlichen Literatur wiederholt mit der verträumten Haltung eines Melancholikers und damit mit dem für Dürer so wichtigen Themenkomplex der Temperamentenlehre assoziiert. Siehe Schauerte 2015, S. 109f; vgl. zudem Saslow 1999, S. 93. 1295 Siehe Schauerte 2015, S. 116.
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des im Bildzentrum stehenden Mannes als Anspielung auf den Phallus, wenn nicht auf die Fellatio verstanden werden.1296 Unter Berücksichtigung des Blickkontakts zwischen den beiden Männern lassen sich diese Details miteinander in Verbindung setzen und als Ausdruck eines homoerotischen Spannungsmoments interpretieren.1297 Dem Publikum eröffnet sich hier ein Paradebeispiel für das, was zuvor als ›flüchtige Architektur‹ männlich-männlichen Begehrens bezeichnet wurde: Durch das Zusammenwirken von Blicken und Gesten manifestiert sich für kurze Dauer ein queerer Raum, der die Kommunikation und Interaktion Gleichgesinnter auch innerhalb einer Gesellschaft ermöglicht, die ein derartiges Verlangen eigentlich verurteilt.1298 Greift man nochmals die von Schauerte geäußerte Vermutung auf, dass es sich bei den beiden vorderen Figuren um Sokrates und Platon handle, so könnte man sie als Sinnbild der Aphrodite Urania verstehen, also jener idealen und geistigen Liebe, über die der Redner Pausanias in Platons Symposion spricht – bezeichnenderweise werden die zwei Figuren von ihrem Torso aufwärts gezeigt und so liegt der Fokus auf ihrem ›geistigen Zentrum‹, dem Kopf.1299 Im Gegensatz dazu stünden dann der Flötenspieler und der Mann am Wasserhahn als Sinnbild für die Aphrodite Pandemos, die die fleischliche und ›ordinäre‹ Liebe repräsentiert – dies wiederum würde zur Erotisierung der Figuren passen.1300 Die anhand von Dürers Das Männerbad illustrierte (Homo-)Erotisierung des Bademotivs ist aber keine Ausnahme, sondern entpuppt sich als häufig wiederkehrendes Bildthema in der Kunstgeschichte. Es sei hier exemplarisch noch auf den italienischen Manieristen Domenico Cresti, genannt Il Passignano (1559–1638), hingewiesen, von dem das auf 1600 datierte und nicht minder homoerotisch aufgeladene Gemälde Die Badenden bei San Niccolò (Abb. 149) stammt.1301 Ähnlich wie Dürer präsentiert Cresti ein scheinbar 1296 Wie schon erwähnt, gilt die Flöte als ein Attribut der dionysischen Gefolgschaft und ihr Klang soll im Gegensatz zu der als vergeistigt charakterisierten Musik apollinischer Saiteninstrumente »menschliche Leidenschaften« wecken (Wünsche 1995, S. 27). Zum Flötenspiel als Anspielung auf Oralverkehr vgl. Bethlen, Patricia: Marcel Duchamp und die Alten Meister: Zu den Vorbildern des radikalen Kunsterneuerers, Bielefeld 2020, S. 226. 1297 Interessanterweise widerspricht Schauerte einer homoerotischen Deutung und macht dies daran fest, dass er den an den Pfeiler gelehnten Mann als Syphiliten interpretiert. Vgl. Schauerte 2015, S. 114f; obwohl Schauertes Argument, den Wasserhahn als Verweis auf die Syphilis zu lesen, zu überzeugen weiß, ist nicht nachvollziehbar, weshalb er dies automatisch mit der Negation einer homoerotischen Auslegung gleichsetzt. Es sei zudem angemerkt, dass die Syphilis zum Entstehungszeitpunkt der Arbeit ein großes Thema gewesen sein muss, wird doch der erste große Syphilis-Ausbruch in Europa auf 1494/95 datiert – zumindest laut der Columbian-Theorie. Vgl. Knell, Robert J.: Syphilis in Renaissance Europe: Rapid Evolution of an Introduced Sexually Transmitted Disease? In: Proceedings: Biological Sciences Vol. 271, Supplement 4 (2004), S. S174–S176; hier: S. S174. 1298 Folgt man dieser Interpretation weiter, könnte die sich im Hintergrund auftürmende mittelalterliche Stadtkulisse als Repräsentant ebenjener repressiven gesellschaftlichen Ordnung gedeutet werden. 1299 Vgl. Platon 2012, 181b–d (S. 36); vgl. zudem Kapitel II.2.1. 1300 Vgl. Platon 2012, 181b–d (S. 36). 1301 Zur Datierung siehe Bellesi, Sandro: Catalogo dei Pittori Fiorentini Del ›600 e ›700. Biografie e Opere, Volume 1, Florenz 2009, S. 114–116; hier: S. 115; für einen Werküberblick siehe Berti, Federico: Domenico Cresti, il Passignano, »fra la natione fiorentina e veneziana«, Florenz 2013;
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homosoziales Arkadien, nur dass er es am Ufer des Flusses Arno in Florenz verortet. In einem Artikel für das Auktionshaus Sotheby’s, welches das Gemälde 2017 versteigerte, spricht Patricia Rubin davon, dass es sich bei dieser Örtlichkeit zur Entstehungszeit des Werks um einen etablierten Treffpunkt für gleichgeschlechtlich orientierte Männer gehandelt habe.1302 Die ausschließlich männlichen Badegäste genießen in größeren und kleineren Gruppen das erfrischende Nass des Arnos, wobei insbesondere das im Vordergrund der linken Bildhälfte situierte Männerpaar durch seine körperliche Intimität eine mehr als flagrante Homoerotik vermittelt. Mit der nachfolgenden Analyse der Turkish Bath-Serie des 1883 im US-Bundesstaat Pennsylvania geborenen Charles Demuth (gest. 1935) soll das Badehaus-Motiv für das 20. Jahrhundert untersucht werden. Demuth, der das einzige Kind einer gut situierten Unternehmerfamilie war – der Vater führte eine der ältesten Tabakfabriken an der Ostküste der USA –, inszenierte sich selbst freimütig als homosexueller Dandy und ließ sich dabei auch nicht von seiner Gehbehinderung beirren, die ihn infolge einer frühkindlichen Erkrankung plagte.1303 Sein sorgfältig kultiviertes Image richtete Demuth u.a. an Vertreter_Innen des Ästhetizismus wie Aubrey Beardsley und Oscar Wilde aus.1304 Von besonderer Bedeutung für den Künstler scheint darüber hinaus die bereits erwähnte Romanfigur Jean Floressas des Esseintes aus Huysmans dekadentem Opus magnum À rebours (Gegen den Strich) gewesen zu sein: Für Demuth, der aufgrund seiner Erkrankung einen großen Teil der Kindheit ans Bett gefesselt war, muss die Erzählung über einen Dandy, der sich seine eigene Realität erschafft, eine besondere Anziehungskraft gehabt haben.1305
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zur Sonderstellung von Die Badenden im Œuvre siehe Martini, Alberto: Un singolare dipinto del Passignano. In: Paragone. Rivista di Arte Figurativa e Letteratura 109 (Januar 1959), S. 55–58; hier: S. 56f; zur ›homosexuellen‹ Rezeption des Bildes siehe Beurdeley 1994, S. 86. Vgl. Rubin, Patricia: The Bathers at San Niccolò [09.01.2017] in: Sotheby’s, https://www.sothebys.com/en/articles/the-bathers-at-san-niccolo (zuletzt 25.10.2020); Rubin weist darauf hin, dass das Gemälde in Verbindung mit dem verlorengegangenen Fresko Die Schlacht bei Càscina von Michelangelo stehen könnte. Das Werk stellte einen Überraschungsangriff der Pisaner auf Florenz dar, der die im Arno badenden florentinischen Soldaten unvorbereitet traf. Vgl. http://www.sothe bys.com/en/auctions/ecatalogue/2017/master-paintings-n09601/lot.36.html (zuletzt 25.10.2020). Siehe Haskell, Barbara: Charles Demuth. Hg. anlässlich einer Ausstellung im Whitney Museum of American Art New York 1987/1988, New York 1987, S. 12ff; Bruce Kellner, der Herausgeber von Demuths gesammelter Briefkorrespondenz, umschreibt den Künstler in äußerst blumiger Sprache wie folgt: »Indeed, descriptions of Charles Demuth by his contemporaries might serve as illustrations for these letters. He was not effeminate, as has been sometimes suggested, but merely odd in his manner and movements and eccentric in his dress – an off-horse in a one-horse town and a fashionably high-stepping strutter out of town. […] Demuth was a homosexual dandy, with a whinnying laugh and a high-pitched voice, black hair like patent leather that he slicked back after spitting on his hands, a reddish moustache, and a sweetly malicious wit.« (Kellner, Bruce: Introduction. In: Ders. (Hg.): Letters of Charles Demuth. American Artist, 1883–1935, Philadelphia 2000, S. xiii–xxiii; hier: S. xviif). In einem Brief vom 14. November 1926 an den Galeriebesitzer Alfred Stieglitz schwärmt Demuth über Beardsley und Wilde. Siehe Kellner 2000, S. 88. Laut Barbara Haskell verkörpert Demuth ähnlich wie des Esseintes ein paradoxes Dandytum, das zwischen äußerlichem Exzess und innerlichem Rückzug oszilliert: »He [Demuth] was the quint-
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Demuth, der oft nach Paris reiste und dort den ebenfalls homosexuellen Maler Marsden Hartley1306 kennenlernte, war stark geprägt von der französischen Avantgarde: dem Post-Impressionismus, dem Fauvismus sowie dem Kubismus.1307 Vor allem in seinen Ölgemälden wird sein Interesse für eine abstrahierte und kubistische Formensprache evident. Aus der Verbindung strenger Geometrie und der ästhetizistischen Prägung des Künstlers entstehen schließlich Bilder, die zu den Paradebeispielen des Präzisionismus gehören, einer US-amerikanischen Kunstrichtung, die Ansätze des französischen Kubismus mit denen des italienischen Futurismus vereint.1308 Zu Demuths bekanntesten Arbeiten gehören die sogenannten Posterportraits, bei denen es sich um abstrakte und collagenhafte Portraits berühmter Avantgardekünstler_Innen sowie bedeutender Personen handelt – in diesen Werken offenbart sich auch der rege künstlerische Austausch mit Hartley, der sich etwa mit seinem Portrait of a German Officer (Abb. 53) von 1914 ebenfalls um die Entwicklung einer abstrakten Portraitkunst bemühte. Ein bekanntes Beispiel der Posterportrait-Serie ist das enigmatisch betitelte The Figure 5 in Gold (1928), welches Demuth seinem engen Freund und Vertrauten, dem Lyriker William Carlos Williams, gewidmet hat.1309 Parallel zum gefeierten präzisionistischen Œuvre Demuths entstand allerdings auch ein eigenständiger und weitaus intimerer Werkzyklus von Aquarellarbeiten, in welchem er sich mit dem urbanen Nachtleben sowie der homosexuellen Subkultur beschäftigte. Ein Großteil dieser Arbeiten wurde aufgrund der bisweilen pornographischen Bildinhalte zu Lebzeiten des Künstlers nie öffentlich ausgestellt und war nur seinem engsten Umfeld bekannt.1310 Nach Weinbergs Speaking for Vice. Homosexuality in the Art of Charles Demuth, Marsden Hartley and the First American Avant-Garde (1993) lesen sich viele jener erotischen Aquarelle wie eine kartographische Dokumentation männlich-männlichen Be-
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essential dandy, fastidious in dress and detached in manner. The style perfectly suited his inherently introverted and evasive personality.« (Haskell 1987, S. 20); vgl. auch Farnham, Emily: Charles Demuth: His Life, Psychology and Works. Band 1 von 3 Bänden (Doktorarbeit), Columbus 1959, S. 74, S. 179 und S. 280, online abrufbar unter: https://etd.ohiolink.edu/apexprod/rws_olink/r/ 1501/10?clear=10&p10_accession_num=osu1486731881016784#abstract-files (zuletzt 25.10.2020). Siehe Kapitel III.1.4. Vgl. Fahlman, Betsy: Chimneys and Towers. Charles Demuth’s Late Paintings of Lancaster, in: Kat. Ausst. Chimneys and Towers. Charles Demuth’s Late Paintings of Lancaster, Amon Carter Museum Fort Worth (Texas) et al. 2007, Fort Worth 2007, S. 33–139; hier: S. 51; zur Freundschaft mit Hartley siehe Haskell 1987, S. 29 und S. 49; zum verbindenden Element der Homosexualität bei Demuth und Hartley siehe Weinberg 1993, S. 190. Vgl. Haskell 1987, S. 127; zur undifferenzierten Rezeption dieser beiden Kunstrichtungen in den USA schreibt Henry McBride: »America has a fine dashing way of naming things to suit itself and over here when we say ›Cubism‹ we mean everything and anything that is unacademic.« (Siehe McBride, Henry: The Growth of Cubism. In: The New York Sun, February 8, 1914, Sektion 5, S. 7; zit. in: Haskell 1987, S. 127). Vgl. Litz, A. Walton; MacGowan, Christopher (Hg.): The Collected Poems of William Carlos Williams. Volume I, 1909 – 1939, New York 1986, S. 183; das Portrait nimmt Bezug auf Williams’ Gedicht The Great Figure und stellt den Dichter mittels einer Synthese von Wort und Bild dar. THE GREAT FIGURE by William Carlos Williams: »Among the rain/and lights/I saw the figure 5/in gold/on a red/firetruck/moving/tense/unheeded/to gong clangs siren howls/and wheels rumbling/through the dark city.« (Zit. nach ebd., S. 174). Vgl. Weinberg 1993, S. 196; ›harmlosere‹ Aquarelle wurden auch öffentlich gezeigt. Vgl. ebd., S. 28.
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gehrens.1311 Zu diesen künstlerischen Auseinandersetzungen mit queeren Räumen und Orten gehört auch die Turkish Bath-Serie, in der Demuth das Badehaus als potentiellen Treffpunkt für homosexuelle Männer thematisiert.1312 Während der Großteil der Turkish Bath-Serie im Bereich angedeuteter bzw. symbolhafter Homosexualität verbleibt, kommt es in dem hier zu analysierenden Blatt von 1918, welches unter dem Titel Turkish Bath Scene with Self-Portrait (Abb. 4) bekannt ist, zu einer Explizierung der (homo-)sexuellen Bildinhalte: Gut zwei Drittel des Blattes werden links von einer Dreier-Gruppe männlicher, sich zugewandter Hamambesucher dominiert, wobei die mittige und demonstrativ aus dem Bild herausblickende Figur mit dem mondänen Schnurrbart das im Alternativtitel angegebene Selbstportrait Demuths darstellt.1313 Der Körper des Künstlers wird dabei zur Hälfte von der vor ihm stehenden Rückenfigur verdeckt, die in ein weißes Badetuch gehüllt ist. Die das Dreigespann komplementierende Figur am linken Bildrand ist ein rothaariger und unbekleideter Mann, dessen Genital deutlich sichtbar ist. Am rechten Bildrand öffnet sich der Blick auf ein Schwimmbecken, wobei hier die am Rand des Beckens befindlichen Männer hervorzuheben sind, die sich offenbar gerade der Fellatio hingeben.1314 Nach Barbara Haskell, die sich in ihrer Aussage auf Richard Weyand, den Lebensgefährten von Demuths Freund Robert Locher, bezieht, ist das Motiv von 1918 im Lafayette Badehaus in New York zu verorten, das für seine homosexuelle Klientel bekannt war und 1929 einer Polizeirazzia zum Opfer fiel.1315 Anhand dieser Arbeit kristallisieren sich im Hinblick auf eine queere Raumkonzeption zwei Aspekte heraus: Zum einen sind es die implizit und explizit sexuellen Interaktionen der Bildprotagonisten, die den hier gezeigten Raum zu einer situativ-ephemeren Manifestationen eines queer space machen. Zum anderen ist es aber auch der das Bild in Schemenhaftigkeit tauchende Dampf, der zum maßgeblichen Element in dieser ›flüchtigen Architektur‹ des Begehrens wird. Das durch Demuths geschickten Einsatz der Aquarellfarben betonte Verschwimmen der Körper- und Raumkonturen erzeugt ebenjene für das Dampfbad so typische Atmosphäre, in der sich Grenzen aufzulösen scheinen. Diese Grenzauflösung ist es, die den in Dunstschleier getauchten Räumen der Turkish BathSerie etwas dezidiert Unwirkliches und Queeres verleiht. Betrachtet man Demuths Darstellungen im historischen Kontext, so verstärkt sich der queere Raumcharakter der Serie: Der sich hinter einer nebulösen Wand offenbarende Raum, der gleichgeschlechtlich orientierten Männern sexuellen sowie zwischenmenschlichen Austausch ermöglicht, wird angesichts der Tatsache, dass eine offen ausgelebte Homosexualität in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit gravierenden gesellschaftlichen, wenn nicht juristischen Konsequenzen einherging, zum passenden Sinnbild für die Lebenswirklichkeit homosexuel-
1311 Weinberg schreibt: »The settings of Demuth’s homosexual watercolors – bathhouses, streets along the docks, bathrooms, and beaches – are a fairly extensive catalogue of the places gay men were able to meet.« (Ebd., S. 111). 1312 Auf die Arbeiten wurden bereits in Kapitel II.4.1 hingewiesen. 1313 Vgl. Weinberg 1993, S. 100f. 1314 Vgl. Haskell 1987, S. 60. 1315 Vgl. Ebd.
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ler Männer, die von einer bewussten Ver- und Enthüllung des eigenen Begehrens geprägt war. Dass Demuth selbst die Turkish Bath-Serie nie öffentlich zeigte, nährt die Vermutung, dass Badehäuser bereits zu Lebzeiten des Künstlers mit gleichgeschlechtlichem Verlangen in Verbindung gebracht wurden und so faktisch damals schon eine Signalfunktion im Kontext einer queeren Ikonographie besaßen.1316 Sowohl die Gesten und Blicke der Protagonisten dieser Motivserie als auch die nebulöse Räumlichkeit des Dampfbads produzieren in ihrem Zusammenspiel einen Ort lustvoller gleichgeschlechtlicher Erotik, den Betsky als Vorreiter für spätere queere Raumkonzeptionen, wie etwa schwule Sexclubs, ansieht.1317 Allerdings handelt es sich bei Demuths Badehäusern um angeeignete und nicht um genuin queere Räume, richteten sie sich doch ursprünglich vorrangig an Migrant_Innen aus der arbeitenden Klasse.1318 Dieser Umstand betont nochmals die prekäre gesellschaftliche Situation für Menschen jenseits eines gegengeschlechtlich interessierten Mann-Frau-Binarismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts: In einer Kultur, in der die Überwachung und Einhaltung einer ›korrekten‹ – sprich heteronormativen – Sexualität und Geschlechtsidentität ein zentrales Anliegen ist, kann ein öffentlicher queerer Raum bzw. Ort nur flüchtig und von temporärer Natur sein.1319 Die radikalste Form dieses flüchtigen queeren Raumes stellen die Cruising-Areale in Parks sowie an anderen im Freien bzw. an der Peripherie gelegenen, aber doch stadtnahen Orten dar. Charakteristisch für diese Art des queer space ist, dass es sich um abgeschiedene bzw. schwer einzusehende Orte im Freien handelt, die gänzlich unabhängig von einem
1316 Vgl. Weinberg 1993, S. 53. 1317 Betsky schreibt: »The precedents for such a monofunctional environment [sex clubs, NM] go back at least to the turn of the century, when queer men began using Turkish baths and other places of cleansing that catered to an immigrant, working-class community as places of assignation. […] Upper-or middleclass men began using them as an escape from their own lives, finding here a sensuality in communal gathering that had no place in the rational world of middle-class work or living. […] The baths shared a gated entrance, but the act of shedding your social mask and revealing yourself was much more ritualized in the locker rooms. Wearing little if anything, you would then enter into a circuit of space. […] There were gathering spaces of abstract design, mainly in the steam rooms, where large groups of men could engage in communal activity – namely sex.« (Betsky 1997, S. 162f); vgl. Chauncey 1994. S. 207–225; vgl. zudem einen Aufsatz des Architekturhistorikers Uwe Bresan, der am Beispiel des schwulen Architekten Jan Kapsenberg die Formulierung einer ›schwulen Bausprache‹ erörtert, die sich an den sexuellen Bedürfnissen schwuler Männer orientiert. Siehe Bresan, Uwe: Verschwiegene Biografien, verborgene Räume: Eine Annäherung an die Biografien schwuler Architekten und die Architektur schwulen Begehrens, in: Küppers, Carolin; Schneider, Martin (Hg.): Orte der Begegnung – Orte des Widerstands. Zur Geschichte homosexueller, trans*-geschlechtlicher und queerer Räume, Hamburg 2018, S. 117–134; hier: S. 126ff. 1318 Siehe Betsky 1997, S. 162. 1319 Zu Badehäusern als temporäre queere Orte siehe Potvin, John: The Aesthetics of Community: Queer Interiors and the Desire for Intimacy, in: Edwards, Jason; Hart, Imogen (Hg.): Rethinking the Interior, c. 1867–1896, Aestheticism and Arts and Crafts, Farnham und Burlington 2010, S. 169–185; hier: u.a. S. 171.
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architektonischen Kontext funktionieren.1320 Losgelöst von jeglichem baulichem Rahmen erhalten diese ›Freiluftlokalitäten‹ allein durch den Akt und für die Dauer des Cruising eine queere Bedeutung.1321 Derartige Plätze scheint es seit jeher und in jeder größeren Stadt gegeben zu haben. So berichtet Betsky mit Verweis auf den Stadtsoziologen Theo van der Meer von einem weitverzweigten Netzwerk von Cruising-Arealen in den urbanen Zentren der Niederlande, welches zu Beginn des 17. Jahrhunderts ins Visier eifriger Moralisten geriet – das Wort ›cruising‹ leitet sich im Übrigen vom niederländischen Begriff ›kruisen‹ (dt. überqueren, kreuzen) ab.1322 Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wuchs auch in anderen Großstädten wie London und Paris das öffentliche Bewusstsein über solche Orte und damit einhergehend die moralische Panik. Es sei hier etwa an die zuvor thematisierte Verfolgung der Mollies in London erinnert. Für das Paris der 1720er-Jahre verweist Ragan exemplarisch auf die so genannten »mouches«:1323 Dies waren zumeist ehemalige Häftlinge, die im Auftrag der Polizei in städtischen Parks unterwegs waren, um dort Männern nachzustellen, die nach gleichgeschlechtlichem Sex suchten.1324 Die polizeiliche Überwachung tat der ›Lebhaftigkeit‹ der Pariser Cruising-Szene jedoch keinen Abbruch und so etablierte sich u.a. der Jardin des Tuileries als einer der beliebtesten Treffpunkte.1325 1320 Die Badehäuser sind neben öffentlichen Toiletten wohl das bekannteste Beispiel für ›architekturabhängige‹ Cruising-Orte. 1321 Das in Crestis Die Badenden bei San Niccolò dargestellte Ufer des Arno, welches nach Rubin ein etablierter Treffpunkt für gleichgeschlechtlich orientierte Männer gewesen sein soll, wäre ein Beispiel für eine solche ›Freiluftlokalität‹. Vgl. Rubin 2017; Betsky schreibt zum Cruising: »[The space of cruising, NM] is a space that appears for a moment, then is gone, only to reappear when the circumstances are right. This queer space appears through an act of transformation that turn separation into its opposite, which is connection.« (Betsky 1997, S. 142). 1322 Siehe ebd., S. 59; vgl. Meer, Theo van der: Sodomy and the Pursuit of a Third Sex in the Early Modern Period. In: Herdt, Gilbert (Hg.): Third Sex, Third Gender: Beyond Sexual Dimorphism in Culture and History, New York 1994, S. 137–212; ab wann das Wort »cruising« im Sinne eines Umherstreifens an öffentlichen Orten zur sexuellen Kontaktaufnahme verwendet wird, ist unklar. Vgl. Shipley, Joseph T.: Dictionary of Word Origins. New York 1945, S. 102; vgl. auch Rodgers 1972, S. 56; auf jeden Fall hat der Begriff mittlerweile Einzug in den deutschen Sprachgebrauch gefunden. Anders als die deutsche Bezeichnung ›Klappe‹, die lediglich öffentliche Toiletten meint, umschreibt der Begriff des Cruising-Areals alle öffentlichen Orte, an denen Männer Sex mit Männern suchen. Vgl. Kapitel II.4.1 und Sternweiler, Andreas: Leben in der Unterdrückung. In: Kat. Ausst. Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung. Schwules Museum und Akademie der Künste in Berlin 1997, Berlin 1997b, S. 70–75; hier: S. 73. 1323 Ragan 1996, S. 13. 1324 Ragan erläutert zu den mouches: »Police reports filed by the mouches tell the same story time and time again. Cruising the quays and parks, they tried to meet the eyes of other men who were standing there alone. Once the visual connection had been established, the sexual ritual began. First, emboldened by the mouche’s interest, the other man took out his penis and stroked it or pretended to urinate. Sometimes he took off his pants, showing his backside and then his front. Then the two men engaged in some suggestive banter, which often made the sexual agenda explicit. Finally, the intended quarry either made physical contact, which led to immediate arrest, or agreed to go somewhere more private, which only postponed the inevitable.« (Ebd.). 1325 Der Historiker Jeffry Merrick bezeichnet diesen zum Baukomplex des Louvre gehörenden barocken Park sogar als »infamous cruising area«. (Merrick, Jeffry : The Marquis de Villette and Ma-
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Als explizites Thema in der Kunst tauchen Cruising-Orte im Freien erst im Laufe des 20. Jahrhunderts auf. Eine besonders interessante künstlerische Auseinandersetzung, die sich der Sichtbarmachung und Dokumentation des flüchtigsten der queeren Räume widmet, liefert die Fotoserie Cruising International des deutschen Künstlers und Galeristen Christian Siekmeier (*1971; Abb. 150). Diese Serie, die 2007 im Berliner Magazin Style & The Family Tunes veröffentlicht und zuletzt 2010 in Mexico City ausgestellt wurde, besteht aus acht Landschaftsaufnahmen, die jeweils einen kleinen Ausschnitt aus verschiedenen, zumeist zugewachsenen Wald- bzw. Parkstücken zeigen.1326 Trotz offensichtlicher Unterschiede in der Vegetation, können die Aufnahmen erst durch die Bildtitel in Form von Koordinaten näher bestimmt und lokalisiert werden: So ist z.B. die Fotografie 40° 42‹ N 74° 00‹ W im Brooklyn Bridge Park in New York zu verorten. Wie am Titel der Serie Cruising International ablesbar wird, geht es Siekmeier darum, die Transnationalität queerer Raumerfahrungen herauszustellen: Die in den Fotografien gezeigten Plätze, die sich gerade durch ihre visuelle Unbestimmtheit bzw. Unbestimmbarkeit auszeichnen und auf klar erkennbare Ortsmarker verzichten, konstituieren ein queeres Arkadien, das zwischen einem Irgendwo und Nirgendwo zu fluktuieren scheint.1327 Die internationale Verbreitung dieser queeren Orte indiziert dabei zweierlei: Zum einen funktionieren sie unabhängig von Sprache und Nationalität nur über Blicke und Gesten.1328 Zum anderen impliziert ihre länderübergreifende Existenz grundlegende Parallelen in der Diskursivierung oder genauer gesagt der Problematisierung gleichgeschlechtlicher Sexualität in verschiedenen Kulturkreisen, ist es doch die Marginalisierung queeren Begehrens, welche Cruising-Orte überhaupt erst notwendig macht. Diese Ausgrenzung spiegelt sich auch in direkter Weise in den in Cruising International abgelichteten Plätzen wider, befinden sich diese doch allesamt in ›wilder Natur‹ und damit abseits der wachsamen Augen der ›zivilisierten‹ Gesellschaft. Die kulturelle Signifikanz eines Cruising-Ortes ist stets in Relation zur vorherrschenden gesellschaftlichen Einstellung gegenüber Ausprägungen nicht-heteronormativer Sexualität sowie zur Lebenswirklichkeit der ›Klientel‹ zu sehen: Dürften solche Orte aus heutiger Sicht etwa für offen lebende Homosexuelle in liberalen Städten wie New York kaum mehr von Bedeutung sein – außer vielleicht als gelegentliches ›Abenteuer‹ –, nehmen sie für Menschen, die aufgrund ihres Wohnortes und/oder ihres familiären bzw. kulturellen Hintergrundes nicht dieselben Freiheiten genießen, eine völlig andere
demoiselle de Raucourt. Representations of Male and Female Sexual Deviance in Late Eighteenth-century France, in: Merrick, Jeffrey; Ragan, Bryant T. (Hg.): Homosexuality in Modern France. New York und Oxford 1996, S. 30–54; hier: S. 33). 1326 Zur Veröffentlichung der Arbeit siehe Siekmeier, Christian; Rosebrock, Imke: Cruising International. In: Style & The Family Tunes (Juli/August 2007), S. 78–85; zur Ausstellung in Mexico City siehe: https://muac.unam.mx/exposicion/superficies-del-deseo (zuletzt 01.12.2020). 1327 Imke Rosenbrock schreibt zu den Bildern: »Das schützende Gebüsch wird zu einem Spielplatz, auf dem der Jäger gleichzeitig Gejagter ist, auf dem zahlreiche Regeln und Rituale herrschen und zugleich kaum fassbar sind. Im Cruising Ground verschwinden die spezifischen Erkennungsmerkmale der Metropole, und das sonst ganz selbstverständliche, intuitive Erkennen, welche Funktion einem Ort im öffentlichen Raum zugewiesen ist, scheitert an den unsichtbaren Signalen des Begehrens.« (Siekmeier und Rosebrock 2007, S. 78). 1328 Also über das, was Betsky mit »choreography of gestures« beschreibt (Betsky 1997, S. 22).
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Bedeutung ein. Damit werden abseitige und diskrete Cruising-Orte, wie sie Siekmeier fotografiert hat, auch zu räumlichen Paradebeispielen für die von Ernst Bloch theoretisierte Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, prallen dort doch äußerst unterschiedliche Wahrnehmungen und Erfahrungen von Queerness bzw. Homosexualität aufeinander.1329 Mit einer allmählichen Verbesserung der rechtlichen Situation homosexueller Männer im Verlauf des 20. Jahrhunderts, die stark durch die sexuelle Revolution der 1960er-Jahre und insbesondere durch die Stonewall-Aufstände von 1969 befördert wurde, entstehen auch jenseits ›inoffizieller‹ Cruising-Parks, Klappen und Badehäuser zunehmend Orte und Räume, die sich ganz explizit an ein homosexuelles Publikum richten. Eine solche Weiterentwicklung und Konkretisierung des queer space stellen u.a. die Sexkinos dar, deren Etablierung als eine unmittelbare Reaktion auf gesetzliche Lockerungen wie etwa die Legalisierung von Pornographie sowie die schrittweise Entkriminalisierung der Homosexualität gesehen werden kann. Am Beispiel der BRD wären hier zwei Daten zu nennen: Machte eine erste Reform des Sexualstrafrechts im Jahr 1969 zunächst einvernehmlichen Sex zwischen Männern über 21 Jahren straffrei, ermöglichte eine weitere Überarbeitung im Jahr 1973, die jedoch erst 1975 in Kraft trat, auch die Produktion und Verbreitung von ›einfacher‹ bzw. ›weicher‹ Pornographie.1330 Erst diese juristischen Veränderungen gestatteten eine legale kommerzielle Verbreitung von homo- sowie heterosexueller Pornographie und ermöglichten das Aufkommen von Sexkinos in der BRD.1331 In den USA tauchten die Sexkinos nur unwesentlich früher auf, sind doch die ersten Werbungen für solche Etablissements auf das Jahr 1969 zu datieren.1332 1329 Bei Bloch heißt es: »Nicht alle sind im selben Jetzt da. Sie sind es nur äußerlich, dadurch, dass sie heute zu sehen sind. Damit aber leben sie noch nicht mit den anderen zugleich. Sie tragen vielmehr Früheres mit, das mischt sich ein. […] Verschiedene Jahre überhaupt schlagen in dem einen, das soeben gezählt wird und herrscht.« (Bloch, Ernst: Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt a.M. 1973, S. 104) Obwohl sich Bloch auf das Erstarken rückwärtsgewandter politischer Kräfte (Ungleichzeitigkeit) gegenüber einer fortschrittsorientierten Moderne (Gleich- bzw. Jetztzeitigkeit) im 19. und 20. Jahrhundert bezieht, kann sein theoretischer Ansatz auch auf das vorliegende Thema ausgeweitet werden. 1330 Die erlaubte ›einfache‹ Pornographie ist im Unterschied zu ›harter‹ Pornographie zu sehen, die alle verbotenen Formen der Pornographie meint, wie etwa Gewalt- und Tierpornographie (§184a StGB) sowie Kinder- (§184b StGB) und Jugendpornographie (§184c StGB). 1331 Zur Legalisierung und legalen kommerziellen Verbreitung der Pornographie in der BRD siehe Herchenbach, Simon: Repräsentationen von Männlichkeiten in schwuler Pornographie. Eine Forschungsfeldanalyse [21.12.2018], Masterarbeit an der Kultur, Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, S. 16, online abrufbar unter: https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/21083/Masterarbeit_Herchenbach_Simon.pdf?sequence=3&isAllowed=y (zuletzt 03.04.2019); vgl. zudem Schock, Axel: Die CazzoStory: Pornostars, made in Germany, Berlin 2000, S. 27; sowie Schmidt, Anja: Die strafrechtliche Bewertung von Pornographie vor dem Hintergrund der feministischen Bewegungen, der Porn Studies und der Medienforschung, in: Dies. (Hg.): Pornographie. Im Blickwinkel der feministischen Bewegungen, der Porn Studies, der Medienforschung und des Rechts, Baden-Baden 2016, S. 149–174; hier: S. 151. 1332 Vgl. McCool, Karl: Print Trade: Selling Gay Porn Theaters in New York City, 1969, in: Lopéz Menéndez, Clara; Nordeen, Bradford (Hg.): Dirty Looks. Volume 1, New York 2016, S. 56–58; hier: S. 56; zuvor waren sexuell explizitere Filme, wie etwa die Arbeiten von Kenneth Anger sowie Jack
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Ein Künstler, der sich in seinem Œuvre neben schwulen Badehäusern und Bars auch immer wieder mit dem Sexkino als Raum männlich-männlichen Begehrens auseinandergesetzt hat, ist der 1953 in Kalifornien geborene und offen homosexuelle Maler Patrick Angus (gest. 1992). Angus, der ein großer Verehrer David Hockneys war und sich von dessen unbeschwertem Umgang mit dem Thema der Homosexualität inspirieren ließ, ist eine der unverhohlensten künstlerischen Stimmen, wenn es um die Darstellung queeren Lebens geht – es war aber diese Direktheit, die ihm die ersehnte institutionelle Anerkennung Zeit seines Lebens verwehrte.1333 Mit ebenso dokumentarischem wie einfühlsamem Blick gelang es ihm, die spezifische Atmosphäre einzufangen, die ab den 1980erJahren in homosexuellen Lokalitäten herrschte: Beflügelt von den seit 1969 erkämpften politischen Errungenschaften zelebrieren Angus’ Arbeiten auf der einen Seite die neue sexuelle Freiheit. Auf der anderen Seite drückt sich in diesen Bildern aber immer auch eine gewisse Wehmut aus, sind die meisten von ihnen doch in der Hochphase der AIDSEpidemie entstanden. Das Gemälde Hanky Panky von 1990 (Abb. 151) fertigte Angus zu einer Zeit an, in welcher er bereits über seine eigene HIV-Ansteckung informiert war.1334 Da zahlreiche Badehäuser und Sexkinos im Zuge der Ausbreitung von AIDS schließen mussten – hier scheint sich die Geschichte der Badehäuser im 17. und 18. Jahrhundert zu wiederholen –, ist davon auszugehen, dass der Künstler das Bild aus dem Gedächtnis bzw. basierend auf Skizzen anfertigte und zusammenstellte.1335
Smith (Flaming Creatures von 1963), die Homosexualität im Unterschied zum Hollywoodfilm offen thematisierten, Teil der Underground Cinema-Bewegung. Vgl. Russo, Vito: The Celluloid Closet. Homosexuality in the Movies, 1987 (zuerst 1981), S. 150; siehe zudem Suárez 1996, S. 141ff (zu Anger) und S. 181f (zu Smith). 1333 Vgl. Gisbourne, Mark: Boys Together Clinging. In: Fuchs, Thomas; Gisbourne, Mark; Turnbaugh, Douglas Blair: Patrick Angus. Berlin 2016, S. 8–18; hier: S. 10f; zu Angus’ Verehrung von Hockney schreibt Sebastian Preuss: »Einer seiner Lehrer am Santa Barbara Art College gab ihm [Angus, NM] das schmale, textlose, 1971 in London erschienene Buch 72 Drawings by David Hockney. Es war eine Offenbarung für Angus. Zum ersten Mal erlebte er eine zeichnerische Sprache, die trotz ihrer traditionellen grafischen Mittel eine durch und durch zeitgenössische war, voller Pop, lässiger kalifornischer Lebensart und sexueller Freiheit. Das Wichtigste dabei war, wie ungezwungen und selbstbewusst Hockney, der bereits international erfolgreiche und etablierte Künstler, seinen homoerotischen Blick auf nackte junge Männer auf Sofas, im Bett oder in italienischen Hotelzimmern zu Papier brachte.« (Preuss, Sebastian: The Places I’ve Been, the People I’ve Seen. Patrick Angus, ein amerikanischer Realist, in: Kat. Ausst. Patrick Angus. Private Show, Kunstmuseum Stuttgart 2017/18, Berlin 2017, S. 10–20; hier: S. 12). 1334 Angus erhielt die Diagnose im Jahr 1989. Siehe hierzu Vieth, Anne: Freunde, Familie, Selbstbildnisse, in: Kat. Ausst. Patrick Angus. Private Show, Kunstmuseum Stuttgart 2017/2018, Berlin 2017, S. 32–34; hier: S. 32. 1335 Vgl. Preuss 2017, S. 10; zur akkuraten und auf zahlreichen Skizzen und Entwürfen aufbauenden Arbeitsweise des Künstlers siehe Turnbaugh, Douglas Blair: Patrick Angus: Lebensecht, in: Kat. Ausst. Patrick Angus. Private Show, Kunstmuseum Stuttgart 2017/18, Berlin 2017, S. 180–184; hier: S. 181.
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In dem zwei Jahre vor seinem Tod vollendeten Hanky Panky1336 gewährt Angus uns Einblick in ein abgedunkeltes Sexkino, welches lediglich durch das Licht des Filmprojektors sowie einen linkerhand durch eine offene Tür einfallenden Lichtstrahl erhellt wird. Gebannt blicken die Kinogäste gen Leinwand, auf welcher gerade eine Szene zu sehen ist, in der sich zwei nackte athletische Männer am Beckenrand eines Pools näherkommen. Der filmische Berührungsmoment findet dabei in den zwei sitzenden Besuchern am rechten unteren Bildrand, deren Hände kurz davor sind, sich zu berühren, ein visuelles Echo. Nur ein älterer Herr am linken Bildrand scheint nicht auf den laufenden Film zu achten, sondern auf den neben ihm stehenden jungen Mann, der lediglich mit einer schwarzen Unterhose, einem bauchfreien Tanktop sowie weißen Turnschuhen bekleidet ist. Die von Angus für das Bild gewählte Frontalansicht auf den Kinoraum, die einen unverstellten Blick auf die gesamte Szenerie ermöglicht, parallelisiert auf geschickte Weise die Perspektive des Kinopublikums mit derjenigen des Kunstpublikums: Die in den erotischen Filmgenuss versunkenen Kinobesucher – es ist anzunehmen, dass es sich bei allen Dargestellten um Männer handelt –, die sich gerade an der Objektifizierung junger Männer ergötzen, werden aus dem Blickwinkel der Bildbetrachter_Innen selbst zu (Bild-)Objekten. Bringt man nun diese Staffelung unterschiedlicher Betrachtungsstandpunkte in einen Konnex mit der Entstehungssituation des Gemäldes, so liest es sich Hanky Panky wie eine palimpsestartige Retrospektive der schwulen Geschichte der vergangenen Jahrzehnte: Während die gezeigte Filmszene an Hockneys hell leuchtende homoerotische Pool-Motive erinnert (vgl. Abb. 63) und damit eine Zeit ›vor‹ AIDS beschwört – die Pool-Bilder entstanden primär in den 1960er- und 1970er-Jahren –, kann der nur spärlich beleuchtete Kinosaal als eine Art Transitraum gelesen werden, der eine Brücke von jener ›arkadischen‹ Vergangenheit zur Entstehungszeit des Werks (1990) und damit zur harten Realität der AIDS-Epidemie schlägt.1337 Betrachtet man Hanky Panky im Hinblick auf die für dieses Kapitel entscheidenden raumtheoretischen Überlegungen, so lässt sich festhalten, dass das darin abgebildete Sexkino1338 trotz seines konkret-materiellen Raums in erster Linie durch die Bildprotagonisten und den eindeutig homosexuellen Film als queer space erkennbar wird. Angus’ Raumdarstellung changiert ebenso zwischen situativ-ephemerer und konkret-materieller queerer Räumlichkeit wie die dampferfüllten Räume in Demuths Turkish Bath-Bildern. Im direkten Vergleich mit Demuth ergibt sich darüber hinaus noch eine weitere Parallele, erzeugt doch die schummrige Lichtstimmung in Hanky Panky, die die Kinobesucher
1336 Der Titel Hanky Panky ist sowohl als Anspielung auf den gleichnamigen und ebenfalls im Jahr 1990 veröffentlichten Song der Popkünstlerin Madonna zu verstehen – Angus’ betitelte seine Arbeiten häufig nach Popsongs, so sind etwa Gemälde wie Slave to the Rhythm (1986) und I’m Only Human (1986) nach Liedern von Grace Jones respektive The Human League benannt – als auch als humoristische Vorwegnahme der im Bild angedeuteten Vorgänge (der aus der englischen Umgangssprache stammende Ausdruck »hanky panky« kann mit ›Liebesaffäre‹ oder ›Gefummel‹ übersetzt werden). Vgl. Gisbourne 2016, S. 12. 1337 Zur Hockney-Referenz in Hanky Panky siehe Preuss 2017, S. 15. 1338 Laut Mark Gisbourne handelt es sich bei dem dargestellten Ort um das Gaiety Male Burlesque Theatre (1975–2005), einem schwulen Sexkino und Striplokal in New York. Siehe Gisbourne 2016, S. 8.
III. Hauptteil
nur als schemenhafte Umrisse erkennbar macht, eine ähnlich unwirkliche und entrückte Atmosphäre wie der Wasserdampf in der Turkish Bath-Serie. Alle hier betrachteten Beispiele queerer Räume zeichnen sich entweder durch das gänzliche Fehlen konkreter bzw. baulicher Raumstrukturen aus, wie z.B. die außen gelegenen Cruising-Orte, oder durch eine Verunklärung bzw. durch ein Zurücktreten des architektonischen Kontextes, wie am Beispiel der Badehäuser oder des Sexkinos zu sehen war und anhand derer die bisweilen fehlende Differenzierung zwischen situativ-ephemerer und konkret-materieller Räumlichkeit demonstriert werden konnte. Dieselbe Ambivalenz manifestiert sich auch in den beiden Arbeiten The London Apprentice I und II (Abb. 152) des deutschen Fotografen Wolfgang Tillmans (*1968) aus dem Jahr 1996.1339 Die zusammengehörigen Fotografien, die aus einer erhöhten und jeweils leicht versetzten Perspektive1340 aufgenommen wurden, zeigen beide Male denselben diesigen und schwach beleuchteten Raum, aus dessen Dunkelheit sich eine Gruppe größtenteils oberkörperfreier Männer, die ebenso ekstatisch wie euphorisch miteinander tanzt, herausschält. Der die Tanzfläche erfüllende Dunstschleier ist derart dicht, dass die im Hintergrund befindlichen Personen sowie der eigentliche Raum kaum noch zu erkennen sind. Die körnige Beschaffenheit der Aufnahmen unterstreicht die dunstige Atmosphäre der Szenerie und evoziert Assoziationen zu den Arbeiten von Demuth (Abb. 4) sowie Angus (Abb. 151). Vor allem Demuths Turkish Bath-Serie hallt in dem sich fast gänzlich auflösenden und nur noch zu erahnenden Raum wider, den Tillmans in seinen Fotografien eingefangen hat. Wie schon bei Demuth und Angus konstituiert sich der queer space auch in diesem Fall hauptsächlich durch die Bildprotagonisten. Ein Phänomen, über welches Halberstam schreibt: »[T]he presence of queer bodies literally queers the space that they occupy and, at the same time, the space marks the bodies as, literally, out of place or out of order; in those images, we look at the dynamic between space and bodies where space is as alive and dynamic as flesh, and one only signifies in relation to the other.«1341 Die Bilder entstanden laut Titel im London Apprentice, einem berühmt-berüchtigten schwulen Nachtclub im Londoner Bezirk Shoreditch, der 2012 schließen musste.1342
1339 Die Arbeiten waren u.a. Teil der Ausstellung If one thing matters, everything matters (2003) in London. Siehe Kat. Ausst. Wolfgang Tillmans: If one thing matters, everything matters, Tate Britain in London 2003, Ostfildern 2003, S. 120; zum Œuvre Tillmans siehe Dercon, Chris; Sainsbury, Helen (Hg.): Wolfgang Tillmans 2017. London 2017. 1340 Mit der hier zum Einsatz kommenden Perspektive der Ober- bzw. Aufsicht beschäftigte sich Tillmans in einem eigenen Bildband: Tillmans, Wolfgang: Aufsicht. Hamburg 2001. 1341 Halberstam 2008, S. 289f. 1342 Zur Schließung des London Apprentice siehe Harrold, Alice: Gay East London: Changing times for Hackney LGBT bars [31.03.2015] in: East London Lines, https://www.eastlondonlines.co.uk/2015/0 3/changing-times-for-the-gay-scene-in-shoreditch-and-dalston/(zuletzt 06.12.2020); zu Tillmans Fotos von queeren Nachtclubs siehe Holert, Tom: Sensate Life in the Public Sphere: The Polypolitical World of Wolfgang Tillmans, in: Dercon, Chris; Sainsbury, Helen (Hg.): Wolfgang Tillmans 2017. London 2017, S. 92–118; hier: S. 100f und S. 104.
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Der ›anrüchige‹ Ruf des Clubs begründete sich vorrangig auf den dort stattfindenden rauschhaften Partys sowie der freizügig ausgelebten Sexualität der Gäste. Dieser Hedonismus drückt sich auch in Tillmans Bildern aus, beschwören doch die dicht gedrängten und von Schweiß benetzten Männerkörper, die im Nebeldunst miteinander zu verschmelzen scheinen, eine dezidiert dionysische Bildwelt.1343 Die zum Bildsujet erhobene Euphorie des Nachtlebens, ein Motiv, welches Tillmans im Laufe seiner Karriere immer wieder aufgreift,1344 ist auch aus zeitgeschichtlicher Sicht von Interesse: Ungezwungene Darstellungen feiernder schwuler Männer dürften in den 1990er-Jahren ein ersehntes und notwendiges Gegengewicht zum kollektiven Trauma der AIDS-Epidemie gewesen sein – bezeichnenderweise wurden 1996, also im selben Jahr, als die hier betrachteten Bilder entstanden, die ersten großen Fortschritte in der Bekämpfung des HI-Virus vermeldet.1345 Trotz ihrer auf den ersten Blick düsteren Lichtstimmung schimmert in den Nachtclub-Fotografien Tillmans also immer auch etwas Hoffnungsvolles, wenn nicht Utopisches durch.1346 The London Apprentice I und II weisen eine solche utopische Qualität auf, die in Form einer ineinanderfließenden Landschaft von Körpern, in der das Individuum zurücktritt und zum Bestandteil eines queeren (Lust-)Kollektivs zu werden scheint, ihre passende Visualisierung findet. Hierin offenbart sich erneut die besondere (Schutz-)Funktion queerer Räume, denn nur in ihnen verkehren sich die sonst vorherrschenden heteronormativen Dominanzverhältnisse und ermöglichen zumindest kurzzeitig die Manifestation eines queeren Mehrheitsgefühls. Wie gezeigt werden konnte, besteht zwischen Geschlecht, Sexualität und situativephemerer sowie konkret-materieller Räumlichkeit ein äußerst komplexes Beziehungsgeflecht. Während am Beispiel von Dürer und Cresti die Geschichte homosozialer Räume und ihres homoerotischen Potenzials herausgearbeitet wurde, konnte anhand
1343 Eine Inszenierung, die sie überdeutlich als »queer bodies« markiert (Halberstam 2008, S. 289). 1344 Vgl. Tillmans, Wolfgang; Jocks, Heinz-Robert: Wolfgang Tillmans. Von der Zerbrechlichkeit der Nacktheit und der unerschrockenen Suche nach Glück, Ein Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks, in: Kunstforum: Der Homoerotische Blick, Band 154 (April und Mai 2001), S. 314–328; hier: S. 322; vgl. auch Tillmans Bildserie We haven’t stopped dancing yet (2019), die Nachtclub-Photographien aus den Jahren 1992 bis 2018 enthält. Siehe Kat. Ausst.: No Photos On The Dance Floor! Berlin 1989–Today, hg. von Heiko Hoffmann und Felix Hoffmann, C/O Berlin Foundation 2019, München, London und New York 2019, S. 76–85 (Fotos) und S. 271 (Text). 1345 Vgl. Viren im Kreuzfeuer. In: Der Spiegel 7 (1996), online abrufbar unter: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8886359.html (zuletzt 06.12.2020); siehe auch Schneider, Thilo: Queer Nightlife. In: Kat. Ausst.: No Photos On The Dance Floor! Berlin 1989–Today, hg. von Heiko Hoffmann und Felix Hoffmann, C/O Berlin Foundation 2019, München, London und New York 2019, S. 108–109; hier: S. 108; die AIDS-Thematik nimmt im Œuvre Tillmans eine wichtige Rolle ein, wie er selbst betont: »The threat of AIDS has been with me for all my active sexual life, and so all the celebration and the joy and the lightness in my work has always taken place with that reality on board.« (Tillmans, Wolfgang; Halley, Peter: Interview. Peter Halley in conversation with Wolfgang Tillmans, in: Verwoert, Jan; Halley, Peter; Matsui, Midori; Burton, Johanna (Hg.): Wolfgang Tillmans. New York 2014 (zuerst 2002), S. 7–35; hier: S. 22). 1346 Tom Holert schreibt: »In their chiaroscuro language of blur, mist and haze and their microclimate of sweat, pills and desire these photos gestured at the utopian quality of the depicted situations.« (Holert 2017, S. 102).
III. Hauptteil
der Werke von Demuth, Siekmeier, Angus und Tillmans eine zunehmende Explizierung in der Darstellung queerer Orte festgestellt werden, die ihrerseits mit einer wachsenden Sichtbarkeit und Emanzipation queerer Menschen im 20. Jahrhundert einhergeht. Das Fundament aller hier betrachteten queeren Räume bildete die homosexuelle Interaktion und Gemeinschaft, auch wenn diese nicht direkt im Bild zu sehen ist, wie etwa bei Siekmeier. Diese situativ-ephemere Räumlichkeit transzendiert einen konkreten architektonischen Rahmen und erweist sich gerade angesichts der Tatsache, dass nichtnormative Sexualität und Geschlechtlichkeit in der westlich-europäischen Geschichte über Jahrhunderte kriminalisiert und dadurch in die Unsichtbarkeit gedrängt wurde, als historische Konstante mit ikonographischer Signalfunktion. Die Konzeption eines situativ-ephemeren queer space ist aber auch im aktuellen Diskurs von Bedeutung: So ist doch der heute so essenzielle digitale Raum, der in der gegenwärtigen queeren Kultur eine zentrale Rolle spielt, ebenfalls als situativ-ephemer zu bezeichnen. Wie schon seine ›Vorgänger‹, die Badehäuser, Sexkinos, Cruising-Areale usw., übernimmt auch der digitale Raum die Aufgabe der Vernetzung, welche grundlegend für jede Form der (Sub-)Kultur ist und der durch das vergleichsweise neue Medium des Internets (fast) keine Grenzen mehr gesetzt sind. Insbesondere queere bzw. schwule Dating-Apps wie Grindr und Scruff konnten sich in den letzten Jahren als neue ›Zentralorgane‹ etablieren – die beiden Apps nutzen GPS-Daten und zeigen die nächstgelegenen Nutzer_Innen in Form eines Gitterrasters an, wobei über eine Suchfunktion auch im Rest der Welt gesucht werden kann. Die anlässlich von Siekmeiers Fotografien angemerkte Transnationalität queerer Orte erlebt durch das globale Medium des Internets eine ungeahnte Potenzierung. Obgleich die Digitalisierung und zu einem gewissen Grad auch die Globalisierung des queer space einen noch nie dagewesenen internationalen Austausch ermöglicht,1347 beklagen kritische Stimmen, dass die Ausweitung des digitalen Raumes zum Verschwinden einer ›realen‹ Sex- und Schwulenkultur führe, wie etwa dem Verschwinden von einschlägigen Bars etc.1348 In jedem Fall lässt sich festhalten, dass
1347 Auch in Ländern, in denen derartige Apps und Internetseiten blockiert werden, wie derzeit etwa in Saudi-Arabien und Ägypten, finden sich zumeist Wege, das Internet dennoch zur Kontaktaufnahme zu nutzen. 1348 In seinem pointierten Artikel verweist Colin Keays auf die Komplexität dieser Entwicklung und sieht sie nicht als bloße Konsequenz der Digitalisierung, sondern stellt sie in einen Zusammenhang mit der übergreifenden Thematik der Gentrifizierung. Siehe Keays, Colin: After the Gay Bar, The Uncertain Future of Queer Space [31.07.2020] in: Failed Architeture, https://failedarchitecture.com/after-the-gay-bar-the-uncertain-future-of-queer-space/(zuletzt 09.12.2020); Peter Rehberg widersetzt sich dieser Betrachtungsweise und betont vielmehr die Permanenz zwischen dem Alten und dem Neuen, ohne jedoch die kritischen Elemente des digitalen Raums zu unterschlagen: »Wenn wir Online-Begegnungen also nicht zwangsläufig im Gegensatz zu älteren Formen des Cruisings und zu öffentlichen Sexkulturen vor dem Internet verstehen, sondern die Kontinuität zwischen beiden herausstellen, können sie auch an die Versprechen, die früher mit diesen Orten verknüpft waren – also eine öffentliche schwule Sexkultur als psychisches und soziales Experiment, aus dem neue Formen des Selbst und der Gemeinschaft hervorgehen können, wie sie u.a. von Hocquenghem, Foucault und Bersani beschrieben worden sind – zurückgebunden werden.« (Rehberg, Peter: Virtuelle Intimität. Sexuelle Begegnungen in Chaträumen und auf Dating-Apps, in: Küppers, Carolin; Schneider, Martin (Hg.): Orte der Begegnung – Orte des Widerstands. Zur Geschichte homosexueller, trans*-geschlechtlicher und queerer Räume, Hamburg 2018, S. 134–153;
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das Internet zu fundamentalen Veränderungen der über Jahrhunderte etablierten queeren Sex- und Subkultur geführt hat und damit zur Entstehung einer Art Cruising 2.0. Zusammen mit dieser upgedateten Version des Cruising entwickelt sich auch eine ganz neue Bildsprache, die von zeitgenössischen Künstler_Innen wie etwa Sam Wingate aufgegriffen wird: Die Arbeit Grindr Quilt von 2017 (Abb. 153) entstand aus dem Projekt Grindr Drawings, in welchem der Künstler entfremdete Skizzen von Profilbildern anfertigte, die er auf der App vorfand. Diese verfremdeten Darstellungen ließ er für Grindr Quilt auf der Vorderseite eines Stoffquilts aufdrucken und ahmte in der Anordnung der Bilder das für die Grindr-App charakteristische Gitterraster nach.1349 In seinem Werk bringt Wingate verschiedene Themen und Sphären zusammen: Zum einen deutet er mit der Verbindung einer queeren Dating-App und einem Quilt, der ursprünglich ein Objekt war, das von Generation zu Generation weitergereicht wurde, eine Historisierung queeren bzw. gleichgeschlechtlichen Begehrens an. Die titelgebende Grindr-App wird hier also in eine ›Erbfolge‹ zu früheren Formen des schwulen Kennenlernens – u.a. Cruising – gesetzt.1350 Zum anderen ist der Quilt aber auch mit der häuslichen Sphäre verknüpft, wodurch das Werk neben einer zeitlichen um eine räumliche Ebene erweitert wird: Die App als digitaler Raum, der jederzeit und von jedem Ort zugänglich ist, lässt die Grenzen zwischen dem eigenen Zuhause, welches durch den Quilt repräsentiert wird, und dem digitalen ›Cruising-Areal‹, das durch die abstrahierten Profilbilder symbolisiert wird, verschwimmen.1351 Die hier nur kurz angerissene Thematik des digitalen Raums, der eine Fortführung und Erweiterung bisheriger Ausformungen des situativ-ephemeren queer space darstellt, wird in den nächsten Jahren noch mehr an Relevanz gewinnen. Die fortschreitende Digitalisierung bringt sowohl positive als auch negative Veränderungen mit sich, deren Auswirkungen aber noch nicht gänzlich abzusehen sind. Zweifellos eröffnet der digitale Raum völlig neue gesellschaftliche und künstlerische Möglichkeiten der Kultur- und Raumproduktion, welche die Kartographie queeren Begehrens um einen spannenden Aspekt erweitert. Wie die Badehäuser, Cruising-Areale und Sexkinos, gehört auch der digitale queer space zu den »Räume[n] des Widerstands gegen die Unterwerfung (des einer Sexualordnung unterliegenden und von ihr inferiorisierten Subjekts)«, wie es Eribon in Anlehnung an Foucault formuliert hat.1352 Mit Foucault lassen sich alle hier untersuchten Raumbeispiele als Heterotopien verstehen, also als in sich geschlossene Raumkonstrukte, die ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen und in die man »nur mit einer gewissen Erlaubnis und mit der Vollziehung gewisser Gesten eintreten« kann.1353 Dabei repräsen-
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hier: S. 138); siehe zudem Roach, Tom: Becoming Fungible: Queer Intimacies in Social Media. In: Qui Parle: Critical Humanities and Social Sciences Vol. 23, Nr. 2 (2015), S. 55–87; hier: S. 55f. Siehe hierzu die Webseite des Künstlers: http://www.sam-wingate.com/index.html (zuletzt 09.12.2020). Vgl. hierzu Ahmad, Olivia: Samuel Wingate’s Grindr Projekt [06.07.2018] in: Varomm 37, online abrufbar unter: https://theaoi.com/2018/07/06/varoom-37-samuel-wingates-grindr-project/(zuletzt 09.12.2020). Vgl. ebd. Eribon 2019, S. 362. Foucault 1992, S. 44.
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tieren diese Heterotopien zudem verschiedene ›Evolutionsstadien‹ des queer space: Während die ›inoffiziellen‹ schwulen Badehäuser und Cruising-Areale das Produkt einer Zeit sind, in der männlich-männliches Begehren sich nur im Geheimen zeigen konnte, indizieren die Sexkinos der 1970er-Jahre eine tentative Sichtbarwerdung queerer Sexualität in der Gesellschaft. Diese verschiedenen Formen des queer space lösen sich jedoch nicht zwangsläufig gegenseitig ab – Badehäuser, Klappen etc. spielen nach wie vor eine Rolle –, vielmehr steht ihre Bedeutung und Funktion in direkter Abhängigkeit zum jeweils vorherrschenden gesellschaftlichen Sexualitätsdiskurs sowie der ihn hervorbringenden Kultur.1354
III.3.5 Queere Räume (II): Konkrete Architektur als Ausdruck queerer Identität(en) Lag der Fokus im vorherigen Kapitel auf der Wechselbeziehung zwischen gleichgeschlechtlichem Begehren und situativ-ephemerer Räumlichkeit, richtet er sich im Folgenden auf konkret-materielle Räume. Es soll untersucht werden, inwiefern Aspekte der Innen- bzw. Außenarchitektur über eine ikonographische Signalfunktion innerhalb eines queeren Kontexts verfügen. Nun mag die Verbindung von konkreter Architektur mit dem Konzept der Queerness, das sich doch primär durch seine Fluidität und Kontrarietät zur etablierten Gesellschaft auszeichnet, zunächst verwundern. So schreibt Reed in Imminent Domain. Queer Space in the Built Environment (1996): »[Q]ueer space may be a contradiction in terms. Some would argue that queerness, as an ineffable ideal of oppositional culture, is so fluid and contingent that the idea of a concrete queer space is an oxymoron.«1355 Queerness, so die im hier zitierten Aufsatz dargelegte Annahme von Kritiker_Innen eines queeren Raumverständnisses, könne sich nur auf körperlicher, nicht aber auf räumlicher Ebene äußern.1356 Reed hält dem entgegen, dass jeder Raum je nach Nutzung und Gestaltung über ein queeres Potential verfüge: »The term I propose for queer space is imminent: rooted in the Latin imminere, to loom over or threaten, it means ready to take place.«1357 Im Konzept eines imminenten queeren Raumes drückt sich jene Verknüpfung von Räumlichkeit und Zeitlichkeit aus, wie sie anhand der situativen Raumbeispiele erörtert wurde. Im Folgenden soll untersucht werden, ob es jenseits eines imminenten auch einen ›immanenten queer space‹ gibt. Zur Erforschung dieser Thematik gilt das Interesse zunächst den Bauprojekten dreier historischer Personen, die gemäß zahlreicher Historiker_Innen im weitesten Sinne als ›queer‹ verstanden werden: Horace Walpole, William Beckford und dem bayerischen König Ludwig II.1358 1354 Foucaults zweiter Grundsatz in der Beschreibung der Heterotopien geht auf ebendiese Thematik des Fortbestands und des Wandels solcher »Orte außerhalb aller Orte« ein. Siehe ebd., S. 39 und S. 41f. 1355 Reed, Christoper: Imminent Domain. Queer Space in the Built Environment, in: Art Journal. Vol. 55, Nr.4: We’re Here: Gay and Lesbian Presence in Art and Art History (Winter 1996), S. 64–70; hier: S. 64; online abrufbar unter https://www.jstor.org/stable/777657 (zuletzt 20.12.2020). 1356 Vgl. ebd. 1357 Ebd. 1358 Neben Horace Walpoles opulentem Landsitz Strawberry Hill (Abb. 154.1) sowie dem nicht minder extravaganten Herrenhaus Fonthill Abbey (Abb. 156.1) des bereits erwähnten William Beckford fo-
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Am Anfang steht der Schriftsteller, Politiker, Mediävist, Künstler und Kunstsammler Horace Walpole (1717–1797), der zwischen 1749 und 1776 ein kleines Landhaus in der Nähe von Twickenham (London) zum Strawberry Hill-Anwesen (Abb. 154.1) ausbauen ließ, das als eines der frühesten und zugleich eindrücklichsten Beispiele für die Stilrichtung des Gothic Revival gilt.1359 Walpole, der das vierte Kind von Sir Robert Walpole (1676–1745) war, dem ersten Premierminister Großbritanniens, ist der Nachwelt neben Strawberry Hill vor allem durch seine Erzählung The Castle of Otranto von 1764 bekannt.1360 Der Roman zählt zu den ersten Werken der Gothic Fiction, ein literarisches Genre, das u.a. in Beckfords Vathek (1786) sowie den Schauerromanen der deutschen Romantik, wie etwa E. T. A. Hoffmans Der Sandmann (1816), eine Fortführung finden sollte.1361 Die Handlung von The Castle of Otranto weist dabei zahlreiche Elemente auf, die charakteristisch für dieses Genre sind: Im Zentrum der Geschichte steht Lord Manfred, der Herr des titelgebenden Schlosses, der nach dem mysteriösen Tod seines als kränklich und verweiblicht charakterisierten Sohnes dem Wahnsinn anheimfällt. Vom Erhalt der eigenen Blutlinie besessen, will er die Verlobte seines verstorbenen Sohnes gegen ihren Willen heiraten und schwängern. Dieser schlussendlich erfolglose Plan offenbart sich gegen Ende der Geschichte als verzweifelter Versuch ein altes Familiengeheimnis zu bewahren: Wie Manfred im finalen Akt gesteht, gelangte seine Familie nur deshalb in den Besitz des Schlosses, weil sein Großvater Don Ricardo den eigentlichen Herrscher ermordete und dessen Testament fälschte.1362 Neben der ebenso geheimnisvollen wie düsteren Atmosphäre, die Walpole in The Castle of Otranto beschwört, sind es insbesondere die übernatürlichen Aspekte der Geschichte – Conrad, Lord Manfreds Sohn, wird z.B. auf unerklärliche Weise von einem gigantischen Helm erschlagen – sowie die Thematisierung menschlicher Abgründe, welche sich als wegweisend für das Genre der Gothic Fiction erweisen sollten.1363 Auf
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kussiert sich dieses Kapitel auch auf das Schloss Neuschwanstein (Abb. 158.1) und das Königshaus am Schachen (Abb. 159.1) von König Ludwig II. Anhand dieser Beispiele soll geklärt werden, ob es eine Korrelation zwischen der Architektursprache und dem queeren Begehren bzw. der ›queeren Identität‹ der Bauherren gibt. Den Abschluss bildet eine Betrachtung von Kleanthis Kyriakous House of Extravaganza aus dem Jahr 2020 (Abb. 160) sowie Derek Jarmans letztem Wohnsitz, das Prospect Cottage in Dungeness (Abb. 161). Während am ersten Beispiel die historische Relevanz eines konkret-materiellen queer space herausgearbeitet werden soll, dient letzteres dazu, die vielseitigen Ausdrucksformen queerer Raumgestaltung zu würdigen. Siehe Kohle, Hubertus: Albtraum – Angst – Apokalypse. Das Unheimliche und Katastrophale in der Kunst der Moderne, in: Kat. Ausst. Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst, hg. von Felix Krämer, Städel Museum, Frankfurt a.M. 2012/13, Ostfildern 2012, S. 42–50; hier: S. 44. Zu den biographischen Eckdaten siehe Haggerty, George E.: Walpole, Horace, in: Summers, Claude J.: The Gay and Lesbian Literary Heritage. A Reader’s Companion to the Writers and Their Works, From Antiquity To The Present, London 1997b, S. 723–724. Vgl. ebd., S. 724. Walpole, Horace: The Castle of Otranto. A Gothic Story, The Second Edition, London 1765, S. 103 und S. 196; online abrufbar unter: https://go-1gale-1com-10089622a09f1.emedia1.bsb-m uenchen.de/ps/i.do?ty=as&v=2.1&u=bayern&it=search&p=ECCO&dblist=ECCO&qt=BIB_ID%7E1 735300400&lm=&sw=w (zuletzt 21.01.2021). Vgl. hierzu Haggerty, George E: Literature and Homosexuality in the late Eighteenth Century: Walpole, Beckford, and Lewis, in: Studies in the Novel. Vol. 18, Nr. 4 (Winter 1986), S. 341–352; hier: S. 344f.
III. Hauptteil
literarischer Ebene ist darüber hinaus auf die von Walpole raffiniert in den Text eingewobene Parallelisierung zwischen dem erratisch agierenden ›falschen‹ Schlossherren und der bedrohlichen Präsenz des Schlosses hinzuweisen: Wenn Walpole zu Beginn seiner Erzählung das Innere des Schlosses u.a. als »long labyrinth of darkness« beschreibt, dann spiegelt sich darin das nicht minder wirre und dunkle Innenleben Lord Manfreds wider.1364 Diese Verquickung des Charakters mit dem Schloss kann zudem als erster Hinweis auf das Architekturverständnis Walpoles gelesen werden. Hinter Walpoles Interesse an derart düsteren Themen vermuten Literaturwissenschaftler_Innen wie Eve Sedgwick und George E. Haggerty auch biographische Gründe. So argumentiert Sedgwick, dass sich in den oftmals paranoiden Handlungsverläufen der Gothic Fiction nicht nur das dialektische Verhältnis von Homosexualität und Homophobie äußert würde, sondern auch das unterdrückte Verlangen der Autoren.1365 Haggerty ergänzt hierzu sowohl im Hinblick auf Walpole als auch auf weitere (männliche) Vertreter des Genres: »The novels of Walpole, [William] Beckford, and [Matthew G.] Lewis, […] can be seen as an attempt to come to terms with the kinds of inner conflict that the emerging crisis of homosexuality made inevitable.«1366 Auch wenn The Castle of Otranto männlichmännliches Begehren nicht explizit behandelt, so lassen sich die Themen sexueller Hysterie – Manfreds zwanghafter Versuch, seine Schwiegertochter zu schwängern – und die Last unausgesprochener Geheimnisse – das Vergehen des Großvaters – doch als kodierte Anspielungen auf die damalige gesellschaftliche Realität gleichgeschlechtlich Begehrender verstehen.1367 Die Annahme, dass Walpole sich zu Männern hingezogen fühlte, beruht allerdings nicht nur auf der Auswertung seines literarischen Werks, sondern auch auf der Tatsache, dass er unverheiratet blieb und sein ganzes Leben lang äußerst enge Beziehungen zu Männern unterhielt, die der Nachwelt durch eine umfangreiche Korrespondenz dokumentiert geblieben sind.1368 Zu diesen intimen Männerbekanntschaften gehörte u.a. der Dichter Thomas Gray (1716–1771) sowie der von Zeitgenoss_Innen als besonders gutaussehend beschriebene 9. Earl of Lincoln, Henry Flennes Pelham-Clinton (1720–1794),
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Walpole 1765, S. 23. Siehe Sedgwick 1985, S. 92. Haggerty 1986, S. 343. Siehe hierzu den für diesen Abschnitt wichtigen Beitrag Reeve, Matthew M.: Gothic Architecture, Sexuality, and License at Horace Walpole’s Strawberry Hill, in: The Art Bulletin. Vol. 95, Nr. 3 (September 2013), S. 411–439; hier: S. 419; vgl. dazu auch Fincher, Max: Guessing the Mould: Homosocial Sins and Identity in Horace Walpole’s Castle of Otranto, in: Gothic Studies, Vol. 3, Nr. 3 (2001), S. 229–245; hier: S. 233. 1368 Zur Korrespondenz Walpoles siehe Lewis, W. S. (Hg.): The Yale Edition of Horace Walpole’s Correspondence. 48 Volumes, New Haven 1937–1983; online abrufbar unter: https://walpole.library. yale.edu/collections/digital-resources/horace-walpole-correspondence; zu seinem engsten Kreis gehörten zwar auch einige Frauen, doch diese waren zumeist verheiratet. Siehe hierzu Lewis, W. S.: One Man’s Education. New York 1968, S. 205f; hier sei auch auf einen kritischen Artikel von Haggerty hingewiesen, der sich darin mit Lewis und dessen Faszination für Walpole auseinandersetzt. Siehe Haggerty, George E.: Walpoliana. In: Eighteenth-Century Studies, Vol. 34, Nr. 2 (Winter 2001), S. 227–249.
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der später den Titel des 2. Duke of Newcastle tragen sollte.1369 Beide Männer lernte Walpole während seiner Zeit am Eton College kennen und verbrachte gemeinsam mit ihnen einen Teil seiner Grand Tour.1370 Wie intim Walpole mit seinen Freunden wurde, bezeugen zahlreiche seiner Briefe. Exemplarisch sei hier auf ein besonders bemerkenswertes Schreiben an Pelham-Clinton hingewiesen, das laut Wilmarth Sheldon Lewis, dem Herausgeber der gesammelten Briefe Walpoles, aus der Perspektive einer ehemaligen Geliebten geschrieben worden sei: »I have changed my mind: instead of desiring you to have done loving me, I am going to ask something much more difficult for you to comply with – pray continue to love me: I like it vastly. I could never have imagined there were half so many agréments in having a lover. You can’t conceive how I regret the time I have lost. How strangely dull you was never to think of it before – though I can’t blame my fortune, for to be sure out of the millions that there are of both sexes, it was a vast chance that it did not come to my turn these twenty years. […] why nothing under the sun is so charming as you! you have all the tenderness, all the attentions of a lover in a romance, and all the dear indiscretion of a lover out of one.«1371 Weshalb Lewis annimmt, dass Walpole für diesen Brief in eine weibliche Rolle geschlüpft sein soll, erläutert er nicht weiter. Im Schriftstück selbst wird das Geschlecht des Schreibenden nicht explizit genannt. Möglicherweise kommt Lewis zu diesem Schluss, weil der Brief nicht, wie sonst für Walpole üblich, mit den Initialen »H. W.«, sondern mit »P. P.« unterschrieben wurde – an der Autorenschaft selbst hat Lewis keine Zweifel.1372 Wie Haggerty dazu anmerkt, könnte es sich bei den Initialen aber auch um einen kruden phonetischen Wortwitz handeln: Im Englischen wird ›P. P.‹ als ›Peepee‹ ausgesprochen, was bereits damals als verniedlichende Bezeichnung für den Penis gebräuchlich war und zu den pornographischen Inhalten der Briefe passen würde.1373 Ob Walpole angesichts solcher Briefe als ›homosexuell‹ gelten kann, ist bis heute umstritten. So beschreibt Robert Wyndham Ketton-Cremer Walpole in seinem erstmalig 1940 veröffentlichten Buch Horace Walpole: A Biography etwa als asexuellen Junggesellen – diese Interpretation ist auch hinsichtlich der Spekulationen über Ketton-Cremers eigene Sexualität von Interesse, wurde der 1969 verstorbene Historiker doch 2017 post mor-
1369 Zu Gray, der aus seinem Begehren zu Walpole keinen Hehl machte und diesen u.a. als »›half of my soul‹« bezeichnete, siehe etwa Bentman, Raymond: Thomas Gray and the Poetry of »Hopeless Love«, in: Journal of the History of Sexuality, Vol. 3, Nr. 2 (Oktober 1992), S. 203–222; Zitat: S. 204; siehe zudem Reeve 2013, S. 431; zu Lord Lincoln siehe ebd., S. 432; ein weiterer wichtiger Mann im Leben Walpoles war sein Cousin Henry Seymour Conway (1721–1795). Der Historiker Robert Wyndham Ketton-Cremer bezeichnet Conway als »›most intimate friend‹«. (Zitiert nach Campbell, Jill: »I am no Giant«: Horace Walpole, Heterosexual Incest, and Love Among Men, in: The Eighteenth Century, Vol. 39, Nr. 3 (Herbst 1998), S. 238–260; hier: S. 250). 1370 Siehe Reeve 2013, S. 431f. 1371 Lewis, W. S.; Smith, Robert A. (Hg.): The Yale Edition of Horace Walpole’s Correspondence. Volume 30, New Haven 1961, S. 43–46; hier: S. 43; der Brief enthält kein Datum. Lewis gibt an, dass der Brief zwischen 1743 und 1744 zu datieren sei. Vgl. ebd. 1372 Siehe ebd., S. 46. 1373 Siehe Haggerty 1986, S. 344.
III. Hauptteil
tem als vorgeblich homosexuell geoutet.1374 Timothy Mowl hingegen stellt Walpole in Horace Walpole: The Great Outsider (zuerst 1996) wenig differenziert als ›garstige Tunte‹ und seine Freunde als »›screaming queens‹« dar.1375 Während man Ketton-Cremer angesichts des Veröffentlichungsjahrs seines Buches unterstellen darf, dass er das Thema der gleichgeschlechtlichen Sexualität aufgrund der damaligen gesellschaftlichen Einstellung vermeiden wollte – homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen wurden in Großbritannien erst 1967 mit dem Sexual Offence Act entkriminalisiert –, bleibt Mowls biographischer Deutungsansatz nicht minder fragwürdig, da er viele seiner Behauptungen nicht belegt und zeitgenössische Vorstellungen von Homosexualität ungefiltert auf das 18. Jahrhundert projiziert. Tatsächlich scheint Walpole sich derart engen Identitätsvorstellungen, die Ketton-Cremer und Mowl ihm überstülpen wollen, zu entziehen.1376 In Abgrenzung dazu argumentiert Haggerty, dass Walpole vielmehr die Essenz dessen versinnbildlicht, was gegenwärtig im weitesten Sinne unter einer queeren Person verstanden wird: Ein Mensch, der jenseits gesellschaftlich sanktionierter Vorstellungen bzw. Kategorisierungen von Geschlecht und Sexualität steht.1377 Diese Einschätzung scheint mittlerweile Konsens zu sein und wird etwa von der Anglistin Jill Campbell sowie dem Kunsthistoriker Matthew M. Reeve vertreten.1378 Auch die vorliegende Arbeit möchte sich diesem Verständnis Walpoles als queer anschließen. Ebenso ungreifbar und queer wie sein Charakter wirkt auch Walpoles Anwesen Strawberry Hill (Abb. 154.1), das mit seiner verspielten und unverhohlenen Aneignung gotischer Architekturelemente ein Vorbild für den im 19. Jahrhundert immer populärer werdenden Stil des Gothic Revival sein sollte.1379 Mit welchem Wagemut sich Walpo1374 Ketton-Cremer schreibt: »The relationships about which Walpole felt most strongly, and which really influenced his life, were those into which the element of physical passion did not enter – his love for his mother, for Conway, for Mary Berry. He was a natural celibate.« (Ketton-Cremer, Robert Wyndham: Horace Walpole: A Biography, London 1964, S. 47); zum ›Outing‹ KettonCremers siehe Tweedie, Neil: Why has the National Trust outed a leading historian as gay? Dismay as his sexuality is reaked over by the charity for its Prejudice and Pride project [31.07.2017, zuletzt geändert am 31.07.2017], in: The Daily Mail, https://www.dailymail.co.uk/news/article4745008/Why-National-Trust-outed-leading-historian-gay.html (zuletzt 19.01.2021); vgl. zudem den Beitrag der National Trust-Organization: https://www.nationaltrust.org.uk/felbrigg-hallgardens-and-estate/features/researching-the-last-squires-life (zuletzt 19.01.2021). 1375 Mowl, Timothy: Horace Walpole: The Great Outsider, London 1996, S. 7. 1376 Haggerty wägt die beiden Ansätze in einem 2006 veröffentlichten Aufsatz gegeneinander ab und schlussfolgert: »If Mowl makes Walpole too outrageous a homosexual and if […] other biographers such as Robert Wyndham Ketton-Cremer all make him an asexual ›bachelor‹ of some unimaginable kind, then all these outpourings of personality may help us to see a man who does not fit any of the identities his biographers would like to create for him.« (Haggerty, Geoge E.: Queering Horace Walpole. In: Studies in English Literature, 1500–1900, Vol. 46, Nr. 3 (Sommer 2006), S. 543–562; hier: S. 554). 1377 Siehe auch ebd., S. 560. 1378 Vgl. Campbell 1998 u.a. S. 238f; vgl. überdies Reeve 2013 u.a. S. 432. 1379 Elke Heinemann ergänzt, dass es bereits vor Strawberry Hill gegen Ende des 17. Jahrhunderts erste Anzeichen für ein Gothic Revival gab: »Ein Pilotprojekt war Strawberry Hill jedoch nicht. Schon Ende des 17. Jahrhunderts, als man eine originalgetreue Restaurierung mittelalterlicher Gebäude anstrebte, hatte sich in Abgrenzung zum gothic survival die Entwicklung des sogenannten gothic revival abgezeichnet. Wie die sentimentale Wiederentdeckung der Natur wies die Rückkehr zum
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le bei der Konzeption von Strawberry Hill am gotischen Formenvokabular bedient, wird deutlich, wenn er in seinem akribischen Bau- und Inventarbericht A Description of the Villa of Horace Walpole, Youngest Son of Sir Robert Walpole Earl of Orford, at StrawberryHill, near Twickenham (zuerst 1774) u.a. darüber schreibt, dass die Decke seines 1762 fertiggestellten »Round Room« der großen Rosette der Old St Paul’s Cathedral1380 nachempfunden sei.1381 Dieses spielerische Zitieren und die damit einhergehende Entbzw. Neukontextualisierung gotischer Bauelemente kann als gestalterischer Modus Operandi für Strawberry Hill verstanden werden: So lässt sich Walpole bei der Ausschmückung der Decke in der sogenannten »Holbein Chamber« etwa vom königlichen Ankleidezimmer in Windsor Castle inspirieren, während er für die dekorative Rahmung des Kamins im selben Raum das Grabmal des Erzbischofs William Warham (1450–1532) aus der Canterbury Cathedral bemüht.1382 Derartige Architekturzitate durchziehen das gesamte Anwesen und belegen Walpoles Kenntnisse der Kunst- und Baugeschichte des Mittelalters.1383 Das Endresultat einer solchen appropriativen und pasticciohaften Vorgehensweise ist ein Gebäude, dem etwas Bühnenartiges anhaftet und das als ›theatralisch‹ bezeichnet werden kann. Es verwundert daher nicht, dass Walpole und Strawberry Hill in Sontags 50 Notes on Camp erwähnt werden.1384 Wie bei der Besprechung von The Castle of Otranto bereits angedeutet wurde, äußert sich in der für die Erzählung so wichtigen Verflechtung Lord Manfreds mit dem titelgebenden Schloss Walpoles eigenes Architekturverständnis: Für Walpole geht die Rolle der Architektur über eine bloße Notwendigkeit und Zurschaustellung seines Status hinaus, vielmehr versteht er sie als ein Mittel, seine Persönlichkeit und Leidenschaften zum Ausdruck zu bringen.1385 Diese Wertschätzung der Baukunst sowie der Innenar-
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gotischen Stil in England früher als in anderen Ländern auf eine romantische Nostalgie voraus, die als Reaktion auf den schnellen technischen Fortschritt gedeutet werden kann.« (Heinemann, Elke: Babylonische Spiele: William Beckford und das Erwachen der modernen Imagination, Diss. Berlin 1997, München 2000, S. 150). Die Kirche viel 1666 dem Großen Brand von London zum Opfer und wurde danach durch den heute noch existierenden Bau ersetzt. Walpole schreibt: »The cieling is taken from a round window in old Saint Paul’s; the freeze was designed by Mr. [Robert] Adam.« (Walpole, Horace: A Description of the Villa of Horace Walpole, Youngest Son of Sir Robert Walpole Earl of Orford, at Strawberry-Hill, near Twickenham, London 1774, online abrufbar unter: https://play.google.com/books/reader?id=FmkGAAAAQAAJ&hl=de&pg=GBS.PA4 (zuletzt 21.01.2021); hier: S. 74); siehe auch Reeve 2013, S. 425f. Passend zum Namen des Raums wurde der Erzbischof 1527 von Hans Holbein dem Jüngeren portraitiert. In Walpoles Description heißt es zu dem Raum: »The cieling is taken from the queen’s dressing-room at Windsor.« (Walpole 1774, S. 57) Und: »The chimney-piece, designed by Mr. Bentley, is chiefly taken from the tom of archbishio Warham at Canterbury.« (Ebd., S. 58). Reeve bezeichnet Walpole als »medievalist avant la lettre« (Reeve 2013, S. 414). Siehe Sontag 2008, S. 56f. Nach Reeve ließ sich Walpole für das Schloss in The Castle of Otranto sogar direkt von Strawberry Hill inspirieren, mit dessen Bau der Autor bereits 1749 begonnen hatte. Siehe Reeve, Matthew M.: ›A Gothic Vatican of Greece and Rome‹: Horace Walpole, Strawberry Hill, and the Narratives of Gothic, in: Ders. (Hg.): Tributes to Pierre du Prey: Architecture and the Classical Tradition. From Pliny to Posterity, New York und London 2014, S. 185–210; hier: S. 189; über Walpoles Beziehung zu Strawberry Hill schreibt Haggerty: »[T]he effect of the house was indistinguishable, even
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chitektur spiegelt sich auch in dem gerade erwähnten Bau- und Inventarbericht wider, in welchem Walpole mit größter Sorgfalt jedes noch so kleine Detail dokumentierte.1386 Walpoles Hingabe zu seinem Eigenheim nahm bisweilen erotische Züge an, wenn er z.B. in einem Gedicht davon spricht, sein Anwesen der Liebe zu Frauen vorzuziehen – je nach Lesart von Walpoles Verlangen mag dies ein größeres oder kleineres Opfer gewesen sein: »In Eden’s lovely garden our grandmother Dame Eve/With an apple of the forest, Old Adam did deceive,/But had I been her husband, the/Pippin then had fail’d/And Strawberry, sweet Strawberry alone,/Shou’d have prevailed.«1387 Blickt man auf die Baugeschichte von Strawberry Hill, so wiederholt sich hierin die im Gedicht thematisierte Verschmähung der Frau auf interessante Weise: Für die Errichtung und Gestaltung seines Anwesens suchte Walpole ausschließlich bei männlichen Freunden, wie dem Amateurarchitekten John Chute (1701–1776) und dem Schriftsteller und Illustrator Richard Bentley (1708–1782), Rat und Anregungen.1388 Zusammen mit Walpole bildeten die Männer das »Strawberry Committee« (später »Committee of Taste«) und setzten sich zum Ziel, eine neue Version gotischer Architektur zu entwerfen.1389 Die in Strawberry Hill realisierte ›gotische‹ Phantasmagorie ist damit das unmittelbare Resultat der homosozialen – wenn nicht homoerotischen – Bande, die Walpole zeit seines Lebens unterhielt. Campbell bezeichnet Strawberry Hill sogar als »extended ›body‹«, den Walpole mit seinem männlichen Freundeskreis teilte, und für Reeve stellt der ›Junggesellenzirkel‹ eine Art »›queer family‹« dar.1390 Diese Deutung von Strawberry Hill als Ausdruck von Walpoles Queerness ist nicht nur das Produkt gegenwärtiger Forschungen. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert war das Bild von Walpole und zahlreichen seiner männlichen Freunde als »›fribble‹« verbreitet, worunter man einen ›kapriziösen‹ und ›sexuell devianten‹ Mann verstand, dessen Pendant im 20. Jahrhundert am ehesten die ›(Kultur-)Tunte‹ ist.1391 Entscheidend für diese Be-
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in his own mind at times, from his own personal affect.« (Haggerty, George E.: Strawberry Hill: Friendship and Taste and »The Strawberry Committee«, in: Kat. Ausst. Horace Walpole’s Strawberry Hill. Hg. von Michael Snodin, Yeale Center for British Art in New Haven und Victoria and Albert Museum in London 2009/10, New Haven 2009, S. 75–88; hier: S. 77). Vgl. Walpole 1774. Zit. nach Reeve 2013, S. 434 (Fußnote 5); bei dem unveröffentlichten Gedicht handelt es sich um eine nachträgliche Einfügung Walpoles in seine eigene Ausgabe von A Description of the Villa of Horace Walpole, die sich heute in der Lewis Walpole Library befindet (MS 49 2522). Siehe hierzu Haggerty 2006, S. 556f. Haggerty schreibt: »Walpole, Chute, and Bentley, the artists and illustrator Walpole sponsored and encouraged, formed the ›Committee of Taste‹ that worked to make Strawberry Hill a Gothic gem. As others have noted, taste became a code for a certain mode of shared sensibility that was often understood to suggest something about sexual predilection or at least qualified masculinity.« (Ebd., S. 556); Haggerty verweist auch auf Greende, Jody: Arbitrary Tastes and Commonsense Pleasures: Accounting for Taste in Cleland, Hume, and Burke, in: Fowler, Patsy S. (Hg.): Launching Fanny Hill: Essays on the Novel and its Influences, New York 2003, S. 221–265; vgl. zudem Reeve 2013, S. 411. Campbell 1998, S. 255 und Reeve 2013, S. 428. Siehe Reeve 2013, S. 413 und S. 420–423; in einem zeitgenössischen Lexikon heißt es zu dem Begriff: »Fribble: This word signifies one of those ambiguous animals, who are neither male nor female; disclaimed by his own sex, and the scorn or both.« (Cleland, John: A Dictionary of Love, or, The Language of Gallantry Explained, London 1753, keine Seitenangaben).
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bzw. Verurteilung war der von Walpole und seinem Kreis propagierte Kunst- und Architekturgeschmack. Dies wird u.a. im 1833 veröffentlichten Buch Horace Walpole von Thomas Babington Macaulay (1800–1859) deutlich, der Walpole darin nicht nur als ›gekünstelten‹ und ›kapriziösen‹ Mann darstellt, der sein wahres Gesicht hinter mehreren ›Masken‹ verberge – eine bekannte Metapher, wenn es um die Beschreibung queerer Männer geht –, sondern diese Charakterisierung sogleich in Verbindung mit dem als ›grotesk‹ diskreditierten Strawberry Hill setzt.1392 Macaulay insinuiert hier, dass sich das ›unstete‹ Naturell Walpoles auch in der Gestaltung seines Eigenheims äußere. Noch deutlicher wird dieser Konnex in einer 1818 anonym veröffentlichten und schlichtweg mit Strawberry Hill betitelten Kritik, in der Walpoles Zuhause mit dem 1722 von Colen Campbell (1676–1729) entworfenen Houghton Hall in Norfolk verglichen wird, dem palladianischen Familiensitz seines Vaters (Abb. 155.1), der sowohl für seine Architektur als auch die darin beherbergte antikisch-klassizistische Kunstsammlung berühmt war: »His father distinguished himself as a lover of the arts, by the Houghton collection; and which, to the eternal disgrace of this country, is no longer the boast of it. Mr. [Horace] Walpole may, therefore, be supposed to have inherited a portion of that taste which he cultivated, though in a less elevated course. Nor shall we pretend to determine whether it proceeded from the structure of his mind, the consequent habits of his life, or his physical constitution, which was naturally weak, that his pursuits, though not without taste and elegance, had little of masculine energy or mental capaciousness. If the catalogue of the Houghton pictures were compared with that of the Strawberry Hill curiosities, the minds of the two noble collectors would be distinctly determined.«1393 Die wiederholte Darstellung Walpoles als ›effeminiert‹ und ›schwach‹ wird hier nicht nur in einen direkten Zusammenhang mit seiner in Strawberry Hill überdeutlich werdenden Vorliebe für die Gotik gesetzt, vielmehr wird sie mit dem als ›männlich‹ bezeichneten klassizistischen Geschmacksprofil seines Vaters kontrastiert und abgewertet.1394 Hierin hallt ein zu dieser Zeit nicht nur in England verbreiteter Architekturdiskurs wider, der 1392 Bei Macaulay heißt es: »He was […] the most eccentric, the most artificial, the most fastidious, the most capricious of men. His mind was a bundle of inconsistent whims and affectation. His features were covered by mask within mask. […] Serious business was a trifle to him, and trifles were his serious business. […] to decorate a grotesque house [Strawberry Hill, NM] with piecrust battlements, to procure engravings and antique chimney-boards […] these were the grave employment of his long life.« (Macaulay, Thomas Babington: Horace Walpole. London 1852 (zuerst 1833), S. 4f); online abrufbar unter: https://books.google.de/books?id=ws05AAAAcAAJ&print sec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q=fribble&f=false (zuletzt 26.01.2021); vgl. hierzu auch Reeve 2013, S. 413. 1393 Anonym: Strawberry Hill (1818). In: Sabor, Peter (Hg.): Horace Walpole: The Critical Heritage, London und New York 1987, S. 250–252; hier: S. 251; diese Passage wird auch zitiert bei Reeve 2013, S. 420f; an anderer Stelle bemerkt der bzw. die unbekannte Autor_In mit spitzer Zunge: »In the construction of this edifice, or, it may be rather said, in the decoration of it, Mr. Walpole made a very choice selection of the best specimens of what is called Gothic architecture« (Sabor 1987, S. 250) Und wenig später heißt es: »This place may be considered as a picture of the master’s mind who formed it, in which there was nothing great« (Ebd., S. 251). 1394 Vgl. hierzu Reeve 2013, S. 421.
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die reduzierte Ornamentik und klare Bausprache des Klassizismus bzw. Neoclassicism als Ausdruck ›männlicher‹ Werte, wie moralische Festigkeit und Geradlinigkeit, pries.1395 In Abgrenzung dazu stilisierte man die Gotik, die mit ihrem Fokus auf geschwungene Linien und Bauschmuck oftmals mit dem Barock oder Rokoko gleichgesetzt wurde, als ›verweiblicht‹.1396 Diese Kontrastierung der beiden Baustile macht sich im Übrigen auch im direkten Vergleich der Grundrisse bemerkbar: So steht dem klaren und absolut symmetrischen Grundriss von Houghton Hall (vgl. Abb. 155.2) der additive und in sich verschränkte Grundriss von Strawberry Hill (vgl. Abb. 154.2) gegenüber – diese darin deutlich werdende seltsam-queere Raumanordnung findet sich auch in der Fonthill Abbey (vgl. Abb. 156.3) und Schloss Neuschwanstein (vgl. Abb. 158.2) wieder. Insbesondere in den Nachwehen der Glorious Revolution von 1688/89, die schon zu einer ›Vereinfachung‹ der Adelsmode geführt hat, gewann die Diskreditierung allzu verspielter Baustile in England mehr und mehr an Brisanz.1397 Aus diesen Beobachtungen ergibt sich eine ebenso komplexe wie faszinierende Bauund Rezeptionsgeschichte für Strawberry Hill. Das Verständnis von Strawberry Hill als ein queer space beruht demnach auf der einen Seite auf biographischen – Walpoles homosoziales Netzwerk, seine intimen Beziehungen zu Männern etc. – und auf der anderen Seite auf architektonischen bzw. architekturdiskursiven Aspekten – das bewusste ›in Szene setzen‹ des Gebäudes, die damalige Wahrnehmung des gotischen Baustils als ›effeminiert‹ etc. Diese unterschiedlichen Aspekte scheinen sich gegenseitig zu bedingen: Die schon von Zeitgenoss_Innen wahrgenommene ›Andersartigkeit‹ Walpoles spiegelt sich in dem für die damalige Epoche gleichermaßen andersartigen bzw. unkonventionellen Baustil Strawberry Hills wider. In einer Zeit, die doch eigentlich ganz im Zeichen der Aufklärung (Age of Enlightenment) und des Klassizismus stand, entwarfen Walpole und sein Kreis ein Anwesen, das sich den vorherrschenden ästhetischen und philosophischen Prinzipien verwehrte. Anstatt sich einen klar gegliederten und antikisierenden ›Tempel der Vernunft‹ zu errichten, wie etwa Houghton Hall, erschuf Walpole sich mit Strawberry Hill ein verwinkeltes und mystisches Schloss, das den Blick nicht nach vorne, sondern zurück auf ein (verklärtes) Mittelalter richtet. Genau in dieser Verweigerung, sich gesellschaftlichen Konventionen zu unterwerfen und einen eigenen Pfad zu betreten, offenbart sich sowohl der queere Charakter Walpoles als auch der seines Anwesens. Erst einige Jahrzehnte später sollte die von Walpole in Strawberry Hill realisierte und von der damaligen Mehrheit verspottete Ästhetik mit dem Gothic Revival zum nationalen Baustil des British Empire avancieren.1398 Eine etwas spätere Weiterführung und Zuspitzung von Walpoles queerer Interpretation gotischer Architektur stellte der zwischen 1796 und 1818 errichtete und 1825 zerstörte Landsitz Fonthill Abbey (Abb. 156.1) von William Beckford (1760–1844) dar. Von
1395 Vgl. ebd. 1396 Vgl. ebd. sowie S. 414; Reeve verweist noch auf Clark, Kenneth: The Gothic Revival. London 1962, S. 46–65. 1397 Zu den modischen Konsequenzen der Glorious Revolution siehe Wolter 2003, S. 292; vgl. Kapitel III.3.1. 1398 Vgl. Reeve 2013, S. 434.
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Lord Byron (1788–1824) als »England’s wealthiest son« getauft, wurde Beckford als einziges eheliches Kind des Politikers und Zuckerplantagenbesitzers William Beckford d. Ä. (1709–1770) mit neun Jahren Alleinerbe eines immensen Vermögens.1399 Der große Reichtum schützte den jungen Beckford jedoch nicht davor, 1784 zur Persona non grata erklärt zu werden, nachdem die päderastische Beziehung zu seinem acht Jahre jüngeren Cousin William Courtenay (1768–1835) bekannt wurde.1400 Der Onkel Courtenays, Alexander Wedderburn, 1. Earl of Rosslyn (1733–1805), ein ehemaliger politischer Rivale des Vaters, machte das Verhältnis publik – er war in den Besitz einiger ›indiskreter‹ Briefe gekommen.1401 Wedderburns Eingreifen führte jedoch nicht nur zur gesellschaftlichen Ausgrenzung Beckfords, sondern auch zur Diffamierung Courtenays.1402 Um der sozialen Ächtung und möglichen rechtlichen Konsequenzen zu entgehen – der 1533 von Henrich VIII. erlassene Buggery Act, welcher ›sodomitische Vergehen‹ mit der Todesstrafe ahndete, war bis 1828 in Kraft –, ging Beckford 1785 mit seiner Frau, Lady Margaret Gordon (verh. 1783), ins Exil an den Genfer See.1403 Bereits ein Jahr später starb Lady Margaret dort nach der Geburt ihrer zweiten gemeinsamen Tochter. In England nahm man diese Nachricht mit Bestürzung auf und gab Beckford die Schuld am plötzlichen Tod seiner Frau.1404 In Anbetracht dieser Anschuldigungen und der feindseligen Haltung der englischen Gesellschaft verbrachte Beckford die nächsten Jahre damit, durch Europa zu reisen – eine ›Ersatzheimat‹ schien er in Portugal gefunden zu haben, wo er sich nicht nur mit Adeligen anfreundete, sondern auch den Musiker Gregorio Franchi (1769/70-1828) kennenlernte, der ihm ein lebenslanger Freund und Vertrauter werden
1399 Vgl. hierzu Heinemann 2000, S. 13. 1400 Vgl. Haggerty 1997a, S. 123f; siehe zudem Beurdeley 1994, S. 152. 1401 Siehe Heinemann 2000, S. 15 und S. 65f; siehe zudem Haggerty, George E.: Beckford, William, in: Summers, Claude J.: The Gay and Lesbian Literary Heritage. A Reader’s Companion to the Writers and Their Works, From Antiquity To The Present, London 1997c, S. 85. 1402 So war am 27. November 1784 Folgendes in der Londoner Zeitung Morning Herald zu lesen: »The rumour concerning a Grammatical mistake of Mr. B.___ and the Hon. Mr. C.___, in regard to the genders, we hope for the honour of Nature originates in Calumny! --- For, however depraved the being must be, who can propagate such reports without foundation, we must wish such a being exists, in preference to characters, who regardless of Divine, Natural and Human Law, sink themselves below the lowest class of brutes and the most preposterours rites.« (Zit. nach Haggerty 1997a, S. 123 (Kursivschreibung übernommen, NM)); der »Grammatical mistake« – eine scharfe Formulierung, um die vermeintliche Widernatürlichkeit und Gesetzlosigkeit gleichgeschlechtlicher Sexualität zu verurteilen – wird hier als Fehltritt beider Beteiligter gewertet, was angesichts des großen Altersunterschieds zwischen Beckford und Courtenay doch erstaunlich ist. Vgl. ebd., S. 125 und S. 136. 1403 Siehe Heinemann 2000, S. 15 und S. 65; zum Buggery Act siehe Greenberg 1990, S. 323; 1816 sollte Byron es Beckford gleichtun und ebenfalls an den Genfer See fliehen, nachdem er zum wiederholten Male der ›Sodomie‹ bezichtigt wurde. Vgl. ebd., S. 310; vgl. zudem Crompton, Louis: Byron, George Gordon, Lord, in: Summers, Claude J.: The Gay and Lesbian Literary Heritage. A Reader’s Companion to the Writers and Their Works, From Antiquity To The Present, London 1997a, S. 127–130; hier: S. 128. 1404 Schockiert über diese Anschuldigungen bat Beckford seinen Schweizer Nachbarn darum, ihm ein Schreiben auszustellen, dass seinen ›einwandfreien‹ Charakter bezeugen sollte. Siehe Heinemann 2000, S. 66.
III. Hauptteil
sollte.1405 Erst in den 1790er-Jahren kehrte er nach England zurück. Dort zog er sich, von der Gesellschaft weiterhin gemieden, auf den abgelegenen Familienlandsitz in Fonthill zurück und begann ab 1796 mit der Planung der Abbey.1406 Gemeinsam mit dem Architekten James Wyatt (1746–1813) ersann Beckford ein »riesengroßes pseudomittelalterliches Kloster«.1407 Zunächst als Scheinruine konzipiert, entschied sich der Bauherr im Laufe des Planung dazu, die Fonthill Abbey zu seinem Hauptwohnsitz auszubauen.1408 Während Walpoles Strawberry Hill eine Art Miniaturversion gotischer Baukunst darstellt – Walpole selbst bezeichnete sein Anwesen wiederholt als »baby-house« oder »nutshell«1409 –, ahmte Beckford mit seiner Fonthill Abbey sowohl das Aussehen als auch die Ausmaße gotischer Sakralarchitektur nach: Vom Kreuzgrundriss (Abb. 156.3) bis hin zu dem ca. 90 Meter hohen achteckigen ›Vierungsturm‹ referieren alle Bauelemente deutlich auf die gotische Kloster- und Kirchenarchitektur. Als Vorbilder für den Entwurf haben neben der Kathedrale von Ely und der Westminster Abbey vor allem die Unvollendeten Kapellen (Capelas imperfeitas) des portugiesischen Klosters St. Maria da Vitória in Batalha gedient.1410 Letzteres Vorbild ist von besonderem Interesse, da es die gotische Bausprache mit islamisch bzw. ›orientalisch‹ geprägten Architekturelementen der Manuelinik vermischt – die ›orientalischen‹ Einschläge des Klosters werden u.a. in den mit Maßwerk ausgeschmückten Arkaden des Kreuzgangs erkennbar.1411 Auf den Verfasser des ›orientalisti-
1405 Vgl. ebd., S. 15ff. 1406 Zur Baugeschichte siehe Wilton-Ely, John: The Genesis and Evolution of Fonthill Abbey. In: Architectural History, Vol. 23 (1980), S. 40–51 (Text) und S. 172–180 (Abbildungen); hier: S. 42ff; der Kontakt zu Wyatt bestand allerdings schon seit 1790. Vgl. Heinemann 2000, S. 149. 1407 Kohle 2012, S. 44. 1408 Siehe Wilton-Ely 1980, S. 42f und S. 45. 1409 Zit. nach Campbell 1998, S. 244; die Bezeichnung »baby-house« im Sinne eines Puppenhauses verwendet Walpole u.a. in Briefen an Elizabeth Vesey (Brief vom 18. Juni 1784) und George Nicol (Brief vom 6. Juli 1790). Siehe hierzu Lewis, W. S.; Riely, John; Martz, Edwine M.; McClure, Ruth K. (Hg.): The Yale Edition of Horace Walpole’s Correspondence. Volume 42, New Haven 1980, S. 99 (Brief an Vesey) und S. 285 (Brief an Nicol); in einem Brief vom 23. September 1755 an den von ihm geliebten Henry Seymour Conway verwendet Walpole eine vergleichbare Verniedlichung: »I do not so much consider myself writing to Dublin Castle, as from Strawberry Castle, where you know how I love to enjoy my liberty. I give myself the airs, in my nutshell [Strawberry Hill, NM], of an old baron« (Lewis, W. S.; Troide, Lars E.; Martz, Edwine M.; Smith, Robert A. (Hg.): The Yale Edition of Horace Walpole’s Correspondence. Volume 37, New Haven 1974, S. 406). 1410 Siehe Heinemann 2000, S. 148; sowie Wilton-Ely 1980, S. 43; wie beeindruckt Beckford von dem Mosteiro de Bathala gewesen sein muss, belegt sein letztes literarisches Werk, in dem er den Besuch des Klosters rückblickend beschreibt. Siehe Beckford, William: Recollections of an Excursion to the Monasteries of Alcobaça and Bathala, London 1835; online abrufbar unter: https://arch ive.org/details/recollectionsofe00beck (zuletzt 20.02.2021). 1411 Vgl. Heinemann 2000, S. 148; die nach König Manuel I. (reg. 1495–1521) benannte Maunelinik ist ein spezifisch portugiesischer Architekturstil, der spätgotische Elemente u.a. mit dem islamisch geprägten Mudéjarstil mischte – die Mudéjars bzw. Mudejaren waren arabische Muslime, die im Zuge der Reconquista unter christliche Herrschaft gerieten. Vgl. Miller, Kathryn A.: Muslim Minorities and the Obligation to Emirate to Islamic Territory: Two Fatwās from Fifteenth-Century Granada. In: Islamic Law and Society, Vol. 7, Nr. 2 (2000), S. 256–288; hier: S. 256f; vgl. zudem Harvey, L. P.: Muslims in Spain. 1500 to 1614, Chicago 2005, S. 17.
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schen‹ Schauerromans Vathek, eine arabische Erzählung muss diese architektonische Verbindung von ›Orient‹ und ›Okzident‹ einen besonderen Reiz ausgeübt haben, wähnte Beckford sich doch selbst in der Rolle des titelgebenden Kalifen.1412 Ebenso wie Vathek wollte auch er einen hohen Turm errichten lassen und war getrieben von »l’insolente curiosité de pénétrer dans les secrets du ciel.«1413 Diese offensichtliche Anspielung auf den Turmbau zu Babel unterstreicht Beckford nochmals in einem an Franchi adressierten Brief vom September 1817: »T’was a mad and diabolic undertaking. What has been done passes belief and seems more than anything else to be the result of some pact and wager with Satan. Never has so much brick been used except at Babylon«.1414 Doch anstelle der Babylonischen Sprachverwirrung bezichtigte man Beckfords Fonthill Abbey mit ihrem bewussten Stilbruch zwischen der gotisch-sakralen Fassade1415 und der ›sinnlichorientalischen‹ Innenausstattung, die sich neben den unzähligen persischen Wandteppichen auch in der vorherrschenden Farbpalette von Purpurrot, Lila und Gold bemerkbar machte (vgl. Abb. 156.2)1416 , vielmehr der Geschmacksverirrung: Während der Essayist William Hazlitt (1778–1830) das Anwesen als »a glittering waste of laborious idleness« und »a cathedral turned into a toy-shop«1417 bezeichnete, lamentierte der Amateurarchitekt und Verfechter des Neoklassizismus Thomas Hope (1769–1831), dass Fonthill nur eine minderwertige Version der Kathedrale von Salisbury sei.1418 Beckford, der die ihm von der Gesellschaft aufgezwungene Rolle des Außenseiters zum Zeitpunkt seiner Rückkehr nach England mit einer gewissen campen Nonchalance angenommen und akzeptiert hatte – daher wohl auch die Parallelisierung seiner Person mit dem Kalifen Vathek –, ließen derartige Kritiken vermutlich unbeeindruckt.1419 Der Bauherr erschuf sich mit der Fonthill Abbey schlichtweg seine eigene Realität, die er in eklektizistischer Manier aus unter1412 Vgl. Herrick, George H.: Fabulous Fonthill. In: College Art Journal, Vol. 12, Nr. 2 (Winter 1953), S. 128–131; hier: S. 128; vgl. zudem Heinemann 2000 u.a. S. 166. 1413 Beckford 2019, S. 11. 1414 Zit. nach Heinemann 2000, S. 161 (Auslassung im Text, NM). 1415 Am Außenbau lassen sich nur vereinzelt ›orientalische‹ bzw. islamische Architekturreferenzen feststellen, wie etwa die Anleihen an der ›gotisch-orientalischen‹ Stilmischung des Mosteiro de Bathala sowie dem teilweise minarettartigen Charakter der zahlreichen Türme. Zur Assoziation mit Minaretten sei auf eine von insgesamt drei Gebäudebeschreibungen von John Rutters hingewiesen, in welcher der Schriftsteller u.a. den Begriff »minaret« verwendet (Rutter, John: Delineations of Fonthill and its Abbey. London 1823, S. 71; online abrufbar unter: https://play.google.com/books/reader?id=tSgGAAAAQAAJ&hl=de&pg=GBS.PA71 (zuletzt 24.02.2021)); zu den Parallelen zwischen der Fonthill Abbey und Mosteiro de Bathala siehe Wilton-Ely 1980, S. 43. 1416 Zur Ausstattung siehe Richter, Anne Nellis: Spectacle, Exoticism, and Display in the Gentleman’s House: The Fonthill Auction of 1822, in: Eighteenth-Century Studies, Vol. 41, Nr. 4 (Sommer 2008), S. 543–563; hier: S. 550; zur vorherrschenden Farbpalette siehe Betsky 1997, S. 69; eine detaillierte Beschreibung des Anwesens und des Interieurs findet sich bei Rutter, John: A Description of Fonthill Abbey and Demesne, in the County of Wilts; including a List of its Paintings, Cabinets & c., 3. Auflage, London 1822; online abrufbar unter: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3c/A_Description_of_Fonthill_Abbey_and_Desmene_-_John_Rutter_%281822%29.pdf (zuletzt 24.02.2021). 1417 Hazlitt, William: The Complete Works of William Hazlitt in Twenty-One Volumes. Hg. von P. P. Howe, Vol. 18 von 21, London und Toronto 1933, hier: S. 173. 1418 Zu Thomas Hope siehe Heinemann 2000, S. 166. 1419 Vgl. ebd., S. 160.
III. Hauptteil
schiedlichen Bau- und Kunststilen zusammensetzte und damit einen passenden architektonischen Rahmen für seine nicht minder eklektizistische Kunstsammlung fand. Das Besondere an Beckfords beachtlicher Sammlung war die Art der Präsentation: So stellte er die Gemälde anerkannter europäischer Künstler, wie z.B. von Jean-Honoré Fragonard und Hans Holbein, zusammen mit persischen Wandteppichen, chinesischem Porzellan sowie japanischen Lackwaren aus.1420 In diesem bewusst inszenierten Zusammentreffen bzw. Zusammenprallen von unterschiedlichen und weltumspannenden Kunstwerken kristallisiert sich der besondere Charakter der Fonthill Abbey heraus. Hierzu resümiert Elke Heinemann in ihrer Monographie über den Exzentriker, dass das Anwesen durch den Kontrast zwischen der »sublime[n] Architektur der neugotischen Scheinkathedrale« und der »orientalisch anmutende[n] Ausstaffierung […] die Züge einer willkürlich gestalteten Gegenwirklichkeit« erhalten habe.1421 Die von Beckford konzipierte ›Gegenwirklichkeit‹ war jedoch nicht von langer Dauer. In einer fast poetischen Wendung stürzte der zentrale Turm gleich zweimal ein: zuerst 1819 und dann noch einmal 1825, zu einem Zeitpunkt, als Beckford das Anwesen bereits verkauft hatte.1422 Beim zweiten Einsturz wurden große Teile des Westflügels beschädigt und der neue Besitzer (der Schießpulverfabrikant John Farquhar) gab das Gebäude dem allmählichen Verfall preis.1423 Dieses traurige Ende der Fonthill Abbey schien unvermeidbar, da Beckford aufgrund des kostspieligen Baus sowie des sinkenden Zuckerpreises – die Einnahmen aus den jamaikanischen Zuckerplantagen seines Vaters waren Beckfords Hauptgeldquelle – einen Großteil seines Vermögens verloren hatte und daher zum Verkauf bzw. zur Aufgabe des Anwesens gezwungen war.1424 Im Zuge des Verkaufs wurde das Gebäude 1822 auch der Öffentlichkeit sowie der Presse zugänglich gemacht.1425 Aus dem Verkaufserlös der Abbey sowie eines Teils der Kunstsammlung ließ Beckford sich 1827 ein bescheideneres Domizil in der Nähe von Bath errichten: den neoklassizistischen Lansdown Tower.1426 In diesem ›nur‹ ca. 40 Meter hohen Turm lebte Beckford bis zu seinem Tod 1844. Auch wenn das von Beckford in Fonthill realisierte Refugium nicht überdauern sollte, so lässt sich doch anhand der erhaltenen Darstellungen und Beschreibungen rekonstruieren, was diesen Ort zu einem konkret-materiellen queer space gemacht hat: Hier sind zum einen die Ent- und Rekontextualisierung spezifisch sakraler Bauelemente und ihre bewusste Profanisierung zu nennen. Dieser appropriative Aspekt wird u.a. dadurch unterstrichen, dass die Fonthill Abbey entgegen einiger zeitgenössischer Stimmen nie
1420 Vgl. Hazlitt 1933, S. 179; vgl. zudem Richter 2008, S. 549f; zu den Gemälden siehe Rutter 1822, S. 39f; Teile von Beckfords Sammlung befinden sich heute im Victoria and Albert Museum in London. Siehe McLeod, Bet: Some further Objects from William Beckford’s Collection in the Victoria and Albert Museum. In: The Burlington Magazine, Vol. 143, Nr. 1179 (Juni 2001), S. 367–370; hier: S. 367 und S. 368f. 1421 Heinemann 2000, S. 165. 1422 Siehe Wilton-Ely 1980, S. 45 und S. 48. 1423 Siehe ebd., S. 48; siehe auch Heinemann 2000, S. 167. 1424 Siehe Richter 2008, S. 544f. 1425 Siehe ebd. 1426 Siehe Herrick 1953, S. 130.
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als Sühnebau mit kirchlicher Funktion gedacht war, vielmehr stellte das Anwesen eine rebellische Selbstapotheose dar, eine dem Bauherrn ›geweihte‹ Kathedrale, die dessen (erzwungenes) Außenseitertum glorifizieren sollte.1427 Zum anderen bedingt sich die räumliche Queerness der Fonthill Abbey auch in dem ebenso eigenen wie eigentümlichen Zusammenwirken der gotisch-vergeistigten Fassade und dem ›orientalisch‹-sinnlichen Innenleben.1428 Dass man diese Ästhetik der Gegensätze mit der Queerness des Bauherrn in Verbindung bringt, ist, ähnlich wie schon bei Walpole, kein modernes Phänomen, sondern findet bereits in zeitgenössischen Schriften statt. So spielt Hazlitt z.B. auf den ›effeminierten‹ Charakter Beckfords an, wenn er dessen Sammlung als bloße Anhäufung von Luxusgütern umschreibt und dabei Bezeichnungen wie »baubles«1429 (Spielereien) und »stale ornaments«1430 (abgestandene Ornamente) verwendet – Begriffe, die im damaligen Diskurs mit Konnotationen der Verweiblichung und Verschwendungssucht einhergingen.1431 Auch in einem Text des adligen Richard Colt Hoare (1758–1838), dessen neoklassizistisches und ebenfalls von Colen Campbell entworfene Herrenhaus in Stourhead als ›besserer‹ – sprich ›männlicherer‹ – Gegenentwurf zur Fonthill Abbey angesehen werden kann, wird diese Kritik deutlich, wenn er schreibt: »After admiring the rich collection of porcelaine [sic!], plate, gems, books, and paintings, contained within the Abbey walls, the eye looks around for comfort, and a snug corner for reading, conversation, or contemplation; but alas! It searches in vain. Finery and shew seem to be the ruling Genii of the place.«1432
1427 Der britische Landschaftsmaler Joseph Farington (1747–1821) schrieb am 16. November 1798: »New building to be called Fonthill Abbey […] & Cathedral service to be performed in the most splendid manner that the Protestant religion will admit. A Gallery leading from the top of the Church to be decorated with paintings the work of English Artists. Beckford’s own tomb to be placed at the end of this Gallery – as having been an encourager of Art.« (Farington, Joseph: The Diary of Joseph Farington. Hg. von Kenneth Garlick und Angus Macintyre, Vol. III, New Haven und London 1979, S. 1091); vgl. auch Wilton-Ely 1980, S. 44; angesichts der prekären gesellschaftlichen Position Beckfords, erscheint es fragwürdig, ob er wirklich eine Kathedrale errichten wollte, oder ob es sich um bloße »Gerüchte« handelte, wie Heinemann dies anmerkt (Heinemann 2000, S. 148). Bis zum Verkauf des Anwesens und großen Teilen der Sammlung im Jahr 1822, war das Betreten der Fonthill Abbey nur auf Einladung Beckfords gestattet. Vgl. Richter 2008, S. 545 und S. 550. 1428 Zur Verquickung des ›Orients‹ mit Sinnlichkeit in der europäischen Wahrnehmung siehe Kapitel III.3.3. 1429 Hazlitt 1933, S. 173. 1430 Ebd., S. 179. 1431 Siehe Richter 2008, S. 550 und S. 553. 1432 Hoare, Richard Colt: Fonthill Abbey. On its close, in: Gentleman’s Magazine Nr. 92 (Oktober 1822), S. 291–92; hier: S. 291; online abrufbar unter: https://books.google.de/books?id=s93bifR6 Fj0C&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q=Fonthill &f=false (zuletzt 03.03.2021); als Autor des Kommentars wird in Gentleman’s Magazine lediglich »VIATOR« (Reisender) angegeben. Richter identifiziert den Schreiber als Colt. Vgl. Richter 2008, S. 553.
III. Hauptteil
Formulierungen wie »[f]inery and shew« (soviel wie Glanz und Zurschaustellung) sind im damaligen englischen Sprachgebrauch ebenfalls eindeutig ›weiblich‹ konnotiert und dienen dazu, den ›effeminierten‹ Charakter der Fonthill Abbey zu unterstreichen.1433 Wie bei Walpole zeigt sich auch am Beispiel Beckfords, dass die Konstruktion bzw. Konzeption eines konkret-materiellen queer space in hohem Maße davon abhängig ist, was in der Gesellschaft als akzeptable und ›männliche‹ Ausdrucksform erachtet wird und was nicht: Auf der einen Seite stehen Männer, wie z.B. Hoare oder Walpole d. Ä., die mit ihren neoklassizistischen und ›reduzierten‹ Bauten ganz dem aus der Glorious Revolution geborenen Ideal des ›vergeistigten‹ Mannes entsprechen, welches sich nach der Französischen Revolution auch europaweit als neues adliges bzw. bürgerliches Männlichkeitsideal verbreiten sollte.1434 Auf der anderen Seite stehen mit Horace Walpole und William Beckford zwei ›Exzentriker‹, deren Architekturkonzeptionen aus der Zeit gefallen zu sein scheinen und die aufgrund ihres spielerischen Umgangs mit ästhetischen Konventionen zunächst als ›effeminiert‹ und daher minderwertig verurteilt wurden. Obgleich die in Strawberry Hill und der Fonthill Abbey realisierte Neuinterpretation der Gotik später in ›bereinigter‹ Form breiten Zuspruch erfahren sollte (z.B. am Westminsterpalast, der zwischen 1840 und 1870 errichtet wurde), waren diese beiden Gebäude doch gerade wegen ihrer campen Zuspitzung architektonischer Ausdrucksformen singuläre Manifestationen einer durch und durch queeren Bausprache. Ein Bauherr aus dem deutschsprachigen Raum, der in seinen architektonischen Selbstverwirklichungen ein ähnliches Ausmaß an camper Ästhetik erreichte wie Walpole und Beckford, war Ludwig II. von Bayern (1845–1886). Der oftmals als ›Märchenkönig‹ stilisierte Ludwig, dessen wirkliches Leben und Regentschaft nicht nur von einem prekären und letztlich erfolglosen Drahtseilakt zwischen dem eigenen absolutistischen Herrschaftsverständnis und der Realität einer konstitutionellen Monarchie bestimmt war, sondern auch von psychischen und physischen Leiden, ist der Nachwelt vor allem durch seine vielzähligen Bauvorhaben bekannt: Dazu gehören die Schlösser Neuschwanstein,
1433 So verlautbart die wenig bescheidene und bigotte Pfarrersgattin Mrs. Elton in Jane Austens Emma (1816) etwa: »I must put on a few ornaments now because it is expected of me. A bride, you know, must appear like a bride, but my natural taste is all for simplicity; a simple style of dress is so infinitely preferable to finery. But I am quite in the minority, I believe; few people seem to value simplicity of dress, – shew and finery are every thing.« (Austen, Jane: Emma. London 1816, Vol. 2 von 3, S. 328; online abrufbar unter: https://en.wikisource.org/wi ki/Emma/Volume_2/Chapter_17 (zuletzt 03.03.2021)); bei dem englischen Historiker William Robertson findet die Formulierung »finery and shew« gleichermaßen Verwendung, um den angeblich ›weiblichen‹ Körperschmuck indigener Männer zu beschreiben: »Among a race of men so haughty as to despise, or so cold as to neglect them, them women naturally became careless and slovenly, and the love of finery and shew, which had been deemed their favourite passion, was confined chiefly to the other sex.« (Robertson, William: The History of America. Vol. 1 von 2, Philadelphia 1812, S. 343; online abrufbar unter: https://books.google.de/books?i d=BMQRAAAAYAAJ&pg=PA343&lpg=PA343&dq=finery+and+shew&source=bl&ots=1eV0W3wG 4A&sig=ACfU3U1FZW4GPjbUnoMtuXKWLxMW-O4FWg&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwinobLmv pbvAhUkzYUKHZHjAi0Q6AEwDHoECA8QAw#v=onepage&q&f=false (zuletzt 03.03.2021)). 1434 Vgl. hierzu Kapitel III.3.1 sowie Vinkens Überlegungen zur Modeentwicklung (Vinken 1993).
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Linderhof und Herrenchiemsee sowie das Königshaus am Schachen. All diesen Bauprojekten ist gemein, dass sie unmittelbarer Ausdruck von Ludwigs illusorischer Lebensund Herrschaftsvorstellung sind und damit, wie Christine Tauber in Ludwig II.: Das phantastische Leben des Königs von Bayern (2013) treffend anmerkt, als gebaute »Utopien« bzw. »real nicht existenzfähige ›Länder Nirgendwo‹« gelesen werden können.1435 Im Folgenden soll exemplarisch jeweils ein Raum im Schloss Neuschwanstein und im Königshaus am Schachen untersucht werden, um die campen und queeren Aspekte von Ludwigs architektonischen Utopien herauszuarbeiten. Zuvor soll jedoch kurz auf den König und seine sexuelle Orientierung eingegangen werden, da dieser Aspekt entscheidend für die Belange der vorliegenden Arbeit ist. Die Homosexualität Ludwigs II. ist ein bis heute heftig debattiertes Thema. Als Sehnsuchtsfigur vieler Bayer_Innen, erscheint es einigen geradezu frevelhaft, dem ›Märchenkönig‹ eine queere Sexualität zu ›unterstellen‹. Jedoch sprechen die zahlreichen historischen Dokumente, wie z.B. seine private Korrespondenz, dafür, Ludwig als homosexuell zu verstehen – in Hirschfelds fünfbändiger Geschlechtskunde (1926–1930) wird Ludwig gar als Beispiel für effeminierte Männer genannt (vgl. Abb. 157).1436 Wie der Historiker Klaus Reichold erörtert, war die Homosexualität Ludwigs bereits zu Lebzeiten des Monarchen kein Geheimnis.1437 Wenngleich nicht bekannt ist, inwiefern bzw. ob Ludwig seine Homosexualität ausgelebt hat – ein Umstand, der ihn mit vielen anderen als queer eingestuften historischen Persönlichkeiten verbindet –, so bezeugen doch seine zahlreichen Briefe an umworbene Freunde und Günstlinge sein männlich-männliches Begehren: Neben Paul von Thurn und Taxis (1843–1879) sowie dem Reitknecht Joseph Völk (Lebensdaten unbekannt), mit denen Ludwig im Juni 1866 eine ganze Woche alleine auf der Roseninsel im Starnberger See verbrachte, sind hier auch der Marstallfourier Karl Hesselschwerdt (1840–1902) sowie der Schauspieler Josef Kainz (1858–1910) zu nennen.1438 An Hesselschwerdt schreibt Ludwig in einem undatierten Brief, dass er »nicht umhin [komme], Mich in Erinnerung Deiner unvergesslichen, berauschenden Küsse vom April vorigen Jahres in Deine Arme zu werfen und Dich zu küssen.«1439 Trotz dieser expliziten Liebesbekundungen haderte Ludwig zeit seines Lebens mit seiner Sexualität. Dies 1435 Tauber 2013, S. 16. 1436 Es sei hier auf das kritisch zu bewertende Buch von Robert Holzschuh verwiesen, in welchem er die 1999 von ihm bei einer Auktion erworbenen privaten Briefe Ludwigs abdrucken ließ. In diesen als authentisch deklarierten Briefen wird das mann-männliche Begehren des Königs deutlich thematisiert. Vgl. Holzschuh, Robert: Das verlorene Paradies. Die persönliche Tragödie des Märchenkönigs, Frankfurt a.M. 2001; kritisch kommentiert wird Holzschuhs Ansatz in Reichold, Klaus: Splitter 9: Keinen Kuß mehr! Reinheit! Königtum! Ludwig II. von Bayern (1845–1886) und die Homosexualität, München 2003, S. 13f; schon in der zuerst 1923 veröffentlichten Biographie von Gottfried von Böhm findet Ludwigs »Mangel an Neigung für das weibliche Geschlecht« Erwähnung (Böhm, Gottfried von: Ludwig II. König von Bayern. Seine Leben und seine Zeit, Berlin 1924, S. 631; online abrufbar unter: https://www.bavarikon.de/object/bav:BSB-MDZ-00000BSB00059070?lang=de (zuletzt 09.03.2021)). 1437 Siehe Reichold 2003, S. 9ff. 1438 Zu Paul von Thurn und Taxis siehe Reichold 2003, S. 22–25; zu Joseph Völk siehe ebd., S. 25–27; zu Karl Hesselschwerdt siehe ebd., S. 28–30; zu Josef Kainz siehe ebd., S. 45–50. 1439 Ludwig an Hesselschwerdt, ohne Ort und Datum, Sammlung Anton Zimmermann, Ordner 1, Brief 9, zit.n. Reichold 2003, S. 30.
III. Hauptteil
wird vor allem in seinen erhaltenen Tagebucheinträgen evident, in welchen er wiederholt seinen verzweifelten Kampf gegen das eigene Verlangen thematisiert hat.1440 In einem Eintrag von 1877 heißt es etwa: »Keinen Kuss mehr […]. Reinheit, Königtum!«1441 Und 1881 schrieb der König in französischer Sprache und in deutlich frustrierterem Ton: »[M]audits soient encore et pour toujours les baiser profanes«.1442 Aus diesen historischen Dokumenten ergibt sich das Bild eines zutiefst zerrissenen Mannes, der sich mit der Unmöglichkeit konfrontiert sah, sein eigenes Begehren mit der damals vorherrschenden und auch von ihm geteilten gesellschaftlichen Moralvorstellung in Einklang zu bringen. Zudem dürfte Ludwigs Selbsthass dadurch befeuert worden sein, dass infolge der Eingliederung Bayerns in das Deutsche Reich 1871 nunmehr ein neues Strafgesetz für das vereinte Deutschland galt, wonach Homosexualität durch den Paragrafen 175 landesweit kriminalisiert wurde – zuvor galt in Bayern von 1813 bis 1871 das von Anselm von Feuerbach (1775–1833) entworfene Strafgesetzbuch, das den gleichgeschlechtlichen Beischlaf nicht mehr als Strafbestand erachtete.1443 Das erotische Verlangen des Königs, welches von zahlreichen Zeitgenoss_Innen als ›Perversion‹ verurteilt wurde, spielte überdies eine entscheidende Rolle bei seiner unrühmlichen Absetzung, die vom Ministerratsvorsitzenden Johannes von Lutz (1826–1890) sowie dem Außenminister Friedrich Krafft von Crailsheim (1841–1926) forciert wurde.1444 Gottfried von Böhm, der vormalige Mitarbeiter Crailsheims, zitiert seinen ehemaligen Vorgesetzten in Ludwig II. König von Bayern. Seine Leben und seine Zeit (zuerst 1923) wie folgt: »Der Minister des Äußern [Crailsheim, NM] sagte mir am 8. Juni 1886, es sei für ihn sehr misslich, gegen seinen Landesvater vorgehen zu müssen, allein [Bernhard von]
1440 Die Tagebücher wurden 1925 von Erwin Riedinger, dem Stiefsohn des 1890 verstorbenen Ministerratsvorsitzenden Johannes von Lutz, unter dem Pseudonym Edir Grein (ein Anagramm von Riedinger) veröffentlicht. Lutz, der eine der treibenden Kräfte hinter der Entmündigung des Königs war, brachte die letzten Bände der Tagebücher in seinen Besitz, um im Falle eines Scheiterns, ›Beweismaterial‹ für den vermeintlichen Wahnsinn Ludwigs vorlegen zu können. Siehe Grein, Edir: Tagebuchaufzeichnungen von Ludwig II., König von Bayern, Schaan (Liechtenstein) 1925; online abrufbar unter: https://www.bavarikon.de/object/bav:BSB-MDZ-00000BSB00059128?lang=de (zuletzt 09.03.2021); siehe auch Reichold 2003, S. 59. 1441 Grein 1925, S. 59; dieser Eintrag ist mit »Ludwig« und »Richard« unterschrieben. Bei Letzterem handelt es sich wohl um Richard Hornig, einen ehemaligen Bediensteten Ludwigs, mit welchem er ebenfalls eine enge Beziehung pflegte. Vgl. Reichold 2003, S. 30–32; Reichold verweist zudem darauf hin, dass die Worte ›Reinheit‹ und ›Königtum‹ vermutlich von Hornig geschrieben wurden. Siehe ebd., S. 60 (Fußnote 305). 1442 Grein 1925, S. 87; in den Anmerkungen zu diesem Tagebucheintrag wird diese Stelle wie folgt übersetzt: »[V]erflucht seien noch für immer die profanen Küsse« (Ebd., S. 89); Reichold merkt noch an, dass Ludwig mit der Formulierung ›profane Küsse‹ alle homosexuell motivierten und daher verbotenen Küsse meinte. Vgl. Reichold 2003, S. 60 (Fußnote 306). 1443 Siehe Reichold 2003, S. 62–66; für einen Überblick über die historischen Geschehnisse, die Ludwigs Leben prägten, siehe die von Gabriele Strobel zusammengestellte Zeittafel in Tauber 2013, S. 318–329; hier: S. 323. 1444 Siehe Reichold 2003, S. 73.
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Gudden habe gesagt, es sei besser für den König, für geisteskrank erklärt zu werden, da man ihn außerdem für einen der perversesten Menschen halten müsse.«1445 Ausgehend von dieser sowie vielen weiteren Äußerungen und Dokumenten argumentiert Reichold, dass die von Crailsheim angesprochene ›Perversion‹ bzw. Homosexualität des Königs der eigentliche Grund für dessen Entmündigung war.1446 Vermutlich aber war es das Zusammenwirken mehrerer Faktoren, die zum politischen Ende und schließlich auch zum bis heute ungeklärten Tod Ludwigs im Starnberger See geführt haben: Neben seinem als ›pervers‹ deklariertem Begehren trugen sicherlich auch seine hohen (Bau-)Ausgaben sowie sein fast gänzlicher Rückzug aus der Öffentlichkeit ab 1871 zu seiner Absetzung bei.1447 Sowohl Ludwigs ausgesprochene Baulust1448 als auch seine Abkehr von der Gesellschaft evozieren deutliche Parallelen zu Beckford. Beide Männer verbindet ihr Außenseiterstatus: Auf der einen Seite steht Beckford, der trotz seines großen Reichtums bis zu seinem Tod von der öffentlich gewordenen Beziehung zu William Courtenay heimgesucht und von der Gesellschaft gemieden wurde. Auf der anderen Seite steht Ludwig, der sich aufgrund seiner konfliktbeladenen Sexualität sowie der zunehmend als Belastung empfundenen repräsentativen Aufgaben seines Amtes mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurückzog.1449 Auch in der Reaktion auf ihre jeweiligen sozialen Umstände ähneln sich Beckford und Ludwig: Die Zwei entzogen sich schlichtweg ihrer ernüchternden Lebensrealität und flüchteten in »eine imaginäre Wirklichkeit«, die sie fernab gesellschaftlicher Restriktionen und Erwartungen ganz nach ihrem Willen gestalten konnten.1450 Wie genau diese ›Gegenwirklichkeit‹ bei Ludwig aussieht und wie bzw. ob sich sein gleichgeschlechtliches Begehren auch in seinen architektonischen Selbstverwirklichungen manifestiert, soll anhand des Thronsaals in Schloss Neuschwanstein und des Türkischen Saals im Königshaus am Schachen untersucht werden. Zunächst zum wohl bekanntesten Bauprojekt Ludwigs, dem Schloss Neuschwanstein (Abb. 158.1). Das 1869 begonnene Schloss wurde von Ludwig in Zusammenarbeit mit dem Bühnenmaler Christian Jank (1833–1888) und dem Architekten Eduard Riedel (1813–1885) in Anlehnung an Richard Wagners Interpretation der Gralsritterlegenden von Lohengrin (1850) und Parsifal (Prosaentwurf 1865, Oper 1882) sowie der von Ludwig
1445 Böhm 1924, S. 643; Bernhard von Gudden war einer der Psychiater, die das umstrittene Gutachten verfassten, auf Grundlage dessen Ludwig II. entmündigt wurde. Unter bis heute ungeklärten Umständen ertrank er gemeinsam mit Ludwig am 13. Juni 1886 im Starnberger See. 1446 Siehe Reichold 2003, S. 69–74. 1447 Zum öffentlichen Rückzug siehe ebd., S. 65; siehe auch Tauber 2013, S. 181 und S. 323. 1448 Allein in den Jahren 1869 und 1870 begann er vier Bauprojekte: das Königshaus am Schachen, Schloss Neuschwanstein, der nicht mehr existente Wintergarten in der Münchner Residenz sowie Schloss Linderhof. 1449 Entscheidend für Ludwigs Frustration dürfte wohl auch die ›politische Impotenz‹ seines Amtes gewesen sein, gestaltete sich das Regieren innerhalb einer konstitutionellen Monarchie doch gänzlich anders, als er es sich in seinen absolutistischen Machtphantasien ausmalte. Vgl. Tauber 2013, S. 153. 1450 Heinemann 2000, S. 159; da Ludwig ähnlich wie Beckford und Walpole maßgeblich an den Planungs- und Bauprozessen beteiligt war, erscheint es nur sinnig, seine Gebäude als Ausdruck seiner Persönlichkeit zu verstehen.
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Sulpiz Boisserrée verfassten Schrift Ueber die Beschreibung des Tempels des heiligen Grales in dem Heldengedicht: Titurel Kap. III (1835) als entrückte Gralsburg konzipiert.1451 In der erhöhten Lage des Schlosses auf einem Felsplateau sowie der sich im Laufe der Planungsphase zuspitzenden Fokussierung des Baus auf den Thronsaal (vgl. Abb. 158.2), mit welcher Ludwig trotz des eher additiven Grundrisses von Neuschwanstein wohl der vermeintlichen Zentralbauidee der Gralsburg Rechnung tragen wollte, spiegeln sich nicht nur sein gesteigertes Bedürfnis nach Weltflucht, sondern auch seine idealisierte Vorstellung einer einzig und allein auf den König ausgerichteten Monarchie.1452 Passend zu Ludwigs »sakrosankter« Auffassung von Königtum orientiert sich die vom Architekten Julius Hofmann (1840–1896) entworfene Innenausstattung des Thronsaals an byzantinischen und mittelalterlichen Vorbildern und referiert damit auf eine – in den Augen des Königs – »strahlend-helle Zeit vorbildlicher monarchischer Ordnung.«1453 Gleichermaßen ›strahlend-hell‹ präsentiert sich dann auch der Thronsaal: Der sich über das dritte und vierte Stockwerk erstreckende Kuppelsaal, welcher sich im hintersten Teil des Schlosses befindet, wird an drei Seiten von einem zweigeschossigen Arkadenrundgang umfasst und an der nordwestlichen Seite von einer in Gold leuchtenden Apsis abgeschlossen (Abb. 158.3). Die Apsiskalotte ziert eine Darstellung Christi als Weltenrichter, der umgeben von einer Engelsglorie, auf einem Regenbogen thront. Ihm zur Seite stehen Maria und Johannes in ihrer Rolle als Fürbitterin und Fürbitter. Unter dieser Szene finden sich in isokephalischer Anordnung die Figuren sechs heiliggesprochener Könige (u.a. König Stephan I. von Ungarn, der römisch-deutsche Kaiser Heinrich II., König Ludwig IX. von Frankreich),1454 die durch sieben stilisierte Dattelpalmen voneinander getrennt werden. An den Seitenwänden der Apsis sind zudem die zwölf Apostel dargestellt – je sechs auf einer Seite. Das in der Apsis deutlich werdende Bildprogramm der Gerichtsbarkeit, welches in der Figur des Weltenrichters seinen Höhepunkt findet, wird auch von der restlichen Bildausstattung des Thronsaals aufgegriffen. So sind auf der gegenüberliegenden Seite der Apsis etwa drei Wandbilder angebracht (siehe Abb. 158.4),
1451 Als Gralsburg wird jener sagenumwobene Ort bezeichnet, an dem die Gralsritter den Heiligen Gral aufbewahrt haben sollen. Der Gral, der sowohl beim letzten Abendmahl als auch bei der Kreuzigung zum Einsatz gekommen sein soll – angeblich wurde in ihm das Blut Christi aufgefangen –, sei, so Sulpiz Boisserrée, das Artefakt »christlichen Zaubers« (zit.n. Tauber 2013, S, 144); in Wolfram von Eschenbachs Parzival (ca. 1200–1210), das Wagner als Vorlage für Lohengrin und Parsifal diente, verspricht der Gral ewiges Leben und repräsentiert die christlichen Erlösungsgedanken. Vgl. Spangenberg, Marcus: Der Thronsaal von Schloss Neuschwanstein. König Ludwig II. und sein Verständnis vom Gottesgnadentum, Regensburg 1999, S. 5f; zur Gralsburg und dem Gral vgl. zudem Tauber 2013, S. 137 und S. 139f; sowie Petzet, Michael: Die Gralswelt König Ludwigs II.: Neuschwanstein als Gralsburg und die Idee des Gralstempels, in: Kat. Ausst. Der Gral: Artusromantik in der Kunst des 19. Jahrhunderts, hg. von Reinhold Baumstark, München 1995/96, Köln 1995b, S. 63–68; Ludwig selbst sprach von Neuschwanstein als seine »Gralsburg«. Siehe Hacker, Rupert (Hg.): Ludwig II. von Bayern in Augenzeugenberichten. München 1972, S. 260. 1452 Zu den überlieferten Vorstellungen der Gralsburg siehe Tauber 2013, S. 140f; zur Lage des Thronsaals siehe ebd., S. 145f; zu den Parallelen zwischen der Architektur Neuschwansteins und dem Monarchieverständnis siehe ebd., S. 148ff und S. 155f. 1453 Ebd., S. 148. 1454 Vgl. Spangenberg 1999, S. 37f.
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die ebenfalls das Thema von Recht und Gesetz behandeln: Während im unteren Stockwerk ein Wandbild vom hl. Georg im Kampf mit dem Drachen auf die irdische Ordnung verweist, repräsentiert die darüber zu findende Darstellung vom Erzengel Michael, der Luzifer in die Hölle stürzt, ihr himmlisches Äquivalent.1455 In der Lünette befindet sich das dritte Wandbild, welches die Heiligen Drei Könige unter dem Stern von Bethlehem zeigt. Dieses Bild, das mit den zwei seitlichen Lünettenbildern korrespondiert, die das antike und das alttestamentliche Gesetz darstellen, verweist auf den Anbruch des christlichen Zeitalters und damit auf das nun geltende christliche Recht und Gesetz, als dessen irdischer Vertreter Ludwig sich selbst sah.1456 Ursprünglich hätte dieses Bildprogramm, das sich vor allem in der Gestaltung der Apsis stark an den Ausmalungen der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Allerheiligen Hofkirche sowie der Abteikirche St. Bonifaz in München orientiert, als thematische Rahmung des für die Apsis geplanten und mit einem Baldachin bzw. Ziborium überdachten Throns dienen sollen. Der Thron, dessen Fehlen angesichts Ludwigs politischer Machtlosigkeit eine entscheidende Leerstelle markiert, wurde jedoch aufgrund mangelnder Finanzen nie angefertigt und liegt nur als Entwurf vor.1457 Wäre der Thron am angedachten Standort aufgestellt worden, dann hätte er Ludwig II. nicht nur in den Kreis der hinter ihm dargestellten heiliggesprochenen Könige gerückt, sondern ihn auch mit Christus als Weltenrichter parallelisiert. Diese Idee des Königs als oberste richterliche Instanz auf Erden spiegelt Ludwigs omnipotenten Herrschaftsanspruch überdeutlich wider.1458 Zugleich impliziert der sakrale Charakter des Thronsaals1459 und insbesondere die Darstellung Christi als Weltenrichter einen Erlösungsgedanken, der im Einklang mit der grundlegenden Idee von Schloss Neuschwanstein als Gralsburg steht: Der Gral und mit ihm die Gralsburg stehen stellvertretend für das christliche Heilsversprechen und müssen auf Ludwig, der wegen seines gleichgeschlechtlichen Begehrens von existenziellen Schuldgefühlen geplagt wurde, eine ganz besondere Faszination ausgeübt haben.1460 Unter diesem Gesichtspunkt ergibt sich hinsichtlich des sakral aufgeladenen Thronsaals neben seiner Deutung als bauliche Repräsentation von Ludwigs Herrschaftsverständnis auch noch eine weitere Lesart: So kann dieser Raum auch im Sinne einer »Erlösungsstätte« interpretiert werden, von der sich Ludwig Läuterung versprach.1461 Das in Sichtachse des angedachten Thronstandortes befindliche Bild des hl. Georg, der mit dem Drachen kämpft, wäre in diesem Zusammenhang dann nicht nur als Hinweis auf das Aufrechterhalten göttlicher Ordnung auf Erden zu verstehen, sondern auch als Sinnbild des internalisierten Kampfes Ludwigs mit seinem eigenen Verlangen.1462
1455 Vgl. Tauber 2013, S. 149; vgl. auch Spangenberg 1999, S. 44f. 1456 Vgl. Tauber 2013, S. 152; vgl. auch Spangenberg 1999, S. 51–57; zum Bildprogramm siehe zudem Schatz, Uwe Gerd: Sakralität in den Bauten Ludwigs II., in: Lepik, Andres; Bäumler, Katrin (Hg.): Königsschlösser und Fabriken. Ludwig II. und die Architektur, Basel 2018, S. 70–81: hier: S. 74f. 1457 Der Entwurf stammt von Julius Hofmann. Siehe hierzu auch Spangenberg 1999, S. 25f. 1458 Vgl. Tauber 2013, S. 157. 1459 Zu den sakralen Aspekten Neuschwansteins siehe u.a. Schatz 2018, S. 74–76. 1460 Siehe Spangenberg 1999, S. 5f. 1461 Ebd., S. 6.; vgl. zudem Reichold 2003, S. 67. 1462 Vgl. ebd.
III. Hauptteil
Ein sinnliches Gegenprogramm zum Sühne- und Thronsaal in Neuschwanstein stellt der 1870 in Auftrag gegebene und zwischen 1871/72 entstandene Türkische Saal im Königshaus am Schachen dar (Abb. 159.2), der zusammen mit dem sogenannten Maurischen Kiosk und dem Marokkanischen Haus in Linderhof sowie dem nicht mehr existenten Wintergarten in der Münchner Residenz das große Interesse Ludwigs an islamischer bzw. ›orientalischer‹ Architektur belegt.1463 Von außen präsentiert sich das in 1866 Meter Höhe nach einem Entwurf des Hofoberbaudirektors Georg Dollmann (1830–1895) und des Hofbauingenieurs Joseph Röhrer errichtete Königshaus eher zurückhaltend, wobei jedoch die an der Nordfassade erkennbaren ›orientalischen‹ Bauschmuckelemente zu erwähnen sind, wie etwa die maurischen Bögen am oberen Abschluss des filigranen Holzbalkons (Abb. 159.1). Es sind diese Elemente, die dem Gebäude trotz aller architektonischer Zurückhaltung etwas dezidiert ›Fremdartiges‹ verleihen. Ein Eindruck, der überdies durch den Kontrast zwischen der Alpenkulisse und den ›orientalischen‹ Architekturanleihen verstärkt wird – Tauber spricht im Hinblick auf das Schachenhaus sowie den Maurischen Kiosk, der ebenfalls von einer eindeutig nordalpinen Umgebung bzw. Vegetation gerahmt wird, von einem »Verfremdungseffekt«.1464 Ludwig, der seine Vorliebe für den ›Orient‹ zuvor im Wintergarten der Residenz zum Ausdruck gebracht hatte, beschäftigte sich zur Planungs- und Bauzeit des Türkischen Saals intensiv mit dem Osmanischen Reich und Konstantinopel.1465 Da Ludwig den Orient selbst nie bereist hatte, dienten ihm Reiseberichte sowie seine Besuche auf den Weltausstellungen (u.a. Paris 1867) als Bezugspunkte.1466 Für den von Dollmann und Röhrer entworfenen Saal im Schachenhaus ist anzunehmen, dass eine Illustration aus dem von Robert Walsh verfassten und von Thomas Allom illustrierten Constantinople and the Scenery of the Seven Churches of Asia Minor (um 1839) als Vorlage diente: Ein Stich aus dieser Publikation, der einen unter der Regentschaft Sultan Selims III. (1762–1808) für dessen Schwester erbauten oder ausgestatteten Saal zeigt, weist unübersehbare Parallelen zu Ludwigs Türkischem Saal auf – der Wandaufriss sowie die ornamentale Wand-
1463 Tauber ergänzt dazu, dass das Interesse Ludwigs am ›Orient‹ ganz der zeitgenössischen Mode entsprach und er gemäß des damaligen Orientalismus-Trends keinerlei Differenzierungen zwischen den Künsten des Osmanischen Reiches, Indiens etc. traf. Vielmehr verschmolzen all diese Kulturen in der Fantasie des Königs zu einem Amalgam eines unwirklichen Sehnsuchtsortes. Vgl. Tauber 2013, S. 188; zur Faszination Ludwigs für islamische bzw. ›orientalische‹ Architektur siehe Troelenberg, Eva-Maria: Exotische Raumordnungen? Vermittlungswege und Rezeptionsvarianten islamischer Architektur bei Ludwig II., in: Lepik, Andres; Bäumler, Katrin (Hg.): Königsschlösser und Fabriken. Ludwig II. und die Architektur, Basel 2018, S. 104–116; hier: S. 105; zwei im Erdgeschoss des Königshauses befindliche Gemälde, die einen »Mogulpalast« und »die Bergwelt des Himalaja« zeigen, nehmen direkten Bezug auf die Wandmalereien im einstigen Wintergarten der Münchner Residenz. (Petzet, Michael: Gebaute Träume. Die Schlösser Ludwigs II. von Bayern, München 1995a, S. 212). 1464 Tauber 2013, S. 186. 1465 Vgl. Evers, Hans Gerhard: Ludwig II. von Bayern: Theaterfürst – König – Bauherr, Gedanken zum Selbstverständnis, München 1986, S. 172; vgl. hierzu auch Troelenberg 2018, S. 108. 1466 Vgl. Tauber 2013, S. 188; vgl. auch Petzet 1995a, S. 166f und S. 216.
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und Deckengestaltung wurden fast unverändert übernommen (vgl. Abb. 159.3).1467 Wie Eva-Maria Troelenberg hierzu anmerkt, handelt es sich bei dem von Allom dargestellten Raum um ein Paradebeispiel des ›Türkischen Rokokos‹, das sich durch eine Vermischung osmanischer und europäischer Architektur- bzw. Dekorationselemente auszeichnet.1468 Ebenjenes stilistische Zusammenspiel bestimmt auch den Charakter des Türkischen Saals im Schachenhaus, wobei der dortige Einsatz von Buntglasfenstern zusammen mit dem in der Raummitte platzierten Brunnen, dem opulenten Mobiliar sowie den ›orientalisch‹ anmutenden ›Requisiten‹, wie z.B. die Pfauenwedel, eine inszenatorisch übersteigerte und campe Version des ›Orients‹ repräsentiert. Diese Deutung des Interieurs als camp wird durch den Umstand gestützt, dass Ludwig den Saal als Bühne für die Inszenierung ›orientalischer‹ Tableaux vivants nutzte, in denen er selbstredend die Rolle des Sultans einnahm.1469 Hierzu schreibt Luise von Kobell (1828–1901): »Hier saß in türkischer Tracht Ludwig II. lesend, während der Troß seiner Dienerschaft als Moslems gekleidet auf Teppichen und Kissen herumlagerte, Tabak rauchend und Mokka schlürfend, wie der königliche Herr befohlen hatte, der dann häufig überlegen lächelnd die Blicke über den Rand des Buches hinweg auf die stilvolle Gruppe schweifen ließ. Dabei dufteten Räucherpfannen und wurden große Pfauenfächer durch die Luft geschwenkt, um die Illusion täuschender zu machen.«1470 Und in dem bei Grein abgedruckten Gutachten, welches u.a. von Bernhard von Gudden verfasst wurde, heißt es überdies: »[D]och kam es noch in neuerer Zeit vor, dass gelegentlich des Aufenthaltes Seiner Majestät auf dem Schachen Stallleute im dortigen, im türkischen Style eingerichteten Zimmer in orientalischer Weise sitzend, mit Seiner Majestät Sorbet trinken und aus türkischen Pfeifen rauchen mussten.«1471 Im Gegensatz zum vergeistigt-sakralen Thronsaal in Neuschwanstein repräsentiert der laut von Kobell in Rauch gehüllte Türkische Saal eine sinnlich-erotische Facette Ludwigs – die Beschreibungen des Saals erinnern an die fantastisch-orgiastischen Schilderungen in Beckfords Vathek. Bedenkt man zudem, dass es sich bei den im Gutachten genannten Stallleuten wohl stets um Männer gehandelt haben muss, so erhalten die Festivitäten im Königshaus einen dezidiert homoerotischen Unterton.1472 Der Thronsaal und der Türki-
1467 Siehe Walsh, Robert; Allom, Thomas: Constantinople and the Scenery of the Seven Churches of Asia Minor. Vol. 2 von 2, London um 1839, S. 33ff; vgl. auch Schatz, Uwe Gerd: Königshaus am Schachen. Amtlicher Führer, München 2015, S. 34. 1468 Vgl. Troelenberg 2018, S. 108. 1469 Die Selbstinszenierung als absolutistischer Herrscher ist ein wiederkehrendes Thema bei Ludwig II. 1470 Kobell, Luise von: König Ludwig II. von Bayern und die Kunst. München 1898, S. 447f; online abrufbar unter: https://www.bavarikon.de/object/bav:BSB-MDZ-00000BSB00058590?cq=Luise+vo n+Kobell&p=1&lang=de (zuletzt 26.03.2021)). 1471 Grein 1925, S. 141; vgl. hierzu auch Troelenberg 2018, S. 104. 1472 Über die Vorliebe des Königs für attraktive Stallbedienstete berichtet auch Reichold, der u.a. die Reitknechte Joseph Völk und Georg Walter als intime Bekanntschaften benennt. Siehe Reichold
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sche Saal werden somit zu Sinnbildern für den innerlichen Kampf des Königs, der sich zwischen seinem Herrscherbild und seinem Begehren hin- und hergerissen sah. Es ist dabei bezeichnend, dass die ›orientalisch‹ anmutenden Bauprojekte zumeist als externalisierte und/oder als erschwert zugängliche Gebäude konzipiert wurden: Während es sich etwa beim Maurischen Kiosk und dem Marokkanischen Haus um freistehende Pavillons im Park von Schloss Linderhof handelt, ist das Königshaus mit dem Türkischen Saal auf dem weitentlegenen Schachen im Wettersteingebirge lokalisiert. Im Hinblick auf die bisherige Argumentation lässt sich diese im Vergleich zu den ohnehin entlegenen Standorten von Ludwigs Bauprojekten nochmals gesteigerte räumliche Entrückung auch im Sinne einer architektonischen Kompartimentalisierung seines Begehrens deuten. Wie schon Walpole und Beckford bedient sich auch Ludwig II. bei der Konzeption seiner Bauten architektonischer Rückgriffe und Appropriationen. Sein breitgefächertes Bauvokabular, welches u.a. sowohl byzantinische, gotische und ›orientalische‹ Stilelemente als auch Bau- bzw. Dekorationsformen des Barock und des Rokoko beinhaltet, kann als Steigerung dessen betrachtet werden, was die beiden Engländer in ihren jeweiligen Häusern umgesetzt haben. Als das vereinigende Moment aller hier betrachteten baulichen Selbstverwirklichungen erweist sich neben der Appropriation architektonischer Elemente vor allem der ›bühnenartige‹ und ›unwirkliche‹ Charakter der jeweiligen Gebäude.1473 Der besagte unwirkliche Raumcharakter wird in den untersuchten Beispielen der drei Bauherren durch zwei prägnante Strategien erzielt: einerseits die bewusste Verunklärung der Räumlichkeiten und andererseits die Überwältigung der Sinne durch eine überbordende Ornamentik und Ausstattung.1474 Während Ersteres in Walpoles ›Puppenhaus‹ etwa mittels einer Maßstabsmanipulation geschieht – die gotischen Architekturelemente werden schlichtweg ›geschrumpft‹ –, äußert es sich im Falle Ludwigs II. u.a. durch die gewollte Diskrepanz zwischen dem Inneren und dem Äußeren einiger seiner Bauten – so bildet etwa die bescheidene Fassade des Königshauses in keiner Weise die Opulenz des Türkischen Saals ab.1475 Letzteres drückt sich besonders deutlich in Beckfords und Ludwigs Einsatz von Bauschmuck sowie der ausufernden Dekoration ihrer Innenräume aus. Eine weitere Gemeinsamkeit, die Ludwigs bauliche ›Traumgebilde‹ mit Strawberry Hill und der Fonthill Abbey eint, ist die grundlegende Idee eines ›Weltenbaus‹1476 jenseits der sozialen und gesellschaftlichen Realität. Dieser Gedanke findet bei Ludwig II.
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2003, S. 25ff und S. 27f; der selbst in einen homosexuellen Skandal verwickelte preußische Gesandtschaftssekretär Philipp Fürst zu Eulenburg-Hertfeld spricht in diesem Zusammenhang gar von »Ludwigs ›Lustbuben zu Pferd‹«. (Ebd., S. 51). Es sei daran erinnert, dass mit Christian Jank ein Bühnenmaler maßgeblich am Entwurf von Schloss Neuschwanstein beteiligt war. Zu Ludwigs baulichen ›Verwirrungsstrategien‹ siehe Tauber 2013, S. 266f. Vgl. ebd., S. 168. Bei dem Begriff handelt es sich um eine Übersetzung des engl. Begriffs ›world building‹. Mit diesem Wort wird die Erschaffung einer (Fantasie-)Welt in der Literatur oder anderen Medien beschrieben. Vgl. Wolf, Mark J. P.: Beyond Immersion Absorption, Saturation, and Overflow in the Building of Imaginary Worlds, in: Boni, Marta (Hg.): World Building. Transmedia, Fans, Industries, Amsterdam 2017, S. 204–214.
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nicht nur Widerhall, sondern erfährt eine Zuspitzung: So ließ der König z.B. fast das gesamte Inventar seiner Bauprojekte nach seinen Wünschen und Vorstellungen entwerfen und anfertigen, um keinerlei ›Fremdkörper‹ in seinen Schutzräumen dulden zu müssen – damit steht er im Gegensatz zu Walpole und Beckford, die sich ja ausdrücklich als Kunstsammler verstanden.1477 Der unübersehbare hermetische Charakter von Ludwigs Bauten, der auch durch die abgelegenen Standorte betont wird, evoziert dabei Parallelen zum Konzept des closet: Die Schlösser, Pavillons und Hütten des Königs funktionierten ebenso wie der closet als von der Außenwelt abgetrennte ›Schutzräume‹, die nicht nur seinem Begehren, sondern auch seinen absolutistischen Fantasien als Rückzugsorte dienten. Am Beispiel von Walpoles, Beckfords und Ludwigs II. realisierten Bauvorhaben wurde nach der Existenz eines konkret-materiellen queer space gefragt. Die Auswahl fiel dabei aus zwei Gründen auf diese drei Bauherren: Zum einen können Walpole, Beckford und Ludwig II. als Verkörperung dessen angesehen werden, was nicht nur gemäß des zeitgenössischen, sondern auch des gegenwärtigen Geschlechter- und Sexualitätsdiskurses als queere Männlichkeit verstanden wird. Zum anderen ermöglichte ihnen ihr sozialer und/oder monetärer Status, die jeweiligen Gebäude ganz nach ihren Vorstellungen umzusetzen, was diese zu unmittelbaren und in sich geschlossenen Abbildern ihrer Persönlichkeit macht. Die Diskursivierung ihrer Geschlechtlichkeit bzw. Sexualität wird in der gesellschaftlichen Wahrnehmung beinahe automatisch auf die Bauprojekte projiziert. Das an Strawberry Hill, der Fonthill Abbey, Schloss Neuschwanstein und dem Königshaus am Schachen festzumachende Phänomen einer campen bzw. queeren Architekturästhetik ist demnach das Produkt einer (bewussten oder unbewussten) Subversion tradierter Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und gerät den Gebäuden zur immanenten Charakteristik. Hierbei wird offenkundig, dass die im Verlauf der Neuzeit stetig zunehmende Vergeschlechtlichung jedweden Lebensbereiches in der westlich-europäischen Gesellschaft auch nicht vor architektonischen Ausdrucksformen Halt macht. Darüber hinaus fungierten die behandelten Baubeispiele auch ganz konkret als Rückzugsräume für queere Männer: sei es für den kunstaffinen ›fribble‹ Walpole und seinen Zirkel, den libertinen Beckford und seine ›kuriose‹ Kunstsammlung oder für den von seinem Begehren innerlich zerrissenen Ludwig II. von Bayern. Welche bedeutsame Rolle dem konkret-materiellen queer space und dessen Historisierung innerhalb der Frage nach einer queeren Bildtradition bzw. Visualität zukommt, wird
1477 Bei Simon Jervis heißt es: »Ludwig did not admit earlier works of art into his castles. Apart from an 18th -century clock in the Mirror Room at Linderhof almost everything in all his buildings was made directly under his aegis. The decorative ensembles were a direct projection of his personality and no alien artifacts carrying undisciplined memories and meanings would be allowed to intrude upon their absolutist egocentricity. For the same reason he did not collect contemporary works.« (Jervis, Simon: Ludwig II of Bavaria: His Architecture, Design and Decoration in Context, in: Kat. Ausst. Designs for the Dream King: The Castles and Palaces of Ludwig II of Bavaria, hg. von Roy Strong u. Lisa Taylor, Victoria and Albert Museum in London und Cooper-Hewitt Museum in New York 1978/79, London 1978, S. 9–21; hier: S. 15); vgl. auch Betsky 1997, S. 74.
III. Hauptteil
in Kleanthis Kyriakous (*1992) bisher nicht realisiertem Kunstprojekt House of Extravaganza: Re-imagining Strawberry Hill as an Incubator of Subversive Queer Space for London aus dem Jahr 2020 deutlich (Abb. 160). Motiviert durch das bereits angesprochene Verschwinden (kommerzieller) queerer Orte, wie Bars, Clubs etc., setzt sich der Architekt und Künstler in seinem multimedialen Projekt mit der historischen sowie gegenwärtigen Bedeutung konkreter queerer Räume auseinander. Den zentralen Dreh- und Angelpunkt stellt dabei Strawberry Hill dar, welches Kyriakou hinsichtlich Walpoles bewusster Absage an die neoklassizistischen Architekturideale nicht nur als »act of Queer architectural rebellion« deutet, sondern auch als »safe space for him [Walpole] and his adopted queer family«.1478 Für House of Extravaganza imaginiert Kyriakou für die Dauer der jährlichen Pride bzw. des Christopher Street Day die Errichtung verschiedener Pavillons in der unmittelbaren Umgebung von Strawberry Hill, die unter Verwendung architektonischer Versatzstücke des Anwesens unterschiedliche Aspekte queeren Lebens repräsentieren sollen: Neben einer Bühne für Drag-Darbietungen, einem Cruising-Garten und einer Bar wäre etwa auch ein Archiv vorgesehen. Nach dem Ende der Pride sollten die Pavillons dann im gesamten Londoner Stadtraum verteilt werden und würden, so die grundlegende Idee, ein im Stadtbild zunehmend verschwindendes queeres Netzwerk visualisieren. In seiner Arbeit macht Kyriakou auf die Flüchtigkeit queerer Orte aufmerksam und zeigt auf, wie wichtig es ist, konkret-materielle queer spaces als solche anzuerkennen, da sonst die Gefahr besteht, (wieder) in die Unsichtbarkeit abzusinken. Wie an einer der begleitenden Projektillustrationen zu erkennen ist (vgl. Abb. 160), parallelisiert Kyriakou Walpoles Anwesen hierbei mit der Figur des hl. Sebastian und setzt es damit auf eine vergleichbare ikonographische Stufe – House of Extravaganza ist auch als Versuch zu verstehen, Strawberry Hill als ›Ikone‹ mit einer ähnlichen Signalwirkung zu etablieren, wie sie vom christlichen Märtyrer ausgeht. Eine Markierung oder, wenn man so will, Vereinnahmung konkret-materieller Räume, wie z.B. von Strawberry Hill, als immanent queer erweist sich sowohl aus künstlerischer als auch aus historischer Perspektive als wichtiger Schritt, verhilft es doch dazu, räumliche bzw. architektonische Äußerungen von Queerness jenseits eines bloßen imminenten queer space zu historisieren und damit auch für die Nachwelt zu bewahren. Dieser Gedanke einer Konservierung queerer Geschichte wird überdies nochmals durch Kyriakous Planung eines Archivs hervorgehoben. Zum Abschluss soll mit dem bescheidenen Prospect Cottage des homosexuellen Regisseurs und Künstlers Derek Jarman (1942–1994) ein Beispiel Erwähnung finden, anhand dessen aufgezeigt werden kann, dass die konkret-materiellen Ausformungen des queer space nicht zwangsläufig auf »[s]innenverwirrende Ornamentik«1479 und Pomp angewiesen sind, wie dies bei Walpole, Beckford und Ludwig II. der Fall war, sondern auch durch ein bewusstes Spiel mit bestehenden Raumordnungen erzeugt werden kann. Jarman machte sich nach seiner Ausbildung an der Slade School of Fine Art in London zunächst
1478 Kyriakous, Kleanthis: Strawberry Hill: Horace Walpole’s Gothic closet [03.12.2019], 5. Absatz, in: https://www.myqueerlondon.com/criticaldesignreport/project-four-knme7 (zuletzt 03.04.2021); vgl. auch Reeve 2013, S. 428. 1479 So der Titel eines Kapitels bei Tauber 2013, S. 273.
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Queere Männlichkeiten
als Kulissendesigner für Ken Russells Skandalfilm The Devils (1971) einen Namen.1480 Für den Film, der von dem historischen Schicksal des wegen angeblicher Hexerei auf dem Scheiterhaufen verbrannten Priesters Urbain Grandier (1590–1634) handelt, entwarf Jarman u.a. die klinisch-anachronistischen Innenräume des für die Handlung zentralen Nonnenklosters.1481 Bereits mit diesem ersten großen Auftrag stellte Jarman sein einzigartiges Architektur- und Kunstverständnis unter Beweis. Obgleich er sich wenige Jahre nach The Devils selbst der Regie zuwandte und so explizit queere Filme wie Sebastiane (1976), Caravaggio (1986) und Edward II (1991)1482 drehte, sollte sein raumästhetisches Gespür nochmals in der Umgestaltung und Ausstattung seines abgelegenen Hauses in Dungeness an der südöstlichen Küste Englands Ausdruck finden (Abb. 161). Das sogenannte Prospect Cottage ist eine einfache Fischerhütte aus der Viktorianischen Zeit, die am unwirtlichen Kiesstrand des Küstenortes Dungeness in direkter Nachbarschaft zu einem Atomkraftwerk situiert ist.1483 Jarman erwarb diese eigentümliche Immobilie im Jahr 1986, kurz nachdem er von seiner positiven HIV-Diagnose erfahren hatte und sein Vater verstorben war.1484 Die Renovierung und Umgestaltung übernahm Jarman zum Großteil selbst, wobei er mit Fortschreiten seiner Erkrankung Unterstützung von befreundeten Künstler_Innen erhielt. An der ganz in Schwarz gehaltenen Fassade des Hauses, deren einziger Farbakzent die grellgelb bemalten Fensterrahmen sind, veränderte Jarman nur wenig und frischte sie lediglich mit schwarzer Teerfarbe auf.1485 Etwas später installierten einige Freund_Innen ein skulpturales Textrelief an der Südseite der Hütte, welches Zeilen aus einem von Jarmans Lieblingsgedichten wiedergibt: John Donnes (1572–1631) The Sun Rising.1486 In diesem Gedicht klagt ein Liebender darüber, dass die aufgehende Sonne der gemeinsamen Nacht mit der Geliebten ein jähes Ende bereitet. Für Jarman, der das Gedicht laut seinem Biographen Tony Peake zum ersten Mal las, als er aufgrund seiner HIV-Infektion in stationärer Behandlung war, musste
1480 Der Film basiert auf dem semi-historischen Buch The Devils of Loudon (1952) von Aldous Huxley. Zu Jarmans Arbeit an The Devils vgl. Peake, Tony: Derek Jarman. A Biography, Minneapolis 2011 (zuerst 1996), S. 153–164. 1481 Sam Ashby schreibt zu den Kulissen: »[T]hese clinical, white-tiled interiors provide austere, antiseptic backgrounds for scenes of plague, exorcism, masturbation and execution.« (Ashby, Sam: The Devil & Derek Jarman. In: Little Joe Magazine, Nr. 3 (2011), S. 46–53; hier: S. 50). 1482 Das Produktionsdesigns gab er für seine Filme an Christopher Hobbs (*1945) ab. Siehe ebd., S. 53. 1483 Peake 2011, S. 394. 1484 Zum Tod des Vaters siehe Peake 2011, S. 372; zur HIV-Diagnose siehe ebd., S. 378; zum Cottage siehe ebd., S. 394f; vgl. auch Ellis, Jim: Derek Jarman’s Angelic Conversations. Minneapolis et al. 2009, S. 169. 1485 Peake 2011, S. 394. 1486 Vgl. ebd., S. 521; die zitierten Zeilen lauten: »Busy old fool, unruly Sun:/Why dost thou thus,/ Through windows, and through curtains, call on us? Must to thy motions lovers’ seasons run? Saucy pedantic wretch, go chide/Late schoolboys and sour prentices,/Go tell court-huntsmen that the king will ride,/Call country ants to harvest offices;/Love, all alike, no season knows nor clime,/Nor hours, days, months, which are the rags of time./[…] Thou, Sun, art half as happy as we/In that the world’s contracted thus./Thine age asks ease, and since thy duties be/To warm the world, that’s done in warming us./Shine here to us, and thou art everywhere;/This bed thy centre is, these walls thy sphere.« (Donne, John: The Sun Rising [05.04.2021], in: Poetry Foundation, https://www.poetryfoundation.org/poems/44129/the-sun-rising (zuletzt 07.04.2021)).
III. Hauptteil
die in diesem Text widerhallende Sehnsucht und Wehmut angesichts der eigenen Situation eine besondere Relevanz gehabt haben.1487 Die augenscheinlichste Veränderung des Prospect Cottage erzielte Jarman jedoch dadurch, dass er dem kargen Steinboden, der stürmischen Witterung sowie der direkten Nähe zu einem Atomkraftwerk zum Trotz einen blühenden Garten mit Meerkohl, Mohnblumen etc. um das Haus anlegte.1488 In diesem Bestreben, ›Leben‹ an einen derart abweisenden Ort zu bringen, äußerten sich zum einen die direkten biographischen Umstände Jarmans, der zu einer Zeit, als eine positive HIV-Diagnose noch als Todesurteil galt, lernen musste, neuen Lebenssinn zu finden. Zum anderen kann es aber auch im Sinne einer Geste queerer Unbeugsamkeit und Widerstandsfähigkeit gedeutet werden, ›gedeihen‹ queere Individuen doch zumeist in einem ›unwirtlichen Umfeld‹ – Jarman erfuhr die volle Wucht einer gesellschaftlich tief verwurzelten Homophobie sowohl in seinem direkten Umfeld durch seinen streng-militärischen Vater, als auch durch seine Erfahrungen als HIV-positiver schwuler Mann in den 1980er- und 1990er-Jahren.1489 Mit der Anlage dieses Gartens fand Jarman einen vergleichsweise einfachen Weg, ein bestehendes Gebäude zu appropriieren und durch ein bewusstes Spiel mit der unmittelbaren Umgebung zu einem queer space zu machen.1490 Wie an diesem Beispiel eindrücklich zu erkennen ist, definieren sich die raumästhetischen Strategien zur Errichtung eines konkret-materiellen queer space nicht zwangsläufig über einen bestimmten Baustil etc., vielmehr über die ihnen inhärente Verweigerung, sich den jeweils geltenden Raumordnungen unterzuordnen. Während Jarman mit seinem von einem blühenden Garten umgebenen Cottage der rauen Umwelt trotzt und gerade dadurch eine queere Räumlichkeit erzielt, begründen sich die queeren Raumaspekte bei Walpole, Beckford und Ludwig II. vor allem durch ihr Aufbegehren gegen etablierte stilistische Ordnungen. Der konkret-materielle queer space ist demzufolge immer auch im Sinne einer gewollten räumlichen Un-Ordnung zu verstehen, die innerhalb einer nach wie vor von heteronormativen Parametern bestimmten Kultur Räume und Plätze erzeugt, in denen sich Queerness entgegen aller Hindernisse auch auf materieller Ebene entfalten kann.
1487 Vgl. Peake 2011, S. 521. 1488 In seinem Garten, den er in seinem Film The Garden (1990) auf Zelluloid bannte, stellte Jarman Skulpturen auf, die er u.a. aus Treibholz anfertigte. Siehe Ellis 2009, S. 171–177; zu The Garden siehe ebd., S. 169ff; zur frühen Begeisterung Jarmans für das Gärtnern siehe Peake 2011, S. 28 und S. 42. 1489 Zum Verhältnis mit dem Vater siehe Peake 2011, S. 21 und S. 47; zu den traumatisch-homophoben Erfahrungen Jarmans während seiner Schulzeit siehe ebd., S. 30; zur damaligen Reaktion auf AIDS siehe ebd., S. 324f. 1490 Der Erwerb des Hauses durch den Art Fund im Jahr 2020 und die damit einhergehende Aufwertung des Gebäudes zu einer musealen Einrichtung bezeugt dessen kunsthistorische Bedeutung. Vgl. Lueken, Verena: Künstlerhaus gerettet. Derek Jarmans Garten, in: FAZ [03.03.2020], https://ww w.faz.net/aktuell/feuilleton/derek-jarmans-garten-bleibt-fuer-die-oeffentlichkeit-zugaenglich-1 6709019.html (zuletzt 10.12.2020).
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IV. Ausblick: Manifestationen und Kontestationen queerer Identität(en) im 20. und 21. Jahrhundert1
Angefangen mit der sich selbstbespiegelnden Figur des Narziss konnten in dieser Arbeit sich palimpsestartig überlagernde visuelle Strategien zur Darstellung männlich-männlichen Begehrens und queerer Männlichkeit(en) im Spannungsfeld zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung herausgearbeitet werden. Als äußerst produktive Vorgehensweise innerhalb dieses Bildfindungsprozesses hat sich hierbei die Aneignung und Umdeutung etablierter Motive und ästhetischer Prinzipien erwiesen. Unter diesen Aspekt fällt sowohl die Appropriation eines pagan-antiken und christlichen Figurenpersonals als auch das Spiel mit vergeschlechtlichten Mode- und Architekturelementen. Auch im 20. und 21. Jahrhundert hat ebenjene Strategie immer noch eine Schlüsselrolle in der Konstitution eines queeren Bild- bzw. Motivkanons, was sich beispielsweise an der anhaltenden Popularität des hl. Sebastian oder der unveränderten Relevanz der Drag-Kultur bemerkbar macht. Zugleich macht sich ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber auch eine merkliche Radikalisierung und Loslösung von kunsthistorischen Vorbildern in der visuellen Selbstinszenierung bemerkbar – ein Umstand, der zweifellos auf die ersten politischen Erfolge der queeren Emanzipationsbewegung in der westlich-europäischen Gesellschaft zurückzuführen ist. Besonders eindrücklich wird dies etwa durch Mapplethorpes Self Portrait with Whip (1978) verbildlicht, in welchem sich der Künstler den teilweise auch heute noch geltenden sexualethischen Vorstellungen demonstrativ widersetzt, indem er die ultimative Transgression der gesellschaftlich etablierten heteronormativen Männlichkeitsvorstellung zum Bildsujet erhebt: die anale Penetration eines Mannes. Wie für Mapplethorpes minimalistische Ästhetik typisch, fokussiert sich die Schwarzweißfotografie (Abb. 162) voll und ganz auf das titelgebende Sujet: Im Zentrum eines schmucklosen Raumes beugt sich der Künstler, der der Kamera seinen Rücken zuwendet, in fast schon animalischer Weise über einen mit einem weißen Tuch verhängten Stuhl. Er ist lediglich mit einer Lederweste und -chaps bekleidet – Insignien der (homosexuellen) Lederszene. Während er das unter der wilden Haarpracht lustvoll
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Die für dieses Kapitel zentrale Besprechung von Mapplethorpes Self Portrait with Whip findet sich in abgewandelter Form auch in Maniu 2016.
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Queere Männlichkeiten
hervorschauende Gesicht der Kamera zuwendet und dem Publikum konfrontativ entgegenblickt, führt er mit der rechten Hand eine Lederpeitsche zwischen die gespreizten Gesäßbacken in seinen Anus ein. Wenig überraschend löste diese explizite Arbeit eine heftige Kontroverse aus, als sie 1989 im Corcoran Institute of Art in Washington D.C. als Teil einer Retrospektive erstmals einem größeren Publikum gezeigt werden sollte.2 Das gesamte Œuvre Mapplethorpes, der im Jahr der Ausstellung an den Folgen von AIDS verstarb, wurde daraufhin Gegenstand einer hitzigen Diskussion über die Grenzen zwischen Kunst und Pornographie.3 Es ist bezeichnend, dass sich die Debatte ausgerechnet an Self Portrait with Whip entzündet hat, bricht Mapplethorpe in der Fotografie doch auf radikalste Weise mit dem im westlich-europäischen Kulturkreis tief verankerten Bild einer ›starken‹ und ›undurchdringlichen‹ Männlichkeit, deren Lustempfinden einzig und allein auf den ›phallisierten Penis‹ limitiert wurde bzw. wird. Über diese ›männliche Lustökonomie‹ schreibt Jonathan Kemp in Anlehnung an Deleuzes und Guattaris Anti-Ödipus (1972): »Consequently, the phallicized penis is the only permissable site of pleasure on the male body. In this sense, a binary is established by which the penis is secondary to the concept of Phallus, just as the body is considered secondary to the mind. The anus is thus excluded altogether from the male libidinal economy, such that its erotic use immediately carries with it the threat of castration. Erotic investment in the male anus is hegemonically disavowed by branding its owners as symbolic women; a kind of castration is performed.«4 Durch den zentral ins Bild gerückten analen Penetrationsakt, der den Anus als ein alternatives Lustzentrum präsentiert, gelingt es Mapplethorpe, ein drastisches Gegenbild zur vorherrschenden Idee von Männlichkeit zu entwerfen: Innerhalb des dualen Geschlechtersystems, das »Stellen der Körperdurchlässigkeit und Undurchlässigkeit« festlegt, wird der Mann als Wesen mit ›festen‹ Körpergrenzen gedacht.5 Aus diesem Grund stellt jedweder penetrative Akt, in welchem der Mann den ›weiblich‹ konnotierten passiven bzw. rezeptiven Part einnimmt, einen Affront gegen das kulturell etablierte Männerbild dar.6 Oder verkürzt ausgedrückt: Der penetrierte Mann macht sich selbst zur ›Frau‹ und ›vaginalisiert‹ seinen Anus, da er gegen die symbolische Ordnung verstößt, die ihn als rein penetrierendes Wesen imaginiert.7 2
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Eine Abbildung von Self Portrait with Whip findet sich im begleitenden Ausstellungskatalog (Robert Mapplethorpe: The Perfect Moment) nicht. Das Bild wird als Teil des X Portfolio unter der Bezeichnung Self-Portrait, N.Y.C. (1978) aufgeführt. Vgl. hierzu Kardon, Janet: Robert Mapplethorpe. The Perfect Moment, Philadelphia 1988, S. 118. Vgl. Smith, Nathan: Op-ed: After 25 Years, Mapplethorpe’s Photos Still Crack the Bullwhip, in: The Advocate, http://www.advocate.com/commentary/2014/10/17/op-ed-after-25-yearsmapplethorpes-photos-still-crack-bullwhip (09.04.2021). Kemp 2013, S. 5. Butler 1991, S. 195; zur kulturellen Bedeutung des Anus vgl. Hocquenghem, Guy: Towards an Irrecuperable Pederasty. In: Goldberg, Jonathan (Hg.): Reclaiming Sodom. London und New York 1993, S. 236. Zum Thema der Körpergrenzen siehe Kapitel II.3.2. Allein die Möglichkeit, dass der Mann anal penetriert werden könnte, führt laut Kemp und der Philosophin Avital Ronell zu einer ›Vaginalisierung‹ des Anus. Hierzu Kemp: »I would suggest
IV. Ausblick: Manifestationen und Kontestationen queerer Identität(en) im 20. und 21. Jahrhundert
Mapplethorpe knüpft mit Self Portrait with Whip an diesen Gedanken an und subvertiert ihn dadurch, dass er sich simultan in der aktiven und passiven Rolle zeigt. Damit führt er nicht nur die im westlich-europäischen Diskurs teilweise bis heute als ›Naturwahrheit‹ angesehene Geschlechtervorstellung ad absurdum, sondern legt vielmehr die ›hermaphroditische‹ Realität menschlicher Natur offen: Der Anus ist keine ›männliche‹ oder ›weibliche‹, wohl aber eine geschlechtsunspezifische Körperöffnung, die über ein ebenso geschlechtsunspezifisches Lustpotential verfügt.8 Gesteigert wird die durch das Selbstportrait vermittelte Absage an eine ›natürliche‹ heteronormative Ordnung, aber auch durch das bewusste Konterkarieren der vermeintlich effeminierenden Penetration mittels betont ›männlicher‹ Bildelemente: So inszeniert sich Mapplethorpe zum einen in einer (ehemals) als ›hypermaskulin‹ konnotierten Lederkluft.9 Zum anderen blickt er dem Publikum ungeachtet seiner entblößten Position herausfordernd entgegen und verwehrt sich somit gegenüber jedweder Schmähung aufgrund seiner Sexualität. Auch wenn er sich in Self Portrait with Whip selbst zum Bildund Lustobjekt macht, behält er durch den direkten Blickkontakt mit den Betrachter_Innen die Kontrolle – hierin hallt auch ein in der vom Künstler frequentierten Leder- und SM-Szene beliebtes Machtspiel wider.10 Mehr noch: Durch das Zusammenspiel aus der nonchalanten Attitüde, den wilden Haaren, der animalischen Haltung, der Kleidung und der Lederpeitsche, die durch ihre Positionierung einen Teufelsschwanz evoziert, setzt sich Mapplethorpe selbstironisch als mephistophelischer Verführer in Szene, der mit seinem provokativ-faunischen Blick den Betrachter_Innen die Zerstörung des ›männlichen Hymen‹ anzupreisen sucht.11 Die in Self Portrait with Whip von Mapplethorpe zelebrierte Gleichzeitigkeit von einerseits ›aggressiv-maskulin‹ (Leder, direkter Augenkontakt etc.) und andererseits ›passivweiblich‹ (die anale Penetration) konnotierten Zeichen und Akten versinnbildlicht eine queere Realität von Begehren und Geschlechtlichkeit, die sich den Restriktionen und Zu-
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that it is the fact of this vaginization of the anus that renders its use so problematic when it comes to conceptualizing the male body. […] such vaginization is the inevitable outcome of the gendered chain of equivalences whereby body = penetrability = female. […] To break the code (of masculinity aka not getting penetrated) is to break the law, and in that rupture the male body appears penetrated, open and radically exposed as its other, as female, and thus disappearing at the same time.« (Kemp 2013, S. 69.); vgl. zudem Ronell, Avital: Finitude’s Score: Essays for the End of the Millenium. Lincoln und London 1994, S. 108. Vgl. hierzu auch Kemp 2013, S. 69. Zu den ›hypermaskulinen‹ Konnotationen der Lederkluft siehe Hennen 2008, S. 168 und S. 173. Zu Mapplethorpes Interesse an der Leder- und SM-Szene siehe Meyer, Richard: Imagining Sadomasochism: Robert Mapplethorpe and the Masquerade of Photography, in: Qui Parle, Vol. 4, Nr. 1 (Herbst 1990), S. 62–78. So radikal neu Mapplethorpes Erhebung eines analen Penetrationsaktes zum Kunstgegenstand auch war bzw. ist, so scheint er doch insbesondere mit dem ›Teufelsschwanz‹ auf die Konzeption des Homosexuellen als ›monströser Sodomit‹ anzuspielen. Wie bereits anhand seines Selbstportrait von 1985 (Abb. 70) besprochen wurde, wäre es nicht das erste Mal, dass der Künstler sich als ›Monster‹ bzw. ›Teufel‹ inszeniert. Vgl. auch Kapitel III.2.1.
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Queere Männlichkeiten
schreibungen einer Kultur der »Zwangsheterosexualität« entzieht.12 Das Selbstportrait ist demzufolge als rebellische Kampfansage eines Künstlers zu verstehen, der, beflügelt von den politischen Ambitionen der queeren Bewegung, dazu aufruft, das ›männliche Hymen‹ und mit ihm die symbolische Ordnung des Patriarchats zu durchstoßen. Im Gegensatz zu vielen früheren Bildwerken ist das Homosexuelle bzw. Queere in dieser Fotografie nicht mehr bloßer Subtext, sondern Text. In ihr manifestiert sich damit ein neues queeres Selbstverständnis, das als Plädoyer für eine fluide und humanere Konzeption von Begehren und Geschlechtlichkeit verstanden werden kann, die der komplexen Natur des Menschen Rechnung trägt. In politischer und künstlerischer Hinsicht markiert Self Portrait with Whip im 20. Jahrhundert wohl einen der radikalsten Brüche mit der Hegemonie heteronormativer Männlichkeit und verweist auf das, was Dvorsky und Hughes mit dem Begriff des »Postgenderism« bzw. der »Postgender Future« prophezeien: das Ende des Mann-Frau-Binarismus und den Anbeginn einer durch und durch queeren Zukunft.13 Ob sich diese Vorhersage wirklich erfüllen wird, bleibt jedoch abzuwarten. Wie schon anhand des historischen Rückblicks in dieser Arbeit offenkundig wurde, mag sich die jeweils geltende Geschlechterordnung zwar im Laufe der Zeit ändern, aber in ihren Grundfesten blieb sie bisher immer als eine Kontrollinstanz bestehen. Gegenwärtig macht sich dies in der Diskussion über die ›Assimilation‹ homosexueller Menschen bemerkbar, die sich, so der Vorwurf, durch ihren politischen Einsatz für die gleichgeschlechtliche Ehe den bestehenden kulturellen Praktiken unterordnen würden. Die Geschlechterforscherin Lisa Duggan prägte diesbezüglich den Begriff der Homonormativität und sieht in der ›Anbiederung‹ an das heteronormative Model einen Verrat am großen Potential einer queeren Revolution: »The new neoliberal sexual politics […] might be termed the new homonormativity – it is a politics that does not contest dominant heteronormative assumptions and institutions but upholds and sustains them while promising the possibility of a demobilized gay constituency and a privatized, depoliticized gay culture anchored in domesticity and consumption.«14 Dieser kritischen Haltung schließt sich auch Halberstam an, der eine Eingliederung in das bestehende Ordnungssystem ebenfalls ablehnt und für einen strukturellen Wandel plädiert.15 Solchen queer-theoretischen Ansätzen zufolge soll sich die Gesellschaft nicht mehr vorrangig über das auf dem Ausschlussprinzip basierende Ideal der ›Kernfamilie‹ definieren. Der ideologisch stark aufgeladene und häufig instrumentalisierte Begriff der ›Kernfamilie‹ meint dabei im erweiterten Sinne eine kulturell akzeptierte und institutionalisierte Zugehörigkeit, die sich sowohl auf Blutsverwandtschaft, als auch auf andere 12
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Butler 1991, S. 185; vgl. zu dem Bild auch Weinberg, Jonathan: Entkleidet, aber nicht entblößt. Der männliche Akt in der amerikanischen Kunst, in: Kat. Ausst. Nackte Männer. von 1800 bis heute, Leopold Museum Wien 2012/13, München 2012, S. 89–99; hier: S. 91. Dvorsky und Hughes 2008, S. 13. Duggan, Lisa: The New Homonormativity: The Sexual Politics of Neoliberalism, in: Castronovo, Russ; Nelson, Dana D. (Hg.): Materializing Democracy: Toward a Revitalized Cultural Politics, Durham und London 2002, S. 175–195; hier: S. 179. Halberstam 2005, S. 154.
IV. Ausblick: Manifestationen und Kontestationen queerer Identität(en) im 20. und 21. Jahrhundert
›naturalisierte‹ Faktoren, wie z.B. Nationalität oder Ethnizität, begründet.16 Der queere Gegenentwurf imaginiert Familie und Gemeinschaft dementgegen als durchweg adaptives und entinstitutionalisiertes Konstrukt, welches auf Inklusion und nicht auf Exklusion basiert.17 Es darf allerdings nicht übersehen werden, woher das Bedürfnis nach einer ehelichen Gleichstellung herrührt. So sind die Forderungen nach einer institutionellen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen doch maßgeblich das Resultat der AIDS-Epidemie: Durch das Fehlen einer rechtlichen Gleichstellung hatten homosexuelle Partner_Innen von Erkrankten keinerlei Anrecht auf eine Auskunft geschweige denn Mitsprache bei der Behandlung. Zudem wurde das monogame Beziehungsmodell von zahlreichen AIDS-Aktivist_Innen zur Hochphase der Epidemie auch als ›sichere‹ und ›verantwortungsbewusste‹ Alternative propagiert.18 In dem Wunsch und der Hinwendung zu einer institutionalisierten Beziehungsform drückt sich demnach schlichtweg auch der Überlebenswille einer durch die AIDS-Krise traumatisierten Generation queerer Menschen aus.19 Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass der Adaption des Eherechts durchaus revolutionäres Potential innewohnt: Indem die bisher gültige Definition der Ehe als eine der Fortpflanzung dienenden Vereinigung von Mann und Frau neu interpretiert wird, führt dies auch zu einer grundlegenden Veränderung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und zu einer Neuverhandlung kultureller Parameter. Neben diesen diskursivischen Aspekten geht es bei der Öffnung der Ehe aber auch ganz konkret um die Abschaffung gesetzlich verankerter Diskriminierung. Die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts scheint bisher ganz im Zeichen dieser zwei widerstreitenden Tendenzen zu stehen: Auf der einen Seite existiert der durch die Erfahrungen der AIDS-Krise befeuerte Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung und Eingliederung. Auf der anderen Seite setzt insbesondere mit den großen Fortschritten in der Prävention und Behandlung von HIV-Ansteckungen auch eine allmähliche Neuevaluierung der (Homo-)Sexuellen Revolution der 1960er- und 1970er-Jahre und ihrer strukturund ordnungskritischen Haltung ein. In dem sich zwischen diesen unterschiedlichen 16
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Es entbehrt hierbei nicht einer gewissen Ironie, dass diese begriffliche Ausweitung genau das tut, was queere Positionen einfordern: eine ›Entdogmatisierung‹ dessen, was eine Familie ist bzw. sein kann. Dass es sich dabei bisher auch in queeren Kreisen um eine utopische Vorstellung handelt, wird deutlich, wenn man die internen Debatten der LGBTQIA*-Gemeinschaft über Ein- bzw. Ausschluss von etwa trans- und intergeschlechtlichen sowie non-binären Positionen bedenkt. Duggan macht diesbezüglich auf die in den USA aber auch in Europa festzustellende Strategie der ›Neuen Rechten‹ aufmerksam, die versucht, die Belange Homosexueller für sich zu benutzen. Dies geht jedoch mit der Forderung einher, dass Homosexuelle ihre Sexualität wieder ins Private verlegen und sich damit von einem der Eckpfeiler der queeren Bewegung (das Private publik zu machen) lossagen. Vgl. Duggan 2002 u.a. S. 190. Vgl. ebd., S. 182. In seinem Buch Beyond Shame: Reclaiming the Abandoned History of Radical Gay Sexuality (2004) geht der AIDS-Aktivist und Schriftsteller Patrick Moore auf ebendiese Entwicklung ein und lamentiert, ähnlich wie Duggan und Halberstam, dass durch den Ausbruch von AIDS das revolutionäre Potential der frühen queeren Bewegung zunächst versiegt sei, da die Diskursivierung der Krankheit zu einer neuen Ära der (homo-)sexuellen Scham und des Versteckens geführt hätte. Vgl. Moore 2004, S. xxi–xxiv.
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Ansätzen auffächerndem Spektrum an Geschlechter- und Sexualitätskonzeptionen offenbart sich ein Pluralismus, der gerade aufgrund seiner inhärenten Widersprüche als durch und durch queer bezeichnet werden kann. Ungeachtet dessen, wie und ob sich diese gegensätzlichen Vorstellungen langfristig vereinen lassen, bleibt die dank queerer Bestrebungen nunmehr im Mainstream angekommene Hinterfragung vermeintlich ›natürlicher‹ Vorstellungen von Geschlechtlichkeit und Sexualität ein kulturell relevantes Thema – gerade auch hinsichtlich der aktuellen Diskurse über Transgeschlechtlichkeit zeigt sich, wie wichtig ein differenzierter Zugang zu dieser Fragestellung ist. In ihrer installativ angelegten Skulptur The Experiment von 2011 (Abb. 163) finden Michael Elmgreen (*1961) und Ingar Dragset (*1969) eine passende Visualisierung für die Kontestation geschlechtlicher oder sexueller Zuschreibungen: Die lebensechte Figur eines lediglich mit einem weißen Slip und übergroßen Stöckelschuhen bekleideten Kindes steht vor einem Spiegel und betrachtet sich selbst. Bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass es sich bei der kindlich-androgynen Figur um einen Jungen handelt. Vor diesem liegt ein geöffneter Lippenstift auf dem Boden, mit dem er sich soeben seine Lippen bemalt hat. In pointierter Weise behandelt das Künstlerduo Elmgreen und Dragset in The Experiment das Infragestellen geschlechtlicher und/oder sexueller Identität anhand des Spiegelmotivs20 : Im Zentrum des Kunstwerks steht die Selbstbespiegelung eines heranwachsenden Kindes, welches, wie der Titel bereits andeutet, mit seiner geschlechtlichen und/oder sexuellen Identität experimentiert. Aufgrund der geschlechtlichen Uneindeutigkeit des Kindes erschließt sich zunächst nicht, ob sich hier ein Junge oder ein Mädchen ›weiblich‹ konnotierter Insignien bedient – Lippenstift und Stöckelschuhe. Erst die Identifizierung des Kindes als Junge macht klar, dass hier die Überschreitung von der Gesellschaft gesetzter und durch die (Konsum-)Kultur verfestigter Grenzen visualisiert wird.21 Zugleich schöpft die Arbeit aber gerade auch wegen des Verwirrspiels um eine eindeutige Geschlechterzuordnung des Kindes ihre Stärke. Durch die Verwendung eines echten Spiegels binden die Künstler das sich ebenfalls darin reflektierende Publikum und dessen Vorannahmen und Perspektiven unmittelbar in diesen intimen und wie eingefroren wirkenden Moment kindlicher Selbsterforschung ein. Dies betont nicht nur die Relevanz der in The Experiment thematisierten Auslotung der eigenen Geschlechtsidentität jenseits kultureller bzw. gesellschaftlicher Vorschriften, sondern auch den transitorischen Charakter der Arbeit. Sowohl die Figur des Kindes als auch der Spiegel repräsentieren dezidierte Übergangsmomente: Während der Junge den Übergang vom androgynen Kinderkörper zum vermeintlich eindeutig ›vergeschlechtbaren‹ (Männer-)Körper symbolisiert, überträgt der Spiegel den Topos der Tran-
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Vgl. Kapitel III.1.1. Obgleich jedwede Industrie ihre Produkte in geschlechtsspezifische Kategorien aufteilt, ist diese Taktik im Hinblick auf Produkte für Kinder doch besonders prävalent. Hierzu sei auf die Arbeit der Modehistorikerin Jo B. Paoletti hingewiesen, die sich u.a. mit der Vergeschlechtlichung der Kindermode in den USA auseinandersetzt. Die darin beschriebenen Praktiken finden sich jedoch auch außerhalb Nordamerikas wieder. Vgl. Paoletti, Jo B.: Pink and Blue: Telling the Boys from the Girls in America, Bloomington (IN) 2012.
IV. Ausblick: Manifestationen und Kontestationen queerer Identität(en) im 20. und 21. Jahrhundert
sition auch auf die räumliche Ebene. Das sich hieraus ergebende Geflecht aus unterschiedlichen Bedeutungsschichten und Blickachsen (der Blick der Figur in den Spiegel, der Blick der Betrachter_Innen auf das Kunstwerk und in den Spiegel etc.) wirft Fragen über die Inszenierung bzw. Übertretung von Geschlechterrollen sowie zur sexuellen Identität, Selbsterkenntnis und gesellschaftlicher Kontrolle auf. Damit versinnbildlicht dieses Werk ganz explizit die Verhandlung geschlechtlicher und sexueller Aspekte zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung. Im Gegensatz zu der ganz am Anfang dieser Arbeit untersuchten Figur des Narziss kulminiert der Akt der Selbstbetrachtung in The Experiment nicht im Tod, vielmehr drückt sich darin die prozessuale Konstitution eines emanzipierten queeren Selbstbildes aus. Jenseits der unzähligen Diskursivierungen als Abweichungen gesteht das Werk von Elmgreen und Dragset queeren und gleichgeschlechtlich begehrenden Menschen eine Kindheit und damit letztlich auch ein Anrecht auf eine selbstbestimmte Erforschung ihrer geschlechtlichen und sexuellen Persönlichkeitsaspekte zu. Die für diesen Prozess wesentliche Kontestation etablierter Vorstellungen von Sexualität und Geschlechtlichkeit, die in ihren unzähligen Facetten Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit war, verfolgt dabei nicht das Ziel, eine alte durch eine neue Ordnung zu ersetzen – dies wäre antithetisch zum Kern dessen, was Queerness ausmacht –, wohl aber möchte sie die konsequente Hinterfragung kultureller Praktiken innerhalb und außerhalb queerer Kreise als feste Konstante etablieren. Genau darin liegt das große und bei weitem noch nicht ausgeschöpfte Potential queerer Kunst.
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Queere Männlichkeiten
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VI. Abbildungsteil
Abb. 1: Anonymes Pamphlet, The Shamefull Ende of Bishop Atherton and his Proctor John Childe, 1641
Abb. 2: William Bruce Ellis Ranken, Hibiscus Flower bzw. Portrait of a Young Anglo-Indian, 1922, Öl auf Leinwand, 137,2 x 106,7 cm, Nottingham Castle Museum and Art Gallery
Foto: © British Library (Bildnachweise: Saslow, James E.: Pictures and Passions. A History of Homosexuality in the Visual Arts, Harmondsworth (Middlesex) 1999, S. 119; Scan)
Foto: © Nottingham Castle Museum and Art Gallery (Bildnachweis: https://artuk.org/discover/artwo rks/hibiscus-flower-46866; zuletzt 20.07.2018)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 3: Hippolyte Flandrin, Junger Mann am Meer, 1835, Öl auf Leinwand, 98 x 115 cm, Louvre, Paris
Foto: gemeinfrei (Bildnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Flandrin,_Hippolyte_(18051864)_-_Jeune_homme_nu_assis._1855_-_Louvre.jpg; zuletzt 24.05.2022)
VI. Abbildungsteil
Abb. 4: Charles Demuth, Turkish Bath/Turkish Bath Scene with Self-Portrait, 1918, Aquarell und Bleistift auf Papier, 27,9 x 21,6 cm, Kennedy Galleries, New York
Foto: Kennedy Galleries, New York (Bildnachweis: Haskell, Barbara: Charles Demuth. Hg. anlässlich einer Ausstellung im Whitney Museum of American Art New York 1987/1988, New York 1987, S. 82, Abb. 20; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 5: François Boucher, Jupiter und Abb. 6: Simeon Solomon, Sappho und Erinna in einem Callisto, 1744, Öl auf Leinwand, 98 x Garten in Mytilene, 1864, Aquarell auf Papier, 33,0 x 38,1 72 cm, Pushkin Museum, Moskau cm, Tate Gallery, London
Foto: The Yorck Project (Bildnachweis: Foto: © Tate Gallery (Bildnachweis: tate-images.com) Bildnachweis: Reed, Christopher: Art and Homosexuality. A History of Ideas, New York 2011, S. 59; Fig. 2.20; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 7: Kopie nach Michelangelo, Entwurfszeichnung des Cavalieri-Ganymeds, zwischen 1532 und 1533, 36,1 x 27 cm, Harvard Art Museums/Fogg Museum, Gifts for Special Uses Fund
Foto: © President and Fellows of Harvard College, 1955.75 (Bildnachweise: Saslow, James M.: Ganymede in the Renaissance. Homosexuality in Art and Society, New Haven und London 1986, S. 20; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 8: Narziss am Teich, 50–60 n. Chr., Fresco, Haus des Marcus Lucretius Fronto, Pompeji
(Bildnachweis: Franciscis, Alfonso de et al.: La peinture de Pompéi. Témoignages de l’art romain dans la zone ensevelie par Vésuve en 79 ap. J. – C. Band 1 (von 2), Paris 1993, Abb. 45; Bildarchiv: Prometheus)
VI. Abbildungsteil
Abb. 9.1: Benvenuto Cellini, Narziss (Vorder- Abb. 9.2: Benvenuto Cellini, Narziss (Rückanansicht), 1548 bis 1565, Marmorskulptur, 149 x sicht), 1548 bis 1565, Marmorskulptur, 149 x 50 x 50 x 42 cm, Bargello-Museum, Florenz 42 cm, Bargello-Museum, Florenz
Foto: Bridgeman Art Library, Paris (Bildnachweis: Fernandez, Dominique: A Hidden Love. Art and Homosexuality, München et al. 2002, S. 127, Abb. 141; Scan)
(Bildnachweis: Charles, Avery; Barbaglia, Susanna: L’opera completa del Cellini, Mailand 1981, Tafel XXVII)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 10: Michelangelo Merisi Caravaggio, Narziss, um 1600, Öl auf Leinwand, 110 x 92 cm, Galleria Barberini, Rom
Foto: The Yorck Project (Bildnachweis: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/co mmons/d/de/Michelangelo_Caravaggio_065.jpg; zuletzt 22.06.2022)
VI. Abbildungsteil
Abb. 11: Pierre et Gilles, Narziss, 2012, übermalte Fotografie, 121 x 153 cm (gerahmt)
Foto: © Pierre et Gilles (Bildnachweis: Kat. Ausst. Pierre Et Gilles : Héros. Galerie Daniel Templon Paris 2014, Paris 2014, S. 43; Scan)
Abb. 12: Bob Mizer, Tyrone Jones aka T. J. Swan, kein Datum, Fotografie
Foto: © The Estate of Bob Mizer/VG Bild-Kunst, Bonn 2022 (Bildnachweis: Hanson, Dian: Bob’s World. The Life and Boys of AMG’s Bob Mizer, Köln 2009, S. 131; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 13: ›Herbert‹, Narziss, 1980er
(Bildnachweis: http://homodesiribus.blogspot.de/2014/05/blog-post_2856.html?zx =5ef722292e426245; zuletzt 21.05.2021)
VI. Abbildungsteil
Ab. 14.1: James Bidgood, Pink Narcissus, 1971, Film, © Salzgeber
(Bildnachweis: Pink Narcissus. Regie: James Bidgood. DVD. Salzgeber 2006; TC: 00:04:16; Standbild)
Abb. 14.2: James Bidgood, Pink Narcissus, 1971, Abb. 14.3: James Bidgood, Pink Narcissus, 1971, Film, © Salzgeber Film, © Salzgeber
(Bildnachweis: Pink Narcissus. Regie: James Bid- (Bildnachweis: Pink Narcissus. Regie: James good. DVD. Salzgeber 2006; TC: 00:09:10; Stand- Bidgood. DVD. Salzgeber 2006; TC: 00:27:13; Standbild) bild)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 15: George Quaintance, Idyll, 1952, Öl auf Leinwand, 96,52 x 76,2 cm
Foto: gemeinfrei (Bildnachweis: www.eroticartcollection.com/ George_Quaintance/George_Quaintance_20.html; zuletzt 21.05.2021)
VI. Abbildungsteil
Abb. 16: Konstantin Somow, Nackte im Spiegel vor offenem Fenster, 1934, Aquarell auf Papier
Foto: © Renè Gerra (Bildnachweis: Elʹševskaja, Galina Vadimovna: Korotkaja kniga o Konstantine Somove. Moskau 2003; Tafel 17; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 17: Peter Lyssiotis, Ohne Titel, 1992, Fotocollage
Foto: © Peter Lyssiotis (Bildnachweis: Halperin, David M.: How to do the History of Homosexuality. Chicago und London 2004, Coverbild; Scan)
Abb. 18: Sarkophagrelief mit Endymion und Diana/Selene (Detail), um 210 n. Chr., Marmor, Metropolitan Museum of Art, New York
Foto: © Met (Bildnachweis: https://images.metmuseum.org/CRDImages/gr/origin al/DP142561.jpg; zuletzt 02.06.2022)
VI. Abbildungsteil
Abb. 19: Anne-Louis Girodet, Der Schlaf des Endymion, 1791, Öl auf Leinwand, 198 x 261 cm, Louvre, Paris
Foto: © 1994 RMN-Grand Palais (musée du Lourve)/René-Gabriel Ojéda (Bildnachweis: https://collect ions.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010064831; zuletzt 30.06.2022)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 20: Apollo von Belvedere, 2. Jh. n. Chr., MarAbb. 21.1: Antinoos Braschi, nach 130, morstatue, 224 cm (Höhe), Belvedere-Museum, Vati- Marmorstatue, 326 cm (Höhe), Vatikan kan Museum
Foto: © Marie-Lan Nguyen/Wikimedia Commons (Bildnachweis: https://upload.wikimedia.org/wikip edia/commons/e/e6/Belvedere_Apollo_Pio-Clementin o_Inv1015.jpg?uselang=de; zuletzt 15.06.2022)
Foto: © Marie-Lan Nguyen/Wikimedia Commons (Bildnachweis: https://upload. wikimedia.org/wikipedia/commons/4/46/A ntinous_Pio-Clementino_Inv256_n3.jpg?us elang=de; zuletzt 15.06.2022)
VI. Abbildungsteil
Abb. 21.2: Antinoos als Frühlingsgenius, Marmorrelief, Villa Albani, Rom
Foto: © Alinari (Bildnachweis: Meyer, Hugo: Antinoos. München 1991, Tafel 65; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 22: Anton von Maron, Portrait von Johann Joachim Winckelmann, 1768, Öl auf Leinwand, 136 x 99 cm, Kunstsammlung Weimar
Foto: Klassikstiftung Weimar/Museen (Bildnachweis: Beyer, Andreas: Das Porträt in der Malerei. München 2002, S. 273, Abb. 166; Bildarchiv: Prometheus)
VI. Abbildungsteil
Abb. 23: Berliner Hermaphrodit, Marmor, röm. Kopie, Pergamon Museum, Berlin
Foto: gemeinfrei (Bildnachweis: Raehs, Andrea: Zur Ikonographie des Hermaphroditen. Begriff und Problem von Hermaphroditismus und Androgynie in der Kunst. Frankfurt a.M., Bern, New York und Paris 1990, S. 134, Abb. 6; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 24: Schlafender Hermaphrodit (Aufsicht), Marmor, römische Kopie einer hellenistischen Statue aus dem 2. Jahrhundert, 1619 durch die von Gianlorenzo Bernini gefertigte Matratze ergänzt, 46,5 x 173,5 x 90,5 cm Louvre, Paris
Foto: © Pierre-Yves Beaudouin (Bildnachweis: https://co mmons.wikimedia.org/wiki/File:Louvre_-_Sleeping_He rmaphroditus_03.jpg; zuletzt 14.06.2022)
Abb. 25: Dionysos/ Hermaphroditos (ehemals Apoll), um 200 n. Chr., Marmor, 161 x 75 x 35 cm, Louvre, Paris
Abb. 26: Dionysos Sardanapalus, römische Kopie eines griechischen Originals von ca. 350 v. Chr., Palazzo Massimo alle Terme, Rom
Foto: © 2014 RMN-Grand Palais (musée du Louvre)/Tony Querrec (Bildnachweis: https://collect ions.louvre.fr/en/ark:/53 355/cl010276784; zuletzt 24.03.2022)
Foto: © Jean-Pol Grandmont (Bildnachweis: Wikipedia: h ttps://commons.wikimedia .org/wiki/File:0_Dionysos_ Sardanapale_-_Pal._Massi mo_alle_Terme.JPG; zuletzt 30.10.2020)
VI. Abbildungsteil
Abb. 27: Michelangelo, Trunkener Bacchus, um 1496/97, Marmorstatue, 203 cm (Höhe), Bargello, Florenz
Foto: © Aurelio Amendola (Bildnachweis: Luchinat, Cristina Acidini: Michelangelo. Der Bildhauer, Mailand 2010, S. 52; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 28: Herkules Farnese, Anfang 2. Jh. n. Chr., Marmorstatue, 315 cm (Höhe), Archäologisches Museum, Neapel
Foto: © Marie-Lan Nguyen (Bildnachweis: https://upload .wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ad/Herakles_Far nese_MAN_Napoli_Inv6001_n01.jpg; zuletzt 07.02.2023)
VI. Abbildungsteil
Abb. 29: Quirizio di Giovanni da Murano, Christus als Salvator überreicht einer Nonne die Hostie, zwischen 1460 und 1478, Tempera und Öl auf Holz, Gallerie dell’Accademia, Venedig
Foto: Gallerie dell’Accademia, Venedig (Bildnachweis: Steinberg, Leo: The Sexuality of Christ, New York 1983, Fig. 298; Bildarchiv: Prometheus)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 30: Wilhelm von Gloeden, Flötenkonzert, 1905, Fotografie, Privatsammlung
Foto: Sammlung Albers und Kiefer (Bildnachweis: Albers, Bernhard: Gloeden, Plüschow, Galdi. Aktphotographie um 1900, Aachen 2009, S. 2; Scan)
Abb. 31: Elisàr von Kupffer (Elisarion), Die Klarwelt der Seligen (Ausschnitt: Szenen 14–19), 1923–30, Öl auf Leinwand, 3,45 x 25,30 m (ganzes Bild), Fondazione Monte Verità
Foto: © Fondazione Monte Verità/CCE (Bildnachweis: Ricci, Fabio: Ritter, Tod & Eros. Die Kunst Elisàr von Kupffers (1872–1942), Köln, Weimar und Wien 2007, Farbabbildung 7; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 32: George Platt Lynes, Die zweite Geburt des Dionysos, 1939, Fotografie, Metropolitan Museum of Art, New York
Foto: © Estate of George Platt Lynes (Bildnachweis: Leddick, David: George Platt Lynes 1907–1955. Köln 2000, S. 230; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 33: Cassils und Robin Black, Advertisment: Homage to Benglis, 2011, Fotografie
Foto: © Cassils und Robin Black (Bildnachweis: Kat. Ausst. Homosexualität_En. Deutsches Museum und Schwules Museum*, hg. von Birgit Bosold, Dorothée Brill und Detlef Weitz, Schwules Museum* und Deutsches Historisches Museum Berlin 2015, Dresden 2015; S. 2; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 34: Zeus und Ganymed, um Abb. 35: Die Entführung Ganymeds, zwischen 530–430 470 v. Chr., bemalte Terrakotta- v. Chr., rotfigurige attische Vasenmalerei, Archäologisches Statuette, Archäologisches Muse- Museum, Ferrara um, Olympia
Foto: Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0, gemeinfrei (Bildnachweis: https://upload.wikimedia.o rg/wikipedia/commons/b/b2/Ze us-Gany-sculpt1.jpg?uselang=de; zuletzt 09.07.2022)
Foto: Scala, Florence – courtesy of the Ministero Beni e Att. Culturali e del Turismo
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Queere Männlichkeiten
Abb. 36: Ganymed-Kapitell der Abteikirche Sainte Madeleine zu Vézelay, zwischen 1125 und 1140, Sainte Madeleine zu Vézelay
Foto: Prof. Dr. Max Hirmer und Albert Hirmer (Bildnachweis: Rupprecht, Bernhard: Romanische Skulptur in Frankreich. München 1984, S. 151; Bildarchiv: Prometheus)
VI. Abbildungsteil
Abb. 37: Benvenuto Cellini, Ganymed, um 1550, Mar- Abb. 38: Benvenuto Cellini, Apoll und morstatue, 106 cm (Höhe), Bargello-Museum, FloHyacinth, um 1550, Marmorstatue, 191 renz cm (Höhe), Bargello, Florenz
Foto: AKG, Paris/Photo Cameraphoto/Serge Domingie Foto: AKG, Paris/Photo Cameraphoto/ Dominigie-Rabatti (Bildnachweis: Fernan(Bildnachweis: Fernandez 2002, S. 54, Abb. 49; Scan) dez 2002, S. 58, Abb. 55; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 39: Jean Broc, Der Tod des Hyacinths, 1801, Öl auf Leinwand, 175 x 120 cm, Musée Sainte-Croix, Poitiers
Foto: AKG, Paris/Photo Cameraphoto/Erich Lessing (Bildnachweis: Fernandez 2002, S. 61, Abb. 58; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 40: Giambattista Tiepolo, Tod des Hyazinth, zwischen 1752–1753, Öl auf Leinwand, 287 x 232 cm, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid
Foto: © Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid (Bildnachweis: Pedrocco, Filippo: Giambattista Tiepolo. Mailand 2003, S. 141, Kat. 230; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 41: Claude-Marie Dubufe, Apollo und Cyparissus, 1822, Öl auf Leinwand, 188 x 228 cm, Musée Calvet, Avignon
Foto: Musée Calvet/André Guerrand (Bildnachweis: Fernandez 2002, S. 62, Abb. 60; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 42: Sascha Schneider, Werdende Kraft, 1904, Öl auf Leinwand, 200 x 138 cm, Privatbesitz Sammlung Buchschlag
Foto: Sammlung Buchschlag (Bildnachweis: Starck, Christiane: Sascha Schneider. Ein Künstler des deutschen Symbolismus, Marburg 2016, S. 413; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 43: Robert Mapplethorpe, Charles & Jim (angeschnitten), 1974, Silbergelatineabzug (Unikat) mit selbstentworfenem Rahmen, 36,8 x 59,7 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York
Foto: Allen Finkelman, Zindman/Fremont und Adam Reich (Bildnachweis: Holborn, Mark; Levas, Dimitri (Hg.): Robert Mapplethorpe. Altars, München, Paris und London 1995, S. 24; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 44: Duane Michals, A Dream of Flowers (A.I.D.S.), 1986, Fotografie, 8,8 x 13,2 cm (je Bild)
Foto: © Duane Michals (Bildnachweis: Livingston, Marco: The Essential Duane Michals. London 1997, S. 120–121; Scan)
Abb. 45: Nikolay Tolmachev, Melancholia, 2013, Aquarell auf Papier
Foto: © Nikolay Tolmachev (Bildnachweis: Künstlerprofil auf behance.net: https://www.behance.net/gallery/7647263/Melancholia; zuletzt 30.10.2020)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 46: Euphronios (zugeschrieben), Achill verbindet Patroclus, ca. 510–500 v. Chr., rotfigurige Vasenmalerei, Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz, Berlin
Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (Bildnachweis: Giuliani, Luca; Heilmeyer, Wolf Dieter.: Euphronios – Der Maler, Mailand 1991, S. 245; Bildarchiv: Prometheus)
VI. Abbildungsteil
Abb. 47: Kritios und Nesiotes, Tyrannenmörder, 477–476 v. Chr., Marmorstatue, 185 cm (Höhe), Archäologisches Museum, Neapel
Foto: unbekannt (Bildnachweis: »Tyrannenmördergruppe,« Dresden in Neapel 2018, accessed February 7, 2023, https://omeka.webspace.tu-dresden.de/omeka-2. 6/items/show/359; zuletzt 08.02.2023)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 48: Aimé-Jules Dalou, La Fraternité (angeschnitten), 1883, Gipshochrelief, Salle des Mariages, Mairie du Xe Arrondissement, Paris
Foto: Coyau/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0 (Bildnachweis: https://upload.wi kimedia.org/wikipedia/commons/a/a9/Paris%2C_mairie_du_10e_arrdt%2C_salle_ des_mariages%2C_La_Fraternité%2C_Aimé-Jules_Dalou%2C_1885_01.jpg; zuletzt 13.07.2022)
VI. Abbildungsteil
Abb. 49: Jaques-Louis David, Leonidas bei den Thermopylen (Bilddetail), 1814, Öl auf Leinwand, 395 x 531 cm (ganzes Bild), Louvre, Paris
Abb. 50: Émile Jean Horace Vernet, Schlacht bei Fontenoy (Bilddetail), 1828, Öl auf Leinwand, 510 x 958 cm (ganzes Bild), Galerie des Batailles, Schloss Versailles
Foto : © Collection du Château de Versailles, Foto: © 2018 RMN-Grand Palais (musée du Louvre)/ Thierry Ollivier (Bildnachweis: https://collections.louvr Bridgeman Images (Bildnachweis : Artemis. Archiv des Instituts für Kunstgeschichte e.fr/en/ark:/53355/cl010065425; zuletzt 30.06.2022) der LMU München; Bildarchiv: Artemis/ Prometheus)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 51: Josef Thorak, Kameradschaft, 1937, Bronzefigur, 6,70 m (Höhe), Foto: ZI/VG Bild-Kunst
(Bildnachweis: Kat. Ausst. Kunst im 3. Reich. Dokumente der Unterwerfung, Frankfurter Kunstverein 1974, Frankfurt 1975, S. 113; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 52: Marsden Hartley, The Warriors, 1913, Öl auf Leinwand, 121,3 x 120,7 cm, Privatsammlung, Boston, Foto: The Regis Collection, Minneapolis
(Bildnachweis: Kat. Ausst. Marsden Hartley. Die deutschen Bilder 1913–1915, hg. von Dieter Scholz, Neue Nationalgalerie Berlin und Los Angeles County Museum of Art 2014, Köln 2014, S. 73; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 53: Marsden Hartley, Portrait of a German Officer, 1914, Öl auf Leinwand, 173,4 x 105,1 cm, Metropolitan Museum of Art, New York, Sammlung Alfred Stieglitz, 1949
Foto: © Met/Art Resource, NY (Bildnachweise: Joachimides, Cristos M.; Rosenthal, Norman: Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert Malerei und Plastik 1913–1993, München 1993, Taf. 1; Bildarchiv: Prometheus)
VI. Abbildungsteil
Abb. 54.1: Kenneth Anger, Fireworks, 1947, Film, © Kenneth Anger
(Bildnachweis: Fireworks. Regie: Kenneth Anger. DVD. Magick Lantern Cycle. BFI Video 2009; TC: 00:00:37; Standbild)
Abb. 54.2: Kenneth Anger, Fireworks, 1947, Film, Abb. 54.3: Kenneth Anger, Fireworks, 1947, Film, © Kenneth Anger © Kenneth Anger
(Bildnachweis: Fireworks. Regie: Kenneth Anger. DVD. Magick Lantern Cycle. BFI Video 2009; TC: 00:11:00; Standbild)
(Bildnachweis: Fireworks. Regie: Kenneth Anger. DVD. Magick Lantern Cycle. BFI Video 2009; TC: 00:03:00; Standbild)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 55: Tom of Finland, Ohne Abb. 56: Tom of Finland, Ohne Titel, Farbstift Titel, Aquarell auf Papier, 1947, auf Papier, 1981, Tom of Finland Foundation, Los Tom of Finland Foundation, Angeles Los Angeles
Foto: © Tom of Finland Founda- Foto: © Tom of Finland Foundation, mit freundtion, mit freundlicher Geneh- licher Genehmigung der Stiftung/VG Bild-Kunst migung der Stiftung/VG Bild- (Bildnachweis: Hanson 2016, S. 158f; Scan) Kuns (Bildnachweis: Hanson, Dian (Hg.): The Little Book of Tom of Finland. Military Men, Köln 2016, S. 30; Scan)
Abb. 57: Alex Donis, Abdula & Sgt. Adams (La Fille Mal Gardée), 2003/04, Tusche und Gouache auf Karton, 41 x 70 cm, Privatsammlung
Foto: © Alex Donis, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers (Bildnachweis: Lord und Meyer 2013, S. 203; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 58: Hängender Marsyas, weißer Typus, 200–190 v. Chr., römische Marmorkopie, Glyptothek, München
Foto: © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, fotografiert von Renate Kühling
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Queere Männlichkeiten
Abb. 59: Guido Reni, Apoll schindet Marsyas, um 1633, Öl auf Leinwand, 223,3 x 169,5 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München
Foto: © Bayerische Staatsgemäldesammlungen (Bildnachweis: https://www.samml ung.pinakothek.de/de/artwork/wq4jXdYLWo; zuletzt aktualisiert am 05.09.2019)
VI. Abbildungsteil
Abb. 60: Eikoh Hosoe, Portrait Yukio Mishimas, 1963/64, Fotografie
Foto: © Eikoh Hosoe (Bildnachweis: Hosoe, Eikoh; Mishima, Yukio; Yokoo, Tadanori: Ordeal by Roses. Reedited, Tokyo 1971, keine Seiten- oder Abbildungsangaben; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 61: Conor Walton, Marsyas, 2003, Öl auf Leinwand, 195 x 180 cm, Privatsammlung
Foto: © Conor Walton, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers (Bildnachweis: vom Künstler zur Verfügung gestellt)
VI. Abbildungsteil
Abb. 62: Francis Bacon, Zwei Figuren, 1953, Öl auf Leinwand, 152,5 x 116,5 cm, Privatsammlung
Foto: © Marlborough International Fine Art, London/VG Bild-Kunst (Bildnachweis: Schmied, Wieland: Francis Bacon. Das Bewußtsein der Gewalt, München und New York 1996, Abb. 11; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 63: David Hockney, Two Boys in a Pool, Hollywood, 1965, Acryl auf Leinwand, 152,4 x 152,4 cm, Privatsammlung
Foto: © Los Angeles County Museum of Art (Bildnachweis: Kat. Ausst. David Hockney – Exciting times are ahead – Eine Retrospektive, Kunst- und Ausstellungshalle Bonn 2001, Leipzig 2001, S. 99, Abb. 25; Scan)
Abb. 64: David Hockney, Portrait of an Artist (Pool with two Figures), 1972, Acryl auf Leinwand, 210 x 300 cm, Privatsammlung
Foto: Art Gallery of New South Wales/Jenni Carter (Bildnachweis: Livingstone, Marco: David Hockney (New Edition). London 2017, S. 137, Abb. 112; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 65: Von links nach rechts: Die Sünden Sodoms, Lot begrüßt die Engel, Abrahams Fürbitte für Sodom (Fol. 11r, Detailaufnahme des unteren Registers), drittes Viertel des 14. Jahrhunderts, Egerton-Genesis (MS 1894), British Library, England
Foto: © British Library (Bildnachweis: Internetseite der British Library, www.bl.uk/manuscripts/ Viewer.aspx?ref=egerton_ms_1894_fs001r; zuletzt 25.10.2018)
Abb. 66: Von links nach rechts: Bestrafung des Ehebruchs, Bestrafung der Sodomie, Bestrafung der Habgier (Rekonstruktion), Fertigstellung und Installation 2001, gestaltet von John Roberts und Alan Mickelthwaite, Westfassade der Kathedrale von Lincoln, Lincoln
Foto: © Robert Mills (Bildnachweis: Mills 2015, S. 284)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 67: Adam und Eva – Bestrafung der Sodomiten (Fol. 2r, Detail), um 1220, Manuskriptillumination aus der Bible moralisée (Codex Vindobonensis 2554), Österreichische Nationalbibliothek, Wien
Foto: ÖNB, Wien (Bildnachweis: Haussherr, Reiner (Hg.): Bible moralisée. Faksimile-Ausgabe des Codex Vindobonensis 2554, Paris und Graz 1973, Folio 2r. Genese 2,22b a 3,24; Bildarchiv: Prometheus)
VI. Abbildungsteil
Abb. 68: Taddeo di Bartolo, Die Qualen der Hölle (angeschnitten), ca. 1393–1413, Fresko, Kollegiatskirche San Gimignano
Foto: Archivo Collegiata/Mario Congregati/Duccio Nacci (Bildnachweis: Imberciadori, Torriti: Die Kollegiatkirche San Gimignanos. San Gimignano 2002, S. 18; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 69: Zwei sich umarmende Hyänen (Fol. 4, Detail), 12. Jahrhundert, Manuskriptmarginale aus dem Physiologus De inventione linguarum (MS 832), Pierpont Morgan Library, New York
Foto: © Pierpont Morgan Library, New York (Bildnachweis: Internetseite der Pierpont Morgan Library, http://ica.themorgan.org/manuscript/page/ 4/158985; zuletzt 06.12.2018)
VI. Abbildungsteil
Abb. 70: Robert Mapplethorpe, Selbstportrait, 1985, Fotografie/SilbergelatineAbzug, 40,6 x 50,8 cm, Robert Mapplethorpe Foundation, New York
Foto: © The Robert Mapplethorpe Foundation (Bildnachweis: Kat. Ausst. Du bist Faust. Goethes Drama in der Kunst, Kunsthalle München 2018, München, London und New York 2018, S. 71, Farbtafel 27; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 71: Wilhelm von Gloeden, Satyr, um 1900, Fotografie/getönter Silberdruck, 22,2 x 15,9 cm
Foto: gemeinfrei (Bildnachweis: Barthes, Roland: Wilhelm von Gloeden. Interventi di Joseph Beuys, Michelangelo Pistoletto, Andy Warhol, Neapel 1978b, S. 40; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 72: Richard Hawkins, Every Mother’s Nightmare, 1991, Gummimaske, Zeitungsausschnitte, Büroklammern und Nägel, 38,1 x 22,86 cm, Sammlung Kouroush Larizadeh und Luis Prado, Los Angele
Foto: © Richard Hawkins/Fredrik Nilsen (Bildnachweis: Dorin, Lisa (Hg.): Richard Hawkins: Third Mind, Chicago et al. 2010, Farbtafel 3; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 73: David Altmejd, The Egg, 2008, Holz, Gips, Acryl- und Latexfarbe, Styropor, Schaumstoff und Leinen, 136,53 x 244,48 x 153,04 cm, Installationsansicht in Andrea Rosen Gallery, New York 2008
Foto: © Jessica Eckert/Courtesy Andrea Rosen Gallery (Bildnachweis: Venero, Isabel (Hg.): David Altmejd. Bologna 2014, S. 159; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 74: Rembrandt, David spielt Harfe vor Saul, 1629–1630, Öl auf Holz, 60 x 50,1 cm, Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a.M.
Foto: Sammlung Städelmuseum, Frankfurt a.M. (Bildnachweis: https://sammlung. staedelmuseum.de/de/werk/david-spielt-die-harfe-vor-saul; zuletzt 05.07.2022)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 75: Ernst Josephson, David und Saul, 1877, Öl auf Leinwand, 110,5 x 144 cm, Nationalmuseum, Stockholm
Foto: Nationalmuseum, Stockholm (Bildnachweis: Zennström, Per-Olov: Ernst Josephson. En studie, Lund 1978, S. 41; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 76: Julius Kronberg, David und Saul, 1885, Öl auf Leinwand, 298 x 220 cm, Nationalmuseum, Stockholm
Foto: Nationalmuseum, Stockholm (Bildnachweis: https://commons.wikimedia .org/wiki/Category:Julius_Kronberg?uselang=de#/media/File:David_and_Saul_ (Julius_Kronberg)_-_Nationalmuseum_-_18384.tif; zuletzt 21.05.2021)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 77: Jonathan und David – Saul und David, um 1300, Manuskriptillumination aus dem Somme le roi, British Library, London
Abb. 78: Rembrandt, David verabschiedet sich von Jonatan, 1642, Öl auf Leinwand, 73 x 61,5 cm, Hermitage, St. Petersburg
Foto: © British Library (Bildnachweise: Saslow 1999, S. 74, Abb. 2.6; Scan)
Foto: Siny Most, Paris/Vladimir Terebenine (Bildnachweis: Fernandez 2000, S. 73, Abb. 70; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 79: Frederic Leighton, Jonathan’s Token to David, 1868, Öl auf Leinwand, 171,45 x 124,46 cm, Minneapolis Institute of Art, the John R. Van Derlip Fund
Foto: Minneapolis Institute of Art (Bildnachweis: Kat. Ausst. Frederic, Lord Leighton – Eminent Victorian Artist, hg. von Stephen Jones, Christopher Newall, Leonée Ormond et al., Royal Academy of Arts in London 1996, New York 1996S. 161; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 80: Christus und Johannes, um 1320, vergoldete Holzschnitzerei, 89 x 47 x 31,5 cm, Bode-Museum, Berlin
Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (Bildnachweis: Fernandez 2002, S. 110, Abb. 124; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 81: Karl Hofer, Zwei Freunde bzw. David und Jonathan, 1926, Öl auf Leinwand, 100 x 70 cm, Städelmuseum, Frankfurt a.M.
Foto: © Nachlass Carl Hofer, Köln 1991/VG Bild-Kunst (Bildnachweis: Gallwitz, Klaus (Hg.): ReVision – Die Moderne im Städel, 1906–1937, Stuttgart 1991, S. 149; Bildarchiv: Prometheus)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 82.1: Adi Nes, Untitled (David and Jonathan), 2004, Fotografie, 100 x 127 cm
Abb. 82.2: Adi Nes, Untitled, 1995, Fotografie, 144,1 x 144,1 cm
Foto: © Adi Nes (Bildnachweis: Galeriewebsite: https:// Foto: © Adi Nes (Bildnachweis: Kat. Ausst. www.sommergallery.com/adi-nes?lightbox=image1ysf Heiliger Sebastian. A Splendid Readiness ; zuletzt 31.01.2019) for Death, Kunsthalle Wien 2003/04, Bielefeld 2003; Bildarchiv: Prometheus)
Abb. 83: Rotimi Fani-Kayode, Every Moment Counts (Ecstatic Antibodies), 1989, Fotografie, 120 x 120 cm
Foto: Courtesy The Walther Collection/Autograph ABP, London (Bildnachweis: https://www.walthercollection.com/de/collection/artworks/every-m oment-counts-ecstatic-antibodies?search=Rotimi; zuletzt 12.06.2019)
VI. Abbildungsteil
Abb. 84: Donatello, David, um 1444, Bronzefigur, 158 Abb. 85: Michelangelo, David, 1504, Marcm (Höhe), Bargello, Florenz morstatue, 517 cm (Höhe), Gallerie dell’Accademia, Florenz
Foto: Albert Hirmer und Irmgard Ernstmeier-Hirmer (Bildnachweis: Poeschke, Joachim (Hg.): Die Skulptur der Renaissance in Italien. Donatello und seine Zeit, Band 1, München 1990, Tf. 105; Bildarchiv: Prometheus)
Foto: Albert Hirmer und Irmgard Ernstmeier-Hirmer (Bildnachweis: Poeschke, Joachim (Hg.): Die Skulptur der Renaissance in Italien, Band 2, München 1992, Taf. 35; Bildarchiv: Prometheus)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 86: Matthias Grünewald, Kreuzigungsszene des Isenheimer Altars (Ausschnitt), um 1512, Mischtechnik auf Lindenholz, 269 x 307 cm (Kreuzigungsbild), Musée d’Unterlinden, Colmar
Foto: The Yorck Project (Bildnachweis: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/co mmons/4/4f/Mathis_Gothart_Grünewald_022.jpg?uselang=de; zuletzt 07.07.2022)
VI. Abbildungsteil
Abb. 87: Michelangelo, Christus mit dem Kreuz/ Auferstandener Christus, 1521, Marmorstatue, 205 cm, St. Maria sopra Minerva, Rom
Foto: Anderson, Rom (Bildnachweis: Einem, Herbert von: Michelangelo. Bilderhauer, Maler, Baumeister, Berlin 1973, Abb. 77; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 88: Jerry Janosco, Innocence, 1981, Abb. 89: Hans-Peter Feldmann und Felix Friedrich, DaKeramikarbeit, 107,95 x 24,13 x 21,13 vid, 2006, verschiedene Materialien, ca. 600 cm (Höhe) cm, Privatsammlung
Foto: Robin Holland (Bildnachweis: mit Foto: © Hans-Peter Feldmann/VG Bild-Kunst/Christian freundlicher Genehmigung von Christo- Altengarten (Bildnachweis: Kat. Ausst. Das achte Feld. Geschlechter, Leben und Begehren in der Kunst seit 1960, pher Reed; Scan) hg. von Frank Wagner, Kasper König und Julia Friedrich, Museum Ludwig 2006, Ostfildern 2006, S. 6; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 90: Jakobs Traum von der Himmelsleiter und Der Kampf mit dem Engel (oben) – Johannes ruht an der Brust Christi sowie Der gegen den Teufel kämpfende Ehrenmann (Fol. 6v, Detail), um 1220, Manuskriptillumination aus der Bible moralisée (Codex Vindobonensis 2554), Österreichische Nationalbibliothek, Wien
Foto: ÖNB, Wien (Bildnachweis: Haussherr, Reiner (Hg.): Bible moralisée. Faksimile-Ausgabe im Original-Format des Codex Vindobonensis 2554, Graz 1993, S. 40, fol. 13; Bildarchiv: Prometheus)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 91: Alexandre Louis Leloir, La Lutte de Jacob avec l’Ange, 1865, Öl auf Leinwand, Musée d’Art Roger-Quilliot, Clermont-Ferrand
Foto : Musée d’Art Roger-Quilliot, Clermont-Ferrand (Bildnachweis : Wikipedia : https ://en.wikipe dia.org/wiki/Alexandre-Louis_Leloir#/media/File :Leloir_-_Jacob_Wrestling_with_the_Angel.jpg; zuletzt 12.06.2019)
VI. Abbildungsteil
Abb. 92: Léon Bonnat, Entwurfszeichnung für La Lutte de Jacob avec l’Ange, 1875, Musée Bonnat-Helleu, Bayonne
Abb. 93: Hendrik Christian Andersen, Jacob und der Engel, 1909–1911, Gipsplastik, ca. 300 cm (Höhe), Museo Hendrik Christian Andersen, Rom
Foto: Musée Bonnat-Helleu, Bayonne (Bildnachweis: https://lougira.blogspot.com/2013/01/l e-combat-de-jacob-avec-lange.html; zuletzt 01.07.2019)
Foto: Courtesy Ministero per i Beni e le Attività Culturali, Rome/Museo Hendrik C. Andersen, Rome (Bildnachweis: In: James, Herny: Beloved Boy. Letters to Hendrik C. Andersen 1899–1915, hg. von Rosella Mamoli Zorzi, Charlottesville und London 2004, S. 44; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 94: François Harray, Jacob wrestling with the Leloir Angel, 2015 (?), Fotografie, 57 x 80 cm
Foto: © François Harray (Bildnachweis: Künstlerwebsite: https://www.francoisharr ay.com/dedicated-to-hell.html; zuletzt 01.07.2019)
VI. Abbildungsteil
Abb. 95: Frederic Leighton, An Athlete Wrestling a Pyhton, 1877, Bronzeplastik, 174,6 x 98,4 x 109,9 cm, Tate Museum, London
Foto: © Tate, London 2014 (Bildnachweis: Hammerschlag, Keren Rosa: Frederic Leighton. Death, Mortality, Resurrection, Farnham 2015, S. 90; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 96: Barbara Kruger, Untitled (You construct intricate rituals to touch the skin of other men), 1981, Collage, 100,3 x 125,7 cm
Foto: © Barbara Kruger (Bildnachweis: Harper, Jenny: Barbara Kruger Gives You All She’s Got. In: Kat. Ausst. Barbara Kruger. National Art Gallery New Zealand 1988, Wellington 1988, S. 9–25; hier: S. 11; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 97: Giovanni del Biondo, Abb. 98: Nicoletto (auch Niccolò) Semitecolo, Der hl. Sebastian Polyptchon mit dem Martyir- wird vor Kaiser Diokletian und Maximian mit Pfeilen beschossen, um des hl. Sebastian (Detail 1367, Tempera auf Holz, 53 x 60 cm, Museo Diocesano in Padua der Mitteltafel), 1380 bis 1390, Tempera auf Holz, Museo dell’Opera del Duomo in Florenz
Foto : Serge Domingie-Marco Foto: gemeinfrei (Bildnachweis: https://commons.wikimedia.org/wi Rabatti (Bildnachweis : Dar- ki/File:Niccolo_Semitecolo._Sebastiano_trafitto_dalle_frecce._1367. riulat, Jacques : Sébastien Le _53x60cm._Padova,_Museo_Diocesano.jpg; zuletzt 25.07.2019) Renaissant. Sur le Martyre de Saint Sébastien dans la Deuxième Moitié du Quattrocento, Paris 1998, S. 71; Bildarchiv : Prometheus)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 99: Il Sodoma, Der Heilige Sebastian, 1525 bis 1531, Öl auf Leinwand, 206 x 154 cm, Palazzo Pitti, Florenz
Foto: Bridgeman Art Library, Paris (Bildnachweis: Fernandez 2002, S. 94, Abb. 99; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 100: Jacopo de‹ Barbari, Hl. Sebastian, um 1510–12, Kupferstich, 21,2 x 15,1 cm, Albertina, Wien
Foto: Graphische Sammlung Albertina, Wien (Bildnachweis: Bohde, Daniela: Ein Heiliger der Sodomiten? Das erotische Bild des Hl. Sebastian im Cinquecento, in: Fend, Mechthild; Koos, Marianne (Hg.): Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierung in der Kunst seit der Frühen Neuzeit, Köln et al. 2004, S. 79–98; Abb. 16; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 101: Jusepe de Ribera, Hl. Sebastian, 1651, Öl Abb. 102: Mattia Preti, Hl. Sebastian, um auf Holz, 121 x 100 cm, National Museum Capodi- 1655, Öl auf Leinwand, 240 x 169 cm, Natiomonte, Neapel nal Museum Capodimonte, Neapel
Foto: Scala, Florence – courtesy of the Ministero Beni e Att. Culturali e del Turismo
Foto: Scala, Florence/Luciano Romano
VI. Abbildungsteil
Abb. 103: Jan Goassaert (gen. Mabuse), Danae, 1527, Öltempera auf Holz, 113,5 x 95 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München
Foto: © Bayerische Staatsgemäldesammlungen (Bildnachweis: https: //www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/7yxYmBnxYm; zuletzt 08.07.2022)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 104: Frederick Holland Day, Hl. Sebastian, 1906, Fotografie, 14,92 x 9,05 cm, Library of Congress, Washington
Foto: Library of Congress (Bildnachweis: Bohde 2004, S. 79–98, Abb.17; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 105: Alfred Courmes, St Sébastien de dos à l’ecluse St-Martin, 1974, Öl auf Leinwand, 130 x 89 cm, Sammlung François Courme
Foto: Daniel Bouquignaud/Jacqueline Hyde/Cauvin/Piot Trawinski/VG Bild-Kunst (Bildnachweis: Kat. Ausst. Alfred Courmes. Musée de Peinture in Grenoble 1979, Grenoble 1979, S. 32; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 106: Kishin Shinoyama, Yukio Mishima als Hl. Sebastian, 1970, Fotografie
Abb. 107: Guido Reni, Hl. Sebastian, um 1615, Öl auf Leinwand, 128 x 98 cm, Capitolina-Museum, Rom
Foto: © Kishin Shinoyama (Bildnachweis: Spear, Richard E.: The »Divine« Guido. Religion, Sex, Money and Art in the World of Guido Reni, New Haven und London 1997, S. 69, Abb. 21; Scan)
Foto: © Marie-Lan Nguyen/Wikimedia Commons (Bildnachweis: https://de.m.wikipedia. org/wiki/Datei:Sebastian_Reni_Musei_Capit olini_PC145.jpg; zuletzt 08.08.2022)
VI. Abbildungsteil
Abb. 108: David Wojnarowicz, Peter Hujar Dreaming/Yukio Mishima: Saint Sebastian, 1982, Acryl- und Sprayfarbe auf Holzfaserplatte, 121,9 x 121,9 cm, Sammlung Matthijs Erdman
Foto: © Whitney Museum of American Art, New York (Bildnachweis: Kat. Ausst. David Wojnarowicz. History Keeps Me Awake at Night, hg. von David Breslin und David Kiehl, Whitney Museum of American Art in New York 2019, New Haven und London 2018, S. 178, Abb. 66; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 109: David Wojnarowicz, Bad Moon Rising, 1989, vier Schwarz-WeißFotografien, Acrylfarbe, Faden und Collagematerial auf Holzfaserplatte, 94 x 92,7 cm, Sammlung Steve Johnson und Walter Sudol/Second Ward Foundation
Foto: Courtesy The Estate of David Wojnarowicz and P.P.O.W. New York (Bildnachweis: Kat. Ausst. David Wojnarowicz. History Keeps Me Awake at Night, New Haven und London 2018, S. 257, Abb. 127; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 110: Catherine Opie, Ron Athey/Sebastian (from Martyrs & Saints), 2000, Polaroid, 279,4 x 104,1 cm
Foto: Courtesy Regen Projects, Los Angeles (Bildnachweis: Opie, Catherine: Flash: On Photographing Ron Athey, in: Johnson, Dominic (Hg.): Pleading in The Blood. The Art and Performances of Ron Athey, Bristol 2013, S. 142–152; hier: S. 150; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 111: Jasper Johns, Target with Plaster Casts, 1955, Enkaustikmalerei und Collage auf Leinwand, 129,5 x 111,8 cm, Privatsammlung David Geffen
Foto: © Jasper Johns/Jamie Stukenberg/VAGA, New York/VG Bild-Kunst (Bildnachweis: Bernstein, Roberta; Colsman-Freyberger, Heidi; Sweeney, Caitlin; Zinn, Betsy Stepina: Jasper Johns. Catalogue Raisonné of Paintin and Sculpture: Painting, 1954–1970, Band 2 von 5, New York, New Haven und London 2017, S. 13; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 112: Naruki Kukita, Virtual Saint Sebastian, 2017, Öl auf Leinen, 91,4 x 121,9 cm, Privatsammlung
Foto: © Naruki Kukita (Bildnachweis: Künstlerwebseite: https://www.narukikukita .com/?lightbox=dataItem-jcv7ny0u4; zuletzt 10.10.2019)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 113: Kehinde Wiley, St. Sebastian (Columbus)/St. Sebastian II (Detail), 2006, Öl und Emaille auf Leinwand, 279,4 x 218,4 cm (gerahmt), Privatsammlung
Foto: © Kehinde Wiley/Courtesy Roberts & Tilton, Culver City, California (Bildnachweis: Golden, Thelma; Wiley, Kehinde (Hg.): Kehinde Wiley. New York et al. 2012, S. 74; Courtesy Roberts & Tilton, Culver City, California; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 114: Gruppe musizierender Anakreonten, rotfiguriges Stamnos, Museo Arqueológico Nacional, Madrid, Nr. 11009
Foto: © Museo Arqueológico Nacional, Madrid (Bildnachweis: Frontisi-Ducroux, Françoise; Lissarrague, François: From Ambiguity to Ambivalence: A Dionysiac Excursion Through The ›Anakreontic‹ Vases. In: Halperin, David M. et al. (Hrsg): Before Sexuality. The Construction of Erotic Experience in the Ancient Greek World, Princeton (NJ) 1990, S. 211–257, S. 254, Fig. 7.35; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 115: Hyacinthe Rigaud, Louis XIV., 1701, Öl auf Leinwand, 279 x 190 cm, Louvre, Paris
Foto: © RMN-Grand Palais (musée du Louvre)/Stéphane Maréchalle (Bildnachweis: https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010066115; zuletzt 06.06.2022)
VI. Abbildungsteil
Abb. 116: Ausschnitt aus einem Katalog für Herrenmode des New Yorker Schneiderateliers Edward Hart Mammoth, Sommer 1898
Foto: Courtesy Fashion Institute of Technology/SUNY, Gladys Marcus Library Department of Special Collections (Bildnachweis: Cole, Daniel James; Deihl, Nancy: The History of Modern Fashion. From 1850, London 2015, S. 70; angeschnittener Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 117: Philipp Dawe, The Macaroni, 1773, koloriertes Schabkunstblatt, verlegt von John Bowles in London, 36,5 x 26,2 cm
Abb. 118: What is this my son Tom? (nach einer Komposition von Samuel H. Grimm), 1774, Schabkunstblatt, verlegt von Sayer & Bennett London, 35 x 25 cm
Foto: Lipp 95, 7 (Bildnachweis: Kat. Ausst. Ridikül! Foto: Courtesy British Cartoon Collection (BildMode in der Karikatur, 1600 bis 1900, hg. von nachweis: Geczy, Adam; Karaminas, Vicki: Queer Adelheid Rasche und Gundula Wolter, Staatliche Style. London et al. 2013, S. 52, Fig. 3.1; Scan) Museen zu Berlin 2003/04, Köln 2003, S. 295, Abb. 11.1; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 119: Thomas Gainsborough, Richard Paul Jordell, um 1774, Öl auf Leinwand, 76,8 x 63,8 cm, The Frick Collection, New York
Foto: © The Frick Collection (Bildnachweis: McNeil 2018, S. 59, Fig. 2.15; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 120: Napoleon Sarony, Oscar Wilde, 1882, Fotografie
Foto: gemeinfrei (Bildnachweis: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/common s/a/a7/Oscar_Wilde_Sarony.jpg; zuletzt: 07.01.2020)
VI. Abbildungsteil
Abb. 121: Giovanni Boldini, Der Conte Robert de Montesquiou, 1897, Öl auf Leinwand, 160 x 82,5 cm, Musée d’Orsay, Paris
Foto: © bpk/RMN-Grand Palais (musée du Louvre)/Hervé Lewandowski (Bildnachweis: Kat. Ausst. Homosexualität_En, S. 139; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 122: Giovanni Boldini, Portrait Giuseppe Verdis mit Zylinder, 1886, Pastell auf Karton, 65 x 54 cm, Galleria Nazionale d’Arte Moderna, Rom
(Bildnachweis: Kat. Ausst.: Boldini. Hg. von Francesca Dini, Fernando Mazzocca und Carlo Sisi, Padua 2004/05, Venedig 2005, S. 181, Abb. 62.; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 123.1: Henrik Olesen, Some Faggy Gestures (Panel IV), 2007–2008, Künstlerbuch, entstand im Kontext der Ausstellung Some Gay-Lesbian Artists and/or Artists Relevant to Homo-Social Culture Born between c. 1300–1870/SEX-MUSEUM 2005–2007 im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich, 2. Juni bis 12. August 2007
Foto: © A. Burger/L. Schnepf/S. Korte/Migros Museum/H. Olesen/JRP/Ringier Kunstverlag AG, 2008 (Bildnachweis: Olesen, Henrik; Munder, Heike: Some Faggy Gestures. Zürich 2008, S. 82–83; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 123.2: Henrik Olesen, Detailausschnitt von Some Faggy Gestures (Panel IV), 2007–2008
Foto: © A. Burger/L. Schnepf/S. Korte/Migros Museum/H. Olesen/JRP/Ringier Kunstverlag AG, 2008 (Bildnachweis: Olesen und Munder 2008, S. 86; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 124: Hal Fischer, Gay Semiotics (Figure 1), Abb. 125: Lars Theuerkauff, ADIDAS 12, 2012, 1977, Fotografie Acryl auf Leinwand, 100,6 x 65,5 cm
Foto: © Hal Fischer (Bildnachweis: Fischer, Hal: Gay Semiotics. A Photographic Study of Visual Coding Among Homosexual Men, Los Angeles 2015 (zuerst 1977), S. 7; Scan)
Foto: © Lars Theuerkauff und Kit Schulte Contemporary Art (Bildnachweis: Galeriewebseite: ht tps://www.artsy.net/artwork/lars-theuerkauff-a didas-12; zuletzt 12.02.2020)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 126: Arka Patra, Portraits of Men-Serie, 2019, digitale Fotografie
Foto: © Arka Patra (Bildnachweis: Künstlerwebseite: https://arkapatra.co m/bzw. https://www.instagram.com/p/B60pawQAqCn/?igshid=e4zf06x mbtuk; zuletzt 12.02.2020)
VI. Abbildungsteil
Abb. 127: The Women-Hater’s Lamentation (eine broadside, die anlässlich einer Verhaftungswelle von ›Sodomiten‹ publiziert wurde), 1707, Guildhall Library, London
Foto: Guildhall Library, Corporation of London/Norton Richter (Bildnachweis: Norton, Rictor: Mother Clap’s Molly House. The Gay Subculture in England 1700–1830, London 1992, S. 53; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 128: Werbung für einen ›Damen-Ball‹ im Berliner Klub Violetta, 1929, Forum Queeres Archiv München
Foto: NM (Bildnachweis: Die Freundin Nr. 1, 5. Jahrgang (02. Juli 1929), keine Seitenangaben; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 129: Marianne von Werefkin, Der Tänzer Sacharoff, 1909, Tempera auf Karton, 73,5 x 55 cm, Museo Comunale d’Arte Moderna, Ascona
Foto: © Fondazione Marianne Werefkin, Museo Comunale d’Arte Moderna, Ascona (Bildnachweis: Pfeiffer, Ingrid; Hollein, Max (Hg.): Sturm-Frauen – Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910–1932, Köln 2015, S. 337; Bildarchiv: Prometheu
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Queere Männlichkeiten
Abb. 130: Alexej von Jawlensky, Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff, 1909, Öl auf Leinwand, 68,5 x 66,5 cm, Städtische Galerie Lenbachhaus, München
Foto: © Städtische Galerie Lenbachhaus, München (Bildnachweis: Jawlensky, Maria; Pieroni-Jawlensky, Lucia; Jawlensky, Angelica (Hg.): Alexej von Jawlensky. Catalogue Raisonné of the Oil Paintings, Volume One 1890–1914, London 1991, S. 204, Bildtafel 250; Bildarchiv: Prometheus)
VI. Abbildungsteil
Abb. 131: Man Ray und Marcel Duchamp, Rrose Sélavy, um 1921, Fotografie, 13,5 x 10,7 cm, Sammlung Alexina Duchamp, Paris
Abb. 132: Yasumasa Morimura, Doublonnage, (Marcel), 1988, Fotografie, 149 x 120 cm, Andy Warhol Museum, Pittsburgh
Foto: © 1997 ARS, NY/ADAGP/May Ray Trust, Paris (Bildnachweis: Schwarz, Arturo: The Complete Works of Marcel Duchamp. Third Revised and Expanded Edition, Band 2, New York 1997b, S. 693, Abb. 394a; Bildarchiv: Prometheus)
Foto: © Yasumasa Morimura (Bildnachweis: Lord und Meyer 2013, S. 159; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 133: Diane Arbus, Blonde female impersonator standing by a dressing table, Hempstead, L. I. (ehemals N. Y. C.), 1959, Fotografie, 23 x 15,1 cm, Metropolitan Museum of Art, New York
Foto: © The Estate of Diane Arbus (Bildnachweis: Kat. Ausst. Diane Arbus. In the Beginning. 1956–1962, Metropolitan Museum of Art in New York und San Francisco Museum of Modern Art 2016/17, London 2016, S. 123; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 134.1: Andy Warhol, Ladies and Gentlemen (Marsha P. Johnson), 1975, synthetische Polymerfarbe und Siebdruck auf Leinwand, 100 x 125 cm
Abb. 134.2: Andy Warhol, Ladies and Gentlemen (Wilhelmina Ross), 1975, synthetische Polymerfarbe und Siebdruck auf Leinwand, 127 x 101,6 cm
Foto: © Dino Pedriali/Gabriele Mazzotta/The Andy Warhol Foundation (Bildnachweis: Warhol, Andy; Pedriali, Dino: Ladies and Gentlemen. Mailand 1975, S. 83; Scan)
Foto: © The Andy Warhol Foundation/Skarstedt Gallery, New York (Bildnachweis: Kat. Ausst. Andy Warhol: Ladies & Gentlemen, Skarstedt Gallery in New York 2009, New York 2010, S. 57, Farbtafel 28; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 135: Fergus Greer & Leigh Bowery, Session VII, Look 38, 1994, Fotografie, 25,25 x 20,2 cm
Foto: Courtesy Galerie Susanne Albrecht, München (Bildnachweis: Kat. Ausst. Leigh Bowery: Beautified Provocation, hg. von René Zechelin, Kunstverein Hannover 2008, Heidelberg 2008, S. 69; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 136: Robert Bartholot und Hungry, Wet Paint, 2019, Fotografie
Abb. 137: Fecal Matter, One Side is feared and the other Side was living in Fear, 2019, Fotografie
Foto: mit freundlicher Genehmigung © Robert Bar- Foto: © Fecal Matter (Bildnachweis: Instagramtholot und Hungry (Bildnachweis: Instagramseite seite der Künstler_Innen: https://www.instagra der Künstler_In: https://www.instagram.com/p/Bx m.com/p/B4YJqQ7BPD1/; zuletzt 18.08.2020) VUPHen7LY/; zuletzt 18.98.2020)
Abb. 138: Jean-Auguste-Dominique Ingres, Die große Odaliske, 1814, Öl auf Leinwand, 91 x 162 cm, Louvre, Paris
Foto: © 2017 RMN-Grand Palais (musée du Louvre)/Franck Raux (Bildnachweis: https://commons.wi kimedia.org/wiki/File:Ingre,_Grande_Odalisque.jpg; zuletzt 13.10.2020)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 139: Léon Bonnat, Der Barbier von Suez, 1876, Öl auf Leinwand, 80 x 58,4 cm, Curtis Galleries, Minneapolis (MN)
Foto : Curtis Galleries, Minneapolis (Bildnachweis : Saigne, Guy : Léon Bonnat. Le Portraitiste de la IIIe République, Cataloque Raisonné des Portraits, Paris 2017, S. 38, Fig. 5; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 140: Paul Jacoulet, Junger Mann aus dem Dorf Rull, Yap, 1934, Bleistift und Aquarell auf Papier, Musée du Quai Branly, Paris
Foto: © Musée du Quai Branly/Claude Germain/ADAGP, 2013/VG BildKunst (Bildnachweis: Kat. Ausst. Un Artiste Voyageur en Micronésie. L’Univers Flottant de Paul Jacoulet, Musée du Quai Branly in Paris 2013, Paris 2013, S. 38; Scan)
Abb. 141: Paul Jacoulet, Runabai und Mio. Die Eleganten aus dem Dorf Rull von der Insel Yap, West-Karolinen, 1942, Bleistift und Aquarell auf Papier, Musée du Quai Branly, Paris
Foto: © Musée du Quai Branly/Claude Germain/ADAGP, 2013/VG BildKunst (Bildnachweis: Kat. Ausst. Un Artiste Voyageur en Micronésie. L’Univers Flottant de Paul Jacoulet, Paris 2013, S. 25; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 142: Paul Jacoulet, Das Lied der Wellen, Pohnpei, Ost-Karolinen, 1936, farbiger Holzschnittdruck, 47,62 x 37,13 cm
Foto: © The Estate of Paul Jacoulet/ADAGP, Paris & JVACS, Tokyo, 2003/ VG Bild-Kunst (Bildnachweis: Kat. Ausst. Paul Jacoulet. Hg. von Kiyoko Sawatari und Hideko Numata, Yokohama Museum of Art 2003, Yokohama 2003, S. 41, Fig. 56; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 143: Das Fest der Liebe, Miniatur aus dem Kâsim-i Envâr, Kopie aus Isfahan, ca. 1455–1457, BL OR 11363, Fol. 148a
Foto: Courtesy British Library Board, London (Bildnachweis: Boone, Joseph Allen: The Homoerotics of Orientalism. New York 2014, Plate 12; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 144.1: Sequentielle Minitaur aus dem Gedichtband Khasma von Ne’izade Atayi, zwischen 1738 und 1739, BL OR 13,382, Fol. 160b
Abb. 144.2: Sequentielle Minitaur aus dem Gedichtband Khasma von Ne’izade Atayi, zwischen 1738 und 1739, BL OR 13,382, Fol. 161a
Foto: Courtesy British Library Board, London (Bildnachweis: Boone 2014, S. 399, Abb. 8.43; Scan)
Foto: Courtesy British Library Board. London (Bildnachweis: Boone 2014, S. 399, Abb. 8.44; Scan)
Abb. 145: Kitagawa Utamaro, Client Lubricating a Prostitute, Ende des 18. Jahrhunderts, Druckgrafik, Sammlung F. M. Bertholt
Foto: Bridgeman Art Library, Paris (Bildnachweis: Fernandez 2002, S. 170, Abb. 186; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 146: Sadao Hasegawa, Untitled, 1982, Acryl auf Papier, Gallery Naruyama, Tokyo
Foto: mit freundlicher Genehmigung der Gallery Naruyama, Tokyo (Bildnachweis: Galeriewebseite: https://www.artsy.net/show/gallery-naruyama-sadao-hasegawa-1978-1983; zuletzt 05.11.2020; der Scan des Bildes wurde von der Gallery Naruyama zur Verfügung gestellt)
Abb. 147.1: Sinan Tunçay, Treat Me Like A Friend/Bir Dost Gibi Davran Bana, 2019, Videoinstallation, © Sinan Tuncay
(Bildnachweis: Künstlerwebseite: www.sinantuncay.com/#/treat-me-like-a-friend-bir-dost-gibidavran-bana/; zuletzt 31.10.2020; Screenshot)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 147.2: Sinan Tunçay, Treat Me Like A Friend/Bir Dost Gibi Davran Bana (angeschnittenes Detail), 2019, Videoinstallation, © Sinan Tuncay
Abb. 147.3: Sinan Tunçay, Treat Me Like A Friend/Bir Dost Gibi Davran Bana (angeschnittenes Detail), 2019, Videoinstallation, © Sinan Tuncay
Abb. 147.4: Sinan Tunçay, Treat Me Like A Friend/Bir Dost Gibi Davran Bana (angeschnittenes Detail), 2019, Videoinstallation, © Sinan Tuncay
(Bildnachweis: Künstlerwebseite: www.sinantuncay.com/#/treat-me-like-a-friend-bir-dostgibi-davran-bana/; zuletzt 31.10.2020; Screenshot)
(Bildnachweis: Künstlerwebseite: www.sinantuncay.com/#/treat-me-like-a-friend-bir-dostgibi-davran-bana/; zuletzt 31.10.2020; Screenshot)
(Bildnachweis: Künstlerwebseite: www.sinantuncay.com/#/treat-me-like-a-friend-bir-dostgibi-davran-bana/; zuletzt 31.10.2020; Screenshot)
VI. Abbildungsteil
Abb. 148: Albrecht Dürer, Das Männerbad, um 1496/97, Holzschnitt, 39,6 x 29,0 cm, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Graphische Sammlung, Inv.Nr. H.7314
Foto: Germanisches National Museum, Nürnberg (Bildnachweis: Schauerte, Thomas: Dürer & Celtis. Die Nürnberger Poetenschule im Aufbruch, München 2015, S, 110, Abb. 29.; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 149: Domenico Cresti (Il Passignano), Die Badenden bei San Niccolò, 1600, Öl auf Leinwand, 142,2 x 180,3 cm, Privatsammlung
Foto: Sotheby’s (Bildnachweis: Webseite des Auktionshauses Sotheby’s, www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2017/master-paintings-n09601/lot.36.html; zuletzt 27.11.2020)
Abb. 150: Christian Siekmeier, 40° 42’ N 74° 00’ W (New York), Fotografie
Abb. 151: Patrick Angus, Hanky Panky, 1990, Acryl auf Leinwand, 102 x 137 cm
Foto: © Christian Siekmeier/VG Bild-Kunst (Bildnachweis: Siekmeier, Christian; Rosebrock, Imke: Cruising International. In: Style & The Family Tunes (Juli/August 2007), S. 78–85; hier: S. 85; Scan)
Foto: Courtesy Leslie-Lohman Museum of Gay and Lesbian Art, New York (Bildnachweis: Kat. Ausst. Patrick Angus. Private Show, Kunstmuseum Stuttgart 2017/2018, Berlin 2017, S. 125, Kat. 100; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 152.1: Wolfgang Tillmans, The London Apprentice I, 1996, Fotografie
Abb. 152.2: Wolfgang Tillmans, The London Apprentice II, 1996, Fotografie
Foto: © Wolfgang Tillmans (Bildnachweis: Kat. Foto: © Wolfgang Tillmans (Bildnachweis: Kat. Ausst. Wolfgang Tillmans: If one thing matters, Ausst. Wolfgang Tillmans, Ostfildern 2003, S. 120; everything matters, Tate Britain in London 2003, Scan) Ostfildern 2003, S. 120; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 153: Sam Wingate, Grindr Quilt (Vorderseite), 2017, digital bedruckter und bestickter Baumwollstoff, 180 x 150 cm
Foto: © Sam Wingate (Bildnachweis: Künstlerwebseite: www.sam-wingate.com/index.html; zuletzt 09.12.2020)
VI. Abbildungsteil
Abb. 154.1: Horace Walpole et al. (Architekten)., Strawberry Hill (südöstliche Ansicht), Aufnahme von 2012
Foto: © Chiswick Chap (Bildnachweis: Chiswick Chap, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St rawberry_Hill_House_from_garden_in_2012_after_restoration.jpg; zuletzt 29.01.2021)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 154.2: Grundriss von Strawberry Hill, 1781
Foto: Klaus Niehr (Bildnachweis: Niehr, Klaus: Gotikbilder – Gotiktheorien. Studien zur Wahrnehmung und Erforschung mittelalterlicher Architektur in Deutschland zwischen ca. 1750 und 1850, Berlin 1999, S. 141, Abb. 39; Bildarchiv: Prometheus)
VI. Abbildungsteil
Abb. 155.1: Abbildung der Houghton Hall (Gartenfassade) aus Colen Campbells Vitruvius Britannicus III, 1725, Kupferstich
Foto: James Ackerman (Bildnachweis: Ackerman, James: The Villa. From an Ideology of Country Houses, London 1990, S. 144, Fig. 6.9; Bildarchiv: Prometheus)
Abb. 155.2: Grundriss des Kellergeschosses von Houghton Hall aus Isaac Wares und Thomas Ripleys The Plans, Elevations and Sections, Chimney-pieces and Ceilings of Houghton in Norfolk, 1735
Foto: © Met (Bildnachweis: Webseite des MET: https://www.metmuseum.org/art/c ollection/search/368717; zuletzt 03.04.2021)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 156.1: T. Higham nach John Martin, Nordwestansicht der Fonthill Abbey, 1823, Druckgrafik
Foto: Dick Claésson (Bildnachweis: Rutter, John: Delineations of Fonthill and its Abbey. London 1823, Bildtafel 11; online abrufbar unter: http://beckford.c18.net/rut terdelplate11.html; zuletzt 05.03.2021)
VI. Abbildungsteil
Abb. 156.2: John Cleghorn und D. Wolstenhome Abb. 156.3: John Cleghorn nach John Rutter und Junior nach W. Finley, Innenansicht der St. Mi- James Wyatt, Grundriss der Fonthill Abbey, chael’s Gallery, 1823, Druckgrafik mit Aquatinta 1823, Druckgrafik
Foto: Dick Claésson (Bildnachweis: Rutter 1823, Foto: Dick Claésson (Bildnachweis: Rutter 1823, Bildtafel 7; online abrufbar unter: http://beckford. Bildtafel 2; online abrufbar unter: http://beckford c18.net/rutterdelplate7.html; zuletzt 05.03.2021) .c18.net/rutterdelplate2.html; zuletzt 05.03.2021)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 157: Ludwig II. als Beispiel für »[w]eibliche Gestik und Mimik beim Manne« in Hirschfelds Geschlechtskunde, 1930
Foto: NM (Bildnachweis: Hirschfeld, Magnus: Geschlechtskunde. Bilderteil, Band 4 von 4, Stuttgart 1930, S. 524; Scan)
VI. Abbildungsteil
Abb. 158.1: Christian Janken, Georg von Dollmann und Eduard Riedel (Architekten), Schloss Neuschwanstein (Ostansicht), 1869 (Grundsteinlegung), kolorierte Fotografie, um 1900
Foto: gemeinfrei (Bildnachweis: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Neuschwanst ein#/media/Datei:Neuschwanstein_Castle_LOC_print_rotated.jpg; zuletzt 17.03.2021; Bildarchiv: Library of Congress, Inventarnummer LC-DIG-ppmsca-00179)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 158.2: Eduard Riedel, Grundriss der Gesamtanlage Schloss Neuschwanstein, 1868
Foto: gemeinfrei (Bildnachweis: Artemis. Archiv des Instituts für Kunstgeschichte der LMU München; Bildarchiv: Artemis)
Abb. 158.3: Julius Hofmann (Architekt), Thronsaal im Schloss Neuschwanstein (Blick auf die Apsis), 1878/86, Fotografie, um 1900
Foto: gemeinfrei (Bildnachweis: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/common s/1/1a/Thronsaal%2C_Schloss_Neuschwanstein.jpg?uselang=de; zuletzt 30.11.2022)
VI. Abbildungsteil
Abb. 158.4: Julius Hofmann (Architekt), Thronsaal im Schloss Neuschwanstein (Blick von der Apsis), 1878/86
Foto: Achim Bunz (Bildnachweis: Spangenberg, Marcus: Der Thronsaal von Schloss Neuschwanstein. König Ludwig II. und sein Verständnis vom Gottesgnadentum, Regensburg 1999, S. 33; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 159.1: Georg von Dollman und Joseph Röhrer (Architekten), Königshaus am Schachen, 1869–1872, kolorierte Fotografie, um 1890
Foto: Photochrom Zürich, gemeinfrei (Bildnachweis: https://up load.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4e/Garmisch-Pate nkirchen-Schachen_%28Berg%29-Königshaus_am_SchachenZI-1298-01-00-217517.jpg?uselang=de; Bildarchiv: ZI-Photothek, Inventarnummer ZI-1298-01-00-217517 )
Abb. 159.2: Georg von Dollmann und Joseph Röhrer, Türkischer Saal, 1870–1872
(Bildnachweis: Artemis. Archiv des Instituts für Kunstgeschichte der LMU München)
VI. Abbildungsteil
Abb. 159.3: Thomas Allom, Apartment in the Palace of Eyoub, the Residence of Asmé Sultana, 1836, Stich
Foto: gemeinfrei (Bildnachweis: Walsh, Robert; Allom, Thomas: Constantinople and the Scenery of the Seven Churches of Asia Minor. Vol. 2 von 2, London um 1839, Frontpiece; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 160: Kleanthis Kyriakou, House of Extravaganza, 2019, digitale Illustration
Foto: © Kleanthis Kyriakou (Bildnachweis: bereitgestellt durch den Künstler)
Abb. 161: Howard Sooley, Derek Jarmans Prospect Cottage mit Garten und dem Atomkraftwerk im Hintergrund, um 1990
Foto: © Howard Sooley (Bildnachweis: https://www.theartnewspaper.com/preview/derek-jarman-sboundaries-found-in-garden-museum-show; zuletzt 07.04.2021)
VI. Abbildungsteil
Abb. 162: Robert Mapplethorpe, Self Portrait with Whip, 1978, Fotografie, 19,5 x 19,5 cm, J. Paul Getty Museum, Los Angeles
Foto: © The Robert Mapplethorpe Foundation (Bildnachweis: Weinberg, Jonathan: Entkleidet, aber nicht entblößt. Der männliche Akt in der amerikanischen Kunst, in Kat. Ausst.: Nackte Männer. von 1800 bis heute, Wien 2012/13, München 2012, S. 88–97; hier: S. 91, Abb. 4; Scan)
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Queere Männlichkeiten
Abb. 163: Elmgreen & Dragset, The Experiment (Installationsansicht der Homosexualität_en Ausstellung in Berlin 2015), 2011, Mixed Media, 128 x 40 x 42 cm (Figur), 189,5 x 79,2 x 63 cm (Spiegel), Privatbesitz (Kverneland/Folgero Sammlung)
Foto: © Elmgreen & Dragset/Gallery Victoria Miro/VG Bild-Kunst/Fotograf: Serge Hasenbohler (Bildnachweis: Kat. Ausst. Homosexualität_En, S. 139; Scan)
Kunst- und Bildwissenschaft Cathrin Klingsöhr-Leroy
Buch und Bild – Schrift und Zeichnung Schreiben und Lesen in der Kunst des 20. Jahrhunderts Juni 2022, 108 S., Klappbroschur, 1 SW-Abbildung, 21 Farbabbildungen 15,00 € (DE), 978-3-8376-6123-1 E-Book: PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-6123-5
Ingrid Hoelzl, Rémi Marie
Common Image Towards a Larger Than Human Communism 2021, 156 p., pb., ill. 29,50 € (DE), 978-3-8376-5939-9 E-Book: PDF: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5939-3
Ivana Pilić, Anne Wiederhold-Daryanavard (Hg.)
Kunstpraxis in der Migrationsgesellschaft Transkulturelle Handlungsstrategien der Brunnenpassage Wien 2021, 244 S., kart. 29,00 € (DE), 978-3-8376-5546-9 E-Book: PDF: 25,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5546-3
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Kunst- und Bildwissenschaft Birgit Eusterschulte, Christian Krüger (Hg.)
Involvierte Autonomie Künstlerische Praxis zwischen Engagement und Eigenlogik August 2022, 230 S., kart., 10 SW-Abbildungen 35,00 € (DE), 978-3-8376-5223-9 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5223-3
Marlene Bart, Johannes Breuer, Alex Leo Freier (Hg.)
Atlas der Datenkörper 1 Körperbilder in Kunst, Design und Wissenschaft im Zeitalter digitaler Medien März 2022, 172 S., kart. 34,00 € (DE), 978-3-8376-6178-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-6178-5
Petra Lange-Berndt, Isabelle Lindermann (Hg.)
Dreizehn Beiträge zu 1968 Von künstlerischen Praktiken und vertrackten Utopien Februar 2022, 338 S., kart. 32,00 € (DE), 978-3-8376-6002-9 E-Book: PDF: 31,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-6002-3
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