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German Pages [707] Year 2017
Bilderwelten: Ägyptische Bilder und ägyptologische Kunst
Probleme der Ägyptologie Herausgegeben von Wolfgang Schenkel Antonio Loprieno und Joachim Friedrich Quack
band 35
The titles published in this series are listed at brill.com/pae
Bilderwelten: Ägyptische Bilder und ägyptologische Kunst Vorarbeiten für eine bildwissenschaftliche Ägyptologie
von
Kai Widmaier
leiden | boston
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Names: Widmaier, Kai, author. Title: Bilderwelten : ägyptische Bilder und ägyptologische Kunst : Vorarbeiten fü r eine bildwissenschaftliche Ägyptologie / von Kai Widmaier. Other titles: ägyptische Bilder und ägyptologische Kunst : Vorarbeiten für eine bildwissenschaftliche Ä gyptologie | Vorarbeiten fü r eine bildwissenschaftliche Ä gyptologie Description: Leiden ; Boston : Brill, 2017. | Series: Probleme der Ä gyptologie, issn 0169-9601 ; Band 35 | Summary also in English. | Includes bibliographical references and index. Identifiers: lccn 2017014464 (print) | lccn 2017019366 (ebook) | isbn 9789004347748 (E-book) | isbn 9789004347731 (hardback : alk. paper) Subjects: lcsh: Art, Egyptian. | Art, Ancient–Egypt. | Art–History–Methodology. Classification: lcc n5350 (ebook) | lcc n5350 .w47 2017 (print) | ddc 700.932–dc23 lc record available at https://lccn.loc.gov/2017014464
Typeface for the Latin, Greek, and Cyrillic scripts: “Brill”. See and download: brill.com/brill-typeface. issn 0169-9601 isbn 978-90-04-34773-1 (hardback) isbn 978-90-04-34774-8 (e-book) Copyright 2017 by Koninklijke Brill nv, Leiden, The Netherlands. Koninklijke Brill nv incorporates the imprints Brill, Brill Hes & De Graaf, Brill Nijhoff, Brill Rodopi and Hotei Publishing. All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, translated, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without prior written permission from the publisher. Authorization to photocopy items for internal or personal use is granted by Koninklijke Brill nv provided that the appropriate fees are paid directly to The Copyright Clearance Center, 222 Rosewood Drive, Suite 910, Danvers, ma 01923, usa. Fees are subject to change. This book is printed on acid-free paper and produced in a sustainable manner.
Inhaltsverzeichnis Vorwort ix Abbildungsverzeichnis xiii Abkürzungsverzeichnis xix Abstract xx Abstract (English) xxxii Einleitung
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teil i Ägyptische Kunst? 1 Ägyptische Kunst: Diskussion um einen Forschungsgegenstand 7 1.1 Problematisierungen 8 1.1.1 Kunst als Epochenfrage bei Walther Wolf und Hans Belting 9 1.1.2 Zum Versuch einer Synthese aus Ästhetik und Semiotik 20 1.2 Zu Versuchen einer ‚Rettung der Kunst‘ für die Ägyptologie 34 1.2.1 Kunst und High Culture als Koordinaten des Kulturvergleichs bei John Baines 35 1.2.1.1 „Aesthetics“ 35 1.2.1.2 „Elite“ und „High Culture“ 36 1.2.1.3 „Decorum“ 40 1.2.1.4 „The Institution of Art“ 43 1.2.1.5 Kultur als Kunst 56 1.2.1.6 Kunst und Ästhetik vs. Ästhetik ohne Kunst 58 1.2.2 Methodenpluralismus an der Wende zur Kulturwissenschaft: Eine Perspektive für die ägyptologische Kunstwissenschaft? 63 1.3 Kunstgeschichte und Kontinuitätsfiktion: Erfahrung und Erleben ‚ägyptischer Kunst‘ 80 1.4 Ästhetik und anthropologische Konstanten im interkulturellen Zusammenhang 121 1.4.1 Zu einer Sicht Interkultureller Philosophie auf ägyptische Ästhetik 125 1.4.2 Universalität und Relativismus 136 1.4.3 Universalität innerhalb eines deskriptiven Kulturrelativismus 139
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inhaltsverzeichnis
1.5 Ägyptische Kunst? Eine vorläufige Zusammenschau zu Begriffsverzicht und Anführungszeichen 142
teil ii Bilder – Stile – Kontexte 2 Stil und Geschichte: Zur Bildkultur der 6.–12. Dynastie und ihren ägypt(olog)ischen Kontexten 153 2.1 Periodisierungen und das Rezeptionsmuster der Zwischenzeit 154 2.2 Geschichte(n) und Lesarten: Zum ägyptologischen Topos der 1. Zwischenzeit 160 2.2.1 Das ‚Dunkel‘ der Geschichte 160 2.2.2 Zu historischen Auswertungen literarischer Texte 166 2.2.3 Zur Bedeutung einer Geschichte der Geschichtsschreibung 184 2.3 Bilder im Spiegel von Epochenbildern und ägyptologischen Kontexten 187 2.3.1 Materialbeobachtungen (i): Funktionalität 193 2.3.2 Materialbeobachtungen (ii): Einführung in Stil- und Datierungsfragen anhand von Beispielen aus der 5.–11. Dynastie 197 2.3.2.1 Stil und Geschichte: Stiltheorie nach Whitney Davis 198 2.3.2.2 Zu Stil und Geschichte privater Grabstelen zwischen der 6. und 11. Dynastie 210 2.3.2.3 Die Gräber der Qubbet el-Hawa vor der 11. Dynastie 217 2.3.2.4 Zu Skulpturen und modernen Erwartungshorizonten 230 2.3.3 Materialbeobachtungen (iii): Stilgeschichten und das Bildmaterial der Zeit Mentuhoteps ii. 240 2.3.3.1 Materialübersicht 240 2.3.3.2 Stile und Konzepte 250 2.3.3.3 Lineare Stilentwicklung? 256 (1) Ausgangsbasis 256 (2) Charakteristika des pre-unification style 261 (3) Materialbeobachtungen 263 2.3.3.4 Beobachtungen zu Ähnlichkeit und Gleichzeitigkeit: Die Skulptur der Zeit Mentuhoteps ii. 270
inhaltsverzeichnis
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(1) Selektive Vergleiche 270 (2) Gleichzeitigkeit ohne Ähnlichkeit 272 (3) Ähnlichkeit ohne Gleichzeitigkeit 279 Exkurs i: 11. oder 19. Dynastie? Zu den mumiengestaltigen Statuen aus Armant 280 2.3.4 Materialbeobachtungen (iv): Stil und Geschichte am Übergang zur 12. Dynastie 285 2.3.4.1 Statuen der späten 11. Dynastie(?) und stilistische Reihenbildungen 286 2.3.4.2 Stilgeschichten und Historiographie: Ein Dynastiewechsel im Spiegel der Bilder? 297 (1) Eine stilistische Reihenbildung 300 (2) Zur engen Relationierung von Stil und Geschichte: Feindatierungen und Holzmodelle 306 (3) Stilistik und Geschichten 314 2.3.5 Materialbeobachtungen (v): „Wenn Statuen reden“ – Königsskulpturen der 12. Dynastie als Porträts? 322 2.3.5.1 Zu Porträtkonzepten in der Klassischen Archäologie und in der Ägyptologie 323 2.3.5.2 Zu Prämissen und Hintergründen ägyptologischer Porträtforschung 328 (1) Bedeutungshaltigkeit der Gesichtszüge und deren Decodierbarkeit 329 (2) Ansetzung einer transkulturell gültigen mimischen Ausdruckssprache 338 (3) Die Hyperkontextualisierung von Statuenbildern und literarischen Texten 340 2.3.5.3 Projektionen und Imaginationen: Ägyptische Porträts als offene Fragmente 355 2.4 (Un)möglichkeiten zwischen Stil und Geschichte: Eine Zusammenschau mit einem Ausblick auf die 18. Dynastie 374 2.4.1 Stil als Ordnungsinstrument und das Phänomen des Stilpluralismus 375 2.4.2 Stil als Beschreibung 381 2.4.3 Stil und Stilistizität, Produktion und Rezeption: Zu Koordinaten für eine Terminologie 389 (1) Stilbeschreibung 391 (2) Produktionsstil 391 (3) Intendierte Stilistizität 393 (4) Semantisch geladener Stil 395
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inhaltsverzeichnis
2.4.4
Zu den Grenzen ägyptologischer Stilforschung 397 2.4.4.1 Stilistizität und Stil als historischer Begriff 404 2.4.4.2 Ägyptische Rezeption von Stilen der 12. Dynastie in der frühen 18. Dynastie: Königsbilder als Ausdruck legitimierender Stilpolitik? 414 (1) Stil in der frühen 18. Dynastie 414 Exkurs ii: Legitimation als Interpretationskategorie 424 (2) Stilistizität als Mittel zur Herstellung von Kontinuität 443
teil iii Von ägyptischen Bildern und ägyptologischer Kunst 3 Rückschau und Ausblick 453 3.1 Kunstbegriffe, Historisierungen und der museale Blick 453 3.2 Prolegomena für künftige bildwissenschaftliche Untersuchungen 479 3.2.1 Zu einer Bildkritik und zum Stil im imaginären Museum 480 3.2.2 Kontextualisierung(en) 489 3.2.3 Semiotik und Hermeneutik 492 3.2.4 Geschichte(n) 505 3.2.5 Die Fremde als hermeneutische Herausforderung 508 3.2.6 Bilderwelten: Braucht die Ägyptologie eine Kunsttheorie? 528 Glossar 539 Literaturverzeichnis 555 Sachindex 626 Ägyptische Bilder und andere Objekte Ägyptische Namen 647 Ägyptische Texte 649 Ägyptische Wörter 651 Orte, Gräber, Tempel 652 Autoren und Künstler 654 Tafeln 659
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der GeorgAugust-Universität Göttingen im Sommersemester 2012 als Dissertation angenommen. Die Disputation fand am 26. November 2012 statt. Neben den Gutachtern Gerald Moers und Friedrich Junge gehörten Ruth Florack und Claudia Stockinger der Promotionskommission an. Nachdem ich mich in meiner Magisterarbeit (Landschaften und ihre Bilder, Göttinger Orientforschungen iv/47) bereits mit bildwissenschaftlichen Themen befasst hatte, schloss sich eine grundsätzliche Frage an, die jede Beschäftigung mit ägyptischen Bildern – und sei es nur subtil – überschattet: Haben wir es im alten Ägypten überhaupt mit Kunst zu tun? Nach einer problemorientierten Bestandsaufnahme zu dieser Frage (Teil i), haben ein Satz von Friedrich Junge und ein Gespräch mit Stephan J. Seidlmayer Anstöße dazu geliefert, einige wenige Seiten zu dem auszuweiten, was hier nun als Teil ii veröffentlicht wird. Die besonders guten Bedingungen, die mir das ägyptologische Göttingen meiner Studienzeit bot, ermöglichten es mir, meiner übergeordneten Fragestellung nachzugehen und dabei einen eigenen Weg zu suchen, der Materialarbeit, kritische Reflexion und Theoriebildung miteinander verbindet. Es war immer mein Ziel, meine Arbeit abschließend an grundsätzlichere Zusammenhänge zurückzubinden, so dass sie tatsächlich als Vorarbeit für eine zukünftige bildwissenschaftliche Ägyptologie dienen kann. Diese Hoffnung hat die Entstehung dieses Buches und dabei insbesondere Kapitel 2.4 und Teil iii sowie das ergänzende Glossar geprägt. Für die Publikation wurden Teile der Abgabefassung überarbeitet, außerdem wurde sie geringfügig erweitert. Dabei wurde selektiv zwischenzeitlich erschienene Literatur eingearbeitet, darunter der den aktuellen Stand der Forschung noch einmal zusammenfassende Sammelband A Companion to Ancient Egyptian Art (herausgegeben von Melinda Hartwig); ferner setzt Kapitel 1.5 einige aktuelle Beiträge in Beziehung zu Ergebnissen von Teil i. Gänzlich neu hinzugekommen ist das Glossar im Anhang sowie Kapitel 3.2.5, das eine Diskussion aus der Disputation aufgreift (das Kapitel 3.2.5 der Abgabefassung findet sich als Kapitel 3.2.6 an den Schluss der Arbeit gerückt). Ich danke meinem Doktorvater Gerald Moers, mit dem ich eine Dekade gemeinsamen Weges in der Ägyptologie zurückgelegt habe. Er bot mir weit mehr als nur Anregungen, Unterstützung und uneingeschränkten Rückhalt. Seine besondere Art, Ägyptologie nicht als ägyptophile Alltagshermeneutik zu verstehen, sondern sich der Herausforderung zu stellen, sie als Wissenschaft zu betreiben, hat das Fundament für mein ägyptologisches Arbeiten gelegt. Nur auf diesem konnte das vorliegende Buch entstehen.
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vorwort
Friedrich Junges Art, seinen Schülern Fragen zu stellen, bot mir ebenso vielfältige Anregungen und Anknüpfungspunkte wie einige seiner Positionen ein willkommener Widerpart waren, der half, meine eigenen Argumente klarer zu konturieren. Auf diese Weise hat er die Entstehung dieser Arbeit vom Beginn bis zur Disputation begleitet. Jedem, der ein Dissertationsprojekt verfolgt, kann man nur eine ‚Mitstreiterin‘ wünschen, wie ich sie in Antonia Giewekemeyer hatte. Inhaltliche Schnittmengen haben einen fortwährenden Dialog zwischen uns angestoßen, der meine ganze Promotionszeit entscheidend bereichert hat. Arndt Lümers danke ich für seine Freundschaft und seinen Zuspruch über viele Jahre. Unsere Diskussionen und Gespräche waren mehr als nur ein produktiver und bestärkender Austausch. Sein unschätzbarer Blick auf die Dinge hat mich begleitet und war mir nicht nur auf der Zielgeraden ein großer Gewinn. Einer Reihe von Göttinger Freunden bin ich zu besonderem Dank verpflichtet: Auf Uwe Sikora konnte ich immer zählen und mit ihm meine methodenkritischen Ansätze reflektieren. Die von Albrecht Endruweit gepflegte Art, Gespräche über archäologische Funde und Befunde zu intensiven Diskussionen über ägyptische Kontexte auszuweiten, habe ich schon während meines Magisterstudiums sehr schätzen gelernt. Ralf Ernst danke ich für unzählige Gespräche, die von seiner ihresgleichen suchenden wissenschaftlichen Unerbitterlichkeit geprägt waren. Sie waren ein fester Bestandteil meiner Studienzeit und eine Bereicherung von außergewöhnlicher Art. Konstantin Lakomy danke ich für seine Freundschaft, sein immer offenes Ohr und viel gemeinsame Zeit, während wir an unseren Magisterarbeiten und Dissertationen geschrieben haben. Hannes Worthmann danke ich für seinen philosophischen Außenblick auf methodologische Desiderate und ideosynkratische Züge der ägyptologischen Forschung. Michela Luiselli und Joachim Friedrich Quack haben mir freundlicherweise unpublizierte Manuskripte zur Verfügung gestellt. Alexandra Verbovsek danke ich dafür, dass sie mir das nach wie vor unpublizierte Manuskript ihrer Habilitationsschrift aus dem Jahr 2005 zu Studienzwecken zur Verfügung gestellt hat, wenngleich ich leider meine Diskussion dieser Arbeit hier nicht publizieren durfte. Für Korrekturen und ausführliche Kommentare zur Abgabefassung danke ich Antonia Giewekemeyer und Arndt Lümers. Für ihre Hilfe bei der Literaturbeschaffung danke ich Arndt Lümers, Konstantin Lakomy und Uwe Sikora. Tyler Q. Sproule und Arndt Lümers verdanke ich die Übersetzung des Abstracts ins Englische. Andreas Dorn hat mir durch einen Freundschaftsdienst bei der Beschaffung von Bildrechten aus einer drohenden Sackgasse geholfen.
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Catharine H. Roehrig hat mich hinsichtlich diverser Bildvorlagen unterstützt; insbesondere für ihren großen Einsatz bei der Beschaffung und Aufbereitung von Photographien der Deir el-Bahri-Kampagnen Herbert E. Winlocks bin ich ihr sehr zu Dank verpflichtet. Für die unkomplizierte Überlassung von Bildrechten bzw. Bildmaterial danke ich Dieter Arnold, Dorothea Arnold, Enrico Ferraris (Fondazione Museo delle Antichità Egizie di Torino), Oliver Gauert (Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim), Carl Graves (Egypt Exploration Society London), Catharine H. Roehrig (Metropolitan Museum of Art New York), Sylvia Schoske (Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München), Karl-J. Seyfried, Hourig Sourouzian, Gerd Vieler, André Wiese (Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig) und Olivia Zorn (Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin). Sie haben es mir durch ihre Großzügigkeit ermöglicht, zahlreiche Abbildungen auch in die Publikationsfassung zu übernehmen. Auch den weiteren im Abbildungsverzeichnis genannten Rechteinhabern gilt mein Dank für ihre Kooperation. Ganz besonderer Dank gebührt der Studienstiftung des deutschen Volkes, die die vorliegende Arbeit mit einem Promotionsstipendium unterstützt und damit überhaupt erst möglich gemacht hat. Die Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen hat diese Dissertation nicht nur finanziell zu Beginn mit einem Exposee-Stipendium und am Ende mit einem Abschlussstipendium unterstützt. Sie hat außerdem mit ihrer Summer School zum Thema „Bilder in den Geisteswissenschaften“ im September 2009 ein Forum dafür geboten, erste Entwürfe der Arbeiten, die später zu Teil ii angewachsen sind, in einem interdisziplinären Rahmen diskutieren zu können. Die Arbeit wurde im Jahr 2013 mit dem Christian-Gottlob-Heyne-Preis der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen sowie dem Dissertationspreis des Universitätsbundes Göttingen ausgezeichnet. Dafür danke ich den Gutachtergremien, denn vor dem Hintergrund, dass meine unbequeme Arbeit innerhalb der Ägyptologie Widerstände zu erwarten hat, sind mir diese fächerbzw. fakultätenübergreifenden Würdigungen eine ganz besondere Ehre und eine Wertschätzung, die mir sehr viel bedeutet. Antonio Loprieno, Joachim Friedrich Quack und Wolfgang Schenkel danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe Probleme der Ägyptologie. Darüber freue ich mich sehr, weil der Reihentitel die Überschrift formuliert, unter der ich mein ägyptologisches Arbeiten immer angesiedelt gesehen habe. Joachim Friedrich Quack hat mir dankenswerterweise verschiedene Publikationen zur Kenntnis gebracht, die mir ohne seine Hinweise entgangen wären. Einem anonymen Gutachter danke ich für wertvolle Hinweise aus bildwissenschaftlicher Perspektive.
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Katelyn Chin und Judy Pereira haben auf Seiten des Verlages den Weg vom Manuskript zum gedruckten Buch geduldig und immer zuvorkommend begleitet und dabei einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass mein Buch die Form angenommen hat, in der ich es nun gerne veröffentliche. Die Freude und Erleichterung darüber, dass diese Arbeit nun endlich erscheint, teile ich mit meiner Familie. Allen voran danke ich meinen Eltern Ingrid und Wolfgang Widmaier für ihre großartige Unterstützung, die mir fortwährend so viel ermöglicht hat. Meine Frau Claudia hat die Konsequenzen, die eine ägyptologische Promotion mit sich bringt, vom ersten Moment an mitgetragen und mir mit viel Kraft und Nachsicht auf eine Weise Halt gegeben, die nicht zu übertreffen ist und für die es keine Worte gibt. Was mit dem Moment der Drucklegung geschafft ist, wissen nur wir beide. Dezember 2016
Abbildungsverzeichnis Abbildungen 1.1
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2.1 2.2 3 4
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Amarna-Plattform im Ägyptischen Museum Berlin. Photo: Kai Widmaier (25.03.2010), Publikation mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Berlin. 99 Amarna-Plattform im Ägyptischen Museum Berlin. Photo: Kai Widmaier (25.03.2010), Publikation mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Berlin. 99 Das Alte Museum auf der Berliner Museumsinsel. Photo: Kai Widmaier (28.08.2008). 103 Das Alte Museum auf der Berliner Museumsinsel. Photo: Kai Widmaier (28.08.2008). 103 Berlin äm 21238. Photo: Kai Widmaier (25.03.2010), Publikation mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Berlin. 111 Berlin äm 21207 und äm 21234. Photo: Kai Widmaier (25.03.2010), Publikation mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Berlin. 113 Berlin äm 25790 und äm 20495. Photo: Kai Widmaier (25.03.2010), Publikation mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Berlin. 113 Berlin äm 21299. Photo: Kai Widmaier (25.03.2010), Publikation mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Berlin. 114 Berlin äm 21299. Photo: Kai Widmaier (25.03.2010), Publikation mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Berlin. 114 Berlin äm 21220. Photo: Kai Widmaier (25.03.2010), Publikation mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Berlin. 115 Berlin äm 21223. Photo: Kai Widmaier (25.03.2010), Publikation mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Berlin. 116 Herzer, Schoske, Wedewer et al. (Hrsg.), Ägyptische und moderne Skulptur, 144f. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung von Seiten der Herausgeber. 130 Petrie, Dendereh (1898), 13. 188 Naga el-Deir: n3804, stela. c224_os. Photographer: George A. Reisner. January 1, 1901–January 1, 1902. Harvard University – Boston Museum of Fine Arts Expedition. Courtesy Museum of Fine Arts, Boston. 196 Naga el-Deir: n3804. Dows Dunham. Naga-ed-Dêr stelae of the First Intermediate Period, Museum of Fine Arts, 1937, p. 9 (fig. 5). Published by
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abbildungsverzeichnis mfa Publications, a division of the Museum of Fine Arts, Boston. © 2015. Museum of Fine Arts, Boston. Reproduced by permission. 196 Qubbet el-Hawa: qh 35d, Szene 3. Reproduktion von Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, 788 (Abb. 3) (beschnitten) mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und des Verlages. 218 Qubbet el-Hawa: qh 35d, Szene 4. Reproduktion von Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, 789 (Abb. 4) (beschnitten) mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und des Verlages. 218 Qubbet el-Hawa: qh 35d, Szene 3 und 4. Reproduktion von Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, Tf. xxxvi mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und des Verlages. 218 Qubbet el-Hawa: qh 110, Szene 16. Reproduktion von Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, 1807 (Abb. 14) (beschnitten) mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und des Verlages. 221 Qubbet el-Hawa: qh 110, Szene 16. Reproduktion von Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, Tf. lxxvii (rechts) (beschnitten) mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und des Verlages. 221 Qubbet el-Hawa: qh 110, Szene 10. Reproduktion von Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, 1803 (Abb. 10) (beschnitten) mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und des Verlages. 222 Qubbet el-Hawa: qh 110, Szene 10. Reproduktion von Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, Tf. lxxvi (rechts) (beschnitten) mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und des Verlages. 222 München äs 6797. Reproduktion von Schoske & Wildung, Ägyptische Kunst München, 28 mit freundlicher Genehmigung des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst München. 232 Hildesheim rpm 2975, 3111, 2974. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Roemer- und Pelizaeus-Museums Hildesheim. © Roemerund Pelizaeus-Museum Hildesheim. Photo: Shahrokh Shalchi. 233 mfa Boston (Accession no. 39.832). Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des mfa Boston. Egyptian, Old Kingdom, Dynasty 5 or 6, 2465–2150b.c. Findspot: Egypt, Giza. Limestone. (HxBxT:) 47×17,5×19cm. Harvard University – Boston Museum of Fine Arts Expedition. Museum of Fine Arts, Boston, mfa. 235 [Graffito № 542]: Petrie, A Season in Egypt, pl. xvii. 244 [Photo]: mma archive no. m 4542 (= Winlock, Rise and Fall, pl. 11). Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 244 [Graffito № 489]: Petrie, A Season in Egypt, pl. xvi. 244 [Graffito № 443]: mma archive no. am 2361 (= Winlock, Rise and Fall,
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pl. 37). Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 244 Reproduktion von Di. Arnold, The Temple of Mentuhotep, 45. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 247 Reproduktion von Di. Arnold, The Temple of Mentuhotep, pl. 38. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 248 Reproduktion von Di. Arnold, The Temple of Mentuhotep, fig. 11. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 249 mma neg. no. m7c 84. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 257 Kairo JdE 47397. Photo: Jürgen Liepe. Mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Kairo und des Photographen. 266 Kairo JdE 47397. Photo: Jürgen Liepe. Mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Kairo und des Photographen. 267 mma neg. no. t716 (Detail). Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 269 Kairo JdE 47267. mma neg. no. mcc185 (Detail). Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 269 Kairo JdE 47267. mma neg. no. mcc193 (Detail). Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 269 mma neg. no. m4c 4. Reproduktion von Di. Arnold, The Temple of Mentuhotep, pl. 23b. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 274 mma neg. no. m4c 3. Reproduktion von Di. Arnold, The Temple of Mentuhotep, pl. 23a. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 275 Boston mfa 38.1395, Kairo JdE 67378 und Worcester Art Museum (Massachusetts) 1971.28. Reproduktion nach Mond & Myers, Temples of Armant, pl. xvi. Courtesy of the Egypt Exploration Society. 283 The Metropolitan Museum of Art (Accession no. 66.99.3), Purchase, Fletcher Fund and The Guide Foundation Inc. Gift, 1966 (www.metmuseum.org). 286 Antikenmuseum Basel BSAe iii 8397. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Antikenmuseums Basel und Sammlung Ludwig. 287 mma neg. no. mcc 118. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 308 mma neg. no. mc 125. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 308
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Photo: Dieter Arnold. Reproduktion von Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 23, fig. 29 mit freundlicher Genehmigung des Photographen. 308 32.2 Photo: Dieter Arnold. Reproduktion von Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 23, fig. 29 mit freundlicher Genehmigung des Photographen. 308 33.1 Brooklyn Museum (Accession no. 37.16e). Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Museums. Relief of Montuhotep iii, ca. 1957–1945b.c.e. Limestone, 31×51 1/2×4 1/2 in., 470lb. (78.7×130.8×11.4cm, 213.19kg). Brooklyn Museum, Charles Edwin Wilbour Fund, 37.16e. (Photo: Sarah DeSantis). 367 33.2 Detail von 33.1. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Brooklyn Museums. 367 34.1 Kairo JdE 66330. Photo: Institut français d’archéologie orientale du Caire. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des ifao. 368 34.2 Kairo JdE 66330. Photo: Institut français d’archéologie orientale du Caire. Reproduktion von Bisson de la Roque, Tôd (1934 à 1936), pl. xviii mit freundlicher Genehmigung des ifao. 368 34.3 Kairo JdE 66330. Detail von 34.2. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des ifao. 368 35.a+b Kairo JdE 46725 und mma 20.3.7. mma neg. no. mc 86. Reproduktion von Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 26, fig. 35. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. Außerdem mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Kairo. 485 35.1 Kairo JdE 47310. mma neg. no. mcc 117. Reproduktion von Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 27, fig. 36. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. Außerdem mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Kairo. 485 35.2 mma 26.3.29. [Aufnahme des Kopfes:] Courtesy of The Metropolitan Museum of Art (Accession no. 26.3.29), Rogers Fund, 1926. (= Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 28, fig. 37). [Gesamtansicht:] The Metropolitan Museum of Art (Accession no. 26.3.29), Rogers Fund, 1926 (www.metmuseum.org). 485 35.3 Kairo JdE 89858+91169. [Aufnahme des Kopfes:] Photo: Dieter Arnold (= Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 28, fig. 38). [Gesamtansicht:] Photo: Jürgen Liepe. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung der Photographen und des Ägyptischen Museums Kairo. 486
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mma 26.3.104a. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art (Accession no. 26.3.104a), Rogers Fund, 1926. (= Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 29, fig. 39). 486 mma 66.99.3. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art (Accession no. 66.99.3), Purchase, Fletcher Fund and The Guide Foundation Inc. Gift, 1966. (= Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 30, fig. 42). 486 Antikenmuseum Basel BSAe iii 8397. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Antikenmuseums Basel und Sammlung Ludwig. 487 Kairo JdE 37470. Photo: Hourig Sourouzian. Reproduktion nach Sourouzian, „Features of Early Twelfth Dynasty Royal Sculpture“, pl. i mit freundlicher Genehmigung der Photographin und des Ägyptischen Museums Kairo. 487 Kairo JdE 60520. [Detail:] Photo: Dorothea Arnold. [Gesamtansicht:] Photo: Hourig Sourouzian (nach Sourouzian, „Features of Early Twelfth Dynasty Royal Sculpture“, pl. ii). Reproduktion mit freundlicher Genehmigung der Photographinnen und des Ägyptischen Museums Kairo. 487 Kairo cg 409. [Detail:] Photo: Dorothea Arnold. [Gesamtansicht:] Borchardt, Statuen und Statuetten, Tf. 67 (cg 409). Reproduktion mit freundlicher Genehmigung der Photographin und des Ägyptischen Museums Kairo. 488 mfa Boston (Accession no. 05.231). Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des mfa Boston. Statue of a female offering bearer. Egyptian, Middle Kingdom, Dynasty 11, 2140–1991b.c. Findspot: Egypt, Thebes, Deir elBahari, Temple of Mentuhotep. Painted wood. (HxBxT:): 86.3×28.5×21cm (34×11 1/4×8 1/4 in.). Museum of Fine Arts, Boston. Egypt Exploration Fund by subscription. 488 bm ea 55722. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des British Museums. © The Trustees of the British Museum. 488 The Metropolitan Museum of Art (Accession no. 66.99.3), Purchase, Fletcher Fund and The Guide Foundation Inc. Gift, 1966 (www.metmuseum.org). 534
Tafeln 1.1
Phoebe A. Hearst Museum 6–19825. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Phoebe A. Hearst Museums. Copyright © Phoebe A. Hearst Museum of Anthropology and the Regents of the University of California (Catalog № 6–19825). 659
xviii 1.2 2.1
2.2 3.1 3.2 4 5.1 5.2 6 7 8.1 8.2 9.1 9.2
abbildungsverzeichnis rpm Hildesheim 4590. Photo: Kai Widmaier. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Roemer- und Pelizaeus-Museums Hildesheim. 659 Krakau mnk xi 999. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung der xx. Czartoryski Foundation in Krakow. Property of the xx. Czartoryski Foundation in Krakow. 660 bm ea 1671. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des British Museums. © The Trustees of the British Museum. 660 Turin Suppl. 13114. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung der Fondazione Museo delle Antichità Egizie di Torino. 661 Turin Suppl. 13115. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung der Fondazione Museo delle Antichità Egizie di Torino. 661 Cincinnati Art Museum, Ohio, usa (Accession no. 1998.54) / Gift of Mrs Joan Stark in memory of Louise J. Roth / Bridgeman Images. 662 mma 26.3.29. The Metropolitan Museum of Art (Accession no. 26.3.29), Rogers Fund, 1926 (www.metmuseum.org). 663 Kairo JdE 36195. Photo: Jürgen Liepe. Mit freundlicher Genehmigung des Photographen und des Ägyptischen Museums Kairo. 663 mma neg. no. t715. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 664 mma neg. no. t716. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 665 mma neg. no. t717. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 666 mma neg. no. t718. Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 667 mma neg. no. t719 (Detail: linker Teil). Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 668 mma neg. no. t719 (Detail: rechter Teil). Courtesy of The Metropolitan Museum of Art, Department of Egyptian Art Archives. 669
Abkürzungsverzeichnis äm Basel bm Bristol cg
Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Berlin Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig, Basel British Museum, London Bristol Museum & Art Gallery, Bristol Catalogue général des antiquités égyptiennes du Musée du Caire (Ägyptisches Museum Kairo) cgt Catalogo generale del Museo Egizio di Torino, Turin DeM Deir el Médineh Dresden Skulpturensammlung, Dresden Edinburgh National Museum of Scotland, Edinburgh i.O. im Original JdE Journal d’Entrée (Ägyptisches Museum Kairo) mfa Museum of Fine Arts, Boston mma Metropolitan Museum of Art, New York mnk Muzeum Narodowe w Krakowie, Krakau mrah Musées royaux d’Art et d’Histoire, Brüssel München äs Staatliches Museum Ägyptischer Kunst, München qh Qubbet el-Hawa rpm Roemer und Pelizaeus-Museum, Hildesheim tr Temporary Register (Ägyptisches Museum Kairo) tt Theban Tomb Turin Museo Egizio di Torino, Turin Worcester Worcester Art Museum, Worcester (Massachusetts)
Abstract Der Begriff ägyptische Kunst wird von der ägyptologischen Forschung verwendet, obwohl seit mehr als 100 Jahren immer wieder Bedenken geäußert werden, ob der Begriff Kunst überhaupt angemessen ist, um zwei oder dreidimensionale Bilder aus dem alten Ägypten zu bezeichnen. Diese Arbeit stellt den Begriff ägyptische Kunst nun grundsätzlich infrage, indem zunächst ein Überblick darüber gegeben wird, wie sich die ägyptologische Forschung gegenüber dem Begriff positioniert (Teil i). Anschließend wird untersucht, wie sich dieses Verhältnis zum Kunstbegriff auf die ägyptologische Auseinandersetzung mit ägyptischen Bildern auswirkt und wie verschiedene kunsthistorische Methodenimporte die ägyptologische Forschung beeinflussen (Teil ii). Die dafür ausgewählten Beispiele beziehen sich auf ägyptische Bilder aus der Zeit der 6.–12. Dynastie. Dabei bilden die Begriffe Stil und Geschichte einen roten Faden, der abschließend zur Darlegung einer eigenen Stilterminologie führt, die an einem Beispiel aus der 18. Dynastie erprobt wird. Insgesamt veranschaulichen die Ergebnisse von Teil ii, dass sich die Ägyptologie durch ihr Festhalten am Kunstbegriff von den primären Kontexten ägyptischer Bilder weit entfernt hat. Auf der Grundlage der ersten beiden Teile wird daher in Teil iii der Begriff der ägyptischen Kunst zugunsten einer neuen Terminologie verabschiedet: Mit der Einführung des Begriffes ägyptologische Kunst und mit der konsequenten Unterscheidung zwischen ägyptischen Bildern und ägyptologischer Kunst wird die Grundlage für adäquatere Beschreibungen und eine bildwissenschaftliche Ägyptologie gelegt, die sich einer Konservierung fragwürdiger kunsthistorischer Methoden verweigert.
Teil i (1) So selbstverständlich die Ägyptologie von ägyptischer Kunst spricht, so nachhaltig ist auch das verbreitete Unbehagen, der Begriff sei kontaminiert und folglich ungeeignet. Dieser Spagat wird aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. (1.1) Den Auftakt bildet eine Auseinandersetzung mit Positionen, die die Anwendung eines Kunstbegriffs auf antike Bilder problematisieren. (1.1.1) Mit Hans Beltings Monographie Bild und Kult: Die Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst wird auf einen überzeugenden Ansatz zurückgegriffen, den Kunstbegriff zu historisieren, der bislang in der Ägyptologie noch auf keinen fruchtbaren Boden gefallen ist. Demzufolge gelangten im Zuge der
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Reformation Bilder, die bis dahin in den kirchlichen Kult eingebunden waren, in Kunstsammlungen, und Künstler traten als Akteure auf dem entstehenden Kunstmarkt hervor. Erst seitdem lässt sich Belting zufolge von Kunst sprechen. (1.1.2) Mit Friedrich Junges Aufsatz „Versuch zu einer Ästhetik der ägyptischen Kunst“ sind zentrale Kritikpunkte an der kunstbejahenden ägyptologischen Praxis bereits vor über 25 Jahren formuliert worden: Von der Forschung werde eine Abbildungsvermutung an die ägyptischen Objekte herangetragen, die sich kaum theoretisch begründen lasse; es sei ferner ein Bedürfnis nach zusätzlichem interpretationsfähigen Gehalt festzustellen, das dazu führe, dass Interpretationen Bilder überbeanspruchen; außerdem sei zu beobachten, dass ägyptische Bilder in Museen oft als ästhetische Objekte ausgestellt werden, obwohl deren Schönheit ja eigentlich bedeutungslos sei. Junge selbst hat versucht, dem durch genauere Herleitungen und Analogisierungen beizukommen, ohne jedoch der eigentlichen Problematik Herr zu werden. (1.2) Andere Positionen reagieren auf derartige Problematisierungen, indem sie argumentativ versuchen, den Kunstbegriff für die Ägyptologie zu bewahren und zu erhalten. (1.2.1) John Baines hat sich immer wieder für einen Kunstbegriff stark gemacht, der Kunst als ästhetisches und am Decorum orientiertes Produkt der ägyptischen Elite begreift. Seine vergleichsweise offene Definition der Begriffe Ästhetik und Kunst führt dabei jedoch zu einem Verlust an Trennschärfe, der darin resultiert, dass nicht mehr zwischen Kunst und Nicht-Kunst unterschieden werden kann. (1.2.2) Alexandra Verbovsek demonstriert Problembewusstsein und fordert einen Paradigmenwechsel, hält dabei jedoch an der ägyptologischen Kunstwissenschaft als solcher fest. Ihre Perspektive ist betont kulturwissenschaftlich und favorisiert eine methodenpluralistische Ausrichtung, die traditionelle ebenso wie innovative Methoden einbezieht und dabei auf eine konsequente Methodenkritik weitgehend verzichtet. Der Versuch, die etablierte ägyptologische Kunstwissenschaft auf diese Weise kulturwissenschaftlich anschlussfähig zu machen, gerät so an den Rand terminologischer Beliebigkeit, die einer nachhaltigen Klärung und Historisierung von Begriffen und Methoden entgegensteht. (1.3) Abseits dieser Kontroversen um den Begriff Kunst nutzen ihn weite Teile der Forschung sowie die Museumsägyptologie gänzlich unhinterfragt oder gar programmatisch als Leitbegriff. Anhand verschiedener Beiträge sowie einer Analyse der 2009 eröffneten Dauerausstellung des Berliner Ägyptischen Museums zeigt sich, wie ägyptische Bilder durch Dekontextualisierungen in den modernen Kunstbetrieb integriert und zum Gegenstand von Kunstrezeption werden, ohne dass dies mit dem, was wir über die primären Kontexte der Objekte wissen können, hinreichend abgeglichen wird. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, derartige Formen der Kunstrezeption habe es bereits vor
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Jahrtausenden gegeben und ägyptische Kunst stünde in einer Kontinuität mit europäischer Kunst. (1.4) Verschiedene der behandelten Ansätze haben gemein, dass sie von einer anthropologischen Konstante Kunst ausgehen. Bei näherer Betrachtung erweist sich die Ansetzung universell gültiger Kunst- und Ästhetikkonzeptionen jedoch als wenig zielführend und kaum begründbar, während relativistische Perspektiven adäquatere Beschreibungsmöglichkeiten versprechen. (1.5) Der den ersten Teil resümierende Blick auf Diskussionsbeiträge aus jüngster Zeit veranschaulicht, dass Problematisierungen des Kunstbegriffs zwar mittlerweile gang und gäbe sind, dass sie jedoch nur in Form bloßer Problembewusstseinsrhetorik geäußert werden. Anstelle einer problemorientierten Auseinandersetzung werden traditionelle Methoden zementiert und hybride Begriffe propagiert. Letztere verheißen zwar Vielseitigkeit, ihre Aussagekraft bleibt jedoch ebenso fragwürdig, wie die Annahme, wir hätten es bei ägyptischen Bildern mit Kunst zu tun. Die Forschung steckt zwischen Tradition, Problematisierungen, Innovationsaktionismus und begrifflicher Beliebigkeit in einer Sackgasse.
Teil ii (2) Nach dem ägyptologischen Begriffsverständnis selbst stehen nun dessen Konsequenzen für die Praxis im Vordergrund. Dafür werden kunsthistorische Interpretationsmuster identifiziert, die auf der Annahme fußen, wir hätten es mit ägyptischer Kunst zu tun, um deren Auswirkungen näher zu beleuchten. Dafür wird das Wechselverhältnis von (oftmals nur impliziter) Theoriebildung und Objektinterpretation untersucht, indem ägyptologische Betrachtungen von Bildern aus der Zeit der 6.–12. Dynastie näher analysiert und mit unserem Wissen um die ägyptischen Kontexte dieser Bilder zusammengeführt werden. Da vielfach Stilbeobachtungen mit dem Ziel unternommen werden, Aussagen über die ägyptische Geschichte zu treffen, bietet sich dies weite Feld besonders an, die ägyptologische Praxis auf ihre Prämissen zurückzuführen und auf ihre Aussagekraft hin zu untersuchen. (2.1) Hierfür wird zunächst das Rezeptionsmuster der ‚Zwischenzeit‘ beleuchtet und die damit zusammenhängenden Periodisierungsbemühungen der Forschung, die auf zyklischen Geschichtsbildern eines Wechsels von Aufstieg und Niedergang basieren, werden problematisiert. (2.2) Die Genese des ägyptologischen Topos der ‚1. Zwischenzeit‘ wird wissenschaftshistorisch eingeordnet. Auf diese Weise zeigt sich, wie die spezifisch ägyptologische Verwebung von Philologie und Geschichtsschreibung dazu
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geführt hat, dass am Geschichtsbild der ‚1. Zwischenzeit als chaotischem Niedergang‘ auch dann noch festgehalten wurde, als dessen ins 19. Jahrhundert zurückreichende Fundamente bereits widerlegt waren. (2.3) Fünf verschiedene Material- und Themenkomplexe aus dem Zeitraum von der 6. bis zur 12. Dynastie werden in chronologischer Reihenfolge behandelt. (2.3.1) Angesichts des ägyptologischen Interpretationsmusters der ‚misslungenen Zwischenzeitkunst‘ zeigt sich, dass sich keine funktionalen Unterschiede zwischen kanonischen Stelen, die uns ästhetisch ansprechen, und solchen, die man nach ästhetischen Gesichtspunkten vielfach als minderwertig betrachtet, feststellen lassen. Es gibt insgesamt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Bilder aus ägyptischer Perspektive nicht gelungen wären. (2.3.2) Als Einstieg in die Thematik von Stil und Geschichtsschreibung dient die Stiltheorie von Whitney Davis (2.3.2.1), dessen Stildefinition darauf fokussiert, dass es sich bei Stil um eine Beschreibung von Ähnlichkeiten handelt, bei denen u.a. immer erst durch „external evidence“ nachgewiesen werden muss, ob die Ursache des beobachteten Stils in der Geschichte der Objekte liegt. Beispiele aus der ägyptologischen Forschung zeigen jedoch einen intuitiven Zugang, der Stil als undiskutierte Selbstverständlichkeit (Hans-Georg Gadamer) versteht und damit in der Tradition der Klassischen Archäologie und Kunstgeschichte steht: (2.3.2.2) So wird etwa versucht, aus dem Stil von dekontextualisierten privaten Grabstelen ihre Geschichte, ihre chronologische Stellung oder gar ihre Werkstattzugehörigkeit abzuleiten. (2.3.2.3) Die Gräber der Qubbet el-Hawa vor der 11. Dynastie zeigen, dass auch innerhalb einzelner Gräber ein Stilpluralismus auftreten kann, den die Forschung bei dekontextualisierten Objekten wohl chronologisch ausdeuten würde. Demgegenüber können andere Gründe dafür plausibilisiert werden, wie sich stärker kanonische Bilder und weniger stark kanonische Bilder innerhalb der einzelnen Gräber verteilen. (2.3.2.4) Die private Skulptur der 5.–11. Dynastie zeigt zahlreiche Beispiele dafür, dass auch innerhalb von Residenznekropolen Objekte geringerer Qualität belegt sind. Die Holzstatuen der Zeit wirken zwar mitunter kaum kanonisch, doch haben Untersuchungen von Julia Harvey gezeigt, dass letztere dennoch eine deutliche Kanonorientierung aufweisen. In der verbreiteten Vernachlässigung dieser Objekte durch die Forschung spiegeln sich verfestigte Erwartungshorizonte und Epochenbilder, die selektierend auf ‚Meisterstücke‘ ausgerichtet sind. (2.3.3) Das Bildmaterial der Zeit Mentuhoteps ii. ist von besonderem Interesse (2.3.3.1–2.3.3.2), weil sich dessen Regierungszeit durch Änderungen der königlichen Titulatur in drei Zeitabschnitte einteilen lässt, für die üblicherweise auch verschiedene mit den politischen Ereignissen der Zeit verknüpfte
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Stile angesetzt werden. (2.3.3.3) Bei der Überprüfung der von der Forschung identifizierten sogenannten pre-/post-unification styles stellt sich heraus, dass Stilvorstellungen bereits die Korpusbildung beeinflussen, so dass wir es mit einer Form rezeptiver Homogenisierung zu tun haben, die das Material stilistisch einheitlicher erscheinen lässt, als es sich bei einer kritischen Überprüfung das Materials ergibt. Bei näherer Betrachtung ist vielmehr ein ausgeprägter Stilpluralismus sogar innerhalb einzelner Grabanlagen nachweisbar. (2.3.3.4) Anhand der Rundbilder Mentuhoteps ii. aus Deir el-Bahri lässt sich diese Problematik der ägyptologischen Stilkonzepte bestätigen und zugleich verdeutlichen, dass wir Grund zu der Annahme haben, dass man zur Zeit der 11. Dynastie mit jenen Stilen gerade nicht die Stilsemantik verknüpft hat, die ägyptologischerseits oftmals in ihnen gesehen wird. (Exkurs i) Auch am Beispiel von fragmentarisch erhaltenen mumiengestaltigen Statuen aus Armant, die mit Mentuhotep iii. in Verbindung gebracht werden, zeigt sich, dass sich die archäologisch greifbaren Informationen stilistisch nicht konkretisieren lassen. Stilbeobachtungen lassen sich nur mit bestehenden Geschichtsbildern korrelieren, sie sagen nichts darüber aus, was wir nicht ohnehin schon wissen oder zu wissen glauben. (2.3.4) Eine nähere Beschäftigung mit der Stilforschung zum ägyptologisch kontrovers diskutierten Übergang von der 11. zur 12. Dynastie bestätigt diese Einschätzung: (2.3.4.1) Verschiedene Versuche, (teils anepigraphe) Statuen und Reliefs Mentuhotep ii. oder Mentuhotep iii. zuzuweisen und in stilistische Reihen einzuordnen, zeigen, wie betrachterabhängig solche Unternehmungen sind. (2.3.4.2) Dorothea Arnold verbindet in einer Studie zur späten 11. und frühen 12. Dynastie stilistische Reihenbildung und historiographische Narration miteinander. Die Analyse ihres Vorgehens arbeitet heraus, wie sich die Vorstellung, stilistische Differenzen seien chronologisch zu erklären, u. a. mit der impliziten Annahme verbindet, ein Dynastiewechsel äußere sich auch stilistisch im Material. Die daraus folgende Tendenz zu Feindatierungen führt zu arbiträren Kennerurteilen, die ein bestehendes Geschichtsbild im Material stilistisch abbilden und alternative Interpretationsmöglichkeiten und stilistische Inhomogenität ausblenden. (2.3.5) Insbesondere anhand der Königsstatuen der 12. Dynastie ist über den Porträtcharakter ägyptischer Statuen diskutiert worden. (2.3.5.1) Dies ist im Anschluss an die Porträtkonzepte der Klassischen Archäologie seit Johann Joachim Winckelmann zu sehen: Das Begriffspaar Porträt–Idealbildnis bestimmt dabei die Frage, ob man bei ägyptischen Statuen von Porträts sprechen kann, auch noch in jüngster Zeit. (2.3.5.2) Anhand eines in der ägyptologischen Porträtforschung beobachtbaren hermeneutischen Grundmusters werden deren Prämissen einer Kritik unterzogen: So geht die Ansetzung einer
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Bedeutungshaltigkeit der Gesichtszüge und ihrer Decodierbarkeit maßgeblich zurück auf die kunsthistorische Renaissanceforschung des 19. Jahrhunderts. Diese Form der Porträthermeneutik ist daher entsprechend zu historisieren und ihre Anwendbarkeit auf ägyptische Bilder in Zweifel zu ziehen. Anthropologische Studien lassen es wiederum fraglich erscheinen, ob wir überhaupt eine transkulturell gültige mimische Ausdruckssprache ansetzen können. Und die Hyperkontextualisierung von Statuenbildern mit literarischen Texten (seit dem propagandistic turn der Ägyptologie in der Folge Georges Poseners) knüpft zwar an die verbreitete Ikonographie/Ikonologie Erwin Panofskys an, offenbart jedoch bei näherer Betrachtung, dass die Ägyptologie gar nicht über die Voraussetzungen verfügt, dieses methodische Instrumentarium in Anwendung zu bringen, das für die Interpretation von Renaissancekunst entwickelt wurde. (2.3.5.3) Die Perspektiven der Porträtforschung bedingen Erwartungshaltungen und befördern Imaginationen. Denn dem heutigen mit jenen Porträtkonzeptionen vertrauten Betrachter fällt es schwer, in den Statuen Sesostris’ iii. etwas anderes zu sehen als Porträts, zu groß sind die augenscheinlichen formalen Ähnlichkeiten mit neuzeitlichen Porträts. Sowohl die Fragmentarität vieler Statuen als auch die mediale Fragmentierung durch die ägyptologische Fokussierung auf Brustbildansichten (auch bei Vollstatuen) befördern dabei die Imagination der Rezipienten. Erst die Historisierung jener Wahrnehmungsmuster entlarvt diesen naiven Blick als einen solchen. (2.4) Die Materialuntersuchungen haben gezeigt, wie die Ansetzung von Entwicklungslinien und Epochenbildern in Verbindung mit unreflektierten kunsthistorischen Wahrnehmungsmustern die Perspektiven der Forschung prägt und zugleich eine Vernachlässigung der Entstehungskontexte bedingt, während am Anspruch festgehalten wird, weitreichende historische Schlüsse ziehen zu können. Diese Zusammenhänge werden im Folgenden detaillierter beleuchtet. (2.4.1) Stil dient der Forschung als Instrument der Zuschreibung und Gegenstand semantischer Interpretation. Im ersten Fall hängt es von der vom Bearbeiter zugrunde gelegten Geschichte ab, ob ein Stil als Zeit-, Lokal-, Werkstattoder Künstlerstil verstanden wird. Und so problematisch die Nutzung von Stil für Zuschreibungen gerade angesichts des omnipräsenten Phänomens des Stilpluralismus auch sein mag, pragmatische Gründe lassen ihn aus Sicht der Kunstgeschichte unverzichtbar erscheinen. (2.4.2) Stilpluralismus ist in Ägypten synchron und diachron zu beobachten, erst der selektive Blick des Bearbeiters homogenisiert und ordnet das Material teleologisch und bringt so Material und Geschichtsbild in Kohärenz zueinander. Das deskriptive Instrument Stil wird damit zum Objekt der Auslegung
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gemacht und reproduziert Vorannahmen zur Geschichte, die man eigentlich erst aus dem Stil herauslesen wollte. (2.4.3) Aufbauend auf Whitney Davis’ Begriff der Stilistizität („stylisticality“), der u.a. das bewusste Aufgreifen von Stilen beschreibt, wird eine Stilterminologie aufgestellt, die auf den deskriptiven Charakter von Stil fokussiert: Sie versteht Stil als die Beschreibung einer Ähnlichkeit zwischen mehreren Objekten, die auf eine gemeinsame Ursache zurückgeht oder zurückgeführt wird. Mit einem solchen Stilbegriff ist Stil stets als Stilpluralismus zu verstehen. Stilistizität wiederum setzt die Beobachtung von Stil voraus und bezeichnet die bewusste Verwendung dieses Stils. Auf dieser Grundlage wird zwischen vier Stilphänomenen differenziert: Stilbeschreibung, Produktionsstil, intendierte Stilistizität und semantisch geladener Stil. Ohne stilunabhängige Informationen lässt sich von einer Stilbeschreibung nicht auf einen Produktionsstil oder eine produzentenseitig intendierte Stilistizität schließen, denn an einem Stil selbst lässt sich nicht erkennen, welche Ursachen er hat: eine bewusste Orientierung der Produzenten an einer Vorlage, die möglicherweise als bedeutungshaltig verstanden wurde (Stilistizität bzw. eine solche mit semantischer Ladung), oder eine unbewusste Orientierung des Produzenten an ihm bekannten Bildern (Produktionsstil) oder eine bloße Ähnlichkeit, die allein im Auge des Betrachters liegt, ohne dass dies produzentenseitig eine Entsprechung hatte. Diese Zusammenhänge haben weitreichende Konsequenzen für jede Auseinandersetzung mit Stil. (2.4.4) Auf der Grundlage dieser stiltheoretischen Ausführungen werden die in Kapitel 2.3 bereits beobachteten Grenzen der ägyptologischen Stilforschung noch einmal präzisiert. (2.4.4.1) Die für die ägyptische Kultur feststellbare grundsätzliche Orientierung an Vorlagen und bewusste Herstellung von Ähnlichkeit wurde schon früher mit den Begriffen Kanon oder Decorum (John Baines) beschrieben. Hier wird dies als ein Stilistizitätsphänomen aus historisierender Perspektive betrachtet, die zwischen einem neuzeitlichen temporalisierten Stilbegriff und einem antiken auf Vorbildlichkeit ausgerichteten Stilbegriff unterscheidet. Damit wird unterstrichen, dass uns gerade für Ägypten der Weg zu einer chronologischen bzw. historischen Lesart von Stilen verschlossen ist. (2.4.4.2) Das Potential der vorgestellten Stiltheorie wird am Beispiel der frühen 18. Dynastie veranschaulicht, indem sie auf die von Dimitri Laboury vorgestellte Deutung ahmosidischer und thutmosidischer Bilder aus Karnak angewendet wird. Laboury identifiziert zwei verschiedene Formen bildlicher Vergangenheitsbezüge und erkennt in den damit verbundenen Stilen eine Semantik, die er als Ausdruck politischer Legitimation interpretiert: Die Herrscher der frühen 18. Dynastie hätten sich auf Sesostris i. als wahren Begründer des Mittleren Reiches bezogen, während sich unter Hatschepsut und Thutmo-
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sis iii. nur punktuelle Bezugnahmen auf verschiedene frühere Herrscher der 18. Dynastie feststellen ließen. Es zeigt sich aber, dass letztlich für alle Herrscher der 18. Dynastie bis Thutmosis iii. vergleichbare stilistische Vergangenheitsbezüge belegt sind. Labourys Differenzierung zwischen zwei verschiedenen Formen ist im Wesentlichen auf die Bedeutung, die er dem Porträt als Kunstform beimisst, und auf sein Verständnis von legitimierender Stilpolitik zurückzuführen. Aus diesem Anlass wird das in der Ägyptologie weit verbreitete Interpretationsmuster ‚Legitimation königlicher Herrschaft‘ in Exkurs ii einer zwischen den verschiedenen Bedeutungskomponenten differenzierenden Kritik unterzogen: Die ägyptologisch gepflegte Vermengung von Legitimitätsansprüchen und Legitimitätsglauben (in der Terminologie Max Webers) führt in der Forschung zu Ergebnissen, die u.a. eine Berücksichtigung historischer Semantik vermissen lassen. Der auf den Begriffen Stil, Porträt und Legitimation fußenden Deutung Labourys kann daher eine Alternative gegenübergestellt werden, die den ursprünglichen architektonischen Rahmen der Bilder berücksichtigt: Die Bilder der Könige der 18. Dynastie haben sich in Karnak an den zum jeweiligen Zeitpunkt vor Ort bereits befindlichen Bildern orientiert, um ein Höchstmaß an bildlicher Kohärenz zu erzielen. Die Beschäftigung mit Labourys Interpretation zeigt außerdem, wie stilfokussierte Betrachtungen ihre Gegenstände von ihren primären Rezeptionsbedingungen entkoppeln und so dekontextualisieren können. Denn wenn Stil nicht mit stilexternem Material konfrontiert wird, gleicht die Stilbetrachtung das Material unweigerlich an bestehende Geschichtsbilder an und findet in ihnen eine augenscheinliche Bestätigung, die der Stil selbst jedoch gar nicht zu liefern in der Lage ist.
Teil iii (3) In einer Verbindung von Rückschau und Ausblick wird aufbauend auf den Zwischenergebnissen der Arbeit die Ausgangsfrage nach dem Begriff der ägyptischen Kunst beantwortet, um abschließend die daraus folgenden Konsequenzen für die ägyptologische Forschung zu umreißen. (3.1) In den ersten beiden Teilen wurden problembewusste, problemnegierende sowie pragmatische und damit methodologisch unreflektierte Ansätze diskutiert, die allesamt am Begriff Kunst für Ägypten festhalten. Vor diesem Hintergrund erfolgt nun eine kunstphilosophische Annäherung an den Begriff Kunst, die ihn nicht essentialistisch fasst, sondern vielmehr Kunst als einen betrachterabhängigen Status versteht. Es waren Ansätze beobachtet worden, von ägyptischer Kunst zu sprechen, weil es partielle Ähnlichkeiten zwischen
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ägyptischen Bildern und neuzeitlicher Kunst gäbe und man einen solchen durch Analogiebildung gewonnenen Kunstbegriff ja durch Materialbeobachtungen auf die ägyptische Situation hin respezifizieren könne. Dies erweist sich jedoch aus begriffsgeschichtlicher Perspektive als fatal: Der Begriff Kunst eignet sich als Grundbegriff (Reinhart Koselleck) nicht dazu, als neutrales Label eine spezifische Semantik zu transportieren, die den ägyptischen Kontexten Rechnung trägt. Denn er trägt heute immer auch Bedeutungen in sich, die an den neuzeitlichen Kunstbetrieb gebunden sind, so dass seine ägyptologische Verwendung auch die Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster stabilisiert, die spezifisch neuzeitlich sind. Auf diese Weise werden die Möglichkeiten der Forschung determiniert, die ihn gebraucht. Die Entscheidung, von einem betrachterabhängigen Kunstbegriff auszugehen, führt außerdem dazu, ihn zwar für die Anwendung auf ägyptische Bilder abzulehnen, weil wir keine Kunstrezeption und keinen Kunstbetrieb für Ägypten plausibel machen können. Die ägyptologische Praxis, ägyptische Bilder als Kunst zu sehen und zu behandeln, erzeugt jedoch eine Kunst, die mit den ägyptischen Kontexten kaum etwas zu tun hat, wohl aber mit der Ägyptologie. Dafür wird der Begriff der ägyptologischen Kunst eingeführt. Diese kunstphilosophisch und begriffsgeschichtlich vorbereitete Begriffsdifferenzierung wird auch bildwissenschaftlich unterfüttert. Dafür werden Bilder als Gegenstände definiert, die etwas zeigen, was sie selbst nicht sind. Dieser semiotisch beschreibbare Verweis erfolgt stets durch den Betrachter, der einen Bezug herstellt, indem er einer Regel folgt und das Betrachtete so unter einem bestimmten Aspekt sieht (Ludwig Wittgenstein). Daher können Bilder auf ganz unterschiedliche Weisen gesehen und verstanden werden, die nichts mit den Sichtweisen der Bildproduzenten zu tun haben müssen. Die Frage nach der Kunst ist damit auch bildwissenschaftlich gesehen eine betrachterabhängige. Das epistemologische Artefakt der ägyptologischen Kunst lässt sich anhand verschiedener Merkmale näher charakterisieren, die in der Praxis immer wieder zu beobachten sind: Selektionen und Fokussierungen (seien sie ästhetisch oder stilbezogen), Dekontextualisierungen, Ästhetisierungen und konzeptuelle Öffnungen sowie Integrationen in den neuzeitlichen Kunstbetrieb. Diese Elemente verbinden sich immer wieder zu ganz unterschiedlichen hybriden Formen der Kunstbetrachtung und sind oft an der Aufdeckung historischer Zusammenhänge interessiert, obwohl sie eine Historisierung ihrer Begriffe konsequent verweigern. Diese ägyptologischen Perspektiven lassen sich auch mit dem Begriff des musealen Blicks beschreiben. Der museale Blick ist nicht auf Museumsgebäude angewiesen, er betrachtet Objekte vielmehr in einem imaginären Museum (André Malraux), in dem sich konzeptuell von ihren ursprünglichen Kontexten gelöste Bilder virtuell versammeln, miteinander vergleichen und als Kunst rezipieren
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lassen. Zwei Objekte, die sich niemals an ein und demselben Ort befunden haben, können dort mit einem Blick zusammen betrachtet und verglichen werden. So treten u.a. stilistische Ähnlichkeiten in den Vordergrund, während die Frage ausgeblendet wird, ob eine solche Betrachtung im alten Ägypten jemals möglich gewesen ist. Die Auswirkungen auf die Forschung sind kaum zu überschätzen, zumal sich erst erfassen lässt, wie der museale Blick unser Sehen determiniert, wenn wir ihn in seiner historischen Bedingtheit erkennen. Unreflektiert bringt uns der museale Blick dazu, ägyptische Bilder als ägyptologische Kunst zu betrachten, die mit den Entstehungskontexten der Bilder nicht mehr zusammenzubringen ist. (3.2) Für die damit angestoßene bildwissenschaftliche Neuausrichtung des ägyptologischen Umgangs mit ägyptischen Bildern werden einzelne Aspekte, die im Zuge der Arbeit angeklungen sind, vertieft. (3.2.1) Eine bildwissenschaftliche Forschung ist auf eine reflektierte Bildkritik angewiesen, die sich nicht nur dessen bewusst ist, dass Bilder nicht unmittelbar verständlich sind. Um sich von alltagshermeneutischen Perspektiven abzugrenzen, muss sie außerdem darum wissen, dass auch Ähnlichkeiten weder selbstevident noch objektimmanent sind. Beides gehört dem Bereich der Rezeption an und ist betrachterabhängig. Wofür eine Betrachterperspektive aussagekräftig sein kann, bemisst sich daran, ob sich die Kontexte, in die der Betrachter die Bilder einbettet, Teil des imaginären Museums sind oder ob sie sich mit den Entstehungsbedingungen der Bilder in Verbindung bringen lassen. (3.2.2) Kontexte ergeben sich nicht von allein, es handelt sich bei ihnen vielmehr um vom Betrachter errichtete Rahmen (Jonathan Culler), innerhalb derer ein Objekt betrachtet wird. Kontextualisierungen sind damit zwangsläufiger Bestandteil jeder Interpretation. Sie umfassen nicht nur berücksichtigte archäologische Zusatzinformationen, sondern auch die vom Bearbeiter (meist nur implizit) zugrunde gelegten Prämissen, Konzepte und Begriffe. Unsere Kontextualisierung eines Objektes determiniert, was wir uns über das Objekt überhaupt erzählen können. (3.2.3) Die Semiotik wird oftmals als ein Weg verstanden, Botschaften von Bildern zu decodieren und so deren ursprünglicher Bedeutung näher zu kommen. Dabei wird oft übersehen, dass der Prozess der Zeicheninterpretation immer ein offener ist. Dieses grundsätzliche Problem betrifft auch die in jüngerer Zeit etwa von Valérie Angenot forcierte Hermeneutik, deren Suche nach verborgenen Doppeldeutigkeiten in ägyptischen Bildern zu entschlüsselnde Rätsel sieht. (3.2.4) Die Analysen von Stilinterpretationen (Teil ii) haben gezeigt, wie stark deren Ergebnisse von ägyptologischen Geschichtsbildern abhängen. Da-
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her wird eine bildwissenschaftliche Ägyptologie nicht umhin kommen, jene Geschichtsbilder und Narrationen kritisch zu prüfen, vor deren Hintergrund Bilder betrachtet werden. Denn weder lässt sich Geschichte unmittelbar aus Bildern herauslesen, noch können wir von der ‚einen korrekten Geschichte‘ ausgehen, vielmehr haben wir die Wahl, welche Geschichte wir erzählen wollen, um Bilder mit ihr zu korrelieren. (3.2.5) Die Beschäftigung mit einer fremden Kultur stellt eine nicht zu unterschätzende hermeneutische Herausforderung dar. Dies liegt vor allem daran, dass hermeneutische Verfahren auf ein vollständiges Verstehen ausgerichtet sind, das sich als Aneignung vollzieht. Denn wir können uns der Fremde nur über in ihr erkannte Ähnlichkeiten zu Bekanntem nähern. Wenn sich das Fremde dann in Ähnlichkeiten auflöst und so seine Fremdheit verliert, lässt sich vom Sog des Verstehens (Rüdiger Bubner) sprechen. So wird Verstehen zur Angleichung an Bekanntes und auch zu einer Machtfrage und Facette des Orientalismus. Besonders anschaulich ist dies bei musealen Perspektiven, die Objekte dekontextualisieren und in bestehende Ägyptenbilder integrieren. Aus einem Eindruck von Vertrautheit mit ägyptischen Objekten, wie ihn auch Begriffe wie ägyptische Kunst befördern, gewinnt die Ägyptologie dabei eine Handlungssicherheit, die Aneignungsprozesse reibungslos verlaufen lässt und die das Fach zugleich gegenüber Bedenken hinsichtlich der eingesetzten Interpretationsmethoden immunisiert. Der Augenschein von Ähnlichkeiten verleitet die Forschung zu Analogisierungen, die unter der Überschrift ägyptische Kunst ein stimmiges Bild formen, hinter dem sich jedoch das epistemologische Konstrukt einer ägyptologischen Kunst verbirgt, das den uns fremden Entstehungskontexten der Bilder nicht gerecht zu werden vermag. Es werden daher Leitlinien formuliert, um dieser Situation durch eine Erhöhung von Komplexitätsgrad und Transparenz sowie durch die Vermeidung von Vermeidbarem zu begegnen: Eine Sensibilisierung für das Irritierende kann helfen, es produktiv zu nutzen, indem wir im Moment der Irritation innehalten und durch ein diskretes Vorgehen (Werner Kogge) davon Abstand nehmen, alles verstehen zu wollen. Außerdem bietet die Einsicht in die Relativität des eigenen Standpunktes die Chance auf dessen Korrigierbarkeit, wenn wir unsere Wahrnehmungsgewohnheiten nicht für selbstverständlich nehmen, sondern uns stattdessen in der Historisierung unserer Gegenstände und Methoden üben. Erst eine derartige Form der Reflexion kann uns dazu bringen, die Aussagekraft unserer Betrachtungen adäquat einzuordnen. (3.2.6) Es ist unsere Entscheidung, welche Rahmen wir um ägyptische Bilder errichten wollen, um sie betrachten zu können, und wir müssen wissen, dass diese Entscheidung unsere Betrachtungsmöglichkeiten determiniert. So hat sich im Laufe der Untersuchung gezeigt, dass die Entscheidung für die Anwen-
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dung kunsthistorischer Methoden dazu geführt hat, dass die Ägyptologie über ägyptologische Kunst spricht und sich kaum noch mit ägyptischen Bildern befasst. Diese Diskursformen ägyptologischer Kunst schufen mit ihren spezifischen Wahrnehmungs- und Interpretationsmustern wie dem musealen Blick eigene Bilderwelten, die allenfalls noch über einen peripheren Kontakt zu den Entstehungskontexten ägyptischer Bilder verfügen. Die diese Bilderwelten fundierenden Methoden sind nicht auf kritische Reflexion ausgelegt und die mit ihnen erfolgten konzeptuellen Weichenstellungen forcieren Abschottungen anstelle produktiver Diskussionen. Eine alternative Rahmensetzung, die darauf abzielt, auf den musealen Blick zu verzichten, wäre zunächst mit weitreichenden Reduktionen verbunden. Denn der Verzicht auf kunsthistorische Methoden würde auf ein diskretes Vorgehen hinauslaufen, das bei einer weitestgehend deskriptiven Ansprache der Untersuchungsgegenstände stehen bleiben müsste, wenn nicht-museale Methoden nicht weiterführen. Im Zweifel müsste die Ägyptologie, wenn sie sich auf Kontextualisierungen außerhalb des imaginären Museums beschränkt, um keine ägyptologische Kunst zu erzeugen, auch auf Zuständigkeiten verzichten und inne halten. Eine in diesem Sinne bildwissenschaftliche Ägyptologie könnte Auswege aus der methodologischen Sackgasse finden, die ohne die hier abschließend skizzierten Weichenstellungen versperrt bleiben. Dazu bräuchte sie jedoch ein fundiertes Wissen um kunstwissenschaftliche Methoden, um nicht intuitiv doch auf kunsthistorische Methoden zurückzugreifen, sondern tatsächlich alternative Bilderwelten ägyptischer Bilder errichten zu können.
Abstract (English)* Despite a lack of consensus within the discipline for over 100 years regarding its appropriateness, Egyptian art is the term Egyptologists commonly use when referring to ancient Egyptian two- or three-dimensional images. In this book I intend to fundamentally call the term Egyptian art into question. This is accomplished by first giving an overview of how the term is situated within Egyptological research (Part i), followed by an investigation of how the understanding of this term affects the Egyptologist’s analysis of Egyptian images as well as how different art-historical interpretive methods influence Egyptological research (Part ii). In order to accomplish this, examples of Egyptian images from the 6th to the 12th Dynasty are analyzed. Through these analyses the terms style and history construct a thematic thread that ultimately leads to a new terminology of style. This terminology then in turn is tried out on an example from the 18th Dynasty. Taken as a whole, the results from Part ii demonstrate that due to its adherence to the term art, Egyptology has considerably dissociated Egyptian images from their original contexts. On the foundation of Parts i and ii, Part iii rejects the term Egyptian art in favor of a new terminology. The introduction of the term Egyptological art and the systematic differentiation between Egyptian images and Egyptological art lays a foundation for both more adequate descriptions as well as for an Egyptology that follows the path of Visual Studies (Bildwissenschaft) instead of adhering to questionable art-historical methods.
Part i (1) Although Egyptology takes Egyptian art as a given, uneasiness remains concerning the concept’s possible contamination, and therefore its suitability. This dissonance will be examined from multiple vantage points. (1.1) To begin, we examine positions that expound upon the problems of using the term art to describe ancient images. (1.1.1) In Hans Belting’s monograph Likeness and Presence: A History of the Image before the Era of Art (originally published as Bild und Kult: Die Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst), he draws upon a convincing, yet – within Egyptology – not widely received, approach which historicizes the concept of art. According
* Diese Übersetzung verdanke ich Tyler Q. Sproule und Arndt Lümers.
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to Belting’s approach, in the course of the Reformation, images which had up to that point been involved in church practices began arriving in art collections and artists also began to appear as participants in an emerging art market. It is only since this time, says Belting, that we can speak of art. (1.1.2) Further critiques aimed at the reception of art in Egyptological practice were formulated by Friedrich Junge more than 25 years ago in his article “Versuch zu einer Ästhetik der ägyptischen Kunst” (“An Attempt at an Aesthetics of Egyptian Art”). Junge argues that researchers have imposed a conjectural perception (Abbildungsvermutung) upon Egyptian artifacts that is hardly justified by theory. Furthermore, he notes that the need for extraneous interpretable content leads interpretations to expect too much from the image. According to Junge, Egyptian artifacts in museums are often presented as aesthetic objects, even though their beauty is actually of little relevance. Junge himself attempted to come to terms with this through more accurate explications and analogies. However, he never truly overcame the predicament. (1.2) Other positions react to these critiques by arguing in favor of maintaining and preserving the concept of art in Egyptology. (1.2.1) John Baines, for instance, has frequently advocated a concept of art that conceptualizes art as aesthetic and as a decorum-related product meant for the Egyptian elite. His relatively broad definitions of aesthetics and art, however, lead to a loss of precision and leave us unable to distinguish between what does and does not count as art. (1.2.2) Alexandra Verbovsek appears to be aware of the problem in question and supports a paradigm shift. At the same time, however, she continues to view the study of art (Kunstwissenschaft) as a legitimate Egyptological subdiscipline. Verbovsek’s perspective is informed particularly by Cultural Studies and favors a pluralistic methodology that incorporates traditional as well as innovative methods without subjecting these to a systematic critique. This attempt to conform the study of art within Egyptology to the methods of Cultural Studies runs the risk of rendering the relevant terminology arbitrary, serving as an obstacle to sustained clarification and historicization of concepts and methods. (1.3) Apart from the controversies surrounding the term art, it is commonly used without critical reflection or even as a guiding concept – especially by museum curators. A multitude of approaches as well as an analysis of the Berlin Egyptian Museum’s permanent exhibition, opened in 2009, will reveal how Egyptian images are decontextualized by being integrated into the modern art world – thereby becoming publicly viewed as art objects – without the contextual origins of these artifacts being taken into account properly. This decontextualization creates the impression that this sort of public viewing of
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art has existed for thousands of years and that Egyptian art exists in a historical continuum with European art. (1.4) What several of the already mentioned approaches have in common is that they all view art as an anthropologically universal phenomenon. Upon closer examination, however, it will become apparent that viewing art as a universal concept bears little fruit and is hardly justifiable. In contrast, relativistic approaches yield far better descriptive potential. (1.5) Our review of earlier contributions shows that analyses concerning the concept of art have become very common. However, these analyses have thus far only taken a rhetorical form, merely showing an awareness of the problem. Instead of a problem-oriented analysis, traditional methods have been further cemented and hybrid concepts have been propagated. The latter may indeed present a versatile solution to the problem at hand, but their ability to produce useful explanations remains just as questionable as the assumption that Egyptian images have the status of art. Researchers are therefore stuck at an impasse between tradition, academic analysis, the need to innovate, and conceptual caprice.
Part ii (2) Having examined how Egyptology understands its own terminology, it is now possible to examine the consequences of this understanding within the discipline: we will identify and analyze art-historical methods that are based on the assumption that we are dealing with Egyptian art. This in turn allows us to see more clearly the implications of these methods. Along with this, the interrelatedness of theory building and object interpretation will be examined by analyzing studies of images from the 6th to the 12th Dynasty more closely and by taking account of our knowledge of the original contexts of these images. Usually, stylistic analyses serve the purpose of making claims about Egyptian history. Thus, these approaches offer us an array of possibilities to study Egyptology’s premises regarding the nexus of style and history and to understand the limits of their explicative power. (2.1) To this end we examine both the concept of ‘Intermediate Periods’ as well as the related attempt at periodization based on a cyclical conception of history as developments of rise and fall. (2.2) The genesis of the Egyptological topos of the ‘1st Intermediate Period’ will be classified via historical explication. This explication will allow us to see how the specific interweaving of philology and historical depiction led to a historical conception that viewed the ‘1st Intermediate Period as chaotic
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decline’. This conception was maintained in Egyptology even when its 19th century foundations were disproved. (2.3) Five different sets of material and thematic issues from the 6th to the 12th Dynasty will be considered in chronological order. (2.3.1) Considering the Egyptological interpretive model of the ‘awkward art of the 1st Intermediate Period’ allows us to see that this model fails to prove a functional distinction between canonical stelae, which might be considered as aesthetically pleasing, and those of low quality. There is, all things considered, no indication that the Egyptians thought of these ‘poor-quality’ images as failures. (2.3.2) Whitney Davis’s theory of style (2.3.2.1) will serve as an entry point into the topics of style and historical description. Davis’s definition of style states that style is a description of similarities. And only external evidence may prove if these similarities can be explained by the history of the objects. However, examples taken from Egytological research reveal an intuitive understanding of style, which views style as self-evident. This view remains unaltered within the tradition of classical archeology and art history. (2.3.2.2) For instance, researchers work with decontextualized private tomb stelae and attempt to derive their history, their chronological position, or even their workshop of origin. (2.3.2.3) The tombs at Qubbet el-Hawa from before the 11th Dynasty show that even within individual tombs a synchronous stylistic pluralism can be observed, which researchers would certainly interpret chronologically if the images were removed from their original contexts. In contrast, alternative arguments can be put forward regarding how canonical images and considerably less canonical images are distributed within the same tomb. (2.3.2.4) The private sculptures of the 5th–11th Dynasty show countless examples of low-quality artifacts from royal necropoleis. Some wooden statues of the time, for instance, hardly appear canonical. Julia Harvey, however, has shown that the latter do in fact exhibit a considerable amount of conformation to the canon. The discipline’s widespread neglect of these artifacts is mirrored in the horizons of expectation and concepts of history regarding the respective periods, focusing primarily on ‘Masterpieces’. (2.3.3) The images from the time of Menuthotep ii are of particular interest. (2.3.3.1–2.3.3.2) As there were changes made to the king’s titulary it is possible to divide his reign into three time periods. Usually each period is regarded to have its own artistic style corresponding to political events. (2.3.3.3) The examination of what the discipline identifies as so-called pre-/post-unification styles reveals that stylistic conceptions are already influencing the compilation of corpora. Here we see that a form of receptive homogenization occurs, which causes the material to appear more stylistically unified than a critical analysis
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of the material would bear. A closer examination reveals a more pronounced stylistic pluralism, even within one and the same tomb. (2.3.3.4) An examination of the statues of Mentuhotep ii from Deir el-Bahri illustrates the problem of the concept of style within Egyptology while, at the same time, making clear that there is reason to believe that those living in the 11th Dynasty would not have assigned the stylistic content which Egyptologists today often do. (Excursus i) By also taking an example from the fragmentarily preserved mummyshaped statues from Armant, which have been ascribed to Mentuhotep iii, we see that stylistic analyses cannot substantiate the archeological information. Stylistic observations can only be correlated to already existing historical knowledge, and they do not tell us anything about what we do not already know or think we know. (2.3.4) A closer examination of the research on style regarding the controversial debate on the transition from the 11th to the 12th Dynasty will support this claim. (2.3.4.1) Various attempts to assign statues (some anepigraphic) and reliefs to Mentuhotep ii or to Mentuhotep iii and to allocate them to stylistic sequences show how observer-dependent such an undertaking is. (2.3.4.2) In her study of the late 11th and the early 12th Dynasty Dorothea Arnold combines stylistic sequencing and historiographical narration. An analysis of her approach reveals how a certain conception can view stylistic differences chronologically, implicitly assuming that a dynastical transition is also expressed in the material stylistically. This conception results in a tendency to date precisely, albeit inaccurately, which in turn leads to arbitrary connoisseur judgments. These judgments stylistically reflect an existing conception of history within the material and overshadow alternative interpretive possibilities and non-homogeneity. (2.3.5) Debates about whether or not Egyptian statues can be considered portraits have primarily focused on statues of kings from the 12th Dynasty. (2.3.5.1) This debate needs to be contextualized with the classical archeological conception of portraiture following Johann Joachim Winckelmann: the terminological paring of portrait vs. ideal-likeness shapes the question of whether or not it is appropriate to speak of portraits when referencing Egyptian statues, even in recent studies. (2.3.5.2) The premises of a common hermeneutical pattern in Egyptological research on portraiture will be subject to an indepth critique showing that the claim of the meaningfulness of facial expressions and their decodability traces back to 19th century art-historical research on the Renaissance. It is therefore appropriate to historicize this form of portrait hermeneutics and to call its application to Egyptian images into question. Anthropological studies, furthermore, question whether or not we can even postulate an applicable trans-cultural lexicon of facial expressions. The
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hyper-contextualization of statue images with literary texts (starting with the propagandistic turn in Egyptology following Georges Posener) also built on the widespread Iconography/Iconology of Erwin Panofsky. However, it will become apparent upon closer examination that Egyptology is not adequately equipped for applying the methodological instruments that were developed for the interpretation of Renaissance art. (2.3.5.3) The perspectives of portrait research necessarily induce expectations and encourage one to use their imagination. This is because the modern observer familiar with portrait concepts finds it difficult to find anything else than a portrait in the statues of Sesostris iii, with their seemingly great formal similarities to modern portraits. Both the fragmented state of many statues, as well as the medial fragmentation caused by Egyptology’s tendency to depict fully preserved statues as bust portraits, work on the imagination of the observer. Only the historization of particular perceptive patterns exposes this naïve view for what it is. (2.4) So far the survey of Part i has shown how combining the implementation of development lines and epochal conceptions with unreflective arthistorical perceptive patterns influences perspectives within the field and, at the same time, necessitate the neglect of the context of origin, while claiming that far-reaching historical conclusions can be drawn. In what follows, these relationships are clarified in more detail. (2.4.1) Style serves scholars as an instrument of categorization and as an object of semantic interpretation. In the first case, it depends on the underlying narrative the scholar chooses – as to whether or not the style is understood as belonging to a period, a place, a workshop, or an artist. As problematic as the use of style for categorizations may be – especially considering the ubiquitous phenomenon of stylistic pluralism – it appears unavoidable from the perspective of art history for pragmatic reasons. (2.4.2) Stylistic pluralism in Egypt is to be viewed as synchronic and diachronic – only the selective perspective of the researcher homogenizes and orders the material teleologically and in this way creates coherence between their conception of history and the material. This selective approach, therefore, turns style – being in fact a descriptive instument – into an object of analysis and reproduces presuppotions about history that where supposed to be derived from style in the first place. (2.4.3) Building upon Whitney Davis’s term “stylisticality”, which characterizes, among other things, a conscious use of style, a stylistic terminology will be brought forward that focuses on the descriptive character of style. The proposed terminology understands style as describing a resemblance shared between a variety of objects that derives from, or can be seen as deriving from the same cause. According to such a concept of style, style is to be understood
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invariably as a stylistic plurality. Stylisticality, on the other hand, presupposes the observation of style and identifies the conscious use of this style. On this basis four stylistic phenomena are differentiated: description of style, production style, intended stylisticality and semantically laden style. Without styleindependent information, production style or the producers’ intended stylisticality cannot be deduced from a stylistic description. This is because it is not possible to determine the style’s origin from the style itself. There is always a multitude of possible scenarios: The producer’s conscious use of a template for orientation, which was possibly understood as having meaning (i. e. stylisticality or maybe stylisticality bearing semantic content), or an unconscious focus of the producer on images familiar to them (i.e. production style), or simply a mere similarity, which only exists in the eye of the beholder, without any correlation to the producer’s perspective. These relationships have wide-reaching consequences for every analysis of style. (2.4.4) On the basis of these theoretical remarks concerning style the explicated limits of Egyptological stylistic studies will be described in more detail. (2.4.4.1) The Egyptian culture’s striving to conform to templates and the conscious production of sameness have been described with the terms canon or decorum (John Baines). Here this phenomenon of stylisticality will be looked at from a historical perspective, which differentiates between a modern temporalized concept of style and an antique concept of style aimed at fulfilling a paradigm. In this way it will be emphasized that particularly in regard to Egypt a chronological or historical interpretation of style is not possible. (2.4.4.2) The potential of the proposed theory of style will be illustrated via examples from the early 18th Dynasty, employing Dimitri Laboury’s proposed interpretation of Ahmoside and Thutmoside images originating from Karnak. Laboury identifies two different forms of pictorial references to the past and recognizes a semantic in the styles associated with this, which he interprets as an expression of political legitimation – The rulers of the early 18th Dynasty would have referred to Sesostris i as the true founder of the Middle Kingdom, while reference to the various rulers of the 18th Dynasty has only occasionally been observed during the reigns of Hatshepsut and Thutmosis iii. It is apparent, however, that for every ruler of the 18th Dynasty up to Thutmosis iii comparable stylistic references to the past can ultimately be observed. Laboury’s differentiation between two different forms can, in essence, be derived from the meaning that he attributes to the portrait as art form and from his understanding of legitimating political style. (Excursus ii) The interpretive ‘legitimation of the king’s rule’ model, which is widespread in Egyptology, will therefore be subject to a differentiating critique. The mixing of demands for legitimation (Legitimitätsanspruch) and beliefs about legitimation (Legitimitätsglaube,
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the terminology used by Max Weber) cultivated within Egyptology leads to results which, among other things, exhibit a lack of regard for historical semantics. Laboury’s interpretations rooted in the terms style, portrait, and legitimation will be contrasted with an alternative interpretation that takes into account the architectural context of the images: The images of the kings of the 18th Dynasty in Karnak were shaped around images already found on site at the time in order to achieve a high degree of coherence between the images. Furthermore, the analysis of Laboury’s interpretation reveals how observations focusing on style are divorced from the initial conditions of reception and can, in this way, lead to decontextualization. When style is not confronted with independent evidence the observed style of the material unavoidably conforms to the existing conception of history and finds in it an apparent confirmation, which can in no way be derived from the style itself.
Part iii (3) Via a combination of looking back and looking forward, and building upon the provisional findings of this book, we will give an answer to our initial question concerning the term Egyptian art. This allows us to finally outline the consequences these findings have for Egyptology. (3.1) In the first two parts various approaches were discussed. Some of these approaches were aware of the problem in question, others negated it, and others were pragmatic and therefore unreflective. All of these approaches, however, adhered to a common notion of Egytian art. Against this backdrop a philosophical examination of the concept of art will be carried out, which does not view art as having an essence, but rather understands art as an observerdependent status. There have been attempts to speak of Egyptian art because of the supposed existence of similarities between Egyptian images and more contemporary art. Moreover, these approaches suppose that by employing a concept of art that was acquired by constructing analogies one could make further specifications by taking into account material observations of the Egyptian circumstances. From the perspective of conceptual history, however, this proves fatal: The term art as a basic term (Grundbegriff, Reinhart Koselleck) does not function as a neutral label communicating a specific semantic content that is related to the Egyptian context. Since the term today always contains meanings associated with the contemporary art scene, its use within Egyptology, as well as in perceptive and interpretive patterns, has become particularly modern. This determines the possibilities within the discipline of using this term. The decision to start with an observation-dependent concept of art leads
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to a rejection of its usage in regard to Egyptian images, as no plausible case can be made for an Egyptian art scene. The Egyptological practice of viewing and treating Egyptian images as art creates a kind of art that hardly has anything to do with Egyptian contexts. Rather, it has more to do with Egyptology. For this reason the term Egyptological art is proposed. Building on the philosophy of art and conceptual history, this terminological differentiation can be further substantiated by recurs to Visual Studies. In order to achieve this, images are defined as objects that show something that they themselves are not. It is always the observer who makes this semiotically describable reference, as the observer creates this reference by following a rule and thereby views the observed object from a particular perspective (Ludwig Wittgenstein). Images can, therefore, be seen and understood in completely different ways, which do not necessarily have anything to do with the ways in which these images were perceived by those who created them. The epistemological artifact of Egyptological art can be characterized by a multitude of traits observable within the discipline: Selecting and emphasizing (whether stylistically or aesthetically), decontextualizing, aestheticizations, as well as conceptual openings and integration into the contemporary art scene. The elements are constantly being recombined into varying hybrid forms of perceiving art that seek to discover historical relationships, although they systematically avoid historicizing their own terminology. These Egyptological perspectives can also be described with the term museum perspectives. The term museum perspective is not meant to refer to a museum building, but rather the museum perspective views objects within an imaginary museum (André Malraux), in which images have been conceptually removed from their original contexts and are virtually collected, compared to one another, and offered up as art for viewing. Two objects that have never before been brought together can, in this place, be observed together and compared. In this way, stylistic similarities are emphasized, but there is no questioning whether or not such a state of affairs was ever possible in ancient Egypt. The resulting effects within the discipline can hardly be overstated, especially since we can only understand how the museum perspective determines our perception when we identify its historical conditions. Without reflection the museum perspective leads us to view Egyptian images as Egyptological art – that is, as art that cannot be connected coherently with the images’ original contexts. (3.2) In service to this new Visual Studies approach to Egyptian images, individual aspects of ideas dealt with in this book will be described in more detail. (3.2.1) Research informed by Visual Studies needs to rely on a reflective critique of images which takes more into account than the fact that images are not immediately understandable. Instead, in order to differentiate itself from
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everyday hermeneutic notions, it must also understand that similarities are neither self-evident nor intrinsic to the object. Both belong to the realm of reception and are observer-dependent. The validity of the observer’s perspective can be determined by whether or not the contexts in which the observation takes place are part of the imaginary museum or if these contexts can be coherently brought together with conditions in which the images were created. (3.2.2) Contexts do not create themselves, rather they are observer-constructed “frames” (Jonathan Culler) within which the object is observed. Contextualizations are therefore unavoidable components of every interpretation. They consist of not only additional archeological information, but also of the premises, concepts, and terminology, which is (mostly implicitly) employed by the researcher. Our contextualization of an object determines everything we can say about the object. (3.2.3) Semiotics is often understood as a way to decode the messages of images in order to get closer to their original meaning. It is therefore often overlooked that the process of interpreting symbols always remains open. This fundamental problem also concerns, for example, the hermeneutics of Valérie Angenot among others, whose search for hidden double meanings regards Egyptian images as puzzles to be solved. (3.2.4) The analyses of the interpretations of style (Part ii) have shown how strongly their results depend upon Egyptological concepts of history. Therefore, an Egyptology that makes use of a Visual Studies approach cannot avoid examining critically the narratives and conceptions of history that serve as backgrounds against which images are viewed. This is because history can neither be discerned directly from images nor can we assume ‘one true history’. Rather, we can choose which story to tell in order to correlate this story with the relevant images. (3.2.5) Concerning ourselves with a foreign culture presents a hermeneutic challenge that should not be underestimated. The primary reason for this is that the hermeneutic process aims at a complete understanding that is fulfilled in appropriation. This is because we can only understand the other by means of recognized similarities that we are already familiar with. When the other becomes familiar to us and loses otherness, we can then speak of the pull of understanding (Sog des Verstehens, Rüdiger Bubner). Thus understanding becomes a harmonization with what is familiar, as well as a question of power and a facet of orientalism. This is particularly noticeable in regard to the museum perspective, which decontextualizes objects and integrates them into existing notions of Egypt. An impression of familiarity with Egyptian objects, as conveyed in terms like Egyptian art, gives Egyptology self-assurance and allows the process of appropriation to occur without impediment, along with immu-
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nizing the discipline from ever having to think about the interpretive methods it uses. The appearance of similarities leads researchers to analogizing. This analogizing forms a self-consistent picture under the title Egyptian art, behind which, however, is the hidden epistemological artifact of Egyptological art which fails to do justice to the original contexts of Egyptian images. Therefore, guidelines will be formulated in order to overcome this problem through an increase in degree of complexity as well as transparence, and through the avoidance of the avoidable; if we want to gain understanding, an awareness of what unsettles us can be used by pausing for a moment to reflect on what it is that we are unsettled by and by gaining perspective through proceeding carefully (Diskretion, Werner Kogge), and even allowing for gaps in our understanding. Aside from this, if we no longer take our everyday perceptions for granted, but rather exercise historicizing both the objects and methods of our perceptions, this insight into the relativity of our own perspective gives us a chance to correct it. Only this sort of reflection may enable us to adequately evaluate the validity of our observations. (3.2.6) The framework we choose to place around Egyptian images in order to observe them is up to us. It is important, however, to understand that our decision determines our potential observations. This book has shown that the decision to employ an art-historical methodology led Egyptologists to speak about Egyptological art and hardly consider Egyptian images. Within this discourse certain perceptive and interpretive patterns, the museum perspective being one example, have created their own ‘image worlds’ (Bilderwelten). These worlds exhibit, at best, only a peripheral connection to the contexts of origin of Egyptian images. These image worlds and the methods associated with them are not based on critical reflection, and the conceptual agenda created around them has led to disjuncture rather than to productive discussion. An alternative framework aiming to avoid the museum perspective would initially be connected to wide-reaching reductions. For the avoidance of art-historical methods would result in a careful approach that restricts itself to describe the object of investigation, when a non-museum method does not lead anywhere. If in doubt, and when it limits itself to the contextualizations outside of the imaginary museum, Egyptology should withhold judgment and reflect in order not to give rise to Egyptological art. This sort of Egyptological practice could find a way out of the methodological impasse – an impasse that will continue to exist if the conclusive changes outlined here are not addressed properly. Egyptology, however, needs an understanding based in the methods of art studies in order to avoid intuitively reverting to art-historical methods. Instead of adhering to common image worlds of Egyptological art, Egyptology must actually create alternative image worlds from Egyptian images.
Einleitung „Egyptologists long debated whether the statuary, painting, and relief created during the three millennia of pharaonic history could properly be considered art, since those products were intended to serve an essentially utilitarian purpose in the context of Egyptian civilization, above all in the funerary cult. Nowadays, specialists agree that the Egyptians did indeed make art.“ eaton-krauss1 Mit dieser Einschätzung formuliert Marianne Eaton-Krauss die Problemstellung, der sich die vorliegende Arbeit annimmt, und zugleich den Kern dessen, was man immer noch als Ausgangslage für jede Beschäftigung mit ägyptischen Bildern beschreiben kann: Es hat sich ein innerfachlicher Konsens etabliert, bei ägyptischen Bildern von Kunst zu sprechen, obwohl seit langem Bedenken dagegen formuliert werden, da man etwa Kunst landläufig als funktionslos betrachtet, ägyptische Bilder jedoch in Funktionszusammenhänge eingebunden waren. Während die mit dieser Praxis einhergehenden Probleme zwar verschiedentlich bemängelt wurden und immer noch werden, sind bislang jedoch kaum Anstrengungen unternommen worden, ein solches Vorgehen etwa durch Ausarbeitung einer veritablen Kunsttheorie methodisch zu unterfüttern. Vielmehr ist man bei einer opinio communis stehen geblieben, die sich selbst der Gewissheit versichert, man hätte es mit ägyptischer Kunst zu tun. So wurden in den letzten Jahren und Jahrzehnten nur wenige ägyptologische Arbeiten verfasst, um den diesbezüglichen Methodendefiziten des Faches zu begegnen. Die ägyptologische Praxis basiert immer noch auf einer mehr intuitiven als reflektierten Anwendung kunsthistorischer Verfahrensweisen. Dieser Umstand tritt besonders deutlich vor dem Hintergrund hervor, dass sich im selben Zeitraum das mit dem Begriff des Iconic Turn verbundene interdisziplinäre Forschungsfeld ‚Bildwissenschaft‘ zu formieren begann: Bilder wurden aus ganz neuen Perspektiven betrachtet, indem etwa der Monopolanspruch der Kunstgeschichte auf die Interpretation von Bildern durch den Vorstoß infrage gestellt wurde, Kunst sei nur noch als historischer Sonderfall des Bildes und nicht mehr als mit ihm identisch zu betrachten. Diese Konstellation bildet den Anlass für die vorliegende Arbeit, jenen von Eaton-Krauss thematisierten Konsens und damit auch den Begriff der ägyp-
1 Eaton-Krauss, „Artists and Artisans“, 136 (Kursive K.W.).
© koninklijke brill nv, leiden, 2017 | doi: 10.1163/9789004347748_002
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tischen Kunst neu zu hinterfragen. Dabei wird davon ausgegangen, dass es nicht damit getan sein kann, Bedenken und Problematisierungen nur in einer oberflächlichen Weise vorzubringen, die dazu führt, dass letztendlich doch weiter so verfahren wird wie bisher. Denn eine keine Konsequenzen nach sich ziehende alleinige Benennung von Problemstellungen kann der Anforderung, methodenkritisch vorzugehen, keinesfalls gerecht werden. Die Probleme sind schlicht zu zentral und schwerwiegend. All die Defizite und Probleme, die sich unter der forschungsgeschichtlich etablierten Überschrift Ägyptische Kunst versammeln ließen, können von einer einzelnen Arbeit jedoch nicht angemessen behandelt werden. Daher liegen dieser Arbeit zwangsläufig verschiedene Selektionsentscheidungen zugrunde: Zum einen wurden einzelne Forschungspositionen und methodische Zusammenhänge ausgewählt, die als besonders signifikant für die bisherige ägyptologische Kunstforschung betrachtet werden, zum anderen war auch hinsichtlich der hier behandelten ägyptischen Objekte eine Materialauswahl zu treffen. Dieses Buch hätte sich daher problemlos sowohl um die Auseinandersetzung mit anderen Forschungsansätzen als auch um zusätzliches ägyptisches Material vielfältig erweitern lassen. Die Arbeit wird in ihrem Verlauf jedoch zeigen, dass die vorgenommenen Selektionen keine beliebigen waren, sondern sich durch das spezifische auf diese Weise beobachtbare Zusammenspiel von ägyptologischen Perspektiven auf einzelne Materialgruppen und den von ihnen zugrunde gelegten Prämissen motivieren lassen. Die vorliegende Untersuchung wird sich mit der Frage befassen, welche Konsequenzen die bisherige Behandlung ägyptischer Bilder als Kunst nach sich zieht. Sie versteht sich dabei als ein Beitrag, um der Ägyptologie auf einer methodenkritischen Basis bildwissenschaftliche Perspektiven für künftiges Arbeiten zu erschließen. Dafür wird wie folgt vorgegangen: In Teil i werden verschiedene ägyptologische Beiträge aufgegriffen und diskutiert, die mit der Frage, ob man von ägyptischer Kunst sprechen könne, ganz unterschiedlich umgehen. Auf diese Weise sollen Prämissen und Implikationen verbreiteter Positionen herausgearbeitet werden, um vor dem Hintergrund der daraus gewonnenen Ergebnisse in Teil ii ägyptologische Auseinandersetzungen mit verschiedenen Materialgruppen zu beleuchten, die im Wesentlichen dem Zeitraum von der 6. bis zur 12. Dynastie entstammen. Dabei geht es vor allem darum, zu untersuchen, inwiefern und mit welchen Konsequenzen die in Teil i diskutierten Ansätze zum Tragen kommen, wenn im ‚ägyptologischen Alltagsgeschäft‘ ägyptische Bilder interpretiert werden. Hierzu werden etwa die geschichtstheoretische Kategorie des Epochenbildes und verschiedene Methodenimporte aus der Kunstgeschichte diskutiert, wobei die Frage nach der Interpretierbarkeit von Stilen die einzelnen Unterkapitel von Teil ii als wichtiger
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Roter Faden miteinander verknüpft. Und so endet dieser Teil mit einer Diskussion zum Verhältnis von Stil und Geschichte, in der auf den bis dahin erzielten Einzelergebnissen aufbauend ein Vorschlag für eine präzisere stiltheoretische Terminologie gemacht wird. Zum Abschluss von Teil ii werden die dadurch eröffneten Möglichkeiten anhand eines Beispiels aus der 18. Dynastie verdeutlicht. Teil iii kehrt zur Ausgangsfrage zurück, ob man überhaupt von ägyptischer Kunst sprechen kann, und formuliert mithilfe des Begriffs der ägyptologischen Kunst eine Antwort, die darauf abzielt, künftig methodisch fundiert zwischen Bildern und Kunst klar zu differenzieren. Darauf aufbauend werden abschließend zentrale Konsequenzen skizziert, die sich daraus für die ägyptologische Forschung ergeben. Die vorliegende Arbeit ist weder eine bildwissenschaftliche, noch eine im hergebrachten Sinne ägyptologische. Einen Spagat wagend spiegelt sie die Entscheidung, als einen ersten Schritt in Richtung auf eine bildwissenschaftliche Ägyptologie die bisherige ägyptologische Praxis einer Kritik zu unterziehen. So gilt es, Klarheit über die Implikationen dieser Praxis, aber auch über mögliche Alternativen zu gewinnen. Darin sehe ich eine Eingangsvoraussetzung für jede künftige Beschäftigung mit ägyptischen Bildern. In diesem Sinne werden mit dieser Untersuchung Vorarbeiten geleistet, und entsprechend stehen hier weniger die ägyptischen Bilder selbst als das ägyptologische Betrachten von Bildern und die Formen, in denen ägyptologischerseits über sie gesprochen wird, im Mittelpunkt. Die Auswirkungen der in dieser Studie diskutierten Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster erweisen sich dabei als so weitreichend, dass abschließend (Teil iii) vorgeschlagen wird, von verschiedenen Bilderwelten zu sprechen, die jeweils determinieren, wie wir über Bilder sprechen können.2 Auf diese Weise lässt sich umreißen, wie fundamental eine Neuausrichtung des Umgangs mit ägyptischen Bildern sein könnte, wenn sich die Ägyptologie auf sie einlassen würde.
2 Der diese Studie überschreibende Begriff der Bilderwelten unterscheidet sich von der Verwendung des Begriffs, wie sie sich bei Morenz beobachten lässt. So geht es hier nicht in erster Linie um die „Form und Gestalt gewordenen altägyptischen Bilder-Welten“ (Morenz, Anfänge der ägyptischen Kunst, ix). Der Plural des hier verwendeten Begriffs bezieht sich darauf, dass wir in Abhängigkeit davon, mit welchen Wahrnehmungsmustern, Perspektiven und Methoden wir an ägyptische Bilder herantreten, ganz verschiedene Bilderwelten erzeugen. Es hängt von diesen initialen Weichenstellungen ab, in welcher Hinsicht unsere Ergebnisse aussagekräftig sind und worüber wir sprechen können. Und das heißt auch, wie viel unsere Beschäftigung mit ägyptischen Bildern mit dem zu tun hat, was man (etwa mit Morenz) ‚altägyptische Bilderwelten‘ nennen könnte.
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Technische Hinweise Jeder der drei Teile dieser Arbeit verfügt über eine eigene Fußnotenzählung. Interne Verweise auf Fußnoten (Fn.) beziehen sich immer auf Fußnoten desselben Teils, es sei denn es wird explizit auf einen anderen Teil des Buches verwiesen. Fußnoten zitierter Werke werden als „Anm.“ angegeben. Verweise auf in diesem Buch enthaltene Abbildungen sind als Kapitälchen gesetzt (Abb. bzw. Taf.).
teil i Ägyptische Kunst?
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kapitel 1
Ägyptische Kunst: Diskussion um einen Forschungsgegenstand Betrachtet man den gegenwärtigen Stand der ägyptologischen ‚Kunst‘-Forschung näher, lassen sich verschiedene Strömungen und Ansätze ausmachen, da sich dieses Feld aufgrund des geringen Ausmaßes an Theoriebildung und methodischer Reflexion im Wesentlichen aus separaten Einzelarbeiten zusammensetzt. An dieser Stelle soll daher der Versuch unternommen werden, Perspektiven bzw. Studien herauszugreifen und zu diskutieren, die entweder theoretisch besonders dezidierte Vorschläge unterbreitet haben oder aber einen großen Einfluss auf die derzeitige Forschung ausüben.1 Dabei wird der Schwerpunkt auf der grundsätzlichen Diskussion innerhalb des Faches um den Gegenstandsbereich ‚Kunst‘ sowie auf den daraus abgeleiteten methodischen Angeboten liegen.2 Dazu werden zunächst Positionen herangezogen, die die Anwendung eines Kunstbegriffs auf ägyptische Bilder problematisieren (Kapitel 1.1). Dann werden Standpunkte diskutiert, die auf damit benannte Probleme reagieren und sich dabei für die Aufrechterhaltung eines Kunstbegriffs stark machen (Kapitel 1.2). Anschließend werden Beiträge im Mittelpunkt stehen, die das explizieren, was Friedrich Junge die kunstbejahende ägyptologische Praxis genannt hat.3 Ohne dass sie sich durch die im Raum stehenden Bedenken infrage gestellt sähe, betont diese die Notwendigkeit einer kunsthistorischen Ägyptologie und findet in musealen Präsentationsformen ihre Ausbuchstabierung, indem sie ägyptische Bilder in eine Kontinuität zu europäischer Kunst stellt (Kapitel 1.3). Damit werden mehrfach Forschungsansätze diskutiert, die sich u.a. darauf gründen, in Kunst eine anthropologische Kon-
1 Bei Verbovsek, Zwischen „Theorie und Praxis“ (unpubliziert) findet sich ein nützlicher Überblick über die vorägyptologischen und die ägyptologischen Diskurse zur ägyptischen Kunst, der bei Platon einsetzt. Dieser Abriss ist zwar auch problemorientiert konzipiert, zielt jedoch eher auf Vollständigkeit ab, um so einen ägyptologischen Kunstbegriff formulieren zu können. Genaueres wird der Publikationsfassung zu entnehmen sein (Verbovsek, Zwischen „Theorie und Praxis“?). Der hier beschrittene Weg ist hingegen bewusst selektiver gehalten und auf die oben formulierte Problemstellung ausgerichtet. 2 Dies hat zur Folge, dass diverse Einzelströmungen und Forschungsfelder unberücksichtigt bleiben. 3 Vgl. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 7.
© koninklijke brill nv, leiden, 2017 | doi: 10.1163/9789004347748_003
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stante zu sehen, die letztendlich für jede Kultur in Zeit und Raum angesetzt werden könne oder müsse. Aus diesem Grund wird vor dem Abschluss von Teil i (Kapitel 1.5) noch der Frage nachgegangen, ob sich eine solche interkulturelluniversalistische Position theoretisch fundieren lässt (Kapitel 1.4).
1.1
Problematisierungen „Ein Bildwerk solcher Art weist in seiner Anlage und Gliederung, so begrenzt und bestimmt es in sich sei, stets über sich hinaus und darf nicht wie ein modernes Atelierwerk beurteilt werden, das seinen Sinn und Zweck nur in sich selbst trägt.“ hedwig fechheimer4
Bereits im frühen 20. Jahrhundert wurden die Ägypter als ein Volk beschrieben, „dem bildende Kunst als Selbstzweck noch fremd war“.5 Hedwig Fechheimer betont in ihrer Studie zur ägyptischen Plastik das Instrumentale ägyptischer Bilder und deren starke Eingebundenheit in architektonische und religiöse Kontexte. Die Kunst sieht sie als „Vermittlerin der Unsterblichkeit“, da in der „Form eines Dinges“ und nicht in der Materie selbst sein Wesen liege.6 Dadurch habe die aus unvergänglichem Material geschaffene Grabstatue die Rolle eines Garanten für die Unsterblichkeit des Menschen übernehmen können. Dieses Verbindungsglied zwischen Kunst und den „Grundfragen des Seins“ habe zur Bedeutung der Kunst innerhalb der ägyptischen Kultur geführt.7 Mit Fechheimers einleitenden Ausführungen zum Bereich Kunst und Religion bzw. Architektur liegt ein einzelnes relativ frühes Beispiel für eine Position vor, die mittlerweile als Allgemeinplatz innerhalb der Ägyptologie aufgefasst werden kann: ägyptische Kunst sei in einen durch Religion und Architektur gesetzten Rahmen eingebunden und verfüge dadurch über kulturspezifische Funktionen und Aufgaben. Diese Annahme ist vielfach in Einführungen und Ausstellungskatalogen reproduziert worden. Die Zahl der Beiträge, die daraus Konsequenzen für die Verwendungsmöglichkeiten eines Kunstbegriffes ableiten, ist jedoch weitaus geringer. Unter ihnen nehmen die Ausführungen Walther Wolfs und Friedrich Junges eine prominente Position ein, da sie
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Fechheimer, Die Plastik der Ägypter2, 14. Fechheimer, Die Plastik der Ägypter2, 8. Fechheimer, Die Plastik der Ägypter2, 8–10. Fechheimer, Die Plastik der Ägypter2, 10.
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vielfältige Reaktionen hervorgerufen haben und durch diese fachinterne Resonanz den ägyptologischen Kunstdiskurs beeinflusst haben. 1.1.1
Kunst als Epochenfrage bei Walther Wolf und Hans Belting „The fashion of the people is this, entring the Church, they go straight to this Idoll, and saluting with many crosses his senslesse body, kisse his feete, and every one of his severall toes […] O wonderfull and strange spectacle? that these onely titular Christians, should become worse of knowledge then Ethnicke Pagans, to worship and reverence the workemanship of mens hands. Woe and shame be unto you all blind Hereticall Papists; Why should you make to your selves Idols and Images of gold, silver, brasse, yron, stone, earth and tree;“ william lithgow (1632)8
Mit seiner Monographie Die Kunst Ägyptens – Gestalt und Geschichte hat Walther Wolf nicht nur einen chronologischen Gang durch die ägyptische Geschichte vorgelegt, sondern sich auch in seinen methodischen Ausführungen von der damals wie heute prominenten Kunstpsychologie abgegrenzt,9 und einen von der Strukturforschung beeinflussten Ansatz vorgestellt. Dabei verzichtet er – wie bereits der Titel des Buches zeigt – keineswegs auf den Begriff Kunst, wenngleich er ihn auf eine bis dahin seltene Weise problematisiert. Wolfs Kapitel „Ägyptische Kunst nicht ‚Kunst‘“ wurde aufgrund seiner prägnanten Darstellung zu einer Standardreferenz für den ägyptologischen Diskurs zur Problematik des Kunstbegriffes.10 Wolf führt aus, dass es erst seit der Renaissance im Abendland selbstverständlich geworden sei, Kunstwerke zu schaffen, die um eines subjektiven 8
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Aus dem Bericht des protestantischen Reisenden William Lithgow von seinem Besuch des Petersdoms in Rom (Frühjahr 1609): Lithgow, The Totall Discourse of the Rare Adventures, 18. Damals lag Schäfers Monographie in der dritten Auflage vor (Von ägyptischer Kunst3 [1930]), die vierte erschien posthum (Von ägyptischer Kunst4 [1963]) und wurde von John Baines ins Englische übersetzt (Principles of Egyptian Art [1974 & 1986]). Ernst H. Gombrichs Vorwort (ebenda, ix–x) und Baines’ Einleitung (ebenda, xi–xx) unterstreichen ebenso wie die Neuauflagen der englischen Ausgabe selbst (zuletzt 2002) den Einfluss von Schäfers Studie. Vgl. zur wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung von Schäfers Arbeiten und seiner Methodik Liedtke, Begriffsbildung in der ägyptologischen Kunstwissenschaft, 51–68. Wolf, Die Kunst Ägyptens, 66–68. Vgl. etwa Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 43 sowie jüngst Bayer, Teje, 19.
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Erlebnisses willen betrachtet worden seien. Zuvor habe das „gegenständliche Sein“ im Mittelpunkt gestanden.11 Noch die Bildwerke des Mittelalters seien gegenstandsbezogen zu verstehen: Ihre künstlerische Wirkung sei weniger zentral gewesen, vielmehr hätten diese Gegenstände durch ihr „Dasein“ in der „Umwelt“, für die sie „ursprünglich gedacht“ waren, eine Aufgabe zu erfüllen gehabt. Allein das Wissen darum, dass sie dort waren, wo sie sein sollten, sei für ihr Wirken ausreichend gewesen. Damit wird für Wolf das ‚Gegenständliche‘ der Objekte im Rahmen ihrer lokalen Einbettung entscheidend für die Interpretation von Bildwerken vor der Renaissance. Er greift in diesem Zusammenhang auf ein begriffliches Instrumentarium aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert zurück: in Anlehnung an den deutschen Bildhauer Alexander von Hildebrand (1847–1921) spricht Wolf von „Daseinsform“ und „Wirkungsform“.12 Das ägyptische Bildwerk sei um seiner selbst willen geschaffen, sei „in sich ruhend und hat kein Ziel, auf das es wirken möchte“, damit verfüge es zwar über die Form, die es als Gegenstand an sich habe (Daseinsform), nicht jedoch über jene Form, die sich erst aus der Daseinsform, dem Betrachterstandpunkt, der Beleuchtung und anderen sich wechselseitig beeinflussenden Faktoren ergebe (Wirkungsform). Wolf lehnt damit jede Betrachterorientierung der ägyptischen Objekte ab und spricht darüber hinaus vom ägyptischen Bildwerk als einem „magische[n] Gebrauchsgegenstand“, dessen Sinn erst durch seine Verwendung erfüllt werde, da er selbst keinen „Sinngehalt“ in sich trage.13 Die Objekte seien stark funktionsorientiert konzipiert worden, die „sinnliche[…] Wahrnehmung eines erlebenden Subjekts“ sei irrelevant, ästhetische Belange hätten keine Rolle gespielt. Deswegen hätten ägyptische Objekte auch an Orten aufgestellt werden und wirken können, die den Blicken der Menschen entzogen waren: Der Ort selbst sei viel entscheidender gewesen als ein etwaiger Betrachter, so dass die Dekontextualisierung von ägyptischen Objekten einen viel stärkeren ‚Sinnverlust‘ nach sich ziehe als es bei jüngeren – „um des ästhetischen Genusses willen geschaffene[n]“ – Bildwerken der Fall sei.14 Erst die Kunstwerke seit der Renaissance – besonders aber seit dem 19. Jahrhundert – seien auf ‚Versetzbarkeit‘ angelegt gewesen, was überhaupt erst „Voraussetzung für den modernen Kunstbetrieb“ mit seinen Museen, Auktionen, Ausstellungen etc. gewesen sei.15 Wolf zufolge passt es daher gut in seine Charakterisie11 12 13 14 15
Wolf, Die Kunst Ägyptens, 66. Wolf, Die Kunst Ägyptens, 66 f. Wolf, Die Kunst Ägyptens, 67. Fragen zu Kontextualisierungen und Dekontextualisierungen werden im weiteren Verlauf noch eine größere Rolle spielen. Vgl. u. a. Kapitel 1.3 und Kapitel 3.2.2. Wolf, Die Kunst Ägyptens, 67. Vgl. zum Museum bzw. zum musealen Blick Kapitel 3.1.
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rung ägyptischer Objekte, dass es der ägyptischen Sprache an entsprechender Kunstterminologie fehle, „was natürlich bedeutet, daß dem Ägyptischen der Begriff fremd ist“.16 Wolf formuliert damit von anderen Voraussetzungen und Begrifflichkeiten ausgehend eine vergleichbare Epochengrenze, wie sie aus mediävistischkunsthistorischer Perspektive in viel jüngerer Zeit von Hans Belting vertreten wurde.17 Dessen These nach war die Ära des Bildes durch die Reformation beendet worden. Aus der dies verursachenden Krise des Bildes sei schließlich die Kunst als solche hervorgegangen. Erst seitdem seien Bilder als Kunstwerke bewertet worden, womit die bis heute andauernde Ära der Kunst begonnen habe. Nach Belting ist Kunst „an eine Vorstellung vom autonomen Künstler und an eine Diskussion über den Kunstcharakter seiner Erfindung gebunden.“18 Die Geschichte des Bildes – wie Belting sie schreibt – setzt in der Spätantike ein und endet in der Neuzeit. Der so umspannte Zeitraum wird von Belting die „Ära des Bildes“ genannt, die zwei fundamentale Entwicklungspunkte begrenzen und der die „Ära der Kunst“ folgt. Das Auftreten von Statue und Ikone bzw. deren zunehmende Bedeutung und Verwendung im Kult des westlichen und östlichen Christentums markiert den Beginn dieser Ära.19 Belting versteht diese Praxis als Mittelweg zwischen den Götterbildern polytheistischer Religionen und dem Bilderverbot des Judentums.20 Das christliche Kultbild habe in der Spätantike am Übergang zum Mittelalter Riten von antiken Bildkulten „adoptiert“ und sei durch sein Vordringen an den Kaiserhof in Konkurrenz zum Kaiserkult getreten. Dies habe dann in der Zeit des Byzantinischen Bilderstreites zu einem langwierigen Konflikt geführt:21 „Damit wurde der eine Gott ebenso Bildthema, wie es bis dahin nur der eine Kaiser gewesen war. Doch war auch das Verständnis von Bild und Bildlichkeit ganz allgemein berührt. Im Bild tritt jemand in Erscheinung. Eines Zeichens kann man sich bedienen und mit dem Zeichen in Erscheinung treten, nicht aber mit dem Bild, das schon Erscheinung ist. Wo Gott im Bild anwesend ist, kann ihn der Kaiser als Person nicht vertreten.“22 16 17 18 19 20 21 22
Wolf, Die Kunst Ägyptens, 67 f. Vgl. hierzu auch unten S. 49f. und 86f. Belting, Bild und Kult, 9–27, besonders prägnant 9 f. Belting, Bild und Kult, 9. Belting, Bild und Kult, 9. Belting, Bild und Kult, 17. Belting, Bild und Kult, 18 f. Belting, Bild und Kult, 19 (Kursive im Original).
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Nach mehreren ikonoklastischen Phasen sei schließlich im 9. Jahrhundert die kirchliche Bilderverehrung wieder hergestellt worden, die im Spätmittelalter in der „Inflation des Tafelbildes und dem Pluralismus neuer Bildmedien“ gegipfelt habe.23 Das Ende der Ära des Bildes sei dann im Zuge der Reformation eingetreten. Nach Belting lässt sich diese „Krise des alten Bildes“ in der Neuzeit auf verschiedenen Ebenen greifen: sie gehe mit der nun feststellbaren Bedeutung des Künstlers bzw. mit der Herausbildung des „neuen Kunstcharakters“ einher, durch den eine neue Form des Bildgebrauchs einsetze, „über die sich der Künstler und der Betrachter miteinander verständigen“.24 Die entstehenden Kunstsammlungen hätten dabei als Orte ästhetischer Erfahrung gedient, an denen Bilder dazu aufforderten, „die künstlerische Idee im Werk zu suchen“.25 Diese von Belting beschriebenen Veränderungen fügen sich in den Rahmen von mit der Neuzeit einsetzenden grundlegenden Wandlungen: „Das Subjekt der Neuzeit, das sich der Welt entfremdet, sieht die Welt gespalten in das bloß Faktische und den verborgenen Sinn der Metapher. Das alte Bild ließ sich gerade nicht auf eine Metapher reduzieren, sondern erhob den Anspruch auf eine unmittelbare Evidenz von Augenschein und Sinn.“26 Die ehemals verehrten (Kult-)Bilder verlieren ihren vordem per se zugestandenen religiösen Charakter und werden als Kunstwerke während der Reformationszeit Teil des neuen „Funktionsbereich[s] ‚Kunst‘“.27 Diesen Bildern seien nun mit „Bildung“ und „ästhetische[r] Erfahrung“ spezialisierte Aufgaben zufallen: „die alte Aura des Sakralen [wurde] gegen die neue Aura des Künstlerischen eingetauscht“.28 Der „allgemeine[] Bildbegriff“ sei in diesem Zuge verloren gegangen und der neue Kunstbegriff habe diese Veränderun-
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Belting, Bild und Kult, 9. Belting, Bild und Kult, 26. Belting, Bild und Kult, 526. Belting, Bild und Kult, 26. Auch wenn Beltings Darstellung sich in reflektierte Perspektiven auf gesellschaftliche Veränderungen seit dem Beginn der Neuzeit einfügt, sei hier angesichts der Erwähnung des ‚Subjekts der Neuzeit‘ auch auf Kapitel 2.3.5.2 verwiesen, in dem auf die Problematik von dichotomischen Epochenvorstellungen (Mittelalter– Neuzeit) eingegangen wird, die sich auf geschichtsphilosophische Vorstellungen des 18. und 19. Jahrhunderts zurückführen lassen. Belting, Bild und Kult, 511. Belting, Bild und Kult, 538.
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gen verschleiert.29 Mit einem Blick auf die Reaktion der (katholischen) Kirche, die entweder neu geschaffene künstlerische Bilder in den Dienst ihrer Theologie stellte oder aber alten, antiquierten Bildern einen Reliquiencharakter verlieh, um sie als Wunderbilder zu verehren,30 schließt Belting seine „Erzählung“.31 Der Kern der Belting’schen These liegt sicherlich in der Übertragung eines Luther-Wortes auf die kulturgeschichtlichen Vorgänge zur Reformationszeit selbst: nach Luther gebe es „zweierlei Bilder“, wobei sich das mosaische Bilderverbot nur auf Bilder beziehe, die man an Gottes Stelle setzt.32 So spricht Belting differenzierend einerseits von den Kultbildern, derer sich die Reformatoren entledigen wollten, indem sie das Bilderverbot des Alten Testaments reaktivierten, um das Wort Gottes selbst wieder zu den Grundfesten des Glaubens zu erklären; andererseits von dem Phänomen, dass eben diese Bildwerke, die aus Sicht der Reformierten ihre kultische Bedeutung verloren hatten, in den entstehenden Kunstsammlungen einen neuen Ort und ihre neue Bedeutung als Objekte ästhetischer Betrachtung erhielten. Belting spricht daher auch noch präziser von „Bilder[n] mit zweierlei Gesicht“,33 denn seiner Diktion folgend ist ein Bild selbst nicht entweder ein altes (Kult-)Bild oder ein neues künstlerisches Bild, vielmehr zeigen sich die Unterschiede in den jeweiligen Kontexten und Verwendungsweisen der Bilder, letztlich in dem, was der Betrachter an das Bild heranträgt, bzw. – ganz konkret gesprochen – wo er es aufhängt. Dieses Szenario wird noch um den Künstler als neuen Aktanten ergänzt, der nun die Idee der Kunst bzw. seine eigene künstlerische Idee von seinem Werk in diesem derart präsent macht, dass sie vom Betrachter ergründet werden kann. Zuvor sei das Bild ein Abbild des Heiligen selbst gewesen und habe diesem im Rahmen des Kultes Präsenz verliehen. Gerade bei diesen zusammenfassenden Bemerkungen zu Beltings Perspektive werden die Stärken und Schwächen seiner Betrachtung deutlich. In der Tat „wird [niemand] leugnen können, daß die Reformation oder die Entstehung der Kunstsamm-
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Belting, Bild und Kult, 511. Belting, Bild und Kult, 538–545. Belting, Bild und Kult, 9. Belting bezeichnet eingangs seine Monographie als Narration und gesteht darüber hinaus ein, dass in einer solchen „Darstellung der Geschichte, wie nicht anders zu erwarten, eine Übertreibung“ liegt, da es keine historischen Zäsuren gäbe, „an denen sich der Mensch zum Nicht-Wieder-Erkennen verändert hätte“, ein Rückgriff auf ein historisches Schema (Ära des Bildes – Ära der Kunst) sei jedoch notwendig für eine Nacherzählung wie er sie beabsichtige (ebenda, 27). Belting, Bild und Kult, 510. Belting, Bild und Kult, 510.
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lung die Dinge verändert haben“.34 Und eben diese Grundannahme ermöglicht es Belting auch, Zusammenhänge schlüssig herauszuarbeiten, die eine Schnittstelle von reformatorischem Bildersturm und dem zeitgleichen Aufkommen von Kunstsammlungen und Künstler(persönlichkeite)n aufzeigen und in neuem Licht erscheinen lassen. Auf diese Weise wird das Entstehen der sich vom Vorherigen deutlich unterscheidenden neuzeitlichen Kunst an die ihr vorausgehenden Formen der Bildpraxis angebunden und zugleich von ihr abgegrenzt. So lässt sich dieser Wandel von Belting in einen Rahmen historischer Entwicklungen einordnen. Das damit formulierte „dualistische Bildverständnis“35 – dasjenige von Bildern mit zweierlei Gesicht – erlaubt es, Kunstwerke nun als Untergruppe der Gesamtheit der Bilder zu fassen. So scheint der Weg für ein neues wissenschaftliches Instrumentarium zur Behandlung von Bildern in Abgrenzung zur Kunst als neuzeitlichem Phänomen und Spezialfall des Bildes vorgezeichnet zu sein,36 zumal Belting im Zuge dessen nur folgerichtig feststellt, dass „Bilder […] erst in die Kompetenz der Kunsthistoriker [fallen], seit sie als Gemälde gesammelt werden und für die Regeln von Kunst einstehen“37. Damit stellt er zugleich die traditionellen Zuständigkeiten der Kunstgeschichte für die vor der Renaissance geschaffenen Bilder infrage, die die Kunstgeschichte bisher als Kunst verstand und ihrem Gegenstandsbereich zuordnete.38 Aber auch problematische Züge sind in der Argumentation nicht zu übersehen. Eingangs umreißt Belting seine Bilddefinition nur knapp: er versteht
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Belting, Bild und Kult, 27. Vgl. zur semiotischen bzw. hermeneutischen Ausdeutbarkeit von Bildern der Neuzeit Kapitel 2.3.5.2 und Kapitel 3.2.3. Belting, Bild und Kult, 545. In diesem Sinne lässt sich Bild und Kult zumindest retrospektiv unter Hinzuziehung seiner deutlich jüngeren Entwürfe für eine anthropologische Bildwissenschaft verstehen (Belting, Bild-Anthropologie). Die Ausführungen in Bild und Kult selbst waren direkt nach Erscheinen hingegen noch für ihren Verzicht auf die Einbeziehung von „insights of social anthropology“ kritisiert worden (Camille, „[Rezension zu] Belting, Bild und Kult“, 517). Belting, Bild und Kult, 13. Aber auch die vornehmlich mit Texten arbeitende Geschichtswissenschaft oder die Theologie, die bei ihrer Beschäftigung mit dem von Theologen gepflegten Umgang mit Bildern, die Bilder selbst ausblende, sei im Grunde nicht zuständig: „So ist für jede akademische Disziplin der Deckmantel der Kompetenz zu kurz und die Bilder gehören allen und keinem allein“ (Belting, Bild und Kult, 13). Die scharfe Trennung zwischen Bild und Kunst ist daher in erwartbarer Weise von Seiten der Kunstgeschichte kritisiert worden. Vgl. Camille, „[Rezension zu] Belting, Bild und Kult“, 515 f.
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unter ‚Bild‘ vornehmlich „das personale Bildnis, die imago, […] [als] Gegenstand der Religionspraxis“. Ohne diese Definition ließe sich sein Argumentationsstrang kaum aufbauen, gleichzeitig droht sie dabei aber den Blick darauf zu verstellen, dass das von Belting bearbeitete Material nur einen Teil der Bilder umfasst, die vor der „Ära der Kunst“ geschaffen wurden. Die Übertragbarkeit seiner Annahmen und Ergebnisse auf ‚das Bild an sich‘ – oder konkret auf nichtpersonale bzw. auf außerhalb christlicher Kontexte geschaffene Bilder – ist damit noch keineswegs begründet.39 Vielmehr muss die vollständige Anwendbarkeit der Folgerungen zunächst als unwahrscheinlich gelten, da man im personalen Bild des christlichen Mittelalters und den damit verbundenen theologischen Zusammenhängen kaum das Kondensat jeder menschlichen Bilderzeugung, Bildverwendung oder Bilderfahrung erwarten dürfte.40 Der in diesem Rahmen entscheidende Anknüpfungspunkt liegt jedoch in der Möglichkeit, die eigene Perspektive präziser zu formulieren, bzw. konkreter in dem Vorschlag, den Bildbegriff und infolge dessen insbesondere den Kunstbegriff zu historisieren. Damit hat Belting sämtlichen Bildwerken, die vor der Reformation entstanden sind, den Status ‚Kunst‘ abgesprochen, was selbstverständlich ein breites Echo aus Zustimmung und Ablehnung hervorgerufen hat, ohne dass dies in der Ägyptologie, für die diese Überlegungen von zentraler Bedeutung sind, allgemein bemerkt worden wäre. John Baines hingegen hat sich diese These zum Anlass genommen, seinen ägyptologischen Standpunkt ausführlicher darzustellen und diesen den von Belting proklamierten Epochengrenzen entgegenzuhalten. Dabei dient die These Beltings jedoch lediglich als Auslöser, da sich Baines zwar deutlich von den Standpunkten Beltings distanziert und absetzt, sich jedoch nicht explizit mit ihnen selbst auseinandersetzt.41
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Vgl. hierzu die Kritik von Camille, der in ähnlicher Weise bemängelt, dass die Reichhaltigkeit von Beltings Ausführungen z. T. deren argumentative Schwächen verdeckt („[Rezension zu] Belting, Bild und Kult“, 515). Es muss als bezeichnend angesehen werden, dass Belting im allerersten Absatz seiner Monographie sein Bild-Verständnis umreißt und im anschließenden Rest des Buches auf diese Begriffsauffassung bzw. die damit getroffene Begriffseingrenzung nicht mehr eingeht bzw. ihren das Material stark eingrenzenden Charakter nicht mehr thematisiert. Auch in seiner Bild-Anthropologie wird die Perspektive auf personale Bilder beschränkt, ohne dies dezidiert zu reflektieren. Siehe zur Kritik dieser Form anthropologischer Bildwissenschaft Wiesing, Artifizielle Präsenz, 18–25. Der Bezug auf den außerägyptologischen Diskurs wird im betreffenden Aufsatz nicht expliziert („On the Status and Purposes of Ancient Egyptian Art“, in: Cambridge Archaeological Journal 4 [1994], 67–94); erst im dreizehn Jahre später erschienen Sammelband, der
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Auch wenn die weiter oben referierte Position von Walther Wolf auf den ersten Blick das Thema Kunst auf ähnliche Weise wie Belting zu einer Epochenfrage zu erklären scheint, zeigen sich bei näherer Betrachtung in diesen Gemeinsamkeiten auch wesentliche Unterschiede. Es wurde geschildert, wie Belting versucht, die Ursprünge der christlich-europäischen Bildpraktiken des Mittelalters in der Antike auszumachen und einen beobachtbaren Wandel im Umgang mit Bildern während der Reformationszeit näher zu beleuchten, aus dem die gesellschaftliche Institution Kunst hervorgegangen sei. So will er wesentliche Entwicklungslinien aufzeigen, die seiner Meinung nach geeignet sind, zu erklären, warum es im Zuge der Reformation dazu kommen konnte, dass Bilder ganz neue Aufgaben und Orte zugewiesen bekamen. Die auf diese Weise begründete Historisierung des Bildbegriffes fußt damit auf dem Konzept einer Entwicklung, die durch verschiedene theologische und soziale Rahmenbedingungen hervorgerufen worden sei. In Wolfs Ausführungen zur Problematik des Künstlerbegriffes zeigt sich wiederum, dass der Entwicklungsgedanke auch für seine Position bedeutsam ist.42 So fragt er zwar, „ob die Anwendung des Begriffes ‚Künstler‘ überhaupt am Platz ist und wir nicht Gefahr laufen, mit diesem Begriff Vorstellungen zu erwecken, die der ägyptischen Schaffensweise ganz und gar nicht angemessen sind,“43 und lehnt die Verwendung des Begriffes für das Alte Reich ab, so dass sich zunächst Analogien zu Beltings differenzierender und an Luther angelehnter Terminologie von den Bildern mit zweierlei Gesicht anzudeuten scheinen. Im Rahmen der von Wolf vertretenen Einordnung Ägyptens in die Kulturge-
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den Beitrag erneut veröffentlicht, setzt Baines seinen früheren Aufsatz in Relation zu den Thesen Beltings, vgl. hierzu die erläuternden Anmerkungen Baines, „Visual, Written, Decorum“, 29 f. Siehe hierzu ausführlich Kapitel 1.2.1.4. Kürzlich hat Ludwig D. Morenz (Anfänge der ägyptischen Kunst, ix) auf Beltings Monographie Bild und Kult (bzw. präziser: auf einen Teil von deren Untertitel) zurückgegriffen, dies aber nur als Aufhänger für einen kulturwissenschaftlichen Essay zur BildAnthropologie genommen. Dabei verkehrt er jedoch die hier als Kern der Belting’schen Monographie verstandene Argumentation geradezu in ihr Gegenteil. Siehe hierzu weiter unten Kapitel 1.2.2 sowie 1.5. Wolf, Die Kunst Ägyptens, 287–293; insbesondere jedoch Wolf, „Das Problem des Künstlers in der ägyptischen Kunst“. Wolf, „Das Problem des Künstlers in der ägyptischen Kunst“, 37.
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schichte wird jedoch offensichtlich, dass seine Argumentation besonders stark von evolutionistischen und teleologischen Entwicklungsvorstellungen geprägt ist.44 So formuliert Wolf die angenommene Gesetzmäßigkeit und Zielgerichtetheit geschichtlicher Entwicklungen explizit: „Was sich hier vollzogen hat, ist genau das Gleiche, was sich während des geschichtlichen Ablaufs einer jeden Kultur abspielt: die allmähliche Steigerung des Bewußtseins und der Individualität.“45 Dabei wird das im neuzeitlichen Europa verortete Ziel jener Entwicklungen zugleich einer normativen Wertung unterzogen. So habe es sich mit den Künstlern des europäischen Mittelalters ähnlich verhalten wie mit den ägyptischen Künstlern/Handwerkern hinsichtlich ihrer ‚Namenlosigkeit‘ und der Gegenstandsbezogenheit ihrer Kunst – jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: „Dennoch ist es heute möglich, sie [die Künstler des Mittelalters] aus ihren Werken zu erschließen und ihr Wesen zu ergründen. Sie waren eben in ihren Werken als selbstbewußte individuelle Schöpfer latent vorhanden, weil das Abendland schon mit seiner Frühstufe auf einer höheren Bewußtseinsebene einsetzte, als Ägypten sie je erreicht hat.“46 Die von Wolf im Neuen Reich beobachteten dynamischen Veränderungen in Form und Motivik des Flachbildes werden von ihm daher auch nur als „Vorwegnahmen“ bezeichnet, die „in der ihnen innewohnenden Richtungstendenz“ erst aus der „Rückschau“ „später erreichter Stufen“ fassbar würden.47 Die Begründung einer solchen Verbindung von einer Hierarchisierung von Entwicklungsstufen und der zwangsläufigen Ausrichtung der Entwicklung wird von Wolf dabei auf die abstrakte Größe des Schicksals als Handlungsträger ausgelagert: „Ein nicht zu übersehendes Symptom für die Subjektivierung der Formen sind die Ansätze in Richtung auf die Perspektive, die seit dem Neuen
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Zur Bedeutung (und Kritik) des Entwicklungsgedankens aus Sicht der Kultur- bzw. Geschichtswissenschaft Daniel, „Kontingenz / Diskontinuität“, hier: 423–429. Wolf, „Das Problem des Künstlers“, 51 f. Wolf, „Das Problem des Künstlers“, 46 (Kursive K.W.). Wolf, „Das Problem des Künstlers“, 53.
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Reich gehäuft auftreten. Damit pochte Ägypten freilich an die Grenzen, die ihm das Schicksal nun einmal gesetzt hatte. Überschritten hat es sie nicht.“48 Damit sollte deutlich geworden sein, dass Wolfs epochenbasiertes Postulat „Ägyptische Kunst nicht ‚Kunst‘“49 nicht in erster Linie formuliert wird, um – sich einer Wertung enthaltend – eine kulturspezifisch ägyptische Bildpraxis von der europäischen Kunst der Neuzeit abzugrenzen. Vielmehr weist Wolf der ägyptischen Kunst einerseits den ihr in seiner Diktion zukommenden Ort auf einer niedrigen Stufe menschlichen Kunstschaffens zu, um ihr gleichzeitig trotzdem „zu[zu]gestehen, daß sie ihre weltgeschichtliche Aufgabe erfüllt“ habe.50 Obwohl die ägyptische Kunst nach Wolf nicht am subjektiven Erlebnis, sondern an der objektiven Gestalt interessiert gewesen sei, meint er trotzdem für bestimmte Zeiten von ägyptischen „Künstlern“ als „revolutionäre[n] Individuen“ sprechen und so den Begriff ‚Künstler‘ für Ägypten (ab dem Mittleren Reich) doch noch erhalten zu können, weil er für die Beschreibung und Erklärung von Phänomenen, die nicht in seine Vorstellungen von der ägyptischen Kunst passen, die Konstruktion der „Vorwegnahmen“ wählt. Über eine vordergründige Begriffszuschreibung hinausgehend setzt er gar für den Höhepunkt der so herausgearbeiteten, an der Subjektivität des Eindrucks orientierten Kunstströmung des Neuen Reiches eine „Profankunst“ mit „Kunstliebhaber[n]“ an, die der späteren Entwicklung im Hellenismus vergleichbar sei.51 Aus Wolfs Argumentation stechen mehrere Punkte hervor. Die von ihm vehement vertretene Funktionsorientierung ägyptischer Kunst kann wohl mittlerweile als Konsens innerhalb der Ägyptologie angesehen werden,52 auch 48 49 50
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Wolf, „Das Problem des Künstlers“, 50 (Kursive K.W.). So die Überschrift zum 29. Kapitel seiner Monographie Die Kunst Ägyptens, 66–68. So explizit das Resümee von Wolf: „Wir haben uns bei unserer Betrachtung grundsätzlich des Urteils darüber enthalten, ob jene Verlegung des Schwerpunktes vom Objekt auf das Subjekt mit allen ihren weittragenden Folgen als ein Sieg oder ein Sündenfall zu werten sei. Sie war auf jeden Fall unausweichliches Schicksal und damit wohl beides. Sicherlich aber war es kein Mangel, wenn die ägyptische Kunst diesen Schritt nicht vollzog. ‚Der Maßstab, an welchem eine Zeit allein gerecht gemessen werden kann, ist die Frage, wie weit in ihr, nach ihrer Eigenart und Möglichkeit, die Fülle der menschlichen Existenz sich entfaltet und zu echter Sinngebung gelangt.‘ [Zitat Romano Guardini, Das Ende der Neuzeit, Basel 1950, S. 34] Danach darf man wohl der ägyptischen Kunst zugestehen, daß sie ihre weltgeschichtliche Aufgabe erfüllt hat.“ (Wolf, „Das Problem des Künstlers“, 56 [Kursive K.W.]). Vgl. auch unten Kapitel 2.1 (dort Fn. 9). Wolf, „Das Problem des Künstlers“, 51. Vgl. beispielsweise Franke, Das Heiligtum des Heqaib auf Elephantine, 105.
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wenn daraus kaum methodische Konsequenzen gezogen werden.53 Hingegen wird vielfach implizit oder explizit Wolfs Überlegungen zum Fehlen jeder Betrachterorientierung und zur Irrelevanz ästhetischer Gesichtspunkte widersprochen.54 Die Vorzeichen, unter denen Ägypten jeweils von ‚Epochen der Kunst‘ abgegrenzt wird, sind bei Wolf und Belting verschiedene. Während Wolfs Entwicklungsgedanke stark teleologisch und normativ angereichert ist und auch eine Nähe zu Verfallstheorien aufweist,55 dient Belting die Möglichkeit, „Kontinuität in der Veränderung“56 nachzuweisen, als Grundlage seiner Betrachtung personaler Bilder im christlichen Kult durch die Jahrhunderte, aus der er die Genese der abendländischen Kunst ableitet. Nach Belting führt also auch eine nachvollziehbare Entwicklungslinie vom mittelalterlichen Bild zu seinem modernen Bearbeiter, der sich jedoch vergegenwärtigen müsse, dass Nähe und Distanz seine Perspektive gleichermaßen bedingen: „Der Reiz unseres Themas liegt darin, daß es als Thema der Religionsgeschichte ebenso gegenwärtig wie abwesend ist: gegenwärtig, weil die
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Siehe hierzu unten besonders Kapitel 1.3. Siehe hierzu etwa unten Kapitel 1.2.1 zur Frage nach der Ästhetik. Hierzu Liedtke, Begriffsbildung in der ägyptologischen Kunstwissenschaft, 49 mit Anm. 178. Es ist interessant und für die wissenschaftsgeschichtliche Einordnung von Wolfs Perspektive durchaus relevant, dass der aus der Biologie entlehnte Entwicklungsbegriff für seine Anwendung auf geschichtliche Zusammenhänge u.a. durch die Geschichte der Kunst des Alterthums von Johann Joachim Winckelmann vorbereitet wurde, in der die „auf überindividuelle Gebilde angewendete Wachstumsmetapher“ neu belebt worden ist (so Wieland, „Entwicklung, Evolution“, 202). Bei Winckelmann heißt es: „Die Geschichte der Kunst soll den Ursprung, das Wachsthum, die Veränderung und den Fall derselben, nebst dem verschiedenen Stile der Völker, Zeiten und Künstler, lehren, und dieses aus den übrig gebliebenen Werken des Alterthums, so viel möglich ist, beweisen.“ (Geschichte der Kunst des Alterthums, Band i, Dresden 1764, x). Vgl. zu Aufstieg und Niedergang bei Winckelmann und dessen Einfluss auf die spätere Kunstgeschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts auch Studien Alex Potts’, in denen er darauf hinweist, dass sich bei Winckelmann auch „eine kategorische Erkenntnis der Widersprüche, die jeder großangelegten und systematischen Rekonstruktion der Vergangenheit innewohnen“, beobachten ließe. Diese würde die später auf ihn zurückgeführten kunsthistorischen Vorstellungen der Gewissheit zugleich infrage stellen, was jedoch weit weniger stark rezipiert worden sei (Potts, „Leben und Tod des griechischen Ideals“, hier: 25 [Zitat]; ders., Flesh and the Ideal). Vgl. außerdem DidiHuberman, Das Nachleben der Bilder, 14–29. So Wieland, „Entwicklung, Evolution“, 201.
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christliche Religion in die Gegenwart reicht, und abwesend, weil sie inzwischen eine andere Position in unserer Kultur einnimmt.“57 Angesichts dessen kann der Ägyptologie die Frage gestellt werden, welche Gegenwärtigkeit sie ihren Untersuchungsgegenständen zu unterstellen in der Lage ist, ohne aus den Augen zu verlieren, dass diese uns als Repräsentanten einer fremden Kultur gegenübertreten.58 1.1.2
Zum Versuch einer Synthese aus Ästhetik und Semiotik „Wohlverstanden: Ich bestreite nicht das Recht, auch ägyptische Werke als Kunstwerke unserer Welt anzusehen […] und sie als solche zu würdigen und nach Belieben zu interpretieren, ohne sich um richtig und falsch zu kümmern – nur dem Ägyptologen ist die Rolle des ‚naiven Kunstfreundes‘ ihnen gegenüber nicht angemessen.“ friedrich junge59
Friedrich Junges Beitrag „Versuch zu einer Ästhetik der ägyptischen Kunst“ setzt bei der etwa von Wolf vehement vertretenen Funktionsorientierung ägyptischer Bildwerke ein, indem er feststellt, dass es aufgrund des instrumentalen Charakters der Bilder „in Ägypten Kunstwerke im landläufigen Sinn als einer gegenüber anderen Artefakten selbständigen Kategorie von Dingen“ nicht gegeben habe.60 Junges Bestreben geht jedoch in methodischer Hinsicht weit über die Ausführungen Wolfs hinaus, indem er einerseits die Kluft zwischen „kunstverneinende[r] Theorie und kunstbejahende[r] Praxis“61 in der Ägyptologie aufzeigt und andererseits versucht, durch ikonographische
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Belting, Bild und Kult, 21. Tonio Hölscher spricht angesichts der einst als klassisches Vorbild verstandenen (griechisch-römischen) Antike von „der Andersartigkeit, der Fremdheit, dem Winderstand[sic], den diese Kulturen gegenüber unseren heutigen Selbstverständlichkeiten entwickeln“ („Bilderwelt, Formsystem, Lebenskultur“, 460). Ägyptologischerseits wird hingegen vielfach ein Standpunkt vertrauter Nähe zum alten Ägypten eingenommen (vgl. Kapitel 1.3). Unten wird – nicht zuletzt im Rückblick auf die ersten beiden Teile dieser Arbeit – noch einmal allgemeiner auf die Frage nach den Möglichkeiten einer Annäherung an eine fremde Kultur zurückzukommen sein (vgl. Kapitel 3.2.5). Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 8. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 1. Siehe diesbezüglich auch zur Kritik von Baines an Junges Position unten Kapitel 1.2.1.4. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 7.
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und semiotische Überlegungen Aussagen über die verschiedenen Relationen von Kunst und Wirklichkeit zu treffen. Junges Ziel ist es, so eine neue Grundlage zu schaffen, die Ergebnisse über nichts geringeres als die Art und Weise künstlerischer Darstellung, den Wirklichkeitsstatus der Kunstwerke und die Bedeutung der Schönheit für die ägyptische Kunst ermöglichen soll. Die Dramatik der Ausgangslage bzw. des Forschungsstandes innerhalb der Ägyptologie unterstreicht Junge nicht nur indem er dem Fach das „Fehlen einer angemessenen Kunsttheorie“62 bescheinigt, sondern zusätzlich dadurch, dass er eingangs das Kennerurteil – als auf Seiten der Praxis dominierende Methode ägyptologischer Kunstforschung – in seiner ganzen Problematik anhand einiger Beispiele darstellt.63 Die von Junge als problematisch erachtete Praxis zeichne sich im Wesentlichen durch drei Symptome aus:64 (1) so werde bewusst oder unbewusst eine „Abbildungsvermutung“ an die ägyptischen Objekte herangetragen, die sich nur über „Hilfskonstruktionen“ mit den oft geäußerten theoretischen Grundlagen vereinbaren lasse, da letztere doch davon ausgingen, dass eine „ ‚wesenhafte Daseinsform‘“ im Bild geschaffen werden solle und eben keine ein Individuum o. Ä. abbildende Darstellung.65 (2) Ferner diagnostiziert Junge ein Bedürfnis „nach zusätzlichem interpretationsfähigen Gehalt“, das sich in der Überbeanspruchung mythologischer Ausdeutungen äußere.66 (3) Außerdem sei zu beob-
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Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 24. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 3–6. Unter Kennerurteil bzw. Kennerschaft werden hier und im weiteren Verlauf dieser Arbeit nicht allgemein Formen von mit Materialkenntnis gesättigter Analyse verstanden. Vielmehr ist damit der kunsthistorische Terminus gemeint: d. h. die sich auf die Autorität der Materialkenntnis berufende Haltung und Praxis, die nicht reflektiert, wie subjektiv die eigene Objektkenntnis ist, die ja bereits auf kontingenten Objektbeurteilungen und Objektkategorisierungen beruht. Vgl. etwa Josephson („Connoisseurship“), in dessen Beitrag das Thema als solches kaum thematisiert wird. Stattdessen werden gemäß „this author’s opinion“ (ebenda, u.a. 66) besonders exquisite Meisterwerke nacheinander vorgestellt. Vgl. als eine der seltenen ägyptologischen Darstellungen zu einigen Hintergründen der Methode einschließlich einer kritischen Aufforderung, nicht das Gefühl des Bearbeiters entscheiden zu lassen, Hartwig, „Style“, 41–45. Siehe zur Problematik des Kennerurteils und der damit verbundenen Stilanalyse unten die Kapitel 1.2.2 und 2.3.2.1 sowie diverse Beispiele in den Untersuchungen von Kapitel 2. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 7. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 6. Vgl. hierzu unten Kapitel 2.3.5. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 7. Vgl. hierzu auch unten Kapitel 2.3.5 und Kapitel 2.4.4.2 zu Fragen der semantischen Ausdeutung von Stilen.
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achten, dass ägyptische Bilder in Museen oft als ästhetische Objekte ausgestellt werden, obwohl deren Schönheit „völlig bedeutungslos“ sei.67 Damit liegen Junges Problematisierungen auf ganz verschiedenen Ebenen: Sie betreffen einerseits den Status und das Wesen der zur Disposition stehenden Objektgruppe ‚Kunst‘ selbst, indem die Frage aufgeworfen wird, ob hinsichtlich des Instrumentalcharakters ägyptischer Bilder überhaupt von Kunst die Rede sein könne. Ferner wird der Ansetzung eines Abbildungscharakters der Bilder eine fragwürdige theoretische Grundlage attestiert bzw. darüber hinausgehend ein solcher bezweifelt, wodurch indirekt die Frage nach dem Porträtcharakter ägyptischer Bilder neu aufgeworfen wird.68 Außerdem diskutiert Junge den ägyptologischen Umgang mit dem Material und problematisiert sowohl die unreflektierte Praxis des Kennerurteils und die oft anzutreffenden, weitreichenden mythologischen Ausdeutungen als auch die zahlreichen Ausstellungskonzepten zugrunde liegende Bedeutung der Schönheit der präsentierten Objekte. Angesichts der von Junge geschilderten Lage der Ägyptologie, in der weder der Status des Untersuchungsgegenstandes selbst noch das methodische Vorgehen geklärt sei und in der eine starke Kluft zwischen Theorie und Praxis bestehe, greife man allzu oft auf „europäische Grundvorstellungen“ zurück und entwickele vom Besonderen auf das Allgemeine schließend eine „ ‚Kunstgeschichte des Regelbruchs‘“ statt sich damit auseinanderzusetzen, dass „die ägyptische Kunst formal, konventionell, hoch abstrakt, also konzeptuell“ sei.69 Die von Junge herausdestillierte Problematik deckt sich damit weitestgehend mit der Ausgangslage des vorliegenden Buches. Deshalb lohnt es sich, seine Argumentation näher zu betrachten. Junges Versuch, Abhilfe zu schaffen, kommt keiner Radikalkur gleich, er zielt vielmehr in erster Linie darauf, für die von ihm als problematisch identifizierten Bereiche theoretische Grundlagen nachzuliefern und argumentative Leerstellen zu füllen. Auf diese Weise integriert er einige der zunächst einer Kritik unterzogenen Punkte (Kunstcharakter, zentrale Bedeutung der Schönheit) in seinen Entwurf zu einer Ästhetik der ägyptischen Kunst. Im Ergebnis versucht Junge, so die Praxis zu erden und ihr vor Augen zu führen, worauf sie sich gründen könnte. Zunächst führt Junge unter Rückgriff auf Erwin Panofsky, Ernst H. Gombrich, Nelson Goodman und Umberto Eco aus, dass nicht nur eine
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Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 7. Vgl. hierzu Kapitel 1.3 sowie Kapitel 3. Vgl. hierzu unten ausführlich Kapitel 2.3.5. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 8 (unter Verweis auf Davis, „Egyptian Images: Percept and Concept“) und 4.
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Darstellung an sich relevant sei, sondern auch wie etwas oder jemand dargestellt werde.70 Dadurch transportiere eine Darstellung auch eine prädikative Aussage über das Dargestellte, die entschlüsselt bzw. gelesen werden könne. Es handele sich daher bei der ägyptischen Kunst um ein der Sprache analoges Zeichensystem. Dessen Repräsentationskonventionen dienten nicht dazu, individuelle Personen oder Gegenstände, sondern die hinter diesen stehenden Gattungsbegriffe selbst abzubilden, wie Junge im Rückgriff auf Schäfers Konzept der ‚(Gerad-)Vorstelligkeit‘ ausführt:71 Ein durch eine Aufschrift einer historisch belegten Frau zugeschriebenes Bild stelle nicht diese Frau selbst, sondern den Gattungsbegriff ‚Frau‘ dar. Die dafür notwendige Einteilung der Welt in erkenntnistheoretische Begriffe sei eine kulturspezifische Form von Weltdeutung, die zu Folge habe, dass die Darstellungen die Wirklichkeit so abbilden, wie sie „‚in Wahrheit‘“ ist.72 Die Begründung, mit der Junge dabei emblematische Bilder als „ ‚Superzeichen‘“ sowie „Darstellungen von göttlichen Wesenheiten“ ausklammert, da sie die Wirklichkeit nicht abbilden würden, ist recht aufschlussreich: Darstellungen wie solche von der ‚Vereinigung der beiden Länder‘ seien durch ihre andere Art der Codierung keine Bilder im engeren Sinn. Götterdarstellungen hätten keine „visuell wahrnehmbaren Entsprechungen in der Wirklichkeit“ und dennoch würden sie in „gleicher Weise wiedergegeben […] wie die Wahrnehmungseinheiten der Wirklichkeit“,73 woraus Junge folgert, dass durch diese Darstellungen Gottheiten und Allgemeinbegriffe als zur gleichen Kategorie von Wirklichkeit zugehörig erklärt worden seien. An dieser Differenzierung in Bilder im engeren und im weiteren Sinn lässt sich erkennen, dass Junges Bildverständnis u.a. auf der Ansetzung von Ähnlichkeitseigenschaften der Bilder beruht und insofern an eine Abbildungsvermutung gebunden bleibt.74 Für die Analyse ägyptischer Objekte dürfte jedoch ein semiotischer Zugang, der 70 71 72
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Damit lehnt sich Junge wie auch im Folgenden stark an die Semiotik von Nelson Goodman an (vgl. Goodman, Sprachen der Kunst, 20f.). Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 12; Schäfer, Von ägyptischer Kunst4, 99. Zu dieser zum Psychologistischen neigenden Forschungsrichtung oben Fn. 9. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 13f. Nach John Baines sollten ägyptische Darstellungen in der Tat in erster Linie nicht die Natur nachahmen oder kopieren und sind konzeptuell zu verstehen. Er gibt jedoch zu bedenken, dass Junge hier nicht beachte, dass sich die meisten Bilder an anderen Bildern orientierten („On the Status and Purposes of Ancient Egyptian Art“, 301 f.). Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 14. Hier stimmt Junge den Ausführungen Wolfs zu, vgl. Kunst Ägyptens, 278–281 (§ 79). Auf die erkenntnistheoretische Diskussion zum Abbild-Begriff muss hier nicht näher eingegangen werden, da Junges Verwendung von „Abbildungsvermutung“ im Zusammen-
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auf den Umweg angesetzter Ähnlichkeitseigenschaften verzichtet, aussichtsreicher sein. Denn ein Bildobjekt75 muss keineswegs Ähnlichkeiten zu einem sichtbaren Teil der Welt aufweisen bzw. in dieser Hinsicht ‚real‘ sein, um auf etwas verweisen zu können, da Verweise (meist) über zu erlernende Konventionen und nicht über Ähnlichkeiten erfolgen.76 Daher dürfte die hier bei Junge anklingende Differenzierung in emblematische und ‚richtige‘ Teile der Wirklichkeit abbildende Bilder wohl kaum zu halten sein.77 Um den „‚Wirklichkeitsstatus‘“ der Bildwerke zu klären, grenzt sich Junge von der ägyptologisch häufig vertretenen Vorstellung ab, der ägyptische Künstler habe Gegenstände geschaffen, um sie auf diese Weise für einen Adressaten z.B. im Jenseits verfügbar zu machen. Die Stiftung solcher alternativer Welten könne wohl niemand dem ägyptischen Künstler im Rahmen der ägyptologisch gängigen theoretischen Auffassungen von Kunst zugestehen. Als alternatives Beschreibungsmodell dient Junge – wie es sich bei der auf Schäfer gestützten Einführung ‚erkenntnistheoretischer (Gattungs)Begriffe‘ bereits andeutete – die platonische Ideenlehre, nach der Gott ein Wesensbildner sei, da er die Ideen als solche erschaffe, während der Handwerker, der nach einer Idee ein materielles Objekt schaffe, nur ein Werkbildner sei. Der Künstler schließlich orientiere sich an solchen Werkstücken von Handwerkern, die den Ideen nachempfunden seien, und sei daher lediglich ein Nachbildner. Diese Begrifflichkeiten werden von Junge nun auf Ägypten übertragen, um anhand der Verhältnisse der drei Instanzen zueinander die ägyptische Situation von der griechischen abzugrenzen. Nach Junge sind in Ägypten Künstler wie Handwerker Werkbildner, da sie im Gegensatz zur von Platon beschriebenen griechischen Sicht den Gattungsbegriff, also die Idee selbst als Vorlage genommen und nicht auf einen von einem Handwerker gefertigten Gegenstand zurückgegriffen hätten.78 Damit bilden nach Junge
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hang mit „ ‚kuschitischen Gesichtszüge[n]‘“ und „Individualportrait“ offensichtlich auf visuell wahrnehmbare Ähnlichkeit rekurriert („Versuch zu einer Ästhetik“, 6). Der auf Edmund Husserl zurückgehende Begriff ‚Bildobjekt‘ bezeichnet den im Bild sichtbar werdenden Gegenstand, also das, was jemand, der ein Bild betrachtet, jenseits der Materialität des Bildträgers (Felswand, Leinwand o.Ä.) beschreibt (vgl. Wiesing, Artifizielle Präsenz, 30–33). Wiesing nutzt diesen ursprünglich „antisemiotische[n] Gegenbegriff“, um den Zeichencharakter von Bildern präziser beschreiben zu können (ebenda, 30 und 37–54). Zudem kann Ähnlichkeit als eine betrachterabhängige Kategorie angesehen werden. Vgl. hierzu unten Kapitel 2.3.2.1. Siehe Goodman, Sprachen der Kunst, 15–17 und Wiesing, Artifizielle Präsenz, 26–29. An dieser Stelle stellt sich bereits die Frage, ob Junges Überlegungen zur Analogie
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„Kunstwerke […] eine metaphorische Zwischenwelt zwischen der Welt der Menschen und jener der Götter, indem sie die Dinge der Götterwelt, Begriffe und Handlungsmächte, in der Menschenwelt zur Anschauung bringen.“79 Diese Form der Dreiecksbeziehung wird von Junge geradezu als Generator von Vollkommenheit und Unvergänglichkeit beschreiben, was er anhand der Beipielkonstellation „Gattungsbegriff ‚Frau‘ – Statue des Individuums Nofret – Person Nofret“ veranschaulicht: Die Statue bringe die wahre Existenz der Person Nofret von den „Unvollkommenheiten der Einzelexistenz“ „geläutert“ zur Anschauung, denn im Bild der Gattung werde Nofret mit ihrer Gattung gleich, so dass sie als Person die Eigenschaften des Begriffs – dessen Vollkommenheit und dessen Unvergänglichkeit – erhalte und ihre Statue darüber hinaus auch ihren Tod nicht sterbe.80 Auf die so umrissene Weise funktionieren ägyptische Bilder nach Junge auch ohne Mundöffnungsritual oder Magie: „Es ist Leistung des Werkes als Kunstwerk, ist Leistung der Metaphorik und Metaphysik der ägyptischen Kunst.“81 Verstärkt werde dies durch „ ‚Sinnaufladung durch Isolation‘“: Das Dargestellte werde als Bild aus seinem Existenzzusammenhang gelöst und etwa im Tempel oder auch durch Sockel und Rahmen in einen neuen Denkzusammenhang gestellt. Diese Bilder seien dadurch eine Welt für sich, die jedoch nicht selbst geschaffen, sondern einer „‚Denkwelt‘ ‚nachgebildet‘“ und doch zugleich real sei.82 Im letzten Abschnitt konkretisiert Junge seine Vorstellung von einer ägyptischen Ästhetik und nimmt dabei Theodor W. Adornos Begriff des Gelingens zum Ausgangspunkt: „Der Begriff des Kunstwerks impliziert den des Gelingens. Mißlungene Kunstwerke sind keine, […] das Mittlere ist schon das Schlechte.“83 Nach Junge ist in Ägypten Regelhaftigkeit Voraussetzung für das
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der Herstellungsprozesse von Künstlern und Handwerkern nicht in der Lage sind, eine Trennung in diese zwei Berufsgruppen zu demontieren. Immerhin ergeben sich daraus Anhaltspunkte, nach denen sich weder Produktionsprozesse noch dahinter stehende konzeptionelle Kontexte unterschieden haben, so dass die Aufrechterhaltung von ‚Kunst‘ als einer „selbständigen Kategorie von Dingen“ (Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 1) für Ägypten deutlich an Problematik gewinnt. Vgl. auch die Kritik von Baines an der hier von Junge vertretenen Perspektive: oben Fn. 72. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 18. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 18 f. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 19. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 19. Adorno, Ästhetische Theorie, 280. Junges Rückgriff auf dieses Diktum Adornos hat
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Gelingen eines Kunstwerks. Dabei dient ihm die „provinzielle Kunst der 1. Zwischenzeit“ als Gegenbeispiel, weil dort u.a. die kanonische Proportionalität nicht gegeben sei.84 An dieser Stelle sei bereits bemerkt, dass es eben jener Punkt in Junges Argumentation ist, der sein Konzept einer im Bereich der Ästhetik begründeten ägyptischen Kunst problematisch werden lässt. So legt gerade das von ihm angesprochene Material aus der sogenannten 1. Zwischenzeit85 nahe, dass es eben nicht primärer Sinn und Zweck der ägyptischen Bild-
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durch Piotr O. Scholz herbe Kritik erfahren: Gegen Versuche, eine ägyptische Ästhetik zu begründen, sei ihm zufolge nichts einzuwenden, es sei jedoch unverständlich, warum hierfür gerade der von Hegel beeinflusste Adorno herangezogen werde, zumal sehr verwunderlich sei, was Adorno unter ‚ägyptisch‘ verstanden habe. Um dies zu belegen, führt Scholz ein Zitat an, in dem Adorno jedoch weniger sein Verständnis ägyptischer Kunst ausdrückt, sondern ihm vielmehr Ägypten bzw. das Ägyptische als Metapher dient, die sich auf ein rezeptionsgeschichtlich gängiges Ägyptenbild bezieht, das auf Vorstellungen von „veranstalteter Unsterblichkeit“, „Hybris“ und „Utopie“ gegründet ist. Auf die konkrete Argumentation Junges nimmt Scholz kaum Bezug. Lediglich mit dessen älterem Beitrag „Vom Sinn ägyptischer Kunst“ findet eine knappe Auseinandersetzung statt (P. O. Scholz, „Ägyptologie und Kunstgeschichte“, 221–225). Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 20. Eine umfassende Beschäftigung mit der Bildkultur der sogenannten 1. Zwischenzeit steht noch aus. Die Überblickswerke übergehen diesen Zeitraum entweder ganz (Wolf, Kunst Ägyptens) oder tangieren ihn lediglich, um zum ‚pre-unification Theban style‘ der 11. Dynastie überzuleiten (Robins, Art of Ancient Egypt2, 80–89; Wildung, Die Kunst des alten Ägypten, 93–96). Ausführlicher hat sich in jüngerer Zeit Francesco Tiradritti mit der Malerei der Zeit befasst (Ägyptische Wandmalerei, 123–159 sowie „Painting“, 254– 256). Meist dienen die Objekte dieses Zeitraums wie auch bei Junge als Verweis auf „provinzielle Kunst“. An anderen Stellen werden sie aus methodischen Gründen bewusst in Bezug auf den ägyptischen Kanon nicht thematisiert, weil sie Varianten bzw. Abweichungen zum Kanon selbst darstellen (so die Begründung bei Davis, Canonical Tradition, 9). Oder aber sie gelten gerade nicht als unkanonisch, da sie zwar in der Ausführung mangelhaft seien, aber trotzdem auf Kanon und Decorum zurückgreifen würden, wie etwa Verbovsek in ihrer unpublizierten Habilitationsschrift überzeugend feststellt (Zwischen „Theorie und Praxis“). Damit verweist sie gleichzeitig auf die Problematik der ägyptologisch gepflegten dichotomischen Begriffsverwendung (kanonisch vs. unkanonisch). Da jedoch vielmehr – wie gerade die hier angesprochene Objektgruppe zeigt – das Ansetzen gradueller Zwischenstufen den Objekten eher gerecht wird, sollte zumindest von kanonisch (d. h. den Kanon weitestgehend umsetzend), am Kanon orientiert und unkanonisch (d. h. den Kanon nicht umsetzend) gesprochen werden. Vgl. zum Decorum Kapitel 1.2.1.3 und Kapitel 1.2.1.4 mit Fn. 171 sowie Kapitel 2.4.4.1 mit Fn. 741 und 744. Vgl. hier unten Kapitel 2.1 und 2.2 zu einer Diskussion und Problematisierung des Epochenbegriffs „1. Zwischenzeit“ sowie einführend die Einleitung in Kapitel 2.3 sowie Kapitel 2.3.1, 2.3.2 und 2.3.3 für eine in diesem Zusammenhang stehende Auseinandersetzung
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werke gewesen sein kann, ihre Funktionstüchtigkeit durch die exakte Umsetzung des Proportionskanons und der damit möglicherweise verbundenen ästhetischen Maßstäbe zu erreichen. Die – letztlich in allen Zeiten belegte – lose am Kanon orientierte Produktion von Bildern spricht dafür, dass auch diese Objekte Teil einer funktionierenden Bildkultur gewesen sind. Der Umstand, dass im Bereich der Elitekultur mit höherem handwerklichen Aufwand auf besonders elaborierte Weise Bilder derselben Gattungen (Stelen, Statuen etc.) produziert wurden wie im Bereich der ‚Provinzkultur‘, ändert nichts daran, dass in all diesen Fällen nicht nur analoge, sondern weitgehend identische Bedeutungs- und Verwendungskontexte angenommen werden müssen.86 Daher kommt die aus heutiger Sicht evtl. feststellbare Schönheit einzelner Objekte zwar als Kriterium für eine sekundäre Ästhetisierung durch moderne Betrachter, nicht aber als notwendige Bedingung für ihre Leistung oder ihr Gelingen innerhalb des ägyptischen Primärkontextes infrage. Damit stellt sich bereits hier eine Frage, auf die später zurückzukommen sein wird: Spricht Junge in seinem Beitrag tatsächlich von ägyptischen Bildern oder vielmehr von der modernen ägyptologischen Praxis, in ägyptischen Bildern Kunst zu erkennen, wenn er die Begriffe Kunst und Ästhetik für Ägypten neu konturiert? Junge verweist auf die Problematik des Begriffes Schönheit, verwendet ihn an dieser Stelle jedoch ganz bewusst, um damit das Ergebnis von Produktionsprozessen zu beschreiben, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in den Bereichen Oberflächenbearbeitung und Proportionalität darauf abzielen, ein hohes Maß an Perfektion zu erreichen. Eine „Herstellung ‚nach der Regel‘“ allein garantiere schließlich noch kein „‚Gelingen‘ “.87 Junge verwendet den Begriff Schönheit in diesem Zusammenhang synonym für Vollkommenheit und rekurriert erneut auf die platonische Ideenlehre, indem er bemerkt, dass die in ägyptischen Objekten wiedergegebenen Begriffe von etwas immer Vollkommenheit beinhalten würden, schließlich bedeute der Begriff von etwas
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mit einzelnen Materialgruppen und deren bisheriger Behandlung innerhalb der Ägyptologie. Diese Annahme ist in der Ägyptologie nie wirklich bezweifelt worden, auch nicht innerhalb der Strömungen, die sich nicht scheuen, die betreffenden Objekte einer normativen Wertung zu unterziehen. So etwa Matthias Seidel und Dietrich Wildung zum Sitzbild des Ḥnnw-jqr und seiner Frau Jn.t-jt=s im Rijksmuseum Leiden (am.101): „Die bizarre Figurengruppe – vermutlich der einzige plastische Schmuck eines Ziegelgrabes – genügte trotz aller Formenverwilderung den kultischen Erfordernissen vollauf.“ („Rundplastik der Frühzeit und des Alten Reiches“, 229). Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 21.
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immer eine Vollkommenheit, die kein einzelner Gegenstand erreichen könne. Daher könne „der Begriff nur dann wirklich Bild geworden sein, wenn das Bild ‚schön‘ ist.“88 Daraus folgert er: „Und die Schönheit ägyptischer Kunstwerke, ihre ästhetische Wohlgefälligkeit, ist nicht ein angenehmes Nebenprodukt ihrer Herstellung, sondern die Essenz ihres Gelungen-Seins. Sie spiegelt in ihren materiellen Elementen, nämlich ‚Richtigkeit‘ und Ordnung, Symmetrie und Proportion, Linearität, Klarheit und Abgegrenztheit, eine traditionsreiche Begrifflichkeit.“89 Erst nach dieser Herleitung führt Junge explizit den Begriff der „ägyptischen Ästhetik“ ein und meint, man könne nun sagen, dass „die [ägyptischen] Kunstwerke erst durch ihre ‚Schönheit‘ erkennen lassen, daß ihr Dargestelltes wahrhaft jener Welt des idealen Seins angehört“. Dies sieht Junge durch Anführung verschiedener ägyptischer Wendungen mit dem Wort nfr so stark untermauert, dass er gar von nfr.w als dem „Schöngute[n]“, der „Kalokagathia der Ägypter“, meint sprechen zu können.90 Im schönen Kunstwerk werde die wahre Wirklichkeit sinnlich erfahrbar. Daher werde in der Kunst sichtbar, was sonst nur in der diskursiven Philosophie zugänglich sei: Junge versteht Kunst daher als Form der „Philosophie“.91 Es mag zunächst unproblematisch erscheinen, den unverdächtig und steril anmutenden Begriff ‚Philosophie‘ für Ägypten einzuführen,92 doch bei näherer Betrachtung wird rasch klar, dass man sich damit 88 89 90
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Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 22. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 22. Diese Terminologie sieht er etwa in der bei Thomas von Aquin belegten Trias perfectio, proportio, claritas gegeben (ebenda, 22f.). Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 23: „In der ‚Schönheit‘ – nfr.w – ‚offenbart‘ sich Gott, wird das Göttliche sinnlich erfahrbar – man ‚sieht‘ Gott in ‚seiner Schönheit‘ (mꜣꜣ nfr.w=f ), wie es in unzähligen Stellen heißt. Und umgekehrt: So wie das gottgemäße und maatgerechte Verhalten nfr ‚gut‘ ist, ist die gottgemäße und maatgerechte Erscheinung nfr ‚schön‘: nfr.w ist das ‚Schöngute‘, die ‚Kalokagathia‘ der Ägypter.“; ebenda, Anm. 55: „Oder anders: nfr.w beschreibt die ‚Erfüllung‘ eines Begriffsinhalts, z.B. nfr.w grḥ ‚Erfüllung des „Nacht“-Begriffs‘ > ‚tiefe Nacht‘.“ Vgl. zur Kalokagathia einführend Meier, „Kalokagathia“. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 24. Besonders für die Amarnazeit wird der Begriff ‚Philosophie‘ in der ägyptologischen Forschung teilweise ganz vehement in Anspruch genommen. Vgl. James P. Allens Überlegungen („The Natural Philosophy of Akhenaten“), die Studien von Jan Assmann weiterführen. Diese Form der Begriffsverwendung ist auch als Versuch zu verstehen, das Alte Ägypten in die abendländische Geistesgeschichte einzugliedern und dort zu etablieren, indem in ägyptischen Kontexten Vorahnungen, Vorgänger, Vorwegnahmen oder
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einen voraussetzungsreichen Begriff einhandelt, der auch Inhalte transportiert, die sich für Ägypten schwer, wenn überhaupt plausibel machen lassen. So lassen sich abendländische Vorstellungen von Philosophie schwer wenn überhaupt mit ägyptischem Textmaterial in Deckung bringen. So fragt doch die Philosophie als Meta- oder Fundamentalwissenschaft nach „den Gründen, Bedingungen und Voraussetzungen des Empirischen überhaupt, die selbst nicht empirisch sind; sie erklärt Empirisches durch Nicht-Empirisches“.93 Mit Junge lassen sich nun die drei Ebenen, auf denen er „Umrisse einer Ästhetik der ägyptischen Kunst“ entwickelt hat, wie folgt resümieren: „Erstens auf der Ebene des Dargestellten: Die Art und Weise künstlerischer Darstellung gehört zur Kategorie von ‚Sprache‘: Sie setzt bestimmbare Zeichen und deren Verknüpfung ein und repräsentiert bestimmte Gegenstände als etwas, macht also über Darstellungssubjekte prädikative Aussagen. Die Zeichen ‚bezeichnen‘ etwas in der Wirklichkeit, und die Kunstwerke geben über ihre Zeichen Individuen in Gestalt ihrer Gattungsbegriffe wieder.
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Ursprünge von für die abendländische Geistesgeschichte wesentlichen Phänomenen erkannt werden. Vgl. hierzu auch unten Kapitel 1.3. Im Fall der Amarnazeit steht die Diskussion um die ‚Philosophie Echnatons‘ neben Ansätzen, die in Echnaton einen JesusVorläufer entdeckten (etwa Anfang des 20. Jahrhunderts Weigall, Echnaton), oder solchen, die eine Erinnerungsspur über die Moses-Figur nachzeichnen (Assmann, Moses der Ägypter). Vgl. zu den verschiedenen relevanten Formen kontinuitätsbezogener Echnaton-Rezeption im 20. Jahrhundert die Metabiographie Montserrat, Akhenaten. Zur Verwendung des Philosophiebegriffes bemerkt Piotr O. Scholz, dass sie dann „theoretische Berechtigung“ habe, wenn einer gängigen ägyptologischen Tendenz folgend nicht zwischen „theologischem und philosophischem Denken“ unterschieden werde („Ägyptologie und Kunstgeschichte“, 223 mit Anm. 12). Dabei reflektiert er jedoch nicht, dass auch die Übertragung des Begriffs Theologie auf Ägypten eine ganz eigene begriffsgeschichtliche Problematik mit sich bringt. Interessanterweise stellt er gleichzeitig mit Bezug auf Jan Assmanns Studien zu Mythos und Politik fest: „[D]ie Argumentation versucht sich der gegenwärtigen mehr modischen als wissenschaftlich begründeten Tendenzen der ‚allumfassenden Politologie‘ anzupassen und das Ägyptische zu einem Modell, das die Alten Ägypter nicht kannten[,] umzuwandeln“ (ebenda, Kursive i.O.). Eine vergleichbare Praxis liegt jedoch eben in der Übertragung des in christlicher Tradition stehenden Theologiebegriffs auf Ägypten vor. Vgl. zur Bedeutung von Begriffsgeschichte und historischer Semantik unten Kapitel 3.1. Anzenbacher, Einführung in die Philosophie8, 32. Auch an anderer Stelle befasst sich Junge mit ‚Philosophie in Ägypten‘ (Die Lehre Ptahhoteps, vgl. darin jedoch auch ein derartige Vergleiche reflektierendes Kapitel: 167 f.).
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Zweitens auf den Wirklichkeitsstatus der Kunstwerke. Kunstwerke ‚verewigen‘ das Dargestellte nicht kraft Magie, sondern kraft ihrer Abbildung der ‚wahren‘ Wirklichkeit des Dargestellten; ihre Bedeutung für die Welt gewinnen sie aus ihrem Charakter als Kunstwerke. Drittens: Ihre ‚Schönheit‘ ist wesentlich für ihre Leistung und ihr ‚Sein‘ als Kunstwerke: Erst durch ihre Schönheit symbolisieren sie die Welt Gottes und der göttlichen Ordnung, machen sie diese sinnlich wahrnehmbar. Ägyptische Kunstwerke sind als Kunstwerke ‚Metaphern der absoluten Wirklichkeit‘. Abbildung und Metaphorik – wenn man weitergehen wollte: Anschauung und Belehrung – sind ihre Zweckbestimmung.“94 Auf dieser Grundlage könne man den Kunstcharakter ägyptischer Bilder als gegeben annehmen.95 Die anfangs noch als Argument gegen die Verwendung des Kunstbegriffs angeführte „kultische Zweckbestimmung“ ägyptischer Bilder wird folglich von Junge auf eine andere Beschreibungsebene („Anschauung und Belehrung“) gehoben und soll so mit einer Kunstwahrnehmung europäischer Tradition harmonisiert werden. Wie sehr Junge damit die ägyptische Kunst an die europäische Kunst anbindet, lässt sich dadurch verdeutlichen, dass Belting als spezialisierte „Sonderaufgaben“ der neu entstandenen Kunst in der beginnenden Neuzeit „ästhetische[…] Erfahrung“ und „Bildung“ anführt.96 Die beiden Begriffspaare benennen zwar keineswegs genau dasselbe, doch zeigen sie anschaulich, dass Junge seine Vorstellungen von ägyptischer Kunst auf dem Boden europäischer Kunstvorstellungen entwickelt, bildet doch nach Junge die „Schönheit ägyptischer Kunstwerke, ihre ästhetische Wohlgefälligkeit […] die Essenz ihres Gelungen-Seins“ (s. o.). Es sind kultur- und kunsthistorische Linien und Analogien, mit deren Hilfe Junge darum bemüht ist, das Problematische an der ägyptologischen Praxis aufzulösen. Durch eine nachträgliche Herleitung theoretischer Grundlagen soll die zuvor nur auf Intuition gegründete Praxis ihre Fragwürdigkeit verlieren und so stabilisiert werden. Dieser Ansatz ist in mancherlei Hinsicht genau entgegengesetzt zu dem im vorangegangenen Kapitel behandelten: Während Belting von der ‚Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst‘97 spricht, findet sich bei Junge das Zeitalter der Kunst nach Ägypten verlängert. Er bittet
94 95 96 97
Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 24 f. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 28. Belting, Bild und Kult, 511. Im Sinne des im gleichen Jahr erschienenen Ansatzes von Belting (Bild und Kult), siehe oben Kapitel 1.1.1.
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den Leser sogar explizit darum, seine Zitate aus dem Werk Hegels „als Hinweis darauf zu betrachten, wie sehr eine Ästhetik der ägyptischen Kunst in der Tradition der europäischen Ästhetik zu stehen vermöchte“98 und spricht sich mit seiner an die ästhetische Theorie Adornos angelehnten Konzeption ägyptischer Ästhetik damit gegen eine Historisierung des Kunstbegriffs aus, wie sie von Belting (und in gewisser Weise auch von Wolf) gefordert wird. Dieser Aspekt seiner Position wird von Junge in einem als Anhang zu seinem Aufsatz „Versuch zu einer Ästhetik“ veröffentlichten Vortrag – „den Kunstcharakter der Werke nunmehr voraussetzend“99 – weiter expliziert. Der Vortrag wurde aus Anlass der Ausstellung Ägyptische und moderne Skulptur – Aufbruch und Dauer100 1986 in München gehalten. Junge sah sich damals mit der direkten Gegenüberstellung von ägyptischer Skulptur und moderner Kunst konfrontiert und perspektivierte angesichts dessen sein Verständnis von ägyptischer Kunst und Ästhetik. Ihm zufolge erhalten ägyptische Statuen „durch ihre ästhetische Wohlgeformtheit den ontologischen Status, […] den die platonische Kunsttheorie explizit fordert: Nachbildung von Schönheit und Wohlgeformtheit des geordneten Kosmos im Menschenwerk.“101 Daher lässt ihn der Blick auf die Moderne zu dem Ergebnis kommen, dass der Klassizismus bedingt durch sein Interesse am abstrakten Menschen (und nicht am Individuum) und außerdem durch das Primat „klassische[r] Formschönheit“ („Ruhe, Ebenmaß, Gleichgewicht, Harmonie“) dem Ägyptischen sehr nahe stehe.102 Daher gleiche die ägyptische Kunst der modernen keineswegs, „ja sie negiert die Ziele der Moderne, indem sie die Ästhetik der Kunst vertritt, gegen die sich die Moderne gewendet hat: den Akademismus des 19. Jahrhunderts.“103 Bei seiner Ansprache der ägyptischen Objekte im Lichte der Ästhetik des Klassizismus reflektiert Junge durchaus, dass heutige Betrachter mit ihren durch die Moderne geprägten Sehgewohnheiten in ägyptischen Bildern Botschaften und Bedeutungen erkennen können, „an die kein ägyptischer Künstler jemals
98 99 100 101 102
103
Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 18, dort Anm. 48. Dies habe der Hauptteil des Aufsatzes geleistet, so Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 26. Vgl. den Katalog Herzer, Schoske, Wedewer & Wildung (Hrsg.), Ägyptische und moderne Skulptur. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 32 f. „Ich denke, die Richtung, die in unserem kulturellen Rahme eben die Ästhetik realisieren wollte, die auch jene der Ägypter war, ist der Klassizismus“ (Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 33). Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 34.
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gedacht haben mag“.104 Für Junge stellt dies jedoch keineswegs den Kunstcharakter ägyptischer Bilder infrage, vielmehr stützt er sich auf Umberto Ecos Überlegungen zur Offenheit ästhetischer Botschaften und meint, gerade weil „[die ägyptischen] ‚Schöpfungen‘ Objektivationen eines ‚Kunstwollens‘ gewesen sind, sind sie auch zu Objekten geworden, die aus anderer Perspektive gesehen werden können; als Kunstwerk ist die ägyptische Skulptur genauso wie andere Kunstwerke eine Art von ‚Botschaft‘, deren Mehrdeutigkeit kein zufälliges Merkmal ist, sondern das, was sie zu einer ‚künstlerischen Botschaft‘ macht[.]“105 Die Fragen nach dem Wesen bzw. nach den Möglichkeiten einer solchen Betrachtung eines ägyptischen Kunstwerks „im Licht eines Kodes […], der von seinem Schöpfer nicht vorgesehen war“106, wird im weiteren Verlauf noch eine zentrale Rolle spielen.107 Es hat sich sehr deutlich gezeigt, dass Junge versucht, durch seine offensive Auseinandersetzung mit der Problematik aus fehlender Methodik und Diskrepanzen zwischen kunstverneinender Theorie und kunstbejahender Praxis nicht nur die theoretische Grundlage für eine ägyptische Ästhetik zu legen. Seine Theoriebildung soll außerdem Ausgangspunkt für Beschäftigungen mit dem ägyptischen Material als Kunst legen. Durch den Brückenschlag von der – seit Schäfers Arbeiten zur Vorstelligkeit unumstrittenen – Charakterisierung ägyptischer Bilder als Denkbilder zur Ästhetik Adornos sieht sich Junge in die Lage versetzt, den Ägyptern selbst eine Ästhetik zuschreiben zu können. Der Ansatz gründet sich dabei darauf, dass die von uns heutigen Betrachtern als schön empfundenen Objekte bereits vor Jahrtausenden zur Zeit ihrer Herstellung im Lichte vergleichbarer Vorstellungen von Vollkommenheit gestanden hätten und aus einer Perspektive betrachtet worden seien, wie sie sich Junge zu eigen macht.108 Meint man allein im Konzept der Vorstelligkeit ausreichend Argumente für die Anwendbarkeit des Begriffes vom ‚Gelingen‘ (Adorno) auf Ägypten gefunden zu haben, wird man zu einem solchen oder einem ähnli104 105
106 107 108
Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 38. Junge („Versuch zu einer Ästhetik“, 37) verweist auf Eco, Apokalyptiker und Integrierte, 79 und ders., Einführung in die Semiotik, 145–167. Vgl. hierzu auch weiter unten Kapitel 2.3.5.3. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 37 f. Vgl. hierzu unten Kapitel 1.3, 2.3.5.2, 2.3.5.3 und 3.2.3. Vgl. hierzu auch Kapitel 1.2.2 zur Argumentation von Verbovsek.
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chen Ergebnis kommen. Es sollte jedoch an dieser Stelle beachtet werden, dass es keine Anhaltspunkte gibt, die dagegensprechen, dass handwerklich weniger aufwendig hergestellte – und damit nach Junges Ausführungen ‚nicht gelungene‘ – Objekte im kulturellen Kontext ihrer Entstehung genauso in kommunikative Zusammenhänge eingebunden waren wie ‚gelungene‘. Sie werden beispielsweise im Kultbetrieb von Tempelanlagen oder innerhalb von Grabanlagen ebenso gewirkt haben wie andere Vertreter ihrer Objektgattung. Wenn man nun davon ausgeht, dass ‚gelungene‘ und ‚nicht gelungene‘ Bilder in Ägypten in dieselben Kontexte eingebettet waren und dass ihnen dieselben Funktion zugeschrieben wurden, dann drängt sich der Eindruck auf, dass es sich bei der hier für Junge im Mittelpunkt stehenden Benennung herausragender handwerklicher und proportionaler Vollkommenheit um kaum etwas anderes handelt als um eine Form sekundärer Ästhetisierung.109 Sie lässt sich als eine spezifische moderne Herangehensweise an ägyptische Objekte fassen, die zu ihrer Entstehungszeit aller Wahrscheinlichkeit nach zwar zu den vollkommensten (nfr) ihrer Art gezählt haben werden, die aber sicherlich nicht als einzig gelungene Vertreter ihrer Gattung gegolten haben. Junges Position zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie eine Vielzahl von Problemlagen benennt und präzise herausarbeitet. Angesichts seines Vorschlags einer Ästhetik der ägyptischen Kunst gehen jedoch Problemdurchdringung und Problemkonservierung Hand in Hand, wenn Junge versucht, die Probleme dadurch zu bewältigen, dass er Anschlussstellen an europäische Traditionen und Denklinien von Ästhetik und Kunst herausarbeitet, die mit der etablierten ägyptologischen Praxis kompatibel sind. So wird letztere zwar um theoretische Überlegungen angereichert und bestätigt, die Probleme werden jedoch nicht nachhaltig überwunden. Diese Probleme treten besonders deutlich hervor, wenn man Junges Angebot mit der These Beltings konfrontiert: Geht man von der Geschichtlichkeit der Kunst aus, brechen die von Junge aufgebauten Linien und Analogien als tragfähige Grundlage weg, wenn man ägyptische Bilder in ihren ursprünglichen Kontexten untersuchen will. Vor diesem Hintergrund bleibt die von ihm formulierte Ästhetik das, als was Junge sie in seinem Aufsatzanhang beschrieben hat: die Herleitung einer Möglichkeit, ägyptische Bilder heutzutage museal als Kunst zu rezipieren.110 Nichtsdesto109
110
Alles andere würde aus dieser Perspektive einen ägyptischen Diskurs um Schönheit und Ästhetik und damit auch ein Kunstsystem voraussetzen, das eine Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst etabliert hätte, wie es sich aber erst in der Neuzeit greifen lässt. Vgl. Belting, Bild und Kult (siehe Kapitel 1.1.1) sowie Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, 256–271 et passim. Junge verweist angesichts der Gegenüberstellung ägyptischer und moderner Skulptur
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trotz hat Junges kritische Beschreibung des problematischen Status quo, die sein Ausgangspunkt war, auch 25 Jahre nach ihrer Veröffentlichung nichts an Aktualität eingebüßt – bezeichnenderweise. Im Folgenden wird es um Ansätze gehen, die sich in der Zwischenzeit darum bemüht haben, der Ägyptologie die infrage stehende Kategorie ‚ägyptische Kunst‘ als Gegenstand zu erhalten.
1.2
Zu Versuchen einer ‚Rettung der Kunst‘ für die Ägyptologie
Im vorigen Kapitel wurden Standpunkte thematisiert, die Probleme benannt haben, von ägyptischer Kunst sprechen zu können. Dabei zeichnete sich u. a. die Notwendigkeit eines historisierenden Zugangs ab. Mit Junges „Versuch zu einer Ästhetik“ wurde außerdem eine Untersuchung diskutiert, die neben einer umfassenden Problematisierung auch eine Begründung dafür formuliert, weiterhin von ägyptischer Kunst zu sprechen. Im Folgenden wird es nun um einige Studien gehen, die auf die von Junge benannten Probleme ebenfalls mit einem Festhalten am Begriff der ägyptischen Kunst reagieren und dies auf verschiedene Weisen zu untermauern versuchen. Umfassendere Untersuchungen, die sich in dieser Art und Weise offensiv mit der Problematik der theoretischen Fundierung einer ägyptologischen Kunstwissenschaft auseinandersetzen, liegen etwa von John Baines und Alexandra Verbovsek vor.111 Diese Arbeiten gehen in unterschiedlicher Form auf die oben vorgestellten proble-
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auf die „Prinzipien des Malrauxschen ‚Imaginären Museums‘, nämlich in der ‚Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‘, mit ‚modernen‘ Augen auf der Folie unserer kunstgeschichtlichen Vergangenheit diese wie jene in gleicher Weise als Kunstwerke zu sehen.“ (Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 27). Auch wenn Junge dort die Problematik des imaginären Museums reflektiert, kann er abschließend nach seiner Begründung einer Analogisierung der ägyptischen mit der platonischen bzw. klassizistischen Ästhetik „ruhigen Gewissens in das ‚Imaginäre Museum‘ zurückkehren“ (ebenda, 37). Damit liegt Junges Ästhetik der ägyptischen Kunst im Bereich dessen, was unten als ägyptologische Kunst noch ausführlich beschrieben wird. Vgl. Teil iii. So beispielsweise: Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“; Baines, Visual and Written Culture (darin „Visual, Written, Decorum“; sowie darin erneut veröffentlicht „On the status and Purposes of Ancient Egyptian Art“); ders., „What Is Art?“. Verbovsek, „ ‚Imago aegyptia‘“; dies., Zwischen „Theorie und Praxis“ (unpubliziert); dies., „Pygmalion in Ägypten?“. Vgl. außerdem ausführlich Kapitel 1.2.2 zu Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“. Diese beiden Vertreter stehen hier pars pro toto für eine breite Strömung innerhalb der Ägyptologie. Vgl. auch Kapitel 1.5 zu Verbovsek „Einleitung. ‚Ein weites Feld‘ “.
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matisierenden Ansätze ein und erheben dabei den Anspruch, theoriebildend vorzugehen, und eignen sich daher besonders für eine nähere Untersuchung. Beide referieren und reflektieren die Einwände gegen die Verwendung eines Kunstbegriffs innerhalb der Ägyptologie, sprechen sich letztendlich jedoch für die Behandlung ägyptischer Bilder als Kunstwerke aus. 1.2.1
Kunst und High Culture als Koordinaten des Kulturvergleichs bei John Baines John Baines hat in einer ganzen Reihe von Beiträgen einen Ansatz aufgefächert, der immer wieder an mehrere zentrale Begriffe angebunden wird, anhand derer hier seine Position in ihren wesentlichen Zügen umrissen werden soll.112 1.2.1.1 „Aesthetics“ Ästhetik lässt sich nach Baines als etwas beschreiben, das in allen Gesellschaften anzutreffen sei. Sie beschreibe die menschliche Praxis, u. a. die materielle Kultur unter mehr als nur funktionalen oder utilitaristischen Gesichtspunkten zu gestalten.113 In Darstellungen betreffe dies Anordnungskriterien wie etwa visuelle Balance. Insofern habe Ästhetik eine ganz wesentliche Bedeutung, die geradezu als eine anthropologische Grundkonstante gelten könne, die nach Baines im wissenschaftlichen Diskurs oftmals vernachlässigt werde. Baines weist zwar einerseits darauf hin, dass es unmöglich sei, näher zu bestimmen, was genau als ästhetisch gelten könne,114 andererseits könne man den ästhetisch geformten Bereich jedoch in der materiellen Kultur Ägyptens leicht ausmachen: Das ganze Leben von Herrscher und Elite sei stark durch Ritualisierung und Ästhetisierung geprägt.115 Mit dieser Ästhetisierung geht nach Baines jedoch keineswegs ein gleichzeitiger Funktionsverlust der Objekte einher. Sie seien schließlich nicht nur um der Ästhetik willen geschaffen wor-
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Baines hat verschiedene seiner Aufsätze zur „Visual Culture“ aus den 1980er und 1990er Jahren in einem Sammelband erneut veröffentlicht und dabei in einem einleitenden Prolog die Bedeutung der verschiedenen Facetten seiner in diesen Einzelbeiträgen vorgestellten Perspektive betont. Vgl. John Baines, Visual and Written Culture (darin der Prolog „Visual, Written, Decorum“). Seine jüngste Monographie knüpft mit ihren verschiedenen Materialstudien daran an (ders., High Culture and Experience). Vgl. außerdem ders., „What Is Art?“. Baines, „Visual, Written, Decorum“, 4 f. Baines, „Visual, Written, Decorum“, 4 f. Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“, 235. Vgl. außerdem Baines, „What Is Art?“, 3–5.
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den, sondern als ästhetisch angelegte Objekte stark in verschiedenste Kontexte innerhalb der Elitekultur eingebunden gewesen.116 Die Tatsache, dass bei der Ausgestaltung ägyptischer Bilder mehr als nur pragmatische Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Dieses von Baines Ästhetik genannte Phänomen geht sicherlich mit dem Schönheitsempfinden des modernen Betrachter in weiten Teilen einher.117 Das Problem, Ästhetik konkreter zu fassen, hat sein Pendant im auch innerhalb der Kunstgeschichte bzw. der Philosophie noch nicht zu einem Ende gekommenen Diskurs zur Begriffsklärung.118 Diese Problematik wird bei Baines zwar erwähnt, jedoch nicht ausgebreitet oder mit Blick auf das ägyptische Material ausgearbeitet. Daher lässt sich die Bedeutung, die der Ästhetik bei Baines zukommt, erst mit Blick auf seine Konzeption von High Culture und Decorum konkreter erschließen. Denn im Zusammenspiel mit diesen Begriffen wird deutlich, inwiefern das Ästhetische für Baines einen Leitbegriff darstellt. 1.2.1.2 „Elite“ und „High Culture“ Baines beschreibt die Elite u.a. in einem umfangreichen Aufsatz gemeinsam mit dem Vorderasiatischen Archäologen Norman Yoffee als diejenige sehr kleine Gruppe von Entscheidungsträgern des Staatsapparates, die zusammen mit ihren Familien die Arbeitskraft des Landes kontrolliert und die daraus resultierenden Erträge genossen hätten.119 Die für die Angehörigen der Elite
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119
Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“, 235f. Da nach Baines und Yoffee Ästhetik trotz Funktionsorientierung möglich sei, meint er in letzterer kein Argument gegen eine Verwendung des Kunstbegriffes für Ägypten zu sehen. Darin zeigt sich die angesetzte enge Bindung von Ästhetik und Kunst. Keiner der beiden Begriffe ist bei Baines ohne den anderen denkbar. Siehe zu den Konsequenzen dieser Konzeption ausführlicher unten die Kapitel 1.2.1.5 und 1.2.1.6. Vgl. auch Baines, „What Is Art?“, 2. An anderer Stelle spricht Baines das Problem sekundärer Ästhetisierung durch den modernen Betrachter an (s.u. mit Fn. 159), bezieht sich mit seiner näherungsweise vorgeschlagenen Ästhetikdefinition jedoch explizit auf ein angenommenes ägyptisches Ästhetikverständnis und kein ägyptologisches. Siehe hierzu weiter unten Kapitel 1.2.1.4 bzw. Baines, „On the Status and Purposes of Ancient Egyptian Art“, 300. Vgl. Reicher, Einführung in die philosophische Ästhetik; Schmücker, „Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik“; Stecker, Aesthetics and the Philosophy of Art sowie die Sammelbände bzw. Anthologien Carroll (Hrsg.), Theories of Art Today; Bluhm & Schmücker (Hrsg.), Kunst und Kunstbegriff ; Elkins (Hrsg.), Art History Versus Aesthetics. Zur Notwendigkeit eines historisierenden bzw. differenzierenden Umgangs mit dem Begriff Ästhetik unten Kapitel 1.2.1.6. Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“.
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zugänglichen materiellen Ressourcen des Landes seien zum Teil in dauerhafte, monumentale Formen überführt worden. Sie stellen daher nach Baines’ Auffassung exponierte und exklusive kulturelle Bedeutungsträger dar, bei denen es sich um materielle Zeugnisse der High Culture handele. High Culture sei „the essential locus, in which order exploits wealth for legitimacy“,120 und könne definiert werden als „the production and consumption of aesthetic items under the control, and for the benefit, of the inner elite of a civilization, including the ruler and the gods.“121 Die Ausführungen von Baines und Yoffee schildern des Weiteren drei einander beeinflussende und bedingende Komponenten, die für die High Culture entscheidend seien: ihr ästhetischer Charakter, ihre kommunikative Ausrichtung und ihre soziale Relevanz. Ihre besondere Bedeutung und Geltung habe die High Culture aus ihrem starken Zuschnitt auf die an ihr selbst Beteiligten beansprucht: Die Kontrolle und Nutzung der symbolischen Ressourcen der High Culture sei genau so angelegt gewesen, dass sie nur durch die Elite selbst erfolgen und so Bedeutung generieren konnten. Dies habe seine Entsprechung auf der kosmologischen Ebene der ägyptischen Religion. Dort seien es ebenfalls nur die Eliten – repräsentiert durch König(tum) und Priesterschaft – gewesen, die mit ihrem Handeln die kosmische Stabilität hätten aufrechterhalten können, was diese wiederum zu eben jenen Handlungen legitimiert hätte. Der so umrissene zirkuläre Charakter dieser die eigene Bedeutung und Legitimation generierenden Teilbereiche der High Culture macht diese zu der exklusiven und selbst motivierenden Institution, als die Baines und Yoffee sie beschreiben.122 Aus der so gerechtfertigten und gefestigten Stellung habe die Elite ihr Anrecht auf die kostspieligsten und erlesensten Ressourcen abgeleitet und dies u.a. für die Produktion von Kunstwerken und zur Errichtung ästhetisch geformter architektonischer Anlagen genutzt, die neben kulturellen Werten auch den Wohlstand selbst zur Schau stellten, womit diese sich wiederum an die Angehörigen der Elite selbst gewandt hätten. Aufgrund dieser Ausrich-
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122
Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“, 235. Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“, 235. Damit formulieren die beiden Autoren mit dem Begriff der High Culture die Grundlage für den von ihnen anvisierten Kulturvergleich, indem sie einerseits die relevanten Objektgruppen über die – noch nicht näher definierten – Kunstobjekte hinaus auf Ästhetisches allgemein ausdehnen und sich andererseits generell auf antike Hochkulturen („civilizations“) beziehen. Dieser Begriffsdefinition folgt Baines auch jüngst (vgl. High Culture and Experience, 7–8). Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“, hier besonders: 234 f.
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tung auf eine Adressatengruppe spricht Baines von visueller Kommunikation, die den im Rahmen der High Culture verhandelten intellektuellen und moralischen Inhalten realweltliche Ausformungen verliehen habe. Dadurch dass diese Kulturgüter nur von Experten unter hohem materiellem und arbeitstechnischem Aufwand hergestellt werden konnten, habe die High Culture ihren besonderen Geltungsanspruch und ihre Bedeutung erhalten. Darstellungen („visual representations“) seien daher nicht nur in ästhetischer Hinsicht als Verzierungen o.Ä. relevant. Auch in dem in ihnen erkennbaren symbolischen Gehalt erschöpfe sich ihre Bedeutung nicht, weil sie nicht nur in die ägyptische Gesellschaft integriert gewesen seien, sondern zur Erzeugung und dauerhaften Festigung von deren sozialen Ausformungen entscheidend beigetragen hätten. Die Verfügbarkeit von Bildern unterlag nach Baines in der ägyptischen Kultur starken Einschränkungen. Nur die Elite selbst habe über Möglichkeiten verfügt, visuelle Kommunikation zu gestalten. Dies zeige sich darin, dass sich jenseits der High Culture kein archäologisches Material erhalten habe, in dem sich Formen visueller Kommunikation nachweisen ließen.123 Nach Baines deuten die Beschränkungen von Wissen, Wohlstand und ästhetischer bzw. visueller Kommunikation auf die Mitglieder der Elite darauf hin, dass die ägyptische Gesellschaft durch eine große strukturelle Ungleichheit gekennzeichnet gewesen sei, die durch Instrumentalisierung von Restriktionen aufgebaut und gefestigt worden sei.124 Bestrebungen, auf soziale Gleichheit hinzuarbeiten oder sie zu einem Ideal zu erheben, seien der ägyptischen Kultur völlig fremd gewesen.125 So sei nicht nur Wohlstand, sondern auch eine damit einhergehende Stellung innerhalb der Hierarchie ausschlaggebend dafür gewesen, um an der High Culture teilhaben zu können. Über diese grundsätzliche Stratifizierung der Gesellschaft hinaus seien außerdem die Formen von High Culture selbst ebenfalls streng formalisiert gewesen, um die Zugänglichkeit kontrollieren zu können: die Einbindung von Schrift in die bildlichen Darstellung habe ebenso wie die Codierung bestimmter Inhalte in Symbole dazu geführt, dass selbst von denen, die räumlichen Zugang zu Objekten der High Culture hatten,
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Baines verweist hier auf einen ganz zentralen Punkt. Es erscheint jedoch zutreffender, davon auszugehen, dass sich außerhalb der High Culture kaum andere Formen visueller Kommunikation erhalten haben. Die, die sich dort nachweisen lassen, sind der Elitekultur entlehnt. Vgl. hierzu Seidlmayer, der darauf hinweist, dass Zeichensysteme und Idealbilder der Hochkultur nicht nur in den unteren Schichten adaptiert wurden, sondern zugleich auch am unteren Ende der Gesellschaft alternativlos gewesen sind („Die Ikonographie des Todes“, 239 f.). Vgl. außerdem unten bei Fn. 149. Baines, „Visual, Written, Decorum“, 8 f. Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“, 238.
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nur ganz bestimmte Personen aufgrund ihres Wissens und ihrer Kenntnisse tatsächlichen Zugang zur High Culture und ihrem ganzen Bedeutungsrepertoire genießen konnten. Produzenten und Adressaten der Objekte seien daher im Bereich der High Culture keineswegs identisch.126 Die vielseitig restriktive Kontrolle der Zugänglichkeit durch strenge Formalisierungen und die Bindung der Verfügungsmöglichkeiten an Reichtum und eine bestimmte soziale Stellung unterstreichen daher nach Baines die soziale Relevanz des Konzepts von der ägyptischen High Culture. Anhand des Begriffes der High Culture zeichnet Baines in der skizzierten Weise das Bild von einer durch strikte soziale Stratifizierung bestimmten ägyptischen Gesellschaft, deren Elite ihre eigene Bedeutung und Legitimation durch ästhetisch geformte Gegenstände und Handlungen selbst generiert, indem sie jene diskursiv an ihre eigenen Mitglieder heranträgt und durch Formalisierungen, Zugangsbeschränkungen und andere Restriktionen den Rest der Bevölkerung effektiv aus diesem kulturellen Teilbereich exkludiert. Damit wendet sich Baines explizit gegen einen seiner Meinung nach zu sehr beschönigenden Blick auf den Zusammenhalt innerhalb der ägyptischen Gesellschaft.127 Baines argumentiert insbesondere gegen Jan Assmanns MaʾatVerständnis,128 das den Schwerpunkt auf die vertikale Solidarität und damit auf die positiven ethischen Aspekte von Maʾat lege und stellt diesem Ansatz seinen eigenen Begriff vom Decorum gegenüber, anhand dessen das Phänomen der Maʾat vielseitiger beschrieben und analysiert werden könne.129 Damit stellt Baines zwar die Ergebnisse Assmanns etwa zur konnektiven Gerechtigkeit, zur vertikalen Solidarität, und zur gegenseitigen Abhängigkeit von Lebenden und Toten nicht in Abrede, er weist jedoch darauf hin, dass eine Erweiterung der untersuchten Quellen beispielsweise um königliche Inschriften und Darstellungen wie die vom Erschlagen der Feinde ein ganz anderes Bild von der Maʾat zeichne. Dort werde eine weit weniger angenehme Seite von ihr gezeigt, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung gewaltsame und stark exkludierende Züge trage und genauso wesentlich für das Verständnis von der Maʾat sei wie die bei Assmann behandelten ethischen und inkludierenden Züge, die auf gesellschaftlich Benachteiligte ausgerichtet seien.130 126 127 128 129 130
Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“, 236–240. Baines, „Visual, Written, Decorum“, 14 sowie detailliert Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“. Assmann, Maʾat2. Baines, „Visual, Written, Decorum“, 18–20 sowie ders., High Culture and Experience, 7. Baines, „Visual, Written, Decorum“, 19 f. Assmann behandelt dieses Doppelgesicht von Maʾat und Macht durchaus, wenn auch stets unter dem Vorzeichen der konnektiven
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1.2.1.3 „Decorum“ Der Begriff Decorum bezeichnet ein abstraktes Konzept, das aus der Kunstgeschichte stammt und dessen Einführung in die Ägyptologie auf Jørgen Podemann Sørensen sowie John Baines selbst zurückgeht.131 Es umfasst einen vielen Handlungen und Darstellungen zugrunde liegenden impliziten Regelkatalog, der bestimmt, was in welchen Kontexten wie in angemessener Form darstellbar, sagbar etc. war. Baines gibt als Definition: „The decorum found on the monuments, which can be traced from late predynastic times, is a set of rules and practices defining what may be represented pictorially with captions, displayed, and possibly written down, in which context and in what form. It can be related to other constraints on action and reports on action, as when a king says that he killed his opponents while his follower says that he kept them alive, and was probably based ultimately on rules or practices of conduct and etiquette, of spatial separation and religious avoidance.“132 Nach Baines handelt es sich beim Decorum um eine koordinierende und reglementierende Instanz zur restriktiven Organisation von Gesellschaft und ihren Ausdrucksformen (soziale Kommunikation, Gebäude, Kunst, Schrifttum), die sich im erhaltenen Material niederschlägt und so implizit erkennbar wird, während sie selbst von ägyptischer Seite nie explizit thematisiert worden sei.133 Decorum umfasse demnach, wie Menschen ihre Beziehungen zuein-
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Gerechtigkeit (Sinngeschichte, 162–177). Vgl. zu Exklusionsphänomenen etwa Moers, „ ‚Unter den Sohlen Pharaos‘ “; ders., „Ägyptische Körper-Bilder“; ders., „Auch der Feind war nur ein Mensch“ sowie zu rituellen Texten der Feindvernichtung Quack, „Opfermahl und Feindvernichtung“. Einleitend hierzu Baines, „Visual, Written, Decorum“, 14–17 sowie ders., „Restricted Knowledge, Hierarchy, and Decorum“. Außerdem Podemann Sørensen, der – unabhängig von Baines – argumentiert, dass die Zugänglichkeit zum Göttlichen in Ägypten sozialen Restriktionen unterworfen war, die sich im Laufe der ägyptischen Geschichte gewandelt hätten, so dass von einem „principle of decorum“ gesprochen werden könne („Divine Access“, 110). Vgl. außerdem Moers, Decorum. Baines, „Restricted Knowledge, Hierarchy, and Decorum“, 20. Auch wenn dies zahlreiche kulturelle Bereiche umfasst habe (soziale, pragmatische, symbolische und darstellungsbezogene), hätte Decorum nicht expliziert werden müssen, um zum Tragen zu kommen, zumal ohnehin keine ägyptischen Wörter für „mid-level abstractions“ erhalten seien (Baines, „Visual, Written, Decorum“, 15). Dazu, dass nach Baines ein solcher Befund einen lebendigen ägyptischen Diskurs nicht ausschließt, siehe unten Kapitel 1.2.1.4. Hinzu kommt, dass es durchaus philologi-
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ander, zum König und zu den Göttern aushandeln und nach welchen Regeln dies u.a. in Darstellungen Ausdruck fand. Nach Baines erstreckt sich dies bis zur Wiedergabe und Einbindung der Weltordnung in Architektur, Darstellungen und andere Kontexte.134 Die daraus resultierende zentrale Bedeutung der Darstellungen bzw. des Darstellens habe zur Folge, dass eine Untersuchung des Decorums ikonographische und ikonologische Gesichtspunkte einbeziehen müsse. Ein Blick auf die verschiedenen Modifizierungen der Darstellungskonventionen im Laufe der ägyptischen Geschichte zeigt nach Baines deutlich, dass das Decorum einem Wandel unterworfen gewesen sei. In der Tendenz führe dies zu einer zunehmenden Abschwächung der zu Beginn noch sehr restriktiven Vorgaben des Decorums und damit zu immer neuen Darstellungsmöglichkeiten. Zur vollständigen Auflösung des die Darstellungsformen prägenden Einflusses des Decorums sei es jedoch nie gekommen, da dies destabilisierende Auswirkungen gehabt hätte. Als Beispiel eines solchen Wandels führt Baines die erst seit dem Neuen Reich feststellbaren Darstellungen aus Privatgräbern an, die den Grabherrn vor verschiedenen Gottheiten zeigen.135 Der Möglichkeit, aus diesem Wandel der Grabdekoration realweltliche Veränderungen abzuleiten, steht Baines jedoch skeptisch gegenüber.136 Die Verwendung des Begriffs Decorum ermöglicht es Baines vielmehr, diesen Wandel in den Darstellungen nicht direkt auf eine Veränderung religiöser Vorstellungen oder Praktiken zu beziehen, sondern ihn zunächst nur als Modifikation des Decorums zu interpretieren. Auch wenn er nicht ausschließen will, dass diese Entwicklungen des Decorums mit Veränderungen in der lebensweltlichen Praxis einhergegangen sein könnten, hält er es dennoch für annähernd ausgeschlossen, dies aus heutiger Perspektive entscheiden zu können. Mit Blick auf den angesprochenen Wandel der Grabdekorationen im Neuen Reich, hält er es für problematisch, daraus eine Zunahme an Frömmigkeit ableiten zu wollen, da Religiosität ein in den meisten Gesellschaften positiv besetzter Wert sei,
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sche Belege für einen Decorumsdiskurs in Ägypten gibt, die bislang noch nicht in diesem Kontext betrachtet wurden. Vgl. hierzu unten Fn. 171 sowie ausführlich Moers, Decorum. Die bisherige ägyptologische Einordnung des zentralen Begriffs tp-ḥsb findet sich beispielsweise im Kommentar zur Verwendung dieses Begriffs im Beredten Bauern (b1 129 und 342: Parkinson, Eloquent Peasant. Commentary, 107 und 277). Baines, „Visual, Written, Decorum“, 14–17. Vgl. auch ders. High Culture and Experience, 11–14. Nach Assmann handelt es sich dabei dabei um die „vielleicht einschneidenste Innovation in der Geschichte der Grabdekoration“ („Die ‚Loyalistische Lehre‘ Echnatons“, 29). Baines, „Visual, Written, Decorum“, 24.
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so dass man kaum annehmen könne, dass das Fehlen bestimmter Darstellungen zu früheren Zeiten auf ein geringeres Maß an Religiosität oder Religion hinweise.137 Nach Baines’ Argumentation würde sich dahinter ‚lediglich‘ ein Wandel im Decorum verbergen, also Veränderungen dahingehend, wie, in welchen Formen und welchen Konventionen folgend Religion im Kontext von Grabdekorationen thematisiert wurde. Als analoges Beispiel führt er die Veränderungen in den Darstellungen von Bekleidungen im Laufe der 18. Dynastie an, da feststellbar sei, dass erst etwa ab der Zeit Amenophis’ ii. komplexere Gewänder in der Wanddekoration wiedergegeben wurden. Dies spreche nach Baines dafür, dass der Einfluss des Decorums nachgelassen habe, und eben gerade nicht dafür, dass erst seit jener Zeit komplexere Gewandformen getragen worden seien.138 Dieser von Baines zu Recht abgelehnte Interpretationsmodus ist innerhalb der Ägyptologie sehr verbreitet, wenn auch als solcher selten reflektiert.139 Die von Baines angestellten theoretischen Grundsatzüberlegungen finden sich u.a. in der Auswertung des Friedhofs von Elephantine aus dem Alten und Mittleren Reich durch Stephan J. Seidlmayer bestätigt. Er konnte zeigen, dass die in den undekorierten Gräbern der Grundschicht gefundenen Beigaben den Attributen, die in bildlichen Darstellungen von Stelen und Grabbildern aufgeführt sind, zwar weitgehend entsprechen, dass dies jedoch im Bereich der Kleidung nicht der Fall ist: „Die im tatsächlichen Leben bevorzugt getragene Kleidermode tritt also in den Gräbern [d. h. in Form von Grabbeigaben, K.W.], nicht aber in der bildenden Kunst in Erscheinung.“140
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Baines, „Visual, Written, Decorum“, 25. Baines, „Visual, Written, Decorum“, 25–29. Vgl. auch mit weiteren Angaben Baines, High Culture and Experience, 16–17. Ein umfangreiches Beispiel liefert Herb, „Ikonographie – Schreiben mit Bildern“. Auch an anderer Stelle vertritt Herb den Standpunkt von der Historizität und der daraus abgeleiteten Lesbarkeit der Bilder sowie deren Bezug zur realweltlichen Situation im alten Ägypten: ders., Der Wettkampf in den Marschen, [vii] et passim. Zur Problematik dieser Vorgehensweise siehe bereits Widmaier, Landschaften und ihre Bilder, 47 mit Anm. 159, 53 mit Anm. 183 und 90 mit Anm. 296. Nichtsdestotrotz können als Veränderungen des Decorums beschreibbare Änderungen sehr aufschlussreich sein, da sie Hinweise auf Diskurse und Thematisierungen darstellen können. Vgl. hierzu meine Untersuchung zum Auftreten von Berufsdarstellungen in Handwerkergräbern im Neuen Reich (Widmaier, „Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“, 521–527 mit Anm. 170) sowie hier Kapitel 3.2.3. Seidlmayer, „Die Ikonographie des Todes“, 231–240 (Zitat und weitere Literatur mit Belegen: 235).
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Für den im Folgenden zu betrachtenden Kunstbegriff ist von zentraler Bedeutung, dass bei Baines das Decorum zudem eine starke ästhetische Komponente aufweist: „The power of rules of decorum consists to a large extent in their integration with high-cultural, aesthetic, and cosmological concerns, through which they resonate with elite commitment to a fragile order. Such connections are part of the legitimation of social inequality and seen intrinsic to civilizations in general. They simplify issues of allegiance in ways that rulers find valuable, while the intricacies of decorum complicate matters in a strongly aesthetic fashion.“141 1.2.1.4 „The Institution of Art“ Der Standpunkt von Baines ließ sich bis zu diesem Punkt in seinen wesentlichen theoretischen Zügen nachzeichnen, ohne auf seinen Kunstbegriff näher einzugehen. Die ganz spezifische Perspektive, die von ihm eingenommen wird, lässt sich jedoch erst ermessen, wenn man untersucht, was er genau unter Kunst versteht und wie er mit den spätestens seit Walther Wolf sehr prominent im Raum stehenden Bedenken142 umgeht. Die entscheidende Frage nach dem Verhältnis zwischen „High Culture“, „Decorum“ und „Aesthetics“ auf der einen und der „Institution of Art“ auf der anderen Seite wird sich im Anschluss an diese Betrachtung stellen. Baines hält es für legitim, den mehr oder weniger fremden und auch jungen Begriff Kunst auf ägyptische Kontexte anzuwenden, solange man sich der ‚Fragilität‘ des Begriffes bewusst sei und die Betrachtung auf die an der Produktion und Rezeption beteiligten Gruppen fokussiere.143 Ansätze auf der Ebene sozialer Kontexte seien daher vielversprechender als Auseinandersetzungen mit der
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Baines, „Visual, Written, Decorum“, 28. Vgl. außerdem die Ausführungen bei Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“, 234–236. Siehe Kapitel 1.1.1. Der Standpunkt, man könne den Begriff Kunst verwenden, wenn man sich nur ausreichender Respezifikationen bewusst ist, findet sich nicht nur bei Baines (er spricht von „adopting a middle ground“, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 300). Er zieht seine Attraktivität daraus, dass er in der Lage zu sein vorgibt, die Problematik des Begriffes ausreichend zu reflektieren und die sich daraus ergebenden Konsequenzen strukturell zu integrieren. Es wird jedoch noch zu prüfen sein, wie tragfähig ein solches Vorgehen sein kann. U. a. vor dem Hintergrund dieser Frage wird Kapitel 2 zahlreiche Fallbeispiele diskutieren.
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ägyptischen Terminologie.144 Baines nimmt an, dass ein Diskurs um Kunst auch in Ägypten existiert habe, wenngleich er sich aufgrund eingeschränkter Textgenres schwer in für uns nachvollziehbarer Weise hätte niederschlagen können bzw. möglicherweise andere Formen angenommen habe als der westliche Kunstdiskurs. Obwohl Baines davon ausgeht, dass es unmöglich sei, über einen Kunstbegriff Einigkeit zu erzielen, sieht er dennoch die Notwendigkeit, durch eine näherungsweise Definition ein größeres Maß an Klarheit zu gewinnen: „I suggest that ancient Egyptian works of art are products, created for any purpose, that exhibit a surplus of order and aesthetic organization which goes beyond the narrowly functional. Such a definition is not intended to be evaluative of quality but rather to point to ordering and aesthetic intent, and it hardly addresses genre or the cultural significance of works of art. It can, however, incorporate rituals and performing arts. In essence it is close to the characterization of Rosemarie Drenkhahn cited earlier. It is also probably compatible with the usage of ḥmt, but it focuses on the product rather than the skills which went into its making. The definition is partial in taking this focus and in appearing to neglect the social institutions that made, utilized, and valued the products. An awareness of this social dimension is necessary for a full definition, but it cannot easily be incorporated into a brief formulation.“145 Auf diese Weise bindet Baines sein Verständnis von Kunst einerseits an eine ägyptische Ästhetik,146 andererseits wird die soziale Bedeutung ägyptischer Kunst betont. Letzteres bezieht sich auf Baines’ Konzept der High Culture und die von ihr getragene visuelle Kommunikation, in der auch die Exklusivität der Kunst begründet liege. Nur der kleinen Gruppe derer, die Kunstwerke in Auftrag gaben oder in anderer Hinsicht involviert waren, sei ein vollständig verstehender Zugang möglich gewesen.147 Auf diese oben bereits angesprochene sich selbst legitimierende Weise habe die Elite ihre Ansprüche im Rahmen der High Culture untermauert und sich vom Rest der Gesellschaft abgegrenzt. Diese Teilung der Gesellschaft beschreibt Baines als ein Gegen144 145 146 147
Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 300f. Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 301. Vgl. zu Drenkhahns Position unten bei Fn. 165. Deren Relevanz sei nach Baines unzweifelhaft, ihre genauen Züge bleiben dabei jedoch, wie sich oben zeigte, relativ unkonkret. Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 335; siehe oben Kapitel 1.2.1.2.
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über von einer einflussreichen im Bereich der Visual Culture aktiven Elite und einer breiten Masse, für deren Wahrnehmung wesentliche Teile der Visual Culture überhaupt nicht zugänglich gewesen sei. Dieser Teil der Gesellschaft sei lediglich den unübersehbaren monumentalen Ausformungen der Kunst ausgeliefert und so gezwungen gewesen, die Bedeutung dessen anzuerkennen, was von Seiten der Elite zelebriert wurde. Daran, dass sich Objekte aus nicht zentral organisierten Perioden der ägyptischen Geschichte, wie der sogenannten 1. Zwischenzeit148, an den Vorgaben der von den Eliten getragenen Kunst orientierten, lasse sich zeigen, dass die Überzeugungskraft der Kunst maßgeblich auch auf die breite Masse eingewirkt habe. Letztere habe schließlich keine eigenen visuellen Gestaltungsmodi ausgebildet, was auch die in dieser Hinsicht fehlenden archäologischen Funde bestätigen würden und worin Baines eine Bestätigung seiner Annahme sieht, bei „artistic production and consumption“ handele es sich um ein reines Elitephänomen.149 Darin dass elitekulturelle Schemata auch außerhalb der inneren Elite übernommen werden konnten und damit nicht mehr kontrollierbar waren für diejenigen, die sie ursprünglich einmal in Auftrag gegeben und getragen haben, sollte man jedoch Hinweise erkennen, dass es sich in diesen Fällen um kein reines Elitephänomen mehr gehandelt hat. Auch wenn dabei, wie von Baines angesprochen, die Funktionen der ursprünglichen Elitephänomene bei der Anpassung an neue Verwendungszusammenhänge grundsätzlich übernommen wurden, sollte man von neuen Diskursen sprechen.150 Neben ihrer sozialen Dimension sei der Kunst auch in kosmologischer Hinsicht eine bedeutende Rolle zugekommen, da sie dem Kosmos in Form von Repräsentationen Gestalt gegeben habe und im Kult dazu gedient habe, die Welt in Gang zu halten.151 Daher sieht Baines in der „institution of art“ ein multifunktionales Phänomen, das aufs Engste mit dem Kernbereich der ägyptischen Kultur verbunden sei. Die in den ersten Dynastien geschaffene Formenwelt hat nach Baines ganz wesentlich zu nichts Geringerem als zur architektonischen und visuellen Definition von Kosmos und Gesellschaft Ägyptens
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Vgl. zu diesem Periodisierungsbegriff die Kapitel 2.1 und 2.2. Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 336. Vgl. hierzu auch bereits oben Fn. 123. Vgl. etwa zur Übernahme von aus Beamtengräbern bekannten Berufsdarstellungen in Gräber von Angehörigen dieser Berufe und zur zeitgleich belegten Rezeption der auf handwerkliche Berufe herabblickenden Lehre des Cheti innerhalb der Handwerkersiedlung von Deir el-Medina Widmaier, „Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“, 521– 546. Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 335.
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beigetragen und auf diese Weise ein Fundament gelegt, jenseits dessen keine Alternativen vorhanden gewesen seien:152 „This indissociable identification of art and civilization, which is a measure of the significance of art in Egypt, says something important about the role of art, rather than showing that so multifunctional and multifarious a phenomenon cannot be termed ‚art‘.“ Neben dieser Positionierung hat sich Baines als einer von wenigen Fachvertretern explizit und vergleichsweise ausführlich mit Positionen auseinandergesetzt, die einen Verzicht auf die Verwendung des Kunstbegriffs für das alte Ägypten fordern oder deren gängige Formen zumindest problematisieren. Seinen Aufsatz „On the Status and Purposes of Egyptian Art“ betrachtet er selbst u.a. als Antwort auf das von dem Kunsthistoriker Hans Belting formulierte Paradigma vom ‚Zeitalter des Bildes‘ vor dem ‚Zeitalter der Kunst‘.153 In seiner Studie Bild und Kult zum Personenbild des Mittelalters hat Belting ausgeführt, dass man seiner Meinung nach erst ab der Renaissance von Kunst sprechen könne und dass man es zuvor mit Bildern und nicht mit Kunstwerken zu tun habe.154 Baines erkennt die Schwierigkeiten an, über einen Kunstbegriff Einigkeit zu erzielen, sieht jedoch zugleich in Beltings Arbeit ein Beispiel für überevolutionäre und eurozentrische Perspektiven, die abzulehnen seien.155 Warum gerade ein Ansatz, der das Phänomen Kunst historisiert und es so in einem bestimmten Abschnitt der menschlichen Geschichte verortet, überevolutionär bzw. eurozentrisch argumentieren soll, wird dabei jedoch nicht schlüssig erklärt, zumal Belting sich durch seinen Ansatz klar davon distanziert, ein europäisches Phänomen auf andere Kontexte übertragen zu wollen. Baines selbst versteht Kunst als ästhetikbasierte anthropologische Konstante („human universal“) und betont, dass das Fehlen ägyptischer sprachlicher Äquivalente zum Ästhetikdiskurs im modernen Europa kein Grund sei, für Ägypten davon auszugehen, das Phänomen habe dort nicht existiert. Kunst sei vielmehr durch ihre Relevanz für viele verschiedene Kulturen besonders für komparatistische Studien geeignet.156 Schließlich brächten alle Gesellschaften Phänomene her152 153 154 155
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Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 337. So Baines, „Visual, Written, Decorum“, 29 f. Belting, Bild und Kult. Siehe oben ausführlich Kapitel 1.1.1. So Baines, „Visual, Written, Decorum“, 29. Vgl. auch die stark verkürzte Ablehnung von Beltings Perspektive bei Baines, „What Is Art?“, 1–2. Vgl. hierzu auch unten Kapitel 2.3.5.2 (dort Fn. 530) und Kapitel 3.1 (dort Fn. 76). „Since ‚art‘, in the broad sense of aesthetic motivations, activities, and products, is a human
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vor, die als Kunst interpretiert werden könnten,157 und dies ganz ungeachtet der Diskussionen darüber, was Kunst sei und was nicht. Die Schwierigkeit, Kunst zu definieren, beweist nach Baines keineswegs, dass dieses Phänomen nicht existiere bzw. nicht existiert habe. Er versteht Kunst dabei als ein soziales und weniger als ein individuelles Phänomen158 und betont den Unterschied zwischen der primären Bedeutung innerhalb der Gesellschaft, die die jeweiligen Kunstobjekte hervorgebracht hat, und der sekundären ästhetischen Rezeption durch moderne Betrachter. Daher müsse jede kunstwissenschaftliche Behandlung auf die Produzenten und Konsumenten des primären Bedeutungszusammenhangs ausgerichtet sein.159 Damit sind die Leitlinien von Baines Argumentation abgesteckt, in der er sich dezidiert für die generelle Verwendung des Begriffes ‚Kunst‘ ausspricht. Im Folgenden sei noch darauf eingegangen, wie Baines sich dabei mit verschiedenen ägyptologischen Standpunkten auseinandersetzt, die kritischere Positionen eingenommen haben.160 Sowohl das Argument fehlender ägyptischer Begriffe, die sich mit Kunst übersetzen ließen, als auch die Frage nach der Funktionsbindung ägyptischer Bilder nehmen dabei eine zentrale Rolle ein. So zitiert Baines den säk-Vortrag von Friedrich Junge aus dem Jahr 1987161 als exemplarisches Beispiel für eine skeptische Position, die oft von lin-
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universal as much as or more than others considered as ‚Visual culture‘, it too offers enormous potential to comparative studies.“ (Baines, „Visual, Written, Decorum“, 30). Vgl. für einen solchen komparatistisch geprägten Ansatz Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“. Hier zeigt sich, dass Baines nicht zwischen neuzeitlichem Ästhetikdiskurs (der Ästhetik seit Baumgarten und Kant) und der Beobachtung bzw. Ausrichtung auf Schönheit differenziert, die es bereits zuvor gegeben hat. Vgl. hierzu Kapitel 1.2.1.6. Vgl. unten das Zitat bei Fn. 174 zur Möglichkeit, ägyptische Bilder kunstwissenschaftlichen Analysen auszusetzen. Damit argumentiert Baines explizit gegen Ernst Gombrichs berühmtes Diktum „There really is no such a thing as Art. There are only artists.“ Nach Baines gibt es sehr wohl eine abstrakte Kategorie Kunst mit sozialer Relevanz. Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 300. Vgl. die deutsche Übersetzung: „Genau genommen gibt es ‚die Kunst‘ gar nicht. Es gibt nur Künstler“ (Gombrich, Die Geschichte der Kunst16, 15). Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 300. Die Frage nach primärer und sekundärer Rezeption ist tatsächlich von ganz entscheidender Bedeutung. Vgl. die Kapitel 1.2.2, 1.3 und 3. Diskurse anderer Fächer erfahren keine dezidierte Berücksichtigung. Die nur im PrologAufsatz des Sammelbandes Visual and Written Culture retrospektiv genannte Stoßrichtung gegen die von Belting propagierte Einführung des Epochenbegriffes „Zeitalter des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst“ wird im ursprünglichen Beitrag, der zuerst im Cambridge Journal of Archaeology 4 (1994) veröffentlicht wurde, nicht erwähnt. Publiziert als Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, siehe oben Kapitel 1.1.2.
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guistisch orientierten Ägyptologen favorisiert werde, weil sie sich darauf stütze, dass in der ägyptischen Sprache keine Termini belegt seien, die dem modernen Begriff ‚Kunst‘ entsprächen. Dieses ‚linguistische Argument‘ ist tatsächlich innerhalb des ägyptologischen Diskurses präsent und wurde bzw. wird von verschiedener Seite diskutiert.162 Bei Junge spielt es jedoch allenfalls eine geringe Rolle, da er nicht mit fehlender ägyptischer Begrifflichkeit argumentiert, sondern eingangs mit Blick auf die allgemein angenommene Funktionsbezogenheit folgert,163 dass es Kunstobjekte in Ägypten als eine „selbständige[…] Kategorie von Dingen“ gar nicht gegeben haben könne, weil sich diese gegenüber anderen Gegenständen – unabhängig von Fragen nach ägyptischer Terminologie – gar nicht abgrenzen ließen.164 Rosemarie Drenkhahn hat sich hingegen verschiedentlich mit dem infrage stehenden ägyptischen Vokabular beschäftigt und sich außerdem dazu geäußert, ob man für Ägypten von Künstlern sprechen sollte.165 Ihrer Auffassung nach führt die Tatsache, dass ägyptische Künstler und Kunsthandwerker die verschiedensten Materialien meisterlich bearbeitet hätten, dazu, dass heute von den meisten so hergestellten Objekten angenommen werde, es handele sich dabei um Kunst.166 Drenkhahn selbst lehnt den Begriff des Künstlers – und damit auch den der Kunst – für Ägypten jedoch ab167 und versucht eurozentristische Begriffe zu vermeiden, da ihrer Meinung nach die
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Wolf, Kunst Ägyptens, 67f.; Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, hier besonders: 43 f.; P. O. Scholz, „Ägyptologie und Kunstgeschichte“, 225; Verbovsek, „Pygmalion in Ägypten?“, 675–680; Drenkhahn, Die Handwerker und ihre Tätigkeiten. Vgl. zur Annahme der Funktionsbezogenheit von Bildern als rituelle Werkzeuge mit kultischer Bindung auch Wolf (Kapitel 1.1.1). Bei Junge heißt es in diesem Zusammenhang: „Strenggenommen kann es ‚Kunstgeschichte‘ – nämlich die wissenschaftliche Dokumentation und Interpretation von ‚Kunstwerken‘ und die Geschichte der Entwicklung ihrer Motive, Formen und Stile – in unserem Fach nicht geben, weil es nach allgemeiner Ansicht in Ägypten Kunstwerke im landläufigen Sinn als einer gegenüber anderen Artefakten selbständigen Kategorie von Dingen nicht gibt: Ihren instrumentalen Charakter, ihre kultische Zweckbestimmung zu betonen, werden weder wissenschaftliche Darstellungen noch Kataloge müde.“ („Versuch zu einer Ästhetik“, 1). Vgl. zu Junges schließlich doch einen Kunstbegriff befürwortenden Argumentation oben Kapitel 1.1.2. Drenkhahn, Die Handwerker und ihre Tätigkeiten; dies., „Artists and Artisans in Pharaonic Egypt“. Drenkhahn, „Artists and Artisans in Pharaonic Egypt“. Vgl. auch Drenkhahn, Die Handwerker und ihre Tätigkeiten, 156–161 contra Hermann Junker, der meinte, zeigen zu können, dass die Bezeichnung Künstler für Ägypten angemessen sei (Die gesellschaftliche Stellung der ägyptischen Künstler).
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ägyptischen Produzenten keine freien, nach Originalität strebenden Künstler gewesen seien, wie man bei Anlegung eines modernen Künstlerverständnisses annehmen würde. Baines begrüßt diesen Ansatz zunächst, da derartige westliche Vorstellungen keineswegs allgemeine Gültigkeit in Anspruch nehmen könnten. Er verweist jedoch darauf, dass das Fehlen des europäischen Künstlerkonzeptes kein Argument dafür sei, dass es in Ägypten keine Künstler gegeben habe. Man müsse vielmehr verschiedene Arten von Künstlern für verschiedene kulturelle Kontexte ansetzen, daher tendiere der skeptische Ansatz Drenkhahns dazu, zu einseitig („reductive“) vorzugehen und den Künstlerbegriff vorschnell für Ägypten zu verwerfen.168 Das gegen die Verwendung eines Kunstbegriffs angeführte Argument fehlender adäquater Begrifflichkeiten im ägyptischen Lexikon wird von Baines außerdem deshalb abgelehnt, weil sich anhand von Analogiebildungen zeigen lasse, dass die Frage der Übersetzbarkeit von ḥm(w).t mit ‚Kunst‘ nicht zwangsläufig im Sinne Drenkhahns beantwortet werden müsse und folglich noch offen sei. In ägyptischen Texten sei von der ḥm(w).t von Ärzten die Rede, was Baines als Analogon zu ‚Heilkunst‘ („physician’s art“) auffasst, woraus sich eine dem heutigen Sprachgebrauch möglicherweise vergleichbare Verwendung der Begriffe ‚ḥm(w).t‘ und ‚Kunst‘ ableiten ließe.169 Dabei erweist sich jedoch gerade diese Argumentation bei näherer Betrachtung als problematisch: Die Bezeichnung ḥm(w).t zwnw – ‚die Kunst des Arztes‘ eignet sich zwar, eine Analogie zum europäischen Begriff „Heilkunst“ zu bilden, eine semantische Verbindung zum europäischen Kunstbetrieb seit der Renaissance kann damit jedoch gerade nicht hergestellt werden. Der Terminus Heilkunst lässt sich auf lateinisch ars medicina bzw. griechisch ἰατρική [τέχνη] zurückführen170 und damit genau auf jene historische Bedeutung von Kunst im Sinne von Kunstfertigkeit, Handwerk, Fähigkeit, die als Äquivalent zu ḥm(w).t unstrittig sein dürfte und etwa von Drenkhahn in Anspruch genommen wird. Für eine ästhetische und prestigeträchtige Institution Kunst, wie Baines sie für Ägypten ansetzt, lässt sich daraus jedoch keine Argumentationsgrundlage ableiten.171
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Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 308. Vgl. oben Fn. 155. Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 300. Vgl. auch Baines, „What Is Art?“, 1 sowie Do. Arnold (Die ägyptische Kunst, 6) als Beispiel dafür, dass in der Forschung auch sonst häufig davon ausgegangen wird, der Begriff hänge „mit dem zusammen[…], was wir ‚Kunst‘, ‚Künstler‘ oder ‚künstlerisch‘ nennen“. Vgl. hierzu Görgemanns, „Techne“ und Nutton, „Medizin“. Vgl. unten zu einer begriffsgeschichtlichen Beleuchtung des Kunstbegriffs Kapitel 3.1 und
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Neben der Frage fehlender Eigenbegrifflichkeiten steht mit Walther Wolfs Äußerungen zum ägyptischen Bild als „magische[m] Gebrauchsgegenaußerdem Kapitel 1.3 (S. 86 f.) zum Fehlen sowohl des Begriffes Kunst als auch zum Fehlen von Diskursen um Kunst in Ägypten. Vgl. zur offenkundigen Nähe des ägyptischen Begriffs ḥm(w).t zum (Kunst-)Handwerk europäischer Prägung bereits Drenkhahn, „Artists and Artisans in Pharaonic Egypt“. An dieser Stelle ließe sich entsprechend eher in Richtung auf Junge argumentieren und das ägyptische Bilderschaffen als im Idealfall Vollkommenheit anstrebende Form handwerklicher Tätigkeit auffassen, ohne dabei gleich die ägyptische Bildpraxis in der von ihm skizzierten an Adorno angelehnten Ästhetik aufgehen zu lassen (siehe Kapitel 1.1.2). Es finden sich durchaus Belege, die in mehrfacher Hinsicht diese Perspektive stützen können. So tritt der Begriff ḥm(w).t bzw. ḥmw.w / ḥmw.tjw u.a. im Zusammenhang mit Titeln und Funktionsbezeichnungen auf, die sich auf das Handwerk beziehen und dabei die auf die Herstellung von Produkten der High Culture spezialisierten Handwerker einschließen. Wollte man hier analogisieren, kämen anstelle der neuzeitlichen Kunst allenfalls die artes des Mittelalters infrage. Hinzu kommt, dass jene Handwerke(r) dabei mitunter explizit als diejenigen Akteure benannt werden, die unterwiesen werden bzw. Regeln folgen, damit ihre Produkte regelgeleiteten Angemessenheitsvorstellungen (ägyptisch tpḥsb) genügen. Dies wird ägyptologischerseits unter dem Begriff Decorum geführt und hier in Kapitel 2.4 als Stilistizität beschrieben. Vgl. dazu Kapitel 2.4.4.1 (mit Fn. 743 und 744) sowie das ausführlich in Kapitel 2.4.4.2 diskutierte Fallbeispiel, das veranschaulicht, wie stilistizistische Stilverwendungen dazu dienen konnten, Formen bildlicher Kohärenz zu erzeugen. Gerald Moers arbeitet in seiner derzeit in Vorbereitung befindlichen Monographie Decorum. A preliminary study of the textual evidence heraus, inwiefern tp-ḥsb dem ägyptologischen Begriff Decorum nahe kommt bzw. inwiefern wir damit einen analogen ägyptischen Begriff vor uns haben, für den ägyptologischerseits bislang davon ausgegangen wurde, er sei im ägyptischen Lexikon nicht vorhanden. Gerald Moers verdanke nicht nur die folgende Belegauswahl selbst, sondern auch erste Einblicke in seine aufschlussreiche Auswertung des Materials. Die hier angeführten Beispiele belegen ḥm(w).t bzw. ḥmw.w / ḥmw.tjw im Zusammenhang bzw. vergesellschaftet mit tp-ḥsb „Angemessenheit(/Decorum)“, ḥsb.w „Richtlinien“ und tp-rd „Vorgabe“: Stele des Jnj-jt=f Sohn der Mjj.t (11. Dynastie), Ny Carlsberg Glyptotek 1241 (æin 891),4: ḏḏ ḥsb.w n jmj.w-rʾ n.w ḥmw.wt nb „einer, der den Vorstehern aller Handwerke Richtlinien vorgibt“ (Clère & Vandier, tppi, § 32; Landgráfová, It is My Good Name, 40f.). Stele des Rꜥ-ḥtp (19. Dynastie), Kairo JdE 48845,(a),5–6: […] ḏj tp-rd [n] ntj nb jmjrʾ kꜣ.wt ḫrp ḥmw.w jmj-rʾ hp.w n nṯr nfr m zḥ n wḏꜥ mꜣꜥ.t „[…], der einem jeden Vorgaben erteilt, Vorsteher aller Arbeiten und Aufseher der Handwerker, Vorsteher der Gesetze des guten Gottes in der Halle des Maat-Richtens“ (Moursi, „Die Stele des Vezirs Re-hotep“, 322 [Abb. 1]). Würfelhocker des Nb-nṯr.w iii (22. Dynastie), Kairo cg 42225,(links),2–3: wnn=j ḥrtp tꜣ m ꜥq ḥr nṯr m jr.tj-nzw m jp.t-s.wt ḏḏ tp-rd m kꜣ.t nb.t m n-rḫ sšm ḥmw.tjw r tp-ḥsb rḫ rʾ=f ḥr md.t m ꜥḥ „Ich war auf der Erde mit Zugang zum König als die beiden Augen des
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stand“ auch die Bindung an (kultische) Funktionen im Zentrum der Diskussion.172 Baines zufolge steht dieses Argument einem Kunstbegriff jedoch keinesfalls im Wege. Viele Kunstobjekte hätten mehr als nur eine Funktion, so dass die Kunstfrage auf unangemessene Weise reduziert werde, wenn man jede Funktion, die sich nicht unter ästhetischen Gesichtspunkten fassen lässt, zum Ausschlusskriterium erkläre.173 Aus komparatistischer Perspektive läge es vielmehr nahe, die Kunstfrage gerade nicht anhand der Funktionen der Objekte zu beantworten, da sich kunsthistorische Methoden auf die verschiedensten Bilder anwenden ließen: „Egyptian works of statuary and relief, as well as architecture, respond to traditional modes of art-historical analysis – more ‚radical‘ ones have hardly been tried on them – whether or not their status and functions were different from those of superficially comparable works in other departments of the same museums.“174 Die Möglichkeit, angesichts ägyptischer Bilder kunsthistorische Methoden zur Anwendung zu bringen, ist unstrittig. Es stellt sich nur die Frage, ob diese Objekte so nicht erst im Rahmen der sekundären wissenschaftlichen Ansprache zu Kunst erklärt werden und primäre Zusammenhänge dadurch unnötigerweise rezeptiv überlagert werden.175 Nach Baines’ Auffassung waren die Funktionen ägyptischer Kunstwerke ohnehin weniger streng instrumentaler als symbolischer Natur. Da die vor
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Königs in Karnak, einer, der bei jeder geheimen Arbeit Vorgaben erteilt, einer, der die Handwerker zur Angemessenheit leitet und der beim Sprechen im Palast richtig zu reden weiß“ (Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit ii, 137). Kom Ombos no. 801 (ptolemäisch): rḏj pr n nb=f ḏd-mdw nfr wj pr=k nj snnw=f ḥmw.t=f nb r tp-ḥsb „Den Tempel seinem Herrn geben – Worte zu spechen: Wie schön ist dein Haus, ohne seinesgleichen, und alle seine Handwerksarbeiten orientieren sich an Angemessenheit!“ (Gutbub, Kom Ombo i, 271, no. 204,1–2). Vgl. oben Kapitel 1.1.1 und 1.1.2. Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 310. Jüngst hat Baines („What is Art“, 2) auch Beltings Studie Bild und Kult dafür kritisiert, den Begriff der Kunst daran zu festzumachen, dass Kunstwerke keine Funktion hätten. Dabei ist nach Belting die Kunst der Neuzeit gerade nicht funktionslos, vielmehr weist er nach, dass wir es seit der Neuzeit mit neuen Aufgaben und Verwendungsweisen von Bildern zu tun haben, die nun als Kunst dienen konnten (vgl. ausführlicher oben Kapitel 1.1.1 sowie auch das Folgende). Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 310f. Vgl. hierzu auch Kapitel 1.3. Dieser Frage widmet sich unten außerdem Kapitel 2 mit einer ganzen Reihe von Untersuchungen. Vgl. außerdem Kapitel 3.2.5.
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einer Kultstatue geopferten Nahrungsmittel im Anschluss von den handelnden Priestern selbst konsumiert worden seien, könne man davon ausgehen, dass der symbolische Charakter auch den beteiligten Ägyptern bekannt gewesen ist. Das an Statuen und ganzen Tempeln exerzierte Mundöffnungsritual sei ein ähnliches Beispiel, das sich nicht von der Weihe christlicher Kirchen unterscheiden müsse, bei denen es sich ebenfalls trotz dieses Rituals um multifunktionale und mit zahlreichen Bedeutungen versehene Kunstwerke handele. Daher sei es legitim, in ägyptischer Kunst ein Phänomen zu sehen, das sich analog zu anderen kulturellen Zusammenhängen bzw. zur Kunst anderer Traditionen verhalte.176 Mit diesem komparatistischen Ansatz wendet sich Baines an dieser Stelle erneut gegen eine Historisierung von Bildpraktiken, wie sie etwa von Belting gefordert wird. Dabei zeigt sich besonders deutlich, wie stark Baines’ Perspektive auf einer säkularisierten Weltsicht fußt. Aus einer solchen Betrachtungsweise heraus liegt es tatsächlich nahe, anzunehmen, dass im Kult eingesetzte Bilder weniger instrumental zu verstehen sind als symbolisch, da den beteiligten Personen klar gewesen sei, dass Bilder selbst keine Opfergaben entgegennehmen können.177 Selbstverständlich wird den Priestern bewusst gewesen sein, dass die im Rahmen des Opferumlaufs an sie weitergereichten Opfergaben nicht bereits materialiter von den Kultbildern konsumiert wurden. Das ägyptische Weltbild dürfte jedoch keine Möglichkeiten bereitgehalten haben, in diesen Vorgängen symbolische Pro-forma-Handlungen an Kultbildern zu sehen, deren eigentliche Nutznießer die Priester waren, da die Vorstellung von der Notwendigkeit solcher Opfer damals noch alternativlos gewesen ist.178 Nur der moderne Blick aus einer entgötterten Welt kann diese Opferhandlungen auf eine streng symbolische Komponente reduzieren: Das Opfer
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Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 311. Darin, wie Baines hier aus säkularisierter Perspektive über ägyptische Bilder spricht, lässt sich das von Belting beschriebene Phänomen erkennen, dass Kunst zu dem Zeitpunkt entsteht, an dem Bilder aus sakralen Zusammenhängen in säkulare Kontexte wechseln und dort neue Funktionen erhalten und neue Rollen einnehmen. Vgl. zu der damit skizzierten Möglichkeit, Kunst institutionalistisch bzw. kontextbezogen zu definieren, ausführlich Kapitel 3.1. Vgl. zu Belting oben Kapitel 1.1.1 sowie zu Baines’ Kirchen-Vergleich unten S. 54 f. So betont Junge etwa, wie wichtig es sei, sich bei der Behandlung der ägyptischen Kultur zu vergegenwärtigen, dass es sich bei der „Ausgliederung des Weltverstehens“ aus der Religion um einen historischen Prozess der Neuzeit handelt, hinter den man daher „gewissermaßen zurückdenken“ müsse („ ‚Unser Land ist der Tempel der Ganzen Welt‘“, 3–5).
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und die damit zusammenhängenden Handlungen waren in Ägypten Instrumente der Inganghaltung von Welt zur Sicherung von Existenz und Teilhabe auf ganz verschiedenen Ebenen, auch wenn sie sich Formen symbolischer Codes bedienten.179 In diesem Sinne verlieren Beschreibungskategorien wie instrumental/symbolisch, wenn sie als gegensätzlich aufgefasst werden, ihre Aussagekraft. Es handelt sich schließlich um keine gegensätzlichen, einander ausschließenden Arten von Bildern, sondern um Teilkomponenten, mittels derer sich ägyptisches Bildhandeln ereignen kann: Bilder können mittels symbolischer Eigenschaften, die ihnen zugeschrieben werden, funktional in Bildhandlungen eingebunden sein, indem man sie gebraucht, um Vorstellungen zu formalisieren. Daher dürfte sich eine streng instrumentale Auslegung des Funktionsbegriffs für das ägyptische Material nicht eignen. Damit ist ein Punkt erreicht, an dem es sich anbietet, kurz noch einmal zu Beltings Schlussfolgerungen zurückzukehren und sie in Bezug zu Baines’ Argumentation zu setzen. Nach Belting lässt sich in der beginnenden Neuzeit eine grundsätzliche Veränderung im Gebrauch von Bildern feststellen. Bilder, die zuvor nur als Kultbilder Verwendung fanden, seien teilweise aus diesen in der Tradition antiker Bildkulte stehenden kirchlichen Kontexten herausgetreten, weil man in ihnen nun zweierlei erkennen konnte: Bilder oder Kunstwerke.180 Nimmt man nun diese Prozesse als Grundlage einer Historisierung wie Belting sie vorschlägt, dann ließen sich keine plausiblen Gründe dafür anführen, dass innerhalb der nicht säkularisierten Welt der Ägypter Bilder in einer der Neuzeit vergleichbaren dualistischen Weise rezipiert wurden. Zieht man das hinzu, was heute bezüglich der Verwendungskontexte ägyptischer Bilder gemeinhin als bekannt und gesichert gilt, dürfte es schwer fallen, andere Schlüsse zu ziehen, gilt es doch, die Produzenten und Adressaten innerhalb des primären (d.h. ägyptischen) Kontextes als Ausgangspunkt einer Einschätzung der ägyptischen Bildkultur zu nehmen.181 Die Stellung der Bildproduzenten als nicht distinktiver Gruppe innerhalb der Gesamtheit der Handwerker wurde in diesem Sinne bereits berechtigterweise als Argument dafür
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Vgl. zum aristotelischen Zeichenbegriff in Abgrenzung zum neuzeitlichen Zeichenverständnis, ohne das Baines’ Perspektive kaum vorstellbar wäre, Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik, 46–50. Vgl. oben Kapitel 1.1.1. So auch Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 310: „The art historian and the iconologist need to seek an interpretative framework that is oriented toward the patrons, creators, and consumers of art in the producing society, as well as to the institution of art which they create and sustain.“
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stark gemacht, den Begriff Künstler als für Ägypten inadäquat abzulehnen.182 Baines’ säkularisierter Blick verkennt hier in seiner Fokussierung auf komparatistische Fragestellungen, wie weit die Perspektiven moderner und antiker Bildrezipienten aufgrund historischer Veränderungen in Weltsicht und Weltverstehen auseinander liegen.183 Dies sollte stets reflektiert und grundsätzlich in Interpretationsmuster integriert werden, um zu vermeiden, dass moderne Ansichten vorschnell mit antiken Praktiken oder Vorstellungen gleichgesetzt werden.184 Eindrücke von modernen Besuchern antiker Stätten dürfen nicht mit der Weltsicht derjenigen verwechselt werden, die diese Orte einst bewohnten. Anhand des von Baines gezogenen Vergleichs zwischen dem Mundöffnungsritual eines ägyptischen Tempels und der Weihe einer christlichen Kirche lässt sich die Bedeutung dieser Zusammenhänge gut veranschaulichen und skizzieren, wie entscheidend die kulturelle Determinierung von Perspektiven sein kann. Es lohnt sich hierfür, im Rahmen eines Gedankenexperiments zu überlegen, ob zwischen einem Christen, einem Angehörigen einer anderen Glaubensgemeinschaft und einem atheistischen Touristen ein Konsens darüber zu erzielen wäre, ob eine Kirche ein Kunstwerk ist oder nicht.185 Die Option, einer geweihten Kirche den Status eines Kunstwerkes zu verleihen, dürfte für einen ‚säkularisierten‘ Touristen am ehesten selbstverständlich sein, der einen solchen Ort möglicherweise mit einem Kunstreiseführer gewappnet betritt. Einem Anhänger einer anderen Religion wird dies immer noch leichter fallen als einem gläubigen Christen, der in der Kirche einen Ort der Einkehr und Gottesbegegnung sieht, die gerade durch externe Besucher gestört werden kann, wie sie möglicherweise gar in Gruppen photographierend die Aura einmaliger Kunstschätze bestaunen, während sie von ihrer voranschreitenden Reiseleitung über Geschichte und Stil des Altarschmuckes informiert werden. Nicht umsonst sind mitunter bestimmte Bereiche oder Kapellen für Touristen unzugänglich und gläubigen Besuchern vorbehalten. Auch der gängige Ausschluss von Touristen während des Gottesdienstes („no visits during services“) zeigt, dass eine Kirche ein Ort der Kunst und ein Ort des Kultes sein kann. Wahrscheinlich meint Baines gerade dies, wenn er von einem „status 182 183 184 185
Vgl. oben bei Fn. 167. Weltverstehen ist hier im Sinne Junges gemeint und somit relativistisch und gerade nicht normativ zu verstehen. Vgl. oben Fn. 178. Dabei stellt sich erneut die Frage, warum historisierende Perspektiven auf Bildpraktiken als eurozentristisch abzulehnen sein sollten. Vgl. oben Fn. 155. Dabei sei hier sogar die durchaus wahrscheinliche Möglichkeit ausgeblendet, dass die einzelnen Personen unter einem „Kunstwerk“ unterschiedliche Dinge verstehen würden.
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as a multifunctional and polysemous work of art“ spricht,186 und zahlreiche ästhetische, symbolische und instrumentale Funktionen für eine Kirche als Kunstwerk ansetzt. Diese Vielfalt hängt jedoch nicht am Objekt selbst, sondern an der Vielzahl von Möglichkeiten, eine Kirche zu betrachten, – eine vor der Neuzeit kaum denkbare Perspektive. Ein christlicher Sakralbau kann daher höchstens dann als Kunstwerk gelten, wenn man einen eng am Begriff des Kunsthandwerks angelehnten Kunstbegriff anlegt, der Aspekte wie aufwendige und kostspielige Ausstattung und handwerkliche Ausführung in den Vordergrund stellt und sich aus säkularisierter Sicht für eine sekundäre Ästhetisierung öffnen kann, indem er die Bilder der Kirche nicht als Kultbilder, sondern als Kunstwerke begreift. Es kann hier vorerst festgehalten werden, dass für die Beurteilung von Objekten, die primär in religiöse Kontexte eingebettet sind oder waren, von entscheidender Bedeutung ist, welche Distanz der Betrachter zwischen sich und dem Betrachteten aufbauen kann, ohne das Betrachtete aus den Augen zu verlieren. Dabei stellt sich auch die Frage, über wie viel Kenntnisse vom Sitz im Leben des Objektes, über wie viel Verstehen kultureller Zusammenhänge der Betrachter überhaupt verfügen kann. Bei Objekten aus fremden Kulturen hängen die Folgen von fehlender Situationskompetenz wiederum davon ab, ob der Betrachter das betreffende Objekt eher als Repräsentanten einer Fremde oder als Analogon zu Gegenständen aus eigenen kulturellen Kontexten auffasst.187 Im letzteren Fall können Analogieschlüsse leicht kulturelle und historische Unterschiede verwischen und folgenreiche hermeneutische Aneignungsprozesse befördern. Diese Zusammenhänge sollen später genauer beleuchtet werden.188 Baines setzt sich ferner mit dem Ansatz Junges auseinander, ein ägyptisches Objekt werde dadurch zu Kunst, dass der Produzent keine handwerkliche Nachahmung, sondern die Wiedergabe einer (Platonischen) Idee verfolgt habe.189 Dieser Ansatz berücksichtige nach Baines zwar den konzeptionellen Charakter der ägyptischen Kunst, bereite jedoch unter komparatistischen Gesichtspunkten Schwierigkeiten.190 Auch die von Junge eingeführten
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Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 311. In der Terminologie der Ethnologie würde sich die Frage stellen, ob man Alienität (radikale Andersheit) oder Alterität (übersetzbare Andersheit) ansetzt. Die hier nur knapp skizzierte Fragestellung wird sich als zentral erweisen. Vgl. unten Kapitel 3.1 sowie 3.2.1, 3.2.2, 3.2.3 und insbesondere 3.2.5. Vgl. oben Kapitel 1.1.2. „it is difficult to see in what way his position would bring ancient Egyptian and western art under a single rubric.“ (Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 302).
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Begriffe ‚Wirklichkeit‘ und ‚Schönheit‘ können seiner Meinung nach spezifische Aspekte der ägyptischen Kunst benennen, stoßen jedoch bald an ihre Grenzen, da der an ihnen entwickelte Kunstbegriff nicht in der Lage sei, verschiedene Phänomene aus unterschiedlichen Kulturen zu behandeln.191 Junges Ansatz wird von Baines damit als zu ägyptenspezifisch angesehen und kritisiert. Da Baines selbst die generelle Berechtigung eines Kunstbegriffes als anthropologische Konstante zu einem Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht, kann aus seiner Sicht ein Ansatz, der die Andersartigkeit ägyptischer Bilder betont bzw. wenigstens ernsthaft erwägt, tatsächlich nicht vollständig greifen. Die Möglichkeit, dass der europäische Kunstbetrieb und die ägyptische Bildpraxis auf grundsätzlicher Ebene nicht in Deckung zu bringen sind, verhält sich konträr zu Baines’ Annahme, annähernd jede Gesellschaft bringe eine „institution of art“ hervor. 1.2.1.5 Kultur als Kunst Bei Baines bildet das Ästhetische in ganz anderer Weise einen Schwerpunkt der Argumentation als es in Junges „Versuch zu einer Ästhetik“ der Fall war. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass sich bei Baines der Begriff des Ästhetischen nicht von dem der Kunst trennen lässt.192 Kunst ist für ihn, was über die funktionale Einbindung hinaus einen Ästhetiküberschuss aufweist. Gestaltungsmerkmale, die nach Baines als ästhetisch zu verstehen sind – wie etwa kompositorische Ausgewogenheit – sind ohne Frage im ägyptischen Material zu greifen und bereits oft beschrieben worden.193 Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob man Produkte jedweder Art, die über ein „surplus of order and aesthetic organization which goes beyond the narrowly functional“194 verfügen, (unter Berücksichtigung ihrer sozialen Relevanz) als Kunst bezeichnen sollte. Diese Frage drängt sich insofern auf, als Baines das Ästhetische an Objekten als eine über funktionale und pragmatische Gesichtspunkte hinausgehende Ordnung (und damit wohl als zumindest partiell mit Decorum identisch) ver-
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„[A]gain they [die Begriffe] are not very distinctive, and they do not address the commonality of character between Egyptian and other artistic traditions.“ (Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 302 mit Anm. 1). Vgl. hierzu bereits oben Fn. 155 sowie unten Kapitel 2.3.5.2 (dort Fn. 530) und Kapitel 3.1. Diese enge Bindung hat er jüngst auch explizit ausgeführt. Vgl. Baines, „What Is Art?“. Eben in der Beschreibung jener und anderer Gestaltungsphänomene liegt die oftmals hervorgehobene Qualität von Heinrich Schäfers Studien, die auch heute noch relevant ist: Schäfer, Von ägyptischer Kunst4; vgl. die umfassendere Diskussion des „SchäferParadigma[s]“ bei Liedtke, Begriffsbildung, 51–68. Baines, „On the Status and Purposes of Ancient Egyptian Art“, 301.
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stehen möchte, woran sich die Gegenfrage entzünden ließe, was dieser Diktion folgend nicht mehr der Kunst zuzurechnen sei. Schließlich wären bei einem derart weiten Ästhetikverständnis, das zugleich an die Kunst gekoppelt ist, letzten Endes auch Objekte weit jenseits der High Culture Kunst. Dieser Begriffsverwendung folgend wäre in letzter Konsequenz jedes Symbolsystem und jede über ästhetische Gesichtspunkte ansprechbare Struktur bereits als Kunst zu betrachten. Ein über die bloße Zweckmäßigkeit hinausgehendes Gestalten – sowohl von Objekten als auch von Handlungen – ist zwar ganz im Sinne von Baines von herausragender Relevanz für alle menschlichen Gesellschaften und könnte sicherlich auch mit einem speziellen Decorum-Ästhetik-Begriff bezeichnet werden,195 die von Baines vertretene Anbindung an den Kunstbegriff erscheint dann jedoch nicht mehr plausibel: Wenn man den Ästhetikbegriff derart weit fasst, verliert ein daran geknüpfter Kunstbegriff fast jede Differenzqualität, da es dann kaum mehr möglich ist, zwischen Kunst und Nicht-Kunst zu unterscheiden – kennzeichnet diesem Verständnis nach ästhetisch motiviertes Handeln und Gestalten doch den Menschen in fast allem. Und genau dieses Aufgehen der Kunst in einem sehr weit gefassten Ästhetikbegriff vertritt Baines mittlerweile auch noch expliziter: „I characterize art informally as the complete range of aesthetically ordered activity in a society“.196 Bei Baines verbindet das Decorum als ästhetisches Regelset für alles Äußerbare und Produzierbare die Ästhetik mit der High Culture, die sich auf eben diese Äußerungen und Produkte fokussiert. Damit ist der Ort beschrieben, an dem Baines die Kunst ansetzt bzw. in dem er die Kunst vollends aufgehen lässt. Denn wenn alles Ästhetische Kunst ist, ist jede kulturelle Äußerung der Decorum-Kultur Ägypten Kunst. Man könnte auch sagen, die Kultur selbst wird bei Baines zur Kunst – zumindest innerhalb ägyptologischer Wahrnehmungsmöglichkeiten, die ja nur auf Fragmente jener kulturellen Äußerungen zurückgreifen können. Die Tatsache, dass Baines trotzdem lieber von Ästhe-
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Vgl. auch weiter unten zu Hardin, The Aesthetics of Action. Baines, „What Is Art?“, 2. Außerdem: „The majority of the material culture known from ancient Egypt is aesthetically formed. This preponderance is due, in large part, to the fact that royalty and the elite controlled most of the society’s wealth. They appropriated vast resources in order to create durable monuments and to place products that were as beautiful as possible in locations where they have survived to be found in modern times. Both the contexts for those products – temporary and permanent ordered spaces and structures – and the products themselves constitute works of art in the sense advocated here“ (Baines, „What Is Art?“, 3 [Kursive K.W.]). An anderer Stelle erklärt er jedes Objekt, das Hieroglyphen trägt, zum Kunstwerk, vgl. ders., High Culture and Experience, 15. Vgl. zur Problematik eines sehr weiten bzw. offenen Kunstbegriffs auch Kapitel 3.1.
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tik spricht, selbst wenn er sich die Frage „What is art?“ stellt („My basic category is thus ‚the aesthetic‘ rather than ‚art‘.“197) dürfte in der neuzeitlich geprägten Begriffsgeschichte der Kunst begründet liegen. An letztere lässt sich schließlich der extrem weite Kunstbegriff von Baines nicht ohne weiteres anschließen. Denn wenn Baines’ Perspektive zufolge Kunst und Kultur nicht mehr voneinander zu trennen sind, dürfte sich dies mit keinem gängigen Kunstbegriff in Deckung bringen lassen. Dieses in Baines’ Arbeiten allenfalls am Rande thematisierte bzw. nur verdeckt in Erscheinung tretende Kompatibilitätsproblem mag ein Grund dafür sein, dass bei ihm andere Begriffe im Vordergrund stehen (Ästhetik, Decorum, High Culture). Und so behandelt Baines mit ihnen Phänomene, die so global sind, dass sie sich nicht unter dem Begriff Kunst samt zugehöriger Begriffsgeschichte abhandeln ließen, ohne jedoch dabei auf den Kunstbegriff zu verzichten. 1.2.1.6 Kunst und Ästhetik vs. Ästhetik ohne Kunst Als vergleichsweise ähnliche Form einer weiten Begriffsverwendung kann die in der Ethnologie und Kulturanthropologie anzutreffende Tendenz angesehen werden, Diskurse der philosophischen Ästhetik insbesondere seit dem 19. Jahrhundert bewusst zu ignorieren und jedes menschliche Schaffen hoher Qualität (teils ohne Beschränkung auf materielle Erzeugnisse) als Kunst zu verstehen und damit einen sehr weiten Kunstbegriff zu verwenden.198 Die Problematik eines solchen Vorgehens liegt zu einem ganz wesentlichen Teil in der Bindung eines in diesen Fällen kaum näher konkretisierten Ästhetikverständnisses an einen Kunstbegriff, der zeitlich wie räumlich weit über die europäische Neuzeit hinausgreift, jedoch deren Konzepte nicht vollständig aufgibt. Die Annahme, man könne in diesem Sinne Aussagen über ägyptische Bilder treffen, indem man sie als Kunst anspricht, ohne jedoch die Komplexität und die Konsequenzen der fortwährend um Kunst und Ästhetik geführten Diskurse zu reflektieren, erscheint daher unplausibel. Hieran wird deutlich, dass gerade dann die größten Probleme auftreten, wenn unter dem Deckmantel einer weiten und daher vermeintlich praktikablen Begriffsverwendung weder Kunst noch Ästhetik klar umrissen bzw. historisiert werden, sondern lediglich einander stützend und zirkulär gebraucht werden. Es lohnt daher, an dieser Stelle einen Blick auf zwei verschiedene Ansätze zu werfen, die sich durch einen sehr weiten Ästhetikbegriff auszeichnen, ohne sich durch begriffliche Unschärfe oder durch ein ungeklärtes
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Baines, „What Is Art?“, hier: 3. Vgl. etwa Harris, Kulturanthropologie, 317–331. Vgl. auch Kapitel 3.2.5.
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Verhältnis zwischen Kunst und Ästhetik bereits im Vorwege die oben ausgeführten Probleme einzuhandeln. Hartmut Böhme vertritt beispielsweise einen weiten Ästhetikbegriff, wie er sich zumindest in gewisser Hinsicht auch an Baines’ Konzept der High Culture anbinden ließe: „Bis heute gilt, dass – wie immer auch enggeführt oder entschränkt – Ästhetik identisch ist mit der Analyse hegemonialer Kultur.“199 Böhmes Überlegungen unterscheiden sich jedoch in anderer Hinsicht ganz grundsätzlich. So betont er, dass Ästhetik „auf der zeitlichen Achse […] ein spätes Erzeugnis“ sei und weist ihr eine entsprechende historische Position zu: „Kunst ist älter als Ästhetik; das Schöne und das Erhabene sind älter und umfassender als die Kunst. Religion und Gesellschaft sind älter und umfassender als das Schöne und Erhabene. Natur ist älter und umfassender als Religion und Gesellschaft.“200 Böhme sieht aufbauend auf dieser Reihe von Feststellungen Ästhetik als „genau de[n] Modus, alle diejenigen Dimensionen zu integrieren, die ihr historisch wie systematisch vorausgehen.“201 Als „Reflexion des Schönen und Erhabenen“ könne sich Ästhetik daher auf alle „Epochen von Gesellschaft und Religion“202 bzw. gar auf „potentiell jedes Moment des Alltags, der Gesellschaft, der Kunst und der Natur“203 beziehen. Dabei sei Ästhetik nicht nur als „Modus sinnlicher Erkenntnis“ zu verstehen, vielmehr konstituiere sich „das ästhetische Phänomen [allererst] in einem ebenso flüssigen wie integrativen Prozeß von Wahrnmehmungsakten[sic] und Reflexion, von Wissen und Erinnern, von Imagination und Assoziation, von gespürten Atmosphären und analytischen Einsichten, von projektiven Entäußerungen und introjektiven Verinnerlichungen[.]“204 Demnach handelt es sich bei Ästhetik nach Böhmes Auffassung um ein vergleichsweise junges und kulturell bedingtes Phänomen, das sich zwar auch auf sehr alte Objekte erstrecken könne, wenn diese zu Teilen ästhetischer Prozesse gemacht werden, eine Ästhetik müsse als Reflexion ästhetischer Situatio199 200 201 202 203 204
Böhme, „Einführung in die Ästhetik“, 251. Böhme, „Einführung in die Ästhetik“, 248. Böhme, „Einführung in die Ästhetik“, 248. Böhme, „Einführung in die Ästhetik“, 248. Böhme, „Einführung in die Ästhetik“, 246. Böhme, „Einführung in die Ästhetik“, 246.
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nen jedoch kulturdifferenzierend und historisch sein und lasse sich nicht mehr auf die Kunsttheorie reduzieren: „[D]as Ästhetische [ist] heute in einer Weise entschränkt, dass Ästhetik als Theorie der Künste nur noch als eine Provinz erscheinen kann.“205 Festzuhalten bleibt, dass mit Böhme von Ästhetik als einem komplexen prozessualen Phänomen gesprochen werden könnte, das einerseits nicht an Kunst gebunden ist und das sich andererseits aus heutiger Perspektive in Bereiche und Zeiten erstrecken kann, in denen selbst von Ästhetik eigentlich nicht zu sprechen wäre. Seine Perspektive bietet daher genau an den Stellen, an denen bei Baines die Begriffe Kunst und Ästhetik aufgrund einer zu engen Bindung aneinander ihre Aussageleistung einbüßen, Möglichkeiten für eine differenzierende Begriffsverwendung. Historisiert man Ästhetik lassen sich verschiedene Formen des Schönen voneinander unterscheiden, die nicht miteinander verwechselt werden sollten. Denn mit der schlichten Beobachtung von Schönheit (dem ‚Naturschönen‘), der auf Vollkommenheit abzielenden und regelgeleiteten Formung kultureller Äußerungen (Decorum/Kanon) und dem Ästhetikdiskurs um das Kunstschöne seit Kant und Baumgarten (Ausdifferenzierung der philosophischen Spezialdisziplin Ästhetik) werden drei ganz unterschiedliche Phänomene, die ihre eigene Geschichte haben, in der ägyptologischen Diskussion gerne miteinander vermengt.206 Während bei Böhme das Prozesshafte der Ästhetik eine wesentliche Rolle spielt, käme als weitere Alternative zu dem Baines’schen Nexus von Kunst und Ästhetik auch ein speziell handlungsorientierter Ästhetikbegriff in Betracht, der anders als Böhme explizit auf keinen Kunstbegriff zurückgreift, sondern untersucht, warum Angehörige einer bestimmten Gesellschaft auf bestimmte Gestaltungsformen, Praktiken etc. zurückgreifen und nicht auf andere aus dem Repertoire unzähliger infrage kommender Möglichkeiten. Kris L. Hardin hat in einer anthropologischen Studie ihre ethnologischen Feldforschungen in einer Bevölkerungsgruppe in Westafrika ausgewertet und dabei die Bedeutung von Kontinuität und Wandel untersucht.207 Für Ägypten erscheint ein solcher Zugang aufgrund der zur Verfügung stehenden Materialbasis stark erschwert bzw. ausgeschlossen. Und dennoch kann diese Perspektive wenigstens indirekt für die Ägyptologie nutzbar gemacht werden, denn Hardin koppelt in ihrer Untersuchung gerade das Funktionale an ihren Ästhetikbegriff und propagiert auf diese Weise einen handlungsorientierten Ansatz, der danach fragt, 205 206 207
Böhme, „Einführung in die Ästhetik“, 249. Vgl. hierzu die essayistisch prägnante Perspektive von Mühlmann, Die Natur der Kulturen, 138–141. Hardin, The Aesthetics of Action.
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„how people decide that particular forms (behavioral or objective) are appropriate“, und ausdrücklich darum bemüht ist, sich nicht in die Problematik der vergleichsweise jungen westlichen Unterscheidung zwischen Kunst und NichtKunst verstricken zu lassen.208 So distanziert sich die Grundausrichtung ihrer Betrachtung von starren Begriffskategorien wie ‚funktionsgebunden‘ vs. ‚funktionslos‘, mit denen man ohnehin Probleme bekäme, plausibel zu machen, wie es Funktionslosigkeit von Objekten geben kann, die in kommunikative Zusammenhänge eingebunden sind und denen dadurch Funktionen zugewiesen werden. Bilder erhalten ihre Bedeutung ja gerade dadurch, dass sie in verschiedenste Handlungen und damit in kulturelle Praktiken eingebunden werden. Es besteht sogar berechtigter Zweifel daran, ob ohne derartige Konstellationen überhaupt von Bildern gesprochen werden kann.209 Von Bildhandeln statt von Kunst zu sprechen, bringt außerdem den wesentlichen Vorteil mit sich, dass so der Schwerpunkt von den sicherlich auf absehbare Zeit nicht zu konsensualisierenden Fragen der Begriffsdefinitionen bzw. von den Vorschlägen zur ontologischen Klärung von Gegenständen oder Begriffen auf die Ebene der kulturellen Praxis verlagert werden kann. Die dargelegten Problemlagen des Kunstbegriffs werden auf diese Weise sowohl terminologisch als auch strukturell aus der Theoriebildung herausgehalten. Und eben darin unterscheidet sich Hardins Ansatz von Baines’ Perspektive, der zwar insbesondere in seinen jüngsten Veröffentlichungen einen ähnlichen Weg wie Hardin im Auge hat und sogar auf diese verweist,210 jedoch eine Verabschiedung des Kunstbegriffes und die auf diesem Wege mögliche begriffliche Klarheit ablehnt.211 Dabei ginge es keineswegs darum, theoretische und methodische Probleme durch einen Begriffsverzicht oberflächlich auszublenden oder zu ignorieren. Im Gegenteil: Wenn historische Begriffe identifiziert und als solche behandelt werden, kann in vielerlei Hinsicht überhaupt erst ein angemessenes Maß an terminologischer Klarheit gewonnen werden.212 Das vehemente Festhalten
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Vgl. Hardin, The Aesthetics of Action, 1–21, hier: 2 (Zitat), die sich dort auch zur Problematik der Übertragung vom Konzept der Kunst auf nicht-westliche Kulturen äußert. Vgl. Belting, Bild-Anthropologie, 11–14. Vgl. Baines, High Culture and Experience, 15, aber auch bereits Baines & Yoffee, „Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient Egypt“, 235. Vgl. ebenda sowie hier ausführlich oben. Vgl. hierzu auch unten Kapitel 3.1. Darin liegt auch der Grund, warum Alfred Gells postum erschienene Studie Art and Agency angesichts der hier für die Ägyptologie herausgearbeiteten Problemlagen keine aussichtsreiche Perspektive bietet, auch wenn sie ebenfalls einen handlungsbasierten Ansatz vertritt und Ähnlichkeiten zu dem von Hardin aufweist: „The aim of anthropological theory is to make sense of behaviour in the
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an der Anwendbarkeit des Kunstbegriffs für Ägypten scheint vor allem Baines’ stark komparatistisch ausgerichteter Perspektive geschuldet zu sein. Im Ergebnis wird so vor allem eine Historisierung der Begriffe und Phänomene erschwert und damit einhergehend eine begriffliche Schärfung verhindert. Die kulturwissenschaftlich ausgerichteten Strömungen der jüngeren ägyptologischen Forschung folgen diesen Leitlinien ganz explizit.213
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context of social relations. Correspondingly, the objective of the anthropological theory of art is to account for the production and circulation of art objects as a function of this relational context.“ (Art and Agency, 11). Gell distanziert sich zwar deutlich von ästhetikbasierten Ansätzen (vgl. hierzu jedoch Davis, „Abducting the Agency of Art“) und verweist darauf, dass unsere Ästhetik kulturspezifisch sei: „I am far from convinced that every ‚culture‘ has a component of its ideational system which is comparable to our own ‚aesthetics‘. I think that the desire to see the art of other cultures aesthetically tells us more about our own ideology and its quasi-religious veneration of art objects as aesthetic talismans, than it does about these cultures.“ (ebenda, 3). Er historisiert jedoch den Kunstbegriff nicht nachhaltig, sondern bindet ihn an eine soziale Funktion, auf deren Beschreibung und Analyse seine Theorie abziele: „The art object is whatever is inserted into the ‚slot‘ provided for art objects in the system of terms and relations envisaged in the theory […]. Most of the art objects I shall actually discuss are well-known ones that we have no difficulty in identifying as ‚art‘ […]“ (ebenda, 7). Damit rückt er in die Nähe einer institutionalistischen Kunstdefinition, die er selbst jedoch eigentlich ablehnt (ebenda, 5– 7), und öffnet (durch die Möglichkeit des Rückgriffs auf ein intuitives Kunstverständnis) neuzeitlichen Kunstkonzeptionen die Tür in seine auf eine klare Kunstdefinition verzichtende Theorie. Wie hier und in Teil iii dieser Arbeit dargelegt wird, kann jedoch erst eine Auseinandersetzung mit den Wahrnehmungsgewohnheiten, die wir heute mit Kunst verbinden, und ein Verzicht auf den Begriff Kunst eine Rezeption ermöglichen, die sich von einer unterscheidet, wie Gell sie selbst ebenfalls nicht verfolgen will: „providing a ‚context‘ for non-Western art such that this art can become accessible to a Western art-public“ (ebenda, 5). Gerade diese seine Beschreibung verdeutlicht die Problematik, die man sich einhandelt, wenn man zwischen „art“ und „non-Western art“ unterscheiden will, dabei letztere aber auch als „art“ auffasst. Denn die Transzendierung des historischen Begriffs Kunst birgt eben genau die Gefahr, die als Kunst aufgefassten Objekte früherer Zeiten oder fremder Kulturen lediglich innerhalb der neuzeitlichen Kunst zu rekontextualisieren. Die Geschichtlichkeit der Objekte und deren primäre Kontexte geraten aus dem Blick. Diese Konstellation und ihre Konsequenzen für die ägyptologische Forschung werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit ausführlich herausgearbeitet. Vgl. zu Gell auch Vischak, Community and Identity, 10 f. Vgl. vor diesem Hintergrund nochmals oben mit Fn. 190 und 191, sowie hierzu auch das folgende Kapitel und Kapitel 1.5.
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1.2.2
Methodenpluralismus an der Wende zur Kulturwissenschaft: Eine Perspektive für die ägyptologische Kunstwissenschaft? Alexandra Verbovsek hat nicht nur mit Imago Aegypti im Jahr 2005 eine „ägyptologisch-kunstwissenschaftlich ausgerichtete Zeitschrift“214 und damit ein echtes Novum ins Leben gerufen, sondern sich auch mit verschiedenen Beiträgen zu den Problemen, Möglichkeiten und Perspektiven ägyptologischer Kunstforschung geäußert.215 So hat sie sich u.a. in einem auf ägyptologische Methodik und Didaktik ausgerichteten Sammelband die Aufgabe gestellt, die Möglichkeiten ägyptologischen Umgangs mit ägyptischer Kunst methodologisch zu reflektieren.216 Dieser ausführliche Beitrag erweist sich daher als ausgesprochen hilfreich für die hier verfolgte Fragestellung. Neben einer überblicksartigen Zusammenstellung der bisherigen „Auseinandersetzung mit ägyptischer Kunst“217 stellt Verbovsek in ihrer Betrachtung der jüngeren Forschung einen deutlichen Bezug zum Thema jenes Sammelbandes her: den „Herausforderungen eines kulturwissenschaftlichen Paradigmenwechsels“. Dabei verweist sie nicht nur darauf, dass sich hinsichtlich der Beschäftigung mit ägyptischer Kunst in der Vergangenheit bereits Paradigmenwechsel ereignet hätten,218 sondern beabsichtigt selbst eine „kritische Auseinandersetzung mit überholten oder bestehenden Paradigmen“, von der ausgehend sie Alternativen aufzeigen möchte.219 Sie nähert sich diesem Vorhaben vor allem auf der Grundlage einer innerhalb der Ägyptologie bislang nicht oder allenfalls marginal vollzogenen Begriffsdifferenzierung, indem sie die ägyptische Kunstgeschichte von einer ägyptologischen Kunstwissenschaft abgrenzt und die dazwischen bestehenden Anbindungen auszeichnet. Sie spricht 214 215 216
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Verbovsek, Burkard & Junge, „Vorwort“, 7. Darunter Verbovsek, „ ‚Imago aegyptia‘“; dies., „Pygmalion in Ägypten?“; dies. „Einleitung. ‚Ein weites Feld‘ “ (vgl. zu letzterem auch Kapitel 1.5). Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“. Dieser Aufsatz basiert in weiten Teilen auf Ergebnissen und Überlegungen ihrer bislang unveröffentlichten Habilitationsschrift (Verbovsek, Zwischen „Theorie und Praxis“), vgl. Fn. 242. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 359–364. Diesem Bereich widmet sich Verbovsek in ihrer bislang unveröffentlichten Habilitationsschrift Zwischen „Theorie und Praxis“ ausführlich. Verbovsek vergleicht hier die Perspektiven der Kunstforschung des 18. Jahrhunderts, die die ägyptische Kunst der klassischen griechischen hierarchisierend untergeordnet habe, mit solchen des 20. Jahrhunderts (Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 365). Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 366. Sie schildert die Ägyptologie diesbezüglich als innovations- bzw. kritikresistent: „Vielmehr können wir einzelne heuristische Strömungen erkennen, die oft jahrzehntelang unhinterfragt blieben, aber umso schärfer gegen neue Überlegungen verteidigt wurden bzw. werden.“ (ebenda, 365).
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dabei – zunächst ohne Bezug auf die Ägyptologie – von Kunstgeschichte als einem der traditionellen europäischen Kunstgeschichte mit ihren Methoden und Fragestellungen entsprechenden Vorhaben, das sich mit der „historischen Entwicklung der bildenden Künste“ beschäftige, um mittels Ikonographie, Ikonologie, Stilistik, Motivuntersuchungen etc. „ein Netz an Aussagen zur zeitlichen Verortung, chronologischen Abfolge und gesellschaftlichen Bedeutung von Kunst zu erhalten.“220 Die Kunstwissenschaft sei hingegen hinsichtlich ihrer Methoden nicht nur kunsthistorisch, sondern auch inter- und transdisziplinär ausgerichtet und weite ihren „Gegenstandsbereich auf alle Formen und Medien der visuellen Kommunikation“ aus, was sie etwa mit der Bildwissenschaft verbinde.221 Zudem hätten die diversen in den vergangen Jahren proklamierten kulturwissenschaftlichen Wenden („imagic turn, pictorial turn, iconic turn, visual turn“222) neben umfangreicherer methodologischer Literatur für die Kunstwissenschaft auch einen ausgeprägten Methodenpluralismus mit sich gebracht. Nach dieser Begriffsklärung bezieht sich Verbovsek auf Dietrich Wildungs programmatische Schriften der 1980er und frühen 1990er Jahre, in denen er sich für eine klare Profilierung der ägyptologischen Kunstgeschichte bzw. Kunstwissenschaft ausgesprochen hat, die sich u. a. in einer stärkeren Fokussierung auf die Untersuchung von Form und Stil sowie in einer Abgrenzung von der ägyptologischen Archäologie zeigen müsse.223 Ferner führt Verbovsek die Feststellung Junges an, dass es strenggenommen in der Ägyptologie gar keine Kunstgeschichte geben könne, da es „nach allgemeiner Ansicht in Ägypten Kunstwerke im landläufigen Sinn als einer gegenüber anderen Artefakten selbständigen Kategorie von Dingen nicht gibt“.224 Die damit aufgeworfenen Fragen seien nach Verbovsek „bis heute mehr oder weniger unbeantwortet[…]“ geblieben.225 Diese sich aus den skizzierten Plädoyers bzw. Standpunkten für und wider eine ägyptologische Kunstgeschichte bzw. Kunstwissenschaft ergebende Problemlage klingt zwar bereits im Titel von Verbovseks Aufsatz an, wird von ihr jedoch zunächst nicht weiter verfolgt. Die Frage, ob
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Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 366. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 367. Vgl. hierzu auch unten mit Fn. 269. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 367 (Kursive i.O.). Vgl. auch Widmaier, Landschaften und ihre Bilder, 13 Anm. 55 mit weiterer Literatur zum Thema. Vgl. Wildung, „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“; ders., „Bilanz eines Defizits“. Vgl. hierzu auch unten Kapitel 1.3. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 1 (Zitat). Vgl. hierzu Kapitel 1.1.2. Vgl. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 367 f., auch ebenda, 370. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 368.
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es sich dabei um „eine ernstzunehmende terminologisch-methodische Schieflage oder lediglich um übertriebene ‚Spitzfindigkeiten‘“226 handele, lässt sie erst einmal unbeantwortet. Stattdessen skizziert sie den Gegenstandsbereich und die Perspektiven einer ägyptischen Kunstgeschichte bezeichnenderweise im Anschluss an den Verweis auf das von Junge klar benannte Problem, eine ägyptische Kunstgeschichte deshalb eigentlich nicht betreiben zu können, weil ihr der Gegenstand fehle.227 Dabei umreißt sie die Instrumentarien und Anwendungsgebiete der Kunstgeschichte und fügt einige (für die Ägyptologie relevante) Spezifikationen an.228 Diese Schilderung des status quo ergänzt sie um die perspektivische Forderung, dass angesichts des herrschenden Methodenpluralismus stets zu prüfen sei, ob Methoden „tatsächlich auf die ägyptische Hinterlassenschaft anwendbar sind oder, anders formuliert, ob die entsprechenden Methoden gegebenenfalls für den zu untersuchenden Gegenstand modifiziert werden können, um Projektionen und Positivismus zu vermeiden.“229 Die „Hauptschwierigkeit“ sieht Verbovsek „im Schreiben einer soliden ägyptischen Kunstgeschichte“, an dem sie jedoch als einem, wenn auch nicht dem einzigen Ziel einer ägyptologischen Kunstwissenschaft festhält.230 Sie ordnet dieses Vorhaben und damit auch die ägyptische Kunstgeschichte als Teil der Ägyptologie einer ägyptologischen Kunstwissenschaft in gewisser Weise
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Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 368. Das Vorgehen Verbovseks an dieser Stelle kann als signifikant für ihre Perspektive betrachtet werden. Die einzige Begründung für diesen Schritt wird evtl. dadurch angedeutet, dass Verbovsek anfügt, die „Möglichkeiten und Grenzen der Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft“ seien „inzwischen [d. h. seit den Aufsätzen Junges und Wildungs aus dem Jahr 1990, K.W.] durchaus verändert[…]“. Methodologisch dürfte sich jedoch letztendlich (von neuen Formen methodenpluralistischer Perspektiven abgesehen) gerade nichts geändert haben. Vgl. hierzu unten das Ende dieses Kapitels. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 368 f.: So sei die Architektur Gegenstand der Bauforschung oder Architekturgeschichte, während „Denkmälergattungen, wie Skarabäen, Schmuck, Möbel etc.[…] in methodischer Hinsicht als ein Bereich der Kunstgeschichtsforschung angesehen werden, wenn sie typologischen oder stilistischen Fragen unterzogen werden.“ Problematisch sei es, Objekte allein auf Grundlage „ihrer ästhetischen Wirkung auf den modernen Rezipienten“ zu kategorisieren und zu beurteilen. Gegenüber den Möglichkeiten der Ikonologie zeigt sich Verbovsek mit guten Gründen skeptisch. Vgl. hierzu weiter unten die Diskussion in Kapitel 2.3.5.2. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 369. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 369 (Zitat). Vgl. ebenda, 366.
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dadurch unter, dass letztere die methodologischen Grundlagen für eine Kunstgeschichtsschreibung bereitstellen müsse. So spricht Verbovsek vom Vorhaben einer Kunstgeschichte als „Großprojekt“, das von verschiedenen Personen multiperspektivisch angegangen werden müsste, in dem zunächst „gestützt auf einen adäquaten kunstwissenschaftlichen Methodenapparat“ Teilbereiche wie die diversen Materialkorpora aufgearbeitet werden müssten; so seien „stabile chronologische und semantische Grundlagen sowie Parameter zu erarbeiten, die dann schließlich für eine Gesamtdarstellung zusammengebracht werden.“231 Die von Verbovsek prospektivisch entworfene ägyptologische Kunstwissenschaft samt eigener Kunsttheorie müsse sich durch einen ausgeprägten Methodenpluralismus auszeichnen und sich verschiedener bereits in der Vergangenheit angerissener aber nicht weiterverfolgter Themen und Fragen annehmen232 und potentiell für die Ägyptologie relevante Theorien und Ansätze233 durchspielen. Dabei sei darauf zu achten, „eurozentrische Perspektiven bzw. inadäquate Adaptionen aus anderen kulturellen und historischen Hintergründen zu erkennen, offen zu legen und zu vermeiden; es sollten nur die Vorschläge aus anderen Disziplinen in Betracht gezogen werden, aus denen sich tatsächlich ein Nutzen für die Erklärung ägyptischer Kunst ziehen lässt und die ausdrücklich davon Abstand nehmen, fremde Vorstellungen auf die altägyptische Kultur zu projizieren.“234 Dem Vorhaben einer „Definition eines einheitlichen ägyptischen Kunstbegriffes“ erteilt Verbovsek hingegen eine Absage, da diese „ebenso obsolet erscheinen [dürfte] wie der Entwurf eines modernen Kunstbegriffes in der europäischen Kunstgeschichte oder Kunsttheorie“. „Versuche der Annäherung an die Frage, wie die Ägypter das Phänomen auffassten, das wir als ‚Kunst‘ bezeich-
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Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 369 f. (Kursive i.O.). Vgl. hierzu auch das Ende dieses Kapitels. Verbovsek („ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 371f.) nennt exemplarisch „Überlegungen zur Ästhetik der ägyptischen Kunst“, „die sog. Porträtfrage, die Definition des ägyptischen Bildes, die Semiotik der ägyptischen Bildsprache oder die Kompositionsprinzipien ägyptischer Darstellungen“. Verbovsek nennt Panofskys Ikonologie (vgl. hierzu unten Kapitel 2.3.5.2) und Beltings Bild-Anthropologie (Belting, Bild-Anthropologie, vgl. hierzu auch mit weiteren Literaturangaben zu ägyptologischen Adaptionen Widmaier, Landschaften und ihre Bilder, 18–23 sowie 88). Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 372 f.
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nen“, blieben jedoch weiterhin sinnvoll, da aus solchen Überlegungen eine „Wesensbestimmung der ägyptischen Kunst entstehen“ könnte.235 An dieser ganz zentralen Stelle erscheint Verbovseks Argumentation nicht vollkommen konsistent, nicht zuletzt da sie später selbst von einer klaren Definition der von der ägyptologischen Kunstwissenschaft verwendeten Terminologie als „wichtige[r] Voraussetzung für ein reflektiertes Vorgehen“ spricht.236 Und tatsächlich stellt die Klarheit der Begriffe eine notwendige Bedingung für ein solches Vorgehen dar.237 Daher soll an dieser Stelle nicht auf die von Verbovsek zusammengestellten kunst- und kulturwissenschaftlichen Methoden und Konzepte oder einzelnen ägyptologischen Forschungsbereiche,238 sondern auf das von ihr vertretene Begriffsverständnis von Kunstwissenschaft, Bildwissenschaft und Kunst näher eingegangen werden. Obwohl Verbovsek die Frage nach (dem Ende) der Kunst in ihrem Aufsatztitel stellt, findet sich bei ihr keine begriffliche Klarstellung oder Defini-
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Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 373. An dieser Stelle hätte Verbovseks Habilitationsschrift (Zwischen „Theorie und Praxis“) weiteren Aufschluss liefern können (vgl. Fn. 242). Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 374 f. Inwiefern vor diesem Hintergrund die „Definition eines einheitlichen ägyptischen Kunstbegriffs“ als „obsolet“ bezeichnet werden kann (ebenda, 373), wenn man weiterhin den Begriff Kunst verwenden möchte, bleibt daher unklar. Und auch dies stellt Verbovsek an anderer Stelle („ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 376f.) so prägnant heraus, wie dies bislang ägyptologisch nur selten formuliert worden sein dürfte. Daher sei die Passage hier im vollen Wortlauf wiedergegeben: „Komplexe Phänomenbezeichnungen, wie z. B. ‚Kunst‘ oder ‚Ästhetik‘, können nicht zuletzt aufgrund ihrer schlechten Definierbarkeit zu unzutreffenden Vorannahmen führen, aus denen wiederum eine positivistische Vorgehensweise oder fehlerhafte Beweisführung resultieren kann. Andererseits stehen wir vor der Aufgabe, uns mit diesen Begriffen auseinandersetzen zu müssen: Wir sind nicht nur ‚von außen‘ mit der Frage konfrontiert, ob es in der ägyptischen Kultur ein Phänomen gab, das wir mit dem gleichsetzen können, was wir nach heutigen wissenschaftlichen Maßstäben unter ‚Kunst‘, ‚Ästhetik‘ o.ä. verstehen, und wie wir als Ägyptologen mit diesen Begriffen umgehen; wir stehen ebenso vor dem Problem, dass wir innerhalb des Faches auf eine gültige und allgemeinverständliche Terminologie zurückgreifen müssen und damit kaum den etablierten Standards auszuweichen in der Lage sind. Als Ausweg scheinen sich zwei Optionen anzubieten: Zum einen sollten solche und ähnliche Begriffe, wenn ihre Verwendung unvermeidbar ist, deutlicher definiert werden; zum anderen sollte der Versuch unternommen werden, die Phänomene, die wir als ägyptische Kunst, Ästhetik etc. bezeichnen, soweit bei einer alten Kultur machbar, aus emischer Perspektive und in komplexerem Umfang als bislang zu erfassen.“ Vgl. hierzu Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 378–391.
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tion eines Kunstbegriffs. Sie spricht wiederholt von dem „von uns als ‚Kunst‘ bezeichnete[n] Phänomen in der ägyptischen Gesellschaft“239 und weist darauf hin, dass es bei „[‚Kunst‘ oder ‚Ästhetik‘] um Phänomenbeschreibungen geht, die stark durch unseren eurozentrischen Hintergrund beeinflusst sind“.240 Zudem teilt sie die verbreitete Auffassung, dass auch die europäische Kunsttheorie keine Einigkeit über einen modernen Kunstbegriff erzielen könne.241 Damit wird der Leser folglich, obwohl Verbovsek fortlaufend von Kunst spricht, zwar mit der auch im Aufsatztitel anklingenden Frage nach der Kunst konfrontiert, bleibt dabei jedoch auf sein eigenes intuitives Kunstverständnis angewiesen.242 Verbovsek erwähnt zwar, man müsse sich mit der Frage befassen, „ob es in der ägyptischen Kultur ein Phänomen gab, das wir mit dem gleichsetzen können, was wir nach heutigen wissenschaftlichen Maßstäben unter ‚Kunst‘, ‚Ästhetik‘ o.ä. verstehen, und wie wir als Ägyptologen mit diesen Begriffen umgehen[,]“243 beantwortet diese jedoch allenfalls implizit. So differenziert sie an nur einer Stelle ausdrücklich zwischen Kunst und Bild und nähert sich damit nur vorübergehend einem klarer konturierten Kunstbegriff, indem sie die Feststellung trifft, dass Bilder nicht unbedingt immer Kunst sein müssen. Sie schließt daran
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Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 383, ähnlich ebenda, 373 und 377. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 375. Vgl. hierzu auch das Zitat in Fn. 237. Auch hier hätte Verbovseks Habilitationsschrift (Zwischen „Theorie und Praxis“) weiteren Aufschluss liefern können (vgl. Fn. 242). Vgl. oben mit Fn. 235 sowie zur Frage nach der Definierbarkeit von Kunst auch ausführlich unten Kapitel 3.1. Dieser Kritikpunkt hätte sich anhand der diesbezüglich aufschlussreichen Argumentation in Verbovseks bislang unpublizierter Habilitationsschrift Zwischen „Theorie und Praxis“ noch weiter substantiieren lassen, die mir von der Autorin freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde. Darauf muss hier jedoch verzichtet werden, da die Autorin mir die Verwendung von Originalformulierungen dieser Schrift untersagt hat, nachdem ich ihr meine Ausführungen zu diesem Punkt zugänglich gemacht habe. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Publikationsfassung (Zwischen „Theorie und Praxis?“ – Methoden der ägyptologischen Kunstwissenschaft, so der augenblickliche Titel laut https://www .archaeologie.hu-berlin.de/de/personal/verbovsek; abgerufen am 21.09.2016) in diesem zentralen Punkt tatsächlich so grundlegend überarbeitet wird, wie es notwendig wäre und wie die Autorin mir gegenüber nach Lektüre meiner ursprünglichen Ausführungen versichert hat. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 376.
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die Frage an, „in welcher Weise ägyptische Bilder von ihren Produzenten und Rezipienten wahrgenommen wurden. Wurden sie tatsächlich als Kunst verstanden?“244 Sie verfolgt diese zentrale Frage jedoch nicht weiter, sondern spricht weiterhin von Kunst anstelle von Bildern und setzt unmittelbar anschließend das „von uns als ‚Kunst‘ bezeichnete Phänomen in der ägyptischen Gesellschaft“ an und fragt danach, wie wir dieses erfassen können.245 Anhand dessen wird deutlich, dass Verbovsek von der Existenz eines Phänomens Kunst in Ägypten ausgeht, das lediglich ägyptischerseits offenbar nicht als Kunst bezeichnet wurde. Verbovsek bemerkt zwar wiederholt, dass wir es sind, die etwas, das wir beobachten, ägyptische Kunst nennen, und fragt, ob ägyptische Bilder auch von ihren Produzenten und Rezipienten als solche verstanden wurden. Sie scheint dies jedoch lediglich als ein Problem zu verstehen, das sich auf einer oberflächlichen terminologischen Ebene abhandeln lässt und daher eine ‚Kunst avant la lettre‘ zuließe, also die Annahme, dass sich unsere Kunstwahrnehmung beim Betrachten ägyptischer Bilder mit deren Rezeption durch die Ägypter deckt, obwohl sich für Ägypten kein expliziter Kunstdiskurs nachweisen lässt.246 Eine tatsächliche Historisierung des Phänomens Kunst wird von ihr hingegen nicht erwogen. So wird auch die Überlegung nicht thematisiert, dass es sich bei dem Phänomen, das wir als Kunst bezeichnen, um eine kultur- und zeitspezifische Institution, ein gesellschaftliches System o.Ä. handelt, das auf Wahrnehmungsmustern basiert, die wir für Ägypten gar nicht ansetzen können,247 die uns jedoch wiederum dazu verleiten, auch in ägyptischem Material Kunst zu erkennen, weil es uns vertrauten neuzeitlichen Kunstwerken ähnlich scheint.248 Dabei dürfte es gerade dann angeraten erscheinen, Zusammenhänge wie diese zu prüfen, wenn man auf die Feststellung Bezug nimmt, es habe in Ägypten gar keine Kunst gegeben (Junge), und außerdem wiederholt davon spricht, dass wir es sind, die aus europäischer Perspektive
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Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 383, vgl. hierzu auch weiter unten in diesem Kapitel zu Verbovseks Verständnis vom Verhältnis der Kunstwissenschaft zur Bildwissenschaft. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 383 (Kursive K.W.). Auch hier hätte Verbovseks Habilitationsschrift (Zwischen „Theorie und Praxis“) weiteren Aufschluss liefern können (vgl. Fn. 242). Vgl. zur Ansetzung von Kunst als anthropologischer Konstante unten Kapitel 1.4. Hier ließe sich auf Junges Problematisierung zurückkommen (vgl. oben mit Fn. 224 und Kapitel 1.1.2) oder aber auch an Beltings Historisierung des Kunstbegriffs anschließen (vgl. Kapitel 1.1.1). Vgl. zum Thema der Ähnlichkeit unten Kapitel 2.3.2.1 und 2.4 sowie außerdem Kapitel 3.2.1 und 3.2.5.
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in Ägypten Kunst erkennen. Aus diesem Grund muss das Fragezeichen im Aufsatztitel wohl als ein nur rhetorisches verstanden werden: Die Frage, ob man aus einer wie auch immer gearteten historischen Perspektive überhaupt von Kunst sprechen kann,249 wenn man sich Ägypten zum Untersuchungsgegenstand nimmt, wird selbst gar nicht behandelt. Auf das von Verbovsek anzitierte hegelianische Motiv vom „Ende der Kunst“ wird nicht näher eingegangen,250 während sie interessanterweise in einem aufschlussreichen Absatz auf das von Belting vertretene und bildwissenschaftlich motivierte „Ende der Kunstgeschichte“ näher Bezug nimmt. Darauf wird gleich noch zurückzukommen sein. Angesichts der vorangegangenen Darlegungen kann der Untertitel des Aufsatzes („Kulturwissenschaftliche Perspektivierungen der ägyptologischen Kunstwissenschaft“) bereits als Antwort auf jene rhetorische Frage nach (dem Ende) der Kunst gelesen werden: An einer ägyptologischen Wissenschaft von der Kunst Ägyptens wird festgehalten, obwohl (wie auch der Haupttitel „ ‚Das Ende der Kunst‘?“ andeutet) Zweifel an ihrem Gegenstand bestehen und auch als solche benannt werden.251 Die hegelianisch anklingende Frage nach der Kunst als solcher dient damit in Verbovseks Aufsatz letztendlich lediglich als Aufhänger dafür, Möglichkeiten des Sprechens über ägyptische Kunst darzulegen, ohne sich jedoch darüber zu vergewissern, ob einem nicht jener Untersuchungsgegenstand – die ‚ägyptische Kunst‘ – abhandenkäme, wenn man die eigene Perspektive einer näheren methodenkritischen und historisierenden Betrachtung unterzöge. Im Laufe des Aufsatzes zeigt sich dann, dass aus Verbovseks Sicht eine ägyptologische Kunstwissenschaft die kulturwissenschaftlich-methodenpluralistische Grundlage für das alte Projekt einer ägyptischen Kunstgeschichte liefern soll. Der Aufsatz präsentiert damit eine Perspektive, die sich letztendlich doch nicht der Aufgabe stellt, sich über ihren eigenen Gegenstand terminologische Klarheit zu verschaffen. – Es sei noch einmal erwähnt: eine Auseinandersetzung mit der von ihr selbst als wichtige Aufgabe benannten Frage nach terminologischer Klärung wird hinsichtlich des Kunstbegriffs in Verbovseks Aufsatz ausgespart.252 – Da eine Reflexion über die Voraussetzungen, Bedingtheiten und Konsequenzen einer ägyptologischen Kunstwissenschaft entsprechend unterbleibt, kommt es zu einer 249
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Das Motiv Hegels vom „Ende der Kunst“ geht – wie immer man es auch verstehen möchte – von einer Historizität der Kunst aus. Vgl. Gethmann-Siefert, Einführung in Hegels Ästhetik, 347 f.; Prange, „Ende der Kunst“, 104f. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 392. Vgl. oben mit Fn. 224. Vgl. hierzu auch oben mit Fn. 242.
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Kontinuierung gängiger Routinen und damit eben jener „heuristische[n] Strömungen […], die oft jahrzehntelang unhinterfragt blieben, aber umso schärfer gegen neue Überlegungen verteidigt wurden bzw. werden.“253 Die ägyptologische Beschäftigung mit ägyptischer Kunst erfährt so zwar eine problematisierende Einleitung, wird anschließend jedoch durch eine Zusammenstellung praktizierter Möglichkeiten unter dem Dach einer ägyptologischen Kunstwissenschaft programmatisch etabliert. Da die einzelnen dabei von Verbovsek vorgetragenen Bedenken – von wenigen Ausnahmen abgesehen254 – jene Routinen selbst nicht tangieren, bleiben schließlich auch diejenigen von ihr kritisch beurteilten Methoden doch als unhinterfragte und insofern akzeptierte Praxis bestehen. Dies sei anhand von Verbovseks Behandlung der Stilforschung exemplarisch veranschaulicht. Einleitend benennt Verbovsek den Einfluss, den Kennerschaft und Kennerurteile diesbezüglich bis heute in der Ägyptologie besitzen, und verweist auf kritische Literatur zu diesem Thema.255 Später greift sie dies im Zuge ihrer Anmerkungen zur Stilanalyse noch einmal auf, in denen sie diese Methode zutreffend hinsichtlich ihrer Subjektivität und geringen Nachvollziehbarkeit problematisiert.256 Durch ihren Hinweis, dass angesichts dessen „eine gewissenhafte methodische Durchführung der Stilanalyse besonders angezeigt“ sei, zeigt sich jedoch, dass ihre Bedenken, die bei näherer Betrachtung die Stilforschung einer substantiellen Kritik aussetzen würden, nicht dazu führen, die Methode selbst grundsätzlich zu überdenken oder infrage zu stellen.257 Dies wird durch ihre Thematisierung der Stilforschung im didaktischen Zusammenhang bestätigt. So bemängelt Verbovsek – sicherlich zutreffend –, dass sich der universitäre Unterricht zur ‚ägyptischen Kunst‘ oft auf eine „Zusammenschau ‚unvermeidlicher Highlights‘“ beschränkt und dabei Datierungen und Interpretationen von Dozentenseite aus mitgeliefert werden, „ohne deren Herleitung […] zu vermitteln bzw. einzuüben.“258 An dieser Stelle führt Verbovsek auch eine Konsequenz eben jener didaktischen Praxis an: „Das führt beispielsweise dazu, dass die Studierenden immer wieder konkret nach Zusammenstellungen von ‚Datierungsschlüsseln‘ fragen. Da253 254 255 256 257 258
So Verbovseks Formulierung für diese Routinen („ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 365). Hinsichtlich der Ikonologie nimmt Verbovsek eine deutlich ablehnende Position ein. Vgl. auch oben Fn. 228. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 364 mit Anm. 43. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 379 f. Vgl. hierzu auch unten Kapitel 2.4. Zitat: ebenda, 380, vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 2.3.2.1 und 2.4. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 374.
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runter stellen sie sich katalogartige Auflistungen von fixen Datierungskriterien vor, im Sinne von: In der 18. Dynastie trugen private Statuen die und die Frisur, den und den Schurz, hatten jene Ohren-, Nasen- und Mundform bzw. Körperbildung etc. Sie haben die Vorstellung, dass solche Datierungskriterien 1:1 lernbar sind, was im Groben zwar in einigen Punkten möglich ist, in der Anwendung so aber nicht ohne weitere Erfahrungswerte funktionieren kann.“259 Nun dürfte die Reaktion der Studierenden in der Tat alles andere als überraschend sein, da die ägyptologische Forschung mit ihrer kennerschaftlichen stilistischen Datierungspraxis einer solchen Erwartungshaltung insofern geradezu Vorschub leistet, als sie suggeriert, solche Datierungsschlüssel lägen durchaus im Bereich des Möglichen. Indem Verbovsek nun zugesteht, „im Groben“ sei dies mitunter tatsächlich praktikabel, wenn man über „weitere Erfahrungswerte“ verfüge, bestätigt sie die kennerschaftliche Methode und formuliert damit genau die Antwort, die man an dieser Stelle auch von einem über jene Erfahrungswerte verfügenden Connaisseur erwarten würde. Man könnte daher sogar so weit gehen, dass Verbovsek hier eine von ihr selbst kritisierte Methode, die jahrzehntelang unhinterfragt geblieben ist, im Sinne einer Kontinuierung etablierter kunsthistorischer Praxis verteidigt.260 Die fehlende Distanz zum Projekt einer ägyptischen Kunstgeschichte bzw. die von Verbovsek offenbar vertretene Alternativlosigkeit einer ägyptologischen Kunstwissenschaft zeigt sich auch in ihrem Verständnis von Bildwissenschaft bzw. in dem Bezug, den sie zu Beltings „Ende der Kunstgeschichte“ herstellt und auf den oben bereits kurz hingewiesen wurde. Sie schreibt hierzu: „Das von Belting mehrfach propagierte ‚Ende der Kunstgeschichte‘ stellt sich als Folge eines unbefriedigenden Methodenpluralismus, mangelnder Reflexion über die eigenen fachlichen Möglichkeiten und Grenzen und unzureichender Diskussions- bzw. Konfliktbereitschaft heraus. Diesen Einschnitt formulierte er jedoch nicht als resignierten Nachruf, vielmehr markierte er einen umfassenden Paradigmenwechsel, der ein neues Denken über Kunst und Kunstgeschichte unumgänglich machte. Ein solcher
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Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 374 Anm. 77. Vgl. für die hier aufgegriffene Wortwahl Verbovseks an anderer Stelle oben mit Fn. 219 und 253. Vgl. ähnlich auch Hartwig, die die kennerschaftlichen Züge der Stilanalyse zwar problematisiert, sie aber allen Problemen zum Trotz in der Hand des „knowledgeable art historians“ für eine „incredibly valuable method“ hält („Style“, 45).
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Prozess des selbstreflexiven Innehaltens, des Umdenkens und der Neustrukturierung scheint auch für die ägyptologische Kunstwissenschaft geboten.“261 Zunächst sind die Gründe überaus interessant, die Verbovsek dafür anführt, dass Belting 1983 die Frage nach dem „Ende der Kunstgeschichte“ stellte,262 um – wie es Regine Prange formuliert – „den Begriff der autonomen, westlich geprägten Kunst zugunsten eines pluralen, multikulturellen Verständnisses zu verabschieden.“263 Denn Verbovseks Analogisierung des gegenwärtigen Zustands der ägyptologischen Kunstwissenschaft erweist sich bei näherer Betrachtung als äußerst angemessen. So weist sie selbst zu Recht auf die fehlende Diskussionsbereitschaft bzw. Kritikfähigkeit innerhalb der ägyptologischen Kunstwissenschaft hin.264 Verbovseks eigener Aufsatz kann nun hingegen als Beispiel dafür angeführt werden, dass sogar ägyptologische Beiträge, die „eine kritische Auseinandersetzung mit überholten oder bestehenden Paradigmen“ beabsichtigen, einer nachhaltigen Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen einer ägyptologischen Kunstwissenschaft aus dem Weg gehen, indem terminologische Klärungen bzw. die Hinterfragung der ägyptologischen Kunstwissenschaft als solcher vermieden werden.265 In ihrem Beitrag wird außerdem wiederholt die Bedeutung methodenpluralistischer Perspektiven betont, wobei jedoch nicht klar gestellt wird, inwiefern sich dieser von Verbovsek als Zukunftsperspektive herausgestellte kunstwissenschaftliche Pluralismus positiv von jenem „unbefriedigenden Methodenpluralismus“ der Kunstgeschichte abheben soll, zumal der Methodenimport aus der Kunstgeschichte wiederum einen substantiellen Anteil der von Verbovsek vorgestellten Perspektivierungen ausmacht.266 Damit kann, wenn auch aus z. T. anderen Gründen, Verbovseks Einschätzung dahingehend nur zugestimmt werden, dass auch für die ägyptologische Forschung ein Umdenken oder gar ein Paradigmenwechsel geboten erscheint. Für Belting führte seine Frage nach dem Ende der
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Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 391. Belting, Das Ende der Kunstgeschichte?; ders., Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren. Prange, „Ende der Kunst“, 105. Vgl. oben Fn. 219. Vgl. für das Zitat Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 366. Das Übertünchen von Problemlagen ist gängige Praxis und Verbovseks Aufsatz daher nur ein Beispiel neben anderen. Vgl. etwa Eaton-Krauss, „Artists and Artisans“, 136. Vgl. zur Metapher des Übertünchens unten Fn. 283. Vgl. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 378–381.
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Kunstgeschichte u.a. zu der oben bereits diskutierten Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst267 und später zu der anthropologischen Form von Bildwissenschaft, die auch Verbovsek in ihrem Aufsatz anführt.268 Wenngleich Verbovsek eine Nähe zwischen Kunstwissenschaft und Bildwissenschaft festgestellt hatte,269 kommt sie später darauf zu sprechen, dass die beiden keineswegs deckungsgleich seien und konkretisiert dabei ihr Verständnis von Bildwissenschaft: „Auch wenn er [der bildwissenschaftliche Ansatz, K.W.] sich nicht auf materielle Bilder beschränkt, scheint er der ägyptologischen Kunstwissenschaft teilweise konkurrierend gegenüber zu stehen, wobei der Eindruck entsteht, dass die Bildwissenschaft als inter- bzw. transdisziplinäres, sich kulturwissenschaftlichen Perspektiven öffnendes und objektiver operierendes Feld die traditionellen kunstwissenschaftlichen und vor allem kunsthistorischen Methoden abzulösen versucht. Im vorliegenden Beitrag soll weder für die eine noch die andere Seite geworben werden; vielmehr sollen in einem kurzen Überblick die Vorteile des bildwissenschaftlichen Blickwinkels als elementarer Bestandteil einer ägyptologischen Kunstwissenschaft diskutiert […] werden.“270 Hier zeigt sich, dass Verbovsek bildwissenschaftliche Perspektiven als Teil der Kunstwissenschaft verstehen möchte, die – wie an anderer Stelle ausgeführt – für eine ägyptische Kunstgeschichte die methodischen Grundlagen legen soll. Es ist nun durchaus möglich, von Bildwissenschaft als transdisziplinärem Forschungsprojekt oder Sammelbecken für Ansätze zu sprechen, die davon ausgehen, dass Bilder ganz unterschiedlicher Art in den verschiedensten Zusammenhängen von essentieller Bedeutung sind. Und ganz in diesem Sinne nutzt Verbovsek den Begriff der Bildwissenschaft auch, um einige sehr unterschiedliche neuere ägyptologische Ansätze unter einer gemeinsamen Überschrift zusammenzutragen.271 Darin erschöpfen sich jedoch die möglichen Ansprüche von Bildwissenschaft noch keineswegs, da es spätestens seit Belting zu einem sehr verbreiteten Anliegen der Bildwissenschaft gehört, „nach der Funktion der Kunstwerke im Zusammenhang einer Geschichte des
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Belting, Bild und Kult, vgl. ausführlich oben Kapitel 1.1.1. Vgl. oben mit Fn. 233. Vgl. oben mit Fn. 221. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 388. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 389 f.
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Bildes [zu] fragen“,272 und somit einen vollkommen anderen Zuschnitt von Bildwissenschaft und Kunstwissenschaft anzusetzen. Eine Bildwissenschaft, die die Kunst als zu historisierenden Sonderfall des Bildes begreift, kann nicht Kunstwissenschaft sein oder sich ihr unterordnen. Sie muss sich vielmehr von kunstwissenschaftlichen Methoden lösen, um Bilder als einen Untersuchungsgegenstand erfassen zu können, von dem die Kunst wiederum einen Teil bildet. Dadurch dass Verbovsek diese Zusammenhänge genau entgegengesetzt zu verstehen scheint, wird die Bildwissenschaft bei ihr auf eine kulturwissenschaftlich geprägte und innerhalb der Kunstwissenschaft zu verortende Perspektive neben anderen verkürzt. Vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig, dass sie sich im Zuge ihrer abschließenden Ausführungen zum „erforderlichen Paradigmen- und vor allem Perspektivenwechsel in der ägyptologischen Kunstwissenschaft“ diesbezüglich für eine gewisse terminologische Beliebigkeit ausspricht:273 „Dabei ist es m.E. wichtig, den Blick zu schärfen, einen offenen Standpunkt einzunehmen und eine ganzheitliche Sicht zu vertreten. So spielt es weniger eine Rolle, ob wir von ‚Kunst‘, ‚Bildern‘ oder ‚ikonischen Zeichen‘ reden, wir müssen dies nur mit entsprechend kritischem Bewusstsein tun und Alternativen aufzeigen bzw. ‚über den Tellerrand schauen‘.“ Es stellt sich nun – um Verbovseks Bild aufzugreifen – die Frage, wie weit der Blick überhaupt schweifen kann, wenn man auf dem Teller der ägyptologischen Kunstwissenschaft sitzen bleibt, wo es eher unerheblich ist, ob man „von ‚Kunst‘, ‚Bildern‘ oder ‚ikonischen Zeichen‘ rede[t]“. Bei Verbovsek zeigt sich schon zwei Absätze später, dass er offenbar über den „Bereich ‚Kunst‘“ gerade nicht hinausreicht, denn aus eben jenem stammen ihr zufolge die „Phänomene[…] und Paradigmen“, deren „Verstehen und Einordnung“ der (von ihr in Anlehnung an Hubert Roeder vorgeschlagene) sogenannte terminologische Zugang „[m]ittels wissenschaftlicher Termini und Kategorien“ organisieren soll. Es dürfte kein Zufall sein, dass hier nicht von Bildphänomenen gesprochen wird, denn wer einen „ägyptologisch-kunstwissenschaftlichen Paradigmen- oder Perspektivenwechsel“ anvisiert, hat sich schließlich bereits auf seinen Untersuchungsgegenstand festgelegt: die Kunst, ganz egal, ob von ihr im Einzelfall als Kunst, Bilder oder ikonische Zeichen gesprochen wird. Eben darin liegt auch der Grund, warum der Blick einer ägyptologischen
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Fauser, Einführung in die Kulturwissenschaft, 97. Dieses und alle weiteren angeführten Zitate: Verbovsek, „‚Das Ende der Kunst‘?“, 392.
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Kunstwissenschaft ‚über den Tellerrand‘ nicht über den Bereich der Kunst hinaus reichen kann.274 Was bleibt nun von jenem Paradigmenwechsel übrig, wenn er das vor mehr als 25 Jahren von Junge benannte Problem275 ignoriert und stattdessen am alten Projekt einer mit kunstwissenschaftlichen Methoden zu erarbeitenden Kunstgeschichte festhält, also – überspitzt formuliert – genau dort verharrt,
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Das Fach bzw. das Vorhaben Kunstwissenschaft konstituiert qua seiner Bezeichnung nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Gegenstand. Oder anders formuliert: Wollte es nicht Kunst aus kunstwissenschaftlicher Sicht untersuchen, wäre es wohl kaum noch eine Kunstwissenschaft. Vgl. hierzu auch Kapitel 3.2.6 u.a. mit Fn. 240. Dass Verbovsek einerseits mit ihrem Verständnis des Verhältnisses von Kunstwissenschaft und Bildwissenschaft nicht allein steht und dass andererseits ein vom Primat der Kunstwissenschaft ausgehender sich bildwissenschaftlichen Perspektiven öffnender Ansatz Probleme und auch Verständnisschwierigkeiten mit sich bringen kann, zeigt eine Rezension des ersten Bandes der u. a. von Verbovsek herausgegebenen Zeitschrift Imago Aegypti. Darin versteht Benoît Lurson ‚reine Bildwissenschaft‘ als ‚Kunstwissenschaft‘. Damit gibt er das Selbstverständnis einer sich als Bildwissenschaft verstehenden Kunstwissenschaft wieder und identifiziert davon ausgehend ein ‚potenzielles Missverständnis‘, das jedoch nicht nur in der von Verbovsek vertretenen Ausrichtung angelegt ist, sondern auch durch sein eigenes Begriffsverständnis produziert wird. Dabei steht er wie Verbovsek selbst vor dem Problem, sich Methoden gegenüber offen zeigen zu wollen, die zum Teil mit der eigenen kunstwissenschaftlichen Ausrichtung unvereinbar sein dürften (s.o.). Die ‚Einführung neuer Theoriekonzepte‘ allein stellt keinen Zugewinn dar (vgl. dazu den folgenden Abschluss dieses Kapitels). Der entscheidende Abschnitt aus Lursons Besprechung, der auch die bereits angeführten Formulierungen Lursons im Wortlaut enthält, lautet: „Obwohl sein Titel [d. h. der der Zeitschrift, K.W.] an die von Roland Tefnin gegründete Série Imago erinnert, die sich mit reiner Bildwissenschaft beschäftigt, sollte man von Imago Aegypti nicht die gleiche Zielsetzung erwarten. Die Tür zu einem potenziellen Missverständnis zwischen Leser und Herausgeber ist damit geöffnet, da letztere ein anderes Konzept von Bild zugrunde legen, das ‚keinesfalls nur als ‚Abbild‘ aufgefasst werden darf‘ (S. 7). Dies ist natürlich das Recht der Herausgeber. Als jemand, der sich mit Bildwissenschaft intensiv beschäftigt, hätte ich mir aber gewünscht, daß sich diese Zeitschrift hauptsächlich mit der Kunstwissenschaft ‚im traditionellen Sinne‘ beschäftigt; es gibt keinen ersichtlichen Grund dafür, daß dies neue Ansätze ausgegrenzt hätte. Meine Kritik richtet sich infolgedessen weder an die Beiträge selbst, noch an den Versuch, neue Theoriekonzepte in die Ägyptologie einzuführen (ich bin auch der Meinung, daß die Ägyptologie dringend neue Blicke braucht). Ich bedauere nur, daß die Herausgeber nicht die Gelegenheit genutzt haben, aus dieser Zeitschrift die Referenzschrift der ägyptologischen Kunstwissenschaft gemacht zu haben, da diese Spezialität bisher nicht die ihr gebührende Anerkennung erfahren hat.“ (Lurson, „[Rezension von] Imago Aegypti 1 (2005)“, 178f. [Kursive i.O.]). Vgl. oben Fn. 224 mit den dortigen Angaben.
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wo die ägyptologische Forschung ohnehin seit Jahrzehnten tätig ist? Zur Beantwortung lassen sich zunächst die anderen beiden der neben jenem terminologischen Zugang von Verbovsek in Anlehnung an Hubert Roeder angeführten „Zugangsoptionen“ hinzuziehen. Dabei fällt auf, dass neben dem „systemische[n] Zugang“, der „kulturimmanente Eigenbegrifflichkeiten, Diskurse und Kategorien aufzudecken [versucht]“, nur der auch schon im Laufe des Aufsatzes betonte „perspektivische Zugang“ bleibt.276 Und auch er ist bei Verbovsek in der geschilderten Weise determiniert, d.h. dem Vorhaben einer Kunstwissenschaft untergeordnet, so dass er „sich aus unterschiedlichen deskriptiven und interpretativen Blickwinkeln auf ein Phänomen, einen Untersuchungsgegenstand oder Befund, in unserem Fall aus dem Bereich ‚Kunst‘ [richtet]. Dazu werden verschiedene Standpunkte eingenommen, um den jeweiligen Untersuchungsgegenstand möglichst vielen potentiellen Fragestellungen zu unterziehen. So kann ein Phänomen der ägyptischen Kunst beispielsweise nach bildwissenschaftlichen, semiotischen oder kunstsoziologischen Kriterien analysiert werden.“277 Damit präsentiert sich der erforderliche Paradigmenwechsel bei Verbovsek weniger als tatsächliche Wende, sondern vielmehr als Kontinuierung bestehender Standards unter dem Dach einer ägyptologischen Kunstwissenschaft, die dazu auffordert, ägyptische Kunst unter möglichst vielen Fragestellungen zu beleuchten, ohne dabei „fremde Vorstellungen auf die altägyptische Kultur zu projizieren“278. Gegen Multiperspektivität als solche ist nun zunächst überhaupt nichts einzuwenden. Man handelt sich jedoch dann folgenreiche Probleme ein, wenn sie zu einer Beliebigkeit des Nebeneinander verleitet und dazu führt, dass nicht danach gefragt wird, auf welchen Prämissen und Voraussetzungen einzelne Begriffe oder Konzepte beruhen, und so die Bedingtheiten und Relationen sowie eventuelle Unvereinbarkeiten aus dem Blick geraten. Wenn sogar an einer kritisch beurteilten Methode wie der Stilforschung unter der Maßgabe, dass man sie nur gewissenhaft durchführen müsse, festgehalten wird, wie sollen dann Ergebnisse einer solchen fragwürdigen Methode mit abweichenden Ergebnissen anderer Methoden zusammengeführt werden? – Die Pluralität ist allein als solche noch kein Gewinn, im Gegenteil: Ein Zuwachs
276 277 278
Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 392 f. (Kursive i.O.). Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 392 (Kursive K.W.). Vgl. oben mit Fn. 234.
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an Fragestellungen und Perspektiven erbringt schließlich nicht automatisch auch mehr Antworten oder gar bessere Antworten. Vielmehr dürfte ein stärker multiperspektivisches Angebot an Fragen und Antworten gerade dann keine Verbesserung darstellen, wenn weiterhin auf Methoden beharrt wird, deren Funktionsweisen und Voraussetzungen nicht transparent sind, fraglich erscheinen oder sich terminologisch nur schwer kontrollieren lassen. Es stellt sich zudem die Frage, wie vor dem Hintergrund eines solchen heterogenen und teilweise zweifelbehafteten Methodenspektrums Materialkorpora so aufgearbeitet werden sollen, dass sich dabei – wie von Verbovsek angesetzt – „stabile chronologische und semantische Grundlagen“ ergeben können, ohne gerade durch den Einsatz fragwürdiger Methoden jene Ergebnisse, die als Grundlage für eine ägyptische Kunstgeschichte dienen sollen, mit unangemessenen Projektionen zu kontaminieren.279 Es steht zu befürchten, dass hier kein großer Optimismus angebracht ist, denn die Frage, unter welchen Umständen und inwiefern sich derartige Projektionen ereignen, ist eine durchaus sehr komplexe, die gerade auch die der jeweiligen Perspektive inhärenten Wahrnehmungsmuster berücksichtigen muss.280 Die Arbeiten Verbovseks bieten eine in vielerlei Hinsicht sehr nützliche Literatursichtung und Zusammenstellung eines Katalogs von Möglichkeiten, praktizierten Methoden und Fragestellungen.281 Trotzdem erreicht die darin vorgeschlagene Perspektive keinen Punkt, von dem aus der dort diskutierte (und tatsächlich erforderliche) Paradigmenwechsel ausgehen könnte. Das eigentliche Problem liegt jedoch in der Erwartungshaltung, die hier einer ägyptologischen Kunstwissenschaft entgegen gebracht wird, die aufgrund zusätzlichen Methodenimports als ‚kulturwissenschaftlich‘ zu verstehen sei: Verbovsek zufolge könne sie den „programmatischen Ausgangspunkt“ für einen Paradigmenwechsel bilden282 und die bestehenden Probleme des ägyptologischen Umgangs mit Bildern angehen, wenn sie sich u. a. unter Einschluss der bisherigen Praxis bzw. der sie bestimmenden Methoden und Routinen
279 280 281 282
Vgl. S. 65 f. sowie oben bei Fn. 278. Verschiedene Beispiele werden in Teil ii dieser Arbeit diskutiert. Vgl. außerdem die Perspektivierung dieser Zusammenhänge in Teil iii. Dies trifft besonders auf ihre bislang unpublizierte Habilitationsschrift zu (Verbovsek, Zwischen „Theorie und Praxis“). Präziser ausgedrückt ist es das oben skizzierte Modell der drei Zugangswege (terminologisch, perspektivisch und systematisch) und damit die methodologisch relevante Realisierung der Kunstwissenschaft, die Verbovsek im Sinn hat, die „einen programmatischen Ausgangspunkt für einen ägyptologisch-kunstwissenschaftlichen Paradigmen- und Perspektivenwechsel bezeichnen“ könne („ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 392).
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multiperspektivisch und methodenpluralistisch ausrichtet. Die an eine solche ägyptologische Kunstwissenschaft geknüpfte Hoffnung dürfte jedoch eine trügerische sein, weil sie letztendlich helfen würde, die – vielfach auch von Verbovsek identifizierten und kritisierten – methodischen Probleme und überholten Perspektiven innerhalb der Ägyptologie unter einem neuen Anstrich zu konservieren.283 Daher dürfte es weitaus dringlicher sein, auf die von Verbovsek ebenfalls geforderte, aber nicht konsequent und nachhaltig in ihr Modell integrierte Methodenkritik und damit auf die Auseinandersetzung mit jenen praktizierten Methoden und Routinen zu fokussieren. Nur wenn dies weiteren Methodenimporten vorausgeht, besteht die Möglichkeit, dass sich identifizieren lässt, an welchen Stellen welche Methoden überhaupt sinnvollerweise importiert werden können. Solange wir uns jedoch nicht darüber im Klaren sind, welche voraussetzungsreichen und zugleich problematischen methodologischen Altlasten unser Fach immer noch inwiefern durchsetzen, dürften die Voraussetzungen für die von Verbovsek anvisierte kulturwissenschaftliche Wende in keiner Weise gegeben sein. In Teil ii dieser Arbeit soll daher u. a. anhand zahlreicher Beispiele herausgearbeitet werden, wie beherrschend und zugleich fragwürdig der Einfluss kunstorientierter Perspektiven ist und inwiefern es keinesfalls zur Lösung jener Probleme beitragen dürfte, letztere in eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete ägyptologische Kunstwissenschaft ‚mitzuschleifen‘.
283
Die letzten zwei Sätze wurden gegenüber der Abgabefassung dieser Arbeit von 2012 nicht verändert. Dass die darin damals getroffene Einschätzung der Position Verbovseks durchaus ihre Berechtigung hat, legt nun eine ihrer eigenen zwischenzeitlich erschienenen Publikationen (2014) nahe, die wortwörtlich dieselbe Metapher vom ‚neuen Anstrich‘ gebraucht, jedoch anders bewertet. Während hier ein durch methodenpluralistische Adaption gewonnenes neues Erscheinungsbild als oberflächliche Kaschierung kritisiert wird, sieht Verbovsek selbst in diesem neuen Aussehen einen willkommenen Zuwachs an Attraktivität: „Auch die ägyptologische Kunstwissenschaft oder Kunstgeschichte wird nach wie vor als unterrepräsentiert empfunden. Zweifellos könnte dieser Bereich einen neuen Anstrich vertragen, das heißt, dass sich die ägyptologische Kunstwissenschaft deutlicher gegenüber neuen Ansätzen öffnen könnte, mehr Flexibilität beweisen sollte und somit attraktiver würde für die nachfolgende Generation von Kolleginnen und Kollegen.“ (Verbovsek, „Einleitung. ‚Ein weites Feld‘“, 10 [Kursive K.W.]). Man kann diesen Anstrich aus zwei Richtungen sehen – als wenig zielführende Fassadenkosmetik oder als modernes Erscheinungsbild mit Anziehungskraft –, aber es bleibt schlicht ein Anstrich, der am Untergrund selbst nicht ändert. Kurzum, eine treffend gewählte Metapher.
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Kunstgeschichte und Kontinuitätsfiktion: Erfahrung und Erleben ‚ägyptischer Kunst‘ „There can be no doubt that these sculptures of the Old Kingdom – the first sizable creations made by Egyptians in their own image – mark the beginning of Western sculpture.“ bernhard von bothmer284
In den vorangegangenen Kapiteln standen maßgebliche Positionen im Mittelpunkt, die sich mit Fragen zu methodischen Möglichkeiten und Schwierigkeiten des ägyptologischen Kunstdiskurses befasst haben. Auch wenn letztendlich keiner der Standpunkte einen grundlegenden Wechsel ägyptologischer Praxis einfordert, so werden dennoch im Zuge der verschiedenen Auseinandersetzungen Forderungen nach Akzentuierungen oder Modifikationen formuliert. Neben diesen unterschiedlich kritischen bzw. apologetischen Positionen existiert eine sehr einflussreiche Strömung innerhalb der Ägyptologie, die sich u.a. durch einen Schwerpunkt auf Stilanalysen dezidiert auf kunsthistorische Methodik beruft und dabei Formen methodischer Reflexion nur selten thematisiert. Diese Forschungsrichtung beteiligt sich kaum an den kontroversen Diskussionen um Kunstbegriffe und Methoden, da sie die Annahme, bei ägyptischen Bildern handele es sich um Kunst, fest in ihrem Grundverständnis verankert hat. Sie kann nicht nur der ägyptologischen ‚Kunstwissenschaft‘ im engeren Sinne einer Kunstgeschichte285 zugeordnet werden, weil sie sich mit aufgrund von (un)bewussten Vorannahmen als ‚Kunst‘ verstandenem ägyptischen Material auseinandersetzt und dabei Instrumentarien der europäischen Kunstgeschichte modifiziert und adaptiert. Vielmehr wird darüber hinaus Ägypten als ein Bereich verstanden, der zu den Zuständigkeitsbereichen europäischer Kunstwissenschaft zähle, so dass deren Methoden ohne Weiteres und damit annähernd unreflektiert in Anwendung auf ägyptische Objekte gebracht werden könnten. Der Forschungsgegenstand wird dabei meist auch aus einer globale Kontinuitäten betonenden Perspektive angesprochen, indem die ägyptische ‚Kunst‘ geradezu als Ursprung europäischen Kunstschaffens betrachtet und so mit besonderer kulturgeschichtlicher Relevanz versehen wird. Insofern zeichnet sich diese Forschungsrichtung durch ein annähernd unerschüttertes Selbstverständnis als legitime ägyptologische Variante einer Kunstwissenschaft europäischer Prägung aus. Dies dürfte einen nicht unwe-
284 285
von Bothmer, „Introduction“, xxxii. Vgl. zu Verbovseks terminologischer Differenzierung Kapitel 1.2.2.
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sentlichen Beitrag zur Innovationsresistenz der Ägyptologie auf diesem Gebiet geleistet haben, die durch Formen von selbstverordneter Isolation gegenüber interdisziplinären Theoriediskussionen weiter gefestigt wird.286 Ihren besonderen Einfluss verdankt diese Strömung u. a. der Tatsache, dass sie traditionell innerhalb der Museumsägyptologie starke Verbreitung gefunden hat.287 Da neben den Ausgräbern selbst insbesondere den Kuratoren und Museumsägyptologen oftmals ein stillschweigendes Monopol auf die Bearbeitung der materiellen Kultur Ägyptens und dabei insbesondere der bildlichen Hinterlassenschaften zugebilligt wird, nimmt diese Forschungsrichtung eine wissenschaftssoziologisch dominierende Stellung ein, wie sie sich etwa in Ausstellungen und Katalogen niederschlägt.288 In Verbindung mit einem so entfalteten Sendungsbewusstsein prägt diese Form der Museumsägyptologie die Wahrnehmung des Faches in der Öffentlichkeit nachhaltig und beeinflusst außerdem maßgeblich die innerfachlichen Vorstellungen von einer adäquaten Beschäftigung mit ägyptischen Bildern als einer ägyptologischen Kunstwissenschaft bzw. Kunstgeschichte.289 286 287 288
289
Vgl. auch oben Kapitel 1.2.2 u. a. mit Fn. 219 zu Verbovseks dahingehender Kritik. Vgl. etwa die Einschätzung von Assmann, „Ein Gespräch im Goldhaus“, 59 mit Anm. 53, und auch Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 310. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die von Wildung vorgebrachte Forderung, zwischen Archäologie und Kunstwissenschaft klar zu trennen, weil diese weder „Synonyma noch hierarchisch gegliederte Begriffe, sondern selbständige Disziplinen mit spezifischen Fragestellungen, Methoden und Verfahren“ seien. Ferner: „Die Dokumentation eines Objekts der bildenden Kunst ist nicht gleichbedeutend mit dessen kunstwissenschaftlicher Auswertung und Interpretation.“ („Bilanz eines Defizits“, 59f.). So korrekt diese Trennung sein mag, so problematisch ist hingegen das immer wieder zu beobachtende Loslösen kunstwissenschaftlicher Perspektiven von der Archäologie. Vgl. hierzu unten das Ende dieses Kapitels sowie Kapitel 3. Aus der kaum überschaubaren Zahl von Arbeiten, die sich dieser Richtung zuordnen lassen, seien hier nur wenige prägnante Beispiele genannt: Aldred, Egyptian Art in the Days of the Pharaohs; von Bothmer, Egyptian Sculpture of the Late Period; Müller, Die Kunst Amenophis’ iii. und Echnatons. Auf mehrere Titel von Dietrich Wildung wird weiter unten eingegangen. Die Wirkungen, die dieser Zugang auf die inner- wie außerägyptologische Wahrnehmung ägyptischer Bilder entfaltet, zeigen sich beispielsweise besonders deutlich anhand des Umgangs mit Objekten der Amarnazeit. Auch wenn es sich dabei um exzeptionelle ägyptische Bilder handelt und sich deshalb darüber streiten ließe, ob an ihnen auch sonst relevante Rezeptionsmuster aufgezeigt werden können, sei unten auf sie eingegangen, weil sie eine so prominente Rolle in der Wahrnehmung ägyptischer Bilder spielen: sowohl innerhalb als auch außerhalb der Ägyptologie bilden sie eine im wörtlichen Sinne Attraktion, indem sie Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Siehe hierzu unten das Ende dieses Kapitels.
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Selten finden sich hier kritische Stimmen, die mit etwas Distanz zum musealen Alltagsgeschäft der Sonderausstellungen und stilistischen Datierungen die in diesem Umfeld gepflegte Methodik hinterfragen. Edna R. Russmann hat sich beispielsweise an verschiedenen Stellen in dieser Hinsicht geäußert und den Zehnten Internationalen Ägyptologenkongress zum Anlass genommen, „The State of Egyptology at the End of the Millennium“ zum Thema Kunst zusammenzufassen.290 Ihr Fazit war vernichtend: „It is no exaggeration to say that cultural interpretations of Egyptian art, not to mention effective methods for developing such interpretations, are still little more than rudimentary. To my mind, this is one of the most exciting challenges facing historians of Egyptian art, at the turn of the century and the start of a new millennium.“291 Neben den sonst häufig im Vordergrund stehenden Desiderata bezüglich der schlechten Publikationslage vieler ägyptischer Bildwerke benennt sie u. a. auch die Methodologie als Hauptproblem des sich mit Kunst befassenden Teilbereichs der Ägyptologie. Sie bemängelt dabei nicht nur unreflektierte Übertragungen europäischer Vorannahmen auf das ägyptische Material, sondern führt außerdem als Problem die weitestgehend auf Kennerurteilen beruhende ägyptologische Praxis an, deren methodische Grundlagen immer noch den Studien Hans Gerhard Evers’ und Bernhard von Bothmers verpflichtet seien.292 An anderer Stelle spricht sie darüber hinaus weitere ganz grundsätzliche Probleme an. So könne die Ägyptologie ihrer Meinung nach noch nicht einmal besonders viel über ägyptische Kunst sagen, womit sie keine speziellen Datierungsfragen o.Ä., sondern vielmehr ganz zentrale Bereiche wie Bedeu-
290 291
292
Russmann, „Aspects of Egyptian Art“; dies., „The State of Egyptology: Art“. Russmann, „The State of Egyptology: Art“, 28. Vgl. auch die Russmanns Position gegenüber kritische Antwort von Maya Müller, in der letztere den Vorwurf der Subjektivität kennerschaftlicher Urteile als Versuch von Nicht-Kunstwissenschaftlern deklariert, die eigene Subjektivität auf Kunstwissenschaftler zu projizieren („Response to E.R. Russmann“). Auch wenn sich viele Studien, die die Theorie näher in den Blick nehmen, dem derzeitigen kunstwissenschaftlichen Fachjargon angepasst hätten, würden sie in intellektueller Hinsicht kaum die Naivität früherer eurozentristischer Studien überwinden, so Russmann, „The State of Egyptology: Art“, 24. Vgl. auch Junges Kritik an der Praxis des Kennerurteils („Versuch zu einer Ästhetik“, 1–8) sowie hier außerdem oben die Kapitel 1.1.2 und 1.2.2. Vgl. auch Kapitel 2.4 zu kennerschaftlichen Stilinterpretationen.
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tung und Funktion der Objekte im Blick hat:293 Moderne Konzepte von Kunst unterschieden sich massiv von den ägyptischen, außerdem biete das zur Verfügung stehende ägyptische Textmaterial diesbezüglich kaum weiterführende Anhaltspunkte, während sich die kulturellen Unterschiede und unser zeitlicher Abstand zur untersuchten Kultur als immens erweisen würden. So wie sich Russmanns Bemerkungen zumindest teilweise mit oben bereits diskutierten problematisierenden Positionen decken, vollzieht sie jedoch ebenfalls keinen Bruch mit der etablierten kunstwissenschaftlichen Praxis, indem sie beispielsweise nicht davon abrückt, eine Universalität der Kunst anzunehmen, die die Bilder für uns als Kunst betrachtbar mache.294 Während sich damit durchaus grundsätzlich kritische Stimmen zum Kunstbegriff und zur kunstwissenschaftlichen Methodik auch in den Kreisen der Museumskuratoren finden lassen, treten sie aufs Ganze betrachtet jedoch deutlich in den Hintergrund.295 Bedeutend einflussreicher dürfte die Anwendung eines europäischen Kunstbegriffs sein, wie sie etwa bei Maya Müller programmatisch formuliert wird.296 Müller zielt im Sinne einer strukturierenden Aufarbeitung in einem Grundsatzartikel auf die „Hinterfragung des europäischen Kunstbegriffs und seiner Anwendbarkeit auf ägyptische Werke“, indem sie zentrale Fragen nach der Existenz von Kunst stellt: „a) Gibt es Kunst überhaupt, und b) gibt es ägyptische Kunst?“ Die erste der beiden Fragen erwidert Müller mit einem Verweis auf einen „sehr breiten Konsens in Wissen-
293 294
295
296
Vgl. Russmann, „Aspects of Egyptian Art“, 28. „The universality of art is difficult to describe, but it should not be denied. In Egyptian art, creativity, the grappling with artistic problems, the love of beauty, a joy in life, are all there to be seen, if we will simply look“ (Russmann, „Aspects of Egyptian Art“, 28). Vgl. zu universalistischen Standpunkten in diesem Zusammenhang unten Kapitel 1.4. So resümieren beispielsweise Rita E. Freed und Marianne Eaton-Krauss in Lexikonbeiträgen: „In fact, ‚beautiful, appealing, or of more than ordinary significance,‘ one dictionary’s definition of art, aptly describes much of the sculpture, relief, painting, and small objects of daily life that were produced for more than three millennia of Egyptian culture. For its aesthetic appeal, monumentality, spirituality, and political message, it was not only revered and copied in its own time by its own people, but it also provided a philosophical and practical foundation for later Western art.“ (Freed, „Art“, 127 [Kursive i.O.]). „Egyptologists long debated whether the statuary, painting, and relief created during the three millennia of pharaonic history could properly be considered art, since those products were intended to serve an essentially utilitarian purpose in the context of Egyptian civilization, above all in the funerary cult. Nowadays, specialists agree that the Egyptians did indeed make art.“ (Eaton-Krauss, „Artists and Artisans“, 136 [Kursive K.W.]). Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“.
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schaft und Gesellschaft darüber, daß es Kunst überhaupt gibt.“297 Kunst sei eine Frage des Geschmacks und lasse sich daher rational nicht nachweisen, sondern sei allein intuitiv erfahrbar, so dass die Kunstgeschichte zwar „den Nachweis ihrer Wissenschaftlichkeit schuldig bleiben“ müsse, sich andererseits aber „[j]eder gebildete Mensch“ zutraue, entscheiden zu können, ob ein bestimmtes Objekt Kunst sei, oder nicht. Während der Laie seine Urteile dabei auf unbewusste Erfahrungen gründe, sei der „Fachmann“ jemand, der „sich durch möglichst große, bewusste Erfahrung hinsichtlich Form, Inhalt, Funktion, Bedeutung etc. von Kunstwerken auszeichnet“.298 Die Frage nach der ägyptischen Kunst verlagert Müller darauf, zu referieren, was „die Wissenschaft“, die „schriftlichen Quellen aus dem alten Ägypten“ und die „erhaltenen Denkmäler“ dazu sagen. Einen kurzen Abstecher in die Wissenschaftsgeschichte beendet Müller damit, dass sie feststellt, es gebe „sowohl unter den Kunsthistorikern und Archäologen, als auch unter den Ägyptologen einen breiten Konsens darüber, daß ägyptische Kunst im Sinne des europäischen Kunstbegriffs existiert, sei es, daß die Vorgaben, mit denen man an das Thema herangeht, unbewußt bleiben, sei es, daß man sich die Frage bewußt stellt und sie bejaht.“299 Im Rahmen ihrer Auswertung ägyptischer Schriftquellen versucht Müller zu ermitteln, ob die Ägypter ihren Bildwerken fünf Begriffe zugeschrieben haben, auf denen Müller zufolge der europäische Kunstbegriff basiere: Qualität, Schönheit, Wahrheit, Kreativität und symbolischer Gehalt.300 Sie kommt dabei zu einem positiven Ergebnis, da es eine ganze Reihe von Texten gebe, „die in einer Weise von bildnerischen Werken reden, daß die Worte für uns als ein Reden von Kunst erkennbar sind.“301 Für Müllers Vorgehen sind dabei vor allem zwei Punkte bezeichnend: zum einen die weite Dehnung der Begriffe und zum anderen das Fehlen der notwendigen Distanz zu den Konzepten, die sie infrage zu stellen meint. Wenn Müller etwa von Kreativität spricht und diese in der göttlichen Rolle des ägyptischen Königs als Schöpfer und Errichter von Kultbauten realisiert sieht, kommt es hinsichtlich der Terminologie zu etwas, das man einen assoziativen Kurzschluss nennen könnte. Das Beispiel 297 298 299 300 301
Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 39 (Kursive in den Fragen i.O.). Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 40f. Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 43. Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 43–50. Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 44.
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von Müllers Umgang mit dem Kreativitätsbegriff sei hier kurz zur Veranschaulichung ausgeführt. Nur weil ägyptische Bauinschriften den König als denjenigen nennen, der Tempel und Denkmäler erbaut oder gemacht ( jrj) hat und der damit die Rolle eines Erschaffenden übernimmt, hat dies noch lange nichts mit dem im europäischen Kunstdiskurs anzutreffenden Konzept der Kreativität zu tun, die bei Müller als „übermenschliche, gleichsam göttliche Fähigkeit des Künstlers“302 genannt ist. Während das eine die Errichtung von Kultstätten bzw. die göttliche Schöpfung bezeichnet, bezieht sich das andere u. a. auf eine Reaktion auf den Innovationsdruck, dem sich neuzeitliche Künstler ausgesetzt sehen.303 Die für beide Zusammenhänge von Müller gebrauchten Begriffe des Schaffens bzw. der Schöpfung und des Göttlichen kaschieren hier einen tiefen begriffsgeschichtlichen Graben, der im 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem Geniekult durch eine Säkularisierung des zuvor sakralen Begriffs der Schöpfung entstanden ist.304 Für die anderen von Müller diskutierten Begriffe ließen sich vergleichbare Zusammenhänge aufzeigen.305 Es zeigt sich folglich, dass die Begriffe, die Müller als Grundlage des europäischen Kunstverständnisses benennt, nur als terminologische Entsprechung von ganz spezifischen und vor allem zu historisierenden Konzepten geeignet sind, um sich jenem europäischen Kunst-
302 303
304 305
Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 41. Vgl. zu Innovationszwang und Originalitätspostulat als neuzeitlichen Phänomenen Boehm, „Prägnanz“, 2–3 und Luhmann, „Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst“, 157–164. Vgl. außerdem hier auch Kapitel 2.4.4. Vgl. Herles, „Kreativität“, 230 sowie auch zum heutigen Gebrauch des Geniebegriffs als „Ergebnis einer stetigen Bedeutungsverwandlung und -verengung“ Löhr, „Genie“, 144. Zum Begriff der Schönheit zieht Müller etwa eine Bauinschrift (Urk. iv, 1656) heran, in der Amun zu Amenophis iii. spricht: „Mein Herz jubelt sehr, wenn es deine Schönheit sieht“, worin Müller eine Reaktion in Form eines ‚Lustgefühls im Sinne eines Wohlgefallens‘ sieht und damit einen unmittelbaren Bezug zu Baumgartens Aestetica von 1750– 1758 herstellt (Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 46, vgl. auch 40 Anm. 4). Hier wird die Ästhetik als philosophische Disziplin mit der Wahrnehmung von Schönheit verwechselt bzw. gleichgesetzt. Vgl. hierzu Kapitel 1.2.1.6. Bauinschriften werden auch angeführt, um z. B. den Gebrauch des Künstlerbegriffs zu festigen und zugleich in die Nähe eines sehr jungen Kunstverständnisses zu rücken. In Sätzen wie „Es war seine Majestät, der[sic] die Anweisung gab und die Arbeit an seinen Denkmälern leitete. Alle seine Pläne verwirklichen sich sogleich […]“ werde „also die Vorstellung ausgedrückt, daß der König allein der Künstler sei, weil er es ist, der die Idee hat, ein bestimmtes Werk zu schaffen, und weil er die Anweisung gibt, wie es zu machen sei (ein Gedanke, der an den postmodernen Kunstbegriff erinnert); alle anderen sind nur die Ausführenden.“ (ebenda, 49, Kursive i.O.).
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verständnis zu nähern. Nimmt man hingegen assoziative Eindrücke und Beobachtungen bloßer Ähnlichkeiten zur Grundlage, um transkulturelle Entsprechungen zu identifizieren, werden Erwartungen an die ägyptischen Zusammenhänge geweckt, die sich sofort als gegenstandslos herausstellen, sobald man versucht, mithilfe einer historischen Semantik das eigene Vorgehen transparenter zu machen. Auch wenn sich angesichts der heutigen Flexibilität und semantischen Heterogenität derartiger Begriffe immer eine Konnotation finden lässt, die sich eventuell für Ägypten plausibel machen ließe, geraten die hinter den Begriffen stehenden und hochgradig voraussetzungsreichen Konzepte, die an historische Zusammenhänge gebunden sind, einerseits aus dem Blick und werden andererseits gleichzeitig durch jene Begriffsübernahmen unausgesprochen auf die ägyptischen Kontexte übertragen. Auch wenn sich Müller über die Historizität des europäischen Kunstbegriffs im Klaren ist, der ihr zufolge erst im 18. und 19. Jahrhundert das geworden sei, was er heute ist,306 hat dies also keinerlei Auswirkungen auf ihre positivistisch geprägte Begriffsarbeit, die der Bedeutung historischer Semantik nicht gerecht wird. Müllers Hinterfragung kommt auf diese Weise zu dem Schluss, die Verwendbarkeit des in der Ägyptologie üblicherweise zugrunde gelegten europäischen Kunstbegriffs bestätigen zu können. Ihre Argumentation verzichtet jedoch darauf, die Komplexität des europäischen Phänomens Kunst ausführlicher zu diskutieren: Fragen nach Funktionsgebundenheit, nach der Autonomie des Künstlers oder Rezeptionskontexten bleiben unberücksichtigt. Gerade anhand dieser Ausblendungen wird die Problematik ihrer Vorgehensweise deutlich. Denn alleine dadurch, dass ein europäischer Kunstbegriff bislang allgemein angesetzt wird und Teile eines solchen sich bestimmten assoziativen Lesarten zufolge in ägyptischen Texten wiederfinden lassen, dürfte sich die pauschale Übertragbarkeit eines europäischen Kunstverständnisses als interpretatives Gesamtkonzept für Ägypten kaum begründen lassen. Ein Diskurs, der die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst etablieren würde, ist für Ägypten schließlich nicht greifbar, und auch die von Müller vorgenommene Textlektüre vermag gerade einen solchen nicht nachzuweisen. Denn ihre Lektüre erweist sich gegenüber historischer Semantik als unsensibel und thematisiert daher nicht die ägyptischen Texte selbst, sondern nur eine oberflächliche Ähnlichkeit zwischen ihren Übersetzungen der Texte und neuzeitlichen Diskursen über Kunst.307 In Anbetracht dieser Zusammenhänge
306 307
Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 44. Vgl. hierzu oben Kapitel 1.1.2 mit Fn. 109 sowie Kapitel 3.1. Zu einer in ähnlicher Hinsicht problematischen Lektüre ägyptischer Texte unten Kapitel 1.4.1 mit Fn. 449. Vor dem
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erweist sich das vielfach diskutierte Fehlen eines Begriffes Kunst im ägyptischen Lexikon als durchaus signifikant;308 und dies nicht im Sinne einer vorschnell-naiven Behauptung, „absence of evidence“ sei „evidence of absence“,309 sondern vor dem Hintergrund, dass ein Diskurs über Kunst zu dem dazu gehört, was wir meinen können, wenn wir von Kunst sprechen. Insofern sind Müllers Versuche, einen solchen Diskurs für Ägypten nachzuweisen, hilfreich. Denn sie zeigen, dass es einen Diskurs in dem Sinne gerade nicht gab, wie wir ihn nachweisen müssten, um von Kunst in Ägypten sprechen zu können: als eine Auseinandersetzung um Kunstwerke „als einer gegenüber anderen Artefakten selbständigen Kategorie von Dingen“.310 Auf den Punkt gebracht: Von Kunst kann man erst sprechen, wenn auch über Kunst gesprochen werden kann. Und dafür, dass wir gerade das nicht können, ist das Fehlen eines Begriffes für Kunst im Ägyptischen ein wesentlicher Hinweis. Die fehlende methodenkritische Unterfütterung von Müllers Position wiegt auch noch aus einem Grund besonders schwer: So hat Müller der Kunstgeschichte bescheinigt, sie müsse „den Nachweis ihrer Wissenschaftlichkeit schuldig bleiben“, weil sie eine Frage des Geschmacks sei. Zudem hat sie die „bewusste Erfahrung“ der Fachleute betont, sowohl hinsichtlich ihres Wissens um Inhalt, Funktion, Bedeutung etc. der Kunstwerke als auch bezüglich der von ihnen getragenen Konsensmeinung zu terminologischen Grundsatzfragen.311 An anderer Stelle weist Müller darauf hin, dass die ägyptische Kunst anders strukturiert sei als die europäische, was die Möglichkeiten des Methodenimports aus der Kunstgeschichte begrenze und dazu führe, dass die Ägyptologie selbst Methoden entwickeln müsse.312 Bringt man diese Positionen zusammen, ergibt sich das Bild einer ägyptologischen Kunstgeschichte, die aufgrund der Andersartigkeit ihres zunächst grundsätzlich analog zur europäischen Kunst aufgefassten Gegenstandes nicht einmal den (ihr zufolge letztlich der Wissenschaftlichkeit nicht verpflichteten) Standards der
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Hintergrund des Fehlens jener Grenze dürfte es nicht von ungefähr kommen, dass sich innerhalb von Baines’ Ansatz, der von der Existenz einer ägyptischen Kunst ausgeht, jede Trennschärfe des Kunstbegriffs auflöst und letztendlich die ganze ägyptische Kultur als Kunst erscheinen muss, wenn man den diesen Ansatz konsequent weiterführt. Vgl. u.a. Kapitel 1.2.1.5. Vgl. oben Kapitel 1.2.1.4 (S. 47–49). Vgl. hierzu ausführlicher Widmaier, „Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“, 530–534. Zitat von Junge, „Versuch einer Ästhetik“, 1. Vgl. Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 40f. (Zitate) sowie zur Rolle des Konsenses 39, 43 und 54 f. Siehe auch oben bei Fn. 298. Müller, „Response to E. R. Russmann“, 33.
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europäischen Kunstgeschichte folgen muss. Vielmehr nimmt sie dafür einen Freiraum in Anspruch, indem sie sich der Forderung nach transparenten Standards zugunsten des persönlichen Erfahrungswissens von Fachleuten verweigert und selektiv auf Methodenimporte zurückgreift. Auf die Erfahrung der Fachleute gegründet immunisiert sich eine ägyptologische Kunstgeschichte dieser Prägung so gegen jeden Versuch, ihre Methoden infrage zu stellen.313 Müllers Fazit ist auch noch in anderer Hinsicht aufschlussreich, da dort das Bemühen deutlich zum Ausdruck kommt, den Kunstbegriff für Ägypten erhalten zu wollen, um so dem Vorwurf zu entgehen, man würde von Seiten der Ägyptologie die ägyptische Kultur nicht ernst nehmen: „Das Material selbst, die erhaltenen bildnerischen Objekte, zeugen davon, daß sie nicht nur als religiöse Gebrauchsgegenstände, sondern auch als Kunst im modernen Sinn für voll genommen werden müssen.“314 Damit wird expliziert, was sich in anderen ägyptologischen Auseinandersetzungen meist nur sehr implizit äußert: die Annahme, man müsse ägyptische Bilder als Kunst im modernen Sinne verstehen, da jeder andere Blick auf den Untersuchungsgegenstand diesen nicht ausreichend ernst nehme. Es steht zu vermuten, dass hier unausgesprochene Bedenken gegenüber historisierenden und kulturrelativistischen Ansätzen eine entscheidende Rolle spielen, da diese oft in Zusammenhang mit Orientalismusvorwürfen gebracht werden.315 Ob der bei der Beschäftigung mit fremden Kulturen problematische Kulturzentrismus dadurch vermieden werden kann, dass man Antikes mit Modernem und Fremdes mit Eigenem analogisiert, muss jedoch stark bezweifelt werden. Auf interkulturelle Perspektiven sowie auf die Konzepte von Universalität und Kulturrelativismus wird unten noch ausführlicher zurückzukommen sein.316 Auch wenn Müllers dezidiertes Plädoyer für die Anwendbarkeit der europäischen Kunstwissenschaft auf Ägypten in der geschilderten Weise überaus problematisch erscheint, bildet das Ergebnis dieser Argumentation den Kern einer verbreiteten ägyptologischen Praxis in der Beschäftigung mit ägyptischen Bildern ab.317 Als besonders prägnantes Beispiel dieser Forschungsrich313 314 315 316 317
Vgl. hierzu beispielsweise oben Fn. 291 sowie zu Immunisierungsstrategien auch die Kapitel 2.4.4.2 (bes. S. 448 f.) und 3.2.6 (S. 530 f.). Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 55 (Kursive K.W.). Vgl. hierzu unten Kapitel 2.3.5.2 (dort Fn. 530), Kapitel 3.1 und Kapitel 3.2.5. Siehe hierzu ausführlich Kapitel 1.4. Vgl. auch Kapitel 3.2.5. Vgl. auch oben Kapitel 1.2.1 (u. a. mit Fn. 174) zu Baines, der sich ebenfalls offen gegenüber der Übertragbarkeit bzw. Anwendbarkeit kunstwissenschaftlicher Analysen zeigt.
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tung sollen im Folgenden noch die Arbeiten von Dietrich Wildung näher untersucht werden. Sie bieten nicht nur die Möglichkeit, einen der dezidiertesten Ansätze dieser Richtung zu diskutieren, der jahrzehntelang weit über die deutschsprachige Ägyptologie hinaus einflussreich gewirkt hat. Auf diese Weise kann außerdem mit dem Berliner Ägyptischen Museum das Ergebnis einer konsequenten musealen Umsetzung eines solchen ‚kunstwissenschaftlichen‘ Zugangs hinzugezogen werden.318 Doch bevor die musealen Konsequenzen in den Blick genommen werden können, soll zunächst der von Wildung vertretene Kunstbegriff betrachtet werden, der das theoretische Fundament für das in jüngerer Zeit umgesetzte Ausstellungskonzept bildet. Nach Wildung hat die ägyptische Kunst nie dem modernen Verständnis von Kunst als „l’art pour l’art“ entsprochen, sie sei schließlich stets in verschiedene Kontexte und Funktionen eingebunden gewesen. Diesbezüglich steht Wildung in einer Tradition zu der spätestens seit Wolf prominent in der ägyptologischen Diskussion verankerten Vorstellung vom ägyptischen Bild als Werkzeug.319 Die Auswirkungen dieser generellen Aussage auf Wildungs Untersuchungen erweisen sich bei näherer Betrachtung jedoch als sehr gering, da er im Rahmen seiner weitgehenden Fokussierung auf eine bestimmte Materialgruppe ganz andere Wege einschlägt: Das menschliche Bild nimmt bei ihm – als Porträt verstanden – die Rolle des zentralen Dreh- und Angelpunktes ein.320 Wildung zielt darauf ab, die für ihn zentralen Begriffe Individuum, Stil und Innovation aus der traditionellen ägyptologischen Vorstellungswelt von
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Dies betrifft einerseits die Interimsdauerausstellung, die von August 2005 bis Februar 2009 auf der Museumsinsel im Alten Museum untergebracht war. Sie vermittelte bereits einen genauen Eindruck der endgültigen Neuaufstellung der Dauerausstellung im Neuen Museum (ab Oktober 2009) im Rahmen der vollständigen Neugestaltung der Museumsinsel (vgl. die Beiträge in: Lepik [Hrsg.], Masterplan Museumsinsel Berlin). Beide Aufstellungen bilden damit gewissermaßen zugleich Resümee und Erbe der Ägide von Dietrich Wildung als Direktor der Berliner Sammlung. Das im Juni 2013 in einem Neubau im sogenannten Münchner Kunstareal zwischen den Pinakotheken eröffnete Staatliche Museum Ägyptischer Kunst München folgt der Berliner Konzeption. Vgl. Schoske & Wildung, Münchner Buch der ägyptischen Kunst, insbesondere 7. Dies zeigt sich allein anhand der Vehemenz, mit der Wildung dies mehrfach betont. Vgl. Wildung, „Zur Einführung“, 7; ders., „Tradition und Innovation“, 33; ders., Die Kunst des alten Ägypten, 10 und 21; ders., Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, 30. Vgl. zu Wolfs Überlegungen oben Kapitel 1.1.1. Vgl. dazu u. a. Wildung, „Zur Einführung“, insbesondere 10–13; ders., „Das Bild der Zeit im Spiegel der Kunst“, in: ders., Sesostris und Amenemhet, 191–222; ders., „Menschwerdung“. Vgl. auch die Zusammenfassung und Besprechung dieser Perspektive bei Luiselli, „Inszenierung von Individualität“, sowie unten ausführlich Kapitel 2.3.5.
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ägyptischer Kunst als starr-unveränderlichem Werkstatterzeugnis321 zu lösen und für eine stilforscherische ägyptologische Kunstwissenschaft nutzbar zu machen.322 Insbesondere mithilfe von Stilbeobachtungen beabsichtigt Wildung die ägyptologische Vorstellung von einer diachronen Unveränderlichkeit ägyptischer Bilder aufzubrechen. Form und Ikonographie ägyptischer Bilder seien diejenigen Komponenten der Bilder, die oftmals einen Eindruck von Starrheit vermittelten, da gerade erstere in Ägypten besonders stark an den Kanon gebunden gewesen sei.323 Aus diesem Grund habe die ägyptologische Vernachlässigung des Stils als dritter Komponente der Bildwerke zu einem unzutreffenden Bild von Monotonie geführt,324 von Entwicklungslosigkeit könne jedoch keine Rede sein.325 Ein „unbefangener Blick auf die altägyptische Kunst“ reiche völlig aus, um Einzelwerke als solche erkennen zu können.326 Wildung geht sogar noch weiter, indem er feststellt, Abweichungen vom Kanon seien in Ägypten so gängig gewesen, dass die vollständige Übereinstimmung eines Bildes mit dem Kanon als Indiz dafür interpretiert werden könne, dass eine Fälschung vorliege.327 Derartigen Werken fehle der künstlerische Stil, in dem sich 321
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Wildung, „Zur Einführung“, 7; ders., „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 271. Vgl. außerdem zur oftmals betonten Gleichheit ägyptischer Kunst Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 8 mit den Angaben in Fn. 69. Vgl. unten zur Möglichkeit diese als Stilistizitätsphänomen vor dem Hintergrund eines antiken Stilbegriffs zu verstehen die Kapitel 2.4.4.1 und 2.4.4.2. Vgl. den programmatischen Aufsatz Wildung, „Bilanz eines Defizits“. Vgl. außerdem unten ausführlich zur Stilforschung Kapitel 2.3 und 2.4. Wildung, „Zur Einführung“, 8. Dieser Standpunkt ist aus der in diesem Buch eingenommenen Perspektive nicht zutreffend. Der Einfluss der Stilforschung auf die Ägyptologie dürfte vielmehr ein ganz beträchtlicher, wenn auch oftmals unterschwelliger sein (vgl. etwa explizit Hartwig, „An Examination of Art Historical Method and Theory“, 313: „In art history, a number of techniques are available to the researcher with which to decipher the meaning of the image. In this regard, one always begins with stylistic analysis.“). Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 2. Wildungs Vorstellung von Stilforschung grenzt sich freilich von vielen der dort diskutierten Ausprägungen ab, indem sie sich nicht nur mit Datierungen zufrieden geben will. Sie will schließlich weit darüber hinaus gehen, indem sie Skulpturen primär als Kunstwerke und nicht als „bildliche Konkretisierung der politischen, sozialen und religiösen Geschichte“ versteht (Wildung, „Bilanz eines Defizits“, 61). Wildung, „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 274; ders., „Tradition und Innovation“, 38; ders., Die Kunst des alten Ägypten, 10f. Wildung, „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 271–273 (Zitat: 271). Vgl. Wildung, „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 274; ders., „Tradition und Innovation“, 38 f.; ders., „Zur Einführung“, 10.
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die Persönlichkeiten von Künstler und Porträtiertem niederschlugen: Das Einmalige der Personen, das Individuelle von Darstellendem und Dargestelltem werde durch den Stil ausgedrückt.328 Wildung betont damit die Bedeutung der künstlerischen Einzelpersönlichkeit, auch wenn das Prinzip der Arbeitsteilung der Herstellungsprozesse von ihm nicht infrage gestellt wird. Die vermeintliche Unvereinbarkeit dieser beiden Aspekte versucht er durch den differenzierenden Begriff der Qualität aufzulösen: Er unterscheidet zwischen Werken hoher Qualität – d.h. Kunstwerken im engeren Sinne, in denen sich die Hand des Künstlers manifestiert habe – und solchen niedriger Qualität.329 Obwohl Wildung sich primär mit ersteren befasst und daher die Frage, ob bei letzteren immer noch von Kunst gesprochen werden könne, nicht explizit stellt bzw. beantwortet, geben seine Ausführungen dennoch keinen Anhaltspunkt dafür, den Kunstcharakter ägyptischer Bilder auf solche höchster Qualität zu beschränken. Vielmehr wird der Begriff Qualität insofern als graduelle Kategorie eingeführt, als Porträts auf „höchste[m] künstlerischem Niveau“ sich dadurch auszeichneten, dass sie neben dem Zeitstil auch den persönlichen Stil des Künstlers erkennen ließen, was diesen Darstellungen Porträtähnlichkeit verleihe.330 Bilder geringerer Qualität hätten ihre Individualität hingegen nur durch die Namensaufschrift erhalten, werden von Wildung jedoch ebenfalls als Kunstwerke angesprochen.331 Dies verdeutlicht, dass Wildung den Begriff Kunst nicht nur nutzt, um die seiner Meinung nach besonders hochwertigen Objekte zu benennen oder zu beschreiben, weil sie sich gerade durch eine besondere Form von Ästhetik und ihren Individualitätsausdruck auszeichneten. Der Kunstbegriff wird also von Wildung nicht verwendet, um innerhalb der Gesamtheit ägyptischer Bilder zwischen Kunst und Nicht-Kunst zu differenzieren, da er bei ihm letztendlich als Sammelbegriff von der Gesamtheit der Bilder kaum zu unterscheiden ist. ‚Objekte der Kunst‘ würden in der ägyptologischen Literatur – wie Wildung sicherlich zu Recht feststellt – oft auf illustrative Funktionen reduziert: Zu geschichtlichen, religiösen oder anderen Themen werde insbesondere in Überblickswerken vielfach aus einem Repertoire derselben immer wieder ver-
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Wildung, „Zur Einführung“, 10 f., vgl. außerdem ders., „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 274. Damit fokussiert Wildung auf das, was unten als Produktionsstil beschrieben wird, und folgt konsequent dem neuzeitlichen Stilbegriff der Kunstgeschichte. Siehe hierzu Kapitel 2.4. Wildung, „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 273; ders., „Zur Einführung“, 11. Wildung, „Zur Einführung“, 11. Vgl. beispielsweise Wildung, Sesostris und Amenemhet, 24–30.
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wendeten Bilder geschöpft.332 Bildbände, aber auch als Kunstgeschichten betitelte Bücher,333 würden in größerer Zahl erscheinen und sich sowohl mit ihrer gestalterischen Ausstattung als auch mit ihren hohen Auflagen in erster Linie an eine breitere Zielgruppe richten. Da Kunstwerke nach Wildungs Auffassung sonst nicht zugängliche Informationen enthalten, beklagt er diese vorherrschende Praxis und fordert, Kunst als historische Primärquelle zu begreifen und sie für eine umfassendere Geschichtsschreibung auszuwerten statt mit ihr lediglich eine historiographische Darstellung zu illustrieren, die auf diese Quellen verzichtet und daher nur „Torso“ bleiben könne.334 Nicht nur inhaltlich, sondern auch bezüglich ihrer Zugänglichkeit für den Bearbeiter würden sich Kunstwerke als Quellengattung von anderem Material abheben: „Ägyptische Kunst ist leicht erfaßbar, hebt in ihrer einfachen Bildsprache die zeitliche Distanz zwischen Werk und Betrachter auf, stellt einen unmittelbaren Kontakt über eine Kluft von Jahrtausenden her.“335 Dadurch sei das Bild dem Text grundsätzlich überlegen.336 Andernorts scheint Wildung dies jedoch zu relativieren, indem er darauf verweist, dass die Ägyptologie in ihren Möglichkeiten auf eine Außensicht beschränkt sei und es sich bei flachbildlichen Alltagsszenen lediglich um gefilterte künstlerische Darstellungen handele, die keineswegs den Beobachtungen eines objektiven Repor-
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Ein prominentes Beispiel bildet der Sammelband R. Schulz & Seidel (Hrsg.), Die Welt der Pharaonen. Egal ob politische Geschichte, königliche Verwaltung oder Hieroglyphenschrift, kaum ein darin behandeltes Thema kommt ohne Abbildung eines Flachoder Rundbildes aus, auch wenn der inhaltliche Zusammenhang sich nicht auf Bilder bezieht. Wildung schreibt nicht frei von Zynismus: „Standardwerke, die als ‚Kunstgeschichte‘ firmieren, Lange – Hirmer, W.St. Smith, C. Aldred, sind primär Materialsammlungen, besser: Varianten über ein Thema, dessen Motive vor Jahrzehnten festgeschrieben wurden und ein klassisch gewordenes Gerüst von ‚musts‘ bilden, Falken-Chephren, Berliner Nofretete, Turiner Ramses, Nefertari-Grab.“ (Wildung, „Bilanz eines Defizits“, 60). Wildung, „Bilanz eines Defizits“, 79. Die Frage nach der Überführbarkeit von Bildinterpretationen in narrative Formen der Geschichtsschreibung wird im Laufe dieser Arbeit noch verschiedentlich eine Rolle spielen. Vgl. hierzu unten etwa die Kapitel 2.2.1, 2.2.3, 2.3.4.1, 2.3.4.2 und 2.3.5.2. Wildung, „Tradition und Innovation“, 42. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 8 und 194; ders., Die Kunst des alten Ägypten, 10–12; Schoske & Wildung, Gott und Götter, 3.
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ters gleichkämen,337 sondern vielmehr ihre eigene auf Dauer angelegte Wirklichkeit kreierten.338 Die Auswirkungen dieser Feststellungen auf Wildungs sonstige Überlegungen bleiben jedoch überaus begrenzt.339 Im Gegenteil, die Annahme einer unmittelbaren Zugänglichkeit ägyptischer Bilder bleibt Grundlage aller Untersuchungen und ersetzt als solche jede Form der Quellenkritik: „Jede Art historischer Forschung sieht sich in hohem Maße dem Problem der Übersetzbarkeit der Primärquellen konfrontiert. Der Informationsverlust ist dort am geringsten, der Wirklichkeitsgehalt dort am größten, wo eine Übersetzung des Textes oder des Bildes in unsere Begrifflichkeit und Sprache nicht nötig ist, da die Quelle in ihrer eigenen Sprache verständlich zu uns spricht. Zweifellos ist hier das Bild dem Text überlegen. Es ist über Sprach- und Epochengrenzen hinweg zumindest in seinen äußeren Schichten unmittelbar zugänglich. Während zu fremdsprachigem Textmaterial nur der Sprachkundige Zugriff hat, ist das Bild sprachunabhängig kommunikativ.“340 337 338 339
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Wildung, „Zur Einführung“, 7; ders., Die Kunst des alten Ägypten, 16f.; ders., „Egypt is in Africa / Ägypten liegt in Afrika“, 17. Wildung, „Tradition und Innovation“, 34; ders., Die Kunst des alten Ägypten, 18–20; ders., „Zur Einführung“, 7 f. Auch hier mag ein Grund dafür, dass derartige Reflexionen und daraus folgende Implikationen keine prominentere Rolle in Wildungs Arbeiten einnehmen, in der Fokussierung auf das als Porträt verstandene Rundbild liegen. Schoske & Wildung, Gott und Götter, 3. Wildung betont an anderer Stelle, dass eine unbefangene Betrachtung möglich sei. Damit meint er jedoch lediglich die Ausblendung anderer konventioneller ägyptologischer Ansichten, um zu der Erkenntnis gelangen zu können, dass innerhalb der ägyptischen Kunst keine Starrheit vorliege (Wildung, „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 271). Die von Wildung vertretene Möglichkeit eines unmittelbaren Zugangs ist jedoch sehr kritisch zu sehen. So setzen Versuche, Realweltliches oder andere Aussagen aus bildlichen Darstellungen abzuleiten, voraus, dass die untersuchten Bilder als Zeichen fungieren. D.h. dass diese Bilder – genauer die im Bild sichtbar werdenden Bildobjekte (vgl. zu diesem Begriff oben Fn. 75) – auf etwas aus der Lebenswelt des Alten Ägypten verweisen. Meistens wird bei derartigen Betrachtungen nicht berücksichtigt, dass die Regeln, nach denen Bilder auf etwas verwiesen haben, selbst nicht im Bild sichtbar sind. Da uns diese Anwendungsregeln fehlen, funktionieren ägyptische Bilder, die von Ägyptern einst als Zeichen verwendet wurden, zunächst nicht genauso für uns moderne Betrachter, wenn wir die Zeichenhaftigkeit der ägyptischen Bilder für unser Verständnis vom Alten Ägypten nutzen wollen. Uns bleibt letztlich angesichts der noch erschließbaren Kontexte der ägyptischen Bilder und dessen was wir selbst visuell wahrnehmen können, nur hermeneutische Spekulation. Diese argumentativ transparent zu machen,
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Auch wenn sich nach Wildung Bilder in dieser Weise von Texten abheben, pflegt er doch auch anhand von Texten die ägyptologisch gängige sehr direkte und methodisch kaum unterfütterte Lesart u. a. ‚literarischer‘ Texte,341 die er zu einer Zusammenführung von Kunst und Literatur342 in Form psychologisierender Deutungen von Texten und Bildern ausweitet.343 Anhand von Wildungs Beschäftigung mit dem berühmten Berliner Teje-Köpfchen (äm 21834) wird beispielsweise besonders deutlich, wie aus der Beschreibung eines einzigartigen Rundbildes eine Charakterstudie wird, die – nicht zuletzt aufgrund fehlenden Quellenmaterials – nicht mehr exakt zwischen der historischen Person der Königin selbst bzw. deren Charakter, deren Bildern und den sich auf Text- und Bildquellen stützenden ägyptologischen und literarischen Rezeptionen der Person unterscheidet. Alles verschmilzt bei Wildung zu der Persönlichkeit ‚Teje‘, der der Betrachter des Rundbildes unmittelbar gegenübertrete.344 Die ägyptologische Porträtforschung wird am Beispiel
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dürfte der einzig gangbare Weg sein, unsere Deutungen zu plausibilisieren. Siehe hierzu die ausführlicheren Überlegungen von Wiesing, Artifizielle Präsenz, 62–68. Vgl. auch für eine weitere Kritik an diesem Bildverständnis Wildungs die Ausführungen bei Moers, „Ägyptische Körper-Bilder“ und ders., „Bildfunktionen im pharaonischen Ägypten“, 150– 153. Vgl. zu diesem Komplex maßgeblich Moers, „Spurensucher auf falscher Fährte?“. Vgl. zur Analogie zwischen „Idealbild-Porträt“ und „Ideal- und Individualbiographie“ Wildung, „Tradition und Innovation“, 34 sowie außerdem ders., Sesostris und Amenemhet, 194 und ders., „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 274. Wildung, Sesostris und Amenemhet, darin beispielsweise 199–203, außerdem ders., „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 273. „Ihr Leben bleibt zwar – wie bei so vielen Persönlichkeiten – im biographischen Detail unscharf, aber ihr Charakter als energische, widerborstige, machtbewußte grande dame ist in die historische und populärwissenschaftliche Literatur als feste Größe eingegangen und prägt das Bild dieser Frau auch in Thomas Manns Josephsgeschichte, die in so unübertrefflicher Weise den Geist und die Atmosphäre jener Zeit um 1350 v.Chr. trifft: ‚Dennoch erkannte Joseph ihre eigentümlichen Züge wieder, wie er sie vordem bei königlichen Ausfahrten das eine oder andere Mal erblickt: das fein gebogene Näschen, die aufgeworfenen, von Furchen bitterer Weltkunde eingefaßten Lippen, die gewölbten, mit dem Pinsel nachgezogenen Brauen über den kleinen, schwarzglänzenden, mit kühler Aufmerksamkeit blickenden Augen […] wobei die lebensbitteren Falten um ihren vortretenden Mund sich zu einem spöttischen Lächeln formten.‘ Dieses Psychogramm ist nicht aus der Luft gegriffen. Den schriftlichen Beleg liefert die diplomatische Korrespondenz des 14. Jahrhunderts v.Chr. […]: ‚Teje, deine Mutter, kennt all die Worte, die ich mit deinem Vater gewechselt habe. Niemand sonst kennt sie. Du mußt Teje fragen, deine Mutter, denn sie kann alles sagen.‘ Vor allem aber ist es der hier thematisierte antike Bildniskopf, der diese außergewöhnliche Frau im Gedächt-
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von Statuen der 12. Dynastie im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch ausführlicher thematisiert werden.345 Eine weitere zentrale These Wildungs betont die Produktivität eines Wechselverhältnisses von Tradition und Innovation der ägyptischen Kunst,346 in dem der Kanon immer eine wesentliche die Tradition betonende Rolle eingenommen habe. Historisch betrachtet seien die ägyptischen Künstler zunächst kreativ und unbefangen an ihr Werk gegangen, erst später habe eine theoretische Durchdringung eingesetzt.347 Auf diese Weise versucht Wildung u.a. zu erklären, warum man erst als der Proportionskanon bereits gefestigt gewesen sei, Hilfslinien in Flachbildern nachweisen könne. Kanonisierte Formen hätten dann erst die beobachtbare Arbeitsteilung ermöglicht, was wiederum zu einer Fließbandarbeiten ähnlichen Produktion habe führen müssen, da auch die jeweiligen Motive standardisiert gewesen seien.348 Das nicht nur in diesem Zusammenhang von Wildung angesetzte Verständnis von Veränderungen zeigt, wie sehr seine Perspektive auf teleologischen Blüte- und Verfallstheorien fußt und von Entwicklungsgedanken beeinflusst ist.349 Die ägyptische Kunst sei einer Eigengesetzlichkeit gefolgt, da es keine bzw. nur wenige
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nis der Nachwelt lebendig erhält. Wenn Thomas Manns Teje-Bild nichts anderes ist als eine bewundernswert präzise Bildbeschreibung dieses Teje-Bildnisses im Ägyptischen Museum Berlin, dann setzt sich der Dichter an die Spitze all derer, für die Teje geradezu identisch ist mit dem Berliner Bildnis. […] Nur zehn Zentimeter hoch, entwickelt der Porträtkopf eine physische Präsenz und eine sprechende Lebendigkeit, die den Betrachter unvermittelt anspringen, ihn festhalten und ihn unentrinnbar in einen Dialog verwickeln, der die Kluft von drei Jahrtausenden mühelos überwindet. […] Beim Berliner Köpfchen erlaubt es jedoch die ausgeprägte Individualität der Gesichtszüge, die dargestellte Peron trotz des Fehlens einer Beischrift mit Sicherheit namentlich zu benennen. […] [als Gemeinsamkeiten verschiedener Teje-Bilder werden genannt:] die tiefen Furchen, die von den Nasenflügeln zum Mund laufen, die weit vorspringende untere Gesichtspartie, die ausgeprägten Wangenknochen, die katzenhaften Augen, zu einem Ausdruck verschmolzen, aus dem das ganze Selbstbewußtsein einer lebensklugen, abgeklärten und doch tatkräftigen Persönlichkeit spricht.“ (Wildung, Der Porträtkopf der Königin Teje, 5–7 [Kursive i.O.]). Vgl. Kapitel 2.3.5. Wildung, „Tradition und Innovation“, 41. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 192 f. Wildung, „Zur Einführung“, 8. Explizit auch Wildung, „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 273. Seit Winckelmann haben derartige Perspektiven die Klassische Archäologie und die Kunstgeschichte geprägt. Vgl. Potts, „Leben und Tod des griechischen Ideals“, 12f. sowie oben Fn. 55.
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„Störfaktoren von außen“ gegeben habe.350 Wildung geht dabei so weit, die Entwicklung der ägyptischen Kunst als einen „natürliche[n] Evolutionsprozeß“ zu beschreiben, da sich die ägyptische Kultur in kunstgeschichtlicher Sicht „gemäß allgemein gültigen menschlichen Verhaltensmustern verändert“ habe und keinen „Sonderweg“ beschritten habe.351 Aufgrund der so umrissenen universalen Eigengesetzlichkeit der Kunst einerseits und der von Ägypten ausgehenden Beeinflussung der Kulturen der klassischen Antike andererseits erkennt Wildung – seinen teleologischen Grundannahmen konsequent folgend – in Kunst und Kultur Ägyptens den Ursprung der heutigen abendländischen Kultur: „Die tiefe Vertrautheit, mit der der moderne Mensch Altägypten erlebt, selbst wenn er nicht über fachliche Vorkenntnisse verfügt, erklärt sich nur daraus, daß vor fünftausend Jahren am Nil der Grund für ein Denken gelegt wurde, das direkt in die abendländische Kultur ausmündet und ohne jeden Zweifel unserer Kultur enger verbunden ist als allen Kulturen des Orients und Afrikas. Diese Beobachtung könnte sicherlich als eine Art von kulturellem Spätkolonialismus mißverstanden werden, als ein Versuch, Altägypten, eine Kultur des afrikanischen Kontinents und des vorderasiatischen Raumes, für Europa zu vereinnahmen. Mögen auch die Wurzeln der altägyptischen Kultur tief in Afrika und im Vorderen Orient liegen, so ist doch unbestritten, daß kein anderer Raum auf Griechenland und Rom einen stärkeren Einfluß ausgeübt hat als Ägypten. So verkehrt sich der Vorwurf des europazentrierten Weltbildes, das Altägypten für sich in Anspruch nehmen will, in sein Gegenteil, in die Erkenntnis, daß die frühen Kulturen Europas ohne Ägypten nicht nur nicht verständlich, sondern einfach nicht existent wären.“352 Ägypten findet sich an initialer und damit besonders prominenter Stelle in die „Weltkunstgeschichte“ eingeordnet.353 Den Vorwurf, man würde so Ägyp-
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Wildung, Die Kunst des alten Ägypten, 15, vgl. außerdem zum Entwicklungsgedanken ebenda, 10 f.; ders., „Bilanz eines Defizits“, 79. Zu einem früheren Zeitpunkt betonte Wildung hingegen das Positive der Fremdeinflüsse, da sie aufgrund einer ‚Bereitschaft zur Übernahme von Anregungen‘ die Kreativität hätten speisen können (Wildung, „Zur Einführung“, 1). Wildung, „Bilanz eines Defizits“, 79. Wildung, Die Kunst des alten Ägypten, 8 f. Vgl. zu Wildungs Verständnis einer Weltkunstgeschichte Wildung, Die Kunst des alten Ägypten, 10 f., sowie außerdem ders., „Bilanz eines Defizits“, 79 und ders., Ägyptisches
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ten aus eurozentrischer Perspektive vereinnahmen, hält Wildung nicht nur für unzutreffend, er geht hier noch viel weiter, indem er Ägypten zu einem Ursprung Europas erklärt: Ägypten erscheint als Voraussetzung Europas, dessen frühe Kulturen erst durch die Beschäftigung mit Ägypten verständlich würden. Ägypten muss dieser Diktion folgend also gar nicht vereinnahmt werden, es sei uns schließlich geistesgeschichtlich bereits zum Greifen nah. Diese Einreihung Ägyptens in eine verschiedene Kulturen miteinander verbindende Entwicklungslinie folgt gängigen, jedoch auch problematischen Konzeptionen. Ein subjektiv von heutigen Betrachtern wahrgenommenes Gefühl der Vertrautheit mit der ägyptischen Kultur verbindet sich im Rahmen derartiger Perspektiven mit wahrscheinlichen, wenn auch noch nicht abschließend geklärten Transfers aus Ägypten nach Griechenland, die gerade anhand der griechischen Kouroi verstärkt diskutiert werden. So überzeugend und verlockend eine solche Sicht auf den ersten Blick auch sein mag, sollte sie nicht über einige wesentliche Punkte hinwegtäuschen: Zum einen lassen sich in den greifbaren typologischen Übertragungen nur vergleichsweise oberflächliche Einflüsse feststellen, die auf die Übernahme eines Statuenschemas und das anfängliche Profitieren von technologischen und handwerklichen Kenntnissen hinauslaufen.354 Zum anderen können solche Formen der Einordnung und Verortung Ägyptens als Versuche verstanden werden, sich selbst in Relation zu Ägypten geschichtlich zu verorten, indem Entwicklungen und Abhängigkeiten angesetzt werden, um das Kontingente zugunsten von Kontinuität und Kohärenz aus dem Blickfeld historischer Betrachtung zu verdrängen: Es ließe sich mit Rorty vom „kontinuitätssüchtige[n] Historiker“ sprechen.355 Daher ist Wildungs Einschätzung als Kontinuitätsfiktion verstanden
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Museum und Papyrussammlung Berlin, 18. Vgl. auch Schoske & Wildung, Münchner Buch der ägyptischen Kunst, 7. ‚Weltkunst‘ ist hier in Wildungs Sinne nicht als ausdifferenziertes System innerhalb einer globalen Welt zu verstehen (vgl. hierzu Luhmann, „Weltkunst“), sondern als Sammelbegriff im Rahmen eines Verständnisses von Kunst als anthropologischer Konstante. Höckmann, „Der archaische griechische Kouros“, 74: „Die Griechen haben gewissermaßen im Fremden Anregungen für die Gestaltung des Eigenen gefunden.“, sowie ebenda, 75: „Es handelt sich nicht um eine wörtliche Übernahme der ägyptischen Statue des stehendschreitenden Mannes, sondern um eine aus deren Haltung und Schrittstand abgeleitete motivische Umdeutung und Umgestaltung, zudem eine Übertragung in Stein und in großes Format.“ Vgl. außerdem Kyrieleis, Der große Kuros von Samos, insbesondere 108–111 und 117. Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, 60. Vgl. zur Problematik des Entwicklungsgedankens einführend Daniel, „Kontingenz / Diskontinuität“. Vgl. auch Koselleck, „Der
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besonders unter rezeptionsgeschichtlichen Aspekten relevant, zumal sie keineswegs alleine steht.356 Auch zu anderen Zeiten erschien Ägypten ‚modern‘ und als Imaginationsraum und Projektionsfläche für verschiedenste Vorstellungen und Weltbilder geeignet.357 Die bereits oben gestellte Frage nach der Gegenwärtigkeit Ägyptens erscheint damit auch angesichts der von Wildung betonten Vertrautheit als zentral.358 Jene bei Wildung angesetzte Anbindbarkeit Ägyptens an die Moderne erweist sich als überaus prägend für das von ihm vertretene Konzept der musealen Erschließung ägyptischer Bilder für das heutige Publikum. Auch u.a. daraus, dass sich die ägyptische Kunst – wie andere Künste auch – mit Grundfragen menschlicher Existenz befasse,359 beziehe sie ihre Attraktivität für moderne Betrachter. Es könne gar von Aktualität, Frische und Modernität gesprochen werden, so dass die zeitliche und kulturelle Kluft zwischen modernem Betrachter und antikem Objekt überbrückt werde.360 Diese Annahme einer unmittelbaren Zugänglichkeit, die oben im Zusammenhang mit psychologischen Deutungen bereits angesprochen wurde, findet nun in Wildungs Konzeption der neuen Ausstellung der Berliner Ägyptischen Sammlung ihre museale Ausbuchstabierung: Sie wird in eine direkte Konfrontation des Objekts mit dem Besucher überführt. Dabei werden die ägyptischen Bilder dem Betrachter im wahrsten Sinne des Wortes auf Augenhöhe präsentiert. Die Sockelung von Statuen und Statuenköpfen zielt darauf, es schon durch Mittel der räumlichen Installation dem Besucher so leicht wie möglich zu machen, den Objekten so gegenüberzutreten wie einem menschlichen Kommunikationspartner (vgl. Abb. 1.1). Diese Gegenüberstellung könne das Bild bzw. die abgebildete Person aus der Anonymität herausheben. Der Geschichte
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Zufall als Motivationsrest in der Geschichtsschreibung“ sowie hier Kapitel 1.1.1, 2.1. und 2.3.2.1. Vgl. oben Fn. 295 sowie das dieses Kapitel einleitende Zitat von Bothmers („Introduction“, xxxii). Exemplarisch sei hier nur auf eine Arbeit von Dominic Montserrat verwiesen, der mit dem Entwurf einer Metabiographie Echnatons der Ägyptologie vieles über die Rezeption ihres Untersuchungsgegenstandes im 20. Jahrhundert vor Augen führen kann (Akhenaten). Vgl. hierzu Kapitel 1.4 und 3.2.5. Wildung nennt etwa „Standortbestimmung des Menschen in seiner Umwelt, Selbstbehauptung des Individuums gegenüber Regeln und Mechanismen, die nach seiner Freiheit greifen wollen“ (Wildung, „Zur Einführung“, 14). Vgl. u. a. Wildung, „Tradition und Innovation“, 42; ders., Sesostris und Amenemhet, 193; ders., „Strahlendes Rot“, 33 sowie oben Fn. 340. Vgl. auch Schoske & Wildung, Münchner Buch der ägyptischen Kunst, 7.
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Die Amarna-Plattform im Ägyptischen Museum Berlin (März 2010)
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werde Gesicht gegeben. Der diesen Eindruck erlebende Besucher werde zur Selbstreflexion angeregt: „Die unmittelbare Gegenüberstellung der Herrscherbildnisse aus drei Jahrtausenden hebt Altägypten aus der Anonymität, der Namenlosigkeit einer unendlich fernen Epoche heraus, gibt seiner Geschichte buchstäblich Gesicht und lässt den Betrachter fragen, wo er selbst zweitausend Jahre nach dem Ende Altägyptens steht.“361 Die Präsentation fokussiert also weitestgehend auf das Objekt selbst, das auf diesem Weg vom Besucher erlebt werden soll. Es wird dabei nicht nur von Kontexten abstrahiert, indem etwa durch ungeklärte Provenienzen und Deutungsunsicherheiten bezüglich der Funktion der Objekte bedingte Probleme tendenziell vernachlässigt werden. Den Kern der Konzeption bildet eine geradezu programmatische Dekontextualisierung: „Altägypten zuallererst in seiner Kunst zu erleben, ohne ‚archäologischen Ballast‘ (Thomas Mann), das bietet die neue Konzeption in der ersten Hälfte des Rundgangs.“362 Auf welche Äußerung Thomas Manns sich Wildung mit dem Zitat „ohne ‚archäologischen Ballast‘“ an dieser Stelle bezieht, bleibt unklar. Bei der Recherche in den Gesammelten Werken des Autors ließ sich nur eine einzige Passage ermitteln, die auf Satzebene dem zitierten Passus ungefähr entspricht, von ihrem Kontext her jedoch in eine ganz andere Richtung zu weisen scheint. Im Folgenden sei davon ausgegangen, Wildung beziehe sich auf eben diese Passage: Thomas Mann schrieb 1928 – zu einer Zeit, als der erste Teil der Roman-Tetralogie Joseph und seine Brüder noch im Entstehen begriffen war – in einführenden Worten zu einer Lesung von Abschnitten aus diesem Werk: „Bevor ich zu schreiben begann, habe ich ‚Salammbô‘ wiedergelesen, um zu sehen, wie man es heute nicht machen kann. Nur keinen archäologischen Brokat! Nur nichts Gelehrt-Artistisches und keinen gewollt gegenbürgerlichen Kult krasser Exotik! Das Archäologische ist ein Reiz unter anderen, – der wenigst wirksamen, wenigst ausschlaggebenden einer,
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Wildung, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, 29, vgl. außerdem ebenda, 53 f. Wildung, „So viel Nofretete war nie!“, 9.
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entschieden. Der antike Osten zieht mich an, ich hege vor allem für das alte Ägypten und seine Kultur eine schon aus Knabenzeiten stammende Sympathie und Vorliebe. Wirklich, ich weiß nachgerade gar nicht wenig davon, ich bin ein wenig Orientalist geworden, wie ich zu Zeiten des ‚Zauberbergs‘ Mediziner war. Das Archäologische, so weit entfernt es ist, Zweck und Gegenstand der Kunst zu sein, ist in einem gewissen Grade unentbehrlich, und zwar um der lustigen Exaktheit willen, als Mittel der Realisierung. Ich möchte die frommen Historien so erzählen, wie sie sich wirklich zugetragen haben oder wie sie sich zugetragen hätten, wenn …“363 Thomas Mann spricht hier keineswegs von der Betrachtung ägyptischer Bilder als solcher. Auf Gustave Flauberts Roman Salammbô aus dem Jahre 1862 Bezug nehmend äußert sich Mann hier zum Verfassen historischer Romane, die seiner Meinung nach auf Archäologisches nicht verzichten könnten, um „lustige[] Exaktheit“ und Authentizität zu gewinnen, es aber nicht zum „Gegenstand und Zweck der Kunst“ erheben sollten.364 Bei Wildung wiederum dient das Archäologische zunächst nicht als Realisierungsmittel, das von ihm angestrebte Erleben der Objekte ist darauf gar nicht angewiesen: Die Objekte selbst bieten ihm zufolge dekontextualisiert die Möglichkeit, sie so ursprünglich zu erleben wie einst. So wird die Zielsetzung, ‚ägyptische Kunstwerke‘ nicht nur kontextfrei, sondern geradezu modern zu erleben, zum „bekenntnishafte[n] Leitmotiv“ der Ägyptischen Sammlung erhoben: „Eine autonome, nicht an einen bestimmten Ort gebundene Arbeit von Mauritio Nannucci entdeckte ich vor zwei Jahren in einer Berliner Galerie. In riesigen Neonlettern hatte er einen Satz an die Wand gesetzt, der mich unmittelbar fesselte: all art has been contemporary ‚Kunst ist immer zeitgenössisch gewesen‘ – das ist eine fast banale Feststellung, die jedoch gerade über frühe Epochen der Kunstgeschichte etwas ganz Wesentliches aussagt: Zu seiner Entstehungszeit war jedes Kunstwerk ein Produkt der zeitgenössischen Kunst. In dieser seiner ursprünglichen
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Mann, „Ein Wort zuvor: Mein ‚Joseph und seine Brüder‘“, 626 (Kursive K.W.). Ägyptologische, jedoch kaum kommentierende, Beachtung fand diese Passage auch durch Grimm, Joseph und Echnaton, 24 f. Vgl. auch einen anderen Zusammenhang, in dem Mann das Wort ‚archäologisch‘ in ähnlicher Konnotation gebraucht: ders., „Ein ungarischer Roman“, 638.
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Modernität lädt es noch heute dazu ein, als so neu, so frisch, so unmittelbar erlebt zu werden wie in seinen ersten Tagen. Das Konzept der künftigen Berliner Museumsinsel hat sich vorgenommen, die Werke der archäologischen Museen aus ihrer isolierten Betrachtungsweise zu lösen und in immer wieder neue Dialogsituationen mit Werken anderer Epochen zu stellen.“365 (vgl. Abb.2.1–2) Erschien Wildungs Thomas-Mann-Zitat auf den ersten Blick noch recht unangemessen, so erweist es sich bei näherer Betrachtung als überaus aufschlussreich. Vergegenwärtigt man sich schließlich den Zusammenhang, aus dem Manns Formulierung stammt, wird deutlich, dass das Zitat zwar entfremdet und in seiner drastischen Zuspitzung kein wörtliches mehr ist (Brokat > Ballast), dabei jedoch keineswegs aus seinen inhaltlichen Zusammenhängen gerissen wurde. Geht es Wildung doch wie Mann um Kunst, und beide befassen sich im betreffenden Zusammenhang mit Antikem in erster Linie nicht unter antiquarischen, dokumentarischen oder wissenschaftlichen Gesichtspunkten, vielmehr geht es beiden um die Schaffung und Inszenierung von Kunst unter Rückgriff auf antike Gegenstände. So wie Mann das Archäologische nicht durch übermäßigen Gebrauch zum zentralen Gegenstand und Zweck der Kunst (d.h. seines Romans) werden lassen will, aber ob ihrer authentischen Realisierung nicht gänzlich darauf verzichten kann, nimmt Wildung ägyptische Objekte unter weitestgehender Ablösung von deren archäologischen Kontexten, um sie – von letzteren ‚befreit‘ – für den Museumsbesucher als Kunst erfahrbar zu machen.366 Von dieser Betrachtung von Wildungs Publikationen ausgehend sei nun auch die Ausstellung des Ägyptischen Museums Berlin selbst in die Untersuchung einbezogen (Stand: März 2010). Auch wenn diese Prozesse musealer Dekontextualisierung von Wildung forciert werden, finden sie freilich in der
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Wildung, „Strahlendes Rot“, 32f. Auch das 2013 neueröffnete Münchner Museum wurde unter die Überschrift Nannuccis gestellt. Vgl. Schoske & Wildung, Münchner Buch der ägyptischen Kunst, 6 f. Die weitestgehende Reduzierung der musealen Präsentation auf die Objekte selbst ist besonders für Kunstmuseen typisch (gewesen), vgl. Cuno, „The Object of Art Museums“, 71 f.: „So how should we do it without interfering, without coming in between the visitor and the art? […] How are we to minimize the acts of authority and how are we to reduce confusion? There are no easy answers. But I would suggest that we could begin by clearing away some of the clutter in our museums, the many distractions we have introduced into them – the commercial, the alimentary, the promotional, the entertaining, even – to the extent that it comes between the viewer and the word of art – the educational […].“
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abb. 2.1–2 Das Alte Museum auf der Berliner Museumsinsel, Ort der Interimsdauerausstellung des Ägyptischen Museums von August 2005 bis Februar 2009 mit der Installation Nannuccis (August 2008)
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Neukonzipierung des Berliner Museums keine vollständige Anwendung. So geben Objektbeschriftungen auch dort der Konvention folgend rudimentäre Informationen zu Provenienz, Material und Datierung der Objekte, Informationstafeln führen in verschiedene Themengebiete grundsätzlich ein.367 Entsprechend kommt die Ausstellung trotz des Bekenntnisses Wildungs zur Dekontextualisierung beispielsweise nicht umhin, die Funde der Grabungen der Deutschen Orientgesellschaft in Amarna in erster Linie auch als solche zu präsentieren.368 Dem Diktum folgend, Kunst sei zu ihrer Entstehungszeit zeitgenössische Kunst gewesen, bietet es sich ja auch tatsächlich an, die archäologischen Zusammenhänge nicht vollkommen auszublenden, sondern sie heranzuziehen, um zu untermauern, dass die von Wildung angeregte moderne Rezeption der Bilder als Kunst der ursprünglichen ägyptischen Rezeption der Bilder entspräche.369 Denn die heute erlebte Kunst sei ja schließlich in der späten 18. Dynastie zeitgenössische Kunst gewesen. Daher lohnt es sich, am Beispiel der Berliner Amarna-Sammlung nachzuvollziehen, wie dort auf musealer Bühne jener immer wieder thematisierte Graben zwischen den ägyptischen Objekten und dem heutigen Betrachter überbrückt wird und welche Folgen 367 368
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Vgl. unten S. 111–117 die Beispiele für Vitrinenbeschriftungen, Informationstafeln und Audioguide-Texte. Anders als die Amarna-Ausstellung (Säle 209, 210 und 212) sind die übrigen Räume hingegen allesamt thematisch oder typologisch, nicht aber topographisch und nur selten chronologisch angelegt. Gute Beispiele für typologische Gruppierungen stellen die Säle 110 („Pharao“) und 208 („Skulptur“) dar. Die Ausnahmen sind lediglich Saal 109 („Dreißig Jahrhunderte“), in dem die explizit als Porträts verstandenen Objekte chronologisch angeordnet sind (Wildung, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, 54: „Gerade im Porträt – und man sollte nicht zögern, diesen Begriff auf das Menschenbild in der altägyptischen Kunst anzuwenden – […].“; vgl. auch Seyfried & Wemhoff [Hrsg.], Neues Museum Berlin, 70–72 sowie zur Problematik des Porträtbegriffes ausführlich unten Kapitel 2.3.5), und Saal 003 („Vor den Pharaonen“), in dem Objekte von der Vorgeschichte bis in die 2. Dynastie versammelt sind (im Museumsführer nur als solcher bzw. als „Südöstlicher Eckraum“ in den Raumplänen eingezeichnet, sonst jedoch nicht erwähnt, vgl. Seyfried & Wemhoff [Hrsg.], Neues Museum Berlin, 44 und 192). Dass der typologischen Gruppierung im Allgemeinen der Vorzug vor einer archäologischen oder anderen Kontextualisierung gegeben wurde, sieht man am deutlichsten daran, dass auch Fundkomplexe u. ä. auseinander gerissen wurden: die Sitzstatue des Mṯn (äm 1106) wird im Skulpturensaal 208 ausgestellt, seine Grabkammer (äm 1105) befindet sich jedoch ein Geschoss tiefer in Saal 108. Ebenfalls über diese beiden Säle verteilt sind die Würfelfigur (äm 2296 in Saal 208) und die Scheintür (äm 2066 in Saal 108) des Sn-n-mw.t (Stand: 25.03.2010). Vgl. auch unten S. 112f. mit weiteren Beispielen. Vgl. hierzu auch Cuno, „The Object of Art Museums“, 50.
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dies für die ausgestellten Objekte hat. Auch um der Frage nachzugehen, ob eine solche die Objekte als Kunst verstehende Sichtweise mit der ägyptischen Kultur in Einklang zu bringen ist, drängt sich ein Blick auf diejenigen archäologischen Kontexte ja geradezu auf, aus denen jene Berliner Ausstellungsstücke stammen. Hier bietet sich uns schließlich die vergleichsweise seltene Möglichkeit, wenigstens in Ansätzen unsere moderne Ansprache der Objekte mit deren ursprünglicher kultureller Einbettung abzugleichen. Die amarnazeitlichen Rundbilder der Berliner Sammlung370 stammen zu einem großen Teil aus dem Anwesen des Bildhauers Thutmosis, das zu den größten Privathäusern der Stadt zu zählen ist.371 In der Qualität der dort gefundenen Rundbilder sowie in der luxuriösen Dimension des Gebäudekomplexes sah man bereits früh ausreichende Gründe, davon auszugehen, es habe sich bei Thutmosis um einen begnadeten Künstler gehandelt. Seit Ludwig Borchardt wird von ihm als „Meister“ gesprochen, dem man „– ohne Übertreibung – ins Atelier sehen“ könne.372 Während die Verwendung der Termini ‚Kunst‘ und ‚Künstler‘ in kaum reflektierter Form in der Ägyptologie gang und gäbe ist, erfolgt sie im Hinblick auf Thutmosis bei Wildung mit Bezug auf die Berliner Ausstellung doch mit besonderem Nachdruck: So spricht er von „künstlerische[r] Meisterschaft“, „Œuvre“ und wie auch schon Borchardt vom „Atelier“ und greift damit explizit auf neuzeitliche Kunstkonzepte zurück.373 An der von Forschung und Öffentlichkeit fortwährend mit Superlativen bedachten Berliner Kalksteinbüste der Nofretete374 lässt sich die von
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Die der Amarnazeit gewidmete Dauerausstellung befindet sich im Neuen Museum auf Ebene 2 in den Sälen 209, 210 und 212. Die folgenden Ausführungen gründen sich auf mehrere Besuche der Ausstellung. Detailbeobachtungen beziehen sich auf einen Besuch am 25.03.2010. Vgl. Borchardt & Ricke, Die Wohnhäuser in Tell El-Amarna, 87–100 und 217–221, Streifenplan iii und Plan 27; Do. Arnold, „The Workshop of the Sculptor Thutmose“. Zur Identifikation des Besitzers des Anwesens über das Fragment einer dort gefundenen Scheuklappe (äm 21193) Krauss, „Der Bildhauer Thutmose in Amarna“; vgl. jedoch auch die durchaus angebrachte Skepsis bei Seyfried, in: dies. (Hrsg.), Im Licht von Amarna, 396 f. Nach Tietzes Materialsichtung zählt das Anwesen bei von ihm zugrunde gelegten 532 Häusern zu den 25 größten Amarnas („Wohnhäuser und Bewohner der Südstadt“, 90f. und 103–105). Vgl. ausführlicher zu den Bildhauern von Amarna Widmaier, „Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“, 514–520. Borchardt, „Ausgrabungen in Tell el-Amarna 1912/13“, 30f. Alle Zitate finden sich bei Wildung, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, 78. äm 21300. Vgl. zur Büste selbst die Publikation von Anthes, Die Büste der Königin Nofret Ete, und zur Entdeckung und Fundsituation Borchardt, Porträts der Königin Nofret-Ete,
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Wildung als überwindbar betrachtete Kluft zwischen ägyptischem Objekt und moderner Rezeption gut veranschaulichen. Bei der Büste der Nofretete handelt es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weder um eine fertige noch um eine unfertige Auftragsarbeit der Bildhauerwerkstatt, sondern um ein Modell zum Gebrauch innerhalb der Werkstatt, um ein Anschauungsstück für die Herstellung anderer Statuen. Obwohl dies im Allgemeinen unstrittig ist,375 wird die Büste trotzdem von der modernen Rezeption zu einer Ikone ägyptischer Kunst stilisiert.376 Dabei wäre sie – in Anbetracht ihrer Funktion als Modell – selbst dann kaum als ägyptische Kunst zu bezeichnen, wenn man für Ägypten von Kunst sprechen wollte: Die Büste wäre höchstens Teil eines künstlerischen Herstellungsprozesses, jedoch kein Ergebnis desselben und damit wohl auch dann kaum als ägyptisches Kunstwerk anzusehen.377 Für diverse andere Bilder aus den Werkstätten von Amarna gilt dasselbe.378 Etwas anders verhält es sich bei nicht fertig gestellten oder unvollständigen Statuen(teilen), da sich diesbezüglich argumentieren ließe, es handele sich bei ihnen um Vorstufen von Endprodukten einer Künstlerwerkstatt, also um mehr oder weniger vollendete ägyptische Kunstwerke. Doch auch hier wird bei näherer Betrachtung der modernen Rezeption dieser Objekte schnell klar, dass die Statuen ihre besondere Qualität als ‚ästhetische Kunstwerke‘ vor allem im Auge des modernen Betrachters erhalten, der weitgehend unberücksichtigt lässt, dass die Rundbilder nicht in ihrem ursprünglich intendierten Zustand auf uns gekommen sind. Gerade das, was die Bilder aus ägyptischer Sicht wohl noch von ihrer Fertigstellung und Verwendung trennte, kann für den modernen Betrachter die Attraktivität der Objekte verstärken oder geradezu ausmachen.
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sowie Seyfried, in: dies. (Hrsg.), Im Licht von Amarna, 336f. und dies., „Der Werkstattkomplex des Thutmosis“. Vgl. Seidel & Wildung, „Rundplastik des Neuen Reiches“, 251; Wolf, Die Kunst Ägyptens, 456; Do. Arnold, „The Workshop of the Sculptor Thutmose“, 65–70; Seyfried & Wemhoff (Hrsg.), Neues Museum Berlin, 118. Vgl. zur Kritik an dieser Auffassung Seyfried („Der Werkstattkomplex des Thutmosis“, 182–185), deren Deutung der NofreteteBüste in Analogie zu zwei Büsten Echnatons jedoch selbst – wie von ihr auch eingeräumt – nicht unproblematisch ist. Vgl. Do. Arnold, „The Workshop of the Sculptor Thutmose“, 65: „The queen’s bust is the best-known work of art from ancient Egypt – arguably from all antiquity“ und Wildung, Reiter & Zorn, 100 Meisterwerke, 106. Bei diesem Rundbild handelt es sich tatsächlich um eine Büste, da das Bild als ein beschnittenes intendiert war. Vgl. zur Unvollständigkeit bzw. Fragmentarität von Bildern unten ausführlich Kapitel 2.3.5.3. Vgl. eine andere Büste (äm 20496), Abgüsse von Statuenteilen wie äm 21354 oder die u.a. als Porträtstudien oder Masken bezeichneten Gipse (beispielsweise äm 21261 und 21356).
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So heißt es etwa bei Wildung prägnant formuliert: „Der ästhetische Reiz vieler dieser Köpfe liegt in ihrem unvollendeten Zustand.“379 Die Büste der Nofretete sollte als bei der Statuenherstellung genutztes Modell (auch vor der Aufgabe der Stadt) das Anwesen des Thutmosis wohl nie verlassen380 – und sie hat es bis zu den Grabungen der Deutschen OrientGesellschaft auch tatsächlich nicht getan. Dies dürfte kein Zufall sein: nicht nur, weil sie bei der Aufgabe Amarnas ein Bild der damals vermutlich bereits verstorbenen Königin war, sondern weil sie ohne ihren ursprünglichen Kontext keine Bedeutung mehr hatte. Mit der Aufgabe Amarnas war die Büste zwecklos geworden. Nur in einer Werkstatt der Residenz, für deren Kulte mit ihrer Hilfe Statuen produziert werden sollten, hatte sie aus ägyptischer Sicht einen Zweck. Es wird folglich keinesfalls so gewesen sein, dass der ‚Künstler‘ Thutmosis bei der Schließung seines ‚Ateliers‘ sein ‚Œuvre‘ sorgsam verstaut hat,381 vielmehr hat der Handwerker Thutmosis beim Verlassen der Stadt wohl schlicht und ergreifend den für ihn nutzlos gewordenen Teil der Ausstattung seiner Werkstatt dort zurückgelassen. Schließlich haben wir in Amarna in viel geringerem Ausmaß eine Momentaufnahme vor uns, als dies im Fall von Pompeji und Herkulaneum der Fall sein mag, sondern vielmehr u. a. das Ergebnis zahlloser Selektionsentscheidungen: Die Fundobjekte aus Amarna wurden dort bewusst zurückgelassen, an Ort und Stelle vergessen oder verblieben aus vergleichbaren Gründen dort.382 Es besteht kein Grund anzunehmen, die Hausbesitzer hätten die Stadt fluchtartig verlassen (müssen). Wäre die Nofretete-Büste auch aus ägyptischer Perspektive das auf keine Kontexte angewiesene, überragende Kunstwerk gewesen, das ägyptologische Perspektiven gern in ihr sehen, wäre es kaum vorstellbar, dass sie so lange in einem verlassenen Anwesen auf einem Gesims gestanden hätte, bis das tragende Mauerwerk ihr Jahrzehnte später keinen ausreichenden Halt mehr geben konnte, sie zu Boden fiel und dort schließlich von der Deutschen Orientgesellschaft gefunden wurde.383
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Wildung, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, 73. Vgl. auch Wildung, Reiter & Zorn, 100 Meisterwerke, 96 und Josephson, „Connoisseurship“, 71 sowie hier weiter unten S. 113–118. Vgl. mit Bezug auf einen Modellkopf aus Kalkstein (äm 21352) in diesem Sinne Wildung, Reiter & Zorn, 100 Meisterwerke, 99. So das von Wildung (Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, 78) explizit beschriebene Szenario. Vgl. hierzu auch Do. Arnold, „The Workshop of the Sculptor Thutmose“, 45f., die in ihrer Beschreibung des Befundes als Ergebnis einer „ ‚negative selection‘“ ähnlich verfährt, jedoch grundsätzlich weiterhin vom Kunstcharakter der Objekte ausgeht. Auch wenn – wie oft vermutet – nach der Aufgabe der Stadt alle Bilder von Mitgliedern
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Betrachtet man also in dieser Weise die Fundkontexte, die sich für die Büste der Nofretete aufbauen lassen, so lässt sich eine Diskrepanz zwischen den rekonstruierbaren ägyptischen Zusammenhängen und der auf diese von Seiten der Ausstellungskonzeption gerichteten modernen Erwartungshaltung feststellen. Während der archäologische Befund Anhaltspunkte dafür gibt, im Anwesen des Thutmosis einen hierarchisch organisierten handwerklichen Großbetrieb zu sehen, der als Zulieferer des Hofes Statuen produziert hat,384 führt die Annahme, die Nofretete-Büste sei Kunst, zu der Erwartung, ihr Produzent müsse ein Künstler gewesen sein.385
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des Amarna-Hofes als ‚ideologisch kontaminiert‘ betrachtet worden wären, wäre dies ein weiterer Hinweis darauf, dass diese ägyptischen Bilder gerade nicht kontextunabhängig betrachtet werden konnten. Im Übrigen wäre mit Blick auf Bilder Tutanchamuns und Objekte aus dessen Grabausstattung, die nachweislich Umwidmungen erfahren haben, die Frage zu stellen, ob die Betrachtung derartiger Objekte als kontaminiert am Ende der 18. Dynastie plausibel zu machen ist. Die literale Lesung von zeitgenössischen Texten, die einen Topos der schlimmen Zeiten enthalten (vgl. die sogenannte Restaurationsstele Tutanchamuns [cg 34183], siehe besonders Urk. iv 2026,15–2028,4), dürfte die Ursache für entsprechende ägyptologische Interpretationen gewesen sein (Darnell & Manassa, Tutankhamun’s Armies, 47–51). Es wäre jedoch zu bedenken, ob man eine solche Erklärung für die Regierungszeit Tutanchamuns ansetzen sollte, unter dem zwar die berühmte Restaurationsstele errichtet wurde, der jedoch auch u.a. zusammen mit einem Thron beigesetzt wurde, dessen Rückenlehne den König unter dem Strahlenaton zeigt (JdE 62028, vgl. Eaton-Krauss, Thrones, Chairs, Stools, and Footstools, 25–56 und Tf. ii–viii sowie ebenda, 75–91 für den „inlaid ebony throne“ [JdE 62030], der noch Twt-ꜥnḫJtn-Kartuschen trägt). Was hätte im Sinne der etablierten Interpretationsmuster in einem noch höheren Ausmaß ‚ideologisch kontaminiert‘ gewesen sein können als der Strahlenaton? Und dürfte man nach gängigem Verständnis nicht gerade im Königsgrab keine ungewünschten ‚ideologischen Kontaminierungen‘ erwarten? Insgesamt spricht daher einiges dafür, dass unter Tutanchamun der ägyptische Umgang mit den Spuren der unmittelbaren Vergangenheit deutlich pragmatischer und toleranter von statten gegangen ist, als es die ägyptologische Sicht auf die späte 18. Dynastie mitunter für möglich hält (vgl. in dieser Richtung auch Eaton-Krauss, Thrones, Chairs, Stools, and Footstools, 42 sowie Reeves, Akhenaten, 181). Unter Haremhab, unter dessen Regentschaft auch Kartuschen Tutanchamuns durch dessen eigene ersetzt wurden, mag es dann anders gewesen sein (vgl. Brand, „Secondary Restorations in the Post-Amarna Period“). Vgl. zu Zweifeln an Borchardts Rekonstruktion der ursprünglichen Aufbewahrungssitutation der Büste Seyfried, „Der Werkstattkomplex des Thutmosis“, 182–185. Vgl. hierzu die weiterführenden Angaben in Fn. 371. Vgl. für ein weiteres Beispiel, das zeigt, wie die Erwartungshaltung der Bearbeiter die Interpretation ungewöhnlicher Befunde beeinflussen kann, die Einschätzung der AmarnaAusgräber Frankfort und Pendlebury zur Interpretation von Fayence- und Schmuck-
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Die Tatsache, dass ein Produzent von qualitativ hochwertigen Statuen auch in einem Anwesen wie dem des Thutmosis leben konnte, hat jedoch weniger mit Kunst als mit der Wertschätzung und den Möglichkeiten eines hochrangigen Handwerkers zu tun, der für die Nachfrage des Königshofes von Amarna Statuen produziert hat bzw. hat produzieren lassen. Dies wird auch deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Produzenten anderer Bilder, die aus heutiger Sicht ebenfalls als hochwertig und charakteristisch für die Amarnazeit gelten können, in weitaus bescheideneren Häusern gelebt bzw. gearbeitet zu haben scheinen.386 Das prächtige Anwesen des Thutmosis scheint jedoch in der ägyptologischen Diskussion wie ganz allgemein in der modernen Rezeption diese Zusammenhänge zu überstrahlen. So wird meist das ‚Atelier des wohlhabenden Künstlers‘ als Sitz im Leben für die heute bestaunten Statuen angesetzt, obwohl dies nur jener Erwartungshaltung geschuldet ist, der Produzent eines Kunstwerkes wie der Nofretete-Büste müsse ein Künstler oder gar ein Meister gewesen sein. Vor diesem Hintergrund lässt sich nun zeigen, inwiefern innerhalb der Wildung’schen Konzeption das Ziel der Dekontextualisierung der Objekte mit deren gleichzeitiger Verortung im Anwesen des Thutmosis zusammengeführt wird: durch die Deutung der Werkstatt des Thutmosis als Atelier, als Ort künst-
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funden in kleineren Häusern. Sie bezeichneten einfache Häuser der nördlichen Vorstadt als Slums und vermuteten daher, dass dort gefundene Fayence-Objekte von in diesen Häusern beheimateten Kindern auf den Müllhalden der Reichen zusammengeklaubt oder durch Diebstahl dorthin gelangt sein müssten (The City of Akhenaten ii, 17). Mittlerweile geht man jedoch mit guten Gründen davon aus, dass auch Bewohnern einfacherer Häuser in Amarna Besitzer solcher Objekte gewesen sein konnten. Vgl. B. J. Kemp & Stevens, Busy Lives at Amarna i, 513 und Shortland, Vitreous Materials at Amarna, 75–77. Vgl. etwa die Kleinhausgruppen o 49.12 (mit unvollendeten Reliefs sowie der unvollendeten Stele äm 20716, vgl. Freed, Markowitz & D’Auria [Hrsg.], Pharaohs of the Sun, cat. 137), o 49.13 (mit dem Fund des Sandsteinkopfes einer Prinzessin, heute in Berlin: äm 21364, vgl. Wildung, Reiter & Zorn, 100 Meisterwerke, 100) und o 49.14 (u.a. mit einer bemalten Königsstatuette, die heute zu den Prunkstücken des Kairener Museums zählt: JdE 43580, vgl. Saleh & Sourouzian, Die Hauptwerke im Ägyptischen Museum Kairo, Kat. 160). Da in o 49.14 auch eine Isisstatuette gefunden wurde, hat Borchardt („Ausgrabungen in Tell el-Amarna 1911/12“, 26) vermutet, die Werkstatt könne dort erst nach dem Ende der Amarnazeit eingerichtet worden sein. Da es sich dabei jedoch keineswegs um einen Einzelfall von Götterbildern in Amarna handelt (vgl. Stevens, Private Religion at Amarna), scheint dieser Ansatz der Spätdatierung des Komplexes fraglich, und selbst wenn die Werkstatt in o 49.14 jüngeren Datums sein sollte, wäre mit Borchardt & Ricke (Die Wohnhäuser in Tell El-Amarna, 252f.) für die Königsstatuette trotzdem ein ursprünglicher Werkstattkontext anzunehmen.
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lerischen Schaffens. Wird eine Büste in einer Werkstatt gefunden, in der man ob der Größe der Anlage und der überragenden Qualität der Büste ein Künstleratelier zu erkennen glaubt, ergibt sich daraus bereits weitestgehend die Ansprache und Interpretation der Büste. Alternative Überlegungen zu den Funktionskontexten des Bildes erscheinen überflüssig, denn das Atelier allein reicht schon vollkommen aus, um das Bild rezeptiv und interpretierend verorten zu können. Die Deutung des Anwesens des Thutmosis als Künstlerwerkstatt erklärt die in ihr gefundenen Objekte zu Kunst, die dann keinen (anderen) Kontext mehr benötigt. Mehr noch, sie projiziert den modernen Rezeptionsrahmen ‚Kunst‘ in die Amarnazeit. Auf diese Weise konstituiert sich das Atelier des Thutmosis im Auge des Betrachters. Ganz in dieser Richtung hat bereits Montserrat den „workshop of the sculptor Djehutmose“ und dessen Rezeption analysiert – wohlgemerkt ohne das konkrete Beispiel der späteren Berliner Ausstellung und ihrer Konzeption kennen zu können: „This find-spot made it easy to put Amarna art pieces in a familiar setting for artistic production, seemingly something like a Renaissance atelier. From here, it was easy to co-opt them into a lineage of esteemed ancient civilisations from which western art is supposed to have developed. Indeed, perhaps one should not talk about Amarna art at all – maybe representation is a more neutral term. Projecting the concept of art anachronistically and teleologically onto cultures like ancient Egypt, where the production, consumption and viewing of images was quite differently organised, helps sustain the idea that art has a universal value which transcends history […].“387 Genau den von Montserrat skizzierten Weg der Rezeption schlägt die Berliner Ausstellung ein und gerade die von Wildung betonte Unmittelbarkeit, die vorgibt, einen authentischen Blick ins alte Ägypten ermöglichen zu können und so die zur Amarnazeit zeitgenössische Kunst wie moderne Kunst erleben zu können, lässt sich mit der Metapher des Ateliers treffend beschreiben. Das ‚Atelier‘ des Thutmosis dient in diesem Sinne als Einstiegspunkt für die Imagination des Besuchers, von dem ausgehend die rekonstruierbaren Hintergründe, archäologischen Informationen und Hinweise zu Werkprozessen rezeptiv überlagert oder einem Wahrnehmungsmuster untergeordnet werden, das sich dem Konzept ‚Kunstausstellung‘ verdankt. In einem Atelier oder in einer Präsentation von Kunstobjekten weiß sich der heutige Besucher zu ori-
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Montserrat, Akhenaten, 44 (Kursive i.O.).
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Unfertige Statuette eines knienden Königs (h. 16,5cm, äm 21238)
entieren. Er tritt an die gezeigten Objekte heran – sie als Kunst wahrnehmend. Darauf zielen nicht nur Wildungs konzeptuelle Aussagen, auch der architektonische Rahmen und die Objektauswahl der Ausstellung ist diesen Wahrnehmungsmustern verpflichtet. Dies sei im Folgenden anhand konkreter Beispiele von der Amarna-Plattform (Saal 212, vgl. Abb. 1.1–2) erläutert, auf der überwiegend aus der Werkstatt des Thutmosis stammende Objekte gezeigt werden.388 Über die archäologischen Hintergründe erfährt der Besucher vor Ort nur ausgesprochen wenig.389 Im Zentrum steht dort, wie es im Museumsführer heißt,
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Die folgenden in Saal 212 ausgestellten Objekte stammen aus der Werkstatt des Thutmosis: äm 21220 (Abb. 7), 21351, 21245, 21352, 21299 (Abb. 6.1–2), 21223 (Abb. 8), 21358. Darüber hinaus werden gezeigt: äm 14113, 20496 und 21364. Vgl. zu letzterem Objekt auch oben Fn. 386. Auf der Informationstafel in Saal 212 heißt es dazu lediglich: „In den Werkstätten der Residenz von Achet-Aton wurden zahlreiche Modelle und Bildwerke der Königsfamilie geschaffen, viele sind unvollendet geblieben.“ Daran anschließend geht es auf der Tafel nur noch um den ‚Stil der Amarnakunst‘: „Die von Echnaton und Nofretete erstrebten Reformen nahmen in den Darstellungen für die Öffentlichkeit erkennbare Züge an. Die
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„ein[] einzigartige[r] Einblick in die Arbeit ägyptischer Bildhauer. Die unvollendeten Werke zeigen die verschiedenen Phasen der Suche nach der endgültigen Form und lassen moderne Betrachter am künstlerischen Prozess teilhaben. Nirgendwo ist Altägypten so nah, so lebendig. Die freie Verteilung der Werke im Raum unterstützt die direkte Zwiesprache der Museumsbesucher mit der königlichen Familie des Echnaton.“390 Die Amarna-Plattform präsentiert ausschließlich Köpfe darstellende Rundbilder, ganz der Devise verpflichtet, die Besucher sollten sich den Objekten als Dialogpartner auf Augenhöhe nähern.391 Diese Auswahl hat jedoch zur Folge, dass eine ganze Reihe von Objekten räumlich von den für die „direkte Zwiesprache“ präsentierten Köpfen separiert werden, die sich ausgezeichnet eignen würden, um sie mit jenen Köpfen zu kontextualisieren: Es handelt sich dabei um Bildhauermodelle, andere Teile von Kompositstatuen (keine Köpfe), Abgüsse und unfertige Rundbilder, die entweder ebenfalls aus dem Anwesen des Thutmosis stammen oder in anderen Werkstätten Amarnas gefunden wurden (vgl. Abb. 3, 4 und 5).392 Diese Objekte finden sich alle ein Geschoss tiefer in Saal 111 („Prolog“), wo Forschungsgeschichte und damit auch die Berliner Amarna-Grabung illustriert werden soll, um „auf die Begegnung mit den alt-
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Künstler brachen auf Anordnung des Königspaares mit den traditionellen Konventionen bei der Wiedergabe menschlicher Personen in Skulptur und Relief. […]“ (Abschrift vom 25.03.2010, K.W.). Seyfried & Wemhoff (Hrsg.), Neues Museum Berlin, 117. Vgl. diesbezüglich oben zu Wildungs Konzeption S. 100. Auch das 2013 neueröffnete Münchner Museum folgt dieser Diktion. Vgl. Schoske & Wildung, Münchner Buch der ägyptischen Kunst, 7. Aus dem Anwesen des Thutmosis: unfertige Statuen bzw. Bildhauermodelle (äm 21221: Seyfried [Hrsg.], Im Licht von Amarna, 350 f.; äm 21238: Abb. 3, Freed, Markowitz & D’Auria [Hrsg.], Pharaohs of the Sun, 224, cat. 132 und Seyfried [Hrsg.], Im Licht von Amarna, 274f.; äm 21254: Freed, Markowitz & D’Auria [Hrsg.], Pharaohs of the Sun, 224, cat. 133 und Seyfried [Hrsg.], Im Licht von Amarna, 342f.); ein Gipsabguss einer unteren Gesichtspartie (äm 21234: Abb. 4, Seyfried [Hrsg.], Im Licht von Amarna, 330 f., Kat. Nr. 118); ein Gesichtsfragment (untere Gesichtspartie) einer Statue (äm 21207: Abb. 4, Tietze [Hrsg.], Amarna, 149 Abb. 8 und Seyfried [Hrsg.], Im Licht von Amarna, 388 f., Kat. Nr. 176); ein Relief/Bildhauermodell(?) (äm 21191: Seyfried [Hrsg.], Im Licht von Amarna, 394 f.). Von anderen Fundplätzen in Amarna: der Arm einer Kompositstatue aus Haus p 49.6 (äm 20495: Abb. 5, Tietze [Hrsg.], Amarna, 155 Abb. 3); der Daumen oder Zeh einer Kompositstatue aus Haus o 48.1 (äm 25790: Abb. 5, Tietze [Hrsg.], Amarna, 156 Abb. 6) und ein Relief/Bildhauermodell(?) aus Haus n 48.12 (äm 22266).
113
ägyptische kunst?
abb. 4
Gesichtsfragment (untere Gesichtspartie) einer Statue (li., h. 8,7 cm, äm 21207) und Gipsabguss einer unteren Gesichtspartie (re., h. 10 cm, äm 21234)
abb. 5
Daumen oder Zeh einer Kompositstatue (l. 4,5cm, äm 25790) und Arm einer Kompositstatue (l. 22,3cm, äm 20495)
ägyptischen Kunstwerken“ vorzubereiten.393 Dort liegen diese Objekte auch neben dem Fragment der beschrifteten Scheuklappe, die uns den einzigen Anhaltspunkt dafür gibt, dass der Besitzer des Bildhaueranwesens wohl Thutmosis hieß.394 Auf all diese Kontextualisierungsmöglichkeiten greift die Ausstellungskonzeption jedoch nicht zurück – wir haben es stattdessen mit vermeidbaren Formen der Dekontextualisierung zu tun.395 Die Köpfe auf der Amarna-Plattform werden jedoch nicht nur getrennt von diesen Objekten gezeigt, auch ganz grundsätzliche Unterschiede zwischen den einzelnen Köpfen werden kaum angesprochen. Stattdessen stehen unfertige Statuen(teile), Modelle und Gipsabgüsse dort unvermittelt nebeneinander (vgl. Abb. 1.1–2, 6.1–2, 7 und 8). Besonders deutlich wird die geringe Rolle, die archäologischen Hintergrundinformationen auf der Amarna-Plattform zukommt, am Beispiel der Kompositstatuen.396 Bei keinem einzigen der als Teile
393 394 395
396
So zu diesem Ausstellungsraum bei Seyfried & Wemhoff (Hrsg.), Neues Museum Berlin, 67. Vgl. zum Zeitpunkt der hier beschriebenen Situation Fn. 370. äm 21193, vgl. oben Fn. 371. Friederike Seyfried hat mit der Sonderausstellung Im Licht von Amarna: 100 Jahre Fund der Nofretete (2012/2013) überzeugend vorgeführt, wie man damit beginnen könnte, vermeidbare Dekontextualisierungen in der Praxis tatsächlich zu vermeiden. Vgl. Seyfried (Hrsg.), Im Licht von Amarna. Daneben sei noch am Rande darauf hingewiesen, dass im Fall von äm 21299 (Abb. 6.1– 2, Vitrinenbeschriftung: „Statuenkopf des Königs Amenophis iii. oder Amenophis iv.“) zwar als Material Gipsstuck angegeben wird, die Vitrinenbeschriftung aber verschweigt,
114
teil i
abb. 6.1–2 Gipsabguss vermutlich des Kopfes einer Königsstatue (h. 22,5cm, äm 21299)
von Kompositstatuen konzipierten Objekte weist die Vitrinenbeschriftung daraufhin, dass es sich um solche handelt.397 Nur bei zweien werden über den Audioguide zusätzliche Informationen angeboten:398
397
398
dass es sich um einen ägyptischen Abguss handelt (einen Audioguide-Text gibt es hier nicht). Auch diese Unsauberkeit in der Ansprache, enthält den Besuchern Informationen vor, so dass sie um die Möglichkeit gebracht werden, eine genauere Vorstellung davon zu erhalten, was die Objekte in Amarna einmal gewesen sind bzw. wie sie hergestellt wurden. Es besteht schließlich ein erheblicher Unterschied zwischen einem „Statuenkopf“ und dem „Gipsabguss von einem Statuenkopf“. Vgl. die ausführlicheren Angaben bei Seyfried (Hrsg.), Im Licht von Amarna, 322 f. Dies wäre möglich bei folgenden Objekten (in Klammern jeweils die deutsche Bezeichnung laut der jeweiligen Vitrinenbeschriftung nach Abschrift vom 25.03.2010, K.W.): äm 21220 (Abb. 7: „Statuenkopf einer Königin (Nofretete oder Merit-Aton)“), 21223 (Abb. 8: „Statuenkopf einer Prinzessin (ohne Einlagen)“), 21245 („Statuenkopf der Nebenfrau des Königs Echnaton, Kija“), 21352 („Unvollendeter Statuenkopf der Königin Nofretete“), 21358 („Statuenkopf der Königin Nofretete“) und 21364 („Statuenkopf einer Prinzessin“). Im Folgenden sind die für die Besucher zu diesen zwei Objekten zur Verfügung gestellten Informationen dokumentiert (nach eigenen Abschriften bzw. Transkriptionen vom 25.03.2010, für die Vitrinenbeschriftungen gilt: Zeilenumbrüche durch / angegeben, Kursive i.O.; für die Transkriptionen des Audioguides gilt: Kursive K.W.).
ägyptische kunst?
abb. 7
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Statuenkopf einer Königin (h. 29 cm, äm 21220)
(1) äm 21220 (Abb. 7): 1a) Vitrinenbeschriftung: „Statuenkopf einer Königin / (Nofretete oder Merit-Aton) / Head of a statue of a queen / (Nefertiti or Merit-Aten) / Neues Reich, 18. Dynastie, 1340–1335 v.Chr. / Amarna / Quarzit / äm 21220; Schenkung James Simon 1920 [außerdem ein graphischer Hinweis auf den Audioguide]“
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teil i
abb. 8
Statuenkopf einer Prinzessin (h. 21 cm, äm 21223)
1b) Text des Audioguides: „Der aus braunem Quarzit gearbeitete Frauenkopf hat seine Fertigstellung in der Bildhauerwerkstatt des Thutmosis nicht mehr erlebt. Die plastischen Grundformen sind bereits voll ausmodelliert, aber die Politur der Oberfläche des Gesteins ist noch nicht begonnen worden. Die Umrisse der Augen und des Mun-
ägyptische kunst?
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des sind in schwarzen Linien für die endgültige Ausführung vorgezeichnet, die Lippen sind in zartem Rot angelegt. Über der Stirn sollte auf einem Zapfen eine Krone aus einem anderen Material, wahrscheinlich aus Fayence aufgesetzt werden. Ein zweiter langer Zapfen am unteren Halsansatz diente dazu, den Kopf in eine Statue – vermutlich aus Kalkstein – einzusetzen. Der unfertige Zustand verleiht dem Gesicht der Königin – zweifellos Nofretete – seinen ganz besonderen Reiz. Es liegt wie unter einem feinen Schleier verborgen, bleibt geheimnisvoll und unbestimmt. Als König Echnaton in seinem 17. Regierungsjahr 1336 vor Christus verstirbt, ist in der Werkstatt des königlichen Bildhauers Thutmosis eine große Anzahl von Bildern des Königs, der Königin und der Prinzessinnen in Arbeit. Sie bleiben unvollendet und werden, als Amarna wenige Monate später verlassen wird, vom Bildhauer weggeräumt, um 3250 Jahre später von dem Berliner Ausgräber Ludwig Borchardt in einer Kammer des Atelierkomplexes wieder aufgefunden zu werden.“ (2) äm 21223 (Abb. 8): 2a) Vitrinenbeschriftung: „Statuenkopf einer Prinzessin / (ohne Einlagen) / Head of a statue of a princess / (without inlays) / Neues Reich, 18. Dynastie, um 1345 v.Chr. / Amarna / Quarzit / äm 21223; Schenkung James Simon 1920 [außerdem ein graphischer Hinweis auf den Audioguide]“ 2b) Text des Audioguides: „Nur die Einlagen der Augen und der Augenbrauen fehlen noch, um diesem Kopf einer der sechs Töchter von Echnaton und Nofretete sein endgültiges Aussehen zu geben. Die Politur des feinporigen Gesteins wirkt wie die zarteste Haut. Der feine Grat, der die Lippen umzieht, gibt dem Mund hohen sinnlichen Reiz. Das auffallendste Merkmal dieses Kopfes ist die weit nach hinten ausladende Schädelform. Verschiedenste Erklärungen sind für sie vorgeschlagen worden: die Wiedergabe einer Perücke oder Frisur, eine krankhafte Verformung oder eine künstlich herbeigeführte Deformierung. Auf zahlreichen Reliefdarstellungen des Königspaares Echnaton und Nofretete sind deren Töchter in kleinkindlichem Alter dargestellt. All diese Darstellungen zeigen die ausgeprägte Form des weit ausladenden Hinterkopfes. Ganz offenbar handelt es sich hier um eine künstlerisch übersteigerte Wiedergabe des Kopfes eines Neugeborenen. Die Geburt des Kindes wird in der Sonnenreligion von Amarna als ein unmittelbarer Ausdruck der Präsenz des Sonnengottes auf Erden angesehen. Nirgendwo sonst erlebt der Mensch die schöpferische Kraft Gottes so intensiv wie im Mysterium der Geburt.“
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teil i
Damit wird auch auch dort den Besuchern im einen Fall ein ästhetisierender Zugang vorgeführt und die Werkstatt als Atelier bezeichnet (vgl. 1b). Im anderen Fall fokussiert der Text auf den Kopf selbst, indem davon gesprochen wird, dass nur die Einlagen der Augen und Augenbrauen noch fehlen würden, um ihm „sein endgültiges Aussehen zu geben“, und geht auf ‚sinnliche Reize‘ des Stückes ein (vgl. 2b). Dass der Kopf auch mit jenen Einlagen versehen in Ägypten seinen Bestimmungszwecken nicht hätte zugeführt werden können, weil der zugehörige Statuenkörper fehlt, wird verschwiegen. Dabei ist es gerade diese Unvollständigkeit, die aufgrund heutzutage gängiger Wahrnehmungsmuster unangemessene Erwartungshaltungen wecken kann, da sie den Betrachter dazu verleiten kann, anzunehmen, der Kopf wäre (mit seinen Einlagen) vollständig und hätte in Ägypten so präsentiert werden sollen, wie man ihn heute im Berliner Museum sehen kann. Daher wäre es von großer Wichtigkeit, auf diese Unvollständigkeit hinzuweisen, wenn man eine ägyptische Zusammenhänge rekonstruierende Perspektive einnehmen will.399 Vor diesem Hintergrund lässt sich vom ‚Atelier‘ als einem sekundären Kontext oder gar als einem rezeptiven Pseudokontext sprechen, insofern als es sich auf die archäologischen Provenienzen der Objekte bezieht, letztere jedoch gleichzeitig dekontextualisiert.400 Dies geschieht u. a. dadurch, dass von Fragen nach der Funktion der fertigen Statuen in Ägypten abgelenkt wird, Statuenvorstufen und Produktionshilfsmittel als Kunst angesprochen und präsentiert werden. Dies mag zwar ästhetischen Erwartungen von Besuchern entgegen kommen, beruht jedoch auf einem hybriden Kunstbegriff, der um die primäre funktionale401 und rezeptive Einbettung der ägyptischen Objekte weiß und dennoch bewusst europäische Kunstkonzepte in Anwendung bringt.402 Jenseits dessen, dass sich die Ausstellung darauf verlässt, dass wir es gewohnt sind, uns schön, ästhetisch reizvoll o.ä. erscheinende Objekte in Vitrinen als Kunst wahrzunehmen, sieht die Ausstellung daher auch in keiner Weise vor,
399
400
401 402
Es ließe sich daher hier von einer durch die Ausstellungskonzeption bewirkten Dekontextualisierung sprechen, die den Formen medialer Fragmentierung entspricht, die weiter unten in Kapitel 2.3.5.3 ausführlich diskutiert werden. Vgl. auch unten Kapitel 3.2.2, in dem der Kontextbegriff thematisiert wird. Dort wird, wie sich hier am Beispiel der Perspektive Wildungs zeigt, ausgeführt, inwiefern Kontexte stets vom Betrachter konstruiert werden und daher weniger helfen können, Deutungen zu objektivieren, als selbst Bestandteil von diesen sind. Vgl. oben zur Funktionsgebundenheit Kapitel 1.1.1, 1.1.2 sowie 1.2.1.4, dort auch zum Verhältnis des Begriffes Funktion zu dem des Symbolischen (S. 51–53). Es sei noch einmal an den Beginn der Ausführungen zu Wildungs Arbeiten erinnert. Vgl. oben S. 89.
ägyptische kunst?
119
transparent zu machen, wie man sich ägyptische Kunst im Sinne eines von Ägyptern produzierten und als Kunst damals rezipierten Phänomens vorzustellen habe. Innerhalb der Konzeption und Perspektive Wildungs ist dies durchaus sehr konsequent, denn der Besucher kann ihm zufolge ja intuitiv mit Kunst umgehen, so dass ihm auch die ägyptische unmittelbar zugänglich sei. Kehrt man nun noch einmal zu Wildungs Leitmotiv („Zu seiner Entstehungszeit war jedes Kunstwerk ein Produkt der zeitgenössischen Kunst.“)403 zurück, rückt die Frage nach dem Entstehungszeitpunkt der von Wildung ausgestellten Kunst in den Mittelpunkt. Blicken wir – Wildungs Einladung folgend – dem Künstler in seinem Atelier über die Schulter, treten wir mit der königlichen Familie des Echnaton ins Gespräch, sehen wir in den Bildern Stadien künstlerischer Schaffensprozesse und erleben wir den besonderen Reiz der Objekte ästhetisch in ihrem unvollendeten Zustand, dann lösen wir die Modelle, Werkstücke, Statuen und Statuenfragmente von ihren ägyptischen Kontexten bzw. deuten diese rezeptiv um und überführen sie damit letztendlich auf die skizzierte Weise in den Kontext heute zeitgenössischer Kunstrezeption.404 Dadurch, dass die Ausstellungskonzeption, -architektur, und -präsentation es den Besuchern besonders leicht macht, die Objekte im Rahmen ihrer durch Erfahrungen mit europäischer Kunst geprägten Wahrnehmungsgewohnheiten zu betrachten, wird dieser Zugang geradezu erzwungen. Daher hat Wildung in letzter Konsequenz Recht, wenn er davon spricht, es gehe darum, die Nofretete-Büste und andere Stücke in ihrer „Modernität“ zu erleben, allein was den von ihm ebenfalls formulierten Anspruch angeht, dies sei eine „ursprüngliche[] Modernität“,405 habe also direkte Entsprechungen in ägyptischen Kontexten, ist allergrößte Skepsis angebracht. Mit der ägyptischen Handwerkerwerkstatt oder den Orten, für die dort Statuen hergestellt wurden, hat diese Annäherung an die Objekte kaum noch etwas zu tun. Die Objekte sind im Berliner Museum zu moderner Kunst geworden. Das Archäologische befördert dort – nun tatsächlich in Anlehnung an Thomas Mann versteh-
403 404
405
Siehe oben S. 101–103 mit Abb. 2. Entsprechungen findet dies in der im neuzeitlichen Kunstbetrieb beobachtbaren Ästhetisierung von Fragmenten, wie sie aus kennerschaftlicher Sicht etwa von Cuno formuliert wird: „Fragments offer a pleasure that can’t typically be had from the whole vase or cup: you can hold them in your hands, feel their weight and surfaces, turn them over and over, and bring them to your eye for close examination.“ („The Object of Art Museums“, 60). Vgl. Wildung, „Strahlendes Rot“, 33.
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teil i
bar – die Realisierung von Kunst, solange es dem Betrachter hilft, die Objekte als Atelierstücke zu begreifen,406 und nicht zu Fragen danach anregt, wie man sich denn die Einbettung dieses ‚Ateliers‘ in Ägypten vorstellen solle. Damit sind Zusammenhänge benannt, die immer von Relevanz sind, wenn ägyptische Objekte auf Sockel gehoben oder in Vitrinen ausgestellt werden. Im Falle der Berliner Amarna-Sammlung lassen sie sich jedoch besonders deutlich benennen, da wir außergewöhnlich gut über die archäologischen Kontexte der Objekte informiert sind. Insofern bestünde durchaus die Möglichkeit, die Erwartungshaltung der im Museum Kunst erwartenden Besucher dadurch zu konterkarieren, dass man ihnen die Fundstücke nicht als Kunstwerke aus einem Atelier präsentiert, sondern als Modelle, Gipsabgüsse und unfertige Statuen(teile) eines handwerklichen Großbetriebs, um den Besuchern zu vermitteln, wie und wofür dort Rundbilder hergestellt wurden. Der hier thematisierte rezeptive Bezugsrahmen bzw. die zugrundeliegenden Wahrnehmungsmuster lassen sich mit den Metaphern Atelier, Kunstausstellung und (Kunst)Museum beschreiben. Die in diesem Sinne auf der AmarnaPlattform im Berliner Ägyptischen Museum umgesetzte Form musealen Umgangs mit Bildern vermeidet nicht nur Fragen nach ägyptischen Kontexten, sie lenkt auch davon ab, dass sich einerseits solche Kontexte ansprechen ließen und dass wir andererseits auf viele der auf sie bezogenen Fragen keine überzeugenden Antworten haben.407 Dies geschieht auch, weil ganz andere Fragen gestellt werden. Wenn eine Ausstellung die Besucher sich fragen lässt, wo sie heute stehen,408 werden diese sich selbst Antworten geben, oder eben nicht. Für diese Form musealen Erlebens, Erfahrens und Reflektierens sind wahrscheinlich einige Besucher dankbar, andere nicht. In beiden Fällen dürften sie jedoch in einer solchen Situation von einer Seite nach keiner Hilfe verlangen: von den Ägyptologen. Was die persönliche Selbsterfahrung einzelner Besucher angeht, dürften Ägyptologen schließlich kaum die richtigen Ansprechpartner sein. Diejenigen Ägyptologen, die einen solchen musealen Rahmen um ägypti-
406 407
408
Etwa durch die Erkennbarkeit unterschiedlicher Arbeitsschritte. Vgl. hierzu noch einmal Russmanns Einschätzung bei Fn. 293. Die hier anhand der Berliner Ausstellung verdeutlichten Zusammenhänge sind nicht auf dieses eine Museum beschränkt und beschränken sich auch nicht auf die zwischen der Berliner Ausstellung und dem 2013 neueröffneten Münchner Museum beobachtbaren Familienähnlichkeiten (vgl. Schoske & Wildung, Münchner Buch der ägyptischen Kunst, insbesondere 7), es geht vielmehr um grundsätzlichere Wahrnehmungsmuster, auf die in Teil iii eingegangen wird. Vgl. Wildung, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, 29 sowie hierzu bereits oben S. 100.
ägyptische kunst?
121
sche Objekte herum errichten, verabschieden sich damit gleichzeitig als Ägyptologen und stehen als Kunstliebhaber vor ihrer Kunst.409
1.4
Ästhetik und anthropologische Konstanten im interkulturellen Zusammenhang
Im Vorangegangenen zeigte sich, dass in der ägyptologischen Forschung Fragen nach anthropologischen Konstanten, insbesondere in den Bereichen von Ästhetik bzw. ‚Kunst‘, zwar nur vereinzelt dezidiert gestellt werden, dafür aber umso häufiger implizit als beantwortet vorausgesetzt werden: So ruhen etwa die Argumentationen und Standpunkte von Baines, Wildung und Müller auf der Annahme von Universalien menschlichen Denkens und Handelns. Da dieser Komplex gerade für Interpretationen fremder Kulturen besonders zentral erscheint, ist es ratsam, diesen nun einmal näher zu betrachten.410 Seit Beginn der 1990er Jahre ist verstärkt eine Forschungsrichtung zu beobachten, die sich unter der Bezeichnung ‚Interkulturelle Philosophie‘ mit Fragen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Kulturen befasst. Sie betrachtet Kulturen und ihre Philosophien aus unterschiedlichen Erdteilen und schließt auch die Beschäftigung mit verschiedenen historischen Zeiträumen ein. Das Programm der Interkulturellen Philosophie steht dabei unter starkem Einfluss verschiedener gegenwärtiger globaler Prozesse und befasst sich so u. a. mit dem Universalitätsanspruch der Menschenrechte. Seit dem Ende des Kalten Krieges wird die kulturelle Pluralität der Welt verstärkt wahrgenommen, und spätestens seit den Anschlägen von New York und Washington am 11. September 2001 wurde das einer breiten westlichen Öffentlichkeit Fremde immer wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.
409
410
Auf das Verhältnis von Kunst und Ägyptologie wird ausführlich in Teil iii eingegangen. An dieser Stelle sei zunächst noch einmal auf Junge verwiesen, demzufolge „dem Ägyptologen […] die Rolle des ‚naiven Kunstfreundes‘ ihnen [den ägyptischen Werken, K.W.] gegenüber nicht angemessen“ ist. Vgl. oben das Kapitel 1.1.2 vorangestellte Zitat (Fn. 59). Vgl. auch analog Moers („Spurensucher auf falscher Fährte?“, 49), der im Zusammenhang mit ägyptischen Texten als Alternative zu den „Standards des Wissenschaftssystems“ von „genüßliche[r] Privatlektüre“ spricht. Während hier die Problematik der Ansetzung von Universalien bzw. anthropologischen Konstanten behandelt wird, wird dieses Themenfeld in Kapitel 3.2.5 noch einmal aus einem anderem Blickwinkel beleuchtet: Dort steht die Frage im Mittelpunkt, welche hermeneutischen Herausforderungen sich bei der Beschäftigung mit fremden Kulturen stellen.
122
teil i
Nach verbreiteter Auffassung soll die Interkulturelle Philosophie über eine einfache Komparatistik von Gemeinsamkeiten und Unterschieden hinausgehen; inwiefern dies jedoch zu erfolgen habe bzw. was für ein Philosophiebegriff dabei anzuwenden sei und wie dieser sich gegenüber einem Religionsbegriff abzugrenzen habe, ist umstritten. Die meisten Ansätze innerhalb der Interkulturellen Philosophie gehen jedoch von anthropologischen Konstanten aus und sind programmatisch-prospektiv auf interkulturellen Polylog und Verständigung bzw. die Formulierung einer universal gültigen Ethik ausgerichtet.411 Gregor Paul hat sich im Rahmen einer Einführung in das Forschungsfeld der Interkulturellen Philosophie neben einer Positionierung zu grundsätzlichen Fragen auch mit verschiedenen Aspekten ägyptischer Ästhetik befasst.412 Dabei bezieht er einen universalistischen Standpunkt, indem er annimmt, es existierten überkulturelle allgemeingültige Prinzipien, wie etwa ein transkulturelles Schönheitskonzept. Eine solche Position könnte damit gewissermaßen eine Form philosophischer Unterfütterung für die bereits diskutierte ägyptologische Praxis bilden.413 Daher scheint es besonders angebracht, diese theoretischen Ausführungen hier etwas näher zu betrachten, um so die infrage stehenden ägyptologischen Standpunkte unter erweiterter Perspektive beleuchten zu können. Die Zielsetzung Interkultureller Philosophie beschränkt sich nach Paul nicht darauf, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu benennen und zu erklären; vielmehr wird im Verstehen fremder Kulturen und ihrer philosophischen Standpunkte die Voraussetzung für normative Urteile gesehen.414 So versteht Paul Interkulturelle Philosophie als Programm zur „argumentativen Entwicklung ethischer Universalien“.415 Auf diese Weise sei eine die Menschheit umfassende und einende Kultur zu etablieren, um Frieden zu erhalten und Menschenrechte zu wahren, ohne dabei die Ansprüche einzelner Kulturen auf Erhalt ihrer Besonderheiten zu vernachlässigen.416 Dieser universalistische Ansatz läuft laut Paul keineswegs Gefahr, ethnozentrisch zu argumentieren. Der häufig geäußerte Vorwurf, man könne dadurch, dass man Teilen abendländischer Philosophie den Status von Universalien einräumt, keine interkul411 412 413 414 415 416
Vgl. einführend sowie zum Begriff ‚Polylog‘ Wimmer, „Ansätze einer interkulturellen Philosophie“; ders., „Intercultural Philosophy“. Paul, Interkulturelle Philosophie. Siehe hierzu die Kapitel 1.2.1, 1.2.2 und 1.3. Vgl. Paul, Interkulturelle Philosophie, 22 f. Paul, Interkulturelle Philosophie, 25. Vgl. Paul, Interkulturelle Philosophie, 7.
ägyptische kunst?
123
turelle, sondern höchstens eine kulturzentrische Perspektive einnehmen, sei unbegründet. Universalistische Positionen sind jedoch von Seiten des Kulturrelativismus immer wieder in genau diesem Sinne problematisiert worden, da es sich im Rahmen eines auf Universalien gestützten Zugangs bei in anderen Kulturen wiedererkannten Phänomenen um nichts anderes als Projektionen handele. Aus kulturrelativistischer Sicht können Phänomene daher nur aus ihren speziellen kulturellen Rahmenbedingungen heraus verstanden und bewerten werden.417 Paul ist hingegen der Meinung, derartige Analysen und Kontextualisierungen hätten die Relevanz kultureller Spezifika letztendlich nicht bestätigen können. Daher kritisiert er den Kulturrelativismus vehement,418 wenngleich das immer wieder zu beobachtende Interesse am Unterschied bzw. sogar eine „Sehnsucht nach dem ‚ganz Anderen‘ “419 bis heute immer noch maßgeblichen Einfluss auf zahlreiche Untersuchungen habe. Nach Paul seien jedoch kulturelle Unterschiede weniger signifikant, je „größer […] die geographischen Räume, je länger die Geschichte und je höher die Zahl der damit einbezogenen Menschen“, so dass sich die Differenzen letzt-
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418 419
Es existiert keine einheitliche Definition von Kulturrelativismus, wodurch die Diskussionen zum Thema sowohl in der Ethnologie bzw. Cultural Anthropology als auch innerhalb der Philosophie häufig undurchsichtig geführt werden. Der Philosoph John W. Cook etwa setzt Kulturrelativismus mit ethischem Relativismus gleich und bezieht ihn nur auf Fragen der Gültigkeit und Bewertung von Moral und Moralvorstellungen in verschiedenen Kulturen (Morality and Cultural Differences). Mit Wolfgang Kersting kann hingegen zwischen „ethische[m] Relativismus“ und „kulturelle[m] Relativismus“ unterschieden werden („Plädoyer für einen nüchternen Universalismus“, 10). Der Eintrag im Historischen Wörterbuch der Philosophie zeigt, dass sich die Zuspitzung auf Fragen der Ethik erst in den letzten Jahrzehnten herausgebildet hat: „Die Auffassung dieser (deskriptiven) Vielheit von Kulturen als eines (in bestimmter Hinsicht interpretativ akzentuierten) kulturellen Pluralismus ist eine der beiden grundlegenden Komponenten des k.R. […], [d]essen zweite grundlegende Komponente kann als kulturelle Milieutheorie bezeichnet werden. Sie besagt, daß die Menschen systematisch-typisch viele und bedeutsame intrakulturelle Ähnlichkeiten und interkulturelle Unterschiede zeigen […]“ (Rudolph, „Kultureller Relativismus“, 1332 [Kursive i.O.]). Hier wird in der skizzierten Weise ein weiter Begriff von Kulturrelativismus vertreten. In Anlehnung u. a. an Chris Swoyer wird damit zunächst nur die entweder deskriptive oder normative Behauptung beschrieben, bestimmte Phänomene differierten wesentlich von Kultur zu Kultur. Daraus können dann ferner unterschiedliche Konsequenzen für Beschreibung und Interpretation dieser Phänomene abgeleitet werden. Vgl. zu terminologischen Fragen die Kapitel 1.4.2 und 1.4.3 sowie Swoyer, „Relativism“. Vgl. Paul, Interkulturelle Philosophie, 117. Paul, Interkulturelle Philosophie, 82.
124
teil i
endlich nur auf das Graduelle beschränkten.420 Zudem betont Paul, dass kulturrelativistische Zentrismusvorwürfe oft einen „performativen Widerspruch“ enthielten: „Behauptet etwa ein Europäer, ein Asiate könne die europäische Kultur gar nicht treffend beurteilen, weil er als Asiate zwangsläufig aus asiatischer Perspektive und damit voreingenommen und parteiisch urteile, so sagt der Europäer damit im Allgemeinen auch, dass sein eigenes Urteil von vorneherein verfehlt sei, wird es doch aus europäischer Sicht über Asiatisches abgegeben.“421 An diesem von Paul angeführten Beispiel zeigt sich jedoch, dass es sich bei dem skizzierten Vorwurf des Kulturzentrismus nur um einen Spezialfall handelt, der seine prominente Stellung innerhalb der Diskussion im Wesentlichen einem moralischen Dilemma verdankt: Wer angesichts von Menschenrechtsverletzungen innerhalb fremder Kulturen diese bewerten und auch kritisieren will, wird sich bald mit dem Einwand auseinandersetzen müssen, er könne aus seiner Außensicht heraus die jeweiligen Vorgänge gar nicht adäquat beurteilen. Für die Diskussion um die Gültigkeit und Angemessenheit der Menschenrechtscharta und diverser Konventionen der Vereinten Nationen ist dies tatsächlich sehr relevant und z.T. auch brisant.422 Der von Paul angesprochene performative Widerspruch veranschaulicht die Komplexität dieser ethischen und auch juristischen Zusammenhänge. Es wäre jedoch vorschnell, diese Selbstwidersprüchlichkeit einzelner relativistischer Positionen zu generalisieren.423 Eine Kritik in Form eines normativen Urteils ist schließlich etwas, das z.B. aus der Beschäftigung mit antiken Kulturen herausgehalten werden sollte,424 zumal angesichts eines solchen Untersuchungsgegenstan420 421 422
423
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Paul, Interkulturelle Philosophie, 117. Paul, Interkulturelle Philosophie, 34. Vgl. auch ders., „Argumente gegen den Kulturalismus in der Menschenrechtsfrage“, 58. Man denke nur an die Auseinandersetzungen um die Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women (cedaw) der Vereinten Nationen und die Vorbehalte diverser islamisch geprägter Staaten, deren nicht historisierende Lesart des Koran (hier insbesondere Sure 4 Vers 34) einer Anerkennung der Gleichberechtigung der Frau diametral entgegengesetzt ist. Die Interkulturelle Philosophie tendiert dazu, die Kritik an Formen von normativem Relativismus grundsätzlich auf den Relativismus an sich zu übertragen und so von einer Entweder-oder-Situation auszugehen. Paul bildet ein gutes Beispiel für eine solche Position. Nach Arthur E. Murphy trifft dies sogar auch aus Sicht der Philosophie zu: „To make
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125
des der Vorwurf, vom eigenen kulturell determinierten Standpunkt aus (unter Anlegung strenger Maßstäbe) gar nicht verstehen zu können, nicht an eine andere, sondern nur an die eigene Perspektive gerichtet wäre. Von einem performativen Widerspruch kann in diesem Fall daher keine Rede sein. Es handelt sich höchstens um eine erkenntnistheoretisch problematische Ausgangslage für die Beschäftigung mit antiken Kulturen, derer man sich jedoch bewusst werden sollte, da ihre Vergegenwärtigung als eine wichtige Eingangsvoraussetzung betrachtet werden kann.425 Eine solche Position kann – konsequent weitergeführt – zu der Einsicht führen, dass jeder Versuch einer adäquaten Interpretation fremder Kulturen scheitern müsse, da neben Interpretationen auch bereits Beobachtungen nicht ‚neutral‘, sondern immer theoriegeladen seien.426 Die Diskussion um Selbstwidersprüchlichkeit und Zentrismusvorwürfe lässt den Graben zwischen universalistischen und relativistischen Standpunkten unüberbrückbar erscheinen. Um dies mit Blick auf die hier relevanten Zusammenhänge etwas genauer beurteilen zu können, müssen zunächst die argumentativen und begrifflichen Grundlagen des Relativismus noch einmal präziser benannt werden. Erst dann ist es möglich, die Universalitätsfrage für die Ägyptologie und Fragen zur ägyptischen ‚Kunst‘ und Ästhetik zu perspektivieren. Zunächst soll jedoch noch darauf eingegangen werden, wie Paul im Rahmen seines die Universalität betonenden Ansatzes ein transkulturelles Schönheitskonzept an ägyptischem Material zu belegen versucht. 1.4.1 Zu einer Sicht Interkultureller Philosophie auf ägyptische Ästhetik Ein genauerer Blick auf Pauls Beschäftigung mit Ägypten kann Aufschluss darüber geben, wie sich der Fokus auf anthropologische Konstanten aus Pauls Sicht mit Beobachtung von (auch von ihm nicht geleugneten) kulturellen Differenzen vereinbaren lassen soll.
425 426
moral judgements at large about the Universe, or ancient Greeks (should Antigone have buried her brother?) or the folkways of the Samoans, is for the most part simply not our business.“ (Murphy, The Theory of Practical Reason, 338). Vgl. hierzu etwa Hölscher, „Bilderwelt, Formsystem, Lebenskultur“, hier besonders: 460 sowie unten Kapitel 3.2.5. Die These, es könne keine theorieunabhängige Beobachtung geben bzw. Wahrnehmung sei nicht von Interpretationen trennbar, geht maßgeblich auf Norwood Russell Hanson zurück (Patterns of Discovery) und hat wissenschaftstheoretisch weite Kreise geschlagen (insbesondere durch die Arbeiten von Thomas Samuel Kuhn). Siehe hierzu auch Kapitel 1.4.3.
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Ägypten dient Paul als ein Reservoir von Fallbeispielen für eine interkulturelle Ästhetik.427 Er sieht im Schönen „Zeitlosigkeit und Unangreifbarkeit“ und versteht dies als universellen Wert. Die Hinterfragung und Demontage gängiger Vorstellungen vom Schönen in der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts habe dem „hohe[n], zeitlos[en] und universal gültige[n] Wert“ Schönheit nichts anhaben können.428 Skeptische Positionen gegenüber der Ästhetik betrachtet Paul als unberechtigte Kritik und führt Wittgenstein an, der beispielsweise zugespitzt formuliert: „Man könnte denken, Ästhetik ist eine Wissenschaft, die uns sagt, was schön ist – das ist fast zu lächerlich, um es auszusprechen. Ich vermute, sie müsste uns dann auch sagen können, welche Kaffeesorten gut schmecken.“429 Menschliches Verhalten zeige schließlich nach Paul generell, dass der Mensch an die „Allgemeingültigkeit des Schönen“ glaube, so dass sich der ästhetische Subjektivismus leicht „ad absurdum“ führen lasse.430 Die Entscheidung darüber, ob etwas schön sei oder nicht, lasse sich nicht auf ein individuelles Geschmacksurteil reduzieren. So sei man sich bezüglich ästhetischer Urteile über menschliche Gesichter und menschliche Gestalt trotz „aller Unterschiedlichkeit so genannter Schönheitsideale“ „weithin einig“.431 Es gebe ferner unzählige Abhandlungen über künstlerische Regeln, die von der Überzeugung bestimmt seien, dass es derartige Regeln gebe, und fast seit den ersten Schriftzeugnissen habe es immer „in irgendeinem Sinn Kunstkritik gegeben“.432 Die Mehrheit der bekannten Urteile über eine ganze Reihe einschlägiger Kunstwerke (darunter „Kompositionen
427 428 429 430 431 432
Daneben stammt der Großteil seiner Belege aus China und Japan. Paul, Interkulturelle Philosophie, 86 f. Wittgenstein, Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik2, 33. Paul, Interkulturelle Philosophie, 87 (Kursive i.O.). Paul, Interkulturelle Philosophie, 87 (siehe auch weiter unten zu Pauls Auffassung von Schönheitsidealen). Paul, Interkulturelle Philosophie, 88. Als Beispiel für Letzteres wird die Lehre des Ptahhotep angegeben, die von schöner Rede spreche und einer Poetologie folge, wobei Paul Bezug auf Erik Hornung nimmt (Meisterwerke altägyptischer Dichtung2, 6). Die Fragwürdigkeit dieser Behauptung kann hier nicht näher herausgearbeitet werden. Es sei nur darauf hingewiesen, dass Pauls Gedankenführung an dieser Stelle eine generelle Dehnbarkeit der Begriffe ‚Kunst‘ und ‚Kunstkritik‘ suggeriert, die damit einhergeht, dass unklar bleibt, was Paul unter diesen Termini überhaupt verstehen möchte.
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Mozarts und Beethovens“) stimme dahingehend überein, dass sie ästhetisch positiv bewertet bzw. als schön bezeichnet wurden.433 Eine solche Einschätzung wie sie Paul hier vertritt fußt zu wesentlichen Teilen auf einer eurozentrischen Rezeptionsgeschichte und argumentiert dabei stark pauschalisierend. Am Beispiel der Musik lässt sich dies gut verdeutlichen. Außereuropäischer Musik liegen Tonsysteme und Strukturen zugrunde, die sich diametral vom abendländischen Dur-Moll-tonalen, diatonisch-chromatisch-enharmonischen Tonsystem unterscheiden. Unsere Harmonielehre, d. h. der Aufbau und die Bedeutung der Akkorde in der Dur-Moll-tonalen Musik, ist etwa in der arabischen Musik unbekannt.434 Man kann nun nicht davon ausgehen, dass Menschen, die in ihrer musikalischen Sozialisation Hörgewohnheiten auf Grundlage eines bestimmten Tonsystems entwickelt haben, diese beim Hören von ihnen fremder Musik vollständig ablegen können. Eine solche Rezeptionsform ist vielmehr auszuschließen. Deshalb wäre zu bezweifeln, dass etwa ein in einem modalen Tonsystem musikalisch sozialisierter Araber beim Hören einer Beethoven-Sinfonie diese als so harmonisch wahrnehmen und ästhetisch beurteilen kann, wie sie vor dem Hintergrund gängiger abendländischer Hörgewohnheiten erscheint, die auch Beethoven bereits als kompositorische Grundlage dienten. Es muss daher zumindest offen bleiben, ob diese Musik ohne ein europäisches Verständnis von Tonalität als wohlklingend, in sich stimmig und damit als schön empfunden wird oder werden kann. Auch wenn einzelne Urteile zu vergleichbaren oder annähernd identischen Ergebnissen kommen mögen, kann daher jedenfalls nicht von einem transkulturellen Konsens bezüglich einer ästhetischen Beurteilung gesprochen werden.435 433
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Paul, Interkulturelle Philosophie, 87f. Als andere Beispiele werden dort genannt „die Pyramiden, die Büste der Nofretete, das Taj Mahal, Skulpturen Michelangelos, den chinesischen Roman ‚Der Traum der roten Kammer‘ (Hongluo meng), Goethes ‚Faust‘, klassische chinesische Kalligraphien, Farbholzschnitte Utamaros (1753–1806)“. Mit europäischer Beschreibungsterminologie lässt sich in der arabischen Musik eine Oktave in 24 Vierteltonschritte einteilen, die sich damit von der europäischen Tonleiter, die aus zwölf Halbtonschritten besteht, unterscheidet. Die arabische Musik hat ein modales Tonsystem, das von dem sogenannten Maqām-Phänomen beherrscht ist. Ein Modus (maqām) wird anhand der charakteristischen Reihenfolge seiner Intervalle klassifiziert. Es gibt über 70 verschiedene Modi, d. h. Kombinationsmöglichkeiten für Sekundintervalle. Aus dem ‚Intervallvorrat‘ einer bestimmten Maqām-Reihe entfaltet beispielsweise ein Sänger durch Improvisation seine Melodie. Welchen Modus er dabei wählt, hängt u.a. auch davon ab, welche Stimmung er erzeugen möchte: einige Modi stehen beispielsweise für traurige, andere für besinnliche oder auch ehrfurchtsvolle Stimmungen. Vgl. hierzu Touma, Die Musik der Araber und Lagrange, At-Tarab. Universalien sind damit in der Musik keineswegs ausgeschlossen, erweisen sich jedoch
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Auch wenn die Behauptung mehrheitlich homogener Beurteilungen des Schönen zu bezweifeln ist, ist das Argument, der Mensch habe sich wohl immer für das Schöne interessiert,436 nicht von der Hand zu weisen. Pauls Grundannahme, die Entscheidung darüber, was als schön betrachtet wird, hänge an universalen und nicht an kulturspezifischen Gegebenheiten, lässt sich jedoch nicht so leicht beweisen, wie man es dort vorgeführt bekommt. Den selektivempirischen Ausführungen von Paul ließen sich leicht Gegenbeispiele beibringen437 – und dies ganz ungeachtet der Frage, ob Pauls Interpretationen der einzelnen Belege stichhaltig sind oder ob die jeweiligen Argumentationen Kategorienfehler aufweisen. So versucht Paul anhand zweier auch ägyptologisch relevanter Beispiele aufzuzeigen, dass sich antike und moderne Objekte ausmachen lassen, die einander so stark gleichen, dass sich beide Fälle auf dieselbe Auffassung von Schönheit zurückführen ließen. Die möglicherweise auf den ersten Blick noch plausibel anmutenden Punkte entpuppen sich bei näherer Betrachtung jedoch als fragwürdige Feststellungen.
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als nur einer von mehreren relevanten Faktoren. So ist diesbezüglich etwa mit Gunter Kreutz zwischen auditiver und musikalischer Wahrnehmung zu unterscheiden: Während erstere „auf eher allgemeinen, universellen, intersubjektiv verfügbaren und teils aus anderen Domänen übertragbaren Mechanismen [beruht]“, fließen in letztere „individuelle, biographisch und kulturell geprägte Wissensstrukturen [ein]“ („Melodiewahrnehmung“, 186f.; vgl. außerdem Louven, „Reiz- und wissensgeleitete harmonische Informationsverarbeitung“, hier besonders: 218f. und 228 sowie Rötter, „Musik und Emotion“, 294 f.). Rudolf Maria Brandl und Helmut Rösing betonen den starken kulturellen Einfluss auf die jeweilige Musik: „Der interkulturelle Vergleich zeigt, daß eine einzige naturgegebene Musik nicht existiert. […] Natürlich baut Musik auf biologisch-physiologischen Grundlagen der menschlichen Wahrnehmung auf. Aber entscheidend sind letztlich jene gesellschaftlichen und kulturellen Prozesse, die zu verschiedenen Weltbildern, Wertesystemen und Lebensformen führen […]. Sie bestimmen nicht nur musikalisches Handeln, sie entscheiden auch darüber, welche musikbezogenen Konzepte innerhalb einer Kultur im Verlaufe der Geschichte entstehen und fortgeführt werden. Die jeweiligen kulturgeprägten musikalischen Konstruktionsprinzipien sind ein nicht austauschbarer, klingender Ausdruck dieser Konzepte. Deshalb muß der Begriff Musik für jede Kultur eigens definiert werden. Ein Analogieschluß selbst von experimentell nachgewiesenen europäischen Musikvorstellungen, Hörweisen und Regelsystemen auf andere Musikkulturen ist ebensowenig möglich wie naiv-empathisches Verstehen.“ („Musikkulturen im Vergleich“, 71–72). Vgl. Paul, Interkulturelle Philosophie, 89. Paul benennt selbst bereits Entsprechendes: kulturspezifische Bewertungen von Nacktheit und schwarzen bzw. weißen Zähnen (Interkulturelle Philosophie, 98–100), vgl. Fn. 452.
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(1) Die Ausstellung Ägyptische und moderne Skulptur438 würde diese auf universale Schönheitskonzepte zurückzuführende Ähnlichkeit dokumentieren. Bei dem von Paul aus dem zugehörigen Katalog angeführten Beispiel stellt sich jedoch die Frage, was hier tatsächlich einander ähnlich ist:439 Ein amarnazeitlicher weiblicher Torso (Louvre e 25409) wird einem weiblichen Torso Alexander Archipenkos aus dem Jahr 1922 gegenübergestellt (vgl. Abb. 9).440 Motivische Übereinstimmungen sind offensichtlich: Es handelt sich um weibliche Torsi, die – das jeweils linke Bein vorgestellt – unbekleidet bzw. im ägyptischen Fall scheinbar unbekleidet, wiedergegeben sind.441 Jenseits dieser oberflächlichen Entsprechungen überwiegen jedoch die Unterschiede: Beim Archipenko-Torso ist die Hüfte deutlich gedreht und das linke Bein vor das hintere rechte geschoben. Insgesamt ist dieser Torso schlanker proportioniert und zeichnet sich durch (scheinbar) in die Länge gedehnte Oberschenkel aus, während das ägyptische Objekt deutlich axialer aufgebaut ist und sich durch die gegenüber dem schlanken Oberkörper fülligen Oberschenkel auszeichnet. Damit sind nur einige der auffälligsten Unterschiede benannt. Hinzu kommt der nicht unerhebliche Umstand, dass der Archipenko-Torso der im Wesentlichen erst seit Auguste Rodin (1840–1917) verbreiteten plastischen ‚Gattung Torso‘ angehört und als solcher konzipiert ist, während im ägyptischen Fall die weibliche Statue erst aufgrund von Beschädigungen in ihrem heutigen Zustand als Torso beschreibbar wird.442 Der auch vom Katalog angesetzte scheinbare direkte Bezug443 ist damit insgesamt wenig plausibel bzw. wäre höchstens auf eine motivische Ähnlichkeit zu beschränken, die sich erst aus einer sekundären Fragmentierung des ägyptischen Objekts ergibt.
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441 442 443
Vgl. den Katalog der Münchner Ausstellung aus dem Jahr 1986 Herzer, Schoske, Wedewer & Wildung (Hrsg.), Ägyptische und moderne Skulptur. Siehe hierzu auch oben Kapitel 1.1.2. Vgl. zu Ähnlichkeit als gradueller Kategorie der Betrachtung auch unten Kapitel 2.3.2.1. Herzer, Schoske, Wedewer & Wildung (Hrsg.), Ägyptische und moderne Skulptur, 144 f.; Barbotin, Les statues égyptiennes du Nouvel Empire, Kat. 36 = Textband: 79–81 sowie Tafelband: 104–108. Ein plissiertes Gewand umschließt den Körper so eng und durchscheinend, dass sich alle Körperformen trotz der Bekleidung abzeichnen und so zum Vorschein kommen. Vgl. zum Phänomen rezeptiver Fragmentierung unten Kapitel 2.3.5.3. Im Katalog heißt es „der ‚Weibliche Torso‘ von A. Archipenko […] scheint auf den Nofretete-Torso direkt Bezug zu nehmen, ohne ihn zu kennen.“ (Herzer, Schoske, Wedewer & Wildung (Hrsg.), Ägyptische und moderne Skulptur, 148).
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Gegenüberstellung von einem amarnazeitlichen Statuenfragment (li., Louvre e 25409) und einem Torso Alexander Archipenkos aus dem Jahr 1922 (Doppelseite aus dem Katalog Ägyptische und moderne Skulptur)
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(2) Ein weiteres Ähnlichkeitsphänomen sieht Paul in Pyramidenarchitekturen: „besonders sinnfällig sind die ästhetischen Übereinstimmungen bei den Pyramiden, die unabhängig voneinander im alten Ägypten, in China und in Südamerika entstanden. Dabei erfüllten all diese Werke höchst unterschiedliche Aufgaben. Praktisch-religiöse Bedürfnisse, Materialzwänge oder architektonische Gesetzmäßigkeiten können die ästhetischen Übereinstimmungen nicht hinreichend erklären. Nur weithergeholte Spekulation steht der naheliegenden Erklärung entgegen, dass die für solche Beispiele kennzeichnende ästhetische Gestaltung jedenfalls auch Ergebnis ähnlichen ästhetischen Interesses ist.“444 Auch hier ist die Frage berechtigt, was sich in diesen Fällen ästhetisch ähneln soll. Jenseits einer grundsätzlichen Orientierung an quadratischen oder rechteckigen Grundflächen und eines sich mehr oder minder pyramidal nach oben entwickelnden Oberbaus dürften die Ähnlichkeiten eher gering sein: Gerade optisch markante Aspekte wie Treppenaufgänge und Tempelbauten auf der ‚Spitze‘, Terrassierungen o.Ä. bei Stufenpyramiden sowie der jeweilige Bauschmuck entsprechen einander in keiner Weise. Grundsätzliche praktische Erfordernisse, wie an anderer Stelle auch von Paul selbst benannt,445 haben sich wohl vielmehr mit religiösen Anforderungen an Sepulkral- bzw. Sakralarchitektur zu verschiedenen Realisierungen pyramidaler Grundformen verbunden. Es erscheint möglich, dies als oberflächliche Ähnlichkeit im Sinne eines ‚kulturenübergreifenden ästhetischen Interesses‘ zu beschreiben, fraglich wäre dann jedoch, womit bei einer derart gedehnten Begriffsverwendung ein damit verbundener Schönheitsbegriff noch zu füllen wäre. Von einem wenig spezifischen handlungsorientierten Ästhetikbegriff geht Paul in seinen Ausführungen jedenfalls nicht aus. Auf diesen Punkt wird weiter unten noch zurückzukommen sein. Diese beiden Fälle erscheinen somit bei genauerer Betrachtung keineswegs stichhaltig argumentiert. Für andere Beispiele steht Ähnliches zu erwarten.446 Paul hingegen geht davon aus, dass Einwände gegen ein transkulturelles Schönheitskonzept grundsätzlich wenig fundiert und folglich aus seiner Sicht unproblematisch seien. Mit Blick auf Ägypten betont Paul etwa, „der Einwand, dass die mit ‚schön‘ usw. übersetzten altägyptischen Wörter […] ‚etwas
444 445 446
Paul, Interkulturelle Philosophie, 90. Vgl. Paul, Interkulturelle Philosophie, 20. Vgl. hier etwa Fn. 432.
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anderes‘ als im Deutschen bedeuteten, und dass sie überdies je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen oder doch Konnotationen besessen hätten“ sei „leicht“ zu entkräften.447 Diese Feststellung steht jedoch in keinem Verhältnis zur argumentativen Stichhaltigkeit der Ausführungen, die „mutatis mutandis“ (Kursive i.O.) auch auf andere Begriffe übertragbar seien: Nach Paul komme es lediglich darauf an, ob nfr „als Merkmal altägyptischer Kunst […] (auch) Harmonisches oder Gestalthaftes etc. bezeichnete, das in der dafür spezifischen Weise gefiel und gefällt“ (Kursive K.W.). Durch Anführung von Belegen dreierlei Art ließe sich dies „leicht zeigen“: Neben „einschlägigen Beispielen altägyptischer Kunst“ selbst seien dies „[ebenfalls] einschlägige Urteile“, die in ägyptischen Zeugnissen enthalten seien, sowie übereinstimmende ästhetische „Urteile über ägyptische Kunst“ aus der Rezeptionsgeschichte Ägyptens.448 Prägnanter als in dieser knappen Schilderung Pauls ließe sich die Zirkularität seiner Argumentation kaum zusammenfassen: Das von Paul angesetzte Schönheitskonzept gelte u.a. deshalb als transkulturell, da sich ‚nfr – schön‘ in Übersetzungen antiker Texte als Merkmal von Objekten finden lasse, die in jüngerer Zeit als schön rezipiert worden sind. Im Ergebnis dieser Argumentation sind antike und moderne Rezeption analogisiert, basierend auf textuellen Indizien, für die der Nachweis einer adäquaten quellenkritischen Beurteilung nicht erbracht ist.449 Man könnte also mit Paul auch anders formulieren: Objekte aus anderen Kulturen können durchaus als schön empfunden werden, wobei im hier diskutierten Fall hinzukommt, dass mit nfr ein Lexem belegt ist, das infrage stehende 447 448 449
Paul, Interkulturelle Philosophie, 91. Paul, Interkulturelle Philosophie, 91. Vgl. hierzu auch oben Kapitel 1.3 u. a. zu Maya Müllers positivistischer Lesart königlicher Inschriften (S. 85–87), die sich genau in Pauls Interpretation fügen würde. Auch wenn Paul dazu mahnt, zentrale Begriffe, die auch aus seiner Perspektive als relativ kulturspezifisch anzusprechen sind, unübersetzt zu lassen, sind nach seinem Verständnis Quelleninterpretationen im Rahmen der Interkulturellen Philosophie auch allein anhand von Übersetzungen möglich. Ein Rückgriff auf Originaltexte sei nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen aufgrund fehlender Sprachkenntnisse des Interpreten nicht nur nicht immer möglich, sondern auch gar nicht unbedingt notwendig: „Freilich sollte man sich dann möglichst vieler vorhandener Übertragungen bedienen. Selbst wenn man der fraglichen Originalsprache nicht mächtig ist, wird man nämlich oft genug begründete Vergleiche anstellen können.“ Vgl. Paul, Interkulturelle Philosophie, 37f. (Zitat: 37). Zum Nachvollziehen sowohl von Übersetzungen als auch von in der Sekundärliteratur geäußerten Interpretationen fremdsprachlicher Texte dürften jedoch Sprachkenntnisse zwingend erforderlich sein, damit es dem Bearbeiter möglich ist, sich einzelnen Implikationen der historischen Semantik der untersuchten Texte wenigstens annähern zu können.
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Objekte beschreibt und heute häufig mit ‚schön‘ übersetzt wird. Soweit wäre Paul ja zuzustimmen, es bleibt jedoch zu hinterfragen, was dies angesichts eines von ihm darauf gegründeten transkulturellen Schönheitskonzeptes austrägt. Sicherlich weniger als Pauls Ausführungen suggerieren, denn einerseits ist die Übersetzung von Begriffen und Texten bzw. konkreter die von Paul daran geknüpfte problemlose Zugänglichkeit und Übertragbarkeit von Begriffen und Inhalten fragwürdig. Hinzu kommt, dass das von ihm mit universellem Geltungsanspruch versehene Schönheitskonzept auf ‚Mehrheitsentscheiden‘450 und selektiv ausgewählten Beispielen gegründet ist. Man könnte letztere allenfalls als empirische Indizien von unterschiedlicher bzw. in den diskutierten Fällen fraglicher Qualität einstufen. Paul selbst gesteht an anderer Stelle ein, höchstens notwendige Merkmale, aber keinesfalls einen hinreichenden Begriff von Schönheit formulieren zu können.451 Was bleibt nun von dem transkulturellen, gar universalen Schönheitskonzept, wenn sich zwar jenseits der eigenen Kultur Schönheit ausmachen lässt, das Urteil darüber jedoch keinesfalls von jedem geteilt wird und es im Fall der Antike keine Kulturvertreter mehr gibt, die man dazu befragen könnte? Es ließen sich schließlich viele divergierende und höchst ambivalente ästhetische Urteile über die gleichen Gegenstände bzw. bestimmte Eigenschaften aus verschiedenen Kulturen anführen und gegenüberstellen. Diesen wesentlichen Einwand lagert Paul aus seiner Argumentation aus, indem er diese Fälle als Beispiele „so genannte[r] Schönheitsideale“ anspricht, die „kein Urteil über Schönheit, sondern über Mode, Sitte und, allgemeiner, Konventionskonformität“ abgeben würden.452 Damit seien sie nur „zeitlich und räumlich einge450 451 452
Vgl. hierzu auch oben Kapitel 1.3 bei Fn. 298 und 311 zu Müllers Standpunkt, der sich teilweise ebenfalls explizit darauf stützt, dass Konsensmeinungen bestünden. Paul, Interkulturelle Philosophie, 94. Paul nennt als Beispiele etwa verschiedene Idealvorstellungen von schönen Zähnen und die unterschiedlichen Konnotationen von Nacktheit. Ihm zufolge „präsentiert [u.a. (alt)ägyptische und griechische Kunst] gerade bestimmte nackte Körper als Inbegriffe menschlicher Schönheit“ (Interkulturelle Philosophie, 98). Dass bildlich dargestellte partielle Nacktheit durchaus ägyptische Idealvorstellungen transportieren kann, dürfte in der Tat zutreffen. So pauschal wie bei Paul ist diese Einschätzung jedoch keineswegs haltbar, kann doch Nacktheit auch zur „Repräsentation von Menschen des Exklusionsbereichs“ dienen: So stellen nach Moers z. B. Nacktheit zeigende (materielle und sprachliche) Bilder „in der ägyptischen Kultur eine Möglichkeit dar, die in ihnen besonders markierten Menschen – Angehörige der Unterschicht und Fremde – in Relation zu dem Kommunikationssystem, aus dem diese Codierung stammt, als vergleichsweise irrelevante Unpersonen wahrzunehmen.“ („Ägyptische Körper-Bilder“, 21f.). Auch wenn sich dies nicht auf jede, sondern nur auf eine, wenn nicht auf die im
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schränkt gültig[…]“. Anhand von Beispielen versucht Paul zu zeigen, dass derartige Schönheitsideale aus „einem allgemeinen Harmoniekriterium und kulturspezifischen Kriterien abgeleitet“ werden.453 Daher gehe es in ihnen nicht um bloße Schönheit an sich, diese liege jedoch stets dem (kultur)spezifischen Ideal zugrunde. Ganz abgesehen davon, dass Pauls Ansprache und Interpretationen der angeführten Belege z.T. sehr undifferenziert erscheinen,454 bleibt es fraglich, ob eine solche Trennung überhaupt plausibel zu machen ist. Wenn, wie Paul zu einem Beispiel ausführt, „aufgrund des merklich spezifischen Charakters dieses Ideals […] die allgemeine Norm nicht ohne Weiteres bewusst“ werde,455 in anderen Fällen jedoch Ähnlichkeiten erkannt und zur empirischen Unterfütterung universaler Konzepte genutzt werden, fällt es zunehmend schwerer, nachzuvollziehen, worin sich nach Paul Schönheit und Schönheitsideale unterscheiden sollen: Entweder wird dem Interpreten die Fähigkeit zugesprochen, dies im Einzelfall erkennen zu können, oder aber es bleibt am Ende ein Schönheitskonzept, das unsichtbar unter einer irritierend vielfältigen Folie von kontextgebundenen Schönheitsidealen verborgen liegt. Es würde sich auf grundlegende Konzepte beschränken (Ausgewogenheit, Stimmigkeit, Harmonie), die kulturspezifisch gefüllt wurden und immer neu gefüllt werden. Daraus jedoch am Einzelfall Universalien zu rekonstruieren und in ihnen die Ursache verschiedenster weitreichender Prozesse zu identifizieren, ist nicht nur fragwürdig, sondern monokausal und pauschalisierend argumentiert. Die damit
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Material dominierende Form von Nacktheit bezieht (vgl. zu anderen einführend Behrens, „Nacktheit“ sowie Green, „Clothing and Personal Adornment“ und Quack, „Das nackte Mädchen im Griff halten“, 52–55 und 59–64) zeigt sich darin deutlich, dass hier kaum ägyptische und griechische Darstellungskonventionen als Belege für eine gemeinsame Bedeutung von Nacktheit in visuellen Medien herangezogen werden können. Vgl. etwa zur ganz anderen Situation im antiken Griechenland Himmelmann, Ideale Nacktheit in der griechischen Kunst. Die verallgemeinernd für Ägypten und Griechenland angesetzte gemeinsame Idealvorstellung von Nacktheit erweist sich damit als nicht haltbar. Dies unterstreicht besonders deutlich, dass assoziativ am Material entwickelte Analogien (Paul gibt nicht an, worauf sich seine auf Ägypten bezogene Interpretation stützt) keineswegs ausreichen können. Paul, Interkulturelle Philosophie, 98 f. Vgl. auch Hamid Reza Yousefi, der in seiner Rezension zu Pauls Einführung zu Recht darauf hinweist, dass eine Komparatistik, wie Paul sie betreibt, „‚interkulturelle Konflikte‘ “ nicht auflösen könne, da sie die „Offenlegung der historisch gewachsenen Dissonanzen und Einseitigkeiten“ vernachlässige („[Rezension zu] Paul, Einführung in die interkulturelle Philosophie“, 48). Paul, Interkulturelle Philosophie, 99.
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verbundenen Probleme ließen sich in vielen Fällen sicher durch Überprüfungen seitens der in ihren Zuständigkeitsbereichen tangierten Fächer oder Disziplinen transparent machen. Als anschauliches Beispiel mag Pauls anhand von Hymnen-Übersetzungen gewonnene Einschätzung der Amarna-Religion dienen. Sie zeigt, wohin vorschnell zuungunsten einer kulturspezifischen Betrachtung identifizierte Universalien führen können. „In der Tat dürfte eine sorgfältige Lektüre der Aton-Hymnen den Eindruck vermitteln, dass es der Glaube an den Wert der Schönheit und das Interesse am Schönen waren, die die religiösen Vorstellungen und den religiösen Kult bestimmten und nicht umgekehrt. Auch naheliegende Einwände wie die, dass auch ein Name wie Nofretete vor allem die Nähe zu Gott, zu Aton, bezeichnen solle, wären nicht stichhaltig. Denn dann wäre es – wie im Fall Echnatons – sinnvoller gewesen, einen explizitunmissverständlichen Hinweis in den Namen aufzunehmen.“456 Existierten Universalien in der von Paul angesetzten Weise, dann könnte es wohl möglich sein, aus heutiger Sicht entscheiden zu können, welche Namenswahl für ägyptische Königinnen sinnvoller gewesen wäre als eine andere. Die Schlüsse, die Paul aus dem in Amarna-Hymnen gehäuft auftretenden Lexem nfr zieht, lassen jedoch die notwendige Quellenkritik vermissen und legen vielmehr nahe, dass zwischen heutigen Auffassungen von Schönheit und nfr erhebliche Unterschiede anzusetzen sind. Die nähere Betrachtung annähernd aller von Paul angeführten ägyptischen Belege hat somit die in den vorangegangenen Kapiteln formulierten Zweifel an einer auf anthropologische Konstanten fixierten interkulturellen Betrachtungsweise keineswegs zerstreuen können. Im Gegenteil, der Versuch von Seiten der Interkulturellen Philosophie, sämtliches ästhetisch relevantes Handeln und Produzieren des Menschen auf ein transkulturelles und universal gültiges Schönheitskonzept zurückzuführen, scheint sich u. a. aus dem Drang zu speisen, die postmoderne inhomogene Welt als kulturelle Einheit begreifbar und bewohnbar zu halten: eine Welt, in der das Fremde nicht nur beinahe überall präsent scheint, sondern durch seine Anwesenheit auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbstbild anregen und dieses so verstärkt infrage stellen kann.457 456 457
Paul, Interkulturelle Philosophie, 91 (Kursive K.W.). Kontakte mit Fremdem hat es immer gegeben. In der Neuzeit erhalten diese Phänomene jedoch einen Stellenwert, der kaum zu übersehen ist und der sich auf unterschiedlichen Ebenen äußert. So lässt sich mit Hartmut Rosa z.B. auch ein „‚Zeitpluralismus‘“
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Dies ist nicht der Ort, zu thematisieren, ob die damit verbundene Weltsicht angemessen sein kann. Es bestehen jedoch aus ägyptologischer Sicht begründete Zweifel daran, dass eine universaliengeleitete Perspektive einer kulturellen Heterogenität – sei sie nun diachron oder synchron angesetzt – gerecht zu werden vermag. 1.4.2 Universalität und Relativismus Wie im vorangegangenen Kapitel angesprochen ist die Beobachtung kultureller Heterogenität auch vielfach Auslöser dafür gewesen, relativistische Perspektiven einzunehmen. Es ist jedoch bereits zu Recht bemerkt worden, dass kulturelle Vielfalt nicht automatisch mit Relativismus gleichzusetzen ist und dass letzterer unter Umständen dazu tendieren kann, mit plausiblen Überlegungen beginnend letzten Endes zu unhaltbaren Aussagen zu gelangen;458 so dürfte die Problematik eines radikalen Relativismus, der nichts Universales anerkennt, mittlerweile unstrittig sein.459 Darauf aufbauend wird die Relevanz des Fremden von Paul und anderen Universalisten, wenn auch nicht immer explizit infrage gestellt, so doch stark marginalisiert.460 Entsprechend ist der
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feststellen, da sich „Zeithorizonte, -muster und -praktiken der verschiedenen Kulturen […] zweifellos beträchtlich [unterscheiden]“, so dass sie „unvermeidlich in der Sphäre der Öffentlichkeit [kollidieren]“. Insofern spricht Rosa von „Desynchronisierungserscheinungen, wo Akteure aus unterschiedlichen sozialen Schichten oder Kulturkreisen aufeinandertreffen, deren Zeitpraktiken und -orientierungen sich spürbar unterscheiden. Die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen ist ohne Zweifel eines der schwerwiegendsten Probleme des ‚Multikulturalismus‘ “ (Rosa, Beschleunigung, 412 und 46 [Kursive i.O.]). Vgl. dazu, dass sich Fremdheitserfahrungen nicht nur in der Fremde, sondern auch im (vermeintlich) Vertrauten ereignen und dass dies auch in der Interkulturellen Philosophie Berücksichtigung erfahren sollte Kirloskar-Steinbach, „[Rezension zu] Paul, Einführung in die Interkulturelle Philosophie“. Vgl. auch Kapitel 3.2.5. Wie sehr eigentlich Fremdes auch bewusst als Teil der eigenen Selbstkonzipierung verstanden werden kann, zeigt das Beispiel der hitzig geführten (kultur)politischen Auseinandersetzung um die Legitimität der verschiedenen Besitzansprüche, die für die Berliner Nofretete-Büste geltend gemacht werden. Während in der deutschen Öffentlichkeit von ‚Nofretete‘ als „Ikone Berlins“ (Wildung, „Hieroglyphen um Nofretete“, 17) gesprochen wird, ziert sie nicht nur die ägyptische 5-Piaster-Banknote, sondern dient auch als Motiv für englischsprachige Visum-Anträge, die in Flugzeugen an Ägyptenurlauber verteilt werden, wodurch sie geradezu den Rang eines ägyptischen Nationalsymbols erhält. Vgl. zu sich ergebenden Paradoxien Cook, Morality and Cultural Differences, 32–48. Vgl. beispielsweise die Kritik von Sukopp, „Wider den radikalen Kulturrelativismus“. Der Universalismus als Stützpfeiler der Interkulturellen Philosophie wird jedoch nicht von allen Vertretern der Forschungsrichtung in dieser Weise verstanden. Raúl FornetBetancourt betont nicht nur die Verankerung der Philosophie in Denktraditionen der
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innerhalb der Ethnologie bzw. der amerikanischen Cultural Anthropology entwickelte und dort etablierte Kulturrelativismus in den letzten Jahrzehnten auch immer wieder vehement kritisiert und abgelehnt worden. Die Diskussion zum Thema ist entsprechend ausufernd und kann bzw. muss an dieser Stelle gar nicht umfassend referiert werden. Es erscheint jedoch wichtig, terminologische Unterscheidungen einzuführen, mit deren Hilfe der ägyptologisch gängige Rückgriff auf anthropologische Universalien und Konstanten fundierter beurteilt werden kann. Die Möglichkeiten kulturrelativistischer Ansätze sind keinesfalls so begrenzt, wie etwa Pauls pauschale Ablehnung dies darstellt. Verschiedene Vorschläge, die einen differenzierteren und begrifflich klareren Umgang mit dem Relativismus fordern, weisen den Weg aus der zunächst vertrackt erscheinenden Dichotomie von sich gegenüberstehendem Universalismus und Relativismus. Dabei ist zunächst eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen einem normativen und einem deskriptiven Relativismus gängig.461 Auf diese Weise ist es etwa dem amerikanischen Philosophen Chris Swoyer möglich, unplausible Formen des Relativismus von plausiblen zu trennen und ein komplexeres Beschreibungsmodell zu skizzieren, das relativistisch arbeitet, ohne Universalien gänzlich ausschließen zu müssen.462 Als deskriptiver Relativismus wird dabei die Behauptung verstanden, dass beispielsweise Denkweisen, Prinzipien, normative Maßstäbe und Praktiken keine universalen Größen sind, sondern relativ zur Sprache, Kultur oder betrachteten Zeit variieren und auf diese Weise empirisch beschreibbar sind. Es spielt im Rahmen des deskriptiven Relativismus keine Rolle, ob die verschiedenen variierenden Prinzipien oder Praktiken relativ zu einem angesetzten Rahmen richtig oder falsch sind, da auf eine Beurteilung stets verzichtet wird. Letzteres ist jedoch für den normativen Relativismus äußerst relevant, der behauptet, dass Denkweisen, Prinzipien, Maßstäbe und Praktiken nur relativ zu den relevanten Kontexten wahr, falsch, korrekt o.ä. sein können.
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Philosophiegeschichte, sondern auch kontextuelle Bedingtheiten aufgrund ihrer Historizität innerhalb der Menschheitsgeschichte. Vgl. Fornet-Betancourt, Modelle befreiender Theorie, hier besonders seine Auseinandersetzung mit Hegels Theorie der Philosophiegeschichte: 65–79; außerdem einleitend Becka, Interkulturalität im Denken Raúl Fornet-Betancourts, 57–64. Vgl. Swoyer, „Relativism“, § 1; Spiro, „Cultural Relativism and the Future of Anthropology“. Swoyer, „Relativism“; vgl. auch den bei Sukopp („Wider den radikalen Kulturrelativismus“) skizzierten Ansatz einer Vereinbarkeit von schwachem Universalismus und moderatem Relativismus zu einer Perspektive, die er „Kompatibilismus“ nennt.
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Swoyer ergänzt unabhängig von der Unterscheidung deskriptiv/normativ als weiteres Klassifizierungsmerkmal für relativistische Positionen ihren Geltungsbereich. Demnach kann zwischen Relativismen, die räumlich begrenzt anwendbar sind, und solchen, die eine globale und allumfassende Geltung beanspruchen, unterschieden werden. Nach Swoyer ist es durchaus möglich, beispielsweise bezüglich eines Konzeptes oder Begriffes einen begrenzt geltenden Relativismus zu vertreten, bezüglich eines anderen hingegen die Existenz von Universalien anzusetzen. Ein begrenzt gültiger Relativismus, der genau ausweist, was sich relativ zu welchem Kontext verhalte, müsse daher nicht zwangsläufig Universalität auf anderen Gebieten ausschließen. Besonders epistemologische, perzeptuelle und moralische Relativismen erweisen sich hingegen in ihren jeweiligen Argumentationen dann als problematisch, wenn sie normativ und global aufgefasst werden.463 Schnell werden auf diese Weise paradoxe Standpunkte erreicht oder moralische Dilemmata heraufbeschworen. Eben solche Formen von Kulturrelativismus sind es, die Universalisten wie Paul als falsch verstandene Toleranz und philosophische Blankovollmacht zu Menschenrechtsverstößen kritisieren. Aus diesem Grund werden relativistische Standpunkte so kontrovers diskutiert, dass auf einen weniger starken Relativismus gegründete Positionen ebenfalls in den Sog einer generellen Kritik geraten, obwohl sie von letzterer nicht unbedingt selbst tangiert werden. Diesbezüglich ist jedoch auch eine Gegenbewegung von Seiten der Ethnologie zu beobachten, die die Möglichkeiten des Kulturrelativismus wieder verstärkt hervorhebt, während sie die eigentliche Problematik in den universalistischen Ausprägungen des Anti-Relativismus erkennt.464 Wie bereits oben ausgeführt kommt die Ansetzung eines normativen Relativismus für die Ägyptologie nicht infrage. Dies verwundert zwar nicht, da das Fach weder methodisch entsprechend vorbereitet wäre, noch darin seine Aufgabe sieht, normativ zu urteilen. Für die ägyptologische Praxis erscheint es jedoch bedeutsam, darauf hinzuweisen, dass im Gegenzug auch auf Formen von normativem Universalismus verzichtet werden sollte. Festzulegen, was im Sinne einer interkulturellen Betrachtung in Vergangenheit und Gegenwart wahr oder richtig (gewesen) ist, liegt außerhalb dessen, was ein Ägyptologe entscheiden kann. Die in der Interkulturellen Philosophie gängige Praxis, bestimmten Traditionen argumentativ abzusprechen, erhaltenswert zu sein, ist nur auf aktuelle internationale Politik und Menschenrechtsfragen bezieh-
463 464
Vgl. Spiro, „Cultural Relativism and the Future of Anthropology“. Vgl. Ulin, „Revisiting Cultural Relativism“; sowie bereits Geertz, „Anti Anti-Relativism“.
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bar und sollte nicht für eine diachrone Perspektive auf fremde Kulturen in Anspruch genommen werden. Eben darin zeigt sich im Rückblick eine zentrale Problematik von Pauls Ansatz, der auf empirisches Material aus anderen, z. T. antiken Kulturen zurückgreift und dies mit der programmatischen Absicht verbindet, durch normative Urteile eine transkulturelle Ethik für die Zukunft zu entwickeln. Im Rahmen einer solchen Perspektive verschwimmen kulturelle Differenzen sehr leicht, indem sie den auf die heutige Zeit ausgerichteten Fragestellungen untergeordnet werden. Über die Notwendigkeit eines Verzichts auf normative Beurteilungen der ägyptischen Kultur wäre innerhalb der Ägyptologie wahrscheinlich noch ein Konsens zu erzielen. Prekärer wird es jedoch, wenn man etwa auf dieser Grundlage die Frage formuliert, was dem Fach verloren ginge, wenn man mit dem Konzept ‚Kunst‘ auf eine oft angesetzte Universalie verzichten würde. Würde man den Untersuchungsgegenstand damit normativ degradieren? Oder verbirgt sich nicht vielmehr gerade hinter der Annahme, die Ägypter hätten Kunst hervorgebracht, weil sie Menschen waren ‚wie wir‘, eine Form von normativem Universalismus, der den Blick auf kulturelle Vielfalt versperrt?465 1.4.3 Universalität innerhalb eines deskriptiven Kulturrelativismus Mittlerweile wird vielfach angenommen, dass Wahrnehmung theoriegebunden ist: Wissen, Erwartungen, Überzeugungen und vieles Andere beeinflussen die menschliche Wahrnehmung.466 Ostensive Lernexperimente zeigen jedoch, dass sich Wahrnehmungsbegriffe hintergrundunabhängig lernen lassen, während theoretische Begriffe nicht ostensiv lernbar sind.467 Daher liegt es nahe, anzunehmen, dass Beobachtung wenigstens teilweise theorieunabhängig und somit nicht grundsätzlich relativ ist.468 Daran zeigt sich, dass hier eine differenzierte Betrachtung notwendig ist.
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Vgl. hierzu auch oben bei Fn. 314 mit Müllers Anmerkung, dass ägyptische Bilder „als Kunst im modernen Sinn für voll genommen werden müssen.“ (Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 55). Vgl. auch weiterführend Kapitel 3.2.5. Nelson Goodman hat es auf eine prägnante Formel gebracht „There is no innocent eye.“ (Problems and Projects, 142, vgl. auch ders., Sprachen der Kunst, 17–21 und W. J. T. Mitchell, „Visual Literacy or Literary Visualcy?“, 13). Vgl. außerdem bereits oben mit Fn. 426 sowie Swoyer, „Relativism“, § 2.3 und Supplement 1 mit weiterer Literatur sowie unten Kapitel 3.1. Vgl. Schurz, Einführung in die Wissenschaftstheorie2, 60f. So auch Swoyer („Relativism“, § 5.2), der sich für eine gemäßigte Form eines deskriptiven perzeptuellen Relativismus ausspricht.
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Swoyers Zusammenstellung zufolge gibt es zentrale Bereiche, für die eine deskriptiv-relativistische Perspektive angemessen erscheint.469 Nichtsdestotrotz sind ebenfalls Phänomene zu beobachten, die sich am ehesten als Konstanten beschreiben lassen, weil sie gerade nicht kulturabhängig zu sein scheinen. In diesem Sinne ist angeführt worden, dass sich etwa kognitive Universalien470, aber auch universale Themen feststellen ließen,471 die der kulturell bedingten Vielfalt zugrunde liegen. Auch in der Diskussion um Bilder als kulturelles Phänomen ist in überzeugender Weise entsprechend argumentiert worden: Einerseits beschreibt Hans Jonas in seinem mittlerweile klassischen ‚homo pictor‘-Aufsatz die Fähigkeit, Bilder herzustellen, als „differentia specifica“, die den Menschen vom Tier unterscheide und folglich den Menschen als solchen auszeichne.472 Und Belting spricht auf einer thematischen Ebene von „zeitlose[n] Fragen […], für welche die Menschen schon immer Bilder erfunden haben“473 und die sich etwa um das Thema ‚Tod‘ ranken. Andererseits differenziert Belting kulturspezifisch, indem er beispielsweise schildert, wie Bildbegriffe aus westlichen Kontexten mit fremdem „Bilddenken“ konfrontiert und aufgrund von dessen Andersartigkeit infrage gestellt wurden.474 Während folglich Bildherstellung an sich ebenso global anzutreffen ist wie die Beschäftigung mit zentralen Themen, sind der jeweilige Umgang mit Bildern und die ihnen zugewiesenen Funktionen kulturell so unterschiedlich, dass Differenzen und Spezifika nur durch kultur- und kontextbezogene Perspektiven adäquat in den Blick genommen werden können.475 Dies deckt sich 469 470 471 472
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Swoyer, „Relativism“, §§ 2.2 („Central Concepts“), 2.2 („Central Beliefs“), 2.3 („Perception“), 2.5 („Ethics“). Swoyer, „Relativism“, § 5.3. Vgl. Ulin, der u. a. auf Claude Lévi-Strauss verweist („Revisiting Cultural Relativism“, 811). Jonas versteht dabei unter „Bilden“ die Herstellung künstlicher Ähnlichkeit, setzt also Bild und Abbild gleich („Homo Pictor“). Vgl. Wiesing zur Notwendigkeit, im Rahmen der Semiotik hier begrifflich zu differenzieren, da Ähnlichkeit keineswegs „hinreichend für Bildlichkeit“ sei: Artifizielle Präsenz, 57–62 (Zitat: 59) sowie 33–36. Belting, Bild-Anthropologie, 55. Als Beispiele nennt er Aby Warburgs Schilderungen seines Aufenthaltes bei den Pueblo-Indianern im Südwesten der usa sowie diejenigen Kontakte mit indigenen amerikanischen Bildtraditionen, die spanische Eroberer im 16. Jahrhundert gemacht haben und die in einem Ikonoklasmus endeten, der bereits treffend u.a. als „Krieg der Bilder“ beschreiben worden sei (Belting, Bild-Anthropologie, 50–54). Vgl. etwa oben Kapitel 1.1.1 zu Beltings Studie zum Wandel von Bildfunktionen in der frühen Neuzeit (Bild und Kult); außerdem die von Ulin geäußerten Bedenken gegen-
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mit den Überlegungen, die oben anhand von Pauls Differenzierung in ‚die Schönheit‘ einerseits und ‚Schönheitsideale‘ andererseits angestellt wurden. So lassen sich durchaus Parallelen und interkulturell gemeinsame Themen feststellen, entscheidend bleibt jedoch, wie diese Thematisierungen in den verschiedenen kulturspezifischen Kontexten erfolgen. Man könnte folglich am ehesten anthropologisch-konstante Wahrnehmungsphänomene ansetzen, die sich in jeweils sehr verschiedenen Wahrnehmungsarten äußern und so auf Grundlage eines moderaten Relativismus zu beschreiben wären (relativ zu verschiedenen Gegebenheiten wie Kultur, zeitlichem Kontext etc.). Darüber hinausgehend von transkulturell gültigen Konzepten zu sprechen, erscheint jedoch nicht überzeugend. So könnte man etwa mit Belting die Produktion anthropomorpher Bilder im Zusammenhang mit Todeserfahrungen als ein in sehr vielen Kulturen bzw. zu allen Zeiten relevantes Thema bezeichnen, was sich empirisch leicht belegen ließe. Die von Belting als Sinn dieser Bildproduktionen identifizierte Kompensation des Verlustes eines Menschen476 bedarf jedoch bereits einer kritischen Prüfung, bevor diese anhand verschiedener Kulturen gewonnene Interpretation gegebenenfalls auf alle Bildtraditionen übertragen werden kann. Jan Assmann etwa gibt zu bedenken, dass „die ägyptische Grabplastik weniger dem Wunsch der Hinterbliebenen [entspringt], die Abwesenheit des Verstorbenen durch ein Bild zu heilen, das ihn der Gemeinschaft wieder vergegenwärtigt, als vielmehr dem Wunsch des Toten selbst, sich unvergängliche Körper zu schaffen, in denen er weiterleben kann.“477 Während also rein thematische Analogien unter Umständen einleuchten können, sind auf funktionaler Ebene bereits sehr kulturspezifische Kontextualisierungen der Bildpraktiken anzustellen, um nicht aufgrund eines global verbreiteten Themas den kulturellen Spezifika eine auf den ersten Blick plausibel erscheinende universale Funktionszuordnung überzustülpen.478 Ganz in diesem Sinne wäre tatsächlich mit Paul ein allgemeines Interesse der Menschen am Schönen anzusetzen. Doch da der Begriff ‚Schönheit‘ überhaupt erst
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über den von universalistischen Perspektiven ausgehenden Gefahren, Ungleichheiten zu kaschieren („Revisiting Cultural Relativism“, 816–818). Belting, Bild-Anthropologie, 144–146. Assmann, Tod und Jenseits, 145. Vgl. Kapitel 3.2.5 zur Gefahr, Fremdheitsbeobachtungen und Irritationen in der Angleichung des Fremden an Bekanntes aufzulösen.
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durch kulturelle Ausdifferenzierungen von Schönheitskonzepten in Erscheinung tritt, kann einem ‚die Schönheit‘ im Sinne einer transkulturell gültigen Universalie oder Konstante nicht viel weiterhelfen. Man könnte mit Luhmann von Schönheitsidealen als Formen des Mediums Schönheit sprechen, das sich außer anhand von Schönheitsidealen gar nicht beobachten lässt.479 Während Bildproduktion somit eine transkulturell verbreitete Praxis darstellt, wurden und werden Bilder in ganz unterschiedlicher Weise betrachtet, verwendet und in Bildhandlungen einbezogen.
1.5
Ägyptische Kunst? Eine vorläufige Zusammenschau zu Begriffsverzicht und Anführungszeichen
Wir sehen uns mit dem Problem konfrontiert, dass wir mit Kunst einen hochvoraussetzungsreichen Begriff vor uns haben, der seine geschichtlichen Orte, Voraussetzungen und Realisierungen hat (vgl. Kapitel 1.1.1). Die damit einhergehenden Argumente gegen eine Anwendung des Begriffes Kunst auf ägyptische Bilder konnten von Ansätzen, die Kunst als anthropologische Konstante verstehen, nicht entkräftet werden (1.2 und 1.4). Auch ein den Begriff konservierendes Vorgehen, das sich Hilfskonstruktionen bedient, indem es etwa den Begriff Kunst in Anführungszeichen setzt, kann dem nicht ausreichend Rechnung tragen. Denn die verbreiteten Versuche, auf diese Weise Distanz zu einem Begriff aufzubauen, werden in allen mir bekannten Fällen nicht konsequent durchgehalten und sind daher wohl in erster Linie als rhetorische Strategie zu betrachten. Entweder verschwinden die Anführungszeichen irgendwann im Verlauf eines Textes gänzlich unkommentiert, oder der anfangs infrage gestellte Begriff wird programmatisch wieder eingeführt, ohne die Bedenken tatsächlich auszuräumen.480 Entsprechende Vorschläge haben sich daher als nicht zielführend erwiesen. Dies gilt insbesondere, weil ein solches Vorgehen dazu führt, dass das im Rahmen von eingangs vorgebrachten Problematisierungen Ausgeschlossene – der Kunstbegriff – am Ende doch beibehalten wird, ohne dass die diskutierten Gegenargumente aus der Welt geschaffen wären (1.1.2 und 1.2.2).481 Sich den Problemen des Kunstbegriffs nicht zu stellen, indem man 479 480
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Vgl. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, 168 f. Vgl. zuletzt beispielsweise Morenz, Anfänge der ägyptischen Kunst (siehe auch unten Fn. 485) und Baines, „What Is Art?“. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die begriffsgeschichtlichen Betrachtungen in Kapitel 3.1. Unten werden diese Zusammenhänge u. a. aus begriffsgeschichtlicher Sicht ausführlich diskutiert. Vgl. Kapitel 3.1.
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diesen programmatisch nach dem Vorbild europäischer Kunstgeschichte oder Kunstrezeption anwendet, stellt keinen Ausweg dar, sondern führt insbesondere zur Kontinuierung fragwürdiger bzw. intransparenter Methoden oder zu einer rezeptiven Kontaminierung der ägyptischen Objekte, durch die der Forschung der Blick eingeschränkt und verstellt wird (1.3). Angesichts dieser Zwischenergebnisse kann man Alexandra Verbovsek dahingehend nur zustimmen, dass ein Paradigmenwechsel tatsächlich erforderlich ist. Doch wie und mit welchem Ziel soll dieser Wechsel erfolgen? Verbovseks Vorschlag, die bisherige Forschungspraxis in eine methodenpluralistische und kulturwissenschaftlich ausgerichtete Kunstwissenschaft zu überführen, dürfte keine Möglichkeiten mit sich bringen, die identifizierten Probleme zu lösen, da man letztere auf diese Weise immer in den neuen Entwurf inkorporieren würde (1.2.2). Dennoch deutet sich in der jüngsten Forschung die Tendenz an, gerade diesen Weg zu favorisieren. Die weiterhin gängige Praxis, den Begriff Kunst eingangs zu problematisieren, bleibt dabei in der Regel reine Problembewusstseinsrhetorik und damit konsequenzlos.482 Es ist vielmehr zu beobachten, dass davon Abstand genommen wird, Begriffsarbeit zu leisten oder problemorientiert vorzugehen. Es seien nun anhand von Beispielen einige Aspekte der aktuellen Forschung herausgegriffen, die dies verdeutlichen. Sobald Forschungsansätze mit dem populären Methodenpluralismus kompatibel erscheinen, wird in ihnen gern eine Bereicherung oder eine vielversprechende Perspektive gesehen, ohne sie hinsichtlich ihrer Validität oder Aussagekraft zu hinterfragen.483 Eine solche Offenheit bestimmt etwa die von Verbovsek beschriebene Konzeption der dritten maja-Tagung (Münchner Arbeitskreis Junge Aegyptologie) „Bild: Ästhetik – Medium – Kommunikation“. Die „Auseinandersetzung über das Richtig und Falsch kunsthistorischer 482
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Maya Müller erkannte hingegen jüngst „a promising recent trent among researchers to become aware of and explain their methods of analysis“ („Iconography and Symbolism“, 88). Dafür, dass es sich dabei um kaum mehr als Problembewusstseinsrhetorik handelt, sei nur ein Beispiel angeführt, das sich im selben Sammelband findet wie Müllers Einschätzung: Jack A. Josephson zitiert in der Einleitung seines Beitrags den Kunsthistoriker Yve-Alain Bois mit den Worten „ ‚Like it or not, our view of the past is always determined by our own present‘“ und räumt daraufhin ein, dass man z.B. in Ägypten mehr von „collaborative endeavors“ als von „individual creations“ sprechen müsse, um dann bereits das Problembewusstsein rhetorisch in Problemfreiheit zu überführen: „With these caveats in mind, we can attemp to apply modern criteria of art to ancient Egypt.“ (Josephson „Connoisseurship“, 61). Vgl. zum Methodenpluralismus auch oben Kapitel 1.2.2, insbesondere den Schluss des Kapitels sowie die Ausführungen zu dem Zitat bei Fn. 277.
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bzw. kunstwissenschaftlicher Methoden“ wird dort bewusst „zugunsten einer bildwissenschaftlichen Diskussion zurück[gestellt]“.484 Man wolle „Fragen aufwerfen“ und dabei „kritisch bleiben“, doch gehe es nicht darum, „Standorte zu verteidigen und Meinungen zu rekapitulieren“, sondern um die „Öffnung“ des Blicks auf „das weite Feld der Möglichkeiten“.485 Fokussiert man sich aber auf das weite Spektrum des Möglichen, ohne zu klären, was unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Konsequenzen möglich oder eben nicht möglich ist, dann beraubt man sich selbst der Möglichkeit, die unterschiedlichen Möglichkeiten zu bewerten. Wenn es primär allein um das Aufwerfen von Fragen und eben nicht um die Auseinandersetzung über Methoden und Begriffe geht, müssen Standpunkte nebeneinander stehen bleiben, ohne dass sie sich in Beziehung zueinander setzen ließen – denn dazu wäre die transparente Positionierung von Methoden und Begriffen und auch die davon geleitete Verteidigung differierender Standpunkte notwendig. Das Nebeneinander von Fragen und Ansätzen auf dem weiten Feld der Möglichkeiten verkommt so zur partikularen Insularität von Standpunkten und unrelationierten Ergebnissen. Und wenn man nicht mehr sachlich über richtig und falsch streiten kann oder will, wird jede Kontroverse zur politischen oder gar dogmatischen Auseinandersetzung. Vor diesem Hintergrund ist der Wunsch, Vorhaben nicht „in eine politische Debatte über den wissenschaftlichen Umgang mit ägyptischer Kunst abgleite[n zu lassen]“,486 ebenso naheliegend wie fatal. Denn die Debatte über den Umgang mit ägyptischer Kunst wird erst dann politisch, wenn man sie eben nicht wissenschaftlich führt bzw. wenn man in begriffsorientierter Kritik eine politische Motivation zu erkennen glaubt. Durch die Zurückstellung von Begriffsdiskussionen bleiben Begriffe meist unklar und werden so einer intuitiven Rezeption und Anwendung überlassen. Wird die Abkürzung oder gar Vermeidung einer Begriffsdiskussion gar als zielführend betrachtet, treten dabei leicht Widersprüche und Inkohärenzen auf, wie sich auch an einem anderen Beispiel zeigen lässt. So stellt etwa
484 485
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Verbovsek „Einleitung. ‚Ein weites Feld‘ “, 11 (Kursive i.O.). Ebenda, 15 (Kursive i.O.). Morenz gebraucht einleitend ein ähnliches Vokabular mit vergleichbarer Stoßrichtung: „Ziel dieser Darstellung ist eine Einführung in die altägyptische Bilder-Welt (bzw. genauer: in die Bilder-Welten) durch die Verbindung von dem Jahrtausende alten Material mit modernen Fragestellungen. Ein Pool von Methoden und Blickweisen soll vorgestellt und auch in Form von Fallstudien Möglichkeiten für VerständnisZugänge an die konkreten, Form und Gestalt gewordenen altägyptischen Bilder-Welten eröffnen.“ (Anfänge der ägyptischen Kunst, ix). Vgl. zu Morenz’ Begriff der Bilder-Welten auch die Einleitung dieses Buches (dort Fn. 2). Verbovsek „Einleitung. ‚Ein weites Feld‘ “, 9.
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Morenz im Vorwort zu seiner Monographie Anfänge der ägyptischen Kunst fest: „Zwar ist der Kunst-Begriff selbst bei genauerer Betrachtung hochgradig problematisch, doch können und müssen wir unter Bezug auf den bildanthropologischen Zugang hier keine definitorische Auseinandersetzung leisten.“487 Dabei wäre genau dies notwendig gewesen. Denn Morenz bezieht sich im Vorwort und Ausblick seiner Monographie auf Belting, wobei es schwer fällt, darin etwas anderes als ein grundlegendes Missverständnis zu sehen. Morenz spricht angesichts „altägyptische[r] Bilder-Welten“ eingangs von „ ‚Kunst‘ aus dem Zeitalter vor der Kunst (H. Belting)“ und am Schluss des Bandes von „Kunst im Zeitalter vor der Kunst (H. Belting)“.488 Entscheidend ist hier nicht, dass die Anführungszeichen verschwinden, sondern vielmehr, dass hier Untertitel und Kernthese von Beltings Monographie („Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst“) geradezu in ihr Gegenteil verkehrt werden: Während Belting den Kunstbegriff klar historisiert und zwischen Bild und Kunst differenziert, ist Kunst für Morenz auch schon vor der Zeit möglich, seit der es Kunst gibt. Warum Morenz sich hier überhaupt auf Beltings Studie beruft, bleibt unklar, denn mit seinem paradoxen Schlagwort („Kunst vor dem Zeitalter der Kunst“) formuliert er genau die Perspektive, zu der Beltings Studie eine Alternative bereitstellt. Wenn sich diese Art von Problembewusstseinsrhetorik auch in Zukunft mit einer Verweigerungshaltung gegenüber Begriffsdiskussionen verbindet, wird es immer schwieriger werden, Transparenz und Klarheit über die Aussagekraft von Positionen herzustellen. Dies wäre jedoch dringend notwendig angesichts eines verbreiteten weit gefassten Kunstbegriffs, der für sehr vieles stehen kann, ohne die Konsequenzen dieser Offenheit zu beleuchten.489 Es lässt sich gerade 487 488 489
Morenz, Anfänge der ägyptischen Kunst, ix. Ebenda, ix (Kursive i.O.) und 219 (Kursive i.O.). Auf die Entgrenzung des Kunstbegriffs bei Baines wurde in den Kapiteln 1.2.1.4 und 1.2.1.5 bereits eingegangen. Auch ein Blick ins Inhaltsverzeichnis von Hartwig (Hrsg.), Companion to Ancient Egyptian Art (S. v–vii) lässt erahnen, dass diesem als Referenzwerk konzipierten Band ein weites Begriffsverständnis zugrunde liegt. Es finden sich Kapitelüberschriften wie „Interpreting Ancient Egyptian Material Culture“, „Coffins, Cartonnage, and Sarcophagi“, „Luxury Arts“ und „Religion and Ritual“. An verschiedenen Stellen wird dies dann auch im Band selbst deutlich. So ist sich Salima Ikram bewusst, dass die im Fokus der kunsthistorischen Forschung stehenden Objekte für die Ägypter nicht in dem Sinne Kunst gewesen sein könnten, wie sie es für uns seien, und dass wir schon durch Kategorienbildung dem antiken Material unsere Konzepte überstülpen („Interpreting Ancient Egyptian Material Culture“, 176–178). Und Nigel Strudwick stellt fest, dass es schwer sei, Kunst zu definieren, und wirft dabei die Frage auf „is a pot ‚art‘?“, um dann darauf zu verweisen, dass diese Frage ja durch den Beitrag von John Baines im selben Band
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jüngst der Eindruck gewinnen, es gelte hier die Devise ‚Anything goes‘. Zwei Beispiele seien zur Veranschaulichung herausgegriffen. Maya Müller formuliert in der Publikationsfassung ihres Einführungsvortrags zur dritten maja-Tagung sechs Thesen, darunter die folgende: „In Ägypten sind fast alle Bilder, die überhaupt hergestellt wurden, Kunst. Die fünfte These geht nicht von der antiken, sondern der modernen Auffassung von Kunst aus und stellt die Behauptung auf, dass wir bei den alten Ägyptern eine der unsrigen einigermaßen ähnliche Auffassung von Kunst rekonstruieren können. Diese Aussage bezieht sich jedoch wiederum nur auf die praktische Ebene der Herstellung der Werke; es geht nicht um eine grundsätzliche Diskussion des Kunstbegriffs. Wenn im Alten Ägypten tatsächlich die meisten Bilder, die überhaupt hergestellt wurden, zum Bereich der Kunst gehören, so muss dies hauptsächlich daran liegen, dass damals nur von Hand gefertigte, einmalige Bilder produziert werden konnten.“490 Es wird nicht benannt, worauf die These sich gründet, und so bleibt sie eine bloße unhinterfragte Behauptung. Müller spricht über die „Stichwörter Bild und Ästhetik“, wobei sie gleich eingangs feststellt, sie werde „die Begriffe Bild und Ästhetik weder definieren noch theoretisch behandeln. Vielmehr wird über den praktischen Umgang der Alten Ägypter mit den Bildern und ihre Einstellung dazu zu reden sein.“491 Wer unreflektiert „eine der unsrigen einigermaßen ähnliche Auffassung von Kunst“ für Ägypten ansetzen möchte, mag sich durch Müllers Behauptung, der zufolge fast alle ägyptischen Bilder Kunst seien, bestätigt fühlen. Wenn dort jedoch festgestellt wird, man könne über den Umgang der Ägypter mit Bildern bzw. Kunst sprechen, ohne zu klären, worum es sich bei den Begriffen Kunst und Bild handelt, bleibt unklar, wie sich an eine solche These überhaupt ein wissenschaftlicher Diskurs anschließen soll. Auch Christina Riggs vertritt einerseits einen sehr weiten Kunstbegriff: „what we characterize as art – that is, objects that were made with care and held a significant cultural meaning –“492 und stellt zusammenfassend fest: „what
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(Baines, „What Is Art?“) behandelt würde („Interpretation“, 485). Letztlich beziehen sich alle drei genannten Beiträge auf einem Großteil der materiellen Kultur Ägyptens und stehen damit für einen sehr weiten Kunstbegriff. Müller, „Sechs Thesen zu den Stichwörtern Bild und Ästhetik“, 25 (Kursive i.O.). Müller, „Sechs Thesen zu den Stichwörtern Bild und Ästhetik“, 17 (Kursive i.O.). Riggs, Ancient Egyptian Art and Architecture, 44, ausführlicher ebenda, 18: „For this book, I consider art and architecture to comprise all those objects made in such a way that
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makes art such a powerful medium to begin with is the fact that it means different things to different people, even people living in the same society at the same time.“493 Sie spannt in diesem Zusammenhang den Bogen von der Berliner Nofretete-Büste aus der Bildhauerwerkstatt des Thutmosis494 zur Nofretete-Rezeption einer Kunstinstallation von Fred Wilson aus dem Jahr 1993.495 Andererseits stellt sie jedoch in ihrem Kapitel „Making Egyptian art and architecture“ fest: „the idea of ‚art‘ emerged in 18th century European thought as a way to distinguish certain cultural products as more refined than others“.496 Die Frage, wie etwas im pharaonischen Ägypten hergestellt werden kann, dessen Idee erst im 18. Jahrhundert aufgekommen sei, wird indes nicht beantwortet. Es ließe sich fragen: Wenn alles, was mit Sorgfalt hergestellt wurde und eine kulturelle Bedeutung trägt, Kunst ist, wie kann dann das zugrundeliegende Konzept erstmals im 18. Jahrhundert (und nicht früher) aufgetaucht sein? – Diese widersprüchlich anmutenden Zusammenhänge sind alle erklärbar, nur eben nicht mit der von Riggs verwendeten Terminologie.497 – Auch hier wird im Wissen um eine Problematik des Kunstbegriffs (die Geschichtlichkeit der „idea of ‚art‘“) fast die gesamte materielle Kultur Ägyptens zur Kunst erklärt.498 Der Diktion folgend, dass Kunst vieles sein und bedeuten könne, trifft hier ein weites Kunstverständnis mit einer weit angelegten Anwendung
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their form and materials contribute to, and often enhance, their representational power, social or symbolic significance, and aesthetic qualities, especially those perceived through the senses of vision and touch.“ Riggs widmet ein ganzes von insgesamt sechs Kapiteln ihrer Kurzeinführung den Begriffen, aus denen sich der Buchtitel ihrer Einführung zusammensetzt („Ancient“, „Egyptian“, „Art“, und „Architecture“, ebenda, 1–18). Der Umfang, den sie ihren Begriffsreflexionen einräumt, ist beachtlich. Ihre Problematisierung des Kunstbegriffs bezieht sie dabei jedoch allein auf den Eurozentrismus bei Winckelmann und Hegel, was die Problematik der Begriffsfrage stark verkürzt (ebenda, 15f.). Denn nur weil man aus nachvollziehbaren Gründen eine teleologische Perspektive ablehnt, die die griechische Kunst über die ägyptische Kunst stellt, hat man noch lange nicht gezeigt, dass sich der Begriff Kunst für die ägyptische Kultur eignet, zumal er auch für die griechische problematisch ist. Vgl. hierzu Kapitel 1.1.1 zu Beltings Historisierungsansatz. Vgl. Fn. 55 sowie zur Porträtfrage Kapitel 2.3.5.1. Riggs, Ancient Egyptian Art and Architecture, 115 f. Vgl. zur Bildhauerwerkstatt des Thutmosis und ihrer ägyptologischen Rezeption oben Kapitel 1.3. Riggs, Ancient Egyptian Art and Architecture, 113–116. Ebenda, 40. Vgl. hierzu die in Teil iii dieser Arbeit vorgestellte terminologische Differenzierung zwischen ägyptischen Bildern und ägyptologischer Kunst. Vgl. auch Kapitel 1.2.1.5 zur Problematik eines sehr weiten Kunstbegriffs.
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des Begriffes Kunst zusammen, ohne die Inkonsistenz des daraus resultierenden Begriffs ‚ägyptische Kunst‘ zu beheben. Hybride Begriffe stehen somit neben einfachen Behauptungen und verbinden sich mit der Überzeugung, man müsse sich nur der Problematik bestimmter verwendeter Begriffe und Methoden bewusst sein.499 Einerseits ist man sich einig, es mit ägyptischer Kunst zu tun zu haben, andererseits verschärft die aus der jüngeren Forschung resultierende und von ihr geradezu beförderte Beliebigkeit die gemeinhin bekannten Problemlagen zusätzlich.500 Man kann von einer Sackgasse sprechen. Die Lage stellt sich erst dann anders dar, wenn man bereit ist, eine Perspektive einzunehmen, die der Notwendigkeit einer Historisierung tatsächlich Rechnung trägt, indem sie sich davon verabschiedet, ihren Untersuchungsgegenstand als ägyptische Kunst zu verstehen. Geht man diesen Schritt, dann können kunsthistorisch oder kunstwissenschaftlich definierte Perspektiven auf ägyptische Objekte keine überzeugende Option mehr darstellen. Mit ihnen könnten auch die an Kunst gerichteten Erwartungshaltungen wegfallen und einen neuen Blick auf ägyptische Bilder ermöglichen. Warum also nicht darauf verzichten, ägyptische Bilder als Kunst zu behandeln? Die besorgte Frage, was man mit den Bildern sonst tun sollte, wenn kunsthistorische Analysemethoden aus methodologischen Gründen nicht zur Verfügung stehen, mag an der ein oder anderen Stelle bereits implizit angeklungen sein und dazu geführt haben, die gewohnte Praxis einer ungewissen Alternative vorzuziehen. Und diese Frage ist berechtigt. Doch vor allem zeigt sie auf, wie alternativlos bislang kunstwissenschaftliche Perspektiven und Methoden in der Ägyptologie gewesen sind. Der Vorschlag, eine kulturwissenschaftliche Kunstwissenschaft aufzubauen (1.2.2), dürfte den zweiten Schritt vor dem ersten machen und dabei nicht annähernd Gewissheit darüber haben, ob die damit eingeschlagene Richtung überhaupt Aussicht auf Verbesserung bieten kann. Eine Alternative, die eine angemessene Antwort auf eine fragwürdig gewordene Kunstgeschichte sein soll, müsste schließlich erst einmal Klarheit darüber haben, was genau aus welchen Gründen diesbezüglich fragwürdig ist und wo diese Form der Analysen ihre Spuren in der Ägyptologie hinterlas499
500
Vgl. hierzu beispielsweise die Diskussion in Kapitel 1.2.2 zur von Verbovsek angemahnten gewissenhaften Anwendung der Stilforschung oder auch Hartwig, die einen ähnlichen Standpunkt wie Verbovsek einnimmt und die Stilanalyse allen Problemen zum Trotz in der Hand des „knowledgeable art historians“ für eine „incredibly valuable method hält“ („Style“, 45). Vgl. auch Fn. 482. Vgl. hierzu nochmals die Kapitel 1.2.1.5 und 1.2.2 zur Problematik weiter Kunstbegriffe bzw. des Methodenpluralismus.
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sen hat. Nur wenn man weiß, inwiefern kunsthistorische Prämissen den Routinen ägyptologischen Umgangs mit Bildern zugrunde liegen und so die Perspektiven der Forschung nachhaltig beeinflussen, wird an eine tatsächliche Neuausrichtung überhaupt zu denken sein. Im folgenden zweiten Teil dieser Arbeit sollen daher verschiedene Beispiele aus einer Perspektive betrachtet werden, die bewusst auf den Kunstbegriff verzichtet bzw. von ihm abstrahiert, um dessen ägyptologische Anwendung als eigentlichen Untersuchungsgegenstand begreifen zu können. Üblicherweise als Werke der ägyptischen Kunst angesprochene Objekte werden dafür als ägyptische Bilder verstanden und die diese (als Kunst) behandelnden ägyptologischen Perspektiven untersucht.501 Die Entscheidung, von ägyptischen Bildern auszugehen, ist keine oberflächliche, sie soll es vielmehr ermöglichen, die Auswirkungen von Begriffen und Methoden zu untersuchen:502 In welchen ägyptologischen von Kunstkonzepten geprägten Kontexten finden wir ägyptische Bilder wieder und welche Folgen haben diese Kontextualisierungen
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In Teil iii wird diese hier nur skizzierte terminologische Ausrichtung unter Einbeziehung der in den folgenden Untersuchungen von Teil ii erzielten Ergebnisse ausführlich dargelegt werden. Im Rückblick wird es so möglich sein, die Auswirkungen der hier bereits getroffenen terminologischen Entscheidung im größeren Zusammenhang zu diskutieren. Vgl. auch Kapitel 3.1 zu einer Definition des Bildbegriffs. Anders verhält es sich bei der Entscheidung, die dritte maja-Tagung unter die Überschrift „Bild“ zu setzen, die Verbovsek damit begründet, es handele sich um einen „sinnvollen Kompromiss“, um „Beiträge zur ägyptologischen Bild- und Kunstwissenschaft“ versammeln zu können („Einleitung. ‚Ein weites Feld‘“, 9). Auch wenn der Untertitel ihres Aufsatzes von „einer ägyptologischen Bildwissenschaft“ spricht, bleibt das von ihr als solches bezeichnete „Spannungsfeld Ägyptologische Bild-/Kunstwissenschaft“ (ebenda, 10 [Kursive i.O.]) eine Begriffslegierung, die die bestehenden Spannungen kaschiert. Denn ‚Bild‘ dient hier als Sammelbegriff und nicht als Ausgangspunkt einer auf Trennschärfe ausgerichteten Analyse. Der von ihr für alltagshermeneutische Perspektiven beschriebene „diffuse Umgang mit den Begrifflichkeiten“ („Für die meisten Menschen macht es schlichtweg keinen Unterschied, ob es sich um Fotos, Zeichnungen, Comics, Symbole, Malerei oder Kunst handelt, wenn sie von einem Bild reden.“) deute ihr zufolge auf „weiteren Gesprächs- und Handlungsbedarf“ (ebenda [Kursive i.O.]). Die von Verbovsek favorisierte ‚Kompromissbildwissenschaft‘ verliert jedoch durch den Ansatz, alles unter dem Begriff Bild zu versammeln und zugleich „eine Auseinandersetzung über das Richtig oder Falsch kunsthistorischer bzw. kunstwissenschaftlicher Methoden zugunsten einer übergreifenden bildwissenschaftlichen Diskussion zurückzustellen“ (ebenda, 11 [Kursive i.O.]), jedes Potential, Alternativen zum diffusen Umfang mit den Begrifflichkeiten innerhalb der Ägyptologie zu finden. Vgl. zum von Verbovsek vertretenen Verständnis von Bildwissenschaft und Kunstwissenschaft auch Kapitel 1.2.2.
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für die Ergebnisse der Forschung?503 – Dabei wird in Teil ii ein Schwerpunkt auf Stilfragen gelegt, da im Stil und seiner wissenschaftlichen Interpretation ein weit über die Stilforschung im engeren Sinne hinausgehender Einfluss auf die ägyptologische Forschung identifiziert werden kann. Auf diese Weise wird es auch darum gehen, herauszustellen, welche Perspektiven und welche Probleme eine ägyptologische Betrachtung ägyptischer Bilder gewönne oder verlöre, die sich vom Kunstbegriff abwendet, indem sie ihn nachhaltig historisiert und so aus dem eigenen Zuständigkeitsbereich exkludiert. 503
Vgl. Kapitel 3.2.2 zum Begriff des Kontextes.
teil ii Bilder – Stile – Kontexte
∵
kapitel 2
Stil und Geschichte: Zur Bildkultur der 6.–12. Dynastie und ihren ägypt(olog)ischen Kontexten Dieses Kapitel stellt sich die Aufgabe, die Prämissen ägyptologischer Beschäftigung mit Bildern zu untersuchen. Dabei sollen ausschlaggebende methodologische Weichenstellungen identifiziert werden, die sich auf die Annahme zurückführen lassen, wir hätten es mit ägyptischer Kunst zu tun. Es wird nicht vordringlich darum gehen, aufzuzeigen, welchen Einfluss der eigentliche Kunstdiskurs innerhalb der Ägyptologie unmittelbar auf die Praxis hat. Es sollen vielmehr Rezeptions- und Interpretationsmuster herausgearbeitet werden, die sich als kunsthistorisch benennen lassen und die auf subtile und zugleich nachhaltige Weise die Ägyptologie prägen. So sollen Annahmen und Routinen herausgestellt werden, die bisher ägyptologische Perspektiven determinieren und zugleich ohne Ansetzung eines Kunstbegriffs haltlos würden. Anders formuliert soll das Wechselverhältnis von (oftmals nur impliziter) Theoriebildung und Objektinterpretation vor dem Hintergrund der an die Ägyptologie gerichteten Kunstfrage untersucht werden. Den Einstieg bildet dabei die Ansprache von Bildern aus der Zeit zwischen der 6. und der 12. Dynastie als minderwertige Provinzkunst der sogenannten 1. Zwischenzeit. Es kam bereits in Teil i dieser Arbeit zur Sprache, dass verschiedentlich Bildwerke der sogenannten 1. Zwischenzeit mit solchen aus ‚Blütezeiten‘ wie dem Mittleren oder Neuen Reich kontrastiert werden, um so den Kunstcharakter qualitativ hochwertiger Objekte zu untermauern und abzusichern.1 Diese These wird als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen dienen (Kapitel 2.3.1). Hierfür wird zunächst der Begriff ‚Zwischenzeit‘ geklärt und seine Rolle innerhalb der ägyptologischen Rezeptionstraditionen näher beleuchtet werden, da dies, wie sich zeigen wird, in den fachlichen Auseinandersetzungen untrennbar mit dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand verbunden ist (Kapitel 2.1 und 2.2). Diese erste Thematisierung des sogenannten Zwischenzeitstils fortführend wird anschließend der Zusammenhang von Stil und Geschichte bzw. Geschichtsschreibung im Mittelpunkt stehen. Die Frage nach der Interpretierbarkeit von Stilen ist auf vielfältige Art mit der ägyptologischen Praxis und mit ägyptologischen Kunst-
1 Vgl. Junge, „Versuch einer Ästhetik“ und Wildung, „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 273.
© koninklijke brill nv, leiden, 2017 | doi: 10.1163/9789004347748_004
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konzepten verknüpft, so dass sich dieser Leitline folgend die beabsichtigte methodenkritische Untersuchung an verschiedenen Materialgruppen und Forschungsansätzen durchführen lässt. Die herangezogenen Beispiele verteilen sich über den Zeitraum von der 6. bis zur 12. Dynastie und werden in ungefähr chronologischer Reihenfolge behandelt (Kapitel 2.3). Nach allgemeineren stiltheoretischen Ausführungen wird die 18. Dynastie abschließend als ein in doppelter Hinsicht zu verstehender Rückblick thematisiert werden: Vor dem Hintergrund der bis dahin erarbeiteten Materialbeobachtungen bzw. zur Perspektivierung der Ergebnisse wird der ägyptische Blick auf Bilder der 12. Dynastie aus Sicht der 18. Dynastie untersucht werden (Kapitel 2.4).
2.1
Periodisierungen und das Rezeptionsmuster der Zwischenzeit
Nach der gängigen Periodisierung der ägyptischen Geschichte werden Blütezeiten mit geeint-zentralisierter Herrschaft über ganz Ägypten (Altes, Mittleres und Neues Reich) im Wechsel mit Zwischenzeiten angesetzt, in denen stattdessen verschiedene regionale Herrschaftsformen an die Stelle des zentralen Königtums traten.2 So wird für die „1. Zwischenzeit“ üblicherweise der Zeitraum zwischen dem letzten König des Alten Reiches aus der 6. oder 8. Dynastie und der erneuten Reichseinigung unter thebanischen Fürsten der 11. Dynastie angesetzt, die so das Mittlere Reich begründeten.3 Diese „1. Zwischenzeit“ ist lange Zeit als ein chaotischer Bürgerkriegszeitraum zwischen den ‚Hochzeiten‘ des Alten und des Mittleren Reiches aufgefasst worden. Während jüngere Forschungsarbeiten diesen Blick zu relativieren versuchen,4 waren und sind negative Vorstellungen von diesem Zeitraum 2 In dieser Form und Terminologie hat sie sich seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgesetzt, vgl. Schneider, „Die Periodisierung der ägyptischen Geschichte“, 242f. und Müller-Wollermann, Krisenfaktoren, 7. Schilderungen, die zwischen den Reichen „dunkle Zeiten politischer Wirren“ ansetzen, finden sich jedoch bereits deutlich früher, vgl. beispielsweise Erman, Aegypten und aegyptisches Leben, 63 (Zitat). 3 Der Beginn des Mittleren Reiches ist mit der Regentschaft Nebhetepre Mentuhoteps bzw. der unter ihm als vollzogen inszenierten Reichseinigung leichter auszumachen als das Ende des Alten Reiches. Vgl. zuletzt mit einem Überblick zur Chronologie-Diskussion Seidlmayer, „The Relative Chronology of the First Intermediate Period“ sowie mit einer den archäologischen Befund berücksichtigenden ausführlicheren Argumentation für die Ansetzung eines Zeitraums von 185 Jahren für die 1. Zwischenzeit ders., „Zwei Anmerkungen zur Dynastie der Herakleopoliten“. Nun auch Jansen-Winkeln, „Der Untergang des Alten Reiches“ (siehe hierzu auch unten Fn. 140). 4 So hat kürzlich etwa Morenz auf Entwicklungs- und Verfallstheorien fußende Einschätzun-
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weit verbreitet.5 So wird der Begriff ‚Zwischenzeit‘ überwiegend gerade nicht wertfrei gebraucht, um etwa das Fehlen geeinter Herrschaftsverhältnisse auszuzeichnen, er ist in der Forschungsliteratur vielmehr eindeutig negativ als ‚Dark Age‘ konnotiert. Bezeichnend ist in diesem Sinne, dass der Begriff ‚Zwischenzeit‘ in erster Linie nicht das Ergebnis einer Betrachtung der Epoche selbst ist, die Benennung erfolgt vielmehr über die chronologische Stellung zwischen zwei als prosperierend angesehenen Zeiträumen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die betroffenen Dynastien in der ägyptologischen Rezeption geradezu als Leerstelle, als ‚Unzeit‘ des Verfalls und des Niedergangs.6 Thomas Schneider hat auf die mit der Etablierung des Begriffes „Zwischenzeit“ einhergehende „schärfere terminologische Prägnanz“ hingewiesen und vermutet, dass die Erfahrung des ‚Untergangs‘ der europäischen Monarchien nach dem 1. Weltkrieg einen wesentlichen Beitrag zur „historiographischen Profilierung der 1. Zwischenzeit“ geleistet habe, wie sie sich in den 1920er Jahren etwa bei Adolf Erman und Max Pieper äußert.7 Letzterer stellte selbst einen expliziten Bezug her: gen als „obsolet“ bezeichnet (Morenz, Die Zeit der Regionen, 31). Vgl. als Literaturauswahl außerdem: Seidlmayer, „Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung“; ders., Gräberfelder; ders., „The First Intermediate Period“; Franke, „First Intermediate Period“. Vgl. nun auch Gee, „Did the Old Kingdom Collapse?“ (siehe zu diesem Beitrag unten Fn. 115) und Moreno García, „Climatic change or sociopolitical transformation?“. 5 Vgl. den Überblick bei John Baines und Jaromír Malek, in dem die Rede von einer „Katastrophe“ ist (Weltatlas der alten Kulturen, 35), sowie einleitende Abschnitte in Anthologien literarischer Texte wie etwa Tobin, „The Prophecies of Neferty“, 214 (zu den Prophezeiungen des Neferti: „Its contents are an elegant poetic lament over the disasters which had befallen Egypt during the First Intermediate Period“) oder auch als jüngeres Beispiel für jene Sicht auf den Niedergang des Alten Reiches und die 1. Zwischenzeit Schlögl, Das Alte Ägypten, 114– 122. Auch in sonst sehr nüchtern gehaltenen historischen Überblicksdarstellungen, die sich fast nur an den überlieferten Königsnamen orientieren, finden sich derartige Konnotationen, wie bei Nathalie Favry, die von einer „période troublée“ spricht (Sésostris Ier et le début de la xiie dynastie, 12). 6 Vgl. die frühe Kritik Schenkels, die sich auf genau diese Zusammenhänge bezieht und lange Zeit kaum in angemessener Weise rezipiert wurde (Schenkel, Memphis · Herakleopolis · Theben, 1). 7 Schneiders früheste Belege für den Terminus „Zwischenzeit“ stammen aus dem Jahr 1926, und er weist ferner darauf hin, dass Erman sowohl die 1. Zwischenzeit als auch die Nachkriegszeit als „Revolutionszeit“ bezeichnet („Die Periodisierung der ägyptischen Geschichte“, 242 f.). Dabei wäre jedoch – ungeachtet dieser begrifflichen Übereinstimmung in den Schriften Ermans – anzumerken, dass sich der Begriff „Revolution“ in Anwendung auf die Zeit nach dem Alten Reich im 19. Jahrhundert bereits bei William M. F. Petrie und mit Bezug auf ihn kurz darauf bei Eduard Meyer findet (siehe hierzu unten Fn. 45–49). Vgl. auch
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„Ungefähr um 2500 v.Chr. ist der Staat des Alten Reiches zugrunde gegangen, und zwar durch eine große Katastrophe, die an die letzten Jahre gemahnt.“ „[…] ‚Eine bolschewistische Revolution im Alten Ägypten,‘ das ist der verblüffende erste Eindruck. Es sieht so aus, als würde das unterste zu oberst gekehrt, ganz wie in den letzten Jahren.“8 Die Ägyptologie bedient sich mit dem narrativen Muster von Aufstieg und Niedergang, von Blühen und Vergehen, eines Periodisierungsschemas, das in der Geschichtswissenschaft generell große Verbreitung genoss. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entfaltete es u.a. durch Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes maßgeblichen Einfluss auf die Historiographie.9 Die TheoErman und Ranke, die 1923 zwar noch nicht von „Zwischenzeiten“, wohl aber von zwischen den Hauptabschnitten der Geschichte liegenden „Zeiten politischen und kulturellen Niedergangs“ sprechen (Aegypten und aegyptisches Leben im Altertum [Neubearbeitung], 38). Bereits Salomo Luria hat darauf hingewiesen, dass seiner Meinung nach die Koinzidenz von Publikationen Ermans und Turajews mit dem Kriegsende und den Revolutionen im Europa der Jahre 1918/1919 keine zufällige gewesen ist (Luria, „Die Ersten werden die Letzten sein“, 413 f.). Siehe zu Luria auch weiter unten Fn. 56 und 71. 8 Pieper, Die Ägyptische Literatur, 22 und 25. 9 Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Oben wurden bei Wolf bereits entsprechende Periodisierungsmuster beobachtet (vgl. Kapitel 1.1 bei Fn. 50). Vgl. zum Kontext von Spenglers Arbeit Boterman, Oswald Spengler und sein „Untergang des Abendlandes“. Auch innerhalb der Ägyptologie wurde die Theorie Spenglers aufgegriffen, vgl. Wolf, Wesen und Wert der Ägyptologie, besonders: 19–29. Wolf benennt in beachtlicher Weise methodische Problemlagen innerhalb der Ägyptologie, fordert eine Abgrenzung von der am Entwicklungsgedanken orientierten Hauptströmung des Faches im 19. Jahrhundert und versucht, sich auch von der empirisch-positivistischen Ägyptologie abzugrenzen, deren bedeutendsten Vertreter man gemeinhin in Erman sieht. Die Feststellung des Problems („Gingen die Alten unbekümmert ans Werk, um täglich neue Schätze zu heben, so ist uns Jüngeren unsere Wissenschaft selbst zum Problem geworden.“, ebenda, 5) und der Versuch, das Fach in kulturphilosophischer Hinsicht zu öffnen und an damalige Diskurse anzubinden, führten jedoch u.a. zu Spenglers Kreislauftheorie und blieben auch von faschistischer Ideologie nicht unbeeinflusst. (Vgl. mit einigen Angaben zu Wolfs Zeit als Nachfolger Steindorffs am Leipziger Institut [1934–1946] Blumenthal, Altes Ägypten in Leipzig, 32–35). So argumentiert Wolf beispielsweise gegen den linearen Entwicklungs- und Fortschrittsgedanken des 19. Jahrhunderts, da er u. a. „der Herausarbeitung der Eigenart der ägyptischen Kultur nicht günstig gewesen“ (Wesen und Wert der Ägyptologie, 11) sei und verkennt dabei, dass seine eigene Konzeption auch teleologisch organisiert ist, indem sie alternative Perspektiven u.a. durch eine biologistische Terminologie ebenso ausblendet wie der lineare Entwicklungsgedanke: „Eine Kultur ist jetzt ein auf einem bestimmten Boden erwachsender Organismus, der sich nicht nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung ‚entwickelt‘, sondern sein Schicksal, mit dem er geboren wurde, ‚vollendet‘.“ (ebenda, 19).
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rien Spenglers bildeten bereits in den 1920er Jahren den Anlass für Robin George Collingwood, die generelle Problematik derartiger Entwicklungsund Verfallsmodelle für die Historiographie herauszuarbeiten.10 Er argumentiert dahingehend, dass Periodisierungen von Geschichte wie zyklische Epochenfolgen aus Aufstieg und Niedergang als Konstrukte der Historiographen aufzufassen seien. Der Umfang des jeweils zur Verfügung stehenden Quellenmaterials oder aber das Ausmaß des von Historiographen praktizierten Nacherlebens der jeweiligen Zeiträume könne dabei den Ausschlag dafür geben, ob eine Zeit als Aufstieg oder Niedergang klassifiziert werde.11 Allein die Vielzahl unterschiedlicher Bewertungen ein und derselben Epoche zeuge davon, dass eine Allgemeingültigkeit von derartigen Einschätzungen nicht zu erzielen sei.12
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Collingwood, „Oswald Spengler and the Theory of Historical Cycles“; ders., „The Theory of Historical Cycles ii“; ders., The Idea of History, hier besonders: 327–333. Vgl. außerdem zum Entwicklungsbegriff Wolfgang Wieland, der darauf hinweist, dass „sich der Historiker der Tatsache bewußt bleiben [muss], daß er historische und politische Zusammenhänge der Zeit vor 1770 in einer Weise deutet, wie sie dieser Zeit selbst fremd war, wenn er in seinen Aussagen über sie den Entwicklungsbegriff verwendet.“ (Wieland, „Entwicklung, Evolution“, 228). Vgl. Collingwood, The Idea of History, 327–328. Wie stark der Einfluss der erhaltenen Materialmenge auf die historiographische Bewertung sein kann, zeigt sich besonders dann, wenn Quellenarmut in einer als prosperierend betrachteten Zeit auftritt und diese erklärt werden muss. Auch dann wird oft eine unmittelbare Relation zwischen politischem Geschehen und der Menge des erhaltenen Materials angesetzt, wie gängige Interpretationen der Regierungszeit Amenemhets i. zeigen, aus der verhältnismäßig wenig erhalten geblieben ist. So wird meist angenommen, Amenemhet i. sei innenpolitisch mit Unruhen konfrontiert gewesen und habe daher weniger Monumente errichten lassen können. Vgl. beispielsweise die Einschätzung von Freed, „Sculpture of the Middle Kingdom“, 890 (vgl. auch dies., „Art of the Middle Kingdom“, 71). Diese Interpretation ist maßgeblich durch ein Bild vom frühen Mittleren Reich bzw. von der Regierungszeit Amenemhets i. geprägt, das auf literarischen Quellen beruht. Vgl. zu den Folgen fehlender Quellen Moreno García („Climatic change or sociopolitical transformation?“, 79–83) sowie zu dieser Problematik und der engen Verzahnung von ägyptischer Literatur und ägyptologischer Historiographie ausführlich Giewekemeyer („Perspektiven und Grenzen“ sowie Prozesse kultureller Sinnstiftung, insbesondere Kapitel 4) sowie hier mit Bezug auf die Zeit vor der 12. Dynastie unten Kapitel 2.2 und zum Übergang von der 11. zur 12. Dynastie unten Kapitel 2.3.4. Ergänzend ließe sich hier zudem anführen, dass von Seiten der Forschung auch die Möglichkeit wahrgenommen wird, Quellenarmut als Ereignislosigkeit im positiven Sinne zu verstehen und die betreffenden Zeiten als Perioden des Friedens o.Ä. anzusehen, wie dies Karl Jansen-Winkeln an mehreren Beispielen vorgeführt hat („Die Rolle des Unbekannten in der ägyptischen Geschichte“).
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Sich von zukünftigen wissenschaftlichen Ergebnissen eine konsensuale Klärung zu erhoffen, sei nach Collingwood nur eine Illusion.13 Damit finden sich bei Collingwood Ansätze, anzunehmen, dass sich im Rahmen historischer Betrachtungen Konstruktionen wie etwa zyklische Beschreibungsmuster gar nicht vollkommen ausblenden lassen, da diese stets Bestandteil der Betrachterperspektive auf vergangenes Geschehen sind.14 In der jüngeren Geschichtswissenschaft wurden derartige Überlegungen verschiedentlich reflektiert und zu elaborierten Perspektiven erweitert. So hat beispielsweise Hayden White überzeugend darauf hingewiesen, dass Geschichtsschreibung zwangsläufig narrativ ist und dass die in ihr zum Einsatz kommenden poetologischen Darstellungsmittel einen ganz maßgeblichen – jedoch meist unterschätzten bzw. unreflektierten – Einfluss auf die Schilderung vergangenen Geschehens hätten, dessen man sich bewusst sein müsse.15 Aus diesem Grunde kann eine Geschichtsschreibung mitunter mehr über den Historiographen und seine Weltsicht aussagen als über den eigentlichen Untersuchungsgegenstand.16 In historiographischen Arbeiten sind somit Konstrukte zu erkennen, die verschiedene Versionen narrativer Rekonstruktion vergangenen Geschehens darstellen, die von der Perspektive des Historikers bzw. von den von ihm zugrundegelegten theoretischen Entscheidungen und Prämissen abhängen.17 Für den hier relevanten Zusammenhang ist jedoch entscheidend, dass, wie Thomas Schneider treffend feststellt, auch in der ägyptologischen Forschung derartige Formen moderner Strukturierung die Tendenz zeigen, „als
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Collingwood, „The Theory of Historical Cycles ii“, 446. Vgl. etwa Collingwood, „The Theory of Historical Cycles ii“. White, Tropics of Discourse, 1–134 und 261–282; ders., The Content of the Form, 1– 82 und 185–213. Vgl. einführend mit Bezug auf ägyptologische Forschungsperspektiven Giewekemeyer, „Bedeutung literarischer Erzählstrategien“, 81–83. Vgl. auch Daniels Appell, aus diesem Grunde die Notwendigkeit der „Selbstreflexion über das Schreiben und Erzählen“ in geschichtswissenschaftlichen Zusammenhängen anzuerkennen („Sprache / Narrativität“, hier [Zitat]: 441). Ganz in diesem Sinne bereits Collingwood: „This distinction between periods of primitiveness, periods of greatness, and periods of decadence, is not and never can be historically true. It tells us much about the historians who study the facts, but nothing about the facts they study.“ (The Idea of History, 327). Koselleck spricht etwa von „der allen Historikern gemeinsamen Aporie […], ihren Gegenstandsbereich erst sprachlich entwerfen zu müssen, von dem sie zu sprechen sich anschicken.“ (Begriffsgeschichten, 20). Vgl. außerdem seine Ausführungen zum „Spannungsfeld von Theoriebildung und Quellenexegese“ in seinem dortigen Kapitel „Standortbestimmung und Zeitlichkeit“, hier: 207 (Zitat).
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historische Wirklichkeit wahrgenommen zu werden“.18 Und so prägt der Begriff der Zwischenzeit tatsächlich genau in diesem Sinne die Deutung des Materials sehr nachhaltig in zweierlei Hinsicht: Zum einen befasst sich die Forschung nur sehr peripher mit diesem Zeitraum ‚zwischen den als wichtiger aufgefassten Zeiten‘. Zum anderen wird die negative Konnotation des Begriffs ausgedehnt: Obwohl sich der Begriff primär – etwa aus chronologischer Perspektive – auf das Fehlen geeinter königlicher Herrschaft im ganzen Land bezieht,19 werden ägyptologische Wahrnehmungen dieser Epoche als „Wirrenzeit“20 meist auf sämtliche kulturelle Bereiche übertragen. So werden Szenarien eines generellen Niedergangs entworfen, die ein Epochenbild speisen, das als solches oft als Kontrastfolie zur Darstellung der die ‚1. Zwischenzeit‘ begrenzenden ‚Blütezeiten‘ dient.21
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Schneider, „Die Periodisierung der ägyptischen Geschichte“, 243. In diesem Sinne könnten auch die Summenangaben und Gruppierungen in den Königslisten zu verstehen sein, die sich als eine Form der Zäsur nach der 6. bzw. 8. Dynastie verstehen lassen. Vgl. die Zusammenstellung bei Jansen-Winkeln, „Der Untergang des Alten Reiches“, 186f. und außerdem Ryholt, The Political Situation, 31–33; ders., „The Turin King-List“, 139–142 und 146 sowie ders., „The Turin King-List or So-Called Turin Canon (tc)“. Darauf, dass dieser Umstand jedoch auch andere, etwa kultische Gründe haben könnte, die ihre Ursache in den Traditionen lokaler Opferlisten haben könnten, verweist Redford, Pharaonic King-Lists, 20. Vgl. außerdem Quack, „Reiche, Dynastien … und auch Chroniken?“, 18 f. Von Beckerath, Chronologie, 144. Collingwoods prägnante Analyse der Konstruktion von Zwischenzeiten („intervening periods“) lässt sich in beachtenswerter Weise auch auf die ägyptologische Praxis anwenden, Zwischenzeiten als Leerräume zu betrachten und höchstens als Kontrastfolie zu gebrauchen bzw. tendenziell zu vernachlässigen, weil sich u.a. aufgrund der Beleglage derartige Zeiten schlecht erschließen ließen: „Every period of which we have competent knowledge (and by competent knowledge I mean insight into its thought, not mere acquaintance with its remains) appears in the perspective of time as an age of brilliance: the brilliance being the light of our own historical insight. The intervening periods are seen by contrast as, relatively speaking and in different degrees, ‚dark ages‘: ages which we know to have existed, because there is a gap of time for them in our chronology, and we have possibly numerous relics of their work and thought, but in which we can find no real life because we cannot re-enact that thought in our own minds. That this pattern of light and darkness is an optical illusion proceeding from the distribution of the historian’s knowledge and ignorance is obvious from the different ways in which it is drawn by different historians and by the historical thought of different generations.“ (Collingwood, The Idea of History, 328). Vgl. auch unten Kapitel 2.2.1 mit Fn. 38 sowie als ein ägyptologisches Beispiel, das gezielt Licht- und Dunkelmetaphern für das Epochenbild der 1. Zwischenzeit einsetzt: „Our best glimpse of events in this exceedingly dark time is
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Geschichte(n) und Lesarten: Zum ägyptologischen Topos der 1. Zwischenzeit
Das im vorangegangenen Kapitel auf eher allgemeiner Ebene skizzierte Epochenbild ist nun näher zu betrachten bzw. wissenschaftsgeschichtlich genauer zu verorten. Wie sich zeigen wird, kann das Hinzuziehen zentraler philologischer Positionen und Traditionen Aufschluss über das Epochenbild, seine Entstehung und seine Wirkung innerhalb der Ägyptologie geben. Die Berücksichtigung dieser Konzeptionen ist von großer Bedeutung, wenn etwa der Frage nachgegangen werden soll, wie sich die geschilderten wertenden Sichtweisen auf die ‚1. Zwischenzeit‘ herausgebildet haben, sich bis heute vehement halten und vielfach immer noch den Tenor der Forschungsliteratur beeinflussen,22 obwohl vermehrt auf die Unhaltbarkeit derartiger Perspektiven hingewiesen wurde und wird.23 Die folgende Betrachtung dieser wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhänge wird im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert einsetzen, weil zu dieser Zeit zwar einerseits noch das „Sammeln“ der Quellen im Vordergrund stand,24 andererseits aber trotz dünner Beleglage die ersten Gesamtdarstellungen zur ägyptischen Geschichte anhand von ägyptischen Quellen entstanden, in denen auch der Zeitraum zwischen der 6. und der 12. Dynastie behandelt wurde.25 2.2.1 Das ‚Dunkel‘ der Geschichte „Tiefes Dunkel bricht nach Nofer-ka-ra in der ägyptischen Geschichte herein […]“. So leitet Heinrich Brugsch in seiner 1877 erschienenen Geschichte Aegypten’s unter den Pharaonen vom Tod Pepis ii. zum Ende der 6. Dynastie
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in the period after Intef I had established Dynasty xi in Thebes, around 2130b.c.“ (Smith, Art and Architecture3, 80 [der Fließtext ist gegenüber der Erstauflage von 1958 annähernd unverändert]). Wie die Deutung von königlichem Protokoll und von architektonischen Hinterlassenschaften der 8. bis frühen 12. Dynastie durch diese Sinnbildungsszenarien von Niedergang und Aufstieg beeinflusst wurde, zeigt Giewekemeyer ausführlich (Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 4.2 und 4.3). Vgl. Fn. 5. Die allermeisten Überblicksdarstellungen zur 1. Zwischenzeit übernehmen mittlerweile den um die archäologische Perspektive erweiterten und damit differenzierenden Tenor, den Seidlmayers Aufsatz aus dem Jahr 1987 eingebracht hat. Vgl. oben Fn. 4. Zu einer möglichen und gängigen Phaseneinteilung ägyptologischer Forschung bis einschließlich Adolf Erman siehe Schenkel, „Bruch und Aufbruch“, 225–235. Vgl. diesbezüglich zur Wissenschaftsgeschichte Opitz, Ägyptologie im Umfeld historischer Wissenschaften; Schenkel, „Bruch und Aufbruch“; Schneider, Lexikon der Pharaonen, 9–14.
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über.26 Dieses „Dunkel“ blieb für weit mehr als die folgenden hundert Jahre die dominierende Metapher für die Beschreibung dieser Zeit und ist bereits bei Brugsch in zweierlei Hinsicht zu verstehen.27 Einerseits visualisiert es die von ihm betonten schlechten Sichtverhältnisse, mit denen sich der Betrachter dieses belegarmen Zeitraums konfrontiert sehe. So würden etwa die Königslisten von Saqqara und Abydos nur „Namen ohne Thaten“ liefern, was auf die fehlenden Denkmäler und damit auch auf die deshalb unzugängliche und somit unklare – und zugleich als unrühmlich gewertete – Ereignisgeschichte zu beziehen sei.28 Brugsch spricht vom „Stillschweigen der sonst vielredenden Denkmälerwelt“,29 bleibt andererseits jedoch nicht bei dieser Problematik der Quellenlage stehen, sondern zieht die Überlieferungen von Herodot und Manetho heran,30 um resümierend festzustellen, dass die Zeit nicht nur für den heutigen Bearbeiter aufgrund von Quellenarmut im Dunkeln liege, sondern dass sie überdies auch noch eine düstere gewesen sei:31 Brugsch vermu-
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Brugsch, Geschichte Aegypten’s, 103. Einige Jahre zuvor hatte Brugsch bereits die erste von einem Ägyptologen verfasste Geschichte Ägyptens vorgelegt, in der für den hier relevanten Zeitraum chronologische Fragestellungen im Vordergrund stehen und Beschreibungen eines Niedergangs nur am Rande formuliert werden, indem er etwa von „les temps de troubles“ spricht (Brugsch, Histoire d’ Égypte, 43–52, hier: 48 [Zitat]). Auch bei der Schilderung des späteren Übergangs zum Mittleren Reich greift Brugsch auf Hell- und Dunkelmetaphern zurück: „bis es [das schwankende Staatsschiff] den starken Herren wiederfand, der es zurückführte nach schwerem Sturme in den sicheren Hafen der Ruhe und Ordnung. Und als solcher leuchtet uns König Ra-neb-tani[sic] Mentu-hotep auf den Denkmälern entgegen, ein Sproß des elften Königshauses, ein starkes Kind seiner schwer ringenden Zeit.“ (Brugsch, Geschichte Aegypten’s, 103). Vgl. außerdem oben zu Hell/Dunkel-Metaphern Fn. 21. Brugsch, Geschichte Aegypten’s, 103. Zwischen Ereignisgeschichte und (meist königlichem) Monumentaldiskurs zu trennen, dürfte mit Blick auf Ägypten in vielen Fällen schwierig oder gar unmöglich sein. Für die Ägyptologie im 19. und frühen 20. Jahrhundert kann dies jedoch auf keinen Fall als mögliche Option angesetzt werden. Vgl. zum ägyptologischen Umgang mit fehlenden Quellen bzw. mit dem Unbekannten auch JansenWinkeln, „Die Rolle des Unbekannten in der ägyptischen Geschichte“. Brugsch, Geschichte Aegypten’s, 103. Diesen Quellen billigt er sonst – besonders aber im Hinblick auf die Chronologie – eine grundsätzlich nur geringe Aussagekraft zu, vgl. Brugsch, Geschichte Aegypten’s, vii und xi f. „Eine deutliche Spur jener schweren Zeitläufe, denen das Reich lange Jahre hindurch unterworfen war, – das volle Stillschweigen der sonst vielredenden Denkmälerwelt dient als gültigster Gewährsmann, – zeigt sich in der überlieferten Sage, welche sich an die mährchenhafte Gestalt der schönen Königin Nitokris knüpft. […] Schwer ist’s des Mährchens geschichtlichen Hintergrund wiederzuerkennen, nur was wir sagen wollten, dürfte
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tet „Bürgerkrieg“ und „Königsmord“ in dieser Zeit und spricht vom „schwankende[n] Staatsschiff[, das in stürmischer See] dem Abgrunde entgegen [steuert]“.32 Wie Untertitel und Vorwort seines Buches betonen, suchte Brugsch seine Erkenntnisse „nach den Denkmälern“ zu gewinnen, und legte damit eine Arbeit vor, „welche vor Allem auf Erklärung und Verständniß der überreichen Zahl von Texten beruht“.33 Ausgehend von der schwierigen Quellenlage, der Überlieferung klassischer Autoren und einem damals gängigen Geschichtsbegriff hatte er sein negatives Urteil über die Zeit nach dem Tod Pepis ii. gefällt.34 Brugschs Vorgehen lässt sich kontrastierend der Ansatz von Alfred Wiedemann gegenüberstellen, der sieben Jahre später erschien und der sich grundlegend von Brugschs Geschichte Aegypten’s und übrigen Geschichtswerken der damaligen Zeit unterscheidet.35 Er verzichtet darauf, das lückenhafte Material in eine narrative Form zu überführen und sortiert es stattdessen chronologisch nach Königen, so dass mit seinem Buch anstelle einer Geschichtsdarstellung eine Quellensammlung vorliegt. Bemerkenswert ist dabei, dass Wiedemann in seinem Vorwort dieses Vorgehen reflektiert und damit begründet, dass es aufgrund der Materiallage mindestens für die älteren Epochen der ägyptischen Geschichte ausgeschlossen sei, eine „wirkliche Geschichte“ zu verfassen.36 Aus dieser Perspektive heraus problematisiert er
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es beweisen, daß um die Zeit der Königin Nitokris im Reiche innerer Mord und Zwist begann, geschürt vom giftigen Neid der Thronbewerber.“ (Brugsch, Geschichte Aegypten’s, 103–104). Brugsch, Geschichte Aegypten’s, 103. Brugsch, Geschichte Aegypten’s, vii–ix. Vgl. hierzu auch oben die Ausführungen zu Collingwood in Kapitel 2.1. Wiedemann, Ägyptische Geschichte. Vgl. auch Quack („Richard Lepsius als Historiker“, 116–119) zur Arbeitsweise Brugschs im Vergleich zu derjenigen von Lepsius. „Die ganze Darstellung der ägyptischen Geschichte hat mehr eine tabellarische Aufzählung von Monumenten und Thatsachen ergeben, als eine wirkliche Geschichtserzählung. Daß dem so ist, lag an dem uns nur ganz lückenhaft vorliegenden ägyptisch-historischen Materiale, welches eine pragmatische Behandlung der einzelnen Ereignisse noch nicht zuläßt. Erst in den letzten Perioden der ägyptischen Geschichte war es möglich, wenigstens für einzelne Regierungen den Versuch zu machen, ihre Geschichte in fortlaufender Form darzustellen und die Ereignisse in Beziehung zu einander zu setzen, für die ältere Zeit war dies ausgeschlossen, und es mußte statt dessen eine Thatsachen- und Denkmäler-Aufzählung eintreten, obwohl eine solche weit davon entfernt ist, eine wirkliche Geschichte zu ersetzen. Ich glaubte mich hier um so mehr streng an die Angaben der Monumente halten und von jeder Ausfüllung der sich ergebenden Lücken durch Hypothesen, wie sie für die ägyptische Geschichte nur zu oft aufgestellt worden sind, abse-
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den Einfluss der klassischen Autoren auf moderne Vorstellungen von der ägyptischen Geschichte und betont die Notwendigkeit quellenkritischen Vorgehens.37 Folglich finden sich bei Wiedemann auch keinerlei wertende Bemerkungen zu dem bei Brugsch als dunkel beschriebenen Zeitraum, so dass sich seine Arbeit inhaltlich und methodisch gänzlich anders als diejenige Brugschs positioniert. Collingwood hat ferner darauf hingewiesen, dass fehlendes Wissen über eine Zeit oft negative Bewertungen dieser Zeit in der späteren Rezeption bzw. historiographischen Beschäftigung nach sich zieht.38 Es ist nun bemerkenswert, dass Brugsch genau diesem Muster folgend bereits auf der Grundlage der wenigen ihm zur Verfügung stehenden Quellen zu einer negativen Einschätzung des später als 1. Zwischenzeit bezeichneten Zeitraums gelangt ist. Die dabei von Brugsch weitgehend praktizierte Beschränkung auf Denkmäler bzw. auf die durch sie überlieferten offiziellen Inschriften ist jedoch keineswegs als bewusste Entscheidung gegen eine Einbeziehung anderer – etwa literarischer – Texte zu verstehen. Brugsch war vielmehr bemüht, das ganze ihm vorliegende und geeignet erscheinende Material einzuarbeiten. So bezog er beispielsweise die ihm bekannte Reiseerzählung des Sinuhe in sein Kapitel zur 12. Dynastie ein und auch die Lehre des Amenemhet unterzog er einer unre-
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hen zu müssen, als dieses Buch eben eine möglichst vollständige Sammlung der bisher bekannten Thatsachen zu geben bestimmt war, auf deren Angaben weiter gebaut werden könnte.“ (Ägyptische Geschichte, vii–viii). Eine ansatzweise vergleichbare skeptische Position findet sich auch später bei Adolf Erman und Hermann Ranke, wo sie jedoch bei weitem nicht so konsequent weitergeführt wird wie bei Wiedemann: „Das historische Geschehen im alten Aegypten kennen wir streng genommen nicht. Geschichtliche Inschriften im eigentlichen Sinne fehlen fast ganz, und wir sind in der Hauptsache darauf angewiesen, zwischen den Zeilen lesend die tatsächlichen Vorgänge zu erraten.“ (Erman & Ranke Aegypten und aegyptisches Leben im Altertum [Neubearbeitung], 39). Wiedemann, Ägyptische Geschichte, 95 und 98. Vgl. oben Fn. 11 und 21. Des Weiteren Collingwood, The Idea of History, 327: „The attempt to know what we have no means of knowing is an infallible way to generate illusions; and this attempt to judge whether one period of history or phase of human life, taken as a whole, shows progress as compared with its predecessor, generates illusions of an easily recognizable type. Their characteristic feature is the labelling of certain historical periods as good periods, or ages of historical greatness, and others as bad periods, ages of historical failure or poverty. The so-called good periods are the ones into whose spirit the historian has penetrated, owing either to the existence of abundant evidence or to his own capacity for re-living the experience they enjoyed; the so-called bad periods are either those for which evidence is relatively scanty, or those whose life he cannot, for reasons arising out of his own experience and that of his age, reconstruct within himself.“
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flektierten Lesung als authentische historische Quelle.39 Zu dem Zeitpunkt, als Brugsch seine monographische Darstellung der ägyptischen Geschichte fertig stellte und im Dezember 1876 das Vorwort zu seiner Geschichte Aegypten’s unterzeichnete, lagen jedoch all jene literarischen Texte, die später eine so große Rolle für die ägyptologische Rezeption dieser Zeit als 1. Zwischenzeit spielten, noch nicht in Übersetzungen vor. In den Fällen, in denen die hieratischen Textzeugen bereits publiziert waren, waren noch keine Studien erschienen, die dezidierte Interpretationen bezüglich der Textinhalte hätten ermöglichen oder vorbereiten können.40 Und selbst wenn einzelne Passagen aus den Prophezeiungen des Neferti Brugsch bereits kurz vor Fertigstellung des Manuskripts bekannt gewesen sein sollten,41 die Form rezeptiver Kontamination, die einige Jahrzehnte später aus der Ägyptologie nicht mehr wegzudenken sein sollte, existierte zur Entstehungszeit der Geschichte Aegypten’s noch nicht.42
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Brugsch konnte hier auf die Arbeiten von Charles Wycliffe Goodwin zurückgreifen („The Story of Saneha“ [1865]). Vgl. Brugsch, Geschichte Aegypten’s, 117–120. Die Lehre des Amenemhet war ebenfalls durch Goodwin bekannt geworden, der sich 1858 mit dem bereits 1841 publizierten Papyrus Sallier ii (vgl. Birch, Select Papyri i.1) beschäftigt hatte (vgl. Goodwin, „Hieratic Papyri“, 269–272). Vgl. für einen Überblick zu dieser Zeit der allerersten Übersetzungen auf Textebene Schenkel, „Ägyptische Literatur und ägyptologische Forschung“, 22–26. Die Faksimiletafeln allein haben Brugsch jedenfalls nicht dazu gebracht, einen der Texte entsprechend für seine Monographie heranzuziehen. Der Haupttextzeuge der Prophezeiungen des Neferti (Papyrus St. Petersburg 1116b) wurde von Wladimir Golénischeff zwar etwa drei Monate zuvor im August 1876 auf dem Orientalistenkongress in St. Petersburg angekündigt (vgl. Golénischeff, „Le papyrus no. 1 de St. Pétersbourg“) aber erst Jahrzehnte später publiziert (Golénischeff, Les papyrus hiératiques [1913]). Die erste Übersetzung erfolgte dann anschließend durch Alan H. Gardiner („New Literary Works from Ancient Egypt“ [1914], 100–106). Der Text des Gesprächs des Lebensmüden (Papyrus Berlin P. 3024) war zwar schon von Richard Lepsius publiziert worden (Lepsius, Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien, Abtheilung vi [ca. 1856], Tf. 111 f.), aber erst 1896 wurde der Text mit der Edition und Übersetzung durch Adolf Erman zugänglich (Gespräch eines Lebensmüden mit seiner Seele). Vgl. zur frühen Rezeptionsgeschichte des Textes (bis 1969) Barta, Das Gespräch eines Mannes mit seinem ba, 101–121. Zu den Admonitions siehe unten Fn. 42. Von Golénischeffs Notiz („Le papyrus no. 1 de St. Pétersbourg“) dürfte Brugsch als Herausgeber der Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde Kenntnis gehabt haben. Diesbezüglich waren Studien zu den Admonitions besonders einflussreich (siehe Kapitel 2.2.2). Die lange maßgebliche Edition der Admonitions aus dem Jahr 1909 besorgte Alan H. Gardiner (The Admonitions of an Egyptian Sage), während der Text in Fak-
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Davon zeugt auch Ermans frühe recht zurückhaltende Einschätzung aus dem Jahr 1885, die über eine Beschreibung der schlechten Quellenlage kaum hinausgeht43 und lediglich in dem auch bei Brugsch anzutreffenden Tenor von „dunkle[n] Zeiten politischer Wirren“ spricht.44 Kurz zuvor hatte William M. F. Petrie erstmals das damals herrschende Epochenbild von der auf die 6. Dynastie folgenden Zeit zur Interpretation archäologischer Befunde herangezogen. Die von ihm an Monumenten der 4.–6. Dynastie, besonders jedoch an den Pyramiden und Tempeln von Giza, beobachteten antiken Zerstörungen verortete er zeitlich in der „dark period of the seventh to the eleventh dynasties“ und schrieb sie „embittered revolutionists“ zu.45 Da sich diese Zerstörungen in allererster Linie gegen die Bestattungen, Namensinschriften und Statuen der Könige gerichtet hätten, kämen für sie plausiblerweise nur Zeiten infrage, in denen man noch Erinnerungen mit diesen Herrschern habe verbinden können und in denen man noch um die geheimen Zugänge zu den Pyramiden gewusst habe.46 Eduard Meyer fragt kurze Zeit später, warum man keine Kenntnis von Gräbern der 8. Dynastie habe, und erklärt diesen Umstand – letztendlich nur auf der Grundlage fehlender Quellen – mit einem „schwere[n] Rückgang des Wohlstandes“.47 Ferner erwägt er den Ausbruch von Anarchie und Bürgerkrieg und folgt in dieser Hinsicht Petries Einschätzung, indem auch er von einer
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simile mit Anmerkungen von François Chabas bereits relativ früh publiziert worden war (vgl. Chabas in: Leemans [Hrsg.], Monumens égyptiens ii [1846], 65f. und Tf. cv– cxiii). Auch Brugsch hat sich nach Meinung von Lange wohl bereits im Rahmen der Arbeiten an seinem Wörterbuch (Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch [1867–1882]) mit dem Text befasst. Das Verständnis des Textes bereitete jedoch im 19. Jahrhundert noch große Probleme. So berichtet ebenfalls Hans O. Lange mit Verweis auf mündliche Auskünfte Ermans, Brugsch habe den Text damals fälschlicherweise als „altägyptische Rätselsprüche“ interpretiert. Vgl. H. O. Lange, „Prophezeiungen eines ägyptischen Weisen“, 601. „Was dem Staate Pepys begegnet war, wissen wir nicht; vermuten lässt sich, dass er sich in einzelne Fürstentümer aufgelöst hat, von denen aber jede Kunde fehlt.“ (Erman, Aegypten und aegyptisches Leben, 66 f., hier: 67). Erman, Aegypten und aegyptisches Leben, 63. Petrie, The Pyramids and Temples of Gizeh [1883], 158. Petrie, The Pyramids and Temples of Gizeh, 157–159 (= section 119) und 217 (= section 175). Meyer, Geschichte des alten Aegyptens [1887], 140f. Im Jahr 1909 führt Meyer mittlerweile bekannt gewordene Monumente der 8. Dynastie an, er bemerkt jedoch, dass sie im Grunde nichts über die Könige dieser Zeit berichten würden, und veranschaulicht damit die Fixierung der damaligen Forschung auf eine royale Historiographie (vgl. Meyer, Geschichte des Altertums i.22 [1909], 219).
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Revolution spricht, die „mit dem Alten gebrochen hat und den bisherigen Staat vernichten will.“48 Auch wenn Meyer resümierend feststellt, dass es „nur Fragen [sind], mit denen wir an diese Zeit herantreten, Fragen, auf die uns jede Antwort fehlt“, sieht er Gewissheit darin, dass „die Schläge, welche die Statuen und Namen des Chufu und seiner Nachfolger zertrümmert haben, […] auch formell und für jeden erkennbar das Ende des Alten Reichs [bezeichneten].“49 Diese Schilderungen finden sich ganz ähnlich auch in Breasteds History of Egypt und dürften so die opinio communis auch international geprägt haben.50 Außerdem lassen sich in Meyers etwa zehn Jahre nach Brugschs Monographie erschienenen Geschichtsdarstellungen die ersten Ansätze zur Verwertung literarischer Texte für die Interpretation der Zeit nach der 6. Dynastie greifen. So verweist Meyer bereits auf die damals in Auszügen von Golénischeff vorgestellten Prophezeiungen des Neferti und hält es immerhin für möglich, darin die Vermutung bestätigt zu finden, es könnten sich auch Invasionen ereignet haben.51 Seitdem hat die Interpretation literarischer Texte als historische Quellen in der Ägyptologie eine bedeutende Rolle gespielt.52 2.2.2 Zu historischen Auswertungen literarischer Texte Nach der Jahrhundertwende formierte sich u.a. anhand der Diskussionen um die Interpretation der Admonitions die für weite Teile des 20. Jahrhunderts tonangebende ägyptologische Rezeption der auf die 6. Dynastie folgenden Zeit.53 1885 hatte Erman noch eine eher zurückhaltende Position bezogen, im Rah-
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Meyer, Geschichte des alten Aegyptens [1887], 141 und 143 (Zitate). Meyer, Geschichte des alten Aegyptens [1887], 146. Breasted, A History of Egypt [1905], 147: „The internal struggle which caused the fall of the Old Kingdom developed at last into a convulsion, in which the destructive forces were for a time completely triumphant. Exactly when and by whom the ruin was wrought is not now determinable, but the magnificent mortuary works of the greatest of the Old Kingdom monarchs fell victims to a carnival of destruction in which many of them were annihilated.“ Hermann Ranke wählte in seiner Übersetzung dieser Passage Begriffe wie „Verfall“, „Katastrophe“ und „Zerstörungsorgien“ (Breasted, Geschichte Ägyptens [1910], 139 und ders., Geschichte Ägyptens2 [1936], 105). Vgl. Meyer, Geschichte des Alterthums i [1884], 104f.; ders., Geschichte des alten Aegyptens [1887], 141. Giewekemeyer diskutiert dies ausführlich am Beispiel der Prophezeiungen des Neferti („Perspektiven und Grenzen“). Vgl. zum Text selbst bzw. für einen forschungsgeschichtlichen Überblick, der neben anderen Gesichtspunkten auch die hier im Mittelpunkt stehende Frage anspricht, ohne sie jedoch schwerpunktmäßig zu verfolgen Enmarch, A World Upturned, hier: 4–8 sowie 19 f. und außerdem Moers, „Klagen des Ipuwer“.
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men seiner späteren Beschäftigung mit literarischen Texten zieht er jedoch im Anschluss an Hans O. Lange und Gardiners Edition „[g]eschichtliche Folgerungen“ und stellt den historischen Gehalt der Texte außer Frage.54 Erman zeichnet dabei relativ klar aus, inwiefern er nun den philologisch fokussierten Interpretationsmodus mit dem seit Brugsch etablierten Epochenbild in Übereinstimmung bringt: „Ein solcher Zusammenbruch des Staates am Ende der langen Regierung eines greisen Königs, der nichts mehr von seinem Lande erfährt, ist an für sich schon etwas so Natürliches, daß man es gern glauben würde. Aber man kann auch sagen, daß alles, was wir unserem Buche [d. h. den Admonitions] entnommen haben, sich gut in die geschichtlichen Verhältnisse hineinfügt, die wir für die entsprechende Epoche Ägyptens annehmen müssen. Daran, daß sich wirklich historische Vorgänge darin abspiegeln, wird ja wohl niemand zweifeln, der die ersten beiden Gedichte liest; all die einzelnen Züge, die sie berichten, sind so richtig, daß kein Dichter sie erfinden könnte, der nicht eine solche Umwälzung wenigstens aus lebendiger Überlieferung gekannt hätte. Solch ein Zusammenbruch des ägyptischen Staates muß also einmal stattgefunden haben, und er muß noch nicht allzufern gelegen haben, als unser Buch verfaßt wurde.“55
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Erman, „Die Mahnworte eines ägyptischen Propheten“ [1919], 812–815. Bezüglich der Historizität des Inhalts der Admonitions bereits ähnlich Gardiner, The Admonitions of an Egyptian Sage, 17f. H. O. Lange hatte sich lediglich die Möglichkeit, dass sich der Text auf die Zeit vor der 12. Dynastie bezieht, offen gelassen. Das bei ihm formulierte Epochenbild ist jedoch bezeichnenderweise bereits geprägt von Konflikten im Inneren und Invasionen von Außen. Die Verarbeitung historischer Ereignisse in der Literatur ist für ihn eine grundsätzlich mögliche Interpretation, wie auch seine Bemerkung zum Papyrus Westcar zeigt (H. O. Lange, „Prophezeiungen eines ägyptischen Weisen“, 609f.). Vgl. oben mit Fn. 51 zu der erst seit Meyer belegten und mit den Prophezeiungen des Neferti unterfütterten Vermutung, es müssten bzw. könnten sich in der 1. Zwischenzeit Einfälle von Fremdvölkern ereignet haben. Bereits in seiner Studie zu Papyrus Westcar hatte sich Erman zur Historizität ägyptischer Literatur geäußert und das Heranziehen der Texte unter historiographischen Gesichtspunkten mit der schlechten Quellenlage begründet: „denn schliesslich ist auch die trübste Überlieferung immer noch besser als gar keine“ (Erman, Die Märchen des Papyrus Westcar [1890], i, 16). Vgl. zu den Admonitions auch Ermans späteren Überblick in Die Literatur der Aegypter [1923], 130 f. Erman, „Die Mahnworte eines ägyptischen Propheten“, 812f. (Kursive, K.W.).
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Die hier von Erman betonte Zwangsläufigkeit seiner Deutung stützt er auf eine quellenkritische Überlegung: Er argumentiert mit der ‚Richtigkeit‘56 und Detailliertheit der Schilderungen, die seiner Meinung nach historische Gegebenheiten und nicht literarische Fiktion abbilden müssten, da sie sich von allem übrigen, was man aus den textuellen Quellen über die ägyptische Kultur wusste, vollkommen abhob. In einem sieben Jahre früher erschienenen Aufsatz zum selben Text wird diese Argumentation Ermans noch deutlicher: „Und auch das wissen wir nicht, ob die Vorgänge, die diese Dichtung schildert, sich wirklich einmal ganz so abgespielt haben, oder ob sie der Dichter frei ausgestaltet hat. Indessen liegt daran nicht viel, denn die Hauptsache ist, daß ihm die Vorstellung eines solchen Zusammenbruches aller sozialen und staatlichen Verhältnisse überhaupt vertraut war. Sie liegt so ganz außerhalb des ägyptischen Ideenkreises, daß sie nur durch seine eigene bittere Erfahrung erworben sein kann; damit eine solche Umwälzung so lebhaft und mit so viel innerer Wahrheit geschildert werden konnte, mußte Ägypten sie wirklich so oder ähnlich erduldet haben. Und das ist für uns das Wichtige. Die alte Geschichte Ägyptens erhält damit zum ersten Male einen lebendigen Zug, und wenn wir jetzt sehen, wie auf die Zeit der Pyramidenerbauer das sogenannte alte Reich (etwa 2800–2400 v.Chr.), eine Periode folgt, aus der fast nichts an Denkmälern vorliegt, so haben wir wohl ein Recht zu fragen, ob das nicht etwa die Zeit gewesen ist, in der Ägypten ‚sich drehte wie eine Töpferscheibe‘.“57 Dieser Argumentationsstrang erscheint aus heutiger Perspektive schwach, weil er wichtige Fragen beispielsweise nach literarischen Topoi oder den Gattungen der Texte vollkommen unberücksichtigt lässt. Eine Beschäftigung mit daraus folgenden Fragestellungen zu Ermans Zeiten zu erwarten, wäre jedoch anachronistisch, wurden diese Themenbereiche doch innerhalb der ägyptologischen Forschung später überhaupt erst genauer in den Blick genommen.58
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Luria bezog diese Formulierung darauf, dass Erman Zeitzeuge der ‚Umbruch‘- und Revolutionsjahre 1918/1919 gewesen war und seine Arbeit zu den Admonitions eben in jenem Jahr 1919 der Berliner Akademie vorgelegt hatte, vgl. Luria, „Die Ersten werden die Letzten sein“, 413 f. Erman, „Eine Revolutionszeit im alten Ägypten“ [1912], 29f. Vgl. auch Erman und Ranke, die später bezüglich der Frage nach der „Zeit, aus der uns nur wenige Denkmäler erhalten sind“, auf Ermans Bearbeitung der Admonitions verweisen (Aegypten und aegyptisches Leben im Altertum [Neubearbeitung], 43 mit Anm. 1). Gattungen wurden schon früher um der Ansprache, Klassifizierung und Sortierung von
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Wiedemann hatte im 19. Jahrhundert aufgrund der Lückenhaftigkeit der Überlieferung auf eine narrative Geschichtsschreibung verzichtet und Quellenkritik gegenüber literarischen wie anderen Texten als unabdingbar angemahnt. Erman erkannte später aufgrund der den Admonitions attestierten Einzigartigkeit in ihnen historische Realitäten, die in anderen ägyptischen Quellen nicht ermittelt werden könnten. Auf diese Weise unternahm er einen Versuch, den Text angesichts seiner Singularität in den Griff zu bekommen, ohne dabei aus dem Auge zu verlieren, dass es sich nur um eine mögliche Deutung handele, die durch die (fehlenden) Denkmäler und das allgemeine Epochenbild bestätigt werde, aber deshalb keineswegs alternativlos sei.59 Selbst diese aus heutiger Sicht eher begrenzt anmutende Quellenkritik Ermans wird jedoch in der Mitte des 20. Jahrhunderts gerade von denjenigen kaum mehr bemüht, die Ermans Ergebnisse zur allgemein anerkannten Lehrmeinung erhoben.60 Anhand von Brugschs Darstellung konnte gezeigt werden, wie sich die Vorstellungen von einem dunklen Zeitalter in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts etablieren konnten, auf die Erman rekurriert, wenn er von dem spricht, ‚was man für die Zeit annehmen müsse‘.61 Das kaum fundierte Epochenbild Brugsch’scher Prägung bildet hier die unhinterfragte Ausgangslage, in die sich die historisierenden Lesarten der Admonitions oder der Prophezeiungen des Neferti nahtlos einfügten und so die Lehrmeinung der folgenden Jahrzehnte bestimmten:62 So wird auch für die Interpretation archäologischer Befunde auf
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Texten willen eingeführt. Zum Gegenstand reflektierter Betrachtungen wurden sie jedoch erst später, vgl. Schenkel, „Ägyptische Literatur und ägyptologische Forschung“ sowie unten mit Fn. 71 zur von Miriam Lichtheim wieder aufgegriffenen Studie von Salomo Luria. Vgl. explizit Erman, „Die Mahnworte eines ägyptischen Propheten“, 812, sowie ders., „Eine Revolutionszeit im alten Ägypten“ und ders., Die Literatur der Aegypter, 130. Antonio Loprieno weist auf die teilweise bis heute wirksame Überzeugung Ermans hin, „dass literarische Texte direkte Rückschlüsse auf die historischen Verhältnisse der jeweiligen Zeit zulassen“ („Adolf Erman und die ägyptische Literatur“, hier: 159 sowie 166). Hier ließe sich ergänzend differenzieren, dass Ermans Ergebnisse, nicht aber die zu ihnen führenden Überlegungen und Argumentationen Ermans übernommen wurden. Vgl. zur Prägung des Epochenbildes durch die Textlektüre beispielsweise Hayes, The Scepter of Egypt i, 135 f. Weitere Beispiele im Folgenden. „daß alles […] sich gut in die geschichtlichen Verhältnisse hineinfügt, die wir für die entsprechende Epoche Ägyptens annehmen müssen.“ (Erman, „Die Mahnworte eines ägyptischen Propheten“, 812 f.) Siehe auch die Wiedergabe der vollständigen Passage weiter oben bei Fn. 55. Ermans Studien kommt hier sicherlich eine bedeutende Rolle zu, da sie nicht nur zen-
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die Vorstellung einer chaotischen, dunklen Zeit zurückgegriffen.63 Nach dem 2. Weltkrieg steht der Text nun geradezu für die Zeit zwischen der 6. und der 12. Dynastie, historische Quellen werden nicht mehr vermisst, da die Admonitions in der Lage seien, an ihre Stelle zu treten, wie beispielsweise Eberhard Otto formuliert: „Die klassische Schilderung der Notzeit in den ‚Mahnworten‘ ersetzt für uns […] die fehlenden eigentlich historischen Denkmäler aus der memphitischen Sphäre“.64 Wenig später übernahm Gardiner jedoch Ermans Interpretation nicht nur wie die meisten anderen im Ergebnis, er erweiterte die Argumentation als solche um den Bereich der Topik.65 Als erstem pessimistischen Text müsse man den Admonitions historischen Quellenwert zubilligen, erst die späteren Texte mit Chaosbeschreibungen besäßen dann eventuell topischen Charakter ohne Anbindung an reale chaotische Verhältnisse.66 Diese Ermans und die eigenen Überlegungen weiterführende Argumentation Gardiners ist jedoch nur als Behelfslösung anzusehen, da sie angesichts der mittlerweile in literari-
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trale Aspekte angestoßen und später bekräftigt haben, sondern auch in der Folge häufig als Autorisierung des Epochenbildes Verwendung fanden. Vgl. hier Jansen-Winkelns Bemerkungen zu der in der Ägyptologie verbreiteten Praxis, (evtl. vage) Annahmen später durch einzelne unkritisch herangezogene Belege zu untermauern und so gängige Vorstellungen zu einzelnen geschichtlichen Epochen zu prägen („Die Rolle des Unbekannten in der ägyptischen Geschichte“). Vgl. beispielsweise Hermann Junker, der von Verwüstungen während der auf das Alte Reich folgenden „Revolution“ spricht (Gîza vii [1944], 26 und 114). Otto, Der Weg des Pharaonenreiches [1953], 96 f. Er selbst setzt jedoch als eigentliche „ ‚Wirrenzeit‘ “ nur „etwa 40 Jahre“ nach dem Ende der 6. Dynastie an (ebenda, 93). Ein weiteres zentrales Beispiel für die historische Lesart findet sich bei Joachim Spiegel, der von den Admonitions als „Tatsachenbericht“ spricht (Soziale und weltanschauliche Reformbewegungen [1950], 8–47, hier: 9 [Zitat] sowie 43–47). Zuvor hatte Otto [1952] im Handbuch der Orientalistik bereits in vergleichbarer Weise in den Admonitions und im Gespräch des Lebensmüden einen unmittelbaren Reflex realer Geschehnisse gesehen, „die Erinnerung daran“ habe später jedoch „verwandte Werke“ hervorgebracht, so dass Otto in den Prophezeiungen des Neferti das „Thema des sozialen Umbruchs“ identifiziert und feststellt, aus der Lehre für Merikare gehe hervor, dass zum Entstehungszeitpunkt dieser Lehre der „Kampf um das neue Weltbild“ bereits abgeschlossen gewesen sei. Vgl. Otto, „Weltanschauliche und politische Tendenzschriften“, dort: 115 f. (Zitate); ders., Der Weg des Pharaonenreiches, 96f. „However that may be, the trustworthiness of the Leyden papyrus as a depiction of Egypt in the First Intermediate Period is indisputable. And here for the first time Egyptian literature sounds that note of despairing pessimism which became a commonplace with the writers of the succeeding centuries even when no longer justified by prevailing conditions.“ (Gardiner, Egypt of the Pharaohs [1961], 110).
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schen Texten erkannten Topoi keine methodische Grundlage für eine historische Lesart mehr sein konnte. Das Prädikat der Singularität hatten die Admonitions schließlich durch die mittlerweile breitere Quellenbasis verloren: Damit konnte nicht mehr überzeugend argumentiert werden, warum gerade dieser auf einem Papyrus aus der 19. Dynastie erhaltene Text nicht als topische Chaosbeschreibung, sondern gewissermaßen als Urvorlage der späteren Chaostopik zu lesen sei. Ermans Feststellung, die Admonitions lägen „so außerhalb des ägyptischen Ideenkreises“,67 dass ihnen Historizität innewohnen müsse, stand nun dem Wissen darum gegenüber, dass ein Teil der sogenannten ägyptischen Literatur auch im Rückgriff auf Chaosbeschreibungen ein Weltbild thematisiert und expliziert, das u.a. auf der Relation Maʾat – Isfet basiert. Statt die seit Erman dominierende opinio communis grundsätzlich zu überdenken, standen nun beide Positionen meist unverbunden nebeneinander oder wurden zu hybriden Argumentationen verbunden. So betont etwa Wolf einerseits, dass die Texte der pessimistischen Literatur einen Topos bildeten und daher „nicht ohne weiteres in ihren Einzelheiten als Geschichtsquelle genommen werden dürfen“, andererseits stellen sie für ihn doch verlässliche Zeugen für die „geistige Lage während der Ersten Zwischenzeit“ dar.68 In Georges Posener erhielt diese mehr oder minder losgelöst von der Erman’schen Argumentation als solche weiterhin gepflegte Lesart einen besonders einflussreichen Fürsprecher, der die ägyptologischen Interpretationen literarischer Texte maßgeblich prägte und immer noch stark beeinflusst.69 Durch seine mit der einflussreichen Studie Littérature et politique vorgelegte Interpretation der Literatur der 12. Dynastie als Ausdruck und Instrument eines Legitimationsprogramms des Königshauses verfestigten sich hybride Vorstellungen von der Historizität bzw. der historischen Kontextgebundenheit der
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Vgl. zu diesem Zitat (Erman, „Eine Revolutionszeit im alten Ägypten“, 30) oben. Wolf, Das alte Ägypten [1971], 68 und 67. Otto spricht von einer „echte[n] historische[n] Krise“ (Der Weg des Pharaonenreiches, 110) und nutzt die Admonitions als historische Quelle (ebenda, 96 f.). Posener, Littérature et politique [1956]. Vgl. auch Schenkel, der den „großen Gewinn“ betont, den die „Einbettung der Literatur in die Geschichte“ abgeworfen habe, und diesbezüglich auf Posener verweist („Ägyptische Literatur und ägyptologische Forschung“, 31). Exemplarisch für die ägyptologische Tradition Brunner, Grundzüge einer Geschichte der altägyptischen Literatur4 [1986], 20–60. Man könnte gar von einem propagandistic turn sprechen, der kritische Beachtung verdient (vgl. unten bei Fn. 546). Vgl. auch Moers, „Spurensucher auf falscher Fährte?“, 43 f. sowie für eine ausführliche Diskussion von Poseners Ansatz zur Nutzung der Prophezeiungen des Neferti als historische Quelle Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“.
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Texte und ihres topischen Charakters. Einerseits wurden viele Texte nun als Ausdruck einer retrospektiven politisch motivierten Perspektive der 12. Dynastie betrachtet, andererseits blieb es bei der Feststellung, die Admonitions und andere Texte schilderten jene Zustände, die in Ägypten nach dem Ende des Alten Reiches geherrscht hätten.70 Miriam Lichtheim hingegen erinnerte knapp 20 Jahre später an Salomo Luria, der bereits 1929 den Admonitions und den Prophezeiungen des Neferti in Stil und Inhalt vergleichbare Texte aus anderen Kulturen gegenübergestellt, dabei von einer „literarische[n] Schablone“ gesprochen und so erste Gattungsbzw. Genrebetrachtungen angestellt hatte.71 Für das Ende des Alten Reiches spricht Luria zwar weiterhin von einem „schrecklichen Verfall“ und einem „Zusammenbruch“, das „‚historische‘ Bild“, das aus den Admonitions damals herausgelesen wurde, lehnt er jedoch strikt ab. Von Revolutionen o.Ä. könne keine Rede sein.72 Auch nach Lichtheim ist weder auf der inhaltlichen Ebene einzelner Texte, noch aus intertextueller Perspektive für die pessimistische Literatur ein historischer Bezug anzusetzen. Sie ging dabei sogar noch einen Schritt weiter: 70
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Vgl. Posener, Littérature et politique, 9 und 45 et passim (vgl. den dortigen Index). Am Beispiel der Behandlung der Prophezeiungen des Neferti durch Posener arbeitet Giewekemeyer („Perspektiven und Grenzen“, 301–315) heraus, wie bei Posener die Ansetzung von propagandistisch genutzten Topoi (ohne unmittelbare historische Ausdruckskraft) mit der Ermittlung historischer Fakten aus dem Text Hand in Hand geht. Vgl. zum Begriff der Legitimation/Legitimität in einem anderen Zusammenhang unten ausführlicher Kapitel 2.4.4.2. Vgl. Lichtheim, Ancient Egyptian Literature i2 [1973], 149f.; Luria, „Die Ersten werden die Letzten sein“ [1929], besonders 407–419, hier (Zitat): 408 und 412. Obwohl Eduard Meyer bereits festgestellt hatte, dass den ägyptischen Prophezeiungen „[immer das gleiche] Schema“ zugrunde liege („Ägyptische Dokumente aus der Perserzeit“ [1915], 303), hatte Luria in der Ägyptologie zunächst nur weitgehende Ablehnung erfahren. So verdeutlichen die Bemerkungen von Alexander Scharff, wie sich die seit Erman etablierte Deutung der Texte mit dem Postulat des Kennerurteils verbunden hatte: „Die Mahnworte sind für jeden, der etwas von ägyptischen Texten versteht und besonders die Kultur des ar einigermaßen kennt, so wirklichkeitsnah und wirken dadurch auf uns noch so erschütternd, daß hier unzweifelhaft die Verhältnisse wahrheitsgemäß, wenn auch in dichterischer Form, geschildert sind.“ Scharff räumt jedoch ein, dass es aus heutiger Sicht möglich sei, die „Schilderung“ der Prophezeiungen des Neferti „als einen dichterischen Kniff“ zu sehen (Scharff, Der historische Abschnitt der Lehre für König Merikarê [1936], 10 f. mit Anm. 2 von S. 10). Vgl. außerdem die Ablehnung Lurias durch Spiegel, Soziale und weltanschauliche Reformbewegungen, 8f. Luria, „Die Ersten werden die Letzten sein“, 417 und 419 contra Erman, „Eine Revolutionszeit im alten Ägypten“.
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„In sum, the Admonitions of Ipuwer has not only no bearing whatever on the long past First Intermediate Period, it also does not derive from any other historical situation. It is the last, fullest, most exaggerated and hence least successful, composition on the theme ‚order versus chaos.‘ “73 Wie sich gezeigt hat, waren diffus-negative Vorstellungen von der Zeit zwischen der 6. und der 12. Dynastie immer wieder über die Annahme der Historizität literarischer Texte bestätigt worden, weil weder neue externe Belege greifbar wurden, noch sich die Perspektiven wesentlich änderten: Der Zeitraum blieb mangels Quellen für den Betrachter weiterhin uneinsehbar und damit ein dunkler; da Texte aus den folgenden Epochen wie die Admonitions oder die Prophezeiungen des Neferti Chaos und Unruhen beschreiben, wurde in derartigen Zuständen die Ursache für das Fehlen zeitgenössischer Quellen ausfindig gemacht, obwohl die späteren Texte selbst ihre Handlungen ja nicht einmal in diese Zeit datieren.74 Dadurch, dass für diese Zeit keine Monumentalkultur greifbar sei und dieser Quellenmangel ebenfalls für chaotische Zustände spreche, sah man die Historizität der Texte bestätigt.75 Vom topischen Charakter der sogenannten pessimistischen Literatur, die gängigerweise ins Mittlere 73 74
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Lichtheim, Ancient Egyptian Literature i2, 150. Vgl. die Bemerkung von Seidlmayer, „The First Intermediate Period“, 145f. sowie Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“, 325 und 345–354. Vgl. außerdem Quack, der „de facto undatierte Werke wie die Admonitions oder den Lebensmüden“ nennt (Quack, „Irrungen Wirrungen?“, 412), den hier benannten Umstand mit Blick auf die genannten Texte jedoch nicht ausführlicher behandelt (ebenda, 436–450). Der Beredte Bauer bildet unter den hier relevanten Texten die Ausnahme, nennt er doch als einziger Text einen regierenden Herakleopolitenkönig (vgl. Quack, „Irrungen Wirrungen?“, 436), da die Klagen des Bauern jedoch rein rhetorisch sind, alles ein gutes Ende nimmt und so die Intaktheit der Ordnung bestätigt wird, gehört der Text – wie die Lehre für Merikare – nicht zu der für das hier besprochene Epochenbild entscheidenden Textgruppe. Vgl. zur Rolle des Königs Nb-kꜣ.w-Rꜥ im Beredten Bauern Parkinson, Eloquent Peasant. Commentary, 85f. Bei der Nennung des Königs Ameny in den Prophezeiungen des Neferti handelt es sich um keine Selbstdatierung der Handlung, da der Name sich nicht eindeutig einer historischen Person zuordnen lässt. Vgl. zu dieser Offenheit des Textes ausführlich Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“, 345–353. Vgl. beispielsweise Jürgen von Beckeraths Szenario, das in komprimierter Form wiedergibt, wie Ausgangsfeststellungen zu immer drastischeren, aber ebenso haltlosen Schilderungen gesteigert werden: „Die Erste Zwischenzeit ist durch allgemeine Not und Verarmung infolge der inneren Fehden gekennzeichnet. Es werden keine größeren Bauwerke mehr errichtet. Die Kunst sinkt zeitweise auf das Niveau der Primitivität zurück; die bisher maßgebenden Werkstätten von Memphis sind zerstört.“ (Abriß der Geschichte des Alten Ägypten [1971], 23–24).
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Reich datiert wird,76 sollte jedoch spätestens seit Lichtheims Hinweis auf Luria ausgegangen werden, was eine quellenkritische Perspektivenänderung erforderlich macht.77 Vor diesem Hintergrund wird die Problematik der oben skizzierten Argumentation unübersehbar, auf die auch Hannes Buchberger bereits hingewiesen hat.78 Da die literarischen Quellen aus methodischen bzw. quellenkritischen Gründen nicht geeignet sind, Auskunft über die Verhältnisse während der sogenannten 1. Zwischenzeit zu geben, und außerdem noch die meisten biographischen Texte dieses Zeitraums, die von Kampfhandlungen berichten, in die Phase der thebanischen Expansion der 11. Dynastie datiert werden können, entfallen die zentralen textuellen Belege, die angeführt werden, um das spätestens seit Brugsch konstante Epochenbild zu stützen.79 Zu diesem Ergebnis kam Gun Björkman, indem sie Mitte der 1960er Jahre die Frage nach der Verwendbarkeit literarischer Quellen für die Geschichtsschreibung mit besonderem Bezug auf die Lehre für Merikare methodenkritisch beleuchtet und sich vehement und überzeugend gegen die Verwendung unsicher datierter literarischer Texte für die Geschichtsschreibung ausgesprochen hat: 76
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Geraume Zeit lang wurden nur für bestimmte literarische Texte, die üblicherweise in die 12. Dynastie datiert werden, die aber in Form von Textzeugen erst in deutlich späterer Zeit (d. h. überwiegend seit der 18. Dynastie) belegt sind, Spätdatierungen vorgeschlagen, die sich an den ältesten erhaltenen Manuskripten orientieren. Vor einigen Jahren erhielt die damit nur vereinzelt aufgeworfene Frage nach der Datierung dieser Texte besondere Aufmerksamkeit durch Studien von Andrea Gnirs, in denen sie u.a. für Datierungen der Prophezeiungen des Neferti, der Lehre für Merikare und der Lehre des Amenemhet in die 18. Dynastie argumentiert hat (vgl. Gnirs, „Das Motiv des Bürgerkriegs“; dies., „Zum Verhältnis von Literatur und Geschichte in der 18. Dynastie“; dies., „Geschichte und Literatur“). Dabei ist weniger ihr in mancherlei Hinsicht durchaus zu Recht kritisierter Vorstoß selbst von großer Tragweite (vgl. Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“, 338–343) als vielmehr die Tatsache, dass auf diese Weise nicht nur die generelle Frage nach der Datierbarkeit vermeintlich sicher datierter literarischer Texte aufgeworfen wurde, sondern auch, dass in der Folge vermehrt Anstrengungen unternommen wurden, die Auswirkungen von Datierungen und der auf sie gestützen ägyptologischen Geschichtsvorstellungen neu zu hinterfragen. Vgl. hierzu Moers et al. (Hrsg.), Dating Egyptian Literary Texts. So auch Junge, „Die Welt der Klagen“ [1977], 280: „Die literarische Stilform ‚Chaosbeschreibung‘ läßt direkte historische Schlüsse nicht zu.“ Vgl. außerdem Peter Seiberts Studie zur Sprechsitte (Die Charakteristik [1967]). Buchberger (Transformation und Transformat [1993], 300) skizziert diese Zirkularität anhand der Argumentation Winfried Bartas („Die Erste Zwischenzeit im Spiegel der pessimistischen Literatur“ [1975/1976]). Vgl. Gestermann, Kontinuität und Wandel [1987], 39–43 (u.a. mit Verweis auf Schenkel, Frühmittelägyptische Studien [1962]).
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„But to write history on the basis of a literary document of dubious validity is not permissible, if modern methods are applied. This may give pleasure to the constructor of hypotheses, but then he is verging on the writing of historical short stories rather than doing historical research and should take care to point that out to the student […].“80 Diese Position hat bislang jedoch vergleichsweise wenig Resonanz innerhalb der Ägyptologie gefunden, wenngleich mit den Arbeiten von Seidlmayer seit den späten 1980er Jahren externe Daten in Form von archäologischen Auswertungen vorliegen, die Vorstellungen von der Zeit zwischen der 6. und der 12. Dynastie als chaotische Verfallszeit klar widerlegen.81 Obwohl mittlerweile fundierte Bedenken und Argumente gegen die hier problematisierte Epochendeutung auf allen relevanten Ebenen vorgebracht wurden, ist zu beobachten, dass nur selten Konsequenzen gezogen werden bzw. dass sich Vorstellungen von einer Zeit des Niedergangs und des Verfalls hartnäckig halten.82 Bislang konnte sich schließlich keine quellenkritische Sicht vom gängigen Epochenbild emanzipieren und etablieren. Um die geschilderten Probleme wissend wird den literarischen Texten dennoch vielfach ein Quellenstatus zugesprochen, der es ermögliche, weiterhin über diese Quellen zu sprechen, als würden sie Einblicke in die Ereignis- und Sozialgeschichte zwischen der 6. und der 12. Dynastie geben können. Pars pro toto für derzeit gängige Sichtweisen auf den Zusammenhang von Literatur und Geschichte sei die Reflexion dieser Problemlagen durch Günter Burkard und Heinz J. Thissen angeführt:83
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Björkman, „Egyptology and Historical Method“ [1964], 33. Seidlmayer, „Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung“; ders., Gräberfelder. Vereinzelt finden sich in jüngerer Zeit Beiträge, die sich explizit auf Björkman berufen. So etwa Gee, „Did the Old Kingdom Collapse?“ (vgl. zu diesem Beitrag unten Fn. 115) und auch Giewekemeyer („Perspektiven und Grenzen“), die die Kritik Björkmans aufgreift und am Beispiel der Prophezeiungen des Neferti konsequent anwendet. Vgl. die Einschätzung von Seidlmayer, „The First Intermediate Period“, 145–147 sowie Moers, Fingierte Welten, 3–11 und 49–54. Vgl. außerdem beispielsweise Tobin, „The Prophecies of Neferty“, 214 und Schlögl, Das Alte Ägypten, 114–122, der völlig unreflektiert Texte und Kulturgeschichte verquickt, so dass durch eine auf die sogenannte Auseinandersetzungsliteratur angewendete historisierende Lesart zur Konstruktion eines von den zeitgenössischen Quellen fast vollständig abgekoppelten Dekadenzszenarios führt. Auch jüngst ziehen Schoske und Wildung noch einen Auszug aus den Prophezeiungen des Neferti, der „die Lage Ägyptens“ schildere, unreflektiert heran und sprechen vom „Verfall der bislang für ganz Ägypten gültigen
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„Es ist klar, daß literarische Texte nicht ohne weiteres als historische Quellen auswertbar sind. Aber sie schweben auch nicht im historisch luftleeren Raum. An der Grundtatsache, daß im Sinuhe über den Tod des Königs berichtet wird, und daß die Todesumstände von besonderer Art gewesen sind, kann kein Zweifel bestehen. Denn weshalb hätte der Held der Geschichte sonst fliehen müssen? Vor diesem Hintergrund können manche Aussagen oder eben auch Nicht-Aussagen durchaus Relevanz besitzen.“84 Obwohl die Eignung der Texte als historische Quellen infrage gestellt wird, setzt die Perspektive von Burkard und Thissen doch eben eine solche voraus und offenbart so ein inkonsistentes Fiktionsverständnis:85 Die auf der inhaltlichen Ebene der Reiseerzählungen des Sinuhe als über jeden Zweifel erhaben geschilderten Handlungen werden ungefiltert auf der Ebene der ägyptischen Geschichte diskutiert, da von einer wie auch immer gearteten Verbindung
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Regeln der Kunst“ (Münchner Buch der ägyptischen Kunst, 57). Vgl. auch Enmarch (A World Upturned, 19) mit weiteren Literaturangaben. Burkard & Thissen, Einführung i4 [2012], 120. So distanzieren sich Burkard und Thissen auch an anderer Stelle (vgl. etwa Einführung i4, 141–146) einerseits klar vom Nutzen literarischer Texte für die Geschichtsschreibung und greifen doch – im Zuge von stark vom Propagandamodell Poseners beeinflussten Interpretationen – gerade in einer solchen Weise auf literarische Texte zurück. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Moers, „Spurensucher auf falscher Fährte?“, 42–44 sowie weiter unten Fn. 108, außerdem Moers, „Travel as Narrative“, 43f. und Baines, „Prehistories of literature“, 18 f. Jansen-Winkelns Position („[Rezension zu] Moers, Definitely: Egyptian Literature“, 683–685), literarische Texte aller Fiktionalität zum Trotz auch als geeigneten „Steinbruch für den Historiker“ (ebenda, 685) weiterhin gelten zu lassen, kann die etablierte ägyptologische Praxis, wie wir sie im oben genannten Beispiel vor uns haben, nicht argumentativ unterfüttern. Denn entweder kann man seiner Forderung (ebenda, 685: „Man hat zu prüfen, ob und inwieweit sie zuverlässige Informationen enthalten könnten.“) gar nicht nachkommen, weil uns schlicht die Möglichkeiten dazu fehlen. Oder man muss von vorneherein zu dem Schluss kommen, dass die Texte aufgrund der Diskurse, aus denen sie stammen, keine historischen Informationen in dem Sinne enthalten können, wie man sie sich von Seiten der traditionellen Ägyptologie wünscht oder erwartet. Jansen-Winkeln hat damit Recht, dass für uns auch historisch verwertbare Informationen enthalten sein könnten. Allein Formen adäquaten Umgangs mit den in literarischen Texten enthaltenen Informationen, die den Diskursen Rechnung tragen, aus denen die Texte stammen, zählen bislang nicht zu den Steckenpferden der Ägyptologie. Vgl. zu einem Versuch, hier neue Wege einzuschlagen Widmaier, „Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“, 534–546 (bes. 538–540).
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zwischen Textinhalten und historischem Geschehen ausgegangen wird. Ein solcher Nexus war – um noch einmal auf das frühe 20. Jahrhundert zurückzukommen – auch in gewisser Hinsicht von Erman und Gardiner angesetzt worden: So detailliert wie die Schilderungen der Admonitions sind, könne Derartiges nicht einfach so – im historisch luftleeren Raum – von Literaten ersonnen sein, ohne eine Entsprechung in der Geschichte zu haben. Die vermeintliche Eingängigkeit dieses Standpunktes ändert jedoch nichts daran, dass die Grundlagen einer solchen Annahme, wie oben ausführlich geschildert, mittlerweile unhaltbar geworden sind. Selbstverständlich ist Burkard und Thissen dahingehend zuzustimmen, dass kein ‚historisch luftleerer Raum‘ für die Texte anzusetzen ist. Eine solche Position würde wohl auch kaum jemand in Anspruch nehmen wollen. Allerdings ist die Frage zu klären, welche Konsequenzen daraus für unseren Umgang mit den Texten abzuleiten sind.86 Es lohnt sich, diesbezüglich zu denjenigen bereits zitierten Überlegungen Ermans zurückzukehren, die in seiner Argumentation genau einen Schritt vor der Annahme liegen, die Schilderungen der Admonitions seien aufgrund ihrer Singularität historisch: „Und auch das wissen wir nicht, ob die Vorgänge, die diese Dichtung schildert, sich wirklich einmal ganz so abgespielt haben, oder ob sie der Dichter frei ausgestaltet hat. Indessen liegt daran nicht viel, denn die Hauptsache ist, daß ihm die Vorstellung eines solchen Zusammenbruches aller sozialen und staatlichen Verhältnisse überhaupt vertraut war.“87 Denk- und schreibbar sei das gewesen, wovon die literarischen Texte handeln. Soweit ist Erman auch heute noch zu folgen. Darin liegt zugleich ein Anknüpfungspunkt, der zunächst wenig ergiebig erscheinen mag, aber dennoch bereits als Grundlage für umfangreiche Untersuchungen genutzt wurde, von denen diejenige Jan Assmanns hier kurz diskutiert werden soll.88
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Vgl. hierzu auch weiter unten Fn. 108. Erman, „Eine Revolutionszeit im alten Ägypten“, 29 f. (eine ausführliche Wiedergabe der Passage oben bei Fn. 57). Es wäre außerdem noch auf Richard Parkinsons Studien zur Literatur des Mittleren Reiches hinzuweisen, in denen historische Bezüge zwar eine Rolle spielen, die Historizität der Handlungen hingegen jedoch nicht. Im Mittelpunkt steht vielmehr die ägyptische Literatur als Form sozialer Kommunikation, für die u. a. ein komplexes Verhältnis von Fiktionalität und Ideologie anzusetzen sei und innerhalb derer destabilisierende Elemente („the dark side to perfection“) innerhalb neutralisierender Diskurse und damit in sicherer Distanz erlebt werden könnten (Poetry and Culture). Trotz seiner expliziten Kritik am
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Nach Assmann besteht die Möglichkeit, die Klagen als apokalyptische Topik oder als Zeugnisse einer Krise lesen, die sich nur auf eine geschichtliche Erfahrung stützen könne.89 Auch wenn Assmann der zweiten Lesart zu folgen scheint und betont, dass es keine „müßigen Fiktionen“ gebe,90 sieht er darin jedoch nicht die Möglichkeit, die Texte als Dokumentationen zu lesen oder historiographisch en détail auszudeuten. In dieser Hinsicht gibt er etwa Björkman Recht, er lehnt es jedoch ab, „der Literatur jeden geschichtlichen Wirklichkeitsbezug abzusprechen.“91 Vielmehr versucht er, die Überlegungen zum topischen Charakter der Texte nicht unbeachtet zu lassen, sondern sie strukturell in seinen Ansatz zu integrieren, indem er die Klagen als Ergebnis eines komplexen Verarbeitungsprozesses anspricht: „Die Klagen evozieren das Bild einer Situation, zu deren Liquidation die 12. Dyn. angetreten ist. Daher diagnostizieren sie diese Situation als einen ‚Mangel an Königtum‘ […], d.h. einen Mangel an pharaonischer Zentralgewalt (was der historischen Realität exakt entspricht) und deuten diesen Befund als heilloses Chaos. Denn was sie damit, im Dienste des politischen Projekts der 12. Dyn., zeigen wollen, ist die unauflösliche Verbindung von Ordnung und Herrschaft […].“92
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Propagandamodell Poseners und dessen „reductive view of the texts“ (ebenda, 13–16, hier: 15 [Zitat]) haben jedoch auch bei Parkinson literarische Texte einen spürbaren Einfluss, auf das zugrundegelegte Geschichtsbild, wenn er etwa schreibt „After a probably turbulent reign of 30 years Amenemhat i was assassinated, and his son and co-regent Kheperkare Senwosret i succeeded“ (ebenda, 5) und sich damit hinsichtlich historischer Ereignisse auf die Lehre des Amenemhet stützt. „Beide Gattungen des ägyptischen Maat-Diskurses, Lehren und Klagen, reagieren auf eine Defizienz: einen Mangel an Maat. Bei den Lehren ist dies die Mangelsituation des Kindes, das erst in die Maat, die Ordnungen des Zusammenlebens, eingewiesen werden muß; bei den Klagen ist es die Mangelsituation einer Gesellschaft, die diese Ordnungen zerstört und vergessen hat. Die eine Mangelsituation ist immer gegeben und Teil der allgemeinen Ordnung, die andere dagegen ist eine Krise, ja ein völliger Zusammenbruch der Ordnung, der (wenn es sich nicht überhaupt nur um apokalyptische Visionen handelt) sich nur auf eine einmalige oder jedenfalls höchst seltene geschichtliche Erfahrung stützen kann.“ (Assmann, „Weisheit, Schrift und Literatur im alten Ägypten“ [1991], 488). Assmann, „Weisheit, Schrift und Literatur“, 488, Anm. 39. Burkard & Thissen berufen sich auf dieses Diktum (Einführung i4, 128 und 143). Assmann, „Weisheit, Schrift und Literatur“, hier: 488, Anm. 39. Vgl. Björkman, „Egyptology and Historical Method“. Assmann, „Weisheit, Schrift und Literatur“, 489 (Kursive K.W.). Ähnlich bereits früher: „in einer revolutionären Situation, in der alle Ordnungen in Frage gestellt und aller Einklang
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Damit sind mehrere Ebenen auseinanderzuhalten: Nach Assmann gab es folglich eine historische Situation, die den Texten zwar zugrunde liege,93 durch diese jedoch nicht historiographisch erschlossen werden könne, weil letztere „eine Ausdeutung und Diagnose der Situation im Lichte ganz bestimmter und tendenzieller Wertvorstellungen an[streben].“94 Assmann differenziert also zwischen der „1. Zwischenzeit“ als Geschichte, die uns „archäologisch und epigraphisch nur sehr lückenhaft“ erschließbar sei und daher zu den „ ‚dark ages‘“ zähle, und dem Mythos der Rückerinnerung durch das „Mittlere Reich“. Mit diesem „‚mythische[n]‘ Aspekt“95 beschäftigt sich Assmann in erster Linie, und das zunächst ganz unabhängig davon, ob sich die in diesen Retrospektiven geschilderten Zustände oder Handlungen zugetragen haben oder nicht.96 Ganz zu Recht bemerkt Buchberger, dass gerade im Rahmen einer solchen Interpretation der Klagen als Rückerinnerung an den „fundierenden Mythos“97 die Texte als topisch anzusprechen wären.98 Als Grundlage einer Geschichtsschreibung – ganz egal für welchen Zeitraum – würden die Texte demnach auch im Rahmen von Assmanns Perspektive ausscheiden und eine sensible quellenkritische Ansprache erfordern. Es ist daher erstaunlich, dass gerade Assmann die Kritik an historischen Lesarten als überzogen zu demontieren versucht: „Es handelt sich um politische Tendenzschriften ohne jede historische Basis. Diese Theorie hat viel für sich und war notwendig, um der naiven historischen Lesung dieser Texte durch die ältere Ägyptologie entgegenzutreten. Sie hat uns den Blick für den literarischen Charakter dieses Diskurses geöffnet. Allerdings schießt sie weit über das Ziel hinaus. Sie vermag nicht zu erklären, warum die literarische Gattung der Klage und die Topik der politischen Chaosbeschreibung ihre Blütezeit gerade im Mittleren Reich erlebt. Wenn es sich hier nur um eine rituelle Fiktion handeln würde, die das von jedem König zu beseitigende Chaos ausmalt, dann sollte man solche Texte auch aus anderen Epochen erwarten. Dem ist aber nicht so. Die einzigen vergleichbaren politischen Chaosbeschreibungen
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zerstört scheinen und die in diesen Texten als Chaos und Katastrophe ausgelegt werden.“ (Assmann, Theologie und Frömmigkeit [1984], 200 [Kursive K.W.]). Vgl. auch Junge, der vom „Abglanz historischer – wenn auch nicht notwendig aktueller – Erfahrung“ spricht („Die Welt der Klagen“, 281). Assmann, „Weisheit, Schrift und Literatur“, 488. Assmann, Maʾat2 [1990], 57. Vgl. Assmann, Sinngeschichte [1996], 109 und 120. Assmann, Maʾat2, 57. Buchberger, Transformation und Transformat, 302.
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aus späterer Zeit stammen aus der Dritten Zwischenzeit (der Moskauer Literarische Brief pMoskau 127) und aus der Zeit der persischen und griechischen Fremdherrschaft, also aus Krisenzeiten, in denen entsprechende Erfahrungen wirklich gemacht wurden und in solchen Texten einen symbolischen, wie immer literarisch geformten, stilisierten, überhöhten Ausdruck fanden.“99 Dies steht zwar im Einklang mit seinen Ausführungen zum Lauf der ägyptischen Geschichte als einem Wechsel von Blüte und Verfall.100 Die Argumente können jedoch nicht überzeugen: Zwar mag es neben den immer wieder diskutierten Texten keine weiteren Beispiele innerhalb der sogenannten ägyptischen Literatur geben, die Chaos-Topik ist als zentraler Teil der Königsideologie jedoch innerhalb von königlichen Inschriften seit dem Mittleren Reich häufig belegt, in denen die Chaos-Topik der Klagen variiert zu werden scheint.101
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Assmann, Sinngeschichte, 125. Vgl. Assmann, Sinngeschichte, 33 f. Colleen Manassa hat diesbezüglich diverse königliche Inschriften untersucht. Ihrer Meinung nach beziehen sich die Verwendungen des „Time of Troubles Topos“ auf spezifische historische Ereignisse, vermischen dabei jedoch in der Darstellung historische Fakten (allgemeinerer Natur) mit detaillierten Schilderungen, die religiösen Konnotationen von Chaos entstammen (The Great Karnak Inscription of Merneptah, 110–113). Ähnlich hat sich bereits Donald B. Redford geäußert und eine Sammlung entsprechender Texte diskutiert. Er hält diese Art von Darstellungen für eine spezielle bzw. die ägyptische Form von Historiographie (Pharaonic King-Lists, 259–277). Diese wahrscheinlich etwas zu optimistischen Positionen wären sicher im Assmann’schen Sinne zu relativieren (s.o.). Es sind sicherlich historische Ereignisse anzusetzen, die den Formulierungen derartiger topischer Texte vorausgegangen sind. Diese dürften sich jedoch höchstens in Einzelfällen in konkreten faktischen Schilderungen der Texte wiedererkennen lassen. Ein solcher Zusammenhang ist nicht in einer Weise generalisierbar, so dass daraus ohne Weiteres Konzepte von ägyptischer Historiographie abgeleitet oder aber damit die gängigen historischen Lesarten legitimiert werden könnten. Vielmehr erhöht es die Anforderungen an eine Quellenkritik, die dem unklaren Status dieser Textgattungen Rechnung trägt. Vgl. auch zum Topos der Abwesenheit Gottes bzw. der in den jeweiligen Texten geschilderten Ursachen und Folgen dieser Abwesenheit von der Way, Die Textüberlieferung Ramses’ ii. zur Qadeš-Schlacht, 174–183. Jüngst wurde die Deutung von Schilderungen in der Lehre für Merikare als Topik von Jansen-Winkeln in Zweifel gezogen. Er hält die Angaben für zu spezifisch und spricht im Rahmen seiner Kritik an Andrea Gnirs’ Vorschlag, diese Schilderungen als in der 18. Dynastie gebrauchte literarische Topoi zu deuten (vgl. „Das Motiv des Bürgerkriegs“, hier besonders: 224), vom „(mittlerweile abgenutzte[n]) Topos vom Topos“ (JansenWinkeln, „Der Untergang des Alten Reiches“, 299 mit Anm. 135 [Zitat]).
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Hinzu kommt, dass für die Prophezeiungen des Neferti die Datierungsfrage wieder als offen gelten kann, so dass auch ohne Heranziehung monumentaler Inschriften die von Assmann angeführte zeitliche Verteilung der Chaos-Topik nicht unbedingt aufrecht erhalten werden kann.102 Zudem liefert Assmann selbst mit der These von der Übernahme der von den Gaufürsten der „Ersten Zwischenzeit“ gepflegten „Rhetorik der Krise“ durch die 12. Dynastie einen plausiblen Grund dafür, dass wir auch im Mittleren Reich entsprechende Texte beobachten können.103 Damit hat Assmann eigentlich einen relativ tragfähigen Ansatz vorgelegt, weil er eine Brücke zwischen Topik und historischem Kontext geschlagen hat, indem er die Texte als Formen „kodifizierte[r] Erinnerung“ an die Zeit beschreibt, die das Mittlere Reich „im Sinne eines Chaos [braucht], von dem es sich als Rettung absetzen kann“.104 Er löst sich jedoch in letzter Konsequenz insofern nicht davon, die Topik doch für bare Münze zu nehmen, als er daraus sein Epochenbild speist, das von der Annahme einer „generellen Sinnkrise“ geprägt ist.105 Damit liegt bei Assmann der Topik immer noch das ägyptologische Epochenbild als historische Wirklichkeit zugrunde.106 Nähme man auch hiervon Abstand, ließe sich von Texten sprechen, die verschiedene Formen von imaginierten Vergangenheiten entwerfen und so ägyptische Geschichtsbilder kreieren. Von ihnen ließe sich u. a. nicht mehr ohne Weiteres sagen, eine Dynastie habe sie ‚gebraucht‘ (Assmann), da zusammen mit einem Verzicht auf literale historische Lesarten der Texte einhergeht, dass man ihnen auch keine eindeutigen politische, legitimatorischen o. ä. Funktionen mehr zuweisen kann.107 Gründe dafür anzunehmen, es handele sich wenigstens im Entferntesten um historische Tatsachenberichte in literarischer Form, haben wir mittlerweile nicht mehr. Darauf fußende Lesarten verstellen vielmehr den Blick auf das
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Vgl. grundsätzlich unten Fn. 109 sowie zur Datierung der Prophezeiungen des Neferti Gnirs, „Das Motiv des Bürgerkriegs in Merikare und Neferti“, sowie Raue, „Snofru vor Augen“ und Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“. Assmann, Sinngeschichte, 120–122. Assmann, Sinngeschichte, 125 und 122 (Zitat, Kursive K.W.). Die Basis bilden dabei die Texte der Weisheitsliteratur. Vgl. Assmann, Theologie und Frömmigkeit, 198–204 (Zitat: 200) sowie auch ders., Sinngeschichte, 127–131. Vgl. auch oben Fn. 92. Siehe hierzu auch Giewekemeyer (Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 4.1.1), die hinsichtlich der Ausdeutung der literarischen Chaosbeschreibungen zwischen einem historischen und einem topischen Ansatz unterscheidet und Assmanns Herangehensweise dem historischen Ansatz zuordnet. Vgl. hierzu ausführlich Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“.
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wenige Quellenmaterial, das für eine (fragmentarische) Geschichtsschreibung überhaupt nutzbar wäre.108 Die ägyptologischerseits überstrapazierte Schnittstelle von Literatur und Geschichte konnte hier nur mit einem Fokus auf den Zusammenhang zwischen den Interpretationsmodi einiger literarischer Texte und dem ägyptologischen Epochenbild von der sogenannten 1. Zwischenzeit beleuchtet werden. Es zeigte sich, dass sich das Bild von der ‚Wirre der 1. Zwischenzeit‘ bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als kaum zeitgenössische Quellen bekannt waren, etablierte und fortan eine opinio communis in der ägyptologischen Geschichtsschreibung darstellte. In der Folgezeit wurde in literarischen Texten die Bestätigung dieser Position gefunden, so dass die traditionellen Rezep-
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Deutlich wird dies etwa bei Burkard und Thissen, wenn sie sich auf Assmanns Mahnung berufen, man dürfe es mit der Kritik an historischen Lesungen nicht übertreiben. Zur „grundsätzliche[n] Frage nach der Historizität der Texte“ (Burkard & Thissen, Einführung i4, 120) wird abschließend zwar festgehalten, dass „man die Klagen nicht länger als historisch, sondern nach Seibert als eine sog. ‚Sprechsitte‘ betrachten“ müsse (ebenda, 145), an der Überzeugung, es müsse in den literarischen Texten einen „historischen Kern“ geben, wird jedoch festgehalten (ebenda, 143), was weitreichende Implikationen auf das weiterhin stark von bestimmten Lesarten literarischer Texte geprägte Geschichtsverständnis entfaltet. Dies zeigt sich besonders deutlich an der zwischen der Lehre des Amenemhet, der Reiseerzählung des Sinuhe und den Prophezeiungen des Neferti beobachteten inhaltlichen Intertextualität, die unmittelbar auf die Ebene der Ereignisgeschichte abgebildet wird. Auch die Tatsache, dass von der Lehre des Amenemhet zur Diskussion zur Frage nach der vermeintlichen Koregenz übergeleitet wird, veranschaulicht, wie hier weiterhin ein aussagekräftiger Nexus zwischen Literatur und Geschichte angesetzt wird. Vgl. hierzu nochmals die von Björkman geäußerten Bedenken bezüglich dieser Praxis (oben Fn. 80) sowie oben zum Problem der Datierung Fn. 76. Bezogen auf das oben bei Fn. 84 angeführte Beispiel zur Erwähnung des Todes Amenemhets i. in der Reiseerzählung des Sinuhe ließe sich nun zusammenfassend skizzieren: Könige gab es in Ägypten, sie werden auf unterschiedlichste Weisen gestorben sein und Sinuhe flieht, als er vom Tod des Königs hört. Von den Umständen des Todes der Person, die vor Jahrtausenden als Amenemhet i. Ägypten regierte, erfahren wir jedoch daraus nicht das Allergeringste: Sinuhe bleibt Protagonist einer ‘literarischen’ Geschichte und sollte von uns nicht durch die Hintertür wieder zum Kronzeugen unserer Geschichte des frühen Mittleren Reiches gemacht werden. Vgl. bereits Buchbergers Bemerkungen zu der Tatsache, dass die Prophezeiungen des Neferti und die Lehre des Amenemhet üblicherweise vom „Fiktionalitätkriterium“ ausgenommen werden. Erstere wohl aufgrund des „realhistorische[n] settings[s]“, das jedoch ebenso mit dem Beginn des Neuen Reiches in Einklang zu bringen sei, letztere wegen inhaltlicher Überschneidungen mit der Reiseerzählung des Sinuhe, an deren Fiktionalität jedoch wiederum kaum gezweifelt wird (Transformation und Transformat, 298 f. [Kursive i.O.]).
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tionsmuster jahrzehntelang alternativlos blieben. In dem Konglomerat aus dem alten Epochenbild, der Rezeption von einigen Überlegungen, die Erman anhand der Admonitions angestellt hatte, und dem Posener’schen Interpretationsmodus von Littérature et politique sind die Grundpfeiler des heute noch gängigen Verständnisses dieser Zeit zu sehen. Diese verschiedenen zum Teil zirkulär aufeinander bezogenen Interpretationen und Annahmen erfreuten sich einer langjährigen Akzeptanz in der Ägyptologie, so dass die bereits vor zwanzig Jahren von archäologischer Seite geäußerten fundamentalen Bedenken immer noch nicht zu einer grundsätzlichen Korrektur geführt haben, die die weitreichenden Folgen einer derartigen Kehrtwende des Geschichtsbildes ausgewiesen und diskutiert hätte. Dies konnte hier nur skizziert werden und müsste an anderer Stelle – insbesondere im Zusammenhang der wieder grundsätzlich diskutierten Datierungen zahlreicher Texte – auf das Mittlere Reich ausgedehnt werden.109
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Auch in Publikationen jüngerer Zeit finden sich Niedergangsmetaphern, die mit literarischen Texten begründet werden (vgl. beispielsweise mit Bezug auf die Lehre für Merikare Theis, „Die Pyramiden der Ersten Zwischenzeit“, 321, 323 und 325). Selbst die Tatsache, dass sich gegenüber literalen historischen Lesarten kritische Stimmen zu etablieren beginnen, trägt nicht dazu bei, dass sich hier nachhaltige Änderungen einstellen. Dies dürfte unter anderem daran liegen, dass auch diese kritischen Stimmen die Konsequenzen ihrer eigenen Kritik an dieser Form der Textinterpretation für die eigene Position meist nicht in ihrer ganzen Reichweite realisieren. So findet sich – um nur ein besonders prägnantes Beispiel zu nennen – die Annahme oder das Erwägen einer Ermordung Amenemhets i. etwa auch bei Parkinson (Poetry and Culture, 5) und Enmarch (A World Upturned, 19), die sonst die historische Auswertung der Texte kritisieren. Daran zeigt sich, dass wir es hier mit einem überaus grundlegenden Problem zu tun haben, das sich nicht durch eine vergleichsweise oberflächliche Kritik an derartigen literalen Lesarten bewältigen lässt. Hierfür dürfte eine intensive Aufarbeitung der Einflüsse jener Lesarten auf ägyptologische Geschichtsbilder unausweichlich sein. Vgl. Giewekemeyer („Perspektiven und Grenzen“) sowie Widmaier, „Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“ mit einem Versuch, auf die historische Ausdeutung von Textinhalten zu verzichten und „sich von dem Zwang, Datierungen ermitteln zu müssen,“ zu distanzieren (ebenda, 546) und stattdessen die Kontexte nachweisbarer Textrezeption zu beleuchten. Eine grundsätzliche Untersuchung dieser Zusammenhänge und der daraus ableitbaren Konsequenzen für die Geschichte des Mittleren Reiches erscheint in jedem Fall als dringendes Desiderat. Denn auch selbst wenn sich die methodischen Ausrichtungen in der Ägyptologie nicht ändern sollten, werfen die Umdatierungen von Andrea M. Gnirs, die alternative historische Interpretationen verschiedener Texte vorschlagen, ein stärkeres Licht auf die 18. Dynastie. Dies erweist sich vor allem aus einem Grunde als relevant: Selbst wenn sich (einzelne) von Gnirs vorgeschlagene Datierungen als falsch herausstellen sollten, hat ihre Beschäftigung mit Textzeugen des Neuen Reiches uns vor Augen geführt, dass
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2.2.3 Zur Bedeutung einer Geschichte der Geschichtsschreibung Auch für die im Vorangegangenen vorgestellten wissenschaftshistorischen Betrachtungen selbst gelten die oben angeführten geschichtstheoretischen Ausführungen.110 Die hier vorgelegte Geschichte ägyptologischer Betrachtungen und Bewertungen der Zeit zwischen der 6. und der 12. Dynastie bindet den gegenwärtigen Forschungsstand historisch ein und zeigt auf, wann und auf welchen Vorannahmen aufbauend Einschätzungen zustande gekommen sind, die die heutige Lehrmeinung prägen. Selbstverständlich geht die dabei entfaltete Narration ebenfalls von Vorannahmen aus und ist als Perspektive in ihrer Konstrukthaftigkeit selbst wiederum historisierbar und keineswegs alternativlos. So steht die Absicht, Objekte und Epochen nicht zu hierarchisieren oder normativ zu qualifizieren, vor dem Hintergrund kulturwissenschaftlicher Strömungen des beginnenden 21. Jahrhunderts und kann daher zwangsläufig nur in diesem Kontext den ägyptologischen Blick auf die sogenannte 1. Zwischenzeit und das ägyptische Material dieses Zeitraums selbst beleuchten.111 Die so erreichte Darstellung kann durch ihre Methodenkritik daher genauso wenig den von vielen ersehnten unmittelbaren Blick in die Lebenswirklichkeit dieses Zeitraums ermöglichen. Sie strebt dies jedoch auch nicht an, akzeptiert sie doch die generelle Unzugänglichkeit des vergangenen Ägyptens, d. h. die Tatsache, dass Geschichte stets konstruiert ist und nur Geschichten über vergangene Zeiten erzählt werden können, während das vergangene Geschehen selbst unerreichbar bleibt.112 Es ging in diesem Versuch vielmehr darum, sich von denjenigen Geschichten zu lösen, die sich nicht mehr auf nachvollziehbare Quellenuntersuchungen und die daraus ermittelbaren Informationen gründen und die damit als die von Björkman so bezeichneten „historical short stories“113 anzusehen sind. Dass zur Schilderung verschiedener Ansätze aus unterschiedlichen Phasen der Ägyptologie ebenfalls narrativ und selektiv vor-
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sich die lange Zeit gängige ägyptologische Beschreibung des Mittleren Reiches mehr und mehr als (früh)ägyptologische Rezeption eines Konglomerats von Erinnerungen und Imaginationen aus der Zeit des Neuen Reiches erweisen könnte. Die Geschichte des Mittleren Reiches wäre auch in diesem Fall gänzlich neu zu schreiben. Vgl. hierzu auch Gnirs, „[Rezension zu] Burkard & Thissen, Einführung ii“, 362–365. Vgl. zu Vorschlägen für Spätdatierungen und der damit zusammenhängenden Diskussion oben Fn. 76. Vgl. oben Kapitel 2.1. Vgl. zum Kontextbegriff unten Kapitel 3.2.2. Zur geschichtswissenschaftlichen Perspektive auf die (Un-)Zugänglichkeit vergangener Gegenwarten s. Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 1.1. Zu hermeneutischen Herausforderungen im Angesicht einer fremden Kultur unten Kapitel 3.2.5. Björkman, „Egyptology and Historical Method“, 33.
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gegangen werden musste und dabei rote Fäden identifiziert – bzw. präziser: gelegt – wurden, versteht sich von selbst. Im Rahmen der hier verfassten kurzen Geschichte ägyptologischer Vorstellungen von der ‚1. Zwischenzeit‘ wurde jedoch bewusst versucht, nicht das Bild einer zwangsläufigen Entwicklung zu zeichnen, sondern vielmehr eine Darstellung zu präsentieren, die im Gegensatz zu anderen Betrachtungen die Entstehungszusammenhänge der zum Teil immer noch gepflegten Interpretationsmodi in den Blick nimmt und auf diese Weise Prozesse der Geschichtsschreibung wie auch der Entstehung von Epochenbildern reflektiert. Eben darin ist der Nutzen einer solchen Betrachtung zu sehen, denn nur durch Reflexion lässt es sich vermeiden, dass sich die eigenen Interpretationen vollends in einer Geschichte Ägyptens verlieren, die nicht mehr Ägypten, sondern allein die eigene Weltsicht zum Gegenstand hat. Wie tief die hier kritisierten Epochenkonzepte und Interpretationsmodi in der ägyptologischen Praxis verwurzelt sind, zeigen die diskutierten hybriden Perspektiven, die den Bruch mit jenen Zugängen scheuen. Es ging daher darum, herauszustellen, inwiefern neue Erkenntnisse zur Zeit zwischen der 6. und 12. Dynastie in den etablierten historiographischen Rahmen eingepasst werden, der besteht, seit man sich im 19. Jahrhundert aufgrund fehlender Quellen und spät- bzw. ptolemäerzeitlicher Überlieferung ein Bild von dieser Zeit gemacht hatte.114 Dadurch wurde einerseits deutlich, dass sich die diskutierten Perspektiven und Interpretationen wesentlich aus den jeweils zugrundegelegten Prämissen, Prioritäten und Paradigmen erklären und nachvollziehen lassen. Die auf diese Weise erzielten Ergebnisse wurden selbst dann zu festgeschriebenen Standards erklärt, als die Ausgangsüberlegungen bereits fragwürdig geworden waren. Da methodenkritische oder geschichtstheoretische Diskussionen lange Zeit ignoriert oder vermieden wurden, mittlerweile aber die archäologisch unterfütterten Ergebnisse etwa von Seidlmayer als unstrittig anerkannt sind, offenbart sich diese Dissonanz in aller Deutlichkeit: Einerseits werden die eigentlich obsolet gewordenen Formen der Quellenlektüre immer noch gepflegt und die althergebrachten Epochenbilder weiter tradiert, andererseits sind die dem widersprechenden archäologischen Auswertungen und Untersuchungsergebnisse nicht einmal aus Überblicksdarstellungen mehr wegzudenken. Die von Gardiner und anderen bemühten Behelfskonstruktionen vermögen diese
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Vgl. für eine Auseinandersetzung mit ägyptologischen Epochenkonzepten der 1. Zwischenzeit und des frühen Mittleren Reiches sowie für eine quellenbasierte neue Perspektive auf die 8. bis frühe 12. Dynastie ausführlich Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 3–6.
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Problemstellungen nicht mehr zu bewältigen, vielmehr dürfte deutlich geworden sein, dass eine grundsätzliche Neuausrichtung in der Herangehensweise an Texte und Objekte sowie eine größere Sensibilität bei deren Interpretation und Bewertung unabdingbar geworden ist. Für eine solche Neuausrichtung sind Vorarbeiten in Form einer Geschichte der Geschichtsschreibung als unentbehrlich anzusehen. Darüber hinaus erscheinen sie insofern umso dringlicher, als in der Ägyptologie in einer solchen Auseinandersetzung mit dem eigenen historiographischen Vorgehen bislang noch kein wichtiges Desiderat erkannt worden zu sein scheint.115 Im Folgenden werden daher entsprechende Periodisierungen vermieden. Von der 1. Zwischenzeit wird nur noch gesprochen werden, wenn dies notwendig erscheint, um andere Standpunkte zu referieren. In Morenz’ Vorschlag, von einer „Zeit der Regionen“116 zu sprechen, sehe ich keine adäquate Lösung, da sie zwar eine Facette des damit bezeichneten Zeitraums betont, dadurch jedoch nicht nur den Blick einseitig prägt, sondern den Zeitraum ebenso kontrastiv den ‚Glanzepochen‘ des Alten und Mittleren Reiches gegenüberstellt, wie es der Begriff der Zwischenzeit tut. Diese Opposition hat zwar dann ihre Berechtigung, wenn man die Betrachtung auf das Kriterium geeinter, sich in Monumenten manifestierender Königsherrschaft fokussiert. Die eigene historiographische Perspektive bzw. deren Terminologie allein durch ein solches Kriterium dominieren zu lassen, erscheint jedoch wenig angemes-
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Vgl. hierzu auch unten Kapitel 3.2.4 sowie Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 6. Schneider stellte dies bereits mit Blick auf die Notwendigkeit einer Hinterfragung ägyptologischer Periodisierungen fest („Die Periodisierung der ägyptischen Geschichte“, 245). Siehe auch oben Kapitel 2.1. Gee äußert sich ähnlich skeptisch und geht nicht davon aus, dass die Ägyptologie ihr Bild vom Ende des Alten Reich und dem Beginn der 1. Zwischenzeit in absehbarer Zeit revidieren wird („Did the Old Kingdom Collapse?“, 72 f.). Er selbst lehnt in seinem Aufsatz zwar die Nutzung der literarischen Texte als historische Quellen ab (im Sinne Björkmans), indem er sie (letzlich Posener folgend) als Propaganda des Mittleren Reiches betrachtet. Damit unterzieht er das etablierte ägyptologische Geschichtsbild keiner grundsätzlichen Kritik. Und sein eigener alternativer Ansatz, die Diskurse der biographischen Texte, die die Wohltätigkeit von Grabherren thematisieren, vor dem Hintergrund einer Theorie zum Gemeinnützigkeitssektor moderner(!) Gesellschaften zu lesen, lässt jede Form von Historisierung bzw. von Sensibilität gegenüber historischer Semantik vermissen. Gees Problembeschreibung bleibt damit in weiten Teilen nützlich, wenngleich seine neue Perspektive kaum helfen dürfte, jene Problematik angemessen zu adressieren bzw. mit ihr aufzuräumen. Vgl. sowohl zur von Gee behandelten Thematik als auch zur Topik jener Texte Moreno García, „Climatic change or sociopolitical transformation?“, 84. Morenz, Die Zeit der Regionen, besonders: 29–35.
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187
sen, wenn neben dem Phänomen königlicher Herrschaftsentfaltung andere Aspekte nicht aus dem Blick geraten sollen. So verdankt sich der Morenz’sche Begriff der „Zeit der Regionen“ doch dem Ansinnen, Regionalisierungen zu betonen und auf deren politische wie soziale Auswirkungen und Begleiterscheinungen hinzuweisen. Verlagerungen vom Zentrum zur Peripherie sind jedoch bereits in der 6. Dynastie greifbar, die im Sinne der Morenz’schen Terminologie dem Alten Reich bzw. der Übergangsphase zur Zeit der Regionen angehört.117 Epocheneinteilungen führen also nicht nur dazu, dass unpräzise und unnötig verallgemeinernde Etiketten verteilt werden, sie tendieren auch dazu, in bestimmten Bereichen beobachtete Phänomene samt darauf bezogener Bewertungen auf andere Bereiche der Kultur zu übertragen. Konfrontiert man wie im Folgenden (Kapitel 2.3) das Material mit historiographisch (wie auch immer gelagerten) Epochen, ihren Grenzen und den ihnen impliziten Entwicklungsgedanken, erweisen sich diese schlicht als hinderlich. Da jede inhaltliche Benennung und Ansprache kategorisiert und sich unter bestimmten Gesichtspunkten als unangemessen erweisen kann, wird im Folgenden auf die Dynastieneinteilung zurückgegriffen. Sie ermöglicht es am ehesten, Zeiträume nach Regentschaften einzelner Königshäuser anzusprechen, ohne in unnötiger Weise semantische Etiketten zu verteilen. Dies geschieht in dem Bewusstsein, dass damit auch kein Königsweg eingeschlagen wird. Bei näherer Betrachtung können Dynastiegrenzen schließlich ebenso verschwimmen und sich in verschiedener Hinsicht als semantisch aufgeladene Konstruktionen herausstellen, die Interpretationen beeinflussen können.118
2.3
Bilder im Spiegel von Epochenbildern und ägyptologischen Kontexten
Hatte man zu Brugschs Zeiten noch keine detaillierte Kenntnis von Denkmälern aus der 8.–10. Dynastie, änderte sich dies seit dem späten 19. Jahrhundert und u.a. durch amerikanische Grabungen in Naga ed-Deir kamen
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Morenz’ Festhalten an „Mega-Epochen“ bei gleichzeitiger Auszeichnung von Übergangsbzw. Schrägstrichphasen („Ende Dyn. vi–viii [=] spätes Altes Reich/frühe Zeit der Regionen [|] Dyn. ix-Mitte xi [=] hohe Zeit der Regionen [|] Dyn. xi ab ‚Reichseinigung‘Beginn xii [=] späte Zeit der Regionen/frühes Mittleres Reich“) kommt eher einer Feinjustierung gleich, als dass es das von ihm selbst benannte Problem lösen könnte. Morenz, Die Zeit der Regionen, 39–41 (Zitate: 39 und 41). Vgl. hierzu etwa Kapitel 2.3.4.
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teil ii
abb. 10
Petries chronologische Gegenüberstellung von Stil, Grabform und Gräbern/Grabinhabern für Dendera
zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Grabstelen zu Tage.119 Diese Bildund Textquellen wurden jedoch kaum systematisch in den hier vorgestellten philologisch-historiographischen Diskurs120 eingespeist, sondern dienten meist lediglich dazu, bereits bestehende Vorstellungen von einem dunklen Zeitalter des Verfalls zu untermauern. So griff schon Petrie auf die Bildung stilistischer Reihen zurück, um für Dendera das ‚Dunkle Zeitalter‘ zwischen der 6. und 12. Dynastie chronologisch zu ordnen (Abb. 10):121 „Hitherto we have been following the guidance of the absolutely dated inscriptions naming the kings of the vith Dynasty, and only noting other tombs when their position linked them with those already dated. Now we enter on the difficult subject of this chapter, the dark age between the vith and the xiith Dynasty. And if in this we seem to dwell too much on small matters, it is because we have only small matters of
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Diese Fundgruppe der Grabung unter George Reisner wurde von Dows Dunham publiziert (Naga-ed-Dêr Stelae), eine neue Publikation von Edward Brovarski (Naga ed-Deir in the First Intermediate Period) ist für 2017 angekündigt. Siehe oben Kapitel 2.2. Petrie, Dendereh (1898), 13 (Text und Tabelle).
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style and sequence to help us through this period, and therefore they become as valuable as more decisive evidence is in better known ages.“ Im Folgenden gilt es daher, von den bisherigen Ergebnissen und Überlegungen zum ägyptologischen Topos der 1. Zwischenzeit (Kapitel 2.2) ausgehend die Rezeption der Bildquellen der Zeit in den Blick zu nehmen und sie dabei mit dem Material selbst zu konfrontieren. Neben der Monumentalarchitektur werden besonders oft Bilder herangezogen, um Aussagen über die ‚kulturelle Verfasstheit‘ zu treffen und so etwa einen kulturellen Verfall zu belegen, hängt Bildern doch der Ruf nach, als visuelle Medien direkte Einblicke in ihre Entstehungszeit gewähren zu können. Üblicherweise führt in ägyptologischen Betrachtungen zur Kulturgeschichte das Fehlen von großen Bauwerken und ‚guter Kunst‘ dazu, anzunehmen, es könne sich um keine gute oder florierende Zeit gehandelt haben.122 Eine Gegenüberstellung von Bildern aus der sogenannten 1. Zwischenzeit und solchen aus der 4. oder 5. Dynastie kann gut veranschaulichen, welche Form von vermeintlicher visueller Selbstevidenz dabei in Anspruch genommen wird. Die Speisetischszene einer Grabstele aus der 4. Dynastie (Taf. 1.1) illustriert, was ein ägyptologischer Betrachter gemeinhin von ‚ägyptischer Kunst‘ erwartet: die Einhaltung des Proportionskanons,123 die Anordnung der einzelnen Bildelemente auf Standlinien bzw. in klar strukturierten Rastern und zudem noch eine Ausführung auf technisch hohem Niveau. Das Beispiel einer vermutlich aus Naga ed-Deir stammenden Grabstele aus der sogenannten 1. Zwischenzeit (Taf. 1.2) zeigt hingegen keine streng-kanonischen Proportionen, die Augen sind überdimensioniert, es kommt zu Formen sonst unüblicher Überlappungen, Standlinien verlaufen diagonal oder fehlen, die Anordnung der einzelnen Bildelemente und Hieroglyphen wirkt gedrängt, die handwerkliche Ausführung erscheint roh.124 Es ließen sich zahlreiche Beispiele für diesen soge-
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Vgl. Jansen-Winkeln zur ägyptologischen Praxis, aus der Größe von Bauten eine historische Entwicklung der Kultur abzuleiten („Die Rolle des Unbekannten in der ägyptischen Geschichte“, 156f.). Vgl. auch oben die Ausführungen zu Brugsch sowie die Diskussion bei Collingwood in Kapitel 2.1 und 2.2.1. Vgl. Robins, Proportion and Style in Ancient Egyptian Art. Zu diesem Vergleich sei angemerkt: Dass die Stele in Berkeley (6–19825) im Unterschied zu derjenigen in Hildesheim (rpm 4590) einen Prinzen zeigt, schmälert an dieser Stelle keineswegs deren Vergleichbarkeit, denn es geht hier ja gerade darum, den musealen Blick nachzuempfinden, der ‚Meisterwerke‘ anderen Stücken vorzieht. Die mit diesem Vergleich ebenfalls vorgeführte Form der Dekontextualisierung und Überführung der Objekte in ein imaginäres Museum wird in Kapitel 3.1 ausführlich beleuchtet.
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teil ii
nannten Zwischenzeitstil anführen, für den sich in maßgeblichen ägyptologischen Studien im Wesentlichen zwei Interpretationsmuster finden: Einerseits wird die schlechte Qualität betont, es ist die Rede von „derbere[m] Provinzialismus“125, ‚hässlichen‘ Objekten und „bizarrer Entgleisung“126, ‚künstlerischer Minderwertigkeit‘127 oder gar Verfall zu „kindhaftem Gestammel“128, das als Ausdruck generellen Verfalls aufzufassen sei.129 Andererseits wird in den Bildern eine Frische des Neuen und Innovativen erkannt: das Entscheidende sei vor dem Hintergrund des Kollapses „das Erwachen bislang ruhenden, noch nicht erweckten künstlerischen Potentials“130. Beiden Formen der Beschrei125
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H. G. Fischer, „Flachbildkunst des Mittleren Reiches“, 292. Von „provinziell“ und „Provinzialkunst“ sowie von „verwilderten Zeichenformen“ sprechen auch jüngst noch Schoske & Wildung, Münchner Buch der ägyptischen Kunst, 56 und 60. Blackman, „The Herakleopolitan Period and the Middle Kingdom“, 21; Wildung, „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“, 273. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 28. Brunner-Traut, „Stilwandel“, 43. Vgl. als weiteres weniger drastisches Beispiel Guillemette Andreu (in: Andreu, Rutschowscaya & Ziegler [Hrsg.], L’ Égypte ancienne au Louvre, 72f.): „They [Stele Louvre e 27211 und vergleichbare Stücke, K.W.] give the impression that an evolution, perhaps even a decline, in the artistic quality paralleled the political confusion and the breakdown in centralized authority that characterized the First Intermediate Period. […] Despite the quality of this painting, the monument appears to be extremely awkward, a characteristic that immediately dates it to the First Intermediate Period – the outlines of the figures are hastly sketched in, the legs are thick, the arms too long and the face of the man to the right incorrectly proportioned“. Positionen, die Wertungen wie die oben angeführten nicht nur pauschal kritisieren, sondern näher beleuchten, sind selten. Vgl. als Beispiel Kahl, der sich in einer Rezension negativen ästhetischen Urteilen widmet und auf die damit verbundene Problematik eingeht: „Denn selbst wenn zugegebenermaßen manches aus der Ersten Zwischenzeit und/oder aus der Peripherie sonderlich anmutet, bleibt doch einerseits zu klären, ob es zu dieser Zeit und an diesem Ort auch so empfunden wurde, und andererseits zu fragen, nach welchen Maßstäben heutzutage solche ästhetischen Urteile gefällt werden können.“ („[Rezension zu] Hannig, Zur Paläographie der Särge aus Assiut“, 323). Geht man den von Kahl zu Recht aufgeworfenen Fragen weiter nach, zeigt sich, dass sie selbst den von ihm vorgeschlagenen Begriff für eine alternative Betrachtung („Regionalkunst“, ebenda [Kursive i.O.]) konterkarieren, wenn man die Geschichtlichkeit der Ästhetik berücksichtigt (vgl. Kapitel 1.2.1.6): Denn unsere ästhetischen Urteile können nicht die der Ägypter gewesen sein und die Maßstäbe unserer ästhetischen Urteile stehen auf dem Boden der neuzeitlichen Institution Kunst. Wenn aber die ägyptische Betrachtung eine andere war, warum dann noch von ägyptischer Kunst sprechen? Auf diese Frage wird in Teil iii dieser Arbeit abschließend zurückzukommen sein. Schoske & Wildung, Ägyptische Kunst München, 29. Vgl. außerdem Wildung, Sesos-
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bung liegen zwei gemeinsame Perspektiven zugrunde. Zum einen werden die infrage stehenden Objekte nach ästhetischen Kriterien beurteilt: Im Vergleich zur ‚schönen Kunst der Blütezeiten‘ werden die Objekte der Zwischenzeit etwa als künstlerisch minderwertig und hässlich beschrieben. Dieser Vergleich mit dem Vorherigen bzw. Folgenden beinhaltet bereits die zweite Gemeinsamkeit, da beiden Beschreibungen eine teleologische Auffassung der Evolution ägyptischer Kunst unterliegt. Sie unterscheiden sich lediglich bezüglich der Warte, von der aus sie die Zeit zwischen der 6. und der 12. Dynastie betrachten. Im ersten Fall wird der negativ bewertete Wandel aus Sicht des als streng kanonisch und zugleich positiv bewerteten Alten Reiches betrachtet und folglich als Verfall beschrieben. Im zweiten Fall wird aus der Perspektive eines als kulturell blühend gedachten Mittleren Reiches versucht, plausibel zu machen, wie der vorangegangene qualitative Bruch als Teil einer Entwicklung interpretiert werden kann, die wiederum die Genese der künstlerischen Hochzeit dieses Mittleren Reiches erklären soll. Wir haben es folglich mit auf Zyklentheorien basierenden Versuchen zu tun, im Rück- bzw. Vorausblick auf Blütezeiten den Zeitraum als Verfall oder Vorstufe in eine Entwicklung einzuordnen und so den wahrgenommenen Wandel für uns heutige Betrachter mit Sinn zu versehen.131 So wird die beobachtete Diskontinuität in eine auf die Betrachterperspektive ausgerichtete Entwicklung eingebunden und die Vorstellung von einer dunklen Zeit auf diese Weise untermauert, während die zeitgenössischen Artefakte und ihre Entstehungszeit selbst eher vom Schirm der Geschichtsschreibung verschwinden. Dieses Resultat wird jedoch selten als solches problematisiert,
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tris und Amenemhet, 28; Sourouzians Beitrag „Die ägyptische Kunst. Stil und Darstellungskanon“, in: Saleh & Sourouzian, Die Hauptwerke im Ägyptischen Museum Kairo, 18–24, hier: 21 (dort findet sich mit Blick auf den Zeitraum auch die Beschreibung „unbekümmert frische, jedoch stark provinzielle Volkskunst“ [ebenda, Kat. 67 o.S.]); Morenz, Zeit der Regionen, 329; Freed, „Sculpture of the Middle Kingdom“, 884 sowie exemplarisch Tiradritti, „Painting“, 254–256 sowie ders. „Renaissance. Archaism. The Sense of History“, 17: „The First Intermediate Period (2150–1994bc) followed the Old Kingdom. This era can be considered as one of the most creative moments in Egyptian history. Art managed to free itself from the rigid, though formally perfect, Memphite canons. Even though accuracy and precision were lost, freshness and vitality were gained.“ Vgl. die Ausführungen oben, sowie als ein konkretes Beispiel die auf biologistisches Vokabular bzw. Verfallstheorien zurückgreifenden Kapitelüberschriften bei Robins, Art of Ancient Egypt2, 5: „Origins. The Early Dynastic Period“ – „The First Flowering. The Old Kingdom (i)“ – „A Golden Age. The Old Kingdom (ii)“ – „Diversity in Disunity. The First Intermediate Period“ – „Return to the Heights. The Middle Kingdom (i)“ – „Change and Collapse. The Middle Kingdom (ii)“.
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es fällt vielmehr kaum auf: Meist bleibt es bei dem Hinweis auf den Verlust von Kanonizität einerseits und auf das Auftreten lokaler Stile andererseits.132 So wurden und werden die hier skizzierten Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster auf den Zeitraum und dessen Bilder angewendet und das Ergebnis von weiten Teilen der Forschung als Verfall und im Sinne Schneiders als „historische Wirklichkeit“ verstanden.133 Es lohnt sich, angesichts dieser weit verbreiteten Vorstellungen nun die erhaltenen Bilder selbst hinzuzuziehen. Eine systematische Aufarbeitung des gesamten Materials wäre ein größeres, eigenständiges Forschungsvorhaben, so dass es in den folgenden Materialbeobachtungen keineswegs um Vollständigkeit gehen kann.134 Hier soll vielmehr der Blick auf mehrere konkrete miteinander verbundene Aspekte gelenkt werden, die sich dann anhand anderer Zusammenhänge weiter verfolgen lassen. Zunächst ist die von Junge formulierte These zu prüfen, ob man von einer ägyptischen Kunst sprechen kann, die erst durch Einhaltung des Proportionskanons und die damit verbundenen ästhetischen Maßstäbe ‚gelingt‘ und ihre Funktionstüchtigkeit erhält (Kapitel 2.3.1). Junge hatte zur Untermauerung dieser These die „provinzielle Kunst der 1. Zwischenzeit“ als Gegenbeispiel zu kanonischem Gelingen angeführt.135 Anschließend soll überprüft werden, ob das Bildmaterial der Zeit geeignet ist, die häufig angenommenen Dekadenztheorien zu stützen (Kapitel 2.3.2), um davon ausgehend die ‚Rückkehr der blühenden Kunst‘ zu untersuchen, die man ägyptologischerseits im Bildmaterial der zweiten Hälfte der 11. Dynastie zu sehen glaubt und politisch bzw. historisch auswertet (Kapitel 2.3.3). Diese ägyptologische Praxis – vor allem im Umgang mit Stilbeobachtungen – wird dann in die 12. Dynastie weiter verfolgt (Kapitel 2.3.4). Zum Abschluss von
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Freed, „Sculpture of the Middle Kingdom“, 883f. Vgl. auch Schoske & Wildung, Ägyptische Kunst München, 26–29 und Robins, Art of Ancient Egypt2, 80–83. Vgl. oben bzw. Schneider, „Die Periodisierung der ägyptischen Geschichte“, 243 sowie Moreno García, der von einem „ready-to-use narrative“ spricht („Climatic change or sociopolitical transformation?“, 81–83 [Zitat: 82]). Für Beispiele dieser üblichen Perspektive siehe oben Fn. 5. Neben den geographisch bzw. quellengattungstechnisch selektiven Studien von Morenz (beschränkt auf Gebelein) und Seidlmayer (fokussiert auf die Keramik aus Gräberfeldern der Grundschicht) liegen keine umfangreicheren Arbeiten zum Thema vor. Dabei liegt das vordringlichste Desiderat nicht unbedingt in der Verbesserung der z.T. äußerst schlechten Publikationslage, sondern vielmehr im weitgehenden Fehlen fundierter Interpretationsansätze, die sich auch mit wissenschaftsgeschichtlich bedingten Vorannahmen auseinandersetzen. Junge, „Versuch einer Ästhetik“, 20, siehe hier Kapitel 1.1.2.
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Kapitel 2.3 wird die semantische Deutung von Stilen anhand der Frage nach der Porträthaftigkeit von Königsstatuen der 12. Dynastie untersucht (Kapitel 2.3.5). Mit den Materialbeobachtungen der folgenden Unterkapitel wird die Interpretation ägyptischer Bilder sowohl im Zusammenhang mit Epochenbildern als auch mit Stilfragen diskutiert, um in der oben geschilderten Weise (Kapitel 1.5 und Einleitung zu Kapitel 2) Formen ägyptologischen Umgangs mit ägyptischen Bildern, die davon ausgehen, wir hätten es mit Kunst zu tun, einer Methodenkritik zu unterziehen. Die dabei erzielten Ergebnisse zusammenführend wird in Kapitel 2.4 das Verhältnis von Stil und Geschichte terminologisch neu und methodisch transparent gefasst. So soll eine Grundlage für eine Perspektive auf ägyptische Bilder gelegt werden, die sich hinsichtlich der Kunstfrage klar positioniert und eine Neuausrichtung vorbereitet. 2.3.1 Materialbeobachtungen (i): Funktionalität In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung spielen die Funktionen der Bilder aus der Zeit zwischen der 6. und der 12. Dynastie oder ihr Sitz im Leben aus den oben geschilderten Gründen bezeichnenderweise kaum eine Rolle: Die gängigen Wahrnehmungen sind auf die sogenannten Blütezeiten ausgerichtet und nicht auf die entstehungszeitlichen Kontexte der Bilder selbst. Dadurch, dass Junge das Fehlen einer Orientierung am Proportionskanon als Argument für den Verlust von funktional-ästhetischem Gelingen angeführt hat, drängt sich nun jedoch gerade die Frage nach dem funktionalen Kontext der Objekte auf. Dem soll im Folgenden in grundlegenden Zügen anhand der Kontexte von Wanddekorationen und Stelen aus nichtköniglichen Grabanlagen nachgegangen werden.136 Um den Ort dieser Bilder innerhalb der ägyptischen Kultur näher betrachten zu können, ist es notwendig, sich einige grundlegende Charakteristika ägyptischer Privatgräber aus älterer Zeit zu vergegenwärtigen. In der 4. Dynastie gruppieren sich die Gräber der Angehörigen der Residenzelite zunächst um die Pyramidenanlage des jeweils regierenden Königs. Ein Verweis auf die Mastabafriedhöfe auf dem Plateau von Giza mag hier pars pro toto
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Ein Großteil des erhaltenen Flachbildmaterials dieser Zeit stammt aus Mastabas in Dendera sowie Felsgräbern in Naga ed-Deir, Gebelein, Theben und anderen oberägyptischen Nekropolen. Vgl. H. G. Fischer, Dendera in the Third Millennium b.c.; Dunham, Nagaed-Dêr Stelae; Morenz, Die Zeit der Regionen, 204–366; H. G. Fischer, Inscriptions from the Coptite Nome. Siehe zur Skulptur den Überblick bei Jacques Vandier (Manuel d’archéologie égyptienne iii, 147–162) sowie hier weiter unten den Abschnitt zu Datierungsfragen (Kapitel 2.3.2.4).
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genügen.137 Die Mastabas wurden jeweils mit einer eigenen Opferstelle für den Totenkult und oft im Inneren mit teilweise sehr elaboriert gestalteten Raumfolgen versehen. Diese Räume blieben auch nach der Beisetzung größtenteils zugänglich, damit an der zentralen Kultstelle eines jeden Grabes Opfergaben für die Versorgung des Verstorbenen dargebracht werden konnten. Oftmals findet sich in der unmittelbaren Nähe der Opferstelle mindestens eine flachbildliche Darstellung des Verstorbenen häufig neben einem Speisetisch und Listen von Opfergaben mit der dazugehörigen Opferformel. So sollte die kultische Versorgung des Verstorbenen in architektonischer, bildlicher und textueller Form dauerhaft fixiert werden. Die Zugänglichkeit der Anlage sollte in Verbindung mit den seit dem Ende der 4. Dynastie belegten biographischen Inschriften138 die dauerhafte erinnerungsbasierte Einbindung des Verstorbenen in die diesseitige soziale Ordnung ermöglichen.139 Auch die Beamten, die die Provinzen des Landes verwalteten, waren zunächst in der Residenz angesiedelt und ließen sich in der dortigen Nekropole bestatten. Dieser strikte Zentralismus brach im Laufe der Zeit mehr und mehr auf: Die Provinzbeamten nahmen sich nun anstelle der Residenz die von ihnen verwalteten Landstriche selbst als Bezugspunkte. Dort ließen sie sich in neu angelegten Nekropolen monumentale Gräber anlegen, vererbten ihre Ämter an ihre Söhne und bildeten auf diese Weise neue, sich zunehmend verselbstständigende Provinzeliten. Die noch nominell über ganz Ägypten herrschenden Könige der 8. Dynastie hatten – so die gängige Lehrmeinung – de facto die Kontrolle über weite Teile ihres Landes bereits an die Provinzfürsten verloren. Dies wird meist mit einer Emanzipierung der Provinzeliten begründet, durch die dem von der Residenz aus regierenden Königtum der Zugriff auf die Provinzressourcen nach und nach entzogen worden sei. Derartige Erklärungsversuche sind jüngst jedoch berechtigterweise in die Kritik geraten.140
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Vgl. Jánosi, Giza in der 4. Dynastie i. Dass die Nekropole freilich auch noch später genutzt wurde, als sie nicht mehr Residenznekropole war, findet seltener Beachtung. Vgl. hierzu unten Kapitel 2.3.2.4. Vgl. Kloth, Die (auto-)biographischen Inschriften, 246–251 und Gnirs, „Die ägyptische Autobiographie“, 220–225. Vgl. Junge, „Vom Sinn ägyptischer Kunst“. Vgl. für die verbreitete Position etwa Málek, „The Old Kingdom“, 116f. Vgl. jedoch nun auch Jansen-Winkeln, der in seinen methodenkritischen Anmerkungen für die 5. und 6. Dynastie „keinerlei Anzeichen von Verfall und Disfunktionalität“ ausmachen kann. In der Tat scheint es sehr angeraten, mit Jansen-Winkeln in der verbreiteten Annahme, bereits in der 6. Dynastie habe die königliche Verwaltung an Einfluss verloren, den ägyptologischen Versuch zu erkennen, den ‚Untergang des Alten Reiches‘ erklären zu wol-
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Festzuhalten bleibt, dass in den Provinzzentren Mittel- und Oberägyptens nun von den dortigen Eliten überwiegend Felsgräber angelegt wurden, in deren Kulträumen meist anstelle von Wandreliefs Steintafeln in der Nähe der unzugänglichen Bestattungsräume angebracht wurden.141 Diese Tafeln weisen in
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len. Eine nüchterne Quellenbetrachtung, wie Jansen-Winkeln sie skizziert, zeichnet ein anderes Bild, so dass die Annahme einer Dekadenzentwicklung für diese Dynastien zu revidieren sein dürfte. Vgl. Jansen-Winkeln, „Die Rolle des Unbekannten in der ägyptischen Geschichte“, 157 f. (Zitat: 158). Jansen-Winkeln versucht an anderer Stelle („Der Untergang des Alten Reiches“) noch ausführlicher eine Perspektive einzunehmen, die „nur die Quellen selbst betrachtet, also ohne die Veränderungen nach Ende des Alten Reiches erklären zu wollen, ohne aufgrund späterer Zustände in einer Rückprojektion bestimmte Entwicklungen zu postulieren“ (ebenda, 283 Anm. 57, Kursive i.O.), und entwickelt dabei die „These, daß das Alte Reich nicht durch innenpolitische Entwicklungen unterging, sondern durch einen Angriff von außen“ (ebenda, 302). Jansen-Winkeln hinterfragt auf eine überzeugende Weise die verbreiteten Positionen und entlarvt diese als Versuche, „alles in eine einzige Entwicklungslinie ein[zu]ordnen“ (ebenda, 282). Selbst löst er sich dabei jedoch nicht von Epochen- und Entwicklungsgedanken und hält an der Beschreibung als „Untergang des Alten Reiches“ für die Zeit nach der 6. Dynastie fest. Für seinen Vorschlag, wieder eine Invasion als Ursache in Betracht zu ziehen, stützt er sich neben Analogieüberlegungen zu späteren Invasionen (etwa durch die Assyrer), die ebenfalls keine Spuren im ägyptischen Material hinterlassen hätten, auch auf die Lehre für Merikare. Deren Ziel habe zwar nicht die „historische Tatsachenbeschreibung“ sein müssen, dennoch sei davon auszugehen, dass die „ ‚historischen‘ Angaben“ nicht „frei erfunden“ seien. Damit nimmt JansenWinkeln eine Position ein, wie sie oben schon anhand von Burkard & Thissen sowie Assmann diskutiert wurde (vgl. Kapitel 2.2.2) und die eine Form problematischer Literargeschichtsschreibung darstellt (vgl. auch Giewekemeyer „Perspektiven und Grenzen“ und Widmaier, „Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“, 499–503). Vgl. auch den methodenkritischen Beitrag von Malte Römer, der verschiedene Untergangs- und Krisenszenarien, die in der Ägyptologie diskutiert wurden und im Wesentlichen bis heute vertreten werden, bespricht und herausarbeitet, welche modernen Konzepte und Prämissen dabei eine maßgebliche Rolle spielen, die sich jedoch bei genauerer Betrachtung für Ägypten als unhaltbar erweisen (Römer, „Was ist eine Krise?“) sowie jüngst den differenzierenden Überblick von Moreno García, „Climatic change or sociopolitical transformation?“. Vgl. beispielsweise Dunham, Naga-ed-Dêr Stelae, 1–11 und Tf. i (hier Abb. 11.1). Größere Anlagen mit Dekorationsprogrammen sind deutlich seltener. Vgl. Grab 110 auf der Qubbet el-Hawa (Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, 1715–1815 und Taf. lxxii– lxxxvi), das Grab des Jtj in Gebelein (vgl. ausführlich mit weiterer Literatur Morenz, Die Zeit der Regionen, 337–357), sowie das des Ꜥnḫ.tj=f in Moalla (Vandier, Moꜥalla). Freistehende Stelen sind ab der späteren 11. Dynastie in Abydos und Theben belegt (vgl. Morenz, Die Zeit der Regionen, 213).
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abb. 11.1–2 Grabstele und Opfergefäße in situ (Grab 3804, Naga ed-Deir) © 1937 & 2015 Museum of Fine Arts, Boston
der Regel ein Grundinventar an Bildern und Texten auf (vgl. Taf. 1.2, 2.1–2 und 3.1–2): Das Schriftfeld beinhaltet neben Namen und Titeln fast immer eine Opferformel, auf einigen wenigen Stelen wurden zudem biographische Inschriften angebracht.142 Außerdem finden sich immer Darstellungen des Verstorbenen evtl. in Begleitung seiner Frau, häufig vor einem Speisetisch oder Opfergaben. Die Bildfelder können noch durch Darstellungen von Mundschenken, Gabenbringern oder Hunden erweitert sein. Insgesamt lässt sich damit feststellen, dass sich die zentralen Funktionen der Dekorationen von mehrräumigen Monumentalgräbern der Residenz auf meist weniger als einen Quadratmeter Fläche komprimiert finden, der zudem die Kultstelle der jeweiligen Gräber markierte (vgl. Abb. 11.1–2).143 Die Steintafeln präsentieren und gewährleisten zugleich die kultische Versorgtheit und Einbindung des Verstorbenen in Dies- und Jenseits.144 Es besteht kein Grund zu der Annahme, diese Grabstelen der Provinzfriedhöfe hätten in ihren sepulkralen Kontexten über keine oder eine gegenüber Beispielen aus anderen Zeiten nur eingeschränkte Funk-
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Vgl. etwa zu wahrscheinlich aus Gebelein stammenden Beispielen ausführlich Morenz, Die Zeit der Regionen, 204–365. Abb. 11.1–2 zeigt den Befund von Grab 3804 in Naga ed-Deir mit in situ gefundenen Opfergefäßen vor einer solchen Steintafel, die den Zugang zur Grabkammer verschloss: Dunham, Naga-ed-Dêr Stelae, fig. 5 und Tf. i.3. Außerdem Smith, Art and Architecture3, 80. Vgl. Morenz, der in diesem Zusammenhang auf den stark funktionalen Charakter von Autobiographien (bzw. in seiner Terminologie „Selbst-Präsentifikationen“) und die performative Dimension der Steintafeln hinweist (Die Zeit der Regionen, 213–215).
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tionalität verfügt, bloß weil ihre Ausführung einigen der von ägyptischen Produzenten der Residenzwerkstätten gepflegten qualitativen und kanonischen Standards nicht entspricht, die von der Ägyptologie als Bewertungsmaßstab übernommenen wurden.145 Ob die Ägypter, die diese Steintafeln in Auftrag gaben oder produzierten, diese als weniger schön empfunden haben als andere, entzieht sich unserer Kenntnis. Doch dies dürfte gar nicht entscheidend sein. Bedeutsam erscheint hingegen, dass in den Provinzstädten die Vergleichsmöglichkeiten vor Ort gering gewesen sein dürften und dass sich keine funktionalen Unterschiede zwischen den kanonischen Stelen, die uns ästhetisch ansprechen und beeindrucken, und Steintafeln, die uns vielleicht befremden und die wir als minderwertig erachten mögen, feststellen lassen.146 Materialbeobachtungen (ii): Einführung in Stil- und Datierungsfragen anhand von Beispielen aus der 5.–11. Dynastie In der Forschung wurden mehrfach für einzelne Objektkorpora aus der 5.– 11. Dynastie Datierungsversuche unternommen,147 die sich angesichts der hier
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Die Argumentation ist analog auf das Rundbild übertragbar. Vgl. hierzu auch Seipel und Wildung, die angesichts des Beispiels der heute in Leiden befindlichen Grabstatue des Ḥnnw-jqr und seiner Frau Jn.t-jt=s (Leiden Rijksmuseum am.101) vom „Tiefpunkt künstlerischen Verfalls“ sprechen, zugleich jedoch feststellen, sie habe „trotz aller Formenverwilderung den kultischen Erfordernissen vollauf“ genügt (Seidel & Wildung, „Rundplastik der Frühzeit und des Alten Reiches“, 229 [Kat. und Taf. 147]). Vgl. hierzu unten Kapitel 3. Dort auch zur Bedeutung des hier angesprochenen Befremdens bzw. der Irritation auf Seiten heutiger Betrachter (Kapitel 3.2.5). Neben den weiter unten näher zu besprechenden jüngeren Vorschlägen von Morenz (Die Zeit der Regionen, 267–270) und Kubisch („Die Stelen der i. Zwischenzeit“), wären noch Arbeiten von Dows Dunham, Henry George Fischer und Edward Brovarski zu nennen. Dunham versucht bei der Datierung der Stelen aus Naga ed-Deir durch ein Punktesystem neben dem Auftreten datierbarer Namen und Titel sowie bestimmter Gottheiten in der Opferformel auch Grabungsbefunde zu berücksichtigen. Das Ergebnis ist eine sehr grobe und zugleich unsichere Zuordnung, die sich überwiegend auf onomastische Belege stützen muss, da Dunham kaum Grabungsbefunde zur Verfügung standen (Naga-ed-Dêr Stelae, 119–124). Vgl. auch die berechtigte Kritik von Schenkel, Frühmittelägyptische Studien, 96 f. Auch wenn Henry George Fischer seine Beispiele aus dem 5. oberägyptischen Gau überwiegend unter epi- bzw. paläographischen Gesichtspunkten kommentiert, greift er zusätzlich auf stilistische Überlegungen zurück, um Gruppen zu bilden und Zugehörigkeiten zu attestierten (Inscriptions from the Coptite Nome, etwa 42 und 51f.). Edward Bovarski (Inscribed Material) hat das Material aus Naga ed-Deir noch ein-
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infrage stehenden Verfallstheorien als zentral erweisen und daher im Folgenden näher betrachtet werden sollen. Es fehlen uns für die meisten Stelen dieses Zeitraums, die heute über die halbe Welt verteilt sind, Angaben der Fundumstände, und selbst wenn solche vorliegen, reichen sie in den seltensten Fällen aus, eine genauere kontextgestütze Datierung zu begründen.148 Daher wird meist auf Stilbeobachtungen zurückgegriffen und auf Verfallstheorien gestützt zunächst ein stetiger Niedergang angesetzt: D.h. je unproportionierter die Darstellungen bzw. je geringer die qualitative Ausführung ausfällt, desto weiter wird der zeitliche Abstand der Entstehung des jeweiligen Objekts von der 5./6. Dynastie vermutet.149 Erst in der Mitte der 11. Dynastie wird dann wieder ein Aufstieg identifiziert, der sich rasant und zeitgleich zur Reichseinigung unter Mentuhotep ii. ereignet habe.150 Auf diese Weise wird parallel zur angenommenen Verfallsentwicklung eine relative Chronologie der Bilder erstellt, die wiederum die Deutung der Zwischenzeit als sich bis zur Reichseinigung erstreckender stetiger Verfall stützt: ein Zirkelschluss, von dem sich wohl kein stilistischer Datierungsversuch vollends zu lösen vermag. 2.3.2.1 Stil und Geschichte: Stiltheorie nach Whitney Davis Die damit knapp skizzierten Zusammenhänge können kaum in adäquater Weise aus rein ägyptologischer Perspektive heraus betrachtet werden. Schließlich handelt es sich bei stilistischen Datierungen nicht um ein isoliertes Phäno-
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mal umfassend bearbeitet. Dabei erkennt er verschiedentlich Verfallserscheinungen im Material, das er – eine Verfallsentwicklung ansetzend – chronologisch ordnet (ebenda, 161–263), wenngleich er angesichts der Vielfalt stilistischer Phänomene einräumt, dass stilistische Datierungen mitunter schwierig seien (ebenda, 174). Vgl. als ausführliches Beispiel, das zugleich indirekt die Schwierigkeiten eines solchen Vorgehens aufzeigt, die über Vergleichsstücke geführte Argumentation gegen einen Datierungsvorschlag Peter Munros ebenda, 186–190, Anm. 89. Die Monographie Naga ed-Deir in the First Intermediate Period Brovarskis lag noch nicht vor und ist für 2017 angekündigt. Kontexte sind etwa für Naga ed-Deir (vgl. Dunham, Naga-ed-Dêr Stelae) und Dendera belegt, jedoch unzureichend dokumentiert bzw. publiziert. Es bleibt zu hoffen, dass Brovarski für seine Monographie Naga ed-Deir in the First Intermediate Period auf weiteres Archivmaterial der amerikanischen Grabungen zurückgreifen konnte. Vgl. zur Grabungsgeschichte Denderas Musacchio, „Texts and Iconography of Autobiographical Stelae“, 51 f. sowie dies., „An Unpublished Stela from Dendera“, 1. Auch wenn die Vorstellung vom Alten Reich als Epoche rein kanonischer und qualitativ hochwertiger Bildproduktion in den letzten Jahren z.T. etwas differenzierteren Perspektiven gewichen ist, bleibt das Bild vom Alten Reich als künstlerischer Blütezeit in der Forschung maßgeblich. Vgl. unten Kapitel 2.3.2.4 mit weiteren Angaben. Vgl. hierzu unten Kapitel 2.3.3.
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men, sondern um einen in der Regel leichthin unreflektiert erfolgenden Methodenimport. Dies überrascht keineswegs, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der ‚Stil‘ als ein zentraler Untersuchungsgegenstand und die Stilforschung als eines der hermeneutischen Instrumente der Kunstgeschichte und Klassischen Archäologie schlechthin angesehen werden muss und als ‚undiskutierte Selbstverständlichkeit‘ (Gadamer) lange Zeit die wissenschaftliche Praxis dieser Fächer dominiert und weit über ihre Grenzen hinaus gewirkt hat.151 Entsprechend lassen sich nicht nur vereinzelt Ansätze finden, die einen engen Zusammenhang von historischen Gegebenheiten und dem Stil von Objekten ansetzen. Ganze Fächer gründen sich selbst oder zumindest einige ihrer zentralen Gegenstandsbereiche auf die Annahme eines engen Zusammenhangs von Stil und Geschichte und haben darauf aufbauend elaborierte Formen der Stilanalyse ausgebildet.152 Die Klassische Archäologie war jahrzehntelang eine auf den Arbeiten der Kunsthistoriker Alois Riegl (1858–1905)153 und Heinrich Wölfflin (1864–1945) aufbauende reine Kunstarchäologie der Betrachtung von Form und Stil und hat sich nach verbreiteter Meinung noch immer nicht von diesem Primat verabschieden können bzw. wollen.154 Bereits seit etwa 40 Jahren lässt sich nach Manfred K. H. Eggert jedoch eine Bewegung innerhalb der Klassischen Archäologie ausmachen, für die die „Stilforschung im allgemeinen und die Strukturforschung im besonderen […] als wissenschaftlich uneinlösbar und überholt [gilt].“155 Vermehrt seit den 1990er Jahren versuchen Archäologen wie Tonio Hölscher und Paul Zanker die einseitige Fokussierung des Faches durch eine konzeptuelle Neuaufstellung zu ersetzen, die vorsieht, 151
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„Der Begriff des Stils ist eine der undiskutierten Selbstverständlichkeiten, von denen das historische Bewußtsein lebt.“ (Gadamer, Wahrheit und Methode3, 466 vgl. auch die weiteren Schilderungen und Bemerkungen ebenda, 467–469). Grundlegend ist außerdem zu den unterschiedlichen Facetten des Stilbegriffs und deren wissenschaftsgeschichtlichen Hintergründen Sauerländer, „From Stilus to Style“. „Style – the similarity among artifacts – is explained by the history of the artifacts. Therefore style matters as the explanandum for art history or archaeology; without style we have nothing to talk about, no problem to solve.“ (Davis, „Style and History“, 23), vgl. außerdem Isler, „Klassische Archäologie am Ende des 20. Jahrhunderts“; Eggert, Archäologie, 110–134 sowie Hartwig, „Style“, 39. Siehe zu Riegl und Anknüpfungspunkten zum ägyptologischen Diskurs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Liedtke, Begriffsbildung, 48–51. Vgl. Isler, „Klassische Archäologie am Ende des 20. Jahrhunderts“, 48; Bergemann, Orientierung Archäologie, 14; Borbein, Hölscher & Zanker, „Einleitung“, 15f.; Eggert, Archäologie, 123 und 134 sowie ausführlich: 110–134. Eggert, Archäologie, 116.
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als historische Kulturwissenschaft alle materiellen Hinterlassenschaften der Antike in den Blick zu nehmen,156 um „eine Lebenskultur“, ihre „Bildwerke und Lebenswirklichkeit zugleich“ zu erschließen und durch kulturanthropologische, sozial- und kulturgeschichtliche Fragestellungen Fächergrenzen zu überwinden.157 Dennoch wird die Stilanalyse weiterhin in der Klassischen Archäologie für Datierungszwecke praktiziert.158 Die Bestrebung, durch Stilanalyse eine Chronologie zu erstellen, erscheint zunächst aus museologischer Sicht auch legitim. Das stilgestützte Datieren von Objekten erfordert eine möglichst große Zahl verfügbarer Vergleichsobjekte und damit etwa erschlossene Materialkorpora. Ein an ihnen gewonnenes umfangreiches Wissen und die Erfahrung im Umgang mit dem Material zeichnen den Kenner aus, dessen Urteile sich im Wesentlichen auf eine daraus abgeleitete Autorität stützen.159 Bereits Anfang der 1980er Jahre hat Whitney Davis diese Form der ägyptischen Kunstforschung sehr überzeugend als weitestgehend selbstreferenziell und an zentralen Fragen vorbei argumentierend beschrieben.160 Außerdem hat die Ge156 157 158 159 160
Hölscher, „Bilderwelt, Formsystem, Lebenskultur“, 460–484; Borbein, Hölscher & Zanker, „Einleitung“; Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 175f. Hölscher, „Bilderwelt, Formsystem, Lebenskultur“, hier: 464f. Vgl. Bergemann, Orientierung Archäologie, 87–90; Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 49–51. Vgl. oben Junges Kritik an Kennerurteilen (Kapitel 1.1.2) sowie Kapitel 1.2.2 zu Verbovseks Ausführungen. „A more developed response to the problem of Egyptian art, still much in evidence today, is that of specialist connoisseurship as such. Here, the mills grind slowly and ponderously, but exceedingly fine: after a vast effort, we do at least get some sort of well-digested product – that is, the ability, at least, to tell one work from another by various signs of local, chronological, or stylistic affiliation. Indeed the apparatus of scholarship is set up to perpetuate this kind of cataloguer’s analysis indefinitely: obviously, there is always one more corpus of artifacts to be collected and indexed, one more portrait-type or iconography or workshop to be identified – and if there were not, of course, plenty of people would be without a job, at least as the ‚job‘ of art history is sometimes still practiced. […]“ Davon ausgehend stellt Davis kritische Fragen, von denen hier nur zwei herausgegriffen seien: „Is the enormous expenditure of time and scarce resources worth the result, which will only be used by a small group of other specialists and connoisseurs, who are already convinced of the value of the enterprise anyway? […] Does a ‚history‘ of the development of Egyptian art, pieced together on the basis of individual, painstaking exercises of stylistic criticism and archaeological attribution, give us, in the end, an appropriately explanatory and theoretically sophisticated account?“ (Davis, „Egyptian Images: Percept and Concept“, 84 f.). Vgl. auch Hölscher, „Bilderwelt, Formsystem, Lebenskultur“, 461–463.
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schichte der Klassischen Archäologie in Deutschland hinlänglich gezeigt, dass diese Ausrichtung das Fach langfristig fern ab von den Funktionen und Bedeutungen der Bilder bzw. von deren Einbettung in antike Lebenswelten in eine methodisch nicht mehr haltbare Sackgasse geführt hat.161 So sprechen Borbein, Hölscher und Zanker angesichts ihres eigenen Faches gar von einer „geradezu zwanghafte[n] Vorstellung, alle Artefakte vor jeder anderen Überlegung typologisch einordnen und mit Hilfe stilgeschichtlich konstruierter ‚Reihen‘ möglichst genau datieren zu müssen, selbst wenn die objektiven Voraussetzungen dafür noch so gering sind.“162 Immer wieder geäußerte Forderungen bzw. Verweise auf die Notwendigkeit von Arbeiten zur Erschließung und Erstellung von Materialkorpora163 tendieren dazu, Theoriebildung und Begriffsarbeit vertagen zu wollen, obwohl das verfügbare Material hierzu bereits genügend Möglichkeiten bietet und der Zustand einer abgeschlossenen Materialaufnahme – nicht nur aufgrund andauernder Grabungsaktivitäten – gar nicht erreichbar ist. Dies kann ebenso wenig einen Grund für einen Verzicht auf Theoriearbeit darstellen, wie sich allein aus der Existenz unbearbeiteten Materials bzw. aus dessen stetiger Zunahme durch Ausgrabungen die Legitimation für eine unreflektierte, stil- und formgeschichtlich geprägte kunstwissenschaftliche Praxis ableiten lässt.164 Darüber hinaus scheinen methodische Bedenken durchaus angebracht zu sein, zumal jüngere Forschungen aus der Klassischen Archäologie zu dem Schluss 161
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So etwa Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 23f. Sowie an anderer Stelle: „Der künstlerische Stil wurde von der Archäologie lange Zeit als ein Phänomen mit einer autonomen Geschichte betrachtet, ohne wesentliche Verbindung zur gesamten gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit.“ (ders., „Bilderwelt, Formsystem, Lebenskultur“, 462). In eben jene mittlerweile stark in die Kritik geratene Richtung tendiert hingegen Wildungs Auffassung von Entwicklungen innerhalb der ‚Kunst‘: „Langfristige Veränderungen im Bereich der bildenden Kunst sind immer ein natürlicher Evolutionsprozeß gewesen, nicht das Ergebnis politischer Steuerung. Die Sprache des Künstlers verändert sich mit einer ähnlichen Eigengesetzlichkeit wie das gesprochene Wort, da Kunst eine ebenso selbstverständliche Selbstäußerung des Menschen ist wie die Sprache, beide sich gegenseitig ergänzend, keine die andere ersetzend und aufhebend.“ (Wildung, „Bilanz eines Defizits“, 79). Siehe hierzu auch Kapitel 1.3. Borbein, Hölscher & Zanker, „Einleitung“, 16. Vgl. Vandersleyen, „Réflexions“, 53 f. sowie die folgende Fußnote. Vgl. hierzu die Kritik von Adrian Stähli an der Klassischen Archäologie („Vom Ende der Klassischen Archäologie“) und oben zu Verbovseks Betonung der Bedeutung einer flächendeckenden Materialaufarbeitung (Kapitel 1.2.2 bei Fn. 231).
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kommen, der „Optimismus hinsichtlich stilistischer Datierungen“ sei aus methodologischer Sicht „kaum nachvollziehbar“, da in der klassischen Antike Typen und Stile über Jahrhunderte hinweg tradiert worden seien.165 Dessen ungeachtet sind diese Annahmen und Methoden auch innerhalb der Ägyptologie sowohl im Rahmen der sich als ägyptologische Kunstgeschichte verstehenden Forschungsrichtung als auch weit darüber hinaus weiterhin einflussreich.166 Es ließen sich diverse Beispiele für stilistische Datierungsversuche anführen, von denen einige in den folgenden Materialbeobachtungen diskutiert werden sollen.167 Bezeichnenderweise finden sich von ägyptologischer Seite so gut wie keine stiltheoretischen Ausführungen. Stattdessen ist ein intuitiver Umgang mit Stil an der Tagesordnung, so dass im Folgenden zunächst einige theoretische Grundlagen zu referieren sind, um eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema zu ermöglichen. Whitney Davis hat sich mit dem Stilbegriff sowie insbesondere mit dem Verhältnis von Stil und Geschichte befasst und im Zuge dessen einen kunsthistorischen Stilbegriff vorgeschlagen, der für methodisch fundierte Begriffsverwendungen eine mehrteilige Beschreibung bietet: „For the art historian’s purposes, (a) ‚style‘ is a description of a polythetic set of similar but varying attributes in a group of artifacts, (b) the pres-
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Jaeggi, Die griechischen Porträts, 155. Vgl. Hartwig, „An Examination of Art Historical Method and Theory“, 313. Auch in ihrem jüngsten Fazit zu den Möglichkeiten der Stilforschung erscheint Stil als eine Art hilfreiche ‚Allzweckwaffe‘ des Interpreten (Hartwig, „Style“, 53f.). Von prinzipiellen Möglichkeiten stilistischer Datierungen geht auch Joachim Friedrich Quack im Hinblick auf literarische Texte aus: „Im Prinzip sollte es möglich sein, anhand von Beobachtungen des Stils wenigstens ungefähre Datierungen bzw. plausible Abfolgen im Sinne eines ‚früher‘ bzw. ‚später‘ zu erhalten. Konkret ist dieser Punkt noch wenig verfolgt worden, was wohl auch damit zu tun hat, daß Untersuchungen zur Stilistik in der Ägyptologie bislang wenig betrieben worden sind. Bemerken kann man etwa, wie Parkinson die Lehre für Merikare aufgrund ihrer ‚stylistically interwoven quality‘ für jünger als die Lehre Amenemhets i. hält.“ („Irrungen, Wirrungen?“, 434). Dazu, dass sich bei näherer Betrachtung auch ein maßgeblicher Einfluss von Stilkonzepten auf die ägyptologische Philologie feststellen lässt, nun ausführlich Moers („Vom Verschwinden der Gewissheiten“, 26–52). Vgl. auch oben Kapitel 1.2.2 und 1.3 zur ägyptischen Kunstgeschichte als einem Projekt der Ägyptologie. Vgl. als ein weiteres Beispiel pars pro toto für teils mit großem Aufwand betriebene Versuche, über stilistische Beschreibungen und Analysen Zuschreibungen anepigrapher königlicher Skulpturen an einzelne Herrscher zu begründen, Sylvia Schoske, „Kunst – Geschichte“ sowie unten etwa Kapitel 2.3.4.1.
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ence of which can only be explained by the history of the artifacts, (c) namely, common descent from an archaeologically identifiable artifactproduction system in a particular state or states.“168 Diese dreiteilige Definition169 zeichnet sich dadurch aus, dass sie gängige Verwendungen von Stilbegriffen aufgreift und sich zugleich in mehrfacher Hinsicht eignet, deren methodische Problemlagen transparent zu machen, die sich bei der Heranziehung von stilistischen Analysen gerade in archäologischen Fächern ergeben. Daher soll Davis’ Stiltheorie hier den Einstieg und Rahmen für die in den folgenden Kapiteln sich anschließenden methodenkritischen Untersuchungen bilden. Im Zuge von deren Auswertung wird sich dann noch eine Auseinandersetzung mit der Stilfrage in einem erweiterten Zusammenhang anschließen (Kapitel 2.4). Nach Davis ist die Annahme selbst, ein Stil lasse sich aus der Geschichte der Objekte erklären, zunächst gar nicht zu kritisieren, er macht jedoch überzeugend darauf aufmerksam, das diese verbreitete Praxis problematisch wird, wenn in Fällen, in denen der erste Teil von Davis’ Definition offensichtlich zutrifft, die übrigen beiden Definitionsteile als ebenso zutreffend vorausgesetzt werden, ohne dass sich dies bei näherer Betrachtung untermauern ließe: Sind sich also Objekte ähnlich und variieren dabei bezüglich mehrerer Attribute (a), so werde diese Feststellung oft als Beweis dafür verstanden, dass sich der damit beschriebene Stil aus der Geschichte der Objekte (b) bzw. aus der (gemeinsamen) Herkunft aus bestimmten archäologisch identifizierbaren Produktionssystemen erklären lasse (c). Gerade dieser meist unreflektiert gezogene Schluss ist nach Davis jedoch nicht zulässig, da das Vorhandensein einer Ähnlichkeitsrelation nur dann im Sinne einer historischen Beziehung zwischen Objekten verstanden werden könne, wenn die Gültigkeit der Teile (b) und (c) durch „independent evidence“ gestützt werden kann. Umgekehrt sei das Fehlen einer solchen Relation jedoch keineswegs damit gleichbedeutend, dass es keine historischen Zusammenhänge geben könne.170 Dadurch, dass dies gängigerweise ausgeblendet werde, entstünden nun nicht nur voreilige Argumentationsketten, vielmehr werde das Verhältnis von Stil und Geschichte umgedreht: Impliziert Davis Definitionsteil (b) noch die Möglichkeit der Erklärung eines 168 169 170
Davis, „Style and History“, 19. Die folgenden Ausführungen referieren die Leitlinien dieses Aufsatzes. Im Folgenden wird über die Nennung des jeweiligen Buchstabens auf Teile der Definition verwiesen: (a), (b), (c). Davis, „Style and History“, 20. Vgl. auch unten die Kapitel 2.3.2.3, 2.3.2.4 und 2.3.3 mit Beispielen von Stilpluralismus.
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Stil durch die Geschichte („Reading from history to style“) führe die Annahme, Geschichte und Stil seien korrelierbar, in der archäologischen Praxis häufig entweder dazu, dass man die Geschichte unmittelbar im Stil meint erkennen zu können, oder aber gar dazu, dass der Stil selbst bereits als Geschichte verstanden wird.171 All diese Annahmen zu Verwendungsmöglichkeiten des Stils stützen sich nach Davis auf Ähnlichkeitsbeobachtungen (a), die an Wandel-, Evolutionsund Fortschrittstheorien gebunden werden. Sauerländer beschreibt dies als „fateful interconnection of Stilus and Chronos“,172 worin man mit Davis die Ausgangsbasis für folgenreiche Verknüpfungen nichtstilistischer Attribute und Zusammenhänge – wie Alter, Funktion etc. – mit Stilen sehen kann, während die Stiltheorie im engeren Sinne dies gerade nicht hergebe. Auch sein Ansatz fußt wie jede Stiltheorie auf dem Phänomen der Ähnlichkeit von Objekten (a), versucht dies jedoch methodisch zu unterfüttern. Dabei geht Davis davon aus, dass einerseits kein Objekt mit einem anderen identisch sein kann und dass andererseits zwischen zwei beliebigen Objekten immer irgendeine Ähnlichkeitsrelation besteht bzw. gesehen werden könne. Darin liege es begründet, dass es sich bei Ähnlichkeit um eine Kategorie handele, die nur graduell bestimmt werden könne, und außerdem stets betrachterabhängig sei. Der Bearbeiter gehe schließlich aufgrund des polythetischen Charakters stilistischer Beschreibungen zwangsläufig selektierend und gewichtend vor und könne im Zuge dessen nur intuitive Urteile über Ähnlichkeitsrelationen fällen. Eine so erfolgte Ähnlichkeitsbeobachtung könne immer nur eine Feststellung der die einzelnen Objekte unterscheidenden bzw. vereinenden Variationen einzelner Attribute sein, nicht aber deren Hintergründe, Ursachen oder Bedeutungen beleuchten. Davis veranschaulicht dies u. a. damit, dass ohne externe Informationen – nur aus der Beobachtung von Ähnlichkeiten heraus – beispielsweise nicht zwischen Original und Kopie unterschieden werden könne. Auch wenn ein Stil Ähnlichkeiten und Varianten nur beschreibe, werde ihm jedoch traditioneller Weise in der Stilforschung die Fähigkeit zugesprochen, jene erklären zu können: „Simply, style can be seen as the explanation for the similarities between the attributes of artifacts. The attributes are similar because they have, are in, or are part of a single style. Therefore style matters simply because it has explanatory value. Statements based on this reasoning are frequent
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Davis, „Style and History“, 20. Sauerländer, „From Stilus to Style“, 266.
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in art-historical and archaeological writing. However, by the terms of our definition, they are obviously tautological, for style simply is a description of the similarities among artifacts.“173 So lassen sich nach Davis aus einem Stil eben keine Aussagen über die zeitliche Aneinanderreihung von Variationen oder die Geschwindigkeit von Veränderungen und deren Ursachen u.ä. ableiten, handele es sich bei Stil doch lediglich um eine Form der Beschreibung, die an Objekte herangetragen wird, ihnen selbst jedoch nicht inne wohne: „Style is not ‚in‘ the material, the matter of artifacts or works of art. Style must be discovered and written up by someone.“174 Entsprechend wäre nach Davis Stil nicht als Bestandteil von Objekten zu sehen, der bereits allein für deren Geschichte und Kontext stehen könne. Insbesondere in der archäologischen Forschung wurde und wird jedoch vielfach der Versuch unternommen, Feststellungen von Ähnlichkeiten und Unterschieden in ein möglichst dichtes chronologisches Netz zu überführen. Seit Winckelmann kann mit Luhmann von einer zusätzlichen Verankerung des „auf Sachunterschiede bezogene[n] Stilbegriff[s] […] in der Zeitdimension“ gesprochen werden,175 da man in dieser Zeit dazu übergegangen ist, Stil zu historisieren, also stilistische Unterschiede als zeitliche aufzufassen. Ein jüngeres archäologisches Einführungs- und Lehrwerk formuliert die damit verbundenen theoretischen Grundlagen von Stildatierungen folgendermaßen: „Datierungen aufgrund des Stils basieren auf der Annahme einer einheitlichen, gleich gerichteten und allumfassenden Veränderung des Stils, der alle einzelnen Werke gleichermaßen folgen.“176
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Davis, „Style and History“, 23. Davis, „Style and History“, 19. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, 211. Die Historisierung des Stilbegriffs im 18. Jahrhundert spielt nach Luhmann eine wichtige Rolle bei der Ausdifferenzierung des Kunstsystems: „Nicht nur die einzelnen Kunstwerke müssen sich von anderen unterscheiden, sondern auch das, worin sie sich nicht unterscheiden, muß sich auf einer anderen Vergleichsebene unterscheiden lassen, und eben das wird mit dem Begriff des Stils geheiligt. Vom Stil erwartet man jetzt zugleich, daß er sich selbst die Regeln gibt, sich also nicht einem vorgegebenen Kanon fügt, sondern sich in bezug auf Vorgaben durch Andersartigkeit auszeichnet.“ (ebenda). Vgl. hierzu auch Sauerländer, „From Stilus to Style“. Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 50.
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Davis bezweifelt an Aussagen wie dieser die ihnen inhärente Annahme von Gerichtetheit und Gleichförmigkeit der Stilveränderung sowie deren generellen Gültigkeitsanspruch.177 Seiner Auffassung nach tendieren Versuche, mithilfe von Hypothesenbildung und archäologischen Daten in stilistischen Variationen Gesetzmäßigkeiten und Entwicklungsverläufe zu erkennen, dazu, durch eine enge Bindung des Stils an Entwicklungstheorien „life-historical structures of style“ zu identifizieren.178 Dies äußere sich zum Beispiel in Beschreibungen von Objekten oder Stilen als originell, degeneriert, klassisch, archaisch, vollendet etc. Dabei sei es vielmehr oftmals der Fall, dass sich die Kohärenz von Stilen und die Linearität von Stilentwicklungen bei näherer Überprüfung der Argumente als Konstrukte erweisen, die erst durch die Absicht des Bearbeiters, eine nachvollziehbare lineare Entwicklung zu erkennen, entstünden, während sie sich aus dem Material selbst nicht ableiten ließen.179 Ohne den historischen bzw. kontextbezogenen Zusammenhang von einander ähnlichen Objekten gezeigt zu haben (b)(c), wird in diesen Fällen die schiere Ähnlichkeit (a) zur alleinigen Ausgangsbasis genommen, um eben solche Zusammenhänge zu belegen und hermeneutisch auszuwerten. Gerade wenn – wie in archäologischen Fächern nicht selten der Fall – keine weiteren Anhaltspunkte zur Verfügung stehen als die Objekte selbst, werden oft kontextlose Objekte im Hinblick auf einen bestimmten Stil relativchronologisch geordnet. Im günstigsten Fall kann eine solche Stilreihe dann über ein sicher datiertes Vergleichsstück in ein chronologisches Netzwerk eingehängt werden, woraus dann wiederum oftmals absolutchronologische Datierungen abgeleitet 177
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Bezüglich dieser Punkte äußert sich Hölscher selbst relativ kritisch und betont, dass man den Begriff der Entwicklung heute nur „unter Eliminierung aller Vorstellungen von Zwangsläufigkeit und Zielgerichtetheit“ aufrechterhalten könne. Biologistischen und teleologischen Begriffen und Konzepten erteilt er eine Absage, wenngleich er selbst diese Vorgaben z. T. nicht in aller Konsequenz umsetzt, wenn er etwa von Werken spricht, „bei denen einzelne Elemente fortschrittlicher als andere“ sind (Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 50 f.). Davis, „Style and History“, 23. „For critical purposes, it is enough to observe that many of the life-histories of style were erected on a slight base of independent dates and contexts. They depend frequently upon dubious procedural prescriptions not inherent in the theory of style itself – for example, that it is best to begin the search for similarities to the attributes of an artifact with the very next artifacts (in either or any direction) in sequence or distribution. In fact, in the absence of archaeological evidence, sometimes artifacts were initially positioned next to each other in sequences or distributions on the basis of morphological similarity, making possible, by definition alone, a coherent stylistic description with a satisfying regular structure.“ (Davis, „Style and History“, 23). Vgl. hierzu auch unten Kapitel 2.3.3.
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werden. Da einem solchen Ergebnis vielfach eine große Bedeutung beigemessen wird – suggeriert es doch ein hohes Maß an Sicherheit für die Objektansprache –, wird dieses Prozedere oft selbst dann durchgeführt, wenn zum Vergleich nur fest datierte Objekte anderer Gattungen zur Verfügung stehen oder wenn die Datierung der Fixpunkte wenigstens zu einem Teil selbst ebenfalls auf stilistische Überlegungen gegründet ist.180 Wenngleich sich insbesondere in Beiträgen, die methodische Diskussionen reflektieren, skeptische Tendenzen zeigen, ist die Klassische Archäologie dabei immer noch stark von der jahrzehntelang insbesondere in Deutschland vorherrschenden „eindeutige[n] Zuversicht“181 gegenüber den Möglichkeiten der stilistischen Formanalyse geprägt.182 So kritisiert beispielsweise Tonio Hölscher zwar das umfassende Vertrauen, das stilistischen Analysen zur relativchronologischen Datierung entgegengebracht wurde, die Methode selbst wie auch die Bildung relativer Stilreihen oder Werkstattzuschreibungen anhand großer Stilähnlichkeiten stellt er jedoch keineswegs infrage.183 Er rät lediglich zu „größere[r] Vorsicht“184 und weist darauf hin, dass man, wenn einem Objekt ein Platz in einer stilistischen Reihe zugewiesen wird, „mit der Möglichkeit rechnen [muß], daß sein tatsächlicher Platz in gewissem Maß von dem idealen Platz abweicht“185. Damit lässt sich feststellen, dass eine große Diskrepanz zwischen den theoretisch begründbaren Möglichkeiten eines Stilbegriffs und den in der Praxis zum Einsatz kommenden stilanalytischen Methoden besteht. Es ist mit Davis keineswegs abzustreiten, dass im Einzelfall über die Stilanalyse Beschreibungen linearen stilistischen Wandels erzielt werden können, die zutreffend sind. Dies wäre jedoch immer durch weitere Anhaltspunkte zu belegen und kann 180
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Für die Klassische Archäologie räumt Hölscher zwar ein, dass Querverbindungen über Gattungsgrenzen hinaus ein „methodisches Problem“ entstehen lassen, und mahnt zur Vorsicht. Aus Ermangelung an fest datierten Objekten in einzelnen Gattungen hält er dieses Vorgehen jedoch für notwendig und liefert diverse prominente Beispiele dafür, wie etwa mit diesem Verfahren unter Heranziehung fest datierter Skulpturen Vasenmalereien datiert werden (Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 51). Vgl. auch für ägyptologische Beispiele unten Kapitel 2.3.3.3 und 2.3.3.4. Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 89. Vgl. für einen guten Überblick Eggert, Archäologie, 110–134 sowie auch Isler, „Klassische Archäologie am Ende des 20. Jahrhunderts“. Dabei zählt Hölscher noch zu einer Richtung innerhalb der Klassischen Archäologie, die sich durch ein weites Fachverständnis auszeichnet und deren „methodenspezifische[…] Überlegungen […] sich jenseits des traditionellen Arsenals der Hermeneutik [bewegen]“, wie Eggert feststellt (Archäologie, 129). Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 89. Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 50.
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nicht verallgemeinert werden, da die Stiltheorie selbst keine Aussagen über Reihenfolgen oder Veränderungsgeschwindigkeiten treffen kann. Aus dem Stil allein ist keine Stilgeschichte ableitbar.186 Oft wird jedoch trotzdem, weil Stil gemeinhin als verlässliches und zugleich unentbehrliches historisches Instrument betrachtet wird, direkt, vom Stil auf Geschichte, Künstler, Epochen etc. geschlossen – Davis spricht von „reading from style to history“ –, auch wenn in Ermangelung anderer Anhaltspunkte nur Hypothesen den Kontext bilden können. Wenn man mit Davis davon ausgeht, dass Stil nichts anderes als eine Beschreibung ist, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis einer solchen Beschreibung zu historischen Hintergrundinformationen, über die der Beschreibende verfügt. Davis weist darauf hin, dass eine stilistische Beschreibung, die keine historischen Behauptungen nutzt, aus sich selbst heraus keine Korrelation zur Geschichte herstellen kann und daher immer eine Beschreibung von Ähnlichkeiten bleiben muss, während eine stilistische Beschreibung, die historische Informationen nutzt, diese zwar in Beziehung zum Stil setzen kann, dabei aber auf einem vorgefassten Verständnis der Geschichte fußt, über die durch Stilbetrachtungen eigentlich erst Kenntnisse gewonnen werden sollten. Daher sei es aussichtslos, zu hoffen, man könne aus dem Stil heraus Klarheit in die Geschichte bringen: Keine Stilbeschreibung sei frei von Geschichte, vielmehr werde meist unbewusst ein Vorverständnis von der jeweiligen Geschichte in den stilistischen Beobachtungen entdeckt, aus denen eigentlich erst die Geschichte herausgearbeitet werden soll.187 Daher folgert Davis: „We need to read from history to style – and this history is not style itself.“188 Dies sei nur durch Untersuchungen von Produktionskontexten möglich, denen er gegenüber werkbasierten Zugängen eine eindeutige Priorität einräumt: „Our theory of style states only that an archaeology of production – of language, of making – will be our context for, control upon, and explanation of style. […] data they [i.e. works, K.W.] are, but it is the archaeology of institutions and people which, in the logic of the theory of style, must be primary.“189
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Vgl. Davis, „Style and History“, 23–25. Davis, „Style and History“, 25 f. Vgl. auch Panofsky, „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung“, 88 f. sowie unten Kapitel 2.3.5.2. Davis, „Style and History“, 26. Davis, „Style and History“, 30.
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Nach Davis muss der Betrachter auf dieser Grundlage eine Beschreibung des historischen Kontextes wählen und zu seinem Ausgangspunkt machen. Diese Entscheidung sei dann für sein weiteres Vorgehen unhintergehbar, weil aufgrund der von Davis herausgearbeiteten Zusammenhänge von Stil und Geschichte keine weitere darauf aufbauende stilistische Beobachtung oder Beschreibung diese einmal getroffene Wahl korrigieren oder widerlegen könne.190 Führt man Davis’ Ergebnisse mit den oben (Kapitel 2.1 und 2.2) diskutierten Geschichtsbildern bzw. der Fragilität der Geschichte der sogenannten 1. Zwischenzeit zusammen, muss man feststellen, dass die scheinbar selbstverständliche Verbindung von Stil und Geschichte, wie sie in der Ägyptologie üblicherweise zugrunde gelegt wird, über kein belastbares Fundament verfügt: Zum einen sind weder Stil noch Geschichte per se unmittelbar zugänglich oder objektiv greifbar. Zum anderen könnte man selbst dann keinen näheren Aufschluss über einen der beiden Bereiche gewinnen, wenn man davon ausginge, dass man über den jeweils anderen Gewissheit hätte, da die Relation zwischen den beiden keineswegs generalisierbar bzw. etwa aus dem Stil selbst ableitbar ist. Trennt man den Stil konsequent von der Geschichte, lässt er sich folglich für letztere nicht verwerten, lässt man geschichtliche Kenntnisse in Stilbeschreibungen einfließen, erfährt man durch den Stil über die Geschichte nur das, was man ohnehin schon wusste oder zu wissen glaubte. Mit Sauerländer lassen sich daher Versuche, vom Stil ausgehend Geschichte zu erschließen, um dann wiederum in der Geschichte den Stil zu verorten, tatsächlich als Illusion bezeichnen.191 Die folgenden Untersuchungen werden auf das von Davis aufgestellte theoretische Gerüst zurückgreifen, um die Problematik der ägyptologischen Stilforschung an verschiedenen Beispielen herauszuarbeiten. Im Anschluss werden
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„Our theory of style implies only that we must choose which description of archaeological evidence will be used in a given analysis as the privileged description, as the ‚history‘ by which all and sundry other stylistic descriptions will be explained, and that once we have made this choice, throughout the analysis we are completely constrained by it. However we specify our history – as technology, or as intention, or as institution, or as unconscious, etc. – we cannot read back to it by or attempt to find it through any other stylistic description. We must choose the description which we stipulate gives history to us, and read from there. For the moment, the historical description has become irreducible and incorrigible; it is the source, guarantor, and test of any styles it underwrites.“ (Davis, „Style and History“, 30 [Kursive i.O.]). Vgl. Sauerländer, „From Stilus to Style“, 254.
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die hier einleitend vorgestellten Ausführungen von Davis zu einer vertiefenden Theoriediskussion ausgeweitet (Kapitel 2.4). 2.3.2.2
Zu Stil und Geschichte privater Grabstelen zwischen der 6. und 11. Dynastie Schon ein erster Blick auf die jüngere ägyptologische Praxis der Auseinandersetzung mit Stelen der Zeit zwischen der 6. und 11. Dynastie kann verdeutlichen, welche Relevanz Davis’ methodenkritische Systematisierung von Stilbetrachtungen diesbezüglich besitzt. Denn die der Stiltheorie entnommene Methode der Identifizierung und geschichtlichen Ausdeutung von Entwicklungen findet nicht nur im engeren Sinne stilbezogen Anwendung, sondern wird auch auf Motive, Ikonographie und Paläographie ausgedehnt. So hat etwa Sabine Kubisch anhand der Grabstelen aus Gebelein die Ansicht vertreten, dass sich die Qualitätsunterschiede der Stelen nicht durch die jeweilige soziale Stellung der Auftraggeber o.Ä. erklären ließen, sie seien vielmehr chronologisch zu interpretieren.192 Ohne zu zeigen, dass man tatsächlich von einer solchen Relation auszugehen könne – wie es mit Davis zu fordern wäre –, folgt sie dieser auf Entwicklungsgedanken basierenden Prämisse, die zugleich impliziert, dass eine stilistische bzw. qualitative Ähnlichkeit für Gleichzeitigkeit spreche, und teilt das Material in eine ältere und eine jüngere Gruppe ein. Von der Schlüssigkeit ihrer Annahmen ausgehend versucht sie die für die jeweiligen Gruppen infrage kommenden zeitlichen Rahmen durch externes Material einzugrenzen, indem sie die spätere Gruppe anhand von Plausibilitätsüberlegungen an den Anfang der 11. Dynastie setzt. Obwohl Kubisch im Zuge dessen mit den Gräbern des Jtj (Gebelein) und des Ḏꜣry (tt 366) gleich zwei Beispiele für Wanddekorationen liefert, die stilistisch nicht in die Zeit zu passen scheinen, in die die Gräber aus anderen Gründen meist datiert werden, hält sie grundsätzlich daran fest, Stilbeobachtungen chronologisch auszuwerten. Die von ihr mit Blick auf das Grab des Jtj geäußerte Überlegung, dass man sich an früheren Gräbern als Vorlagen orientiert haben könnte,193 ist zwar keineswegs von der Hand zu weisen, sie substanziiert jedoch grundsätzliche Zweifel an der Haltbarkeit ihrer Prämissen, liefert sie doch Belege und ein plausibles hypothetisches Szenario dafür, dass stilistische Ähnlichkeiten bzw. Differenzen nicht zwangsläufig chronologisch zu deuten sind.
192 193
Vgl. Kubisch, „Die Stelen der i. Zwischenzeit“, 248. Vgl. Kubisch, „Die Stelen der i. Zwischenzeit“, 262f.
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Morenz grenzt sich in seiner eigenen Untersuchung der Gebelein-Stelen zwar eingangs von Kubischs Vorgehen ab, da „[n]icht jeder paläographische oder auch stilistische Unterschied […] eine zeitliche Differenz [indiziert]“,194 erstellt letzten Endes jedoch eine Chronologie, die sich lediglich in vier von insgesamt 17 Fällen wesentlich von Kubischs Vorschlag unterscheidet, wobei Morenz nur in zwei dieser vier Fälle Argumente für die Abweichung anbietet.195 Wie stark auch Morenz in seiner Untersuchung darauf vertraut, Stile unmittelbar für Zuschreibungen der Stelen auswerten zu können, zeigt sich beispielsweise daran, dass er aufgrund von epigraphischen, ikonographischen und bildstilistischen Kriterien feststellt, die Stele Krakau mnk xi 999 (Taf. 2.1) und die Stele London bm ea 1671 (Taf. 2.2) seien „in derselben Werkstatt, wenn nicht sogar von denselben Künstlern/Handwerkern“ geschaffen worden.196 Da er auch sieben weitere Stelen aus vergleichbaren Gründen zu einer „Werk-
194 195
196
Morenz, Die Zeit der Regionen, 268. Zwei Stelen (Hildesheim rpm 4590 [vgl. hier: Taf. 1.2] und St. Petersburg Eremitage 5633) werden von ihm als Untergruppe angesprochen und nicht näher thematisiert. Bezüglich der anderen beiden (Kairo cg 1654 und New York mma 65.107) spricht Kubisch von geringer Qualität („[gröbere] Binnenzeichnungen“, S. 247) und plädiert daher für eine späte Datierung, während Morenz sie früher ansetzt. Für die Kairener Stele nimmt Morenz an, dass es sich bei ihr und den Stelen Kairo cg 1651 und Krakau mnk xi 999 (Taf. 2.1) um drei Stelen handele, die sich alle einer einzigen Familie bzw. deren über mindestens drei Generationen genutztem Grab zuschreiben ließen. Diese Hypothese gründet sich auf das Auftreten identischer Namen, die Verwendung gleicher Titel sowie ikonographische und stilistische Gemeinsamkeiten (Die Zeit der Regionen, 285–305). Im Falle der New Yorker Stele bemerkt er, sie könne letztlich „[n]icht sicher eingeordnet werden“ (ebenda, 268, vgl. auch 317). Es steht zu vermuten, dass neben der Tatsache, dass Morenz im Steleninhaber aufgrund von dessen Namen einen Nubier vermutet und auf der von ihm relativ früh angesetzten Berliner Steintafel äm 24032 Nubier erwähnt(!) sind (ebenda, 317), die Länge der Inschrift Morenz dazu bewogen hat, eine größere zeitliche Nähe zum Alten Reich bzw. eine parallele Stellung zu den übrigen Gebeleiner Stelen mit längerem Textfeld anzusetzen. Er versammelt diese Gruppe von Stelen jedenfalls unter der Überschrift „Steintafeln mit längerem Textfeld aus der Zeit der Regionen“ (ebenda, 268) und bemerkt im Hinblick auf das Grab des Jtj, dass längere Inschriften dieser Art in der „späteren Zeit der Regionen“ nicht mehr vorkommen (ebenda, 341f.). Von stilunabhängigen Hinweisen, auf die sich aufbauen ließe, kann somit kaum gesprochen werden. Die von Kubisch zu den frühen Stelen gezählten und heute in Kairo befindlichen Objekte cg 1622 und cg 20001 werden ebenso wie die Bostoner Stele mfa 04.1851 von Morenz nicht behandelt, während er zusätzlich Swansea w1366 (The Egypt Centre – Museum of Egyptian Antiquities) aufführt (bei Morenz fälschlich als „Swansea wi 366“ angegeben). Morenz, Die Zeit der Regionen, 271 und 285.
212
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stattgruppe“ zusammenfasst, gibt er insgesamt sogar für etwa die Hälfte der behandelten Stelen eine Werkstattzugehörigkeit an.197 Die Annahme, Ähnlichkeiten würden für Gleichzeitigkeit bzw. identische Entstehungskontexte sprechen, wird jedoch auch von Morenz weder reflektiert noch begründet. Dabei kommt auch Morenz nicht umhin, anhand eines Beispiels einzuräumen, dass „[e]ine sichere Datierung […] nicht möglich [ist], weil man bestimmte Eigenheiten sowohl chronologisch als auch soziologisch bzw. werkstattbedingt interpretieren könnte.“198 Auch angesichts der Stelen Turin Suppl. 13114 (Taf. 3.1) und 13115 (Taf. 3.2) macht er eine entscheidende Feststellung, wenn er es für bemerkenswert hält, dass beide Stelen in ein und demselben Grab gefunden wurden, „weil dies lehrt, daß die beiden deutlich verschiedenen Stile dieser Steintafeln nebeneinander existierten.“199 Morenz erwägt die Möglichkeit, dass die ungewöhnliche Szene auf der stilistisch von der Stele Turin Suppl. 13114 abweichenden Stele Turin Suppl. 13115 „von einem Künstler von außerhalb dieser Region entworfen wurde, der wegen des Tempel-Bauprogrammes der xi. Dynastie in Gebelein beschäftigt war“,200 und versucht, den Befund auf diese Weise zum Sonderfall zu erklären. Er zieht aus seiner Beobachtung einer innerhalb eines Grabes greifbaren Stildifferenz somit keine Konsequenzen und übergeht so die Tatsache, dass an diesem Beispiel besonders deutlich wird, dass die Gültigkeit stilistischer Zuschreibungen und Datierungen nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, sondern erst einmal nachgewiesen werden müsste. Damit wird neben der zwangsläufig subjektiven Selektivität stilistischer Ähnlichkeitsbetrachtungen201 auch die Selektivität der daraus abgeleiteten Datierungsargumentationen selbst deutlich: Die in diesem Fall greifbaren Angaben zum archäologischen Kontext begründen die Zuschreibung der Stelen zu einem gemeinsamen lokalen und zeitlichen Kontext so überzeugend, dass die dem zu widersprechen scheinenden stilistischen Argumente lediglich erwähnt, nicht jedoch ausführlich diskutiert oder zum Anlass einer Methodenreflektion genommen werden. An anderer Stelle spricht Morenz aus Ermangelung eindeutiger Hinweise von einem „Summenargument“, das sich im Wesentlichen aus Stilistik und Paläographie zusammensetzt
197
198 199 200 201
Morenz, Die Zeit der Regionen, 269 f. und 321. Damit folgt Morenz einer verbreiteten Praxis. Vgl. als weitere Beispiele dafür, dass Werkstattzugehörigkeiten allein aus Ähnlichkeiten abgeleitet werden Freed, „Stela Workshops of Early Dynasty 12“ sowie in deren Tradition Ilin-Tomich, „Late Middle Kingdom Stelae Workshops“. Morenz, Die Zeit der Regionen, 270. Morenz, Die Zeit der Regionen, 342. Morenz, Die Zeit der Regionen, 349. Siehe hierzu oben Kapitel 2.3.2.1.
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und das für die Datierung der Stele Dresden Aeg 754 „in die hohe bis späte Zeit der Regionen“ spreche, und führt so auf andere Weise vor Augen, dass die von ihm vorgenommene Selektion von Indizien und die darin erkannte Tendenz aus seiner Sicht für eine Datierung ausreichen.202 Da Morenz bei derartigen Beispielen weder auf eine Datierung verzichtet, noch klar auszeichnet, wo die von ihm gewählte Methode ihre Grenzen hat, geraten seine Interpretationen und Datierungen zu Kennerurteilen. Dies wird besonders in den Fällen deutlich, in denen er auch dann Datierungsvorschläge unterbreitet, wenn überhaupt keine triftigen Gründe dafür ausgewiesen werden.203 Da Morenz somit trotz der an Kubischs Studie geäußerten Kritik von ganz ähnlichen Prämissen ausgeht, wird ihr Vorschlag durch die weitgehende Übereinstimmung mit Morenz’ Ergebnissen204 damit nicht auf breiterer Grund-
202 203
204
Morenz, Die Zeit der Regionen, 334. Vgl. oben Fn. 195. Nur am Rande sei außerdem auf die Problematik der stilistischen Rekontextualisierung der ohne Provenienzangaben über den Kunsthandel zugänglich gewordenen Stelen hingewiesen. So zeigt Morenz’ Übersicht über die behandelten Stelen, dass nur für die zehn dort von ihm genannten aus den Grabungen Schiaparellis stammenden Objekte eine Herkunft aus Gebelein archäologisch gesichert ist. Der größere Teil der Stelen wird lediglich über „Paläographie, Inschriften und Ikonographie“ der Region zugewiesen. Vgl. Morenz, Die Zeit der Regionen, 247–249. Daher stünde Morenz’ Feststellung, der Stele Dresden Aeg 754 könne stilistisch nicht nur ein Herkunftsort, sondern auch eine Werkstattgruppe zugewiesen werden, in der neben drei Stelen mit gesicherter Provenienz auch zwei ohne eine solche enthalten sind, selbst dann auf sehr wackligen Füßen, wenn man dieser Form stilistischer Zuschreibungen keine grundsätzliche Bedenken entgegen bringen würde. Vgl. Morenz, Die Zeit der Regionen, 328f. sowie 269f. Auch wenn Kubisch darauf hinweist, dass sich die von ihr neben der jüngeren und der älteren Gruppe identifizierte nubische Gruppe von Stelen, die sich durch vermutlich nubische Auftraggeber und relativ niedrige Ausführungsqualität auszeichnet, nicht chronologisch verorten lässt, stellt dies letztendlich keinen Unterschied zu Morenz’ Gruppierung dar, in der diese Stelen geschlossen – wohl anhand ihrer stilistischen Qualität – in spätere Zeitabschnitte („ix./xi. Dynastie“/„spätere xi. Dynastie“) eingeordnet sind. Es ist schließlich zu beachten, dass Kubisch für ihre Gruppierung die sich in der Ikonographie niederschlagende ethnische Zugehörigkeit der Steleninhaber als ein bzw. das übergeordnete Kriterium betrachtet. Nur innerhalb der so gebildeten Gruppen seien ihr zufolge qualitative Unterschiede chronologisch zu deuten. Es bleibt jedoch nicht nur völlig unklar, warum Qualitätsunterschiede überhaupt chronologisch erklärt werden sollten, sondern auch warum dies nicht grundsätzlich, sondern nur innerhalb ethnisch festgelegter Gruppen zutreffen sollte. Morenz hingegen wendet dessen ungeachtet das ihm zur Verfügung stehende Instrumentarium aus Paläographie und Stilbetrachtung auch auf diese Stelen konsequent an und wertet so die von beiden dort gleichermaßen beobachteten stilistischen Ähnlichkeiten sowie die niedrige Qualität chronologisch aus.
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lage bzw. aus anderer Perspektive unterfüttert. Beide argumentieren mit der unterschiedlichen Qualität der Objekte und Übereinstimmungen bzw. Abweichungen in ikonographischen, paläographischen und stilistischen Details und beziehen darüber hinaus mitunter die Komplexität der Gestaltung und die Länge der Inschriften ein. Ungeachtet unterschiedlicher Schwerpunkte bzw. einzelner Ergebnisse stimmt das Vorgehen in methodischer Hinsicht damit im Wesentlichen überein und kann als ein gängiges Verfahren für die Studien betrachtet werden, die sich mit Stelen oder Scheintüren aus der 8. bis 11. Dynastie befassen.205 Folgende Punkte lassen sich damit als zentrale und zugleich fragwürdige Aspekte der geschilderten Bearbeitungsmethode festhalten: – Die Haltbarkeit der Prämisse, es gebe eine unmittelbare Relation zwischen stilistischen, qualitativen, paläographischen, motivischen oder anderen
205
So zeigt auch Brovarskis ausführliche Diskussion verschiedener von Peter Munro vertretenen Spätdatierungen dieses Vorgehen und lässt entsprechend dieselbe Problematik erkennen bzw. thematisiert diese zum Teil selbst (Brovarski, „The Date of Metjetji“): Brovarski sieht in der Qualität von Objekten ein entscheidendes Kriterium zur Ansetzung einer Zusammengehörigkeit, wenn er äußert, dass es für ihn unvorstellbar sei, eine von ihm als Meisterwerk bezeichnete Statue demselben Auftraggeber zuzuordnen wie zwei bescheidene Opfertafeln (ebenda, 102). Damit widerspricht er Munro, der die rein auf der Qualität beruhende Zuschreibung einer anepigraphen Statue in Zweifel gezogen und auf diesem Wege eine wichtige methodenkritische Frage aufgeworfen hatte (Munro, „Bemerkungen zur Datierung Mṯṯj’s“, 264). Mehrere Probleme zeichnet Brovarski hingegen selbst explizit aus: So seien paläographische Phänomene oft über längere Zeiträume, d.h. etwa von der 6. bis zur 11. Dynastie, belegt (vgl. beispielsweise „The Date of Metjetji“, 88) und verlören in solchen Fällen im Hinblick auf die Datierung ihre Aussagekraft. Ferner könne nach Brovarski etwa die Einordnung von Motiven in Entwicklungslinien durchaus betrachterabhängig sein (ebenda, 89). Abschließend erklärt er an einem Beispiel, dass eine stilistische Ähnlichkeit keineswegs für Gleichzeitigkeit sprechen müsse, da der Stil schließlich auch von älteren Monumenten kopiert worden sein könnte (ebenda, 117), und liefert so ähnlich wie Kubisch und Morenz ein konkretes Beispiel, das an der grundsätzlichen chronologischen Aussagekraft des Stils zweifeln lassen sollte. An anderer Stelle zeigt die von Brovarski referierte Debatte, wie mitunter auch Inschriftenteile, die heute nicht mehr erhalten sind, unterschiedlich rekonstruiert bzw. hypothetisch angesetzt werden und so in ganz unterschiedlicher Weise als Datierungsargumente erwogen werden (ebenda, 94). Die teils deutlich zutage tretenden Differenzen in der Beurteilung stilistischer und paläographischer bzw. phraseologischer Beobachtungen veranschaulichen nicht nur die Subjektivität solcher Datierungen, sondern dass sich damit letztlich nicht widerlegbare Positionen gegenüberstehen, ohne dass die Möglichkeit gegeben wäre, argumentativ eine gegen die andere durchzusetzen (vgl. ebenda, 103f.).
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Ähnlichkeiten und zeitlicher bzw. entstehungskontextueller Zusammengehörigkeit, wird nicht nachgewiesen. Stattdessen werden meist nur Ähnlichkeiten diskutiert, die aus Sicht der Betrachterperspektiven als solche identifiziert wurden, um diese durch Indizien oder Hypothesen zu stützen. – Die implizite oder explizite Ansetzung eines Entwicklungsgedankens als Basis historiographischer Interpretation der Objekte führt dabei zu hochgradig selektiven und tendenziösen Materialdiskussionen, die dazu neigen, diejenigen Funde auszublenden, die nicht in das jeweils zugrundegelegte Entwicklungsschema passen. – Die unhintergehbare Selektivität in der Auswahl von Material und Ähnlichkeiten wird nicht analysiert oder reflektiert; vielmehr werden Kennerurteile bemüht, um Ergebnisse zu erzielen und diese zu legitimieren. Vor diesem Hintergrund sollte ferner beachtet werden, dass ein Großteil der zur Absicherung stilistischer Datierungen bemühten paläographischen Beobachtungen und Auswertungen ebenfalls nichts anderes als spezielle Formen von Stiluntersuchungen darstellt. Auch hier werden die Gleichzeitigkeit von Ähnlichem und die Ungleichzeitigkeit von Abweichendem angenommen, ohne dass dies auf methodischer Ebene expliziert würde. Da mitunter von Paläographie einerseits, die verlässliche Ergebnisse liefern könne, und andererseits – auf bildliche Darstellungen bezogen – von tendenziell subjektiver Stilistik gesprochen wird, erweckt diese terminologische Differenzierung den Eindruck, methodische Unsicherheiten der Stildatierung könnten durch ein alternatives verlässliches Instrumentarium in Form von paläographischen Studien kompensiert werden. Genau genommen handelt es sich jedoch lediglich um verschiedene Varianten einer Methode. Dies bedeutet keineswegs, dass sich anhand paläographischer Beobachtungen keine Aussagen treffen ließen, die als Datierungsargumente angeführt werden können. Es ist jedoch stets zu argumentieren, inwiefern solche Beobachtungen wofür genau aussagekräftig sein sollen und ob eine chronologische Deutung tatsächlich angemessen ist. Dabei stellt sich immer die Frage, ob sich relativ feine Datierungen wie ‚späte 6. Dynastie‘ oder ‚frühe 11. Dynastie‘ überhaupt paläographisch begründen lassen, da bei sehr vielen Phänomenen ein vergleichsweise langer Belegzeitraum nachgewiesen ist bzw. lediglich von häufigem oder weniger häufigem Auftreten gesprochen werden kann,206 oder ob man nicht viel eher generell davon ausgehen sollte, dass paläographische Argumente, wenn überhaupt, dann nur für ganz ungefähre zeitliche Einordnungen angeführt werden können. 206
Vgl. hierzu noch einmal Fn. 205 und als weiteres Beispiel paläographischer Datierungen H. G. Fischer, Dendera in the Third Millennium b.c., 78–85.
216
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Nun mögen Vertreter der Stilforschung die referierten Bedenken nicht teilen und ihnen entgegenhalten, dass sich ihre stilistischen Untersuchungen im Abgleich mit fest datierbaren Objekten absichern und stützen ließen. Hier dürfte jedoch kein allzu großer Optimismus angeraten sein, wie ein Seitenblick auf die Klassische Archäologie zeigt. So hat Othmar Jaeggi anhand des sogenannten griechischen Porträts zeigen können, dass sich selbst dann keine generelle Anwendbarkeit des Stilistikinstrumentariums ableiten lässt, wenn sich für einzelne Phänomene ein innerfachlicher Konsens über die (vermeintliche) Tragfähigkeit der Methode etabliert haben sollte.207 Nachdem Grundpfeiler der Stiltheorie mit ihnen inhärenten Problemlagen skizziert wurden, sollen nun im Folgenden weitere Materialkomplexe betrachtet werden. Auf diese Weise kann an verschiedenen Objektgruppen überprüft werden, ob eine Stilistik ‚im Rahmen der Praxis‘ greifen könnte, oder ob sich die auf theoretischer Ebene formulierte Skepsis gegenüber dieser Methode auch dann als begründet herausstellt, wenn man die Methode selbst in Anwendung bringt.208 Ausgangspunkt der folgenden Ausführungen bilden archäologisch oder epigraphisch datierbare Objekte oder Grabanlagen, anhand derer die Möglichkeiten von auf Stilbeobachtungen gestützten Zuordnungen bzw. Datierungen untersucht werden sollen. 207
208
Jaeggi, Die griechischen Porträts. Jaeggi hat am Beispiel des sogenannten hellenistischen Porträts gezeigt, wie es in der Stilforschung schnell zu „einer Verkettung hypothetischer Annahmen und zu widersprüchlichen Aussagen“ führen kann, wenn die Zahl aussagekräftiger, durch archäologische Kontexte sicher datierter Objekte gering ist (ebenda, 137 f.). Erschwert werde die stilforscherische Arbeit an hellenistischen Bildern zudem durch eine beobachtbare Gleichzeitigkeit verschiedener Stile (ebenda, 138–142), so dass genauere zeitliche Einordungen unmöglich werden können. So zeigt er an konkreten Beispielen, dass es oft unmöglich sei, die Zeitstellung einzelner Bilder „näher als auf ein Jahrhundert genau zu bestimmen“ (ebenda, 143). Bei einem Mangel an chronologischen Fixpunkten widersprächen „parallele Stiltendenzen, regionale Unterschiede und die langzeitige Tradierung von Ästhetiken […] der Annahme geradliniger, und somit bis in die kleinsten Abschnitte hinein rekonstruierbarer Entwicklungen“ (ebenda, 147). Auf die Annahme ebensolcher Entwicklungen stütze sich jedoch der in der „Forschung präsente Optimismus hinsichtlich stilistischer Datierungen“, den Jaeggi vor dem Hintergrund seine Untersuchung für „kaum nachvollziehbar“ hält (ebenda, 155). Vgl. zum Begriffspaar ‚Theorie und Praxis‘ Verbovsek, Zwischen „Theorie und Praxis“. Diese dort thematisierte Kluft/Trennung ist in der Tat kontraproduktiv, zumal beispielsweise massive Probleme im theoretischen Bereich kein Ausbleiben vergleichbarer Problemlagen in der Praxis erwarten lassen. Dies tritt selbstverständlich nur dann zu Tage, wenn die Praxis selbst im Rahmen einer Reflektion erneut in Beziehung zur Theorie bzw. zu einer auf einer Metaebene angesiedelten Perspektive gesetzt wird. Vgl. auch unten Kapitel 3.2.5.
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217
2.3.2.3 Die Gräber der Qubbet el-Hawa vor der 11. Dynastie Morenz hatte bereits den Fall zweier stilistisch und motivisch stark unterschiedlicher Stelen aus ein und demselben Grab in Gebelein beobachtet (vgl. Kapitel 2.3.2.2 und Taf. 3.1–2). Nun bietet die am Westufer des Nil, der heutigen Stadt Aswan gegenüber liegende Nekropole Qubbet el-Hawa (qh) weitere gute Möglichkeiten für Stiluntersuchungen innerhalb einzelner Grabanlagen, da dort eine ganze Reihe von dekorierten Gräbern aus der Zeit von der 6. bis zur 9./10. Dynastie erhalten sind.209 Um die stilistischen Vergleiche auf eine nachvollziehbare Grundlage zu stellen, werden im Folgenden bis auf wenige ergänzende Ausnahmen nur motivisch weitestgehend identische Vergleichsgegenstände herangezogen. Betrachtet man entsprechende Wanddarstellungen von Personen bezüglich ihrer formalen Gestaltung und Proportionen, lassen sich in so gut wie allen dekorierten Gräbern stilistische Differenzen feststellen. Die im Folgenden zusammengetragene Auswahl soll die in dieser Nekropole beobachtbare stilistische Vielfalt veranschaulichen. Die hier präsentierten Einzelbeobachtungen werden durch Deborah Vischaks zwischenzeitlich erschienene Studie bestätigt, in der sie nicht nur den Kontrast zu anderen Gräbern etwa aus der 6. Dynastie benennt, sondern auch den Stilpluralismus als ein zentrales Merkmal dieser Gräber herausarbeitet.210 Das erste Beispiel stammt aus dem Grab des Ḥqꜣ-jb (qh 35d),211 für das anhand von Inschriften, die Priesterämter an den Pyramidenanlagen Pepis i. und Pepis ii. nennen, eine Datierung an das Ende der 6. Dynastie plausibel
209
210
211
Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa sowie nun auch Vischak, Community and Identity. Vgl. zum Status bzw. den Titeln und Funktionen der Grabinhaber ebenda, 24–37. Vgl. Vischak, Community and Identity, 13 bzw. 47–57. Sie klassifizziert dort acht Hauptstilgruppen und fügt noch weitere Stile hinzu. Dabei zeichnet sie die sechs Kriterien, die sie heranzieht, klar aus. Neben den Proportionen von Körpern und der Gestaltung von Augen und Mund bezieht sie auch die Reliefart und die Ikonographie (Kleidung etc.) ein und benennt damit Eigenschaften, die nicht immer als stilistisch relevant betrachtet werden. Diese Entscheidung erscheint vor dem Hintergrund der weiter unten diskutierten Stiltheorie (vgl. Kapitel 2.4.2) vertretbar, denn sie beschreibt feststellbare Ähnlichkeiten. Vgl. jedoch unten Fn. 233 und 234 zu problematischen Zügen ihrer weiterführenden Interpretationen dieses Stilpluralismus. Vgl. zum Grab qh 35d: Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, 733–802. Die hier thematisierten Darstellungen am Hauptzugang werden auch von Vischak ausführlich besprochen und in die von ihr angesetzten Stilgruppen eingeordnet (Community and Identity, 112–117).
218
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abb. 12.1–3 Grab des Ḥqꜣ-jb, Qubbet el-Hawa (qh 35d): (12.1) südliche Türlaibung oberer Teil (Szene 3); (12.2) südliche Türlaibung unterer Teil (Szene 4); (12.3) südliche Türlaibung (zeichnerische Wiedergabe beider Szenen)
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gemacht werden kann.212 Ḥqꜣ-jb war eine Lokalberühmtheit,213 die über erhebliche Ressourcen verfügt haben muss, da es sich bei diesem monumentalen Felsgrab nur um eine von insgesamt zwei Kultanlagen handelt, die für ihn zu seinen Lebzeiten oder unmittelbar anschließend angelegt wurden. An prominenter Stelle, der südlichen Türlaibung des Hauptzugangs, sind übereinander zwei Darstellungen des Grabherrn mit Opferträgern angebracht (Abb. 12.1– 3).214 Ḥqꜣ-jb ist dabei als jrj-pꜥ.t und ḥꜣ.tj-ꜥ215 standesgemäß mit Szepter in der linken und Amtstab in der rechten Hand, sowie mit Halskragen und Armreifen wiedergegeben. Er trägt im Fall des oberen Bildes einen wadenlangen, im Fall des unteren einen knielangen Schurz und blickt nach Osten aus dem Grab hinaus. Die obere Darstellung (Abb. 12.1) entspricht den gängigen Erwartungen an ein solches Bild ‚aus dem Alten Reich‘, die untere (Abb. 12.2) zeigt hingegen viele Merkmale des sogenannten Zwischenzeitstils: überdimensionierte Augen, unförmige Köpfe, fehlende Standlinien, allgemein unkonventionelle Proportionen usw. Auch die Organisation der Beischriften ist z. T. weniger stark orthogonal orientiert, und in der durch gerade Linien begrenzten Schriftzeile über der Darstellung des Grabinhabers variieren die Abstände zwischen den einzelnen Hieroglyphen stärker als dies in der darüber befindlichen Szene der Fall ist. Selbst wenn man die zum Teil an Strichmännchen erinnernden Gabenbringer außer Acht lässt und sich auf die beiden Darstellungen des Grabherrn beschränkt, wird deutlich, dass sich die Differenzen nicht allein auf ein unterschiedliches Ausmaß handwerklicher Elaboriertheit zurückführen lassen. Auch die untere Darstellung des Grabherrn zeigt trotz ihrer im Vergleich zu den auf sie zutretenden Gabenbringern noch eher kanonischen Ausführung insbesondere im Gesicht deutlich den sogenannten Zwischenzeitstil. Die Formgebung und Platzierung von Mund und Auge sind dabei als die prägnantesten Stilelemente anzusehen: Die Lippen sind stark wulstig, die Augen überproportioniert. Der Befund auf der gegenüberliegenden Seite der Türlaibung ist nicht identisch, jedoch vergleichbar und in stilistischer wie z. T. motivischer Hinsicht analog.216 Dieser Umstand führte die Bearbeiter dazu, hier von auf
212 213 214 215 216
Vgl. Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, 786. Vgl. Franke, Das Heiligtum des Heqaib auf Elephantine. Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, Tf. xxxvi–xxxviii, Abb. 3–4 auf S. 788 f. Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, 776f. Dort finden sich im oberen Bildfeld anstelle der einen großen Darstellung des Grabherrn zwei kleinere, die in diesem Fall nach Westen (d. h. ins Grab hinein) blicken. Ungeachtet der motivischen Differenz lassen sich dieselben stilistischen Unterschiede zwischen den oberen und der unteren Darstellung des Grabherrn feststellen. Auch bei den jeweiligen,
220
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beiden Seiten der Laibung angebrachten „‚Doppelszenen‘“ zu sprechen, für die aufgrund des jeweils in den unteren Szenen feststellbaren „symmetrische[n] Aufbau[s] der Figurenkonstellationen“ kein „allzu groß[er]“ zeitlicher Abstand zwischen der Anbringung der handwerklich in unterschiedlicher Qualität ausgeführten Szenen anzusetzen sei.217 Stilistische Unterschiede innerhalb eines archäologischen Kontextes, wie sie im Grab des Ḥqꜣ-jb besonders deutlich erkennbar sind, finden sich auch in diversen weiteren Gräbern, aus denen im Folgenden noch einige weitere Beispiele angeführt werden sollen. Das Grab des St-Kꜣ (qh 110) lässt sich inschriftlich in die 9. oder 10. Dynastie datieren218 und bildet damit üblicherweise einen für Ansätze zur stilistischen Datierung maßgeblichen Orientierungspunkt, mit dem viele andere Reliefs oder Malereien verglichen werden, um diese relativchronologisch zu verorten.219 Auch in diesem Grab finden sich Belege für einen Stilpluralismus, wie er
217
218
219
dem Grabherren ihre Aufwartung machenden Personen verhält es sich ähnlich. Vgl. Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, Tf. xxxvi, xxxix, xl, Abb. 5–7 auf S. 789f. Die Tatsache, dass die jeweils oberen Bilder in erhabenem und die jeweils unteren Bilder in versenktem Relief ausgeführt sind, stellt zwar ein beachtenswertes Detail dar, dürfte jedoch an dieser Stelle kaum für die Beobachtung der stilistischen Differenz relevant sein, da die unterschiedlichen Reliefarten selbst sich zwar als ein weiterer stilistischer Unterschied beschreiben ließen (vgl. Vischak, Community and Identity, 48f.), sie können jedoch kaum als alleiniger Grund für die oben beschriebenen Differenzen angeführt werden. Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, 745. Bezüglich der unterschiedlichen „handwerklichen und stilistischen Qualität“ sehen die Bearbeiter den „etwas schlechtere[n] ‚Standard‘“ der unteren Szenen auch im oberen Bereich der nördlichen Seite der Laibung. Den publizierten Photos und Zeichnungen nach zu urteilen, muss sich diese Aussage jedoch im Wesentlichen auf die handwerkliche Ausführung bzw. den Detailgrad der Bilder (vorhandene bzw. fehlende Innenzeichnungen der Halskragen) beziehen, da sich bezüglich der Formgebung der dargestellten Personen wesentlich deutlichere Differenzen zwischen den jeweils oberen und unteren Bildern beider Seiten der Laibung feststellen lassen. Die Differenzen zwischen den beiden oberen Bildern dürften vergleichsweise gering sein. (Vgl. jedoch zu Problemen bei der archäologischen Dokumentation durch Umzeichnungen Strudwick, „Interpretation“, 491 f.) Auch Vischak argumentiert für die relative Gleichzeitigkeit der Darstellungen. Vgl. dies., Community and Identity, 162. Vgl. zum Grab qh 110 Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, 1715–1815. Die Datierung erfolgt gewöhnlich über die Nennung des „Hauses des Cheti“ (pr H̱ ty) auf einer der beiden Scheintüren des Grabes. Vgl. ebenda, 1743f. und 1754f. Vgl. beispielsweise Seidlmayer, „Zwei Anmerkungen zur Dynastie der Herakleopoliten“, 83.
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abb. 13.1–2 Grab des St-Kꜣ, Qubbet el-Hawa (qh 110, Szene 16)
im Grab des Ḥqꜣ-jb augenfällig war: Auch wenn die für die ‚1. Zwischenzeit‘ als typisch betrachtete Formgebung der Augen im ganzen Grab vorherrschend ist, finden sich doch stark am Darstellungskanon orientierte Bilder (Abb. 13.1–2) ebenso wie unproportionierte Beispiele, wie sie für abwertende Beurteilungen der Zwischenzeit bemüht werden könnten (Abb. 14.1–2).220
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Es bietet sich der Vergleich zwischen Szene 16 (Abb. 13.1–2; Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, Tf. lxxvii, Abb. 14 auf S. 1807) auf der einen Seite und Szene 10 (Abb. 14.1–2; Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, Tf. lxxvi, Abb. 10 auf S. 1803) und Szene 23 (ebenda, Tf. lxxx, Abb. 19 auf S. 1809) auf der anderen Seite an, wobei die von Edel (ebenda, 1742) vorgenommene Zuschreibung der in Szene 23 abgebildeten Personen aufgrund des Fehlens von Inschriften rein hypothetisch ist. Für die gegebene motivische Vergleichbarkeit ist dies jedoch relativ unerheblich. Szene 16 ist anscheinend stärker an kanonischen Vorbildern orientiert, während Szene 10 ein über-
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abb. 14.1–2 Grab des St-Kꜣ, Qubbet el-Hawa (qh 110, Szene 10)
Im Grab des Mḫw (qh 25) zeigen vergleichbar große Darstellungen von Totenpriestern deutlich unterschiedliche Proportionen der Füße in Relation
proportioniertes und zudem deutlich tiefer positioniertes Auge aufweist (vgl. auch das diesbezüglich sehr ähnliche Gesicht der Darstellung des sitzenden Grabherrn in Szene 9: ebenda, Tf. lxxv, Abb. 9 auf S. 1802). Der Kopf in Szene 10 ist außerdem proportional deutlich größer. Im Vergleich zu Szene 16 ist auch Szene 23 deutlich weniger stark kanonisch, was sich u. a. daran zeigt, dass die beiden herabhängenden Arme der rechten oberen Figur unterschiedlich lang sind. Der längere der beiden Arme ist wiederum länger als der herabhängende Arm der links daneben stehenden Person, obwohl diese selbst geringfügig größer ist. Alle drei Figuren in Szene 23 unterscheiden sich in der Gestaltung der Gesichter deutlich: So weichen die Augen, Ohren und Nasen in ihren Proportionen, Formen und Positionierungen erheblich voneinander ab. Außerdem sei auf die unterschiedlichen Wiedergaben sitzender Personen hingewiesen: Die Hauptscheintür (Szene 27: ebenda, Tf. lxxxiii, Abb. 24 auf S. 1814) zeigt den Grabherrn in Relation zum Stuhl, auf dem er sitzt, deutlich kleiner (im Vergleich zu der Darstellung von Szene 5: ebenda, Tf. lxxiv, Abb. 5 auf S. 1799) und zudem mit über dem Boden zwischen zwei Hieroglyphenzeichen ‚schwebenden‘ Füßen.
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zum restlichen Körper, auch Kopfformen und die Gestaltung der Gesichter weichen in nicht unerheblicher Weise voneinander ab.221 Auch anhand verhältnismäßig wenig elaboriert ausgeführter Darstellungen können in derselben Anlage stilistische Unterschiede in der Gestaltung der Köpfe und Augen festgestellt werden.222 Die zwei Darstellungen vom Pflügen im Grab des Ḫw.n=s (qh 34h) zeigen deutliche Unterschiede: An der Südwand sind die Figuren (einschließlich der Zugtiere) viel deutlicher an einer imaginären Standlinie orientiert und mit stärker ausschreitenden Beinen wiedergegeben als dies in der Darstellung der Ostwand der Fall ist, wo darüber hinaus eine diagonale Armhaltung des Pflügenden zu beobachten ist, während an der Südwand eine etwa senkrechte Anordnung der Arme gewählt wurde.223 Auch jenseits dieser Einzelbeobachtung variieren die Darstellungen der dem Grabherrn Untergebenen in diesem Grab stilistisch erheblich.224
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Vergleich zwischen Szene 2 (ebenda, Tf. i, Abb. 14 auf S. 235) auf der nördlichen Steinplatte am Aufweg, in der überproportional große Füße und ein gedrungenerer Kopf zu sehen sind und innerhalb derer sich außerdem die Proportionen der Füße des Grabherrn von denen des Opfernden unterscheiden, und Szene 5 (dort die Figur ganz links im unteren Register: ebenda, Tf. ii, Abb. 17 auf S. 236). Zur Synchronität der Entstehung der ganzen Anlage ebenda, 229 f. Dies wird besonders deutlich im Vergleich der motivisch jedoch nicht identischen Darstellungen der Feldarbeiter in Szene 7 (ebenda, Tf. iii, Abb. 19 auf S. 237), die durch größere Augen und größere Köpfe auffallen, mit den Gabenträgern z.B. in den Szenen 13 und 15 (ebenda, Tf. vii, Abb. 26 und 28 auf S. 241 f.). Man vergleiche Szene 4 an der Ostwand (ebenda, Tf. xxi) mit Szene 7 an der Südwand (ebenda, Tf. xxii). Die unterschiedliche Armhaltung ließe sich auch als Subtypus beschreiben, nichtsdestotrotz weichen dabei ebenso die allgemeinen Gestaltungsmittel ab. Dies zeigt sich auch beispielsweise an den unterschiedlich herabhängenden Schwänzen der Zugtiere bzw. an der in Szene 4 trotz gleichlanger Beine unterschiedlich hohen Wiedergabe der beiden Zugtiere. Vergleicht man ferner die vorn übergebeugt am Pflug Arbeitenden mit den Schilfarbeitern im obersten Register von Szene 7, wird deutlich, dass wir es mit typologischen und stilistischen Differenzen zu tun haben, da in den drei Fällen unterschiedliche Gestaltungsmittel für die Wiedergabe derselben Körperhaltung genutzt werden. Vgl. ebenda, Tf. xxi–xxv. Besonders etwa Szene 13 (ebenda, Tf. xxiii, Abb. 21 auf S. 589) im Vergleich zu Szene 9 (ebenda, Tf. xxiii, Abb. 17 auf S. 588) und Szene 7 (ebenda, Tf. xxii, Abb. 15 auf S. 586) hinsichtlich der Umrisslinienführung der Personen. Man beachte jeweils den Abstand der Oberschenkel auf Höhe der Unterkante des Schurzes bzw. die Stellung der Beine.
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teil ii
Auf ein und demselben Pfeiler im Grab des Ḥr-ḫw=f (qh 34n) unterscheiden sich Darstellungen des Grabherrn bezüglich der Größe und Stellung der Augen sowie der Führung der den Nasenrücken angebenden Umrisslinien.225 Im Grab des Ppj-nḫt (qh 35) sind bei Gabenbringern ganz verschiedene Proportionen und Umrisslinienführungen innerhalb einer einzigen Szene zu beobachten.226 Gleiches gilt für ein Beispiel aus dem Grab des Ḫwj und des H̱ nm-ḥtp (qh 34e), für das die Bearbeiter daher gar annehmen, das obere Register sei früher entstanden als das qualitativ minderwertige untere.227 Auch in Gräbern, die nur über ein sehr kleines Dekorationsprogramm verfügen, lassen sich starke stilistische Unterschiede feststellen: In qh 103 finden sich beispielsweise auf ein und derselben Säule verschiedene Wiedergabeweisen einer typologisch gleichen Beinhaltung. Auch die Hieroglyphen auf dieser Säule variieren stark in ihrer Ausführung.228 Dass es keineswegs plausibel wäre, die unterschiedlichen Stile bzw. Qualitäten der Darstellungen mit unterschiedlichen Graden der Fertigstellung der Dekoration zu erklären, lässt sich an Darstellungen zeigen, die vollständig bemalt wurden und daher als abgeschlossen angesehen werden müssen.229 In 225 226
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Vergleich der Szenen 9 und 10 (ebenda, Tf. xxxi, Abb. 13 und 14 auf S. 657). Man vergleiche besonders die ersten beiden Figuren von rechts im unteren Register von Szene 6 (ebenda, Tf. xxxv, Abb. 6 auf S. 703) bzgl. der Proportionen ihrer Oberkörper und der unterschiedlichen Kopfformen. Man beachte außerdem die Unterschiede in der Wiedergabe der Arme und Beine und vergleiche hierzu etwa das vordere Bein der ersten Figur von rechts im unteren Register mit den übrigen dieser Szene. Vgl. ebenda, Szene 1 und 2, Fig. 1a auf S. 467. Die Bearbeiter stellen fest, dass sich die thematisch zusammenpassenden Darstellungen so stark in ihrer „handwerklichen Ausführung“ unterscheiden, dass es so wirke, „als habe eine zweite Hand die Szene 2 und die dazugehörigen Texte zu einem etwas späteren Zeitpunkt hinzugefügt, hinzufügen dürfen. So unterscheiden sich auch die dargestellten ‚großköpfigen‘ Gabenbringer in ihrer leicht ungelenken Körperwiedergabe von den eleganteren Konturen zeigenden Personen des oberen Registers recht deutlich.“ (ebenda, 466). Vischak erkennt in den beiden Szenen jeweils einen unterschiedlichen Stil, ohne dies chronologisch zu deuten (dies., Community and Identity, 84 f.). Säule ii, Szenen 1 und 2 (Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, Tf. lxviii, Abb. 4 und 8–9 auf S. 1531f.). Deutlich unterschiedliche Ausführungen bzw. unterschiedlich gegliederte Anordnungen von Hieroglyphen finden sich beispielsweise auch in Grab qh 105 im Vergleich von Szene 1 (ebenda, Tf. lxix, Abb. 4 auf S. 1611) und Szene 4 (ebenda, Tf. lxix, Abb. 6 auf S. 1613). Vischak hält die Darstellungen zwar für relativ einheitlich, betont jedoch, dass sich dennoch drei verschiedene Stile ausmachen ließen (dies., Community and Identity, 80). Auch Vischak argumentiert dagegen, die Gräber als unfertig anzusehen. Sie erklärt die großflächig ohne Reliefs gebliebenen Wände durch ein zugrundeliegendes „panel
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Grab qh 35d zeigen etwa die Gabenbringer in mehreren Szenen, die alle noch einen durchgehenden Farbauftrag erkennen lassen, gänzlich unterschiedliche Formungen von Nasen und Proportionierungen von Taillen, um nur die auffälligsten stilistischen Differenzen zu nennen.230 Auch in Grab QH 35e zeigen zwei bemalte Darstellungen des Grabherrn unterschiedliche Proportionen der Gesichter, innerhalb derer auch die einzelnen Elemente wie Augen und Mund ganz verschieden wiedergegeben sind.231 Die in unmittelbarer räumlicher und vermutlich auch zeitlicher Nähe zueinander angebrachten,232 sich jedoch stilistisch z.T. erheblich voneinander unterscheidenden Bilder verdeutlichen, dass wir es hier nicht mit dem Stil einer Nekropole, oder mit distinktiven Stilen verschiedener Zeiten oder einzelner Gräber zu tun haben.233 Vielmehr lässt sich diachron wie synchron ein Stilplu-
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system“. Statt wie etwa in Memphis die Wände flächendeckend mit Darstellungen zu versehen, habe man bei den Gräbern der Qubbet el-Hawa bewusst die gewünschten Darstellungen in Form einzelner Szenen bzw. „panels“ relativ flexibel im Grab platziert und sie so nach den örtlichen Gegebenheiten ausgerichtet (Sichtbarkeit für Besucher am Grabeingang, Lichteinfall etc.). Vgl. Vischak, Community and Identity, 134–140. Vergleich der Gabenbringer in den Szenen 11 (Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, Tf. xlii, Abb. 10 auf S. 791) und 24–25 (ebenda, Tf. xlvi, Abb. 19 auf S. 797) unter Hinzuziehung der Szenen 26–29 (ebenda, Tf. xlvii, Abb. 20–23 auf den S. 798–801). Vergleich von Szene 1 (ebenda, Tf. li, Abb. 1 auf S. 855) und Szene 8 (ebenda, Tf. liv, Abb. 8 auf S. 857). Man beachte auch die stilistischen Unterschiede der den Grabherrn jeweils begleitenden Personen. Es gibt in den vorgestellten Fällen keine Gründe, von stark unterschiedlichen Zeitpunkten der Fertigstellung auszugehen. Eine solche Annahme, wie sie in Einzelfällen von Bearbeitern formuliert wurde (vgl. Fn. 227) basiert allein auf impliziten Stilbegriffen, die im geschilderten Sinne einer theoretischen Grundlage entbehren (vgl. Kapitel 2.3.2.1). Diese Uneinheitlichkeit selbst als einen Stil zu definieren, ist zwar möglich und wäre – wollte man einen Stil für ein Grab oder die ganze Nekropole beschreiben – wohl der einzige anhand des Materials begründbare Weg. Dies enthebt den Bearbeiter jedoch jeglicher Möglichkeit, diesen Stil für Datierungen oder andere Zuschreibungen nutzen zu können, da entsprechende Stilbeobachtungen die stilistische Vielfalt selbst einbeziehen und daher angesichts von Stildifferenzen kaum genügend spezifisch sein dürften, um Ergebnisse zu erzielen. Vischaks Beschreibung des Stilpluralismus stellt in Verbindung mit ihrer Benennung von konkreten Stilen und Stilgruppen die elaborierte Ausbuchstabierung dieser Feststellung dar: Sie beobachtet acht Stilgruppen und weitere Stile in genau zwölf Grabanlagen. Das von ihr selbst wiederholt festgestellte Problem, einzelne Darstellungen klar zuweisen bzw. stilistisch abgrenzen zu können (vgl. beispielsweise dies., Community and Identity, 117), lässt jedoch Zweifel daran aufkommen, inwiefern der von ihr betriebene Aufwand in
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teil ii
ralismus feststellen, der sich entgegen gängiger ägyptologischer Praxis gerade nicht im Sinne von relativen Datierungen o.Ä. auswerten lässt.234 Da jede Stilbeschreibung subjektiv und selektiv ist, steht es außer Frage, dass sich neben den hier vorgestellten stilistischen Differenzen auch diverse Ähnlichkeiten innerhalb einzelner Gräber aufzeigen ließen, die gar in der Identifikation bzw. Konstruktion von ‚Künstlerhänden‘ gipfeln könnten, wenn man diesen Weg konsequent beschreiten würde. Aus methodologischer Sicht wäre eine solches Vorgehen jedoch problematisch, da sich derartige Schlüsse nicht aus den Stilen selbst heraus ziehen ließen, sondern erst einmal anderweitig nachgewiesen werden müssten. Ohne die in ihrer Bedeutung von Davis stark gemachte „external evidence“ blieben auf diese Weise identifizierte Stile lediglich ägyptologische Beschreibungen des Materials, deren Relation zu den ägyptischen Entstehungszusammenhängen völlig unklar bliebe, ganz egal ob man die Stile hypothetisch auf Werkstätten, Handwerker, Lokaltraditionen o. Ä. beziehen würde.235
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jeder Hinsicht gerechtfertigt ist. Vgl. außerdem zur Problematik der von Vischak vorgeschlagenen Interpretation ihrer stilistischen Beschreibungen die folgende Fußnote. Die Bearbeiter scheinen jedoch dazu zu tendieren. Vgl. oben Fn. 227 für ein Beispiel sowie Vischaks Versuch, eine Chronologie aufzustellen (dies., Community and Identity, 173–178). Dabei hat sie selbst überzeugende Gründe formuliert, die gegen eine chronologische Ausdeutung stilistischer Unterschiede innerhalb einzelner Grabanlagen sprechen (ebenda, 160–162). Sie räumt ein, dass sie damit den Stilpluralismus als Ergebnis der Handlungen („agency“) von Grabinhabern und Handwerkern erklären, nicht aber zeitliche Unterschiede bei der Entstehung ausschließen wollte. Es gelingt ihr jedoch nicht, diesen Spagat stringent zu plausibilisieren. Über weite Strecken ihrer Analyse der Gräber vermeidet sie den gängigen Modus der chronologischen Stilinterpretation und fokussiert sich darauf, die beachtenswerten Spezifika der Nekropole herauszuarbeiten. – Hervorzuheben ist hier vor allem der von ihr beschriebene thematische Fokus der Grabanlagen auf die dargestellten Personen, die in so großer Zahl mit Namen und Titeln wiedergegeben sind, wie man es sonst nicht antrifft. Vischak zufolge wird daran deutlich, dass hier die Relationierung der Personen zueinander im Vordergrund stand, die (zu Familien geordnet) als vom Grabherrn Abhängige verewigt wurden. Vgl. ebenda, 205–215. – Letztlich versteht Vischak dann aber doch die Pluralität des Stils der Anlagen als Ergebnis einer Entwicklung von Reliefprogrammen und versucht diese relativchronologisch auszuwerten. Dieses Vorgehen ist im Zusammenhang mit ihrer methodischen Ausrichtung zu sehen („agency-informed approach, […] which is rooted largely in archaeological scholarship“; ebenda, 13), die zwar einerseits den Blick auf die Entstehungsbedingungen der Stilphänomene und diejenigen lenkt, die die Gräber anlegen ließen bzw. angelegt haben („agency theory“). Andererseits fühlt sich Vischak aber auch der auf die chronologische Stilinterpretation ausgerichteten Archäologie verpflichtet (vgl. ebenda, 7–15). Vgl. oben Kapitel 2.3.2.1.
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Entscheidend dürfte hingegen sein, dass bei zahlreichen hier behandelten stilistisch voneinander abweichenden Bildern eine auf relative Datierungen oder andere Zuordnungen abzielende Stilbetrachtung nicht in der Lage wäre, die ungefähre Gleichzeitigkeit der Darstellungen aufzuzeigen, wenn man nicht ohnehin schon wüsste, dass sie aus ein und demselben Grab stammen. Zur Veranschaulichung stelle man sich nur im Rahmen eines Gedankenexperiments vor, die Reliefszenen der eingangs behandelten Türlaibung aus Grab qh 35d (Abb. 12.1–3) seien einzeln aus der Wand herausgesägt worden und würden nun, nachdem man die verräterischen Inschriften abgeschlagen hätte, auf den Kunstmarkt gelangen. Selbst wenn sie gemeinsam in einer Auktion feilgeboten werden sollten, wäre nicht zu erwarten, dass sie aufgrund einer kunsthistorischen Expertise mit dem Vorschlag einer zeitgleichen Datierung oder gar der Vermutung, sie könnten aus ein und demselben Grab stammen, im Auktionskatalog beschrieben werden würden. Als Instrument zur chronologischen Einordnung dieser Bilder ist die Stilbetrachtung damit ungeeignet, da am Material nachgewiesen werden konnte, dass die Prämisse, eine stilistische Ähnlichkeit impliziere relative Gleichzeitigkeit und stilistische Unterschiede sprächen für einen zeitlichen Abstand, nicht haltbar ist. Externe Hinweise zur Datierung oder Interpretation des Befundes, die mit Stilbeobachtungen zusammengeführt werden könnten, sind jedoch sehr selten: Gräber, für die etwa Nennungen von Königen bzw. deren Pyramidentempeln einen terminus post quem liefern können, bilden die Ausnahme.236 Wollte man nun nicht dabei stehen bleiben, den Stilpluralismus selbst festzustellen, bliebe einem daher nur, kontextbezogene, stilinterne Überlegungen anzustellen, die ohne externe Hinweise jedoch zunächst rein spekulativ bleiben müssten. Unsichere nicht fundierte Datierungen in den Raum zu stellen, erscheint jedoch wenig sinnvoll.237 Daher seien hier einige Beobachtungen und hypothetische Überlegungen anderer Art angestellt. Gräber wie qh 35d zeigen, dass das Auftreten eines unkanonischen Stils nicht heißen muss, dass in diesem Kontext grundsätzlich keine Anbringung einer deutlich kanonischeren Dekoration möglich gewesen wäre. Die Tatsache, dass man in diesen Fällen unkanonische Darstellungen hat anbringen lassen, statt auf diese zu verzichten, spricht hingegen entweder dafür, dass die Dekoration im unkanonischen Stil gewünscht war oder aber dafür, dass Stilfragen für den Auftraggeber keine bzw. nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Selbst wenn begrenzte Kapazitäten o.Ä. der Grund dafür gewesen sein sollten,
236 237
Vgl. oben zu qh 35d. Vgl. oben bei Fn. 203 zu einigen Datierungen von Morenz.
228
teil ii
dass nicht die ganze Dekoration in kanonischerer Weise ausgeführt worden ist, wäre es ja schließlich auch in einem solchen Fall möglich gewesen, eine kleinere Anlage anlegen oder ein weniger umfangreiches Bildprogramm anbringen zu lassen.238 Zunächst lässt sich nicht entscheiden, ob bei der Erbauung unkanonischere Darstellungen als solche gewünscht oder bloß hingenommen wurden.239 Dass der Stil jedoch durchaus bei der Errichtung der Grabanlage eine Rolle gespielt hat, lässt sich evtl. daraus ersehen, dass sich Tendenzen eines Verteilungsmusters erkennen lassen, wenn man diejenigen Gräber der Qubbet el-Hawa, die ein umfangreicheres Dekorationsprogramm aufweisen,240 mit Blick auf den Ort der Anbringung der stärker kanonorientierten Darstellungen betrachtet. Der Versuch, in den Gräbern die stärker und die weniger stark kanonorientierten Bilder zu identifizieren, ist selbstverständlich subjektiv und ermöglicht keine Aussagen über genaue Verteilungen, da die Entscheidung, welche Darstellungen als eher kanonisch und welche als eher unkanonisch anzusprechen sind, im Einzelfall z.T. schwer zu treffen sein dürfte. Denn der stilistische Befund stellt sich – wie oben gezeigt wurde – schlicht als zu heterogen dar und Feststellungen von Ähnlichkeiten sind per se betrachterabhängig. Im Wissen um die daher nur begrenzte Aussagekraft entsprechender Betrachtungen und Auswertungen lässt sich jedoch zumindest eine weiterführende Feststellung machen. So ist auffällig, dass die eindeutig stärker kanonorientierten Bilder fast ausnahmslos gerade nicht im Bereich der Kultstellen angebracht wurden.241 So zeichnet sich etwa keine Scheintür in dieser Weise aus. Darstellungen, die ein höheres Maß an Kanonbindung aufweisen, sind vielmehr vornehmlich im Eingangsbereich der Grabanlagen anzutreffen. Ob sich aus dieser Beobachtung weitreichende und zugleich belastbare Schlüsse ziehen lassen, ist zwar fraglich, sie kann jedoch abschließend helfen, Interpretationsoptionen auszuschließen, um so eine mögliche Perspektive stärker zu konturieren.
238
239 240 241
Flächendeckend mit Reliefs versehene Anlagen gibt es auf der Qubbet el-Hawa schließlich keine. Die Wände einer Grabanlage komplett mit Darstellungen und Texten zu versehen, mag evtl. ein erstrebenswertes Ideal, aber sicher kein vorrangig von den Grabherrn verfolgtes Ziel gewesen sein. Vgl. Fn. 229. Vischak geht davon aus, dass die Pluralität bzw. auch weniger kanonische Stile als solche gewünscht waren (vgl. u. a. Vischak, Community and Identity, 164f.). qh 34h, qh 34n, qh 35, qh 35d und qh 110. Relativ schlecht erhaltene Darstellungen des Grabherrn am Speisetisch in der Kultnische von qh 34h könnten hier die Ausnahme bilden (Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, Tf. xxiii [Szenen 11 und 12], Abb. 19 und 20 auf S. 589).
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– Die bereits oben in Zweifel gezogene These Junges zum ‚Gelingen ägyptischer Kunst durch Kanonizität‘242 hält auch dem Material von der Qubbet el-Hawa nicht Stand: Gerade für im engeren Sinne kultische Belange – d. h. in diesem Fall für den visuellen Rahmen der Opferhandlungen – war es scheinbar weder zwingend noch wichtig, stark kanonisch geprägte Darstellungen anbringen zu lassen.243 – Wenn kanonische Darstellungen gemeinsam mit weniger stark kanongebundenen Bildern im Rahmen der Dekoration eines Grabes angebracht wurden, waren Stilfragen jedoch nicht vollkommen unerheblich bei der Platzierung der jeweiligen Darstellungen, da Bilder in kanonischem Stil vornehmlich gut sichtbar im repräsentativen Eingangsbereich positioniert wurden und den Grabherren abbilden, während oft in derselben Szene Untergebene oder Opferträger in weit weniger kanonischem Stil wiedergegeben sind.244 – Die Anbringung weniger stark kanongebundener Bilder innerhalb eines Grabes scheint der Funktionstüchtigkeit der Anlage damit keinesfalls im Wege gestanden zu haben. Insofern erscheint es plausibel, davon auszugehen, dass es sich bei abwertenden auf Stildifferenzen abzielenden Betrachtungen derjenigen Bilder, die sich durch ein gering(er)es Maß an Kanonizität auszeichnen, um rein moderne Sichtweisen handelt. Dies wird auch dadurch nahegelegt, dass weniger stark kanonische Darstellungen nicht unbedingt immer auch in handwerklich schlechterer Qualität ausgeführt wurden.245 Jene modernen Sichtweisen fußen maßgeblich auf heutigen, an
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244
245
Vgl. oben Kapitel 1.1.2. An dieser Stelle lohnt ein Blick auf Vischaks „agency“-orientierte Perspektive, die berechtigterweise hervorhebt, dass für die Anlage der Gräber der Qubbet el-Hawa ein hohes Maß an Know-how eingesetzt und großer Aufwand betrieben wurde (vgl. u.a. Vischak, Community and Identity, 133). Wir müssen davon ausgehen, dass die daraus hervorgegangene und u. a. in Bildern repräsentierte lokale Tradition für die Beteiligten eine gelungene war. Vgl. beispielsweise oben zu den Szenen 1–2 aus Grab qh 34e (Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el Hawa, Fig. 1a auf S. 467). Bei Vischak schlägt sich dies bereits in der Beschreibung der Stilgruppen nieder (vgl. „Raised a1“ gegenüber den restlichen Stilgruppen: dies., Community and Identity, 51–56). Abschließend stellt sie weitere Überlegungen zum Zusammenhang von Status und Stil an (vgl. ebenda, 165–172). Außerdem stellt sie heraus, dass die Positionierung der Darstellungen auf Sichtbarkeit ausgerichtet war, was auch auf die ausnahmslos an den Fassaden der Gräbern abgebrachten autobiographischen Inschriften zutrifft (ebenda, 43 bzw. 134–140). Vgl. auch Kapitel 2.4.4.1 (S. 408) zur Einordnung dieser Beobachtung in allgemeinere Zusammenhänge. Vgl. Vischak, Community and Identity, 164.
230
teil ii
Bildbänden und Ausstellungsdisplays von Museen geschulten Sehgewohnheiten246 und sollten keineswegs auf ägyptische Kontexte der Produktion und Rezeption von Bildern übertragen werden. Diesbezüglich sollte ferner auch im Fall der Nekropole von Qubbet el-Hawa berücksichtigt werden, dass die uns heute möglichen und durch moderne Medien gestützten Bildvergleiche zur Zeit der Entstehung der Bilder den Rezipienten nicht zur Verfügung standen. Nach allem, was wir über die Anlagen wissen, gab es damals keine Gräber auf der Qubbet el-Hawa, die in ihrer Kanonizität vor Ort anschaubares Vergleichsmaterial hätten bieten können, wie es dem ägyptologischen Betrachter nicht nur zur Verfügung steht, sondern wie es jedem seiner Wahrnehmungsakte als Referenzgröße zugrunde liegt.247 Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass es allein der moderne Betrachter ist, der in den beobachtbaren Stilen eine Zeichenhaftigkeit von erheblichem Ausmaß erkennt und dazu tendiert, diese als kulturellen Niedergang oder als Spiegel einer historischen Abfolge zu interpretieren.248 2.3.2.4 Zu Skulpturen und modernen Erwartungshorizonten Private Grabskulpturen sind über den ganzen hier betrachteten Zeitraum belegt und bilden neben Grabstelen eine weitere umfangreiche Materialgruppe, deren Sichtung noch nicht abgeschlossen ist. Vergleichsweise wenigen Steinskulpturen steht eine große Zahl von aus Holz gefertigten Skulpturen gegenüber, die allesamt lange Zeit von ägyptologischer Seite weitgehend unbeachtet blieben, mittlerweile jedoch als über Jahrhunderte hinweg gut belegte Objektgruppe zum Gegenstand von Katalogisierungsbemühungen geworden sind.249 Durch typologische und stilistische Untersuchungen wurde und wird
246 247
248 249
Vgl. oben Kapitel 1.3. Vgl. hierzu auch Vischak, Community and Identity, 218 sowie insgesamt unten Kapitel 2.1 und 3.2.1 zum musealen Blick bzw. dem imaginären Museum als modernem Rezeptionsmuster. Vgl. unten zur Frage nach der semantischen Interpretierbarkeit von Stilen auch Kapitel 2.3.5 und 2.4. Vgl. die Ausführungen weiter oben (in der Einleitung zu Kapitel 2.3) zur einseitigen bzw. ausbleibenden Rezeption der Objekte durch die Ägyptologie sowie Russmann, „A Second Style“, 270. Julia Harvey hat die hölzernen Statuen des ‚Alten Reiches‘ (d.h. bis zur 6./8. Dynastie) zusammengestellt (Wooden Statues of the Old Kingdom). Vgl. zu ihrem Vorhaben, auch das von ihr mit etwa 500 Objekten veranschlagte „vast corpus of First Intermediate Period and Middle Kingdom material“ zusammen mit Wolfram Grajetzki zu erfassen, Harvey, „Continuity or Collapse“, hier: 157 (Zitat).
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231
dabei versucht, das Material zu erschließen.250 Auf Schwierigkeiten, mangels archäologischer Kontexte die Holzstatuen der 6. Dynastie von solchen aus den folgenden Dynastien zu unterscheiden, hat bereits Jacques Vandier hingewiesen.251 Und Julia Harvey hat sowohl auf das Phänomen des Stilpluralismus innerhalb von Gräbern als auch auf stilistische Ähnlichkeiten zwischen zeitlich auseinander liegenden Objekten aufmerksam gemacht.252 In jüngerer Zeit wurden nun gleich mehrere Studien zur Skulptur dieser Zeiträume vorgelegt, von deren Ergebnissen sich einige als hier besonders relevant erweisen. Rita E. Freed hat zahlreiche Privatstatuen aus Kalkstein einer neuen Betrachtung unterzogen, die aus verschiedenen Giza-Grabungen stammen und bislang nur wenig Beachtung gefunden haben (vgl. Abb. 15–17).253 Sie konnte diverse Beispiele anführen, die im Hinblick auf Größe, Funktion, Körperposen, Attribute und Qualität der ägyptologischen Erwartungshaltung an ägyptische ‚Kunst‘ nicht entsprechen.254 Dies allein wäre schon beachtenswert, von entscheidender Bedeutung ist jedoch, dass sich Statuen darunter befinden, die sich aufgrund archäologischer Anhaltspunkte in die 5. Dynastie datieren lassen. Es handelt sich also gerade nicht um ‚(Provinz)Kunst aus Zwischenzeiten‘, als die die Objekte im Rahmen gängiger Erklärungsmuster möglicherweise angesprochen worden wären, hätte man sie nur vollkommen dekontextualisiert untersuchen können. Freed erklärt deren Abweichungen vom Kanon und deren niedrige Qualität mit der Situation auf dem Giza-Plateau in der 5. und 6. Dynastie: Die Nekropole der amtierenden Könige sei bei einer gleichzeitigen Vergrößerung des Beamtenapparates verlegt worden, so dass in Giza selbst nur hierarchisch niedriger gestellte Beamte zurückgeblieben seien, die die Weiterführung des Kultbetriebs in den Grabanlagen der 4. Dynastie sicherstellen sollten und auf lokale, nicht-königliche Werkstätten zurückgegriffen hätten, um ihre eigenen Gräber auszustatten. Freed spricht angesichts dieser Objekte von „folk art“ und zieht naheliegende und zugleich weitreichende Konsequenzen:
250 251 252 253
254
Vgl. Harvey, Wooden Statues of the Old Kingdom, 1–6 (zum Vorgehen) sowie dies., „Continuity or Collapse“. Vandier, Manuel d’ archéologie égyptienne iii, 140 und 147. Harvey, Wooden Statues of the Old Kingdom, 4. Freed, „Rethinking the Rules for Old Kingdom Sculpture“. Die Gründe dafür, dass diese Objekte lange nicht beachtet wurden, dürfen im musealen Blick der Bearbeiter auszumachen sein. Darauf wird weiter unten eingegangen. So zitiert Freed („Rethinking the Rules for Old Kingdom Sculpture“, 146) als Beispiel Hermann Junker, der Fundobjekte als „keine Werke wirklicher Kunst“ bezeichnet hat (Gîza vii, 103).
232
teil ii
abb. 15
Kalksteinstatue des Jnḫ (h. 24 cm, München äs 6797)
„It is clear that an entire class of what might be called folk art available to those of low status existed beside the more formal statuary for the privileged few. This situation prevailed not only in post-Fourth Dynasty Giza, but at other times and places as well. For the artists who created this material, no rule was sacrosanct and every statue had the capacity to meet the tomb owner’s needs. Clearly authenticating and dating on the basis of quality alone is woefully inadequate.“255
255
Freed, „Rethinking the Rules for Old Kingdom Sculpture“, 156. Der Begriff der „Volks-
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abb. 16
233
Kalksteinstauen aus Giza, Westfriedhof (Hildesheim rpm 2975 [h. 9,7cm], 3111 [h. 18,2 cm], 2974 [h. 36,6 cm])
Auch im Lichte der Untersuchungen Freeds müssen somit Statuendatierungen allein über Stil und Qualität in die ‚1. Zwischenzeit‘ als nicht ausreichend begründet angesehen werden. Für die Münchner Kalksteinstatue des Jnḫ (Abb. 15; äs 6797) etwa ließe sich allerhöchstens über Ähnlichkeitsabwä-
kunst“ findet sich mit Bezug auf die „Erste Zwischenzeit“ auch bei Schoske & Wildung, Münchner Buch der ägyptischen Kunst, 60. Vgl. zum Begriff der „Regionalkunst“ Fn. 129.
234
teil ii
gungen in Verbindung mit der historischen Verbreitung des Personennamens eine provisorische Datierung ‚5. bis 11. Dynastie‘ plausibel machen, wie sie von Schoske und Wildung auch vorgeschlagen wird.256 Eine derart offene Ansprache bzw. nur sehr ungefähre Datierung verhält sich jedoch konträr zum Vorhaben einer ägyptischen Kunstgeschichte, die darauf abzielt (und von der verlangt wird), einzelne Objekte in Entwicklungen und historische Prozesse einzuordnen. Und so findet sich die Statue des angeführten Beispiels tatsächlich von denselben Autoren zusätzlich noch in eine solche Entwicklungslinie eingeordnet,257 für die es jedoch mit Blick auf Freeds Studie keinen Anhaltspunkt gibt. Julia Harvey hat im selben Tagungsband wie Freed Auszüge ihrer Arbeiten zu Holzstatuen des ‚späten Alten Reiches‘ sowie der ‚1. Zwischenzeit‘ vorgestellt.258 Ihre aus Materialuntersuchungen abgeleiteten Ergebnisse besitzen insbesondere in methodenkritischer Hinsicht eine vergleichbar große Tragweite wie diejenigen Freeds. Harvey konnte nicht nur zeigen, dass sich die Statuen in typologischer Hinsicht nur im Fall der Gabenbringerinnen merklich verändern – alle übrigen Typen sind relativ unverändert im ganzen Zeitraum belegt. Sie konnte außerdem plausibel machen, dass sich die Holzstatuen nach der 6./8. Dynastie – ungeachtet ihrer teils schlechten qualitativen Ausführung – am selben Kanon orientieren wie die früheren Beispiele. Männliche Holzstatuen folgen nach Harveys Untersuchung dem kanonischen Gitternetz geradezu sklavisch, und auch bei weiblichen Statuen sei dies von einer Ausnahme abgesehen zu beobachten: Opfergabenträgerinnen weisen demzufolge häufig ein etwas tiefer positioniertes Knie auf, als es im Alten Reich üblich gewesen ist. Diese geringe Abweichung könne jedoch nach Harvey dazu führen, dass die grundsätzlich eingehaltene proportionale Kanonizität der Statuen übersehen werde.259 Die proportionalen und typologischen Kontinuitäten überwiegen
256
257
258 259
Vgl. Schoske & Wildung, Ägyptische Kunst München, 149, dort: „Altes Reich–1. Zwischenzeit“; Freed, „Rethinking the Rules for Old Kingdom Sculpture“, 149; Ranke, Die ägyptischen Personennamen i, 38.14. Vgl. Schoske & Wildung, Ägyptische Kunst München, 29 sowie Wildung, „Berichte aus den staatlichen Kunstsammlungen. Neuerwerbungen“, 225f., der sie „als Werk der Kunst des späten Alten Reiches“ anspricht und als „repräsentatives Beispiel für den Übergang der Plastik des Alten Reiches zum freieren, individuelleren Menschenbild des Mittleren Reiches“ versteht. Harvey, „Continuity or Collapse“. Harvey, „Continuity or Collapse“, 165 f. An anderer Stelle hat Harvey bereits darauf hingewiesen, dass es sich bei dem von Russmann identifizierten ‚second style‘ („A Second Style in Egyptian Art“) weniger um ein grundsätzliches Abweichen vom damals sonst
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abb. 17
235
Sitzstatue eines Mannes aus Giza (Mastaba g 7772; h. 47cm, Boston mfa 39.832) Photograph © Museum of Fine Arts, Boston
nach Harveys Ergebnissen die zum Teil feststellbaren Abweichungen deutlich. Die von ihr bei den Statuen der ‚1. Zwischenzeit‘ festgestellten qualitatigängigen Proportionsgitternetz handele als vielmehr um eine Verschlankung der Gliedmaßen (Wooden Statues of the Old Kingdom, 633–636).
236
teil ii
ven Unterschiede in der Ausführung dürften jedoch (gerade im Hinblick auf Freeds Studie) nicht in erster Linie chronologisch zu deuten sein. Ferner dürften die Qualitätsunterschiede in nicht geringem Umfang auch Einfluss auf die Feststellung stilistischer Unterschiede gehabt haben.260 Insgesamt zeigt sich anhand dieser Studien die Bedeutung sowohl des Proportionskanons als auch der typologischen Traditionen, während sich im Material zeitgleich Stil- und Qualitätspluralismen greifen lassen. Der etwa von Freed skizzierte Vorschlag, diese Beobachtungen durch eine Trennung in ‚Residenzkunst‘ und „folk art“ zu beschreiben, bietet nun eine gute Möglichkeit, die durch ägyptologische Kunstdiskurse an ägyptische Bilder gerichtete Erwartungshaltung und die oben diskutierten Epochenbilder mit den hier und in den vorangegangenen Kapiteln angestellten Materialbeobachtungen abzugleichen. Der Ansatz, von ‚folk art‘ zu sprechen, kann als Versuch verstanden werden, aus einer kunsthistorischen Perspektive auch Objekte als Kunst ansprechbar zu machen, die gerade nicht dem entsprechen, was man sich üblicherweise unter kanonischer, ‚gelungener‘ oder ‚schöner‘ ägyptischer Kunst vorstellt.261 Aus dieser Sicht wird es möglich, auch das Unästhetische zu ästhetisieren: Unkonventionelles wird als individuell und innovativ, einfache unelaborierte Handwerksarbeiten als Ausdruck ansprechender Schlichtheit oder als kreative Vorstufe zu späteren Blütezeiten wahrgenommen. Dass der sonst oft gepflegte Rückgriff auf Verfallsmetaphern keine angemessene Beschreibungsmöglichkeit darstellt, ist nur allzu offensichtlich,262 aber auch jene Ästhetisierungen
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„This means that although visually many of the statues look totally different stylistically, they actually conform slavishly to the canon.“ Diese Feststellung Harveys („Continuity or Collapse“, 165) ist sicher in nicht geringem Umfang auf Qualitätsunterschiede zu beziehen, die hier mithilfe des Stilbegriffs beschrieben werden, zumal sie kurz darauf feststellt: „What is also interesting to note is that both crudely made and more carefully made statues all conform to the grid as best they can – quality seems to make no differences, or very little difference; everyone knew and adhered to the canon, it appears, at least in wood.“ (ebenda, 166). Man könnte auch sagen, dass versucht wird, über den Begriff ‚folk art‘ eine Dark Side to Perfection auszuleuchten. Vgl. zur Einführung dieses Begriffs Parkinson, Poetry and Culture. Man könnte höchstens mit Seidlmayer von einem Niedergang der Möglichkeiten der Elitekultur sprechen, alle Mittel des Landes in exorbitantem Ausmaß auf einen Punkt – auf die Residenznekropole mit der königlichen Pyramide als Zentrum des Kultes – zu fokussieren, wie wir sie aus der 4. oder 5. Dynastie kennen (Seidlmayer, Gräberfelder, 441). Wir haben es folglich mit ‚königlosen‘, in den Provinzzentren aber dennoch hochpro-
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bringen Probleme mit sich. Das Ansinnen, vermeintlich ungewöhnliche Bilder auf diese Art zu würdigen und in eine historische Narration einzubetten,263 stellt nichts anderes als eine weitere Facette der musealen Perspektive dar, die durch ihre Fokussierung auf die ästhetisch ansprechenden Objekte der ‚Blütezeiten‘ dazu geführt hat, dass man sich jener anderen Objekte lange Zeit kaum angenommen hat. Tut man nun aber gerade dies, zeigt sich rasch, dass diese Objekte gar nicht so selten und ungewöhnlich sind, wie es den Anschein hat. Wenn man sich mit der Zeit zwischen der 6. und der 12. Dynastie und deren ägyptologischer Rezeption als ‚1. Zwischenzeit‘ beschäftigt, wird schnell deutlich, dass ägyptische Bilder in der wissenschaftlichen Rezeption überwiegend auf diejenigen Objekte reduziert werden, die in Hochglanzbildbänden über ägyptische Kunst gezeigt werden. ‚Zwischenzeiten‘ haben dort – genauso wie an der Peripherie der Eliten entstandene Bilder – keinen Platz. Die aus unserer modernen Warte betrachtet herausragenden Objekte wurden unter hohem Aufwand im Umfeld des Königshofes hervorgebracht und stammen damit aus dem Bereich der High Culture.264 Wie sich hier bereits anhand nur weniger Bei-
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duktiven Zeiten des Wandels zu tun, in denen Altes tradiert und mit Neuem verbunden wurde. Oben wurde bereits angesprochen, dass man in derartigen Objekten – Entwicklungsgedanken folgend – die Aktivierung „noch nicht erweckten künstlerischen Potentials“ gesehen hat (Schoske & Wildung, Ägyptische Kunst München, 29). Vgl. oben Fn. 130. Es seien noch weitere Beispiele genannt: „Die Sitzfigur des anonymen Mannes [Hildesheim rpm 2974; hier: Abb. 16] ist trotz Plumpheit, ungelenker Haltung und Vernachlässigung des Proportionskanons ein eindrucksvolles Bild. Es wirkt weniger ungekonnt als vielmehr individuell und innovativ.“ (Schmitz, in: von Falk & Schmitz, Das Alte Reich, 122), „Despite its crude workmanship, the statue [mfa 39.832; hier: Abb. 17] displays a decided spirituality. With his large eyes and head tilted heavenwards, this unnamed man awaits apotheosis.“ (Freed, Berman & Doxey, Arts of Ancient Egypt, 97), „Gleich vielen Denkmälern jener Zeit der Lockerung künstlerisch-handwerklicher Konventionen strahlt es [Steintafel Dresden Aeg. 754] Frische gepaart mit eigenwilligem Charme aus.“ (Morenz, Die Zeit der Regionen, 329, vgl. zur Attraktivität, mit der diese Steintafel auf Morenz gewirkt hat, auch ebenda, 6). Damit ist nicht das geschichtswissenschaftliche Verständnis von Hochkulturen als frühe sich von ‚niedrigeren‘ Kulturen etwa der Vorgeschichte abhebenden Gesellschaftsformen, sondern der Begriff im soziologischen Sinne von Elitekultur gemeint. Vgl. hierzu oben die Überlegungen von Baines (Kapitel 1.2.1). Die andere Begriffsbedeutung findet sich etwa bei von Falk und Schmitz, deren Hildesheimer Katalog Das Alte Reich den Untertitel „Ägypten von den Anfängen zur Hochkultur“ trägt. Dass in der von diesem Katalog als ‚Aufstieg zur Hochkultur‘ benannten Zeit auch die formative Phase der Ausprägung derjenigen kanonischen Formelemente gesehen werden kann (vgl. Davis, Canonical Tra-
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teil ii
spielen zeigte, handelt es sich dabei jedoch nur um einen in mehrfacher Hinsicht begrenzten Ausschnitt dessen, was man die ägyptische Bildkultur nennen könnte: „Visiting museums with Egyptian collections and reading books on Egyptian civilization, scholars and lay people alike have consciously or unconciously formulated concepts of how Egyptian sculpture should look. Historians of Egyptian art have reinforced these ideas through the development of a set of rules governing such aspects as proportions, poses and attributes. The vast majority of works conform to these patterns. However, a surprisingly large number do not. Some variations seem deliberate and meaningful, while others might be interpreted as mistakes. Whatever their significance, it is clear that no rule in Egyptian art remained unbroken.“265 Dies hat auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Interpretation von Objekten und Stilen. Ganz in diesem Sinne wäre damit auch Sauerländers kunsthistorische Einschätzung auf die ägyptologische Stituation zu übertragen: „It [i.e. our renewed interest in subcultures, …] made us aware that many objects we deal with are not as uniform, not as patterned, briefly not as stylized, as our notions of style would like to have them.“266 Weniger Auftraggeber oder Motiv, sondern vielmehr das ästhetische Moment, die vom heutigen Betrachter wahrgenommene Schönheit und die daraus gespeiste Erwartungshaltung erweist sich üblicherweise als ausschlaggebend für die Selektion, die festlegt, welche Objekte als Kunst eine nähere Behandlung erhalten.267 Gleichzeitig werden diejenigen Teile der Bildkultur, die nicht den
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dition), die jene High Culture visuell konstituieren, gibt dem Titel eine gewisse Doppeldeutigkeit. Freed, „Rethinking the Rules for Old Kingdom Sculpture“, 145. Sauerländer, „From Stilus to Style“, 267. Kaum eine museale Konzeption dürfte davon frei sein, Objekte nach ihrem ‚Kunstwert‘ zu bemessen (vgl. als frühes Beispiel Borchardt, Statuen und Statuetten, passim). Wenn die Objekte außerdem keine oder nur stereotype Inschriften aufweisen, wird die skizzierte Selektion noch weiter zementiert: „Dagegen ist die große Masse gleichaltriger und gleichartiger Stelen weniger reizvoll und ihre Publikation kaum lohnend, weil sie eben nichts anderes als eine mehr oder minder stereotype Darstellung des oder der Verstorbenen und
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modernen Erwartungshaltungen entsprechen, zur Provinzialkunst degradiert bzw. sie ‚verschwinden‘ in den Magazinen der Museen. Damit zeigt sich zusammenfassend, dass der Einfluss der ägyptischen High Culture in zweierlei Hinsicht nicht zu unterschätzen ist: Zum einen zeigt uns das ägyptische Bildmaterial der Zeit, dass die Zeichensysteme und Idealbilder der Hochkultur nicht nur in den unteren Schichten adaptiert wurden, sondern zugleich auch am unteren Ende der Gesellschaft alternativlos gewesen sind. Dort, wo wir Belege haben, entsprechen sie der Ideen- und Zeichenwelt der Elite, eine eigene ist nicht nachweisbar.268 Zum anderen verdeutlichen die hier vorgestellten Beobachtungen den großen Einfluss der Prunkstücke ägyptischer Sammlungen auf die heutige Forschung: Der Zugang heutiger Interpreten, die sich mit ägyptischer Kunst befassen wollen, führt aufgrund der in den Objekten erkannten Schönheit dazu, dass fast nur handwerkliche Spitzenerzeugnisse im Mittelpunkt von Vitrinen und wissenschaftlichen Studien stehen. Erst durch diese museal-ästhetische Perspektive wird die aus funktionaler Sicht eher einheitliche ägyptische Bildkultur auf unangemessene Weise auseinanderdividiert und dekontextualisiert, so dass die antiken Entstehungs- und Wirkungszusammenhänge aus dem Blick geraten: sowohl residenzferne Gegenden als auch Zeiten ohne zentralisierte High Culture als auch Unkonventionelles anderer Art wird vernachlässigt.269 In diesem Sinne verdient eine von Wildung aus der Sicht der traditionellen ägyptologischen Kunstbetrachtung eher beiläufig und nur sehr vorsichtig geäußerte Reflexion besondere Beachtung: „Der Provinzkünstler hat seine Lektion über Aufgabe und Funktion der Grabkunst wohl gelernt; seine Bilder sind lebensfähig, wenn auch künstlerisch fragwürdig oder minderwertig – ein Kriterium, das vielleicht erst aus unserer Sicht Relevanz gewinnt.“270
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seltener mehr als eine der einfachsten Versionen des Totenopfergebetes enthalten. Solche Denkmäler bieten also dem Historiker offensichtlich gar nichts, dem Philologen lediglich sattsam bekannte Opferformeln oder oft belegte Phrasen idealbiographischen Inhalts – bestenfalls einen neuen Personennamen oder einen seltenen Titel.“ (Settgast, „Materialien zur Ersten Zwischenzeit i“, 7). Nicht zu unterschätzen dürfte dabei auch die traditionelle Fokussierung der Ausgräber auf die Elitekultur sein, die sich erst vor relativ kurzer Zeit auch auf weniger ästhetisch ansprechende Bereiche der materiellen Kultur ausgeweitet hat. Vgl. hierzu Ikram, „Interpreting Ancient Egyptian Material Culture“, 179 f. Vgl. Seidlmayer, „Die Ikonographie des Todes“, 239f. sowie Fn. 260 und oben Kapitel 1.2.1 (dort bei Fn. 123). Vgl. unten Kapitel 3.1 und 3.2.1 zum musealen Blick und dem imaginären Museum. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 28.
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teil ii
2.3.3
Materialbeobachtungen (iii): Stilgeschichten und das Bildmaterial der Zeit Mentuhoteps ii. Im Folgenden wird es darum gehen, die ägyptischen Bilder vom Ende des ägyptologischerseits als 1. Zwischenzeit wahrgenommenen Zeitraums näher zu betrachten. Hierfür werden bisherige Interpretationen der Bilder aus der Regierungszeit Mentuhoteps ii. im Hinblick auf verschiedene in dieser Zeit beobachtete Stile untersucht. 2.3.3.1 Materialübersicht Das gesamte inschriftliche Material, das durch Nennung eines Königsnamens der Zeit Mentuhoteps ii. zugeschrieben werden kann, ist in Lilian Postels Katalog zum Herrscherprotokoll der 11. Dynastie aufgenommen worden.271 Das an dieser Stelle relevante Material ist dabei vergleichsweise übersichtlich: Bei weitem nicht alle der insgesamt 124 von ihm angeführten Belege stehen in Zusammenhang mit bildlichen Darstellungen und mehr als ein Drittel seiner Belege stammt allein aus der Tempel- und Grabanlage des Königs in Deir elBahri.272 Königliche Baumaßnahmen, Monumente und Inschriften sind neben diesem Schwerpunkt im thebanischen Raum u. a. in Abydos, Dendera, Et-Tod, Elephantine, Gebelein und dem Wadi Shatt er-Rigal belegt.273 Die bildlichen Darstellungen aus privatem Kontext, die durch einen Königsnamen dieser Zeit zugeordnet werden können, stammen von abydenischen Ausnahmen abgesehen alle aus Theben.274 Fast das gesamte erhaltene Bildmaterial ist flachbildlich, auf einige der wenigen rundplastischen Objekte wird weiter unten noch näher einzugehen sein (vgl. Kapitel 2.3.3.4).
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Postel, Protocole des souverains égyptiens, 318–360 (= Belege 61–184). Zur jüngsten Entdeckung in Abydos siehe Fn. 273. Bei Postel (Protocole des souverains égyptiens) die Belege 110–148 (Deir el-Bahri). In Armant ist Mentuhotep ii. nur inschriftlich belegt, die frühesten Bauteile mit bildlichen Darstellungen tragen Inschriften seines Nachfolgers Mentuhotep iii. Sꜥnḫ-kꜣ-Rꜥ (Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 117f.). Vgl. zu den mumiengestaltigen Statuen aus Armant unten Exkurs i (S. 280–285) Darüber hinaus sind aus Deir elBallas, Konosso, El-Kab, Aswan, Medamud und dem Wadi Hammamat vereinzelte Belege bekannt. Vgl. die Zusammenstellungen mit Blick auf die Provinztempel Mentuhoteps ii. bei Bußmann, Die Provinztempel Ägyptens, 177–182 und 476f. In Abydos wurde 2014 unweit des Tempels Sethos’ i. eine vergleichsweise gut erhaltene Kapelle Mentuhoteps ii. gefunden. Sie wurde bislang zwar noch nicht vollständig ausgegraben und ihr genauer Grundriss ist daher noch unklar, die erste Veröffentlichung der Ausgräber zeigt jedoch bereits Reliefs aus dem Inneren (Damarany, el-Raziq, Okasha et al. „A new temple“). Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 176.
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Die Möglichkeit, Monumente, die einen königlichen Namenszug tragen, aufgrund der zweimaligen Änderung der königlichen Titulatur Mentuhoteps ii.275 einem von drei Regierungsabschnitten zuweisen zu können, wurde bereits genutzt, um ein Gerüst von innerhalb der Regierungszeit Mentuhoteps ii. genauer datierbarer Bilder aufzustellen. Über Stilvergleiche mit diesen ‚Fixpunkten‘ werden dann anderweitig nicht datierbare Bilder ebenfalls relativchronologisch eingeordnet, indem sie entweder einem der drei Zeiträume zugeschlagen werden, oder aber der Versuch unternommen wird, durch genaue Stilbeobachtungen darüber hinaus eine relative Chronologie innerhalb der einzelnen Regierungsphasen zu erzeugen. Die zwei Zeitpunkte, zu denen die Titulatur geändert bzw. geändert und erweitert wurde, können dabei jedoch nur sehr ungefähr über einen terminus post quem und einen terminus ante quem eingegrenzt werden: So ist die erste Titulatur (a)276 noch für das 14. Regierungsjahr belegt,277 während fest datierbare Monumente mit der zweiten Titulatur (b) fehlen und der nächste Fixpunkt erst durch die möglicherweise im 39. Regierungsjahr (Abb. 18) bzw. gesichert im 41. Regierungsjahr geführte dritte Titulatur (c) markiert wird.278 275
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Die frühesten Belege nennen ganz in der Tradition der unmittelbaren Vorgänger Mentuhoteps ii. nur den Horusnamen (Sꜥnḫ-jb-tꜣ.wj) und den zꜣ-Rꜥ-Namen (Mnṯ.w-ḥtp.w). Der Horusname wurde später zweimal geändert: Sꜥnḫ-jb-tꜣ.wj > Nṯr.j-ḥḏ.t > Zmꜣ-tꜣ.wj. Mit der ersten Änderung treten der Thronname Nb-ḥp.t-Rꜥ und der mit dem Horusnamen identische Herrinnenname Nṯr.j-ḥḏ.t hinzu. Parallel zur zweiten Änderung des Horusnamens wird dieser in seiner neuen Form auch als Herrinnenname geführt. Außerdem wird die Titulatur um den Goldhorusnamen Qꜣj-šw.tj ergänzt, so dass Mentuhotep ii. in der letzten Phase seiner Regierung eine komplette fünfteilige Titulatur führt. Überdies wird die Änderung der Schreibung des Thronnamens Nb-ḥp.t-Rꜥ von zu gängigerweise parallel zur zweiten Änderung des Horusnamens angesetzt, was jedoch keineswegs gesichert ist (vgl. Gestermann, Kontinuität und Wandel, 36 mit weiteren Angaben). Vgl. mit einer Zusammenstellung der wichtigsten Literatur Fiore Marochetti, Reliefs, 20 mit Anm. 29, außerdem überblicksartig Gestermann, Kontinuität, 35–39 und Abb. 1 sowie in aller Ausführlichkeit Postel, Protocole des souverains égyptiens, 131–244. Die Kürzel a, b und c beziehen sich auf die drei verschiedenen Horusnamen und werden hier in Anlehnung an Postel verwendet (Protocole des souverains égyptiens), vgl. Fn. 275. Stele des Jnj-jt=f in London (bm ea 1203), vgl. Schenkel, Memphis · Herakleopolis · Theben, 226–228 und mit weiterer Literatur Postel, Protocole des souverains égyptiens, 319. Das häufig in der Literatur angeführte Jahr 39 bezieht sich auf zwei Bildgraffiti und zwei Jahresangaben aus dem Wadi Shatt er-Rigal (vgl. Abb. 18): Petrie, A Season in Egypt, 1887, Tf. xv (Graffiti № 443 und № 452), Tf. xvi (Graffito № 489) und Tf. xvii (Graffito № 542) (Zitation der Graffiti im Folgenden über die Nummer bei Petrie); Schenkel, Memphis · Herakleopolis · Theben, 207 f.; Gestermann, Kontinuität und Wandel, 36; Postel, Protocole des souverains égyptiens, 354.
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teil ii
Damit erweist sich die Materialgrundlage für Überlegungen zur Chronologie und genaueren Datierung von Objekten anhand der Horusnamen als überaus
Während Petrie die letzten zwei Striche der Datumsangbe von Graffio № 542 nur eingeklammert wiedergibt (A Season in Egypt, 1887, Tf. xvii), betrachtet Winlock die Lesung dieser Jahresangabe als „39“ als sicher (Rise and Fall, 70 mit Anm. 45). Die Datierung der beiden den Horusnamen Zmꜣ-tꜣ.wj nennenden Bildgraffiti (№ 443 und № 489) über die Jahresangaben (№ 452 und № 542) ins 39. Regierungsjahr ist jedoch nicht unumstritten. Vgl. etwa die Bedenken Jürgen von Beckeraths, der die Jahresangabe für eine spätere Hinzufügung hält (Chronologie, 141), denen zuletzt Seidlmayer widersprochen hat („The Relative Chronology of the First Intermediate Period“, 162 mit Anm. 20). Dabei dürfte jedoch die Betonung, ein solcher Einwand wie von Beckeraths sei nicht überzeugend, allein nicht ausreichen, die Zweifel zu beseitigen. Von Beckerath argumentiert zwar wenig stichhaltig, dass sich eine Angabe des Jahres 39 (№ 452) auf kein Sedfest und damit auch nicht auf die nebenstehende Darstellung Mentuhoteps ii. in einem Sedfest-Gewand (№ 443) beziehen könne, sein Hinweis auf die Anbringung der Datumsangabe in „flüchtiger Schrift“, die sich deutlich von der Beischrift zur Darstellung unterscheide, steht jedoch weiter im Raum. Vgl. zur Frage der Interpretation des Graffitos und der Jahresangabe auch James P. Allen, der gar argumentiert, die Darstellungen seien in Erinnerung an ein Ereignis aus dem Jahr 39 angebracht worden, müssten selbst jedoch noch später datiert werden („Some Theban Officials“, 10). Die Gleichzeitigkeit von Namensinschrift und Datumsangabe wäre folglich ebenso erst noch zu plausibilisieren wie die verbreitete wohl auf Winlock zurückgehende Annahme, die Datumsangaben bezögen sich tatsächlich auf die beiden ca. 60 Schritt auseinander liegenden Bildgraffiti, da sie diese einrahmen würden. Die westliche der beiden Jahresangaben (№ 452) grenzt tatsächlich unmittelbar westlich an die Darstellung des Königs im Sedfest-Gewand (№ 443). Die von Winlock auf die östliche Darstellung, die den König mit seiner Mutter Jꜥḥ vor einem Antef-König und dem Siegelbewahrer und Schatzmeister H̱ ty zeigt (№ 489), bezogene Jahresangabe (№ 542) findet sich östlich der Darstellung, jedoch in einer Entfernung von immerhin ca. 15 Schritt (vgl. zur Lage von Darstellungen und Jahresangaben Abb. 18 und Winlock, Rise and Fall, 62 und 70, sowie zur näheren Umgebung von Graffito № 489 [jedoch ohne Angabe der Lage von № 542] ebenda, Tf. 10 und 11). Diese Entfernung spielt in Winlocks Ansprache jedoch keine Rolle („The relief is dated to the thirty-ninth year of Neb-hepet-Rēꜥ“, Rise and Fall, 63). Nur am Rande sei bemerkt, dass Winlock im Zuge der Annahme der Gleichzeitigkeit der beiden Bildgraffiti auch stilistische Überlegungen anführt, indem er Ähnlichkeitsbeobachtungen („same skillful sculptors“, ebenda) anstellt, um eine Gleichzeitigkeit zu untermauern. Die stilistische Beobachtung, der Duktus der Jahresangaben unterscheide sich zu sehr von dem der Beischriften, ist allein zwar nicht in der Lage, die oftmals angenommene Gleichzeitigkeit zu widerlegen (vgl. die Ausführungen bei Davis, „Style and History“, 20), der räumliche Abstand zwischen den Jahresangaben und den Bildgraffiti bzw. den Nennungen der Königstitulatur lässt einen solchen Bezug jedoch kaum wahrscheinlicher werden. Da somit grundlegende Zweifel an der Datierbarkeit der beiden Bilder ins 39.
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dünn.279 Zudem können nur ausgesprochen wenige Bilder inschriftlich konkreten Regierungsjahren zugeschrieben werden.280 Damit ist nicht nur unklar, innerhalb welcher genauen Zeiträume welche Titel verwendet wurden, ferner ist die Verteilung der inschriftlichen Belege auf die einzelnen Titulaturen sehr uneinheitlich: Auf die älteste Titulatur (a) entfallen gerade einmal drei Belege, von denen keiner von einem königlichen Monument stammt, das eine bildliche Darstellung enthielte,281 während der weit überwiegende Großteil der Belege gemeinhin der dritten Titulatur zugeordnet wird.282 Mit Blick auf die Datierung von Monumenten können diese damit bestenfalls nur den drei durch die verschiedenen Horusnamen benennbaren Phasen der Regierungszeit zugeordnet werden. Tabelle 1 gibt einen Überblick zu den am umfangreichsten erhaltenen Monumenten.
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Regierungsjahr bestehen bleiben, sollte eher davon ausgegangen werden, dass sich die Bildgraffiti aus dem Wadi Shatt er-Rigal nicht datieren lassen. Für die Frage der Datierung bzw. der Erstbezeugung der dritten Titulatur (c) trägt dies alles zwar kaum etwas aus, da diese durch einen sicheren Beleg aus dem 41. Regierungsjahr greifbar wird (vgl. zum Graffito des Mrr-Ttj unten Fn. 465). Vgl. Seidlmayer, „The Relative Chronology of the First Intermediate Period“, 162f. Die Zahl der Monumente, die einen Namen Mentuhoteps ii. tragen, ist ohnehin sehr begrenzt (siehe bereits oben zu den 124 von Postel aufgeführten Belegen) und die Zahl der darin enthaltenen Bilder fällt entsprechend noch viel geringer aus. Bei den einzigen durch eine Jahresangabe datierbaren Bildern handelt sich um die Stele des Jnj-jt=f in London aus dem Jahr 14 (vgl. nächste Fußnote), sowie die Stele des Mrw in Turin aus dem Jahr 46 (Suppl. 1447, vgl. Klebs, Die Reliefs und Malereien des Mittleren Reiches, Abb. 14 bzw. Tiradritti, Ägyptische Wandmalerei, 168). Die Datierbarkeit der erwähnten Graffiti aus dem Wadi Shatt er-Rigal ist hingegen überaus fraglich (siehe Fn. 278 zur Problematik der Datierung). Es handelt sich um die Stele des Jnj-jt=f (bm ea 1203), die Stele des Ḥnwn (JdE 36346, mitunter fälschlich zitiert als JdE 34346) sowie ein Rollsiegel in New York (mma 10.130.164). Vgl. Postel, Protocole des souverains égyptiens, 319 (= Belege 61–63). Zum Problem der geringen Belegzahl des ersten Horusnamens bemerkte Barta, dass man beachten müsse, dass auch Monumente, die nur den Namen Mnṯ.w-ḥtp.w tragen, in den ersten Regierungsabschnitt gehören könnten (Das Selbstzeugnis eines altägyptischen Künstlers, 44). Nach Postel entfallen auf die zweite Titulatur 29 und die restlichen 92 auf die dritte. Es ist jedoch auffällig, dass er keine Beleggruppe mit unklarer Zuordnung anführt. Dabei geraten Zuweisungen schnell in den Bereich von Spekulationen, wenn etwa kein Horusname genannt ist und gleichzeitig der Eigenname ohne Kartusche geschrieben wird (vgl. unten zu einem Beispiel aus dem Bab el-Hosan Anm. f zu Tabelle 1). Auch wenn die genaue Schreibung eines Titels nicht mehr erkennbar ist, weil der Schriftträger nur fragmentarisch erhalten ist, liegt eine exakte Zuschreibung oft nicht mehr im Bereich des Möglichen. Vgl. auch zu Bartas Bedenken Fn. 281.
244 teil ii
abb. 18.1–4 Wadi Shatt er-Rigal: Graffiti und Jahresangaben (Abstandsangaben nach Winlock, Rise and Fall, 62 und 70)
245
bilder – stile – kontexte tabelle 1
Monumenta Abydosb Deir el-Bahric
Dendera Gebelein Et-Tod
Horusname Kapelle/Tempel Kapellen und Grabkammern der Königinnen innerhalb des Tempels (Bauphase bd) Bab el-Hosan (Bauphase b?e) Terrassentempel (Bauphasen c–d) Grab der Nfr.w (tt 319) Ka-Kapelleh Hathor-Kapellei Kultbau unklarer Funktionk
? Nṯr.j-ḥḏ.t ?f Zmꜣ-tꜣ.wj Zmꜣ-tꜣ.wj(?)g Nṯr.j-ḥḏ.t Nṯr.j-ḥḏ.t j Zmꜣ-tꜣ.wj
Anmerkungen a Sehr fragmentarische Monumente, deren Überreste kaum oder keine bildlichen Darstellungen enthalten, sind nicht aufgeführt. Vgl. zum Tempel von Armant unten Exkurs i mit Fn. 381. b Die bislang freigelegten Inschriften zeigen den zꜣ-Rꜥ-Namen (Mnṯ.w-ḥtp.w) sowie den Thronnamen Nb-ḥpt-Rꜥ (in Kartusche, geschrieben mit Gardiner p 8), aber keinen Horusnamen. Er könnte jedoch im Zuge der noch ausstehenden vollständigen Freilegung der Anlage zu Tage treten (persönliche Mitteilung von Josef Wegner, November 2016). Vgl. Fn. 273. c Vgl. zu den Bauphasen des Tempel den Vorschlag von Dieter Arnold (The Temple of Mentuhotep, 39–45), sowie hier Abb. 19 und 21. d Jenseits der greifbaren Königstitulaturen ergibt sich aus dem archäologischen Befund, dass die Kapellen und die zugehörigen Grabkammern nicht nur vor den Reliefs des Terrassentempels angelegt bzw. dekoriert wurden, sondern, dass die Grabschächte auch vorher bereits verschlossen worden sind, da bei der Anlage des eigentlichen Tempels über vier der Schachtmündungen Säulen des Hofes positioniert wurden. Daher lassen sich zumindest die Gräber und Grabausstattungen der Königinnen Hnhn.t, Kmsj.t, Kꜣwj.t und Sꜣdh in diese frühe Bauphase datieren. Vgl. hier Abb. 19 und 21 und die Angaben von Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep i, 64, ders., The Temple of Mentuhotep, 41 sowie dessen Rekonstruktionen: ders., „The Tombs of the Queens of Mentuhotep ii“, 98f. e Di. Arnold hält das Bab el-Hosan für den Vorgängerbau des später angelegten und vermutlich auch als solches genutzten Königsgrabes (vgl. Abb. 19 und 20). Im Rahmen des von ihm für am wahrscheinlichsten gehaltenen Szenarios vermutet er, dass das Bab el-Hosan wie auch die Königinnenkapellen vor dem eigentlichen Tempel in Bauphase b angelegt wurde. Die zeitliche Stellung zwischen den Kapellen
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teil ii
und dem Bab el-Hosan müsse dabei jedoch ungeklärt bleiben (Der Tempel des Königs Mentuhotep i, 64f., ders., The Temple of Mentuhotep, 40f.). f Im Bab el-Hosan (vgl. zur Lage Abb. 20) wurde von Howard Carter neben der berühmten Sitzstatue (Taf. 5.2; Kairo JdE 36195) ein Kasten aus Sykomorenholz gefunden (vgl. Carter, „Report on the Tomb of Mentuhotep Ist“, Tf. ii), das eine nur fragmentarisch erhaltene Aufschrift trägt, die den zꜣ-Rꜥ-Namen des Königs enthält („zꜣ-Rꜥ Mnṯ.w-ḥtp.w“) und darüber hinaus an anderer Stelle eine Zeichengruppe, deren Lesung umstritten ist und die daher auch keinen näheren Aufschluss geben kann: Die von Walter L. Nash publizierte Wiedergabe dieser Gruppe als ist von Newberry als „very uncertain“ (Nash, „The Tomb of Mentuhetep i (?)“, 292f. [Kursive i.O.]) bzw. nach späterer Inaugenscheinnahme als „fairly clear“ bezeichnet worden (Naville & Hall, „Excavations at Deir El-Baḥari“, 8, Anm.). Selbst wenn man die von Newberry erkannte Zeichengruppe ansetzen würde, wäre jedoch die von Di. Arnold zu Recht als „keineswegs sicher“ eingestufte Lesung „nṯr nfr Nb-ḥpt-(Rꜥ)“ sehr ungewöhnlich (vgl. Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep i, 53 mit Anm. 136), da angesichts des Zeichens Gardiner r 4 eigentlich nb ḥtp zu lesen wäre. Eine Lesung nb ḥpt wäre somit aus verschiedenen Gründen rein spekulativ bzw. haltlos. Man sollte wohl entsprechend mit Carter lesen (Carter, „Report on the Tomb of Mentuhotep Ist“, 203) und die Frage nach der genauen Lesung offen lassen, zumal bislang keine Photographie der Inschrift publiziert wurde, die hier evtl. weiterhelfen könnte. Weitere Namensnennungen wurden in der Anlage nicht gefunden. Die von Postel qua Einordnung in seinen Katalog vorgeschlagene Ansprache dieser Namensnennung als Teil der Titulatur (c) (was Horus Zmꜣ-tꜣ.wj entspräche) ist damit sehr unsicher bzw. de facto nicht begründbar, und so führt er auch selbst aus, dass eine Zuordnung letztendlich nicht möglich sei (vgl. mit den weiteren Literaturangaben Postel, Protocole des souverains égyptiens, 334f. mit Anm. 1344 sowie S. 152f.). Als Zuweisungsmöglichkeiten bleiben folglich hinsichtlich der Funde aus der Anlage alle drei Horusnamen (Sꜥnḫ-jb-tꜣ.wj, Nṯr.j-ḥḏ.t und Zmꜣ-tꜣ.wj) bestehen. Die auf diesem Wege damit nicht näher zu konkretisierende Datierung der Anlage ist besonders mit Blick auf die königlichen Rundbilder relevant, da die Versiegelung der Kammer bis zur Entdeckung durch Carter ungestört blieb (siehe Carter, „Report on the Tomb of Mentuhotep Ist“, 201 und außerdem dazu unten Kapitel 2.3.3.4). g Die Zuschreibung zum dritten Abschnitt der Regierungszeit ist nicht gesichert. Allein ein von Winlock dokumentiertes, bislang unpubliziertes Fragment einer Wandverkleidung, das nach Di. Arnold die Lesung „smꜣ-tꜣ(wy?)“ zulässt (The Temple of Mentuhotep, 19 mit Anm. 63), würde dies nahe legen. Vgl. hier die Abbildung des Fragments (Abb. 22) sowie zur Problematik der Datierung des Grabes sowie der Fundumstände weiter unten mit Fn. 307 und 308 und zur Lage des Grabes Abb. 20.
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abb. 19
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Deir el-Bahri: Gegenüberstellung der Bauphasen der Tempelanlage Mentuhoteps ii. nach Winlock und Di. Arnold (Di. Arnold, The Temple of Mentuhotep, 45)
248
Deir el-Bahri: Tempelanlage Mentuhoteps ii. (nördlich angrenzend, rechts neben der Legende, das Grab der Nfr.w, tt 319; im Ostteil des Vorhofes der Zugang zum Bab el-Hosan)
teil ii
abb. 20
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abb. 21
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Deir el-Bahri: Bauphasen des Terrassentempels Mentuhoteps ii. (die sechs teilummauerten Kapellen der Königinnen zugehörig zu Phase b)
h Vgl. für einen Überblick und die weitere Literatur Bußmann, Die Provinztempel Ägyptens, i, 83. i Vgl. für einen Katalog der Fragmente sowie Rekonstruktionsüberlegungen Fiore Marochetti, Reliefs. j Fiore Marochetti, Reliefs, 20–22, vgl. dort im Katalog die Turiner Fragmente cgt 7003/9 (= pl. iii), cgt 7003/62 (= pl. lii), cgt 7003/261 (= pl. xlvii). Ebenda finden sich auch die Belege für die von der sonst üblichen Titulatur abweichenden, teilweise jedoch nur fragmentarisch erhaltenen Thronnamen Sꜥnḫ-[ jb-tꜣ.wj] (vgl. cgt 7003/42 [= pl. ix] und ctg 7003/62 [= pl. lii], evtl. cgt 7003/10 [= pl. ii] und cgt 7003/124 [= pl. xxiv]) und Nṯr.j-ḥḏ.t (Kairo tr 1/11/17/10 [= pl. liii]), vgl. dazu Gestermann, Kontinuität, Abb. 1 (= S. 245) und Morenz, Die Zeit der Regionen, 167f. (= Exkurs 4), der aus diesen Abweichungen sogar vier Hauptphasen rekonstruiert und diese ideologisch auszuwerten versucht. k Vgl. Bisson de la Roque, Tôd (1934 à 1936), 64–79 und pl. xviii–xxi, sowie Bußmann, Die Provinztempel Ägyptens, i, 64 und ii, 57f. (= Abb. 4.103–109), der dort auch ein Relief abbildet, das auch schon Mentuhotep iii. zugeschrieben wurde
250
teil ii
(Kairo JdE 66330, hier Abb. 34.1 [S. 368]). Siehe zu dieser Diskussion und zur stilistischen Beurteilung einzelner Reliefs aus Et-Tod Kapitel 2.3.4.1.
Die aus verschiedenen lokalen Kontexten stammenden Bilder lassen sich also über ihre Zuschreibung zur Regierungszeit Mentuhoteps ii. hinaus jeweils bestenfalls einem der beiden letzten Abschnitte der Regentschaft zuteilen.283 Da diese Möglichkeit der Binnenstrukturierung von Bildern aus der Regierungszeit eines einzelnen Herrschers dennoch außergewöhnlich ist, hat die ägyptologische Forschung in dieser archäologisch und epigraphisch fundierten Ausgangslage eine Steilvorlage für Stiluntersuchungen gesehen. 2.3.3.2 Stile und Konzepte Innerhalb der Bilder aus der Zeit Mentuhoteps ii. ist mit guten Gründen bereits oft eine Vielzahl von Stilen beobachtet worden284 und es dürfte tatsächlich unstrittig sein, dass von einem ausgeprägten Stilpluralismus gesprochen werden kann. Nicht nur im regionalen Vergleich,285 sondern auch innerhalb von Nekropolen oder gar innerhalb einzelner architektonischer Komplexe werden Unterschiede deutlich,286 deren Erklärung und Interpretation immer wieder im Mittelpunkt von Untersuchungen gestanden haben.287 Wendet man nun Davis’ oben vorgestellte Stiltheorie als Bezugssystem auf jene bisherigen Studien an, wird deutlich, dass sich diese Studien im Wesentlichen auf
283 284 285
286
287
Aus der ersten Phase lassen sind keine Monumente rekonstruieren. Vgl. für die Belge mit dem Horusnamen Sꜥnḫ-jb-tꜣ.wj oben Fn. 281. Vgl. etwa bereits Smith, A History of Egyptian Sculpture and Painting2, 234. „[…] it is not possible to speak of a ‚style‘ of Mentuhotep ii as far as relief work is concerned, for each town added its own stamp to local monuments, and we can isolate a Deir el Bahari style, an Abydene style, and an Elephantine style, among others.“ (Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 151). Riefstahl spricht von „a wide divergence of quality and style“ innerhalb des Grabes der Nfr.w („Two Hairdressers of the Eleventh Dynasty“, 17, siehe zu diesem Grab weiter unten Kapitel 2.3.3.3), Brigitte Jaroš-Deckert hat für das Grab des Jnj-jt=f einen Stilpluralismus umfangreich beschrieben (Das Grab des Jnj-jtj.f, 116–129) und Dieter Arnold stellt fest, dass „zur gleichen Zeit am gleichen Denkmal zwischenzeitliche oder provinzielle Produkte übergangslos auf kanonische oder hauptstädtische Erzeugnisse treffen“ („Bericht [mdaik 28]“, 15). Vgl. auch Kamrin, „The Decoration of Elite Tombs“, 28f. Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief ; dies., „Relief Styles of the Nebhepetre Montuhotep Funerary Temple Complex“; Robins, „The Reign of Nebhepetre Montuhotep ii“; dies., Art of Ancient Egypt2, 83–96; Jaroš-Deckert, Das Grab des Jnjjtj.f, 102–136. Stilüberlegungen dieser Art finden sich außerdem in diversen Katalogbeiträgen. Einzelne Beispiele werden weiter unten angeführt.
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251
zwei zentrale Annahmen bzw. auf damit verknüpfte Methoden und Ziele reduzieren lassen: die chronologische Ordnung des Materials mittels stilistischer Datierungen sowie die Korrelation stilistischer Beobachtungen mit historischen Zusammenhängen und Ereignissen. Diese beiden die Literatur dominierenden Perspektiven sollen im Folgenden nicht nur im Zusammenhang mit Davis’ Ausführungen, sondern auch am Material selbst auf ihre Anwendbarkeit überprüft werden.288 Im Rahmen der bislang angestellten Untersuchungen ist man stets von der Prämisse ausgegangen, dass das Bildmaterial einer Stilentwicklung unterworfen sei, die sich aus diachroner Perspektive über Ähnlichkeits- und Differenzbeobachtungen identifizieren lasse. Die Tragfähigkeit dieser der Kunstgeschichte bzw. der Klassischen Archäologie entlehnten Annahme ist dabei konsequent unhinterfragt geblieben, stattdessen wird – nur auf Ähnlichkeitsbeobachtungen gestützt – eine Gesetzmäßigkeit dieser Entwicklung angenommen und zur Grundlage von Datierungen und Zuschreibungen von anepigraphen Objekten oder solchen unbekannter Provenienz erklärt.289 Da man parallel zum Einsetzen der dritten Titulatur (c) wesentliche Stiländerungen beobachtet hat, wird die angenommene Entwicklung der Bilder außerdem wie selbstverständlich in Verbindung zu den Vorstellungen von politischen Ereignissen der Regierungszeit Mentuhoteps ii. gesetzt, die sich maßgeblich auf die Interpretation der Titulaturänderungen stützen.290 So formuliert beispielsweise Rita Freed: „Mentuhotep (ii) marked the reunification by changing his Horus name from Neterhedjet (Divine Master of the White Crown) to Sematawy (Uniter of the Two Lands) and adopting a five-part pharaonic titulary since he now regarded himself as ruler of all Egypt. With this political milestone come new trends in art, trends which continued without any sudden changes from the Eleventh Dynasty well into the Twelfth.“291 Spätestens seit Freeds Studie zur Stilentwicklung der späten 11. Dynastie wird ganz in ihrem Sinne das Bildmaterial dieser Zeit nicht losgelöst, sondern in unmittelbarer Anbindung an die ägyptologische Geschichtsschreibung betrachtet. Es wird dazu in zwei Korpora eingeteilt, die chronologisch aufeinander folgen und durch den Zeitpunkt der zweiten Änderung des Horusna288 289 290 291
Vgl. auch unten ausführlich zu Konsequenzen dieser Zugänge Kapitel 2.3.4.2. Vgl. oben Kapitel 2.3.2.1. Siehe zu den Titulaturänderungen im Einzelnen oben Fn. 275. Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 1.
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mens voneinander separiert werden, da dieser mit dem Vollzug der ‚Reichseinigung‘ zu identifizieren sei. Jedes Bild aus der Regierungszeit Mentuhoteps ii. wird also entweder dem „pre(re)unification“- oder dem „(post-re)unification“Korpus zugeteilt, die beide nach gängiger Auffassung nicht nur chronologisch aufeinander folgen, sondern auch jeweils über einen eigenen signifikanten Stil verfügen würden: den pre(re)unification style bzw. den (post-re)unification style.292 Diese Einteilung der Objekte in unification styles293 geht in ihren Implikationen jedoch bereits weit über eine deskriptive Einteilung hinaus, wie sie mit der obigen Zuschreibung von Monumenten zu den einzelnen Horusnamen (siehe Tabelle 1) vorgenommen wurde: Mit einer Zuweisung zum pre(re)unification style oder zum (post-re)unification style werden auf verschiedenen Ebenen entscheidende Weichen für anschließende Überlegungen gestellt, indem bereits Interpretationen inkorporiert und festgeschrieben werden. Auf den ersten Blick könnte man darin zwar ein rein deskriptives Vorgehen sehen, das sich durch Adaption des ägyptischen Begriffs zmꜣ tꜣ.wj den Anschein emischer Begriffsverwendung geben kann. Näher betrachtet dient hier die zweite Namensänderung Mentuhoteps ii. jedoch lediglich zur Untermauerung ägyptologischer Geschichten von einer Reichseinigung unter seiner Regierung, ohne dass dabei klar wäre, ob sich die ägyptischen Quellen überhaupt in dieser Hinsicht auswerten lassen. Über die Beweggründe des zweiten Namenswechsels und die sogenannte Reichseinigung selbst ist schließlich weit weniger bekannt, als es oftmals den Anschein hat: Sobald auch nur niedrige quellenkritische Maßstäbe angelegt werden, zeigt sich, dass wir nur wenig darüber wissen, was wir uns unter diesem ‚Wendepunkt in der ägyptischen Geschichte‘294 vorzustellen haben. Es wird zwar immer wieder im Hinblick auf die Veränderungen der Horusnamen betont, dass diese „mit dem zeitgenössischen historischen Geschehen in Verbindung gebracht werden müssen“,295 doch gerade die Interpretation bzw. Interpretierbarkeit des Horusna-
292 293
294 295
Vgl. unten zu einer Beschreibung der Stile und einer Untersuchung des Materials. Mit ‚unification styles‘ wird hier die den englischsprachigen Stiluntersuchungen entstammende variantenreiche Terminologie aus „pre(re)unification style“ und „(post-re)unification style“ zusammengefasst. Vgl. Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief ; Robins, „The Reign of Nebhepetre Montuhotep ii“; dies., Art of Ancient Egypt2, 83–96. Die Terminologie ist weiterhin etabliert, vgl. etwa Hartwig, „Sculpture“, 199. Bourriau spricht angesichts der Regierung Mentuhoteps ii. von einem „turning point in Egyptian history“ (Pharaohs and Mortals, 10). Barta, Das Selbstzeugnis eines altägyptischen Künstlers, 46. Gestermann referiert weitere in diese Richtung gehende Positionen (Kontinuität und Wandel, 35–39).
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253
mens Zmꜣ-tꜣ.wj in Bezug auf geschichtliche Ereignisse ist mehr als nur fraglich. So ist sicherlich mit Gestermann „[e]ine Interpretation des Namens als Wiedergabe historischer Tatsachen […] abzulehnen“,296 da das Vereinigen der beiden Länder (zmꜣ tꜣ.wj) bereits seit dem Alten Reich im Zusammenhang mit dem Krönungsritual belegt ist und außerdem kein Anhaltspunkt vorliegt, die Namenswahl Mentuhoteps ii. in einem anderen als in diesem rituellen Kontext zu verstehen.297 Daher existiert keine Grundlage, auf der Bilder und deren Stil in direkten Zusammenhang zur politischen Vorgeschichte der ‚Reichseinigung‘ oder zur politischen Situation der sich daran anschließenden Zeit gebracht werden können. Es ist lediglich – wie oben ausgeführt – möglich, einzelne Monumente oder Objekte einem Horusnamen und dem damit verbundenen Abschnitt der Regierungszeit Mentuhoteps ii. zuzuordnen. Es ist daher erst die Frage nach Charakter und zeitlicher Eingrenzung der ‚Reichseinigung‘ zu klären, bevor Versuche unternommen werden könnten, Bilder und darin erkennbare Stile auf die ‚Reichseinigung‘ und damit auf Ereignisse der politischen Geschichte zu beziehen.298 Über politi296 297
298
Gestermann, Kontinuität und Wandel, 47. Gestermann, Kontinuität und Wandel, 38 f. Vgl. außerdem ihre weiteren Ausführungen (ebenda, 95–98). Sie meint in den letzten beiden Titulaturen eine „in ihren programmatischen Inhalten klar umrissene Politik“ (ebenda, 97) erkennen zu können (vgl. außerdem ebenda, 49–53) und geht damit aller berechtigen Kritik an Interpretationen der Namen als Spiegel politischer Ereignisse zum Trotz wahrscheinlich zu weit. Auch für die von ihr vorgeschlagene detaillierte Interpretation der Namen als politisches Programm dürfte die Argumentationsgrundlage zu dünn sein. Fest steht jedenfalls, wie Seidlmayer mit Verweis auf Gestermann betont, dass sicherlich anhand der Titel eine Veränderung der Herrschaftsrepräsentation zu beobachten ist, die sich jedoch weder mit Blick auf konkrete historische Ereignisse noch hinsichtlich chronologischer Fragestellungen auswerten lässt („The Relative Chronology of the First Intermediate Period“, 162f.). Giewekemeyer betont ebenfalls, dass die mehrmalige Ausweitung und Veränderung des Protokolls Mentuhoteps ii. lediglich über „zentrale zeitgenössische herrschaftsideologische Konzepte“ informiere. Zudem beobachtet sie eine „zunehmende Orientierung an traditionellen memphitisch-herakleopolitanischen Formen königlicher Herrschaftsrepräsentation.“ (Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 4.3.1.2 [Exkurs]). Vgl. zur generellen Problematik, „Königsnamen als Fenster in die ägyptische Geschichte“ zu nutzen, auch Römer, „Was ist eine Krise?“, 90 f. (§ 8). Vgl. zu den Geschichtsbildern vom frühen Mittleren Reich Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung. Der nicht unwahrscheinliche Fall, dass in absehbarer Zeit kein Licht in die politische Situation der Regierungszeit Mentuhoteps ii. gebracht werden kann, hätte zur Folge, dass sich weitere Spekulationen über Zusammenhänge zwischen Namensänderungen, ‚Reichseinigung‘ und den unification styles erübrigten, blieben sie doch nur Fortschreibungen etablierter und zugleich hochfragwürdiger ägyptologischer
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sche Vorgänge werden uns die Stile selbst keinen Zugewinn an Informationen liefern können.299 Trotzdem bzw. womöglich gerade weil die sonstige Quellenlage zur politischen Geschichte der späten 11. Dynastie relativ wenig Aufschluss gibt, wird dem Bildmaterial häufig die Eigenschaft zugesprochen, ‚die politische Geschichte‘ so abzubilden, dass letztere in ihm für den heutigen Bearbeiter erkennbar sei. Dabei wird jedoch die Aussagekraft stilistischer Beobachtungen missverstanden: Zugänglich wird die Geschichte nicht über den Weg der Stilbeobachtung, vielmehr besteht – wie Davis argumentiert – keine Alternative dazu, einen Stil von einem bestimmten Vorverständnis oder einem Geschichtsbild ausgehend zu interpretieren. Gerade letzteres wird – ungeachtet der Fragilität des ägyptologischen Geschichtsbildes von der 11. Dynastie – in extenso praktiziert, wobei diese Relationierung von Stil und Geschichte jedoch nicht reflektiert wird. Bei Wildung wird diese Praxis besonders explizit formuliert: „Die Analogie zwischen dem politischen Aufstieg Thebens unter Mentuhotep ii. zur neuen Hauptstadt Ägyptens und der Herausbildung eines neuen, urwüchsigen, diesseitsnahen Kunststils im Theben der späten 11. Dynastie ist sicherlich mehr als der unvermeidliche, selbstverständliche Zusammenfall historischer und künstlerischer Entwicklung; […] Daß gerade in Ägypten der künstlerische Standard ein unmittelbarer Ausdruck der politischen Situation ist, liegt am Stellenwert der Kunst im Leben der Ägypter und am Platz der bildenden Kunst im Gefüge der altägyptischen Gesellschaft.“300 Hier wird der Eindruck erweckt, die beobachtete Stilentwicklung lasse Aussagen über die politische Geschichte der 11. Dynastie zu. Die dabei proklamierte Selbstverständlichkeit einer Analogie von Stil und politischer Geschichte zieht als Konsequenz eine sehr direkte Lesart der Bilder nach sich, die eng an die Imagination und Erwartungshaltung des modernen Betrachters gekoppelt bleibt, was ebenfalls Wildung – erneut pars pro toto als Beispiel für diesen verbreiteten Zugang – wie folgt ausbuchstabiert:
299 300
Vorstellungen von der politischen Geschichte unter Mentuhotep ii. im Gewand der ‚Kunstbetrachtung‘. Vgl. hierzu oben Kapitel 2.3.2.1 sowie unten Kapitel 2.4.4.2 mit einer Untersuchung zur Interpretierbarkeit von stilistischen Vergangenheitsbezügen. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 51 f.
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„Kunstwerke aus der Frühphase der Regierung Mentuhoteps ii. zeigen eine urwüchsige Frische und aggressive Lebendigkeit, die es leicht machen, sich vorzustellen, wie energiegeladen Mentuhotep an sein politisches Einigungswerk gehen konnte. […] Das leicht negroide Gesicht der Haremsdame wirkt urwüchsig [München äs 1621], fast etwas wild, aber diese Wildheit ist gebändigt[…]. Höfische Lebensart und gediegener Wohlstand sprechen aus diesen Bildern, die Vertrautheit mit den künstlerischen Traditionen der Vergangenheit und der Mut zu neuen Aussagegehalten, zum Bekenntnis zur Gegenwart. Diese Kunst ist geprägt von Diesseitigkeit, Lebensbejahung, Optimismus, Erwartung. Mentuhotep ii. löst diese Erwartungen, mit denen sein thebanischer Gau die politische Bühne betritt, während seiner etwa fünfzigjährigen Regierungszeit ein.“301 Weder die „Erwartungen“ noch das Einlösen derselben ist aus dem ägyptischen Material ableitbar, stattdessen finden hier moderne Erwartungen in Beschreibungen ägyptischer ‚Kunst‘ ihr Sprachrohr und ihre Erfüllung zugleich und speisen so als vermeintlich am Material gewonnene Erkenntnis das etablierte ägyptologische Geschichtsbild mit einem nicht extern abgesicherten Zeitgeistporträt. Die ebenfalls anzutreffende und über Wildungs Ausführungen noch hinausgehende Behauptung, die Stilveränderungen seien aus ideologischen Gründen direkt vom König verordnet worden, führt diese Perspektive besonders konsequent weiter und verbindet sie mit der Annahme, Stile entwickelten sich als eigene Entitäten im ungehinderten Normalfall auf ganz natürliche Weise.302 Stile werden im Rahmen derartiger Perspektiven also als Spiegel politischer Geschichte oder gar als intentional gebrauchte Instrumente derer gesehen, die diese Geschichte gestaltet hätten.303 Bilder und Stile dienen damit als Kronzeugen einer Geschichtsvorstellung, aus deren Perspektive der Stil betrachtet, kontextualisiert und interpretiert wird: eine Praxis, die genau dem illusionä-
301 302
303
Wildung, Sesostris und Amenemhet, 41 f. (Kursive K.W.). „The distinctive pre-unification Theban style […] did not get a chance to continue to evolve naturally. Instead it was deliberately replaced, at the command of the king, by a new style based on Old Kingdom Memphite reliefs.“ (Robins, Art of Ancient Egypt2, 89), sowie „The reasons for this change were no doubt ideological“ (ebenda, 90). Jenseits methodischer Bedenken lassen sich auch aus dem Material heraus plausible Gegenargumente zu dieser Position formulieren. Vgl. hierzu unten Kapitel 2.3.3.4. Bei der Vorstellung von der Machbarkeit der Geschichte handelt es sich jedoch um ein vergleichsweise junges Phänomen. Vgl. Koselleck, „Über die Verfügbarkeit der Geschichte“.
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ren Zirkelschluss entspricht, den Davis und Sauerländer herausgearbeitet haben,304 und die sich als besonders prekär erweist, da es sich bei den ägyptologischen Vorstellungen vom historischen Ereignis der ‚Reichseinigung‘ Mentuhoteps ii. nur um ein fragwürdiges hypothetisches Konstrukt handelt, das mit der Wiederherstellung einer geeinten Herrschaft unter Mentuhotep ii. nicht verwechselt werden sollte. Damit ist eine zentrale Problemlage umrissen, die im Folgenden auf verschiedenen Ebenen und anhand mehrerer Materialgruppen untersucht werden soll. Dabei wird es zunächst darum gehen, die Probe aufs Exempel zu machen. Dies dient gleichermaßen als Vorbereitung dafür, erste alternative Vorschläge zur Verwendung von Stil und Geschichte im Hinblick auf Beschreibung und Interpretation ägyptischer Bilder zu erarbeiten, an die später Kapitel 2.4 anknüpfen wird. 2.3.3.3 Lineare Stilentwicklung? Lässt man nun alle methodischen Bedenken zur Verwertbarkeit von Stilbetrachtungen für die Historiographie erst einmal außer Acht, müsste das Modell der unification styles, wenn es weiterhin zur Ermittlung von Datierungskriterien herangezogen werden sollte, wenigstens stilintern einer Überprüfung am Material standhalten. Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob sich die Annahme einer linearen Stilentwicklung mit dem Material in Übereinstimmung bringen lässt bzw. ob sich die vielzitierten unification styles tatsächlich eindeutig den jeweiligen Regierungsabschnitten zuordnen lassen.305 (1) Ausgangsbasis Zunächst stellt sich die Frage nach datierbaren Objekten, die eine Ausgangsbasis für Stilbeobachtungen bieten könnten. Der fragmentarische Erhaltungszustand und die häufig fehlende Vergesellschaftung von bildlichen Darstellungen mit verwertbaren Inschriften, die einen Königsnamen enthalten, reduzieren jedoch die Zahl der definitiv einem Regierungsabschnitt zuweisbaren Objekte. Auch unter den besonders prominenten und oft angeführten Bildern der Zeit gibt es Beispiele, die bei genauerer Betrachtung weniger gut als Fixpunkte für eine Chronologie geeignet sind. So bietet das Material aus dem Grab der Königin Nfr.w (tt 319), das gemeinhin als früher oder gar frühester Beleg für 304 305
Vgl. oben Kapitel 2.3.2.1. Die folgende Darstellung und Detailbetrachtung bedient sich bewusst des musealen Blicks, um ihn selbst an Beispielen erproben zu können. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll es auf diese Weise möglich werden, den musealen Blick selbst näher zu beleuchten. Die Auswirkungen des imaginären Museums bzw. des musealen Blicks auf die Forschung sind weiter unten Gegenstand von Teil iii.
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abb. 22
257
Relieffragmente aus Deir el-Bahri (Grabungen der mma Expedition). Links das dem Grab der Nfr.w (tt 319) zugeschriebene [zm]ꜣ-t[ꜣ.wj]-Fragment
den (post-)unification style betrachtet wird, eine relativ schwierige Ausgangslage für Stil- und Datierungsfragen, da die sehr häufig herangezogenen dekorierten Steinplatten in den 1950er Jahren erst durch den Kunsthandel an die Öffentlichkeit gekommen sind. Nur nach detektivischen Recherchen konnte Elizabeth Riefstahl einige Fragmente – darunter vier aus dem Brooklyn Museum – dem Grab der Nfr.w zuschreiben.306 Als einziger nichtstilistischer Anhaltspunkt für die gängige Zuschreibung zum letzten Abschnitt der Regie-
306
Vgl. zu den Fragmenten Riefstahl, „Two Hairdressers of the Eleventh Dynasty“. Die meistzitierten sind Brooklyn Museum 51.231 (Riefstahl, op. cit., Tf. viii bzw. Ziegler [Hrsg.], Queens of Egypt, Abb. auf. S. 74 mit Text [M. Yoyotte] auf S. 266 [= cat. 68]), Brooklyn Museum 54.49 (Riefstahl, op. cit., Tf. ix bzw. Ziegler [Hrsg.], Queens of Egypt, Abb. auf. S. 75; Oppenheim et al. [Hrsg.], Ancient Egypt Transformed, 96f.) und 53.178 (Riefstahl, op. cit., Tf. xi), vgl. außerdem das Fragment Walters Art Museum Baltimore 22.325 (R. Schulz & Seidel, Egyptian Art. The Walters Art Museum, 30f.), das Fragment Yale University Gallery 1956.33.87 (Oppenheim et al. [Hrsg.], Ancient Egypt Transformed, 97) und das Fragment aus der Sammlung Stark, das sich nun im Cincinnati Art Museum befindet (Inv. 1998.54; Oppenheim et al. [Hrsg.], Ancient Egypt Transformed, 98; hier: Taf. 4).
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rungszeit Mentuhoteps ii. dient zudem lediglich ein bislang unpubliziertes Relieffragment aus den amerikanischen Grabungen unter Winlock.307 Das Fragment (Abb. 22) lässt noch Reste erhabenen Reliefs erkennen, die als Hieroglyphengruppe [zm]ꜣ t[ꜣ.wj] gedeutet werden können. Es scheint jedoch Hinweise darauf zu geben, dass es während der Ausgrabungen unglücklicherweise zur Vermischung von Funden aus dem Grab der Nfr.w mit solchen aus dem benachbarten Grab des H̱ ty (tt 311) gekommen ist.308 Auch wenn die Möglichkeit besteht, das Relieffragment als Hinweis auf seine Entstehung im letzten Abschnitt der Regierungszeit Mentuhoteps ii. zu sehen, sollte der fragmentarische und letztendlich weitgehend dekontextualisierte Zustand des Objekts nicht aus dem Auge verloren werden. Freed hat mit ihrer Materialsammlung und Auswertung die bislang umfangreichste Studie zum (post-)unification style vorgelegt, die für das gesamte Bildmaterial der Zeit, in der Mentuhotep ii. den Horusnamen Zmꜣ-tꜣ.wj trug, Stilbeobachtungen anstellt. Ein näherer Blick auf ihre Korpusbildung zeigt jedoch, dass dort auch über ungeklärte Fragen zu einzelnen Objekten hinausgehende, methodische Probleme bestehen. Freed betont zwar, als Grundlage ihrer Untersuchung, nur Material heranzuziehen, das über einen Königsnamen
307 308
mma Egyptian Expedition neg. m7c 84. Vgl. Di. Arnold, The Temple of Mentuhotep, 19 mit Anm. 63. So Lilyquist, Ancient Egyptian Mirrors, 27 mit Anm. 293; vgl. außerdem Soliman, Old and Middle Kingdom Theban Tombs, 69 und 75. In New York befinden sich diverse Fragmente, die nicht mehr klar einem der beiden Gräber zugeordnet werden können. Vgl. mma 26.3.355a–26.3.355m (http://www.metmuseum.org/works_of_art/collection_ database/). Auch wenn im Gegensatz zu dem infrage stehenden unpublizierten Fragment diese Fragmente unklarer Provenienz alle versenktes Relief zeigen, wie fast alle über die Datenbank des mma zugänglichen Fragmente aus dem Grab des H̱ ty, sollte man sich deshalb nicht vorschnell auf eine Provenienz aus dem Grab der Nfr.w festlegen, zumal Fragmente einer im Grab des H̱ ty gefundenen Stele, den König(!) in erhabenen Relief zeigen (die Fragmente mma 26.3.354b und 26.3.354c zeigen Teile des Gesichtes bzw. den Kopf einer ḥḏ-Keule, vgl. die Datenbank des Museums, s.o.). Vgl. pm i2.1, 387 sowie die Erwähnung der zwei Stelen bei Hayes, The Scepter of Egypt i, 163f.; Allen, „Some Theban Officials“, 6 mit Anm. 18. Vgl. außerdem mit einem weiteren als Stelenfragment bezeichneten Relief Winlock, „The Museum’s Excavations at Thebes [1922–1923]“, 17 (fig. 8). Das Grab tt 311 liegt etwa 200 m nordöstlich vom Grab der Nfr.w (tt 319) und wurde in der Grabungssaison 1922/1923 von der Egyptian Expedition unter Winlock entdeckt. Bereits kurz darauf (1923/1924) wurde das Grab der Nfr.w geöffnet und in den Folgejahren gereinigt und restauriert (vgl. Winlock, Excavations at Deir el Bahri, 68–71, 87f. und 101– 104 sowie zur Lage der Grabanlagen Di. Arnold, Das Grab des Jnj-jtj.f, Tf. i).
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259
fest datiert oder aufgrund externer Hinweise datierbar sei,309 es fällt jedoch auf, dass unter Anlegung ihrer eigenen Maßstäbe einige der von ihr herangezogenen Belege bzw. Materialgruppen wegfallen müssten, da diese nur durch stilistische(!) oder andere unsichere Erwägungen dem letzten Regierungsabschnitt zugeschrieben werden: Ein Relief mit unbekannter Provenienz im British Museum zeigt einen namentlich nicht genannten, die weiße Krone tragenden König in Begleitung einer leiblichen Königstochter und Hathor-Priesterin Jꜥḥ.310 Es wird gängigerweise stilistisch in die 11. Dynastie datiert, ohne dass jenseits der Tatsache, dass die Mutter Mentuhoteps ii. ebenfalls den Namen Jꜥḥ trug,311 weitere externe Hinweise eine solche Zuschreibung stützen könnten, und auch Freed bezieht das Relief nur aus stilistischen Gründen ein.312 Die Gräber des H̱ ty (tt 311) und des Dꜣgj (tt 103) können zwar der Regierungszeit Mentuhoteps ii. zugeschrieben werden, die externen Hinweise darauf, inwiefern sie dem letztem Regierungsabschnitt zugeschrieben werden können und was dies chronologisch konkret bedeutet, sind jedoch von unterschiedlicher Qualität.313 Ähnlich bzw. noch unsicherer verhält es sich bei einem hölzer309
310 311 312 313
Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 7f.: „It [i.e. a piece, K.W.] is considered datable if it belongs to a person whose dates are known through other sources, such as another monument or inscription; if it was found in a sealed, dated archaeological context, such as a tomb; or if it belongs to a close relative of the same generation of the owner of a dated or datable piece.“ bm ea 1819, vgl. Edwards, „Two Egyptian Sculptures in Relief“, 9–10 und Tf. iv. Vgl. Roth, Die Königsmütter des Alten Ägypten, 426. Vgl. Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 17. tt 311: Vgl. Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 18: „The Chancellor Khety appears in a number of contexts from the reign of Mentuhotep ii, both before and after the reunification; therefore, it can be fairly safely assumed that the unnamed king shown in this tomb is Mentuhotep ii. Stylistic evidence indicates that the tomb post-dates the reunification […].“ Über eine Leinenaufschrift aus dem 40. Regierungsjahr Mentuhoteps ii. ist eine ungefähre Datierung zwar möglich, nähere Eingrenzungen bleiben jedoch mit Unsicherheiten behaftet, zumal die Diskussion zu den hohen Beamten der späten 11. Dynastie sich auch auf stilistische Argumente stützt. Vgl. Allen, „Some Theban Officials“, dort konkret zur Leinenaufschrift: 5 f. Vgl. unten Kapitel 2.3.4.2 zur Problematik der (Um-)Datierung der Grabausstattung des Mk.t-Rꜥ aus tt 280, die eine Grundlage für Allens Chronologie darstellt. tt 103: Vgl. Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 18. Dieter Arnold führt die „kammerähnliche Erweiterung im Stollen zur Sargkammer“ als architekturtypologisches Argument sowie den „weit fortgeschrittenen Stil der Wandmalereien und mehr noch der Reliefs“ an und datiert auf dieser Grundlage das Grab ans „Ende der Regierung“ Mentuhoteps ii. (Das Grab des Jnj-jtj.f, 40). Die Auswertung der inschriftlichen Nennungen der Wesire der späten 11. Dynastie legt nach Allens Einschätzung eine
260
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nen Türflügel aus Grab t im Asasif,314 zwei Stelen in Kairo315 und einem Block aus Deir el-Ballas, der einen namentlich nicht genannten König sowie drei Gottheiten zeigt.316 Sieben der von Freed herangezogenen 26 Objekte bzw. Monumente halten damit ihren eigenen Anforderungen nicht stand.317 Die Auftraggeber weiterer Objekte aus ihrem Korpus werden nur aufgrund gleicher Namen mit Personen identifiziert, von denen Objekte erhalten sind, die wiederum durch Königsnamen datierbar sind.318 Nähme man noch jene Objekte, die aufgrund ihres fragmentarischen Erhaltungszustandes für stilistische Vergleiche nur bedingt geeignet erscheinen,319 oder den bezüglich der Datierung gänzlich umstrittenen Türsturz aus Karnak320 aus dem Korpus heraus, würde sich die Materialgrundlage noch weiter verringern.
314 315
316
317 318
319
320
Datierung des Wesirats des Dꜣgj ins letzte Jahrzehnt Mentuhoteps ii. nahe. Inschriftlich datierte Belege fehlen jedoch. Vgl. Allen, „Some Theban Officials“, 12–15 sowie Kamrin, in: Oppenheim et al. (Hrsg.), Ancient Egypt Transformed, 124. Di. Arnold & Settgast, „Vierter Vorbericht“, 12f. und Tf. ib. Zur Stele des Jnj-jt=f Sohn des Ḫww (Kairo cg 20003, vgl. pm i2.2, 597) Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 21: „Found at Qurna, this stela has been attributed to as early as the First Intermediate Period and as late as Dynasty xii on the basis its[sic] inscription, and to the ‚beginning of the Middle Kingdom‘ on the basis of its style. Based on the proportions of the figures and details of their costume, I think that the stela was made just after the reunification in Dynasty xii.“ Vgl. außerdem die Stele des H̱ ty (Grab Carnarvon/Carter № 65, vgl. Fn. 465 und Soliman, Old and Middle Kingdom Theban Tombs, 130 f.), die eine Darstellung trägt (Kairo JdE 45058, vgl. pm i2.2, 617; Gardiner, „The Tomb of a Much-Travelled Theban Official“, 29, 32, 38, note 1 [S. 38] und Tf. viii). Berkeley Phoebe A. Hearst Museum 6–19870, siehe H. G. Fischer, Inscriptions from the Coptite Nome, 103f., 119–121 und Tf. xxxix. Der Block wird stilistisch Mentuhotep ii. zugeschrieben. Außerdem wird vermutet, dass ein aus derselben Grabung stammendes kleines Relieffragment, das den hinteren Teil einer Kartusche mit dem Namen Mentuhotep erhalten hat, zu dem hier infrage stehenden Relief gehört. Freeds Einteilung folgend sind die unterschiedlichen Bauabschnitte des Tempels von Deir el-Bahri dabei als insgesamt drei Monumente gezählt. So wird etwa eine Stele in Berlin (äm 13272) dem Stelenbesitzer von bm ea 1164 zugeschrieben und auf diese Weise fest in die Zeit der letzten Titulatur datiert, vgl. Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 19, 68 und Anm. 318 (S. 248). Etwa die Graffiti aus dem Shatt er-Rigal (vgl. oben Fn. 278), oder das sekundär als Säulenbasis verwendete Fragment Berkeley Phoebe A. Hearst Museum 6–19879 aus Deir el-Ballas (vgl. H. G. Fischer, Inscriptions from the Coptite Nome, 121f. und Tf. xl [no. 48]). Vandier, Manuel d’archéologie égyptienne ii.1, 862 mit Anm. 4; Wildung, Sesostris und Amenemhet, 61–64; Bußmann, Die Provinztempel Ägyptens, i, 70, 161f. und 477 sowie mit weiterer Literatur zur Diskussion, die mittlerweile dazu tendiert, den Türsturz in die 12. Dynastie zu datieren, Postel, Protocole des souverains égyptiens, 333 mit Anm. 1341.
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Damit haben bei der Auswahl der Materialbasis von Freeds Studie neben den Möglichkeiten epigraphischer Datierung nicht nur im Ausnahmefall bereits stilistische Ähnlichkeitsbeobachtungen eine Rolle gespielt, vielmehr führte offenbar eine bereits eingangs feststehende Stilbeschreibung dazu, dass bevorzugt Objekte aufgenommen wurden, die sich eben diesem Stil gut zuordnen lassen, während Objekte, die der Erwartungshaltung weniger gerecht werden, eher vernachlässigt wurden. Besonders anschaulich wird dieses Vorgehen anhand von Freeds Entscheidung, eine Stele in Kopenhagen aus stilistischen Gründen nicht in das Korpus aufzunehmen, obwohl ein Titel des Steleninhabers darauf hindeuten könnte, dass die Stele zu einer Zeit entstanden ist, als sich die Administration und militärische Kontrolle Mentuhoteps ii. bereits über ganz Ägypten erstreckte.321 Auch im Fall der Stele von Jnj-jt=f Sohn der Mjj.t wird das Auseinanderklaffen von epigraphischer Datierung und stilistischer Erwartungshaltung deutlich, da Freed sie aus stilistischen Gründen zwar für einen Vertreter des pre-unification style hielte, sie jedoch durch einen zur jüngsten Titulatur Mentuhoteps ii. gehörigen Königsnamen in den spätesten Regierungsabschnitt datiert werden müsse.322 Da sich bislang nur Freed der Mühe unterzogen hat, das gesamte Material aus dem letzten Regierungsabschnitt Mentuhoteps ii. zu berücksichtigen, und die übrigen Studien von vorneherein als Überblicksdarstellungen konzipiert sind, kann angesichts der geschilderten fehlenden methodischen Stringenz und fragwürdigen Materialauswahl bei Freed davon ausgegangen werden, dass ein nicht geringes Maß an Selektivität zu den Stilbeschreibungen geführt hat, die in der Folge mehrfach mit Geltungsanspruch für das ganze Bildmaterial der 11. Dynastie repetitiv formuliert wurden. (2) Charakteristika des pre-unification style323 Erhabene Reliefs des pre-unification style werden besonders hoch und versenkte Reliefs stark eingetieft ausgeführt, so dass Überlappungen von Körperteilen durch verschiedene Niveaus angegeben werden können. Als überaus charakteristisch – geradezu standardisiert – wird der Stil der Personendar-
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Ny Carlsberg Glyptotek æin 963 (vgl. Jørgensen, Ny Carlsberg Glyptotek: Egypt i, 122f. [= cat. 47]); Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, Anm. 49 (S. 233) und Anm. 126 (S. 237). bm ea 1164: Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, Anm. 48 (S. 233). Siehe mit weiteren Angaben zur Stele Schenkel, Memphis · Herakleopolis · Theben, 234 f. Vgl. Fiore Marochetti, Reliefs, 18f.; Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 8 sowie ausführlich zur Stilentwicklung unter Mentuhotep ii. ebenda, 151–177;
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stellung bzw. insbesondere der Gesichtszüge angesehen:324 Die langen Augenbrauen sind bis zur Haarlinie verlängert und werden eher in einer flachen Linie geführt, als dass sie in einer Krümmung/Rundung der Augenkontur folgen würden. Die Augen selbst sind unnatürlich groß. Die wulstigen Lippen laufen in einer Linie aus, statt in einem Punkt zu enden. Bei ausgestreckten Händen sind die Finger gerade und nicht geschwungen wiedergegeben. Bei Darstellungen sitzender Personen bilden die Beine einen Winkel mit der Senkrechten des Sitzmöbels statt annähernd parallel zu ihr ausgerichtet zu sein. Auch bei männlichen Personen wird so gut wie nie Muskulatur angegeben. Es wird deutlich, dass die gängigen Stilbeschreibungen des pre-unification style kontrastiv arbeiten und sich so vom (post-)unification style abgrenzen. Es werden also immer entgegengesetzte bzw. vermeintlich binär skalierbare Merkmale benannt,325 die sich jeweils dem pre- bzw. dem (post-)unification style zuweisen ließen: Während die Lippen im pre-unification style in einer Linie auslaufen, enden sie im (post-)unification style in einem Punkt etc. Die
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Robins, „The Reign of Nebhepetre Montuhotep ii“, 41–44. Dies. (Art of Ancient Egypt2, 84 f.) gibt eine sehr detaillierte Beschreibung: „The pre-unification Theban relief style represents the final stage of the Upper Egyptian style, with high raised relief and incised details […]. Figures tend to have narrow shoulders and a high small of the back. The limbs are rounded, and in the male figures musculature is hardly ever shown. The eye is large and is outlined by an encircling band of relief representing eye paint […]. The band meets at the outer corner of the eye to form a cosmetic line that runs back to the ear, widening at its outer end. The inner canthus of the eye is plainly depicted and usually dips sharply downwards. The eyebrow is virtually flat where it runs above the eye, rather than imitating the curve of the upper eyelid. The nose is broad with a heavy wing marked off by deep incision. The lips are thick and protruding, and come together at the outer corners of the mouth in a vertical line rather than in a point. The ear is large and often set obliquely. The same strong facial features and rounded modelling of the limbs with little musculature can be seen in statues also […]. In relief male figures are frequently given pronounced angular breasts, often with rolls of fat below that derive from the Old Kingdom mature male image […]. The female breast can also be angular or pointed in shape […], in contrast to the curved profile seen at other periods. Alternatively it can appear as a long, gentle curve, often with no discernible nipple […]. When the hand is outstretched the fingers are drawn straight […], in contrast to the slight curve given them at other periods. In seated figures the lower legs are placed at an angle to the seat, sometimes showing only one leg, not two overlapping […].“ „[T]he human figure displays a series of traits which together produce a unique and immediately recognizable form.“ (Robins, „The Reign of Nebhepetre Montuhotep ii“, 42), „The style of the human figure is standardised“ (Fiore Marochetti, Reliefs, 19). Vgl. zur diesbezüglichen Problematik unten Kapitel 2.4.4.
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Beschreibung des (post-)unification style ergibt sich somit aus der des preunification style. (3) Materialbeobachtungen Die genannten Charakteristika finden sich tatsächlich auf den zur Bestätigung des pre-unification style üblicherweise angeführten Beispielen; insbesondere Robins illustriert ihre Stilbeschreibungen mit zahlreichen Objekten.326 Nicht zuletzt aufgrund der oben festgestellten methodisch nicht abgesicherten Selektivität bei der Materialauswahl erscheint es jedoch notwendig, die Stilbeschreibungen mit dem Material zu konfrontieren, um zu überprüfen, ob die Charakteristika der unification styles eine allgemeine Gültigkeit für die Reliefs der Regierungszeit Mentuhoteps ii. beanspruchen können. Bereits ohne jedes einzelne Stilelement zu berücksichtigen und ohne das gesamte Material einer eingehenden Prüfung zu unterziehen, lässt sich eine ganze Reihe von Abweichungen und Unstimmigkeiten anführen. Schon wenn man sich dabei allein auf Bilder aus königlichem Umfeld beschränkt, lassen sich folgende Beobachtungen für den zweiten und dritten Abschnitt der Regierungszeit Mentuhoteps ii. machen (d.h. Horus Nṯr.j-ḥḏ.t bzw. Horus Zmꜣ-tꜣ.wj): Beinhaltung sitzender Figuren Horus Nṯr.j-ḥḏ.t: – Die Beinhaltung der sitzenden Darstellungen der Grabinhaberinnen auf den Sarkophagen der Kꜣwj.t (Abb. 23 und 24) und der Ꜥꜣšy.t (Abb. 25.2– 3) entspricht ebenso wenig der Stilbeschreibung wie die auf dem Schrein der Kmsj.t.327 Horus Zmꜣ-tꜣ.wj: – Für den letzten Abschnitt der Regierungszeit Mentuhoteps ii. sind zwar annähernd parallel zur Senkrechten des Sitzmöbels ausgerichtete Beine belegt,328 ebenso jedoch Fälle, in denen Beine und Thron einen deutlicheren Winkel bilden.329
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Robins, „The Reign of Nebhepetre Montuhotep ii“, 41–44; dies., Art of Ancient Egypt2, 83–96. Sarkophag der Kꜣwj.t in Kairo (JdE 47397, vgl. Abb. 23 und 24), Sarkophag der Ꜥꜣšy.t in Kairo (JdE 47267, vgl. Abb. 25.2–3), Fragment vom Schrein der Kmsj.t in London (bm ea 1450 [1907.10.15.460], vgl. Robins, Art of Ancient Egypt2, 88 [Abb. 86]). Vgl. eine Thronszene aus dem Sanktuar von Deir el-Bahri: Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep ii, Tf. 58a. Vgl. ein Fragment aus dem Sanktuar von Deir el-Bahri (bm ea 721, vgl. Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep ii, Tf. 37 [Fragment 4982]).
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Finger Horus Nṯr.j-ḥḏ.t: – Auf dem Sarkophag der Kꜣwj.t (Abb. 23 und 24) sind ausgestreckte bzw. abgespreizte Finger ganz gerade oder aber leicht gebogen wiedergegeben.330 Augenbrauen Horus Nṯr.j-ḥḏ.t: – Auf dem Sarkophag der Kꜣwj.t folgen die Augenbrauen teils der Kontur der Augen teils nicht,331 auf einer Darstellung von der Kapelle der Kmsj.t folgt die Augenbraue der Kontur des Auges.332 – Reliefs aus der Kapelle von Dendara zeigen Augenbrauen, die der Kontur des oberen Augenlides folgen.333 – Auf mehreren Fragmenten aus Gebelein finden sich Augenbrauen, die zwar in unterschiedlich starkem Ausmaß, aber immer deutlich am Übergang zur Schläfe erkennbar der Augenkontur folgen.334 Horus Zmꜣ-tꜣ.wj: – Auf einem Relief aus dem Grab der Nfr.w sind zwei Augenbrauen so unterschiedlich angegeben, dass in einem Fall die Beschreibungen des pre-unification style im anderen die des post-unification style zutreffen (Taf. 4).335 – Gesetzt den Fall man folgt Arnolds Zuschreibung eines heute in Cambridge befindlichen Fragmentes zum Sanktuar, dann stellt dieses ein Beispiel aus dem letzten Regierungsabschnitt dar, das eine Linienführung der Augenbrauen zeigt, wie sie jedoch für den pre-unification style ty-
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Saleh & Sourouzian, Hauptwerke im Ägyptischen Museum Kairo, Abb. 68b und 68d. Kairo JdE 47397 (vgl. Freed, „Relief Styles of the Nebhepetre Montuhotep Funerary Temple Complex“, 158 [fig. 3]). London bm ea 1450 (1907.10.15.460, vgl. Robins, Art of Ancient Egypt2, 88 [Abb. 86]). Vgl. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 41 (Abb. 34) bzw. R. Schulz, „Zwischen Himmel und Erde“, in: dies. & Seidel (Hrsg.), Die Welt der Pharaonen, 134 (Abb. 57) sowie für ein weiteres Beispiel aus Dendera Robins, Art of Ancient Egypt2, 89 (Abb. 88). Kairo tr 31/10/17/9 (vgl. Fiore Marochetti, Reliefs, 94 und Tf. xxviii), Turin cgt 7003/ 211 (vgl. ebenda, 117 und Tf. xxxix), Turin cgt 7003/227 (vgl. ebenda, 123 und Tf. xlii). Die Beschreibungen der Bearbeiterin sind in diesen Fällen diesbezüglich identisch: „The eye is lengthened and the eyebrow follows its shape.“ Relieffragment in Cincinnati (Cincinnati Art Museum 1998.54, ex Sammlung Louise J. Stark), vgl. Riefstahl, „Two Hairdressers of the Eleventh Dynasty“, Tf. xii sowie Isabel Stünkel in: Oppenheim et al. (Hrsg.), Ancient Egypt Transformed, 98.
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pisch ist.336 Selbst wenn Arnolds nicht weiter begründete Erwägung einer Zuweisung des Objekts zum Sanktuar nur auf stilistischen Überlegungen beruhen sollte und damit als unsicher gelten müsste, würde dies den gängigen Stilbeschreibungen widersprechen und eine Form des Stilpluralismus belegen, der sich nicht mit den Kategorien pre-unification style vs. post-unification style adäquat beschreiben ließe. Lippen Horus Nṯr.j-ḥḏ.t und Horus Zmꜣ-tꜣ.wj: – Die Beschreibung des Stils der Lippen als wulstige, die in einer Linie auslaufen statt in einem Punkt zu enden, erweist sich bei einem Blick auf das Material als nicht präzise bzw. in ausreichender Weise zutreffend, um Unterschiede zwischen den beiden Materialkorpora zu benennen.337 Beinmuskulatur Horus Nṯr.j-ḥḏ.t: – Auf mehreren Fragmenten aus Gebelein ist die Beinmuskulatur deutlich angegeben.338
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Cambridge Fitzwilliam Museum e.21.1937, vgl. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep ii, 44 und Tf. 44 (Fragment 5065) bzw. Bourriau, Pharaohs and Mortals, 17f. (cat. 6). Vgl. für das stilistisch vielfältige Spektrum der Darstellungen die folgende Auswahl von Reliefs von verschiedenen Monumenten: Nṯr.j-ḥḏ.t: zwei Reliefs aus Dendera (vgl. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 41 [Abb. 34] und Robins, Art of Ancient Egypt2, 89 [Abb. 88]), eines aus Gebelein in Turin (cgt 7003/115, vgl. Fiore Marochetti, Reliefs, 79f. und Tf. xxiii), ein Fragment von der Kapelle der Kmsj.t (bm ea 1450 [1907.10.15.460], vgl. Robins, Art of Ancient Egypt2, 88 [Abb. 86]) und ein weiteres von einer der Kapellen in München (äs 1621, vgl. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 41 [Abb. 35]). Zmꜣ-tꜣ.wj: ein Fragment aus Deir el-Bahri in Toronto (Royal Ontario Museum 910.34.24, vgl. Freed, „Relief Styles of the Nebhepetre Montuhotep Funerary Temple Complex“, 162 [fig. 14]), eines in London (bm ea 1397, vgl. Russmann, Eternal Egypt, 86) und eines in New York (mma 07.230.2, vgl. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 43 [Abb. 36]), außerdem ein Fragment aus dem Grab der Nfr.w in Brooklyn (54.49, Ziegler [Hrsg.], Queens of Egypt, 75). Stilistische Differenzen zwischen letzterem und einen Relieffragment in New Haven (Yale University Art Gallery 1956.33.87) wurden von Isabel Stünkel (in: Oppenheim et al. [Hrsg.], Ancient Egypt Transformed, 97) als Nachweis unterschiedlicher Künstlerhände bzw. Künstlerstile interpretiert. Turin cgt 7003/185 (Suppl. 12191) (Fiore Marochetti, Reliefs, 108f. und Tf. xxxiv), Kairo tr 24/5/28/5 (Fiore Marochetti, Reliefs, 50–52 und Tf. xiv) sowie Kairo tr 1/11/17/10 (Fiore Marochetti, Reliefs, 57–61 und Tf. liii, vgl. für eine bessere Abbildung
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teil ii
abb. 23
Reliefdetail vom Sarkophag der Kꜣwj.t (außen, Kairo JdE 47397)
Schon im Rahmen der Auseinandersetzung mit Freeds Korpusbildung hatte sich gezeigt, dass Ähnlichkeitsbeobachtungen die Zusammenstellung der Materialbasis beeinflusst haben, obwohl eigentlich erst anhand des mittels epigraphischer o.ä. Hinweise datierbaren Materials der Stil einer bestimmten Zeit beschrieben werden müsste, bevor er selbst im Rahmen der gängigen Praxis eine Grundlage für weitere Datierungen bilden könnte. Da die Stiltheorie jedoch auf Ähnlichkeitsbeobachtungen basiert, tendieren Stilbetrachtungen wie die hier untersuchten im Laufe verschiedener Arbeitsschritte dazu, Dif-
dieses berühmten Fragments Wildung, Sesostris und Amenemhet, 40 [= Abb. 33]), evtl. auch Turin cgt 7003/92 (Fiore Marochetti, Reliefs, 71 und Tf. xix).
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abb. 24
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Reliefdetail vom Sarkophag der Kꜣwj.t (außen, Kairo JdE 47397)
ferenzen zwischen der jeweiligen Stilbeschreibung und den diesem Stil zugeordneten Objekten auszublenden. Üblicherweise versucht man dieses Vorgehen dadurch abzusichern, dass für viele dieser Objekte jeweils anhand anderer Stilcharakteristika Übereinstimmungen mit dem jeweiligen Stil benannt werden. Aufgrund dessen werden die bereits oben an anderer Stelle problematisierten Kennerurteile339 besonders relevant, da sie häufig angeführt werden, um einzelne Objekte trotz uneindeutiger Stilmerkmale dem einen oder dem anderen Stil zuzuschlagen. In diesem Zusammenhang lohnt es, noch einmal an Davis zu erinnern, der mit Recht darauf hingewiesen hat, dass es sich bei Ähnlichkeit um eine nur graduell bestimmbare Kategorie handelt, die in hohem Maße betrachterabhängig ist, so dass man keineswegs davon ausgehen könne, Ähnlichkeit wohne Objekten selbst inne und sei objektiv messbar.340 Entsprechend sind auch Stile nichts anderes als vom Betrachter konstruierte Beschreibungen, deren Zustandekommen genau zu prüfen ist, um die jeweilige Aussagekraft einschätzen zu können. Wirken sich stilistische Vorannahmen bereits
339 340
Vgl. zu Kennerurteilen auch bereits oben die Kapitel 1.1.2, 1.2.2 und 2.3.2.1. Vgl. oben Kapitel 2.3.2.1.
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teil ii
bei der Selektion der Materialbasis und später bei der zwangsläufig selektiven Beschreibung des Stils der Objekte aus, hat dies weitreichende Folgen:341 Im Ergebnis kann leicht der Eindruck entstehen, man hätte es mit einem bestimmten Stil zu tun, der sich eindeutig zeitlich eingrenzen und in seiner Entwicklung genau nachvollziehen lasse, selbst wenn sich wie im vorliegenden Fall das Material bei näherer Betrachtung als nicht ausreichend homogen erweist, um mit einem Stil-Modell wie dem der unification styles adäquat beschrieben werden zu können. Es lässt sich von einer rezeptiven Homogenisierung sprechen.342 Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man auch die Malereien dieser Zeit hinzuzieht: So lassen sich in den Wandmalereien aus der Grabkammer der Kmsj.t (Taf. 6, 7, 8.1–2 und 9.1–2) ganz erhebliche stilistische Unterschiede gegenüber den benachbarten Schreinen und Sarkophagen (Abb. 23 und 24) der übrigen Königinnen feststellen, die etwa zeitgleich entstanden sein müssen.343 Nimmt man die Malereien aus der Grabkammer der Kmsj.t, die Malereien der Sarkophaginnenseiten der Ꜥꜣšy.t und die Reliefs auf den Außenseiten desselben Sarkophags und stellt sie in einem imaginären Museum zusammen (vgl. Fn. 305 und Teil iii), lässt sich ein Stilpluralismus festzustellen, der nicht
341
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343
Die grundsätzliche Frage, ob es wissenschaftstheoretisch betrachtet überhaupt möglich ist, ohne derartige Vorannahmen Stiluntersuchungen durchzuführen, kann hier nicht geklärt werden. Während davon auszugehen ist, dass dies bei der Beschreibung des Stils von Objekten annähernd ausgeschlossen ist, dürfte dies bei der Materialselektion leichter fallen, da hier die Möglichkeit besteht, stilunabhängige Kriterien festzulegen. Werden jedoch bereits an dieser Stelle stilabhängige Kriterien in Anspruch genommen, kommt dies einem Zirkelschluss gleich, der die ganze Studie torpediert. Vgl. oben Kapitel 2.3.2.4 bzw. Sauerländer: „It [i.e. our renewed interest in subcultures, …] made us aware that many objects we deal with are not as uniform, not as patterned, briefly not as stylized, as our notions of style would like to have them.“ („From Stilus to Style“, 267). Vgl. oben Anm. d zu Tabelle 1. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Jaroš-Deckert, Das Grab des Jnj-jtj.f ; Roehrig, „Early Middle Kingdom Cemeteries“) haben diese Malereien noch keine Beachtung gefunden, was u. a. auch in der schlechten Publikationslage begründet sein mag. So lagen bislang als einzige vollständige Wiedergabe der Malereien aus dem Grab der Kmsj.t nur die von Naville publizierten Aquarelle vor (vgl. Naville, The xith Dynasty Temple at Deir el-Bahari iii, 9, Tf. ii und iii). Vgl. für die photographische Aufnahme der Malereien durch Winlock hier Taf. 6, 7, 8.1–2 und 9.1–2. Auch wenn Vergleiche zwischen Malerei und Relief Probleme mit sich bringen, dürften sie, da das Anfertigen von Reliefs Malereien bzw. Vorzeichnungen vorraussetzt, aussagekräftiger sein als Vergleiche zwischen Rundbildern und Flachbildern, weil davon auszugehen ist, dass Reliefs und Wandmalereien von denselben Handwerkern unter Einsatz von z. T. identischen Techniken ausgeführt wurden. Vgl. Woods, „Relief“, 234.
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abb. 25.1–3 Vergleich im imaginären Museum: (25.1) Detail von der Nordwand der Grabkammer der Kmsj.t (vgl. Taf. 7); (25.2) Detail von der Innenseite des Sarkophags der Ꜥꜣšy.t (Kairo JdE 47267); (25.3) Detail von der Außenseite des Sarkophags der Ꜥꜣšy.t (Kairo JdE 47267)
allein durch Qualitätsunterschiede erklärt werden kann. Man beachte etwa in der Detailzusammenstellung von Abb. 25.1–3 allein jeweils die folgenden Details: – Die Länge des rechten Arms der sitzenden Grabinhaberin im Verhältnis zum Oberschenkel (Fingerspitzen enden deutlich vor den Knien, ungefähr auf Höhe der Knie bzw, überragen die Knie), – die Konturenführung der Perücken gleichen Typs (alle variieren hinsichtlich der Bogenform und des am weitesten abstehenden Punktes), – die Form der Seerosenblüte und die Wiedergabeweise der Blütenblätter (während die Malerei der Ꜥꜣšy.t eine homogene Reihung von Blättern zeigt, ist beim Relief der Ꜥꜣšy.t und bei der Malerei der Kmsj.t stärker zwischen äußeren und inneren Blättern differenziert, so dass sich eine plastischere Gestaltung ergibt), – der Abstand zwischen Knien und Löwenkopf und damit die Proportionen von Sitzfläche und Person sowie die Gestaltung der Löwenmähne bei den Stühlen gleichen Typs in Malerei und Relief am Sarkophag der Ꜥꜣšy.t. Der exemplarisch verdeutlichte Pluralismus ist damit sowohl an ein und demselben Objekt bildgattungsübergreifend (Malerei und Relief des Sarkophages der Ꜥꜣšy.t) als auch an verschiedenen Malereien zu beobachten. Bei weitgehenden motivischen Übereinstimmungen und feststellbaren stilistischen Ähnlichkeiten lassen sich ebenso stilitische Unterschiede feststellen, die man aus stilforscherischer Sicht wohl nicht unbedingt innerhalb eines Objektes bzw.
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teil ii
zweier Objekte erwarten würde, die hinsichtlich ihrer Besitzerinnen, ihres Fundortes und ihrer Datierung so nah beieinander liegen, wie es nur möglich ist. Damit soll keineswegs gesagt werden, die genannten Charakteristika der unification styles ließen sich nicht an Objekten aus der früheren bzw. späteren Regierungszeit Mentuhoteps ii. feststellen. Dass dies der Fall ist, haben diverse Studien aufgezeigt, und es braucht ebenso kaum weiter ausgeführt zu werden, dass einige der Charakteristika der unification styles außerhalb der 11. Dynastie und der frühen 12. Dynastie kaum belegt sind, so dass eine Grobdatierung einzelner Objekte in diesen Zeitraum mithilfe stilistischer Überlegungen durchaus plausibel zu machen ist. Die aus diesen Beobachtungen gefolgerten Gesetzmäßigkeiten erweisen sich jedoch angesichts der obigen Ausführungen als ebenso haltlos, wie die aus ihnen abgeleitete Annahme, man habe es bei derartigen Stilbeobachtungen mit verlässlichen Datierungskriterien für eine genauere chronologische Einordnung zu tun. Dieses Ergebnis erweist sich als außerordentlich folgenreich, da Stilbetrachtungen mittlerweile kaum um ihrer selbst willen durchgeführt werden, sondern immer entweder – wie oben vorgeführt – mit der Geschichtsschreibung korreliert werden oder aber zur Datierung von Objekten herangezogen werden, die anderweitig keine Datierungskriterien bieten. Daher ist es in beiden Fällen besonders notwendig, sich über die jeweilige Leistungsfähigkeit und Aussagekraft von Stilvergleichen bzw. deren Grenzen im Klaren zu sein.344 Da man sich gerade bei anepigraphen Fragmenten wie den im Kunsthandel besonders begehrten Statuenköpfen mit königlicher Ikonographie fast immer vor die Aufgabe gestellt sieht, ohne archäologische Kontexte Aussagen zu treffen und Datierungen vorzunehmen, bilden stilistische Analysen üblicherweise das in solchen Fällen hauptsächlich herangezogene Instrumentarium. Daher lassen sich die im Vorangegangenen anhand von Reliefs angestellten Beobachtungen unter Ausweitung der Untersuchung auf Skulpturen konkretisieren.345 2.3.3.4
Beobachtungen zu Ähnlichkeit und Gleichzeitigkeit: Die Skulptur der Zeit Mentuhoteps ii. (1) Selektive Vergleiche Bei anhand externer Hinweise in dieselbe Zeit datierbaren Objekten fällt die Beobachtung stilistischer Ähnlichkeiten oftmals ausgesprochen leicht, so dass
344 345
Vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 2.4. Vgl. hierzu auch unten Kapitel 2.3.4.
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derartigen Feststellungen ein hohes Maß an Plausibilität und Aussagekraft zugeschrieben wird. Der durchaus fragwürdigen Prämisse folgend, je ähnlicher sich Objekte in stilistischer Hinsicht sind desto näher lägen die jeweiligen Herstellungszeitpunkte beieinander,346 werden Ähnlichkeitsfestellungen zu Datierungskriterien erklärt. Die anhand von Reliefs behandelte Problematik eines solchen Vorgehens ist nun auch bei Skulpturen zu beobachten. Das Beispiel der Statue des Mrj aus Theben mag dies veranschaulichen: Der Statue347 werden von Russmann große Ähnlichkeiten mit dem Londoner Statuenkopf Mentuhoteps ii. aus bemaltem Sandstein bescheinigt,348 zumal sich in Ägypten die private Skulptur gewöhnlicherweise an der königlichen orientiert habe. Für Robins sind bei der Statue des Mrj „full lips“ und „flat eyebrows above large eyes which dip to a marked inner canthus and have a long cosmetic line that widens at its outer end“ und damit Charakteristika des pre-unification style feststellbar,349 den sie auch im Londoner Königskopf erkennt.350 Es sind jedoch deutliche Abweichungen etwa bei der Form der Augen zu beobachten. So unterschiedet sich der vergleichsweise gerade Linienverlauf des Unterlides bzw. unteren Schmickstriches der Statue des Mrj deutlich von dem des Königsbildes. Die Formung der inneren Canthi dürfte ebenso kein spezielles Charakteristikum für die Zeit Mentuhoteps ii. sein wie die sich nach außen weitenden Schminkstriche, wie u.a. Beispiele zeigen, die inschriftlich in die 6. Dynastie datiert werden können.351 Diese Beobachtung ist auch bereits aus Sicht der
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349 350
351
Vgl. Kapitel 2.3.2.1. London bm ea 37895, vgl. pm i2, 788 sowie Russmann, Eternal Egypt, 89–91; Seidel & Wildung, „Rundplastik des Mittleren Reiches“, 233 (Nr. 149b). bm ea 720, vgl. Russmann, Eternal Egypt, 90. Der königliche Statuenkopf ist nicht inschriftlich zuschreibbar, wurde jedoch von Naville bei seinen Ausgrabungen des Tempels Mentuhoteps ii. in Deir el-Bahri gefunden (vgl. Naville, The xith Dynasty Temple at Deir el-Bahari i, 26 mit Anm. 1 und Tf. xiiig; Russmann, Eternal Egypt, 84f.; Wildung, Sesostris und Amenhemhet, 21 [Abb. 14]; Robins, Art of Ancient Egypt2, 94 [Abb. 94]). Vgl. Robins, Art of Ancient Egypt2, 84. Sie nennt als „strong facial characteristics of the pre-unification style“: „The large eyes have emphasised inner canthi that turn down, and cosmetic lines that flare at the outer end. The eyebrows, modelled in relief, run straight above the eye. The nose is broad with pronounced wings, the lips are thick and the ears large.“ (Robins, Art of Ancient Egypt2, 94). Gängigerweise wird davon ausgegangen, dass – anders als bei Reliefs – Statuen während der Regierungszeit Mentuhoteps ii. grundsätzlich dem pre-unification style folgen würden. Vgl. hierzu den folgenden Abschnitt „(2) Gleichzeitigkeit ohne Ähnlichkeit“. Vgl. zur Form der Canthi bzw. Schmickstriche die kniende Statuette Pepis i. in Brooklyn (39.121, vgl. O’Neill [Hrsg.], Egyptian Art in the Age of the Pyramids, 434f. [cat. 170]; der
272
teil ii
etablierten ägyptologischen Stilbetrachtung gemacht worden und wurde dabei als Nachweis der stilistischen Wurzeln der 11. Dynastie im ‚Alten Reich‘ interpretiert.352 Die Tatsache, dass Charakteristika von Stilen der Zeit Mentuhoteps ii. in viel früherer Zeit greifbar sind, führte jedoch in der Forschung bislang nicht zu einer Auseinandersetzung mit der Prämisse, stilistische Ähnlichkeiten bedeuteten zwangsläufig eine chronologische Nähe, vielmehr wurde das Instrumentarium des Entwicklungsgedankens herangezogen, um die älteren Objekte als Ausgangspunkt der angesetzten Stilentwicklung zu betrachten und diese zugleich damit zu belegen. Die anhand der Auseinandersetzung mit der Statue des Mrj angestellten Überlegungen lassen sich im Anschluss an die vorangegangenen Abschnitte verallgemeinern: Stilbeschreibungen sind stets selektiv, die Feststellung von Ähnlichkeiten ist fest an die jeweilige Betrachterperspektive gebunden und lässt sich meist mit aus anderer Perspektive gemachten abweichenden Beobachtungen konfrontieren, die sich ebenfalls auf in Stilvergleichen relevante Merkmale fokussieren. Wird nun aber angesichts dessen im Rahmen von stilistischen Datierungen versäumt, auf methodischer Ebene klar auszuzeichnen, warum jene Ähnlichkeitsbeobachtungen signifikanter als andere Differenzbeobachtungen sind, liegt nichts anderes als ein intransparentes Kennerurteil vor, das nichts austrägt. Ferner erweisen sich bei näherer Betrachtung stilistische Gemeinsamkeiten – besonders wenn sie eher allgemein formuliert sind353 – häufig als derart unspezifisch, dass sie sogar aus Sicht der Stilforschung selbst strenggenommen keine Datierung ermöglichen könnten. (2) Gleichzeitigkeit ohne Ähnlichkeit In der Literatur besteht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass die für das Relief angesetzte Entwicklung vom pre-unification style zum (post-)unification style
352 353
gängigen Auffassung von der Echtheit der Statue sei hier gefolgt) oder die kleinformatige Sphinx Merenres i. in Edinburgh (1984.405 vgl. ebenda, 436f. [cat. 171]). Vgl. hierzu auch weiter unten in diesem Kapitel den Abschnitt „(3) Ähnlichkeit ohne Gleichzeitigkeit“. Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass ein in der Pyramide Amenemhets i. in Lischt wiederverbautes Relieffragment (mma 08.200.56), das ebenfalls diese Form des Schminkstriches zeigt, aus stilistischen(!) Gründen in die 5. oder 6. Dynastie datiert wurde (ebenda, 442 f. [cat. 175]). Aldred, „Some Portraits“, 29 f. Vgl. Auszüge aus der oben angeführten Stilbeschreibung des pre-unification styles von Robins (Art of Ancient Egypt2, 84 f.): „with high raised relief and incised details […]. The eye is large and is outlined by an encircling band of relief representing eye paint […]. The lips are thick and protruding, and come together at the outer corners of the mouth in a vertical line rather than in a point. The ear is large and often set obliquely.“
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273
im rundbildlichen Material nicht greifbar ist:354 Statuarische Beispiele für den (post-)unification style fehlten, wie das fragmentarisch erhaltene Statuenprogramm aus dem Tempel von Deir el-Bahri zeige. Auf dieser Grundlage hatte Cyril Aldred dieses aus stilistischen Gründen gar für geringfügig älter als die frühesten Teile des Tempels selbst gehalten.355 Aus stilforscherischer Sicht könnte tatsächlich um der Stringenz einer Ähnlichkeitsargumentation willen und einen Entwicklungsgedanken konsequent verfolgend dafür argumentiert werden, dass alle Statuen relativ früh, d.h. noch vor der Annahme des dritten Horusnamens, entstanden sind. Mittlerweile wird jedoch angenommen, der pre-unification style sei während der gesamten Regierungszeit Mentuhoteps ii. für das Rundbild maßgeblich geblieben.356 Es ist bemerkenswert, dass die gängigerweise bei den Reliefs dieser Zeit zum Einsatz gebrachten Beschreibungsmuster somit auf das Rundbild nicht entsprechend angewendet werden. Gerade angesichts der verschiedenen Baustadien, die für den Tempelkomplex von Deir el-Bahri identifiziert werden konnten, lohnt es sich daher, die dort archäologisch greifbaren Zusammenhänge zwischen Rund- und Flachbild etwas näher zu betrachten. Während innerhalb der Tempelanlage Reliefs aus der Zeit der zweiten und dritten Titulatur belegt sind (vgl. oben Kapitel 2.3.3.1 mit Tabelle 1), lassen sich die im Vorhof gefundenen Sitz- und Standstatuen inschriftlich keinem Abschnitt der Regierungszeit Mentuhoteps ii. zuweisen.357 Der archäologische Befund lässt jedoch einige weiterführende Vermutungen zu. So kommt Di. Arnold zu dem Schluss, dass die bereits in der Antike im östlich des eigentlichen Tempels liegenden Garten vergrabenen Sitz- und Standstatuen ursprünglich nach Abschluss der Bauarbeiten am Tempel selbst unweit jener Gruben aufgestellt worden seien, in denen sie während der Ausgrabungen von Naville und Winlock wieder zutage kamen (vgl. Abb. 26 und 27). Er begründet dies mit der Annahme, dass es erst in dem Moment Sinn gemacht hätte, die Statuen auf dem Tempelgelände aufzustellen, als keine größeren Baumaßnahmen mehr durchgeführt werden mussten, im Zuge derer die Sta-
354 355 356
357
Vgl. etwa Bourriau, Pharaohs and Mortals, 19; Robins, Art of Ancient Egypt2, 94. Vgl. Aldred, „Some Portraits“, 30. Aldreds stilistischer Beschreibung der Statuen („Some Portraits“, 30) wird zwar weiterhin uneingeschränkt gefolgt, indem man in ihnen den pre-unification style erkennt, seiner stilistischen Frühdatierung hat sich jedoch niemand mehr angeschlossen. Die Datierung der Statuen in die zweite Hälfte der Regierungszeit kann daher als opinio communis gelten. Vgl. zu Arnolds Argumentation das Folgende mit Fn. 361. Vgl. zur einzigen mit einer Königsstatue vergesellschafteten Namensnennung oben Tabelle 1 (Anm. f) in Kapitel 3.2.2.1.
274
teil ii
abb. 26
Sitzstatue Mentuhoteps ii. in situ (gefunden im östlichsten Teil des Vorhofes, vgl. Schnitt 8 bei Di. Arnold, The Temple of Mentuhotep, pl. 42)
tuen hätten beschädigt werden können.358 Aus einem stilistischen Vergleich des Kopfes einer Standstatue aus dem Tempelgarten (Taf. 5.1 und Abb. 35.2 [S. 485])359 und der Sitzstatue aus dem Bab el-Hosan (Taf. 5.2)360 schließt Di. Arnold die ungefähre Gleichzeitigkeit aller Königsstatuen. Er unterfüttert diese Annahme damit, dass sich die Statue aus dem Bab el-Hosan und die beiden im Garten gefundenen Sitzstatuen in all ihren Abmessungen so genau entsprechen, dass sie Teile ein und desselben Statuenkonvolutes sein müssten.361 Da die Auswertung der archäologischen Befunde durch Di. Arnold ergeben hat, dass das Bab el-Hosan wohl nach Abschluss der Arbeiten an den Kapellen der Königinnen und parallel zur Errichtung des eigentlichen Tempels aufgegeben und versiegelt wurde (vgl. Abb. 19 [S. 247]), liegt für die Datierung der
358 359 360 361
Vgl. Di. Arnold, The Temple of Mentuhotep, 44 f. (Phase d2), 46–49 mit Anm. 179. New York mma 26.3.29. Kairo JdE 36195. Di. Arnold geht auf dieser Grundlage sogar soweit, zu vermuten, dass alle Statuen von ein und derselben Bildhauerschule in der 2. Hälfte der Regierungszeit Mentuhoteps ii. hergestellt worden sein müssten. Als zeitlicher Abstand zwischen den einzelnen Statuen könnten dabei höchstens zehn bis zwanzig Jahre angesetzt werden (The Temple of Mentuhotep, 49, Anm. 179). Vgl. auch Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep i, 52 mit Anm. 134.
bilder – stile – kontexte
abb. 27
275
Standstatue Mentuhoteps ii. in situ (gefunden im Vorhof hinter dem Südteil des Pylons, vgl. Abb. 20 [S. 248] und Di. Arnold, The Temple of Mentuhotep, pl. 42)
darin gefundenen Sitzstatue ein terminus ante quem vor, über den hinaus die im Inneren der Anlage gefundenen Objekte jedoch keinen näheren Aufschluss geben.362 Dass nur die Sockeloberfläche und die Frontseite des Thronsitzes der Bab el-Hosan-Statue schwarz gestrichen wurden (vgl. Taf. 5.2), nicht aber die übrigen Seiten von Sockel und Thronsitz, spricht nach Di. Arnold dafür, dass die Statue vor ihrer Deponierung bereits anderswo – evtl. gemeinsam mit den übrigen Sitzstatuen – vorübergehend aufgestellt worden war und dort ihre nur partielle Bemalung erhielt.363 Da über den zeitlichen Abstand zwischen Herstellung bzw. hypothetischer Primäraufstellung der Statue aus dem Bab elHosan und deren Deponierung im Bab el-Hosan nichts Näheres gesagt werden kann, kann die Statue nur ungefähr in den Zeitraum vom Beginn der Regierung Mentuhoteps ii. bis zum Beginn der Baumaßnahmen am eigentlichen Tempel von Deir el-Bahri datiert werden. Dies entspräche den Regierungsabschnitten der ersten beiden Titulaturen (Sꜥnḫ-jb-tꜣ.wj und Nṯr.j-ḥḏ.t) sowie dem Beginn der Zeit, in der die dritte Titulatur (Zmꜣ-tꜣ.wj) verwendet wurde, bzw. im
362
363
Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep i, 64 f.; ders., The Temple of Mentuhotep, 40 f. Vgl. zur einzigen in der Anlage gefundenen Namensnennung des Königs oben in Kapitel 2.3.3.1 Tabelle 1 (Anm. f). Sie hätte in einer Nische oder einer Vertiefung im Boden stehen können, so dass die übrigen Seiten unzugänglich und uneinsehbar gewesen wären.
276
teil ii
Blick auf den Tempelbau den Bauphasen a und b sowie dem Beginn von Bauphase c.364 Da die oben angeführten Überlegungen Di. Arnolds nur die Aufstellung der Statuen, nicht aber die Herstellung aller Statuen in der abschließenden Bauphase d2 plausibilisieren, können die Standstatuen aus dem Garten selbst nicht näher datiert werden; es gibt schließlich keine stilunabhängigen Indizien, die gegen oder für die nur stilistisch gestützte Parallelsetzung zur Statue aus dem Bab el-Hosan sprechen. Die identischen Maße aller drei Sitzstatuen könnten jedoch mit Di. Arnold durchaus als Hinweis auf identische Auftrags- bzw. Produktionsbedingungen interpretiert werden, die darauf hindeuten, dass diese in relativer zeitlicher Nähe zueinander hergestellt wurden.365 Eine entsprechende relativchronologische Einordnung der Sitzstatuen aus dem Tempelgarten ließe sich damit auch ohne stilistische Beobachtungen im engeren Sinne plausibel machen. Auch wenn man also bezüglich genauerer Datierungen der Statuen schnell an Grenzen stößt, lassen sich dennoch einige Überlegungen anstellen: So muss es mit Di. Arnold als überaus wahrscheinlich gelten, dass alle erhaltenen Königsstatuen aus Deir el-Bahri im dritten Abschnitt der Regierung Mentuhoteps ii. an ihrem endgültigen Bestimmungsort standen oder aufgestellt wurden. Für den Zeitpunkt ihrer Herstellung lässt sich zwar keine vergleichbare Annahme treffen, da zumindest eine der Sitzstatuen aufgrund ihrer Fundsituation im Bab el-Hosan bereits kurz nach Beginn der Bauarbeiten am Tempel oder noch früher entstanden sein muss. Dadurch wird es vielmehr plausibel, eine vergleichsweise frühe Herstellung366 auch für die in ihren Abmessungen annähernd identischen Sitzstatuen aus dem Tempelgarten anzusetzen. Gegen eine deutlich spätere Herstellung der Standstatuen kurz vor ihrer von Di. Arnold für das Ende der Bauarbeiten am Tempel angesetzten Aufstellung sprechen jedoch keine stilunabhängigen Hinweise. Für die Standstatuen lässt sich daher keine nähere Festlegung treffen. Konfrontiert man die damit umrissene Situation mit den eingangs angesprochenen Perspektiven der Stilforschung zu Statuen auf der einen und Reliefs auf der anderen Seite, dann zeigt sich bezogen auf die Gesamtsituation des Tempels von Deir el-Bahri ein Stilpluralismus. Denn ein solcher ist ganz unabhängig davon anzusetzen, ob man die Beobachtung des Stils der Statuen als Hinweis 364 365 366
Vgl. zu den einzelnen Bauphasen Abb. 19 und 21 (S. 247 und 249). Stilistische Überlegungen wären zudem ohnehin sehr erschwert, da von allen Sitzstatuen nur der Kopf der Statue aus dem Bab el-Hosan erhalten ist. Also wohl um die Mitte der Regierungszeit Mentuhoteps ii., d.h. zu Beginn der Zeit der dritten Titulatur und der Aufnahme der Bauarbeiten am Terassentempel von Deir elBahri.
bilder – stile – kontexte
277
auf eine vergleichsweise frühe Produktion aller Statuen (so Aldred) oder als Indiz dafür auffassen möchte, dass während der gesamten Regierungszeit Rundbilder im Gegensatz zu Flachbildern nur im ‚archaischen‘ pre-unification style hergestellt wurden (so die jüngere Stilforschung). Soweit dürfte sich alles noch mit gängigen Positionen vereinbaren lassen. Dadurch jedoch, dass die zur Diskussion stehenden Statuen aus dem Tempelgarten möglicherweise spät in der Regierungszeit Mentuhoteps ii. hergestellt und aufgestellt wurden, auf jeden Fall aber zum Ende der Regierungszeit im Tempel von Deir el-Bahri standen, liefern die Statuen ein triftiges Argument gegen die These, der Wechsel zum (post-)unification style sei aus ideologischen Gründen initiiert worden, indem man den pre-unification style bewusst aufgegeben habe.367 Hätte der Stil der Statuen, der nach ägyptologischen Auffassungen einen „fast plumpen Gesamteindruck“ vermittelt,368 tatsächlich für die Auftraggeber zur Zeit der 11. Dynastie eine so stark semantisch aufgeladene Komponente besessen, wäre es kaum vorstellbar, dass gegen Ende der Regierungszeit Mentuhoteps ii. Statuen dieses Stils an besonders prominenter Stelle im Bereich der Hauptachse des Tempels bzw. seiner Außenanlagen aufgestellt wurden. Dies ließe sich jedenfalls nicht mit der bewusst vollzogenen und auf einer politischen Programmatik basierenden Stilwende vereinbaren, die für die Interpretation der Reliefs gemeinhin angesetzt wird (vgl. Kapitel 2.3.3.2). Ganz im Gegenteil kann in dieser Beobachtung daher ein Hinweis darauf gesehen werden, dass Stile innerhalb der hier behandelten ägyptischen Kontexte weit weniger inhaltliche Relevanz besessen haben dürften, als es zahlreiche Diskussionen in ägyptologischen Kontexten unterstellen oder suggerieren.369 367
368 369
Robins, „The Reign of Nebhepetre Montuhotep ii“, 43, dort u.a.: „Since one of the tasks of the king was to set order in the place of chaos, what had grown up during the period of disunity had to be abandoned.“ Vgl. außerdem dies., Art of Ancient Egypt2, 90. So zur Sitzstatue aus dem Bab el-Hosan (hier Taf. 5.2): Seipel & Wildung, „Rundplastik des Mittleren Reiches“, 233 (Nr. 148). Vgl. hierzu auch Müller, die von einer „Ästhetik des Hässlichen“ spricht und diese als „bewussten Einsatz des Hässlichen als künstlerisches Mittel“ versteht („Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 52): „Dieses überraschende Konzept verbindet Harmonie und Dissonanz. Seinen Schöpfern saß, so lässt sich die Erscheinung deuten, die Erschütterung über den Zerfall der Ordnung noch in den Knochen, aber sie haben den Schrecken in ein neues, festes Gerüst integriert.“ (ebenda, 77). Die Frage, wie die Ägypter diese Statuen gesehen haben, dürfte ebenso unklar sein wie es sich als problematisch darstellt, hier ein fragwürdiges Geschichtsbild (siehe Kapitel 2.2) für psychologisierende Deutungen heranzuziehen. Vgl. auch unten zur Interpretierbarkeit sogenannter Porträts Kapitel 2.3.5. Jüngst hat sich Do. Arnold (in: Oppenheim et al. [Hrsg.], Ancient Egypt Transformed, 50) ebenfalls dafür ausgesprochen, in diesem „archaic look“ eine bewusste Entscheidung
278
teil ii
Hinsichtlich des seit Di. Arnold verbreiteten Ansatzes, dass die Statuen nicht zu Beginn, sondern möglicherweise erst später in der Regierungszeit Mentuhoteps ii. hergestellt wurden,370 ist zudem festzustellen, dass gerade in diesem Fall ein durch die Terminologie von aufeinanderfolgenden unification styles nicht adäquat beschreibbarer deutlicher Stilpluralismus zu beobachten wäre. Es wären dann schließlich Bildhauerarbeiten an Königsstatuen im pre-unification style für Zeiträume nach der ‚Reichseinigung‘ innerhalb des Tempels von Deir el-Bahri anzusetzen, der von den zu diesem Zeitpunkt bereits teilverbauten Kapellen der Königinnen abgesehen komplett nach der Annahme der dritten Titulatur bzw. im (post-)unification style errichtet wurde (vgl. Tabelle 1 und Abb. 19 und 21 [S. 245–249]).371 Angesichts dessen stellt sich jedoch erneut die Frage, ob ein mit derartigen Hilfskonstruktionen – wie der Ansetzung von älteren Stilen zu späteren Zeiten – operierendes Modell, das auf Ähnlichkeitsbeobachtungen beruht, zu Datierungszwecken herangezogen werden sollte, wenn Ähnlichkeiten eben nicht zwangsläufig als Gleichzeitigkeiten gedeutet werden können. Hinsichtlich der Statuen Mentuhoteps ii. ermöglicht das Modell der unification styles damit weder in chronologischer noch in semantischer Hinsicht angemessene Interpretationen. Diese Deutungsstrategien gehen nur dann auf, wenn man Reliefs und Statuen getrennt voneinander betrachtet und dabei ausblendet, dass neben der Gleichzeitigkeit verschiedener Stile auch deren räumliches Nebeneinander nachweisbar ist. Ägyptologische Perspektiven tendieren jedoch in genau diesem Sinne dazu, Statuen unabhängig von den Reliefs zu betrachten, die im Tempel zeitgleich zur Aufstellung der Statuen angebracht oder damals dort vorgefunden wurden. Der für uns in Deir el-Bahri greifbare
370 371
zu sehen: „This doubtlessly intentional impression was created by evoking associations with the early phases of Egyptian art.“ Do. Arnold vergleicht die New Yorker Standstatue (mma 26.3.29; Abb. 35.2 [S. 485] und Taf. 5.1) dabei mit der Sitzstatue Djosers aus der 3. Dynastie (JdE 49158) und vordynastischen Min-Bildern. Ein solcher Vergleich ist jedoch auf die Wahrnehmungsbedingungen des imaginären Museums angewiesen und dürfte kaum im Rahmen ägyptischer Wahrnehmungsmöglichkeiten zur Zeit der 11. Dynastie gelegen haben. Vgl. zum imaginären Museum unten Kapitel 3.2.1. Vgl. Fn. 361. Ein stilistisches Entwicklungsmodell würde vermutlich versuchen, diesen Umstand als Umsetzung eines eigentlich älteren Stils zu erklären, der sich rundbildlich erst unter dem Nachfolger Mentuhoteps ii. zu einem neueren Stil verfeinert hätte. Vgl. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 52; Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 58f. Vgl. auch unten Kapitel 2.4.4, in dem auf das Konzept der kulturellen Temporalität eingegangen wird.
bilder – stile – kontexte
279
architektonische Rahmen, der aus ägyptischer Sicht der für die Statuen entscheidende gewesen sein dürfte, und die innerhalb dessen möglichen Kontextualisierungen der Bilder haben so bislang in der ägyptologischen Diskussion zum Stil der Statuen keine Berücksichtigung gefunden.372 (3) Ähnlichkeit ohne Gleichzeitigkeit Verschiedentlich wurde in der Forschung auf Ähnlichkeiten der Skulptur der späten 11. Dynastie mit Vergleichsstücken aus der 6. Dynastie hingewiesen, die sich daraus erklären ließen, dass sich memphitische Stileinflüsse später in Theben durchgesetzt hätten und sich somit im Rahmen von Stilentwicklungen beschreiben ließen.373 Die Ähnlichkeiten gingen dabei so weit, dass allein die archäologisch gesicherte Zuschreibung des New Yorker Sandsteinkopfes (mma 26.3.29, Abb. 35.2 [S. 485] und Taf. 5.1) an Mentuhotep ii. dazu führe, dass man einige Objekte – wie etwa den Grauwackekopf im Louvre (e 10299) – der 11. Dynastie zuweisen könne, die man andernfalls eher in die zweite Hälfte der 6. Dynastie und damit ca. 250 Jahre früher datiert hätte.374 Anhand derartiger Beispiele enthüllt sich eine weitere Schattenseite der unhintergehbaren Selektivität stilistischer Vergleiche: Ist ein Objekt erst einmal anerkanntermaßen umdatiert, finden sich zahlreiche stilistische Merkmale, die sich zur Stützung einer solchen Neudatierung anführen lassen.375 Eine solche stilistische Untersuchung liefert Argumente für eine Datierung, die selbst auf der Basis eines selektiven Stilvergleichs zustande gekommen ist, und bestätigt so eine Zuschreibung, die sich allein auf Kennerschaft in der Auswahl der ‚aussagekräftigsten‘ Stilelemente stützt. Selbst wenn wie in diesem Fall Vergleichsobjekte archäologisch gesichert datiert werden können, lässt sich diese Datierung daher nicht mittels stilistischer Vergleiche auf andere dekontextualisierte Objekte übertragen. Stilvergleiche helfen daher entgegen der verbreiteten ägyptologischen Erwartungshaltung in solchen Fällen nicht weiter.
372
373 374
375
Vgl. für ein weiteres vergleichbares Beispiel Kapitel 2.4.4.2 sowie unten die Kapitel 3.1 und 3.2.1, in denen diese Form selektiver Stilbetrachtungen als musealer Blick beschreiben bzw. im Zusammenhang mit dem imaginären Museum diskutiert wird. Vgl. Russmann, „A Second Style“, 278. Vgl. auch bereits oben Fn. 351. So Aldred („Some Portraits“, 30 mit Anm. 22) mit Verweis auf Vandier, der den Kopf im Louvre (e 10299) noch in die 6. Dynastie datiert (Manuel d’archéologie égyptienne iii, 37 mit Anm. 1). Mittlerweile wird er jedoch u. a. im Anschluss an Aldred und Bernhard von Bothmer („The Philadelphia-Cairo Statue of Osorkon ii“, 5 mit Anm. 4) der 11. oder frühen 12. Dynastie zugeschrieben. Vgl. mit weiterer Literatur Kapitel 2.3.4 u.a. mit Anm. a zu Tabelle 4. Vgl. Seipel, Gott, Mensch, Pharao, 152.
280
teil ii
Exkurs i: 11. oder 19. Dynastie? Zu den mumiengestaltigen Statuen aus Armant Bei dieser Gruppe von Statuen aus dem Tempel von Armant handelt es um neun fragmentarisch erhaltene etwa lebensgroße Statuen, die einen König mit mumiengestaltigem Körper sowie der Weißen Krone zeigen. Neben einem Torso mit zugehörigem Kopf wurden von britischen Ägyptologen zwei weitere Statuenköpfe (Abb. 28) und fünf Torsi gefunden.376 1951 kam außerdem noch eine weitere annähernd vollständig erhaltene Statue zutage.377 Letztere ist ebenso wie ein anderer Torso unbeschriftet geblieben, alle übrigen Torsi tragen Titel Merenptahs, in einem Fall in Form einer Restaurationsinschrift. Von einem Kalksteintorso abgesehen sind alle anderen Fragmente aus Sandstein gearbeitet:378 tabelle 2 Objektnr. Ausgräber
Beschreibung
Material
Inschriftena
s.102+s.441
Kopf mit Weißer Krone und mumiengestaltiger Torso, zueinander passend, jedoch separat voneinander gefunden
Sandstein
nṯr nfr jr ꜣḫ m pr jt=f Boston Mnṯw ḥqꜣ Jwn nzw-bj.t mfa 38.1395b Bꜣ-n-Rꜥ zꜣ Rꜥ Mr.n-Ptḥ ḥtp ḥr Mꜣꜥ.t ḏj ꜥnḫ ḏ.t
s.435
Kopf mit Weißer Krone
Sandstein
unbeschriftet
376 377 378
Standort, Registrierung und Literatur
zunächst registriert in Kairo (JdE 67378), derzeit im Port Said National Museumc
Vgl. die Grabungspublikation Mond & Myers, Temples of Armant, 49f., Tf. xi, xvi–xviii und cv. American Research Center in Egypt (Hrsg.), The Luxor Museum, 19. Die Materialangaben folgen der Grabungspublikation (Mond & Myers, Temples of Armant). Warum Bußmann auch für den Torso s.207 als Material Kalkstein angibt, ist unklar (Die Provinztempel Ägyptens, i, 68).
281
bilder – stile – kontexte
Objektnr. Ausgräber
Beschreibung
Material
Inschriftena
Standort, Registrierung und Literatur
s.641
Kopf mit Weißer Krone
Sandstein
unbeschriftet
Worcester Art Museum (Massachusetts) 1971.28
s.103
mumiengestaltiger Torso, zusammen mit Kopf s.102 gefunden, unterscheidet sich nicht nur dadurch, dass die Statue in beiden Händen ꜥnḫZeichen hält, sondern auch in Stil, Ausführung, Material und Attributend
Kalkstein
Vorderseite: Ḥr kꜣ nḫt ḥꜥj m Mꜣꜥ.t nzw-bj.t nb tꜣ.wj Bꜣ-n-Rꜥ zꜣ Rꜥ nb ḫꜥ.w Mr.n-Ptḥ ḥtp ḥr Mꜣꜥ.t ˹mry˺ Mnṯw Rückseite: […] mry ˹Mn˺ṯw nb Wꜣs.t kꜣ ḥr-jb Jwn ḏj ꜥnḫ ḏd wꜣs snb ḏ.t
Kairo JdE 67379
s.206
mumiengestaltiger Torso
Sandstein
nṯr nfr ꜥn m nzw nfr ḥr m New York(?)e ḥd.t mj Jtm nzw-bj.t Bꜣn-Rꜥ zꜣ Rꜥ Mr.n-Ptḥ ḥtp ḥr Mꜣꜥ.t mr(y) Mnṯw
s.207
mumiengestaltiger Torso
Sandstein
[…] nzw-bj.t nb tꜣ.wj Bꜣ-n-Rꜥ zꜣ Rꜥ nb ḫꜥ.w Mr.n-Ptḥ ḥtp ḥr Mꜣꜥ.t […]
Bucheum House (Magazin in Armant)f
s.440
mumiengestaltiger Torso
Sandstein
Restaurationsinschrift Merenptahs: smꜣ(w) mnw jr.n nzw-bjt nb tꜣ.wj Bꜣ-n-Rꜥ zꜣ Rꜥ nb ḫꜥ.w Mr.n-Ptḥ ḥtp ḥr Mꜣꜥ.t m pr jt˹=f ˺ […]
New York(?)g
s.442
mumiengestaltiger Torso
Sandstein
unbeschriftet
in Privatbesitzh
282
teil ii
tabelle 2 (Forts.) Objektnr. Ausgräber
Beschreibung
Material
Inschriftena
Standort, Registrierung und Literatur
–––
mumiengestaltige Statue mit Weißer Krone, bis etwa zu den Knöcheln erhalten
Sandstein
unbeschriftet
Luxor j.69i
Anmerkungen a Vgl. Mond & Myers, Temples of Armant, Tf. cv.1–5. b Vgl. http://www.mfa.org/collections/object/osiride-statue-of-king-mentuhotep-iiire-inscribed-for-king-merenptah-148171 [Zugriff: 24.06.2012], sowie Freed, Berman & Doxey, Arts of Ancient Egypt, 115. c Stand März 2017. Für Recherchen zum Verbleib danke ich Sabah Abd el-Razeq (Kairo), Konstantin Lakomy (Göttingen) und Marwa Abdel Razek (Kairo). d Vgl. Mond & Myers, Temples of Armant, 50. e Institute of Art and Archaeology, New York, lt. Mond & Myers, Temples of Armant, 61. f Lt. Mond & Myers, Temples of Armant, 61. Hourig Sourouzian gibt für diesen Torso irrtümlicherweise die Inventarnummer 1971.28 des Museums in Worcester an (Les monuments du roi Merenptah, 190). g Institute of Art and Archaeology, New York, lt. Mond & Myers, Temples of Armant, 64. h Zunächst im Institute of Art and Archaeology, New York, lt. Mond & Myers, Temples of Armant, 64. Im Jahr 2002 als Teil der Sammlung David Sylvester bei Sotheby’s London für einen Kaufpreis (einschließlich Aufgeld) von 795.500 gbp versteigert. Vgl. zum Objekt ausführlicher Dorothea Arnold, in: Oppenheim et al. (Hrsg.), Ancient Egypt Transformed, 50–52 sowie zum Auktionsergebnis: http:// www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2002/david-sylvester-the-privatecollection-l02959/lot.13.html (Zugriff 25.03.2016). i American Research Center in Egypt (Hrsg.), The Luxor Museum, 19–21.
Dem archäologischen Befund nach zu urteilen wurden die Statuen irgendwann379 von ihren vorherigen Aufstellungsorten entfernt und an verschiede-
379
Aufgrund einer uneindeutigen Stratigraphie sahen sich die Ausgräber nicht in der Lage, genauere Angaben zu machen. Sie halten es jedoch für möglich, dass die Deponierungen
bilder – stile – kontexte
abb. 28
283
Drei der in Armant gefundenen Köpfe mumiengestaltiger Statuen: Boston mfa 38.1395 (h. 62 cm); Kairo JdE 67378 (h. 62 cm); Worcester (Massachusetts) 1971.28 (H. ohne Angabe der Ausgräber)
nen Stellen im Hof hinter dem Pylon Thutmosis’ iii. vergraben.380 Sekundär verbaut vorgefundene Reliefs belegen Bauaktivitäten Mentuhoteps iii.,
380
der Statuen in der Ptolemäerzeit geschehen sind, da sie im Zusammenhang mit den ptolemäischen Baumaßnahmen gestanden haben könnten. Ferner halten sie dies für gut möglich, weil sich die Beschädigungen der Statuen wohl nur während einer fremden Besatzung der Stadt (d. h. durch Assyrer oder Perser) ereignet haben könnten (vgl. Mond & Myers, Temples of Armant, 16). Vgl. zum Fundort von vier der sechs von Mond und Myers gefundenen Torsi Mond & Myers, Temples of Armant, Tf. iii.
284
teil ii
außerdem scheint ein Bauteil mit dem Herrinnennamen Mentuhoteps ii. aus Armant zu stammen.381 In der Grabungspublikation nicht näher genannte „several authorities“ haben sich bereits kurz nach Auffindung der Statuen für eine stilistische Zuschreibung der Statuen an einen Mentuhotep-König ausgesprochen,382 wohingegen sich die Ausgräber selbst relativ skeptisch zeigen („we prefer to base no conclusions upon artistic style“),383 was jedoch von Bußmanns Materialzusammenstellung abgesehen keinen Eingang in die Diskussion gefunden hat.384 Die Ausgräber weisen vielmehr auf stilistische Differenzen zwischen zwei der drei von ihnen gefundenen Köpfe (s.102 = Boston mfa 38.1395 und s.435 = Kairo JdE 67378) auf der einen und dem dritten (s.641 = Worcester 1971.28) auf der anderen Seite hin (vgl. Abb. 28), die sich ihrer Meinung nach nicht eindeutig erklären lassen, da sie sich etwa als Hinweise auf chronologische Differenzen oder auf unterschiedliche ausführende Künstler oder Werkstätten verstehen ließen.385 Aldred hatte später im Rahmen seiner oben bereits diskutierten Zuschreibung von Statuen an Mentuhotep iii. nur jene Köpfe in Boston und Kairo angeführt, die zwar einander, aber nicht in gleichem Maße dem dritten von Mond und Myers gefundenen Kopf ähneln.386 Die Statue in Worcester scheint mehr oder weniger in Vergessenheit geraten zu sein:387 Die stilistische Uneinheitlichkeit der Statuengruppe ist nicht mehr diskutiert worden, während der Zuschreibung aller Statuen an Mentuhotep iii. gemeinhin gefolgt wird.388 Für die einzelnen Statuen ließe sich eine Zusam-
381 382 383 384
385 386 387
388
Mond & Myers, Temples of Armant, 2 sowie Newberry, „Extracts from my Notebooks“, 362 und Tf. i.2. Mond & Myers, Temples of Armant, 49. Vgl. ferner die jeweiligen Datierungsangaben im Fund-Register: „Merenptah ?“, „n.k. ?“, „xixth ?“ (Mond & Myers, Temples of Armant, 59–65). Bußmann greift diese Bedenken jedoch auch nicht weiter auf und betont lediglich, dass die Datierung der Statuen „unter Mentuhotep ii. oder iii.“ als sicher gelte (Die Provinztempel Ägyptens, i, 68 und 196 [Zitat]). Vgl. Mond & Myers, Temples of Armant, 50. Vgl. die Einschätzung der Ausgräber: Mond & Myers, Temples of Armant, 49f. Romano verweist im Katalogeintrag der Statue in Luxor zwar auf die Köpfe in Boston, Kairo und Worcester, beschränkt sich jedoch, darauf hinzuweisen, alle Statuenköpfe seien einander sehr ähnlich (in: American Research Center in Egypt [Hrsg.], The Luxor Museum, 20). Bei Müller findet sich überhaupt kein Hinweis auf den Kopf in Worcester: „Die beiden einzigen vollständigen Statuen, die wir heute kennen, stammen aus der mumiengestaltigen Serie, die am Aufweg des Month-Tempels von Armant stand und in Boston (Taf. 9a) und Luxor aufbewahrt werden (Boston, Museum of Fine Arts 38.1395 und Luxor Museum j.69).“ (Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 57). So zuletzt Freed, „Sculpture of the Middle Kingdom“, 888f.; vgl. dies., „Art of the Middle
bilder – stile – kontexte
285
mengehörigkeit und damit letztendlich wohl auch die Gleichzeitigkeit ihrer Herstellung evtl. plausibilisieren, da fast alle Statuen von ein und demselben König (sekundär) beschriftet wurden, ihre Deponierung wohl zeitgleich anzusetzen ist und die ungefähre Übereinstimmung ihrer Abmessungen für ähnliche Herstellungsbedingungen bzw. ein und denselben Auftrag sprechen könnten. Gegen eine Gleichzeitigkeit sprechen die von Mond und Myers festgestellten Unterschiede nicht.389 Die stilistischen Unterschiede der Statuen aus Armant gegenüber Statuen, die sicher Merenptah zugeschrieben werden können, sind jedoch erst in Verbindung mit der Restaurierungsinschrift in der Lage, einen Datierungsvorschlag für die Statuen selbst (weit) vor der Regierungszeit Merenptahs zu erhärten, was sich auch anhand von Überarbeitungsspuren an den Statuen plausibilisieren lässt.390 Die stilistischen Unterschiede innerhalb der Statuengruppe lassen sich jedoch ebenso wenig mit Gewissheit erklären wie die uneinheitliche Materialverwendung. Angesichts der für die späte 11. Dynastie belegten Bautätigkeit in Armant ist eine Datierung der Statuen in diese Zeit durchaus möglich, aber keineswegs gesichert. Selbst wenn man der Hypothese folgen möchte, es handele sich um Teile der Tempelausstattung aus der späten 11. Dynastie, kann keine Aussage darüber gemacht werden, unter welchem König die Statuen angefertigt oder aufgestellt wurden, da es keine stilunabhängigen Hinweise gibt, die eine Zuschreibung an Mentuhotep iii. oder einen anderen König untermauern könnten. Ende des Exkurses 2.3.4
Materialbeobachtungen (iv): Stil und Geschichte am Übergang zur 12. Dynastie Mit der späten 11. bzw. frühen 12. Dynastie ist der Beginn des Zeitraums erreicht, der ägyptologisch als ‚Mittleres Reich‘ bezeichnet wird und als solches verstanden einen Kristallisations- und Orientierungspunkt für verschiedene ägyptologische Thesen und Forschungsfragen darstellt.391 Die ägyptologische Darstellung des Übergangs zum ‚frühen Mittleren Reich‘ soll hier im Hinblick auf stiltheoretische Fragen im Rahmen von zwei Studien beleuchtet werden.
389 390 391
Kingdom“, 69 (zu Boston mfa 38.1395: „Mentuhotep iii’s sculpture comes from the Montu temple at Armant, the only site at which statues of this king have been found.“) sowie Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 57. Vgl. oben Kapitel 2.3.2.1. Vgl. Do. Arnold, in: Oppenheim et al. (Hrsg.), Ancient Egypt Transformed, 52. Vgl. etwa oben Kapitel 2.2.2.
286
teil ii
abb. 29
Kopf einer Königsstatue (h. 18,3 cm, New York mma 66.99.3)
2.3.4.1
Statuen der späten 11. Dynastie(?) und stilistische Reihenbildungen Die bezüglich der Skulptur der 11. Dynastie besonders geringe Materialbasis führt dazu, dass Vergleichstücke oft in verschiedener Hinsicht materialgruppenübergreifend herangezogen werden: Reliefs und Skulptur werden ebenso miteinander verglichen, wie private Statuen mit Königsstatuen oder Holzstatuetten mit Skulpturen aus Stein. Bisher wurde dabei häufig gegenüber der Möglichkeit, keine Zuschreibung oder Datierung vorzuschlagen, unsicheren Hypothesen der Vorzug gegeben,392 die sich mittlerweile ungeachtet ihrer zum Teil sehr fragwürdigen Argumentationen im Fach etablieren konnten. Als Beispiel mag die Datierung des New Yorker Kalksteinkopfes mma 66.99.3 (Abb. 29) in die späte 11. Dynastie dienen, die auf John D. Cooney zurückgeht, der erwogen hat, darin ein Bild Mentuhoteps iii. zu sehen: „This head is without close parallel in royal sculpture in the round and consequently is not easily identified. It suggests the work of the Twelfth Dynasty, while clearly not identifiable with any known head of that
392
Vgl. ähnlich oben bei Fn. 203 zu einigen Datierungen von Morenz sowie Hölscher mit dem Hinweis auf die Problematik derartiger Vergleiche (Fn. 180).
bilder – stile – kontexte
abb. 30
287
Kopf einer Königsstatue (h. 15 cm, Antikenmuseum Basel BSAe iii 8397)
Dynasty, and thus must have been produced shortly before or after that time. Both the Eleventh and the Thirteenth dynasties are poorly represented in surviving royal sculptures, but the broad structure of the face, seemingly a continuation of an Old Kingdom type found again in some portraits of the first two kings of the Twelfth Dynasty, favors a location late in the Eleventh Dynasty, with Mentuhotep iii (Se-ꜥankh-karēꜥ) as the most probable subject.“393 Cooneys Vorgehen zeigt wie der Prämisse kontinuierlich nachvollziehbarer Stilentwicklung folgend im Ausschlussverfahren ein dekontextualisierter Statuenkopf einem König zugeschrieben wird, von dem kein einziges rundplastisches Bild bekannt ist, dessen Zuweisung sicher wäre.394 Aller von Cooney selbst benannten Unsicherheiten zum Trotz, die auch aus Sicht der Stilforschung selbst als immens bezeichnet werden müssten, folgt die Forschung mittlerweile Cooneys Einordnung des Objektes in die Stilentwicklung der
393 394
Cooney, „Egyptian Art in the Collection of Albert Gallatin“, 4. Entgegen der Lehrmeinung wird hier auch die Zuschreibung der Statuen aus Armant an Mentuhotep iii. nicht als sicher betrachtet. Vgl. hierzu oben Exkurs i.
288
teil ii
späten 11. Dynastie.395 Da von den Statuen aus Deir el-Bahri abgesehen keine Rundbilder mit Sicherheit einem bestimmten König der ausgehenden 11. Dynastie zugewiesen werden können, hat sich die Stilforschung wiederholt dieser Zeit angenommen und versucht, hier durch die Bildung stilistischer Reihen Klarheit zu gewinnen. Anhand einer bis heute in der Stilforschung für die Königsskulptur der späten 11. und 12. Dynastie als maßgeblich betrachteten Studie von Cyril Aldred lässt sich zum einen knapp skizzieren, wie eine auf dieser Methode beruhende Reihenbildung aussehen kann, und zum anderen veranschaulichen, wie wenig von den zum Großteil in der Forschungsliteratur tradierten Zuschreibungen tatsächlich gesichert ist. tabelle 3 Ausschnitt der Reihenbildung nach Aldred, „Some Royal Portraits“ Fundorte sind angegeben, soweit bekannt. Durch archäologische Kontexte oder Inschriften datierbare Objekte sind fett gedruckt, die von Aldred nur stilistisch zugeschriebenen Bilder sind mit Asterisk (*) gekennzeichnet. Das Schaubild stellt den Versuch dar, Aldreds Angaben zur zeitlichen Abfolge der Statuen soweit möglich schematisch wiederzugeben. Mentuhotep m. ii. ii.
m. ii. ?
„a Mentuhotep“ m. iii. ?
Deir el-Bahri *Louvre *Bristol *Basel iii 8397 mma 26.3.29 e 10299 h.5038 (Abb. 30) *Edin(Abb. 35.2 burgh und Taf. 5.1) 1965.2 JdE 36195 (Taf. 5.2)
395
Et-Tod *JdE 67345a Armantb *mfa 38.1395 *Luxor j.69 *JdE 67378 *Worcest. 1971.28 (Abb. 28)
Amenemhet i. ?
a. i.
a. i./frühe 12. Dyn.
*mma 66.99.3 Faqus Tyros (Abb. 29) JdE 60520c *mma (Abb. 35.8) 66.99.4 Tanis JdE 37470d (Abb. 35.7)
Die konkrete von Cooney erwogene Zuschreibung an Mentuhotep iii. wird zwar fast immer als unsicher zitiert, die von Cooney identifizierte ‚vermittelnde Position‘ des Kopfes zwischen den Stilen der Regierungszeit Mentuhoteps ii. und der 12. Dynastie sei jedoch über jeden Zweifel erhaben. Vgl. etwa Aldred, der Cooney hinsichtlich der
bilder – stile – kontexte
289
Anmerkungen a Heute wohl im National Museum Alexandria, vgl. auch für Abbildungen Sourouzian, „Features of Early Twelfth Dynasty Royal Sculpture“, 118 sowie Lorand, der das Objekt Amenemhet i. zuschreibt, jedoch auch Mentuhotep iii. für möglich hält und einen Überblick über die zahlreichen stark divergierenden Zuschreibungen gibt, die bislang geäußert wurden (Lorand, Arts et politique sous Sésostris ier, 170– 173 und Tf. 51.b–d sowie ders., „La statuaire royale de Sésostris Ier“, 33 mit fig. 3). b Vgl. zu den Statuen aus Armant oben Exkurs i. c Vgl. die Abbildungen bei Sourouzian, „Features of Early Twelfth Dynasty Royal Sculpture“, 113. Derzeit im Port Said Museum (März 2017). d Vgl. die Abbildungen bei Sourouzian, „Features of Early Twelfth Dynasty Royal Sculpture“, 112.
Spätere Studien zur Skulptur dieser Zeit berufen sich annähernd ausnahmslos auf Aldred.396 Da er seine Zuschreibungen jedoch nur auf Ähnlichkeitsbeobachtungen stützen kann, wundert es nicht, dass sich zu vielen Objekten auch abweichende Zuordnungen in der Literatur finden, die jeweils der Beobachtung anderer Ähnlichkeiten Priorität einräumen und so zu abweichenden Ergebnissen kommen: tabelle 4 Von Aldreds Reihenbildung abweichende Datierungen
*Louvre e 10299
von Delange mit der Vermutung, es könne sich um ein Bild Amenemhets i. handeln, dem frühen Mittleren Reich zugewiesen, von Seipel Mentuhotep iii. zugeschrieben, zuletzt von Sourouzian Sesostris i. zugewiesena
*Bristol h.5038 u. *Edinburgh 1965.2
Müller versteht Aldreds Ausführungen als Zuschreibung der beiden Köpfe an Mentuhotep iii. und scheint sich dem anzuschließenb entgegen ihrer früheren Tendenz, die Köpfe Mentuhotep ii. zuzuschreibenc
396
stilgeschichtlichen Stellung des Kopfes zustimmt, jedoch alternativ die Zuschreibung an Amenemhet i. für möglich hält („Some Portraits“, 34f.). Vgl. hierzu auch Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 57 f. sowie das Folgende. Vgl. Kapitel 2.3.4.2.
290
teil ii
tabelle 4 Von Aldreds Reihenbildung abweichende Datierungen (Forts.)
*Basel BSAe iii 8397 (Abb. 30)
von Müller und in der Folge u.a. von Wildung Mentuhotep iii. zugeschriebend
*JdE 67345
Aldred selbst schrieb das Statuenfragment später Amenemhet i. oder Sesostris i. zue und favorisierte wohl letzteren, ohne diese jedoch selbst zu publizierenf
*mma 66.99.3 (Abb. 29)
von Cooney bereits Mentuhotep iii. zugeschrieben (s.o.), was heute allgemein anerkannt zu sein scheintg
Anmerkungen a Delange, Catalogue des statues égyptiennes du Moyen Empire, 36f.; Seipel, Gott, Mensch, Pharao, 152; Sourouzian, „Features of Early Twelfth Dynasty Royal Sculpture“, 109f. Vgl. außerdem oben Kapitel 2.3.3.4 mit Fn. 374 zur früher gängigen Datierung in die 6. Dynastie. b Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 57. c Müller, „Kopf eines Königs“, 22. d Müller, „Kopf eines Königs“; Wildung, Sesostris und Amenemhet, 194. Eine Zuweisung, der mittlerweile gemeinhin gefolgt wird. Vgl. etwa André Wiese, in: Oppenheim et al. (Hrsg.), Ancient Egypt Transformed, 73. e Aldred, „Statuaire“, 237: „peut être attribuée à Amenemhat ier ou à son fils Sésostris ier“ bzw. die Bildunterschrift: „Amenemhat ier (?)“. f So Biri Fay, in: Russmann, Eternal Egypt, 93, Anm. 6. Sie weist darauf hin, dass Seidels Bestätigung von Aldreds ursprünglicher Zuschreibung wichtige Vergleichsstücke nicht berücksichtigt habe, und daher einer Identifizierung des Statuenfragments als Bild Sesostris’ i. nicht im Wege stehe. Vgl. Seidel, Die königlichen Statuengruppen i, 61–64 und Tf. 21, hier: 64: „In der stilistischen Ausprägung wird die Gruppenplastik Mentuhoteps iii. aus et-Tôd in vollem Umfang ihrer zeitlichen Einordnung gerecht. Einerseits steht sie am Ende der Entwicklung des Rundbildes der 11. Dynastie, andererseits besitzt sie schon alle Anlagen, die für das königliche Rundbild der frühen 12. Dynastie charakteristisch sind.“ Außerdem in jüngerer Zeit Sourouzian, „Features of Early Twelfth Dynasty Royal Sculpture“, 103 mit Anm. 8 (auf S. 110). g Cooney, „Egyptian Art in the Collection of Albert Gallatin“, 4. Vgl. außerdem etwa die Zustimmung durch Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 57f.
Bei den einzigen bildlichen Darstellungen, die sich inschriftlich gesichert Mentuhotep iii. zuweisen lassen, handelt es sich um Reliefs aus verschiedenen Kult-
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291
bauten in Abydos, Elephantine, Armant und Et-Tod.397 Daher greifen alle Versuche, dekontextualisierte rundplastische Bilder Mentuhotep iii. zuzuschreiben, auf materialgruppenübergreifende Stilvergleiche zwischen Statuen und Reliefs zurück. Die Reliefs aus Et-Tod werden seit Aldreds Studie zum stilistischen Abgleich herangezogen, um auf diesem Wege dekontextualisierte Statuenköpfe Mentuhotep iii. zuweisen zu können. Bei Grabungen in Et-Tod kamen neben weiteren Fragmenten etwa 35 größere Architekturteile zutage, die die Errichtung eines Tempelbaus unter Mentuhotep ii. und Mentuhotep iii. bezeugen.398 Um einen Stil der Darstellungen Mentuhoteps iii. ermitteln zu können, müssten zunächst diejenigen Blöcke identifiziert werden, die diesem König tatsächlich zugeschrieben werden können. Da bei weitem nicht alle Blöcke, die Darstellungen zeigen, auch einen Königsnamen aufweisen, wird für die Zuweisung der Blöcke gängigerweise auf die Beobachtung zurückgegriffen, dass fast alle mit dem Namen Mentuhoteps iii. versehenen Blöcke in erhabenem Relief und alle den Namen Mentuhoteps ii. tragenden Blöcke in versenktem Relief ausgeführt sind.399 Angesichts des fragmentarischen Erhaltungszustandes des Kultbaus kann dieses verallgemeinernde Zuweisungskriterium jedoch nicht
397
398 399
(1) Das üblicherweise Mentuhotep iii. zugeschriebene Material aus Abydos ist hier wenig hilfreich. Der Türsturz in Berlin (äm 16716, vgl. Petrie, Abydos ii, Tf. xxv [3]) trägt zwar den Namen Mentuhoteps iii. jedoch keine bildlichen Darstellungen. Die Blöcke in Boston (mfa 03.1968.1+2, vgl. Petrie, Abydos ii, xxiii.2 bzw. http://www.mfa.org/ collections/object/relief-fragment-475207, [Zugriff: 02/2011]) zeigen von zwei Personen nur den Bereich etwa zwischen Brust und Knie und eine ausgehackte Kartusche. Der Block in Brüssel (mrah e.585, vgl. Petrie, Abydos ii, xxiii.3) zeigt eine mumiengestaltige Gottheit und die Reste von Schulter und Krone eines Königs, dessen Kartusche bis auf eine Sonnenscheibe fast vollständig zerstört ist. (2) Ein Block aus Elephantine mit einer bildlichen Königsdarstellung ist inschriftlich Mentuhotep iii. zuweisbar (Mond & Myers, Temples of Armant, Tf. lxxxviii [oben links]). (3) Die Reliefblöcke aus Armant sind publiziert bei Mond & Myers, Temples of Armant, Tf. xciv–xcvii (darunter Brooklyn Museum 37.16e, vgl. hier Abb. 33.1 [S. 367] und Karig & Zauzich (Hrsg.), Ägyptische Kunst aus dem Brooklyn Museum, Kat. 18 [o.S.] sowie Adela Oppenheim, in: Oppenheim et al. (Hrsg.), Ancient Egypt Transformed, 52 f.). Vgl. zu den Statuen aus Armant oben Exkurs i sowie (4) zum Material aus Et-Tod das Folgende. Vgl. die Zusammenstellung und Diskussion des archäologischen Befundes bei Bußmann, Die Provinztempel Ägyptens, i, 64–67. So bereits der Ausgräber Bisson de La Roque, Tôd (1934 à 1936), 62 und 81. Außerdem Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 125; Bußmann, Die Provinztempel Ägyptens, i, 64.
292
teil ii
vollends überzeugen, zumal auch ein Block erhalten ist, der in versenktem Relief den Herrinnennamen Mentuhoteps iii. trägt.400 Zwischen den erhabenen Reliefs auf der einen und den versenkten Reliefs auf der anderen Seite erkennt Freed jedoch sich deutlich voneinander unterscheidende Stile und sieht diese verbreitete Zuweisung daher bestätigt.401 So würden sich die Reliefs Mentuhoteps iii. stilistisch beispielsweise durch die Ausführung komplizierter Details und „a softer, more naturalistic appearance“ auszeichnen.402 Auch wenn alle Reliefs aus Et-Tod – einschließlich der Mentuhoteps ii. – von herausragender Qualität seien, stellt sie dennoch fest: „In almost no respect does Mentuhotep iii’s relief sculpture from Tod resemble that of his predecessor.“403 Dass im Rahmen einer stilistischen Beurteilung der Reliefs jedoch auch andere Ergebnisse möglich sind, zeigt Wildung, der diesbezüglich weder die unterschiedlichen Reliefarten, noch die im versenkten Relief fehlenden detaillierten Binnenzeichnungen einbezieht. Durch seine abweichende Selektion der Kriterien, die u.a. die auch von Freed eingeräumten Ähnlichkeiten betont,404 spricht er ein gängigerweise Mentuhotep ii. zugeschriebenes versenktes Relief (Abb. 34.1 [S. 368]; JdE 66330) Mentuhotep iii. zu und bindet es in seine Beschreibung der Reliefs dieses Herrschers ein.405 An gleicher Stelle spricht er davon, dass die Züge der inschriftlich gesicherten Darstellungen Mentuhoteps iii. „deutlich und unverwechselbar ausgeprägt“ seien. Man kann in diesen abweichenden Stilbetrachtungen ein gutes Beispiel für eine bereits thematisierte Komponente der Stilistik sehen: Jedes Set an innerhalb einer ausgewählten Gruppe von Objekten erkannten Ähnlichkeiten lässt sich als Stil definieren und kann dann je nach Perspektive unterschiedlich benannt und bewertet wer400
401 402 403 404
405
Vgl. zu dem Block in versenktem Relief, der die Ausnahme bildet, Bisson de La Roque, Tôd (1934 à 1936), 99 (fig. 52 = inv. 2179). Bußmann betrachtet den Block als Architrav (Die Provinztempel Ägyptens, i, 64). Auch wenn Di. Arnold einen möglichen Rekonstruktionsversuch vorgeschlagen hat („Bemerkungen zu den frühen Tempeln von El-Tôd“), bleibt die Frage nach der Relation zwischen dem Bau Mentuhoteps ii. und dem Bau bzw. den Umbauten Mentuhoteps iii. zumindest teilweise offen. Vgl. Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 123. Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 132. Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 134. Angedeutet bei Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 125 und 132, die von annähernd dem gleichen „level of sophistication“ und ähnlich ausgewogenen Bildkompositonen spricht. Als den Stil Mentuhoteps ii. fortsetzende Verfeinerung findet sich der Stil Mentuhoteps iii. beschrieben u. a. bei Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 58; Robins, Art of Ancient Egypt2, 96 (ad fig. 98); H. G. Fischer, „Flachbildkunst des Mittleren Reiches“, 300 (ad Kat. 268b). Vgl. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 53–56.
bilder – stile – kontexte
293
den.406 Dies hat im vorgestellten Fall zur Folge, dass Reliefs aus Et-Tod ganz verschieden präsentiert und interpretiert werden. Einmal werden sie als von ähnlicher Qualität, aber im Stil deutlich unterscheidbar charakterisiert und zwei Königen zugeschrieben (der späte Stil des einen Königs steht dem darauf aufbauenden aber vollkommeneren Stil von dessen Nachfolger gegenüber). Im anderen Fall erscheinen sie stilistisch nicht unterscheidbar und einem einzigen König zuweisbar als Zeugnisse des Höhepunktes einer Stilentwicklung.407 Auch wenn unter den zuletzt referierten Positionen Einigkeit darüber zu bestehen scheint, dass es sich bei den Reliefs aus Et-Tod um außergewöhnlich qualitätvolle Arbeiten bzw. gar einen später nie wieder erreichten Höhepunkt handelt, scheint selbst diese Form der Einordnung in Entwicklungslinien nicht objektivierbar zu sein. So versteht der Ausgräber Bisson de La Roque die Reliefs aus Et-Tod als Beispiele für einen „style barbare“, den er als charakteristisch für die 11. Dynastie betrachtet und ‚höherwertigen‘ Bildern der 12. Dynastie kontrastiv gegenüberstellt.408 Auch wenn seiner Meinung nach in den Reliefs Mentuhoteps iii. bereits ein memphitischer Einfluss erkennbar sei, nutzt er die Et-Tod-Reliefs dennoch insgesamt als Negativfolie, von der sich die „élégance memphite“ der Arbeiten der 12. Dynastie abheben würde.409 Bei dem Relief in Kairo (Abb. 34.1 [S. 368]; JdE 66330), das Bisson de La Roque an dieser Stelle als Anschauungsobjekt dient, handelt es sich ausgerechnet um jenes Flachbild, das Wildung von der opinio communis abweichend Mentuhotep iii. zuschreibt (s.o.), dessen „Kunst […] zum Musterbuch für Jahrtausende“ geworden sei, zumal man sagen könne, dass mit ihr „um 2000 v.Chr. die Reliefkunst des Mittleren Reiches bereits ihren absoluten Höhepunkt erreicht“ habe.410 Damit bildet die Beurteilung der Reliefs aus Et-Tod ein anschauliches Beispiel für die oben behandelten Zusammenhänge von Stil und Geschichte. Denn dieser Fall zeigt, dass das jeweils den Ausgangspunkt der Stilbetrachtung bildende Geschichtsverständnis für die Analyse und Interpretation stets prägend und unhintergehbar bleibt: Das Ergebnis der Untersuchung ist in dem
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Als Lokalstil, Zeitstil/Stil eines Königs oder Werkstattstil etc. Dass Wildung keine versenkten Reliefs, die den Namen Mentuhoteps ii. aufweisen, in seine Betrachtung einbezieht, ist zwar beachtenswert, ändert jedoch nichts daran, dass seine Beschreibung der von ihm behandelten Objekte im Rahmen der konventionellen Stilforschung schlüssig und begründbar ist. Bisson de La Roque, Tôd (1934 à 1936), 63 (Kursive i.O.). Bisson de La Roque, Tôd (1934 à 1936), 63. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 53. Vgl. auch Di. Arnold & Do. Arnold, „A New Start from the South“, 41, die mit Verweis u. a. auf ein Relief Mentuhoteps iii. aus Et-Tod von „some of the finest works of sculpture and relief in ancient Egypt“ sprechen.
294
teil ii
Epochenbild angelegt, das der Bearbeiter an die Objekte heranträgt, nicht in den untersuchten Objekten selbst. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind verstärkte Bemühungen zu beobachten, die 11. Dynastie auch in künstlerischer Hinsicht als Vorstufe der 12. Dynastie zu begreifen.411 Vor diesem Hintergrund ist Wildungs Position wissenschaftsgeschichtlich als ein Versuch zu historisieren, einer von ihm erkannten ägyptologischen Vernachlässigung der Bilder der 11. Dynastie dadurch entgegenzuwirken, dass dieser Zeitabschnitt nun als „Startpunkt neuer, folgenreicher Entwicklungen“ betrachtet wird, der als „Höhepunkt“ und „Vorwegnahme“ zugleich beschreibbar sei:412 „Noch bevor mit der 12. Dynastie das Mittlere Reich seinen politischen Höhepunkt erreicht, hat die Kunst der 11. Dynastie mit den Reliefs Mentuhoteps iii. nicht mehr zu überbietende Maßstäbe der Perfektion gesetzt. […] Mit Mentuhotep iii. kommt die Gründerzeit des Mittleren Reiches als eine in sich geschlossene Phase ägyptischer Politik und Kunst zu ihrem Abschluß. In seinem Porträt klingen die kräftigen Strukturen der frühen 11. Dynastie noch an, aber auch die verfeinerte, hochkultivierte Zeit der 12. Dynastie ist darin vorbereitet.“413 Nur weil Wildung aufgrund historischer Vorannahmen davon spricht, dass Mentuhotep ii. und Mentuhotep iii. die Einheit des Landes „aus eigener Energie, auf der Grundlage selbsterworbener und ausgebreiteter Macht“ wiederhergestellt haben und die 11. Dynastie „ein neuer, unabhängiger Weg [ist], Grundgedanken ägyptischer Politik, Kultur und Kunst zu verwirklichen“, der zur Blüte der 12. Dynastie führte, kann er dieselben Reliefs, die Bisson de La Roque als „style barbare“ deklassierte, als künstlerischen Höhepunkt beschreiben.414
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Cooney, „Egyptian Art in the Collection of Albert Gallatin“, 3f. und Aldred, „Some Portraits“. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 56–59. So etwa explizit: „zu wenig Aufmerksamkeit ist bislang dieser Bilderwelt der 11. Dynastie gewidmet worden, als daß die Vorwegnahme all dessen schon erkannt wäre, was erst viel später deutlich ins Licht treten wird.“ (ebenda, 56). Wildung, Sesostris und Amenemhet, 57–59 (die Bildbeischriften zu Abb. 50 und 52). Robins hingegen äußert ihr Bedauern über den politisch motivierten Stilwechsel und liefert damit eine weitere Sicht und zugleich Bewertung dieses Stils, die sich offenbar auf eine Sympathie gegenüber dem früheren der ‚natürlichen Entwicklung‘ folgenden preunification style (vgl. Art of Ancient Egypt2, 89) gründet: „An outstanding feature of the art produced in the post-unification Eleventh Dynasty is the reversion, for ideological
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Allein deshalb lässt sich aus Wildungs Perspektive die Präzision der Reliefs Mentuhoteps iii. politisch verstehen als „künstlerischer Niederschlag eines Regierungsprogramms, das allen Lebensbereichen eine strenge Ordnung auferlegen will und Zufälle ausschaltet.“415 Die Reliefs selbst enthalten jedoch nichts von alledem. Die damit skizzierte Problematik, in einem archäologischen Kontext, innerhalb dessen einzelne Reliefs inschriftlich zuweisbar sind, Stile zweier Könige voneinander abgrenzen und interpretieren zu wollen, sollte damit indirekt bereits veranschaulicht haben, mit Problemen welchen Ausmaßes zu rechnen ist, wenn man nun versucht, durch einen Vergleich mit derartigen Reliefs anepigraphe Statuenköpfe einem König zuzuweisen, von dem bislang keine Statuen sicher identifiziert sind. Schließlich wäre es aus Sicht der Stilforschung zwingend erforderlich, zunächst einen überregionalen (rundbildlichen) Stil Mentuhoteps iii. identifizieren zu können und diesen klar von Rundbildern anderer Könige im Allgemeinen und damit auch von der Zeit Mentuhoteps ii. im Besonderen abgrenzen zu können, wenn man sich daran machen möchte, innerhalb von Tempelanlagen der späten 11. Dynastie gefundene oder gar vollkommen dekontextualisierte Statuenköpfe als Bilder Mentuhoteps iii. identifizieren zu wollen. Da entsprechende Möglichkeiten kaum gegeben sein dürften, erscheinen die referierten Zuschreibungen ebenso wie die Feststellung, Mentuhotep iii. gehöre „zu denjenigen Königen des Mittleren Reiches, denen die moderne Kunstwissenschaft ihr Antlitz wiedergeben konnte“,416 gelinde gesagt als höchst fragwürdig. Vor diesem Hintergrund muss entsprechend auch die Bemerkung, dass von dessen Nachfolger Mentuhotep iv. Nb-tꜣ.wj-Rꜥ „keine Statuen erhalten sind“, haltlos erscheinen. Es ist derzeit schlicht nicht entscheidbar, ob sich Statuen Mentuhoteps iii. oder Mentuhoteps iv. erhalten haben bzw. ob sich unter den von Aldred zur Diskussion gestellten Bilder welche befinden, die im Auftrag eines dieser Könige angefertigt wurden.417
415 416
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reasons, to traditional Memphite models. Although the resulting style was of high quality, one cannot help feel somewhat sad that the striking pre-unification Theban style was so abruptly jettisoned.“ (ebenda, 109). Wildung, Sesostris und Amenemhet, 53. Müller („Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 57) mit Bezug auf die Statuenköpfe in Basel (BSAe iii 8397, Abb. 30), New York (mma 66.99.3, Abb. 29) und Paris (Louvre e 10299). Sicher spielen auch Erwägungen eine Rolle, die dazu tendieren, Statuen nur solchen Königen zuzuschreiben, für die längere Regierungszeiten angesetzt werden und von denen sich größere Denkmäler – seien sie auch nur fragmentarisch – erhalten haben. Angesichts der geringen Zahl von erhaltenen Statuen, die sich Mentuhotep ii. tatsächlich zuweisen
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Bei näherer Betrachtung scheint es nicht selten so zu sein, dass sich gerade diejenigen stilistischen Merkmale, die in mancher Stilbeschreibung als besonders signifikant für einen klar umrissenen und übersichtlichen Zeitraum angesehen werden und so ‚zweifelsfreie‘ Zuschreibungen ermöglichen sollen, als nicht eindeutig herausstellen, wenn man das Spektrum der in die Stilbetrachtung einbezogenen Vergleichsstücke erweitert bzw. diese auf ihre Datierungen überprüft. Es sei noch einmal auf das Spannungsverhältnis aus angeblich eindeutigen Stilmerkmalen und der häufig betonten Ähnlichkeit von Statuen aus der 6. und solchen aus der 11. Dynastie hingewiesen.418 Wildung stellt diesbezüglich für die Skulptur der 11. Dynastie zwar formale Ähnlichkeiten mit dem Alten Reich fest, betont jedoch die stilistischen Neuerungen, die zudem von besonderer Art seien: „Diese Kunst, verfeinert in den Reliefs Mentuhoteps iii. aus Armant und el-Tod, ist zwar in die formalen Regeln des Alten Reiches gegossen und bedient sich der Elemente der traditionellen Ikonographie, geht aber stilistisch ganz eigene Wege. Aufgrund der typisch nubischen Gesichtszüge lassen sich mehrere Königsporträts [Louvre e 10299 und mma 66.99.4] dieser Zeit des frühesten Mittleren Reiches zuordnen.“419 Die Behauptung, die Gesichtszüge deuteten auf eine ethnische Nähe zu Nubien hin, ist von Marcel Marée kritisiert worden, indem er darauf hinwies, dass es sich dabei gerade nicht um „eigene Wege“, sondern um altbekannte Pfade handele: „To my mind, the claim cannot be made more convincingly for Eleventh Dynasty art than for rather similar royal portraiture from the Sixth Dynasty – which exhibited the same low chin, full lips, stubby nose and dilated eyes.“420 Die auch hier in Wildungs Feststellung (die „typisch nubischen Gesichtszüge“) anklingende Prämisse von der historischen Auswertbarkeit von Stil und
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lassen, obwohl er ca. 50 Jahre regierte und sich die große Tempelanlage in Deir el-Bahri verhältnismäßig gut erhalten hat, stellen derartige Überlegungen jedoch weder Plausibilisierungsmöglichkeiten noch belastbare Argumente dar. Vgl. oben Kapitel 2.3.3.4 mit Fn. 374. Wildung, „Afrikanische Wurzeln“, 52 (Kursive K.W.). Marée, „[Rezension zu] Wildung, Ägypten 2000 v.Chr.“, 283.
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Porträt ist von grundsätzlicher Bedeutung für die ägyptologische Praxis im Umgang mit Bildern und wird unten noch einmal ausführlicher aufgegriffen werden.421 Die in der Forschung immer wieder angestellten Versuche, mithilfe der Stilistik Licht ins Dunkel der Königsskulptur der späten 11. Dynastie zu bringen, sind daher insgesamt sehr kritisch zu sehen. Die gängige Praxis, entgegen aller Probleme auch ohne jenseits von Kennerurteilen begründbare Grundlage, Zuweisungen von Bildern ad personam vorzunehmen, steht jedenfalls im Einklang mit in der Ägyptologie vorherrschenden betont narrativen historiographischen Perspektiven, die ereignisgeschichtlich ausgerichtet sind und sich auf Zeitporträts bzw. Herrscherpersönlichkeiten fixieren.422 Vor diesem Hintergrund können Vorhaben, die vorgeben, Königen wieder Gesicht geben zu können, natürlich eine besondere Attraktivität entfalten. Nicht zuletzt deshalb scheinen sie innerhalb des Faches als über methodische Probleme erhaben betrachtet zu werden. Der folgende Abschnitt wird diese Thematik mit Blick auf die in der Ägyptologie häufig anzutreffenden historiographischen Auswertungen von stilistischen Untersuchungen weiterverfolgen, bevor dann anschließend in Kapitel 2.3.5 Ansätze der Porträtforschung im engeren Sinne behandelt werden. 2.3.4.2
Stilgeschichten und Historiographie: Ein Dynastiewechsel im Spiegel der Bilder? Ein aufschlussreiches Beispiel dafür, als wie eng in der ägyptologischen Forschung die Beziehung von Stil und Geschichte vielfach vorausgesetzt wird, stellt die ausführliche Studie Dorothea Arnolds dar, in der sie die archäologische Interpretation verschiedener Fundkomplexe und im Verbund damit auch die politische Geschichte der frühen 12. Dynastie neu aufgerollt hat.423 Ausgehend von Ähnlichkeitsbeobachtungen werden unterschiedlich akzentuierte Methoden der Stilforschung in Anwendung gebracht, um Objekte möglichst genau zeitlich zu verorten und daraus Schlüsse für die Geschichtsschrei-
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Vgl. Kapitel 2.3.5. Relevant in diesem Zusammenhang ist außerdem das folgende Kapitel. Vgl. pars pro toto die Reihe „Les grands pharaons“, in der bislang in monographischer Form historiographische ‚Porträts‘ der Könige Djoser, Sesostris i., Sesostris iii., Ahmose und Thutmosis iii. erschienen sind: Baud, Djéser et la iiie dynastie; Favry, Sésostris Ier et le début de la xiie dynastie; Tallet, Sésostris iii et la fin de la xiie dynastie; Barbotin, Âhmosis et le début de la xviiie dynastie; Maruéjol, Thoutmosis iii et la corégence avec Hatchepsout. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“.
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bung zu ziehen. Diesbezüglich kann Do. Arnolds Untersuchung als Exponent einer auch sonst weit verbreiteten ägyptologischen Praxis beschrieben werden. Eingangs steht in Do. Arnolds Studie die unvollendet und anepigraph gebliebene monumentale Grabanlage (tt 281) im südwestlich von Deir elBahri gelegenen Wadi im Mittelpunkt. Obwohl Robert Mond 1903/1904 deren Grabkammer mit intakter Versiegelung vorfand, wurden darin keinerlei Sarkophagfragmente oder andere Spuren einer Bestattung gefunden.424 Architekturtypologische Ähnlichkeiten der Anlage mit dem Mentuhotep-Tempel von Deir el-Bahri, das unweit liegende Grab des unter Mentuhotep ii. amtierenden Kanzlers Mk.t-Rꜥ (tt 280)425 sowie zwischen dieser und der Tempelanlage von Deir el-Bahri angebrachte Graffiti von Priestern der Kulte für Mentuhotep ii. und Mentuhotep iii. führten Winlock dazu, die Anlage letzterem zuzuschreiben.426 Entsprechend wurde auch das Grab des Mk.t-Rꜥ in diese Zeit, d. h. an das Ende der 11. Dynastie datiert. Do. Arnold hat das ganze Material daraufhin einer ausgiebigen Prüfung unterzogen und kommt zu dem Schluss, dass sich für kein im Schutt der bislang auf Mentuhotep iii. zurückgeführten Anlage gefundenes Objekt, das zur primären Ausstattung der Anlage gehören könnte,427 enge stilistische Para-
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425 426
427
Grabräuber hatten mittels eines Tunnels am Giebel des Grabkammergewölbes einen Durchbruch in die Grabkammer erzielt, vgl. Mond, „Report: Winter of 1903–1904“, 78– 80. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass durch diesen Tunnel ein etwaiger in die Kammer eingebrachter Sarkophag bis auf das letzte Fragment entfernt worden wäre, so dass mit Do. Arnold davon ausgegangen werden kann, dass die Kammer wohl nie für eine Bestattung genutzt wurde („Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 10–12). Winlock, Models of Daily Life, 9–15; ders., Excavations at Deir el Bahri, 17–30. Vgl. Winlock, „The Theban Necropolis in the Middle Kingdom“, 29–36; ders., „Excavations at Thebes [1921–1922]“, 19 f. (Winlock zählt in beiden Publikationen Mentuhotep Sꜥnḫ-kꜣ-Rꜥ als Mentuhotep v.). Es handelt sich um einen Altar und Keramik, die auf der Plattform gefunden wurden, jedoch nach Do. Arnold in qualitativer Hinsicht gerade nicht auf einen Kult für einen König wie Mentuhotep iii. hindeuten würden. Außerdem wurden Fragmente von Holzmodellen und Modellschiffen gefunden, die Do. Arnold aufgrund von deren Proportionen der 12. Dynastie zuweist und in denen sie Teile einer privaten Bestattung vermutet, da keines der Fragmente in der Grabkammer gefunden wurde. Vgl. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 8–10. Warum die Proportionen der Holzfiguren gegen eine Datierung in die späte 11. Dynastie sprechen, wird von Do. Arnold nicht expliziert. Gerade vor dem Hintergrund der heterogenen und ebenfalls qualitativ nur einfach ausgeführten Figuren aus dem Grab Mentuhoteps ii. würde eine
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299
lellen vor der frühen 12. Dynastie finden lassen. Da außerdem die Ähnlichkeiten mit dem Tempel von Deir el-Bahri darauf hindeuteten, dass kein allzu großer zeitlicher Abstand zwischen den beiden Anlagen liegen könne, sieht Do. Arnold in Amenemhet i. den einzigen infrage kommenden Bauherrn.428 Aus ihrer Sicht würde eine solche Zuschreibung zudem angesichts der Pyramide Amenemhets i. in Lischt die Frage beantworten, warum die thebanische Anlage tt 281 nie fertig gestellt bzw. für eine Bestattung genutzt wurde. Da Do. Arnold aufgrund der Ausrichtung des Grabes des Mk.t-Rꜥ auf die unvollendete Grabanlage für beide eine zeitgleiche Entstehung ansetzt, ist sie gezwungen, im Rahmen ihrer These die Datierung auch dieses Grabes in die Zeit Amenemhets i. zu verschieben.429 Daher untersucht sie auch Grab tt 280 mit Blick auf eine mögliche Umdatierung. Der Grabherr wird üblicherweise mit dem gleichnamigen in einem Graffito im Wadi Shatt er-Rigal genannten Vorsteher der sechs Gerichtshöfe ( jmj-rʾ ḥw.t 6 wr.t) identifiziert. Da u. a. die Inschrift einer Statuenbasis aus dem Grab und Relieffragmente aus dem Tempel von Deir el-Bahri Mk.t-Rꜥ als Kanzler bezeichnen, wird angenommen, er habe dieses Amt in den letzten Regierungsjahren Mentuhoteps ii. inne gehabt.430 Es ist folglich unstrittig, dass der Grabinhaber während der späten 11. Dynastie gelebt
428
429
430
solche überwiegend stilistisch begründete Zuschreibung jedoch auch dann eine ausführlichere Begründung erfordern, wenn man sich innerhalb der gängigen Praxis stilistischer Datierungen bewegt. Vgl. zu den Holzfiguren aus dem Grab Mentuhoteps ii. weiter unten. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 14. Diese Zuschreibung hat weitgehende Zustimmung erfahren und wird heute allgemein anerkannt. Vgl. neben den Angaben in Fn. 468 auch Di. Arnold, „Ein zweiter Mentuhotep-Tempel?“ mit einem Überlick und dem ersten Rekonstruktionsversuch zur ursprünglichen Bauplanung. „If the unfinished monument was intended for Amenemhat i rather than Seankhkara, the date of the tomb of Meketra and the finds there must also be advanced to the early years of Amenemhat i.“ (Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 21). Vgl. zur Statuenbasis Winlock, Rise and Fall, 67 sowie zum Graffito ebenda, Tf. 39.d und Petrie, Season in Egypt, 1887, Tf. xv (Graffito № 455). Zusammen mit Graffiti, die andere Beamte der 11. Dynastie nennen, wurde dieses Graffito mit deutlichem Abstand zwischen den oben in Fn. 278 besprochenen Graffiti im Wadi Shatt er-Rigal angebracht. Eine Datierung ist daher nicht möglich (vgl. auch hierzu Fn. 278). Vgl. für einen Beleg von Titel und Namen dieses Kanzlers im Tempel von Deir el-Bahri Naville, The xith Dynasty Temple at Deir el-Bahari ii, Tf. ix.d (zweite Reihe von oben, ganz links); weitere Relieffragmente befinden sich laut Do. Arnold in Publikationsvorbereitung („Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 41, Anm. 8). Vgl. außerdem zu Mk.t-Rꜥ und der Chronologie der hohen Beamten der späten 11. und frühen 12. Dynastie Allen, „Some Theban Officials“.
300
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hat. Eine darüber hinausgehende, genauere Datierung der Anlage und ihrer Ausstattung versucht Do. Arnold durch stilistische Vergleiche zu erzielen. Im Zentrum stehen dabei die im Grab gefundenen Modelle und Holzstatuetten, die sich heute in Kairo und New York befinden.431 (1) Eine stilistische Reihenbildung Was die Modelle angeht, sieht Do. Arnold eine größere Nähe zu Vergleichsstücken aus der späteren 12. Dynastie, die mit Blick auf architektonische Details u.ä. deutlich elaborierter ausgeführt seien, als man es bei früheren Modellen beobachten könne. Auch bezüglich der Proportionen der einzelnen Holzfiguren ähnelten die Figuren aus dem Grab des Mk.t-Rꜥ eher Vergleichsstücken aus der 12. Dynastie als der Mehrheit der Figuren aus dem Grab Mentuhoteps ii. und annähernd allen Beispielen aus der „First Intermediate Period“. Letztere bis in die Zeit Mentuhoteps ii. belegte Gruppe zeichne sich im Gegensatz zu den Beispielen aus dem Grab des Mk.t-Rꜥ durch „slender bodies, small heads, and practically no waists“ aus, außerdem weise sie eine deutlich eingeschränktere Bandbreite an Körperhaltungen und Gesten auf: Beide Arme seien immer in der gleichen Haltung wiedergegeben und würden Beugungen nur am Ellbogen zeigen. Die Beispiele aus dem Grab des Mk.t-Rꜥ zeigten hingegen ebenso wie Figuren aus der 12. Dynastie diesbezüglich zahlreiche Varianten und „natural gestures“.432 Diese Ähnlichkeitsbeobachtungen sucht Do. Arnold dadurch als Fundament einer Umdatierung weiter abzusichern, dass sie die Statuetten zweier Gabenträgerinnen aus dem Grab des Mk.t-Rꜥ in 431
432
Vgl. zu den Modellen Winlock, Models of Daily Life. Außerdem verweist Do. Arnold auf den Detailreichtum der bemalten Reliefs und auf die von den Malern verwendeten Techniken, für die sie als Parallelen Vergleichsarbeiten aus der 12. Dynastie anführt („Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 22f.). Ferner stellt James Allen in einem Appendix zu Do. Arnolds Aufsatz Ergebnisse seiner paläographischen Untersuchung der Sargfragmente des Mk.t-Rꜥ vor, die ihm zufolge eine ursprüngliche Beschriftung und eine sekundäre Bearbeitung zeigen: „Dating criteria are provided by paleography, contents, and epigraphic technique. All these suggest a date late in Dynasty 11 or in the reign of Amenemhat i. […] The final phase of decoration seems to have been carried out under Amenemhat i; the original phase either in the same reign or not much earlier.“ (Allen, in: Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 39 f.). Angesichts dessen erscheint es ein wenig irreführend, wie Do. Arnold auf Allens Ergebnisse verweist: „As pointed out by James Allen, the second inscription included palaeographic elements that strongly point to a date not before the reign of Amenemhat i (see Appendix ii).“ (ebenda, 23). Vgl. zu Do. Arnolds Vergleichsüberlegungen dies., „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 22–27 (Zitate: 26 f.).
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eine stilistische Reihe von Vergleichsstücken einordnet. Dabei sieht sie sich selbst explizit in der Tradition Aldreds stehend433 und zieht so u. a. auch jenen New Yorker Kalksteinkopf (mma 66.99.3, Abb. 29) heran, den sie ebenso wie Cooney Mentuhotep iii. zuschreibt und dessen Datierungsproblematik oben bereits in anderem Zusammenhang thematisiert wurde.434 Nicht nur dieses für ihre stilistische Reihe bemühte Objekt ist jedoch stilunabhängig nicht oder höchstens nur sehr grob datierbar; es kommt hinzu, dass sich die einzelnen Rundbilder in vielfacher Hinsicht voneinander unterscheiden, so dass von einer sich auf z.T. unsicher datierte Vergleichstücke stützenden und stark objektgattungsübergreifenden Stilreihe gesprochen werden muss. In der folgenden Tabelle seien die wesentlichen Angaben einmal zusammengetragen. tabelle 5 Die Reihenbildung nach Arnold, „Amenemhat i …“ Archäologisch oder anderweitig gesicherte Datierungen sind fett gedruckt, rein stilistisch datierte Objekte sind mit Asterisk* markiert, mit geklammertem Asterisk(*) sind Objekte markiert, für die Do. Arnold über die Stilistik eine genauere Datierung erzielen möchte, als es der archäologische Befund hergibt. Vgl. außerdem Abb. 35 (S. 485–488) mit Abbildungen aller Objekte. Dort wird diese stilistische Reihung unter dem Gesichtspunkt des musealen Blicks visualisiert, der weiter unten diskutiert wird (Kapitel 3.1 und 3.2.1). Objekt (Do. Arnold verwendet selbst keine Nummerierung)
Datierung nach Do. Arnolda
Kommentar
Ausgangsobjekte a & b Zwei bemalte hölzerne Statuetten von (*)erste Jahre der Gabenträgerinnen aus dem Grab Regierungszeit des Mk.t-Rꜥ (tt 280), vollständig Amenemhets i. erhaltene Standfiguren, heute in Kairo (JdE 46725, Höhe 123 cm) und New York (mma 20.3.7, Höhe 112 cm)b
433 434
Der Grabinhaber amtierte unter Mentuhotep ii., über den Zeitpunkt seiner Beisetzung gibt es keine eindeutigen stilunabhängigen Hinweise.c
Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 27 und 47, Anm. 149. Vgl. hierzu auch oben ausführlich Kapitel 2.3.4.1. Vgl. Kapitel 2.3.4.1.
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teil ii
tabelle 5 Die Reihenbildung nach Arnold, „Amenemhat i …“ (Forts.) Objekt (Do. Arnold verwendet selbst keine Nummerierung)
Datierung nach Do. Arnolda
Kommentar
Vergleichsstücke 1
Bemalte hölzerne Statuette der Ꜥꜣšy.t aus ihrem Grab in Deir el-Bahri (ohne tt-Nr.), vollständig erhaltene Standfigur (Höhe 40 cm), heute in Kairo (JdE 47310)
ca. Mitte der Datierung archäologisch gesichert Regierungszeit für den zweiten Abschnitt der Mentuhoteps ii. Regierungszeit Mentuhoteps ii. (Horusname Nṯr.j-ḥḏ.t), d.h. vor dem 41. Regierungsjahrd
2
Sandsteinkopf von einer anepigraphen Standstatue Mentuhoteps ii., Fragment (erhalten vom Kinn bis zum unteren Teil der Roten Krone, Höhe 40 cm), heute in New York (mma 26.3.29; vgl. auch Taf. 5.1)
Mentuhotep ii.
Zuschreibung an Mentuhotep ii. durch den Fundkontext im Tempel von Deir el-Bahri sehr wahrscheinlich, kann als gesichert gelten.e
3
Sandsteinkopf einer Sitzstatue des Jnj-jt=f aus dessen Grab im Asasif (tt 386), Fragment (von Kinn bis Perücke vollständig, Höhe 18 cm), mittlerweile zusammengefügt mit dem Oberkörper (JdE 91169, Gesamthöhe der zwei Fragmente 58 cm),f heute in Kairo (Kopf: JdE 89858)
(*)wohl 10–20 Jahre jünger als die Statuette der Ꜥꜣšy.t (1)
Aufgrund von „engen baugeschichtlichen Zusammenhänge[n]“ zwischen tt 386 und dem Aufweg des Mentuhotep-Tempels von Deir el-Bahri sowie der älteren im Grab belegten Schreibung des Thronnamens kann das Grab wohl in den zweiten Abschnitt der Regierungszeit Mentuhoteps ii. datiert werden.g Die relative Datierung zur Statuette der Ꜥꜣšy.t (1) beruht nur auf stilistischen Kriterien.h
4
Kopf einer hölzernen Statuette aus dem Grab des H̱ ty (tt 311), Fragment (von Hals bis zur Perücke erhalten mit Beschädigungen im Gesicht, Höhe 6 cm), heute in New York (mma 26.3.104a)
letzte Dekade der Regierungszeit Mentuhoteps ii.
Die Amtszeit des Kanzlers H̱ ty wird sich bis in die späten Regierungsjahre Mentuhoteps ii. erstreckt haben. Die Datierung des Grabes erscheint daher relativ sicher, lässt sich jedoch darüber hinaus nicht genauer bestimmen.i
303
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Objekt (Do. Arnold verwendet selbst keine Nummerierung)
Datierung nach Do. Arnolda
5
Kalksteinkopf einer Königsstatue, Fragment (vom Hals bis zur Kopfbedeckung erhalten mit Beschädigungen im Gesicht und am Nemes-Kopftuch, Höhe 18 cm), heute in New York (mma 66.99.3, vgl. auch Abb. 29)
*möglicherweise keine stilunabhängigen Hinweise auf Mentuhotep iii. eine Datierung oder Zuschreibungj (die gängige Zuschreibung wird referiert)
6
Kopf einer Königsstatue aus dunkelgrauem Sandstein, Fragment (vom Hals bis zur Kopfbedeckung erhalten mit Beschädigungen im Gesicht und am Nemes-Kopftuch, Höhe 15 cm), heute in Basel (BSAe iii 8397, vgl. auch Abb. 30)
*möglicherweise keine stilunabhängigen Hinweise auf Mentuhotep iii. eine Datierung oder Zuschreibungk (die gängige Zuschreibung wird referiert)
7
Granitsitzstatue Amenemhets i. aus Tanis, aus drei Fragmenten zusammengesetzt, annähernd vollständig erhalten (Beschädigungen an Armen, Bart und Basis, Höhe 268 cm), heute in Kairo (JdE 37470)
Amenemhet i.
Zuschreibung an Amenemhet i. ist inschriftlich gesichert
8
Granitsitzstatue Amenemhets i. aus Amenemhet i. Faqus, annähernd vollständig erhalten (Beschädigungen im Gesicht, Höhe 174 cm), heute in Port Said (JdE 60520)
Zuschreibung an Amenemhet i. ist inschriftlich gesichert
9
Granitsitzstatue des Nḫt aus den Trümmern von Grab 493 in Lischt Nord (Pyramidenbezirk Amenemhets i.),l vollständig erhalten (Höhe 145 cm), heute in Kairo (cg 409, JdE 31880)
Der Statueninhaber trägt den Titel eines jmj-rʾ pr wr und wird mit einem unter Sesostris i. belegten namensgleichen ḫtmtj-bjtj jmjrʾ pr identifiziert, für den Felix Arnold eine Amtszeit ungefähr für die Regierungsjahre 10–20
*wahrscheinlich Amenemhet i.
Kommentar
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tabelle 5 Die Reihenbildung nach Arnold, „Amenemhat i …“ (Forts.) Objekt (Do. Arnold verwendet selbst keine Nummerierung)
Datierung nach Do. Arnolda
Kommentar
Sesostris’ i. rekonstruiert.m Trotz dieser möglichen zeitlichen Eingrenzung des Karrierehöhepunkts des Nḫt vermutet Do. Arnold eine Entstehung der Statue aus stilistischen Gründen in der Regierungszeit Amenemhets i.n 10
Hölzerne Statuette einer Gabenträgerin aus Grabschacht 5 im Tempel von Deir el-Bahri, annähernd vollständig erhalten (mit Beschädigungen im Gesicht, ursprünglich getragenes Objekt fehlt, Höhe 86,3 cm),o heute in Boston (mfa 05.231)
(*)frühe 12. Dynastie
Nach dem archäologischen Befund wurde Grabschacht 5 erst nach Fertigstellung des Tempels von Deir elBahri angelegt, so dass ein terminus post quem vorliegt.p
11
Hölzerne Statuette des Mry-Rꜥ -ḫꜣšt=f aus seinem Grab in Sedment, vollständig erhalten (Höhe 51 cm), heute in London (bm ea 55722)
6. Dynastie
Die Datierung geht auf Petrie und Brunton zurück („middle of the vith dynasty“), die sie mit dem Namen begründen, der mit dem Thronnamen Pepis i. gebildet ist.q
Anmerkungen a Vgl. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 27– 32. b Die Größenangaben bei Do. Arnold („Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 26) scheinen nicht zu stimmen. Die hier angegebenen folgen Saleh & Sourouzian, Hauptwerke im Ägyptischen Museum Kairo, Kat. 74 sowie der Datenbank des Metropolitan Museums (http://www.metmuseum.org/works_of _art/collection_database [Zugriff 02/2011]). c Vgl. oben Fn. 431 sowie zur Person Mk.t-Rꜥ oben S. 299 mit Fn. 430. d Siehe oben Kapitel 2.3.3.1 mit Tabelle 1 (Anm. d) sowie Fn. 278. e Vgl. auch oben Kapitel 2.3.3.4. f Saleh & Sourouzian, Hauptwerke im Ägyptischen Museum Kairo, Kat. 70.
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g Vgl. zur Datierung der Grabanlage Jaroš-Deckert, Das Grab des Jnj-jtj.f, 116–119 sowie zusammenfassend bereits Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep i, 49–51. Vgl. oben Fn. 275 zur Änderung der Schreibung des Thronnamens. h Jaroš-Deckert (Das Grab des Jnj-jtj.f, 118) argumentiert hinsichtlich der Reliefs genauso stilistisch-entwicklungsgeschichtlich. i Vgl. oben mit Fn. 313. j Siehe die Ausführungen in Kapitel 2.3.4.1. k Siehe die Ausführungen in Kapitel 2.3.4.1. l Di. Arnold, Middle Kingdom Tomb Architecture at Lisht, 72–77. m F. Arnold, „The High Stewards of the Early Middle Kingdom“. n F. Arnold macht darauf aufmerksam, dass es wahrscheinlich nicht immer üblich gewesen ist, Gräber hoher Beamter unbedingt neben der Pyramide desjenigen Herrschers anzulegen, unter dem der jeweilige Beamte gedient hat, sondern vielmehr in der Nähe der Pyramide des jeweiligen Vorgängers, die zu dem Zeitpunkt, da ein solcher Beamter sein Grab erhalten sollte, bereits fertig gestellt gewesen ist. Die Lage des Grabes des Nḫt könnte also eher ein Hinweis darauf sein, dass die Identifizierung des Grabinhabers mit jenem Spitzenbeamten der mittleren Regierungszeit Sesostris’ i. tatsächlich richtig ist, und weniger dafür sprechen, dass die Statue in die Zeit Amenemhets i. zu datieren ist („The High Stewards of the Early Middle Kingdom“, 10). Vgl. hierzu auch weiter unten bei Fn. 446. o Vgl. für die Maße die Datenbank des Museums: http://www.mfa.org/collections/ object/statue-of-a-female-offering-bearer-53 (Zugriff 03/2011). p Vgl. Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep i, 19. q Petrie & Brunton, Sedment i, 2. Damit liegt ein terminus post quem vor, der hier als ungefähre Datierungsangabe in die 6. Dynastie oder in die auf sie folgenden Jahre ausreichen mag. Die Möglichkeit einer deutlich späteren Datierung kann (im Falle eines posthum weiterexistierenden Kultes) dabei jedoch nicht ausgeschlossen werden.
Auffallend ist, dass diese Objekte in Bezug auf Größe, Material, den Fundkontext und das Geschlecht der jeweils dargestellten Person in keiner Weise einheitlich sind, was auch aus Sicht der Stilforschung selbst bereits eine problematische Ausgangslage darstellt.435 Von den Statuenköpfen (5) und (6) abgesehen stehen jedoch keine Datierungen grundsätzlich infrage: Archäologisch oder biographiegeschichtlich lassen sich die meisten Objekte436 in einen Zeit435
436
So variieren die Größen der Vergleichsstücke von Miniaturen bis zu überlebensgroßen Monumentalstatuen. Vgl. Hölscher (Klassische Archäologie – Grundwissen, 49–51) mit dem Hinweis auf die Problematik derartiger Vergleiche (hierzu bereits oben Fn. 180). (a), (b), (1)–(4), (7)–(10).
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teil ii
raum von der 11. bis zur frühen 12. Dynastie datieren. In Einzelfällen sind genauere zeitliche Eingrenzungen möglich (so bei [1]) oder können anhand von Kontextualisierungen wenigstens in gewissem Umfang plausibilisiert werden.437 Weniger den konkreten Versuchen Do. Arnolds, genauere Angaben zur Chronologie einzelner Objekte aus dem Stil abzuleiten, soll daher besondere Beachtung geschenkt werden, als vielmehr der ihrer ganzen Studie zugrundegelegten Auffassung zum Verhältnis von Stil und Geschichte sowie den sich daraus ergebenden Konsequenzen. (2)
Zur engen Relationierung von Stil und Geschichte: Feindatierungen und Holzmodelle Im Rahmen von Do. Arnolds Studie werden stilistische Differenzen fast ausschließlich als zeitliche Differenzen der jeweiligen Objekte verstanden, so dass im Rahmen ihres Zugangs Stil und Geschichte bereits grundsätzlich eng miteinander verknüpft sind. Ein bestimmter Stil wird dabei stets als Etappe einer Stilentwicklung und damit als ein entscheidender Datierungsindikator verstanden. Innerhalb der allgemeinen Chronologie spielen Regierungszeiten (von Königen oder Dynastien) eine zentrale Rolle, und auch bei Do. Arnold fungieren sie bezüglich der Stilentwicklung als die maßgeblichen Gliederungsgrößen: Der Stil der 11. Dynastie unterscheide sich erheblich vom Stil der 12. Dynastie, der Stil unter Sesostris i. sei ein anderer als der für die Zeit Amenemhets i. anzusetzende etc. Diese Form der Benennung von Stilen setzt die von Bearbeiterseite postulierte Stilentwicklung in eine unmittelbare Relation zur politischen Ereignisgeschichte: Ein bestimmter Stil wird nicht einem Zeitraum zwischen zwei frei gewählten Zeitpunkten, sondern einem durch die Regierungszeit eines Königs definierten Zeitraum zugewiesen, Stile werden entsprechend an politische Herrschaftsverhältnisse gekoppelt.438 Auf diese Weise wird suggeriert, Stilveränderungen ließen sich durch diese Form der Korrelierung
437 438
Vgl. zu (2) oben Kapitel 2.3.3.4(2). Siehe oben Kapitel 2.3.3.2 mit Fn. 302 zu einem anderen Beispiel für einen Zugang dieser Art. Dort wird eine Stilveränderung auf eine bewusste Entscheidung des Königs zurückgeführt. Dabei ist es keinesfalls naheliegend, die politische Geschichte als epochengliedernde Blaupause auf andere kulturelle Phänomene von Veränderung und Wandel zu übertragen. Alfred Hermann hat schon 1929 bezogen auf die ägyptische Literatur Bedenken gegenüber solchen Perspektiven angemeldet und dabei u.a. gefragt: „Könnten nicht die staatspolitischen und literarischen Perioden sich nicht decken, sondern überschneiden?“ (Hermann, „Zur Frage einer ägyptischen Literaturgeschichte“, 46f., hier: 46 [Zitat]).
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mit der politischen Geschichte so exakt voneinander abgrenzen wie Regierungszeiten einzelner Könige.439 Dies wird besonders deutlich angesichts der Holzmodelle aus dem Grab des Mk.t-Rꜥ, die Do. Arnold mit den im Grab Mentuhoteps ii. gefundenen Figuren vergleicht (vgl. Abb. 31.1–2 und 32.1–2).440 Aus ihrer Perspektive lassen sich die erheblichen zwischen den beiden Objektgruppen feststellbaren Unterschiede in Qualität und Stil nur chronologisch erklären: „[…] compared with the overwhelming number of figures from Deir elBahri, the Meketra models look as if they were made in another age. Is it conceivable that there were only about ten years between the two groups?“441 Die Möglichkeit, dass die beiden Figurengruppen auch ungefähr gleichzeitig entstanden sein könnten, wird von vorneherein nicht in Betracht gezogen.442 Darüber hinaus kann aus Do. Arnolds Sicht die kurze Zeitspanne von etwa zehn Jahren, die zwischen der Bestattung Mentuhoteps ii. und den letzten Regierungsjahren seines Nachfolgers (und damit der lange Zeit gän-
439
Im Normalfall handelt es sich dabei um Zeitabschnitte von einigen Jahren bis hin zu einigen Jahrzehnten, so dass absolut gesehen relativ kurze Zeiträume betrachtet werden, zumal die Regierungszeiten in Einzelfällen durch weitere politische Ereignisse in der jeweiligen Regierungszeit noch einmal untergliedert werden, denen meist auch stilgeschichtliche Relevanz beigemessen wird. Folgt man gängigen Perspektiven, ergibt sich z. B. für den von Do. Arnold besprochenen Zeitraum folgende Unterteilung: Mentuhotep ii.
440 441
442
vor der ‚Reichseinigung‘ ≤ 41 Jahre (vgl. oben Fn. 278), nach der ‚Reichseinigung‘ ≥ 10 Jahre, Mentuhotep iii. Regierungszeit ca. 12 Jahre, Mentuhotep iv. Regierungszeit bis zu 7(?) Jahre, Amenemhet i. in Theben (vor dem Umzug der Residenz nach Jṯ-tꜣ.wj) ca. 5 Jahre, in Jṯ-tꜣ.wj, ca. 25 Jahre (evtl. einschließlich einer nicht gesicherten Koregenz von 10 Jahren mit Sesostris i.), Sesostris i. Alleinherrschaft. Vgl. zu den Figuren und Modellen aus dem Grab Mentuhoteps ii. Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep iii, 11–51 und Taf. 1–75. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 25. Auf diese Unterschiede in Stil und Qualität ist bereits früher hingewiesen worden: Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep iii, 35. Dabei sprechen deutliche stilistische Unterschiede allein noch nicht gegen eine Gleichzeitigkeit. Vgl. oben Kapitel 2.3.2.1.
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teil ii
abb. 31.1–2 Holzfiguren aus dem Grab des Mk.t-Rꜥ (tt 280)
abb. 32.1–2 Holzfiguren aus dem Grab Mentuhoteps ii.
gigen Datierung des Mk.t-Rꜥ-Grabes) angesetzt wird, die qualitative und stilistische Diskrepanz zwischen den Figurengruppen nicht erklären. Sie argumentiert damit, dass die Figuren aus dem Mk.t-Rꜥ-Grab Vergleichsstücken aus der späten 12. Dynastie viel ähnlicher wären.443 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum die von Do. Arnold favorisierte Möglichkeit, den 443
Die Datierung der Vergleichstücke aus dem Grab von Wsr-Mwt und Jnpw-m-ḥꜣ.t sowie dem Grab des Gmnj-m-ḥꜣ.t beruht auf bislang unpublizierten Keramikdatierungen, die Do. Arnold in ihrem Aufsatz ankündigt („Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, Anm. 132 auf S. 46). Diese Datierung der Gräber aus dem Bereich des Friedhofs bei der Teti-Pyramide in Saqqara ist jedoch nicht unumstritten. Vgl. Brovarski, der diese Gräber in die 10. Dynastie datiert und auch angesichts von Do. Arnolds Argumenten daran festhält (Brovarski, „False Doors and History“, dort besonders 407–413).
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Zeitpunkt der Bestattung Mk.t-Rꜥs lediglich um weitere etwa sieben bis zehn Jahre in die ersten Regierungsjahre Amenemhets i. zu schieben, die stilistischen Unterschiede erklären können sollte. Der Grund ist wohl darin zu sehen, dass diese Jahre einen Dynastiewechsel umspannen: Amenemhet i. entstammt einer neuen Herrscherfamilie und unter ihm wird die Residenz(nekropole) verlegt. Diese als Brüche mit der unmittelbaren Vergangenheit interpretierten politischen Veränderungen444 kommen im Rahmen von Do. Arnolds Perspektive auch stilistischen Zäsuren gleich. Daher könnten Objekte aus der 12. Dynastie in Relation zu solchen aus der 11. Dynastie erscheinen, als entstammten sie einer gänzlich neuen Zeit („another age“). Wird ereignisgeschichtlichen Zeitpunkten nun eine derartige stilistische Bedeutung beigemessen, wird es automatisch notwendig, die Präzision der Datierungen zu erhöhen und diese stets auf politische Periodisierungen auszurichten, da dann bereits wenige Jahre von Relevanz sein können.445 So kann es im Rahmen einer solchen Perspektive nicht mehr ausreichen, eine Statue in die bezeugte Lebenszeit des Auftraggebers zu datieren, wenn dieser unter mehreren Königen gedient hat. Dies würde schließlich implizieren, dass der in dieser Statue erkannte Stil unter beiden Königen möglich gewesen ist, was sich jedoch nicht oder nur schwer mit der Annahme in Einklang bringen ließe, Regierungs- und Dynastiewechsel bedeuteten auch den Wechsel zu einem neuen Stil. Daher ist wohl im Rahmen solcher Perspektiven immer wieder die Tendenz zu beobachten, dass Bilder nicht bezogen auf größere Zeiträume, sondern auf kleinere Zeitfenster oder gar Zeitpunkte hin datiert werden. Zwei Beispiele aus Do. Arnolds Studie mögen dies verdeutlichen (vgl. zu den Objekten Tabelle 5 [S. 301–305] und Abb. 35 [S. 485–488]): 444
445
So hält es Do. Arnold etwa für möglich, dass die Änderung des Thronnamens Amenemhets i. zu Wḥm-ms.wt in Verbindung mit der Verlegung der Residenz nach Norden als Entschluss des Königs gedeutet werden kann, im Rahmen einer Renaissance den Staat des Alten Reiches zu erneuern, nachdem sich ein Scheitern der Versuche abgezeichnet habe, in der Tradition der thebanischen Mentuhotep-Könige das Land zu regieren („Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 18–21). Vgl. die ausführliche Aufarbeitung und Diskussion dieser verbreiteten Lehrmeinung, die maßgeblich auf literalen Lesarten der Prophezeiungen des Neferti als historischer Quelle basiert, durch Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“, sowie dies., Prozesse kultureller Sinnstiftung. Vgl. diesbezüglich auch Do. Arnolds Bemerkung: „To move the date of the tomb and funerary equipment of Meketra from the reign of Seankhkara in Dynasty 11 into the beginning of the Twelfth Dynasty does not result in a great change insofar as the number of years is concerned. But the change has considerable consequences for our understanding of the tomb and its objects in an art-historical context.“ („Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 22).
310
teil ii
– Die Statue des Nḫt (9) wird von Do. Arnold der Regierungszeit Amenemhets i. zugewiesen, weil sie dem Stil der Zeit Amenemhets i. eher entspreche, obwohl es Hinweise darauf gibt, dass der Auftraggeber während der Mitte der Regierungszeit Sesostris’ i. in höchsten Ämtern gewesen ist. Die Entstehung der Statue wird folglich mindestens 10 bzw. 20 Jahre vor der Bestattung vermutet.446 – Der Statuettenkopf aus dem Grab des H̱ ty (4) hingegen wird gerade deshalb von Do. Arnold in die letzte Dekade der Regierungszeit Mentuhoteps ii. (und damit nach die ‚Reichseinigung‘) datiert, weil der Zeitpunkt der Bestattung als Entstehungszeitpunkt der zur Grabausstattung gehörenden Statuette angesetzt werden müsse. Beide Entscheidungen, die Datierung zu präzisieren, werden nicht zuletzt getroffen, weil die damit erzielten zeitlichen Verortungen gut in die zugrundegelegte Stilentwicklung passen. Mit diesen Datierungen können die Objekte als Argumente für das Geschichtsbild dienen, von dem ausgehend die Stilbetrachtungen unternommen werden. Hier deutet alles auf eine Zirkularität der Argumentation, denn es gibt nichts Stilexternes, das dagegen sprechen würde, dass die Statue des Nḫt zeitnah zu seiner Bestattung auf dem Höhepunkt seiner Karriere unter Sesostris i. geschaffen wurde, oder dass die Statuette (4) bereits einige Jahre oder gar Jahrzehnte eher entstanden ist, um dann schließlich bei der Bestattung des H̱ ty in dessen Grab deponiert zu werden. Durch die auf historische Stilauswertungen abzielenden genaueren Zuschreibungen schließt das Stilkonzept Do. Arnolds jedoch Inhomogenitäten letztendlich aus und konstruiert so ein Ergebnis, das das Stilkonzept selbst wiederum als zutreffend erscheinen lässt. Stilextern nicht abgesicherte Feindatierungen führen somit dazu, die Möglichkeit eines Nebeneinanders verschiedener Stile weitestgehend auszublenden. Problematische subjektive Bearbeiterurteile sind mitunter auch im Changieren zwischen Zeit- und Lokalstil zu beobachten, wenn stilistische Ähnlichkeiten als Argumente für eine gleiche Herkunft angeführt werden, ohne transparent zu machen, woran zu erkennen sein soll, dass ein Lokal- und kein Zeitstil vorliegt. Auch in Do. Arnolds Untersuchung spielt der Lokalstil an einer zentralen Stelle als Argument eine Rolle, wenn sie die zwischen den Figuren aus dem Mk.t-Rꜥ-Grab und einer Statuette der 6. Dynastie aus Sedment (11) erkannten ‚erstaunlichen Ähnlichkeiten‘ als einen memphitischen Stil identi-
446
Mindestens 10 Jahre, wenn eine Koregenz von Amenemhet i. und Sesostris i. angesetzt wird, andernfalls mindestens 20 Jahre.
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fiziert.447 Die gesicherten Grobdatierungen dieser beiden Stücke (vgl. Tabelle 5) schließen einen Zeitstil zwar tatsächlich aus, die Ähnlichkeiten allein können jedoch die Ansetzung eines Lokalstils noch nicht plausibel machen. So versucht Do. Arnold nicht nur, die erkannte Ähnlichkeit als einen Lokalstil zu beschreiben, sondern einen solchen auch mithilfe stilexterner Überlegungen zu den damaligen Produktionsmöglichkeiten als Erklärungsmöglichkeit stark zu machen.448 Sie nimmt an, Amenemhet i. habe aus den vermeintlichen Fehlern seiner Vorgänger, sich ausschließlich bzw. wesentlich auf Oberägypten zu konzentrieren, gelernt und sich daher verstärkt dem Norden des Landes zugewendet, indem er zunächst Memphis zu seiner Hauptstadt habe machen wollen.449 Diese Verlagerung des Hofes habe einen Zugriff auf memphitische Handwerker ermöglicht, die die Traditionen und Stile des Alten Reiches bewahrt hätten.450 Erst unter Amenemhet i. sei es daher möglich gewesen, Figuren wie die aus dem Mk.t-Rꜥ-Grab in einem Stil und einer Qualität herzustellen, die sich mit dem memphitischen Raum in Verbindung bringen ließen. Insbesondere zum Zeitpunkt der Bestattung Mentuhoteps ii. sei die Produktion derartiger Stücke hingegen ausgeschlossen gewesen, wie die qualitativ minderwertigen und stilistisch dem „First Intermediate Period model genre“451 zuzuweisenden Holzmodelle aus dessen Grab in Deir el-Bahri zeigen würden (Abb. 31.1–2 und 32.1–2): „However, a comparison with the models from the burial of Mentuhotep ii Nebhepetra indicates unequivocally that at the time of his death the royal court at Thebes did not have wood carvers of such ability at its proposal.“452 Aus verschiedenen Gründen vermag eine solche Feststellung jedoch nicht zu überzeugen.453 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Grabausstattung 447 448
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Vgl. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 32. An dieser Stelle beschränkt sich Do. Arnold bezeichnenderweise auf historische Szenarien (vgl. das Folgende) und verzichtet darauf, inschriftliches Material hinzuzuziehen, um mögliche Produktionsbedingungen und deren Kontexte zu konturieren. Vgl. hierzu unten mit weiteren Angaben Fn. 465. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 20f. Vgl. für eine Diskussion dieser problematischen narrativen Interpretationen der späten 11. und frühen 12. Dynastie hier bereits oben Fn. 444. Vgl. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 32. Vgl. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 25. Vgl. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 25. Es sei nur am Rande darauf verwiesen, dass aus stilforscherischer Sicht – wie Do.
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Mentuhoteps ii. nicht erst angefertigt worden sein dürfte, nachdem der König bereits 51 Jahre regiert hatte. Die Festlegung des Entstehungszeitpunktes der Holzmodelle auf den Tod Mentuhoteps ii. ist daher unplausibel und erscheint kaum begründbar, so dass genauere Angaben als eine Datierung in den ungefähren Zeitraum der Regierungszeit ausscheiden. Diese Kritik an Do. Arnolds Argumentation ist von zentralerer Bedeutung, als es zunächst anmuten mag, lässt sie sich doch zum Kern der hier vorliegenden Problematik weiterführen: dem von ihr angesetzten Verhältnis von Stil und Geschichte, das wie bereits erörtert die Tendenz zu möglichst genauen Datierungen mit sich bringt.454 Do. Arnolds Feststellung, der thebanische Hof habe zum Zeitpunkt des Todes Mentuhoteps ii. keine besseren Holzhandwerker zur Verfügung gehabt, impliziert die verbreitete ägyptologischen Annahme, derzufolge die Beisetzung eines Pharaos als ‚staatstragendes‘ Ereignis betrachtet wird, für das stets das dem Königshaus jeweils Bestmögliche aufgewendet worden sei. Dass dies nicht unbedingt immer der Fall gewesen sein muss, zeigen etwa die Totenfiguren aus dem Grab Tutanchamuns, die sich stilistisch und qualitativ z. T. erheblich voneinander unterscheiden und auch diverse Exemplare einfacherer Machart umfassen. Die seit der 18. Dynastie in großen Stückzahlen für königliche Grabausstattungen nachgewiesenen Totenfiguren verdeutlichen, dass insbesondere en gros produzierte Objekte keineswegs immer die höchsten stilistischen und qualitativen Standards erfüllen mussten, selbst wenn sie für ein Königsgrab bestimmt waren.455 Auch wenn diesbezüglich keine detaillier-
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455
Arnold auch einräumt – bereits in der Regierungszeit Mentuhoteps ii. memphitische Einflüsse deutlich nachzuweisen sind; die Frage, warum im Fall des Mk.t-Rꜥ-Grabes mehr als nur „mere influence“ vorliege, bleibt jedoch unbeantwortet („Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 32). Vgl. zu den aus Sicht der Stilforschung unbestrittenen memphitischen Einlüssen auf Bilder der Zeit Mentuhoteps ii. etwa H. G. Fischer, „Flachbildkunst des Mittleren Reiches“, 293f.; Grajetzki, The Middle Kingdom of Ancient Egypt, 21 f.; Allen, „Some Theban Officials“, 22; Jaroš-Deckert, Das Grab des Jnj-jtj.f, 131; Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 175f. sowie nun auch Oppenheim, in: Oppenheim et al. (Hrsg.), Ancient Egypt Transformed, 52f. Zur Ausdehnung des Einflussgebietes Mentuhoteps ii. auf den memphitischen Raum auch unten Fn. 465. Schon die Tatsache, dass hier von einem Zeitpunkt gesprochen wird, ist daher als signifikant für die Perspektive Do. Arnolds zu betrachten. Vgl. die Ausführungen weiter oben in diesem Kapitel. Nicholas Reeves zu den Totenfiguren Tutanchamuns: „Quality ranged from the spectacular to plain run-of-the-mill.“ (The Complete Tutankhamun, 138). Vgl. für die Bandbreite nicht nur von Materialien, sondern auch von Stilen und Qualitäten James, Tutanchamun, 110–127. Auch eine Totenfigur Ramses’ vi. in London (bm ea 13808) dürfte unterstreichen, dass eine solche ägyptologische Erwartungshaltung gegenüber königlichen Grabausstat-
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ten Analogien zu den Holzmodellen Mentuhoteps ii. gezogen werden sollten, bleibt dennoch vor diesem Hintergrund festzuhalten, dass Grabbeigaben, die aus Massenproduktionen zu stammen scheinen, in Königsgräbern durchaus erwartbar sind.456 Neben diesem konkreten Einwand gegen Do. Arnolds Argumentation stellt sich die Frage nach der Genese derartiger stilistischer ‚Standards‘ und Bewertungen und damit auch die nach der Art der Einbindung des Stils in die Argumentation selbst. Stile dienen Do. Arnold, wie bereits gezeigt wurde, nicht als reines Beschreibungsinstrumentarium. Anhand ihrer zitierten Bewertung des Inventars des Mentuhotep-Grabes lässt sich dies nun konkretisieren: Es wird ein normativer Zeitstil angesetzt, und damit werden Stil- und Qualitätsstandards festlegt, an denen Vergleichsstücke gemessen werden.457 Im Rahmen einer solchen Perspektive definiert eine postulierte Stilentwicklung für jedes ihrer Stadien einen Stil, der als der jeweils aktuelle, fortschrittliche und auch beste zu betrachten sei. Daraus folgt, dass unterschiedliche Stile nicht als gleichrangig betrachtet werden können: Entweder sind sie verschiedenen Zeiten oder Entstehungsbedingungen zuzuweisen. Abweichungen gegenüber dem normativen Stil erfordern daher stets eine Umdatierung oder aber eine anderweitige Umbewertung, wenn der Bearbeiter eine Umdatierung ausschließt. Entsprechend ergeben sich im Hinblick auf die Modelle aus den Gräbern Mentuhoteps ii. und Mk.t-Rꜥs je nach Präferenz des Bearbeiters verschiedene Deutungsmöglichkeiten, von denen hier diejenigen Do. Arnolds und Di. Arnolds skizziert werden sollen: – Abweichung von der Norm als Argument für eine Umdatierung458 Ausgangsbasis: Von den Datierungen der Modelle aus Deir el-Bahri und aus dem Mk.t-Rꜥ-Grab in die 11. Dynastie wird erstere als gesichert angenommen, letztere als fragwürdig. Argumentation: Die Modelle aus dem Grab Mentuhoteps ii. definieren als Teil der königlichen Grabausstattung die qualitative und stilistische Norm für den Todeszeitpunkt dieses Pharaos. Da sich die Modelle aus dem Mk.tRꜥ-Grab erheblich davon unterscheiden, werden letztere – als qualitativ
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tungen mit der Materiallage nicht grundsätzlich in Einklang zu bringen ist. Vgl. Taylor, Death and the Afterlife, 126 (= Abb. 89). Von anderen Objekten hat sich (wohl beraubungsbedingt) nur sehr wenig im Grab Mentuhoteps ii. erhalten. Vgl. Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep iii, 11–51. Vgl. zum „normativen Zeitstil“ als „Erklärungsmuster“ in der Klassischen Archäologie Lang, Klassische Archäologie, 206 f. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 21–32.
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hochwertiger und stilistisch fortschrittlicher interpretiert – jünger datiert als die Grabausstattung Mentuhoteps ii. – Abweichung von der Norm als Hinweis auf besondere Verhältnisse459 Ausgangsbasis: Von den Datierungen der Modelle aus Deir el-Bahri und aus dem Mk.t-Rꜥ-Grab in die 11. Dynastie werden beide als gesichert angenommen. Argumentation: Da die Modelle aus dem Grab Mentuhoteps ii. qualitativ und stilistisch nicht an die Modelle aus dem Mk.t-Rꜥ-Grab heranreichen, können sie nicht die Norm für diese Zeit darstellen. Um diesen Umstand erklären zu können, wird angenommen, es sei Mk.t-Rꜥ „wie auch immer“ möglich gewesen, sich bei der Beschaffung der eigenen Grabausstattung gegenüber dem König einen Vorteil zu verschaffen. Diese beiden Interpretationen verdeutlichen exemplarisch, wie wenig durch eine solche Ansetzung eines normativen Zeitstils gewonnen ist, weil letzten Endes allein die Bearbeiterpräferenz festlegt, was als Norm für eine bestimmte Zeit zu betrachten sei. Jene Vorstellungen von aktuellen oder veralteten Stilen und von hochwertigen oder geringzuschätzenden Qualitäten werden folglich nur unter Rückgriff auf ein bestehendes Geschichtsbild auf die ägyptischen Kontexte projiziert, so dass beobachtete Brüche genau dort konstatiert werden, wo sie sich am besten in ‚die Geschichte‘ einfügen.460 (3) Stilistik und Geschichten Die hier bezüglich der Argumentation von Do. Arnold im Detail und im Hinblick auf grundsätzliche methodische Zusammenhänge vorgebrachten Bedenken schließen die Möglichkeit der von ihr vorgeschlagenen Datierung nicht aus. Sie ist als eine neben anderen durchaus denkbar. Problematisch bleibt die enge Bindung von Stil und Geschichte, aufgrund derer ereignisgeschichtliche Zeitpunkte besondere Relevanz erlangen und auf eine stilgeschichtliche Norm abgebildet werden, die wiederum der zugrundegelegten historischen Narration entstammt.461 Diese Zusammenhänge finden sich bei Do. Arnold in ein
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Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep iii, 35 (dort auch das Zitat). Vgl. zur Bedeutung des Wechselverhältnisses von Theoriebildung (bzw. deren Transparenz) und Quellenauslegung aus geschichtswissenschaftlicher Sicht oben Fn. 17. Vgl. zu dem Do. Arnolds Untersuchung zugrunde liegenden historischen Vorverständnis „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 17–21. An dieser Stelle sei auch auf Giewekemeyer verwiesen, die zeigt, wie vorgefasste Geschichtsbilder die Rekonstruktion eines herakleopolitanischen Stils beeinflussen (Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 4.2).
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Szenario kondensiert, das sich ihrer Ansicht nach aus der von ihr vorgenommenen stilistischen Umdatierung des Mk.t-Rꜥ-Grabes ergeben könnte: „The following suggestion may be put forward about Meketra’s role during the early years of Amenemhat i and the circumstances of his burial. Meketra, having been head of the treasury of the king (‚chancellor‘) under Mentuhotep ii Nebhepetra during that great king’s last years, served through the reign of Mentuhotep’s successor Mentuhotep iii Seankhkara in the same capacity. During the seven years following Seankhkara’s reign, Meketra recognized the singular abilities of the man who was to become Amenemhat i and helped to bring him to the throne. When the king planned his funerary monument in the valley behind the Ramesseum, he allotted a primary position on the cliff to the old dignitary who had been at his side for so long. While Amenemhat was beginning to move his center of government to the north, Meketra, now an old man, died. To honor a faithful follower, the king ordered craftsmen from his new court in the Memphite region to prepare the burial equipment for Meketra.“462 Dieses Szenario ist weniger Ergebnis der Stiluntersuchung als eine Facette des Geschichtsverständnisses, das der Stilbetrachtung bereits zugrunde liegt:463 Die angesetzte Nähe von Stilentwicklung und Geschichte geht hier mit der Annahme einher, Geschichte würde sich in Stilen auf eine für uns zumindest teilweise decodierbare Weise niederschlagen. Die Vorstellung, politische Ereignisgeschichte aus dem Stil der Zeit herauslesen zu können, ist jedoch mit Sauerländer als Illusion zu bezeichnen,464 da der Stil allein – unabhängig von einem historischen Vorverständnis – keinerlei Aussagen über die Geschichte zulässt: Hier werden geschichtliche Details aus stilistischen Beobachtungen herausgelesen, die jedoch dem Horizont des Geschichtsbildes entstammen. Die Datierung des Mk.t-Rꜥ-Grabes in die Zeit nach dem Umzug des Hofes nach Jṯ-tꜣ.wj gründet sich auf rein stilistische Beobachtungen (u. a. zu einem memphitischen Lokalstil), die durch Überlegungen zu den Produktionsbedingungen gestützt werden sollen, die wiederum auf der Ansetzung eines normativen Zeitstils basieren. Auf diese Weise wird dem Königshof erst parallel zum 462 463
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Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 32. Mit Geschichtsverständnis ist dabei nicht nur die historiographische Narration selbst gemeint, es schließt auch auf grundsätzlicher Ebene diejenigen Konzepte mit ein, die besagen, eine Narration wie die von Do. Arnold vorgeschlagene könne sich überhaupt stilistisch niederschlagen. Vgl. Sauerländer, „From Stilus to Style“, 254, sowie oben ausführlich Kapitel 2.3.2.1.
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Dynastiewechsel bzw. zur Verlegung der Residenz die Möglichkeit zugesprochen, auf memphitische Handwerker zurückgreifen zu können, dabei geht ein solcher Bruch aus dem an dieser Stelle von Do. Arnold nicht hinzugezogenen inschriftlichen Material keineswegs hervor.465
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Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass sich bereits unter Mentuhotep ii. die thebanische Kontrolle über den memphitischen Raum etabliert hatte, vgl. die im Folgenden aufgelisteten Belege (1) und (2) sowie Grajetzki, The Middle Kingdom of Ancient Egypt, 21 und außerdem Gestermann („Die Datierung der Nomarchen von Hermopolis“, 10) zu inschriftlichen Indizien dafür, dass sich die Ausdehnung des thebanischen Einflussbereiches bzw. die Reichseinigung schon früh in der Regierungszeit Mentuhoteps ii. ereignet habe. Auch das Wissen um Bildhauerfertigkeiten und Bildhauertraditionen als solche wurde in dieser Zeit thematisiert, wie aus der inschriftlich in die Zeit Mentuhoteps ii. zu datierenden Stele des Jr.tj=sn (Louvre c 14) hervorgeht, vgl. (3). Nicht zuletzt ist die thebanische Stele eines Vorstehers der Bildhauer zu nennen, die in die Zeit Mentuhoteps ii. datiert werden kann und deren Inschrift evtl. so zu verstehen ist, dass der Stelenbesitzer von sich sagt, er hätte unter den Herakleopoliten gelebt, vgl. (4). (1)
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Als frühester Beleg für die Ausdehnung der thebanischen Einflusssphäre bzw. Administration auf Unterägypten dient das Graffito des Mrr-Ttj in Aswan mit der Datumsangabe des 41. Regierungsjahres, aus dem hervorgeht, dass dieser Beamte Mentuhoteps ii. Titel führte, die auf Verwaltungstätigkeiten im 13. unterägyptischen Gau verweisen (vgl. Gestermann, Kontinuität und Wandel, 42 mit Anm. 5 sowie mit weiteren Angaben Schenkel, Memphis · Herakleopolis · Theben, 222 und Postel, Protocole des souverains égyptiens, 358). Ferner ist das Grab des H̱ ty zu nennen (Carnarvon/Carter № 65; vgl. Gardiner, „The Tomb of a Much-Travelled Theban Official“ und Soliman, Old and Middle Kingdom Theban Tombs, 130 f.), in dem der Königsname ‚Mentuhotep‘ genannt ist und für das daher eine Datierung in die späte 11. Dynastie vorgeschlagen wurde. Die Inschrift einer dort in situ gefundenen Stele (Kairo JdE 45057, Gardiner, „The Tomb of a Much-Travelled Theban Official“, 35–37 und Tf. ix) nennt Inspektionen und Aktivitäten des Grabherrn auf dem Sinai und in den „Häusern des ‚Nördlichen‘ “ (ebenda, Tf. ix, l. 3: pr.w nw mḥ.tj). Helck vermutet in dem ‚Nördlichen‘ den herakleopolitischen König (Helck, „Zur Reichseinigung der 11. Dynastie“). Außerdem sei H̱ ty gegen „Asiaten in ihren Fremdländern“ vorgegangen (Gardiner, „The Tomb of a Much-Travelled Theban Official“, Tf. ix, l. 7: ꜥꜣm.w ḥr ḫꜣs.wt=sn). Vgl. für eine alternative Interpretation dieser Stelle Quack, Merikare, 104. Vgl. Barta, Das Selbstzeugnis eines altägyptischen Künstlers. Nach Hans-Werner Fischer-Elfert ist der Fundkontext der Stele unbekannt, der Bezug auf Osiris in der Opferformel deute jedoch auf eine abydenische Herkunft hin, die auch meist für diese Stele angegeben wird: Fischer-Elfert, „Das verschwiegene Wissen des Irtisen“, 29 f. Abydos stand wahrscheinlich seit Antef ii. Wꜣḥ-ꜥnḫ unter thebanischer
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Das historische Szenario vermag somit weder Fragen zu beantworten noch als eine tragfähige Grundlage für weitergehende Studien oder Überlegungen zu fungieren, da es sich als eine Möglichkeit neben vielen anderen nicht durch stilexterne Informationen absichern lässt.466 Es ließe sich am ehesten in Anlehnung an Björkman als historical short story beschreiben.467 Seine ‚Überzeu-
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Kontrolle. Vgl. Grajetzki, The Middle Kingdom of Ancient Egypt, 13; Gomaà, Ägypten während der Ersten Zwischenzeit, 149. Nach Freed steht die Stele typologisch memphitischen und herakleopolitanischen Stelen bzw. Scheintüren nahe, vgl. Freed, Development of Middle Kingdom Egyptian Relief, 103 f. und 169 f. Es handelt sich um die thebanische Stele des Jnj-jt=f-nḫt (Kairo tr 3/6/25/1, Clère & Vandier, tppi, 44 [= № 30]), die mit der jüngsten Titulatur Mentuhoteps ii. eingeleitet wird und daher sicher in dessen Regierungszeit datiert werden kann. Der Name des Steleninhabers deutet auf eine thebanische Herkunft (vgl. Quack, Merikare, 104), er trägt u. a. den Titel eines Vorstehers der Bildhauer ( jmj-rʾ qs.tjw) und gibt an: jw jr.n=j ꜥḥꜥ.w(?) ꜥꜣ(?) m pr H̱ ty wn pr nzw ꜥ.t=f nb ẖr s.t ḥr=j ḥr srwḏ pr nzw rḏr=f (l. 3 f.) „Ich habe eine lange Zeit(?) im Haus des H̱ ty verbracht. Das Königshaus mit all seinen Magazinen befand sich unter meiner Aufsicht, wobei ich das ganze Königshaus gedeihen ließ.“ Vgl. zur Lesung und Übersetzung Schenkel, Memphis · Herakleopolis · Theben, 239 mit Anm. b–d. Damit könnte ein Beleg dafür vorliegen, dass ein thebanischer Vorsteher der Bildhauer im ehemals herakleopolitischen Gebiet tätig gewesen ist (so auch die Interpretation von H. G. Fischer, „An Example of Memphite Influence“, 250–252). Allein es bleibt letztlich offen, von welchem H̱ ty hier die Rede ist. Vgl. hierzu Schenkel, Memphis · Herakleopolis · Theben, 239 Anm. c. (Helcks Übersetzung der hier zentralen Stelle [Helck, „Zur Reichseinigung der 11. Dynastie“, 76: „im Haus des H̱ ty […], als es noch das Königshaus war“] würde – wie bereits von Schenkel angemerkt – umfangreichere Emandationen erfordern.)
Darauf, dass man aus Sicht der Stilforschung schon in der Regierungszeit Mentuhoteps ii. memphitische Einflüsse feststellen kann, wurde oben bereits hingewiesen (vgl. Fn. 453). Diese stilforscherische Feststellung lässt zumindest die Aussage zu, dass sich das Auftreten von als memphitisch identifizierten Ähnlichkeitsphänomenen einer chronologischen Fixierung auf Dynastien- oder Regierungswechsel entzieht. Vgl. auch die gegenüber Do. Arnolds Vorschlag kritische Position von Willems, „The First Intermediate Period and the Middle Kingdom“, 89f., sowie die vorsichtige von Soliman, Old and Middle Kingdom Theban Tombs, 77 und 123f. Darauf, dass Brovarski den Datierungen Do. Arnolds in einigen Fällen widerspricht, wurde oben in Fn. 443 bereits hingewiesen. Björkman hatte mit Blick auf die Verwendung literarischer Texte für die ägyptologische Geschichtsschreibung festgestellt: „But to write history on the basis of a literary document of dubious validity is not permissible, if modern methods are applied. This may give pleasure to the constructor of hypotheses, but then he is verging on the writing of historical
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gungskraft‘468 speist es wohl überwiegend aus der Kombination aus der ihm zugrundeliegenden historischen Narration und dem Umfang des Materials, das herangezogen wurde, jene stilistisch abzusichern.469 Demgegenüber erscheint für eine Bearbeitung des Befundes eine deutlich reduzierte Beschreibung viel eher angeraten, die darauf verzichtet, einen nachvollziehbaren Entwicklungsprozess anzusetzen und die einzelnen Beobachtungen entsprechend narrativ miteinander zu verknüpfen. Am Ende des ersten Teils von Do. Arnolds Studie findet sich eine derartige Schilderung, in die stilforscherische Interpretationen erst in dem Moment einfließen, in dem der Versuch unternommen wird, Unklarheiten durch eine eindeutige Zuschreibung aufzulösen. Daher mag diese Passage als anschaulicher Kontrast zu dem oben bereits zitierten Szenario dienen, mit dem Do. Arnold ihre Überlegungen zum Mk.t-Rꜥ-Grab abschließt,470 da sie den Übergang von einer reduzierten Beschreibung von Beobachtungen zu deren Einbettung in die narrative Wiedergabe der angesetzten Stilentwicklung exakt markiert: „The following history of the valley behind the Ramesseum thus emerges. An unknown king planned to have his funerary monument erected in the valley, and building activities were begun on both the monument itself and tombs for the officials of his court. During the building period a number of ladies of court rank died and were buried on the platform. The chancellor Meketra was the only official to have his tomb finished, and when he – and some of his dependents and family – died, they were buried in the tomb. But the main tomb of the king and the rest of the tombs of officials were never finished or used. The only ritual activities that have left traces on the platform were ephemeral rites performed not at the end of Dynasty 11 but at the beginning of Dynasty 12.“471
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short stories rather than doing historical research and should take care to point that out to the student […]“ (Björkman, „Egyptology and Historical Method“, 33). Vgl. hierzu auch bereits oben Kapitel 2.2.2. Do. Arnolds Umdatierung des Mk.t-Rꜥ-Grabes sowie die Zuschreibung von tt 281 an Amenemhet i. wurde vielfach akzeptiert. Vgl. beispielsweise Strudwick & Strudwick, Thebes in Egypt, 77 und 140; Franke, „Amenemhet i.“; Callender, „The Middle Kingdom Renaissance“, 159; Tooley, „Models“, 426; Oppenheim, „What Was the Middle Kingdom?“, 3. Siehe auch oben Fn. 428. Vgl. Nigel und Helen Strudwick, die angeben, Do. Arnold habe „a wide-ranging mixture of epigraphic and archaeological source material“ verwendet (Strudwick & Strudwick, Thebes in Egypt, 77). Vgl. oben mit Fn. 462. Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 14.
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Auch wenn die Zusammenhänge zwischen der monumentalen Grabanlage und den benachbarten Privatgräbern (Gleichzeitigkeit etc.) nicht mit Gewissheit zu formulieren sind, so lassen sie sich doch plausibilisieren. Die Datierungen der Ritualobjekte beruhen zwar auf stilistischen Einordnungen, beziehen diese jedoch noch nicht auf geschichtliche Zusammenhänge. Erst die sich anschließenden Ausführungen ziehen weitreichende Schlüsse aus der Feststellung, verschiedene Objekte wiesen Ähnlichkeiten zu Vergleichstücken aus der 12. Dynastie auf und seien daher auch in die 12. Dynastie zu datieren, und verengen so die Perspektive auf die komplexe Materiallage und die Interpretation auf eine Möglichkeit: „It is evident that Winlock’s identification of the owner of the unfinished funerary monument as Mentuhotep iii Seankhkara does not fit the facts. But who was the owner of the unfinished monument? There can be no question about the royal status of the person; the similarity of the plan to that of the Nebhepetra precinct at Deir el-Bahri is evidence enough […]. The same similarity leads to the assumption that the date of the unfinished monument cannot be far removed from the reign of Nebhepetra, but all objects found seem to point to a date in the early Twelfth Dynasty. The search must, therefore, focus on a king of the early Twelfth Dynasty who had connections with Thebes but was ultimately not buried there. The only king to fit this description is Amenemhat i.“472 So wie sich die Möglichkeit einer Zuweisung von Grab tt 281 an Mentuhotep iii. oder Mentuhotep iv. keineswegs über Ähnlichkeitsbeobachtungen ausschließen lässt, geht es ebenfalls zu weit, nur Amenemhet i. als möglichen Bauherrn zu berücksichtigen.473 Nur durch den weitestgehenden Verzicht auf Formen narrativer Sinnerzeugung lassen sich in diesem Fall im Ergebnis derartige Zwangsläufigkeitskonstrukte vermeiden, die allein der eigenen Erzählperspektive geschuldet sind. Entsprechend ließe sich sich bezüglich der oben anhand der Holzmodelle Mk.tRꜥs und Mentuhoteps ii. diskutierten Beobachtungen alternativ etwa formulieren: 472 473
Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 14. Man beachte den stark auf Emplotment-Verfahren beruhenden Versuch von Andreas J. G. Frank, eine alternative Narration aus dem Material abzuleiten („Mentuhotep iv Neb-tawi-Re und der Beginn der 12ten Dynastie“). Dieser Vorschlag erscheint aus methodischer Sicht sehr fragwürdig und führt doch vor Augen, inwiefern die Zugrundelegung alternativer historischer Annahmen entsprechend andere Ergebnisse produzieren kann.
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Vergleicht man das Grabinventar Mentuhoteps ii. mit dem des Mk.t-Rꜥ, lassen sich deutliche stilistische Unterschiede beobachten. Aus Inschriften lässt sich ableiten, dass Mk.t-Rꜥ Zeitgenosse Mentuhoteps ii. war und ihm als Kanzler diente. Schon ein die Sätze verbindendes ‚obwohl‘ wäre zuviel, würde es doch der Erwartung Ausdruck verleihen, ungefähr zeitgleiche Objekte müssten sich stilistisch ähneln bzw. man habe es mit einem normativen Zeitstil und einem entsprechenden Entwicklungsprozess zu tun. Es ist schließlich keineswegs sicher, dass eine solche Entwicklung außerhalb einer modernen Betrachterperspektive existiert hat. Nicht nur die ‚Entwicklung‘ selbst ist als fragwürdig anzusehen, auch die implizit oder explizit in normativen Zeitstilen erkannten Bedeutungsgehalte könnten lediglich moderne Konstrukte sein. Bei dem Umstand, dass die Figuren aus dem Mk.t-Rꜥ-Grab als fortschrittlicher, weniger archaisch und dafür naturalistischer betrachtet werden, handelt es sich schließlich nicht um eine objektimmanente Tatsache, sondern um eine semiotische Deutung, die erst in der heutigen Zeit an die Figuren herangetragen wird. Es ist möglich, dass die ägyptische Rezeption zur Zeit Mentuhoteps ii. und seiner Nachfolger eine ähnliche gewesen ist, dies sollte jedoch keinesfalls als selbstevident verstanden und auf diese Weise als Deutung monopolisiert werden. Die Statuen aus dem Tempel Mentuhoteps ii. haben schließlich gezeigt, dass durchaus damit gerechnet werden muss, dass die primäre Bedeutung von Bildern in dieser Zeit stilunabhängig vermittelt wurde und dass dem Stil gerade keine ideologische oder inhaltliche Bedeutung beigemessen wurde, wie sie in ihm heute meist erkannt wird.474 Eine solche Feststellung, die für unser Verständnis ägyptischer Bilder von großer Bedeutung sein dürfte, ist jedoch nur dann möglich, wenn nicht implizit oder vorschnell unterstellt wird, im Material sei eine nachvollziehbare Entwicklung überliefert. Do. Arnolds Studie muss als in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich und bedeutend für die ägyptologische Forschung betrachtet werden. Einerseits hat sie die seit Winlock fest etablierte Datierung und Interpretation der Gräber tt 280 und tt 281 überzeugend infrage gestellt und so der Forschung den Weg gewiesen, sicher geglaubte Wegmarken der als solche betriebenen (Kunst)Geschichte der späten 11. und frühen 12. Dynastie grundsätzlich neu zu diskutieren. Andererseits hat Do. Arnold dabei die Möglichkeiten der Stilforschung voll ausgeschöpft und deren Methoden mit großem Aufwand konsequent in Anwendung gebracht, um einen Abschnitt der ägyptischen Ge-
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Vgl. oben Kapitel 2.3.3.4(2).
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schichte zu beleuchten. Anhand dessen ließen sich die diskutierten Zusammenhänge transparent machen, die hier wie andernorts einen großen Einfluss auf ägyptologische Untersuchungen haben. Als Ergebnis der Auseinandersetzung mit Do. Arnolds Studie ist festzuhalten, dass für den behandelten Zeitraum ein diachroner und synchroner Stilpluralismus festgestellt werden kann, der sich als komplexer Befund nicht in Entwicklungsmodelle pressen oder durch Zeit- und Lokalstile adäquat beschreiben und interpretieren lässt. In diesem Sinne erweisen sich das Material und die von Do. Arnold angewendeten Methoden im Hinblick auf ihre historiographisch ausgerichteten Fragestellungen schlicht als nicht aussagekräftig. So werden wir uns vom Stil bzw. von der Stil- oder Kunstgeschichte keine neuen Erkenntnisse darüber erwarten dürfen, wer tt 281 anlegen ließ und wann Mk.t-Rꜥ unter welchen Umständen beigesetzt wurde. Dieses Ergebnis hat auch jenseits einzelner derartiger Fragestellungen weitreichende Konsequenzen, sobald man bereit ist, zukünftige Untersuchungen einer geschichts- und bildwissenschaftlichen Methodenkritk zu unterziehen. Die Konsequenz aus der in diesem Kapitel am Beispiel von Do. Arnolds Studie vorgenommenen Kritik an der ägyptologischen Praxis, die sich mit Davis als „reading from style to history“ beschreiben lässt, legt die Notwendigkeit nahe, künftig vom Stil als Instrument der Geschichtsschreibung Abstand zu nehmen. Es stehen zu wenige stilexterne Informationen zur Verfügung, die sich mit den stilistischen Beobachtungen korrelieren ließen.475 So verlockend es aus Sicht ägyptologischer Geschichten vom Übergang von der 11. zur 12. Dynastie auch sein mag, parallel zu diesem Regierungswechsel stilistische Brüche anzusetzen, um die in der Tat innerhalb weniger Jahrzehnte feststellbaren frappierenden Stilunterschiede erklären zu können, so wenig lässt sich diese These erhärten. Der sich aus einem solchen Verzicht ergebende Zugang und dessen Betrachtungsmöglichkeiten mögen das Material zunächst sehr nüchtern und zurückhaltend präsentieren, so erzeugte Bilder von einer Zeit und ihren Bildern mögen unscharf wirken, doch sind sie es auf den zweiten Blick keineswegs, denn auf diese Weise werden grundsätzliche Phänomene wie der hier herausgestellte Stilpluralismus und die Frage nach Bedeutungsgehalten einzelner
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Diese Einzelfallbeobachtung lässt sich zwar wohl kaum generalisieren, es sind jedoch Zweifel angebracht, dass sich andere Materialkomplexe in dieser Hinsicht erheblich vom vorliegenden Fall unterscheiden. Es wäre für andere Kontexte jedenfalls erst einmal das Gegenteil nachzuweisen. Vgl. auch die grundsätzlicheren Betrachtungen in Kapitel 2.3.2.1 sowie unten Kapitel 2.4.
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Stile überhaupt erst adressierbar.476 Die Frage nach der Semiotik von Stilen ist besonders anhand der königlichen Skulptur der 12. Dynastie auch in jüngerer Zeit wieder verstärkt behandelt worden, so dass es sich anbietet, an diesem Beispiel nun die Porträtforschung aus der Perspektive des bisher Erarbeiteten auf ihre Möglichkeiten zu überprüfen. 2.3.5
Materialbeobachtungen (v): „Wenn Statuen reden“477 – Königsskulpturen der 12. Dynastie als Porträts? Im vorangegangenen Kapitel wurden anhand von Do. Arnolds Studie zur frühen 12. Dynastie exemplarisch Auswirkungen untersucht, die sich ergeben, wenn unter Zugrundelegung eines normativen Zeitstils stilistische Feindatierungen für die Geschichtsschreibung genutzt werden. Andere verbreitete Perspektiven der Stilforschung sind weniger in erster Linie chronologisch motiviert, vielmehr betrachten sie den etwa in Bildern eines Königs erkannten Stil als eine für die Interpretation dieser Bilder zentrale semantische Komponente, die für die Historiographie nutzbar gemacht werden könne. Der Porträtstil – die Formgebung insbesondere der Physiognomie und Mimik der Gesichtszüge von als Porträts angesprochenen personalen Bildern478 – wird dabei als decodierbare Botschaft der Bilder an ihre Rezipienten aufgefasst.479 Eine solche Bedeutung des Stils auszuwerten, steht im Mittelpunkt dieser im Folgenden zu diskutierenden Ansätze, die sich treffend als ägyptologische Porträtforschung beschreiben lassen: Zum einen verstehen sie sich selbst dezidiert als eine solche. Zum anderen haben sie durch Methodentransfers aus der Kunstgeschichte
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Ein solcher wie hier skizzierter nüchterner Zugang kann die vorschnelle Angleichung des Materials an unsere Erwartungshaltungen verhindern helfen. Vgl. Kapitel 2.4 sowie insbesondere Kapitel 3.2.5. So der Teil eines Aufsatztitels von Müller („Die Königsplastik des Mittleren Reiches und ihre Schöpfer. Reden über Statuen – Wenn Statuen reden“). Die miteinander vergleichbaren physiognomischen und mimischen Eigenschaften der Gesichtszüge einzelner Statuen werden hier über den verwendeten Stilbegriff deskriptiv angesprochen (vgl. Kapitel 2.3.2.1). Vgl. hierzu auch Jaeggi, der darauf hingewiesen hat, dass „es aufgrund der vielseitigen Funktions- und Bedeutungsmöglichkeiten einzelner visueller Elemente oft schwer[fällt], zwischen Stil und Ikonographie zu unterscheiden“ (Die griechischen Porträts, 64) und Ralf von den Hoff, der vom Stil als dem „Wie der Darstellung der ikonographischen Motive“ spricht („Naturalismus und Klassizismus“, 77). Vgl. oben zur Problematik semantischer Stildeutungen am Beispiel der Statue Mentuhoteps ii. aus dem Bab el-Hosan (Kapitel 2.3.3.4[2]) oder des angesetzten Wechsels von preunification style zu (post-)unification style (Kapitel 2.3.3.2). Vgl. Kapitel 3.2.3 zur Frage der Dekodierbarkeit bei Anwendung einer semiotischen Hermeneutik.
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und der Klassischen Archäologie Problemlagen der dortigen Porträtforschung in die Ägyptologie übertragen, ohne dass dieser Umstand als solcher bislang eine angemessene Beachtung gefunden hätte.480 2.3.5.1
Zu Porträtkonzepten in der Klassischen Archäologie und in der Ägyptologie Die bereits seit langem in der Klassischen Archäologie geführte Diskussion um das meist als Opposition verstandene Begriffspaar von Porträt und Idealbildnis beherrscht auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit ägyptischen Statuen.481 Während man gemeinhin in der Mehrzahl der ägyptischen Statuen Idealbildnisse sieht, könne man etwa angesichts der Königsstatuen der 12. Dynastie bzw. besonders derjenigen Sesostris’ iii. und Amenemhets iii. von realistischen Bildern und damit von tatsächlichen Porträts sprechen. Das Konzept einer solchen Begriffsopposition zwischen ideal(isierend)er und realistischer Darstellungsform, zwischen überpersönlichem Idealbildnis und individuellem Porträt hat seinen Platz in den Altertumswissenschaften bereits seit Johann Joachim Winckelmann.482 Und es findet sich auch im 20. Jahrhundert in einflussreichen Porträtdefinitionen Klassischer Archäologen wie-
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Vgl. zur ägyptologischen Porträtforschung (als Auswahl mit Schwerpunkt auf der 12. Dynastie, chronologisch geordnet): Vandersleyen, „Objectivité des portraits égyptiens“; Spanel, Through Ancient Eyes, 1–37 (Spanels Einleitung seines Ausstellungskatalogs bildet immer noch den umfassendsten und nützlichsten Überblick zum Thema); Assmann, „Ikonologie der Identität“ = Assmann, Stein und Zeit, 138–168; Tefnin, „Les yeux et les oreilles du Roi“; F. Polz, „Die Bildnisse Sesostris’ iii. und Amenemhets iii.“; Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“; Laboury, „Portrait versus Ideal Image“; Luiselli, „Inszenierung von Individualität“; Do. Arnold, „Pharaoh“, 70–72. So etwa festgestellt von Laboury, „Portrait versus Ideal Image“, 1. Vgl. jedoch auch Werner Kaiser, der darauf hinweist, dass „die Bezeichnungen Porträtstatue oder Porträtkopf in der ägyptischen Kunstgeschichte z. T. allzu großzügig verwendet werden. Viele der so bezeichneten Bildnisse unterscheiden sich von der zeitlos-idealisierten Darstellungsweise ägyptischer Kunst nur durch die betonte Angabe von Altersmerkmalen, die jedoch, sobald man das Werk im Kontext seiner Zeit sieht, vorzugsweise genereller Art sind.“ („Zur Datierung realistischer Rundbildnisse ptolemäisch-römischer Zeit“, 237 Anm. 1). Jaeggi beschreibt die Opposition der beiden Begriffe als Ergebnis einer Rückprojektion moderner Erwartungshaltungen (vgl. Die griechischen Porträts, 46). Winckelmann, Geschichte der Kunst des Alterthums, 253 (der 2. Auflage von 1776 entnommen). Schon bei Winckelmann gilt „die Gestalt der ägyptischen Figuren, in welchen weder Muskeln noch Nerven und Adern angedeutet sind,“ als „idealisch“ (ebenda). Vgl. außerdem Jaeggi, Die griechischen Porträts, 46 f.
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der, die betonen, ein Porträt müsse sich auf einen konkreten Menschen beziehen, dessen Äußeres müsse unverwechselbar wiedergegeben sein und auch das innere Wesen der Person müsse oder könne im Porträt in Erscheinung treten.483 Die Frage selbst, ob für bildliche Darstellungen konkreter Personen Porträtähnlichkeit notwendig ist – d.h. eine möglichst weitreichende Ähnlichkeit zwischen der Physis des Dargestellten und der Darstellung – ist freilich älter als die Wissenschaften, die sich heute mit ihr befassen, und ist keineswegs immer mit einem Votum für die Unerlässlichkeit der Porträtähnlichkeit beantwortet worden. Da bislang keine grundsätzliche Einigkeit über den Porträtbegriff erzielt wurde,484 finden sich jedoch auch andere Porträtdefinitionen, die deutlich weiter gefasst sind und auf das Charakteristikum der Ähnlichkeit verzichten. So heißt es etwa in der oft rezipierten Begriffsbestimmung Ernst Buschors: „Mit dem Wort ‚Bildnis‘ (‚Porträt‘) bezeichnen wir Darstellungen bestimmter Personen, die ein Erdenleben geführt haben, Darstellungen, die bestrebt sind, ihrem Gegenstand eine gewisse Dauer zu verleihen. Das Bildnis scheint sich damit deutlich vom unbenannten menschlichen ‚Allgemeinbild‘ abzuheben.“485 Entsprechend bezeichnet Buschor in seinen Ausführungen zu Ägypten Stierund Löwendarstellungen früher Schminktafeln als „die ersten benennbaren
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Vgl. etwa die dreiteilige Definition Bernhard Schweitzers, derzufolge ein Bild mindestens zwei von drei Bedingungen erfüllen muss, um als Porträt gelten zu können: „(1) In ihm muss eine bestimmte Person gemeint sein; Person ist ein lebender oder gelebt habender Mensch in seiner menschlichen Begrenztheit und Besonderheit. – (2) Die Person muss unverwechselbar dargestellt sein, d. h. ihr Äusseres muss mit den formalen Mitteln der Kunst so erfasst sein, dass es nur auf diese eine Person und auf keine andere bezogen werden kann. – (3) Wir verlangen, dass ihre Personalität, d.h. auch ihr inneres individuelles Wesen, in ihrem Äußeren sichtbar gemacht werde. Je nach dem Umfang, in welchem die Personalität mit der geschichtlichen Epoche verknüpft und der Künstler imstande ist, diese Verknüpfung darzustellen, wird das Porträt auch überpersönliche Gehalte zum Ausdruck bringen.“ (Schweitzer, „Griechische Porträtkunst“, 8). Definitionen wie diese haben das ägyptologische Porträtverständnis geprägt. Explizit aufgegriffen wurde Schweitzers Definition etwa von Bernhard von Bothmer (Egyptian Sculpture of the Late Period, 117 f.). Dennoch kann mit Schweitzer („Griechische Porträtkunst“, 7) festgestellt werden, dass sich Konventionen herausgebildet haben, die einer Begriffsanwendung verbindliche Grenzen setzten. Vgl. hierzu unten Kapitel 2.3.5.2. Buschor, Das Porträt, 7.
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Porträts“, da es sich bei ihnen um Königsbilder handele.486 Jüngste Positionen stehen ganz in dieser Tradition, indem sie unter dem Dach des Porträtbegriffs alle Bilder zusammenfassen, die sich auf eine konkrete Person beziehen, und so das durch individuelle Züge gekennzeichnete Bild lediglich zu einer Subgattung des Porträts erklären.487 Dabei könne jedoch auch bei „individuellen Darstellungsweisen nicht in allen Fällen von vorneherein ‚Bildnisähnlichkeit‘, d. h. ein Bezug zum wirklichen individuellen Aussehen der betreffenden Person vorausgesetzt werden.“488 Ferner ist nach Hölschers Einschätzung überhaupt nur schwer bestimmbar, „wo individuelle Form vorliegt und wo nicht. Hier ergibt sich ein weites Feld für wissenschaftliche Urteile und Kontroversen, für die noch kein präzises methodisches Instrumentatrium zur Verfügung steht, vielleicht auch kaum entwickelt werden kann.“489 Nicht zuletzt, da es sich hierbei um ein von der Forschung immer wieder thematisiertes Problem handelt, lassen sich anhand der Frage nach der Identifizierbarkeit individueller Züge und nach deren Interpretierbarkeit als Anzeichen für Porträtähnlichkeit die verschiedenen Porträtbegriffe in zwei Gruppen einteilen. So hat Jaeggi in der Diskussion innerhalb der Klassischen Archäologie zwei Positionen identifiziert:490 (1) „Die bisher mehrheitlich vertretene Meinung versteht ein griechisches Porträt als ein Zusammenspiel von realistischen Zügen, die dem wirklichen Äusseren des Dargestellten entsprechen, und abstrakten Inhalten wie sozialer Stellung, ‚Beruf‘ und Charaktereigenschaften. Der Bezug zwischen Individuum und Bild basiert demnach einerseits auf dem Äusseren des Dargestellten, andererseits auf Vorstellungsbildern.“
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Buschor, Das Porträt, 55 f. So Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 235 (Kursive i.O.): „1. Darstellungen eines bestimmten Menschen; 2. Darstellungen eines bestimmten Menschen mit individuellen Zügen, durch die er sich von Darstellungen anderer Menschen erkennbar unterscheidet.“ und auch Neudecker, „Porträt“, 189f. Vgl. hierzu auch Jaeggis Anmerkungen (Die griechischen Porträts, 34 f.). Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 236. Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen, 236. Jaeggi, Die griechischen Porträts, 35 f.
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(2) „Das ikonographische Modell definiert Porträts als Aussage in Hinblick auf eine Öffentlichkeit (Smith, von den Hoff, Zanker), nicht auf eine Gottheit. Die Verbindung von Individuum und Bild führt nicht in einen optischen Wiedererkennungseffekt der biologischen Person in einer Darstellung, sondern basiert auf der intendierten Aussage und auf der Inschrift, die die Identität des Dargestellten festlegt. Demnach wären ikonographische, physiognomische und mimische Merkmale einer solchen Statue gleichsam als Aussage lesund deutbar.“ Beide Positionen lassen sich grosso modo als Beschreibungen auch auf die gängigen ägyptologischen Perspektiven übertragen. So wurde angesichts der realistisch anmutenden, da von einer detaillierten und elaborierten Wiedergabe physiognomischer und mimischer Details zeugenden, Königsstatuen der 12. Dynastie immer wieder auf einen Porträtbegriff zurückgegriffen, der Porträtähnlichkeit und Individualität für diese Statuen postuliert und im Wesentlichen der Position (1) bei Jaeggi entspricht (‚Individualporträt‘).491 Es wurde angenommen, die Individualität der jeweils dargestellten Person oder gar deren Charakterzüge seien für den Betrachter erkennbar.492 Wildung spricht etwa davon, Statuenköpfe vermittelten die „Mentalität“493 der Porträtierten oder das „Wesen einzelner Herrscherpersönlichkeiten“.494 Diese in der Ägyptologie verbreitete Deutung der Königsskulpturen der 12. Dynastie als individuelle Porträts ist jüngst von Maria Michela Luiselli detaillierter betrachtet und zugunsten von an die Theaterwissenschaften angelehnten Interpretationsansätzen abgelehnt worden:495
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Vergleichbares lässt sich anhand von Diskussionen um Skulpturen der 4. Dynastie, die sogenannten Ersatzköpfe, beobachten. Vgl. hierzu Junge, „Hem-iunu, Anch-ha-ef und die sog. ‚Ersatzköpfe‘ “, 103–109. Vgl. Evers, Staat aus dem Stein, 24 und 76; Vandier, Manuel d’archéologie égyptienne iii, 184–195; Vandersleyen, „Objectivité des portraits égyptiens“; ders., „Porträt“; Wildung, Sesostris und Amenemhet, 193–214; Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 200. Wildung, „Einleitung“, 12. Luiselli, „Inszenierung von Individualität“. Vereinzelt findet sich bereits vorher Kritik an diesem Interpretationsmodus. So stellt etwa Franke die Frage, ob es sich überhaupt um Porträts gehandelt habe, und weist darauf hin, dass Interpretationen von Gesichtszügen an historisches Vorwissen geknüpft sein können, so dass vergleichbare Gesichtszüge je nach Pharao unterschiedlich interpretierbar werden, was sich am Beispiel des Vergleichs
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„Es ging nicht darum, ein Abbild von Individualität zu präsentieren; vielmehr handelte es sich um eine Inszenierung von authentischen Merkmalen, d.h. um einen Gebrauch naturalistischer Elemente mit dem Ziel, eine Rhetorik von Individualität innerhalb eines performativen Aufführungsortes herzustellen – wenn die Aufgabe der Rhetorik als Praxis darin besteht, die Zuhörer einer Rede durch die Art ihrer Gestaltung eine bestimmte Einstellung zum Gegenstand der Rede einnehmen zu lassen. Auf Bilder übertragen bedeutet dies, dass ein Gegenstand in einem bestimmten Licht wiedergegeben wird, um eine bestimmte Sichtweise hervorzuheben, die im Bild zum Ausdruck kommt. Dies alles ist Teil des Anliegens der Rhetorik: nämlich das Erzeugen einer ‚prinzipiellen Einstellung gegenüber dem Gegenstand der Darstellung‘ “.496 Luiselli hat überzeugend darauf hingewiesen, dass die auf die Individualität der dargestellten Personen bzw. das Individuum ausgerichteten Studien in erster Linie auf der Übernahme von auf Ägypten nicht anwendbaren Individualitätskonzepten beruhen.497 Damit hat Luiselli bereits wesentliche problematische Aspekte ägyptologischer Porträtforschung adressiert und dabei dem Porträt als einem realistischen Bild, von dem aus sich auf ein Individuum schließen lasse, eine deutliche Absage erteilt. Stattdessen versucht sie Ansätze, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Klassischen Archäologie aufkamen und in Porträts programmatische Aussagen zu decodieren suchen (Position 2 bei Jaeggi: das Porträt als Darstellung mit repräsentativer oder
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der Statuen Sesostris’ iii. und Amenemhets iv. veranschaulichen lasse. Diesbezüglich sind die von Davis ausgeführten Zusammenhänge von Stil und Geschichte von großer Bedeutung (vgl. oben Kapitel 2.3.2.1). Franke bezweifelt, ob die zahlreichen ägyptologischen Spekulationen über die Porträts wiedergeben, was die antiken Kunsthandwerker und Betrachter an Bedeutungen mit den Statuen verknüpft haben, und stellt bezüglich der Gesichter von Statuen des Mittleren Reiches fest: „[they] express ethical values and character traits rather than naturalistic portraits – that is how a member of the elite or even a king ought to be represented.“ (Franke, „Middle Kingdom“, 396f. [Zitat: 397]). Vgl. in anderem Zusammenhang auch Quack, „Zum Menschenbild der Ägypter“, 52. Für das griechische Porträt hat Jaeggi unter Hinzuziehung platonischer und aristotelischer Texte herausgearbeitet, dass diese Position „moderne Gedanken des christlichen Seelenglaubens und der Freudschen Psychologie auf antike Denkmäler rückprojizierte.“ (Die griechischen Porträts, 151). Luiselli, „Inszenierung von Individualität“, 80 f. Vgl. Luiselli, „Inszenierung von Individualität“, 76–81. Vgl. zu Luiselli auch weiter unten Kapitel 2.3.5.2(3) bei Fn. 548.
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politischer Aussage), um ein theaterwissenschaftliches Begriffsinstrumentarium zu erweitern und für die Ägyptologie nutzbar zu machen. 2.3.5.2
Zu Prämissen und Hintergründen ägyptologischer Porträtforschung Die folgenden Ausführungen gehen nun noch einen Schritt weiter als Luiselli, indem sie auf grundsätzlicherer Ebene nach den Hintergründen der Porträtforschung fragen, um auf dieser Grundlage anschließend deren Anwendbarkeit auf Ägypten beurteilen zu können. Bezieht man auch die jüngeren sich durch eine erklärtermaßen methodologische Ausrichtung auszeichnenden ägyptologischen Versuche ein, die Porträtfrage zu beleuchten,498 so lassen sich diese z.T. erheblich voneinander abweichenden Ansätze dennoch alle auf ein hermeneutisches Grundmuster zurückführen: (1) Bei als Porträts identifizierten Bildern wird zunächst von der Bedeutungshaltigkeit der Gesichtszüge und deren Decodierbarkeit ausgegangen. (2) Durch die Ansetzung einer transkulturell gültigen mimischen Ausdruckssprache werden auf dieser Grundlage weitreichende Interpretationen der Gesichtszüge vorgenommen.499 (3) Diese sollen meist durch Heranziehung zeitgenössischer Quellen abgesichert werden, wobei (3a) ein semantischer Zusammenhang zwischen den jeweils angeführten Statuen und Texten ebenso zugrunde gelegt wird wie (3b) bestimmte Formen ägyptologischer Textinterpretation.500 Auf dieses Schema bezogen variieren die verschiedenen Ansätze im Wesentlichen lediglich einerseits hinsichtlich der Frage, ob eine konkrete Ähnlichkeits-
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Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“; Laboury, „Portrait versus Ideal Image“; Luiselli, „Inszenierung von Individualität“. Vgl. nun auch den ausführlichen wissenschaftshistorischen Überblick bei Bryan, „Portraiture“ und die knappe Darstellung bei Do. Arnold, „Pharaoh“, 70–72. Explizit Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“, 49– 52. Assmann scheint sich davon distanzieren zu wollen, „intuitiv auf so etwas wie zeitlose Universalien menschlicher Ausdruckssprache [zurückzugreifen]“, verzichtet selbst jedoch nicht darauf (Assmann, „Ikonologie der Identität“, 27f. = Assmann, Stein und Zeit, 152 f.). Wildung möchte einen Hymnus Sesostris’ iii. „[f]ast […] als einen interpretierenden Kommentar zu den Porträtstatuen dieses Königs bezeichnen – so sehr treffen die literarischen Formulierungen den Ausdruck der künstlerischen Formen.“ (Sesostris und Amenemhet, 200).
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relation zwischen der Person des jeweiligen Königs und der auf ihn verweisenden Statue angenommen,501 erwogen502 oder abgelehnt wird,503 und andererseits hinsichtlich der Annahme verschiedener Arten von Bedeutungsgehalten, die sich entweder auf das Individuum bzw. den Charakter des dargestellten Königs504 oder auf ein generelles Menschenbild bzw. eine politische Botschaft bezögen.505 Diese Varianten selbst sollen im Folgenden zunächst nicht in den Vordergrund gestellt werden, vielmehr erscheint es sinnvoll, sich an den einzelnen Komponenten (1)–(3) des identifizierten Grundmusters zu orientieren, um die Varianten diesbezüglich auf ihre Grundlagen zu überprüfen. (1) Bedeutungshaltigkeit der Gesichtszüge und deren Decodierbarkeit Es handelt sich hier um eine Prämisse, die bislang allen maßgeblichen Studien zum ‚Porträt‘ der 12. Dynastie zugrunde lag. Sie ist in einem engen Zusammenhang zu einer Porträtauffassung zu sehen, die in der Kunstgeschichte eine einflussreiche Tradition besitzt, ohne dass sich dort jedoch von Differenzierungsbemühungen abgesehen, eine „veritable Theorie des Porträts“ herausgebildet hätte.506 Die kunsthistorische Porträtforschung, die die Deutbarkeit von 501
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„Diese Bildnisse [diejenigen Sesostris’ iii. und Amenemhets iii., K.W.] beziehen sich nicht nur vollkommen zweifelsfrei und unverkennbar auf konkrete Gesichter mit ihren individuellen Zügen, sondern auch auf ganz bestimmte Altersstufen. Die Bildnisse geben das königliche Antlitz in den jeweils zeitgenössischen Stadien des Alterungsprozesses wieder.“ (Assmann, „Ikonologie der Identität“, 26 = Assmann, Stein und Zeit, 151). Vgl. auch Vandersleyen, „Objectivité des portraits égyptiens“ und ders., „Porträt“. F. Polz, „Die Bildnisse Sesostris’ iii. und Amenemhets iii“, 253; Laboury, „Portrait versus Ideal Image“, 7; Do. Arnold, „Pharaoh“, 71. Luiselli („Inszenierung von Individualität“) wäre hier anzuführen, wenngleich der Schwerpunkt ihrer Betrachtung nicht auf der Frage nach dem Abbildcharakter der Bilder liegt, sondern auf der Auseinandersetzung mit der Annahme, eine Form der Individualität finde in den Bildern Ausdruck. Vgl. Wildung, „Plädoyer für eine neue ägyptische Kunstgeschichte“; ders., Sesostris und Amenemhet, 194, ferner Maya Müller, die explizit vom „Spiegel des Charakters, des inneren Empfindens“ spricht („Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 49). Vgl. entsprechend oben (mit Fn. 490) die Unterscheidung bei Jaeggi, mit deren Hilfe sich die Mehrzahl der Porträtstudien als Vertreter zweier grundsätzlicher Standpunkte beschreiben lassen. So Andreas Beyers Einschätzung (Das Porträt in der Malerei, 15). Er referiert ferner in der Einleitung zu seiner Monographie (ebenda): „Erst jüngst hat Édouard Pommier in einer geistvollen Studie zur Geschichte der Bildnis-Theorien von der Renaissance bis zur Aufklärung den Nachweis geführt, daß sich eine solche Theorie allenfalls aus weit verstreuten Stellungnahmen zusammensetzen läßt und doch ein immer flüchtiger Gegenstand bleibt. Als einzige konkrete Schlußfolgerung aus dreieinhalb Jahrhunderten doktri-
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Gesichtszügen annimmt und sich ihr widmet, sieht gängigerweise die frühesten Porträts in flachbildlichen und rundplastischen Personendarstellungen der Renaissance und ist nicht von der von Jacob Burckhardt in den 1860er Jahren geprägten Vorstellung zu trennen, dass erst in der italienischen Renaissance der Mensch Individuum wurde bzw. sich als solches erkannte. Das Mittelalter dient Burckhardt dabei als Negativfolie, von der sich die Renaissance als Entdeckung des Individuums abhebe: „Im Mittelalter lagen die beiden Seiten des Bewußtseins – nach der Welt hin und nach dem Innern des Menschen selbst – wie unter einem gemeinsamen Schleier träumend oder halbwach. […] In Italien zuerst verweht dieser Schleier in die Lüfte; es erwacht eine objektive Betrachtung und Behandlung des Staates und der sämtlichen Dinge dieser Welt überhaupt; daneben aber erhebt sich mit voller Macht das Subjektive; der Mensch wird geistiges Individuum und erkennt sich als solches.“507 Vor dem Hintergrund dieser Burckhardt’schen Renaissancekonzeption wurden und werden insbesondere autonome Tafelbilder – d. h. Gemälde auf einem beweglichen Malgrund – interpretiert, die in der frühen Neuzeit nicht mehr nur im höfischen Kontext Verwendung fanden, wo sie schon früher etwa in Form von Ahnengalerien dynastische Abfolgen repräsentieren konnten, sondern nun auch von Bürgerlichen in Auftrag gegeben wurden.508 Im Zusammenspiel mit der Beobachtung von ausgefeilten naturalistischen Maltechniken seit dem 15. Jahrhundert werden diese Bilder in der Kunstgeschichte nicht
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närer Reflexion – und diese hält unvermindert an, wie ein Blick in aktuelle Bibliographien lehrt – stellte er ernüchtert fest, daß es, ungeachtet der vermeintlichen Unmöglichkeit des Porträts, immer wieder Maler gegeben hat, die wundervolle Werke geschaffen haben. Darum soll es im Folgenden gehen.“ Damit expliziert Beyer den Spagat zwischen dem Wissen um fehlende theoretische Unterfütterung und die Fragilität bzw. gar die Fragwürdigkeit des Untersuchungsgegenstands einerseits und der seit langem etablierten Routine, sich mit diesem Gegenstand beschäftigen zu können, ohne dieses Vorgehen infrage zu stellen. Man könnte dies den von Gottfried Boehm beschriebenen Kernbereichen der Kunstgeschichte zurechnen, die als „eher handwerklich als methodisch gesichert“ zu betrachten sind (Boehm, „Kunst versus Geschichte: ein unerledigtes Problem“, 7). Vgl. zur Problematisierung der in der ägyptologischen Philologie verbreiteten Unterscheidung zwischen Handwerkszeug und Methode Moers, „Vom Verschwinden der Gewissheiten“, 10 f. et passim. Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, 89 (Kursive i.O.). Vgl. Belting, in: ders. & Kruse, Die Erfindung des Gemäldes, 39–45.
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nur als Darstellungen namentlich zuordenbarer Amtsträger oder Repräsentanten anderer gesellschaftlicher Rollen, sondern als innere und äußere Wesenszüge abbildende Wiedergaben von Individuen verstanden: die autonome Persönlichkeit als Gegenstand des autonomen Tafelbildes. Auf die in Form des Porträts in die Gegenwart des Betrachters hineinragende Erscheinung eines Individuums richtet sich somit die Deutung aus.509 Wird das Porträt in diesem Sinne als vergleichsweise unmittelbar zugängliches Abbild eines Individuums verstanden, scheint es nahe liegend zu sein, alltagshermeneutische Verfahren anzuwenden: So wie man Physis, Mimik und Blick einer tatsächlich gegenüber stehenden Person betrachtet und dabei einen Gesamteindruck von dieser Person erhält, so ließe sich schließlich auch die Deutung eines Tafelbildes beginnen,510 zumal die individuellen d.h. die der Darstellung eigenen Gesichtszüge das Individuum am anschaulichsten vor Augen führten. Gottfried Boehm begründet diese Form der Interpretation mit der Annahme einer „Außen-Innen-Verschränkung“, derzufolge die Sprache, wenn sie über „ ‚Protokollsätze‘“ hinausgehen soll, weder das Äußere noch das Innere des Menschen beschreiben könne, ohne auf das jeweils andere zu rekurrieren.511 Sieht man demnach nicht nur eine farblich gestaltete Oberfläche, sondern das Bild eines Menschen vor sich, und hält man „an der Deutung als einem sinnvollen wissenschaftlichen Unternehmen fest, dann verstrickt man sich in einen Sprachgebrauch, der den Unterschied zwischen einem wörtlichen und einem übertragenen Modus nicht mehr festhalten kann.“512 Eine solche Hermeneutik, wie sie hier am Beispiel der Ausführungen Boehms skizziert wurde, wirft gravierende Probleme auf. Bei der auf das Innere abzielenden Deutung von Gesichtszügen u.Ä. handelt es sich zwar um eine auch in der Frühen Neuzeit bekannte und gepflegte Rezeptionsform von Bildern.513 Es ist jedoch zu fragen, welche Konsequenzen eine Übertragung derartiger Deutungsmuster auf kunstwissenschaftliche Perspektiven nach sich zieht. So ist die Ansetzung der „Außen-Innen-Verschränkung“ als „anschauliche Intention“ des Porträts nichts als die Explizierung eines sekundären Wahrnehmungsmusters, das hier Anwen-
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Die Wortwahl ist entnommen aus Boehm, Bildnis und Individuum, 9. „Wir wissen aus unserer Alltagserfahrung Ausdruckswerte in Gesichtern zu deuten, wenn wir von daher auch nicht wissen, wie und warum uns das gelingt. Die Klärung dieser Frage am Porträt dient der Interpretation.“ (Boehm, Bildnis und Individuum, 34). Boehm, Bildnis und Individuum, 37. Boehm, Bildnis und Individuum, 37. Vgl. etwa den Dialog zwischen Maler und Dichter in der Eröffnungsszene der in den Jahren 1606–1609 entstandenen Shakespeare-Tragödie The Life of Timon of Athens, in der beide ein Bild des Malers betrachten:
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dung findet, jedoch die auf eine „Innenanschauung“ ausgerichtete Lesbarkeit des Bildes bereits voraussetzt.514 Ob eine Innenanschauung als Intention bestimmter Bilder anzusetzen ist, müsste daher anhand bildexterner Informationen geklärt werden. Aber selbst wenn dies gelänge, bliebe ein solcher Interpretationsmodus maßgeblich auf die Imagination und Intuition des Bearbeiters angewiesen.515 Weitere Schwierigkeiten hängen davon ab, welche Art von Bedeutungsgehalt für die Porträts angesetzt wird. Sieht die Porträtforschung in ihren Gegenständen den „gedeuteten Menschen“ an sich, nicht die Geschichte ihrer Zeit o.Ä., und versucht sie diese Individuen und Menschenbilder im Hinblick auf ihre Mimik etc. ‚dialogisch‘ auszudeuten, ohne verstärkt historische Kontexte einzubeziehen,516 dann läuft sie Gefahr, die sich in vielschichtigen Zusammen-
painter. ’Tis a good piece. poet. So ’tis. This comes off well and excellent. painter. Indifferent. poet. Admirable. How this grace Speaks his own standing! What a mental power This eye shoots forth! How big imagination Moves in this lip! To th’ dumbness of the gesture One might interpret.
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maler. Es ist ein gutes Bild. dichter. Tatsächlich. Dies hier kommt außerordentlich gut heraus. maler. Mäßig. dichter. Bewundernswert. Wie diese Würde seinen Stand ausdrückt! Welche geistige Kraft dieses Auge ausstrahlt! Wie sich die Phantasie schwanger in dieser Lippe regt! Dieser stummen Gebärde könnte man Worte unterlegen.
William Shakespeare, The Life of Timon of Athens, i.1. Text und Übersetzung sind der Bearbeitung von Markus Marti entnommen (Shakespeare, Timon of Athens, 66f.). Diese Ausgabe bietet sich hier an, da in ihr der Fokus der deutschen Übersetzung auf dem „semantischen (Bedeutungs-)Gehalt [liegt]. Sie erhebt keinen Anspruch auf Eigenwert.“ (ebenda, 7). Vgl. zu zwei um 1336 entstandenen Sonetten Francesco Petrarcas, in denen u. a. erwähnt wird, eine Malerei könne die Seele der Geliebten wiedergeben, Beyer, Das Porträt in der Malerei, 27 und 30. Vgl. auch den Hinweis auf die Physiognomik, die Deutung von Gesichtszügen, in der Renaissance von Burke, Die Renaissance in Italien, 195. Vgl. zur Geschichtlichkeit der Hermeneutik Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik sowie unten Kapitel 3.2.5. Vgl. Boehm, Bildnis und Individuum, 37. Vgl. die kritischen Anmerkungen von Burke, „[Rezension zu] Boehm, Bildnis und Individuum“. Vgl. als Beispiel Boehm, Bildnis und Individuum sowie besonders ebenda, 12 zum „anschauliche[n] Dialog“ als Basis und Ziel der Untersuchung sowie 34–37 zum „gedeuteten Menschen“ als Gegenstand des Porträts.
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hängen äußernde Komplexität von Menschenbildern517 auf eine Auswertung alltagshermeneutischer Beobachtungen zu reduzieren, die bildextern nicht abgesichert ist.518 Geht sie hingegen im Rückgriff auf eine „typische Einstellung“ der Kunstgeschichte davon aus, dass „Bildnisse historische Dokumente sind“, und versucht, diese auszuwerten und beispielsweise politische Botschaften in den Gesichtern auszumachen, steht sie vor dem Problem, dass es dort – wie Peter Burke es formuliert hat – „die Zeilen nicht [gibt], zwischen denen [man] lesen könnte.“519 Man ist folglich nicht nur mit Vieldeutigkeiten konfrontiert, sondern hat darüber hinaus nicht einmal Handhabe darüber, feststellen zu können, ob etwas überhaupt als bedeutungstragend anzusehen ist. An diesem Punkt setzt in der Kunstgeschichte die Bedeutung der von Erwin Panofsky geprägten Ikonologie ein – der intensiven Kontextualisierung von Bildern mit kulturgeschichtlich relevanten zeitgenössischen Texten –, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird.520
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Vgl. zu Menschenbildern in der Renaissance Burke, Die Renaissance in Italien, 194–208. Nach Boehm lassen sich Subjektivitätsbedenken gerade aufgrund der Anschaulichkeit der Porträts aus dem Weg räumen, zumal Alltagserfahrungen zeigen würden, dass Gesichtszüge auf diese Art deutbar sind: „Das Aussehen einer Bildnisfigur schließt immer eine Weise des Auffassens ein, genauer: ist eine solche. Vom Dargestellten läßt sie sich nicht abtrennen wie die Schale vom Kern. Das Bildnis präsentiert den gedeuteten Menschen. Wer an dieser Stelle den Einwand des Subjektivismus oder der interpretatorischen Willkür erhebt, kann mit der anschaulichen Beschaffenheit der Bildnisse widerlegt werden. In ihr liegt eine optische Anweisung, die den Betrachter ins Spiel bringt, auf anschauliche Weise involviert. Wir wissen aus unserer Alltagserfahrung Ausdruckswerte in Gesichtern zu deuten, wenn wir von daher auch nicht wissen, wie und warum uns das gelingt. Die Klärung dieser Frage am Porträt dient der Interpretation.“ (Boehm, Bildnis und Individuum, 34 [Hervorhebung im Original fett gedruckt]). Dass sich jene Frage der Deutung aus der Anschauung des Bildes (der „optische[n] Anweisung“) für die Interpretation klären lässt, muss jedoch bezweifelt werden, da von übereinstimmenden Wahrnehmungen nicht ausgegangen werden kann: „Eines ist klar: Italiener des 15. und 16. Jahrhunderts sahen Bilder nicht so, wie wir es heute tun.“ (Burke, Die Renaissance in Italien, 117). Vgl. hierzu auch Schnettler & Pötzsch, „Visuelles Wissen“, 475–477. So Burke, Die Renaissance in Italien, 174: „Auch Malerei und Bildhauerei können politische Bedeutungen in sich bergen, die sich einer Entschlüsselung durch den Historiker allerdings viel stärker widersetzen [als die Literatur, K.W.]; es gibt die Zeilen nicht, zwischen denen er lesen könnte. Solche Entschlüsselungsarbeit muß spekulativ bleiben, und häufig sind die Deutungen umstritten“. Vgl. Panofsky, „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung“; ders., „Ikonographie und Ikonologie“. Zu Möglichkeiten der Deutung von Symbolen mittels der Literatur auch Burke, Die Renaissance in Italien, 169–172. Vgl. hier in diesem Kapitel Abschnitt (3) Die Hyperkontextualisierung von Statuenbildern und literarischen Texten (S. 340–355).
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Es lassen sich zwar Veränderungen in Bildproduktion und -rezeption im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts beobachten, dennoch verdankt sich die in der Kunstgeschichte etablierte Porträtauffassung nicht nur diesen historischen Gegebenheiten, sondern maßgeblich auch einer spezifischen Sichtweise auf veristische Bilder der Neuzeit.521 Im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit ist diesbezüglich nun vor allem entscheidend, dass die Deutungsmuster der Porträtinterpretation in der Moderne nicht nur anhand neuzeitlicher Gemälde und damit ganz bestimmter Bilder entwickelt wurden, sondern dass sich die zugrundeliegende Perspektive auf das Porträt selbst einer spezifischen Sicht auf das Mittelalter und die Frühe Neuzeit verdankt. Da sich, wie Otto Gerhard Oexle herausgestellt hat, die Erfahrung der Moderne in Abgrenzung vom Mittelalter auch als eine Grundlage für Burckhardts Epochenbilder von Mittelalter und Renaissance erweist, wird das durch Burckhardt geprägte Konzept von Renaissance und Individuum erst mit Blick auf geschichtsphilosophische Diskurse des 18. und 19. Jahrhundert verständlich, die von Reinhart Koselleck als „Erfindung des Mittelalters“ im Zuge der Entstehung der Moderne beschrieben wurden.522 Dass die über die Grenzen der Kunstgeschichte hinaus einflussreiche Perspektive Burckhardts auf das im Porträt der Renaissance in Erscheinung tretende Individuum maßgeblich auf der Erfahrung der Moderne beruht, zeigt sich u. a. auch darin, dass Burckhardt selbst in späteren, jedoch weitaus seltener rezipierten Äußerungen von dem zuvor vertretenen negativen Mittelalterbild grundsätzlich abrückte523 und auch seine Skepsis gegenüber dem Individualismus zur Sprache brachte.524 Vor dem geschilderten Hintergrund sind die Perspektiven der kunsthistorischen Porträtforschung, die z.T. selbst mit dem Anspruch formuliert werden, das Porträt als neuzeitliches Phänomen zu historisieren,525 daher wiederum
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Die kursorische Ansprache von Problemen, die sich im Rahmen kunsthistorischer Porträtinterpretation ergeben, soll keineswegs davon ablenken, dass sich deutliche Veränderungen beobachten lassen, was sich u. a. am Auftreten des bürgerlichen Porträts (vgl. Fn. 508) und damit einhergehend neuen Auftraggeber- und Rezipientenkreisen zeigt. Vgl. auch Burke, „Representations of the Self from Petrarch to Descartes“. Vgl. Oexle, „Das entzweite Mittelalter“, 16 f. und 21–23, sowie Koselleck, „Moderne Sozialgeschichte und historische Zeiten“, 177–180 (Zitat: 178). Vgl. Oexle, „Das entzweite Mittelalter“, 16 f. und 24 zum Zusammenhang zwischen der Bewertung der Moderne und der des Mittelalters. Vgl. Burke, „[Rezension zu] Boehm, Bildnis und Individuum“, 25. Burckhardts These von der mit der Entdeckung des Individuums verbundenen Epochenschwelle zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit birgt bereits eine Historisierung in
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ihrerseits zu historisieren. Angesichts der verbreiteten Etablierung von Burckhardts Thesen als Aussagen „geradezu objektiver Richtigkeit“526 erscheint es verständlich, dass kunsthistorische Studien, die sich eine Annäherung an das Individuum in Porträts der Renaissance zum Ziel gesetzt haben, gerade eine Auseinandersetzung darum vermissen lassen, was genau unter einem Individuum innerhalb der historischen Kontexte der Entstehungszeit der Bilder zu verstehen sei.527 Die Tatsache, dass man in naturalistischen renaissancezeitlichen Darstellungen Porträtähnlichkeit erkennen zu können meint, dürfte jedenfalls kaum ausreichen, einen Individuumsbegriff adäquat zu konturieren, der sich von früheren Phänomenen abgrenzen ließe.528 Aus dem Umstand, dass sich Phänomene, die traditionellerweise mit Individuumskonzepten der Neuzeit assoziiert werden (naturalistische personale Bilder, biographische Texte etc.), auch früher oder in anderen Kulturen finden lassen,
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sich, da ihr zufolge erst in der Renaissance vom Individuum und seiner Thematisierung gesprochen werden könne (vgl. auch Fn. 528). Im Rahmen einer „längst fälligen Klärung der Begriffe“ betont Boehm die „Besonderheit der neuzeitlichen Bildnislösung“ und plädiert explizit für eine Historisierung der Termini, indem er etwa darauf hinweist, dass derjenige, der „vom Bildnis des Mittelalters sprechen will, […] wissen [muß], daß er einen modernen Begriff überträgt.“ (Boehm, Bildnis und Individuum, 13f.). So Oexle zur Bewertung von Burckhardts „berühmten Sätzen von 1860“ von Seiten der Historiker und Kunsthistoriker („Das entzweite Mittelalter“, 16). Vgl. Burke, „[Rezension zu] Boehm, Bildnis und Individuum“, 25. Oexle hat die gängige „Gleichsetzung von Porträtähnlichkeit und Individualität und die Annahme von deren gemeinsamem Gegensatz zu einer auf bloße ‚Typen‘ bezogenen Personendarstellung“ als „modernes Mißverständnis“ bezeichnet (Oexle, „Memoria und Memorialbild“, 436–440 [besonders mit dem Zitat: 438]). Nicht zuletzt stellt die das Individuum im Mittelalter bereits seit einigen Jahren diskutierende Mediävistik die Möglichkeit infrage, am seit Burckhardt immer wieder betonten Hervortreten des Individuums in der Renaissance eine Epochenschwelle festmachen zu können. Vgl. insgesamt den Sammelband Aertsen & Speer (Hrsg.), Individuum und Individualität im Mittelalter sowie darin Reudenbach, „Individuum ohne Bildnis?“. Bei Burckhardt selbst finden sich Bemerkungen, die darauf hindeuten, dass sich hinter dem ‚Individuum in der Kunst der Renaissance‘ in erster Linie der Versuch einer Erklärung naturnaher Darstellungsformen verbirgt. Vgl. etwa: „in vielen verschiedenen Weisen hat von jeher die Verewigung des Einzelmenschen, sei es für ihn oder für Andere, als wünschbar gegolten. Unser Thema wird sich daher erweitern müssen zu einem Überblick der Geschichte der Aehnlichkeit, des Vermögens und des Willens, dieselbe hervorzubringen.“ (Burckhardt, „Die Anfänge der neuern Porträtmalerei“, 460). Die „Kraft und der Wille […], die ganze Lebenswahrheit darzustellen“ sei eben erst seit dem Beginn des 15. Jahrhundert ‚emporgekommen‘, so dass alles „wie mit einem Zauberschlage anders“ wurde (ebenda, 464).
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sollte jedoch andererseits nicht gleich die Universalität jener Konzepte oder Phänomene abgeleitet werden. Die Feststellung von Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Materialgruppen ist für sich genommen von vergleichsweise geringer Aussagekraft, da sich daraus noch lange nicht ableiten lässt, dass deren Entstehungszusammenhänge nennenswert übereinstimmen.529 Letztere sind daher von besonderer Bedeutung, um die spezifischen Charakteristika von Untersuchungsgegenständen in den Blick nehmen zu können, die bei erster Betrachtung vertraut und interpretierbar scheinen, es in dieser Weise jedoch nur dann weiterhin bleiben, wenn man sie terminologisch und konzeptuell in moderne Wahrnehmungsmuster pfercht. Sobald man hingegen versucht, eine historisierende Perspektive einzunehmen, büßen die vertrauten Begriffe oft ihre Anwendbarkeit ein und es zeigt sich die Konstrukthaftigkeit der Konzepte, die man etwa im ägyptischen Material ad hoc erkannt hatte.530
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Vgl. zur Betrachterabhängigkeit von Ähnlichkeit oben Kapitel 2.3.2.1 sowie auch Kapitel 1.3 mit einer Diskussion über Ähnlichkeitsbeobachtungen in einer Studie von Maya Müller (S. 83–88). Burke („Representations of the Self from Petrarch to Descartes“, bes. 27f.) geht zwar nicht so weit, Begriffe konsequent zu historisieren, spricht sich jedoch auch für einen die Kontexte stark einbeziehenden Zugang aus, der eine Vielzahl von kulturspezifischen Konzepten ansetzt. Die Tendenz, die Beobachtung von Ähnlichkeiten zum Anlass zu nehmen, vertraute Konzepte hinter antiken Objekten zu identifizieren, ist weit verbreitet (vgl. hierzu auch unten ausführlich Kapitel 3.2.5). Auch kritische Positionen, die sich darum bemühen, etablierte Ansichten ob ihrer Fragwürdigkeit abzulegen, gehen mitunter in diese Richtung. Nur zwei Beispiele seien hier genannt. Lynn Meskell betont die Probleme eines Epochenverständnisses, das die Heraufkunft von Individualitätskonzepten an die Renaissance bindet. Ihre Kritik, in der sie auch die sogenannten ägyptischen Mumienporträts anführt, kommt zu dem Ergebnis: „it should be clear that neither the concept of the portrait, nor that of the individual, is a recent Western invention. Moreover, we should question the teleological construction that frames the question of individuality in terms of genres like portraiture or biography.“ Damit verweist sie zwar einerseits darauf, wie wichtig es ist, sich nicht durch teleologische Konstrukte in der eigenen Perspektive beeinflussen zu lassen, sie tendiert jedoch andererseits dazu, die von ihr selbst aufgrund ihrer Vereinnahmung durch rezente Diskurse problematisierten Begriffe („individual“ und „portrait“) zu generalisieren, anstatt sie zu historisieren, indem sie davon ausgeht, es habe Porträts schon früher gegeben, weil sogenannte ägyptische Mumienporträts so aussehen wie neuzeitliche Porträts (Archaeologies of Social Life, 12–18, Zitat: 18). Vgl. als weiteres Beispiel für eine solche Tendenz David A. Warburton, der sich im Zusammenhang mit der Frage nach ‚Landschaft‘ als Kunstgattung (vgl. Widmaier, Landschaften und ihre Bilder, 24 f.) gegen einen eurozentristischen Blick auf Ägypten aus-
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Insgesamt gesehen erscheint es daher entgegen der bisherigen Praxis unangemessen, die Perspektiven der epochenspezifisch für die Neuzeit entwickelten und auf geschichtsphilosophischen Dogmen des 19. Jahrhunderts fußenden kunsthistorischen Porträtforschung in die Ägyptologie zu übernehmen. Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Kontextualisierung und Historisierung der Porträtforschung sollten aus ihr übernommene Prämissen wie die Feststellung „the statues themselves must be analysed in order to decipher the message and impact of their material and mimical properties“531 nicht als solche unhinterfragt und alternativlos zum Ausgangspunkt von Studien erklärt werden.532 Es wäre schließlich erst einmal zu zeigen, dass ein solches Vorgehen als ein für Ägypten adäquates betrachtet werden kann. Solange man sich auf die ägyptischen Objekte bezieht, hieße dies, plausibel zu machen, dass auch für Ägypten mit derartigen Bild-Kommunikationsformen zu rechnen ist.
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spricht („Rezension zu Widmaier, Landschaften und ihre Bilder“, 355). Ihm zufolge dürfe man daher den Begriff Landschaft nicht auf Europa seit dem 15. Jahrhundert reduzieren, sondern müsse ihn auch etwa auf die chinesische Malerei übertragen, in der man seit dem 9. Jahrhundert bereits Landschaftsmalerei beobachten könne. In beiden Fällen werden Begriffe in der Absicht kritisch beleuchtet, eurozentristische Perspektiven zu vermeiden. Die Entscheidung, solche Begriffe auf weite Zeiträume auszudehnen, verliert jedoch aus dem Blick, dass diese Begriffe semantisch stark aufgeladen und untrennbar mit neuzeitlichen europäischen Konzepten verbunden sind, die so im Rahmen von Begriffsübertragungen durch die Hintertür wieder in Anwendung auf außereuropäische Kulturen gebracht werden. Die von Warburton angeführten chinesischen Malereien sind per se eben keine Beispiele für die chinesische Variante der europäischen Kunstgattung ‚Landschaft‘, sondern lediglich etwas, was wir aufgrund seiner materiellen Beschaffenheit als solche ansprechen könnten, wenn wir die chinesischen Kontexte aus den Augen verlören und uns allein von Ähnlichkeiten zu europäischer Malerei leiten ließen. Vielmehr sollte davon ausgegangen werden, dass konzeptuelle Entsprechungen zwischen chinesischer und europäischer Malerei zwar nicht auszuschließen sind, jedoch als solche erst dann angesetzt werden können, wenn sie aus einer kontextualisierenden Perspektive nachgewiesen oder plausibel gemacht wurden. Vgl. auch unten Kap 3.1 (dort mit Fn. 76). Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“, 47. Vgl. etwa Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“. Besonders deutlich wird auch bei F. Polz, dass deren Ausführungen von der transkulturellen Gültigkeit des Porträtbegriffs der Kunstgeschichte ausgehen („Die Bildnisse Sesostris’ iii. und Amenemhets iii.“, 251–254).
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Ansetzung einer transkulturell gültigen mimischen Ausdruckssprache Dadurch dass Porträtähnlichkeit als Hinweis auf bzw. allgemeines Charakteristikum von Porträts betrachtet wird, werden oft auch in naturnah erscheinenden ägyptischen Wiedergaben von Gesichtern Porträts erkannt, für die im Zuge dessen eine „Außen-Innen-Verschränkung“ von Anschauung und Bedeutungsgehalt angenommen wird.533 Wer entsprechend vom Äußeren eines Gesichtes auf das Innere der dargestellten Person oder daran geknüpfte andere Bedeutungsgehalte schließen möchte, muss dafür auf Strategien zur Deutung von Mimik zurückgreifen.534 Dieser Umstand führt zum zweiten Teil des oben skizzierten hermeneutischen Grundmusters ägyptologischer Porträtdeutung, derzufolge ein in der Mimik verborgener Bedeutungsgehalt auch transkulturell decodierbar sei. Die Generalisierbarkeit des mimischen Ausdrucks verschiedener menschlicher Emotionen stellt einen seit längerem in der Anthropologie und Psychologie diskutierten Themenkomplex dar. In den 1970er Jahren wurde vermehrt der Zusammenhang zwischen Gesichtsausdrücken und Emotionen mit dem Ergebnis erforscht, dass einige Wissenschaftler – darunter ganz maßgeblich der auch von Müller angeführte Paul Ekman535 – mithilfe diverser Studien zu belegen versuchten, dass emotionale Gesichtsausdrücke biologisch und nicht kulturell determiniert seien.536 Man müsse folglich davon ausgehen, dass alle Menschen (Grund-)Emotionen durch jeweils ein und dieselben Gesichtsausdrücke äußern würden. Nach Untersuchungen u. a. von Ekman, Friesen und Ellsworth können Betrachter von Photographien gestellter Gesichtsausdrücke mindestens sieben Emotionskategorien („happiness, surprise, fear, anger, sadness, disgust/contempt, and interest“537) übereinstimmend identifizieren. Für die Mehrheit dieser Kategorien sei dies auch kulturenübergreifend nachweisbar, so dass von einer biologischen Determinierung auszugehen
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Vgl. oben bei Fn. 511. Diese beruhen in der Porträtforschung wie bereits ausgeführt maßgeblich auf der Betrachterintuition (vgl. oben mit Fn. 510). Müller („Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“, 51) beruft sich diesbezüglich auf Studien von Paul Ekman, etwa maßgeblich in Ekman (Hrsg.), Emotion in the Human Face2. Vgl. den Überblick bei Masuda, Ellsworth, Mesquita et al., „Placing the Face in Context“, 365 f. Ekman, Friesen & Ellsworth, „What emotion categories or dimensions can observers judge from facial behavior?“, 43 und 45.
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sei.538 Die entscheidende sich daraus ableitende Frage dürfte jedoch sein, in Bezug auf welche Komponenten von Emotionen, ihren mimischen Ausdrucksformen und deren Rezeption von einer universellen Gültigkeit gesprochen werden kann. Diesbezüglich ist mit Mesquita und Frijda zu differenzieren:539 Es spricht zwar Vieles dafür, dass ein einziges kulturenübergreifendes Set emotionaler Reaktionsmodi existiert, damit ist jedoch noch nichts über die diese Emotionen auslösenden Momente oder deren Bedeutungsgehalte gesagt, die durchaus kontext- bzw. kulturabhängig sein können.540 Selbst wenn sich also ein bestimmter Gesichtsausdruck als Ausdruck einer ungefähr beschreibbaren Emotion identifizieren lässt, kann daraus zunächst nicht abgeleitet werden, welche Bedeutungen innerhalb einer bestimmten Kultur in einem konkreten Kontext daran geknüpft werden oder gar wurden.541 Anders formuliert ist die Aussagekraft einer solchen Identifizierung von Grundemotionen deskriptiv und nicht per se etwa in Bezug auf eine Kultur wie Ägypten interpretierbar. Es lässt sich folglich durchaus feststellen, dass die Statuen Sesostris’ iii. einen ernsten und nicht etwa einen fröhlichen Gesichtsausdruck tragen. Ganz gleich, ob man darin nun einen auf die Person des Königs oder eine programmatische Aussage hin aussagekräftigen Bedeutungsgehalt vermutet, ließe sich allein auf Grundlage der Anschauung des Bildes ohne bildexterne Hinweise nur spekulieren, worin die Bedeutung dieses mimischen Ausdrucks liegen könnte. Dies führt zum letzten und entscheidenden Punkt des hermeneutischen Grundmusters der Porträtinterpretation und damit zur Frage nach Möglichkeiten, Statuen mit literarischen Texten zu kontextualisieren, um so externe
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Einige der von Ekman, Friesen und Ellsworth an- bzw. durchgeführten Untersuchungen fanden jedoch auf Grundlage von Befragungen relativ kleiner Personengruppen statt (in den meisten Fällen weniger als 100 Personen je Kultur, z.T. sogar weniger als 30 Personen) und wären sicher bezüglich ihres Versuchsaufbaus kritisch zu hinterfragen, wie auch die Hinweise auf Probleme mit der Übersetzung der die Emotionen bezeichnenden Begriffe nahelegen. Vgl. Ekman, Friesen & Ellsworth, „What are the similarities and differences in facial behavior?“, hier besonders: 132 f. Mesquita & Frijda, „Cultural Variations in Emotions“. Vgl. außerdem die kritischen Ausführungen sowie weiteren Angaben von Schade & Wenk, Studien zur visuellen Kultur, 32 f. Vgl. Mesquita & Frijda, „Cultural Variations in Emotions“, 198–200. Einen weiteren Hinweis auf die Komplexität dieser Zusammenhänge geben jüngere Untersuchungen, die auf die Bedeutung des lokalen und sozialen Kontextes eines Gesichtsausdrucks für die Beurteilung dieses Gesichtsausdrucks durch Angehörige verschiedener Kulturen hinweisen. Vgl. Masuda, Ellsworth, Mesquita et al., „Placing the Face in Context“.
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Interpretationshilfen zu erschließen und auf diese Weise den semantischen Gehalt von Porträtstilen auswerten zu können. (3)
Die Hyperkontextualisierung von Statuenbildern und literarischen Texten542 Assmann hat bereits darauf hingewiesen, dass man vielfach die Mimik der Königsstatuen der 12. Dynastie intuitiv unter Rückgriff „auf so etwas wie zeitlose Universalien der menschlichen Ausdruckssprache“ interpretiert und dabei einen Bezug zur Lehre des Amenemhet hergestellt hat.543 Er selbst betont, durch eine zweifache Ausweitung dieses Ansatzes noch einen Schritt weiter gehen zu wollen: Einerseits möchte er Texte für die Interpretation sämtlicher, also nicht nur königlicher, Bilder nutzen und darüber hinaus dies nicht nur auf einen einzelnen Text beschränken, sondern „die gesamte sog. ‚pessimistische‘ Literatur“ der 12. Dynastie einbeziehen. Die „großen Themen der Zeit“544 seien schließlich von den Werken jener Literatur zur Geltung gebracht worden, aus denen uns ein „resignative[r] Pessimismus im Sinne eines ‚Zeitgeists‘“545 entgegentrete. Darin sieht Assmann den Schlüssel zum Verständnis der Statuen der 12. Dynastie. Seine Ausführungen geben damit ein explizites Beispiel für eine bis heute noch etablierte ägyptologische Praxis: die Nutzung literarischer Texte als Interpretationsgrundlage für die 12. Dynastie im Allgemeinen wie im Speziellen. Im Zuge dessen wird das in der Folge von Posener für die ägyptische Literatur zum tonangebenden Deutungsmuster erhobene Propagandamodell auch auf die Bilder der 12. Dynastie übertragen. Retrospektiv lässt sich in gewisser Hinsicht sogar von einem propagandistic turn in der Ägyptologie sprechen.546
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Auf die Heranziehung von Königshymnen zur interpretierenden Relationierung von Statuen und Texten wird weiter unten bei Fn. 566 kurz eingegangen. Assmann, „Ikonologie der Identität“, 27 = Assmann, Stein und Zeit, 152. Der chronologische Abstand zwischen dem in der ägyptologischen Tradition angenommenen Entstehungszeitpunkt der Lehre des Amenemhet unter Sesostris i. und den Regierungszeiten Sesostris’ iii. und Amenemhets iii. bleibt bei derartigen Bezugnahmen freilich stets unberücksichtigt. Assmann, „Ikonologie der Identität“, 29 = Assmann, Stein und Zeit, 154. Assmann, „Ikonologie der Identität“, 31 = Assmann, Stein und Zeit, 156. Vgl. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 194 f. und 211; Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 65 f.; Laboury, „Portrait versus Ideal Image“, 7; Aldred, „Some Portraits“, 38 f.; Assmann, Ikonologie, 27f. (implizit); Simpson, „Egyptian Sculpture and Two-dimensional Representation as Propaganda“; Tefnin, „Les yeux et les oreilles du Roi“; Baines, „On the Status and Purposes of Ancient Egyptian Art“, 321–324. Bereits bei Walther Wolf lässt sich Vergleichbares beobachten: Er nimmt einen engen Zusammenhang von Stil und Geschichte an (bspw. Die Kunst Ägyptens, 333 [die in
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Angestoßen durch frühere Studien de Bucks und Poseners lassen sich dessen Auswirkungen verstärkt seit den 1980er Jahren beobachten, als Vorstellungen von einer vom Königshaus der 12. Dynastie initiierten Propaganda zu einer Material und Gattungen übergreifenden Interpretationsschablone ausgebaut wurden. Formen von Propaganda werden so mittlerweile nicht mehr nur in der 12. Dynastie identifiziert.547 Auch Luiselli folgt mit ihrem Versuch, Alternativen zu den auf Individualität ausgerichteten Perspektiven aufzuzei-
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Königsstatuen der späten 12. Dynastie stilistisch sichtbar werdende „geistige Erschöpfung“ erkläre auch die sich bald anschließende „politische Auflösung“] et passim; vgl. hierzu oben Kapitel 2.3.2.1) und versteht mit Adriaan de Buck („The Instruction of Amenemmes“) die Lehre des Amenemhet als „politische Propagandaschrift“ (Die Kunst Ägyptens, 297 f. mit Anm. 2). U.a. auf dieser Grundlage sieht er in ikonographischen, stilistischen und aufstellungskontextuellen Beobachtungen deutliche Hinweise auf eine Verlegung des „Bedeutungsgehalt[s] [der Königsstatuen] aus dem Bereich des Religiösen in den des Politischen“. Damit ist eine unmittelbare Übertragung der Posener’schen Literaturinterpretation auf die Skulptur zwar nicht nachweisbar, dennoch lässt sich eine inhaltlich wie methodisch in dieselbe Richtung weisende Übertragung von Vorstellungen von der politischen Geschichte der 12. Dynastie auf Bilder feststellen. Es sei keineswegs gesagt, man habe zuvor die Statuen nicht vor einem politischen Hintergrund oder nicht mit Blick auf literarische Texte interpretiert. Dies zeigen einerseits Evers’ Einbeziehung der Lehre des Amenemhet, die er als Beleg dafür nimmt, das Mittlere Reich habe im König – ganz anders als das Alte Reich – „einen von Verrat umgebenen und sich durch unauslöschliches Mißtrauen schützenden Menschen“ und damit überhaupt „im König das Menschliche“ gesehen (Staat aus dem Stein, 24f.), und andererseits Aldreds frühe Ausführungen, in denen er sich zwar explizit auch zum „Political Background of Middle Kingdom Art“ äußert, dabei jedoch auf den sogenannten Dualismus der Zwei Länder eingeht und die literarischen Texte gänzlich außer Acht lässt (Aldred, Middle Kingdom Art, 8–15). Politik und Literatur sind also schon früher als Kontexte der Königsstatuen der 12. Dynastie betrachtet worden, die Zusammenführung beider, die Text und Bild zu Propagandainstrumenten erklärte, lässt sich jedoch erst mit Posener bzw. im Zuge von dessen Rezeption beobachten. Assmann (Sinngeschichte, 139) betonte noch eine ausschließlich für das Mittlere Reich gültige Verbindung von Literatur und Politik, was sich auf die damals noch nicht hinterfragten Datierungen vieler literarischer Texte stützt. Gnirs’ Vorschläge („Das Motiv des Bürgerkriegs“; „Zum Verhältnis von Literatur und Geschichte in der 18. Dynastie“) haben jedoch mittlerweile gezeigt, dass sich aus einer Perspektive, die für die Texte eine zentrale Propagandafunktion annimmt, auch Datierungen in die 18. Dynastie begründen ließen. Entscheidend sind daran hier nicht die Datierungsvorschläge als solche, sondern der von Gnirs präsentierte Ansatz, auch für die 18. Dynastie von einem engen Zusammenhang von Literatur und Politik auszugehen. Zur Problematik dieses Vorgehens Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“, insbesondere 338–343 sowie oben Fn. 76 zur Datierungsproblematik.
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gen, dieser Forschungsrichtung. Zunächst schlägt sie vor, den Blick dahingehend zu weiten, dass es sich bei den Königsstatuen der 12. Dynastie weniger um Bilder handele, die im Sinne von Charakterstudien der abgebildeten Personen lesbar sind, vielmehr müsse man die königliche Skulptur als Inszenierung von Königtum vor der Götterwelt und Teilen der Elite verstehen.548 Schließlich beinhalten die von Luiselli skizzierten Möglichkeiten, diese grundsätzlich überzeugende These durch die Identifizierung der Inszenierungsinhalte weiter zu konkretisieren, den expliziten Rückgriff auf literarische Texte bzw. auf die etablierten ägyptologischen Lesarten derselben.549 Dabei weist Luiselli selbst mit ihrer abschließenden Bemerkung, dass das „Verhältnis zwischen Kunst, Literatur und Geschichte in Bezug auf das neue Königtum des Mittleren Reiches […] bis heute noch eine offene Frage“ bleibe,550 auf das entscheidende Problem hin. Denn damit spricht sie genau die Unsicherheiten an, mit denen das enge hypothetische Gefüge aus Kunst, Literatur und Geschichte behaftet ist, das innerhalb des Propagandamodells als unhinterfragte Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Und es bildet auch eine Grundlage ihrer eigenen Überlegungen, wenn sie annimmt, die Inhalte literarischer Texte würden in gewisser Weise den Inhalten des in den Statuen inszenierten Königsbildes entsprechen. Eine direkte Kontextualisierung von Texten und Bildern, die keine gemeinsamen archäologischen Kontexte haben, mag prima facie zwar dann einleuch-
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Vgl. oben bereits Kapitel 2.3.5.1. Vgl. Luiselli, „Inszenierung von Individualität“, 80: „Auf der Bühne der Tempel und aller Einrichtungen, in denen Bilder verortet und teilweise zugänglich waren, diente die Betonung der realistischen Züge einem Bild-Akt, der performativ die Botschaft der Lebensnähe in Gang setzte. Es ging weniger um die Umsetzung eines neuen Selbstbewusstseins des Herrschers als Individuum im Bild, als vielmehr um die Anwendung einer Darstellungsstrategie. Die Absicht des realistisch gestalteten biologischen Körpers diente nicht der Hervorhebung der individuellen Persönlichkeit des Herrschers im Gegensatz zu dessen Göttlichkeit; vielmehr zielte sie darauf ab, (neue) kulturelle Zuschreibungen von Seiten der Rezipienten zu erwirken, die sich teilweise mit den Themen der Weisheitsliteratur deckten.“ Damit nähert sich Luiselli dem Vorschlag, wie er etwa von Tefnin gemacht wurde, die politische Textinterpretation nach dem Posener’schen Propagandamodell auf Bilder zu übertragen (vgl. Tefnin, „Les yeux et les oreilles du Roi“). Die These, eine mittels naturalistischer Darstellungsweise erzeugte bildhafte Individualität habe Unmittelbarkeit und Glaubwürdigkeit vermitteln sollen, wurde bereits von Ralf von den Hoff – u. a. im Rückgriff auf antike kunsttheoretische Texte – für hellenistische Statuen formuliert. Vgl. Ralf von den Hoff, „Naturalismus und Klassizismus“ sowie dazu Jaeggi, Die Griechischen Porträts, 33 und 36. Vgl. Luiselli, „Inszenierung von Individualität“, 81.
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ten, wenn man auf eine narrative herrscherbiographische Geschichtsschreibung ausgerichtet ist, stellen Königsstatuen, Königshymnen und Königslehren doch fast das einzige dar, was uns aus der 12.(?) Dynastie erhalten ist und konkrete Königsbilder entwirft.551 Solche Perspektiven tendieren jedoch dazu, subkomplexe Ergebnisse zu produzieren, mit denen sich die Forschung kaum begnügen sollte.552 Darüber hinaus wäre eine solche Kontextualisierung von Bildern und literarischen Texten auch erst einmal plausibel zu machen, da es keineswegs als selbstverständlich betrachtet werden kann, dass wir es immer mit ein und demselben ägyptischen Königsbild in verschiedenen Medien zu tun haben, auch wenn sich sowohl Statuen als auch Texte als Produkte der Elitekultur bzw. High Culture beschreiben ließen.553 Im Gegenteil, das, was wir über die Aufstellungskontexte der Statuen (in Tempeln) und über die Rezeption von literarischen Texten in der 12. Dynastie (in Siedlungs- bzw. Residenzkontexten) wissen, dürfte sogar Anlass für erhebliche Zweifel bieten. Selbst wenn Priester, die ihren Dienst in mit königlichen Statuen ausgestatteten Tempeln verrichteten, als Text- bzw. Manuskriptproduzenten anzusetzen wären, ergäbe sich daraus noch immer kein Argument dafür, dass in den Lehren und Statuen ein und dasselbe Königsbild manifest wird. Im Fall der Statuen ist schließlich eine situative Einbettung ausschließlich im Kult gesichert, im Fall der literarischen Texte ist hingegen – nach allem was wir wissen – eine solche auszuschließen. Es besteht daher durchaus die Möglichkeit, dass wir es mit unterschiedlichen Funktionen und Botschaften zu tun haben,554 über die wir weder auf der einen noch auf der anderen Seite bislang Gewissheit haben. Wenn es darum geht, konkrete Statuen zu deuten, werden Überlegungen wie diese zu den Unter551
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Wildung sieht in der Skulptur und der Literatur der 12. Dynastie die einzigen „zwei Formen künstlerischen Ausdrucks“, die „bis heute überaus eindrucksvoll erhalten geblieben“ sind („Einleitung“, 12). Vgl. hier auch Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 63–69. Vor dem Hintergrund der jüngeren Diskussion um die Datierung vieler literarischer Texte, für die gängigerweise eine Entstehungszeit in der 12. Dynastie angesetzt wird, sind solche Standpunkte mit zusätzlichen Problemen konfrontiert. Vgl oben Fn. 76. Von dieser Kontroverse sind die Königshymnen auf Sesostris i. im Wadi el-Hudi und in der Reiseerzählung des Sinuhe sowie diejenigen auf Sesostris iii. aus Illahun wegen ihrer zeitgenössischen Textzeugen nicht betroffen. Insgesamt lässt sich in der Ägyptologie eine starke Ausrichtung auf Biographien bzw. ‚Individuen‘ feststellen. Vgl. Ikram, „Interpreting Ancient Egyptian Material Culture“, 184 und Bryan, „Portraiture“, 375 f. Verschiedene in diese Richtung zielende Bedenken sind bereits dargelegt worden. Vgl. etwa Kapitel 2.3.4. Vgl. zum Begriff der High Culture oben Kapitel 1.2.1.2. Vgl. Parkinson, Poetry and Culture, 15 f.
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schieden der kulturellen Einbettung von Literatur und Statuen jedoch meist ausgeblendet. Tefnin, der eine solche Kontextbetrachtung einbezieht und feststellt, dass einige monumentale Königsstatuen in der 12. Dynastie auch außerhalb von Tempelgebäuden und damit für ein größeres Publikum sichtbar aufgestellt wurden, folgt dabei der Vorstellung, sämtliche vom Königshof in Auftrag gegebenen visuellen und textuellen Medien sollten propagandistische Botschaften transportieren, d.h. der Legitimation des Herrschers und der Hinführung der Untertanen zum Loyalismus dienen.555 Dabei liegt jedoch ein Ägyptenbild zugrunde, das auf sehr einseitigen und zugleich generalisierenden Konzeptionen von auf Legitimation ausgerichteter Politik fußt, ohne zu klären, was in einer Kultur wie der ägyptischen unter ‚Politik‘ überhaupt verstanden werden kann. So dürfte sich etwa die verbreitete Vorstellung, viele Könige hätten unter einem Rechtfertigungsdruck gestanden, dem sie durch Wort und Bild in einer für uns erkennbaren Weise hätten begegnen müssen, um sich gegen Widerstände oder gar Oppositionsbewegungen durchsetzen zu können, in erster Linie modernen Emplotment-Strategien verdanken und weit über das hinausgehen, worüber sich für die ägyptische Situation fundierte Aussagen machen lassen.556 Versuche, Statuen und literarische Texte aufeinander zu beziehen, erscheinen daher sogar bereits dann überaus problematisch, wenn man darauf ver-
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Vgl. Tefnin, „Les yeux et les oreilles du Roi“, der sich auch explizit für eine solche Einheit ausspricht, sowie zur Sichtbarkeit königlicher Statuen im Fayum Wildung, Sesostris und Amenemhet, 171f. und 195 f. Modifizierend hingegen Baines, der an dem von Tefnin und anderen als Propaganda bezeichneten Konzept selbst festhält, es aber eher als Teil eines Dialogs zwischen dem König und den Göttern einerseits und dem König und der Elite andererseits verstehen will (Baines, „On the Status and Purposes of Ancient Egyptian Art“, 323). Dies ist sicherlich beeinflusst durch Konzeptionen, wie wir sie von der Propaganda des 20. Jahrhunderts (vgl. Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“, 294–315, insbesondere 296 f.) oder aber von Bilder enthaltenden Flugblättern der Reformationszeit kennen (vgl. Warncke, „Bildpropaganda der Reformationszeit“). Das ägyptische Material, das auf tatsächliche Probleme hindeuten könnte (man denke an die Ächtungsfiguren, vgl. Posener, Cinq figurines d’envoûtement, dort etwa 55 f.), und solches, das in dieser Hinsicht nicht aussagekräftig ist (etwa diverse literarische Texte, vgl. nochmals Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“), wird unter Rückgriff auf jene modernen Emplotmentstrategien zu ägyptologischen „historical short stories“ (Björkman, „Egyptology and Historical Method“, 33) verarbeitet. An der listenartigen Zusammenstellung von „Unruhen“ im gleichnamigen Eintrag von Leitz im Lexikon der Ägyptologie zeigt sich diese Gemengelage sehr anschaulich. Vgl. hier auch bereits oben Kapitel 2.2.2. sowie zum Begriff der Legitimation/Legitimität unten ausführlich in Kapitel 2.4.4.2 (Exkurs ii, S. 424–442).
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zichtet, auf jüngst formulierte Bedenken hinsichtlich des Propagandamodells selbst und der Datierungen diverser literarischer Texte, die bislang dem Mittleren Reich zugeordnet wurden, näher einzugehen.557 Entscheidend sind daher an dieser Stelle nicht Fragen inhaltlicher Details der Deutung von Texten oder Statuen (d.h. etwa wie genau das Königsbild einer Lehre oder wie Gesichtszüge oder Ikonographie einer Statue im Einzelnen zu bewerten sind). Vielmehr ist es der ontische Status, den ägyptologische Perspektiven ägyptischen Texten und Statuen zu verleihen pflegen, der den Dreh- und Angelpunkt jeder ägyptologischen Annäherung an die 12. Dynastie darstellt. Solange diese Bilder und Texte als unmittelbar aufeinander beziehbare historische Quellen betrachtet werden, die die „großen Themen der Zeit“558 behandeln und deren Zugänglichkeit und Verstehbarkeit durch ägyptologische Kennerschaft oder ‚unvoreingenommene‘ Anschauung garantiert werden kann,559 werden diese Wahrnehmungsmuster weiterhin historiographische Konstrukte generieren, die in dem Moment unkontrollierbar werden, in dem sie in den Rang von historischen Tatsachen erhoben werden, was in der Regel spätestens dann geschieht, wenn sie fachintern rezipiert werden.560 Die Ägyptologie hat bislang kaum alternative Ansätze ausgebildet, dies zu vermeiden, bzw. die Auswirkungen jener Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster
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Vgl. erneut oben Fn. 76 zur Datierungsproblematik. Assmann bezog seine Formulierung nur auf die literarischen Texte der „‚pessimistische[n] Literatur‘ “ des Mittleren Reiches (vgl. oben Fn. 544). Eben jener Vorstellung von den „großen Themen“ einer Zeit oder gar einem Zeitgeist liegt jedoch meist die generelle Annahme zugrunde, man könne durch Texte greifbare Themen in Bildern nachweisen oder umgekehrt. Dass eine solche Annahme besonders dann nur auf tönernen Füßen errichtet ist, wenn jene Themen oder historischen Zusammenhänge nicht durch externe Hinweise erhärtet werden können, ist offensichtlich. Vgl. oben Kapitel 2.3.2.1. Eine solche Perspektive tritt immer wieder zutage. Vgl. oben zur von Wildung betonten Unmittelbarkeit des Zugangs zu ägyptischen Bildern Kapitel 1.3. Vgl. hierzu oben bei Fn. 18. Ein Beispiel bildet auch Labourys Argumentation, derzufolge psychologische Deutungen der Königsstatuen Sesostris’ iii. und Amenemhets iii. als Ausdruck der schweren Bürde des Königsamtes u.a. deshalb abzulehnen seien, weil sie ja gerade im Widerspruch zu dem stünden, was man über die dargestellten historischen Persönlichkeiten wisse („Portrait versus Ideal Image“, 5: „what we know about the historical personalities of Senusret iii and Amenemhat iii, probably two of the strongest kings who ever ruled Egypt“). Damit schließt sich der Kreis: Zu geschichtlichen ‚Tatsachen‘ geronnene (hymnische und literarische) Texte dienen zur Verifizierung bzw. Falsifizierung von Bildinterpretationen, die die Bilder als visuelle Pendants der Texte verstehen und historisch zu deuten suchen (ebenda, 5–7). Vgl. auch Moers, „Spurensucher auf falscher Fährte?“, 42–44.
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auszuzeichnen und so transparent zu machen.561 Daher kommt es immer wieder dazu, dass aus literarischen Texten entnommene Inhalte – als historische Fakten verstanden – angeführt werden, um textexterne Sachverhalte zu erklären. Offenkundig wird diese Praxis zum Beispiel im Fall der vermeintlichen Ermordung Amenemhets i., deren Ansprache durch Maya Müller hierfür ein besonders prägnantes Beispiel darstellt:562 „Ein nahe liegender Grund für die Verschlossenheit des königlichen Antlitzes ist das Trauma, das Sesostris i. durch die Ermordung seines Vaters erlitten haben muss. Der Mord war offenbar ein Schlüsselerlebnis, das die ganze Regierungszeit prägte und einen Aspekt von Distanziertheit, Abschottung und Kälte in das Aussehen und Verhalten des Königs brachte, und der sich zum beschriebenen Aspekt der Stärke, der Tatkraft und des Erfolgs gesellt.“563 Im Anschluss an die Nennung literarischer Werke, die in diesem Zusammenhang zu sehen seien, den Mord erwähnten oder im Fall der Lehre des Amenem561 562
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Vgl. nun jedoch die Versuche von Giewekemeyer („Perspektiven und Grenzen“) und Widmaier („Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“). Vgl. außerdem pars pro toto zwei weitere Beispiele ohne Bezug auf die Interpretation von Statuen: (1) Obwohl Parkinson das Propagandamodell als „a reductive view of the texts“ betrachtet und die Problematik der Fokussierung dieses Ansatzes auf die politische Geschichte betont (Poetry and Culture, 13–16, Zitat: 15), nimmt er dennoch (Poseners historischem Kontextualisierungsmodell folgend) die allein in literarischen Texten erwähnte Ermordung Amenemhets i. für bare Münze: „After a probably turbulent reign of 30 years Amenemhat i was assassinated, and his son and co-regent Kheperkare Senwosret i succeeded (c. 1918bce), continuing the process of renaissance proclaimed in the choice of his father’s royal titulary.“ (ebenda, 5). Vgl. für eine kritische Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Deutung des Königsnamens Wḥm-ms.wt als Ausdruck einer Renaissance Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 4.3.2.1; für ihre abweichende Interpretation der Namenswahl siehe ebenda, Kapitel 4.3.2. Vgl. außerdem dies., „Perspektiven und Grenzen“, 299f., 312 und 326–333. (2) Es sei außerdem nochmals auf Ausführungen von Burkard & Thissen (Einführung i4, 120) hingewiesen, auf die oben bereits ausführlicher eingegangen wurde (vgl. Kapitel 2.2.2): „Es ist klar, daß literarische Texte nicht ohne weiteres als historische Quellen auswertbar sind. Aber sie schweben auch nicht im historisch luftleeren Raum. An der Grundtatsache, daß im Sinuhe über den Tod des Königs berichtet wird, und daß die Todesumstände von besonderer Art gewesen sind, kann kein Zweifel bestehen. Denn weshalb hätte der Held der Geschichte sonst fliehen müssen?“ Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 63.
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het „vom König in Auftrag gegeben wurde[n], um seine Beziehung zum Vater aufzuarbeiten“564, führt sie weiter aus: „Es ist mir bewusst, dass es sehr schwierig ist, diesen Schriften Aussagen über den realen Menschen Sesostris abgewinnen zu wollen, und dies nicht zuletzt wegen der Formelhaftigkeit ägyptischer Schreibweise, die die heutige Leserschaft stets im Ungewissen lässt, ob eine Aussage konventionell oder individuell gemeint ist. Es ist hier nicht der Ort, die Literatur der frühen 12. Dynastie als historische Quellen zu diskutieren. Ohnehin[sic!] scheint es mir ganz offensichtlich daraus hervorzugehen, dass Amenemhet i. einem Attentat zum Opfer fiel, während der Thronfolger fern von der Residenz auf einem Feldzug war.“565 Neben literarischen Texten werden in vergleichbarer Weise ebenfalls Königshymnen zur Statuendeutung herangezogen, da auch in ihnen Aussagen erkannt werden, die eine spezifische Charakterisierung der Person des Königs selbst oder seiner individuellen politischen Programmatik erlauben würden.566 Es muss jedoch stark bezweifelt werden, dass es sich bei diesen Hymnen um in unserem Sinne ad personam verfasste Texte handelt. Sie dürften vielmehr das Königtum als solches thematisieren567 und wären, wollte wenn man eine Verbindung zu Bildwerken herstellen, vielmehr auf die Königsstatue als Gattung zu beziehen und nicht auf den Gesichtsausdruck o. Ä. einzelner Statuen des Herrschers, auf den ein Hymnus verfasst wurde.568
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Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 63f. Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 64. Vgl. Wildung, Sesostris und Amenemhet, 200–203. In diesem Zusammenhang ist auch eine der Königshymnen des Papyrus Turin cgt 54031 interessant, denn Teile dieses Hymnus sind auch auf dem Ostrakon DeM 1655 überliefert und wurden offenkundig nicht streng ad personam aufgefasst. Denn auf dem Papyrus wird Ramses vii., auf dem Ostrakon hingegen Ramses vi. genannt. Diesen Hinweis verdanke ich Joachim Friedrich Quack. Vgl. Popko, „Die Königshymnen an Ramses vi. und vii. des Papyrus Turin cg 54031“, 197–199 und 209 sowie zum Ostrakon DeM 1655 Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires iii.3, 94, Taf. 74 und 74a. Ähnlich auch Assmann („Ikonologie der Identität“, 27, Anm. 43 = Assmann, Stein und Zeit, 151f., Anm. 43) mit einer Einschätzung, die sich gegen Wildung (Sesostris und Amenemhet, bes. 203) wendet: „Er beruft sich auf Hymnen, die diesen Herrscher im Glanz und Schrecken seiner Göttlichkeit preisen. Aber diese Hymnen sind nun gewiß alles andere als realistische literarische Porträts Sesostris’ iii. Es sind Kultlieder, die sich auf die institutionelle Rolle des Königs beziehen, ebensogut auch auf jeden anderen König
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Ägyptologische Versuche, Interpretationen von Statuen auf Textkenntnis zu gründen, um so zu einem tieferen Verständnis der Bildern zu gelangen, finden Parallelen u.a. in der Klassischen Archäologie, wo ebenfalls verstärkt auf Textquellen zurückgegriffen wird, um „Betrachtungsweisen zu erschließen, die direkt nicht mehr zugänglich sind.“569 All diese Ansätze beruhen letztlich auf dem unter dem Begriff Ikonologie bekannt gewordenen Interpretationsschema, wie es von Erwin Panofsky in den 1930er Jahren ausformuliert wurde.570 Es lohnt sich, dieses Verfahren zur Bildanalyse näher zu betrachten, da sich so die anhand der ägyptologischen Praxis bereits benannten Problemlagen präziser fassen lassen. Panofsky unterscheidet in „Ikonographie und Ikonologie“ klar zwischen Ikonographie und Ikonologie und benennt außerdem drei Interpretationsebenen (i–iii), denen jeweils eigene Interpretationsgegenstände (a), Voraussetzungen (b) und Korrektive bzw. Kontrollinstanzen (c) zugeordnet sind: (i) Die vor-ikonographische Beschreibung zielt auf das primäre Sujet, die tatsachenhafte und ausdruckshafte Sinnebene des Objekts (ia), die dem Interpreten durch praktische Alltagserfahrungen (ib) zugänglich ist, so dass es ihm beispielsweise möglich ist, eine Darstellung eines Menschen zunächst als solche zu erkennen (tatsachenhaft) und darüber hinaus diese als die eines traurigen, fröhlichen o.ä. Menschen anzusprechen (ausdruckshaft). Kenntnisse der „Stil-Geschichte (Einsicht in die Art und Weise, wie unter wechselnden historischen Bedingungen Gegenstände und Ereignisse durch Formen ausgedrückt wurden)“571 gewährleisten dabei die Korrektheit der Beschreibung (ic).
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gesungen werden könnten und sich zufällig in der Redaktion auf Sesostris iii. erhalten haben.“ Die Bedenken Assmanns ließen sich jedoch in gewisser Hinsicht auch gegen seinen eigenen Ansatz anführen, da sie darauf hinweisen, dass der Brückenschlag von einem in spezifischen Zusammenhängen stehenden Text zu einer Statue(ngruppe) auch dann nicht selbstverständlich möglich ist, wenn beide denselben Königsnamen nennen. Inwiefern sich Texte auf die Komponenten von bzw. die Perspektiven auf Königtum beziehen, die man in den Statuen thematisiert sehen könnte, müsste erst einmal gezeigt werden. Dies dürfte sich jedoch nicht zuletzt wegen weitreichender Unklarheiten über Rezipienten, Rolle und Funktion der literarischen Texte als überaus schwierig erweisen. Giuliani, Bildnis und Botschaft, 239. Panofsky, „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung“, sowie in der maßgeblichen überarbeiteten Form ders., „Ikonographie und Ikonologie“. Panofsky, „Ikonographie und Ikonologie“, 50 (Kursive i.O.).
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(ii) Die ikonographische Analyse widmet sich der Identifizierung von aus anderen Zusammenhängen bekannten Bildern, Allegorien und Anekdoten im untersuchten Bild und damit dem sekundären Sujet (iia), was eine „Vertrautheit mit bestimmten Themen und Vorstellungen“ voraussetzt, die durch Kenntnis literarischer Quellen erlangt werden kann (iib). Um falsche Identifizierungen zu vermeiden, ist die Kenntnis der „Typen-Geschichte (Einsicht in die Art und Weise, wie unter wechselnden historischen Bedingungen bestimmte Themen oder Vorstellungen durch Gegenstände und Ereignisse ausgedrückt wurden)“ notwendig (iic).572 (iii) Erst die ikonologische Interpretation soll die eigentliche Bedeutung hinter dem Bild (iiia) ermitteln. Der Interpret greift dafür auf die „Vertrautheit mit den wesentlichen Tendenzen des menschlichen Geistes“ (synthetische Intuition) zurück (iiib) und fasst dabei „Formen, Motive, Bilder, Anekdoten und Allegorien als Manifestationen zugrunde liegender Prinzipien“ auf.573 Egal ob der Interpret das Kunstwerk dabei beispielsweise als Dokument der Künstlerpersönlichkeit oder der Kultur der Entstehungszeit versteht, er beschäftigt sich „mit dem Kunstwerk als einem Symptom von etwas anderem, das sich in einer unabsehbaren Vielfalt anderer Symptome artikuliert, und […] interpretier[t] seine kompositionellen und ikonographischen Züge als spezifische Zeugnisse für dieses ‚andere‘.“574 Als Korrektiv gilt dabei die „Geschichte kultureller Symptome oder ‚Symbole‘ allgemein“, dies meint die „Einsicht in die Art und Weise, wie unter wechselnden historischen Bedingungen wesentliche Tendenzen des menschlichen Geistes durch bestimmbare Themen und Vorstellungen ausgedrückt wurden“, also ein allgemeines Kulturverständnis, das sich wiederum aus einer umfassenden Quellenkenntnis speist.575
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Panofsky, „Ikonographie und Ikonologie“, 50 (Kursive i.O.). Panofsky, „Ikonographie und Ikonologie“, 40 f. und 50 (Kursive i.O.). Panofsky, „Ikonographie und Ikonologie“, 41. Panofsky, „Ikonographie und Ikonologie“, 50 (Kursive i.O.) sowie ebenda, 48f.: „Der Kunsthistoriker wird dasjenige, was seiner Meinung nach die eigentliche Bedeutung des Werkes oder der Werkgruppe ist, der er sein Augenmerk widmet, an dem zu messen haben, was seiner Meinung nach die eigentliche Bedeutung so vieler anderer, historisch auf jenes Werk oder jene Werkgruppe bezogener kultureller Dokumente ist, wie er nur bewältigen kann: von Dokumenten, die Zeugnis ablegen über die politischen, poetischen, religiösen, philosophischen und gesellschaftlichen Tendenzen der Person, der Epoche oder des Landes, die zur Debatte stehen.“
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Obwohl Panofskys Methode, die besonders hinsichtlich der ikonologischen Interpretation wesentlich auf dem Symbolbegriff und der Kulturphilosophie Ernst Cassirers basiert,576 z.T. durchaus erheblichen Widerspruch erfuhr, hat sie auf die Kunstgeschichte bis in die Gegenwart hinein großen Einfluss.577 Panofskys Methode ist nun für die Beurteilung der ägyptologischen Situation vor allem deshalb bedeutsam, weil sie eine Form der Bildinterpretation ausbuchstabiert, die die Lesbarkeit von Bildern propagiert, indem sie Lesarten von Textquellen auf Bilder überträgt.578 Da eben eine solche Perspektive den angesprochenen ägyptologischen Ansätzen zugrunde liegt, können sowohl die von Panofsky selbst formulierten Voraussetzungen für eine solche Interpretation als auch die Kritik an seiner Methode in hohem Maße aufschlussreich sein. An dieser Stelle genügt es, sich auf erstere zu beschränken. Panofsky benennt nicht nur klar die für jeden Bearbeitungsschritt notwendige Ausrüstung des Interpreten, er selbst unterzieht sein Interpretationsschema bereits einer methodenkritischen Betrachtung und weist so auf verschiedene Gefahren und Probleme hin, mit denen jeder Interpret konfrontiert wird, der sich ikonographisch bzw. ikonologisch betätigt. So muss er sich nach Panofsky u.a. im Klaren darüber sein, dass der ganze Vorgang ein in hohem Maße subjektiver ist, der bereits vor der vermeintlich objektiven (vorikonographischen) Beschreibung Interpretationen voraussetzt.579 Ferner gäbe es für den Interpreten keine Möglichkeit, im Rahmen der ikonographischen
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Panofsky, „Ikonographie und Ikonologie“, 48. Vgl. auch Eberlein, „Inhalt und Gehalt“, 181. Die Kritik richtete sich einerseits gegen die Ansetzung von einem allgemeinen höheren „Wesenssinn“, den Bilder letztendlich dokumentierten und in dem Panofsky den Gegenstand der ikonologischen Interpretation sieht (Panofsky, „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung“, 93–95). Andererseits stieß Panofskys Kritik an der aus seiner Sicht nur vermeintlich objektiven Formanalyse auf erheblichen Widerstand. Einen guten Überblick zur Rezeption der ikonologischen Methode bieten M. Schulz, Ordnungen der Bilder, 40–45 und Eberlein, „Inhalt und Gehalt“. Vgl. außerdem Schade & Wenk, Studien zur visuellen Kultur, 69–82. Vgl. zu einer Kritik an Panofsky und einer expliziten Abgrenzung auch Keel, Das Recht der Bilder, 267–273. William J.T. Mitchell spricht nicht nur von einer „Privilegierung der literarischen Malerei, in welcher ‚Bilder‘ des menschlichen Körpers und seiner Gesten die prinzipiellen Bedeutungsträger sind“, sondern auch davon, dass in „Panofskys Ikonologie […] das ‚Ikon‘ gründlich vom ‚Logos‘ absorbiert [ist], so man diesen als rhetorischen, literarischen oder sogar (was weniger überzeugend ist) als wissenschaftlichen Diskurs versteht.“ („Pictorial Turn“, 126). Dies steht in klarer Opposition zur Formanalyse bzw. ihrem Selbstverständnis. Vgl. besonders Panofsky, „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung“, 86–89.
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Analyse zwischen wesentlichen und unwesentlichen Vorstellungen zu unterscheiden, da es sich dabei letztlich nur um den Unterschied zwischen solchen handelt, die dem modernen Betrachter geläufig sind, und solchen, von denen er keine Kenntnis besitzt, weil darüber Auskunft gebende Quellen nicht bekannt sind oder gar nicht existieren.580 Anders formuliert weiß der Interpret, selbst wenn er über eine Ausrüstung (d.h. eine Kenntnis literarischer Quellen) verfügen sollte, deshalb noch lange nicht, welches Werkzeug in einem konkreten Fall eingesetzt werden muss. Diese Probleme beschränken jedoch für Panofsky keineswegs die Möglichkeiten seiner Methode, weil er mittels einer guten Quellenlage versuchen kann, diese unvermeidlichen Unsicherheiten weitestgehend zu begrenzen. Panofskys Ikonologie zielt schließlich auf die Kunst der Renaissance und damit auf Bilder, die einer u. a. hermetischen Tradition folgend verborgene, aber decodierbare (oft antike oder antikisierende) Bedeutungen transportieren sollten, wie es aus zeitgenössischen Schriften hervorgeht. Nicht zuletzt aufgrund solcher Texte meint Panofsky, davon ausgehen zu können, dass im Hinblick auf die Renaissance ein Interpret einerseits über die für seine Methode so zentrale Vertrautheit mit Texten, Themen und symbolischen Formen (im Sinne Cassirers) verfügen kann und andererseits annehmen kann, dass die Bilder in der Regel von ihren Produzenten auf decodierbare Botschaften ausgelegt wurden. Betrachtet man nun vor dem Hintergrund von Panofskys Darlegungen das oben bereits herausgearbeitete Problem, mit dem die Ägyptologie konfrontiert ist, so lässt sich feststellen, dass ein Großteil der ägyptologischen Versuche, textgestützt Statuen zu interpretieren, auf vorikonographische Beschreibungen begrenzt ist und durch selektives Hinzuziehen von Texten darauf abzielt, Bedeutungen hinter Bildern zu ermitteln.581 Dabei fehlen jedoch – gemessen an Panofskys Kriterien – das ausreichende Verständnis der Texte bzw. überhaupt geeignete Texte, um in adäquater Weise eine ikonographische Analyse durchführen und in der Folge die Grenze zwischen Ikonographie und Ikonologie überschreiten zu können.582 Auch wenn sich also beispielsweise (auf
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Dies wird ein Grund dafür sein, dass die Ikonologie in den Ruf eines „‚akademische[n] Gesellschaftsspiel[s]‘ “ geriet, „dessen Ergebnisse entsprechend beliebig ausfallen“ können (M. Schulz, Ordnungen der Bilder, 42). Vgl. außerdem Eberlein, „Inhalt und Gehalt“, 187. Vgl. hierzu auch Junge, „Versuch einer Ästhetik“, 9 f. sowie 11 mit Anm. 34. Als geeignet erweisen sich nach Maßgabe von Panofskys Methode Texte dann, wenn der Interpret sie ausreichend versteht und sich sicher sein kann, dass sich ihre Inhalte (Allegorien etc.) ebenfalls in den Bildern wiederfinden lassen. Beides dürfte für ägyptische
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der Ebene einer vor-ikonographischen Beschreibung) wohl ein Konsens darüber erzielen ließe, dass die Statuen Sesostris’ iii. ‚ernst‘ o.ä. erscheinen,583 dürften uns aus methodischer Sicht derzeit keine Möglichkeiten gegeben sein, aus dieser Beobachtung Aussagen über dahinter verborgene Bedeutungen, wie etwaige Botschaften des Königtums des Mittleren Reiches, abzuleiten. Schon für Überlegungen, die in der Panofsky’schen Terminologie der ikonographischen Analyse zuzurechnen wären, fehlt uns schlicht die Vertrautheit mit den relevanten Themen und Vorstellungen der untersuchten Zeit, auf der Panofskys Methode fußt, und zugleich auch die Gewissheit, dass von uns beschreibbare stilistische oder ikonographische Komponenten von Statuen dazu intendiert waren, Botschaften zu transportieren und so Fragen zu beantworten, die wir an die Statuen richten. Solange sich dies so verhält, können nur ägyptologische Vorstellungen vom Mittleren Reich auf die Bilder übertragen werden, die zwar in der Forschungsliteratur sehr gängig sind, sich aber vielfach bei näherer Betrachtung als mindestens ebenso fragwürdig erweisen. Unsere Vorstellungen vom Mittleren Reich gründen sich größtenteils auf einige fragwürdige bzw. unhaltbare Interpretationen weniger Texte, die als Tatsachenberichte missverstanden werden und so unhinterfragt zu Hauptquellen einer ägyptologischen Historiographie gemacht wurden und werden, obwohl weder die Datierung vieler Texte noch deren ontologischer Status als geklärt gelten kann.584 Hierin liegt der essentielle Unterschied zu der Ausgangslage, über
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Texte kaum gegeben sein. Vgl. hierzu auch Kapitel 3.2.3, in dem ähnliche Probleme näher betrachtet werden. Verbovsek steht der ikonologischen Methode ebenfalls skeptisch gegenüber und weist darauf hin, dass man es im Einzelfall vielleicht „bei einer ‚oberflächlicheren‘ Betrachtung der sog. zweiten Ebene belassen“ sollte („ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 369 und 375f. [Zitat: 376]). Stephan Seidlmayer hat mit einer knappen Bemerkung darauf hingewiesen, dass die Ägyptologie dazu tendiert, sich nur darauf zu konzentrieren, was sich der ersten und zweiten Ebene des Panofsky’schen Schemas zuordnen lässt. Seidlmayer lässt dabei offen, ob es seiner Meinung nach Möglichkeiten für die Ägyptologie gibt, auf die dritte Ebene ‚vorzustoßen‘, bzw. was unter einer solchen zu verstehen wäre (Seidlmayer, „Response to E. R. Russmann“, 36). Vgl. außerdem die Ausführung eines ägyptologischen Interpretationsbeispiels bei Hartwig („Style“, 47–49) sowie Müllers unkritische Darstellung samt ihrem Hinweis darauf, dass die Ikonologie häufig einbezogen werde, man dabei aber oft nur von Ikonographie spreche („Iconography and Symbolism“, 90–92). Die Möglichkeiten, dies so zu tun, ließen sich auch in Hinblick auf die Emotionsforschung bestätigen. Vgl. oben Abschnitt (2) dieses Kapitels. Vgl. hierzu Giewekemeyer („Perspektiven und Grenzen“) und Widmaier („Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“), sowie oben Kapitel 2.2 mit Blick auf das ägyptologische Geschichtsbild von der ‚1. Zwischenzeit‘.
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die Panofskys Renaissancestudien verfügen können. Angesichts dessen wird deutlich, dass nicht einmal eine Ikonographie ägyptischer Bilder im Sinne Panofskys vollends möglich sein und eine Ikonologie folglich für uns unerreichbar sein dürfte. Dass wir uns Bilder und Vorstellungen etwa vom Mittleren Reich machen können, sollte uns nicht darüber hinweg täuschen, dass uns diese Zeit verglichen mit der europäischen Neuzeit, für die Methoden wie diejenigen Panofskys entwickelt wurden, überaus fremd ist. Daher kann eine Anwendung derartiger Interpretationsmuster auf Ägypten nur zur Projektion ägyptologischer historical short stories585 auf die untersuchten Bilder führen, wobei letztere als Imaginationsanlässe und Illustrationen dienen, die dabei helfen, die bereits bekannten Geschichten zu veranschaulichen und weiter auszugestalten. Damit soll nun aber gerade nicht gesagt sein, dass es unmöglich wäre, durch Deutungen des Beschreibbaren zu Bedeutungen vorzudringen, also den Schritt von einer ägyptologischen Ikonographie zu einer ägyptologischen Ikonologie zu tun. Es steht jedoch zu befürchten, dass ein solches Vorgehen Ergebnisse produzierte, die nur im Gewand einer methodisch fundierten Kulturgeschichte etwa der 12. Dynastie daherkämen, denn insbesondere die Ägyptologie täte sicher gut daran, eine von den Warnungen Panofskys besonders ernst zu nehmen: „Daher verstehe ich Ikonologie als eine ins Interpretatorische gewandte Ikonographie, die damit zum integralen Bestandteil der Kunstwissenschaft wird, statt auf die Rolle eines vorbereitenden statistischen Überblicks beschränkt zu sein. Allerdings besteht zugegebenermaßen eine gewisse Gefahr, daß sich Ikonologie nicht wie Ethnologie zu Ethnographie, sondern wie Astrologie zu Astrographie verhalten wird.“586 Mit Blick auf die unternommene Prüfung des oben als dreiteilig benannten Interpretationsschemas ägyptologischer Porträtstudien587 kann nun eine ab-
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Damit sei noch einmal auf Björkmans treffende Charakterisierung verwiesen (Björkman, „Egyptology and Historical Method“, 33), vgl. oben Kapitel 2.2.2 u.a. bei Fn. 80. Panofsky, „Ikonographie und Ikonologie“, 42. Vgl. oben zu Beginn dieses Kapitels. Das Schema sei hier noch einmal wiederholt: (1) Bei als Porträts identifizierten Bildern wird zunächst von der Bedeutungshaltigkeit der Gesichtszüge und deren Decodierbarkeit ausgegangen. (2) Durch die Ansetzung einer transkulturell gültigen mimischen Ausdruckssprache werden auf dieser Grundlage weitreichende Interpretationen der Gesichtszüge vorgenommen. (3) Diese sollen meist durch Heranziehung zeitgenössischer Quellen abgesichert werden, wobei (3a) ein semantischer
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schließende Einschätzung nur ernüchternd ausfallen. Keine der einzelnen Annahmen kann in der Form aufrecht erhalten werden, in der sie im Rahmen gängiger ägyptologischer Praxis Anwendung findet. Sie hängen alle an europäischen Porträtkonzeptionen, die darauf abzielen, nicht nur die äußere Erscheinungsform, die körperliche Hülle eines Menschen, sondern auch die Aspekte des inneren Wesens oder tiefere Bedeutungen zu ergründen, die für Rezipienten erkennbar werden sollten. Im Hinblick auf die Deutbarkeit von in der Mimik erkennbaren Emotionen, sind keine Möglichkeiten erkennbar, die über die Feststellung grundsätzlicher Emotionen hinausweisen können. Für die ägyptische Literatur schließlich fehlt uns Gewissheit über ihre gesellschaftlichen Kontexte. Diese sind uns für Königsstatuen zwar vergleichsweise gut bekannt, da wir Anhaltspunkte dafür haben, in welcher Art architektonischen Rahmens sie aufgestellt waren und in welchem Funktionszusammenhang wir sie uns vorstellen müssen. Allerdings fehlen uns jedoch die Zeilen, zwischen denen man lesen könnte,588 wenn es überhaupt zu plausibilisieren wäre, dass durch literarische Texte und königliche Statuen dieselben Inhalte vermittelt werden sollten – und dabei wäre das Problem noch gar nicht berücksichtigt, dass wir im Unklaren darüber sind, ob sich die angeführten literarischen Texte überhaupt in die gleiche Zeit wie die Statuen datieren lassen.589 Gerade im Hinblick auf die 12. Dynastie begegnen sowohl im Zusammenhang mit Bildern als auch in Texten Namen historischer Personen: einmal in Verkörperungen durch Rundbilder, deren Gestaltung im Falle von Sesostris iii. und Amenemhet iii. aus der Masse ägyptischer Statuen hervorsticht, einmal in Texten, die mit ihren Narrationen über das aus formelhaften Monumentalinschriften bekannte hinausgehen.590 Der Schritt von Konkrektheit, Spezifik und Wiedererkennbarkeit der Bilder und Texte zur Vorstellung, ein historisches Individuum oder eine individuell zuschreibbare Aussage oder Weltsicht trete gleich in verschiedenen Zusammenhängen in Erscheinung, ist jedoch nur im Rahmen moderner Wahrnehmungsmuster kein großer, zumal wenn man bedenkt, mit was für einer eingeschränkten Quellenlage wir es im Mittleren Reich zu tun haben591 und wie biographisch-narrativ die ägyptologische
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Zusammenhang zwischen den jeweils angeführten Statuen und Texten ebenso zugrunde gelegt wird wie (3b) bestimmte Formen ägyptologischer Textinterpretation. Um noch einmal Peter Burkes Formulierung aufzugreifen. Vgl. oben Fn. 519. Vgl. erneut oben Fn. 76 zur Datierungsproblematik. Vgl. etwa Müllers diesbezügliche Einschätzung (Müller, „Die Königsplastik des Mittleren Reiches“, 63 f.) sowie oben mit Fn. 562–565. Vgl. oben mit Fn. 551.
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Geschichtsschreibung ausgerichtet ist. Zudem sind die Kontextualisierungsmöglichkeiten viel zu vage und unser Wissen um die betrachtete Zeit viel zu unsicher und gering, als dass man sich auf der sicheren Seite wähnen könnte, wenn man versuchen wollte, im Rahmen einer ägyptologischen Ikonologie Statuen und Texte zusammenzuführen, um zu den eigentlichen Bedeutungen und Hintergründen einer Zeit wie der 12. Dynastie vorzustoßen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich irgendwann Wege zu einem Verständnis des Stils öffnen, aufgrund dessen viele Statuen Sesostris’ iii. einen hohen Wiedererkennungswert für den modernen Betrachter besitzen. Die bislang angewendeten Methoden – und dabei insbesondere die Porträtforschung im Allgemeinen sowie in ihrer speziell ikonographisch-ikonologisch ausgerichteten Form – scheiden jedoch diesbezüglich aus, und der Blick auf die uns zur Verfügung stehenden Kontexte der Statuen sollte uns nicht zu optimistisch stimmen, dass sich in absehbarer Zeit daran etwas Wesentliches ändern wird. 2.3.5.3
Projektionen und Imaginationen: Ägyptische Porträts als offene Fragmente
„Eine Abstraktion, kein Mensch? Das Auge weigert sich, es zu glauben.“ kurt lange angesichts von Statuen Sesostris’ iii.592 Während im Vorangegangenen Zweifel daran formuliert wurden, dass sich ägyptische Bilder auf eine methodisch fundierte Weise als Porträts analysieren lassen, soll nun untersucht werden, inwiefern porträtforscherische Perspektiven Erwartungshaltungen an ägyptische Bilder bedingen und so ägyptologische Imaginationen auf die Bilder zu projizieren helfen. Dafür bietet Kurt Langes Abhandlung über Sesostris iii. „in Mythos, Geschichte und Kunst“ einen guten Anknüpfungspunkt,593 da sie, obwohl seit ihrem Erscheinen bereits mehr als 60 Jahre vergangen sind, dennoch das bis heute andauernde Ringen um die Deutung der Königsstatuen Sesostris’ iii. nicht nur in seinen Grundzügen wiedergibt. Ferner beschreibt sie es auch als genau das zentrale Dilemma, dessen Konsequenzen hier wieder besondere Beachtung geschenkt werden soll. Mit Blick auf die in der Forschung anhand der Statuen Sesostris’ iii. immer wieder diskutierte ‚Opposition aus Ideal und Porträt‘ räumt Lange dem Ideal das größere Gewicht ein, will aber dennoch in den Bildern Sesostris’ iii. und
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K. Lange, Sesostris, 34. K. Lange, Sesostris.
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Amenemhets iii. realistische Züge erblicken und nicht etwa Veränderungen der „Volksnatur“.594 Damit bezieht er eine gängige Position des ‚sowohl als auch‘, die man in vergleichbarer Weise auch andernorts finden kann.595 Das diesbezüglich besonders Aufschlussreiche sind jedoch weniger Langes Deutungen als solche, sondern vielmehr die Gründe, die er für sein Schwanken anführt und die sich direkt an die Überlegungen des vorangegangenen Kapitels anschließen lassen. So verweist Lange explizit auf Ähnlichkeiten der Statuen Sesostris’ iii. mit neuzeitlichen europäischen Kunstwerken: „Man denkt bisweilen an Meisterwerke der italienischen Renaissance, an naturalistische, psychologisch vertiefte Schöpfungen der Neuzeit […].“596 Ferner betont er nachdrücklich, dass er trotz der allein schon in zeitlicher Hinsicht enormen Distanz zur ägyptischen Kultur in den Statuen Sesostris’ iii. Vertrautes vorfinde. Er gewinne gar den Eindruck, die Darstellung bzw. der Dargestellte zeuge so eindrucksvoll von Erfahrungen des Leids, wie er sie als Betrachter des 20. Jh. n.Chr. nachempfinden könne, dass er von einem „Verwandtschaftsgefühl[…]“ spricht, das den heutigen Betrachter die zeitliche Kluft überwinden lasse: „Es scheint ein von unserer Erfahrung geprägtes Gesicht zu sein, in das wir da über fast vier Jahrtausende hinweg blicken.“597 Dem steht jedoch Langes Wissen darum gegenüber, dass die
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Diesbezüglich wendet sich K. Lange gegen Evers’ Position (vgl. K. Lange, Sesostris, 33–35). Vgl. etwa Laboury („Portrait versus Ideal Image“, 5–7), der sich gegen das westliche Konzept eines Hyperrealismus wendet und eine Deutung der Porträtstile Sesostris’ iii. und Amenemhets iii. an Poseners Propagandamodell bindet, dabei jedoch eine physiognomische Konvergenz für „rather likely“ hält, wenngleich er betont, dass sich dies ohne die Mumien der beiden Herrscher nicht verifizieren lasse. Derartige Positionen bewegen sich zwischen den Positionen, die Jaeggi mit Blick auf die Klassische Archäologie identifiziert hat (vgl. Kapitel 2.3.5.1). K. Lange, Sesostris, 29. „Dem Betrachter dieses Kopfes drängt sich unwiderstehlich auf: hier ist verwandtes Leid getragen, verwandte Form auf rätselvoll verwandte Weise gestaltet worden. Gegenüber den Regungen dieses Verwandtschaftsgefühls wiegen die Unterschiede von Rasse, Umwelt und Zeitalter sonderbar gering. Es scheint ein von unserer Erfahrung geprägtes Gesicht zu sein, in das wir da über fast vier Jahrtausende hinweg blicken.“ (K. Lange, Sesostris, 8).
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„menschenfigürliche ägyptische Plastik bis in jüngste Zeit hinein allzu sehr unter dem Aspekt des Porträthaften gewertet worden [ist], wie der Naturalismus diesen Begriff versteht.“ Schließlich überwiege doch der Stil und nicht die Orientierung an der „Naturform“: Auch im „offenbar realistischen ägyptischen Bildnis“ stecke „ein gut Teil dreidimensionaler, gemeingültiger Hieroglyphe“, allein der „unbefangene Blick“ wolle u.a. aufgrund der „Ausdruckskraft der großzügigen Modellierung“ und der „Vehemenz der ganzen […] Erscheinung“ eine weitergehende Porträthaftigkeit wahrhaben.598 Lange spricht gar von „Pseudo-Porträtwirkung“599 und thematisiert damit, inwiefern der „unbefangene“ und in diesem Sinne als naiv beschreibbare Blick auf ägyptische Statuen in diesen etwas wähnen kann, das so vertraut wirkt, dass sich die Frage nach Möglichkeiten oder Problemen der Annäherung gar nicht mehr recht stellt: Aus naiver Perspektive kann eine ägyptische Statue so nah erscheinen, dass sich der Betrachter mit den in ihr geschauten Inhalten gar identifiziert („ein von unserer Erfahrung geprägtes Gesicht“).600 Die besondere Relevanz von Langes Ausführungen lässt sich jedoch noch in einer anderen Hinsicht konkretisieren. In seinem Text geht es schließlich indirekt u.a. um die Wirkungskraft, die eine solche naive Perspektive auch auf einen ägyptologischen Kunsthistoriker wie ihn als Kenner der Materie entfaltet. Lange berichtet angesichts der Statuen Sesos-
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Die ganze Passage lautet: „Sicher ist die menschenfigürliche ägyptische Plastik bis in jüngste Zeit hinein allzu sehr unter dem Aspekt des Porträthaften gewertet worden, wie der Naturalismus diesen Begriff versteht. Die Formenorganisation der Gesichter ägyptischer Statuen richtet sich wohl allgemein, aber doch nur bedingt nach der gewachsenen Naturform aus. Der Stil spricht in der Regel das bedeutsamere Wort. Er hat seine eigene, ideale Wirklichkeit. Auch im offenbar realistischen ägyptischen Bildnis steckt ein gut Teil dreidimensionaler, gemeingültiger Hieroglyphe. Die Porträthaftigkeit der meisten Statuenköpfe geht nicht so weit, wie es der unbefangene Blick zunächst wahrhaben will, der sich durch den Blickglanz unheimlich täuschend eingelegter Quarzaugen, durch den günstigen Zusammenklang der Proportionen, die Ausdruckskraft der großzügigen Modellierung, die Vehemenz der ganzen, vielfach noch durch Farbe unterstrichenen Erscheinung überraschen läßt.“ (K. Lange, Sesostris, 33 f.). K. Lange, Sesostris, 34. Vgl. auch: „Das ist es, was diese Züge uns so verwandt erscheinen läßt: wir meinen, in ihnen den autonomen Menschen zu sehen und damit den Menschen unseres eigenen Zeitalters. Das schmerzliche Adelszeichen unseres Ganz-auf-uns-selbst-Gestelltseins ist ihnen aufgeprägt. Denn diese Autonomie ist nicht Frevel und Gottvergessen, sondern unentrinnbares Schicksal und damit Adel, ist nicht Hybris, sondern Erfüllung eines Auftrages des höchsten Prinzips.“ (K. Lange, Sesostris, 32).
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tris’ iii., wie sein eigener Wahrnehmungs- und Interpretationsprozess, der ja nicht nur auf eine unbedarfte erste Anschauung der Objekte, sondern auch auf umfangreiche Kenntnisse über ägyptische Bilder zurückgreifen kann, von einer Naivität des „unbefangene[n] Blick[s]“ überlagert wird. In Langes Ausführungen handelt es sich bei diesem Vorgang um keine verborgene Beeinflussung, sondern um eine bewusste Entscheidung: Lange macht schließlich transparent, was ihn hadern lässt, und auf diese Weise seine Wahl explizit. Dabei fasst er das Dilemma prägnant zusammen, vor dem der eine Statue Sesostris’ iii. betrachtende Ägyptologe steht: „Eine Abstraktion, kein Mensch? Das Auge weigert sich, es zu glauben.“601 Lange folgt dieser Weigerung des Auges und lässt Zweifel an der „Zulänglichkeit unseres heutigen Begriffes Kunst“, wie sie sich sonst angesichts ägyptischer Bildwerke einstellen könnten, mit Blick auf die Statuen Sesostris’ iii. nicht zu.602 Für Lange erschließen sich daher diese Statuen dem Betrachter dezidiert als Kunst, für deren Verständnis wiederum literarische Texte Auskunft geben würden: „Diese Regentenlehre [die Lehre des Amenemhet, K.W.] hat in den Statuengesichtern des dritten Sesostris und seines Sohnes plastische Form gewonnen. Und diese Form wiederum ist ein Bekenntnis der Kunst im tiefsten Sinne des Begriffes. Sie hat sich – zwischen den Zeiten hangend, des Vergangenen nicht mehr sicher, des Künftigen ungewiß – der Erforschung des königlichen Antlitzes mit einer Hingabe zugewandt, als könne allein aus seinen Zügen durch die Beschwörung des Meißels Rat und Hilfe kommen.“603 Langes Statueninterpretation stellt sich damit als eine von europäischen Porträtkonzepten geprägte und auf literale Lesarten literarischer Texte zurückgreifende Deutung dar, die die Ursache für den „wissensschwere[n] Ernst“ der Statuen in den Erfahrungen von „Aufruhr und Haß“ sieht, die gemacht wurden, als das Gefüge der Ordnung des „Alten Reichs“ „in Stücke zerfallen“ gewesen sei. Das Wissen des Königs um jene „ausgeloteten Tiefen“ spiegele sich daher in den Bildern des Königs.604 Der Zugang Langes erscheint vor dem Hintergrund des vorigen Kapitels nicht unproblematisch, bedient er sich doch moderner Wahrnehmungsmuster und projiziert hochvoraussetzungsreiche Erwartungshaltungen auf ägyp601 602 603 604
K. Lange, Sesostris, 34. Vgl. zum ‚unbefangene[n] Blick‘ Fn. 598. K. Lange, Sesostris, 40. K. Lange, Sesostris, 39 f. Vgl. K. Lange, Sesostris, 36 und 40.
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tische Statuenbilder.605 In eine andere sehr aufschlussreiche Richtung lassen sich jedoch die ebenfalls in Langes Ausführungen enthaltenen Reflexionen verfolgen, die die ägyptologische Rezeption ägyptischer Statuen hinsichtlich ihrer dezidiert modernen Wahrnehmung betrachten.606 Sie fügen sich einerseits in die hier angestellten Überlegungen und führen andererseits vor Augen, wie fundamental die Auswirkungen des durch neuzeitliche Porträtkonzeptionen geprägten Blickes sind, der als solcher immer nur ein vermeintlich unbefangener sein kann. Die Ägyptologie muss folglich damit rechnen, dass das in den von ihr behandelten Bildern Erkannte weniger mit ägyptischen Bildern als mit modernen Wahrnehmungsmustern zu tun haben kann, die u. a. die Weigerung beinhalten, Bilder, die Porträts ähneln, als etwas anderes als Porträtkunst europäischer Art zu betrachten. Positiv gewendet führt Lange daher vor, wovon der an ägyptischen Bildern Interessierte abstrahieren muss, damit er in den vor ihm befindlichen ägyptischen Objekten auch eben solche erkennen kann und nicht Porträts im neuzeitlichen Sinne. Man ist folglich vor die Wahl gestellt, Königsstatuen im Einklang mit Langes Entscheidung als Porträts zu betrachten oder aber den Versuch zu unternehmen, sich jener ‚Weigerung des Auges‘ zu widersetzen, um den eigenen Blick nicht von der scheinbaren Por-
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Vgl. auch oben Kapitel 2.1 und 2.2 zum hier bei K. Lange prägnant in Erscheinung tretenden negativen ägyptologischen Epochenbild von der ‚1. Zwischenzeit‘. K. Lange spricht häufig davon, dass es sich um Eindrücke handele, die sich dem Betrachter aufdrängten, und dass Vieles nur so scheine, wie man es zu spüren meint (alle Hervorhebungen im Folgenden K.W.): „Obwohl uns Weltalter von der Gesittung scheiden, die diese Bildwerke hervorgebracht hat, empfinden wir sie als in einem sehr unmittelbaren Sinne zu uns gehörig.“ (Sesostris, 7). „Dem Betrachter dieses Kopfes drängt es sich unwiderstehlich auf : hier ist verwandtes Leid getragen, verwandte Form auf rätselvoll verwandte Weise gestaltet worden. Gegenüber den Regungen dieses Verwandschaftsgefühls wiegen die Unterschiede von Rasse, Umwelt und Zeitalter sonderbar gering. Es scheint ein von unserer Erfahrung geprägtes Gesicht zu sein, in das wir über fast vier Jahrtausende hinweg blicken.“ (ebenda, 8). „Undeutlich steigen mit ihm [einem Statuenkopf, K.W.] Eindrücke herauf, die man halbbewußt, als innersten, unverlierbaren Besitz, durch das Leben trägt: das ewige Antlitz der alten Käthe Kollwitz, die letzten Selbstbildnisse Rembrandts. Wieviel lange und tapfer Getragenes ist hier ausgelitten. Und wie mag es kommen, daß wir in diesen Zügen etwas von der Last des uns Auferlegten zu spüren meinen, erduldet unter dem Hämmern der Mordmaschinen, gelitten in der Preisgabe alles dessen, was das Leben lebenswert macht? […]. Das ist es, was diese Züge uns so verwandt erscheinen läßt: wir meinen, in ihnen den autonomen Menschen zu sehen und damit den Menschen unseres eigenen Zeitalters.“ (ebenda, 31 f.).
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träthaftigkeit der Bilder leiten zu lassen. Sieht man sich hingegen gar nicht vor diese Wahl gestellt, führen oberflächliche Ähnlichkeitsbeobachtungen oftmals bereits dazu, dass die Entscheidung unbewusst getroffen und Ähnliches als Vertrautes wahrgenommen wird. Vorschläge, von Porträts zu sprechen, lassen sich dann aus einer solchen Warte heraus leicht formulieren, da sich am ägyptischen Objekt selbst zunächst nicht erkennen lässt, dass sich für ägyptische Entstehungs- und Rezeptionskontexte keine aus der Neuzeit bekannten Porträtkonzeptionen greifen lassen. Das Objekt selbst widersetzt sich einer solchen durch Ähnlichkeitsüberlegungen gestützten Übertragung von Wahrnehmungsmustern nicht. Wie sollte es auch? – Dieser Umstand geht nun jedoch mit eben jenen Wahrnehmungsmustern eine sich selbst legitimierende Verbindung ein, die die ägyptologische Kunstwissenschaft nachhaltig prägt und zu einer Festigung der Ansicht führt, ägyptische Bilder könnten bzw. müssten dezidiert kunstwissenschaftlich behandelt werden. Gemeint sind Auffassungen von der Offenheit von Kunst, die insbesondere porträtforscherischen Perspektiven zugrunde liegen, aber auch sonst in der ägyptologischen Rezeption Ägyptens eine zentrale Rolle spielen. Nach Boehm zeichnet sich die als Dialog zwischen Bild und Betrachter verstandene kunsthistorische Porträtinterpretation durch eine prinzipielle Offenheit des Untersuchungsgegenstandes aus: „Die Deutungsvielfalt eines dargestellten Individuums erscheint unerschöpflich. Nur wenn es sich auf einen bestimmten Inhalt nicht festlegen läßt, bewahrt es seine persönliche Autonomie.“607 Aus einer solchen Perspektive heraus können nicht nur neuzeitliche Porträts, sondern auch Bilder, die etwa in Bezug auf ihre kulturellen Kontexte nur unklar bestimmt sind, als geeignete ‚Dialogpartner‘ betrachtet werden, selbst wenn es gerade keine Hinweise darauf gibt, dass sie innerhalb ihrer ursprünglichen Kontexte dazu dienten, im neuzeitlichen Sinn ein Individuum zu thematisieren.608
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Im Zusammenhang heißt es: „Der anschauliche Dialog ist die Basis unserer Untersuchung, aber auch ihr Ziel. Die Chance, diesen Dialog zum Abschluß zu bringen, ist gering. Die Deutungsvielfalt eines dargestellten Individuums erscheint unerschöpflich. Nur wenn es sich auf einen bestimmten Inhalt nicht festlegen läßt, bewahrt es seine persönliche Autonomie. Darauf muß eine Hermeneutik des Porträts Rücksicht nehmen. Etwas anderes soll nicht verstanden werden, als eine Erfahrung des Betrachters mit dem historisch fernen Porträt, das in seine Gegenwart hineinragt: ihm vor Augen steht.“ (Boehm, Bildnis und Individuum, 12 [Hervorhebung im Original fett gedruckt]). Vgl. oben Kapitel 2.3.5.2(1). Aus einer solchen Perspektive betrachtet auch Junge mit
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Wird eben keine historisierende Perspektive eingenommen, die auf die Bedeutung der primären Kontexte des Bildes fokussiert, erscheint das Bild daher offen für Imaginationen und Interpretationen. Dafür, dass oftmals eine Offenheit ägyptischer Objekte gegenüber modernen Wahrnehmungsmustern angesetzt wird, lassen sich aber auch noch ganz spezifische Gründe anführen, die sowohl mediale Eigenschaften der ägyptischen Objekte selbst als auch deren mediale Aufarbeitung von Seiten der Ägyptologie betreffen. Brustbilder und damit eben jene Bildtypen, die eine prominente Stellung unter denjenigen Bildern der Neuzeit einnehmen, an denen die Kunstgeschichte ihre Porträthermeneutik entwickelt hat, sind auch aus dem Mittelalter und der Antike bekannt: Viele Münzen tragen Personenbilder im Profil, aber auch an Büsten und den sogenannten Mumienporträts lassen sich in formaler Hinsicht große Übereinstimmungen feststellen.609 Diese zumindest teilweise auf bewusste frühneuzeitliche Rückgriffe auf antike Bildgattungen zurückzuführenden Ähnlichkeiten610 haben mit Sicherheit die Übertragung von an neuzeitlichen Porträts geschulten Wahrnehmungsmustern auf antike Bilder begünstigt. Nun wurden Münzen in Ägypten erst im 4. Jahrhundert v. Chr. eingeführt, sogenannte Mumienporträts sind nur für die römische Zeit belegt und auch die Büste ist eine zwar nachweisbare, aber doch vergleichsweise selten belegte Statuengattung,611 und dennoch spielen derartige formale Übereinstimmungen mit neuzeitlichen Porträts auch in der Wahrnehmung ägyptischer Bilder eine wichtige Rolle. Dies lässt sich zunächst besonders an einigen wenigen berühmten Einzelstücken beobachten: So ist das als Berliner Porträtbüste der Nofretete weltbekannte Rundbild sicherlich das prägnanteste Beispiel für eine solche assoziative Übertragung neuzeitlicher bzw. moderner
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Bezug auf Umberto Eco die ägyptische Skulptur („Versuch einer Ästhetik“, 37f.). Vgl. hierzu oben Kapitel 1.1.2 sowie unten Kapitel 3.2. Auch Baines geht von einer Offenheit der Objekte gegenüber modernen kunsthistorischen Methoden aus und lehnt es deshalb ab, die Entscheidung darüber, ob man von ägyptischer Kunst sprechen könne, an der Funktionsfrage festzumachen. Auch wenn die Funktion der Objekte früher eine andere gewesen sein könne, hieße dies nicht, dass man nicht von ägyptischer Kunst sprechen könne (vgl. Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 310 f. sowie hier Kapitel 1.2.1). Vgl. auch zu spätantiken und mittelalterlichen Malereien wie etwa Ikonen Belting, Bild und Kult. Es ist unstrittig, dass in der Frühen Neuzeit u. a. auf antike Bildtypen zurückgegriffen wurde. Vgl. Boehm, Bildnis und Individuum, 15, Belting, in: ders. & Kruse, Die Erfindung des Gemäldes, 45, Beyer, Das Porträt in der Malerei, 20 und Lavin, „On the Sources and Meaning of the Renaissance Portrait Bust“. Vgl. Kaiser, „Zur Büste als einer Darstellungsform ägyptischer Rundplastik“.
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Wahrnehmungsmuster.612 Da es sich um eine naturalistisch anmutende Büste handelt, die zudem moderne Schönheitskonzepte anspricht, wird das Rundbild als Porträtkunst rezipiert: Es wird angenommen, tiefgründige Einsichten zum Menschen und seiner Vergänglichkeit seien das Thema des Bildes und die Ergründung der Gesichtszüge gebe Auskunft darüber.613 Dem steht jedoch der gerade bei der Büste der Nofretete feststellbare hohe Grad von Kontextualisierbarkeit gegenüber, der sich aus ihrem Zweck als Bildhauermodell ergibt.614 Die insbesondere durch diese Funktion bedingte Beschränkung des Rundbildes auf Kopfbedeckung, Kopf und obere Brustpartie bietet daher gerade keinen Anlass, das Objekt als Porträtbüste zu verstehen und auszudeuten.615 Die Beschränkung auf die Büstenform liegt in produktionstechnischen Zusammenhängen und nicht etwa darin begründet, dass die beschnittene Form als solche, die ja im Rahmen neuzeitlicher Porträtbetrachtung eine wesentliche Rolle spielt,616 von einem Adressatenkreis außerhalb der Werkstatt rezipiert werden sollte. Rundbilder, bei deren Herstellungsprozessen die Berliner Büste eine Rolle gespielt hat, sind schließlich gerade nicht als Büsten vorzustellen. Betrachtet man die vergleichsweise kleine Gruppe der als Büsten beschreibbaren ägyptischen Skulpturen zeigt sich, dass diese nur in wenigen Kontexten belegt sind und dass sich vergleichsweise eindeutige Kontextbezüge herstellen lassen. Werner Kaiser hat ägyptische Rundbilder behandelt, denen die auf den Kopf und einen Teil des Oberkörpers begrenzte Darstellungsform der Büste gemein ist. Die Anwendung der modernen Klassifizierung ‚Büste‘ ist in diesem Zusammenhang zwar deskriptiv zutreffend, diese Zuweisung des Begriffs an eine Gruppe von Statuen sollte jedoch nicht dazu verleiten, die einzelnen Objekte auch in gleicher Weise zu interpretieren, bloß weil wir sie alle als Büsten beschreiben können. Schließlich erweist sich bei näherer Betrachtung Kaisers Objektzusammenstellung dann als inhomogen, wenn man die
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Vgl. oben Kapitel 1.3. Vgl. beispielsweise Wildung, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, 75. Vgl. hierzu bereits ausführlicher oben Kapitel 1.3. Vgl. auch Lavin („On the Sources and Meaning of the Renaissance Portrait Bust“, 213 mit Anm. 37 auf S. 222), der explizit auf Ähnlichkeiten zwischen italienischen RenaissanceBüsten und der Amarna-Büste im Louvre (e 11076) verweist, ohne die unterschiedlichen Kontexte aus dem Auge zu verlieren: „Oddly enough, leaving function and meaning aside, the closest precedent I know for the quattrocento type of portrait bust – life-size, cut in a straight horizontal through chest and arms, fully articulated and finished in the round – is a limestone bust of Akhnaton in the Louvre, a sculptor’s model presumably made in preparation for a full-length statue […].“ Vgl. zur kunsthistorischen Terminologie unten Fn. 618.
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jeweiligen Verwendungskontexte berücksichtigt, über die sich noch Aussagen treffen lassen.617 Ägyptologische Verwendungen des Begriffs Büste lassen sich jedoch interessanterweise nicht nur bei Objekten wie den von Kaiser angesprochenen, sondern auch bei Statuen feststellen, die gerade nicht als verkürzte Darstellungsform zu beschreiben sind. So wird der Begriff ‚Büste‘ entgegen kunsthistorischer und klassisch archäologischer Konvention618 mitunter auch auf Kopf 617
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Vergleichsweise homogen erscheint höchtens der von Kaiser („Zur Büste als einer Darstellungsform ägyptischer Rundplastik“) angeführte Deir el-Medina-Typus mit seiner mumienhaften Form, für den Hauskontexte wahrscheinlich sind. Büsten dieses Typs enthalten in der Regel keine Namensinschrift und für sie werden Funktionen im Ahnenkult vermutet. Darüber hinaus sind vergleichsweise wenige andere Formen (etwa amulettartige Kleinstbüsten) belegt, die sich zu Typen o. Ä. zusammenfassen ließen. Die übrigen fast ausschließlich amarnazeitlichen „Büsten porträthaften Charakters“ lassen sich entgegen Kaisers Annahme, es könne sich bei ihnen um Hauskunst handeln, als Objekte aus Werkstattkontexten interpretieren (vgl. zur Bildhauerwerkstatt des Thutmosis Kapitel 1.3). Kaisers Hypothesen zu einer Deutung dieser Büsten als Ausschmückungsgegenstände für Paläste lassen sich kaum widerlegen, dennoch sollte die Tatsache, dass die einzigen gesicherten Fundkontexte dieser Objekte Werkstätten (und im Falle von Ꜥnḫ-ḥꜣ=f eine Grabkapelle) sind, nicht unterschätzt werden. Sie lässt seine Deutung vielmehr unplausibel erscheinen. Ob Carters Interpretation von JdE 60722, Carter № 116, als Kleiderpuppe zutreffend ist, bleibt ebenfalls unklar, weil der Fundkontext mit Blick auf die ursprüngliche Funktion kaum weiterhilft. Fest steht, dass dieses nicht auf Kopf und Brust beschränkte Rundbild in der Vorkammer des Grabes und nicht in der sogenannten Schatzkammer bei den Statuetten aufgefunden wurde, denen eine kultische Funktion zugeschrieben wird. Vgl. auch Bommas, Das ägyptische Investiturritual, 106f., der eine funeräre Funktion bezweifelt und zu Carters Deutung tendiert. Dieser Bereich konnte hier nur kursorisch gestreift werden. Nun liegt eine umfangreiche Aufarbeitung vor allem des Materials aus Der el-Medina vor (Keith, Anthropoid Busts), so dass es sich künftig anbieten würde, vom Material dieser ‚Sonderfälle‘ ausgehend grundsätzlichere Überlegungen zum ägyptischen Statuenbild anzustellen. „Büste […] rund- oder reliefplast., von vornherein als Teilbild gestaltete Darstellung eines Menschen (meist mit Bildnischarakter), die nach unten durch Schulter, Brust, Leibesoder Körpermitte (Schulterbild, Brustbild, Halbfigur) begrenzt wird und zu unterscheiden ist von den ‚unechten‘ B.n, den Fragmenten von ganzen Figuren (Torso), auch den Teilkopien (z. B. röm. Kopien griech. Philosophenbildnisse) oder Teilabgüssen von Statuen, die in späteren (bes. Sammler-)Zeiten umgestaltet wurden.“, so der Eintrag „Büste“ (ohne Autornennung) in: Olbrich et al. (Hrsg.), Lexikon der Kunst i, 740f., hier: 740 (Zitat). „rund- oder reliefplastische Darstellung eines Menschen in der bewußten Reduktion auf den Kopf mit Oberkörperanschnitt, die in der Regel Porträt- oder porträtähnlichen Charakter besitzt“, so der Beitrag „Büste“ (ohne Autornennung) in: Stadler (Hrsg.),
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und Oberkörper umfassende Fragmente von Vollstatuen übertragen.619 Eine solche nicht durch die eigentliche Begriffsbedeutung gedeckte Übertragung des kunsthistorischen Terminus ist vor den Hintergründen der ägyptologischen Porträtforschung keineswegs als zufällig zu betrachten, vielmehr spiegelt sich darin die Tendenz, Vertrautes (Bildgattungen neuzeitlicher Kunst) im Fremden (ägyptischen Bildern) erkennen zu wollen, ohne sich durch Einbeziehung der fremden Kontexte der Angemessenheit dessen zu versichern. Entsprechend wird der Begriff Büste u.a. häufig in Auktionskatalogen verwendet, die sich an den Anforderungen des Kunstmarktes orientieren.620 Der Begriff ‚Büste‘ erschließt hier das ägyptische Objekt kunsthistorisch, indem er es in seiner derzeitigen Form als vollständig annimmt und damit die Fragmentarität des Artefakts vernachlässigt. Durch die Gattungszuweisung wird die Betrachtung von Statuenfragmenten als Büsten nach europäischem Verständnis vorbereitet, und Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse werden so gelenkt. Die Möglichkeit, ein Fragment als solches zu identifizieren, hängt davon ab, ob bzw. wie die Funktion des Objektes bestimmt werden kann oder wird.621
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Lexikon der Kunst iii, 41. Vgl. ferner zu dem seit der Renaissance verwendeten Terminus für eine Statuengattung Penny, „Bust“, 297; Neudecker, „Büste, Büstenformen“. Diese Praxis ist weit verbreitet, daher nur pars pro toto, James F. Romano, in: American Research Center in Egypt (Hrsg.), The Luxor Museum, 85 (Luxor j.192 und j.193: „Two Busts of the Godess Sakhmet“); Delange, Catalogue des statues égyptiennes du Moyen Empire, 28 f. (Louvre e 12961: „Buste coiffé du némès [Sésostris iii]“), 168f. (Louvre e 14217: „Buste d’ homme“); Saleh & Sourouzian, Hauptwerke im Ägyptischen Museum Kairo, Kat. 202 (Kairo cg 616 „Büste Ramses’ ii.“). Mitunter findet sich auch der Hinweis darauf, die Büste stamme von einer Statue, so dass eine hybride Beschreibung entsteht, wie etwa bei Fazzini, Images für Eternity, 30 (Brooklyn Museum 72.58 als „Bust from a statue of a king“). Auch Ausschnitte (im brutalen Wortsinn) von Reliefs oder Malerei, die in der Neuzeit für den Kunstmarkt bzw. direkt für Kunstsammlungen aus Wänden entfernt wurden, zeigen oft diese Fokussierung auf Brustbildansichten, wenn sie sich nicht an besonderen Details orientieren. Vgl. als Beispiele die Fragmente aus Grab tt 181 (Nb-Jmn und Jpwky) im Kestner Museum Hannover (Inv. Nr. 1962.69, 1962.70, 1962.71, 1962.72 [letzteres Fragment zeigt einen größeren Ausschnitt, wohl wegen der detailliert ausgeführten Gaben in der linken Hand des Mannes]: Drenkhahn, Ägyptische Reliefs im Kestner-Museum Hannover2, 82–89 [= № 25–28]). Vgl. die Definition von Katharina Philipowski: „Ein Fragment ist ein Artefakt, das seine Funktion nicht oder nicht mehr erfüllen kann. Diese Definition erklärt, warum wir, um Fragmente als solche zu erkennen, ihre Funktion bereits verstanden haben müssen. Wenn wir einen Gegenstand finden würden, dessen Zweck wir nicht bestimmen können, wäre es uns auch nicht möglich zu entscheiden, ob er ein Fragment ist oder nicht.“ („Fragmentarität als Problem historischer Kultur- und Textwissenschaften“, 99). Vgl. zum
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Blendet der Betrachter eine (wie im Fall ägyptischer Statuenfragmente) durch Hinzuziehung von Vergleichsstücken oder Kontextwissen feststellbare Fragmentarität jedoch aus, kommt dies bereits einer Umdeutung und sekundären Funktionszuweisung gleich, so dass das Objekt seinen primären Kontexten weitgehend enthoben wird. Wenn entsprechende Objekte als Büsten und nicht als Fragmente von Statuen angesprochen werden, gerät schließlich auch die „[v]irtuelle Vollständigkeit“ des jeweiligen Objekts,622 d. h. die Frage danach, wie das Objekt in seiner einst vollständigen Form vorzustellen ist, aus dem Blick und damit auch viele Möglichkeiten der Rekontextualisierung, die auf die primäre (ägyptische) funktionale Determinierung der Objekte abzielen würden. Auch wenn die Fragmentarität an sich im Falle einer solchen Begriffsverwendung nicht explizit berücksichtigt wird, bietet gerade sie Möglichkeiten für ästhetisierende und imaginationsbasierte Zugänge: bringt sie doch Leerstellen mit sich, die, wenn sie nicht in Relation zur virtuellen Vollständigkeit des Objektes gesetzt werden, als Offenheit verstanden werden können, die die Übernahme von modernen Wahrnehmungsmustern begünstigt, innerhalb derer ägyptische Bilder leicht als Kunst betrachtet werden können.623 Das Bruchstück einer ägyptischen Statue, ein überlieferungsbedingtes Fragment, kann schließlich konzeptuellen Fragmenten bzw. genauer fragmenthaften Kunstwerken der Neuzeit ähneln624 und so dem naiven Blick den Eindruck einer weit-
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Erkennen eines Fragments auch Gumbrecht, Die Macht der Philologie, 28–30. Ägyptologisch wurde das Thema bislang eher vernachlässigt. Vgl. dazu die einen ersten Überblick gebende Zusammenstellung einzelner Phänomene bei Verbovsek, „Der ‚weiße Fleck auf der Landkarte‘ “. Vgl. Philipowski, „Fragmentarität als Problem historischer Kultur- und Textwissenschaften“, 96–98 (Zitat: 96) sowie auch Gumbrecht, Die Macht der Philologie, 29f. Vgl. hierzu auch Philipowski: „Wenn wir das Fragment als ein unvollständiges Artefakt auffassen, Artefakte aber dadurch definiert sind, dass sie nicht nur Funktionen erfüllen und intentional für einen spezifischen Gebrauch geschaffen werden, sondern auch über ihren Gebrauch definiert werden, dann ist das Fragment als Artefakt von diesem Gebrauch bestimmt. Es unabhängig von seiner ursprünglichen Funktion zu betrachten steht uns frei. Wir machen es dann aber zum ästhetischen Gegenstand, zum Kunstwerk oder zu einem Teil unserer Kultur, in der die Scherbe nicht Teil eines Kruges ist, sondern ein Ausstellungsgegenstand.“ („Fragmentarität als Problem historischer Kultur- und Textwissenschaften“, 99). Vgl. auch Verbovsek, „Der ‚weiße Fleck auf der Landkarte‘“, 95f. Seit dem 19. Jahrhundert ist zu beobachten, dass Autoren und bildende Künstler Werke produzieren, die sich den Anschein geben, Fragmente zu sein. Vgl. Gumbrecht, Die Macht der Philologie, 29 und Penny, „Bust“, 304.
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gehenden Vergleichbarkeit bzw. Analogie verschaffen.625 Das Fragment selbst bietet schließlich zunächst keinen Anhaltspunkt dafür, dass es nicht als Bruchstück konzipiert war und daher in Ägypten einst keines Büstensockels bedurfte, weil es nicht auf ein Brustbild beschränkt in einem Museum, sondern selbst ‚auf eigenen Beinen‘ und einer (oft beschrifteten) Basis etwa in einem Tempel stand. Es lässt sich daher von einer Offenheit des Fragmentarischen sprechen, derer sich ein Interpret bewusst sein muss. Diese Offenheit ist schließlich kaum etwas anderes als eine Seite der Dekontextualisierung des ägyptischen Objektes, angesichts derer sich der Interpret entscheiden muss, über welche (Re-)Kontextualisierung er es adressier- und interpretierbar machen möchte.626 Die Frage nach dem Fragmentarischen schließt zwangsläufig auch die Frage nach der Vollständigkeit ein, vor die wir uns selbst dann gestellt sehen müssen, wenn ein Objekt physisch unbeschädigt erhalten geblieben ist: Ägyptische Objekte haben schließlich den situativen Rahmen ihrer primären kulturellen Einbettung verloren und sind daher per se unvollständig.627 Diese Feststellung, die ebenso banal klingt wie sie folgenreich ist, sollte daran erinnern, wie wichtig es ist, tatsächlich auch das vollständig zu berücksichtigen, was sich materiell erhalten hat. Schließlich begrenzen sich oft genug unsere Möglichkeiten, eine virtuelle Vollständigkeit im umfassenderen Sinne zu skizzieren, auf das Objekt in seiner heutigen Form. Diesbezüglich ist nicht nur die genannte Offenheit des Fragmentarischen, sondern auch noch ein weiteres Phänomen relevant, das sich als Öffnung durch mediale Fragmentierung beschreiben lässt. Öffnung meint hier ein Reinterpretationen ermöglichendes 625
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Die hier anhand von Büsten behandelten Zusammenhänge lassen sich größtenteils auch auf Torsi übertragen. Vgl. hierzu auch das oben in Kapitel 1.4.1 bereits diskutierte Beispiel aus der Ausstellung „Ägyptische und Moderne Skulptur“ (Abb. 9, S. 130). Vgl. oben Kapitel 1.3 zur Konzeption der Ausstellung im Ägyptischen Museum Berlin. Diese Aussage wird aus einer Perspektive getroffen, die die ägyptischen Kontexte des Einzelobjekts als maßgeblich betrachtet und einbezieht. Vgl. hierzu auch Philipowski („Fragmentarität als Problem historischer Kultur- und Textwissenschaften“, 97): „Dass aber unsere Vorstellung vom Ganzen, das wir der Definition des Fragments zugrunde legen, immer nur diesem selbst entstammt, dass für uns also das Fragment primär und die Vorstellung vom vollständigen Gegenstand sekundär, also erschlossen ist, stellt die Begriffe von Vollständigkeit und Unvollständigkeit in ihrem Gegensatzcharakter empfindlich in Frage. Überdies ist fast jeder abgeschlossene Gegenstand seinerseits Bestandteil eines größeren Zusammenhangs; z. B. kann ein Buch seinerseits Teil eines geschlossenen Bibliotheksbestandes sein, ein Tisch kann zu einem geschlossenen Einrichtungsensemble gehören, ein Gebäude zu einer Siedlung, ein Knochen zu einem Skelett und so weiter. Was Teil ist und was Gesamtheit, stellt sich so als eine Frage der Perspektive dar.“
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abb. 33.1–2 Reliefblock aus Armant (h. 78,7 cm, Brooklyn Museum 37.16e) als Gegenstand medialer Fragmentierung: (33.1) Photographie des erhaltenen Relieffragments; (33.2) ganzseitige Abbildung des medialen Fragments in Wildungs Monographie Sesostris und Amenemhet (S. 58, schematische Wiedergabe der Buchseite ohne Maßstab)
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abb. 34.1–3 Reliefblock aus Et-Tod (h. 67 cm, JdE 66330) als Gegenstand einer mehrstufigen medialen Fragmentierung: (34.1) Photographie aus dem Archiv des ifao; (34.2) Wiedergabe in der Grabungspublikation (Bisson de la Roque, Tôd (1934 à 1936), pl. xviii); (34.3) Der bei Wildung wiedergegebene Zuschnitt (Sesostris und Amenemhet, 54)
Aufbrechen ursprünglicher Funktionskontexte. Sie wird in diesem Zusammenhang durch die ägyptologische Praxis vollzogen, personale ägyptische Bilder auf Brustbilder bzw. Brustbildansichten zu reduzieren, selbst wenn im Fall von Flachbildern die szenische Einbindung der Personendarstellung noch vorhan-
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den ist oder sich im Fall von Rundbildern die Statue größtenteils erhalten hat (vgl. Abb. 33, 34, 35.2, 35.3, 35.8 und 35.9).628 Büsten- bzw. Porträtkonzeptionen finden so Ausdruck in der Fokussierung des ägyptologischen Interesses auf Brustbildansichten, so dass sich in ägyptologischen Publikationen häufig mediale Perspektiven auf Bilder beobachten lassen, wie wir sie aus der neuzeitlichen Kunst kennen: Profil, Halbprofil etc.629 Dies ist nicht nur auf reproduktionspragmatische Überlegungen oder Zwänge, sich in der Zahl der Abbildungen zu beschränken, zurückzuführen.630 Es verdeutlicht vielmehr eine sekundäre
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Vgl. als Auswahl von Beispielen für das weitverbreitete Phänomen der medialen Fragmentierung anhand einiger Bildbände bzw. Kataloge: Wildung (Hrsg.), Ägypten 2000 v.Chr., 98 f.; ders., Sesostris und Amenemhet, 18 [eine über die Schultern hinaus erhaltene Hockfigur wird im Ausschnitt analog zu einer nur als Kopf erhaltenen Statue reduziert], 41 [zwei Reliefs aus der Zeit Mentuhoteps ii.], 43 [Relief Mentuhoteps ii.], 45 [Sitzstatue aus dem Bab el-Hosan], 139 [zwei mumiengestaltige Statuen], 143 [eine Sitzfigur und eine Nischenstatue], 217 [Sitzfigur des Zꜣ-kꜣ-ḥr-kꜣ]; Breasted, Geschichte Ägyptens2, Abb. 96, 97, 105, 106; Russmann, Eternal Egypt, 104 f., 111, 186; Karig & Zauzich (Hrsg.), Ägyptische Kunst aus dem Brooklyn Museum, Kat. 26. Vgl. für zahlreiche Beispiele auch Vandersleyen (Hrsg.), Das Alte Ägypten, wo ein Fünftel der aus dem Zeitraum der 2.–12. Dynastie abgebildeten Statuen nur auf Brustbildansichten beschnitten gezeigt wird: Tf. 116, 117, 131b, 137b, 145a, 145b, 150a und 150b (besonders auffällig: zwei ‚Porträtansichten‘ der Statue des Jnj-jt=f [Kairo JdE 89858+91169], die aus zwei Fragmenten wieder zusammengesetzt werden konnte, jedoch keine Gesamtaufnahme; vgl. hier Abb. 35.3 [S. 486]), 156a, 156b, 157a, 157b, 164, 167. Medial einmal fragmentierte Objekte können später sogar in ihrer durch die Forschung erzeugten Unvollständigkeit sekundär als erhaltungsbedingte Fragmente rezipiert werden, ohne dass dann noch erkennbar wäre, in welchem Umfang das Objekt tatsächlich erhalten ist. Dies zeigt sich etwa am Beispiel des bereits behandelten Reliefs aus Et-Tod (Kairo JdE 66330; Abb. 34.1–3): Silvia Schroer (Die Ikonographie Palästinas/Israels und der Alte Orient 2, 116 f.) zeigt eine Durchzeichnung des bei Wildung (Sesostris und Amenemhet, 54) abgedruckten Ausschnittes, ohne diesen als Detail o.Ä. zu kennzeichnen, und gibt für das Relief die Maße des Ausschnittes(!) an (h. 66 cm, b. 49,5cm), so dass sich das Relief selbst bei ihr auf den von Wildung gewählten Ausschnitt zurechtgeschnitten reifiziert findet. Der Unterschied ist kein unerheblicher, wenn man das Ergebnis mit den von den Ausgräbern angegebenen Maßen des Reliefblockes (h. 0,67m und b. 1,6m, Bisson de la Roque, Tôd (1934 à 1936), 72) sowie mit den so medial verloren gegangenen Reliefteilen vergleicht (vgl. Abb. 34.1–3). Statuenköpfe, von denen nur eine Abbildung gegeben wird, erscheinen beispielsweise bei Breasted (Geschichte Ägyptens2) im Profil (Tf. 97, 100, 103, 107), Viertel- (Tf. 102) oder Halbprofil (Tf. 94). Durch moderne (u. a. digitale) Publikationstechniken werden die Möglichkeiten, ein Objekt so umfassend wie möglich abzubilden, in Zukunft zunehmen. Dann wird sich voll-
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Fokussierung auf das Gesicht und seine Züge, die sich an den für neuzeitliche Porträts entwickelten Rezeptionsgewohnheiten orientiert.631 Bezogen auf den tatsächlichen Erhaltungszustand des Objekts kommt eine solche Form medialer Präsentation einer Fragmentierung gleich, die den Blick auf Brustbildansichten begrenzt und so die ägyptischen Objekte neuzeitlichen Porträts formal angleicht. Schon im vorangegangenen Kapitel ließen sich problematische Bestrebungen beobachten, sich dem Charakter einer dargestellten Person über das Gesicht oder den Blick zu nähern. Dies schließt auch Versuche ein, historischen Personen durch Zuschreibungen von Statuen ein Gesicht zu verleihen und damit dem ägyptologischen Bearbeiter ein anthropomorphes Gegenüber zu geben,632 das als Imaginationsanlass und Projektionsfläche für die Geschichten dienen kann, die man sich vom alten Ägypten und seinen Königen zu erzählen pflegt. Es soll hier keineswegs suggeriert werden, man bedürfe für fundierte Interpretationen keinerlei Form von Imagination. Die Frage ist jedoch, wie ein Fragment betrachtet und dabei als Anlass für Imaginationen genutzt wird. Nach Gumbrecht kommt dem „Bewußtsein des Fragments in seiner materiellen Präsenz“ besondere Bedeutung zu, da es „wichtige Konsequenzen hat, die das Funktionieren unseres Vorstellungsvermögens betreffen.“633 Er zielt damit angesichts von Fragmenten auf die Rolle der Imagination ab, die sich u. a. durch
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ends zeigen, ob die Ägyptologie ein Interesse an einer möglichst objektiven und unbeschnittenen Publikation ägyptischer Objekte hat oder ob der fragmentierende und ästhetisierende Blick auch dann noch dominiert, wenn in technischer Hinsicht nichts mehr gegen Abbildungen von allen Seiten etc. spricht. Die in der 12. Dynastie anhand von Rundbildern beobachtbaren stilistischen Veränderungen konzentrieren sich zwar auf das Gesicht, wie auch Walther Wolf feststellt („Das neue Wollen hat sich auf den Kopf konzentriert, was – für unser Gefühl, kaum für das des Ägypters – zu einer gewissen Zwiespältigkeit geführt hat.“, Wolf, Kunst Ägyptens, 325). Das Entscheidende ist jedoch, dass die Forschung ihre Aufmerksamkeit so auf die Gesichtszüge konzentriert, dass die Statue als solche aus dem Blick gerät. Insofern ist Wolf eben nicht zuzustimmen, da der verstärkte ägyptologische Blick auf die Gesichter von Statuen diese in einer Weise fragmentiert, wie sie sich für die ägyptischen Kontexte nun gerade nicht nachweisen lässt. Es wäre also eher anzunehmen, dass die ägyptologische Praxis bei ‚dem Ägypter zu einer gewissen Zwiespältigkeit‘ führen würde, da anzunehmen ist, dass ihm das moderne Zuschneiden personaler Bilder verhältnismäßig fremd sein dürfte. Vgl. oben Kapitel 2.3.4.1 (besonders ab Fn. 416) sowie zur Konfrontation von Statuenköpfen mit Museumsbesuchern als Gegenüber einer dialogischen Kunsterfahrung im Ägyptischen Museum Berlin oben Kapitel 1.3 (mit Abb. 1.1–2 [S. 99]). Gumbrecht, Die Macht der Philologie, 22–43, hier: 32.
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eine Spontaneität, d.h. die „Unmöglichkeit der Steuerung“ auszeichne.634 Der aus diesem Grund Imaginationen misstrauende „Glaube an feinsäuberliche Gelehrtenlösungen“ sei jedoch die „schlimmstmögliche Selbsttäuschung“, da, auch wenn die Gefahr bestehe, dass das imaginierende Subjekt die Kontrolle über die Imagination verliere, letztere doch für die Wiederherstellung etwa von Texten aus Fragmenten nötig sei.635 Das Entscheidende an den hier sowie bereits oben bemängelten oft kaum kontrollierten ägyptologischen Imaginationen zu Statuenbildern liegt vor diesem Hintergrund darin, dass sie eben nicht im Gumbrecht’schen Sinne darauf abzielen, sich zunächst auf die Materialität des Fragments zu konzentrieren, um davon ausgehend dieses virtuell zu vervollständigen, um so eine Welt der Vergangenheit zu imaginieren. Die Imaginationen der ägyptologischen Porträtforschung vernachlässigen schließlich die Fragmentarität des Objektes sowohl in medialer als auch in kontextueller Hinsicht und geraten so zu Betrachtungsformen, die kaum noch etwas mit den von Gumbrecht behandelten „nicht vollkommen kontrollierbaren Nebenwirkungen“ der eigenen Imagination zu tun haben.636 Sie kommen vielmehr auf zweifelhaften Analogieschlüssen beruhenden Imaginationen gleich, deren Anbindungen an das ägyptische Objekt und seine Kontexte so lose sind, dass kaum etwas übrig bliebe, wenn man der ebenfalls von Grumbrecht angesprochenen Pflicht zur „Tilgung allzu subjektiver und daher anachronistischer Überbleibsel des Spiels mit der Imagination“ nachkäme.637 Die hier thematisierten Zusammenhänge haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf ägyptologische Perspektiven. Welche extremen Formen daraus resultieren können, zeigt sich in einem Beitrag von Maya Müller, in dem sie Statuenköpfe und Brustbildansichten von Statuen Sesostris’ iii. analysiert und interpretiert hat, ohne zu hinterfragen, ob die von ihr zugrunde gelegten modernen Porträtkonzeptionen auf ägyptische Bilder angewendet werden können.638 Ihr Ziel war es u.a., biologisch determinierte Teile der Ge-
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Hier greift Gumbrecht (ebenda, 34) u. a. auf den von Jean-Paul Sartre gebrauchten Begriff der „spontanéité“ zurück (nach Sartre, L’ imaginaire). Gumbrecht, Die Macht der Philologie, 42 f. (Zitat: 43). Zum Genuss von letzteren könne man nach Gumbrecht sogar ermutigen (ebenda, 43). Gumbrecht, Die Macht der Philologie, 43. Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“. In einem früheren Aufsatz berief sie sich u. a. auf den unter Ägyptologen existierenden „breiten Konsens darüber, daß ägyptische Kunst im Sinne eines europäischen Kunstbegriffs existiert“ („Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 43 vgl. auch 55) und trat damit dafür ein, ägyptische Bilder dezidiert kunstwissenschaftlich zu behandeln (vgl. hierzu
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sichtszüge von solchen zu unterscheiden, die auf den persönlichen bzw. individuellen Gesichtsausdruck des Königs zurückzuführen seien, um die dabei zugleich interpretierten und mit einer Semantik verknüpften Gesichtszüge mit ägyptologischen Interpretationen von königlichen Texten der Zeit Sesostris’ iii. zusammenzuführen. Auf diese Weise versucht sie, ihre Interpretation der Gesichtszüge Sesostris’ iii. abzusichern, indem sie sich u. a. auf die Ansetzung einer universellen mimischen Ausdruckssprache und ihre Deutungen der Semna-Stele und der Lahun-Hymnen auf Sesostris iii. als persönliche Texte des Königs stützt.639 Doch Müller führt ihre Annahme, es handele sich um Porträts noch weiter, indem sie sich in einer Art von „cross-check“ versucht:640 „We make a check-test: Examining the pictures of famous modern men who resemble Senwosret iii can help us in defining the relations between character and facial expression in well-documented cases, these personalities serving as substitutes for Senwosret of whom we know little.“ Da man über die vier hinzugezogenen Personen aus dem 19. und 20. Jahrhundert und deren Charakter Bescheid wisse und deren Porträts außerdem Ähnlichkeiten zu den Bildern Sesostris’ iii. aufwiesen,641 könne man über Ana-
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oben Kapitel 1.3). Die jüngere im Folgenden thematisierte Untersuchung Müllers kann daher als konsequente Fortführung jener Positionierung gesehen werden. „[…] the Semna-Stela, […] and a cycle of hymns in praise of the king[…]. Both texts seem to be inspired by the king himself. The Semna-Stela is a very personal text insofar as it is a political manifesto, explaining the king’s doctrine […]. There is not the slightest religious aspect.“ (Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“, 57 f.). Vgl. hierzu oben ausführlich Kapitel 2.3.5.2. Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“, 53 und 48 (das folgende Zitat). Die Tatsache, dass ein Beitrag mit einem solchen Ansatz durchaus Einfluss auf die ägyptologische Forschung haben kann und dass ihm Akzeptanz entgegengebracht wird, zeigt sich etwa darin, wie Müllers Aufsatz im jüngst als Standardwerk konzipierten Companion to Ancient Egyptian Art referiert wird: vgl. Verbovsek, „Reception and Perception“, 149 sowie Hartwig, „Style“, 47. Da mir die Autorin bedauerlicherweise die Reproduktion der hier besprochenen Gegenüberstellung untersagt hat, kann an dieser Stelle nur auf die Seiten 54f. und 58f. ihres Aufsatzes „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“ verwiesen werden. Es handelt sich um Porträts (eine Büste und drei Photographien) der Generäle Guillaume-Henri Dufour (1787–1875) und George C. Marshall (1880–1959)
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logieschlüsse auch ermitteln, wie die Gesichtszüge der ägyptischen Statuen im Hinblick auf die Selbstwahrnehmung Sesostris’ iii. interpretiert werden könnten.642 Abschließend heißt es: „What can we say about the manner in which the king perceived himself? The statues of Senwosret iii bear evidence of his self-perception, for they have an individual face betraying specific properties of his character. Senwosret iii is able to perceive his own self and to show it (or to have it shown by his artists and writers) because he was interested in it and assigned it a high value. There is, of course no royal text containing such an assertion; it is, however, a logical deduction from the sources. […] It is a well-known fact that a portrait with a personal and emotional expression appeals to the emotions of the beholder, captivating his interest and provoking a personal response. The message of Senwosret’s statue is his individual aura […], becoming the paradigm for the behaviour of beholders, such as those looking at the boundary stele of Semna.“643 Müller geht damit einen ähnlichen Weg wie Lange, hält jedoch die Annahme, es handele sich bei den Statuen Sesostris’ iii. um Porträts, in denen
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sowie des Politikers Tadeusz Mazowioecki (1927–2013) und des Sprachwissenschaftlers Jacob Wackernagel (1853–1938). Darauf, dass die von Müller angeführten Ähnlichkeiten von der Betrachterperspektive abhängen, braucht hier nicht weiter hingewiesen zu werden. Vgl. Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“, 53–59, sowie zum Thema Ähnlichkeit Kapitel 2.3.2.1, 2.4.2 sowie das Glossar. „The following is a kind of cross-check. I sought a way to find out how far the face of an ‚elder statesman‘ or scholar reflects his personality and character. For obvious reasons, a test can only be made with modern individuals of whom we have portraits of sufficient quality as well as extensive evidence of their life and character. […] my test concerns prominent men whose character is described to us by authorities on the basis of original documents or personal acquaintance.“ (Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“, 53). „Comparing the four men, we find an interesting convergence of properties. They all have a keen analytical intelligence, an aura of distinction, and an energy including an aggressive potential; they are vigorous, incorruptible, just, sensitive, humane, and self-controlled, using power or force only to achieve ethically justified goals. The qualities either coincide with the four basic properties we found in Senwosret’s face (intelligence, distinction, energy, and sensibility), or they are more complex derivatives of them.“ (ebenda, 57). Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“, 61.
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sich die individuelle Selbstwahrnehmung des Königs zeige, für gesetzt bzw. für eine logische Ableitung aus den Quellen. Der von ihr durchaus thematisierte Umstand, dass wir sehr wenig über Sesostris iii. wissen und nicht zuletzt deshalb bei der Interpretation vorsichtig sein müssen, tritt in den Hintergrund angesichts ihres Vertrauens in das Zusammenspiel der von ihr eingesetzten Interpretationsinstrumente. So spricht Müller vielmehr von wohlbekannten Tatsachen, während es für Lange noch Zweifel gab. Bei Müller kommt es zu keiner Reflexion des geschilderten Dilemmas, das dem Bearbeiter ägyptischer Statuen zuallererst eine Entscheidung abverlangt, die einem Scheideweg gleichkommt, da sie für die weitere Betrachtung bindend bleibt: Entweder man analogisiert die Bildrezeption mit neuzeitlicher Porträtanalyse oder man versucht, sich der intuitiven Weigerung zu widersetzen, auch Ähnlichkeiten als möglichen Ausdruck von Fremdheit zu verstehen. Den ersten Weg schlägt Müller ein, wenn sie eingangs feststellt „I have the sensation of looking at a photo“644 und diesen Eindruck dann nicht mehr grundsätzlich hinterfragt, sondern vielmehr versucht, genau zu identifizieren, welche Bestandteile mit dem Instrumentarium der Proträtanalyse zu untersuchen seien. Dadurch dass der zweite Weg seit Lange kaum einmal mehr erwogen wird, beschränkt sich die Ägyptologie in den meisten Fällen darauf, aus ägyptischen Objekten Porträtkunst zu konstruieren, um so Bedeutungen auf medial wie konzeptuell dekontextualisierte und damit offene Fragmente zu projizieren – seien letztere nun physisch beschädigt oder intakt.
2.4
(Un)möglichkeiten zwischen Stil und Geschichte: Eine Zusammenschau mit einem Ausblick auf die 18. Dynastie
In Kapitel 2 wurde bislang am Bildmaterial der ägyptologisch als solche wahrgenommenen 1. Zwischenzeit einerseits untersucht, ob sich Hinweise auf die von Junge vertretene Gelingensästhetik finden lassen, und andererseits, ob die den meisten ägyptologischen Perspektiven auf diesen Zeitraum zugrundeliegenden Verfallsmodelle einer Überprüfung standhalten. Aus einer funktionsund kontextorientierten Perspektive ließen sich dabei keine Anhaltspunkte dafür finden, dass das Erreichen eines für uns erkennbaren qualitativen, kanonischen oder stilistischen Niveaus nötig gewesen wäre, um das ‚Gelingen‘ eines
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Müller, „Self-Perception and Self-Assertion in the Portrait of Senwosret iii“, 48.
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Bildes sicherzustellen (vgl. Kapitel 2.3.1, aber auch Kapitel 2.3.2). Darüber hinaus wurde die Frage nach dem ‚künstlerischen Verfall‘ bzw. nach nachvollziehbaren Entwicklungslinien zu einer ausführlicheren Auseinandersetzung mit Stilfragen ausgeweitet, weil ägyptologischerseits die Interpretierbarkeit von Stilen meist als archäologische Selbstverständlichkeit gesehen wird (Kapitel 2.3.2–2.3.5). In Anlehnung an die von Whitney Davis aufgestellte Stiltheorie wurde dabei eine Perspektive eingenommen, die auf die Ansetzung diverser problematischer Prämissen verzichtet und aus der heraus verschiedene Materialkomplexe bzw. die bisherige ägyptologische Auseinandersetzung mit diesen untersucht werden konnten. Insgesamt stellte sich dabei die Befundlage als weitaus inhomogener dar, als es in der Literatur oftmals den Anschein hat. Auf diese Weise ließ sich bestätigen, dass in erster Linie etablierte Epochenbilder und kunsthistorische Wahrnehmungsmuster einen dominierenden Einfluss auf die ägyptologischen Angebote zur Beschreibung und Interpretation des Materials ausüben. Auch wenn derartige Zusammenhänge hermeneutisch betrachtet zwar nie ganz hintergehbar sein mögen, haben die hier angestellten Untersuchungen gezeigt, dass in den vorliegenden Fällen eine besondere Problematik dadurch entsteht, dass einerseits die Anbindung der Betrachterperspektive an die Entstehungskontexte der Objekte oft nur noch als marginal bezeichnet werden kann und dass andererseits daraus jedoch trotzdem weitreichende historische Schlüsse gezogen werden. Hier ist nun zunächst noch einmal ein abschließender Blick auf die stilforscherischen Problemlagen zu werfen, die bereits im Einzelnen herausgestellt und diskutiert wurden, um vor diesem Hintergrund die Ergebnisse stärker mit Blick auf übergeordnete Fragestellungen strukturieren zu können. 2.4.1 Stil als Ordnungsinstrument und das Phänomen des Stilpluralismus Betrachtet man die oben behandelten ägyptologischen Vorgehensweisen, sind zwei z.T. ineinander greifende Arten der Auswertung von Stilbeobachtungen zu beobachten: Stil als Instrument der Zuschreibung und Datierung sowie Stil als Gegenstand semantischer Interpretation. Ist gar nichts oder nur sehr wenig über die Kontexte eines untersuchten Objektes bekannt, wird in Stiluntersuchungen, wenn nicht die einzige, so doch eine der wenigen verbleibenden Möglichkeiten gesehen, Aussagen über das Objekt selbst zu formulieren, die zu einer Datierung des Objektes führen können. Stilistische Nähe zwischen verschiedenen Objekten spreche dabei für eine zeitliche Nähe zwischen den Vergleichsstücken, stilistische Differenzen entsprechend für einen zeitlichen Abstand. Dabei wird dem Stil nicht selten ein so großes Ausmaß an Objektivität eingeräumt, dass auch stilextern nicht absicherbare rein stilistische Datierungen als gesichert anerkannt werden. Stilisti-
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sche Differenzen werden daher bereits für sich genommen oft als hinreichend für eine Datierung angesehen.645 Greift der Bearbeiter außerdem explizit auf Geschichts- und Epochenbilder oder andere Vorstellungen von dem betroffenen Zeitraum zurück, innerhalb derer sich die Stile bzw. Stildifferenzen erklären ließen, wird die Stilbeobachtung meist als Bestätigung dieser historischen Szenarien oder gar als deren Beweis angesehen. Dabei werden Stilbeobachtungen nicht nur als Grundlage für zeitliche, sondern auch für andere Zuschreibungen genutzt, wenn etwa Lokal-, Werkstatt-, oder Künstlerstile identifiziert werden.646 Ob der Stil im Einzelfall in chronologischer oder anderer Hinsicht als aussagekräftig betrachtet wird, hängt in der Regel davon ab, welche Erklärung nach Auffassung des Bearbeiters besser passt, d.h. sich beispielsweise besonders gut in die zugrundegelegte Geschichte einfügen lässt. Die damit verbundenen Entscheidungen und Selektionen sind oft nicht objektivierbar, sie stellen vielmehr Kennerurteile dar, die sich auf Erfahrungswerte gründen und darauf abzielen, das Material in den angesprochenen Weisen historisch auszuwerten, etwa indem sie Stil als entscheidenden Datierungsindikator verstehen.647 Diesbezüglich ist von großer Bedeutung, dass in fast allen hier untersuchten Zusammenhängen eine stilistische Heterogenität beobachtet wurde, die sich vielfach gerade nicht chronologisch – also durch die Ansetzung unterschiedlicher Zeitstellungen der einzelnen Objekte – erklären ließ.648 Stilistische Datierungen ste-
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Oftmals werden einmal aufgestellte stilistische Datierungen übernommen, ohne darauf zu verweisen oder gar ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass es keine stilexternen Datierungshinweise gibt. Auch wenn in jüngerer Zeit kritischere Stimmen laut werden, sind die weitreichenden Konsequenzen der stilistischen Datierungsmethode und ihrer Problematik für die Ägyptologie im Rahmen ihrer bisherigen Praxis noch nicht angemessen thematisiert worden. Vgl. Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 379f., hierzu jedoch auch oben Kapitel 1.2.2, dort S. 71 f.; vgl. außerdem Hartwig, die sich insgesamt vorsichtig und kritisch gegenüber teleologischen Stilvorstellungen („Style“, 41 und 45) und der Subjektivität von Stilanalysen äußert („Sculpture“, 210), die stilistische Datierung jedoch keineswegs infragestellt (vgl. „Sculpture“, 211). Stildatierungen werden weiterhin als unhinterfragte Selbstverständlichkeit gesehen und angewendet. Vgl. beispielsweise Quack, „Zum Menschenbild der Ägypter“, 52 oder Ikrams unkritische Wiedergabe ägyptologischer Praxis („Interpreting Ancient Egyptian Material Culture“, 176, 181 und 183). Zum Stil als „implizite[m] Hauptkriterium der ägyptologischen Datierungspraxis“ bei literarischen Texten ausführlich Moers, „Vom Verschwinden der Gewissheiten“, 26–52 (hier: 27 [Zitat]). Vgl. Kapitel 2.3.2.2 und Kapitel 2.3.4.2. Vgl. Kapitel 2.3.4.2. Vgl. Kapitel 2.3.2.3 und Kapitel 2.3.3.
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hen in solchen Fällen vor großen Problemen, da die Interpretierbarkeit des Stils in der von Bearbeiterseite gewünschten Hinsicht damit (ungeachtet ohnehin bestehender methodischer Bedenken, vgl. Kapitel 2.3.2.1) auch empirisch nicht als gesichert gelten kann. Dieses Problem synchroner stilistischer Vielfalt wurde von Seiten der Kunstgeschichte als Stilpluralismus beschrieben. Dabei wurde dort bereits erkannt, dass die konventionelle Stilforschung nicht nur für dieses verbreitete Phänomen keine zufriedenstellenden Antworten bereithält, sondern letzten Endes sogar selbst infrage gestellt ist.649 Innerhalb der Kunstgeschichte war dies Anlass für eine vergleichsweise radikale Kritik an stilistischen Epochenbegriffen650 und biologistischen Entwicklungskonzeptionen.651 Die diesbezüglich in den 1970er Jahren geführte Debatte ist jedoch zu Recht dafür kritisiert worden, dass sie vorgibt, sich dem Problem grundsätzlich zu nähern, letztendlich aber nur eine Verlagerung etablierter Perspektiven von der Erforschung großer übergeordneter Stile auf die Analyse des einzelnen Werkes betreibe.652 Auch wenn sich in der Kunstgeschichte die Kritik 649
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Auch Versuche, stilistisch heterogene Epochen durch die Ansetzung von Gruppen-Stilen (z. B. bezogen auf Länder oder Werkstätten) zu erklären, wie sie von der formalen Kunstgeschichte unternommen wurden, führen hier nicht weiter, zumal auch sie – ungeachtet ihnen immanenter Problemlagen – die Frage nach Möglichkeiten, mittels Ansetzung von ‚Zeitstilen‘ zu datieren, nicht beantworten können. Von Seiten der Ägyptologie wurde das Phänomen bislang hinsichtlich seiner Konsequenzen kaum beachtet. Vgl. jedoch die knappe Bemerkung von Jurman, „Legitimisation through Innovative Tradition“, 185. Vgl. Schmoll gen. Eisenwerth, „Stilpluralismus statt Einheitszwang“, 13: „Man lasse nur die imaginären Hüllen der großen Stilbegriffe fallen, und jede Epoche der Vergangenheit zeigt sich schärfer auch in ihren divergierenden Strömungen – eben als eine lebendige“. Vgl. etwa F. W. Fischer, „Gedanken zur Theoriebildung über Stil und Stilpluralismus“, 34 f.: „Das Phänomen des Stilpluralismus ernst nehmen heißt jedenfalls, der Vorstellung von kunstimmanenten Entwicklungsgesetzen in der Art biologischer oder kosmologischer Zwangsläufe den Abschied geben.“ Vgl. die Kritik von Möbius, „Stil als Kategorie der Kunsthistoriographie“; ders., „Die Zeit in der Kunst – Kunst in der Zeit“. Auch Möbius wendet sich klar gegen biologische Entwicklungskonzepte. Er fordert jedoch darüber hinausgehend eine Verlagerung der Fragestellung auf die Ebene der sozialen Kräfteverhältnisse, wodurch sich die Gleichzeitigkeit von stilistisch Verschiedenem erklären lasse. Sein aus einer marxistischen Geschichtsphilosophie heraus formulierter Ansatz verzichtet jedoch ebenfalls nicht auf Biologismen (vgl. „Die Zeit in der Kunst – Kunst in der Zeit“, 47: „Reifegrad“), die er als dem Hegelianischen „Denkbild […] sich zyklisch wiederholende[r] Zeitabschnitte“ von „‚[…] Wachsen, Blühen und Ausarten‘“ in der Kunst entstammend beschreibt und eigentlich selbst scharf kritisiert als „Erzfeind einer Kunstgeschichte, die wirklichkeitstreu sein will“
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am Konzept zwangsläufiger Stilentwicklungen und Epochenstile zwar nicht gänzlich durchgesetzt hat, so konnten sich in dem durch die Stilforschung geprägten Fach dennoch skeptische Positionen etablieren.653 Man findet entsprechend auch in jüngerer Zeit noch die Feststellung, ein auf dem teleologischen Konzept der „Epochen-Stilgeschichte“ beruhender „Stilbegriff, letztlich die Karikatur einer geschichtsphilosophischen Kategorie“, sei nicht mehr zu halten, gerade weil „[d]ie ideologischen Denkstrukturen, die sie [die EpochenStilgeschichte] hervorbrachten, […] nicht zu entfernen [sind], ohne zur Zerstörung des Konzeptes zu führen“.654 Die Frage, wie ein alternativer nicht auf Stilepochen oder Entwicklungslinien beruhender Stilbegriff zu formulieren und nutzbar zu machen wäre, steht jedoch noch immer im Raum, so dass die Stilforschung als solche weiterhin auf unsicheren Füßen steht.655 Dass allein mit
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(ebenda, 29 und 31). Möbius macht sich dabei zwar für die Einbeziehung sozialer Kontexte stark, verlangt jedoch darüber hinaus, nicht bei Beschreibungen stehen zu bleiben, ebnet durch sein Sich-„[B]ekennen“ zu Periodisierungen sowie zum Darstellen „der ‚qualitativ unterschiedlichen Bedeutung‘ der einzelnen Zeitabschnitte“ entgegen selbst formulierter Absichten (ebenda, 26) das Material ein und lässt so ebenfalls tendenziell Disparates verloren gehen, um eine Überschaubarkeit herzustellen. Das Problematische an Möbius’ Position ist weniger, dass auch er in diesem Sinne selektiv vorgeht, sondern vielmehr, dass die Einführung des marxistischen Begriffs der Stilformation, der den Stilpluralismus „unter größere geschichtliche Horizonte“ stellen soll („Stil als Kategorie der Kunsthistoriographie“, 23), weiterhin auf narrative Entwicklungskonzepte zurückgreift, deren Generalisierbarkeit fragwürdig erscheint. Der von ihm auf Herder, Winckelmann und Hegel zurückgeführte „gefährliche Biologismus unseliger Prägung“ („Die Zeit in der Kunst – Kunst in der Zeit“, 31) wird unter dem Anschein, das Problem zu lösen, durch das marxistische Beschreibungsmodell der ökonomischen Formationen ersetzt, so dass nun von „[a]uf revoluntionäre Phasen“ folgender „langdauernd-kontinuierlichen Evolution“ die Rede ist (ebenda, 38 f.). So wird der philosophische bzw. ideologische Rahmen der Betrachtung ausgetauscht, während das eigentliche Problem weiterhin bestehen bleibt. Jaś Elsner („Style“, 98) bringt es metaphorisch auf den Punkt: „For nearly the whole of the twentieth century, style art history has been the indisputable king of the discipline, but since the revolution of the seventies and eighties the king has been dead. […] And yet, to change my (male) metaphor from monarchy to paternity, the father has been impossible to lay entirely to rest. […] Moreover, most of those whose insights guide the field in its new guise were trained and are experts in its old ways: hidden in (post)semiotics the stylistic reflex may still lie. Dead though the father may be, we cannot be entirely sure how much his children are fashioned in his likeness.“ Suckale, „Stilgeschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts“, 274. Zu ähnlichen Schlüssen kommt Elkins, „Art History without Theory“, bes. 375–378; vgl. auch ders., „Style“. In der Ägyptologie wird hingegen von einer unhintergehbaren Bindung des Stilbegriffs
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der Kenntnis um Probleme wie diese jedoch erst sehr wenig erreicht ist, zeigt sich daran, dass sogar ein die Stilforschung sehr kritisch einschätzender Kunsthistoriker wie Robert Suckale feststellt: „Auf Stilkritik gänzlich zu verzichten, ist jedoch nicht möglich. Sie ist aus der Praxis des Kunsthistorikers nicht wegzudenken. Er benötigt die Methode, durch vergleichendes Aufspüren von Ähnlichkeiten Kunstwerke zuzuschreiben, sie zu datieren und zu lokalisieren.“656 Gerade die Komponenten des kunsthistorischen Stilbegriffs, die sich auf Zeitund Epochenstile sowie die Annahme von Stilentwicklungen stützen, werden damit aus pragmatischen Gründen für unverzichtbar erklärt. Dies findet auch in der ägyptologischen Forschung Entsprechungen. So zeigte sich bei der Diskussion verschiedener Zusammenhänge, dass Stilgeschichten und stilistische Datierungen genau dann als am wertvollsten erachtet werden, wenn ihnen keine externen Datierungshinweise zur Seite gestellt werden können. In solchen Fällen wird immer wieder auf Stiluntersuchungen zurückgegriffen, stellen sie doch nach gängiger Auffassung dann die einzige verlässliche Möglichkeit dar, Näheres etwa über die Zeitstellung eines Objekts in Erfahrung zu bringen.657 Mit der von Suckale betonten Unverzichtbarkeit der Stilforschung ist prägnant auf den Punkt gebracht, was sich schon oben ansatzweise herauskristallisierte: Die Kunstgeschichte fußt in einer Weise auf neuzeitlichen und modernen Konzepten, die den Rahmen, innerhalb dessen sie Objekte untersuchen kann, weitestgehend determinieren.658 Sie kann sich nicht einfach von
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an Wandel und Entwicklung ausgegangen. So etwa explizit Assmann, „Viel Stil am Nil?“. Vgl. hier zu einem möglichen Ausweg aus diesem Dilemma durch die Historisierung der Stilbegriffe (Plural) unten Kapitel 2.4.4. Suckale, „Stilgeschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts“, 275. Vgl. bereits oben sowie Fn. 655. Vgl. dazu, dass üblicherweise immer mit einer Stiluntersuchung begonnen wird, Hartwig, „An Examination of Art Historical Method and Theory“, 313. Vgl. Suckale, „Stilgeschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts“, 274: „Ausgehend von der Rolle der Kunst in der Gesellschaft der Moderne wird ihre Autonomie und deshalb auch die Autonomie ihrer Geschichte behauptet, ebenso die Einheit der Künste und vieles andere mehr. Der Verlauf der Kunstgeschichte wird als etwas naturgeschichtlich Zwanghaftes dargestellt, dem die Künstler – auf sie allein wird geachtet – derart unterworfen sind, dass sie weniger als handelnde Subjekte, sondern mehr wie Marionetten am Gängelband des ‚Weltgeistes‘ erscheinen. Das Bewusste der Stilbildung und Formung wird ebenso
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den in bestimmten (z.B. vormodernen) Zusammenhängen fragwürdigen Komponenten der sie fundierenden Konzepte lösen, da sie damit letztere – um Suckales Wort aufzugreifen – der „Zerstörung“ preis gäbe.659 Unter anderem deshalb ist es aus Sicht der Kunstgeschichte nicht möglich, auf Stilkritik gänzlich zu verzichten, und so kommt sie immer wieder auch in Zusammenhängen, in denen sich ihr Untersuchungsinstrumentarium bei näherer Betrachtung als unangemessen herausstellt, zum Einsatz; nicht zuletzt, weil bereits für die die traditionelle Kunstgeschichte fundierende Aufgabenstellung, eine Geschichte der Kunst zu schreiben, u.a. neuzeitliche Stilkonzepte unentbehrlich sind. Daher werden auf diese Weise letztere auf Objekte angewendet – unabhängig davon, ob sie nun neuzeitlichen Kontexten entstammen oder nicht.660 Das Problem des Stilpluralismus, demzufolge eine eindeutige chronologische Interpretation stilistischer Beobachtungen nicht grundsätzlich möglich ist, lässt sich jedoch kaum durch ein aus pragmatischen Abwägungen abgeleitetes Beharren auf etablierten Verfahrensweisen lösen. Ganz dem Diktum Heinrich Wölfflins („Nicht alles ist zu allen Zeiten möglich.“661) folgend wird dennoch weiterhin davon ausgegangen, es gebe einen für den Bearbeiter erkennbaren und nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen Stil und Chronologie. Auch wenn sich die Feststellung Wölfflins selbst kaum widerlegen lässt, bleiben die aus einer solchen Perspektive oft abgeleiteten Konsequenzen problematisch, da sich schließlich ebenso sagen ließe, dass zu allen Zeiten Vieles möglich gewesen ist. Sowohl im Falle der sogenannten ‚unification styles‘ also auch im Zusammenhang mit den Königsstatuen der 12. Dynastie gehen ägyptologische Interpretationen regelmäßig über die bloße Zuordnung und Datierung der Objekte hinaus (Kapitel 2.3.3 und 2.3.5). Auch der Stil selbst wird in diesen Fällen als bedeutungshaltig betrachtet, da man annimmt, die Produzenten bzw. Auftraggeber der Bilder hätten diesen zur Übermittlung einer ganz besonderen
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vernachlässigt wie die vielfältige Bindung des künstlerischen Schaffens an die Darstellung, an Aufgabe und Funktion, aber auch an den Bestimmungsort, die Adressaten, das Material usw.“ Siehe oben bei Fn. 654. Vgl. auch Elsner, „Style“ 108: „Yet style remains a crucial reminder of our discipline’s depths – the follies, the idealisms aspired to and unachieved, the rigor of an unsurpassed formal analysis supported by a compendious firsthand visual knowledge. This is the lineage of the discipline we practice. If we abandon it entirely, we do so at our peril.“ Eine andere Möglichkeit wird dabei kategorisch ausgeschlossen: die Einschränkung des eigenen Zuständigkeitsbereichs. Vgl. hierzu unten Kapitel 3.2.5 und Kapitel 3.2.6. Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe2, 11.
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Botschaft bzw. Bildaussage genutzt. Den Ausgangspunkt bilden dabei die Geschichten und Geschichtsbilder – teils in Form bestimmter Lesarten literarischer Texte –, die sich in den behandelten Zusammenhängen jedoch als fragwürdig erwiesen haben. Im Rahmen der oben geführten Diskussion um Methodenimporte aus der Porträtforschung (vgl. Kapitel 2.3.5.2) wurde dabei u. a. ausführlicher thematisiert, dass die Heranziehung von Texten, um zu einem tiefer liegenden Bedeutungsgehalt eines Bildes vorzudringen, ein sehr voraussetzungsreiches Unterfangen darstellt, das aus quellenkritischen Gründen innerhalb ägyptischer Zusammenhänge kaum durchführbar sein dürfte. Die Annahme einer von Produzentenseite intendierten Stilsemantik hat jedoch zudem weitreichende stiltheoretische Folgen, die das Potential von Stiluntersuchungen weiter einschränken und auf die weiter unten noch einzugehen sein wird (vgl. Kapitel 2.4.3). 2.4.2 Stil als Beschreibung Sowohl angesichts der geschilderten Probleme als auch angesichts der unter Stilforschern oft zu beobachtenden Uneinigkeit über die Beurteilung einzelner Objekte ist es nun nicht damit getan, stilistische Einschätzungen als tendenziell subjektiv abzutun und daher etwa einfach „eine gewissenhafte methodische Durchführung der Stilanalyse“ einzufordern.662 Das Entscheidende ist nicht die Subjektivität der Stilforschung bzw. des Stilforschers – welche geisteswissenschaftliche Methode könnte sich von einer solchen gänzlich frei machen? –, sondern die Frage nach dem Stil selbst und seiner Ontologie. Daher ist nun im Rückblick auf die bisherigen Untersuchungen von Kapitel 2 noch einmal ausführlicher auf stiltheoretische Fragen einzugehen.663 Unter verschiedenen maßgeblichen kunsthistorischen Stilkonzepten und Definitionen aus dem 20. Jahrhundert lässt sich kein Konsens ausmachen.664 Meyer Schapiro beschreibt Stil in seiner einflussreichen Abhandlung als die z. B. einer Kultur während einer bestimmten Zeitspanne eindeutig zuweisbare konstante Form innerhalb der Kunst einer Person oder einer Gruppe,665 auf die man sich bei Datierungen und anderen Zuschreibungen verlassen könne und die sich auch in Teilen oder Fragmenten von Kunstwerken bereits feststel-
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So jedoch die Position von Verbovsek, „ ‚Das Ende der Kunst‘?“, 379f. (Zitat: 380). Vgl. oben bereits Kapitel 2.3.2.1. Vgl. auch die Zusammenstellung von Definitionen bei Elkins, „Style“, 876 sowie die Textzusammenstellung in Weissert (Hrsg.), Stil in der Kunstgeschichte. Schapiro, „Style“, 287: „By style is meant the constant form – and sometimes the constant elements, qualities, and expression – in the art of an individual or group.“
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len lasse.666 Entsprechend betont er – allen beobachtbaren Stilveränderungen zum Trotz – die Konstanz von Stilen als Voraussetzung und Grundlage aller Stiluntersuchungen.667 Er geht zwar auch ausführlich auf Stilheterogenitäten ein, widmet sich ihnen jedoch hauptsächlich als Phänomen der Moderne.668 Damit wäre die oben beschriebene ägyptologische Praxis (vgl. Kapitel 2.3 sowie 2.4.1) in vielerlei Hinsicht anschlussfähig an Schapiros Stilbegriff, der auch in der Kunstgeschichte bis heute nachhaltig wirkt, von dem sich in den letzten Jahrzehnten die Theoriediskussion andererseits jedoch immer wieder distanziert hat. Einzelne Aspekte dieser vielseitigen Kritik an der Stilkritik sollen im Folgenden vorgestellt werden. So betont James S. Ackermann etwa die fortlaufenden Wandlungen, denen der Stil unterworfen sei, und wendet sich damit gegen den vergleichsweise statischen Stilbegriff Schapiros.669 Stil stellt für Ackermann ein Mittel dar, einzelne Kunstwerke miteinander in Beziehung zu setzen.670 Er sieht Stilwandel weder als teleologische Evolution noch als Ergebnis eines Wirkens allgemeiner historischer Kräfte, sondern führt ihn auf die einzelnen Künstler selbst zurück, die in ihrem Schaffen Konstanz und Innovation in jeweils unterschiedlichem Ausmaß miteinander vereinen würden. Daher fordert Ackermann zu Interpretationen auf, die die gesamten Entstehungskontexte der untersuchten Objekte einbeziehen.671 Während Ackermann zufolge Stilen auch unbewusst sekundäre Bedeutungen zugewiesen werden und so unsere Wahrnehmung beeinflusst wird,672 gehen andere so weit, im Stil selbst „kei-
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Schapiro, „Style“, 288: „Whenever it is possible to locate a work through nonstylistic evidence, this evidence points to the same time and place as do the formal traits, or to a culturally associated region. The unexpected appearance of the style in another region is explained by migration or trade. The style is therefore used with confidence as an independent clue to the time and place of origin of a work of art.“ Vgl. Schapiro, „Style“, 289. Vgl. Schapiro, „Style“, 290–295. Vgl. Ackermann, „A Theory of Style“. Vgl. Ackermann, „A Theory of Style“, 228. Ackermann, „A Theory of Style“, 237: „I hope that my image of confluent and concurrent styles, by avoiding the implication of a predetermined evolution and hierarchy of values, may admit a method which is sensitive to the actual causes and effects of works of art and that it may encourage the interpretation of any creative act in terms of the total context in which it was performed.“ Ackermann, „A Theory of Style“, 230: „Although we cannot work without a theory of style, and although we continue to speak of classical, baroque, or painterly forms, we have allowed the systems that give meaning to these terms to slip into the unconscious, where they operate without the benefit of our control, as a barrier against new perceptions.“
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neswegs nur Form, sondern Ausdruck einer bestimmten Geisteshaltung und Weltanschauung“ zu sehen.673 Ernst H. Gombrich versteht unter Stil „any distinctive, and therefore recognizable, way in which an act is performed or an artifact made or ought to be performed and made“ und vertritt eine Unterscheidung zwischen deskriptivem und normativen Gebrauch des Stilbegriffs.674 Er selbst spricht sich dabei für einen deskriptiven Stilbegriff aus, der nur auf Fälle Anwendung finden solle, in denen Stil die bewusste Wahl zwischen Möglichkeiten beschreiben könne.675 George Kubler greift dies auf und argumentiert für eine noch weiter reichende Begrenzung des Stilbegriffs. Stil und stilistische Vielfalt basierten auf unmittelbar gleichzeitigen aus verschiedenen Möglichkeiten auswählenden Handlungen. Entsprechend unterstreicht er die generelle Wandelbarkeit des Stils, die die Ansetzung einer dauerhaften Gleichförmigkeit ausschließe.676 Stil sei eher taxonomisch zu verstehen, ziele weniger auf Laufzeiten und sei kein Objekt, das sich aus diachroner Perspektive klar greifen lasse, sondern vielmehr ein Wahrnehmungsphänomen, das Kubler auf die Beschreibung von gleichzeitigen Wahlmöglichkeiten beschränken möchte.677
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Suckale, „Stilgeschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts“, 278. Vgl. auch Schapiro („Style“, 287): „For the synthesizing of culture or the philosopher of history, the style is a manifestation of the culture as a whole, the visible sign of its unity. The style reflects or projects the ‚inner form‘ of collective thinking and feeling.“ Vgl. Gombrich, „Style“, 352 f. (Zitat: 352). Gombrich („Style“, 353) folgt hier Stephen Ullmann (Style in the French Novel, 6: „There can be no question of style unless the speaker or writer has the possibility of choosing between alternative forms of expression. Synonymy, in the widest sense of the term, lies at the root of the whole problem of style.“). Vgl. die diesbezügliche Kritik von Nelson Goodman („The Status of Style“) und Elkins („Style“, 880). Kubler, „Toward a Reductive Theory of Visual Style“, 167: „Style is more synchronic than diachronic, consisting of acts undergoing change. Here we see that no style can entirely fill any period, nor can it resist the alteration of time. Thus, whether we consider duration or style, the same conclusion emerges: that the presence of change precludes assumptions about enduring constancy.“ „In short, style is taxonomic and extensional rather than a term suited to duration.“ (Kubler, „Toward a Reductive Theory of Visual Style“, 168). „Now the phenomenon of style is not an object but a concept. We wrongly assign to style the constancy of an object in perception whenever we examine it diachronically. We have seen, however, that style depends on synchronous choices among synonymous possibilities, and that style itself is a phenomenon in perception without objective properties as to duration. […] In conclusion, I have argued for the restriction of visual style to the description of nondurational, synchronous situations composed of related events.“ (ebenda, 173).
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Willibald Sauerländer fordert, aus dem Teufelskreis der Stiltheorien auszusteigen, innerhalb dessen Stil als selbstevidentes Konzept der Kunstgeschichtsschreibung verstanden wird. Bei Stil handele sich vielmehr um ein hochvoraussetzungsreiches und ambivalentes hermeneutisches Konzept, das aus einer ganz bestimmten Haltung gegenüber antiker Kunst heraus aufgestellt worden sei, und das daher wiederum selbst historisiert werden müsse.678 Erst im Zuge der Aufklärung sei der aus der antiken Rhetorik bekannte und dort auf eine normbasierte Klassifizierung von Formen der Rede bezogene Stilbegriff mit Periodisierung, Evolution und Fortschritt verknüpft worden. So sei aus einem Begriff der Kunstbetrachtung bzw. Kunsttheorie ein Instrument der Kunstgeschichtsschreibung geworden. Daher müsse klar zwischen Stil als Mittel der Beschreibung und Stil als Gegenstand von Auslegungen unterschieden werden: „As long as the art historian speaks of styles in a period, in a region, in a town, etc., he uses our notion for rational identification and accepts that the forms of artifacts are just one thing in a complex social situation. If the art historian begins however to speak of the style of a period, region, town, etc., he is in danger of understanding style as the visual expression of a social constellation, which is no longer seen as complex and contradictory, but dreamt of as symbolically unified.“679 Letzteres habe die fatale Folge, dass eine stilfokussierte Betrachtung Widersprüchliches ausblende und dadurch den Befund ungerechtfertigterweise uniform erscheinen lasse.680 Damit sind Aspekte einer Reihe von Stiltheorien skizziert, die sich nun mit Blick auf die bisherigen Ausführungen dieses Buches und das Verhältnis von Stil und Geschichte zusammenführen lassen. Zunächst sollte auf die Ansetzung geradliniger Entwicklungsverläufe samt der ihnen zugrundeliegenden teleologischen Konzepte vollständig verzichtet werden, was für sich genommen bereits den Weg zu einer ordnenden diachronen Stilbetrachtung und dar678 679 680
Vgl. Sauerländer, „From Stilus to Style“, 253 f. Sauerländer, „From Stilus to Style“, 266 (Kursive i.O.). So auch Luhmann, vgl. dazu unten mit Fn. 758–764. Vgl. Sauerländer, „From Stilus to Style“, 267. Vgl. auch Luhmann, der feststellt, die Ansetzung einheitlicher Epochenstile und der damit verbundene Einheitszwang sei „mehr ein Problem für die Kunstgeschichtsschreibung und weniger ein Problem für die Kunst selbst.“ („Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst“, 154).
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aus abgeleiteten Datierungsversuchen versperren dürfte.681 Hinzu kommt mit dem Phänomen des Stilpluralismus ein weiteres zentrales Problem der Stilforschung.682 Unter dem Begriff des Stilpluralismus lassen sich auch diverse Arten von synchronen stilistischen Inhomogenitäten zusammenfassen, aus denen eine Uneindeutigkeit stilistischer Beobachtungen resultiert, die Versuche, Stil historiographisch auszuwerten, vor massive Probleme stellt – ganz unabhängig davon, welche Stiltheorie zur Anwendung gebracht wird. Man könnte dieses Phänomen nun zunächst in Anlehnung an Kubler auf das Ergebnis einer Wahl aus gleichzeitigen Möglichkeiten zurückführen, das für uns im Material sichtbar wird. Damit wäre die Frage, wovon wir überhaupt sprechen, wenn wir über Stil reden, jedoch nur zum Teil beantwortet, da diesbezüglich noch weitere Zusammenhänge von Bedeutung sind. Grundlage jeder Stilzuweisung ist die Feststellung und Beschreibung von Ähnlichkeiten zwischen Objekten. Ähnlichkeit ist jedoch eine nur graduell feststellbare und zugleich im Einzelfall oft kontroverse Kategorie.683 Aus diesem Grund bezieht sich Stil zwar auf Formeigenschaften von Objekten, ist jedoch nicht als klar umrissene Eigenschaft der Objekte selbst zu verstehen,684 sondern in erster Linie als ein Wahrnehmungsphänomen, das erst durch Beschreibungen zutage tritt.685 Jede Stilbeschreibung ist per se selektiv, da sie einzelne Objekteigenschaften auswählt und für relevant erklärt (während andere unberücksichtigt bleiben) sowie auf dieser Grundlage Festlegungen darüber trifft, was einander ähnele und was nicht.686 Die dazu notwendigen Entschei-
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Allein Perspektiven, die Bilder bewusst jenseits erwarteter Entwicklungslinien und Stile in den Blick nehmen, können alternative und vor allem komplexere, dem Befund eher angemessene Beschreibungen hervorbringen und sich so einer ganzen Reihe von einengenden Einflüssen widersetzen. Vgl. hierzu Ackermann, „A Theory of Style“ und Sauerländer, „From Stilus to Style“. Vgl. oben Kapitel 2.3.2 und 2.3.3 sowie Kapitel 2.4.1. Vgl. oben Kapitel 2.3.2.1. Vgl. hierzu auch Nelson Goodman, der darauf hinweist, dass es sich aus philosophischer Sicht bei stilistischen Merkmalen nicht um eindeutig intrinsische oder extrinsische Objekteigenschaften handelt („The Status of Style“, 804–806). Vgl. Kubler („Toward a Reductive Theory of Visual Style“) sowie auch oben Kapitel 2.3.2.1. Diese Selektivität ist in Stilfragen deshalb von besonderer Relevanz, weil sie von der Konzeption des Stils geradezu erfordert wird: Stilvergleiche gründen sich als Ähnlichkeitsbeobachtungen auf die Selektion des für relevant Erachteten: Je weniger selektiv beobachtet wird, desto unwahrscheinlicher ist es, dass das untersuchte Objekt noch einem Stil zugeordnet werden kann, da in diesem Fall heterogene Merkmale und Widersprüchlichkeiten vermehrt hervortreten würden.
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dungen sind vielfach nicht objektivierbar, sondern meist nur auf Kennerurteile gestützt.687 Man kann sogar soweit gehen, in Kennerschaft eine Voraussetzung für Stilbeschreibung und -interpretation zu sehen, da sie notwendig ist, um zunächst Stile selbst und dann auch deren interpretierbaren Gehalt zu identifizieren, bzw. präziser: um eine Kohärenz zwischen Stil und Geschichte, zwischen der Stilbeobachtung und dem Geschichtsbild, in das diese eingeordnet werden soll, zu erzeugen. Viele der hier als problematisch beschriebenen Forschungsansätze lassen sich als Konsequenzen Sinn gebender Strategien beschreiben, die diese Kohärenz gerade dadurch herstellen können, dass durch die angesetzten Stile und das zugrundegelegte selektierende Stilverständnis aus dem Blick gerät, dass die meisten Objekte stilistisch gerade nicht so homogen oder uniform sind, wie wir sie mit Blick auf unsere Geschichtsbilder gerne hätten.688 Wie sich zeigte, fallen Inhomogenitäten im Material nicht nur oft aus dem Rahmen der Erwartungen des Bearbeiters, der angesichts des Materials eine Stilgeschichte formulieren möchte, sie fallen dadurch im Zuge der verschiedenen unausweichlichen Selektionsentscheidungen häufig auch gänzlich unter den Tisch. So werden Objekteigenschaften oder gar ganze Objekte recht einseitig betrachtet, indem sie in die vom Bearbeiter entworfenen Entwicklungslinien eingepasst werden, oder sie werden gar bereits im Vorwege aussortiert, wenn sie sich nicht in jene einfügen lassen.689 Sollen Stilbeobachtungen in eine konsistente Deutung oder Geschichte überführt werden, sind solche Konsequenzen wohl unvermeidlich, da jene Absicht selbst und das daran gebundene Vorwissen bereits die Bearbeiterperspektive unhintergehbar prägt. Stilgeschichten oder Stilentwicklungen werden zwar oft eng etwa mit der politischen Geschichte korreliert und so kulturgeschichtlich abgeglichen und ausgewertet, jedoch nur selten hinsichtlich ihrer impliziten Prämissen, Implikationen und Argumentationen überprüft. Stattdessen geben sich stilforscherische Studien den Anschein, Geschichtsbilder am Material verifizieren zu können.690 Historisch ausgerichtete Festlegungen, Einteilungen und Benen-
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Vgl. etwa eine der Thesen Felix Thürlemanns zur kennerschaftlichen Zuschreibung an einzelne Künstler: „Das kennerschaftliche Urteil beruht auf der synthetischen Intuition des einzelnen Kenners im Erfassen der so genannten persönlichen ‚Handschrift‘ eines Künstlers. Dieser spezifische kognitive Prozess kann analytisch nicht begründet werden.“ („Händescheidung ohne Köpfe?“, 227). Vgl. Sauerländer, „From Stilus to Style“ und Kapitel 2.3.2.4. Vgl. Ackermann, „A Theory of Style“ und Sauerländer, „From Stilus to Style“. Vgl. hierzu die Beispiele in Kapitel 2.3.2, 2.3.3, 2.3.4 und 2.3.5.
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nungen von Stilen basieren maßgeblich auf vom Bearbeiter zugrundegelegten Epochen- und Geschichtsbildern und erweisen sich u. a. gerade deshalb oft als arbiträr.691 Letztlich handelt es sich bei der Klarheit über historische Zusammenhänge, die Stildeutungen zu schaffen vorgeben, oft um nichts anderes als die Reproduktion von bereits Bekanntem in neuem Gewand.692 Darauf, wie leicht vermeintlich neutrale Beschreibungen voraussetzungsreiche, sich aus Geschichtsbildern speisende Zusammenhänge suggerieren und so zu Deutungen werden können, hat Sauerländer anschaulich hingeweisen.693 ‚Rein‘ deskriptive Schilderungen – also ohne historisches Vorverständnis formulierte Stilbeschreibungen – verfügen hingegen über keine eigene Anbindung an die Geschichte der untersuchten Objekte und sind damit historisch nicht verwertbar. Davis hat prägnant herausgearbeitet, wie trügerisch daher Versuche sind, vom Stil ausgehend Geschichte zu erschließen.694 Entsprechend sind auch solche Reinterpretationen immer möglich, die Stilbeobachtungen gänzlich neu beurteilen, indem sie sie anders als bisher als für einen Zeitraum signifikant oder aber ganz unwesentlich betrachten.695 Dabei handelt es sich zwar um kein spezifisches Problem der Stilforschung, da grundsätzlich mit Veränderungen des Ergebnisses gerechnet werden muss, wenn man die Perspektive der Untersuchung ändert. Diese Zusammenhänge erweisen sich jedoch für auf historische Auswertungen ausgerichtete Stiltheorien deshalb als besonders fatal, weil letztere suggerieren, sie könnten geschichtliche Abläufe durch Betrachtungen offen legen und nachvollziehbar machen, die objektbezogen sind – und daher bereits oft auch als objektive Betrachtungen verstanden werden.696 Nach Sauerländer erschafft jedoch ein Kunsthistoriker, der im Stil die Geschichte selbst oder einen Ersatz für diese sieht, „the illusion that history could be looked at like a sunset – all in harmony.“697 Die Annahme, historische Fakten und Geschichtsverläufe ließen sich durch Stilforschungen erschließen, lässt sich jedoch weder mit den oben durchgeführten Untersuchungen noch mit den stiltheoretischen Überlegungen von Acker-
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Vgl. auch Gombrich, „Style“, 356 f. Vgl. hierzu Gombrich, „Style“, 358. Vgl. die zitierte Passage oben bei Fn. 679 sowie außerdem für Beispiele die ausführliche Diskussion in Kapitel 2.3.4.2. Vgl. oben Kapitel 2.3.2.1. Vgl. Gombrich, „Style“, 359, sowie beispielhaft die oben diskutierten verschiedenen Bewertungen der Reliefs aus Et-Tod (Kapitel 2.3.4.1). Vgl. Seidlmayer, „Stil und Statistik“, 17: „Urteilen ‚nach Geschmack‘ scheint ausgeschlossen.“ Sauerländer, „From Stilus to Style“, 267.
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mann, Davis, Kubler und Sauerländer vereinbaren. Vielmehr erscheint vor diesem Hintergrund – wie sich oben bereits andeutete – eine Unterscheidung zwischen Stil und Stilbeschreibung irreführend: Der Kern des Problems und die Grenzen der Möglichkeiten der Stilforschung lassen sich dann am überzeugendsten erklären, wenn man – und damit sei nochmals auf Davis eingangs angeführte Stiltheorie verwiesen (Kapitel 2.3.2.1) – im Stil zunächst nichts anderes sieht als eine Beschreibung. Eine Beschreibung von Ähnlichkeiten, die einzelne Objekte in Beziehungen zueinander setzt,698 die Entsprechungen in historischen Situationen und Konstellationen haben können, jedoch nicht müssen. Nimmt man dies zur Grundlage für einen Stilbegriff, lassen sich daraus zwar zunächst keine vermeintlich erhellenden Stilinterpretationen ableiten, dafür lässt sich jedoch die aus der Annahme, man habe im Stil ein Faktum vor sich, in dem die geschichtlichen Abläufe selbst sichtbar würden, resultierende stilforscherische Praxis adäquat verorten und beschreiben. Stil lässt sich somit erst einmal als eine betrachterabhängige Form der Beschreibung oder Taxonomie verstehen, die keine wie auch immer beschaffene Wahrheit über ein Objekt beinhaltet, sondern es lediglich ermöglicht, auch voneinander unabhängige Objekte miteinander in Beziehung zu setzen.699 Ob, und wenn ja, inwiefern diese Korrelation aussagekräftig sein kann, wäre jedoch immer stilunabhängig zu zeigen, da es sich bei Stil um keine Objekteigenschaft handelt, aus der allein sich etwas Neues über die Geschichte des Objektes ableiten ließe. Auch wenn sich Stilbeobachtungen auf Eigenschaften der untersuchten Objekte beziehen und damit nicht objektunabhängig sind, so handelt es sich doch bei dem Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster, dessen geschichtlichen Ort Sauerländer herausgearbeitet hat und das das zunächst nur deskriptive Mittel Stil selbst zum Objekt der Auslegung macht, um ein spezifisches und voraussetzungsreiches: In diesen Zusammenhängen wird Stil interpretiert, um eine Kohärenz zwischen Stil und Geschichte zu erzeugen.700 Die damit skizzierte Perspektive sieht im Stil hingegen Beschreibungsmöglichkeiten, verlagert jedoch die eigentliche Interpretation auf die Kontexte der Objekte und fordert, die Geschichtsvorstellungen und das Kontextwissen zu den Objekten abzuklären und transparent zu machen, da nur daraus ein Objekt und der darin gesehene Stil interpretiert werden kann. Damit ist der Punkt erreicht, von dem aus ein Vorschlag zur Differenzierung gemacht wer-
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Vgl. Ackermann, „A Theory of Style“, 228. Vgl. Ackermann, „A Theory of Style“; Gombrich, „Style“; Kubler, „Toward a Reductive Theory of Visual Style“. Vgl. oben bei Fn. 688.
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den soll, um verschiedene Phänomene, Perspektiven und Zusammenhänge, die gemeinhin unter dem Begriff Stil subsumiert werden, terminologisch voneinander abzugrenzen. 2.4.3
Stil und Stilistizität, Produktion und Rezeption: Zu Koordinaten für eine Terminologie Whitney Davis hat jüngst noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Ähnlichkeit verschiedener Objekte aufgrund ihrer Herkunft aus gemeinsamen Produktionskontexten („style in analytic and historical terms“701) nicht immer dann gegeben sein muss, wenn wir Ähnlichkeiten erkennen und sie auf diese Weise erklären. Teile dieses Phänomens beschreibt er mit dem Begriff „stylisticality“ (≈ Stilistizität), der u.a. darauf abzielt, das bewusste Aufgreifen von Stilen zu beschreiben, wie es beispielsweise aus dem Neoklassizismus bekannt ist.702 In solchen Fällen lassen sich Ähnlichkeiten darauf zurückführen, dass Objekte mit der Absicht angefertigt wurden, dass Betrachter eben jene stilistischen Ähnlichkeiten erkennen sollten: Davis spricht von „styles made to be seen as styles“.703 Es handelt sich also um einen stilistischen Rückgriff, der sich an eine Rezipientengruppe richtet.704 An Davis’ Ausführungen erscheint besonders der Hinweis darauf relevant, zwischen Ähnlichkeiten, die ihre Ursache in der gemeinsamen Herkunft aus ein und demselben Entstehungskontext haben, und solchen, bei denen dies offen ist, zu differenzieren.705 Bei Davis fallen Beispiele von beobachtbaren Ähnlichkeiten, die
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Davis, General Theory of Visual Culture, 76. Davis, General Theory of Visual Culture, 76–82. Ägyptologisch meines Wissens nach bislang nur aufgegriffen von Jurman, „Legitimisation through Innovative Tradition“, 185. Davis, General Theory of Visual Culture, 84. Vgl. Davis, General Theory of Visual Culture, 95 f. Vgl. „[…] it also derives from similarities between the perceived conformation of an artifact and the conformation of many other artifacts that seem to possess (and therefore can reveal to us) a common origin in their making, a style in analytic and historical terms – a similarity that we can see in the artifacts or that we can see the artifacts as having. Similarity between artifacts seen as caused by their having a common origin is an aspect of each of the artifacts in which this similarity is seen, whether or not they really have this common origin or something that looks like it. I will call this phenomenon stylisticality. In stylisticality we apprehend an artifact’s seeming similarity to other things. These other things are seen as putative replications of the artifact, and their putative replicatedness can be seen in the artifact. These visual and morphological similarities in the configurations are visible to us whether or not we are grasping the real cause, in the actual history of making, of these apparent likeness.“ (Davis, General Theory of Visual Culture, 76 [Kursive i.O.]).
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nicht auf eine gemeinsame Herkunft der Objekte zurückgeführt werden können, jedoch ebenso wie Fälle, in denen gemeinsame Herkunftskontexte die Ursache für Ähnlichkeiten darstellen, unter seinen Begriff von „style“.706 Daher wird das durch die Einführung des Begriffs „stylisticality“ erschlossene Differenzierungspotential nicht vollständig ausgeschöpft. Hier lohnt es sich, die Ebenen von Produzenten und Betrachtern auch terminologisch stärker auseinanderzuhalten.707 Im Folgenden soll daher auf diese Weise versucht werden, die verschiedenen Rahmen, innerhalb derer Stile und Stilistizitätsphänomene angenommen, beobachtet und interpretiert werden können, noch deutlicher voneinander abzugrenzen. Hierfür wird in Anlehnung und Abwandlung von Davis’ Definition708 unter Stil die Beschreibung einer an verschiedenen Eigenschaften festgemachten Ähnlichkeit zwischen mehreren Objekten verstanden, die auf eine (gemeinsame) Ursache, wie etwa Produktionskontexte, zurückgeht oder zurückgeführt wird und aus der man daher weitere Aussagen ableiten zu können annimmt.709 Stilistizität setzt wiederum die Beobachtung eines Stils voraus und bezeichnet Formen bewusster Verwendung dieses Stils, die gezielt eine Ähnlichkeit und damit einen Bezug oder Verweis herstellen und dabei an Rezipienten adressiert sind. Bezieht man diese beiden Begriffe nun auf die Produktion bzw. Rezeption von Objekten lassen sich insgesamt vier Termini auffächern, mittels derer sich ein größeres Maß an Klarheit über Stil und dessen Erforschung gewinnen lässt.
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Davis, General Theory of Visual Culture, 80–82. Vgl. hierzu auch ders., „Style and History“, 19 und 23 sowie oben Kapitel 2.3.2.1. Bei Davis bezeichnet ‚stylisticality‘ einerseits ‚styles made to be seen as styles‘, andererseits sei es möglich, dass neben ‚style‘ auch ‚stylisticality‘ vom Produzenten unbemerkt geblieben seien. In letzterem Fall hat man wohl an „an artifact’s seeming similarity to other things“ (Davis, General Theory of Visual Culture, 76) zu denken. „For the art historian’s purposes, (a) ‚style‘ is a description of a polythetic set of similar but varying attributes in a group of artifacts, (b) the presence of which can only be explained by the history of the artifacts, (c) namely, common descent from an archaeologically identifiable artifact-production system in a particular state or states.“ (Davis, „Style and History“, 19). Vgl. hierzu oben Kapitel 2.3.2.1. Entsprechend kann eine sich auf einen solchen Stilbegriff gründende Stiltheorie nicht auf Ähnlichkeiten angewendet werden, für die keine gemeinsame Ursache angenommen wird oder werden kann.
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bilder – stile – kontexte tabelle 6
Ort des Stil(phänomen)s Produktion
Rezeption
(2) Produktionsstil
(1) Stilbeschreibung
Stil Stilistizität (3) intendierte Stilistizität
(4) semantisch geladener Stil
(1) Stilbeschreibung Jede Stiluntersuchung beginnt mit der Beobachtung von Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Objekten, von der ausgehend ein Rezipient eine Stilbeschreibung formuliert und so die Objekte in eine Relation zueinander setzt. Stil ist und bleibt zwar immer eine Beschreibung von Ähnlichkeiten (s.o. Kapitel 2.4.2), hier ist jedoch eine Stilbeschreibung im engeren Sinne gemeint: eine initiale bzw. basale Beschreibung von Ähnlichkeiten, die zwar modernen Wahrnehmungsmustern verpflichtet ist und daher darauf ausgerichtet ist, Stil auch zu interpretieren. Sie ist entsprechend in ihren Selektionen beeinflusst, lässt sich aber dennoch im Rahmen der hier vorgestellten Schematisierung von weiteren Interpretationen trennen. Mit dieser Stilbeschreibung ist zunächst noch keine Aussage über die Ursache des beobachteten Stils getroffen, es werden vielmehr zunächst nur Objekte anhand von beobachteten Ähnlichkeiten klassifiziert und zugeordnet. Darin, dass die Beobachtungen nicht nur als Ähnlichkeiten, sondern als Stil beschrieben werden, äußert sich jedoch bereits die Annahme, die untersuchten Objekte hätten auch über eine schlichte Ähnlichkeit hinaus etwas gemein: in den beobachteten Ähnlichkeiten wird ein bezogen auf die Entstehung der Objekte interpretationsfähiger Gehalt gesehen. (2) Produktionsstil Jede auf eine Interpretation abzielende Stiluntersuchung versucht daher auf Grundlage einer Stilbeschreibung weitergehende Aussagen zu treffen. Dies geschieht in der Regel dadurch, dass in einem Stil gleich etwas gesehen wird, was Davis’ in Kapitel 2.3.2.1 zitierter Definition entspricht710 und was man präziser einen Produktionsstil nennen könnte. Dabei wird angenommen, die
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Vgl. für den Wortlaut der Definition auch Fn. 708. In seiner jüngsten Studie als „style in analytic and historical terms“ angesprochen (Davis, General Theory of Visual Culture, 76).
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vom Bearbeiter wahrgenommene Ähnlichkeit lasse sich nur deshalb beobachten, weil sich der Produzent des Objekts unbewusst an anderen Objekten in seinem zeitlich, lokal oder anderweitig bestimmbaren Umfeld orientiert habe und daher das Objekt ähnlich der Machart eines anderen hergestellt worden sei: Die Ursache stilistischer Ähnlichkeit und damit eines bestimmten Stils wird folglich in den Produktionskontexten der diesem Stil zugeordneten Objekte gesehen. Man vermutet, dass innerhalb gleicher Kontexte bei der Objektherstellung aus einer Vielzahl von Möglichkeiten dieselben ausgewählt wurden. Durch die Ansetzung von Produktionsstilen werden gewöhnlich Zuschreibungen zu bestimmten Zeiten, Regionen, Werkstätten und Handwerkern/Künstlern begründet. So ist etwa in der Kunstgeschichte die im Wesentlichen auf Giovanni Morelli (1816–1891) zurückgehende Methode bis heute in Gebrauch, Werke einer Künstlerpersönlichkeit zuzuschreiben, wenn sie in der Art der Wiedergabe bestimmter Details (Hände, Augen, Mund etc.) den übrigen Werken dieses Künstlers entsprechen oder ähneln.711 Dieses Kennerschaft erfordernde Verfahren nimmt an, die Formgebung solcher Details sei personenspezifisch und daher als Zuschreibungskriterium geeignet. So wie diese Art der Händescheidung Resultate habitueller Werktätigkeit einzelner Personen zu identifizieren sucht, setzt man in der Archäologie seit Oscar Montelius (1843–1921) und W. M. Flinders Petrie (1853–1942) einen entsprechenden Zusammenhang auch für ganze Produzentengruppen an, indem man annimmt, alle Mitglieder einer bestimmten Personengruppierung hätten zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger dieselben Angewohnheiten bei der Herstellung bestimmter Artefakte (Gefäßformen etc.) gehabt.712 In der kunsthistorischen und archäologischen Stilforschung geht das
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Vgl. Lindemann, „Kennerschaft und Zuschreibung“. Vgl. auch ausführlicher zur MorelliMethode mit weiterführender Literatur Davis, General Theory of Visual Culture, 86–93. So Davis, der außerdem jedoch zu Recht darauf hinweist, dass stilistisch identifizierte Gruppen wie die von Reisner identifizierte neolithische A-Gruppe in Nubien oftmals nur über Stilbeobachtungen als Gruppen greifbar sind. Entsprechend sollte man nur mit Vorsicht von derartigen Beobachtungen auf die historische Existenz sozialer Gruppen rückschließen: Es sei schließlich möglich, dass es jenseits des Stils keine Grundlage geben könnte, darauf zu schließen, dass die Mitglieder einer solchen Gruppe untereinander interagiert haben. Man könne dann zwar annehmen, dass man Hinweise auf interpersonelle und soziopolitische Interaktion vor sich habe, die keine anderen als stilistische Spuren hinterlassen hat. Ob die von uns heute in solchen Stilen erkannten Geschichten auch bereits früher gesehen wurden, sei jedoch eine nur schwer zu beantwortende Frage (vgl. General Theory of Visual Culture, 91–93). Davis’ Vorsicht ließe sich sicher noch zuspitzen: Wir sollten eher erhebliche Zweifel daran haben, dass es uns in den meisten Fällen
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Konzept des Produktionsstils dabei meist zusammen mit diachron beobachtetem Stilwandel im Datierungsinstrument der Zeitstile und Stilentwicklung auf. So werden anhand von Ähnlichkeitsbeobachtungen nicht nur Objekte Regionen oder Personengruppen zugewiesen, sondern auch lineare und diachron nachvollziehbare morphologische Entwicklungen angesetzt. (3) Intendierte Stilistizität Wenngleich sich Ähnlichkeiten zwischen sicher datierten gleichzeitig oder am selben Ort entstandenen Objekten empirisch durchaus nicht selten belegen lassen, wird üblicherweise im Einzelfall der Nachweis, dass es sich tatsächlich um mehr als eine schlichte Ähnlichkeit handelt, nicht angetreten, da die Ähnlichkeit selbst diesen Nachweis bereits liefere: Ähnlichkeit wird in diesen Fällen nicht nur als Stil verstanden, letzterer wird auch auf die Bedeutung eines Produktionsstils begrenzt. Dabei gibt es nicht nur Ähnlichkeiten, die keine gemeinsame Ursache haben und die man deshalb höchstens als Pseudostil beschreiben könnte,713 sondern auch solche, die vom Produzenten beabsichtigt waren. In diesen Fällen lässt sich von intendierter Stilistizität im oben skizzierten Sinne sprechen: Produzenten selbst beobachten Ähnlichkeiten als Stil und greifen diesen auf. Ähnlichkeit wird also bewusst hergestellt, eine fiktive Gemeinsamkeit der Herkunftskontexte erzeugt.714 Bei dem Stil, der als Bezugspunkt für die Umsetzung eines stilistizistischen Stils dient, kann es sich selbst
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überhaupt gelingen kann, nachzuweisen, dass das, was wir in einem solchen Stil erkennen, auch historische Realität gewesen ist. Vgl. hingegen Davis, der vom „Animal Style“ spricht, für den er Beispiele aus verschiedenen Jahrtausenden und verschiedenen Erdteilen (Luristan, Skythien, Skandinavien) anführt (General Theory of Visual Culture, 81 f.). Im Rahmen der hier vorgeschlagenen Terminologie sollte in solchen Fällen solange von Ähnlichkeiten in der Machart und nicht von einem Stil gesprochen werden, wie es als unwahrscheinlich oder unmöglich betrachtet wird, dass gemeinsame Ursachen oder Produktionskontexte für die Ähnlichkeiten anzusetzen sind. Ein weiter gefasster Stilbegriff wäre schließlich inflationär zu gebrauchen, da er seine Trennschärfe gegenüber schlichten Ähnlichkeiten verlöre. Nimmt man – wie Davis es erwägt – an, dass die Produzenten innerhalb eines bestimmten Zusammenhangs das, was heute als „Animal Style“ beschrieben wird, bewusst umgesetzt haben, ließe sich dies zwar als ein spezifischer stilistizistischer Stilgebrauch (etwa in Luristan) beschreiben, dies wäre jedoch etwas völlig anderes als von dem „Animal Style“ in Luristan, Skythien, Skandinavien etc. zu sprechen. Davis spricht von „fictively common – to be seen as common“. Produzenten produzieren so, dass ihre Produkte so aussehen wie Produkte aus anderen Produktionskontexten, damit Betrachter für beide dieselben Produktionskontexte annehmen. Vgl. hierzu Davis, General Theory of Visual Culture, 78 f.
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wiederum durchaus um das Resultat einer stilistizistischen Stilverwendung handeln, das dabei jedoch als solches nicht unbedingt erkannt werden muss. Der aufgegriffene Stil kann schließlich sekundär auch als ein Produktionsstil betrachtet werden, ohne dass es sich ursprünglich um einen solchen gehandelt haben muss. Daher ist nicht ausgeschlossen, dass auch Stile als Vorlage für stilistizitische Stilverwendungen dienen, die jenseits dessen, dass sie im Moment des Aufgreifens erkannt werden, keine historischen Ursachen im Sinne von Produktionsstilen haben. Der aufgegriffene Stil kann zudem grundsätzlich aus Kontexten stammen oder in solchen gesehen werden, die von denen seiner stilistizistischen Verwendung verschieden sind. Davis hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Formen stilistizistischer Stilverwendung für sich genommen grundsätzlich nicht geeignet sind, als Grundlage für Zuschreibungen oder Datierungen zu dienen, weil sie einen Stil zitieren, adaptieren o.Ä. und daher für diesen selbst gehalten werden können.715 Darüber hinaus konterkarieren sie die von der Stilkritik generell postulierte Praxis der unbewussten stilistischen Orientierung an ungefähr zeitgleichen Vorlagen, die nur allmähliche stilistische Veränderungen nach sich ziehe, daher jene so oft angesetzten linearen Stilentwicklungen zur Folge habe und so dem stilistischen Kennerurteil zur Grundlage dient.716 Erschwerend kommt nicht nur hinzu, dass es keinesfalls den Objekten bzw. den in Objekten erkannten Stilen anzusehen ist, ob es sich um Produktionsstile oder um Stilistizitätsphänomene handelt. Darüber hinaus ist keinesfalls immer davon auszugehen, dass in einem beobachteten Stil – genauer: im Objekt einer Stilbeschreibung – entwe715 716
Außerdem wäre der Status des zitierten Stils selbst ebenfalls abzuklären (s.o.). Vgl. Davis, General Theory of Visual Culture, 78f. Diese Zusammenhänge haben weitreichende Folgen. So weist Davis ferner darauf hin, dass Stilverwendungen, die gesehen werden sollten, auf Adressaten ausgerichtet sind, die jedoch von der kennerschaftlichen Perspektive überhaupt nicht berücksichtigt werden. Dort nehme schließlich in gewisser Weise der Kenner selbst die Rolle desjenigen ein, an den der Stil adressiert ist. Die „recursive self-reflexive self-recognition“ der Stilistizität („stylisticality“) werde hingegen vollkommen ausgeblendet (ebenda, 96). Der Kenner, der einem Objekt einen Produzenten oder einen Produktionszusammenhang (Zeit, Werkstatt, Gruppe, Meister etc.) zuweise, isoliere damit diesen Produzenten oder Produktionszusammenhang, da nach kennerschaftlicher Expertise nur eben jener den beobachteten Stil besitze und kein anderer. Anders sei strenggenommen keine Zuweisung möglich. Um zu einer solchen gelangen zu können, müsse der Kenner darüber hinaus annehmen, der Stil sei als solcher für jeden außer ihm selbst unsichtbar, denn wäre er für andere Produzenten sichtbar, könnten diese ihn bewusst aufgreifen. In einem solchen Fall läge keine habituelle Stilproduktion vor, die jedoch von jedem Kennerurteil zumindest implizit vorausgesetzt werde. Vgl. zu diesen Zusammenhängen ebenda, 93–96.
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der ein Produktionsstil oder ein Stilistizitätsphänomen vorliegt. Vielmehr ist es plausibel, mit Davis anzunehmen, dass die Komplexität von Stilfragen gerade darin begründet liegt, dass Produktionsstile und Stilistizitätsphänomene nicht nur chronologisch aufeinander folgen, sondern auch in einzelnen Objekten ineinander übergehen können,717 ohne dass dies oder die einzelnen Komponenten selbst für den Betrachter erkennbar wären. Damit zeigt sich erneut, dass sich aus einer Stilbeschreibung heraus nicht ermitteln lässt, ob ein Stil als Produktionsstil unmittelbar signifikant für die Entstehungszeit des Objekts ist oder eben gerade nicht. Davis sieht darin, dass einmal erkannte Stile zunächst bewusst stilistizistisch aufgegriffen werden, später zu Vorlagen unbewusster stilistischer Orientierung (im Sinne eines Produktionsstiles) werden und dann wieder beobachtet bzw. stilistizistisch aufgegriffen werden können usw., die entscheidende Ursache für Stilwandel und Stilfolgen („stylistic succession“).718 Die kennerurteilbasierte Stilkritik, die Stilwandel zur Grundlage ihrer Methoden macht, vernachlässigt nach Davis diese Formen von Intertextualität jedoch grundsätzlich durch ihre Fokussierung auf Stil im Sinne von Produktionsstilen (bei Davis „pure style“719), da sie Stile als per se für Epochen, Künstler etc. aussagekräftig betrachtet, um Zuschreibungen vornehmen zu können. Sie kann entsprechend aus Gründen ihrer eigenen Hermeneutik die Möglichkeit, dass Stile bei der Herstellung von Objekten bewusst aufgegriffen wurden, um diese Stile an Rezipienten zu kommunizieren, höchstens in Ausnahmefällen vorsehen.720 (4) Semantisch geladener Stil Bislang wurde hier Stilistizität im Wesentlichen in Bezug auf Stilproduzenten diskutiert. Wird ein Stil stilistizistisch aufgegriffen, d. h. von einem Produzenten bewusst eingesetzt, kommt diesem stilistizistischen Stil jedoch auch eine Bedeutung zu, die sich an einen Rezipientenkreis richtet. Der Stil sollte als solcher erkennbar sein bzw. erkannt werden. Darauf kann sich seine Bedeutung (das was der Stil kommunizieren sollte) bereits beschränken: auf einen Verweis durch die Herstellung einer Ähnlichkeit. Eine stilistizistische Stilverwendung kann jedoch durch die Fingierung eines Produktionsstils auch auf Bedeutungen verweisen, die wiederum mit jenem Produktionsstil verknüpft werden. In beiden Fällen hätte der Stil eine klare Zeichenfunktion und man könnte von 717 718 719 720
Vgl. Davis, General Theory of Visual Culture, 93 f. Davis, General Theory of Visual Culture, 75–119, bes. 82 und 93f. Vgl. etwa Davis, General Theory of Visual Culture, 82. Vgl. Davis, General Theory of Visual Culture, 95 f. (siehe auch oben Fn. 716).
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einem semantisch geladenen Stil sprechen. Es ist jedoch zu beachten, dass sich ebenso wie sich aus einem Stil selbst nicht ableiten lässt, ob er mit Blick auf die Produzenten ein Produktionsstil oder ein stilistizistisch verwendeter Stil ist, an einem Stil auch nicht erkennen lässt, ob er als Zeichen konzipiert wurde. Die Frage, ob etwas ein Zeichen ist, lässt sich ohnehin nicht beantworten, weil Dinge weniger Zeichen sind, sondern vielmehr als Zeichen fungieren oder verwendet werden.721 Da die Zeichenhaftigkeit eines Gegenstandes entsprechend immer dann gegeben ist, wenn ein Betrachter ihn als Zeichen versteht, lassen sich durch Rezipienten semantische Stile ganz unabhängig davon identifizieren, ob der untersuchte Gegenstand tatsächlich einmal auf eine solche semantische Ladung hin konzipiert hergestellt wurde. Folglich kann auch dort die semantische Ladung eines Stils rezipientenseitig erkannt werden, wo dies produzentenseitig nicht notwendigerweise eine Entsprechung gehabt haben muss. Stilbeobachtungen selbst erlauben diesbezüglich keine Festlegung, sie müssten hierfür mit stilunabhängigen Informationen angereichert werden. Mit diesen Ausführungen wurde versucht, den Begriff Stil bzw. das, was bei Davis unter „style“, „style in analytic and historical terms“, „style that is unrecognized“, „pure style“ besprochen wird, ebenso wie das Phänomen der Stilistizität deutlicher auf die Bezugspunkte von Stilproduktion und Stilrezeption auszurichten.722 Auf dieser Grundlage ist es möglich, die gerade für ein Fach wie die Ägyptologie zentrale Differenzierung zwischen ägyptischen Produktionskontexten und modernen Rezeptionskontexten auch terminologisch vollziehen zu können. In Tabelle 7 sei dies nun noch einmal zusammengetragen. So wie diese terminologischen Koordinaten stilistische Phänomene und stilforscherische Methoden beschreiben können, so führen sie auch deutlich vor Augen, dass im Hinblick auf die Möglichkeiten und Grenzen der Stilforschung die Relationen zwischen den einzelnen Stilphänomenen entscheidender sind als die Stilphänomene selbst. Während gängige Methoden der Stilforschung allein auf der Annahme basieren, dass sich entsprechende Verbindungen (etwa zwischen beobachteten Stilen und Produktionsumständen) im Material
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Vgl. Wiesing, Artifizielle Präsenz, 37–39 sowie unten Kapitel 3.2.3. Davis selbst hingegen betont die Notwendigkeit, sowohl „style that is unrecognized“ als auch „stylisticality“ als Stil zu beschreiben (General Theory of Visual Culture, 83). Dieser Umstand soll durch die hier vorgenommene Unterscheidung nicht in Abrede gestellt werden. Es erscheint jedoch überaus wichtig, allen Übergängen und Abhängigkeiten zum Trotz zwischen den einzelnen Stilphänomenen und Stilwahrnehmungen zu unterscheiden, um all jene Zusammenhänge, in denen undifferenziert von Stil die Rede ist, auseinanderhalten und beurteilen zu können.
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selbst nachweisen lassen oder gar implizit vorausgesetzt werden können, haben wir eher guten Grund zu der gegenteiligen Annahme, dass die Ansetzung von Beziehungen, Übergängen und Abhängigkeiten zwischen einzelnen Stilphänomenen im Rahmen reiner Stiluntersuchungen immer hypothetisch bleiben muss. Solange uns keine stilunabhängigen Informationen zur Verfügung stehen, stellt es dementsprechend eine Sache der Unmöglichkeit dar, von einer Stilbeschreibung auf Produktionsstile oder eine intendierte Stilistizität zu schließen. Die fehlende Einsehbarkeit dieser Zusammenhänge stellt eine vollkommen opake Seite dessen dar, was wir als Stil beobachten. Trägt man – wie hier vorgeschlagen – dem deskriptiven Charakter des Stils Rechnung, differenziert man zwischen Objektproduktion und Stilrezeption und berücksichtigt man dabei die Möglichkeit stilistizistischer Stilverwendung, lässt sich feststellen, dass die Ursache dafür, dass Stilbegriffe und Stiltheorien diese Bereiche nicht erhellen können, eine stilimmanente ist: Wenn Stil die Beschreibung des Resultats einer unbewussten Orientierung ebenso sein kann wie die des Ergebnisses einer bewussten Herstellung von Ähnlichkeit oder die Feststellung von bloßen Ähnlichkeiten, die keine gemeinsame Ursache haben, dann kann uns eine reine Stilbeobachtung über nichts Auskunft geben, was wir stilunabhängig nicht schon wüssten.723 2.4.4 Zu den Grenzen ägyptologischer Stilforschung Die vorangegangenen theoretischen Überlegungen (Kapitel 2.4.2 und 2.4.3) sind zwar vor dem Hintergrund der ägyptologischen Stilforschung (vgl. Kapitel 2.3.2 bis 2.3.5 sowie 2.4.1) angestellt worden, haben sich selbst jedoch bewusst von konkreten ägyptologischen Anwendungsbereichen gelöst. Im Folgenden sind daher nun nicht nur die aus Sicht dieses Buches daraus zu ziehenden Konsequenzen darzulegen, letztere sollen auch zur Ägyptologie und ihrem Gegenstandsbereich in Beziehung gesetzt werden. Blickt man ausgehend von der skizzierten Stiltheorie (Kapitel 2.4.2 und 2.4.3) zurück auf die eingangs behandelten Geschichtsbilder und Rezeptionsmuster (Kapitel 2.1 und 2.2) sowie die damit nicht kompatiblen Beobachtungen zum Funktionskontext der Bilder und der sich vermeintlich in ihnen niederschlagenden und an die Geschichte gekoppelten Stilentwicklung (Kapitel 723
Eine seltene ägyptologische Einlassung zu diesen Zusammenhängen, die jedoch nicht weiter ausgeführt wird, findet sich bei Woods, „Relief“, 231. Die durch Stilbeobachtungen zur Verfügung gestellten Möglichkeiten, Objekte zu beschreiben bzw. Beziehungen zwischen ihnen zu sehen (vgl. oben Kapitel 2.4.2), bleiben daher zwar bestehen, Versuche, dies zu interpretieren, stehen jedoch vor den angeführten Problemen.
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teil ii
tabelle 7
Stil bezeichnet die (Beschreibung) formale(r) Ähnlichkeit zwischen verschiedenen Objekten, die auf eine (gemeinsame) Ursache, wie etwa Produktionskontexte, zurückgeht oder zurückgeführt wird und aus der man daher weitere Aussagen ableiten zu können annimmt.
Stilistizität setzt die Beobachtung eines Stils voraus und bezeichnet Formen bewusster Verwendung dieses Stils, die gezielt eine Ähnlichkeit und damit einen Bezug oder Verweis herstellen. Eine stilistizistische Stilverwendung richtet sich an Rezipienten und kann Stile aufgreifen, deren Produktionskontexte gänzlich andere als die eigenen sind.
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Ort des Stil(phänomen)s Produktion
Rezeption
(2) Produktionsstil ist das beschreibbare Ergebnis einer unbewussten Orientierung des Produzenten eines Objekts an formalen/visuellen Merkmalen anderer Objekte aus dem eigenen, d.h. einem allen involvierten Objekten gemeinsamen Kontext: etwas wird ähnlich der Machart von etwas anderem hergestellt. Ein Produktionsstil kann sekundär beobachtet (1) und davon ausgehend unterschiedlich interpretiert werden (als [2], [3] oder [4]). Wird er von Produzenten beobachtet und aufgegriffen, bedeutet dies den Übergang zu (3).
(1) Stilbeschreibung bezieht sich hier im engeren Sinne auf eine Beschreibungsform, die einen Stil identifiziert, aber noch keine Aussagen über Ursachen des Stils o.Ä. beinhaltet. Auf diese Weise können Objekte zueinander in Beziehung gesetzt werden. Gegenstand einer Stilbeschreibung können schlichte Ähnlichkeiten (Pseudostile), Produktionsstile (2) oder Stilistizitätsphänome (3) sein.
(3) intendierte Stilistizität liegt vor, wenn ein Stil (im Sinne von [1], [2] oder [3]) von einem Produzenten nicht nur als solcher bemerkt wird, sondern auch aufgegriffen wird. Es handelt sich um einen bewussten stilistischen Bezug auf die Machart von etwas anderem, der auf Erkennbarkeit ausgerichtet ist (‚styles made to be seen as styles‘) und auf unterschiedliche Weise bedeutungshaltig sein kann (vgl. [4]).
(4) semantisch geladener Stil wird dann erkannt, wenn angesichts einer Stilbeschreibung (1) angenommen wird, es liege intendierte Stilistizität (3) vor, so dass sich weitergehende Aussagen ableiten bzw. decodieren ließen: darin, dass etwas etwas anderem ähnlich sieht, wird eine Botschaft erkannt.
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teil ii
2.3), ergeben sich weitreichende Folgen für die ägyptologische Praxis: In letzterer wird Stil schließlich nicht als innerhalb von historisch gesicherten Zusammenhängen beobachtbares und untersuchbares Phänomen bzw. als dessen Beschreibung betrachtet, sondern als ein Instrument der Zuschreibung und Datierung genutzt, das eine historische Verortung von Objekten überhaupt erst erbringen oder absichern soll. Wie sich empirisch und methodologisch zeigen ließ, entbehrt jedoch gerade ein solches Vorgehen einer verlässlichen Grundlage. Da stilistische Beschreibungen in der Regel davon ausgehen, einen Produktionsstil als Ausdruck einer Stilentwicklung zum Gegenstand zu haben, tendieren sie dazu, Stilbeobachtungen als Narration historischer Zusammenhänge wiederzugegeben und zu interpretieren (vgl. besonders Kapitel 2.3.4.2 und 2.3.5.2[3]). Letzteres öffnet mitunter sehr fragwürdigen Geschichtsbildern Tür und Tor (wie sie etwa in den Kapiteln 2.2, 2.3.3.2 und 2.3.4.2 problematisiert wurden). Diese können sich nicht selten – auf vermeintlich objektive Stiluntersuchungen gestützt – in der Forschung etablieren. Berücksichtigt man außerdem noch die Rolle von Selektivität und Kennerurteilen auf der einen Seite (vgl. Kapitel 2.4.1 bis 2.4.3) und die vielfach feststellbaren stilistischen Pluralismen auf der anderen Seite (vgl. Kapitel 2.3.2.3 und 2.3.3), wird insgesamt noch einmal deutlich, dass Stil für sich genommen historisch nicht verwertbar ist. Auch die Möglichkeiten der Seriation helfen nicht, dieses Problem zu umgehen. Die kombinatorischen Verfahren der Korrespondenzanalyse basieren schließlich ebenfalls auf der Annahme, dass sich die zeitliche Nähe bzw. Ferne zwischen Objekten an Ähnlichkeiten bzw. an der Menge oder dem Ausmaß der den Objekten gemeinsamen Merkmale ablesen lasse.724 Das Verfahren kombinatorischer Ansätze zur statistischen Auswertung von Materialkorpora selbst steht nun keineswegs infrage, es ist jedoch auch hier notwendig, jeweils das ausgewertete Datenmaterial und die Aussagekraft der Ergebnisse sowie deren Interpretation kritisch zu prüfen, um nicht auch diese Methode für Schlussfolgerungen in Anspruch zu nehmen, die sich durch sie gar nicht stützen lassen. Seidlmayer hat herausgearbeitet, an welche Rahmenbedingungen Kor-
724
Vgl. Seidlmayer, Gräberfelder, 22 sowie 27f.: „Die kombinationsstatistische Struktur der Daten beruht auf der zweidimensionalen Vernetztheit des Materials, die dadurch entsteht, daß unterschiedliche Typen durch gemeinsames Vorkommen in einem geschlossenen Fund, unterschiedliche Gräber durch Besetzung mit gemeinsamen Typen verbunden werden. Ziel der Analyse ist es, Gruppen von Gräbern und Typen zu finden, die untereinander enger zusammenhängen als mit anderen, mit dem Ziel, eine chronologische Interpretation dieser kombinationsstatistischen Inhomogenitäten zu begründen.“
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respondenzanalysen geknüpft sind, von deren Erfüllung es abhängt, ob sie sich überhaupt mit Gewinn auswerten lassen.725 Zwei zentrale Punkte seien hier angesprochen: (1) Zunächst sollte das Materialspektrum ein sehr breites sein. Dies ist bei Keramik gegeben,726 auch Elemente von Wanddarstellungen aus Mastaba-Gräbern o.Ä. lassen sich auf diese Weise erfassen (vgl. die Studie Seidlmayers ebenda). Viele der hier untersuchten Beispiele bieten eine solche Materialgrundlage jedoch nicht und stützen sich daher auf wenige Vergleichsobjekte.727 Wie bereits festgestellt wurde, werden deshalb nicht selten materialgruppenübergreifende Vergleiche angestellt (vgl. dazu oben Kapitel 2.3.4). (2) Die Materialgrundlage muss jedoch nicht nur eine sehr große, sondern auch eine tatsächlich gut auswertbare sein. Die Methode erfordert binär skalierbare Merkmale, also solche deren An- bzw. Abwesenheit sich im Einzelfall eindeutig feststellen lässt. Das Vorhandensein oder Fehlen ikonographischer Elemente wäre binär wohl noch zu erfassen, stilistische Merkmale hingegen dürften bei genauerer Betrachtung nie binär skalierbar sein, da es sich bei ihnen um die Beschreibung von Ähnlichkeiten handelt, die graduell realisiert sind.728 Von diesen Problemen in Bezug auf stilistische Datierungen abgesehen erstellen kombinationsstatistische Auswertungen zudem Reihungen, die keine chronologischen sein müssen. Seidlmayer problematisiert dies ausführlich und 725 726
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Vgl. Seidlmayer, „Stil und Statistik“. Doch auch im Fall der so oft als Rettungsanker archäologischer Datierungen herangezogenen Keramik muss mit Problemen bei der stilistischen Datierung gerechnet werden. Vgl. Seiler, „The Second Intermediate Period in Thebes“, 40–44; D. Polz & Seiler, Pyramidenanlage, 49 und 64–68. Nach Woods würden die meisten Studien die Probleme stilistischer Datierungen durch Quantität und Berücksichtigung der Kontexte kompensieren („Relief“, 231). Aus Sicht dieses Buches stellt sich diese Einschätzung jedoch als unangemessen optimistisch dar. Vgl. unten zum Kontextbegriff Kapitel 3.2.2. Vgl. hierzu auch die Skepsis Seidlmayers („Stil und Statistik“, 19). Auch Schenkel hat Bedenken angesichts der Stelen aus Naga ed-Deir (vgl. dazu oben Kapitel 2.3.1 und 2.3.2), bei denen man u. a. nur sehr wenige Vergleichskriterien greifen und auf keine verlässlichen archäologischen Daten zurückgreifen könne. Folglich sei man „gezwungen, auf diese Art der Datierung zu verzichten: statistische Versuche auf einem Gebiet, das sich dafür nicht eignet, müssen in die Irre führen.“ (Schenkel, Frühmittelägyptische Studien, 96).
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spricht dabei von einem „morphologischen Alter“, das vom „chronologischen Alter“ abweichen könne.729 Whitney Davis unterscheidet analog zwischen „cultural temporality“ und „dating“.730 Das Ergebnis einer kombinationsstatistischen Auswertung stellt jedoch zunächst nur die Nähe bzw. Ferne zwischen einzelnen Objekten dar, die sich aus untereinander bestehenden Ähnlichkeiten und Unterschieden berechnet. In dem Moment, in dem man in dieser Nähe bzw. Ferne eine Zeitlichkeit oder ein Alter erkennt, fasse man es nun chronologisch auf oder nicht, legt man nachvollziehbare Entwicklungslinien zugrunde731 und liest an ihnen ab, ob ein Objekt zu einem bestimmten Zeitpunkt als archaisch, altmodisch, modern oder zukunftsweisend zu betrachten wäre.732 Diese Temporalität ist jedoch nichts anderes als ein modernes Konstrukt, das aus unserer Gewöhnung an einen temporalisierten und funktional ausdifferenzierten Stilbegriff (vgl. hierzu weiter unten) heraus das ägyptische Material retrospektiv ordnet und so einen idealtypischen Geschichtsverlauf nachzeichnet, der sich außerhalb der ägyptologischen Perspektive gar nicht ereignet haben muss. Es dürfte überaus schwierig sein, eine solche Beschreibung von Rekonstruktionsversuchen geschichtlicher Abläufe frei und damit nicht-chronologisch zu halten, indem man sie tatsächlich konsequent nicht als chronologische Reihung betrachtet. So versteht beispielsweise Davis Varianten zwischen vergleichbaren Darstellungen innerhalb einer Grabanlage als Ausweis moderner und archaischer Tendenzen und argumentiert damit ganz im Rahmen seines Konzeptes kultureller Temporalität. Seine Studie zeigt jedoch auch, wenn sie etwa einzelne Künstlerhände und auch ein Lehrer-SchülerVerhältnis zu identifizieren versucht, wie leicht es dabei aller Vorsicht zum Trotz doch dazu kommen könnte, ein Zusammenfallen von kulturellem Alter und chronologischer Zeitstellung anzusetzen. Die von Davis betonte Differenzierung zwischen „cultural temporality“ auf der einen und „dating“ bzw. den tatsächlichen historischen Abfolgen auf der anderen Seite droht schließlich immer dann wieder aufgehoben zu werden, wenn die kulturelle Temporalität zu historischen Narrationen in Beziehung gesetzt wird, die etwa in Form von Handwerkerpersönlichkeiten oder Meistern in die Überlegungen eingeführt werden können. Auf eine solche Weise können zunächst als chronologieunab-
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Seidlmayer, „Stil und Statistik“, 35 f. Davis, „Archaism and Modernism in the Reliefs of Hesy-Ra“. Der Ansatz wurde aufgegriffen von Jurman, „Legitimisation through Innovative Tradition“. So explizit Seidlmayer, „Stil und Statistik“, 35. Vgl. Seidlmayer, „Stil und Statistik“, 35; Davis, „Archaism and Modernism in the Reliefs of Hesy-Ra“.
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hängig beschriebene Stilentwicklungen doch noch fast unmerklich zu Belegen für relativchronologische Datierungen umgewidmet werden. Dabei zeigen uns doch gerade die von Davis innerhalb ein und derselben Grabanlage beobachtbaren Stilpluralismen, dass geradlinige Entwicklungen dem Materialbefund nicht gerecht werden können, sondern vielmehr mit der Gleichzeitigkeit von Differenzen gerechnet werden muss. Mit Blick auf die Möglichkeiten der Ermittlung eines ‚morphologischen Alters‘ (Seidlmayer) lässt sich somit feststellen, dass es sich aus Sicht der hier vertretenen Stiltheorie bei entsprechenden Analysen nicht um zuverlässige Zuschreibungen, sondern vielmehr um in verschiedenem Maße plausible oder unplausible Peilungen handelt, die stets eine tatsächliche Stilentwicklung voraussetzen, die wiederum jedoch nicht grundsätzlich als eine solche angesetzt werden kann. Sie bleiben daher Plausibilitätsüberlegungen: nicht mehr und nicht weniger. Daher ist die Annahme, die im Rahmen korrespondenzanalytischer Verfahren erstellten Reihungen der ausgewerteten Objekte seien wenigstens relativchronologische, ebenfalls nicht generalisierbar. Allein in Fällen, in denen eine große Datenmenge zugrunde gelegt werden kann, die viele zugleich stilextern (z.B. stratigraphisch) datierbare Elemente enthält, können Aussagen mit einem Maß an Plausibilität formuliert werden, das relativ verlässliche Grobdatierungen zulässt.733 Bei Kontextlosigkeit bietet der Stil jedoch auch dann keinen Ausweg, wenn man versucht, ihn kombinationsstatistisch auszuwerten. Ferner ist zu berücksichtigen, dass immer auch mit Stilistizitätsphänomenen – also der bewussten Orientierung an Vorlagen, die nicht zur selben Zeit entstanden sein müssen – zu rechnen ist, die keine direkte Relation zwischen Stil und Entstehungszeit zulassen: Wurde ein Stil, der aus heutiger Perspektive mit einer bestimmten Zeit assoziiert wird, zu einer anderen Zeit bewusst aufgegriffen, verleitet er leicht zu Fehldatierungen, da einem Stil selbst nicht anzusehen ist, ob sich dahinter ein Produktionsstil oder eine stilistizistische Stilverwendung verbirgt, zumal die Übergänge dazwischen fließend sein kön-
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Das Gleiche gilt für Merkmale mit stilunabhängig nachweisbarer kurzer Laufzeit. Hier wäre etwa der Amarnastil zu nennen. Der Umstand, dass es in solchen Fällen durchaus möglich ist, plausible Zuschreibungen zu formulieren, sollte jedoch nicht dazu verleiten, diese durch sehr genaue Identifikationen anepigrapher Bilder oder durch Feindatierungen überzustrapazieren. Vgl. als Beispiel etwa Laboury „Portrait versus Ideal Image“, 11 (fig. 13) oder die Vitrinenbeschriftung eines Statuenkopfes in der Berliner Ausstellung (vgl. Abb. 7 [S. 115]; äm 21220), die die Datierung des Objekts auf fünf Jahre genau angibt: „1340–1335 v. Chr.“.
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nen und es stilintern immer unklar bleiben muss, in welcher Hinsicht ein beobachtetes Stilmerkmal signifikant ist (vgl. Kapitel 2.4.3). 2.4.4.1 Stilistizität und Stil als historischer Begriff Gerade der letzte Punkt spielt nun in Bezug auf Ägypten eine besondere Rolle, die zwar schon lange bekannt ist, die jedoch in ihrer Tragweite für die hier im Vordergrund stehenden Fragestellungen bislang kaum Berücksichtigung gefunden hat. In der ägyptischen Bildkultur lässt sich schließlich ein sehr hoher Grad an Stilistizität beobachten, dem ägyptologische Perspektiven entsprechend Rechnung tragen müssen. Damit sind zunächst einmal nicht jene auf bestimmte Zeiträume begrenzten Phänomene gemeint, die als ‚Archaismen‘ oder ‚künstlerische Renaissancen‘ in der Ägyptologie diskutiert werden.734 Vielmehr lassen sich auf einer ganz grundsätzlichen Ebene unter dem Begriff der Stilistizität die vorangegangenen Stilüberlegungen und das Phänomen des Kanons zusammenführen.735 Der Begriff Kanon bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die etwa hinsichtlich von Typen, Stil und Proportionen im Material feststellbare normative Begrenzung auf relativ wenige Varianten und Macharten. Davis sieht in kanonischen Darstellungen das Resultat von beabsichtigten Selektionen, die darauf abzielen, Abweichungen zu kontrollieren und so weitestgehend in ihrem Ausmaß zu minimieren, und beschreibt den ägyptischen Kanon daher überzeugend als „social institution“.736 In Ägypten lässt sich eine Fixierung aller Arten von Bildproduktion auf ein Set von Regeln beobachten,737 dessen einzelne Elemente im Bildmaterial der ersten drei 734
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So etwa die sogenannte Saitische Renaissance und der ‚künstlerische Archaismus‘ der 18. Dynastie, auf den auch weiter unten in Kapitel 2.4.4.2 noch genauer eingegangen wird. Vgl. zum Themenkomplex der ‚Renaissancen‘ außerdem Der Manuelian, Living in the Past; Silverman, Simpson & Wegner, „Archaism and Innovation“; Tiradritti (Hrsg.), Pharaonic Renaissance; Neureiter, „Eine neue Interpretation des Archaismus“ sowie zur Schwierigkeit, zwischen Tradition und Archismus zu unterscheiden, Kahl, Siut-Theben, 349–355 und Jurman „Legitimisation through Innovative Tradition“, 198. Vgl. hierzu auch Oppenheim, „What Was the Middle Kingdom?“, 2. Jan Assmann hat bereits einen ähnlichen Versuch unternommen, ging dabei jedoch von einem anderen Stilbegriff aus, der dem neuzeitlichen aus der Kunstgeschichte und der Klassischen Archäologie bekannten weitestgehend entspricht und den Assmann als alternativlos zu sehen scheint (vgl. Assmann, „Viel Stil am Nil?“). Vgl. unten zu Möglichkeiten, diesen historischen Stilbegriff selbst wiederum zu historisieren. Zum ägyptischen Kanon seien angeführt Davis, Canonical Tradition; Robins, Proportion and Style in Ancient Egyptian Art; Iversen, Canon and Proportions in Egyptian Art2. Davis, Canonical Tradition, 2 et passim. Beim allergrößten Teil dessen, was uns aus Ägypten an Bildern erhalten geblieben ist,
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Dynastien zunächst unabhängig voneinander belegt sind. Seit der 3. Dynastie sind Bilder erhalten, die alle Hauptcharakteristika des Kanons in sich vereinen.738 Nicht zuletzt, da annähernd alle späteren ägyptischen Bilder von Davis als kanonisch betrachtet werden, interpretiert er die ‚Heraufkunft‘ bzw. die Synthese des Kanons vor dem Hintergrund der ägyptologischerseits rekonstruierten parallel stattfindenden Etablierung des zentralistischen Königtums in frühdynastischer Zeit.739 Für dessen Eliten wurden Bilder produziert, die jenem Kanon folgen, der fortan für die gesamte Bildproduktion bindend blieb. Diese bildet wiederum einen wesentlichen Teil dessen, worin sich nach Baines die ägyptische High Culture materiell niederschlägt.740 Vor diesem Hintergrund ließe sich die ägyptische High Culture selbst in gewisser Hinsicht auch als ein Stilistizitätsphänomen fassen, handelt es sich bei ihr doch u. a. um eine mit hohem Aufwand betriebene Produktion von Objekten, die sich nicht nur durch die verwendeten Materialien und ihre qualitativ hochwertige Ausführung, sondern auch durch ihre Kanonizität und damit durch eine in ihnen manifest werdende bewusste Variantenbegrenzung auszeichnen: Insbesondere mit dieser Eigenschaft richten sie sich an ihre Adressaten, um entsprechend als kanonisch, als distinktiv und damit als der High Culture entstammend wahrgenommen zu werden.741
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handelt es sich um kanonische Darstellungen. Selbst diejenigen Bilder, die keine strenge Befolgung kanonischer Regeln aufweisen, orientieren sich soweit am Kanon, dass sie immer noch als kanonische zu bezeichnen wären. Vgl. hierzu auch Kapitel 1.1.2 (dort Fn. 85) sowie unten Fn. 741. Davis, Canonical Tradition, 116–191, hier besonders 189–191. Diese Rekonstruktion wird freilich nicht stilunabhängig vorgenommen. Daher sollte man mit der Aufzeigung von Entwicklungslinien besonders zurückhaltend sein. Vgl. hierzu oben Fn. 712. Vgl. oben Kapitel 1.2.1 sowie außerdem Assmanns Begriff des „monumentalen Diskurses“ („Viel Stil am Nil?“, 533–535). Vgl. zu Baines’ Ansatz oben Kapitel 1.2.1. Dies schließt eine Wahlmöglichkeit zwischen Varianten keinesfalls grundsätzlich aus. Vgl. hierzu etwa Nico Staring, der jüngst für die Themenauswahl von Darstellungen in Privatgräbern des Alten Reiches herausarbeiten konnte, dass zwar keine vollständige Standardisierung zu beobachten sei, sich aber dennoch Konventionen feststellen ließen, die den Rahmen setzen, innerhalb dessen noch Wahlmöglichkeiten bestehen (Staring, „Fixed Rules of Personal Choice?“). Entsprechend erscheint es unangemessen, den eingangs von Staring formulierten Gegensatz zwischen ‚festen Regeln‘ und ‚persönlicher Auswahl‘ anzusetzen. Die Regeln bestimmen, was wählbar ist. Daher bietet Baines’ Decorum-Begriff in diesem Zusammenhang durchaus gute Beschreibungsmöglichkeiten (vgl. Staring, „Fixed Rules of Personal Choice?“, 258 mit Anm. 25) Vgl. auch Kapitel 1.2.1.3 sowie das Folgende.
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teil ii
In diesem Sinne wurden ägyptische Bilder auf eine Weise produziert, wie sie nicht nur sein sollten, sondern auch wie sie schon immer waren, wodurch sie die Stabilität der durch sie beabsichtigten Kommunikation zwischen Auftraggeber und Rezipient garantierten.742 Wir können dies mit den Begriffen Kanon, Decorum und Stilistizität beschreiben und damit auf ein Phänomen abzielen, das in gewisser Hinsicht gegen den Wandel dessen gerichtet ist, was hier Produktionsstil genannt wurde und worauf Stilbegriffe oft verkürzt werden.743 Jenseits der von uns allerorten im ägyptischen Material wahrnehmbaren Ähnlichkeiten haben wir vergleichsweise wenige konkrete Belege dafür, dass man sich an Früherem orientiert hat und um dieses Frühere wissen musste, um Bilder auf korrekte Weise herstellen zu können.744 Diese normierte Machart und die durch sie erzeugte Ähnlichkeit zwischen einzelnen Objekten, die wir
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Dies wurde Kulturstil genannt, vgl. Assmann, „Viel Stil am Nil?“. Vgl. auch Davis „Egyptian Images: Percept and Concept“, 83 (Kursive i.O.): „the most striking visual fact about Egyptian images is their sameness“. Darin, dass sich die ägyptische Situation nicht mit dem auf Wandel und Stilentwicklung beruhenden neuzeitlichen Stilverständnis in Einklang bringen lässt, liegt ist der Grund dafür, dass Assmann für Ägypten nicht mehr von Stil sprechen möchte (Assmann, „Viel Stil am Nil?“, besonders: 526–529). Vgl. zum Decorumsbegriff, von dem ägyptologischerseits bislang angenommen wurde, er sei in ägyptischen Texten nie expliziert worden, oben Fn. 171 (in Kapitel 1.2.1.4) sowie ausführlich Moers, Decorum. Vgl. hierzu bereits Fn. 171 (in Kapitel 1.2.1.4) sowie zur Stele des Jr.tj=sn (Louvre c 14) Barta, Das Selbstzeugnis eines altägyptischen Künstlers und Fischer-Elfert, „Das verschwiegene Wissen des Irtisen“. Vgl. außerdem die Stele Neferhoteps i., die davon berichtet, der König habe in den Archiven alte Bildvorlagen des Osiris-Tempels von Abydos aufgefunden und erneut verwendet (Text bei Helck, Historisch-biographische Texte der 2. Zwischenzeit, 21–29). Ferner ist der Text aus dem Grab des Wesirs Pꜣ-sr (tt 106) zu nennen, den Assmann als „Ein Gespräch im Goldhaus über Kunst“ bekannt gemacht hat (Assmann, „Ein Gespräch im Goldhaus“). Es heißt in der Rede des Grabinhabers: ḥzjj ṯw Ptḥ, pꜣ sꜥnḫ! Nfr nfr pꜣjj twt n nb jr.n.k jm ḫpr.f mj pꜣ jzjj ḫr.tw m pr-ꜥꜣ ꜥnḫ wḏꜣ snb ḫr jr.tw hrjj
Möge Ptah dich loben, Bildhauer! Sehr, sehr schön ist diese Statue des Herrn, die du gemacht hast! „Laß sie so werden wie die alte!“ so sagte man im Palast – lhg – und siehe: man ist zufrieden.
(Transkription und Übersetzung Assmann, „Ein Gespräch im Goldhaus“, 44) Anhand der Frage, wie jzjj zu übersetzen sei, formuliert Assmann eine Dichotomie zweier Möglichkeiten (ebenda, 53 f.):
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zumindest zum Teil als Stil beschreiben können, rückt das ägyptische Bilderschaffen in den Bereich dessen, was sich mit dem antiken Stilbegriff benennen lässt: Die Orientierung an Stilen, die als vorbildhaft verstanden wurden.745 Im Falle Ägyptens lehnte man sich jedoch nicht nur hin und wieder stilistisch an, sondern griff grundsätzlich Vorheriges auf. Dies konnte auf ganz unterschiedliche Weisen geschehen und schloss neben exakten Kopien älterer Vorlagen746
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(a) jzjj als Ausdruck eines normativen Altertums, einer Klassik, die unwiederholbar, aber nachahmbar ist, indem man spätere Werke an frühere stilistisch anschließbar macht. (b) jzjj als Ausdruck des Verfalls, aufgrunddessen man etwas Verbrauchtes bzw. Erneuerungsbedürftiges durch die Wiederholung des Alten ersetzen kann, die durch Herstellung einer schematischen Replik erfolgt. Nach Assmann lasse sich die Frage nicht entscheiden, er tendiere jedoch zur zweiten Option. Friedhelm Hoffmann hat sich gegen Assmanns harte Polarisierung eines ‚Entweder oder‘ ausgesprochen und sieht in den von Assmann beschriebenen Positionen die „beiden Endpunkte einer Skala, auf der Übergänge möglich sind.“ (Hoffmann, Wort und Bild, 102). Assmanns bipolare Darstellung lässt sich tatsächlich schwer in Anwendung bringen. Die Gründe dafür liegen in seiner Begriffsabgrenzung von Stil und Schema sowie in seinem ‚Modell von der Dreischichtigkeit der ägyptischen Kunst‘: Stil – Form – Aspektive (Assmann, „Ein Gespräch im Goldhaus“, 58–60). Vor dem Hintergrund der hier dargelegten Betrachtung erscheint es problematisch, Stil streng von Schema und Form abzugrenzen, zumal Assmann den Begriff Stil nur im neuzeitlichen Sinne versteht und dieser sich seiner Auffassung nach auf „die Epochen- (Regionen-, Künstler-) spezifischen Züge des Werks“ und der Begriff Form auf das „spezifisch Ägyptische“ beziehe (ebenda, 58). Einen solchen Formbegriff hat Assmann an anderer Stelle als „Kulturstil“ angesprochen und die Problematik des Stilbegriffs in diesem Zusammenhang angesprochen (siehe oben Fn. 735 sowie außerdem unten Fn. 761). Es wäre in diesem Zusammenhang auch zu überlegen, ob jzjj hier gerade nicht im Sinne von alt vs. neu auf historische Differenz, sondern auf Identität abzielt: „Lass sie so werden wie dieselbe!“ oder „Lass sie genauso werden!“. Wenngleich man nicht so weit gehen sollte wie Assmann, der aus der Textstelle ein „Innovationsverbot“ ableitet (ebenda, 58), führt die Passage doch deutlich vor Augen, dass die Orientierung an bestehenden Bildwerken eine ganz maßgebliche Rolle gespielt hat, die im vorliegenden Text als Position des königlichen Auftraggebers formuliert ist. Vgl. zum Text aus dem Grab des Paser auch Verbovsek, „Pygmalion in Ägypten?“, 678. Vgl. Zanker, Augustus und die Macht der Bilder2, 240–263; Hölscher, Griechische Historienbilder des 5. und 4. Jahrhunderts v.Chr.; ders., „Bilderwelt, Formsystem, Lebenskultur“; ders., „Bildwerke: Darstellungen, Funktionen, Botschaften“; ders., Klassische Archäologie – Grundwissen; Jaeggi, Die griechischen Porträts; Sauerländer, „From Stilus to Style“. Vgl. zu Kopien von Reliefs bzw. Bauwerken der 12. Dynastie aus der Zeit der 18. Dynastie unten Kapitel 2.4.4.2.
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oder dem Aufgreifen von konkreten Bildmotiven747 auch vergleichsweise lose Orientierungen ein, die zwar zahlreiche Regeln des Kanons vernachlässigen, dabei jedoch die Ausrichtung auf das Inventar kanonischer Möglichkeiten nicht aufgeben.748 Beispiele für Letzteres wären Objekte geringerer Kanonizität, die ebenso in der Residenz – und damit im Zentrum der High Culture – wie in peripheren Bereichen anzutreffen sind.749 So wie das Ausmaß der Orientierung an kanonischen Proportionen, Stilen, Bildtypen usw. keinen Einfluss auf die maßgebliche – etwa kultische oder erinnerungskulturelle – Funktion der Bilder hatte,750 konnte wiederum der Grad der Orientierung selbst bedeutungstragend sein und distinktiv wirken. Es seien nur zwei Beispiele genannt. Oben wurde bereits beobachtet, dass sich in Grabanlagen auf der Qubbet elHawa weniger die Kultstellen, sondern eher die an prominenten Stellen (etwa im Eingangsbereich) angebrachten Darstellungen durch ein größeres Ausmaß an Kanonizität auszeichnen. Nicht die auf das Kultgeschehen im engeren Sinne ausgerichtete Funktionalität der Anlage, sondern die kommunikative Außenwirkung des Grabes als Repräsentations- und Erinnerungsraum wird hier durch einen stärkeren Bezug auf den Kanon unterstrichen:751 Der Grabherr präsentiert sich mittels seiner Grabanlage als Angehöriger der High Culture. Als ein Beispiel anderer Art können Körperbilder dienen, die als Negativfolien gezielt vom präskriptiven Idealbild des Menschen und dessen Kanonizität abweichen und so als „Sozialmetaphern“ und „Deutungsschemata“ interpretier-
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Vgl. zum Kopieren von Bildmotiven etwa Baines, „Ancient Egyptian Concepts and Uses of the Past“, 139 f. (siehe hierzu auch weiter unten Fn. 756). Dass es so etwas wie Musterbücher tatsächlich gegeben hat, ist mittlerweile nachgeweisen. So enthält ein Papyrus aus Tanis Dekorationsregeln und Mustervorlagen für Tempeldekorationen (Quack, „Die theoretische Normierung der Soubassement-Dekoration“). Vgl. oben Kapitel 2.3.2 mit verschiedenen Beispielen sowie Kapitel 2.3.4.2 u.a. zu den Holzfiguren aus dem Grab Mentuhoteps ii. Auch jenseits der High Culture ist eine gewisse kanonische Durchdringung zu beobachten. Vgl. hierzu oben Kapitel 1.2.1 (dort Fn. 123). Vgl. Kapitel 2.3.1. Vgl. Kapitel 2.3.2.3. Gabriele Pieke hat jüngst in einer Untersuchung des Grabes des Mrr-wj-kꜣ betont, dass in den oberen Registern der Wanddarstellungen gegenüber den auf Augenhöhe des Betrachters positionierten ein Qualitätsabfall zu beobachten sei („The Evidence of Images“). Dieses von ihr in erster Linie als Qualitätsunterschied beschriebene Phänomen lässt sich auch als ein stilistisches auffassen. Dies wird schon dadurch deutlich, dass frühere Bearbeiter in den Unterschieden verschiedener übereinander angeordneter Register verschiedene Künstlerhände gesehen haben, Pieke diese Arbeiten hingegen aus stilistischen Gründen in den allermeisten Fällen ein und derselben Künstlerhand zuschreibt (ebenda, 220): ein weiteres Beispiel für die Selektivität und Subjektivität von Kennerurteilen.
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bar werden, die einen ägyptischen Blick auf soziale Realitäten außerhalb der High Culture beinhalten.752 Stilistische und motivische Abweichungen vom Kanon zielen dabei auf die bildliche Darstellung jener Deutungsschemata und sind auf derartige Abweichungen beschränkt, da davon abgesehen die grundsätzliche Kanonorientierung dieser Bilder weiterhin gegeben ist: Hier sind die Abweichungen selbst als zeichenhaft zu verstehen.753 Stile konnten also auf verschiedene Weisen selbst zum bewussten Orientierungspunkt und Gegenstand der Bildproduktion werden: Seien es nun Formen von genereller Stilistizität, die als kanonisch wahrgenommene Stile ob ihrer Kanonizität aufgreifen, oder Bezugnahmen auf konkrete Vorlagen, oder das intendierte Abweichen von einem kanonischen Stil. In all diesen Fällen wird es problematisch, wenn Stile für Zuschreibungen und historische Auswertungen herangezogen werden. Diese ägyptischen Formen von Stilistizität stellen zunächst sogar ein unüberbrückbares Hindernis für die auf Zuschreibungen und Datierungen ausgerichteten Methoden der Stilforschung im klassischen Sinne dar. Diese Fälle können jedoch helfen, zu beschreiben, auf welche Art in Ägypten stilistische Stabilität und stilistische Heterogenität nebeneinander oder gar innerhalb ein und desselben Bildes existieren können. Setzt man für Ägypten einen Stilbegriff und eine stilistizistisch geprägte Bildkultur an, innerhalb derer Stil als unbewusste oder bewusste Auswahl aus einem Repertoire an Möglichkeiten zu verstehen ist, das sich maßgeblich durch den Kanon und dessen Anwendung definiert und daher eine unhinterfragte und womöglich unhinterfragbare Vorbildfunktion einnimmt, lassen sich viele Charakteristika ägyptischer Bilder einordnen und ansprechen: Ähnlichkeiten zwischen kontemporär entstandenen Objekten und solchen, die Jahrhunderte voneinander trennen, ebenso wie Pluralismen innerhalb kontemporärer Bilder oder gar innerhalb einzelner Bilder, denn aus einer solchen Perspektive erscheint die Ansetzung von Epochen- oder Zeitstilen als entscheidendes Erklärungsmodell weder naheliegend noch notwendig. Im Gegenteil, das was oben als Produktionsstil bezeichnet wurde (vgl. Kapitel 2.4.3[2]), umfasst Phänomene, die sich als Zeitstil bezeichnen ließen, ohne dabei die Komplexität stilistizistischer Stilverwendungen auszublenden und so zu verschleiern, dass stets mit fließenden und für uns kaum erkennbaren Übergängen zwischen reinen Produktionsstilen und stilistizistischen Stilverwendungen zu rechnen ist. Innerhalb der ägyptischen Bildkultur werden die Entstehungskontexte eines Objektes durch eine
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Vgl. Moers, „Ägyptische Körper-Bilder“ (Zitate: 25, Kursive i.O.). In der Forschung werden solche Fälle dann oftmals als Beispiele einer eigenen Ikonographie verstanden und diskutiert.
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über Jahrhunderte hinweg gefestigte stilistizistisch ausgerichtete Praxis des Bilderschaffens determiniert, die die Ausrichtung auf zeitgenössische Bilder als eine Möglichkeit durchaus vorsieht, aber in erster Linie nicht aufgrund der zeitlichen Nähe, sondern aufgrund der Tatsache, dass sich kanonisch kohärente Bilder am ehesten dadurch erstellen lassen, dass man sie bewusst anderen ähnlich macht, seien diese nun solche, die man als besonders vorbildhaft betrachtet, oder solche, die schlicht und einfach dem Produzenten gerade zur Verfügung stehen.754 Stilistizität ist daher im Hinblick auf Ägypten nicht auf offensichtliche Archaismen o.Ä. beschränkt, sie erscheint vielmehr in ganz spezifischer und grundsätzlicher Weise relevant, wenn man in ihr eine Facette des ägyptischen Kanons sieht.755 Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die oben angeführten allgemeinen kunsthistorischen Zusammenhänge, innerhalb derer Davis das Phänomen der Stilistizität diskutiert, wird deutlich, dass es aus einer historisierenden Perspektive betrachtet werden muss. Schließlich kann es zu unterschiedlichen Zeiten ganz unterschiedliche Formen stilistizistischer Stilverwendung gegeben haben, die selbst wiederum an zeitspezifische Stilkonzepte gebunden sind. So haben wir etwa keinen Anhaltspunkt dafür, anzunehmen, Stil habe in Ägypten eine Rolle gespielt, wie wir sie in eklektizistischen oder neoklassizistischen Kunstwerken der Neuzeit fassen können, in denen Stile und Stilmischungen auf den Kunstmarkt hin konzipiert werden.756 Andererseits liegen mit der Kanonizität ägyptischer Bilder durchaus gute Gründe dafür vor, von einer zentralen Bedeutung des Stils in Ägypten auszugehen. Wie sich zeigte, scheint sich diese jedoch maßgeblich von unserem heutigen temporalen Stilverständnis zu unterscheiden. Dieser Eindruck drängt sich nicht nur bei der Betrachtung des ägyptischen Materials auf, er erscheint auch zutreffend, wenn man eine erweiterte diachrone Perspektive einnimmt, indem man die im Laufe der Neuzeit beobachtbaren Veränderungen im Umgang mit Stil und dessen Bedeutung hinzuzieht. In Stilen sahen die antiken Rhetoriker und Theoretiker Kriterien, an denen sich die Perfektion der Ausführung einer Rede
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Vgl. ausführlich unten Kapitel 2.4.4.2. Vgl. hierzu auch Assmann, „Viel Stil am Nil?“, 521 sowie Do. Arnold (Die ägyptische Kunst, 119 f.), die von „einem Prozess der ständigen Neuaneignung des einmal Geschaffenen“ spricht. Etwas anders hingegen Baines angesichts von Anknüpfungen an bzw. Kopien von älteren Vorlagen: „here, revival is eclectic, deliberate and focused on distant times.“ („Ancient Egyptian Concepts and Uses of the Past“, 139). Auch Laboury („Citations et usages de l’art du Moyen Empire“, 23) spricht von einem Neoklassizismus. Vgl. hierzu unten ausführlich Kapitel 2.4.4.2.
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oder eines Objektes festmachen lässt.757 Erst im 17. und 18. Jahrhundert n. Chr. wird der Stilbegriff temporalisiert.758 Niklas Luhmann nennt diesen einen „ ‚historische[n] Begriff‘“759 und spricht davon, dass nun „die Vergleichbarkeit von Kunstwerken eine Zeitrichtung erhält und dadurch eingeschränkt wird. Die traditionelle Kunsttheorie hatte alle Kunstwerke an gemeinsamen Perfektionsidealen gemessen und sie daraufhin, wie in den Viten des Vasari zu lesen, in eine zeitliche Abfolge gebracht. Die Zeit führt zur Perfektion hin – oder als Verfallszeit auch von ihr weg. Statt dessen gewinnt jetzt die historische Planung Vorrang. Sie wird tief in das Kunstwerk selbst hineinverlegt. Es vergleicht sich selbst mit voraufgegangener Kunst, sucht und gewinnt Abstand, zielt auf Differenz, schließt etwas aus, was als möglich schon vorhanden ist.“760 Erst vor dem Hintergrund des an Kunstwerke gerichteten Originalitätspostulats und damit der Maßgabe, zu diskontinuieren,761 erkläre sich somit die funktionale Seite des neuzeitlichen Stilbegriffs, die zu einer eigenen „Ebene des Umgangs mit Kunstwerken ausdifferenziert“ werde.762 Gründet sich ein
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Vgl. oben etwa Fn. 745. Vgl. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, 210–214, 336–340, 370–379 und hier auch zum Folgenden bereits Kapitel 2.4.2 mit Fn. 679. Luhmann, „Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst“, 164–170, hier (Zitat: 164). Luhmann, „Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst“, 168 (Kursive i.O.). Luhmann, „Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst“, 167f. Assmann betont, Stil mache Wandel durch Negation bewusst: „Als Abwendung von einer unfortsetzbar gewordenen Tradition, die nun erst, aus der erreichten Distanz, als Stil identifizierbar wird.“ („Viel Stil am Nil?“, 526). Damit zielt er zwar auf unbewussten Wandel, dessen Ergebnis als Stil erkennbar werde, dennoch zeigt sich u. a. hier, dass Assmann seinen Stilbegriff nicht historisiert, sondern auf den temporalisierten neuzeitlichen Stilbegriff begrenzt, der auf Originalität, Einmaligkeit und den Kunstcharakter der Objekte gegründet ist. Vgl. ebenda, 527. Luhmann, „Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst“, 164: „Das Bezugsproblem, das zur Unterscheidung von Kunstwerk und Stil führt, ist selbst ein historisches Problem. Es ist durch die Ausdifferenzierung eines Kunstsystems gegeben. Und erst in bezug auf dieses Problem macht das Erkennen und Verändern von Stil (im Unterschied zum Kunstwerk selbst) eine Differenz. Oder konkreter gesagt: Es ist nicht einfach die Vorbildlichkeit des Kunstwerks selbst, die die Stilfunktion miterfüllt, sondern Stil wird als eine besondere Ebene des Umgangs mit Kunstwerken ausdifferenziert. Und erst dadurch wird es möglich, die Perfektion des Kunstwerks zu individualisieren (nämlich von Vor-
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Stil jedoch auf seine eigene Vorbildlichkeit und ist daher das Kopieren oder schlichte Anfertigen weiterer Exemplare nicht negativ konnotiert, sei Stil auch unreflektiert möglich, wie es vor der Neuzeit feststellbar sei. In diesen Zusammenhängen ist nach Luhmann die Steigerung von Kommunikation durch Verallgemeinerung und Topik zu beobachten.763 Gerade hierfür kann Ägypten mit seiner kanonorientierten stilistischen Reflexivität als Paradebeispiel dienen.764 Vor diesem Hintergrund wäre es stets erst einmal zu zeigen, dass das ägyptische Aufgreifen eines Stils nicht kanonisch bedingt ist, sondern aus der Perspektive eines temporalisierten Stilverständnisses erfolgt ist. Nur eine ihre Begriffe historisierende Perspektive kann entsprechend aufzeigen, ob wir einen in Luhmanns Sinne historischen bzw. historisierten Stilbegriff ansetzen können oder gerade nicht. Und in Ägypten haben wir nun einen Fall vorliegen, der sich einem solchen temporalisierten Stilbegriff verweigert.765 So gibt es etwa keine Hinweise darauf, dass an die ägyptischen Bildproduzenten ein Originalitätspostulat gerichtet gewesen wäre. Im Gegenteil, die stabilisierenden Auswirkungen des Kanons führten zu einer stilistizistischen Kontinuierung des Bisherigen: Die Verwendung eines Stils sollte das Objekt nicht einem konkreten Zeitpunkt – dem jeweiligen Jetzt oder einem Zeitpunkt in der Vergangenheit – zuordnen und so vom Vorherigen abgrenzen, sondern mit diesem das Bisherige in seiner Vorbildlichkeit fortsetzen, so dass
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bildlichkeit zu entlasten) und zugleich den Stil selbst als maßgebend und als wandelbar anzusetzen.“ Luhmann, „Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst“, 155f. hier 156 (Zitat): „Unbezweifelbare Grundlage blieb dabei die Annahme, daß es Verallgemeinerungen seien, die das Bessere und Schönere in die Kommunikation einführten und diese dadurch amplifizierten. Die Höherwertigkeit war in der allgemeineren Form aufgehoben, weil nur so, nur durch sachlich-zeitlich-soziale Generalisierungen, die Kommunikation verstärkt werden konnte, und das Individuelle des Einzelfalls, des Einzelobjekts, der Situation, der Biographie blieb bloß akzidentieller Anlaß der Kommunikation.“ Damit ist Stil in Ägypten gerade nicht „als eine besondere Ebene des Umgangs mit Kunstwerken ausdifferenziert“. Siehe zu diesem Zitat Luhmanns oben Fn. 762. In der Ägyptologie finden sich jedoch verbreitet gegenteilige Annahmen, die davon ausgehen, man habe ganz konkrete stilistische Rückbezüge vornehmen wollen. Siehe hierzu bereits Fn. 756 sowie unten ausführlich Kapitel 2.4.4.2. Vgl. auch Fn. 744. Vgl. Moers, „Vom Verschwinden der Gewissheiten“, 53: „Überhaupt sollte für Ägypten davon ausgegangen werden, dass die Vergleichbarkeit von Dingen nicht primär entlang der Zeitachse organisiert war: Historisierung war keine ägyptische Tugend – was sie für die Ägyptologie in Hinsicht auf ihre eigenen Begriffe und konzeptuellen Hintegründe umso wichtiger macht.“
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dem Stilwandel enge Grenzen gesetzt waren.766 Auch vor diesem Hintergrund erscheint für Ägypten daher ein „reading from style to history“ ausgeschlossen,767 da ein solches Vorgehen stets Gefahr liefe, auf die kanonorientierte Stilistizität ägyptischer Bilder zurückzuführende Merkmale als Produktionsstile und damit auch als Datierungskriterien zu interpretieren oder darin semantisch geladene Stile zu erkennen, weil wir es gewohnt sind, Stilen eine temporale Verweisfunktion zuzusprechen. Dabei sind derartige als Stil beschriebene Ähnlichkeiten jedoch in dieser Hinsicht gerade nicht deutbar. Stil als Beschreibung eines Resultats einer Auswahl zwischen Darstellungsmöglichkeiten kann damit zwar evtl. als Anhaltspunkt für Peilungen dienen, wenn man etwa Spekulationen darüber anstellt, was zu welcher Zeit möglich gewesen ist.768 Diese dürfen jedoch nicht als Datierungen verstanden werden, wie sie das Fach von seiner Kunstwissenschaft üblicherweise einfordert, um Bilder als historische Primärquellen zu erschließen. Eine historische Lesbarkeit kann nicht vorausgesetzt werden.769 Veränderungen der Fragestellung erscheinen daher dringend erforderlich. Schließlich erweisen sich viele der bislang aus Sicht der etablierten stilforscherischen Perspektiven an das Material gerichteten Fragen aufgrund von kulturspezifischen Produktionszusammenhängen schlicht als ungeeignet, um zu aussagekräftigen Antworten gelangen zu können. Die jüngst wieder in den Vordergrund gerückte Frage nach dem Archaismus in der 18. Dynastie bietet in diesem Sinne eine gute Möglichkeit, die Ergebnisse und Folgerungen exemplarisch in Form einer kursorischen Betrachtung anzuwenden.
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Vgl. hierzu auch Ackermann, der unter Rückgriff auf das Beispiel Ägyptens darauf hinweist, dass die Geschwindigkeit des Stilwandels kulturspezifisch sein kann („A Theory of Style“, 228). Vgl. zu Davis’ Ausdruck und den bereits von ihm dargelegten generellen Problemen ausführlich Kapitel 2.3.2.1. In diesem Sinne ließe sich an das Diktum von Wölfflin (vgl. oben bei Fn. 661) anschließen. Dies lässt sich auch auf bislang vorgeschlagenen Umwegen nicht erreichen. Vgl. hierzu die obige Kritik an Davis’ historischer Ausdeutung seines Konzepts der kulturellen Temporalität. Vgl. nun auch Moers, der feststellt, „dass Stil in Ägypten nicht entlang der Zeitachse, sondern zuerst sozial (d. h. natürlich: hierarchisch) bezogen wird – vergleichbare, auf temporal organisierte Qualitätsdifferenzen abgestellte Aussagen lassen sich nicht nachweisen.“ („Vom Verschwinden der Gewissheiten“, 34).
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2.4.4.2
Ägyptische Rezeption von Stilen der 12. Dynastie in der frühen 18. Dynastie: Königsbilder als Ausdruck legitimierender Stilpolitik? (1) Stil in der frühen 18. Dynastie In der Ägyptologie ist es üblich, Vergangenheitsbezüge (oft auch als Archaismen diskutiert) als ein gängiges ägyptisches Mittel politischer Legitimation zu verstehen.770 Erst kürzlich sind diesbezüglich königliche Rund- und Flachbilder der 18. Dynastie wieder verstärkt diskutiert und interpretiert worden. Verschiedenste stilistische, typologische und motivische Ähnlichkeiten mit älteren Bildern sind dabei beobachtet und als bewusste Rückgriffe aufgefasst worden.771 Die dezidierteste Studie hierzu hat Dimitri Laboury mit seinem Beitrag zum Baseler Forschungskolloquium „Umgang mit Zäsuren: Strategien des Vergangenheitsbezugs in der 18. Dynastie“ vorgelegt.772 Darin interpretiert er diverse stilistische Ähnlichkeiten zwischen Bildern der frühen 18. Dynastie und solchen der frühen 12. Dynastie als Ausdruck einer ‚künstlerischen Renaissance‘ in der Thutmosidenzeit. Damit macht er die stilistische Deutung ägyptischer Bilder der 18. Dynastie anschlussfähig an andere Bestrebungen zu einer breit angelegten Reinterpretation der politischen, kulturellen und literarischen Situation dieses Zeitraums als Phänomen einer Renaissance.773 Nach Laboury hätten sich Ahmose und Amenophis i. in ihren Bildwerken zunächst an solchen Mentuhoteps ii. orientiert und sich dabei durch Stil-
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Vgl. Silverman, Simpson & Wegner, „Archaism and Innovation“, ix, sowie Der Manuelian, Living in the Past, xxxix, 2 und 409; Do. Arnold, Die ägyptische Kunst, 120; Woods, „Relief“, 231; Kahl, „Archaism“, 5. Giewekemeyer (Prozesse kultureller Sinnstiftung) befasst sich ausführlich mit Fragen zu Vergangenheitsbezügen und ihrer Interpretierbarkeit. Vgl. auch jüngst Jurman, der nicht nur die relevante Literatur zur bisherigen Forschung versammelt, sondern auch die Komplexität und Vielschichtigkeit von Vergangenheitsbezügen herausarbeitet, die sich eindeutigen Interpretationen vielfach verweigern („Legitimisation through Innovative Tradition“). Im Folgenden wird zunächst der Frage nach überwiegend bildlichen Vergangenheitsbezügen der frühen 18. Dynastie nachgegangen. Der Begriff der Legitimation, also der Vorgang der Begründung und Rechtfertigung von Herrschaft mit dem Ziel, Legitimität herzustellen, wird näher thematisiert in Exkurs ii: Legitimation als Interpretationskategorie (S. 424–442). Vgl. etwa die Zusammenstellung bei Einaudi, „The Past Between Charm and Refusal“ und die Auswertung der Forschungsdiskussion durch Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 7. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen“. Vgl. den Tagungsband Bickel (Hrsg.), Vergangenheit und Zukunft sowie zuletzt auch Gnirs, „Geschichte und Literatur“ und die Analyse dieser Ansätze bei Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 7.
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zitate auf letztere bezogen. Spätestens seit der Regierungszeit Amenophis’ i. habe sich dies jedoch bereits eindeutig zugunsten der Bilder Sesostris’ i. in einer so deutlichen Weise verschoben, dass Laboury in der thutmosidischen Gesichtsphysiognomie königlicher Statuen gar eine im Grunde sesostridische erkennt.774 In der so beschriebenen stilistischen Fokussierung auf Vorlagen aus der frühen 12. Dynastie sieht Laboury eine ästhetische Ausdrucksform, die vorrangig politischen Inhalts sei:775 Da die Könige des frühen Mittleren Reiches mit ihren Bildern stilistisch an die Könige des späten Alten Reiches, die Könige des frühen Neuen Reiches hingegen an die Könige des frühen Mittleren Reiches angeknüpft hätten, erkennt Laboury im letzteren Fall den bewussten Versuch einer „réactualisation du passé“, eine Renaissance, die die Wahrnehmung einer Zäsur voraussetze, über die hinweg man keine Kontinuität zur unmittelbaren Vergangenheit im Sinne einer Tradition, sondern einen archaistischen Brückenschlag zu einer entfernteren Vorvergangenheit – zur frühen 12. Dynastie – habe herstellen wollen.776 Dies habe sich erst mit der Regentschaft Hatschepsuts geändert: Für ihre Regierungszeit und diejenige Thutmosis’ iii. stellt Laboury nur punktuelle, eklektizistische Vergangenheitsbezüge fest, die nicht nur auf verschiedene Vorgänger der älteren Vergangenheit, sondern zunehmend auch auf unmittelbare Vorfahren aus der eigenen thutmosidischen Herrscherfamilie ausgerichtet gewesen seien. Laboury stellt damit zwei verschiedene Formen von bildlichen Vergangenheitsbezügen einander gegenüber: Einerseits eine von den Herrschern der frühen 18. Dynastie praktizierte klare politische Ausrichtung auf Sesostris i. als wahren Begründer des Mittleren Reiches, die sich stilistisch in den Königsbildern zeige („renaissance du modèle de Sésostris ier“777). Und andererseits eine durch punktuelle stilistische oder typologische Bezugnahmen hergestellte selektierende, produktive Einbeziehung von Vergangenem in die Bildgestaltung, die sich besonders unter Hatschepsut und Thutmosis iii. nachweisen lasse („néo-classicisme“778). Wenn auch auf sehr verschiedene Weisen umgesetzt, so seien doch beide Formen von Vergangenheitsbezügen als Legitimierungsbestrebungen der jeweiligen Herrscher zu interpretieren. Die Idee von einer solchen mittels Bildern und Stilverwendungen praktizierten Politik dominiert Labourys Interpretation und ergänzt so ähnliche Ansätze, die literarische Texte zur Deutung der Politik 774 775 776 777 778
Vgl. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 13–15. Vgl. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 13. Vgl. weiter unten bei Fn. 867 zur Problematik, die politische Geschichte der frühen 18. Dynastie mit derjenigen der frühen 12. Dynastie zu analogisieren. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 14. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 23.
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der Thutmosidenzeit heranziehen.779 Bezüglich zweier Punkte ist Labourys Ansatz nun genauer zu prüfen: So sollen zunächst die von ihm festgestellten Vergangenheitsbezüge selbst kurz in den Blick genommen werden, bevor anschließend u.a. im Rückgriff auf die in Kapitel 2.4.3 erarbeitete Terminologie der Frage nach der Interpretierbarkeit dieser Vergangenheitsbezüge nachgegangen wird. Von den diskutierten Bezügen der frühen 18. Dynastie auf Sesostris i. sind etwa die prominenten Beispiele aus dem Karnak-Tempel zu nennen, beispielsweise verschiedene Baumaßnahmen Amenophis’ i. im Bereich des Tempels der 12. Dynastie (darunter die Anfertigung einer Kopie der Chapelle Blanche Sesostris’ i.780) und eine inschriftliche Bezugnahme Thutmosis’ i. auf Sesostris i.781 Auch stilistische Ähnlichkeiten – etwa zwischen Reliefdarstellungen Sesostris’ i., Amenophis’ i. und Thutmosis’ i. – sind nicht von der Hand zu weisen.782 All diese Bezüge auf Bildwerke der frühen 12. Dynastie, die von Laboury und anderen für die frühe 18. Dynastie angeführt werden, sind von Ausnahmen abgesehen unstrittig.783 Entscheidend ist jedoch, dass dies durchaus nicht die 779
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So besonders Gnirs, „Das Motiv des Bürgerkriegs“; dies., „Zum Verhältnis von Literatur und Geschichte in der 18. Dynastie“; dies., „Geschichte und Literatur“. Siehe hierzu außerdem ausführlich die Diskussion bei Giewekemeyer („Perspektiven und Grenzen“, 338–343 und Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 7). Vgl. Björkman, Kings at Karnak, 58 f.; Laboury, „Citations et usages de l’art du Moyen Empire“, 14; Graindorge, „Der Tempel des Amun-Re von Karnak zu Beginn der 18. Dynastie“; vgl. zu Karnak im Mittleren Reich den Überblick von Luc Gabolde, in: Oppenheim et al. (Hrsg.), Ancient Egypt Transformed, 316f. Die Nennung des Thronnamens Sesostris’ i. auf einem Blatt des Isched-Baumes im Schatzhaus Thutmosis’ i. nördlich des Amun-Bezirks (Jacquet-Gordon, Karnak-Nord vi, i, 214–217, 229f. und ii, Tf. lxiv und lxv, № *c69/1; vgl. mit weiterer Literatur Quack, „Sesostris“, [§ 5 mit Anm. 94]), vgl. unten Fn. 783 zu einer vermeintlichen Namensnennung. Laboury weist außerdem auf die Ähnlichkeit der Thronnamen Sesostris’ i. und Thutmosis’ i. bzw. die Möglichkeit hin, letzteren (Ꜥꜣ-ḫpr-kꜣ-Rꜥ) als „Groß ist Ḫpr-kꜣ-Rꜥ (d.h. Sesostris i.)“ zu übersetzen (Laboury, „Citations et usages de l’art du Moyen Empire“, 14 Anm. 27). Vgl. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 14f. mit Tf. 3. Als zumindest sehr zweifelhaft muss der von Laboury und Jacquet-Gordon angeführte sich heute in Kairo (tr 27/3/25/4) befindende Architrav(?)-Block aus Karnak angesehen werden. Letztere nennt diesen Block als weiteres Zeugnis für ein den Namen Sesostris’ i. auf einem Blatt des Isched-Baumes zeigendes Relief aus der Zeit Thutmosis’ i. Das Relief zeigt innerhalb einer großen Kartusche eine kleinere mit dem Thronnamen Thutmosis’ i. zwischen zwei Blättern des Isched-Baumes. Die Inschrift des rechten Blattes wird von Jacquet-Gordon wiedergegeben als „le même nom [i.e. le nom de Thoutmosis ier] combiné avec celui de ‚son père‘ Sésostris ier, dont il se dit ‚aimé‘.“ (Jacquet-
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einzigen Vergangenheitsbezüge im Rahmen von Baumaßnahmen der Könige der frühen 18. Dynastie sind.784 Und später unter Hatschepsut und Thutmosis iii. lassen sich neben Bezügen auf andere Könige auch Bezugnahmen auf
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Gordon, Karnak-Nord vi, i, 216). Diese Paraphrasierung der Inschrift lässt sich jedoch nicht mit der hieroglyphischen Schreibung in Einklang bringen, die etwa ꜥꜣ ḫpr Rꜥ jt=f kꜣ ḫpr | mry zu lesen wäre, nicht jedoch Ꜥꜣ-ḫpr-kꜣ-Rꜥ mry jt=f Ḫpr-kꜣ-Rꜥ, wie es für JaquetGordons Wiedergabe wohl notwendig wäre. Das Isched-Blatt hätte durchaus Platz für die dafür nötigen – de facto jedoch nicht (zweimal) geschriebenen – Zeichen und geboten. Quack, „Sesostris“, [§ 5 mit Anm. 97] fasst dies als „ein bewußtes Mittel engerer Verbindung“ auf und liest „Geliebt von seinem Vater Ḫpr-kꜣ-Rꜥ“. Sethe (Das HatschepsutProblem noch einmal untersucht, 85) schlug als eine Lesung vor, die ohne Ergänzungen auskommt: „Ꜥꜣ-ḫpr-kꜥꜣ-rꜥ[sic] von seinem Vater Chepri (d.i. dem käfergestaltigen Sonnengott von Heliopolis) geliebt“ (bei Sethes Transkription „kꜥꜣ“ handelt es sich wohl um einen Fehler der Setzers für „kꜣ“). Die Übersetzung der Blattaufschrift bleibt letztendlich also unklar. Jedoch selbst wenn sich die Inschrift ungeachtet dessen als Nennung Sesostris’ i. lesen ließe, bliebe ein weiteres Problem bestehen. Jaquet-Gordon und in ihrer Folge Laboury und Elizabeth Blyth folgen Petrie, der den Block wohl im Ägyptischen Museum (damals untergebracht in Giza) in Augenschein genommen hat und angibt (A History of Egypt, ii, 67), der Block sei zwischen dem 3. und dem 4. Pylon – also im unmittelbaren Umfeld der Obelisken Thutmosis’ i. – gefunden worden (JacquetGordon, Karnak-Nord vi, 214; Laboury, „Citations et usages de l’art du Moyen Empire“, 15; Blyth, Karnak, 46). Auguste Mariette, der den Block als Ausgräber offenbar in Karnak selbst aufgenommen hat, ordnet den Block hingegen der südlichen Außenwand des Mꜣꜥ.t-Hauses Thutmosis’ iii. und Hatschepsuts zu, die auch den Text von der Jugend Thutmosis’ iii. (Urk. iv, 155–176) trägt (Mariette, Karnak, 56 mit Tf. 32[f], vgl. auch die Angaben zur Lokalisierung ebenda, 48 f., 51 und Tf. 5). Dieser Herkunftsangabe folgt auch pm 2ii, 106 (328) und Tf. xii.1 (328). Nimmt man sie ernst, ließe sich der Block allenfalls als eine Bezugnahme Thutmosis’ iii. auf seinen Großvater Thutmosis i. und Sesostris i.(?) verstehen (Letzteres jedoch nur, wenn man allen Bedenken zum Trotz den Namen Sesostris’ i. in der Inschrift des Blockes erkennen will, s.o.). Obwohl Laboury die von Rolf Krauss veröffentlichte Photographie des Blocks anführt, geht er nicht darauf ein, dass letzterer an derselben Stelle bereits auf die Unstimmigkeiten sowohl bei den verschiedenen Herkunftsangaben als auch bei der Wiedergabe der Inschrift durch Jacquet-Gordon hingewiesen hat („Das Kalendarium des Papyrus Ebers“, 86f. und Abb. 3). Von JacquetGordon und Laboury abgesehen wurde der Block aufgrund der ebenfalls auf ihm angebrachten Datumsangaben fast ausschließlich im Zusammenhang mit der Chronologie der 18. Dynastie behandelt. In diesem Zusammenhang wird der Block unter Bezug auf Mariette und Sethe (Das Hatschepsut-Problem noch einmal untersucht, 85) als Bauteil aus der Zeit Thutmosis’ iii.(!) diskutiert. So lässt sich resümieren, dass die Interpretation des Blockes als eindeutiger Vergangenheitsbezug Thutmosis’ i. auf Sesostris i. nicht zu halten sein dürfte. Laboury diskutiert selbst ausführlich („Citations et usages de l’art du Moyen Empire“, 13 mit Anm. 14), ob sich in den Bildern Ahmoses neben Bezügen auf Bilder Mentuhoteps ii.
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Sesostris i. feststellen, die kaum als geringfügige betrachtet werden können.785 Letztere werden von Laboury jedoch als lediglich punktuelle angesehen, da
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nicht auch bereits stilistische Bezugnahmen auf solche Sesostris’ i. finden lassen bzw. ob sich nicht unter den beiden ersten Pharaonen der 18. Dynastie Bezüge sowohl auf Mentuhotep ii. als auch auf Sesostris i. feststellen lassen. Die von ihm angesprochenen Punkte lassen sich noch ergänzen, so dass erhebliche Zweifel bestehen, ob sich die von Laboury für die Zeit Amenophis’ i. beschriebene zügige Fokussierung auf Sesostris i. überhaupt halten lässt („L’influence de l’ art initié par Montouhotep ii se poursuit au début du règne du jeune fils et successeur d’ Ahmosis, Amenhotep ier […], même si ce dernier va, assez rapidement semble-t-il, prendre pour figure de référence privilégiée un autre pharaon du début du Moyen Empire: Sésostris ier“, ebenda, 13). So sei es nach James F. Romano unmöglich, von einem einzigen „Amenhotep i facial ‚type‘“ zu sprechen, da die Reliefs Amenophis’ i. aus Karnak „a wide range of stylistic variation“ aufwiesen. Mit Blick auf die Statuen des Königs stellt er fest: „Certain facial and iconographic traits were borrowed from the sculptures of Mentuhotep ii and Sesostris iii still visible at Deir el Bahri.“ („Observations on Early Eighteenth Dynasty Royal Sculpture“, 102). Die Ähnlichkeit zwischen den Rundbildern Mentuhoteps ii. und Amenophis’ i. betont auch Wildung (Sesostris und Amenemhet, 17). An anderer Stelle spricht Romano von der Regentschaft Amenophis’ i. als einer „highly eclectic time“. Auch wenn die Bezüge auf die Bilder Sesostris’ i. besonders deutlich seien, müsse man dabei auch die stilistische Nähe von Reliefs Sesostris’ i. zu solchen Mentuhoteps iii. aus Armant (Brooklyn Museum 37.16e, vgl. Abb. 33.1 [S. 367] sowie zum Bildmaterial der Regierungszeit Mentuhoteps iii. oben Kapitel 2.3.4.1) einbeziehen. Romano hält es zwar für möglich, dass sich die Reliefbildhauer Amenophis’ i. nicht darüber im Klaren gewesen seien, dass „they were also evoking the art of a slightly earlier period“ („A Relief of King Ahmose and Early Eighteenth Dynasty Archaism“, 109f.), deutlich wird dabei jedoch, dass eine Entscheidung darüber, zu welchen Bildern die stilistischen Ähnlichkeiten hier überwiegen, immer ein Kennerurteil sein dürfte. Vgl. auch Luc Gaboldes Untersuchung zweier zusammengehöriger Blöcke (jeder in zwei Teile gebrochen) mit der Titulatur Amenemhets’ i. (im Magazin des Luxor-Tempels), denen er trotz des geringen Erhaltungsumfangs eine stilistische Nähe zu Mentuhotep iii. und Sesostris i. bescheinigt („Un assemblage au nom d’ Amenemhat Ier“, 104). Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass weniger der Frage nachzugehen ist, wie oder wann sich eine Fokussierung auf Sesostris i. unter Amenophis i. vollzogen hat, sondern vielmehr davon auszugehen ist, dass das Material eine stilistische Fokussierung auf die Bilder eines bestimmten Herrschers überhaupt nicht hergibt. Unter Thutmosis iii. bzw. während seiner Koregenz mit Hatschepsut wurden Reliefs von der Südseite der südlichen Antenmauer der Fassade des Amun-Tempels Sesostris’ i. kopiert, die sich an drei Stellen des Tempels fanden. Vgl. Gabolde, Le „Grand Château d’Amon“ de Sésostris Ier à Karnak, 36 f. (= § 53), Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 17f. Hierzu auch Habachi, „Devotion of Tuthmosis iii to his Predecessors“, sowie nun auch Carlotti, Czerny & Gabolde, „Sondage autour de la plate-forme en grès“, 150f. Ferner wäre die von Laboury angeführte typologische Entsprechung zwischen den mumiengestaltigen Königspfeilern Hatschepsuts in Deir el-Bahri
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es sich bei ihnen zusammengenommen mit anderen Rückbezügen auf frühere Könige nur um Zitate oder Verweise handele, die sich allgemein auf frühere Könige bezögen. Sie seien als Formen innovativen Aufgreifens von Bildstilen, -motiven und -typen zur Untermauerung der königlichen Legitimität zu verstehen. Man habe sich auf das Mittlere Reich beziehen wollen, sich dabei jedoch nicht mehr vollends allein auf Sesostris i. ausgerichtet.786 Laboury stützt sich dabei auf die Feststellung, dass seit Hatschepsut die Vergangenheitsbezüge in ihrer Wirkung sehr begrenzt seien, da sie keinen Einfluss auf „l’ évolution du portrait royal“ entfaltet hätten.787 Letzteres orientiere sich nicht mehr an den Bildern Sesostris’ i., sondern an Vorgängern innerhalb der 18. Dynastie bzw. weise ganz eigene innovative Züge auf. Jenseits der Frage, ob sich am einzelnen Objekt entsprechende Ähnlichkeiten zu Statuen der früheren 18. Dynastie ausmachen lassen – und Labourys Studien geben durchaus gute Anhaltspunkte dafür, dass dem so ist –, werfen die Schlüsse, die Laboury daraus zieht, Probleme auf. Wenn er feststellt, dass sich Hatschepsut in ihren frühen Statuen ebenso wie das „portrait royal“ Thutmosis’ iii. nur auf die Vorgänger aus der 18. Dynastie beziehe,788 deren Bilder selbst jedoch nach Laboury wiederum ‚sesostridische‘ Gesichtszüge tragen, dann dürfte es schwierig sein, den Statuen Hatschepsuts und Thutmosis’ iii. eben jenen Vergangenheitsbezug auf Sesostris i. gänzlich abzusprechen, den Laboury für die frühe 18. Dynastie noch postuliert. Er selbst merkt zwar an, es bestehe die Möglichkeit, dass man zur Zeit Hatschepsuts einen solchen (indirekten) Verweis der Statuen der Königin auf Sesostris i. weder bewusst umgesetzt noch überhaupt wahrgenommen habe.789 Im Einklang mit Labourys Interpretationsvorschlag lässt
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und denjenigen Sesostris’ i. in Karnak zu nennen (vgl. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 16). Im Satet-Tempel von Elephantine fand sich außerdem auf einem Kalksteinblock, der wohl aus dem Tempel Sesostris’ i. stammt, eine Szene mit in Wasser watenden Personen, die ebenfalls auf einem Sandsteinblock des dortigen Tempels aus der Zeit Hatschepsuts/Thutmosis’ iii. erhalten ist, so dass auch hier von einer Orientierung an bzw. partiellen Kopie von Bauten Sesostris’ i. ausgegangen werden kann (vgl. Kaiser, Bidoli, Grossmann et al., „Elephantine. Dritter Grabungsbericht“, 161 und Tf. xli [a und b], sowie hierzu El-Enany, „La vénération post mortem de Sésostris Ier“, 132). Vgl. außerdem zu dem Umstand, dass der von Laboury für einen Bezug Thutmosis’ i. auf Sesostris i. in Anspruch genommene Block in Kairo (tr 27/3/25/4) wahrscheinlich aus der Zeit Thutmosis’ iii. stammt, sowie zur Schwierigkeit, diesen zu interpretieren, oben Fn. 783. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 16–18 dort u.a. Anm. 44. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 17f. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 15f. und 18. Vgl. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 15f.
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sich jedoch auf diese Weise das eigentliche Problem nicht auflösen. In dem Moment, in dem er darauf verzichtet, anzusetzen, dass die von ihm selbst identifizierten stilistischen Vergangenheitsbezüge auch von den Zeitgenossen Hatschepsuts wahrgenommen wurden, stellt sich die Frage, wie dann überhaupt Politik mittels einer solchen Stilsemantik möglich gewesen sein soll. Denn die von uns als Vergangenheitsbezug angesprochene Ähnlichkeit wäre dann nur als ein Produktionsstil (die unbewusste Orientierung an vorhandenen Vorlagen) und nicht als eine Botschaften tragende und zu politischen Zwecken genutzte bewusste stilistizistische Stilverwendung zu verstehen. Es lohnt sich jedoch, die Zusammenhänge weiter durchzuspielen. Wenn unter Hatschepsut und Thutmosis iii. Statuen angefertigt worden sein sollen, denen u. a. die Aufgabe zukam, konkrete bedeutungshaltige Bezüge zu Bildern etwa Thutmosis’ i. herzustellen,790 die selbst wiederum in Auftrag gegeben worden waren, um sesostridische Gesichtszüge für alle erkennbar wiederzugeben, dann sollte das, was wenige Jahre zuvor offensichtlich gewesen ist, immer noch wahrnehmbar gewesen sein. Es erscheint hingegen vollkommen unplausibel, dass dies nicht mehr möglich gewesen sein soll bzw. dass die Kenntnis darüber innerhalb so kurzer Zeit in Vergessenheit geraten sein sollte, zumindest wenn dem Stil – wie Laboury annimmt – tatsächlich eine solche semantische Funktion zugeschrieben worden sein sollte. Besonders für die die Bilder herstellenden Bildhauer in den thebanischen Werkstätten wäre dies kaum denkbar. Waren jedoch zur Zeit Hatschepsuts und Thutmosis’ iii. stilistische Bezüge auf das ‚sesostridische‘ Gesicht der Statuen ihrer unmittelbaren Vorgänger als solche erkennbar, ließe sich die von Laboury angesetzte klare Differenzierung zwischen zwei verschiedenen Formen von Vergangenheitsbezügen nicht mehr aufrechterhalten. Wir hätten es mit stilistizistischen Stilphänomenen zu tun, deren Bezugspunkte annähernd identisch wären und über deren Hintergründe wir nur wenig sagen könnten: Die Statuen Thutmosis’ i. bezögen sich auf Bilder Sesostris’ i., eines Vorgängers aus entfernterer Vergangenheit. Die Statuen Thutmosis’ iii. bezögen sich auf das sesostrishafte Bild eines Vorfahren und Vorgängers (seines Großvaters Thutmosis’ i.) und (damit zugleich)/oder auf Bilder Sesostris’ i. selbst. Verfolgt man die Annahme weiter, man habe in der 18. Dynastie derartige Ähnlichkeiten und Vergangenheitsbezüge bewusst hergestellt und auf Rezipientenseite erkannt, dann lassen sich sowohl für Amenophis i. als auch für
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Diese wären Laboury zufolge als Verweise auf Thutmosis i., um so die eigene Herrschaft zu legitimieren, zu verstehen.
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Hatschepsut und Thutmosis iii. stilistische und andere Bezugnahmen auf verschiedene frühere Könige feststellen, darunter Sesostris i.:791 – Nach verbreiteter Einschätzung lassen sich die Bilder Amenophis’ i. anhand von Ähnlichkeiten stilistisch auf Bilder Mentuhoteps ii., Sesostris’ i. und Sesostris’ iii. beziehen.792 Und für seine Regierungszeit sind zudem umfangreiche Baumaßnahmen und Stiftungen belegt, die sowohl auf die Bauten Sesostris’ i. in Karnak dezidiert Bezug nehmen, sie z. T. gar kopieren, als auch einen Kult für Mentuhotep ii. bezeugen.793 – Bilder aus der Zeit Hatschepsuts und Thutmosis’ iii. legen Bezüge auf die (nach Laboury sesostridischen) Gesichter der Statuen ihrer Vorgänger aus der 18. Dynastie nahe, Baumaßnahmen in Karnak greifen solche Amenophis’ i. auf, und zugleich sind für die Regierungszeiten dieser Herrscher Kopien von Reliefs Sesostris’ i. bezeugt.794 In Semna wird ein Tempel für den Gott
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Dies gilt, auch wenn man die strittigen Belege nicht berücksichtigt. Vgl. besonders oben Fn. 783. Vgl. auch die Materialsammlung und Analyse bei Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 7. Vgl. oben Fn. 784. Dabei handelt es sich freilich um Kennerurteile, die für sich genommen nichts austragen, sich aber im Hinblick auf die stilexternen Hinweise durchaus einbeziehen lassen. Vgl. hierzu auch unten S. 423 f. zur Nichtberücksichtigung derartiger Hinweise. Khaled El-Enany weist darauf hin, dass unter Amenophis i. der Kult für Mentuhotep ii. deutlich in Erscheinung tritt („Le saint thébain Montouhotep-Nebhépetrê“, 185). Vgl. außerdem ders., „La vénération post mortem de Sésostris Ier“ sowie oben Fn. 780. Genannt seien außerdem eine im Mentuhotep-Tempel von Deir el-Bahri gefundene Stele, die nebeneinander Statuen Amenophis’ i. und Mentuhoteps ii. in Sedfest-Gewändern vor Opfergaben zeigt (heute in London: bm ea 690; auch wenn die Datierung der Stele unsicher ist, bezeugt sie doch einen kultischen Zusammenhang zwischen Amenophis i. und Mentuhotep ii. mit großer Wahrscheinlichkeit für die 18. Dynastie) sowie die von Naville an der Rampe zu diesem Tempel gefundene und inschriftlich Amenophis i. zuweisbare Statue in London (bm ea 683; pm 2ii, 343; Seidel & Wildung, „Rundplastik des Neuen Reiches“, 243 und Tf. xiv; Hieroglyphic texts from Egyptian stelae, &c., in the British Museum vi, Tf. 30 [Inschrift]). Vgl. zu beiden Funden Naville, The xith Dynasty Temple at Deir el-Bahari i, 60 f. und Tf. xxv (a, b, d), sowie zu weiteren Statuen Amenophis’ i. aus Deir el-Bahri Szafrański, „Buried Statues of Mentuhotep ii Nebhepetre and Amenophis i“. Siehe oben u. a. Fn. 785. Es wird diskutiert, ob unter Thutmosis iii. die unter Amenophis i. errichtete und unter Thutmosis i. fertig gestellte Alabasterkapelle vor dem 7. Pylon durch eine neue Alabasterkapelle gleicher Dimension und ähnlichen Namens ersetzt wurde (vgl. Björkman, Kings at Karnak, 58; Blyth, Karnak, 36; Morkot, „Archaism and Innovation in Art“, 96). Wo genau der ursprüngliche Standort dieser Kapelle, deren Blöcke später im 3. Pylon verbaut wurden, zu lokalisieren ist, ist jedoch umstritten. Diese Kapelle
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Dedun und Sesostris iii. errichtet.795 Außerdem bergen die Tempelanlagen von Deir el-Bahri nicht nur zahlreiche Bezüge auf Mentuhotep ii., sie selbst können als ebensolche verstanden werden.796 Auch wenn hier weder vollständige Analogien erzeugt werden können noch sollen, wird doch eines deutlich: Neben verschiedenen Arten von Vergangenheitsbezügen ist die Praxis stilistizistischer Vergangenheitsbezüge als solche letztendlich für alle Herrscher der frühen 18. Dynastie bis Thutmosis iii. belegt,797 wobei verschiedene ältere Bilder als Bezugspunkte fungieren. Dass wir
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Thutmosis’ iii. ließe sich aber auch dann als eine Bezugnahme deuten, wenn die Kapelle, die auf der Chapelle Rouge Hatschepsuts dargestellt ist, vor dem Tor Amenophis’ i. auf der Höhe des späteren 4. Pylons errichtet worden und später in den Festhof Thutmosis’ ii. integriert worden sein sollte (Graindorge, „Der Tempel des Amun-Re von Karnak zu Beginn der 18. Dynastie“, 87). Vgl. Morkot, „Archaism and Innovation in Art“, 96 sowie zu Ähnlichkeiten zwischen den Barkenkapellen Amenophis’ i., Thutmosis’ iii. und Thutmosis’ iv. Arnaudiès-Montélimard, „Un reposoir de barque en calcite“, 199f. Einaudi nennt außerdem typologische Analogien und Bezüge der Statuen Hatschepsuts, die auf das ‚Alte Reich‘ und die späte 12. Dynastie verweisen würden („The Past Between Charm and Refusal“, 56). Vgl. Grallert, Bauen – Stiften – Weihen, i, 155–158. Di. Arnold (Der Tempel des Königs Mentuhotep i, 88) verweist auf Anleihen die man im Neuen Reich an dem Tempel Menuthoteps ii. genommen habe, die von Bedeutung für die Millionenjahrhäuser gewesen seien. Vgl. auch Einaudi, „The Past Between Charm and Refusal“, 56. In diesem Zusammenhang sind zwei Objekte bedeutsam, die vermutlich aus Gründungsdepots der Hatschepsut stammen und Inschriften tragen, die besagen, Mꜣꜥ.tkꜣ-Rꜥ habe das Bauwerk als „sein Denkmal für seinen Vater Nb-ḥp.t-Rꜥ“ (m mnw=f n jt=f Nb-ḥp.t-Rꜥ ) errichtet: eine Alabasterschale in Stockholm (Medelhavsmuseet m 14385: Peterson, „Hatschepsut und Nebhepetre Mentuhotep“) und eine alabasterne Muschel in Liverpool (Liverpool Museum m.11929: Dodson, „Hatshepsut and ‚Her Father‘ Mentuhotpe ii“); hierzu außerdem Donohue, „Hatshepsut and NebhepetreꜤ Mentuhotpe“, sowie Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 16f. mit Abb. 2. Giewekemeyer weist anhand der „Chambre des ancêtres“ Thutmosis’ iii. in Karnak (heute im Louvre) darauf hin, dass in thutmosidischer Zeit Mentuhotep ii. evtl. eine herausragende Stellung unter den Königen der 11. Dynastie beigemessen wurde („Perspektiven und Grenzen“, 349 f.). Vgl. zu den Bildern Ahmoses und Thutmosis’ i. Morkot, „Archaism and Innovation in Art“, 95 f. und Einaudi, „The Past Between Charm and Refusal“, 55f. zu einer Statue des bislang hier nur einmal erwähnten Thutmosis’ ii. (JdE 52364), die nach Laboury den Statuen Thutmosis’ i. ganz ähnlich stilistische Bezüge auf Sesostris i. erkennen lasse; Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 14f. mit Anm. 28 sowie Gabolde, „Indices nouveaux pour l’ attribution de la tête je 52364“.
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es aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich mit stilistischen Vergangenheitsbezügen und nicht mit anders zu erklärenden Ähnlichkeitsbeobachtungen zu tun haben, zeigen die verschiedenen Kopien, die eindeutig Bezüge darstellen. Eine anhand distinktiver Merkmale getroffene Abgrenzung der Königsbilder der ersten 40 Jahre der 18. Dynastie von den Königsbildern der darauf folgenden Jahrzehnte hinsichtlich einer spezifischen stilistischen oder typologischen Ähnlichkeit zu bestimmten früheren Bildern ist jedoch nicht plausibel zu machen. Jenseits des Zwischenergebnisses, dass sich aus dem Bildmaterial keine grundsätzlich unterschiedlichen Formen ‚legitimatorischer Bildpolitik‘ ableiten lassen, sind nun noch die Gründe dafür in den Blick zu nehmen, dass die vorliegende Studie damit gegenüber derjenigen Labourys zu einem vollkommen konträren Ergebnis gelangt, obwohl die Beobachtungen von Ähnlichkeiten im Material selbst in den meisten Fällen unstrittig sind. Davon ausgehend ist anschließend noch der Begriff der ‚Legitimation‘ in seiner ägyptologischen Verwendung zu diskutieren. Beides zusammengenommen dient dazu, die Frage nach der Interpretierbarkeit der besprochenen Stilbeobachtungen in einen erweiterten Zusammenhang zu stellen. Die abweichenden Interpretationen dürften in erster Linie darin begründet sein, dass dem ‚(Königs-)Porträt‘ und seinem Stil jeweils gänzlich unterschiedliche Bedeutungen eingeräumt werden.798 Während hier die Anwendbarkeit eines Porträtbegriffes auf Ägypten und die damit verbundene Auswertbarkeit von Porträtstilen grundsätzlich in Zweifel gezogen wurde (vgl. Kapitel 2.3.5), geht Laboury bei seiner Interpretation vom Primat des Porträts und des Porträtstils über alle anderen Belege oder Beobachtungen aus. So hält er etwa Belegen, die seiner Identifikation eindeutiger Unterschiede zwischen den Vergangenheitsbezügen der frühen und mittleren 18. Dynastie widersprechen, entgegen, sie seien ja überwiegend ‚nur rein epigraphisch‘.799 Durch den Versuch, derartige Belege auf diese Weise zu ignorieren, kann Laboury zwar ein an der Oberfläche stimmiges und materialreich argumentiertes Gesamtbild erzeugen. Es erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung gerade deshalb als ein Beispiel für die Illusionen, die Davis und Sauerländer thematisiert haben,800 weil genau das Material bewusst nicht einbezogen wird, das stilunabhängige
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Ferner dürfte das Verständnis von Politik eine wichtige Rolle spielen. Vgl. hierzu weiter unten. Laboury („Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 13) bezieht sich damit auf Belege, die eine Verehrung Mentuhoteps ii. und Sesostris’ i. im ganzen Neuen Reich nahelegen. Vgl. hierzu unten Fn. 801. Vgl. Kapitel 2.3.2.1.
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Möglichkeiten böte, stilintern formulierte Argumente und Interpretationen zu überprüfen. Wenn Laboury also feststellt, dass seit der zweiten Hälfte der 12. Dynastie und auch während des gesamten Neuen Reiches Zeugnisse der Verehrung Mentuhoteps ii. und Sesostris’ i. belegt sind,801 ist diese Beobachtung von entscheidender Bedeutung für die Interpretation der von ihm nur für den Beginn der 18. Dynastie festgestellten stilistischen Bezüge auf diese beiden Herrscher. So geben uns diese stilunabhängigen Informationen weiteren Anlass, die Interpretation der Stilbezüge als distinktive politische Aussage zu überdenken. Wenn sich schließlich stilunabhängig keine klare Differenz zwischen der frühen 18. Dynastie und der Zeit Hatschepsuts und Thutmosis’ iii. feststellen lässt, ist die Möglichkeit zu erwägen, dass dem beobachteten Stil innerhalb der Entstehungskontexte der Bilder nicht die von Laboury angesetzte semantische Ladung einer spezifischen politischen Botschaft zugeschrieben wurde, sondern dass er vielmehr eine andere Ursache habe könnte. In diesem Sinne wäre die Frage zu beantworten, worauf sich die Annahme einer solchen politischen Stilsemantik überhaupt stützen könnte. Entgegen oftmals implizit zugrundegelegter Prämissen ist etwas Derartiges aus dem Stil selbst, wie oben bereits gezeigt wurde, jedenfalls nicht ableitbar.802 Exkurs ii: Legitimation als Interpretationskategorie Jene bei Laboury zentrale Annahme einer Stilsemantik fügt sich passgenau in ein etabliertes Repertoire ägyptologischer Interpretationsmethoden ein, das sich um die politische Deutung von Texten rankt und das häufig auch auf Baumaßnahmen sowie auf Bilder ausgedehnt wird.803 Vielfach verbreitet ist die 801
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Vgl. hierzu die Materialzusammenstellungen von El-Enany, „La vénération post mortem de Sésostris Ier“; ders., „Le saint thébain Montouhotep-Nebhépetrê“ sowie außerdem Di. Arnold, Der Tempel des Königs Mentuhotep i, 95, Quack, „Sesostris“ [besonders §5–6] und die Auswertung von Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 7. Vgl. oben Kapitel 2.4.3. Vgl. außerdem Jurman, der in seiner Studie zum sogenannten spätzeitlichen Archaismus u. a. zu dem Ergebnis kommt: „Neither does the archaising style seem to have possessed a well-defined political label.“ („Legitimisation through Innovative Tradition“, 213). Vgl. zur Frage der von Laboury postulierten Differenz zwischen der frühen 18. Dynastie und der Zeit Hatschepsuts und Thutmosis’ iii. auch die Ergebnisse von Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 7, die die hier formulierten nicht nur bestätigen, sondern auch noch in einen weiteren Kontext einordnen. Die politische Deutung ägyptischer (literarischer) Texte ist untrennbar mit Posener, Littérature et politique verknüpft. Vgl. hierzu bereits oben Kapitel 2.2.2 sowie für Studien, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten u. a. der Frage nachgehen, inwiefern das Propagandamodell die ägyptologische Forschung nachhaltig geprägt hat und immer noch prägt, mit weiterer Literatur Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“, (insbeson-
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Auffassung, ägyptische Könige hätten versucht, sich der Loyalität ihrer Untertanen durch propagandistische Maßnahmen zu versichern bzw. so ihre eigene Herrschaft zu legitimieren und abzusichern. In dieser Annahme kann ein ganz zentrales Moment ägyptologischer Geschichtsschreibung gesehen werden, da königliche Handlungen immer wieder mit derartigen Motiven in Verbindung gebracht werden,804 so dass der Eindruck entsteht, ägyptische Könige hätten geradezu unter einem permanenten Legitimationsdruck gestanden.805 Besonders wenn im Zuge eines Dynastiewechsels die genealogische Erbfolge unterbrochen wurde, seien die Könige darauf angewiesen gewesen, sich mithilfe von Baumaßnahmen, Texten und Bildern zu legitimieren.806 Während die Insti-
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dere 301–321) und Widmaier, „Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“, 492–503. Vgl. zur Übertragung des Modells auf Bilder Simpson, „Egyptian Sculpture and Two-dimensional Representation as Propaganda“; Tefnin „Les yeux et les oreilles du Roi“; sowie oben Kapitel 2.3.5.2(3), wo herausgearbeitet wurde, inwiefern ein neuzeitliches Porträtverständnis in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt. Vgl. beispielsweise Grallert: „Weiheformeln werden somit ganz gezielt für die königliche Legitimation eingesetzt, sind königliche Propaganda.“ (Bauen – Stiften – Weihen, i, 59). Dies wird mitunter sogar auch auf nichtkönigliche Zusammenhänge ausgedehnt, wodurch der Legitimationsbegriff eine Ausweitung erfährt, die darauf hinausläuft, ihn synonym zu ‚Begründung‘ oder ‚Rechtfertigung‘ zu verwenden. So etwa bei Popko, Untersuchungen zur Geschichtsschreibung, 117: „Historiographie und Propaganda dienten in Ägypten der Legitimation. In oralen Gesellschaften, zu denen auch die ägyptische in gewissem Grad gehörte, ist dies die ausschließliche Funktion der Geschichte, und die Instanzen, die sich mit der Geschichte beschäftigen, stehen im Dienst der herrschenden Gruppe. Alle ‚historiographischen‘ Berichte wurden in Ägypten u.a. aufgeschrieben, um das eigene Selbst und seine Rolle in der Gesellschaft zu legitimieren. Der Beamte wollte seine Nähe zum König begründen und der König sein Anrecht auf die Herrschaft.“ Vgl. auch jüngst Josephson: „Statuary was created for two reasons: religious purposes […]; and as propaganda.“ („Connoisseurship“, 60) sowie Leprohon („Ideology and Propaganda“), der Propaganda als Kernfunktion von Bild und Text sehr weit fasst. Ein vorsichtiger oder zurückhaltender Umgang mit dem Begriff der Legitimation (vgl. beispielsweise Baines, High Culture and Experience, 6) ist hingegen nur selten anzutreffen. Explizit von „ ‚Legitimationsbedarf‘ “ spricht etwa Gundlach, „Weltherrscher und Weltordnung“, 40. Vgl. beispielsweise Tiradritti, „Renaissance. Archaism. The Sense of History“, 18; Silverman, Simpson & Wegner, „Archaism and Innovation“, ix–x; Tefnin, „Les yeux et les oreilles du Roi“. Maßgeblichen Einfluss dürfte dabei das von Posener vertretene auf der Deutung literarischer Texte vor dem Hintergrund des ägyptologischen Topos von der 1. Zwischenzeit (vgl. Kapitel 2.2.1 und 2.2.2) aufbauende Verständnis von der Politik der 12. Dynastie haben. So betont Posener, dass die Ereignisse der „Première Période Intermé-
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tution des Königtums als alternativlos angesehen worden sei und daher auch keiner Legitimation bedurft habe, „mußte dagegen der einzelne Herrscher [zur Herrschaftsausübung legitimiert] sein, wobei sich die L[egitimation] vornehmlich auf seine Rolle als oberster und einziger Ritualist erstreckte.“807 In dieser Weise zwischen dem Königtum als Institution und dem König als Person zu trennen, erscheint zunächst einleuchtend. In der Tat dürfte der Rollenkonformität der einzelnen Herrscher im Sinne der Fortführung einer kohärenten Tradition eine ganz wesentliche Bedeutung zugekommen sein. Es erscheint jedoch fraglich, ob sich dieser Ansatz auf sinnvolle Weise durchhalten lässt808 und ob dieser Umstand für Ägypten mit dem Begriff der Legitimation bzw. Legitimität adäquat beschrieben werden kann, so wie er in der Ägyptologie vielfach verwendet wird. Das dort anzutreffende Begriffsverständnis ist vielschichtig. Es würde eine ausführliche Beschäftigung erfordern; an dieser Stelle sollen wenigstens einige Betrachtungen dazu angestellt werden. Die ägyptologischerseits angesetzte Legitimationsbedürftigkeit des Königs – im Sinne eines Rechtfertigungs- und Begründungsdrucks – beschränkt sich zunächst darauf, dass dieser Rollenkonformität herzustellen hatte. Dies er-
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diaire“ den Glauben an das Königtum so nachhaltig erschüttert hätten, dass die Könige der 12. Dynastie damit konfrontiert gewesen seien, dass ihre Herrschaft nicht mehr wie noch im „Ancien Empire“ per se als gottgegeben und damit alternativlos betrachtet wurde, sondern als anfechtbar galt und sich daher behaupten und legitimieren musste. Vgl. etwa Posener, Littérature et politique, 8 f. Mittlerweile sieht man Poseners Argumentation auch dadurch relativiert, dass bereits Textfunde aus der 5. Dynastie den König im Gespräch mit seinem Hof zeigen. Damit ist das, was ägyptologisch als Königsnovelle bezeichnet wird, bereits deutlich früher belegt (vgl. Farout, „Naissance du dialogue de cour“, 22f. sowie ders., „Les déclarations du roi Sahourê“ und ders., „Les déclarations du roi Ounas“). Daraus, dass jene Inschriften den König auf diese Weise zu Untertanen sprechend darstellen, lässt sich jedoch kein Legitimationsdruck im oben beschriebenen Sinne ableiten. Barta, „Legitimation“, 961. Darüber scheint weitgehende Einigkeit zu bestehen. Vgl. ebenda, 960 f.; Gundlach, „Weltherrscher und Weltordnung“, 40; Römer, „Was ist eine Krise?“, 94 f.; Quack, „As he disregarded the law“. Anders jedoch Baines, der davon spricht, dass sowohl das Königtum selbst als auch die Amtsinhaber der Legitimation bedurft hätten („Kingship, Definition of Culture, and Legitimation“, 3f.). Vgl. hierzu weiter unten (ab Fn. 859) zur Frage nach Möglichkeiten einer Trennung zwischen der Person und der Institution des Königs. Dass es in der Ägyptologie nicht selten zu einer Fokussierung auf die Person eines Königs kommt, dürfte mit verbreiteten betont narrativen und personenorientierten Formen der Geschichtsschreibung im Zusammenhang stehen, die dazu tendieren, die Person des Herrschers, ihr Handeln und ihre Motivation selbst dann aus dem Material herauszupräparieren, wenn es keine Gründe dafür gibt, dass es in dieser Hinsicht aussagekräftig sein kann. (Vgl. hierzu auch oben u.a. Kapitel 2.3.5.2).
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scheint soweit durchaus plausibel, zumal sich der Großteil des uns zur Verfügung stehenden königlichen Bild- und Inschriftenmaterials ganz in diesem Sinne verstehen lässt, handelt es sich doch bei diesem um Formen medialer Herrschaftsrepräsentation, die den Soll-Zustand zum Gegenstand haben und so diesen als (fiktiven) Ist-Zustand manifestieren: Pharao tritt in Bildern und Inschriften so in Erscheinung, wie seine Rolle es vorgibt.809 Da darüber hinaus wiederum die Praxis selbst, den König als einen den Anforderungen des Königtums entsprechenden Herrscher darzustellen, zur Rolle des Königs zu zählen ist, haben wir es folglich mit Selbstthematisierungen zu tun, die das Rollenbild des Königs fortwährend festschreiben und dabei zugleich aktualisieren.810 Insofern lässt sich von performativer Legitimation im Rahmen eines per se legitimen Königtums sprechen: Der König ist qua Amt bereits in dem Moment legitimiert, in dem er seine Rolle als König annimmt, so dass es sich bei jeder Darstellung seiner (ägyptologisch als solche gedeuteten) Legitimationsbestrebungen damit letztendlich bereits um die Zurschaustellung seiner Legitimität und der seines Königtums handelt, die die jeweilige Situation berücksichtigend modifiziert wurde, und damit weniger um eine Legitimationsbemühung im eigentlichen Sinne.811 Soweit für uns nachvollziehbar kam
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Vgl. hierzu ausführlich und grundlegend Otto, „Legitimation des Herrschens“. Otto spricht von einer „fiktiven Wirksamkeit“, durch die sich der Herrscher legitimiere („dem König [werden] auch im Gegensatz zur Wirklichkeit alle Erfolge und Wirkungen [zugeschrieben], die von ihm erwartet werden.“), und davon, dass der Herrscher eine „Rolle spiele[…], die ihm angemessen ist“: „Daher entsprechen dann in der historischen Überlieferung genannte Feldzüge, Expeditionen usw. nicht in jedem Falle der Ereignisgeschichte, sondern gehören zum Bilde eines legitimen Königslebens.“ (ebenda, 394). Die Zusammenhänge ließen sich auch anders beschreiben, da der ganzen Argumentation freilich eine gewisse Zirkularität zugrunde liegt: Wir leiten aus der Herrschaftsrepräsentation das Königsbild ab, um dann festzustellen, dass sich die Herrschaftsrepräsentation zu letzterem konform verhält. Das Entscheidende ist jedoch die Kanonizität der Repräsentation, durch die ein Königsbild transportiert wird, das sich immer wieder antreffen lässt. Die Konstanz innerhalb der Repräsentationen des Königs ist es also, die es uns – der Zirkularität zum Trotz – ermöglicht, im Material ein Königsbild zu identifizieren. Römer sieht in der ‚Interpretierbarkeit des Götterwillens‘ den Grund dafür, dass selbst ein Usurpator ein legitimer Herrscher sein konnte: „wer Herrscher ist, ist auch der Götterliebling“ („Was ist eine Krise?“, 95). Auch Otto spricht bereits von einer „Legitimität durch das tatsächliche Herrschen“ („Legitimation des Herrschens“, 395). Im Sinne einer präzisen Begriffsverwendung ist zwischen Legitimation und Legitimität zu unterscheiden, denn „[n]ach verbreiteter Auffassung […] bezeichnet ‚Legitimität‘ eine Eigenschaft der Herrschaftsgewalt, und zwar den Zustand, in dem Herrschaftsgewalt gerechtfertigt ist, als Ergebnis eines Legitimationsprozesses. ‚Legitimation‘ hinge-
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schließlich dem König bzw. der durch ihn repräsentierten Institution des Königtums die Diskurs- und Deutungshoheit hinsichtlich seiner Legitimität zu. Bei Otto findet sich eine diesbezüglich vergleichbare Auffassung von Legitimität, derzufolge diese stets den Gegebenheiten flexibel angepasst werden konnte, um kontingente Situationen in legitime Herrschaftsverhältnisse überführen bzw. als solche darstellen zu können: „Damit aber gewinnen die Gedanken über die Legitimität des Herrschens für den Ägypter den Wert eines reichhaltigen und biegsamen Begriffsinstrumentariums, mit dem er die historische Wirklichkeit in ihrer immer neuen Einmaligkeit ‚ordnen‘, d.h. dem Ordnungsbegriff der Maat unterstellen konnte. Unverzichtbar war für ihn das Königtum als solches; ob der jeweilige König als Usurpator, als legaler Erbe, durch Heirat, ja auch als Fremdherrscher dieses welterhaltende Amt erwarb, das vielschichtige Denken über die Berechtigung zum Herrschen ermöglichte es, das historische Einzelfaktum dem Geschichtsbild einzuordnen.“812 Ein solches Legitimitätsverständnis für Ägypten anzusetzen, erscheint tatsächlich plausibel, es umfasst jedoch nur einen Teil dessen, was sich in der Ägyptologie spätestens in den letzten Jahrzehnten zu einem hybriden Legitimationskonzept verfestigt hat, indem die von Otto umrissenen „Aspekte der Legitimität des Königtums“813 in ganz spezifischer Weise um das politisch ausgedeutete Konzept des ‚Legitimationsbedarfs‘ (Gundlach) bzw. gar der Legitimationsbedürftigkeit erweitert wurden.814 Dies korrespondiert insofern mit dem seit
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gen bezeichnet einen prozeßhaften Vorgang, ein Verfahren, an dessen Ende Legitimität bewirkt wird. Legitimität wird also durch Legitimation vermittelt und ist das Ergebnis eines erfolgreich verlaufenden Legitimationsprozesses.“ (Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 150). Otto, „Legitimation des Herrschens“, 411. Otto („Legitimation des Herrschens“, 388 f.) nennt insgesamt drei („Die Legitimität durch die Wirksamkeit; die Legitimität durch das Erbe; die Legitimität durch die mythologische Begründung“) und diskutiert diese anhand verschiedener Beispiele. Auch die oft beobachtbare Bevorzugung des Begriffs ‚Legitimation‘ gegenüber dem der Legitimität kann die im Folgenden diskutierte Verschiebung bereits widerspiegeln. Eine klar differenzierende Begriffsverwendung (vgl. Fn. 811) ist zwar keinesfalls immer anzutreffen, so trägt Ottos Beitrag den Titel „Legitimation des Herrschens“ und verwendet die Begriffe Legitimität, Legitimierung und Legitimation an einigen Stellen synonym (vgl. die Aufzählung der Aspekte bzw. die Überschriften auf den Seiten 389, 396 und 403). Dennoch wird – nicht nur aus der Präferenz für den Begriff der Legitimität – deutlich, dass es Otto darum geht, wie Herrschaftsansprüche sowie Zustände legitimer Herrschaft kon-
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Posener etablierten Propagandamodell, als letzteres die Notwendigkeit formuliert, der ägyptische König (zunächst konkret bezogen auf die frühe 12. Dynastie) habe sich der Loyalität seiner Untertanen durch propagandistische Maßnahmen versichern wollen und müssen, um auf diese Weise die eigene Herrschaft zu legitimieren.815 Im Zuge von Poseners Deutung vom ‚Untergang des Alten Reiches‘ vor dem Hintergrund der bis zur Mitte der 11. Dynastie nicht vorhandenen geeinten Königsherrschaft über ganz Ägypten sowie der späteren literarischen Texte setzt er einen Niedergang des Königtums als göttlich legitimierte Institution an. Die Wertschätzung für das Königtum sei verloren gegangen, allgemeiner Ungehorsam habe um sich gegriffen, Posener spricht gar von einer Volksbewegung gegen das Königtum.816 Aus dieser Deu-
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struiert und dargestellt wurden (ebenda, 387: „Herrschaftsanspruch“; 388: „Aussagen über das Wesen des Königtums“; 391: „der Herr des Rituals erhält durch seine Wirksamkeit die Ordnung der Welt aufrecht und erweist eben in dieser Wirksamkeit seine Legitimität“; 397: „erbliche[…] Legitimität“; 402: „Königinnen […] als Vermittlerinnen der Legitimität“; 403: „Legitimität als Gott, durch Gottessohnschaft und durch Gotteswahl“). Giewekemeyer spricht diesbezüglich vom ägyptologischen Konzept des „propagandabedürftig gedachten Königs“ („Perspektiven und Grenzen“, 301). Vgl. Posener, Littérature et politique, etwa 82–86 (beispielsweise 85: „Resté seul après l’assassinat, Sésostris ier réussit, par son action décidée, à s’ assurer la possession de la couronne paternelle, mais ce succès initial avait besoin d’ être consolidé, et c’ est alors qu’il fit composer l’Enseignement [d’ Amménémès ier].“, 86: „il est hors de doute que l’ Enseignement d’Amménémès Ier était destiné à défendre la cause de la nouvelle dynastie.“). Die von Posener vertretene These, Sesostris i. habe seine nach dem Tod Amenemhets i. anfechtbare Position als Thronfolger mittels literarischer Texte absichern wollen oder gar müssen, findet sich auch noch in weit jüngerer Zeit, etwa bei Favry, Sésostris ier et le début de la xiie dynastie, 42–45. Auch Assmann spricht davon, dass die „politische Führung […] ihren Führungsanspruch gegenüber der Aristokratie begründen und die unteren Schichten für sich gewinnen“ musste (Sinngeschichte, 136). Vgl. zur Nähe von Propaganda und Legitimation in der ägyptologischen Ansprache außerdem das Zitat von Grallert in Fn. 804. „La situation du pay au cours de cette triste époque est trop bien connue maintenant pour qu’ il soit nécessaire de s’ étendre davantage. On retiendra surtout les effets: perte d’estime pour la royauté et habitudes généralisées de désobéissance, ce qui intéresse directement notre sujet. Parallèlement à cette déchéance politique, la notion même de royauté se dégrade et se modifie. Par la force des choses, la monarchie perd son caractère sublime; sa faiblesse et son fractionnement ont pour conséquences de déprécier le dogme de la royauté divine. Le spectacle des souverains sans autorité, des pharaons simultanés qui se disputent ou se partagent la couronne et qui cèdent leurs privilèges aux princes, discrédite les titres, les cartouches, les insignes et le cérémonial.“ (Posener, Littérature et politique, 8 f.). Als Deutungsgrundlage zieht Posener dabei auch literarische Texte hinzu: „Ce sage, Ipouer, décrit dans les Admonitions le mouvement populaire dirigé contre le régime et qui
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tung der Vorgeschichte der 12. Dynastie ergibt sich für ihn, dass die Könige mithilfe von Propagandamaßnahmen erhebliche Legitimationsbemühungen unternehmen mussten, um ein neues geeintes Königtum etablieren zu können. Wird eine daran orientierte Auffassung von Herrschaft und Königtum zugrunde gelegt, hat dies erhebliche Folgen für den Legitimitätsbegriff. Anja B. Kootz formuliert einen solchen für den „altägyptischen Staat“ auf folgende Weise: „Von der Legalität zu unterscheiden ist die Legitimität von Staatsgewalt, die als Akzeptanz durch das Staatsvolk bezeichnet werden kann und somit eine Anerkennung der Repräsentationsfunktion des Herrschers zum Ausdruck bringt. Legitimität kann auf Grund verschiedener Faktoren gegeben sein, von denen Max Weber drei vorstellt: a) die legale, b) die traditionelle und c) die charismatische Herrschaft. Bei a) beruht die Herrschaft auf rechtlichen Statuten, in b) wird eine überkommene Herrschaftsordnung als gut angesehen und c) hat die gefühlsmäßige Anbindung an den Herrscher, der hier personalisiert ist, zur Grundlage.“817 Diese Passage ist aufschlussreich wie zugleich verschleiernd. Sie weist zwar einerseits den an dieser Stelle tatsächlich weiterführenden Weg zu Max Webers Soziologie der Herrschaft, zitiert jedoch andererseits dessen Legitimitätsbegriff so unvollständig, dass ein ganz entscheidender Aspekt überhaupt nicht zur Sprache kommt. Webers Begriff von Legitimität zeichnet sich schließlich dadurch aus, dass er zwischen Legitimitätsanspruch und Legitimitätsglauben unterscheidet und so eine deskriptive Herangehensweise ermöglicht, die sich etwa von der der Sozial- oder Staatsphilosophie abgrenzt, indem sie u.a. darauf verzichtet, Staatszwecke zu beurteilen (legitim/illegitim).818 Die bei Weber bedeutsame Einbeziehung der Perspektive der Beherrschten (Legitimitätsglaube) findet sich nun in vom Propagandamodell beeinflussten ägyptologischen Perspektiven ganz im Sinne von Kootz’ Definition stark betont oder gar verabsolutiert.819 Als „Akzeptanz durch das Staatsvolk“ (Kootz, s.o.)
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n’ épargne ni la noblesse ni la royauté. Ce mouvement correspond en toute vraisemblance aux troubles dans lesquels l’ Ancien Empire a sombré et qui marquent le début de la Première Période Intermédiaire.“ (ebenda, 9). Vgl. zu den Admonitions im Zusammenhang mit dem ägyptologischen Topos der 1. Zwischenzeit Kapitel 2.2.1 und 2.2.2. Kootz, Der altägyptische Staat, 102. Vgl. Breuer, „Das Legitimitätskonzept Max Webers“; ders., „Herrschaft“ in der Soziologie Max Webers. Vgl. hierzu etwa Kootz, Der altägyptische Staat, 14: „Das Ansprechen [der Bevölkerung
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ließe sich nach Weber jedoch nicht die Legitimität einer Herrschaft als solche, sondern höchstens der Legitimitätsglaube unter den Beherrschten beschreiben. Dabei dürfte sich fast alles, was ägyptologischerseits im Hinblick auf Legitimität diskutiert wird, unter der Überschrift des Legitimitätsanspruchs versammeln lassen (königliche Texte, Bilder, Baumaßnahmen).820 Die sich u. a. bei Kootz findende Begriffsauffassung verzichtet also darauf, mit Weber zu differenzieren, und betrachtet darüber hinaus folglich Phänomene, anhand derer die Formulierung eines Legitimationsanspruchs erkennbar ist, als für Fragen des Legitimationsglaubens aussagekräftig. Auch wenn sich Webers Herrschaftssoziologie gerade mit den Beziehungen zwischen Legitimationsanspruch und Legitimationsglauben befasst und dafür durchaus Zusammenhänge anzusetzen seien, stehen historische Betrachtungen jedoch in den meisten Fällen vor dem Problem, dass sich „[empirisch nur selten beweisen lässt, o]b dem Legitimitätsanspruch wirklich ein Legitimitätsglaube bei der Mehrzahl der Beherrschten entspricht“, denn nach Stefan Breuer befinden sich die „wirklichen Motive, die den Gehorsam der Beherrschten begründen, […] in einer kaum aufschlüsselbaren Gemengelage“.821 Auch wenn dies zunächst ernüchternd klingen mag, entscheidend ist, dass uns Webers Legitimitätsbegriff Möglichkeiten an die Hand gibt, ägyptische Zeugnisse ebenso wie ägyptologische Interpretationsangebote präziser beschreiben zu können. So lässt sich feststellen, dass ägyptologischerseits oft von den zur Verfügung stehenden ägyptischen Darstellungen von Legitimitätsansprüchen Rückschlüsse auf den Legitimitätsglauben gezogen werden. Dabei werden Darstellungen von Legitimitätsansprüchen nicht nur mit Blick auf den Legitimitätsglauben unter den Beherrschten ausgewertet, sondern vielfach auch mit ‚der individuellen Politik‘ des Herrschers gleichgesetzt, durch die dieser seine Herrschaft zu legitimieren versucht habe: Erst dadurch, dass der Pharao sich im Rahmen seiner Repräsentationen in besonderer Weise z.B. auf frühere Herrscher bezogen habe oder bestimmte Gottheiten in seine Titulatur einbezogen habe oder
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mittels eines Sprachgebrauchs, der deren mehr bildlich-konkretem Denken gerecht wird, K.W.] war vor dem Hintergrund der Legitimation und Akzeptanz der Staatsgewalt durch das Staatsvolk wichtig, gegen das man über keinen längeren Zeitraum regieren kann.“ Auskunft über die Sichtweise der Beherrschten geschweige denn oppositionelle, die Königsherrschaft kritisierende Zeugnisse, die die andere Seite beleuchten könnten, sind nicht oder nur höchst selten überliefert. Ansätze, u. a. hierin die Rolle der Literatur zu sehen, stehen vor dem Problem, dass vergleichsweise unklar ist, was wir in den literarischen Texten vor uns haben bzw. welchen Bezug zur Realität oder Ereignisgeschichte man ansetzen kann (vgl. Baines, „Kingship, Definition of Culture, and Legitimation“, 19). Breuer, „Das Legitimitätskonzept Max Webers“, 10.
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Texte habe kursieren lassen, in denen Herrscher in positivem Licht erscheinen, habe er sich vollumfänglich legitimieren, der Loyalität (bzw. des Legitimitätsglaubens) verschiedener Bevölkerungsgruppen versichern und ferner auf die politischen Anforderungen seiner Zeit reagieren können. Entsprechend werden neben Bildern mit Inschriften, literarischen Texten und Königsnamen fiktive und topische Darstellungen herangezogen,822 um Machtverhältnisse, auf Probleme oder gar Krisen reagierende Regierungsprogramme und vieles mehr zu rekonstruieren.823 So entsteht eine hybride Form der Interpretation: Einerseits wird erkannt, dass sich Texte und Bilder topischer Elemente bedienen, um einen Herrscher – unabhängig von tatsächlichen Gegebenheiten – möglichst ideal und rollenkonform erscheinen zu lassen,824 andererseits wird oftmals denselben topischen Elementen Historizität zugeschrieben, um den einzelnen Herrscher, seine Politik und seine Regierungszeit insgesamt charakterisieren zu können.825 In diesem Sinne werden aus Königsnamen beispielsweise von Gundlach nicht nur die „Ursachen“ und „Gegebenheiten“ von „Krisen“ abgeleitet, sondern auch „Lösungsversuche zur Bewältigung“ jener aus Titulaturen (re)konstruierten „Krisen“, von denen vermutet wird, dass sie „selber oft die jeweils nächste Krise herbeiführten“.826 Diese Art der Interpretation von Herrschaftsrepräsentationen bzw. Legitimitätsansprüchen wird von der Mainzer Schule Gundlachs so konsequent durchexerziert wie man es sonst nur selten antrifft, so dass sich dort besonders anschaulich zeigt, welche Probleme diesem einflussreichen Interpretationsmuster inhärent sind. So führt eine Position, die hinter Legitimitätsansprüchen Versuche zur Bewältigung von Krisen
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Vgl. oben auch Kapitel 2.2.2 zur Rolle der Topik in der Interpretation literarischer Texte. Insbesondere Gundlach spricht explizit von Regierungsprogrammen (Die Königsideologie Sesostris’ i., 3 f., siehe auch hier weiter unten Fn. 827). Vgl. zur Problematik des durch die Politikwissenschaft geprägten Krisenbegriffs in der gängigen ägyptologischen Anwendung Römer, „Was ist eine Krise?“. Vgl. hierzu Otto, „Legitimation des Herrschens“ (sowie hier bereits oben bei Fn. 812). Vgl. zur Problematik dieses Zugangs Giewekemeyer, die am Beispiel der Prophezeiungen des Neferti diese Zusammenhänge ausführlich behandelt („Perspektiven und Grenzen“), sowie ihre Auseinandersetzung mit der historischen Ausdeutung der königlichen Namenswahl, insbesondere aber der Wahl des Namens Wḥm-ms.wt durch Amenemhet i. (Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 4.3). Vgl. auch hier bereits oben Kapitel 2.3.3.2 zur Diskussion um die Ausdeutbarkeit des Horusnamens Zmꜣ-tꜣ.wj Menuthoteps ii. Gundlach, „Grundgegebenheiten“, 81. Vgl. hier auch die Kritik von Quack an diesem Beitrag Gundlachs sowie an dem Sammelband der Mainzer Schule, dem jener Beitrag entstammt („[Rezension zu] Gundlach & Klug (Hrsg.), Das ägyptische Königtum“, 201– 203).
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vermutet, beinahe zwangsläufig zu der Feststellung, man habe jene damals nicht bewältigen können, schließlich können aus dieser Perspektive die Titulaturen und Herrschaftsrepräsentationen der Nachfolger ja ihrerseits wiederum stets als Bewältigungsversuche alter ungelöster oder neuer Krisen interpretiert werden.827 Gundlach geht noch einen Schritt weiter und leitet aus den Legitimitätsansprüchen (die er als vergebliche Bemühungen deutet, der Krisen Herr zu werden) ab, dass in Ägypten „die Beurteilungen zu Ursachen und Gegebenheiten [der jeweiligen Krise, K.W.] […] meist ideologisch gesehen“ worden seien und daher „die Realitäten verkannt[…]“ hätten.828 Bei näherer Betrachtung werden hier jedoch lediglich ägyptische Legitimitätsansprüche bzw. Herrschaftsrepräsentationen im Zusammenspiel mit ägyptologischen Geschichtsbildern analysiert. Jene von Gundlach benannten „Realitäten“ sind dabei bezeichnenderweise gar kein Bestandteil der Untersuchung und können es auch gar nicht sein, weil sie uns schlicht und ergreifend gar nicht zugänglich sind – und dennoch wird erstaunlich oft über sie gesprochen.829 Auch die Einschätzung, dass die Bewältigung jener Krisen letztendlich aufgrund der „Unfähigkeit des ägyptischen politischen Denkens, das Selbstverständnis zu ändern“, nicht gelungen sei,830 führt vor Augen, dass hier das kontinuierliche Darstellen von Legitimitätsansprüchen mit einer auf Dauerkrisen reagierenden Politik gleichgesetzt bzw. verwechselt wird. Während wir also gute Gründe dafür haben, königliche Texte, Bilder und Bauwerke tatsächlich als Formen performativer Legitimation bzw. als Darstellungen von Legitimitätsansprüchen zu sehen,831 bringen Versuche, aus ihnen Näheres über die konkrete Politik des legitimationsbedürftigen Herrschers zu
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Gundlach versteht die königliche Titulatur als Regierungsprogramm, das der Legitimation diente und „in dem auf mißlungene Politik (natürlich des Vorgängers) reagiert wurde“ („Weltherrscher und Weltordnung“, 33). Gerade durch das große Ausmaß an Ähnlichkeiten bzw. intertextuellen Bezügen zwischen den Königsnamen einzelner Herrscher sind ausufernden Interpretationen im Sinne Gundlachs Tür und Tor geöffnet. Die extensive Auflistung und Katalogisierung von Königsnamen bei Magen (Steinerne Palimpseste) verdeutlicht auf eindrückliche Weise, wie allgegenwärtig Ähnlichkeiten unter den ägyptischen Königsnamen sind. Gundlach, „Grundgegebenheiten“, 81. Vgl. auch die Kritik von Römer, „Was ist eine Krise?“, 90f. Gundlach, „Grundgegebenheiten“, 85. „Keine Herrschaft begnügt sich, nach aller Erfahrung, freiwillig mit den nur materiellen oder nur affektuellen oder nur wertrationalen Motiven als Chancen ihres Fortbestandes. Jede sucht vielmehr den Glauben an ihre ‚Legitimität‘ zu erwecken und zu pflegen.“ (Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5, 122).
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ermitteln, das Problem mit sich, dass kaum oder gar nicht zwischen Legitimität, Legitimation,832 Akzeptanz und Politik unterschieden wird. Diese begriffliche Unklarheit führt dazu, dass zum einen Material für Fragen herangezogen wird, für die es nicht aussagekräftig ist, und dass zum anderen in Ermangelung eines historisierenden Umgangs mit jenen Begriffen diese mit neuzeitlichen Konzepten assoziiert werden, die sich für Ägypten nicht plausibel machen lassen. So verschwimmt die Trennschärfe, die wir bräuchten, um uns darüber vergewissern zu können, worüber ägyptologischerseits überhaupt gesprochen wird, wenn die Rede von politischen Maßnahmen ist, die von einem König ergriffen wurden, um sich zu legitimieren und so die eigene Herrschaft zu festigen. Es seien zwei Beispiele skizziert, um dies zu veranschaulichen: (1) Amenemhet i. verlegte seine Residenz nach Norden und errichtete dort seine Pyramide mit Totenkultanlage, worin er sich von seinen unmittelbaren Vorgängern – den thebanischen Königen der 11. Dynastie – unterscheidet. Später wurde er als erster König der 12. Dynastie (von Lischt) gezählt, die fast 200 Jahre an der Macht gewesen ist. Nach verbreiteter ägyptologischer Auffassung hat Amenemhet i. durch die Verlegung der Residenz unter Beweis gestellt, dass er die Zeichen der Zeit tatsächlich verstanden und durch eine starke Anknüpfung an das memphitische Königtum des Alten Reiches die richtige Politik betrieben habe, während seine Vorgänger, die Mentuhotep-Könige, den entscheidenden Fehler begangen hätten, ihren Regierungssitz im Süden zu belassen und dadurch den Norden zu vernachlässigen.833 Genau dadurch hätten letztere das Schicksal ihrer Dynastie besiegelt. Da nichts über eine genealogische Abstammung Amenemhets i. von den Königen der 11. Dynastie, wohl aber ein Wesir mit dem Namen Amenemhet aus der kurzen Regierungszeit Mentuhoteps iv. bekannt ist, werden Unruhen für möglich oder gar wahrscheinlich gehalten,834 die den Übergang der Herrschaft auf den „Usurpator“ Amenemhet begleitet und die Herrschaft
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Vgl. oben zur Unterscheidung zwischen Legitimation und Legitimität Fn. 811. Vgl. etwa Gundlach, „Grundgegebenheiten“, 84 mit Anm. 48; Hirsch, Kultpolitik und Tempelbauprogramme der 12. Dynastie, 5 und 24–26; Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 18–21. Bereits für Posener ist die Verlegung der Residenz von entscheidender Bedeutung (vgl. etwa Littérature et politique, 1). So etwa Kootz, Der altägyptische Staat, 112. Vgl. auch Hirsch, Kultpolitik und Tempelbauprogramme der 12. Dynastie, 24. Darüber hinaus spielt die literarhistorische Deutung der Prophezeiungen des Neferti in der Folge von de Buck und Posener hier ebenfalls eine große Rolle. Vgl. hierzu ausführlich Giewekemeyer, „Perspektiven und Grenzen“.
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der gescheiterten Dynastie der Antef- und Mentuhotep-Könige endgültig beendet hätten.835 Warum mit Amenemhet i. eine neue Dynastie an die Herrschaft gelangt ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Darin, dass Amenemhet i. länger – und damit nach gängigem ägyptologischen Interpretationsschema auch ‚erfolgreicher‘ – regiert hat als etwa Mentuhotep iv., das Ergebnis einer besseren Politik zu sehen, die für uns in Vergangenheitsbezügen auf das memphitische Königtum nachvollziehbar werde, dürfte sich jener Gleichsetzung von Herrscherrepräsentation (bzw. der Darstellung von Legitimitätsansprüchen) mit der Politik des Herrschers verdanken. Nur weil Reste der Herrscherrepräsentation Amenemhets i. im Grunde das einzige sind, was uns von ihm bzw. seinen Vorgängern erhalten ist, heißt das jedoch noch lange nicht, dass wir darin auch Antworten auf all unsere Fragen finden können.836 (2) Kootz’ Untersuchung versucht, eine politikwissenschaftliche Terminologie konsequent auf ägyptische Kontexte anzuwenden. Dabei diskutiert sie die „irdische Legitimation“ des Herrschers am Beispiel des Hymnus b auf Sesostris iii. aus den Lahun-Papyri:837 „Wenn nun die Legitimation eines Herrschers seitens des Staatsvolkes durch den subjektiven Faktor der Anerkennung gewährleistet sein kann, stellt sich die Frage, in welcher Form eine solche Anerkennung im alten Ägypten ausgedrückt worden ist. Da es sich hier nicht um eine repräsentative Demokratie handelt, in der die Bürger durch Wahlen ihre Anerkennung für eine bestimmte Person oder Gruppe, die die Staatsgewalt vertreten soll(en), vermitteln, müssen für den Fall, dass die Legitimation von Bedeutung ist, andere Ausdrucksmittel gefunden werden. Wird nun der ‚Jubel‘ (ḥꜥj) als Zeichen der Anerkennung gedeutet, so soll dieser Terminus in Texten, die
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In diesem Zusammenhang spielen außerdem die Hatnub-Inschriften eine Rolle, deren genaue Deutung und Datierung jedoch noch Gegenstand einer Diskussion ist. Vgl. hierzu mit weiteren Angaben Gestermann, „Die Datierung der Nomarchen von Hermopolis“, dort (mit Bezug auf evtl. in die Zeit unmittelbar vor dem Regierungsantritt Amenemhets i. anzusetzenden Unruheschilderungen): 11 f. sowie zuletzt den Überblick von Willems mit weiterer Literatur („The First Intermediate Period and the Middle Kingdom“, 88– 90). Vgl. auch bereits oben zu Deutungen der Geschichte des Übergangs von der 11. zur 12. Dynastie Kapitel 2.3.4.2 sowie zur Regierungszeit Amenemhets I. oben Fn. 11. Kootz, Der altägyptische Staat, 118–121.
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dem Format des unseren entsprechen, sicherlich die Zufriedenheit der Bevölkerung im Hinblick auf die Erfüllung der Staatsaufgaben seitens des Herrschers beschreiben.“838 Da dem König nicht nur Jubel zukomme, sondern da er sich auch besonders oft das Attribut „beliebt“ (mrj) zuschreibe, könne „die Bedeutung von Legitimation als Anerkennung auch durch die Menschen nicht allzu gering gewesen sein.“839 Diesem Gedankengang folgend erkennt Kootz in Prozessionen Situationen des Zusammentreffens von Herrscher und Volk, die als Gelegenheit gedient haben könnten, „bestimmte Regierungsziele zu vermitteln und deren Unterstützung einzufordern“. Sei der König anwesend gewesen, könnte er dabei „der Reaktion des Volkes ausgesetzt“ gewesen sein.840 Für Kootz stellt sich nun die Frage, „ob sich überhaupt Konsequenzen durch eine mögliche Zurückhaltung des ‚Jubels‘ für den Herrscher ergeben, d.h. gibt es eine Institution, die die Legitimität des Herrschers messen und gegebenenfalls dessen Absetzung durchsetzen kann?“. Kootz erwägt, dass es beim Sedfest darum gegangen sein könnte, den König zur „Fortführung seines Amtes“841 zu legitimieren, schließt ihr Kapitel jedoch durchaus skeptisch: „Ob es nun tatsächlich eine Versammlung hoher Beamter gab, die über eine Verlängerung der Regierungszeit oder Abdankung des Herrschers fallweise oder regelmäßig zu beraten hatten, lässt sich nicht nachweisen. Die Notwendigkeit von Legitimation dagegen findet sich vielfach belegt.“842 Das bloße Wissen um neuzeitliche Möglichkeiten bestimmter Strukturen und Konzepte in Verbindung mit einem einseitigen Legitimitätsbegriff843 wird hier zur Grundlage dafür, deren Existenz auch für Ägypten anzusetzen und sie in den Phänomenen zu vermuten, die sich am ehesten mit ihnen assoziieren lassen. So wird etwa, da von der Bedeutung der Legitimation bzw. Legitimität ausgegangen wird,844 darauf geschlossen, dass Ausdrucksmittel gefunden werden mussten, die Zufriedenheit der Bevölkerung zu beschreiben. Dabei ist jedoch zu beachten, dass, wenn letztere
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Kootz, Der altägyptische Staat, 118 (Kursive K.W.). Kootz, Der altägyptische Staat, 120. Kootz, Der altägyptische Staat, 120. Kootz, Der altägyptische Staat, 120. Kootz, Der altägyptische Staat, 121. Legitimität wird von Kootz „als Akzeptanz durch das Staatsvolk“ verstanden, vgl. oben Fn. 817. Vgl. oben Fn. 819.
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in ägyptischen Quellen thematisiert wird, diese als Teil des königlichen Legitimitätsanspruchs zu verstehen ist und daher keine Aussage über die tatsächliche Zufriedenheit der Bevölkerung zulässt.845 Kootz führt angesichts von Jubelbeschreibungen mit Instrumenten zur Volksbefragung, mit der Frage nach der Unterstützung von Regierungszielen seitens des Volkes und mit Institutionen, die die Legitimität eines Staatsoberhauptes überwachen und gegebenenfalls dessen Absetzung erwirken können, Konzepte ein, die bestens aus heutigen Politikdiskursen bekannt sind und die sich spezifisch auf die Relevanz des Legitimitätsglaubens innerhalb neuzeitlicher Staaten beziehen. Sie stehen im Zusammenhang mit Regierungen, die von Parlamenten oder Gerichten überwacht und der Macht enthoben werden können bzw. die von Demoskopen ermittelte Stimmungsbilder beachten, weil sie sich der Wiederwahl zu stellen haben.846 Jenseits der Tatsache, dass wir daran gewöhnt sind, mittels derartiger Konzepte und Kategorien heute über Politik zu sprechen, dürfte es keine Grundlage geben, Entsprechendes für Ägypten anzusetzen. Anhand beider Beispiele wird deutlich, wie oftmals davon ausgegangen wird, die Legitimität des herrschenden Königs sei eine vergleichbar fragile gewesen und habe leicht infrage gestellt werden können,847 so dass wiederum Maßnahmen des Königs notwendig gewesen seien, um angesichts dessen seine Herrschaft zu festigen. Besonders mit Blick auf Begriffsverwendungen wie sie am Beispiel von Kootz’ Untersuchung angeführt wurden, erscheint es jedoch dringend angeraten, auch den Begriff der Legitimität einer Historisie845
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Kootz ist sich zwar darüber im Klaren, dass Hymnen auf den König ebenso wie offizielle Dokumente Ideale formulieren (vgl. Der altägyptische Staat, 119), scheint daraus jedoch kaum Konsequenzen zu ziehen. Letztere könnten etwa darin bestehen, mit Weber zwischen Legitimitätsansprüchen und Legitimitätsglauben zu unterscheiden. Siehe hierzu oben mit Fn. 818. Es lässt sich eine Nähe zwischen Kootz’ Behandlung der „irdische[n] Legitimation“ des ägyptischen Herrschers und einem Legitimitätsbegriff feststellen, den Luhmann in der Diskussion der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts identifiziert hat, die „deutlich [zeigt], daß unter dem Etikett der Legitimität eigentlich nur noch über die Popularität der Regierungen und über politische Rhetorik verhandelt wird. Man sollte sich aber durch die Wahl des Terminus Legitimation nicht zu illusionären Vorstellungen verführen lassen. Es geht nur um prognostische und praktisch-rhetorische Probleme der Wiederwahl oder Nichtwiederwahl von Regierungen – um nicht mehr und nicht weniger.“ (Luhmann, „Partizipation und Legitimation“, 154). Vgl. oben mit Fn. 815 und 816 zur Bedeutung der Posener’schen Interpretation der frühen 12. Dynastie und ihrer Vorgeschichte.
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rung zu unterziehen, um für die Beurteilung ägyptischer Zusammenhänge größere Klarheit zu gewinnen. Luhmann hat in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass „[h]istorische Begriffe wie Partizipation oder Legitimation […] nicht unkontrolliert übernommen werden [können]; sonst placiert man mit Hilfe dieser Begriffe Erwartungen in Kontexte, in denen sie nicht erfüllt werden können, und provoziert damit Enttäuschungen.“848 Und so zeigt die Geschichte des Begriffs Legitimität, dass die Legitimation von Herrschaft erst vor dem Hintergrund der Säkularisierung in Staaten der Neuzeit zu einem virulenten Problem geworden ist, so dass sich mit Thomas Würtenberger feststellen lässt, dass die „Formulierung der ethisch-politischen Kategorie Legitimität […] in hohem Maß zeitbedingt und relativ“ ist.849 Ferner stellt Würtenberger etwa mit Blick auf den deutschen Sprachraum im 18. Jahrhundert fest: „Erst die Auseinandersetzungen mit dem Gedankengut der Französischen Revolution und ihren politischen Wirkungen sowie der Umbruch der altständischen Gesellschaft zur Industrienation gaben Anlaß, die Funktion des Monarchen im Staat neu zu bestimmen und nach der Rechtfertigung seiner Herrschaft zu fragen.“850 Der Diskurs um die Frage nach der Legitimität von Herrschaft(sformen) hat seinen Ort in der Geschichte der Neuzeit und setzte Prozesse der Säkularisierung voraus.851 Erst in deren Folge wurde Herrschaft nicht mehr als gottgegeben und damit in ihrer praktizierten Form als per se legitim betrachtet, statt dessen wurden Debatten darüber angestoßen, welche Form von Herrschaft bzw. nach welchen Kriterien ein Herrscher legitimiert sein konnte.852 Vor diesem Hinter848
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Luhmann, „Partizipation und Legitimation“, 155. Jene Enttäuschungen stellen sich in der ägyptologischen Forschungsdiskussion nur selten ein, weil die Erwartungen nur mit Materialbeobachtungen und Interpretationen, nicht aber mit den ägyptischen Realitäten selbst konfrontiert werden können. Vgl. hierzu auch Kapitel 3.2.5. Würtenberger, „Legitimität, Legalität“, 678. Würtenberger, „Legitimität, Legalität“, 708. Vgl. ausführlich die Darstellung bei Würtenberger, „Legitimität, Legalität“. In den staatstheoretischen Schriften der frühen Neuzeit tritt neben die religiös fundierte Legitimität eine säkularisierte. Erst dadurch war es möglich, der Herrschaft eine juristische Grundlage zu geben, die sich auch, aber nicht nur vor der (göttlichen) Ordnung behaupten sollte und damit folglich nicht mehr alternativlos war. Vgl. etwa Würtenberger, „Legitimität, Legalität“, 684–691; außerdem Noetzel, Authentizität als politisches Problem, 45: „Diese Neubestimmung im Diskurs über die Bedingungen der Möglichkeit, in modernen politischen Systemen legitime Herrschaft von illegitimer zu unterscheiden, ist
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grund spricht Wilhelm Hennis von Legitimität als „Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft“ und geht gar von der „Irrelevanz des Problems der Legitimität in Antike und Mittelalter aus“.853 Es ist jedoch zu erwarten, dass einer solch vehementen Historisierung starke Bedenken entgegen gebracht würden, wenn man eine solche für Ägypten ansetzen würde. So könnte zunächst etwa eingewendet werden, es habe „so etwas wie eine Legitimitätsdebatte avant la lettre“ gegeben,854 doch eine solche Annahme dürfte sich für Ägypten kaum plausibel machen lassen. Selbst in Zeiten ohne geeinte Königsherrschaft, für die ägyptologischerseits ein massiver – gar revolutionärer – Autoritätsverlust des Königtums vermutet wurde,855 lässt sich nicht erkennen, dass Herrschaftskonzeptionen herausgebildet wurden, die ohne das Königtum als solches denkbar gewesen wären und letzteres so nachhaltig hätten infrage stellen können.856
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eine zwangsläufige Folge des Verlustes an bindenden, selbstverständlich akzeptierten religiösen Sinnstiftungen. Die Säkularisierung drängt Individuen und Gesellschaften nicht nur zur Expansion ihrer Selbstbehauptungskompetenzen, sondern öffnet das Bewußtsein der Aufgeklärten für die Schrecken der Kontingenz. Wenn politische Ordnungen nicht mehr traditionell, natürlich, kosmologisch, göttlich vorgegeben sind, dann kann alles auch immer ganz anders sein.“ Hennis, Politik und praktische Philosophie, 226. Vgl. in anderem Zusammenhang Noetzel, Authentizität als politisches Problem, 45 Anm. 1. Vgl. oben Fn. 815 und 816. Auch wenn die ägyptische Überlieferung der Königslisten von Abydos und Saqqara die Herrscher der herakleopolitanischen 9./10. Dynastie und die zeitgleichen Herrscher der frühen 11. Dynastie nicht aufführt, weil dort offenbar das Kriterium der gesamtägyptischen Herrschaft angesetzt wurde, nennt der Turiner Königspapyrus diese Herrscher als Könige (Gestermann, Kontinuität und Wandel, 17–21; von Beckerath, Chronologie, 143–145) und auch in der „Chambre des ancêtres“ Thutmosis’ iii. in Karnak werden zahlreiche Könige der 11., 13. und 17. Dynastie genannt (vgl. Urk. iv, 608–610; Redford, Pharaonic King-Lists, 29–34; vgl. außerdem ebenda, 20 zur Möglichkeit, die Abwesenheit dieser Könige in den Königslisten durch deren jeweilige kultische Rolle in lokalen Opferlisten zu erklären; vgl. nun auch Delange-Bazin, Monuments égyptiens du Nouvel Empire, 17– 114 [non vidi]). Aber auch aus zeitgenössischen Quellen wird deutlich, das sich nicht nur herakleopolitanische und thebanische Herrscher als Könige verstanden haben, sondern, dass auch die lokalen Fürsten an einer am Königtum orientierten und diesem untergeordneten Titulatur festgehalten haben. So findet sich der Titel eines ‚Lieblings des Königs‘ (mḥ jb n nzw, beispielsweise auf der Stele des Fürsten Jnj-jt=f Kairo cg 20009, vgl. Clère & Vandier, tppi, § 13), Frauen tragen den Titel einer ‚Königsvertrauten‘ (rḫ.t nzw, vgl. Clère & Vandier, tppi, §§ 9, 10, 11, 13), auf der Stele des königlichen Sieglers Jnj-jt=f in Straßburg (Kat. 345) trägt dessen Frau Jrjw den Titel ‚einziger Königsschmuck‘ (ẖkr.t nzw wꜥ.t, vgl. Clère & Vandier, tppi, § 11). Auch in Assiut ist beispielsweise im Grab
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Insofern kann von einem Problem der Legitimität in Ägypten tatsächlich keine Rede sein. Die vor dem Hintergrund von Erfahrungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts angestellten Deutungen vom ‚Untergang des Alten Reiches‘ in Form eines revolutionären Umsturzes der Herrschaftsverhältnisse haben jedoch zu einem Geschichtsbild geführt, das auf der Annahme fußt, dass eine Herrschaft, die anerkannt werden wollte, sich stets gegenüber alternativen Konzepten oder Konkurrenten zu behaupten hatte und sich daher grundsätzlich infrage gestellt sehen musste.857 Wenn man aus einer solchen Warte Zeugnisse ägyptischer Legitimitätsansprüche betrachtet, lassen sich letztere tatsächlich leicht, wie die ägyptologische Literatur deutlich zeigt, an neuzeitliche Legitimitätsdiskurse anschließen, wenn säkulare Maßstäbe angelegt bzw. neuzeitliche Staaten zum Vorbild genommen werden.858 Ferner wurde bereits oben darauf hingewiesen, dass die Ansicht verbreitet ist, eine für Ägypten anzusetzende Unhinterfragbarkeit lasse sich nur auf die Herrschaftsform des Königtums an sich, nicht aber auf die jeweilige Person des Königs beziehen.859 Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen stellt sich jedoch nun die Frage, was aus ägyptologischer Perspektive mit der Person des Herrschers überhaupt gemeint sein kann. Ganz konkrete, personenbezo-
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des Jtj-jbj (Siut iii) und in dem des H̱ ty (Siut iv) der Titel des königlichen Sieglers belegt (Schenkel, Memphis · Herakleopolis · Theben, 74–85). Selbst Ꜥnḫ.tj=f von Moalla bezeichnet sich in seinem Grab als königlicher Siegler (Vandier, Moꜥalla, i α 1, ii α 1, v α 1). Unter den einander schnell ablösenden Herrschern der 13./17. Dynastie lässt sich zudem keine Veränderung in der Darstellung königlicher Legitimitätsansprüche nachweisen (vgl. Baines, „Kingship, Definition of Culture, and Legitimation“, 18). Auch Gundlach stellt ganz allgemein fest: „Es ist schließlich nicht überraschend, daß Ägypten, solange die pharaonische Kultur bestand, am Königtum festgehalten bzw. aus dem Königtum seine Überlebenskraft geschöpft hat: Ägypten war ohne Königtum nicht denkbar.“ (Gundlach, „Zu Inhalt und Bedeutung der ägyptischen Königsideologie“, 3 [Kursive K.W.]). Vgl. nun auch Moreno García: „Nothing is known about the exact circumstances, which led to the end of the Old Kingdom, but what replaced the monarchy was not chaos but other monarchies.“ („Climatic change or sociopolitical transformation?“, 83). Vgl. zum Einfluss der Erfahrung des 1. Weltkrieges und seiner Folgen für die Interpretation ägyptischer Texte oben Kapitel 2.1, 2.2.1 und 2.2.2. Siehe oben das Beispiel aus Kootz’ Untersuchung (S. 435–437). Vgl. hingegen zur Notwendigkeit umfassender Abstraktion bei der Behandlung von nichtsäkularisierten Gesellschaften Junge, „ ‚Unser Land ist der Tempel der Ganzen Welt‘“, 3–5 sowie hierzu bereits oben Kapitel 1.2.1.4. Vgl. oben mit Fn. 807 sowie Quack, „As he disregarded the law“, bes. 26–33 mit verschiedenen Beispielen, die als Belege für die Infragestellung einzelner Herrscher dienen könnten.
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gene Auswirkungen auf die Herrscherrepräsentationen und damit die Legitimitätsansprüche sind in seltenen Einzelfällen durchaus feststellbar. So konnten etwa Tefnin und Laboury anhand von Königsstatuen aus der Regierungszeit der Hatschepsut den Einsatz unterschiedlicher stilistischer und ikonographischer Darstellungsformen aufzeigen, mittels derer die traditionelle Herrscherrepräsentation im Hinblick auf das biologische Geschlecht der Person Hatschepsuts (u.a. durch Rückgriffe auf ältere Vorlagen) aktualisiert wurde.860 Dieses Beispiel sollte jedoch nicht davon ablenken, dass wir etwa ohne stilunabhängige Informationen aus dem Stil selbst nicht ableiten können, warum eine bestimmte stilistische Darstellungsform gewählt wurde bzw. ob die Gründe die Person des Königs betreffen.861 Eine historische, politische oder anderweitige Ausdeutung entsprechender Beobachtungen dürfte daher in den allermeisten Fällen vor unüberwindbare Hindernisse gestellt sein. Uns liegen in königlichen Bildern Repräsentationen von Königtum und damit Legitimitätsansprüche vor, die während der Regentschaft einzelner Herrscher in Auftrag gegeben wurden. Hier nun zwischen Person und Institution zu trennen, erzeugt in allererster Linie die Illusion, wir hätten Möglichkeiten, uns der Person des Königs zu nähern, indem wir Legitimitätsansprüche als Ausdruck individueller Reaktionen einer Person verstehen, die sich hinsichtlich der Legitimität ihrer Herrschaft infrage gestellt sah. Legitimitätsansprüche können zwar, wie der Fall der Hatschepsut zeigt, Reaktionen auf konkrete Situationen sein, die für uns erkennbar sind, sie müssen es aber nicht. Dennoch zielen Interpretationen nicht selten etwa auf konkrete Machtverhältnisse. Gundlach spricht von politischer Legitimation „durch den Besitz der tatsächlichen Regierungsgewalt“862 und liefert damit wieder ein Beispiel für die Vermengung von Akzeptanz (des Königs durch die Verwaltung, das Heer etc.) und Legitimität(sansprüchen). Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass der Grad des Legitimitätsglaubens – egal ob innerhalb der Elite oder unter der Bevölkerung als ganze – für uns nicht ermittelbar ist und er auch nicht aus den den Legitimitätsanspruch des Königs darstellenden Zeugnissen auf indirektem Wege verlässlich rekonstruiert werden kann. Daher sind in letzter Konsequenz Legitimationsansprüche auch nicht als eine auf konkrete machtpolitische Situationen zurückführbare Legitimitätsbedürftigkeit interpretierbar. In diesem Sinne ist nicht davon auszugehen, dass wir im Bereich der Herrschaftsrepräsentation Hinweise darauf finden können, ob die Person eines Herrschers in bestimm860 861 862
Vgl. Tefnin, La statuaire d’Hatshepsout sowie mit weiterer Literatur Laboury, „Portrait versus Ideal Image“. Dies gilt analog auch für typologische und ikonographische Gesichtspunkte. Gundlach, „Die Legitimationen des ägyptischen Königs“, 17.
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ten Kreisen auf Akzeptanz oder Ablehnung gestoßen ist. Wird dennoch etwas Derartiges angenommen, wäre u.a. die Frage zu stellen, ob man tatsächlich davon ausgehen möchte, ein Pharao hätte aus Angst vor einer Verschwörung oder Auflehung gegen seine Herrschaft dem durch das Aufstellen von Statuen o.Ä. begegnen wollen und können.863 Die Annahme der Königsrolle machte einen König innerhalb der für uns einsehbaren Bereiche legitim, ganz unabhängig davon, wie er auf den Thron gekommen sein mag. Damit sei keineswegs gesagt, es habe keine Intrigen, Machtkämpfe oder Mordanschläge gegeben. Das Entscheidende ist, dass die realen Machtverhältnisse – so sehr sie uns auch interessieren mögen – nichts sind, worüber wir auf diesem Wege Aussagen treffen könnten. Dabei handelt es sich um eine völlig andere und uns in der Regel vollkommen unzugängliche Legitimitätsfrage, die die Seite des Legitimitätsglaubens betrifft und etwa am Hof ausgehandelt wurde. Doch gerade angesichts dieser Konstellation aus a) Legitimitätsansprüchen, b) uneinsehbaren Machtverhältnissen innerhalb der Eliten und c) dem nicht ermittelbaren Legitimitätsglauben der Bevölkerung wird deutlich, dass der Begriff der Legitimität in Anwendung auf Ägypten tatsächlich dazu verleitet, unbegründete Erwartungen zu wecken und verschiedene Bereiche miteinander zu vermischen. Dass es in der Forschung immer wieder dazu kommt, dürfte zum Großteil daran liegen, dass Material (welcher Art auch immer) assoziativ mit biographiegeschichtlich orientierten Emplotmentstrategien zusammengebracht wird. Aus ägyptologischer Sicht dürfte es kaum andere Möglichkeiten geben, als für Ägypten Zusammenhänge zu beobachten, die einen ausgeprägten Legitimitätsdiskurs zeigen, ohne dass wir Hinweise darauf hätten, dass in den hier behandelten Zeiträumen der König zu seinen Lebzeiten oder das Königtum selbst tatsächlich infrage gestellt gewesen wäre.864 Ende des Exkurses
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Dass Königsmord bzw. das Sich-gegen-den-König-Wenden in Ägypten durchaus denkbar gewesen ist, zeigen neben der Lehre des Amenemhet auch die Haremsverschwörungspapyri (vgl. Giewekemeyer, „Zur Bedeutung literarischer Erzählstrategien“). Der Nexus zwischen dem in diesen Fällen als fehlend beschriebenen Legitimitätsglauben und den Legitimitätsansprüchen von Seiten des Königs bzw. des Königtums lässt sich angesichts dessen jedoch nicht soweit erhellen, dass sich für Ägypten Wege auftäten, von Legitimitätsansprüchen auf den Legitimitätsglauben rückschließen zu können. Vgl. jedoch Fn. 863, da im Fall von Ramses iii. von einer Ausnahme auszugehen wäre, wenn man den Haremsverschwörungspapyri eine ereignisgeschichtliche Aussagekraft zubilligt.
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(2) Stilistizität als Mittel zur Herstellung von Kontinuität Vor dem Hintergrund der Diskussion des Legitimitätsbegriffs erscheint die gängige Herangehensweise bzw. die von Laboury eingenommene Perspektive in einem anderen Licht. Die paradigmatisch am Beispiel der frühen 12. Dynastie von Posener herausgearbeitete Annahme eines durch den ‚Untergang des Alten Reiches und seines Gottkönigtums‘ hervorgerufenen generellen Legitimationsbedarfs findet sich hier auf die frühe 18. Dynastie übertragen:865 So versteht Laboury die Königsbilder der frühen 18. Dynastie als Ausdruck eines bewussten Rückbezugs auf Sesostris i., den er als einen politischen Rückbezug zu Zwecken der Legitimation interpretiert.866 U. a. dieses Verständnis von Herrschaft und Legitimation dürfte die in jüngerer Zeit besonders prägnant vertretene Analogkonstruktion der Anfänge der 12. und der 18. Dynastie begünstigt haben.867 Man könnte vielleicht sogar noch weiter gehen, denn es besteht die Möglichkeit, dass allein die ägyptologische Sichtweise auf bzw. präziser Konstruktion von Reichsgründungs- und Wiedervereinigungsphasen dazu geführt hat, dass man Rückbezüge der 18. Dynastie auf die 12. Dynastie als einen zum Konzept einer Renaissance gesteigerten, bewussten politischen Rückbezug gedeutet hat.868 Die aus Sicht dieses Buches zentralen Problemfel865
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Es wird verschiedentlich angenommen, dass Legitimationskrisen einen langwierigen und desaströsen Einfluss auf ‚den ägyptischen Staat‘ gehabt haben konnten (vgl. oben u.a. auch zu Posener bei Fn. 815 und 816). So besonders prägnant Gundlach: „Grundsätzlich läßt sich feststellen, daß die Bewältigung der Krise, die durch den Sturz des Königtums am Ende der 6. Dynastie ausgelöst wurde, die Kette von Ordnungsversuchen zur Folge hatte, die die Zeit bis mindestens zum Ende der 12. Dynastie in Anspruch nahm.“ (Gundlach, „Grundgegebenheiten“, 85), sowie an anderer Stelle: „er [d.h. Ramses ii.] wurde daneben zum Kultempfänger und dadurch von göttlicher Seite her zum Garanten seiner eigenen Herrschaft. Doch auch diese Legitimationserweiterung des Königs konnte den Niedergang der ägyptischen Staatlichkeit nicht verhindern, die durch die Weltordnungskrise der Regierungszeiten Hatschepsut[sic] i. und Thutmosis[sic] iii. und durch die Revolution von Amarna eingeleitet bzw. irreparabel gemacht worden waren.“ (Gundlach, „Weltherrscher und Weltordnung“, 48 [Unterstreichung i.O.]). Vgl. auch bereits zur Vorstellung der politischen Geschichte Ägyptens als ‚Dauerkrise‘ die Ausführungen oben bei Fn. 826. Vgl. Laboury, „Citations et usages de l’ art du Moyen Empire“, 13f. sowie 23f. Vgl. hierzu die Arbeiten von Gnirs („Das Motiv des Bürgerkriegs“; „Zum Verhältnis von Literatur und Geschichte in der 18. Dynastie“) sowie dazu die ausführliche Diskussion bei Giewekemeyer, die von „der weitgehend parallelen ägyptologischen Rekonstruktion des situativen Rahmens der frühen 12. und der frühen 18. Dynastie“ spricht („Perspektiven und Grenzen“, 342) und oben Fn. 76 zur Datierungsproblematik. Vgl. auch Giewekemeyer, Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 7. Darauf deuten jedenfalls die Ergebnisse hin, die Giewekemeyer u.a. anhand ihrer
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der eines solchen Ansatzes sind mit den Begriffen Stil, Porträt und Legitimität benannt und diskutiert worden. Letztere stellten sich dabei ebenso wie die damit eng verknüpfte Annahme, man könne Stile semantisch decodieren, als so stark von neuzeitlichen Konzepten durchsetzt heraus, dass ihre Anwendbarkeit auf Ägypten fragwürdig erscheint. Hier soll daher im Folgenden ein Vorschlag gemacht werden, wie sich am Beispiel der Königsbilder der frühen 18. Dynastie von jenen hochgradig voraussetzungsreichen Konzeptionen abstrahieren ließe, um soweit möglich auf spezifisch neuzeitliche Wahrnehmungsund Interpretationsmuster zu verzichten. Den Ausgangspunkt bilden dabei die von Laboury zusammengestellten und hier eingangs skizzierten Stilbeobachtungen sowie die oben in Kapitel 2.4.3 eingeführte stiltheoretische Terminologie. Verzichtet man nun auf die Ansetzung jener Porträtkonzeptionen und jenes Stilbegriffs, der im Stil der diskutierten Königsbilder semantische Ladungen erkennen lässt, die grundsätzlich politisch als Ausdruck von Legitimationsbestrebungen zu verstehen seien und sich an die konkreten politischen Situationen der jeweiligen Regierungszeiten anbinden ließen, dann bietet sich die Möglichkeit einer Neuausrichtung für die Interpretation des Materials. Hinsichtlich der beobachteten stilistischen Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Bildern lässt sich aus einer solchen neuen Perspektive nicht mehr zwischen Tradition und Archaismus unterscheiden, wie dies von Laboury vertreten wird. Es ließe sich schließlich anhand einer Stilbeobachtung nicht entscheiden, ob ein Rückbezug von einer als solche wahrgenommenen Zäsur zeugt und daher einen Archaismus darstellt, oder ob ein eine Tradition weiterführendes Aufgreifen früherer Vorlagen vorliegt, von denen man sich nicht durch einen Bruch getrennt sah.869 Es bliebe zunächst ‚nur‘ die Feststellung
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Untersuchung des ägyptischen Terminus bzw. Königsnamens wḥm msw.t hat machen können, die sie mit ihrer Göttinger Dissertation (Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 4.3.2) vorgelegt hat (vgl. hierzu außerdem dies., „Perspektiven und Grenzen“, 334–338). Die bei Laboury betonte eindeutige Interpretierbarkeit des Materials, d.h. etwa die Klarheit darüber, ob ein Vergangenheitsbezug signifikant im Sinne einer politischen Aussage sei, wird durch das von ihm zugrunde gelegte Geschichtsbild gesteuert. Dieses setzt eine ‚Renaissance‘ als politisches Programm der frühen 18. Dynastie jedoch bereits voraus. Es finden sich jedoch alternative Perspektiven. Vgl. in diesem Zusammenhang u.a. Riggs, die sich anhand der Vergangenheitsbezüge innerhalb des Tempels von Karnak kritisch gegenüber dem Begriff des Archaismus zeigt (Ancient Egyptian Art and Architecture, 58) sowie Kahl, Siut-Theben, 349–355. Vgl. auch Russmann, die anders als Laboury betont, es habe eine ununterbrochene Kontinuität zwischen dem späten Mittleren und dem frühen Neuen Reich gegeben („Art in Transition“, 23). Vgl. auch Oppenheim, die mit Blick
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von Ähnlichkeiten. Da in der 18. Dynastie Bilder der 12. Dynastie verschiedentlich kopiert wurden, wird man davon ausgehen können, dass wir tatsächlich mit bewussten Vergangenheitsbezügen zu rechnen haben und man Ähnlichkeiten zu älteren Bildern herstellen wollte. Daher lässt sich hier von stilistizistischen Stilverwendungen bei königlichen Bildern sprechen (vgl. Kapitel 2.4.3), die wiederum als Legitimitätsansprüche verstanden werden können. Legitimitätsansprüche sind nicht von Kontinuitätsbestrebungen zu trennen, da sie nie den Bruch mit einem Vorgänger oder dessen Absetzung thematisieren, sondern die fortwährende Ausfüllung der Königsrolle mit einander ablösenden Aktanten.870 Das Anknüpfen am Vorgänger bzw. an Vorgängern ist mindestens seit der 12. Dynastie vielfach durch Stiftungen belegt, mittels derer Könige sich als Söhne und Versorger ihrer Vorgänger darstellen und sich so in die Abfolge ägyptischer Herrscher einreihen.871 Vor diesem Hintergrund können stilistizistische Stilverwendungen, die etwa Statuen den Statuen von Vorgängern ähnlich machen, eine Möglichkeit darstellen, bildliche Kohärenz zwischen alten und neuen Statuen und damit auch eine Form von Kontinuität herzustellen.872 Um den Ansatz einer solchen bildlichen Kohärenz weiter verfolgen zu können, muss man soweit möglich das architektonische Umfeld der hier betrachteten Bilder hinzuziehen.873 Es stellt sich schließlich die Frage, innerhalb welchen Rahmens die Bilder ihren ursprünglichen Aufstellungsort hatten, um
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auf das Verhältnis zwischen Bildern des Alten und des Mittleren Reiches feststellt: „The fallacy lies in equating continuity with archaism.“ („What Was the Middle Kingdom?“, 2). Vgl. Baines, „Kingship, Definition of Culture, and Legitimation“, 18. Vgl. oben Fn. 827 zur abweichenden Position von Gundlach, der Königstitulaturen als Regierungsprogramme versteht, in denen auch auf die „mißlungene Politik“ der Vorgänger reagiert worden sei. Vgl. die Belege bei Grallert, Bauen – Stiften – Weihen sowie die Untersuchung von Giewekemeyer (Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 5.1.2.2). Auch wenn sich die Begriffe auf den ersten Blick mit dem oben geschilderten ägyptologischen Legitimationsverständnis zu decken scheinen, eignen sich die Begriffe Kohärenz und Kontinuität viel eher zur Beschreibung, weil sie nicht die Gefahr mit sich bringen, Legitimität als Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft samt der mit ihr einhergehenden Konzepte auf Ägypten zu übertragen, wo sie unbegründete Erwartungen wecken, von denen oben einige diskutiert wurden. So leisten diese Begriffe dem illusionären Ansatz keinen Vorschub, es ließen sich durch die Auswertung von Belegen königlicher Repräsentation Fenster in die Vergangenheit öffnen, durch die man Könige als Politiker betrachten könne. Vgl. zu ägyptischen Belegen, die in die Richtung einer ägyptischen Ausrichtung auf Kohärenz und Konformität von Bildern deuten Fn. 171 (in Kapitel 1.2.1.4) sowie Kapitel 2.4.4.1 mit Fn. 744. Vgl. auch Russmanns Hinweis: „Artists could imitate only what they could see, so only visible monuments could serve as prototypes.“ („Art in Transition“, 23).
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wenigstens annäherungsweise einen Eindruck davon zu erhalten, im Vergleich zu welchen Bildern Kohärenz hergestellt werden konnte oder (gesetzt den Fall die These ist zutreffend) sollte. Nach allem was wir über den Amun-Tempel von Karnak vor Beginn der 18. Dynastie wissen874 bestand der Tempel Sesostris’ i. immer noch weitgehend in seiner ursprünglichen Form, bis unter Amenophis i. umfangreichere Ergänzungen und Umbauten vorgenommen wurden.875 Zu dem Zeitpunkt, als man sich unter den thebanischen Herrschern der frühen 18. Dynastie daran machte, den Karnak-Tempel erstmals seit langem umfangreicher zu erweitern, haben wir uns die Anlage im Vergleich zu dem Anblick, den der Karnak-Tempel dem heutigen Besucher bietet, also stilistisch als – sogar für ägyptische Verhältnisse – sehr homogen vorzustellen. Daher war ein u.a. stilistizistischer Rückgriff auf die dort dominierenden Monumente Sesostris’ i. nicht nur aus pragmatischen Gründen naheliegend,876 sondern zugleich die wirkungsvollste Möglichkeit, die neuen Bauwerke mit den dazugehörigen flach- und rundbildlichen Darstellungen so nahtlos wie möglich in die bestehende vom Tempelgründer Sesostris i. bereitete Kultbühne des Amun einzupassen. Dadurch, dass man die neuen Bauten den vorgefundenen aus der 12. Dynastie ähnlich machte oder solche gar kopierte, ließ sich trotz des Alters des Tempels ein hohes Maß bildlicher Kohärenz erzeugen. Ein kohärenzerzeugendes Vorgehen konnte durchaus auch andere Formen annehmen, wie bildliche Rückbezüge aus der 13. Dynastie auf Bilder der 12. Dynastie zeigen, wie sie uns in den Kopien Sobekhoteps ii. von Reliefs Sesostris iii. in Medamud vorliegen.877 Die Reliefs von Medamud stellen die Ähnlichkeit zwischen alten und neuen Reliefs, die uns von Kopien sprechen lässt, nicht im engeren Sinne stilistisch her, sondern auf überwiegend typologischer 874
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Reparaturen, Ergänzungen und Statuenstiftungen sind in sehr geringem Umfang belegt: Carlotti, „Modifications architecturales“, 37f.; architektonisch lässt sich lediglich eine unter dem späteren Achmenu Thutmosis’ iii. gefundene und als Umfassungsmauer gedeutete Ziegelstruktur (‚ac‘) der Bauphase zwischen der mittleren 12. und dem Beginn der 18. Dynastie zuordnen: Charloux & Mensan, Karnak avant la xviiie dynastie, 172f. sowie zur Lage 118 f. (Fig. 45–46) und zur Chronologie der Bauphasen 129 (Fig. 52). Vgl. zu Karnak im Mittleren Reich den Überblick von Luc Gabolde, in: Oppenheim et al. (Hrsg.), Ancient Egypt Transformed, 316 f. Vgl. Graindorge & Martinez, „Programme architectural et iconographique“; Graindorge, „Les monuments d’ Amenhotep Ier à Karnak“; dies., „Der Tempel des Amun-Re von Karnak zu Beginn der 18. Dynastie“. Vgl. hierzu Redford, Pharaonic King-Lists, 170 f. Diese Gegenüberstellung zweier Reliefs aus dem dortigen Month-Tempel (Kairo JdE 56497a aus der Zeit Sesostris’ iii. und Kairo JdE 56496a aus der Zeit Sobekhoteps ii.) findet sich bei Wildung, Sesostris und Amenemhet, 225f.
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bzw. motivischer Ebene. Laboury zieht unter anderem aus diesen Reliefs den Schluss, dass die Könige der 13. Dynastie – ganz anders als die ihmzufolge später die Zäsur zelebrierenden Könige der 18. Dynastie – darauf bedacht gewesen seien, eine Kontinuität herzustellen, indem sie an die spätere 12. Dynastie und damit an die damals jüngere Vergangenheit vergleichsweise nahtlos anknüpften. Erst in der frühen 18. Dynastie sei jene für Labourys Deutung so zentrale Wahrnehmung einer Zäsur feststellbar, die sich im bewussten Rückgriff auf eine entferntere Vergangenheit (die ‚Gründungsphase des Mittleren Reiches‘) zeige. Diese vergangenheitspolitische Deutung vernachlässigt jedoch wie bei der Deutung des Karnak-Tempels auch im Falle des Tempels von Medamud den baulichen Rahmen, in den die jeweils jüngeren Bilder eingefügt wurden: So wie Sesostris i. in Karnak ließ Sesostris iii. in Medamud den „ersten architektonisch anspruchsvollen Tempel“ errichten,878 so dass es auch in diesem Fall sehr plausibel erscheint, dass man sich schlicht an den vor Ort dominierenden Bauwerken orientiert hat, als man bemüht war, die neuen Bilder den alten anzupassen. Der Befund aus Medamud stützt daher die Annahme, dass es in Karnak tatsächlich nicht darum ging, sich an den Bauten Sesostris’ i. zu orientieren, weil es sich bei diesem um einen König der frühen 12. Dynastie und damit um eine ‚Gründerfigur‘ des ‚Mittleren Reiches‘ gehandelt habe, sondern vielmehr darum, das Werk desjenigen fortzuführen, den man als Tempelgründer erinnerte, indem man die vorgefundene Kultbühne durch ihr ähnliche Bauwerke erweiterte. Auch wenn die Bauten der frühen 18. Dynastie denen Sesostris’ i. stark ähnelten, handelt es sich bei ersteren doch um von den Vorlagen unterscheidbare Bauten bzw. Kopien, so dass zu vermuten ist, dass die stilistische Homogenität im Laufe der 18. Dynastie durch die umfangreichen Neubauten immer mehr abnahm. Darin könnte wiederum eine Erklärung dafür liegen, dass sich unter Hatschepsut und Thutmosis iii. ein breiteres Spektrum der Rückbezüge beobachten lässt, weil zu diesem Zeitpunkt auch das Spektrum an Möglichkeiten, sich an Vorhandenem zu orientieren, bereits ein größeres gewesen ist. Auch wenn sich nicht feststellen lässt, ob diese Vermutung tatsächlich zutrifft, so kann der Hinweis auf die im Laufe der Zeit im Areal des Karnak-Tempels zunehmende u.a. auch stilistische Vielfalt doch wenigstens noch einen weiteren wichtigen Punkt vor Augen führen: Die Bilder der frühen 18. Dynastie zeichnen sich nur dann dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu anderen Bildern denen Sesostris’ i. besonders ähnlich sind, wenn man sie mit späteren Bildern vergleicht. Wenn jedoch erst in der Retrospektive dieses von
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Di. Arnold, Die Tempel Ägyptens, 160–162 (Zitat: 160).
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Laboury betonte Charakteristikum als Differenzqualität deutlich erkennbar wird, dann dürfte es schwer fallen, anzunehmen, dass eine solche den Bildern bereits zum Zeitpunkt ihrer Herstellung zugeschrieben wurde bzw. überhaupt werden konnte. Wenn anderes Vergleichsmaterial zur Zeit Amenophis’ i. rar war, konnten sich die sich durch stilistizistische Stilverwendungen in die bestehende Tempelanlage einfügenden Bauten kaum dadurch auszeichnen, dass sie sich Bezügen auf andere Könige verweigerten und allein auf die frühe 12. Dynastie Bezug nahmen. Anders ausgedrückt lässt sich Labourys Vorgehen nur innerhalb einer Stilforschung klassischer Form durchführen, die sich stilextern nicht absichert und damit keine Möglichkeiten bietet, ihre Beobachtungen und Interpretationen in Bezug zur Geschichte der von ihr untersuchten Objekte und deren historischen Rezeptionskontexten zu setzen.879 Als besonders problematisch erweist sich dabei die Kombination aus der Ansetzung des Primats des Porträts und dem zugrundegelegten Stilverständnis. Davon ausgehend erarbeitet Laboury eine Stilanalyse, die in politischen Deutungen gipfelt, obwohl sie sich in entscheidenden Punkten von der ägyptischen Rezeptionssituation entkoppelt. Die Deutungen sind dabei eng an ein Geschichtsbild gekoppelt, das sich stilintern nicht begründen lässt und sich zugleich dadurch gegen stilunabhängige Einwände zu immunisieren versucht, dass dem Stil eine anderen Beobachtungen überlegene Aussagekraft zugeschrieben wird. Aus den feststellbaren Stilistizitätsphänomenen und Motivübernahmen selbst ist eine semantische Ladung politischer Art nicht ableitbar und stilextern dürfte eine solche auch schwer zu erklären sein. Die von Laboury infrage gestellte
879
Labourys Untersuchung steht keineswegs allein und der hier vorgeschlagene Ansatz zur Interpretation stilistischer Vergangenheitsbezüge dürfte sich auch auf andere Zusammenhänge anwenden lassen. So lassen sich etwa in der Diskussion um ein vielfach für die frühe 12. Dynastie angesetzes stilistisches Anknüpfen am ‚Alten Reich‘ analoge Züge erkennen. Auch dort wird die Beobachtung stilistischer Ähnlichkeiten zwischen Bildern der frühen 12. Dynastie und solchen etwa der 6. Dynastie im memphitischen Raum als Bestätigung etablierter ägyptologischer Geschichtsbilder von einer ‚Renaissance‘ unter Amenemhet i. interpretiert, ohne in Erwägung zu ziehen, dass in der räumlichen Nähe und einem Interesse daran, sich am Vorhandenen zu orientieren, um so eine bildliche Kohärenz zu erzeugen, die entscheidenen Gründe für das beobachtete Phänomen liegen könnten. Für verbreitete Forschungspositionen zu diesem Material sei hier nur auf die Ausführungen von Goedicke (Re-Used Blocks, 1–7 und 151–159) und Wildung („Looking back into the Future“) verwiesen. Eine Sichtung der verschiedenen Positionen mit ausführlicher Diskussion nimmt Giewekemeyer vor (Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 4.2).
bilder – stile – kontexte
449
Erkennbarkeit der für ihn als Kenner decodierbaren indirekten Bezüge880 gibt vielmehr Aufschluss darüber, dass seine elaborierte Stilanalyse ägyptologischerseits zwar durchführbar ist, sich jedoch kaum mehr an die ägyptischen Kontexte anbinden lässt, obwohl sie sich um konkrete politische Deutungen bemüht. Solange wir von Legitimität im Sinne von Legitimitätsansprüchen sprechen, denen durch offizielle Texte, Bilder und Bauten Ausdruck verliehen wurde, bewegen wir uns auf vergleichsweise sicherem Grund. Anders verhält es sich, wenn wir von einem Legitimationsbedarf ausgehen und Legitimität etwa als Akzeptanz von Herrschaft verstehen, derer man sich durch Umsetzung von Regierungsprogrammen o.Ä. versichern wollte, die man wiederum aus Titulaturen herauslesen, in Stilen anklingen sehen und als Anlass für Bauprojekte ansetzen könne, um daraus eine politische Geschichte Ägyptens zu rekonstruieren. Dann bilden Konzepte von Stil, Herrschaft und Politik Prämissen unserer Interpretation, die sich für Ägypten als unhaltbar erweisen. Daher erscheint es angemessener, davon auszugehen, dass wir es im untersuchten Fall mit Stilistizitätsphänomen zu tun haben, die sich als Herstellung bildlicher Kohärenz zur Kontinuierung des Bestehenden durch Hinzufügungen verstehen lassen. 880
Vgl. oben bei Fn. 789.
teil iii Von ägyptischen Bildern und ägyptologischer Kunst
∵
kapitel 3
Rückschau und Ausblick „Die Welt spricht überhaupt nicht. Nur wir sprechen.“ richard rorty1 Nachdem in Teil i eine Sicht auf die Diskussionen um die Frage nach der ägyptischen Kunst dargelegt wurde, diente Teil ii dazu, verschiedene Perspektiven der Forschung auf einzelne Materialkomplexe in den Blick zu nehmen. Dabei wurde untersucht, auf welche Weisen Stile und Stilgeschichten in Geschichte überführt oder mit Geschichte gleichgesetzt werden, um die Aussagekraft von Bildern für unser Wissen über Ägypten nutzbar zu machen. Damit wurde insofern auf Teil i aufgebaut, als nun untersucht wurde, von welchem Wesen ägyptischer Bilder in der Praxis vielfach ausgegangen wird und in welchem Verhältnis dies zu den ägyptischen Kontexten der Bilder und den Formen ägyptologischer Beschäftigung mit Bildern steht. Die verschiedentlich behandelte Frage danach, ob bzw. was uns Bilder und die in ihnen erkannten Stile unter den Bedingungen ägyptologischer Perspektiven erzählen können, führte immer wieder zu den problematischen Konsequenzen von auf ägyptische Bilder übertragenen kunsthistorischen Ansätzen und Methoden. Es gilt nun, die Ergebnisse beider Teile zusammenzuführen und zu perspektivieren. Dies soll unter zwei Gesichtspunkten geschehen. Zunächst wird im Hinblick auf die Ausgangsfrage dieser Arbeit eine terminologisch klare Antwort darauf formuliert, ob bzw. wann bei ägyptischen Bildern auf einen Kunstbegriff zurückgegriffen werden kann (Kapitel 3.1). Abschließend wird skizziert werden, inwiefern sich die dabei herausgearbeitete Position samt ihrer Terminologie als folgenreich für die ägyptologische Praxis erweisen dürfte, um anhand dessen einen Ausblick zu Möglichkeiten für und Anforderungen an eine künftige bildwissenschaftliche Ägyptologie zu geben (Kapitel 3.2).
3.1
Kunstbegriffe, Historisierungen und der museale Blick
Blickt man noch einmal zusammenfassend auf die ägyptologische Praxis, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln behandelt wurde, lassen sich verschie-
1 Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, 25.
© koninklijke brill nv, leiden, 2017 | doi: 10.1163/9789004347748_005
454
teil iii
dene Formen des Umgangs mit der eingangs thematisierten Kunstfrage bzw. der Problematik, einen Kunstbegriff auf Ägypten anzuwenden, feststellen. Der folgende Versuch, drei diesbezügliche Vorgehensweisen zu umreißen, muss sehr schematisch bleiben und fokussiert dabei auf einzelne Aspekte, die mitunter zu komplexen Positionen verbunden werden. (1) Problembewusste Ansätze, die den Begriff Kunst in seiner Problematik reflektieren, aber dennoch auf ihn zurückgreifen, da sie meinen, die ägyptische Situation im Großen und Ganzen mit der europäischen analogisieren bzw. aus einer transkulturell komparatistischen Perspektive angemessen erfassen zu können. Das Kulturspezifische der ägyptischen Bilder könne durch Respezifikationen („ägyptische Kunst nicht ‚Kunst‘“2) bzw. empirische Studien ausreichend berücksichtig werden, so dass sich ein für Ägypten geeigneter Kunstbegriff formulieren ließe.3 (2) Problemnegierende Ansätze, die Ägypten zum legitimen Gegenstand einer Kunstgeschichte europäischen Zuschnitts erklären oder aber darauf abzielen, ägyptische Objekte als Kunst erfahrbar zu machen, und sich dabei bewusst Strategien bedienen, die dem europäischen Kunstbetrieb der Neuzeit entlehnt sind.4 (3) Pragmatische Ansätze, die, methodologisch (verhältnismäßig oder vollkommen) unreflektiert von einem rein impliziten Kunstverständnis ausgehend, kunsthistorische Perspektiven und Methoden oder rudimentäre Versionen von solchen zur Anwendung bringen. Schon die schlichte Verwendung des Begriffes Kunst ist hierzu zu zählen, da sie es meist allein dem Leser überlässt, zu entscheiden, was er unter Kunst versteht, wenn dieser Begriff auf Ägypten angewendet wird, so dass Rückgriffe auf ein in der Regel diffuses oder intuitives Begriffsverständnis begünstigt werden. Letzteres wird so zur Grundlage für Wahrnehmung und Interpretation ägyptischer Bilder gerade auch innerhalb von ägyptologischen Studien, die sich nicht dezidiert als Kunstforschung, sondern beispielsweise als ‚archäologisch arbeitend‘ verstehen.5 Der konsequente Verzicht auf den Begriff Kunst ist letztendlich innerhalb der Ägyptologie bislang weder erwogen noch praktiziert worden. Gerade vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Frage nach ägyptischer Kunst auch 2 3 4 5
So etwa Wolf, Die Kunst Ägyptens, 66. Vgl. oben Kapitel 1.1.1. Vgl. etwa Kapitel 1.2.1 und 1.2.2 sowie in gewisser Hinsicht auch Kapitel 1.1.2 und 2.3.5.3. Vgl. etwa Kapitel 1.3, 2.3.3, 2.3.4.1, 2.3.5.2 und 2.3.5.3. Vgl. etwa Kapitel 2.3.2.2, 2.3.3 und 2.3.4.2.
von ägyptischen bildern und ägyptologischer kunst
455
die Frage nach Kunst an sich bzw. nach deren Definierbarkeit einschließt. Dieses Buch ist bislang der ägyptologischen Praxis in der Hinsicht gefolgt, dass es ebenfalls keine terminologische Klärung des Kunstbegriffs vorgenommen oder versucht hat. Da es bisher nicht darum ging, einen solchen für eine ägyptologische Anwendung zu präparieren, sondern vielmehr darum, die ägyptologische Praxis selbst auf ihre Prämissen und Konsequenzen zu untersuchen, war dies auch nicht notwendig. Resümierend lassen sich nun jedoch die Frage nach der Definition von Kunst und damit auch kunstphilosophische Perspektiven darauf, was Kunst sei, mit jenen herausgearbeiteten Formen ägyptologischer Praxis zusammenführen, um auf dieser Grundlage zu einer eigenen terminologischen Ansprache zu gelangen. In der Kunstphilosophie6 konnte von ganz verschiedenen essentialistischen Ansätzen ausgehend keine befriedigende Definition für Kunst formuliert werden. Auf einer solchen Feststellung aufbauend formierte sich jedenfalls Mitte des 20. Jahrhunderts eine skeptizistische Position, die bezweifelte, dass sich Kunst überhaupt definieren lasse, da es sich bei ihr um ein offenes Konzept handele, das sich nicht auf einzelne Eigenschaften oder Merkmale reduzieren lasse, die allem gemein seien, was Kunst ist. Da wir aber trotz der Unmöglichkeit, den Begriff zu definieren, dennoch in der Lage seien, Kunst zu identifizieren, wurden Angebote gemacht, wie eben dies vonstatten gehe. Unter Rückgriff auf Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeit7 ging man davon aus, dass ein Objekt stets mit anderen Objekten, die als Kunst betrachtet werden, verglichen wird, um zu entscheiden, ob es sich bei ihm ebenfalls um Kunst handele. Wenn sich dabei Familienähnlichkeiten feststellen ließen, könne man auch beim fraglichen Objekt von Kunst sprechen.8 Bemerkenswerterweise lässt sich ein solches Vorgehen auch in der ägyptologischen Praxis beobachten. So zeigte sich etwa in der Diskussion um Porträts und Büsten, dass die Ähnlichkeit von ägyptischen Bildern zu Bildgattungen, die aus dem neuzeitlichen europäi-
6 Kunstphilosophie wird hier nicht gleichbedeutend mit Ästhetik verstanden, da sich einerseits Ästhetik nicht nur auf den Begriff Kunstphilosophie beziehen muss und andererseits die Kunstphilosophie nicht unbedingt von einer ästhetischen Definition von Kunst ausgehen muss. Vgl. hierzu Stecker, Aesthetics and the Philosophy of Art, 2. Vgl. dazu, dass auch der Begriff Ästhetik noch keine konsenuale Begriffsbestimmung erfahren hat, außerdem oben Kapitel 1.2.1.1 (dort mit Fn. 118) sowie Kapitel 1.2.1.6 zur Historisierung der Ästhetik in Abgrenzung zur (Beobachtung von) Schönheit. 7 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§65–80 (insbesondere §§65–69). 8 Vgl. maßgeblich Weitz, „Die Rolle der Theorie in der Ästhetik“ sowie einführend zum Skeptizismus Stecker, Aesthetics and the Philosophy of Art, 92f. sowie Carroll, Philosophy of Art, 206–224.
456
teil iii
schen Kunstbetrieb bekannt sind, von nicht zu unterschätzender Bedeutung dafür ist, dass (und wie) ägyptische Bilder als Kunst betrachtet und behandelt werden.9 Dieser Vergleich stellt sich bei näherer Betrachtung insofern als aufschlussreich heraus, als sich die oben geäußerte Kritik an jener ägyptologischen Praxis in gewisser Hinsicht auch mit der Kritik deckt, die dem kunstphilosophischen Skeptizismus entgegen gebracht wurde. Der kunstphilosophischen Kritik zufolge liege ein Problem des Skeptizismus Wittgenstein’scher Prägung darin, dass man zwar Ähnlichkeiten beobachten könne, dies aber noch lange nicht heißen müsse, dass es sich dabei auch um Familienähnlichkeiten handele – also nicht nur um bloße Ähnlichkeiten, sondern um solche, die darauf beruhen, dass die einzelnen Objekte tatsächlich in einer Beziehung zueinander stehen. Das Prinzip der Familienähnlichkeit sei somit u. a. insbesondere deshalb nicht überzeugend, da man schlecht auf Grundlage von äußeren Ähnlichkeiten auf eine Verwandtschaft schließen könne.10 Doch genau ein solches Vorgehen lässt sich in der Ägyptologie beobachten. So hat etwa Lange von einer problembewussten Position ausgehend angesichts der Königsstatuen Sesostris’ iii. und Amenemhets iii. auch gerade deshalb von Kunst gesprochen, weil jene Rundbilder frappierende Ähnlichkeiten zu Renaissancekunstwerken aufweisen würden.11 Dabei dürfte im Sinne jener kunstphilosophischen Kritik für die Frage danach, was wir in den Bildern Sesostris’ iii. vor uns haben, nicht entscheidend sein, ob diese uns bekannten Kunstwerken visuell ähneln, sondern ob wir z.B. ähnliche Entstehungszusammenhänge oder, um im Rahmen der Metapher von der Familienähnlichkeit zu bleiben, die gleiche Abstammung ansetzen können.12
9
10
11 12
Vgl. Kapitel 2.3.5.2 und 2.3.5.3. Das Erkennen solcher Formen von Ähnlichkeiten dürfte darüber hinaus von ganz grundsätzlicher Bedeutung sein und ließe sich auch etwa auf Statuen allgemein ausdehnen. Vgl. die einflussreiche Kritik von Maurice Mandelbaum („Familienähnlichkeit und allgemeine Aussagen über die Künste“) sowie prägnant Stecker, Aesthetics and the Philosophy of Art, 93f. und Carroll, Philosophy of Art, 226: „The Neo-Wittgensteinian advised us to look for family resemblances. He misspoke, because family resemblances are not something that you can determine simply by looking. Family resemblances also depend on something that you cannot see – genetic inheritance. […] We do not classify people as members of the same family because of the way they look. Two people may exhibit or manifest the same properties, but we do not say they belong to the same family on that basis.“ Vgl. Kapitel 2.3.5.3. Das Problem nicht abgesicherter Interpretationen von visuellen Ähnlichkeiten stellte sich bereits in ähnlicher Weise im Zusammenhang mit der Stiltheorie. Vgl. oben Kapitel 2.4.3.
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457
Darüber hinaus wurde jenem kunstphilosophischen Skeptizismus entgegnet, dass unklar bleibe, welche Ähnlichkeiten jeweils entscheidend seien, zumal letztendlich jedes Objekt jedem anderen in irgendeiner Hinsicht ähnlich sei.13 Wolle man daher festlegen, welche Ähnlichkeiten den Ausschlag geben, käme dies wiederum dem Versuch einer Definition gleich, die der Skeptizismus selbst jedoch für unmöglich halte. Verzichte man hingegen auf eine solche Festlegung auf bestimmte Ähnlichkeiten oder Kriterien für die Gültigkeit von Ähnlichkeiten, wäre aus Sicht des Skeptizismus in letzter Konsequenz alles Kunst, da sich zwischen jedem denkbaren Objekt irgendeine Ähnlichkeit zu irgendeinem als Kunst betrachteten anderen Objekt finden lasse. Damit erweist sich die Annahme, Kunst sei ein offenes Konzept und Kunstwerke ließen sich daher durch Ähnlichkeitsbeobachtungen identifizieren, selbst wiederum als zu offen, um Aussagen über die Differenz zwischen Kunst und Nicht-Kunst treffen zu können.14 Nichtsdestotrotz ist es über den Ansatz der Familienähnlichkeit möglich, treffend zu beschreiben, wie Kunst als solche identifiziert wird. Weite Teile der hier thematisierten ägyptologischen Forschung könnten als Paradebeispiele dafür dienen. Die angesprochenen kunstphilosophischen Bedenken gegen diesen Ansatz stellen jedoch nur dann ein Problem dar, wenn man annimmt, es gäbe etwas wie einen ontischen Status Kunst, der betrachterunabhängig ist, und es lasse sich daher etwa mittels einer Kunstdefinition klar entscheiden, ob die Identifikation eines Objektes als Kunst richtig oder falsch ist. Doch gerade gegen eine solche Definierbarkeit hat sich der Skeptizismus mit guten Argumenten ausgesprochen. Sowohl die Skepsis gegenüber essentialistischen Definitionen als auch der Einwand, nicht nur visuelle Ähnlichkeiten seien für die Kunstfrage bedeutend, weisen auf wichtige Zusammenhänge hin, die es sich lohnt, weiter zu verfolgen. Offenbar sind also nicht (nur) die sichtbaren Eigenschaften von Objekten, sondern auch deren Kontexte relevant, wenn entschieden werden soll, ob es sich bei ihnen um Kunst handelt. Darauf haben, ebenso wie auf die Anforderung, nicht durch eine zu offene Definition gleich alles zu Kunst zu erklä-
13 14
Vgl. zur Ähnlichkeit als graduelle Eigenschaft, die Objekten vom Betrachter zugeschrieben wird, bereits oben Kapitel 2.3.2.1 sowie 2.4.3. Vgl. Carroll, Philosophy of Art, 223. Mit einer vergleichbaren Problematik ist auch die Stiltheorie konfrontiert, die ja ebenfalls auf dem Erkennen von aussagekräftigen Ähnlichkeiten basiert. Dort wird die Entscheidung, welche Ähnlichkeiten entscheidend sind, meist über Kennerurteile getroffen. Vgl. für diverse Beispiele oben Kapitel 2.3. Vgl. auch Kapitel 1.2.1.5, in dem es bereits um das Problem ging, zwischen Kunst und NichtKunst im Rahmen von Baines’ Kunstbegriff zu unterscheiden.
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teil iii
ren, institutionalistische Perspektiven reagiert, darunter maßgeblich diejenige von George Dickie.15 Diese sprechen – verkürzt formuliert – dann von Kunst, wenn ein Objekt innerhalb einer sozialen Institution (‚der Kunstwelt‘) als ein Kunstwerk betrachtet bzw. zu diesem Zweck hergestellt wird.16 Derartige Ansätze folgen Kunstdefinitionen, die Kunst eher als einen betrachterabhängigen Status und nicht als etwas Objektimmanentes ansehen: Weder sichtbare Eigenschaften noch bestimmte Funktionen seien entscheidend dafür, ob etwas Kunst sei. Der Status Kunst werde einem Objekt zugesprochen oder nicht. In diesem Sinne würden von Künstlern Objekte mit der Intention hergestellt, dass diese als Kunst betrachtet werden sollen. Im Normalfall seien es daher die Künstler, die in ihrem Wissen darum, dass sie Kunstwerke herstellen, eben dieses auch tun.17 Jenseits dessen bieten institutionalistische Ansätze jedoch auch Möglichkeiten, Fälle anzusprechen, in denen es nicht die Produzenten selbst sind, die ein Objekt als Kunstwerk benennen oder präsentieren, damit es innerhalb der Kunstwelt den Status eines solchen verliehen bekommt.18 So weist Carroll auf einen Sonderfall hin, der gerade mit Blick auf die Ägyptologie von besonderer Bedeutung ist: 15 16
17
18
Dickie, Art and the Aesthetic; ders., „The Institutional Theory of Art“ (dort diesbezüglich besonders 97 f.). Dickie hat zwischen 1969 und 1984 insgesamt vier verschiedene Definitionen vorgeschlagen, in der jüngsten heißt es „A work of art is an artifact of a kind created to be presented to an artworld public.“ Alle vier Definitionen werden von ihm noch einmal vorgestellt und diskutiert in „The Institutional Theory of Art“, 93–102 (das Zitat findet sich ebenda, 96). Die in der angelsächsischen Kunstphilosophie stärker als im deutschsprachigen Raum rezipierten institutionalistischen Perspektiven der Kunstphilosophie (vgl. Schmücker, „Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik“, 8 Anm. 2) zeichnen sich auch durch eine Nähe zur soziologischen Perspektive Luhmanns aus. Vgl. van Maanen, How to Study Art Worlds. Vgl. Dickie, „The Institutional Theory of Art“, 93. Vgl. zu Dickies Position diesbezüglich auch Carroll, Philosophy of Art, 228 und Stecker, Aesthetics and the Philosophy of Art, 95. Diese Auslegung der institutionalistischen Kunstphilosophie beruht u.a. auf Interpretationen von Dickies Ansatz, denen Dickie selbst vehement widersprochen hat. Vgl. zur hier jedoch nicht weiter relevanten Auseinandersetzung um die institutionalistische Kunstphilosophie Dickie, „The Institutional Theory of Art“. Vgl. auch Moers („Spurensucher auf falscher Fährte?“, 47), der Terry Eagletons Beschreibung der für Texte analogen Situation anführt: „Einige Texte werden literarisch geboren, andere erreichen Literarizität, und wieder anderen wird diese aufgedrängt […]. In diesem Sinne kann Literatur weniger als inhärente Eigenschaft oder eine Reihe von Eigenschaften aufgefaßt werden, die sich in bestimmten Texten […] entfaltet, als vielmehr eine Reihe von Einstellungen der Menschen gegenüber Texten“ (Eagleton, Einführung in die Literaturtheorie3, 9f.).
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„A museum curator might display a tribal implement, like an Eskimo fishing hook, as a candidate for appreciation because of its striking aesthetic properties and thereby transform a tool into an artwork.“19 Auch bei ägyptischen Bildern handelt es sich schließlich – vorsichtig formuliert – um Objekte, von denen wir nicht wissen oder stark bezweifeln, ob sie von ihren Produzenten als Kunst bzw. im Hinblick darauf hergestellt wurden, dass sie innerhalb eines Kunstsystems als Kunst betrachtet werden sollten. Institutionalistische Ansätze bestimmten selbst nicht unbedingt näher, was Kunst eigentlich sei bzw. inwiefern sich das System Kunstwelt von anderen Systemen unterscheide,20 sie bieten vielmehr eine Möglichkeit, um zu beschreiben, wie ägyptische Bilder – unabhängig davon, ob sie einst bereits Kunst waren – zu Kunst gemacht werden. In Anlehnung an Dickie ließe sich in solchen Fällen von Doppelartefakten sprechen, die zunächst ohne künstlerische Absicht o.Ä. hergestellt wurden und erst später sekundär genutzt werden, um aus ihnen Kunstwerke zu machen.21 Entsprechende Vorgänge sind oben im Zusammenhang mit der Ausstellung des Berliner Ägyptischen Museums bereits ausführlicher analysiert worden.22 Ohne eine wirkliche Klärung darüber erzielen zu können, was Kunst ist, ließen sich aus einer institutionalistischen Perspektive also ägyptische Bilder problemlos als Kunst ansprechen, schlicht weil sie innerhalb der heutigen Kunstwelt als solche inszeniert werden: Wenn etwa Museumsägyptologen ägyptische Bilder als Kunst ausstellen bzw. wenn diese als solche benannt oder rezipiert werden und diese Formen der Ansprache Zustimmung finden, haben wir in jenen Bildern aus Sicht einer institutionalistischen Kunstphilosophie Kunst vor uns. Wäre die oben kritisierte Argumentation Müllers, die sich u. a. auch auf die heute weitgehend konsensfähige Ansprache ägyptischer Bilder als Kunst stützt,23 vor diesem Hintergrund nun also doch zu akzeptieren und als
19 20
21 22 23
Carroll, Philosophy of Art, 228. Vgl. die Darstellungen der Kritik an institutionalistischen Ansätzen bei Carroll, Philosophy of Art, 224–239 und Stecker, Aesthetics and the Philosophy of Art, 95–97. Dickie ist sich der Zirkularität seines Ansatzes durchaus bewusst, vgl. Dickie, „The Institutional Theory of Art“, 101 f. Dickie gebraucht den Begriff der „double artifacts“ im Zusammenhang u.a. mit Marcel Duchamps Readymade „Fountain“ (vgl. Dickie, „The Institutional Theory of Art“, 98). Vgl. Kapitel 1.3. Vergleichbares ließe sich auch über das 2013 neueröffnete Münchner Museum sagen. Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 43: „sowohl unter den Kunsthistorikern und Archäologen, als auch unter den Ägyptologen [gibt es] einen breiten Kon-
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teil iii
Ausgangsbasis für die Formulierung bzw. (Re)spezifizierung eines ägyptischen Kunstbegriffs geeignet? – Bevor es darum gehen wird, diese Frage zu beantworten, sei noch auf die von Carroll betonte Bedeutung hingewiesen, die historischen Narrationen zukomme, wenn wir Objekte als Kunstwerke identifizieren. Stehe bei einem Objekt infrage, ob es sich um Kunst handele oder nicht, werde nach Carroll in den meisten Fällen versucht, das Objekt in eine Entwicklung und damit in eine historische Narration einzuordnen. Eine solche Narration beginne bei älteren und als Kunst anerkannten Objekten und verfolge von diesen ausgehend eine künstlerische Entwicklung bis zu dem infrage stehenden Objekt, um dieses so als in einer künstlerischen Tradition stehend und damit selbst als Kunst beschreiben zu können.24 Damit bietet Carroll nichts anderes als eine kunstphilosophische Schilderung gängiger kunsthistorischer Praxis, die ja damit befasst ist, unter dem Dach des Faches Kunstgeschichte Geschichte(n) von der Kunst zu schreiben. So überzeugend diese Praxisbeschreibung Carrolls sein mag,25 so deutlich zeigt sich an ihr auch, wo ein solches Identifizieren von Kunstwerken an seine Grenzen stößt bzw. wie gewöhnlicherweise versucht wird, diese Grenzen zu transzendieren. Es sei der Kunstwissenschaft und der Kunstphilosophie anheimgestellt, zu entscheiden, ob das Schreiben solcher Geschichten der Kunst eine adäquate Form der Sinnkonstruktion darstellt. Diese durchaus kontroverse Frage soll hier gar nicht weiterverfolgt werden. Hinsichtlich fremder Kultu-
24 25
sens darüber, daß ägyptische Kunst im Sinne des europäischen Kunstbegriffs existiert, sei es, daß die Vorgaben, mit denen man an das Thema herangeht, unbewußt bleiben, sei es, daß man sich die Frage bewußt stellt und sie bejaht.“ Vgl. hierzu oben Kapitel 1.3 (S. 84). Vgl. Carroll, Philosophy of Art, 251–261. Carroll selbst sieht den eigenen Ansatz bewusst nicht als Definition, sondern als Möglichkeit, Kunst zu identifizieren, und stellt diesbezüglich Parallelen zum skeptizistischen Ansatz fest, der ja ebenfalls versucht, Antworten auf die Frage zu finden, wie wir Kunst als solche identifizieren (vgl. Carroll, Philosophy of Art, 256–261). Das Identifizieren von künstlerischen Traditionen, auf das Carroll seinen Ansatz fokussiert, beruht, ohne dass er dies näher ausführt, ebenfalls maßgeblich auf Ähnlichkeitsbeobachtungen, aus denen dann Entwicklungslinien abgeleitet und als Geschichte(n), Traditionen o.Ä. dargestellt werden. Die Bedeutung einer kunsthistorischen Stiltheorie, die sich auf Produktionsstile stützt, wäre daher auch für diesen Ansatz zentral (vgl. oben Kapitel 2.4.3). Institutionalistische Ansätze operieren in ihrem Vorhaben insofern zirkulär, als sie Kunstwerke nur über die Kunstwelt definieren, ohne zu definieren, was Kunst sei. Vgl. hierzu oben mit Fn. 20.
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ren wie der ägyptischen rücken andere Fragen in den Vordergrund. So fällt auf, dass Carrolls primär auf neuzeitliche Zusammenhänge ausgerichteter Ansatz die Vorgeschichte des infrage stehenden Objektes auf Entwicklungen und künstlerische Traditionen hin untersucht. Stellt man nun aber die Frage, ob ägyptische Bilder als Kunst zu verstehen sind, hat man keine älteren Objekte zur Verfügung, bei denen unstrittigerweise von Kunst gesprochen werden könnte. Wenn nun keine früheren eindeutigen Kunstwerke existieren, in deren Tradition man versuchen könnte, fragliche Objekt einzustellen, dann lassen sich die ägyptischen Bildtraditionen, auf die sich jene Objekte zurückführen ließen, auch nicht mehr ohne Weiteres als künstlerische Traditionen beschreiben. Um Carrolls Ansatz folgend ein ägyptisches Objekt als Kunstwerk bezeichnen zu können, müsste man also erst einmal zeigen, dass jene Traditionen auch künstlerische waren. Damit zeigt sich, dass der vergleichsweise bequeme Weg, Kunst nicht zu definieren, sondern als Teil der Kunstwelt oder künstlerischer Traditionen zu identifizieren, in der Neuzeit funktionieren mag, weil wir uns selbst als (potentielle) Teilnehmer der Kunstwelt verstehen können, die über ein intuitives Verständnis dafür verfügen, was Kunst dort ist und wie man sie erkennt. Für transkulturelle oder historisch weiter zurückreichende Perspektiven ist dieser Weg jedoch versperrt. Nur durch eine Definition von Kunst26 böte sich ein Ausweg aus dieser Sackgasse, denn dadurch ließe sich auch in fremden Kontexten feststellen, ob es sich bei einer identifizierten Tradition um eine künstlerische handelt. Um die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit einer solchen Definition wissend, wird jedoch mitunter ein anderer Weg eingeschlagen: der der Analogiebildung. Auch Carroll selbst wählt ihn als Ausweg, wenn er diese Schwäche seines Ansatzes diskutiert: „If in its earliest stages the practices of the alien tradition (what are sometimes called protosystems) are intended to perform the same functions – such as representation, decoration, and signification – in the relevant societies that the earliest stages of our own tradition performed in our culture, then we have grounds to regard the alien tradition as an artistic practice.“27 Allen von ihm selbst zuvor diskutierten Bedenken und der Problematik, Kunst zu definieren, zum Trotz greift Carroll hier auf einen funktionales Konzept von Kunst zurück, innerhalb dessen „representation, decoration, and signifi-
26 27
Vgl. Fn. 25. Carroll, Philosophy of Art, 263.
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cation“ zu hinreichenden Bedingungen dafür werden, dass angesichts einer fremden Kultur von Kunst gesprochen werden könne.28 Dass jene Charakteristika im Zusammenhang mit neuzeitlicher Kunst eine bedeutende Rolle spielen, steht außer Frage, aber soll dies nun im Umkehrschluss tatsächlich heißen, jede Form von Repräsentation, Dekoration und Signifikation sei bereits Kunst bzw. Teil einer künstlerischen Tradition? Und das nur, weil sich diese Funktionen in antiken Bildkulturen finden lassen, aus denen die neuzeitliche Kunst hervorgegangen sei? Damit würde man sich von den ganz unterschiedlichen Herstellungs- und Rezeptionskontexten der Bilder wieder verabschieden und einem auf basale Funktionen ausgerichteten intuitiven Ähnlichkeitsurteil die Entscheidung überlassen. Oben war die Frage gestellt worden (bei Fn. 23), ob man bei ägyptischen Bildern nicht ohnehin von ägyptischer Kunst sprechen könne, weil sie etwa in musealen Einbettungen als Kunst inszeniert und rezipiert werden; nun stellt sich außerdem die Frage, ob man nicht eine grundsätzliche Analogie zwischen der ägyptischen Bildtradition und der antiken europäischen Bildtradition herstellen könnte, auf die sich die neuzeitliche Kunst beruft. Diese Fragen verbindet, dass sie sich indirekt auf die Geschichtlichkeit von Produktion und Rezeption beziehen bzw. sich darauf beziehen lassen. So ließen sich die Fragen auch anders stellen: Sollte man tatsächlich die einer lange vergangenen fremden Kultur angehörenden Bildproduzenten Künstler nennen, nur weil man deren Erzeugnisse heute als Kunst rezipiert? Sowie: Hat die Bildproduktion einer Kultur wie der ägyptischen etwas mit dem neuzeitlichen Kunstbetrieb und seiner Kunst zu tun, nur weil sich letzterer in der Tradition zu ebenfalls antiken Bildern stehen sieht, die auch wie ägyptische Bilder u. a. Repräsentationsfunktionen hatten? Bejahte man diese Fragen, sähe man sich zu Recht dem Einwand ausgesetzt, man projiziere im ersten Fall Konzepte der eigenen Lebenswelt unreflektiert auf antike Zusammenhänge und man folge im zweiten Fall teleologischen Geschichtsbildern, die sich auf fragwürdige Entwicklungsgedanken gründen.29 Die Grundlage für den Begriff der ägyptischen Kunst erscheint vor
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Rückgriffe auf Analogien, die wiederum auf der Ansetzung von anthropologischen Konstanten beruhen, sind verbreitet. Vgl. auch Dickie, „The Institutional Theory of Art“, 102f. sowie oben Kapitel 1.2.1. Vgl. zur Vorstellung von Ägypten als Ursprung europäischer Kunst oben bereits Kapitel 1.3. Auch dessen ungeachtet würde eine Analogiebildung der Art, wie Carroll sie skizziert, davon ausgehen, dass in einer auf Repräsentation, Dekoration und Signifikation ausgerichteten Bildkultur ‚Kunsthaftigkeit‘ bereits angelegt sei, die sich dann nur noch zu entwickeln brauche. Die Ansetzung derartiger Linien und Zwangsläufigkeiten entbehrt jedoch jeder Grundlage.
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diesem Hintergrund kaum tragfähig. Dem könnte nun wiederum entgegnet werden, dass sich von einem zunächst behelfsmäßig verwendeten neuzeitlichen Kunstbegriff ausgehend durch aus dem ägyptischen Material gewonnene empirisch gestützte Respezifikationen ein ägyptischer Kunstbegriff formulieren lasse, der sich (wenigstens weitgehend) gegen derartige Probleme immunisieren könne. Nun ließ sich an verschiedenen Stellen beobachten, dass in dieser Richtung gestartete Versuche letztlich doch damit endeten, spezifisch neuzeitliche Kunstkonzepte auf Ägypten zu übertragen oder in Anwendung zu bringen.30 Dafür dürfte es Gründe geben. Es sei versucht, einige dieser Gründe mittels einer begriffsgeschichtlichen Perspektive zu umreißen. Zunächst lässt sich in Anlehnung an Reinhart Koselleck Kunst als ein Grundbegriff verstehen: „Unersetzbar und deshalb strittig zu sein unterscheidet die hochkomplexen Grundbegriffe von sonstigen Begriffen. Geschichtliche Veränderungspotentiale sind in jedem Grundbegriff schon enthalten. Daraus folgt, dass Grundbegriffe nicht auf überzeitliche Ideen oder Probleme festgelegt werden dürfen, auch wenn wiederkehrende Bedeutungsstreifen auftauchen können.“31 Mittels des Begriffs der Bedeutungsstreifen lassen sich komplexe Begriffe in einzelne von ihnen umfasste Bedeutungen zerlegen. Bedeutungsstreifen oder temporale Schichten einer an konkrete zeitliche Kontexte oder gar einzelne Sprecher gebundenen Begriffsverwendung können nach Koselleck in spätere Begriffe eingehen, die wiederum verschiedene solcher Streifen bündeln und so unterschiedlich tief gestaffelt sein können. Diese verschiedenen Bedeutungen sind insofern variabel, als sie verschwinden bzw. neu hinzukommen können. In unterschiedlicher Intensität wirken auf diese Weise verschiedene semantische Ladungen in einem Begriff, die bei späteren Versuchen einer Umoder Neusemantisierung nicht ohne Weiteres ausgeblendet werden können.32 Ein solcher begriffsgeschichtlicher Ansatz ermöglicht es, der Komplexität des Kunstbegriffs angemessen Rechnung zu tragen, wenn es darum geht, die Relation zwischen historischen Kontexten und heutigen Perspektiven zu beleuchten. Dies sei anhand eines Beispiels verdeutlicht. So besitzt der bis zur lateinischen ars und der griechischen techné zurückverfolgbare Begriff Kunst auch
30 31 32
Vgl. für Beispiele die Kapitel 1.1.2, 1.2.2 und 2.3.5.3. Koselleck, Begriffsgeschichten, 99 f. Vgl. Koselleck, Begriffsgeschichten, 67–70, 86–98 sowie hier weiter unten bei Fn. 37.
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noch in neuzeitlichen Kontexten die Bedeutung besonderer „Kompetenz im Umgang mit Materialien und Werktechniken“33, wie sie die antiken Begriffe dominiert – man denke etwa an das noch heute gebräuchliche geflügelte Wort „Kunst kommt von Können“.34 Während sich ein solcher Kunstbegriff vielleicht noch eher auch auf Ägypten übertragen ließe, sind jedoch im Laufe der Zeit noch andere sehr dominante semantische Ladungen hinzugekommen, die sich auf spezifische Erfahrungen beziehen, die etwa im Umfeld der beginnenden Neuzeit gemacht wurden, als Bilder in neuen Kontexten neue Rollen zugewiesen bekamen und sich mit den Künstlern eine neue soziale Gruppe von den Handwerkern abhob.35 Der antike auf handwerkliche Kompetenz ausgerichtete Bedeutungsstreifen ist daher ebenso wie derjenige, der den Repräsentationscharakter von Bildern umfasst, neben anderen nur noch ein Teil moderner Kunstbegriffe. Das wiederholte Auftreten dieses Teils sollte nun zum einen weder von fundamentalen Veränderungen des Kunstbegriffes im Laufe der Zeit ablenken noch zum Anlass genommen werden, den Begriff Kunst als überzeitliche Konstante zu fassen. Zum anderen kann der aus vielfältigen Veränderungen hervorgegangene Facettenreichtum des Kunstbegriffs keine Grundlage dafür sein, anzunehmen, der Kunstbegriff sei so flexibel und biete so viele Möglichkeiten, dass sich ohne Weiteres ein neuer auf Ägypten zugeschnittener Kunstbegriff formulieren ließe. Vielmehr sind solche Respezifizierungsversuche gerade aufgrund der zahlreichen heute noch vorhandenen Bedeutungsstreifen des Kunstbegriffs vor große Hürden gestellt. Die Ursache dafür liegt weniger darin, dass sich Begriffe fortlaufend wandeln würden oder veränderbar seien,36 sondern vielmehr darin, dass Begriffen einmal eingeprägte Bedeutungen selbst eine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte haben, die künftige Begriffsverwendungen nachhaltig beeinflussen kann. So stellt Koselleck in den Einleitungsfragmenten zu seinen Begriffsgeschichten fest:
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So die Paraphrasierung des Bedeutungsgehaltes von ars und techné bei Ulrich, „Kunst“, 239. Vgl. die Erwähnung dieser später weit verbreiteten Etymologisierung bereits 1741 bei Frisch, Teutsch-Lateinisches Wörter-Buch i, 558: „Kunst kommt von können, wissen“. Vgl. Kapitel 1.1.1. Dies ließe sich mit dem bereits angesprochenen Konzept ‚offener Begriffe‘ bzw. von ‚Begriffen mit offener Textur‘ beschreiben. Vgl. Weitz, „Die Rolle der Theorie in der Ästhetik“, 44 f. sowie mit weiteren Hinweisen Schmücker, „Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik“, 10 Anm. 8. Ägyptologisch wurde dieser Begriff aufgegriffen von Verbovsek, Zwischen „Theorie und Praxis“.
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„Rigoros genommen hat ein Begriff, einmal geprägt für einen bestimmten Sachverhalt – wie etwa koinonia politike für die Bürgerschaft Athens –, keine Geschichte mehr. Einmaligkeit. Was es allerdings gibt, ist die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte eben dieses Begriffs. Synchronie und Diachronie sind dabei immer verschränkt. Die Schubkraft einmal geronnener Begriffe reicht durch Jahrhunderte. Ihre semantische Ladung läßt sich nicht abkappen und bleibt allen späteren Versuchen der Um- oder Neusemantisierungen anregend und begrenzend vorgeordnet.“37 In Anlehnung an die von Koselleck unter anderem anhand der politischen Sprache herausgearbeiteten begriffsgeschichtlichen Ansätze lassen sich Erklärungsansätze für die Beobachtungen zur ägyptologischen Praxis im Umgang mit Bildern formulieren. Gerade wenn es um Bedeutungsstreifen geht, denen sich noch Entsprechungen in der heutigen Welt zuordnen lassen, dürfte die von Koselleck benannte Schubkraft von Begriffen bzw. einzelnen Bedeutungsstreifen nachhaltige Folgen haben. So ließ sich an verschiedenen Beispielen feststellen, dass in der Ägyptologie immer wieder auf Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster zurückgegriffen wird, die sich nicht aus dem ägyptischen Material selbst heraus ergeben, sondern die mit auf den neuzeitlichen Kunstbetrieb ausgerichteten Bedeutungsstreifen heutiger Kunstbegriffe verknüpft sind.38 Diese Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster lassen sich nicht nur aufgrund von visuellen Ähnlichkeiten zu neuzeitlichen Bildgattungen (siehe oben), sondern auch deshalb so leicht auf ägyptische Bilder anwenden, weil diese dadurch, dass man sie als Kunst bezeichnet, für eine solche Anwendung rezeptiv vorbereitet werden: Werden Objekte als Kunst klassifiziert, bietet es sich an, kunstspezifische und damit kunsthistorische Methoden zum Einsatz zu bringen. Bei diesem naheliegenden bzw. quasi-selbstgängigen Schritt wird in der Regel nun gerade nicht reflektiert, ob sich die Grundlage, auf der die Objekte als Kunst klassifiziert werden, und die herangezogenen kunst-
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Koselleck, Begriffsgeschichten, 532 (Hervorhebung i.O.). Bei diesen Bedeutungsstreifen handelt es sich damit um Spätfolgen jener Veränderungen, die sich als Autonomisierungsprozess des künstlerischen Feldes (vgl. Bourdieu, Die Regeln der Kunst, u. a. 493–501; Schumacher, Bourdieus Kunstsoziologie, 169–175) oder als Ausdifferenzierung des Kunstsystems (vgl. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, 215– 300) beschreiben lassen. Vgl. auch oben Kapitel 1.1.2 (dort bei Fn. 69) zu Junges Hinweis auf die Problematik des „Rückgriffs auf […] europäische Grundvorstellungen“.
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historischen Methoden auf dieselben oder aber auf unterschiedliche Bedeutungsstreifen des Kunstbegriffs beziehen.39 Auch die diskutierten Ansätze, die aufgrund von neuzeitlichen Bedeutungsstreifen des Kunstbegriffs für Ägypten eigentlich gar nicht von Kunst sprechen wollen,40 verabschieden sich nicht vollends vom Begriff Kunst und greifen aufgrund von Ähnlichkeitsbeobachtungen41 explizit auf neuzeitliche Kunstkonzepte zurück.42 Die Beibehaltung des Begriffes dürfte für die Rezeption jener Ansätze im ägyptologischen Diskurs und für die Routinen des Faches an sich von großer Bedeutung sein. So kann man in der fortlaufenden Verwendung des Begriffes Kunst für ägyptische Bilder auch die Ursache für eine Stabilisierung jener Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster sehen, die an dominante neuzeitliche Bedeutungsstreifen des Kunstbegriffes gebunden sind. Der Begriff Kunst ist daher nicht geeignet, als das neutrale Label zu dienen, als das ihn auch problembewusste Ansätze gerne sehen, die sich für seine Erhaltung aussprechen. Er ist kein steriles Instrument der Klassifikation, sondern determiniert die Möglichkeiten der Forschung, die sich seiner bedient.43 Unter anderem darin liegen Zusammenhänge begründet, die sonst gerne als zu vermeidende Projektionen bezeichnet werden, ohne dass dabei unbedingt immer klar würde, wie was zu vermeiden sei.44 Es ließe sich zwar auch sagen, dass etwas Anachronistisches auf antike Objekte projiziert wird. Damit könnten einzelne Konzepte benannt werden, die rezeptiv übertragen werden, und
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Vgl. hierzu auch Kapitel 3.2.5. Vgl. oben Kapitel 1.1.1 (Wolf) und 2.3.5.3 (K. Lange) sowie in gewisser Hinsicht auch Kapitel 1.1.2 (Junge). Die Problematik der Interpretierbarkeit solcher Ähnlichkeiten ist oben und auch in diesem Kapitel bereits angesprochen worden. Eben dieses Problem benennt auch Junge („Versuch zu einer Ästhetik“, 7f.: „Wo versäumt wurde, eine Eigenbegrifflichkeit zu entwickeln, tritt der Rückgriff auf selbstverfertigte, genauer dann: europäische Grundvorstellungen.“). Sein Versuch, diesem Problem dadurch zu begegnen, dass man diese Praxis argumentativ unterfüttert, ist oben in Kapitel 1.1.2 diskutiert worden. Vgl. hierzu bereits oben die Diskussion der Metapher des Tellerrandes im Zusammenhang mit Verbovseks Feststellung, es spiele „weniger eine Rolle, ob wir von ‚Kunst‘, ‚Bildern‘ oder ‚ikonischen Zeichen‘ reden“, solange wir über den Tellerrand schauten (Kapitel 1.2.2, S. 75f.). Vgl. auch Moers, der am Beispiel der Textinterpretation herausarbeitet, wie „[d]ie angewandte Interpretationsmethode verschwindet, da sie nicht ausgewiesen wird, und […] als verdinglichte Eigenschaft des behandelten Objektes wieder auf[taucht].“ („Spurensucher auf falscher Fährte?“, 42 f. [Kursive i.O.]). Vgl. oben Kapitel 1.2.2 (dort u. a. S. 77 f.) sowie Kapitel 1.3 (dort S. 110).
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wichtige Zusammenhänge wären damit angesprochen. Doch gerade die Konsequenzen solcher Vorgänge dürften im hier vorliegenden Fall auf einer noch grundlegenderen Ebene liegen, weshalb es sich eher anbietet, von einer folgenreichen Determinierung der Wahrnehmungs- und Interpretationsmöglichkeiten zu sprechen.45 Daher erweisen sich gerade die Perspektiven der Anführungszeichen- und Schrägstrichbegriffe, die von Kunst sprechen, aber keine im europäischen Sinne zu meinen vorgeben, als hochproblematisch.46 Als ersten Schritt, die methodologischen Probleme zu bewältigen, scheint sich also ein Verzicht auf den Begriff Kunst anzubieten. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund gängiger ägyptologischer Analysen und gewohnter musealer Präsentationen ägyptischer Bilder als Kunst wäre die Forderung nach einem vollständigen Begriffsverzicht jedoch illusionär – und auch unangemessen. Unangemessen nicht, weil der ägyptologische Konsens Grund genug wäre, am Bisherigen festzuhalten, sondern weil sich aller Kritik an jenen Perspektiven zum Trotz doch gezeigt hat, dass jene ägyptologischerseits routinierten Vorgänge selbst tatsächlich Kunst erzeugen. Auch für diese Zusammenhänge benötigen wir eine klare Ansprachemöglichkeit. Dies ebenso wie die primären Kontexte ägyptischer Bilder terminologisch zu fassen, ist nur durch eine kontextorientierte Historisierung zu leisten. Dass ägyptologische Präsentationen Kunst zeigen, heißt eben noch lange nicht, dass die dabei verwendeten Objekte innerhalb ihrer Entstehungskontexte Kunst waren, als solche verwendet oder betrachtet wurden. Weniger der Begriff Kunst als der Begriff ägyptische Kunst stellt daher ein folgenschweres terminologisches Problem dar. So nimmt etwa das Diktum Wolfs – „Ägyptische Kunst nicht ‚Kunst‘“47 – zwar eine den Begriff für Ägypten erhaltende Historisierung vor, weckt dabei zugleich jedoch, da es ihn nicht vollständig historisiert, sondern nur historisch respezifiziert, Erwartungen an ägyptische Bilder, die zum Teil weiterhin an neuzeitliche Bedeutungsstreifen des Kunstbegriffs gebunden sind. Daher sei hier der Vor-
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Vgl. hierzu auch Moers, „Spurensucher auf falscher Fährte?“, 49. Die Verwendung von Anführungszeichen (wenn von „Kunst“ anstelle von Kunst die Rede ist) findet sich als inkonsequenter Distanzierungsversuch etwa bei Wolf (vgl. Kapitel 1.1.1). Junge nutzt anfangs Anführungszeichen in seiner Problemanalyse und verzichtet später auf sie, als er den Begriff Kunst für Ägypten ausreichend unterfüttert sieht (vgl. zu diesem Vorgehen Kapitel 1.1.2). Ein Beispiel für Schrägstrichbegriffe, die sich nicht festlegen und dadurch besonders diffuse Begriffskonstrukte darstellen, findet sich bei Morenz, der vom „Künstler/Handwerker“ spricht (vgl. Die Zeit der Regionen, 174, 189 [Anm. 183], 266, 267, 302, 321). Vgl. auch Kapitel 1.5. Wolf, Die Kunst Ägyptens, 66–68. Vgl. hierzu oben Kapitel 1.1.1.
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schlag gemacht, auf den Begriff ägyptische Kunst konsequent zu verzichten und künftig zwischen ägyptischen Bildern und ägyptologischer Kunst zu unterscheiden. Diese kunstphilosophisch vorbereitete und begriffsgeschichtlich motivierte Differenzierung weist darauf hin, dass es sich lohnt, zwischen der Beschäftigung mit ägyptischen Bildern und deren Umwandlung in bzw. Rezeption als Kunst zu unterscheiden. Um das Phänomen der ägyptologischen Kunst noch etwas genauer zu umreißen, soll im Folgenden beleuchtet werden, wie sich diese terminologische Unterscheidung aus bildtheoretischer Sicht fassen lässt. Anders formuliert, soll nicht wie im Vorangegangenen von der Frage nach der Kunst, sondern vom Bild und dem, was Bilder auszeichnet, ausgegangen werden, um die für die Beschäftigung mit Ägypten relevanten Übergänge zwischen Bild und Kunst zu betrachten. Mit ägyptischen Bildern seien hier die Teile der materiellen Hinterlassenschaft der ägyptischen Kultur bezeichnet, die wir als Bilder identifizieren können. Bilder seien in diesem Zusammenhang als materielle Bilder verstanden48 und in erster Linie über die Definitionsmöglichkeit angesprochen, dass „Bilder [etwas] zeigen […], was sie selbst nicht sind.“49 Über diesen Begriff sind materielle Eigenschaften der Bildträger, ebenso wie Bildobjekte, d. h. das, was beim Betrachten des Bildträgers sichtbar wird, ansprechbar.50 Diese Unterscheidung zwischen Bildträger und Bildobjekt ist bildwissenschaftlich von großer Bedeutung. Bildobjekte sind als Objekte aus reiner Sichtbarkeit nicht nur auf einen Betrachter angewiesen,51 dieser spielt auch eine ganz zentrale Rolle, wenn es
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Vgl. zu anderen Bildbegriffen bzw. für ein Beispiel ägyptisches Material auf ethische Bilder hin zu untersuchen Widmaier, Landschaften und ihre Bilder. Das Feld der Bilder bzw. Bildwissenschaft ist ein sehr weites, das hier nur bezüglich der Bereiche betreten wird, die man als Kunst zu bezeichnen sich in der Ägyptologie angewöhnt hat. Wiesing, Artifizielle Präsenz, 59; vgl. auch zum Begriff der ikonischen Differenz Boehm, „Die Wiederkehr der Bilder“, 29–36. Vgl. zu Möglichkeiten und Problemen der Definition von Bildbegriffen Wiesing, Artifizielle Präsenz, 9–36; M. Schulz, Ordnungen der Bilder; O. R. Scholz, Bild, Darstellung, Zeichen2; Widmaier, Landschaften und ihre Bilder, 13– 23. Vgl. zur Differenzierung zwischen Bildträger, Bildobjekt und der Einheit aus beidem Wiesing (Artifizielle Präsenz, 44–47) mit dem Appell „Man muß weniger vom Bild sprechen, wenn man über Bilder spricht“ (ebenda, 47). Vgl. Wiesing, Artifizielle Präsenz, 30 f. Auch die anthropologische Bildwissenschaft betont, dass Bilder ohne den Menschen nicht vorstellbar sind. Vgl. als kurzen Überblick zu Beltings Bild-Anthropologie mit entsprechenden Literaturangaben Widmaier, Landschaften und ihre Bilder, 18–22.
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darum geht, zu entscheiden, was uns ein Bildobjekt zeigt. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn man der verbreiteten Ansicht folgt, dass das Funktionieren von Bildern dadurch zu erklären sei, dass sie mittels ihrer Bildobjekte auf etwas verweisen und somit semiotisch deutbar sind: Man betrachtet beispielsweise eine Felswand und sieht aufgrund der materiellen Beschaffenheit ihrer Oberfläche (d.h. des Bildträgers) eine Gestalt; in den Strichen, Flächen und Farben der Felswand wird etwas für uns sichtbar (das Bildobjekt), in dem wir einen Menschen erkennen, einen Menschen, der nicht anwesend ist. Damit weisen wir dem Bild einen Inhalt zu und verwenden das Geschaute als Zeichen, deuten es als solches aus.52 Wenn wir in einem Bild – d. h. beim Betrachten eines Bildträgers – ein Bildobjekt sehen, dann hat dieses für sich genommen zunächst keinerlei Bedeutung.53 Erst wenn es vom Betrachter als Zeichen verwendet wird, verweist es auch auf etwas. Jedes bewusste Betrachten eines Bildes bringt einen solchen Bezug jedoch bereits mit sich, denn sobald wir etwas als ein Bild erkennen, sobald wir also sehen, dass in einem Objekt etwas sichtbar wird, das selbst abwesend ist, nutzen wir das Bildobjekt als Verweis auf dieses Abwesende, was immer es sei.54 Dieser Verweis, dieses Nutzen des Bildobjektes als Zeichen ist kein Vorgang, der immer identisch abläuft, vielmehr existieren stets diverse Möglichkeiten. Jeder Verweis basiert auf der Anwendung einer Regel – Wiesing spricht auch vom „Sinn des Bildes“55. Diese Regel kann aus dem Bild selbst nicht ermittelt werden, sie wird dem Betrachter vom Bild nicht vorgegeben, sie muss ihm bekannt sein. Der Sinn eines Bildes, die Regel nach
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Wann bzw. ob immer bei Bildern von einer Verwendung als Zeichen ausgegangen werden kann oder ob Bilder gar immer Zeichen sind, ist umstritten. Die bildwissenschaftliche Perspektive Klaus Sachs-Hombachs versteht Bilder grundsätzlich als wahrnehmungsnahe Zeichen (vgl. Sachs-Hombach, Bildbegriff und Bildwissenschaft, 18–23; ders., „Konzeptuelle Rahmenbedingungen“, 14). Dies wird von phänomenologischer Seite infrage gestellt (vgl. Wiesing, Artifizielle Präsenz, 33–36). Die Beantwortung dieser Fragen ist maßgeblich vom jeweilig angesetzten Zeichenbegriff abhängig. Vgl. hierzu auch Nöth, „Bildsemiotik“, 236–238. Vgl. Wiesing, Artifizielle Präsenz, 61 f. Die damit hier vertretene Bildauffassung steht dem Verständnis von Bildern als wahrnehmungsnahen Zeichen nahe (vgl. Fn. 52) und nimmt in Kauf, Phänomene auszuschließen, die darauf abzielen, Bilder ob ihrer bloßen Sichtbarkeit zu schaffen, ohne dass mit ihnen auf etwas Abwesendes verwiesen werden sollte bzw. ohne dass in ihnen normalerweise Verweise gesehen würden. Die Bedeutung derartiger Phänomene im 20. Jahrhundert im Zusammenhang mit abstakten Bildern, Filmen, Videospielen etc. hat etwa Wiesing thematisiert (Die Sichtbarkeit des Bildes). Wiesing, Artifizielle Präsenz, 62–68.
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der das erkennbare Bildobjekt als Verweis auf etwas anderes verstanden wird, ist also variabel und betrachterabhängig. So ist es einem heutigen Betrachter ägyptischer Bilder beispielsweise möglich, diese so zu betrachten, als habe er Photographien vor sich, durch die konkrete realweltliche Begebenheiten oder Zusammenhänge sichtbar würden. Einem ägyptischen Betrachter, der mit dem Prinzip der Photographie nicht vertraut war, war eine solche Regel hingegen unbekannt und eine entsprechende Bildbetrachtung daher unmöglich.56 Sobald wir einen Bezug herstellen, folgen wir einer Regel. Ähnlichkeiten zwischen dem sichtbaren Bildobjekt und dem Ziel des Verweises, das wir darin erkennen, spielen dabei nicht einmal die entscheidende Rolle, vielmehr sind es gelernte Konventionen, denen wir folgen, wenn wir in Bildern Bezugnahmen erkennen.57 Das regelgeleitete Beziehen von Bildobjekten auf etwas dürfte somit unhintergehbar sein. Entsprechend lassen sich mit Goodman Vorstellungen „vom unschuldigen Auge und vom absolut Gegebenen“ als Mythen bezeichnen:58 „Nicht nur wie, sondern auch was es [das Auge, K.W.] sieht, wird durch Bedürfnis und Vorurteil reguliert. Es wählt aus, verwirft, organisiert, unterscheidet, assoziiert, klassifiziert, konstruiert. Eher erfaßt und erzeugt es, als daß es etwas widerspiegelt; und was es erfaßt und erzeugt, sieht es nicht entblößt, als etwas ohne Attribute, sondern als Dinge, als Nahrung, als Leute, als Feinde, als Sterne, als Waffen. Nichts wird entblößt gesehen oder bloß gesehen.“ Ein reines Sehen, ohne dass wir einer Regel folgend etwas bereits als etwas sehen, dürfte damit unmöglich sein. Entscheidend ist also, als was wir Bilder sehen (wollen oder können). Dieses Prinzip hat Wittgenstein aus einer
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Vgl. hierzu Widmaier, „Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“, 522–527 (insbesondere Anm. 170). Wenn auch jüngst noch in einem Referenzwerk anhand der Reliefdarstellungen der königlichen Familie der Amarnazeit gefolgert wird „He [d.h. Echnaton, K.W.] was clearly a loving and involved father“ (Josephson, „Connoisseurship“, 71), wird deutlich, wie verbreitet photographische Interpretationen innerhalb der Ägyptologie sind. Vgl. etwa Goodman, Sprachen der Kunst, 17–21 und Wiesing, Artifizielle Präsenz, 26– 29. Für das Erlernen solcher Konventionen bzw. deren Anwendung spielen Ähnlichkeiten jedoch wiederum eine Rolle. Wie auch das folgende Zitat Goodman, Sprachen der Kunst, 19. Feststellungen in dieser Richtung finden sich vereinzelt auch ägyptologischerseits (etwa Verbovsek, „Reception and Perception“, 149 f.). Vgl. auch unten Kapitel 3.2.1 mit Fn. 89.
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anderen Warte heraus anhand der Zeichnung des Hasen-Enten-Kopfs demonstriert und als ‚Aspektsehen‘ beschrieben. Nach Wittgenstein kann es durch das Aufleuchten eines neuen Aspektes wechseln, wie es sich leicht an jenem Hasen-Enten-Kopf nachvollziehen lässt, den ein Betrachter abwechselnd als Hasenkopf und Entenkopf sehen kann.59 Ändert sich der Aspekt, unter dem ein Bild wahrgenommen wird, ändert sich nach Wittgenstein die Wahrnehmung des Bildes fundamental, ohne dass sich das Bild selbst verändert hätte.60 Andererseits könnten wir etwas aber auch „[i]m chronischen Sinne […] wieder und wieder“ unter einem Aspekt behandeln61 und seien uns in einem solchen Fall gar nicht bewusst, dass wir etwas als etwas sehen. Diesen entscheidenden Punkt und die ganz grundlegende Bedeutung, die dem Aspektsehen bei Wittgenstein zukommt, betont etwa Lauer: „Der Aspektwechsel ist lediglich das Phänomen, welches uns darauf aufmerksam macht, dass wir die Welt stetig in Aspekten wahrnehmen. Unsere Wahrnehmung ist per se aspekthaft, sie ist per se die Wahrnehmung von etwas als etwas.“62 Beleuchtet man auf die hier skizzierte Weise den Vorgang des Bildbetrachtens, wird deutlich, wie gravierend unterschiedlich sich Bilder betrachten lassen und dass Gewohnheiten und Kenntnisse im Umgang mit Bildern entscheidend dafür sind, wie wir Bilder verstehen (können). Es ließe sich von Bildkompetenz, Visual Literacy oder Ähnlichem sprechen, um die Kenntnis von ganzen Regelapparaten zu beschreiben, nach denen Bilder betrachtet und gedeutet werden. Das Instrumentarium der Kunstgeschichte lässt sich dabei mit James Elkins als eine Form von Visual Literacy beschreiben. Elkins weist diesbe-
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Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, S. 519–528. Vgl. Wittgenstein, Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie ii, §474 (Kursive i.O.): „Das Unbegreifliche ist ja doch, daß sich nichts geändert hat, und sich doch Alles geändert hat. Denn nur so kann man es ausdrücken. Nicht so: es habe sich in einer Beziehung nicht verändert, wohl aber in einer anderen. Daran wäre etwas Seltsames. ‚Es hat sich nichts geändert‘ heißt aber: Ich habe kein Recht, meinen Bericht über das Gesehene zu ändern, ich sehe nach wie vor dasselbe – bin aber, auf unbegreifliche Weise, gezwungen ganz verschiedenes zu berichten.“; Vgl. auch Lauer, „Anamorphotische Aspekte“, 234 f. Wittgenstein, Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie ii, §1022. Systemtheoretisch gefasst fehlt in solchen Fällen die Beobachtung zweiter Ordnung. Lauer, „Anamorphotische Aspekte“, 235 (Kursive i.O.). Vgl. hierzu auch Mulhall, On Being in the World, 6–34.
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züglich nicht nur darauf hin, dass den Bildern fremder, nicht-westlicher Kulturen ganz andere Formen von Bildkompetenz zugrunde liegen können, sondern auch darauf, dass kunsthistorische Methoden in dem, wie sie aus Bildern in akribischen Analysen Bedeutungen herauslesen, vollkommen anachronistisch sein können.63 Dies stellt weder für sich genommen ein Problem dar noch ist es bei der Betrachtung antiker Bilder vollkommen vermeidbar. Die ‚ursprünglichen‘ Bedeutungen etwa ägyptischer Bilder, die Intentionen ihrer Produzenten werden für uns schließlich immer unzugänglich bleiben. Von uns in den Bildern erkannte Bedeutungen sind immer solche, die die Bilder für uns haben, und nicht die, die sie für die Ägypter hatten. Die entscheidende Frage ist, welche Relation zu ägyptischen Kontexten wir für unsere Bedeutungen und Interpretationen plausibel machen können.64 Vor diesem Hintergrund wird noch einmal deutlich, wie wichtig es ist, für terminologische Klarheit zu sorgen. Denn gerade im Hinblick auf die mit Wittgenstein als Aspektsehen benennbaren Wahrnehmungsmöglichkeiten erweist es sich als zentral, die Frage danach, ob ein Objekt Kunst sei, nicht als eine ontologisch eindeutig entscheidbare zu stellen, sondern sie an die Betrachtungsweise zu knüpfen.65 Damit ist hier nach einer kursorischen bildtheoretischen Betrachtung derselbe Punkt erreicht, an den auch die obigen Überlegungen gelangt sind, die von der Frage nach der Definierbarkeit der Kunst ausgegangen waren: Klar-
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Elkins, Visual Studies, 140–156. „Contemporary art-historical seeing, despite its historical awareness, is anachronistic in the name of what is taken to be incipient meaning. The assumption is that the things current researchers find in paintings are integral to the works, no matter how subtle and seldom noted, and therefore require interpretation.“ (ebenda, 156). Vgl. zum Begriff „Visual Literacy“ Elkins, „The Concept of Visual Literacy“. Vgl. hierzu auch unten Kapitel 3.2, dort insbesondere Kapitel 3.2.5 zur Frage, ob eine akribische Hermeneutik für die Behandlung ägyptischer Bilder sinnvoll sein kann. Bislang sind Positionen, die davon ausgehen, bei ägyptischer Kunst handele es sich um eine distinktive Kategorie von Objekten, die sich essentialistisch über Funktionen, Eigenschaften etc. definieren lasse, im Grunde der einzige Weg, auf dem man sich mit der Frage nach ägyptischer Kunst befasst hat. Differenzierter hat sich hingegen van Walsem mit seiner Kunstdefinition geäußert, jedoch ebenfalls ohne sich vollständig davon zu lösen: „Art is the term for the individual and/or collective product of human behaviour in which, by means of artefacts and/or performances, in a relatively creative and original way (beyond the purely functional), a concept (in the widest sense of the word) is skilfully expressed, resulting in an intellectual and emotional interaction between the maker and the observers (including the patron).“ (Iconography of Old Kingdom Elite Tombs, 2). Vgl. ders., „Sense and Sensibility“, 279.
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heit lässt sich nur gewinnen, wenn wir zunächst nur von ägyptischen Bildern sprechen, für die sich die Frage danach, ob sie Kunst seien, deshalb nicht absolut stellt, weil sie sich nur relativ zur Betrachtung beantworten lässt. Dies kommt letztlich einer Historisierung der Kunst bzw. des Kunstbegriffs gleich, die Kunst als ein historisches Phänomen und nicht als anthropologische Konstante betrachtet und die sich begriffsgeschichtlich, bildgeschichtlich und systemtheoretisch untermauern lässt.66 Auf dieser Grundlage lassen sich ägyptologische Kunstbetrachtungen, die von ägyptischer Kunst sprechen, als neuzeitliche Rezeptionsphänomene, als Formen von Aspektsehen und Schaffung von Kunst aus ägyptischen Bildern verstehen. Daher können Gegenstand und Ergebnis solcher Kunstbetrachtungen als ägyptologische Kunst beschrieben werden. Die das epistemologische Artefakt67 der ägyptologischen Kunst hervorbringenden Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster lassen sich nun noch etwas näher charakterisieren. Im Verlauf dieses Buches konnten verschiedene Merkmale dieser Sichtweise der ägyptologischen Kunstforschung benannt werden: (1) Selektionen und Fokussierungen: Formen ästhetikbasierten Zugangs nehmen auf ‚Vitrinentauglichkeit‘ ausgerichtete Selektionsentscheidungen vor und fokussieren so auf ‚Masterpieces‘. Nicht selten wird der Blick zudem durch Ansetzung normativer Zeitstile (für Bewertungen und Datierungen) und Stilsemantiken (für kunstgeschichtlich operierende Geschichtsschreibungen) gelenkt, so dass stil- und bildexterne Narrationen die Interpretation steuern, ohne dabei selbst transparent zu werden.68 (2) Dekontextualisierungen: Ägyptische Objekte werden von ihren primären Produktions- oder Rezeptionszusammenhängen gelöst. Im Rahmen von Stiluntersuchungen dienen die erkannten Stile als Kontexte – oder gar einzige Kontexte – und erwecken so, indem sie etwa chronologische Reihungen konstruieren, den Anschein einer umfassenden geschichtlichen Einbettung.69 Außerdem wurden oben Präsentationsformen diskutiert, 66 67
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Vgl. oben sowie Kapitel 1.1.1 und Debray, Jenseits der Bilder; Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, 256–271; Wyss, Vom Bild zum Kunstsystem. Der Begriff des epistemologischen Artefakts lehnt sich an seine Verwendung bei Gumbrecht an. Vgl. ders., „Does Egyptology need a ‚theory of literature‘?“ sowie unten Kapitel 3.2.6. Vgl. Kapitel 2.3.2.3, 2.3.2.4, 2.3.4.2 und 2.4.4.2. Die Dekontextualisierung von Objekten wird von Wildung innerhalb der Berliner Aus-
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die die Objekte von ihrem „archäologischen Ballast“ befreien und so dazu anregen sollen, diese als Kunst zu erleben.70 (3) Ästhetisierungen und konzeptuelle Öffnungen: Nicht nur im Fall dekontextualisierender Präsentationen werden Bilder ästhetisiert71 oder für dialogische Interpretationen geöffnet.72 Die bereits erwähnten Selektionen folgen mitunter dem Interesse am ‚Schönen‘ und einer daraus abgeleiteten Normativität des ‚Schönen‘. (4) Integrierungen: Ägyptische Bilder werden als Objekte in den neuzeitlichen Kunstbetrieb (Museen, Kunsthandel etc.) und konzeptuell (gewissermaßen als Prolog) in die europäische Kunstgeschichte eingegliedert, indem sie mit neuzeitlicher Kunst analogisiert oder zu solcher gemacht bzw. als Ursprung späterer Kunst betrachtet werden.73 Im Zuge dessen werden kunsthistorische Methoden wie die der Stil- und Porträtforschung wie selbstverständlich auf ägyptische Objekte übertragen.74 Diese verschiedenen Elemente ägyptologischer Perspektiven greifen nicht selten ineinander. Dabei nehmen sie dann besonders hybride Formen an, wenn dezidiert kunstwissenschaftliche Perspektiven mit einem historiographischem Anspruch verknüpft werden. Sind etwa Untersuchungen an historischen Zusammenhängen interessiert und versuchen, diese durch Stilstudien nachzuvollziehen, führen die Prämissen der zugrundegelegten Stiltheorien leicht dazu, anzunehmen, man könne gerade bei dekontextualisierten Objekten (unbekannter Provenienz o.Ä.) aus dem Stil die Geschichte des Objektes ermitteln bzw. bei archäologisch kontextualisierbaren Objekten auf mögliche stilexterne Kontexte verzichten. Im Rückgriff auf unhinterfragte Selbstverständlichkeiten des Stils, die sich bei näherer Betrachtung nicht stützen lassen, entledigt man sich so mitunter stilunabhängiger Kontextualisierungsmöglichkeiten. Eine Ursache dafür kann darin gesehen werden, dass sich viele Untersuchungen, gerade wenn sie ein Interesse an historischen Zusammenhängen formulieren, der Historisierung ihrer Untersuchungsgegenstände und Begriffe verweigern.
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stellungskonzeption programmatisch gefordert (Kapitel 1.3). Vgl. zu in diesem Zusammenhang relevanten Beispielen für Stiluntersuchungen etwa Kapitel 2.3.3 und 2.4.4.2. Vgl. zum Kontextbegriff Kapitel 3.2.2. Vgl. Kapitel 1.3. Vgl. Kapitel 1.1.1 (S. 21 f.), 2.3.2.3, 2.3.2.4 und 2.3.5.3. Vgl. etwa Kapitel 1.3 und 2.3.5.2. Vgl. Kapitel 1.3. Vgl. Kapitel 2.3.2, 2.3.4, 2.3.5 und 2.4.4.2.
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Dies zeigte sich stiltheoretisch75 und begriffsgeschichtlich76 in Teil ii dieser Arbeit. Die vier benannten Facetten konturieren eine ägyptologische Perspektive, die als musealer Blick bezeichnet werden soll. Dieser Begriff bezieht sich nicht (nur) auf das Betrachten von Bildern in einem realen Museum(sgebäude), sondern vielmehr auf das Museum in einem umfassenden metaphorischen Sinne und damit auf den von André Malraux als imaginäres Museum („musée imaginaire“) bezeichneten utopischen Ort, an dem sich konzeptuell aus ihren ursprünglichen Kontexten gelöste Werke aller Zeiten virtuell versammeln, miteinander vergleichen und als Kunst rezipieren lassen.77 Der museale Blick
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Die Untersuchungen zum Stil haben gezeigt, dass gängige durch den musealen Blick (s.u.) geprägte Perspektiven nicht berücksichtigen, dass Stildifferenzen zwar schon sehr früh beobachtet wurden, der Stil selbst seine funktionale und historische Bedeutung jedoch erst im ausdifferenzierten Kunstsystem erhält, das auf Differenz abzielt und auf der Sinnebene des Stils auf das Originalitätspostulat ausgerichtet ist (vgl. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, 376f.; ders., „Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst“, 153–170). Hinzu kommt, dass die Produktionsstile verfolgende kunsthistorisch ausgerichtete Stilforschung des Kennerblicks den Stil als ein zur Entstehungszeit unbewusstes und unbemerktes Phänomen ansetzen muss und somit die erzählte Stilgeschichte von den Produzenten und primären Rezipienten und deren Kontexten entkoppelt. Es entsteht eine Geschichte, die Zusammenhänge zu den kulturellen, sozialen und anderen Kontexten der Zeit, die sie zu beschreiben sucht, aus methodischen Gründen eigentlich leugnen müsste. Dessen ungeachtet werden jedoch nicht selten fragwürdige semantische Ausdeutungen vorgenommen, die die Aussagekraft der zugrunde gelegten Stiltheorie überfordern. Vgl. oben ausführlich mit Beispielen Kapitel 2.4. Vgl. etwa Kapitel 2.3.5.2, in dem u. a. am Beispiel der Position Warburtons darauf hingewiesen wird, dass bei der Ausdehnung von Begriffen auf fremde Kontexte die semantischen Ladungen der Begriffe beachtet werden müssen (S. 336f.). Daher sollten gerade dann, wenn wir keinen Grund dafür haben, für fremde Kulturen analoge Situationen anzusetzen, Begriffe nicht übertragen werden. Die Historisierung von Begriffen und Konzepten ist nicht zu verwechseln mit den von Warburton zu Recht kritisierten „European historical approaches“, die einen eurozentrischen Blick auf andere Kulturen werfen. Vielmehr tendieren gerade letztere dazu, eben durch unreflektierte Begriffsübertragungen und Analogisierungen kulturspezifische Zusammenhänge auszublenden (vgl. Warburton, „[Rezension zu] Widmaier, Landschaften und ihre Bilder“, 355). Ganz in diesem Sinne sind Historisierungen von Begriffen gerade nicht unangemessen reduktionistisch (contra Baines, vgl. oben Kapitel 1.2.1 bei Fn. 155 und 168). Vgl. auch Schade & Wenk zur Problematik des intellektuellen Kolonialismus (Studien zur visuellen Kultur, 161–166). Vgl. Malraux, Das imaginäre Museum. Vgl. auch te Heesen, Theorien des Museums, 116– 120. Bislang ist der Begriff des imaginären Museums meines Wissens nach erst einmal in der Ägyptologie verwendet worden: Junge spricht angesichts der Gegenüberstellung
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teil iii
erschließt Ägypten so, als wäre Ägypten selbst ein Museum bzw. eine Abteilung innerhalb eines globalen Museums. Gelangen ägyptische Objekte in die Ausstellung eines realen Museums, werden sie damit nicht nur physisch und konzeptuell aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen gerissen, um dort Ägypten neu zu entwerfen und zu konstruieren.78 Durch das Ausstellen eines Objektes79 werden dessen visuelle Eigenschaften auch für attraktiv befunden, in Szene gesetzt und so der dem Betrachter eigenen Sichtweise ausgesetzt, ohne dass die Bedeutungen, die dem Objekt von seinen ursprünglichen Produzenten zugeschrieben wurden, dabei eine Rolle spielen müssen.80 Die Ausrichtung auf das visuelle Interesse des Betrachters ästhetisiert das Ausstellungsobjekt und macht es so zu Kunst. So stellt etwa Svetlana Alpers fest:
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ägyptischer und moderner Skulptur von den „Prinzipien des Malrauxschen ‚Imaginären Museums‘, nämlich in der ‚Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‘, mit ‚modernen‘ Augen auf der Folie unserer kunstgeschichtlichen Vergangenheit diese wie jene in gleicher Weise als Kunstwerke zu sehen.“ („Versuch zu einer Ästhetik“, 27 außerdem ebenda, 37). Während sich Junge dabei allein auf eine bestimmte museale Ausstellung bezieht, in der er den „Kunstcharakter ägyptischer Werke“ hervorgekehrt sieht, wird hier in den Prinzipien des imaginären Museums ein verbreitetes ägyptologisches Wahrnehmungsmuster von großem Einfluss erkannt. Darauf wurde auch innerhalb der Ägyptologie bereits hingewiesen. Vgl. etwa Riggs, „Ancient Egypt in the Museum“, 1131f. oder Quack, „Zum Menschenbild der Ägypter“, 51. Vgl. zum Verhältnis zwischen ausstellendem Subjekt, ausgestelltem Objekt und dem Adressaten, an den dabei eine Aussage gerichtet wird, Bal, Kulturanalyse, 28–43 und dies., Double Exposures, 1–12. Vgl. Alpers, „The Museum as a Way of Seeing“, 30: „But – particularly if the object was not made for such attentive looking – this distinction need not have been a cultural value for the makers and users, nor need the object be what we would call a work of art. What the museum registers is visual distinction, not necessarily cultural significance.“; ebenda: „Our way of seeing can open itself to different things, but it remains inescapably ours.“ Außerdem durchlaufen die Objekte eine Form von Transformation, weil das Museum ihnen hybride Eigenschaften zuweist, die sie zwischen authentischer aussagekräftiger Einmaligkeit und Repräsentativität für übergeordnete narrative Zusammenhänge positionieren, so dass Donald Preziosi von einem oszillierenden semiotischen und epistemologischen Status spricht (vgl. Preziosi, „Collecting / Museums“, 411f.). Auch ägyptologischerseits wurde bereits festgestellt, dass Museen von der ursprünglichen Rezeption der Objekte abweichen und so die Rezeption beeinflussen können (Riggs, Ancient Egyptian Art and Architecture, 27 und 39).
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„My conclusion about the representation of culture in a museum is a bit troubling: Museums turn cultural materials into art objects. The products of other cultures are made into something we can look at. It is to ourselves, that we are representing things in museums.“81 Dieser Vorgang, der als Musealisierung, „museum effect“ o. Ä. bezeichnet werden kann, lässt sich auf die hier diskutierten ägyptologischen Wahrnehmungsund Interpretationsmuster übertragen. Der museale Blick auf ägyptische Bilder (deren Eingliederung in das imaginäre Museum) setzt den Rahmen, innerhalb dessen Bilder zu ägyptologischer Kunst werden. Kunstmuseen verfügen zwar gegenüber anderen Museen (etwa ethnographischen oder kulturhistorischen) über besondere Gesten des Zeigens, so dass oftmals zwischen verschiedenen Museumstypen differenziert wird. Die Annahme einer klaren Unterscheidbarkeit zwischen Kunstmuseen und anderen Museen erweist sich jedoch insofern als Trugschluss, als sich der Charakter eines Museums weniger allein anhand des jeweiligen Museums selbst als anhand des Diskurses entscheidet, innerhalb dessen seine Ausstellungen und deren Rezeption stattfinden.82 Die für Museen essentiellen Dekontextualisierungen ihrer Objekte begünstigen dabei die Kunstdiskurse und auf Kunstrezeption ausgerichteten Wahrnehmungsmuster, die sich nie vollständig vermeiden lassen, ganz unabhängig davon, ob Motorräder, Gemälde oder ägyptische Statuen gezeigt werden.83 Kunstwahrnehmung und historiographischer
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82 83
Alpers, „The Museum as a Way of Seeing“, 31 f. Vgl. auch Preziosi, „Collecting / Museums“, 410 sowie für eine Betrachtung aus ethnologischer Perspektive KirshenblattGimblett, „Objects of Ethnography“. Vgl. Bal, „The Discourse of the Museum“, 203–205. Vgl. in diesem Zusammenhang Schade & Wenk, Studien zur visuellen Kultur, 157f. Der Rückgriff auf die Metapher des Museums erscheint auch vor dem Hintergrund passend, dass das verbreitete ägyptologische Museumsverständnis von Kunst bzw. vom Kunstmuseum nicht zu trennen ist. Dies zeigt etwa der Blick in die jüngst in dem Sammelband Methodik und Didaktik in der Ägyptologie veröffentlichten Aufsätze zum Thema Museum/Museologie. Bei von Falk heißt es zum ‚museologischen Tätigkeitsbereich‘ des Sammelns: „Gemäß den zwei möglichen Herkunftsarten von Aegyptiaca, kontextualisiert aus einem Grabungsbefund oder dekontextualisiert aus einer Sammlung (vornehmlich aus dem Kunsthandel) sind beim Sammeln, d. h. Auswählen von Objekten, die Archäologen und Kunstgeschichtler unter den Ägyptologen gefordert. Insbesondere letztere haben die Frage nach der Echtheit zu entscheiden und verleihen dem Objekt somit das Zertifikat der Musealität in zunächst alleiniger Verantwortung.“ (von Falk, „Museologischer Anspruch und museumsägyptologische Wirklichkeit“, 409 [Kursive K.W.]). Lembke problematisiert eingangs zwar den Begriff des Künstlers, um wenige Zeilen später jedoch
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Anspruch schließen sich nicht aus, im Gegenteil: Sie sind besonders dann sehr häufig ineinander verschränkt, wenn die Geschichtlichkeit oder gar archäologische Herkunft der Objekte nicht zu übersehen ist. Diese Form musealer Hybridität zieht sich sowohl durch reale Museen, die ägyptische Objekte zeigen, als auch durch den musealen Blick der ägyptologischen Forschung. Während sich das reine Kunstmuseum, um mit Wiesing zu sprechen, der Aufhebung des Sinns verschreibt,84 geht die Ägyptologie einen Spagat ein. Wie in Teil ii an zahlreichen Beispielen gezeigt wurde, kann sie ihre Interpretationen nur in den gesichert erscheinenden Räumen moderner Kunst- und Stilrezeption vollziehen. Doch zugleich meint sie damit den ursprünglichen Sinn der Bilder zu ergründen, der in jenen musealen Räumen jedoch relativiert und so aufgehoben wird: Museal ist ein eindeutiger oder ursprünglicher Sinn eines Objektes nicht begründbar, vielmehr ist auf diese Weise die Vielzahl moderner Rezeptionsmöglichkeiten selbst an einem Objekt ergründbar.85 Bil-
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vom ägyptischen Kunstwerk zu sprechen, wenn sie eine sich stellende „Herausforderung“ formuliert: „Vor mehreren tausend Jahren gab es einen Schöpfer – ich vermeide bewusst den umstrittenen Ausdruck ‚Künstler‘ –, der ein Werk gestaltete. […] Wie kann ein Wissenschaftler heute […] dem Laien einen Einblick in seinen Standpunkt vermitteln und das Kunstwerk neben dem subjektiven Eindruck in ein objektivierendes Umfeld stellen?“ (Lembke, „Präsentation von Originalen“, 437). Nach Riggs werden besonders in Amerika ägyptische Sammlungen dezidiert als Kunstsammlungen verstanden („Ancient Egypt in the Museum“, 1142 und 1150). Riggs spricht vollkommen zu Recht an, dass es auch archäologisch ausgerichtete Museen gibt, und tatsächlich haben auch viele Sammlungen etwa einen kulturgeschichtlichen Anspruch. Doch auch solche Sammlungen und Ausstellungskonzeptionen sind nicht frei von den oben skizzierten ästhetischen Musealisierungen. Die in archäologischen Zusammenhängen gebräuchliche Bezeichnung der „Kleinkunst“ veranschaulicht gut die semantischen Überlagerungen bzw. Umwandlungen, die in dem Moment erfolgen, in dem einem Objekt Vitrinentauglichkeit bescheinigt wird: Spätestens sobald etwas visuell attraktiv ist und keine unmittelbar erkennbare technische Funktionalität den Eindruck dominiert, sind auch Objekte qua Musealisierung zu Kunst geworden, die dem streng kunsthistorischen Anspruch eines Connaisseurs nicht genügen würden (Riggs zitiert Bernard von Bothmer mit der Aussage, das Brooklyn Museum würde nur „ ‚the best of art, and art alone‘“ ausstellen, ebenda, 1150). Vgl. dazu, dass die „ästhetische Sicht der Antiquare […] im Stillen weiterhin die wissenschaftliche Methodik“ in der Ägyptologie regiert Fitzenreiter, „Europäische Konstruktionen Altägyptens“, 340f. Wiesing spricht von den „drei klassischen Bedeutungen des Wortes ‚aufheben‘: negare, conservare und elevare“ (Wiesing, Sehen lassen, 186). Negiert wird nach Wiesing vor allem die Eindeutigkeit des Sinns eines Bildes: „Weil ein Bild in einem Kunstmuseum hängt, ist der Betrachter speziell durch diesen Kontext aufgefordert und legitimiert, das Bild zum Zeigen von allem zu verwenden, was das Bild zeigen kann.“ (ebenda, 189). Vgl. Fn. 84 bzw. Wiesing, Sehen lassen, 180–191.
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der, die dieser Dekontextualisierung zweiter Ordnung ausgesetzt sind,86 lassen sich nicht mehr an ihre primären Kontexte zurückbinden, wenn die vorherige Dekontextualisierung nicht reflektiert und in ihren Konsequenzen durchdrungen wird. Ohne eine solche Betrachtung wird sich eine Transzendierung des Museums – als neuzeitlichem Topos des Metasinns – in antike Zusammenhänge nicht vermeiden lassen. Deren zum Teil drastische Konsequenzen für die Ägyptologie als Wissenschaft, die ihren Gegenstand in antiken Lebenswelten und deren Zeugnissen sieht, sind in dieser Arbeit beleuchtet worden. Ägyptische Bilder lassen sich daher als Bilder mit zweierlei Gesicht beschreiben:87 zunächst als ägyptische Objekte, in denen wir Bilder erkennen können. Setzen wir diese Bilder jedoch der Perspektive des musealen Blicks aus und betrachten sie damit unter Aspekten, die den Entstehungskontexten der Bilder fremd waren, haben wir es mit etwas fundamental anderem zu tun: mit ägyptologischer Kunst. Eine solche Differenzierung zwischen ägyptischen Bildern und ägyptologischer Kunst wird dann möglich, wenn wir die Bilder außerhalb musealer Perspektiven im Rahmen wissenschaftlicher Reflexion als etwas betrachten, das William J. T. Mitchell Metabilder genannt hat:88 Bilder, anhand derer wir über unseren Umgang mit ihnen reflektieren können, indem wir sie aus den Diskursen und musealen Kontexten lösen, innerhalb derer die Möglichkeiten, sie zu verstehen und zu interpretieren, gesichert erscheinen. Doch darauf müssen wir uns einlassen: Erst wenn wir den musealen Blick in seiner historischen Bedingtheit erkennen und von ihm zu abstrahieren versuchen, lässt sich erfassen, wie er unser Sehen determiniert.
3.2
Prolegomena für künftige bildwissenschaftliche Untersuchungen
Während die im vorangegangenen Kapitel dargelegte Terminologie eine Grundlage dafür geschaffen hat, eine adäquatere Perspektive auf ägyptische Bilder einzunehmen, stellt sich nun die Frage nach den daraus zu ziehenden Konsequenzen bzw. nach alternativen Möglichkeiten, ägyptische Bilder zu untersuchen, ohne aus ihnen durch einen musealen Blick ägyptologische 86 87
88
Vgl. Te Heesen, Theorien des Museums, 119. Der Begriff greift noch einmal auf Beltings Studie zur frühen Neuzeit zurück, in der dieser den Umstand beschreibt, dass ein und dasselbe Bild in unterschiedlichen Kontexten entweder (Kult-)Bild oder Kunstwerk sein konnte und entsprechend rezipiert werden konnte. Vgl. Kapitel 1.1.1. W. J. T. Mitchell, „Metabilder“, bes. 182–204.
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teil iii
Kunst zu erzeugen. Dazu seien im Folgenden einzelne Ergebnisse dieser Arbeit aufgegriffen, um einige von ihnen weiter zu verfolgen und daraufhin zu perspektivieren. Auf diese Weise sollen erste Wegmarken abgesteckt und Anhaltspunkte dafür gegeben werden, worauf in künftigen Studien verstärkt geachtet werden müsste, um die hier begonnene Neuausrichtung des ägyptologischen Umgangs mit Bildern weiter verfolgen zu können: eine Neuausrichtung, die deshalb als bildwissenschaftlich zu bezeichnen wäre, weil sie sich der Herausforderung annehmen müsste, ägyptische Bilder ‚nur‘ als solche und nicht mehr als Kunst zu betrachten. In Teil ii wurde herausgearbeitet, dass vornehmlich intuitive und an kunsthistorischen Methoden orientierte Stilinterpretationen zahlreiche Probleme aufwerfen und Ergebnisse produzieren, die sich kaum mehr mit den ägyptischen Produktions- und Rezeptionskontexten in Verbindung setzen lassen, wohl aber fortwährend für historische Deutungen in Anspruch genommen werden. Eine diesbezüglich sensible Quellen- und Methodenkritik dürfte daher von besonderer Bedeutung sein (Kapitel 3.2.1). Davon ausgehend wird auf den Begriff des Kontextes und seine Tragweite und Bedeutung eingegangen (Kapitel 3.2.2), um anschließend Möglichkeiten und Probleme von semiotischen Kontextualisierungen etwas ausführlicher zu besprechen (Kapitel 3.2.3). Nach einem Hinweis auf den Einfluss von Geschichte(n) auf Bildinterpretationen (Kapitel 3.2.4) wird die verschiedentlich auftauchende Frage nach den Möglichkeiten und Herausforderungen einer hermeneutischen Erschließung fremder Objekte aufgegriffen (Kapitel 3.2.5). Anhand einer abschließenden Frage werden die einzelnen Betrachtungen dieses vor allem kontextkritischen Ausblicks zusammengeführt (Kapitel 3.2.6). 3.2.1 Zu einer Bildkritik und zum Stil im imaginären Museum Zuallererst ist der vielfach offen oder unterschwellig vertretenen Grundhaltung, Bilder könnten für sich genommen als historische Primärquellen ‚gelesen‘ werden, da sie uns unmittelbar zugänglich seien, eine definitive Absage zu erteilen. Da diese alltagshermeneutische Annahme jedoch einflussreich und weit verbreitet ist, stellt sich dieser Punkt weit weniger trivial dar, als er zunächst anmuten mag. Dies ist zutreffenderweise als sich hartnäckig haltender „Mythos unmittelbarer Verständlichkeit des Visuellen“ beschrieben worden.89 Oben (Kapitel 3.1) wurde bereits auf die Rolle des Betrachters einge-
89
Schade & Wenk, Studien zur visuellen Kultur, 13–34 (Zitat auf S. 166). Vgl. auch die Diskussion anhand eines Beispiels bei Moers, „Ägyptische Körper-Bilder“ sowie oben Kapitel 1.3 und Moers, „Bildfunktionen im pharaonischen Ägypten“, 150–153.
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481
gangen und dargelegt, dass ein von ihm hergestellter Verweis darüber entscheidet, was er in einem Bild erkennt. Dazu muss er die Verweisregeln bzw. den „Sinn des Bildes“ kennen oder mit ihm vertrauten Regeln und Wahrnehmungsgewohnheiten an ein Bild herantreten, um etwas im Bild erkennen zu können. Ohne Weiteres kann dabei nicht davon ausgegangen werden, dass die von Bildproduzenten und Bildbetrachtern genutzten Verweisregeln deckungsgleich sind. Über das Ausmaß der Übereinstimmung kann allenfalls spekuliert werden. Unmittelbar geben Bilder daher keine Auskunft, Betrachter nutzen Bilder vielmehr, so wie sie es gewohnt sind, um in ihnen etwas zu erkennen. Innerhalb der Ägyptologie hält sich jedoch die alltagshermeneutische Perspektive. So tritt selbst in Versuchen, herauszuarbeiten, wie Bilder verwendet werden, die Vorstellung zu Tage, wir hätten es bei Bildern mit unmittelbar wirkenden Akteuren zu tun. Bei Verbovsek heißt es etwa: „Wir kommunizieren mit Hilfe von oder über Bilder und lassen sie – selbst ohne Worte – sprechen. Wir nutzen sie als Medien des Informationstransfers und der Zerstreuung, als rituelle Instrumente, Fetische usw. Wir genießen ihre ästhetische Wirkung, nutzen ihre Unmittelbarkeit, ihre Universalität und suggestive Kraft.“90 Bilder sprechen jedoch nicht – man kann sie auch nicht sprechen lassen – und ein Anschein von Unmittelbarkeit und Universalität mag sich allenfalls unter dem Eindruck einer suggestiven Kraft einstellen, die jedoch wiederum mehr mit unserer Wahrnehmung als mit den Bildern selbst zu tun hat. Vorsicht ist daher auch dann geboten, wenn sich eine Vermenschlichung der Bilder beobachten lässt, wie sie sich in Formulierungen wie ‚Bilder zeigen etwas‘ oder ‚Bilder geben Auskunft oder sprechen zu uns‘ niederschlägt. Dadurch wird die Konstellation aus Bilderzeugung und Bildrezeption unangemessen verkürzt, das bei Verbovsek zu Recht stark hervorgekehrte Instrumentale der Bilder fließ allenfalls nachrangig ins Bildverständnis ein oder wird ganz ausgeblendet. Bilder selbst zeigen jedoch nicht, sie werden von Menschen verwendet, um andere etwas sehen zu lassen.91 Da die Unmittelbarkeit der Bilder nichts anderes als ein liebgewonnenes Phantom ist, steht auf einem 90 91
Verbovsek, „Einleitung. ‚Ein weites Feld‘ “, 10 (Kursive i.O.). So Wiesing, Sehen lassen, 13–15. Vgl. auch Schade & Wenk, die als zentrale Frage formulieren „Wo wird wem was und wie zu sehen gegeben, oder wo ist wem was und wie unsichtbar gemacht?“ Sie gelte u. a. „den Praktiken der Bildproduktion und -rezeption und in diese sind auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingeschlossen.“ (Studien zur visuellen Kultur, 53 [Kursive i.O.]).
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ganz anderen Blatt, ob ein Betrachter auch das in einem Bild sieht, was der Bildproduzent einmal jemanden mithilfe dieses Bildes sehen lassen wollte. Auf dieses oben bereits angesprochene hermeneutische Problem wird weiter unten noch einmal ausführlicher einzugehen sein.92 Bezogen auf die in Teil ii dieser Arbeit ausführlich diskutierten Zusammenhänge äußert sich das alltagshermeneutische Verständnis von der Unmittelbarkeit der Bilder auch auf eine ganz spezifische Weise: in Versuchen, durch Stilbeobachtungen historische Aussagen aus einem Objekt abzuleiten, wenn keine anderen Indizien vorliegen. Dem liegt jene oben problematisierte Prämisse zugrunde, die dem Stil eine kontextunabhängige historische Informationsqualität zuschreibt, die für den modernen Kenner ermittelbar sei. Dabei wird u.a. die Möglichkeit bloßer Ähnlichkeiten sowie stilistizistischer Stilverwendungen ausgeblendet und der Annahme gefolgt, ein Stil sei immer ein Produktionsstil.93 Akzeptiert man nun jedoch die Unhaltbarkeit dieser Prämisse und fasst man Stil als Beschreibung von Ähnlichkeiten auf, für die eine gemeinsame Ursache möglich aber nicht per se erwiesen ist, dann gewinnen für stilistische wie für andere Interpretationen die Kontexte der Objekte bzw. die Frage nach Kontextualisierungsmöglichkeiten entscheidend an Bedeutung. Die hier angestellten Betrachtungen sind zwar von der Stilforschung im engeren Sinne ausgegangen, sie lassen sich jedoch insofern generalisieren, als Ähnlichkeitsbeobachtungen ein omnipräsenter Bestandteil von Interpretationen sind. Wie die hier formulierte Perspektive zeigt, ist mit der Feststellung von Ähnlichkeiten allein jedoch noch nichts über ihre Aussagekraft bzw. über ihre Ursache(n) gesagt. Dennoch vermitteln aufgrund von Ähnlichkeitsbeobachtungen aufgestellte Interpretationen häufig einen Anschein von Selbstevidenz.94 Dabei ersetzt die Feststellung einer Ähnlichkeit eben gerade nicht eine Argumentation. Eine augenscheinliche Ähnlichkeit erfordert vielmehr eine Argumentation, um plausibel zu machen, warum sie inwiefern aussagekräftig
92 93 94
Vgl. Kapitel 3.1 und 3.2.3. Vgl. die Diskussion von Beispielen in Kapitel 2.3 sowie zur Stiltheorie und Terminologie Kapitel 2.4. Pars pro toto sei nur ein Beispiel aus ganz anderem Zusammenhang angeführt, das in einem Satz veranschaulicht, wie Ähnlichkeitsbeobachtungen zu fragwürdigen Interpretationen führen, weil Sachverhalte und Begriffe miteinander analogisiert werden, ohne ihre jeweilige historische Semantik zu berücksichtigen: „With the disappearance of faience figurines, the late Middle Kingdom had reached its turning point, and after almost three centuries the society began to move in different directions, exactly as Postmodernism society had done after the experience of Modernism and the avant-garde.“ (Miniaci, „Collapse of Faience Figurine Production“, 132).
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sein soll. Eine Interpretation von Ähnlichkeiten ohne kontextuelle und argumentative Untermauerung bleibt ein Kennerurteil. Darin liegt die grundsätzliche Bedeutung von Kontexten für die Interpretation von unterschiedlichen Daten, die miteinander verglichen werden. Stile selbst können zwar auch für Kontextualisierungen genutzt werden, da es aufgrund der taxonomischen Qualität des Stils dem Bearbeiter möglich ist, Objekte stilistisch zueinander in Beziehung zu setzen, wenn visuell erkennbare Ähnlichkeiten zwischen ihnen beobachtet werden.95 Die Aussagekraft eines solchen Kontextes ist für sich genommen – ohne weitere stilunabhängige Kontextualisierungen – jedoch sehr gering, da sie sich nicht auf ägyptische Produktions- und Rezeptionssituationen erstrecken kann.96 Der Ort eines solchen rein stilistischen Kontextes ist vielmehr auf das imaginäre Museum begrenzt.97 Nur in ihm lassen sich Objekte ungeachtet ihrer Provenienzen, Gattungen, Dimensionen nebeneinander stellen, vergleichen und so Familienähnlichkeiten zwischen ihnen erzeugen.98 Zur Veranschaulichung soll hier die in Kapitel 2.3.4.2 diskutierte Objektreihung Dorothea Arnolds dienen. Die Abbildungen in Do. Arnolds Aufsatz bilden ein imaginäres Museum, in dem die Objekte durch einen musealen Blick von allen anderen Kontexten gelöst, einander über Gattungen und andere Grenzen hinweg angeglichen und in eine Stilnarration überführt werden: Größe, Material, Provenienz etc. treten gegenüber den Ähnlichkeiten zurück, die durch die die Objekte einander angleichende Wiedergabeform erst erkennbar werden.99 Abb. 35 versammelt die meisten der zugehörigen Abbildungen aus Do. Arnolds Reihenbildung. Dafür wurden sie zunächst alle im selben Maßstab verkleinert (ca. 33%), damit die Größenwiedergabe der Abbildungen relativ zueinander derjenigen von Do. Arnolds Originalpublikation
95 96 97 98
99
Vgl. Kapitel 2.4.2 etwa zur Stiltheorie Ackermanns. Vgl. Kapitel 2.4.3. Vgl. Kapitel 3.1 und te Heesen, Theorien des Museums, 116–118. Oben (Kapitel 3.1 bei Fn. 10) wurde darauf hingewiesen, dass bloße Ähnlichkeiten einerseits nicht zwangsläufig Familienähnlichkeiten im Sinne von Ähnlichkeiten, die eine gemeinsame Ursache haben, sein müssen, andererseits aber oft gerade in diesem Sinne interpretiert werden. Das imaginäre Museum ist ein geradezu idealtypischer Ort für solche Deutungen, die aus Ähnlichkeiten Familienähnlichkeiten erzeugen. Vgl. Kapitel 2.3.4.2 mit Tabelle 5 (S. 301–305) sowie Do. Arnold, „Amenemhat i and the Early Twelfth Dynasty at Thebes“, 26–34. Auch die in diesem Buch gesammelten Abbildungen bilden ein imaginäres Museum. Vor diesem Hintergrund stellt jede bebilderte Publikation ein imaginäres Museum dar. Die zentrale Frage ist dabei, ob dieser Umstand in Form kritischer Reflexion in die jeweilige Publikation einfließt oder nicht.
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entspricht (obere Abbildungen). Um die von dieser musealen Wiedergabe bei Do. Arnold bewirkten Angleichungen zu dekonstruieren und Inhomogenitäten wieder zum Vorschein treten zu lassen, wird jede Abbildung um einen Kurzsteckbrief ergänzt, der die Objekthöhe, das Material, das Geschlecht der dargestellten Person, und den Fundort nennt. Letzterer wurde zusätzlich in eine schematische Karte eingezeichnet, um räumliche Nähe/Ferne bzw. fehlendes Wissen über die Fundorte herauszustellen. Die tatsächliche Größe der Objekte wird jeweils unten links durch eine zweite Objektwiedergabe visualisiert. Der dabei eingesetzte Maßstab ist immer ungefähr derselbe und richtet sich nach der Objektgröße.100 Denn die Steckbriefangaben der Objektgrößen allein, wie sie sich auch in Do. Arnolds Bildunterschriften finden, leisten dies nur unzureichend: Der visuelle Eindruck der museal-photographischen Wiedergabe (obere Abbildungen) ist schlicht zu stark und verschleiert gerade dann allzu leicht Homogenisierungen, wenn Miniaturen mit Monumentalstatuen verglichen werden. Für die unteren Abbildungen wurde in den Fällen auf zusätzliches Bildmaterial zurückgegriffen, in denen sich bei Do. Arnold nur Teilansichten finden, die auf Kopf-Brust-Ansichten fokussieren und so durch mediale Fragmentierung die Gesamtheit der jeweiligen Statue ausblenden. Für Abb. 35.10 und Abb. 35.11 wurde Bildmaterial der jeweiligen Museen verwendet, das annähernd identisch ist mit den bei Do. Arnold abgedruckten Abbildungsvorlagen. So veranschaulicht dieses Beispiel, wie das imaginäre Museum nicht nur konzeptuell, sondern auch medial-rezeptiv den Raum für eine museale Objektbetrachtung schafft, wie sie oben in Kapitel 2.3.4.2 ausführlich beleutet wurde. Denn niemals vor der Photographie haben all diese Objekte miteinander verglichen werden können. Dies betrifft die meisten Stilvergleiche: Neben den in realen Museen unmittelbar in Augenschein nehmbaren Objekten bilden vor allem die unzähligen Objektphotographien aus Katalogen und anderen Publikationen – als Fundament einer jeden Kennerschaft – das imaginäre Museum, in dem all die Stile überhaupt erst gesehen werden können und in dem Kenner diesen Stilen eine autoritative Aussageleistung zusprechen können.101 So faszinierend ein solches Museum sein mag – und seine Möglichkeiten werden sich durch die Bilddatenbanken der realen Museen, die mehr und mehr per Internet zugänglich gemacht werden, noch vergrößern – so weit entfernt es sich doch auch von dem, was man ägyptische Kontexte nennen 100 101
Dies war nur näherungsweise möglich, da die Photographien die Objekte z.T. aus unterschiedlichen Perspektiven zeigen. Vgl. Malraux, der besonders auf den Einfluss der Schwarz-Weiß-Photographie eingeht (Das imaginäre Museum, 19 f.).
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485
abb. 35.(a–b und 1–2) Dekontextualisierungen und Angleichungen: Objekte im imaginären Museum (vgl. auch Tabelle 5: S. 301–305)
486 teil iii
abb. 35.(3–5) Dekontextualisierungen und Angleichungen: Objekte im imaginären Museum (vgl. auch Tabelle 5: S. 301–305)
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abb. 35.(6–8) Dekontextualisierungen und Angleichungen: Objekte im imaginären Museum (vgl. auch Tabelle 5: S. 301–305)
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abb. 35.(9–11) Dekontextualisierungen und Angleichungen: Objekte im imaginären Museum (vgl. auch Tabelle 5: S. 301–305)
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würde. So kommt die Angewiesenheit solcher stilistischer Perspektiven auf das imaginäre Museum auch einer Entgrenzung der betrachteten Objekte gleich, da letztere rezeptiv ihre Ortsgebundenheit, manche physische Eigenschaften und die situativen Einbettungen, die in Ägypten einst eine Rolle gespielt haben (mögen), vollends verlieren. Mit Anke te Heesen lässt sich daher von einer „Entkontextualisierung zweiter Ordnung“ sprechen.102 Die Bedeutung stilunabhängiger Kontexte liegt nun darin begründet, dass ein Bild für sich genommen immer nur ein Beleg für einen Typus, ein ikonographisches Element o.Ä. sein kann, der erst mittels weiterer Informationen (seien es begleitende Inschriften, der Fundort, die Vergesellschaftung mit anderen Objekten o.Ä.) interpretierbar wird, indem er in von uns aufgebaute Kontexte eingebettet wird. Die Feststellung, dass Stilbeobachtungen überhaupt nur dann Auskunft über die Entstehungszusammenhänge der untersuchten Objekte geben können, wenn uns zusätzliche stilexterne Informationen zur Verfügung stehen, verlangt nach einer grundlegenden Neuausrichtung der ägyptologischen Perspektive insbesondere auf all jene Objekte, die üblicherweise stilistisch untersucht oder beurteilt werden (und das dürften die allermeisten sein).103 3.2.2 Kontextualisierung(en) Von Kontexten war bereits verschiedentlich die Rede, weil sich der Begriff anbietet, Einbettungen von Objekten in Zusammenhänge unterschiedlicher Art oder Bezüge zu beschreiben, die sich zu Objekten herstellen lassen. So wie der Begriff dadurch, dass er die Möglichkeit impliziert, etwas könne in verschiedenen Kontexten betrachtet werden, als Instrument einer Relativierung von Aussagen genutzt werden kann, täuscht er zugleich eine gewisse Objektivität vor: Kontexte erscheinen oft greifbarer und abgesicherter als die untersuchten Texte/Objekte104 selbst. Darauf dass dies jedoch einer Illusion gleichkommt, hat etwa Jonathan Culler hingewiesen: „But the notion of context frequently oversimplifies rather than enriches discussion, since the opposition between an act and its context seems to presume that the context is given and determines the meaning of the 102 103 104
te Heesen, Theorien des Museums, 119. Vgl. hierzu unten Kapitel 3.2.6. Der Begriff Kontext selbst zeigt seine Herkunft aus der Text- bzw. Literaturwissenschaft bereits an, wurde von dort in andere Wissenschaften übernommen und lässt sich als „[d]ie Menge der für die Erklärung eines Textes relevanten Bezüge“ verstehen. Vgl. diesbezüglich Danneberg, „Kontext“, 333 (Zitat).
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act. We know, of course, that things are not so simple: context is not fundamentally different from what it contextualizes; context is not given but produced; what belongs to a context is determined by interpretive strategies; contexts are just as much in need of elucidation as events; and the meaning of a context is determined by events. Yet when we use the term context we slip back into the simple model it proposes.“105 Kontexte sind demnach immer vom Betrachter ausgewählte Bezüge und konstruierte Zusammenhänge, die sich auch anders aufbauen, erweitern oder reduzieren ließen.106 Daher regt Culler an, stattdessen von Rahmen („frames“) zu sprechen, die von uns um Objekte errichtet und innerhalb derer die Objekte betrachtet werden.107 Hinzu kommen die rezeptiven Abhängigkeiten zwischen Text und Kontext, die sich besonders bei Bildinterpretationen deutlich zeigen: Soll ein Bild in seinen historischen Kontext gestellt werden, prägt es die Vorstellungen des Interpreten von diesem historischen Kontext, obwohl doch der Kontext eigentlich das Bild zu interpretieren helfen soll. Mieke Bal und Norman Bryson sprechen daher von einer rhetorischen Figur, von einer Metalepse, die in einen zirkulären „ ‚verification effect‘ “ mündet, da der Interpret so die Korrektheit des (durch das Bild geformten) Kontextes wiederum durch das Bild selbst bestätigt sehen könne.108 Diese Überlegungen benennen zentrale Punkte, die von Bedeutung dafür sind, um sich zu vergegenwärtigen, worüber man spricht, wenn von den Kontexten eines Objektes die Rede ist, und welchen Status daraus abgeleitete Aussagen beanspruchen können.109 Eine Stärke von Kontextualisierungen kann dabei darin gesehen werden, dass sie ihre Untersuchungsgegenstände zwangsläufig historisieren,110 was sich gerade in Anbetracht von kulturspezifischen Funktionen und Verwendungsweisen der Untersuchungsgegenstände als großer Vorteil erweist. In dieser Hinsicht sind etwa Produktionskontexte von Bedeutung, so dass das primäre Augenmerk auf die archäologischen Befunde zu
105
106 107 108 109 110
Culler, Framing the Sign, ix. Vgl. dazu, dass sich eine klare Trennung zwischen Text und Kontext als kaum tragfähig erweist, da jeder Text als eines anderen Textes Kontext betrachtet werden könne, Bal & Bryson, „Semiotics and Art History“, 174–180. Vgl. auch Bal & Bryson, „Semiotics and Art History“, 176f. Vgl. Culler, Framing the Sign, ix. Vgl. Bal & Bryson, „Semiotics and Art History“, 178f., hier: 179 (Zitat). Dieses Verschmelzen von Bildern und Geschichtsbildern wurde in Teil ii wiederholt beobachtet. Vgl. Bal & Bryson, „Semiotics and Art History“. Vgl. Weddigen, „Funktion und Kontext“, 132 sowie Bal & Bryson, „Semiotics and Art History“, 180.
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491
lenken ist, die in einem Zusammenhang zu den untersuchten Bildern stehen. Auch wenn man aus forschungsgeschichtlichen Betrachtungen heraus meinen könnte, die Ägyptologie hätte sich eine entsprechende Haltung bereits zu eigen gemacht, darf nicht unterschätzt werden, dass hier immer noch Nachholbedarf besteht. Die Tatsache, dass oftmals keine Informationen über Fundumstände etc. mehr vorliegen, sollte etwa auf keinen Fall dazu führen, dass man davon ausgeht, eine umfassende Analyse könne auch ohne solche auskommen bzw. aus der Ermangelung an archäologischen Informationen heraus könne gar eine besonders intensive, da auf das eigentliche Objekt reduzierte, Betrachtung gelingen.111 Fehlende archäologische Informationen setzen einer um Historisierungen bemühten Interpretation unüberwindbare Grenzen. Kontextualisierungen sind nun weniger als das Ziel von Interpretationen, sondern vielmehr als zwangsläufiger Bestandteil jeder Interpretation zu sehen. Mit der Kontextualisierung der Objekte ist in ägyptologischem Zusammenhang jedoch nicht nur eine archäologische gemeint, die oftmals schlicht verloren ist, sondern auch eine sozial- und kulturgeschichtliche. Bezogen auf das Beispiel der Grabstelen, das den Einstieg in Kapitel 2 gebildet hat, würde dies bedeuten, dass zunächst soweit irgend möglich der Blick auf die Funktionskontexte der Bilder sowie deren Auftraggeber und Rezipienten zu lenken ist. Durch die Einbeziehung archäologischer Befunde wurde deutlich, dass eine grundsätzliche funktionale Kontinuität zwischen frühen Grabausstattungen und -darstellungen und den jüngeren Stelen unstrittig sein dürfte, da letztere bei näherer Betrachtung ungeachtet ihrer stilistischen oder handwerklichen Ausführung als im kultischen Sinne voll funktionsfähig betrachtet werden können. Dabei zeigte sich, dass einige der bisherigen Ansprachen dieser Objekte weniger den Versuch einer auf die Produzenten und Rezipienten ausgerichteten Rekontextualisierung unternehmen als eine einem neuzeitlichen Kunstbegriff und einem temporalisierten Stilverständnis verpflichtete Kontextualisierung vornehmen, die die Objekte an ihrem ‚Kunstwert‘ misst. Die Untersuchung der Vergangenheitsbezüge aus der 18. Dynastie hat in vergleichbarer Weise aufzeigen können, wie ägyptische Rezeptionskontexte von der Forschung zugunsten neuzeitlicher Stil- und Politikkonzepte vernachlässigt werden können.112 Von unhintergehbarer Bedeutung sind daher auch wissenschaftliche Kontexte: Jede Untersuchung stellt Objekte in Kontexte, die sich aus Prämissen, Konzepten, Begriffen und Wahrnehmungsgewohnheiten zusammensetzen und so die Perspektive bilden, aus der heraus die Objekte betrachtet wer-
111 112
Vgl. die Ausführungen von Montserrat, Akhenaten, 42–44, sowie oben Kapitel 1.3. Vgl. Kapitel 2.4.4.2.
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den. Gerade die Ansprache von ägyptischen Bildern als Kunst und die daraus folgende Kontextualisierung der Objekte innerhalb neuzeitlicher Kunstdiskurse führt, wie sich zeigen ließ, zu einer Kontaminierung der Objekte – ob durch Anwendung neuzeitlicher Stilbegriffe, durch rezeptionsästhetische Überlagerungen oder andere Konzeptionen –, die unsere Möglichkeiten, die Bilder zu untersuchen determiniert. Dies wurde oben von verschiedenen Seiten aus beleuchtet.113 Derartige von den Betrachtern eines Objekts vorgenommene wissenschaftliche bzw. rezeptive Kontextualisierungen sind dabei per se vor stilistischen und anderen Zuordnungen angesiedelt,114 und sie entscheiden daher darüber, welche Geschichte(n) wir uns über ein Objekt überhaupt erzählen können. Der Untersuchung archäologischer und anderer externer Informationen kommt daher die entscheidende Aufgabe zu, die Relationen dieser Kontexte zu möglichen ägyptischen Kontexten zu klären. Dies sollte gerade nicht durch die verbreitete Annahme verschleiert werden, dass Stiluntersuchungen selbst historische Informationen erbringen könnten. Bei einem beobachteten Stil handelt es sich eben nicht um einen Ersatz für einen Kontext, in den sich ein Objekt einstellen ließe, um dessen Entstehungszusammenhänge zu beleuchten. Eine stilistische Datierung oder Zuschreibung wählt lediglich den Kontext neuzeitlicher Stilbegriffe und Stilfunktionen und untersucht Objekte entsprechend der durch diese Kontextualisierung bewirkten Bedingtheiten. Solange wir uns dieser am Beispiel von Stil und Kunst herausgestellten Dimension von Kontextualisierungen nicht bewusst sind, werden wir immer Gefahr laufen, die Anbindung an die Entstehungszusammenhänge der Objekte gänzlich zu verlieren, auch wenn die archäologischen Befunde im Einzelfall noch so reichhaltig sein sollten.115 3.2.3 Semiotik und Hermeneutik Wenn man auf der Suche nach alternativen Angeboten,116 ägyptische Bilder kontextorientiert zu untersuchen, auf solche verzichtet, die sich eines musealen Blicks bedienen, fällt auf, dass insbesondere semiotische Ansätze bzw. an die Semiotik angelehnte Herangehensweisen verbreitet sind.117 Eine semioti-
113 114
115 116 117
Vgl. Kapitel 3.1. Vgl. hierzu bereits Kapitel 3.1 (etwa bei Fn. 58) sowie Davis, „Style and History“ (darin besonders 26 und 30) sowie Panofsky, „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung“, 86–89. Vgl. hierzu besonders Kapitel 1.3. Vgl. hierzu etwa die Zusammenstellungen bei Verbovsek, „‚Das Ende der Kunst‘?“ und Müller, „Zum Stand der ägyptologischen Kunstwissenschaft“. So geht es der Semiotik doch u. a. gerade darum, wie und worauf mit Zeichen verwiesen
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sche Annäherung an Bilder erscheint nun schon alleine aufgrund der verbreiteten Annahme naheliegend, dass Bilder Zeichen seien bzw. als solche gebraucht werden können.118 Die Wirkungsweise und Nutzbarkeit von ägyptischen Bildern sollte sich daher auch semiotisch beschreiben lassen. Besonders konsequent und explizit wurde dies von Reiche ausbuchstabiert, die eine semiotische Terminologie auf Ägypten bzw. Bilder innerhalb von Tempeln überträgt.119 Sie versteht den ägyptischen Tempel dabei „als eine in sich geschlossene Bedeutungswelt […], bei der die Frage nach der Referenz, d.h. die Fragen des Bezugs auf die Wirklichkeit, der historischen Realität, des tatsächlichen Kultablaufs etc. keine Relevanz haben“.120 Es geht Reiche darum, Kultur als „Sinnsystem, innerhalb dessen mittels Zeichen Inhalte kommuniziert werden“, unter Zuhilfenahme der semiotischen Terminologie Umberto Ecos zu beschreiben.121 Sie kann auf diese Weise verdeutlichen, wie sich in der Ägyptologie gängige Auffassungen von ägyptischen Bildern und solche vom ägyptischen Weltbild innerhalb eines auf ägyptische Tempel angewendeten semiotischen Koordinatensystems wechselseitig aufeinander beziehen lassen. Dadurch, dass sie den Tempel und die in ihm befindlichen Bilder in alle semiotisch benennbaren und hierarchisch geordneten Einzelkomponenten zerlegt, wird ein sehr detailliertes Beschreibungsinstrumentarium vorgelegt, von dem ausgehend Analysen und Interpretationen möglich werden sollen.122 Diese richteten sich nach Reiche auf die von ihr angesetzte „dem jeweiligen Tempel zugrundeliegende[] Konzeptionsidee“, in deren Dienst „[a]lle beteiligten Medien (Architektur, Bild und Text)“ gestanden hätten,123 und strebten so „eine Erklärung des jeweiligen Tempel-Sinns an.“124 Die nicht unwesentliche Frage, was es genau mit diesem Sinn auf sich haben soll bzw. – konkreter formuliert – für wen dieser Sinn einen Sinn ergibt oder erge-
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123 124
werden kann, und damit um Bezüge, die mittels Zeichengebrauchs hergestellt werden können, und somit letztlich immer um Kontexte der untersuchten Objekte. Vgl. auch oben Fn. 104 und Hartwig, „Style“, 49–51. Dieser Annahme ist auch hier in Kapitel 3.1 gefolgt worden. Reiche, „ ‚Eine Welt aus Stein, Bild und Wort‘ “. Reiche, „ ‚Eine Welt aus Stein, Bild und Wort‘ “, 164. Reiche, „ ‚Eine Welt aus Stein, Bild und Wort‘ “, 165. Hier bleibt Reiche wenig konkret. So heißt es etwa „Die Funktion der Elemente ergibt sich aus der Analyse von Form und Inhalt und in Bezug zum größeren Zusammenhang des Tempels sowie weiterer kultureller und historischer Faktoren.“ (Reiche, „‚Eine Welt aus Stein, Bild und Wort‘ “, 193). Reiche, „ ‚Eine Welt aus Stein, Bild und Wort‘ “, 191. Reiche, „ ‚Eine Welt aus Stein, Bild und Wort‘ “, 194.
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ben hat und wie dieser konkrete Tempel-Sinn vom generellen Sinn zu unterscheiden wäre, den etwa Assmann in seiner Sinngeschichte auf den Begriff zu bringen versuchte, wird dabei nicht explizit beantwortet. Reiches Ausführungen ist jedoch zu entnehmen, dass sie sich ausschließlich auf die ursprüngliche „Handlungs- und Kommunikationssituation“ bezieht, in der sich der Erbauer eines Tempels an Adressaten gewandt habe.125 Vor diesem Hintergrund erweist sich der allererste Satz des Abschnitts als sehr aufschlussreich, in dem Reiche eingangs ihren „[a]llgemeine[n] theoretische[n] Rahmen“ abgesteckt hat: „Semiotik stellt eine Theorie dar, die Kultur in ihren Erscheinungen und Prozessen als zeichensprachliche Phänomene versteht, wobei diese als in einen ständigen Kommunikationsprozeß eingebunden betrachtet werden.“126 Der Kommunikationsprozess, wie ihn eine semiotische Perspektive in den Blick nimmt, ist tatsächlich ein ständiger: Die Semiose (der Zeichenprozess bzw. die Zeicheninterpretation) ist nicht auf eine primäre Situation oder eine Bedeutung beschränkt, sie stoppt nicht. Werden Zeichen analysiert, verweisen sie – u.a. dem universalistischen Anspruch der Semiotik Rechnung tragend – wiederum auf weitere Zeichen. Die Auswirkungen dieser ‚unendlichen Semiose‘ sind verschieden bewertet worden,127 besonders wichtig ist an dieser Stelle jedoch, sich vor Augen zu führen, dass die Interpretation von Zeichen stets weitere Zeichen produziert und so eine Vielzahl oder gar Unendlichkeit möglicher Deutungen bewirkt. Die Semiotik kann daher zwar dazu dienen, transparent zu machen bzw. zu beschreiben, wie Deutungen von Zeichen vor sich gehen und welche Deutungsmöglichkeiten bestehen, sie kann uns jedoch nicht die eine richtige Deutung liefern, da der Prozess der Zeicheninterpretation per se ein offener ist. Einzelne Deutungen sind daher semiotisch immer nur relativ zu deren Rahmenbedingungen formulierbar. Der jeweilige Interpret bleibt somit ebenso unhintergehbar konstitutiver Bestandteil jeder Deutung wie sich Deutungen semiotisch nur synchron, nicht aber diachron darstellen lassen.128 Semiotische Betrachtungen einzelner Deutungsmöglich125
126 127 128
Reiche, „ ‚Eine Welt aus Stein, Bild und Wort‘“, 191f. Mit dem König als „‚Sender‘“ deutet sich bei Reiche das problematische Konzept einer Autorintention als Ursprung der „Konzeptionsidee“ des Tempels an (ebenda). Reiche, „ ‚Eine Welt aus Stein, Bild und Wort‘ “, 161. Vgl. Eco, Einführung in die Semiotik, 76–78; Eco, Die Grenzen der Interpretation, 425–441; Horlacher, „Semiose“; Bal & Bryson, „Semiotics and Art History“. Vgl. dazu, dass die Semiotik zwar einzelne Deutungen spezieller Zeitpunkte, aber keinen
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keiten kommen somit einerseits zwangsläufig einer Historisierung gleich und bleiben andererseits maßgeblich an den jeweiligen Interpreten gebunden. Der Umstand, dass der Interpret zwangsläufig Teil der Interpretation ist und dass eine Offenheit von Deutungsprozessen anzusetzen ist, stellt freilich keinen spezifisch semiotischen dar. Dennoch ist hier besonders darauf hinzuweisen, weil diese Zusammenhänge trotz ihrer Auswirkungen auf die Möglichkeiten semiotischer oder semiotisch inspirierter Ansätze häufig keine Beachtung finden, wenn Material semiotisch ausgewertet wird. Dies wirft gerade dann Probleme auf, wenn Untersuchungen wie etwa diejenige Reiches ägyptologische Deutungsmuster und Vorstellungen semiotisch auf das als Zeichen verstandene Material abbilden und aus einem semiotischen Grundverständnis heraus, das die generelle Decodierbarkeit kultureller Erzeugnisse ansetzt, eine Hermeneutik zum Einsatz bringen, die den eigentlichen Sinn hinter den Dingen zu ermitteln versucht: Ägyptologische Standardauffassungen werden hier mit ägyptischem Sinn verwechselt.129 Insbesondere die Arbeiten Valérie Angenots haben sich in den letzten Jahren in dieser Hinsicht hervorgetan.130 Während sie selbst eingangs in einem ihre Methode kondensierenden Aufsatz die Mehrdeutigkeit ‚hermeneutischer Darstellungen und Texte‘ betont,131 versteht sie darunter nicht die oben angesprochene grundsätzliche Deutungsoffenheit von Semiosen. Es geht ihr vielmehr darum, dass solchen Bildern neben einer offensichtlichen, literalen Bedeutung („unterstood at face value“132) auch noch eine verborgene weitere Bedeutung innewohne. Für letztere scheint Angenot nun wiederum nicht von Mehrdeutigkeit auszugehen, vielmehr weist sie darauf hin, dass es, auch wenn Bedeutungen schnell wieder vergessen werden könnten, doch durch-
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Wandel von Deutungen beschreiben oder erklären kann, Hatt & Klonk, Art History, 220 f. Vgl. hierzu die „Diskurstypen“ bei Reiche („ ‚Eine Welt aus Stein, Bild und Wort‘“, 191f.), hinter denen sich nichts anderes als gängige ägyptologische Interpretationsmuster verbergen. Vgl. Angenot, „Pour une herméneutique de l’ image égyptienne“; dies., „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“. Vgl. ferner für die Semiotik Brüsseler Prägung Tefnin, Éléments pour une sémiologie. Vgl. Angenot, „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 255 (Kursive i.O.): „Hermeneutic discourses use semiotics as a means of expression. However, a purely functional semiotic system (such as the highway code for example) ought to be clear and univocal, allowing only one interpretation, whereas hermeneutic depictions and texts are characterized by polysemy.“ Angenot, „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 255. Vgl. auch dies., „Semiotics and Hermeneutics“, 113.
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aus für den Interpreten Möglichkeiten gäbe, zur einst intendierten Bedeutung eines Bildes vorzudringen: „However, if one pays attention, signs are still there to be read, for those who have eyes to see, to help them reach the intended message. In secular discourses, the motivation behind hidden messages is often connected to right and censoring (politics, sexual contents …), but also to prowess, poetry, humour and wittiness.“133 In der Ägyptologie habe man sich jedoch in der Vergangenheit oft dagegen gesträubt, gerade in den sogenannten Alltagsszenen („ ‚daily life scenes‘“) mehr zu erkennen als „anecdotic depictions of happy moments, entertainments, or snapshot-like illustrations of life at the time of the pharaohs“.134 Auch wenn Angenot klar feststellt, dass sie nicht so tun möchte, als ob sie definitive Deutungen präsentieren könnte, möchte sie doch auf Muster aufmerksam machen, die gerade in solchen Szenen als Hinweise auf tiefer liegende Bedeutungen verstanden werden könnten.135 Angenots Methode sieht dafür mehrere Schritte vor. So müsse zunächst die Norm, d.h. diejenigen für die betrachtete (Bild)Gattung relevanten semiotischen Konventionen, definiert werden, um dann vor diesem Hintergrund in den zu untersuchenden Bildern Anomalien identifizieren zu können. Sind Anomalien und andere Hinweise auf Bedeutungen (Interpretanten) zusammengestellt, gelte es nach Angenot eine übergeordnete Bedeutung auszumachen. Da den Zeichen und Anomalien selbst nicht angesehen werden könne, welche Bedeutung ihnen innewohnt, müsse eine Bedeutung ermittelt werden, aus deren Sicht alle Anomalien nicht mehr als Anomalien erscheinen, sondern eine kohärente Aussage bilden: „How hard a task this appears most of the time! It is only our knowledge of ancient Egypt and our ability to free ourselves from our own intuitive habits that could lead us to the path of rightful interpretation. However, there exists one indication that we are approaching the truth. This is the point where all the anomalies we have noticed would not appear as anomalies any longer, but instead in a higher coherence.“136 133 134 135 136
Angenot, „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 256 (Kursive K.W.). Vgl. auch dies., „Semiotics and Hermeneutics“, 116 f. Angenot, „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 257 (Kursive i.O.). Vgl. zu den sogenannten Alltagsszenen unten mit Fn. 154. Vgl. Angenot, „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 257. Angenot, „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 268 (Kursive i.O.).
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Auf diese Weise könne man als Kenner137 in dem von ihr vorgeführten Beispiel der Fisch- und Vogelfangszenen aus Privatgräbern der 18. Dynastie davon ausgehen, dass man im Begriff der Wiedergeburt die ursprünglichen Intentionen der Produzenten erfassen könne.138 Es stellt sich nun jedoch die Frage, ob man von eigenen „intuitive habits“ tatsächlich abstrahieren kann, wenn man die angewandte hermeneutische Perspektive aus Interpretationstechniken ableitet, die üblicherweise für die Deutung von Renaissancegemälden und neuzeitlichen Fabeln gebraucht werden und auch auf solche ausgerichtet sind.139 Denn auf diese Weise wird schließlich ein Rahmen gesetzt, innerhalb dessen alles unter den Generalverdacht gestellt wird, hermeneutisch decodierbar zu sein, solange der Betrachter eine Auffälligkeit beobachtet, die er zunächst nicht versteht. Was nun aber auffällig oder anomal erscheint, hängt neben dieser Rahmensetzung auch von der Materialkenntnis des Beobachters ab, die keine neutrale Referenzgröße oder bloße Materialausgangsbasis, sondern nichts anderes als ein imaginäres Museum darstellt,140 das aus spezifischen (hier hermeneutischen) Betrachtungsweisen und Erwartungshaltungen konstruiert ist. Die Schwierigkeit, eine Norm festzulegen, sollte daher ebenso wenig unterschätzt werden wie die Bedingtheiten solcher Normen. Ein konkretes Beispiel, an dem sich dies veranschaulichen und weiter ausführen lässt, ist Angenots Ausdeutung einer Anomalie, die sie als Metalepse beschreibt: 137
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Vgl. „However, if one pays attention, […]“ sowie „How hard a task this appears most of the time! It is only our knowledge of ancient Egypt and our ability to free ourselves from our own intuitive habits that could lead us to the path of rightful interpretation.“ (Angenot, „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 256 bzw. 268). Dazu, wie ‚befreit‘ von intuitiven Gewohnheiten ein solches kennerschaftliches Vorgehen sein kann, ausführlich im Folgenden. Vgl. auch ausführlicher Angenot, „Pour une herméneutique de l’image égyptienne“ sowie als Kurzfassung: dies., „Semiotics and Hermeneutics“, 114–116. Vgl. für eine alternative Interpretation dieser Szenen, die die Beischriften und weitere thematisch ähnliche Texte einbezieht und sich auch (aus einer anderen Perspektive) mit der hier diskutierten hermeneutischen Interpretation auseinandersetzt Widmaier, Landschaften und ihre Bilder, 48–60 und 88–92. Vgl. ergänzend außerdem Quack, der auf die Möglichkeit hinweist, für die Spätzeit Fisch- und Vogelfang als Metapher für Wissenserwerb zu verstehen („Die Initiation zum Schreiberberuf“, 252–254). Vgl. Angenot, „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 256 sowie dies., „Semiotics and Hermeneutics“, 117. Vgl. in diesem Zusammenhang auch oben Kapitel 2.3.5 zur Problematik der Übertragung von Methoden der Porträtforschung und der Ikonologie auf ägyptische Bilder, zumal diese Forschungsfelder eine erkennbare Nähe zur Semiotik bzw. Hermeneutik aufweisen. Vgl. Kapitel 3.1 und 3.2.1.
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„Another interesting trope is metalepsis, a figure of speech that disrupts the logical connection between antecedent and consequent, before and after, and subverts the homogeneity in the logic of narration. To say it shortly, metalepsis presents a certain kind of anachronistic contradiction that, of course always constitutes an anomaly at the literal level of signification. In a previous article I presented two types of metalepses: the throwstick reaching the birds’ neck while still in the deceased’s hands in fowling scenes […]. In the first case, without the apotropaic intention lying behind the composition, the metalepsis would have been useless; […].“141 Wir haben nun keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Handlung, auf die das Bildobjekt solcher Szenen vermutlich verweisen sollte, darin bestand, ein Wurfholz zu werfen, vielmehr geht es hier ums Wurfholzwerfen an sich. Charakteristisch bzw. bedeutsam dafür sind das Anreichen/Ergreifen von Wurfhölzern, das Ausholen bzw. der Wurf selbst und dass Vögel dabei getroffen werden. All dies wird hier innerhalb einer einzigen Szene gezeigt. Angenot selbst weist darauf hin, dass man gegen ihre Analyse einwenden könne, die von ihr erkannte Anomalie sei eine konventionelle Form, verschiedene Zeitstufen darzustellen. Ihr Versuch, diesen Einwand durch die Feststellung zurückzuweisen, dass auch dann, wenn man das Phänomen als Darstellungskonvention erkläre, die Darstellung symbolisch verstanden werde müsse,142 dürfte jedoch weniger die Bedenken zerstreuen als deren Berechtigung verdeutlichen. Denn Angenot weist damit indirekt – und zutreffend – darauf hin, dass auch konventionelle Darstellungsformen sich insofern als symbolisch erweisen, als ihnen ebenfalls erst dann, wenn Codes bzw. Regeln Anwendung finden, Bedeutungen zukommen.143 Verfolgt man diesen Gedanken weiter und nimmt an, dass dies also auch für von uns als konventionell betrachtete Darstellungen gilt, stellt sich die Frage, was die von Angenot als solche identifizierten Anomalien dann noch von konventionellen Darstellungen unterscheidet. Es bliebe wohl, dass sie vielleicht nur gelegentlich belegt sind144 und dazu tendieren, sich ersten Deutungsver-
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Angenot, „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 261. Vgl. Angenot, „Pour une herméneutique de l’ image égyptienne“, 17. Setzt man im diskutierten Fall eine Regel an, derzufolge die mehrfache Darstellung einer Person oder eines Gegenstandes innerhalb einer Szene verschiedene Stadien einer Handlung darstellen kann, lässt sich mehreren Wurfhölzern innerhalb eines Bildes eine entsprechende Bedeutung zuweisen. Dies wäre jedoch bei genauerer Betrachtung auch noch zu diskutieren, da zum einen viele der von Angenot besprochenen Bilder selbst kanonisiert und vielfach belegt sind (Jagd
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suchen zu entziehen. Mit anderen Worten: Man begegnet ihnen eher selten, und wir verstehen sie nicht auf Anhieb. Die Anomalie, die Angenot beschreibt, soll damit als solche keineswegs gänzlich infrage gestellt werden, es sei vielmehr darauf hingewiesen, dass diese erst unter bestimmten Bedingungen entsteht, die an unsere neuzeitlichen Wahrnehmungsgewohnheiten gekoppelt sind. Das von Angenot beschriebene Phänomen lässt sich schließlich nur dann als Anomalie erkennen, wenn man ein solches Bild mit einer etwa auf Photographien ausgerichteten neuzeitlichen Erwartungshaltung betrachtet. Nur wenn man annimmt, das ägyptische Bild sei quasi-photographisch (d.h. das Bildobjekt zeige einen räumlich und zeitlich exakt bestimmbaren visuellen Ausschnitt bzw. ausschließlich Handlungen o.Ä. die zeitlich synchron liegen und sich an ein und demselben Ort ereignen etc.) dann ‚stolpert‘ man und könnte das Bild als Anomalie deuten. Warum aber sollte ein ägyptischer Betrachter, dem das Prinzip der Photographie nicht vertraut ist, überhaupt davon ausgehen, dass ein Wandrelief eine quasi-photographische Momentaufnahme präsentiert? Damit wird deutlicher, worum es sich bei dem von Angenot angeführten „literal level of signification“ (s.o.), von dem sich die Anomalien abheben, tatsächlich im Wesentlichen handeln dürfte: um diejenigen Bezüge, die der Betrachter eines Bildes herstellen kann, wenn er annimmt, er habe eine Photographie vor sich. Während Angenot also eingangs bemängelt, dass man bislang in den sogenannten Alltagsszenen „snapshot-like illustrations“ gesehen habe,145 zeichnet sich ihr Vorgehen bei der Identifikation von Anomalien bezeichnenderweise gerade dadurch aus, dass sie von einem neuzeitlichen an der Photographie orientierten Bildverständnis ausgeht, wenn sie von literalen Bedeutungen („at face value“146) spricht. Sollte dies – ein quasi-photographischer Code – die Norm sein, von der ausgehend ägyptische Bilder zu betrachten sind? Das „literal level of signification“ Angenots dürfte eher eine moderne hermeneutische Konstruktion darstellen, so dass wir aus einer historisierenden Perspektive wohl viel eher Grund dazu haben, die von Angenot als Anomalien betrachteten vermeintlichen Metalepsen-Phänomene als allgemeine Charakteristika bzw. Ausdruck semiotischer Konventionen ägyptischer Bilder zu sehen, die sich unterschiedlich manifestieren können. So dürfte Angenots Weg, Anomalien
145 146
im Papyrusdickicht) und sich zum anderen in den Anomalien Bildstrategien identifizieren lassen, die selbst wiederum auch andernorts nachweisbar sind (Vgl. Schäfer, der Beispiele für die Darstellung „Mehrere[r] Stufen der Handlung in einem Bilde“ beschreibt: Von ägyptischer Kunst4, 231–234). Vgl. oben bei Fn. 134. Vgl. oben Fn. 132.
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zu identifizieren, vielmehr Möglichkeiten aufzeigen, Bereiche in den Blick zu nehmen, in denen sich unsere Wahrnehmungsgewohnheiten nicht mit ägyptischen Darstellungskonventionen decken.147 Angenot selbst weist darauf hin, dass wir für Ägypten Formen logischen Denkens annehmen müssen, die
147
Vgl. zur Bedeutung des Irritierenden Kapitel 3.2.5. Zu zwei der von Angenot diskutierten Anomalien: (1) Die zweifache (oder gar dreifache) symmetrisch angeordnete Darstellung des Grabherren bei der Jagd im Papyrusdickicht innerhalb einer Szene (die einzelnen Darstellungen sind nicht graphisch durch Szenen begrenzende Linien voneinander separiert) (Angenot, „Pour une herméneutique de l’ image égyptienne“, 16 und dies., „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 261 f.): Da der Grabherr bei unterschiedlichen Handlungen (Vogeljagd, Fische-/Nilpferdspeeren) und dennoch in symmetrischer Körperhaltung dargestellt sei, könne nach Angenot die eigentliche Bedeutung nicht in den dargestellten Handlungen selbst liegen. Darüber entspreche die doppelte Darstellung einer Person innerhalb eines durch den ägyptischen Darstellungscode determinierten Rahmens nicht der Konvention. Nun dürfte zunächst nur aus einer hermeneutischen Perspektive heraus eine ‚erzwungene Symmetrie‘ (Angenot) als semantisch tiefgründig zu deuten sein. Die oft großformatigen Darstellungen könnten auch schlicht aus Gründen der Ausgewogenheit der Bildkomposition annähernd symmetrisch aufgebaut sein. Ob es ferner tatsächlich so selten ist, dass eine Person innerhalb einer Szene mehrfach dargestellt ist, wäre eingehender zu prüfen, bzw. dürfte davon abhängen, was man als eine Szene definiert. So dürfte sich die Darstellung verschiedener miteinander in Beziehung stehender oder identischer Handlungen ein und derselben Person innerhalb von aufeinander bezogenen Bildfeldern häufiger antreffen lassen (vgl. Schäfer, Von ägyptischer Kunst4, 233f. mit Abb. 245 und 246; außerdem wären Darstellungen, in denen sich der Grabherr selbst beim Inspizieren von Arbeiten betrachtet, näher zu prüfen, vgl. etwa das Grab des Mnnꜣ, tt 69: Hawass, Die verbotenen Gräber in Theben, 140–142) und zum Ausdruck eben solcher Bezüge und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Darstellungen gedient haben. Mehrfache Darstellungen einer Person bzw. die ‚erzwungene Symmetrie‘ ließen sich in diesem Sinne daher erklären, ohne sie gleich als apotropäisch oder rituell deuten zu müssen. (2) Die Tatsache, dass der Verstorbene und seine Frau auch bei anstrengenden bzw. Bewegungsfreiheit erfordernden Tätigkeiten gerade in der 18. Dynastie in festlicher Garderobe dargestellt sind, dürfte nur einen quasi-photographischen Blick erstaunen und zu hermeneutischen Ausdeutungen leiten (Angenot, „Pour une herméneutique de l’image égyptienne“, 18 f. und dies., „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 259f.). Warum festlicher Kleidung zwangsläufig eine sexuelle Konnotation beizumessen sei, wie es Angenot vorschlägt, wäre erst einmal ohne Rückgriffe auf oberflächliche Analogien näher zu begründen. Ohne auf derartige hermeneutische Strategien zurückgreifen zu müssen, ließen sich diese Phänomene als Veränderungen des Decorums beschreiben und als Wandel in der nun festlicher gestalteten Selbstrepräsentation der Elite erklären. Vgl. hierzu Baines, „Visual, Written, Decorum“, 26–28.
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sich nicht mit unseren deckten.148 Sie bezieht dies jedoch nur auf die Frage, ob eine oder gleich mehrere scheinbar einander widersprechende (verborgene) Bedeutungsebenen gleichzeitig angesetzt werden können, nicht aber auf die weitaus entscheidendere Frage danach, was überhaupt als ‚normal‘, semiotische Konvention oder (in Angenots Terminologie) „niveau 0“149 anzusetzen sei und damit wovon sich aus ägyptischer Sicht wahrnehmbare Brüche und Anomalien abheben würden. Dabei haben wir gerade diesbezüglich davon auszugehen, dass sich in Ägypten vor dem Hintergrund anderer Bezugssysteme entschieden hat, was als Kohärenzbruch o.Ä. wahrgenommen wurde bzw. werden konnte. So stellt Moers in seiner Studie zu Metalepsen in ägyptischen Texten fest: „Metaleptische Grenzüberschreitungen sind nur dort solche, wo entsprechende Ontologien feste Grenzen zu imaginieren helfen, deren ontologisch-literale Überschreitung oder deren rhetorisch-diskursives Über-siehinweg-Rufen als ein Problem wahrgenommen wird.“150 Und da wir für ägyptische Bilder eben keine photographische Ontologie ansetzen können, stellen sich die von Angenot als Anomalie betrachteten Phänomene vielmehr als Facetten einer Norm dar, die nur vor dem Hintergrund moderner Sehgewohnheiten als Kohärenzbrüche hervortreten: Weil aus neuzeitlicher Sicht Gesetze von Zeit und Raum missachtet scheinen, erscheint das Bild als Anomalie und entzieht sich die Darstellung einer unmittelbaren Bedeutungszuweisung. Unmittelbare Bedeutungen erweisen sich jedoch bei ägyptischen Bildern als Phantome, die durch die Erwartungshaltung erzeugt werden, aus diesen Bildern ließe sich eine literale, offensichtliche Bedeutung wie aus Photographien herauslesen. An ägyptischen Bildern ist schließlich rein gar nichts selbstevident oder per se semiotisch eindeutig bestimmt, da auch für ihre Deutung immer die Kenntnis bzw. Anwendung von Regeln nötig ist, um sie für Verweise nutzten und ihnen Sinn zuschreiben zu können. Die relative motivische, typologische und stilistische Stabilität bzw. Homogenität ägyptischer Bilder lässt 148 149 150
Vgl. Angenot, „Pour une herméneutique de l’ image égyptienne“, 27 und dies., „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 227 f. Vgl. auch oben Kapitel 1.4. Vgl. Angenot, „Pour une herméneutique de l’ image égyptienne“, 15. Moers, „Von Stimmen und Texten“, 29–34, vgl. dort außerdem Anm. 6, in der Moers ebenfalls darauf hinweist, dass Angenots Metalepsen-Beschreibung „insofern nicht zutreffend [ist], als sich die vermerkte spatio-temporelle Unordnung dem nach Maßgabe ägyptischer Bildkonventionen vollzogenen Enkodierungsakt selbst verdankt.“
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uns jedoch leicht vergessen, dass es auch solcher Regeln bedarf, um etwa die flachbildliche Darstellung eines ägyptischen Beamten überhaupt als eine solche erkennen zu können. In Fällen wie diesem sind wir Ägyptologen jedoch an den entsprechenden Modus der Sinnzuschreibung gewöhnt. Wir haben schließlich so viele Regeln als Teil dessen internalisiert, was Angenot „intuitive habits“151 nennt, dass man ganz im Sinne der hermeneutischen Methode leicht meinen könnte, gerade das, was sich abhebt, was man nicht erwartet und nicht auf Anhieb versteht, müsse auf besondere Bedeutungen hin decodiert werden. Das Repertoire eines heutigen Betrachters an jenen verinnerlichten Regeln ist nun aber nur zum geringeren Teil ägyptenspezifisch, der größere Teil dürfte an neuzeitlichen Bildern geschult bzw. auf solche ausgerichtet sein.152 Wir können uns weder leicht von jenen habituellen Wahrnehmungs- und Interpretationsmustern lösen, noch unterscheiden sich die ‚Anomalien‘ von dem, was wir uns als ‚offensichtlich‘ oder „literal level of signification“ wahrzunehmen angewöhnt haben, in einer Weise, dass wir Anlass dazu hätten, hier jeweils unterschiedliche Bedeutungsarten anzusetzen. Auf letzteres legt die Hermeneutik Angenots jedoch besonderen Wert, wenn sie feststellt, es gehe darum, diejenigen Bedeutungen zu entschlüsseln, die nicht offen hätten gezeigt werden können oder sollen – im Gegensatz zu den ‚literalen Bedeutungen‘.153 Die Grenze zwischen der Ausgangsbasis der hermeneutischen Methode Angenots – egal, ob als „literal level of signification“, als semiotische Konvention oder als „niveau 0“ bezeichnet – und den aus ihr herausfallenden ‚anomalen‘ Einzelphänomenen verschwimmt und damit auch die Aussagekraft der hermeneutischen Interpretationen selbst. Den von Angenot benannten Phänomenen werden Ursachen zugrunde liegen und es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass mit ihnen einst Bedeutungen verknüpft wurden. Auch dass es sich bei den sogenannten Alltagsszenen
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Vgl. oben Fn. 136. Angenot selbst greift auf Interpretationen der Kopfbedeckung des Rotkäppchens im gleichnamigen Märchen („Petit Chaperon Rouge“) zurück, um darauf hinzuweisen, dass sich die Kopfbedeckung und Kleidung der Frau des Verstorbenen in Darstellungen vom Fisch- und Vogelfang auf ähnliche Weise – im Sinne einer sexuellen Konnotation – verstehen lasse, ohne dabei eine vollständige Vergleichbarkeit beider Zusammenhänge unterstellen zu müssen. So setzt sie „une herméneutique adaptable à deux productions humaines totalement différentes“ an (vgl. Angenot, „Pour une herméneutique de l’image égyptienne“, 21 f. [Zitat: 22]). Darauf, dass Sehen jedoch kein neutraler, sondern ein u.a. kulturspezifischer Vorgang ist, wurde oben bereits hingewiesen. Vgl. Kapitel 3.1 (S. 470) sowie Kapitel 2.3.5.2 mit weiteren Angaben (dort Fn. 518). Vgl. oben bei Fn. 133.
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gerade nicht um Darstellungen von Alltag im Sinne realweltlicher Begebenheiten handelt, ist anzunehmen.154 Wir müssen uns jedoch Klarheit darüber verschaffen, wie die von uns (re)konstruierten Bedeutungen zustande kommen, und uns entsprechend etwa fragen, ob die ‚metaleptische‘ mehrfache Wiedergabe eines Wurfholzes eine apotropäische, die edle Gewandung der Frau des Grabherrn eine sexuelle und die zweifache, symmetrische Darstellung des Grabherrn in einer Szene eine rituelle und apotropäische Bedeutung gehabt haben muss bzw. wie plausibel eine solche Interpretation überhaupt ist.155 Da sich die Art bzw. das Ziel eines möglicherweise ursprünglich intendierten Verweises nicht aus dem Bild(objekt) selbst ergibt,156 muss man dafür eine Regel kennen. Verfügen wir nicht über das nötige ägyptische Hintergrundwissen, bleibt uns nur hermeneutische Spekulation, die wie Wiesing feststellt, darauf abzielt, zu ermitteln, „welche Frage sich durch eine semiotische Verwendung des Bildes gut beantworten lässt.“157 In genau eine solche Spekulation – in nicht mehr und nicht weniger – führt mit all den damit verbundenen Möglichkeiten und Gefahren eine ägyptologische Semiotik, die es sich vornimmt, die Bedeutung hinter ägyptischen Bildern zu entschlüsseln. Entscheidend ist nun, dass der von Angenot vertretene hermeneutische Ansatz eine Kontextualisierung bzw. eine Rahmensetzung darstellt, die ägyptische Bilder rezeptiv umwandelt bzw. einem Aspektsehen unterzieht, indem die Fragen, die man für möglich hält bzw. deren Beantwortung man von den Bildern erwartet, auf hermeneutische begrenzt werden: Das Ungewöhnliche der Bilder wird grundsätzlich als von den Produzenten intendiertes Rätsel betrachtet, das seiner Entschlüsselung harrt. Dessen nimmt sich dann die Hermeneutik an, wobei – wie Angenot selbst schreibt –, nur ein Ägypter deren Deutungen validieren könnte; die Wahrheit sei nur schwer erreichbar.158 Hier von Wahrheit zu sprechen, dürfte die Zusammenhänge jedoch unangemessen beschreiben. Denn Zeichendeutungen sind nie falsch, sie entsprechen nur möglicherweise zu einer bestimmten Zeit nicht den jeweils gängigen Konventionen, die festlegen, ob ein erkannter Sinn auch ein anerkannter ist.159
154 155 156 157 158 159
Vgl. hierzu Widmaier, „Die Lehre des Cheti und ihre Kontexte“, 522–527. Vgl. Angenot, „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 259–269 mit einer tabellarischen Aufstellung (269). Darauf weist ja auch Angenot hin. Vgl. oben S. 496. Wiesing, Artifizielle Präsenz, 68. Vgl. Angenot, „A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics“, 257 sowie hier oben Fn. 136. Eine Facette der Semiotik und Zeichenverwendung ist daher immer auch eine Macht-
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Die Zeichenhaftigkeit der ägyptischen Bilder ist unstrittig. Versuche, historische Codes zu ermitteln, stehen nun aber vor dem Problem, dass sich der Prozess der Semiose auch auf den die Zeichen untersuchenden Interpretationsvorgang selbst erstreckt und dass damit der aus der Analyse gewonnene Sinn immer auch derjenige des Interpreten ist. An die von ihm ausgewählten bzw. konstruierten Kontexte der Bildproduktion bleibt dieser Sinn ebenso gebunden wie an die Kontexte seiner Bildbetrachtung.160 Die hier zentrale Frage dürfte daher sein, als was für eine Art von Zeichen wir ägyptische Bilder betrachten wollen und ob wir in ihnen – die große verborgene Wahrheit hinter ihnen vermutend – hermeneutische Rätselzeichen sehen wollen, wenn wir etwas an ihnen nicht auf Anhieb verstehen. Zweifel daran scheinen nun vor allem dann besonders angebracht, wenn sich alternative Deutungsmöglichkeiten finden lassen, die sowohl erklären können, warum wir manches nicht ohne Weiteres verstehen, als auch, inwiefern es sich dabei um Verweise auf Inhalte handeln könnte, die weit weniger magisch, mystisch oder gar ‚hermetisch‘ erscheinen als man es innerhalb des Rahmens der Hermeneutik erwarten würde.161 In dem von Junge als Symptom des pragmatischen ägyptologischen Alltagsgeschäfts benannten „Bedürfnis nach zusätzlichem interpretationsfähigen Gehalt“162 dürfte das Movens für ein solches Vorgehen und zugleich die Attraktivität von auf diesem Wege produzierten Ergebnissen begründet liegen. Zur Plausibilisierung entsprechender Interpretationen dürfte es jedoch kaum beitragen können.163
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frage. Vgl. Bal & Bryson, „Semiotics and Art History“, 207f.: „Sign-events occur in specific circumstances and according to a finite number of culturally valid, conventional, yet not unalterable rules, which semiotic calls codes. The selection of those rules and their combination leads to specific interpretive behaviour. That behaviour is socially framed, and any semiotic view that is to be socially relevant will have to deal with this framing, precisely on the basis of the fundamental polysemy of signs and the subsequent possibility of dissemination. In the end, there is no way around considerations of power, inside and outside the academy.“ Vgl. hierzu oben Kapitel 3.2.2 sowie Bal & Bryson, „Semiotics and Art History“, 176–180 und 206–208. Denn anders als von Angenot angesetzt (vgl. oben bei Fn. 141) ist etwa die mehrfache ‚metaleptische‘ Wiedergabe von Wurfhölzern oder eines Wurfholzes auch ohne apotropäische Bedeutung auf die oben skizzierte Weise sinnvoll erklärbar. Vgl. außerdem oben Fn. 147. Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 7. Vgl. Eco zu Interpretationen, die sich innerhalb dessen bewegen, was er „hermetische Semiose“ nennt sowie seine Ausführungen zu „Ökonomiekriterien“ der Interpretationsar-
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3.2.4 Geschichte(n) Wie sich verschiedentlich in Teil ii zeigte, gründet sich einerseits ein wesentlicher Anteil der Betrachterperspektive und der aus ihr heraus vorgenommenen Kontextualisierungen auf die Geschichte, über die der Betrachter etwas zu erfahren sucht bzw. in die er die untersuchten Objekte einpasst; und andererseits prägt das untersuchte Objekt die Vorstellungen von dessen geschichtlichem Kontext, aus dem man wiederum etwas über das Objekt zu erfahren sucht.164 Eine methodenkritische Auseinandersetzung mit „der Geschichte“ ist daher zwingend notwendig und sollte mittels Hinterfragung gängiger Narrationen etwa darauf abzielen, rein stilistische Argumentationen zu identifizieren, um künftig auf solche verzichten zu können. Dadurch, dass sich viele stilistischen Interpretationen durch ihre vermeintliche Objektivität – sie scheinen ja aus den Objekten selbst gewonnen zu sein – haben etablieren können, ist es jedoch nicht immer leicht, sie als solche zu identifizieren. Ohne eine weitreichende kritische Auseinandersetzung mit Geschichtsbildern und historischen Narrationen werden wir daher auch nicht zu einer angemessen reflektierten Beschäftigung mit ägyptischen Bildern gelangen können.165 Dies kann im stilforscherischen oder bildwissenschaftlichen166 Alleingang nicht erzielt werden. Eine kritische Stilforschung kann schließlich nur auszeichnen, wozu sie in der Lage ist, was ihre Methoden implizieren, wo
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beit (Die Grenzen der Interpretation, 59–135 und 139–168, dort etwa 120–123 zur „WunderSucht“). Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass semiotische Interpretationen häufig auch mit den Problemen konfrontiert sind, die oben anhand von Versuchen diskutiert wurden, durch die Relationierung von Statuenbildern und literarischen Texten die Bedeutung von ersteren zu ermitteln. Damit befasst sich oben ausführlich Kapitel 2.3.5.2. Einige der dort näher betrachteten Zusammenhänge hat Wolfgang Helck in seinem Kommentar zur Lehre des Cheti pointiert zusammengefasst: „Und was den ‚zweiten Sinn‘ angeht, den man auch in ihr gesucht hat, so wage ich nicht, ihn aufzuspüren, denn ich bin davon überzeugt, daß auch der beste Kenner der altägyptischen Sprache dazu nicht imstande wäre, weil niemand das notwendige Einfühlungsvermögen und die Kenntnis ungesagter Anspielungen hat, die dafür Voraussetzung sind. Und wo sagt eigentlich der Ägypter selbst etwas davon, daß er in seine literarischen Werke zwei Sinne hineinlegte? Diese Frage mag gleicherweise an die gerichtet sein, die in Bildern einen Hintersinn suchen.“ (Helck, Die Lehre des Dwꜣ-Ḫtjj, 162). Vgl. auch oben Kapitel 3.1 (S. 460) und 3.2.2 (S. 490). Vgl. Kapitel 2.1 sowie zum Einfluss von Epochenbildern Kapitel 2.2 (darin zur Bedeutung einer kritischen Geschichtsschreibung Kapitel 2.2.3). Bildwissenschaft hier in einem engeren Sinne verstanden, der sich auf die Bilder selbst fokussiert.
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ihre engen Grenzen liegen und inwiefern sie damit stets auf andere Bereiche der Ägyptologie angewiesen bleibt. Letzteres wurde an verschiedenen Beispielen in Teil ii skizziert. Bei jeder Interpretation sind daher die von uns aufgebauten narrativen Kontexte, d.h. die Geschichte(n), die wir uns (anhand oder im Hinblick auf ägyptische Objekte) über die ägyptische Vergangenheit erzählen, in ihrer Konstrukthaftigkeit zu reflektieren und auf ihre Ausgangsüberlegungen hin zu prüfen.167 Nur so lassen sich die zentralen Bedingtheiten der Interpretationen auszeichnen, um zu verhindern, dass man sich der Illusion hingibt, ein Bild allein könne Auskünfte über noch nicht Gewusstes geben, während es eigentlich nur dazu genutzt wird, eine bereits konstruierte und eventuell bildunabhängige Geschichte zu untermauern.168 Anders formuliert wird es sich für eine bildwissenschaftliche Ägyptologie nicht vermeiden lassen, die Hintergründe und Entstehungszusammenhänge der ägyptologischen Geschichtsbilder zu beleuchten, vor denen sie ägyptische Bilder zu interpretieren sucht. Einer sich mit Bildern befassenden Ägyptologie hingegen, die diese Reflexion vernachlässigt oder sie der ägyptologischen Geschichtsschreibung im engeren Sinne überlässt, bliebe nur der in seinen Möglichkeiten sehr begrenzte Rahmen einer kunsthistorischen oder stilgeschichtlichen Perspektive, wie sie in Teil ii untersucht wurde. Ohne eine Auseinandersetzung mit den hier und in den vorangegangenen Kapiteln skizzierten Punkten wird eine kontrollierbare Interpretation ägyptischer Bilder nicht möglich sein. Nur durch die klare Auszeichnung und die weitgehende Vermeidung entsprechender prätheoretischer und intuitiver Herangehensweisen werden sich etwa stilunabhängige Perspektiven aufbauen lassen, von denen ausgehend dann wiederum auch Stilbeobachtungen interpretiert werden können, die einem historisierten Stilbegriff Rechnung
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Das hier nur knapp umrissene Desiderat erscheint umso dringlicher vor dem Hintergrund der von Giewekemeyer (Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 6) herausgearbeiteten Konstellation aus dem ägyptischen Material einerseits und den ägyptologischen Sinnbildungsnarrativen andererseits, die spezifische Zeiterfahrungen der (Post-)Moderne spiegeln und damit zugleich Emplotmentstrategien in die ägyptologische Historiographie importieren, die keine ägyptische Entsprechung haben. Bedeutsam ist dabei, wie auch im Fall des Kunstbegriffs, eine kritische Auseinandersetzung mit der genutzten Terminologie. Am Beispiel des Geschichtsbegriffs und der aus ihm abgeleiteten Komposita legt dies Giewekemeyer dar (Prozesse kultureller Sinnstiftung, Kapitel 2). Vgl. zur Konstrukthaftigkeit der ägyptologischen Vergangenheitsrekonstruktion auch Fitzenreiter „Europäische Konstruktionen Altägyptens“. Vgl. oben bei Fn. 108.
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tragen.169 Blickt man auf das zur Verfügung stehende Material und die bisherige Praxis innerhalb der Ägyptologie im Umgang mit Bildern, Stil und Geschichte wird deutlich, dass ein solcher Schritt eine stark reduzierte Form der Geschichtsschreibung nach sich zöge, die etwa über die ‚1. Zwischenzeit‘ nur wenig sagen könnte170 und kaum mehr Gründe dafür haben dürfte, sie als solche zu bezeichnen. Sie müsste stilunabhängig datierbare oder anderweitig zuschreibbare Objekte besprechen und könnte diese dann im Sinne einer Kartierung von Stilphänomenen auch stilistisch auswerten, etwa durch die Beobachtung von Pluralismen oder unterschiedlichen Ausmaßen von Kanonizität. Sie wäre dabei nicht frei von dem Problem der Selektivität von Stilbeschreibungen, hätte aber einen weniger verstellten und weniger verzerrten Blick auf das Material. Sie könnte kontrollierbarere Untersuchungen durchführen und dabei die relevanten ägyptischen und ägyptologischen Faktoren und deren Zusammenspiel beobachten, um so im Blick behalten zu können, ob Beobachtungen überhaupt signifikant sein können oder gerade nicht. Erst unter solchen Bedingungen einer methodenkritischen Reflexion wären wir in die Lage versetzt, uns das „Vetorecht“ zu Nutze zu machen, von dem Koselleck spricht: „Streng genommen kann uns eine Quelle nie sagen, was wir sagen sollen. Wohl aber hindert sie uns, Aussagen zu machen, die wir nicht machen dürfen. Die Quellen haben ein Vetorecht. Sie verbieten uns, Deutungen zu wagen oder zuzulassen, die aufgrund des Quellenbefundes schlichtweg als falsch oder als nicht zulässig durchschaut werden können. […] Das, was Geschichte zur Geschichte macht, ist nie allein aus den Quellen ableitbar: es bedarf einer Theorie möglicher Geschichten, um Quellen überhaupt erst zum Sprechen zu bringen.“171 Die nicht unproblematische Metapher der ‚sprechenden Quelle‘ soll hier nicht übernommen werden, das Entscheidende ist vielmehr Kosellecks Hinweis auf die Bedeutung einer kritischen Theoriebildung, vor deren Hintergrund wir erst erkennen können, wie sich aus einer historisierenden Perspektive das Material ansprechen lässt: Ohne eine ihre Begriffe historisierende Metho169 170
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Vgl. etwa Kapitel 2.4.4.1 und 2.4.4.2. Die Reduzierungen würden insbesondere hinsichtlich von Datierungsfragen und semantischen Deutungen von Stilen weitreichende Folgen haben. Siehe dazu auch Giewekemeyers Zusammenstellung der aktuellen (Un)Kenntnisse über diese Zeitphase (Prozesse kultureller Sinnbildung, Kapitel 3). Koselleck, „Standortbindung und Zeitlichkeit“, 206.
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denkritik wird kein ägyptisches Bild einen Ägyptologen daran hindern, es als Krisenbewältigung, Porträt, hermeneutisches Rätsel oder Kunstwerk zu betrachten.172 3.2.5
Die Fremde als hermeneutische Herausforderung „Die Beziehung falscher Vertrautheit, die wir zu den Ausdruckstechniken und ausdrücklichen Inhalten der Malerei des Quattrocento unterhalten und ganz besonders zu der christlichen Tradition, deren nominelle Konstanz die im Laufe der Zeit eingetretenen, tiefen Veränderungen kaschiert, läßt uns die Distanz gar nicht ganz ermessen, die zwischen den Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata, die wir auf jene Werke anwenden, und denen liegt, die sie objektiv erfordern und die ihre unmittelbaren Adressaten an sie herantragen. Kein Zweifel, daß unser Verständnis von diesen Werken – die uns zu nahe sind, um uns in Verwirrung zu stürzen und zu umsichtiger Entschlüsselung zu zwingen, und zu fern, um sich der präflexiven, quasi körperlichen Erfassung, derer der ihnen angemessene Habitus mächtig ist, unmittelbar zu erschließen – Quelle eines durchaus relevanten, obzwar illusorischen Vergnügens sein kann. Dennoch macht erst die wahre Übung in historischer Ethnologie es möglich, unsere Anpassungsfehler zu korrigieren, die leichter unbemerkt unterlaufen als im Fall der sogenannten Eingeborenenkunst (vor allem der Afrikas), wo die Diskrepanz zwischen ethnologischer Untersuchung und ästhetischem Diskurs nicht einmal den hartgesottensten Ästheten entgehen kann.“ pierre bourdieu173
Im Verlauf dieser Arbeit wurde mehrmals die Frage angerissen, welche Möglichkeiten bestehen, sich einer fremden Kultur interpretierend zu nähern. Diverse innerhalb der ägyptologischen Forschung gängige Vorgehensweisen erwiesen sich in Teil ii als unangemessene Übertragung neuzeitlicher Konzepte und Perspektiven und daher als nicht zielführende Formen der Sinnerzeugung. Auch wenn Bourdieu in einem anderen Zusammenhang von einer „Beziehung falscher Vertrautheit“ spricht, passt seine obige Beschreibung hier doch in sehr grundsätzlicher Weise: Jene ägyptologischen Formen der
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Vgl. zu den entsprechenden Rezeptionsmustern Kapitel 2.4.4.2 (mit Exkurs ii), 2.3.5, 3.2.3 sowie zu letzterem insbesondere 1.3 und 3.1. Bourdieu, Die Regeln der Kunst, 493 f.
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Sinnerzeugung lassen sich im Rückblick als Folge einer solchen problembehafteten Beziehung falscher Vertrautheit begreifen, wie sie die Ägyptologie nicht selten zu ihren Gegenständen pflegt. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Arbeit ließ sich wiederum der Eindruck gewinnen, als hätten wir es bei Ägypten mit einer unhintergehbaren Fremde zu tun, die wir durch unsere eigenen Vorstellungen allzu leicht zu überlagern drohen, uns so selbst den Blick verstellend. Dem soll im Folgenden nachgegangen werden, denn es stellt sich die Frage, ob dieser Eindruck zutreffend ist bzw. worin die sich aus diesen Zusammenhängen ergebende Herausforderung liegt. So grundsätzlich das Problem, etwas Fremdes zu untersuchen, ohne es dabei mit eigenen Vorstellungen zu kontaminieren, für ein Fach wie die Ägyptologie ist, so wenig wird es gemeinhin ägyptologisch reflektiert. Denn was einer Klärung fundamentaler Rahmenbedingungen gleichkäme, findet allenfalls auf wenig beachteten Nebenschauplätzen statt: etwa als kritische Wissenschaftsreflexion oder im Bereich der Rezeptionsgeschichte. Zu einer Rückbindung an die breite ägyptologische Forschung kommt es jedoch kaum, stehen derartige Betrachtungen doch immer noch in dem Ruf, als praxisuntaugliche Theoriedebatten im Arbeitsalltag schlicht hinderlich zu sein.174 Das Thema hat eine ausführlichere Auseinandersetzung verdient, hier sei die mehrfach angerissene Fragestellung zumindest noch einmal kursorisch aufgegriffen. Eine im weiteren Sinne hermeneutische Perspektive dürfte den maßgeblichen Kontext175 ägyptologischer Arbeit darstellen, ist diese doch darum bemüht, ägyptischen Zeugnissen interpretierend Sinn zuzuschreiben und so Wissen zu erzeugen.176 Eine solche Perspektive verändert jedoch bereits den ihr
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Es seien hier keine Beispiele angeführt, an denen sich eine solche sich theoretischen Diskussionen verweigernde Haltung implizit oder explizit erkennen ließe. Stattdessen sei auf den Umstand hingewiesen, dass etwa folgende Beiträge bislang keine sehr intensive Rezeption erfahren haben: Gumbrecht, „Does Egyptology need a ‚theory of literature‘?“; Moers, „Spurensucher auf falscher Fährte?“; Fitzenreiter, „Relevanz und Beliebigkeit“. Außerdem spiegelt sich das Problem in dem, was man das Theorie-PraxisMissverständnis nennen könnte. Vgl. dazu, dass das naive Verständnis, es könne eine theoriefreie Praxis geben, weiterhin in der Ägyptologie tonangebend ist, ausführlich Moers, „Vom Verschwinden der Gewissheiten“ (darin in das Thema einführend S. 3–5). Vgl. hierzu auch oben Kapitel 2.3.2.2 (mit Fn. 208) sowie Kapitel 1.4 zur These, es könne keine theorieunabhängige Beobachtung geben. Vgl. zur Bedeutung des Kontext-Begriffes Kapitel 3.2.2. ‚Kontext‘ kann (wie hier) den Rahmen bezeichnen, den eine bestimmte wissenschaftliche Perspektive um einen Gegenstand errichtet und der den Blick auf jenen Gegenstand nachhaltig prägt. Damit bezieht sich Hermeneutik hier in erster Linie auf ein weites philosophisches Ver-
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ausgesetzten Untersuchungsgegenstand. Denn ihr zufolge werden die zur Verfügung stehenden Daten als zu interpretierende Gegenstände betrachtet, deren Interpretierbarkeit zugleich vorausgesetzt wird. Angesichts einer fremden Kultur hat das Vorhaben, sich ihr verstehend177 zu nähern, weitreichende Folgen. Damit sind nicht einmal in erster Linie bestimmte im engeren Sinne hermeneutische Verfahren gemeint, von denen oben gezeigt werden konnte, wie voraussetzungs- und folgenreich ihre Anwendung auf das ägyptische Material ist.178 Es geht vielmehr darum, dass die aus einem hermeneutischen Grundverständnis gespeiste Annäherung an einen Gegenstand selbst ihre historischen Voraussetzungen hat, die nicht unbedingt etwas mit den Primärkontexten ägyptischer Bilder zu tun haben müssen.179 So hat sich oben beispielsweise die aus der kunsthistorischen Porträtforschung übernommene Annahme, man könne eine tief unter der Oberfläche liegende Bedeutung zutage fördern, angesichts des ägyptischen Materials als unangemessen herausgestellt.180 Das heute gängige Interpretieren als Welterschließung kann nicht in der uns vertrauten Weise auch für Ägypten vorausgesetzt werden.181 Wir können daher auch nicht annehmen, dass wir jedem von uns beobachteten Phänomen einen Sinn zuschreiben können, der sich auch für die primären Kontexte der untersuchten ägyptischen Objekte plausibel machen lässt.182 Das heißt selbstverständlich nicht, dass es unangemessen wäre, sich Ägypten inter-
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ständnis des Begriffs und weniger auf dessen gleichnamige Ausformung als Praxis der Textinterpretation. Hier wird nicht auf die Annahme einer Dichotomie von Verstehen und Erklären zurückgegriffen, wie sie vor allem mit Dilthey in Verbindung gebracht wird. Es wird also nicht von Verstehen als einem von Erklären klar abgegrenzten Begriff ausgegangen, sondern vielmehr von Formen der Sinnzuschreibung, bei denen beide Begriffe korreliert sind: „Etwas verstehen = es erklären können“ (Schurz, „Erklären und Verstehen“, 169). Vgl. Kapitel 3.2.3. Vgl. Gumbrecht, der betont, dass sich ein „exzentrisches Verhältnis zur Welt“, das auf dem „Paradigma der Interpretation“ basiert, erst in der Neuzeit durchgesetzt hat (Diesseits der Hermeneutik, Zitate: 42 f.). Auch wenn die Konsequenzen, die Gumbrecht daraus für die Geisteswissenschaften ziehen möchte, sehr problematisch sind, bleibt seine Betrachtung der Veränderungen der Weltsicht, die sich durch die Hermeneutik seit der frühen Neuzeit vollzogen haben, aufschlussreich. Vgl. Kapitel 2.3.5. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Junge, „ ‚Unser Land ist der Tempel der Ganzen Welt‘ “, 3–5. Es sei nochmals auf das von Junge in der Ägyptologie beobachtete verbreitete „Bedürfnis nach zusätzlichem interpretationsfähigen Gehalt“ hingewiesen. Seine Feststellung ist eine berechtigte Mahnung. Vgl. oben Kapitel 1.1.2.
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pretierend zu nähern, es soll im Folgenden vielmehr darum gehen, zu beleuchten, welche Konsequenzen es hat, wenn davon ausgegangen wird, ägyptische Objekte seien für uns grundsätzlich interpretier- und verstehbar. Verstehen und Nichtverstehen liegen näher beieinander, als man annehmen könnte, denn beides lässt sich zunächst nur anhand der jeweils daraus gezogenen Konsequenzen bzw. der Art der gewonnenen Handlungssicherheit unterscheiden: Entweder wird etwas Neues bzw. Fremdes verstanden und hört damit auf, für den Verstehenden neu bzw. fremd zu sein, oder es wird nicht verstanden und mit „Topoi des Anderen“ verknüpft, indem man es als exotisch, lächerlich, undenkbar o.Ä. betrachtet.183 Darin zeigt sich bereits eine wesentliche Eigenschaft der Hermeneutik: Sie zielt auf vollständiges Verstehen. Denn auch in den Topoi des Anderen spiegeln sich eigene Vorstellungen und mit ihrer Hilfe wird das Andere in Bezug zu Bekanntem gesetzt und so in bestehende Verstehenszusammenhänge integriert. Aus diesem Grund dürfte das absolut Fremde außerhalb dessen liegen, worüber wir sprechen können: Das gänzlich Andere hört bereits in dem Moment auf, vollkommen fremd zu sein, in dem man es bezeichnet. Wenn wir über das Fremde sprechen, ist es nicht mehr vollkommen fremd, sondern schon ein Teil unserer Welt. Verstehen zielt in diesem Sinne immer auf Aneignung. Die Fremde ist somit weniger – wie hier eingangs erwogen – unhintergehbar, sondern vielmehr ein Teil von uns: Nichts von dem, was wir wahrnehmen, ist uns vollkommen fremd und alles erscheint in irgendeiner Hinsicht verstehbar.184 Anders gewendet ließe sich sagen: Bei der Betrachtung des Fremden geht es weniger um das Fremde, sondern mehr um das, was wir an Vertrautem darin erkennen, wie etwa Bubner feststellt: „Anders kann das Fremde gar nicht zugänglich sein, als indem es die ursprüngliche Fremdheit verliert und sich in Ähnlichkeiten auflöst, die ein Wiedererkennen erlauben.“185 Die183
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Diese Ausführungen folgen Werner Kogge (Die Grenzen des Verstehens, 21f.): „Verstehen und Nichtverstehen lassen sich als Verläufe begreifen, bei denen das gewöhnliche Vorverständnis in eine Schwebe gerät, die mit einer neu gewonnenen Handlungssicherheit abgeschlossen wird. Der Unterschied zwischen Abschlüssen im Verstehen und solchem im Nichtverstehen besteht darin, daß erstere Verknüpfungen so leisten, daß das Neue zu einer möglichen Vorlage des eigenen Handelns werden kann. Zweitere dagegen knüpfen das, was zu verstehen wäre, an Muster, die ich als Topoi des Anderen bezeichnen werde.“ In diese Richtung ließe sich aus verschiedenen Perspektiven argumentieren. Vgl. dazu Andreas Vasilache, der die These aufstellt, dass interkulturell verstanden werden könne, was sich mit Gadamer mit der „grundsätzlichen Sprachlichkeit allen Seins“ oder mit Foucault mit der „prinzipiellen Regelhaftigkeit aller Diskurse“ begründen ließe (Interkulturelles Verstehen, 134). Vgl. auch oben Kapitel 1.4. Bubner, „Ethnologie und Hermeneutik“, 190.
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ser Umstand führt zusammen mit dem impliziten hermeneutischen Anspruch, alles sei verstehbar, zu einem Phänomen, das Bubner als Sog des Verstehens bezeichnet: „Dem Sog eines einmal begonnenen Verstehens, immer besser verstehen zu wollen, kann sich kein Verstehensprozess entziehen. Verstehen ist auf restlose Anverwandlung aus.“186 Für diesen Sog des Verstehens ist die Hermeneutik, aber auch insbesondere die Ethnologie kritisiert worden. Denn „[j]e besser es uns gelingt, das in der phänomenologischen Erfahrung auftauchende Fremde anschaulich, das in der hermeneutischen Erfahrung begegnende Fremde verständlich zu machen, um so mehr schwindet es.“187 Diese Koppelung von verstehender Aneignung und gleichzeitiger Auslöschung der Fremdheit des Angeeigneten lässt Versuche, das Fremde zu verstehen, unweigerlich auch als Machtfrage erscheinen, die u.a. eine Facette des Orientalismus darstellt.188 Die Orientalismusfrage mag zwar in der Ägyptologie für Verunsicherung bzw. eine gewisse Resonanz gesorgt haben,189 doch da der Fokus der Debatte in der Folge von Edward Saids gleichnamigem Buch auf dem Bild vom islamischen Orient und den damit verbundenen modernen Diskurskonstellatio-
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Bubner, „Ethnologie und Hermeneutik“, 192. Waldenfels, „Eigenkultur und Fremdkultur“, 15. Waldenfels spricht angesichts der Ethnologie vom „Paradox einer Wissenschaft vom Fremden“, da das „Zugänglichmachen des Unzugänglichen“ üblicherweise eine „Verringerung der Fremdheit [bedeute], die sich im Grenzfall völliger Aneignung bis zu Aufhebung der Fremdheit steigert.“ (ebenda, 14f.). Vgl. hierzu auch ausführlich Kämpf, Die Exzentrizität des Verstehens, 281–293, hier besonders 289. Der Begriff ‚Orientalismus‘ wird hier in einem weiten Sinne verwendet. Vgl. etwa James Clifford in seiner Auseinandersetzung mit Edward Said: „The key theoretical issue raised by Orientalism concerns the status of all forms of thought and representation for dealing with the alien.“ („On Orientalism“, 261 [Kursive i.O.]). Vgl. Fitzenreiter „Europäische Konstruktionen Altägyptens“. Assmann hingegen sieht im „fortwirkende[n] Bild Ägyptens als einer Vergangenheit, die auch die von Israel und Griechenland und damit auch die eigene war“, den Grund dafür, dass sich „der Fall Ägyptens grundsätzlich von dem Chinas, Indiens oder dem des ‚Orientalismus‘ im allgemeinen“ unterscheide (Moses der Ägypter, 27). Ganz unabhängig davon, ob man Assmanns gedächtnisgeschichtlichem Ansatz folgt, führt der Umstand einer lang zurückreichenden europäischen Erinnerung Ägyptens jedoch nicht dazu, dass Auseinandersetzungen mit Ägypten per se immun gegenüber postkolonialen Fragestellungen wären. In Kapitel 1.3 wurde die Vermutung geäußert, dass Positionen, die sich gerade deshalb dafür aussprechen, von ägyptischer Kunst zu sprechen, um die ägyptische Kultur ‚für voll‘ bzw. ernst zu nehmen, im Zusammenhang mit latenten Orientalismusvorwürfen stehen (vgl. S. 88 und S. 96–98).
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nen lag,190 konnte die Ägyptologie ob des hohen Alters ihrer Gegenstände ihr Kerngeschäft mehr oder minder unbeschadet von der postkolonialen Kritik fortsetzen. Dabei betrifft die Orientalismusfrage auch die Form der Anverwandlung Ägyptens, die wir Ägyptologie nennen. Besonders deutlich wird dies in musealer Hinsicht. Denn bei musealen Perspektiven lassen sich nicht nur Dekontextualisierungen von fragmentierten und nicht auf Anhieb verstehbaren Objekten191 leicht anschaulich machen, auch Versuche, diese Objekte in ägyptologische Sinnzusammenhänge – d.h. in ägyptologisch gepflegte Ägyptenbilder – einzugliedern, sind omnipräsent erkennbar. Für die frühe Ägyptologie ist dies u.a. mit Bezug auf die beginnende Museumsägyptologie bereits ausführlich herausgearbeitet worden.192 Teil ii dieser Arbeit hat zu dem Ergebnis geführt, dass museale Perspektiven jedoch auch jenseits der eigentlichen Museumsägyptologie weit verbreitet sind.193 Es wurden dabei weniger offenkundige Beispiele für derartige Prozesse untersucht und diese Zusammenhänge anhand des Unterschieds zwischen primären ägyptischen Kontexten und sekundären ägyptologischen Kontexten anschaulich gemacht, der in Kapitel 3.1 die begriffliche Schärfung ‚ägyptische Bilder vs. ägyptologische Kunst‘ begründete. Hier lässt sich nun in der Rückschau die untersuchte ägyptologische Praxis als Beispiel für Verstehensprozesse beschreiben, die uns ägyptische Objekte als materielle Fragmente einer vergangenen Kultur vertraut machen und sie uns verstehen lassen, indem sie das Unvertraute und Unverständliche mit den eigenen Erwartungen harmonisieren und so zugleich das Fremde daran auslöschen. Die in dieser Arbeit diskutierten Beispiele beziehen sich auf verschiedene Methoden und Perspektiven, die sich des imaginären Museums bedienen und auf diesen Rahmen angewiesen sind. Es konnte gezeigt werden, dass die diskutierten Methoden und Wahrnehmungsmuster aus ägyptischen Bildern überhaupt erst ägyptologische Kunst erzeugen. Schon durch die
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Vgl. für einen Überblick zum Diskussionsfeld Orientalismus die Zusammenstellung in Macfie (Hrsg.), Orientalism. Vgl. oben Kapitel 2.3.5.3 zu Fragmentarität und sekundären Fragmentierungen. Von einer leichten Zugänglichkeit des Visuellen auszugehen, wie es ägyptologisch vielfach formuliert wird (vgl. oben Kapitel 1.3 mit diversen Beispielen) erweist sich als Trugschluss. Vgl. diesbezüglich Kapitel 3.2.1 zum „Mythos unmittelbarer Verständlichkeit des Visuellen“ (so formuliert von Schade & Wenk, Studien zur visuellen Kultur, 13–34 [Zitat auf S. 166]). Vgl. Colla, Conflicted Antiquities; Reid, Whose Pharaohs?. T. Mitchell (Colonising Egypt) sieht im Konzept Ausstellung ein spezifisches Wahrnehmungsmuster, dessen politische Dimension er beginnend mit den Weltausstellungen im 19. Jahrhundert herausarbeitet. Vgl. auch Kapitel 3.1.
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Bezeichnung von Objekten als ägyptische(sic) Kunst verschafft sich die Ägyptologie eine Vertrautheit mit ägyptischen Bildern, die sich nicht nur aus neuzeitlichem Kunstverständnis speist, sondern mit diesem identisch ist. In Kapitel 3.1 ist dies bereits mittels begriffsgeschichtlicher Terminologie als die Wirkung semantischer Ladungen beschrieben worden. Anhand von zwei Beispielen sei noch einmal ausgeführt, wie in der ägyptologischen Diskussion aus dem Eindruck von Vertrautheit eine Handlungssicherheit gewonnen wird, die Abhilfe zu versprechen scheint: (1) Darauf, dass die Existenz ägyptischer Kunst in Zweifel gezogen wurde, ist u.a. mit der Feststellung reagiert worden, man könne kunsthistorische Methoden erfolgreich auf ägyptische Objekte anwenden.194 Dies erweist sich jedoch aus der Perspektive dieses Kapitels gerade nicht als Argument für die Angemessenheit jener Methoden, sondern als Beleg dafür, dass in der Ägyptologie Aneignungsprozesse gängigerweise vollständig durchlaufen werden, ohne die Mechanismen des Verstehens bzw. des Gewinnens von Vertrautheit zu reflektieren. Denn wenn eine Methode darauf ausgelegt ist, auf Objekte angewendet zu werden, bei denen es sich um Kunst handelt, dann wird die Anwendung dieser Methoden von Ähnlichkeiten zwischen bekannten Kunstwerken und den Objekten, auf die die Methode angewendet wird, ausgehen und diese Objekte als Kunst verstehen. Dabei werden Ergebnisse produziert, die den Eindruck erwecken, die Methode arbeite erfolgreich und es handele sich deshalb um Kunst. Damit ist ein Aneignungs- und Verstehensprozess skizziert, der dadurch, dass er auf das eigene Gelingen ausgerichtet ist, die Möglichkeit, es könne sich um etwas anderes als um Kunst handeln, vollständig ausblendet. Kurz: Aus Sicht kunstwissenschaftlicher Methoden ist all das Kunst, wor-
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Vgl. Baines, „On the Status and Purposes of Egyptian Art“, 310f.: „Egyptian works of statuary and relief, as well as architecture, respond to traditional modes of art-historical analysis – more ‚radical‘ ones have hardly been tried on them – whether or not their status and functions were different from those of superficially comparable works in other departments of the same museums“; und Müller, „Zum Stand der ägyptologischen Kunstwissenschaft“, 116: „Methoden [gemeint sind u.a. Stil- und Porträtanalyse sowie die Ikonographie, K.W.] wurden meist nicht reflektiert. Sie wurden ganz selbstverständlich aus der europäischen Kunstgeschichte und klassischen Archäologie übernommen, und dies war allgemein der Brauch, nicht nur bei den Archäologen und Kunsthistorikern, die in der frühen ägyptologischen Kunstwissenschaft den Ton angaben […]. Die Methoden konnten aber auch erfolgreich an das ägyptische Material angepasst werden.“ sowie oben Kapitel 1.2.1.4.
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auf diese Methoden angewendet werden. Die ägyptologische Unterstellung, ägyptische Bilder seien Kunst, initiiert einen Sog, der nur eines übrig lässt: Kunst – wohlgemerkt ägyptologische. Anders formuliert kann mit der erfolgreichen Anwendung kunsthistorischer Methoden zwar der Nachweis der Reifikation ägyptologischer Kunst erbracht,195 aber eben keine ägyptische Kunst plausibel gemacht werden. (2) Ganz ähnlich verhält es sich, wenn auf den latenten Vorwurf, man dürfe keine eurozentrischen Maßstäbe ansetzen, damit geantwortet wird, dass gerade aus diesem Grund ägyptische Bilder „auch als Kunst im modernen Sinn für voll genommen werden“ müssten.196 Was als Rehabilitierungsversuch formuliert wird, ist nichts anderes als die Eingliederung ägyptischer Objekte in den Kunstdiskurs der Neuzeit bei gleichzeitiger Auslöschung aller ägyptischen Fremdheit. Dies hat auch hinsichtlich der Motivation seine Entsprechung in der in jüngerer Zeit zu beobachtenden Tendenz, Objekte ethnologischer Sammlungen als vollwertige Kunst auszustellen.197 Doch auch in diesem Zusammenhang erweist sich das Museum – sowohl der Ausstellungsort als auch die Utopie des imaginären Museums – als ein idealtypischer Ort des intellektuellen Kolonialismus:198 Man eignet sich ägyptische Objekte unter den Vorzeichen eines neuzeitlichen Kunstverständnisses an und kreiert so ägyptologische Kunst, ohne diesem Prozess selbst Beachtung zu schenken. Stattdessen sieht man im Rückgriff auf den Begriff der ägyptischen(sic) Kunst
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Die ägyptologische Kunst erweist sich als empfänglich für die Erwartungen der Kunstwissenschaft (vgl. die vorangehende Fußnote). Vgl. zu den Immunisierungstrategien der Kunstwissenschaft weiter unten, u. a. bei Fn. 240. Vgl. Kapitel 1.3 (S. 88) zu dem hier erneut aufgegriffenen Zitat von Müller, „Die ägyptische Kunst aus kunsthistorischer Sicht“, 55. Vgl. weiter unten zum Verhältnis zwischen Motivation und methodisch gesicherten Möglichkeiten. Vgl. zum intellektuellen Kolonialismus in diesem Zusammenhang Schade & Wenk (Studien zur visuellen Kultur, 163), die darauf eingehen, dass ethnologische Sammlungen in der Art ihrer Ausstellungen mehr und mehr den Kunstmuseen folgen: „Zweifellos wurde dies durch Prozesse der Dekolonialisierung ausgelöst und ist auch dem zunehmenden politischen Druck postkolonialer Kritik geschuldet. Im Zuge der Aufwertung ‚fremder Kulturen‘ wurden und werden diese zunehmend als und wie Kunst ausgestellt. Dabei ist diese Form der Nobilitierung ambivalent, denn die ‚Wertschätzung‘ von Objekten anderer kultureller Herkunft als ‚Kunst‘ im Sinne eines westlichen Kunstbegriffs kann ebenfalls als Akt einer intellektuellen Kolonialisierung betrachtet werden, der nicht weniger zu einer Entkontextualisierung beiträgt als die Inszenierung eines ‚fremden‘ Gegenübers.“
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die eigenen Verstehensbedingungen abgesichert, die aus diesem Grund dann gar nicht mehr hinterfragt werden. Die Rückschau auf einzelne Beobachtungen dieser Arbeit soll hier nicht weiter fortgesetzt werden. Stattdessen soll von den bisherigen Überlegungen ausgehend der Frage nachgegangen werden, warum die skizzierten Aneignungsprozesse so reibungslos ablaufen und auf diese Weise die weiterhin immer wieder formulierten Bedenken gegen den Begriff der ‚ägyptischen Kunst‘ effektiv neutralisieren, d.h. warum sie für den Fortgang der ägyptologischen Diskussion bislang stets folgenlos blieben. Der im Laufe dieser Arbeit immer wieder bemühte Verweis darauf, dass nun einmal unsere Perspektive und die eingesetzten Methoden das Ergebnis unserer Betrachtung determinieren, ist zwar zutreffend. Er erklärt für sich genommen aber noch nicht, warum sich die ägyptologische Forschung mit dieser naiven Prozedur zufrieden gibt. Entscheidend dürfte ein Zusammentreffen des oben umrissenen hermeneutischen Grundverständnisses mit einem Mangel an Methodenbewusstsein sein: Ägypten wird von der Ägyptologie als versteh- und interpretierbar betrachtet, ohne dass dabei Verstehensbedingungen oder Interpretationsmethoden hinreichend beleuchtet würden. Dies erweist sich deshalb als fatal, weil zu beobachten ist, dass das Fach daraus wie oben skizziert eine Handlungssicherheit bezieht, die es gegen Bedenken immunisiert. Denn ein solches unreflektiertes Hermeneutikverständnis tendiert dazu, ungeklärte Fragen und Ungewissheiten in den Hintergrund zu drängen. Es wird nicht davon ausgegangen, dass wir es auch mit Unverstehbarem zu tun haben könnten: mit etwas, dem wir keinen Sinn zuschreiben können, der sich auch für dessen primäre Kontexte plausibel machen ließe. Dadurch wird die Bedeutung der Fremdheit Ägyptens soweit zurückgestuft, dass sie mitunter kaum noch eine Rolle spielt. Die Ägyptologie sieht in Ägypten – zugespitzt formuliert – eine vertraute Fremde, in der das Unverständliche als intellektuelle Bedrohung nicht mehr vorkommt.199 Die historische Ferne der ägyptischen Kultur begünstigt dabei geradezu Imaginationen der Nähe.200 Denn die zum Zuge kommenden
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Vgl. Fitzenreiter zum Orient als nunmehr positiv konnotiertem Fremden bzw. Besonderen („Europäische Konstruktionen Altägyptens“, 337): „Entgegen einer einseitig negativen Sicht auf das westliche kulturelle Engagement im ‚Orient‘ im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert kann man feststellen, dass zumindest auf intellektueller Ebene aus dem ‚Fremden‘ des Orients etwas wie das ‚Eigene‘ wurde, aus der negativ besetzten Inversion europäischer Befindlichkeit der positive Kontrast des ‚Besonderen‘.“ Hier könnte auch eine weitere Fremdheitserfahrung eine Rolle spielen. Denn es mag sein, dass neben der zeitlichen Differenz auch die Wahrnehmung einer Diskontinuität zwi-
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Wahrnehmungsmuster und Analogisierungen von Ähnlichkeitsbeobachtungen machen das Fremde so vertraut, dass es im Laufe des hermeneutischen Verstehensvorgangs gar nicht mehr als etwas Fremdes, sondern nur noch als Variante von Bekanntem oder als vertrautes Rätsel verstanden wird. Und dafür – so die verbreitete Annahme – werde sich je nach Bearbeiterpräferenz entweder mithilfe etablierter Methoden oder durch innovative Methodenimporte oder auf Grundlage von (für sich genommen bereits als ausreichend erachteter objektiver(sic)) Materialkenntnis schon eine Lösung finden lassen. Zur Einordnung dieser Zusammenhänge führe man sich noch einmal vor Augen, wie mit Bedenken dagegen, ägyptische Bilder als ägyptische Kunst aufzufassen, in der Ägyptologie gängigerweise umgegangen wird. Die dahingehend reflektierteste Auseinandersetzung, die in dieser Arbeit diskutiert wurde, stammt von Junge, dessen klar formulierte Problemparaphrase bis heute nichts an Aktualität verloren hat. Oben wurde herausgearbeitet, wie Junge der Fragwürdigkeit des Standpunktes ägyptologischer Kunstrezeption dadurch beizukommen versuchte, dass dieser Standpunkt präziser beschrieben wird:201 Durch eine argumentative Analogisierung des ägyptologischen Standpunktes mit den Möglichkeiten und Bedingtheiten moderner Kunstrezeption sah Junge eine tragfähige Basis dafür gegeben, von ägyptischer Kunst sprechen zu können. Andere Positionen gehen deutlich kürzere Wege und räumen die Bedingtheit der ägyptologischen Perspektive zwar durch die Feststellung ein, dass moderne Perspektiven und Begriffe in der Anwendung auf Ägypten problematisch seien oder sein könnten, greifen dann jedoch entweder mit programmatischer Verve oder aus Mangel an Alternativen auf genau diese zurück. Da sich bei ägyptischen Bildern augenscheinliche Ähnlichkeiten zu neuzeitlicher Kunst ausmachen lassen, werden diese als Anknüpfungspunkte für einen Verstehensprozess genutzt, der in den Sog mündet, den diese Arbeit zu ana-
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schen dem alten Ägypten und der modernen ägyptischen Lebenswirklichkeit, mit der Ägyptologen heute vor Ort konfrontiert sind, dazu führt, dass sich manch ägyptologisch informierte Beobachtung dem alten Ägypten näher ‚fühlt‘ als dem modernen Ägypten. (Vgl. weiter unten zur hier ebenfalls relevanten fehlenden Verunsicherbarkeit des Interpreten.) Angenommen diese Hypothese träfe zu, dann wäre damit ein weiterer Aspekt der ägyptologischen Orientalismusfrage umrissen: Inwiefern sind ägyptologische Ägyptenbilder Imaginationen vertrauter Nähe vor der Kontrastfolie einer als fremd erfahrenen Moderne? Derartige Zusammenhänge sind bislang in der Ägyptologie noch nicht behandelt worden. Anhaltspunkte könnte eine jüngst erschienene Studie liefern: Beck, Perspektivenwechsel (non vidi). Vgl. Kapitel 1.1.2.
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lysieren versucht hat:202 einen Sog des Verstehens, der alle Bedenken und alle Ungereimtheiten in ein stimmiges Bild umformt und eine eigene Bilderwelt kreiert, die man sich angewöhnt hat, ägyptische Kunst zu nennen, obwohl es sich dabei um das epistemologische Artefakt einer ägyptologischen Kunst handelt.203 Auffällig ist, dass die ägyptologische Forschung weniger die Bedenken gegen das Konzept ‚ägyptische Kunst‘ direkt adressiert und argumentativ zu widerlegen versucht, vielmehr wird das Konzept ‚ägyptische Kunst‘ als funktionierender Verstehenskontext ausgewiesen: So führt man sich angesichts von Bedenken gegen die Vorstellung einer ‚ägyptischen Kunst‘ vor Augen, dass ägyptische Bilder in dieser und jener Hinsicht dem ähneln, was wir als Kunst kennen. Aus diesem Grunde könne man ägyptische Bilder als Kunst behandeln. Also lasse sich weiter so verfahren, wenn man dabei die anfänglichen nicht ganz von der Hand zu weisenden Bedenken im Hinterkopf behalte. Auf diesem Wege wird den Bedenken gegen eine Praxis die Veranschaulichung der Möglichkeit entgegengehalten, nach jener Praxis verfahren zu können. Die aus dem so angereicherten Verstehen gewonnene Handlungssicherheit (s.o.) wird als Argument für die Angemessenheit dieser Form des Verstehens missverstanden. Das Ergebnis derartiger Argumentationen leistet also keine überzeugende Entkräftung der eigentlichen Bedenken, es handelt sich selbst vielmehr um nichts anderes als eine Variante der durch die Bedenken kritisierten Interpretationspraxis. Denn dass es möglich ist, entsprechend der kritisierten Praxis zu verfahren, steht außer Frage, die Konsequenzen jedoch auf einem anderen Blatt. Es ist zwar möglich, die durch Fremdheitserfahrungen angestoßenen Bedenken gegenüber einer Praxis dadurch oberflächlich von Tisch zu nehmen, dass sich bei Anwendung der Praxis die Fremdheit auflöst. Damit verlieren die Bedenken selbst jedoch nicht ihre Grundlage, allenfalls verschwinden sie aus dem Blickfeld des Betrachters. Die Tatsache, dass eingangs geäußerte Problematisierungen und Hinweise auf die Bedingtheit der Betrachterperspektive oder die Fragwürdigkeit des Begriffes ägyptische Kunst am Ende keine Rolle mehr spielen, veranschaulicht
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Vgl. als besonders prägnante Beispiele die Porträtfrage (Kapitel 2.3.5) sowie die ausführliche Diskussion zum Stil in Kapitel 2.4. Vgl. auch Müller, „Discourses about Works of Art in Ancient and Modern Times“, 15 und 19 f. (Zitat: 15): „The ancient aesthetic approach to works of art is certainly not identical with the modern one. However, I think it is similar enough to form a bridge for us to the ancient mind.“ Der Begriff des epistemologischen Artefakts lehnt sich an seine Verwendung bei Gumbrecht an. Vgl. ders., „Does Egyptology need a ‚theory of literature‘?“ sowie unten Kapitel 3.2.6.
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am besten die Kraft, die dieser Sog des Verstehens entfaltet: Der Augenschein erkannter Ähnlichkeiten verleitet zu Analogisierungen, Angleichungen und Aneignungen, an deren Ende nichts mehr übrig ist, was das harmonische Bild stören könnte. Allenfalls ein Hinweis auf die Notwendigkeit zur Reflexion mag sich noch finden. Doch wie reflektierend kann eine solche Reflexion sein, die ihren Ausgangspunkt des Infragestellens selbst nicht mehr ernst nimmt, sondern ihn gegen die vermeintliche Gewissheit des Augenscheins eintauscht, man könne am Infragegestellten festhalten? – Eine solche Aufforderung zur Reflexion ist kaum mehr als eine Form von Beruhigungsrhetorik: Es wird signalisiert, man nehme die Bedenken ernst, während zugleich Handlungssicherheit dadurch gewonnen wird, dass man feststellt, dass sich die kritisierte Praxis bei Ausblendung der Bedenken fortsetzen lässt. Eine solche Perspektive kann nicht über den Tellerrand schauen – um ein oben bereits einmal aufgegriffenes Bild weiterzuführen204 –, weil sie sich selbst in ihrem Versuch, sich Handlungssicherheit und etablierte Wahrnehmungsgewohnheiten zu erhalten, verschließt und abschottet. So mögen die eigenen Methoden zwar auf dem eigenen ‚Teller‘ noch funktionieren, aber schon die argumentative Auseinandersetzung sowohl über die Ergebnisse als auch über die Beschaffenheit des ‚Tellers‘ wird so gut wie unmöglich.205 Wenn uns aber einerseits die Fremde nur durch das Erkennen von Ähnlichkeiten zugänglich ist und wir andererseits nicht ohne Weiteres (wenn überhaupt) wissen können, ob es sich bei diesen Anknüpfungspunkten um etwas anderes als augenscheinliche Ähnlichkeiten im Auge des Betrachters handelt,206 was können wir als Ägyptologen dann überhaupt ausrichten? Zunächst ist zumindest stark zu bezweifeln, dass unsere Möglichkeiten immer so weit reichen, wie unsere Motive und die an sie geknüpften Fragestellungen es in der Regel einfordern.207 Außerdem ist davon auszugehen, dass das damit skiz-
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Vgl. Kapitel 1.2.2. (S. 75 f.). Vgl. hierzu Fitzenreiters Einschätzung, derzufolge abweichende Prämissen und divergierende Fragestellungen dazu führen würden, dass zwar Vermittlung nottue, „aber eine Diskussion der Ergebnisse fast ausgeschlossen ist“ („Relevanz und Beliebigkeit“, 12). Vgl. die in dieser Hinsicht grundsätzlich relevanten Ausführungen zur Aussagekraft von Ähnlichkeiten, die oben aus einer Betrachtung des Stilbegriffs hervorgegangen sind (Kapitel 2.3.2.1, 2.4 und 3.2.1). Dies ist hier nur als verallgemeinernde Behauptung formuliert, nicht zuletzt weil Motive nur selten thematisiert werden, aber nicht selten die Forschung beeinflussen dürften. Vgl. Fitzenreiter, der in einem anderen Zusammenhang („Europäische Konstruktionen Altägyptens“, 342) darauf hinweist, dass „eine Prise Bekenntnis zu den Motiven hinter der eigenen Strategie“ mitunter gut täte. Die von Gumbrecht angeführte These, der Grund
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zierte Problem bestehen bleiben wird: Es bildet den Rahmen, in dem sich die Ägyptologie bewegt und den sie nicht wird verlassen können.208 Wenn wir uns mit der Frage nach unseren Möglichkeiten auseinandersetzen, geht es also nicht darum, sich der Illusion einer Lösung des Problems hinzugeben, sondern um den Komplexitätsgrad und die Transparenz unseres Arbeitens sowie um die Vermeidung des Vermeidbaren. Dafür sind zwei Aspekte der in diesem Kapitel skizzierten Zusammenhänge von besonderer Bedeutung. Sie sind zwar hinlänglich bekannt, ihnen wird bislang jedoch meist nicht genügend konsequent Beachtung geschenkt: (1) die Fremdheit der Kultur, mit der wir uns befassen, und (2) die Relativität unseres Standpunktes. (1) Wir richten unser Interesse auf eine fremde Kultur und dabei insbesondere auf ihre noch nicht von uns verstandenen und potentiell unverständlichen Bereiche. Die Fremdheit und damit das, was sich nicht auf Anhieb in unser Ägyptenbild einordnen lässt, ist vielfach das Movens unserer Arbeit, weil uns seine Existenz dazu bringt, mehr darüber erfahren zu wollen und ihm einen Sinn abzuringen bzw. zuzuschreiben.209 Oben wurde darauf eingegangen, dass Fremdheit allzu schnell keine Rolle mehr
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auch für die ägyptologische Ägyptenfaszination läge in dem Wunsch, mit den Toten sprechen zu wollen, wurde innerhalb des Faches bislang kaum diskutiert, dürfte aber nicht unberechtigt sein („Does Egyptology need a ‚theory of literature‘?“, 17f.; vgl. auch ders., Diesseits der Hermeneutik, 143f.). Auch im Laufe dieser Arbeit wurden entsprechende Fälle beobachtet, in denen etwa versucht wurde, ägyptischen Personen wieder Gesicht zu verleihen und mit ihnen ins Gespräch zu treten (Vgl. Kapitel 1.3, 2.3.4.1 und 2.3.5.2). An dieser Stelle wird die Metapher des Rahmens ganz bewusst gebraucht. Denn eben dieses Problem trat ja bereits bei der obigen Diskussion des Kontextbegriffes auf: Ein Kontext dient als Rahmen, innerhalb dessen etwas betrachtet wird und der die Betrachtung sowohl ermöglicht als auch determiniert. Kontexte sind immer vom Betrachter ausgewählte Bezüge und konstruierte Zusammenhänge. Weder Kontext noch Text/Objekt sind objektiv bzw. rezeptionsunabhängig. Vgl. Kapitel 3.2.2. Dies lässt sich natürlich nicht grundsätzlich verallgemeinern. Denn für Teile der Ägyptologie mag etwas Gegenteiliges zutreffen, denn auch der Reiz daran, im alten Ägypten ein Alter Ego zu suchen und zu finden (eine Variante menschlicher Existenz, die uns deshalb nah ist, weil wir Menschen sind und die Ägypter auch welche waren), mag entscheidend für viele sein. Doch dies widerspricht letztendlich nicht unbedingt der oben formulierten Einschätzung: Denn auch bei dieser Grundhaltung bleibt Fremdheit ein entscheidendes Moment: Das, was uns aus dieser Perspektive von den Ägyptern unterscheidet, was sie als Variante menschlicher Kultur von der unsrigen abgrenzbar sein lässt, ist uns zunächst fremd, wenn es aus jener Sicht auch als erschließbar betrachtet wird, weil einem Menschen nichts Menschliches wirklich fremd sei.
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spielt, weil sie vielfach unmerklich an eigene Verstehenszusammenhänge angeglichen wird und sich so bei ihrer Betrachtung auflöst. Aus der Perspektive herkömmlicher Hermeneutik ist daran nichts Bedenkliches, geht es ihr doch um ein vollständiges Verstehen im Rückgriff auf das eigene Vorverständnis.210 Eine vollständige hermeneutische Anverwandlung mag dann ein probater Weg sein, wenn die untersuchten Objekte auch unter der Maßgabe einer solchen hermeneutischen Interpretationspraxis entstanden sind. Bei der Kunst und Literatur der Neuzeit können wir dies etwa annehmen. Wenn jedoch hinsichtlich des Entstehungskontextes und des Interpretationskontextes eine solche partielle Kontextkongruenz nicht gegeben ist, dann müssen sich unsere Sinnzuschreibungen fragen lassen, welchen Sinn sie für uns haben können. Schließlich dürfte es problematisch sein, diesen Sinn auch für die Entstehungskontexte der Objekte plausibel zu machen. Ein solches vollständiges Verstehen kann jedoch nicht in unserem Interesse liegen, wenn wir in Ägypten nicht nur den Spiegel unserer eigenen Imaginationen sehen wollen. Denn dann sind besonders die Beobachtungen wichtig, die sich nicht wie von allein in etablierte Ägyptenbilder einfügen. Der Moment der Irritation, der dann eintritt, wenn ein Phänomen die Erwartungen des Betrachters enttäuscht, ist – entgegen des sich womöglich aufdrängenden Eindrucks – eben keine enttäuschende Sackgasse. Denn so paradox es klingen mag, solche Sackgassen sind dann, wenn wir sie als Sackgassen begreifen, möglicherweise unser einziger Ausweg aus dem allzu harmonischen Gesamtbild unserer Vorurteile.211 (2) Wir können unsere eigene Perspektive nicht transzendieren, wir bleiben an sie gebunden. Diese Feststellung ist schon fast ein Allgemeinplatz auch 210 211
Vgl. Vasilache (Interkulturelles Verstehen nach Gadamer und Foucault, 38–45) zu Gadamers Rehabilitation des Vorurteils und unten Fn. 214. Vgl. zur Bedeutung der Irritation auch die Verwendung des Begriffs in der Systemtheorie Luhmanns, der zufolge sich Irritationen „aus einem internen Vergleich von (zunächst unspezifizierten) Ereignissen mit eigenen Möglichkeiten, vor allem mit etablierten Strukturen, mit Erwartungen [ergeben]“ (Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 118f.). „Irritationen werden […] in der Form von enttäuschten Erwartungen registriert. Dabei kann es sich um positive und um negative, um freudige und leidige Überraschungen handeln. In beiden Fällen geht es einerseits um momentane Inkonsistenzen, die auch vergessen werden können; man sieht die Konsequenzen nicht oder verdrängt sie. Andererseits kann die Irritation aber auch eigene Wiederholbarkeit anmelden und auf dieser Ebene zu den Erwartungsstrukturen des Systems in Widerspruch treten.“ (ebenda, 789–798, hier: 791). Vgl. außerdem Luhmann, Einführung, 124f.; Koller, Grenzen der Kunst, 103–107; Miebach, Soziologische Handlungstheorie4, 274 f.
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der ägyptologischen Forschung, und doch werden nur selten Konsequenzen daraus gezogen. Bei näherer Betrachtung stellt sich die Relativität des eigenen Standpunktes gegen den Anspruch des innerhalb der Ägyptologie kultivierten Hermeneutikverständnisses und führt zu einer gänzlich anderen Ausgangslage: Wenn ein Betrachter an seinen Standpunkt gebunden ist, und damit auch seine Betrachtung an diesen gebunden bleibt, dann ist kein vollständiges Verstehen möglich.212 Von der einen Wahrheit kann dann nicht ausgegangen werden, denn ein anderes Verstehen bleibt immer möglich, so vollständig sich die Fremde innerhalb einer Betrachtung auflöst, so präsent kann sie am Ausgangspunkt einer weiteren Betrachtung sein, die von einem anderen Standpunkt ausgeht und zu anderen Ergebnissen gelangt.213 Das Ziel der Hermeneutik erscheint daher unerreichbar, wenn man die Relativität des Betrachterstandpunktes ernst nimmt. Die gängige Antwort darauf wird meist in der Legitimierung des Standpunktes gesucht, indem man ihn zwar als einen von mehreren möglichen akzeptiert, ihm jedoch versucht, eine Deutungshoheit zu verleihen, weil er etwa ‚bessere Ergebnisse‘214 verspreche als andere. 212
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Vgl. Angehrn, „Vom Zwiespalt der Grenze“, 31: „Die Unendlichkeit des Verstehens ist die Kehrseite seiner Endlichkeit. Verstehen kommt an kein Ende, weil es nie das Ganze umfassen und vom ersten Ursprung ausgehen kann, sondern sich immer inmitten einer Sinnwelt bewegt, die ihm vorausgeht und es übersteigt.“ Vgl. Vasilache, der zwar von der grundsätzlichen Möglichkeit des Verstehens ausgeht (vgl. Fn. 184), aber ebenfalls feststellt, dass „nur den Schranken des Verstehens Universalität zu[komme]“ und „als methodisches Paradoxon“ formuliert, dass „nur die Unmöglichkeit der Universalität universell ist“ (Interkulturelles Verstehen nach Gadamer und Foucault, 134f.). Auch Kämpf hebt die „Unabschließbarkeit des Verstehens“ hervor, deren Ursache u. a. in der „Standortbedingtheit des Verstehenden“ liege (Die Exzentrizität des Verstehens, 21 [erstes Zitat, Kursive i.O.], 281 [zweites Zitat] sowie 281–293). ‚Bessere‘ Ergebnisse meint in diesem Zusammenhang harmonischere Szenarien und Narrative bzw. besonders überzeugende Formen der Auflösung von Fremdheit durch ein Verstehen von nicht auf Anhieb Verstehbarem. Derartige Versuche sind darum bemüht, die mit der Relativität des Betrachterstandpunktes einhergehende nachhaltige Verunsicherung des Betrachterstandpunktes, auszublenden. Nach Kämpf reicht es jedoch nicht aus, den eigenen Standpunkt zu legitimieren (Gadamer) oder die Standortbedingtheit durch dessen Aufklärung einzuholen und zu neutralisieren (Bourdieu). Es sei vielmehr entscheidend, eine reflexive Struktur vorzusehen (im Horizont eines utopischen Standortes). Während Gadamer durch ein im Überlieferungszusammenhang stehendes eigenes Vorverständnis ein gelingendes Verstehen für möglich halte, bleibt dieser optimistische Weg nach Kämpf dann verschlossen, wenn fremde Überlieferungszusammenhänge außerhalb der eigenen Vorurteilsstruktur stehen. Vgl. Kämpf, Die Exzentrizität des Verstehens, 20f. und 198–200.
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Ein alternatives Vorgehen könnte versuchen, der Fremdheit Ägyptens und der Relativität des Betrachterstandpunktes anhand der oben formulierten Zielsetzung (Erhöhung von Komplexitätsgrad und Transparenz sowie Vermeidung des Vermeidbaren) Rechnung zu tragen. Dafür ließen sich zwei Leitlinien formulieren, um die vielfach eingeforderte Reflexion nachhaltig in die eigene Betrachtung zu integrieren: (1) Die Sensibilisierung für das Irritierende: Wenn wir das Fremde nicht als zu beseitigendes Hindernis, sondern als notwendiges Element jedes neuen Verstehensprozesses betrachten, können wir Irritationen produktiv nutzen und sie nicht der Gewissheit opfern, die eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten und Verstehensprozesse seien angemessen, nur weil sie anwendbar sind. Wie weit man sich durch die eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten von den primären Kontexten des Wahrgenommenen entfernen kann, wurde in diesem Buch gezeigt. Vielmehr sollten wir damit rechnen, dass gerade von dem, was uns besonders interessiert, nichts übrig bleibt, wenn wir es vollständig unseren neuzeitlichen Verstehensprozeduren ausliefern. Anstelle interessanter Irritationen bliebe nur eine neue Variation altbekannter Erwartungen – ein Bild illusionärer Harmonie.215 (2) Die Relativität des eigenen Standpunktes als Chance auf Korrigierbarkeit: Wir müssen uns selbst davor bewahren, Momente der Verunsicherung durch den Rückzug auf vordergründige Formen von Handlungssicherheit zu beenden. Dies ist auch wichtig, weil das von uns Betrachtete selbst zu keiner ‚Gegenreaktion‘ mehr im Stande ist. So gerne viele Ägyptologen mit Ägyptern des alten Ägypten sprechen (würden),216 Widerspruch 215
216
Diese Feststellung nähert sich nicht unabsichtlich einer in anderem Zusammenhang von Sauerländer formulierten Metapher, die auch hier angemessen erscheint: Sauerländer zufolge erschafft ein Kunsthistoriker, der im Stil die Geschichte selbst oder einen Ersatz für diese sieht, „the illusion that history could be looked at like a sunset – all in harmony.“ (Sauerländer, „From Stilus to Style“ 267, vgl. oben Kapitel 2.4.2). Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Kritik Didi-Hubermans am von der Kunstgeschichte gepflegten „Ton der Gewißheit“, bei ihm heißt es weiter: „Die Bücher der Kunstgeschichte aber können einem den Eindruck von einem Gegenstand vermitteln, den man wirklich in all seinen Aspekten erfaßt und erkannt hat wie eine bis ins letzte ausgeleuchtete Vergangenheit. Alles scheint sichtbar und gesichtet zu sein. Zu Ende ist es mit dem Prinzip der Ungewißheit. Alles scheint abgeschlossen und gemäß einer gesicherten – apodiktischen – Semiologie medizinischer Diagnostik dechiffriert worden zu sein.“ (Didi-Huberman, Vor einem Bild, 10 f. [Kursive im Original]). Nicht nur der Wunsch nach dem Gespräch ist immer wieder feststellbar, vielfach wird der
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ist nicht vernehmbar. – Für sich genommen schon ein weiterer Hinweis darauf, dass es sich bei diesen Gesprächen um keine Dialoge handelt. – Wenn kein Ägypter mehr widersprechen kann, sind wir selbst besonders gefordert, misstrauisch gegenüber unseren eigenen Methoden zu sein. Dass dies in der ägyptologischen Praxis nur selten zu beobachten ist, mag daran liegen, dass entweder aufgrund der impliziten Annahme gemeinsamer Überlieferungszusammenhänge217 oder aufgrund missverstandener Ähnlichkeitsbeobachtungen die Irritation einer Fremdheitserfahrung gar nicht erst auftritt – anders als etwa in der ethnologischen Feldforschung, die sich schon länger darüber im Klaren ist, dass sie sich auf derartige Erfahrungen einstellen und die Rolle des Beobachters intensiv reflektieren muss.218 In der Ägyptologie geht hingegen mit einer geringen Reflexionsbereitschaft eine fehlende Verunsicherbarkeit des Interpreten einher.219 Selektionen und Verstehensprozeduren fallen leichter und treffen auf keine Widerstände. Daraus, dass sich so Ergebnisse hervorbringen lassen, wird Handlungssicherheit gewonnen, während sich aus dem Interpretationsvorgang selbst keine Notwendigkeit zur Reflexion ergibt. Daher muss es – um einen Begriff von Kämpf zu entlehnen – um den Aufbau einer Misstrauensstruktur gehen, die Irritationen zum Anlass nimmt, das Fremde nicht vollständig aufzulösen, sondern den eigenen Standpunkt intensiv zu reflektieren.220 Ist man entsprechend bereit, die Begrenztheit unserer Verstehensmöglichkeiten zu akzeptieren und die damit einhergehenden Grenzen zu gestalten, statt den hermeneutischen Versuch zu unternehmen, sie aufzulösen, dann eignen sich u.a. zwei Instrumente, die auch diese Arbeit einzusetzen versucht hat: (1) Historisierung: Sowohl Ägypten als Gegenstand unserer Betrachtung als auch unser Betrachterstandpunkt sind geschichtlich. Nur eine konsequente Historisierung kann diese Verschränkung von Geschichtlichkei-
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220
Eindruck erweckt, solche Dialoge seien möglich bzw. schon zu Stande gekommen (vgl. oben Fn. 207). Vgl. hierzu Fn. 214. Vgl. etwa zur Writing Culture-Debatte Clifford & Marcus (Hrsg.), Writing Culture. Offenbar erweisen sich unerfüllte Beobachtererwartungen angesichts gelebter Praktiken insgesamt als irritierender als es bei historischen Fragmenten der Fall ist. Vgl. hierzu auch oben mit Fn. 200. Vgl. zu fehlender Verunsicherbarkeit des Interpreten auch Kämpf, Die Exzentrizität des Verstehens, 336–339. Vgl. auch oben Fn. 848 in Exkurs ii (Kapitel 2.4.4.2). Vgl. Kämpf, Die Exzentrizität des Verstehens, 16 f., 281–293 und 328–331 et passim.
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ten transparent machen und so verhindern, dass vermeidbare ahistorische Analogisierungen fremde Phänomene allzu schnell mit Vertrautem harmonisieren und so letztlich auflösen. Durch Historisierungsbemühungen lässt sich beleuchten, was unsere Kontextualisierung ägyptischer Objekte und unsere verstehende Aneignung mit dem zu tun haben können, was wir über die Entstehungskontexte der Objekte – das alte Ägypten – wissen. Inwiefern prägt diese Bedingtheit unserer Perspektive unsere Ergebnisse? Die Bedeutung derartiger Reflexionen tritt besonders prägnant hervor, wenn man bedenkt, dass die Aneignung der untersuchten Objekte bereits im Zuge ihrer Wahrnehmung einsetzt.221 Dieses Buch hat gezeigt, dass sich gerade kunsthistorische Perspektiven, die annehmen, Geschichte werde in Kunst sichtbar, einer Historisierung ihrer Gegenstände und Begriffe verweigern.222 Dies hat insofern problematische Folgen, als ägyptische Objekte so in hohem Maße an unsere Erwartungshaltungen angeglichen werden. Darauf aufbauende 221
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Dabei treffen die Feststellung von Ähnlichkeiten, die ein Wiedererkennen von Vertrautem erlauben (s.o.), auf Wahrnehmungsmuster, die mit den primären Kontexten der Objekte nicht zu tun haben müssen, und verändern so die betrachteten Objekte nachhaltig im Rahmen von Betrachtung und Interpretation. Dies zeigte sich verschiedentlich. Erinnert sei an zwei besonders wichtige Aspekte: (1) Stiltheoretisch verhindert die Loslösung der Phänomene von den Produzenten/primären Rezipienten eine tatsächliche Historisierung, wenn die Forschung von Produktionsstilen ausgeht, was eine Prämisse aller Reihenbildungen und Datierungen darstellt. Dies resultiert darin, dass nur die Stilforschung selbst die Stile bemerken kann, während sie den Ägyptern verborgen geblieben sein müssen (sonst hätte man es mit Stilistizität zu tun, die jedoch keine chronologische Ausdeutung zulassen würde). Die Stilforschung stützt sich daher auf Stil als überzeitliche, betrachterunabhängige, jedoch in Ägypten nicht als solche wahrgenommene Objekteigenschaft. Vgl. hierzu Kapitel 2.3.2.3, in dem u. a. gezeigt wird, wie Vischak versucht, die Produzenten von Grabreliefs in die Betrachtung einbeziehen, weil sie mit diesen die Akteure identifiziert, die die beobachteten stilistischen Phänomene hergestellt hätten. Damit löst sie sich zunächst von der etablierten Praxis der Stilforschung. Am Ende bettet sie jedoch alle Stilphänomene in eine Stilgeschichte ein, die auf der Annahme von Stilentwicklungen basiert und damit die Produzenten der Stile dann eigentlich als Akteure wieder aus der Interpretation heraushalten muss, um ein Stilnarrativ der Produktionsstile ausformulieren zu können. (2) Terminologisch stellt sich schon die Verwendung des Begriffes Kunst gegen Historisierungen. Denn durch die medialen und konzeptuellen Mechanismen des imaginären Museums bzw. der neuzeitlichen Rezeption ‚als Kunst‘ werden ägyptische Objekte verändert, an moderne Erwartungen angeglichen und so überzeitlichen Perspektiven zugänglich gemacht. Die Geschichtlichkeit primärer Kontexte gerät leicht aus dem Blick, wenn Objekte heute als Kunst neu kontextualisiert werden.
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Konstruktionen Ägyptens reflektieren nicht die Komplexität der Situation, mit der wir es zu tun haben, und haben zur Folge, dass die Kontingenz der eigenen Vorurteile und Wahrnehmungsgewohnheiten unterbelichtet bleibt. Stattdessen drohen wir so mögliche Anbindungen an primäre Kontexte gänzlich zu verlieren, ohne es zu bemerken. Vor diesem Hintergrund schließt eine historisierende Perspektive die Verunsicherung eigener Standpunkte, Wahrnehmungsgewohnheiten und Erwartungen ein, weil sie diese nicht mehr für selbstverständlich nehmen kann. (2) Diskretion als Form der Zurückhaltung: Neben die Entsicherung des Verstehens, wie sie mit historisierenden Perspektiven einhergeht, tritt die Frage nach dem hermeneutischen Geltungsanspruch. Nur wenn wir davon Abstand nehmen, alles verstehen zu wollen, wird unser Verstehen korrigierbar bleiben. Wenn wir gegenüber unseren eigenen Wahrnehmungsmustern misstrauisch bleiben, können wir unsere Betrachtung reflexiv halten und uns so die Möglichkeit bewahren, inne zu halten. Werner Kogge hat vergleichbare Zusammenhänge mit dem Begriff der Diskretion beschrieben, an den sich hier anknüpfen lässt.223 Es geht Kogge u.a. darum, die Bedingungen unseres Verstehens zum Gegenstand zu machen und eine grenzbewusste Haltung einzunehmen, die erkennt, dass die Annahme universaler Gemeinsamkeiten eher Grenzen verfestigt als zu ihrer Gestaltung beiträgt. Besseres Verstehen heißt mit Kogge daher nicht, die Gemeinsamkeiten zu vergrößern, sondern mit Grenzen besser umgehen zu können, indem „im Sinne eines kritischen Verstehens“ erkannte „Muster noch einmal daraufhin in den Blick genommen werden, ob sie nicht lediglich im eigenen Sinnhorizont relevant sind.“224 223 224
Vgl. Kogge, Die Grenzen des Verstehens, 337, sowie ausführlich 326–359. Vgl. Kogges Ausführungen zur Ethnologie (Die Grenzen des Verstehens, 349–352, hier: 351 [Zitat]). Er führt weiter aus: „Es werden also die gefundenen Muster nicht unmittelbar auf den Sachverhalt rückbezogen, sondern selbst in Frage gestellt. Von diesem Punkt aus sind zwei Momente zu verfolgen. Zum einen ist zu erforschen, welchen Ort und welche Funktion das angenommene Muster in der eigenen Sinnordnung und in deren Geschichte einnimmt. Ethnologie ist hier Selbstbesinnung, historische und systematische Reflexion der vertrauten Sinnmuster. Zum anderen kann man versuchen, Verknüpfungen zu weiteren Phänomenen der ‚fremden Kultur‘ zu finden, die ebenfalls sich einer Interpretation nach vertrauten Mustern entheben. Das Zusammenspiel dieser beiden Bewegungen führt in ein eigentümliches Geflecht, in dem sich fremd werdendes Vertrautes mit unvertrautem Fremden verbindet.“ (ebenda, 351). Und weiter: „In diesem Prozeß lernen wir nicht vom ‚Anderen‘, sondern wir lernen an dem Scheitern des Erschließens des Anderen eine bestimmte Facette unserer eigenen Ordnung und Geschichte kennen. Indem wir aber
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Fremdheit erscheint vor diesem Hintergrund nicht mehr als etwas, was es aufzulösen gilt, um ein vollständiges Verstehen zu ermöglichen, sondern als initiales Moment unseres Arbeitens, das wir in der Erkenntnis konservieren sollten, dass eine gänzliche Auflösung der Fremdheit gar nicht in unserem Interesse liegen kann.225 Denn im Rahmen einer ungebremsten Hermeneutik drohen Ähnlichkeiten allzu schnell für Analogisierungen in Anspruch genommen zu werden, für die sie nicht aussagekräftig sind. Ein diskretes Vorgehen kann hier Vermeidbares vermeiden helfen. Ein historisierendes und zugleich diskretes Vorgehen kann reflexive Strukturen einbeziehen und Irritationen erkennen, um sie als solche zum Gegenstand der Betrachtung zu machen: Historisierungen ermöglichen die Reflexion historischer Bedingtheiten von Gegenstand und Betrachtung. Diskretion lässt Irritationen bestehen, weil sie sich vollständiger Aneignung verweigert und eine Reflexion der Grenzen des Verstehens vorbereiten kann. Auf diese Weise lassen sich Vorurteile aufdecken, die wissenschaftlichen Kategorien und Theorien eingeschrieben sind und auf diese Weise unsere Erwartungen formen.226 Was nicht ins Bild unserer Erwartungen passt, ist dabei nicht nur oftmals interessanter als dieses Bild selbst, es kann uns auch helfen, Begrenztheiten und Unangemessenheiten unserer Erwartungen zu erkennen. Betrachtet man ägyptische Bilder auf eine solche Weise – und damit außerhalb gesichert erscheinender musealer Wahrnehmungskontexte –, können wir sie als Metabilder sehen und so über unseren Umgang mit ihnen reflektieren.227 Erst mithilfe einer solchen Perspektive lässt sich die Aussagekraft von Betrachtungen einordnen. Die so umrissenen Leitlinien zu verfolgen, ist kein leichtes Unterfangen und es wird nicht immer gelingen können, doch ohne diese reflexive Strukturen werden wir den Rahmen unserer Erwartungen nicht verlassen können.
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stets und immer wieder versuchen, tatsächlich Erfahrung vom Anderen zu machen, wird sich das Andere mit der Zeit immer deutlicher zeigen als Kontur, an der unsere Bemühung bricht. ‚Es selbst‘ erscheint in unserem gesuchten Scheitern, in unserer Fähigkeit, die Eigenart des Anderen nicht zu überrennen, sondern an ihr abzuperlen.“ (ebenda, 352 [Kursive i.O.]). Dies gilt zumindest dann, wenn wir akzeptieren, dass das alte Ägypten uns nie wirklich nah sein wird. Diese Feststellung gründet sich freilich darauf, dass wir mit dem alten Ägypten etwas bezeichnen, das auch außerhalb unserer Imaginationen einmal existiert hat. Vgl. Kämpf, Die Exzentrizität des Verstehens, 340–343. Vgl. zu W. J. T. Mitchells Begriff des Metabildes oben den Abschluss von Kapitel 3.1.
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Mit Blick auf die Fragestellung dieser Arbeit sei nun abschließend der Frage nachgegangen, wie ein solches diskretes Vorgehen aussehen könnte und welche Rolle die Kunstwissenschaft dabei spielt. 3.2.6 Bilderwelten: Braucht die Ägyptologie eine Kunsttheorie? Die Frage „Braucht die Ägyptologie eine Kunsttheorie?“ ließe sich sowohl mit Ja als auch mit Nein beantworten, und doch bliebe die Antwort in beiden Fällen eine unvollständige und würde falsche Erwartungen wecken. Sie scheint zunächst analog zur Frage „Does Egyptology need a ‚theory of literature‘?“ formuliert zu sein, die vor einigen Jahren dem Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht gestellt wurde.228 Sie ist es bei genauerer Betrachtung jedoch insofern nicht, als sie hier bewusst innerägyptologisch gestellt wird. Die erwartbare Antwort der Kunstwissenschaft wäre schließlich eine gänzlich andere als die, die im Folgenden geben wird.229 Die an Gumbrecht gerichtete Frage dennoch hier aufzugreifen, erweist sich insofern als passend, als es durch eine solche Fragestellung möglich wird, vermeintliche Selbstverständlichkeiten näher zu beleuchten. Darüber hinaus ist Gumbrechts Antwort an dieser Stelle interessant, weil er in ihr die Ägyptologie u.a. davor warnt, im Rahmen der Beschäftigung mit ägyptischen Texten epistemologische Artefakte zu erzeugen: „From the point of view of the ongoing discussion in literary studies, theorists of literature are under the obligation to warn Egyptologists against the possible emergence of what one may call ‚epistemological artifacts,‘ i.e., historical reconstructions which are visibly shaped by problematic asymmetries between the theoretical concepts used and the cultural phenomena analyzed.“230 Ferner attestiert Gumbrecht dem Blick auf Ägypten eine ästhetische Komponente, die die Frage nach dem Nutzen einer Literaturtheorie für die Ägyptologie von einer objektbezogenen in eine selbstreflexive umwandele, da sich
228 229
230
Gumbrecht, „Does Egyptology need a ‚theory of literature‘?“. Darauf, dass die Kunstwissenschaft nicht darauf verzichten kann, ihren Gegenstand als Kunst zu betrachten, und folglich immer zwangsläufig auf eine Kunsttheorie angewiesen sein wird, wurde oben bereits hingewiesen (vgl. Kapitel 1.2.2, dort mit Fn. 274). Verbunden mit einem Anspruch auf Zuständigkeit für Bilder im Allgemeinen, wie er von Seiten der Kunstwissenschaft mitunter formuliert wird (vgl. Bredekamp, „Bildwissenschaft“, 74), wäre daher wohl ein klares Ja zu erwarten. Gumbrecht, „Does Egyptology need a ‚theory of literature‘?“, 16.
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die Ägyptologie fragen lassen müsse, ob sie nicht in ihren Versuchen, über ägyptische Literatur zu sprechen, selbst literarische Texte produziere.231 Ohne hier auf die spezifischen die ägyptologische Literaturforschung betreffenden Zusammenhänge eingehen zu wollen,232 hat die vorliegende Arbeit doch gezeigt, dass die Ägyptologie im Rahmen ihrer Beschäftigung mit ägyptischer Kunst(sic) mit vergleichbaren Problemen konfrontiert ist. So wurde oben argumentiert, dass es sich bei ägyptischer Kunst um ein Konstrukt handelt, das durch die Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster des musealen Blicks erzeugt wird, indem ägyptische Bilder in Kontexte überführt werden, die kaum noch Bezüge zu dem aufweisen, was wir über ägyptische Produktions- und Rezeptionsbedingungen wissen bzw. was aus einer historisierenden Perspektive zur Kontextkonstruktion genutzt werden könnte. Wir verdanken diese Kunst demnach neuzeitlichen Rezeptionsgewohnheiten, die als solche nur selten reflektiert werden und dadurch den Blick auf ägyptische Bilder verstellen. Daher wurde vorgeschlagen, zwischen ägyptischen Bildern und ägyptologischer Kunst zu unterscheiden, um klar auszuzeichnen, wodurch letztere entsteht und wer deren Rezipienten sind. Doch damit ist die in der Überschrift gestellte Frage noch nicht beantwortet. In den vorangegangenen Kapiteln wurde die Rolle der Betrachterperspektive im Hinblick auf Kontexte, semiotische Deutungen und Geschichte(n) skizziert und als unhintergehbar charakterisiert. Und gerade vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung mit fremden Kulturen erweist sie sich als zentral. Daraus ergibt sich, dass eine Bild- und Methodenkritik die Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster des Betrachters als den primären Kontext reflektieren muss, der den Rahmen für alles Weitere setzt. Denn der Betrachter ist im Bild, um den Titel eines einflussreichen kunsthistorischen Sammelbandes233 aufzugreifen und ihn im Hinblick auf die Rolle des Interpreten als Betrachter zu verstehen.234 Wir müssen anerkennen, dass wir es sind, die die Kontexte der 231
232 233 234
Gumbrecht, „Does Egyptology need a ‚theory of literature‘?“, 17f. Als Beispiele für die Erzeugung literarischer Texte lassen sich u. a. ein Fiktionalitätsbegriff, wie er von Moers vertreten wurde (Moers, Fingierte Welten), und die neuphilologische Textrezeption des Reading Ancient Egyptian Poetry. Among other Histories (Parkinson) anführen. Moers bezeichnet dies mittlerweile selbst als „literaturwissenschaftlich informierte Arbeit am ägyptologischen literarischen Text“ (Moers, „Vom Verschwinden der Gewissheiten“, 14 [Kursive i.O.]). Vgl. hierzu vor allem Moers, „Spurensucher auf falscher Fährte?“. W. Kemp (Hrsg.), Der Betrachter ist im Bild. Die im Sammelband formulierte kunsthistorische Position versteht den Titel freilich anders. So nimmt sie ihn zum Ausgangspunkt für eine kunsthistorische Rezeptionsästhetik, deren Aufgabe es sei, „die Rezeptionssituation oder Rezeptionsrealität ihrer
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teil iii
Untersuchungsobjekte errichten und Bedeutungen erzeugen.235 Dass Kontexte zwangsläufig konstruiert sind, heißt jedoch nicht, dass alles möglich wäre, und es heißt vor allem auch nicht, dass nichts möglich wäre. Uns bleibt schließlich die Entscheidung darüber, welche Rahmen wir um ägyptische Bilder herum errichten wollen und damit innerhalb welcher Welten wir ägyptische Bilder betrachten. Solche Rahmensetzungen sind überaus bedeutsam, weil sie konzeptuelle Bereiche abstecken, innerhalb derer Betrachter Bilder in den Blick nehmen können, und so Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster determinieren.236 Verschiedene Rahmensetzungen erzeugen so unterschiedliche Bilderwelten, deren Grenzen zugleich die Grenzen der jeweiligen Interpretationsmöglichkeiten darstellen. In diesem Buch wurden überwiegend Bilderwelten diskutiert, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass Bilder in ihnen auf die ein oder andere Art mit einem musealen Blick als Kunst betrachtet werden, so dass die Betrachtungsmöglichkeiten der Interpreten auf unterschiedliche Varianten von Kunstrezeption und Kunstinterpretation begrenzt werden. Der Einfluss kunsthistorischer Perspektiven ist vielfältig237 und wird u. a. dadurch zementiert, dass der Begriff Kunst gemeinhin als ein neutraler bzw. als ein anthropologischer verstanden wird.238 Probleme werden nun dadurch verursacht, dass die Kunstgeschichte selbst keine Möglichkeiten vorsieht, ihre Methoden kritisch zu reflektieren, deren Abschottung erweist sich vielmehr als konstitutiver Bestandteil der Kunstgeschichte selbst: Sie lässt sich nur betreiben, wenn man sich auf ihre Prämissen und Selbstverständlichkeiten einlässt. Daraus resul-
235 236 237
238
Objekte im vollen Umfang zu rekonstruieren“ (W. Kemp, „Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik“, 24). Die Möglichkeit einer solchen Rekonstruktion, eines werkorientierten Sprechens über primäre Rezipienten, auf die das Werk hin konzipiert worden sei, tendiert jedoch dazu, den Einfluss des Interpreten auf die Kontextbetrachtung auszublenden, und zu übersehen, dass es zuallererst der Interpret selbst ist, der die Kontexte, die semiotischen Verweise und damit einen großen Teil dessen konstruiert, was er kondensiert als ‚Bild‘ wahrnimmt. Kemp spricht zwar davon, dass „Projektionen einfließen“ („Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik“, 23), betrachtet diese jedoch nicht vor dem Hintergrund der historische Kontexte erst konstituierenden Betrachterperspektive (vgl. oben Kapitel 3.2.2). Vgl. Kapitel 3.2.2. Vgl. oben Kapitel 3.1. Der Einfluss von kunsthistorischen Stiltheorien ist in verschiedenen Zusammenhängen in Teil ii untersucht worden, aber auch die semiotisch fundierte Hermeneutik, die in Kapitel 3.2.3 diskutiert wurde, analogisiert ihre Untersuchungsgegenstände mitunter mit neuzeitlichen Kunstwerken, etwa um die Plausibilität ihrer Deutungsmechanismen unter Beweis zu stellen. Vgl. hierzu auch Kapitel 3.1.
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tiert die an eine Unmöglichkeit grenzende Schwierigkeit, standpunktübergreifend Methoden und deren Implikationen zu diskutieren. Dies hat sich auch die Ägyptologie dadurch eingehandelt, dass sie kunsthistorische Kontextualisierungen ihrer Gegenstände und damit den musealen Blick und die Bilderwelt ägyptologischer Kunst wie selbstverständlich in ihr Methodenrepertoire und auch in ihr Selbstverständnis aufgenommen hat: Wer ägyptologische Kunst erzeugt, dabei aber von ägyptischer Kunst spricht, also von der Existenz einer Kunst in Ägypten ausgeht, kann daher über zugrunde gelegte Stilkonzepte und Geschichtsbilder nicht kritisch reflektieren, ohne die Grundfesten der auf jenen Konzepten errichteten Bilderwelt zu erschüttern oder sie gar zum Einsturz zu bringen. Entsprechend werden aus einer solchen Position heraus alternative Bilderwelten etwa mit der Begründung als unangemessen kritisiert, dass es sich bei Kunst schließlich um ein universelles Konzept handele.239 Wer sich hingegen bemüht, den musealen Blick zu vermeiden, wird umgekehrt gerade in einer solchen Begründung Immunisierungsstrategien einer kunsthistorischen Perspektive erkennen, die die von ihr hervorgebrachten epistemologischen Artefakte einer kritischen Reflexion über ihre Prämissen und Implikationen zu entziehen versucht. Sind erst einmal die mit dem Begriff Kunst einhergehenden konzeptuellen Weichenstellungen erfolgt, lässt sich über diese aus einer daraus hervorgegangenen Perspektive nicht mehr diskutieren.240 Vor diesem Hintergrund erscheint es von zentraler Bedeutung, die Entscheidungen, innerhalb welcher Rahmen ägyptische Bilder betrachtet werden sollen, zu explizieren und als vorrangiges Problem der Forschung zu begreifen, weil sich nur auf diesem Weg über die Konsequenzen der einzelnen damit verbundenen Welterzeugungen sprechen lässt: Wollen wir aus Bildern Kunst 239 240
Vgl. hierzu oben in Teil i u. a. die Position von Müller in Kapitel 1.3. Vgl. oben Fn. 215 sowie für diese Zusammenhänge auch die überaus kontrovers aufgenommene Kritik an der Kunstgeschichte, die Preziosi formuliert hat (vgl. Rethinking Art History) und zu der Elkins feststellt, dass das Buch im Grunde kein Publikum habe, an das es sich richten könne: „What is at stake here is that Preziosi does not acknowledge how art history would find it impossible to respond to what he says. In that specific sense Rethinking Art History is a book without an audience: either a reader knows what Preziosi is saying, and does not write art history, or else the reader does not know, and cannot use the information without ceasing to write ‚art history‘.“ (Elkins, Our Beautiful, Dry, and Distant Texts, 138 [Kursive i.O.]). Vgl. außerdem hierzu Davis, „[Rezension zu] Preziosi, Rethinking Art History“ sowie zur Problematik bzw. Unfähigkeit der Kunstgeschichte, ihr eigenes Vorgehen methodenkritisch zu beleuchten Elkins, „Art History without Theory“. Elsner hat darauf hingewiesen, dass es mit einem hohen Risiko für die Kunstgeschichte verbunden wäre, die kunsthistorische Stilforschung zu hinterfragen bzw. zu verwerfen („Style“, 108).
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erschaffen, indem wir Ägypten rezeptiv in ein Museum verwandeln? Wollen wir die ägyptische Kultur als Rätsel verstehen, das es zu lösen gilt, um eine Annäherung an verborgene Wahrheiten zu erzielen? Wollen wir eine fremde Kultur vollständig in unserem Erwartungshorizont auflösen? Gerade in Anbetracht dieser Beispiele möglicher Bilderwelten scheint die Grenze zwischen Ägyptologie und Formen allgemeiner Ägyptenrezeption zu verschwimmen, und so ließe sich die Frage anschließen, ob man überhaupt wie oben vorgeschlagen von ägyptologischer Kunst sprechen sollte. Was ist an ihr spezifisch ägyptologisch? Was unterscheidet sie von ägyptisierender oder ägyptophiler Kunst? – Vielleicht gar nicht einmal sehr viel. Am Begriff der ägyptologischen Kunst lässt sich jedoch deshalb festhalten, weil die Entstehung des damit beschriebenen epistemologischen Artefaktes an den Anspruch geknüpft ist, durch ägyptologisches Arbeiten ägyptische Gegenstände zu untersuchen. Damit stellt sich die Frage, wie ein alternatives ägyptologisches Arbeiten aussehen könnte, das davon Abstand nimmt, seine eigene Kunst zu produzieren, und das sich daher als ein bildwissenschaftliches bezeichnen ließe. Eine Möglichkeit, erste Kriterien für eine solche bildwissenschaftliche Ägyptologie zu skizzieren, besteht darin, drei von Martin Fitzenreiter benannte Aspekte wissenschaftlicher Forschung aufzugreifen und mit den Ergebnissen dieses Buches zusammenzuführen: „die Erkenntnis der Bedingtheit von Forschung, das Bekenntnis zur Verifizierbarkeit in einem als offen verstandenen System und schließlich die Anerkennung der Verantwortung für das konkrete Ergebnis.“241 Aus der Erkenntnis der Bedingtheit der Forschung würde zunächst folgen, eine historisierende Position einzunehmen und außerdem nicht mehr nach Wahrheiten zu suchen.242 Ein Bekenntnis zur Verifizierbarkeit würde danach verlangen, auf schnelle Analogien, diffuse Prämissen und unhinterfragte Selbstverständlichkeiten zu verzichten. Mit beiden Aspekten zusammengenommen
241
242
Fitzenreiter, „Relevanz und Beliebigkeit“, 14. Vgl. zu Fitzenreiters Vorschlag, die von ihm formulierten Punkte zu verstehen, bzw. zum Zusammenhang seiner Darstellung ebenda, 10–17. Eine derartige Wahrheitssuche ist oben in Teil ii etwa anhand der verbreiteten Stilforschung behandelt worden, die in Stilen stets Produktionsstile erkennt und so Geschichte bzw. Abläufe in Form tatsächlichen Geschehens aus Stilbeobachtungen abzuleiten versucht. In Kapitel 3.2.3 wurde ein Ansatz diskutiert, der semiotische Methoden in eine die Wahrheit in Form von Bedeutungen hinter den Bildern suchende ägyptologische Hermeneutik überführt.
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ließe sich die Bedeutung der Kontexte von Objekt und Objektbetrachtung betonen und deren Reflexion sowie ein diskretes Vorgehen einfordern.243 Dazu wären wiederum u.a. geschichtstheoretische Auseinandersetzungen mit zugrunde gelegten Geschichten, stiltheoretische Auseinandersetzungen mit Stilbeobachtungen und kunstkritische Auseinandersetzungen mit dem musealen Blick in seinen verschiedenen Formen notwendig. – Dieses Buch hat hierfür Anhaltspunkte gegeben und Beispiele diskutiert. – Aus dem Umstand, dass wir es sind, die Bilderwelten errichten, ließe sich auch die Notwendigkeit ableiten, die eigene Verantwortung für das konkrete Ergebnis anzuerkennen.244 Dies könnte sich etwa darin äußern, nicht nur neue Deutungen vorzuschlagen, sondern deren Anspruch und Möglichkeiten vor dem Hintergrund der eigenen Prämissen zur Diskussion zu stellen. Denn nur auf diese Weise ließe sich die Aussagekraft bzw. Bedingtheit einzelner Interpretationen auszeichnen, damit diese in vertretbarer Weise als Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschungen genutzt werden können. Führt man diese Maßgaben mit den oben erzielten Ergebnissen zur Stiltheorie und zur Problematik der Übernahme kunstwissenschaftlicher Methoden zusammen, zeigt sich, dass Versuche, auf den musealen Blick zu verzichten, mit sehr weitreichenden Reduktionen verbunden wären. Sie würden gegenüber einer sich als kunstwissenschaftlich verstehenden Ägyptologie für eine bildwissenschaftliche Ägyptologie ein diskretes Vorgehen und damit auch einen partiellen Verlust an Zuständigkeit bedeuten. Denn immer dann, wenn keine nicht-museale Methode einen Informationsgewinn erbringen kann, müsste eine bildwissenschaftliche Ägyptologie bei einer so weit wie möglich deskriptiven Ansprache stehen bleiben, um den oben skizzierten Maßgaben genügen zu können. Diese Einschränkung stellt jedoch bei genauerer Betrachtung weniger einen Nachteil als vielmehr einen nicht zu unterschätzenden Vorteil dar, da die Benennung der Grenzen der eigenen Möglichkeiten in solchen Fällen das einzige sichere Fundament bildet, auf das wir zurückgreifen können. Nur wer um jene Grenzen weiß, vermag im oben ausgeführten Sinne innezuhalten.245 Eine aus methodenkritischer Sicht unhaltbare Aussage – vielleicht gar mit dem
243 244
245
Vgl. zum Begriff der Diskretion oben Kapitel 3.2.5. Vgl. hierzu auch Bal & Bryson, „Semiotics and Art History“, 207: „[…] This addition from the present is emphatically not to be taken as a flaw in our historical awareness, or a sign of failure to distance ourselves from our own time, but as an absolutely inevitable proof of the presence of the cultural position of the analyst within the analysis, which, from a semiotic point of view, is not surprising. To take that presence into account makes the analysis, in fact, more rather than less historically responsible.“ Vgl. Kapitel 3.2.5.
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abb. 36
Kopf einer Königsstatue (h. 18,3 cm, New York mma 66.99.3)
Attribut gewisser Wahrscheinlichkeit versehen – der fachinternen Rezeption auszusetzen, schadet hingegen mehr als dies nützen kann.246 – Oder um es mit Wittgensteins Diktum auf den Punkt zu bringen: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“247 Eine bildwissenschaftliche Ägyptologie, die ihre eigene Zuständigkeit auf Objekte und Fragestellungen begrenzt, die sich für Kontextualisierungen außerhalb von imaginären Museen eignen, könnte sich von einer ägyptologischen Kunstgeschichte bzw. Kunstwissenschaft klar abgrenzen und Ausgangspunkte für alternative Angebote erarbeiten, wenn sie in Kauf nimmt, zu vielen Gegenständen der ägyptologischen Kunstforschung nichts oder nur wenig sagen zu können.
246
247
In solchen Fällen kann schließlich allein die Tatsache, dass viel Material berücksichtigt worden ist, problematischen Aussagen eine lange Wirkungszeit bescheren und die Notwendigkeit einer methodenkritischen Auseinandersetzung verschleiern. Beispiele dafür sind oben diskutiert worden, vgl. etwa Kapitel 2.3.4.2. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Satz 7.
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Am Beispiel des New Yorker Statuenkopfs mma 66.99.3 (Abb. 36), über dessen Provenienz nichts bekannt ist und der in den oben in Kapitel 2.3.4.1 diskutierten stilistischen Reihenbildungen eine nicht unerhebliche Rolle spielt, lässt sich dies gut veranschaulichen. tabelle 8
(i) Ägyptologische Kunstgeschichte/ -wissenschaft248
(ii) Bildwissenschaftliche Ägyptologie
Vorgehen Der Statuenkopf wird beschrieben: Seine technischen Merkmale (Größe, Material etc.) werden ebenso aufgenommen wie seine ikonographischen und stilistischen (Nemeskopftuch und dessen Gestaltung, Uräus). Ikonographisch ergibt sich, dass es sich um das Fragment einer Königsstatue handelt. Die Stilanalyse bzw. die Bildung einer stilistischen Reihe ergibt eine Datierung in die späte 11. Dynastie bzw. evtl. noch genauer eine Zuschreibung an Mentuhotep iii.
Vorgehen Der Statuenkopf wird beschrieben: Seine technischen Merkmale (Größe, Material etc.) werden ebenso aufgenommen wie seine ikonographischen und stilistischen (Nemeskopftuch und dessen Gestaltung, Uräus). Ikonographisch ergibt sich, dass es sich um das Fragment einer Königsstatue handelt.
Ergebnis Einem sonst rundplastisch nicht belegten König wurde „Gesicht gegeben“. Von diesem nun datierten Objekt ausgehend lassen sich zukünftig weitere dekontextualisierte Statuenköpfe stilistisch datieren. Aufgrund seiner handwerklichen und ästhetischen Qualität sowie der möglichen Zuschreibung an einen konkreten König eignet sich das Objekt sehr gut zu Ausstellungszwecken und erhält einen hohen Marktwert zugesprochen.
Ergebnis Obwohl keine Hinweise erkennbar sind, die an der Echtheit des Objekts zweifeln lassen, ist diese aufgrund des fehlenden archäologischen Kontextes nicht mit letzter Gewissheit gesichert. Als Fragment einer ägyptischen Statue betrachtet, bestätigen ikonographische und stilistische Merkmale das stilistizistische Spektrum des für ägyptische Königsstatuen Erwartbaren. Darüber hinausgehend ergibt sich abgesehen von möglichen Untersuchungen zur Herstellungstechnik o.Ä. kein Informationsgewinn.
248
Vgl. im Einzelnen oben Kapitel 2.3.4.1.
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Während kunstgeschichtliche Perspektiven kontextlose Objekte durch Stilforschung und Kennerurteile in stilgeschichtliche Entwicklungslinien bzw. im Einzelfall gar in (herrscher-)biographische Narrationen einordnen, stellen sich diese Bemühungen aus einer nicht-musealen bildwissenschaftlichen Perspektive nur als fragwürdige Sinnstiftungsversuche dar, die sich Objekten bedienen, mit denen im Grunde häufig nur wenig anzufangen ist. Während der museale Blick dem verbreiteten „Bedürfnis nach zusätzlichem interpretationsfähigen Gehalt“249 Rechnung trägt, würde eine bildwissenschaftliche Ägyptologie einen kritischen Umgang mit der Rolle dieses Bedürfnisses innerhalb von Interpretationen einfordern und vielen Bildern ihren Status als ‚historische Primärquellen‘ absprechen.250 Von in diesem Sinne reduzierten und methoden- sowie kontextkritischen Betrachtungen ausgehend,251 könnte eine bildwissenschaftliche Ägyptologie versuchen, den Blick vom Bild selbst auf dessen situative Einbettung zu lenken252 und sich zukünftig verstärkt Zusammenhängen zu widmen, innerhalb derer Bilder in Funktionskontexte und Bildhandlungen eingebunden waren.253 Dabei kann es nicht darum gehen, ägyptische Bilderwelten zu rekonstruieren, die von der Zuversicht getragen sind, es ließen sich ‚Fenster nach Ägypten‘ öffnen. Vielmehr sind Überlegungen zu dem anzustellen, was wir als ägyptische Kontexte beschreiben und plausibilisieren können, um mittels komplexerer Vernetzungen und Bezüge zu versuchen, aus einer die Gegenstände und die eigene Sicht historisierenden Perspektive bessere Geschichten über Ägypten zu erzählen.254 Bessere wären sie, wenn
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252
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254
Junge, „Versuch zu einer Ästhetik“, 7. Contra etwa den Optimismus Wildungs (vgl. „Bilanz eines Defizits“, 79 und Sesostris und Amenemhet, 8). Vgl. für ein Beispiel, wie so etwas aussehen könnte, die Diskussion in Kapitel 2.3.4.2 mit dem Versuch, eine Beschreibung Do. Arnolds zu den Holzmodellen aus den Gräbern Mk.t-Rꜥs und Mentuhoteps ii. zu reformulieren (S. 319f.). Vgl. zum diskreten Vorgehen noch einmal oben Kapitel 3.2.5. Ganze Problemkomplexe hängen schließlich an der Prämisse, aus den Bildern selbst lasse sich etwas erfahren oder herauslesen. Vgl. hierzu u.a. die ausführliche Diskussion zur Stiltheorie (Kapitel 2.3.2.1 und 2.4). Bildhandeln sei hier als ein Handeln mit Bildern verstanden. Vgl. zu bereits vorliegenden Arbeiten, die in diese Richtung gehen Assmann, „Die Macht der Bilder“ und Moers, „Bildfunktionen im pharaonischen Ägypten“. Vgl. außerdem Seja, Handlungstheorien des Bildes sowie Bredekamp, Theorie des Bildakts, der jedoch unter Bildakt etwas anderes als das hier genannte Bildhandeln versteht. Wie sich zeigte, bieten archäologisch rekonstruierbare Zusammenhänge und architektonische Rahmen dabei einen Ansatzpunkt, um Möglichkeiten für ägyptenspezifische Perspektiven auszuloten, die unter Verzicht auf den musealen Blick zu alternativen Beschrei-
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sie sich zum Einen nicht auf assoziative und kaum kontrollierbare Übertragungen255 von als anthropologische Konstanten verstandenen Begriffen und Konzepten gründen und sich nicht in die vermeintliche Freiheit terminologischer Beliebigkeit eines kulturwissenschaftlichen Methodenpluralismus flüchten, und zum Anderen sich darüber im Klaren sind, dass es keineswegs unerheblich, sondern vielmehr zentral ist, als was sie ihren Gegenstand verstehen und wie sie über ihn sprechen. Vor diesem Hintergrund ist ein reflektierter Bildbegriff kein Kompromissinstrumentarium für eine etablierte ägyptologische Praxis und der Begriff der ägyptologischen Kunst gerade kein neues Etikett, das dazu einlädt, weiterhin so vorzugehen wie bisher. Ganz im Gegenteil: Beides zusammengenommen stellt nicht nur präzise Beschreibungsmöglichkeiten zur Verfügung, sondern auch ein echtes Alternativangebot dar.256 Ohne die Entscheidung, dieses Angebot anzunehmen oder weiterzuentwickeln, dürften Auswege aus der Sackgasse versperrt sein. Sie allein garantiert jedoch noch keine Besserung, denn die Auswege sind steinige: Es geht um die Reflexion der eigenen Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster und die Identifikation der Punkte, an denen eine bildwissenschaftliche Ägyptologie, die nicht Kunstgeschichte sein will, stehen bleiben müsste bzw. von denen ausgehend sie neue Wege beschreiten könnte. Und um all das leisten zu können, braucht die Ägyptologie eine Kunsttheorie. Denn ohne eine kritische Kunsttheorie ist es der Ägyptologie unmöglich, in vermeintlichen Selbstverständlichkeiten historisch bedingte hochvoraussetzungsreiche Konzepte zu erkennen und darauf reagieren zu können. Daher wird die Ägyptologie, so paradox es klingen mag, ohne eine kritische Kunsttheorie ägyptische Bilder immer als Kunst behandeln, und das eher intuitiv, als dass sie recht verstehen würde, was sie dabei mit ihren Gegenständen tut. Daher hat im Wissen um kunsttheoretische Methoden, Zusammenhänge und Konzepte eine bildwissenschaftliche Ägyptologie – im Gegensatz zu einer kunstwissenschaftlichen! – eher die Wahl, welche Bilderwelten sie errichten will, um darin ägyptische Bilder zu betrach-
255 256
bungen gelangen können. In Teil ii wurden verschiedene Versuche unternommen, für die Beurteilung von Stilen die ursprünglichen architektonischen Kontexte der Bilder einzubeziehen. Vgl. etwa Kapitel 2.3.2.3 und Kapitel 2.3.3 zu Stilpluralismen innerhalb einzelner Grab- bzw. Tempelanlagen sowie Kapitel 2.4.4.2 zur Möglichkeit, im Rückgriff auf die in Kapitel 2.4.3 dargelegte Stilterminologie architektonische Kontexte für die Interpretation von stilistischen Rückbezügen heranzuziehen. Vgl. zur Imagination des Interpreten oben Kapitel 2.3.5.3 (S. 370f.). Als Alternative auch zu den verbreiteten Strömungen der jüngeren Diskussion. Vgl. Kapitel 1.5 (u. a. S. 149 f.).
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ten.257 Reflektiert sie darüber hinaus die von ihr eingesetzten Kontextualisierungen, wäre sie in der Lage, den Status und die Aussagekraft ihrer Interpretationen auszuzeichnen. Und gerade das ist von größter Wichtigkeit, denn – und so schließt sich der Kreis von Rückschau und Ausblick – Bilder selbst erzählen uns nichts. Wir können sie nur zum Erzählanlass nehmen oder uns bestenfalls etwas über sie erzählen. 257
Vgl. hierzu auch Moers, der die Ägyptologie angesichts ägyptischer Texte vor die Wahl stellt, sich zu entscheiden „zwischen einer analytisch-geschichtswissenschaftlichen Lektüre nach den Standards des Wissenschaftssystems[…] und einer Privatlektüre.“ („Spurensucher auf falscher Fährte?“, 49 f., hier: 49 [Zitat]).
Glossar Im Folgenden werden einige für dieses Buch zentrale Begriffe aufgeführt und in der Weise definiert, wie sie hier herausgearbeitet bzw. verwendet werden. Dieses bildwissenschaftliche Glossar ist eine terminologische Beigabe und zugleich ein Teilkondensat des vorliegenden Buches. Es verfolgt zwei Ziele: Ergebnisse sollen so noch leichter zugänglich und darüber hinaus für zukünftige Studien anschlussfähig gemacht werden. In diesem Sinne zielt das Glossar nicht auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit, es ist vielmehr bewusst diskursiv angelegt: Es richtet sich an diejenigen, die in Begriffsarbeit eine Eingangsvoraussetzung für das wissenschaftliche Arbeiten sehen und lädt dazu ein, es zu ergänzen, zu korrigieren oder allein seine Existenz zur Anregung und zum Anlass zu nehmen, das Bemühen um begriffliche Klarheit zum konzeptuellen Bestandteil von Untersuchungen zu machen. Die hier vorgelegte Begriffspalette entstammt zwar einer ägyptologischen Untersuchung und bezieht sich daher in den einzelnen Einträgen immer wieder explizit auf ägyptische Bilder etc. und doch kann sie zugleich als Zusammenstellung zentraler Ergebnisse gelesen werden, die sich auch auf andere Zusammenhänge übertragen lässt und daher auch andere Fächer zur Rezeption einlädt. Literaturangaben wurden hier auf die wenigen im Glossar selbst genannten Autoren begrenzt. Für alles Weitere sei auf die jeweils angegebene Kapitelauswahl sowie auf die Indices verwiesen. Ähnlichkeit – ä.en stellen ein ebenso verbreitetes wie unterschätztes Problem der Forschung dar. Ihre Aussagekraft wird sehr häufig als selbstevident angesehen, bspw. innerhalb stilbasierter Perspektiven (→ Stil). So verleiten ä.en zu argumentativ nicht weiter abgesicherten Analogisierungen, etwa wenn in einem fremden Untersuchungsgegenstand Ähnlichkeiten zu einem bekannten Gegenstand erkannt und aufgrund dessen bekannte Semantiken auf jenen fremden Gegenstand übertragen werden (→ Fremde als hermeneutische Herausforderung). Dabei ist nicht die Identifikation von Ähnlichkeiten die eigentliche Herausforderung, vor der der Bearbeiter steht, sondern die Frage, inwiefern erkannte Ähnlichkeiten aussagekräftig oder interpretierbar sind bzw. überhaupt sein können. Entscheidende Bedeutung kommt dabei der Reflexion der herangezogenen Referenzrahmen zu (→ Kontext). Wird ein fremder Gegenstand in einem vertrauten Kontext rekontextualisiert, kann er in diesem vollständig aufgehen und rezeptiv jeglichen Bezug zu seinen primären Kontexten verlieren (Dekontextualisierung). Ein Beispiel dafür ist die → Musealisierung
© koninklijke brill nv, leiden, 2017 | doi: 10.1163/9789004347748_006
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ägyptischer → Bilder, die sich vollzieht, wenn ägyptische Bilder mittels eines → Wahrnehmungsmusters rezipiert werden, das davon ausgeht, wir hätten es mit → ägyptischer Kunst zu tun, weil sich visuelle ä.en zwischen ägyptischen Bildern und (neuzeitlicher) → Kunst feststellen lassen, während die Geschichtlichkeit der primären Kontexte außer Acht gelassen wird (→ Historisierung). Werden ä.en beobachtet, sollte daher geprüft werden, ob sich nachweisen oder wenigstens plausibilisieren lässt, was als deren Ursache betrachtet werden kann: Liegt eine bloße (d.h. zufällige) ä. vor? Verbindet die Objekte ein gemeinsamer Produktionskontext? War dem Produzenten des einen Objektes das andere (oder ein weiteres ähnliches) bekannt und hat er deshalb die Produktion auf Ähnlichkeit ausgerichtet? Deutet das, was die Objekte gemein haben, tatsächlich auf ebenfalls ähnliche primäre Verwendungskontexte oder Semantiken hin? Ohne eine Ähnlichkeitskritik bleiben Ähnlichkeitsinterpretationen von geringer Aussagekraft oder führen gar zu unangemessenen Ergebnissen, die keine fundierte Grundlage für die Forschung bilden können (→ Kennerurteil). Vgl. §2.4.3, §2.4.4.1, §3.1, §3.2.1, §3.2.5. Begriffsgeschichte – Bei der Beschäftigung mit antiken Kulturen kommt der historischen Semantik eine entscheidende Bedeutung zu. Dies liegt vor allem daran, dass Begriffe nie sterile Beschreibungsinstrumente sind, sondern immer eine Semantik in sich tragen, die von demjenigen, der die Begriffe gebraucht, nicht vollständig kontrolliert werden kann. Insbesondere bei Grundbegriffen (Begriffe, die nicht durch andere Begriffe ersetzbar sind; R. Koselleck) lassen sich semantische Ladungen beobachten, die sich nicht ohne Weiteres (etwa durch oberflächliche Respezifizierungen in Form von Kursivsetzungen – „ägyptische Kunst“ – oder durch den Gebrauch von Anführungszeichen: „ägyptische ‚Kunst‘“) abstreifen lassen. Stattdessen beeinflussen sie die Begriffsrezeption nachhaltig, prägen → Wahrnehmungsmuster und begünstigen die Entstehung hybrider Begriffe mit einer komplexen Begriffsgeschichte. Die Anwendung solcher Begriffe läuft daher Gefahr, historische Objekte mit Semantiken zu kontaminieren, die mit deren Primärkontexten nicht in Einklang zu bringen sind. Nur eine → Historisierung des verwendeten Begriffsintrumentariums kann davor bewahren, auf diese Weise epistemologische Artefakte (H.U. Gumbrecht) zu erzeugen, die einer Beschäftigung mit den primären Produktions- und Rezeptionskontexten im Wege stehen (wie es bspw. bei der → ägyptologischen Kunst der Fall ist). Vgl. §3.1 und §3.2.6. Lit. Gumbrecht, „Does Egyptology need a ‚theory of literature‘?“; Kosellek, Begriffsgeschichten.
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Bild – Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Begriff Bild zu definieren. Der hier verwendete Bildbegriff stützt er sich u.a. auf L. Wiesing und zielt auf materielle Objekte, bei denen sich eine ikonische Differenz feststellen lässt: Bilder zeigen etwas, was sie selbst nicht sind. Dieses Bildverständnis ist semiotisch geprägt und geht davon aus, dass zwischen dem, was wir anhand der materiellen Eigenschaften eines Bildes (Bildträger) sehen (Bildobjekt) und dem, was es uns zeigt, keine Ähnlichkeitsrelation (→ Ähnlichkeit) gegeben sein muss. Jenem Zeigevorgang bzw. Verweis eines Bildobjektes liegt eine Regel, ein Sinn des Bildes zugrunde, der nicht im Bild selbst erkennbar ist, sondern vom Betrachter immer erst hergestellt werden muss (L. Wiesing). Man kann daher eher davon sprechen, dass wir Bilder als Zeichen nutzen, als dass Bilder selbst uns unmittelbar etwas zeigen würden. Die Relation zwischen Bildträger, Bildobjekt und Bildsinn kann sehr unterschiedlich sein. Der Betrachter nimmt zwar die Beschaffenheit des Bildträgers und das für ihn dadurch visuell erkennbare Bildobjekt als Ausgangspunkt, greift jedoch immer auch auf eigenes Kontextwissen zurück (→ Kontext). Dieses beruht auf Selektionsentscheidungen, die wiederum das Produkt von Erwartungshaltungen und → Wahrnehmungsgewohnheiten sind. Es ist daher keinesfalls selbstverständlich, dass ein so hergestellter Bildsinn mit dem Bildsinn identisch ist, den der Bildproduzent einst im Auge hatte. Folgt man diesem Bildverständnis, wird klar, warum Bilder keinesfalls per se zugänglich sind und warum die Interpretation von fremden Bildern stets eine hermeneutische Spekulation darstellt (→ Fremde als hermeneutische Herausforderung). Vgl. §3.1. Lit. Wiesing, Artifizielle Präsenz. Bilderwelten – Bilder per se teilen uns nichts mit, es kommt immer darauf an, wie sie betrachtet werden und wie sie in Geschichte(n) eingebettet werden. Dies kann auf ganz unterschiedliche Weise geschehen. Denn jede Bildrezeption ist eine Kontextualisierung (→ Kontext), die als Rahmen festlegt, was sichtbar und inwiefern es interpretierbar ist. Daher werden Bilder selbst als Objekte der Betrachtung nachhaltig verändert. Denn ein und dasselbe Bild kann nicht nur in verschiedene Kontexte gestellt werden, sondern in ihnen auch vollkommen aufgehen. Die nach einem bestimmten Wahrnehmungsmuster betrachteten Bilder bilden so einen eigenen Kosmos der Sinnerzeugung: eine Bilderwelt. Daher errichten wir je nachdem, mit welchen Wahrnehmungsgewohnheiten, Perspektiven und Methoden wir an ägyptische Bilder herantreten, ganz verschiedene b. Und von diesen initialen Weichenstellungen hängt es ab, in welcher Hinsicht unsere Ergebnisse aussagekräftig sind und worüber wir überhaupt sprechen können. Denn sind b. erst einmal errich-
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tet, untermauern sie selbst ihren Geltungsanspruch dadurch, dass ihre Interpretationsergebnisse eine große narrative Überzeugungskraft auf all diejenigen ausstrahlen, die ebenfalls die zugrundeliegenden Wahrnehmungsmustern pflegen. Alternative b. können daher unvermittelbar einander gegenüberstehen. Vor diesem Hintergrund kommt den Erwartungshaltungen und → Wahrnehmungsgewohnheiten des Betrachters entscheidende Bedeutung zu, denn sie beeinflussen, wie u.a. Beobachtungen selektiert und → Ähnlichkeiten festgestellt und interpretiert werden (→ Fremde als hermeneutische Herausforderung). Wer beispielsweise bei der Betrachtung eines Statuenkopfes ein Porträt erwartet, wird sich nicht lange mit der Fragmentarität des Objekts aufhalten und mehr über die Modellierung der Augen und die politische Bedeutung von Gesichtsausdrücken sprechen als über Bildverwendungen in ägyptischen Tempeln. Oder grundsätzlicher gefasst: Wer davon ausgeht, → ägyptische Kunst zu betrachten, wird über ägyptische Bilder kaum sprechen können, weil er aus ihnen im Moment der Betrachtung bereits → ägyptologische Kunst erzeugt hat. Erst, wenn wir in den Blick nehmen, innerhalb welcher b. wir ägyptische Bilder betrachten, können wir die Bedingtheit unserer Betrachtungsergebnisse erfassen und angemessen einordnen. Dieses Buch hat b. der → ägyptologischen Kunst (d.h. b., deren Gemeinsamkeit die Annahme ist, wir hätten es mit ägyptischer Kunst zu tun) auf ihre Bedingtheiten und Auswirkungen auf die ägyptologische Forschung untersucht. Ein und dasselbe Objekt kann als ägyptisches Bild oder als ägyptologische Kunst beschrieben, behandelt und interpretiert werden, und doch liegen Welten zwischen ägyptischen Bildern und ägyptologischer Kunst. Diese Welten mögen rein rezeptive sein, da die Ägyptologie jedoch in ihren Möglichkeiten auf Rezeption beschränkt ist, kann dieser Umstand gar nicht überschätzt werden, zumal sich hier immer wieder gezeigt hat, wie b. ägyptologischer Kunst die Anbindung an das verlieren, was wir über ägyptische → Kontexte der Bilder wissen können. Vgl. §3.2.5, § 3.2.6. Decorum – siehe Stilistizität. Fremde als hermeneutische Herausforderung – Die Beschäftigung mit einer fremden Kultur stellt eine nicht zu unterschätzende hermeneutische Herausforderung dar. Da wir uns der Fremde nur über in ihr erkannte → Ähnlichkeiten zu Bekanntem nähern können, zielen auf ein vollständiges Verstehen ausgerichtete hermeneutische Verfahren stets auf Aneignung, indem Fremdes an Bekanntes angeglichen wird. Wenn sich das Fremde in Ähnlichkeiten auflöst
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und so seine Fremdheit verliert, lässt sich vom Sog des Verstehens (R. Bubner) sprechen. Besonders anschaulich ist dies bei musealen Perspektiven (→ Musealisierung), die Objekte dekontextualisieren und in bestehende Ägyptenbilder integrieren. Aus einem Eindruck von Vertrautheit mit ägyptischen Objekten, wie ihn u.a. Begriffe wie → ägyptische Kunst befördern, gewinnt die Ägyptologie dabei eine Handlungssicherheit, die Aneignungsprozesse reibungslos verlaufen lässt und die das Fach zugleich gegenüber Bedenken hinsichtlich der eingesetzten Interpretationsmethoden immunisiert. Der Augenschein von → Ähnlichkeiten verleitet die Forschung zu Analogisierungen, die unter der Überschrift → ägyptische Kunst ein vordergründig stimmiges Bild formen, hinter dem sich jedoch das epistemologische Konstrukt einer → ägyptologischen Kunst verbirgt, das den uns fremden Entstehungskontexten der Bilder nicht gerecht zu werden vermag. Eine Sensibilisierung für das Irritierende kann helfen, es produktiv zu nutzen, wenn wir im Moment der Irritation innehalten und durch ein diskretes Vorgehen (W. Kogge) davon Abstand nehmen, alles verstehen zu wollen. Außerdem bietet die Einsicht in die Relativität des eigenen Standpunktes die Chance auf Korrigierbarkeit, wenn wir unsere → Wahrnehmungsgewohnheiten nicht für selbstverständlich nehmen, sondern uns stattdessen in der → Historisierung unserer Gegenstände und Methoden üben. Erst eine derartige Form der Reflexion kann uns dazu bringen, die Aussagekraft unserer Betrachtungen adäquat einzuordnen. Vgl. §3.2.5. Lit. Bubner, „Ethnologie und Hermeneutik“; Kogge, Die Grenzen des Verstehens. historical short stories – Der Begriff geht auf G. Björkman zurück, die damit fragwürdige Formen ägyptologischer Geschichtsschreibung bezeichnet hat, die sich auf literarische Texte stützen. Die Faszination einer vermeintlichen Möglichkeit, sich einzelnen historischen Personen und ihrem Leben nähern zu können, ist jedoch auch in anderen Zusammenhängen anzutreffen. So kommen biographieorientierte Emplotmentstrategien auch vielfach zum Einsatz, wenn in personalen Bildern → Porträts erkannt werden, wenn Königstitulaturen auf das Legitimationsbedürfnis einzelner Herrscher oder beobachtete stilistische Unterschiede auf Entscheidungen eines Königs zurückgeführt werden. Derartige Interpretationen stützen sich meist in erster Linie auf ihre eigene narrativ-literarische Eingängigkeit und Überzeugungskraft und weniger auf eine argumentative Untermauerung, die herleiten würde, warum gerade diese Geschichte mehr sein soll als nur eine historical short story neben vielen anderen möglichen. Dabei ist vielfach auch ein großer Einfluss von → Ken-
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nerurteilen festzustellen. Bei der weiteren Rezeption solcher Interpretationen, lässt sich dann beobachten, dass sie als die Geschichte (history) selbst aufgefasst werden. So werden reizvolle Narrative mit vergangenem Geschehen verwechselt oder gleichgesetzt. Vgl. §2.2.2, §2.2.3, §2.3.4.2, §2.3.5.2, §2.4.4.2 (Exkurs ii). Lit. Björkman, „Egyptology and Historical Method“. Historisierung – Objekte von Betrachtungen werden, wie auch Begriffe, nicht isoliert, sondern nur innerhalb ihrer → Kontexte für uns verständlich. Diese können wiederum nicht überzeitlich oder absolut gedacht werden, sondern haben ebenfalls eine Geschichte (wie die Objekte und Begriffe selbst). Erkennt man diese historische Kontextgebundenheit von Objekten und Begriffen an, kann deren komplexes Verhältnis zu ihren jeweiligen primären und sekundären Kontexten nur dann näher untersucht werden, wenn man den Versuch einer weitreichenden Historisierung unternimmt: Essentiell ist dabei u. a. die Reflexion der verwendeten Begriffe im Abgleich mit dem, was wir über die Objekte, die beschrieben werden sollen, ihre primären und sekundären Kontexte und die dabei relevanten Semantiken und Diskurse wissen können. Auf diese Weise sollte geklärt werden, ob sowohl das Begriffsinstrumentarium als auch die an das Material herangetragenen Fragestellungen angemessen sind. So verkennt bspw. die Frage nach dem Charakter oder Wesen der → ägyptischen Kunst die → Begriffsgeschichte des Begriffes → Kunst und das, was wir über ägyptische → Bilder und ihre Verwendungskontexte (→ Kontexte) wissen. Aus einer historisierenden Perspektive kann uns eine solche Fragestellung folglich nicht weiterbringen, wenn wir über die ägyptische Kultur und nicht über → ägyptologische Kunst sprechen wollen. Vgl. §3.2.2, § 3.2.5. Kennerurteil – k. meint hier nicht Interpretationen im Allgemeinen, die sich auf Materialkenntnis stützen, sondern den speziellen kunsthistorischen Terminus, d.h. eine sich auf die Autorität der Materialkenntnis berufende Haltung und Praxis, die besonders dann vermehrt zum Einsatz gebracht wird, wenn archäologische → Kontexte fehlen und das Objekt anhand von → Ähnlichkeiten zu anderen Objekten eingeordnet (bspw. datiert) werden soll (→ Stil, → Stilistizität). Die Problematik der k.e liegt nicht darin begründet, dass Materialkenntnis keine interpretatorische Bedeutung hätte, sondern darin, dass aus Materialkenntnis allein noch keine adäquate Interpretation beobachteter → Ähnlichkeiten folgen kann. Eine Interpretation von Ähnlichkeiten ohne kontextuelle und argumentative Untermauerung bleibt zwangsläufig ein problematisches k. Denn es liegt immer dann ein solches vor, wenn nicht reflek-
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tiert wird, wie subjektiv die eigene Objektkenntnis ist, die selbst ja bereits auf kontingenten Objektbeurteilungen und Objektkategorisierungen beruht (→ Wahrnehmungsgewohnheiten). Die Aussagekraft erkannter → Ähnlichkeiten ist jedoch nie eine interpretatorische Selbstverständlichkeit, sondern muss argumentativ hergeleitet und die darauf gegründete Interpretation transparent gemacht werden. Wird sie es nicht, lassen sich vielfach Versuche erkennen, die Interpretation durch Berufung auf die kennerschaftliche Kompetenz des Interpreten gegenüber abweichenden Positionen zu immunisieren. Damit wird jedoch strenggenommen der Bereich des wissenschaftlichen Diskurses verlassen, weil lediglich ein Autoritätsanspruch formuliert, dieser jedoch nicht für die weitere Diskussion anschlussfähig gemacht wird. Folglich kann man sich einem k. nur anschließen, indem man sich auf die Autorität des Kenners verlässt, oder man lässt es bleiben und läuft Gefahr, von Kennern dafür kritisiert zu werden, dass man über keine ausreichende Materialkenntnis verfüge. Denn andernfalls würde man schließlich erkennen, dass jenes k. zutrifft (so die Logik des k.s). Die grundlegenden Unterschiede zwischen k.en und einer sie adressierenden methodologischen Kritik führen zu einer Unvereinbarkeit der Positionen: Zielführende Diskussionen werden unmöglich, weil man über gänzlich unterschiedliche Dinge auf gänzlich unterschiedliche Weise spricht. Damit ist ein Phänomen umrissen, das etwa auch im Zusammenhang mit bestimmten Formen der Kritik an der Kunstgeschichte und ihren Methoden deutlich zutage tritt. In der Konsequenz drohen die eigentlichen Argumente hinter die jeweilige Autorität des Kenners bzw. desjenigen zurückzutreten, der die Aussagekraft von k.en methodologisch infrage stellt: Der Streit über Interpretationen wird zur wissenschaftssoziologischen Machtfrage. Dieser Aspekt dürfte eine Ursache dafür sein, dass die Praxis der k.e in der Ägyptologie zwar bereits oft kritisiert, jedoch nie gänzlich infrage gestellt worden ist. Entsprechend wird in der Breite des Faches das Problem von k.en trotz seines großen Einflusses auf die Methodologie der Ägyptologie (oder gar seiner Omnipräsenz) nicht reflektiert. Um das Methodenrepertoire des Faches und die Möglichkeiten wissenschaftlicher Diskurse auf eine angemessene Grundlage zu stellen, dürfte man darum jedoch nicht herumkommen, kennerschaftlich geprägte Zugänge mit der Herausforderung von kontextfokussierten Betrachtungsweisen zu konfrontieren (→ Kontext). Vgl. zur Problematik des k.s und der damit verbundenen Stilanalyse § 1.1.2, § 1.2.2, §2.3.2.1, §2.3.2.2, §2.4.2 sowie die diversen Beispiele in Teil ii; zur Unvereinbarkeit von Kunstgeschichte und bestimmten Formen der Kritik § 3.2.5, §3.2.6 (Fn. 240).
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Kontext – Den k. eines Objektes in die Betrachtung einzubeziehen, erweckt den Anschein, damit eine Interpretation objektivieren zu können. Dabei ist ein k. keinesfalls per se vorhanden oder gar objektimmanent, sondern vielmehr eine vom Betrachter gewählte Bezugnahme bzw. die Setzung eines Rahmens, durch den er die Objekte betrachtet und den man immer auch hätte ganz anders konstruieren können (J. Culler). Kontextualisierungen sichern daher für sich genommen Interpretationen (anders als oftmals implizit angenommen) nicht ab. Hinzu kommt das Wechselverhältnis von Objekt und k. innerhalb der Betrachterwahrnehmung: Wenn etwa ein Bild in seinen historischen k. gestellt werden soll, prägt es die Vorstellungen des Interpreten von diesem historischen k., obwohl doch der k. eigentlich das Bild zu interpretieren helfen soll. Es hilft, ein weites Kontextverständnis anzusetzen, das sich nicht nur auf archäologische, kulturgeschichtliche u.ä. k.e beschränkt, sondern auch wissenschaftliche und rezeptive k.e in den Blick nimmt. Denn die Prämissen, Konzepte, Begriffe (→ Begriffsgeschichte) und → Wahrnehmungsgewohnheiten, die ein Betrachter an ein Objekt heranträgt, bilden eine Kontextualisierung, die bereits darüber entscheidet, welche Fragen er stellen, welche Antworten er geben und welche Geschichten (→ historical short stories) er über das Objekt überhaupt erzählen kann (→ Bilderwelten). Kontextualisierungen entpuppen sich daher weniger als intentionale Versuche des Betrachters, seine Interpretation abzusichern, sondern vielmehr als unausweichlicher Teil jeder Interpretation. Entscheidend ist daher nicht, zu kontextualisieren, sondern zu reflektieren, dass und wie man als Betrachter kontextualisiert, indem man die Relationen der eigenen rezeptiven k.e zu möglichen ägyptischen k.en in den Blick nimmt. Ein solcher Blick auf k.e erhöht nicht nur den Komplexitätsgrad von Betrachtungen, er lässt sich als Instrument der Relativierung und → Historisierung nutzen und kann so zu ermitteln helfen, was wir überhaupt an adäquaten Aussagen über Objekte und ihre (primären) k.e treffen können. Fehlen etwa archäologische Informationen (z.B. zum primären Verwendungskontext eines Objektes), sind der Interpretation unüberwindbare Grenzen gesetzt, angesichts derer womöglich nur Plausibilitätsüberlegungen zu Ähnlichkeitsbeobachtungen bleiben, wenn man nicht auf → historical short stories ausweichen will. Die Stärke eines reflektierten Kontextverständnisses liegt damit nicht in leichtgängigen Interpretationsabsicherungen, sondern darin, Interpretationsmöglichkeiten zu eruieren und die Aussagekraft von Interpretationen transparent zu machen. Vgl. §3.2.2. Lit. Culler, Framing the Sign.
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Kunst – Das Wissen um die Schwierigkeit, k. exakt zu definieren, ist in der ägyptologischen Forschung fast ebenso verbreitet, wie die Bereitschaft, ihn intuitiv als Grundbegriff (→ Begriffsgeschichte) zu gebrauchen. Dieser paradox anmutende Umstand geht vielfach auf die Annahme zurück, der Begriff Kunst könne auf die ein oder andere Weise auf jede Kultur angewendet werden, solange er nur ausreichend spezifiziert werde. Derartige Perspektiven verkennen jedoch die Geschichtlichkeit sowohl des Begriffs als auch des Phänomens. Um dem gerecht zu werden, erweist sich ein Kunstbegriff als zielführend, der k. nicht essentialistisch fasst, sondern als betrachterabhängigen Status versteht. Denn wenn ein ägyptisches → Bild aufgrund augenscheinlicher → Ähnlichkeiten zu neuzeitlicher k. bzw. zu aus letzterer bekannten Bildgattungen als → ägyptische Kunst verstanden wird, sagt dies mehr über die am modernen Kunstbetrieb geschulten → Wahrnehmungsgewohnheiten des heutigen Betrachters als über die ägyptischen → Kontexte, innerhalb derer das Bild einst entstanden ist und primär rezipiert wurde. Die Herausforderung, in einer fremden Kultur erkannte Ähnlichkeiten zu Vertrautem zu interpretieren, wird daher in derartigen Fällen nicht als solche erkannt (→ Fremde als hermeneutische Herausforderung). Hier wird hingegen ein historisierter Kunstbegriff verwendet (→ Historisierung), der darauf fokussiert, dass die Semantik des Begriffes k. untrennbar mit Produktions- und Rezeptionsformen verknüpft ist, die erst zu beobachten sind, seit Bilder in neuen ausdifferenzierten Funktionszusammenhängen verwendet wurden, die dem spezifischen historischen Kontext der europäischen Neuzeit entstammen. Versuche, den Kunstbegriff zu respezifizieren, unterschätzen die begriffsgeschichtliche Tragweite einer solchen Begriffsverwendung (→ Begriffsgeschichte) und begünstigen die Entstehung hybrider Kunstbegriffe, die spezifisch neuzeitliche → Wahrnehmungsgewohnheiten auf die Rezeption ägyptischer Bilder übertragen und jene dabei auch für die primären ägyptischen → Kontexte unterstellen. Da sich die heutzutage bestehende Möglichkeit, → Bilder als k. zu kontextualisieren (→ Kontext), auch auf ägyptische Bilder erstreckt und da innerhalb der Ägyptologie davon routinemäßig Gebrauch gemacht wird, besteht die Notwendigkeit, zu präzisieren, womit wir es zu tun bekommen, wenn ägyptische Bilder als → ägyptische Kunst rezipiert werden. Dafür wurde hier der Begriff der ägyptologischen Kunst eingeführt (→ Kunst, ägyptologische). Er bildet ab, dass erst durch bestimmte Rezeptionsformen ägyptische Bilder zugleich dekontextualisiert und im Kunstkontext rekontextualisiert werden (→ Musealisierung). Vgl. §3.1, §3.2.1, §3.2.5, §3.2.6.
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Kunst, ägyptische – Vorstellungen von einer ä. k. sind sowohl in der alltagshermeneutischen Wahrnehmung der ägyptischen Kultur als auch innerhalb der Ägyptologie weit verbreitet (→ Kunst, ägyptologische). Vor dem Hintergrund dessen, was heute als → Kunst betrachtet wird, ist diese jedoch an bestimmte Akteure (Produzenten und Rezipienten) und damit einhergehende Rezeptionsweisen und Rezeptionskontexte (Kunstmarkt, Museen etc.) gebunden bzw. nur innerhalb derer denkbar. Kunst ist angesichts des heutigen Kunstverständnisses (und von diesem kann sich kein Kunstdiskurs lösen) nur als historischer Begriff in bestimmten Kontexten verwendbar (→ Historisierung). Legt man diesen Maßstab an, finden sich keine entsprechenden Anhaltspunkte für die Existenz einer ä. k. Sie stellt sich vielmehr als epistemologisches Artefakt (H.U. Gumbrecht) heraus. Deshalb ist nicht nur der Begriff als solcher zu vermeiden (→ Begriffsgeschichte), sondern auch nachhaltig aus dem Erwartungshorizont wissenschaftlicher Ägyptenrezeption auszugliedern (→ Wahrnehmungsgewohnheiten). Denn nur so lässt sich verhindern, dass ä. k. als hybrider Begriff weiterhin die Rezeption ägyptischer Bilder so kontaminiert, dass sich die Beschäftigung mit ägyptischen Bildern immer weiter von deren primären Kontexten entfernt (→ Kontext). Vgl. §3.1, §3.2.5, §3.2.6. Lit. Gumbrecht, „Does Egyptology need a ‚theory of literature‘?“. Kunst, ägyptologische – In der Geschichtlichkeit der → Kunst (sowohl des Begriffes als auch des damit beschriebenen Phänomens) liegt einer der wesentlichen Gründe, die für einen betrachterabhängigen Kunstbegriff sprechen (→ Kunst). Ein solcher ist für ägyptische → Bilder und ihre primären → Kontexte nicht anwendbar, weil wir weder einen Kunstbetrieb noch eine Kunstrezeption für Ägypten plausibel machen können. Die ägyptologische Praxis, ägyptische Bilder als Kunst zu sehen und zu behandeln, erzeugt jedoch eine Kunst, die zwar mit den ägyptischen → Kontexten kaum etwas zu tun hat, wohl aber mit der Ägyptologie und den sie bei der Behandlung ägyptischer Bilder dominierenden → Wahrnehmungsgewohnheiten. Daher wird hier der Begriff der ägyptologischen Kunst eingeführt. Er adressiert die Anwendung des Begriffes Kunst auf ägyptische Bilder und beschreibt zugleich das Ergebnis einer solchen Betrachtung als das epistemologische Konstrukt der ä. k. Es lässt sich anhand verschiedener Merkmale näher charakterisieren, die in der Praxis immer wieder zu beobachten sind und die sich als Folgen des → musealen Blicks beschreiben lassen: Selektionen und Fokussierungen (z. B. stilbezogene), Dekontextualisierungen, Ästhetisierungen und konzeptuelle Öffnungen sowie Integrationen in den neuzeitlichen Kunstbetrieb. Die Entscheidung, etwas als k. zu betrachten, liegt in der Verantwortung des Betrachters, der sich im Klaren darüber sein muss, dass seine Begriffsver-
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wendung dafür maßgeblich ist, welche Interpretationsmöglichkeiten ihm offen stehen und welche epistemologischen Konstrukte seine Betrachtung erzeugt (→ Bilderwelten). Vgl. §3.1, §3.2.5, §3.2.6. Musealisierung/musealer Blick – Der m. b. ist nicht auf Museumsgebäude angewiesen, er betrachtet Objekte vielmehr in einem imaginären Museum (A. Malraux), in dem sich konzeptuell von ihren ursprünglichen Kontexten gelöste Bilder virtuell versammeln, miteinander vergleichen und als → Kunst rezipieren lassen. Merkmale des m. b.s sind: Selektionen und Fokussierungen (z. B. stilbezogene), Dekontextualisierungen, Ästhetisierungen und konzeptuelle Öffnungen sowie Integrationen in den neuzeitlichen Kunstbetrieb. Das imaginäre Museum ist folglich ein utopisches Museum bzw. eine überaus einflussreiche Rezeptionsform. Es gründet sich konzeptuell auf Rezeptionsentscheidungen und medial auf die Mittel der Photographie, die es ermöglichen, auch Objekte, die sich niemals an ein und demselben Ort befunden haben, mit einem Blick zusammen zu betrachten und zu vergleichen. Im Rahmen solcher dekontextualisierenden Vergleiche ist die Feststellung von → Ähnlichkeiten in zweierlei Hinsicht relevant. Denn sowohl (1) stilistische Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen ägyptischen Objekten als auch (2) Ähnlichkeiten zwischen musealisierten ägyptischen Objekten und aus der europäischen Kunstgeschichte bekannten Objekten beeinflussen die Rezeption der Objekte nachhaltig: (1) In erster Linie treten stilistische → Ähnlichkeiten in den Vordergrund, während zugleich die Frage ausgeblendet wird, ob eine entsprechende Objektgegenüberstellung im alten Ägypten jemals möglich gewesen ist und ob den vom heutigen Betrachter bemerkten Ähnlichkeiten damals überhaupt eine Bedeutung zugekommen sein kann. → Stile ersetzen so andere → Kontexte, über die sich sprechen ließe bzw. die die Objekte einmal hatten. Die sich im Rahmen der Vergleiche vollziehende mediale Angleichung ägyptischer Objekte (u. a. durch die Vernachlässigung von Objektgröße, Material, Fundkontext etc.) begünstigt wiederum die Wahrnehmungsgewohnheiten, die auf Stile ausgerichtet sind, ohne zu beleuchten, ob diese überhaupt bzw. inwiefern diese innerhalb ägyptischer Kontexte relevant gewesen sind. Dazu zählt auch die Praxis, Objekte nicht nur u.a. räumlich zu dekontextualisieren, sondern sie darüber hinaus auch noch durch Detailaufnahmen medial zurechtzuschneiden. Die Auswirkungen von rezeptiven Fragmentierungen und Dekontextualisierungen auf die Forschung sind kaum zu überschätzen, zumal sich erst erfassen lässt, wie der m. b. unser Sehen determiniert, wenn wir ihn in seiner historischen Bedingtheit erkennen (→ Historisierung). Dies lässt sich insbe-
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sondere daran festmachen, dass es sich bei temporalisierten Stilbegriffen um vergleichsweise rezente Phänomene handelt (→ Stil). (2) Ein wichtiger Grund für den unreflektierten Umgang mit Stilvergleichen innerhalb des imaginären Museums liegt in den zwischen ägyptischen Bildern und als Kunstobjekten bekannten neuzeitlichen Bildern feststellbaren → Ähnlichkeiten (so etwa beim → Porträt). Sie verleiten dazu, auf → Wahrnehmungsmuster der Stilforschung zurückzugreifen, die aus dem neuzeitlichen Kunstbetrieb stammen. Die Vertrautheit mit jenen Rezeptionsweisen führt immer wieder dazu, dass diese als selbstverständlich vorausgesetzt und daher nicht mehr diskutiert werden. Die so fehlende Reflexion des Betrachterstandpunktes geht vielfach mit einer unberechtigten Handlungssicherheit einher, die in dem Moment brüchig wird, in dem man die Aussagekraft der → Ähnlichkeit hinterfragt, die dazu verleitet, ägyptische Bilder als Kunst zu betrachten (→ Fremde als hermeneutische Herausforderung) und so → ägyptologische Kunst zu kreieren, die mit den Entstehungskontexten (→ Kontext) der Bilder nicht mehr zusammenzubringen ist. Vgl. §2.3.5.3 (Fragmentierung), §3.1, §3.2.1, § 3.2.5, § 3.2.6. Lit. Malraux, Das Imaginäre Museum. Museum, imaginäres – Siehe Musealisierung/musealer Blick Porträt – Beim p. handelt es sich um eine Gattung personaler Bilder, die als solche nach gängiger Auffassung der Kunstgeschichte seit der Renaissance in Erscheinung tritt (auch autonomes p., neues p.). Entsprechend wurden überwiegend an Porträts der italienischen Renaissance hermeneutische Verfahren der Porträtinterpretation und Ausdeutung entwickelt. Die Notwendigkeit, den Begriff zu historisieren (→ Historisierung), ergibt sich einerseits aus den historischen Kontexten, innerhalb derer die Bilder entstanden sind, die die Kunstgeschichte als p.s deutet, und andererseits aus den von Seiten der Kunstgeschichte mit dem Begriff verknüpften Individualitätskonzepten, die die hermeneutischen Verfahren der Porträtdeutung dominieren. Durch einen solchen Rückgriff auf die → Begriffsgeschichte des Porträts lässt sich für Ägypten das p. als ein Konstrukt wissenschaftlicher Ägyptenrezeption beschreiben, das als Projektionsfläche für moderne Geschichtsbilder dient und das zugleich stabilisierend auf historiographische bzw. literarische Narrationen wirkt, wie sie in der Ägyptologie gang und gäbe sind: Nimmt man an, man habe in einem ägyptischen Bild ein p. vor sich, dann hält es auf vermeintlich visuell-selbstevidente Weise bereit, was vor dem Hintergrund von einer → historical short story erwartbar ist. So kann im Königsporträt in Erscheinung treten,
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was man bereits von einem ägyptischen König zu wissen meinte. Dies können konkrete Vorstellungen vom Charakter oder einer politischen Agenda sein (so bspw. bei Königen der 12. und 18. Dynastie) oder allgemeine Bewertungen von Regierungszeiten. Interpretiert werden dabei jedoch keine ägyptischen Botschaften, sondern eine ägyptologischerseits erkannte Zeichenhaftigkeit der p.s, die sich durch externe ägyptische Hinweise nicht adäquat absichern lässt. Nicht zuletzt deswegen finden sich in solchen Fällen nicht selten Absicherungsversuche, die auf unreflektierten Analogisierungen basieren (→ Ähnlichkeit). Letztere gründen sich auf verbreitete → Wahrnehmungsgewohnheiten, die zwar aus der europäischen Kunstgeschichte bekannt, aber nicht einmal dort unumstritten sind. Vgl. §2.3.5, §2.4.4.2. Produktionsstil – siehe Stil. Stil – Als undiskutierte Selbstverständlichkeit (H.-G. Gadamer) verstanden dient s. (insbesondere der in der Tradition der klassischen Archäologie und Kunstgeschichte stehenden Forschung) als Instrument der Zuschreibung und Gegenstand semantischer Interpretation: s.e werden identifiziert, Objekte s.en zugeschrieben und daraus Schlüsse gezogen, die die Geschichte der Objekte erhellen sollen. Dabei hängt es meist von der vom Bearbeiter zugrunde gelegten Geschichte ab, ob ein s. als Zeit-, Lokal-, Werkstatt- oder Künstlerstil verstanden und interpretiert wird. Während die Kritik an der Stilforschung mittlerweile einen festen Platz in der Klassischen Archäologie und der Kunstgeschichte hat, bildet insbesondere die stilistische Datierung einen weitgehend unhinterfragten und intuitiv angewendeten Bestandteil des ägyptologischen Methodeninstrumentariums. Die problematischen Konsequenzen dieser Praxis werden jedoch dann offenkundig, wenn man die Ontologie des s.s beleuchtet. Denn bei näherer Betrachtung lässt sich s. zunächst nur als die Beschreibung von → Ähnlichkeiten (W. Davis) fassen. Daraus hat W. Davis überzeugend abgeleitet, dass Versuche, aus s.en und Stilwandel Geschichte abzulesen, zum Scheitern verurteilt sind, weil allenfalls s.e mit Kenntnissen über die Geschichte relationiert, nicht aber Geschichte aus s.en abgeleitet werden kann. Davon ausgehend wurde in diesem Buch eine Stilterminologie aufgestellt, die auf jenen deskriptiven Charakter von s. fokussiert: Sie versteht s. als die Beschreibung einer Ähnlichkeit zwischen mehreren Objekten, die auf eine gemeinsame Ursache zurückgeht oder zurückgeführt wird. Mit einem solchen Stilbegriff, der die Rolle des Beobachters nicht ausblendet, ist s. stets als → Stilpluralismus zu verstehen. Zusammen mit dem Begriff der → Stilistizität, der das bewusste Aufgreifen von Stilen beschreibt und daher die produzen-
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tenseitige Beobachtung von s. voraussetzt, wird zwischen vier Stilphänomenen differenziert, die produzentenseitige und rezipientenseitige Dimensionen von s. beschreiben: (1) Stilbeschreibung, (2) Produktionsstil, (3) intendierte → Stilistizität und (4) semantisch geladener Stil. Ohne stilunabhängige Informationen lässt sich von einer Stilbeschreibung nicht auf einen Produktionsstil oder eine produzentenseitig intendierte → Stilistizität schließen, denn an einem erkannten s. selbst lässt sich nicht erkennen, welche Ursachen er hat: Infrage kommen eine bewusste Orientierung der Produzenten an einer Vorlage, die möglicherweise als bedeutungshaltig verstanden wurde (→ Stilistizität bzw. eine solche mit semantischer Ladung), oder eine unbewusste Orientierung des Produzenten an ihm bekannten → Bildern (Produktionsstil) oder eine bloße → Ähnlichkeit, die allein im Auge des Betrachters liegt, ohne dass dies produzentenseitig eine Entsprechung hatte. Die sich auf → Kennerurteile stützende Stilforschung geht durch die konzeptuelle Verknüpfung von s. und Datierung meist von Produktionsstilen aus, ohne dass dies jedoch zwangsläufig der Fall sein muss, zumal gerade die in der ägyptischen Kultur omnipräsenten Stilistizitätsphänomene (→ Stilistizität) die Kategorie des Produktions- bzw. Zeitstils zu einer schwer identifizierbaren machen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass zu unterscheiden ist zwischen (1) einem neuzeitlichen temporalisierten Stilbegriff, der mit Konzepten wie Periodisierung, Evolution und Fortschritt verknüpft ist und auf den sich das Instrument der Stildatierung beruft, und (2) einem antiken, auf Vorbildlichkeit ausgerichteten Stilbegriff, der sich einer chronologischen bzw. historischen Lesart von s.en widersetzt. All diese Zusammenhänge haben weitreichende Konsequenzen für jede Auseinandersetzung mit s. Denn einerseits helfen sie, zu benennen und transparent zu machen, was sich hinter dem verbergen kann, was oft vereinfachend und unreflektiert als s. bezeichnet wird, und andererseits zeigen sie auf, wie gering unsere Möglichkeiten sind, nachzuweisen, was sich tatsächlich hinter einem beobachteten s. verbirgt. In diesem Buch wurde im Einzelfall untersucht, welche Auswirkungen es hat, wenn Stilinterpretationen vor diesem Hintergrund auf ihre Möglichkeiten reduziert werden. Es zeigte sich, dass von drastischen Auswirkungen u.a. auf etablierte Geschichtsbilder auszugehen wäre, wenn die Ägyptologie sich eine stilkritische Perspektive zu eigen machen würde. Vgl. Teil ii, darin besonders §2.3.2.1 und §2.4 (darin zur Terminologie Kapitel 2.4.3). Lit. Davis, „Style and History“.
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Stilistizität – Der Begriff s. wird hier in an Anlehnung an W. Davis („stylisticality“) verwendet. s. setzt die Beobachtung eines →Stils voraus und bezeichnet Formen bewusster Verwendung dieses Stils, die gezielt eine → Ähnlichkeit (und damit einen Bezug oder Verweis) herstellen und dabei an Rezipienten adressiert sind. Die kennerurteilbasierte Stilforschung (→ Kennerurteil), die Stilwandel zur Grundlage ihrer Methoden macht, steht angesichts der Möglichkeit von Stilistizitätsphänomenen vor unüberbrückbaren Schwierigkeiten, weil dann an einem Stil selbst nicht erkennbar ist, ob produzentenseitig eine Stilistizität beabsichtigt war (intendierte Stilistizität) oder ob es sich bei der beobachteten Ähnlichkeit um einen Produktionsstil oder eine bloße (d. h. zufällige) Ähnlichkeit handelt (→ Stil). Betrachtungen des → Kontextes können hier allenfalls Ausgangspunkte für Plausibilitätsüberlegungen liefern. Die für die ägyptische Kultur feststellbare grundsätzliche Orientierung an Vorlagen und bewusste Herstellung von Ähnlichkeit wird in der Ägyptologie mit den Begriffen Kanon oder Decorum (J. Baines, G. Moers) beschrieben. Hier wird dies als ein Stilistizitätsphänomen betrachtet, das auf die Bewahrung visueller Stabilität und Kohärenz ausgerichtet ist. Dabei ist aus historisierender Perspektive vor allem die Historizität des Stilbegriffs zu beachten und nicht grundsätzlich von einem temporalisierten Stilbegriff auszugehen (→ Stil, → Historisierung). Vgl. §1.2.1.3, §1.2.1.4 (mit Fn. 171), §2.4.3, §2.4.4.1 (mit Fn. 744) sowie das ausführlich in §2.4.4.2 diskutierte Fallbeispiel. Lit. Davis, General Theory of Visual Culture; Baines, „Visual, Written, Decorum“; Moers, Decorum. Stilpluralismus – Folgt man dem hier vertretenen Stilbegriff (→ Stil), ist Stil als Möglichkeit der Objektbeschreibung nur pluralistisch und nicht homogen verstehbar. Stil kann immer auch anders identifiziert und beschrieben werden. Denn an keinem Objekt ist nur ein Stil beobachtbar, vielmehr können in jedem Objekt verschiedene → Ähnlichkeiten zu verschiedenen anderen Objekten erkannt und so verschiedene Stile beschrieben werden. Eindeutige Stilbeschreibungen, die meinen, ein Objekt eindeutig einem Stil zuweisen zu können, basieren weniger auf dem zugrundeliegenden Material als vielmehr auf dem zugrunde gelegten Geschichtsbild, zu dessen Herleitung bzw. Begründung ein Stil angeführt wird (→ historical short stories). s. ist in Ägypten synchron und diachron zu beobachten, erst der selektive Blick des stilforscherisch arbeitenden Bearbeiters homogenisiert und ordnet das Material teleologisch (in Form von → Kennerurteilen innerhalb des → imaginären Museums) und bringt so Material und Geschichtsbild in Kohärenz zueinander. Das deskriptive Instrument → Stil wird damit zu einem Objekt
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der Auslegung gemacht und erweckt den Anschein einer Objektivierung (etwa von Datierungen), obwohl so nur Vorannahmen zu jener Geschichte reproduziert werden, die man eigentlich erst aus dem Stil herauslesen wollte. Vgl. §2.3.2.3, §2.3.3.2, §2.4.1, §2.4.2 sowie zahlreiche Beispiele in Teil ii (vgl. Index). Wahrnehmungsgewohnheiten – Hier wird immer dann von w. oder Wahrnehmungsmustern gesprochen, wenn sich beobachten lässt, dass Erwartungshaltungen und Selektionsprozesse wiederkehrend zu identischen oder ähnlichen Interpretationsmustern führen. Werden diese nicht reflektiert, bleiben sie Bestandteil der Interpretation, ohne dass sie sich auf Anhieb wieder aus ihr herauslösen ließen. Die Betrachterperspektive reifiziert sich so im Rahmen der Interpretation im Objekt selbst (→ Bilderwelten; G. Moers): Geht bspw. der Betrachter eines ägyptischen → Bildes davon aus, → ägyptische Kunst vor sich zu haben, so erzeugt diese Betrachtung unweigerlich → ägyptologische Kunst als epistemologisches Artefakt (H.U. Gumbrecht), das sich problemlos in die akademische Kunstgeschichte und in den Kunstbetrieb integrieren lässt. Dass das → ägyptische Bild so losgelöst von seinen primären Kontexten zu etwas völlig neuem geworden ist, kann nur bemerkt werden, wenn man den Vorgang einer → Historisierung unterzieht. Denn ist ein ägyptisches Bild erst einmal (ungeachtet möglicher Irritationen) zu ägyptologischer Kunst gemacht worden, wird das Bild selbst kein Widerstand gegen eine solche Kontextualisierung (→ Kontext, → Bilderwelten) leisten können, ist es doch selbst zum Indikator einer trügerischen Handlungssicherheit geworden (→ Fremde als hermeneutische Herausforderung). Vgl. §1.3, §3.1 et passim. Lit. Gumbrecht, „Does Egyptology need a ‚theory of literature‘?“; Moers, „Spurensucher auf falscher Fährte?“.
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Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, in: ders., Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914–1916. Philosophische Untersuchungen, Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 501, Frankfurt am Main [1984], 7–85 [nach den nummerierten Sätzen zitiert]. Wittgenstein, Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik2 Ludwig Wittgenstein, Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychologie und Religion, 2., durchgesehene Auflage, Kleine Vandenhoeck-Reihe 267, Göttingen 1971. Wolf, Das alte Ägypten Walther Wolf, Das alte Ägypten, Monographien zur Weltgeschichte, München 1971. Wolf, „Das Problem des Künstlers in der ägyptischen Kunst“ Walther Wolf, „Das Problem des Künstlers in der ägyptischen Kunst“, in: ders., Die Stellung der ägyptischen Kunst zur antiken und abendländischen und Das Problem des Künstlers in der ägyptischen Kunst, (Zwei Aufsätze), Hildesheim 1951, 26–64. Wolf, Die Kunst Ägyptens Walther Wolf, Die Kunst Ägyptens. Gestalt und Geschichte, Stuttgart 1957. Wolf, Wesen und Wert der Ägyptologie Walther Wolf, Wesen und Wert der Ägyptologie, Leipziger ägyptologische Studien 8, Glückstadt [u.a.] 1937. Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe2 Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, 2. Auflage, München 1917. Woods, „Relief“ Alexandra Woods, „Relief“, in: Melinda K. Hartwig (Hrsg.), A Companion to Ancient Egyptian Art, Blackwell Companions to the Ancient World, Malden (Massachusetts), Oxford & Chichester 2015, 219–248. Würtenberger, „Legitimität, Legalität“ Thomas Würtenberger, „Legitimität, Legalität“, in: Otto Brunner, Werner Conze & Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 1982, 677–740. Wyss, Vom Bild zum Kunstsystem Beat Wyss, Vom Bild zum Kunstsystem, Kunstwissenschaftliche Bibliothek 32, Köln 2006. Yousefi, „[Rezension zu] Paul, Einführung in die interkulturelle Philosophie“ Hamid Reza Yousefi, „[Rezension zu] Paul, Einführung in die interkulturelle Philosophie & Loh, Mall, Zimmermann, Interkulturelle Logik“, in: Philosophischer Literaturanzeiger 62 (2009), 45–49.
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Sachindex 1. Zwischenzeit 26, 26n85, 45, 153 f., 159– 164, 167, 170n66, 171, 173–175, 179, 181 f., 184–186, 189, 190n129, 192, 198, 209, 221, 233–235, 237, 240, 260n315, 300, 311, 374, 425n806, 430n816, 507 2. Dynastie 104n368 3. Dynastie 278n369, 405 3. Zwischenzeit 180 4. Dynastie 165, 189, 193 f., 231 f., 236n262, 326n491 5. Dynastie 165, 189, 194, 198, 231, 236n262, 272n351, 426n806 5.–11. Dynastie 234 6. Dynastie 159n19, 165 f., 170n64, 187, 194, 195n140, 198, 217, 231, 234, 271, 272n351, 279, 296, 310, 443n865, 448n879 6.–12. Dynastie 153 f., 160, 170, 173, 175, 184 f., 188, 191, 193, 210–230, 237 8. Dynastie 159n19, 165, 187, 194, 217, 234 8.–11. Dynastie 214 9. Dynastie 213n204, 217, 220, 439n856 10. Dynastie 217, 220, 308n443, 439n856 11. Dynastie 26n85, 50n171, 174, 192, 198, 210, 212, 213n204, 240, 251, 254, 259, 270, 272, 277, 278n369, 279–288, 293–300, 306, 309, 311, 313, 316n465, 318, 320– 322, 422n796, 429, 434 f., 439n856, 535 12. Dynastie 95, 153 f., 160, 163, 169, 171 f., 174 f., 178, 181, 184 f., 188, 192 f., 251, 260n315, 270, 286, 288, 293 f., 297–300, 306, 308 f., 311, 318–323, 327–329, 340– 347, 353–359, 370n631, 380, 407n746, 414–416, 422n794, 424, 425n806, 426n806, 429 f., 434 f., 437n847, 443, 445, 551 13. Dynastie 287, 439n856, 440n856, 446 f. 17. Dynastie 439n856, 440n856 18. Dynastie 42, 72, 104, 108n383, 115, 117, 154, 174, 180n101, 183n109, 312, 341n547, 404n734, 407n746, 413–424, 443–447, 491, 497, 500n147, 551 19. Dynastie 50n171, 171, 280–285 22. Dynastie 50n171
Abbild, Abbildungsvermutung 13, 21f., 23f., 30, 76n274, 140n472, 327, 329n503, 331 Abgüsse 106n378, 112–114, 120, 363n617 absence of evidence 87, 206n179 Ächtungsfiguren 344n556 agency siehe handlungsorientierte Perspektiven Ägyptenbild (Rezeptionsgeschichte) 26n83, 29n92, 98, 132, 344, 476, 512n189, 513, 517n200, 520f., 532, 543, 548, 550 Ägyptologie, Gegenstand und Zuständigkeit der 20, 22, 33, 70, 87, 120f., 138f., 150, 318, 397, 479, 509, 520n207, 531–534, 545, 548 Ägyptologie, kunsthistorische 7, 34, 63–81, 87f., 90, 200, 357, 360, 371n638, 473, 506, 514n194, 533–535, 537 Ahnen, Ahnenkult 305, 311, 330, 363n617, 415, 419–421, 433n827, 434f., 439n856, 445; siehe auch Königslisten Ähnlichkeit 23f., 69, 86, 123n417, 129, 131, 134, 202–208, 210, 212–215, 217n210, 226–228, 231, 233f., 242n278, 251, 261, 266f., 269–273, 278f., 289, 292, 296–300, 308, 310f., 317n465, 319, 335n528, 336, 337n530, 356, 360–362, 372, 373n641, 374f., 379, 385, 388– 393, 395, 398–402, 406, 409, 413f., 416, 418n784, 419–423, 433n827, 444f., 447, 448n879, 455–457, 460n25, 462, 465f., 470, 482f., 511, 514, 517–519, 523n215, 524, 525n221, 527, 539–547, 549–551; siehe auch Familienähnlichkeit; Porträt: Porträtähnlichkeit graduelle Kategorie 129, 204f., 267, 385, 401, 457n13 Herstellung von Ä. 140n472, 393, 395, 397, 406, 410, 420, 445–447, 540, 552f.; siehe auch Stilistizität, intendierte schlichte/bloße Ä. 86, 391, 393, 397, 399, 456, 482, 483n98, 540, 552f. Alienität und Alterität 55n187; siehe auch Fremde all art has been contemporary siehe Kunst: zeitgenössische K.
sachindex Alltagshermeneutik 149n502, 331, 333, 365, 480–482, 548; siehe auch intuitives Vorgehen Alltagsszenen, sog. 92, 496–502 Altes Reich 16, 42, 80, 154, 156, 166, 170n63, 172, 186 f., 191, 194n140, 198n149, 211n195, 219, 230n249, 234, 253, 255n302, 262n323, 272, 287, 296, 309n444, 341n546, 358, 405n741, 415, 422n794, 426n806, 429, 430n816, 434, 440, 443, 448n879 Amarna-Plattform 99, 111–121 Amarna-Religion 117, 135 Amarnastil 403n733 Amarnazeit 28n92, 81n289, 104 f., 109 f., 129 f., 363n617, 403n733, 443n865, 470n56 Analogisierungen 16, 23, 24n78, 27, 30, 33, 34n110, 49, 50n171, 52, 55, 73, 84– 88, 94n342, 106n375, 128n435, 132, 134n452, 141, 195n140, 197n145, 254, 313, 366, 371–374, 415n776, 422, 443, 448n879, 454, 461 f., 474, 475n76, 482n94, 500n147, 517, 519, 525, 527, 530n237, 532, 539, 543, 551 Anführungszeichen 142, 145, 467, 540 Anomalien in Bildern 496–500, 500n147, 501 f. Antike 11, 16, 20n58, 53, 96, 361, 384, 439, 462, 464, 466, 472, 552 Anwendbarkeit europäischer Kunstwissenschaft 65, 83, 88, 143, 146, 148, 216, 328, 336 f., 351–353, 360, 371, 423, 444, 453 f., 463, 465, 474, 479, 497n139, 514 f., 533, 548 Ära des Bildes vor der Ära der Kunst 11 f., 13n31, 15, 30, 46, 47n160, 74, 145 Archaismus 206, 277, 320, 402, 404, 410, 413–415, 424n802, 444 f. Archäologie 64, 81n288, 100–102, 104 f., 110 f., 113, 119 f., 165, 169, 175, 179, 183, 185, 204–206, 209, 212, 216n207, 220, 226n234, 227, 231, 245, 270, 273, 282, 288, 295, 297, 301, 304 f., 342, 363n617, 366, 375, 392, 401n728, 454, 474, 477n83, 478, 478n83, 490–492, 535, 536n254, 546 Archäologie, Klassische 84, 95n349, 199– 201, 207, 216, 251, 313n457, 323, 325,
627 327, 348, 356n595, 363, 392, 404n735, 459n23, 514n194, 551 ars (lt.) 50n171, 463f. ars medicina (lt.) 49 Aspektive 407n744 Aspektsehen 471–473, 503 Ästhetik 28f., 31–33, 35–37, 43f., 49, 51, 55– 59, 67n237, 68, 83n295, 85n305, 91, 106, 118, 121, 125–127, 131, 190n129, 193, 216n207, 374, 455n6 ästhetische Betrachtung 10, 12f., 18, 22, 27, 30, 32f., 55, 65n228, 106, 118, 190n129, 191, 197, 236–239, 365, 370n630, 459, 473 f., 481, 492, 508, 528 ästhetischer Reiz 107, 117–119, 237f., 459, 478n83, 481, 535 Ästhetisierung, sekundäre 27, 32f., 36n117, 47, 55, 106, 236, 474, 476, 478n83, 492, 548 f. Atelier 105, 107, 109f., 117–120 Aufstieg und Niedergang siehe Blüte und Verfall Auftraggeber siehe Bildauftraggeber Augenschein 12, 482, 517, 519, 543, 547 Ausstellungskataloge siehe Kataloge, Ausstellungskataloge Authentizität 101f., 110, 164, 232, 327, 476n80 Autonomie A. der Kunst siehe Kunstsystem, Autonomie der Kunst autonome Person siehe Neuzeit: Subjekt der N. Bedeutungsstreifen 463–467; siehe auch Begriffsgeschichte, historische Semantik Begriffsdefinitionen, Begriffsarbeit siehe Terminologie Begriffsgeschichte, historische Semantik 29n92, 58, 84–87, 132n449, 145, 186n115, 336n530, 411, 438, 463–465, 468, 473, 475, 514, 540, 544, 546–548, 550; siehe auch semantische Ladungen; Grundbegriffe; Bedeutungsstreifen Begriffsverzicht 46, 58, 61, 62n212, 142, 148– 150, 444, 454, 467f. Beisetzung(szeitpunkt) 194, 298f., 301, 307, 309–315, 318, 321
628 Beruhigungsrhetorik siehe rhetorische Strategien Betrachter/Betrachtung ägyptische B. 10, 13, 86, 104, 110, 118, 230, 239, 320, 327n495, 360, 390 f., 393, 395, 420, 447 f., 462, 470, 475n75, 480, 483, 525n222, 529 f., 540, 547 Betrachterorientierung 10, 18, 229, 373, 390, 393, 395, 468 Betrachterperspektive, Bedingtheit der 125, 139, 518, 522–525, 529 f., 532 f., 542 f., 546, 549–551 kulturspezifische B. 8, 18, 23, 60, 62n212, 69, 110, 123–125, 128n437, 132n449, 134 f., 140 f., 336n530, 339, 413, 454, 475n76, 480, 490, 502n152, 547 sekundäre/moderne B. 19, 27, 31 f., 36n117, 51, 55, 95n344, 98, 104, 106, 110, 112, 119, 254, 333n518, 351, 355 f., 359, 364 f., 373, 375, 377, 386, 388, 390 f., 393, 395 f., 446, 459, 461, 463, 476, 482, 490, 518 Bildadressaten 24, 37, 39, 47, 53, 362, 380n658, 394 f., 405, 476n79, 494, 508, 553 Bild-Anthropologie 14n36, 15n40, 66n233, 74, 140 f., 145, 468n51 Bildauftraggeber 44, 197, 210, 213n204, 214n205, 226n234, 227, 232, 238, 260, 270, 277, 309 f., 334n521, 380, 406, 407n744, 491 Bildbände siehe Kataloge, Ausstellungskataloge Bildbegriff 12, 14–16, 76n274, 140, 468, 499, 537, 541 Definition 66n232, 146, 468, 541 Bilder siehe auch Ära des Bildes vor der Ära der Kunst; Sichtbarkeit und Zugänglichkeit von Bildern B. als historische Quellen 90n324, 92 f., 345, 413, 480, 536 B. als religiöse Gebrauchsgegenstände 8, 11–15, 52n178, 88 f., 341n546, 372n639, 425n804; siehe auch Bilder: B. im Kult/Kult B. im Kult/Kult 11–13, 18, 30, 33, 51– 53, 55, 83n295, 85, 107, 109n386, 135, 141, 194, 196, 197n145, 219, 228 f., 231, 236n262, 253, 298, 343, 347n568,
sachindex 363n617, 408, 421, 439n856, 443n865, 479n87, 491, 493; siehe auch Ahnen, Ahnenkult B. mit zweierlei Gesicht 13f., 16, 53, 479; siehe auch Doppelartefakte, Bilder als Lesbarkeit und hermeneutische Zugänglichkeit von B.n 42n139, 92f., 98, 119, 209, 254, 322n479, 331f., 342, 350, 360, 413, 478–480, 536n252 verborgener Sinn der B. 338, 348, 351f., 354, 381, 495–504, 510, 532 Verwendung von B.n als Zeichen 11, 93n340, 395f., 469f., 478n84, 481, 492n117, 493–495, 541; siehe auch Semiotik; Zeichen(-system/-funktion) Bilderverbot 11, 13 Bilderwelten 3, 518, 530–533, 536f., 541f., 546, 549, 554 Bildgattungen 27, 33, 207, 268n343, 269, 286, 301, 347, 361, 455, 483, 496, 547 neuzeitliche B. 129, 336n530, 364, 455f., 465, 547, 550 Bildhauermodell 106f., 111n389, 112f., 119f., 362; siehe auch Vorlagen Bildkompetenz 471f. Bildobjekt 24, 93n340, 468–470, 498f., 503, 541 Bildpraxis 14–16, 18, 50n171, 52f., 56, 60f., 141f., 342n549, 536, 542 Bildproduktion 25n78, 27f., 32, 37, 43, 50n171, 91, 95, 106f., 110, 112, 114n396, 118, 140–142, 146, 198n149, 203, 208, 230, 239, 271, 275–277, 285, 311, 313, 315, 334, 362, 389–392, 394n716, 395–399, 404–407, 409f., 413, 420, 445, 448, 458, 462, 473, 480f., 483, 489f., 504, 529, 535, 540, 547; siehe auch Bildproduzenten; Produktionsstil Arbeitsteilung 95 Bildproduzenten 39, 44, 47, 49, 53, 55, 69, 91, 108–113, 116–119, 197, 351, 380f., 390, 392–396, 399, 410, 412, 458f., 462, 475n75, 476, 481f., 491, 503, 525n222, 540f., 548, 551–553; siehe auch Bildproduktion; Intention der Bildproduzenten
sachindex Bildrezipienten, Bildrezeption 43, 54 f., 62n212, 65n228, 69, 81n289, 86, 94, 104, 119, 132, 230, 320, 322, 331, 334, 334n521, 342n549, 354, 359 f., 374, 389–391, 395 f., 398, 406, 420, 448, 462, 475n75, 476n80, 477, 480 f., 483, 491, 504, 525n222, 529 f., 540 f., 547 f., 552 f.; siehe auch Kunstrezeption, moderne Bildträger 24n75, 468 f., 541 Bildverständnis, quasi-photographisches 42n139, 374, 470, 484, 499, 500n147, 501, 549 Bildwissenschaft 1–3, 14, 15n40, 64, 67, 70, 72, 74–76, 76n274, 77, 144, 149, 321, 453, 468 f., 480, 505 f., 532–537 Verhältnis zur Kunstwissenschaft 69n244, 74, 76n274, 149n502 biographische Texte 94n342, 174, 186n115, 194, 196, 229n244, 239n267, 335, 336n530 Blüte und Verfall 19, 95, 153–157, 159 f., 161n26, 166n50, 172, 175, 175n83, 179 f., 183n109, 186, 188–194, 195n140, 197n145, 198, 230, 236 f., 294, 374 f., 411, 429, 443n865 Brüche siehe Diskontinuität Brustbild 361 f., 364n620, 366, 368–371, 484; siehe auch Porträt Bürgerkrieg siehe Krisen, Unruhen Büsten 105–110, 119, 127, 136n457, 147, 361– 366, 369, 372n641, 455; siehe auch Bildgattungen: neuzeitliche B. Chaos siehe Krisen, Unruhen Charakter der/des Porträtierten 94, 324– 326, 329, 331, 338, 342, 347, 354, 356, 362, 370, 372 f., 551; siehe auch psychologische Deutung Christentum 9, 11, 13, 15 f., 18–20, 29n92, 52–55, 327n495, 508 Codierung 23, 38, 53, 133n452, 315, 322, 327 f., 338, 351, 353, 399, 444, 449, 495– 500, 502, 504; siehe auch Decodierung von Bildern und Botschaften dark age siehe Krisen, Unruhen dark side to perfection 177n88, 236n261 Darstellungskonventionen 22–24, 38 f., 41 f., 50n171, 112n389, 133, 134n452, 219, 236,
629 237n263, 239, 404–412, 445f., 448n879, 449, 498–500, 500n147, 501f., 553 Datierungen D. literarischer Texte 174n76, 181, 183, 345, 352, 354 D. nach dem Stil 71f., 82, 90n324, 198, 200 f., 210–216, 217–230, 233, 251, 256, 270f., 278f., 307, 375f., 379–381, 385, 393f., 400, 402, 413, 492, 507n170, 525n222, 544, 551f., 554 D. nach der Architekturtypologie 259n313, 298 D. nach der Epigraphik/Paläographie 197n147, 211–216, 261, 300n431 Feindatierungen 310, 322, 403n733 relativchronologische D. 198, 206f., 220, 226 f., 241, 276, 302, 403 Decodierung von Bildern und Botschaften 23, 31f., 315, 322, 327–338, 351–353, 399, 444, 449, 495, 497f., 502, 523n215; siehe auch Codierung Decorum 26n85, 36, 39, 40–43, 50n171, 56, 57 f., 60, 405f., 500n147, 553 dekontextualisierte Objekte 206, 213n203, 251, 258f., 279, 287, 291, 295, 360, 365, 374, 474, 477n83, 535f. Dekontextualisierung 10, 100–102, 104, 109, 113, 118, 189n124, 231, 239, 337, 365f., 368, 374, 403, 448, 473f., 477, 479, 483, 485–488, 513, 515n195, 539, 543, 547– 549 D. zweiter Ordnung 479, 489 Determinierung von Wahrnehmung und Interpretation 3, 54, 77, 125, 153, 379, 466f., 479, 489f., 492, 516, 520n208, 530, 541, 546, 549; siehe auch Betrachter/Betrachtung: Betrachterperspektive, Bedingtheit der; Wahrnehmung, Geschichtlichkeit der Dialog siehe Hermeneutik: Dialog als Instrument der H. Diskontinuität 13n31, 159n19, 191, 252, 309, 314, 316, 321, 334f., 411, 414f., 444, 447, 516 Diskretion, Reduktion 162, 169, 318f., 321, 388, 507, 526–528, 533f., 536, 543 Doppelartefakte, Bilder als 459; siehe auch Bilder: B. mit zweierlei Gesicht
630 dynastischer Wechsel 297, 306, 309, 316, 317n465, 321, 425, 434 f. Eklektizismus 410, 415, 418n784 Elitekultur siehe High Culture Emplotment 319n473, 344, 442, 506n167, 543 Entscheidungen und Verantwortung des Interpreten 84, 126, 149, 158, 163, 209, 228, 358–360, 366, 374, 376, 386, 454, 457n14, 473, 477n83, 492, 529–533, 537, 538n257, 541, 546, 548 f. Entstehungskontexte siehe Kontexte: primäre K. Entwicklungen historische E. 13 f., 16–18, 30, 33, 64, 95 f., 234, 254, 293, 320, 384, 386–388, 460 f.; siehe auch Wandel teleologische E. 17–19, 95–97, 110, 147n492, 156n9, 185 f., 190n129, 191, 195n140, 204, 206, 210, 215, 234, 237n263, 272 f., 318, 321, 336n530, 375, 376n645, 378, 382, 384, 460, 462, 553 Epigraphie und Paläographie 179, 197n147, 210–216, 250, 261, 266, 300n431, 318n469, 423; siehe auch Datierungen: D. nach der Epigraphik/Paläographie epistemologische Artefakte 473, 518, 528, 531 f., 540, 543, 548, 554 Epochenbilder, Periodisierungen 12n26, 17–19, 153–166, 169, 170n62, 173n74, 174 f., 181–183, 185–187, 193, 195n140, 236, 294, 306n438, 309, 334, 336n530, 375–378, 384, 387, 552; siehe auch Geschichtsbilder: ägyptologische G.; Zwischenzeit (Periodisierungsmuster) Epochenstil siehe Zeitstil Erwartungshaltungen, moderne 72, 78, 86, 108 f., 118–120, 139, 148, 176n85, 179, 189, 205n175, 219, 231, 236, 238 f., 254 f., 261, 269 f., 279, 312n455, 320, 322n476, 323n481, 355, 358, 385n681, 386, 438, 442, 445n872, 467, 497, 499, 501–504, 513, 515n195, 521, 523, 524n219, 525– 528, 532, 535, 541 f., 548, 554 etablierte Praxis siehe opinio communis Ethnologie 55n187, 58, 60, 123n417, 137 f., 353, 477n81, 508, 512, 515, 524, 526n224
sachindex Ethnozentrismus 46, 48, 54n184, 66–68, 82n292, 88, 96f., 122–125, 127, 147n492, 336n530, 337n530, 475n76, 515 Eurozentrismus siehe Ethnozentrismus Exklusion 39, 40n130, 133n452 Familienähnlichkeit 120n407, 455–457, 483 Feindatierungen siehe Datierungen: Feindatierungen Fiktionalität, Fiktivität, Fingierung 168, 176, 177n88, 178f., 182n108, 393, 395, 427, 432, 529n231 Fisch- und Vogelfangszenen siehe Alltagsszenen, sog. Fokussierungen siehe Selektionen, Selektivität: rezeptive/museale S. folk art siehe Volkskunst Formalisierung der Darstellung siehe Darstellungskonventionen Formanalyse 207, 350 Fragmentarität, Fragmente 57, 105n371, 112n392, 113, 119, 129f., 243n282, 245f., 249, 256–258, 260, 263n327, 264– 266, 270, 272n351, 273, 280, 290f., 295n417, 298–300, 302f., 363–369, 369n628, 370f., 374, 381, 513, 524n219, 535, 542 mediale/rezeptive Fragmentierung 118n399, 365–371, 374, 484, 513n191, 549f. Fremde 55, 88, 97n354, 121–142, 353, 356, 364, 374, 508–528, 539, 541–543, 547 fremde Kulturen 20, 20n58, 55, 62n212, 83, 88, 121–142, 184, 353, 356, 460– 462, 472, 475n76, 477, 508, 515n195, 520, 522, 526n224, 529, 532, 542, 547 Fremdheitserfahrung 20n58, 136n457, 141n478, 516n199, 517n200, 518, 524 Nobilitierung der F. 88, 139n465, 512n189, 515n195, 516n199 Topoi des Anderen 511 unhintergehbare F. 509, 511 Verstehen der F. 122, 510–514, 516–527, 542f.; siehe auch Verstehen vertraute F. 136n457, 336n530, 356f., 508f., 516f.
sachindex Fremdeinflüsse 96 f. Fremdherrschaft 180, 428; siehe auch Invasionen Funktion(sbindung) der Bilder 1, 10, 13, 20, 30, 33, 35, 47, 50 f., 51n173, 56, 60 f., 83n295, 86, 89, 106, 110, 118, 193, 196 f., 229, 239, 354, 361n608, 362, 364 f., 368, 374, 380n658, 397, 408, 411, 420, 461, 490 f., 536, 547 Gattungen (von Texten) 168, 172, 178n89, 179, 180n101, 341 Gedächtnisgeschichte 512n189 Gegenüberstellung als museale Strategie 31, 33n110, 98–100, 130, 189, 293, 370, 372n641, 446n877, 475n77, 476n77, 549 Gelingen 25–33, 192 f., 229, 236, 374 Gemälde 12, 14, 330 f., 334, 477, 497 Geradvorstelligkeit/Vorstelligkeit 23, 32 Geschichte Ereignisgeschichte 157n11, 157n12, 161 f., 165–168, 175, 178 f., 180n101, 182n108, 187, 192, 242n278, 251–254, 256, 277, 297, 306 f., 309, 312, 314 f., 341n546, 345n558, 348 f., 386 f., 414 f., 425n806, 427n809, 428, 431n820, 441, 442n864, 443n865, 449, 505 Machbarkeit der G. 255n303 politische G. siehe Geschichte: Ereignisgeschichte Geschichtlichkeit siehe Historizität Geschichtsbilder ägyptische G. 179, 181, 184n109, 427 f. ägyptologische G. 178n88, 183–185, 186n115, 208 f., 252–255, 272, 277n369, 293 f., 310 f., 314 f., 317–319, 321, 326n495, 345, 352 f., 370, 376, 381, 386– 388, 397, 400, 402, 425n806, 430n816, 433, 440, 448, 462, 483, 490, 492, 505 f., 522n214, 529, 531, 536, 541, 546, 550, 552–554 Geschichtsphilosophie/Geschichtstheorie 12n26, 334, 337, 377n652, 378, 383n673, 533 Geschichtsschreibung 13n31, 19n55, 92, 153–166, 174–176, 179 f., 182, 184–187, 191, 195n140, 237, 251, 256, 270, 297 f., 317, 319, 321 f., 343, 352, 355, 425,
631 426n808, 460, 473f., 480, 483, 492, 506 f., 543, 546, 550 biographiefokussierte G. 94n344, 297, 305, 343, 345n560, 354f., 426n808, 442, 536, 543 Grabstelen siehe Stelen Griechenland 20n58, 24, 96f., 134n452, 180, 512n189; siehe auch Kunst: griechische K., sog. Grundbegriffe 463, 540, 547; siehe auch Begriffsgeschichte, historische Semantik Handeln mit Bildern siehe Bildpraxis handlungsorientierte Perspektiven 60f., 131, 226n234, 229n243, 525n222, 548 Handlungssicherheit 511, 514, 516, 518f., 523 f., 543, 550, 554 Handwerker 17, 24f., 42n139, 45n150, 48f., 50n171, 53, 55, 107–109, 112, 117, 119f., 211, 226, 268, 311f., 315f., 327n495, 392, 402, 420, 464, 467n46, 464, 467n46 Hasen-Enten-Kopf siehe Aspektsehen Hässlichkeit 190f., 277n369 Hellenismus 18, 216n207, 342n549 Herakleopoliten 173n74, 253n297, 316n465, 317n465, 439n856 Hermeneutik Anspruch der H. 494–497, 509–512, 516, 521, 526, 542 Dialog als Instrument der H. 95n344, 102, 112, 331f., 360, 370n631, 474, 520n207, 523f. hermeneutische Aneignung 55, 141n478, 511 f., 514, 516, 519, 525, 527, 532, 542f. hermeneutische Spekulation 93n340, 227, 253n298, 333n519, 413, 481, 503, 541 Historizität der H. 510f., 522; siehe auch Betrachter/Betrachtung: Betrachterperspektive, Bedingtheit der Probleme der H. 125f., 331–337, 334, 357, 360n607, 370, 381, 384, 395, 472, 480, 482, 509 semiotische H. 495–504, 529, 530n237, 532n242 Sog des Verstehens 511f., 515, 517–519, 542
632 Herrschaftsrepräsentation siehe Repräsentation Herstellungsprozess siehe Bildproduktion High Culture 27, 35–39, 43–45, 50n171, 57–59, 193–195, 236n262, 237, 239, 327n495, 342 f., 344n555, 405, 408 f., 441 f., 500n147 historical short stories 175, 184, 317, 344n556, 353, 543 f., 546, 550, 553 Historisierung 15f., 31, 34, 36n118, 46, 52– 54, 58, 60, 62, 62n212, 69, 69n247, 70, 75, 85, 88, 124n422, 145, 147n492, 148, 150, 184, 186n115, 205, 294, 334–337, 361, 379n655, 384, 404n735, 410– 412, 434, 437–439, 455n6, 467, 473 f., 475n76, 490 f., 494 f., 499, 506 f., 524– 527, 529, 532, 536, 540, 543 f., 546–550, 553 f. Historizität 33, 42, 59, 60, 62n212, 70n249, 86, 137n460, 142, 145, 147, 167n54, 171, 173, 177n88, 182n108, 190n129, 432, 462, 478 f., 524, 525n222, 540, 547 f., 553 Historizität literarischer Texte siehe literarische Texte: historische Lesart Holzfiguren 230 f., 234, 286, 298n427, 300– 302, 306–314, 408n749, 485 f., 488, 536n251 Holzmodelle 298n427, 300, 307, 319, 536n251 Homogenisierung, rezeptive 266–268, 310, 322n476, 370, 375, 384, 386 f., 483–488, 518 f., 525, 542, 549, 553 Hybridität hybride Begriffe 118, 148, 364n619, 428, 467n46, 540, 547 f. hybride Perspektiven 171, 185, 432, 474 museale H. 476n80, 478 Hymnen 135, 328n500, 340n542, 343, 345n560, 347, 372, 435–437
sachindex
Ikonographie 20, 41, 64, 90, 210f., 213f., 217n210, 270, 296, 322n478, 326, 341n546, 345, 348–353, 355, 401, 409n753, 441, 489, 514n194, 535 Ikonoklasmus 12, 14, 140n474 Ikonologie 41, 64, 65n228, 66n233, 71n254, 333, 348–353, 355, 497n139 Imagination 59, 98, 110, 181, 184n109, 254, 332, 353, 355, 361, 365, 370f., 516, 521, 527n225, 537n255 imaginierte Vergangenheiten siehe Geschichtsbilder: ägyptische G. Immunisierungsstrategien siehe Resistenz gegenüber Kritik independent evidence siehe stilunabhängige Information/Interpretation Individualporträt 323, 326f., 329 Individuum, Individualität, Individualismus 17f., 21, 23, 25, 29, 31, 89, 91, 94n344, 98n359, 234, 236, 237n263, 323–327, 329–332, 334–336, 341, 342n549, 343n551, 347, 354, 360, 372–374, 431, 439n852, 441, 550 Innehalten 73, 526f., 543 innocent eye siehe unbefangener Blick Innovation(sdruck) 85, 89, 95, 190, 205n175, 236, 237n263, 294, 382, 407n744, 411f., 419, 475n75 Innovationsverbot 407n744 Instrumentalcharakter äg. Bilder 8, 10, 20, 22, 48n164, 50–53, 55, 481; siehe auch Funktion(sbindung) der Bilder Intention der Bildproduzenten 458, 472, 482, 496f., 503, 540f., 551–553; siehe auch Stilistizität, intendierte Interpretationen siehe auch Determinierung von Wahrnehmung und Interpretation; Entscheidungen und Verantwortung des Interpreten; Motivation des Interpreten; Physiognomie, Interpretation der; Stil: Interpretierbarkeit von S.; iconic turn 1, 64 stilunabhängige Information/InterpreIdealbilder siehe Menschenbild, Idealbilder tation Idealbildnis 94n342, 323, 355, 357n598 Bedürfnis nach interpretationsfähigem Ideologie 62n212, 108n383, 177n88, 180, 249, Gehalt 21, 391, 504, 510n182, 536 253, 255, 277, 294n414, 320, 378, 433, Interpretationskontexte siehe Kontexte: 440 wissenschaftliche K. Ikonen 11, 361n609 Kontrollierbarkeit von I. 78, 345, 348, ikonische Differenz 468n49, 541 371, 506f., 537, 540
sachindex Muster und Methodologien von I. 41 f., 42n139, 81n288, 82, 86, 108n383, 125, 132, 150, 153, 182, 185, 189, 213, 341, 345, 350–353, 358, 361 f., 364 f., 370, 374, 388, 415 f., 424, 434, 444, 454, 465– 467, 473, 477, 482, 490 f., 493, 497, 502, 504 f., 507, 510, 516, 518, 520, 523 f., 529 f., 537 f., 543, 545, 549, 554 Intertextualität 172, 182n108, 395, 433n827 intuitives Vorgehen 1, 21n63, 22, 30, 62n212, 68, 84–86, 119, 144, 202, 204, 328n499, 331 f., 336, 338n534, 340, 361, 365, 374, 442, 454, 461 f., 480, 496 f., 502, 506, 516, 537, 547, 550 f. Invasionen 166 f., 195n140, 283n379; siehe auch Fremdherrschaft Irritation 134, 141n478, 197n146, 521, 523 f., 527, 543, 554 Isched-Blatt 416n781, 417n783 Kalokagathia 28, 28n90 Kanon, Kanonizität 26n85, 27, 60, 90, 95, 189, 191 f., 197, 198n149, 205n175, 219, 221n220, 222n220, 227–231, 234, 236, 237n264, 250n286, 374, 404–406, 408– 410, 412 f., 427n810, 498n144, 507, 553; siehe auch Decorum; Proportionen, Proportionskanon Kataloge, Ausstellungskataloge 8, 48n164, 81, 91 f., 129 f., 227, 230, 237 f., 364, 369n628, 483n99, 484 Kennerurteil, Kennerschaft 21, 21n63, 22, 71 f., 82, 84, 87 f., 119n404, 148n499, 172n71, 200, 213, 215, 267, 272, 279, 297, 310, 345, 357 f., 376, 386, 392, 394 f., 400, 408n751, 418n784, 421n792, 449, 457n14, 475n75, 478n83, 482– 484, 497, 505n163, 536, 540, 543–545, 552 f. Keramik 192n134, 298n427, 308n443, 401 Klagen 173n74, 178–180, 182n108 Klassik 206, 407n744 Klassizismus 31, 34n110 Kohärenz, visuelle siehe Darstellungskonventionen Kolonialismus siehe Orientalismus Kommunikation 33, 37 f., 40, 44, 61, 64, 93, 98, 133n452, 177n88, 337, 395, 406, 408, 412, 481, 493 f.
633 Komparatistik siehe Kulturvergleich Kompositstatuen 112–114 König, Königtum, (rituelle) Rolle des Königs 41, 178, 180, 186f., 253, 341n546, 342f., 345, 347, 352, 405, 425–437, 439, 440–442, 443n865, 445; siehe auch Rechtfertigung von Herrschaft Königslisten 159n19, 161, 439n856 Königsmord 162, 183n109, 346f., 442 Königsnamen, Titulatur 135, 160n21, 240f., 242n278, 243–250, 253, 256, 260f., 273, 275 f., 278, 291, 317, 346n562, 348n568, 418n784, 431–433, 439n856, 445n870, 449, 543 Änderung der T. 241–252, 256, 261, 309n444 Königsnovelle 426n806 Königsstatuen 109n386, 114, 193, 202n167, 270–274, 276, 278, 280–297, 301– 303, 309, 320, 322f., 326–329, 340– 347, 353–359, 362–364, 380, 415, 423, 441, 443–445, 456, 485–487, 534 f. Konstanten, anthropologische 7f., 35, 46, 56, 69n246, 83, 88, 96f., 110, 121–142, 328, 336, 338–340, 353n587, 372, 462n28, 473, 481, 494, 522n213, 526, 530 f., 537 Konstrukthaftigkeit 118n400, 184, 201, 267, 310, 336, 432, 490, 497, 503f., 506, 520n208, 530 Konstruktionen Ägyptens siehe Ägyptenbild (Rezeptionsgeschichte) Kontaminierung, ideologische siehe Ideologie Kontexte 8, 12f., 16, 27, 49, 52, 55, 66, 89, 104n368, 107, 108n383, 110f., 112, 132, 134, 140, 198, 205f., 208, 339, 355, 362, 365, 371, 374f., 388, 397, 399, 401n727, 448, 457, 463, 467, 473, 478n83, 483, 489, 490, 505, 509, 520n208, 529f., 533, 539, 541, 544–546, 553 ägyptische K. siehe Kontexte: primäre K. archäologische K. siehe Archäologie; Kontexte: primäre K. Bilder in neuen K.n 13, 16, 25, 51n173, 53, 62n212, 119, 365, 464 Kontextbindung siehe Kontexte
634 primäre K. 27, 47, 51, 53, 62n212, 66, 83n295, 86, 89, 93n340, 100, 102, 104 f., 107 f., 110 f., 113, 118–120, 215, 230, 275, 279, 311n448, 314, 332, 335 f., 341n546, 342, 344, 354, 360 f., 363, 365 f., 368, 371, 375, 382, 384, 388, 392, 397, 399, 409, 424, 445, 448 f., 453, 456, 463, 467, 472 f., 475 f., 479 f., 484, 490, 494, 510, 513, 516, 521, 523, 525 f., 529, 536n254, 539 f., 542, 544, 546–548, 550, 554 wissenschaftliche K. 491 f., 509, 513, 518, 520 f., 533, 544, 546 Kontextualisierung 10n14, 104n368, 112 f., 123, 141, 149 f., 255, 279, 306, 333, 337n530, 339, 342 f., 355, 362, 374, 474, 477n83, 480, 482 f., 489–492, 503–505, 525, 529, 531, 534, 538, 541, 546 f., 554; siehe auch Rekontextualisierung K. von Bildern und Texten 84–87, 333, 339–355, 371–374, 381, 505n163 Kontingenz 21n63, 97, 428, 439n852, 526, 544 f. Kontinuität, Kontinuierung 29n92, 60, 97, 234, 412, 415, 443–449, 491 Kontinuität zwischen ägyptischer und neuzeitlicher Kunst 7, 80, 97, 110, 462 Kopien/Kopieren 23n72, 204, 214n205, 363n617, 407 f., 410n756, 412, 416, 418n785, 419n785, 421, 423, 445–447 Koregenz 182n108, 307n439, 310, 346n562, 418n785 Korpora/Korpusbildung 66, 78, 197, 200 f., 251 f., 258, 260 f., 263, 265 f., 386, 400 Krisen, Unruhen 154 f., 159–162, 165, 169 f., 171n68, 173, 175, 178–181, 188, 191, 195n140, 341n546, 344n556, 358, 432– 435, 443n865, 508 Kult siehe Bilder: B. im Kult/Kult Kulturrelativismus, Relativismus 54n183, 88, 123–125, 136–141, 489; siehe auch Betrachter/Betrachtung: Betrachterperspektive, Bedingtheit der deskriptiver K. 137–142 kulturspezifische Betrachtung siehe Betrachter/Betrachtung: kulturspezifische B. Kulturstil 406n742, 407n744
sachindex Kulturvergleich 37n121, 46, 51f., 54–56, 62, 122, 128n435, 134n454, 172, 335f., 454 kulturwissenschaftliche Ansätze 16, 62–64, 67, 70, 74f., 78f., 143, 148, 184, 200, 537 Kunst siehe auch Ära des Bildes vor der Ära der Kunst ägyptische K. (epistemologisches Artefakt) 467f., 513–516, 518, 529, 531, 540, 543, 547f., 554; siehe auch Kunst: ägyptologische K. ägyptologische K. 33n110, 468, 473, 477, 479, 513, 515, 518, 529, 531f., 537, 540, 542–544, 547–550, 554 Autonomie der Kunst siehe Kunstsystem, Autonomie der Kunst griechische K., sog. 63n218, 96f., 133, 147n492, 216, 325, 327n495, 363n618 Identifizieren von K. 455, 457, 460 K. als betrachterabhängiger Status 458, 472f., 547f. K. als Spezialfall des Bildes 14f., 74f., 145 neuzeitliche K. 11–20, 30f., 33, 50n171, 51n173, 55, 62n212, 69, 88, 105, 110, 119, 126, 190n129, 330–337, 356, 359, 361, 364f., 369, 410f., 456, 461–463, 474, 479n87, 502, 514, 517, 521, 530n237, 540, 547, 549f. provinzielle K. 26, 26n85, 153, 190–192, 231, 239, 250n286 rezeptive Erschaffung von K. 102, 110, 119f., 374, 454, 459, 467f., 473, 477, 529–532 zeitgenössische K. 101–104, 110, 119 Kunstbegriff 7–9, 12, 15, 29f., 30f., 35, 36n116, 43–58, 60–62, 68–70, 80, 83, 87–89, 118, 142, 145–150, 153, 411, 453f., 463–467, 473, 506n167; siehe auch Nicht-Kunst vs. Kunst; weite Begriffe Definition 44, 52n177, 66–68, 145, 455– 479, 547 emischer/ägyptischer K. 11, 67n237, 77; siehe auch Terminologie: fehlende ägyptische T. essentialistischer K. 455, 457, 472, 547 institutionalistischer K. 52n177, 62n212, 458–460 neuzeitlicher K. 68, 83–86, 105, 118, 146, 358, 371n638, 411, 460n23, 463–467, 491f., 514f., 515n195, 548
sachindex Respezifikation des K.s 43n143, 454, 460, 463 f., 467, 540, 547 kunstbejahende Praxis 20, 32, 454, 460n23 Kunstbetrieb 10, 49, 56, 119n404, 454, 456, 458 f., 460n25, 461 f., 465, 474, 547–550, 554 Kunstdiskurs 9, 11, 28, 44, 69, 80, 84–87, 126, 153, 236, 477, 492, 515, 548 Kunstgeschichte siehe Kunstwissenschaft/Kunstgeschichte Kunstgeschichte (historiographisches Vorhaben) 22, 64, 65 f., 70, 72, 202n166, 234, 380, 384, 460, 506, 531n240 Künstler 11–19, 24 f., 31, 47n158, 48 f., 54, 85 f., 91, 95, 105, 107–110, 119, 201n161, 208, 211 f., 239, 284, 324n483, 349, 365n624, 379n658, 382, 392, 395, 458, 462, 464, 467n46, 477n83, 478n83 autonomer K. 11–14, 49, 85 f., 365n624 Künstlerstil 91, 208, 226, 265n337, 376, 386n687, 392, 394n716, 395, 402, 407n744, 408n751, 551 Künstlerhand siehe Künstler: Künstlerstil künstlerisches Feld 465n38 Kunstmarkt/Kunsthandel 213, 227, 257, 270, 364, 410, 474, 477n83, 535, 548 Kunstphilosophie 455–468 Kunstrezeption, moderne 33 f., 47, 88, 104, 106, 109–111, 119, 143, 374, 454, 458– 462, 468, 473, 475, 477 f., 517, 525n222, 547–549 Kunstsammlungen 12–14, 89n318, 98, 101, 104 f., 120, 239, 264n335, 282, 364n620, 477n83, 478n83, 515 Kunstsystem, Autonomie der Kunst 33n109, 69, 73, 86, 97n353, 101, 205n175, 330 f., 360, 379n658, 411, 459, 465n38, 473, 475n75, 547 kunstverneinende Theorie 20, 32 Kunstwelt siehe Kunstbetrieb Kunstwerk (als Kategorie von Dingen) 20, 34, 47n158, 48, 64, 87; siehe auch Kunstbegriff: essentialistischer K. Kunstwissenschaft/Kunstgeschichte 1 f., 11, 14, 19n55, 30, 33 f., 40, 47, 51, 63– 84, 87–90, 143 f., 148 f., 199, 201–203, 236, 238, 251, 295, 321 f., 329–331, 333–337, 348–355, 360 f., 363 f.,
635 371n638, 377, 379–389, 392, 404n735, 413, 454, 459n23, 460, 474, 477n83, 510, 514, 514n194, 515n195, 523n215, 525, 528–531, 536f., 544, 550f., 554; siehe auch Anwendbarkeit europäischer Kunstwissenschaft; Bildwissenschaft: Verhältnis zur Kunstwissenschaft Methoden der K. 51, 65, 80, 144, 198–210, 216, 227, 321, 323–355, 358, 361n608, 375, 379, 381, 392f., 453f., 465f., 471 f., 474, 480, 514f., 525, 530, 533, 537, 545; siehe auch Anwendbarkeit europäischer Kunstwissenschaft Zuständigkeit der K. 14, 80, 380n660, 454, 528 Landschaft 336n530, 337n530 Legitimation und Legitimität 37, 39, 43f., 171 f., 181, 344, 414f., 419, 420n790, 423– 445, 449, 543 Legitimationsbedürftigkeit siehe Rechtfertigung von Herrschaft Legitimitätsanspruch 430–433, 435, 437, 440–442, 445, 449 Legitimitätsglaube 430–433, 437, 441f. Lehren 45n150, 126n432, 163, 164n39, 170n65, 173n74, 174, 178n89, 180n101, 182n108, 183n109, 195n140, 202n166, 340, 341n546, 343, 345–347, 358, 442n863, 505n163 Licht- und Dunkelheitsmetaphern 159n21, 160 f., 163, 165, 169f., 173, 191 literale Bedeutung von Bildern 495, 498f., 501 f. literale Lesart von Texten 85–87, 108n383, 181, 183n109, 309n444, 352, 358; siehe auch literarische Texte: historische Lesart literarische Texte 94, 157n11, 163–183, 306n438, 317n467, 333, 339, 340– 355, 358, 414f., 424n803, 425n806, 429, 431n820, 432, 458n18, 521, 528f., 538n257, 543; siehe auch Datierungen: D. literarischer Texte; Gattungen (von Texten); Klagen; Kontextualisierung: K. von Bildern und Texten; Lehren; literale Lesart von Texten; Texte, ägyptische; Weisheitsliteratur
636
sachindex
historische Lesart 167, 169–182, 186n115, Methodenimport 2, 22, 30, 51, 65f., 309n444, 317n467, 342, 347, 352, 72f., 76n274, 78f., 86–88, 199, 322, 353n587, 381, 424, 434n834, 543; siehe 327, 337, 355, 360, 365, 381, 438, auch literale Lesart von Texten 453, 463, 479, 497n139, 506n167, Littérature et politique 171–172, 183, 346n562, 510, 514n194, 517, 533; siehe auch 424n803, 426n806, 429n815, 429n816, Methodenpluralismus 434n833 Methodenkritik 3, 22, 70, 79f., 87f., 93, Lokalstil 190n129, 191, 226, 255, 262n323, 144, 153f., 174, 184–186, 193, 195n140, 279, 293, 293n406, 295n414, 310–312, 202, 207, 210, 212, 215, 234, 319n473, 314n461, 315, 317n465, 321, 376, 379, 321, 328–330, 350–352, 355, 359, 384, 392 f., 407n744, 448n879, 551 374, 377, 400, 479f., 483, 505, 507f., Loyalismus 344, 425, 429, 432 523n215, 529f., 533, 534n246, 536, 539, 545 Maʾat 28n90, 39, 50n171, 171, 178n89, 428 Misstrauen gegenüber den eigenen Macht und Politik (wissenschaftssoziologisch) Methoden 371, 524, 526 81, 144, 503, 503n159, 504n159, 512, 545 Methodenpluralismus 64–66, 70, 72f., Magie 10, 25, 30, 50 f., 504 76n274, 77–79, 143, 148, 517, 537 Malerei 26n85, 149, 207n180, 220, 259n313, Methodenreflexion siehe Methodenkritik 268 f., 332n513, 333n519, 335n528, Millionenjahrhäuser 422n796 337n530, 350n578, 361n609, 364n620, Mimik, mimische Ausdruckssprache 322, 507 f. 326, 328–332, 337–340, 345, 353n587, Materialgruppen übergreifende Betrachtung 354, 356, 357n598, 358, 362, 372f.; siehe siehe Material, Materialität auch Physiognomie, Interpretation Material, Materialität 8, 24n75, 48, 89, 104, der 113n396, 117, 131, 147n492, 154, 205, 230, Mittelalter 10–12, 15–19, 46, 50n171, 330, 259, 280n378, 286, 291, 301, 305, 336, 334f., 361, 439 341, 371, 375, 380n658, 401, 405, 464, Mittleres Reich 18, 42, 153f., 157n11, 161, 483 f., 535, 549 173f., 177n88, 179–181, 182n108, 183, mediale Aufarbeitung/Präsentation 361, 184n109, 185n114, 186, 187n117, 191, 369 f., 525n222, 549; siehe auch Frag234n257, 253n298, 260n315, 285, 289, mentarität, Fragmente: mediale/rezep293–296, 327n495, 341f., 345, 352–354, tive Fragmentierung 415, 416n780, 418n784, 419, 444n869, Mehrdeutigkeit 31 f., 267, 333, 360, 385, 445n869, 446n874, 447, 482n94 406n744, 478, 494 f. Moderne, Erfahrung/Entstehung der 334, Mehrheitsentscheide siehe opinio commu482n94, 506n167, 517n200 nis morphologisches Alter siehe Temporalität, Meisterwerke 21n63, 189n124, 214n205, 239, kulturelle 356, 473 Motiv 17, 48n164, 64, 95, 97n354, 129, 210, Menschenbild, Idealbilder 38n123, 104n368, 214, 217, 219, 221n220, 223n222, 238, 133n452, 234n257, 239, 329, 332 f., 408 269, 322n478, 349, 408f., 414, 419, Menschenrechte 121 f., 124, 138 447f., 501 Metabilder 479, 527 Motivation des Interpreten 98n355, 144, Metalepse 490, 497–501, 503 515, 519f. Methoden und Perspektiven des 18. Jahrhun- mumiengestaltige Darstellungen 240n273, derts 63n218, 85, 147, 205n175, 334, 411 280–285, 291n397, 369n628, 418n785 Methoden und Perspektiven des 19. Jahrhun- Mumienporträts 336n530, 361 derts 10, 12n26, 58, 156n9, 160 f., 169, 182, Mundöffnungsritual 25, 52, 54 185, 187, 330, 334, 337, 365n621, 440, museale Präsentation siehe Museum: 513n192, 516n199 Ausstellungskonzeption
sachindex musealer Blick 10n15, 189n124, 230n247, 231n253, 237–239, 256n305, 279n372, 301, 475, 477–479, 483, 492, 513, 527, 529–531, 533, 536, 543, 548–550 Musealisierung 477, 478n83, 539, 543, 547, 549 f.; siehe auch musealer Blick Musealität 473, 477n83, 478n83 Museum 10, 22, 51, 102n366, 120, 238 f., 366, 459, 474–479, 515, 547 f. Audioguide 114–117 Ausstellungskonzeption 7, 22, 31, 81 f., 89–121, 102n366, 110, 118 f., 129 f., 230, 238 f., 365n623, 459, 462, 467, 473 f., 476 f., 478n83, 513n192, 515, 535; siehe auch Gegenüberstellung als museale Strategie Berlin Ägyptisches Museum 89–121, 366n626, 370n631, 403n733, 459, 473n69 Sonderausstellung „Im Licht von Amarna“ 113n395 Besucher 98, 100, 102, 110–112, 114n396, 114n398, 117–120, 238, 370n631, 476n79 imaginäres M. 34n110, 189n124, 230n247, 239n269, 256n305, 268 f., 278n369, 279n372, 475–477, 483–489, 497, 513, 515, 525n222, 532, 534, 549 f., 553 Dekonstruktion 484–489 Kunstmuseum 102n366, 120, 477 f., 515n195 Kuratoren 81, 83, 459; siehe auch Museumsägyptologie München Sonderausstellung „Ägyptische und moderne Skulptur“ 31, 129 f., 366n625 Staatliches Museum Ägyptischer Kunst 89n318, 102n365, 112n391, 120n407, 459n22 Sammlungen siehe Kunstsammlungen Vitrinen-/Objektbeschriftung 104, 113– 118, 403n733 Museumsägyptologie 81, 83, 459, 513 Musik, außereuropäische 127 f. Mythos 21 f., 29n92, 179, 355 Nacktheit
128n437, 133n452, 134n452
637 Narrationen, histor(iograph)ische siehe Geschichtsschreibung; Geschichtsbilder: ägyptologische G. naturalistische Darstellung siehe Porträt: Porträtähnlichkeit Neoklassizismus 389, 410, 415 Neues Reich 17f., 41, 42n139, 115, 117, 153 f., 182n108, 183n109, 184n109, 415, 422n796, 423n799, 424, 444n869 Neuzeit 11f., 17, 30, 33n109, 47n156, 52n178, 53, 55, 58, 62n212, 86, 135n457, 140n475, 330–337, 353, 361n610, 364n620, 379f., 410, 412, 434, 436–438, 440, 444, 454, 461, 464–467, 479n87, 492, 497, 501, 508, 510n179, 515, 547; siehe auch Bildgattungen: neuzeitliche B.; Kontinuität zwischen ägyptischer und neuzeitlicher Kunst; Kunst: neuzeitliche K.; Kunstbegriff: neuzeitlicher K.; Porträt: neuzeitliches P.; Stilbegriff: neuzeitlicher/temporalisierter S. Subjekt der N. 12, 330f., 333n518, 357n600, 359n606, 360 Nicht-Kunst vs. Kunst 33n109, 57, 61, 86, 87n307, 91, 146, 457 Niedergang siehe Blüte und Verfall normative Urteile 17, 19, 27n86, 54n183, 122, 123n417, 124, 137–139, 184, 313–315, 320, 474; siehe auch Stilbegriff: normativer S.; Zeitstil: normativer Z. Objektivität 18, 74, 92f., 118n400, 201, 209, 267, 293, 330, 335, 350, 370n630, 375f., 386 f., 400, 478n83, 489, 505, 508, 517, 520n208, 545, 553f. Offenheit der Kunst und des Fragmentarischen 32, 360f., 365f., 374, 455, 457, 464, 474, 548f. Öffnung, konzeptuelle siehe Offenheit der Kunst und des Fragmentarischen Opfer 52, 159n19, 194, 196, 197n147, 214n205, 219, 223n221, 229, 239n267, 421n793, 439n856 opinio communis 1, 18, 33, 42, 83n295, 84, 87, 122, 133, 149, 169, 170n62, 171, 176n85, 182–185, 216, 226, 273, 293, 298, 309n444, 352, 354, 371n638, 456, 459f., 466 f., 507, 537
638 Opposition/Auflehnung gegen den König 344, 429, 431n820, 440, 442 Orientalismus 88, 96, 475n76, 512 f., 515, 515n195, 517n200 Originalitätspostulat siehe Innovation(sdruck) Paläographie siehe Epigraphie und Paläographie Palast 51n171, 363n617, 406n744 Periodisierungen siehe Epochenbilder, Periodisierungen; Zwischenzeit (Periodisierungsmuster) Personen und ihr Handeln/ihre Entscheidungen 91, 94 f., 98, 255, 294n414, 297, 306n438, 309n444, 326, 339, 342 f., 345n560, 346n562, 347, 349, 354, 370, 402, 426, 431, 440 f., 543 Fehlentscheidungen von Königen 311, 433 f., 445n870 Pessimismus 170–174, 340, 345n558 Philosophie 28, 28n92, 29, 36, 122, 350, 377 f., 430; siehe auch Kunstphilosophie Interkulturelle P. 121–142, 511n184 Photographie siehe Bildverständnis, quasiphotographisches Physiognomie, Interpretation der 94n344, 255, 296, 322, 325 f., 331, 332n514, 356n595, 358, 362, 371–374, 415, 542; siehe auch Mimik, mimische Ausdruckssprache Pluralität, kulturelle 121, 136, 139, 516n200, 517n200 Politik 29n92, 83n295, 90n324, 138 f., 178, 181, 187, 253n297, 277, 294 f., 306, 329, 333, 339, 341n546, 344, 347, 372n639, 414 f., 420, 423 f., 425n806, 428, 431–435, 437, 441, 443 f., 445n870, 448 f., 491, 496, 542, 551; siehe auch Propaganda, Propagandamodell Politik (wissenschaftssoziologisch) siehe Macht und Politik (wissenschaftssoziologisch) politische Botschaften siehe Politik politisches Programm siehe Politik Porträt 22, 66n232, 89, 91, 93n339, 94 f., 100, 104n368, 106n378, 193, 216, 277n369, 287, 294, 296 f., 322–374, 381, 419, 423,
sachindex 444, 448, 455, 474, 497n139, 508, 510, 518, 542f., 550f. Hermeneutik, Theorie 323–340, 355– 361, 423, 497n139, 510, 514n194, 550 neuzeitliches P. 336n530, 356, 358–362, 370f., 374, 425n803 Porträtähnlichkeit 91, 323–331, 334f., 338, 342n549, 356f., 362, 363n618 Positivismus 65, 67n237, 86, 132n449, 156n9 postkoloniale Kritik 512n189, 513, 515n198; siehe auch Orientalismus Pragmatik 36, 40n133, 56, 108n383, 132n449, 162n36, 369, 379f., 446, 454, 504 Praxis siehe opinio communis; Pragmatik; Theorie und Praxis Problembewusstsein 143, 145, 148, 329n506, 334, 346n562, 379, 454, 456, 466, 518 Problembewusstseinsrhetorik siehe rhetorische Strategien Produktionsstil 91n328, 391–397, 399f., 403, 406, 409, 413, 420, 460n25, 475n75, 482, 525n222, 532n242, 552f. Projektionen 65f., 78, 82, 98, 110, 123, 195n140, 314, 323n481, 327n495, 353, 355, 358, 370, 374, 383n673, 462, 466, 530n234, 550 Propaganda, Propagandamodell 176n85, 178n88, 186n115, 340–342, 344f., 346n562, 356n595, 424n803, 425, 429f. propagandistic turn 171n69, 340 Proportionen, Proportionskanon 26–28, 33, 95, 189, 192f., 217, 221–225, 234– 236, 238, 298n427, 300, 408; siehe auch Kanon, Kanonizität Provinz(nekropolen), Peripherie 27, 194– 197, 217–230, 236n262, 239, 240n273, 408; siehe auch Kunst: provinzielle K. Pseudostil siehe Ähnlichkeit: schlichte/ bloße Ä. psychologische Deutung 94, 95n344, 98, 255, 277n369, 329, 331, 338, 342, 345n560, 346f., 356, 362; siehe auch Charakter der/des Porträtierten Ptolemäerzeit 51n171, 185, 283n379 Pyramiden 131, 165, 193, 217, 227, 236, 272n351, 305, 308n443, 434
sachindex Qualität 58, 84, 91, 105 f., 109 f., 153, 189– 191, 197, 198n149, 210, 213n204, 214, 219 f., 224n227, 229, 231–233, 236, 292 f., 295n414, 298n427, 307 f., 311– 314, 374, 405, 408n751, 413n769, 491, 535 Quellenarmut 157n11, 157n12, 161, 165, 169, 173, 179, 182, 185, 189, 254, 287, 354, 491 Quellenkritik 93, 132, 135, 157, 158n17, 163, 169, 174 f., 179 f., 252, 381, 480 Rätsel(zeichen), Ägypten/Bilder als 356n597, 359n606, 503 f., 508, 517, 532 Readymade 459n21 Rechtfertigungsdruck siehe Rechtfertigung von Herrschaft Rechtfertigung von Herrschaft 37, 344, 414n770, 425–428, 429n815, 433, 438, 441, 443, 449, 543 Reduktion siehe Diskretion, Reduktion Reflexion, Selbstreflexion 7, 59, 70, 72 f., 80, 93n339, 100, 147n492, 158, 162, 175 f., 185, 201, 203, 239, 330n506, 359, 373 f., 479, 483n99, 506 f., 509, 519, 522n214, 523–525, 526n224, 527 f., 531, 533, 536– 539, 543 f., 546, 550; siehe auch Methodenkritik Reformationszeit 11–16, 344n555 Regierungsprogramm siehe Politik Regionenstil siehe Lokalstil Reichseinigung 154, 187n117, 198, 251–253, 255 f., 259, 260n315, 278, 307n439, 310, 316n465 Reichsgründung 294, 415, 443, 447 Reihenbildung, stilistische 189, 201, 206– 208, 286–297, 300–306, 400–404, 473, 483, 525n222, 535 Rekontextualisierung 62n212, 213n203, 365 f., 491, 525n222, 539, 547 Relativität, Relativismus siehe Betrachter/Betrachtung: Betrachterperspektive, Bedingtheit der; Kulturrelativismus, Relativismus Reliefs 17, 51, 83n295, 109n385, 112, 117, 195, 217n210, 220, 224n229, 226n234, 227, 228n238, 240n273, 242n278, 245, 249 f., 255n302, 257–273, 276–278, 283,
639 286, 290–296, 299f., 305, 363n618, 364n620, 367f., 387n695, 369n628, 401, 407n746, 414, 416, 418n784, 418n785, 421, 446f., 470n56, 499, 514n194, 525n222 Religion 19f., 37, 40–42, 54f., 59, 62, 90n324, 91, 122, 131, 180n101, 341n546, 349n575, 438n852, 439n852; siehe auch Amarna-Religion; Bilder: B. als religiöse Gebrauchsgegenstände; Säkularisierung, säkularisierte Weltsicht Renaissance 9f., 14, 46, 49, 110, 329n506, 330, 332n513, 333–336, 351, 353, 356, 362n615, 364n618, 456, 497, 550 Renaissancen, ägyptische 309n444, 346n562, 404, 414f., 443, 444n869, 446, 448n879 Saitische Renaissance 404n734 Repräsentation 133n452, 229, 253n297, 327 f., 327n495, 330f., 373, 408, 427f., 430–433, 435, 441, 445n872, 461f., 464, 500n147 Residenz(nekropolen) 107, 111, 193f., 197, 236 f., 250n286, 255, 307n439, 309, 311 f., 315f., 343, 347, 408, 434 Resistenz gegenüber Innovation 63n219, 70 f., 76f., 78, 81, 380 Resistenz gegenüber Kritik 63n219, 72, 73, 78, 88, 143, 145, 380, 448, 454, 463, 515n195, 516, 519, 530f., 543, 545 Revolutionen 1. Weltkrieg und Revolutionen von 1918/1919 155, 156n7, 168n56, 440n857 ägyptische 155n7, 156, 165f., 170n63, 172, 178n92, 439f., 443n865 Französische Revolution 438 Rezeption(sgeschichte) 98, 127, 147, 164, 166, 183f., 230n249, 237, 341n546, 464– 466, 509, 534, 542f., 548; siehe auch Ägyptenbild (Rezeptionsgeschichte) rezeptive Kontaminierung 78, 143, 164, 492, 509, 540, 548 rezeptive Überlagerung 51, 110, 358, 478n83, 492, 503, 509 rhetorische Strategien 70, 142f., 145, 173n74, 437n846, 490, 501, 519 Römische Zeit 20n58, 361
640 Rückerinnerung siehe Geschichtsbilder: ägyptische G. Rückgriffe, stilistische siehe Vergangenheitsbezüge Säkularisierung, säkularisierte Weltsicht 52–55, 85, 438, 439n852, 440 Sammlungen siehe Kunstsammlungen Scheintür 104n368, 214, 220n218, 222n220, 228, 317n465 Schönheit 21 f., 27 f., 30 f., 33, 36, 47n156, 56, 59 f., 84, 85n305, 118, 122, 125–129, 131– 135, 141 f., 197, 236, 238 f., 362, 455n6, 474 Schönheitsideale 126, 133 f., 141 f., 362 Sedfest 242n278, 421n793, 436 Selbstrepräsentation siehe Repräsentation Selbstverständlichkeiten, vermeintliche 20n58, 199, 209, 212, 251, 254, 342 f., 348, 375, 376n645, 474, 514n194, 526, 528, 530–532, 537, 539, 541, 543, 545, 550 f. Selektionen, Selektivität ägyptische S. 107, 404, 415 rezeptive/museale S. 2, 7n1, 88, 107, 111 f., 128, 133, 184, 192n134, 204, 212 f., 215, 226, 238, 261, 263, 268, 270–272, 279, 292, 351, 369 f., 376, 378n652, 385 f., 391, 400, 408n751, 423, 473 f., 507, 524, 541 f., 548 f., 553 f. Semantik, historische siehe Begriffsgeschichte, historische Semantik Semantik, sekundäre 51, 118, 331, 365, 366n627, 369 f., 382, 394, 399, 459, 513, 544 semantische Ladungen 187, 337, 396, 424, 444, 448, 463–465, 475n76, 514, 540, 547, 552; siehe auch Begriffsgeschichte, historische Semantik; Stil: semantisch geladener S. Semiose 494 f., 504 Semiotik 14n34, 21, 23, 31 f., 66n232, 77, 140n472, 320, 322, 378n653, 469, 476n80, 480, 492–504, 505n163, 523n215, 529, 530n234, 533n244, 541 Seriation siehe Reihenbildung, stilistische Sichtbarkeit und Zugänglichkeit von Bildern 10, 38, 38n123, 39, 44 f., 225n229, 229,
sachindex 277, 342n549, 344, 408, 418n784, 445n873 Sinn des Bildes (Regel) 469, 481, 498, 501– 503, 541 Sinnkonstruktion 160n21, 319, 439n852, 460, 478n84, 493–495, 502–504, 505n164, 506n167, 508–510, 513, 516, 520f., 526n224, 536, 541 Sitz im Leben 55, 109, 193, 366, 536; siehe auch Kontexte: primäre K. Skeptizismus 41, 47, 49, 65n228, 126, 163n36, 186n115, 207, 284, 334, 352n582, 378, 401n728, 455–457, 460n25 Spätzeit 50n171, 51n171, 185, 424n802, 497n138 Speisetischszene 189, 194, 196, 228n241 Stelen 27, 42, 50n171, 108n383, 188–190, 193, 195n141, 196–198, 210–214, 217, 230, 238n267, 241n277, 243n280, 243n281, 258n308, 260f., 316n465, 317n465, 372f., 401n728, 406n744, 421n793, 439n856, 491 Stil 64, 90, 111n389, 150, 153, 189, 193, 357, 374, 404, 444, 483, 518, 539, 551–554 et passim; siehe auch Amarnastil; Datierungen: D. nach dem Stil; Kulturstil; Künstler: Künstlerstil; Lokalstil; Produktionsstil; Pseudostil; Reihenbildung, stilistische; Rückgriffe, stilistische; Stilbegriff; Stilbeschreibung; Stilentwicklung; Stilforschung; Stilistizität, intendierte; stilunabhängige Information/Interpretation; Werkstattstil; Zeitstil; Zwischenzeitstil habituelle/unbewusste Produktion von S. siehe Produktionsstil Interpretierbarkeit von S. 153, 193, 206– 210, 213f., 238, 254f., 270, 278, 293, 296, 315, 321, 339, 357, 375, 377, 386, 388, 391, 400, 423, 453, 456n12, 480, 482, 539 S. und Geschichte 193, 198–210, 210, 214f., 251, 254, 293, 297, 306–314, 327n495, 340n546, 375, 380f., 385– 388, 397, 403, 409, 413, 448, 453, 474, 482, 492, 506f., 523n215, 551 semantisch geladener S. 277, 391, 395f., 399, 408, 413, 420, 424, 448, 552
sachindex semantische Deutung von S. 193, 227– 230, 277 f., 320–322, 327n495, 328–337, 339 f., 351, 353n587, 372, 375, 380 f., 414–424, 444, 475n75, 507n170, 551 stilistische Datierungen siehe Datierungen: D. nach dem Stil; Reihenbildung, stilistische stilistische Stabilität siehe Darstellungskonventionen Stilpluralismus 203n170, 216n207, 217, 217n210, 220, 225–227, 231, 236, 250, 265, 268 f., 276, 278, 292, 310, 312n455, 321, 376–378, 380 f., 385, 400, 403, 409, 418n784, 447, 507, 537n254, 551, 553 Ursachen von S. 204 f., 358, 389–395, 397–399, 482, 483n98, 540, 551 f. Stilbegriff antiker S. 90n321, 407, 410 f. deskriptiver S. 252, 322n478, 383 f., 387 f., 391, 397, 483, 533, 551, 553 neuzeitlicher/temporalisierter S. 91n328, 379 f., 386, 402, 404n735, 406n743, 407n744, 410–413, 491 f., 550, 552 f. normativer S. 383 f.; siehe auch Zeitstil: normativer Z. Stildefinition/Stiltheorie 3, 198–210, 216, 217n210, 250, 266, 375, 378 f., 381, 384–390, 397, 403, 406, 410, 444, 448, 457n14, 460n25, 474 f., 506, 525n222, 530n237, 531, 533, 536n252, 539 f., 551– 554 Stilbeschreibung 208 f., 226, 261–267, 272, 296, 385–388, 390 f., 394 f., 397, 399, 507, 552 f. Stilentwicklung 206, 251, 254, 256–270, 272, 279, 287, 293, 306, 310, 313, 315, 318, 320 f., 348, 376n645, 378 f., 384, 386, 393–395, 397, 400, 403, 406n743, 413, 525n222, 551 gelenkte S. 201n161, 255, 255n302, 277n369, 294n414, 295n414, 306n438 lineare S. 206 f., 216n207, 251, 256–270, 272 f., 293, 305, 306, 318, 375, 378, 385 f., 393 f., 402 f., 405, 536 natürliche S. 96, 201n161, 255, 294n414, 379n658 Stilforschung 64, 71, 77, 80, 89, 90, 148n499, 150, 192, 197n147, 198–210, 216, 272,
641 276 f., 287f., 293n407, 295, 297, 305, 312n453, 317n465, 320, 322, 376n645, 377–381, 385, 387f., 392, 396f., 409, 413, 448f., 474f., 480, 482, 505, 514n194, 525n222, 531n240, 532n242, 535f., 549–553 Stilistizität, intendierte 50n171, 90n321, 389–391, 393–399, 403–406, 409f., 412 f., 419–423, 445–449, 482, 525n222, 551–553 stilunabhängige Information/Interpretation 203 f., 209, 211n195, 226f., 259, 268n341, 276, 285, 301, 303, 310, 317, 320 f., 379, 382, 388, 396f., 403n733, 405n739, 421n792, 423f., 441, 448, 473 f., 483, 489, 506f., 552 Stilwandel siehe Stilentwicklung Stratifizierung/soziale Hierarchien 38f., 43– 45, 109, 136n457, 210, 219, 226n234, 229, 232, 239, 413n769, 429n815 Strukturforschung 9, 199 Subjekt siehe Neuzeit: Subjekt der N. Subjektivität, Subjektivismus 18, 21n63, 71, 97, 82n291, 126, 212, 214n205, 215, 226, 228, 310, 314, 333n518, 350, 371, 376n645, 381, 388, 408n751, 435, 478n83, 544f. Symbol, symbolischer Gehalt 30, 37–40, 51–53, 55, 57, 84, 118n401, 147n492, 149n502, 180, 333n520, 349–351, 498 Tafelbild siehe Gemälde techné (gr.) 49, 463f. Tempel 25, 33, 51n171, 52, 54, 85, 131, 165, 212, 227, 240, 245, 273–278, 284n387, 285, 291, 295, 298f., 302, 304, 320, 342n549, 343f., 366, 406n744, 408n748, 416, 418, 419n785, 421f., 444n869, 446–448, 493f., 537n254, 542 Tempelgründer 446f. Temporalität, kulturelle 278n371, 402f., 413n769 Terminologie 66f., 70, 75, 76n274, 77f., 85 f., 87f., 118f., 137, 143–145, 147–149, 186, 203, 335n525, 364, 390, 396, 412, 427n811, 428n814, 430f., 434, 444, 453– 479, 491, 506n167, 507, 514, 517, 537; siehe auch Anführungszeichen
642 fehlende ägyptische T. 11, 40, 40n133, 44, 47 f., 50n171, 50, 87, 131 f. terminologische Transparenz siehe Terminologie Texte, ägyptische siehe auch biographische Texte; Datierungen: D. literarischer Texte; Gattungen (von Texten); Historizität literarischer Texte; Klagen; Kontextualisierung: K. von Bildern und Texten; Lehren; literale Lesart von Texten; literarische Texte; Weisheitsliteratur herangezogen zur Geschichtsschreibung 162 f., 166–183, 256, 311, 316, 320; siehe auch literale Lesart von Texten; literarische Texte: historische Lesart herangezogen zur Kunstfrage 83–86, 108n383, 126, 132 f. herangezogen zur Porträtinterpretation 328, 340–347, 354, 372–374, 423 Übersetzungen 49, 86, 93, 131–135, 164, 339n538 Theologie 13, 14n38, 15 f., 29n92 Theorie und Praxis 125n426, 139, 216n208, 330n506, 509 Thutmosidenzeit 414–416 Titulatur siehe Königsnamen, Titulatur Topik 108n383, 168, 170–173, 178–181, 186n115, 189, 412, 432 Topos der schlimmen Zeiten 108n383, 171, 173, 178–181, 425n806, 430n816 Totenfiguren 312 Tradition, ägyptische Bilder in europäischer 31, 33, 80, 83n295, 96 f., 110, 474; siehe auch Weltgeschichte, Ägyptens Rolle in der unbefangener Blick 90, 92 f., 93n340, 98, 102, 110, 119, 125, 139, 184, 189, 331, 345, 357–359, 470, 480–482, 508, 513n191, 541 Uneindeutigkeit siehe Mehrdeutigkeit unification styles 252 f., 256, 261–263, 268, 270, 278, 380 post-unification style 252, 257 f., 262– 265, 272 f., 277 f., 294n414, 322n479 pre-unification style 26n85, 252, 255n302, 261–265, 271, 271n350, 272 f., 277 f., 294n414, 295n414, 322n479
sachindex Universalität siehe Konstanten, anthropologische unmittelbare Zugänglichkeit siehe unbefangener Blick Unvollendetheit 106f., 109n386, 111n389, 112f., 114n397, 116–120, 224, 298f., 319 Unvollständigkeit 106, 118, 365f., 369n628, 371 unvoreingenommener Blick siehe unbefangener Blick Unzugänglichkeit Ägyptens 184, 433, 442, 472, 527n225; siehe auch Fremde; Bilder: Lesbarkeit und hermeneutische Zugänglichkeit von B.n Usurpator 427n811, 428, 434 Verantwortung siehe Entscheidungen und Verantwortung des Interpreten Verfallstheorien siehe Blüte und Verfall Verfügbarkeit von Bildern siehe Sichtbarkeit und Zugänglichkeit von Bildern Vergangenheitsbezüge 254n299, 272, 287, 361, 389f., 393, 398f., 406– 408f., 410n756, 411n761, 412, 414–417, 418n784, 419–423, 435, 441, 443–449, 460f., 491, 537n254, 551, 553; siehe auch Stilistizität, intendierte Vergleichsstücke, Vergleichsmöglichkeiten 197, 200, 230, 278n369, 286, 296, 305, 308, 313, 319, 365, 375, 401, 410–412, 446–448, 475, 484, 549; siehe auch Reihenbildung, stilistische Verifizierbarkeit 345n560, 356n595, 386, 532 veristische Darstellung siehe Porträt: Porträtähnlichkeit Vermeidung des Vermeidbaren 113, 520, 523, 525, 527 Verstehen 511, 521, 524; siehe auch Hermeneutik Entsicherung des V.s 479, 512, 517n200, 522n214, 523f., 526 V. und Nichtverstehen 511 Vertrautheit 20n58, 55, 69, 96–98, 336n530, 349, 351f., 356f., 359n606, 360, 364, 508–511, 513f., 525f., 539, 543, 547, 550; siehe auch Fremde: vertraute F. Visual Literacy siehe Bildkompetenz
643
sachindex Vitrinentauglichkeit siehe Musealität Volkskunst 191n130, 231–233, 236 Vorbild 20n58, 221n220, 407, 409–412, 440, 552 Vorgänger siehe Ahnen, Ahnenkult Vorgeschichte 104n368, 237n264, 278n369 Vorlagen 24, 210, 394 f., 403, 406n744, 407, 408n748, 409, 410n756, 415, 420, 441, 444, 445n873, 447, 552 f. Vorurteil, Vorverständnis 208, 254, 314n461, 315, 387 f., 470, 511n183, 521, 522n214, 526 f., 554 Vorwegnahme 17 f., 28n92, 294 Wahrnehmung, Geschichtlichkeit der 139, 333n518, 388, 444, 462, 467, 470– 473, 501 f., 502n152, 525n221, 546, 554; siehe auch Determinierung von Wahrnehmung und Interpretation Wahrnehmungsgewohnheiten, kulturelle 54, 57, 110, 141 Wahrnehmungsgewohnheiten, moderne 31, 33 f., 62n212, 69, 78, 88, 101 f., 105, 110 f., 118–120, 153, 182 f., 191, 193, 229 f., 238, 278n369, 320, 331 f., 334 f., 345, 354, 358 f., 361 f., 364 f., 370, 375, 383, 388, 391, 397, 402, 444, 454, 465 f., 473, 477, 481, 491, 499 f., 502, 507, 513, 517, 519, 523, 526 f., 529 f., 537, 540– 543, 545–549, 551, 554; siehe auch Erwartungshaltungen, moderne Wandel 14, 16, 41 f., 53, 54, 60, 95, 140, 191, 204 f., 207 f., 226n234, 236n262, 306n438, 379n655, 383, 393, 395, 406, 410, 411n761, 413, 500n147; siehe auch Entwicklungen; Stilentwicklung Weisheitsliteratur 181n105, 342n549; siehe auch Klagen; Lehren weite Begriffe 57 f., 84, 123n417, 145, 145n489, 146–148, 393n713 Weltgeschichte, Ägyptens Rolle in der 18, 96 f., 110; siehe auch Tradition, ägyptische Bilder in europäischer
Werkstatt 106–112, 116–118, 120, 147, 362, 363n617, 377, 420; siehe auch Werkstattstil Werkstattstil 207, 211–213, 226, 274, 293n406, 376f., 392, 394n716, 551 Zäsuren siehe Diskontinuität Zeichen(-system/-funktion) 11, 23f., 29, 38n123, 53, 57, 75, 93n340, 230, 239, 395 f., 408f., 461f., 469f., 490, 493–496, 503 f., 530n234, 541, 551; siehe auch Bilder: Verwendung von B.n als Zeichen Zeichenbegriffe 53n179, 469n52, 493–495 Zeit der Regionen 186f., 211n195, 213 Zeitgeist 255, 340, 345n558 Zeitstil 91, 208, 293n406, 309–315, 321, 377n649, 378, 381, 384, 392f., 394n716, 395, 407n744, 409, 551f.; siehe auch Zwischenzeitstil normativer Z. 313–315, 320, 322, 473; siehe auch Stilbegriff: normativer S. Zirkularität/Zirkelschluss 37, 58, 132, 174n76, 183, 198, 256, 268n341, 310, 345n560, 427n810, 459n20, 460n25, 490 Zugänglichkeit siehe Bilder: Lesbarkeit und hermeneutische Zugänglichkeit von B.n; unbefangener Blick; Unzugänglichkeit Ägyptens Zuschreibung (von Statuen etc.) 202n167, 207, 211–214, 214n205, 221n220, 225n233, 243n282, 246, 250–252, 257, 259, 264, 270f., 279, 284–303, 310, 318, 370, 375f., 379–381, 386n687, 392, 394 f., 400, 403, 408n751, 409, 492, 507, 535, 551 Zwischenzeit (Periodisierungsmuster) 154– 159, 164, 186, 231, 237; siehe auch 1. Zwischenzeit; Epochenbilder, Periodisierungen; Zwischenzeitstil Zwischenzeitstil 153, 190, 219, 250n286 Zyklentheorie siehe Blüte und Verfall; Epochenbilder, Periodisierungen
Ägyptische Bilder und andere Objekte Armant Reliefblöcke 240n273, 284, 291n397, 296, 418n784; siehe auch New York: Brooklyn Museum 37.16e Baltimore Walters Art Museum 22.325
257n306
Basel Antikenmuseum BSAe iii 8397 290, 295n416, 303, 487
äm 21352 äm 21354 äm 21356 äm 21358 äm 21364 äm 21834 äm 22266 äm 24032 äm 25790
107n380, 111n388, 114n397 106n378 106n378 111n388, 114n397 109n386, 111n388, 114n397 94f. 112n392 211n195 112n392, 113
287 f.,
Berkeley Phoebe A. Hearst Museum 6–19825 189n124, Taf. 1.1 Phoebe A. Hearst Museum 6–19870 260n316 Phoebe A. Hearst Museum 6–19879 260n319 Berlin äm 1105 104n368 äm 1106 104n368 äm 2066 104n368 äm 2296 104n368 äm 13272 260n318 äm 14113 111n388 äm 16716 291n397 äm 20495 112n392, 113 äm 20496 106n378, 111n388 äm 20716 109n386 äm 21191 112n392 äm 21193 105n371, 113 äm 21207 112n392, 113 äm 21220 111n388, 114n397, 115–117, 403n733 äm 21221 112n392 äm 21223 111n388, 114n397, 116 f. äm 21234 112n392, 113 äm 21238 111, 112n392 äm 21245 111n388, 114n397 äm 21254 112n392 äm 21261 106n378 äm 21299 111n388, 113n396, 114 äm 21300 105–110, 127, 136n457, 147, 361 f. äm 21351 111n388
Boston mfa 03.1968.1+2 291n397 mfa 04.1851 211n195 mfa 05.231 304, 488 mfa 38.1395 280, 282–284, 285n388, 288 mfa 39.832 235, 237n263 Bristol Museum & Art Gallery h.5038 Brüssel mrah e.585
288f.
291n397
Cambridge (gb) Fitzwilliam Museum e.21.1937
264f.
Cincinnati Cincinnati Art Museum 1998.54 257n306, 264n335, Taf. 4 Deir el-Bahri Grab Mentuhoteps ii.: Holzfiguren und Modelle 299n427, 300, 307f., 311– 314, 319f., 408n749, 536n251 Malereien im Grab der Kmsj.t 268f., Taf. 6, 7, 8.1–2, 9.1–2 [zm]ꜣ t[ꜣ.wj]-Fragment (mma neg. m7c 84) 257f. Dresden Aeg 754
213, 237n263
Edinburgh National Museum of Scotland 1965.2 288f.
645
ägyptische bilder und andere objekte National Museum of Scotland 1984.405 272n351 Elephantine Reliefblöcke
291n397, 419n785
Et-Tod Reliefblöcke 245, 250, 291–293; siehe auch Kairo JdE 66330 Hannover Kestner Museum 1962.69 364n620 Kestner Museum 1962.70 364n620 Kestner Museum 1962.71 364n620 Kestner Museum 1962.72 364n620 Hildesheim rpm 2974 233, 237n263 rpm 2975 233 rpm 3111 233 rpm 4590 189n124, 211n195, Taf. 1.2 Kairo cg 409 / JdE 31880 303, 310, 488 cg 616 364n619 cg 1622 211n195 cg 1651 211n195 cg 1654 211n195 cg 20001 211n195 cg 20003 260n315 cg 20009 439n856 cg 34183 108n383 cg 42225 50n171 JdE 31880 / cg 409 303, 310, 488 JdE 36195 246, 274–278, 288, 322n479, 369n628, Taf. 5.2 JdE 36346 243n281 JdE 37470 288, 303, 487 JdE 43580 109n386 JdE 45057 316n465 JdE 45058 260n315 JdE 46725 301, 485 JdE 47267 263, 268 f. JdE 47310 302 JdE 47397 263 f., 266 f. JdE 48845 50n171 JdE 49158 278n369 JdE 52364 422n797 JdE 56496a 446n877
JdE 56497a 446n877 JdE 60520 288, 303, 487 JdE 60722 / Carter № 116 363n617 JdE 62028 108n383 JdE 62030 108n383 JdE 66330 249f., 292f., 368, 369n628 JdE 67345 288, 290 JdE 67378 280, 282–284, 288 JdE 67379 281 JdE 89858 302, 369n628, 486 JdE 91169 302, 369n628 tr 1/11/17/10 249, 265n338 tr 3/6/25/1 317n465 tr 24/5/28/5 265n338 tr 27/3/25/4 416n783, 419n785 tr 31/10/17/9 264n334 Karnak Schatzhaus Thutmosis’ i.: Fragm. № *c69/1 416n781 Kopenhagen Ny Carlsberg Glyptotek 1241 (æin 891) 50n171 Ny Carlsberg Glyptotek æin 963 261n321 Krakau mnk xi 999
211, Taf. 2.1
Leiden Rijksmuseum am.101
27, 197n145
Liverpool Liverpool Museum m.11929
422n796
London bm ea 683 421n793 bm ea 690 421n793 bm ea 720 271n348 bm ea 1164 260n318, 261 bm ea 1203 241n277, 243n281 bm ea 1397 265n337 bm ea 1450 263–265 bm ea 1671 211, Taf. 2.2 bm ea 13808 312n455 bm ea 37895 271n347 bm ea 55722 304, 310, 488
646
ägyptische bilder und andere objekte
Paris Louvre c 14 316n465, 406n744 Louvre e 10299 279, 288 f., 295n416, 296 Louvre e 11076 362n615 Louvre e 12961 364n619 Louvre e 14217 364n619 Louvre e 25409 129 f. Louvre e 27211 190n129
St. Petersburg Eremitage 5633
Luxor Museum j.69 282, 284, 288 j.192 364n619 j.193 364n619
Swansea The Egypt Centre – Museum of Egyptian Antiquities w1366 211n195
Luxor-Magazin Blöcke Amenemhets i.
418n784
211n195
Stockholm Medelhavsmuseet m 14385 Straßburg Kat. 345
422n796
439n856
Theben, tt 280 Holzmodelle 300f., 307f., 310–315, 319f. Statuenbasis 299
München äs 1621 255, 265n337 äs 6797 232–234
Toronto Royal Ontario Museum 910.34.24 265n337
New York Brooklyn Museum 37.16e 291n397, 418n784, 367, 418n784 Brooklyn Museum 39.121 271n351 Brooklyn Museum 51.231 257n306 Brooklyn Museum 53.178 257n306 Brooklyn Museum 54.49 257n306, 265n337 Brooklyn Museum 72.58 364n619 mma 07.230.2 265n327 mma 08.200.56 272n351 mma 10.130.164 243n281 mma 20.3.7 301, 485 mma 26.3.29 274–278, 278n369, 279, 288, 302, 485, Taf. 5.1 mma 26.3.104a 302, 310, 486 mma 26.3.354b 258n308 mma 26.3.354c 258n308 mma 26.3.355a–26.3.355m 258n308 mma 65.107 211n195 mma 66.99.3 286, 288, 290, 295n416, 301, 303, 486, 534 f. mma 66.99.4 288, 296
Turin cgt 7003/9 249 cgt 7003/10 249 cgt 7003/42 249 cgt 7003/62 249 cgt 7003/92 266n338 cgt 7003/115 265n337 cgt 7003/124 249 cgt 7003/185 (Suppl. 12191) cgt 7003/211 264n334 cgt 7003/227 264n334 cgt 7003/261 249 Suppl. 1447 243n280 Suppl. 12191 265n338 Suppl. 13114 212, Taf. 3.1 Suppl. 13115 212, Taf. 3.2
265n338
Worcester (ma) Worcester Art Museum 1971.28 283f., 288
281,
Yale Yale University Gallery 1956.33.87 257n306, 265n337
Ägyptische Namen Ahmose 297n422, 414, 417n784, 418n784, 422n797 Amenemhet i. 157n11, 178n88, 182n108, 183n109, 202n166, 272n351, 288– 290, 299–301, 303–306, 307n439, 309–311, 315, 318n468, 319, 346 f., 418n784, 429n815, 432n825, 434 f., 448n879 Amenemhet iii. 323, 329n501, 340n543, 345n560, 354, 356, 358, 456 Amenemhet iv. 327n495 Amenophis i. 414–416, 418n784, 420 f., 421n793, 422n794, 446, 448 Amenophis ii. 42 Amenophis iii. 85n305, 113n396 Amenophis iv. 113n396 Ameny 173n74 Amun 85n305, 416n781, 418n785, 446 Antef (König) 242n278, 244, 435 Antef i. 160n21 Antef ii. Wꜣḥ-ꜥnḫ 316n465 Aton 108n383, 135 Cheops 166 Chepri 417n783 Dedun
Neferhotep i. 406n744 Nitokris 161n31, 162n31 Nofretete 92n333, 105–109, 111n389, 114n397, 115, 117, 119, 127n433, 129n443, 135, 136n457, 147, 361f. Osiris
316n465, 406n744
Pepi i. 217, 271n351, 304 Pepi ii. 160, 162, 165n43, 217 Ptah 406n744 Ramses ii. 92n333, 364n619, 443n865 Ramses iii. 442n864 Ramses vi. 312n455, 347n567 Ramses vii. 347n567
421 f.
Echnaton 29n92, 98n357, 106n375, 111n389, 112, 114n397, 117, 119, 135, 362n615, 470n56 Haremhab 108n383 Hatschepsut 415, 417, 418n785, 419–422, 424, 441, 443n865, 447 Kija
Mentuhotep iii. Sꜥnḫ-kꜣ-Rꜥ 240n273, 249, 282–296, 298, 301, 303, 307n439, 309n445, 315, 319, 418n784, 535 Mentuhotep iv. Nb-tꜣ.wj-Rꜥ 295, 307n439, 319, 434f. Merenptah 280–285 Merenre i. 272n351 Merit-Aton 114n397, 115 Month 284n387, 446n877
114n397
Mentuhotep ii. Nb-ḥp.t-Rꜥ 154n3, 161n27, 198, 240–256, 258 f., 259n313, 260n316, 261, 261n323, 263, 270–279, 284, 288 f., 291–295, 298–302, 307 f., 310–317, 319 f., 322n479, 369n628, 408n748, 414, 417n783, 418n784, 421 f., 423n799, 424, 432n825, 536n251, Taf. 5.1, Taf. 5.2
Satet 419n785 Sesostris i. 178n88, 289f., 297n422, 303– 306, 307n439, 310, 340n543, 343n551, 346n562, 347, 415f., 417n783, 418–421, 422n797, 423n799, 424, 429n815, 443, 446 f. Sesostris iii. 297n422, 323, 327n495, 328n500, 329n501, 339, 340n543, 343n551, 345n560, 347n568, 352, 354– 358, 364n619, 371–374, 418n784, 421f., 435, 446f., 456 Sobekhotep ii. 446 Teje 94 f. Teti 308n443 Thutmosis (Bildhauer) 105–118, 147, 363n617 Thutmosis i. 416, 417n783, 419n785, 420f., 422n797
648
ägyptische namen
Thutmosis ii. 422n794, 422n797 Thutmosis iii. 283, 297n422, 415, 417, 418n785, 419, 420, 421n794, 422, 424, 439n856, 443n865, 446n874, 447 Thutmosis iv. 422n794 Tutanchamun 108n383, 312 Tutanchaton 108n383 Jꜥḥ 242n278, 244, 259 Jpw-ky 364n620 Jnj-jt=f 241n277, 243n280, 243n281, 250n286, 302, 369n628, 439n856 Jnj-jt=f Sohn der Mjj.t 50n171, 261 Jnj-jt=f Sohn des Ḫww 260n315 Jnj-jt=f-nḫt 317n465 Jn.t-jt=s 27, 197 Jnpw-m-ḥꜣ.t 308n443 Jnḫ 232–234 Jrjw 439n856 Jr.tj=sn 316n465, 406n744 Jtj 195n141, 210, 211n195, Taf. 3.1, Taf. 3.2 Jtj-jbj 440n856 Ꜥꜣ-ḫpr-kꜣ-Rꜥ (Thutmosis i.) 416n781, 417n783 Ꜥꜣšy.t 263, 268 f., 302 Ꜥnḫ-ḥꜣ=f 363n617 Ꜥnḫ.tj=f 195n141, 440n856 Wp-m-nfr.t Taf. 1.1 Wḥm-ms.wt (Amenemhet i.) 346n562, 432n825 Wsr-Mwt 308n443
309n444,
Pꜣ-sr 406n744 Ppj-nḫt 224 Mꜣꜥ.t-kꜣ-Rꜥ (Hatschepsut) 422n796 Mnnꜣ 500n147 Mrj 271 f. Mry-Rꜥ -ḫꜣ-št=f 304 Mrw 243n280 Mrr Taf. 2.1 Mrr-wj-kꜣ 408n751 Mrr-Ttj 243n278, 316n465 Mḫw 222 f. Mk.t-Rꜥ 259n313, 298–301, 304, 307–315, 318–321, 536n251 Mṯn 104n368
Nb-Jmn 364n620 Nb-nṯr.w iii 50n171 Nb-kꜣ.w-Rꜥ 173n74 Nfr.w 245, 248, 250, 256, 257f., 264, 265n337, Taf. 3.1, Taf. 4 Nḫt 303–305, 310 Nṯr.j-ḥḏ.t (Mentuhotep ii.) 241n275, 245f., 249, 251, 263–265, 275, 302 Rꜥ-ḥtp
50n171
Hnhn.t 245 Ḥnwn 243n281 Ḥnnw-jqr 27, 197 Ḥr-ḫw=f 224 Ḥqꜣ-jb 217–221, Taf. 2.2 Ḫwj 224 Ḫw.n=s 223 Ḫpr-kꜣ-Rꜥ (Sesostris i.) 416n781, 417n783 H̱ nm-ḥtp 224 H̱ ty 220n218, 242n278, 244, 258, 259, 260n315, 302, 310, 316n465, 317n465, 440n856 Zꜣ-kꜣ-ḥr-kꜣ 369n628 Zmꜣ-tꜣ.wj (Mentuhotep ii.) 241n275, 242n278, 244, 245f., 251, 253, 258, 263– 265, 275, 432n825 Sꜣdh 245 Sꜥnḫ-jb-tꜣ.wj (Mentuhotep ii.) 249, 250n283, 275 Sn-n-mw.t 104n368 Sn.t Taf. 2.2 Snb.t Taf. 1.2 St-Kꜣ 220–222 Qꜣj-šw.tj (Mentuhotep ii.)
241n275, 246,
241n275
Kꜣwj.t 245, 263f., 266f. Kmsj.t 245, 263f., 265n337, 268f., Taf. 6, 7, 8.1–2, 9.1–2 Gmnj-m-ḥꜣ.t
308n443
Dꜣgj 259, 260n313 Dmj=s-n=j Taf. 2.1 Ḏꜣry 210 Ḏm.j Taf. 1.2
Ägyptische Texte Admonitions 164n42, 166–173, 177, 183, 429n816, 430n816 Amenemhet, Lehre des 163, 164n39, 174n76, 178n88, 182n108, 340, 341n546, 346 f., 358, 429n815, 442n863 Beredter Bauer 173n74 b1 129 41n133 b1 342 41n133 Cheti, Lehre des
New York mma 10.130.164 Ostrakon DeM 1655
45n150, 505n163
Hatnub-Inschriften
Neferti, Prophezeiungen des 164, 166, 167n54, 169, 170n65, 171n69, 172f., 174n76, 175n81, 181, 182n108, 309n444, 432n825, 434n834
435n835
Jugend Thutmosis’ iii., Text von der Kairo cg 20009 440n856 cg 42225 50n171 JdE 36346 243n281 JdE 45057 316n465 JdE 48845 50n171 tr 3/6/25/1 317n465
243n281 347n567
Papyri Berlin P. 3024 164n40 Haremsverschwörungspapyri 442n863, 442n864 Moskau 127 180 417n783 Sallier ii 164n39 St. Petersburg 1116b 164n40 Turin cgt 54031 347n567 Turiner Königspapyrus 439n856 Westcar 167n54 Paris Louvre c 14
316n465, 406n744
Ptahhotep, Lehre des 126n432 Kom Ombos no. 801 51n171
Restaurationsstele Tutanchamuns
Kopenhagen Ny Carlsberg Glyptotek 1241 (æin 891) 50n171 Lahun-Hymnen Sesostris’ iii. Lebensmüden, Gespräch des 173n74 London bm ea 1203
164n40, 170n65,
Merikare, Lehre für 170n65, 173n74, 174, 180n101, 183n109, 195n140, 202n166
Neferhoteps i., Stele
372f.
Sinuhe, Reiseerzählung des 163, 176, 182n108, 343n551, 346n562
343, 372, 435
241n277, 243n280, 243n281
Moskauer Literarischer Brief
Semna-Stele Sesostris’ iii.
108n383
180
406n744
Turin Suppl. 1447
243n280
Urk. iv 155–176 417n783 608–610 439n856 1656 85n305 2026,15–2028,4 108n383 Wadi Shatt er-Rigal Graffito № 443 241n278, 242n278, 244 Graffito № 452 241n278, 242n278, 244 Graffito № 455 299n430
650
ägyptische texte
Graffito № 489 241n278, 242n278, 244 Graffito № 542 241n278, 242n278, 244
Mrw, Stele des
243n280
Mrr-Ttj, Graffito des Jnj-jt=f Sohn der Mjj.t, Stele des
50n171
Jnj-jt=f, Stele des (bm ea 1203) 243n280, 243n281
241n277,
243n278, 316n465
Nb-nṯr.w iii, Würfelhocker des Rꜥ-ḥtp, Stele des
50n171 243n281
Jnj-jt=f, Stele des (cg 20009)
440n856
Ḥnwn, Stele des
Jnj-jt=f, Stele des (Straßburg)
440n856
H̱ ty, Stele des
Jnj-jt=f-nḫt, Stele des
317n465
316n465
50n171
Ägyptische Wörter jmj-rʾ pr wr 303 jmj-rʾ ḥw.t 6 wr.t 299 jmj-rʾ qs.tjw 317n465 jrj 85 jrj-pꜥ.t 219 jzjj 406n744, 407n744 ꜥꜣm.w ḥr ḫꜣs.wt=sn
316n465
wḥm ms.wt 444n868 (siehe auch den Index ägyptischer Namen)
nṯr nfr 246 rḫ.t nzw 439n856 ḥꜣ.tj-ꜥ 219 ḥꜥj 435 f. ḥmt 44, 49, 50n171 ḥsb.w 50n171 ḫtmtj-bjtj jmj-rʾ pr ẖkr.t nzw wꜥ.t
pr H̱ ty 220n218, 317n465 pr.w nw mḥ.tj 316n465 mrj 436 mḥ jb n nzw nfr
439n856
28, 28n90, 132 f., 135
303
439n856
zꜣ-Rꜥ 241, 245f. zmꜣ tꜣ.wj 252f., 258 tp-rd 50n171 tp-ḥsb 41n133, 50n171, 51n171
Orte, Gräber, Tempel 5. oberägyptischer Gau 197n147 13. unterägyptischer Gau 316n465 Abydos 161, 195n141, 240, 245, 250n285, 291, 316n465, 406n744, 439n856 Mahat Mentuhoteps ii. 240n273, 245 Amarna 28n92, 81n289, 99, 104–120, 129 f., 135, 362n615, 363n617, 403n733, 443n865, 470n56 Armant 240n273, 245, 280–285, 287n394, 288 f., 291, 296, 367, 418n784 Assiut 439n856 Grab Siut iii ( Jtj-jbj) 440n856 Grab Siut iv (H̱ ty) 440n856 Aswan 217, 240n273, 316n465 Deir el-Bahri 240, 245, 247–249, 250n285, 257, 276, 288, 298, 307, 311, 313 f., 418n784 Bab el-Hosan 243n282, 245–247, 274– 278, 322n479, 369n628, Taf. 5.2 Grab der Nfr.w (tt 319) 245, 248, 250, 256, 257, 258n308, 264, 265n337 Grabschacht 5 304 Königinnenkapellen 245, 247, 249, 263– 270, 274, 278, 302 Tempel Hatschepsuts 418n785, 422 Tempel Mentuhoteps ii. 240, 245–250, 260n317, 263, 265n337, 271n348, 273– 278, 288, 296n417, 298 f., 302, 304, 307, 311, 313 f., 319 f., 418n784, 421n793, 422, 422n796, Taf. 5.1 Bauphasen 245–250, 273, 276 Deir el-Ballas 240n273, 260, 260n319 Deir el-Medina 45n150, 363n617 Dendera 188, 193n136, 198n148, 240, 245, 249, 264 f. Elephantine 42, 240, 250n285, 291, 419n785 El-Kab 240n273 Et-Tod 240, 245, 249 f., 288, 290–293, 296, 368, 369n628, 387n695 Faqus
288, 303, 487
Gebelein 192n134, 193n136, 195n141, 196n142, 210–214, 217, 240, 245 Grab des Jtj 193n136, 195n141, 210f. Hathorkapelle Mentuhoteps ii. 245, 249, 264f. Giza 165, 193, 231–233, 235 Mastaba g 7772 235 Herakleopolis 173n74, 253n297, 314n461, 316n465, 317n465, 439n856 Illahun Konosso
343n551, 372, 435 240n273
Lahun siehe Illahun Lischt Grab 493 (Nḫt) 303, 305, 434, 488 Pyramide Amenemhets i. 272n351, 299, 305, 434 Medamud 240n273, 446f. Memphis 170, 173n75, 191n130, 225n229, 253n297, 255n302, 279, 293, 295n414, 310f., 312n453, 315–317, 434f., 448n879 Moalla Grab des Ꜥnḫ.tj=f 195n141, 440n856 Naga ed-Deir 187–189, 193n136, 196, 197n147, 198n148, 401n728 Grab 3804 196 Nubien 213n204, 296, 392n712 Pompeji und Herkulaneum
107
Qubbet el-Hawa 195n141, 217–230, 408 qh 25 (Mḫw) 222f. qh 34e (Ḫwj und H̱ nm-ḥtp) 224, 229n244 qh 34h (Ḫw.n=s) 223, 228n240, 228n241 qh 34n (Ḥr-ḫw=f ) 224, 228n240 qh 35 (Ppj-nḫt) 224, 228n240 qh 35d (Ḥqꜣ-jb) 217–220, 221, 225, 227, 228n240 qh 35e (Sꜣbnj ii) 225
653
orte, gräber, tempel qh 110 (St-Kꜣ) 228n240
195n141, 220–222,
Saqqara 161, 308n443, 439n856 Grab von Gmnj-m-ḥꜣ.t 308n443 Grab von Wsr-Mwt und Jnpw-m-ḥꜣ.t 308n443 Sedment 304, 310, 488 Semna 372 f., 421 Sinai 316n465 Tanis 288, 303, 408n748, 487 Theben 26n85, 154, 160n21, 174, 193n136, 195n141, 210, 240, 254 f., 262n323, 271, 279, 295n414, 299, 307, 309n444, 311 f., 316n465, 317n465, 319, 420, 434, 439n856, 446, 485 f., 488 Asasif Grab t 260 Carnarvon/Carter Grab № 65 260n315, 316n465 Karnak 51n171, 260, 416–418, 418n784, 419n785, 421, 439n856, 444n869, 446 f. Achmenu 446n874 Alabasterkapelle Amenophis’ i. 421n794 Chambre des ancêtres 422n796, 439n856 Chapelle Blanche 416
Chapelle Rouge 422n794 Mꜣꜥ.t-Haus Thutmosis’ iii. und Hatschepsuts 417n783 Schatzhaus Thutmosis’ i. 416n718 Tempel der 12. Dynastie 416, 418n785, 421, 446f. kv 62 (Tutanchamun) 312 tt 69 (Mnnꜣ) 500n147 tt 103 (Dꜣgj) 259 tt 106 (Pꜣ-sr) 406n744 tt 181 (Nb-Jmn und Jpw-ky) 364n620 tt 280 (Mk.t-Rꜥ) 259n313, 298–301, 307– 309, 310–315, 318–321, 536n251 tt 281 (?) 298f., 315, 318–321 tt 311 (H̱ ty) 258f., 302, 310 tt 319 (Nfr.w) 245, 248, 250, 256, 257, 258n308, 264, 265n337 tt 366 (Ḏꜣry) 210 tt 386 ( Jnj-jt=f ) 302 Tyros 288 Wadi el-Hudi 343n551 Wadi Hammamat 240n273 Wadi Shatt er-Rigal 240, 241n278, 242n278, 243n280, 244, 260n319, 299 Jṯ-tꜣ.wj 307n439, 315
Autoren und Künstler Ackermann, James S. 382, 387 f., 413n766 Adorno, Theodor W. 25, 31, 32, 50n171 Aldred, Cyril 92n333, 273, 277, 279n374, 284, 289–291, 295, 301, 341n546 Allen, James P. 28n92, 242n278, 300n431 Alpers, Svetlana 476 f. Angehrn, Emil 522n212 Angenot, Valérie 495–504 Archipenko, Alexander 129 f. Arnold, Dieter 245 f., 250n286, 259n313, 264 f., 273–276, 278, 313 f., 422n796 Arnold, Dorothea 277n369, 297–322, 410n755, 483–488, 536n251 Arnold, Felix 303, 305 Assmann, Jan 28n92, 141, 177–182, 195n140, 328n499, 340, 341n547, 347n568, 379n655, 404n735, 406n743, 407n744, 410n755, 411n761, 429n815, 494, 512n189, 536n253 Baines, John 15, 23n72, 34–62, 87n307, 121, 142n480, 145n489, 237n264, 344n555, 361n608, 410n756, 425n804, 426n807, 457n14, 475n76, 514n194 Bal, Mieke 476n79, 490, 494n127, 533n244 Baumgarten, Alexander Gottlieb 47n156, 60, 85n305 Beckerath, Jürgen von 173n74, 242n278 Belting, Hans 11–20, 30 f., 46, 51n173, 52, 53, 66n233, 69n247, 70, 72, 73, 140 f., 145, 468n51, 479n87 Beyer, Andreas 329n506 Bisson de La Roque, Fernand 293 f. Björkman, Gun 174, 175n81, 178, 182n108, 184, 186n115, 317, 353n585, 543 f. Blyth, Elizabeth 417n783 Boehm, Gottfried 330n506, 331–333, 468n49 Böhme, Hartmut 59 f. Bommas, Martin 363n617 Borbein, Adolf H. 201 Borchardt, Ludwig 105, 108n383, 109n386, 117, 238n267 Bothmer, Bernhard von 80, 82, 279n374, 324n483, 478n83 Bourdieu, Pierre 465n38, 507, 522n214
Breasted, James Henry 166 Bredekamp, Horst 536n253 Breuer, Stefan 431 Brigitte Jaroš-Deckert 250n286, 305 Brovarski, Edward 188n119, 197n147, 198, 214n205, 308n443 Brugsch, Heinrich 160–166, 169, 174, 187 Brunner, Hellmut 171n69 Brunton, Guy 304 Bryson, Norman 490, 494n127, 533n244 Bubner, Rüdiger 511f., 542f. Buchberger, Hannes 174, 179, 182n108 Buck, Adriaan de 341, 434n834 Burckhardt, Jacob 330, 334f. Burkard, Günter 175–177, 182n108, 195n140, 346n562 Burke, Peter 332–334, 336n530 Buschor, Ernst 324 Bußmann, Richard 280n378, 284, 292n400 Carroll, Noël 455n8, 456n10, 458, 459n20, 460f. Carter, Howard 246, 363n617 Cassirer, Ernst 350f. Chabas, François 165n42 Clifford, James 512n188 Collingwood, Robin George 157–159, 163 Cook, John W. 123n417 Cooney, John D. 286–288, 290, 301 Culler, Jonathan 489, 546 Davis, Whitney 198–210, 250f., 256, 267, 321, 375, 387–391, 392n712, 393– 396, 402–405, 410, 413, 423, 492n114, 531n240, 551, 553 Delange, Elisabeth 289 Dickie, George 458, 459n21 Didi-Huberman, Georges 523n215 Dilthey, Wilhelm 510n177 Drenkhahn, Rosemarie 44, 48–50 Duchamp, Marcel 459n21 Dunham, Dows 188n119, 197n147 Eagleton, Terry 458n18 Eaton-Krauss, Marianne 1, 83n295
655
autoren und künstler Eco, Umberto 22, 31, 361n608, 493 f., 504n163 Eggert, Manfred K.H. 199 Einaudi, Silvia 414n771, 422n794 Ekman, Paul 338 f. Elkins, James 378n654, 471 f., 531n240 Ellsworth, Phoebe C. 338 f. Elsner, Jaś 378n653, 380n659, 531n240 Enmarch, Roland 183n109 Erman, Adolf 155, 163n36, 164n40, 165, 167– 170, 177, 183 Evers, Hans Gerhard 82, 341n546, 356n594 Falk, Martin von 477n83 Fechheimer, Hedwig 8 Fischer, Friedhelm W. 377n651 Fischer, Henry George 197n147, 317n465 Fitzenreiter, Martin 478n83, 506n167, 509n174, 512n189, 516n199, 519, 532 Flaubert, Gustave 101 Fornet-Betancourt, Raúl 136n460 Foucault, Michel 511n184 Frank, Andreas J.G. 319n473 Franke, Detlef 326n495 Frankfort, Henri 108n385 Freed, Rita E. 231 f., 234, 236, 251, 258, 259– 261, 266, 292, 317n465 Friesen, Wallace V. 338 f. Frijda, Nico H. 339 Gabolde, Luc 418n784 Gadamer, Hans-Georg 199, 511n184, 521n210, 522n214 Gardiner, Alan H. 164n40, 164n42, 167, 170, 177, 185 Gee, John 175n81, 186n115 Gell, Alfred 61n212, 62n212 Gestermann, Louise 241, 253, 316, 435n835 Giewekemeyer, Antonia 157n11, 160n21, 171n69, 172n70, 173n74, 175n81, 181n106, 183n109, 184n112, 185n114, 186n115, 253n297, 309n444, 314n461, 341n547, 346n562, 352n582, 414, 416n779, 421n791, 422n796, 424, 429n815, 432n825, 434n834, 442n863, 443n868, 448n879, 506n167, 507n170 Gnirs, Andrea M. 174n76, 180n101, 183n109, 341n547, 416n779, 443n867 Goedicke, Hans 448n879
Golénischeff, Wladimir 164n40, 166 Gombrich, Ernst H. 9, 22, 47n158, 383 Goodman, Nelson 22, 23n70, 139n466, 385n684, 470 Goodwin, Charles Wycliffe 164n39 Grallert, Silke 425n804 Gumbrecht, Hans Ulrich 53n179, 365n621, 370 f., 473n67, 509n174, 510n179, 518n203, 519n207, 528, 540, 548, 554 Gundlach, Rolf 425n805, 428, 432f., 440n856, 441, 443n865, 445n870 Hanson, Norwood Russell 125n426 Hardin, Kris L. 60f. Hartwig, Melinda K. 148n499, 202n166, 352n582, 376n645, 379n657 Harvey, Julia 230n249, 231, 234–236 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 26n83, 31, 70, 137n460, 147n492, 378n652 Helck, Wolfgang 316n465, 505n163 Hennis, Wilhelm 439 Herder, Johann Gottfried 378n652 Herodot 161 Hirmer, Max 92n333 Hoffmann, Friedhelm 407n744 Hoff, Ralf von den 322n478, 326, 342n549 Hölscher, Tonio 199, 201, 206n177, 207, 325 Horlacher, Stefan 494n127 Husserl, Edmund 24n75 Ikram, Salima
145n489, 376n645
Jacquet-Gordon 416n783, 417n783 Jaeggi, Othmar 325, 356n595 Jansen-Winkeln, Karl 157n12, 176n85, 180n101, 189n122 Jonas, Hans 140 Josephson, Jack A. 143n482, 425n804 Junge, Friedrich 7, 20–34, 47f., 50n171, 55 f., 64, 69, 121n409, 174n76, 192, 229, 360n608, 374, 440n858, 465n38, 466, 467n46, 475n77, 504, 510n182, 517 Junker, Hermann 170n63, 231n254 Jurman, Claus 377n649, 389n702, 402n730, 414n770, 424n802 Kahl, Jochem 190n129 Kaiser, Werner 323n481, 362f. Kämpf, Heike 512n187, 522, 524
656 Kant, Immanuel 47n156, 60 Keith, Jean Lewis 363n617 Kemp, Wolfgang 530n234 Kersting, Wolfgang 123n417 Kirshenblatt-Gimblett, Barbara 477n81 Kogge, Werner 511n183, 526, 543 Kootz, Anja B. 430 f., 435–437, 440n858 Koselleck, Reinhart 158n17, 334, 463–465, 507, 540 Krauss, Rolf 417n783 Kubisch, Sabine 210–214 Kubler, George 383, 385, 388 Kuhn, Thomas Samuel 125n426 Laboury, Dimitri 345n560, 356n595, 410n756, 414–424, 441, 443 f., 447 f. Lange, Hans O. 165n42, 167 Lange, Kurt 92n333, 355–359, 373 f., 456, 466n40 Lauer, David 471 Lavin, Irving 362n615 Lembke, Katja 477n83 Lepsius, Richard 162n35, 164n40 Lévi-Strauss, Claude 140n471 Lichtheim, Miriam 169n58, 172, 174 Lithgow, William 9 Loprieno, Antonio 169n60 Lorand, David 289 Luhmann, Niklas 142, 205, 411 f., 437n846, 438, 458n16, 465n38, 521n211 Luiselli, Maria Michela 326–328, 341 f. Luria, Salomo 156n7, 168n56, 169n58, 172 Lurson, Benoît 76n274 Luther, Martin 13, 16 Malraux, André 34n110, 475, 484n101, 549 Manassa, Colleen 180n101 Mandelbaum, Maurice 456n10 Manetho 161 Mann, Thomas 94n344, 100–102, 119 f. Marée, Marcel 296 Mariette, Auguste 417n783 Meskell, Lynn 336n530 Mesquita, Batja 339 Meyer, Eduard 155n7, 165 f., 172n71 Miniaci, Gianluca 482n94 Mitchell, Timothy 513n192 Mitchell, William J. Thomas 350n578, 479, 527n227
autoren und künstler Möbius, Friedrich 377n652 Moers, Gerald 50n171, 121n409, 133n452, 171n69, 202n166, 376n645, 412n765, 413n769, 458n18, 466n43, 480n89, 501, 509n174, 529n231, 536n253, 538n257, 553 Mond, Robert 284f., 298 Montelius, Oscar 392 Montserrat, Dominic 29n92, 98n357, 110 Morelli, Giovanni 392 Moreno García 157n11, 186n115, 195n140, 440n856 Morenz, Ludwig D. 16n41, 142n480, 144n485, 145, 154n4, 186f., 211–214, 217, 467n46 Müller, Maya 83–88, 121, 143n482, 146, 284n387, 289f., 337f., 346, 352n582, 371–374, 459, 514n194, 515n195, 518n202 Munro, Peter 198n147, 214n205 Murphy, Arthur E. 124n424 Myers, Oliver H. 284f. Nannucci, Mauritio 101–103 Nash, Walter L. 246 Naville, Édouard 268n343, 271n348, 273, 421n793 Newberry, Percy E. 246 Noetzel, Thomas 438n852 Oexle, Otto Gerhard 334 Otto, Eberhard 170, 427n809, 428 Panofsky, Erwin 22, 66n233, 333, 348–353, 492n114 Parkinson, Richard B. 177n88, 183n109, 346n562, 529n231 Pendlebury, John D.S. 108n385 Petrie, William M.F. 155n7, 165, 188, 304, 392, 417n783 Philipowski, Katharina 364n621, 365n623, 366n627 Pieke, Gabriele 408n751 Pieper, Max 155 Platon 7n1, 24, 27, 31, 34n110, 55, 327n495 Podemann Sørensen, Jørgen 40 Polz, Daniel 401n726 Polz, Felicitas 337n532 Popko, Lutz 425n804
autoren und künstler Posener, Georges 171, 183, 186n115, 340– 342, 346n562, 356n595, 424n803, 425n806, 426n806, 429, 434, 437n847, 443 Postel, Lilian 240–243, 246 Preziosi, Donald 476n80, 531n240 Quack, Joachim Friedrich 173n74, 202n166, 376n645, 417n783, 432n826, 440n859, 497n138 Ranke, Hermann 163n36, 166n50 Redford, Donald B. 159n19, 180n101, 439n856 Reeves, Nicholas 312n455 Reiche, Christina 493–495 Reisner, George 188n119, 392n712 Riefstahl, Elizabeth 257 Riegl, Alois 199 Riggs, Christina 146 f., 478n83 Robins, Gay 191n131, 262n323, 263, 271, 294n414 Roeder, Hubert 75, 77 Romano, James F. 284n387, 418n784 Römer, Malte 195n140, 253n297, 427n811 Rosa, Hartmut 135n457 Russmann, Edna R. 82, 271, 444n869 Sachs-Hombach, Klaus 469n52 Said, Edward 512 Sartre, Jean-Paul 371n634 Sauerländer, Willibald 204, 209, 238, 256, 315, 384, 387 f., 423, 523n215 Schade, Sigrid 475n76, 477n83, 480n89, 481n91, 513n191, 515n195 Schäfer, Heinrich 9, 23, 24, 32, 56n193, 499n144, 500n147 Schapiro, Meyer 381 f. Scharff, Alexander 172n71 Schenkel, Wolfgang 155n6, 160n24, 171n69, 197n147, 317, 401n728 Schiaparelli, Ernesto 213n203 Schmoll gen. Eisenwerth, Josef A. 377n650 Schmücker, Reinold 464n36 Schneider, Thomas 155, 158, 186n115, 192 Scholz, Piotr O. 26n83 Schoske, Sylvia 93, 175n83, 190, 202n167, 234 Schroer, Silvia 369n628
657 Schweitzer, Bernhard 324n483 Seibert, Peter 182n108 Seidel, Matthias 290 Seidlmayer, Stephan J. 38n123, 160n23, 175, 185, 192n134, 236n262, 242n278, 253n297, 352n582, 400–403 Seiler, Anne 401n726 Seipel, Wilfried 197n145, 289 Seja, Silvia 536n253 Sethe, Kurt 417n783 Shakespeare, William 331n513 Simpson, William Kelly 425n803 Smith, William Stevenson 92n333 Sourouzian, Hourig 289 Spengler, Oswald 156f. Spiegel, Joachim 170n64 Staring, Nico 405n741 Stecker, Robert 455f., 459n20 Strudwick, Nigel 145n489 Suckale, Robert 378n654, 379f. Swoyer, Chris 123n417, 137–140 Tefnin, Roland 342n549, 344, 441 Thissen, Heinz J. 175–177, 182n108, 195n140, 346n562 Thomas von Aquin 28n89 Thürlemann, Felix 386 Vandier, Jacques 231, 279n374 Vasilache, Andreas 511n184, 521n210, 522n213 Verbovsek, Alexandra 34, 63–79, 143, 148n499, 352n582, 365n621, 376n645, 464n36, 466n43, 470n58, 481 Vischak, Deborah 217, 220n217, 224, 226n234, 525n222 Waldenfels, Bernhard 512n187 Walsem, René van 472n65 Warburg, Aby 140n474 Warburton, David A. 336n530, 475n76 Weber, Max 430f., 433, 437n845 Weitz, Morris 455n8, 464n36 Wenk, Silke 475n76, 477n83, 480n89, 481n91, 513n191, 515n195 White, Hayden 158 Widmaier, Kai 42n139, 45n150, 176n85, 183n109, 352n582, 425n803, 470n56, 497n138
658 Wiedemann, Alfred 162 f., 169 Wieland, Wolfgang 157n10 Wiesing, Lambert 24, 93 f., 140n472, 468– 470, 478, 481n91, 503, 541 Wildung, Dietrich 64, 89–121, 175n83, 197n145, 234, 254 f., 290, 292, 295, 328n500, 343n551, 344n555, 347n568, 367 f., 369n628, 448n879, 473n69, 536n250 Willems, Harco 317n466, 435n835 Winckelmann, Johann Joachim 19n55, 95n349, 147n492, 205, 323, 378n652
autoren und künstler Winlock, Herbert E. 242n278, 258, 273, 298, 319f. Wittgenstein, Ludwig 126, 455f., 470–472, 534 Wolf, Walther 9–11, 16–19, 31, 43, 51f., 89, 156n9, 171, 340n546, 370n631, 466n40, 467n46 Wölfflin, Heinrich 199, 380, 413n768 Woods, Alexandra 397n723, 401n727 Würtenberger, Thomas 438 Zanker, Paul
199, 201, 326
Tafeln
taf. 1.1
Stele des Wp-m-nfr.t (h. 45,5 cm, Phoebe A. Hearst Museum of Anthropology, Berkeley 6–19825)
taf. 1.2
Stele des Ḏm.j und der Snb.t (h. 39 cm, Hildesheim rpm 4590).
660
tafeln
taf. 2.1
Stele des Mrr und der Dmj=s-n=j (h. 52,5 cm, Krakau mnk xi 999)
taf. 2.2
Stele des Ḥqꜣ-jb und der Sn.t (h. 51 cm, London bm ea 1671)
661
tafeln
taf. 3.1
Stele des Jtj und der Nfr.w (h. 42 cm, Turin Suppl. 13114)
taf. 3.2
Stele des Jtj (h. 34 cm, Turin Suppl. 13115)
662
taf. 4
tafeln
Relief aus dem Grab der Nfr.w (h. 31,7 cm, Cincinnati Art Museum 1998.54)
663
tafeln
taf. 5.1
Standstatue Mentuhoteps ii. mit separat gefundenem Kopf aus dem Vorhof des Tempels von Deir el-Bahri (h. 252,9 cm, New York mma 26.3.29)
taf. 5.2
Sitzstatue Mentuhoteps ii. aus dem Bab el-Hosan (h. 138cm, Kairo JdE 36195)
664
taf. 6
Malereien aus der Grabkammer der Kmsj.t, Südwand
tafeln
tafeln
taf. 7
Malereien aus der Grabkammer der Kmsj.t, Nordwand
665
666
taf. 8.1
Malereien aus der Grabkammer der Kmsj.t, Ostwand (nördlicher Teil) (Registerhöhe ca. 50–60cm, nach den vagen Angaben von Naville, The xith Dynasty Temple at Deir el-Bahari iii, 9 und Tf. iii)
tafeln
tafeln
taf. 8.2
Malereien aus der Grabkammer der Kmsj.t, Ostwand (südlicher Teil) (Registerhöhe ca. 50–60cm, nach den vagen Angaben von Naville, The xith Dynasty Temple at Deir el-Bahari iii, 9 und Tf. iii)
667
668
taf. 9.1
Malereien aus der Grabkammer der Kmsj.t, Westwand (südlicher Teil)
tafeln
tafeln
taf. 9.2
Malereien aus der Grabkammer der Kmsj.t, Westwand (nördlicher Teil)
669