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German Pages 339 [340] Year 2007
Psychologie im Handel Entscheidungsgrundlagen für das Handelsmarketing
von
Prof. Dr. Hans-Otto Schenk
2., vollständig überarbeitete Auflage 3., vollständig überarbeitete Auflage
OldenbourgVerlag MünchenWien
Die Vorauflage erschien 1995 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht unter dem Titel Handelspsychologie.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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Vorwort zur 2. Auflage Im Vergleich zur ersten Auflage gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst die schlechte Nachricht: Der Titel wurde geändert. Aus Handelspsychologie in der Erstauflage wurde Psychologie im Handel. Diese Umbenennung rüttelt jedoch nicht am Konzept des Lehrbuchs. Sie verschiebt nur den Akzent ein wenig, um den Inhalt treffender zu erfassen. Den Begriff Handelspsychologie selbst möchte der Vf. durchaus erhalten sehen – als griffige Bezeichnung für eine eigenständige Lehr- und Forschungsdisziplin. Da er aber als Buchtitel nach außen eher eine Art Teildisziplin der Psychologie signalisiert wie z.B. Entwicklungspsychologie oder Jugendpsychologie, kündigt er nicht so treffend die Intention und den inhaltlichen Schwerpunkt des Buches an wie sein neuer Titel. Der neue Titel ordnet den Lehr- und Lernstoff deutlicher dem Handel bzw. dem Handelsmanagement zu, einer Teildisziplin der Betriebswirtschaftslehre. Ganz so schlecht ist die Nachricht also auch wieder nicht. Dann die gute Nachricht: In der Erstauflage hatte der Verfasser die Hoffnung geäußert, Handelspsychologie möge sich als eigenständiges Lehrfach an Schulen und Hochschulen etablieren. Mit der Zweitauflage darf er mit Genugtuung feststellen, dass einige Hochschulen Handelspsychologie bereits als Lehrfach anbieten. Andere Hochschulen rüsten sich, die Lehre vom Handelsmanagement um psychologische Vertiefungen zu ergänzen. Auch wenden sich Forschung und Schrifttum vermehrt unseren Fragestellungen zu. Verbessertes psychologisches Wissen in Lehre, Forschung und Literatur werden den Handelsunternehmen und ihren Marktpartnern zugute kommen. Also uns allen. Die Psychologie und der Handel – beides für sich genommen hat zu allen Zeiten die Menschen sehr beschäftigt, jedenfalls seit Psychisches, zuerst von den alten Philosophen, reflektiert und überliefert wird und seit arbeitsteilige Tauschprozesse stattfinden. Die Urteile der Menschen über beides fielen immer schon recht unterschiedlich aus: Handel ist ein notwendiges Übel, das es möglichst einzuschränken gilt. Bei Fernhalten des Handels würde vor allem vermieden, dass mit dem Handel die Habgier und Lasterhaftigkeit in die Städte einziehe. Zur Abhilfe des Mangels sei er zwar zuzulassen, aber auf das Mäßige zu beschränken. (THOMAS VON AQUIN, *um 1225 – 1274) Deshalb sind auch unter den Kaufleuten einige aufgewacht und haben begriffen, dass in ihrem Handel mancher böse Schlich und manche unlauteren Finanzgebaren angewendet werden. (MARTIN LUTHER, 1483-1546) Handel mit Ehre bereichert nicht. (JOHANN WOLFGANG VON GOETHE, 1749-1832)
VI
Vorwort zur 2. Auflage
Sich nicht auf den Handel verstehen ist vornehm. (FRIEDRICH NIETZSCHE, 1844-1900) Psychologie ist ein Omnibus, der ein Luftschiff begleitet. (KARL KRAUS, 1874-1936) Psychologie ist die Wissenschaft von der Seele dessen, der sie betreibt. (EGON FRIEDELL, 1878-1938) Der Handel und die Psychologie – welche Fülle von Zeugnissen und Erkenntnissen liegt heute auf beiden Feldern vor, in der Theorie wie in der Praxis! Einerseits denke man nur an die historische Bedeutung des Handels für die Stadtentstehung und -entwicklung, an das Geld- und Bankenwesen, die kaufmännische Selbstverwaltung, die Entwicklung des Handelsrechts oder an die dem Handel zu verdankende „Demokratisierung des Konsums“. Oder man denke an die großen Persönlichkeiten des Handels, die als Wohltäter und großherzige Mäzene tätig wurden und noch werden! Ihre lange Reihe reicht, um nur wenige Namen herauszugreifen, von Lorenzo de Medici, Jakob und Anton Fugger über die Nürnberger Kaufmannsfamilien der Behaim, Paumgartner und Tucher, in der jüngeren Vergangenheit über Gottlieb Duttweiler, Josef Neckermann oder Heinrich Berggruen bis in die Gegenwart zu Otto Beisheim, Heinrich Deichmann, Werner Otto u.v.a. Andererseits haben sich bis heute erstaunlich viele Schulen und Richtungen der Psychologie herausgebildet: als Grundlagenfächer die Allgemeine Psychologie, Entwicklungs-, Persönlichkeits-, Sozial- und Biopsychologie; als Anwendungsfächer die klinische, die Arbeits- und Organisationspsychologie und die pädagogische Psychologie; hinzu kommen psychologische Diagnostik und Methodenlehre. Die großen Persönlichkeiten der psychologischen Forschung und Analyse sind weithin bekannt: Alfred Adler, Sigmund Freud, Erich Fromm, Carl Gustav Jung, Wilhelm Reich, Wilhelm Wundt usw. Und in welchem Ausmaß greifen psychologische Erkenntisse heute in den Alltag ein, nicht nur in den Kliniken, sondern auch im Schulleben, in der Kunst, im Wirtschaftsleben! Die Psychologie im Handel interessiert sich jedoch nicht für das Nebeneinander, sondern für das Miteinander von Psychologie und Handel, und zwar aus betriebswirtschaftlicher, genauer: handelsbetrieblicher Sicht. Wie kann Psychologie für den Handel nutzbar gemacht werden? Wie können mit Hilfe der Psychologie die Entscheidungsgrundlagen für das Handelsmarketing verbessert werden? Welche Methoden, Instrumente und Erkenntnisse der Psychologie im Einzelnen kann das Handelsmanagement für seine Entscheidungen heranziehen? Wie kann es das Erleben und Verhalten seiner Marktpartner in seine strategischen und taktischen Entscheidungen einbeziehen? Das sind die Fragen, denen das vorliegende Lehrbuch (oder besser: Lernbuch) systematisch nachgeht. Es ist zwar keine Rezeptsammlung für die in der Handelspraxis täglich zu findenden Antworten. Aber es wird das Bewusstsein für psychologische Orientierung der Unternehmer- und Managemententscheidungen im Handelsbetrieb schärfen. Dessen ist sich der Verfasser gewiss. Denn als Hochschullehrer hat er 25 Jahre lang in rd. 150 „Unternehmergesprächen“ zwischen Handelsunternehmern und Handelsstudierenden die große Aufnahmebereitschaft beider Seiten für psychologische Anregungen erfahren. Entsprechend sind die Zielsetzungen des Buches: Fingerzeige und Anregungen für Handelswissenschaft und Handelspraxis zu geben; allgemein gültige theoretische Methoden ebenso wie praktische Beispiele weiter zu geben; Heuristiken anzubieten und systematisch zu psychologisch orientiertem Handelsmarketing hinzuführen. Letztlich geht es
Vorwort zur 2. Auflage
VII
darum, alle strategischen und taktischen Entscheidungen im Handelsmarketing auf neue, breitere Grundlagen zu stellen. Als Lernbuch wendet sich die „Psychologie im Handel“ an bestimmte Leserkreise: Zunächst sind die Lehrenden und Lernenden an den wissenschaftlichen Hochschulen und an den Fachhochschulen angesprochen, die sich mit der Betriebswirtschaftslehre, insonderheit mit Marketing und Handelsmanagement, und mit Wirtschaftspsychologie beschäftigen. Sie werden ermuntert, über den Tellerrand ihrer Fachgebiete hinauszublicken. Lehrenden und Lernenden des Fachs Marketing wird dabei gelegentlich eine mentale Kehrtwendung abverlangt. Gleichrangig werden Handelspraktiker als Zielgruppe gesehen; denn es ist stets darauf geachtet worden, theoretische Erkenntnisse durch praktische Beispiele zu verdeutlichen. Manches wird ihnen geläufig sein. Einiges wird sie jedoch auf neue Ideen für das eigene Unternehmen bringen. Als Zielgruppe werden ferner im beruflichen Bildungswesen und in Handelsakademien, Fachschulen und Bildungszentren des Handels tätige Ausbilder gesehen. Auch möchte der vorliegende Band Fachjounalisten, Wirtschaftspolitikern und Wettbewerbsjuristen einen Überblick über psychologisch orientiertes Handelsmarketing vermitteln. Last but not least sind aufgeklärte Verbraucher angesprochen; denn sie müssen den Handel, speziell den Einzelhandel und den Internet-Handel, dank täglicher „Aufklärung“ in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen über seine „Machenschaften“ und „Manipulationen“ fast als eine Art natürlichen Feind empfinden. Nach der Lektüre werden die einseitig Aufgeklärten ein differenzierteres Bild von den (begrenzten) Möglichkeiten der geheimen Verführung im Handel haben. Übrigens muss kein Leser das Buch illusionslos aus der Hand legen. Es sind reichlich optische Illusionen eingestreut, lauter herzhafte Häppchen aus der Wahrnehmungspsychologie – Zugaben als angewandte Psychologie zur Leserzufriedenheit. Der Lektüre bleibt noch eine ganz spezielle Zufriedenheit voranzustellen: die Zufriedenheit des Autors mit dem Oldenbourg-Verlag, der den Vorschlag einer Zweitauflage ohne Zögern aufgegriffen, dessen Team im Lektorat Wirtschafts- und Sozialwissenschaften um Herrn Dr. Jürgen Schechler das Werk vorbildlich betreut und dessen Herstellung sauber und zügig gearbeitet hat. Allen gebührt herzlicher Dank!
Duisburg, August 2007
Hans-Otto Schenk
Inhaltsverzeichnis Vorwort zur 2. Auflage
V
1
Einführung
1
1.1
Problematik................................................................................................................ 1
1.2
Ausgangssituation, Ziele und Nutzen einer Handelspsychologie .............................. 8
1.3
Begriffliche und inhaltliche Abgrenzungen ............................................................. 15
1.4
Anmerkungen zur Methodenwahl und zum Aufbau ................................................ 20
2
Handel und Psychologie
27
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.3.1
Handel und Psychologie in der Theorie ................................................................... 27 Psychologische Hemmnisse in der Handelstheorie.................................................. 28 Psychologische Grundlagen für eine Handelspsychologie ...................................... 31 Handelstheoretische Grundlagen für eine Handelspsychologie............................... 49 Terminologische Abgrenzungen: Handelsbetrieb, Handelsmarketing, Markt und Marktwirtschaft........................................................................................................ 49 2.1.3.2 Das System der marktwirtschaftlichen Funktionen des Handels ............................. 57 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
Handelspraxis und Psychologie ............................................................................... 65 Psychologische Handelsmarktforschung ................................................................. 67 Psychologischer Kaufzwang und Kaufsucht............................................................ 80 Ladendiebstahl......................................................................................................... 84 Marktpartnerzufriedenheit ....................................................................................... 88
3
Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
3.1
Wahl der Firma ........................................................................................................ 96
3.2
Wahl der Betriebsform........................................................................................... 105
3.3
Wahl der Betriebsgröße ......................................................................................... 110
3.4 3.4.1 3.4.2
Wahl des Standorts ................................................................................................ 113 Die Wahl des betrieblichen Standorts.................................................................... 114 Die Wahl des innerbetrieblichen Standorts............................................................ 117
3.5
Bestimmung der Organisationsstruktur ................................................................. 123
3.6
Bestimmung der Einrichtungsgestaltung ............................................................... 130
3.7
Wahl der Verkaufsform ......................................................................................... 133
3.8
Personalpolitik ....................................................................................................... 140
3.9
Imagepolitik........................................................................................................... 149
95
X
Inhaltsverzeichnis
4
Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
153
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4
Beschaffungspolitik ................................................................................................153 Beschaffungsprogrammpolitik ...............................................................................155 Beschaffungsmethodenpolitik ................................................................................158 Kontrahierungspolitik.............................................................................................161 Beschaffungkommunikation...................................................................................164
4.2 4.2.1 4.2.2
Sortimentspolitik ....................................................................................................168 Bedürfnispyramide und Sortimentspolitik..............................................................169 Einzelphänomene der Sortimentspolitik.................................................................172
4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3
Ladengestaltungs-, Präsentations- und Platzierungspolitik ....................................181 Ladenbau und Verkaufsraumgestaltung .................................................................182 Warenpräsentation ..................................................................................................192 Warenplatzierung....................................................................................................194
4.4
Preispolitik..............................................................................................................197
4.5
Kreditpolitik ...........................................................................................................210
4.6
Servicepolitik..........................................................................................................218
4.7 4.7.1 4.7.2 4.7.2.1 4.7.2.2 4.7.2.3 4.7.2.4 4.7.2.5 4.7.3
Kommunikationspolitik ..........................................................................................226 Kommunikationstheoretische Grundlagen .............................................................226 Formen der Kommunikationspolitik im Handel .....................................................232 Märkteinformation................................................................................................. 234 Werbung ................................................................................................................ 237 Öffentlichkeitsarbeit/PR ........................................................................................ 258 Sponsoring............................................................................................................. 261 Persönlicher Verkauf ............................................................................................. 262 Erfolgskontrolle ......................................................................................................266
4.8
Personalverhaltens- und Arbeitsgestaltungspolitik.................................................270
5
Grenzen der Handelspsychologie
5.1
Kognitive Grenzen..................................................................................................279
5.2
Rechtliche Grenzen.................................................................................................281
5.3
Ethische Grenzen....................................................................................................290
5.4
Grenzen der Effizienzkontrolle...............................................................................300
6
Handelspsychologie und soziale Kommunikation – Ein Kapitel zur Selbsterfahrung
279
303
Nachwort
307
Literaturverzeichnis
311
Stichwortverzeichnis
321
1
Einführung
1.1
Problematik
Psychologen und Ökonomen, jedenfalls die Fachwissenschaftler unter ihnen, finden kaum zusammen. Daran ändert auch die Tatsache nicht viel, dass im Jahr 2002 mit Daniel KAHNEMAN einem Psychologen (zusammen mit Vernon L. SMITH) für die Einführung psychologischer Einsichten in die Wirtschaftswissenschaft der Nobelpreis für Wirtschaft verliehen wurde, für Einsichten über das Urteilen und Entscheiden unter Unsicherheit. Der überkommene Experten-Argwohn ist beiderseitig. Jene halten die vermeintlich bloße Waren- und Zahlenwelt der Wirtschaft für seelenfern. Ökonomen neigen dazu, psychologische Probleme des Einzelmenschen als peripher zu betrachten, dient die wirtschaftliche Betätigung doch im Regelfall – besonders deutlich in der industriellen Massenfertigung – der Befriedigung von Massenbedarf. Allenfalls zielen Marketingstrategen der Konsumgüterindustrie auf „psychologische Marktsegmentierung“, auf nach psychologischen Merkmalen abgegrenzte Zielgruppen ab. Solch industrielles Absatzinteresse ist aber wiederum sozial- oder massenpsychologisch und nicht individualpsychologisch orientiert. Und die Handelsmanager? In der Praxis stehen sie auf ihren Beschaffungs-, Absatz- und Konkurrenzmärkten sowie auf ihrem internen Markt, d.h. in ihrem Betrieb, zwar in täglicher Interaktion mit Menschen. Und die Fähigkeit, die Psyche des jeweiligen Marktpartners richtig einzuschätzen und die Handelsbetriebspolitik auch psychologisch abzusichern, ist für jeden Kaufmann existenziell wichtig – sein unschätzbares immaterielles Kapital. Aber in der Schul-, Berufsschul- und auch in der Hochschulausbildung erfährt der angehende Handelsmanager kaum etwas, jedenfalls wenig Systematisches, über die Beziehungen zwischen Handel und Psychologie. Immerhin wurden seit Mitte der 90er Jahre an einigen Hochschulen Diplom- bzw. Bachelor-Studiengänge in Wirtschaftspsychologie eingerichtet, um dem Mangel an Praxisnähe und Interdisziplinarität der universitären Studiengänge entgegen zu wirken; denn in alter Tradition orientier(t)en sich die Wissenschaftler der Universitäten lieber an reputations- und karriereträchtiger Grundlagenforschung als an Anwendung auf die Berufspraxis (vgl. GÜNTHER 2005, S. 335). In der Praxis jedoch arbeiten gestandene Handelsmanager und Psychologen meist aneinander vorbei. An mangelnder gemeinsamer Schnittmenge von ökonomischen und psychologischen Alltagsphänomenen kann das Nebeneinander nicht liegen. Wie lässt es sich dann erklären? Auf der einen Seite führt die Vielfalt der psychologischen Schulen und Theorien zu einem Nichtzuständigkeitssyndrom. Man betrachte nur die folgende Aufteilung der psychologischen Lehr- und Forschungsgebiete (nach LÜCK/RIPPE/TIMÄUS 1984, S. 17): 1. Allgemeine Psychologie, 2. Psychophysiologie, 3. Sozialpsychologie, 4. Entwicklungspsychologie, 5. Differentielle Psychologie, 6. Diagnostische Psychologie, 7. Pädagogische Verhaltenspsychologie, 8. Klinische Psychologie, 9. Forensische und Kriminal-Psychologie, 10. Betriebsund Marktpsychologie sowie 11. Methodenlehre der Psychologie. Immerhin taucht Betriebsund Marktpsychologie als letztes der anwendungsbezogenen Gebiete in der bunten Sammlung auf. Greift man nur die Marktpsychologie heraus, so hat sie - wie alle anderen Richtun-
2
1 Einführung
gen – in den letzten Jahren eine rasante Weiterentwicklung erfahren, namentlich unter Ausdehnung auf umweltpsychologische Fragen. Unter ihrem Dach sind heute vielfältige Theorieansätze vereint: Kognitionstheorien (Theorien sozialer Wahrnehmung und sozialer Urteilsbildung; Theorie sozialer Vergleiche; Theorie kognitiver Dissonanz; Theorie psychologischer Reaktanz; Attributionstheorien; Cognitive Response; Theorien zur Informationsverarbeitung; Urteilsheuristiken), Entwicklungstheorien (Entwicklungspsychologie; Persönlichkeitstheorien; Wahrnehmungspsychologie; Lerntheorien) und zahlreiche Theorien zu Motivation, Emotion, Macht, Kontrolle und Austausch (vgl. RAAB/UNGER 2005). Auch für andere spezielle psychologische Schulen und Theorieordnungen – etwa Tiefenpsychologie, marxistisch-gesellschaftswissenschaftliche versus empirisch-naturwissenschaftliche Psychologie, Biologische Psychologie, Humanistische Psychologie (H. QUITMANN), Jugend-, Alters-, Frauenpsychologie, Denk-, Schrift-, Musik-Psychologie und manch weitere "Bindestrich-Psychologie" – gilt, dass sie menschliches Erleben und Verhalten in allen möglichen Situationen ergründen, am wenigsten jedoch im Handel. Dass Psychologen lange uneins waren, wie der "Klassifikationsstreit" um die vorletzte Jahrhundertwende oder das absurde Beispiel von zwei jahrzehntelang verfeindeten Psychologischen Instituten an verschiedenen Fachbereichen der Freien Universität Berlin gezeigt haben, mag man als Randerscheinung abtun. Das Geldausgabeverhalten der Menschen und sein gesamtwirtschaftlicher Einfluss auf Konjunktur, Wachstum und Inflation beschäftigt jedoch die allermeisten Psychologen ebenso wenig wie innerbetriebliche Fragen der Personalführung oder des Konfliktmanagements: "Für kollektives wirtschaftliches Verhalten hat sich keine der klassischen Bindestrich-Psychologien für zuständig erklärt - weder die Sozialnoch die Organisations- oder die Arbeitspsychologie und ebenso wenig eine weitgehend auf Erfüllung des Informationsbedarfs der Anbieter zugeschnittene Konsum-Psychologie" (STRÜMPEL/PAWLOWSKY 1988, S. 243). Arbeits- und Betriebs- bzw. Organisationspsychologie (work and industrial psychology) ist immer noch an nur wenigen Universitäten vertreten. Die weitverbreitete Animosität gegenüber dem "schmutzigen Geschäft" des Wirtschaftens, personifiziert in mancherlei ungeliebten Figuren, teilen Psychologen anscheinend mit vielen Geisteswissenschaftlern und Literaten (vgl. WISWEDE 1991, S. 15). Die Händler werden immer noch gemieden, jene Profiteurs und Akkapareurs des Frühsozialismus, jene unproduktiven Schmarotzer, Profitmacher, Beutelschneider, Heringsbändiger und Koofmichs eigentlich vergangener Jahrhunderte! Am ehesten noch scheint den Psychologen der manipulationsverdächtige Wirtschaftsbereich der Kommunikation ergiebig, insbesondere die Absatzwerbung. Dafür spricht jedenfalls die reichhaltige Literatur zur Werbepsychologie (vgl. vor allem FELSER 2001). Wem es aus marxistischer Sicht „um die für den Kapitalismus charakteristische Form der Werbung, der Werbung eben des industriellen Kapitals“ geht, für den ist Handelswerbung nur eine absolut uninteressante „abgeleitete Werbeform“ (LINDNER 1977, S.33). Im „Psychologie-Lexikon“ (hrsg. von U. TEWES/K. WILDGRUBE, München-Wien 1992) findet sich unter dem Stichwort „Wirtschaftspsychologie“ nur folgende Umschreibung: „Teilgebiet der Psychologie, das sich mit dem psychoökonomischen Verhalten im weitesten Sinne befasst und insbesondere mit psychologischen Aspekten der Produktion und des Konsumverhaltens“. Produktion und Konsum. Von Handel keine Spur. Dabei äußert sich nicht nur der größte Teil des Konsumverhaltens im Einzelhandel, sondern Handelswerbung belegt auch längst erhebliche Zeitstrecken der Rundfunk- und Fernsehwerbung - von der Internet-Präsenz des stationären
1.1 Problematik
3
Handels und des Versandhandels sowie von Millionen im Internet werbender Quasi-Händler ganz zu schweigen. Auf der anderen Seite führt die Trennung der Ökonomie in Volks- und Betriebswirtschaftslehre, vor allem die hochgradige Spezialisierung innerhalb der beiden Zweige, immer weiter weg von interdisziplinärer Arbeit – trotz gelegentlicher gegenteiliger Beteuerungen. Was den Handel betrifft, so kulminiert ausgerechnet an dieser Nahtstelle zwischen gewerblicher und konsumtiver Wirtschaft die Nichtzuständigkeit. Die meisten Volkswirte halten den Handel in der QUESNEYschen Tradition nach wie vor wenn nicht für die „classe stérile“, so doch für eine Art „quantité négligeable“. Auch wenn die jüngeren Ökonomen den Einzelmenschen und sein scheinbar irrationales Verhalten entdecken – in den Kreislaufmodellen taucht der Binnenhandel jedenfalls nicht auf. Nur der Außenhandel lässt sich schlecht negieren wegen der erwünschten Handels- und Zahlungsbilanzgleichgewichte und des unerwünschten Beschäftigungsexports oder des Inflationsimports. Die meisten für Marketingfragen zuständigen Betriebswirte sind mit category management (CM), customer relation management (CRM), supply chain management (SCM), efficient consumer response (ECR), key account management (KAM) und „IT-gestützten Supportsystemen im Sinne moderner Business-Intelligence-Lösungen“ (J. ZENTES) beschäftigt – weit entfernt von interdisziplinärer Sicht des Handelsbetriebs und qualitativen Lösungsansätzen, um die sich gerade psychologisches Handelsmanagement kümmern muss. Das an der Universität Graz angebotene Studium "Marketing und Handelsbetriebslehre für Psychologen" stellt eine ebenso seltene wie erfreuliche Ausnahme der interdisziplinären Lehre dar. Dass die Anfänge der ökonomischen Wissenschaft in der von Rudolf SEYFFERT so genannten Handlungswissenschaft des 15. bis 18. Jahrhunderts liegen und die Wiege der Betriebswirtschaftslehre an den deutschen Hochschulen in den ersten Handelshochschulen in Aachen und Leipzig (1898), ist bei der Fixierung auf moderne Business Tools in Vergessenheit geraten. Heute stehen in Deutschland nur noch wenige Handelslehrstühle über hundert Marketing-Lehrstühlen gegenüber, also im Wesentlichen Lehrstühlen für industrielle Absatzpolitik.
Wenn schon die Fachökonomen dem Binnenhandel wenig Aufmerksamkeit widmen, kann es nicht überraschen, dass vom Handel tangierte Nachbardisziplinen, wie z.B. Architektur, Städtebau, Raumplanung, Logistik, Soziologie oder Psychologie, ihrerseits kaum Lehr- und Forschungsanstrengungen zu Handelsfragen unternehmen. So nimmt es nicht wunder, dass selbst in dem enzyklopädischen Beitrag „Wirtschaftspsychologie“ aus der Feder eines Wirtschaftssoziologen der Handel übersehen wird: „Die im Rahmen einer Wirtschaftspsychologie ebenso elementaren wie dominanten Handlungsfelder lassen sich unschwer als Produktion und Konsumtion bzw. Tätigkeit und Aneignung bezeichnen und sowohl ökonomisch wie psychologisch gegenüberstellen und aufeinander beziehen“ (WIENDIECK 1986, S. 53). Robert NIESCHLAG hatte schon Recht mit seinem Wort vom Handel, den alle brauchen, aber niemand liebt. Es gilt wohl auch für Psychologen.
4
1 Einführung
Soweit das Vordergründige. Das Hintergründige zum Beziehungsfeld Psychologie und Handel beinhaltet die eigentliche Problematik: In beiden Bereichen, in zwei harmlosen Sammelbegriffen „Psychologie“ und „Handel“ zusammengefasst, verbergen sich nämlich eine außerordentlich hohe Komplexität und ungeahnte Verbindungsschwierigkeiten, die auch den interessiertesten Forscher, Lehrer oder Autor alsbald vor der gleichzeitigen und gleichrangigen Beschäftigung mit beidem wieder zurückschrecken lässt. Wenigstens in Umrissen sei kurz dargelegt, warum die Wissenschaften von der menschlichen Psyche und vom Handel so schlecht zueinander finden – in der Theorie, versteht sich, nicht in der Praxis. In der Praxis sind alle erfolgreichen Handelskaufleute gute Psychologen. Sonst hätten sie keinen Erfolg. Ob alle erfolgreichen Psychologen auch gute Kaufleute wären, mag offen gelassen werden, zumal der Erfolg des Psychologen sich nicht so eindeutig in einer Gewinn-und-VerlustRechnung niederschlägt. Zehn Gründe für die Schwierigkeiten, Psychologie und Handel in Verbindung zu bringen, wären zu nennen: 1. Psychologische Erkenntnisse zielen auf den einzelnen Menschen ab, auf individuelles Erleben und Verhalten, auf individuelle Wahrnehmung, auf individuelles Lernen und Vergessen, individuelle Motive, Wünsche, Ängste. Durch ein einziges Weltstadtwarenhaus bewegen sich an einem einzigen Samstag gut und gern 60.000 Individuen mit unterschiedlichsten Wahrnehmungen, Bedürfnissen, Wünschen und Ängsten. 2. Selbst wenn man auf „Gesetzmäßigkeiten“ der Psychologie zurückgreift oder auf empirisch überprüfte Verhaltenshypothesen, von denen die eine von 74,3% der überprüften Frauen mit Abitur und die andere von 62,5% der männlichen Nichtraucher bestätigt wurde, so ist damit noch keine verlässliche prognostische Relevanz garantiert. Verhaltensweisen und Wahrnehmungen ändern sich ständig, und im Grunde bräuchte man für jede neue psychotaktisch angelegte Entscheidung einen maßgeschneiderten Test. 3. Der Rückgriff auf „Gesetzmäßigkeiten“ ist auch im Handel eine gewagte Angelegenheit. Die Handelsstrukturen, die Branchen, die Betriebsformen, die Betriebsgrößen, die Standorte, die Sortimente und die demographischen Strukturen der Lieferanten und der Kunden sind ungemein verschieden. Was der Buchhändler in der Ib-Lage der Großstadt an Psychologie mit Erfolg in seine Warenpräsentation steckt, kann für den Möbeldiscounter im nahen Einkaufszentrum womöglich geschäftsschädigend sein. Was für ein Weltstadtwarenhaus gelten mag (psychologisch feinfühlige Beobachtung vorausgesetzt), gilt schon nicht mehr für eine Warenhausfiliale in einer Kleinstadt. Und was für den Gemüsehändler auf dem Großmarkt die zielführende Werbepsychologie ausmacht, das ließe sich von einem exklusiven Juweliergeschäft nur unter der Gefahr des totalen Kundenverlusts imitieren. Selbst branchen-, betriebsformen- und strukturgleiche Handelsbetriebe können die Psychostrategien und -taktiken der Mitbewerber nicht ohne weiteres übernehmen; in der Regel müssen sie sich geradezu polarisierend von ihnen abheben. Selbst die Jahrzehnte alte Handelsregel all business is local gilt angesichts des Vordringens des standort-unabhängigen elektronischen Handels, der zweiten Revolution im Handel, nicht mehr. 4. Daher ist auch das Maßschneidern psychologischer Tests im Handel eine wahre Sisyphusarbeit. Psychologisch sauber angelegte Tests im Handel, d.h. sprachliche und sprachfreie Tests, Platzierungstests und Testkäufe als projektive Tests wie Formdeute- oder RORSCHACH-Test oder MURRAYs thematischer Apperzeptionstest TAT, sind nicht nur rar aus Mangel an Fachleuten, sie sind auch zeitaufwändig und teuer. Was sich die
1.1 Problematik
5
Konsumgüterindustrie in Zusammenarbeit mit Marktforschungs- und Werbeagenturen nicht selten für Millionen-Etats leisten kann, z.B. monatelange Produkttests, das Herausfinden der optimalen Flaschenform oder des überzeugendsten Schließgeräuschs von Kühlschränken, das ist im Handel wenig sinnvoll. Der Handelsbetrieb lebt von der Schnelligkeit und vom operativen Geschäft – vom „richtigen Riecher“. Auf die monatelange und kostspielige Überprüfung des Einflusses automatischer Türen auf die Psyche von potenziellen Kunden verzichtet der scharf kalkulierende Handelsmanager aus gutem Grund. 5. Fehlende psychologische Gesetzmäßigkeiten und aus Kostengründen unterlassene psychologische Hypothesentests für die vielen Entscheidungen im Handelsbetrieb erfahren in gewissem Maße auch eine Rechtfertigung durch die mangelnde Zurechenbarkeit einzelner psychologisch angelegter Entscheidungen auf das Betriebsergebnis – eine ähnliche Problematik wie bei der sog. Direkten Produktrentabilität (DPR). Ob und wann die Grenzerträge einer psychologisch begründeten Entscheidung ihren Grenzkosten gleich sind, lässt sich kaum eruieren. Die wenigen bislang angestellten Untersuchungen bzw. Modelle über eine Operationalisierung von Kosten und Erträgen von ökonomischpsychischen Beziehungen sind überdies an der Erzeugung von Sachgütern, also produktionstheoretisch orientiert, jedoch nicht an der Dienstleistungsproduktion (vgl. MÜNZBERG 1987). 6. Allgemeine individual- wie sozialpsychologische Erkenntnisse sind im Handel nicht zuletzt deshalb so schwer umsetzbar, weil Menschen mit entgegengesetzten Psychostrukturen gleichermaßen als Kunden umworben werden müssen – von den seltenen Fällen äußerster Spezialisten abgesehen (z.B. ein Schiffsausrüster im Yachthafen, eine Keramikboutique oder eine Samengroßhandlung). Die einen leiden an einer RolltreppenPhobie; ihretwegen muss das Warenhaus begehbare Treppen und/oder Aufzüge bereithalten. Die anderen lieben Rolltreppen; ihretwegen könnte das Warenhaus auf Aufzüge verzichten. Wieder andere leiden an Rolltreppen- und Aufzug-Phobie; sie müssen die Magnetabteilung in der fünften Etage über Treppen erklimmen. Ob sie dabei glücklich sind oder unglücklich? Vom solchem Treppensport kann die jeweilige Befindlichkeit, die über den gewünschten Wandel vom Gelegenheits- zum Stammkunden so entscheidend ist, abhängen, muss es aber nicht. Und welch unterschiedliche Kaufmotive treiben die Konsumenten zum Kauf im Einzelhandel an! Von der schlichten Versorgungsnotwendigkeit oder der Suche nach Schnäppchen (value shopping) oder Neuigkeiten (idea shopping) bis zu dem Gefühl, in eine andere Welt einzutauchen (adventure shopping), oder zur Kompensation schlechter Stimmungen (gratification shopping) reicht das breite Motivspektrum, das Konsumpsychologen zu immer neuen Sammlungen von Kaufmotiven veranlasst (vgl. EVANS/JAMAL/FOXALL 2006, S. 17-20). 7. Psychologisch gestützte Handelsmarktforschung vermag gewiss Einiges an Erkenntnissen hervorzubringen. Nicht nur kann mit Hilfe der klassischen Methoden der Befragung und der Beobachtung auch ein Handelsbetrieb Interessantes aufdecken. Nur: Immer lauern die Gefahren der mangelnden Objektivität, Validität und Reliabilität. Demoskopische Befragungen haben die fatale (für demoskopische Institute freilich die Segen spendende) Eigenschaft, dass immer Ergebnisse dabei herauskommen, bis auf zwei Dezimalstellen genaue Ergebnisse, korrekte Rechnung unterstellt. Aber ob die Ergebnisse gut und mit Aussicht auf geschäftlichem Erfolg umsetzbar sind, das ist eine andere Frage.
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1 Einführung Die Demoskopen kennen die Vielfalt der Fehlerquellen: Ja-Sage-Tendenz, InterviewerBias, psychologische Rationalisierung usw. Strikt vermeiden lassen sie sich nicht, allenfalls mindern, dies jedoch nur um den Preis aufwändiger mehrfach gesplitteter Probandenmengen und/oder Wiederholungsbefragungen. Was die Beobachtung betrifft, so ist sie weitgehend frei von den subjektiv-demoskopischen Mängeln und ermöglicht objektive, ökoskopische Befunde. Aber auch hier muss psychologisches Geschick walten. Teilnehmende Feldbeobachtung in biotischer Situation kann aufschlussreiche Befunde erbringen. So sind die Kundenlaufrichtungen, die Kunden-Verweilpunkte im Supermarkt, das Passantenverhalten vor einem Schaufenster, das Verkäuferverhalten oder das Einkaufsverhalten beim E-Commerce statistisch durchaus messbar. Aber welche Motive, Wünsche, Träume, Sehnsüchte oder Ängste, welche Akzeptanz- oder Reaktanzweisen den Kunden, Passanten, Verkäufer oder Einkäufer beseelen, das gerade ist nicht erkennbar. Sich auf Ergebnisse von Konsumentenbefragungen zu verlassen, kann für einen Handelsbetrieb glatt in die Irre führen: In den 50er Jahren wurde die Selbstbedienung von über 80 Prozent der Befragten abgelehnt. Den danach einsetzenden Siegeszug der Selbstbedienung kennen wir alle. Die dritte Methode der Handelsmarktforschung, das Experiment, scheint allerdings recht gut zur psychologischen Absicherung von Managemententscheidungen geeignet zu sein. Die Auswirkung der Änderung einer isolierten Variablen lässt sich im Allgemeinen relativ leicht messen. Nur: Die Ergebnisse sind ex-post-Werte ohne Garantie für prognostische Verlässlichkeit. Aber immerhin – aus genauer Experimentanordnung zu wissen, dass die Dienstagspreissenkung für ein Glas Gewürzgurken um 15% im Verlauf des ersten Tages zu 28% und im Verlauf der ersten Woche um durchschnittlich 24% Mehrabsatz geführt hat, ist schon eine wichtige Ausgangsinformation. Solche Experimente sind dank Scanning und der Anlage von Kundenprofilen beim E-Commerce oder über lernende Funketiketten (radio frequency identification tags, RFID) leicht durchzuführen. Preiselastizitäten und Kreuzpreiselastizitäten der Nachfrage (oder des Angebots) sind ebenfalls keine theoretischen Abstraktionen mehr, sondern über Scanning erfassbar.
8. Aus dem Vorstehenden ergibt sich ein Dilemma: Ökoskopische Daten aus Beobachtung oder Experiment, objektiv überprüfbare Daten über die „Dinge an sich“, sind demoskopischen Daten, kaum überprüfbaren subjektiven Meinungsäußerungen, zwar vorzuziehen, aber die hinter den objektiven Befunden stehenden psychischen Situationen, Gründe und Motive werden nicht sichtbar. Sie können allenfalls durch geschickte Zusatzbefragung „herausgekitzelt“ werden (elicitation-Technik). Damit aber nicht genug der Probleme: Über Psychisches können sich Menschen im Allgemeinen nur bewusst äußern. Wie viele Verhaltensweisen werden jedoch unbewusst gesteuert! Diese unbewussten Triebkräfte für bestimmtes Handeln oder Unterlassen, die individuelle Verhaltensbereitschaft zu kennen, wäre für die psychologische Handelsbetriebsführung besonders wichtig, aber „ein so tiefes Eintauchen in die Beweggründe des Konsums“ ist dem Handelsmanager normalerweise nicht möglich. (KÜTHE 1980, S. 42) 9. Man sollte sich, vor allen den Handelskaufleuten vor Ort, aber nichts vormachen! Noch so aufwändige psychologische Untersuchungen können kaufmännische Intuition und Innovation nicht ersetzen. Psychologisch richtige, geschickte, zweckmäßige Entscheidungen können kaum wissenschaftlich generiert oder begründet werden. Erst ex post, nachträglich, kann man den mehr oder minder großen Erfolg wissenschaftlich überprüfen. Insoweit ist Psychologie als Kontrollwerkzeug unverzichtbar. Aber ex ante, als
1.1 Problematik
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Planungsinstrument können die Wissenschaften von der Psyche und vom Handel nur sehr begrenzt dienen. Mit dem richtigen Riecher zur rechten Zeit am rechten Ort eine neue Idee zu realisieren, das ist und bleibt die große Kunst des Kaufmanns. Manchmal werden auch gute Ideen zur falschen Zeit oder am falschen Ort realisiert und erweisen sich als Flop. Man denke nur an die erfolglosen Versuche mit fahrbaren Läden im Berlin der 20er Jahre oder an die kläglichen Versuche mit Teleshopping zu Beginn der 80er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. Heute zählt das Einkauffernsehen zu den am stärksten wachsenden Vertriebsformen des Einzelhandels. Oder man denke an das Füllhorn neuer Ideen, das Peter KAUFMANN in seinen Schweizer Globus-Warenhäusern ausschüttete. Seine Häuser wurden Anfang der 70er Jahre zu Sehenswürdigkeiten, zu wahren Attraktionen, nachdem ihre Abteilungen in "Erlebnisbühnen" umgewandelt wurden. Aber sie schrieben bald rote Zahlen, weil die Besucher zwar das neue Erlebnis genossen, aber dabei das Kaufen vergaßen. Erst ein Dutzend Jahre später setzte die Reifezeit für den "Erlebnishandel" ein. Die Jubelkommentare seiner vermeintlichen Entdecker und der scharenweise auftretenden Propagandisten werden manchem noch in Erinnerung sein. 10. Ist im Handel die neue Idee, die gerade nicht in Lehrbüchern stehende neue Idee, immer noch der beste Erfolgsfaktor, so bewirkt im Medienzeitalter das ungeheure Diffusionstempo eine alsbaldige Paralysierung des Erfolgs durch Nachahmung. Realisieren alle oder viele dieselbe neue Idee, hebt sich ihr Erfolg durch die Multiplizierung bald wieder auf. Neue Ideen, gerade auch die psychologisch bemerkenswerten Ideen, sind im Handel – anders als in der Industrie – so gut wie nicht patentierbar. Sie werden unverzüglich abgekupfert, meist ohne langwierige Analysen. Postmoderne Umbauten, Revitalisierung von Shopping Centern, Vergrößerungen von Schaufenstern oder klinisch weißer Außenanstrich der Fachgeschäfte – in wie kurzer Zeit haben solche Änderungen sich durchgesetzt! Die Kundenerwartungen steigen auch in dieser Hinsicht. Wer seine alten Guckkastenschaufenster oder seine glanzlose Außenbeleuchtung nicht modernisiert und up to date hält oder wer sich einen eigenen Internet-Shop oder wenigstens einen Internet-Auftritt versagt, der verstößt gegen eine psychologisch leicht erklärbare Handlungsmaxime der Kunden: Er gilt als inkompetent und wird durch ausbleibende Kundschaft bestraft. Allen Schwierigkeiten zum Trotz, die Wissensgebiete Psychologie und Handel zu verbinden, sollen im Folgenden die Umrisse für eine Synthese gezeichnet werden, die als eine wissenschaftliche Teildisziplin mit Handelspsychologie bezeichnet sei und auf S. 19 in einer vorläufigen Arbeitsdefinition umschrieben wird. Der Praktiker, zumal derjenige, der sich seines psychologischen Geschicks einigermaßen sicher ist, könnte einwenden: Wozu sollte mir eine Wissenschaft von der Psychologie im Handel dienen, wenn sie keine praktischen Rezepte beinhaltet? Als Antwort sei auf die beabsichtigte Doppelstrategie der Horizonterweiterung hingewiesen: • Zum einen soll ein Basisbewusstsein für psychologisches Handelsmanagement entwickelt werden. Wer bislang psychologischen Fragen im Handel keine oder nur eine untergeordnete Bedeutung zumaß, der sollte durch die Lektüre angeregt werden, diese Black Box des unternehmerischen Denkens aufzuhellen. Das gilt für die „alten Hasen“. Aber auch „Unternehmer-Novizen“ (novice entrepreneurs) seien ermuntert. Womöglich ermuntert die Lektüre den einen oder anderen Leser mit der Doppelbegabung für unter-
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1 Einführung nehmerisches und psychologisches Handeln auch erst dazu, sein Glück in der Praxis des Groß- oder Einzelhandels oder der Handelsvertretung zu suchen.
• Zum anderen sollen vorhandene Bewusstseinsansätze für psychologisches Handelsmanagement erweitert werden. Durch Überprüfen des ganzen Spektrums der Entscheidungen im Handelsmarketing soll ein Gespür für differenzierteres psychologisches Vorgehen entwickelt werden. Wer bislang schon mit Erfolg als Verkaufskanone tätig war, soll auch die psychologischen Elemente bei Einkaufsverhandlungen in den Blick nehmen. Wer in der sogenannten Medienwerbung psychologische Elemente mit Erfolg berücksichtigt, mag künftig verstärkt auf psychologische Elemente in der Ladengestaltung achten. Wer bislang in der Schaufenstergestaltung sein psychologisches Betätigungsfeld sah, mag künftig Überlegungen zu psychologischer Farbgebung, zu psychologisch zweckmäßiger Argumentation in Finanzierungsfragen oder zum Aufbau einer überzeugenden Internet-Plattform mit ins Kalkül ziehen. Mit anderen Worten: Nicht nur einzelne Betätigungsfelder, sondern die ganze Breite des Handelsmarketings sollte systematisch auf psychologische Zweckmäßigkeit und Verbesserung hin überprüft werden. Dazu hält dieses Buch jedenfalls Entdeckungsstrategien und Heuristiken bereit.
1.2
Ausgangssituation, Ziele und Nutzen einer Handelspsychologie
1. Eines kennzeichnet die Ausgangssituation für ein zu schaffendes System der Psychologie im Handel besonders deutlich: das auffällige Fehlen von Fachliteratur zu psychologischen Problemen im Handel. Im deutschen Sprachraum existieren bislang erst zwei Monographien zu diesem Thema (SCHENK 1995; HURTH 2006). Auch die Aufsatzliteratur und Beiträge in Sammelwerken über psychologische Probleme des Handels sind spärlich, wenn man von zahlreichen Beiträgen zum Verbraucherverhalten einmal absieht. Etwas günstiger sieht es im angelsächsischen Sprachraum aus. Dort werden, zumindest in den handels- und absatzwirtschaftlichen Fachzeitschriften, insbesondere im Journal of Retailing, gelegentlich psychologische Untersuchungsergebnisse vorgetragen und diskutiert, meist Analysen über das Käuferverhalten. Die betriebswirtschaftliche Literaturdatenbank Wilson Business Abstracts (WBA) z.B. wies für den Fünfjahreszeitraum bis Anfang 1993 insgesamt 34 Aufsätze zur kombinierten Abfrage „trade/consumer behavior“ aus. In den deutschsprachigen Standardwerken der Handelsbetriebslehre und des Handelsmarketings ist eine systematische Behandlung psychologischer Fragen regelmäßig ausgeklammert. Selbst Nachschlagewerke wie das „Gabler Lexikon Vertrieb und Handel“ (1998), das 1015 Seiten starke „Handbuch Handel“ (2006) oder der KATALOG E (2006) enthalten kein einziges Stichwort zu psychologischen Fragen im Handel. Der letzte enzyklopädische Beitrag über „Psychologie des Verkaufs“ (von F. SCHLIEPER im „Handbuch des Einzelhandels“, hrsg. von R. SEYFFERT) stammt aus dem Jahr 1932!
1.2 Ausgangssituation, Ziele und Nutzen einer Handelspsychologie
9
Selbst in jüngeren Abhandlungen zum Käuferverhalten, etwa in der Wirtschaftspsychologie oder im Neuromarketing, ist zwar von der Integration der Psychologie in die Absatzwirtschaft die Rede, aber die Ausführungen zum Verhalten zwischen Anbietern und Nachfragern gehen nicht selten von der realitätsfernen Modellannahme aus, Anbieter seien die Hersteller und Nachfrager die Konsumenten. Diese (fiktiven) Beziehungen müssten dann psychologisch mit Hilfe von Produktgestaltung, Preispolitik, Wahl der Absatzwege und Werbung optimiert werden. Aus der Fülle der Belege sei nur ein willkürlich ausgewählter wiedergegeben: „Ein Unternehmer ist in aller Regel nicht nur daran interessiert über eine Ist-Analyse zu erfahren, inwiefern ein Teil seiner Kunden positive Einstellungen zu seinen Produkten und ein anderer Teil weniger positive Einstellungen hat, während die Nichtkunden, z.B. Kunden der Konkurrenz, ceteris paribus eine positive Einstellung zu den Produkten der Konkurrenz haben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Unternehmer versuchen wird, Einstellungen bei seinen Kunden, aber auch Nichtkunden zu erzeugen bzw. zu verändern, um seine relative Marktposition zu verteidigen“ (MÜNZBERG 1987, S. 141). Auch wenn dieses Konstrukt mit „realitätsnahem Bezug“ charakterisiert wird, ist die Gleichsetzung von „Unternehmer“ mit „Hersteller“ und „Kunde“ mit „Konsument“ meilenweit von der Realität entfernt. Mit Ausnahme des Direktvertriebs über das Internet sind die Kunden des Herstellers im Allgemeinen gewerbliche Abnehmer, Großhändler, Vertriebssysteme oder Verbundgruppen mit Großhandelsfunktion, Einzelhändler, Handwerker oder sonstige Gewerbetreibende, aber gerade nicht die Konsumenten. Allenfalls wird in vergleichbaren Modellen noch auf die Notwendigkeit der Einbeziehung sozialer Determinanten in die Anbieter-NachfragerInteraktionen am Beispiel des personal selling, regelmäßig aus Herstellersicht, hingewiesen. Dass sich Konsumentenverhalten jedoch im Regelfall im Einzelhandel äußert, wird meist übersehen ... (vgl. etwa von ROSENSTIEL/NEUMANN 1988 und WISWEDE 1988b). Schließlich zeigt ein Blick in Standardwerke der Wirtschaftspsychologie rasch, dass psychologische Probleme im Handel ausgesprochen peripher behandelt werden, wenn überhaupt. In Sachwortregistern sucht man vergeblich nach Stichwörtern wie Handel, Einzelhandel oder Großhandel (vgl. FREY/VON ROSENSTIEL/HOYOS 2005 oder KIRCHLER 2003). Es besteht eine ausgesprochene Diskrepanz zwischen der erheblichen praktischen Bedeutung von psychologisch abgestützten Entscheidungen, wie sie in allen Handelsunternehmen anfallen, und der weitgehenden Ignoranz psychologischer Fragestellungen in Handelslehre und -forschung (vgl. SCHENK 1991, S. 333). Täglich sind Tausende von Handelsunternehmern darum bemüht, psychologische Elemente in ihr Kalkül aufzunehmen, teils unsystematisch, teils sehr wohl systematisch, manchmal ausgesprochen raffiniert. Nicht nur die Großen des Handels – Warenhäuser, SB-Warenhäuser, Universalversender, Fachmärkte, Filialunternehmen, Franchise-Systeme und sonstige Kooperationen des Handels –, sondern auch die Kleinen – Fachgeschäfte, Spezialgeschäfte, Boutiquen und die „Alternativen“ –, sie alle praktizieren Psychologie im Handel, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. In die Fachliteratur finden Psychostrategien und -taktiken der Handelsbetriebsführung hingegen so gut wie keinen Eingang. Psychologie im Dienste der Gestaltung aller vier handelstypischen Märkte – Absatzmarkt, Beschaffungsmarkt, Konkurrenzmarkt, interner Markt – ist überall wahrnehmbar. Vor allem bei der Gestaltung des Absatzmarkts von Handelsberieben ist Psychologie unverzichtbar. Dabei spricht die Psychologie im Dienste des Verkaufens alle Sinne an:
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1 Einführung
Die auffällig gestaltete Anzeige, die wohlbeleuchtete, vielleicht bewegte Warenauslage im Schaufenster, die psychologisch eingesetzten Deckenhänger, die Schütten und die Grifflücken im Supermarkt-Regal, sie sprechen das Auge, den Gesichtssinn an. Der erste Warenkontakt erfolgt fast immer über das Auge, oft genug schon außerhalb des Ladenlokals durch die Schaufenster, die mit Glanz, Kunst und theaterähnlichen Inszenierungen nicht nur ganze Straßenzüge beleben, sondern auch das Image des Geschäfts prägen. Aber es lauern in den optischen Überzeugungsversuchen auch psychologische Gefahren. So hat z.B. die Modepräsentation durch hübsche junge Models positive und negative Effekte: Positiv wirkt das angenehme, idealisierte Erscheinungsbild, negativ wirkt auf viele Kund(inn)en die oftmals fehlende Identifikationsmöglichkeit. Die Lautsprecherdurchsage im Fachmarkt oder der Ladenfunk im Warenhaus, die sanfte Hintergrundmusik im Fachgeschäft, der dröhnende Beton-Beat im Disco-Shop für die Jugend, sie sprechen das Ohr, den Gehörsinn an. Für gehobene Unterhaltung und eine entspannte Einkaufsatmosphäre sorgt zur Teezeit ein Pianospieler z.B. in der Horten-Cafeteria oder auf der Piazza des Rhein-Ruhr-Zentrums. In der Hamburger Hansa-Passage unterhält ein Pianospieler selbst am Sonntagvormittag nicht nur die Gäste des Mövenpick-Restaurants, sondern auch manchen window shopper. Erhebliche Probleme wirft die sogenannte Hintergrundmusik auf, selbst in Branchen und Läden, die dafür geeignet erscheinen. Die Musik muss neutral sein, möglichst ohne Gesang, damit der Text nicht ablenkt. Die Lautstärke muss den unterschiedlichen Geräuschpegeln in verschiedenen Abteilungen angepasst und zu verschiedenen Tagesszeiten je nach Besucherfrequenz differenziert werden, was mehrere separat regelbare und daher aufwändige Beschallungsanlagen erfordert. Dauerwiederholungen mit Hilfe sogenannter Endlosbänder nerven die Mitarbeiter. In Warenhäusern kann die akustische Schmerzgrenze erreicht werden, wenn gleichzeitig aus verschiedenen Quellen Musik (CD-Abteilung), Durchsagen (Ladenfunk; Lautsprecher) und persönliche Anpreisungen (Propagandisten) auf die Kundschaft einströmen. Aber nicht nur raumfüllende Musikdarbietungen und Durchsagen beeinflussen die Menschen in der Verkaufssituation. Selbst winzige Klangpartikel können auf das Kundenverhalten einwirken. So berichtet ein Tabakwarenfachhändler von Kunden, die – durch die Auslage von Dupont-Feuerzeugen im Schaufenster angeregt – nach einem Exemplar aus dem unteren Preissegment fragen. Sie bekommen es vorgeführt. Dann zückt der Geschäftsinhaber sein eigenes Dupont-Feuerzeug. Es erzeugt beim Zünden einen kurzen silbernen Glockenklang, den edlen Dupont-typischen Klang, wie es in der Werbung heißt, also wie alle Modelle aus dem höheren Preissegment. Der Verkauf eines solchen teureren Exemplars lässt nicht lange auf sich warten... Die Käseprobe auf dem Wochenmarkt, das Schwarzwälder Schinkenhäppchen im Delikatessen-Markt und die Wurstscheibe für Kinder an der Fleisch- und Wursttheke sprechen als gustatorische Reize den Geschmackssinn der Kunden an und lösen unmittelbar Kaufwünsche aus. Der Teppichboden vor dem Schaufenster, die vor dem Laden an Ständern wippenden Textilien, die verschiedenen Bodenbeläge im Weltstadtwarenhaus, sie sprechen den Tastsinn an. In der Sinnlichkeit des Warenkontakts und des stofflichen Erlebens liegt einer der spezifischen Vorteile des Handels gegenüber anderen Wirtschaftsstufen und dem Angebot im ECommerce. In vielen Branchen wissen die Verkäufer, dass ein Stück fast schon verkauft ist, wenn es nur in die Hand genommen bzw. gereicht wird. Jeder Juwelier und Preziosenhändler kennt die Suggestivkraft des Körperkontakts mit der Ware: Eine Goldkette ist rasch verkauft,
1.2 Ausgangssituation, Ziele und Nutzen einer Handelspsychologie
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wird das gute Stück der Kundin vor dem Spiegel nur angelegt – selbstverständlich bei weichem Licht und mit der Bekräftigung „Das steht Ihnen ganz wunderbar, gnädige Frau!“. Der Kundin eine Reihe von Alternativen vorzulegen, erschwert dagegen nur ihre Kaufentscheidung – oder verhindert sie gänzlich. Und der Kaffeeduft, der aus der (selbstverständlich offenen) Tchibo-Filiale in die Fußgängerzone dringt, oder der Lederduft, der einer Düse oberhalb des Eingangs zum Lederwarengeschäft entströmt, sie sprechen den Geruchssinn an. Nicht nur in der exklusiven Delikatessen-Abteilung von Weltstadtwarenhäusern wie dem Londoner Harrod’s, dem Züricher Kaufhaus Jelmoli oder dem Berliner KaDeWe wirken die verlockenden Düfte aus den Probierständen und Zauberküchen suggestiv. Wenn das „Wasser im Munde zusammenläuft“, dann ist der Absatz schon halb garantiert... Das Problem unangenehmer Duftmischungen von verschiedenen Warenkreisen, das sich manchem Großbetrieb des Einzelhandels stellt (falls er nicht bewusst die basarähnliche Mischung präferiert), kann bautechnisch durch Abtrennung der betreffenden Abteilungen oder durch Entlüftung gelöst werden. Die bauliche Abtrennung der hocheleganten Parfümerieabteilung von den übrigen Warenhaus-Abteilungen erfolgte allerdings nicht nur unter psychologischen Aspekten (Fachgeschäft-Illusion); vielmehr wurde sie von namhaften, über Anbietermacht verfügenden Parfum-Herstellern verlangt. Die große Rätselfrage ist stets: Wie wirkt der sinnliche Impuls? Positiv? Negativ? Wenig? Zu wenig? Stark? Zu stark? Wird er bewusst wahrgenommen oder unbewusst? Wird er überhaupt wahrgenommen? Kein Zweifel: Psychologie im Handel ist ein wichtiger, wenn auch scheinbar geheimnisvoller Erfolgsfaktor. Darüber schweigt die Forschung und die Wissenschaft, die sich sonst so intensiv mit Erfolgsfaktoren beschäftigt. Auch wenn sich in der Handelsliteratur vereinzelte Ansätze zu psychologischen Fragestellungen finden, so sind sie doch durch mangelnde Systematik gekennzeichnet. Sie sind punktuell – hier ein Satz zur psychologischen Preisstellung, dort ein Abschnitt zur psychologischen Farbgebung bei der Ladengestaltung (interior design). Es fehlt jedoch allenthalben an einer zusammenfassenden Übersicht. Und wenn in den absatz- und handelswirtschaftlichen Zeitschriften kleinere psychologische Experimente referiert oder praktische Empfehlungen mitgeteilt werden, dann setzen sie nicht selten auf Leichtgläubigkeit unkritischer, psychologisch nicht sonderlich geschulter Leser. Erinnert sei nur an die (vermutlich nicht eben unentgeltliche) Empfehlung eines Münchner Fachpsychologen an das Rat suchende SBWarenhaus, zur Orientierung für die Kundschaft möge man bei der Warengruppe Elektrohaushaltswaren einen stilisierten Tauchsieder als Piktogramm verwenden. Aber was ist von einem solchen Rat zu halten, wenn schon in einer studentischen Seminargruppe viele überhaupt nicht wissen, was ein Tauchsieder ist, einige mit seiner Funktionsweise nicht vertraut sind. Genauso gut oder schlecht – das ist die psychologische Frage – könnte man ein Bügeleisen oder einen Kaffeeautomaten fürs Piktogramm vorschlagen. Kurz: Nicht nur mit der Allgemeingültigkeit von psychologisch begründeten Handlungsempfehlungen, sondern auch mit dem konkreten Rat im Einzelfall hat es seine Tücken. Eng verwandt hiermit ist das grundlegende wissenschaftstheoretische Problem der Immunisierung von psychologischen Experimenten, sei es im Laborversuch, sei es in der betrieblichen Praxis: Sie entziehen sich durchgängig einer Falsifizierung. Wie schon gesagt wurde, sind psychotaktisch abgesicherte Befragungsergebnisse immer richtig. Ob sie auch praxeolo-
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1 Einführung
gisch zweckmäßig und zielführend sind, schlecht oder gut oder verbesserungsfähig – das bleibt regelmäßig unbeantwortet. Wie viel Aufwand wird gelegentlich betrieben für den Nachweis, die Zeitungsanzeige sei optimal platziert auf einer Mantelseite, oben rechts oder oben links oder in der Mitte! Dass es nicht nur auf die Lage, sondern – viel wichtiger – auf die Gestaltung der Anzeige, auf den Bedeutungskontext, auf das Genre der Werbebotschaft, das Umfeld und – vor allem – auf die divergierenden Lesegewohnheiten ankommt, wird dann gern unterschlagen. Wie sollen aber auch alle Faktoren bei allen Lesern ermittelt werden? Und dann der Paralyse-Effekt gleich oder ähnlich gestalteter Werbebotschaften! Wie sich in einem Buch, in dem jeder Satz unterstrichen wird, am Ende nichts mehr hervorhebt, so heben sich auch gleiche oder ähnliche Anzeigen in ihrer Wirkung teilweise wieder auf. Ganz aufheben können sie sich wohl nicht. Sonst wäre die Praxis der Lebensmittelfilialisten nicht zu erklären, in Zeitungsinseraten und Handzettelwerbung fast austauschbar ähnlich mit Preishervorhebungen für ausgewählte (bekannte) Markenwaren zu werben. 2. Die Ziele eines zu schaffenden Systems der Psychologie im Handel ergeben sich aus einer ganzen Reihe von Fragen, die zu einer Beschäftigung mit dem Thema „Handel und Psychologie“ veranlassen: Können wissenschaftliche Aussagen zum Thema begründet werden? Liegen realistische und empirisch überprüfte Hypothesen zu Thema vor? Ist ein Transfer von Erkenntnissen aus der allgemeinen Psychologie oder aus besonderen Fachpsychologien auf die Handelspsychologie möglich? Sind empirische Beobachtungen im Handel analog zu Beobachtungen aus anderen Bereichen der Wirtschaftspsychologie zu behandeln? Können psychostrategische und psychotaktische Entscheidungen aus anderen Bereichen der zwischenmenschlichen Lebensgestaltung für Entscheidungen des Handelsmanagements nutzbar gemacht werden? Auch wenn nicht auf alle Fragen umfassende Antworten gegeben werden können, auch wenn die Aussichten auf unumstößliche Wahrheiten gering sind, so ist das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen Psychologie und Handel doch einen Versuch wert, Bekanntes und Aufschlussreiches einmal zusammenzutragen, kritisch zu sichten und zu systematisieren. Kaum anders als dem Handelskaufmann, der mit Geschick und Fingerspitzengefühl, mit dem richtigen Riecher, also durchaus psychologisch motiviert, seine Lieferanten, seine Kunden, seine Kapitalgeber und seine Mitarbeiter für seine Geschäftsideen zu gewinnen trachtet, ergeht es auch dem Wissenschaftler, der sich dem Thema „Psychologie im Handel“ nähert: Die wissenschaftliche Neugier treibt ihn an, die Geschäftsideen zu sammeln und zu sichten, seien es die erfolgreichen, seien es die erfolglosen, die psychologisch geschickten oder die psychologisch weniger geschickten, die realisierten oder die noch nicht realisierten Ideen. Der Überblick über das Instrumentarium psychologischen Handelsmanagements als solcher – auch wenn er keine Rezeptsammlung sein kann – bietet dem Handelsunternehmer und -manager Anregungen für die eigene Geschäftspolitik. Manches kann übernommen, kopiert werden, anderes kann ohne große Mühe modifiziert werden. Ein besonderer Anreiz liegt darin, dass auch Klein- und Mittelbetriebe die aufzuzeigenden Möglichkeiten psychologischer Betriebsführung nutzen können. Während für manchen Bereich des Handelsmarketings und der strategischen Handelsbetriebsführung eigene Abteilungen und Experten im Unternehmen erforderlich werden, die sich fast nur Großunternehmen, Konzerne und Verbundzentralen leisten können – man denke nur an Handelsmarktforscher, Handelsmarken-
1.2 Ausgangssituation, Ziele und Nutzen einer Handelspsychologie
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Betreuer oder Justitiare –, können Klein- und Mittelbetriebe sehr wohl (und wohlfeil) ohne spezielle organisatorische Vorkehrungen psychologische Überlegungen in ihre Entscheidungen einfließen lassen. Im Regelfall gelingt ihnen die Sozialisation jedes einzelnen Mitarbeiters, die Entwicklung eines Wir-Gefühls aller Mitarbeiter und ihr Hineinwachsen in das Normen- und Wertesystem sogar leichter als den weniger überschaubaren Großbetrieben mit ausgeprägter Aufgabenteilung. 3. Können einzelne psychologische Befunde aus der händlerischen Entscheidungspraxis zu einer Verbesserung der Theorie beitragen? Können theoretische Überlegungen, Hypothesen und „Gesetzmäßigkeiten“ und ihre kritische Analyse zur Verbesserung der psychologischen Handelsbetriebsführung beitragen? Wem nützen die praktischen Befunde und die theoretischen Konzepte? Solches sind Fragen nach dem Nutzen eines Systems der Psychologie im Handel. Kein Zweifel: Jede wissenschaftliche Bemühung um einen Forschungsgegenstand nützt zunächst der jeweiligen Fachwissenschaft. Ihr Baum der Erkenntnis wächst um den einen oder anderen Spross. Nun sind mit der Thematik einer Handelspsychologie zwei disparate Fachwissenschaften angesprochen. Es ist zu hoffen, dass beide Wissenschaften Anregungen erhalten, und sei es nur die Anregung zu stärkerer interdisziplinärer Forschung. Im Vordergrund steht jedoch eine Nutzenerwägung für die Handelspraxis: dem Handelsmanagement Fingerzeige für die Anreicherung des Marketinginstrumentariums um psychologische Elemente zu geben. Es gilt, über die objektive sachlich-technologische Märktegestaltung hinaus die subjektiven Kategorien, die Fülle der unterschiedlichsten Motive, Triebe, Affekte, Kognitionen auf allen vier Märkten des einzelnen Handelsbetriebs zu berücksichtigen. Der erwartete Nutzen hängt allerdings in hohem Maße von der aktiven Mitarbeit des Managements ab. Das sei kurz am Krisenmanagement exemplifiziert. Veränderte Marktund Wettbewerbsbedingungen, neue Informationstechnologien, Wertewandel in der Konsum- und Arbeitswelt und viele andere kritische Faktoren können dazu führen, dass Handelsunternehmen in existenzgefährdende Situationen geraten. Das Handelsmanagement hat nicht nur Unternehmenskrisen, sondern auch Teilkrisen zu vermeiden: Managementkrisen wie Beziehungskrisen zu Kunden, Lieferanten, Mitbewerbern und Mitarbeitern. Bislang schien es auszureichen, Krisensymptome zu erkennen und zu kurieren. Wie empirische Studien zeigten, legten Krisengewinner ihre Aktionsschwerpunkte auf Verstärkung des Verkaufs/der operativen Marktbearbeitung, auf Fokussierung auf bestehende Kunden und auf klare Profilierung. Dagegen maßen Krisenverlierer der Rabattgewährung auf breiter Front, der Ausweitung von Dauerniedrigpreis-Konzepten, preisaggressiver Werbung, Kostensenkung durch Personalabbau und Kostensenkung durch Redimensionierung die größere Bedeutung bei (vgl. LIEBMANN/GRUBER 2005). Das Kurieren an Symptomen durch Erkennen der Krisenursachen zu ersetzen, liegt nahe. Noch wichtiger ist jedoch ein weiterer Schritt: die "Ursachen der Ursachen" zu identifizieren, die Triebkräfte hinter den externen und internen Krisenursachen und -symptomen! Damit betritt man das Feld der psychologischen Analyse. Dann kann aus taktisch kurierendem Krisenmanagement ein strategisch effizientes Krisenmanagement werden. Es sei jedoch vorweg klargestellt: Es geht nicht darum, immer raffiniertere und immer besser versteckte Manipulationstechniken zu vermitteln. Kurzfristig mag für den Handelsbetrieb ein raffinierter Psychotrick von Nutzen sein. Wichtiger ist der langfristige Erfolg, und der stellt
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1 Einführung
sich aus psychologischer Sicht nur ein, wenn die Geschäftspartner nicht manipuliert, nicht hintergangen, übervorteilt oder hinters Licht geführt werden, sondern wenn sie stets als mündige Partner behandelt werden. Dass die meisten Konsumenten in den entfalteten Marktwirtschaften heutzutage längst keine „Konsumäffchen“ (W. KROEBER-RIEL) mehr sind, wird allenthalben wenn nicht sichtbar, so doch spürbar. Man denke nur an zunehmendes kritisches Bewusstsein, an verbreiterte Bildung und bessere Information (vergleichende Warentests, Internet-Preisvergleiche usw.), an zunehmende Immunisierung, wenn nicht sogar zunehmende Reaktanz gegenüber psychologisierender Werbung und – vor allem – an ein hohes Maß an Konsumerfahrung. Aus dem von Werner SOMBART so bezeichneten „Ärmelausreißgeschäft“ ist längst ein psychosozialer Interaktionsprozess zwischen bedürfnisorientierten Verkäufern und sachkundigen Käufern geworden.
Die angesprochene mündige Partnerschaft macht eine eigenständige Handelspsychologie nicht überflüssig. Im Gegenteil. In Zeiten globaler Märkte und des Warenüberflusses (mit dem prinzipiell positiven Effekt, dass nicht Anbieter, sondern Nachfrager am längeren Machthebel sitzen) und der Informationsüberfülle, des information overload (mit dem prinzipiell negativen Effekt zunehmender Kundenverwirrung, der consumer confusion) müssen erfolgreiche Handelsunternehmer, -manager und -mitarbeiter sich mit Psychologie beschäftigen. Zwar wird es ihnen relativ wenig nützen, ARISTOTELES’ Temperamentstypen (Sanguiniker, Melancholiker, Choleriker, Phlegmatiker), die KRETSCHMERschen Konstitutionstypen (Pykniker, Leptosome, Athletiker), Persönlichkeitstypen wie die narzisstische, die selbstunsichere, die zwanghafte oder die histrionische, d.h. übertrieben agierende Persönlichkeit (nach EHRHARDT/BUSCHMANN 2007, S. 84f.), unterscheiden zu können; dafür mischen sich die reinen Typen in den einzelnen Menschen zu stark und dafür ist das situationsabhängige Verhalten ihrer Marktpartner viel zu differenziert und zu wenig prognostizierbar. Dennoch sind psychologische Grundkenntnisse für die Mitarbeiter im Handel hilfreich auf dem Wege, die Rolle von Konsumpsychologen erfüllen zu lernen, wie andernorts Menschen die Rollen von Kinderpsychologen, Betriebspsychologen oder Verkehrspsychologen übernehmen. Auch wenn die Einsicht nicht neu ist, aus dem Munde eines amerikanischen Filialunternehmers klingt es immer noch überzeugend, wie diese Rolle am besten erfüllt wird: "What is best for my customers is best for my business".
1.3 Begriffliche und inhaltliche Abgrenzungen
1.3
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Begriffliche und inhaltliche Abgrenzungen
Handel und Psychologie sind nicht leicht miteinander zu verbinden. Das hat auch begriffliche Ursachen. Scheinbar liegen Welten zwischen beiden Bereichen. Hier die Welt des Individuums, dort die Welt der Waren? Hier die Lehre vom Erleben und Verhalten des Menschen, von Subjekten, dort die Lehre von der Bewegung der Waren, von Objekten? Akademischem Brauch folgend ist es ratsam, die vermeintlich verschiedenen Welten zunächst terminologisch näher ein- und abzugrenzen. Die Definitionen des Handels sind leider zahlreich, heterogen und oft unzweckmäßig für einen Brückenschlag hin zur Psychologie. Handel sei Umsatz, Beschaffung und Absatz, Güterverkehr, sagen die einen in Anlehnung an R. SEYFFERT. Nur: Auch Herstellbetriebe beschaffen Güter und setzen Güter ab. Die Definition ist also unspezifisch und trifft die Tätigkeit und Leistung von Handelsbetrieben nicht genau. Andere definieren – ein wenig in die Irre geleitet durch J. FOURASTIÉs makroökonomische Dreiteilung der Gesamtwirtschaft in primären, sekundären und tertiären Sektor – Handelsbetriebe als Dienstleistungsbetriebe, also als Betriebe des tertiären Sektors, die keine materiellen Güter, sondern immaterielle Güter hervorbringen, typischerweise Sortimente als die Zusammenfügung von Waren verschiedener Hersteller. Nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz zutreffend. Dienstleistungen werden zweifellos immer von Handelsbetrieben erbracht, aber die erbringen auch Herstellbetriebe und – vor allem – die reinen Dienstleister, etwa Beratungsunternehmen, Reisebüros, Auskunfteien usw. Was die reinen Dienstleistungsbetriebe von den Handelsbetrieben jedoch unterscheidet, ist das Warengeschäft; es gehört stets zum Handels-, aber nicht zum Dienstleistungsunternehmen. Auch definieren einige den Handel als Tätigkeit der Überführung der Güter aus der Naturordnung in die Kulturordnung (E. SCHÄFER) – dies ist zu abstrakt und empirischer Messung unzugänglich. Wieder andere übernehmen die Standarddefinition der ehemaligen KATALOGKOMMISSION, gemäß welcher in funktionalen Handel (Tätigkeit des Umsatzes, d.h. Beschaffung und Absatz von nicht selbst be- oder verarbeiteten Waren an Dritte) und institutionalen Handel (Einrichtungen, die ausschließlich oder überwiegend Handel im funktionalen Sinn betreiben) unterschieden wird – eine sinnvolle, auch für empirische Messungen geeignete Definition, die überdies Raum lässt für weitere Differenzierungen (Eigen-/Fremdgeschäft, Art der beteiligten Wirtschaftssubjekte, Art der ausgetauschten Güter, Grad der Be- oder Verarbeitung der abgesetzten Waren, Art der vertraglichen Beziehung über Leistung und Gegenleistung) (vgl. MÜLLER-HAGEDORN 1998, S. 18f.). Allerdings werden hier weder die arteigenen, unverwechselbaren Leistungen des gesamten Handels wie des einzelnen Handelsbetriebs sichtbar noch lässt diese Definition viel Raum für psychologische Ansatzstellen. Welcher Irrtum liegt jedoch in der Definition des Handels als "Einkauf der Waren, um sie mit Gewinn wieder zu verkaufen", also einer Definition, die nur auf ein Motiv abstellt: Gewinnerzielungsabsicht. Bestimmt dieses Motiv nicht jegliches unternehmerisches Tätigwerden? Die spezifischen, unverwechselbaren Leistungen des Handels trifft diese Definition jedenfalls nicht. Vollends unzweckmäßig erscheint die modernistische Bezeichnung „Distribution“ für Handel. Auf die entsprechenden Definitionsversuche soll gar nicht erst eingegangen werden; denn mit Distribution = Verteilung lenkt man – wissentlich oder unwissentlich – von den bedeutenden Leistungen des Handels nur ab. Verteilt werden Flugblätter und Gulaschsuppe.
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1 Einführung
Und wie oft wird der Begriff Handel falsch oder pejorativ verwendet! Da ist vom „Datenhandel“ die Rede, wenn über die finsteren Praktiken der unerlaubten Telefonwerbung von Call Centers berichtet wird. Da wird vom „Mädchenhandel“ mit Ländern des fernen und näheren Ostens gesprochen. Da befasst sich sogar eine Doktorarbeit mit dem „Image-Malus“ des Handels, mit „einer kritischen Einstellung weiter gesellschaftlicher Teile gegenüber dem Handel“, wie es im Geleitwort heißt (BENDIG 2005, S. IX). Davon ist der Warenhandel strikt abzugrenzen! Der (Waren-)Handel in seiner Gesamtheit wie jeder einzelne Handelsbetrieb leistet etwas ganz anderes, etwas Spezifisches – und erheblich mehr als Güterverteilung: Handel ist permanente und simultane Organisation von Absatzmärkten für verschiedene Anbieter von Waren und von Beschaffungsmärkten für verschiedene Nachfrager nach Waren und Diensten. Diese Umschreibung gilt sowohl makroökonomisch für die Gesamtheit der Handelsbetriebe als auch mesoökonomisch für Handelsgruppen und mikroökonomisch für jeden einzelnen Handelsbetrieb. Sie macht deutlich, dass der Handel, insbesondere der stationäre Handel, für die Marktwirtschaft etwas Konstitutives leistet, was kein anderer gewerblicher Bereich leistet: Er produziert Märkte, und zwar keine abstrakten, sondern ganz konkrete Orte des Güterund Diensteaustauschs. Ganz ähnlich generiert der Internet-Handel konkrete, wenn auch orts- und zeitlose Gelegenheiten zu Warenabsatz und Warenbeschaffung. Gleichzeitig verdeutlicht diese Umschreibung, dass jeder Handelsbetrieb selbst einen eigenen kleinen Markt darstellt, was sogar in Bezeichnungen für einige Betriebstypen Eingang gefunden hat (Großmarkt, Supermarkt, Fachmarkt usw.). Dieser betrieblichen Märkte können sich beide, Lieferanten und Kunden, gleichermaßen mit Nutzen bedienen, obwohl ihre jeweiligen Interessenlagen höchst unterschiedlich sind. Der Vollständigkeit halber ist zu ergänzen, dass der klassische Handelsbetrieb über die Märktegenerierung hinaus noch andere, für die Marktwirtschaft ungemein wichtige Leistungen erbringt. Durch die Zusammenstellung von Waren verschiedener Hersteller zu Sortimenten generiert er Produktübersicht, also Wettbewerb unter den Produkten, der sich sonst nicht oder nur weniger intensiv herausbilden könnte – schließlich ist USP (unique selling proposition) das höchste Marketingziel der Hersteller, also eher Wettbewerbsmeidung denn Wettbewerbssuche. Ferner nimmt der Händler im Regelfall des Eigengeschäfts den Lieferanten das gesamte Absatzrisiko ab wie er den Kunden die Beschaffungsrisiken abnimmt. Durch den Einkauf und die Bezahlung der beschafften Ware finanziert er die Lieferanten, die aus den Erlösen ihrerseits die fortgesetzte Leistungserstellung finanzieren können, ebenso wie er die Kunden finanziell entlastet. Und wenn man die aus aller Welt beschafften Waren – chinesische Woks, französische Parfums, Indianer-Mokassins und Tibet-Teppiche – in ein und demselben Warenhaus betrachtet, dann wird die kulturelle Funktion des Handels, die Heranführung an unterschiedlichste Kulturkreise, sehr deutlich. Auch dies ist eine Leistung, die wegen ihrer vermeintlichen Selbstverständlichkeit kaum noch wahrgenommen wird. Auf eine Reihe von weiteren spezifischen Leistungen des Handels soll hier nicht näher eingegangen werden. Immerhin wird mit dieser definitorischen Abgrenzung eines erreicht: Durch die Schaffung von Märkten, durch die Erzeugung von Produktwettbewerb, durch Risikoüber-
1.3 Begriffliche und inhaltliche Abgrenzungen
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nahme und durch Verschaffung des Zugangs zu verschiedenen Kulturen ist das menschliche Element einbezogen. Auf seinen Beschaffungsmärkten, auf seinen Absatzmärkten, auf seinen Konkurrenzmärkten und auf seinem internen Markt der Betriebsstätte hat es jeder Händler immer auch mit Menschen zu tun. Und deren unterschiedliches Erleben und Verhalten zwingt geradezu zu psychologischer Überprüfung seines Handelns. Aber nicht nur der Handel als Organisator der Märkte und der marktwirtschaftlichen Austauschprozesse zwischen den Wirtschaftssubjekten, sondern jedwedes Wirtschaften führt letztlich in Bereiche des Psychischen. Vordergründig ist Wirtschaften die Bereitstellung von Gütern und Diensten zur Befriedigung von Bedarf. Knappe Ressourcen und im Prinzip unbegrenzter Bedarf verlangen wirtschaftliches Handeln: ein gegebenes Bedarfsdeckungsziel mit möglichst geringem Aufwand erreichen bzw. bei gegebenem Aufwand den Ertrag des Wirtschaftens möglichst zu maximieren. Letzter Sinn und Zweck des Wirtschaftens ist immer Konsum, Bedarfsbefriedigung. „The only end and means of all production is consumtion“, lehrte Adam SMITH schon 1776. Diese Erkenntnis ist unbestritten. Wenn man den Bedarf näher betrachtet, dann stößt man auf psychologische Kategorien. Bedarf ist die sich an den Märkten in monetärer Form konkretisierende Nachfrage zur Deckung dahinter stehender Bedürfnisse. Und jedes Bedürfnis ist gemäß der treffenden Definition Carl MENGERs „die Empfindung eines Mangels, verbunden mit dem Wunsch, diesen zu beseitigen“. Empfindungen und Wünsche – was sind sie anderes als psychische Befindlichkeiten! Die zur Bedürfnisbefriedigung erworbenen und ver- oder gebrauchten Güter stiften Grundnutzen oder Zusatznutzen oder beides. Im Englischen trägt dem die Unterscheidung in functional needs und psychological needs Rechnung, nach der z.B. der Kauf eines einfachen KMartHemds ein funktionales Bedürfnis und der Kauf eines höherwertigen Hilfiger-Hemds (das den Käufer als modebewussten Träger auszeichnen soll) ein psychologisches Bedürfnis deckt (LEVY/WEITZ 2004, S. 112). Psychologie ist ebenfalls nicht einfach zu definieren. Hier mag es genügen, einer vorläufigen Arbeitsdefinition zu folgen, welche Psychologie als die Wissenschaft und Lehre vom menschlichen Verhalten und Erleben und den zugrundeliegenden Beweggründen (Triebe, Motive, Persönlichkeitszüge, Einstellungen und unterschiedliche situative Bedingungen) versteht (vgl. LÜCK/RIPPE/TIMÄUS 1984, S. 16). Die Einbeziehung der Beweggründe in die Definition ist schon deshalb angezeigt, weil sich auch andere Wissenschaften mit dem Verhalten von Menschen beschäftigen (Ökonomie, Soziologie, Jurisprudenz, Medizin usw.), ohne allerdings die Motivationen immer im einzelnen analysieren. Auf streng erfahrungswissenschaftlichem Boden steht die Definition der Psychologie als „die Wissenschaft, welche die bewussten Vorgänge und Zustände mit ihren Ursachen und Wirkungen sowie ihre Rolle bei der Entwicklung der Persönlichkeit zu untersuchen hat“ (ROHRACHER 1988, S. 4). Mit dieser Definition wird allein auf bewusstes Handeln und Erleben abgestellt; der Bereich des Unbewussten wird ausgeklammert, da die Existenz unbewusster psychischer Vorgänge als Tatsache empirisch nicht zu beweisen sei, sondern nur Annahmen, Hypothesen über Unbewusstes formuliert werden könnten (vgl. ROHRACHER 1988, S. 9). Dieser Ansatz wird hier ebenso wenig vertreten wie der Standpunkt vieler amerikanischer Psychologen, Psychologie habe nur das Verhalten zu untersuchen und könne das bewusste Erleben nicht untersuchen, weil es subjektiv sei. Über die Zielsetzung der Psychologie wird man unschwer Übereinkunft erzielen können. Sie strebt nämlich danach, menschliches Verhalten und Erleben zu beschreiben, zu erklären, vorherzusagen und auf der Basis ihrer Erkenntnisse zu gestalten (vgl. FRANKE/KÜHLMANN 1990, S. 38). Dies ist zunächst ein auf das Individuum abstellendes
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Forschungs- und Lehrverständnis. Diese Orientierung am Einzelfall, die ideographische Methode, ist durchaus nicht unwissenschaftlich. Welch hochkomplexe psychische und physische Verarbeitungsprozesse zwischen Umweltreizen, dem Sinnessystem, dem Muskelsystem und dem Aktivierungssystem des Individuums ablaufen und welche Rolle die Langzeit- und Kurzzeitspeichersysteme im menschlichen Gehirn spielen, ist Gegenstand naturwissenschaftlicher Spezialforschung. Sie muss hier nicht nachvollzogen werden. In einem kursorischen Überblick wird in Abb. 6 darauf kurz zurückzukommen sein. Die meisten Psychologen bemühen sich jedoch darum, Gesetzmäßigkeiten für das menschliche Verhalten und Erleben durch experimentelle Hypothesenprüfung an großen Zahlen (Personen, Fälle, Ereignisse) herauszufinden (zu diesem sog. nomothetischen Vorgehen vgl. LÜCK/RIPPE/TIMÄUS 1984, S. 16). Es leuchtet unmittelbar ein, dass psychologische Elemente in der Handelsbetriebsführung auch nicht nur auf einzelne Individuen bezogen sein können. Die Beziehungen eines einzelnen Handelskaufmanns mit allen seinen Lieferanten, Geldgebern, Kunden, Mitarbeitern und mit der Öffentlichkeit sind fast unzählbar und im Übrigen wegen ihrer Dynamik nicht mehr umfassend darstellbar. Sie müssen vereinfacht dargestellt werden. Es müssen in der Regel Annahmen über einigermaßen homogenes Verhalten und Erleben von Gruppen von Individuen getroffen werden. Nun sind bestimmte Gruppen von Menschen, ihr Verhalten und ihr Erleben eher Gegenstand der Sozialpsychologie oder der Soziologie. Für dieses Thema ist es jedoch zweitrangig, ob und inwieweit Psychologie sozialbestimmtes Verhalten von Individuen mitumfasst und ob Sozialpsychologie auch das Verhalten des einzelnen in der Masse, in sozialen Verbänden wie der Familie oder in sonstigen sozialen Gruppierungen (Referenzgruppen) mitumfasst. Und die Klassen, Schichten oder sozialen Verbände der Soziologie mögen ihrerseits verhaltensbeeinflussend sein. Kurz: Die andernorts berechtigte und verständliche Abgrenzung von Psychologie, Sozialpsychologie und Soziologie mit einer mehr oder weniger großen gemeinsamen Schnittmenge soll hier keine große Rolle spielen. Für den Handelsmanager wäre dies ein wenig ergiebiger akademischer Streit. Schließlich hat der Propagandist im Warenhaus Menschen aller möglichen sozialen Schichten mit allen möglichen sozialen Steuerungsmechanismen und allen möglichen Bedürfnisstrukturen biogenetischer vs. psychogenetischer Art vor sich. Und ob die Wirkung des Werbebriefs eines Fachgrossisten auf seine Stammkunden Gegenstand der Psychologie, der Sozialpsychologie oder der Soziologie sein sollte, ist hier irrelevant. Dass, wie und warum der Werbebrief wirkt, welche Wirkungen eine Änderung des Brieftexts, seiner Aufmachung oder seines zeitlichen Einsatzes hervorrufen wird, das interessiert den Handelspsychologen in erster Linie. Eine kurze definitorische Anmerkung noch zu den Begriffen psychotaktisch/Psychotaktik und psychostrategisch/Psychostrategie. Mit den Begriffen psychotaktisch und psychostrategisch soll in knapper Form zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich bei den bewusst psychologisch orientierten bzw. abgesicherten Entscheidungen entweder um − mehr kurzfristig wirkende, laufende, delegierbare, risikoärmere Entscheidungen oder um − mehr langfristig wirkende, fundamentale, von der Unternehmensleitung zu treffende risikoreichere Entscheidungen handelt. Die entsprechende psychologisch orientierte Gestaltungsweise kommt dann in den Begriffen Psychotaktik bzw. Psychostrategie zum Ausdruck.
1.3 Begriffliche und inhaltliche Abgrenzungen
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Auch die Wahl des Begriffs Handelspsychologie bedarf einer begrifflichen Anmerkung. Im Jahre 1912 begründete Hugo MÜNSTERBERG mit seinem Hauptwerk „Psychologie und Wirtschaftsleben“ – in den USA 1913 leicht verändert als „Psychology and Industrial Efficiency“ erschienen – eine allgemeine, von ihm so bezeichnete Wirtschaftspsychologie mit den vier Arbeitsfeldern 1. Psychologie gesamtwirtschaftlicher Prozesse, 2. Marktpsychologie, 3. Organisationspsychologie und 4. Arbeitspsychologie. Sie hat sich inzwischen als selbstständige Lehr- und Forschungsdisziplin weitgehend etabliert. Als Teilgebiet der Marktpsychologie dürfte die Werbepsychologie am stärksten ausgebaut sein. Eine stattliche Reihe von literarischen und empirischen Untersuchungen psychologischer Fragen im Handel legt es nahe, der allgemeinen Wirtschaftspsychologie eine weitere besondere an die Seite zu stellen, eine Handelspsychologie. Es bleibe dahingestellt, wer psychologische Phänomene im Handel mit der rechten Kompetenz zu behandeln habe. Die Kompetenzgrenzen sind offenbar fließend – beschäftigt sich doch z.B. der Wettbewerbsjurist mit Fragen des psychologischen Kaufzwangs (auch in Handelsbetrieben), der Kriminologe mit Kleptomanie (Stehlsucht) und Ladendiebstahl, der Neurologe mit Einkaufsstress (von Kunden und Mitarbeitern im Einzelhandel) und der Ökologe mit energieverschwendenden Luxus-Geschenkverpackungen, etwa für Parfümerieartikel. Versteht man Wirtschaftspsychologie als diejenige Teildisziplin der angewandten Psychologie, die sich mit dem Verhalten und Erleben von Menschen generell im wirtschaftlichen Kontext befasst (vgl. WISWEDE 1991, S. 21), dann müsste – analog – Handelspsychologie als diejenige Teildisziplin der angewandten Psychologie definiert werden, die sich mit dem Verhalten und Erleben von Menschen im Bereich des Handels befasst. Da sowohl die Forschungsgegenstände als auch die Forschungsimpulse weniger von psychologischer als von ökonomischer Seite aus angegangen werden, schlägt der Vf. vor, die Handelspsychologie nicht als eine Teildisziplin der Psychologie, sondern als eine Teildisziplin der Handelsbetriebslehre zu verstehen. Diese Einordnung entspricht seinem Vorschlag, Handelsmarketing nicht als Teildisziplin eines allgemeinen Marketings, sondern als eine Teildisziplin der Handelsbetriebslehre bzw. des Handelsmanagements zu verstehen. Daher mag die folgende vorerst als Arbeitsdefinition genügen: Handelspsychologie ist die Wissenschaft vom menschlichen Verhalten und Erleben im Handel und den zugrunde liegenden Beweggründen. Auf eine inhaltliche Abgrenzung ist noch hinzuweisen. „Der“ Handel in seiner ganzen Breite der Tätigkeiten und Erscheinungsformen kann hier nicht erfasst werden. Insbesondere zählt zum Handel allein der Warenhandel, nicht jedoch der Handel mit Wertpapieren und Devisen. Sodann beschränken sich die Ausführungen in diesem Buch grundsätzlich auf den Einzelhandel und seine Managemententscheidungen, in erster Linie auf den institutionellen Einzelhandel, in zweiter Linie auf den funktionalen Einzelhandel, um auch psychostrategische Entscheidungen des Online-Handels mitzuerfassen (s. die Abgrenzung auf S. 15). Der
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Außenhandel mit seinen zahlreichen spezifischen Problemen des transnationalen Markthandelns (Transportwesen, Außenhandelsvertretungen, Dokumente, Kalkulation, Risiken, Zahlungsverkehr, Finanzierung usw.) sowie seines spezifischen Rechtsrahmens (Außenwirtschaftsrecht, Zollwesen, Vertragsrecht) muss ausgeklammert bleiben. Auch müssen psychologische Managementfragen im Großhandel zurückgestellt werden, zumal die vielfältigen Großhandelsbranchen und -betriebsformen oft mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten aufweisen (vgl. Stahlgroßhandel, Pressegroßhandel, Großhandel mit Obst und Gemüse; einzelwirtschaftlicher vs. genossenschaftlicher Großhandel usw.). Gleichwohl wird manche auf den Einzelhandel bezogene Anregung auch auf großhändlerische Marketingentscheidungen und auf den weiten Bereich der Absatzmittler (Handelsvertretungen, Kommissionäre, Handelsmakler) übertragbar sein.
1.4
Anmerkungen zur Methodenwahl und zum Aufbau
Zwei so komplexe und weite Wissensgebiete wie Psychologie und Handel miteinander zu verbinden, das bringt eine Reihe von Problemen zur Wahl der rechten Methode(n) mit sich. Zunächst ist zu beachten, dass beide Wissensgebiete über eine Vielzahl von Verfahren zur Erkenntnisgewinnung verfügen. Einige sind für beide anwendbar. Hier sind vor allem die Methoden der empirischen Sozialforschung zu nennen: Beobachtung, Befragung und Experiment als allgemeine, Profilanalyse oder vergleichende Studien als besondere Verfahren. Einige Verfahren sind eher fachspezifisch. Man denke nur an die tiefenpsychologische Exploration oder die psychologischen Testverfahren (Intelligenztest) einerseits, an Morphologie (Klassifikation und Typologie), Demoskopie und Ökoskopie oder Kennzahlenanalyse andererseits. In der Praxis haben sich jedoch auch Schwerpunkte beim Einsatz der Methoden der empirischen Sozialforschung gebildet. So sind z.B. die qualitativen Untersuchungsverfahren der unstrukturierten freien Beobachtung und der unstrukturierten offenen Befragung – zumal unter Laborbedingungen – besser in der Hand des erfahrenen Psychologen aufgehoben, während die quantitativen Untersuchungsverfahren der strukturierten und standardisierten Beobachtung und Befragung – zumal unter Feldbedingungen – eher von Handelsforschern vorgezogen werden. Die Gründe liegen weniger im Erkenntnisgegenstand als vielmehr im Erkenntnisinteresse des Forschers: hier vorherrschendes Interesse an statistischer Absicherung von Massenphänomenen, dort vorherrschendes Interesse an der Aufdeckung von Einzelphänomenen. Sodann stellt sich die Frage, welche der drei Teildisziplinen der wissenschaftlichen Psychologie für die vorliegende Darstellung die zweckmäßigste ist: -
Theoretische Psychologie (Forschung und Lehre mit Fragestellungen aus der Theorie),
-
Angewandte Psychologie (Forschung und Lehre mit Fragestellungen aus jeweiligen Anwendungsfeldern) oder
-
Praktische Psychologie (Diagnose und Therapie in der konkreten Situation mit Fragestellungen vom jeweiligen Interessenten).
1.4 Anmerkungen zur Methodenwahl und zum Aufbau
21
Die vom Vf. vorgeschlagene eigenständige Disziplin Handelspsychologie wäre demnach am ehesten in der Kategorie Angewandte Psychologie beheimatet, wie auch das Lehrwerk von J. HURTH nahe legt. Diese Zuordnung erscheint jedoch zu eng; denn bei psychologischen Fragestellungen im Handel kann es weder nur um die grundlagenorientierte Prüfung von Hypothesen (und tunlichst um ihre Falsifikation) gehen noch nur um anwendungsorientierte Forschung noch nur um praktische Diagnose und Therapie (die ihrerseits wieder zu Grundlagenforschung und Angewandter Forschung anregen kann). „Anzustreben ist ... keineswegs eine klare Abgrenzung, sondern vielmehr die Aufhebung der Grenzlinien.“ (ROSENSTIEL 1992, S. 29) Schließlich ist aus wissenschaftstheoretischer Sicht festzustellen, dass beide Wissensgebiete, Psychologie und Handelslehre, mit demselben Aufgabenverständnis ausgestattet sind. SCHNEEWIND beantwortet die Frage, was Psychologen tun, wenn sie in ihrem Fache tätig werden, mit vier zentralen Betätigungen: a) Beschreiben, b) Erklären, c) Vorhersagen und d) Verändern. Dabei zählen Deskription (a), Explikation (b) und Prognose bzw. Präskription (c) unbestreitbar zu den Tätigkeitsbereichen aller Humanwissenschaften, wobei an die Stelle gesicherter Vorhersagen meist Annahmen über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Handlungsfolgen rückt. Denn menschliches Verhalten ist in vielen Situationen, insbesondere in auf die Zukunft gerichteten Situationen, dadurch charakterisiert, dass Urteile und Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden müssen. Bei Entscheidungen unter Unsicherheit werden in der Regel Urteilsheuristiken angewandt. Darunter versteht man eine allgemeine, einfach anwendbare, uns meistens aber nicht bewusste Regel, die es gestattet, Urteile und Entscheidungen auch unter ungünstigen Informationsbedingungen schnell und einigermaßen treffsicher zu fällen – mit dem Nachteil, dass sie fehlerhaft sein können (vgl. RAAB/UNGER 2005, S. 120). Zu den bekanntesten Urteilsheuristiken zählen die Verfügbarkeitsheuristik, die Repräsentativitätsheuristik und Empfindungen als Entscheidungsgrundlage (vgl. WERTH 2004, S. 2-58). Soweit Managemententscheidungen nicht routinemäßig getroffen werden oder auf gesicherten Erkenntnissen oder formalstatistischen Informationen beruhen, müssen für sie auch im Handel Urteilsheuristiken herangezogen werden. Interessant, wenngleich nicht unbestritten ist die Aufnahme des Betätigungsbereichs Modifikation des Verhaltens bzw. Handelns und Erlebens (d) in das Wissenschaftsprogramm der Psychologie. Sie wird wie folgt begründet: „Sieht man einmal davon ab, dass selbst bei einer Beschränkung auf Beobachtung, Erklärung und Prognose gleichsam unbeabsichtigt durch den beobachtenden Eingriff Verhaltensänderungen beim beobachteten Individuum auftreten können, so sind bei der Mehrzahl psychologischer Problemlösungsversuche mehr oder minder explizit Verhaltensänderungen im Spiel. Die gesamte psychologische Interventionsforschung muss sich dabei sowohl dem praktischen Problem der – wenn auch nur tentativen – Festsetzung von Verhaltenszielen als auch dem technologischen Problem der Erreichung von Verhaltenszielen durch den Einsatz geeigneter Mittel stellen“ (SCHNEEWIND 1977, S. 17f.). Nicht anders verhält es sich mit dem zielgerichteten Verständnis der Handelsforschung. Sämtliche logischen Operationen und materiellen Optimierungsversuche bei ZielMittel-Entscheidungen sind nur sinnvoll unter der Zwecksetzung „Verbesserung der Handelsbetriebsführung“, also um Veränderung des Verhaltens bzw. Handelns und des „Erlebnisraums“ Handelsbetrieb, allerdings mit Bezug nicht nur auf ein einzelnes Individuum, sondern auf mehrere Marktpartner (Lieferanten, Kunden, Konkurrenten) und Marktbeteiligte (leitendes und ausführendes Personal).
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In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts lenkten zwei amerikanische Sozialpsychologen das Augenmerk auf Unterschiede im Erkenntnisprozess bei Laien und in der Wissenschaft. Zwar sind alle Menschen ständig bemüht, sich das Verhalten anderer Personen zu erklären und darauf angemessen zu reagieren. Auch das Handelsmanagement muss täglich Annahmen über das Verhalten der Kunden, der Lieferanten, der Mitbewerber und der Mitarbeiter treffen und sein Instrumentarium des Handelsmarketings angemessen und zielorientiert einsetzen. Eine eigentliche Theorie der laienhaften Erkenntnissuche erwuchs jedoch erst aus den Arbeiten von A.F. FURNHAM (Lay theories – Everyday understanding of problems in the social sciences, 1988) und A.W. KRUGLANSKI (Lay epistemics and human knowledge, 1989): die Theorie der Laienepistemologie. Vermutungen, am täglichen Leben ausgerichtete laienhafte Erklärungen seien einfacher, aber brauchbarer als wissenschaftliche, sie seien falsch oder sie seien nur Ausdruck von Vorurteilen, hat es immer schon gegeben. Aber dank Laienepistemologie werden nun Laien-Theorien und Wissenschafts-Theorien säuberlich getrennt: Diese sind explizit und mit präzise formulierten Hypothesen erarbeitet, jene sind eher implizit und weniger formalisiert; diese sind tendenziell klar und widerspruchsfrei formuliert, jene eher widersprüchlich und unklar; diese suchen Falsifikation (das sog. POPPER-Kriterium), jene Verifikation; diese sind eher an Prozessen, jene an bestehenden Zuständen interessiert, diese an möglichst allgemeingültigen Aussagen, jene geben sich oft mit spezifischen Aussagen zufrieden; diese wählen das Verfahren der Deduktion, jene gehen in hohem Maße induktiv vor usw. usw. (vgl. RAAB/UNGER 2005, S. 344-351). Von Zweifeln an der gewagten Zweiteilung der Menschheit in Laien und Wissenschaftler, die je spezifischen Methoden auf ihrer Suche nach Erkenntnis anwenden, ganz abgesehen, wollen wir uns nicht irre machen lassen. Wenn ein Drogist als Methoden-Laie feststellt, dass ein feiner Parfümduft, der aus einer Düse vor sein Schaufenster sinkt, zu mehr Kunden und zu mehr Umsatz führt als ohne Berieselung, genügt ihm dieses Ergebnis entdeckenden Lernens. Wissenschaftlich könnte man den Effekt in aufwändigen Vergleichsstudien belegen und quantifizieren, aber bis die Resultate vorliegen, hat sich vielleicht das Kundenverhalten schon verändert. Wahrscheinlich haben liebe Mitbewerber diese Idee, wenn sie gut war, inzwischen längst aufgegriffen. Im Übrigen fällt selbst eine explizit formulierte Prüfhypothese der Wissenschaftsmethode nicht vom Himmel. Sie muss auch erst jemandem einfallen... Es dürfte daher verständlich sein, dass für die vorliegende Darstellung keine bestimmte Methode durchgängig angewandt wird. Vielmehr werden ganz pragmatisch je nach Fragestellung und Materialverfügbarkeit unterschiedliche Methoden herangezogen. Auf umfangreiche eigene empirische Untersuchungen musste weitgehend verzichtet werden. Im Wesentlichen musste Sekundärforschung (desk research) betrieben werden, d.h. aus psychologischer und handelsbetrieblicher Grundlagenliteratur und aus Aufsatzveröffentlichungen beider
1.4 Anmerkungen zur Methodenwahl und zum Aufbau
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Wissensgebiete musste Material zusammengestellt werden. Statistische Durchschnittsergebnisse sind folglich nur in den seltensten Fällen mitteilbar. Was die Möglichkeiten der Primärforschung (field research) betrifft, so wurde auf Einzelbefunde aus Beobachtungen, auf Unternehmungsbesuche und auf die Unternehmergespräche zurückgegriffen, die der Vf. fast 25 Jahre lang zwischen Handelsunternehmern und Handelsstudierenden organisiert hat. Es ist unvermeidbar, dass dem vorliegenden Versuch manches an Auswahlwillkür, Zufall und Improvisation anhaften muss. Zwei Grundanforderungen an wissenschaftliche Arbeiten können nicht erfüllt werden: Vollständigkeit und empirische Prüfsicherheit. Vollständigkeit der Darstellung ist in Anbetracht der Problemweite und -komplexität geradezu utopisch. Wer sollte z.B. bei der Erstellung des Halbjahreskatalogs eines Versandhauses mit 80.000 verschiedenen Artikeln über die vollständige Kenntnis aller psychologischen Gestaltungsmöglichkeiten, über die Prüfergebnisse zu allen möglichen Alternativen oder über sämtliche Reaktionsweisen der Kunden (und der Noch-nicht-Kunden) auf jede Artikel- und Preispräsentation verfügen? Psychologische Handlungsorientierung in der Praxis ist eben nicht Wissenschaft und nur zu bescheidenen Teilen wissenschaftlich abstützbar. Zum überwiegenden Teil ist sie die kaufmännische Kunst, die auf Gespür, auf dem guten Einfall und auf Intuition beruht – im Übrigen nichts Ewiges, selten Langwährendes, sondern permanentem Versuch und Irrtum ausgesetzt. Auf die Analogie zu dem falschen Ideal vollkommener Markttransparenz sei hingewiesen: Bei völliger Kenntnis aller Konkurrenzprodukte, ihrer Preise, des Konkurrenz- und des Kundenverhaltens sowie aller ihrer Planungen käme gar kein Markt zustande. Auf die Marktlogik, dass zum Funktionieren von Konkurrenz unvollständige Kenntnis und begrenzte Marktvoraussicht erforderlich sind, hat O. MORGENSTERN schon in den 30er Jahren hingewiesen. Analog würde vollständige Kenntnis der künftigen psychischen Aktions- und Reaktionsweisen aller Marktpartner nicht zur Verbesserung der Unternehmungsführung, sondern zu ihrem Versagen führen. Mit der empirischen Prüfsicherheit (Validität, Reliabilität, Sensitivität und Generalität der empirischen Befunde) steht und fällt im Allgemeinen die Qualität einer wissenschaftlichen Untersuchung. Das gilt gewiss auch für psychologische Analysen aus dem Bereich des Markthandelns. Nur: Welche Prüfprobleme tun sich in der Praxis auf! Ein nachvollziehbares Experiment – für einigermaßen verlässliche Aussagen muss es sich zudem um ein Massenexperiment handeln – zum Zeitpunkt t0 und am Ort A kann bereits bei gleicher Experimentanlage am Ort B oder zum Zeitpunkt t1 am Ort A zu abweichenden Ergebnissen kommen. Ist das erste Experiment richtig, das zweite, sind beide richtig oder sind beide falsch? Der in der Psychologie gern eingesetzte Doppel-Blind-Versuch – ein Experiment, bei dem weder die Versuchspersonen noch der Versuchsleiter vor Ende des Experiments wissen, welche experimentelle Bedingung für welche Versuchsperson gilt – ist für komplexe Felduntersuchungen im Handelsbetrieb kaum geeignet. Ähnlich verhält es sich mit den psychologischen Forschungsmethoden, die auf Laborbedingungen angewiesen sind und zu Produkt-bezogenen Erkenntnissen, aber nicht zu Handelsbetrieb-bezogenen Erkenntnissen führen können: Blickbewegungsregistrierung, Hautwiderstandsmessung, Pupillometrie, Tachistoskopie, ImageryForschung, Kreativ-Teams usw. (vgl. hierzu SCHUB VON BOSSIAZKY 1992). Wie oft streiten die Gelehrten über psychologische Experimentergebnisse! Dazu nur ein Beispiel: Gerald J. GORN hatte im Jahre 1982 seine Ergebnisse über den Einfluss von Hintergrundmusik in der Werbung auf die Produktwahl veröffentlicht. Im Jahre 1989 berichten die Autoren J. J. KELLARIS/A. D. COX über ihre Ergebnisse zum selben Hypothesentest. Hier inte-
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ressiert nicht so sehr ihre Mitteilung, dass – im Gegensatz zu GORNs Befund – eine klassische Konditionierung (Erzeugung von unterschiedlichen Produktpräferenzen der Kunden durch Exposition mit gefälliger und weniger gefälliger Musik bei der werblichen Produktvorführung) nicht nachgewiesen werden konnte. Vielmehr erscheint ihr Hinweis beachtlicher, dass im Zeitraum 1982–1988 GORNs Ergebnis in nicht weniger als 34 Zeitschriftenartikeln kontrovers diskutiert wurde und dass trotzdem einige Lehrbücher seine These von der Möglichkeit der klassischen Konditionierung von Produktpräferenzen durch Hintergrundmusik als „well established and widely used“ aufgenommen hatten (vgl. KELLARIS/COX 1989/90, S. 113). Solche unvermeidbaren methodischen Schwächen werden der vorliegenden Einführung kaum schaden. Denn die primäre Zielsetzung liegt nicht in wissenschaftlicher Perfektion; sie ist schlichter: Es sollen Anregungen für stärkere Berücksichtigung der Psychologie in der Praxis des Handelsmarketings vermittelt werden. Für den Aufbau musste ein geeignetes Gliederungsprinzip gefunden werden. Als eher psychologische Gliederungskriterien bieten sich dafür zahlreiche Möglichkeiten an, etwa − individualpsychologische vs. sozialpsychologische Elemente in der Handelsbetriebsführung; − behavioristische, kognitivistische und psychoanalytische Orientierung der Handelsbetriebsführung; − äußerlich sichtbares Verhalten, bewusste Handlungsabläufe und Handlungsinhalte vs. äußerlich nicht sichtbare und unbewusste Handlungsabläufe und Handlungsinhalte oder − funktionsbezogene, geschehensbezogene und gestaltungsbezogene Betrachtung der Handelsbetriebsführung. Gegen diese Gliederungsprinzipien sprechen jedoch zwei Begrenzungen, 1. die begrenzte Eignung für spezifisch handelsbetriebliche Fragestellungen und 2. die begrenzte psychologische Fachkompetenz des Autors. Daher wird hier der Aufbau stärker an handelsbetrieblichen Gliederungskriterien ausgerichtet. Auch unter diesem Aspekt stehen eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, etwa − Differenzierung psychologischer Probleme und Problemlösungen nach Handelsstufen, Handelszweigen (Branchen), Betriebsformen (Betriebstypen), Rechtsformen, Betriebsgrößen und Standorten; − psychologische Elemente der Bearbeitung der vier Märkte des Handelsbetriebs (Beschaffungsmarkt, Absatzmarkt, Konkurrenzmarkt, interner Markt) und sonstiger Institutionen des Umsystems; − kaufaktbezogene psychologische Elemente in der Vorkaufsituation, in der Kaufsituation und in der Nachkaufsituation; − psychologische Elemente in den Entscheidungen über den Einsatz der produktiven Faktoren (Personal, Ware, Raum, Kapital) und des quasi-produktiven Faktors Zeit im Handelsbetrieb oder − psychologische Elemente in den Kernprozessen bzw. Kompetenzen des Handelsmanagements: Prozess-, Strategie-, Kunden-, Verkaufs-, Logistik-, Beschaffungs-, Finanzierungs-, Controlling-, Personal- und Informationskompetenz (nach RUDOLPH 2005).
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Gegen diese Gliederungsprinzipien sprechen zwei Aspekte: 1. die Gefahr der Ausuferung und 2. Engpässe bei der Materialbeschaffung zu einigen Kriterien. Beispielsweise fehlen systematische Spezialuntersuchungen über Schichten- oder wenigstens Konsumententypspezifische Akzeptanz verschiedener Betriebsformen, über Motivationsstrukturen verschiedener Kapitalgeber oder über Psychostrategien der Konkurrenzforschung. Für dieses Buch wurde deshalb ein anderes, lange bewährtes Gliederungsprinzip gewählt: die Entscheidungsfelder des Handelsmarketings. Sie dienen als verlässlicher und überschaubarer Ordnungsrahmen, wobei im Teil 3 die dominant strategischen Marketingentscheidungen und im Teil 4 die dominant taktischen Marketingentscheidungen mit ihren psychologischen Fragestellungen behandelt werden. Grundsätzlich können in allen Instrumentalbereichen des Handelsmarketings sowohl strategische als auch taktische Entscheidungen getroffen werden. Die Zweiteilung erscheint jedoch gerechtfertigt, weil die Marketingfelder in Teil 3 überwiegend Entscheidungen strategischer Art erfordern und die Marketingfelder in Teil 4 überwiegend Entscheidungen taktischer Art. In Lehrbüchern ist nicht selten fälschlicherweise von strategischen und taktischen Instrumenten des Handelsmarketings die Rede.
Nicht die Instrumente des Handelsmarketings als solche sind taktischer oder strategischer Art, sondern die Unternehmer- bzw. Managemententscheidungen über den Einsatz der Instrumente.
Wer z.B. Sonderangebote regelmäßig einsetzt (etwa ein monatliches „Goldenes Sonderangebot“), trifft eine strategische Entscheidung. Wer von Fall zu Fall oder von den Kunden nicht vorhersehbar Sonderangebote einsetzt, trifft taktische Entscheidungen – in Bezug auf dasselbe Marketinginstrument. Und wer permanent Rabatte ankündigt wie das Baumarktunternehmen Praktiker („20 Prozent auf alles – außer Tiernahrung“), setzt das Instrument Rabatt genau so strategisch ein wie der Mitbewerber Hornbach, der sich durch völligen Verzicht auf Rabattgewährung, selbst auf Personalrabatte, von seinem Mitbewerber abheben will. Einem Missverständnis ist vorzubeugen. Die Wahl des Instrumentariums des Handelsmarketings als Ordnungsrahmen bedeutet nicht, dass hier eine umfassende Entscheidungslehre des Handelsmarketings beabsichtigt wäre. Entscheidungen über den Einsatz von Instrumenten des Handelsmarketings können aus unterschiedlichsten Erwägungen, Gründen und Motiven gefällt werden, gewiss aus ganz anderen als psychologischen Erwägungen. Marketingentscheidungen können aus Liquiditätsdruck, aus Zeitdruck oder aus sonstigen betrieblichen Engpasssituationen getroffen werden, gelegentlich auch als bloße Routineentscheidungen und ohne Rücksichtnahme auf psychologische Belange. Die ganze Vielfalt von Aktionsgründen für das Handelsmarketing soll und kann nicht in Einzelheiten dargestellt werden. Sobald jedoch in irgendeiner Weise auf psychische Faktoren der Marktpartner Rücksicht genommen wird (oder zweckmäßigerweise genommen werden sollte), sei es mit langfristigkonzeptioneller, sei es mit kurzfristig-situativer Begründung, und seien die psychologischen Erwägungen auch nur peripher, dann allerdings wird dies in die vorliegende Betrachtung aufgenommen. Die getroffene Wahl des Gliederungsprinzips erlaubt es, das ganze Spektrum des Handelsmarketings (und somit die zielgerichtete und planvolle Gestaltung aller Märkte des
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Handelsbetriebs) zu untersuchen. Dass einige Entscheidungsfelder nur mühsam mit empirischem Anschauungsmaterial aufgefüllt werden können, andere eher überzulaufen drohen (Werbepolitik, Ladengestaltungs- und Präsentationspolitik) und eine Auswahl verlangen, muss in Kauf genommen werden. Der gewählte Ansatz ermöglicht es schließlich, von Fall zu Fall Differenzierungen nach bzw. Rückgriffe auf Branchen, Betriebsformen, Standorte usw. vorzunehmen. Aus wahrnehmungspsychologischer Sicht könnte der Einwand erhoben werden, dass einzelne psychostrategische und/oder psychotaktische Maßnahmen des Handelsbetriebs in der Regel gar nicht getrennt erlebt werden (vgl. KOEPPLER 1980, S. 337). Dieser Einwand mag die häufig anzutreffende Beschränkung auf Beziehungen zwischen psychologisch orientierter Werbung und Produktwahrnehmung und das durchgängige Ausklammern von psychologischen Untersuchungen im hochkomplexen Handlungs- und Erlebnisraum Handelsbetrieb, wie es bei fast allen markt- und werbepsychologischen Darstellungen festzustellen ist, erklären. Zu rechtfertigen ist die Nichtbehandlung psychologisch orientierter Entscheidungen des Handelsmanagements nicht. Der Versuch einer systematischen Analyse aller Instrumentalentscheidungen im Handelsbetrieb kann gar nicht anders angelegt werden als in schrittweisem, sukzessivem Vorgehen. Dass alle Maßnahmen ganzheitlich zusammenwirken, ist selbstverständlich. Die gewählte zielgerichtete Orientierung führt aber in ein Dilemma: Einerseits sollen Entscheidungsgrundlagen und Anregungen für neue oder verstärkte Berücksichtigung psychologischer Elemente im Handelsmarketing vermittelt werden; denn für die praktische Psychologie im Handel kommt es vor allem darauf an, schöpferisch neue Psychostrategien und -taktiken zu entwickeln und im Betrieb zu implementieren. Andererseits kann ein Buch, das sich nicht als Rezeptsammlung versteht, im Wesentlichen nur bereits erprobte, mehr oder minder bekannte Dinge aufgreifen. Dieses Dilemma muss freilich nicht allzu sehr schrecken. Denn außer der Möglichkeit, 1. autonom etwas psychostrategisch/psychotaktisch völlig Neues (externe oder interne Marktinnovation) zu entwickeln, stehen dem Handelspraktiker immer drei weitere Wege offen: 2. die unmodifizierte Übernahme von Bekanntem, das von anderen Betrieben mit Erfolg angewandt wurde, als Neuigkeit für den eigenen Betrieb (Betriebsinnovation), 3. die Modifikation, die Variation, die betriebsindividuelle Abwandlung oder Verfeinerung von Bekanntem aus anderen Branchen oder Betrieben und 4. der technologische Transfer, d.h. die Übertragung einer Gesetz- oder Regelmäßigkeit aus Bereichen der Psychologie oder Sozialpsychologie – u.U. aus völlig anderen Zusammenhängen – als Problemlösung auf den eigenen Betrieb. Für alle vier Wege der Psychologie in den Handel sollte diese Einführung Anregungen genug bieten.
2
Handel und Psychologie
2.1
Handel und Psychologie in der Theorie
Die systematisch-theoretische Beschäftigung mit dem Handel stellt den ältesten Teil der Wirtschaftswissenschaften dar. Zwar genossen theoretische Fragen des Außenhandels und des Binnenhandels je nach Perspektive (makro-, meso- oder mikroökonomische Perspektive) und je nach Methode (Beschreibung/Deskription, Erklärung/Explikation oder Anwendung/Präskription; Prognose) zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Präferenzen der Behandlung. Dass die Ideengeschichte der Handelstheorie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts psychologische Fragen hintanstellte, kann nicht verwundern, solange die systematische Erforschung des einzelmenschlichen Verhaltens, Wahrnehmens und Erlebens als eigenständige Wissenschaft noch nicht etabliert war. Gleichwohl sind immer schon in den frühen Handbüchern der italienischen, niederländischen, französischen und deutschen Handelskaufleute und in den ersten systematischen Sammlungen des Kaufmannswissens Anleitungen zu geschicktem Verhandeln und Verhalten zu finden, die aus heutiger Sicht als psychostrategische oder psychotaktische Maßnahmen gelten können. Das berühmte erste handlungswissenschaftliche Lehrwerk „Le parfait commerciant“ (1675), in deutscher Übersetzung „Der perfecte Kauffund Handelsmann“ (1676), von J. SAVARY beschreibt sämtliche Entscheidungen im damaligen Handelsbetrieb chronologisch aus der Sicht des jungen Handelsbeflissenen, der in ein Unternehmen eintritt, ausgebildet (und allgemein gebildet) wird und schließlich alle Geschäfte eigenverantwortlich ausführen muss. Die gesamte reichhaltige Literatur zum blühenden Handel in der Renaissance-Zeit enthält Beispiele dafür, wie der Handelspatron auf seine jungen Handelsdiener umsichtig einwirken soll (vgl. hierzu BRAUDEL 1986 und SCHENK 1970). Verbindungen zwischen deskriptiver Handelstheorie und psychologischer Präskription waren immer schon erkennbar. Mit der beinahe gleichzeitigen Begründung der (experimentellen) Psychologie und der Handelshochschulen (1898 in Aachen und Leipzig) beginnt im deutschen Sprachraum eine Spaltung der Wissensgebiete, die mit zunehmender Spezialisierung der Methoden und der Theoriegegenstände immer ausgeprägter wird. Heutzutage ist die Trennung von Handelstheorie und theoretischer Psychologie geradezu perfekt: In den namhaftesten handelstheoretischen Lehrbüchern findet man nicht einmal das Stichwort Psychologie, und die psychologische Theorie ist mit allem andern beschäftigt als mit Fragen des menschlichen Verhaltens im Handel. (Ausnahmen finden sich allenfalls in angelsächsischen Lehrwerken.) Entsprechend sind die Verhältnisse in der Praxis geprägt. In den Handelsbetrieben wird ohne Zweifel eine Menge an praktischer Psychologie verlangt und auch eingesetzt. Jedoch handelt es sich regelmäßig um unsystematisches, mündlich überliefertes Erfahrungswissen und um Erkenntnisse aus ständigem Versuch und Irrtum, nicht jedoch aus Lehrwerken, aus psychologischen Labors oder psychologischer Schulung. Dass andererseits Psychotherapeuten mit ihren Patienten besonders gern Warenhäuser aufsuchen, um dort deren Klaustrophobie oder Agoraphobie mit der Methode der Desensibilisierung zu kurieren, ist kein Geheimnis – eher
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2 Handel und Psychologie
schon die Frage, ob sie je mit Handelstheorie befasst waren. Übrigens, welch überraschende sprachliche Verbindung! „Agora“, der hellenistische Markt- und Handelsplatz, als Bestandteil eines psychologischen Fachbegriffs! Auf Fragen von Handel und Psychologie in der Praxis wird im Abschnitt 2.2 näher eingegangen.
2.1.1
Psychologische Hemmnisse in der Handelstheorie
Dass psychologische Erkenntnisse auffällig selten in die Handelstheorie eingehen und psychologische Erörterungen sowohl in der betriebswirtschaftlichen als auch in der gesamtwirtschaftlichen Handelslehre nur sporadisch stattfinden, ist ein Phänomen, das seinerseits nur psychologisch erklärt werden kann. An mangelnden Querverbindungen liegt es nicht. Da die Hemmnisse kaum sachlich begründet werden können, sind sie vermutlich persönlicher Art. Es handelt sich also um Hemmungen im psychologischen Sinn, um Antriebsstörungen. Einige dieser Hemmungen sollen kurz dargelegt werden. Dabei handelt es sich um nicht unbegründete Vermutungen, Hypothesen, die nur bis zum Beweis des Gegenteils gelten mögen. 1. Die Handelstheorie bzw. die Handelstheoretiker sind traditionell stark durch Waren- und Institutionen-bezogenes Denken geprägt und nicht durch menschenbezogenes Denken. Der moderne zielgerichtete Forschungsansatz, im Sinne der Entscheidungs- oder Aktionsanalyse Hinweise zur Verbesserung der Handelsbetriebsführung bzw. der Binnenhandelspolitik zu entwickeln, überspringt einzelmenschliche Verhaltenskategorien. Betriebswirtschaftliche Entscheidungen zur Sortimentspolitik, Platzierungspolitik, Preispolitik, Werbepolitik, Servicepolitik usw. werden auf die Waren fokussiert. Die Marktpartner, namentlich auf der Absatzseite des Handelsbetriebs, interessieren als Kollektiv, ggf. aufgeteilt in verschiedene Segmente, nicht als Individuen mit unterschiedlichsten Verhaltensstrukturen. 2. Die Handelstheoretiker sind meist ökoskopisch-technologischem Denken verhaftet. Ökoskopisch-psychologisches und demoskopisch-psychologisches Denken gilt im Allgemeinen als Nischendenken, das allenfalls in den Bereichen Werbung und Marktforschung zu den Analysetools gezählt wird. Neuere Theorie-Gegenstände, wie z.B. Logistik, Warenwirtschaftssysteme oder Handelscontrolling, werden völlig losgelöst von psychologischen Fragestellungen behandelt. Dabei könnte das Handelscontrolling durchaus eine Reihe von Instrumenten für psychologische Analysen heranziehen, z.B. für die interne Erfolgsrechnung Personalmotivationsvergleiche oder experimentelle Optimierung (lernorientiertes Controlling), für die externe Vergleichsrechnung komparative Imageanalysen und für die Warenwirtschaftsrechnung Optimierungsmodelle der Präsentation und der Raumproduktivität. Ferner könnte das Konzept des Benchmarking insoweit herangezogen werden, als in psychologischer Hinsicht best practices, also psychologisch vorbildliche Leistungen und Prozesse anderer Betriebe, sogar anderer Branchen (Hotels, Banken, Transportgewerbe), gezielt identifiziert und ihre Übertragung auf das eigene Unternehmen geprüft werden (vgl. HURTH 2006a, S. 885). 3. Ein Faktor, der die Wirtschaftstheorie insgesamt hemmt, ist auch in der Handelstheorie wirksam: die Orientierung an Vergangenheitsdaten, an der Sammlung empirischer Nachweise mit immer nur historischen gesicherten Werten.
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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4. Ähnlich bremsend wirkt die Bevorzugung der statistischen Massenuntersuchung. Psychologische Untersuchungen können selbstverständlich auch auf der Grundlage von Massenanalysen (Beobachtung oder Befragung von themenzentrierten Populationen) durchgeführt werden. Aber der entscheidende heiße Tipp für das Handelsmanagement, für den Wareneinkauf, für die Lagerorganisation oder für die Mitarbeitermotivation kommt doch eher aus psychologischer Einzelanalyse (gezielte Einzelbeobachtung, Einzelgespräch, Experiment, eventuell exploratives Interview oder Tiefeninterview) als aus standardisierter, auf der Vorgabe von Hypothesen oder Antwortmöglichkeiten beruhender Untersuchungsanlage. 5. In Handelstheorie und (Binnen-)Handelspolitik hemmen auch eingefahrene Denkmuster und sog. wissenschaftliche Festlegungen das Aufgreifen psychologischer Elemente. Hier ist vor allem an die weitgehende Verdrängung der Handelslehre durch die Marketing-Lehre zu erinnern. Das deutsche Standardlehrwerk „Marketing“ von R. NIESCHLAG/E. DICHTL/H. HÖRSCHGEN hieß in der ersten (1968) und zweiten Auflage (1969) noch „Einführung in die Lehre von der Absatzwirtschaft“ – durchaus zutreffend. Dem Handel war ein eigener Teil gewidmet. In den späteren Auflagen war dieser Handelsteil verschwunden. Teils unter dem Einfluss der modernen Marketing-Lehre, teils unter dem Einfluss der sog. Kölner Schule wurde der Begriff Handel durch den missverständlichen und dem Handel keineswegs gerecht werdenden Begriff Distribution ersetzt – völlig ohne Not und ohne zu bedenken, dass der Begriff Distribution seit den nationalökonomischen Klassikern stets für die Lehre von der (funktionalen und personalen) Einkommensverteilung verwendet wurde. Handel mit Verteilung gleichzusetzen zeugt von einem erheblichen Mangel an Einblick in seine Leistungen. Jeder Handelsbetrieb leistet etwas ganz anderes und viel mehr für die Marktwirtschaft als bloße Warenverteilung. Was eingefahrene Denkmuster und Unnachgiebigkeit bewirken, wurde in der Jahrzehnte langen Diskussion um das deutsche Ladenschlussgesetz deutlich und ließ sich nur noch psychologisch erklären: Wer 40 Jahre lang für oder wider das Gesetz gekämpft oder wer sich wissenschaftlich festgelegt hatte, der gab nicht auf. Er hätte sich und der Öffentlichkeit eingestehen müssen, sich geirrt zu haben oder Überläufer geworden zu sein.
6. Das z.B. in der Marketing-Lehre mitunter angewandte psychologische Raffinement in der Terminologie ist der Handelstheorie weitgehend fremd, was ihre wissenschaftliche Attraktivität nicht eben erhöht. Marketing-Theoretiker wie -Praktiker, aber auch politisch-ideologisch argumentierende Verbandsfunktionäre haben längst den Agitationswert der positiven oder negativen Aufladung oder der mitklingenden Nebenbedeutung (Konnotation) einiger Fachbegriffe erkannt und somit ihrerseits eine typische Konditionierung geschafft. Der Begriff „Marketing“ als solcher, der im Kern (Konsumgüter-)industrielle
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2 Handel und Psychologie
Absatzpolitik beinhaltet, braucht nicht mehr diskutiert zu werden wie Ende der 60er Jahre. Kritische Fragen zur Identität dieser neuen Wissenschaft (vgl. W. F. FISCHERWINKELMANN: Marketing, Ideologie oder operable Wissenschaft?, München 1972) sind verstummt, und umfangreiche semantische Untersuchungen zu diesem Begriff wurden zu den Akten gelegt. Die klassische Konditionierung ist längst erfolgt, nicht zuletzt durch die psychologisch geschickte Verbindung von Marketing-Begriffen mit dem Beiwort „klassisch“ („klassischer Markenartikel“, „klassische Werbung“, „klassisches Marketing-Instrumentarium“ usw.). Entsprechende Fachbegriffe des Handels werden als Folge dieser Industrie-orientierten terminologischen Dominanz teils unbewusst, teils bewusst negativ aufgeladen. Von der „klassischen Handelsmarke“, von der „klassischen Handelswerbung“ oder von „klassischen Instrumenten der Handelsbetriebsführung“ ist keine Rede. Eher werden dem Handel, leicht abwertend, merchandising und below the lineAktivitäten zugeschrieben, wenn nicht sogar „systematische Störung der funktionalen Marktprozesse im Verhältnis zwischen Herstellern und Verbrauchern“ (D. AHLERT). Und wenn beinahe jedermann mit der pauschalen (und pejorativen) Rede von „der geballten Nachfragemacht“ unverzüglich „des Handels“ assoziiert, dann ist auch damit eine klassische Konditionierung und eine wirksame Ablenkung von anderen Machtträgern und von tatsächlichen Machtrelationen erreicht worden. Dann bedenkt kaum noch jemand, dass Angebots- und Nachfragemacht immer verbunden sind und dass bis zum einzelnen Verhandlungsakt zwischen zwei individuellen Marktpartnern differenziert werden müsste: relative Anbieter- oder Nachfragerübermacht. 7. Für die Handelstheorie machen sich immer noch Ressentiments hinderlich bemerkbar, und zwar sowohl innerhalb der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, die Fragen des Handels – wenn überhaupt – mit Vorbehalten, meistens jedoch gar nicht aufgreifen, als auch zwischen Handelstheorie und Handelspraxis. Die bislang entwickelten wirtschaftspsychologischen Grundlagen beschäftigen sich mit Werbepsychologie, Arbeitspsychologie, Organisationspsychologie, Kauf- und Konsumpsychologie (aus der Sicht der Markenwarenhersteller), psychologischer Marktforschung – mit handelspsychologischen Problemen allenfalls peripher. Unternehmern und Managern des Handels, oft von der Pieke auf gedienten Praktikern, selten mit akademischer, höchst selten mit handelswissenschaftlicher Ausbildung, ist Theorie in der Regel suspekt. „Manchem Praktiker mag eine wirtschaftspsychologische Theorie entbehrlich erscheinen, solange ihm wirtschaftspsychologische Methoden zur Verfügung stehen, die ihm genügend Handhaben für die ihm gestellten Fragen liefern ... Den bedrängten Praktiker mag die ,unpraktische‘ Vielfalt der Gesichtspunkte einer Theorie stören. Aber sie allein, seine eigene theoretische Auseinandersetzung mit seinen praktischen Maßnahmen, kann ihn vor methodischen Einseitigkeiten und damit letztlich vor der fachlichen Genügsamkeit schützen“ (BENESCH 1962, S. 11). Barrieren für eine Kooperation zwischen Psychologie und Wirtschaftswissenschaften im Allgemeinen und Handelswissenschaft im besonderen liegen auch im Zustand der Psychologie begründet. Die Betonung experimenteller Methoden in der psychologischen Ausbildung schreckt vor der Beschäftigung mit Wirtschafts- und Handelsproblemen ab, die schlecht in akademischen Forschungslaboratorien untersucht werden können (vgl. FRANKE/KÜHLMANN 1990, S. 20). 8. Ganz ausgeräumt scheint auch der Vorwurf mangelnder Theoriebildung im Bereich der Wirtschaftspsychologie noch nicht zu sein. Der in der Psychologie traditionsreiche experimentelle Ansatz hat zwar auch wirtschaftspsychologische Analysen geprägt. So wichtig und aufschlussreich psychologische Einzelexperimente, auch im Handelsbetrieb,
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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sind – ihre Summe ergibt noch keine Theorie. „Der Franzose REYNAUD betont noch stärker als KATONA die Notwendigkeit der Theoriebildung innerhalb der wirtschaftspsychologischen Forschung. REYNAUD kritisiert vor allem die erratische Entwicklung der Wirtschaftspsychologie sowie deren vordergründigen Anwendungsbezug, die bisher nicht zur Ausbildung einer Kerndisziplin geführt hätten, sondern in einer breiten Auffächerung und Partikularisierung eher Warenhauscharakter(!) aufwiesen“ (WISWEDE 1991, S. 11; Hervorhebung durch den Vf.).
2.1.2
Psychologische Grundlagen für eine Handelspsychologie
Der Versuch, eine eigenständige Handelspsychologie zu entwickeln, muss auf psychologische Theorieansätze zurückgreifen. Ein erstes Grundproblem besteht darin, dass sich die wissenschaftliche Psychologie mit dem beschäftigt, was ein Mensch tut oder unterlässt und welche inneren Steuerungsmechanismen ihn dazu veranlassen, während der Handelsbetrieb sich nicht mit dem Verhalten und Erleben jedes einzelnen Menschen auf seinen vier Märkten beschäftigen kann, sondern Annahmen über das typische Verhalten und Erleben von Menschengruppen für seine Entscheidungen benötigt. Als Individualpsychologie untersucht die Psychologie alle beobachtbaren und messbaren Aktivitäten des Menschen, aber auch nicht direkt beobachtbare geistige Prozesse wie Denken, Gedächtnis und Vorgänge des Erlebens (vgl. PRACHT 1982, S. 9). Die Handelspsychologie kann solche individualpsychologischen Erkenntnisse und Theorieansätze nicht außer acht lassen. Sie muss jedoch darüber hinaus soziales bzw. Gruppenverhalten, also sozialpsychologische bzw. soziologische Erkenntnisse und Theorieansätze berücksichtigen. Das Verhalten der Menschen, die mit einem Handelsbetrieb in Kontakt treten – Lieferanten, Kunden, Mitbewerber, Mitarbeiter usw. –, wird immer von individuellen und sozialen Einflüssen bestimmt. Das Verhalten der Marktpartner ist somit Ergebnis der Interaktion individueller und sozialer Einflussfaktoren. Es liegt auf der Hand, dass diese komplexe Interaktion von verhaltenssteuernden inneren und äußeren Faktoren ebenso wenig mit Hilfe einer einzigen einfachen Theorie beschrieben und erklärt werden kann wie das Verhalten und Erleben von Menschen(gruppen) vorhersagbar (somit exakt steuerbar) ist. Ein zweites Grundproblem besteht darin, dass sich in der Psychologie im Laufe ihrer Geschichte aus unterschiedlichen Gegenstandsbestimmungen – Seelenwesen, Seelenleben, Bewusstsein, Unbewusstes, Erleben und Verhalten (vgl. UECKERT 1974, S. 19) – verschiedene theoretische Richtungen und Perspektiven mit arteigenen Methoden und typischen Untersuchungsgegenständen ausgeformt haben und dass sich Psychologen häufig nur einer Richtung verschreiben. Wenn man einige neuere Perspektiven wie die biologische, die humanistische und die evolutionäre Perspektive (vgl. FOSCHT/SWOBODA 2005, S. 23f.) außer Betracht lässt, sind als wichtigste Theorierichtungen (und Hauptvertreter) hervorzuheben: − Behaviorismus oder Verhaltenstheorie (J.B. WATSON, B.F. SKINNER), − Kognitivismus (M. FISHBEIN; H. HECKHAUSEN) und − Psychoanalyse (S. FREUD) und tiefenpsychologische Weiterentwicklungen (A. ADLERs Individualpsychologie; C.G. JUNGs analytische Psychologie; V.E. FRANKLs Existenzanalyse).
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2 Handel und Psychologie
Dabei ist der Behaviorismus an objektiven, wiederholbaren, möglichst physikalischen Messungen der Beziehungen zwischen (äußeren und inneren) Reizen und Reaktionen von Menschen interessiert. Der technologische Transfer besteht darin, in theoretischer Analyse die Bedingungen ausfindig zu machen, welche a) unerwünschtes Verhalten erzeugen (um diese beseitigen oder beeinträchtigen zu können) und b) erwünschtes Verhalten auslösen (um diese in der Praxis einsetzen und verstärken zu können). Welches Verhalten erwünscht und welches unerwünscht ist, kann – analog zur Zielfestlegung in Unternehmen – wissenschaftlich nicht abgeleitet werden. Der Kognitivismus richtet sein Augenmerk auf die bewussten Erkenntnisse des Menschen (Kognitionen). Planungen und Handlungsabläufe beruhen auf dem Vergleich von Handlungsergebnissen mit Handlungsnormen, auf dem rationalen Abwägen von Eintrittswahrscheinlichkeiten und auf dem Bewerten von Handlungsausgängen. HECKHAUSEN bezeichnet das subjektive Schätzen von Erfolgswahrscheinlichkeiten, das Vorwegnehmen von Belohnungen, die Ursachenerklärung und die Selbstbewertung mit Kognitionen. In der praktischen Anwendung versucht die kognitivistische Psychologie allgemein zu begründbaren Entscheidungen zu gelangen. Wie sich der klinische bzw. beratende Psychologe kognitivistischer Richtung als gleichrangiger Partner seines Patienten bzw. Klienten begreift, so hat auch der Handelspsychologe seinen gleichrangigen Marktpartnern Alternativen für bewusste Problemlösungen anzubieten. Die Psychoanalyse als bekannteste von verschiedenen tiefenpsychologischen Richtungen basiert auf der FREUDschen Theorie des Unbewussten mit seinen Instanzen Es, Ich und Über-Ich. Sie sieht ihre praktische Hauptaufgabe darin, das (in primitiven und prägenital-frühkindlichen, ggf. sogar pränatalen Lebensphasen wurzelnde) Unbewusste bewusst zu machen und irrationalem Handeln der „PrimitivPerson“ (L. v. HOLZSCHUHER) seine Irrationalität zu nehmen. Ein Verbraucher wird im entsprechenden psychoanalytischen Modell als konflikthaft verstanden. Seine ins Unbewusste verdrängten Triebe, Gefühle und Erfahrungen verbinden sich dort zu einem Komplex (vgl. SCHÖNPFLUG 1977, S. 38). Für den Psychoanalytiker bestimmen die Triebe (Sexualtrieb, Aggressionstrieb) weitgehend die Einstellungen und die zwischenmenschlichen Beziehungen und schaffen Spannungen, Konflikte und neurotische Störungen. Die Wirtschaftswerbung, namentlich die „Markenartikel“-Werbung, hat Techniken psychoanalytischer Therapie längst in entsprechende Werbeappelle umgesetzt, um durch Konfliktsteuerung eine höhere Werbewirksamkeit zu erzielen, z.B. durch Beruhigung („Gönn Dir ein paar schöne Stunden – geh ins Kino!“), durch Bestärkung („Menschen wie wir ...“) oder durch Rüge („KrawattenMuffel“) (vgl. GUTJAHR 1974, S. 42f.). Nach FREUD liegt die Libido als sexuelle Triebkraft allen Lebensäußerungen zugrunde, die auf Lustgewinn gerichtet sind. Der Handelsmanager sollte sich dessen auch bewusst sein, liegt doch für viele Menschen und in vielen Einzelhandelsbranchen ein wichtiger Antrieb zum Shopping – und sei es nur window shopping – im Bestreben, Lust zu gewinnen. Er kann dieses Bestreben auch ohne tiefenpsychologische Kenntnisse steigern und ohne die Couch des Analytikers zu bemühen; denn die analytischen Methoden zur Erschließung des Unbewussten (Gespräche, Bilderzeichnen, Traumdeutung, Spielen) stellen ganz auf eine intime Aufklärungssituation zwischen Analytiker und Patient bzw. Klient ab, und diese Situation ist ihm im Alltagsgeschäft verwehrt. Aber er kann sein Geschäft mit einer lustbetonten Atmosphäre ausstatten, wie z.B. der Kaufhof seine traditionellen Warenhäuser auf „Lust-Themenhäuser“ umgestellt hat. Es ist allerdings anzumerken, dass die Psychoanalyse nicht nur auf erstaunliche Erfolge und Bestätigungen der FREUDschen und JUNGschen Lehren verweisen kann – in den USA preisen heute nicht weniger als 450 verschiedene Schulen ihre psychoanalytischen Heilmethoden an –, sondern auch Kritik und empirische Widerlegungen, z.B. durch F. BARTLETT, B. FORER, J. MACFARLANE,
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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B. SLOANE, E. THORNTON oder J. MASSON, erfahren hat (vgl. dazu J. VON UTHMANN: Ödipus bei den Dollaronkels, in: FAZ-Beilage Nr. 100 v. 30.4.1994). Auf die Alltagspraxis im Handelsbetrieb sind die psychoanalytischen Methoden gewiss nicht ohne weiteres übertragbar, zumal es zum Wesen unbewusster Handlungsabläufe gehört, sich der Beobachtung zu entziehen. Auch ist die überreiche Warenauswahl eher geeignet, neue AuswahlKonflikte bei den Kunden auszulösen. Dennoch ist anzunehmen, dass hin und wieder Formen von Kauflust und Erlebnislust, die sich gerade im Einzelhandel äußern bzw. dort vermittelt werden, sehr wohl unbewusste Triebe ansprechen. Mitunter können sogar unbewusste Verhaltensstörungen bei Kunden und Mitarbeitern aus symbolhaften Äußerungen erschlossen und quasi-therapeutisch positiv beeinflusst werden. Auch ist versucht worden, Käufermotivation und Kaufgründe als „Druckspannungen und Triebfedern des Kaufs“ (BENESCH) – Liebe, Sattheit, Erlebnis, Sicherheit, Erholung, Tätigkeit usw. – ebenso wie Verkäufermotivation – Sicherung des Unterhalts, Betätigungsdrang, Wahrung des sozialen Status, soziale Pflichterfüllung, Gelderwerb für ausgedehnte Bedürfnisse usw. – tiefenpsychologisch zu erschließen. Nun sind die Theorierichtungen der Psychologie das eine. Etwas anderes ist das komplexe Verhalten des Individuums. Dazu drei Beispiele: 1. Einstellungen gegenüber Objekten, Personen oder Ideen sind das Ergebnis einer komplizierten Phasenfolge aus aktivierendem Anlass + seiner Interpretation, Emotion + Zielorientierung und Motivation + Objekt-/Personenbeurteilung (in Anlehnung an FOSCHT/SWOBODA 2005, S. 37). Einstellungen werden durch Lernprozesse erworben und verändert. Sie können gleichzeitig auf affektiven, kognitiven und konativen (Verhaltens-)Komponenten beruhen, wobei der psychologische Oberbegriff Affekt (Gefühl) sowohl Emotionen, d.h. starke, auf ein Objekt gerichtete Gefühle, als auch nicht unbedingt objektgerichtete Stimmungen umfasst. Gefühle werden oft als so eindringlich erlebt, weil sie sich als unmittelbare Empfindungen im Körper, im Denken und im Verhalten niederschlagen können (vgl. WERTH 2004, S. 184). Daher kann ein Konsument gegenüber einem bestimmten Fachgeschäft in seiner Stadt eine positive emotionale Einstellung haben und trotzdem der Meinung sein, dass dort das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht stimmt (kognitive Komponente) und folglich ein anderes Geschäft in der Nachbarstadt bevorzugen (vgl. FREY/GREITEMEYER/FISCHER 2005, S. 55). Oder ein Konsument erwirbt einen Artikel nur wegen des günstigen Rabatts und kann trotzdem eine negative Einstellung (zu dem „ärmlich wirkenden“ Geschäft) entwickeln oder sich kleinlich fühlen. Ob die Rechnung des Neuro-Marketings, angeregt durch Erkenntnisse der neuropsychologischen Hirnforschung, aufgeht – man könne mittels purer Emotion in der Werbung den „Kaufschalter im Gehirn“ umlegen –, ist fraglich. Vom Neuro-Marketing faszinierte Werbestrategen warben z.B. 2007 mit folgendem emotionsgeladenen Plakat für ein rheinisches Gartencenter: Quer über die einladende Abbildung des Supermodels läuft der rosarote Schriftzug „Eine Rose für Heidi“, am oberen Bildrand in Hellgrau „Heidi Klum Rose“, unten rechts das Firmenlogo, das nicht gerade auf ein Gartencenter schließen lässt. Eine Rose ist auf dem Plakat nicht zu sehen. Man hofft, dass die emotional aufgeladene Bild-Wort-Kombination das emotionale Zentrum des Betrachtergehirns, seine Amygdala, mit nachhaltiger Wirkung passieren, also hängen bleiben und zum Kauf ermuntern wird. Eine Erfolgsmessung ist dem Vf. nicht bekannt. Aber wenn man weiß, wie der „Kaufschalter“ eingeschaltet wird, weiß man auch, wie er ausgeschaltet wird – wenn z.B. die Konkurrenz auch mit einem Plakat reagiert, das Blumen sprechen lässt.
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2 Handel und Psychologie
2. Am Beispiel der Reaktanz lässt sich verdeutlichen, dass Menschen auf ganz verschiedene Weise und auf verschiedenen Ebenen reagieren können. Allgemein tritt Reaktanz auf, wenn jemand wahrnimmt, dass er in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird, dass seine Wahlmöglichkeiten und Entscheidungsalternativen nicht mehr verfügbar sind (vgl. PELZMANN 2000, S. 44). Im Handel kann vor allem die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Artikeln oder Sorten bedroht sein („Solange der Vorrat reicht“, „Verkauft“-Hinweis neben dem guten Stück im Schaufenster usw). Der sich eingeschränkt fühlende Kunde gerät vorübergehend in einen Spannungszustand. Er wird bemüht sein, die Spannung abzubauen, den Freiheitszustand wiederherzustellen. Er wird versuchen, die bedrohte oder verlorene Alternative aufzuwerten. Bei diesem Versuch kann allerhand passieren: Aktives Bemühen um den unzugänglichen Artikel, „Jetzt erst recht“, Aggression, Trotz, Ärger, Abwertung oder Meidung des Geschäfts usw. Im Prinzip kann ein Mensch auf allen Ebenen reagieren – auf der emotionalen Ebene, auf der kognitiven und auf der Verhaltensebene (vgl. FELSER 2001, S. 287f.). 3. Ein mit dem Reaktionsmuster des „Jetzt erst recht“ verwandtes Beispiel bietet der von der psychologischen Theorie so bezeichnete Bumerang-Effekt: Menschen, deren Einstellungen fest verankert sind und die über einen hohen Änderungswiderstand gegenüber Beeinflussungsversuchen verfügen, versuchen die „angegriffene“ Einstellung wieder zu stabilisieren und ihren Standpunkt nicht aufzugeben, sondern zu verfestigen (bolstering) (vgl. PELZMANN 2000, S. 55). Wer beispielsweise, aus welchem Grund auch immer, gegenüber dem Werbeslogan „Geiz ist geil“ eine ablehnende Haltung einnimmt, wird durch noch so häufige Wiederholungen des Slogans nicht zum Käufer im werbenden Elektronik-Markt, sondern beginnt womöglich, Anhänger für seinen Standpunkt zu rekrutieren. Es liegt auf der Hand: Für Psychologie im Handel wäre monistisches Vorgehen, die Orientierung an nur einer Theorie-Richtung unzweckmäßig, zumal jederzeit eine neue TheorieRichtung entdeckt werden kann. Die Psychologie im Handel muss verschiedene, situativ jeweils geeignete Hypothesen, Befunde oder Methoden aus allen Theorierichtungen auswählen. Der Vorwurf des Eklektizismus wäre somit unbegründet. Ohne die Kenntnis der traditionellen Theorieansätze der Psychologie geht es jedoch nicht. Daher soll in Übersicht 1 zunächst ein Bild von den wissenschaftlichen Positionen der drei theoretischen Hauptrichtungen der Psychologie in Bezug auf ausgewählte Erkenntnisprobleme („Kritische Punkte“) vermittelt werden. Andere Theorieansätze wie der biologische (physiologische) oder der soziologische Ansatz mögen vorerst zurückgestellt bleiben.
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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Übersicht 1: Die theoretischen Hauptrichtungen der Psychologie und ihre unterschiedlichen Positionen Kritische Punkte Bewusstsein
Behaviorismus (B)
Kein wissenschaftlicher Gegenstand Verhalten Alleiniger wissenschaftlicher Gegenstand Rationalität Kein wissenschaftliches Problem Zeitperspektive Gegenwärtige Reize bestimmen Verhalten Untersuchungsmethode Messung von Reiz und Reaktion Anwendungsziel Herstellung erwünschten Verhaltens durch günstige Reizbedingungen
Kognitivismus (K)
Psychoanalyse (P)
Mensch hat Erkenntnis, Einsicht Untersuchungsgegenstand neben Bewusstsein Mensch ist zur vernünftigen Entscheidung fähig Zukunft wird in Erwartungen vorweggenommen (Offene) Befragung, Selbstbeobachtung Beratung und Entscheidungshilfe
Unvollkommen, da in Konkurrenz mit dem Unbewussten Neurotisches Verhalten ist vom Unbewussten gesteuert Verdrängte Komplexe beeinträchtigen Rationalität Mensch ist durch seine Vergangenheit bestimmt Entschlüsseln von Symbolen des Unbewussten Beseitigung unbewusster Einflüsse durch Aufklärung
(Quelle: Wolfgang SCHÖNPFLUG: System Mensch, Stuttgart 1977, S. 46)
Als denkbare Anwendung jeder theoretischen Hauptrichtung der Psychologie auf Probleme des Handelsbetriebs mögen zunächst kursorisch ein paar Beispiele genügen: − − − − − − − − − − − − − − − − −
Reize, Reaktionen und Folgen auf Werbeaktionen (B), Kundenbeobachtung, Laufstudien (B), Ruhebänke im Warenhaus als „Verhaltenstherapie“ (B) Wahrnehmung von Preisänderungen, Preiselastizitäten (B), Preis- und Qualitätskenntnis (K), Imageanalyse (K), Diebstahlsabschreckung durch Videokameras oder private Schutz- und Wachdienste (K), Kreditgewährung als Problemlösung (K), Mitarbeitermotivation durch materielle und immaterielle Anreize wie Geld- und/oder Zeitprämien (K), Selbstbedienung als Ausdruck der Freiheit der Entscheidung (K), mündliche, schriftliche oder telefonische Befragung in der Handelsmarktforschung (K), Personalbeurteilung durch offene Befragung (K), symbolische Bedeutung von Firmen- und Markenzeichen, Ladenmöbeln, Katalog- und Prospektabbildungen (P), Geborgenheitsgefühl im Kleinbetrieb (P), Aggressionstrieb beim Ladendiebstahl (P), Stressabbau durch Ruhezonen und warme Farben (P) sowie Klaustrophobie, neurotisches Verhalten, Rolltreppen-Angst (P).
Eine dominierende Stellung, zumindest in der US-amerikanischen handelswissenschaftlichen Fachliteratur, nimmt seit langem der verhaltenstheoretische Modellansatz ein: „The world of retailing follows the behaviorist school“ (LARSON/WEIGAND/WRIGHT 1976, S. 69). Wie die Verhaltensmuster des Konsums (Reaktionen) als Output der Psyche des Käufers entstehen, in die wiederum Kaufeinflüsse (Reize) als Inputs durch diverse Kanäle gelangen, zeigt die auf P. KOTLER zurückgehende Abb. 1.
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2 Handel und Psychologie
„INPUTS“ (Kaufreize)
„CHANNELS“
„PROCESSOR“
„OUTPUTS“ (Kaufreaktionen)
Preis Qualität Verfügbarkeit Service Stil Auswahl
Werbemittel Verkäufer Bekannte Familie eigene Beobachtung
Psyche des Käufers
Produktwahl Markenwahl Geschäftswahl Mengen Frequenz
Image (Quelle: C.M. LARSON/R.E. WEIGAND/J.S. WRIGHT: Basic Retailing, Englewood Cliffs 1976, S. 70) Abb. 1: Verhaltenstheoretisches Modell des Konsums
Nun bestimmen das Markthandeln in der Regel keine einfachen deterministischen ReizReaktions-Beziehungen (S-R-Modelle; S = stimulus, R = response). Vielmehr treten zahlreiche mentale und nicht beobachtbare Vorgänge zwischen Reiz und Reaktion. Solche intervenierende Variablen wurden lange Zeit als nicht weiter analysierbare black box vernachlässigt. Die Vertreter des Neobehaviorismus haben diese nicht beobachtbaren intervenierenden Variablen (neurologische Zusammenhänge, Bewusstseinsinhalte, Triebzustände usw.) als theoretische Konstrukte in erweiterte Reiz-Organismus-Reaktions-Modelle einbezogen (SO-R-Modelle, stimulus-organism-response). Die intervenierende organismische Variable O kann entweder aus einer Kognition oder aus einer Emotion bestehen. Das Verhalten R hängt nach dieser Modellvorstellungen entweder allein von einer Antezedenz-Bedingung S oder von Antezedenz-Bedingung R als struktureller Größe und O als psychologischer Variable ab. Kompliziertere behavioristische Modelle beziehen noch Verhaltensdispositionen (z.B. Überzeugungen, beliefs, und Einstellungen, attitudes) bzw. Prädispositionen und Konsequenzen des Verhaltens mit ein und rücken damit in die Nähe der kognitiven Theorien. Prädispositionen im psychologischen Sinne sind durch Aufnahme und Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt entstandene festgefügte, verdichtete internalisierte Überzeugungen und Einstellungen eines Menschen, die für sein Verhalten gleichsam unumstößlichen Richtliniencharakter haben, und zwar ganz gleich, ob sie mit der Realität ganz, teilweise oder überhaupt nicht übereinstimmen. Da sie auf der inneren Bereitschaft zur Adaption bestimmter Überzeugungen, Argumente oder Handlungsweisen beruhen, stellt sich für das Konsumgütermarketing im Allgemeinen nur die strategische Alternative a)
Anpassung an bestehende internalisierte Einstellungen (etwa Bio-Orientierung der Nahrungsmittelproduktion) oder
b) Veränderung solcher Einstellungen (etwa Umerziehung der Konsumgewohnheiten von konservierten zu tiefgekühlten Nahrungsmitteln) (BECKER 1988, S. 160). Die Strategie b) ist die schwierigere, da mitunter massiver Widerstand gebrochen werden muss. Für Handelsbetriebe komplizieren sich die Verhältnisse erheblich. Die (potenziellen) Kunden haben nicht nur in Bezug auf verschiedene Artikel, sondern auch in Bezug auf bestimmte Be-
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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triebsformen, Betriebsgrößen, Standorte, Strategien des Handelsmarketings und Firmen ganz unterschiedliche Prädispositionen. Positive Konsequenzen, z.B. Zufriedenheit mit einem gekauften Artikel oder Geschäft, können als Rückkopplung einen verstärkenden Einfluss (reinforcement) im Sinne der Lerntheorie ausüben. Werden bestimmte Konsequenzen erwartet, dann können solche antizipierte Konsequenzen sogar an die Stelle des Reizes treten. Schließlich kann ein Mensch selektiv oder aktiv auf die Stimuli bzw. Reizsituationen einwirken, der Einzelhandelskunde z.B. selektiv durch Vorinformation über Wareneigenschaften aus Warentests und Wahl sachkompetenter und vertrauenswürdiger Informationsquellen (Reduktion des wahrgenommenen Kaufrisikos durch Minderung der Unsicherheit) oder aktiv durch bewusste Änderung der Reizbedingungen seiner Umgebung (Verhandeln; Reduktion des wahrgenommenen Kaufrisikos durch Reduktion der Kauffolgen: Kauf kleinerer Mengen, Kauf auf Probe, Vereinbarung von Rückgabe- oder Garantierechten) (vgl. WISWEDE 1991, S. 55– 60, und KUHLMANN 1980, S. 529–531). Wenn soeben von wahrgenommenem Kaufrisiko die Rede war, so sollte in diesem Zusammenhang kurz auf den Bereich der psychologischen Grundlagen hingewiesen werden, der sich mit der Beschreibung und Erklärung der Sinneseindrücke beschäftigt: die Wahrnehmungspsychologie. Die Wahrnehmungspsychologie versucht, die Zusammenhänge zwischen den objektiven, physikalischen Eigenschaften des wahrzunehmenden Sachverhalts und den physiologischen Bedingungen der Wahrnehmung einerseits und den dabei feststellbaren psychischen Phänomenen andererseits zu erkennen. Dabei ist unter Wahrnehmung die unter dem Einfluss sowohl von inneren Reizen (Körperreizen, Gedächtnis und Erfahrungen, Stimmung, Erwartungen, Denkprozessen) als auch von äußeren Reizen (Umwelt, Erlebnisraum) erfolgende Verarbeitung von Sinneseindrücken zu verstehen. Die Sinneseindrücke werden durch die Tätigkeit von Sinnesorganen vermittelt; die wichtigsten Teile der Sinnesorgane sind die Aufnehmer oder Rezeptoren. Die Rezeptoren werden zu ihrer Tätigkeit angeregt durch Zustände in ihrer Umgebung. Sie liefern spezifische Sinnesinformationen, sensorische Informationen. Damit aus der sensorischen Information bewusste Wahrnehmungen entstehen, bedarf es mehrerer Verarbeitungsschritte im Großhirn. Bei der Verarbeitung im sensorischen Nervensystem werden drei Aufgaben gelöst: 1. Korrektur (von Aufnahmefehlern und -unvollständigkeiten), 2. Herstellung einer räumlichen Ordnung und 3. Deutung unzureichender oder widersprüchlicher Informationen. In der integrierten und organisierten Form, in der die eingegangene Information auf die Großhirnrinde projiziert wird, tritt sie auch in das Bewusstsein: bewusste Wahrnehmung (vgl. SCHÖNPFLUG 1977, S. 49–54). Wird die bewusste Wahrnehmung – als Feststellung und Aufnahme eines neuen Reizes, den man zunächst noch nicht einzuordnen in der Lage ist (Perzeption) – in bereits vorhandene Vorstellungen hereingenommen, so dass das Neue zu sinnvoller Auffassung gebracht wird, spricht man von Apperzeption (vgl. ASSMANN 1970, S. 14, und ROHRACHER 1988, S. 331). Die Apperzeption kann subjektiv unterschiedlich intensiv sein. Je nachdem wie konzentriert jemand wahrnimmt, wie stark oder intensiv er von einer Sache in Anspruch genommen wird oder wie sehr die eigene Person betroffen ist, liegt mehr oder minder starkes Interesse (Involvement) vor. Die Aktivitäten des Handelsmarketings unterliegen daher einem Dilemma: „Sind die Rezipienten wenig involviert, dann sind sie aufgrund fehlender Aufmerksamkeit kaum durch Argumente beeinflussbar. Liegt hingegen hohes Involvement vor, dann lassen sie sich aufgrund der Beteiligung des Selbstkonzepts nur mit wirklich guten Argumenten überzeugen“ (MOSER 1990, S. 81). Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt das
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2 Handel und Psychologie
sozialpsychologische Elaboration Likelyhood-Modell: Von einem Überzeugungsversuch (Persuasion) ausgehende nachhaltige Einstellungsänderungen gelingen nur schwer. Dazu müssen beim Empfänger zustimmende kognitive Reaktionen ausgelöst werden und dieser muss die Argumente hinterfragen, elaborieren. Verhaltensunterschiede bei Konsumenten mit hohem und geringem Involvement zeigt Übersicht 2 (vgl. MOSER 1990, S. 81). Übersicht 2: Konsumentenverhalten bei hohem und geringem Involvement (nach Robertson) Verhaltensweisen
Hohes Involvement
Geringes Involvement
Informationssuche kognitive Verarbeitung von Information Informationsverarbeitung Einstellungsänderung Wiederholung von Informationen Markenpräferenz Ladenpräferenz kognitive Dissonanz vor und nach dem Kauf persönlicher Einfluss
aktive Suche nach Produktinformationen Widerstand gegen diskrepante Information und Verwendung von Gegenargumenten Verarbeitung von Informationen in verschiedenen Stufen schwierig und selten bloße Zahl von Wiederholungen ist weniger bedeutsam als Inhalt Markentreue ist üblich (geringe Ladentreue) Ladentreue ist üblich (geringe Markentreue) tritt oft auf
begrenzte Suche nach Produktinformationen passiver Empfang von diskrepanten Informationen; begrenzte Gegenargumente vereinfachter Übergang von Aufmerksamkeit zum Ausprobieren häufig, aber vorübergehend bloße Zahl von Informationen kann in Überzeugung resultieren Routinekäufe ohne Markentreue Routinekäufe ohne Ladentreue tritt selten auf
Verkäufer und andere Personen werden befragt; ggf. wird deren Verhalten imitiert
Verkäufer und andere Personen üben wenig Einfluss aus
Während Herstellerwerbung vor allem darauf abzielt, Markentreue zu generieren, so liegt das primäre Interesse des Handelsunternehmens in der Generierung von Geschäfts- oder Ladentreue. Empirische Beobachtungen zeigen, dass ausgesprochen markentreue Konsumenten nicht unbedingt gleichzeitig auch ladentreu sind. Eher neigen sie zum Ladenwechsel und zur Indifferenz gegenüber mehreren Handelsgeschäften, soweit ihre Markentreue auf Herstellermarken gerichtet ist. Das ideale Instrument des Handels liegt daher in der Zusammenführung von Hersteller- und Eigenmarken im Sortiment. Wer als Kunde erst einmal von der Qualität und der Preiswürdigkeit der Handelsmarken überzeugt wurde, der wird ein entsprechend hohes Involvement und folglich Ladentreue entwickeln („Aldi-Effekt“). Aufschlussreiche Erkenntnisse wurden im Bereich der optischen Wahrnehmung gewonnen. Grundsätzlich sind die Menschen bestrebt, die sichtbaren Elemente in eine sinnvolle, harmonische und prägnante Form zu bringen. Die folgenden vier Buchstaben H A U S wird man automatisch als das Wort Haus lesen – als Ergebnis des Bestrebens, in ihnen eine einfache, geschlossene Struktur zu finden. Bei der Wahrnehmung von ganzen Wörtern und Sätzen erschließt sich beim Lesen der Sinn aus gespeicherten Wörtern; denn das Gehirn speichert nicht Buchstaben oder Buchstabenfolgen, sondern Wörter. Wörter werden sogar erkannt, wenn ihre Buchstaben vertauscht wurden: ES SIELPT KEINE ROLLE IN WLECHER RIEHENFLOGE DIE BUHCTSAEBN IN ENIEM WROT STHEEN, WIHCITG IST NUR DSAS DER ESTRE UND LEZTE BUHC-
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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TSABE AM RIHCITGEN PALTZ SEHT: DEN REST KNÖNEN SIE IMEMR NOCH ONHE PORBELME LEESN. DAS KMOMT DHAER, DSAS DAS MINSCHLEHCE GÄDEHCTNIS NIHCT JEEDN BUHCSTEBAN LEIST, SENDORN DAS WROT ALS GAZNES. Interessant sind auch die Erkenntnisse über Wahrnehmungsverzerrungen, die vor allem mit so genannten Kippfiguren und anderen optischen Täuschungen bzw. optischen Illusionen verbunden sind. Die Konsumgüterindustrie macht sich seit langem Effekte subjektiv (positiv) verzerrter Wahrnehmung für die Werbe-, Markierungs-, Packungs- und Produktformen zunutze. So werden Flaschenformen eher niedrig und weit als hoch und schmal gestaltet, weil sie so voluminöser erscheinen. Und da helle Gegenstände im Vergleich zu dunklen, aber gleich großen als größer oder geräumiger empfunden werden, wählt der Hersteller eines kleinen Pkw für die werbliche Präsentation helle Farbvarianten (vgl. BÄNSCH 1985, S. 73). Abb. 2 gibt einige klassische Beispiele für optische Täuschungen wieder (aus PRACHT 1982, S. 30). Beim ersten Beispiel mit den beiden objektiv gleich langen, subjektiv ungleich lang erscheinenden Strecken handelt es sich um die bekannte Müller-Lyer-Täuschung.
Abb. 2: Beispiele für optische Täuschungen
Dieser Effekt ist immer dann zu bedenken, wenn horizontale Linien zur räumlichen Gliederung eingesetzt werden. Derartigen räumliche Gliederungen ergeben sich oft im Einzelhandel, z.B. bei Inseraten, Katalog- oder Schaufenster-Aufteilungen, gliedernden Bodenbelägen, Regalstrecken usw. Soll der Raum größer erscheinen, dann dürfen die Strecken-Enden nicht durch nach innen schließende „Klammern“ eingefasst sein, sondern es müssen sich nach außen spreizende „Klammern“ eingesetzt werden. Es ist bekannt, dass die Realität optisch nicht immer exakt wahrgenommen wird. Die immer durch Erfahrung beeinflusste Wahrneh-
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2 Handel und Psychologie
mung ist umso zuverlässiger, je einfacher, einheitlicher und kontrastreicher die wahrzunehmende „gute Gestalt“ bzw. je klarer die Figur-Grund-Konstellation ist (Prägnanz) (vgl. hierzu LÜCK/RIPPE/TIMÄUS 1984, S. 93ff. mit vielen Beispielen, und BEHRENS 1991, S. 24–26). Auch wird in dem Bestreben, Ordnung und Geschlossenheit in die Reize zu bringen, auf Erfahrung, gespeicherte Formen, Bilder und Symbole, zurückgegriffen und es werden mitunter optische Eindrücke uminterpretiert. Von Max WERTHEIMER (1880–1943), dem Mitbegründer der Berliner Schule der Gestaltpsychologie, wurden eeine Reihe von Gestaltgesetzen aufgestellt, aus denen die beiden folgenden herausgegriffen werden sollen. Ein anderer großer Psychologe kommentiert: „Das war eine ganz andere Einstellung zur Wahrnehmung als die der zergliedernden Psychologen: nicht das Einzelne, sondern das Ganze, das ‚Charakteristische’, wurde zur Hauptsache gemacht.“ (ROHRACHER 1988, S. 129) Dass es sich bei den Gestaltgesetzen nicht um Gesetze im naturwissenschaftlichen Sinn handelt, sondern nur um beobachtete Regelmäßigkeiten in der menschlichen Wahrnehmung, versteht sich. Erstes Gestaltgesetz: Optische Einheiten, die nahe beieinander liegen, werden als zusammengehörig wahrgenommen und zu Gruppen zusammengefasst. Das Beispiel in Abb. 3 zeigt links zunächst eine regelmäßige Anordnung von Sternchen. Jeder Beobachter erkennt unmittelbar ein Quadrat. In den beiden folgenden Darstellungen tritt die geometrische Quadrat-Figur in der Wahrnehmung zurück – statt dessen werden nun Spalten und Zeilen wahrgenommen, je nachdem, ob die Sternchen vertikal oder horizontal näher beieinander liegen. Diese Gesetzmäßigkeit der inneren Ordnungs-Organisation kann sich das Handelsmanagement z.B. bei der Anordnung der Warenauslage in Regalen zunutze machen, wie etwa die Regaloptimierung bei Zeitungen und Zeitschriften verdeutlicht.
Abb. 3: Beispiel für das Erste Gestaltgesetz (Quelle: PRACHT 1982, S. 30)
Zweites Gestaltgesetz: Unvollendete Figuren werden als vollendet wahrgenommen.
Abb. 4: Beispiel für das Zweite Gestaltgesetz (Quelle: PRACHT 1982, S. 31)
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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Trotz der objektiven Unvollständigkeit der beiden Figuren werden Stern und Kreis subjektiv als geschlossene, vollendete Figuren wahrgenommen. Auch dieses „Gesetz der Geschlossenheit“ kann ein Handelsbetrieb nutzen, namentlich in der Anzeigenwerbung. Werden beispielsweise nur etwa zwei Drittel einer kräftigen Kreis- oder Ringfigur in die äußerste Ecke der Zeitungsanzeige platziert, dann wird nicht nur der Leser diese (gestaltfeste) Figur als geschlossen wahrnehmen, sondern es wird auch in der Anzeige Platz für werbende Sachinformationen gespart. Eine weitere Erkenntnis der Wahrnehmungspsychologie kann sich das Handelsmanagement zu Nutze machen: das Gesetz der Bewegung. In vielen Untersuchungen wurde bestätigt, dass Gegenstände, die sich permanent bewegen, bei den Menschen erhöhte Aufmerksamkeit erregen (vgl. RAAB/UNGER 2005, S. 175). Dieses Phänomen kann sowohl im Ladenlokal als auch bei der Schaufensterdekoration nutzbar gemacht werden. Einfache Hilfsmittel, wie z.B. Drehscheiben, Neige- oder Hebevorrichtungen, können dargebotene Artikel selbst in Bewegung bringen und unwillkürliche Orientierungsreaktionen bei den Betrachtern auslösen. So nutzen Schaufenstergestalter gern den Trick, mittels kleiner Ventilatoren wehende Haare oder Kleider von Schaufensterpuppen in Bewegung zu halten. Mitunter genügt die Illusion der Bewegung, z.B. durch Fotos von bewegten Objekten oder durch graphische Mittel wie Spiralen oder Wellenlinien, zur Steigerung der Aufmerksamkeit (vgl. FELSER 2001, S. 131). Eine psychologische Theorie, deren S-O-R-Paradigma heute die Markt- und Werbepsychologie weitgehend beherrscht, ist die sogenannte Feldtheorie Kurt LEWINs (1890–1947): Menschliches Verhalten wird als Funktion des Feldes verstanden, in dem das Individuum sich befindet. Dieses „Feld“ definiert LEWIN in Anlehnung an den physikalischen Feldbegriff EINSTEINs als „eine Gesamtheit gleichzeitig bestehender Tatsachen, die als gegenseitig voneinander abhängig begriffen werden“ (SIEGMUND-SCHULTZE 1992, S. 60). Im Gegensatz zum einfachen S-R-Modell, in dem die Wirkungen des Markthandelns nur als objektive Tatsache beobachtet werden können, ist für die Feldtheorie im Lebensraum der Marktteilnehmer nur der Marktausschnitt relevant, den sie in einer konkreten Situation wahrnehmen. Diese Subjektivität bietet bei feldtheoretischer Sicht die Möglichkeit, die wechselseitige Abhängigkeit von innerpersonalen Variablen (Motive, Einstellungen, Emotionen, Persönlichkeit) und interpersonalen Variablen (kulturelle Einflüsse, schichtenspezifische Einflüsse sowie Einflüsse der Familie und sonstiger Bezugsgruppen) im Lebensraum zu untersuchen. Auch wenn die Feldtheorie von Ökonomen zunächst für eine „Feldtheorie der Marke“ in Anspruch genommen wurde, so liegt es nahe, sie zu einer „Feldtheorie des Marktes“ zu erweitern. Im Sinne des Neuverständnisses von Handelsbetrieben als (internen) Märkten und als Märkteorganisatoren (vgl. Teil 2.1.3) stellen dann die Handelsbetriebe selbst das Aktionsund Reaktions„feld“ und ihre psychostrategischen und -taktischen Maßnahmen die interpersonalen Variablen im Verhaltensfeld ihrer Marktpartner dar. Das erweiterte kognitivistische Verhaltensmodell des Konsums von FISHBEIN/AJZEN kombiniert die Attitüdenkomponente Einstellung (attitude) mit der normativen Komponente Sozialer Druck (social pressure) als den beiden die Verhaltensintentionen (intention) bestimmenden Faktorgruppen. Einstellungen entstehen dabei aus Annahmen über Verhaltenskonsequenzen bi (belief) und Bewertungen dieser Konsequenzen ei (evaluations). Sozialer Druck entsteht aus sozialen Geboten/Verboten bj (normative beliefs) und Neigungen, diesen Normen zu folgen mcj (motivation to comply). Unter dem Einfluss bestimmter situativer
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2 Handel und Psychologie
Einflüsse (situations) wird schließlich die Verhaltensabsicht in reales Verhalten transponiert. Das kognitivistische Gesamtmodell des Konsumverhaltens lässt sich in Abb. 5 zusammenfassen.
Expectation of outcome
×
bi
Value of expectation
=
Attitude Situation
ei Intention
bj Normative beliefs
Behavior
mcj ×
Motivation to comply
=
Social pressure
Situation
Abb. 5: Kognitivistisches Modell des Konsums (Quelle: M. FISHBEIN/I. AJZEN: Belief, attitude, intention, and behavior, Reading/MA 1975, zitiert nach G. WISWEDE: Einführung in die Wirtschaftspsychologie, München/Basel 1991, S. 84)
Im Verlaufe der Abhandlung wird sich zeigen, dass (fast) alle kritischen Punkte der Übersicht 1 und alle Ansätze der psychologischen Theorierichtungen für das Handelsmarketing bedeutsam werden. In der Praxis der Handelsbetriebsführung sind viele psychologische Probleme jedenfalls nicht allein mit einer Theorierichtung erklärbar oder lösbar. Vielmehr können behavioristische, kognitivistische und analytische Gesichtspunkte gleichzeitig für eine einzige Situation herangezogen werden. Dazu ein Beispiel: Ein Supermarkt lässt für eine Werbeaktion im Einzugsgebiet im 14-TageTurnus rot grundierte Handzettel mit Farbabbildungen von 20 knapp kalkulierten Angeboten, und zwar von je 10 bekannten Herstellermarken und weniger bekannten Eigenmarken, und mit in großen Goldziffern eingedruckten Preisen verteilen. Behavioristisch begründbar ist die wiederholte Anwendung des Handzettel-Konzepts mit der Vermutung, dass die Konsumenten, die mit einer früheren Kaufreaktion auf den Werbereiz zufrieden waren, bei den neuen Angeboten wiederum zugreifen werden. Kognitivistisch begründbar ist die Auswahl der 10 bekannten Marken (für die die Konsumenten am ehesten Preisvorstellungen gespeichert haben) mit der Vermutung, dass die Konsumenten auf die Preiswürdigkeit der weniger bekannten Eigenmarken sowie des Gesamtsortiments schließen werden. Tiefenpsychologischanalytisch begründbar ist die farbliche Gestaltung; denn gemäß frühen Untersuchungen von Ernest DICHTER, dem „Vater der Motivforschung“, gehen von der Farbe Rot Symbolwirkungen aus, die unbewusste (Sexual-)Triebe animieren. Und die Goldziffern wirken ihrerseits assoziativ („edel“) und vermitteln unbewusst den Eindruck von gehobener Qualität. Um zeitgenössische psychologische Theorieansätze für eine psychologische Perspektive des Wirtschaftsgeschehens im Allgemeinen und des Handelsmanagements im Besonderen nutzbar zu machen, muss ausgewählt und vereinfacht werden. Allein die hochkomplexe Funktionsweise der Sinnesorgane unterliegt ständiger Forschung: Mit Bau und Funktionsweise
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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der Sinnesorgane beschäftigt sich die Sinnesphysiologie, mit Zusammenhängen zwischen Wahrnehmung und den dabei feststellbaren psychischen Phänomenen die Sinnespsychologie (vgl. MEYERS KLEINES LEXIKON PSYCHOLOGIE 1986, S. 352). Selbst traditionelle Problemfelder der Psychologie, wie Wahrnehmen, Lernen, Vergessen, Speichern, Informationsverarbeitung und muskuläre Aktivierung, sind zunehmend Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung geworden. Ihre detaillierte Kenntnis erscheint – vorerst noch – entbehrlich für Ökonomen. In der empirischen Psychologie sind – kaum anders als in der empirischen Handelsforschung – methodische Fallstricke ausgelegt. Die wichtigsten sind als Rosenthal-Effekt und Hawthorne-Effekt bekannt geworden. Unter dem nach seinem amerikanischen Entdecker, dem Psychologen R. ROSENTHAL, benannten ersten Effekt versteht man die Gefahr, dass sich die Versuchspersonen – obwohl in Bezug auf die untersuchten Merkmale völlig gleich – ganz im Sinne der Erwartungen des Experimentators hinsichtlich des experimentellen Ausgangs verhalten. Sind die Versuchsleiter-Erwartungen gegensätzlich, gelangen sie folglich auch zu gegensätzlichen Versuchsergebnissen (Problematik nur verifizierender Wissenschaft). Unter dem Hawthorne-Effekt (so bezeichnet nach Untersuchungen in den Hawthorne-Werken in den 20er Jahren in Chicago) ist die Erfahrung zu verstehen, dass die Arbeitleistung der Teilnehmer an einem psychologischen Experiment bei zunehmend schlechteren Arbeitsbedingungen überraschender Weise nicht sank, sondern stieg. „Jedesmal, bevor man irgendwelche Änderungen in den Arbeitsbedingungen vorgenommen hatte, war mit den Arbeiterinnen darüber gesprochen worden, man hatte sie dabei um ihre Meinung gefragt, wie sich diese Änderungen wohl auswirken würden, sie hatten selber Ratschläge geben dürfen und waren im übrigen bei ihrer Arbeit nicht streng überwacht und kontrolliert worden.“ Es konnte „umfangreiches Beweismaterial dafür gesammelt werden, daß die Arbeitsleistung stark von der Arbeitsplatzzufriedenheit abhängt und die Einstellung zur Firma einen höchst wichtigen Motivationsfaktor bildet. Ein Arbeiter, der einzig und allein an seiner Lohntüte interessiert ist und der das Gefühl hat, von seinem Arbeitgeber nur als auswechselbares Rädchen einer Riesenmaschine angesehen zu werden, der tut nicht mehr als nötig und beschränkt seine Produktion im allgemeinen auf das, was unbedingt verlangt wird.“ (EYSENCK 1965, S. 95) Das wird man unschwer auf den Handel übertragen können. Im Übrigen verändern sich die Einstellungen der Versuchspersonen in Versuchssituationen fast immer. Selbst bei völlig wirkungslosen experimentellen Bedingungen tritt ein Effekt ein, der sogenannte Placebo-Effekt (vgl. UECKERT 1974, S. 23f.). Die verwirrende Vielfalt von Variablen und Verknüpfungen menschlichen Erlebens und Verhaltens muss auf das Wesentliche reduziert werden. In diesem Sinne ist von FRANKE und KÜHLMANN ein anschauliches systemtheoretisches Grundmodell der MenschUmwelt-Beziehungen entwickelt worden, das auch der Handelspsychologie als Ausgangsmodell dienen kann. In Abb. 6 wird dargestellt, wie ein aktueller Umweltausschnitt Reize auf die Sinnesorgane – Gesichts-, Gehör-, Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn – ausübt und diese Reize über Langzeitspeicher, Kurzzeitspeicher und Verarbeitungssystem (Gedächtnis; Selektion als Schutz vor Reizüberflutung) auf das Aktivierungssystem (innere Reize; reizbedingte innere Gespanntheit) und schließlich auf das Muskelsystem einwirken, wenn sich Erregungen mit Zielen und Erwartungen verbinden. Beim Aktivierungssystem sind a) tonische Aktivierung = langfristig mit langsamer Veränderung verbundene „Wachheit“ und b) phasische Aktivierung = kurzfristig, rasch auftretende und abklingende „Wachheit“ zu unter-
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2 Handel und Psychologie
scheiden. Beide erweitern und intensivieren die Informationsaufnahme und führen bei Reizwiederholung ggf. zu emotionaler Konditionierung und assoziativen Wirkungen (vgl. SCHUB VON BOSSIAZKY 1992, S. 24–27). Neuartige Reizkonstellationen führen unter Umständen über eine Rückkopplung zu neuen Verarbeitungssequenzen, bis am Ende der Aktionsplan, z.B. ein Kauf, realisiert wird.
a
11
Aktueller Umweltausschnitt
b 2
Langzeitspeichersystem
Muskelsystem a
1
b
7
Sinnessystem
8
Kurzzeitspeicher- und Verarbeitungsspeicher 5
3
6
9
Aktivierungssystem
4
1 2 3
Transformationsprozesse vom Aktuellen Umweltausschnitt zum Sinnessystem „Kurzgeschlossene“ Transformationsprozesse vom Sinnessystem zum Muskelsystem Erste Informationsselektion des Sensorischen Puffers durch Vergleich mit Inhalten des Langzeitspeichers 4 Der Einfluss von Wahrnehmungen auf das Aktivierungssystem 5 Aktivierende Anstöße auf die Verarbeitungsprozesse 6 Übernahme der erfassten Umweltinformationen in das Kurzzeitspeicher- und Verarbeitungssystem 7 Weitergabe von Inhalten des Kurzzeitspeicher- und Verarbeitungssystems an das Langzeitspeichersystem 8 Aktualisierung einschlägiger Kenntnisse, Überzeugungen und Erfahrungen aus dem Langzeitspeichersystem 9 Steuerung der Aktivierung durch die Verarbeitungsprozesse 10a/b Steuerung des Muskelsystems durch Freisetzung von Energie und durch die aus der Verarbeitung entstande-nen Handlungen 11a/b Veränderung des Aktuellen Umweltausschnitts durch muskuläre Aktivität und Kontrollmeldung über den Zustand der Muskulatur an das Sinnessystem
Abb. 6: Das psychologische Grundmodell der Mensch-Umwelt-Beziehungen und seine Prozesse (nach FrankeKühlmann) (Quelle: FRANKE, J./KÜHLMANN, T.M.: Psychologie für Wirtschaftswissenschaftler, Landsberg 1990, S. 24–36)
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Ein fundamentales Teilgebiet der Psychologie, das auch für psychologisch orientierte Entscheidungen im Handelsbetrieb nutzbar ist, stellen die Lerntheorien dar. Nicht nur Wissen und Fertigkeiten, sondern auch jegliches Verhalten und alle Verhaltensänderungen werden gelernt. Selbst (quasi-)automatisch ablaufendes, routinemäßiges Verhalten wurde gelernt. Im Handelsbetrieb gilt dies sowohl für habitualisierte eigene Einkäufe (Routineeinkäufe) und mit Lieferanten vereinbarte automatische Nachbestellungen bei Erreichen des vordefinierten Mindestbestands (continuous replenishment) als auch für die Routineeinkäufe der Stammkunden. Wenn man weiß, wie Lernprozesse ablaufen (und gesteuert werden können), dann ist die Beeinflussung des Verhaltens aller Marktpartner (Lieferanten, Kunden, Konkurrenten und Mitarbeiter) erleichtert. Fast alle Lernprozesse können einer der drei traditionellen Theoriegruppen oder einer Kombination aus ihnen zugeordnet werden: 1. klassisches Konditionieren oder Bedingungslernen, 2. operantes oder instrumentelles Lernen und 3. kognitives Lernen oder Beobachtungslernen. Jede dieser Lernarten hat ihr eigenes typisches Beispiel. 1. Der russische Physiologe I.P. PAWLOW hatte das klassische Konditionieren oder Bedingungslernen durch folgendes berühmt gewordenes Experiment herausgefunden: Wird einem Hund Fleisch gezeigt (UKS = unkonditionierter Stimulus), löst dies Speichelfluss bei dem Tier aus (UR = unkonditionierte Reaktion). Wird jedes Mal beim Zeigen des Fleisches das Ertönen einer Glocke als neutraler Reiz, der als solcher allein keinen Speichelfluss auslöst (KS = konditionierter Stimulus), hinzugefügt, werden also KS und UKS zusammen dargeboten und mehrfach wiederholt, dann genügt nach der Konditionierung (der Lernphase) das bloße Ertönen lassen der Glocke, um bei dem Hund Speichelfluss auszulösen (KR = konditionierte Reaktion). Lernen durch klassische Konditionierung ist Signallernen. In der Konsumgüterwerbung versucht man seit langem, sich das Prinzip der klassischen Konditionierung zunutze zu machen. Die direkte (und durchsichtige) wiederholte Anpreisung aus den Anfangszeiten der psychologisch ausgerichteten Konsumgüterwerbung („Kaufen Sie unser Produkt XY! Es ist hervorragend!“) ist freilich längst der indirekten, mit Emotionsgehalten angereicherten Aussage gewichen (vgl. KAKUSKA 1974, S. 301). Die Werbung für das Erfrischungsgetränk XY verspricht fast nur noch peripher Durststillung und primär Freiheit, Glücks- oder Dazugehörigkeitsgefühle. Und in der Zigarettenwerbung sorgt der meilenweit laufende Cowboy dafür, dass die Bedürfnisbefriedigung von der Vermittlung von Männlichkeit, Stärke und Ausdauer überlagert wird. In der Regel ziehen Werbepsychologen heute die raffiniertere Zielsetzung vor, Assoziationen mit dem Produkt herzustellen und in den Köpfen der Werbeadressaten zu verankern. 2. Beim operanten Lernen ist als klassisches experimentelles Beispiel SKINNERs Versuchsreihe mit Ratten zu nennen. Die Tiere lernten es, in einer Experimentierbox auf eine Taste zu drücken, um so die Zufuhr von Futterkügelchen und Wasser auszulösen – und dies nur dann, wenn eine Lampe aufleuchtete (Konditionierung auf Lichtreize). Damit wurde nicht nur bewiesen, dass Ratten entdeckten (lernten), eine bestimmte Reaktion zu zeigen, wenn sich damit eine bestimmte positive Konsequenz als Belohnung (oder eine
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2 Handel und Psychologie
negative Konsequenz als Bestrafung) einstellt, sondern es wurde zugleich ein Prinzip aufgedeckt, das für die Psychotherapie bahnbrechend wurde: Lernen mit Hilfe von Verstärkern. (Im Rattenexperiment fungierten die Futterkügelchen als positive Verstärker, nämlich die Reaktionshäufigkeit steigernde Stimuluskonsequenz. Die Gültigkeit der negativen Verstärkung wurde im Rattenexperiment ebenfalls nachgewiesen; die Versuchstiere konnten wiederum durch Hebelbetätigung den negativen Schock, der durch elektrische Aufladung des Käfigbodens ausgelöst wurde, eine zeitlang beenden. Positive und negative Verstärker können entweder primär, d.h. Grundbedürfnisse des Organismus ansprechend, oder sekundär, d.h. gelernt sein. Außer Prestige, Ruhm, Sicherheit und Anerkennung ist vor allem Geld ein typischer sekundärer Verstärker. Für Geld kann man sich – im Einzelhandel – Lebensmittel, Kleidung, Hausrat, ein Fahrrad und tausend andere Dinge kaufen, ganz allgemein: weitere primäre und sekundäre Verstärker) (vgl. BOURNE/EKSTRAND 1992, S. 136–139). Versuche mit anderen Tieren und auch mit Menschen ergaben schließlich die verallgemeinerte Erkenntnis: Reaktionen haben Konsequenzen, und wenn man eine bestimmte Konsequenz durch Handeln („Operieren“) erreichen will, muss man eine gewisse Kontrolle über die Umwelt besitzen (rational, zweckgerichtet, „instrumentell“ handeln) und bestimmte Reaktionen ausführen, weil die Konsequenzen von diesen Reaktionen abhängen. Vom Lernenden wird somit eine größere Eigenaktivität verlangt als bei der klassischen Konditionierung. Operantes oder instrumentelles Lernen ist Verstärkungslernen. 3. Für kognitives Lernen typisch ist z.B. die Lektüre dieses Textes. Kognitive Prozesse sind Aktivitäten, die bewusst im Kopf ausgeführt werden und Intelligenz voraussetzen (einsichtiges Lernen). Teilgebiete der Kognition sind Problemlösen, Begriffsbildung und logisches Denken. Mit dem kognitiven Lernen beschäftigt sich eine ganze Reihe von Theorieansätzen der Lernpsychologie, mit dem Problemlösen z.B. die Gestalttheorie und die Informationsverarbeitungstheorie. Aber auch Lernen am Erfolg, Lernen durch Versuch und Irrtum, Modellernen (Lernen durch Beobachtung oder Nachahmung), Strukturierung (Zerlegen und Ordnen von Sinneinheiten oder Inhalten) und mentales Training (durch Vorwegnahme aufgrund lebhafter Vorstellung) gehören hierher. Bislang kann auf keine einheitliche Lerntheorie verwiesen werden, die die verschiedensten Lernphänomene auf wenige und einfache Grundprozesse zurückführt (vgl. MEYERS KLEINES LEXIKON PSYCHOLOGIE 1986, S. 207). Wenn gemäß dieser Theoriegruppe das Lernen keine mechanistische Reiz-Reaktions-Folge darstellt, sondern verstandesmäßig erfolgt, dann sind die auf Marktpartner gerichteten Aktionen und Argumente (die Lernaufgabe) so strukturiert darzubieten, dass sie für die Marktpartner unmittelbar einsichtig sind. Beispielsweise hätte ein Verkäufer dem potenziellen Käufer technische und Verwendungszusammenhänge aufzuzeigen. Er dürfte sich nicht mit einer Aufzählung von Vorteilen eines Artikels begnügen, sondern müsste nach einer Abwägung von Vor- und Nachteilen ein Resümee formulieren. So kann der Kunde am ehesten zur Einsicht gelangen, die angebotene Problemlösung sei für ihn belohnend (vgl. BÄNSCH 1985, S. 93f.). Berücksichtigt man überdies, dass Lernfähigkeit – das Kernproblem bei der Entwicklung von lernenden Automaten – und Lernbereitschaft, d.h. Lernwille und Lernmotivation, bei jedem Individuum in unterschiedlicher Ausprägung eine Rolle spielen, dann ist einsichtig, wie kompliziert sich das einfache Stimulus-Response-Modell im Hinblick auf Lernvorgänge ausweitet. Einen ersten Eindruck von den diversen Lernphasen des Lernprozesses, von den aufzunehmenden, zu speichernden und zu verwertenden Informationen und Erfahrungen, von den mehrfachen
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Stimuli, die zwischen einem Umwelt-Anfangsreiz und dem Umwelt- bzw. Markthandeln liegen, sowie von den subjektiven Organisationstendenzen beim Codieren und Decodieren vermittelt das Flussdiagramm in Abb. 7 (in Anlehnung an MEYERS KLEINES LEXIKON PSYCHOLOGIE, Mannheim 1986, S. 206). Dabei handelt es sich allerdings nur um einen isolierten Lernprozess. Damit Informationen auch behalten werden, sind zum einen Wiederholungen für das erstmalige Lernen einer Information, z.B. einer Werbebotschaft, notwendig, zum anderen verlangt das Behalten einer Information bis zur Beherrschung des Lernmaterials (Sättigungsniveau) Wiederholungen der Information, um dem Vergessen entgegenzuwirken (vgl. FOSCHT/SWOBODA 2005, S. 106).
Umwelt I
INPUT Wahrnehmen
II übersehen nicht bemerkt
sensorisches Register
III vergessen nicht gemerkt
Kurzzeitsspeicher
Memorieren Echo
IV verstanden gemerkt
Encodierung subjektive Organisationstendenz
V behalten
Langzeitspeicher
VI erinnert gewusst gelöst
Decodierung
VII sich verhalten
Abfrage
subjektive Organisationstendenz OUTPUT Umwelt
Abb. 7: Flussdiagramm des Lernprozesses
Verstehen Ordnen
Gedächtnis
Überlegen Problemlösen
Leistung
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2 Handel und Psychologie
Aus der Fülle der psychologischen Theoriegrundlagen seien noch zwei Sektoren herausgegriffen: die Theorie des Probehandelns und die Theorie des Preises. Beide spielen bei Kaufentscheidungen eine Rolle und sind für die Handelstheorie wie für die Handelspraxis relevant. Der Begriff Probehandeln wurde ursprünglich von FREUD zur Beschreibung der Funktion von solchen Denkprozessen verwendet, bei denen die in Handlungspausen anwachsende Reizanspannung durch Überlegungen über das weitere Vorgehen vermindert wird. Probehandeln kann aber auch in einem weiteren, nicht psychoanalytischen Sinne verstanden werden; denn jedes auf Problemlösung bedachte Denken vermag Handlungen (und ihre Folgen) gedanklich vorwegzunehmen. Problemlösungsdenken verläuft schneller als das Handeln, es ist weniger aufwändig und in seinen Folgen unverbindlich. Denken als vorwegnehmender, risikoloser Handlungsentwurf erleichtert Such- und Auswahlprozesse aller Art. Daher kann ein Handelsbetrieb mit Tausenden von Artikeln bei geschickter Präsentation seine Kund(inn)en zu solch unverbindlichem Probehandeln verlocken (Schaufensterauslage; körperliche Ausstellung der Artikel z.B. auf Ständern oder in Körben in und vor dem Ladengeschäft). Die neueren Erkenntnisse der Neuropsychologie bestätigen den Nutzen des Probehandelns im Einzelhandel: Kein Kauf wird ohne Gefühlsbeteiligung getätigt und es wird umso eher gekauft, umso stärker die Empathie der Kund(inn)en berücksichtigt wird. Daher ist es ein guter Schachzug des Glas-, Porzellan- und Keramikfachgeschäfts, einige der zum Verkauf angebotenen Vasen mit Blumen und Wasser zu füllen. Selbst jeder Versandhauskatalog und jedes Internet-Angebot, die ein unmittelbar sinnliches „Begreifen“ ja nicht zulassen, müssen gleichwohl in ihrer bildlichen und argumentativen Gestaltung darauf bedacht sein, die (angenehmen) Folgen der Kaufhandlung, des tatsächlichen Konsums gedanklich vorwegzunehmen. Die Theorie des Preises hat aufgezeigt, dass der für Kaufentscheidungen maßgebliche subjektive Wert von Geldbeträgen oder Preisen stark durch psychologische Faktoren beeinflusst wird, die den Kunden meist nicht bewusst sind. Die Bewertung von Preisen, aber auch von „Verlusten“ (z.B. wegen Entrichtung eines zu hohen Preises) und von „Gewinnen“ (z.B. wegen eines gewährten Preisnachlasses), kann von mancherlei Einflussfaktoren abhängen. So wurde festgestellt, dass Probanden beim Verlust einer Kinoeintrittskarte (5,00 €) und beim Verlust von Bargeld (5,00 €) vor dem geplanten Kinobesuch im ersten Fall signifikant seltener eine neue Kinokarte kaufen als im zweiten Fall. Der jeweilige Verlust wird nach dem Theorieansatz der mentalen Buchführung auf einem anderen Konto verbucht. Auch konnte festgestellt werden, dass Differenzen zwischen 10 € und 20 € intensiver (positiv oder negativ) erlebt werden als Differenzen zwischen 1.010 € und 1.020 €; dass ein Verlust von 10 € stärker empfunden wird als ein Gewinn von 10 €; dass viele kleine Verluste schwerer wiegen als ein großer, auch wenn die Höhe des Gesamtverlusts in beiden Fällen gleich ist. Ferner wird ein Produkt als wertvoller empfunden, sobald es in den eigenen Besitz übergeht. Der Automobilverkäufer fragt daher: „Möchten Sie Ihr Auto schon einmal Probe fahren?“ – und nicht „das Auto“. Schließlich sind Personen mit Preisen zufriedener, an deren Zustandekommen sie selbst mitgewirkt haben (vgl. WERTH 2004, S. 60-70).
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2.1.3
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Handelstheoretische Grundlagen für eine Handelspsychologie
Aus dem Reichtum der Handelswissenschaft und der Fülle handelstheoretischer Grundlagen muss in dieser Einführung eine Auswahl getroffen werden. Um den psychologisch interessierten (und in der Regel von Handelstheorie unbelasteten) Lesern leichteres Verständnis für die typischen Leistungen des Handels in der Marktwirtschaft zu vermitteln, wird ein System der marktwirtschaftlichen Funktionen des Handels vorgestellt (2). Zunächst sind jedoch einige terminologische Klärungen vorzunehmen, und zwar zu Handelsbetrieb, Handelsmarketing, Markt und Marktwirtschaft (1). Zumal in der Situation des Umbruchs und des Aufbruchs ehemals planwirtschaftlicher Systeme in die Marktwirtschaft erscheint es angezeigt, die elementaren Beziehungen zwischen Handel, Markt und Marktwirtschaft zu verdeutlichen. 2.1.3.1
Terminologische Abgrenzungen: Handelsbetrieb, Handelsmarketing, Markt und Marktwirtschaft Die zahlreichen Definitionen des Handelsbetriebs laufen im Wesentlichen darauf hinaus, diese Institution durch ihre typische Tätigkeit des Umsatzes – ausschließlich oder überwiegend Beschaffung und/oder Absatz von Gütern in der Regel ohne wesentliche Be- oder Verarbeitung – zu kennzeichnen (vgl. KATALOG E, S. 27). Dies ist für die Abgrenzung des Erkenntnisobjekts der Handelsbetriebslehre und zur empirisch-statistischen Erfassung der Handelsbetriebe auch ausreichend. Implizit ist in dieser Definition das Tätigwerden des Handels an (zwei) Märkten enthalten. Es fehlt jedoch ein expliziter Hinweis auf die Schaffung von Märkten durch den Handel; auch ist eine Abgrenzung des Handelsbetriebs von anderen Betrieben nicht zu erkennen. 1. Bevor der Handelsbetrieb von anderen Betrieben abgegrenzt wird, soll das Gemeinsame aller Betriebe betrachtet werden. Eine weitverbreitete Standarddefinition der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre lautet: „Ein Betrieb ist eine planvoll organisierte Wirtschaftseinheit, in der eine Kombination von Produktionsfaktoren (dispositive und ausführende Arbeit, Betriebsmittel und Werkstoffe) mit dem Ziel erfolgt, Sachgüter zu produzieren und Dienstleistungen bereitzustellen“ (WÖHE 1986, S. 2). Produziert ein Handelsbetrieb Sachgüter? Ein Handelsbetrieb bringt gewiss kein Sachgut im materiellen Sinn hervor, wie es bei einem Handwerks- oder einem Industriebetrieb der Fall ist. In einem weiteren Sinn jedoch bringt jeder Handelsbetrieb wichtige, für die Marktwirtschaft sogar konstitutive immaterielle Güter hervor: Absatz- und Beschaffungsmärkte. Diese immateriellen Güter bestehen aus der Schaffung des Zugangs zu fertigen Absatzmärkten für Anbieter von Produkten und gleichzeitig aus der Schaffung des Zugangs zu verwendungsreifen Produkten und zu Dienstleistungen für Nachfrager. Jeder Handelsbetrieb ist also insofern produktiv, als er die materiellen Sachgüter der Verwendungsreife zuführt, ihre Brauchbarkeit schafft. Somit ist er auch den Produktionswirtschaften zuzuordnen. Diese Erkenntnis hatte J.B. SAY schon 1803 zum Ausdruck gebracht: „Die Einen wie die Anderen (Eigenhändler und Handelsvermittler; d.Vf.) sind, weil sie zu einer WerthErhöhung beitragen, welche einem Producte gegeben worden ist, Producenten, welche sämmtlich, ein Jeder auf seine Weise, dahin zusammengearbeitet haben, dass Producte, ohne irgend eine sonstige Änderung, dem Consumenten zur Hand geschafft wurden“ (SAY, J.B.:
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2 Handel und Psychologie
Ausführliche Darstellung der Nationalökonomie oder der Staatswirtschaft (1803), Erster Band, 3. Aufl., Heidelberg 1830, S. 484).
Sachleistungsbetrieb
Produktionswirtschaft (Betrieb)
Handelsbetrieb
Dienstleistungsbetrieb
Einzelwirtschaft
Konsumtionswirtschaft (Haushalt)
privater Haushalt
öffentlicher Haushalt
Abb. 8: Handelsbetriebe im System der Einzelwirtschaften
Die oben genannte Standarddefinition des Betriebs trifft in einem Punkt auf den Handelsbetrieb nicht zu und bedarf der Modifizierung: Der Handelsbetrieb setzt keine Werkstoffe ein; an ihre Stelle treten die Handelswaren. Nach herrschender Auffassung dient nicht jede organisierte Wirtschaftseinheit der Produktion und dem Absatz von Gütern und Diensten, sondern es gibt neben den Produktionswirtschaften auch Konsumtionswirtschaften (Haushalte); beide werden unter dem Oberbegriff Einzelwirtschaften zusammengefasst (Abb. 8). Dieser Systematik der Einzelwirtschaften kann weitgehend gefolgt werden. Sie ist aber ebenfalls in einem wichtigen Punkt zu modifizieren: Handelsbetriebe werden in der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre meist zu den Dienstleistungsbetrieben gezählt; sachgerechter sind sie als Produktionswirtschaften eigener Art zu kennzeichnen. Die Begründung für diese deutliche Abgrenzung der Handelsbetriebe von Sachleistungsbetrieben und von Dienstleistungsbetrieben liegt in ihrer andersartigen und spezifischen Leistungserstellung und Leistungsverwertung:
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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In der Leistungserstellung unterscheidet sich der Handelsbetrieb a) vom Sachleistungsbetrieb des produzierenden Gewerbes durch die Hervorbringung eines immateriellen Gutes (Marktorganisation) und durch die Zusammenfassung von Waren verschiedener Hersteller zu Sortimenten; b) vom Dienstleistungsbetrieb durch das sog. Warengeschäft mit Lagerhaltung, das dem Dienstleistungsbetrieb in der Regel fremd ist. Im Übrigen ist die Zuordnung von Handelsbetrieben zu den Dienstleistungsbetrieben auch deshalb nicht zweckmäßig, weil alle Betriebe und Haushalte Dienstleistungen erbringen (z.B. Kulanz, Kreditgewährung, Beratung, Zustellung, Abholung usw.). In der Leistungsverwertung unterscheidet sich der Handelsbetrieb vom Sachleistungsbetrieb und vom Dienstleistungsbetrieb a) durch die Leistungserweiterung und b) durch die Doppelseitigkeit („Bipolarität“) des Tauschprozesses: Für Sach- und Dienstleistungsbetriebe bedeutet Leistungsverwertung Tausch (nur) der eigenen Produkte bzw. der eigenen Dienste gegen Geld (Absatz). Für Handelsbetriebe bedeutet Leistungsverwertung hingegen Tausch der Handelsware und eigener Dienste gegen Geld auf der Absatzseite und Tausch von Handelsleistungen und Geld gegen Produkte auf der Beschaffungsseite. Diese Arteigenheit der Leistungsverwertung in Absatz- und Beschaffungsmärkte hinein ist kennzeichnend und weist auf den besonderen Beitrag des Handels zur Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft hin. Handelsbetriebe erbringen somit typischerweise eine bipolare produktive Marktleistung, die weder von Sachleistungsbetrieben noch von Dienstleistungsbetrieben erbracht wird. Handelsbetriebe sind in der Marktwirtschaft Produktionswirtschaften sui generis.
2. Der Begriff Handelsmarketing wurde vor über 30 Jahren erstmals vom Verfasser vorgeschlagen, und zwar als Reaktion auf die stürmische Entwicklung der industriellen MarketingLehre, mit deren Verdrängung der traditionsreichen Handelsbetriebslehre eine Fehlentwicklung am Horizont heraufzog (SCHENK 1982, S. 325). Dass der Aufsatz des Vf. „Plädoyer für ein eigenständiges Handelsmarketing“ in den FfH-Mitteilungen, Heft 7/1974, nachhaltig von der Fachwissenschaft aufgegriffen wurde ist, erfüllt ihn mit Stolz. Inzwischen tragen bereits 35 deutschsprachige Werke den Begriff „Handelsmarketing“ in ihrem Titel (Stand: Februar 2007). Eine Bibliographie findet der interessierte Leser auf der Homepage des Vf. unter www.schenk-duisburg.de/Handelsmarketing/handelsmarketing.htm. Das angelsächsi-
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2 Handel und Psychologie
sche Schrifttum hat den Begriff ebenfalls adaptiert: retail marketing und wholesale marketing. Soviel zum Persönlichen. In der Sache handelt es sich beim Handelsmarketing – wie eingangs erwähnt und anders als bei den „Bindestrich-Psychologien“ – nicht um den Teil eines allgemeinen Marketings, sondern um einen Teil der Handelsbetriebslehre. Vereinfacht ausgedrückt, stellt Handelsmarketing das eigenständige Marketing von Handelsunternehmen dar. Durch eine Reihe von Besonderheiten hebt es sich vom industriell geprägten Marketing ab: -
Handelsbetriebe sind nicht mehr nur Objekte des Marketings, sondern Subjekte eigenständigen Marketings. (Zum Typischen des Handelsmarketings nur ein paar Stichworte: nicht Produkt- oder Markentreue, sondern Firmentreue; nicht „Ein- und Ausschalten“ oder „Hinein- und Hindurchverkauf“, sondern Kennzahlen-optimierte Sortimentspolitik mit Artikelauswahl, ggf. -elimination);
-
strategisches und taktisches Handelsmarketing richtet sich nicht nur auf den Absatzmarkt, sondern auf alle vier Märkte des Handelsbetriebs (Absatz-, Beschaffungs-, Konkurrenzmarketing und internes Handelsmarketing);
-
Handelsmarketing bezieht in alle Phasen des Managements (Planung, Realisation und Kontrolle) die handelsspezifischen Entscheidungsobjekte ein;
-
Handelsmarketing entwickelt handelsspezifische Methoden (Handelsmarktforschung, Handelscontrolling, Handelsmarken, Beschwerdemanagement, Ladenbau usw.);
-
als entscheidungsorientierte Lehre kennt Handelsmarketing vielfältige interdisziplinäre Verknüpfungen (z.B. zu Wirtschaftrecht, Städtebau, Informatik, Technologie und Psychologie);
-
Handelsmarketing kann nach Marktausdehnung, Branchen, Betriebsformen bzw. Betriebstypen, Betriebsgrößen und Rechtsformen differenziert und als sektorales Handelsmarketing spezifiziert werden (Groß- und Außenhandels-, Einzelhandels- und Handelsvertretermarketing; Stahlhandels-, Kunsthandelsmarketing; Warenhaus-, Filialbetriebs-, Fachhandelsmarketing; Verbundgruppenmarketing; Einzelkaufmanns-, Gesellschafts- oder genossenschaftliches Marketing usw.);
-
Handelsmarketing hat besonders komplexe und dynamische Probleme im internen Markt und auf den externen Märkten zu bewältigen, z.B. in der Sortimentspolitik und im intra- und interformaler Wettbewerb mit enger Reaktionsverbundenheit der Mitbewerber.
„In Zeiten, in denen die Marketingführerschaft zunehmend vom Handel übernommen wird, wird das Handelsmarketing an Bedeutung gewinnen.“ (HURTH 2006, S. 20) Terminologisch bleibt noch etwas kurz klarzustellen: Das von Herstellern speziell an den Handel gerichtete Marketing wird gelegentlich ebenfalls Handelsmarketing genannt. Diese Bezeichnung ist jedoch irreführend. Auf diesen Fall trifft die Bezeichnung Trade Marketing besser zu. 3. Die enge Beziehung zwischen Handel und Markt wird ersichtlich, wenn man an die Markt-Definitionen anknüpft. Aufschlussreich ist schon die etymologische Annäherung an den Begriff Markt: „Das Wort ist die deutsche Umformung des lat. mercatus, mit welchem die römischen Krämer, die schon zu CÄSARs Zeiten und in späteren Jahrhunderten vermehrt das deutsche Land durch-
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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zogen, ihren Hausiervertrieb bezeichneten“ (GRIMM, J. und W.: Deutsches Wörterbuch, 6. Band, Leipzig 1885, Sp. 1644). Der Begriff Markt ist also unmittelbar aus der Frühform des (ambulanten) Handels abzuleiten. Aufschlussreich ist auch folgende Auswahl von Standarddefinitionen des Begriffs Markt: − „Der ökonomische Ort des Tausches, an dem sich durch Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage die Preisbildung vollzieht“ (GABLERS WIRTSCHAFTS-LEXIKON, 12. Aufl., Wiesbaden 1988, Sp. 283). − „Im allgemeinen der Ort des Tausches, an dem sich durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage nach einem Gut oder einer Dienstleistung der Preis bildet“ (Kleines Wirtschaftslexikon, hrsg. von Th. HOLL/R. PÖHM, 4. Aufl., 2. Band, Stuttgart 1971). − „Unter Markt versteht man den ökonomischen Ort des Austausches von Gütern und Dienstleistungen. Als ökonomischen Ort bezeichnet man dabei alle Gelegenheiten, bei denen Angebot und Nachfrage nach bestimmten Gütern aufeinandertreffen, wobei sich die Preisbildung vollzieht“ (RENTSCH, F.: Markt, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Stuttgart 1974, Sp. 1301f.). − „Unter einem Markt versteht man den ökonomischen Ort des Tausches von Gütern, Dienstleistungen oder anderen wirtschaftlichen Werten“ (GUMPERT, H.: Markt und Marktformen, in: Handwörterbuch der Volkswirtschaft, hrsg. von GLASTETTER/ MÄNDLE/MÜLLER/RETTIG, 2. Aufl., Wiesbaden 1980, Sp. 800). − „Ein Markt ist der gedankliche Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage“ (SIEBERT, H.: Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 9. Aufl., Stuttgart/Berlin/Köln 1989, S. 90). Die Reihe der Markt-Definitionen könnte beliebig fortgesetzt werden. Es wird allenthalben deutlich, dass es sich bei dem „Ort des Tausches“ a) um ein gedankliches Konstrukt, d.h. um eine Abstraktion, und b) um einen Sammelbegriff handelt. Die zahlreichen Einteilungsmöglichkeiten in unterschiedliche Marktarten − nach sachlichen, räumlichen oder zeitlichen Merkmalen, − in organisierte/nicht organisierte Märkte, − in offene/beschränkte/geschlossene Märkte, − in vollkommene/unvollkommene Märkte usw. und in unterschiedliche Marktformen − nach Teilnehmerzahl, − nach Teilnehmerverhalten usw. ändern nichts an der Tatsache, dass derartige Abgrenzungen gedankliche Konstrukte und abstrakte Sammelbezeichnungen bleiben. Darin unterscheiden sich Betriebs- und Volkswirtschaftslehre nicht. Die Betriebswirtschaftslehre versteht jedoch unter Markt der Unternehmung regelmäßig nur den Absatzmarkt. Marktorientierte Unternehmungsführung (Marketing) ist durch Absatzmarktorientierung gekennzeichnet. Das sog. Marketing-Instrumentarium – Produkt-,
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2 Handel und Psychologie
Distributions-, Entgelt- und Kommunikationspolitik –, ursprünglich das „absatzpolitische Instrumentarium“ Erich GUTENBERGs, ist auf einen mehr oder minder unbestimmten, diffusen Absatzmarkt mit anonymen Endabnehmern gerichtet. Es ist verständlich, dass die moderne Marketinglehre im Zeichen gesättigter Konsumgütermärkte die Suche nach Mitteln und Wegen möglichst zweckmäßiger (Absatz-)Marktabgrenzung in ihren Mittelpunkt stellt: Marktsegmentierung, Nischenstrategie (vgl. DICHTL 1991, S. 63–79). Handelsbetriebe haben es selbstverständlich auch mit mehr oder minder unbestimmten Absatzmärkten zu tun. Allerdings ist für stationäre Handelsbetriebe im Normalfall der direkte Kontakt zu den Marktpartnern noch vorhanden, so dass sich ihre externen Marktbeziehungen weniger abstrakt und anonym gestalten. Die industrielle Marketinglehre verstellt leicht den Blick dafür, dass für die Handelsunternehmung nicht Marktanalyse und -gestaltung nur des Absatzmarkts die Leitlinie des Handelns darstellt, sondern Analyse und Gestaltung von vier Märkten: Absatzmarkt, Beschaffungsmarkt, Konkurrenzmarkt und internem Markt. In der Volkswirtschaftslehre wird der Markt als eine Art Clearing-Stelle vorgeführt, bei der Nachfrager angeben, welche Menge eines Gutes sie zu einem bestimmten Preis nachfragen und Anbieter angeben, welche Menge sie bereitstellen. (Dass als Anbieter meist nur Hersteller und als Nachfrager wie selbstverständlich nur Haushalte fungieren, zeugt von einem eigenwilligen Realitätssinn und Traditionsbewusstsein der Nationalökonomen. Ein Großhändler hat in ihren Beispielen zur Marktpreisbildung keinen Platz. Eigentlich dürfte es ihn gar nicht geben. Und damit der junge Volkswirt die Marktpreisbildung möglichst anschaulich lernt, wird sie ihm in einem Standardlehrbuch am Beispiel der Versteigerung von Kühen klargemacht...) (vgl. SIEBERT, H., a.a.O., S. 90f.). Überdies bereitet in der Wettbewerbstheorie und -politik das Konzept des „relevanten Markts“ erhebliche Schwierigkeiten in Bezug auf den Handel. Dass z.B. eine räumliche Abgrenzung „nicht immer möglich“ sei, erfährt der Lernende am Beispiel der „Frage, ob ein Markt relativ eng als Punktmarkt (Börse) oder als Regionalmarkt (Wochenmarkt) oder aber relativ weit als Länder- oder Weltmarkt zu fassen ist“ (LANGE 1989, S. 186f.). Man kann die Marktunterschiedlichkeit als eine Frage der räumlichen Enge bzw. Weite sehen. Zweckmäßiger und auch historisch zutreffender ist die Unterscheidung in mehr oder weniger konkrete bzw. abstrakte Märkte. Dass historisch die Märkte eine Entwicklung vom Konkreten zum Abstrakten genommen haben, überdies vom Persönlichen zum Unpersönlichen, vom Bekannten zum Unbekannten, vom Nachbarlichen zur Ferne und Fremde, ist leider in Vergessenheit geraten (vgl. BÜLOW, F.: Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl., Berlin und Frankfurt a.M. 1957, S. 13). Im Zeichen der wirtschaftlichen Verflechtung zum „Weltmarkt“ gilt BÜLOWs lakonische Bemerkung immer noch: „Niemand weiß, wo dieser Weltmarkt ist, es gibt nur Plätze des Weltmarktverkehrs“. Die Handelsbetriebe unterscheiden sich von allen anderen Marktsubjekten dadurch, dass sie nicht nur (externe) Absatz- und Beschaffungsmärkte für Warenanbieter und für Waren- und Dienstleistungsnachfrager organisieren – darauf wird noch eingegangen –, sondern dass sie auch selbst konkrete Märkte sind (interne Märkte). Bei den Messen, Wochen- und Jahrmärkten ist das seit je so gesehen worden: Sie sind Märkte, die man beschickt und besucht, auf denen Leistungen angeboten und nachgefragt werden; sie sind keine gedanklichen Orte, sondern tatsächliche Orte des Leistungsaustauschs; sie sind keine Abstraktionen, sondern Konkretisierungen des Marktes.
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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In der Literatur wird des öfteren Markt im engeren Sinn sehr wohl vom o.g. Markt im weiteren Sinn abgegrenzt. Als Beispiele für Märkte im engeren Sinn werden dann Börsen, Auktionen, Wochenmarkt, Großmarkt, elektronische Märkte u.ä. erwähnt. Gleichwohl wurde bislang nicht erkannt, dass jeder einzelne Handelsbetrieb – und nicht nur eine Ansammlung von Handeltreibenden wie auf Börsen, Großmärkten usw. – einen konkreten Ort des Leistungsaustauschs darstellt und auch die Funktion der Marktpreisbildung, Rudolf SEYFFERTs pretiale Funktion des Handels, ausübt (vgl. SEYFFERT 1972, S. 8). Wenn sich bestimmte Betriebsformen des Groß- oder Einzelhandels mit dem Wortbestandteil „-markt“ charakterisiert haben (Supermarkt, Verbrauchermarkt, Fachmarkt, Getränkemarkt, Megamarkt; supermarket; hypermarché usw.), dann war diese Wortwahl durchaus treffend, wenngleich sie wohl eher unbewusst geschah. Die hier vorgetragene Gleichsetzung Handelsbetrieb = interner Markt ist neu. Ihr könnte entgegengehalten werden, dass der Markt ein gesamtwirtschaftliches, jedenfalls überbetriebliches Phänomen sei, das nicht für einen Einzelbetrieb gelten könne. Da jedoch alle Definitionsbestandteile des Begriffs Markt auf die einzelnen Handelsbetriebe mit ihren spezifischen Leistungen zutreffen, ist dieser Einwand nicht haltbar. Andere Einwände sind zu prüfen: − Der denkbare Einwand des Fehlens von mehreren Marktteilnehmern auf einer oder auf beiden Marktseiten wäre zu widerlegen durch die Marktformen des Monopols und des Monopsons, die auch in anderen Wirtschaftszweigen bestehen. − Das Argument des Fehlens von Preisverhandlungen im Einzelhandel verfängt nur scheinbar, da die Verhandlungen über Preisforderung und Preisgebot bei Verkaufspreisen im Einzelhandel durch die Preisauszeichnungspflicht nur formalisiert und verdeckt ist. Beim Einkauf des Einzelhändlers, im Großhandel wie überhaupt zwischen allen gewerblichen Marktteilnehmern werden die Preisverhandlungen aber offen ausgetragen. − Der denkbare Hinweis auf die räumliche Enge der Einzugsgebiete, namentlich im Einzelhandel (convenience shop, Nachbarschaftsladen!), ist kein Argument, da auch andere Produktionswirtschaften räumlich enge Absatzmärkte kennen, z.B. Landwirte oder Handwerker. − Der Einwand der Nichtexistenz von Produktmärkten im Handel – die typische Wettbewerbssituation von Industriebetrieben – stellt ein definitorisches Scheinproblem dar, da sich für Groß- und Einzelhandelsbetriebe die typische Wettbewerbssituation auf (komplexere) Sortimentsmärkte verlagert. Die Interdependenz von Handel und Markt ist demnach neu zu bedenken und bewusst zu machen: Im Handelsbetrieb verschmelzen Produktionswirtschaft, Konsumwirtschaft und Markt. Handel existiert nicht ohne Märkte – Märkte existieren nicht ohne Handel. Da es aber in den zentralgeleiteten Wirtschaftssystemen „Handelsbetriebe“ gab, die weder selbstständig Absatz- und Beschaffungsmärkte organisierten noch selbst als Märkte mit permanenter Preisausgleichsfunktion agierten, fehlt für die ausreichende Begründung der Verschmelzung von Produktionswirtschaft und Markt im Handelsbetrieb noch ein Element: die Rahmenbedingung der Marktwirtschaft. 4. Unter Marktwirtschaft ist das Wirtschaftssystem einer Volkswirtschaft zu verstehen, das durch eine Reihe von konstitutiven Elementen bestimmt wird. Diese systembildenden Elemente sind vor allem von W. EUCKEN herausgearbeitet worden (vgl. EUCKEN, Walter: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern-Tübingen 1952):
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2 Handel und Psychologie a) nicht-zentrale Abstimmung der individuellen Wirtschaftspläne aller Wirtschaftssubjekte über (freie) Märkte (Koordination statt Subordination); b) Vorherrschen des (freien) Wettbewerbs auf den Märkten; c) Privateigentum an den Produktionsmitteln und Realisierung aller produktiven Prozesse auf der Grundlage von Privatinitiative mit der Aussicht auf Gewinnerzielung (erwerbswirtschaftliches Prinzip); d) Freiheit der Konsum-, Spar- und Investitionsentscheidungen; e) Vertragsfreiheit (einschl. Koalitionsfreiheit als Existenzbasis für Verbundgruppen des Handels) und Haftung der Vertragspartner; f) Einkommensverteilung primär nach Maßgabe der individuellen Leistung; g) Beschränkung der Staatstätigkeit auf Befriedigung von Kollektivbedürfnissen.
Andere Bezeichnungen für das so bestimmte Wirtschaftssystem der (freien) Marktwirtschaft sind etwa freie Verkehrswirtschaft (EUCKEN) oder Vielplanwirtschaft (PREISER). Dem ist das Wirtschaftssystem der zentralen Planwirtschaft gegenüberzustellen, für das sich ebenfalls andere Bezeichnungen finden, z.B. zentralgeleitete Wirtschaft bzw. Zentralverwaltungswirtschaft (EUCKEN), Einplanwirtschaft (PREISER), Befehlswirtschaft (DIETZEL) oder Bürowirtschaft (ARNDT). Seine systembildenden Elemente stellen jeweils den Gegensatz zu den o.g. Elementen a) bis g) dar. Der wichtigste Gegensatz liegt in der zentralen Planung, Vorgabe und Kontrolle der Wirtschaftspläne und der Preise für die Produktionswirtschaften (Subordination der betrieblichen Pläne unter den staatlichen Gesamtwirtschaftsplan, grundsätzliches Fehlen von freien Märkten). Ein neuerer, von der Soziologie her kommender Ansatz erklärt die Marktwirtschaft als konkrete Ausdifferenzierung der arbeitsteiligen Gesamtwirtschaft erst durch das Vorhandensein folgender Bedingungen: a) Vorhandensein von Märkten als „komplexe, sozial normierte Steuerungssysteme, in denen die Abstimmungsleistung zwischen Anbietern und Nachfragern ex post über den Preismechanismus erbracht wird“ und in denen marktkonformes Verhalten belohnt und nonkonformes Verhalten bestraft wird; b) Identifizierung der Tauschpartner mit den Institutionen und Verhaltensvorgaben des Marktes; c) Vorhandensein einer die Marktwirtschaft legitimierenden Ideologie, die Wissens- und Wertelemente enthält. Dementsprechend wird die zentrale Planwirtschaft durch die Bedingung „Institutionalisierung der Steuerung des Tausches über ex ante erstellte zentrale Pläne“ erklärt, denen gegenüber sich die Tauschpartner konform zu verhalten haben (vgl. LANGE 1989, S. 182). Den grundsätzlich unterschiedlichen Versorgungsapparaten in Marktwirtschaft und zentraler Planwirtschaft – hier in die Gesamtplanung eingebundene staatliche Distributionsorgane, dort autonom agierende, Märkte organisierende, Wettbewerb auslösende und preisausgleichende private Betriebe – sollte begrifflich Rechnung getragen werden: Die Begriffe Handel, Handelsunternehmung und Handelsbetrieb erscheinen nur für marktwirtschaftliche Systeme geeignet. Der missverständliche, auf bloße Warenverteilung abstellende Begriff Distribution sollte eigentlich nur für nicht-marktwirtschaftliche Systeme mit staatlichen „Handelsorganisationen“ verwendet werden.
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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Die Tatsache, dass in der Bundesrepublik Deutschland ein modifiziertes marktwirtschaftliches System, die Soziale Marktwirtschaft, realisiert ist und die Leitlinien des wirtschaftspolitischen Handelns bestimmt, erhellt die konstitutive Bedeutung des Handels in besonderem Maße. Nach A. MÜLLER-ARMACK, dem Schöpfer des Begriffs Soziale Marktwirtschaft, findet das Soziale an dieser Marktwirtschaft seinen sinnfälligsten Ausdruck in der Wirtschaftsorientierung an den Verbrauchern. Es kann nicht bezweifelt werden, wo die entscheidende Schnittstelle zwischen Verbrauchern und gewerblicher Sphäre liegt: im Einzelhandel. Wenn die Soziale Marktwirtschaft „als eine ordnungspolitische Idee ...“ definiert wird, „deren Ziel es ist, auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden“ (MÜLLER-ARMACK 1956, S. 390), dann wird deutlich: Der Handel ist die zentrale Organisationsstelle der Sozialen Marktwirtschaft; ihr Koordinierungsprinzip ist Wettbewerb; und das Element, das Handelsbetriebe, Markt und Marktwirtschaft verbindet und funktionsfähig erhält, ist Freiheit. Eine freie Marktwirtschaft kann nicht ohne freie Märkte existieren. Freie Märkte erfordern freien Wettbewerb, freien Marktzutritt, freie Unternehmer- und freie Konsumentenentscheidungen. „Nur in einer freien Marktwirtschaft hat der Handel eine wirtschaftliche Aufgabe; in anderen Wirtschaftssystemen degeneriert er zu einer Zustellorganisation für Waren“ (WELLER 1978, S. 116). 2.1.3.2 Das System der marktwirtschaftlichen Funktionen des Handels Im Folgenden soll einmal anhand von acht Erklärungsansätzen die enge funktionale Verzahnung von Handel, Markt und Marktwirtschaft dargestellt werden. (Näheres zu den Erklärungsansätzen bei SCHENK 1991, S. 56–77). Das Ergebnis ist ein neuartiges System der typisch marktwirtschaftlichen Funktionen des Handels. Es sei darauf aufmerksam gemacht, dass dieses System nicht unerheblich abweicht von den traditionellen Systemen der Handelsfunktionen, die im Anschluss an Karl OBERPARLEITERs Theorie der Handelsfunktionen entwickelt wurden. Das ursprünglich von OBERPARLEITER in seiner Broschüre „Die Funktionen des Handels“, Wien 1918, vorgestellte klassische System von sechs Handelsfunktionen mit jeweils entsprechenden Handelsrisiken ist heute noch eine StandardErklärung des durch den Handel bewirkten Ausgleichs von Spannungen zwischen Produktions- und Konsumtionssphäre: 1. Funktion/Risiko des räumlichen Ausgleichs (räumliche Funktion/räumliches Risiko des Handels) 2. Funktion/Risiko des zeitlichen Ausgleichs (zeitliche Funktion/zeitliches Risiko des Handels) 3. Funktion/Risiko des quantitativen Ausgleichs (Quantitätsfunktion/-risiko des Handels) 4. Funktion/Risiko des qualitativen Ausgleichs (Qualitätsfunktion/-risiko des Handels) 5. Funktion des finanziellen Ausgleichs (Kreditfunktion/-risiko des Handels) 6. Funktion/Risiko des kulturellen Ausgleichs (kulturelle Funktion/kulturelles Risiko des Handels) In seiner umfangreicheren Monographie „Funktionen und Risiken des Warenhandels“ (1930), 2. Aufl., Wien 1955, ersetzte OBERPARLEITER die Bezeichnungen kulturelle
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2 Handel und Psychologie
Funktion/kulturelles Risiko durch das Begriffspaar Werbefunktion/Werberisiko. (Näheres bei SCHENK 1970, S. 55–63. Vgl. zu den Folgesystemen der Handelsfunktionen – u.a. von R. SEYFFERT, H. BUDDEBERG, C. W. MEYER, A. LISOWSKY, H. MARRÉ und K. Chr. BEHRENS – FALK/WOLF 1992, S. 39–51). Interessanterweise zeigt sich an diesem Ansatz eine Methodenverwandtschaft zwischen der Funktionenlehre des Handels und der Feldtheorie der Psychologie (K. LEWIN). Beide gehen von Spannungszuständen aus: hier die innersubjektive Spannung, die unter dem Einfluss zahlreicher Faktoren aus dem individuellen Lebensraum (Feld) entsteht und durch Bedürfnisbefriedigung zum Ausgleich drängt, dort gesamtwirtschaftliche Spannungen, die aus dem Auseinanderfallen von Produktions- und Konsumsphäre resultieren und durch das Tätigwerden von Mittlern zum Ausgleich gebracht werden. Das System der marktwirtschaftlichen Funktionen des Handels mag helfen, das Verständnis für die grundlegenden Leistungen des Handels in der Marktwirtschaft zu verbessern, und die Vielfalt der psychologischen Verhaltens- und Erlebensbeiträge des Handels wie der Handelsmittler aufzuhellen. (a) Die Funktion der Märkteproduktion Kein noch so schöner „gedanklicher Ort“ bringt einen funktionierenden Markt hervor. Jeder Markt bedarf der Konkretisierung, selbst ein Markt für immaterielle Güter oder ein Markt für fungible Güter wie der Devisen- oder Wertpapiermarkt, erst recht die Märkte für Handelswaren. Jeder Anbieter von Waren bedarf konkreter Absatzmärkte, und jeder Nachfrager nach Gütern und Diensten bedarf konkreter Beschaffungsmärkte. Die Produzenten von Kleinbildkameras oder von Fertiggerichten könnten ihren Absatzmarkt selbst organisieren und allein im Inland 20 Millionen potenzielle Hobby-Fotografen oder 50 Millionen Haushalte aufsuchen, anschreiben, anrufen. Sie tun es nicht aus naheliegenden ökonomischen Gründen des unvorstellbaren Aufwands. Jeder Hobby-Fotograf und jeder Haushalt müsste seinen Beschaffungsmarkt selbst organisieren und mühsam Hersteller von Kleinbildkameras oder Fertiggerichten ausfindig machen. Man tut es nicht aus den nämlichen Gründen. Statt dessen bedient man sich zur Bedarfsdeckung der bestens organisierten Absatz- und Beschaffungsmärkte der Markt-Spezialisten: des Handels. Durch das Tätigwerden der Handelsunternehmen, insbesondere durch ihre Zusammenfassung von Waren verschiedener Hersteller zu einem Sortiment, entstehen die konkreten Märkte der Marktwirtschaft. Der Handel produziert somit sehr wohl etwas, und zwar etwas Fundamentales für die Marktwirtschaft: Märkte. (b) Die Funktion der Wettbewerbsgenerierung Durch die Sortimentsbildung jedes Handelsbetriebs entsteht etwas ebenfalls Grundlegendes für die Marktwirtschaft: Es entsteht Wettbewerb unter den Produkten. Es mag den meisten Handelsunternehmern durchaus unbewusst sein – aber durch ihre bedarfsgerechte Zusammenführung (und nicht „Verteilung“) von Waren verschiedener Hersteller – deutlich sichtbar im Bereich des Selbstbedienungshandels – unterlaufen sie ständig die MarketingBemühungen der Produzenten um Marktführerschaft, Alleinstellung, alle USP-Ambitionen (unique selling proposition) und das inhärente Streben nach Monopolstellungen (J. ROBINSONs propensity to monopolize). Freie Sortimentsbildung und freie Konsumwahl bringen im Einzelhandel den Produktwettbewerb als primären Wettbewerb hervor. Ergänzt wird er um die sekundären Wettbewerbsformen (Wettbewerb im Austauschprozess, Wettbewerb im
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Parallelprozess; intraformaler Wettbewerb innerhalb derselben Betriebsform vs. interformalen Wettbewerb zwischen verschiedenen Betriebsformen) aufgrund der Vielzahl der Handelsstufen und der Handelsbetriebe. Die Generierung von Wettbewerb unter den Produkten ist das fundamentale Prinzip. Auf die vielen Formen des Wettbewerbs, aber auch der Wettbewerbsmeidung (Vertragsvertrieb, Kommissionsgeschäft, Prämien, Werbe- und Platzierungshilfen und vieles andere) ist hier nicht näher einzugehen. Nur eine Anmerkung: Funktionsfähigen Wettbewerb wollen alle. Aber wenn der durch den Handel erzeugte Produktwettbewerb ungemütlich wird, dann strebt doch mancher Hersteller eher nach gemütlicheren Formen des Wettbewerbs. Cosy competition? Am Ende ist es gleichgültig, welchem Wettbewerbskonzept der einzelne Wirtschaftstheoretiker oder -politiker zuneigt: Ohne den Produktverbund in den Handelssortimenten käme allenfalls Pseudo-Wettbewerb zustande. (c) Die Funktion der Transaktionskostensenkung Die modernen Marktwirtschaften kennzeichnet ein durchgehendes Rationalisierungsmuster: Arbeitsteilung. Was ursprünglich – etwa von Adam SMITH in seinem berühmten Stecknadel-Beispiel aufgezeigt – für die Produktionstechnik entdeckt, später – etwa durch David RICARDOs Theorie der komparativen Kostenvorteile – auf den Außenhandel übertragen wurde, das kann heute auch für den Binnenhandel in Anspruch genommen werden: Kostenreduktion durch Arbeitsteilung und Spezialisierung. An einem außerordentlich einfachen, noch realitätsfernen Modell lässt sich veranschaulichen, wie im Normalfall des indirekten Vertriebs die Kontaktkosten zwischen m Produzenten (P) und n Güterverwendern (K) durch das vermittelnde Dazwischentreten eines Marktspezialisten (H) reduziert werden. Wollen beispielsweise 5 Produzenten und 1.000 Konsumenten bzw. Verwender zum Zwecke des Tauschs miteinander in Kontakt treten, und zwar jeder mit jedem nur ein einziges Mal, dann entstehen 5 × 1.000 = 5.000 Kontakte mit entsprechenden Kontaktkosten. (Abb. 9) Für die Modellrechnung ist es gleichgültig, in welcher Dimension die Kontaktkosten angegeben werden, als Fahrstrecke, Transportkosten, Briefporti, Telefongebühren o.ä.
Abb. 9: Transaktionen zwischen Produzenten und Konsumenten ohne Tauschvermittler
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2 Handel und Psychologie
Abb. 10: Transaktionen zwischen Produzenten und Konsumenten mit einem Tauschvermittler (Händler)
Tritt nur ein einziger vermittelnder Marktspezialist zwischen die Kontaktsuchenden, nämlich ein Händler, dann sind insgesamt, makroökonomisch sozusagen, nur noch 5 + 1.000 = 1.005 Kontakte erforderlich, allgemein m + n Kontakte. Mikroökonomisch reduzieren sich die Kontakte für jeden einzelnen Produzenten von 1.000 auf 1 und für jeden Verwender von 5 auf 1 (Abb. 10). In einer leichten Realitätsannäherung des Modells könnte man anstelle nur eines Marktspezialisten H einen Großhändler (GH) und drei Einzelhändler (EH1, EH2 und EH3) einführen. Dann erhöht sich die makroökonomische Transaktionszahl nur unwesentlich von 1.005 auf 5 + 3 + 1.000 = 1.008. (Abb. 11) Die Kontaktzahlen für Produzenten und Verwender bleiben gleich; die Kontaktzahlen für die Einzelhändler reduzieren sich sowohl auf der Beschaffungs- als auch auf der Absatzseite; und die Kontaktzahl 5 + 3 = 8 für den Großhändler ist gering. Auch wenn aus der Sicht der Produzenten gelegentlich Nachteile des Kontrollverlusts über die Absatzbemühungen für seine Produkte geltend gemacht werden, entsteht mit der Einschaltung von „Intermediären“ etwas marktwirtschaftlich sehr Erwünschtes: Wettbewerb im Austauschprozess (zwischen den Wirtschaftsstufen) und Wettbewerb im Horizontalprozess (hier auf der Produzenten- und auf einer Handelsstufe). Ferner erfährt die arbeitsteilige Marktwirtschaft durch die Einschaltung von Händlern (Unternehmen oder Verbundgruppen) im Vergleich zur Situation der Direktkontakte zwischen Produzenten und Verwendern eine deutliche Ökonomisierung. Mangelndes Verständnis hierfür ist seinerseits psychologisch zu erklären: die Vorgänge sind sinnlich nicht wahrnehmbar. Die Überführung der multiplikativen Marktkontakte in additive Marktkontakte (m × n) → (m + n) und die damit verbundene Transaktionskosten-Reduktion hat R. GÜMBEL nach den amerikanischen Entdeckern Baligh/Richartz-Effekt genannt (vgl. GÜMBEL 1985, S. 110ff.).
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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Abb. 11: Transaktionen zwischen Produzenten und Konsumenten mit Groß- und Einzelhandel
(d) Die Funktion der Risikoübernahme Mit dem Handelsgeschäft ist der Erwerb des Eigentums an der Handelsware (beim Kauf) und Weitergabe des Eigentums an der Handelsware (beim Verkauf) verbunden, jedenfalls normalerweise beim Eigen- oder Propregeschäft. (Nur in den Fällen der Handelsvermittlung, beim Kommissions- und Kommissionsagenturgeschäft verbleibt das Eigentum an der Ware bis zum Kaufabschluss beim vertretenen Unternehmen oder beim Hersteller bzw. Lieferanten). Hinter der „Weisheit“, Handel sei nichts anderes als „Einkauf von Waren, um sie mit Gewinn wieder zu verkaufen“, steckt in Wirklichkeit eine erhebliche Dienstleistung für die Marktwirtschaft: Jeder Händler übernimmt mit der Ware das gesamte Absatz(markt)risiko; er nimmt es seinen Lieferanten ab. Umgekehrt übernimmt er – aus der Sicht seiner Kunden – weitestgehend das Beschaffungs(markt)risiko, d.h. alle Risiken des Transports, des Verderbs, der Veralterung, der Entwertung. Mancher Verkünder der These von der geballten Nachfragemacht des Handels würde weniger lautstark polemisieren und über „harte“ Preisund Konditionenverhandlungen jammern, würde er bedenken, dass der risikoübernehmende Handel auch auf Überlassung von Kommissionsware oder auf Rückgaberecht bestehen könnte. Bislang ist das Remissionswesen in Deutschland nur im Bereich des Presse-Vertriebs üblich. In Japan hingegen verlangen Warenhauskonzerne regelmäßig Belieferung mit Kommissionsware (henpinsei-System). Im eigenen Namen und für eigene Rechnung handeln heißt auch, sich, seine Familie und seine Mitarbeiter existentiell nicht nur an die Marktchancen, sondern auch an die Marktrisiken, an Risiken des Fehleinkaufs und der Fehlkalkulation, zu binden – Risiken, die keine Versicherung und keine staatliche Instanz übernimmt. Ohne solche Risikoträger funktioniert jedoch keine Marktwirtschaft. (e) Die Funktion der Finanzierungsentlastung Jeder Ware, die ein Handelsunternehmer einkauft und bezahlt, entspricht eine Einnahme bei den Lieferanten. Damit ist eine kapitalistische Arbeitsteilung verbunden, deren Bedeutung weitgehend unterschätzt wird: Die Produzenten bzw. Lieferanten können mit den Einnahmen
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2 Handel und Psychologie
ihre Produktion bzw. Beschaffungsaktivitäten finanzieren. Dies hatte Karl MARX sehr richtig erkannt: der Handel als „Beschleuniger der Zirkulation“. Und die Kunden brauchen die Finanzmittel zum Erwerb der Handelsware erst im Augenblick der Beschaffung aufzubringen. Die finanzielle Entlastung kennt besonders im Großhandel zahlreiche Formen (Lieferantenkredit; aktive und passive Absatz- und Beschaffungsfinanzierung; vgl. hierzu Abschnitt 4.5). Mit jedem Tag und jeder Stunde, während der die Ware beim Händler unverkauft liegt, wird das darin investierte Kapital langsam und nicht sichtbar mit Zinsen belastet. Daher sind Ladenhüter Gift für den Handelsbetrieb. Die Zinskosten zehren permanent an der Handelsspanne (Differenz zwischen Verkaufs- und Einstandspreis), wobei die Eigenkapitalzinsen als Betriebskosten steuerlich nicht einmal anerkannt werden. Es dürfte klar sein, welche Finanzierungsentlastung durch die Handelslager entsteht. (f) Die Funktion der Knappheitsverwaltung Soviel weiß jeder Bürger: In der Marktwirtschaft richten sich die Preise nach Angebot und Nachfrage. Bei zunehmender Angebotsfülle bewirkt funktionierende Konkurrenz ein Sinken, bei zunehmender Knappheit ein Steigen der Preise. Nur haben sich die „aufgeklärten“ Bürger eine zu enge Sicht anerziehen lassen, nämlich immer nur Produktpreise immer nur auf Absatzmärkten zu sehen und weniger Leistungspreise aller Art und erst recht nicht die Preisbildung auf Beschaffungsmärkten. Verlorengegangen ist das Wissen darüber, dass nur die am Markt realisierten monetären Gegenleistungen für Sach- und Dienstleistungen des Marktpartners Preise darstellen; alles andere sind – vorher – immer nur Preisforderungen von Anbietern und Preisgebote von Nachfragern. Den Kaufleuten ist das bei harten Preisverhandlungen bewusst: dass Leistungen und Gegenleistungen je ihren Preis haben. Den durch die Preisauszeichnungspflicht „geschützten“ Verbrauchern ist das längst nicht mehr bewusst, und der modernen Marketinglehre ist Beschaffungspreispolitik ohnehin fremd. Nun sind die Waren, insbesondere die Konsumgüter, in den entfalteten Marktwirtschaften schon lange nicht mehr knapp. Im Gegenteil. Zu konstatieren sind Überfülle, Sortenhypertrophie, immer mehr Produktvariationen, -differenzierungen, -imitationen und -innovationen. Die Absatzkanäle sind allenthalben verstopft, und Marketing soll hier den Produzenten/Anbietern Lösungen bieten. Was aber knapp geworden ist, das sind die Marktplätze des stationären Handels und des Versandhandels, d.h. die Ladenflächen, die Regale, die Schaufenster und die Versandkatalogseiten. Wer in der Marktwirtschaft über knappe und begehrte Güter materieller oder immaterieller Art verfügt, der verfügt auch über Einfluss, d.h. dem jeweiligen Marktpartner gegenüber über mehr oder weniger große Marktmacht. Auch an diesem Punkt ist Umdenken vonnöten. Knappheitsverwalter sind in hochentwickelten Ländern oft nicht mehr die Produzenten, obwohl alle Marketinganstrengungen in diese Richtung zielen: subjektive Präferenzen für die eigenen Produkte zu erzielen, sie dadurch vermeintlich unvergleichlich, knapp und begehrt zu machen. Vielmehr sind immer mehr Handelsunternehmen, selbst Klein- und Mittelbetriebe dank ihrer Organisation in Kooperationen, in die Rolle von Knappheitsverwaltern gerückt. Was sie als Schleusenwärter (gate keeper) in ihr Sortiment aufzunehmen bereit sind, das gelangt in den Konsum. In dieser Situation muss ein neues Verständnis geweckt und gelehrt werden: Für den Handel sind Beschaffungsstrategien gleich wichtig wie die Absatzstrategien. Lieferantenwahl, Wahl der Beschaffungswege, -preise und -mengen, Beschaffungswerbung, Lieferantendienste und -informationen, Beschaffungskonditionen; Rabatte, Skonti,
2.1 Handel und Psychologie in der Theorie
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Liefer- und Zahlungsbedingungen als Verhandlungsgegenstand beim Einkauf – all dies ist existenziell wichtiger Gegenstand des psychologisch orientierten Handelsmanagements, aber normalerweise nicht Gegenstand der Marketinglehre. Zweifellos werden die Verbraucherentscheidungen, die im Zentrum der Markt- und Konsumpsychologie stehen, im Einzelhandel getroffen. Dessen Beschaffungspolitik ist daher unmittelbar aus Verbraucherinteressen abgeleitet, die des Großhandels mittelbar. So gesehen, bekommen zunehmende Nachfragermacht, z.T. auch zunehmende Konzentration im Handel, nicht nur ihre Legitimation direkt aus Verbraucherentscheidungen, sondern sie wirken als ein unentbehrliches Korrektiv gegenüber Anbietermacht, d.h. gegenüber allen monopolistischen Versuchen, Absatzmärkte abzuschotten oder zu beherrschen. (g) Die Funktion der „Verschwendungspolizei“ Das Bild vom Handel als einer Art „Knappheits- und Verschwendungspolizei“ stammt von J. F. SCHÄR (1911), dem ersten Inhaber eines Universitätslehrstuhls für Handelsbetriebslehre im deutschsprachigen Raum (vgl. SCHÄR, J. F.: Allgemeine Handelsbetriebslehre, 2. Aufl., Leipzig 1913). Nach diesem Konzept bewirken die Außen- und die Binnenhändler, dass die Waren aus Regionen des Überflusses in solche der Knappheit gelangen. Durchaus durch das Gewinnmotiv angespornt, sorgen sie für einen Abbau von Verschwendung und eine Reduzierung von Marktungleichgewichten. Damit hat SCHÄR ein Prinzip deutlich gemacht, das heute kaum noch gewürdigt wird: Jeder Handelsbetrieb steht jederzeit unter der Bedrohung der Ausschaltung, sei es von Seiten der Lieferanten, sei es von Seiten der Kunden, sei es von beiden Marktseiten gleichzeitig. Wer als Händler seinen Lieferanten nicht mehr gleich günstige oder günstigere Absatzmöglichkeiten und seinen Kunden nicht mehr gleich günstige oder günstigere Beschaffungsmöglichkeiten bietet als andere Mitbewerber, der wird nicht mehr beliefert und/oder bei ihm wird nicht mehr gekauft, jedenfalls nicht mehr in auskömmlichem Umfang – ein eingebautes Korrektiv gegen (Markt-)Unwirtschaftlichkeiten aller Art. Das gilt in besonders starkem Maße für Großhandlungen, speziell für den Produktionsverbindungshandel, der auf der Beschaffungs- wie auf der Absatzseite gewerblichen Marktpartnern seine Dienste anbieten muss. Der vielfach vorgebrachten Ausschaltungsbedrohung des Großhandels (aber auch des Einzelhandels) durch die virtuellen "Intermediäre", d.h. durch Internet-Anbieter, ist entgegenzuhalten: "Nicht 'das' Internet verschärft die Ausschaltungsgefahren für den Großhandel, sondern der Verzicht auf seine aktive Nutzung!" (SCHENK 2005b, S. 403) Hinzu kommt die in keinem anderen Land der Erde so weit reichende Gewerbefreiheit wie die deutsche, die es jedermann jederzeit erlaubt, ein Handelsgewerbe – mit Einschränkungen nur bei Waffenhandel, Apotheken und Lebensmittelhandel – anzumelden und als Mitbewerber aufzutreten. Die marktkonforme Bedrohung durch Ausschaltung trifft Handel und Handelsvertretungen daher wie keinen anderen Wirtschaftszweig. Entgehen kann ihr ein Handelsbetrieb nicht durch Patente, nicht durch Staatssubventionen, durch Werbemillionen, durch Marketing- oder durch Psychokniffe, sondern einzig und allein durch Leistung. Die Funktion der „Verschwendungspolizei“ bekommt eine ganz aktuelle Bedeutung in dem Problemfeld Handel und Ökologie. Da mögen Marketingstrategen der Hersteller sich immer aufwändigere, raffiniertere Verpackungen als Sales Promotion ausdenken, aber die Händler werden den Interessen der umweltbewusster werdenden Kunden Vorrang einräumen müssen. Sie müssen als „Verschwendungspolizei“ heute das genaue Gegenteil lernen, nämlich die
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2 Handel und Psychologie
strategischen Signale frühzeitig zu erkennen, wann welche ökologisch nicht vertretbaren Artikel auszulisten, aus dem Sortiment herauszunehmen sind. (h) Die Funktion der Kulturvermittlung Der originelle Ansatz von Karl OBERPARLEITER aus dem Jahre 1918, den Handel mittels einer kulturellen Funktion (neben den fünf anderen erwähnten Funktionen) zu erklären, ist leider in Vergessenheit geraten. Und doch begegnet uns die Kultur stiftende und Kultur vermittelnde Tätigkeit des Handels auf Schritt und Tritt. Das gilt nicht nur für die mit Kulturgütern im engeren Sinne handelnden Unternehmen wie Kunst- und Antiquitätenhandel, Galerien, Musikalienhandel usw. Auch sind hierunter nicht die Kunst und Kommerz verbindenden Einzelveranstaltungen zu verstehen, wie z.B. jene von bildenden Künstlern und 14 Fachgeschäften in München durchgeführte Aktion „Shop Art ’94“, bei der die neuen Kunstwerke in die Schaufensterdekoration einbezogen wurden und aufgeschlossene Fachhändler somit konkrete Verkaufshilfen für die jungen Künstler leisteten. Die kulturelle Tätigkeit des Handels ist viel weiter zu fassen. Heute sind in jeder Warenhausfiliale Tausende von Waren aus allen Kulturkreisen der Welt zusammengefasst – nicht zur flüchtigen musealen Betrachtung, sondern zum Erwerb, zum Gebrauch, zum Genuss. Mit welchem Einfallsreichtum und mit welchen Mühen ermöglichen es die WarenhausKonzerne, dass bei uns jederzeit „die Welt zu Gast“ ist! Auch wenn die Kunden es als selbstverständlich empfinden, dass handgewebte seidene Doupions aus Indien, chinesische Woks, Olivenöl aus der Toskana, Pariser Parfums, amerikanische Joggingschuhe und japanische Mini-Farbfernsehgeräte wohlfeil unter einem Dach angeboten werden – solche Begegnungen mit der großen schönen Warenwelt sind und bleiben deutlicher Ausdruck jener kulturellen Funktion des Handels und machen den Reiz des Erlebnishandels aus. Wer je den Luxus und die Sinnlichkeit der KaDeWe-Warenwelten erlebt hat, wird dem Chefmanager Patrice WAGNER zustimmen, der sein Haus anlässlich des 100. Geburtstags am 27. März 2007 als kulturelle Vergnügungsmaschine bezeichnete, die unterhalten, verzaubern und verführen will. Nicht unähnlich dem Künstler präsentiert auch der Händler das Neue, die konkretisierte Symbolwelt der Waren, seine Warenkomposition, zum Greifen nah im Schaufenster und im Ladenregal. Dabei spricht der Händler alle unsere Sinne an. Er vermittelt die Lust an den Dingen, die Lust des Erblickens, des Anhörens, des Schnupperns, des Greifens, des Schmeckens und des Wissens. Im Handel findet die immer neue „Überraschungsparty“ statt; hier ist die multikulturelle Erlebnisbühne, von der Peter KAUFMANN schon im Jahre 1969 sprach – zwanzig Jahre bevor sein Wort vom Erlebniskauf eine Modevokabel wurde (vgl. KAUFMANN 1969). Und nicht unähnlich dem Schicksal der Kunst in totalitären Staaten, die mit Verboten gegen unliebsame, „entartete“ Bücher, Bilder und Musikstücke zu Felde ziehen und Kultur als Monopol verwalten, ist das Schicksal des Handels in totalitären Staaten. Hier wird er nicht nur missverstanden, sondern reglementiert und unterdrückt – was fast zwangsläufig zu Schwarzmärkten führt. Das Gemeinsame von Handel, Markt und Kultur liegt auf der Hand: Wettbewerb und Freiheit des Individuums. Ohne Wettbewerb und ohne Freiheit können sie nicht blühen (vgl. SCHENK 1991).
2.2 Handelspraxis und Psychologie
65
Ohne freien Handel kein Markt, ohne freie Märkte kein Handel; ohne freien Handel und freie Märkte keine Marktwirtschaft und keine Kultur.
2.2
Handelspraxis und Psychologie
Psychologisches Denken, Beobachten und Agieren, namentlich in Form der Einflussnahme auf Tausch- bzw. Marktpartner, gehört seit Anbeginn zum Handel. In der Welt des ökonomischen Leistungsaustauschs von Ware gegen Ware, Dienstleistung gegen Dienstleistung oder Ware und/oder Dienstleistung gegen Geld und umgekehrt realisieren die jeweils Beteiligten den Austausch oder den Verkauf/Kauf nur dann, wenn beide Seiten daraus einen Nutzen ziehen. In dieser Welt ohne objektiv-eindeutige Wertmaßstäbe für den Leistungsaustausch bleibt es nicht aus, dass jeder Beteiligte den anderen zu beeinflussen sucht, um seinen Vorteil zu erreichen: „Just as every salesman seeks profitable sales, so every customer wishes to make profitable purchases“ (GRIKSCHEIT/CASH/CRISSY 1981. S. 323). Die dahinter stehende Haltung kann, muss jedoch nicht auf purem Utilitarismus oder Hedonismus gründen. Und der Beeinflussungsversuch beruht im Normalfall selbstverständlich nicht auf Betrug, Arglist oder Täuschungsabsicht. (Auf die leider auch anzutreffenden kriminellen und betrügerischen Machenschaften, namentlich im Online-Handel, wird auf S. 85 sowie in Kapitel 5.3 näher eingegangen). In fast jedem Fall steht das ökonomische Prinzip als allgemein menschliche Maxime für rationales Verhalten hinter dem Leistungsaustausch. In der Maximum-Variante besagt es, dass mit gegebenen Mitteln (Aufwand) der größtmögliche Nutzen erreicht werden soll. In der Minimum-Variante besagt es, dass der gegebene Nutzen mit geringst möglichem Mitteleinsatz erzielt werden soll. Beide Varianten werden sowohl von Handelsbetrieben zum Zwecke der Gewinnerzielung („Maximierung des Periodengewinns“) als auch von den Marktpartnern zum Zwecke der Gewinn- bzw. Nutzenmaximierung verfolgt. Da die Absatz- und Beschaffungsinteressen des Handelsbetriebs und die seiner Marktpartner im Allgemeinen in Bezug auf das ökonomische Prinzip konträr sind, sind Marktkonflikte den Partnerbeziehungen immanent. Jeder versucht nach Möglichkeit, seine Ziele durchzusetzen, was die Notwendigkeit von Einflussnahme, Verhandeln und Überzeugen impliziert. Auf das Marktverhalten und -erleben anderer einzuwirken erweist sich somit als ein inhärent psychologischer Prozess. Da Güterversorgung wirksamen, in Form von Geld konkretisierten Bedarf voraussetzt, da dieser Bedürfnisse voraussetzt und da Bedürfnisse ihrerseits eine psychische Kategorie darstellen, nämlich die bereits erwähnte (originäre oder durch werbende Reize hervorgerufene) Empfindung eines Mangels, verbunden mit dem Wunsch, diesen zu beseitigen, wird zweierlei deutlich: 1. die psychische Verwurzelung allen Wirtschaftens und 2. der zirkulare Prozess des Wirtschaftens (Abb. 12). Das konkrete Mangelbewusstsein liefert das Motiv für die Kaufhandlung, die die vorübergehende, auf Wiederholung drängende Bedürfnisbefriedigung bewirkt. Und die erwartete mutmaßliche (konjekturale) Kaufhandlung liefert ihrerseits das Motiv zur Leistungserstellung in Produktion und Handel.
66
2 Handel und Psychologie
Wiederholung
Bedürfnis
Konkretisierung
Befriedigung
Effekt
Mangel
Handlung
Motiv
(Quelle: Jaeck, H.-J.: Konsum- und Absatzprognose, Berlin 1978, S. 28) Abb. 12: Der zirkulare Prozess des Wirtschaftens und seine psychischen Elemente
Dass mit psychologischem Einfühlungsvermögen und prognostischem Gespür namentlich in der Konsumgüterwerbung vorgegangen werden muss und dass mitunter unvorhergesehene und unerwünschte Reaktionen eintreten können, kennt jeder Werbetreibende. Auch wenn nicht gleich Panikreaktionen ausgelöst werden wie in der Auto-Werbung mit Liebesbriefen, gilt der Seufzer H. FORDs wohl weiterhin: „Ich weiß, dass 50 Prozent der Werbeausgaben zum Fenster hinaus geworfen sind. Wenn ich nur wüsste welche 50 Prozent!“ Dass in der Handelspraxis die neue und gute Geschäftsidee desto erfolgreicher umgesetzt wird, je mehr psychologisches Einfühlungsvermögen eingebracht wird, und zwar sogar von kleineren Unternehmen, sei an einem Beispiel demonstriert: Die Geschäftsführerin eines alteingesessenen Schuhgeschäfts in Dissen am Teutoburger Wald hat – nach Einholen des Einverständnisses der Kund(inn)en und Freunden des Hauses – penibel deren E-mail-Adressen gesammelt. Einmal im Monat wird dann zielgruppengerecht der „Schuh des Monats“ nebst Foto per Email in den elektronischen Briefkasten der Kunden befördert. Der Erfolg ist derart bemerkenswert, dass es schon Ehemänner geben soll, die die elektronische „Schuh des Monats“Post gleich löschen, bevor ihre Frauen die E-mail lesen... Vermutlich brauchte die Geschäftsführerin weder einen Kurs in Psychologie noch im modischen Gendermarketing (geschlechtsspezifisches Marketing) zu besuchen – sie praktiziert einfach beides intuitiv. Wenn im Folgenden mit Handelsmarktforschung (2.2.1), Kaufzwang, Kaufsucht (2.2.2) und Ladendiebstahl (2.2.3) drei traditionelle Gegenstände herausgegriffen werden, bei denen die Beschäftigung mit Psychologie im Handel besonders deutlich wird, so ist diese Auswahl willkürlich. Zwei andere traditionelle wirtschaftspsychologische Forschungsgebiete müssen schon wegen ihres Umfangs ausgeklammert bleiben: die Erforschung des Konsumenten-, Käufer- oder Kundenverhaltens und die Werbepsychologie. Insoweit muss ein Literaturhinweis auf einige grundlegende Einführungen mit umfangreicher Bibliographie genügen: G. BEHRENS: Werbepsychologie, 3. Aufl., München 1991; W. KROEBER-RIEL: Konsumentenverhalten, 3. Aufl., München 1984; A. KUSS: Käuferverhalten, Stuttgart 1991; K. MOSER: Werbepsychologie. Eine Einführung, München 1990; B. SPIEGEL: Werbepsychologische Untersuchungsmethoden, 2. Aufl., Berlin 1970. Die Tradition für unsere drei ausge-
2.2 Handelspraxis und Psychologie
67
wählten Problemkreise der wirtschaftspsychologischen Forschung reicht freilich nicht eben weit zurück. Es sind im Grunde Fragestellungen des „modernen Handels“, um den Titel des zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Hauptwerks von J. HIRSCH (1918) zu verwenden, Fragestellungen des 20. Jahrhunderts. Dabei reichen die Anfänge der Marktforschung am wenigsten weit in die Vergangenheit; ihre Wurzeln liegen in den Erschütterungen und Absatzstockungen der großen Weltwirtschaftskrise (1929 bis 1932), als man nach neuen Absatztechniken und -wegen zu suchen begann und die Übertragbarkeit der von G. GALLUP entwickelten Technik der politischen Stichproben-Meinungsumfrage auf die Konsumgütermärkte entdeckte. Die drei ausgewählten Themenkreise erscheinen jedenfalls geeignet genug, um die Breite der psychologischen Anwendungsfelder im Handel exemplarisch aufzuzeigen: − Die psychologische Marktforschung des Handelsbetriebs (Handelsmarktforschung) hat es mit methodischen Problemen der Gewinnung, Aufbereitung und Verwertung von ökonomischen Märkte-Informationen zu tun. − Der psychologische Kaufzwang stellt primär ein Kernproblem des Markt- und Wettbewerbsrechts im Handel dar; während − der Ladendiebstahl darüber hinaus auch Fragen der Marktethik im Handel berührt. Damit werden im Übrigen drei Problemkreise angesprochen, bei denen der Handelsbetrieb rasch an die Grenzen der psychologischen Anwendung stößt (vgl. Kapitel 5.1 bis 5.4).
2.2.1
Psychologische Handelsmarktforschung
Die Marktforschung wurde ursprünglich als Informationssystem für Hersteller in den entfalteten Verkehrswirtschaften entwickelt, die aufgrund der Arbeitsteilung und der Produktion für anonyme, z.T. weltweite Absatzmärkte über keinen direkten Kontakt mehr zu den Warenverwendern verfügen. Die der Produktion vorausgehende Erkundung des Bedarfs und der Absatzmöglichkeiten steht daher im Mittelpunkt der Markterkundung. Sofern Marktdaten systematisch, planvoll, gleichsam wissenschaftlich beschafft, aufbereitet und ausgewertet werden, spricht man von Marktforschung (market research). Im Kern ist die traditionelle Marktforschung industrielle Absatzmarktforschung. Was unter psychologischer Marktforschung zu verstehen sei, ist keineswegs unumstritten. Zwar dürfte der anfängliche „Schulen“-Streit unter den Marktforschern – hier die Verfechter der psychologiefreien statistischen Massenanalyse, dort die Verfechter der statistikfreien tiefenpsychologischen (analytischen) Individualexploration – der Vergangenheit angehören. Dass auf statistischen Massenerhebungen beruhende Marktforschung auch der psychologischen Absicherung bedarf (Frageformulierung, Fragenabfolge, offene oder geschlossene Fragen, direkte oder indirekte Fragestellung; Interviewer-Schulung; Untersuchungszeitpunkt und -situation, psychologische Ergebnisinterpretation usw.) und dass mehrere Tiefeninterviews u.U. größeren Aufschluss über Motive, Affekte, Wünsche und Abneigungen geben als eine Einzelexploration, dürfte nicht mehr strittig sein. Manche Autoren grenzen die psychologische Marktforschung nur auf die unmittelbare Anwendung der psychologischen Denkschulen ein, etwa:
68
2 Handel und Psychologie
− Psychometrie (das Vermessen von Ansichten und Einstellungen), − Verhaltenspsychologie, Behaviorismus (mit Einführung experimenteller Tests in die Marktforschung: Greifbühne, Tachistoskop, Aufzeichnung des Blickverlaufs usw.), − Gestaltpsychologie (Tests der Gestaltfestigkeit und Prägnanz von Firmennamen, Symbolen, Werbemitteln usw.), − Tiefenpsychologie, Psychoanalyse (Einzelexploration mit besonderem Augenmerk auf Motivationen), − Sozialpsychologie, Gruppendynamik (Workshops, Creative Development usw.) (WYSS 1991, S. 336) oder − Psycholinguistik, Sprachpsychologie (z.B. bei der Erfassung des Geruchserlebens durch beschreibende Adjektive, da es für Gerüche noch keine objektiv-physikalischen Maßstäbe gibt). Andere Autoren beschränken psychologische Marktforschung auf die Methode der Befragung und grenzen Beobachtung und Experiment aus. In der Tat gehören Befragungen zu den am häufigsten angewandten Techniken der Marktforschung, auch von Handelsbetrieben; denn auf dem Wege systematischer Befragung gelangt man zu Einsichten psychologischer Art, die der Beobachtung oder dem Experiment nicht zugänglich sind. Allerdings ist eine doppelte Gefahr nicht zu übersehen: 1. Befragungen führen immer zu Ergebnissen, ohne dass ihnen ihre Qualität (Validität und Reliabilität) anzusehen wäre; diese hängt unter anderem von der zweckmäßigen Prüfhypothese (hypothetisches Konstrukt), von der psychologisch geschickten sowie semantisch, situativ und statistisch korrekten Anlage der Befragung ab. Im praktischen Normalfall liefert die standardisierte Befragung mit geschlossenen Fragen „zwar präzise Antworten, aber eben nur auf Fragen, die gestellt wurden“ (KARAMAN 2006, S. 71). Assoziationen, Unbewusstes oder Vorbewusstes von Probanden bleibt unentdeckt. Andererseits hängt im praktischen Grenzfall des Tiefeninterviews, welches gerade Unbewusstes aufdecken will, das Gelingen vom Zusammentreffen guter tiefenpsychologischer Schulung des Fragestellers mit hoher Kommunikationsbereitschaft des Befragten ab. Im Prinzip sind Ergebnisse von einmaligen mündlichen oder schriftlichen Befragungen, also ohne wiederholte Befragung(en), sogar gegen Widerlegungsversuche (Falsifikation) immunisiert. 2. In allen Phasen einer psychologisch angelegten Markterhebung lauern Verzerrungsgefahren, Gefahren der mangelnden Vorausschau oder des mangelnden psychologischen Einfühlungsvermögens. Der Teufel steckt auch hier im Detail. HEEMEYER hat solche „offenen Probleme“ allein für zehn Phasen einer schriftlichen Befragung nachgewiesen (s. Abb. 13 nach HEEMEYER 1981, S. 35).
2.2 Handelspraxis und Psychologie
Formulierung der Problemfragen auf der Grundlage des Untersuchungsziels
PROBLEM FRAGEN
UNTERSUCHUNGSZIEL (Planungshilfe für den Handelsbetrieb)
Interpretation
69
Übersetzung der Problemfragen in Fragebogenitems 1. Auswahl hypothetischer Konstrukte 2. Operationalisierung der Konstrukte (Formulierung und Positionierung)
Validität Reliabilität
ERGEBNISINFORMATIONEN
Verdichtung der Rohdaten (Kennzahlen; multivariate statistische Verfahren)
FRAGEBOGEN
Ermittlung der Reaktionen der Befragten (Feldarbeit)
ROHDATEN
PSYCHOLOGISCHE MARKTERHEBUNG Abb. 13: Die Phasen einer psychologischen Markterhebung
Man wird gut daran tun, psychologische Marktforschung weit zu fassen und mit diesem Begriffspaar nur einen Akzent zu setzen. Entsprechend soll unter psychologischer Handelsmarktforschung die eigenständige Erforschung der vier Märkte des Handelsbetriebs unter besonderer Berücksichtigung psychologischer Aspekte verstanden werden. Es ist jedoch auf eine begriffliche Problematik hinzuweisen. Gelegentlich wird in der Literatur psychologische Handelsmarktforschung als die Erforschung des Handels als Absatzmarkt für Hersteller, dies unter psychologischen Aspekten, verstanden (vgl. etwa SAUERMANN 1980, S. 137). Von dieser handelsgerichteten industriellen Marktforschung ist die hier gemeinte psychologische Marktforschung von Handelsbetrieben und für Handelsbetriebe streng zu unterscheiden.
70
2 Handel und Psychologie
Die psychologische Handelsmarktforschung (bzw. „Handelsmärkte-Forschung“) befasst sich mit den Gütermärkten und lässt – ebenso wie die Marktpsychologie – die Faktormärkte (Finanzmarkt, Arbeitsmarkt) außer Betracht, obwohl letztere ebenfalls einer psychologischen Analyse zugänglich sind. Sie geht insofern über den Ansatz der Marktpsychologie, die sich einseitig nur dem Nachfragerverhalten widmet, hinaus, als auch das Verhalten der Lieferanten, Konkurrenten und der Mitarbeiter in die Betrachtung mit einbezogen wird. (Zur Kritik an der Markt- bzw. Marketing-Psychologie vgl. WISWEDE 1991, S. 271). Da stationäre Handelsbetriebe in den entfalteten Verkehrswirtschaften wegen der Kundennähe und des direkten Kundenkontakts über unmittelbare Kenntnisse zum Bedarf in all seinen Varianten und Differenzierungen verfügen, mögen sich einige der industriellen Markterkundungsanstrengungen erübrigen. Jedenfalls ist diese Einstellung immer wieder im Handel anzutreffen: „Wir brauchen keine Marktforschung; denn jeder Tag liefert uns in jedem Geschäft unmittelbar Aufschluss über den Bedarf und über die Bedarfsentwicklung“. Tatsächlich werden auch die professionellen Marktforschungsinstitute von Handelsbetrieben weniger eingeschaltet als von Industriebetrieben. Große Handelskonzerne, Großunternehmen und Verbundgruppen des Handels haben die Bedeutung eigener Marktforschung jedoch längst erkannt; in der Regel betreiben sie Marktforschung in eigener Regie. Namentlich durch das fortschreitende interne und externe Wachstum im Handel werden die Märkteinformationen für Handelsbetriebe zunehmend wichtig, zugleich auch komplexer. Aber auch für kleine und mittlere Handelsunternehmen wird eigenständige Marktforschung zunehmend zu einer Überlebensfrage. Die eigenständige Marktforschung der Handelsbetriebe (Handelsmarktforschung) unterscheidet sich von der industriellen Absatzmarktforschung durch vier Besonderheiten: (1) (2) (3) (4)
die Vier-Märkte-Problematik, den höheren Komplexitätsgrad, die ausgeprägte Marktdynamik und arteigene (psychologische) Forschungsmethoden (SCHENK 1991, S. 110).
1. Auffälligste Besonderheit ist das Erfordernis für Handelsbetriebe, Daten über drei externe Märkte und über den internen Markt der jeweiligen Betriebsstätte zu erheben, aufzubereiten und auszuwerten. Abb. 14 zeigt die entsprechenden vier Teilgebiete der Handelsmarktforschung. Wenn im Zentrum der Abb. 14 Handelsbetrieb und Handelsverbund genannt sind, so soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht nur einzelbetriebliche, sondern auch zwischenbetriebliche Handelsmarktforschung, Marktforschung durch Kooperationszentralen und Marktforschung für die Kooperationsmitglieder, erforderlich ist. 2. Der höhere Komplexitätsgrad der Handelsmarktforschung ergibt sich nicht nur aus den vier zu analysierenden Märkten, sondern auch aus den Gegenständen der Handelsmarktforschung. Während industrielle Marktforschung im Allgemeinen auf ein Produkt oder ein Produktionsprogramm beschränkt ist, erstreckt sich Handelsmarktforschung auf heterogene Sortimente. Ist die zuverlässige Schätzung über die mutmaßlichen Absatzmöglichkeiten für ein einziges Konsumgut schon schwierig, so sind zuverlässige Absatzschätzungen für 240.000 Artikel eines Weltstadtwarenhauses oder für 60.000 KleinteilArtikel einer Elektro-Großhandlung ungleich schwieriger. Hinzu kommen die schwer zu erfassenden (positiven und negativen) Ausstrahlungs- oder Irradiationseffekte im Waren-
2.2 Handelspraxis und Psychologie
71
verbund des Sortiments. Die diversen Formen des Warenverbunds – Sortimentsverbund, Nachfrageverbund, Bedarfsverbund, Kaufverbund – sind ihrerseits prinzipiell ex post messbar, jedoch kaum prognostizierbar. Schließlich lassen sich die komplexen Wirkungen psychologisch begründeter Leistungen und Prozesse auf Marktpartner kaum messen. Als Qualitäten sind sie allenfalls bewertbar.
Konkurrenzmarktforschung Konk.-struktur/ Konk.-verhalten
Beschaffungsmarktforschung
Handelsbetrieb/ Handelsverbund
Absatzmarktforschung Kundenstruktur/ Kundenverhalten
Lief.-struktur/ Lief.-verhalten Interne Marktforschung „in-store research“
Abb. 14: Die Teilgebiete der Handelsmarktforschung
3. Die sprichwörtliche Dynamik auf allen vier Märkten des Handelsbetriebs bringt erhebliche Analyseprobleme mit sich. Handelsbetriebe haben es nicht nur mit mittel- und kurzfristigen Marktschwankungen zu tun (saisonale, monatliche, wöchentliche, tägliche Nachfrageschwankungen; Modewechsel; Konditionenwechsel; Preisänderungen; „Renner-und-Penner-Problematik“; Sonderverkäufe), sondern sie sind auch mit der Notwendigkeit kürzestfristiger Marktreaktionen konfrontiert, insbesondere auf Konkurrenzaktionen. Auf ein Inserat des Konkurrenten in der Tageszeitung muss eventuell schon in der nächsten Ausgabe reagiert werden und auf eine Schaufensteraktion ggf. noch am selben Tage. Und der weltweit tätige Weizen-, Kaffee-, Zinn- oder Effektenhändler muss beinahe minutengenau und immer systematisch seine Beschaffungsmärkte beobachten. 4. Der Handelsmarktforschung kann grundsätzlich auch die in Übersicht 3 wiedergegebene Systematik der industriellen Marktforschungsmethoden zugrundegelegt werden. Bei der Sekundärforschung greift der Marktforscher auf vorhandene Daten und Unterlagen zurück, die ursprünglich für andere Zwecke erstellt wurden (data warehouse, Kennzahlen), während er bei der Primärforschung für den jeweiligen Forschungszweck neue, originäre Untersuchungen anstellt und die gewonnenen Informationen aufbereitet und für Mana-
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2 Handel und Psychologie gemententscheidungen auswertet. Darüber hinaus verlangen zahlreiche Besonderheiten der vier Handelsmärkte sowie Branchen-, Betriebsgrößen-, Betriebstypen- und Standortbesonderheiten zusätzliche arteigene Forschungsmethoden. Namentlich die psychologische Segmentierung nach Lieferanten- und Kundengruppen mit ihren jeweiligen Nutzenvorstellungen, die sog. Benefit-Segmentierung (Näheres hierzu bei HOMBURG 1999), die Erforschung der Bestimmungsfaktoren der Einkaufsstättenwahl sowie die Einsatzmöglichkeiten und die Wirkung der arteigenen Werbemittel erfordern besondere Analysemethoden. Beispielhaft seien nur die z.T. handelsspezifischen Verfahren der Standort- und der Imageforschung herausgehoben. Selbst der systematische Einsatz von Mystery Shoppers – also von Personen, die als verdeckte Käufer auftreten und eine reale Kaufsituation simulieren, um ihre Eindrücke an das Management weiterzuleiten – ist eine Untersuchungsmethode, die in kaum einem anderen Wirtschaftszweig so erfolgreich eingesetzt werden kann wie im Einzelhandel.
Übersicht 3: Die Systematik der Marktforschungsmethoden
METHODEN DER (HANDELS-)MARKTFORSCHUNG
Primärforschung (field research)
Sekundärforschung (desk research)
Interne Informationsquellen
Externe Informationsquellen
Beobachtung
Befragung Experiment
(Quelle: Jakob WOLF: Markt- und Imageforschung im Handel, Grafenau/Stuttgart 1981, S. 18)
Die Standortforschung z.B. befasst sich nicht nur mit der Analyse der (positiven und negativen) Standortfaktoren (Bedarf, Kaufkraft, Konkurrenz, Verkehr, Betriebsraum), ihrem angestammten Kerngebiet. Vielmehr hat sie eine Reihe von speziellen Verfahren zur Analyse der Beschaffungs- und Absatzräume – insbesondere der Einzugsgebiete von Einzelhandlungen – entwickelt. Zu nennen sind vor allem: − „customer spotting“ (Stadtplan-Markierung nach Kundenadressen oder Postleitzahlen der Kunden), − Einteilung des Einzugsgebiets nach der Kreismethode, nach Gehminutenzonen oder nach der Isochronen-Methode, − Auswertung von Kundenkarteien, − ökonometrische Methoden, − Zonographverfahren, − Standortkalkulation oder − Standortprofilmethode (vgl. hierzu NAUER 1970 und WOLF 1981).
2.2 Handelspraxis und Psychologie
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Auch ist der Versuch zu erwähnen, zwei empirisch überprüfte, wenngleich in ihrer Allgemeingültigkeit umstrittene Gesetzmäßigkeiten – das sog. Agglomerationsgesetz und das sog. Gravitationsgesetz – für Standortanalysen heranzuziehen. Werfen die geographischen und demoskopischen Strukturfaktoren relativ geringe Erhebungsprobleme auf, so liegen in den psychisch bedingten Verhaltensfaktoren meist die größeren „Markträtsel“ (Adolf LAMPE). Die Wahrscheinlichkeit abzustecken, mit der Kunden diese oder jene Entfernung auf sich nehmen zum Besuch des Geschäfts am geplanten Standort, die Wahrscheinlichkeiten zu ermitteln, mit der Lieferanten Beziehungen zum geplanten Geschäft aufnehmen oder mit der Konkurrenten bei diesem oder jenem Artikel in einen Preiskampf eintreten werden, oder die positiven oder negativen Einstellungen zum Standort, zur Branche, zur Firma usw. – solche Fragen werfen erhebliche Messprobleme auf. (Ein interessantes psychologisches Negativbeispiel lieferte in den 70er Jahren die „Schweizer Ladenstadt“ in der Kölner City, bei dem man die Mentalität der künftigen Kunden übersehen hatte. Näheres dazu im Teil 3.2). Der Imageforschung stehen inzwischen zahlreiche Untersuchungsmethoden zur Verfügung, mit deren Hilfe sehr differenziert die Vorstellungen bestimmter Personenkreise über einem Handelsbetrieb als Gesamtheit oder über Teile des Handelsbetriebs analysiert werden können. Das standortabhängige Gesamtimage wie auch beliebige Teilimages (in Bezug auf Preis, Sortiment, Service, Ladenausstattung, Personal, Kompetenz, Werbung usw.) können auf jedem der vier Märkte des Handelsbetriebs ermittelt werden. Zu nennen sind vor allem folgende Methoden: − Polaritätenprofil-Methode (Semantische Differential-Methode), − Zuordnungsverfahren (offen/geschlossen/nach Wertstufen/als Bilderzuordnungstest) und Multiattributmodelle, − projektive Testverfahren (thematischer Apperzeptionstest TAT; projektiver Bildertest), − Satzergänzungs- oder Lückentest, − Verfahren der freien oder gebundenen Assoziation, − Gruppendiskussion, − Präferenzenskala-Methode (preference ratings), − Bekanntheitsgradanalyse (offene oder unterstützte Befragung), − Adequacy-Importance-Modell und TROMMSDORFF-Modell (BEREKOVEN 1990, S. 399ff.), − Repertory-Grid-Methode und Elicitation-Technik (HEEMEYER 1981, S. 149ff.), − eindimensionale Skalierung (SKINNER-Technik), − zweidimensionale Positionierung, − multidimensionale Skalierung (MDS); Faktoren- und Clusteranalyse und − nonverbale Imageanalyse (Bilderzuordnung; physiognomischer oder Mimik-Test). (Näheres zu den meisten genannten Methoden bei von ROSENSTIEL 1979b, S. 38–45). Psychologische Erwägungen sind bei jeder Methode anzustellen. So ist z.B. bei der Polaritätenprofil-Methode auf der Grundlage sogenannter semantischer Differentiale (Wortgegensatz-Paare) zu prüfen, ob die Vorgabe ausschließlich kognitiver Erhebungsmerkmale oder einer Mischung aus kognitiven, affektiven und konnotativen Erhebungsmerkmalen (Items) sinnvoller ist. Entsprechende Erhebung soziographischer und struktureller Merkmale vorausgesetzt, können aus einer einzigen Untersuchung mehrere Polaritätenprofile für Vergleichs-
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2 Handel und Psychologie
zwecke entwickelt werden (Lieferanten-, Kunden-, Nichtkundenprofile; Eigen- und Konkurrenzprofile; Profile für männliche und weibliche, für jüngere und ältere Probanden; Profile für Kundentypen; Profile für verschiedene Filialen, Abteilungen usw.). Bei den Zuordnungsverfahren sind Handelsunternehmen, Filialen oder Abteilungen von den Probanden bestimmte Eigenschaften zuzuordnen. Wird der Zuordnungstest mit einem Zuordnungsobjekt (z.B. ein bestimmter Handelsbetrieb) durchgeführt, dann können die besonders zutreffenden Eigenschaften in einer Rangreihe, als Ordinalzuordnung (Ja/Nein) oder als skalierte Bewertung erhoben werden. Wird der Zuordnungstest mit mehreren Zuordnungsobjekten (z.B. fünf Filialen eines Handelsunternehmens) durchgeführt, dann besteht bei allen genannten Erhebungsverfahren die Gefahr der Verzerrung durch unterschiedliche Bekanntheit und/oder Übertragung der Beliebtheit einer „sympathischen“ Filiale auf andere (sog. Halo-Effekt) (vgl. die Darstellung und Kritik der produktbezogenen Zuordnungstests bei SCHUB VON BOSSIATZKY 1992, S. 110–114). Das Adequacy-Importance-Modell und die Trommsdorff-Methode messen die Einstellungen mit Hilfe einer Kombination aus (kognitiver) Wahrnehmung und (affektiver) Bewertung je Item. Das Verfahren der freien Assoziation eröffnet die Möglichkeit, die ganze Breite von subjektiven Empfindungen der Probanden in Erfahrung zu bringen. Mitunter kann gerade eine völlig unerwartete oder „verrückte“ Assoziation wichtige Hinweise für die Imagepolitik liefern. Die Operationalisierung der freien Assoziation erfolgt durch eine Fragestellung wie beispielsweise: „Nennen (notieren) Sie bitte alles, was Ihnen zur Firma X (zur Abteilung Y, zur Ladeneinrichtung, zum Personal, zum Preisniveau usw.) einfällt, auch wenn es ganz ungewöhnlich ist! Nennen (notieren) Sie soviel wie möglich!“ Bei der zweidimensionalen Positionierung (mapping) kann der Merkmalsraum für die Image-Positionierung durch eine kognitive Dimension (Skala der Preiswürdigkeit) und eine affektive Dimension (Skala der Sympathie) festgelegt werden. Bei der nonverbalen Imageanalyse kann durch Vorlage von ansprechenden Farbfotos – nach Möglichkeit gemischte Fotos vom Referenzbetrieb, von Mitbewerbern, Banken, öffentlichen Gebäuden usw. – hohes (spielerisches!) Interesse bei den Befragten erzielt werden. Über die spontane Nennung der Wiedererkennung wird nicht nur der Bekanntheitsgrad des Referenzbetriebs, sondern zugleich die Bekanntheit der Mitbewerber ermittelt (vgl. SCHENK 1988). Das von P. EKMAN und W.V. FRIESEN entwickelte nonverbale Verfahren zur Eruierung von emotionalen Inhalten und emotionaler Intensität aus der Mimik von Probanden (facial action coding system FACS) bzw. das auf emotionale Indikatoren konzentrierte Emotional facial action coding system-Verfahren (EMFACS) konnte zur Analyse von Produktimages bereits eingesetzt werden. Eine Fallstudie zur Messung der Konsumentenstimmung am Point of Sale erwies im Einzelhandelsbetrieb jedoch nur eine begrenzte Tauglichkeit, da es nicht unbemerkt bleibt, wenn Kunden mit der Kamera verfolgt werden (vgl. G.F. DISTLER: Non-verbale Methoden, in: planung und analyse, Heft 9/89, S. 345). Bei den in Übersicht 3 genannten Standardmethoden der Primärforschung – Befragung, Beobachtung, Experiment – hat die Handelsmarktforschung in besonderem Maße psychologische Aspekte zu berücksichtigen, teils recht spezifische je nach Beschaffungsmarktforschung (BMF), Absatzmarktforschung (AMF), Konkurrenzmarktforschung (KMF) und interner Marktforschung (IMF). In Übersicht 4 werden den verschiedenen Analysemethoden
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und -arten einmal exemplarisch psychologische Aspekte zugeordnet. Dabei sind die eher nachteiligen Aspekte aus der Sicht des Handelsbetriebs kursiv gedruckt. In neuerer Zeit werden die Standardmethoden um Methoden der elektronischen Marktforschung ergänzt. Die Datenbeschaffung mit Hilfe von elektronischen Medien (electronic data collection) ist aber regelmäßig nur eine besondere Form der Befragung oder der Beobachtung oder des Experiments. Im Übrigen wird die Handelsmarktforschung immer dann selbst zu einem elektronischen Prozess, sobald die erhobenen Informationen elektronisch gespeichert und verarbeitet werden. Immerhin können elektronische Medien dort zum Ursprung des gesuchten Marktverhaltens vordringen, wo dieses selbst eine elektronische Facette hat, wie bei Fernsehgewohnheiten (Audimeter und TAM-Meter; Telemeter; Telecontrol), Teleshopping, Bestellungen über Videotext-Angebote und Home-Scanning bei Haushaltspanels. Für Interviews außerhalb des Handelsbetriebs können Laptops ebenso eingesetzt werden wie für Interview-Datenspeicherung innerhalb des Handelsbetriebs (CAPI = computer aided personal interviewing; CATI = computer aided telephone interviewing) (vgl. WYSS 1991, S. 287ff.). Im Vergleich zur industriellen bzw. zur allgemeinen Marktforschung ergeben sich für die Handelsmarktforschung häufig methodische Besonderheiten: 1. Während sich die Marktforschung normalerweise aus Kostengründen auf StichprobenAnalysen beschränkt, können im Handel häufig ganze Populationen untersucht werden, d.h. Gesamtheiten von Individuen, die ein bestimmtes Kriterium erfüllen. Beispielsweise können alle Lieferanten angeschrieben, alle Kunden der Kundenkartei oder alle Mitarbeiter befragt werden. Im Einzelhandelsgeschäft können alle Besucher gezählt, beobachtet oder befragt (an den Eingängen/Ausgängen) werden. Kassendaten fallen für alle Käufer an, und Werbezettel können im Einzuggebiet an alle Haushalte verteilt werden. Im ECommerce können sämtliche Bestellungen und Anfragen ausgewertet und zu Kundenprofilen aufbereitet werden.
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2 Handel und Psychologie
Übersicht 4: Methoden und psychologisch relevante Aspekte der Handelsmarktforschung Erhebungsmethoden und -arten A Befragung Schriftliche Befragung (BMF/AMF/KMF)
Mündliche Befragung (BMF/AMF/KMF/IMF)
Psychologisch Relevante Aspekte – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Panel Haushalts-/Verbraucherpanel (AMF/KMF)
B Beobachtung Persönliche Beobachtung (BMF/AMF/KMF/IMF)
Apparative Beobachtung (AMF/KMF/IMF)
C Experiment (AMF/IMF)
– – – – –
Bequemlichkeit (keine räumliche Distanzüberwindung) Beantwortungszeit und -muße kein Einfluss durch Interviewer Anonymität gezielte Probandenauswahl (Lieferanten-/Kundenrepräsentanz) Motivierung durch materielle Anreize oder persönliche Ansprache (in Begleitschreiben) Probleme der Antwortverweigerung (Rücklaufquote) und Incentives Einflussnahme durch Dritte keine spontanen Antworten gezielte Probandenauswahl Anpassung an Probanden Einsatz von Stimuli möglich Beseitigung von Verständnisproblemen beim Interview spontane Antworten möglich Erfassbarkeit von Nichtkunden Erfassbarkeit von Motiven Erfassbarkeit von Plänen Ermittlung von Strategieinformationen über Konkurrenten durch Lieferanten-/ Vertreterbefragung Interviewer-Einfluss („bias“) Einflussnahme durch Dritte Abneigung, Hemmung, Angst, Antwortverweigerung Ja-sage-Tendenz Rationalisierung („geschönte“ Antwort) Responseset (Ja-Sage-Tendenz, Tendenz zur sozialen Erwünschtheit) Probandenüberforderung bei nicht erlebten, nicht zugänglichen oder hypothetischen Sachverhalten Detailinformation über Einkaufsverhalten und Einkaufsstättenwahl (schichtenspezifisch) Kundenbindung Akzeptanz-/Reaktanzmessung in Bezug auf Eigenmarken Paneleffekt Panelsterblichkeit
– Erfassbarkeit von Lieferanten-, Konkurrenten- und Kundenstruktur – Erfassbarkeit von Lieferanten-, Konkurrenten-, Kunden- und Personalverhalten – Aufmerksamkeitsmessung (Passantenverhalten vor Schaufenstern; Kundenlaufstudien im Geschäft; Kundenreaktion auf Musik, Ladenfunk, Farben, Platzierung usw.) – Nichterfassbarkeit von Verhaltensmotiven und -ursachen – Nichterfassung psychologischsubtiler Verhaltensaspekte – Foto-, Film-, Video-, Audioaufzeichnungen über objektive Verhaltenstatbestände – Messung von Besucherfrequenzen und ihre zeitliche Verteilung (Zählwerke) – Messung von demographischen Verteilungen in der Kundschaft – Verbundkaufanalysen mit Hilfe von Kassensystemen und Scanning – Diebstahlssicherung – Kundenverunsicherung durch Videokameras – ethische Probleme („versteckte Kamera“, Durchblickspiegel) – Variation einer unabhängigen Variablen des Handelsmarketings im Geschäft (in-store-test; Filialvergleich) – Einführung eines innovativen Betriebstyps (test store) – Einführung einer innovativen Erlebniskomponente – Zufallsverzerrung (Wetter; neutralisierende Konkurrenzaktion) – mangelnde Vertrautheit oder Gewöhnung
2.2 Handelspraxis und Psychologie
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2. Sofern für mündliche Befragungen eine Probandenauswahl getroffen werden muss, reichen vielfach schon sehr kleine Stichproben aus, um valide Ergebnisse zu erzielen. Für eine Möbelhaus in einer mittelgroßen Stadt mit 75.000 Einwohnern wäre eine (für die Bundesrepublik) repräsentative 2.000er Bevölkerungsstichprobe geradezu unsinnig. Hier kommt es darauf an, aus der Zielgruppe der potenziellen Möbelkäufer im Einzugsgebiet a) eine repräsentative und b) eine hinreichend große Stichprobe zu analysieren. Wenn das Möbelhaus auf gediegene, höherwertige Wohnmöbel spezialisiert ist, dann scheiden z.B. für eine Quotenvorgabe die jungen und die betagten Menschen aus. Will man die ohnehin schon als Kunden erfassten Einwohner nicht in die Analyse einbeziehen – vielleicht in der Absicht, die psychologisch interessanten Motive für den Nichtkauf zu ermitteln –, dann wäre der Quotenvorgabe eine entsprechende Negativ-Namensliste beizufügen. Und eine hinreichende Validität und Reliabilität der Stichprobe kann sehr einfach über eine Art Differentialanalyse erreicht werden: Liegen beispielsweise Erhebungsdaten von 50 Probanden vor, dann werden für die ersten 30 Probanden erste Durchschnittswerte errechnet. Für eine zweite und dritte Durchschnittsberechnung werden die Erhebungsdaten von 40 und 50 Probanden herangezogen. Weichen die Durchschnittswerte z.B. zwischen zweitem und drittem Rechenschritt nicht mehr signifikant voneinander ab, sind sie stabil. Dann spricht alles dafür, dass die kleine 50er Stichprobe ausreicht. Weitere Erhebungen würden keine besseren, sondern nur teurere Durchschnittswerte erbringen! Hierin liegt nicht zuletzt ein Vorteil, den sich auch kleine und mittlere Handelsbetriebe zunutze machen können. 3. Für die Konkurrenz(markt)forschung sind spezielle Untersuchungsmethoden entwickelt worden, die z.B. folgende Informationen liefern: – Basisinformationen zu den Hauptmitbewerbern (Rechts- und Betriebsform, Standort, Parkmöglichkeiten, Betriebsgröße, Markt- bzw. Umsatzanteile, Händlerkataloge, Ordersatzverfahren, Erscheinungsbild usw.), – Instrumental- und Strategieinformationen über die Hauptmitbewerber (Analyse ihrer Handelsmarketing-Konzepte, insbesondere ihrer Preis-, Werbe-, Sortiments- und Servicepolitik usw.) und – Managementinformationen zu den Hauptmitbewerbern (Organisation und Führungsstruktur; Verhaltensstil; Personalfluktuation usw.) (vgl. BECKER 1988, S. 325f., und FALK/WOLF 1992, S. 180–195); – vergleichende „Marketing-Fenster“ (vgl. Abschnitt 4.2). Als Untersuchungsmethoden stehen vergleichende Stärken-Schwächen-Analysen, vergleichende Profilanalysen, vergleichende Portfolio-Analysen, Markt- oder UmsatzanteilAnalysen und Konkurrenzreaktionsanalysen (vgl. TIETZ 1988, S. 370f.) zur Verfügung. Derartige Informationen werden systematisch fast nur von Konzernen und Großunternehmen des Handels gesammelt, aufbereitet und für psychostrategische und -taktische Managemententscheidungen verwertet. Kleine und mittlere Unternehmen sammeln (wenn überhaupt) meist nur sporadisch Informationen über die Konkurrenz. Dabei können gerade die Schwächen der Mitbewerber, sofern sie bekannt sind, leicht als eigene Stärken herausgestellt werden und die Kunden beeindrucken. Immerhin stehen kleinen und mittleren Betrieben einige einfache und kostengünstige Methoden der Konkurrenzforschung zur Verfügung. Beispielsweise kann selbst ein kleineres Fachgeschäft regelmäßig die Schaufensterdekorationen, die Werbeaktivitäten und die Verkaufspreise für
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2 Handel und Psychologie bestimmte Artikel bei den Konkurrenten analysieren. Die Schaufensterauslagen der Mitbewerber und ihre Preise brauchen nur auf ein Diktiergerät gesprochen, ausgewertet und umgesetzt zu werden – sei es in vergleichbare oder abhebende eigene Schaufensterauslagen, sei es in gleiche oder abweichende Preise. Im Übrigen sind Klein- und Mittelbetrieben Konkurrenzinformationen auch über die Sekundärforschung zugänglich (Betriebsvergleichsergebnisse; Versandhauskataloge; Mitteilungen der Fachverbände oder der Industrie- und Handelskammern; Fachzeitschriften usw.). Sie müssen nur systematisch ausgewertet werden.
4. Zahlreiche Daten, die der Primärforschung zuzurechnen sind, fallen gleichsam automatisch oder als Nebenprodukt an (aus Scanning und Kassenspeichern; aus OnlineBestellungen, aus Bestellungen nach Katalog- oder Werbebrief-Versand; aus Einkaufsund Verkaufsgesprächen; aus Reklamationen, Beschwerden usw.). Auch sie müssen nur systematisch genutzt, d.h. gesammelt, aufbereitet und (nicht zuletzt psychologisch) interpretiert werden. Solche Daten können vor allem für ein gut funktionierendes Beschwerdemanagement und somit unmittelbar zur Kundenbindung eingesetzt werden. 5. Einen zentralen Platz in der psychologischen Handelsmarktforschung nimmt das Experiment ein, wenngleich es weder auf die große Tradition der experimentellen Psychologie zurückblicken kann noch im Bewusstsein der meisten Handelsmanager gebührend verankert ist. (Die von G.T. FECHNER 1860 begründete experimentelle Psychologie wurde von W. WUNDT weitergeführt, der ab 1879 das erste psychologische Laboratorium in Leipzig leitete). Im psychologischen Experiment werden zur Prüfung von wissenschaftlichen (Kausal-)Hypothesen unter kontrollierten Bedingungen bestimmte Erlebensund/oder Verhaltensreaktionen durch spezifische Reize ausgelöst und beobachtet bzw. gemessen (vgl. TEWES/WILDGRUBE 1992, S. 103). Dies kann unter künstlichen Bedingungen im Labor geschehen (Laborexperiment) oder unter natürlichen Umweltbedingungen in einer vollbiotischen oder quasi-biotischen Situation (Feldexperiment). Wichtig ist, dass der Tatbestand, über den Erhebungen angestellt werden sollen, erst herbeigeführt wird, und zwar durch das Experiment selber. Hierin liegt der methodische Unterschied zur Beobachtung. In der Physik wäre z.B. das Messen der Fallgeschwindigkeit eines selbst herbeigeführten Tatbestands am Fallapparat ein Experiment, das Messen des Sonnenstands zur Bestimmung der Ortszeit hingegen Beobachtung (vgl. SPIEGEL 1970, S. 12f.). Die psychologische Marktforschung der Konsumgüterindustrie bedient sich gelegentlich auch der Laborexperimente, durchgeführt beispielsweise in Marktforschungsabteilungen, Marktforschungsinstituten oder Werbeagenturen. Als biotische Experimentmärkte fungieren ausgesuchte repräsentative Testmärkte (Testgebiete) oder Testläden – in jedem Fall aufwändige Untersuchungen. Wie zahlreich, permanent und wohlfeil sind demgegenüber die Möglichkeiten für Experimente im Handelsbetrieb, auf dem internen Markt! Jeder Handelsbetrieb ist sozusagen ein permanentes Experimentierfeld. (Auf den externen Märkten des Handelsbetriebs – Beschaffungs-, Absatz- und Konkurrenzmarkt – sieht sich die psychologische Handelsmarktforschung eher mit den Restriktionen der industriellen Marktforschung konfrontiert: mit komplizierterem Forschungsdesign, nur fallweiser Untersuchungsmöglichkeit, hohem Aufwand). In Anlehnung an die Definition des Soziologen E. GREENWOOD kann man unter einem
2.2 Handelspraxis und Psychologie
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Experiment in der Handelsmarktforschung den „Test einer Hypothese, der zwei Faktoren in eine ursächliche Beziehung zueinander bringen will, indem er sie in unterschiedlichen und kontrollierten Situationen untersucht“, verstehen (WOLF 1981, S. 70). Dabei ist ein Faktor die unabhängige Variable (z.B. der Verkaufspreis für einen Artikel), der eine Versuchsgruppe ausgesetzt wird; der andere Faktor ist die abhängige Variable (z.B. der – mengenmäßige – Absatz oder der – wertmäßige – Umsatz), die die Reaktion der Versuchsgruppe widerspiegelt. Nach WOLF lässt sich die Experimentanordnung wie folgt darstellen: − Auf eine Versuchsgruppe Gv wirkt der Einflussfaktor x1 x1 → Gv − Sind nun eine Versuchsgruppe (Gv) und eine (strukturgleiche) Kontrollgruppe (Gk) an dem Experiment beteiligt, ergibt sich als experimentelle Wirkung (W) bei einer Vorherund Nachher-Messung (zu den Zeitpunkten/Zeiträumen 0 und 1): W = (G v1 − G v0 ) − (G k1 − G k 0 )
Da die Kontrollgruppe in den beiden Messzeitpunkten/-zeiträumen den normalen Entwicklungseffekt wiedergeben soll, muss sie von dem Einflussfaktor völlig unberührt bleiben (Experiment vom EBA-CBA-Typ).
Im Handelsbetrieb lassen sich beinahe alle Managemententscheidungen in ExperimentAnordnungen analysieren. Das gesamte Instrumentarium des Handelsmarketings kann experimentell untersucht werden. Vor allem Änderungen, Revisionen der psychostrategischen und psychotaktischen Entscheidungen können unter Experimentbedingungen auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Wichtig dabei ist stets die genaue Isolierbarkeit einer einzelnen Instrumentalentscheidung (unabhängige Variable). Das klassische Beispiel für ein psychologisches Experiment im Handel, und zwar in biotischer Situation, wurde E. LYSINSKIs Schaufenster-Versuch aus dem Jahre 1918: Je zwei Schaufenster wurden bis auf eine zu untersuchende Variante vollkommen gleich dekoriert. Für jedes Schaufenster wurden durch Beobachtung Betrachterfrequenz und Betrachtungszeit festgestellt. Im Laden wurden die Häufigkeit der Bezugnahme und die Zahl der verkauften Artikel aus der Schaufensterwerbung festgestellt. Ein Fenster mit und eines ohne Preisauszeichnung, eines mit vielen Artikeln und eines mit wenigen Artikeln, eines mit und eines ohne dekoratives Beiwerk, ein buntes Fenster und ein einfarbiges wurden untersucht. Die Erfolgsstatistik wies eindeutig die psychologisch jeweils wirksamere Schaufensterwerbung nach (beschrieben bei SPIEGEL 1970, S. 156).
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2 Handel und Psychologie
Am Ende bleibt auf eine Abgrenzung der betrieblichen mikroökonomischen Handelsmarktforschung von der den gesamten Handel oder Teile des Handels betreffenden makroökonomischen Handelsmarktforschung (Distributionsforschung) hinzuweisen. Dieser Sprachgebrauch ist zwar (noch) nicht verbreitet. Die Unterscheidung ist aber aus Verständigungsgründen wichtig. Die mikroökonomische Handelsmarktforschung wird von Handelsunternehmen selbst betrieben oder in Auftrag gegeben. Ihre Ergebnisse dienen unmittelbar dem Handelsmanagement, insbesondere dem Controlling des forschenden Unternehmens. Die makroökonomische Handelsmarktforschung befasst sich hingegen mit der Untersuchung unternehmensübergreifender Fragestellungen aus Absatzwirtschaft und Handel. Ihre Ergebnisse dienen der Absatz- und Handelsforschung, der Wirtschaftspolitik, der Allgemeinheit. Sofern stufenübergreifend die Gesamtheit oder eine Mehrheit von Handelsunternehmen Gegenstand der Marktforschung sind, wäre zutreffender auch von Distributionsforschung zu sprechen. In diesem Sinn liefern z.B. GfK-Untersuchungen unter dem Rubrum Handelsforschung regelmäßig keine einzelbetrieblichen, sondern branchenbezogene oder allgemein interessierende Daten aus dem Handel. Am bekanntesten sind die Handelspanels. Oder man denke an so aufwändige Untersuchungen wie die Befragung von 2.635 Kunden in je 10 schweizerischen, deutschen und englischen großflächigen Verkaufsstellen (SB-Warenhäuser), die 1995 vom Forschungsinstitut für Absatz und Handel, St. Gallen, durchgeführt wurde. Es sollten Ansatzpunkte für eine Effizienzsteigerung auf der Großfläche gefunden werden. Die Kundenbewertung von acht (vorgegebenen) Instrumenten zur Verbesserung der Großflächen-Attraktivität ergab die folgende Verteilung (1 = geringste Bedeutung, 8 = höchste Bedeutung; Ergebnisse für D/GB/CH): Preis-/Leistungsverhältnis (8/8/8), Service- und Dienstleistungsangebot (7/6/7), Sortimentskompetenz (6/7/5), Personalleistung (5/5/6), Ladenatmosphäre (4/4/3), Standortattraktivität (3/3/4), Werbung (2/1/2) und neue Technologien (1/2/1) (RUDOLPH 1996, S. 56). Vom raschen Verhaltenswandel der Kunden ganz abgesehen, bieten solche Erkenntnisse, selbst bei Differenzierung nach Alter oder Geschlecht der Befragten, dem Management kaum konkrete Fingerzeige für psychostrategische oder taktische Marketingentscheidungen im eigenen SB-Warenhaus. Heute besitzt allein die Werbung mit Prospekten und Zeitungsbeilagen für SB-Warenhäuser erstrangige Bedeutung – und gewiss nicht wider alle Kundeninteressen. In der Praxis gebührt der mikroökonomischen Handelsmarktforschung eindeutig der Vorzug!
2.2.2
Psychologischer Kaufzwang und Kaufsucht
Die Problematik des sog. psychologischen Kaufzwangs ist in dem interessanten Schnittpunkt von Psychologie, Ökonomie, Medizin und Wettbewerbsrecht angesiedelt. Die Psychologie versteht Zwang als einen Sammelbegriff für alle äußeren und inneren Einflüsse, die das Denken und Handeln eines Menschen – und zwar gegen seinen Willen – bestimmen oder beherrschen. Dabei ist dem zwanghaft handelnden Menschen die Unsinnigkeit seines Handelns – im Gegensatz zum Wahn – durchaus bewusst. Unter Sucht kann im weitesten Sinn das hedonistische Bestreben eines Menschen angesehen werden, bestimmte, den Verhaltensspielraum einengende, zur Abhängigkeit führende Handlungen auszuführen und selbst bei eintretenden Schäden davon nicht abzulassen. „Wie andere Süchte ist Kaufsucht durch vier Symptome gekennzeichnet: ein unwiderstehlicher Drang, der stärker als der eigene Wille erfahren wird; eine Abhängigkeit vom Kaufen bis zum Verlust der Selbstkontrolle;
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eine Tendenz zur ‚Dosissteigerung’; Entzugserscheinungen, die von einer inneren Unruhe über Unwohlsein bis hin zu psychosomatischen Erkrankungen und Selbstmordgedanken führen können“ (REISCH/SCHERHORN 2005, S. 184). Dient der Gütererwerb nicht mehr als Mittel, Bedürfnisse zu stillen (Grundbedürfnisse, soziale Bedürfnisse oder Identitätsbedürfnisse), sondern werden Shopping (oder Ersteigerung im Internet) selbst zum Ziel, gewinnen Kaufsucht oder Kaufzwang die Oberhand über den Menschen. Beiden gemeinsam ist die Tatsache, dass der Kaufakt nicht mehr Mittel zum Zweck ist, sondern für sich lust- und wertvoll erlebt wird. Beide unterscheiden sich hinsichtlich der Gefühle während des Kaufakts. Löst der Kaufakt selbst normalerweise positive Gefühle aus, die eventuelle negative Konsequenzen und Kosten überkompensieren müssen, so werden letztere bei der Kaufsucht verdrängt. Werden Kaufakte nur als Reaktion auf negative Gefühle wie innere Anspannung oder Unruhe oder aus bloßem irrationalen Kaufdrang getätigt, liegt eine eher pathologische Störung des Kaufverhaltens vor. „Der Besitz gekaufter Güter kann als Motivator so stark abnehmen, dass Konsumenten ihre gekauften Produkte ... zu Hause ... gleich wieder entsorgen.“ (KIRCHLER 2003, S. 121) Wenn die deutsche Konzeptchefin des dänischen Möbel-Auktionshauses Lauritz.com sich den Erfolg ihres Unternehmens mit dem „Suchtfaktor“ erklärt, den die Internet-Versteigerung von „Möbeln mit Seele“ mitbringe, dann handelt es sich wohl eher um eine nicht pathogene Suchtform (FAZ Nr. 124 v. 31.5.2007, S. 18); denn die Kunden der größten europäischen Verkaufsplattform für ausgefallene DesignEinrichtungsstücke sind dankbar, ausgefallene Spiegel mit Perlmuttintarsien, Möbel im Bauernstil oder Ölgemälde auf diesem Wege überhaupt zu finden. Für die Ökonomie besteht im Allgemeinen wenig Anlass, krankhaften inneren Zwangshandlungen von Menschen als Markpartnern erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Auch wenn die Ökonomen in der Theorie mit der Vorstellung des homo oeconomicus übertrieben haben, mit jenem idealen, vollständig informierten und völlig rational handelnden Wesen, gehen sie doch in der Praxis normalerweise von der Vorstellung vernunftmäßig und nicht krankhaft handelnder und durchaus überzeugbarer Marktpartner aus. Dass der eine oder andere Verbraucher von Kaufzwängen geleitet sein mag, die nicht physiologisch bedingt sind, wird im Allgemeinen als peripheres Phänomen in Kauf genommen, aber kaum als unternehmerische Zielgröße ins Kalkül gezogen. Allerdings sind Einzelhandelsbetriebe aller Größenordnungen und Betriebsformen mit einem spezifischen Problem krankhaften Kundenverhaltens konfrontiert: der Kleptomanie. Die Frage, inwieweit die ausgesendeten Signale, die zum Kauf anregen sollen, so suggestivwillensausschaltend wirken, dass sie bei einzelnen Kunden zum Kaufzwang führen, ist von Handelsmanagern regelmäßig nur schwer zu beurteilen. Die absatzwerblichen Bemühungen zielen schließlich immer auf Überzeugung und Kaufauslösung ab. Wenn der Wille von Menschen bewusst ausgeschaltet würde, läge ohne Zweifel die Absicht vor, Kaufzwang hervorzurufen; sie wäre verwerflich, aber dies findet praktisch nicht statt. Wenn jedoch im alltäglichen Normalfall ein Kunde „schwach wird“ und er dem ansprechenden Werbeimpuls einen Kauf folgen lässt, dann kann kaum von absichtlichem Hervorrufen von Kaufzwang geredet werden. Es muss auch davor gewarnt werden, die im Einzelhandel inzwischen üblich gewordenen psychologischen Reizkonstellationen, wie beispielsweise − atmosphärische Reize (stimulierende Musik oder Düfte, Pflanzen, Farben usw.) und − aktivierende Reize (größere Einkaufswagen, auffällige Displays oder auffällige Platzierung, Zweitplatzierung, Platzierung im Kassierbereich usw.),
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2 Handel und Psychologie
denen man eine gewisse Sogwirkung nachsagt, sogleich als Kaufzwang auslösend zu verurteilen. Sie mögen (vor Betreten des Geschäfts nicht geplante) Käufe, Impulskäufe, auslösen – aber selbst diese Kaufentscheidung wird einer – wenn auch infinitesimal kurzen – rationalen Prüfung unterzogen. Auch ist die These Ernest DICHTERs, Kaufen sei ein Ausdruck schöpferischer Fähigkeit, zu bedenken: „Für die Mehrzahl der im produktiven Lebensbereich zu unschöpferischem Tun gezwungenen Menschen dürfte es der Ersatz zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit schlechthin sein“ (HEINE 1968, S. 121). Ebenso eigenartiger- wie leichtfertigerweise werden die Probleme des psychologischen Kaufzwangs und der Kaufsucht jedoch gern den akquisitorischen Bemühungen des Einzelhandels angelastet. Dass sich die Konsumgüterhersteller bei der Werbung, z.T. in hoher Perfektion, einer psychologischen Methode bedienen, die das Hervorrufen von Quasi-Kaufzwang bewirkt, wird dabei übersehen: der „Methode der hämmernden Wiederholung“ (Emil DOVIFAT). In empirischen Untersuchungen ist nachgewiesen worden, dass Kund(inn)en bei der Güterwahl immer wieder denjenigen Produkten den Vorzug geben, die bekannter sind: Die bekannteren werden für die besseren gehalten. Diese Methode kommt vor allen Dingen in den Fällen zur Wirkung, in denen Konsumenten nur geringes Engagement und wenig Interesse an der Kommunikation für ein Produkt (low involvement) zeigen (vgl. KUSS 1991, S. 36ff.). Die Medizin (Psychopathologie) unterscheidet äußeren und inneren Zwang. Äußerer Zwang wird durch Druck oder Nötigung ausgeübt. Innerer Zwang stellt ein psychisches Symptom, häufig auch ein psychopathologisches Symptom (Zwangsneurose oder Psychoneurose bei chronischem Verlauf), dar: Der Betroffene hat das Gefühl, in seinem Denken und Handeln von inneren Vorstellungen (Obsessionen), Gefühlen und Impulsen beherrscht zu werden. Es scheint für ihn so, als ob sich die Zwangserscheinungen von innen aufdrängen und sich jedem Versuch der Bekämpfung widersetzen. Derartige Zwänge treten symptomatisch bei Psychosen, Neurosen und hirnorganischen Erkrankungen auf. Für das Wettbewerbsrecht stellt der psychologische oder moralische Kaufzwang eine wichtige Kategorie dar. Wettbewerbshandlungen, die die freie Kaufentscheidung der Konsumenten beeinflussen, machen seit Anbeginn der Rechtsprechung zum „Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb“ (UWG) vom 7.6.1909 einen Schwerpunkt der Anwendung seiner Generalklausel aus. In § 1 des alten UWG wurde normiert, dass alle Wettbewerbshandlungen im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen sind, die gegen die guten Sitten verstoßen. Die konkrete Auslegung des Begriffs „gute Sitten“ oblag dabei der Rechtsprechung. Im Verlaufe fast eines Jahrhunderts Rechtsprechung zum Kundenfang sind zahlreiche Fallgruppen als gegen die guten Sitten verstoßend eingegrenzt worden. Hierzu zählen – neben dem psychologischen Kaufzwang durch Ausübung von Druck – namentlich − − − −
Irreführung, Belästigung durch anreißerische Praktiken (z.B. anreißerische Werbung), Verlockung durch Vergünstigung, insbesondere Vorspannangebote, Verführung durch aleatorische Reizmittel (zufallsabhängige Vorteilsankündigung, etwa durch Gewinnspiele, Preisausschreiben oder Sweepstakes), − Ausnutzung von Gefühlen, − Ausnutzung von Unerfahrenheit und − Bedrohung.
2.2 Handelspraxis und Psychologie
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Die rechtliche Wertung, wann die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern durch Maßnahmen des Handelsmarketings als sittenwidrig oder nicht sittenwidrig zu beurteilen sei, ist verständlicherweise schwierig. Schließlich versucht jeder Anbieter von Marktleistungen, Einfluss auf seine potenziellen Kunden zu nehmen und einen relativen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Mitbewerbern zu erlangen, sei es durch geschickte Werbung, sei es durch Aufmachung des Geschäfts oder durch den Einsatz des übrigen Marketing-Instrumentariums. Es kann also keinesfalls jede psychologische Beeinflussung des Kunden, die zum Kauf veranlasst, verwerflich sein. Präferenzen für das eigene Produkt oder Produktionsprogramm zu schaffen ist grundsätzlich ein ebenso legitimes MarketingZiel von Herstellern wie das Ziel des Handelsmarketings, Präferenzen für das eigene Sortiment zu schaffen. Auch kann nicht jeder Appell an Gefühle als solcher sittenwidrig sein; denn wie viele Käufe sind stark affektiv motiviert, und bei wie vielen Käufen fällt der Käufer die Kaufentscheidung aufgrund einer höchstpersönlichen Gefühlskonstellation! Und auch nicht jeder Kauf eines Unerfahrenen kann per se geschützt werden; denn nicht jeder Verkäufer sieht dem Käufer entsprechende Konsumerfahrenheit oder Konsumunerfahrenheit an der Nasenspitze an. Diese wenigen Beispiele verdeutlichen bereits, wie kompliziert sich ökonomische Handlungstatsachen, psychologische Motivationen und rechtliche Bewertung im Bereich des unlauteren Wettbewerbs mischen, in den der psychologische Kaufzwang einzuordnen ist. Die Gerichte, die sich im Übrigen des Rats von ökonomisch und/oder psychologisch sachverständigen Gutachtern bedienen können, wandeln auf einem schmalen Grat: Die Frage, ob z.B. eine bestimmte Werbeaktion als sittenwidrig beurteilt werden soll, darf weder zu mild entschieden werden, da sonst der Wettbewerb leicht entartet oder verwildert, noch zu streng, da sonst der Wettbewerbsmotor leicht abgewürgt wird. Die Frage des Vorliegens oder Nichtvorliegens von psychologischem Kaufzwang kann nur im konkreten Einzelfall unter genauer Ermittlung und Würdigung aller seiner Umstände beurteilt werden. Die rechtliche Entscheidung wird wesentlich dadurch bestimmt, in welchem Maße ein Umworbener durch unsachliche Beeinflussung um seine freie Entschließung gebracht wird, so dass der Wettbewerb als verfälscht anzusehen ist. (Vgl. HEFERMEHL 1990, S. 141) Vielfach wird in diesem Zusammenhang in (sittengerechten) Leistungswettbewerb und (sittenwidrigen) Nichtleistungswettbewerb unterschieden. Diese Unterscheidung trägt jedoch wenig zur Klärung bei, da die Abgrenzung von Leistungs- und Nichtleistungswettbewerb als ökonomische Kategorien kaum möglich ist; überdies wird die Abgrenzung durch Vermengung von ökonomischen mit rechtlichen Dimensionen doppelt erschwert. Trotz dieser Schwierigkeiten ist die deutsche Rechtsprechung zu den §§ 1 und 3 des alten UWG zu grundsätzlichen Klärungen gelangt. Wichtig ist namentlich die Unterscheidung in rechtlichen und psychologischen Kaufzwang. So genannter rechtlicher Kaufzwang liegt vor, wenn dem Kunden eine geldwerte Vergünstigung (Gratisverlosung, Reise, Geschenk, Wertschein o.ä.) für den Fall in Aussicht gestellt wird, dass er eine bestimmte Ware oder Warenmenge kauft. Dabei muss der Lockeffekt der Vergünstigung so stark sein, dass er geeignet ist, das Urteil des Kunden zu trüben und ihn unter Verdrängung sachlicher Überlegungen zum Kauf der Ware zu bestimmen. Ein versteckter Einsatz bei einem Gewinnspiel erfüllt z.B. den Tatbestand des unzulässigen rechtlichen Kaufzwangs, a) wenn der Kauf Voraussetzung zur Teilnahme ist (unzulässig sind Etiketten, Kassenbons oder Verpackungsteile als Grundlage der Gewinnchance) und
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2 Handel und Psychologie
b) wenn der Kauf zwar nicht Voraussetzung für die Teilnahme, wohl aber für die Lösung ist und die Lösung sich z.B. nur durch Ausprobieren der Ware finden lässt (mittelbare Kopplung) (vgl. BBE BAYERN, S. 214). Sogenannter psychologischer Kaufzwang liegt vor, wenn der Erhalt einer Vergünstigung nicht vom Kauf einer Ware abhängig ist und der Kunde dies auch weiß, jedoch durch die Vergünstigung in eine psychische Zwangslage gerät, in der er es als unanständig oder peinlich empfindet, nichts zu kaufen. Aus der Reihe von Tatsachenentscheidungen sollen nur einige Fallgruppen genannt werden: − übertriebenes Anlocken (z.B. Modenschau mit Gratisverlosung; kostenloses Frühstück); − Verschenken von Waren (nicht grundsätzlich wettbewerbswidrig, nur bei übertriebenem Anlocken, besonders bei Abgabe im Laden); − das „Schleppen“ von Kunden; − das Abhängigmachen der Teilnahme an einer Veranstaltung vom Kauf einer Ware und − das Appellieren an das Mitleid (Ausnahme: Erlaubte Werbung mit „Blindenware“, „Blindenseife“ o.ä. gemäß Blindenwarengesetz, Feilhalten nur mit BlindenwarenVertriebsausweis gem § 6 (1) BlindenwarenG vom 9.4.1965 i.d.F. vom 28.11.2003). Allerdings ist moralischer Kaufzwang nicht per se sittenwidrig. Bei objektiver Betrachtung müssen die Umstände des Einzelfalls ergeben, dass der Kunde in anstößiger Weise unter Druck gesetzt wird, dass er sich moralisch verpflichtet fühlt, „anstandshalber“, ohne Rücksicht auf sein Bedürfnis und die Güte und die Preiswürdigkeit der angebotenen Ware, einen Kauf zu tätigen. Auch kann die rechtliche Würdigung nicht auf jede zartbesaitete Seele, sondern nur auf den normal empfindenden Durchschnittskunden von heute abstellen.
2.2.3
Ladendiebstahl
Im deutschen Einzelhandel verschwanden im Jahre 2006 nach Untersuchungen des Europäischen Handels Instituts EHI, Köln, Waren im Wert von rd. 3,9 Mrd. €. Statistisch gesehen wäre danach jeder 200. Einkaufswagen nicht bezahlt worden oder jeder Haushalt hätte jährlich Waren im Wert von über 50 Euro nicht bezahlt. Die Kriminalstatistik registriert einen kontinuierlichen Anstieg der angezeigten Ladendiebstähle (1990 458.391 Fälle allein in den alten Bundesländern), wobei Fachleute die Dunkelziffer auf über 95% schätzen (vgl. DILLER 1992, S. 595). Großunternehmen, insbesondere aus dem Bereich des Selbstbedienungshandels, geben regelmäßig erschreckend hohe Inventurdifferenzen von 1,5 bis 1,8 vH des Umsatzes an. Hinter den Inventurdifferenzen stehen zwar höchst unterschiedliche Arten von Unregelmäßigkeiten, unter anderem fehlerhafte und betrügerische Wareneingangskontrolle (Bestätigung des Wareneingangs gemäß Lieferschein, jedoch Abzweigen von Teilen der Lieferung durch Lagerpersonal oder Aufteilen von entwendeten Teilen der Lieferung unter Lieferfahrer und Lagerist) und Manipulation bei der Preisauszeichnung oder beim Kassiervorgang durch eigenes Personal. Den wichtigsten Posten für Inventurdifferenzen stellt nach wie vor der Ladendiebstahl dar. An dieser falsch verstandenen Selbstbedienung, an diesem kriminellen Schwund sind beide Teilnehmergruppen im internen Markt des Einzelhandels zu etwa gleichen Teilen beteiligt: Besucher (Kunden, Außendienstler, Handwerker usw.) und Personal. Bei den Kunden sind sowohl kleine Gelegenheitsdiebe als auch professionell organisierte Gruppen von Langfingern für die entstehenden Schäden verantwortlich. Der typische Ladendieb ist zwar ein Gelegenheitstäter. Zunehmend Sorgen bereiten aber Banden von
2.2 Handelspraxis und Psychologie
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Ladendieben und wachsende Gewaltbereitschaft. Da Ladendiebstahl – anders als Einbruchdiebstahl – nicht versicherbar ist, wirkt er sich voll auf die Ertragssituation des Handelsbetriebs aus. Einige Straftaten werden fälschlicherweise als Diebstahl bezeichnet. Das Umkleben oder Verändern von Preisetiketten erfüllt z.B. den Tatbestand des Betrugs, u.U. auch der Urkundenfälschung. Auch vor anderen Straftaten, wie z.B. Sachbeschädigung (Einbruch, GraffitiSchmierereien), Raubüberfall, Erpressung, Bombendrohung, Freiheitsberaubung (Kidnapping) oder Vandalismus, ist der Einzelhandel nicht gefeit (vgl. WIRSCHING 1989, S. 149). Eigentumsdelikte wie Warendiebstahl kommen zu allen Zeiten und in allen Gesellschaftsformen vor. Allem Anschein nach begünstigt jedoch eine Reihe von speziellen psychologischen Faktoren die Verbreitung des Ladendiebstahls im modernen Einzelhandel: • Warenüberfülle als solche (irrtümliche Vorstellung eines minimalen „Grenzschadens“); • Reizüberflutung, flooding (Erlebnishandel mit Präsentations- und Dekorationsorgien, Warenüberfülle ohne Orientierungshilfe, Warten, Suche, Gedränge usw. führen zu Überaktivierung und Überspannung, kleinere Entwendungen als „Kavaliersdelikte“ zu Deaktivierung und Spannungsabbau), • Selbstbedienungsprinzip (niedrige Hemmschwelle; Verlockung des leichten Zugriffs); • Geringschätzung des Eigentums (ideologische Voreingenommenheit); • Geringschätzung des Handels (Vorstellung der Bereicherung im Handel, kombiniert mit der eingeredeten Rechtfertigung „Das holen die bei den anderen Waren wieder herein“; ideologische Voreingenommenheit vor kapitalistischer Wirtschaftsweise oder Globalisierung); • Selbstverstärkung durch mangelnde Diebstahlssicherung im Laden (Ladendiebe werden angezogen durch unzureichende Raumüberwachung und/oder Warensicherung); • fehlende Angst vor Sanktionen bzw. Geringschätzung der harmlosen Sanktionen (Verfolgung des Diebstahls geringwertiger Waren bis 50 € nur auf Antrag; kein Schadensersatz durch Versicherungen; geringe Abschreckungswirkung des Hausverbots); • aus Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen einschließlich der sog. Wohlstandsverwahrlosung („A 16-Syndrom“) resultierende Gewaltbereitschaft, Aggression, Angabe, Cliquen-„Sport“; • krankhafte Stehlsucht, Kleptomanie (auch bei Wohlsituierten); • zunehmende Armut; • zunehmende Vereinsamung und Verzweiflung alter Menschen (Alterskriminalität).
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2 Handel und Psychologie
Organisatorische Maßnahmen
Ladengestalterische Maßnahmen
Abwehr und Verhinderung von Ladendiebstählen
Technische Hilfsmittel
Personelle Maßnahmen
Elektronische Hilfsmittel
Abb. 15: Sicherungsmöglichkeiten gegen Ladendiebstähle
In der Praxis muss dem Ladendiebstahl durch Sicherungsmaßnahmen entgegengewirkt werden. Fünf Gruppen von Sicherungsmöglichkeiten zum Schutz gegen Ladendiebe stehen zur Verfügung (Abb. 15 nach BBE BAYERN, S. 181). Als Sicherungsmöglichkeiten kommen folgende Einzelmaßnahmen für stationäre Einzelhandelsbetriebe in Betracht: Ladengestalterische Maßnahmen:
– Übersichtliche, helle Verkaufsräume – Spiegel mit konvexem Schliff – Durchblickspiegel
Organisatorische Maßnahmen:
– Personalschulung über Tricks der Ladendiebe, über rechtliche Aspekte und korrekten Umgang mit Personen, die Alarm ausgelöst haben – Einarbeitung der Mitarbeiter (Bestimmung der sog. Interventionskräfte für Überführungsfälle) – regelmäßige Prüfung der Sicherungssysteme – Stichprobenkontrolle (Testkauf; Lieferanten-/Spediteur-Kontrolle beim Wareneingang)
Personelle Maßnahmen:
– Einsatz von Hausdetektiven – Einsatz von privaten, möglichst uniformierten Schutzleuten („Rote Mützen“ in Berlin) – Motivation des Personals zur Aufmerksamkeit (ggf. Fangprämien) – Abhängigkeit der Tantiemen für Führungskräfte vom Inventurergebnis – Qualifikation der Warenannahmeleiter
Technische Hilfsmittel:
– Beobachtungsspiegel; rotierende Spiegelampeln – Direkte Warensicherung (Ketten, Perlonschnüre, Schließmechanismen)
2.2 Handelspraxis und Psychologie
87 – festsitzende Klebeetiketten – Sicherungsetiketten – Tintenetiketten
Elektronische Hilfsmittel:
– Video-Kameras (fest oder beweglich) – elektronische Artikelsicherung (EAS; Spezialetiketten und Ausgangssicherung) – elektronische Klebeetiketten (mit Deaktivierung an der Kasse) – Vitrinensicherung (Ruhestromanlage: beim Öffnen ertönt leiser Dauerton) – Warenlokalisierung nach einem Dienstahl durch RFID und GPS (global positioning satellite)
Allgemein kann nicht vorhergesagt werden, welche Maßnahmengruppe oder welche Einzelmaßnahme am besten vor Ladendiebstahl schützt. Eine 100-prozentige Sicherheitsmaßnahme gibt es nicht, wenngleich geschultes, aufmerksames und für die Kunden stets wahrnehmbares Verkaufspersonal immer noch die effektivste Vorkehrung gegen Ladendiebstahl zu sein scheint. Das Ausmaß an erzielbarem Schutz vor Ladendiebstahl ist nicht nur eine Frage der individuellen betrieblichen Situation (Branche, Betriebsgröße, Betriebsform, Organisationsform, Kundenkreis), sondern auch der möglichst optimalen Kombination verschiedener Sicherungsvorkehrungen, wobei allerdings die Kosten der Sicherungsmaßnahmen für viele Händler Grenzen setzen. Schließlich spielt die Psychologie der Sicherung eine Rolle. In dem sensiblen Bereich der Überwachung von Kunden bedarf es erheblichen Einfühlungsvermögens: Der eine Kunde fühlt sich durch Video-Kameras belästigt, während der andere Kunde diese Maßnahme als Verbesserung seiner eigenen Sicherheit schätzt. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bei dem Überwachungsgerät und eine echte Video-Kamera oder um eine Attrappe handelt. Inzwischen werden wohlfeil täuschend echt aussehende KameraAttrappen angeboten. Ihre psychologische Abschreckung auf Kunden ist erwiesen – aber ihre dem Personal bekannt werdende Wirkungslosigkeit psychologisch eher negativ zu werten. Die eine Kundin hält die im SB-Warenhaus eindeutig plakatierte Aufforderung, Einkaufstaschen bei der Information abzugeben, für aufdringlich, während die andere Kundin der Aufforderung Verständnis entgegenbringt. Im Ladenlokal gut sichtbar angebrachte Plakate mit Aufschriften wie „Wir zeigen jeden Ladendieb an“ oder „Wir erteilen jedem Ladendieb Hausverbot“ sind rechtlich in Ordnung, psychologisch aber zweischneidig. Selbst unscheinbare Sicherheitsmaßnahmen wie stark haftende Klebeetiketten, die „Etikettenschwindel“ verhindern und zugleich der Preisauszeichnung dienen, werden von denjenigen als lästig, wenn nicht sogar als verbraucherunfreundlich empfunden, die die entsprechende Ware ohne Preisetikett verschenken wollen. Und wie peinlich sind Situationen, wenn ein redlicher Kunde Alarm auslöst, nur weil das elektronische Sicherungsetikett nicht ordnungsgemäß deaktiviert wurde oder wenn ein Fehler in der Ausgangssicherung aufgetreten ist!
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2.2.4
2 Handel und Psychologie
Marktpartnerzufriedenheit
Wirtschaftliches Verhalten ist das Ergebnis einer komplexen Interaktion zwischen objektiven Daten und subjektiven Einstellungen. Es liegt nahe, aus der Aggregation von Einzelbeobachtungen und -befragungen nicht nur gesamtgesellschaftlich-politische Indizes (Glück, Wohlbefinden, Zufriedenheit) und makroökonomische Indizes, sondern auch mikroökonomische, Marktpartner-bezogene Indizes abzuleiten. Da Einstellungen und Erwartungen verhaltensleitend sind und ihre Kenntnis für eine überschaubare Zukunft politische und gesamtwirtschaftliche Richtwerte abgeben, werden seit langem Indizes zur Konsumentenstimmung (Konsumklimaindex, Index des Verbrauchervertrauens) und zur Unternehmensstimmung (Investitionsklimaindex) ermittelt (vgl. KIRCHLER 2003, S. 321-337). Diese makroökonomischen Indizes können auch für strategische Entscheidungen des Handelsmanagements interessant werden. Das vordringliche Kenntnisinteresse des Handelsmanagements gilt allerdings mikroökonomischen Indizes über die Zufriedenheit der Marktpartner, und zwar der Partner auf allen vier Märkten. In der Literatur und in Fortbildungsveranstaltungen liegt das Augenmerk fast ausschließlich auf Fragen der Messung, Gestaltung und Kontrolle der Kundenzufriedenheit. Unbestreitbar ist es für jeden ehrbaren Kaufmann ein vorrangiges Ziel, seine Kunden zufrieden zu stellen, aus zufriedenen Kunden Stammkunden zu machen und diese nachhaltig an das Geschäft zu binden. Bei der verständlichen Konzentration auf die Zufriedenheit der Kunden lauert jedoch die Gefahr einer Blickeinengung; denn – wie bei den Besonderheiten der Handelsmarktforschung bereits erwähnt – sind nicht nur der Absatzmarkt (die Kunden), sondern auch der Beschaffungsmarkt (die Lieferanten), der Konkurrenzmarkt (die Mitbewerber) und der interne Markt (die Mitarbeiter) systematisch zu erkunden. Dementsprechend sind ebenfalls Kenntnisse über Lieferantenzufriedenheit, Mitbewerberzufriedenheit und Mitarbeiterzufriedenheit maßgeblich für eine optimierte Märktebearbeitung. Sind Lieferanten unzufrieden mit der Mengenabnahme oder über schleppende Zahlungen, werden sie ggf. ungünstigere Konditionen anbieten oder den abnehmenden Handelsbetrieb nicht mehr beliefern. Die Entwicklung von supply chain management und quick response mit elektronischem Datenaustausch (electronic data interchange EDI) zwischen Handelsunternehmen und Lieferanten sowie von category management, das Lieferanten den Zugriff auf tagesaktuelle Bestands- und Verkaufsdaten des Handelsunternehmens erlaubt, haben in vielen Fällen zu beiderseitiger Zufriedenheit geführt (RUDOLPH 2005, S. 121). Das Handelsmanagement darf jedoch die Gefahr nicht verkennen, durch zu enge informatorische Bindung an Lieferanten seine ureigene Sortimentskompetenz einzubüßen. Sind Mitbewerber unzufrieden mit gezielten aggressiven Werbemethoden oder Passivität in örtlichen
2.2 Handelspraxis und Psychologie
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Werbegemeinschaften, werden sie den unliebsamen Konkurrenten schneiden und ihm keine Informationen zukommen lassen oder aus Kooperationen wie Werbegemeinschaften ausscheren. Sind Mitarbeiter unzufrieden mit der Vergütung, mit Arbeitszeitregelungen (Springer, mangelnde Sicherheit usw.), mit dem Befehlston oder mit sonstigen Stressoren, werden sie in die innere Immigration ausweichen, im schlimmsten Fall das Unternehmen verlassen. Zur Erreichung oder Verbesserung von Marktpartnerzufriedenheit stehen dem Handelsmanagement viele Instrumente zur Verfügung. Am Beispiel der Kundenzufriedenheit seien nur genannt: das gesamte herkömmliche Spektrum des Kundenservice, aber auch innovative Servicevarianten; fachkundige und freundliche Beratung (bzw. Behandlung im SB-Handel und im Distanzhandel); Zugaben; Geschenke; Hauszustellung; Verpackung; Ordnung und Sauberkeit; einwandfreie Ware; Umtausch und Kulanz; Vermeidung von Warteschlangen usw. Nun ist allerdings Zufriedenheit eine höchst subjektive, zugleich empfindsame Kategorie. Der eine Kunde ist zufrieden wegen der ungewöhnlichen Sortimentstiefe, ein anderer wegen der angenehmen Ladenatmosphäre, ein dritter wegen des eingeräumten Stammkundenrabatts. Bei wieder anderen können dieselben drei Faktoren – genau umgekehrt – Unzufriedenheit auslösen. Und beim ersten, zweiten oder dritten Kunden kann sich die Zufriedenheit oder besser: der Grad der Zufriedenheit schon beim nächsten Kauf ändern. Das größte Problem liegt in den individuellen Erwartungshaltungen. Erwartungen werden durch Vorurteile, persönliche Bedürfnisstruktur, Konsumerfahrung, Vertrautheit mit dem Geschäft, Meinungen anderer Kunden, Werbung und durch alles Mögliche beeinflusst. Und ohne Erwartungen steuert kein Kunde ein Geschäft an. Man ahnt die Konsequenz für das Handelsmanagement: Es ist außerordentlich schwierig, allen Kunden gerecht zu werden. Tatsächlich muss jeder psychologisch aufgeschlossene Handelsmanager den guten Rat befolgen: „Versprich nie etwas, was du nicht halten kannst!“ (HURTH 2006, S. 204) Diese Verhaltensmaxime gilt selbstverständlich genauso gegenüber Lieferanten, Wettbewerbern und Mitarbeitern. Allgemein muss Marktpartnerzufriedenheit als das Ergebnis eines kognitiven psychodynamischen Vergleichsprozesses verstanden werden. Als kumulative Partnerzufriedenheit kann sie auch aus der Kumulation von Teilzufriedenheiten mit dem Kaufprozess, mit der Funktionalität der Leistungserbringung und/oder mit dem Umfeld der Verhandlung resultieren. An jedem Vergleichsprozess können mehrere Einflussgrößen mitwirken, z.B. affektive Komponenten, Einstellungen, Dimension, Erfahrung und/oder Kaufhandlung (vgl. VIEHÖVER 2006, S. 13ff.). Am Beispiel der Kundenzufriedenheit sei der Vergleichsprozess kurz skizziert. Kundenzufriedenheit (mit den Bestandteilen Transaktionszufriedenheit, Episodenzufriedenheit, Kontaktpunktzufriedenheit) respektive Kundenunzufriedenheit entsteht aus einem Vergleich der (subjektiv) tatsächlich wahrgenommenen Leistung (objektiver IstKomponente) mit der (subjektiv) erwarteten Leistung (Soll-Komponente). „Der Vergleich von Ist-Komponente und Soll-Komponente führt schließlich zu Bestätigung (confirmation) oder Nicht-Bestätigung (disconfirmation).“ (FOSCHT/SWOBODA 2005, S. 210). Der Erklärungsrahmen für die beiden möglichen Fälle wird Confirmation/DisconfirmationParadigma oder C/D-Paradigma genannt. Kundenzufriedenheit: (1) wahrgenommene (Ist-)Leistung ≥ erwartete (Soll-)Leistung Kundenunzufriedenheit: (2) wahrgenommene (Ist-)Leistung < erwartete (Soll-)Leistung.
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2 Handel und Psychologie
Für die Resultante aus der Bedienungsleistung des Verkäufers und der Wahrnehmung des Kunden sind nach N. KANO drei Erwartungskategorien von entscheidender Bedeutung: 1. Basisanforderungen, die vom Kunden ganz selbstverständlich erwartet werden und bei Nichterfüllung Unzufriedenheit hervorrufen, 2. Leistungsanforderungen, die vom Kunden explizit verlangt werden und das Maß seiner Zufriedenheit oder Unzufriedenheit beeinflussen, und 3. Begeisterungsanforderungen, die vom Kunden nicht erwartet werden, wenn sie aber vorliegen, zu großer Zufriedenheit führen können (vgl. SCHUCKEL 1999, S. 58ff.). Damit kommt die bereits angesprochene Empfindsamkeit, die relativ leichte Veränderbarkeit dieses Erstoder Basiszustands durch weitere Käufe in demselben Geschäft, ins Spiel. Es können Bestätigungen (psychologische Konsonanz), Enttäuschungen (psychologische Dissonanz) und Lernprozesse (steigendes/sinkendes Erwartungsniveau) folgen. Prinzipiell sind diese Folgeprozesse möglich: (1a)
wL = eL führt generell zu Nachkauf-Konsonanz (Standard).
(1b)
wL > eL führt grundsätzlich zu Nachkauf-Konsonanz (Standard). Dieser Prozess hat ohne Lerneffekt (gleichbleibendes Erwartungsniveau) die positive Folge des Wiederholungskaufs, ggf. der Weiterempfehlung; mit Lerneffekt (Steigerung des Erwartungsniveaus) können negative Folgen eintreten wie z.B. beim Wiederholungskauf entstehende Unzufriedenheit, negative Mund-zu-Mund-Werbung oder Geschäftswechsel.
(2)
wL < eL führt grundsätzlich zu Nachkauf-Dissonanzen (Standard). Aus diesem Prozess können ambivalenten Folgen entstehen: offene Beschwerden, stille Rationalisierung, Verdrängung, Geschäftswechsel, negative Mund-zu-Mund-Werbung oder aber Wiederholungskäufe bei paradoxem Lerneffekt (Zufriedenheit wegen gesunkenen Erwartungsniveaus).
Lernprozesse bei den Kunden konfrontieren mithin das Handelsmanagement besonders bei trading up- und trading down-Strategien mit einer schwierigen Situation:
Das Learn Paradox: Zufriedene Erstkäufer können zu unzufriedenen Wiederholungskäufern werden. Unzufriedene Erstkäufer können zu zufriedenen Wiederholungskäufern werden.
Hohe bzw. zu hohe Erwartungsniveaus von Kunden sind allerdings nicht ausschließlich kaufinduziert. Aus unterschiedlichsten Gründen – z.B. wegen des allgemeinen Werteverfalls in Teilen der Gesellschaft, aufstachelnder Talk Shows und kritischer Rundfunk- und Fernsehsendungen oder nur aufklärender Berichte von Verbraucherschutz-Organisationen – begeben sich Kunden immer öfter mit einer negativen Prädisposition in die Verkaufsgespräche. Mitunter enden diese mit erschreckenden Auswüchsen von Kundenunzufriedenheit. Es hat lange gedauert, bis sich Konsumenten- und Marketingforschung des Phänomens des destruktiven Verbraucherverhaltens (consumer misbehaviour) angenommen hat, das Produ-
2.2 Handelspraxis und Psychologie
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zenten wie Händlern in vielen Ländern mehr und mehr zu schaffen macht (vgl. EVANS/JAMAL/FOXALL 2006, S. 308-320). Verkäufer und Kundendienstmitarbeiter sehen sich fast täglich unverschämten Forderungen und persönlichen Angriffen ausgesetzt. Handgreiflichkeiten, Beschimpfungen, überzogene Preisnachlassforderungen, maßlose Reklamationen und tausend andere Aggressionen von „König Kunde“ haben allzu vielen Kundendienern ein Magengeschwür, einen Herzinfarkt oder einen Kuraufenthalt beschert: „Viele ‚Diener’ sind am Boden, weil sie Kunden dort hingebracht haben“, konstatiert ein Kenner des „Alptraums Kunde“ (GRANDT 1999, S. 135). Einen anonymen Kunden zitiert er mit: „’Das gibt’s doch nicht!’ mault der Kunde und ballt die Fäuste. ‚Wieso haben Sie mir so einen Dreck geliefert? Das lass’ ich mir von Ihnen nicht bieten, eine Sauerei ist das! Ach, wissen Sie was, Sie und Ihr ganzer Laden können mich mal!’“ (ebenda, S. 193). Auch das ein Kapitel (klinische) Psychologie im Handel – leider ein trauriges. Es mag schon richtig sein: „Die Begegnung zwischen Dienstleister und Kunde muss interaktionsförderlich gestaltet werden, entscheidende Bedeutung kommt aber der Auswahl, dem Training und der Führung von Mitarbeitern mit Kundenkontakt sowie der Unterstützung der Begegnung mit dem Kunden durch die Organisation zu. Angesichts des steigenden Wettbewerbs und der stetig wachsenden Anforderungen von Seiten der Kunden sind diese Faktoren ganzheitlich auf den Kunden auszurichten.“ (NERDINGER 2005, S. 48) Nur – wie sehen Interaktionsförderlichkeit und Ganzheitlichkeit konkret aus? Antworten auf diese Frage müssen das Handelsmanagement und das Verkaufspersonal täglich in tausend Einzelfällen selber finden... Soll der oben beschriebene psycho-dynamische Vergleichsprozess nicht nur fallweise, sondern nachhaltig zu Kundenzufriedenheit führen, zu Loyalität (andauernde Kundenbindung), müssen Instrumente der Vorkauf-Phase mit solchen der Nachkauf-Phase kombiniert werden. Kundenindividuelle Akquisitionsmaßnahmen vor dem Kauf sollten sich in Form individueller Betreuungsmaßnahmen nach dem Kauf fortsetzen. Zu den Formen des Nachkaufmarketings zählen etwa produkt- und personenbezogener Service (Zustellung, Wartung, Reparatur), persönliche und unpersönliche Kommunikation (Nachkaufberatung, Gebrauchsanweisung), Beschwerdemanagement und Retrodistribution (Entsorgung, Recycling, Weitervermarktung) (vgl. HANSEN/JESCHKE 1995, Sp. 1927). Jedoch gelobt kein Marktpartner ewige Treue. Kunden wie Lieferanten und Mitarbeiter können abwandern. Daher sollten auch die Ursachen für abgebrochene Beziehungen analysiert werden – keine einfache, aber durch behutsam geführte persönliche oder telefonische Nachfrage doch lösbare Aufgabe. Vor allem muss dem Handelsmanagement daran gelegen sein, Kundenunzufriedenheit zu eruieren, um ihr entgegenwirken und die unzufriedenen Kunden zurückgewinnen zu können. Von den verschiedenen Auswirkungen der Kundenunzufriedenheit – negative Mundpropaganda, Abwanderung, Beschwerde, rechtliche Schritte, Beschwerde bei Institutionen wie Industrieund Handelskammern oder Verbraucherzentralen – sind dem Management die beiden erstgenannten Reaktionsweisen praktisch unzugänglich. Umso wichtiger ist es, ein eigenes Beschwerdemanagement zu unterhalten, das auf Kundenwünsche unverzüglich, hilfreich und kulant eingeht. Schließlich ist zu beachten, dass das Erfüllen der Basis- und Leistungsanforderungen unter Umständen nicht ausreicht, um den Kunden dauerhaft zufrieden zu stellen und an eine Einkaufsstätte zu binden. Begeisterungsfaktoren, die dem Kunden einen Zusatznutzen bieten, sollten hinzu treten, z.B. über vertragliche Gewährleistung (Garantie) hinausgehende Kulanz als freiwilliges Entgegenkommen. "Dies gilt umso mehr, als Begeisterungsanforderungen im Zeitablauf zu Basisanforderungen werden können. Dies ist auch Ausdruck des Leistungswettbewerbs im Handel und erinnert zugleich daran, dass der Kunde
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2 Handel und Psychologie
die angebotenen und erhaltenen Leistungen nicht absolut beurteilt, sondern immer im Vergleich zu den Leistungen anderer Anbieter." (SCHUCKEL 1999, S. 249) Als relativ erfolgreiches Instrument zur Kundenbindung haben sich die BonusprogrammKarten erwiesen, in Deutschland vor allem die Payback-Karten des Loyalty-Konzerns sowie die Happydigits-Karten des Kölner Betreiberunternehmens Customer Advantage Program (CAP), einer Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom und von Karstadt Quelle. Beide Karten stellen ein spezielles Rabattmarkensystem dar, bei dem eine Reihe von beteiligten Partnerfirmen den Kunden auf der Basis der jeweiligen Karte Bonuspunkte offerieren. Beide Kartensysteme zählen rund 18 Millionen Haushalte zu ihrem Kundenkreis (Stand: Juni 2007). Ab einer bestimmten Höhe der gesammelten Bonuspunkte kann der Inhaber sie in Bargeld oder in Prämien einlösen. Bei der Payback-Karte gewähren z.B. folgende Partnerunternehmen aus dem Handel die in Klammern genannten Bonuspunkte: dm, Galeria Kaufhof, WMF und Apollo-Optik (je 1 P. pro 1 € Umsatz), OBI (bis zu 1,5 P. pro 1 € Umsatz), real und Dänisches Bettenlager (1 P. pro 2 € Umsatz) (Stand: Juni 2007). Von den 26 TopPartnern der Happydigits-Karte gewähren z.B. folgende Handelshäuser diese Digits pro x Euro: Alsterhaus, Karstadt und KaDeWe (1 D. pro 1 €), Kaiser’s (1 D. pro 2 €), Rossmann Versand und Schlecker (3 D. pro 1 €), Neckermann (3 D. pro 10 €) und Quelle (5 D. pro 10 €) (Stand: Juni 2007). Dieses Rabattsystem spricht Sammlertypen an. Wenn die Kunden jedoch realisieren, wie lange und für welchen Gesamtbetrag sie Bonuspunkte sammeln müssen, um in den Erfolg der Rabattauszahlung oder einer Prämie zu gelangen, könnten sie auch die Lust am Punktesammeln verlieren. Die Bindung an ein bestimmtes Partnerunternehmen ist allerdings nicht garantiert, da die Karteninhaber die Payback- oder Happydigits-Punkte bei über 25 angeschlossenen Partnerunternehmen sammeln können. Vor dem Erfahrungshintergrund, dass es für Handelsunternehmen billiger ist, Kunden als Käufer zu behalten als neue Kunden als Käufer zu gewinnen, werden seit einiger Zeit hierzulande Aufbau und Pflege eines Kundenbeziehungsmanagements (customer relationship management CRM) propagiert. In den USA werden one-to-one marketing und customer relation programs sehr intensiv realisiert. Der US-Einzelhandel setzt dafür Instrumente wie frequent buyer cards, loyalty cards, Coupons, Rabatte, Kundenclubs, mancherlei Events sowie mailing lists ein. Psychologische Untersuchungen, speziell Tiefeninterviews mit Konsumenten, die an solchen Kundenbeziehungs-Programmen nicht teilnehmen, haben Erstaunliches zu Tage gefördert: Obwohl man als Kunde mit den betreffenden Einzelhandelsgeschäften durchaus zufrieden ist, verzichtet man aufgrund eigener Kosten-NutzenAbwägungen auf die Teilnahme. Als Hinderungsgründe wurden identifiziert: Mühe und Umständlichkeit der Kontaktpflege (Formulare ausfüllen, Mitnahme von vielen frequent buyer cards usw.), zu hoher Zeitaufwand (fürs Punkte Sammeln, für die Fahrzeit usw.), einfallslose Belohnungen (unattraktiv niedrige oder nur nach zahlreichen Einkäufen realisierbare Rabatte) oder gar Verlustgefühle (schwindende Privatheit und Intimität, Verlust an Selbstwert usw.). Für Programme des Kundenbeziehungsmanagements ist es daher außerordentlich wichtig, dass beide Seiten einen spürbaren Nutzen erkennen können. Ohne Einbindung von Kundeninteressen wird das Customer Relation Marketing langfristig jedenfalls nicht zur erhofften Kundenloyalität führen (vgl. NOBLE/PHILLIPS 2004). Wenngleich der Handel – der Einzelhandel noch weniger als der Großhandel – in der Praxis kaum Gelegenheit zu seiner Realisierung findet, sei der Gedanke der Integration von Kunden in die Prozesse des Unternehmens kurz gestreift. In der Literatur wird dieser Gedanke
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„als Idealfall der Kundenbeziehung“ (FOSCHT/SWOBODA 2005, S. 234) etwas überhöht und an Beispielen wie Einbeziehung des Auftraggebers in Planungsarbeiten eines Architekten, Direktabholung von Neuwagen im Produktionsbetrieb oder Institutionalisierung von Kundenparlamenten erläutert. Tatsächlich ist der Integrationsgedanke bzw. der Gedanke der sozialen Kundenbindung (SCHNEIDER 2006, S. 58) im Handel nicht neu. Man denke nur an die partielle Prozessintegration von Konsumenten in Kundenclubs (z.B. IKEA family, Metro Club, Tengelmann Club), in Kundenforen oder als Gesellschafter in Konsumgenossenschaften oder auch an die partielle Prozessintegration von Einzelhändlern als Gesellschafter in Einkaufsgenossenschaften. Der Integrationsgedanke könnte auf alle Marktpartner ausgedehnt werden. Einiges davon wird im Konzept des Supply Chain Managements aufgegriffen. Im Einzelhandel wird die längst bewährte Teilhabe von Verbrauchern am Wertschöpfungsprozess, wie z.B. in Form von Selbstbedienung, Selbstabholung oder Selbstmontage, womöglich bald um weitere Eigenleistungen der Kunden, wie z.B. Self-Scanning, ergänzt. Manches an integrativer Einbindung ist auch im Großhandel verwirklicht, beispielsweise im Stahlgroßhandel (Bearbeitung, just-in-time-Zustellung). Der Gedanke, Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter und ggf. sogar Mitbewerber in Unternehmensprozesse einzubinden, sollte jedenfalls als heuristisches Prinzip aufgegriffen und im Einzelfall geprüft werden; denn unternehmensstrategisch geht es nicht nur um nachhaltige Zufriedenheit der Kunden des Handelsbetriebs, sondern um nachhaltige Zufriedenheit aller seiner Marktpartner. Der Handelspraxis ist dieser Gedanke durchaus vertraut, wie die im Mai 2007 geschalteten ganzseitigen Anzeigen "Danke. Danke. Danke." der EDEKA beweisen: "Wer hundert wird, lässt sich normalerweise ausgiebig feiern. Doch höflich und nett, wie man uns aus unseren 10.000 Märkten kennt, wollen wir von EDEKA unser Jubiläum lieber nutzen, jeder Menge Menschen Danke zu sagen. ... Danke den wählerischsten Kunden Deutschlands, ... Danke den 255.000 verliebtesten Mitarbeitern der Welt, ... Danke den fleißigsten Lieferanten der Welt..."
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Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
Strategische Unternehmerentscheidungen werden unterschiedlich definiert. Oft wird nur ein einziges Kriterium zur Definition herangezogen, das die Unternehmerentscheidung als eine strategische ausweist. In der älteren Betriebswirtschaftslehre gelten einmalige oder fundamentale (konstitutive) oder langfristig wirkende Entscheidungen als strategische Entscheidungen. Viele Unternehmerentscheidungen sind damit eindeutig gekennzeichnet. So wird z.B. die Art der Leistungserstellung (industrielle Fertigung, Handwerk, Einfuhrhandel) einmal für die Lebensdauer des Unternehmens bestimmt und nicht mehr oder nur höchst selten geändert. Ähnlich fundamental sind Entscheidungen über den Standort einer Fabrikationsstätte oder eines Zentrallagers. Solche Entscheidungen obliegen verständlicherweise dem Inhaber des Unternehmens bzw. der Geschäftsleitung, etwa dem Vorstand einer Aktiengesellschaft. Insoweit handelt es sich um echte Unternehmerentscheidungen. Eine solche Ein-Kriterium-Definition der strategischen Entscheidung hat sich jedoch als zu eng erwiesen. Nicht nur der Inhaber bzw. die Firmenleitung können strategisch agieren, sondern durchaus auch das mittlere Management. Und nicht nur eindeutig unternehmenskonstitutive Entscheidungen wie die genannten, sondern auch Ziel- und Mittelentscheidungen in allen möglichen Funktions- und Instrumentalbereichen können die Strukturen und Abläufe im Unternehmen langfristig festlegen. Sodann haben auch grundlegende Entscheidungen keinen Ewigkeitswert. Sie können revidiert werden und sogar taktischen Charakter annehmen. Man denke nur an den häufigen Standortwechsel von Teppichgeschäften, die – von Wettbewerbshütern nicht geliebt, jedoch legal – die zeitlich befristeten Möglichkeiten der Eröffnungs- und Räumungsverkäufe jahrelang mit entsprechendem Preisrummel nutzten. Oder man denke an die Politik der Diversifikation, das Tätigwerden auf immer neuen Geschäftsfeldern. Die Praxis wie auch die jüngere Betriebswirtschaftslehre haben daher mehrere Kriterien entwickelt, die allesamt kennzeichnend sein können für strategische Entscheidungen und diese von taktischen bzw. operativen Entscheidungen abgrenzen. So können zeitliche Aspekte, Risikoaspekte, Quantifizierbarkeitsaspekte und Aspekte der Delegierbarkeit herangezogen werden: 1. weite Planungszeiträume (langfristige Wirkdauer) und fundamentale Bedeutung der Entscheidung für das Unternehmen, 2. hohe Unsicherheit des zu erwartenden Ereignisses, 3. geringere Quantifizierbarkeit und Detailliertheit der Plandaten und 4. geringe oder fehlende Delegierbarkeit der Entscheidung (SCHENK 1991, S. 293). In diesem Sinne sind strategische Entscheidungen nicht mehr nur echte UnternehmerEntscheidungen. Vielmehr können sie auch als Managemententscheidungen angesehen werden. Zusammengenommen machen die strategischen und die taktischen Unternehmer-
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
bzw. Managemententscheidungen dann die Unternehmensplanung aus. Diese kann prinzipiell auch unter Berücksichtigung psychologischer Aspekte erfolgen, besonders etwa im Bereich der Instrumentalentscheidungen des Handelsmarketings. Die Instrumentalbereiche des Handelsmarketings können zwar nicht per se den strategischen oder den taktischen bzw. operationalen Entscheidungen zugeordnet werden. Beispielsweise kann Prospekt- oder Handzettelwerbung ebenso gut auf Dauer und regelmäßig, etwa an jedem letzten Donnerstag im Monat, also strategisch eingesetzt werden wie unregelmäßig, von Fall zu Fall, also taktisch. Aber es zeigt sich doch in der Praxis, dass in den verschiedenen Instrumentalbereichen überwiegend strategische oder taktische bzw. operative Entscheidungen getroffen werden. In diesem Sinne sind zunächst die dominant strategischen Entscheidungen der Leitung bzw. des oberen und mittleren Managements von Handelsbetrieben auf Möglichkeiten der psychologischen Orientierung hin zu untersuchen. Mit dieser Zweiteilung ist eine hinreichend tragfähige Heuristik gefunden. Der Einwand, strategische und taktische bzw. operative Entscheidungen des Handelsmanagements ließen sich gar nicht separieren, da in der Praxis beide in einer Art evolutionärem Handelsmanagement ständig verschmelzen würden, kann den didaktischen Vorzug der gewählten Zweiteilung jedenfalls nicht schmälern.
3.1
Wahl der Firma
Die Firma ist der Name, unter dem ein Kaufmann seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt. Seit der Reform des Handelsrechts mit Wirkung vom 1. Juli 1998 bestimmt § 1 HGB, dass Kaufmann ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt. Handelsgewerbe im Sinne dieser Vorschrift ist jeder Gewerbebetrieb, der einen nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Wessen Gewerbebetrieb einen derartigen Geschäftsbetrieb nicht erfordert, ist Nichtkaufmann (Kleingewerbetreibender). Jeder Kaufmann muss sich in das Handelsregister eintragen, das in zwei Abteilungen untergliedert ist. In Abteilung A werden eingetragen: Einzelkaufleute, offene Handelsgesellschaften (oHG), Kommanditgesellschaften (KG), juristische Personen, die Eigenbetriebe führen, und die Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigungen (EWIV). In die Abteilung B werden eingetragen: Kapitalgesellschaften, also Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH), Aktiengesellschaften (AG), Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG). Das Recht des Kaufmanns auf seine Firma ist ein absolutes, gegen jeden Dritten geltendes Recht. Bei der Wahl der Firma sind seit 1998 – nach freier Wahl des Unternehmers – Personen-, Sach-, Phantasie- und Mischfirmen zulässig. Bei der Firmenwahl müssen folgende Kriterien erfüllt sein: •
Die Firma muss Unterscheidungskraft besitzen und für das Unternehmen Kennzeichnungswirkung haben;
•
aus der Firma muss die Rechtsform des Unternehmens eindeutig hervorgehen;
•
die Haftungsverhältnisse müssen offengelegt werden.
Der Firma können grundsätzlich weitere Zusätze zur Eintragung beigefügt werden. Sie dürfen jedoch nicht irreführen. Wer als Kaufmann die Anmeldung seiner Firma zum Handelsregister unterlässt, kann dazu vom Amtsgericht durch Festsetzung eines Zwangsgeldes bis zu 5.000,00 Euro angehalten werden. (In Anlehnung an das Merkblatt "Das Handelsregister" der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund, Stand August 2004).
3.1 Wahl der Firma
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Ohne Zweifel zählt die Wahl der Firma zu den besonders dauerhaften Entscheidungen. Primär dient die Verpflichtung der Vollkaufleute zur unverwechselbaren Firmierung und zur Eintragung der Firma in das Handelsregister dem Rechtsschutz im geschäftlichen Verkehr. Dieser handelsrechtliche Schutz beruht auf den Grundsätzen von Firmenwahrheit, Firmenklarheit, Firmenschutz, Ausschließlichkeit der Firma, Firmenbeständigkeit und Öffentlichkeit der Firma (vgl. STECKLER 1989, S. 143ff.). Darüber hinaus ist die nach außen gerichtete Signalwirkung der Firma und eines die Art des Geschäfts andeutenden Zusatzes in hohem Maße psychostrategisch bedeutsam. Sie stellen wegen ihrer Kürze, mitunter auch wegen ihrer Prägnanz einen wichtigen Reiz dar, der vielfältig eingesetzt und permanent oder fallweise an die Öffentlichkeit oder gezielt an bestimmte Marktpartner als Empfänger gerichtet werden kann. Durch Firma und ggf. durch Zusatz ist ein Handelsunternehmen an sich schon psychologisch definiert (vgl. BERGLER 1963, S. 17). Mit der Firma verbinden sich primäre Gefühlswerte, Niveauvorstellungen, Sympathien, Antipathien, Befürchtungen, Goodwill usw., und zwar bereits durch die bloße Namensgebung und sozusagen von Anfang an. Im Verlaufe eines Prozesses, etwa durch wiederholte Begegnung mit der Firmenbezeichnung und durch Kennenlernen des Leistungsangebots und der Werbung, können sich sekundäre, mit dem Firmennamen verbundene zusätzliche Vorstellungen einstellen. Positives oder Negatives kann bei der Begegnung mit dem Firmennamen bewusst oder unbewusst noch mitschwingen. Psychologisch-semantisch gesehen, erfolgt eine enge Verknüpfung von Firma und zusätzlichen Gefühlswerten (positive oder negative Konnotation). Familiennamen oder Sachnamen sind besonders geeignet, sozusagen als Kurzformel ein Programm (Mann Mobilia, Pfeifen-Heinrich; Pfeifenmacher, Holzbläser) zu vermitteln. Ebenso wie Familiennamen oder Sachnamen können auch Vornamen positive (ggf. allerdings auch negative) Assoziationen auslösen, positive (aber auch negative) Einstellungen bekräftigen. Besonders im Einzelhandel mit modischen Artikeln sind Vornamen wie Vanessa, Joey, Julia, Janine oder Henry geeignet, Assoziationsketten aufzubauen: schöner Name – schöne Kleidung – schöne Menschen. Ähnliches gilt für Bedeutungsnamen wie VIP, Madame oder Liberty und Phantasienamen wie Sextro, Biba pariscop usw. Schließlich bieten mitunter Abkürzungen oder Einzelbuchstaben psychologische Vorteile, sei es etwas Geheimnisvolles, etwas für Eingeweihte (M & M; F & F), sei es die kurze, merkbare und wiedererkennbare Kurzformel (P & C; C & A; E für Edeka, K für Karstadt oder kd für Kaiser’s drugstore). Firmenbezeichnungen bilden sehr leicht Erwartungen, die nicht enttäuscht werden dürfen. Sie können Tradition oder Fortschrittlichkeit signalisieren. Sie können der Anpassung an die (erfolgreiche) Konkurrenz und der Abhebung von der (lästigen) Konkurrenz dienen (vgl. GAEDEKE 1982, S. 152). Insbesondere den Konzernunternehmen und Unternehmensgruppen stehen zwei Firmenwahlstrategien zur Verfügung: Einerseits erlaubt die Aufteilung von Konzernunternehmen in mehrere Firmen nach außen die Nichterkennbarkeit ihrer Zugehörigkeit zu derselben Unternehmensgruppe für „Otto Normalverbraucher“, also eine Art tarnende Segmentierungsstrategie, wie etwa bei der Metro Group (Metro Cash and Carry, Real, Extra, Media-Markt, Saturn, Galeria Kaufhof). Der Stammkunde im TengelmannMarkt will Tengelmann-Kunde sein, aber nicht Plus-Kunde oder Accos-Kunde – und umgekehrt. Und der Schnäppchenjäger in Rudis Reste-Rampe ahnt nicht, dass er in einem Geschäft der Unternehmensgruppe Tengelmann einkauft, obwohl er ansonsten Tengelmann-
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
Märkte seit irgendeinem Disput mit einer Kassiererin meidet. Die Warenhauskonzerne verfahren traditionell so mit ihren (meist zugekauften) Tochterunternehmen. So zählten z.B. nicht nur das Flaggschiff KaDeWe, sondern auch die Wertheim-, Alsterhaus-, World of Music (WoM)- und Schürmann-Häuser zunächst zur Hertie GmbH, später gingen sie in der Karstadt-Quelle AG auf. Auf diese Weise bleiben die für jeden Großfilialisten wichtige Wiedererkennbarkeit seiner Filialen und der Eindruck ihrer beinahe ubiquitären Anwesenheit auf ein und denselben Geschäftstyp beschränkt (Polysystempolitik). Andererseits bekräftigt die Zusammenfassung mehrerer Konzernunternehmen, Betriebstypen oder Filialen unter einer einheitlichen Firma nach außen ihre Zugehörigkeit zu derselben Unternehmensgruppe (Monosystempolitik) (vgl. MÖHLENBRUCH 2006, S. 350). Diese Strategie lag z.B. der gesellschaftsrechtlichen Zusammenführung der Massa Märkte (der Massa AG) und der Meister- und Huma-Märkte (der MHB Handel AG) unter der einheitlichen Firmierung Real zugrunde, unter der zunächst die Asko ihre Häuser geführt hatte. Zu dieser Strategie ist auch seit 2006 die Rewe-Gruppe, Europas drittgrößter Lebensmittelhändler nach Carrefour und Tesco, wieder zurückgekehrt. Wie der Vorstand im März 2007 bekräftigte, hat sich die Umstellung sämtlicher Supermärkte auf die einheitliche Marke Rewe – mit ihrem hohen Wiedererkennungswert für die Kunden – gelohnt. Gelegentlich tritt auch eine vermeintliche und daher unerwünschte „Wiedererkennbarkeit“ auf. Der Inhaber eines Weseler Porzellangeschäfts mit mittlerem bis gehobenem Preisniveau berichtete von der lästigen Verwechslung seines Geschäfts mit dem Porzellangeschäft seines Bruders in der Nachbarstadt Dinslaken. Seine Kunden halten es für eine Filiale, weil die Personenfirmen fast gleich lauten... Solche Probleme entstehen am ehesten in benachbarten Mittelstädten. In den Großstädten sind sie wegen der kaum überschaubaren Vielzahl der Einzelhandlungen nicht relevant, und in Kleinstädten und dörflichen Siedlungen sorgt soziologische Transparenz für hinreichende Bekanntheit der Firmeninhaber. Psychologisch attraktiv ist die Verbindung der Firma mit verbalen, numerischen, graphischfigürlichen oder klanglichen Firmenzusätzen. Hier kommen Bilder, Ziffern und Ziffernfolgen, Zeichen und Symbole in Betracht, eine prägnante, gestaltfeste Rahmung, besondere Farben oder Farbkombinationen („Hausfarben“), ausgefallene Schriftarten oder Schriftgrade, einprägsame Slogans („Das unmögliche Möbelhaus“) oder ein klingendes Motiv (Audiologo). Die meisten Zusätze sind sogar rechtlich schützbar, und zwar durch Eintragung in das Markenregister beim Deutschen Patent- und Markenamt in München. Den wohlfeilen Rechtsschutz des Markengesetzes vom 1.11.1994, welches das Warenzeichengesetz von 1874 ablöste, kann selbst der Klein- oder Mittelbetrieb in Anspruch nehmen. Und er sollte ihn in Anspruch nehmen! Denn im Handel werden gute Ideen bekanntermaßen alsbald abgekupfert, und werbewirksame, zumal psychologisch geschickte Ideen kann man sonst nicht vor Nachahmung schützen. Allerdings kann nach der materiellen Prüfung des Anmeldebegehrens durch das Deutsche Patent- und Markenamt auch eine Eintragsverweigerung mitgeteilt werden, sei es dass der Firmenzusatz bereits geschützt ist, sei es dass er nicht erlaubt ist (z.B. Hoheitszeichen) oder dass er wegen mangelnder Unterscheidungsfähigkeit als nicht schutzfähig angesehen wird. So erging es z.B. dem Inhaber erfolgreicher Fachgeschäfte für Baby-Bedarf. Weder seine Firmenbezeichnung Baby-Markt noch das Firmenlogo, ein lachendes Baby, wurden für schutzfähig befunden. Auskünfte über bereits in das Markenregister eingetragene und somit geschützte Marken (wie auch über eingetragene Patente, Ge-
3.1 Wahl der Firma
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brauchsmuster und Geschmacksmuster) sind im Internet unter https://dpinfo.dpma.de erhältlich. Die Firma und Zusätze sind ein interessantes Mittel zur psychologischen Segmentierung. Über die Firmen(zusatz)-Wahl können gezielt Käuferschichten angesprochen werden, etwa die Preisbewussten (Schuh-Discount, Profi-Kauf, Das Preiswunder vom Niederrhein), die Leistungsbewussten (Drogerie-Fachmarkt, Fernseh-Zentrum), die Modebewussten (VOGUE, madame, mode aktuell, Toni Gard Shop), die Spontanen (Nix wie hin!) und die Zauderer (Beratungszentrum, Auswahl in Ruhe und mit Beratung), die Traditionsbewussten (Kaiser’s Kaffee, Ältestes Fachgeschäft am Platze) und die Fortschrittsgläubigen (Trend shop, Technik für morgen), die „locker-flockigen“ Typen (Jacke wie Hose, elpi, Schneller Wohnen) und die nostalgischen Typen (KomMode, Landhausmoden, Gartenlaube) wie die Trendsetter (dernier cri, Ihr Ausstatter), die Second-hand-Anhänger (Schubidu, Stoffwechsel, Untragbar) oder die Alternativ-Ökologen (Spinnrad, Bioland) usw. Die Kehrseite der Medaille liegt – jedenfalls bei eindeutig erkennbarer Segmentierungsstrategie – in der teilweisen Ausgrenzung, wenn nicht Abschreckung von kaufbereiten Kunden, die in der Firmenbezeichnung aber eher eine Trennwand verspüren. Psychologisch aufschlussreich ist die Segment-betonte Firmenwahl im Einzelhandel mit Baby- und Kinderausstattung, insbesondere im Second-hand-Geschäft. Die von der Firma ausgehenden Reize zielen verständlicherweise nicht auf das Baby oder das Kind, sondern auf die Eltern, die „nur das Beste“ für die Kleinen wollen. (Daher werden auch fast nur bekannte „Markenartikel“ an- und wiederverkauft.) Den Eltern vermittelt man eher selten durch eine profihafte Firmenbezeichnung, meist durch eine kindhafte Firmenbezeichnung ein Insidergefühl, Eltern-Kompetenz. Allein in Berlin wurden Anfang 1994 folgende Second-handFirmen registriert: − Kinderkleidung: Kids-Wear; Villa Kunterbunt, Abra Kadabra; − Schuhe: Schuhschaukel, Pantinchen; − Spielzeug: AllerleiSpiel, tam tam, Purzelbaum, Astloch; − Bücher: Kibula-Kinderbuchhandlung; Sternschnuppe. Über diese und weitere Einkaufsquellen zum Kinderbedarf sowie über besonderen Kinderservice berichtete „Der Tagesspiegel“ in seiner Serie „Kinder in Berlin“ (DT Nr. 14866 v. 27.3.94, S. 11), wobei die Berichterstattung ihrerseits psychologisch aufschlussreich ist: Auf derselben Zeitungsseite werden die florierenden Second-hand-Läden lobend beschrieben und das Geschäft mit der „Quengelware“ angeprangert: „Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs“.
Je nach Branche und Zielgruppe eignen sich Firmenzusätze auch zur Berücksichtigung humoristischer Elemente. Die Palette der Möglichkeiten reicht von einem Comic-artigen
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
Tiersymbol bis hin zu launigen Sprüchen. Die tierischen Unternehmenssymbole werden schon lange als leicht wiedererkennbare und daher lernbare Sympathieträger eingesetzt: der Schuh-Elephant, der IKEA-Elch, der OBI-Biber, der Pfennig-Fuchs von Accos, der C & ASchnupperhund usw. (vgl. SIEHLER 1980, S. 30). Ihre positive Anmutungswirkung darf jedoch nicht überschätzt werden. Längst nicht alle Konsumenten fühlen sich auf dieser Kommunikationsebene, die eher kindliche Gemüter als mündige Marktpartner anspricht, ernst genommen. Außerdem: Je mehr solcher Symbolgeschöpfe den Corporate Identity-Zoo füllen, desto weniger nachhaltig dürfte ihr Konditionierungspotenzial werden. Auf diesem Feld wie bei den launigen Sprüchen bedarf der Einsatz von Humor besonderen Feingefühls. In den 20er Jahren hat der werblich eingesetzte Zusatz „Unser Hosenladen ist durchgehend geöffnet“ immerhin Gerichte beschäftigt ... Im Rahmen des rechtlich Erlaubten – und das ist trotz der Möglichkeiten der Unterlassungsklage nach § 12 BGB in Verbindung mit § 823 BGB, § 37 HGB oder § 24 WZG immer noch ein großer Bereich – lässt sich die ganze Fülle von assoziativen Gehalten der Sprache, der Zeichen und Symbole ausschöpfen. Bewusste und unbewusste Handlungsantriebe können angesprochen werden. Aufschlussreich war die Firmenwahl bei den SB-Warenhäusern. Die Firmenbezeichnungen vermittelten Herrn und Frau Jedermann affirmativ den Eindruck, sich in den eindrucksvollen Warengebirgen wie wahre Einkaufsprofis, wie QuasiGewerbetreibende zu bewegen: Profi-Kauf, Massa-Markt, allkauf, Primus, Meister. – Die Firmenbezeichnung „bofrost*“ des Tiefkühl-Heimzustellers vereint gleich mehrere psychologisch geschickte Elemente: Kürze, Prägnanz, daher leichte Merkfähigkeit; assoziativen Gehalt durch das *-Symbol, das von Kühl- und Tiefkühlaggregaten her vertraut ist; der „negative“ weiße Schriftzug auf blauem Parallelogramm-Untergrund mit der NatureisAssoziation. Inwieweit die beiden Silben „bo“ und „frost“ positive oder negative oder gemischte Assoziationen auslösen, dürfte nicht zuletzt je nach Bildungsstand und Sprachassoziationen variieren (frz. beau = schön, also eher positiv; aber in der Übertragung „der Beau“ = der schöne eitle Narziss, also eher negativ). Immerhin ist ein Namensbestandteil der deutschen Gründerfamilie BOQUOI, den einige für einen ausländischen Namen halten und den andere nicht richtig aussprechen könnten, auf diese Weise mit „untergebracht“. Welchen Glücksfall in psychologischer Hinsicht stellt das Firmenzeichen SPAR für die entsprechende Freiwillige Kette des Lebensmittelhandels dar! Dieser Handelsverbund wurde in den Niederlanden unter dem Symbol der Tanne (ndl.: spar) gegründet. In den deutschsprachigen Gebieten kommt den Groß- und Einzelhandlungen dieses Verbunds das Wort Spar (eher denn das stilisierte Tannensymbol) nun sehr zugute; denn die Kundinnen und Kunden assoziieren damit sparsamen, preiswerten Einkauf. Solch ein Glück stellt sich aber nur einmal ein. Andere Firmengründer müssen ihrem Glück schon selbst, und zwar sprachschöpferisch, auf die Sprünge helfen. Ein hübsches "sprechendes" Symbol ist auch der Knopf, der 1958 in den Schriftzug der Rudolf Wöhrl AG eingearbeitet wurde und nun das Markenzeichen für 39 Modehäuser in Deutschland darstellt. Zu beachten sind jedoch emotionale Ladungen von Begriffen, namentlich von umgangssprachlichen Begriffen. Konsumgüterhersteller, die einen kurzen, international verwendbaren Markennamen benötigen, kennen diese Problematik. Sie weichen daher gern auf Kunstnamen aus, die keine unerwünschten Emotionen auslösen. (Ein bekanntes Beispiel ist der Name Jetta für einen Volkswagen-Typ). Die Ladungen können positiver oder negativer Art sein, manchmal auch beides für verschiedene soziale Schichten.
3.1 Wahl der Firma
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Aus psychologischer Sicht verdient der Slogan als Firmenzusatz höchste Beachtung. Bei Slogans ist darauf zu achten, dass sie so knapp und eingängig wie möglich (prägnant) formuliert sein müssen. „Brille: Fielmann.“ – knapper geht es kaum. „Laufen“ gedruckte Slogans über mehr als eine Zeile, dann sollte in jeder Zeile eine Sinneinheit stehen, um semantische Brüche zu vermeiden und leichtere Verständlichkeit zu gewähren. Beispielsweise wäre die einzeilige Slogan-Darstellung MOBLESSE – IHR EINRICHTUNGSHAUS FÜR PARADIESISCHES WOHNEN bei flüchtiger Betrachtung nur schlecht zu erfassen. Der Zeilensprung in der Variante MOBLESSE – IHR EINRICHTUNGSHAUS FÜR PARADIESISCHES WOHNEN folgt semantisch dem leichten Sinneinschnitt. Die spontane Aufmerksamkeit wird durch die folgende Abhebung nochmals gesteigert: MOBLESSE. IHR EINRICHTUNGSHAUS FÜR PARADIESISCHES WOHNEN Der Punkt hinter der Firma mag einen dezent bekräftigenden Impuls aussenden. Er hebt die Firma, ebenso wie die Leerzeile, dezent – und für den Betrachter unbewusst – ab (was dem gehobenen Sortimentskonzept entsprechen soll). Bei einem anspruchsvollen Einrichtungshaus wäre ein Ausrufezeichen mit seinem leicht aggressiven Aufforderungscharakter, das bei den JA!-No Names ein vorzüglicher psychologischer Einfall ist, gewiss fehl am Platze. Der eingängige Slogan kann, anders als ein figürliches Symbol oder eine bloße Ziffernfolge, werblich vielseitiger eingesetzt werden. Er eignet sich sowohl als optischer als auch als akustischer Reiz. Als akustischer Reiz kann er innerhalb und außerhalb des Ladenlokals, z.B. in der Kino-, Fernseh- und Rundfunkwerbung, eingesetzt werden. Häufige Wiederholung des gesprochenen Slogans führt am Ende subliminal zu einem hohen Bekanntheitsgrad. Dem Slogan „Media-Markt! Ich bin doch nicht blöd!“ in der Funk- und Fernsehwerbung ist wohl noch niemand entkommen. (Freilich würde eine andere Betonung – etwa „MediaMarkt?“ nicht als Ausruf, sondern als Frage ausgesprochen – eine völlig andere, gewiss unerwünschte Bedeutung hervorrufen). Als preisgünstiges Funk-Werbemittel ohne große Streuverluste kann ein Slogan sogar von Klein- und Mittelbetrieben eingesetzt werden, seit Lokalfunk und Lokalfernsehen sowie POS-Funk-Stationen den Gewerbetreibenden ihre Dienste anbieten. Durch häufige Wiederholung prägt sich der Slogan allmählich in breiten Schichten der Bevölkerung ein. (Die politische Publizistik weiß das von Emil DOVIFAT so genannte Gesetz der hämmernden Wiederholung verständlicherweise besonders geschickt zu nutzen). Der Slogan kann auch musikalisch gestaltet sein – wenn dies nicht sogar seine Ideal-
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
form ist. Ein kurzes melodisches Musikmotiv oder ein rhythmisches Sprachmotiv vermag sich im wahrsten Wortsinn spielerisch in den Gehirnen festzusetzen. Dass mitunter lediglich ein rhythmischer Sprachduktus zur Erzeugung einer Erinnerungswirkung genügt, zeigt das Versandhaus-Beispiel „Otto – find ich gut“. Bei psychologischer Orientierung sind Firmenbezeichnungen und Zusätze sogar der Dynamisierung zugänglich. Wenn es massenpsychologische Tendenzen ratsam erscheinen lassen oder wenn imagepolitische Korrekturen angezeigt sind, dann muss ggf. die Firma geändert werden. Ein deutliches, wenn auch nicht mehr aktuelles Beispiel bietet die Firmenumwandlung von Konsum in coop. Damit wurde nicht nur der Gebrauch einer international einheitlichen und international verständlichen neuen Bezeichnung eröffnet, sondern im Inland konnte gleichzeitig einem dem Geschäft abträglichen aufkommenden „Arme-Leute-Geruch“ entgegengewirkt werden. Je nach psychologischen Erwägungen können Zusätze, insbesondere graphischer Art, geändert werden – sei es, dass z.B. das Firmenlogo veraltet erscheint und verjüngt, modernisiert, eventuell stärker stilisiert werden soll, sei es, dass ein neues Firmensymbol stärkerer Angleichung an Konkurrenten (mit positivem Image) oder stärkerer Abhebung von Konkurrenten (mit negativem Image) dienen soll. Bekannt ist das Modernisieren von Markenzeichen. Manche Zeichen haben im Verlaufe der Zeit bis zu einem Dutzend Änderungen, meist zunehmende Stilisierungen, erfahren (der Lufthansa-Greif, das PersilZeichen, die Elephant-Schuhmarke). Meist erfolgen derartige Zeichenänderungen mit dem Ziel, prägnante, klarere Formen zu signalisieren. Psychologisch interessant sind die (vorläufigen) Endformen, die zwar prägnant sind, die die ursprüngliche programmatische Aussage jedoch nicht mehr deutlich werden lassen. Hier sind die völlige Reduktion des Edeka-Schriftzugs auf ein einziges E-Zeichen oder das stark stilisierte Q-Symbol des Quelle-Versandhauses zu erwähnen. Die anstelle des QSchrägstrichs gewählte Schwurhand (als Bekräftigung der besonderen Quelle-Qualität) ist allerdings für viele Menschen nicht mehr ohne weiteres verständlich. Eine Schwurhand dürfte heutzutage nur noch von den wenigsten Menschen als überzeugend empfunden werden. Aus semantischer Sicht ist sie kaum noch zeitgemäß. Gleichwohl ist dem stark stilisierten QSymbol die psychologische Funktion der Wiedererkennbarkeit nicht abzusprechen. Die Dynamisierung darf jedoch nicht so stark forciert werden, dass erschwerte Wiedererkennbarkeit oder sonstige Irritationen heraufbeschworen werden. Nicht mit jeder trading up- oder trading down-Maßnahme dürfen Firma oder Firmenzusätze geändert werden. Käufer neigen schließlich zu Habitualisierung des Einkaufsverhaltens (Firmentreue). Wer „seine“ angestammte Einkaufsstätte nicht mehr am Namen wiedererkennt, wird leicht zum Einkaufsstättenwechsler. Die Warenhauskonzerne – für sie ist psychologische Segmentierung eine zweischneidige Angelegenheit, da nicht nur „alles unter einem Dach“ geführt wird, sondern prinzipiell auch „alle unter einem Dach“ willkommen sind – haben ihre bewusst neutralen Firmennamen und -zusätze aus gutem Grund über viele Jahrzehnte hinweg unverändert gelassen. Als auf der Hauptversammlung 2007 der Karstadt-Quelle AG Arcandor als neuer Name für die Konzern-Holding beschlossen werden sollte, regte sich alsbald Kritik an diesem „so umständlichen und schwer zu merkenden Namen“ (FAZ am 11.5.2007 in Nr. 109, S. 19). Wenn der Vertreter einer Aktionärsvereinigung den Vorstandsvorsitzenden fragte: „Soll das ein Vogel sein oder haben Sie zuviel Herr der Ringe gelesen?“, war dies ein deutliches Warnsignal mangelnder Identifizierung mit dem Unternehmen).
3.1 Wahl der Firma
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Das Beibehalten eines Traditionskennzeichens, vor allem eines Firmenschriftzugs oder eines Signets als Konstante, ist ungemein wichtig als Vertrauensbasis. Zugleich wird mit solcher Kontinuität psychologisch ein schmaler Pfad beschritten. Wenn nämlich die bekannte Konstante als Signal für Veralterung, Rückständigkeit oder Inflexibilität negativ verstanden, sozusagen falsch interpretiert wird, dann muss eine Änderung sorgfältig geplant, realisiert und tunlichst kontrolliert werden. Oft sind in diesem Falle auch Kompromisse möglich: Beibehalten eines Teils, etwa der Firma-Schriftart, als Konstante, und Ändern des bisherigen oder Hinzufügen eines gänzlich neuen Signets als Variable. Die Umstellung der Firmierung von „Horten“ zunächst auf „Galeria Horten“, später auf „Galeria Kaufhof“ konnte nur sehr behutsam – und in jedem Einzelfall erst nach gründlicher Modernisierung des entsprechenden Hauses – vorgenommen werden. Ähnlich behutsam bereitete Karstadt seinen Internet-Auftritt vor. Zunächst hielt man sich für die ersten Testmonate hinter der Adresse www.myworld.de bedeckt, um erst nach genügend Erfahrung unter dem Namen Karstadt auch im Internet aufzutreten. Das Beispiel Galeria KaufhofNeufirmierung hatte übrigens in psychologischer Hinsicht eine doppelt positive Wirkung ausgelöst: Nicht nur zeigte sich in der Außenwirkung die Stammkundschaft zufriedener und konnten neue Kundenschichten gewonnen werden, sondern als Innenwirkung stieg auch die Mitarbeiter-Motivation sprunghaft an; ihre angemessen elegante Bekleidung drückte auch ohne vorgegebene Kleiderordnung einen bislang nicht gekannten Stolz aus, in einem so modernen Haus arbeiten zu dürfen. Doch noch einmal zurück zur Firmentreue der Käufer. Die allgemein menschliche Eigenschaft, bestimmte Gewohnheiten im Verhalten zu entwickeln, findet sich in der volkstümlichen Redewendung „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“ wieder. Die Psychologie weiß, dass sich (auf Lernprozessen beruhendes) Treueverhalten nicht nur auf Menschen (customer loyalty), sondern auch auf konsumrelevante Sachverhalte beziehen kann, auf bestimmte Waren bzw. Marken (Markentreue; brand loyalty), auf bestimmte Geschäfte (Geschäftstreue; store loyalty), auf bestimmte Wohn- oder Urlaubsgebiete (Heimattreue, Landschaftstreue, Inseltreue) usw. Die hier interessierende Firmentreue der Kunden basiert auch, aber nicht nur auf Kundenzufriedenheit. Zufriedene Kunden können mit mehreren Einkaufsstätten zufrieden sein und diese gleichwohl wechseln. Für das Handelsmanagement kommt es also darauf an, dass die Kunden sowohl mit den angebotenen Artikeln als auch mit den eigentlichen Prozessleistungen (Sortiment, Ladengestaltung, Freundlichkeit des Personals usw.) zufrieden sind (vgl. MATTMÜLLER/TUNDER 2004, S. 38). Beides ist Voraussetzung für Kundenloyalität, die erst dann entsteht, wenn beim Kunden eine hohe positive Einstellung zu einem Geschäft und eine hohe Wiederkaufrate miteinander verbunden sind (vgl. FOSCHT 2002, S. 46). Positive Einstellung und Wiederkaufrate sind ihrerseits das Ergebnis eines Zusammenspiels von objektiver Anmutungsqualität der Firmenbezeichnung und von subjektiven Merkmalen des Käufers. Investitionstheoretisch gipfelt Kundenloyalität im Ideal des Customer Lifetime Value (CLV), d.h. in der abgezinsten Differenz aus den mit einem lebenslang(!) loyalen Kunden generierbaren Umsätzen abzüglich der für seine Loyalisierung aufzuwendenden Investitionen. Ob und inwieweit „lebenslang loyale“ Kunden durch positive Mundpropaganda den Gewinn nochmals steigern, dürfte kaum erfassbar sein. Immerhin wurde bei einem Finanzdienstleister festgestellt, dass bei einer Senkung der Abwanderungsrate um fünf Prozent Steigerungen des Kundenwertes zwischen 25 Prozent im Bereich Kreditversicherung und 85 Prozent im Bereich der Depotverwaltung erzielt wurden
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
(FOSCHT/SWOBODA 2005, S. 163). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die volkstümliche Annahme, Treueverhalten beruhe allein auf emotionalen Ursachen, zu kurz greift. In Bezug auf Firmentreue treten vielmehr rationale, kognitive Ursachen hinzu. G. WISWEDE unterscheidet z.B. sechs mögliche psychische Hintergründe für Treueverhalten: − − − − − −
affektive Bindung; kognitive Bindung; habituelle Bindung; risikomeidende Bindung; tradierte Bindung und soziale Bindung (WISWEDE 1991, S. 322f.).
Firmentreue kann bei verschiedenen Käufern folglich auf recht unterschiedlichen Gründen beruhen. Sie ist immer das vorläufige Ergebnis von Lern- und Erfahrungsprozessen, kann also nicht von vornherein, etwa bei der Wahl der Firma, exakt bestimmt werden. Daher kann auch das erwähnte CLV-Konstrukt im Grunde nur als theoretisches Ideal verstanden werden. Dennoch ist schon bei der Firmenwahl zu bedenken, dass das Festhalten an einem Produkt, einer Einkaufsstätte, einem Urlaubsort usw. immer positive Beziehungen des einzelnen Menschen zu seinem Treuegegenstand voraussetzt. Aus dieser psychologischen Beziehung ist zumindest eine Lehre zu ziehen: Die Firma (oder der Firmenzusatz) darf keine negative Ladung enthalten. Sie muss vielmehr vertrauenerweckend sein, um eine affektive Bindung entstehen zu lassen; und sie muss auf rationaler Ebene nachvollziehbar sein. Treue will belohnt sein. Wer kennt diese Maxime nicht? Aus psychologischer Sicht verfügen Handelsbetriebe über ausgezeichnete Möglichkeiten der Belohnung, die den Konsumgüterherstellern, die für einen anonymen Markt produzieren, grundsätzlich verwehrt sind. Wenn ein Handelsbetrieb entsprechende Analysegrundlagen zur Ermittlung treuer Kunden schafft und systematisch auswertet (Lieferscheine, Rechnungsbelege, Rabattkarten), dann kann er auch gezielt deren Firmentreue belohnen (z.B. in gezielten Kundenbriefen unterbreitete Vorzugsangebote, Treueprämien, Treuerabatte, Boni, Treuekredit u.ä.). Ein Nebenproblem besteht allenfalls in der genaueren Kenntnis von Treueausmaß und Treueart. Unzweckmäßig wäre es jedenfalls, sogenannte Scheintreue zu belohnen; diese kann auf Zufälligkeiten wie Geschäftsnähe oder Nutzung von Firmenparkplätzen beruhen und ist entweder per se garantiert oder ausgesprochen labil. Bei psychologisch orientierter Firmenwahl liegen Chancen und Risiken dicht beieinander. Zu den Risiken zählen vor allem − Nachahmung durch die Konkurrenz, − sozialpsychologische Haltungs- und Einstellungsänderungen (Konsumerismus, ökologische Bewusstseinsänderung), − Veralterung, Mode- und Wertewandel (Firmenerosion), − Preis-Leistungs-Abfall (kognitive Dissonanz) und − Käuferreaktanz, etwa bei Übertreibungen (Flora-Center für ein kleines Blumenlädchen, Mode-Paradies für ein bescheidenes DOB-Geschäft). Schließlich bietet auch die psychologisch geschickteste Firmenwahl keine Garantie für geschäftlichen Erfolg. Sie schützt nicht vor Managementfehlern und ihren Folgen, wie die „Mehrwert“-Pleite gezeigt hatte.
3.2 Wahl der Betriebsform
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Wegen der strategischen Bedeutung der Firmenwahl und der Auf- und Abwertungsmöglichkeiten der Firmaqualität im Zeitablauf, wegen ihrer unterschiedlichen Akzeptanzchancen und Reaktanzrisiken wäre es wünschenswert, die psychologischen Wirkungen der Firma bei der erstmaligen Festlegung zu testen und im Zeitablauf zu kontrollieren. Allgemeine Akzeptanzregeln stehen leider nicht zur Verfügung. Auch sind Expertenmeinungen nicht unbedingt verlässlich. Am ehesten wird man auf dem Wege der Befragung (Lieferanten-, Kunden-, Passanten- oder Haushaltsbefragungen) zu verlässlichen Einsichten gelangen. Aber selbst bei (aufwändigen) Befragungen lauern Gefahren: Psychologische Rationalisierungen aller Art sind zu befürchten. Und die noch bewussten, aber tabuisierten Vorurteile und die Stereotype (starre Einstellungen zur eigenen Person als Autostereotype und zu anderen Personen oder Gruppen als Heterostereotype) sowie erst recht die unbewussten Motive wie Geiz, Schwellenangst, Armut, rassistische Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit usw. sind kaum zu ermitteln. Hinzu kommt die menschliche Eigenart, einen Meinungsgegenstand desto positiver einzuschätzen, je bekannter er ist. „Markenartikler“ wissen um diese Eigenart und setzen daher permanente Wiederholungswerbung ein. Firmennamen treten dagegen in der Handelswerbung im Allgemeinen hinter Artikel-, Preis- und Servicewerbung zurück. Was nützt schließlich die vorab getestete, positiv empfundene treffende und sogar heitere Anmutungen auslösende Firma (Irmis Nähkörbchen; Feld, Wald und Wiese), wenn festgefahrene Einkaufsgewohnheiten damit nicht aufgebrochen werden können, wenn die Signalstärke und dichte (Werbeintensität und -häufigkeit) oder nur der Standort nicht stimmen.
3.2
Wahl der Betriebsform
Die Wahl der Betriebsform zählt zu den grundlegenden Entscheidungen jedes Handelsunternehmens. Sie ist eine ausgesprochen handelsspezifische Entscheidung. Für Unternehmen aus Industrie, Handwerk oder Dienstleistungsgewerben spielt sie keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Es stehen rd. 150 verschiedene Betriebsformen für den Einzelhandel, rd. 30 verschiedene Betriebsformen für den Großhandel und für Handelsvertretungen sowie zahlreiche Mischformen zur Auswahl. Traditionsreiche Betriebsformen des Einzelhandels sind z.B. ambulanter Handel, Basar, Fachgeschäft, Spezialgeschäft, Warenhaus, Kaufhaus, Konsumgenossenschaft, Versandhaus; jüngere Betriebsformen sind z.B. Automatenladen, fahrender Laden, Kataloggeschäft, Fachmarkt (vgl. SCHENK 1991, S. 158ff.). Jede der überkommenen Betriebsformen kann verhältnismäßig einfach modifiziert werden (Betriebstypendifferenzierung, Betriebstypendiversifikation). Während bei der Betriebstypendiversifikation eine Ergänzung um neue Geschäftsfelder erfolgt, wie z.B. die Ergänzung des Handelsgeschäfts der Rewe um Touristik (bis zur Abgabe der LTU-Anteile an Air Berlin im April 2007) oder die Angliederung des Versicherungsgeschäfts bei Karstadt Quelle, kann schon durch die Neukombination von durchaus bekannten typenbildenden Merkmalen eine ganz neuartige Betriebsform entwickelt werden (Betriebstypeninnovation). Und da ein Handelsunternehmen oder ein Handelskonzern gleichzeitig verschiedene stationäre Betriebsformen und verschiedene Formen des elektronischen Handels (online-shop, mobile commerce) nebeneinander realisieren und jederzeit Modifikationen oder Innovationen vornehmen kann, ist solche Betriebsformenpolitik als eigenständiger Teilbereich des Handelsmarketings zu sehen. Für das Handelsmanagement stellt sich also die Aufgabe, zur Realisie-
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
rung des eigenen Leistungs- und Marketingkonzepts die geeignetste(n) Betriebsform(en) zu wählen oder zu entwickeln. Jede Betriebsform ist zwar ein komplexes Gebilde. Die typologische Methode der Betriebsformenbildung fasst in der Regel mehrere typenbildende Merkmale zusammen. So ist z.B. die Betriebsform Supermarkt gekennzeichnet durch folgende Merkmale: Einzelhandelsbetrieb, überwiegendes Lebensmittelsortiment, Selbstbedienung, mindestens 400 qm Verkaufsfläche. Aber gleichzeitig erfüllt eine Betriebsform weitgehend die Anforderung an eine prägnante Gestalt. Auch Laien können die meisten Betriebformen ohne weiteres erkennen und unterscheiden. Daher ist bei der Wahl einer (bekannten) Betriebsform die auf Erfahrung beruhende Erwartungshaltung der potenziellen Kunden zu bedenken. Es muss sorgfältig geprüft werden, welche Betriebsform das eigene Leistungs- und Marketingkonzept und die Erwartungshaltungen der Marktpartner am besten in Übereinstimmung zu bringen vermag. Insbesondere ist standortbezogen zu prüfen, ob die vorhandenen Betriebsformen (der eigenen Branche) durch dieselben Betriebsformen oder durch eine andere ergänzt werden sollen. Je mehr Betriebe derselben Betriebsform in Konkurrenz treten, desto schwieriger wird die Kundenbindung. Die intraformale Konkurrenz nimmt zu – mit der Gefahr der Indifferenz und Präferenzlosigkeit seitens der potenziellen Kunden. Je mehr Betriebe verschiedener Betriebsformen zur Auswahl stehen, desto größer wird das Konfliktpotenzial für die Kunden. Die interformale Konkurrenz nimmt zu – mit Nachteilen für die Handelsbetriebe mit höherem Leistungs- und Kostenniveau, da die Kunden aufgrund von Preisvergleichen für sortengleiche Waren den günstigeren Anbieter vorziehen und den vermeintlich teuren Anbieter meiden. Gegen diese Doppelgefahr an bestimmten Standorten sind Betriebstypendifferenzierung oder -innovation als Ausweichstrategien angezeigt. Lange bevor die Marketinglehre den „Produktlebenszyklus“ entdeckt hat, haben M.P. MACNAIR und R. NIESCHLAG – unabhängig voneinander, aber im Ergebnis gleichlautend – „Gesetzmäßigkeiten“ über die Entwicklung neuer Betriebsformen im Zeitablauf postuliert. Ihre wheel of retailing- bzw. Dynamik im Handel-Konzepte behaupten eine regelmäßige Abfolge von vier Phasen: Entstehung-Aufschwung-Reife-Niedergang bzw. Assimilation. Ihre Beobachtungen stammen aus dem Lebensmittelhandel. Die Annahme einer zwangsläufigen Abfolge von Entwicklungsstadien ist jedoch kritisiert und empirisch widerlegt worden. Als deterministische Aussagen sind Lebenszyklus-„Gesetzmäßigkeiten“ nicht haltbar; denn es sind keineswegs immer dieselben Abläufe festzustellen, und von einem Zyklus, also der wiederholten Abfolge von Schwingungen, kann erst recht keine Rede sein. Auch kennzeichnen den Start einer neuen Betriebsform nicht immer niedrigere Betriebshandelsspannen. Schließlich sind über die Zeitdauer der einzelnen Phasen keinerlei prognostische Aussagen möglich. Im Grunde würde ein gesetzmäßiger Verlauf der neuen Betriebsform – mit zwangsläufigem Umschlagen der Umsätze, Deckungsbeiträge und Gewinne – unternehmerisches Handeln unmöglich machen. Wenn eine Lehre aus diesem theoretischen Ansatz zu ziehen ist, dann diese: Unternehmer sollten die Entwicklung ihrer Betriebsform beachten und bei ersten Krisenanzeichen aktiv werden, Maßnahmen zur Modernisierung, Umgestaltung oder Revitalisierung ergreifen. Letzteres haben mehrere Shopping Centers mit Erfolg vorgeführt. Hinter der unterschiedlichen Entwicklung von Betriebsformen verbergen sich sehr wohl psychologische Phänomene. Sofern eine bestimmte Betriebsform eine positive oder eine negative Entwicklung nimmt, wie sie in Betriebsformen-Boom oder in BetriebsformenErosion zum Ausdruck kommt, sind diese Verläufe weitgehend Reflex der Käuferpsycholo-
3.2 Wahl der Betriebsform
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gie. Die Betriebsformen, die der Käufermentalität am besten entsprechen, werden auch präferiert. Freilich können sich die Präferenzen im Zeitablauf ändern. Mitunter lassen die sich ändernden Kundenpräferenzen auch die Restrukturierung einer Betriebsform angezeigt sein. Beispielsweise hat der Karstadt-Quelle-Konzern, 1995 selbst Gründungsgesellschafter des Münchner Einkaufskanals Home Shopping Europe (HSE), nach einem Verkauf seiner Beteiligung (2005) im Jahre 2007 wesentliche Anteile wieder zurückübernommen, um verlorenen Boden gegenüber dem Teleshopping-Marktführer QVC zurückzugewinnen, die eigene Versandsparte zu stärken und neue osteuropäische Märkte zu erschließen. Besonders aufschlussreich sind Fehlschläge bei der Betriebsformenwahl. Ein interessantes Beispiel lieferte die Schweizer Ladenstadt in Köln, eines der ersten integrierten innerstädtischen Shopping Centers, Mitte der 70er Jahre. Eine aufwändige Standortanalyse hatte beste Voraussetzungen ergeben: zentrale Lage, günstige Verkehrsanbindung, Parkhaus, sehr gute Kaufkraftverhältnisse, vernünftige Konkurrenzsituation, moderne Betriebsräume. Außerdem handelte es sich um ein hochmodernes Konzept. Alles schien also zum besten gestellt. Dennoch kamen die meisten Center-Betriebe nicht über die Durststrecke hinaus. Der teuren Ladenstadt drohte der Infarkt. Warum? Bei der Standortanalyse hatte man eines vergessen: die Mentalität der potenziellen Kölner Kunden. Denen war nämlich alles ein bisschen zu schweizerisch-fremd an der kräftig beworbenen neuen Schweizer Ladenstadt: Schweizer Bauherren, Schweizer Ladengeschäfte, Schweizer Kapital ... Einige recht erfolglose Betriebsformen, wie z.B. Katalog-Schauraum, fahrender Laden, Automatengeschäft und Eigenmarken-Laden, spiegeln in hohem Maße die Rolle der Kundenmentalität. Der erste nennenswerte Versuch mit einem Katalog-Schauraum – wegen des geringen Personaleinsatzes und des rationellen Betriebsablaufs aus betriebswirtschaftlicher Sicht eigentlich eine erfolgversprechende Betriebsform – scheiterte schon nach einem Jahr (visa in Düsseldorf). Der frühe Versuch mit fahrenden Läden im Berlin der 20er Jahre belehrte seinen berühmten Erfinder Gottlieb DUTTWEILER sehr bald eines Schlechteren. Seine Idee war ohne Zweifel bahnbrechend: Warum sollen die Menschen Wege zu den Geschäften und beschwerliche Rückwege mit ihren eingekauften Lebensmitteln zurücklegen? Im Zeichen moderner Transportmittel kommen wir zu den Kunden! Aber die Stammkundentreue zu den (in der Großstadt gar nicht so entfernt gelegenen) vielen kleinen „Kolonialwarengeschäften“ war nicht zu brechen. In der Schweiz – bei einem wesentlich weitermaschigen Einzelhandelsnetz als in Berlin – funktionierte das Konzept besser. Noch heute unterhält die Migros etwas mehr als hundert fahrende Supermärkte. Sie werden allerdings trotz mangelnder Rentabilität aus alter DUTTWEILERscher Sozialverpflichtung den entlegenen Bergbauernschaften gegenüber betrieben. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wäre schließlich für die Betriebsform des reinen Automatengeschäfts ein Erfolg zu erwarten gewesen: Totale Selbstbedienung aus klimatisierten Automatenfächern, „vorverkaufte“ SB- bzw. Automatengeeignete Ware, Übersichtlichkeit und Sauberkeit des Automatengeschäfts, minimaler Personaleinsatz nur für Automatenbeschickung und Kassiervorgang – lauter Pluspunkte. Dennoch wurde der erste Wiesbadener Automatenladen ein Flop – genauso wie der Versuch mit einem reinen Eigenmarken-Laden in Duisburg, in dem ausschließlich preiswerte A&PEigenmarken feilgeboten wurden. In beiden Fällen spielte die Mentalität der Kunden nicht mit. Waren im einen Fall die sozialen Kontakte auf ein Nullniveau gedrückt, so genügte im anderen Fall die Auswahl nicht den Beschaffungsansprüchen. Solche Versuche wurden rasch
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
wieder aufgegeben, was nicht bedeutet, dass sie an anderer Stelle und zu anderer Zeit keine Erfolge erzielen könnten ... Erfolge und Misserfolge von Betriebsformen im nachhinein zu erklären oder zu deuten, das ist relativ leicht. Ungemein schwierig ist die Vorhersage des Erfolgs/Misserfolgs einer neuen Betriebsform, ja sogar einer längst erprobten an einem neuen Standort. Hier fließen sie alle ineinander: die psychologischen, die sozialpsychologischen, die soziologischen und die wirtschaftlichen Komponenten. Ohne Zweifel sendet eine bestimmte Betriebsform bestimmte nichtsprachliche Signale (Reize, Stimuli) aus, die von den Passanten als potenziellen Kunden empfangen und decodiert werden müssen. Bereits bekannte Signale zu decodieren bereitet geringere Schwierigkeiten. Die Kunden kennen ein Warenhaus oder eine Drogerie oder einen Wochenmarktstand. Folglich sind die psychologischen Kontaktschwellen niedrig, wenn sie einem neuen Warenhaus, einer neuen Drogerie oder einem neuen Wochenmarktstand begegnen. Aber welchen Nimbus eine unbekannte Betriebsform bei der Mehrheit, jedenfalls bei der Kundenzielgruppe genießt, das ist unbestimmt, kann regional verschieden sein und kann sich im Zeitablauf ändern. Die neuartige Betriebsform sendet schwieriger zu decodierende, unbekannte oder weniger bekannte Signale aus. Das wiederum bedeutet nicht zwangsläufig eine hohe Kontaktschwelle. Im Gegenteil. Der Reiz des Neuen kann eine besondere Sogwirkung haben und viele Interessenten anlocken. Im Regelfall wird die Kundenpsyche jedoch nicht nur isoliert von affektiven Reizen angesprochen, sondern auch von kognitiven und konnotativen Reizen (KROEBER-RIEL 1990, S. 68f.). Folgendes fiktive Beispiel sei angenommen: Das Ehepaar Erna und Otto Normalverbraucher begegne unmittelbar vor seinem Theaterbesuch erstmalig einer echten BetriebsformenNeuerung: einem fahrbaren Automatenladen mit Taschenbüchern, hauptsächlich mit Textbüchern zur bevorstehenden Aufführung, ergänzt um sonstige schöngeistige Taschenbuch-Literatur. Affektiv mag sie denken: „Feine Idee. Und wie geschmackvoll die äußere farbliche Gestaltung des Automatenwagens!“ Positive affektive Aufladung. Er ärgert sich schon lange über die diskutierten längeren Ladenöffnungszeiten und denkt: „Dieser Profitmacher von Buchhändler! Der nutzt jede Gelegenheit zum Geschäftemachen aus!“ Negative affektive Aufladung. Aus schlechter Erfahrung mit Zigarettenautomaten kennt er das Problem des technischen Defekts und denkt: „Das ist mir zu riskant, vier Geldstücke einzuwerfen. Weit und breit keine verantwortliche Person!“ Negative kognitive Aufladung. Sie erkennt die bequeme Möglichkeit, jetzt rasch den Schauspieltext zum gleichen Preis wie in der Buchhandlung besorgen zu können. Positive kognitive Aufladung. Schließlich löst die neue Geschäftsidee eine gewisse Neugier bei ihnen aus: „Etwas Vergleichbares habe ich noch nie gesehen! Oder du?“ Positive konnotative Aufladung. Wie sich Erna und Otto Normalverbraucher verhalten werden, ob einer von ihnen kauft oder nicht kauft, und wie die anderen Theaterbesucher reagieren, das freilich ist zunächst offen, nicht vorhersehbar. Denn einer verlässlichen Prognose der Akzeptanz oder der sich im Nichtkauf manifestierenden Reaktanz stehen eine Reihe von verhaltensbestimmenden Variablen im Wege, die prinzipiell für Dritte nicht erkennbar sind (Stimmungen, Bedürfnisstruktur, Zeitdruck, Ablenkung durch zufällig getroffene Bekannte, Konzentration auf die bevorstehende Theateraufführung usw.). Die fehlende Prognosemöglichkeit bedeutet aber nicht, dass das Betriebsformen-Experiment nicht gewagt werden sollte, sind kaufmännische Entscheidungen doch – mit und ohne psychologische Orientierung – meist Versuch-und-Irrtum-Entscheidungen. Im Gegenteil: Psychologische Überlegungen sind jetzt besonders wichtig. Am besten, wenn auch teuer, wäre
3.2 Wahl der Betriebsform
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ein ökoskopischer Pretest, und zwar möglichst unter biotischen, natürlichen Feldbedingungen. Als Innovations- und Teststrategie können z.B. Testläden eröffnet werden; in Japan haben Fuji und Sony sog. Signal-Shops oder Antennen-Shops eingerichtet, um dort Neues auszuprobieren und Marktbeobachtung zu betreiben (vgl. TIETZ 1993a, S. 1338). Hingegen könnte eine demoskopische Chancenermittlung über eine repräsentative (?!) Befragung arg in die Irre führen. Auf die Frage „Würden Sie ein Taschenbuch auch aus einem fahrbaren Automaten ziehen?“ bekäme man vielleicht folgende Antwort-Verteilung: Ja 64,5%, Nein 11,3%, Weiß nicht 24,2%. Selbstverständlich kann auch psychologisch raffinierter gefragt werden, unter Abbau von Verständnisschwierigkeiten, von verzerrendem InterviewerEinfluss und von Ja-sage-Tendenz. Dann wird siegessicher in das erste teure Spezialfahrzeug investiert. Aber was, wenn die angeblich interessierten Kunden tatsächlich kein Taschenbuch oder nur sehr wenige aus dem Automatenwagen ziehen? An diesem fiktiven Beispiel sollte einmal gezeigt werden, dass Psychologie bei Startentscheidungen über eine (neue) Betriebsform gleichwohl mit Nutzen zu Rate gezogen werden kann, auch auf demoskopischem Wege. Es könnten nämlich positive und negative Einstellungen nicht nur gegenüber dem neuartigen fahrbaren Taschenbuchautomaten ermittelt werden, sondern auch gegenüber ähnlichen bekannten Einrichtungen. Sind Einstellungen, Wünsche, Motive und Ängste a) beim Kauf aus Automaten, b) beim Kauf von Büchern bekannt, dann können sie auch bei der neuen Betriebsform berücksichtigt werden. So könnten z.B. bei der Gestaltung des Fahrzeugs positive affektive Verstärker (sympathische Farbgebung), positive kognitive Verstärker (Hinweis auf Kaufbequemlichkeit; beigefügtes Geschenkpapier), Angstabbau (Zuverlässigkeit der Automatenmechanik; Hinweis auf Service, Reklamationsoder Rückgabemöglichkeit) sowie angenehme Erlebnisreize (kleine Zugabe; Display mit Titelübersicht und Automatenfach-Anzeige; Begrüßungs- und Verabschiedungsstimme vom Band o.ä.) eingebaut werden. Bei der laufenden Kontrolle einer Betriebsform hinsichtlich ihrer Akzeptanz oder Reaktanz bei den verschiedenen Marktpartnern kann die Psychologie ebenfalls dienlich sein. Hier kommt als Hilfsmittel vor allem die Imageanalyse in Betracht. Von den bereits erwähnten zahlreichen Methoden der Imageanalyse ist die Polaritätenprofil-Analyse besonders geeignet: Aus den statistisch aufbereiteten Durchschnittsnennungen zu verschiedenen Begriffspaaren (semantisches Differential) kann für einen Betriebstyp eine charakteristische Profillinie gezeichnet werden. Dieses isolierte Profil lässt zunächst nur Stärken und Schwächen der analysierten Betriebsform im Urteil der Befragten erkennen. Aufschlussreicher sind Vergleiche dieser Profillinie mit anderen, z.B. mit dem Profil einer anderen Betriebsform, oder der Vergleich des empirisch ermittelten Realprofils mit dem von der Unternehmensleitung erwünschten Idealprofils oder der Vergleich von Profilen der untersuchten Betriebsform aus der Sicht verschiedener Probandengruppen (Kunden, Lieferanten, Konkurrenten; Stammkunden, Gelegenheitskunden; Kunden, Nichtkunden; usw.) oder Probandentypen (jüngere alleinstehende Frau, ältere alleinstehende Frau; Vater mit Kind(ern) bis zu 15 Jahren, Vater mit über 15-jährigen Kindern, kinderloser Ehemann; usw.). In einer grundlegenden Studie wurden für die Betriebsform Warenhaus Subimages für die Ebene „Haus“ und für die Ebene „Abteilungen“ entwickelt, um Vergleiche der Kundeneinstellungen durchzuführen sowie Ausstrahlungseffekte und Verbundbeziehungen zu identifizieren. Letztere bestehen oder entstehen sogar, ohne vom Warenhausmanagement intendiert zu sein (vgl. HEEMEYER 1981, S. 345f.). Aus psychologischer Sicht ist das Interessante an Image- und Profilanalysen,
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
dass bei den Begriffspaaren (Items) alle Arten von Stimuli berücksichtigt werden können: affektive Reize (warm/kalt; sympathisch/ unsympathisch; hell/dunkel usw.), kognitive Reize (gut sortiert/schlecht sortiert; übersichtlich/unübersichtlich usw.) und konnotative Reize (bekannt/teuer; unbekannt/ inkompetent; preiswert/fortschrittlich usw.).
3.3
Wahl der Betriebsgröße
Die Größe des Handelsbetriebs ist keineswegs als psychologisch irrelevant einzuschätzen, wobei als Größenmaßstäbe mehr die äußerlich sichtbaren Kriterien in Betracht zu ziehen sind (Verkaufsfläche, Raumvolumen, Schaufenstergröße und -zahl, Anzahl der Etagen, Personal) und weniger die statistisch bevorzugten Größen (Umsatz, Wertschöpfung, Gewinn, Kapital). Bruno TIETZ sprach sogar von „psychologischen Gesetzen der Größe“ (TIETZ 1985, S. 1228ff.). Mit zunehmender Unternehmensgröße im Handel würden sich psychologische Degressionsvorteile einstellen, und zwar allgemeine Verhaltensvorteile der Marktpartner. TIETZ weist allerdings zugleich auf das Problem der Wachstumsschwelle ab einer bestimmten Größenordnung hin. Es gibt aber auch andere psychologische Schwellen. Vorurteile in Bezug auf die Unternehmensgröße spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dem einen sind die Kleinbetriebe von vornherein rückständig, zu teuer, riskant (Ladenhüter? veraltete Ware?); er witzelt über „Tante Emma“ und die „Heringsbändiger“ – und kauft seinen Tokayer im fortschrittlichen Supermarkt. Dem anderen sind die Kleinen gerade lieb und wert, weil sie soziale Kommunikation erlauben, die Ware liebevoll pflegen, Kredit gewähren (Anschreiben, Borgkauf), sich sichtbar nicht großkapitalistisch geben – und kauft seinen Rotwein womöglich doch im SB-Warenhaus, mit ein wenig schlechtem Gewissen ... Einem Dritten sind die riesigen „Verkaufsmaschinen“ auf der grünen Wiese nicht geheuer, kalt, unmenschlich, anonym-kapitalistisch – und er kauft doch dort seine Videokamera anstatt im gepflegten Fachgeschäft. Einem Vierten sind die Hypermärkte gerade recht wegen ihrer Gelegenheit zum wohlfeilen Einkauf für seine Großfamilie und zur Auffüllung der Tiefkühltruhe daheim; das vergessene Pfund Butter ersteht er dann noch kurz nach Geschäftsschluss im kleinen Nachbarschaftsladen – selbstverständlich ohne jeden Anflug von schlechtem Gewissen ... Aus psychologischer Sicht ist hier wieder alles ungemein komplex und ambivalent. Bei einigen Menschen treffen affektiv und kognitiv bedingte Reaktionen kumulativ zusammen, etwa ihre emotionale Ablehnung von Handelsbetrieben generell und ihr Erfahrungswissen aus zahlreichen Einkäufen und Preisvergleichen: Dieselbe Ware werde im Kleinbetrieb vermeintlich überteuert angeboten. Dass hinter unterschiedlichen Preisen für sortengleiche Waren auch unterschiedliche Leistungs- und Kostenniveaus, unterschiedliche Beschaffungspreise und -konditionen sowie unterschiedliche Umschlagshäufigkeiten stehen, ist im Allgemeinen nicht bekannt. Mit der (beschränkten) Kognition ist es so eine Sache ... Ohne Grundkenntnisse der Psychologie können die Kleinen im Handel nicht viel dagegen ausrichten. Mit ein wenig Psychologie mag es aber doch gehen: werbliche Herausstellung des besonderen Service; „Exoten“ im Sortiment; Freundlichkeit bei der Bedienung; angenehmes Ambiente im Laden, Ordnung und Übersichtlichkeit; ein Dank an die Kunden (den sie in Form eines Aufdrucks auf der Verpackung oder auf der Tragetasche sogar mit nach Hause nehmen können) usw. A propos Tragetasche. Der einst leicht ideologische Züge tra-
3.3 Wahl der Betriebsgröße
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gende Kampf zwischen Anhängern und Gegnern von Tragetaschen aus Jute, Stoff, Papier oder Polyethylen („Plastiktüten“) mag verebbt sein. Aber viele Kunden werden immer noch von der Art und Gestaltung der Tragetaschen psychologisch beeinflusst; denn die Tragetasche dient nicht nur dem Warentransport und bietet nicht nur den Zusatznutzen der Weiterverwendung, sondern ermöglicht – entsprechend ästhetische Gestaltung vorausgesetzt – dem Träger bzw. der Trägerin auch ein Stück Selbstdarstellung, im Extremfall sogar Befriedigung einer Sammelleidenschaft. Nur in den harten Preiswettbewerb dürfen sich die Klein- und Mittelbetriebe nicht überstürzt begeben, wenngleich Sonderangebote – notfalls unter Einstandspreis – den Pfennigfuchsern und Skeptikern ein besonders wirksames Aha-Erlebnis vermitteln. Mischkalkulation steht schließlich allen offen, den Großen, den Mittleren und den Kleinen. Entscheidungskonflikte in Bezug auf unterschiedliche Betriebsgrößen müssen nicht nur auf Vorurteilen beruhen. Hier sind auch kognitive Dissonanzen (L. FESTINGER) nicht ausgeschlossen. Man denke nur an umweltbewusste und auch sonst aufgeschlossene Bürger. Wenn sie wissen, dass biologisch hochwertige und naturbelassene Produkte im nahegelegenen Supermarkt nicht geführt werden (aber im kaum weiter entfernten Naturkostladen), wenn sie auch noch wissen, dass der Supermarkt einem Großkonzern gehört und jede dort ausgegebene Mark im Prinzip die Unternehmenskonzentration fördert (was sie für negativ halten) und wenn sie dennoch in diesem Supermarkt einkaufen, dann hat sich in ihrer Psyche ein kleines Drama abgespielt – und das nicht einmal aus Vorurteilen heraus, sondern aus ziemlich sicherem Wissen heraus. Diese Dramen können sich oft wiederholen, sogar regelmäßig beim Gewohnheitskauf. Und jedes Mal setzen subtile Verdrängungsmechanismen ein, Rechtfertigungen der eigenen Kaufentscheidung (vgl. SCHUCHARD-FICHER 1979, S. 29), psychologische Rationalisierungen: „Meine paar Euro machen den Konzern nicht fett“; „Nur das eine Mal“; „Der Naturkostladen hat aber doch eine zu kleine Auswahl“ usw. Affektive und kognitive Spannungen liest niemand der Kundin, dem Kunden von der Stirn ab. Solche inneren Spannungen zu erkennen, ist wieder ein Stück Kaufmannskunst und nicht unbedingt Wissenschaft. Wissenschaft kann dem Kaufmann, der zunehmendes Umweltbewusstsein in seiner Kundschaft erspürt, allenfalls raten: Wenn dem so ist, dann versuch diese Spannungen abzubauen, gib den dissonanten Kunden Rationalisierungserleichterungen, und zwar sowohl für die sog. Vorkauf-Dissonanzen (predecision dissonance) als auch für die NachkaufDissonanzen (postdecision dissonance). Genauer wären die Vorkauf-Dissonanzen übrigens als Vorkauf-Konflikte bezeichnet, da ein Konflikt aus dem „Kampf der Motive“ nur vor einer Entscheidung entsteht, eine Dissonanz hingegen nur nachher auftreten kann (vgl. ROHRACHER 1988, S. 518). Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis könnten z.B. der Supermarkt die ökologisch sinnvollen Erzeugnisse werblich herausstellen und der Naturkostladen auf die ernährungsphysiologischen Vorteile des gesamten Sortiments hinweisen. Dass die Erzeugung von affektiven oder kognitiven Konsonanzen, von harmonischem Zusammenklang aller Elemente des Handelsmarketings, Entscheidungskonflikte gar nicht erst entstehen lässt, ist zwar leichter empfohlen als realisiert. Dennoch gilt im Grundsatz: „Der Händler muss davon ausgehen, dass der Kunde psychische Konflikte erlebt. Vor dem Kauf empfindet er Risiko, während des Kaufes Entscheidungskonflikte, und nach dem Kauf kognitive Dissonanzen. Dem muss der Händler durch risikosenkende Maßnahmen entgegenwirken.“ (HURTH 2006, S. 36) In psychologischer Hinsicht sind auch Betriebsgröße und Betriebsform voneinander abhängig, und zwar nicht nur wegen der unterschiedlichen Sortimentsstrukturen und der dafür
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
benötigten Präsentationsfläche, sondern auch wegen der sich im Laufe der Zeit herausbildenden Normerwartungen. Eine überdimensionierte Boutique enttäuscht die Normerwartungen der meisten Kunden ebenso wie ein unterdimensioniertes Einkaufszentrum. Enttäuschte Erwartungen führen zur Abwendung mancher potenzieller Kunden und vor allem zu negativer Mund-zu-Mund-Werbung. Die Frustrierten sind außer Reichweite und der Grund für ihre Enttäuschung ist durch keine Befragung mehr zu ermitteln oder zu korrigieren. Die anhaltende Flächenexpansion in vielen Branchen des Einzelhandels, insbesondere die Expansion der Verkaufsflächen in SB-Märkten, ist betriebswirtschaftlich sinnvoll wegen der economies of scale, wegen des immer breiter fließenden Warenstroms und wegen der durch größere Auswahl hervorgerufenen Erwartungshaltung bei den Käufern. Zu Beginn der 90er Jahre haben einzelne Betriebe Größenordnungen erreicht, die noch ein Jahrzehnt davor nicht für möglich gehalten wurden. So verfügten z.B. die Möbelhäuser Neubert, Würzburg, oder Mutschler, Ulm, bereits über 100.000 qm Ausstellungsfläche. Psychologisch ist die Flächenexpansion durchaus zweischneidig. Allem Anschein nach kann es den Kund(inn)en zwar nicht großräumig und weitläufig genug sein. Sonst fände nicht jeder neue noch größere Markt stets neuen Zuspruch. Aber wer weiß, ob sich nicht morgen schon das olympische Wertesystem des Höher, Schneller, Stärker grundlegend wandelt? Die Wege werden länger, mit den suggestiv großen Einkaufswagen werden auch die Einkaufsmengen immer größer, der Kassensturz in der Checkout-Zone wird für die Kund(inn)en immer spürbarer. Wie leicht kann sich da eine Unzufriedenheit mit dem eigenen „rationellen“ Großeinkauf, mit Transportproblemen, mit Warteschlangen, mit überfordertem Verkaufs- bzw. Kassenpersonal und mit der Anonymität des ursprünglich sozialen Tauschakts einschleichen! Im Extremfall ist bei weiterem Vordringen der Hypermärkte und der MegaZentren die Entstehung (oder Verstärkung) von Phobien (Angsterlebnissen) bei den Kunden wie beim eigenen Personal, etwa von − Agoraphobie (Platzangst) in riesigen Shopping Centern oder auf ihren weiträumigen Parkflächen oder − Klaustrophobie (Einschlussangst) in Weltstadtwarenhäusern (Aufzüge), innerstädtischen Einkaufszentren oder Einkaufspassagen oder − Logophobie (Angst, sich zu versprechen) oder − Erethophobie (Angst zu erröten) oder − Aichmophobie (Angst, sich an einem herumliegenden spitzen Gegenstand zu verletzen) oder gar − Phobophobie (Angst, in Angst zu geraten), nicht ausgeschlossen, denen die Betroffenen dann mit dem Abwehrmechanismus der Vermeidung begegnen. Manche Handelsbetriebe beugen derlei Missmut und Phobiegefahren jetzt schon vor, z.B. durch räumliche Abtrennung verschiedener Abteilungen, durch Einrichtung von Bedienungstheken oder durch Kommunikation ermöglichende Verweil- und Ruhezonen. Andere Unternehmen unterlaufen mit ihrem Marketingkonzept solche größen- und anonymitätsbedingte Unzufriedenheiten. Man denke nur an Heimzustellung, an telefonische Bestellannahme, an Haushaltsordersätze oder an Self-Scanning mit Ausweis des aufgelaufenen Einkaufsbetrags auf einem Display am Einkaufswagen. Auch wird der Einsatz von Ruhebänken in einigen Warenhausfilialen dem Vernehmen nach von vielen, insbesondere älteren Kunden und Müt-
3.4 Wahl des Standorts
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tern mit Kindern, sehr geschätzt. Der schnelle Durchlauf gehetzter Kunden mag betriebswirtschaftlich willkommen sein – aus der Sicht des Tagesgeschäfts. Auf lange Sicht führt die längere Verweildauer zufriedener Kunden gewiss eher zu Stammkundenbeziehungen und zu Betriebsgrößentreue. Die beiden Aldi-Gruppen (Aldi-Nord und Aldi-Süd) haben im deutschen wie auch im ausländischen Lebensmittelhandel in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung erreicht. Aus psychologischer Sicht spielt die Betriebsgrößenpolitik von Aldi eine interessante Rolle. Selbst Kritiker der ungestümen Konzentration im Lebensmittelhandel und der räumlichen und städtebaulichen Strukturveränderungen halten sich hier bedeckt; denn Aldi expandiert geräuschlos und unspektakulär nur über kleine und mittlere Ladeneinheiten. (Den Strukturpolitikern, die „Wildwuchs auf der Grünen Wiese“ verhindern wollen, sei – unabhängig von der AldiBetriebsgrößenpolitik – ins Stammbuch geschrieben: 4 × 300 qm neue Betriebsfläche ergeben auch 1.200 qm Geschossfläche). Die Betriebsgröße ist in Grenzen auch der Dynamisierung zugänglich. Großräumige Läden können durch ausgeprägte Abteilungstrennung kleiner erscheinen, und kleinere Läden können durch Wandspiegel scheinbar vergrößert werden. Besonders eindrucksvoll wirken verspiegelte Decken, da die Spiegel einen ungewohnten Höheneffekt vortäuschen. Flächenexpansion kann mitunter auch durch Einbeziehung oberer Etagen oder durch Nutzung des Kellergeschosses ermöglicht werden. Sinnvoll ist stets die Erkennbarkeit des größeren Volumens von außen (beleuchtete größere Fenster in der/den oberen Verkaufsetage/n; Freitreppe vom Ladeneingang in das Untergeschoss). Dass ausgesprochen kleine Geschäfte im Einzelfall psychostrategisch ideal sein können, zeigt der Erfolg der Lush-Shops mit handgemachter Kosmetik. Schon der Firmenname ist geschickt gewählt; denn im englischsprachigen Raum erweckt der Begriff lush = üppig, saftig angenehme Gefühle von Regenwäldern, Melodien oder Gedichten. Die nicht abgepackten frischen Kosmetikprodukte werden handschriftlich mit weißer Kreide auf schwarzen Tafeln im Geschäft beworben. Außer einer Broschüre „Lush-Times“ und eigenem InternetAuftritt braucht man keine weiteren Werbemittel – man kann getrost auf Mundpropaganda setzen. Für die kleinen Läden werden bewusst nur wenige Quadratmeter in bester Innenstadtlage angemietet, sei es auf der Portobello Road in London, auf der Newburry Street in Boston oder auf der Hohen Straße in Köln. Genug Kunden werden schon durch den verschwenderischen Einsatz von ätherischen Ölen und natürlichen Duftkonzentrationen angelockt, die durch die offen stehenden Türen strömen. Eine gute Geschäftsidee mit viel angewandter Psychologie hat bewirkt, dass 12 Jahre nach der Gründung im Jahre 1995 bereits mehr als 440 Geschäfte in 37 Ländern existieren und Lush sich zum Kultlabel entwickelt hat (vgl. ESTERHAZY 2007).
3.4
Wahl des Standorts
Jedes Handelsunternehmen hat es mit zwei Arten von Standortentscheidungen zu tun, nämlich mit Entscheidungen über die betriebliche Standortwahl und über die innerbetriebliche Standortwahl (Raumökonomie). Jene sind in der Regel strategischer, diese können sowohl strategischer als auch taktischer Art sein. Für beide gilt, dass sie in erheblich größe-
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
rem Maße als z.B. für Industrie-, Handwerks- oder viele Dienstleistungsbetriebe für stationäre Einzelhandelsbetriebe existenziell wichtig sind.
Die handelsbezogene Standortlehre hat sich im Wesentlichen erst nach dem 2. Weltkrieg herausgebildet und verfügt inzwischen über einen reichhaltigen Fundus an Theorien, Modellen und praktisch anwendbaren Analyseverfahren, die hier jedoch nicht im einzelnen aufzuführen sind. In ihnen werden meist nur quantitative Größen berücksichtigt, die einer investitionstheoretischen Berechnung zugänglich sind; es werden absatz- und beschaffungswirtschaftliche Standortfaktor-Gruppen (Kundenstruktur; Bedarf und Kaufkraft; Verkehrsverhältnisse: Konkurrenzsituation; Raum- und Personalbeschaffung) mit z.T. weit aufgefächerten Untergruppen näher analysiert; es werden sowohl einfache check list-, Standortkalkulations- und Standortprofilmethoden oder Raumaufteilungs-„Faustregeln“ als auch komplizierte ökonometrische Verfahren angewandt. (Vgl. NAUER 1970, S. 67–81) Aber nur höchst selten wird ein Blick auf psychologische Standortfaktoren geworfen. Die Unterteilung in betriebliche und innerbetriebliche Standortlehre ist recht jung und keineswegs allgemein anerkannt. Einige Autoren betrachten die Entscheidungen über innerbetriebliche Raumnutzung nicht als Standort-, sondern als Präsentations- und sortimentspolitisches Problem. Gerade wegen der Einbeziehung psychologischer Aspekte erweist sich die gewählte Zweiteilung jedoch bald als zweckmäßig. Schließlich hört die ausgesprochene Kundenorientierung des Einzelhandels nicht vor der Ladentür auf. Die einprägsame angelsächsische Kurzformel all business is local verlangt geradezu, psychologische Aspekte nicht nur bei der ersten betrieblichen Standortwahl und bei der von Zeit zu Zeit notwendig werdenden betrieblichen Standortkontrolle zu berücksichtigen, sondern auch und vor allem bei den unzähligen innerbetrieblichen Standortwahl- und -kontrollentscheidungen. Hinter „dem“ Kundenverhalten, „der“ Bevölkerungsmentalität, „dem“ typischen Konsum oder dem genius loci verbergen sich lauter psychische Befindlichkeiten von einzelnen Menschen. Massenhaft auftretende, gleiche oder ähnliche Verhaltensmerkmale werden nur zu etwas Typischem zusammengefasst.
3.4.1
Die Wahl des betrieblichen Standorts
Die Standort-Entscheidungsmodelle haben zum Ziel, aufgrund von Bewertung und Gewichtung zahlreicher (quantitativer) Faktoren den geeigneteren von zwei gegebenen bzw. den optimalen von mehreren gegebenen Standorten zu ermitteln. Dieser Ansatz verliert in dem Maße an Bedeutung, in dem die zur Verfügung stehende Einzelhandelsfläche knapper wird. In den Innenstädten sind Ia- und Ib-Lagen so gut wie erschöpft. Hier herrscht – zumindest in den alten Bundesländern – in Anbetracht eines fehlenden gewerblichen Mieterschutzes schon
3.4 Wahl des Standorts
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seit langem Hauen und Stechen vor, Verdrängungskampf über immer höhere Mietpreisforderungen und Mietpreisgebote. Von einer nennenswerten Auswahl an betrieblichen Einzelhandelsstandorten kann kaum noch die Rede sein. Dennoch – oder gerade wegen dieses Zustands – bekommen psychologische Aspekte einen hohen Stellenwert. Betriebliche Standortanalysen sollten umso mehr psychologische und sozialpsychologische Verhaltensparameter miteinbeziehen, als die wichtigsten ökonomischen Standortfaktoren (Bedarf und Kaufkraft, Konkurrenz, Verkehrsverhältnisse und Raumqualität) sich weitgehend angeglichen haben und die psychographischen Standortfaktoren vielfach vernachlässigt wurden. Zu ihnen zählen etwa − Lebensgewohnheiten (Freizeitverhalten, Lebensstandard, Motorisierungsgrad usw.), − Konsumgewohnheiten (Einkaufsintervalle, durchschnittlicher Einkaufsbetrag, in Kauf genommene Wegstrecke, benützte Verkehrsmittel, präferierte Einkaufszeiten, Inanspruchnahme von Kreditfinanzierung usw.) und − Mentalität (Einstellung zu Geschäftslage, -typ und -größe; Anspruchsniveau in Bezug auf Ladenatmosphäre, Warendarbietung, Ambiente usw.). Auch werden gleiche Standort-Reize von verschiedenen Menschen verschieden wahrgenommen, verschieden erlebt und in verschiedene Verhaltensmuster umgesetzt. So gesehen, können selbst zwei ökonomisch gleichwertige Standorte A und B aus psychologischer Sicht unterschiedlich wertvoll sein: Der Standort A bietet z.B. den Reiz eines ruhigen und überschaubaren Quartiers mit anheimelnden Restaurants, Bistros und Straßencafés; am Standort B herrschen Hektik, Geschäftigkeit und alle Zufälligkeiten der Großstadt-City vor. Da mögen die Standortkalkulationen für A und B zum selben Ergebnis kommen – dennoch wird es für ein Textilkaufhaus, für einen Jeans-Shop, für ein Delikatessengeschäft oder für einen Naturkostladen psychologische Präferenzen geben. Ein interessantes, seit langem bekanntes Phänomen ist der sog. Agglomerationseffekt, d.h. die Gesamtumsatzzunahme für eine Mehrheit von Unternehmen, die durch ihre räumliche Nähe bedingt ist. Von der Ballung mehrerer branchengleicher Betriebe in unmittelbarer räumlicher Nähe (Mikrostandort) sollte vermutet werden, dass sie als Ausdruck intensiver Konkurrenz von Unternehmern und Managern eigentlich gemieden werden müsste. Im Einzelhandel gilt das sehr oft nicht. Im Gegenteil: Hier wird die Attraktivität eines Standorts aus der Sicht der Kunden durch Hinzukommen eines oder mehrerer branchengleicher Betriebe nur erhöht. Die Attraktivität der einzelnen betrieblichen Märkte wird sozusagen multipliziert zu einer Attraktivität des gesamten räumlichen Verbunds, wie er besonders deutlich wird in den Shopping Centern, weil die Kunden diesen vergrößerten Markt als vorteilhaft empfinden (größere Auswahl, bessere Vergleichsmöglichkeiten, verminderter Zeitaufwand, mehr Bequemlichkeit). Beispiele für Branchenagglomerationen finden sich häufig im Einzelhandel mit Möbeln, Automobilen, Schuhen, Modetextilien, Büchern und Antiquitäten. Sind in einer Einkaufsstraße bereits sechs Schuhfachgeschäfte wie an der Perlenschnur aufgereiht, dann vermindert das siebte Schuhfachgeschäft nicht zwangsläufig den Gesamtumsatz mit Schuhen, sondern im Regelfall vergrößert es ihn. Offen bleibt allerdings die Frage nach der Grenze des Agglomerationsvorteils, d.h. beim wievielten Branchenkonkurrenten der einzelbetriebliche Umsatzzuwachs stagniert oder abnimmt. Der Agglomerationseffekt wurde 1958 von R.L. NELSON aufgrund empirischer Studien als Gesetzmäßigkeit formuliert („The Rule of Retail Compatibility“), von K.Chr. BEHRENS als
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
„Gesetz der Agglomeration im Einzelhandel bei verbundenen Bedarfen“ genannt. Neuerdings wird er meist als Agglomerationsgesetz bezeichnet (Näheres bei FALK/WOLF 1992, S. 520). Bemerkenswert an dem NELSONschen „Gesetz“ ist die Einbeziehung von zwei Verhaltenskomponenten: 1. Der Grad des Kundenaustauschs, der sowohl durch Beobachtung als auch durch Befragung ermittelt werden kann, zeigt, in welchem Ausmaß Kunden beide Geschäfte – bzw. im Fall des verallgemeinerten Agglomerationseffekts mehrere Geschäfte – aufsuchen. Psychologisch interessant wäre die Zusatzinformation, warum beide bzw. mehrere Geschäfte aufgesucht wurden. 2. Der Anteil der geplanten Käufe an den Gesamtkäufen, der sich nur durch Befragung ermitteln lässt, zeigt, inwieweit die Kunden, durch Vorkenntnisse oder Mutmaßungen über das Leistungsangebot veranlasst, bewusst die Einzelhandlungen aufsuchen. Ein geplanter Kauf liegt dann vor, wenn der Kunde dem Interviewer angibt, dass das Aufsuchen des Geschäfts der Hauptzweck seines Einkaufsgangs war. Dieser Anteil der Plankäufe gibt indirekt gleichzeitig Aufschluss über das Ausmaß der sog. Spontankäufe oder Impulskäufe – und die sind psychologisch fast interessanter als die bewusst geplanten Käufe. Wie schon angedeutet, werden Impulskäufe nach weitverbreiteter Ansicht für nicht geplante Käufe gehalten. Das ist jedoch unzutreffend. Jeder Kauf ist geplant, auch der Impulskauf. Bei ihm ist lediglich der Planungszeitraum auf ein Minimum geschrumpft, mitunter auf Sekundenbruchteile. Die Kaufplanung erfolgt im unmittelbaren Kontakt mit der Einzelhandlung und mit der Ware, ausgelöst durch einen unerwarteten Reiz im Laden oder vor dem Schaufenster oder durch eine plötzliche Assoziation oder durch einen Erinnerungsanstoß. Dem Impulskauf liegt ein unmittelbar reizgesteuertes (reaktives) und meist emotional aufgeladenes Verhalten zugrunde (FOSCHT/SWOBODA 2005, S. 157). Eine (gar nicht recht bewusste) blitzschnelle Überprüfung von Bedarf, Verwendung und finanzieller Situation muss der Spontankäufer jedoch immer durchführen. Dass sich solch enge S-R-Verbindungen (stimulus – response) eher an stark frequentierten, abwechslungsreichen Standorten (City, Shopping Center, Einkaufszentrum, Fußgängerzone, Bahnhof, Flughafen usw.) einstellen als an ruhigen, geschäftsarmen Standorten, versteht sich. Die von einigen Konsumforschern vorgeschlagene Unterscheidung von Arten impulsiven Kaufverhaltens – z.B. unterscheidet H. STERN pure impulse buying, reminder impulse buying, suggestion impulse buying und planned impulse buying oder V. TROMMSDORFF „heißen“ und „kalten“ Impulskauf je nach emotionaler Aufladung und Aktivierung der Konsumenten – dürfte für das Handelsmanagement von untergeordneter Bedeutung sein (vgl. GEISE/WESTHOFEN 2006, S. 15-18). Allgemeingültige psychologische Regeln für die Standortwahl von Einzelhandelsbetrieben sind kaum ableitbar. Die Verhältnisse sind von Standort zu Standort, von Branche zu Branche und von Betriebsform zu Betriebsform zu unterschiedlich. Allerdings sind genügend Beispiele dafür bekannt, dass psychologische Faktoren im Einzelfall von erheblicher Standortbedeutung sind. So machen sich viele Spezialversandhäuser den Goodwill eines Makrostandorts zunutze: Lebkuchen aus Nürnberg, Christstollen aus Dresden, Spielwaren aus dem Erzgebirge, Schmuck aus Pforzheim, Stahlwaren aus Solingen usw. Auch an den verschiedenen Mikrostandorten kennt man wirksame Zu- oder Abneigungen der Menschen: Die eine Gegend gilt als wenig solide, womöglich anrüchig, eine andere als vornehm, wenn nicht luxuriös. Die Peripherie der Stadt, mehr noch die „Grüne Wiese“ gilt als Garant für Billigeinkäufe. City-Passagen genießen das Ansehen erster Adressen. Im Extremfall wirkt eine
3.4 Wahl des Standorts
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Einkaufspassage mit exklusiven Fachgeschäften und gastronomischen Einrichtungen geradezu als Touristenattraktion. Hierfür gilt die Mailänder Galleria Vittorio Emanuele II. des Architekten MENGONI mit ihrer kreuzförmigen Anlage, ihren 50 m hohen Eisen- und GlasKuppeln sowie ihren Marmormosaiken – fertiggestellt im Jahre 1877 – als Vorbild. Im Dorf, in der Kleinstadt, in der Kreisstadt, in den Vorortstrukturen vom Villenviertel bis zur Schlafstadt, in Groß- und Weltstädten kennt man charakteristische Mentalitätsabstufungen, in letzteren mitunter begrenzt auf einen Gebäudekomplex (wie das Rockefeller Center in New York) oder einen Straßenzug (wie die Champs Elisées in Paris). Den Geist des Ortes adäquat zu treffen, ist oft eine existentiell wichtige psychologische Standortbedingung. Inwieweit derlei standortabhängige und doch meist diffuse Einstellungen für das Käuferverhalten bestimmend sind oder werden, ist sehr schwierig nachzuweisen. Selbst Filialunternehmen tun sich schwer, für fast identische Filialen an verschiedenen Standorten eine Differentialanalyse nach psychologischen Standortfaktoren durchzuführen. An jedem konkreten Standort wirken allzu viele psychographische Standortfaktoren mit positiver und negativer Aufladung zusammen. Es kommt im Einzelfall darauf an, die für den Betrieb positiven psychologischen Faktoren (z.B. hohes Quartieransehen) zu nutzen und gleichzeitig die negativen (z.B. Schwellenangst, schlechte Parkmöglichkeiten) durch betriebliche Gegenmaßnahmen so weit wie möglich abzubauen. Schließlich hat das kanadische West-Edmonton bewiesen, dass die örtliche Kaufkraft keineswegs der ausschlaggebende Erfolgsfaktor für die Standortqualität sein muss, wie oft angenommen wird. Im Handel, der die Einstellungen der Menschen und ihre Suche nach Glück und Erlebnissen mit einbezieht, kommt es mehr noch als auf örtliche Kaufkraft auf Mut und Kreativität an. Sonst könnte das größte Shopping Center der Welt nicht in der Nähe einer Mittelstadt florieren.
3.4.2
Die Wahl des innerbetrieblichen Standorts
Für Handelsbetriebe stellen die innerbetrieblichen Standortentscheidungen ein psychologisches Experimentierfeld erster Ordnung dar. Wenn man zum einen die Art der räumlichen Nutzung, die funktionale Raumaufteilung (store layout) und die Art der Ausgestaltung der Räumlichkeiten (store design) unterscheidet, zum anderen die nach innen (store interior) und die nach außen (store exterior) gerichteten Maßnahmen, dann steht zur Überprüfung psychologischer Möglichkeiten folgendes Vierfeldersystem zur Verfügung: LADENINNERES AUFTEILUNG GESTALTUNG
I
LADENÄUSSERES II
interior layout III
exterior layout IV
interior design
exterior design
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
Die vielfältigen Möglichkeiten der psychologischen Gestaltung von Ladeninnerem und Ladenäußerem (design) werden unter Punkt 4.3 näher beleuchtet. Hier gilt das Augenmerk den psychologisch relevanten Aspekten der Raumaufteilung und -anordnung (layout). Die bauliche Konzeption eines Einzelhandelsbetriebs hat von Anfang an folgende Problemkreise im Ladeninneren zu bedenken: Anzahl der Geschosse und Art der Geschossverbindung (Treppen, Rolltreppen, Aufzüge), Verteilung der verschiedenen Abteilungen („Magneten“ in die hinteren/oberen Raumzonen), Anordnung der Eingänge/Ausgänge (Organisation der Linksdrift im Supermarkt), Breite der Gänge, Regalhöhe und -länge, innerbetriebliche Standorte der Kreditabteilung (dezent in unauffälligen Nebenräumen oder auffällig im Eingangs-/Ausgangsbereich), der Kassen (dezentral oder zentral), der Servicebereiche (Geschenkverpackung, Beratung und Vorführung), der Sozialräume usw. Stets geht es um die Entscheidung, den zur Verfügung stehenden Betriebs-, insbesondere den Verkaufsraum möglichst optimal in verschiedene Funktionszonen aufzuteilen. Die Systematik in Übersicht 5 unterscheidet in fünf Problembereiche der Ladengestaltung, von denen die Bereiche 1) bis 4) die interne Standortwahl betreffen. (Quelle: BAUMGARTNER, R.: Ladenerneuerung (store modernization), St. Gallen 1991, S. 26, zit. nach BEREKOVEN, L.: Erfolgreiches Einzelhandelsmarketing, München 1990, S. 291). Übersicht 5: Die Problembereiche der Ladengestaltung Problemumschreibung 1) Aufteilung des Raumes auf die verschiedenen Funktionszonen
Kurzbezeichnung Raumaufteilung
2) Anordnung der Funktionszonen (Anlage der Gänge) 3) Anordnung der Warengruppen und Artikel innerhalb des Raumes 4) Aufteilung der Verkaufsfläche auf die einzelnen Warengruppen /Artikel 5) Gestaltung der Raumelemente im Verkaufsraum
Raumanordnung
Fachbezeichnung
Layout
qualitative Raumzuteilung quantitative Raumzuteilung Raumeinrichtung
Space Utilisation Interior Design
Bei der Raumaufteilung in Funktionszonen sind Warenfläche, Kundenfläche und übrige Betriebsfläche (z.B. Personal-, Theken- und Kassenfläche, Vorführ-/Anprobierräume, Kinderhort, Toiletten und Servicefläche) zu bestimmen. Bei der Raumanordnung stehen die Kundenverkehrswege im Vordergrund. Zwei nicht immer konfliktfreie Prinzipien müssen dabei berücksichtigt werden: eine hohe Kundenzirkulation und eine hohe Kontaktwahrscheinlichkeit mit allen Sortimentsteilen. Die Praxis hat zahlreiche Raumanordnungen zwischen Zwangsablauf und freiem Individualablauf (Netzanordnung, Winkelanlage, Schaufelprinzip, kreuzartiges und kojenartiges Layout, Halbkreissystem und Arena-Prinzip) entwickelt. Hier kommen die Überlegungen zu unterschiedlichen Verkaufszonenwertigkeiten und zu unterschiedlicher Attraktivität der diversen Warengruppen ins Spiel. Eine wichtige Entscheidung ist diejenige für Magnetabteilungen oder Magnetzonen (anchor zones), d.h. die räumliche Konzentration besonders attraktiver Artikelgruppen. Für sie bieten sich sowohl der Eingangsbereich an, in dem alle Kunden erreicht werden und der für eine Absenkung der "Landegeschwindigkeit" der Eintretenden sorgt, als auch Abteilungen in hinteren Ladenzonen oder in oberen Stockwerken. Die letztgenannte Raum-
3.4 Wahl des Standorts
119
nutzung erhöht die Chance, zusätzliche Impulskäufe auszulösen, die die Kunden auf dem Weg zu den Magneten oder auf dem Rückweg tätigen. Beim Problem der Raumzuteilung (space utilisation) geht es zum einen um die (quantitative) Größenzuteilung von Verkaufsflächen, zum anderen um die (qualitative) topographische Anordnung der Warengruppen auf die Verkaufsfläche. Bei mehrgeschossigen Häusern hat sich die Zuordnung von Warenwelten bewährt. In einem viergeschossigen Düsseldorfer Warenhaus wurden die Warenwelten im Jahr 1993 wie folgt zugeordnet: − 2. Etage: Freizeitbedarf (Sport, Foto, Computer, HiFi), Porzellan, Möbel, Restaurant; − 1. Etage: Schuhe, Damenkonfektion, Kinderkonfektion, Spielwaren; − Erdgeschoss: Uhren, Schmuck, Lederwaren, Strümpfe, Herrenkonfektion, Süßwaren, Parfümerie; − Untergeschoss (basement): Supermarkt, Schreibwaren, Bücher, Haushaltswaren. Eine endgültige, optimale Raumzuteilung wird dies nicht sein. Auch ist ein durchgängiges psychologisches Raumzuteilungsprinzip nicht erkennbar. Immerhin wird deutlich, dass für die Magneten Supermarkt und Restaurant die entfernteren Zonen gewählt und das Erdgeschoss, die Drehscheibe des Warenhauses, vorwiegend der bunten Warenwelt der Kleinteile vorbehalten blieb. Eng verbunden mit der Verkaufsflächenzuteilung ist das grundsätzliche Problem, den Kunden die Orientierung in den Verkaufsräumen zu erleichtern, ihnen das Anlegen von Mental Maps (kognitive Landkarten bzw. Lagepläne) zu ermöglichen. Empirische Untersuchungen, zum Beispiel von GRÖPPEL-KLEIN/BARTMANN/GERMELMANN (2006), haben ergeben, dass in Einkaufszentren Magnetgeschäften die zentrale Rolle als kognitiver Anker bei der Formation von kognitiven Lageplänen zukommt; Experimente bei Discountern ergaben, dass bei ihnen vor allem die Laufrichtung und die Produktplatzierung den Aufbau von Mental Maps der Kunden fördern. Andere Studien konnten nachweisen, dass die meisten Kunden die (zunehmend größer werdenden) Verkaufsräume anhand von Landmarken (land marks) erschließen, wobei sie sich an die Sequenzen dazwischen meist nicht erinnern. Je einfacher, klarer, die Wiedererkennbarkeit erleichternder Land Marks ausfallen, desto leichter werden sie im Gedächtnis der Kunden gespeichert und desto eher erfolgen Wiederholungskäufe bzw. -besuche. Daher sind Navigationshilfen für großflächige Handelsbetriebe und SB-Märkte unentbehrlich. Aus der Fülle von möglichen Landmarkierungen seien nur einige Arten herausgegriffen: Schriften, Infotafeln, Piktogramme, Bilder, Vignetten, Collagen, Regalbeschriftung oder Farben. Mehr als drei verschiedene Arten sollte jedoch kein Handelsbetrieb einsetzen (vgl. SCHNÖDT 2006). Das weite Problemfeld der optimalen Warenplatzierung ist – wie alle psychologisch orientierten Entscheidungen – einem ständigen Prozess des Probierens, Experimentierens und Kontrollierens ausgesetzt – Versuch und Irrtum. Für einige Branchen und Betriebsformen, insbesondere für SB-Betriebe des Lebensmittelhandels, hat man versucht, Gesetzmäßigkeiten für die sog. originären Raumwerte zu ermitteln. So sei die SB-Verkaufsfläche durch folgende objektive Wertveränderungen gekennzeichnet: − Wertabnahme nach hinten, nach oben, von den Seiten zur Mitte, von der linken zur rechten Gangseite; − Wertabnahme in Tür- und Treppennähe.
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
Manches daran hat sich als zutreffend erwiesen und entspricht der Präferenz der meisten Kunden. Leicht wird der Vorwurf der Manipulation laut, wenn Süßigkeiten und Spielwaren in der Bückzone der Regale platziert sind, der Blick- oder Griffzone für Kinder. Hier werden tiefliegende Schichten des Bewusstseins angesprochen. Aber dieselben kritischen Erwachsenen merken nicht, dass die im Gang stehenden Schütten, sog. Regalstopper, und die Informationsschilder über dem Gang, sog. Deckenhänger, namentlich auf den ersten fünf, sechs Metern Wegstrecke hinter dem Eingang, auch „manipulieren“ – sie sollen nämlich den motorischen Vorwärtsdrang des Eintretenden bremsen. Unter Umständen merken die Kunden auch nicht, dass die Grifflücken im Regal mit Joghurt-Bechern bewusst eingebaut wurden, um die Illusion zu wecken, hierbei handele es sich um einen besonders begehrten und günstigen Artikel. Etwas anders verhält es sich mit ungeplanten Lücken im Regal, die entstehen, wenn ein Artikel vergriffen ist, der zuständige Mitarbeiter die rechtzeitige Nachfüllung nicht erledigt hat oder die Ware nicht rechtzeitig disponiert oder geliefert wurde: Solche Out-of-stockSituationen verärgern und vertreiben womöglich die Kundschaft. Große Filialsysteme arbeiten daher bereits weitgehend mit quasi-automatischer Disposition, d.h. für die Filialmitarbeiter werden auf jeweils aktuellen Bestandslisten beruhende Vorschlaglisten generiert, anhand derer sie die genaue Disposition für ihre Filiale vornehmen können. Den Filialmitarbeitern wird dabei die Kontroll- und Nachbestellarbeit nicht abgenommen, sondern erleichtert – ihre Aufmerksamkeit und hohe Motivation vorausgesetzt. Sie werden dadurch zu einer Art Informationsmanager (RUDOLPH 2005, S. 190f). Vollautomatische Nachbestellungen sind im Zeichen moderner Warenwirtschaftssysteme kein unlösbares Problem mehr. Softwarehäuser wie SAP, Walldorf, oder SAF, Basel, haben im Handel bereits Optimierungsprogramme zum vollautomatischen Warennachschub installiert. Betriebswirtschaftlich erscheinen sie vor allem für die Bestandsoptimierung von Standardsortimenten bzw. Stammartikeln sinnvoll; etwas fraglicher sind die Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation. Durch vollautomatische Nachbestellungen, womöglich über gesamte Sortiment hinweg, werden sowohl leer verkaufte Regale als auch überquellende Regale (Ladenhüter) vermieden. Die Gefahr, dass die Beschaffungsanstrengungen leiden und die Suche nach neuen Artikeln vernachlässigt wird, ist jedoch nicht zu verkennen. Die psychologischen Maßnahmen der (Kunden-)Wegelenkung und der Aufmerksamkeitslenkung sind variantenreich: Wühltische, Warenstapel, akustische Hinweise, Propagandisten usw. An psychologischer Raffinesse kaum zu überbieten ist das Wegesystem in den IKEAHäusern: Im Eingangsbereich können die jungen Eltern gleich ihr Kind in der SmalandSpielzone abgeben. Die Eltern wie alle Besucher müssen zunächst einen Treppenaufgang zur oberen Verkaufsebene hochsteigen. Die konsumunlustigen Ehemänner können ins Restaurant abbiegen, zumal samstags, wenn dort die Bundesliga-Fußballspiele im Fernsehen laufen. Alle übrigen Besucher müssen im Zickzack weite Wege durch das ganze Haus zurücklegen. Der Ausgang ist nicht leicht zu finden! Allerdings hat man in den letzten Jahren Abkürzungsmöglichkeiten vorgesehen, um den Kund(inn)en, die nur einen kleinen Bilderrahmen kaufen möchten, den gesamten Durchlauf zu ersparen und sie nicht zu verärgern. Ansonsten laufen die Kunden ständig auf neue Produkte zu, was sie schneller zugreifen lässt. Und das Zugreifen ist ebenfalls durch einen psychologischen Kniff erleichtert worden: Die Kunden tragen große Einkaufstüten mit langen Schlaufen über der Schulter und haben so beide Hände frei. (vgl. KLINGNER/STADLER 2007) Gleichzeitig zu größerer Bequemlichkeit, bes-
3.4 Wahl des Standorts
121
serer Orientierung und höherer Aufmerksamkeit tragen auch sogenannte Deko-Punkte bei. Deko-Punkte sind Podien, auf denen aktuelle Ware in einem abgeschlossenen thematisierten Bild vorgestellt wird, und um die herum die entsprechende Ware, meist in Stapelform, platziert wird. Hohe Aufmerksamkeit vermögen sogenannte Lichtwerfer zu erzeugen. Dies sind Projektionsgeräte, die im permanenten Wechsel bestimmte Schriftdias auf Wände oder Böden projizieren. Warenhäuser nehmen diese wegen der Bildwechsel optisch auffällige Informationsmöglichkeit wahr, um die Kunden „still und heimlich“ auf special services hinzuweisen: das eigene Kreditbüro im Hause, Computer-Kurse, Restaurant-Angebote, Flugreisen usw. Ein Schriftzug, der im Bodenbereich unmittelbar vor der Rolltreppe aufleuchtet, kann kaum übersehen werden... Mit Hilfe von Musik, Klängen und Geräuschen können einige Kunden, namentlich jüngere, ebenfalls (ab)gelenkt werden: Pop-Musik in der JeansAbteilung; Piepen, Knistern und Knattern in der Videospiele-Abteilung usw. Aber nicht alles ist sinnvoll bei der Kundenlenkung. Werden die sog. Mussartikel in ihrer Platzierung ständig gewechselt, damit die Kunden sich immer wieder auf die Suche machen müssen, dann wird das bei vielen zu Verärgerung führen. Psychologisch wird hier der Gewöhnungseffekt unterschätzt. Oder: Wenn Warengruppen mit hohem Kontaktpotenzial die entlegensten Zonen zugewiesen werden, um diese aufzuwerten, so führt dieses Raffinement keineswegs immer zum Erfolg. „Die Gefahr ist groß, dass die Kunden auf Dauer nicht mitmachen und somit die Frequenz auf allen Flächen letztlich geringer wird“ (BEREKOVEN 1990, S. 297). Ist der originäre Raumwert erkennbar gering, dann müssen ggf. Verbesserungsmaßnahmen getroffen werden: Beleuchtung, Beschriftung, Laufband, Orientierungsleuchtleisten, überraschende Formen usw. Daraus ergeben sich die derivativen Raumwerte, die dann Ausgangspunkt für Platzierungs- und Präsentationsstrategien sind. Was die überraschende Formgebung betrifft, so sind aus wahrnehmungspsychologischer Sicht sowohl sogenannte „Prägnanzfaktoren“ wie Symmetrie und Geschlossenheit als auch ungewöhnliche Formen wie schräge Tischgestelle oder Regalpfosten oder nichtlineare Begrenzungsverläufe wichtig. Beides – bessere Orientierung und höhere Aufmerksamkeit – erhöht die Wahrnehmungsbereitschaft. Wie schwierig die optimale Ladenaufteilung und Warenverteilung im Verkaufsraum ist, wird am Beispiel der Verbundbeziehungen besonders deutlich. Einige Verbundbeziehungen sind offensichtlich, vor allem die Beziehungen des Bedarfsverbunds. Hemden und Krawatten am gleichen internen Standort nebeneinander zu platzieren, kann eine psychologisch sinnvolle Entscheidung bedeuten, da sie dem Kunden Beschaffungsbequemlichkeit bietet. Aber auch ihre räumliche Trennung kann psychostrategisch begründet werden: Dann müssen die am Verbundkauf interessierten Kunden von der Hemdenabteilung zur Krawattenabteilung wandern, d.h. einen Suchweg mit allen Verlockungen zum Impulskauf antreten. Andere Verbundbeziehungen (Kaufverbund) müssen erst systematisch ermittelt werden, z.B. durch Beobachtung des Kundenlaufs in Verbindung mit Auswertung von Kassenzetteln. Wird auf diese Weise nicht nur eine signifikante Korrelation beispielsweise von Sakko- und Hosenkauf, angenommen in Höhe von 0,85, festgestellt, sondern werden auch noch „Übergangswahrscheinlichkeiten“ für die Kaufreihenfolgen a) vom Sakko- zum Hosenkauf in Höhe von 91,7 und b) vom Hosen- zum Sakkokauf von 0,24 festgestellt, dann stehen wiederum die beiden Platzierungsprinzipien zur Verfügung: räumliche Nähe oder räumliche Trennung. Das erste Prinzip kommt der Kundenbequemlichkeit entgegen, auch den eiligen und ungern einkaufenden Kunden. Sie verlassen das Geschäft aber auch rasch wieder, Folgekäufe und Impuls-
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
käufe werden rar. Das zweite Prinzip stört die geduldigen, gern suchenden und „einkaufsbummelnden“ Kunden wenig, sie verweilen gern länger im Geschäft, aber die rationell einkaufenden Kunden werden das Geschäft vielleicht beim nächsten Mal meiden. Zwei Prinzipien, zwei Kundenmentalitäten und Motivationen – und schon ist die Frage offen, wie Stammkunden nachhaltiger gewonnen werden können. Ein psychologisch geschicktes Mittel der handelsbetrieblichen Verkaufsförderung und zugleich der qualitativen Flächenzuteilung ist in der Zweit- oder Mehrfachplatzierung zu sehen, die insbesondere in den SB-Geschäften angewandt wird. Da in ihnen kein höflicher Verkäufer mehr seine angelegentliche Empfehlung für einen bestimmten Artikel aussprechen kann, ersetzt die zwei-, drei- oder mehrfache Platzierung des gleichen Artikels an verschiedenen Standorten jenen persönlichen Nachdruck. Die Kontaktwahrscheinlichkeit wird erhöht; womöglich löst die zweite oder dritte Begegnung mit dem Artikel die erwünschte Begehrlichkeit aus; vielleicht löst der zweite oder dritte Kontakt aber auch unbewusst eine Verstärkung des anfänglich nur schwachen Erwerbwunschs aus. Oder es kommt anders als man (als Handelsmanager) denkt: Der Kunde ist verärgert oder er durchschaut den Trick und denkt „Mit mir nicht!“ ...
Am verlässlichsten klappt der Reiz-Reaktions-Mechanismus immer noch an einem bestimmten innerbetrieblichen Standort, nämlich an der Kassenzone (Checkout) von SB-Märkten jedweder Größe. „An der Ladenkasse lassen die Kunden ihren Blick über die Angebote schweifen, während sie ungeduldig darauf warten, an die Reihe zu kommen. Das ist der Moment, um schnell noch ein Päckchen Kaugummi, einen Schoko-Riegel oder eine Stange Zigaretten aufs Band zu legen... Erzeugnisse, die durch Werbung bekannt sind, oder ,Quengelware‘ für Kinder sind die Umsatzhits“ (o.V.: Bei Quengelware brummt die Kasse, in: Handelsblatt Nr. 40 v. 3.10.1993, S. 51). Nach Recherchen der Lebensmittel-Zeitung setzte der Handel 1992 allein mit dem blau-rot eingewickelten Überraschungs-Ei von Ferrero, das an jeder SB-Kasse seine Vorzugsplatzierung genießt, ungefähr hundert Millionen Mark um. Die Firma Wrigley beschäftigt 90 Mitarbeiter, die sich Tag für Tag um Montage, Erweiterung und Austausch von 150.000 Ständern mit Kaugummi kümmern. Kaum geringer sind derartige Absatzerfolge in der Warteschlange mit „Fisherman’s Friends“ und den „süßen kleinen Flaschen Alkohol“. Unerreichter Spitzenreiter sind allerdings Zigaretten, und zwar in zweifacher Hinsicht: Ihr Absatz mit 6,3 Prozent des Umsatzes auf nur 0,2 Prozent der Geschäftsfläche ist betriebswirtschaftlich Spitze – aber auch ihre Diebstahlquote in Höhe von 2 Prozent des Zigarettenumsatzes.
3.5 Bestimmung der Organisationsstruktur
3.5
123
Bestimmung der Organisationsstruktur
Jeder Handelsbetrieb hat strategische Entscheidungen über Aufbau- und Ablauforganisation zu fällen, die in einer Wechselbeziehung zueinander stehen. Erfahrungsgemäß sind viele Schwierigkeiten wachsender Handelsunternehmen auf unzureichende Organisation zurückzuführen (vgl. FALK/WOLF 1992, S. 323). Die Schwachstellenanalyse versteift sich dann in der Regel auf Organisationstechnologie. Man darf jedoch vermuten, dass manche Schwierigkeit zumindest zu einem erheblichen Teil auf organisationspsychologischen Mängeln beruht. Die Aufbauorganisation umfasst die Gliederung des Gesamtsystems Unternehmung in Subsysteme (Teilbereiche, Abteilungen, Stellen), die Verteilung der aus der Gesamtaufgabe abgeleiteten Teilaufgaben auf die Subsysteme sowie die Schaffung von Leitungs- und Kommunikationsbeziehungen zwischen den Subsystemen, ggf. auch die Zusammenfassung mehrerer Stellen zu Kollegien. Dazu werden in der Regel mehrere hierarchische Ebenen gebildet, denen weisungsbefugte Instanzen und nicht weisungsbefugte, beratende Stabsstellen mit eindeutigen Über- und Unterordnungsverhältnissen zugeordnet werden. Dazu weiter unten mehr. In jedem Fall handelt es sich bei der Aufbauorganisation um ein zweckrationales Gebilde zur Erreichung der spezifischen Ziele des jeweiligen Handelsbetriebs. L. VON ROSENSTIEL macht mit Recht darauf aufmerksam, dass Menschen vielfältige Wünsche, Motive und Handlungsintentionen haben, die nicht immer dem entsprechen, was die Organisation von ihnen fordert. Folglich müsse das Erleben und Verhalten von Menschen in Organisationen berücksichtigt werden. „Gerade die Abweichungen des Verhaltens von einem SollModell, das sich nur aus zweckrationalen Erwägungen ergibt, machen einen der interessantesten Gegenstände der Organisationspsychologie aus“ (von ROSENSTIEL 1992, S. 11f.). Die Ablauforganisation umfasst die raumzeitliche Strukturierung der zur Aufgabenerfüllung der Unternehmung erforderlichen Arbeits- und Bewegungsvorgänge (Erwin GROCHLA). Durch sorgfältige Analysen müssen sämtliche im Betrieb anfallenden Arbeitsabläufe als Aufgaben beschrieben (Aufgabengliederungsplan) und den Stellen der Aufbauorganisation (Individuen und Arbeitsgruppen) eindeutig zugeordnet werden. Organisationshilfsmittel dazu sind z.B. − Führungsanweisungen, − Betriebsordnungen, − Stellenbeschreibungen, − Arbeitsanweisungen, − Arbeitseinsatzpläne, − Organisationspläne und − Kompetenzverteilungspläne. Derartige Hilfsmittel werden oft in Organisationshandbüchern zusammengefasst. Wie vielfältig psychologische Probleme in beinahe alle Stellen und Arbeitsabläufe hineinreichen, kann nur angedeutet werden: Die Führungsanweisung legt beispielsweise nicht nur allgemein und für alle Mitarbeiter verbindlich die Führungsgrundsätze fest, sondern auch besondere Verhaltensnormen und -rituale für das Management. Es können auch neben der allgemeinen Führungsanweisung besondere Führungsanweisungen für bestimmte Personenkreise (z.B. Abteilungsleiter oder Filialleiter) aufgestellt werden. Hier liegen die weiten Felder des Führungsstils, der Mitverantwortung und der Motivation. Autoritäre oder koope-
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
rative Führung, Einbeziehung in die betrieblichen Entscheidungen oder Ausgrenzung aus betrieblichen Entscheidungen, Gewährung oder Nichtgewährung von materiellen oder immateriellen Anreizen – solche Führungskonzepte bestimmen unmittelbar die psychischen Befindlichkeiten des Managements und der Mitarbeiter. Mitgestaltung der Arbeitsabläufe, Mitverantwortung und Freude an der verantwortlichen Arbeit führen zu intrinsischer Motivation, d.h. Arbeitsfreude und Identifikation mit dem eigenen Unternehmen (Wir-Gefühl) erwachsen aus der Arbeit selbst und aus der Einsicht in ihre Sinnhaftigkeit. Aber selbst mancher erfahrene Manager empfindet im Laufe der Zeit seine Arbeit als nicht mehr spannend und herausfordernd. Von den Möglichkeiten der extrinsischen Belohnung abgesehen, die ohnehin nicht fortwährend aufgestockt werden kann, bietet sich als eine intrinsische Belohnung die Erweiterung des Aufgaben- und Verantwortungskreises (job enrichment) an, beispielsweise Verkaufsbetreuung eines besonderen Absatzgebiets, Verkäuferschulung oder Organisation von special events. Das psychologische Verstärkungsprinzip kann hier direkt angewendet werden: Verstärkung des Erfolgserlebnisses. Unternehmen jedoch, welche die intrinsische Motivation des Managements und der Mitarbeiter vernachlässigen, bauen wirksame Barrieren für organisationales Lernen auf (LIEBMANN/ZENTES 2001, S. 842), d.h. sie nutzen nicht die Wettbewerbsvorteile, die sich aus der Wissensverbreiterung durch Einbeziehung aller Mitarbeiter ergeben und deren ein fortschrittsfähiges Handelsunternehmen in der sich rasant verändernden Umwelt bedarf. Eine schwierige Aufgabe für die Ablauforganisation stellt im Einzelhandel die prinzipiell nicht exakt vorhersehbare Inanspruchnahme der Kapazität durch die Kundschaft dar. Die einzelhandelstypischen Umsatzschwankungen (Saison-, Monats-, Wochen- und Tagesschwankungen) sind nur zu einem Teil planbar und können auf der Basis von Erfahrungswerten nur annähernd in täglichen Arbeitseinsatzplänen berücksichtigt werden. Es treten immer wieder unvorhergesehene Unter- und Überbelastungen auf, die sowohl beim Verkaufspersonal als auch bei der Kundschaft psychische Ungleichgewichte auslösen können. Beides wirkt sich ungünstig auf die Arbeitsfreude des Verkaufspersonals aus: Unterbeschäftigung in Zeiten fehlenden oder geringen Kundenzuspruchs ebenso wie Überlastung durch zu starken Kundenverkehr. Solche Schwankungen in der personellen Kapazitätsauslastung können nur begrenzt durch Teilzeitkräfte, Aushilfen oder Springer ausgeglichen werden. Von Kunden werden beide Situationen als unangenehm empfunden, sei es das ungute Gefühl, dass drei, vier unbeschäftigte Verkäufer nur darauf warten, ihr Talent auf den einsamen Kunden zu konzentrieren, sei es der bedrückende Gedanke, dass ausgerechnet der kaufwillige Kunde nun vernachlässigt werden soll. In der Kumulation mit dem Stress der rush hour machen sich leicht Verkaufs- und Einkaufsstress bemerkbar. An Haupteinkaufstagen, vor Feiertagen, insbesondere im sog. Weihnachtsgeschäft, sind derartige Stress-Situationen weitverbreitet: Emotionale und motivationale Unordnung beginnen sich höchst unangenehm bemerkbar zu machen als seasonal affective disorder (SAD), wechselseitige Schuldzuweisungen werden gedacht, wenn nicht ausgesprochen, das Verhältnis Verkäufer/Kunde ist schnell gestört. Mit Ausnahme von Kleinbetrieben, bei denen vielfach sämtliche betriebliche Aufgaben vom Inhaber wahrgenommen werden, stehen den Handelsunternehmen für die Leitungsstrukturierung und Aufbauorganisation unterhalb der Ebene der Unternehmensführung mehrere Gliederungsprinzipien zur Verfügung, die z.T. kombiniert werden können: − Funktionale Gliederung (Verrichtungsprinzip),
3.5 Bestimmung der Organisationsstruktur
125
− Warengruppengliederung (Objektprinzip), − Regionale Gliederung (Regionalprinzip) und − Matrix-Gliederung (Matrixprinzip).
Unternehmensführung
E1
Sekretariat
Marktforschung Warenwirtschaft und Controlling
E2
E3
Verwaltung, Finanzen und Rechnungswesen
WG Textilien/ Bekleidung
WG Hausrat/ Kleinmöbel
Verkauf und Werbung
WG Unterhaltungselektronik
Einkauf und Lager
WG Papier/ Bürobedarf
Abb. 16: Aufbauorganisation für ein Kaufhaus
An dem stark vereinfachten Beispiel eines Stab-Linien-Systems für ein mittleres Kaufhaus sei die Kombination aus funktionaler (E2) und Warengruppen-Gliederung (E3) unterhalb der Ebene der Unternehmensführung (E1) verdeutlicht (Abb. 16). Auf weitere Untergliederungen, z.B. in Abteilungen (E4) und Kassenbereiche (E5), wie sie für verbindliche Organisationsschemata in der Praxis erforderlich werden können, sei hier nicht weiter eingegangen. Im vorstehenden Beispiel sind die Kompetenzen eindeutig geregelt. So untersteht z.B. jeder Leiter einer Warengruppe „in der Linie“ unmittelbar dem Leiter des Funktionsbereichs Verkauf und Werbung. Für Konzerne und Großunternehmen (Warenhäuser; Großhandlungen) bietet sich die sog. divisionale Organisation an. Hier wird bei der Bildung der zweiten Hierarchieebene ein Gliederungsprinzip, meist die Objektgliederung angewendet; auf den folgenden Ebenen wird meist das Liniensystem (mit oder ohne Stäbe) befolgt, wobei verschiedene Gliederungsprinzipien zur Anwendung kommen können.
126
3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
E1
Unternehmensführung
Sekretariat
Marktforschung Warenwirtschaft und Controlling
E2
E3
E4
Sparte Textil/ Bekleidung
Sparte Hausrat/ Kleinmöbel
Verwaltung, Finanzen und Rechnungswesen
VK-Leiter Stammhaus
Sparte Unterhaltungselektronik
Sparte Papier/ Bürobedarf
Verkauf und Werbung
Einkauf und Lager
VK-Leiter Filiale A
VK-Leiter Filiale B
Abb. 17: Spartenorganisation mit funktionaler und regionaler Untergliederung
Die auf der ersten Ebene entstehenden Geschäftsbereiche (Sparten, Divisionen) operieren als quasi-autonome Teileinheiten, d.h. der jeweilige Geschäftsbereichsleiter ist weitgehend autonom und verantwortlich für alle mit seinem Objektbereich (z.B. Textilien) verbundenen Funktionen (Einkauf, Verkauf, Lagerung, Verwaltung). Ist eine solche Division für ihren Erfolg weitgehend selbst verantwortlich, dann spricht man vom Profit Center; obliegt ihr auch die Entscheidung über die spartenbezogenen Investitionen, dann spricht man vom Investment Center. Das Beispiel in Abb. 17 zeigt einen Ausschnitt aus einem einfachen Grundmodell der divisionalen Organisation für ein Kaufhaus mit zwei Zweigniederlassungen mit funktionaler (E3) und regionaler (E4) Gliederung auf den der Sparte Unterhaltungselektronik (E2) folgenden Hierarchieebenen.
3.5 Bestimmung der Organisationsstruktur
127
Unternehmensführung
Sekretariat
Marktforschung Warenwirtschaft und Controlling
Verwaltung, Finanzen und Rechnungswesen
Verkauf und Werbung
Einkauf und Lager
WG Textilien/ Bekleidung WG Hausrat/ Kleinmöbel WG Unterhaltungselektronik WG Papier/ Bürobedarf Abb. 18: Matrixorganisation für Warengruppen- und Funktionsbereiche
Für viele mittlere und große Handelsbetriebe bietet sich die Matrixorganisation an. Wie das Beispiel erkennen lässt, entsteht an den Kreuzungspunkten eine aufgabenbezogene (nicht disziplinarische) Doppelunterstellung. Somit ist für jede Stelle bewusst ein Abstimmungsund Einigungszwang zwischen je zwei Instanzen eingebaut. (Abb. 18) Im Beispiel muss sich etwa der Warengruppenspezialist Textilien bei allen seinen Entscheidungen mit den Verrichtungsspezialisten der Funktionsbereiche Finanzen, Werbung und Einkauf abstimmen. Entsprechend muss sich der Lagerleiter permanent mit allen objektbezogenen Warengruppenleitern abstimmen und einigen usw. Vor besonderen organisatorischen Problemen stehen Filialunternehmen und Verbundzentralen. Beide stehen grundsätzlich vor der Entscheidung Zentralisation oder Dezentralisation. Die Vorteile der Zentralisation liegen vor allem auf beschaffungs- und lagerwirtschaftlichem Gebiet. Als Zentralisierungsvorteil ist auch die Möglichkeit der Beschäftigung von Spezialisten (EDV, Controlling, Marktforschung, Werbung) zu sehen. Hier wäre u.U. auch die Beschäftigung von Handelspsychologen zu bedenken. Als Nachteile können sich Gefahren der Bürokratisierung und Schematisierung der Beschaffungsvorgänge sowie der Unterbrechung
128
3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
des Erfahrungsaustauschs zwischen den Lieferanten und den Verkaufsabteilungen einschleichen. Als Vorteile der Dezentralisation sind vor allem die Möglichkeit größerer Flexibilität und gezielter Reaktion auf das Konkurrenzverhalten vor Ort zu sehen, je nach Verantwortungsdelegation aber auch die höhere Motivation von Filialleitern. Beispielsweise betrieb die Rewe-Gruppe nach Jahren der Führungsquerelen und häufiger Strategiewechsel im Herbst 2006 die Abkehr von zentraler Steuerung, die einem genossenschaftlichen Unternehmen nicht gut bekommen musste, und eine erfolgreiche Hinwendung zu dezentraler Verantwortung und Entscheidungskompetenz. „Die Reformen greifen, und auch bei den Mitarbeitern ist Ruhe eingekehrt“, wie der an der Rewe-Spitze stehende Alain CAPARROS kommentierte (FAZ Nr. 73 v. 27.3.2007, S. 16). Schließlich kann durch eine dezentrale Beschaffung bzw. Mitwirkung bei der Beschaffung den Kundenwünschen eher entsprochen werden als beim reinen Zentraleinkauf. Nachteile entstehen jedoch zwangsläufig, wenn keine reibungslos laufende Information der Einkaufsabteilung durch den Verkauf institutionalisiert wird. In der Praxis finden sich meist Mischformen. Im Warenhausbereich z.B. haben sich aus Wirtschaftlichkeitserwägungen organisatorische Lösungen mit Zentraleinkauf von Hartwaren und dezentralem Einkauf von Lebensmitteln oder mit Kopffilialen und bis zu fünf Anhängefilialen herausgebildet, wobei das Sortiment der Anhängefilialen kleiner als das der Kopffiliale ist und die logistischen Verbindungen vertretbar sein müssen. In Verbundsystemen des Handels wie Freiwilligen Ketten, Warenhandelsgenossenschaften und FranchiseSystemen übernehmen – ähnlich den stärker zentralisierten Filialunternehmen – die Systemköpfe Merchandising-, Operating- und Koordinatorfunktionen (vgl. TIETZ 1993a, S. 964). Dass in Franchise-Systemen die organisatorische Gegenleistung für die Zahlung der Franchisegebühr, auch hinsichtlich Schulung und Werbung, nicht immer ausgewogen ist, weiß man im Deutschen Franchisenehmer-Verband (DFNV). So hat schwaches Management der Systemzentralen bereits zu Insolvenzen geführt (Ihr Platz). Und von den im Herbst 2006 befragten 295 Subway-Franchisenehmern gaben nur 42 Prozent an, mit dem System insgesamt zufrieden zu sein (FAZ Nr. 65 v. 17.3.2007, S. 15). Unternehmen, die auf das Konzept der Selbstorganisation (Autopoiese) setzen, bei der alle beteiligten Akteure ihre Fähigkeiten voll einbringen können, zählen gewiss zu den seltenen Ausnahmen. Dieses junge Konzept der Autopoiese beruht auf der von Psychologen entwickelten kognitivistischen Theorie selbst lernender Organisationen. In diesem Zusammenhang ist der Erfolg der dm-Drogeriemäkrte beachtlich. Unter dem Leitbild einer organischen Unternehmensführung hat Götz W. WERNER auf die positiven langfristigen Änderungspotenziale von Kunst gesetzt: dm organisiert sich zumindest in Teilen selbst – nach dem Vorbild eines künstlerischen Prozesses. Es ist verständlich, dass in den Außen- und Innenbeziehungen des komplizierten Gefüges Handelsbetrieb, das immer auch ein soziales Gefüge ist, allenthalben psychologische Probleme auftreten, die erkannt und gelöst werden müssen. Was die organisatorische Einbindung einer „Psycho-Instanz“ betrifft, so bieten sich mehrere Möglichkeiten an, die allerdings eine gewisse Unternehmungsgröße voraussetzen: 1. Denkbar wäre als weitest gehende Lösung eine zentrale oberste Instanz mit psychologischer Kompetenz, eine Art Psycho-Controlling. Sie müsste eine Querschnittskompetenz durch sämtliche Funktions- und Verrichtungsbereiche verbürgen, organisatorisch in der Linie auf der ersten Hierarchieebene unterhalb der Geschäftsleitung verankert. Eine sol-
3.5 Bestimmung der Organisationsstruktur
129
che zentrale Instanz würde als Filter fungieren, in dem sämtliche Entscheidungen psychologisch überprüft und ggf. verbessert werden – eine bislang noch nicht realisierte Organisationsform. Nach aller Wahrscheinlichkeit wird man hierfür weder einen AllroundPsychologen-Manager finden noch würde eine Person ausreichen. Die Filterfunktion könnte ggf. einem psychologisch geschulten Führungs- und Beratungsteam übertragen werden. 2. Weniger utopisch (Utopie im Sinne Ernst BLOCHs als das noch nicht realisierte Realisierbare verstanden), jedoch ähnlich umfassend wäre die Anbindung einer solchen psychologischen Führungs- und Beratungsstelle als Stabsstelle der Geschäftsleitung. Sie könnte von Fall zu Fall Projekte, Management- und Marketingplanungen, Personalschulung usw. psychologisch begleiten. Wenn fortschrittliche Handelsunternehmen bereits einen Umweltberater mit breitem Aufgabenspektrum engagieren oder im Rahmen des betrieblichen Vorschlagswesens einen Ideenpool organisieren, dann wäre die Institution eines psychologischen Beraters bzw. Beraterstabs mit umfassendem Aufgabenspektrum gewiss nicht weniger nützlich. 3. Besonders sinnvoll, relativ einfach und den Erfordernissen der modernen Arbeitsteilung entsprechend wären spezialisierte „Psycho-Stäbe“ bei einzelnen Instanzen der oberen Hierarchieebenen. Einige Großunternehmen verfügen längst über Betriebspsychologen im Funktionsbereich Personal (Einkäufer-/Verkäuferschulung; Assessment CenterBegleitung; Beratung bei Suchtproblemen und Ladendiebstahl) oder über Werbepsychologen in den Funktionsbereichen Verkauf und Werbung. Andere holen psychologische Kompetenz in die Abteilung Marktforschung. Was – wenn nicht ein Mangel an Fachpsychologen – spricht dagegen, jeden Funktions- und Verrichtungsbereich, zumindest einige, mit psychologisch geschulten Fachkräften zu besetzen? Der Aufwand für einen festangestellten Handelspsychologen kann jedenfalls nicht von vornherein dagegen sprechen, allenfalls nach einer Ergebniskontrolle mit betriebswirtschaftlich negativem Ausgang. Aber hier liegen wohl eher ungehobene Schätze. Was für Konsumgüterhersteller empfohlen wird, nämlich die Einrichtung einer Kontaktstelle für Konsumenten, die so zu Wiederkauf und Markentreue bewogen werden und deren Nachkauf-Dissonanzen so abgebaut werden sollen (vgl. SCHUCHARD-FICHER 1979, S. 216f.), gilt erst recht für Einzelhandelsbetriebe (denen sogar ein Markenwechsel gelegen kommt, wenn nur die Firmentreue gestärkt wird). Aus psychologischer Sicht sind alle organisatorischen Vorkehrungen und Hilfsmittel von Belang, die die Wünsche und Interessen der Marktpartner aufgreifen und insbesondere den Kunden als mündigen Partner betrachten. Die für den Handelsbetrieb als Selbstverständlichkeit empfundene Maxime, nicht jede Organisationseinheit für sich zu optimieren, sondern den betrieblichen Gesamtprozess zur Befriedigung der Kundenwünsche zu optimieren, wird neuerdings Industrieunternehmen von M. HAMMER und Ch. CHAMPY als reengineering empfohlen. Informationsstände, Service-Theken, Verbraucher-Foren, Garderoben, Verwahrung von Einkaufstaschen, Schließfächer, Bequemlichkeitsecken, Sitzbänke – mit Lehne und nicht ohne (wie in US-amerikanischen Mega-Malls) –, Ruhezonen, Kinderhorte, Kaffee-, Milch- oder Sektbar, Wegweiser, Ideenzentren – alles das sind organisatorische Hilfsmittel, um den Kunden die Orientierung im Laden zu erleichtern bzw. den Einkauf oder nur den Schaufensterbummel (window shopping) angenehmer zu gestalten. Und wenn für 64 Prozent der Hausfrauen, wie eine Umfrage ergab, ihr wöchentlicher Einkauf von Lebens-, Wasch-,
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
Putzmitteln und Getränken kein anregendes Einkaufserlebnis, sondern Mühsal bedeutet und sie eine Abneigung gegen das Suchen, Warten, Einpacken und Zahlen an der Kasse entwickeln, dann müssen ggf. psychologische Auffangstrategien realisiert werden: Self-Scanning mit geringeren Wartezeiten an der Kasse, Bezahlung mit Kreditkarte oder Kundenkreditkarte, Teleshopping oder Hauszustellung beispielsweise, vor allem ein gut funktionierendes Beschwerdemanagement. Nach Meinung der Anderson Consulting Unternehmensberatung muss die gesamte Organisation näher zum Kunden hin bewegt werden. Und nicht nur aus den Bereichen des Kundendienstes, sondern auch des Lieferantendienstes vermag manches dank geschickter organisatorischer Lösung die Attraktivität des Handelsbetriebs zu erhöhen. Allerdings sind Mentalitätsbesonderheiten zu berücksichtigen. Nicht alles, was in fernen Ländern ausgedacht und institutionalisiert wird, wird in Europa auf Gegenliebe stoßen. So sind aus amerikanischen Supermärkten z.B. Verbraucher-Beiräte bekannt. Ob so etwas hierzulande, wo es keine consumerism-Bewegung gegeben hat, als günstige vertrauenbildende Maßnahme kopiert werden kann, ist mehr als fraglich. Oder: Die Mall of America in Minneapolis/St. Paul – mit 420.000 qm Verkaufsfläche das zweitgrößte Shopping Center der Welt – hat einen eigenen Wanderverein: Die im ersten Jahr nach Eröffnung im August 1992 geworbenen 2.000 Mitglieder-Besucher melden sich an einer Stempeluhr an und ab. Für 50 Stunden Walking gibt’s eine Baseballmütze, für 90 Stunden ein bedrucktes T-Shirt („I walked 90 hours“), für 150 Stunden schließlich einen 35-Dollar-Gutschein von Sears. Das Sozialprestige eines Main-Taunus-Center-Marathon-Kunden dürfte eher im Negativbereich liegen ... Wie die jungen hübschen Damen im Kimono, die in japanischen WeltstadtWarenhäusern jeden Besucher an der Rolltreppe mit artigen Verbeugungen begrüßen und dort als selbstverständliche Traditionsgeste erwartet werden, hierzulande empfunden würden, ist auch vorstellbar; die Skala der psychischen Regungen würde vermutlich von purem Mitleid bis zum Vorwurf der Verschwendung reichen. Schließlich ist Vorsicht geboten bei manipulativen Maßnahmen, die den einzelnen Kunden mechanistisch als bloßen Zustimmer/Ablehner der angebotenen SB-Organisation betrachten. Aus der Sicht des Marktleiters mögen überdimensionierte Einkaufswagen psychostrategisch richtig erscheinen. Wenn neue, größere Einkaufswagen zu höheren durchschnittlichen Einkaufsbeträgen führen, wird die betriebswirtschaftliche Richtigkeit bestätigt. Aber wer kennt die Unlust, die (unterdrückte) Aggression bei vielen Kunden, die sie nicht artikulieren können, wenn sie vor diese Ja-Nein-Entscheidung gestellt sind? Wie kundenfreundlich und psychologisch geschickter wäre die Bereitstellung von Einkaufswagen mit unterschiedlichem Volumen!
3.6
Bestimmung der Einrichtungsgestaltung
Die Einrichtungsgestaltung eines Einzelhandelsgeschäfts dient zwar in erster Linie dem rationellen Betriebsablauf, sie kann aber auch vorzüglich als psychostrategisches Instrument der Verkaufsförderung und der Attraktivitätserhöhung genutzt werden. Die mehr auf Flexibilität, Variierung und kurzzeitige Aktionen abstellenden psychotaktischen Instrumente der Ladengestaltung werden im Abschnitt 4.3 näher untersucht. Die langfristig konzipierte und das Gesamtbild des Geschäfts prägende Einrichtungsgestaltung muss zwar in logistischer Hinsicht den Anforderungen an Fassungsvermögen, Belastungsfähigkeit und Variabilität
3.6 Bestimmung der Einrichtungsgestaltung
131
genügen (vgl. DÖHMANN 1982, S. 211f.), sie kann aber auch über psychische Prozesse ein bestimmtes Verhalten (Tun oder Unterlassen) der Kunden auslösen. So können z.B. Artikelzusammenfassungen zu Bedarfsgruppen („Alles für das Kind“, „Alles für die Freizeit“, „Alles für den Garten“, „Der gedeckte Tisch“, Do-it-yourself-Abteilung usw.) nicht nur die Übersichtlichkeit über das Warenangebot fördern, sondern auch zu spontanen Verbundkäufen (ver)führen. Grundsätzlich dient die individuelle Einrichtungsgestaltung wie die gesamte innere und äußere Gestaltung eines Einzelhandelsgeschäfts der Abhebung von der Konkurrenz, der Profilierung, und damit zugleich der Verankerung im Langzeitspeicher der Kunden. Je einprägsamer, gestaltfester die Laden- und Einrichtungsgestaltung, ggf. sogar durch künstlerische Elemente individualisiert, ausfällt, desto fester bleibt sie den Kunden in Erinnerung und desto eher werden sie bei aufkommendem Bedarf dieses Geschäft wieder aufsuchen (FRANKE/KÜHLMANN 1990, S. 403f.). Schränke, Regale, Verkaufsständer, kurz: alle Warenträger des Ladenmobiliars werfen bereits hinsichtlich ihrer Größe aus psychologischer Sicht antinomische Probleme auf: Einerseits können über 1,60 m hohe Warenträger in der Ladenmitte den Verkaufsraum in kleinere abteilungsähnliche Zonen einteilen, die Behaglichkeit, Nestwärme ausstrahlen und einen Eindruck von Intimität vermitteln. Andererseits erschweren sie für das Verkaufs- und Aufsichtspersonal den Überblick über die Kundschaft (Diebstahlsgefahr). Bei Warenträgern unter normaler Augenhöhe laufen händlerisches und Kundeninteresse weitgehend parallel: Die Gefahr von Ladendiebstählen wird gemindert, und für den Kunden wird die Einkaufsstätte scheinbar größer, jedenfalls übersichtlicher. Hochaufragende Warenträger mit vertikaler Anordnung der Sorten eines Artikels eignen sich wiederum ausgezeichnet zur bedarfsorientierten Gliederung der präsentierten Warenalternativen. Mit farblicher Unterstützung verschiedener Segmente und mit Regal-Überschriften für wichtige Themengruppen glauben z.B. die Presse-Grossisten ein Modell der Regaloptimierung für den Zeitschriftenvertrieb gefunden zu haben. Hochaufragende Warenträger können aber bei einigen Kunden auch ein Gefühl der erdrückenden Fülle, der eigenen Orientierungs- und Hilflosigkeit erzeugen. Und wenn durch Lichtschranken oder Kontaktplatten im Boden plötzlich, von Passanten u.U. gar nicht gewollt, Eingangstüren sich öffnen oder Lautsprecherdurchsagen ausgelöst werden, sind die einen begeistert, die anderen womöglich entsetzt. Einfache Reiz-ReaktionsMechanismen sind jedenfalls in Anbetracht unterschiedlicher Kundenmentalitäten und -erwartungen nicht anzunehmen (vgl. LARSON/ WEIGAND/WRIGHT 1976, S. 74). Ein weites Feld für psychostrategische Entscheidungen bei der Einrichtungsgestaltung sind die verwendeten Materialien, Farben und Formen. Dem Raffinement sind kaum Grenzen gesetzt. Dabei ist eine psychologische „Feindosierung“ der Gestaltungselemente möglich, die individuell und sehr differenzierte Anpassung der Ladeneinrichtung an Firmenphilosophie, Branche, Sortiment, Standort und Kundensegmente. Die Ladeneinrichtung – längst ein Betätigungsfeld für Innenarchitekten und Ladenbauer als Spezialisten – ist womöglich der psychologische „Schlüssel zum Verbraucher“ (P. KAUFMANN): Je nach individueller Anforderung bietet sie ein stimmungsintensives Ambiente, unterstützt sie die persönliche Identifikationssehnsucht des Kunden, gewährt sie die Realität von Traumwelten (z.B. durch Filmvorführungen oder durch Fototapeten) – für manchen Kaufsüchtigen geradezu die gesuchte halluzinogene Wirkung. Die meisten Kunden haben aus langjähriger Erfahrung ein bestimmtes Erwartungsniveau verinnerlicht, und zwar recht spezifisch für verschiedene Branchen und Betriebsformen. Daher ist ladengestalterische Differenzierung geboten. Dem
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
Erwartungsniveau der Kunden muss zumindest entsprochen werden. Günstiger ist es, dieses noch zu übertreffen. Bei den Discountern kann die Ladengestaltung nicht schlicht genug sein, um überzeugend zu wirken, während ein Juwelier exklusive Pretiosen auch exklusiv präsentieren muss, etwa durch wertvolles Mahagoni-Mobiliar, hell beleuchtete Kristallglasvitrinen und blaue Samtunterlagen für die edlen Schmuckstücke. Ein Spielwarengeschäft muss andere Bauelemente berücksichtigen: Regale im Shop-in-shop-Manier, altersgruppierte Artikel, Lese- und Spielecken usw. Oder die Ladengestaltung verblüfft durch optische Täuschung, z.B. durch Spiegelwände und -decken. Zum rechten Ambiente tragen insbesondere Accessoires aller Art bei. Die Kundin oder der Kunde, die ihr Heim mit Blumen, behaglichen Sitzmöbeln, Bildern und Kerzenleuchtern „schön“ einrichten, fühlen sich auch in entsprechend behaglich eingerichteten Geschäftsräumen wie zu Hause. Ein Herrenausstatter in Essen kommt solchen Identifikationswünschen beispielsweise durch ein von Pflanzen umrahmtes Ledersofa in der Lederwarenabteilung, durch ein Segelboot in der Abteilung für Segelbekleidung und durch einen eleganten Spiegeltisch mit Goldrand (als Blickfang in der Mitte des Verkaufsraums) entgegen. In anderen Fachgeschäften lenkt ein Oldtimer im Raumzentrum die begehrlichen Blicke der Väter ebenso auf sich wie das überlebensgroße Stofftier die staunenden Augen der Kinder. Im Innsbrucker DEZ-Einkaufszentrum lockt die außergewöhnliche Filiale eines Caféhauses: Auf die besondere Standortsituation ausgerichtet, werden hier vollständige Menüs angeboten. Der Clou ist eine Schauküche, in der die Speisen vor den Sinnesorganen des Gastes zubereitet werden. Optisch verführerische Arrangements der Speisen und verlockende (leicht abgemilderte) Düfte wecken den Appetit, wobei die Kochkünste selbst die Aufmerksamkeit solcher Besucher finden, die eigentlich gar keine Einkaufspause einlegen wollten ... In strategischer Hinsicht geht eine nicht zu unterschätzende Gefahr bei der Wahl der Einrichtungsmaterialien, -farben und -formen von modischen Trends in der Innenarchitektur aus. Postmoderne Gestaltungselemente im Ladeninneren, elegante, aber kalte Marmorböden, asymmetrische Warenträger, eine Vielfalt von Bau- und Mobiliarmaterialien – das alles kann den Eindruck von Distanz, Verlorenheit, Kühle und Gleichgültigkeit hervorrufen und Kunden abschrecken, die Nähe zu Waren und Personal, Geborgenheit, Wärme und Engagement erwarten oder suchen. Dieser Gefahr konnte die 1993 eröffnete postmoderne Kölner Zweigniederlassung des Münchner Kaufhauses Beck nicht entgehen. Sie musste 1995 wieder geschlossen werden. Die Einrichtungsgestaltung muss stets die Abstimmung auf das Gesamtkonzept des Handelsmarketings beachten, sollen keine Brüche in der Wahrnehmung entstehen. Mangelnde Waren- und Dienstleistungsqualität kann nicht durch luxuriöse Einrichtungsgestaltung vertuscht werden. Und spartanische Einrichtung, Verzicht auf Dekor und jedweden Service erzeugen ebenfalls keine Kundenzufriedenheit, wenn damit nicht auch wirklich Discountpreise verbunden sind. Die denkbar schlechteste, Zweifel an der Glaubwürdigkeit und innere Spannungen auslösende Maßnahme stellt die Mischung aus unvereinbaren Elementen dar, etwa der Fensteraufkleber „Wir haben Discountpreise“ für ein exklusives Fachgeschäft. Ein einziger Enttäuschung bereitender Einkauf kann dann dort der letzte gewesen sein.
3.7 Wahl der Verkaufsform
3.7
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Wahl der Verkaufsform
Je nachdem, mit welcher Betriebsform oder mit welcher Betriebsformen-Kombination das Handelsunternehmen tätig ist, je nachdem, welcher Vertriebskanal gewählt wird, d.h. wie die Interaktion mit den Kunden stattfindet – im stationären, ladenbezogenen Handel, im Versandhandel, in Internet-Handel oder (Internet-)Auktionen –, sind grundlegende Entscheidungen über die zu wählende Verkaufsform zu fällen. In diese strategischen Entscheidungen müssen zwangsläufig psychologische Erwägungen eingehen, auch wenn sich Handelsmanager dessen nicht immer bewusst sind. In der Regel werden rein betriebswirtschaftliche Erwägungen angestellt, insbesondere kostenwirtschaftlicher Art, z.B. Personalkostenersparnis, rationelle Organisation, Senkung der Logistikkosten, Weiterwälzung von Manipulationskosten bei Selbstbedienungssystemen usw. Tatsächlich jedoch gewähren die verschiedenen Interaktionsformen den Kunden recht spezifische Annehmlichkeiten kognitiver Art, die zu beachten sind. Im Wesentlichen sind dies (a) im stationären Handel: zwanglose Wareninspektion (browsing), körperlicher Kontakt mit der Ware, persönlicher Service, Barzahlung, Unterhaltung, Sozialkontakte; (b) im Versandhandel: Bequemlichkeit (Bestellung rund um die Uhr), Tragbarkeit und wiederholte Nutzung des Katalogs, Sicherheit, visuelle Warenpräsentation und Warenbeschreibung; (c) im Internet-Handel und bei Internet-Auktionen: Bequemlichkeit, große Auswahl, Detailinformation (Bedienungsanleitung, Bewertungen von Käufern), Personalisierung (Kaufvorschläge gemäß Kundenprofil, gezielte Informationen zur Problemlösung); autonome Auktionspreisbestimmung. Mit den Annehmlichkeiten jedes Vertriebskanals sind auch Begrenzungen verbunden. Handelsunternehmen können sie dadurch überwinden, dass sie mehrere oder alle Vertriebskanäle gleichzeitig nutzen. Was sich in Europa mit zunehmender Tendenz abzeichnet, ist in den USA bereits weit verbreitete Praxis: Multichannel Retailing. „Websites can be used to extend the geographical presence and assortment offered by the store channel. Websites also can be used to update the information provided in catalogs. Stores can be used to provide a multiple sensory experience and an economical distribution capability supporting the electronic channel.” (LEVY/WEITZ 2004, S. 103) Lenkt man das Hauptaugenmerk zurück auf den stationären Handel, dann haben aus psychologischer Sicht alle ihm zur Verfügung stehenden Verkaufsformen, nämlich 1. ausschließlich Bedienung (Fremdbedienung), 2. ausschließlich Selbstbedienung (SB, Voll-SB) mit den Sonderfällen des Automatenverkaufs und des Onlineshops, 3. Teilselbstbedienung (Teil-SB) mit drei Varianten a) SB über das gesamte Sortiment und Mitwirkung des Verkaufspersonals nur auf besonderen Wunsch der Kundschaft, b) SB in Sortimentsteilen und Mitwirkung des Verkaufspersonals nur auf besonderen Wunsch der Kundschaft (Vorwahl, Vorauswahl) und
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
c) SB in Sortimentsteilen ohne Mitwirkung des Verkaufspersonals (in den übrigen Sortimentsbereichen Bedienung), eine Reihe von Vor- und Nachteilen, mitunter sogar ein erhebliches positives oder negatives Reizpotenzial. Auf Besonderheiten der Verkaufsformen des Direktvertriebs, namentlich seine Verkaufsorte (Privatwohnung, Verbrauchermessen, Verkaufswagen, Hotels und Gaststätten) und seine Kontaktanbahnungs-, Kontaktdurchführungs- und Kontakterhaltungsstrategien sei hier nicht eingegangen, soweit es sich um industriellen Vertrieb handelt (vgl hierzu TIETZ 1993b und die umfassende Darstellung des industriellen Vertriebs von WINKELMANN 2006). Ebenfalls sei nur kursorisch darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Verkaufsformen den verschiedenen Arten des Kaufs mehr oder weniger entgegen kommen. Denn die Kaufentscheidungen z.B. eines Konsumenten hängen nicht nur davon ab, welche emotionalen und kognitiven Voraussetzungen er mitbringt, sondern auch von der situativen Umwelt, die ihm in der einen oder anderen Verkaufsform begegnet. Meist ergibt sich aus dem Zusammenspiel beider Faktoren die Art des Kaufs: extensiver Kauf (Suchkauf), impulsiver Kauf (Spontankauf), limitierter Kauf anhand von Urteilsheuristiken oder Gewohnheitskauf (habitualisierter Kauf, Gewohnheitskauf) (Näheres hierzu bei FELSER 2001, S. 70-77). 1. Das Bedienungssystem reizt den größten und spezifischen Vorteil aus, über den Handelsunternehmen gegenüber Herstellunternehmen (mit Ausnahme ihres Direktvertriebs) verfügen: den unmittelbaren Kundenkontakt. Hersteller produzieren grundsätzlich für einen anonymen Absatzmarkt; sie kennen weder die Verwender ihrer Erzeugnisse noch können sie ihre Einkaufsentscheidung unmittelbar beeinflussen. Daraus erklärt sich die aufwändige Sprungwerbung, d.h. die über den Handel hinweg an die Konsumenten bzw. Verwender gerichtete Werbung. Und der psychologische Trick, der Ware einen Garantieschein, ein Werbeblatt oder eine Art Zeugnis über die getroffene Wahl beizulegen – „Sie haben gut gewählt. Wir gratulieren Ihnen zu dem Spitzenerzeugnis XY!“ –, ist der Standard-Versuch, den fehlenden Kontakt scheinbar wiederherzustellen. Im Bedienungshandel besteht jedoch immer die Möglichkeit, die Kunden unmittelbar anzusprechen, ihre Wünsche, ihre Erwartungen, ihre Bedarfsstruktur, aber auch ihre Abneigungen und ihre Ängste zu ermitteln und ihnen entsprechende Beratung zu gewähren (vgl. hierzu MAUSER 1973). Alle Möglichkeiten eines psychotaktisch angelegten Verkaufsgesprächs können ausgeschöpft werden. Sie reichen von der höflichen Einleitungsfrage über die genaue Vorklärung des Kundenwunsches, das überzeugende Vorführen der Ware, den Einsatz der kleinen Überzeugungshilfsmittel (den Kunden selbst mit Papier, Bleistift, Bandmaß, Lupe, Schublehre usw. hantieren lassen) bis hin zur Schilderung der Verwendungsvorzüge der Ware sowie ihrer privaten und gesellschaftlichen Bedeutung für den Besitzer. (Zum „psychologisch richtigen Verkaufen“ vgl. STANGL 1966 und 1978). Der Bedienungshandel kann die wichtigen persönlichen Präferenzen, die die neoklassischen Modelle der vollkommenen Konkurrenz gänzlich ausgeblendet hatten, ausgezeichnet nutzen – vorausgesetzt, entsprechendes Personal steht zur Verfügung. Dabei kann die Personalanziehungskraft durchaus auf unterschiedlichen Gründen beruhen: auf Kompetenz, guter Schulung, vorbildlichen Umgangsformen, Freundlichkeit, Jugend, Reife usw. Dass manche Kundin nicht wegen der modischen Ware, sondern in Wahrheit wegen des gestandenen Mannsbilds von Verkäufer und dass mancher Kunde nicht wegen des strahlenden „klassischen Markenartikels“, sondern in Wahrheit wegen der strahlenden Schönheit der Verkäuferin zu Stammkunden werden, ist kein Geheimnis. Die gar nicht geheimen, aber oft wirksams-
3.7 Wahl der Verkaufsform
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ten Verführer sind immer noch attraktive Verkäufer(innen). Psychologisch noch eine Umdrehung listenreicher ist z.B. die strategische Entscheidung des Herrenausstatters, bewusst weibliches Verkaufspersonal einzusetzen – weil seiner Beobachtung nach Männer in Modefragen bevorzugt von Frauen beraten werden möchten. Aber auch diese Beobachtung ist nicht unbedingt generalisierbar. Mit einem unangenehmen Phänomen muss der Bedienungshandel, insbesondere der Fachund Spezialhandel, leben, ohne dass viel dagegen auszurichten wäre: die skrupellose unentgeltliche Inanspruchnahme des Informationsservice, seiner Beratungs-, Erklärungs- und Vorführdienste durch einige Kund(inn)en, die sich nach entsprechender gründlicher Produktinformation ohne Kauf und meist auch ohne Dank verabschieden – um den einen bedürfnisoptimalen Artikel dann bei irgendeinem billigeren Discounter zu erwerben. Beratungsdienste wie ein öffentliches Gut unentgeltlich in Anspruch zu nehmen, solches Trittbrettfahren (free riding) gibt es in kaum einem anderen Gewerbe, auch nicht bei Freiberuflern, nur im Bedienungshandel. Man muss das einmal erlebt haben: wie sich die gnädige Frau Oberstudienrätin im Werkkunstgeschäft zehn, zwanzig Leinen-Tischdecken ausbreiten, ihre Dessins, ihre Pflege und ihre Fertigungswerkstätten erklären lässt, wie sie nach einer Dreiviertelstunde unentschieden, aber frohgemut mit drei Auswahldecken zum Probieren das Geschäft verlässt und wie sie eine Woche später die benutzte Ware mit dem Ausdruck gehobener Enttäuschung, wenn nicht vorwurfsvoll, wieder zurückgibt: „Nein, das Richtige finde ich bei Ihnen wohl nicht!“ Da nützt der Ratschlag der funktionsgemäßen Kalkulation gar nichts: eine solche Ware im Fall des Kaufs nach dem Ausmaß der Personalinanspruchnahme ggf. höher zu kalkulieren. Tatsächlich besteht eine solche „aufgeklärte“ Kundin eher noch auf einem Preisnachlass. Was hatte Adolph Franz Friedrich Ludwig FREIHERR VON KNIGGE schon 1788 in seiner berühmten Schrift „Über den Umgang mit Menschen“ geraten? „Man enthalte sich, einem Kaufmanne für den geringen Vorteil, der ihm aus einem kleinen Handel mit uns zuwächst, viel Mühe, Zeitverlust und Wege zu machen. Diese Unart ist besonders den Frauenzimmern eigen, die zuweilen sich für tausend Taler Waren auspacken lassen, um nach zweistündiger Beäugelung und Betastung für einen Gulden zu kaufen oder gar alles Gesehene zu schlecht und zu teuer finden.“ Je nach Temperament und psychologischem Feingefühl werden die heutigen angestrengten Verkäufer/innen unterschiedlich auf die langwierige „Beäugelung und Betastung“ und ihre vergebliche Mühe reagieren. Leider gibt es keinen Generaltrick zur Kundenbeeinflussung oder -umstimmung. In derartigen Frust-Situationen muss die Regel Nummer Eins lauten: Ruhe, Nerven, Höflichkeit bewahren! Eine Chance sollte sich das Bedienungsgeschäft allerdings nicht entgehen lassen: Man sollte behutsam versuchen, Anschrift und/oder Rufnummer und/oder E-Mail-Adresse des Kunden zu bekommen, etwa mittels der ehrlichen Offerte, bei Interesse ein- oder zweimal im Jahr ein günstiges Exklusiv-Angebot für Stammkunden zu unterbreiten. Über eine Kundenliste bzw. -datei zu verfügen, ist immer noch das billigste Kapital des kleineren und mittleren Fachgeschäfts, und der geschickte individuelle Werbebrief, der quasi-individuelle Serienbrief mit Laserdruck und Inkjet-Eindruck der Unterschrift (mailing) oder ein persönliches E-MailAngebot sind immer noch seine zugkräftigsten Werbemittel. 2. Als Mitte der 50er Jahre ein repräsentativer Bevölkerungsquerschnitt gefragt wurde, ob man wohl bereit wäre, auf Bedienung im Lebensmittelgeschäft zu verzichten und die Ware selbst zusammenzustellen, da war das angeblich repräsentativ ermittelte Erschrecken groß: Nein, Selbstbedienung, diese amerikanische Verrohung der Einkaufssitten, werde man auf
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
keinen Fall mitmachen, erklärten über 80% der Befragten. Gut, dass sich die Pioniere unter den Lebensmittelhändlern nicht daran gehalten haben und Selbstbedienung doch eingeführt haben. Nebenbei gesagt ist diese vermeintlich aus den USA importierte Verkaufsform in Wahrheit eine deutsche Erfindung. Herbert EKLÖH experimentierte nämlich schon 1938, allerdings glücklos, mit einem ersten Selbstbedienungsladen. Nach seinem Aufsehen erregenden Experiment mit einem 1.000 qm großen Supermarkt in Havanna (1955) eröffnete EKLÖH schließlich 1957 in der Kölner Rheinland-Halle, einer ausgedienten Radrennhalle im Stadtteil Ehrenfeld, den ersten erfolgreichen Großraum-Supermarkt mit 2.400 qm Verkaufsfläche (vgl. BEREKOVEN 1988, S. 92). Wie alle wissen, wurde der Mut der SBPioniere belohnt und gewöhnten sich die Käufer rasch an die neue Einkaufsmethode. Heute ist Selbstbedienung aus dem Einzelhandel nicht mehr wegzudenken. Als Stars des SBHandels beherrschen die großen Discount-Filialunternehmen heute bereits 41 Prozent des gesamten deutschen Lebensmittelumsatzes, und ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht. Nach Angaben von Planet Retail teilten sie im Jahr 2006 den Markt wie folgt unter sich auf: Lidl 23,8%, Aldi Süd 19,3%, Aldi Nord 17,9%, Plus 12,7%, Penny11,1%, Norma 5,0%, Netto 4,1%, Restliche 4,1% Umsatzanteil. Dabei sind die niedrigen Preise längst nicht mehr Erfolgsfaktor Nummer Eins. Vielmehr treiben die großen Discounter einen Veredelungsprozess voran: „Heute bieten sie abgepacktes Frischfleisch, Obst und Gemüse ebenso wie Wellness-, Bio- und Gesundheitsprodukte oder tiefgefrorene Entenbrust und frische Nudelspezialitäten. Sie halten ihre Läden länger offen, akzeptieren EC-Karten und nehmen beim Versuch, die Pestizidbelastungen bei Obst und Gemüse unter die gesetzlich vorgeschriebenen Höchstmengen zu drücken, sogar eine Vorreiterstellung in der Handelsbranche ein. Sie machen ihre Läden moderner und übersichtlicher und ködern die Kunden mit Asia-Wochen, Drei-Liter-Energiesparhäusern, Handytarifen oder Musicalreisen.“ (BRÜCK 2007, S. 54) Die Discounter haben, wenn auch bereits weit fortgeschritten auf ihrem Erfolgsweg, die Psychologie entdeckt! Auch im Großhandel konnte die Selbstbedienung ihren Siegeszug längst feiern, insbesondere dank des Cash-and-carry-Systems (C&C-Großhandel). Am Anfang stehen hier die Firma Terfloth & Snoek mit ihrem 1957 gegründeten ersten Ratio-Großmarkt in Bochum und Otto BEISHEIM und seine Metro-Großmärkte. Beide Unternehmen sahen sich übrigens in der Anfangszeit massivem Lieferboykott durch die angebotsmächtigen Großen der Nahrungsmittelindustrie ausgesetzt (vgl. EGLAU 1972, S. 189). Die SB-Einzelhändler erkannten einerseits die rasch anschwellende Flut von neuen Sorten im Lebensmittelhandel und den damit drastisch steigenden Flächenbedarf, der mit gleichermaßen steigenden Personalkosten nicht wirtschaftlich zu führen ist, andererseits die psychologische Chance, ihre Kund(inn)en sich als Profis bei der kostengünstigen Selbstkommissionierung fühlen zu lassen. Die SBGrossisten wiederum erkannten zum einen rechtzeitig den Trend zum Direktbezug der wachsenden Einzelhandelshäuser, die mit dem Fortfall des traditionellen Zustellgroßhandels sich auftuenden Marktlücken in der Versorgung von Gaststätten, Trinkhallen und anderen Kleinbetrieben und die Chancen, welche sich mit dem neu aufkommenden Discounting auftaten, zum anderen die psychologisch interessante Möglichkeit, Einkaufsausweise an Gewerbetreibende aller Art auszugeben. Derselbe Gedanke liegt auch den US-amerikanischen warehouse clubs zugrunde. Ursprünglich verkauften sie nur an Mitglieder, und zwar sowohl an gewerbliche als auch an private Mitglieder mit jeweils unterschiedlichen Mitgliedsgebühren. Inzwischen wird auch an Nichtmitglieder verkauft, die einen fünfprozentigen Aufschlag entrichten
3.7 Wahl der Verkaufsform
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(vgl. H.-J. ZELLEKENS: Warehouse Clubs. US-amerikanischer Betriebstyp bald auch in Deutschland?, in: dynamik im handel, Heft 8/1994, S. 70–74). Einen ersten Sonderfall der Selbstbedienung stellt der Automatenverkauf dar. Hier wird – immerhin schon seit weit über 100 Jahren, seitdem die Firma Stollwerck am 29. April 1888 ihren ersten Schokoladen-Automaten aufstellte – sozusagen totale Selbstbedienung praktiziert. Den Einkaufsakt vermittelt ein mechanischer oder elektromechanischer Apparat (vending machine) als „stummer Verkäufer“, der gegen Einwurf des Kaufbetrags, meist in Form von Münzen, seltener in Form von Noten, mit oder ohne Wechselgeldrückgabe die gewünschte Ware freigibt. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht hat der Verkaufsautomat vor allem den Vorzug der Ladenschluss-unabhängigen Verkaufsmöglichkeit, d.h. über das maximale Ladenöffnungszeitvolumen in Höhe von rd. 30% des Jahreszeitvolumens hinaus stehen rd. 70% an zusätzlicher Betriebsbereitschaft der Automaten zur Verfügung. Solcher Verkaufs- und Versorgungsmöglichkeit rund um die Uhr dienen allein in der Bundesrepublik Deutschland schätzungsweise knapp 2 Millionen Automaten, wovon allerdings rd. eine Million auf Münzspiel- und Dienstleistungsautomaten und fast 800.000 auf Zigarettenautomaten entfallen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht müssten die Warenautomaten eigentlich erwünscht sein; denn sie bieten ein Höchstmaß an Transparenz, das jeden Wettbewerbspolitiker beglücken müsste. Die Ware, die Dienstleistungen, die Preise – alles ist durchsichtig und bekannt, und zwar für alle Marktbeteiligten: für Kunden, Lieferanten und Konkurrenten, für die Vermieter der Automatenstellplätze (Automatendulder) und für den Staat. Wettbewerbsmeidung ist praktisch nicht möglich, weil der Automat nur für standardisierte, bekannte, geringwertige und SB-geeignete Massenware in Kleinmengen sinnvoll ist. Die „Psychologie des Warenautomaten“ muss mit allerlei Kompensationen arbeiten: Der Automat kann nicht von sich aus einen Kontakt anbahnen, also muss ein günstiger Aufstellort mit hoher Passantenfrequenz und Impulskaufverhalten gewählt werden (Bahnhof, Flughafen, Restaurant, Postamt usw.). Für den Automaten wäre sog. Printmedien-Werbung sinnlos, also muss der Automat für sich werben. Das kann durch auffällige farbliche Gestaltung, durch Leuchtschrift oder Blinkzeichen, im Prinzip auch durch (dezente) akustisch wahrnehmbare Signale geschehen. Aber hier sind den Automatenaufstellern inzwischen enge rechtliche Grenzen gesetzt, bei Außenautomaten auch technische Grenzen der Energiezufuhr und ihrer Überwachung. Der Automat kann keinen Kredit gewähren, keinen Preisnachlass, keine sofortige Reklamation wie überhaupt keinen individuellen Service. Also muss psychologisch nach Kompensationen gesucht werden, wie sie etwa Beschriftungen (Angabe des Fülldatums oder des Kontakttelefons bei technischem Versagen) oder eine automatische Tonbandabsage nach Warenentnahme darstellen. Warenautomaten vermögen interessante aus dem sonstigen Einzelhandel bekannte positive Verhaltenseffekte zu nutzen: Die Standortqualität eines Automaten erhöht sich z.B., wenn er in unmittelbarer Nähe zu anderen Automaten mit komplementären Waren steht (Verbundeffekt), wenn er in unmittelbarer Nachbarschaft zu Automaten mit gleichartiger Ware steht (Agglomerationseffekt) oder wenn innerhalb derselben Automatenanlage oder in einer Automatenstraße verschiedenartige Waren geführt werden (Warenkorbeffekt). Ihnen stehen allerdings negative Effekte gegenüber, die für den Aufsteller eine sorgfältige Risiko-ChancenAnalyse erforderlich machen, nämlich Verschmutzungs- und Beschädigungsgefahr, Gefahr des Falschmünzeinwurfs (Automatenknacken) und erhöhte Sicherungsanforderungen (Automatenverankerung). Dass Süßwarenautomaten gern in der Nähe von Schulen aufgestellt
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
werden, mag ein Stück vordergründiger Handelspsychologie sein, das von den meisten Menschen noch geduldet wird. Sorgen bereitete lange Zeit schon eher der Zugang für Jedermann, also auch für Minderjährige, bei Zigaretten-Außenautomaten, die mit Münzen bedient wurden; heute sind Zigarettenautomaten wegen der Bedienung durch Kredit- oder Chipkarten den Minderjährigen nicht mehr zugänglich. Schließlich führen die begrenzten Informationsmöglichkeiten der stummen Verkäufer bei vielen Menschen zu negativen, verkaufshemmenden Verhaltensmustern. F. SCHEUCH, der Automaten als „Dienstpotenziale“ untersucht hat, nennt solche Hemmer: unpersönlicher Charakter des Automatengeschäfts, fehlende Reklamationsmöglichkeit, Angst vor Maschinen, Unheimlichkeit der Bedienung, mangelndes Know-how zum Bedienen (vgl. SCHEUCH 1982, S. 37). Einen zweiten Sonderfall der Selbstbedienung stellt der Onlineshop bzw. der zusätzlich zum stationären Geschäft betriebene elektronische Handel via Internet dar (e-commerce, eretailing, etailing). Die mit dem Einkauf verbundenen Bequemlichkeiten für die Kunden (Einkauf vom heimischen PC aus, Einkauf rund um die Uhr, Hauszustellung, bequeme Zahlungsweise usw.) wie die mit dem elektronischen Verkauf verbundenen Vorteile für die Anbieter (Entbehrlichkeit eines physischen Verkaufsraums und eines größeren Lagerraums, da bei Bestellungen die Auslieferung direkt vom Hersteller oder Lieferanten durchgeführt werden kann als drop shipping, Anlage von Kundenprofilen, nach denen ergänzende Produktangebote als add-on selling oder komplementäre Produkte/Dienste als cross selling vorgeschlagen werden, usw.) haben bekanntlich zu einer dritten Revolution im Handel geführt. Aus psychologischer Sicht stehen eine Reihe von Vorteilen dieser Verkaufsform, wie z.B. hohe Attraktivität durch Gestaltung der Website mit Abbildungen, technischen und Gebrauchsinformationen, Preisangaben, leichtem Inhaltswechsel, Sound-Animationen, Einholen von Kundenwünschen usw., allerdings auch Nachteile gegenüber, z.B. fehlende persönliche Kommunikation, hohe Anforderungen an Software und Kundenbetreuung, schwierige Bonitätsprüfung auf Seiten der Internet-Händler, Unzufriedenheit mit fehlender persönlicher Beratung, Ängste vor Anonymität oder Unsicherheit der Zahlungsabwicklung, mitunter auch Leichtfertigkeit auf Seiten der Kunden. Ist der Online-Kunde mit der ersten Geschäftsabwicklung zufrieden, besteht genau so wahrscheinlich die Chance, ihn als Stammkunden zu behalten, wie bei einer Enttäuschung mit der ersten Geschäftsabwicklung die Chance, ihn für immer zu verlieren. Wenn von modernen hybriden Konsumenten, Smart Shoppers und Convenience Shoppers die Rede ist, die allesamt nach Entlastung beim Einkauf streben, dann waren dadurch zwei Jahrzehnte lang in besonderem Maße die Versandhandelskunden gekennzeichnet (vgl. SCHRÖDER 1999, S. 919f). Heute sind es in erster Linie die Internet-Käufer. Mit Ausnahme des Automatenvertriebs und des Verkaufs über Onlineshops gewähren alle SB- und Teil-SB-Systeme der Kundschaft die Möglichkeit der ungestörten Wareninspektion. Aus psychologischer Sicht sind damit mehrere Entlastungen gegeben: − Es fehlt die letzte hemmende Trennwand des Schaufensters, das die kleine Sehnsucht nach der neuen Ware weckt, aber das körperliche Be-Greifen der Ware als solcher noch nicht zulässt; − Angstsituationen, z.B. Angst vor psychologischem Kaufzwang oder vor Anonymität, werden vermieden und die Schwellenangst wird herabgesetzt; − der Kauf beruht auf dem verstärkten Gefühl freier Entscheidung.
3.7 Wahl der Verkaufsform
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3. Aus mehreren Untersuchungen in den 70er und 80er Jahren, namentlich durch die vormalige Rationalisierungs-Gemeinschaft des Handels (RGH), wurde bekannt, dass die Entscheidung Fremd- oder Selbstbedienung stark einzelfallabhängig ist. Dabei werfen weniger die Frage der SB-Kosten, sondern die Fragen des Ertragsbeitrags der SB-Abteilungen sowie ihrer Verbund- und Imagewirkungen betriebswirtschaftliche Ermittlungsprobleme auf. Immerhin wurde deutlich, dass die kombinierte Form der Teilselbstbedienung dort optimal ist, wo sich Teile des Sortiments dank ihrer SB-Eignung (Verpackung, Bewerbung, Artikelgröße) „selbst verkaufen“ und wo andere Sortimentsteile dank der Erklärungsbedürftigkeit der Ware, der Beratung, des Zuschnitts, des Abwiegens o.ä. besser in Fremdbedienung angeboten werden. Daher hat z.B. das Konzept des Frische-Markts Einzug in viele Supermärkte gehalten. Teil-SB in der Variante 3.b) ist vor allem im Schuheinzelhandel verbreitet. Hier dient sie den Kunden dazu, einen raschen und bequemen Überblick über die aktuellen und attraktivsten Modelle zu gewinnen. Ist der Kunde oder die Kundin an ein, zwei Paaren interessiert, erfolgt die nähere Beratung und Anprobe durch das Verkaufspersonal. Die Entscheidung pro oder contra Teilselbstbedienung wird im Allgemeinen unter Rationalisierungsaspekten getroffen. Das ist betriebswirtschaftlich sinnvoll und legitim, gilt doch Selbstbedienung als die wichtigste Rationalisierungsmaßnahme und als Ausdruck der neuzeitlichen kommerziellen Revolution. Die Entscheidung für oder gegen Teil-SB sollte jedoch unter Abwägung der nachfolgenden Vor- und Nachteile aus Kundensicht auch unter psychologischen Aspekten geprüft werden. Psychologische Aspekte der Teilselbstbedienung können eine erhebliche Rolle spielen. Auf der Positivseite der psychischen Reaktionsweisen ist zu beachten: − Diejenigen Kunden, die Anonymität und Selbstentscheidung bevorzugen und über entsprechende Warenvorkenntnisse verfügen, können ungestört einkaufen, im Zweifelsfall auf Beratung zurückgreifen; − diejenigen Kunden, die auf soziale Kontakte nicht gänzlich verzichten wollen oder die unter Entbehrungen oder unter dem Verlust sozialer Bindungen (Deprivation) leiden, können in den Beratungsabteilungen ihr Thekenschwätzchen führen; − die skeptischen Kunden erleichtern sich von dem Verdacht, etwas „aufgeredet“ zu bekommen; − aus der Sicht des Verkaufspersonals ist die individuelle Kundenansprache generell schwieriger geworden, da die Kunden heutzutage in ihrem äußeren Erscheinungsbild stark angeglichen sind, und diese Erschwernis wird bei Teil-SB in den entsprechenden Abteilungen reduziert; − Teil-SB erleichtert das Zeitmanagement der Kunden. Wer intensiv beraten werden möchte, kann dies (bei den beiden erstgenannten Varianten) in Anspruch nehmen. Wer eilig oder zeitsparend einkaufen möchte, dem kommt Teil-SB sehr entgegen; − Teil-SB kommt dem inhärenten Wunsch nach Abwechslung entgegen („variatio delectat“) – die neue Audio-Anlage lässt man sich vorführen, und die gewünschten CDs oder MusiCassetten werden selbst ausgewählt aus den übersichtlichen Regalen und Ständern;
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
− sofern ein (heutzutage typisches) Überangebot an Sorten besteht, kann die erdrückende Fülle bei Selbstbedienung die Auswahl erschweren und womöglich zum Weglaufeffekt (Poriomanie) führen. Dieser Effekt ist vermeidbar, wenn sachkundiges Verkaufspersonal zu Hilfe eilt und zu Rate gezogen werden kann. Auf der Negativseite der psychischen Reaktionsweisen sind allerdings auch eine Reihe von Gefahren festzuhalten: − der subjektive Eindruck des teilweisen Verlassenseins einerseits, der teilweisen Kostenüberhöhung andererseits („Die Bedienungs- und Beratungskosten holen sie über den Preis wieder herein“); − die Empfindung eines uninteressierten, unaufmerksamen Verkaufspersonals. Diese Empfindung kann objektiv falsch sein, steuert gleichwohl subjektiv das Kundenverhalten; − der Eindruck der Inkonsequenz, insbesondere bei der Variante 3c) der Teilselbstbedienung („Warum wird in dieser Abteilung nicht bedient?“, „Warum wird man hier zur eigenen Arbeit gezwungen?“); − die Verlockung zum Ladendiebstahl als krimineller Selbstbedienung. Sie wird allerdings bei den Varianten 3a) und 3b) der Teilselbstbedienung im Vergleich zur Selbstbedienung herabgesetzt.
3.8
Personalpolitik
Personalpolitische Entscheidungen zählen zu den wichtigsten strategischen und zugleich sensibelsten Entscheidungen von Einzelhandelsunternehmen. Die organisatorisch begründeten Anforderungen des Personalwesens, die Zielplanung des Unternehmens, der mit Ausnahme des SB-Handels in der Regel über 50-prozentige Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten und die mitunter entscheidende Imagekomponente Personal sind es vor allem, die personalpolitische Entscheidungen betriebswirtschaftlich begründen. Auf die Fülle der Gegenstandsbereiche der Personalpolitik, nämlich 1. Personalbestandspolitik einschl. Managementpolitik, 2. Personaleinsatzpolitik, 3. Personalausbildungspolitik, 4. Personalkostenpolitik (Vergütungspolitik) und 5. Mitarbeiterbeurteilung, kann hier nicht vertieft eingegangen werden. Da es bei personalpolitischen Detailentscheidungen immer um Entscheidungen von Menschen über Menschen geht, über die Gewinnung, Erhaltung, Steigerung und Freigabe der menschlichen Arbeitsleistung im Handelsbetrieb, sind psychologische Momente zwangsläufig immer eingebaut. Hier können nur einzelne psychostrategisch interessante Aspekte herausgegriffen werden. Auf eher psychotaktische Entscheidungen der Personalpolitik wird im Teil 4.7.2.5 eingegangen. Die Personalbestandspolitik wird quantitativ bestimmt durch das unternehmensindividuelle organisatorische Aufbaugefüge, in Mittel- und Großbetrieben bisweilen durch ein hochkomplexes Leitungs-, Stellen-, Instanzen- und Stabssystem. Jede Stelle eines Unternehmens, deren exakte Aufgaben, deren Kompetenzen und deren Über- und Unterstellungsverhältnis in einer sachbezogenen Stellenbeschreibung festzulegen ist, wirft stets qualitative Anforderun-
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gen an den Stelleninhaber auf. Allgemeine Grundanforderungen (Begabung, Bildungsstand, physische Leistungsfähigkeit usw.) und besondere Stellenanforderungen (fachliche Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten, Eignung, Altersaufbau und Geschlechterverhältnis) sind bei allen personalbestands- und -beschaffungspolitischen Maßnahmen zu berücksichtigen, bei Einstellungen, bei Personalersatz und -erweiterung, bei Beförderungen oder Versetzungen (Personalumwidmung). Schon vor der Einstellung von neuen Mitarbeiter(inne)n sollte abgeklärt werden, welchen Arbeitsstil sie bevorzugen, d.h. ob die jeweilige Person eher im Zeitblock gleichbleibende Arbeitsaufgaben oder multiple, wechselnde Arbeitaufgaben bevorzugt und somit für die vorgesehene Stelle geeignet ist. Gerade an der Verkaufsfront im stationären Einzelhandel sind permanent (weitgehend durch die Kunden bestimmte) Wechsel der Arbeitsaufgaben und Arbeitsunterbrechungen an der Tagesordnung. Der Verkäufer, der gerade mit Regalauffüllung oder Preisauszeichnung beschäftigt ist, muss seine Verrichtungen unverzüglich unterbrechen, wenn ein Kunde sofortige Interaktion erfordert. Würde ihn diese Polychronizität (polychronicity) stören, wären auch seine Arbeitsfreude und seine Motivation rasch gestört. Daraus resultierende Mitarbeiterunzufriedenheit mit dem Einzelhandelsjob wäre für das Unternehmen verhängnisvoll. Sie birgt nicht nur die Gefahr zusätzlicher direkter Kosten (Mitarbeiterwechsel), sondern auch und vor allem die Gefahr indirekter Kosten durch Verlust von Kunden, die ihrerseits von dem Mitarbeiterfrust angesteckt werden und dem Unternehmen den Rücken kehren Gleich ob es sich um Führungspersonal mit Spitzenleistung (dispositiver Faktor) oder um qualifiziertes ausführendes Personal im mittleren Management oder um Personal mit Einfach(st)leistung im ausführenden Bereich handelt – immer sind Vorkehrungen zu treffen, dass die jeweilige Arbeitsleistung mit der nötigen Motivation und nach den Grundsätzen erfolgreichen Selbstmanagements (self-management) erbracht wird. Ohne Motivation, ohne Identifizierung jedes Mitarbeiters mit seinem Handelsunternehmen kommt Unzufriedenheit aller Art auf: Unzufriedenheit mit Vorgesetzten, mit der Tätigkeit, mit der Arbeitszeit, mit Informationsströmen usw. Eine überdurchschnittliche Vergütung, übertarifliche Bezahlung, Sonderverträge mögen für manche Mitarbeiter immer noch die wirksamste Motivationsmaßnahme sein. Generell kann sie jedoch aus ertrags- und kostenwirtschaftlichen Gründen keine allein selig machende Lösung sein. Hier sind psychologische Maßnahmen oft von hohem ergänzenden oder kompensatorischen Nutzen. Man denke nur an das gute Arbeitsklima, an verständnisvolle Vorgesetzte, an Mitarbeiterbefragungen (deren Ergebnisse, durchaus auch konstruktiv-kritischer Art, z.B. von der Karstad-Quelle AG in der Mitarbeiterzeitung bekannt gemacht werden und den Mitarbeitern die Gewissheit vermitteln, ernst genommen zu werden), an positive Arbeitsplatz- und Firmenimages (human relations; public relations), an Mitarbeiterwettbewerbe, an betriebliches Vorschlags- und Belobigungswesen, an Einbeziehung in das interne Informationswesen, an Beteiligung in Gremien usw. Psychostrategisch doppelt interessant sind Brainstorming-Sitzungen; denn die Einbeziehung der Mitarbeiter in die Ideenfindung motiviert nicht nur sie selbst, sondern führt auch zu neuen Marketingansätzen, die teuren externen Beratern nicht unbedingt einfallen müssen. Allerdings müssen die interaktiven Brainstorming-Sitzungen in so vertrauensvoller Offenheit geführt werden, dass die eigenen neuen Ideen der Mitarbeiter nicht aus Scheu vor anderen Gruppenmitgliedern unterdrückt, sondern auch tatsächlich spontan geäußert werden. Um derartige psychische Hemmungen abzubauen, kann die Stepladder-Technik angewandt werden, d.h. man lässt die Gruppenmitglieder zunächst getrennt voneinander ihre Ideen entwi-
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
ckeln, um sie in einem zweiten und ggf. dritten Schritt gemeinsam zu diskutieren (vgl. WERTH 2004, S. 288). Eine Erwähnung verdient auch das stark motivierende Gleichberechtigungskonzept von IKEA: Nicht nur sind die Bedingungen und Quoten für den Personalkauf für alle Mitarbeiter gleich, sondern auch Regelungen wie das Duzen aller Mitarbeiter untereinander, völlig unabhängig von seiner oder ihrer Stellung, oder wie die offen stehenden Türen aller Büros, auch des Filialleiters. Schließlich wirken auch alle einfallsreichen Gags des Ikea-Handelsmarketings, von der Kundenzeitschrift WohnSinn bis zu dem zum fahrenden Möbelhaus umfunktionierten Eisenbahnzug mit Bistro, motivierend auf das Personal, das auf sein ideen- und erfolgreiches Unternehmen stolz ist. Damit jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin möglichst effizient tätig ist, sollte er oder sie die Grundsätze des Selbstmanagements beherrschen oder zu beherrschen lernen. Dazu zählt vor allem das Einhalten von Verhaltensregeln, beispielsweise immer für das eigene physisches Wohlbefinden zu sorgen, immer ein korrektes Erscheinungsbild abzugeben, immer eine positive, optimistische Einstellung zu zeigen, Mut und Tatkraft erkennen zu lassen. Dazu zählt es auch, die Freizeit zur Selbstverbesserung (self-improvement) zu nutzen, d.h. unablässig das spezielle Verkäuferwissen über Märkte und Produkte (job skills) sowie das Allgemeinwissen zu verbessern (vgl. GRIKSCHEIT/CASH/CRISSY 1981, S. 373-381). Selbstverständlich kann positive Motivation aller Mitarbeiter auch aus ganz anderen Quellen gespeist werden. Als Beispiel für gutes Arbeitsklima und gleichzeitig Kundenzufriedenheit – beides wurde bei der Gründung 1998 im schwäbischen Herrenberg nicht erwartet – können die kleinen Cap-Märkte mit dem programmatischen Zusatz „Der Lebensmittelpunkt“ gelten. Dies sind Nachbarschaftsgeschäfte der GDW Süd (Genossenschaft der Werkstätten), deren Mitarbeiter fast alle ein Handicap haben. Das Erfolgsrezept der Cap-Märkte, die 2006 mit 390 Mitarbeitern bundesweit bereits 60 Millionen Euro erzielten und ständig wachsen, liegt in der Umwandlung von Schwächen in Stärken: Nachbarschafts-Standorte, die von großen Filialisten gemieden werden, Rollstuhl-gerechte breite Gänge, Regale nur bis zu 1,60 m Höhe, Marktleiter und sonstige Mitarbeiter mit physischen oder psychischen Benachteiligungen usw. (FAZ Nr. 101 v. 2.5.2007, S. 21). Die Zufriedenheit des Cap-Personals äußert sich in einer Herzlichkeit gegenüber den Kunden, die sie zu engeren Stammkunden bindet als manches professionelle Kundenbindungsprogramm es vermöchte. Die Motivation der Mitarbeiter mag primär in vielen Fällen vom Geschäftsklima abhängen, in sehr vielen Fällen von der Vergütung. Im Grunde wirkt jedoch das Verhalten der Vorgesetzten als einflussstärkster Motivator – oder Demotivator! Und in dieser Hinsicht, mithin im Bereich psychologischer Personalführung, liegt Einiges im Argen. Mitarbeiter lassen sich auf Dauer nämlich nur für ein den Kunden wie dem Geschäft dienliches Verhalten gewinnen, wenn es ihnen die Vorgesetzten der mittleren und obersten Führungsebene vorleben. Viele Manager sind sich jedoch nicht im Klaren darüber, dass sie vom Personal ständig beobachtet und als Vorbilder nachgeahmt werden. Sie gehen aus mancherlei Gründen gern auf Distanz zur Arbeit an der Verkaufsfront. Aus den USA oder Japan ist bekannt, dass der Boss auch gelegentlich bedienen hilft, die Verkaufsfahrer einmal auf ihren Touren begleitet oder Kundenreklamationen selbst entgegen nimmt. „Die Praxis in Deutschland sieht dagegen eher trübe aus: Chefs verbarrikadieren sich hinter riesigen, mit Akten überhäuften Schreibtischen, weitab vom Kunden und meist in den obersten Etagen und lassen sich vielleicht einmal herab, um kurz vor Feierabend durch das Haus zu spazieren und ihre Mitarbeiter auf die natürlich immer noch vorausgesetzte Freundlichkeit zu kontrollieren... Einen großen Fehler ma-
3.8 Personalpolitik
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chen die Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter nicht zu loben wissen oder nur die Person und nicht die falsche Verhaltensweise kritisieren... Mit Aussprüchen wie ‚Ihre Aufgabe ist es vor allem, Verbesserungen vorzuschlagen’ oder ‚Sie sind dazu da, den Betriebsablauf zu verbessern und sich eigene Gedanken darüber zu machen, was noch effizienter organisiert werden könnte’ lenken sie von eigenen Qualifikationsdefiziten ab.“ (GRANDT 1999, S. 208f.) Ein sehr düsteres Bild. Hellere Bilder aus der Personalführung und von Managern, die über fachliche Qualifikation (hard skills) und über Schlüsselqualifikationen wie Teamfähigkeit, Freundlichkeit und Höflichkeit (soft skills) verfügen und mit ihren Mitarbeitern einen menschlichen Umgang pflegen, lassen sich selbstverständlich ebenfalls in der Praxis finden (vgl. RONGE 2007). Die Alarmsignale dürfen jedoch nicht übersehen werden. Sicher dient es dem inneren und äußeren Ansehen eines Unternehmens mehr, wenn die Führungskräfte die Grundbedürfnisse ihrer Mitarbeiter genau so befriedigen, wie der Verkäufer die Bedürfnisse seines Kunden befriedigen soll. Zu den fundmentalen Bedürfnissen der Mitarbeiter zählen nach wie vor 1. das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung, 2. das Streben nach Sicherheit und Geborgenheit, 3. die Sehnsucht nach Anerkennung, 4. ein Bedürfnis nach Selbstachtung und 5. ein Bedürfnis nach wirtschaftlicher und geistiger Unabhängigkeit (nach CORRELL 1977, S. 20-28). Ein drängendes Problem stellt sich seit den 90er Jahren im Zusammenhang mit der Übergabe der in der Nachkriegszeit aufgebauten mittelständischen Handelsbetriebe an die Nachfolgegeneration. Mancher Junior oder manche Nachwuchsführungskraft sieht sich – fachlich und schulisch wohl ausgebildet, nicht aber organisationspsychologisch – plötzlich Mitarbeitern gegenüber, die selbstbewusst und kritisch hohe Ansprüche an ihre Führung stellen. Aus der Praxis wird von Lavieren und Rumdrucksen berichtet; der eine junge Chef flieht in die autoritäre Position des Rechthabens, der andere sucht sein Heil in Anbiedern und Kumpanei – lauter Irrwege, die bei den Mitarbeitern zu alles anderem als Achtung und Akzeptanz führen. „Wenn das suchende Bemühen, Akzeptanz zu finden, völlig scheitert, beginnt bei jungen Führungskräften häufig die Flucht in die Ignoranz“ (SCHÄFER/KRAFT 1994, S. 12). Orientierungs- und Führungslosigkeit haben unweigerlich Arbeitsunlust und Demotivation zur Folge. Die TEAMLINE-Beratung hat die wichtigsten Elemente des Wertewandels, die bei der psychologisch orientierten Entwicklung des Juniors zur Führungskraft zu beachten sind, anschaulich zusammengestellt (vgl. Abb. 19). Erst in den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Einstellungspolitik im Handel in Bezug auf Hochschulabsolventen geändert. Davor waren besonders im mittelständischen Einzelhandel Vorbehalte und Vorurteile gegenüber jungen Akademikern als Zutrittsschranke wirksam. Die psychologische Erklärung war einfach: Im Handel gehörte es sich beinahe, „von der Pieke auf“ im Unternehmen, tunlichst im eigenen Hause, gedient zu haben; denn zumindest in mittelständischen Unternehmen hatte der Inhaber in der Regel selbst keine akademische Ausbildung genossen. Der praktische Erfolg hatte ihm offensichtlich bestätigt, wie überflüssig ein wirtschaftswissenschaftliches Studium sei. Den jungen Studierten wehte nur zu oft der Argwohn entgegen, vermeintlich alles zu wissen und nichts zu können – gut in der Theorie, unbrauchbar für die Praxis zu sein. Die Zeiten haben sich geändert, auch wenn die Einstellungsvoraussetzungen und die Anfangsgehälter für Diplom-Psychologen noch leicht unter denen der betriebswirtschaftlichen Bachelor- und Master-Absolventen von Fachhochschulen bzw. Universitäten liegen.
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
MENSCH
FÜHRUNG
FIRMA
FRÜHERE WERTE
HEUTIGE WERTE
Apparat
Mechanismus Funktionalismus Ohnmacht
Mensch
Organismus Sinnzusammenhang Freiraum
Uniform
Selbstverzicht Ohnmacht Anonymität
Individuum
Eigenständigkeit Selbstinitiative Identität
Zentrale
Monolog Sachzwang Vollzugszwang
Netzwerk
Dialog Transparenz Korrektur
Herrschaft
Obrigkeit Abhängigkeit Fügsamkeit
Partnerschaft
Gleichwertigkeit Mitverantwortung Mündigkeit
Kontrolle
Aufsicht Forderung Drohung
Coaching
Vertrauen Förderung Vereinbarung
Funktionsinhaber
Funktion im System
Persönlichkeit
Mensch im System
Habenorientierung Recht haben Stärke haben Besseres und Status haben
Besitzen Sicherheit
Seinsorientierung
Offenheit Werden
stimmig sein souverän sein gleichwertig, beweglich sein
(Quelle: H. SCHÄFER/R. KRAFT: Systematische Förderung von Junioren in mittelständischen Handelsbetrieben, in: Der Verbund, Heft 1/94, S. 12) Abb. 19: Aus dem Wertewandel resultierende Anforderungen an Nachwuchsführungskräfte
In den meisten Einzelhandelsbranchen gelten die Arbeitszeiten als relativ unattraktiv, zumal für das dort beschäftigte weibliche Personal mit Familie. Ein verantwortungsvolles Handelsmanagement wird darauf achten, dass sich das Personal nicht zwischen Familie und Beruf aufreiben muss. Es kann sogar Wettbewerbsvorteile bei der Beschaffung guten Personals erlangen, wenn die Selbstverpflichtung zur Familienfreundlichkeit durch ein entspre-
3.8 Personalpolitik
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chendes Zertifikat nach außen dokumentiert werden kann. Ein solches Zertifikat wird von der gemeinnützigen berufundfamilie gGmbH, einer Tochtergesellschaft der Hertie Stiftung, ausgestellt. Zur Erlangung des Zertifikats wird eine Projektgruppe aus Geschäftsleitung und Mitarbeitern gebildet, die das Prüfungsverfahren (Audit) abwickelt. Der erste Schritt besteht aus einer Bestandsaufnahme der im Unternehmen bereits realisierten familienfreundlichen Maßnahmen, die in einem Grundzertifikat attestiert werden. Danach werden Verbesserungsmöglichkeiten, Ziele und konkrete Maßnahmen festgelegt und von der Geschäftsleitung unterschrieben. Es folgt eine dreijährige Überwachungsphase durch die Auditoren. Bei positivem Ablauf wird am Ende das eigentliche Zertifikat ausgestellt (vgl. FAZ Nr. 134 v. 13.6.2007, S. 13). Aus vielen erfolgreichen mittelständischen Unternehmen sind Konzerne mit Milliardenumsatz und Tausenden von Mitarbeitern entstanden. Die Leitungspositionen wurden nicht nur vermehrt, sie wurden auch immer anspruchsvoller, was die akademische Vorbildung betrifft. Heute betreiben Großunternehmen des Handels durchweg gezielte Akademikersuche. Ein Warenhauskonzern bietet qualifizierten Hochschulabsolventen ein 33-monatiges Geschäftsführer-Traineeprogramm an, an dessen Anfang bereits Verantwortungsübernahme für eine Abteilung und an dessen Ende die Leitung eines ganzen Warenhauses steht. Dass andererseits bei der Einstellungspolitik der diversity-Gedanke, der auch ethnische Vielfalt umfasst, von Personalberatern zwar propagiert, in der Praxis jedoch gelegentlich ungern eingelöst wird – man denke an ausländische Akademikerinnen, an Menschen mit Behinderung oder an Kopftuch tragende Musliminnen – kann nicht verschwiegen werden. Das Personalmanagement steht hier u.U. vor einer psychologisch schwierigen Aufgabe, die Personalauswahl behutsam und ohne Diskriminierung zu treffen. Die möglichst optimale Anpassung des Personaleinsatzes an die ständigen Änderungen der Arbeitslast, insbesondere die Anpassung des Verkaufspersonals an die schwankenden Kundenströme, ist eine Kernaufgabe der Personaleinsatzpolitik. Für die verschiedenen Perioden müssen Personaleinsatzpläne nach Maßgabe der anfallenden Arbeiten einerseits, der mutmaßlichen Anwesenheits- bzw. Fehlzeiten andererseits aufgestellt werden. So ist z.B. im Rahmen der Monatspläne die Anzahl an Voll- und Teilzeitbeschäftigten und der Aushilfen sowie der Urlaubszeiten festzulegen. Die täglichen Einsatzpläne regeln im einzelnen den stundenweisen Personaleinsatz, die Pausen, Freizeit als Überstundenausgleich, den Personalaustausch und den stundenweisen Einsatz von Teilzeitkräften und Aushilfen. Bei alledem sind permanent Kompromisse zwischen gesetzlichen und tarifliche Regelungen einerseits, der Notwendigkeit des flexiblen Personaleinsatzes andererseits zu finden. Spannungen und Konflikte innerhalb des Personals bleiben nicht aus, insbesondere im Hinblick auf Arbeitsmenge, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen: hier Arbeitsüberlastungen, dort Arbeitsunterforderungen, hier Unzufriedenheit mit den konkreten Arbeitsplatzbedingungen, dort Reibungen wegen übergroßer Kontrollspannen usw. Die heute erlaubte längere Ladenöffnung wird von den Einzelhandelsbeschäftigten höchst unterschiedlich erfahren und beurteilt. Die einen sind zufrieden wegen des geringeren Stress vor Ladenschluss oder wegen des Spätzuschlags von 50 Prozent nach 20 Uhr. Die anderen sind froh über die anstelle von Geldzuschlägen erhaltenen Zeitgutschriften, die sich zu einem zusätzlichen freien Tag im Monat summieren können. Wieder andere haben u.U. als Nichtmotorisierte Probleme, nach spätem Ladenschluss einigermaßen zeitig nach Hause zu kommen, oder als Alleinerziehende Probleme mit der Kinderbetreuung (vgl. ROHWETTER 2007). Zur betriebswirtschaftlichen Lösung der
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
Personaleinsatzprobleme sind zahlreiche physiologische Personaleinsatzverfahren entwickelt worden (Refa-Standardprogramme, Wertanalyse, Multimoment-Studien, Modelle flexibler Arbeitszeiten, ergonomische Gestaltung von Arbeitsmitteln und Arbeitsumgebung usw.), die aber kaum Lösungen für psychologische Probleme bereithalten. Hier kann oft nur psychologisches Feingefühl helfen – sei es, dass Zeitmessungen von externen Beobachtern durch Eigenaufzeichnungen ersetzt werden, sei es, dass Mitbestimmung des Personals bei der individuellen Arbeitszeitfestlegung statt reiner Fremdbestimmung eingeführt wird wie z.B. im Münchner Kaufhaus Beck. Eine psychologisch geschickte Maßnahme bei der Vergütungsbemessung liegt beispielsweise in der Prämienstaffelung, wie sie für die OBI-Marktleiter entwickelt wurde: Mit zunehmender Abweichung des realisierten Umsatzes von dem vom Marktleiter prognostizierten Planumsatz nehmen die Gehaltszuschläge ab. Damit ist der Verlockung, tunlichst niedrige Planumsätze vorzugeben, die leicht überboten werden könnten, ein Riegel vorgeschoben, und das Interesse an realistischen Umsatzschätzungen wird belohnt – je genauer die Planumsätze erreicht werden, desto höher die Prämien. Wie für die Gesellschaft im Ganzen so stellt sich für jeden Handelsbetrieb in der heutigen schnelllebigen Zeit die Aufgabe, Wissen und Können der beruflich tätigen Menschen zukunftsorientiert sicherzustellen. Daher nimmt die Personalausbildungspolitik einen hohen Rang ein. Sie umfasst die betriebliche Bildungspolitik, Personalentwicklung, Berufsausbildung und Weiterbildung. Technologische Veränderungen im Handelsbetrieb (EDV-gestützte Warenwirtschaftssysteme und Logistikkonzepte, neue Kommunikationsmedien, mobile Datenerfassung, neuartige Verfahren der Kurzfristigen Erfolgsrechnung KER usw.) auf der einen Seite, die die berufliche Bildung regelnden Gesetze und Verordnungen (Berufsbildungsgesetz, Bildungsurlaubsgesetz, Betriebsverfassungsgesetz, Mitbestimmungsgesetz usw.) auf der anderen Seite erfordern mehr und mehr Anpassungsmaßnahmen an die sich ändernden Arbeitsplätze und an höhere Qualifikation, kurz: Maßnahmen der betrieblichen Bildungspolitik. Dabei ist die betriebliche Ausbildung, die zusammen mit der Pflichtausbildung in der Berufsschule in Deutschland das sog. duale System ausmacht, nur ein Teilbereich der beruflichen Bildungspolitik. In Bezug auf die außerordentlich vielfältigen beruflichen Tätigkeiten und Chancen im Handel stehen sich leider häufig Vorurteile, mangelndes Interesse und mangelndes Wissen im Wege. Daher müsste aus psychologischer Sicht die betriebliche Bildungspolitik stärker in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden, soll die berufliche Tätigkeit im Handel nicht aus purer Unwissenheit ihre Attraktivität einbüßen. „Bewerber um Lehrstellen, Studenten, Lehrer von Haupt- und Realschulen, Berufsschul- und Hochschullehrer haben oft mangelhafte Kenntnisse darüber, ebenso wie man innerhalb der Unternehmen oft zu wenig über die verschiedenen Schulen und Studienabschlüsse weiß, so dass man die Qualifikation von Bewerbern nicht abschätzen kann“ (JAEHRLING 1983, S. 297). Wer indes in die Berufsausbildung seiner Auszubildenden („Lernlinge“) einen so interessanten und persönlichkeitsbildenden Kunst-Baustein einfügt wie Götz W. WERNER, der Gründer und Inhaber des Drogeriemarkt-Filialunternehmens dm, mit seinem Projekt „Abenteuer Kultur“, braucht sich weder um qualifizierten Nachwuchs noch um hohes Ansehen in der Öffentlichkeit Sorgen zu machen: Seit anlässlich des 25-jährigen Firmenjubiläums von dm (1998) im Rahmen einer Ausbildungsoffensive 800 neue Lehrlinge eingestellt wurden, nimmt jeder „Lernling“ im
3.8 Personalpolitik
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ersten und zweiten Lehrjahr an einem achttägigen Theaterworkshop teil. Dabei lernt jeder alle künstlerischen und technischen Arbeitsschritte einschließlich der Aufführungspraxis kennen, entwickelt Kreativität und gewinnt Toleranz und Selbstvertrauen. Die Motivationswirkungen nach innen und außen sind für das Unternehmen wie für die jungen Mitarbeiter außerordentlich positiv (vgl. www.corporate-cultural-responsibility.de/download/ Reportage_dm-drogeriemarkt.pdf). Psychostrategisch ausgesprochen bedeutungsvoll sind alle Entscheidungen und Maßnahmen der Personalentwicklung. Unternehmen, die über eine langfristige Personalentwicklungsplanung verfügen, über einen transparenten Aufbau der Höherqualifikations- und Aufstiegsmöglichkeiten (Karriereleiter, Laufbahn-Modelle), erhöhen bei ihren Mitarbeitern – nicht nur bei den jugendlichen Auszubildenden, sondern auch bei den erwachsenen Mitarbeitern – die Lernmotivation und die Identifizierungsbereitschaft. Die Personalentwicklungsplanung ist auf den einzelnen Mitarbeiter bezogen und stützt sich auf das jeweilige Laufbahn-Modell. Zu den Voraussetzungen ihrer Effizienz zählen: − die Ermittlung des individuellen Leistungsstandards durch geeignete Beurteilungsverfahren, − die Analyse der Leistungsergebnisse, − die Bestimmung der Zielvorgaben bzw. des Entwicklungspotenzials, − die Bestimmung der Ausbildungs- und Förderungsmaßnahmen und − die Kontrolle der Entwicklungsfortschritte (vgl. TIETZ 1993a, S. 618). Einen Engpass stellt häufig die Qualifikation des Bildungspersonals dar; denn dieses müsste eigentlich doppelqualifiziert sein: Zum einen müsste es umfassende Spezialkenntnisse über sämtliche Stellen besitzen, zum anderen in besonderem Maße pädagogischpsychologisch geschult sein. Gerade die letztgenannte Qualifikation ist jedoch im Allgemeinen nicht vorhanden. So verfügen über die Ausbilder-Eignungsverordnung vom 20.4.1972 in die Personalentwicklung vorstoßende Lehrkräfte regelmäßig über fachliche Fertigkeiten und Kenntnisse, aber nicht über psychologisches Wissen. Sowohl für die Berufsausbildung der jungen Handelsbeflissenen als auch für die Weiterbildung der Mitarbeiter steht ein reichhaltiges Instrumentarium zur Verfügung. Gleichgültig, ob es sich um die Berufsausbildung im dualen System mit den Berufsbildern Verkäufer/in (zweijährige Ausbildung) und Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel (dreijährige Ausbildung) oder um betriebliche positionsbezogene Ausbildung (zum Substitut, Abteilungsleiter, Marktleiter) oder um individuelle Ausbildung am Arbeitsplatz (training on the job, coaching), um Arbeitsplatzringtausch (job rotation) oder um die Ausbildungsform des Projektteams für Führungsnachwuchskräfte handelt, stets kommen auch psychologische Erkenntnisse der Lerntheorie ins Spiel. Die Praxis der Aus- und Weiterbildung stellt allerdings im Allgemeinen die Lerninhalte – die Frage des Was – zu sehr in den Vordergrund und vernachlässigt die Lernprozesse – die Frage des Wie. Einen auch psychologisch beachtlichen Schritt in Fortbildungsneuland haben wiederum dm-Drogeriemärkte getan: dm eröffnet allen Mitarbeitern die Möglichkeit, an weiterbildenden Kunst-Seminaren, am Seminar „Kreativität und Entwicklung“ sowie an der Fähigkeitenwerkstatt (mit künstlerischer Betätigung während der Arbeitszeit) teilzunehmen. Auch wenn Einzelhandelsunternehmen im Wesentlichen nur bei Positionen, deren Vergütung nicht tarifvertraglich festgelegt ist, einen gewissen Entscheidungsspielraum besitzen, so
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
spielt die Personalkostenpolitik (Vergütungspolitik) doch eine erhebliche Rolle. Grundsätzlich tragen Vergütungen – Grundlöhne und -gehälter sowie Prämien – aus psychologischer Sicht zu gutem Arbeitsklima, zu Arbeitszufriedenheit und zu positiver Motivation bei, wenn sie nachvollziehbar leistungsbezogen gestaltet sind. Psychologisch bedeutsam sind aber auch vergütungsadäquate materielle und immaterielle Maßnahmen im Sozialbereich (gesetzliche und freiwillige Sozialleistungen), wie etwa Zuschläge für langjährige Betriebszugehörigkeit, Alters- und Zusatzversorgung in Notfällen, Sonderurlaub, Gratifikationen, Wohnungsgelder, Provisionen, Gewinn- oder Kapitalbeteiligung, Gesundheitsdienste, Dienstfahrzeug, Teilnahme an Lehrgängen und Studienreisen oder Ehrungen und Auszeichnungen. Solche Maßnahmen lassen sich als Führungs-, vor allem aber als Anreizsysteme einsetzen. Wie geschickt sog. Incentives als indirekte Vergütungsmaßnahmen gestaltet sein können, zeigt das Beispiel des Incentive Travel-Systems: Als eine Art Belohnung für herausragende Leistungen wird dem Mitarbeiter eine Reise mit eingebautem Schulungsprogramm gewährt. Als materielle Anreize kommen auch laufende Umsatzbeteiligungen (Provisionen), bei Kapitalgesellschaften zu einem günstigen Kurs angebotene Geschäftsanteile sowie Boni (z.B. in Form eines Jahresend-Bonus) als nachträgliche Belohnung in Betracht. Wenn die Incentives auf bestimmte Aktivitäten oder Waren bezogen sind wie Umsatzbeteiligungen oder Verkaufsprämien, dann werden die Mitarbeiter zwar insoweit motiviert, aber sie werden unter Umständen gleichzeitig andere Aktivitäten (Regalauffüllung, Warenpflege) oder – schlimmstenfalls – die Kundenzuwendung vernachlässigen oder die Kunden zum Kauf prämiierter Artikel drängen (LEVY/WEITZ 2004, S. 293). Eine Voraussetzung zur leistungsgerechten Bemessung der Vergütung und zur Personalplanung stellt die Mitarbeiterbeurteilung dar. Ausgehend von der durchschnittlichen Normalleistung bei der Arbeitserledigung werden im Rahmen der Arbeitsbewertung Leistungsklassen mit bestimmten Arbeitsanforderungen gebildet, denen jeder einzelne Mitarbeiter nach Maßgabe seiner Leistungen eingeordnet wird. Über diese Beurteilung des gegenwärtigen Leistungsstandes für Vergütungszwecke hinaus können eine Reihe weiterer persönlichkeitsbezogener Merkmale einer Beurteilung unterzogen werden, die z.T. den künftigen Leistungsstand betreffen und zugleich psychologische Aspekte berühren: − Verhaltens- und Persönlichkeitsbeurteilung (kooperatives Verhalten, Sozialverhalten, Begabungen, Kenntnisse); − Beförderungsbeurteilung (Selbstständigkeit, Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen, Eigeninitiative); − Potenzialbeurteilung (Förderungswürdigkeit, Belastbarkeit) und − Entlassungs- und Versetzungsbeurteilung (in Anlehnung an TIETZ 1993a, S. 674f.). Dass bei jeder Personalbeurteilung Genauigkeit mit psychologischem Geschick des internen oder externen Beurteilers gepaart sein muss, leuchtet ein, ist jedoch nicht immer gewährleistet. So bekennen gelegentlich Personalmanager aus Großunternehmen, dass selbst in psychologisch angelegten Bewerbungsgesprächen nicht alle menschlichen Schwächen des Bewerbers erkannt werden können. Dass ein Bewerber unter Logophobie leidet, unter der Angst, sich zu versprechen oder sich ungeschickt auszudrücken, mag noch erspürt und entschuldigt werden. Aber wie soll man Charakterzüge erkennen und ob ein Bewerber in Zukunft Integrität gewährleistet? Tests wie der Psychologische Integritätstest (PIT) sollen da weiter helfen, vor allem bei der Akquisition von Führungskräften. Ein Personalmanager berichtet wie folgt über sein Dilemma: „Was mache ich denn, wenn einer menschlich sympathisch und fachlich
3.9 Imagepolitik
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gut ist, aber der Test sagt mir, mit ein wenig Anfüttern könnte er unter Umständen korrumpierbar sein?“ (Reinhold, Thomas: Der Korruptionstest, in: FAZ Nr. 53 vom 3.3.2007, S. C 4). Aber auch dem Beurteiler können Beurteilungsfehler unterlaufen. Die Psychologie kennt beispielsweise -
den Milde-Effekt (dem Bewerber Härten und Nachteile ersparen), den Fehler der zentralen Tendenz (Extremurteile vermeiden), den Halo-Effekt (Stützen des Urteils auf den ersten Eindruck), den Kontrastfehler (Abgrenzung des Bewerbers von Vergleichspersonen) oder die Projektion (Schluss von der eigenen Person auf die des Bewerber) (TEWES/WILDGRUBE 1992, S. 47).
Personalbeurteilungen werden nie restlos von derartigen Fehlern und Verzerrungen frei sein können. Im Zweifel kann, das Beurteilungsgespräch ergänzend, auf ein einfaches psychostrategisches Hilfsmittel zurückgegriffen werden: auf die Selbsteinschätzung des Bewerbers bzw. Mitarbeiters, evtl. in Form eines Punktbewertungsverfahrens. Damit bekommt man jedenfalls einen realistischen Eindruck von der individuellen Motivsituation und ihrem Übereinstimmungsgrad mit der Fremdeinschätzung.
3.9
Imagepolitik
Unter Image wird die Gesamtheit aller subjektiven Einstellungen, Erwartungen und Anmutungserlebnisse verstanden, die eine Mehrheit von Menschen über einen Meinungsgegenstand hat. Dabei müssen die subjektiven Vorstellungen nicht objektiv zutreffend sein; auch objektiv falsche Vorstellungen können das Verhalten von Marktpartnern steuern und sich auf den Erfolg eines Handelsbetriebs günstig oder ungünstig auswirken. Als Meinungsgegenstände kommen alle möglichen einfachen oder komplexen wirtschaftlich-sozialen Phänomene in Betracht: ein einzelnes Produkt („Produktpersönlichkeit“), ein Unternehmen, eine politische Partei, eine Gewerkschaft, ein Verband, ein Fußballverein, eine Kirche usw. Im Handel können ebenfalls alle möglichen Erscheinungsformen Meinungsgegenstand sein, etwa der Großhandel oder der Einzelhandel, eine Branche, eine Verbundgruppe, eine Betriebsform, ein Standort, eine Unternehmensgruppe, ein Konzern, eine Einzelunternehmung, ein Handelsbetrieb, eine Filiale, eine Abteilung. Besonders wichtig ist das Image eines Handelsunternehmens bzw. eines Handelshauses (Firmenimage). Dieses Firmenimage hat seinerseits Ganzheitscharakter. Es ist aus vielen Imagefaktoren zusammengesetzt und lässt sich in beliebig viele Subimages für einzelne Komponenten unterteilen, z.B. Sortimentsimage, Preisimage, Personalimage, Serviceimage, Ladenimage usw. Die diversen Subimages stehen jedoch in einer Wechselbeziehung, diverse Anmutungen färben aufeinander ab. Man spricht in der Psychologie vom Halo-Effekt oder Heiligenschein-Effekt (vgl. WYSS 1991, S. 419). Die meisten Menschen haben über die genannten Meinungsgegenstände vorgeprägte Einstellungen, vorgefasste Meinungen. So ist aus empirischen Untersuchungen bekannt, dass Fachgeschäfte pauschal ein positives Image besitzen. Darauf allein kann sich jedoch kein Fachgeschäft verlassen. Es kommt darauf an, im Einzelfall das beeinflussbare individuelle Firmen-
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3 Psychostrategische Entscheidungen des Handelsmanagements
image und die individuellen Subimages zu kennen und diese ggf. gezielt zu ändern. Überdies kann das Firmenimage bei verschiedenen Personengruppen unterschiedlich ausfallen, bei Lieferanten, bei Kapitalgebern, bei Kunden. Bei den tatsächlichen Kunden wie bei den potenziellen Kunden, also auch bei Nicht-Kunden, können wiederum verschiedene Gruppen (weibliche, männliche; alte, mittelalte, junge; Stammkunden, Gelegenheitskunden usw.) oder verschiedene Kundentypen (junge Hausfrau mit einfacher Schulbildung, junge Hausfrau mit höherer Bildung; kinderreicher Haushalt, kinderloser Familienhaushalt, Single-Haushalt; weibliche oder männliche Ruheständler usw.) unterschiedliche Images entwickeln. Solche gruppenspezifischen Images zu kennen, ist besonders im Hinblick auf die im Rahmen der Marktsegmentierung angepeilten Zielgruppen wichtig. Ein Handelsunternehmen, das Imagepolitik betreiben will, muss allen vier konstitutionellen Anforderungen an rationale Politik genügen: 1. Es muss eine Imageanalyse (Lageanalyse) durchgeführt werden. 2. Es muss ein operationales Imageziel(system) formuliert werden. 3. Es müssen – im Falle der Abweichung von Lage und Ziel – imagepolitische Maßnahmen ergriffen werden. 4. Es muss nach einer gewissen Wirkzeit eine Kontrolle über den Grad der Zielerreichung bzw. über die Adäquanz des Mitteleinsatzes stattfinden. Da sich Images im Verlauf der Zeit ändern können – auch ohne bewusste imagepolitische Maßnahmen –, sind Wiederholungsuntersuchungen angeraten. Für die Imageanalyse steht, wie schon erwähnt, ein reichhaltiges Instrumentarium zur Verfügung. Bei den meisten Verfahren der Imageanalyse handelt es sich um einfache, mit geringem Aufwand verbundene Verfahren, die auch von Klein- und Mittelbetrieben eingesetzt werden können (vgl. SCHENK 1991, S. 326). Besonders aufschlussreich und im Grunde auch nur dann sinnvoll sind vergleichende Imageanalysen – sei es, dass man das Firmenimage des Hauses A mit den Firmenimages der Konkurrenten B und C vergleicht, sei es, dass man das empirisch ermittelte Real- oder Ist-Image mit dem gewünschten Soll-Image vergleicht, das Selbst-Image (z.B. der Mitarbeiter) mit dem Fremd-Image (der Kunden) oder das Image des Kundentyps X mit dem des Kundentyps Y. Aus jedem Vergleich werden sofort firmenbezogene Stärken und Schwächen erkennbar. Dabei können originäre eigene Stärken/Schwächen und derivative Stärken/Schwächen, d.h. die komparativen Schwächen bzw. Stärken von Mitbewerbern, unterschieden werden. Daher müssen die eigenen Stärken ggf. werblich herausgestellt und die Schwächen durch geeignete Maßnahmen gemindert oder beseitigt werden. Der psychologische Vorteil der Imageanalyse, besonders der Profilanalyse, liegt darin, dass bei den Probanden kognitive und affektive Merkmale (Items) überprüft werden können. So zielen etwa Fragen nach dem Preisniveau (billig – teuer), nach dem Sortiment (gut sortiert – schlecht sortiert) oder nach dem Verkäuferverhalten (freundliche – unfreundliche Bedienung) auf Wissen und Erfahrung. Andere Fragen können sich auf eher unbestimmte, vage, gefühlsmäßige Eindrücke richten (kalt – heiß; altmodisch – modern; jung – alt). Aus der Psychologie ist bekannt, dass die Imagebildung einerseits die soziale Orientierung erleichtert, die Einordnung von sich selbst und den Meinungsgegenständen in komplizierte soziale Zusammenhänge (Zuordnungsfunktion), andererseits zu stereotyper, mitunter ideolo-
3.9 Imagepolitik
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gischer Bewertung von Tatsachen führt (Entlastungsfunktion). Auch aus diesen Gründen kann ein ungünstiges Firmenimage für ein Handelsunternehmen fatale, äußerlich gar nicht erkennbare Auswirkungen haben: Mögliche Kunden meiden das Geschäft, weil sie seine wahre Leistungsfähigkeit nicht richtig einschätzen oder weil ihnen ein verfestigtes Fehlurteil für die Geschäftsmeidung eine nachhaltige Entlastung gewährt. Aus psychologischer Sicht sollten daher immer auch Firmenimages von Nichtkunden erstellt werden. Ganzheitspsychologisch gesehen müssten alle Imagekomponenten aufeinander abgestimmt, harmonisch und widerspruchsfrei sein. Der Handelsmanager muss sogar das Ideal darin sehen, sämtliche Teilimages möglichst positiv zu gestalten. Das ist jedoch in der Praxis kaum zu realisieren. Auch würden sich gleich günstige und einheitliche Images der Mitbewerber an einem Standort gegenseitig neutralisieren. Sie würden gerade nicht zu dem führen, was die Imagepolitik erreichen will: Präferenzenbildung bei den potenziellen Kunden. Aus diesem Grunde kann die Imageabhebung von Mitbewerbern am Ort, die Polarisierung, psychologisch zweckmäßiger sein. Die komparativen Imagevorteile und Imagenachteile überhaupt zu kennen, ist Voraussetzung für eine fundierte Imagepolitik. Für psychologisch orientierte Anwendung imagepolitischer Maßnahmen ist daher selektives Vorgehen sinnvoller und weniger aufwändig: nur besonders auffällige negative Teilimages zu verbessern und/oder nur besonders auffällige positive Teilimages zu stärken und zu stabilisieren. Mitunter ist sogar nur eine einzige negative Imagekomponente für die Kunden kaufverhindernd oder nur eine einzige positive Imagekomponente kaufauslösend. Die Rechnung, solche dominanten Imagefaktoren nur mit Fingerspitzengefühl herauszufiltern, nur zu vermuten, kann, muss aber nicht aufgehen. Hier wären relativ einfache Zusatzbefragungen durchzuführen, die die Probanden veranlassen, Gewichtungen zu den einzelnen Imagefaktoren abzugeben. Wenn die Kunden des Haushaltswarengeschäfts im Durchschnitt dem Faktor „große Auswahl“ das größte Gewicht beimessen, dann muss das Sortiments-Teilimage in Ordnung gebracht werden. Legen die Kunden des Baumarkts auf den Faktor „Preiswürdigkeit“ besonderes Gewicht, dann muss diesem Punkt die Hauptaufmerksamkeit gewidmet werden (in der Werbung, durch Herausstellung von mehreren Sonderangeboten usw.). Wie immer bei demoskopischen Untersuchungen kommen allerdings Gefahren ins Spiel: 1. bei offenen Fragen die Gefahr der psychologischen Rationalisierung, d.h. der Vorgabe von richtigen, aber von den eigentlichen – unangenehmen – Gründen ablenkenden Antworten als Abwehrmechanismus, und 2. bei hochstrukturierten Interviews mit standardisierten Fragen und vorstrukturierten Antworten die Gefahr, dass das Verhalten steuernde tieferliegende Faktoren gar nicht entdeckt werden. Da nützt es relativ wenig zu erfahren, dass die meisten Kund(inn)en den Imagefaktor „große Auswahl“ am stärksten gewichten, tatsächlich das konkrete Fachgeschäft aber wegen seiner besseren Parkplatzsituation aufsuchen oder wegen der räumlichen Nähe zu einer Aldi-Filiale oder wegen der Sympathie für den Inhaber, der sich für eine neue Kindertagesstätte engagiert, oder wegen irgendwelcher vermeintlich irrationaler Gründe.
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Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Die in den 80er und 90er Jahren in den Vordergrund gerückte Diskussion um strategische Management- und Führungskonzeptionen, um strategische Planung und strategisches Marketing darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass das Handelsgeschäft nach wie vor eine Domäne der taktischen (operativen) Entscheidungen ist. Die strategischen, also auch die psychostrategischen Entscheidungen schaffen den Rahmen, innerhalb dessen das (psycho-) taktische Tagesgeschäft mit − − − −
seinen (mitunter extrem) kurzen Planungszeiträumen, geringerer Unsicherheit des zu erwartenden Ereignisses, höherer Quantifizierbarkeit und Detailliertheit der Plangrößen und leichterer Delegierbarkeit der Entscheidungen
durchgeführt wird. Strategische und taktische Entscheidungen werden in allen Instrumentalbereichen des Handelsmarketings, auf allen vier Märkten des Handelsbetriebs (Beschaffungsmarkt, Absatzmarkt, Konkurrenzmarkt, interner Markt) und auf allen Stufen der Aufbauorganisation getroffen. In einigen Instrumentalbereichen überwiegen jedoch typischerweise die taktischen (operativen) Entscheidungen. Diesen dominant taktischen Entscheidungen gelten die folgenden Überlegungen, und zwar nur insoweit, als für sie eine psychologische Orientierung in Betracht kommen.
4.1
Beschaffungspolitik
Eine alte kaufmännische Weisheit lautet „Im Einkauf liegt der Gewinn“. Und nicht nur den Kunsthändlern – ihnen jedoch in höchstem Maße – ist der Satz vertraut: „Verkaufen kann jeder, aber nicht einkaufen“. Unbestreitbar wird jeder Handelsbetrieb zwischen den verschiedensten Lieferanten und Kunden mit jeweils unterschiedlichen Absatz- und Beschaffungsinteressen tätig. Er muss also ständig ausgleichen und versuchen, beiden Marktseiten gerecht zu werden. Als Folge der raschen Verbreitung der Marketinglehre, die im Kern Absatzpolitik der Konsumgüterindustrie darstellt, werden fast nur noch Verkaufstechniken gelehrt und gelernt. Selbst aufwändige faktorenanalytische Untersuchungen über Aufgaben und Strategien für erfolgreiche Verhandlungen zwischen Verkaufsleitern der Konsumgüterindustrie und Einkaufsleitern des Konsumgüterhandels, die die Notwendigkeit eines Interaktionsmanagements konstatieren, lassen den industriellen Standpunkt erkennen. Aus Einkaufsleiter-Befragungen Persönlichkeitsprofile über beliebte und unbeliebte Vertriebsleiter zu erstellen, um daraus Empfehlungen für „erfolgreicheres“ Verhandeln – wie z.B. verstärkte PersönlichkeitsSchulung (von Vertriebsleitern) und verstärkten Einsatz von (machtvolleren) Verkäufer-
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Teams bei Jahresgesprächen, Listungsgesprächen und Beschwerdegesprächen – abzuleiten, offenbart nur den wissenschaftlich verbrämten Versuch, die Einkaufsleiter-Position zu schwächen (vgl. RUDOLPH/LINGENFELDER 1990). In diese Richtung zielen auch Trainingskurse in Körpersprache (Kinesik), die z.B. der Pantomime S. MOLCHO den Verkaufsleitern zugänglich gemacht hat (vgl. ZICKENDRAHT 1992). Die Einkäufer des Handels, denen die körpersprachlichen Tricks ja nicht verwehrt sind, müssen sich psychologisch darauf einstellen. Sie müssen gewappnet sein, dass sie als beziehungsorientierter, produktorientierter oder kooperativer Typ erkannt werden, dass ihr mangelnder Augenkontakt, ihr unbewegliches Gesicht, ihre gesenkte Kopfhaltung oder ihre nach vorne gezogenen Schultern als Schwäche-Signale gedeutet werden... Im Übrigen stehen die Einkäufer und Einkaufsgremien, zumal in den Zentralen der größeren Handelsunternehmen, in einem typischen Spannungsfeld. Die Einkäufer, etwa Chef- oder Ressorteinkäufer, müssen wegen des sog. PullEffekts zunehmend die Anforderungen der Vertriebsseite, z.B. der Vertriebsleiter, der Verkaufsförderer oder der Geschäftsführer, berücksichtigen (vgl. SCHNEIDER 2006, S. 71). Und was die Lehre von der Beschaffung und den Einkaufstechniken betrifft, so ist sie nicht minder einseitig industriell orientiert (Materialwirtschaft). Dass die Warenbeschaffung für Groß- und Einzelhandelsunternehmen betriebswirtschaftlich nicht nur existentiell wichtig ist und geradezu eine hohe Kunst (mit hohen Risiken) bedeutet, sondern auch eine fundamentale Leistung für das marktwirtschaftliche System darstellt, wird dagegen weitgehend geringgeschätzt, wenn nicht sogar völlig verkannt. Man denke nur an die abschätzige Rede vom verteuernden „Zwischenhändler“ – welcher Pleonasmus! – oder an die weitgehende Ausblendung der Beschaffungspolitik aus den handelsbetrieblichen Lehrbüchern (von wenigen Ausnahmen abgesehen). Dass ein eigenes Beschaffungscontrolling z.B. mit den Aufgabenbereichen Lieferantengespräche, Order- und Lieferpünktlichkeit, Optimierung von Anlieferungstouren und Streckengeschäften trotz hochrangiger Einschätzung durch Handelsmanager, Handelscontroller und externe Berater in der Praxis stark vernachlässigt wird, kann daher kaum verwundern (vgl. WITT 1992, S. 80ff.). Beschaffungspolitik des Handels unter den dominant taktischen Entscheidungen abzuhandeln, mag etwas verwundern und bedarf der Erklärung; denn – abgesehen von den im Handel nicht seltenen habitualisierten Entscheidungsprozessen – existieren tatsächlich weite Bereiche des Wareneinkaufs, die eher durch strategische Entscheidungen und Planungen gekennzeichnet sind. Beispielhaft seien nur erwähnt − die vielen Erscheinungsformen der umfassenden strategischen Partnerschaften (partnering relationship) mit Lieferanten oder Mitbewerbern, z.B. von Karstadt mit dm im Bereich der Drogerieabteilungen oder mit der zur Douglas-Gruppe gehörenden Thalia Holding im Bereich der Buchabteilungen, und des Vertragsvertriebs, der vertraglichen, auf Dauer angelegten Kooperation zwischen Industrie- und Handelsunternehmen, die auch auf einzelne Marketingfelder wie Exklusivbelieferung, Platzschutz usw. beschränkt werden kann, − der organisierte Gemeinschaftseinkauf in den Verbundgruppen des Einzelhandels, − die von Handelsunternehmen erfolgreich betriebene Eigenmarkenpolitik und − die von Handelskonzernen und Verbundgruppen organisierten regelmäßigen Einkaufsbörsen, Hausmessen, Musterungen, Musterschauen, Ordertage u.ä.
4.1 Beschaffungspolitik
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Solche beschaffungsstrategischen Entscheidungen sind wichtig, vor allem im Hinblick auf eine Verknüpfung der Beschaffungsaktivitäten mit der strategischen Absatzplanung, wobei die Absatzplanung in der Regel der Beschaffungsplanung zeitlich vorausgeht. Psychostrategische Überlegungen können durchaus bei den genannten Beispielen eine Rolle spielen. Auch können einige Verhaltensweisen bei der Warenbeschaffung, die sich langfristig ungünstig auswirken, psychologisch erklärt werden. Man denke nur an die wenig kaufmännische Beschaffungspassivität mancher organisierter Facheinzelhändler, die fast hundertprozentig über ihre Gruppenzentrale einkaufen. Das ist gewiss im Sinne der Einkaufskooperation, der an Auftragsbündelung gelegen sein muss – aber kaum im Sinne unternehmerischer Eigeninitiative bei der Warenbeschaffung. Oder man denke an die fast wie naturgegeben hingenommenen Liefer- und Zahlungsbedingungen der Lieferanten, über die zu verhandeln manche Einzelhändler schon verlernt haben. Oder man denke an die Leichtgläubigkeit einkaufender Händler gegenüber den geschickten (an den Handel gerichteten) Werbeappellen oder Außendienstler-Aussagen. Letztere gaukeln gern mit „empirisch nachgewiesenen“ Zahlen hohe Umschlagshäufigkeiten, hohe DPR (Direkte Produkt-Rentabilität), hohe Akzeptanz bei den Konsumenten usw. vor, die aber weder prognostisch zuverlässig sein noch an jedem Standort zutreffen müssen. Hier soll das Hauptaugenmerk auf die autonomen, von Fall zu Fall zu treffenden psychotaktischen Entscheidungen und psychologisch gestützten Argumente beim Einkauf gerichtet werden, da sie situationsbezogen und originärer Natur sind. Dabei soll es im Folgenden keine Rolle spielen, in welcher Organisationsform der Einkauf durchgeführt wird, etwa durch den Geschäftsinhaber, wie es beim Kleinbetrieb regelmäßig der Fall ist, durch einen Sparten-, Filial- oder Abteilungseinkäufer, durch einen Zentraleinkäufer, durch Einkaufsleiter oder durch ein Einkaufsgremium (buying center) bei Mittel- und Großunternehmen oder Verbundzentralen. Beziehen können sich psychotaktische Entscheidungen auf das ganze Spektrum des beschaffungspolitischen Instrumentariums, nämlich auf 1. die Beschaffungsprogrammpolitik, 2. die Beschaffungsmethodenpolitik (Beschaffungswege, Beschaffungsart und Kontaktformen), 3. die Kontrahierungspolitik (Beschaffungspreise, Liefer- und Zahlungsbedingungen, Lieferservice) und 4. die Beschaffungskommunikation.
4.1.1
Beschaffungsprogrammpolitik
Zur Beschaffungsprogrammpolitik zählen vor allem Entscheidungen über die zu disponierenden Warenarten (Artikel und Sorten), Mengen und Nebenleistungen des Lieferanten, aber auch Entscheidungen über die Eliminierung bisher bezogener Waren (Auslistung). Die ureigene handelsbetriebliche Leistungserstellung liegt ohne Zweifel in der Sortimentspolitik, d.h. in der Kombination von (meist bedarfsverwandten) Waren verschiedener Hersteller mit eigenen Dienstleistungen. Im Bereich des Kernsortiments sind die Händler im Allgemeinen mehr oder weniger gezwungen, die bekannten Markenwaren zu führen. Dieser Zwang wird durch die intensive Sprungwerbung (Pull-Methode) ausgelöst. Wer Sortimentskompetenz
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
dokumentieren will, der muss auch die bekannten Marken führen. Derjenige Händler, der seine Zwangssituation jedoch zu erkennen gibt, der nur reaktiv einkauft, verspielt einen psychologischen Trumpf; er begibt sich in eine schwächere Verhandlungsposition beim Einkauf. Eine stärkere Position wird derjenige Einkäufer einnehmen, der bei Einkaufsverhandlungen seine spezifischen Marktleistungen ins Spiel bringt: seine Märkte"produktion", seine Übernahme des Absatzrisikos, seine Servicekompetenz, seine genauere Kundenkenntnis und seine Stellung am lokalen Markt. Solche Einkaufsargumente sind durchaus unabhängig von der Unternehmensgröße und von den Bestellmengen. Schließlich gibt es in den modernen Industriegesellschaften Warenüberfluss, Artikelhypertrophie. Was knapp geworden ist, das sind längst nicht mehr die Waren, sondern die Verkaufsflächen, die Regale und die Katalogseiten des Versandhandels. Den Absatzbemühungen der Hersteller, Präferenzen für ihr Produkt, für ihr Produktionsprogramm – vor allem bei den Verwendern – zu schaffen, müssen die Groß- und Einzelhändler ihre Beschaffungsbemühungen entgegenstellen, nämlich Präferenzen für ihr Sortiment – auch bei den Lieferanten – zu schaffen. Wem es gelingt, sein Geschäft als gut organisierten und am einzelnen Standort unentbehrlichen Markt darzustellen, der kann auch von den Lieferanten Nebenleistungen einfordern (Sonderanfertigungen, Werbehilfen, Display-Material, aufschlagfreie Kleinmengen, Warenrücknahme, Regalpflege, Übernahme des technischen Kundendienstes durch Lieferanten usw.). Im Bereich des Rand- oder Zusatzsortiments liegen die Chancen der Profilierung und der Abhebung von der Konkurrenz. Wer seine Beschaffungsbemühungen auch auf ungewöhnliche, seltene oder exotische Artikel richtet, kann mittels der positiven Ausstrahlung solcher Artikel (Irradiation) einen psychologischen Wettbewerbsvorteil erzielen: Die Kunden, die im Supermarkt japanischem Reiswein (Sake) oder bengalischem Ingwer begegnen, werden beides nicht in großen Mengen erwerben, aber sie erleben einen positiven Aha-Effekt und fühlen sich geschmeichelt, nicht mit dem üblichen Einheitsangebot abgespeist zu werden, sondern aus einem gehobenen Delikatessensortiment auswählen zu können. In Zeiten des Warenüberflusses und der Sättigung des Grundbedarfs haben ausgefallene und überraschende Artikel allemal eine höhere Attraktionskraft als jene ubiquitären, überall erhältlichen Marken- bzw. Massenartikel. Das Aachener Versandhaus Pro-Idee setzt ganz auf das Aufspüren und Anbieten von ausgefallenen Konsumgütern in den USA und in Europa. Seine Kataloge enthalten ein Raritätensortiment, das psychologisch geschickt auf Neugier, Experimentierlust und Vorreiterambitionen der Kundschaft setzt (z.B. Ohr-Endoskope, Spielzeugautos mit Wasserstoffantrieb, Licht- und Soundwecker, zusammenfaltbare Feuerleiter). ProIdee ist es sogar gelungen, die amerikanischen Megalite-Taschenlampen hierzulande heimisch zu machen. Der Firmeninhaber Dieter JUNGHANS über den Erfolg seines ungewöhnlichen (und ungewöhnlich breiten) Neuigkeiten-Sortiments: „Die gemeinsame Klammer unserer Produkte ist, dass sie Vorteile aufweisen, die andere Produkte nicht haben.“ (FAZ Nr. 122 v. 29.5.2007, S. 19). Das Beispiel der Pro-Idee-Kataloge zeigt deutlich die Mischung aus psychostrategischen und –taktischen Entscheidungen: dort das langfristige Katalogkonzept („360-Grad-Shopping-Erlebnis“), hier die ständige Substitution bisheriger durch neuartige Artikel. Ohne Zweifel spielt in den Verhandlungen zwischen industriellen Verkäufern und händlerischen Einkäufern, also zwischen Kaufleuten als Marktpartnern, Macht eine Rolle, d.h. nach Max WEBER die Chance, seine eigene Vorstellung beim Marktpartner auch gegen dessen Widerstreben durchzusetzen. Die Einkäufer des Handels sind heutzutage im Zeichen der
4.1 Beschaffungspolitik
157
Käufermärkte im Allgemeinen in einer günstigen Lage. Von dem von bestimmter industrieller Seite systematisch verbreiteten Vorwurf „der Nachfragemacht des Handels“ brauchen sie sich allerdings nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen; denn in dieser pauschalen Form ist er falsch und schlicht Ideologie. Es kommt in dem wechselseitigen Anbieter- und Nachfragermacht-Verhältnis nämlich ganz auf den Einzelfall an, und da sitzt einmal der Verkäufer (vielleicht wegen eines begehrten und knappen Artikels), ein andermal der Einkäufer (vielleicht wegen eines nicht mehr gängigen Artikels) am längeren Hebel. Und wenn in Marketing-Lehrbüchern vor ECR-Führerschaft seitens des Handels gewarnt wird und davor, den Herstellern drohe durch ECR „die Verpflichtung zur Just-in-Time-Belieferung“ (WINKELMANN 2006, S. 387), lenkt das von der Tatsache ab, dass das Konzept der Efficient Consumer Response selbst aus industriellem Interesse entwickelt wurde.
Im Übrigen kann dem Handel Einiges an Einkaufsmacht sogar durch die staatliche Wirtschaftspolitik zuwachsen. Ein gutes Beispiel lieferte die auf der Grundlage des Gesetzes über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen vom 27.8.1986 erlassene und am 21.6.1991 in Kraft getretene Verpackungsverordnung. Die darin vorgeschriebene Rücknahmeverpflichtung von Transportverpackungen, Umverpackungen und Verkaufsverpackungen, die auf der Grundlage von § 6 Abs. 3 VerpackVO gegründete „Duale System Deutschland GmbH (DSD)“ und das von der DSD vergebene Lizenzzeichen „Grüner Punkt“ hatten dazu geführt, dass Einkäufer des Einzelhandels auf Lieferanten erheblichen Druck nicht nur ausüben konnten, sondern geradezu ausüben mussten (Auslistung von Artikeln ohne Grünen Punkt und/oder mit überflüssigen oder nicht verwertbaren Verkaufsverpackungen); denn bei einem Scheitern des Dualen Systems wären stark belastende Kosten- und Selbstentsorgungsprobleme auf die Einzelhandelsunternehmen zu gekommen. Einige Unternehmen haben seinerzeit für ihre Einkäufer umweltbezogene Einkaufschecklisten und Verpackungsrichtlinien erstellt. Wurden Hersteller diesen Anforderungen nicht gerecht, dann mussten sie mit Auslistung oder Lieferantenwechsel rechnen. In diesem Zusammenhang sind Einzelhandelseinkäufern auch neue psychostrategische Chancen erwachsen, Hersteller für umweltfreundliche oder umweltfreundlich verpackte Eigenmarken zu gewinnen (vgl. MÖHLENBRUCH 1992, S. 212). Seit der letzten Änderung der Verpackungsverordnung am 30.12.2005 wird seitens der Einzelhandelsverbände immer noch Klage geführt über die bürokratischen Regelungen über die Verwertungs- und Rücknahmepflichten bei Verkaufsverpackungen sowie über selbst entsorgende Schwarzfahrer, die sich weigern, Entsorgungskosten für den Verpackungsabfall zu zahlen. Vor allem ist die Pfandpflicht für Einwegverpackungen umstritten, für einen Markt, den die mächtigen Lebensmitteldiscounter zunehmend beherrschen, während die durchschnittliche Mehrwegquote bis auf 41,4 Prozent (Dezember 2006) ständig zurückgegangen ist.
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Da bekanntlich Wissen Macht ist, haben einige Einkäufer eine Trumpfkarte in der Hand, die sie nicht leichtfertig verspielen sollten: die tages- und artikelgenauen Scanner-Daten. Die Verlockungen sind groß, solche wichtigen aktuellen Marktdaten zu verkaufen, sei es an Hersteller, sei es an Marktforschungsinstitute. Einige Handelshäuser sind dieser Verlockung wegen der außerordentlichen Erträge aus Datenweitergabe oder den Lockrufen nach modernem, „kooperativem“ elektronischen Datenaustausch zwischen Industrie und Handel (electronic data interchange EDI) auch erlegen. Ob es psychotaktisch sinnvoll ist, dieses Wissenskapital als wichtige Verhandlungsbasis aus der Hand zu geben, ist zumindest fraglich. Wenn unter Kaufleuten alle Techniken des hard selling erlaubt sind, dann müssen auch Techniken des hard buying erlaubt sein, zumal bei Händlern, die eine Funktion des Makleramtes (R. SEYFFERT) übernehmen und stets auch die Interessen der Kunden wahrzunehmen haben. Wer im Handel über bessere betriebsinterne Informationen und über bessere relevante Informationen über die Wahrscheinlichkeit des Eintritts bestimmter Umweltzustände verfügt als seine Konkurrenten, der ist zwar leichter einem Ausbeutungsverdacht – gemäß der Typologie von R. GÜMBEL speziell dem informationsorientierten „strukturbedingten Ausbeutungsverdacht (SAV)“ – ausgesetzt, aber er genießt auch einen Wettbewerbsvorteil (vgl. GÜMBEL 1985, S. 17–24).
4.1.2
Beschaffungsmethodenpolitik
Bei der Beschaffungsmethodenpolitik können Entscheidungen über die Wahl der Beschaffungswege, das Ausmaß der Beschaffungsbindung und die Kontaktformen der Beschaffung unterschieden werden. Zunächst zu den Beschaffungswegen. Bei der indirekten Beschaffung des Einzelhandels werden besondere Institutionen eingeschaltet (Großhändler, Handelsvertreter, Kommissionäre, Handelsmakler), die teils Lager-, teils Sortimentsfunktionen mit übernehmen. Bei der direkten Beschaffung erfolgt der Wareneinkauf direkt bei den Herstellern. Bei den Beschaffungswegeentscheidungen haben sich für viele Einzelhandlungen bereits gewohnheitsmäßige Verhaltensmuster eingespielt: Man kauft den Artikel X bei „seinem“ Grossisten (oder „seiner“ Kooperationszentrale) A, den Artikel Y bei „seinem“ Vertreter B und den Artikel Z bei „seinem“ Hersteller C ein. Betriebswirtschaftlich stehen meist Überlegungen der rationellen Abwicklung und der Beschaffungskonzentration hinter derartiger Habitualisierung des Einkaufs. Es besteht jedoch die Gefahr, dass dabei Marktchancen nicht erkannt oder ungenutzt bleiben. Werden die Beschaffungsquellen frei gewählt, spricht man von ungebundener Beschaffung. Liegen gesetzliche oder vertragliche Bindungen an bestimmte Beschaffungsquellen vor, dann spricht man von gebundener Beschaffung. Gemäß dem marktwirtschaftlichen Grundrecht der Vertragsfreiheit hat jeder Einzelhändler grundsätzlich die freie Wahl seiner Lieferanten (Verbot des Kontrahierungszwangs). Das wettbewerbsrechtlich erlaubte Instrument der Vertriebsbindung gibt allerdings Herstellern von Markenwaren die Möglichkeit an die Hand, bestimmte gewerbliche Abnehmerkreise von der Belieferung auszusperren. Das führt mitunter zu massiven Beschränkungen. Immer wieder werden Klagen laut, dass Kleinbetriebe oder preisaggressive Fachgeschäfte, aber auch Warenhäuser, von bestimmten Markenwaren-Herstellern nicht beliefert werden, die angeblich als Schutz vor Imageverlusten „Preisruhe an der Verkaufsfront“ bewahren möchten. Dazu nur ein Beispiel: Im Bereich der Babyund Kinderbekleidung konnten jahrelang für junge Eltern oft „unerschwingliche“ Verkaufs-
4.1 Beschaffungspolitik
159
preise im Facheinzelhandel realisiert werden. Die junge und engagierte Hamburger Unternehmerin M. MANDELBAUM wollte hier mit ihrem Konzept „Markenartikel zu Dumpingpreisen“ für Abhilfe sorgen. Solange ihr Unternehmen Mama Handelsgesellschaft mbH als „Kellergeschäft“ arbeitete, bereiteten ihr Banken und Lieferanten erhebliche Schwierigkeiten. Sie habe um Waren regelrecht gebettelt, über Mittelsmänner bestellt und dann oftmals monatelang auf die Lieferung warten müssen. Seit das Unternehmen zu einem Netz mit 15 Filialen zwischen Flensburg und Hameln gewachsen war, kamen auch die restriktiven Vertriebsbinder nicht mehr an ihrer Belieferung vorbei ... (vgl. FAZ Nr. 108 vom 10.5.1994, S. 22). Psychotaktisch kann die Begünstigungsrichtung des Gesetzgebers sozusagen umgekehrt werden, wenn nämlich ein Handelsunternehmen selbst initiativ wird und eine solche Bindung mit einem Markenwarenhersteller, etwa beim Direktbezug, anstrebt (Bezugsbindung). Die psychologischen Vorteile beispielsweise einer Exklusivhändler-Vereinbarung bzw. eines Alleinvertriebsvertrags liegen auf der Hand: Der Händler braucht vor Ort (jedenfalls in Bezug auf das Produktionsprogramm des Vertragspartners) keine unmittelbare Konkurrenz zu fürchten, und in den Augen der Kunden gilt er wegen seiner Alleinstellung als besonders leistungsfähig, womöglich als der führende Händler am Platze. Beschaffungsbindungen sind – de facto, nicht de iure – auch regelmäßig mit dem Eintritt in eine Einkaufskooperation verbunden. Von der bereits angesprochenen Gefahr der Beschaffungspassivität abgesehen, liegt in der Beschaffung über eine Verbundzentrale mit Großhandelsfunktion jedoch aus psychotaktischer Sicht auch eine Chance: nicht nur das Knowhow des Handelsmarketings, sondern auch das Einkaufsgeschick zu zentralisieren und in die Hände von geschulten Facheinkäufern zu legen. Als Kontaktformen der Beschaffung können drei persönliche und eine unpersönliche unterschieden werden: − − − −
Residenzprinzip, Domizilprinzip, Treffprinzip und Distanzprinzip.
Eng verbunden damit sind die Formen des Warenkontakts (Kauf nach Inspektion, Muster bzw. Probe und Beschreibung bzw. Abbildung) (vgl. HANSEN 1990, S. 492). Beim Residenzprinzip suchen der Lieferant bzw. seine Außendienstler den Einzelhändler auf, sei es bei der erstmaligen Aufnahme einer Geschäftsbeziehung, sei es bei den laufenden Geschäftsbeziehungen. Für den einkaufenden Händler hat diese Kontaktform den psychologischen Vorteil des Heimspiels. Der Händler kann sich dabei beschaffungspassiv verhalten, er kann aber auch aktiv und psychotaktisch vorgehen: Er empfängt z.B. selektiv nur genehme Lieferanten, ggf. nur nach Anmeldung oder nach vorgegebenem Besuchsplan, er kann psychologische Hilfsmittel einsetzen (karg ausgestattete Besprechungsräume, verspätet eintreffender Einkäufer) und im Extremfall sogar Besuchsverbote aussprechen. Dem Außendienst von Konsumgüterherstellern – den angestellten Verkaufsleitern und Reisenden mehr noch als den selbstständigen Handelsvertretern – kommt diese Kontaktform trotz der psychologischen Situation des Auswärtsspiels meist sogar gelegen; denn so kann man am ehesten auf den konkreten Verkaufspunkt (point of sales POS) einwirken (Platzierungsgespräch), so ist in einem Zug eine Wareninspektion möglich, so können Produktinformationen gegeben und
160
4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Marktinformationen eingeholt, Aufträge entgegengenommen sowie Warenauslieferung (teilweise) und unter Umständen das Inkasso durchgeführt werden. Selbstverständlich bietet diese Kontaktform beiden Beteiligten auch die Gelegenheit zur Aufnahme und Pflege persönlich-freundschaftlicher Beziehungen. Dabei bringt es die eigenständige Interessenlage der Handelsvertreter mit sich, dass sie sowohl gegenüber ihren vertretenen Unternehmen als auch gegenüber ihren gewerblichen Kunden entstehende Konflikte mit besonderer psychologischer Behutsamkeit auszutragen, zu kanalisieren (nicht abzuschaffen) versuchen müssen (vgl. hierzu F.W. NERDINGER/L. von ROSENSTIEL/E. SIGL/E. SPIESS: Handelsvertreter und Verkaufsleiter, Stuttgart 1990, und E. SIGL/E. SPIESS/L. von ROSENSTIEL/F.W. NERDINGER: Handelsvertreter und Kunden, Köln 1993). Beim Domizilprinzip kommt es zu einem persönlichen Zusammentreffen am Ort des Lieferanten. Aus der Sicht des einkaufenden Händlers ist diese Kontaktform mit größerem Aufwand (durch eigene oder fremde Beschaffungsorgane, Reisekosten, Transportkosten im Falle der C&C-Warenabholung usw.) verbunden. Sie gewährt jedoch die Möglichkeit der produktionsnahen und gründlichen Diskussion aller Preise und Konditionen, z.B. als Jahresgespräch – mit dem eher bescheidenen psychologischen Vorteil des räumlichen Entgegenkommens. Sofern Lieferanten Händlertage, Händlermeetings, Hausmessen o.ä. in den eigenen Räumen durchführen, ergeben sich nicht nur interessante Einblicke in deren Marketingkonzept und ihr gesamtes Warenangebot, sondern vielfach auch attraktive Sonderpreise und -konditionen. Bedeutsame Beschaffungseinrichtungen für den Groß- und Einzelhandel stellen Ausstellungen, Messen, Warenbörsen, Auktionen (auch in der Form des Veilings, d.h. der zügigen Abwicklung der Versteigerung über Uhren und per Knopfdruck der Einkäufer), Großmärkte oder trade marts (ständige Verkaufsausstellungen von Herstellern derselben Branche oder derselben Region) dar. Bei dieser Kontaktform des Treffprinzips kommen gewerbliche Lieferanten und Kunden an einem dritten Ort außerhalb ihrer Firmensitze zusammen. Je nach Veranstaltungstyp kommen mehr oder weniger psychotaktische Elemente ins Spiel. Während Ausstellungen und Messen reichlich Gelegenheit zur Information und zu Preisabsprachen bieten, sind letztere beim Veiling gänzlich ausgeschlossen. Eine bemerkenswerte Kontaktform des Treffprinzips stellen die von einigen Einkaufskooperationen veranstalteten Einkaufsbörsen dar. Z.B. organisierte die Interfunk eG jährlich eine solche Börse nur für ihre Fachhandelsmitglieder, auf der die Unterhaltungselektronik-Industrie ihre Programme anbot, regelmäßig zu Sonderkonditionen, z.T. schon mit dem erheblichen Zugeständnis der Jahreswertdisposition. Eine unpersönliche Kontaktform stellt das Distanzprinzip dar. Die Beschaffungsaktivitäten sind dabei auf schriftliche, ggf. elektronische Kontakte reduziert. Unproblematisch ist diese Kontaktform bei Routinebestellungen, wie sie etwa im Buchhandel und bei Apotheken verbreitet sind. Als Informationsweg bietet sie für Groß- und Einzelhändler Vorteile der Schnelligkeit und der Objektivität bei der Informationsbeschaffung (Produktdarstellung, Lieferfähigkeit). Dabei sind die psychotaktischen Einwirkungsmöglichkeiten reduziert; denn die Lieferanten können einem Verhandlungsdruck zum Teil ausweichen. Eine Sonderform des Distanzprinzips stellt die telefonische Kommunikation dar. (Hier passt der Ausdruck Kommunikation wirklich einmal! Anders als beim Anschlagplakat als Medium der „Einwegkommunikation“ sind die beiden Gesprächspartner im echten wechselseitigen Gedankenaustausch, beide fungieren als Sender und Empfänger). Bei der Tabakwaren-Großhandlung Neifer, Oberhausen, und bei der Edeka-Großhandlung in Moers war beispielsweise zu erfahren, dass man übereinstimmend den Telefonkontakten größte Bedeutung beimisst. Auch
4.1 Beschaffungspolitik
161
wenn das Warenangebot schriftlich oder elektronisch mitgeteilt werden kann – die einkaufenden Händler und Gastronomen legen größeren Wert auf den Telefonkontakt. Er ist mit seinen vielen Möglichkeiten – von der kurzfristigen Offerte (Sonderangebot) bis hin zum Schwätzchen mit der Telefonistin – psychotaktisch ausgesprochen effizient. Er schafft leicht das Vertrauen, das sonst mühsam durch ständige moral suasion erzeugt werden müsste. Der Tabakwaren-Grossist hat seine Telefonkontakte sogar institutionalisiert, d.h. die Kunden werden nach einem festgelegten Zeitplan angerufen und geben zu den ihnen bekannten Zeiten die Bestellungen für die Belieferung am selben Tag durch.
4.1.3
Kontrahierungspolitik
Eine hochrangige kaufmännische Aufgabe bei der Warenbeschaffung ist in der Kontrahierungspolitik zu sehen. Sie umfasst drei Aktionsbereiche mit vielfältigen psychotaktischen Einflussmöglichkeiten: − Beschaffungspreispolitik einschließlich der Rabattpolitik (Preis- und Rabattgebotpolitik), − Einflussnahme auf die Lieferungs- und Zahlungsbedingungen einschließlich der Kreditpolitik (Konditionen- und Kreditforderungspolitik) sowie − Einflussnahme auf den Lieferservice (Lieferantenservicepolitik). In der Marketinglehre werden diese Aktionsbereiche stets aus der Sicht des Anbieters, des Verkäufers, oft sogar nur des industriellen Anbieters von Markenwaren, behandelt. Dadurch ist weitgehend das Verständnis für die Preis- und Konditionenverhandlungen unter Kaufleuten verlorengegangen. Die einseitige Fixierung auf die Ware als Absatzleistung des Verkäufers hat den Blick dafür verstellt, dass der Einkäufer aus dem Handel seinerseits spezifische Leistungen zum Tausch anbietet: seine Markterschließung, seine Risikoübernahme, sein Sortiment, sein Ladenlokal, sein Personal, seinen Service, seinen internen betrieblichen Markt. Für die Inanspruchnahme dieser Handelsleistungen ist ebenfalls ein Entgelt zu entrichten, das in Preis- und Konditionenverhandlungen zu berücksichtigen ist. Jeder Verkaufspreis des Anbieters, sein Rabatt, sein Kredit und sein Service stellen im Vorfeld der Realisierung, also während des Verhandlungsprozesses (bargaining), nur eine Preisforderung, ein Rabattgebot, ein Kreditgebot und ein Serviceangebot dar. Ihnen stellt der einkaufende Händler nach Maßgabe seiner eigenen Handelsleistung sein Preisgebot, seine Rabattforderung, seine Kreditforderung und seine Serviceforderung gegenüber. Erst nach Einigung wird durch das Zustandekommen des Kaufvertrags aus Preisforderung und Preisgebot der realisierte Preis. Entsprechendes gilt für die übrigen Elemente der Konditionenpolitik. Auf diesen grundlegenden Tatbestand muss mit Nachdruck hingewiesen werden. Preise, Preisnachlässe, Liefer- und Zahlungsbedingungen, Kredite und Skonti (Preisnachlässe für nicht in Anspruch genommenen Lieferantenkredit) und Service des Lieferanten – alles dies ist für den Geschäftsverkehr unter Kaufleuten nicht gesetzmäßig bestimmt, in der Höhe nicht vorgeschrieben, kein Naturgesetz und nicht vom Himmel gefallen, sondern psychotaktischer Verhandlungsgegenstand. Lieferanten nutzen allerdings gern den psychostrategischen Schachzug, ihre Liefer- und Zahlungsbedingungen auf Katalogen, Preislisten, Lieferscheinen und Rechnungen aufzudrucken, die dann beim Geschäftsabschluss automatisch zum Vertragsbestandteil werden. Hier müssen die Handelskaufleute vorher das Kleingedruckte studieren und ggf. auf Differenzierung bzw. Verhandlung drängen.
162
4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Die Verhandlungsmöglichkeiten über Beschaffungspreise und -konditionen steigen im Allgemeinen mit zunehmender Abnahmemenge, weswegen mittelständische Facheinzelhändler sich erfolgreich zu Einkaufskooperationen zusammengeschlossen haben. Im Zeichen übersättigter Märkte verbessert sich die Verhandlungsposition des einkaufenden Einzelhändlers manchmal auch aus anderen Gründen. Erwähnt seien auf seiner Seite nur Barzahlung und auf der Marktgegenseite Überlager bei Herstellern, Exporteuren oder Importeuren oder plötzlich auftauchende Warenbestände aus Konkursen, Versicherungsschäden oder Armeebeständen. Dann schlägt die Stunde der flexiblen Schnäppchen-Händler. Welche Erfolge sich in kurzer Zeit erzielen lassen, beweisen die zahl- und erfolgreichen Schnäppchen- oder Sonderposten-Märkte und die (recht unterschiedlichen) Schnäppchen-Kaufhäuser von Strauss und Metzen. Nach Angaben der WirtschaftsWoche Nr. 3 vom 14.1.1994 hatte z.B. W. METZEN 269.000 Uniformteile der ehemaligen DDR-Polizei und der Nationalen Volksarmee für 30.000 DM bar gekauft, zum Stückpreis von rd. 11 Pfennig. Verkauft wurden die Uniformjacken, -hosen und Krawatten zum Stückpreis von sechs DM. Schließlich steigen die Chancen der Einflussnahme auf Lieferantenabgabepreise und -konditionen mit besserer, d.h. genauerer (artikelgenauer) und schnellerer Information aus offenen oder geschlossenen Warenwirtschaftssystemen sowie aus beschaffungspolitischen Datenaufbereitungen des Handelscontrollings (insbesondere Sortimentsportfolios und Lebenszykluscontrolling) (vgl. WITT 1992, S. 34–78). Dass Rabatte, Boni und Skonti nicht nur gewährt, sondern auch gefordert werden können, wird gern übersehen. Und dass verschiedene Rabatt-, Bonus- und Skontoarten auch kumuliert werden können, hat so manche Klage laut werden lassen. Allerdings war auch ein bemerkenswertes Eigentor der vormaligen Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels (HDE) dabei. Sie polemisierte in ihrem „Schwarzbuch“ mit einer langen Liste von „sündhaften“ Rabatt-, Bonus- und Skontoarten gegen den entsprechenden Erfindungsreichtum aus den eigenen Reihen. Aber egal, „unangemessener Rabatt“ oder „Rabattmissbrauch“ hin, Rabattkumulierung oder „Rabattitis“ her – hier liegt jedenfalls ein weites Feld für psychotaktische Feinsteuerung der entgeltlichen Gegenleistung für die Handelsleistung des einkaufenden Händlers, das man nicht als „Ausbeutung“, „brutalen Machtmissbrauch“ oder ähnlich diskriminieren sollte. Nicht ohne Grund hatte der Gesetzgeber im ehemaligen Rabattgesetz (von 1933) die Begrenzung des Barzahlungsrabatts auf maximal 3 Prozent für Waren des täglichen Bedarfs nur auf den Geschäftsverkehr zwischen Einzelhandel und Verbrauchern eingeführt. Wenn es jedoch einem gewerblichen Einkäufer gelang, 10 Prozent Mengenrabatt plus 5 Prozent Selbstabholrabatt plus 3 Prozent Montagsrabatt plus 3 Prozent Schaufensterrabatt, insgesamt also 21 Prozent Gesamtrabatt, bei einem gewerblichen Verkäufer zu realisieren, dann bestand kein Grund zur Aufregung; denn zum einen war nicht gesagt, ob nicht ein anderer Einkäufer beim selben Lieferanten in den Genuss von 28 Prozent Gesamtrabatt kam, weil die Verkaufspreise (Preisforderungen) der Lieferanten meist wenig transparent sind, und zum anderen sind Warenwert und distributive Vorleistungen schwer zu quantifizieren und zu vergleichen (vgl. HANSEN 1990, S. 505). Schließlich kommt kein Geschäft zustande, wenn es nicht für beide Seiten von Vorteil ist! Noch eine Bemerkung zur „Rabattitis“. Das „ungesunde“ Überbieten mit immer höheren Rabatten, die immer weitere Verbreitung von Rabattangeboten und die Ankündigung von immer neuen Rabattarten („11-12-Uhr-Rabatt am Dienstag“) – meist eine Begleiterscheinung von gesamtwirtschaftlichen Krisensituationen – hat ihrerseits eine psychologische Wirkung auf die potenziellen Kunden: Sie führt zu einer Verstärkung der Krisenstimmung, an der keinem Handelsmanager gelegen sein kann.
4.1 Beschaffungspolitik
163
Bei kontrahierungspolitischen Verhandlungen wird von beiden Marktpartnern mehr oder weniger originäre oder derivative Marktmacht eingesetzt. Aber nur bei extremen und höchst seltenen Marktseitenverhältnissen (des reinen Monopols oder des reinen Monopsons) kann der Marktpartner durch Druck oder Zwang zur Ohnmacht verurteilt sein. Normalerweise können weder Lieferanten noch einkaufende Einzelhändler ihre jeweilige Marktgegenseite als einflussloses Kollektiv behandeln. Vielmehr stehen sich im Regelfall Marktpartner mit der Notwendigkeit gegenseitiger singulärer Behandlung gegenüber. Dann bleibt jedem Verkäufer und jedem Einkäufer ein Verhandlungsspielraum. Der Einkäufer kann sowohl den Geheimwettbewerb unter verschiedenen Lieferanten ausnutzen als auch auf zahlreiche Argumentationshilfen zurückgreifen: kostenrechnerische Überlegungen, ökonomische Vorteilsabwägungen für den Lieferanten und Marktanteilsberechnungen (vgl. BARTH 1993, S. 263ff.). Da bei großen Einkaufsmengen über erhebliche Budgets verfügt werden kann, muss das Handelsmanagement dafür Sorge tragen, dass keine Gelder veruntreut oder für Korruption missbraucht werden. Großunternehmen sind gut beraten, wenn sie einen internen oder externen compliance officer oder eine eigene Anti-Korruptionsabteilung mit der Kontrolle lauteren Geschäftsgebarens beim Einkauf unterhalten. Das Aufgabenspektrum von Compliance Officers reicht über die Einkaufskontrolle, vor allem in sensiblen Auslandsregionen, hinaus. Sie wirken mit bei der Festlegung von Verhaltensregeln, übernehmen Aufgaben des Qualitätsmanagements, überwachen das Verbot von Mobbing und Diskriminierung im Betrieb oder achten auf ethisch korrekte Auswahl von Geschäftspartnern. Im Übrigen wird der Zentraleinkauf von größeren Filialunternehmen und Handelskonzernen und -verbundgruppen zunehmend über global funktionierende Internet-Handelsplattformen abgewickelt (global procurement). Dabei stellt der Einkäufer sein Gesuch (mit Konkretisierung der Warenqualität und –menge oder mit genauen Produktvorgaben im Falle der Exklusivfertigung) für eine kurze Frist ins Netz. Daraufhin geben mögliche Lieferanten weltweit ihre Gebote ab. Bis zum Ablauf der Frist können sie ihre Preisangebote senken, so dass der Einkäufer am Ende – auch ohne persönlichen Einsatz von Nachfragermacht – dem interessantesten Anbieter den Fertigungs- und/oder Lieferauftrag erteilen kann. Die seit langem herrschende Marketingsicht kennt im Grunde nur Kundendienst, also absatzmarktgerichtete Dienstleistungen, als Gegenstand der Servicepolitik, nicht aber den Lieferantendienst als beschaffungsmarktgerichtete Dienstleistungen. Die übliche Sicht verkennt die Komplexität der händlerischen Servicepolitik: Sie steht zumindest in einem VierSektoren-Spannungsfeld, wenn man bedenkt, dass Service für zwei Marktseiten geboten, aber auch von zwei Marktseiten gefordert werden kann. (Übersicht 6) Übersicht 6: Die Sektoren der Servicepolitik im Einzelhandel
ABSATZMARKT
BESCHAFFUNGSMARKT 1
SERVICEGEWÄHRUNG
aktiver Kundendienst
SERVICEFORDERUNG
reaktiver Kundendienst
2 aktiver Lieferantendienst
3
4 reaktiver Lieferantendienst
164
4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
In allen vier Sektoren sind psychotaktische Elemente der Servicepolitik auszumachen. Der an den Absatzmarkt gerichtete, autonome Service (1) und der auf Verlangen der Kunden gewährte Service (3) werden später im Abschnitt 4.6 behandelt. Hier soll das Augenmerk auf den an den Beschaffungsmarkt gerichteten, autonomen Service (2) und auf den auf Verlangen der Lieferanten gewährten Service (4) gelenkt werden. Der Service, der eigens für Lieferanten angeboten wird, der aktive Lieferantendienst, ist aus psychotaktischer Sicht vorzüglich geeignet, bei den Lieferanten Präferenzen für das eigene Handelsunternehmen zu schaffen. Hier kommt es auf den Erfindungsreichtum des Handelsunternehmens an, attraktive Formen zu finden. Sie können von der Betriebsbereitschaft des Wareneingangs – ggf. zu Nachtstunden – über Bereitstellung von Entladepersonal bis hin zu produktbezogenen Marktinformationen reichen. Die Zentrale der Edeka Rhein-Ruhr GmbH in Moers hat beispielsweise für einige deutsche und niederländische Lkw-Lieferanten separate Kojen in der Frischwaren-Lagerhalle eingerichtet, die das fremde Transportpersonal auch nachts mit eigenen Schlüsseln bedienen kann. Der auf Verlangen der Lieferanten gewährte reaktive Lieferantendienst, der über den üblichen vom Lieferanten in Anspruch genommenen Service hinausgeht (Neben- oder Zusatzleistungen), ist Gegenstand von individuellen Verhandlungen und setzt entsprechende Kooperationsbereitschaft voraus. Wiederum steht ein breites Spektrum von Diensten zur Verfügung, das von der Delegation der Warenauszeichnung und -etikettierung über Zulassung von Dekorationsdiensten bis hin zum selbstständigen Tätigwerden von Lieferanten im Verkaufsraum des Einzelhändlers, wie z.B. bei der permanenten Regalpflege durch Regalgroßhändler (rack jobber), reicht.
4.1.4
Beschaffungkommunikation
Unter Beschaffungskommunikation sind alle Informationen zu verstehen, die an potenzielle und tatsächliche Lieferanten gerichtet werden und diese zu Lieferungen (und ggf. zu Nebenleistungen) veranlassen sollen. Eine genaue „spiegelbildliche“ Entsprechung zu den drei Aktionsbereichen der Absatzkommunikation – Werbung, Verkaufsförderung und Öffentlichkeitsarbeit oder Public Relations (PR) – besteht nicht, da sich die Absatzkommunikation primär an Verbraucher bzw. Letztverwender der Waren richtet, die Beschaffungskommunikation jedoch an gewerblich tätige Lieferanten. Als Aktionsbereiche der Beschaffungskommunikation zählen daher vor allem Beschaffungswerbung und Konkurrenzaufruf. Ergänzend könnten noch Maßnahmen der Vertrauenswerbung genannt werden; sie sind jedoch für einkaufende Handelsbetriebe im Grunde nur in Zeiten der Warenverknappung mit einer Verkäufermarktsituation relevant. Die Beschaffungswerbung verfügt zwar nicht über den differenzierten Medieneinsatz der (indirekten) Absatzwerbung und ist im Wesentlichen auf direkte persönliche Gespräche, Briefe (Postbriefe und Faxbriefe) und elektronische Kontakte begrenzt. Dafür besitzt sie jedoch den psychotaktischen Vorteil der individuellen Formulierung der Beschaffungswünsche und der individuellen Präsentation des eigenen Handelsunternehmens als geeigneten Vertriebspartner. Da sich die Zeiten geändert haben und Handelsbetriebe nicht mehr beliebig als Warenverteiler (Distributeure) „ein- oder ausgeschaltet“ werden können, da sie sich längst als gleichberechtigte, oft gleichstarke Marktpartner emanzipiert haben, hat sich auch ihre psychologische Nachfragersituation verschoben: Abgesehen von einigen Fällen markt(über)mächtiger Hersteller, die den Vertrieb ihrer Waren fest im Griff haben und zur
4.1 Beschaffungspolitik
165
Vertriebsbindung oder zur Selbstvermarktung (Fabrikläden, Depotsystem, Kommissionsagentursystem) übergegangen sind, müssen Handelsbetriebe nicht mehr darum werben, überhaupt beliefert zu werden. Vielmehr sind ihre beschaffungswerblichen Bemühungen eher darauf gerichtet, bei den Lieferanten eine Vorzugsstellung, etwa wegen ihrer örtlichen Bedeutung, eingeräumt zu bekommen. Solche Vorzugsstellungen können in Sonder- oder Exklusivfertigungen, in Sonderpreisen, Sonderkonditionen, mengenmäßigen oder zeitlichen Vergünstigungen bei der Belieferung u.a. zum Ausdruck kommen. Im Allgemeinen verfügen Großabnehmer und/oder Großunternehmen des Handels über bessere beschaffungswerbliche Möglichkeiten. Insbesondere verkraften sie höhere Kosten der Beschaffungswerbung (Anzahl und Qualität der Werbekontakte; Werbegeschenke; Einladungen zu Geschäftsessen und dergleichen). Aber psychotaktisch sind Klein- und Mittelbetriebe keineswegs per se in der schwächeren Position; denn sie können persönliches Engagement, direkten Kundenkontakt, Kompetenz und Sachkunde werblich einsetzen. Beim persönlichen beschaffungswerblichen Kontakt liegt die psychologische Kunst des Einkäufers vor allem in einfühlendem Verstehen (der von C. ROGERS so genannten Empathie): Er muss die augenblicklichen Gefühle und Absichten seines Gegenübers, des Verkäufers, verstehen. Überdies vermag der organisierte Facheinzelhandel über seine Einkaufsverbände kooperative Beschaffungswerbung wirksam einzusetzen. Zur möglichst optimalen Berücksichtigung der Mitgliederinteressen bei der Beschaffungswerbung sollte allerdings bei den Kooperationszentralen ein Fachhändlergremium für Beschaffungswerbung eingerichtet werden. Der im Einzelhandel kaum verbreitete Konkurrenzaufruf verdient gleichwohl Erwähnung als Aktionsbereich der Beschaffungskommunikation. Die an alle denkbaren Lieferanten gerichtete öffentliche Ausschreibung (Submission) oder die gezielt an bestimmte Lieferanten gerichtete beschränkte Ausschreibung sollen dem ausschreibenden Handelsunternehmen die günstigsten Einkaufsbedingungen sichern (vgl. SEYFFERT 1972, S. 492). Der öffentlichen Ausschreibung bedienen sich zwar in erster Linie Behörden und sonstige öffentliche Institutionen, und zwar hauptsächlich für hochwertige und/oder langlebige Güter, aber im Prinzip steht sie auch Handelshäusern und Verbundgruppen offen, etwa auf elektronischen Marktplätzen. Aus psychotaktischer Sicht hat die Ausschreibung folgende Vorteile: 1. Ohne großen Aufwand an Beschaffungsmarktforschung eröffnet eine einzige öffentliche Ausschreibung die Kontaktaufnahme mit interessierten Lieferanten. 2. Die Bieter wissen sich von vornherein der horizontalen Konkurrenz ausgesetzt und werden in der Hoffnung auf den Zuschlag knapp kalkulieren. 3. Langwierige Preis- und Konditionenverhandlungen können entfallen. 4. Wenn das Ausschreibungsverfahren eindeutig und transparent ist (z.B. Öffnung der Gebote zum festgesetzten Zeitpunkt unter notarieller Aufsicht, Zuschlag an den günstigsten Bieter), dann trägt es präferenzbildende Züge besonderer Solidität. Als Nachteile müssen allerdings die fehlenden Verhandlungsmöglichkeiten, der Zeitaufwand und die Gefahr der Absprache unter den Bietern (Ringbildung) gesehen werden. Nach diesem kursorischen Überblick über ausgewählte psychotaktische Aspekte des beschaffungspolitischen Instrumentariums sei kurz die Frage der systematischen Beschaffungspolitik gestreift. Auch wenn in der Praxis des Groß- und Einzelhandels häufig kurzfristig und wenig systematisch eingekauft wird – bei Sonderangeboten, unvorhergesehenen "Occasionen", Schnäppchen aus Konkursmassen, Geschäftsauflösungen oder Versicherungsschäden muss sogar schnellstens und wenig systematisch gehandelt werden –, so ist möglichst genaue
166
4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Beschaffungsplanung gleichwohl wichtig. Dazu sind in Wissenschaft und Praxis diverse Modelle und Planungstechniken entwickelt worden. Zu nennen sind vor allem Beschaffungskalkulation, Limitplanung, Modelle der optimalen Bestellmenge, des Mindestlagerbestands, der EK-Preisobergrenze oder der Skontoverzinsung und Scoring-Modelle zur optimalen Bezugsquellenwahl oder zur Artikellistung (vgl. BARTH 1993, S. 290–324). Sofern sich Handelsunternehmen dem Umweltschutzgedanken verschrieben haben, rüsten sie ihre Einkäufer für die Jahresgespräche mit speziellen Umweltprüflisten aus; die darin geforderten Vorgaben (im Extrem Vorlage von Ökobilanzen durch die Hersteller) müssen bei den Einkaufsverhandlungen beachtet werden. Hier gilt der Migros-Genossenschaftsbund als Vorreiter. An dieser Stelle sei das Augenmerk auf drei Hilfsmittel systematischer Beschaffungspolitik gerichtet, die mit psychologischen Problemen verbunden sind: EDV-gestützte Einkaufslisten, Merkmalskataloge über Lieferantenstruktur, -eigenschaften und -verhalten sowie Einkäuferschulung. Handelsunternehmen mit Warenwirtschaftssystem können artikel- und tagesgenaue Einkaufslisten für ihre Einkäufer erstellen. Die DV-Programme greifen auf die Modelle der optimalen Losgröße zurück und beziehen alle relevanten quantifizierbaren Beschaffungsfaktoren des Unternehmens ein (Lagerbestand, Auftragsbestand, freie Lagerkapazität, Lagerumschlag, Tagesstand des Einkaufsbudgets bzw. der liquiden Mittel für den Einkauf, Kapitalkosten). Als erste Versuche mit derartigen Einkaufslisten bei der damaligen Kaufring eG erfolgreich verliefen, entstand bei den Einkäufern die Sorge, entbehrlich zu werden. Diese Sorge war unberechtigt. Das neue Hilfsmittel der detaillierten Einkaufslisten, durch Tastenklick aufgerufen und ausgedruckt, gab ihnen nun eine verlässliche Grundlage für die persönlichen Einkaufsgespräche an die Hand – eine sichere Basis für psychotaktische Verhandlungen. Ein relativ einfaches Instrument systematischer Beschaffungspolitik stellt ein Merkmalskatalog für die optimale Auswahl der Lieferanten dar. Eine solche Prüfliste (check list) wie in Übersicht 7 bewirkt jedenfalls, dass kein wichtiges Merkmal übersehen wird. Die Zusammenstellung eines Merkmalskatalogs garantiert als solche noch keine zieladäquate Lieferantenauswahl. In Abstimmung mit konkreten Beschaffungszielen und in Verbindung mit Gewichtungen für die einzelnen Lieferantenmerkmale (Punktbewertung) werden jedoch die Einkaufsentscheidungen besser fundiert, nachvollziehbar, konsistent, kontrollierbar und gegebenenfalls delegierbar (vgl. THEISEN/TER HASEBORG 1979, S. 169). Für das psychotaktische Verhandlungsgeschick des Einkäufers bleibt allemal Raum, da die Prüfliste nur den Handlungsrahmen absteckt.
4.1 Beschaffungspolitik
167
Übersicht 7: Katalog der Lieferantenmerkmale Preis
Zahlungskonditionen Qualität
Verpackung Transport Mengen
Lieferzeit
Finanzsituation
Image
Marktstellung
Lieferanten/Abnehmer-Beziehung
Nebenleistungen
Grundpreis Preisnachlässe (Rabatte, Boni) Preisverhandlungsbereitschaft Kostenstruktur Offenlegung der Kalkulation Zahlungsziel Skonto Einhaltung der Qualitätsnormen (Reklamationen, Retourenhäufigkeit) Qualitätsüberwachung Technische Fortschrittlichkeit Garantie Kooperationsbereitschaft bei Produktgestaltung Technische Flexibilität Produktionsprogrammbreite und -tiefe Verpackungsmittel Verpackungskonditionen Transportmittel Transportkonditionen Mindestabnahmemenge Höchstliefermenge (Kapazität) Mindermengenzuschlag Lieferfrist Einhaltung der Lieferfrist (Mahnungen, Ausfälle) Lagerhaltung Kooperationsbereitschaft bei Eilbedarf Eigenkapitalbasis Cash Flow Liquidität Firmenimage Produktimage Ruf als Arbeitgeber Abhängigkeit von Vorlieferanten Vertriebswege, Vertriebsbindung Marktanteil Konkurrierende Hauptabnehmer Relation Losgrößen/Auftragsgrößen Möglichkeit zu Gegengeschäften Übernahme der Warenauszeichnung Übernahme der Regalpflege Bereitstellung von Verkaufskräften Werbekostenzuschüsse Übernahme von Einrichtungskosten Bereitschaft zu Zusatzleistungen
In einer Zeit, in der für manches Unternehmen betriebsexterne Beratung anscheinend wichtiger geworden ist als eigene Managementanstrengung, blieb es nicht aus, dass sich öffentlich geförderte Betriebsberatungsstellen und private Unternehmensberater auch mit der Schulung des Einkaufspersonals beschäftigten. Das Schulungsangebot reicht von seminaristischen Managementkursen für Einkaufsleiter, Lehrgängen für Zentraleinkäufer oder Einkäufertraining für Klein- und Mittelbetriebe über schriftliche Ratgeber bis hin zu Fernlehrgängen. Solche Schulungen sind, insbesondere in praxisnahen Formen mit menschlichem Kontakt (Face-to-face-Unterricht, Simulation, Rollenspiel), insofern lehrreich, als psychologisch
168
4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
zweckmäßiges wie unzweckmäßiges Verhalten – insbesondere Sprache (Stimme, Sprechweise, Formulierung, Tonfall) und non-verbale Interaktion (Gestik, Körperhaltung und -bewegung, Mimik, Gebärden, äußere Erscheinung, Sitzposition und andere Formen der Körpersprache) – unmittelbar erlebt und diskutiert werden kann, ggf. anhand von VideoAufzeichnungen. Dialektische Argumentationsweise wird so gezielt gelernt oder verbessert und der eine oder andere psychotaktische Trick anwendbar: − Fragen stellen und antworten lassen. Psychologisch ist der Fragende in der Position des Überlegenen. Der Antwortende hat nicht nur die Arbeit der Formulierung, die ihn in der Sache bindet und das beste Psychogramm seiner Person liefert. Der Fragende hat die Möglichkeit des Ein- oder Nachhakens und gerät in die Rolle des Informierenden, des Gebenden und Dienenden (signaling); − Wünsche, Möglichkeiten, Grenzen, Sorgen, Hobbys des Verkäufers erkunden (und später in einer Verkäufer-Kartei notieren bzw. in einer Verkäufer-Datei speichern); − einschüchtern, z.B. den eingeladenen Verkäufer vor seinem Gang durch zwei Vorzimmer warten lassen, Garderobe und Sitzgelegenheit erst nach „Belastungspause“ anbieten; − imponieren, z.B. mit einer üppigen Geschäftskarosse, mit Begleitung von zwei Einkaufsassistenten, mit hochherrschaftlichem Outfit usw. Wenn man einen Blick in die „Ratgeber“-Literatur mit „Rezepten für partnerschaftlichen Einkauf“ wirft (deren Autoren sich für Gurus zu halten scheinen), werden jedoch Zweifel wach: Es werden meist mehr Fragen als Antworten geboten. Auch können die Tricks und Rezepte schon mal menschenverachtend ausfallen oder auf einer derart abstrakten Sprachebene abgefasst sein (der sog. Metasprache), dass sie für praktische Belange wenig hilfreich erscheinen: „Die Einkaufsstrategie ist engpasskonzentriert. Sie sucht durch eine geschickte Fragetechnik zu ermitteln, wo das zur Zeit brennendste Problem bei Anbietern ist und wird herausfinden, wie durch Selbstorganisation positiver Interessen auf beiden Seiten bestmögliche Erfolge sich automatisch ergeben.“ (P. KÖCKMANN: Einkaufsstrategie kontra Verkaufsstrategie – und zwar stets fair, Bad Wörishofen 1981; vgl. auch E.K. DUSCHEK: Einkaufsgespräche erfolgreich führen. Technik und Taktik im Einkauf, München 1977). Angesichts solcher Ratgeber-Literatur erinnert man sich an den Philosophen, Soziologen und Psychologen Paul WATZLAWICK. Er hatte die Leser von Ratgebern stets gewarnt und ihnen gezeigt, dass vermeintliche Lösungen oft keine Lösungen sind und die Suche nach ihnen das eigentliche Problem darstellt.
4.2
Sortimentspolitik
Auch wenn mehr und mehr Händler klagen: „Heutzutage kann man nur noch über den Preis verkaufen“, wenn sie der Preispolitik also Vorrang vor allen anderen Bereichen des Handelsmarketings zuschreiben, so ist und bleibt doch die Sortimentspolitik der wichtigste händlerische Aktions- und Entscheidungsbereich. Die systematische, zielgerichtete Zusammenstellung von Waren verschiedener Hersteller in Kombination mit eigenen Diensten, die Sortimentsbildung, wird immer die Kernfunktion des Handels (R. SEYFFERT) bleiben. Sie ist und bleibt die spezifische und unverwechselbare Leistung jedes Handelsunternehmens. Daher bleiben der Begriff Sortiment und alle Wortzusammensetzungen mit dem Bestandteil Sortiment, etwa Sortimentsdimension, Sortimentsdynamik, Sortimentskontrolle usw., auch
4.2 Sortimentspolitik
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dem Handel vorbehalten. Hersteller produzieren und führen Produkte, Produktlinien oder Produktionsprogramme – aber kein Sortiment. Diese möglichst differenzierte, an Lieferantenmöglichkeiten und an Kundenwünschen ausgerichtete Zusammenfassung von Warenalternativen macht den Handelsbetrieb als Absatzmarkt für Lieferanten attraktiv und gleichzeitig als Beschaffungsmarkt für gewerbliche Nachfrager (Großhandel) oder nicht-gewerbliche Nachfrager (Einzelhandel). Die zu beachtenden Nebenbedingungen der Sortimentsbildung, nämlich Konkurrenzsortimente sowie räumliche, personelle und finanzielle Kapazitäten, machen einmal mehr deutlich, dass das Handelsmarketing immer vier-Märkte-gerichtet ist (Beschaffungsmarkt, Absatzmarkt, Konkurrenzmarkt und interner Markt). Sortimentspolitik bezeichnet den permanenten, zielgerichteten Gestaltungs- und Anpassungsprozess der Kombination von Waren und Diensten eines Handelsbetriebs im Hinblick auf die Erfordernisse seiner vier Märkte.
Es würde zu weit führen, alle lehrbuchüblichen Aspekte der Sortimentspolitik zu verfolgen: Sortimentsaufbau (Sortimentspyramide), Sortimentsarten (Kernsortiment, Randsortiment, Zusatzsortiment), Sortimentsdimensionen (Breite/Tiefe), Sortimentsdynamik und Sortimentskonstanz, Sortimentskontrolle, Sortimentsverbund, die Rahmenbedingungen und die Einflussfaktoren der Sortimentsgestaltung (zu letzteren vgl. vor allem MÖHLENBRUCH 1994, S. 35–66) usw., wobei fast immer auch psychostrategische und/oder psychotaktische Erwägungen eine Rolle spielen. Hier soll in zwei Schritten exemplarisch vorgegangen werden: Im ersten Schritt wird die MASLOWsche Bedürfnispyramide als Ausgangsmodell für systematische Überlegungen zur psychotaktischen Sortimentspolitik gewählt, im zweiten Schritt werden psychotaktisch besonders interessante Einzelphänomene der Sortimentspolitik behandelt.
4.2.1
Bedürfnispyramide und Sortimentspolitik
Der klinische Psychologe A.H. MASLOW hat in seinem Buch „Motivation and Personality“ (New York 1970) eine fünfstufige Motivhierarchie („Bedürfnispyramide“) vorgestellt. Diesem Modell zufolge entwickelt jeder Mensch Bedürfnisse in aufsteigender Reihe. Ausgehend von den primären Bedürfnissen werden nach ihrer Befriedigung zum Zwecke der fortschreitenden Selbstentfaltung höhere (sekundäre) Bedürfnisse entwickelt, die wiederum Handlungen zu ihrer Befriedigung auslösen. Nach dem Homöostase-Prinzip versucht der Organismus, Mangelzustände oder Störungen zu beseitigen, um das innere Gleichgewicht wieder zu erlangen. Werden bestimmte Bedürfnisse der unteren Motivklassen (Defizitbedürfnisse) nicht befriedigt, können sie zu Erkrankung führen; das Selbstverwirklichungsbedürfnis ist nicht tilgbar. Die fünf hierarchisch angeordneten Motivklassen zeigen die Prioritäten auf. Nach dem Vorrangigkeitsprinzip werden erst nach Befriedigung der physiologischen Grundbedürfnisse Sicherheitsbedürfnisse befriedigt. Ihnen folgen soziale Bindungsbedürfnisse, Wertschätzungsbedürfnisse und schließlich Selbstverwirklichungsbedürfnisse. Bedürfnisse der niederen Motivklasse verlieren allerdings nie ganz ihre Wirksamkeit.
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Übersicht 8: Die Bedürfnishierarchie von Maslow
Bedürfnis nach Selbstverwirklichung (need for self-actualisation) Wertschätzungsbedürfnisse (esteem needs) Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Liebe (belongingness and love needs) Sicherheitsbedürfnisse (safety needs) Physiologische Bedürfnisse (physiological needs) (Nach H. RAFFÉE: Grundprobleme der Betriebswirtschaftslehre, Göttingen 1974, S. 128)
Das MASLOWsche Modell ist intensiv diskutiert und kritisiert worden. Vor allem werden folgende Einwände vorgetragen: − Die Anzahl und die Reihenfolge der Motivklassen sind schwer begründbar; − empirisch konnte nachgewiesen werden, dass kein Zusammenhang zwischen der Befriedigung der Bedürfnisse einer Klasse und der Stärke der Motive der nächsthöheren Motivklasse besteht; − auch nach Befriedigung der Motive der höheren Motivklassen bleiben diese weiterhin subjektiv bedeutsam; − das Verlangen nach Selbsterfüllung kann auch auf „niederen Trieben“ beruhen; − die Merkmale der Selbstverwirklichung sind schichtspezifisch, intersubjektiv und interkulturell verschieden (vgl. FRANKE/KÜHLMANN 1990, S. 256–259). Dennoch hat der MASLOWsche Modellansatz nachhaltige Anregungen für die betriebliche Führungspraxis geliefert. Für psychostrategische und -taktische Orientierung des Handelsmanagements bietet er gewiss Anregungen, wenngleich die Handelsbetriebslehre bislang davon so gut wie keinen Gebrauch gemacht hat. In Übersicht 9 sei daher einmal versucht, den fünf MASLOWschen Motivklassen und ausgewählten psychischen Zielzuständen jeweils psychotaktische Sortimentsentscheidungen an die Seite zu stellen. Dass bestimmte Motivklassen nur für Einzelhandlungen bestimmter Branchen und Betriebsformen relevant sind, für andere kaum oder gar nicht, versteht sich von selbst. So können Möbelhandlungen und Möbelabteilungen in Kaufhäusern der Befriedigung des Schlafbedürfnisses dienen, nicht aber dem Ziel Essen und Trinken. Eine Luxusboutique oder ein Exklusivversandhaus können den Prestigebedarf eher stillen als ein Fachdiscounter usw. Gleichwohl sollte jeder Einzelhandelsbetrieb prüfen, ob und wie er sortimentspolitische Entscheidungen auf die verschiedenen Motivklassen abstellen kann. Im Übrigen bietet das Modell der Bedürfnispyramide ein Entscheidungsgerüst für sonstige psychotaktische Überlegungen des Handelsmarketings,
4.2 Sortimentspolitik
171
insbesondere für nicht-warengebundene servicepolitische Überlegungen, auf die im Abschnitt 4.6 zurückzukommen sein wird. Übersicht 9: Bedürfnishierarchie und Sortimentsentscheidungen Motivklasse
Zielzustände
Selbstverwirklichung
Entfaltung der eigenen Möglichkeiten Künstlerische Artikel; Do-it-yourself-Artikel und und Fähigkeiten -Handbücher; Selbsterprobungs-/Vorführgelegenheit; innovative Artikel; Unikate Selbstvertrauen, Selbstachtung, Ausbau des Zusatzsortiments; Artikel mit hohem Unabhängigkeit, Stärke, Leistung, Prestigewert; Sortimentsausrichtung nach LebensKompetenz, Anerkennung, Prestige, stil-/Käuferzielgruppen; üppige Warenvielfalt; Ruhm, Würde, Status Liebe, Freundschaft, Kontakt, Zuge- Warenbeschreibung und -erklärung; Vorführung; hörigkeit Zugabe; Werbegeschenk; umweltfreundliche Waren Daseinssicherung, Zukunftsvorsorge, Waren mit Gütesiegeln, Prämierungen, guten Geborgenheit, Ordnung, Stabilität, Warentestergebnissen; Qualitätsgarantien; UmSchutz, Angstfreiheit tauschrecht; Haltbarkeits-/Frischegarantie; überschaubares Angebot; Bedarfsbündel (Heimwerker, Freizeit, Sport, Garten, Kind); Bequemlichkeitsverbund Essen, Trinken, Wohnen, Schlafen Führen des Grund-/Kernsortiments
Wertschätzung
soziale Bindung
Sicherheit
physiologische Bedürfnisse
Sortimentsentscheidungen
Die in der Übersicht 9 angesprochenen Sortimentsentscheidungen bedürfen der Konkretisierung und der maßgeschneiderten Differenzierung im Einzelfall. Neue Sortimentsideen müssen entwickelt werden. In der Praxis läuft die neue Sortimentsidee meist nur darauf hinaus, bisher im Marktgebiet noch nicht geführte Artikel aufzunehmen. Die Orientierung erfolgt dann an der Angebotspolitik der Lieferanten oder an der Sortimentspolitik der Konkurrenz. Psychotaktisch wertvoller wäre hingegen die Erkundung tatsächlicher oder latenter Defizite bei den Kunden. Es wird immer dringlicher für das Handelsmanagement, Ideengenerierung zum Gegenstand systematischer Planung zu machen. Die Gesamtheit des Warenangebots – immerhin rd. 60.000 Artikel in einem Baumarkt, 80.000 Artikel im Otto-Hauptkatalog oder 240.000 Artikel im KaDeWe –, mittels Datenverarbeitung auf ihre Kombinationsmöglichkeiten hin durchzuspielen, mag „verwegen“ erscheinen (BEREKOVEN 1990, S. 93). Eine Möglichkeit, zu neuen Sortimentsideen zu gelangen, ist es schon. Eine andere, psychotaktisch sinnvollere wäre allerdings die, Motive, Wünsche und Ängste der tatsächlichen und der potenziellen Kunden durch eigene Handelspsychologen laufend zu erforschen und im Sortiment umzusetzen. Selbstverständlich darf bei psychotaktisch orientierter Sortimentspolitik die Sortimentskontrolle nicht außer acht gelassen werden. Von den zahlreichen zur Verfügung stehenden Verfahren seien nur erwähnt: Fehl- und Nichtverkaufskontrolle, Umschlagshäufigkeit, Rennerund-Penner-Listen, ABC-Analyse und Kennzahlenanalyse (wie Bruttoertrags-, Bruttonutzen-, Wertkennzahlen- und Deckungsbeitragsanalyse). Solche betriebswirtschaftlichen Kontrollkennzahlen sollten jedoch nicht das einzige Entscheidungskriterium für die Sortimentspolitik sein; denn für die dauerhafte Zufriedenheit der Kunden, ihre Wunschentsprechung, ihren
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Angstabbau und ihre Imagebildung sind Artikelspannen und -deckungsbeiträge der ungeeignetste Gradmesser. Sie bedürfen der Ergänzung um eine psychotaktische Sortimentskontrolle mit spezifischen Kontrollverfahren. Hier kommen z.B. die Messung der Nachfrageelastizität in Bezug auf psychotaktische Sortimentsentscheidungen (Sortimentselastizität der Nachfrage) und direkte Befragungen zur artikel- oder sortimentsbezogenen Kundenzufriedenheit in Betracht.
4.2.2
Einzelphänomene der Sortimentspolitik
Im Grunde kennt jedes einzelne Handelsunternehmen ungezählte Einzelphänomene der Sortimentspolitik, die sich nur psychologisch erklären lassen und die man meist nur bewusst psychotaktisch auslösen kann. Vieles ist branchen- und betriebsformenspezifisch. Manches ist streng gehütetes Betriebsgeheimnis. Einiges kommt durch Vorträge, Aufsätze oder in Erfahrungsaustauschgruppen ans Licht der (Fach-)Öffentlichkeit. Hier und da leuchtet auch einmal ein aufregendes oder verblüffendes Stück Sortimentspolitik in Firmengeschichten, Monographien und Lehrbüchern auf, wobei allerdings ein Dilemma besteht: Einerseits lassen sich Einzelbeispiele im Allgemeinen nicht einfach übertragen, etwa von einem Drogeriemarkt auf ein Modeversandhaus oder von einem Spezialgeschäft auf ein SB-Warenhaus. Andererseits sind allgemeine Rezepte kaum möglich, es sei denn, sie sind so abstrakt abgefasst, dass sie keine brauchbare Hilfe mehr für ein konkretes Handelshaus bieten. Die folgenden Beispiele wollen daher auch nicht mehr bewirken als Anregungs- oder Warnsignale sowie Anstöße zur eigenen Ideengenerierung zu geben. Aus psychologischer Sicht kann Gestaltfestigkeit als Grundanforderung an jedes Sortiment angesehen werden. Je klarer und prägnanter das Sortimentskonzept ist, desto eher stößt es auf Akzeptanz bei allen Marktbeteiligten. Lieferanten und Kunden entwickeln bestimmte Sortimentserwartungen für bestimmte Betriebsformen. Ihren Erwartungen muss mit angemessener Sortimentsbreite und -tiefe entsprochen werden. Eine (typologische) Methode, die Vielfalt der Warengruppen in wenigen Merkmalen abzubilden, stellt die Formulierung von zehn prägnanten Sortimentscharakteren dar, wie sie etwa Erich KÜTHE entwickelt hat (vgl. KÜTHE 1980, S. 170f.). Die eingebaute Psychologie der Sortimentsprägnanz besagt, dass ein komprimierter Reiz ausgesendet wird, der von den Empfängern keine komplizierte Decodierung mehr verlangt: „Tausendfach – alles unter einem Dach“, „Plus – dein MarkenDiskonter“, „Die Klinke“, ein Spezialgeschäft für Türklinken und Beschläge in Düsseldorf. Für das Handelsmanagement besteht die Möglichkeit, verschiedene Sortimentscharaktere zu kombinieren und nach ihrer Bedeutung zu ordnen und darauf die Maßnahmen des Handelsmarketings abzustimmen. Wird eine Politik der Sortimentsdynamik betrieben, beispielsweise über − trading up (signifikante Anhebung des Qualitätsniveaus bei Waren und Dienstleistungen), − trading down (signifikante Absenkung des Qualitätsniveaus bei Waren und Dienstleistungen), − Sortimentsausweitung (Sortimentsexpansion; zunehmende Sortimentsbreite und/oder -tiefe; gelegentlich falsch bezeichnet als Diversifikation, die nicht die Aufnahme von
4.2 Sortimentspolitik
173
neuen Artikeln oder Sorten ins Sortiment, sondern die Aufnahme völlig neuer Geschäftsfelder, z.B. Gastronomie, Versicherungen, Frisiersalon o.ä., bedeutet), − Sortimentseinschränkung (Sortimentskontraktion; geringere Sortimentsbreite und/oder -tiefe), − Sortimentssubstitution (Sortimentsvariation; Ersatz einer Warengruppe durch eine andere) oder − Diversifikation (Aufnahme neuer Tätigkeitsbereiche und/oder Dienstleistungen zusätzlich zum bisherigen Sortiment), dann muss auch die jeweilige Tendenz eindeutig, klar und prägnant sein. Für trading up und trading down stehen Sortimentsänderungen zwar im Vordergrund; es können aber auch andere Instrumente des Handelsmarketings verstärkt oder abgeschwächt eingesetzt werden. In einer auch psychologisch orientierten Typologie wurden z.B. trading up- bzw. trading downMaßnahmen durch zunehmende bzw. abnehmende − Profilierung, − Spezialisierung, − Akzentuierung, − Thematisierung, − Problemlösung, − Aktualisierung, − Stimulierung oder − Betriebsgröße vorgeschlagen (vgl. KÜTHE 1980, S. 177f.). Alle Maßnahmen sind jedoch auf die tragende Leitidee des Unternehmens abzustimmen. Andernfalls führen Widersprüche (z.B. zunehmende Sortimentstiefe und abnehmende Dienstleistungen oder Sortimentsausweitung in drei Abteilungen bei gleichzeitiger Sortimentseinschränkung in zwei anderen Abteilungen) zu Irritationen bei den Kunden, ggf. zu Fehlverkäufen (vorübergehend nicht vorrätige Artikel) und zu Ladenhütern. Der Vollständigkeit halber ist noch auf die sortimentspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten − Sortimentskonstanz und − Sortimentsinnovation hinzuweisen. Angesichts des sich ständig wandelnden Güterangebots, der Konkurrenzaktivitäten und des elastischen Verbraucherverhaltens stellt die Beibehaltung des Sortiments zwar im Regelfall keine besonders sinnvolle Strategie dar. Taktisch-kurzfristig kann der Verzicht auf Änderungen im Sortiment jedoch in Einzelfällen zweckmäßig sein, etwa bei der sog. Partievermarktung. Der Sortimentsinnovation können sowohl die Entwicklung völlig neuartiger Sortimente als auch durchgreifende Verbesserungen von Warengruppen auf Grund von technischen Fortschritten, demographischen Änderungen (Senioren-, Frauenorientierung), Verbrauchswandlungen, Forderungen des Umweltschutzes u.ä. zugeordnet werden (vgl. hierzu MÖHLENBRUCH 1994, S. 170–183).
174
4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements BREITE
T I E F
+
–
o
S
+
1 B+/T+
2 B–/T+
3 Bo/T+
4 Bs/T+
–
5 B+/T–
6 B–/T–
7 Bo/T–
18 Bs/T–
o
9 B+/To
10 B–/To
11 Bo/To
12 Bs/To
s
13 B+/Ts
14 B–/Ts
15 Bo/Ts
16 Bs/Ts
E
Abb. 20: Konstellationen der Sortimentsdynamik
Welche Fülle an Kombinationsmöglichkeiten für die Sortimentsdynamik bestehen, kann schon an den sog. Sortimentsdimensionen Breite (B) und Tiefe (T) aufgezeigt werden. Es ist zu beachten, dass Breite und Tiefe des Sortiments nicht-operationale Begriffe darstellen, da keine eindeutige, numerische Abgrenzung möglich ist. Verwendbar sind diese "Sortimentsdimensionen“ allerdings als Ziel- oder Richtungsangaben und für vergleichende Sortimentsanalysen: breiteres, schmaleres, tieferes, flacheres Sortiment. Verknüpft man Breite und Tiefe mit den vier sortimentspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten: Ausweitung (+), Einschränkung (–), Beibehaltung (o) und Substitution (s), dann ergeben sich nicht weniger als 15 Konstellationen der Sortimentsdynamik (Abb. 20). Mit Ausnahme der Konstellation in Feld 11 – Konstanthalten des Sortiments – sind bei allen anderen Variationen psychologische Reaktionen der Marktpartner zu berücksichtigen. So kann z.B. ein Fachgeschäft für Bürokommunikation, das im Sinne der Konstellation 8 anstelle von Personal Computern vermehrt Notebooks führt („Breitensubstitution“) und gleichzeitig das PC-Angebot auf die gängigen Modelle von nur noch zwei Herstellern beschränkt („Tiefeneinschränkung“, Artikelausdünnung), von den übrigen Herstellern bzw. Lieferanten wie von den Kunden als weniger attraktiv empfunden werden. Die mehr oder minder große Auswahl bedarfsverwandter Artikel im Sortiment löst höchst verschiedene Reaktionen bei den Kunden aus. Das reichhaltige Sortiment eines einzigen Hauses kann bei einem Kunden das Glücksgefühl der Wahl- und Konsumfreiheit, bei einem anderen eine innere Zerrissenheit über die Diskrepanz zwischen Warenfülle und Besitzwunsch bei begrenztem Budget (kognitive Dissonanz) und bei dritten Angst vor der Überfülle und seiner „Qual der Wahl“ oder Orientierungslosigkeit und Verwirrung (consumer confusion) auslösen. In seiner umweltpsychologischen Studie zählt z.B. ein Autor – von fehlenden Qualitätshinweisen über komplizierte Erreichbarkeit, diffuse Labelpolitik und zu enge Gänge bis hin zu verführenden Preisaktionen – nicht weniger als 43 Faktoren auf, die im Einzelhandel zur Konsumentenkonfusion führen (SCHWEIZER 2005, S. 303f.). Allerdings kann kein Groß- oder Einzelhändler alle denkbaren Reaktionen seiner Kunden kennen. Sie reichen vom beinahe triebhaften Verlangen nach Bedürfnisbefriedigung, vom Verlangen nach Kontakt mit neuen Waren und mit Menschen (Appetenzverhalten) bis zur gefühlsmäßigen Abneigung, zur Ablehnung oder gar zum Widerwillen gegen bestimmte Waren oder Menschen (Aversionsverhalten). Immerhin bietet die Sortimentspolitik mit ihren differen-
4.2 Sortimentspolitik
175
zierten Waren- und Dienstleistungsalternativen die beste Gelegenheit, unterschiedlichste Charaktere, Kundentypen und Gesellschaftsschichten anzusprechen. Die Handelswissenschaft hat das Bild vom Händler als Schleusenwärter (gate keeper) übernommen. Die 1963 von K. LEWIN im Rahmen seiner Feldtheorie und dort speziell der psychologischen Ökologie entwickelte Gate-keeper-Theorie konnte trefflich auf die Sortimentspolitik übertragen werden; denn jeder Händler lässt immer nur eine Auswahl an Waren durch sein „Einkaufsschleusentor“ in sein Sortiment. Aus psychologischer Sicht erfährt diese Theorie eine sinnvolle Abrundung; denn durch die Sortimente werden auch die „Verkaufsschleusentore“ zu den Kunden hin mehr oder weniger weit geöffnet: „Alles für alle an allen Orten“ (omnia, omnibus, ubique, wie es im Firmenwappen von Harrod’s heißt) oder höchst Spezialisiertes für extreme Sonderbedürfnisse und Motivstrukturen. In die Schleuse gelangt nur ein durch Ladenkapazität und Anspruchsniveau begrenztes Sortiment. Der Primat liegt jedoch nicht mehr im Einkaufs-, sondern im Verkaufsschleusentor. Nur was den Kundenwünschen, den Konsumnotwendigkeiten und den Konsumträumen entspricht, darf Einlass durch das Einkaufsschleusentor finden. Ein psychologisches Element ist für die Sortimentspolitik besonders wichtig: die Ausstrahlung der Kundenzufriedenheit oder -unzufriedenheit von einer Ware(ngruppe) oder Abteilung auf andere (Irradiationseffekt). Wer mit der einen gekauften Ware oder mit der Beratung in der einen Abteilung zufrieden ist, der überträgt sein positives Urteil leicht auf die anderen Waren oder Abteilungen. Wer hingegen mit einer Ware oder Abteilung unzufrieden ist, der überträgt sein negatives Urteil wahrscheinlich auf andere Waren oder Abteilungen. Die positive Ausstrahlung führt ebenso wahrscheinlich zu Wiederholungskäufen und zur Heranbildung von Stammkunden wie die negative Ausstrahlung zur Vermeidung von Wiederholungskäufen und zur Kundenabwanderung. Diese Erkenntnis ist besonders bedeutsam für sog. Markenfamilien (profilierende Eigenmarken!) und weniger bekannte Markenwaren, für Verbundsortimente und für Katalogangebote des Versandhandels und der Heimzusteller. Für Handelsmarken, die nicht als Individualmarke konzipiert sind, also als Gruppenmarke („Privileg“, „Revue“, „A & P“, „Naturkind“) fungieren oder durch ein gemeinsames Symbol verbunden sind (das „blaue Quadratband“ bei co op; Verbandszeichen der Einkaufskooperationen; „Die Weißen“ oder „Die SPARsamen“ als sog. no names), liegt im Irradiatonseffekt die absolute Notwendigkeit begründet, für alle verbundenen Marken strenge Qualitätssicherung durchzuführen. Versandhäuser und Heimzusteller stehen vor derselben Aufgabe der strengen Qualitätskontrolle; denn in diesem sensiblen Geschäft – beim Versandhandel ohne persönlichen Kontakt – genügt eine einzige schlechte Einkaufserfahrung für negative Ausstrahlung mit der Folge von Kaufzurückhaltung oder gar Aufkündigung des Kontakts. Nicht nur für Hersteller, sondern auch für Einzelhändler spielen Waren mit Qualitätssiegeln und eigenen oder fremden Labels eine nicht zu unterschätzende psychologische Rolle. RALTestate, DIN-Normen, Gütesiegel, „test“-Urteile, der Blaue Engel (das Siegel des Umweltbundesamts für Produkte mit umweltfreundlichen Merkmalen), der Grüne Punkt usw. wirken im Allgemeinen positiv ein auf die Kaufentscheidungen. Die Verbraucher vertrauen vielfach den dahinter stehenden „neutralen“ Institutionen, ohne immer genau zu wissen, wie solide und zuverlässig manche Gütezeichen tatsächlich sind. (Die roten, grünen und gelben Weinsiegel der CMA bieten z.B. nur Gewähr einer Mindestqualität im Vergleich zu der gehobenen Qualität bei goldenen, silbernen und bronzenen Weinprämierungen). Qualitätssiegel kommen jedenfalls der demonstrativen Vernunft sehr entgegen. Für psychotaktisch orientier-
176
4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
te Sortimentspolitik kann es daher nur empfehlenswert sein, einen eigenen, ggf. zusätzlichen Gütehinweis an der Ware anzubringen, wie ihn etwa das Zeichen „Gute Form“ für BabySpielwaren darstellt. Schließlich ist die Verwendung von sehr guten oder guten Test-Noten an der Ware, am Regal oder im Katalog psychotaktisch angezeigt, weil sie leicht zur positiven Ausstrahlung auf das übrige Angebot führen. Neben Qualitätsangaben sind für Käufer von Konfektionstextilien vor allem Größenangaben wichtig. Die internationale Größentabelle für Textilien wurde „psychologisch überarbeitet“. Derzeit gilt für die europäische Größenskala XS, S, M, L, XL, XXL in den USA die Skala XXS, XS, S, M, L, XL. Damit wird den amerikanischen Konsumenten geschmeichelt... Ein psychotaktisch zweischneidiges Entscheidungsfeld stellen die bekannten Herstellermarken, die sog. Markenartikel, dar. Einerseits sind sie durch Werbung so bekannt, dass sie meist als Ausdruck der Kompetenz im Sortiment geführt werden müssen. Die Markenwarenhersteller machen sich durch aufwändige und permanente Erinnerungswerbung eine psychologische Gesetzmäßigkeit zunutze: Die Kunden halten ein Produkt für umso besser, umso bekannter es ist. Andererseits zieht mit dem Führen bekannter Markenwaren eine doppelte Gefahr am Horizont des Handelsbetriebs herauf: − die sortimentspolitische Gefahr der Austauschbarkeit der Sortimente, der mangelnden Profilierung und damit der Präferenzenlosigkeit der Kunden (gegenüber der Einkaufsstätte, nicht der Markenware) und − die preispolitische Gefahr der Preiskämpfe, der „Aktionitis“, der Preisschleuderei; denn je bekannter der Artikel ist, desto eher eignet er sich zum Preiskampf im Einzelhandel. (Die industriellen Strategien zur Preiskampf-Vermeidung sollen hier nicht erwähnt werden, obwohl sie aus psychologischer Sicht auch ganz aufschlussreich wären, besonders für die Kartellbehörden). Demgegenüber birgt die sortimentsstrategische Entscheidung für eigene Handelsmarken, auch für eigene Gattungs- oder Premiummarken, die dreifache Chance, – Alternativen zu Herstellermarken anzubieten, und zwar ohne die Gefahr von Preiskämpfen, die in Preisschleuderei enden können, – eine Profilierung des Unternehmens durch konkurrenzlose Sortimentsteile (unique merchandising) zu erzielen und – das Selbstwertgefühl der Kund(inn)en zu stärken; durch den Kauf von Handelsmarken beweisen sie sich selbst rationales Verhalten; sie vermögen Preis-Leistungs-Verhältnisse einzuordnen. Die bloße Existenz eigener Handels-, Gattungs- oder Premiummarken als solche bietet allerdings noch keine Erfolgsgarantie. Mancher Flop im Eigenmarkengeschäft beruhte auf leichtfertigem Vorgehen, mangelnder Marktforschung oder nicht ausreichendem Know-how. Immerhin – Aldi wurde nicht durch Herstellermarken, sondern durch Eigenmarken zum größten Lebensmitteldiscounter der Welt! Wie schwierig die Behauptung von Handelsmarken im Wettbewerb gegenüber den mit Millionen-Etats beworbenen und daher bekannten Herstellermarken werden kann, hat aber auch Aldi erfahren. So hat man die Eigenmarke SunshineBaby nach wenigen Monaten der Testphase wieder aus dem Sortiment genommen. Bei der Babynahrung gaben die einkaufenden Mütter den vermeintlich besseren, de facto nur bekannteren Herstellermarken den Vorzug. Um den geringen (wenn nicht völlig fehlenden) Prestigewert seiner Eigenmarken für die männlichen Kunden gegenstandslos zu machen,
4.2 Sortimentspolitik
177
kam ein Bekleidungskaufhaus auf eine ausgefallene psychologische Idee: Die Etiketten mit der Eigenmarke und dem Namen des Bekleidungshauses wurden nur mit wenigen Stichen in die Anzugjacken und -westen eingenäht, so dass sie sich sehr leicht entfernen ließen... Ohne das weite Feld der Handelsmarkenproblematik weiter zu beackern, kann aus psychologischer Sicht festgehalten werden: „Der Erfolg von Handels-, Gattungs- und Premiummarken hängt von zahlreichen internen und externen Bedingungen ab; er wird desto größer und nachhaltiger sein, je genauer diese Bedingungen analysiert und in gestaltfeste Konzeptionen umgesetzt werden und je deutlicher dadurch das unternehmerische Leistungsprofil hervortritt.“ (SCHENK 2004, S. 142) Kritische Stimmen in der Öffentlichkeit, auch wenn sie nicht zur Massenbewegung wie der Konsumerismus-Bewegung in den USA oder in Schweden geführt haben, liefern wichtige psychologische Alarmsignale. Händler neigen da gern eher zum Weghören als zum Hinhören. Wenn z.B. Kritik an Mogelpackungen, an Produkten mit „eingebautem Verschleiß“ oder mit zweifelhafter Bio- oder Light-Deklaration oder an umweltbelastenden Produkten laut wird – die Stiftung Warentest veröffentlicht regelmäßig die „Mogelei des Monats“ und die „Müllpackung des Monats“ –, dann müsste die Parole für den umweltbewussten Einzelhändler heißen: Auslistung, Entfernung solcher Produkte aus dem Sortiment und Neulistung von umweltfreundlichen Produkten. Verpackungswahnsinn, Ressourcen- und Energievergeudung mitzumachen, zeugt von geringer Verantwortung und wird auch durch verärgerte Kunden bestraft. Umgekehrt können sich Handelsunternehmen in ökologischen Fragen an die Spitze der Bewegung setzen, wie der Migros-Genossenschaftsbund, die Unternehmensgruppe Tengelmann oder der Otto Versand bewiesen haben. Dass es über eine konsequente ökologische Orientierung sogar zu einer Neupositionierung am Markt kommen kann, hat das Bio-SBWarenhaus Vita-Kauf gezeigt, das auf 1.400 Quadratmetern ausschließlich umweltfreundliche Artikel anbietet. Kunden reagieren im Allgemeinen allergisch auf Erziehungs- und Bevormundungsmaßnahmen. Sobald die Erziehung jedoch zu ihrem gesundheitlichen Vorteil gereicht, ist mit Lob und Verständnis zu rechnen. In einer eigenen kleinen Pilotstudie im Rhein-Ruhr-Raum konnte nachgewiesen werden, dass die Entfernung von Froschschenkeln und Schildkrötensuppen aus dem Tengelmann-Sortiment bei der Kundschaft auf einhellige Zustimmung gestoßen war: Imagepflege über Sortimentspolitik. Allgemein können die Chancen einer ökologisch orientierten Sortimentspolitik in − − − −
der Erlangung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber der Konkurrenz, der Erschließung neuer Kundenstämme für das Handelsunternehmen, der Verbesserung des Firmenimage und dem Kostensenkungspotenzial eines solchen Vorgehens
gesehen werden (vgl. MÖHLENBRUCH 1992, S. 209). Allerdings sind gerade allgemeine Empfehlungen kaum möglich. Dafür sind die Betriebsformen zu unterschiedlich und die Erwartungshaltungen der Kunden teilweise noch zu sehr gefestigt. Die für den Naturkostladen (Bioladen) lebensnotwendige ausschließliche ökologische Sortimentsausrichtung kann das großflächige SB-Center gar nicht realisieren. Letzteres kann jedoch bestimmte Abteilungen oder Ecken mit Ökoware in Naturholzregalen einrichten. Aber in einer hochmodischen Parfümerie aus ökologischen Gründen auf energieverschwendende Geschenkverpackungen ganz zu
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
verzichten und statt dessen zu Brown Bags überzugehen – es wäre der rascheste Weg in den Misserfolg. Hier kommt es im Einzelfall auf das richtige ökologische Gespür an. Es lauern überhaupt allerlei psychologische Gefahren in der neuen Öko-Welt des Einzelhandels, vor allem dann, wenn die Kunden die Publicity in Sachen Umweltschutz nur als Lippenbekenntnis empfinden und aus Verärgerung zur Konkurrenz abwandern. Außerdem kann es durch Auslistung bei einem gering ausgeprägten Substitutionskauf-Verhalten zu Rückgängen bei Deckungsbeiträgen und/oder bei Verbund- und Komplementärkäufen kommen. Kann, muss aber nicht. Denn nicht nur für einen japanischen Automobilkonzern ist nichts unmöglich. Auch im Groß- und Einzelhandel eröffnen sich immer wieder überraschende Möglichkeiten. So könnten beispielsweise mit besonderem psychotaktischen Geschick bekannten, aber umweltschädlichen und nicht profilierenden Herstellermarken weniger bekannte, aber umweltfreundliche und profilierende eigene Handelsmarken an die Seite gestellt werden, und zwar im wörtlichen Sinn an die Seite: unmittelbar nebeneinander, und zwar rechts neben die bekannteste Herstellermarke. Das kann dann bei Kunden, die nur probeweise einmal zu der weniger bekannten Handelsmarke greifen, ein Aha-Erlebnis auslösen, dem der erste Nachkauf und darauf die erwünschten Gewohnheitskäufe folgen. Mit diesem Beispiel ist ein Aspekt angesprochen, der viel zu wenig psychotaktisch eingesetzt wird: Überraschung im Sortiment. Besonders für die Beziehung zwischen Einzelhandel und Konsument ist nichts abträglicher als Langeweile, lästige Routine, das ewig Gleiche. Wenn das Wort vom Wandel im Handel einen Sinn hat, dann in der Sortimentspolitik. Hier kann nicht, hier muss für Abwechslung und permanenten Artikelwechsel gesorgt werden. Dieses Überraschungsmoment nutzen sogar die Aldi-Läden, die sich ansonsten dem Prinzip der Sortimentsbeschränkung auf rd. 600 Schnelldreher verschrieben haben: In kurzfristigem Turnus werden stets neue Überraschungsangebote für die Dauer von nur wenigen Tagen oder Wochen geführt, und zwar sowohl hochwertige Lebensmittel (Balsamico-Essig, Walnussöl usw.) als auch lohnende Nichtlebensmittel (Video-Cassetten, Funkuhren, Campingzelte usw.). Damit ist für die Aldi-Kund(inn)en ein permanenter Anreiz gegeben, immer wieder mal zu schauen, was es Besonderes gibt. Die Notwendigkeit, im Sortiment stets gleichbleibende Kerne, sozusagen Sortimentskonstanten zu führen, soll nicht übersehen werden. Gleichbleibende oder nur unmerklich modifizierte Sortimentsteile dienen der Orientierung, der Wiedererkennung, dem „Sich-heimisch-fühlen“ und dem Streben nach Risikominimierung. Echte Spannung und das besondere Erlebnis beim Einkauf oder beim window shopping werden jedoch vor allem durch Überraschungsangebote erzeugt. Die „unerhörten“ Instrumente im Musikaliengeschäft, aufsehenerregende Originalkunstwerke im Warenhaus, Aquarien mit Zierfischen im Einrichtungshaus – jedes beeindruckende Geschehen und die ungezählten Gags wecken Neugier (attention). Vom ersten „A“ der AIDA-Formel – attention/interest/desire/action – bis zum zweiten „A“ ist der Weg nicht weit, wenn die Kunden die Überraschungsware schon zum Greifen nahe haben. Dass sich über die Warenüberraschung im Sortiment hinaus Überraschungen in fast allen Bereichen des Handelsmarketings nutzen lassen, dürfte einleuchten: Werbeüberraschungen, Serviceüberraschungen, Personalüberraschungen, Finanzierungsüberraschungen, Preisüberraschungen usw. Dem Verfasser bleibt eine Preisüberraschung unvergesslich in Erinnerung: In den Jahren des frühen Wirtschaftswunders war eine „Musiktruhe“, ein stattliches Kombinationsmöbel mit Rundfunkteil, Plattenspieler, Tonbandgerät und Hausbar, im Fachgeschäft für 2.480 DM wochenlang nicht zu verkaufen. Ausgezeichnet mit 3.980 DM, stand dasselbe
4.2 Sortimentspolitik
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Phonogerät nur drei Tage lang im Schaufenster. Alsbald fand sich ein Interessent, der es dann zum „neu kalkulierten“ - ursprünglichen! - Preis erwarb. (Eine Rabattgewährung in dieser Höhe war seinerzeit ja nicht erlaubt). Eine Musiktruhe für fast viertausend Mark – so etwas hatte es in der Stadt noch nicht gegeben... Die moderne Verhaltenswissenschaft könnte die Überraschung des Kunden mittels Polygraph sogar messen und in Form von Erregungskurven sichtbar machen. Die Erregungskurven haben nur einen Schönheitsfehler: Man sieht den Ausschlägen nicht an, ob der Proband in positive oder negative Erregung geraten ist. Dem Händler half damals und hilft auch heute freilich kein Kunden-Polygraph, sondern nur Menschenkenntnis. Seine Überraschungen dürfen nur positive Erregungszustände, gute Stimmungen auslösen und damit Kaufbereitschaft. Nun mag ein völlig unerwarteter Artikel im Sortiment bei dem einen oder anderen Kunden ein Glücksgefühl mit entsprechender Kaufbereitschaft auslösen. Mit Überraschungsartikeln sparsam umzugehen, sie der Zufallsbegegnung auszusetzen, mag hier und da die richtige Taktik sein. Aber gangbar ist auch der (meist wohl sinnvollere) Weg, Überraschungseffekte zu kanalisieren. Es mag widersprüchlich klingen, aber wo es die Branche und die Räumlichkeiten des Geschäfts zulassen, da können bestimmte Abteilungen, Ladenzonen, Schaufenster systematisch für Überraschungsware vorgehalten werden. Besonders Schaufenster eigenen sich für regelmäßige Überraschungsangebote und -effekte: branchenfremde Artikel; Wechsel von Konfektions- und Chosenfenstern im Bekleidungshandel; bewegte Artikeldarbietung; fallende künstliche Schneeflocken zur Adventszeit; Fielmanns rotierender Laserpunkt usw. Es ist immer vorteilhaft, wenn sich die Kunden auf Begegnungen mit ausgefallenen Stücken einstellen können. Dieser Weg empfiehlt sich vor allem für Neuigkeiten, für sog. Zeigerware (Vorzeigeartikel, mit denen Kompetenz demonstriert werden kann) und für sog. Gelegenheiten (Occasionen). Für Branchen und Geschäfte, die auf Modisches spezialisiert sind, sind Neuigkeiten ein must. Hier werden die Überraschungsmomente gebremst durch Vorkenntnisse über den Dernier Cri und entsprechende Sortimentserwartungen der Kunden. In allen anderen Branchen und Geschäften ist der akquisitorische Effekt der Neuigkeit generell größer. Im Buchhandel werden die Neuerscheinungen des Monats in separaten Ständern oder auf eigenen Tischen oder Sideboards vorgestellt. Kauf- und Warenhäuser richten Abteilungen, mitunter ganze Etagen für Gelegenheiten ein (Schnäppchenmarkt). Je nach Branche eignen sich auch gebrauchte Artikel oder leicht beschädigte Artikel (Zweite Wahl), gleich ob Serienartikel oder Einzelstücke, für interessante Sonderpräsentationen. Welchen ertragswirtschaftlichen Nutzen branchenfremde Artikel haben können, kennen Aldi, Lidl, PLUS oder Tchibo von ihren fallweise geführten non food-Artikeln wie Video-Cassetten, Besteck-Sets oder Fahrrädern. Dem Glücksgefühl über ein zufällig gefundenes oder mit Bedacht gesuchtes Konsumgut geht bei mehr und mehr Menschen eine Sehnsucht nach Individualität voraus. Ein Unternehmen wie Manufactum kommt mit seinen gediegenen, handwerklich gefertigten Artikeln dieser Sehnsucht entgegen. Seine Kunden sind durch eine Art Negativabgrenzung beglückt – sie besitzen oder nutzen kein industrielles Massenprodukt. Sie sind auch bereit, bei Manufactum in teuren Innenstadtlagen für eine kleine Dose »Limburger Ochsenfleisch« ohne zu murren 8,40 Euro zu bezahlen. Da nicht jeder seine Sehnsucht nach gediegener Qualität und nach Individualität bei Manufactum stillen kann, haben sich Internet-Handelsplattformen wie Etsy in den USA, SoZeug oder DaWanda in Deutschland aufgetan, auf denen Kunsthandwerker, Kreative und Bastler individuelle Waren und Dienste anbieten und erwerben können. Viele Menschen lechzen danach, ihre Kreativität auszuleben. Das zeigen auch die selbst gestalteten Auftritte bei virtuellen Gemeinschaften wie MySpace, die ausgestellten Fotos auf
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
der Internet-Plattform Flickr oder die vielen Videos bei YouTube. Auf solchen InternetPlattformen kommen sich anbietende und nachfragende Menschen, wenn auch nur virtuell, so nahe wie einst bei Tante Emma. Und wer als Online-Händler mit Individualitätsanspruch den Kunden das Sagen und Urteilen überlässt (Bepunktung der Zuverlässigkeit, der Leistung, der Produktqualität usw.; Sammeln von Kundenwünschen; hauseigenes Diskussionsforum usw.), kommt dem Gesellschaftsbild vom social commerce sehr nahe (vgl. OBERHUBER 2006). Ein Aspekt sollte bei der psychologischen Sortimentspolitik unbedingt beachtet werden: die Eignung vieler Artikel als Geschenk. Das Schenkkaufverhalten der Kunden ist zwar unterschiedlich. Bei einer Untersuchung der Einkäufe von Weihnachtsgeschenken wurden als häufigste Typen z.B. der kritische, der romantische, der praktische und der unentschlossene Geschenkkäufer eruiert. Bestimmte Artikel sind geradezu zum Verschenken prädestiniert (Spielwaren, Süßigkeiten, Blumen, Uhren usw.) Für die entsprechenden Branchen oder Abteilungen ist das tägliche Übung. Im Grunde können jedoch in allen Branchen fast alle Artikel Geschenkcharakter bekommen. Somit können nicht nur eigene Geschenkabteilungen die Kunden zum Geschenkkauf animieren, oft zum Spontankauf, sondern auch ein einzelner Artikel kann als überraschender Geschenkvorschlag präsentiert werden – von der Möglichkeit, Geschenkgutscheine anzubieten, ganz abgesehen. Schenken dient fast immer der Bestätigung einer emotionalen Beziehung zwischen Schenkendem und Beschenktem. Die Gründe fürs Schenken sind durchweg sozialer oder psychologischer Art (Pflicht, Mitleid; Liebe, Furcht, Eigennutz). Daher lohnt es sich, das Sortiment, das Ambiente des Ladens und gefällige Verpackungen auch als Angebot für "situativ richtiges" Schenken zu konzipieren (vgl. FOSCHT/SWOBODA/FLECKER 2005).
Preislage
Modelage avantgardistisch
fashion
basic fashion
Standard
Spitzenpreislage Obere Mitte Mitte untere Mitte unterste Preislage Abb. 21: Marketing-Fenster für eine Warenhausabteilung (DOB)
Eine psychologisch interessante Eingrenzung des Sortiments wurde von Warenhäusern mit Hilfe sogenannter Marketing-Fenster entwickelt. Anhand zweier Kriterien – im Beispiel
4.3 Ladengestaltungs-, Präsentations- und Platzierungspolitik
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der Abb. 21 z.B. Preislage und modische Qualitätslage – kann der präferierte und profilierende Sortimentsschwerpunkt (sowohl Standard- als auch Überraschungsartikel) in einem zweidimensionalen Feld umrissen werden. Derartige Sortimentsfenster können nicht nur für das gesamte Unternehmen, sondern auch für einzelne Zweigniederlassungen, für die einzelnen Warenwelten und Abteilungen sowie für einzelne Artikel-Hauptgruppen entwickelt werden. Sie dienen sowohl der Profilierung am Absatzmarkt als auch den jeweiligen Facheinkäufern als Entscheidungshilfe (Limitplanung). Zu beachten ist allerdings die Notwendigkeit der horizontalen Harmonisierung zwischen den Abteilungen und der vertikalen Harmonisierung von den Artikelhauptgruppen über die Abteilungen, die Warenwelten bis hin zum gesamten Haus. Nur bei harmonischen, widerspruchsfreien Sortimentsfenstern entstehen die psychologisch erwünschten Effekte des stimmigen Profils und der Kompetenz-Wahrnehmung. Im Rahmen der Konkurrenzmarktforschung können solche Marketing-Fenster über die Sortimentsschwerpunkte der Mitbewerber angefertigt werden. Aus ihnen ergeben sich dann deckungsgleiche, überlappende oder völlig differierende Fenster-Konzepte mit unterschiedlichen Reaktionserfordernissen.
4.3
Ladengestaltungs-, Präsentations- und Platzierungspolitik
Es zählt zu den Besonderheiten des Handelsmarketings, dass die Ausgestaltung der händlerischen „Produktionsstätte“, die Ausgestaltung jedes einzelnen Marktplatzes, den ein Einzelhandelsbetrieb darstellt (interner Markt), selbst ein Marketinginstrument ist. Anders als bei Industrie- und Handwerksbetrieben steht und fällt der Erfolg eines Einzelhandelsbetriebs mit seiner mehr oder minder starken räumlichen Attraktivität, jedenfalls in den hochentwickelten Volkswirtschaften. Soweit das Ladeninnere und das Ladenäußere auf eine gewisse Dauer angelegt werden muss, fallen strategische Entscheidungen an. (Vgl. Abschnitte 3.4.2 und 3.6) Psychostrategische Entscheidungen über Ladenbau, Fassaden- und Schaufenstergestaltung übersteigen meist die Fähigkeiten der mittelständischen Einzelhändler; Großbetriebe und Konzerne unterhalten hingegen bereits eigene Architektur- und Bauabteilungen. Auf diesem Feld, z.B. bei sich vom Fassadenhintergrund deutlich abhebenden, prägnanten Schriftzügen (psychologisch: Figur-Grund-Differenzierung) oder bei der Außenbeleuchtung, bei Laufbändern, LCD-Anzeigen und Video-Techniken, ist Kooperation mit Architekten, Ladenbauspezialisten und Designern angezeigt. Diese auf Dauer angelegten Entscheidungen müssen zwangsläufig psychologische Überlegungen miteinbeziehen, da der Gesamteindruck eines Ladengeschäfts sich bei den Kunden als eine Summe aus Sinneseindrücken, als die sog. Ladenatmosphäre, niederschlägt. „Solche Gesamteindrücke, die etwa mit Ausdrücken wie angenehm, antiquiert, überwältigend, primitiv u.ä. charakterisiert werden, weisen darauf hin, dass es sich hierbei stark um gefühlsmäßige Anmutungen handelt, welche die Kunden zum Kauf animieren oder eben demotivieren“ (BEREKOVEN 1990, S. 284). Mit zunehmender Bedarfssättigung, zunehmender Warenfülle und zunehmender Zahl der Einkaufsgelegenheiten (Internet) wird es für den stationären Einzelhandel immer wichtiger, den ReizReaktions-Mechanismen mit Hilfe der Wahrnehmungspsychologie auf die Spur zu kommen und die gewonnenen psychologischen Erkenntnisse in Ladenbau, Fassadengestaltung und Warendarbietung umzusetzen.
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Wird mit psychostrategischem Vorgehen die große Linie des Erscheinungs- und Erlebnisbildes eines Einzelhandelsbetriebs abgesteckt (Profilierung der Einkaufsstätte zum Erlebnisraum), so liegt eine zusätzliche, ungemein Reiz-volle Aufgabe in den permanenten, kurzfristigen Ladenbau- (1), Präsentations- (2) und Platzierungsmaßnahmen (3), welche psychotaktisches Vorgehen verlangen.
4.3.1
Ladenbau und Verkaufsraumgestaltung
Auch wenn die verschiedenen Betriebsformen und Betriebsgrößen verschiedener Branchen und an den verschiedenen Standorten jeweils individuelle Problemlösungen für Ladenbau und Verkaufsraumgestaltung finden müssen, so können doch einige wichtige Ergebnisse aus empirischen Untersuchungen und einige allgemeine Erlebnis-Bausteine berücksichtigt werden. Untersuchungen von KROEBER-RIEL/WEINBERG über die Auswirkung der räumlichen Gestaltung eines Geschäfts und der davon abhängigen Auswirkungen auf das Einkaufsverhalten der Kunden ergaben folgende Befunde: - Die durch die Ladengestaltung hervorgerufene Ladenatmosphäre zeigt sich vor allem in den emotionalen Eindrücken Vergnügen und Erregung. - Das empfundene Vergnügen bestimmt das Verhalten der Kunden im Laden am stärksten. Es schlägt sich in der Absicht nieder, länger im Laden zu verweilen und mehr Geld auszugeben als ursprünglich geplant. - Wird der Laden insgesamt positiv eingeschätzt, steigt mit zunehmender Aktivierung (Erregung) die Absicht, mehr Zeit im Laden zu verbringen. - Je größer der Laden wahrgenommen wird, desto länger ist die Aufenthaltsdauer (vgl. RAAB/UNGER 2005, S. 177).
Beziehen sich Raumgestalt und Ladeneinrichtung (Mobiliar, Ladenschmuck) primär auf den Ladenbau, so dienen die folgenden Erlebnisbausteine primär der atmosphärischen Verkaufsraumgestaltung: − optische Reize (Farbgebung und Beleuchtung, Materialien für Decken, Böden, Wände und Verkaufsmobiliar, Laden- und Schaufensterdekoration, Verkaufspersonal), − sensorische Reize (Be- und Entlüftung, Temperatur und Befeuchtung), − akustische Reize (Ladenfunk, Durchsagen, Hintergrundmusik; Stille), − olfaktorische Reize (Geruch, Duft) und − taktile Reize (Bodenbelag, offene Warenauslage).
4.3 Ladengestaltungs-, Präsentations- und Platzierungspolitik
183
Alle Erlebnis-Bausteine können aktivierend und deaktivierend eingesetzt werden. Es kommt auf eine sorgfältige Abstimmung an, die psychologisches Verständnis verlangt. Der Königsweg psychotaktischer Verkaufsraumgestaltung kann jedenfalls nicht darin gesehen werden, möglichst viele und möglichst starke, affektive Reize auslösende Elemente anzuhäufen. Diese Technik der Reizüberflutung wird von den meisten Kunden – durchaus unbewusst – als lästig empfunden. Dass es im CD-Laden mit Pop- und Rockmusik als Sortimentsschwerpunkt meist nicht laut genug zugehen kann und im Fisch-Delikatessenmarkt nicht geruchsarm genug, versteht sich. Und dass im Yanagia-Teeladen in Tokyo mit Hilfe von kostbaren Kirschholz-Vitrinen in elegant gebrochener Kurvatur, indirekter, dezenter Beleuchtung über den Wandregalen, tiefhängenden stilisierten Lampions bei dunklem Hintergrund und kleinen Hockern ein Raumeindruck von Konzentration und Intimität erzielt wird, kommt der japanischen Hochschätzung des Tee-Zeremoniells schon in der Vorkaufphase entgegen. Solche erwünschten Reizmaxima und -minima stellen jedoch Ausnahmen dar und sind nur in bestimmten Branchen sinnvoll. Zweckmäßiger ist im Allgemeinen eine Kombination von aktivierenden mit deaktivierenden Reizen, die von V. GRUEN vorgeschlagene Mischung aus stimulation und relaxation. Sie entsteht z.B., wenn die Ware in einer farblich auffällig gestalteten Regalwand (bunte Blöcke) in weiches, indirektes Licht getaucht wird. Auf diese Weise können die eher unangenehm empfundenen aktivierenden Reize durch angenehm empfundene deaktivierende Reize von außen gebremst und die Kunden, ähnlich dem innerlich wirkenden Homöostase-Prinzip, in psychischem Gleichgewicht gehalten werden. (Einen aufschlussreichen Vergleich der Ladenbaukonzepte der 60er und der 90er Jahre bieten die Werke von GUTMANN 1967 und KREFT 1993, beide mit zahlreichen Bildbeispielen). Die Raumgestalt ist bei den meisten, insbesondere bei älteren Geschäftsbauten vorgegeben und kann nur begrenzt baulich verändert werden. Auch sind je nach Branche und Betriebsform bestimmte funktionale Mindestflächen bereitzuhalten (Verkauf und Präsentation, Anprobe-/Vorführraum, Lager- und Serviceraum, Räume für Leitung, Verwaltung, Personal, Technik und sanitäre Anlagen). Gleichwohl lassen sich mit relativ geringem Aufwand mancherlei psychostrategische oder -taktische Korrekturen vornehmen. Bei (zu) hohen Räumen kann z.B. durch Einzug von Zwischendecken oder durch abgetönte Deckenfarben, durch feste oder bewegliche Zwischenwände bzw. Stellwände mehr Intimität geschaffen werden. Größere Verkaufsräume in einer Geschossebene können durch unterschiedliche Teppichböden (verschiedene Dessins, Farben oder Materialien) unmerklich gegliedert werden. Ein durchlaufender Teppich kann die Kunden unbewusst leiten. Einzelne Abteilungen können durch in den Bodenbelag eingewebte, ungefähr 5 cm breite (dunklere) Streifen voneinander oder vom Gang getrennt werden. Psychologisch liegt allerdings darin eine kleine Gefahr: die unbewusste Hemmung, eine Grenzlinie zu überschreiten. Kleinere Verkaufsräume können durch helle Decken- und Bodenfarbgebung, durch Tapeten mit Längsmuster sowie durch die Vertikale betonende Wandschränke oder stark vertikal gegliederte Regale den Eindruck von mehr Höhe erzielen. Ein traditioneller psychologischer Trick, Verkaufsräume größer (und heller) erscheinen zu lassen, liegt in der Verwendung von Spiegeln. Dass Spiegel von manchen Kundinnen gern benutzt werden, lässt sich leicht in der Parfümerieabteilung beobachten. Vor dem Spiegel wird nicht nur das neue Make-up geprüft, sondern gleich auch der Zustand der eigenen Frisur... Und dass ein leicht schräg gestellter Spiegel, z.B. bei der Kontrolle der erwerbenswerten neuen Garderobe, den Kunden oder die Kundin schlanker aussehen lässt, ist dem Handelspsychologen auch nicht fremd. Und wo die historisch wertvolle Bausubstanz den Ladenlokalen schmale, mitunter nur drei, vier Meter breite Eingangs- und
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Schaufensterfronten erlauben, wie etwa in den anheimelnden Kolonnadengassen der Berner Altstadt, da werden Glas, Licht, Spiegel, verführerische Düfte, geöffnete Türen, ggf. auch dezente Klänge, vor allem aber einzelne ausgefallene Schaustücke in den Schaufenstern das Interesse der Passanten für das Ladeninnere wecken helfen. Was neuzeitliche Ladeneinrichtung betrifft, so stellen zahlreiche spezialisierte Hersteller eine breite Palette an Mobiliar zur Verfügung. Einige Ladenbauer halten als speziellen Service eigene Teams zur Ladengestaltung bereit, so dass individuelle Lösungen erarbeitet werden können. Namentlich der Spezial- und Facheinzelhandel profitiert von derartigen kreativen Ladenbau-Planern. Ein einziger Gang durch moderne Einkaufspassagen oder Geschäftsstraßen in Ia-Lage zeigt, welcher Ideenreichtum sich in den Ladeneinrichtungen schon niedergeschlagen hat. Dieses Schnittfeld zwischen betrieblicher Logistik-Notwendigkeit, Ästhetik und Psychologie hat im Facheinzelhandel einen erstaunlichen Vorstoßwettbewerb ausgelöst, übrigens allerorten, keineswegs nur in den Großstadt-Zentren, sondern auch in Kleinstädten, hier und da auch auf dem Dorf. Manches an Einrichtungsgegenständen mag von der Stange sein, standardisiert und normiert – was ästhetischen Anspruch und psychologisches Geschick nicht ausschließt. Dabei kann sich die schlichte Standard-Ladeneinrichtung durchaus als Magnet erweisen, etwa in den Branchen und bei den Kunden, bei denen Preisorientierung vorherrscht, oder als Signal zur Wiedererkennung bei Filial- und Franchisesystemen. Vieles ist aber originär und originell. Die Handschrift des Geschäftsinhabers ist an der Ladeneinrichtung immer noch am besten ablesbar. Gleichgültig, ob eine Apotheke mit alten Schränken, Schüben, Phiolen, Mörsern, Stuckdecke und Art-déco-Verzierungen nostalgische Schönheit bietet oder in klinischem Weiß mit Hellgrüntönen Gesundheit assoziieren lässt wie bei den DOCMORRIS-Partnern; gleichgültig, ob ein kleines Schuhfachgeschäft Boden und Wände einheitlich mit Auslegeteppich in zartem Braunton ausstattet und durch eine Dorflinde in der Ladenmitte mit Rundbank zum Anprobieren der Schuhe Wärme und Behaglichkeit ausstrahlt – Hauptsache, es werden bei den Kunden angenehme Gefühle angesprochen, Sympathie-Empfindungen geweckt und positive Stimmungen erzeugt (wenn man von den ewig unerreichbaren oder von den ignoranten Kunden absieht). Leider zählt die Konsumentenstimmung häufig noch zu den vernachlässigten Determinanten des Käuferverhaltens. Im Unterschied zur Emotion ist die Stimmung durch längere zeitliche Dauer und geringere Intensität charakterisiert. Ob durch ladengestalterische Maßnahmen eine positive Stimmung ausgelöst oder verstärkt werden kann, hängt vom jeweiligen Aktivierungszustand der Kunden ab: „Betritt ein Käufer den Laden in einem übermäßig erregten Zustand, sucht er entspannende Reizkonstellationen und reagiert darauf mit einer positiven Stimmungsänderung. Betritt er den Laden in einem suboptimalen Aktivierungszustand – das heißt allzu ruhig, eher gelangweilt –, sucht er emotionale Anregung und reagiert auf eine stimulierende Reizkonstellation mit einer positiven Stimmungsänderung“ (BOST 1987, S. 25). Sind Käufer durch Stress am Einkaufsort überaktiviert, was besonders in Großbetriebsformen zu beobachten ist, dann sollten deaktivierende Reizkonstellationen geboten werden. Zählen gar ausschließlich oder überwiegend ältere, Muße bevorzugende Menschen zu den Kunden (die ein „Senioren-Kaufhaus“ selbstverständlich nicht als Kunden gewinnen kann!), dann sind deaktivierende Reize wie die folgenden einzusetzen: − geringe Intensität physikalischer Reize: dezente Beleuchtung, geringe Raumgröße, zarte Musik, bequeme Sitzgelegenheiten usw.;
4.3 Ladengestaltungs-, Präsentations- und Platzierungspolitik
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− affektive Reize mit konditionierter Entspannungsreaktion: Bilder von Naturszenen, Pflanzen, natürliches Tageslicht usw.; − vertraute und wohlstrukturierte Reize: klare Warenbereiche, gute Übersicht, einfaches Ladenlayout (vgl. BOST 1987, S. 41). Wichtig ist im Allgemeinen die klare Linie der Ladengestaltung, falls nicht ein geordnetes Chaos aus den verschiedensten Einrichtungselementen gewollt ist. Ausgangspunkt aller Ladenplanung muss eine fest umschriebene Unternehmensidentität sein. (Vgl. KREFT 1993) Unter Berücksichtigung von Betriebstyp, Sortiment, Kundenerwartungen und Umfeldbedingungen bestimmt die Firmenphilosophie maßgeblich das jeweilige Ladengestaltungsziel, d.h. die Vorgabe, welchen Look die Verkaufsstätte bieten soll. In Abb. 22 sind einmal eine Reihe denkbarer Verkaufsstätten-Looks aufgelistet; sie können beliebig modifiziert oder ergänzt werden. Betriebstyp
Sortiment
Kundenerwartung
Umfeldbedingungen
Firmenphilosophie Verkaufsstätten-Looks future-Look Antik-Look Exotik-Look Usual Look Technik-Look Natur-Look Ästhetik-Look Improvisationslook Transparent-Look Massiv-Look Discount-Look Nobel-Look usw. (In Anlehnung an KÜTHE, Erich, a.a.O., S. 126) Abb. 22: Firmenphilosophie und Verkaufsstätten-Looks
Kaum weniger begrenzt sind die Möglichkeiten des Ladenschmucks. In dem einen Ladengeschäft bieten sich Original-Kunstwerke an, in dem anderen Kunstdrucke, Fotos oder Fototapeten, in einem dritten Ladengeschäft wird auf Ausschmückung bewusst verzichtet, um etwa das Discount-Konzept glaubhaft zu unterstreichen. Blumen und Pflanzen sind vielfältig einsetzbar als Ladendekor. Sie können als auffälliger Blickfang eingesetzt werden und werden dann bewusst als freundlicher Schmuck wahrgenommen. Sie können auch unbewusst wahrgenommen werden und erzeugen positive Anmutungen von Leben, Natur, Frische oder
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Ferne. In einigen Einzelhandelsgeschäften (keineswegs nur in zoologischen Handlungen) lässt sich unter Beachtung des Tierschutzes womöglich lebendes Inventar als Anziehungspunkt einsetzen: vom Zierfisch-Aquarium über den kuscheligen Hirtenhund bis hin zum Mini-Zoo. Die Ladenatmosphäre wird als Ganzes, als Summe aller Sinneswahrnehmungen erlebt. Dabei ist zu beachten, dass die von der Elementenpsychologie vertretene Auffassung, das Wahrnehmungsbild füge sich mosaikgleich aus einzelnen, reizabhängigen Empfindungen zusammen, zugunsten der gestaltpsychologischen Auffassung aufgegeben werden muss: „Unsere Wahrnehmungen sind nicht plötzlich da, wenn der Reiz das Sinnesorgan trifft. Die Wahrnehmung bildet sich“ (von ROSENSTIEL 1979a, S. 103). Die Wahrnehmung strukturiert sich sozusagen erst als Endgestalt aus zahlreichen, diffusen Vorgestalten heraus. Da psychotaktisch alle menschlichen Sinne angesprochen werden können, ist darauf zu achten, dass die verschiedenen Reize möglichst harmonisch aufeinander abgestimmt sind. Bei den bewussten sinnlichen Wahrnehmungen dominieren im Allgemeinen die optischen Reize. Hier kommen zahlreiche psychologische Erkenntnisse in Betracht. Je nach Branche, Betriebsform, Sortiment und – vor allem – Firmenphilosophie können (dominierende) Farben mit ihren spezifischen psychischen Wirkungen eingesetzt werden. Kräftige Farben können bestimmte visuelle Akzente setzen und Anziehungspunkte erzeugen. Helle Pastellfarben (Weiß, Grau oder Beige) stimmen freundlich ein und lassen gemäß dem Figur-GrundTheorem der Psychologie das Gesamtsortiment überzeugender wirken. Bei Lebensmitteln fungiert Weiß nach wie vor als Frischevermittler. In Großbetrieben und Einkaufszentren werden bereits regelrechte Farbleitsysteme zur deutlichen Abteilungsgliederung und besseren Kundenorientierung eingesetzt. So steht z.B. bei den neuen Kriegbaum-Multi-Centern die Farbe Grün für Umweltverträglichkeit (Lebensmittel- sowie Wasch- und Putzmittelabteilungen), Gelb verweist auf die Modeabteilungen und Rot auf das Heim- und HobbySortiment. Jede dieser Farbzonen verfügt noch über sogenannte Highlight-Zonen mit hochwertigen Artikeln, die durch spezielle Beleuchtungseffekte hervorgehoben werden. Farbkombinationen aller Art eignen sich zur Belebung des gesamten Verkaufsraums wie auch zur Gliederung nach Artikelgruppen, seien es die reinen Farben, seien es dezente Farbmischungen, seien es mehr helle oder mehr dunkle Farbkompositionen. Da die optische Wahrnehmung dazu tendiert, das Wahrnehmungsfeld in Gegensätze zu trennen, in sog. Vorgestalten, können in der Verkaufsraumgestaltung Kontrasteffekte genutzt werden. So wäre beispielsweise bei bunten Artikeln die Ladeneinrichtung möglichst farblos zu halten; hingegen heben sich farblose Artikel auffälliger von Warenträgern in lebhaften Farben ab. Bei Farbmischungen kontrastieren die sog. Komplementärfarben (z.B. Rot und Grün bzw. Blau und Gelb) stärker als andere Farbkombinationen (vgl. FRANKE/KÜHLMANN 1990, S. 105). Psychotaktisch muss ggf. von Zeit zu Zeit ein Farbwechsel vorgenommen werden, insbesondere in modischen Warenbereichen. In den letzten Jahren war zu beobachten, dass sich in der farblichen Ladengestaltung für Fachgeschäfte jeweils aktuelle Modefarben durchsetzen und in immer kürzeren Zeiträumen einen Anpassungszwang auslösen. Im Facheinzelhandel werden etwa sieben bis zehn Jahre, im Modebereich eher vier bis sechs Jahre als maximale Nutzungsdauer der Ladeneinrichtung und Aktualität der farblichen Gestaltung angesehen. Wer in der farblichen Gestaltung nicht up to date ist, verspürt alsbald den Rückgang des Kundeninteresses. Was die Kunden an dem optischen Ladeneindruck als gestrig,
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rückständig oder unmodern empfinden, wird für das betreffende Unternehmen zum Risikofaktor: Ladenverschleiß (store erosion). Ohne Licht keine Farben – und auch keine Anziehungskraft der Ware. Die moderne Lichttechnik und Ladenbau-Ingenieure haben für den Einzelhandel eine derartige Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten entwickelt, dass ein Vergleich mit aufwändiger Beleuchtungstechnik in Opern- und Schauspielhäusern schon nicht mehr übertrieben ist. Nicht nur Shopping Center mit großzügigen Glaskuppeln, City-Center (z.B. die Frankfurter Zeil-Galerie mit vier Sonnenlenkspiegeln auf dem Glasdach), Warenhäuser und andere Großunternehmen mit Lichthöfen, sondern auch kleinere Fachgeschäfte und Boutiquen, die Riesen wie die Zwerge des Einzelhandels, setzen Lichttechnik heute bereits ausgesprochen professionell ein. Luigi MALIPIEROs aus der Raumnot des winzigen Sommerhausener Torturmtheaters geborene Idee der Lichtregie bzw. der Lichtdramaturgie lebt allenthalben im Einzelhandel. Die Ladenlokale und die Schaufenster, die Erlebnisbühnen der Städte, zu denen Peter KAUFMANN die ersten kühnen Entwürfe lieferte, erstrahlen tagtäglich in einem üppigen Lichterglanz, den es in der Geschichte der Menschheit nie zuvor gegeben hat. Dass die Citys von New York, Paris, Tokio oder Toronto sogar nachts lebendig erhalten werden und Schau- und Kauflustige anziehen, ist weitgehend dem Licht verbreitenden Einzelhandel zu verdanken. Nur in Deutschland fand Jahrzehnte lang bis 2003 die spätabendliche SchaufensterIllumination als Folge des damaligen Ladenschlussgesetzes häufig ohne Zuschauer statt. Das neue Gesetz über den Ladenschluss vom 2. Juni 2003 mit möglicher Ladenöffnung bis 20 Uhr an Werktagen und das NRW-Gesetz zur Regelung der Ladenöffnungszeiten vom 16.11.2006 mit der Öffnungserlaubnis für alle Verkaufsstellen an Werktagen von 0.00 bis 24.00 Uhr haben wegen der uneinheitlichen Öffnungspraxis vor allem in den Großstädten daran noch nicht viel geändert. Was die Materialien für Decken, Böden, Wände und Verkaufsmobiliar betrifft, so steht wiederum die ganze Breite der Baustoffe und Ausstattungsmaterialien zur Verfügung. Sie strahlen mitunter psychisch starke Reize aus. Man denke nur an edle Hölzer, Naturstein und hochglänzenden Marmor, an Chrom, Edelstahl, Messing oder Glas – Materialien, die Naturbezogenheit, Zuverlässigkeit, Solidität oder Klarheit vermitteln. Wie so oft lauern aber auch hier Gefahren psychologischer Art: Allzu pompöse Materialien können bei einigen Menschen Argwohn hervorrufen, den Verdacht der Verschwendung, den Ruch des übertriebenen Luxus. Allzu schlichte Materialien können für andere Menschen den abträglichen Eindruck hausbackener Biederkeit erzeugen. Ein ungemein reizvolles Feld der Ladengestaltung stellt die Laden- und Schaufensterdekoration dar. Die Skala reicht vom weitgehenden inneren und äußeren Dekorationsverzicht des (Groß-)Discounthauses bis hin zur üppigen theatralischen Ausgestaltung der Erlebnisbühne Einzelhandelsgeschäft: dort die bloße Massenware, eng und hoch gestapelt, dazu fehlende oder blinde Schaufenster, wobei der Verzicht auf Deko-Material die Rationalität der knappsten Kalkulation dokumentieren soll – hier die aufwändige, kunstvolle Ladendramaturgie mit Deko-Unterstützung einzelner Artikel im Laden und im Schaufenster, wobei die Waren wie Preziosen erscheinen. Die Dekoration, die der Verkaufsförderung dienende und das Ambiente prägende Ausschmückung, hat zwar ihrerseits auf Besonderheiten von Branche, Betriebsgröße, Sortiment und Standort Rücksicht zu nehmen. Aber ihr ist aus psychologischer Sicht doch ein erheblich weiterer Spielraum eigen als den anderen Erlebnis-Bausteinen. Als Dekoration können nicht nur die herkömmlichen Dekorationsstoffe, Wandverkleidungen, Behän-
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ge, Schränke, Kunstwerke usw. dienen. Vielmehr vermögen völlig branchenfremde Schaustücke das Herz höher schlagen zu lassen: Das Oldtimer-Automobil, der zaristische Pferdeschlitten oder die ägyptische Miniatur-Pyramide im Verkaufsraum des Warenhauses, die Harley-Davidson im Schaufenster des Herrenausstatters, das Herbarium im Schaufenster des Optiker-Fachgeschäfts. Der bereits angesprochene Überraschungseffekt lässt sich kaum intensiver einsetzen als in der Dekoration. Ein treffliches Beispiel für den Überraschungseffekt im Laden sind die realistischen Schaufensterpuppen, die in den Bekleidungsabteilungen der Kauf- und Warenhäuser aufgestellt sind. Sie dienen längst nicht mehr nur als statische Warenträger, sondern gaukeln in ihren Posen Bewegung und Leben vor. Mancher Kunde mag leicht erschrecken, wenn solch eine erstarrte menschliche Gestalt plötzlich neben ihm steht. Aber das ist kein Schreck, der in die Glieder fährt; er löst keinen Fluchtreflex aus, eher wohl Schmunzeln darüber, dass man (schon wieder) hereingefallen ist und sich von einer Puppe beobachtet fühlte. Diese menschenähnlichen Warenträger haben ihre eigenen psychologischen Gesetze. Die optimale Puppe, in Fachkreisen auch Mannequin genannt, gibt es nicht. Vielmehr kommt es stark auf die situativen Gegebenheiten, auf das Ambiente und auf die Ware selbst an, welches Konzept auffälliger wirkt: die neutrale Puppe, die Puppe mit androgynen, d.h. sowohl maskulinen als auch femininen Zügen, die realistisch-durchschnittliche männliche/weibliche Puppe oder die idealisiert schöne Puppe. Letztere ist bei ausgefallenen und hocheleganten Kleidungsstücken unverzichtbar. Bei einfacher Straßenbekleidung könnte sie hingegen die Identifizierungsmöglichkeit für die Kunden schmälern. Für das Einzelhandelsunternehmen stellen sich Personalfragen in erster Linie unter ertragsund kostenwirtschaftlichen Aspekten. Das ist verständlich bei einem über 50%igen Anteil der Personalkosten an den gesamten Handlungskosten. Es nimmt daher auch nicht wunder, dass die personalpolitische Entscheidungslogik immer wieder dem Konflikt zwischen „Mehr Mut zu weniger Beratung“ und „Mehr Erfolg durch Bedienung?“ ausgesetzt ist, um die Titel zweier berühmter Studien der ehemaligen Rationalisierungs-Gemeinschaft des Handels (RGH) aus den Jahren 1976 und 1980 zu zitieren. Schließlich ahnt auch jeder Kaufmann (wenn er es aus Erfahrungen nicht weiß), dass „gutes Personal“ manche Sortimentsschwäche überspielen und „schlechtes Personal“ das ansonsten beste Firmenimage ruinieren kann. Aus psychologischer Sicht stellt das Verkaufspersonal jedenfalls eine wichtige Belebung der Ladenatmosphäre dar. Sind die inneren Qualitäten des Personals wie Sach- und Fachkenntnisse, Fähigkeiten, warenkundliche Kompetenz, Höflichkeit und Gewandtheit im Auftreten, schon bedeutsame positive Imagefaktoren kognitiver Art, so gehen von den äußeren Qualitäten die optischen Reize aus, die als Imagefaktoren affektiver Art nutzbar gemacht werden können und sollten. Je nach Branche und Betriebstyp kann die äußere Erscheinung des Verkaufspersonals dem Sortimentscharakter und dem Geschäfts-Look angepasst werden: Elegant-dezente, betont elegante oder gar exklusiv-elegante und individuelle Bekleidung mag ein Muss in hochmodischen Geschäften und Warenbereichen sein – überraschender, dabei den Kunden schmeichelnd und gleichzeitig das Selbstwertgefühl des Personals steigernd, ist solche Bekleidung, wo sie von den Kunden nicht erwartet wird. Mit Konsequenz und mit hoher psychologischer Raffinesse hat das Textilunternehmen C & A Brenninkmeyer einen eigenen Weg beschritten: Das gesamte Personal im Verkaufsraum ist in strenges SchwarzWeiß gekleidet. Dadurch werden auch die zahlreichen, eher auf Niedrigpreise, Wühltische und Massenkonfektion eingerichteten Kunden keineswegs abgeschreckt. Im Gegenteil: Das
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Schwarz-Weiß lässt unbewussten Assoziationen freien Lauf: Feierlichkeit, Zuverlässigkeit, Amtstracht, Strenge. Warum sollten nicht sogar Uniformen mit Chic – längst Usus für Stewardessen und Stewards der Luftfahrtgesellschaften – auch Handelshäusern gut zu Gesicht stehen? In technischen Warenbereichen vermögen saubere Kittel, nicht unbedingt weiße Kittel wie in Lebensmittel- oder Drogerieabteilungen, den Eindruck von Kompetenz hervorzurufen oder zu verstärken. Dass Rollkragenpullover und Jeans im Fachmarkt und im CDShop überzeugendere visuelle Personalreize vermitteln als Nadelstreifen-Maßanzüge, versteht sich. Und im Freizeit-, Garten- oder Do-it-yourself-Center sind auch Freizeitkleidung und Gammel-Look adäquat. Die Kunst liegt im konkreten Einzelfall darin, das „Hauptsache, du fühlst dich wohl“ für beide Marktpartner gleichzeitig zur Geltung zu bringen, für die Kundschaft wie für das Verkaufspersonal. Und wenn die natürliche äußere Anziehungskraft des Stammpersonals nicht beliebig verfügbar ist, dann kann eventuell bei der Auswahl von Teilzeitkräften, Gelegenheitskräften, Aushilfen oder Propagandist(inn)en ein besonderes Augenmerk auf deren Attraktivität gelegt werden. Zu den sensorischen Reizen, die das Wohlbefinden im Verkaufsraum beeinflussen, zählen vor allem Be- und Entlüftung, Temperatur und Befeuchtung. Bau- und Arbeitsrecht kennen in dieser Hinsicht eine Reihe von Mindestvorschriften, die eingehalten werden müssen. Großbetriebe müssen Klima- und Befeuchtungsanlagen installieren. Frische, rasch ausgetauschte Luft, im Sommer an der Untergrenze, im Winter an der Obergrenze der zulässigen Raumtemperatur liegende Wärmegrade und als angenehm empfundene milde Luftfeuchtigkeit werden von Mitarbeitern wie von Kunden geschätzt. Ein effektives Instrument psychotaktischer Verkaufsraumgestaltung stellen akustische Reize dar. Sie bedürfen allerdings eines besonderen psychologischen Feingefühls. Denn die Hörempfindungen sind subjektiv sehr unterschiedlich. Ähnlich wie bei Gerüchen sind die sprachlichen Beschreibungen relativ begrenzt. Außer nach der Tonstärke charakterisieren Akustiker Klänge z.B. als mild, schmelzend, süß, weich, scharf, hart, rauh, voll, pastos, dünn, näselnd, glänzend, silbern, stumpf, hölzern, feurig, romantisch, melancholisch, elegisch oder nur gemein. Psychoakustiker unterscheiden im Wesentlichen nur drei Komponenten, die über Lust und Leid am Hören entscheiden: Schärfe, Rauhigkeit und Klanghaftigkeit (Ch. WEBER: wroammm, in: SZ-magazin Nr. 21 vom 27.5. 1994, S. 32). Was von sog. Endlosbändern über Lautsprecher in den Verkaufsraum gesendet wird, wird von den Kunden meist nur für 10 bis 20 Minuten wahrgenommen, zerrt als pausenlose Musik-Berieselung aber nachhaltig an den Mitarbeiter-Nerven. Grundsätzlich beeinflussen Ladenfunk, Durchsagen und vor allem Hintergrundmusik die Ladenatmosphäre positiv. Zudem individualisieren die sprachlichen und die musikalischen Beiträge die Verkaufsstelle wie kaum ein anderer sensorischer Stimulus. Aber hier „kommt es sehr darauf an“, nämlich auf Auswahl der Texte und Musikstücke, auf Stimmlage, auf Lautstärke und auf Dauer der Reizdarbietung. Produzenten von Tonprogrammen stimmen darin überein, dass Hintergrundmusik gemäßigt, harmonisch und textfrei sein soll. Jedenfalls entdecken immer mehr Händler und Musikanbieter die Möglichkeiten, Kunden durch Musik emotional anzusprechen, möglichst angenehme Stimmungen zu erzeugen, zum Verweilen im Ladenlokal und schließlich zum Kaufen anzuregen. Allein die drei größten Anbieter von Hintergrundmusik in Deutschland (DMX Music und Mood Media, Hamburg, Alcas Muzak, Düsseldorf) verzeichnen seit Anfang dieses Jahrhunderts Umsatzsteigerungen von jährlich zwölf bis 20 Prozent. Dabei setzt die Hamburger Mood Media GmbH im Gegensatz zur Konkurrenz neben Kaufhäusern, Modeboutiquen,
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Hotels und Restaurants vor allem auf den Lebensmitteleinzelhandel. Mehr als ein Drittel ihrer 7000 Geschäftskunden sind Supermärkte. Wie sensibel und kritisch Kunden, Organisationen oder die Öffentlichkeit allerdings reagieren können, zeigt sich alle Jahre wieder, wenn die Diskussion um das Abspielen von Weihnachtsliedern in Einzelhandelsgeschäften entbrennt. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels ermahnt die Einzelhändler regelmäßig über seine Mitgliedsverbände, aus Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle derartige Hintergrundmusik zu unterlassen.
Wie in einer Pilotfiliale der Karstadt AG zu erfahren war, ist das Ladenfunk-Experiment in Form von Grußdurchsagen und Sendung gewünschter Musiktitel vor Geschäftsöffnung gezielt für diese Filiale von der Belegschaft mit Begeisterung angenommen worden. Auf diese Weise wird, jedenfalls ein Stück weit, die emotionale Distanz zwischen Wohn- und Arbeitswelt verringert, die Verkaufsstätte mit einem Hauch von Privatheit versehen. In nicht wenigen Verkaufsstätten und Shopping Centers können olfaktorische Reize mit Erfolg eingesetzt werden. Zwar wirken nicht alle Gerüche oder Düfte auf alle Menschen gleich. Eine objektive Wirkungsmessung ist im Allgemeinen nicht möglich, da ein olfaktorischer Maßstab fehlt. Allenfalls kann das „Olf“ als Maßeinheit zur Ermittlung der „olfaktorischen Behaglichkeit“ von Arbeitsräumen herangezogen werden (1 Olf = Ausdünstung eines Menschen, der im Sitzen arbeitet und durchschnittlich 0,7 Bäder pro Tag nimmt). (Vgl. S. KIPPENBERGER: Der Mensch, ein Olf. Was Wissenschaftler über das Riechen wissen, in: Der Tagesspiegel Nr. 14959 v. 3.7.1994, S. IV). In einer sprachpsychologischen Studie über Parfumdüfte wurden aus über 10.000 freien Assoziationen nur rund 20 Adjektive zur Beschreibung der subjektiven Duft-Erlebnisräume ermittelt: süß, schwer, frisch, herb, intensiv, aufdringlich, billig, künstlich/unnatürlich, angenehm, unangenehm, blumig, elegant, auffällig, modisch, sportlich, weiblich, sauber, fruchtig und männlich. Das im Gehirn gespeicherte Lexikon der Verbraucher zur Beschreibung von Gerüchen ist sehr begrenzt – im Übrigen sind den Verbrauchern die differenzierten und spezifischen Fachbegriffe der Parfümeure in aller Regel gar nicht bekannt (Aldehydnoten, Grünnoten, Chyprenoten usw.) (vgl. GSCHWIND 1990). Immerhin werden einige Gerüche von fast allen Menschen übereinstimmend als angenehm oder unangenehm empfunden, so dass ihr gezielter Einsatz bzw. ihre gezielte Vermeidung psychotaktisch angeraten ist. Von einigen Düften gehen geradezu suggestive Wirkungen aus. Man denke nur an den Duft von frischen Backwaren, Schokolade, Blumen, Kräutern, Minze oder Parfums. Die Königin unter den kontinentaleuropäischen Kaufhäusern, das KaDeWe mit seinen 60.000 Quadratmetern Verkaufsfläche, hält im Beauty Department im Erdgeschoss nicht weniger als 1.500 verschiedene Düfte parat – den Traum der ewigen Jugend (vgl. SCHWARZ 2007). Aus den USA wurde bekannt, dass Lederwarengeschäfte oberhalb des Schaufensters Düsen installiert haben, denen zeitweilig ein Lederduft entströmt. In
4.3 Ladengestaltungs-, Präsentations- und Platzierungspolitik
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Deutschland hat sich D. von KEMPSKI seit 1992 darauf spezialisiert, die klimatisierte Luft in Büros, Hotels, Gaststätten und Einkaufszentren durch Zugabe von natürlichen Stimmungsdüften in die Belüftungsanlage behaglicher zu machen. Schließlich haben die Kaffeeröster in ihren eigenen Verkaufsstellen den unwiderstehlichen Reiz frisch gerösteten, gemahlenen und aufgekochten Kaffees geschickt zu nutzen gewusst, übrigens in Kombination mit weiteren Psycho-Tricks: Zunächst kann sich der Passant dem betörenden Kaffeeduft nicht entziehen, da die Ladentür grundsätzlich offen bleibt. Im Laden genehmigt er sich sodann ein wohlfeiles Tässchen. Der kurze Genuss erfolgt im Stehen an kleinen Tischen, die weder zu längerer Diskussion noch zum wichtigen Geschäftsgespräch, erst recht nicht zum Entspannen einladen, aber die „Kundenumschlagshäufigkeit“ in die Höhe treiben. Oft folgt dem kurzen Genuss noch der Kauf frisch gemahlenen Kaffees zum Verzehr im privaten Heim. Welch betriebswirtschaftlicher Geniestreich im Vergleich zu herkömmlichen Cafés, insbesondere den Wiener Caféhäusern, die zwar als Spiegelkabinette mit Plüschsesseln, internationaler Presse und Originalgraphik ein kulturvolles Ambiente schaffen, in denen sich aber ein Gast stundenlang an einer Tasse Braunem mit Schlagobers festhalten kann! Auch wenn kaum eine allgemeingültige Grenze zu ziehen ist zwischen angenehmen und unangenehmen Gerüchen, dürften doch faulige, ranzige Abfall- oder Küchengerüche, intensive Fischgerüche oder Brandgeruch auf wenig Zustimmung stoßen. Dass die Empfindungen bei einigen Gerüchen diametral entgegengesetzt sind – ausgeprägt bei Knoblauch, der beinahe weltanschauliche Dispute zwischen Anhängern und Gegnern auszulösen vermag –, erfordert psychologisch vorsichtiges Taktieren. Die Vermeidung unangenehmer Gerüche und Düfte dient dabei meist nicht nur der Verkaufsstätte, sondern auch den unmittelbaren Nachbarbetrieben. Im Zweifel ist Geruchsarmut, wenn völlige Geruchsfreiheit schon nicht herstellbar ist, ausgeprägten Ausdünstungen vorzuziehen. Freilich aktiviert sie auch weniger ... Als haptische Wahrnehmung (umgangssprachlich auch Tastsinn) bezeichnet man eine Sinneswahrnehmung von Lebewesen, mit der bestimmte mechanische Reize wahrgenommen werden können. Die Gesamtheit der haptischen Wahrnehmungen erlaubt es dem Gehirn, Berührungen, Druck und Temperaturen zu lokalisieren und zu bewerten. Es wird unterschieden zwischen taktiler Wahrnehmung (Oberflächensensibilität) und kinästhetischer Wahrnehmung (Tiefensensibilität). Psychologisch ausgesprochen differenziert, teils direkt wahrnehmbar, teils unmerklich, subliminal können taktile Reize bei der Gestaltung von Verkaufsräumen eingesetzt werden. Wann immer der Kunde die Ware in die Hand nehmen kann, wenn er sie berühren, ihr Material spüren kann, wird die Verwendungsahnung akut. Der körperliche Kontakt mit der Ware ist vielfach der entscheidende Auslöser des Besitzwunsches. Das SB-Prinzip der offenen Warenauslage kommt dem Kontaktverlangen gewiss entgegen. Daher werden Textilien gern auf Ständern feilgeboten, im Verkaufsraum und vor dem Verkaufsraum auf dem Bürgersteig. Letzterem haftet ein basarhafter Zug an, der die einen positiv anspricht, andere eher abschreckt, sei es aus ästhetischen oder soziologischen Gründen. Solche empfindlichen Menschen oder Menschen mit gehobenen Ansprüchen an Beratung und Bedienung sind aber nicht verloren für taktile Reize. Die in Ebenholzschränken hinter Glas aufgehobenen guten Stücke verlangen gleichsam das Spiel der sorgfältigen Entnahme und Vorlage durch umsorgendes Personal. Dann erfolgt der taktile ReizReaktions-Mechanismus noch intensiver wegen des eingetretenen Spannungsaufbaus. Wie effektiv und dennoch unbewusst wirken Bodenbeläge! Parkettfußböden oder Auslegeteppiche mögen dem optischen Sinn durchaus bewusst werden in ihrem Glanz oder ihrem
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
feinen Dessin. Aber meist bleibt doch dem Tastsinn verborgen, welch sicherer Halt unter den Füßen, welche Empfindung von Festigkeit und Solidität sich vom Parkett aus auf den Körper überträgt. Und wie geräuschlos, weich und sanft gleitet man auf Teppichen durch das Warenparadies! Ob Tiefenpsychologen Recht haben mit ihrer Deutung, dass dabei Urwünschen nach pränataler Geborgenheit entsprochen werde, sei dahingestellt. Die größeren „Paradiese der Damen“ (Emile ZOLA), die Warenhäuser, haben jedenfalls längst die psychologische Erkenntnis, dass man auf harten Böden zu schnellerem und auf weichen Böden zu langsamerem Gehen neigt, für sich genutzt: Der härtere Bodenbelag in den Hauptgängen soll das Vorwärtskommen der Kund(inn)en anregen, weichere Bodenbeläge vor der Warenauslage jedoch ihr Tempo drosseln. Und schließlich sind auch mit taktilen Elementen Überraschungseffekte zu erzielen, wenn z.B. die Bodenbeläge innerhalb des Verkaufsraums wechseln oder wenn der Passant vor den Schaufenstern eines Einrichtungshauses unvermutet über weiche Teppichfliesen geleitet wird (mit dem Beweis ihrer Strapazierfähigkeit als Nebeneffekt). Emile ZOLA hatte in seinem 1883 erschienenen Roman übrigens nicht nur die Hektik der neuen Arbeitswelt im Pariser Warenhaus Au Bonheur des Dames sehr genau beschrieben. Zugleich hatte er eine feine psychologische Interpretation geliefert: die Glanzwelt des Warenhauses als Paradies für die Sinne. In diesem Paradies war die zeitgenössische Dame noch schüchtern dafür dankbar, so leicht manipuliert zu werden. Diese < dürfte sich inzwischen etwas gewandelt haben, wenn man von Kundinnen im Weltstadtwarenhaus einmal absieht, das immer noch Entzücken und manchen Impulskauf auslöst.
4.3.2
Warenpräsentation
Im Normalfall muss jede Einzelhandlung eine Kontaktmöglichkeit zwischen Kunden und Ware herstellen. Dieser Kontaktvermittlung dienen die Instrumente der Warenpräsentation und der Warenplatzierung. Die Warenpräsentation kann grundsätzlich in drei Formen geschehen, und zwar durch: (1) Inspektion, (2) Muster bzw. Probe und (3) Abbildung bzw. Beschreibung (vgl. HANSEN 1990, S. 275). Sowohl die materiellen Präsentationsformen (1) und (2) als auch die immaterielle Präsentationsform (3) lassen mancherlei psychotaktische Optionen zu. (1) Die Ware dem Kunden unmittelbar zur Inspektion vorzulegen, ist nicht nur die älteste werbende Darbietungsform (vgl. die horizontal aufgeklappten Holzverschläge, die „Läden“ vor den mittelalterlichen Händler- und Handwerkerbuden, wie sie noch auf dem Florentiner ponte vecchio zu besichtigen sind, oder die zeunefinster = Zeigefenster der spätmittelalterlichen Kaufleute am Niederrhein), sie ist aus psychologischer Sicht auch die wirksamste Präsentationsform. Gleichgültig ob es sich bei der ausgestellten Ware um standardisierte Massenprodukte, um differenzierte Kleinserienstücke oder um Einzelstücke (Unikate; Qualität statt Masse) handelt, stets wirkt die unmittelbare Nähe, der körperliche Greifkontakt am nachhaltigsten bedürfnisauslösend. So wie der Wochenmarkt-
4.3 Ladengestaltungs-, Präsentations- und Platzierungspolitik
193
Händler nur seine schönsten Exemplare polierter Äpfel dem potenziellen Käufer zum Greifen nahe vorlegt, so müssen alle Händler dafür sorgen, dass die schönen, neuen, attraktiven Waren leicht sicht- und greifbar vorgestellt werden. (2) Bei der Warenpräsentation durch Muster bzw. Probe wird nur ein repräsentativer Teil des Sortiments vorgelegt, den der Käufer nicht direkt erwerben kann. Diese Präsentationsform kommt in Frage, wenn der Händler-Kunde-Kontakt nach dem Domizil- oder nach dem Treffprinzip organisiert ist. Im Residenzhandel können sperrige, raumintensive oder stark kapitalbindende Artikel durch Muster vorgestellt werden (z.B. Möbel, Automobile, Musikinstrumente). Auf Muster-Präsentation beruhen auch das Geschäft mit sog. Bestellsortimenten sowie das Katalogschauraum-Prinzip. Sie nutzen zwar auch die Suggestivkraft der Inspektion. Allerdings sind die Möglichkeiten für Impulskäufe eingeschränkt. (3) Die Warenpräsentation durch Abbildung bzw. Beschreibung erfolgt losgelöst vom konkreten Präsentationsobjekt in Bild-, Zeichen- oder Schriftform. Dies ist die typische Präsentationsform des Versandhandels, der auf Katalog-Kontakte angewiesen ist, und des Internet-Handels. Aber auch im stationären Einzelhandel können Warenabbildungen und -beschreibungen aller Art (visual merchandising) eingesetzt werden, und zwar − innerhalb der Verkaufsräume und in den Schaufenstern: z.B. Schautafeln mit Produktinformationen; Dia- oder Filmprojektion; Videobänder, Bildplatten- und DVDProjektionen; − außerhalb der Verkaufsstätte: z.B. Kataloge, Prospekte, Handzettel, Flugblätter, Coupons; sonstige Medienwerbung (Print- und elektronische Medien; Kinowerbung). Aus psychologischer Sicht erleichtern Abbildungen bzw. Beschreibungen die erste unverbindliche Kontaktaufnahme, die Kunden mit Schwellenangst sehr zu schätzen wissen. Ein anschauliches Beispiel für bildliche Darstellung mit psychologischer Wirkung (Angstabbau; Fürsorge) liefert die Vorführung von Videofilmen über Crash-Tests mit Kindersitzen in einem Baby-Markt. Damit können sich die besorgten Eltern von der Haltbarkeit bestimmter Kindersitze im Automobil im Ernstfall überzeugen – eine Information, die verbal kaum so glaubwürdig vermittelt werden kann. Für den Händler ist allerdings mit den öffentlichen Präsentationsformen von Katalog und Internet immer der wenig erwünschte Nebeneffekt verbunden, dass alle Produktinformationen und Verkaufspreise den Konkurrenten bekannt werden. Diese können kurzfristig reagieren, während der Katalog nicht so rasch geändert werden kann. Die Warenpräsentation durch Abbildung oder Beschreibung kann im Grunde das gesamte Instrumentarium der Werbepsychologie nutzen. Die schöne, idealisierende Produktabbildung im Erlebnisraum (in dem Freiheit und Männlichkeit versprochen wird, wenn nur dieses oder jenes Erfrischungsgetränk oder diese oder jenes Deo erworben wird), wie sie aus der Herstellerwerbung geläufig ist, ist genauso zugänglich wie die emotionslose, klare und nüchterne Abbildung der zahlreichen Artikel und ihrer verbindlichen(!) Preise, die für sich sprechen. Wahrnehmungspsychologische, gestaltpsychologische und farbpsychologische Erkenntnisse, sie sind alle nutzbar.
194
4.3.3
4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Warenplatzierung
Befasst sich die Warenpräsentation vornehmlich mit der Kontaktschaffung zwischen Ware und potenziellem Käufer, geht es bei der Platzierung um Fragen des Wo und Wie der Warendarbietung. Den mitunter Hunderten von Artikelgruppen müssen nicht nur die zweckmäßigen Raumquantitäten und -qualitäten zugemessen werden (space management), sondern jeder einzelne Artikel muss auch psychotaktisch möglichst optimal platziert werden. Hier tut sich der ganze Chancenreichtum der geheimen Verführung auf. Paco UNDERHILL, CEO der Gesellschaft Envirosell, weist mit britischem Humor nicht nur auf ihre Gefahren, sondern auch auf ihren Nutzen hin: "If we went into shops only when we needed to buy something, and if once in there we bought only what we needed, the economy would collapse, boom”. Mancher Psycho-Trick ist längst jedem Supermarktleiter geläufig, etwa: − unterschiedliche Aufmerksamkeits-Wertigkeit von Regalplätzen in Streck-, Augen- bzw. Griff- oder Bückzone (Süßigkeiten) und in horizontaler oder vertikaler Artikelanordnung; − Stopper auf den ersten drei Gangmetern hinter dem Eingang (weil die Kunden sonst erst einmal motorisch an den ersten Auslagen vorbei weiterlaufen), besonders die von Parkplätzen ins Geschäft hastenden Kunden; in vielen US-amerikanischen Supermarkets übernehmen freundliche greeter diese Bremsfunktion; − Rundlauf-Organisation gegen den Uhrzeigersinn (Linksdrall der Kunden); − Gondeln und Grabbelkörbe oder -tische im Gang (z.T. als Bremse, z.T. zur Erzeugung der Illusion günstiger Schnäppchen); − Stapellagerung (erzeugt die Illusion des profihaften Einkaufs; im Dutzend billiger); − bewusster Einbau von Grifflücken bei der Nachfüllung einzelner Artikel (lässt die Vermutung besonders starker Nachfrage und somit me-too-Verhalten aufkommen); − Verwendung von auffälliger Beschriftung oder detaillierter Produktinformationen („biolandecht“; „test-Urteil sehr gut“). Im SB-Einzelhandel haben sich einige Standardregeln für die Warenanordnung in Regalen und sonstigen offenen Warenträgern herauskristallisiert: − Die Kunden richten ihr Hauptaugenmerk auf die Mitte der Warenträger (Impulsartikel gehören in die Augen- bzw. Griffzone, und zwar in die Mitte oder rechts von der Mitte, Magnetartikel eher in die Randzonen. Die Regalflächen links und rechts außen in der Bückzone sind die schwächsten Bereiche). − Waren, die rechts von der Mitte platziert sind, haben die größere Chance, wahrgenommen und gekauft zu werden. − Für verschiedene Artikelgruppen ist die vertikale Blockbildung der horizontalen Blockbildung vorzuziehen.
4.3 Ladengestaltungs-, Präsentations- und Platzierungspolitik
– Streckzone
–
Augenzone
++
Griffzone
+
Bückzone
–
–
++
195
+
–
øøøøøøøøøøøøøøø ø ø ø stärkster ø ø øøøø ø Bereich ø ø øøøøø ø ø ø ø øøøøøøøø
160 cm
Abb. 23: Warenanordnung im SB-Regal und ihre Wertigkeit
Die Abb. 23, 24 und 25 verdeutlichen diese psychologischen Platzierungsregeln anhand eines Drogeriemarkt-Beispiels. Zahnpasten Zahnbürsten Mundwasser
Zahnpasten
Zahnbürsten
Mundwasser
Zahnputzbecher
Zahnputzbecher Abb. 24: Horizontale Artikelanordnung (problematisch)
Abb. 25: Vertikale Artikelanordnung (zweckmäßig)
Umstritten ist die Frage der Warenplatzierung nach Preisklassen. Abgesehen von der Strategie des Einheitspreisgeschäfts, das bewusst verschiedene, branchengleiche oder branchenverschiedene Artikel zu Einheitspreisen zusammenfasst, gibt es hier keine allgemeine Regel. In dem einen Einzelhandelsbetrieb wird grundsätzlich gemischt platziert, damit die Nachfrage unter Umständen auf höherpreisige Artikel gelenkt werden kann. In dem anderen Betrieb hält man die Platzierung nach Preisklassen für zweckmäßiger, insbesondere in Branchen mit ausgeprägten Qualitäts- und Preissprüngen wie im Möbel- und Textilhandel und in Betrieben mit separaten Ramsch- und Exklusivangeboten. Die Ladengestaltung wird von den Kunden je nach Emotion und Stimmungslage und je nach kognitiver Vorerfahrung mit der Einkaufsstätte unterschiedlich empfunden. Der negativ gestimmte Kunde, der müde, der planlose, der niedergeschlagene oder der gelangweilte Kunde bedarf der Aktivierung. Für den positiv gestimmten Kunden, für den wachen, mit einem Einkaufsplan ausgerüsteten, den frohgemuten oder den erlebnisdurstigen Kunden sind weniger aktivierende Maßnahmen nötig, um ihn in Kauflaune zu versetzen. Es kommt daher darauf an, ein für alle hinreichendes optimales Aktivierungsniveau zu erzielen. Die wichtigsten Gestaltungselemente dafür sind bekannt. Aktivierend wirken etwa folgende Elemente: − − − −
Helle Ausleuchtung des Ladens, Anstriche in intensiven und warmen Farben (Rot, Gelb, Orange), rhythmische Hintergrundmusik, originelle Formen der Warenpräsentation,
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
− häufiger Wechsel des Erscheinungsbildes des Ladens und − Begleitung durch Verkäufer. Eher deaktivierend wirken Elemente wie: − − − − −
dezente Beleuchtung, helle, „kalte“ Farben (Blau, Grün, Violett), langsame, leise Hintergrundmusik, Pflanzengruppen und übersichtliche Warenbereiche.
Da die jeweilige Stimmungslage der Besucher nicht bekannt ist und man selbst bei zutreffender Vermutung dieser oder jener Stimmungslage die Verkaufsraumgestaltung darauf nicht unverzüglich einstellen kann, bietet sich am Ende wiederum ein Kompromiss an: der gleichzeitige Einsatz stimulierender und entspannender Elemente. Die Kunden haben dann die Wahl, im Laden die stimulierenden oder die dämpfenden Zonen auszuwählen oder zwischen ihnen zu wechseln. Für die Anregungsbereiche kämen etwa in Betracht: − − − − − − −
originelle Warenträger und Dekorationen, Bild-, Spiegel oder Leuchtwände, Bewegungselemente wie Springbrunnen, Mobiles, Drehscheiben, Wühltische, Film- oder Diaprojektion, Kostproben oder Marktschreier.
Belebende Impulse liefern auch Live-Vorführungen (Gravurstand, Computer-Ecke, Geschenke verpacken, Waffelbäckerei usw.). Hingegen lassen sich Entspannungsbereiche schaffen durch: − − − − −
Sitzgelegenheiten, Erfrischungsstände, gedämpftes Licht, Geräuschabschirmung oder klare Gliederung der Warenbereiche (vgl. FRANKE/KÜHLMANN 1990, S. 397–400).
Insgesamt kann wohl (mit BOST 1987, S. 171) verallgemeinernd festgehalten werden, was für SB-Warenhäuser empirisch belegt wurde:
Gelingt es, Kunden in eine positive(re) Stimmung zu versetzen, führt dies zu einer positiveren Wahrnehmung der angebotenen Handelsleistung sowie zu einer größeren Kauffreude, zu vermehrter Akzeptanz und zu größerem Umsatzerfolg der Einkaufsstätte.
4.4 Preispolitik
4.4
197
Preispolitik
Preispolitik im Handel ist Spannenpolitik. Anders als aus der industriellen Marketingsicht, die Preispolitik als Verkaufspreispolitik versteht, ist das preispolitische Kalkül im Handel nie allein auf den absatzmarktgerichteten Verkaufspreis jedes Produkts gerichtet, sondern auf die Handelsspanne, d.h. auf die Differenz zwischen Verkaufspreis und Einstandspreis jedes Artikels, wobei der Einstandspreis der um Zu- und Abschläge wie Transportkosten, Rabatte, Boni und Skonti korrigierte Einkaufspreis ist. Nicht in der Verkaufspreismaximierung, sondern in der Spannenmaximierung liegt die händlerische Kunst der artikelbezogenen Einzelkalkulation. Sie wird allerdings im Regelfall durch eine zweite Kalkulationsaufgabe modifiziert: die Misch- oder Ausgleichskalkulation zum Zwecke der Optimierung der sortimentsbezogenen Preisstruktur (vgl. SCHENK 1991, S. 176 und 183f.). Bei gleichbleibendem Verkaufspreis führt eine Senkung des Einstandspreises ebenso zur Spannenvergrößerung wie eine Anhebung des Verkaufspreises bei gleichbleibendem Einstandspreis. Dem Händler muss daher zunächst an einer gleichzeitigen Minimierung des Einstandspreises und Maximierung des Verkaufspreises gelegen sein. Im Anschluss daran kann er aus vielfältigen Gründen eine Spannendifferenzierung für unterschiedliche Sorten, Artikel oder Artikelgruppen vornehmen. Der Preis (P) – der Einkaufspreis als das an Verkäufer gerichtete Preisgebot und der Verkaufspreise als die an Käufer gerichtete Preisforderung – ist stets der Quotient aus dem monetären Leistungsäquivalent im Zähler und der nachgefragten oder angebotenen Leistung im Nenner: P =
Entgelt Leistung
.
Was bei den Verkaufspreisen des Einzelhandels nicht mehr sichtbar und den Beteiligten auch nicht mehr bewusst ist, wird bei Preisverhandlungen unter Kaufleuten noch deutlich: Beim Einkaufs- und beim Verkaufsakt mischen sich nicht nur objektive Kosten- und subjektive Nutzenfaktoren bei der Realisierung der Preise als Tauschwerte, es wird auch nicht nur Ware gegen Geld beim Verkauf bzw. Geld gegen Ware beim Einkauf eingetauscht, vielmehr beziehen sich Preisforderungen und Preisgebote immer auf Ware und eigene Marktleistungen bzw. Ware und distributive Vorleistungen der Verkäufer. Entsprechend liegen den Verhandlungen über Verkaufspreise (VK) und Einkaufspreise (EK) Preisforderungsquotienten (Pf) und Preisgebotsquotienten (Pg) zugrunde: Pf =
Pg =
gefordertes Entgelt Ware + eigene Marktleistungen gebotenes Entgelt Ware + distributive Vorleistungen
Dieser verdeckte Zusammenhang ist bedeutsam. Er erklärt den effektiv realisierten Preis P als Resultante aus Preisforderung und Preisgebot – den realisierten Einkaufspreis EK wie
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
den realisierten Verkaufspreis VK – und somit als Resultante aus objektiven und subjektiven Wertbestimmungen hinsichtlich der Ware, der distributiven Vorleistungen des Verkäufers und der eigenen Marktleistungen des Käufers (SCHENK 1991, S. 225-227). Daher kann Preispolitik im Einzelhandel als Zählerpolitik oder als Nennerpolitik oder als kombinierte Zähler- und Nennerpolitik betrieben werden. Beziehen sich die psychotaktischen Erwägungen auf die Festsetzung oder Änderung des Geldbetrags im Zähler (bei gleichbleibender Leistung im Nenner), handelt es sich um direkte Preispolitik. Wird die Leistung im Nenner geändert (bei gleichbleibendem Wertausdruck im Zähler), handelt es sich um indirekte Preispolitik. Wird die eigene Marktleistung bei gleichbleibendem Preis reduziert, dann handelt es sich um eine indirekte Preissteigerung. Aus psychologischer Sicht ist die indirekte Preispolitik für Anbieter verlockend, da sie weniger leicht bemerkt wird als eine direkte Preissteigerung. Dem Handelsmanagement ist jedoch zur Vorsicht bei indirekter Preiserhöhung zu raten. Nicht nur kann sie wettbewerbsrechtlich als Irreführung geahndet werden, sondern sie schadet dem Ansehen des Unternehmens nachhaltig, wenn sie bemerkt wird. Über derartige aufgedeckte indirekte Preissteigerungen verärgerte Käufer sind als Stammkunden so gut wie verloren. Das ist umso nachteiliger, wenn sie nicht reklamieren, ihre Enttäuschung nicht artikulieren, sondern stumm das Geschäft wechseln. Tchibo hat jahrelang den Boykott der Kundschaft zu spüren bekommen, nachdem die RöstkaffeeFüllmenge ohne entsprechende Preissenkung von 500 g- auf 400 g-Packungen umgestellt worden war. Da nützte auch die baldige Rückkehr zu 500 g-Packungen wenig. Die Stiftung Warentest berichtete in Heft 2/94 ihrer Zeitschrift „test“, dass die Schwartauer Werke in ihrer alten Packung 12 Müsli-Riegel zu je 21 g und in ihrer neuen Packung ebenfalls 12 Müsli-Riegel, nun zu je 17 g anboten – dies zum selben Preis. Das Gegenstück, die indirekte Preissenkung, ist im Regelfall psychotaktisch unattraktiv, es sei denn, die Mehrleistung (z.B. Draufgabe; zusätzlicher unentgeltlicher Service; Rabattmarken) bei gleichbleibendem Verkaufspreis wäre leicht erkennbar und begehrt. Normalerweise geht der ansprechendste Reiz von der direkten Preissenkung aus. Er lässt sich im Rahmen des wettbewerbsrechtlich Erlaubten auch leichter werblich nutzen. Preise und Preisnachlässe (Rabatte) sind generell wichtige Entscheidungsparameter im Wettbewerb (Preiswettbewerb vs. Qualitäts- und Informationswettbewerb). Dabei verfügt jeder Groß- und Einzelhandelsbetrieb über spezifische Vorteile: Anders als ein Herstellbetrieb kann er mit verbindlichen Verkaufspreisen werben. Die Artikelkalkulation kann zwar nicht völlig von der Kostenorientierung losgelöst werden, aber sie kann doch weitgehend der Märkteorientierung folgen (Konkurrenzpreise; Artikelgängigkeit; Preiselastizität der Nachfrage und des Angebots). In Anbetracht des ausgeprägten Preisbewusstseins der mündigen Konsumenten, ihrer Kauferfahrung, der Notwendigkeit – oder der Erziehung – zum Preisvergleich und zum preisbewussten Einkauf müssen die Artikelpreise sorgfältig auf ihre psychologische Reizwirkung hin überprüft werden. Daran ändert auch die Vermutung wenig, „dass viele Verbraucher der Dominanz des Preises in ihren eigenen Einkaufsplänen zunehmend überdrüssig werden und auf neue Konzepte von Seiten der Anbieter warten“ (DILLER 1984, S. 250). Da Preispolitik sowohl strategisch als auch taktisch angelegt sein kann und der psychologischen Überprüfung bedarf, kann man die Unterscheidung in psychostrategische und psychotaktische Preispolitik einführen. Zur mehr psychostrategischen Preispolitik zählen etwa:
4.4 Preispolitik
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− − − − − − − − − − −
Preislagen, systematische Abschriften (FILENE’S automatic markdown system), Permanente Rabattgewährung, permanente Preisdifferenzierung (räumlicher, zeitlicher oder personeller Art), grundsätzliche Einheitskalkulation, grundsätzliche Ausgleichskalkulation, Einheitspreise, Niedrigpreispolitik (Discounting), Preisverhandlung (im Einkauf; im Verkauf make-a-bid-policy), Preiskonstanz, Preisgarantie, permanente Sonderangebote (Angebot der Woche, Angebot des Monats, Das Goldene Angebot) und − einheitliche Preispräsentation.
Zur mehr psychotaktischen Preispolitik zählen etwa: − − − − − −
Aktionspreise, fallweise Rabattgewährung, fallweise Preisänderung (Preisherauf- und -herabsetzungen, Abschriften), fallweise Preisdifferenzierung (räumlicher, zeitlicher oder personeller Art), fallweise (unregelmäßig wechselnde) Sonderangebote und variierende Preispräsentation.
In psychologischer Hinsicht besonders facettenreich ist der Bereich der Preispräsentation (Preisoptik). Für die Anzeige der Verkaufspreise namentlich im Einzelhandelsbetrieb kommen beispielsweise folgende Möglichkeiten in Betracht: − − − − − − − − −
Preisauszeichnung bzw. -angabe am Artikel, Preisauszeichnung bzw. -angabe neben dem Artikel (Preisschild, Plakat, Preisliste), persönlich-mündliche Preispräsentation, akustische Preispräsentation (Lautsprecherdurchsagen), Bevorzugung bestimmter Endziffern (0, 5, 8 oder 9), Angabe von ganzen Zahlen oder gebrochenen Zahlen (odd prices), Vergleichspreise, Angabe des Grundpreises neben dem Stückpreis, Angabe des Basispreises mit Ankündigung von differenzierten Zuschlägen je nach Leistungsinanspruchnahme (Mitnahmepreis vs. Zustellpreis; cost-plus-System), − typographische Gestaltung: Form, Farbe, Größe, Positiv-/Negativdruck der Ziffern oder − Phantasiebezeichnungen (Keller-Preis, Sommerpreis, Sturzpreis, Bestpreis, Jubi-Preis). Alle Möglichkeiten haben ihre psychologischen Vor- und Nachteile. So hat beispielsweise die Lautsprecherdurchsage von einzelnen Preisen („Sonderangebot des Tages“) einen hohen Aufmerksamkeitswert, vorausgesetzt, die Durchsage erfolgt klar, in angenehmer Stimmlage und möglichst mit Vorbereitung; denn sie ist gleichsam unentrinnbar. Die durch hohen Aufmerksamkeitswert begleitete Reizempfindung garantiert allerdings keine einheitliche Umsetzung in eine Kaufhandlung bei allen anwesenden Kunden: Ein Teil der Kundschaft ist dankbar für Hinweise auf günstige Preise, ein anderer mag sie als aufdringlich oder störend empfinden. Umso wichtiger ist die systematische Wirksamkeitskontrolle der Laut-
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
sprecherdurchsagen. Oder: Die einen sind über die Möglichkeit der persönlich-vertraulichen Preis- und Rabattverhandlung erbaut, die anderen wittern Benachteiligung, Diskriminierung. Die Schnäppchenjäger werden durch die Ankündigung von „Abschusspreisen“ zur Einkaufshatz ermuntert und die Schnäppchenverächter oder Menschen ohne kommerziellen Jagdtrieb eher vom Einkauf abgeschreckt. Der eine schätzt die in der Ankündigung „Unsere Trostpreise“ zum Ausdruck gebrachte humorvolle Anspielung auf das am Vortag verlorene Fußballspiel der Lieblingsmannschaft, der andere wähnt in derartigen „Albernheiten“ nur Unsolidität des werbenden Geschäfts. Wie vielen Menschen – nach Jahrzehnten der PhantasiepreisExposition – derartige fast reißerische Preis-Bezeichnungen inzwischen völlig gleichgültig sind, ist eine offene Frage. Was die typographische Gestaltung betrifft, so können manche psychologische Erkenntnisse zumindest geprüft werden, seien sie gestalt- oder lernpsychologischer Art, seien sie motivationstheoretischer oder emotionsanalytischer Art. Allerdings sind die Verhältnisse ungemein komplex und reagieren die Kunden höchst unterschiedlich. Der superfette Zifferndruck in der Zeitungsanzeige gereicht dem Audio-/Video-Discounter zum Vorteil, für den ersten Juwelier am Platze wäre er der Anfang vom Ende. Und wer, wenn nicht der systematisch, quasi wissenschaftlich vorgehende und experimentell überwachende Handelspsychologe, vermöchte zu entscheiden, ob grüne oder blaue Preisschilder zu höherem Pampelmusenabsatz verhelfen? Löst die ungelenke Handschrift auf der Schiefertafel Zweifel oder Vertrauen in die Preisangaben aus, vielleicht ein mildes Lächeln mit oder ohne anschließenden Kauf? Eine generelle Regel gibt es nicht. Und wenn vermeintlich eine gefunden ist, dann lauert die nächste Gefahr: das Abkupfern und damit die gegenseitige Aufhebung der mit typographischen Mitteln gelungenen Effekte, weil alle dasselbe tun. (Nachdem E. DICHTER seinen tiefenpsychologischen Laborbefund von der Stimulierung des Sexualtriebs durch die Verpackungsfarbe Rot bekannt gegeben hatte, wurden fast alle Zigaretten-Verpackungen auf Rot umgestellt. Heute sind sie, auch aus psychologischen Erwägungen, fast alle in klinisch gesundem Weiß gehalten ...). Jeder Kaufmann muss für jeden einzelnen Artikel einen Verkaufspreis (VK-Preis) kalkulieren. Verschiedene Elemente des kalkulierten Verkaufspreises (Preisforderung), insbesondere die Mehrwertsteuer, erzwingen geradezu eine psychotaktische Korrektur des kalkulierten Verkaufspreises. Gelangt der Kaufmann z.B. bei seiner Kalkulation eines Radioweckers zu einem rechnerischen Bruttopreis (VK-Preis einschl. Mehrwertsteuer) in Höhe von 70,13 €, dann wird er diesen aus Gründen der Preisoptik sicherlich nicht wählen, sondern korrigieren. Er wird jedoch kaum auf 71,00 €, 70,20 € oder 70,10 € auf- bzw. abrunden. In Betracht kommen als runder Preis 70,00 € oder als gebrochene Preise 69,90 € oder 69,80 € oder 69,00 €. Der runde Preis in Höhe von 70,00 € hat grundsätzlich die kleinen Vorteile der Glattheit und der Einfachheit für sich: Glatte Preise sind einfacher zu erinnern. Psychologisch vorteilhafter sind jedoch gebrochene Preise unter der glatten Preisschwelle; denn die Kunden bleiben beispielsweise bei dem Preis 69,80 € dem runden 60er Zahlenbereich assoziativ verhaftet. Wie Buchstaben werden in unserem Kulturkreis auch Zahlen von links nach rechts gelesen, was zu einem Primacy-Effekt führt: Die ersten Ziffern werden stärker beachtet, die folgenden zunehmend vernachlässigt (EL SEHITY/KIRCHLER/BRANDSTÄTTER 2005, S. 292). Die übliche Decodierung im dekadischen System sorgt dafür, dass der nächsthöhere, teurere 70er Zahlenbereich unter Entlastungsgesichtspunkten ausgeblendet bleibt. Die minimale Differenz zu 70,00 € in Höhe von nur 0,20 € oder rd. drei Prozent wird folg-
4.4 Preispolitik
201
lich kaum wahrgenommen, während dieselbe absolute Differenz bei einem VK-Preis in Höhe von 70,20 € subjektiv als wesentlich höher eingeschätzt wird. In der Praxis wird allerdings nicht durchgehend mit gebrochenen Verkaufspreisen gearbeitet. So ist z.B. im Textileinzelhandel die Regel anzutreffen, dass Bruttoverkaufspreise bis 19,99 € als gebrochene Preise mit Cent-Angaben eingesetzt werden; hingegen werden Bruttopreise bis 49,90 € mit Zehn-Cent-Rundungen verwendet, und ab 50 € wird auf glatte Euro-Beträge gerundet, z.B. auf 249 €. Endgültige Sicherheit über die psychologisch zweckmäßigsten Endziffern der Preise ist allerdings nicht verbürgt. Es kann durchaus sein, dass sensibilisierte Konsumenten – zumal nach der Umstellung von DM- auf Euro-Preise – bei einem gebrochenen Preis, womöglich mit 99-Cent-Endung, argwöhnisch einen Verkaufstrick vermuten und einen runden Preis vorziehen. Klarheit verschafft im Einzelfall nur ein Vergleichstest mit verschiedenen VK-Preisen für identische Artikel zu verschiedenen, aber vergleichbaren Zeitpunkten. Eine interessante Form der Preisstimuli sind Vergleichspreise. Durch Vergleichspreise eröffnet der einzelne Handelsbetrieb seinen Kunden die Möglichkeit, 1.
die relative Preiswahrnehmung zu verbessern,
2.
die Preisbeurteilung zu erleichtern und
3.
seine Wahlentscheidungen leichter zu treffen.
Beispielsweise kann er um einzelne, den meisten Kunden vertraute Ankerpreise bestimmter Artikel herum andere Artikel mit anderen Preisen platzieren, etwa die preisgünstige Hausmarke unmittelbar neben der marktführenden Herstellermarke platzieren. Er kann seine verbindlichen und günstigeren VK-Preise den sichtbaren, aufgedruckten unverbindlichen Preisempfehlungen der Hersteller gegenüberstellen. Oder er löst Entscheidungskonflikte zwischen drei verschiedenen Sorten des gleichen Artikels über gestufte Preise: Falls keine ausgesprochene Markenbindung vorliegt, wird der Kunde, der sich mit einer preisgünstigen Sorte begnügt, das billige oder das mittelpreisige Stück erwerben. Wer sich hingegen mit einem Geschenk eher generös zeigen möchte, wird das teure Stück erwerben. Bezieht sich die psychotaktische Schaffung von Vergleichspreisen auf den eigenen Handelsbetrieb (den internen Markt), so haben Händler im Allgemeinen überdies den Vergleich der eigenen VK-Preise mit den VK-Preisen für sortengleiche Produkte der Konkurrenten (den Konkurrenzmarkt) im Auge zu behalten. Die Prinzipien der Konkurrenzorientierung – aktives oder passives Preisverhalten in Bezug auf die Konkurrenz – enthalten ihrerseits psychotaktische Elemente. Wer niedrigere Preise als die Konkurrenz verspricht, sollte seinen Kunden die Überprüfung seiner Behauptung, insbesondere bei einer Preisgarantie, ermöglichen. Aus der Schweiz kommt ein überraschender Vorschlag für eine vertrauenbildende Maßnahme: „Ein Anbieter von HiFi-Geräten garantiert seinen Kunden einen konkurrenzlos tiefen Preis. In der Mitte des Geschäfts steht auf einem Sockel ein rotes Telefon, daneben eine Telefonliste mit den Telefonnummern sämtlicher Konkurrenzunternehmen in der Region. Ein großes Hinweisschild macht die Kunden darauf aufmerksam, dass sie jederzeit kostenlos telefonisch das Angebot im Laden mit dem Angebot der Konkurrenz vergleichen können.“ (BRATSCHI/FELDMANN 2003, S. 107f.) Die Autoren fügen hinzu, dass es diese Maßnahme ihres Wissens bis heute noch nicht gibt. Aber das liberalisierte deutsche Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb dürfte dieser Form der vergleichenden Werbung kaum noch entgegenstehen, sofern die Vergleichspreise wahr sind und die Mitbewerber im Ansehen nicht bewusst herabgesetzt werden. Wegen der leichten Preisänderung bei den Mitbewerbern ist aber besonde-
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
re Vorsicht geboten. Eine bedenkenswerte psychologische Anregung enthält das fiktive Beispiel der Schweizer Autoren allemal. Eine ausgesprochen psychologisch orientierte Taktik der Preisreduzierung wurde in der Duisburger Kaufhof-Galeria erprobt: Auf den Preisschildern wurde der herabgezeichnete neue Preis mit Rotstift handschriftlich neben den alten Preis gesetzt. Die „günstige Gelegenheit“ fiel unmittelbar ins Auge. Damit ein Kunde nicht selbst mit Rotstift eine eigene „Preisabschrift“ vornehmen konnte, wurde ein spezieller nicht handelsüblicher und an der Kasse identifizierbarer Rotstift verwendet ... Die Taktik des aktiven Preisverhaltens, insbesondere der Preisunterbietung, führt nur dann zu Wettbewerbsvorteilen, wenn die Konkurrenten nicht oder nur begrenzt in den Preiswettbewerb einsteigen. Beteiligen sich Konkurrenten an dieser Preispolitik, dann können gefährliche kumulative Prozesse der Preisunterbietung, des Preisverfalls und der Preisschleuderei (u.U. mit der Folge der Nichtbelieferung), einsetzen. Ähnlich wie bei den nachfolgend behandelten Preisschwellen, die von den Kunden wahrgenommen werden, empfinden Konkurrenten Unterbietungsschwellen, die sie ihrerseits zu Preisunterbietung veranlassen, etwa bei spürbaren Umsatzanteilsverschiebungen. Solche Konkurrenzreaktionen werden im Allgemeinen durch die Taktik des rotierenden Loss Leaders oder des Sonderangebots („Wettbewerb durch Nadelstiche“) mit kurzfristig wechselnder Preisunterbietung vermieden; wegen der Schnelligkeit des Preiswechsels folgen ihr die Konkurrenten nicht, zumal sie keinen Preisverfall befürchten müssen (vgl. HANSEN 1990, S. 355). Das ökonomische Grundrecht der freien Kalkulation eröffnet jedem Händler in Verbindung mit der Technik der Mischoder Ausgleichskalkulation auch den psychotaktisch interessanten, da werbewirksamen Verkauf einzelner Artikel unter Einstandspreis. Der systematische Verkauf unter Einstandspreisen für größere Artikelgruppen oder für das gesamte Sortiment ist jedoch wegen des Verdachts, als Instrument eines Vernichtungswettbewerbs eingesetzt zu werden, wettbewerbsrechtlich unzulässig. Die Extremform des aktiven Preisverhaltens, die Kampfpreispolitik, ist allerdings nur solchen Handelsbetrieben möglich, die über entsprechende Deckungsreserven der Mischkalkulation oder über die Gelegenheit zu räumlicher Preisdifferenzierung verfügen wie Filialunternehmen. Die Taktik des passiven Preisverhaltens kann als wirtschaftsfriedliche oder als wettbewerbskonforme Verhaltensweise realisiert werden. Wirtschaftsfriedlich sind solche Preisstellungen und -veränderungen, die die Konkurrenten nicht zu Preisreaktionen veranlassen. Konformes Verhalten muss sich nicht in unerlaubten Preisabsprachen, sondern kann sich in gleichförmigem Preisverhalten, in Anerkennung eines Mitbewerbers als Preisführer oder in Gruppensolidarität äußern (Standort-, Betriebsformen- oder Kooperationssolidarität). Filialunternehmen können u.U. innerhalb einer Stadt eine Politik des zone pricing betreiben und je nach Preiszone unterschiedliche Verkaufspreise für gleiche Artikel verlangen, etwa niedrigere in der Nähe der/des stärksten Mitbewerber/s oder höhere in Villenvororten. Das setzt jedoch voraus, dass 1. diese Artikel nicht in der Tagespresse mit einer dann teilweise unzutreffenden Preisangabe beworben werden, 2. dass die Kundschaft im Einzugsgebiet die Preisdifferenzen nicht wahrnimmt (und verärgert reagiert) und/oder sich preisunelastisch verhält und 3. dass das Warenwirtschaftssystem unterschiedliche Verkaufspreise und Spannen für sortengleiche Waren erfassen und verarbeiten kann.
4.4 Preispolitik
203
Für psychotaktische Verkaufspreispolitik im Handel ist das Phänomen der Preisschwelle von eminenter Bedeutung. In der Preistheorie werden zwei absolute Preisschwellen und relative (differentielle) Preisschwellen unterschieden. Das Preisschwellenphänomen ist mehrfach empirisch untersucht worden. Auch wurden Abhängigkeitsfunktionen der Kaufbereitschaft vom Verkaufspreis (buy-response-functions) dargestellt. In der allgemeinsten Form besteht nach dem Konzept der absoluten Preisschwelle ein bestimmter Funktionsverlauf zwischen einem Reiz (VK-Preis) und einer aggregierten Reaktion (Summe der Käufe; Kaufbereitschaft; Beurteilung als preisgünstig). Als Hauptergebnis kann die Beobachtung einer oberen und einer unteren absoluten Preisschwelle festgehalten werden: Der Preis, bei dessen Überschreiten die Nachfrage spürbar zurückgeht, etwa weil die Käufer der Ansicht sind, der Artikel sei zu teuer, markiert die obere Schwelle. Der Preis, bei dessen Unterschreiten die Nachfrage ebenfalls zurückgeht, etwa weil die Käufer eine schlechte Qualität befürchten, gilt als die untere Schwelle. Zwischen diesen Schwellen liegt der Bereich akzeptabler Preise. Das psychologisch schwierigere, praktisch bedeutsamere Problem liegt in der relativen Preisschwelle. Für den Fall, dass Kunden mehrere Preise (für verschiedene Artikel oder für einen Artikel zu verschiedenen Zeitpunkten) vergleichen, wird behauptet, dass Unterschiede in den VK-Preisen erst ab einer bestimmten Größenordnung als solche wahrgenommen werden. Dahinter steckt das Phänomen der Spürbarkeit von Preisunterschieden. Man hat versucht, die Wahrnehmung von Preisunterschieden mit Hilfe einer Gesetzmäßigkeit aus der allgemeinen Psychologie, des sog. Weber-/Fechnerschen Gesetzes (1834), zu analysieren. Der Anatom und Physiologe E.H. WEBER beschrieb 1834 erstmals die Beziehung zwischen den Unterschieden hinsichtlich der Reizintensität und der Unterschiedswahrnehmung. Seine Untersuchungen zur Psychophysik anhand von Gewichtsmessungen ergaben, dass der eben noch merkliche Unterschied (just noticeable difference = jnd) zwischen zwei Gewichten (δS) in einem näherungsweise konstanten Verhältnis zur Größe des Bezugsgewichts (S) steht: δS =k. S
WEBERs Messungen ergaben für k einen Wert von 1/40 = 0,025. Der Physiker und Psychologe G. Th. FECHNER bot eine mathematische Formulierung und Verallgemeinerung des WEBERschen Gesetzes auf alle Sinnesorgane dahingehend, dass die Änderung δE der Empfindungsstärke dem Logarithmus des Verhältnisses der verglichenen Reizstärken I1 und I2 proportional ist: δE ~ log (I2/I1) . Abb. 26 lässt erkennen, dass zur Steigerung der Empfindungsstärke in arithmetischer Reihe eine Steigerung der Reizintensität in geometrischer Reihe erforderlich ist. Dieses psychische Phänomen ist in bestimmten Hörbereichen für verschiedene Lautstärken und ihre Wahrnehmung, in bestimmten Sehbereichen für Helligkeitszunahme und ihre Wahrnehmung und in bestimmten Temperaturbereichen für verschiedene Wärmegrade und ihre Wahrnehmung nachgewiesen worden. Die Gültigkeit dieser Gesetzmäßigkeit ist jedoch umstritten (vgl. MEYERS KLEINES LEXIKON PSYCHOLOGIE 1986, S. 107 u. 407).
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
5 Intensität der Empfindung
x
4 3 x
2 x
1 1
2
3
4
5
6
7
8
Reizintensität Abb. 26: Zusammenhang zwischen Empfindungs- und Reizintensität (Fechnersches Gesetz)
In Abb. 27 werden die wahrnehmbaren Unterschiede jnd am Beispiel von Preisunterschieden p1 und p2 sowie p3 und p4 dargestellt. Die Schwellenreize 1 und 2 verdeutlichen, dass im Falle eines schwachen Ausgangsreizes eine kleine Intensitätszunahme (eine Reizeinheit) zur Unterschiedswahrnehmung (eine Empfindungseinheit) genügt, während im Falle des starken Ausgangsreizes für dieselbe Intensitätszunahme der Empfindung eine beträchtliche Intensitätszunahme (drei Reizeinheiten) eintreten muss.
5 Intensität der Empfindung
4
p4 p3. . . . . . . . . . . . . . } jnd
3 2 1
p2 p1. . . . . .} jnd 1 Ausgangsreiz 1
2
3
Schwellenreiz 1
4
5
Ausgangsreiz 2 (Beszugsreiz)
6
7
8
Schwellenreiz 2
Abb. 27: Mindestreizdifferenzen zur Wahrnehmung eines Empfindungsunterschieds bei Preisen (Webersches Gesetz)
Angewandt auf psychotaktische Preispolitik, würde die Gültigkeit des WEBERschen Gesetzes bedeuten, dass es bei Preisveränderungen den jnd festzustellen gilt. MÜLLERHAGEDORN gibt dazu folgendes Beispiel: Bei einem Ausgangspreis z.B. von 9,30 € könnte dieser jnd bei 0,20 € liegen. Die „WEBERsche Konstante“ k betrüge also:
4.4 Preispolitik
205
9, 50 − 9, 30 x = 0, 021 . 9, 30 Die Kunden würden Preisunterschiede somit erst wahrnehmen, wenn der zweite Preis über 9,50 € läge; geringere Preisdifferenzen würden als solche nicht gewertet. Bei einem Ausgangspreis von 50 € würden sie eine Preisänderung erst als solche wahrnehmen, wenn der neue Preis wenigstens 50 − x = 0, 021 50
betrüge: 50 50 ⋅ 0, 021 = 47, 62 € ,
x=
was einer Veränderung des Preises um 2,38 € entspricht (vgl. MÜLLER-HAGEDORN 1984, S. 211f.). Dass Preisschwellen als Wahrnehmungsschwellen eine Rolle spielen, ist unbestritten. Das Weber-/Fechnersche Gesetz kann jedoch nicht kritiklos auf preispolitische Entscheidungen im Handel angewandt werden: − Zunächst ist zu beanstanden, dass es gleichsam die falsche Frage beantwortet, nämlich wann Reizdifferenzen empfunden werden können. In der Preispolitik kommt es jedoch darauf an, wann wahrgenommene Preisdifferenzen zu Änderungen im Kaufverhalten führen (Schwellen der Kaufbereitschaft). − Sodann ist die Übertragung von physikalischen Reiz-Messungen auf ökonomische ReizMessungen problematisch. Bei der Preiswahrnehmung geht es nur selten um „eben merkliche“ Reizdifferenzen; denn auch kleinste Preisdifferenzen sind mitunter gut wahrnehmbar, z.B. bei sehr bekannten Markenwaren (sog. Eckartikel in der Sprache der Kaufleute) und bei Gütern des täglichen Bedarfs (Butter, Milch, Brot usw.). Die Mineralölgesellschaften arbeiten bereits mit Zehntelcents bei ihren gebrochenen Treibstoffpreisen (z.B. 1,419 €). Im Übrigen sind Preiswahrnehmungen oft verzerrt. Dies hat z.B. die Europäische Zentralbank (EZB) in Bezug auf die Wahrnehmung der Inflationsraten nachgewiesen, wie die FAZ in Ausgabe 114 vom 18.5.2007 berichtet. Die gefühlte Inflationsrate lag seit Ende 2002 fast immer erheblich über der tatsächlichen Inflationsrate; jene betrug z.B. Anfang 2004 3,0 Prozent, diese nur 1,6 Prozent. Psychologisch negativen Einfluss darauf hatten die verbreiteten Klagen über die Einführung des „Teuro“, der Einbruch der Aktienbörse im Jahr 2000 und die intensivere Preiswahrnehmung bei Gütern des täglichen Bedarfs im Vergleich zu seltener gekauften Gütern, deren Preise sogar stark gefallen waren. − Schließlich mag in der Laborsituation das Wahrnehmungsverhalten auf eine einfache Reiz-Reaktions-Formel gebracht werden. In realen Feldsituationen wirken jedoch zahlreiche situative Faktoren auf die Wahrnehmung des einzelnen Kunden ein: Erfahrungen, Preiskenntnis, Warenplatzierung, Preisoptik usw. Dem individuellen Bezugssystem versucht die Adaptationsniveautheorie von HELSON Rechnung zu tragen (vgl. BEHRENS 1992, S. 981f.). Und hier liegen höchst unterschiedliche Befunde vor: So reagieren
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
z.B. Kunden bei einem relativ hohen Preis für Pkw-Kraftstoff elastischer als bei einem relativ niedrigen Preis. Einige Kunden nehmen selbst minimale absolute Preisänderungen, z.B. für Grundnahrungsmittel oder für Benzin, wahr und richten ihr Kaufverhalten danach ein. Sodann gibt es Kunden mit hohem Informationsstand, Experten, „Pfennigfuchser“, die jeden noch so kleinen Preisunterschied wahrnehmen. Andere Kunden wiederum nehmen selbst ausgeprägte absolute Preisänderungen, z.B. für hochwertige technische Gebrauchsgüter, nicht wahr oder werden im Falle ihrer Wahrnehmung nicht zur Kaufverhaltensänderung veranlasst. Auch sind der klassischen Preistheorie völlig widersprechende Verhaltensphänomene bekannt, die eigenartige Preiselastizitäten widerspiegeln: z.B. keinerlei Mehrabsatz bei einer Senkung des Ausgangspreises um 10% oder Mehrabsatz in Höhe von 20% bei einer Anhebung des Ausgangspreises um 10%. Da man nicht jedem einzelnen Kunden und seinem Verhalten nachgehen kann, hat es sich im Rahmen von psychophysiologischen Untersuchungen eingebürgert, die absolute Schwelle dort anzunehmen, wo 50% der Versuchspersonen den Reiz (der Preisanhebung oder senkung) wahrnehmen (vgl. MÜLLER-HAGEDORN 1984, S. 210).
Das Fazit kann nur lauten: Für den Handelskaufmann bleibt meist nicht viel anderes übrig als psychologisches Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl bei Preisänderungen einzusetzen und diese tunlichst systematisch vergleichenden Wirkungskontrollen zu unterziehen. Wegen der Vielfalt der Artikel, deren Qualitäten und Stückpreise kein Konsument in seinem Gedächtnis speichern kann, wegen der teilweisen Starrheit der Nachfrage (vor allem für Konsumgüter des Grundbedarfs) sowie wegen der mehr oder minder großen Preiselastizität der Nachfrage hat jeder Händler grundsätzlich einen gewissen preispolitischen Spielraum. Aus der Mikroökonomie kann dafür das Modell der doppelt geknickten Preis-AbsatzFunktion (kinky demand curve) herangezogen werden. Die in ihr zum Ausdruck gebrachte relative Autonomiezone der Verkaufspreispolitik kann der Händler psychotaktisch nutzen. Beide theoretische Ansätze, das Preisschwellen- und das Preiselastizitätskonzept, lassen sich psychotaktisch im Zeitablauf nutzen (Preisdynamik). So ist eine Preisanhebung oder Preissenkung in mehreren kleinen Prozentsätzen – als Salamitaktik – weniger spürbar als eine entsprechende einmalige starke Preissteigerung. Auch kann im Zeitablauf aus denselben Gründen ein behutsamer mittelfristiger Wechsel zwischen Preisanhebung und -senkung erfolgen, ohne dass damit signifikante Absatzänderungen einhergehen. Allerdings ist das deutsche Verbot der Preisschaukelei zu beachten, wonach kurzfristige Herab- und Heraufsetzung des VK-Preises als irreführende Werbung betrachtet wird. Aus der empirischen Preisverhaltensforschung ist die Erkenntnis abzuleiten, dass nicht die realen Preise bzw. die realisierten Preisforderungen, sondern die individuellen Preiswahrnehmungen für die Kaufreaktion maßgeblich sind (vgl. HANSEN 1990, S. 351). Hierauf beruhen weitreichende Handlungsmöglichkeiten für die Preispräsentation, für die Verstärkung positiver psychischer Wirkungen und Abschwächung bzw. Verschleierung negativer Wirkungen. Hinzu kommt die Tatsache, dass jeder Mensch als Schutz vor Reizüberflutung aus den unzähligen miteinander konkurrierenden Sinneseindrücken und aus der kaum über-
4.4 Preispolitik
207
schaubaren Anzahl von Preisen eine Auswahl treffen muss. Seine Aufmerksamkeitszuwendung ist in dreifacher Hinsicht eingeschränkt: (a) durch selektive Exposition (Kontaktbereitschaft des Kunden nur für die ihm wichtig erscheinenden Medien und Botschaften), (b) durch selektive Wahrnehmung (Filterung der Reiz- und Signalaufnahme durch alle fünf Sinne) und (c) durch selektives Merken (unterschiedliche Gedächtnisbereitschaft für unterschiedliche empfangene Reize und Signale) (Vgl. LARSON/WEIGAND/WRIGHT 1976, S. 73). Die psychotaktischen Handlungsmöglichkeiten sind also nicht unbegrenzt. Das Kunden-, insbesondere das Konsumentenverhalten bietet aber auch immer wieder Überraschungen, die der wirtschaftlichen Logik widersprechen. So ist seit langem bekannt, dass Konsumenten Preise für Kombipacks ohne Überprüfung für günstiger halten als für Einzelstücke. Ein Gebinde von zwei gleichen Artikeln für zusammen 3,89 € lässt sich ohne weiteres leichter verkaufen als dieselben Artikel mit dem Einzelverkaufspreis von 1,85 €. Umgekehrt berichtete die Firma Schürmann, dass in den Endpreis eingerechnete Preise für Service nicht gleichermaßen honoriert wurden wie separate Preisstellung. Beispielsweise verkaufte sich eine Satelliten-Antenne einschließlich Montage zum Preis von 599,00 € weitaus schlechter als für 399,00 € (Antenne) plus 250,00 € (Montage), wobei allerdings der Montagepreis wesentlich kleiner ausgedruckt war... Unter psychologischen Aspekten ließe sich daraus ein generelles Handlungsprinzip ableiten: Grundsätzlich Einzelartikel zu Abholpreisen kalkulieren, womit sich jeder Artikel als besonders preisgünstig herausstellen lässt, und zusätzlichen Service extra berechnen (cost-plus-System).
Schließlich sind ökonomische und rechtliche Grenzen zu beachten: Wenn man bedenkt, dass Preisforderungen auf die Geldbeutel der Kunden abzielen, auf den nervus rerum der rational handelnden Menschen, dann ist mit Preisreizen längst nicht so leicht eine subliminale Beeinflussung möglich wie mit Werbereizen. Und gegen Preisabsprache, Preisverschleierung und wettbewerbswidrige Irreführung über die Preisbemessung oder Preisgegenüberstellung haben der deutsche Gesetzgeber und die Rechtsprechung mehr oder weniger deutliche Grenzen gezogen. Das alte Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) regelte das Recht der sog. Herstellerpreisempfehlung. Der auf der Markenware oder ihrer Verpackung aufgedruckte unverbindliche Richtpreis gewährt den Einzelhändlern grundsätzlich die psychologisch wertvolle Möglichkeit, von diesem VK-Preis nach unten abzuweichen, um seine Preiswürdigkeit zu dokumentieren. Das Bundeskartellamt kann den Hersteller im Falle bloßer Mondpreise – wenn die Preisempfehlung in einer Mehrzahl von Fällen um 15 oder mehr Prozent unterschritten wird – auffordern, seine Preisempfehlung zu ändern. Hersteller, die sich dieses preispolitischen Instruments bedienen, dürfen keinen Druck oder Zwang zur Einhaltung der
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Preisempfehlung anwenden. Dennoch war im Bereich der Parfümeriewaren, der Unterhaltungselektronik, der Elektrogeräte und der Schokoladenerzeugnisse immer wieder zu beobachten, dass die unverbindlichen, empfohlenen Verkaufspreise strikt eingehalten wurden. Hier war keine Psychologie am Werk, sondern schlicht Marktmacht der Hersteller, die sonst die Belieferung eingestellt hätten ... In einer etwas anderen Bedeutung untersagt das neue Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) Werbung mit „Mondpreisen“. Danach ist es irreführend und unzulässig, mit einer Preisreduzierung zu werben, wenn der ursprüngliche Preis tatsächlich nur für einen unangemessen kurzen Zeitraum gefordert wurde und mit dem günstigen Preis nur ein günstiges Angebot vorgetäuscht wird. Im Rahmen des rechtlich Erlaubten konnten die wahren Psychologen unter den Handelskaufleuten immer schon preispolitischen Nutzen aus menschlichen Eitelkeiten und mancherlei scheinbaren Irrationalitäten ziehen. Auch wenn es dafür keine allgemeinen Regeln und Rezepte gibt, so sind doch in der Theorie Preis-Absatz-Reaktionen bekannt, die man in der Praxis manchmal einfach ausprobieren muss. Hier sei nur auf den VEBLEN-Effekt (1), auf den Bandwagon- (2) und den Snob-Effekt (3), auf den Vermögenssicherungseffekt (4), auf die inverse Preis-Absatz-Beziehung (5) und auf die Bedeutung der Preiserwartung (6) hingewiesen. 1. Der VEBLEN-Effekt beinhaltet, einfach ausgedrückt, die Bevorzugung hoher und höchster Preise für Waren, mit denen ein gewisses Prestige verbunden ist, durch entsprechende Kunden. Th.B. VEBLEN hat den demonstrativen Konsum (conspicuous consumption) schon 1899 in seiner Satire auf die moderne Gesellschaft („The Theory of the Leisure Class“) veröffentlicht. Der „feinen Leute“ sind es nicht weniger geworden seitdem. Auch mag man die zunehmende Polarisierung in sehr Reiche und sehr Arme bedauern. Es hat aber nichts mit Manipulation, Menschenverachtung, Wucher oder Betrug zu tun, wenn das Handelsmanagement solche Prestigerenten abschöpft. Ohne erstrangige Handelsleistung geht es sowieso nicht. Es besteht offenbar ein Bedarf an Prestige- und Repräsentationsobjekten mit entsprechender Hochpreiskalkulation. Diesen Bedarf zu erkennen und zu decken, ist händlerische Kunst. 2. Zu den merkwürdig anmutenden psychologischen Effekten in der Preispolitik zählen der Bandwagon- und der Snob-Effekt. Unter dem Mitläufer- oder Bandwagon-Effekt versteht man das Phänomen, dass die Nachfrage nach einem Artikel dann steigt, wenn und weil andere Käufer denselben Artikel erwerben wollen. Dieser Effekt ist insofern ökonomisch überraschend, als bei steigender Nachfrage eine Verteuerung des Produkts zu erwarten wäre, die aber gar nicht eintritt. 3. Der Snob-Effekt beschreibt das umgekehrte Phänomen, nämlich dass die Nachfrage nach einem Artikel bei einzelnen Konsumenten sinkt, wenn sie allgemein stärker zunimmt und der Preis eventuell sinkt (vgl. MOSER 1990, S. 19). Die Abhebung von der Masse gelingt dem Snob dann nicht mehr recht. Ob eine Kundin oder ein Kunde zu dem einen oder anderen Verhalten neigt, ist für den Verkäufer im Einzelfall schwer zu erkennen. Hat er jedoch einen begründeten Verdacht, dann bringt er gern die Verkaufsargumente ins Spiel, der Artikel werde zur Zeit besonders gern gekauft (BandwagonArgument) bzw. die anderen Kunden würden in Anbetracht des gesunkenen Preises die hohe Qualität des Artikels verkennen.
4.4 Preispolitik
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4. Der Vermögenssicherungseffekt beschreibt Kaufverhalten von Menschen, die aus einer anderen Motivation ebenfalls hochwertige und hochpreisige Güter anschaffen, nämlich aus Gründen der sicheren Kapitalanlage. Soweit das vor Wertverlust zu sichernde Kapital nicht für Investitionen, Immobilien, Effekten oder Edelmetalle verwendet wird, fließt ein nicht unbeträchtlicher Teil über den Einzelhandel in hochwertige, langlebige Konsumgüter. Das Zeitalter der Erben hat schließlich schon begonnen. Spekulation nicht nur auf Werterhaltung, sondern Wertsteigerung mag dabei auslösender oder ergänzender Antrieb sein, jedenfalls entspricht es wiederum nur der Urfunktion des Händlers und hat nichts Anrüchiges, wenn er für solche Nachfrager entsprechende werterhaltende special offers mit angemessener Kalkulation bereithält. 5. Die inverse Preis-Absatz-Beziehung drückt den anomalen Verlauf der Nachfragekurve aus, d.h. bei zunehmender Preishöhe wird von einem Artikel nicht weniger, sondern mehr abgesetzt. Wiederum ist es die Kunst des Handelsmanagements, solche Möglichkeiten der Preisgestaltung bei einzelnen Artikeln zu erkennen, aber nicht unbedingt seine Aufgabe, die Gründe dafür zu ermitteln oder gar die Kunden wegen ihres „anomalen“ Verhaltens zu belehren. Solange keine Notsituation ausgenutzt wird (Individualwucher gemäß § 138 II, 2 BGB oder Sozialwucher gemäß §§ 3–6 WiStG), ist es psychotaktisch ohne Belang, warum Kunden sich so verhalten. Fachhändler machen übrigens ausgerechnet in Zeiten der Rezession seltsame Erfahrungen. („So viele Leicas wie in dieser schwierigen Zeit haben wir noch nie verkauft“). Hinter gesteigerter Kaufbereitschaft bei Preisanhebungen für hochwertige und hochpreisige Konsumgüter kann sich – außer Prestigebedürfnis und Vermögenssicherungsabsicht – aber auch ganz Unterschiedliches verbergen: Zukunftsangst, Erwartung weiter steigender Preise, Unsicherheit bei der Qualitätsbeurteilung (Preis als Qualitätsindikator), Reaktion auf die Preisüberraschung, Verschwendungssucht oder Nachholbedarf. 6. Eine psychotaktisch wichtige, in Grenzen nutzbare Rolle spielen die Preiserwartungen der Konsumenten. Konsumenten verhalten sich rational, wenn sie bei erwarteten Preissteigerungen für bestimmte Waren Käufe vorziehen, die Ware lieber heute als morgen erwerben, ggf. sogar unter Inanspruchnahme eines Kredits. Nehmen sie einen unverzüglichen Kauf vor, dann spiegelt er den Panikeffekt wider. Kaufen sie unverzüglich, nur weil sie erhebliche Preissteigerungen erwarten, dann ist dies Ausdruck des HamsterkaufEffekts. Bei erwarteten Preissenkungen hingegen werden Konsumenten den Kauf zurückstellen und die Preissenkung abwarten. Wegen der Ungewissheit über Zeitpunkt(e) und Ausmaß der Preissenkung kann dieser durchaus rationale Attentismus zu immer weiter verschobenem Erwerb der Ware führen. Es können für die entsprechenden Händler, ja für ganze Branchen, verheerende kumulative Prozesse einsetzen (Branchenflaute). Händler, Anbieter ganz allgemein, versuchen daher lieber, durch die Ankündigung von Preissteigerungen, z.B. aus Anlass von Messen, vorzeitige Käufe, zumindest akute Kaufplanung auszulösen. Wenn die angekündigte Preissteigerung allerdings nicht eintritt oder an dem betreffenden Produktmarkt nicht durchsetzbar ist, nehmen dies die sensibilisierten Konsumenten besonders leicht wahr. Ihre Verstimmung, namentlich bei wiederholten Erfahrungen dieser Art, wirkt dann als Schuss nach hinten: Die Taktik der Generierung von Preiserwartungen wird durchschaut – eine stumpfe Waffe. Anfang der 70er Jahre hatte das US-amerikanische Lebensmittel-Filialunternehmen A & P ein Frühwarnsystem eingeführt: Sieben Tage vor einer geplanten (und auch durchgeführten) Preiserhöhung wurde diese öffentlich bekannt gemacht, so dass sich die Kunden zu den niedrigeren Preisen
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
noch eindecken konnten. Diese psychotaktische Maßnahme erfuhr hohe Aufmerksamkeit und Akzeptanz, aber wahrscheinlich nur, weil sie so ganz anders war als die üblichen preispolitischen Gepflogenheiten. Der Paralyse-Effekt träte jedoch alsbald ein, wenn diese Taktik für alle Artikel und von allen Konkurrenten angewandt würde.
4.5
Kreditpolitik
Kredite als zeitweilige Überlassung von Finanzmitteln liegen immer dann vor, wenn die Leistungen (Warenlieferung) und die monetäre Gegenleistung (Bezahlung) im Zeitablauf auseinanderfallen. Erfolgt die völlige oder teilweise Bezahlung vor der Warenlieferung (Vorauskasse; Pränumerandokauf), liegt aus der Sicht des Händlers Kreditgewährung an den Lieferanten oder aktive Beschaffungsfinanzierung (a) vor. Erfolgt die Bezahlung nach der Warenlieferung, liegt Kreditinanspruchnahme durch den Händler (Ausnutzen des Lieferantenkredits) oder passive Beschaffungsfinanzierung (b) vor. Erfolgt die Bezahlung durch die Kunden ganz oder teilweise vor der Warenlieferung (Vorauskasse; Anzahlung), liegt aus der Sicht des Händlers passive Absatzfinanzierung (c) vor. Erfolgt die Bezahlung durch die Kunden nach der Warenlieferung, liegt Kreditgewährung des Händlers oder aktive Absatzfinanzierung (d) vor.
Lieferanten t0
Einzelhandel t1
Konsumenten t2
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°° °t °t °t °t 3 4 5 6
t1: t2: t3: t4: t5: t6:
Warenstrom in t Wertstrom in t
Lieferung an den Einzelhandel Verkauf an den Konsumenten aktive Beschaffungsfinanzierung des Einzelhändlers (a) passive Beschaffungsfinanzierung des Einzelhändlers (b) passive Absatzfinanzierung des Einzelhändlers (c) aktive Absatzfinanzierung des Einzelhändlers (d)
(In Anlehnung an HANSEN/ALGERMISSEN 1979, S. 386) Abb. 28: Kreditbezogene Finanzierungsformen im Einzelhandel
Abb. 28 verdeutlicht diese Konstellationen am Beispiel der Kreditbeziehungen des Einzelhandels. Kreditgewährung und Kreditinanspruchnahme können sich für einen Einzelhändler also auf beide Marktseiten beziehen: auf seine Lieferanten (Großhändler, Importeure, Hersteller) und auf seine Kunden (Konsumenten). Aus den unterschiedlichen Dispositionsmög-
4.5 Kreditpolitik
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lichkeiten über den Verlauf der Waren- und Zahlungsströme erwachsen dem Einzelhändler daher auch psychotaktische Möglichkeiten der Beeinflussung seiner Marktpartner. Die psychotaktisch reizvolleren Maßnahmen sind in den aktiven Finanzierungsformen, der Kreditgewährung, zu sehen. Durch Kreditgewährung an Lieferanten können diese zu einer bevorzugenden Belieferung veranlasst werden, wenn der gesamte Kaufpreis oder Teile des Kaufpreises vor der Lieferung geleistet werden (z.B. Halb- oder Drittelvorauszahlung). Das widerspricht zwar den üblichen Liefer- und Zahlungsbedingungen, kann jedoch, insbesondere bei vertrauensvoller Zusammenarbeit, individuell ausgehandelt werden und gewährt den betreffenden Lieferanten einen Liquiditätsvorteil; für den Einzelhändler bedeutet Vorauszahlung freilich eine gewisse Liquiditätsanspannung. Die Kreditgewährung an Einzelhandelskunden ist hingegen weitverbreitet. Sie ist besonders geeignet zur Erhöhung des akquisitorischen Potenzials, zumal eine breite Palette von Kreditformen zur Verfügung steht, auf die noch näher eingegangen wird. Dabei sind zu unterscheiden als langfristiges Ziel die Schaffung von Kundenpräferenzen, d.h. die Gewinnung von Kunden (Neukunden) für das eigene Geschäft oder die engere Bindung von Kunden (Stammkunden) an das eigene Geschäft, somit die Stärkung der Geschäftstreue, sowie als kurzfristiges Ziel die Auslösung oder Verstärkung der Kaufbereitschaft, ggf. auch die Vorverlagerung des Kaufs, wenn im Moment der Kreditgewährung die erforderliche Liquidität auf Seiten des Kunden nicht ausreicht. Für den Kunden bedeutet Kreditgewährung grundsätzlich eine Annehmlichkeit, da Anschaffungen u.U. rascher getätigt werden können. Sie birgt allerdings auch Gefahren sowohl für den Kunden (Überschuldung bei falscher Einschätzung der eigenen künftigen Finanzsituation und/oder bei leichtfertiger Unterschätzung der Kosten der Kreditinanspruchnahme) als auch für den Händler (Forderungsausfall, Kosten der Bonitätsprüfung und der Debitorenkontrolle). Bei der Inanspruchnahme von Lieferantenkrediten erliegen Groß- und Einzelhändler, namentlich mittelständische Einzelhändler, immer wieder (oder immer noch?) der vermeintlichen Verlockung, bei großzügigen Zahlungszielen die eigenen Finanzmittel für sechs, acht Wochen schonen zu können. Wie teuer jedoch die Inanspruchnahme von Lieferantenkrediten bzw. die Nichtinanspruchnahme des Skontos in Wirklichkeit ist, darüber legen sie sich nicht immer Rechenschaft ab. Lautet die Zahlungsbedingung eines liefernden Grossisten beispielsweise „zahlbar innerhalb von 8 Tagen mit 3% Skonto, innerhalb von 30 Tagen netto Kasse“, dann bedeutet die Kreditinanspruchnahme durch den Einzelhändler 1. einen Verzicht auf 3% des Rechnungsbetrages und 2. eine Skontoverzinsung in Höhe von 48% p.a. (Für die Differenz zwischen Kassa- und Skontofrist, also 30 – 8 = 22 Tage, werden 3% Zinsen berechnet; 22 Tage sind in 360 Tagen rd. 16mal enthalten; 3 × 16 = 48). Allgemein kann die rechnerische Skontoverzinsung p nach folgender Formel ermittelt werden: p=
wobei gilt S = Skontosatz in %, z = Ziel in Tagen und s = Skontofrist in Tagen.
S × 360 , z−s
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Im Normalfall ist die Ausschöpfung des Skontos, also des Preisnachlasses für die Nichtinanspruchnahme des Lieferantenkredits, selbst bei Inanspruchnahme von kurzfristigen Bankkrediten günstiger als die Ausnutzung der Kassafrist. Zur Ermittlung der tatsächlichen Skontorendite sollten im Einzelfall aber nicht nur der Bankzinsaufwand berechnet werden, sondern auch die Lagerumschlagshäufigkeit des betreffenden Artikels (vgl. FALK/WOLF 1992, S. 134). Die Inanspruchnahme von Krediten der Kunden, die diese in Form von ganzer oder teilweiser Vorauszahlung gewähren, die passive Absatzfinanzierung, ist in den Beziehungen zwischen Einzelhändlern und Konsumenten so gut wie ungebräuchlich. Gewerbliche Marktpartner können sie unter bestimmten Umständen vereinbaren, z.B. bei Großanlagen, Großgeräten oder bei riskanten Geschäften. Eine Drittelfinanzierung des Absatzes wird z.B. bei einigen Winzergenossenschaften praktiziert: 1/3-Vorauszahlung an die Winzer während der Lese, 1/3-Bezahlung während der Kelterarbeit, 1/3-Bezahlung aus Absatzerlösen. Immerhin kann auch das Einzelhandelsmanagement in Einzelfällen prüfen, ob Vorauszahlung durch zusätzliche Kundendienstleistungen schmackhaft gemacht werden kann. Für Einzelhandelsunternehmen ist die Kreditgewährung an Kunden (Konsumfinanzierung; consumer credit; Finanzkauf) ökonomisch und psychologisch doppelt interessant: Aus ökonomischer Sicht des Händlers sind mit Kreditgewährung tendenziell folgende absatzpolitische Vorteile verbunden: 1. 2. 3. 4.
Umsatzsteigerung a) durch Mehrkäufe, b) durch Absatz von höherwertiger Ware; erleichterte Auslösung von Impulskäufen; Auslösung oder Festigung der Firmentreue (store loyality); Gewinnung von Kundenanschriften für Direktwerbung.
Aus psychologischer Sicht (der Kunden) sind vor allem folgende Beschaffungsvorteile zu nennen: 1. Bequemlichkeit (kein langes Ansparen; z.T. kein Aufsuchen von Banken); 2. Schnelligkeit und Unmittelbarkeit der Konsumfreude („Heute genießen – morgen zahlen“; Anschaffungserleichterung für junge Familien); 3. gesteigertes Vertrauensverhältnis (z.B. beim Warenumtausch oder durch Zusendung von Spezialofferten an Stamm- und Kreditkunden); 4. eventuell leichtere Stillung eines Prestigebedürfnisses. Für die Kreditgewährung an Einzelhandelskunden stehen mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Wegen des üblichen Zug-um-Zug-Geschäfts (Erwerb der Ware gegen Barzahlung) könnte der bloße Verkauf gegen Rechnung bereits zu den Instrumenten der Kreditgewährung gezählt werden (vgl. SPANNAGEL 1982, S. 3). In der Wirkung des kurzen Zahlungsaufschubs ähnelt er psychotaktisch in der Tat einem Kredit. Da der Verkauf gegen Rechnung jedoch nicht bewusst als Kreditgewährung mit Kreditfristen konzipiert ist und Kreditkosten nicht separat kalkuliert sind, seien im Folgenden nur die Formen ausdrücklicher Kreditgewährung vorgestellt: 1. Anschreibekredit, Borgkauf: Es wird weder ein festes Zahlungsziel noch ein Aufschlag für die Kreditgewährung vereinbart. Der Anschreibekredit – ehedem „Tante Emmas“ ureigene Kreditfunktion – setzt die persönliche Kenntnis des Kunden und ein besonderes
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Vertrauensverhältnis voraus. Als nicht gesicherter Kredit ist er riskant, erfordert auch mehr personellen Arbeitsaufwand (Debitorenkontrolle; Mahnwesen), hat aber psychotaktisch den Vorteil, dass dem Kreditnehmer seine Kreditwürdigkeit bescheinigt wird; die Firmentreue wird gestärkt. Eine verwandte, psychologisch sehr geschickte Form des zinslosen Zahlungsaufschubs, kombiniert mit einer Rabattgewährung, bot IKEA seinen Kunden an: Im November 2006 wurde mit dem Werbe-Aufruf „Zahl doch einfach später! 0% Zinsen bei 12 Monaten Laufzeit + 3% Dankeschön-Gutschein auf deine Finanzierungssumme“ eine vom 26.02. bis 24.03.2007 befristete Aktion angekündigt. Der Kunde sollte im Februar seinen Gutschein zugeschickt bekommen, den er dann mit seinem Einkauf (im Wert von 400 bis 10.000 €) verrechnen könne. Allerdings waren, anders als beim bloßen Anschreibekredit, Bonitätsprüfung und Genehmigung durch die Partnerbank vorbehalten. 2. Zielverkauf bzw. Zielkauf: Für die Bezahlung des Rechnungspreises wird ein Zahlungsziel (Kassafrist) gewährt. Der Zielpreis enthält die Kreditgebühren. Die Kassafrist beschreibt den kreditierten Zahlungszeitraum. Für vorfristige Barzahlung bis zu einem früheren Zeitpunkt (Skontofrist) kann ein Preisnachlass (Skonto) gewährt werden. Zeitliche Diskrepanzen zwischen Leistungserstellung des Händlers und Verfügungsgewalt des Kunden über die Ware wie im Versandhandel können durch Gewährung einer Kassafrist überbrückt werden, innerhalb derer die Zahlung als Barzahlung angesehen wird (Kassageschäft) (vgl. HANSEN/ALGERMISSEN 1979, S. 193). Als Variante kommt auch die terminfixe Stundung in Betracht, deren Bedingungen beim Abschluss des Kaufvertrags festgelegt werden. 3. Duldung der Überschreitung eines Zahlungsziels: Der Verzicht auf eine alsbaldige Zahlungserinnerung nach Fälligkeit kann psychotaktisch als großzügige kreditpolitische Maßnahme eingesetzt werden. Er entbindet jedoch nicht von der Debitorenkontrolle und ist wegen der Liquiditätsanspannung gewiss nur in Ausnahmefällen sinnvoll. 4. Valutaverkauf (seasonal dating): Vordatierung der Rechnung im Zeitpunkt des Kaufabschlusses durch einen sog. Valutavermerk; dadurch wird die Zahlungsfrist hinausgezögert. Die Vordatierung kann mit dem Zielverkauf gekoppelt werden; dann beginnt die Zielfrist erst mit dem Valutadatum. 5. Offener Buchkredit: Dabei handelt es sich um einen Kredit auf Kontokorrentbasis, d.h. beliebig viele Kreditkäufe können bis zum vereinbarten Kreditlimit getätigt werden. Unter Kaufleuten mit permanenter Geschäftsbeziehung ist er verbreitet. Zwischen Einzelhandel und Konsumenten kann er analog über Kundenkreditkonten (charge accounts) abgewickelt werden, evtl. in Verbindung mit Kundenkarten, die mit Zahlungs- und Kreditierungsfunktion ausgestattet sind. Der Kontoausgleich kann periodisch (monatlich, wöchentlich) oder aperiodisch erfolgen – ein wirksames Instrument zur Kundenbindung. Dass die Kundenbindung durch Kundenkarten generiert werden kann und weitgehend auf affektiven Komponenten wie Stammkundengefühl, Wohlbefinden und Ladenatmosphäre beruht, konnte auch empirisch überprüft werden (vgl. MOHME 1993, S. 164). 6. Kreditkartensystem: Durch Beitritt zu einer Kreditkartenorganisation (z.B. Eurocard, American Express, Diner’s Club, Visa) kann der Einzelhändler die entsprechenden Kreditkarten seiner Kunden als Instrument des bargeldlosen Zahlungsverkehrs annehmen. Die psychotaktischen Vorteile liegen für die Kunden in der Bequemlichkeit der Zah-
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lungsabwicklung und in der Unmerklichkeit im Zeitpunkt der Bezahlung, für manche Kunden womöglich auch in einem gewissen Prestigeeffekt. Das Vordringen der Kartengestützen Zahlungsabwicklung hat aber eher negative Implikationen. Dem Handelsbetrieb verursachen Kreditkarten nicht nur Kosten, sondern sie haben auch langsamere Gutschriften zur Folge als Mastercard- bzw. Scheckkarten-Käufe; ferner wirken sich die Außenstände bei monatlicher Regulierung mit dem Kreditkartenherausgeber negativ auf die Liquidität aus. Für die Kunden bringt der Einkauf mit kartengestützter Zahlung zwar eine gewisse Erleichterung der Verfügung über die finanziellen Ressourcen. Indes konnte auf der theoretischen Basis der Selbstregulation und Selbstkontrolle nachgewiesen werden, dass die Nachvollziehbarkeit der getätigten Ausgaben und der Kosten erschwert ist. Wegen der im Vergleich zu Bargeldausgaben größeren Abstraktheit kartengestützter Zahlungen bleiben letztere schlechter im Gedächtnis haften. Darin liegt die Gefahr, dass Konsumenten die Höhe ihrer Konsumausgaben unterschätzen und sich im Extremfall verschulden (RAAB/UNGER 2005, S. 295f.). 7. Scheckkartenannahme: Bei Scheckkarten bzw. Mastercards gewährt zwar nicht der Händler, sondern ein Kreditinstitut den (allgemeinen, unspezifischen) Kredit an die Konsumenten bzw. Inhaber. Scheckkarten sind jedoch für die Kunden bequem, relativ sicher und einfach zu handhaben. Für die Einzelhändler beinhaltet die Teilnahme an diesem Kreditsystem so gut wie keine Kostenbelastung und schnellere Gutschrift als bei Kreditkarten. Schließlich sieht mancher Kunde in der Herausgabe des Differenzbetrags zwischen Rechnungsbetrag und höherem gebuchten Betrag in bar als willkommenen Service an. Derartige kundenfreundliche „Differenzgeschäfte“ waren nach einem Spruch des Bundesgerichtshof im Dezember 1993 jedoch (als Zugabe gedeutet) nur in engen Grenzen erlaubt – wenn für diesen Service nicht geworben wird und wenn es sich nur um einen kleinen Wechselbetrag handelte. Seit Abschaffung der Zugabeverordnung dürfte kein so enger Maßstab mehr angelegt werden. 8. Teilzahlungskredit: Es wird eine ratenweise Tilgung des Kaufpreises vereinbart, wobei der Teilzahlungsvertrag Höhe und Fälligkeit der einzelnen Raten genau festlegt. Der Teilzahlungs- oder Ratenkredit kann durch eigene Finanzierung des Handelsunternehmens oder durch Einschaltung von Kreditinstituten erfolgen, wobei nur beim sog. BGeschäft der Einzelhändler kreditpolitisch aktiv wird: Er stellt die Kreditbeziehung zwischen TZ-Institut und Kunde her und haftet durch Übernahme einer selbstschuldnerischen Bürgschaft. In der Regel stellt ihm das Kreditinstitut per Globalkreditvertrag ein Kreditkontingent zur Verfügung. Obwohl das Kreditrisiko beim Händler liegt, bietet auch dieses System psychotaktische Vorteile für den Kunden, nämlich Bequemlichkeit (der Kunde braucht das Geschäft nicht zu verlassen, um sich einen Bankkredit zu beschaffen) und geringere Spürbarkeit (nur einmal im Monat wird eine Banküberweisung ausgeschrieben; nur abstrakte Zahlen – kein Bargeld wird aus der Hand gegeben). Eine Sonderform des Teilzahlungskredits stellt der Finanzkauf dar. Als Finanzkauf wird ein Ratenkredit für langlebige Gebrauchsgüter (Möbel, Elektrogeräte) bezeichnet, bei dem keine oder unter den Kreditkosten liegende Zinsen gefordert werden. Kreditkosten und Ausfallrisiken werden in den Verkaufspreis eingerechnet. Wegen mangelnder Bewährung musste z.B. Massa dieses Konzept zu Gunsten herkömmlicher Ratenkredite aufgegeben (vgl. TIETZ 1993a, S. 403).
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9. Akzeptkredit: Der Warenverkauf wird gegen Ausstellung eines Handelswechsels kreditiert. Diese Kreditform ist unter Kaufleuten üblich. Wegen des strengen Wechselrechts bietet sie für den Lieferanten höchste Sicherheit des Zahlungseingangs und die Möglichkeit, vor Fälligkeit des Wechsels (i.a. drei Monate) durch Diskontierung an das Geld zu kommen. Der Wechselkredit kann aber auch in bestimmten Fällen, z.B. bei hochwertigen Waren wie Automobilen oder Wohnungseinrichtungen, für die Zahlungsabwicklung mit Konsumenten in Betracht kommen. 10. Kleinkredite, Personalkredite, Anschaffungsdarlehen: Derartige Kredite für das eigene Personal können in selteneren Fällen, etwa für größere Anschaffungen, psychotaktisch eingesetzt werden. Der Kaufanreiz für das eigene Personal wird im Allgemeinen jedoch hinreichend durch interne Preisnachlässe (Personalrabatt) gefördert. Andere Erscheinungsformen des Kredits sind für Einzelhändler kaum geeignet, z.B. Kreditgewährung beim Konsignations- bzw. Kommissionsgeschäft oder Vorskonto beim Pränumerandokauf/-verkauf = Differenz zwischen Bar- und Vorauszahlungspreis. Die Kreditgewährung des Groß- und Einzelhandels erfolgt im Wesentlichen zum Zwecke der Präferenzschaffung bei Kunden und Lieferanten. Der akquisitorische Reiz der Kreditgewährung führt namentlich in kritischen Zeiten des gleichzeitigen Nachfragerückgangs und der Warenüberfülle dazu, dass im Wettbewerb immer neue Kreditmodalitäten und Finanzierungsformen entwickelt werden. Psychotaktisch liegt in der Differenzierung der Kredit- und Finanzierungsformen nach Kunden- bzw. Lieferantengruppen, nach Zeiträumen und nach Standorten ein weites Feld. In den letzten Jahren haben vor allem durch den Einzelhandel vermittelte Kleinkreditverträge zwischen Kunden und Konsumentenkredite gewährenden Instituten an Bedeutung gewonnen. So verkauft Tchibo den Clever-Credit der Royal Bank of Scotland; im Bertelsmann-Buchclub kann man den Club Spar Kredit der CreditPlus Bank abschließen; und die Drogerie-Kette Rossmann bietet den „Wunschkredit für kleine und große Wünsche; einfach, schnell & diskret per Post“ ab 4,9 Prozent Jahreszins der Deutschen Bank an (REIMANN 2007). Auch wenn normalerweise eine Bonitätsprüfung durch die Schufa vorgeschaltet und das finanzielle Risiko für die vermittelnden Handelsunternehmen minimiert ist, lauern psychologische Gefahren: Der Vorwurf, womöglich vor allem überschuldete Kunden noch tiefer in die Schuldenfalle zu locken, wird nicht ausbleiben, wenn Lockvogelangebote oder undurchsichtige Zinsdifferenzierungen hinter den KleinkreditAngeboten stecken und aufgedeckt werden. Dann werden gut informierte Kunden enttäuscht und im ungünstigsten Fall die Geschäftstreue aufkündigen – ein erhebliches Image-Risiko. Ähnlich wie die Waren- und Preisdarbietung verlangt die Kreditpräsentation psychologisches Vorgehen: In einem Kaufhaus für ein eher anspruchsloses Massenpublikum kann schon auf den Schaufenstern oder in der Eingangszone auffällig auf den günstigen Kreditkauf hingewiesen werden, etwa durch farbliche Herausstellung einer Monatsrate für den betreffenden Artikel. Die effektiven Jahreszinsen müssen allerdings, eventuell in weniger auffälliger Schrift, mitangegeben werden. In einem Kaufhaus für den gehobenen Bedarf wird es ratsam sein, dezent auf die Kreditabteilung hinzuweisen, die sich im obersten Stockwerk oder in einer hinteren Ladenzone befindet. Die dem Kreditkauf zugeneigten Kunden können so die Einladung zum Kreditgespräch unauffällig annehmen – die Initiative geht schließlich nicht von ihnen aus... Da mittlerweile Kreditkauf weitverbreitet (und gesetzlich stark normiert) ist und die Menschen durch Anzeigen, Werbedrucksachen und Hinweise in Schau-
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
fenstern mit den diversen Kreditformen und -konditionen recht gut vertraut sind, haftet selbst der auffälligen Herausstellung von Finanzierungsmodellen kaum noch etwas Zweifelhaftes an. Im Gegenteil: Je mehr sich die mündigen Verbraucher als Kauf-Profis empfinden, desto eher erkennen sie Kreditpolitik als Instrument des Wettbewerbs an, über welches nähere Informationen einzuholen ökonomisch geradezu geboten ist. Folglich können sich sogar exklusive Fachgeschäfte der Kredit-Werbung bedienen. Dabei müssen alle Image-Bausteine stimmen: Solidität des Geschäfts, solide Ware, solides Finanzierungsmodell und solide Kreditpräsentation. Auf jeden Fall sind psychologische Überlegungen bei der Kreditpräsentation anzustellen. Bei der Präsentation außerhalb des Geschäfts sind die zweckmäßigsten Werbemedien auszuwählen, das überzeugendste Argument und die sinnvollste Gestaltung der Kreditbotschaft. Ob sich ein Katalog, ein Prospekt, ein Handzettel, eine Zeitungsbeilage oder eine Zeitungsanzeige, ein Werbebrief, eine E-Mail oder eine bestimmte Kombination verschiedener Medien am besten eignet, hängt stark von der Branche, vom Sortimentsniveau und von den Ansprüchen des angepeilten Kundenkreises ab. Ein Möbelhaus kann für schlichte Kleinmöbel eher Handzettel (mit auffälligem Aufdruck günstiger Kreditmöglichkeit und günstiger Kreditkonditionen als Wegwerfstopper) einsetzen als für elegante Stilmöbel. Welches Kreditargument in den Vordergrund gerückt werden soll, die monatliche Rate, die TZ-Dauer oder der effektive Jahreszins, ist weitgehend eine Frage von Firmenphilosophie und Kundenmentalität. Dazu einige Beobachtungen aus den 90er Jahren aus der Rhein-Ruhr-Region: Die Interhome-Möbelhäuser rückten seinerzeit die Monatsrate in den Vordergrund; die „Möbelstadt Rück“ in Oberhausen warb vorzugsweise mit einem extrem niedrigen effektiven Jahreszins, während der Oberhausener Mitbewerber Möbelhaus Heck beide Argumente (Monatsrate und effektiver Jahreszins) in die Werbung aufnahm. Überdies wurde zusammen mit beiden Angaben in der Anzeigenwerbung jeweils ein Taschenrechner abgebildet. Der Kunde mochte getrost nachrechnen. Im Automobilhandel ist des Öfteren festzustellen, dass die Neuwagenhändler (Vertragshändler), anders als die Gebrauchtwagenhändler, regelmäßig den günstigen effektiven Jahreszins herausstellen. Die alleinige Zinsangabe soll die Seriosität des Angebots betonen. Mitunter wird auch nur auf die Möglichkeit des Kreditkaufs, eventuell in Zusammenarbeit mit einem namhaften Kreditinstitut, hingewiesen (mit dem Ziel der Partizipation am guten Ruf der Bank). Ein Automobil-Vertragshändler in Mülheim berichtete, dass mitunter Käufer aus benachbarten Städten und sogar aus verschiedenen Stadtteilen unterschiedlich angesprochen werden müssen: Mülheimer Kunden gegenüber wird im Allgemeinen der Wirtschaftlichkeitsaspekt des niedrigen Jahreszinses (zeitweise 5,9%) betont, während Oberhausener Kunden gegenüber meist der Vorteil des unverzüglichen Automobilbesitzes ins Feld geführt wird. Betuchtere Kunden nehmen den Kreditkauf in Anspruch, weil er günstiger ist als der Barkauf (Anlage des Bargelds zu höherem Zins), weniger betuchte Kunden nehmen eher einen Bankkredit auf, um dem Automobilverkäufer gegenüber ihre finanzielle Situation nicht offenbaren zu müssen. Der Verkäufer muss folglich die Finanzierungsmöglichkeiten mit viel Fingerspitzengefühl je nach Motiv der Kunden in sein Verkaufsgespräch einbauen (vgl. FABIUNKE/GRÜNEWALD/LEHM 1983, S. 129ff.). Bei der psychologischen Gestaltung des Kreditangebots stehen im Übrigen die Möglichkeiten der Preisoptik zur Verfügung („gebrochene Zinsen“, etwa 9,9 Prozent effektiver Jahreszins, farblicher Kontrast als auffällige Figur-Grund-Gestaltung usw.) (vgl. SIMON 1992, S. 602f.).
4.5 Kreditpolitik
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Völlig unverzichtbar ist Kreditgewährung für die Universalversandhäuser geworden. In den Otto- und Quelle-Katalogen wird auf zwei, drei Seiten der Ratenkauf ausführlich beschrieben. Es werden Beispielrechnungen für die Ermittlung des Teilzahlungspreises aufgemacht und in Tabellen die jeweilige Höhe der Monatsbeträge aufgeschlüsselt. Im Otto-Katalog werden zusätzlich besondere Leistungen der Hausbank (z.B. ein „Pluskonto“) angeboten. Abbildungen von glücklichen Familien und Slogans („Kauf ohne Risiko“) werden anschaulich in Szene gesetzt – schließlich muss der Katalog ohne persönliche Unterstützung davon überzeugen, wie leicht man sich etwas Gutes leisten kann. Bei der Kreditpräsentation innerhalb des Geschäfts kommen persönliche Gespräche (Verkaufsgespräch, Gespräche mit der Kreditabteilung oder in der hauseigenen Bankfiliale), Druckmedien (Plakate, Preisschilder mit Angabe der Kreditkondition, Aufkleber, Prospekte, Deckenhänger) und Lichtwerfer (Logo-Projektion zum günstigen Finanzkauf an Wände oder Fußböden) in Betracht. Horten unterhielt z.B. in einigen Häusern Filialen der EFGEE-Bank, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bank AG. Diejenigen Kunden, die deren Kreditservice in Anspruch nahmen und eine Empfehlung für eine Person aus dem Bekanntenkreis angaben, erhielten nach Kontoeröffnung als kleines Dankeschön eine Prämie von € 20,-. Sofern eine Kreditauskunft erforderlich wird, kann dem Kunden das als peinlich empfundene Ausfragen durch Selbstausfüllen der Kreditformulare erspart werden. Insgesamt muss sorgfältig abgewogen werden, ob Kunden durch auffällige Präsentation der Kreditmöglichkeit tatsächlich positiv angesprochen werden oder ob womöglich eher negative Assoziationen hervorgerufen werden („Arme-Leute-Geschäft“). Gewisse Gefahren einer übersteigerten Kreditpolitik sind denn auch nicht von der Hand zu weisen. Vor allem drei Problembereiche seien erwähnt: 1. Die Remanenz der Kreditpolitik, d.h. die kreditpolitischen Maßnahmen, die einmal entwickelt und eingeführt wurden, lassen sich schlecht wieder abbauen. Haben kreditnehmende Kunden erst einmal gute Erfahrungen mit Kreditkäufen gemacht, können ihnen diese Beschaffungsvorteile kaum wieder entzogen werden, ohne sie als Kunden zu verlieren. 2. Die Problematik der Kreditsicherheiten; die meisten der unter Kaufleuten anwendbaren Kreditsicherheiten (Bürgschaften, Garantien; Pfandrechte an beweglichen Sachen oder Rechten, Sicherungsübereignung, Forderungsabtretung; Grundpfandrechte) kommen für private Käufer nicht in Betracht. Hier bleibt oft nur der Eigentumsvorbehalt bis zur endgültigen Bezahlung der erworbenen Ware als Sicherheit übrig. 3. Die Problematik der Kreditwürdigkeitsprüfung; die Möglichkeiten der Prüfung persönlicher und sachlicher Kreditwürdigkeit von privaten Käufern sind begrenzt. Bonitätsprüfungen erfordern viel Fingerspitzengefühl: „faule“ Kunden werden gelegentlich auch nicht durch Einholung von Drittauskünften (Schufa) erkannt, und „fleißige“ Kunden können sich durch eine gründliche Bonitätsprüfung gekränkt fühlen und als Käufer verloren gehen. Bei den für den Einzelhändler besonders riskanten Formen der Kreditgewährung sollte eine Prüfung der „drei Cs“ nicht unterbleiben:
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
− „character“ (Reife, Verantwortlichkeit, Zahlungswilligkeit des Kreditkunden), − „capacity“ (gesichertes Einkommen, geordnete Vermögensverhältnisse des Kreditkunden), entscheidend z.B. für die Einräumung einer Kreditlinie bei Monatskonten, und − „capital“ (leicht liquidierbare Vermögenswerte – tangible assets – des Kreditkunden). Bei aller psychotaktischen Eignung der Kreditpolitik dürfen ihre Risiken (Verschleppungs-, Ausfall- und Inflationsrisiko) und ihre Kosten nicht aus dem Blick geraten. Der Einzelhändler muss insbesondere abwägen, ob die kreditinduzierten Mehrumsätze nicht durch Mehrkosten kompensiert werden. Zu letzteren zählen z.B. − Kapitalkosten (die Finanzierung des Forderungsbestands erfordert einen höheren Kapitaleinsatz), − Personalkosten (für Kreditsicherung/-überwachung; Mahnwesen) und − Sachkosten (für die Kreditabwicklung mit Kreditinstituten und Kreditkartenorganisationen und für Auskunfteien; Erstellung von TZ-Verträgen). Vor dem Hintergrund gesunkener Zahlungsmoral, mangelhafter Zwangsvollstreckung und der Tatsache, dass auch Inkassounternehmen beim Eintreiben von Außenständen an ihre Grenzen stoßen, wurden in Anlehnung an asiatische und US-amerikanische Vorbilder 1993 auch in Deutschland Schwarze Schatten und Schwarze Ladies als Geldeintreiber tätig. Franchise-Vermittlungsdienste wie die Unternehmensberatung Wiesner GmbH, Recklinghausen, oder der Verein Der schwarze Mann e.V., Magdeburg, setzten in Schwarz gekleidete Damen und Herren mit Melone oder Zylinder ein, die sich an die Fersen säumiger Schuldner hefteten und ihnen nahezu überallhin folgten. Sie nahmen kein Geld an, sondern übergaben den Verfolgten ihre Visitenkarte mit Telefonnummer. Im darauf folgenden Telefongespräch wurde der Kontakt zwischen Schuldner und Gläubiger vermittelt. Die Erfolgsquote lag bei 80 Prozent, in Fußgängerzonen und reinen Wohngebieten bei 100 Prozent (vgl. FAZ Nr. 118 vom 24.5.1994, S. 23). Da diese Psychotaktik des Geldeintreibens Ängste der Schuldner ausnutzt (Verfolgungsangst, Furcht vor Bloßstellung), dürfte mit Ordnungsgeldern oder Unterlassungsklagen zu rechnen sein.
4.6
Servicepolitik
Servicepolitik, der zielgerichtete Einsatz von Dienstleistungen, ist ein ungemein vielgestaltiges und fein dosierbares Instrument des Handelsmarketings. Vor der Prüfung der psychologischen Ausgestaltungsmöglichkeiten der Servicepolitik von Handelsbetrieben ist eine kurze systematisch-begriffliche Vorklärung zweckmäßig. Der an den vier Märkten des Handelsbetriebs orientierten Servicepolitik entsprechen vier Serviceformen: 1. 2. 3. 4.
Lieferantendienst, Kundendienst, Konkurrenzdienst und interner Marktdienst.
4.6 Servicepolitik
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Diese Einteilung ist in der Handelsbetriebslehre noch nicht weit verbreitet. Sie eröffnet jedoch neue theoretische Perspektiven und erlaubt in der betrieblichen Praxis ein differenzierteres Herangehen an Fragen des Service. Gewiss ist es legitim, unter Service nur Kundendienst zu verstehen. So kennt das Marketing Service im Allgemeinen nur in der Absatzmarkt-gerichteten Form. Hier soll jedoch der Blick auch auf die anderen Möglichkeiten gelenkt werden: Mit geeigneten Diensten können Präferenzen bei den Lieferanten begründet oder verstärkt werden (Lieferantendienste). Es sind spezielle Dienste für Mitbewerber einsetzbar – man denke z.B. an Datenaustausch oder Informationen über Marktentwicklungen, über neue Bezugsquellen oder über faule Kunden –, die diese zu fairem, kollegialem Verhalten veranlassen (Konkurrenzdienste). Und im internen Markt des Handelsunternehmens, im Geschäftslokal, sind Dienste einsetzbar, die nicht zum Kundendienst zählen – erwähnt seien nur Annehmlichkeiten aller Art für das eigene Personal, Handwerker, Gäste usw. (interne Marktdienste). Nicht zuletzt verbessert die Unterscheidung von vier Serviceformen den weitverbreiteten nachlässigen Sprachgebrauch sowohl in der Theorie als auch in der Praxis: Zum einen wird immer wieder der Begriff Serviceleistung verwendet – ein Pleonasmus. Zum anderen bedeutet die Gleichsetzung von Service bzw. Servicepolitik mit Kundendienst, Kundenservice bzw. Kundendienstpolitik eine unzweckmäßige Einengung des Service-Begriffs. Gemäß der Zweiteilung in strategische und taktische Unternehmerentscheidungen können strategische und taktische Servicepolitik unterschieden werden. Sofern eine Dreiteilung in strategische, taktische und operative Entscheidungen vorgezogen wird (U. HANSEN), wären entsprechend strategische, taktische und operative Servicepolitik zu unterscheiden. Schließlich kann der Zeitfaktor berücksichtigt werden. Dann sind im Zeitablauf gleichbleibende, statische Servicepolitik und im Zeitablauf geänderte, dynamische Servicepolitik mit den beiden Ausprägungen (a) Ausweitung und (b) Einschränkung des Service zu unterscheiden. Der Fall des weitgehenden Serviceverzichts kann der statischen Servicepolitik zugerechnet werden. Ein totales Fehlen von Service ist für Handelsunternehmen ex definitione nicht möglich, da die händlerische Sortimentsbildung, Märkteschaffung und Wettbewerbsgenerierung immer Dienstleistungscharakter haben. In Bezug auf den Zeitfaktor können auch zeitpunktbezogener Service und zeitraumbezogener Service unterschieden werden. Jener wird in einem Zeitpunkt von Lieferanten, Kunden, Konkurrenten oder betrieblichem Personal in Anspruch genommen (auch wenn er permanent gewährt wird), dieser wird für eine bestimmte Frist gewährt (auch wenn er ab einem bestimmten Zeitpunkt in Anspruch genommen wird). Zum zeitpunktbezogenen Service zählen alle Servicearten, die zum Kontaktzeitpunkt von den Marktpartnern in Anspruch genommen werden. Zum zeitraumbezogenen Service gehören z.B. die befristete (gesetzlich vorgeschriebene oder vertraglich vereinbarte) Garantie und über die Garantiefristen hinaus gewährte Kulanzleistungen. Service wird meist als Neben-, Ergänzungs- oder Zusatzleistung zur eigentlichen Hauptleistung des Einzelhandelsbetriebs, dem Warenverkauf, definiert. Was für eine Änderungsschneiderei die Hauptleistung darstellt, sei in diesem Verständnis für ein Textilgeschäft eine Nebenleistung (vgl. BEREKOVEN 1990, S. 166). Aus psychologischer Sicht ist diese definitorische Festlegung, die ein Über-/Unterordnungsverhältnis von Warengeschäft und Service postuliert, jedoch unzweckmäßig, da beides – Warenkomposition und Dienstleistungsprogramm – im Einzelhandel das individuelle Geschäftsprofil prägt. In vielen Fällen begründet sogar nicht primär das standardisierte Warenangebot, sondern der differenzierte, individuali-
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
sierte Service des Einzelhandelsbetriebs bei seinen Marktpartnern Lieferbereitschaft, Kaufmotivation, Konkurrentenverhalten oder Personalmotivation. Psychologisch relevante und aus der Sicht des Handelsunternehmens positive Erscheinungen, wie z.B. Lieferantenzuverlässigkeit, Firmentreue der Kunden, Impulskäufe, Fairness der Mitbewerber oder Personalzufriedenheit, aber auch mancherlei negative Erscheinungen, wie z.B. Unzufriedenheiten, Abneigungen und Vermeidungsverhalten, werden eher durch das Service- als durch das Warenangebot ausgelöst. Wenn man nur den Interaktionsprozess zwischen dem beratenden Verkäufer und dem Rat suchenden Käufer im Handelsbetrieb herausgreift, wird klar, wie einflussreich – im Erfolgsfall kaufentscheidend – die Beratungsleistung werden kann. Je kompetenter der Verkäufer/die Verkäuferin ist, je besser er/sie auf die individuelle Bedürfnislage des Kunden eingeht, je mehr Verständnis er/sie dem Verhalten des Kunden entgegenbringt, desto maßgeblicher wird der Verkaufserfolg dadurch beeinflusst. Im Einzelhandelsgeschäft, am point of sales, wird so manche aufwändige Werbekampagne von Herstellern (Konsumentenwerbung) durch das individuelle Beratungsgespräch unterlaufen, was im industriellen MarketingVerständnis dann als „systematische Störung der funktionalen Marktprozesse zwischen Herstellern und Verbrauchern“ missverstanden wird. Auch wenn erst relativ wenige empirische Studien über die Wirkung des persönlichen Verkaufs vorliegen, so deuten doch viele Anhaltspunkte darauf hin, dass persönlicher Verkauf eine bedeutendere Rolle spielt als manches traditionelle Marketinginstrument (vgl. KUSS 1991, S. 107). Die Servicepolitik bietet eine Vielfalt an Möglichkeiten. Warenhäuser und Fachgeschäfte sind traditionell Meister in der Ausgestaltung immer neuer Serviceinhalte. Ein Weltstadtwarenhaus bietet heute vom Kinderhort über Teppichzuschnitt und -verlegung beim Kunden, über Finanzdienstleistungen bis hin zum Partyservice vielfältigste Dienstleistungen. Einige gehörten in den 70er Jahren ins Arsenal des Trading up und zählen mittlerweile zum Standardangebot (Free-flow-Restaurant, Gourmet-Ecken, Reisebüro, Geschenkverpackung usw.). Das Berliner KulturKaufhaus DUSSMANN bietet auf fünf Etagen und einer Geschäftsfläche von 6.700 qm nicht nur ein ungewöhnliches kulturelles Warenangebot an Büchern, CDs, DVDs, Hörbüchern, Software, Geschenken, Papieren und Noten, sondern auch ein ungewöhnlich breites Serviceangebot: Internet- und Hörstationen für CDs, Lesegalerien, Lesebrillen-Verleih, Café, Lesungen, Konzerte, Podiumsgespräche, Signierstunden, Ausstellungen und einen Veranstaltungskalender „Der Vielfalter“. Dem Einfallsreichtum für immer neuen Service sind im Handel kaum Grenzen gesetzt. Für eine gewisse Ordnung können Service-Typologien sorgen. So wurde ein aus den Elementen (1) Beschaffungsservice, (2) Informationsservice, (3) Anpassungsservice, (4) Erhaltungsservice und (5) Risikosicherungsservice bestehendes „Gerüst der Servicearten“ mit relativ hohem Abstraktionsgrad vorgeschlagen (KÜTHE 1980, S. 139). Eine andere Studie unterscheidet sechs Absatzmarkt-bezogene Dienstleistungsarten des Handelsmarketings: (1) Informationsdienstleistungen, (2) risikomindernde Dienstleistungen, (3) Hausdienstleistungen, (4) Bestellungsdienstleistungen, (5) Bezahlungsdienstleistungen und (6) einkaufserleichternde Dienstleistungen (FASSNACHT 2003, S. 2). Derartige Bündelungen sind für empirische Untersuchungen sinnvoll; die Vielfalt der Erscheinungsformen von Dienstleistungen können sie jedoch nicht so differenziert erfassen wie durch die Wahl einer dominanten Merkmalsausprägung oder durch die Kombination mehrerer Merkmale bzw. Merkmalsausprägungen entstehende Dienstleistungstypen.
4.6 Servicepolitik
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Übersicht 10: Elemente einer Service-Typologie Leistungsmerkmal
Merkmalsausprägung
Marktausrichtung
Lieferantendienst Kundendienst Konkurrenzdienst interner Marktdienst; Personalservice Technischer Service Kaufmännischer Service Gesetzlich geregelter Service Vertraglich geregelter Service Freiwilliger Service Vor dem Kauf (pre sales service) Während des Kaufs Nach dem Kauf (after sales service) Unabhängig vom Kauf Beim Lieferanten Beim Kunden Beim Händler Bei Dritten Personenbezogener Service Warenbezogener Service Warenabhängiger Service Warenunabhängiger Service – Bequemlichkeitsservice – Angebotsergänzungsservice Branchenabhängiger Service Branchenunabhängiger Service Einzelhändler selbst Fremderstellung durch – Hersteller – selbstständige Dienstleister – Verbundgruppe Unentgeltlicher Service Entgeltlicher Service – unter Kostendeckung – kostendeckend – über Kostendeckung
Leistungsinhalt Leistungsbasis
Leistungszeitpunkt
Leistungsort
Leistungsbezug Warenbindung
Branchenbindung Serviceersteller
Berechnungsmodus
(In Anlehnung an BEREKOVEN 1990, S. 167f.)
In Übersicht 10 sind einmal – konkreter und weiter aufgefächert – die wichtigsten Merkmale und Merkmalsausprägungen als Elemente für eine Service-Typologie zusammengestellt. Eine überschneidungsfreie Klassifizierung ist nicht möglich. Servicearten und Servicetypen überschneiden sich vielfach. So stellen in der Übersicht 10 z.B. die Merkmalsausprägungen „Technischer Service“ und „Kaufmännischer Service“ ihrerseits Unterfälle der Merkmalsausprägung „Warenbezogener Service“ dar. Schließlich ist zu beachten, dass alle Merkmalsausprägungen je nach Absatz-, Beschaffungs-, Konkurrenz- und interner Marktrichtung unterschiedliche Konkretisierungen verlangen. Dabei sind z.T. recht spezifische psychotaktische Überlegungen anzustellen. Grundsätzlich sind alle Entscheidungen über Auswahl und
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Kombination der Servicemerkmale und Merkmalsausprägungen mit dem gewünschten Fremdbild des Einzelhandelsunternehmens im Urteil der Lieferanten, Kunden und Konkurrenten (image; Heterostereotyp) und mit dem vorgegebenen Selbstbild bzw. Selbstverständnis von Unternehmensleitung und Mitarbeitern (corporate identity; Autostereotyp) abzustimmen. Sowohl jede einzelne Serviceart als auch die Gesamtheit der Servicearten sollten psychologisch überprüft werden. Welche Dienste werden von welchen Marktpartnern gewünscht, erwartet oder als übertrieben, überflüssig, kostspielig eingeschätzt? Welche Dienste sind zwingend (Voraussetzung zur Belieferung; Anpassung an den Konkurrenten, der als service leader fungiert), welche sind akquisitorisch besonders wirksam? In welcher Qualität sollen die Dienste erbracht werden? Sollen die Dienste standardisiert oder nach Lieferanten- oder Kundengruppen differenziert werden (Servicestandardisierung; Servicedifferenzierung)? Soll eine bestimmte Dienstleistung in den Vordergrund gerückt werden, etwa in der Hoffnung auf positive Ausstrahlung? Auch spielen Branchen- und Betriebstypenbesonderheiten und eingefahrene Wege eine Rolle: So beliefern einerseits einige Hersteller hochwertiger technischer Erzeugnisse nur solche Fachhändler, Warenhäuser oder SB-Warenhäuser, die über vollausgestattete Reparaturwerkstätten verfügen. Einige Hersteller von Parfümerieerzeugnissen zwingen Warenhauskonzerne – aus verkaufspsychologischen Gründen – zur Einrichtung separater Quasi-Fachgeschäfte in ihren Häusern, wenn sie überhaupt als sog. Depositäre beliefert werden wollen – ein teurer Lieferantenservice für die Warenhäuser. Andererseits lassen Konsumerfahrungen und -erwartungen mitunter dieselbe Dienstleistung (z.B. eine Sekt-Bar oder einen EspressoAusschank) in einer Kunsthandlung als unverzichtbar, in einem Fischfachgeschäft als unvertretbar erscheinen. Psychostrategisch reizvoll, aber schwierig ist die Einführung neuer, in der Branche unbekannter Servicearten (Service-Innovation). Hier kommen die Vorzüge des Filialunternehmens zum Tragen: Es kann in einer Filiale oder in ausgewählten Filialen die Akzeptanz von Serviceinnovationen testen, Lieferanten-, Kunden- und Personalreaktionen beobachten und die verschiedenen Personenkreise direkt oder indirekt befragen. Und genau wie beim überraschenden Warenangebot in der psychotaktischen Sortimentspolitik vermögen Überraschungsdienste die Lieferanten oder die Kunden positiv zu stimmen. Es sind häufig die nicht erwarteten kleinen Gesten, die freundliche Bemerkung oder die angebotene Süßigkeit im Laden, die zum Spontankauf oder zum Wiederholungskauf Anlass geben. Das Versandhaus Quelle hatte sich für seinen 1.300 Seiten starken Frühjahrskatalog ’94 einen besonderen Überraschungsservice einfallen lassen: die Beigabe einer flachen Leselupe. So konnte der kostenwirtschaftliche Effekt (rationellere Nutzung der knappen Präsentationsfläche durch Kleindruck) mit einem psychologischen Effekt (Zusatznutzen durch Verwendungsmöglichkeit der Leselupe auch für andere Zwecke) verbunden werden. Die Kombination der Dienste nach Art und Anzahl, die Festlegung des ServiceQualitätsniveaus, die Gewährung differenzierter, individualisierter oder undifferenzierter, standardisierter Dienste, selbst die Nichtgewährung von Service, der vollständige Serviceverzicht, oder die mehr oder minder umfangreiche Gewährung von Service (no service, low service oder full service) – alle diese Entscheidungen über das betriebliche Serviceprofil zielen auf Verhaltensbeeinflussung der Marktpartner: Deren Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen, Einstellungen sollen durch geeignete Dienstleistungen positiv beeinflusst werden.
4.6 Servicepolitik
223
Daher erscheint es psychotaktisch geraten, servicepolitische Entscheidungen auf die verschiedenen Motivklassen abzustellen, etwa anhand des MASLOW-Modells. Übersicht 11: Bedürfnishierarchie und Service-Entscheidungen Motivklasse
Zielzustände
Selbstverwirklichung
Entfaltung der eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten
Wertschätzung
Soziale Bindung
Sicherheit
Physiologische Bedürfnisse
Service-Beispiele
Frei-Haus-Lieferung mehrerer Stücke zur Auswahl; Wunschzettel-, Kummerkasten; Pflege des formschönen Angebots und Ladendesigns; Sonderbestellungen; do-it-yourself-Abteilung; Selbstvertrauen, Selbstachtung, Geschenkberatung; Ausgabe von GeschenkgutscheiUnabhängigkeit, Stärke, Leistung, nen; Kreditgewährung; Kundenkreditkarte; telefoniKompetenz, Anerkennung, Prestige, sche Bestellannahme; Zugaben; großzügiger UmRuhm, Würde, Status tausch; Warenzustellung; Wahlrecht zwischen Bedienung und Selbstbedienung; POS-banking; Treuepunkte; Stammkundenrabatt; Kulanzmaßnahmen; Gebrauchseinweisung und Schulung (z.B. für PCs) Liebe, Freundschaft, Kontakt, Anbieten von Erfrischungen; Clubkarte; TreffpunktZugehörigkeit buch; Taxiruf; Kinderhort; Spielecke; Kundenzeitschrift; Abgabe von Proben; Daseinssicherung, ZukunftsvorBeratung; Informationsstand; Gepäckaufbewahrung; sorge, Geborgenheit, Ordnung, Verlust-/Diebstahlversicherung; Garantien; ReklaStabilität, Schutz, Angstfreiheit mationsstelle; Festpreise; Parkhaussicherung und Frauenparkplätze; Essen, Trinken, Wohnen, Bekleiden, Restaurant; Sitzecken; Klimatisierung; SchauSchlafen fenstervordach; große Auswahl; Qualitäts- und Preislagen.
Übersicht 11 ordnet den fünf Motivklassen und Zielzuständen der Bedürfnishierarchie einmal ausgewählte Service-Beispiele zu. Die Beispiele beziehen sich ausschließlich auf den Kundendienst. Sie können jedoch ohne weiteres um Lieferanten-, Konkurrenz- und interne Marktdienste erweitert werden. Aus den zahlreichen Service-Beispielen sei nur eines herausgegriffen: Geschenkgutscheine. Sie sind seit langem im Blumenfachhandel und bei Parfümerien gebräuchlich. Gelegentlich wurden sie auch im Lebensmittelhandel eingesetzt, z.B. als Last-minute-Geschenk-Idee in den HIT-Märkten der Dohle-Gruppe oder in den toom- und minimal-Märkten der Rewe. Bei Dohle hatte der Kunde die Wahl zwischen Gutscheinen zu 50 und 100 DM, die ReweGeschenkgutscheine wurden in jeder gewünschten Höhe ausgestellt (vgl. LEBENSMITTELPRAXIS, H 1/1994, S. 10). Solche Geschenkgutscheine sind nicht nur mit geringem Aufwand für den Einzelhandelsbetrieb verbunden, sondern sie führen dem Betrieb auch neue Kunden zu und festigen die Geschäftstreue der Altkunden, indem ihnen ein Teil innerer psychischer Spannung beim Geschenkkauf genommen oder eine bequeme Anregung zu einer kleinen Aufmerksamkeit für Freunde oder Kollegen geboten wird. Durch das Angebot des Allzweckgeschenks ist ihnen die Qual der Wahl genommen, und das Schenkrisiko wird minimiert, indem der Beschenkte die Auswahl des Geschenks selbstständig treffen kann. Die Gestaltung des Serviceprofils – oft noch mehr als die Gestaltung des Warenangebots – dient jedem Handelsbetrieb zur Einmaligkeit, zur Unverwechselbarkeit, zur Individualisierung seiner Marktleistung. Sind die Möglichkeiten des Wareneinsatzes aus finanziellen, räumlichen oder personellen Gründen begrenzt, so sind die Grenzen des Serviceeinsatzes im
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Regelfall weiter gesteckt. Im Bereich der persönlich-qualitativen Dienste liegt daher sogar ein relativer Wettbewerbsvorteil für Klein- und Mittelbetriebe, die ansonsten in den Möglichkeiten des eigenständigen Handelsmarketings strukturell eher benachteiligt sind, falls sie nicht den Zugang zum kooperativen Service einer Verbundgruppe oder zu einem lokalen Marketingverbund genießen (gemeinsames Parkhaus; gemeinsame Parkfläche; gemeinsame Erstattung von Parkgebühren oder Beförderungsgebühren des öffentlichen Personennahverkehrs ÖPNV usw.). Sobald der Service mit Zusatzkosten und/oder mit organisatorischen Maßnahmen verbunden ist, sind kostenwirtschaftliche Aspekte für die erforderlichen Einsatzfaktoren zu berücksichtigen. Auch wenn Service unentgeltlich angeboten wird – kostenlos ist er nicht. Qualitative Servicearten wie kompetente Beratung erfordern Investitionen in die fachliche Aus- und Weiterbildung des Personals. Und warenbezogener, namentlich technischer Service muss vielfältigen Anforderungen genügen, z.B. Anforderungen an − technische Ausrüstungen (Reparaturwerkstätte; Kundendienst-Organisation; Ersatzteilehaltung; Außendienst-Fuhrpark usw.), − zeitliche und räumliche Erreichbarkeit (Servicebereitschaft), − Kontaktstil (Kundendienstatmosphäre), − Präzision (Kundendienstzuverlässigkeit) und − Schnelligkeit (Kundendienstzeit) (vgl. GERSTUNG 1978, S. 251). Größere Unternehmen sind im Allgemeinen eher in der Lage als Klein- und Mittelbetriebe, Spezialisten für den technischen Kundendienst zu schulen und/oder einzusetzen. Es ist davon auszugehen, dass sich auch in der Servicepolitik economies of scale günstig auswirken und dass mit steigender Betriebsgröße auch die Möglichkeiten zur Leistung von Kundendienst zunehmen. Im Bereich des technischen Kundendienstes kann mitunter eine Kooperation zwischen Groß- und Kleinbetrieben wegen der Synergieeffekte sinnvoll sein, z.B. die Durchführung des Wartungs- und Reparaturdienstes durch die Fachwerkstatt eines kleineren Einzelhändlers für das Warenhaus am Ort. Im Bereich der Finanzdienste wurde 1993 erstmals das co-branding, die Zusammenarbeit von Handelsunternehmen (der Metro-Gruppe mit real, Kaufhof und Praktiker) mit einem Kreditkartenunternehmen (Yesss Card Service), erprobt. Die Kartengebühr lag erheblich unter den Gebühren der großen Kreditkartenorganisationen. Durch online-Buchung entfiel die Bonitätsprüfung, und die Ausstattung der Yesss-Card mit Telefonchip bot einen zusätzlichen Service. Dass die neue Kundenkreditkarte auf die nötige Akzeptanz stieß und das psychostrategische Ziel Kundenbindung erreicht wurde, erfuhr die Handelsgruppe anlässlich der Umwandlung der Massa Card in die neue Massa-Yesss Card: Nicht nur wurden neue Kunden hinzugewonnen, die neue Karte wurde auch bald außerhalb der MetroGruppe akzeptiert (vgl. FAZ vom 1.3.1994, S. B 14). Der Erfolg der Metro-Gruppe – ebenso die Kreditkartenakzeptanz bei anderen Großunternehmen – darf allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass der kleine und mittlere Facheinzelhandel eher an die Teilnahme an lokalen oder regionalen kooperativen Kartensystemen denken wird, wie z.B. an die 2006 von der Rheinischen Post initiierte, Rabatte gewährende Premium Card, als an die Emission von eigenen Kundenkarten. Derartige Systeme sind für sie kostengünstiger als die mit Provisionen von drei bis fünf Prozent belasteten traditionellen Kreditkarten. Aus kosten- und ertragswirtschaftlicher Sicht bietet sich unter Umständen entgeltliche Servicegewährung an. Psychotaktisch kommt es dann jedoch darauf an, den Marktpartnern die
4.6 Servicepolitik
225
Kostenbelastung glaubhaft und nachvollziehbar zu machen. Hinzu kommt ein fundamentales marktpsychologisches Problem: Sind kostenträchtige Servicearten erst einmal eingeführt, dann lassen sie sich nur unter der Gefahr des Lieferanten- oder Kundenverlusts wieder abbauen (Service-Remanenz). „Die Einführung von Kundendienstleistungen erweist sich somit ... als Einbahnstraße und lässt sich nur unter Schwierigkeiten wieder rückgängig machen“ (BEREKOVEN 1990, S. 171f.). Mit ihrem ungemein breiten und sehr fein dosierbaren Leistungsspektrum erweist sich die Servicepolitik auf den ersten Blick als psychotaktisch ideales Instrument des Handelsmarketings. Sie zeigt zweifellos eine hohe Affinität zum Postulat der „differenzierten Leistungserstellung“ (A. GUTERSOHN) im Einzelhandel. Einige Probleme der Servicepolitik dürfen aber nicht verkannt werden: 1. Wegen der fast unauflöslichen Verschmelzung der Servicearten mit dem Warenangebot zum Sortiment, der eigentlichen produktiven Gesamtleistung des Einzelhandelsunternehmens, ist eine isolierte Bestimmung der Akquisitionswirkung des Service ex ante nicht möglich. Die experimentelle, d.h. isolierte Variation einer Serviceart und die Kontrolle ihrer Wirkung auf Absatz, Image usw. ex post ist aufwändig, außerdem im Falle der Ablehnung, des Widerstands (Reaktanz) recht riskant. 2. Wegen der üblichen Kombination mehrerer Servicearten (Serviceprofil, Serviceverbund), ihrer differenzierten Gewährung bzw. unterschiedlichen Inanspruchnahme und ihres Wechsels im Zeitablauf ist auch die Feststellung des Erfolgsbeitrags jeder einzelnen Serviceart nicht möglich. 3. Die Reaktionen der Marktpartner in Bezug auf die Hauptleistung bei unterschiedlichen Nebenleistungen (Servicekombinationen) sind ex ante nicht bekannt. Um die ServiceElastizität für jede Kombination und jede Variation einer Serviceart festzustellen, wären komplizierte und aufwändige ex post-Messungen erforderlich. 4. Grundsätzlich stellt sich das kostenrechnerische Problem der genauen, verursachungsgerechten Kalkulation. Einige Servicearten haben Fixkostencharakter, andere variablen Kostencharakter. Einige werden direkt bei Inanspruchnahme ausgewiesen und berechnet, andere werden dem Marktpartner nicht direkt belastet, müssen dann jedoch indirekt in die Kalkulation der Warengruppe eingehen. Nur wenige Dienste können auf Vorrat vorgehalten werden, die meisten werden im Zeitpunkt der Inanspruchnahme erbracht. Nicht selten nehmen Kunden besonders viele oder besonders intensiv Dienste in Anspruch, aber gerade sie sind dann am wenigsten bereit, dafür auch noch einen funktionsgerechten Zuschlag zu bezahlen. Auf die völlige Abwesenheit eines schlechten Gewissens, mit der Kunden gelegentlich umfassende Wareninformationen im Fachgeschäft einholen, um am Ende den für ihre Bedarfslage optimalen Artikel irgendwo anders bei einem Großdiscounter zu erwerben, sei nochmals hingewiesen. 5. Schließlich sind rechtliche Servicelimitierungen zu beachten. So sind z.B. alle Dienste, die psychologischen Kaufzwang begründen, gem. § 1 UWG unzulässig. Zu beachten ist auch das Nebenleistungsverbot des Wettbewerbsrechts. Da über Zulässigkeit oder Nichtzulässigkeit einer Serviceart in Einzelfällen gerichtlich entschieden wird, ist diese kasuistische Rechtsprechung schwer zu verfolgen. Mancher Dienst, der noch vor 20 Jahren nach der damaligen Verkehrsauffassung unter das Nebenleistungsverbot fiel, zählt heute zur handelsüblichen Nebenleistung, z.B. Nähen und Aufhängen von Gardinen, Filment-
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
wicklung oder Bespannen von Tennisschlägern. Das alte Ladenschlussgesetz von 1956 sowie das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung, beide inzwischen aufgehoben, enthielten ihrerseits teilweise diskriminierende Servicelimitierungen. Wie bei allen psychologisch orientierten Maßnahmen des Handelsmarketings sollte auch eine Kontrolle der servicepolitische Maßnahmen erfolgen. Insbesondere muss geprüft werden, ob durch Servicepolitik verstärkt Kundenbindung erzielt wurde. Eine diesbezügliche – nicht repräsentative – seminaristische Umfrage bei einigen Großbetrieben in der Rhein-Ruhr-Region ergab, dass die meisten Kunden den Service als selbstverständlich betrachten. Hin und wieder kommt es zu Dankschreiben; Beschwerden gehen ebenfalls ein. Das Verhältnis von Dankbekundungen zu Beschwerden schwankt in den befragten Häusern zwischen 10 :1 und 1 :1. Dabei wird die ausgesprochen konsumentenfreundliche Einrichtung von Kundenforen in einem Warenhaus immer noch von der Hälfte der Kunden kritisiert. Um das Ausmaß der erreichten Servicequalität zu messen, badarf es vorheriger Festlegung von Service-Zielen. Da diese schwer quantifiziert werden können, sollten zumindest als Zielvorgaben klare Verhaltensinstruktionen vorgegeben werden. Denkbar sind z.B. Vorgaben wie „Begrüßen Sie jeden Kunden innerhalb von 30 Sekunden nach Betreten Ihrer Abteilung!“, „Gehen Sie genau auf die Wünsche der Kunden ein!“, „Verabschieden Sie den Kunden sehr höflich!“, „Beantworten Sie jede E-Mail-Anfrage innerhalb von drei Stunden!“ usw. Solche Grundsätze sind von allen im Service tätigen Mitarbeitern zu internalisieren. Sie sind, ggf. mit dem Betriebsrat abgestimmt, als ausformulierte Anweisungen in den Personalräumen auszuhängen. Je konkreter die Anforderungen formuliert sind, desto eher ist eine Erfolgskontrolle möglich. Wenn die Mitarbeiter vorher darüber informiert sind, werden sie auch Testkäufer (Mystery shoppers) akzeptieren, die ihre Einhaltung der Service-Ziele überprüfen, vorausgesetzt, die Testkäufer verhalten sich neutral und lassen Fairness walten. Deren Berichte werden dem Management ausgehändigt, das seinerseits die betreffenden Mitarbeiter über das Ergebnis der Evaluation informiert. Prinzipiell kann solch eine Evaluierung der persönlichen Servicequalität anhand eines Punkteschemas durchgeführt werden. Je nach Überschreiten der Punktenorm können Belohnungen gewährt werden, während bei Unterschreiten auf Strafen verzichtet werden sollte. Bei dem hochwertigen Serviceinstrument Kundenkarte darf sich die Kontrolle nicht nur auf Datenauswertung und –verarbeitung zu Kundenprofilen (für individualisierte Waren- und Dienstangebote, ggf. nur für Premiumkunden) beschränken, sondern sollte auch die Einstellungen der Kunden berücksichtigen. Wie in einer empirischen Pilotstudie nachgewiesen wurde, nimmt die Akzeptanz der Kundenkarte nämlich mit zunehmender Angst vor Datenmissbrauch ab. Ohne verantwortungsvollen Umgang mit Kundendaten entzieht man sich selbst die Grundlage für individualisiertes Handelsmarketing (vgl. KUHNEN 2004, S. 42 und 60).
4.7
Kommunikationspolitik
4.7.1
Kommunikationstheoretische Grundlagen
Zur Darstellung der Informationsbeziehungen zwischen einem Groß- oder Einzelhandelsunternehmen oder einer Handelsvertretung und ihren Partnern auf den vier Märkten kann vom Grundmodell der Kommunikationstheorie ausgegangen werden. (Abb. 29)
4.7 Kommunikationspolitik
227
ELEMENTE WER
Sender/Kommunikator Codierung
sagt WAS
Botschaft Transmission
auf welchem KANAL
Medium Rezeption
zu WEM
Empfänger/Rezipient Decodierung
mit welcher WIRKUNG
PHASEN
Effekt
(In Anlehnung an NIESCHLAG/DICHTL/HÖRSCHGEN 1991, S. 465f.) Abb. 29: Elemente und Phasen des Kommunikationsprozesses
Dieses Grundmodell besagt allgemein, dass ein Sender (Kommunikator oder Informationsquelle) eine Information (die zu übermittelnde Botschaft) in codierter Form über einen Kommunikationskanal (Medium) sendet, die der Empfänger (Rezipient) decodieren und im gewünschten Sinne in Handlung umsetzen soll. Im Besonderen hat die Marktkommunikation das Ziel, Kaufpräferenzen, Kaufimpulse und unverwechselbare Identität zu schaffen. Welche Botschaft vom Sender ausgeht, ist weniger wichtig. Wichtiger ist, was beim Empfänger ankommt bzw. wie er die Botschaft interpretiert (vgl. WINKELMANN, S. 400). Jeder Kommunikationsprozess verläuft typischerweise in vier Phasen: 1. 2. 3. 4.
Verschlüsselung (Codierung bzw. Encodierung: Verbalisieren, Visualisieren), Übermittlung (Transmission oder Signalisierung), Empfang (Rezeption) und Entschlüsselung (Decodierung: Verstehen, Interpretieren, Akzeptieren).
In jeder Phase können Störungen im Sinne der Informationstheorie auftreten, die zu verfälschten Informationen oder zum Nichtzustandekommen der Kommunikation führen. Abb. 30 zeigt ein einfaches Beispiel aus der Absatzwerbung. Aus der Sicht von Konsumgüterherstellern werden ihre konsumentengerichteten Werbesendungen HWK, konzipiert als Sprungwerbung über den Einzelhandel hinweg, mehrfach gestört: So zählen nicht nur die Absatzwerbung EWK der Einzelhändler E1 und E2, in der die Produkte von P nur gleichrangig mit Produkten anderer Hersteller (ggf. auch gar nicht) erwähnt werden, sondern auch vergleichende Produktinformationen des Einzelhandels an die Kunden, Ergebnisse vergleichender Warentests und Testberichte aller Art sowie persönliche Produktempfehlungen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, hier wechselseitig von A an B und von B an A, zu den störenden intervenierenden Variablen. Im Beispiel wird die ab-
228
4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
satzwerbliche Kommunikation zwischen P und A durch drei, die absatzwerbliche Kommunikation zwischen P und B durch fünf Störquellen beeinflusst. Hersteller versuchen, die Kommunikationsstörung seitens der Einzelhändler wiederum durch psychologisch orientierte händlergerichtete Werbung HWH abzuschwächen: Den Händlern werden betriebswirtschaftliche Vorteile der Produkte von P (meist in Fachzeitschriften) schmackhaft gemacht: In den entsprechenden Inseraten werden nicht der reuelose Genuss oder die unendliche Freiheit des Konsums suggeriert, sondern zu erwartende Spannen, Umschlagszahlen, „Direkte Produktrentabilitäten“ oder ähnliche Produkt-Kennzahlen („aus der Forschung“, versteht sich), die das Herz des Kaufmanns höher schlagen lassen sollen.
HWK Hersteller P
HWH
EWK
Einzelhändler E1
Konsument A
Konsument B
HWK Einzelhändler E2
EWK
Einzelhändler E3
EWK Warentestergebnisse
Abb. 30: Die „Störungen“ der absatzwerblichen Kommunikation zwischen Produzent und Konsument
Die vom Hersteller an die Konsumenten gerichteten direkten Sendungen HWK werden Einstufen-Kommunikation genannt. Sofern die direkte Kommunikation die KonsumentenZielgruppen nur unter erschwerten Bedingungen erreichen kann, z.B. wegen der genannten „Störungen“, oder sofern die eingesetzten Medien (Massenkommunikation) die Empfänger nicht im gewünschten Ausmaß erreichen, weil diese sich passiv oder ablehnend verhalten (zapping, Aussteigen aus der Werbesendung), können Hersteller den Weg der sog. ZweiStufen-Kommunikation (two-step communication) einschlagen, d.h. man versucht, die Werbebotschaft sowohl über Massenkommunikationsmittel als auch über Meinungsführer an die Empfänger heranzubringen (Abb. 31).
Hersteller P
Massenkommunikation
Abb. 31: Zwei-Stufen-Kommunikation von Herstellern
Meinungsführer
Konsumenten
4.7 Kommunikationspolitik
229
Werden die Meinungsführer ihrerseits über Massenmedien eingesetzt, dann können die Reihenfolge P-MK-MF-K in P-MF-MK-K umgekehrt oder die Kommunikationskette zur Mehrstufen-Kommunikation (multi-step communication) verlängert werden. Somit entsteht eine Kombination aus unpersönlicher und quasi-persönlicher Kommunikation. Wenn der Meinungsführer (Prominenter, Experte, Idol) überzeugend genug wirkt, übernimmt er als Werbemittler eine Relaisfunktion (vgl. KÜTHE 1980, S. 163).
Einzelhändler
Massenkomunikation
Konsumenten
Meinungsführer Schaufenster pers. Gespräch Werbegeschenk Werbebrief Abb. 32: Zwei-Stufen-Kommunikation von Einzelhändlern
Das Konzept der Zwei-Stufen-Kommunikation ist prinzipiell auch für Einzelhandelsunternehmen einsetzbar. Wegen ihrer unmittelbaren Nähe zu den Konsumenten verfügen sie nicht nur über spezifische Mittel der Massen- wie der Einzelkommunikation, um Kommunikationsbarrieren relativ leicht zu überwinden, z.B. Schauwerbung als Außen-, Schaufenster- oder Verkaufsraumwerbung; Prospekte und Handzettel; Rundfunkwerbung (spots/jingles) oder Werbung durch Meinungsführer. Auch können sie auf die besonders effiziente Einzelumwerbung zurückgreifen, z.B. auf das persönliche Gespräch, Werbegeschenke oder persönliche Werbebriefe (Abb. 32). Damit die gesendete Information überhaupt verstanden werden kann, müssen die bei der Kommunikation benutzten Zeichensysteme den Beteiligten bekannt und der Zeichenvorrat bei Sender und Empfänger identisch sein. In der Sozialpsychologie werden drei Kommunikationsformen unterschieden: 1. intrapersonale Kommunikation (Informationsaustausch innerhalb eines Individuums nach Datenaufnahme aus der Umwelt), 2. interpersonale Kommunikation (Informationsaustausch zwischen mindestens zwei Einzelpersonen, z.B. bei Einkaufs- oder Verkaufsverhandlungen) und 3. mediengebundene Kommunikation (Massenkommunikation als Informationsabgabe an und Informationsaufnahme durch viele Medienbenutzer) (vgl. MEYERS KLEINES LEXIKON PSYCHOLOGIE 1986, S. 184). Mit Ausnahme des Versandhandels und des Internet-Handels, die auf bildliche und verbale Zeichen zur Beschreibung der Artikel im Katalog angewiesen sind, ergeben sich für den stationären Handel nur selten Codierungs- und Decodierungsprobleme, da die Ware als solche wirbt.
230
4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Psychologische Aspekte sind bei allen Elementen des Kommunikationsprozesses zu beachten. Dazu in Anlehnung an NIESCHLAG/DICHTL/ HÖRSCHGEN (1991, S. 466– 469) nur ein paar Hinweise: 1. Als erfolgswirksame Eigenschaften des Kommunikators sind vor allem seine Glaubwürdigkeit (Sachverstand, Autorität, Werthaltungen), Durchschaubarkeit seiner Absichten, Sympathie und Darbietungsstil psychotaktisch zu prüfen. 2. Die Botschaft ist daraufhin zu überprüfen, ob sie im Einzelfall kurz und knapp, also plakativ, oder ausführlich (in welcher Reihenfolge?) und argumentativ eingängiger, überzeugender, nachhaltiger wirkt (z.B. Firmen-/Imagewerbung oder Artikel-/Dienstleistungswerbung im Hörfunk). 3. Das Medium ist sorgfältig auf seine psychologische Eignung hin zu prüfen. Die im Allgemeinen als wirksamste Form angesehene persönliche Kommunikation kommt dem Einzelhandel sehr entgegen. Aber auch Großhandel und Handelsvermittlung sind auf ausschließliche oder ergänzende persönliche Kommunikation angewiesen, ergänzend etwa bei Beteiligung an Messen und Ausstellungen, Sales Promotion oder Hausbörsen. Zur Vorbereitung persönlicher Kontakte sind alle anderen visuellen und akustischen Medien einsetzbar. Ihre psychologischen Vor- und Nachteile sind jedoch sorgfältig abzuwägen (z.B. Aufbewahrungs- und Studiermöglichkeit des Werbezettels versus Reaktanz- und Wegwerfverhalten von Empfängern). 4. Die Rezipienten existieren nicht als homines oeconomici mit gleichförmigem Verhalten. Die Kommunikation hat sich vielmehr auf die unterschiedlichsten Persönlichkeitstypen einzustellen. Allein das unterschiedliche Selbstwertgefühl und die mehr oder minder große Beeinflussbarkeit erfordern Zielgruppen-Abgrenzungen, auch wenn diese nur auf Vermutungen beruhen können. Aus der Beobachtung, dass kritische Geister, z.B. intelligente oder dogmatisch fixierte Menschen, bei vordergründiger, platter Argumentation Abwehrhaltungen einnehmen, ist die psychologische Konsequenz für werbende Handelsunternehmen leicht zu ziehen: tunlichst alle Rezipienten als intelligente Kommunikationspartner zu behandeln. Das schmeichelt geistig weniger Bemittelten und schreckt die Überflieger nicht ab. Welche psychologische Überlegenheit besonders des Einzelhändlers gegenüber manchem Konsumgüterproduzenten! Muss sich dieser abmühen und Millionenausgaben in die einhämmernde Botschaft von der Reinigungskraft des XY-Shampoos „bis in die Haarspitzen“ (nicht etwa bis zur Haarwurzel) stecken, so kann jener getrost Alternativen anbieten und sachlich-differenziert die individuellen Qualitäten von zehn, zwanzig Shampoos, dazu ihre verbindlichen Preise nennen. Das Grundmodell der Kommunikation ist von den Wirtschaftswissenschaften, insonderheit von der Marketing-Lehre, adaptiert worden. Als formales Instrument eignet es sich ohne Zweifel, die diversen informatorischen Verbindungen zwischen den Wirtschaftssubjekten darzustellen. In zweierlei Hinsicht ist allerdings Kritik an der Modelladaption anzumelden: 1. Das Kommunikationsmodell wird im Allgemeinen zu eng gefasst, indem es fast nur auf die Absatzmarktseite bezogen wird. Die meisten Marketing-Ökonomen beschäftigen sich überdies fast ausschließlich mit der werblichen Kommunikation zwischen Konsumgüterherstellern als Sendern und Verbrauchern als Empfängern, und dies in der Regel beschränkt auf ein Produkt oder ein Produktionsprogramm eines Herstellers. Damit ist von vornherein der
4.7 Kommunikationspolitik
231
Blick eingeengt. Den viel komplexeren informatorischen Beziehungen des Handels wird man damit nicht gerecht. Das in Übersicht 12 wiedergegebene kommunikationspolitische Instrumentarium von Handelsunternehmen – mit seinen beiden Systemkomponenten Informationsträger und Ort der Kontaktaufnahme als solches gewiss anschaulich – steht z.B. ganz unter dem Einfluss dieser üblichen Sichteinengung des Marketings. Übersicht 12: Kommunikationspolitisches Instrumentarium von Handelsunternehmen Informationsträger (IT) persönliche IT Ort der Kontaktaufnahme
in-store
out-ofstore
nicht persönliche IT
persönlicher Verkauf POS-Werbung/Verkaufsförderung (nicht persönl.) Verkaufsförderung (persönlich) Ladengestaltung Schaufensterwerbung Warenpräsentation PR (persönlich) PR (medial) persönlicher Verkauf Verkaufsförderung (mediale) (z.B. door-to-door-selling) Massenmediale Sachwerbung Außenwerbung
(Quelle: HILLEBRAND, R.: Einsatz werblicher Kommunikation im Einzelhandel unter besonderer Berücksichtigung des Hörfunks als Kommunikationsmedium, Berlin 1990, S. 10)
Die Systematik von HILLEBRAND verdient jedoch wegen ihrer Nähe zu dem neuartigen Märktekonzept des Handels mit seinen drei externen Märkten (Beschaffungs-, Absatz- und Konkurrenzmarkt), zu denen die Out-of-store-Kontaktorte eine gewisse Affinität besitzen, und mit seinem internen Markt (In-store-Kontaktort) Beachtung. Sie müsste allerdings um die genannten Informationsträger und um modifizierte bzw. arteigene Medien für spezielle Beschaffungs-, Konkurrenz- und interne Marktinformationen erweitert werden. 2. Gegen die einseitige Beschränkung des Kommunikationsbegriffs auf Signalaussendung in den Absatzmarkt sind auch semantische Bedenken vorzubringen. Im ursprünglichen Sinne verlangt Kommunikation eine Verbindung zwischen mindestens zwei Subjekten, einen Informationsaustausch. Beim Einkaufs-/Verkaufsgespräch, beim Telefonkontakt liegt eine solche echte Kommunikation vor. Werbung, Verkaufsförderung (sales promotion) und Öffentlichkeitsarbeit (public relations, PR) als Elemente des KommunikationsMix zusammenzufassen, trifft beim industriellen Marketing nur in den seltensten Fällen die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs Kommunikation, da zwischen den für einen anonymen Markt produzierenden Herstellern und den Verwendern ihrer Produkte praktisch keine wechselseitigen Verbindungen mehr bestehen. Mit dem Hinweis, bei der Absatzwerbung für „Markenartikel“ handle es sich um „Einweg-Kommunikation“ oder „einseitige Kommunikation“, mag man sich dialektisch aus der Affäre ziehen. Ein sprachliches Unbehagen bleibt: Wird am Ende alle Werbung, jede Verkaufsförderungsmaßnahme, jede PR-Verlautbarung ohne eine wechselseitige Beziehung zwischen Sender und Empfänger nur zu Kommunikation, weil es so eher wissenschaftlich klingt? Eine psychologische Erklärung liegt nahe ... Hier wird allein aus pragmatischen Überlegungen an dem Begriff Kommunikation festgehalten: Nicht nur wäre Ablehnung einer Diktion, die sich inzwischen durchgesetzt hat, wenig sinnvoll – so zählt die Psychologie beispielsweise bereits jede einseitige Organismus-
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
reaktion auf Umweltreize zur Kommunikation –, sondern aus der Sicht des Handelsbetriebs erscheint der Begriff Kommunikation auch aus drei Gründen recht tauglich: (1) Kommunikation als planvolle informatorische Beziehung ist nicht nur zu den Marktpartnern auf der Absatzseite (Kunden), sondern auch zu den Partnern der anderen drei Märkte (Lieferanten, Konkurrenten, Mitarbeiter) zu unterhalten und zu gestalten. Folglich ist händlerische Kommunikationspolitik darauf gerichtet, das Verhalten nicht nur der Kunden, sondern aller Marktpartner durch Informationsübermittlung zu beeinflussen. (2) Kommunikation bezieht sich im Handel nicht nur auf Informationsübermittlung für bestimmte Waren, sondern auf Waren und Dienstleistungen in beliebiger Auswahl und Kombination (einzelne, ausgewählte oder alle Waren und/oder Dienste als Gesamtleistung des Groß- oder Einzelhandelsbetriebs). (3) Handelsunternehmen kommen, anders als Industrieunternehmen, in echte Kommunikationsbeziehungen mit ihren Marktpartnern. Ihre Sendungen werden grundsätzlich nicht anonym ausgestrahlt und nicht anonym empfangen, sondern es findet ein Informationsaustausch statt: persönlicher Einkauf, persönlicher Verkauf, persönliches Mitbewerbergespräch und persönlicher Informationsaustausch mit Mitarbeitern. Eine interessante neue Form der internen Kommunikation (unter den Mitarbeitern oder zwischen Mitarbeitern und Unternehmensleitung) stellen virtuelle Tagebücher oder Wochenberichte (Online Blogs) dar. Die Mitarbeiter können darin ihre persönlichen Erfahrungen, Verbesserungsvorschläge und Sorgen eintragen, selbstverständlich nur soweit sie für den Unternehmenserfolg relevant sind. Im Gegensatz zu E-Mails sind Blogs gebündelt und somit allen Mitarbeitern zugänglich, aus psychologischer Sicht ein wohlfeiles Mittel zur Stärkung des Wir-Gefühls, des Teamgeists und der Firmentreue. Alles in allem öffnet sich für Händler das ganze Spektrum der psychotaktischen Anlage ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen. Daran ändern auch die in einigen Handelsbereichen abnehmenden persönlichen Kontakte auf den externen Märkten nichts Wesentliches (OnlineBestellsystem; Selbstbedienung; Versandhandel).
4.7.2
Formen der Kommunikationspolitik im Handel
Wenn der Kommunikationspolitik in der Betriebswirtschaftslehre im Allgemeinen die drei Erscheinungsformen Werbung, Verkaufsförderung (Sales Promotion) und Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations, PR) zugerechnet werden, so spiegelt sich darin der herstellerorientierte Marketingansatz. Diese Dreiteilung ist für Groß- und Einzelhandelsbetriebe weniger zweckmäßig, da sie selbst in der Regel nur die Verkaufsförderungsinstrumente der Hersteller einsetzen. Verkaufsfördernde Mittel für Groß- und Einzelhandelsbetriebe, in Abgrenzung von sog. Verbraucher-Promotions und Außendienst-Promotions auch Händler-Promotions genannt, dienen Herstellern bzw. Lieferanten zum verstärkten Absatz ihrer Produkte im Einzelhandel. Händler-Promotions entbehren dabei nicht der psychologischen Fundierung; denn der Einsatz von Display-Material, Dekorationshilfen, mitunter ganzen Schaufenstergestaltungen, Prospekten, Kombipacks, Video-Vorführungen, Verkaufsdemonstrationen, Propagandisten, Werbekostenzuschüssen, Preisausschreiben, Verkaufsprämien für Mitarbeiter, Events usw. soll die Motivation der Einzelhändler zur Listung oder Weiterführung der geförderten Produkte und die Motivation der Mitarbeiter zur betonten Verkaufsanstrengung für die entsprechenden Produkte erhöhen. Als Beispiel für das psychologische Raffinement, mit
4.7 Kommunikationspolitik
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dem die industriellen Verkäufer für den Einsatz eines riesigen Arsenals von Verkaufsförderungsmaßnahmen im Groß- und Einzelhandel geschult werden, mag die Monographie „Königsdisziplin Verkaufsförderung“ (1995) von Gerd Arthur HAISCH gelten. Hier wird den industriellen Verkäufern nahe gelegt, ohne den Hermes-Komplex der Verkäufer im Handel zu agieren. (Mit diesem Komplex soll der Konflikt des Handelsverkäufers umrissen werden, gleichzeitig als Götterbote dem Kunden eine Segnung zuteil werden zu lassen und als Patron der Diebe fungieren zu müssen. Hermes-Komplex – ein hübsches, manchmal zutreffendes, wenn auch fairen Umgang unter Kaufleuten nicht eben widerspiegelndes Wortspiel!) Jedenfalls lässt sich die Fülle von Verkaufsdisplays der Konsumgüterhersteller in jedem Supermarkt beobachten. Dort finden sich Bodenaufsteller, Thekenaufsteller, Paletten-Displays, Präsentationsdisplays (zur Aufnahme von Proben, Teilnahmescheinen, Prospekten usw.) und Dauerdisplays als Regaleinbauten. Hersteller wissen dieses Instrument psychotaktisch geschickt zu nutzen: Je ansprechender die Verkaufshilfen gestaltet sind, desto eher sind Einzelhändler bereit, sie zu einzusetzen. Für Einzelhändler liegen jedoch in zu starker Verwendung von Verkaufsförderungsmitteln Verwässerungsgefahren für das eigene Image. („TanteEmma“ erlag besonders leicht den Verlockungen der Verkaufshilfen: Jeder zweite Außendienstler oder Vertreter platzierte – beredt erhebliche Absatzsteigerungen vorhersagend – seine Präsentationsbox auf der Ladentheke und seine SB-Schütte auf der letzten freien Stelle im Verkaufsraum. Tatsächlich wurde der mit Verkaufshilfe in den Vordergrund gerückte Schoko-Riegel etwas stärker verkauft. Aber zwanzig, dreißig in den Vordergrund gerückte Artikel verwischten zugleich „Tante Emmas“ eigene Sortimentsleistung...). Setzen Handelsunternehmen jedoch eigene verkaufsfördernde Maßnahmen ein, dann sind sie durchaus geeignet, das eigene Image zu stärken. Sie spielen vor allem innerhalb der Verbundgruppen eine Rolle. So entwirft die Garant Schuh AG für ihre Fachhandelsmitglieder vollständige Schaufenster-Gestaltungen und Dekorationshilfen, und zwar für die Eigenmarken der Gruppe. Im Internet-Handel wurde ein besonderes verkaufsförderndes Instrument aus dem Bereich der Absatzpreispolitik eingeführt, das allerdings rechtlich umstritten ist und in einigen Fällen auch für unzulässig erklärt wurde: das Powershopping, auch Co-Shopping genannt. Hierbei müssen sich mehrere Online-Käufer für die Abnahme eines Produkts finden. Kommt die Abnahmemenge in die vom Anbieter vorgegebene Größenordnung oder Staffel, erhält jeder Käufer das Produkt mit einem der Staffel entsprechenden rabattierten Preis. Wegen seiner spezifischen Marktbeziehungen ist für die Kommunikationspolitik des Handelsbetriebs eine modifizierte Systematik vorzuziehen. An die Stelle der Verkaufsförderung trete die handelstypische Märkteinformation (Information der Marktpartner). Somit umfasst die Kommunikationspolitik des Handels im Wesentlichen die fünf Formen − − − − −
Märkteinformation, Werbung, Öffentlichkeitsarbeit/PR, Sponsoring und Persönlicher Verkauf.
Diese Einteilung ist bislang nicht gebräuchlich. Sie ist aber gerade unter psychotaktischen Gesichtspunkten geeignet, die handelsspezifische Kommunikationsvielfalt bewusst zu machen.
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
4.7.2.1 Märkteinformation Unter Märkteinformation soll die gezielte Informationsabgabe des Groß- oder Einzelhandelsbetriebs oder der Handelsvertretung an die Partner auf ihren vier Märkten verstanden werden. Im Sinne der Informationsökonomik nutzt der Handelsbetrieb oder die Handelsvertretung ein Informationsgefälle zwischen sich und den Marktpartnern; man betreibt signaling, d.h. Informationsübermittlung von der informierten an die uninformierte Marktseite. Als planmäßig betriebene Kommunikationspolitik erfordert die Politik der Märkteinformation in zweifacher Hinsicht eine Abgrenzung: a) von der Marktforschung als (primäre oder sekundäre) Märkteinformationsbeschaffung; diese erhebt, sammelt und bereitet Marktdaten für Zwecke der eigenen Information auf, liefert sie aber nicht an die Marktpartner; b) von Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Werbung will bei Marktpartnern Präferenzen für die eigenen Waren und Dienstleistungen hervorrufen – als Absatzwerbung den Kauf angebotener Waren und Dienste, als Beschaffungswerbung die Belieferung mit Waren auslösen oder festigen. Öffentlichkeitsarbeit will bei der Allgemeinheit eine positive Einstellung zum Unternehmen erreichen. Beide liefern aber ebenfalls keine über die eigenen Waren und Unternehmensleistungen hinausgehenden gezielte Informationen für die Marktpartner. Wegen seiner Mittlerstellung hat jeder Handelsbetrieb die Möglichkeit, maßgeschneiderte Informationen an alle Partner auf seinen vier Märkten abzugeben. Hierbei muss indessen noch das Kriterium der zweckgerichteten, planmäßigen Information erfüllt sein, wobei der Zweck primär in der Verbesserung des Informationsstandes der Marktpartner liegt. Somit bleiben hier alle zufälligen und alle routinemäßigen Informationen ausgeklammert. Es verbleiben genug Informationen, die ein Groß- oder Einzelhandelsbetrieb zum Zwecke der Informationsverbesserung seiner Marktpartner entgeltlich oder unentgeltlich abgeben kann. Sie haben vor allem den psychologischen Vorzug, nicht vordergründig als Werbebotschaft oder PR-Maßnahme zu fungieren und als solche erkannt, angenommen oder abgelehnt zu werden. Sie sind die vertrauenbildenden Maßnahmen der händlerischen Kommunikationspolitik. In Übersicht 13 sind einmal ausgewählte Beispiele der handelsbetrieblichen Informationsabgabe an die vier Märkte einer Einzelhandlung zusammengestellt. Viele Möglichkeiten der gezielten Informationsabgabe an die Marktpartner haben gleichzeitig Servicecharakter. Und nicht unähnlich den fast unbegrenzten Möglichkeiten, immer neue Servicearten zu entwickeln, können immer differenziertere und auch innovative Formen der Märktekommunikation eingesetzt werden. Eine psychotaktisch bemerkenswerte Neuerung hatte vor Jahren das Basler Globus-Haus eingeführt: In seiner Lebensmittel-Abteilung wurden Abreißzettel mit Menü-Rezepten für Feinschmecker ausgehängt. Die Rezepte wurden wöchentlich gewechselt. Wer mochte, konnte die Zutaten sogleich in der Lebensmittel-Abteilung erstehen. Für die Kunden lag jedoch durchaus auch ein Reiz darin, die ausgefallenen Rezepte zunächst ohne Zutaten-Kauf zu sammeln. Die Lochung der Rezeptzettel diente als Anreiz zum Sammeln. Neue Kundenschichten unverbindlich und zwanglos an die exzellente Küche heranzuführen, die Sammelleidenschaft einiger Kunden (und damit ihren Wiederholungskauf oder -besuch) anzuregen, die nützlichen Informationen aufbewahrungsfähig zu gestalten, durch die Verbindung von
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unmittelbarem Nutzen mit Gratisabgabe der Information den Kund(inn)en als mündigen Partnern zu dienen – das alles zeigt ein hohes Maß an psychologischem Geschick. Übersicht 13: Exemplarische Inhalte der Märkteinformationspolitik im Einzelhandel Informationsabgabe an den Beschaffungsmarkt: – Absatz-/Umsatzdaten vom POS für Lieferantenartikel (und ggf. für Konkurrenzartikel) – Vorabinformationen über geplante Aktionen, Sonder- und Jubiläumsveranstaltungen – Technische Informationen über Reklamationen/Reparaturen bei Lieferanten- und ggf. Konkurrenzartikeln – an Handelsvertreter/Reisende weitergegebene Kundenwünsche und Nachfragetrends – Lieferanteninformation über eigene Marktforschungsdaten Informationsabgabe an den Absatzmarkt: – Produktbeschreibungen, Qualitätshinweise (an der Ware; im Schaufenster; eigene, ggf. kooperative Gütezeichen) – Preislisten; Vergleichspreise; Preisindizes – persönlich-individuelle Beratung (personal selling) – Produktvorführung (persönlich oder medial über Videocassetten, Bildplatte, CD-ROM, Btx oder Teleshopping) – Ankündigung von geplanten Aktionen, Sonder- und Jubiläumsveranstaltungen – Kundeninformation über Neuigkeiten – Kundeninformation über eigene Marktforschungsdaten Informationsabgabe an den Konkurrenzmarkt: – Bilateraler Datenaustausch oder Gruppen-Datenaustausch über gemeinsame Informationsstelle (Umsatzstatistik, Kollegeninformation über „faule Kunden“) – Betriebsvergleich – Firmenreport (in Verbands- und/oder Fachzeitschriften) – Erfahrungsaustausch (in Erfa-Gruppen; xx-group = experience exchange group) Informationsabgabe an den internen Markt: – Mitarbeiterkonferenzen – Mitarbeiterinformation über interne und externe Kontrolldaten – Mitarbeiterschulung – Hauszeitschrift – Platzierungs-, Präsentations- und Dekorationsempfehlungen – Kalkulationsempfehlungen, Formularsätze, Schaufensterwerbepläne – Informationen von Kooperationszentralen an die Mitgliedsfirmen (In Anlehnung an SCHENK, H.-O.: Marktwirtschaftslehre des Handels, Wiesbaden 1991, S. 315)
Als gelungene Beispiele für Mitarbeiter-Motivation durch innovative Kommunikation kann neben dem bereits erwähnten Online Blogging das über Satellit ausgestrahlte und im Supermarkt oder Warenhaus über einen Decoder, den sog. Spotselector, empfangene individuelle Ladenfunk-Programm gelten. Dem Vernehmen nach bereitet es den Mitarbeitern von Warenhaus- oder Supermarktfilialen viel Spaß, wenn frühmorgens individuelle Grüße oder Glückwünsche zu Geburtstag, Hochzeit, Taufe usw. von der Geschäftsleitung, von Kollegen, Verwandten oder Freunden in das Programm eingeblendet werden. Hat bisher die Informationsbeschaffungspolitik im Vordergrund des Interesses von Handelswissenschaft und Handelspraxis gestanden, so wird die Informationsabgabepolitik in Zukunft an Bedeutung gewinnen; denn die Abgabe von originären Informationen an Lieferanten, Kunden, Mitbewerber und Mitarbeiter stellt ein vorzügliches Bindemittel zwischen dem einzelnen Handelsunternehmen und seinen Märkten dar. Hat sich der Siegesszug der Kooperation im Einzelhandel bislang im Wesentlichen im Bereich des Warengeschäfts abgespielt – mit horizontalen Kooperationsformen wie Einkaufsgenossenschaften, Einkaufsverbände,
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Betriebsvergleich, Gemeinschaftswarenhaus, Gemeinschaftswerbung usw. und mit vertikalen wie Vertragshandel, Freiwillige Kette, Agentur- und Kommissionsagenturgeschäft usw. –, eröffnet die Märkteinformationspolitik neue, umfassendere Kooperationskonzepte neben dem Warengeschäft. Ein immer bedeutsamer werdendes psychologisches Betätigungsfeld im Bereich der Absatzmarktinformation stellt die nonverbale Kommunikation zwischen Verkäufer/Vertreter und Kunde dar. Je zuverlässiger z.B. das Verkaufspersonal im Einzelhandel die nichtsprachlichen Signale der Kunden (Körperhaltung, Mimik und Gestik) interpretiert, desto besser werden Beratung, Verkaufserfolg und Personalleistung ausfallen. Jeder Mensch verfügt über ein gewisses Maß an natürlicher Fähigkeit, Wünsche, Ängste, Emotionen anderer Menschen zu entschlüsseln. In dieser Fähigkeit können und sollten Verkäufer/innen jedoch geschult werden (Kommunikationstraining). Übersicht 14: Nonverbale Indikatoren des Kundenverhaltens Emotionengruppe
Indikatoren
Interesse
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22.
Überraschung
Freude
negative Emotion
Senken der Augenbrauen seitliche Neigung des Kopfes Nicken Blickkontakt Berührung des Produkts Berührung der eigenen Person (primär im Bereich des Kopfes) Vorbeugen des Oberkörpers Distanzverringerung offene Körperhaltung Heben der Augenbrauen weit geöffnete Augen geöffneter Mund Zurückziehen des Oberkörpers offene Körperhaltung Heben der Mundwinkel und Wangen geöffneter Mund offene Körperhaltung Falten auf der Nasenwurzel Senken der Mundwinkel Kopfschütteln geschlossene Körperhaltung weite Distanz
(Quelle: RÜDELL, Monique: Verkaufspsychologie – Käufer lachen öfter, in: handelsjournal, Heft 7/1994, S. 34f.)
Erste verkaufspsychologische Studien weisen zumindest einen Weg zu entsprechender Schulung. So wurde das im Teil 2.2.1 erwähnte facial action coding system FACS von M. RÜDELL modifiziert und in einer empirischen Untersuchung an 800 Beobachtungsfällen im Facheinzelhandel der Parfümerie-, Schuh-, Textil- sowie der Sport- und Freizeitbranche erprobt. Ihre R-FACS-Studie kommt u.a. zu folgenden Ergebnissen: Kundenwünsche können besser erkannt und Kunden bereits vor dem Kontaktschluss deutlich von Nichtkunden unterschieden werden, und zwar anhand von Kombinationen von 22 Indikatoren für die vier in Übersicht 14 wiedergegebenen Emotionengruppen; Verkäuferinnen sind durch die Beachtung des nonverbalen Verhaltens eines Kunden in der Lage, das Verkaufsgespräch zu steuern (vgl. RÜDELL 1993, S. 223). Manche Implikationen der R-FACS-Studie (z.B. Vernachlässigung von Kundengefühlen wie Furcht oder Ekel) und manche Annahmen (z.B. bessere Stimmungsbefindlichkeit, Freude,
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bei Kunden als bei Nichtkunden) wie überhaupt die Generierung von betriebsindividuell sinnvolle(re)n Indikatoren mögen näheren Analysen vorbehalten bleiben. Immerhin ist damit eine fundamentale handelspsychologische Fragestellung der Praxis aufgegriffen worden.
4.7.2.2 Werbung In der absatzwirtschaftlichen Literatur wird Werbung meist in Anlehnung an K.Chr. BEHRENS als eine „verkaufspolitischen Zwecken dienende, absichtliche und zwangfreie Einwirkung auf Menschen mit Hilfe spezieller Kommunikationsmittel“ definiert (BEHRENS 1963, S. 12). Wegen der Beschränkung der Zielsetzung („verkaufspolitische Zwecke“) ist Werbung mit Absatzwerbung identisch – eine Gleichsetzung, die man durchgängig in der Literatur zur Wirtschaftswerbung und zum Marketing antrifft. Für Handelsbetriebe ist es jedoch typisch, dass ihre werbliche Kommunikation nicht nur mit dem Absatzmarkt, sondern auch mit dem Beschaffungsmarkt, dem Konkurrenzmarkt und dem internen Markt stattfindet – Werbung als (die jeweiligen Marktpartner) beeinflussende Kommunikation. Der Handelsbetrieb kennt somit vier Marktrichtungen der Werbung (mit unterschiedlichen Zielen und Zwecken in Klammern): − Beschaffungswerbung (Schaffung von Lieferantenpräferenzen; Anziehung des Warenangebots), − Absatzwerbung (Schaffung von Kundenpräferenzen; Anziehung der Nachfrage nach Waren und Diensten), − Konkurrenzwerbung (Gewinnung von Mitbewerbern für gemeinsame Aktionen; Darstellung von Kooperationsvorteilen) und − interne Marktwerbung (Schaffung von Ladenattraktivität für das eigene Personal; Anwerbung von qualifiziertem Personal). Ohne Zweifel kommt der Absatzwerbung auch in Theorie und Praxis des Handels überragende Bedeutung zu. U. HANSEN macht mit Recht darauf aufmerksam, dass die Beschaffungswerbung – entsprechend der relativ geringen empirischen Relevanz – auch in der Literatur wenig behandelt worden ist (vgl. HANSEN 1990, S. 540). So gut wie keine Beachtung wurde bislang den Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Konkurrenzmarkt und im internen Markt (der Groß- oder Einzelhandelsbetriebsstätte) geschenkt. Auch dies dürfte eine Folge der industriell ausgerichteten Werbepsychologie sein. Mit dem gewählten VierMärkte-Ansatz erfährt die Werbepsychologie des Handels jedenfalls einen Anstoß zur Erweiterung des psychostrategischen und -taktischen Handlungsspielraums.
Für den Handelsbetrieb umfasst Werbepolitik die Gesamtheit der Entscheidungen, die sich auf den optimalen Einsatz von Kommunikationsmitteln zur Erreichung der Werbeziele auf dem jeweiligen Markt des Handelsbetriebs beziehen. Das Abstellen auf Werbeziele und Märkte ist für die Werbung des Groß- oder Einzelhandels ausgesprochen sinnvoll. Eine so weite Fassung des Werbungsbegriffs lässt Raum für die werbenden Kommunikationsbeziehungen auf allen Märkten des Handelsbetriebs mit unter-
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schiedlichen Zielsetzungen und Maßnahmen. Und die Aufnahme des Merkmals Entscheidungen in die Definition der Werbepolitik eröffnet die Unterscheidung in psychostrategische und psychotaktische Werbeentscheidungen. Wenn ein Sektor der Wirtschaft überhaupt psychologischen Analysen unterzogen wird, dann ist es die Werbung. Unübersehbar ist die Zahl der Publikationen, die diese oder jene Hypothese, diesen oder jenen Fall, diese oder jene Rechtfertigung oder diese oder jene Verurteilung enthält. Aus den Testlabors der Werbeagenturen dringen – im Erfolgsfall – Beispiele der neuesten Verführungskunst. In Forschungslabors werden psychische Reaktionen auf Werbeimpulse mittels Polygraphen gemessen (hautgalvanische Reaktionen auch bei manchem Leser auslösend). Die Wissenschaft systematisiert die „Werbepsychologischen Untersuchungsmethoden“ (B. SPIEGEL). Und was die „Geheimen Verführer“ (V. PACKARD) in der Praxis alles treiben – das springt uns von jeder Plakatwand in die Augen, dringt durch alle Zeitungs- und Zeitschriftenanzeigen, schleicht sich als Bandenwerbung in die Fernsehreportage vom jüngsten Fußballmatch oder als product placement in die Fernsehkrimi-Serie und ist unserer Aufmerksamkeit ganz gewiss bei der Kino- und Funkwerbung, der nicht zu entrinnen ist (wenn nicht durch Verweigerung des Kinobesuchs oder des Radiohörens). Es soll aber nicht in Vergessenheit geraten, dass am Anfang aller Werbung, und zwar schon in vorchristlicher Zeit und erst recht im Hochmittelalter, die händlerische Werbung stand: zunächst die akustische Werbung der Ausrufer oder Ausschreier (clamatores; crieurs), die von ihren Verkaufsständen aus oder im Umherziehen, zum Teil durch Glockenschlagen unterstützt, ihre Ware stimmgewaltig anpriesen (reclamare!), später dann – nachdem erst Mitte des 13. Jahrhunderts in Europa Papier hergestellt werden konnte – auch die optische Werbung der „Schreiber“ (Tafel-, Hauswand- und Katalogschrift; Schilder und Embleme) (Vgl. BUCHLI 1970, S. 16f.). Heute sind es meist die Tricks der „Markenartikel“-Werbung, die uns bekannt sind, die geliebt oder geringgeschätzt werden – kaum die sehr viel zahlreicheren, aber weniger spektakulären Werbeaktionen des Groß- oder Einzelhandels. Die Handelswerbung, so scheint es, ist entweder der systematischen Analyse nicht wert – oder zu komplex... Fast das gesamte werbepsychologische Wissen bezieht sich auf die Werbung der Konsumgüterindustrie. Die Werbung des Handels bleibt in den Fachpublikationen meist ausgeklammert. Von wenigen aufsehenerregenden Werbekonzeptionen abgesehen (z.B. von Hertie, IKEA, OBI, Otto, Quelle oder Tchibo), scheinen werbepsychologische Anwendungen des Handels geheimnisvoll im Verborgenen stattzufinden. Lehrbücher und Lexika der Werbung helfen im Großhandel jedenfalls nicht weiter, und für die Einzelhandelspraxis nutzbare Werbehandbücher sind auch nicht eben gang und gäbe (vgl. PFLAUM/EISENMANN 1988 und HAPPEL 1993). Die meisten Werbefachleute, vollauf beschäftigt mit der Jagd nach Millionen-Etats der Industrie, kennen sich in der Einzelhandelswerbung kaum oder gar nicht aus und die meisten Psychologen nicht mit den Besonderheiten der Handelswerbung, die der Differenzierung sowie der Ergänzung der „Markenartikel“-Werbestrategien bedarf (Sortiments- statt Produktbezug; Differenzierung nach Handelsstufen, Handelszweigen, Betriebsformen, Betriebsgrößen und Standorten; Betonung der firmen- und artikelbezogenen Sachinformation und der Preisangaben). Immerhin sind der produktionsorientierten Werbepsychologie konzeptionelle Anregungen zu entnehmen, die auch von Handelsbetrieben genutzt und modifiziert werden können. Als
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Beispiele seien nur die drei grundsätzlichen werbepsychologischen Strategien genannt (nach GUTJAHR 1974, S. 90ff.): (1) Verstärkung von Appetenzen. Appetenzen sind positiv motivierende Faktoren. So müsste sich etwa ein Groß- oder Einzelhandelsbetrieb werblich als äußerst attraktives Beschaffungs- oder Erlebnisziel darstellen. Dies setzt u.a. die Möglichkeiten der Abhebung von Konkurrenten und der Heterogenisierung der Bedürfnisse voraus. Je homogener die Verbraucherbedürfnisse werden und je geringer die Unterscheidbarkeit der motivierenden Faktoren wird, desto schwieriger wird die Appetenzverstärkung für einen Handelsbetrieb. Zum Zwecke der Verstärkung von Appetenzen müssen in der Handelswerbung aus wahrnehmungspsychologischer Sicht im Übrigen eindeutige Identifikationsmuster eingesetzt werden. BEHRENS liefert folgende experimentelle Begründung: „Man benötigt etwa 100 msec., um einen Buchstaben genau zu erkennen. Ein 5buchstabiges Wort wird aber in etwa 200 msec. erkannt, pro Buchstabe sind das nur 40 msec. Das Wort kann in dieser Zeit nicht Buchstabe für Buchstabe gelesen worden sein... Nicht die einzelne Buchstaben werden identifiziert, sondern charakteristische Formmerkmale (Attributtheorie)“, gelernte Identifikationsmuster (BEHRENS 1991, S. 35). Unterschiedliche Identifikationsgeschwindigkeiten wird der Leser bei den Wörtern (a) bAUStoFf-fAcHmArkT
und
(b) Baustoff-Fachmarkt
feststellen. Die Schreibweise (a) ist schwieriger zu identifizieren als (b), da die Zeichenfolge bei (a) ungewöhnlich ist; es konnte sich kein optimales Identifikationsmuster bilden. Um wie vieles wichtiger ist die Widerspruchsfreiheit aller werblichen Reize (Wörter, Farben und Formen), die erst zusammengenommen den einzelnen Betrieb als attraktiven Beschaffungs- und Erlebnisort identifizierbar machen! (2) Abbau von Aversionen. Bei gewerblichen Kunden können latent oder akut vorhandene Aversionen gegen ein Großhandelsunternehmen bestehen, bei Verbrauchern gegen ein Einzelhandelsunternehmen. Nur wenn derartige Aversionen bekannt sind, z.B. aus Nichtkunden-Explorationen, kann die Handelswerbung zu ihrem Abbau eingesetzt werden. (3) Konflikt-Strategie. Eine Konfliktsituation ist durch eine gleichzeitige und gleichgewichtige Existenz von Appetenzen und Aversionen bei den Marktpartnern des Handelsunternehmens gekennzeichnet. Diesen Konflikt kann die Handelswerbung aktualisieren, verstärken. Sie kann aber auch eine Lösungsmöglichkeit bieten. So kann der PlusWerbeslogan „Dein Markendiskonter“ als psychologisch geschickte Lösungsmöglichkeit verstanden werden: Der Markenbewusste, der unbewusst auf vermeintlich hohe Qualität der bekannten Marken vertraut und mit entsprechend hohen Preisen rechnen müsste, bekommt gleichzeitig das Signal für preiswerten Einkauf zu Discountpreisen. Zu den Arteigenheiten der Einzelhandelswerbung, die für die herstellerbezogene Absatzwerbung keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen, zählen beispielsweise die folgenden: − Einzelhandelswerbung kann alle Sinne ansprechen (Gesichts-, Gehör-, Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn);
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
− die persönliche Werbung und die persönliche Bindung von Kunden (z.B. durch Kundenkarten oder Kundenclubs) sind möglich; − die Werbung mit verbindlichen Preisangaben ist möglich; − kürzestfristige Werbeaktionen und -reaktionen sind möglich; − das Ladenlokal selbst dient mit allen seinen Elementen als Werbeträger – ohne Störung von außen; − spezifische Werbemittel stehen zur Verfügung (Tragetaschen, Geschenkverpackung, Etiketten, Proben, Zugaben, Werbegeschenke, Modeschauen, Preisausschreiben, Autogrammstunden mit Prominenten usw.); − teilweise können Streuverluste minimiert werden (Werbebriefe, Telefonofferten, Prospekt- oder Handzettelwerbung, Anzeigenwerbung in Anzeigenblättern, Ladenfunk, Lokalfunk); − teilweise ist ökonomische Werbeerfolgskontrolle möglich (Versandhandel; Teleshopping; Homeshopping; Kundenbefragung); − teilweise ist Interaktion möglich (telefonische Kontakte, z.B. über Minitels in Frankreich, oder elektronische Kontakte, z.B. über electronic mail von Compu Serve Inc., Columbus/Ohio, und Prodigy von Trintex, einem Partnerschaftsunternehmen von Sears Roebuck und IBM in den USA) (BEREKOVEN 1990, S. 270ff.); Direct Response-Fernsehwerbung (DRTV); − Einzelhandelswerbung eignet sich zur Kooperation (horizontale und/oder vertikale Werbekooperation); − Einzelhandelswerbung stellt eine wichtige Image-Komponente dar (Institutionenund/oder Sachwerbung für einzelne Artikel und Dienste). Neben diesen regelmäßig Vorteile gewährenden Spezifika der Einzelhandelswerbung ist allerdings auch eine Reihe von Nachteilen und Problemen zu bedenken. Dazu gehören etwa: − das im Vergleich zur industriellen Werbung meist wesentlich engere Absatzmarktgebiet (lokale, standortabhängige Absatzwerbung); − mangelndes werbliches Knowhow bei Klein- und Mittelbetrieben (Hilfen allerdings durch Verbundgruppen) im Vergleich zu Konzernunternehmen und Großfilialisten mit eigenen Werbeabteilungen und Justitiaren; − kaum Werbeagenturen mit Spezialisierung auf Handelswerbung; − mangelnder Rechtsschutz vor Imitation; − Gefahren der Abmahnung durch Abmahnadvokaten. Wenn nicht alles täuscht (und wenn man die kritische These von der nicht bewiesenen Wirkung unterschwelliger Werbung etwas differenzierter sieht), dann bietet die Komplexität des Zusammenwirkens ungezählter werbender Stimuli in einem einzigen Einzelhandelsgeschäft wohl doch einigen Nährboden für subliminale Beeinflussung. Die „Transportmittel der unterschwelligen Beeinflussung“ können jedenfalls ausnahmslos im Handelsbetrieb genutzt werden: das Wort, das Bild, der Geruch, der Ton, das Greifen, die Schrift, das Licht, die Farbe, die Bewegung, die Raum- und die Zeitnutzung (vgl. WILKES 1980, S. 75ff.). Sonst wäre das Zustandekommen so vieler Spontankäufe, die jedermann aus eigenem Erleben kennt, nicht zu erklären. Allerdings muss man sich der Einschränkung bewusst sein, dass die menschliche Psyche nicht so einfach arbeitet, als dass sie auf jede beliebige unterschwellige
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Nachricht oder Suggestion oder Grifflücke im SB-Regal ohne weiteres und automatisch reagierte. Eine Reihe von Faktoren muss zusammenkommen, bis eine unbewusst aufgenommene Botschaft Wirkung zeigt: Sie muss einfacher Natur sein, auf bestimmte Bedürfnisse treffen und darf Persönlichkeitsprofilen nicht widersprechen (vgl. THOMAE 1972, S. 275, und HELLER 1984). Bei der Werbeplanung im Groß- und Einzelhandel handelt es sich um hochkomplexe Entscheidungsprozesse; denn die wichtigsten Bereiche werbepolitischer Entscheidungen, nämlich Entscheidungen über a) b) c) d) e) f)
Werbeziele, Werbeobjekte (Werbegegenstände), Werbesubjekte (Zielgruppen), Werbeträger und Werbemittel, Werbebudget und Werbezeitpunkt(e),
sind für Beschaffungs-, Absatz-, Konkurrenz- und interne Markt-Werbung nicht identisch, sondern z.T. arteigen, und bedürfen der gegenseitigen Abstimmung und Harmonisierung – dies nicht nur unter kosten- und ertragswirtschaftlichen, sondern auch unter psychologischen Gesichtspunkten. Dabei müssen die werbepsychologischen Aspekte, nach BEHRENS (1991) insbesondere − Wahrnehmung von Werbebotschaften (Wort-, Satz-, Text-, Zeichen-, Personen-, Bild-, Klang-, Farbwahrnehmung; Gestaltbildung, Prägnanz; Wahrnehmungsselektion), − Aktivierung, Emotionalisierung und Motivation durch Werbebotschaften und − Lernen und Vergessen von Werbebotschaften, bei der beeinflussenden Kommunikation auf allen vier Märkten des Einzelhandelsbetriebs berücksichtigt werden.
Die Entscheidungsprozesse der Werbeplanung können im Rahmen dieser Einführung nicht vertieft dargestellt werden. Es muss genügen, exemplarisch einige psychologische Aspekte der werbepolitischen Entscheidungen einschließlich der Implikationen nicht koordinierter strategischer Werbung aufzuzeigen, bevor das Problem der psychologischen Werbeerfolgskontrolle, das sich zum Problem der Kommunikationserfolgskontrolle ausweiten lässt, kurz behandelt wird. a) An den zahlreichen Werbezielen eines Groß- oder Einzelhandelsbetriebes, zu denen vor allem Imagebildung, Präferenzenschaffung auf den vier Märkten, Umsatzerweiterung, Erweiterung des Lieferanten- und/oder Kundenkreises, Kostensenkung durch Ausgleich der Beschäftigungsschwankungen oder durch Erhöhung des Lagerumschlags zählen, interessieren hier nur die psychologischen Aspekte. Grundsätzlich stehen Werbeziele auf den unteren
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Stufen des handelsbetrieblichen Zielsystems; sie sind Zwischen- oder Unterziele zur Erreichung der obersten Unternehmensziele und haben somit derivativen Charakter. Die der Imagebildung, -stabilisierung oder -verbesserung dienende Werbung namentlich des Einzelhandels kann alle psychischen Determinanten des Lieferanten- und Kundenverhaltens ansprechen, so − die kognitiven Determinanten durch Sachwerbung (Artikelnennung und/oder Abbildung, Serviceangabe, Preisangabe usw.) und informative Institutionenwerbung (Abbildung des Geschäftshauses, Lageskizze, Öffnungszeiten usw.); − die affektiven Determinanten durch angenehme Formen, Hausfarben, eingängige Slogans, Musik, Klimatisierung usw.; − die konnotativen Determinanten durch werbliche Verknüpfung von gleichbleibenden, wiederkehrenden „Rahmenbotschaften“ mit ständig geänderten „Inhaltsbotschaften“. In diesem Zusammenhang ist die Verknüpfung von Werbekonstanten mit Werbevariablen (F. KLEIN-BLENKERS) zu beachten. Sie zählt zu den wichtigsten psychologischen Voraussetzungen für erfolgreiche Absatzwerbung im Einzelhandel. Kein anderer Wirtschaftsbereich hat vergleichbar günstige Voraussetzungen, derart wirksame konnotative Reize auszusenden. Das Einzelhandelsunternehmen kann eine gestaltfeste geometrische Form (Kreis, Quadrat, Rechteck, Raute) als wiedererkennbaren optischen Rahmen wählen, innerhalb dessen permanent wechselnde Inhalte beworben werden: einzelne Artikel mit ihren Verkaufspreisen, einzelne Dienstleistungen usw. Entsprechendes gilt für akustische Werbung: „Umrahmt“ von der Werbekonstanten einer Erkennungsmelodie, einem Motiv oder einem Slogan, können wechselnde Werbeinhalte als Werbevariablen dargeboten werden. Dabei können die Werbekonstanten ihrerseits (mehr) kognitiv oder (mehr) affektiv gestaltet sein. Sie tragen durch häufige Wiederholung schließlich zur Konditionierung der Empfänger bei. Ein ansprechendes graphisches Beispiel hatte in den 80er Jahren die OBI-Zentrale entwickelt: ein wegen seiner gleichmäßigen Zackenkontur auffälliges Sägeblatt als Rahmen und im Innern des Zahnkreises von Mal zu Mal wechselnde beworbene Artikel mit Preisangaben. Anders als ein Konsumgüterhersteller, der werblich primär an der Schaffung von Präferenzen für sein Produkt bzw. für sein Produktionsprogramm bei den Verwendern interessiert ist, hat sich ein Groß- oder Einzelhändler werblich um die Präferenzschaffung nicht nur bei potenziellen Kunden, sondern auch bei seinen Lieferanten und bei seinen Mitarbeitern zu bemühen. Und selbst um seine unmittelbaren Mitbewerber sind werbeartige Bemühungen angezeigt. Um Präferenzen bei Lieferanten zu schaffen, bedarf es umso stärker psychotaktisch differenzierten Vorgehens, je schwächer das Groß- oder Einzelhandelsprofil ausgeprägt und je marktstärker die Position des Lieferanten ist. Händler können ihre tatsächlichen oder potenziellen Lieferanten, bei denen es sich in der Regel um Kaufleute und markt- und sachkundige Experten handelt, kaum mit emotionalen Appellen für sich gewinnen. Hier sind Sachinformationen über das eigene Unternehmen förderlicher. Die Dokumentation der Vorteilhaftigkeit des eigenen speziellen Absatzmarkts und des eigenen Kundenkreises für die Lieferantenprodukte muss Überzeugungskraft entfalten. Langfristige Abnahmegarantien, Hinweise auf Großmengenabnahme, kurzfristige, zuverlässige, ggf. bankgesicherte Zahlungsweise, Finanzierungshilfen (aktive Beschaffungsfinanzierung), betonte Warenpflege oder -präsentation, Bereitschaft zur Kooperation mit dem Lieferanten – von dieser Art sind die sachlichen Argumente der Beschaffungswerbung, die den Lieferanten für den betreffen-
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den Einzelhandelsbetrieb einnehmen. Darüber hinaus ist es psychotaktisch von Vorteil, wenn dem beschaffungswerbenden Einzelhändler bzw. Einkäufer die Entscheidungsstruktur und die persönlichen Verhaltensmuster des Lieferanten bzw. seiner Verkäufer bekannt sind (vgl. HANSEN 1990, S. 541) Dass Präferenzen bei den Mitarbeitern geschaffen werden müssen, werden nur wenige Einzelhändler als vordringliche Kommunikationsaufgabe empfinden. Und dennoch spielen Mitarbeiterpräferenzen eine wichtige psychologische Rolle. Nicht nur bei der Personalbeschaffungswerbung, sondern auch als Personalerhaltungswerbung ist entsprechende Überzeugungsarbeit nötig. Bewerber, die sich von der Beschaffungswerbung positiv angesprochen fühlen, und Mitarbeiter, die mit Engagement, mit Wir-Gefühl und Überzeugung für „ihr“ Unternehmen tätig werden, werden zugleich als „Werbeweiterpflanzer“ tätig – nach R. SEYFFERT das Ideal jeder Werbung. Bei den Mitbewerbern können verständlicherweise keine direkten Präferenzen für einen Handelsbetrieb geschaffen werden. Gleichwohl sind werbende Aktivitäten in Bezug auf die Konkurrenten nützlich. Die Botschaften sind anderer Art, und sie benötigen auch keine psychotaktische Medienauswahl. Kollegengespräche, Erfa-Gruppen, Telefonkontakte reichen meist aus, um Konkurrenten für faires Verhalten, für gelegentliche Kollegenlieferung oder für eine der zahlreichen Kooperationsformen (Werbegemeinschaft, Ladengemeinschaft, Parkgemeinschaft, Rabattgemeinschaft usw.) zu gewinnen. Selbst die stummen Botschaften des eigenen fairen Wettbewerbsverhaltens sind geeignet, Konkurrenten positiv zu stimmen. Ein interessantes Beispiel für Kollektivwerbung gab es in den Lokalzeitungen einer westdeutschen Großstadt: Acht kleinere und mittlere Rundfunk- und Fernseh-Fachhändler hatten – als Reaktion auf die vordringende ganzseitige Werbung von Fachdiscountern – eine 1/1Seite mit einer Gemeinschaftsanzeige belegt. Ihre Anzeige bestand aus neun gleichgroßen Feldern. Jedes Unternehmen hatte je eines der acht Außenfelder gestaltet und bewarb vier, fünf Artikel. Im mittleren Feld wurde „unser Gemeinschaftsangebot“ beworben, ein Artikel mit einem „gemeinsamen“ Preis. Die Idee der Gemeinschaftswerbung war vorzüglich: kollegiale Abstimmung der Werbeobjekte, Aufteilung der Seitenbelegkosten in Höhe von rd. 8.000 €, individuelle Firmen- und Anschriftennennung, hoher Aufmerksamkeitswert. Leider fehlte der wettbewerbsrechtliche Rat; denn der einheitliche Preis für das „Gemeinschaftsangebot“ wurde als Preiskartell beanstandet, und die Anzeige trug nicht nur den gewünschten Werbeerfolg ein, sondern auch die Unterlassungsklage eines Abmahnvereins und Bußgelder ... b) Entscheidungen über die Werbeobjekte (Werbegegenstände) sind nach EmpfängerMärkten und nach psychologischen Anforderungen zu differenzieren. Grundsätzlich gilt für die Absatzwerbung, dass die angebotenen Sach- und Dienstleistungen unverwechselbare Eigenschaften haben müssen, um die Kompetenz der werbenden Unternehmung bei größtmöglicher Konkurrenzdistanz verdeutlichen zu können (BARTH/THEIS 1992, S. 414).
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
Werbeobkjekte
Sachwerbung
Institutionenwerbung
(Über-)Informationen (Des-)Orientierung Lebenshilfe/Konsumnot Problem(aus)lösung
Sympathie/Antipathie (Nicht-)Zugehörigkeit
Artikelwerbung
Servicewerbung
Preiswerbung
Abb. 33: Objekte der Handelswerbung und psychologische Resonanzfelder
Als Werbeobjekte kommen einzelne Artikel, Artikelgruppen und Dienstleistungen (zusammengefasst als Sachwerbung oder Einzelleistungswerbung) und das gesamte Sortiment (Institutionenwerbung, Firmenwerbung oder Gesamtleistungswerbung) sowie beliebige Kombinationen aus diesen Elementen in Betracht. Dabei sprechen die Objekte der absatzmarktgerichteten Handelswerbung unterschiedliche (positive oder negative) psychologische Resonanzfelder bei den Umworbenen an (Abb. 33). Artikel- und Preiswerbung sind wegen der einzelhandelstypischen Mischkalkulation psychotaktisch besonders interessant, da sie geeignet ist, ein günstiges Preisimage zu vermitteln; denn die Werbebotschaft kann auf mehrere Ausgleichsnehmer (Artikel mit unterdurchschnittlichem Kalkulationssatz) beschränkt bleiben. Wegen der hohen Bekanntheit einiger Herstellermarken („Markenartikel“) sind eine Auswahl aus ihnen und die werbliche Herausstellung ihrer knapp kalkulierten Verkaufspreise nicht nur speziell für die markenbewussten Kunden anziehend, sondern generell förderlich für ein positives Gesamtpreisimage des Geschäfts. Das gilt insbesondere für Geschäftsneueröffnungen, da künftige Kunden mit den wahrgenommenen Preisen ihre Basis für Preiserwartungen legen (vgl. MÜLLER 2003). Schließlich sind originelle oder begehrte Servicearten wegen ihrer ausgeprägten Profilierungschancen wertvolle Attraktoren (Finanzdienstleistungen, Parkplatzangebot, Kinderhort, Umtausch usw.). Für die Beschaffungswerbung kommen bestimmte Produkte und Produktgruppen ebenso wie das Unternehmen selbst als Werbegegenstände in Betracht. Durch genaue Spezifikationen beschriebene Produkte können sowohl Gegenstand gezielter Beschaffungswerbe-Aktionen sein (z.B. briefliche, telefonische, Fax- oder E-Mail-Anfragen) als auch Gegenstand ungezielter Ausschreibungen oder Suchanzeigen in Fachzeitschriften (Antiquitäten, Kunstwerke, Bücher, Wein) oder Anzeigenblättern. Psychotaktisch höhere Ansprüche sind an die Institutionenwerbung gestellt; denn sie muss versuchen, das Vertrauen eines gewünschten Lieferanten zu gewinnen. In der Argumentation wird es darauf ankommen, den Lieferanten davon zu
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überzeugen, dass gerade sein Produkt bzw. Produktionsprogramm im werbenden Einzelhandelsunternehmen den adäquaten (u.U. lokalen) Absatzmarkt findet. Was die aktive Konkurrenzwerbung betrifft, so kommen eher Verhaltenszusagen als Werbegegenstand in Frage (Wettbewerbsfairness, Alternativdekoration, Sortimentsabgrenzung bzw. -ergänzung u.ä.). Und ähnlich der Werbung um gutes geschäftliches Klima im Verhältnis zu den Mitbewerbern steht auch bei der internen Markt-Werbung Klimatisches im Vordergrund. Das Ladenlokal so angenehm wie möglich (oder so nüchtern wie nötig) zu gestalten, einen freundlichen Umgangston zu pflegen, die Mitarbeiter anzuhören, ihre Kritik und ihre Anregungen aufzugreifen, alles das wirbt für das Geschäft und wirkt auf die Mitarbeiter motivierend – und das jeweilige Gegenteil demotivierend. c) Die Entscheidungen zu der Frage, an welche Personen(gruppen) sich die Werbebotschaft richten soll, die Entscheidungen über die Werbesubjekte (Zielgruppen), scheint für die industrielle Absatzpolitik klar zu sein: Es sollen die Personen des anvisierten Marktsegments umworben werden. Das kann je nach Produkteigenschaft und je nach Kommunikations- und Konsumverhalten ein mehr oder minder enger Personenkreis sein. Namentlich für die „Markenartikel“-Werbung greift man gern auf Ansätze aus der psychologischen Konsumforschung zurück. Wie viele Lebensstil-, Konsumenten- und Hausfrauen-Typologien sind dazu schon entwickelt worden! Nur einige Beispiele seien herausgegriffen: − elf Lebensstiltypen: 1. der autoritäre Arbeiter, 2. der sportliche, aufgeschlossene Facharbeiter, 3. der selbstbewusste, arrivierte Konservative, 4. der spontane, gruppenorientierte Jugendliche, 5. die konventionelle Häusliche, 6. die vielseitig interessierte Selbstbewusste, 7. die moderne Angepasste, 8. pflichtbewusste Rentnerpaare, 9. resignierte unzufriedene Paare, 10. alternativ orientierte intellektuelle Paare, 11. trend- und modebewusste freizeitorientierte Paare (vgl. TROMMSDORFF 1986); − acht Konsumententypen: 1. der Normalkonsument, 2. der Versorgungskonsument, 3. der Sparkonsument, 4. der Anpassungskonsument, 5. der Erlebniskonsument, 6. der Geltungskonsument, 7. der Kulturkonsument, 8. der Anspruchskonsument (vgl. OPASCHOWSKI 1990); − eine wertorientierte Konsumententypologie: 1. der genussorientierte Wertskeptiker, 2. der ausgabenfreudige Genießer, 3. der familienorientierte Sozialtyp, 4. der Wertablehner, 5. der genießerische Egozentriker, 6. der Wertefan, 7. der persönlichkeitsorientierte Alternative (vgl. WINDHORST 1990); − eine Kundinnen-Typologie: 1. die Indolenten, 2. die Sensualisten, 3. die jungen Extremen (vgl. GRÖPPEL 1991). − die 15 Euro-Socio-Styles der GfK: 1. Go-Ahead-Fellows, 2. Free-Thinkers, 3. Reformers, 4. Stabilizers, 5. Pilots, 6. Censors, 7. Eldest, 8. Isolated, 9. Guardians, 10. Preservers, 11. Gamblers, 12. Bonvivants, 13. EasyGoing, 14. Safety-Oriented, 15. Unapproachables (SCHNEIDER 2006, S. 165f.) Die Unschärfe und die Beliebigkeit derartiger Typologien sind offensichtlich, und ihre Überzeugungskraft ist so stark wie das Konstrukt vom „neuen Konsumenten“, der als „hybrider
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Konsument“ gleichzeitig preisbewusst und luxusbetont einkauft: „Kaffee bei Aldi, Kaviar im Feinkostgeschäft“. Für Einzelhändler ist die Frage nach den Werbesubjekten auf dem Absatzmarkt erst recht nicht so einfach – anhand eines „passenden“ Konsumententyps – zu beantworten. Dafür sind zum einen die Handelsverhältnisse in den verschiedenen Branchen, Betriebsformen und an den verschiedenen Standorten zu unterschiedlich, zum anderen die Verhaltensstile (Lebensgewohnheiten) der Kunden mit wenig konstanten, zunehmend wechselnden Verhaltensweisen beim Einkauf. Eindeutig abgrenzbare Kundensegmente sind eher die Ausnahme als die Regel. Aus dem ständigen Wechselspiel raffinierter werdenden (und sich angleichenden) Handelsmarketings der verschiedenen Einzelhandelsbetriebe und der zunehmenden Konsumerfahrung in einer modernen permissiven Gesellschaft weichen überkommene Segmentgrenzen auf. Für die meisten Einzelhandelsbetriebe wäre es geradezu gefährlich, ihr Leistungskonzept nur auf diesen oder jenen Konsumententyp abzustellen. Gewiss sind für einige Einzelhandelsbetriebe relativ scharf abgrenzbare Zielgruppen relevant: Gartenbesitzer für das Garten-Center, Fotoamateure für das Foto-Versandhaus, junge Ehepaare für das „unmögliche Möbelhaus“. Aber sind die Gartenbesitzer oder die Fotoamateure oder die jungen Paare „Anpassungskonsumenten“ oder „konventionelle Häusliche“? Oder beides oder nichts von beidem? Oder sind einige dies, andere jenes? Und welche Kundenkreise soll ein Warenhaus ansprechen (wenn nicht alle)? Die werbliche Konzentration auf ein bestimmtes Kundensegment heißt schließlich Aussperrung der übrigen. Das wäre für ein Handelsunternehmen eine zweifelhafte Richtschnur. Dem steht auch nicht die Tatsache entgegen, dass Sortiment, Image, Firmenphilosophie durchaus die eine oder andere Kundengruppe eher anspricht. Aber die Segmentierung sollte sich de facto durch die Einkaufsstättenwahl der Kunden ergeben, was ja auch tatsächlich immer wieder zu beobachten ist. Ein Bekleidungskaufhaus von C & A Brenninkmeyer, die Fachgeschäfte in der Hamburger Hanse-Passage, das Carsch-Haus von Metro in Düsseldorf oder die Buchhandlung Hugendubel in München mögen in ihrer Kundschaft schichtenspezifische Schwerpunkte ausmachen. Aber werblich eingeladen sind immer alle potenziellen Kunden. Sicher ist nur eines: dass es keine allgemeine Regel für die richtige Zielgruppe gibt. Die Werbeadressaten auf ein Konsumentensegment zu begrenzen, kann im Einzelfall sinnvoll sein. Dann müssen auch geeignete Medien ohne großen Streuverlust zur Verfügung stehen. Den Adressatenkreis möglichst offen zu halten, das ist im Einzelhandel jedoch immer schon die zweckmäßigere Strategie gewesen, ganz im Sinne des Harrod’s-Mottos „omnis omnibus ubique“. Die Auswahl der Werbesubjekte auf dem Beschaffungsmarkt wirft im Allgemeinen keine größeren Probleme auf. Die Aufgabe, beschaffungswerblich aktiv zu werden, stellt sich im Grunde nur bei der Suche nach neuen Lieferanten. Der Kreis der zu umwerbenden potenziellen Lieferanten ist zudem je nach Branche und Betriebsform mehr oder weniger eng und heterogen. Die beschaffungswerblichen Aktivitäten können sich dabei auf die unmittelbar vorgelagerte Stufe des Binnen- oder Importgroßhandels oder (unter Ausschaltung des Großhandels) auf Hersteller erstrecken, die für Direktbelieferung, ggf. für Exklusivbelieferung gewonnen werden sollen. Im Zeichen zunehmenden Qualitätsbewusstseins und des Vordringens von Just-in-time-Systemen auch im Einzelhandel wird in Zukunft die aktive Lieferantenwerbung auf der Grundlage von Einkaufsrichtlinien, Anforderungen an Liefermengen,
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Liefergeschwindigkeit, Lieferzuverlässigkeit und Service als Bestandteil des reverse marketing-Konzepts an Bedeutung zunehmen (vgl. TIETZ 1993a, S. 522). Auf dem Konkurrenzmarkt sind direkte aktive werbliche Bemühungen um Mitbewerber nur ausnahmsweise nötig. Sie kommen immer dann in Frage, wenn es gilt, Partner (im Rahmen des wettbewerbsrechtlich Erlaubten) zur Abstimmung gemeinsamer Belange, beispielsweise hinsichtlich Branche, Sortiment, Personal oder Standortsicherung oder -verbesserung, zu gewinnen. Auf dem internen Markt, der Verkaufsstätte selbst, sind werbliche Bemühungen gerade aus psychologischen Gründen wichtig. Das Warenangebot, das die Menschen im Ladenlokal zum Greifen nahe haben und mit allen Sinnen wahrnehmen können, wirkt als solches bereits werblich – und regelmäßig intensiver als jede noch so ausgeklügelte mediale Werbung (treffend der Firmenslogan „Ludwig Beck – Das Kaufhaus der Sinne“). Deshalb ist das Ladenlokal der geeignetste Ort zur werblichen Unterstützung. Hier kann der letzte Anstoß zum Kauf erfolgen. „Radio P.O.S.“, der Pionier unter den Ladenfunkern, wirbt nicht ohne Grund bei den „Markenartiklern“ mit dem Slogan „Wir bringen Ihren Funkspot dorthin, wo er wirkt“; denn mit „Supermarkt-Radio“ lassen sich 40 bis 60 Prozent Umsatzsteigerungen bei den vor Ort beworbenen Artikeln erzielen. Ende 1993 waren in Deutschland fünf Anbieter von „Supermarkt-Radio“ tätig: − − − − −
Radio P.O.S., Kiel, AKK Business Radio, Ludwigshafen, Radio Null Eins, Frankfurt a.M., ISS Instore Satellite Service, Hamburg, und SCE („IC Radio“), Hamburg (vgl. H.-W. ROTHER: „Guten Morgen, hier sendet Radio Edeka“, in: BAG Handelsmagazin, Heft 10/1993, S. 48f.).
Festzuhalten ist, dass als Werbesubjekte des Ladenfunks alle Menschen in Frage kommen, die sich in der Verkaufsstätte aufhalten – nicht nur die Kunden, sondern auch die Mitarbeiter, Außendienstler, Berater, Handwerker usw. Da die Kommunikationspolitik des Handels grundsätzlich auf vier Märkte bezogen ist, hat das Handelsmanagement bei der strategischen Werbeplanung unbedingt auf eine Koordinierung aller werblichen Aktivitäten untereinander und mit den Unternehmenszielen zu achten. Allerdings stehen nicht nur die unternehmerischen Oberziele nicht zwangsläufig in einem Komplementärverhältnis. Auch birgt nicht-koordinierte Werbeplanung negative Implikationen. Wird beispielsweise Kundenzufriedenheit nur durch extrem günstige Preise erkauft, so kann das Oberziel Rentabilität nachhaltig verfehlt werden. Auch verlangen die Interdependenzen zwischen den vier Märkten ein integratives Gesamtkonzept der Kommunikationspolitik. „So wird etwa eine TV-Werbekampagne ja nicht nur von den Zielpersonen auf Kundenseite gesehen, sondern auch von den Mitarbeitern (und Anteilseignern) dieses Unternehmens. Die in der Kampagne getroffenen Aussagen müssen daher auch das Eigenbild berücksichtigen, das die Mitarbeiter vom Unternehmen haben (sollten). Vermittelt das Unternehmen also etwa in der nach außen gerichteten Kommunikation das Bild eines serviceorientierten, auf jegliche Beschwerden eines Kunden sofort und kulant eingehenden Händlers, im Innenverhältnis aber herrscht bei den Führungskräften keinerlei Bereitschaft, Kritik von Mitarbeitern zu akzeptieren, so wirkt das nach außen dargestellte Bild bei Letzteren ziemlich aufgesetzt und unglaubwürdig. Die Loyalität gegenüber dem Unternehmen ist gefährdet – als Konsequenz kann die Motivation zur Leistungserfüllung gegenüber den Kunden
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sinken, deren Zufriedenheit und in Folge auch die Loyalität nehmen ab, die Rentabilität des Unternehmens leidet.“ (MATTMÜLLER/TUNDER 2004, S. 39) d) Mit den Entscheidungen über geeignete Werbeträger und Werbemittel ist ein weites Feld der Werbepsychologie angesprochen. Auch wenn sich die Werbepsychologie im Wesentlichen nur mit der Absatzwerbung befasst, nicht aber mit Beschaffungs-, Konkurrenzmarkt- und interner Marktwerbung, so ist dieses Feld doch bereits so extensiv beackert, dass hier auch in Kurzform nicht alle Aspekte behandelt werden können. Die Abgrenzung zwischen Werbeträger und Werbemittel ist zunächst kurz zu streifen: Unter Werbeträger sind die „Vehikel“ zu verstehen, mit deren Hilfe die Werbemittel an die Werbesubjekte herangetragen werden sollen. Es sind die Streumedien zur Verbreitung der Werbemittel oder (nach R. SEYFFERT) die werbeunwirksamen Bestandteile der Werbemittel. Beispielsweise ist eine Litfaßsäule der Werbeträger und ein auf ihr angeschlagenes Plakat das Werbemittel. Beide zusammen stellen daher das Medium, den Kanal im Sinne der Kommunikationstheorie dar. Sofern sich Werbeträger und Werbemittel eindeutig trennen lassen, ist bei der Werbeträger-/Werbemittelauswahl aus psychologischer Sicht der sog. rub off-Effekt zu beachten, d.h. die Beeinflussung des Werbemittels durch den Werbeträger. Ist z.B. ein Anzeigenblatt durch eine allzu simple Machart geprägt, etwa durch plumpe Textbeiträge und/oder simple „Billiger-Jakob-Anzeigen“, dann verlöre eine elegant-anspruchsvolle Anzeige in einem solchen Blatt erheblich an Überzeugungskraft.
Werbestreuwege
direkte Streuung
indirekte Streuung
über Nur-WT
über Auch-WT
über Nur-WT
über Auch-WT
z.B. Handzettel (eigene od. fremde Verteilung)
z.B. Postwurfsendung (Fremdverteilung)
eigen (z.B. Schaufenster)
eigen (z.B. Lieferwagen)
fremd (z.B. Plakatsäule)
fremd (z.B. Zeitschrift)
(In Anlehnung an HANSEN/ALGERMISSEN 1979, S. 398) Abb. 34: Werbeträger des Einzelhandels und ihre Streuwege
Die Werbeträger (WT) können unter dem Aspekt ihrer Streuung nach direkten oder indirekten Streuwegen unterschieden werden (Abb. 34). Diese Unterscheidung bezieht sich bei HANSEN/ALGERMISSEN auf die Absatzwerbung, kann im Prinzip jedoch auch auf beschaffungs- und konkurrenzwerbliche Aktivitäten übertragen werden. Im internen Markt dominiert freilich der direkte Streuweg: Die Besucher und die Mitarbeiter im Laden werden
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unmittelbar werblich angesprochen, wobei gerade im stationären Einzelhandel die Besonderheit hinzukommt, dass nicht nur das Ladenlokal mit all seinen sachlichen Bestandteilen und psychologischen Gestaltungselementen, sondern auch das Verkaufspersonal selbst als direkter Streuweg wirkt und dieses somit selbst als effektvoller Werbeträger dient. Die Trennung in Werbeträger und Werbemittel ist allerdings nicht immer hilfreich, und selbst üblicherweise genannte Beispiele wirken gelegentlich gekünstelt und lassen logische Stringenz vermissen. Wenn z.B. die Zeitung Werbeträger und das Zeitungsinserat Werbemittel sein soll, dann ist real beides untrennbar miteinander verschmolzen. Und was ist eine bedruckte Tragetasche – ein Werbeträger (für den Aufdruck als Werbemittel) oder ein Werbemittel (wobei dann der Verwender als Werbeträger fungieren würde)? Welche außerordentliche Fülle von Werbemitteln im Einzelhandel eingesetzt werden kann, mag aus der Zusammenstellung in Übersicht 15 hervorgehen. Diese Zusammenstellung ist gewiss unvollständig. Sie geht jedoch weiter als die meisten Werbemittelaufzählungen in der Marketing-Literatur, die die traditionellen handelsspezifischen Kommunikationsmittel ebenso stiefmütterlich behandelt, wenn nicht sogar völlig übersieht (Schaufensterwerbung, Prospekte, Handzettel, Tragetaschen, Ambiente-Werbung, Personalattraktivität) wie die modernen Kommunikationstechnologien (Telefon, Telex, Teletext, Telefax, Bildschirmtext, Internet, Kleincomputer und Kabeltext) (vgl. zu letzteren TIETZ 1993b, S. 438ff.). Da eine überschneidungsfreie Systematisierung der vielen persönlichen und sachlichen Werbemittel (WM) nicht möglich ist, werden sie nach zwei Merkmalskategorien: − Größe des Adressatenkreises (Einzel- vs. Mengenumwerbung) und − überwiegender Gestaltungsart (sprachlich-klangliche, graphische, demonstrative, theatrische und gegenständliche Werbemittel) in alphabetischer Reihenfolge geordnet. Selbstverständlich können auch mehrere Gestaltungsarten kombiniert eingesetzt werden. Ein originelles Werbemittel, gleichzeitig mehrere Sinne ansprechend, hatte das Kaufhaus Beck zur Eröffnung seiner Kölner Filiale an mutmaßliche Multiplikatoren abgegeben: ein „Handbuch zur Entdeckungsreise für Augen, Nasen, Hände und Ohren“. Es enthielt unter anderem eine waschechte Mini-Unterhose, eine aufgeklebte Hosentasche mit einem echten Ein-Dollar-Schein, eine Parfumprobe, schwarze Dessous-Spitzen, einen Modeschmuck-Anhänger und eine eigens für das Werbebuch produzierte CD.
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Übersicht 15: Traditionelle Werbemittel des Einzelhandels Mittel der Einzelumwerbung a) Sprachlich-klangliche WM Telefongespräch Videocassette Werbegespräch
b) Graphische WM Katalog(zusendung) Prospekt(zusendung) Werbebrief (individualisiert)
c) Demonstrative WM Party-Verkauf Vorführung (auch beim Kunden) Werbung an der Haustür
d) Theatrische WM
Mittel der Mengenumwerbung Ladenfunk Lautsprecherdurchsage Marktschreier/Ausrufer Propagandist Rundfunkwerbung Schallplatte (bzw. CD) Werberede amtliches Fernsprechbuch Anschlagtafel Anschlagplakat Anzeige Außenfrontwerbung Bandenwerbung Beilage Branchenbuch (eintrag) Brief (bogen, -umschlag) Coupon (Waren- oder Wertgutschein; Antwortkarte) elektronische Anzeigetafel Hauszeitschrift, Kundenzeitschrift Katalog (auslage/-verteilung) Kfz.-Beschriftung Kundenzeitschrift Leuchtwerbung/Lichtwerbung Luftwerbung Preisausschreiben Prospektauslage/-verteilung Werbebroschüre Werbekalender Werbeschild (Affiche) Werbezeitung, Werbezeitschrift Werbezettel Bewirtung Flugblatt Gutschein Handzettel Himmelsschreiber Lautsprecherwagen Sponsoring (Kultur-/Sport-/Öko-/Sozialsponsoring) Spruchband Trikotwerbung Verkehrsmittelwerbung Wand-/Fahrzeugbeschriftung Werbeumzug Ambiente-Werbung Aktionen mit Leitthema Diapositiv auf Film (DaF) Dia-Werbung (Stand/Serie) Filmlet (Werbekurzfilm) Kinowerbung Kleiderpuppen im Laden lebendes Schaufenster Tondia Werbefilm Werbevideo (Endlosband) Werbespiel
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Übersicht 15: (Fortsetzung) Mittel der Einzelumwerbung e) Gegenständliche WM Präsent Verpackung Warenprobe Zugabe
Mittel der Mengenumwerbung Ausstellung Degustation Demonstration Display-Material Hausmesse Ladengestaltung Ladenmobiliar Modenschau Präsentation Raumausstattung Schaufenster(auslage) Sonderangebot Tragetasche Vorführung/Anprobe Warenprobe Werbegeschenk Zugabe
Bei vielen der in Übersicht 15 genannten Werbemittel handelt es sich um abstrakte Sammelbegriffe. So verbirgt sich allein hinter dem Werbemittel Ladengestaltung die ganze Fülle der psychotaktischen Einrichtungs-, Klimatisierungs-, Warenpräsenz- und Präsentationsmöglichkeiten, auf die im Abschnitt 4.3 hingewiesen wurde. Oder welche Fülle an Konzepten steht allein zur Schaufenstergestaltung zur Verfügung: Stapelfenster, bedarfsorientierte Fenster, anlassorientierte Fenster, Phantasiefenster, Bühnenfenster, sog. Durchblickfenster (den Durchblick in das Ladenlokal erlaubende Schaufenster), „blinde“ Schaufenster usw. Oder man denke an die ungezählten Gestaltungsmöglichkeiten der Anzeigenwerbung oder an die strategisch ausgerichtete Wahl eines Firmensignets. Zur Anzeigenwerbung sei nur angemerkt, dass neben der Motivwahl und der Anzeigengröße inzwischen Farbe das wichtigste Gestaltungsmittel geworden ist. Selbst kleine Anzeigen erzielen durch den Einsatz von Farbe deutlich höhere Aufmerksamkeit als Schwarz-Weiß-Anzeigen; auch werden sie von den Umworbenen als sympathischer empfunden. Ferner können Farbanzeigen mehr Emotionalität vermitteln und den Status des inserierenden Geschäfts erhöhen. Kaum ein Unternehmen verzichtet auf ein möglichst prägnantes, leicht wiedererkennbares Firmensignet, das sich allenthalben im Außenauftritt verwenden lässt – vom Briefkopf bis zur Außenwerbung. Die Kombination von Hausfarben bietet dabei gute Möglichkeiten zur Abhebung von der Konkurrenz. Die Beispiele begegnen uns auf Schritt und Tritt im Straßenbild: REWE mit Rot-Gelb-Kombination auf weißem Grund, Media-Markt mit schwarz-weißem Schriftzug auf rotem Grund, Galeria-Kaufhof mit Grüntönen, Edeka mit E und Schriftzug in Blau auf gelbem Grund usw. Die psychologischen Wirkungen von Farben und Farbkombinationen sind oft untersucht worden (Farbenpsychologie). Manche Empfehlung für die optimale Farb(en)wahl sollte jedoch zurückhaltend betrachtet werden. Wenn z.B. die Kombination Schwarz-Gelb als besonders auffällig erkannt wurde, dann liegt es nahe, dass die Aufmerksamkeit – etwa bei so gestalteten Zeitungsanzeigen – neutralisiert wird, wenn mehrere oder gar alle Inserenten auf Schwarz-Gelb setzen! Und dass der außerordentliche Gesamterfolg von Aldi nicht auf das Firmensignet zurückzuführen ist, ist leicht bewiesen, unterscheiden sich doch die Signets von Aldi-Nord und Aldi-Süd erheblich: dort schmale einfache rostrote Umrandung des weißen Grunds, hier breitere rot-braune und orange-gelbe Doppelumrandung des blauen Grunds.
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Die eigentlichen Konkretisierungen von Werbemitteln können gar nicht alle aufgezählt werden; denn tagtäglich sind Hunderttausende von Groß- und Einzelhändlern, Werbefachleuten und ausgebildeten Schauwerbegestaltern darum bemüht, immer neue – auch künstlerisch ambitionierte und psychologisch orientierte – Variationen auszutüfteln. Manch gedrucktes Werbemittel erfreut sich großer Beliebtheit bei den Kunden. Man denke an Kundenzeitschriften mit praktischen Tipps wie die Apotheken-Rundschau oder die Kundenzeitschrift "Besser Leben" oder die Ernährungsbroschüren "iss gut!", "Eat this!" und "Iss gut! Kids" des österreichischen Lebensmittelfilialisten Billa. Manches Werbemittel sprengt sogar die herkömmlichen Grenzen. Beispielsweise verzichtet die US-amerikanische Werbezeitschrift "Lucky. The Magazine about Shopping" fast vollständig auf redaktionelle Beiträge; auf 294 Hochglanzseiten bewirbt die Ausgabe April 2007 ausschließlich Modeartikel und Luxusgüter für modebewusste und betuchte Frauen. Andere Werbemittel sind so unscheinbar (und doch psychologisch effizient), dass sie von gestandenen Werbefachleuten womöglich als quantité négligeable empfunden werden. Man denke nur an Werbeaufdrucke auf Feuerzeugen, Zündholzschachteln oder Süßigkeitenpackungen und -dosen oder auf Bierglasuntersetzern und Zuckertüten, auf die sich die ION-Werbung, Mülheim-Kärlich, spezialisiert hat. Solche werblich markierten Kleinteile können von Einzelhändlern als Werbegeschenke an Kunden verteilt bzw. in Restaurants und Cafés eingesetzt werden. Beispielsweise überrascht (und erheitert) die flache, rot-weiß-ovale Zuckertüte – mit aufgedruckter Adresse und Telefonangabe des werbenden Optikers XY auf der Vorderseite und einem „süßen Sehtest“ auf der Rückseite – den Café-Gast für einen kurzen Moment. („Erkennen Sie ...? Wenn nicht, kommen Sie zu uns. Wenn ja, auch.“) Und das kann der Auslösemoment für einen baldigen Besuch beim werbenden Optikerfachgeschäft sein! – Aus der Überfülle der Werbemittel seien hier nur zwei traditionelle Werbemittel des Einzelhandels herausgegriffen und näher betrachtet: Coupons sowie Handzettel und Prospekte. Der im Ausland weit verbreitete Coupon erlebt in Deutschland seit dem Fall des Rabattgesetzes im Jahre 2001 eine Renaissance. Coupons sind Waren- oder Wertgutscheine, die beim ausgebenden Unternehmen, beispielsweise an der Kasse des Einzelhandelsgeschäfts, eingelöst werden. Sie versprechen in der Regel einen Preisnachlass, gelegentlich sogar die Abgabe eines Gratisartikels. Die zahlreichen Ausprägungen der Coupons können nach - Gestaltungsformen (Warengutschein oder Wertgutschein; Ein-Produkt-Coupon oder Mehrprodukt-Coupon; Kaufmenge oder Kaufsumme als Einlösungsbedingung; Einlösungsfrist; unpersönlicher Massencoupon, zielgruppenspezifischer Coupon oder personalisierter Coupon) und - Distributionsformen (Media-Coupon; Leaflet-Coupon; Packungscoupon; Direct-MailCoupon; Instore-Coupon; E-Coupon und auf portable Endgeräte übermittelte M-Coupons) unterschieden werden (vgl. BAUER/GÖRTZ 2003, S. 108-112). Im Normalfall stellt der Coupon ein effizientes Mittel dar, um Kunden zu gewinnen, den Verkauf zu steigern und Verbundkäufe auszulösen (Gutscheinmarketing). Ob auf diesem Wege auch eine Kundenbindung erzielt oder verbessert werden kann, hängt wesentlich von der Coupon-Ausgestaltung ab. Bei Print-Massencoupons besteht die Gefahr, dass Rosinenpicker kaum zu Mehrumsatz beitragen. Bei elektronisch verbreiteten Coupons wie z.B. über das Internet-Forum www.couponlink24.de muss der potenzielle Nutzer allerdings erst einmal auf diese Möglichkeit aufmerksam werden. Eine solche Form des elektronischen Couponings
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eignet sich am ehesten für überregional anbietende Filialunternehmen und Direktvermarkter. Grundsätzlich kann das Management im stationären Handel jedoch mit Hilfe von Coupons Leerlaufzeiten beleben, neue Artikel und Dienstleistungen etablieren und bestimmte Zielgruppen ansprechen. Psychologisch beachtlich ist zweierlei: 1. Der Kunde muss den Coupon ins Geschäft mitbringen. Somit ist er bereits weitgehend kaufmotiviert. 2. Beim Kunden als Coupon-Einlöser werden positive Gefühle ausgelöst: Sofern der Coupon einen Preisnachlass auf alle Artikel gewährt, hat der Kunde – stärker als beim einzelnen Rabatt-Schnäppchen – das Gefühl, „ein gutes Geschäft“ gemacht zu haben. Hinzu kommt beim personalisierten Coupon das Gefühl einer gewissen Exklusivität. Ob das Couponing hierzulande so populär werden wird wie in den USA, wird vom Aufwand bei der Coupon-Nutzung abhängen. Für einige Branchen und Betriebsformen des Einzelhandels stellen Handzettel und Prospekte die wichtigsten Werbemittel dar. Allen voran ist der Lebensmitteleinzelhandel zu nennen, der zwei Drittel seines Werbebudgets für Handzettel- und Prospektwerbung einsetzt. Aber auch die Branchen Heimwerkerbedarf, Möbel-, Textil-, Drogerie-, Sportartikel- sowie Unterhaltungselektronik-Handel sind hier zu erwähnen sowie als Betriebsformen die Warenhäuser, SB-Warenhäuser und Fachmärkte. Während es sich bei Handzetteln um zweiseitige Werbeblätter handelt, bestehen Prospekte aus mehreren gefalzten, geklebten oder gehefteten Seiten. Bei Prospekten mit mehr als 32 Seiten Umfang verschwimmen die Grenzen zum Katalog. Handzettel und Prospekte können auf verschiedenen Wegen verteilt werden: über Zeitschriften, Zeitungen und Anzeigenblätter (jeweils als Beilage), Verteilerkolonnen, Direct Mailing oder als Postwurfsendung. Die Deutsche Post bietet einen besonders attraktiven Service an: Zusammen mit dem 12-seitigen „Einkauf aktuell“, dem wöchentlichen TVProgramm, wird ein aktueller Prospekt, beides in Folie eingeschweißt, als Massenpostwurfsendung an die Haushalte im Einzugsgebiet des Handelshauses verteilt. Dieser Service wird vor allem von Großfilialisten genutzt, z.B. von real, Penny, toom, McDonald’s, Kaiser’s, Aldi Nord und Rewe. Untersuchungen haben wiederholt gezeigt, dass von allen Werbemitteln Prospekte den höchsten Einfluss auf das Kaufverhalten haben. Unter anderem zeigte eine Befragung von 300 Baumarkt-Kunden an einem Montag (nach der Prospektverteilung am vorangegangenen Samstag), dass vier Fünftel der Probanden den Prospekt nutzten und fast ein Drittel der Probanden aufgrund des Prospekts einen Kauf getätigt hatte oder ihn plante (HURTH 2006, S. 116). Gemäß einer GfK-Studie aus dem Jahr 2006 richten sogar 71 Prozent der befragten Kunden in Verbrauchermärkten ihre Einkäufe an Prospekten aus. Dem Vf. wurde eine ebenfalls im Jahre 2006 durchgeführte unveröffentlichte Untersuchung über die Wirkung von menschlichen Gesichtern in Handelsprospekten bekannt. Danach erreichen Farbprospekte mit Gesichtern beim Betrachter signifikant höhere Aufmerksamkeit und größere Sympathie für das werbende Unternehmen als (ansonsten identische) Farbprospekte ohne Gesichter. Dass im Prospekt die abgebildeten Artikel, ihre Preise und Qualitätshinweise dominieren müssen und Gesichter nur vereinzelt eingestreut werden dürfen, höchstens eines je vier Seiten, versteht sich von selbst. Wenn Prospekte mit den Portraits des Firmeninhabers und/oder seiner Mitarbeiter (ggf. mit Nennung der Namen) noch günstiger abschneiden als Prospekte mit anonymen Models, ist ein deutlicher psychologischer Wink für Klein- und Mittelbetriebe. Sie können auf diese Weise gleichsam aus der Anonymität hinter der Ladentür heraustreten und schon in der werblichen Vorkaufsphase Sympathiepunkte verbuchen. Schon wegen der einfachen Befragungsmöglichkeit im Ladenlokal eignen sich Prospekte und Handzettel gut zur Erfolgsmessung. Mit vergleichbarer Genauigkeit ist Erfolgsmessung
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nur noch dem Versand- und dem Internet-Handel zugänglich. Prospekte und Handzettel eröffnen sogar die Chance für psychologische Werbewirkungstests, indem zwei oder mehrere Gestaltungsvarianten mit ihrem jeweiligen Wahrnehmungs- und Kauferfolg verglichen werden. Was die Intensität der Nutzung von Handzetteln und Prospekten betrifft, so hängt sie außer vom Kundentyp (Stammkunde oder Neukunde; qualitäts- oder preisorientierter Kunde) von mehreren Faktoren ab. Grundsätzlich werden Handzettel und Prospekte umso eher beachtet, je stärker sich ein Konsument in einer Informationsphase befindet, je auffälliger und klarer die beworbenen Artikel dargestellt sind und je ansprechender und sympathischer der Handzettel oder der Prospekt (mit Portrait und Name des Firmeninhabers!) selbst gestaltet ist. Von denjenigen Umworbenen, die in der Papierflut ertrinken und daher Handzettel und Prospekte ablehnen, abgesehen – 50 Handzettel und Prospekte pro Woche im Briefkasten sind keine Seltenheit –, können die Anmutungen individuell sehr verschieden sein. Prospekte mit Vierfarbdruck auf hochwertigem Papier und edler fotografischer Darstellung der Artikel mögen eine positive Anmutung und die Übertragung hoher Qualität auf das werbende Geschäft auslösen, zugleich aber vom Kauf abhalten: zu teuer. Andererseits kann ein überladener, auf einfachem Zeitungspapier verwischt gedruckter Prospekt eine negative Anmutung auslösen: billiger Kramladen, den man meiden wird – besonders fatal bei der Werbung für eine Neueröffnung! Für einen Kundentyp sind Handzettel und Prospekte geradezu das ideale Informationsmittel: für den Smart Shopper! Er ist der Typ des Schnäppchenjägers, der gezielt nach günstigen Kaufgelegenheiten sucht und Preisvergleiche anstellt, während der Trust Shopper auf zeitraubende Preisvergleiche verzichtet und in dem Geschäft einkauft, das für ihn über ein günstiges Preisimage verfügt (vgl. KATAPLOG E, S. 101). Liegt die hohe Kunst des Handelskaufmanns in der Mischkalkulation, so wird er sie mit der werblichen Herausstellung der knapp kalkulierten Artikel vollenden. So gesehen, bieten Handzettel oder Prospekte auch für ihn das ideale Forum, um seine Preiswürdigkeit anzukündigen. Im SBWarenhaus erkennt man die Schnäppchenjäger leicht daran, dass sie zuerst die im Eingangsbereich aufgestellten Tische mit den jeweils aktuellen Prospekten ansteuern... Bei der Aufzählung in Übersicht 15 handelt es sich nur um traditionelle, z.T. von alters her bewährte Werbemittel. Indes wurde das Werbemittelspektrum in den letzten Jahrzehnten permanent um neue Medien ergänzt, wie z.B. Fernsehwerbung, Teleshopping, Videoclips, Kundenkarten, Clubkarten (auch für Händlergemeinschaften), Multimediawände, Großflächenprojektion, elektronische Displaytafeln (Infoboards), POS-Terminals, Kiosk-Systeme, CD-ROM, RFID-Anzeige an SB-Einkaufswagen, Online-Werbung (Text-, Katalog- oder grafische Werbung), E-Mail-Werbung, Newsletter-Werbung. Werbemails sind heutzutage weit verbreitet und ein einfaches und kostengünstiges Werbemittel. Da jedoch rund 40 Prozent der weltweit kursierenden E-Mails inzwischen als Spam-Mails klassifiziert und ausgesondert werden, kommt es für den seriösen mit E-Mails werbenden Onlineshop-Betreiber darauf an, die grundlegenden rechtlichen und technischen Anforderungen an Werbemails zu kennen und einzuhalten, wenn er nicht Risiken des Imageschadens, des Schadensersatzes und von Anwaltshonoraren eingehen will. Eigens für seriöse Mailwerber stellt der Bundesverband Digitale Wirtschaft BVDW einen Leitfaden unter www.bvdw.org zum unentgeltlichen Download zur Verfügung. Neuartig sind auch in der Schauwerbung eingesetzte Holographien und Touch Displays. So erregte im Dezember 2005 eine zusammen mit der BildZeitung arrangierte Schaufensteraktion der C & A-Filiale am Berliner Kurfürstendamm Aufsehen. Dort konnten Passanten abends ein lebensgroßes Dessous-Model in Bewegung bewundern. Bei dem Model handelte es sich jedoch nicht um eine reale Person, sondern um
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eine täuschend echt wirkende Holographie. Die Reaktionen der überraschten Passanten wurden von einer Webcam beobachtet und konnten später auf der Website www.seite1girl.de abgerufen werden. Wer in Manhattan bei RALPH LAUREN einkaufen will, braucht nicht einmal das Geschäft zu betreten. Er kann über einen Touchscreen der englischen Firma Visual Planet am Schaufenster die Ware direkt aussuchen und mit Kreditkarte bezahlen. Ralph Lauren hatte den elektronischen Verkaufsgag zusätzlich mit einem Gewinnspiel verbunden: Wer am Schaufenster seine E-Mail-Adresse angab, konnte bis zu 5.000 US-Dollar gewinnen (http://www.bauermedia.com/fileadmin/user_upload/pdf/news/MedienTrendreport_Best_of_ 2006.pdf; Stand: 21.04.07). Vor allem hat das Vordringen des Online-Shoppings im Internet bzw. in Intranets (für die gewerblichen Absatz- und Beschaffungsaktivitäten) zu vielfältigen neuen Formen der elektronischen Kommunikation geführt. Man denke nur an Banner (festgelegte Werbefläche auf einer Internetseite), Blogs oder Weblogs (Webseiten, die ständig neue Einträge erhalten, jeweils an oberster Stelle eingetragen), Leaderboards (zuoberst platzierte festgelegte Werbeflächen auf einer Internetseite), Adverts (kurze Anzeigentexte in Suchmaschinen), Mobile Internet (mobile Kommunikation über Mobilfunk mittels WAP), PopUps (in einem InternetAngebot automatisch eingeblendete Werbefenster), Streaming (Werbefilme/Videos, die bereits beim laufenden Ladevorgang betrachtet werden können) und Wikis (Seitensammlungen, die von den Nutzern gelesen und online geändert werden können). Im Grunde verlangen alle Arten von Online-Werbung ausgeprägtes psychologisches Fingerspitzengefühl. Wer z.B. Adverts bei Google platziert, muss den Text 1. so kurz und prägnant, 2. so zielgruppenspezifisch und 3. so profilierend, d.h. von der Konkurrenz abhebend, wie möglich abfassen, wenn er nicht im riesigen Meer der Websites untergehen will. Er muss die richtigen Suchbegriffe finden und mit wenigen Worten auf den Punkt kommen. Die WirtschaftsWoche schildert in Heft 13/2007, S. 104, ein aufschlussreiches Beispiel: So bewirbt die Suchmaschinenmarketing betreibende Remscheider Online-Apotheke apobuy.de keine Allerweltsartikel. Vielmehr konzentriert sie sich auf die Bewerbung von Medikamenten, über die man nicht gern spricht, etwa Mittel gegen Haarausfall... Wie so oft werden die neuen elektronischen Medien wohl auch für den Handel bald zu Standard-Medien. Aus der Sicht der Handelsunternehmen sind die neuen Medien nicht nur aus Kostengründen interessant, sondern wegen ihrer zwei Hauptanwendungsfelder: 1. Sie sind ein vorzügliches, preiswertes Instrument rascher externer Marktkommunikation mit Verbrauchern und Lieferanten. Sie ermöglichen oder erleichtern den Einsatz der Instrumente des Handelsmarketings. 2. Sie eignen sich vorzüglich als Instrument aktueller interner Marktkommunikation innerhalb eines Handelskonzerns, eines Filialunternehmens oder einer Verbundgruppe. Aus psychologischer Sicht bewirken die neuen Medien Wettbewerbsvorteile, einerseits durch adäquate Ansprache der fortschrittlichen Kunden- und Lieferantenkreise, andererseits durch engere Bindungsmotivation und Erhöhung der Gruppensolidarität innerhalb von Verbundgruppen (Einkaufsgenossenschaften, Einkaufsverbände und Freiwillige Gruppen). Besonders Filialunternehmen und Verbundgruppen des Handels (Einkaufskooperationen, Franchise- und andere Partner-Systeme) als geschlossenen Benutzergruppen kommt die Online-
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Kommunikation via Intranet entgegen; denn hier können sie, über werbliche Informationen hinaus, tagesaktuelle Informationen aller Art austauschen (vgl. FALK/WOLF 1992, S. 383). Die Vielzahl der genannten traditionellen und neuen Werbemittel darf aber nicht den Blick einengen! Denn neben den Werbemitteln haben alle eingesetzten Leistungsfaktoren, alle Leistungsbereiche des Einzelhandelsbetriebs, alle Elemente des Handelsmarketings ihre Werbewirkung, gleich ob gewollt oder ungewollt. Mancher Handelsmanager mag sich darüber nicht im Klaren sein: das freundliche Lächeln einer Verkäuferin, die übersichtliche Warenanordnung, der Ockerfarbton des Auslegeteppichs, die Staffelung der Parkgebühren – alles kann positiv stimmen und die Marktpartner für das Handelshaus einnehmen. Aber alles kann auch negativ stimmen, wenn psychologische Korrektive fehlen: der gelangweilte Verkäufer, die preußische Strenge der Warenanordnung, die Verschleißspuren am Bodenbelag, die Zugluft im Durchgangsbereich zum Parkhaus, der umständliche Suchvorgang beim Internet-Auftritt, die Überflutung mit Online-Werbeappellen und tausend andere Kleinigkeiten. Manche negativen Werbewirkungen sind so sublim (Wahl der Firma; Stimmlage oder Artikulation bei der Werbedurchsage; fehlerhafte Orthographie; aus Kundenprofilen erstellte Kaufvorschläge im Internet oder per E-Mail), dass sie selbst dem aufmerksamen Handelsmanager leicht entgehen, von unbewussten inneren Sperren oder Betriebsblindheit ganz abgesehen. Mitunter bringen empirische Überprüfungen sogar Überraschungsbefunde ans Tageslicht. So deckte eine Analyse der Aufmerksamkeitswirkung von Handelsprospekten des Lebensmitteleinzelhandels durch das Handelsseminar an der Universität zu Köln im Jahre 2006 Erstaunliches auf: Konsumenten empfinden die Prospekte dann als interessanter und die Geschäfte als preisgünstiger, wenn nicht höherpreisige, sondern ausgesprochen niedrigpreisige Artikel beworben werden, z.B. Backpulver einer Billigmarke. Im Übrigen sei das Preisurteil nur für 32% der Verbraucher entscheidend, während 68% der Befragten durch die Gefälligkeit des Prospekts und seine emotionale Ansprache zu einer Kaufreaktion veranlasst werden können. Der psychologisch geschulte Handelsmarktforscher tut daher gut daran, nicht nur das Stärken-Profil, sondern immer auch das Schwächen-Profil des eigenen Betriebs und seiner eingesetzten Werbemittel, die Likes and Dislikes, zu erkunden. Das Einsatzspektrum der Werbemittel hat sich im Handel vor allem durch die Organisation in Verbundgruppen und durch das Vordringen von Filial- und Systemunternehmen (Franchising; Freiwillige Gruppen; Vertragshandel) ausgeweitet. Selbst ehemals für Facheinzelhandlungen aus Gründen der Kosten und der Streuverluste bei überlokaler Reichweite irrelevante Werbemittel sind ihnen nun in Form kooperativer Werbung zugänglich geworden: Kooperationszentralen verbreiten professionell gestaltete Werbebotschaften für die gesamte Gruppe (Gruppenwerbung) als Form horizontaler Werbekooperation längst auch über Funk und Fernsehen, im Internet, als Anzeigen in überregionalen Zeitungen und Zeitschriften, als Bandenwerbung usw. Auch Unternehmen verschiedener Branchen können unter Nennung aller beteiligten Firmen gemeinsam werben (Sammelwerbung). Einzelhandels-, Restaurationsund sonstige Dienstleistungsbetriebe eines Stadtviertels oder nur eines einzigen Straßenzugs können gemeinsam Quartierwerbung betreiben. Damit werden nicht nur die individuellen Kosten der Werbung gesenkt und es können nicht nur auffälligere Werbeformen genutzt und im Internet auch detailliertere und häufig aktualisierte Informationen mitgeteilt werden, sondern gleichzeitig können bei den Bürgern Identifizierungs- und Sympathiereaktionen ausgelöst oder verstärkt werden. Als vorzügliches Beispiel sei der Internet-Auftritt der gewerblichen Anlieger der Berner Länggasse genannt (www.laenggasse.ch). Dort kann der Nutzer
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unter dem Branchen-Rollfenster die angeschlossenen Firmen aufrufen. Mitunter werden, namentlich bei Artikelbewerbung, auch Hersteller oder Großhändler an den Werbekosten des Einzelhändlers beteiligt (vertikale Werbekooperation). (Zu den Ausprägungsformen der kooperativen Werbung vgl. BARTH/THEIS 1991, S. 434-438). Sowohl psychologisch als auch im Sinne modernen kooperativen Handelsmarketings wegweisend war z.B. die TVWerbung der Edeka-Gruppe (mit bis zu 120 Sek. Sendedauer): Im Rahmen einer SympathieStory stellte jeweils ein Prominenter (Rudi CARELL, Michael SCHANZE) als Marktleiter im weißen Kittel „seinen“ blitzsauberen Edeka-Markt und sechs ausgewählte Artikel vor: drei bekannte „Markenartikel“ und drei Edeka-Eigenmarken im Wechsel, alle mit verbindlichen Verkaufspreisen. Die Edeka-Kaufleute waren vorab über die Aktionsartikel, VK-Preise und Sendetermine informiert; sie mussten für die Dauer der Aktion die VK-Preise einhalten. e) Zu den grundlegenden Entscheidungen der Werbeplanung gehören auch Festlegungen des Werbebudgets oder Werbeetats. Die Entscheidungen über die für Werbezwecke in einer Periode zur Verfügung zu stellenden Finanzmittel betreffen namentlich − die Festlegung der Gesamthöhe des Werbeetats und − die sachliche und zeitliche Aufteilung des Werbeetats auf die einzelnen Werbeaktivitäten und Werbemedien. Als betriebswirtschaftliche Orientierungsprinzipien kommen − Bindung an Bezugsgrößen der Vergangenheit (Umsatz, Gewinn, Kostenarten als interne Größen; Werbekosten der Konkurrenz als externe Größen), − Bindung an Bezugsgrößen der Zukunft (Planumsatz, Plangewinn, Plankosten) und − Orientierung an Werbezielen in Betracht (vgl. HANSEN/ALGERMISSEN 1979, S. 393f.). Psychologische Probleme bei der Budgetierung entstehen besonders für Klein- und Mittelbetriebe des Handels – sei es, dass sie Medienwerbung gänzlich vernachlässigen, sei es, dass sie planlos und nur von Fall zu Fall Medienwerbung betreiben, oder sei es, dass sie Aufwendungen für professionelle Gestaltung der Werbebotschaft scheuen. Der geringe Anteil der (im Rechnungswesen ausgewiesenen) Werbekosten des Facheinzelhandels in Höhe von durchschnittlich 1,6% des Umsatzes, den Betriebsvergleiche immer wieder bestätigen, spricht eine deutliche Sprache. Die Frage „Zyklische oder antizyklische Werbung?“ berührt unmittelbar die Unternehmermentalität. Wo keine Werbeplanung mit zeitlicher Aufteilung des Werbebudgets erfolgt, nimmt die Werbeaktivität in Zeiten, in denen sie besonders wichtig wäre, ab. Zur Entlastung des Werbebudgets trägt schließlich, insbesondere für den Facheinzelhandel, die horizontale oder vertikale kooperative Werbung bei. Einem Fachgeschäft ist es in der Regel kaum möglich, für seine Anzeigenwerbung eine ganze Seite in der lokalen Zeitung zu belegen und diese Anzeige – auch bei Inanspruchnahme der Rabatte (nach Mal- oder Mengenstaffel) – wiederholt zu schalten. Beispielsweise kostet für die kombinierten Duisburg-Ausgaben von WAZ und NRZ gemäß der Preisliste Nr. 32, gültig ab 1.1.2007, eine ganze Anzeigenseite in Schwarz-Weiß-Druck 9.625,35 €. Wenn sich 28 Fachgeschäfte zu einer Gemeinschaftsanzeige entschließen, sinkt die Kostenbeteiligung auf 343,76 € für jeden Einzelnen. Auch bei wiederholter Schaltung bleibt man auf diese Weise in überschaubarem finanziellen Rahmen und kann die so gesteigerte Attraktivität des beworbenen lokalen Markts für sich nutzen.
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f) Entscheidungen über die Werbezeitpunkte sind für den sog. Streuplan erforderlich, d.h. Festlegungen, wann in welchem Medium für wie lange geworben werden soll. Sie folgen, z.T. branchenspezifisch, im Allgemeinen bestimmten Werbeanlässen, wie etwa − kalenderbezogenen Anlässen (kirchliche und weltliche Festtage, Saisonbeginn, Ferien, Schlussverkäufe, Sportereignisse), − umweltbezogenen Anlässen (Stadtfest, Zeitungsbeilage), − firmenbezogenen Anlässen (Neueröffnung, Umbau, Jubiläum, Aktion) oder − lieferantenbezogenen Anlässen (Verkaufsförderungsaktion, Jubiläumsangebot). Ein ausgesprochen psychotaktischer Werbevorteil des Einzelhandels – freilich außerhalb der mittel- oder langfristigen Werbeplanung – besteht in der kürzestfristigen Werbereaktion auf aktuelle Ereignisse. So kann z.B. das Sportfachgeschäft unmittelbar auf den Sieg der heimischen Fußballmannschaft reagieren; die Buchhandlung kann am Tage nach einer aufsehenerregenden Fernsehsendung im Schaufenster die Begleitliteratur oder unmittelbar bei Bekannt werden des Nobelpreisträgers dessen Werke ausstellen; weilt der Star-Couturier am Ort, dann kann die Modeboutique seine Modellkleider in der Zeitungsanzeige bewerben oder zur Modenschau einladen. Klein- und Mittelbetrieben, die aktuelle und die Leser interessierende Aktionen durchführen, kommen im Übrigen manche lokale Zeitungen und Anzeigenblätter gern entgegen. Sie berichten über das Event oder eine betriebliche Innovation dann auch schon einmal unentgeltlich im redaktionellen Teil – eine interessante Übergangsform von Werbung zu PR. Für die Planung der Werbezeitpunkte stellen schließlich Zeitungsverlage oder Kooperationszentralen Hilfsmittel zur Verfügung. Zeitungsverlage geben Monatsübersichten über ihre Verlagsbeilagen, Sonderseiten und -veröffentlichungen mit den jeweiligen Themenschwerpunkten heraus. Einkaufsgenossenschaften und andere Einkaufskooperationen bereiten z.B. Terminpläne für Handzettelwerbung vor oder entwerfen Dekorationspläne für ein ganzes Geschäftsjahr. Da sich fast alle Einzelhandelsbetriebe auf wichtige Werbezeitpunkte einstellen, kommt es aus psychotaktischer Sicht umso mehr darauf an, sich von den Mitbewerbern in der Wahl der Werbemittel abzuheben (sofern nicht Mindeststandards von den Marktpartnern erwartet werden, wie z.B. bei der Weihnachts- oder Osterwerbung). 4.7.2.3 Öffentlichkeitsarbeit/PR Während Werbung alle Maßnahmen beinhaltet, die unmittelbar bei den Marktpartnern des Handelsbetriebs Präferenzen schaffen und erhalten sollen, soll Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations, PR) die Voraussetzungen für möglichst große Aufgeschlossenheit der externen Märkte schaffen. Als Äquivalent zur Schaffung von Aufgeschlossenheit auf dem internen Markt wären die Human Relations zu verstehen, d.h. alle Maßnahmen, die der Pflege und Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen im Betrieb dienen – eine Art Öffentlichkeitsarbeit nach innen. Die Öffentlichkeitsarbeit zielt grundsätzlich nicht auf eng abgegrenzte Marktsegmente. Vielmehr wird die gesamte Öffentlichkeit als Kommunikationsempfänger angesehen. Das schließt nicht aus, dass auch bestimmte gesellschaftliche Gruppen und Institutionen als PR-Zielgruppen, sog. Teilöffentlichkeiten, angesprochen werden, z.B. − Gebietskörperschaften (Staat, Land, Gemeinde), − Korporationen (Gewerkschaften, Verbände, Kammern), − Massenmedien (Presse, Film, Funk, Fernsehen),
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− soziale Gruppen (Mitarbeiter und deren Angehörige, Aktionäre, Abgeordnete) oder − informelle Gruppen (Lieferanten, Besucher, Ausbilder, Bedarfsberater) (vgl. PFLAUM/ EISENMANN 1988, S. 174). Es bleibt darauf hinzuweisen, dass Öffentlichkeitsarbeit – auch von Handelsunternehmen – im Allgemeinen öfter strategisch als taktisch eingesetzt wird. Lediglich wegen der gewählten Systematik der Kommunikationspolitik soll sie an dieser Stelle erwähnt werden.
Voraussetzungen für erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit sind (1) spezifische Kommunikationsinhalte, (2) spezifische Kommunikationsmedien (Übertragungskanäle) und (3) eine organisatorische Verankerung im Unternehmen. (1) Als PR-Botschaften eigenen sich alle Aktivitäten und Leistungen eines Einzelhandelsunternehmens, die von einer breiteren Öffentlichkeit positiv eingeschätzt werden. Somit muss einer PR-Maßnahme die (massen-)psychologische Prüfung der Frage vorausgehen, was gemäß den jeweiligen öffentlichen Leitbildern und sozialen Einstellungen der meisten Menschen als positiv bewertet wird. Nicht jede Umsatzsteigerung und nicht jede Filialneueröffnung, die in einer Pressekonferenz mitgeteilt wird, führt per se zur Bildung oder Festigung einer positiven Einstellung zum Unternehmen. Die öffentliche Mitteilung darf weder als vordergründiger Werbeersatz noch als plumpes Selbstlob (miss-)verstanden werden. Andernfalls könnten leicht Kritik ausgelöst oder Abwehrmechanismen (Realitätsleugnung, Sublimination, Überkompensation, Substitution, Verdrängung) hervorgerufen werden. Was erkennbar sein muss, ist die gesellschaftliche Wohltat, die aus dieser oder jener Aktivität des Unternehmens resultiert. Als Faustregel gilt das „Tu Gutes und rede darüber!“, aber selbst beim darüber Reden ist psychologisches Geschick unabdingbar. Die Wochenzeitung Die Zeit berichtete in ihrer Ausgabe Nr. 18 vom 26.4.2007, S. 32, darüber, dass Alexander OTTO die an seiner im Sommer 2000 gegründeten Stiftung „Lebendige Stadt“ geübte öffentliche Kritik abwehren musste, sie diene letztlich nur seiner Firma ECE und der Förderung ihrer Shopping Center. Das dürfte ihm mit Hinweisen auf die für Stadtkultur in Europa ausgegebenen rd. 18 Millionen Euro – u.a. für künstlerische Beleuchtung der Hamburger Speicherstadt, für die Lichteffekte der Neunkirchener Hochöfen, für die Neugestaltung des Leipziger Nikolaikirchhofs oder für den Umbau des Hamburger Jungfernstiegs – gelungen sein. Die PRgeeigneten guten Taten können ganz allgemein sowohl aus sozialen Förderungsaktionen – z.B. Stiftungen, Kunst- und Kulturpreise, Behinderten-, Kindergarten- oder Jugendclubförderung, Patenschaften, Spenden, Katastrophenhilfe usw. – als auch aus betriebsinternen Verbesserungsmaßnahmen – z.B. Einsatz für ökologische Erzeugnisse, Ehrungen, Wettbewerbe oder Erholungseinrichtungen für Mitarbeiter, Einführung eines neuen Modells flexibler Arbeitszeiten, Übernahmequote der Auszubildenden usw. – bestehen. Als Vorbild für überzeugende Öffentlichkeitsarbeit darf seit langem der Migros Genossenschaftsbund (MGB) gelten. Die 1957 eingeführte, dem Vermächtnis Gottlieb DUTTWEILERs entsprechende Selbstver-
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pflichtung des MGB und der einzelnen Migros-Genossenschaften, jährlich ein Prozent des Umsatzes als Kulturprozent in die Förderung kultureller Einrichtungen in der Schweiz einzubringen, wie auch die Arbeit der Duttweiler-Stiftungen und des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) in Rüschlikon, die vier Parks im Grüene, die Monte-Generoso-Bahn sowie das Migros-Museum für Gegenwartskunst in Zürich stellen eine Art Dauer-PR hohen Ranges dar. Aber auch bescheidenere Wohltaten, wie z.B. der Anfang 2007 von Karl-Erivan W. HAUB ins Leben gerufene „Ehrenamtstag“ mit der Freistellung jedes Mitarbeiters für einen Tag, an dem er sich sozial engagiert, dürfen eines positiven Echos in der Öffentlichkeit gewiss sein. (2) Öffentlichkeitsarbeit muss im Allgemeinen auch spezifische Medien der (Massen-) Kommunikation einsetzen. Die Kommunikationsmedien lassen sich in direkte und indirekte Informationsmittel einteilen. Zu den direkten Informationsmitteln zählen – das gedruckte Wort (z.B. Broschüren, Faltblätter, Handbücher für Lieferanten oder Mitarbeiter, Hauszeitschriften, Sozialbilanzen, Festschriften, Image-Anzeigen); – das geschriebene Wort (Kunden- oder Aktionärsbriefe, Rundschreiben); – das gesprochene Wort (z.B. Vortragsveranstaltungen, Reden, Diskussionen, Schulungen, Seminarveranstaltungen); – Bild und Film (z.B. Fotoausstellungen, Diavorführungen, Schautafeln, Firmenfilme, Multimedia-Schauen) und – Informationsveranstaltungen (z.B. „Tag der offenen Tür“ im Lagerbereich oder in den sog. rückwärtigen Diensten, Ausstellungen, Kontaktveranstaltungen). Zu den indirekten Informationsmitteln zählen – Pressearbeit (z.B. Pressemitteilungen, Pressefotos, Pressekonferenzen, Presse-Einladungen); – Kontaktpflege (z.B. Einladungen an Meinungsbildner oder andere bestimmte Personenkreise, Besuche in Redaktionen, Mitgliedschaften) und – Sozialmaßnahmen (z.B. Maßnahmen zur Wohlfahrtspflege, Patenschaften, Spenden) (Nach PFLAUM/EISENMANN 1988, S. 176). (3) Wegen ihrer strategischen Bedeutung für das Ansehen des gesamten Unternehmens ist im Regelfall eine organisatorische Verankerung der PR im Unternehmen geboten. Zwar stehen auch externe Werbe- und PR-Agenturen zur Verfügung. Jedoch liegen für große Handelsunternehmen die Präferenzen bei der betriebsinternen PR-Abteilung; denn die „PRDame“ oder der „PR-Mann“ im eigenen Hause ist stets auf dem aktuellen Stand, identifiziert sich leichter mit der Firmenphilosophie und kann die PR-Maßnahmen inhaltlich, zeitlich und räumlich genau auf die psychostrategischen und -taktischen Maßnahmen des hauseigenen Handelsmarketings abstimmen. Damit die PR-Abteilung gut informiert und frei von hierarchischen Zwängen arbeiten kann, sollte sie der Geschäftsleitung unmittelbar unterstellt oder als Stabsstelle beigeordnet sein. Die PR-Abteilung wäre auch ein angemessener Arbeitsplatz für den Handelspsychologen; zumindest wäre ihre psychologische Beratung ratsam. Verfügen Konzerne und Großunternehmen des Handels meist über PR-Spezialisten mit publizistischer Erfahrung, so wird PR in Klein- und Mittelbetrieben (wenn überhaupt) gleichzeitig mit Einkauf, Verkauf, Märkteforschung und Werbung vom Chef bzw. von der Chefin in Personalunion ausgeübt – kein idealer Zustand. Gleichwohl sollten sich auch Klein- und Mittelbetriebe dessen bewusst sein, dass sie manche PR-Trumpfkarte mit Nutzen ausspielen können –
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sei es, dass der Chef als Präsident eines angesehenen Verbands in der Öffentlichkeit wirkt, sei es, dass die Landesweinkönigin im Geschäft tätig ist. Derartige Informationen nehmen für das Unternehmen ein, nach außen wie nach innen. Sie müssen nur bekannt gemacht werden. 4.7.2.4 Sponsoring Ähnlich wie durch Öffentlichkeitsarbeit kann ein Handelsunternehmen durch Sponsoring die Voraussetzungen für möglichst große Aufgeschlossenheit seiner externen Märkte schaffen, vor allem seiner Absatz- und Beschaffungsmärkte. Als Sponsor beteiligt es sich an den Kosten konkreter kultureller, sozialer, sportlicher oder sonstiger Aktivitäten. Es handelt im eigenen Interesse, jedoch unterliegt Sponsoring, anders als die Öffentlichkeitsarbeit, dem Prinzip „Leistung und Gegenleistung“ (FELSER 2001, S. 22). Der Sponsor tritt bei den geförderten Veranstaltungen oder bei öffentlich wirksamen Projekten mit seinem Namen in Erscheinung. Das unterscheidet ihn vom Mäzen. (Der Tradition des Mäzenatentums, das bedeutende Händler seit dem Mittelalter ausgeübt haben, widmen BAUER/HALLIER (2000) in ihrer reich bebilderten Dokumentation ein eigenes Kapitel „Handel als Kultursponsor“). Und anders als Artikel-, Dienstleistungs- und Preiswerbung zielt Sponsoring auf Werbung für das gesamte Unternehmen. Da der Sponsor somit niemanden zu konkretem Kauf „überreden“ will, sondern – regelmäßig unaufdringlich – Sympathiewerbung für sein Unternehmen oder seine Unternehmensgruppe betreibt, können Aversionen bei den Adressaten minimiert werden. Je nach gesponsortem Anlass trifft der Sponsor sogar auf besonders zugewandte Adressaten, so das Musikalienfachgeschäft, das im Konzertprogramm genannt wird, das Sportgeschäft mit dem Trikotaufdruck für die örtliche Handball-Mannschaft oder die SpielwarenEinkaufsgemeinschaft, die ein Kindermuseum fördert usw. Besonders Handelshäuser, die überregional anbieten, können durch kluges Sponsoring im Internet die immensen Kosten der Printwerbung spürbar umgehen, indem sie als Sponsor auf fremden Webseiten erscheinen. Dies ist in der Regel nicht nur eine kostengünstigere Werbeform, sondern unter Umständen auch eine weniger aufdringliche als ein Werbebanner oder ein automatisch eingeblendetes Werbefenster (PopUp). In Frage kommen bei der InternetWerbung auch sog. Sponsored Links. Sie werden – meist nach vorheriger redaktioneller Relevanzprüfung der Sucheinträge – in einem gesonderten Bereich der Webseite ausgewiesen. Der Werbetreibende muss (erst) bei einem Klick auf seinen Eintrag bezahlen. Das EHI Retail Institute, Köln, bietet Einzelhandelsunternehmen die Möglichkeit, als Sponsoren ihre Leistungen im Rahmen der EHI-Fachkongresse und in der Spitzenveranstaltung „Innovationstag Handel“ einem Fachpublikum vorzustellen. Dafür wurden drei Sponsorships entwickelt (Hauptsponsor, Stand-Sponsorship, Logo-Sponsorship). Am Rande seien zwei psychologische Aspekte des Sponsoring gestreift, die ggf. auch das Handelsmanagement ins Kalkül ziehen mag. 1. Sponsoring kann als Anwendungsfall einer kognitiven Lerntheorie gesehen werden: des Imitationslernens. Vom Sponsoring von Produktanwendungen, etwa von bestimmten Sportartikeln, her ist bekannt, dass jeder sportliche Erfolg mit dem betreffenden Artikel (Fußballschuhe, Skier, Tennisrackets) Verstärkungen einer zu imitierenden Verhaltensweise darstellt. 2. Sponsoring kann auch eine Form der Machtausübung durch Kommunikation darstellen. Kommunikation zielt immer darauf ab, das Verhalten anderer zu beeinflussen. Diese Beeinflussung kann in massiver Weise erfolgen, z.B. durch Befehle, aber auch sehr subtil und unmerklich, z.B. im Rahmen der Markt-
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kommunikation oder der politischen Kommunikation, z.B. bei Wahlkämpfen. (vgl. RAAB/UNGER 2005, S. 197 u. 269). 4.7.2.5 Persönlicher Verkauf Der persönliche Verkauf ist eine Verkaufsform, die durch unmittelbaren Gesprächskontakt des Verkäufers mit einem oder mehreren Kunden zwecks Abschluss eines Kaufvertrags gekennzeichnet ist. Sie unterscheidet sich von den anderen Andienungsformen des Handels (Automatenverkauf, Selbstbedienung, Versandverkauf, Telefonverkauf, Internet-Verkauf) durch den persönlichen Kontakt zwischen Verkäufer und Kunden bei beider Anwesenheit (BÄNSCH 1996, S. 3). Bei dieser Form sozialer Interaktion beeinflussen sich mindestens zwei Akteure gegenseitig. Aus psychologischer Sicht wird das Erleben und Verhalten jedes Beteiligten durch den anderen beeinflusst. Fundiertes Handelsmarketing erfordert zwingend Kenntnisse und Annahmen über das Verhalten der potenziellen Käufer und Käufergruppen. (Was die überaus vielfältigen Strukturansätze und Verhaltensmodelle für nicht-gewerbliche Kunden = Konsumenten und für gewerbliche Kunden betrifft, kann hier nur auf das Standardwerk von BÄNSCH (2002) verwiesen werden). Die Kommunikation zwischen Verkäufer und Kunde ist ein komplexes Zusammenspiel von verbalen und nicht-verbalen Elementen, das der „geborene Verkäufer“ vielleicht unbewusst beherrscht, der „gekorene Verkäufer“ in der Regel lernen und kontrolliert üben muss. Die sprachlichen Kommunikationselemente (Einfachheit, Ordnung, Prägnanz und unterstützende Reize, wie z.B. humorvolle Formulierungen, positive Reizworte und rhetorische Fragen, aber auch Tonfall und Lautstärke der Stimme) eignen sich eher für kognitive Beeinflussung. Zu den bekanntesten Verbalstrategien zählen: •
Alternativfragen („Bevorzugen Sie ein modisches oder eher ein klassisches Stück?“);
•
Suggestion („Auf dieses Unikat sind wir besonders stolz!“);
•
Interpretation („Für Sie bedeutet dieses Gerät mehr Flexibilität und Zeitersparnis!“);
•
Relativierung („Wenn Sie bedenken, welche Ausstattung Sie vor zehn Jahren für diesen Preis bekamen, dann ist das doch eine sehr günstige Investition.“);
•
(zutreffende) Behauptung („Einen strapazierfähigeren Stoff werden Sie nicht finden.“);
•
(fundierte) Argumentation („Die außerordentliche Hautverträglichkeit dieser Creme wurde sogar von der Stiftung Warentest bestätigt.“).
Solche sprachlichen Strategien sind behutsam einzusetzen; denn prinzipiell engen sie die Wahlmöglichkeiten des Kunden ein. Der Kunde muss den Eindruck behalten, eine zwar unterstützte, aber dennoch eigene Wahlentscheidung zu treffen. Die nichtsprachlichen Kommunikationselemente (das gesamte Ladenumfeld, Körpergröße, Haltung, Gestik, Mimik, Kleidung und Düfte) bewirken eher emotionale Beeinflussung. Jeder Verkäufer hat sowohl darauf zu achten, dass seine sprachlichen und nichtsprachlichen Signale widerspruchsfrei beim Kunden ankommen, als auch dessen Signale aufzugreifen und umzusetzen. Oft kann er schon an der Mimik und Körperhaltung des Kunden erkennen, ob seine Argumente Interesse geweckt, Gleichgültigkeit, Langeweile oder gar Ablehnung hervorgerufen haben. Entsprechend muss er ggf. seine Verkaufsargumentation anpassen (Rückkopplung). Im Übrigen kann – oder besser – sollte der Verkäufer die Marktforschung seines Hauses durch Weitergabe des Kundenfeedbacks unterstützen (MATTMÜLLER/TUNDER
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2004, S. 291). Seine Erfahrungen aus den persönlichen Verkaufsgesprächen sind aktuelles und wohlfeiles Knowhow für die Marktforschungs- oder Controlling-Abteilung. Wie jedes Überzeugungsgespräch in Führung und Verkauf kann auch das persönliche Verkaufsgespräch in verschiedene Stufen oder Phasen unterteilt werden. W. CORRELL hat die psychologischen Aspekte auf fünf Stufen des Verkaufsgesprächs näher dargestellt: 1. Stufe: Motivation (Motivierung des Kunden), 2. Stufe: Zielformulierung, 3. Stufe: Spontanverarbeitung, 4. Stufe: logische Verarbeitung, 5. Stufe: Abschluss des Verkaufsgesprächs (CORRELL 1977, S. 63-74). Im Folgenden seien in Anlehnung an HURTH einige Regeln und Verhaltensweisen zu den drei konstitutiven Phasen (a) Kontaktphase, (b) Verhandlungsphase und (c) Abschlussphase kurz beleuchtet (vgl HURTH 2006, S. 173). Für alle drei Phasen gilt der Grundsatz, die Gesprächsführung zwar nicht zu monopolisieren, aber unmerklich zu kontrollieren: „The tactical objective is to control the interview without seeming to.” (GRIKSCHEIT/CASH/CRISSY 1981, S. 102) Diese drei Phasen sind zu ergänzen um die Nachkaufphase (d). Alle vier Phasen sollten im Rahmen der Personalschulung trainiert werden. Zu (a) Der erste Eindruck zählt. Es sollten ein positives Verkaufsumfeld geschaffen und Namen genannt werden. Small Talk bietet sich an. Zu (b): Nicht das Verkaufen, sondern das gemeinsame Problemlösen ist in den Vordergrund zu stellen. Eine nicht zu kleine und nicht zu große Auswahl ist vorzulegen. Die Kunden sollten aktiviert werden durch ausprobieren und anfassen lassen. Die Kunden sollte man bestätigen und loben. Selbstverständlich kennt die Praxis seit langem eine Fülle von verkaufsstimulierenden Kniffen. Die wichtigsten sind als Verkaufsprinzipien bekannt geworden: Reziprozität und Kontrastprinzip, Commitment- und Konsistenzprinzip, Autoritätsprinzip und Ähnlichkeitsprinzip (Näheres bei HURTH 2006, S. 175-179). Zu nennen wären auch der Hinweis des Verkäufers auf erwartete Preissteigerungen; die Schilderung von negativen Szenarien bei Nichtkauf (Einbrüche, Brände, Vandalismus bei Nichtkauf einer Alarmanlage!); die Wiederholung von Verkaufsargumenten, Hinweise auf mangelnde Verfügbarkeit eines Artikels oder auf Käufer, die bereits mit Begeisterung zugegriffen haben; die Erstnennung eines hochwertigen und hochpreisigen Artikels, um einen Ankerpreis zu setzen, gemessen an welchem andere Artikel günstiger erscheinen; oder das Anbieten eines Komplementärartikels (vgl. KIRCHLER 2003, S. 207-211). Manchmal überzeugt auch ein unerwarteter Preisnachlass oder eine unerwartete Dreingabe den potenziellen Käufer – die „That’s not all“-Technik. Diese Technik „funktioniert aber nur so lange, wie das Zugeständnis des Verkäufers als spontan und freiwillig und nicht als Verpflichtung seinerseits erlebt oder ausgehandelt wird.“ (WERTH 2004, S. 93) Verkaufstricks wie dieser oder auch die „Low ballTechnik“ – Vereinbarungen mit Anreizen anbahnen, ohne dahinter stehende Nachteile zu nennen – werden jedoch dem Verständnis vom mündigen Verbraucher nicht unbedingt gerecht. Dasselbe gilt für manche in Schulungen eingebläute Fragetypen wie Suggestivfragen, Alternativfragen, Gegenfragen, Kontrollfragen, Motivationsfragen, rhetorische Fragen usw. (vgl. FOSCHT/SWOBODA 2005, S. 199). Da es kaum ein Verkaufsgespräch ohne Einwände der zunehmend besser informierten oder kritischen Kunden gibt, sollte der Verkäufer sich möglichst umfassend gegen Kundeneinwände (gegen den Verkäufer, gegen die Ware und gegen den Preis) wappnen. Er muss nicht nur höflich und informativ auf berechtigte und unberechtigte, auf sachliche und unsachliche
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Einwände eingehen, sondern er sollte sogar versuchen, über nicht direkt ausgesprochene Einwände etwas in Erfahrung zu bringen und behutsam aufzuklären. In diesem Zusammenhang ist auf die seit längerem bekannten Möglichkeiten der Wendetaktik – Einwandumkehr, -abschwächung, -überspringen, Entkräftung durch Referenz und Widerspruch – hinzuweisen (vgl. FRÖMSDORF 1960, S. 66-74). Wer einen Einwand nicht entkräften oder eine Frage nicht beantworten kann, sollte dies ehrlich zugeben. Ehrlichkeit zahlt sich eher aus als folgender Ratschlag zu tricksen: „Sagen Sie kaltschnäuzig: ‚Danke Ihnen für die Frage. Ich komme darauf später automatisch zurück.’ Klappt immer. Auch wenn Sie nie darauf zurückkommen. Auch gar nicht die Absicht haben, dies zu tun.“ (EHRHARDT/BUSCHMANN 2007, S. 214). Besser greift der Verkäufer, besonders in Verkaufsgesprächen, die mit hohem Beratungsaufwand verbunden sind und den Kunden u.U. vor unangenehme Entscheidungsprobleme stellen, auf Erfahrungen aus der klinisch-psychologischen Beratung zurück. Wie der Therapeut einen Klienten, der unter seiner Anleitung eine psychische Störung zu bekämpfen versucht, durch positive Konnotationen in seinem Verhalten verstärkt – „Ich möchte Ihnen gratulieren! Sie haben mutig durchgehalten, auch wenn sich nicht gleich eine positive Wirkung zeigte.“ –, so kann auch der Berater-Verkäufer seinen Kunden in seinem Verhalten verstärken: „Die Entscheidung ist ja wirklich schwierig. Wenn Sie sich zu dem Artikel X durchringen, werden Sie sehen – es hat sich tatsächlich gelohnt!“ Wenn der Kunde sieht, wie der Verkäufer ihn sieht, beeinflusst das wiederum, wie der Kunde sich selbst im Verkaufsgespräch sieht: kompetent für Problemlösungen. Besonders wichtig sind die anregende Demonstration des Kaufobjekts (und ihrer Alternativen) und eine überzeugende Preisargumentation. Für beides sind ebenfalls zahlreiche Regeln entwickelt worden. Allerdings sind sie aus psychologischer Sicht oft ambivalent. Aus welchen Motiven, mit welcher Befindlichkeit, ob mit Kauf- oder bloßer Informationsabsicht ein Kunde das Geschäft betritt, kann der Verkäufer ihm nicht an der Nasenspitze ablesen. Empfindsame Kunden reagieren nicht nur auf übertrieben höfliches oder unterwürfiges Auftreten von Verkäufern ausgesprochen negativ, sondern u.U. auch auf unverfänglich scheinende Floskeln. Manchem ergeht es vielleicht wie dem Kabarettisten, der bekannte: „Ich kann es einfach nicht mehr hören, dieses ‚Was kann ich für Sie tun?’“. Zu (c): Eine heikle Phase des Verkaufsgesprächs, besonders des intensiven Gesprächs bei technischen oder erklärungsbedürftigen Artikeln, ist diejenige kurz vor dem Abschluss. Da viele Kunden eine so eindeutige Entscheidung wie eine Kaufentscheidung scheuen, vielleicht sogar hinauszuschieben versuchen, sind seitens des Verkäufers sanfter Nachdruck und viel Fingerspitzengefühl gefragt. Der Kunde, der in einer gewissen Spannungssituation steckt, möchte das innere Gleichgewicht wiederherstellen. Sofern das innere Ungleichgewicht nicht durch physiologische Ausgleichsbedürfnisse (homöostatische Triebe) wie Hunger, Durst oder Temperaturausgleich verursacht ist – und das ist es im Normalfall des Verkaufsgesprächs eben nicht –, kann vor dem Spannungsabbau sogar beim Spannungsaufbau nachgeholfen werden. Der Verkäufer kann dem Kunden dezent das Gefühl eines leichten Unbehagens vermitteln, das sich legen wird, wenn er den für ihn „einzig richtigen“ Artikel erwirbt und mit Wertgewinn nutzen wird. Einzuleiten ist der Abschluss erst, wenn Kaufsignale des Kunden erkennbar sind. Unter Umständen können Zusatzverkäufe angeregt werden. Heimzusteller und Verkaufsfahrer, die ohnehin in der entspannten Atmosphäre der Privatwohnungen Gelegenheit zu persönlichen Empfehlungsgesprächen haben, wissen um die Wirkung eines Hinweises auf den einen oder anderen „interessanten“ Artikel, den sie soeben als Son-
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derangebot führen. Wenn sie das Tagesangebot, möglichst auf einem laminierten Blatt, dem Kunden bzw. der Kundin in die Hand geben und wieder zurück erbitten, ist der Erfolg des Spontankaufs fast garantiert... Im Übrigen sind bei der Verabschiedung eventuell angedeutete oder geäußerte Zweifel höflich auszuräumen, um Dissonanzen zu vermeiden. Zu (d): In der Nachkaufphase sollten nach Möglichkeit Konsonanzverstärkungen hergestellt oder Konsonanz bekräftigt werden. Das kann z.B. durch ein Anknüpfungsgespräch beim Wiederholungskauf oder fernmündlich durch einen Dank an den Kunden geschehen, ggf. mit einer Zusicherung, dass der Kundendienst jederzeit zur Verfügung steht. Sinnvoll ist auch eine Anfrage beim Kunden, ob man ihn von Zeit zu Zeit telefonisch oder per E-Mail über ein besonders interessantes Exklusivangebot für Stammkunden informieren dürfe. Stimmt der Kunde zu, kann man die ansonsten verbotene Telefonwerbung einsetzen, freilich maßvoll. Ohne Zweifel werden im persönlichen Verkauf die Weichen gestellt, ob ein Kunde das Geschäft zufrieden verlässt oder nicht, ob er als Stammkunde gewonnen oder gebunden werden kann oder nicht. Daher ist neben der durch Berufs-, Fach- oder Hochschule vermittelten fachlichen Qualifikation eine zusätzliche Verkäuferschulung im Handel unerlässlich. Die vielen Verkaufs- und Gesprächstechniken, manche verkaufspsychologische Kniffe (Kontrast, Konsistenz, Autorität, Ähnlichkeit) oder gar die aus psychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen abgeleiteten „15 Talente der Spitzenverkäufer“ (EHRHARDT/BUSCHMANN 2007, S. 195-206) mögen im Einzelfall hilfreich sein. Sachkompetenz, Höflichkeit, gemeinsames Suchen nach der optimalen Lösung des Kundenproblems und positive Motivation sind jedoch unabdingbare Grundanforderungen an jeden Verkäufer. Was gelegentlich den Best Agers, also betuchten (und kritischen) Kunden zwischen 40 und 50 Jahren, nachgesagt wird, gilt prinzipiell für alle anspruchsvolle Kunden: Sie stellen nicht nur hohe Ansprüche an die Produkte und an die Unternehmen, sondern auch an die Verkäufer. Entsprechen die Verkäufer ihren hohen Ansprüchen auf vernünftige Weise, erhöht sich auch die Motivation dieser Kunden. Sie werden gerne wiederholt in dem betreffenden Geschäft einkaufen und es wahrscheinlich (als SEYFFERTsche „Werbeweiterpflanzer“) weiterempfehlen. Vorgesetzte Handelsmanager müssen ihrerseits darauf bedacht sein, die Verkäufer nicht durch unverträgliche Vorgaben in Konfliktsituationen zu bringen. So können innere Konflikte beim Verkäufer leicht einsetzen, wenn gleichzeitig ein Umsatz-Soll und ein Verkaufszeit-Soll (wg. Arbeitszeitstudien oder Prämien) vorgegeben werden. Konflikte mit dem Kunden sind programmiert, wenn der Verkäufer gleichzeitig intensive Beratungsarbeit und extensive (z.B. durch Umsatzprovisionen angereizte) Verkaufsarbeit leisten soll oder wenn dem Kunden freundliche Bedienung angekündigt wurde, er aber an der Kasse recht harsch aufgefordert wird, seine Einkaufstasche zu öffnen. Ist ein Verkäufer schlicht unsympathisch, arrogant, herablassend oder lustlos, dann „handelt es sich dabei um persönliche Schwächen, die durch kein Training behoben werden können, sondern nur durch Berufswechsel“ (HURTH 2006, S. 182). Beim persönlichen Verkauf hat das Personal über den unmittelbaren Kundenkontakt direkten Einfluss auf das wahrnehmbare Leistungsangebot der Verkaufsstelle. Zur psychologisch entscheidenden Wahrnehmung des gesamten Leistungsangebots tragen aber auch die Mitarbeiter bei, die nicht mit den Kunden in Kontakt treten. Sie üben einen nicht zu unterschät-
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
zenden indirekten Einfluss auf das Leistungsangebot aus. Dazu zählen z.B. auch die Mitarbeiter aus der entfernt liegenden Unternehmenszentrale, die den Warennachschub bewerkstelligenden LKW-Fahrer oder die Regalnachfüller. Vor allem wegen der neuen Technologien (Scannerkassen, Warenwirtschaftssysteme, Energiesysteme für Heizung und Klimatisierung; Training außerhalb der Verkaufsstelle; Rack Jobbing) hat in den vergangenen Jahren in vielen Handelsbetrieben eine quantitative Verschiebung hin zu mehr indirekt tätigem Personal stattgefunden. „Die Folge: Heute arbeiten in Handelsunternehmen mehr Spezialisten mit indirektem Kundenkontakt, die unterschiedliche Daten pflegen, aufbereiten und kontrollieren, als klassische ‚Verkäufer’. Ein Filialleiter übernimmt nur noch in den seltensten Fällen eine Verkaufsaufgabe. In modernen, filialisierten Handelsunternehmen wirkt er eher als Manager, der die Instrumente seines ‚Orchesters’ zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügt.“ (RUDOLPH 2005, S. 76) Daher stellt sich für das moderne Handelsmanagement die Aufgabe, alle Hintergrundaktivitäten so zu harmonisieren, dass im persönlichen Verkauf die Leistungserstellung zur Zufriedenheit der Kunden vollendet werden kann.
4.7.3
Erfolgskontrolle
Eine wichtige Aufgabe (mit erheblichen Messproblemen) stellt die Erfolgskontrolle bzw. Evaluation von psychologisch orientierter Informationspolitik, Werbepolitik und Öffentlichkeitsarbeit dar. Rationales Entscheiden ist ohne Erfolgskontrolle nicht möglich. Erst wenn konkrete, d.h. qualitativ und quantitativ und mit genauem Zeithorizont vorgegebene Kommunikationsziele durch eindeutig zurechenbare Kommunikationsmittel erreicht werden, lässt sich die psychostrategisch oder psychotaktisch zweckmäßige Mittelwahl nachträglich beurteilen. Werden die Ziele nicht erreicht, dann erst können rationale Entscheidungen über die verbesserte Zielvorgabe (Zielrevision) oder über die verbesserte Mittelwahl und -gestaltung (Mittelrevision) getroffen werden. Der Kommunikationserfolg kann in einen außerökonomischen und in einen ökonomischen unterteilt werden. Um den ökonomischen Kommunikationserfolg zu ermitteln, müssten die Aufwendungen und die Erträge isoliert und gegenübergestellt werden, die unmittelbar auf die Kommunikationsaktivitäten zurückzuführen sind. Zur (leichteren) Ermittlung des außerökonomischen Kommunikationserfolgs werden Anzahl und Gruppierung der Kommunikationsempfänger (Rezipienten) ermittelt und zu Kennzahlen aufbereitet. Übersicht 16 gibt ein derartiges Kennzahlensystem (Dispersionszahlen) wieder, das R. SEYFFERT für den Bereich der außerökonomischen Werbeerfolgskontrolle entwickelt hat. Zur Veranschaulichung dient beispielhaft die Anzeigenwerbung einer Buchhandlung für ihren Weihnachtskatalog in der lokalen Tageszeitung TZ.
4.7 Kommunikationspolitik
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Übersicht 16: Werbeerfolgskontrolle mit Hilfe von Dispersionszahlen (nach R. Seyffert) Dispersionszahl
Rezipienten
Adressatenzahl („Werbegemeinte“) Perzeptionszahl („Werbeberührte“) Apperzeptionszahl („Werbebeeindruckte“) Akquisitionszahl („Werbeselbsterfüller“) Propagationszahl („Werbeweiterpflanzer“) Akquisitions-Propagationszahl („Werbevollerfüller“)
Zahl aller Bücherfreunde unter den Lesern der TZ Zahl aller TZ-Leser, die das Inserat gesehen haben Zahl der TZ-Leser, die den Katalog anfordern Zahl der TZ-Leser, die ein oder mehrere Bücher bestellen Zahl der TZ-Leser, die andere auf das Inserat aufmerksam machen Zahl der TZ-Leser, die eine Buchbestellung aufgeben und andere auf das Angebot aufmerksam machen.
(In Anlehnung an SEYFFERT, R.: Wirtschaftslehre des Handels, 5. Aufl., hrsg. von SUNDHOFF, E., Opladen 1972, S. 570)
Gemäß der altbekannten AIDA-Formel können auch bestimmte Teilerfolge der Kommunikation an diversen Rezipientengruppen gemessen werden (Aufmerksamkeits-, Gedächtnis-, Einstellungsveränderungs- und Aktionswirkung). Schließlich wurde eine ganze Reihe von Kennzahlen für den außerökonomischen Werbeerfolg entwickelt. So drückt etwa der Quotient Zahl der Werbeerinnerer × 100 Zahl der Werbegemeinten den sog. Gedächtniserfolg der Werbung aus. Auf diese Kennzahlen kann hier nicht näher eingegangen werden. Es dürfte jedoch einsichtig geworden sein, dass die empirische Feststellung der Ausgangswerte für derartige Quotienten für alle Kommunikationsobjekte, -subjekte und -medien weder möglich (Zahl der PR-Erinnerer?) noch sinnvoll ist (Zahl der Weiterpflanzer der Lieferanteninformation?). Was die Messung des ökonomischen Kommunikationserfolgs betrifft, so stehen Groß- und Einzelhandelsbetriebe sowie Handelsvertretungen vor einer schwer lösbaren Aufgabe. Die Messproblematik resultiert in der Praxis nicht nur aus mangelnder Operationalisierbarkeit oder gar mangelnder Existenz der Zielvorgaben und/oder des Mitteleinsatzes, also unzureichender Kommunikationsplanung, sondern auch aus handelstypischen verzerrenden Effekten: – Die Wirkperiode der Kommunikation ist kaum exakt abgrenzbar – das Problem der zeitlichen Weiterwirkung in die nächste Periode (carry-over-effect); – die Kommunikationswirkung klingt mehr oder weniger rasch ab, ohne dass der Abschwächungsprozess als solcher exakt ermittelt werden könnte (decay-effect); – die Kommunikationswirkungen strahlen über den angepeilten Zielbereich (Kommunikationssubjekte, Kommunikationsobjekte) hinaus in andere Bereiche, und zwar sowohl die psychologisch positiven wie die negativen (Irradiationseffekt; spill-over-effect); – vom Handelsbetrieb werden jederzeit unzählige Kommunikationsbotschaften gesendet, so dass die Wirkung einer einzelnen Kommunikationsbotschaft in der Regel nicht isoliert werden kann (Verbundeffekt); – Aktionen der Marktpartner (Lieferanten, Kunden, Konkurrenten, Mitarbeiter) werden durch Umwelteinflüsse oder durch Zufälle (Wetter, Katastrophe, politisches Ereignis usw.) ausgelöst, wodurch der reine Kommunikationseffekt überlagert wird (Zufallseffekt). Im Allgemeinen kann daher der externe Kommunikationserfolg nur tendenziell erkannt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass auf jegliche Erfolgskontrolle verzichtet werden darf. Im Gegenteil. Selbst Hilfslösungen sind besser als kein Kontrollversuch. Und dafür stehen
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
durchaus Methoden zur Verfügung, wenn auch in verschiedenen Branchen, Betriebsformen und Betriebsgrößen und für verschiedene Standorte unterschiedlich greifende Methoden, wie etwa Lieferanten-, Kunden- und Konkurrentenbefragungen, Beobachtung der Kundenfrequenz und des Kundenverhaltens (vgl. BARTH/THEIS 1992, S. 415), Betriebs- und Filialvergleiche, Auswertung von Couponrücklauf oder Beteiligung an Preisausschreiben, telefonische Bestellungen, Propagandisten-Erfolg usw. Trotz aller Messschwierigkeiten bieten sich mitunter relativ einfache und zuverlässige Kontrollmöglichkeiten an. Hier sind der Versandhandel und der Internet-Handel prinzipiell im Vorteil; denn ihre Katalog- bzw. Websitegestaltung wird unmittelbar durch Mehr- oder Minderbestellungen belohnt oder bestraft. Besonders im Zeitvergleich der Katalogabfolge wird die bessere oder schlechtere Kommunikationswirkung deutlich. Ein Universalversender mit gehobenem Sortiment berichtete beispielsweise, dass die Bestellungen für einen qualitativ und preislich völlig unveränderten Artikel (Gardinen) von einem Katalog zum nächsten signifikant zugenommen hatten. Man hatte nach mehrjähriger gleichbleibender Bilddarstellung – also ceteris paribus – nur eine scheinbar unbedeutende Modifikation der bildlichen Darstellung vorgenommen: Anstelle der streng und langweilig herabhängenden Gardine vor dem Kulissenfenster wurde die Gardine durch einen Windstoß bewegt. Durch diese Illusion der Bewegung wurden gleich mehrere positive Effekte erzielt: erhöhte Aufmerksamkeit, gesteigerter Eindruck von Freundlichkeit und Frische sowie Mehrumsatz. Vor allem wurde der psychotaktische Kommunikationserfolg durch Isolation und Vergleich messbar. Eine Untersuchung zur Textverständlichkeit in Versandhauskatalogen ergab das psychologisch aufschlussreiche Ergebnis, dass im Bereich modischer Textilien die mit Fremdwörtern verbundene erschwerte Verständlichkeit nicht notwendigerweise zugleich erschwerte Verkäuflichkeit bedeutet. Im Gegenteil: Durch gezielte Verwendung von Mode-Fachbegriffen wie Satin-Finish, Glencheck, changierend, twill, Bandeaux, gecrasht, moiré usw. ließ sich der Umsatz bei den entsprechenden Artikeln spürbar steigern (vgl. M. STRÜBING: Kundengerechte Textgestaltung, in: ZfB, Heft 2/92, S. 159ff.). Verhältnismäßig günstig steht es um die Kontrolle des internen Kommunikationserfolgs. Im Geschäftslokal stehen nicht nur mehrere Verfahren zur Beobachtung (von Besuchern und Mitarbeitern) zur Verfügung. Es können auch ohne großen Aufwand schriftliche, mündliche oder telefonische Befragungen durchgeführt werden (Explorationen). Aus psychologischer Sicht und nach wiederholter Bestätigung aus der Praxis geben Besucher im Allgemeinen sogar gern Auskunft. Von wenigen Ausnahmen (der eiligen oder verschlossenen Menschen) abgesehen, fühlen sich die Interviewten „für voll genommen“; es schmeichelt ihnen, durch ehrliche Meinungsäußerung womöglich Einfluss auf die Sortimentsgestaltung, auf die Präsentation, auf den Service usw. nehmen zu können. Bei der internen Kommunikationskontrolle verfügt jeder Einzelhandelsbetrieb über einen ausgesprochenen Pluspunkt: Jede Betriebsstätte bietet nämlich selbst die Basis zum permanenten Feldexperiment. Ist das Experiment ganz allgemein durch die Wirkung der kontrollierten Veränderung einer Variablen gekennzeichnet, so kann im Handelsbetrieb jeder einzelne Einsatzfaktor für eine bestimmte Zeit verändert und die Wirkung der Veränderung vergleichend mit der Vorperiode (oder für dieselbe Periode mit anderen Betrieben ohne die Faktorvariation) festgestellt werden.
4.7 Kommunikationspolitik
269
Das von der Marktforschung entwickelte Kontrollverfahren vom Typ EBA-CBA kann in vielen Fällen angewendet werden. Es trennt die Experimentwirkung von der übrigen Marktentwicklung. Dazu müssen zwei Gruppen – Experimentgruppe E und Kontrollgruppe C – zu zwei verschiedenen Zeitpunkten – vor der Faktorwirkperiode (B) und nach bzw. während der Faktorwirkperiode (A) – untersucht werden. Als Beispiel mögen zwei strukturgleiche Lebensmittel-Filialen dienen. In Filiale I (E) wird für eine Yoghurt-Sorte für die 35. Kalenderwoche eine Zweitplatzierung als Experiment gewählt, in Filiale II bleibt es bei der üblichen Einfachplatzierung. Lautet der Yoghurt-Absatz für Filiale I (C) in der 34. Kalenderwoche (oder im Durchschnitt der vier vorangegangenen Wochen; B) 80 Becher und in der 35. Kalenderwoche (A) 120 Becher, für Filiale II entsprechend 80 und 85, dann errechnet sich der um die Markttendenz bereinigte Zweitplatzierungserfolg als (120 – 80) – (85 – 80) = 35 Becher (Mehrabsatz). Da im Bereich Milcherzeugnisse alles andere gleich geblieben ist und auch weder eine Werbeaktion noch eine Preisvariation durchgeführt wurde, kann der Mehrumsatz als der in Geldeinheiten umgerechnete Mehrabsatz als erster Indikator für den ökonomischen Experimenterfolg angesehen werden. Es ist allerdings mit Recht darauf hingewiesen worden, dass die Ergebnisse aus einfachen Vorher-Nachher-Messungen mit kritischer Distanz und interpretatorischer Vorsicht bewertet werden sollten (vgl. von ROSENSTIEL/NEUMANN 1988, S. 224). Zur Berechnung des exakten ökonomischen Erfolgs müssten jedenfalls noch Mehrerträge und Mehrkosten (der Zweitplatzierung), Grenzerträge und Grenzkosten, berechnet und verglichen werden. Die interne Kommunikationskontrolle kann ferner auf ein höchst interessantes Messkonzept zurückgreifen, das ursprünglich in der mikroökonomischen Theorie entwickelt wurde: die Messung von Elastizitäten als Ausdruck von Verhaltensänderungen. Ausgehend von der Preiselastizität der Nachfrage eP bzw. der Nachfrageelastizität in Bezug auf den Preis, d.h. das Verhältnis von infinitesimaler Absatzänderung des Gutes 1 bei infinitesimaler Änderung seines VK-Preises, ausgedrückt durch die Formel eP =
δQ1 , δP1
und von der Kreuzpreiselastizität der Nachfrage keP, d.h. der infinitesimalen Absatzänderung des Gutes 1 bei einer infinitesimalen Änderung des Preises für ein Gut 2, ausgedrückt durch die Formel ke P =
δQ1 δP2
können weitere Elastizitätskoeffizienten als Kontrollinstrument der Kommunikationspolitik entwickelt werden. In Betracht kommen: − − − −
Preiselastizitäten des Angebots, Kreuzpreiselastizitäten des Angebots, Werbeelastizitäten oder Kreuzwerbeelastizitäten der Nachfrage,
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
wobei die Kreuzelastizitäten für Verbundartikel und Verbundkäufe aufschlussreich sind. Im Prinzip ist die Elastizitätsmessung auf alle Instrumente des Handelsmarketings und alle Marktpartner anwendbar: Serviceelastizität, Verkaufsflächenelastizität, Frontstreckenbzw. Platzierungselastizität der Lieferanten, Konkurrenten und Kunden usw. mit entsprechenden Kreuzelastizitäten. (Zu elastizitätsorientierten Kennzahlen für das Space Management vgl. MÖHLENBRUCH/MEIER 1994, S. 191). Vor allem ermöglicht dieses Kontrollinstrument die Überprüfung der Wirksamkeit psychotaktischer Maßnahmen. Namentlich für Einzelhandelsbetriebe, die über Scanner verfügen, ist es ein Leichtes, artikel- und tagesgenaue Kontrolldaten zu erhalten. Wird beispielsweise die Preisoptik geändert, z.B. Ergänzung der gewöhnlichen Regalpreisauszeichnung durch ein auffälliges Preisplakat, dann brauchen nur die durchschnittlichen Tagesumsätze des Artikels mit dem neuen Tagesumsatz nach Einführung des Plakats verglichen zu werden, um den Erfolg oder Misserfolg der preispsychologischen Maßnahme festzustellen. Entsprechendes gilt für psychotaktische Variationen der Kommunikationsinhalte oder -medien.
4.8
Personalverhaltens- und Arbeitsgestaltungspolitik
Auch wenn die Hektik des händlerischen Tagesgeschäfts mitunter den Eindruck entstehen lässt, dass hier die Ware, dort die Werbung oder die Preispolitik die vordringlichste Aufgabe darstelle, darf doch nicht übersehen werden, dass die im Handelsbetrieb tätigen Menschen im Mittelpunkt stehen. Die Entwicklung jedes Unternehmens wird von Menschen getragen. Für deren Handeln ist entscheidend, ob und wie sie motiviert sind. Als Quellen für die zu Arbeitszufriedenheit führende Mitarbeitermotivation kommen im Wesentlichen sechs Dimensionen in Betracht: 1. die Aufgabe, 2. die Führung, 3. die Organisation, 4. die Gruppe, 5. die Gesellschaft und 6. das Ich (RUDOLPH 2005, S. 162). Die mitarbeitenden Menschen dürfen keinesfalls nur als lästiger Kostenfaktor (mit einem regelmäßig über 50 Prozent liegenden Anteil der Personalkosten an den gesamten Handlungskosten) missverstanden werden, sondern als der Leistungsfaktor Nummer Eins. Das organisatorische Gebilde Handelsbetrieb funktioniert nur bei menschengerechter Arbeitsgestaltung und Mitarbeiterführung, und es funktioniert umso reibungsloser, je besser die Mitarbeiter auf allen hierarchischen Ebenen und an allen Stellen der Organisation motiviert und je besser die Arbeitsbedingungen den objektiven (physiologischen und ergonomischen) Erfordernissen und den subjektiven (psychologischen) Bedürfnissen angepasst sind. Die arbeitsgestalterischen Maßnahmen beziehen sich im Wesentlichen auf die Arbeitsaufgaben, auf die Arbeitsmittel und auf die Arbeitsumgebung. Das erstrebte Optimum soll möglichst gleichzeitig die Ziele − − − −
Abbau von Hindernissen der Leistungsentfaltung (Effizienz), Schutz gegen Unfälle und Erkrankung, Vermeidung von Über-/Unterforderung und Schaffung von Handlungsspielraum und Qualifikation
verwirklichen (vgl. FRANKE/KÜHLMANN 1990, S. 314). Was die Sicherung der physiologischen und ergonomischen (anthropometrischen) Arbeitsbedingungen betrifft, so sind auf diesem Gebiet außerordentlich zahlreiche Rechtsvorschriften erlassen worden (Arbeits- und Sozialrecht, Baurecht, Gewerberecht). Sie müssen in
4.8 Personalverhaltens- und Arbeitsgestaltungspolitik
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täglicher Praxis angewandt werden und können im Übrigen anhand von Gesetzeskommentaren, Lehrbüchern und Nachschlagewerken für die Praxis erlernt werden (Vgl. das Sammelwerk „Gewusst WO..! Handbuch des Einzelhandels“, hrsg. von der BBE-BAYERN UNTERNEHMENSBERATUNG GMBH, 4. Aufl., München o.J.). Hingegen mangelt es an praxisnahen Darstellungen, die sich mit Möglichkeiten der psychologischen Arbeitsgestaltung im Handel befassen, obwohl die psychische Situation der Beschäftigten durch immer mehr und immer neue Reiz-Spannungen zur Umwelt belastet wird. Man denke nur an zunehmende Polarisierung der Arbeitsanforderungen durch elektronische Arbeitsmittel (Entlastung der unteren ausführenden Arbeit und der obersten leitenden Arbeit, Belastung des middle management), an sich ändernde gesellschaftliche Auffassungen, an den Wertewandel (individuelle Sinnerfüllung, Mitbestimmung, Selbstverwirklichung durch Arbeit) einerseits, an neue kollektive Anspruchsniveaus, insbesondere höhere Kommunikationsansprüche, und an emanzipatorische Umschichtungen im Arbeitsleben. Weil es jedoch im Handelsbetrieb weder den Mitarbeiter als einheitlichen Modellmenschen gibt, sondern individuelle Personen mit individuellen Verhaltensweisen, Vorstellungen, Wünschen, Sorgen und Ängsten, noch den Arbeitsplatz, sind Einfühlungsvermögen in die Einzelpsyche sowie psychologisches Geschick im Umgang mit verschiedenen Menschen an verschiedenen Arbeitsplätzen, vor allem Differenzierung, unabdingbar geworden. Die stark vereinfachende Annahme Douglas McGREGORs, es gebe im Wesentlichen nur zwei Menschenbilder, die Führungskräfte bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen hätten, nämlich − das Bild vom Durchschnittsmenschen, der eine angeborene Abneigung gegenüber Arbeit hat und versucht, ihr aus dem Wege zu gehen, wo er kann, (Theorie X) und − das Bild vom Durchschnittsmenschen, der eine angeborene Neigung zu Arbeit, Anstrengung und Selbstdisziplin hat (Theorie Y), mag einigen Führungskräften aus der Seele gesprochen sein. Wer mit Autorität, Disziplin, strengen Anweisungen und Strafen arbeitet, hält die Theorie X ebenso für richtig wie derjenige die Theorie Y begrüßt, der auf Kooperation, Gedankenaustausch, Urteilsvermögen und Kreativität seiner Untergebenen setzt. Zur psychologisch sinnvolleren Differenzierung und, falls nötig, zu Belohnung und Bestrafung, lässt das einfache Konstrukt keinen Raum. Es besteht allerdings ein Dilemma: Zum einen sind allgemeine psychologische Empfehlungen kaum möglich, zum anderen sind psychologische Einzelfälle nicht immer generalisierbar. Zu unterschiedlich sind die Branchen-, Betriebsformen-, Betriebsgrößen- und Standortbesonderheiten im Handel. Wie überschaubar die Verhältnisse in Kleinbetrieben mit zwei, drei Beschäftigten sind, wie unüberschaubar dagegen in Konzernunternehmen mit über 100.000 Mitarbeitern – Mitarbeiteridentifikation mit dem Unternehmen muss jedoch in jedem Fall erreicht werden. Unterschiedlich sind die Stellenanforderungen, die Arbeitsaufgaben und -abläufe in den verschiedenen Funktionsbereichen des Handelsbetriebs. Und unterschiedlich sind die Persönlichkeitsstrukturen im Betrieb (Schulbildung, berufliche Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten, Erfahrungen, Motivationen und Aktivitätsniveaus). In dieser Situation können nur exemplarisch Einwirkungsmöglichkeiten skizziert werden, die die Psychologie bereithält. Für das Arbeits- und Berufsleben hat die Motivationspsychologie eine ganze Reihe von Konzepten entwickelt (physiologisch orientierte, humanistisch orientierte und kognitiv orientierte Konzepte), auf die hier nur stichwortartig eingegangen werden kann, aus denen jedoch
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
psychostrategische und -taktische Handlungsempfehlungen auch für Handelsbetriebe ableitbar sind (vgl. hierzu WISWEDE 1991, S. 211ff., und CORELL 1991). Die physiologischen Konzepte rücken die Vorstellung ins Zentrum, dass es – namentlich im Hinblick auf körperliche Belastung – zwischen Unter- und Übermotivation einen optimalen Aktivierungspunkt gebe. Hier spielen vor allem die sog. Stressoren, die Stress auslösenden Faktoren, eine Rolle, etwa − Stressoren aus der Arbeitsumgebung (Unfallgefährdung, Temperatur, Lärm, Bewegungseinengung usw.), − Stressoren aus der Arbeitsaufgabe (qualitative Über-/Unterforderung, festgelegte Arbeitszeit, Wiederholung von Arbeitsschritten, Verantwortung, Zeitdruck, ergonomisch ungünstiger Kassenarbeitsplatz), − Stressoren aus der sozialen Umgebung (Alleinarbeit; Konflikte mit Vorgesetzten, Untergebenen oder Kollegen; Doppelunterstellung, Gruppendruck, Rivalität, Intrigen), − Stressoren aus der Organisationsstruktur (fehlende Mitwirkung an Entscheidungen, fehlender Karriereplan, Intransparenz der internen Informationen, Arbeitsplatzgefährdung) (vgl. FRANKE/KÜHLMANN 1990, S. 292) und − Stressoren aus der persönlichen Bedingungslage (Übermotivation, Konflikt zwischen Beruf und Familie, mangelnder Bezug zur Ware). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass aus medizinischer Sicht vorübergehender positiver Stress (Eustress) – kurzfristige Anspannung, die nach Erledigung der stressauslösenden Aufgabe der Entspannung weicht – und negativer Stress (Disstress) – krank machender Dauerstress, dessen Ursachen langanhaltend und nicht beeinflussbar wirken – unterschieden werden müssen, bedarf es psychologisch einfühlsamen Vorgehens. So sollte nicht allen Stressoren durch die Arbeits- und Organisationsgestaltung vorgebeugt werden, sondern nur den andauernd wirksamen Stressoren; denn sie vor allem führen zu negativen Stressreaktionen physiologischer Art (Nervosität, Krankheit), motorischer Art (Rückzugsverhalten, Aggression), kognitiver Art (Wahrnehmungsverzerrung) oder emotionaler Art (Frustration, Angst, Ärger). Schließlich kann nicht nur übermäßiges Reizangebot (Kundenmasse, Lärm, laute Ladenmusik) zu Stress durch Überaktiviertheit führen. Auch ein zu geringes Reizangebot (menschenleere Verkaufsräume, sterile Büroatmosphäre, leise Hintergrundmusik) bedarf ggf. einer sensorischen Stimulierung der Arbeitenden, einer Anhebung des Aktiviertheitsniveaus. Aus dem Kreis der humanistisch orientierten Konzepte ist vor allem das schon erwähnte MASLOW-Modell der menschlichen Bedürfnishierarchie zu nennen. Von den kognitiv orientierten Konzepten, zu denen die sog. Wert-Erwartungs-Theorien, die Theorie der Leistungsmotivation und die Instrumentalitätstheorie von VROOM gehören, sind nachhaltige Impulse für die Lehre von der Arbeitsmotivation ausgegangen. Eine erhebliche Rolle spielen innerhalb der Instrumentalitätstheorie die beiden Erwartungstypen: − Effizienz-Erwartung und − Konsequenz-Erwartung. Die Fragen, ob bei entsprechender Arbeitsanstrengung das Leistungsziel erreicht werden kann – die interne Effizienz-Erwartung („Schaffe ich das?“) und die externe EffizienzErwartung („Was wird in dieser Situation von mir erwartet?“) –, stellen sich sowohl für die Personalführungskraft, insbesondere bei Einstellungen, als auch für den geführten Mitarbei-
4.8 Personalverhaltens- und Arbeitsgestaltungspolitik
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ter. Es wird angenommen, dass sich bei einer Erwartungswahrscheinlichkeit von 0,5 der erfolgsmotivierte Mitarbeiter am meisten anstrengt. Davon abzugrenzen ist die Erwartung, dass eine bestimmte Leistung zu bestimmten Folgen führt, z.B. Ansehen bei Vorgesetzten, Sympathie der Kollegen oder Beförderung. Damit sind die interne Konsequenz-Erwartung („Was bringt mir das ein?“) und die externe Konsequenz-Erwartung („Was wird von mir in meiner Position erwartet?“) angesprochen. Erwartungen, die von der Leistungserbringung abgekoppelt sind, wirken im Allgemeinen nicht motivierend („Bewährungsaufstieg“ bei Beamten) (vgl. WISWEDE 1991, S. 212). Ein wichtiger psychologischer Aspekt des Personalverhaltens liegt in der intrinsischen und extrinsischen Motivation des einzelnen Menschen. Intrinsisch motiviert ist ein Verhalten, wenn der Mitarbeiter das Arbeitsergebnis um seiner selbst willen anstrebt (psychologisch: Selbstverstärkung, Verstärkung des Ich). Extrinsisch motiviert ist ein Verhalten, wenn es durch äußere Belohnungen (rewards), wie z.B. Gehaltsaufbesserung, Aufstieg oder Lob des Vorgesetzten, ausgelöst oder verstärkt wird (psychologisch: Fremdverstärkung). In der Praxis des Handelsbetriebs greifen beide Motivationsarten gewiss ineinander. Jedoch zeichnen sich ungute Tendenzen in Richtung auf eine Dominanz der extrinsischen Arbeitsmotivation ab: − die weitverbreitete Basis-Geringschätzung des Einzelhandels („Und ist der Handel noch so klein – er bringt doch mehr als Arbeit ein“); − der gesellschaftliche Wertewandel (Berufsarbeit als „Job“ statt als Berufung); − der zunehmende Hedonismus (Bevorzugung von Freizeit vor leistungsabhängigem Mehrverdienst, von Konsum vor Arbeit und Geringschätzung der Sonnabend-Arbeit im Einzelhandel); − die sich rasch ändernde Einstellung zur Arbeitswelt (Bevorzugung von Bequemlichkeit vor Arbeitsmühe) mit den Folgen abnehmender Identifikation mit dem Betrieb; − zunehmende ökonomische Rationalisierung (Selbstbedienung, Scanner-Kassen) und − der hohe Spezialisierungsgrad der Arbeit in Konzernen und Großunternehmen mit -zig Tochtergesellschaften und Hunderten von Filialen und Abteilungen. Ungut ist die Dominanz extrinsischer Motivation nicht zuletzt, weil immer mehr Leistungsanreize keineswegs zu immer mehr Leistung führen. „Mitarbeiter von Unternehmen setzen sich ohnedies oft mehr für das Ganze ein, als sie müssten. Wenn aber jede Kleinigkeit mit Geldwerten bedacht wird, lässt dieser Einsatz nach.“ (HEUSER 2007) Im Handel, zumindest in seinen Großbetrieben, führt die Bedeutungszunahme der externen materiellen Anreize unweigerlich zur Gefahr des Einschrumpfens der intrinsischen Motivation. Selbst auf der Leitungsebene macht sich das zunehmende Job Hopping, der keineswegs nur durch Abwerbung ausgelöste Wechsel der angestellten Spitzenkräfte, negativ bemerkbar. Auf Dauer kommt es darauf an, das Personal wieder zu mehr, wenn nicht zu ausschließlich intrinsischer Motivation, zu mehr Mitverantwortung, zu mehr persönlicher Effizienz und Kompetenz in Belangen des Betriebs und seiner Umwelt, kurz: zur Selbstbelohnung durch erfolgreiches Arbeiten hinzuführen. Auch wenn das menschliche Bedürfnis nach Selbstentfaltung in der Arbeitswelt aus den soeben genannten Gründen im Groß- und Einzelhandel immer weniger zu befriedigen versucht wird – kaum verständlich angesichts der Tatsache, dass jeder einzelne Handelsbetrieb mit seinem abwechslungsreichen Leistungsspektrum (Waren und Dienste) und mit seinen permanenten Kontakten zu Menschen als solcher eine erlebnisreiche Arbeitswelt bietet –,
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stehen dem Handelsbetrieb doch eine Menge Möglichkeiten zu Gebote, die Arbeitszufriedenheit des Personals – einer der wichtigsten intrinsischen Motivationsfaktoren – zu steigern. Zwei Wege vor allem führen zu diesem Ziel: a) Abbau der Frustratoren, d.h. der für Arbeitsunzufriedenheit verantwortlichen Faktoren, der sog. Hygienefaktoren, und b) Auf-/Ausbau der Motivatoren, d.h. der Arbeitszufriedenheit auslösenden Faktoren. Auf dem ersten Weg sind vielfältige betriebsklimatische Verbesserungen realisierbar: von der Verbesserung der innerbetrieblichen Information über bessere Arbeitszeiten bis hin zu als gerechter empfundenen Entgeltabstufungen. Und auf dem zweiten Weg bieten sich zur Steigerung der Arbeitsfreude viele psychotaktische Möglichkeiten an. Sie reichen von der selbstbestimmten Verfügung des Einkäufers über ein hinreichendes Einkaufsbudget wie überhaupt von größeren, nicht überfordernden Handlungsspielräumen der Mitarbeiter über klar konturierte Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, über regelmäßigen Informationsaustausch zwischen Verkäufern und Einkäufern (Rückkopplung) bis hin zur Schaffung kleiner Kollegen- bzw. Arbeitsgruppen mit hoher Kohäsion und gruppenindividueller Arbeitszeitabsprache innerhalb einer Abteilung. So gesehen, kann die eingangs erwähnte angelsächsische Kaufmannsweisheit „What’s good for my customers is good for my business“ erweitert werden in „What’s good for my customers and for my personnel is good for my business“. Voraussehbar ist die Eintrittswahrscheinlichkeit beabsichtigter psychologischer Klimaverbesserungen allerdings nicht immer, zumal wenn sich in betrieblichen Gruppenstrukturen unter den Mitarbeitern eine Hierarchie („Hackordnung“) herausgebildet hat. Zudem ergibt sich Arbeitszufriedenheit aus der Interaktion von Situation und spezifisch geprägter Person, und die ist keineswegs bei allen Mitarbeitern gleich (vgl. von ROSENSTIEL 1992, S. 411). So manches gut gemeinte Betriebsfest hat einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Und so manchen Neid hat die Auszeichnung der zehn „Top-Verkäufer/innen“ auf der Jubiläumsveranstaltung schon bei manchem Nichtausgezeichneten hinterlassen. Mitunter treten sogar unvorhergesehene Motivationsschübe auf. So wusste die Direktion einer Warenhausfiliale zu berichten, dass nach dem Modernisierungsumbau und mit der Wiedereröffnung des strahlend-eleganten neuen Hauses auch das Verkaufspersonal von heute auf morgen wie umgewandelt agierte: Ausgesprochen elegant gekleidet (ohne Anweisung „von oben“), gut gelaunt, höflich und – vor allem – mit bislang nicht gekanntem Stolz ging man fortan ans Tagwerk. Da mit der gründlichen Modernisierung auch eine psychologische Beratung einhergegangen war, blieben auch Erfolge ganz einfacher psychotaktischer Neuerungen nicht aus. Beispielsweise wurde dem Verkaufspersonal in der Foto-Abteilung mit neueingerichtetem 1-Stunden-Service empfohlen, die zur Entwicklung abgegebenen Filme nicht lustlos-schweigend entgegenzunehmen, sondern das kurze, aber freundliche Gespräch mit den überraschenden Fragen zu beenden: „Möchten Sie Ihre Bilder in einer Stunde abholen?“ und „Möchten Sie Ihren Ersatzfilm sofort mitnehmen?“. Die Erfolge – hoher Startumsatz im Stundenservice, signifikanter Mehrumsatz bei Kleinbildfilmen – empfand das stärker motivierte Abteilungspersonal selbstverständlich als die eigenen. Entscheidend geprägt wird das Personalverhalten durch die Art der Mitarbeiterführung. Das Führungsproblem stellt sich in jedem Handelsbetrieb, der über die leicht überschaubaren Verhältnisse des Klein- oder Familienbetriebs hinauswächst und sog. Fremdpersonal beschäftigt. (In der vormaligen sozialistischen DDR-Terminologie war das „Einzelhandel mit Ausbeu-
4.8 Personalverhaltens- und Arbeitsgestaltungspolitik
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tung“). Auf die diversen mehr oder weniger erfolgreichen, inzwischen teilweise veralteten Führungslehren – z.B. R. HÖHNs Harzburger Modell der Führungsdelegation mit fast bürokratischer Ausführungskontrolle; P. DRUCKERs Managementlehre; P. R. HOFSTÄTTERs Typenmodell oder D. MCGREGORs psychologische X-/Y-Theorie der Führung – ist hier nicht näher einzugehen. Auch mag es mit einem knappen Hinweis auf die Gefahr sein Bewenden haben, dass die Persönlichkeit der Führungskraft durch zwei Gegebenheiten negativ beeinträchtigt werden kann: durch extreme Labilisierung, Schwächung oder Verunsicherung oder aber durch extreme Erfolgsverwöhnung und Selbstzufriedenheit. Beides ist dem persönlichen Engagement und der Mitarbeitermotivation abträglich (vgl. CORRELL 1977, S. 46). Man gelangt rasch zu der Übereinstimmung der meisten Führungslehrer, dass es vor allem darauf ankomme, Mitarbeiter zu motivieren: „Die bereitwillige Übernahme von Aufgaben und Verantwortung ist also das Führungsproblem“ (OEHME 1993, S. 209). Eine Untersuchung des Münchner GevaInstituts zeitigte allerdings ein für Führungskräfte des Handels wenig schmeichelhaftes Ergebnis: Die in einem Motivationsindex mit dem Bestwert 100 zusammengefasste Bewertung der Chefs durch die Mitarbeiter lag im Handel bei nur 66,2, in der Industrie bei 67,0 und bei Banken/Versicherungen bei 71,7. Nach Führungsebenen unterschieden, erweist sich eine umso bessere Motivationskraft der Manager, je höher sie in der Hierarchie aufgestiegen sind: 63,5 für das untere, 68,6 für das mittlere und 72,6 für das obere Management (vgl. WIRTSCHAFTSWOCHE Nr. 11/1994, S. 74). An allzu einseitig auf Motivationsförderung abstellenden Führungslehren, am „Mythos Motivation“ (so der Titel einer Monographie von R.K. SPRENGER, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1992) ist jedoch mit Recht Kritik geübt worden. Sie lässt sich wie folgt zusammenfassen: − Motivation ist im Menschen angelegt, sie muss nicht geschaffen werden. Daher ist Motivierung als Versuch, von außen Motive für das Handeln zu geben, im Grunde überflüssig; eher kommt es darauf an, demotivierende Situationen zu vermeiden bzw. abzubauen. − Motivation stellt sich nicht auf Knopfdruck ein, sie ist nicht mechanistisch produzierbar („Führungsmechanik“). − Motivation beruht auf einer Vielfalt von Motivatoren, die bei verschiedenen Menschen in verschiedenen Situationen, an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten unterschiedliches Gewicht bekommen. − Motivation bei der Arbeit hängt auch von außerbetrieblichen, nicht direkt beeinflussbaren Komponenten ab (Familie, Verein, peer group). Als Synthese ist aus psychologischer Sicht festzuhalten, dass Mitarbeitermotivation als Erfolgsfaktor nicht geleugnet werden kann; anstelle überflüssiger Motivierungsversuche durch Tricks oder Manipulierung muss ihr nur freie Entfaltungsmöglichkeit gewährt werden, und zwar a) durch motivierende Organisation (Dezentralisation und Delegation von Entscheidungskompetenzen und Weisungsbefugnissen; kooperative oder partnerschaftliche Führung) und b) durch motivierendes Verhalten der Führungskräfte (progressiv-motivierender statt autoritär-frustrierender Führungsstil), wobei zu letzterem insbesondere umfassende Mitarbeiterinformation, Höflichkeit, Mitwirkungsmöglichkeit an Entscheidungsprozessen, faire Mitarbeiterbeurteilung, Weiterbildungs- und Personalentwicklungsmöglichkeiten, Förde-
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4 Psychotaktische Entscheidungen des Handelsmanagements
rung der Kreativität, Konfliktbewältigung sowie die sorgfältige Einstellung und Einführung neuer Mitarbeiter gehören. Auf einen Unterschied zwischen Motivation beim Führen und beim Verkaufen ist hinzuweisen: Beim Führen stehen die Beteiligten auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen und der Geführte ist abhängig; versagt der Motivationsversuch des Führenden, kann er auf sein Weisungsrecht zurückgreifen. Beim Verkaufen stehen Verkäufer und Käufer – abgesehen von gelegentlicher Stärke- oder Schwächeposition eines Beteiligten – auf derselben Ebene, sie sind voneinander unabhängig. Scheitert der Versuch des Verkäufers (Käufers), den Käufer (Verkäufer) zum Kauf (zum Preisnachlass) zu motivieren, dann scheitert die gesamte Verhandlung. Im Extremfall ist der Käufer auf Dauer verloren (vgl. OEHME 1993, S. 215). Dieses eminent psychologische Problem des Verkaufens hält OEHME auch für den Grund dafür, dass die Verkaufspsychologie viel weiter ausgebildet ist als die Führungspsychologie im Handel, zumal sich bei letzterer in Mittel- und Großbetrieben ein zweistufiges Problem einstellt: Führung der Untergebenen zum einen und Führung der Führungskräfte zum anderen. Im Übrigen muss sich nach bisherigen psychologischen Erkenntnissen hohe Verkäufermotivation in unterschiedlichen Verkaufstechniken äußern, je nachdem ob langfristige Kundenbeziehungen aufgebaut und gehalten werden sollen oder ob es nur auf den raschen oder einmaligen Verkaufsabschluss ankommt, wie z.B. beim Haustürverkauf (soft selling vs. hard selling). Das Personalverhalten kann nachhaltig – und zwar sowohl positiv als auch negativ – beeinflusst werden durch die strategische Personalbeschaffungspolitik (überwiegend externe oder interne Rekrutierung) und Personalentwicklungspolitik (Beurteilungen mit Belassung am angestammten Arbeitsplatz oder Umsetzung oder Höherstufung; Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen). Im Handelsbetrieb sind auch psychologische Implikationen im Hinblick auf die Alters- und Geschlechterstruktur in den verschiedenen Instanzen bzw. Abteilungen zu beachten. Spannungen unter den Mitarbeitern sind z.B. kaum zu vermeiden, wenn sie spüren, dass Anciennität, die Berücksichtigung nach dem Alter, vor Leistung geht oder männliche Bewerber für qualifizierte Stellen weiblichen Bewerbern vorgezogen werden. Als psychologisch orientierten Konzepten der Personalpolitik, die speziell auf Frauen Rücksicht nehmen, bieten sich z.B. folgende an: − − − − −
Verzicht auf Herausstellung speziell weiblicher Positionen, Einbeziehung in das Personalentwicklungsprogramm, Förderung der Führungseigenschaften, Beteiligung an Gremien und Vollintegration in das Informationssystem (vgl. TIETZ 1993a, S. 593).
Werden Personalverhalten und Arbeitsgestaltung als Elemente der rationalen Betriebsführung verstanden, dann bedarf es sowohl genauer Handlungszielvorgaben für das Personal als auch der Kontrolle des Personalverhaltens. Dafür stehen teils quantitative Methoden zur Verfügung (z.B. Soll-Kennzahlen für die sog. Personalleistung: Umsatz je beschäftigte Person, Umsatz je Abteilung oder Umsatz je Abteilungsmitarbeiter; Anwesenheits-/ Fehlzeiten; Krankenstand; Fluktuationsquote; Normrichtzeiten), teils qualitative Methoden (Mitarbeiterbeurteilung; Testkauf; Multi-Moment-Studie). Personalkontrollen aller Art bedürfen der Zustimmung des Betriebsrats. Sie sind mitunter wenig beliebt, werden aber von den Mitar-
4.8 Personalverhaltens- und Arbeitsgestaltungspolitik
277
beitern akzeptiert, wenn sie der allen zugute kommenden Leistungsoptimierung und der Gerechtigkeit dienen und keine Diskriminierung beinhalten. Ein bemerkenswertes Beispiel an Aufgeschlossenheit des Personals für ein rationelles Steuer- und Kontrollsystem lieferte der Betriebsrat der Edeka Duisburg eG, Moers, Mitte der 80er Jahre. Damals wurde für das Hochregallager mit sog. chaotischer Lagerung ein EDVgesteuertes Optimierungssystem der Kommissionierung entwickelt und mit Zustimmung des Betriebsrats eingeführt: Für jede Bestellung bekommt der Lagerfahrer die optimale Regalfahrstrecke mit jeweiliger Normzeit vorgegeben. Unterschreitungen der Richtzeit werden mit gestaffelten Prämien belohnt. Die Normzeiten werden als gerecht und keinesfalls als Stressor empfunden. Und niemand fühlt sich benachteiligt, wenn der eine oder andere Kollege sich über erhöhte Arbeitsleistung ein Zubrot verdienen will. Abschließend kann festgehalten werden, dass die Zeiten der bloßen Personalverwaltung in Unternehmen des Handels und der Handelsvermittlung der Vergangenheit angehören. In Zukunft wird das Personalwesen wahrscheinlich nicht nur gleichrangig mit, sondern zunehmend höherrangig über den übrigen Aufgaben der Unternehmensführung und des Handelsmarketings realisiert werden müssen, wobei die psychostrategischen und -taktischen Aspekte des Personalverhaltens und der Arbeitsgestaltung besondere Aufmerksamkeit verlangen. Mitte der 90er Jahre zeichnete sich bereits ab, wie schwierig es geworden ist, den Engpassfaktor Personal durch attraktivere Arbeitsbedingungen, namentlich flexible Arbeitszeit und leistungsorientierte Bezahlung, zu überwinden. Der Widerstand gegen unattraktive Arbeitszeiten besonders im Einzelhandel und gegen die am unteren Rand liegenden Tariflöhne und -gehälter hat sich in den Köpfen vieler – manchmal scheint es: der Besten – festgesetzt und trübt den Blick für die „schöne Herausforderung“ Handel: Er ermöglicht nämlich nach wie vor durch den täglichen und verantwortungsvollen Umgang mit Menschen und durch seine immer neuen Wareninszenierungen ein erfüllendes Berufsleben und Selbstverwirklichung.
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Grenzen der Handelspsychologie
Erlaubt ist was gefällt. Dies könnte eine naheliegende Maxime für den Einsatz psychologischer Erkenntnisse (oder Vermutungen) im Handel abgeben. Tatsächlich ist aber nicht alles an Psycho-Tricks erlaubt, was dem Handelsmanager gefallen könnte. Er stößt an Grenzen. Er darf vor allem wirtschaftsrechtliche (5.2) und wirtschaftsethische (5.3) Grenzen nicht überschreiten. Auch sind die Möglichkeiten, das Gefallen psychostrategischer und psychotaktischer Maßnahmen oder das Ausmaß ihres Gefallens oder auch ihr Nichtgefallen empirisch zu überprüfen, also die Möglichkeiten der Effizienzkontrolle (5.4), begrenzt. Bevor darauf näher eingegangen wird, ist eine andere Grenze abzustecken: das begrenzte Wissen um die Möglichkeiten der angewandten Handelspsychologie (5.1).
5.1
Kognitive Grenzen
Nach einem treffenden GOETHE-Wort sieht der Mensch das allein, was er kennt. Folglich kann er auch nur das zweckgerichtet in Handlungen umsetzen, was er kennt. Aber ausgerechnet das Wissen um psychologische Elemente in den Managerentscheidungen des Handels ist stark begrenzt. Eine Rezeptsammlung oder ein Schnellkurs – „How to be a Millionaire by Psychology in Retailing“ – stehen bedauerlicherweise nicht zur Verfügung. Es hat auch wenig Sinn, über Forschungsdefizite zu lamentieren oder hochmütig Anwendungsdefizite in der Handelspraxis zu konstatieren. Beides ist Wirtschaftswissenschaftlern ja nicht fremd. Psychologie im Handel ist gewiss so alt wie die kaufmännische Tätigkeit. Selbst in primitiven Tauschwirtschaften ohne den nervus rerum Geld vollzieht sich der Austausch von zwei Gütern immer nur dann, wenn jeder Beteiligte aus dem Tausch einen subjektiven Vorteil, einen größeren Nutzen als beim Unterlassen des Tauschs, zieht. Auch heute ist in allen mehr oder minder entfalteten Geldwirtschaften das Glücksgefühl beim erfolgreichen Feilschen vorhanden. Man nähere sich auf einem italienischen Wochenmarkt nur einem Lederschmuck-Verkäufer! Er erkennt im Blick des Passanten alsbald die Lust auf das gute Stück und schlägt einen ersten, selbstverständlich überhöhten Preis vor. Je nach Hartnäckigkeit oder Schauspieltalent des Passanten (gemimtes – möglichst zunehmendes – Desinteresse) senkt er seine Preisvorstellung zwei-, dreimal ab. Der Passant wendet sich dankend ab. Der Verkäufer läuft hinter ihm her und schlägt den vierten nachgelassenen Preis vor. Der Passant gibt schließlich nach. Unglücklich über den Abschluss ist keiner, auch wenn es dem Zeremoniell entspricht, dass der Verkäufer nicht zu kommentieren vergisst, bei solchen Preisen an den Bettelstab zu kommen... Das Hochgefühl, einen Extra-Rabatt herausgeschunden zu haben, wird dem einen oder anderen vertraut sein. Wo die zwischenmenschlichen Beziehungen sich auf dem Gebiet der materiellen Opfer (Geldhingabe; Güterhingabe) abspielen – und ohne sie geht es nicht in der Welt des Konsums –, da hört bekanntlich der Spaß auf; da be-
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5 Grenzen der Handelspsychologie
ginnen im tiefsten Innern Spannungen, Erregungszustände sich aufzubauen, die nach Auflösung verlangen. Die Kunst, solche psychischen Spannungen aufzubauen, Begehren zu wecken, ist als „Verkaufstechnik“ (W. KOCH) längst bekannt und erforscht. Die Vervollständigung der Verführungskunst ernährt ungezählte Marketingexperten in Industrie und Wissenschaft. Aber im Handel ist das verfügbare Wissen um Psychologie im Handel sehr begrenzt. Mehrere Gründe spielen eine Rolle: 1. Handelsspezifische Psychotechniken stehen kaum zur Verfügung, jedenfalls nicht in komprimierter und systematischer Aufbereitung, etwa in Form von Lehrwerken. Erkenntnisse der Wirtschaftspsychologie, die sich zum Teil in Lehrwerken niedergeschlagen haben, sind meist nur beschränkt auf Handelsbetriebe anwendbar. Folglich kam bislang auch die Aus- und Weiterbildung in Handelspsychologie viel zu kurz. 2. Um einen psychologischen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang in Handelsbetrieben zu (er)kennen, bedarf es zunächst der Formulierung von Hypothesen, die der Prüfung unterzogen werden müssen. Aber auch daran mangelt es. Wer – wenn nicht ein psychologisch und handelswirtschaftlich geschulter Fragender – sollte solche, zumal neue Hypothesen aufstellen? 3. Vieles an angewandter Psychologie blüht im Verborgenen. Es wird nicht bekannt (gemacht). Wie eine Art Betriebsgeheimnis werden erfolgreiche psychostrategische Konzepte oder psychotaktische Maßnahmen gehütet – und die erfolglosen verschwiegen. Zusammenhänge sind Insidern bewusst, Außenstehenden aber nicht zugänglich. 4. Mancher Erfolg im Handel beruht auf Entscheidungen, die psychologisch höchst sinnvoll sind und gleichwohl unbewusst getroffen werden. Wie oft steht ein Handelskaufmann vor dem Rätsel, dass ausgerechnet eine Filiale wesentlich besser „läuft“ als andere oder dass ausgerechnet dieser oder jener Artikel zum „Renner“ wird (bei ihm, nicht aber bei den Konkurrenten). Die Zusammenhänge werden nicht problematisiert, oder sie werden problematisiert, aber wegen fehlender Erklärungsmodelle nicht erkannt. 5. Nichts anderes als kognitive Grenzen bildet auch die Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit, Haltungen, Einstellungen, Erwartungen, Wünsche oder Ängste bei den Marktpartnern zu erkennen und einzukalkulieren. Nicht wenige Handelsunternehmer und -manager denken: „Der ganze Psychoquatsch interessiert mich nicht“, obwohl Psychologisches ganz intuitiv in ihre Entscheidungen einfließt. 6. Psychologisches Denken und Handeln ist immer noch viel zu stark auf Beschreibung (Deskription) und Erklärung (Explikation) eingerichtet, also auf ex post-Analyse, aber zu wenig auf praxeologische Wirkungsvoraussage oder Aktionsempfehlung (Prognose; Präskription). Unternehmensplanung ist jedoch immer in die Zukunft gerichtet und bedarf möglichst zuverlässiger ex ante-Analysen; hier könnten schon AlternativSchätzungen mit hoher, mittlerer und geringer Eintrittswahrscheinlichkeit weiter helfen. 7. Am Ende darf auch nicht verschwiegen werden, dass selbst aufwändige wissenschaftliche Studien für das Handelsmanagement gelegentlich von begrenztem Wert sind. Eine Untersuchung zur Kundenloyalität zieht z.B. aus dem Abgleich von Kundendaten aus einer Kundenbefragung und aus der Kundendatenbank eines einzigen Unternehmens (eines Universalversenders) folgende Schlussfolgerungen für die Unternehmenspraxis: „Allerdings muss betont werden, dass Investitionen in die Kundenloyalität zwar grundsätzlich zu einer Steigerung der Profitabilität von Kunden führen können, dass aber auch Kundenbeziehungen existieren können, bei denen trotz Investitionen keine Kundenloyalität
5.2 Rechtliche Grenzen
281
entsteht und Kundenbeziehungen existieren, die nie profitabel sein werden. Vor diesem Hintergrund ist es für jedes Unternehmen erforderlich, die optimale Höhe von Investitionen in Kundenloyalität zu ermitteln.“ (FOSCHT 2002, S. 226) Eine wenig hilfreiche Schlussfolgerung! Für die eigene Marktforschung lernt der Handelsmanager womöglich noch am meisten aus der Mitteilung auf S. 166 der Untersuchung: mit der Bitte, den Fragebogen zu retournieren, sei auch das Versprechen verbunden gewesen, den Kunden nach dem Eintreffen des Fragebogens ein „kleines Geschenk“ zuzuschicken, „was aber nicht näher spezifiziert wurde“. Das psychologische Feingefühl des Handelsmanagers sollte so weit entwickelt sein, diesen Trick nicht anzuwenden, sondern – wenn er schon einen Anreiz gewährt – das „kleine Geschenk“ dann auch sehr konkret zu benennen!
5.2
Rechtliche Grenzen
Psychologisch orientiertes Agieren ist gleichwohl eine faszinierende Aufgabe für den Handelsmanager. Wie gezeigt werden konnte, stehen ihm auf dem Gebiet des Handelsmarketings zur Beeinflussung aller Marktpartner besonders vielfältige und fein dosierbare Möglichkeiten zur Verfügung. Aber auch diese Entscheidungsfreiheit wird wie jede Freiheit definiert durch ihre Grenzen. Wenige andere Grenzen sind dem Handelsmanager so streng gezogen und nicht überschreitbar, jedenfalls nicht ungestraft, wie die des Rechts. Und an Strafen wartet im Dickicht der zivil- und strafrechtlichen Normen allerlei: von der Abmahnung (mit Anwaltshonorar) über die Verurteilung zur Unterlassung einer bestimmten Handlung oder über Geldbußen oder Schadensersatz bis hin zu Gewinnabschöpfung, Gewerbeuntersagung oder Freiheitsentzug. Es zählt gewiss zu den seltenen Ausnahmen, dass Kleinbetriebe sich über gesetzliche Normen hinwegsetzen wie z.B. in Nordrhein-Westfalen. Hier verstoßen einige Betriebe bewusst gegen das Ladenöffnungsverbot für Blumen, Pflanzen, Zeitungen und Zeitschriften, Back- und Konditorwaren am ersten Weihnachtsfeiertag, am Ostersonntag und am Pfingstsonntag gemäß § 5 (4) LÖG-NRW. Unterstützt durch die örtliche Presse und Protestaufkleber "Laden zu dank CDU", trägt ihnen das gesetzeswidrige, aber verbraucherfreundliche Verhalten Sympathie bei den meisten Bürgern ein. Fast alle Gesetze und Verordnungen sowie fast alle im Rahmen des dispositiven Rechts von den Wirtschaftsbeteiligten selbst gesetzten Normen und Regeln (z.B. Gesellschaftsverträge, Genossenschafts- und Stiftungssatzungen, Wettbewerbsregeln, Standesregeln und Selbstverpflichtungen wie das „Berliner Gelöbnis“ des Lebensmittel-Einzelhandels) ziehen der angewandten Psychologie im Handel immer wieder Grenzen. Manche Normgrenzen sind recht verborgen und selbst juristischen Fachleuten nicht ohne weiteres geläufig, da viele Urteile aus der Auslegung durch Gerichte und Behörden entstehen, z.B. die Urteile zum Handelsbrauch. Auf die ganze Fülle der handelsrelevanten Rechtsnormen, die manchmal kleinste Details regeln, wie z.B. die Luftraumsteuer für Außenwerbung und Automaten oder das Dosenpfand, kann in dieser Einführung selbstverständlich nicht eingegangen werden. Die komplizierte deutsche Dosenpfandregelung wurde übrigens nach Beanstandung durch den Europäischen Gerichtshof (EUGH) im Dezember 2004 vereinfacht und im März 2007 durch die Europäische Kommission bestätigt. Heute gibt es keine den Anbieter profilierende, aber die Kunden verwirrende „Insellösung“ für einzelne Handelsunternehmen mehr; Fla-
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5 Grenzen der Handelspsychologie
schen und Dosen müssen überall dort zurückgenommen werden, wo Getränke in Verpackungen aus gleichem Material verkauft werden. Hier nur die wichtigsten Rechtsgebiete: − Bürgerliches Recht (BGB: Zustandekommen, Abwicklung und Beendigung von Verträgen; Vertragsgestaltung und Mängelgewährleistung; gesetzliche Schuldverhältnisse; Sachenrecht; Erbrecht u.a., vor allem die mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz mit Wirkung vom 1.1.2002 in das BGB überführten Verbrauchergesetze und das Fernabsatzgesetz), − Handelsrecht (HGB: Kaufmann; Firma; Handelsregister; Vertretung des Kaufmanns; Hilfspersonen; Handelsgeschäfte; Handelskauf; kaufmännische Orderpapiere u.a.), − Gesellschaftsrecht (Personengesellschaften; Kapitalgesellschaften; Mischformen; verbundene Unternehmen u.a.), − Gewerblicher Rechtsschutz (Patent, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster; Marken und Warenzeichen; Arbeitnehmererfindung u.a.), − Wettbewerbsrecht (Unlauterer Wettbewerb; Wettbewerbsbeschränkungen, Fusionskontrolle; Europäischer Wettbewerbsschutz u.a.), − Arbeits- und Tarifrecht, − Sozialrecht und − Steuerrecht. Hinzu kommen zahlreiche Handel und Gewerbe betreffende Sondergesetze und -verordnungen: z.B. Gewerbeordnung, Wirtschaftsstrafgesetze, gewerbliches Miet- und Pachtrecht, Bau- und Planungsrecht, Ladenschlussgesetz, die Informationspflichten-Verordnung, das Recht der beruflichen Bildung im Handel sowie Umweltgesetze und -verordnungen. Am Beispiel des Wettbewerbsrechts sei einmal dargelegt, dass es mancher psychologisch orientierten Verhaltensweise im Handel zwar eindeutige Grenzen zieht, dass mitunter ihre wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit aber auch weniger eindeutig zu bestimmen ist. Die beiden grundlegenden Wettbewerbsgesetz in Deutschland sind (a) das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vom 15.7.2005 (zuletzt geändert am 21.12.2006; ursprüngliche Fassung vom 27.7.1957) und (b) das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 3.7.2004 (ursprüngliche Fassung vom 7.6.1909). Während das GWB die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, den Wettbewerb als Institution schützen soll, soll das UWG die Lauterkeit des Wettbewerbshandelns („fairer Wettbewerb“) regeln bzw. schützen.
Das GWB soll die Freiheit des Wettbewerbs als Wesensmerkmal der Marktwirtschaft, das UWG soll die Fairness des Wettbewerbs sichern. Für die Tatbestände des GWB liegt die Entscheidungsbefugnis bei europäischen oder deutschen Behörden, in Deutschland hinsichtlich der meisten Tatbestände ausschließlich beim Bundeskartellamt (BKartA), hinsichtlich einiger Tatbestände beim Bundesminister für Wirtschaft als oberster Aufsichtsbehörde (in Fragen der Konzentrationserlaubnis die „Ministererlaubnis“ nach Einholung eines Gutachtens der Monopolkommission), hinsichtlich anderer
5.2 Rechtliche Grenzen
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Tatbestände der Wettbewerbsbeschränkung, die nur regionale Auswirkungen haben, bei den Landeskartellbehörden (in der Regel bei den Wirtschaftsministerien der Länder). Für die Tatbestände des UWG sind Gerichte als Entscheidungsinstanz zuständig. (a) Das alte Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1957 enthielt in § 1 Abs. 1 Satz 1 die folgende Generalklausel: „Verträge, die Unternehmen oder Vereinigungen von Unternehmen zu einem gemeinsamen Zweck schließen, und Beschlüsse von Vereinigungen von Unternehmen sind unwirksam, soweit sie geeignet sind, die Erzeugung oder die Marktverhältnisse für den Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen durch Beschränkung des Wettbewerbs zu beeinflussen.“ Damit war der Grundsatz des Kartellverbots festgelegt. Er wurde jedoch durch zahlreiche Ausnahmen in den §§ 2 bis 6 GWB weitgehend durchlöchert; im einzelnen waren vom Verbot ausgenommen − sog. Erlaubniskartelle: − Strukturkrisenkartelle (§ 4 GWB), − Rationalisierungskartelle (§ 5 GWB), − Exportkartelle (§ 6 GWB), − Importkartelle (§ 7 GWB), − Ministerkartelle (§ 8 GWB); − sog. Anmeldekartelle mit Widerspruchsfrist des Bundeskartellamts (BkartA): − Konditionenkartelle (§ 2 GWB), − Rabattkartelle (§ 3 GWB), − Spezialisierungskartelle (§ 5a GWB), − sog. Kooperationskartelle (Mittelstandskartelle) (§ 5b GWB); − sog. Anmeldekartelle ohne Widerspruchsfrist des BKartA: − Normen- oder Typenkartelle (§ 5 Abs. 1 GWB), − Einkaufskooperationen (§ 5c GWB) und − Exportkartelle ohne Inlandswirkung (§ 6 Abs. 1 GWB) Wegen der vielen Ausnahmen unterlagen de facto nur Preisabsprachen dem strikten Kartellverbot. Der Tatbestand des § 1 GWB erfasste aber nicht nur ausdrückliche Beschlüsse, sondern auch aufeinander abgestimmtes Preisverhalten (Abstimmungsverbot), d.h. wenn Wettbewerber stillschweigend, aber bewusst gleiche Verkaufspreise für sortengleiche Waren verlangen (Gentleman Agreement; „Frühstückskartell“). Die „Beeinflussung von Marktverhältnissen“ – ebenso wie andere zusammengesetzte Begriffe mit dem Wortbestandteil „Markt“, z.B. Marktanteil, Marktbeherrschung oder Marktmacht – warfen im Handel erhebliche Feststellungsprobleme auf; denn in sachlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht zeichnen sich die Märkte als GWB-Adressaten, also die externen Märkte des Handelsbetriebs, durch fließende Grenzen aus. Am ehesten sind Produktmärkte erfassbar, etwa der nationale Markt für Rasenmäher an einem Stichtag. In letzter Konsequenz sind die relevanten Märkte des GWB für Handelsunternehmen, die 2.000, 20.000 oder gar 200.000 verschiedene Artikel im Sortiment führen, die als Filialunternehmen in unterschiedlichsten lokalen, überdies sich dynamisch entwickelnden, sich permanent verändernden Wettbewerbsbeziehungen agieren, überhaupt nicht abgrenzbar. Das Bundeskartellamt
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5 Grenzen der Handelspsychologie
musste denn auch bei seinen Entscheidungen zur präventiven Fusionskontrolle im Handel zu Hilfskonstruktionen greifen. Praktisch bedeutsamer und leichter zu handhaben waren die wettbewerbswidrigen Individualverträge, insbesondere hinsichtlich der Geschäftsbedingungen und der Preisgestaltung, die der Missbrauchsaufsicht der Kartellbehörde unterlagen (§§ 15 ff. GWB). Hierunter fielen vor allem die aus preispsychologischer Sicht bedeutsamen unverbindlichen Preisempfehlungen für Markenwaren (Verbraucherpreisempfehlungen). Diese von Herstellern auf der Ware oder der Verpackung angebrachten unverbindlichen Einzelhandelsverkaufspreise konnten vom Bundeskartellamt als sog. Mondpreise beanstandet, angemahnt und im Wiederholungsfall bei derselben Ware untersagt werden. Das Vorliegen eines Mondpreises im Sinne des Wettbewerbsrechts wurde dann angenommen, wenn das Bundeskartellamt in einer Mehrzahl der Fälle eine erhebliche Preisunterschreitung im Einzelhandel (Faustregel: Unterschreitung des empfohlenen Verkaufspreises um 15% oder mehr) nachweisen konnte. Bei diesen an die Verbraucher gerichteten vertikalen Preisempfehlungen – nicht bei den in Form von Preislisten an Gewerbetreibende gerichteten Händlerpreisempfehlungen – kommt ein relativ seltener Fall von psychologischer Interessenharmonie zwischen Industrie und Handel zum Tragen: Die Hersteller können mit ihren Preisempfehlungen wenn auch keinen Druck ausüben, so doch einen gewissen Einfluss auf die Marktpreise an der Verkaufsfront nehmen. Und die Händler können mit ihren Preisunterschreitungen ihrerseits ihre Preiswürdigkeit und ihre preispolitische Aktivität signalisieren ... Weitere der Missbrauchsaufsicht unterliegende kartellrechtliche Tatbestände aus dem GWB, die vor allem die Beziehungen der Händler zu Lieferanten oder zu Mitbewerbern betreffen, waren: − vertikale Preisbindung für Verlagserzeugnisse, − Einkaufskooperationen, − Vertriebsbindungen, − Alleinvertriebsverträge (einschl. Platzschutzvereinbarungen), − Mittelstandsempfehlung (einschl. Preisempfehlung in Kooperationen), − Diskriminierung (unbillige Behinderung; unterschiedliche Behandlung gleicher Tatbestände), − Marktbeherrschung und − missbräuchliche Ausnutzung überlegener Marktmacht. Das neue Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, als 7. Novelle im Jahre 2005 in Kraft getreten, bedeutete eine Angleichung an das europäische Wettbewerbsrecht. Es ist der Wahrung eines funktionierenden und möglichst vielgestaltigen Wettbewerbs verpflichtet und bekämpft vor allem den Missbrauch von Marktmacht. Gemäß § 1 GWB sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken, verboten. Vereinbarungen und Verhaltensweisen, die „unter angemessener Beteiligung der Verbraucher" an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, sind jedoch grundsätzlich freigestellt (§ 2 GWB). Durch die ausdrückliche Freistellung von Mittelstandskartellen (§ 3 GWB) werden Erleichterungen für mittelständische Unternehmen erreicht. Ohne auf einzelne Vorschriften näher einzugehen, enthält das GWB Bestimmungen über
5.2 Rechtliche Grenzen o o o o o
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das Verbot und die Kontrolle bestimmter Wettbewerbsbeschränkungen, den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen, die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, die Organisation und das Verwaltungsverfahren der Wettbewerbsbehörden und das Vergaberecht.
Fragen des Pressekartellrechts wurden bislang ausgeklammert. (b) Das alte Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 7.6.1909 enthielt in § 1 eine „große“ und in § 3 eine „kleine“ Generalklausel: § 1 UWG: „Wer im geschäftlichen Verkehre zu Zwecken des Wettbewerbs Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen, kann auf Unterlassung oder Schadensersatz in Anspruch genommen werden.“ § 3 UWG: „Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs über geschäftliche Verhältnisse, insbesondere über die Beschaffenheit, den Ursprung, die Herstellungsart oder die Preisbemessung einzelner Waren oder gewerblicher Leistungen oder des gesamten Angebots, über Preislisten, über die Art des Bezugs oder die Bezugsquelle von Waren, über den Besitz von Auszeichnungen, über den Anlass oder den Zweck des Verkaufs oder über die Menge der Vorräte irreführende Angaben macht, kann auf Unterlassung der Angaben in Anspruch genommen werden.“ Damit waren Wettbewerbshandlungen bzw. werbende Bekanntmachungen einem grundsätzlichen Verbot unterstellt, die als sittenwidrig bzw. irreführend empfunden werden. Die vom Gesetzgeber vorgesehenen Sanktionen waren Unterlassung und Schadensersatz im Falle des Verstoßes gegen § 1 UWG, nur Unterlassung im Falle des Verstoßes gegen § 3 UWG. § 4 UWG sah sogar Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder Geldstrafen vor für den Fall wissentlich unwahrer und irreführender werbender Angaben. Die konkrete Auslegung, was gegen die guten Sitten verstößt und was zu Irreführung (Täuschung) beiträgt, oblag der Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Die Rechtsprechung allein zu den beiden UWG-Generalklauseln war im Verlaufe fast eines Jahrhunderts dermaßen umfangreich geworden, dass selbst die Versuche einer Systematik bei verschiedenen Kommentatoren umstritten waren. Fünf Fallgruppen konnten unterschieden werden: − Kundenfang (Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Kunden, insbesondere durch Irreführung, Zwang, Anreißen, Verlocken und Gefühlsausnutzung), − Behinderung (nicht sachliche, feindselige Behinderung des Mitbewerbers, insbesondere durch Zwang, Boykott, Absatz-, Bezugs- und Werbebehinderung, Ehrenkränkung, Anschwärzung, Sachbeschädigung) − Ausbeutung (den Mitbewerber schädigendes Ausnutzen seiner Leistung, z.B. aufgrund eines Vertragsbruchs oder durch Schmarotzen an Leistung, Ruf oder Werbung anderer), − Rechtsbruch (ungerechtfertigter Vorsprung durch Verletzen von Vorschriften oder Verträgen, z.B. Missachtung von Preis- oder Vertriebsbindungssystemen oder soziales Dumping) und − Marktstörung (allgemeine Marktbehinderung durch Einsatz nicht leistungsgerechter Mittel) (vgl. HEFERMEHL 1990, S. 158ff.). Anders als bei den bürgerlich-rechtlichen Normen, bei denen die Klageberechtigung nur bestimmten betroffenen Personen zusteht, hatte der Gesetzgeber den Schutz vor unlauteren
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5 Grenzen der Handelspsychologie
Wettbewerbshandlungen weiter gefasst: Nicht nur hatten branchenangehörige Mitbewerber und gewerbliche Interessenverbände, sondern für bestimmte Wettbewerbsverstöße auch Verbraucherverbände eine selbstständige Klagebefugnis (§ 13 I, 1a UWG). Darin kam zum Ausdruck, dass der Schutz gegen unlauteren Wettbewerb nicht nur dem Individualinteresse von Marktbeteiligten, sondern auch dem Interesse der Allgemeinheit dienen sollte. Wegen der weitgehenden Einbeziehung der Wettbewerbshandlungen gegenüber Verbrauchern war das alte UWG in besonderem Maße für Einzelhandelsbetriebe relevant. Hinter den allgemein gefassten Klauseln der §§ 1 und 3 UWG und im Dschungel der unzähligen Gerichtsentscheidungen verbargen sich viele Fallen und Stolperdrähte für psychostrategisches und -taktisches Handelsmarketing. Aber auch die im alten UWG kodifizierten besonderen Tatbestände und die dazugehörige Rechtsprechung berührten vielfach psychologisch orientierte Handlungsweisen, im Einzelnen die Vorschriften über − − − − − − −
Konkurswarenverkauf (§ 6 UWG), Werbung mit Hinweis auf Hersteller- oder Großhändlereigenschaft (§ 6a UWG), Berechtigungs- und Bezugsscheine (§ 6b UWG), progressive Kundenwerbung; „Schneeballsystem“ (§ 6c UWG), Sonderveranstaltungen; Sonderangebote (§ 7 UWG), Räumungsverkauf (§ 8 UWG) und Bestechung von Angestellten (§ 12 UWG).
Mit der am 1. 8. 1994 in Kraft getretenen „kleinen UWG-Novelle“ wurden zwei weitere, 1986 erst eingeführte Verbotsregelungen ersatzlos wieder aufgehoben: 1. die Werbung mit mengenmäßig beschränktem Angebot (vormals § 6d UWG) und 2. die Werbung mit blickfangmäßig herausgestellten Preisgegenüberstellungen (vormals § 6e UWG). Darüber hinaus durften nunmehr Sonderangebote in der Werbung zeitlich befristet werden (§ 7 Abs. 2 UWG). Dies war jedoch kein Freibrief für jede zeitliche Begrenzung. In einem Sonderangebot z.B. für nur wenige Stunden konnte ein unzulässiges übertriebenes Anlocken i.S. von § 1 UWG liegen. Das neue Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 3.7.2004 dient gem. § 1 ausdrücklich dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher und der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerb. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem „unverfälschten Wettbewerb“. Das neue UWG bietet den Kaufleuten wesentlich mehr Gestaltungsfreiraum als das alte. Vor allem enthält es nicht mehr die frühere Regelung der Sonderveranstaltungen, also von Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel, die außerhalb des regelmäßigen Geschäftsverkehrs stattfinden und der Beschleunigung des Warenabsatzes dienen und den Eindruck hervorrufen, dass besondere Kaufvorteile gewährt werden. Sonderangebote sind nicht mehr nur für einzelne Artikel erlaubt, sondern auch für Teile des Sortiments. Selbst für das gesamte Sortiment dürfen nun Preisreduzierungen angekündigt werden. Auch sind die Beschränkungen für Räumungs- und Ausverkäufe weggefallen. Heute darf ohne zeitliche Beschränkung, ohne Anmeldung bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer und ohne besonderen Anlass ein Räumungsverkauf angezeigt und durchgeführt werden, solange der Kunde nicht getäuscht, irregeführt (z.B. durch Mondpreis- oder Lockvogel-Werbung) oder unzulässig beeinflusst wird. Wie unüberschaubar die Rechtsprechung jahrzehntelang gewesen ist und wie haarspalterisch manche Urteile ausgefallen waren, mögen einige Beispiele bis 2004 unerlaubter Sonderveranstaltungen verdeutlichen:
5.2 Rechtliche Grenzen − − − − − − − − − − −
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„3 tolle Tage – 3 billige Tage“ „Persianer-Sonderwoche“ „Mo-Di-Mi-Preise“ „Nur drei Tage, jetzt kaufen, enorm billig, großer Lodenmantelverkauf“ „Probierpreis! Statt € 7,50 nur € 6,95! Überzeugen Sie sich!“ „71-Pfennig-Woche“ (Angebot eines Lebensmittelfilialisten für 12 Artikel) „Super-Sonderangebote zum langen Samstag aus unserer großen Auswahl“ „Auslaufpreise“ „Vorsaisonpreise im Fotohandel“ „So billig wie noch nie! Sie sparen 20%! Nur bis zum ...“ „Sonderangebote für Damen-Mäntel und Kostüme in hochwertigen Qualitäten und modischen Formen zu außergewöhnlichen Sonderpreisen“.
Diese Zeiten der staatlichen Gängelung sind vorbei. So können nun ebenfalls in jedem Jahr Jubiläumsverkäufe veranstaltet werden, für die nach altem Recht mindestens fünf Jahre eingehalten werden mussten und für die eine vorherige Anzeige vorgeschrieben war. Der Gestaltungsspielraum für psychostrategische- und psychotaktische Werbeentscheidungen ist also wesentlich erweitert. Dennoch sollte die Rechtsprechung zum neuen Gesetz aufmerksam verfolgt werden; denn die in § 3 des neuen UWG aufgezählten folgenden 11 Beispiele unlauteren Wettbewerbsverhaltens können schließlich nicht abschließend sämtliche konkreten Einzelfälle erfassen: o o o o o o o o o o o
Druckausübung, menschenverachtende Einflussnahme, Ausnutzen geschäftlicher Unerfahrenheit, Verschleierung des Werbecharakters, unklare, nicht eindeutige Bedingungen für Preisnachlässe, Zugaben oder Geschenke, unklare, nicht eindeutige Teilnahmebedingungen bei Preisausschreiben oder Gewinnspielen, Kopplung von Preisausschreiben oder Gewinnspielen an eine Dienstleistung, Herabsetzung oder Verunglimpfung, Verbreitung kreditschädigender Behauptungen über Mitbewerber, Anbieten von nachgeahmten Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers, gezielte Behinderung von Mitbewerbern und Zuwiderhandeln gegen eine gesetzliche Vorschrift, die im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten regelt.
Noch Anfang Februar 2007 hatte das Bundeskartellamt gegen das DrogeriemarktFilialunternehmen ROSSMANN ein Bußgeld in Höhe von 300.000 Euro verhängt, weil man Markenwaren unter Einstandspreis verkauft habe. Für den Firmeninhaber Dirk Rossmann bedeutet dieses Urteil „für den Drogerie- und Lebensmitteleinzelhandel in der Praxis ein Verbot knackiger Sonderangebote“ (FAZ Nr. 65 v. 17.3.07, S. 14). In der Werbung mit mengenmäßiger Beschränkung liegt ein erhebliches psychotaktisches Potenzial: Ist ein günstiges Angebot erkennbar knapp, dann ist für Interessenten Eile geboten – lieber heute als morgen erwerben! Einen run auszulösen – welcher Kaufmann ist nicht angetan von dieser Aussicht! In der Verbraucherwerbung muss ein Einzelhändler hier zwar nicht mehr so sehr auf der Hut sein wie bis 1994; denn gemäß § 6d UWG (alt) war die Werbeankündigung einer Abgabebeschränkung je Kunde oder eines Abgabeausschlusses an
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5 Grenzen der Handelspsychologie
Wiederverkäufer für einzelne Waren mit dem Anschein eines besonders günstigen Angebots verboten. Dabei war es gleichgültig, ob es sich um ein normales Angebot oder um ein Sonderangebot handelte. Angaben wie „Abgabe nur in haushaltsüblichen Mengen“ oder „Abgabe nur 3 Stück pro Person“ waren unzulässig, die Angabe „100 Hosen“ hingegen zulässig. Die Aussage „Nur solange der Vorrat reicht“ bot nur einen relativen Schutz; denn die beworbene Ware musste für eine angemessene Zeitdauer in ausreichender Menge im Geschäftslokal vorrätig sein (etwa Vorrat in Höhe eines Dreitageumsatzes). Seit der ersatzlosen Streichung des vormaligen § 6d UWG ist die Werbung mit Mengenbeschränkung nach neuem Recht erlaubt. Heute sieht das neue Recht eine Mindestvorratsfrist von zwei Tagen vor, wenn in der Tagespresse geworben wird. Bei einem mittels Prospekt angekündigten Sonderverkauf sollte der Vorrat eine Woche, bei Katalogwerbung mindesten einen Monat reichen. Gelten die Angebote für einen bestimmten Zeitraum, müssen sie auch während des gesamten Zeitraums erhältlich sein. Dennoch ist Vorsicht geboten. Am besten kündigt der werbende Händler den genauen Vorrat an, z.B. „lediglich 12 Geräte vorrätig“. Psychotaktisch besonders erfolgversprechend ist die Werbung mit Preisgegenüberstellung: Der auffällige niedrigere Preis neben dem durchgestrichenen bisherigen Preis übt nicht nur auf Schnäppchenjäger einen magischen Reiz aus. Solch eine Preisgegenüberstellung war (seit der UWG-Novelle von 1986 und bis zur UWG-Novelle von 1994) gemäß § 6e UWG verboten, allerdings nicht generell, sondern nur wenn sie „blickfangmäßig herausgestellt“ wurde. Blickfangmäßige Herausstellung war regelmäßig bei Schaufenster-, Anzeigen-, Plakat- oder sonstiger Medienwerbung anzunehmen. Sie galt im genannten Zeitraum jedoch nicht für Preisgegenüberstellungen innerhalb der Geschäftsräume; hier konnten an der Ware oder an den Regalen oder durch Deckenhänger („Schilderwald“) auffällige Preisgegenüberstellungen angebracht werden. Blickfangmäßige Medienwerbung war nicht nur für konkrete Preisgegenüberstellungen („bisher 48,– €, jetzt 25,– €“), sondern auch für Werbung mit Preissenkungen um einen bestimmten Betrag oder Prozentsatz („Bügeleisen X, um die Hälfte reduziert“) verboten. Hingegen war die Ankündigung einer Preissenkung um eine Spannweitenangabe („bis zu 50% herabgesetzt“) erlaubt. Zur Erleichterung insbesondere des Facheinzelhandels sind diese Restriktionen beseitigt. Nun können eigene Preise für einzelne Waren oder Dienstleistungen gegenübergestellt werden. Erlaubt sind durchgestrichene Preise, „statt“-Preise und Preissenkungen um einen bestimmten Betrag oder Prozentsatz, solange sie nicht gegen das Täuschungsverbot verstoßen. Ebenfalls erlaubt ist ein Vergleich des eigenen Preises mit der unverbindlichen Herstellerpreisempfehlung, wenn letztere eindeutig als unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers gekennzeichnet wird, jedoch nicht wenn vieldeutige Begriffe verwendet werden (Brutto-, Listen-, Katalog-. Richtpreis o.ä.). Vorsicht ist bei Auslaufmodellen geboten; bei ihnen darf nicht mehr auf die frühere Herstellerpreisempfehlung Bezug genommen werden. Als wettbewerbsrechtlicher Sonderfall gilt die vergleichende Preiswerbung, bei der ein Gewerbetreibender seine eigenen Preise mit denen von Mitbewerbern vergleicht. Auch diese Strategie ist gemäß § 3 UWG erlaubt, wenn der Vergleich inhaltlich wahr ist und deutlich macht, auf welchen oder welche Mitbewerber er sich bezieht. Alles in allem hat die Modernisierung des UWG eine deutliche Ausweitung der Grenzen für psychologisch attraktive Elemente der Preispolitik bewirkt und ihren Einsatz für das Handelsmanagement erleichtert. Mit dem zunehmenden elektronischen Handel sind vor allem die Vorschriften des ehemaligen Fernabsatzgesetzes zu beachten, dessen neue Regelungen sich seit 1.1.2002 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) finden, sowie die Informations- und Nachweispflichten gemäß der
5.2 Rechtliche Grenzen
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Informationspflichten-Verordnung (BGB-InfoV). Die Regelungen gelten für alle Fernabsatzverträge zwischen einem Gewerbetreibenden als Verkäufer und einem Verbraucher als Käufer, d.h. für den Versandhandel, alle Internet-Shops und z.B. bei eBay geschlossene Verträge, vor allem das Widerrufs- bzw. Rücktrittsrecht und die vielen Informationspflichten. So muss z.B. der Unternehmer den Verbraucher vor Abschluss eines Fernabsatzvertrags gemäß § 312 Abs. 1 Nr. 1 BGB in Textform mindestens informieren über 1. 2. 3.
seine Identität, seine ladungsfähige Anschrift, wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung sowie darüber, wie der Vertrag zustande kommt, 4. die Mindestlaufzeit des Vertrags, wenn dieser eine dauernde oder regelmäßig wiederkehrende Leistung zum Inhalt hat, 5. einen Vorbehalt, eine in Qualität und Preis gleichwertige Leistung (Ware oder Dienstleistung) zu erbringen, und einen Vorbehalt, die versprochene Leistung im Falle ihrer Nichtverfügbarkeit nicht zu erbringen, 6. den Preis der Ware oder Dienstleistung einschließlich aller Steuern und sonstiger Preisbestandteile, 7. ggf. zusätzlich anfallende Liefer- und Versandkosten, 8. Einzelheiten hinsichtlich der Zahlung und der Lieferung oder Erfüllung, 9. das Bestehen eines Widerrufs- oder Rückgaberechts, 10. Kosten, die dem Verbraucher durch die Nutzung der Fernkommunikationsmittel entstehen, sofern sie über die üblichen Grundtarife, mit denen der Verbraucher rechnen muss, hinausgehen und 11. die Gültigkeitsdauer befristeter Angebote, insbesondere hinsichtlich des Preises. Das Rücktrittsrecht innerhalb von 14 Tagen gilt ebenfalls für die "besondere Vertriebsform" der sog. Haustürgeschäfte. Diese Bestimmung soll den Käufer vor psychologisch ausgefeilten Tricks im Verkaufsgespräch schützen, in das er in der Regel unvorbereitet hineingezogen wird. Merkt der z.B. mit einem Gewinnversprechen zu einer Kaffeefahrt verlockte und schließlich überrumpelte Käufer erst zu Hause, dass die ihm aufgedrängte erworbene Ware unbrauchbar oder viel zu teuer ist, steht ihm das Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Auf den Internet-Handel, zumal auf die kleineren Online-Händler, und auf die InternetAuktionen kommen bei Streitigkeiten im grenzüberschreitenden Verkauf erhebliche Änderungen zu. Wenn der Vorschlag von EU-Justizkommissar Franco Frattini realisiert werden sollte, wird künftig bei Rechtsstreitigkeiten an die Stelle der bisherigen freien Vertragswahl bei Internetgeschäften das Verbraucherrecht des Mitgliedsstaates (von 27 EU-Staaten) treten, in dem der Verbraucher seinen ständigen Wohnsitz hat. Damit müssten Internetversandhäuser für den Vertrieb in alle Mitgliedsstaaten 27 verschiedene Geschäftsbedingungen vorhalten.
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5 Grenzen der Handelspsychologie
Nicht jeder Einzelhändler, zumal kein Kleinbetrieb, kann seine Absatzwerbung durch einen Hausjustitiar absegnen lassen. Angesichts einer selbst für juristische Fachleute kaum noch zu überblickenden Rechtsprechung gewinnt mancher den Eindruck, bei jedem Inserat mit einem Bein im Gefängnis zu stehen, wie es ein Fachhändler formulierte. Jedenfalls ist die Verunsicherung über zulässige und unzulässige Werbung groß. Die gleiche Verunsicherung gilt im Bereich des Arbeitsschutzes, den der Staat – trotz beachtlicher Deregulierungen auf anderen Rechtsgebieten – mehr und mehr reguliert. 1980 gab es für den Bereich Arbeitsschutz in Deutschland 62 Regularien, 20 Jahre später waren es bereits 96. 1980 kam man mit 126 technischen Regeln aus. Im Jahre 2000 brauchte man 583. Die Einhaltung aller Rechtsvorschriften kann ein einzelner Unternehmer längst nicht mehr selbst überprüfen. Er muss dafür Beauftragte abstellen oder externe Berater in Anspruch nehmen: private Beratungsfirmen, öffentlich geförderte Betriebsberater oder Senior Coaches. Bürokratie und Regulierungswut lähmen „die Lust, sich selbstständig zu machen, zumal die Existenzgründung selbst häufig zu einem bürokratischen Hürdenlauf wird“ (WENZEL 2006, S. 66). Bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts schien es manchmal, als sei im Handel alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt war. Nun sind die rigiden Ladenschlussregeln gefallen, Rabattgesetz und Zugabeverordnung sind abgeschafft und die Regelungen für Sonderveranstaltungen, Jubiläumsverkäufe, Sommerschluss-, Winterschluss- und Räumungsverkäufe ersatzlos gestrichen. „Nun herrscht im Prinzip Wettbewerb pur.“ (WENZEL 2006, S. 61) Der Handelspsychologe hat nun ein rechtlich ausgeweitetes Betätigungsfeld und größere Handelungsfreiheit. Gleichwohl kommt er nicht ganz umhin, sich mit den Wettbewerbsgesetzen und Verordnungen sowie mit den Klügeleien der Rechtsprechung auseinander zu setzen. Musste man sich in der Einzelhandelspraxis schon des Öfteren wundern, wie rasch die Realisierung gutgemeinter Marketing-Aktionen behindert wurde, so können Überraschungen wie das folgende Beispiel auch in Zukunft immer wieder auftreten. Ein Warenhaus wollte im Rahmen einer „Frühlings-Aktion“ im ganzen Haus Ventilatoren mit flatternden bunten Bändern einsetzen – unbestreitbar eine hübsche Idee. Die Frühlingsbänder durften jedoch nicht sogleich flattern; denn zunächst wurde das Vorhaben durch die Beantragung einer TÜV-Genehmigung verzögert. Dann wurde die Genehmigung erteilt – mit der Auflage, die Geräte nach 15 Betriebsminuten für 45 Minuten auszuschalten. Am Ende gelang die „Frühlings-Aktion“, verspätet und in recht bescheidenem Umfang. Verhindert hatte den Einsatz der meisten Ventilatoren – der Betriebsrat ...
5.3
Ethische Grenzen
Ethik, die Sittenlehre nach ARISTOTELES, sucht als praktische Philosophie Antworten auf die Frage nach dem rechten sittlichen Handeln in der jeweiligen Situation. Sie sucht nach den grundlegenden Werten (Idealen und Normen) und der Werthierarchie, die die Menschen verwirklichen, die sie in ihrem Verhalten leiten sollen. Der KANTsche kategorische Impera-
5.3 Ethische Grenzen
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tiv enthält eine solche allgemeine Antwort: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne!“ Diese Handlungsmaxime verdeutlicht eine Grundanforderung an individuelles Handeln wie an Gruppenhandeln: Wenn ihm die Qualifikation „sittlich“ oder „moralisch“ zugesprochen werden soll, muss es universalisierbar sein (vgl. HOMANN/BLOME-DREES 1992, S. 15). Aber welches sind die sittlichen Ideale und Normen aus der Werteüberfülle, die im Wirtschaftsleben universal anerkannt und ausgeübt werden sollen? Gibt es eine maßgebliche Werthierarchie für das Wirtschaftsleben? Herrscht ein fremdgesetzliches, offenbartes göttliches Sittengesetz oder ein eigengesetzliches, das der Mensch sich gibt? Gilt ein absolutes Sittengesetz oder ein relatives, das die ethischen Werte als Funktion der jeweiligen Zielsetzung des Handelns betrachtet? Gibt es übergreifende allgemeine Grundwerte (Kardinaltugenden) oder einen Kanon von besonderen sittlichen Werten (Tugenden wie Gerechtigkeit, Weisheit, Nächstenliebe, Aufrichtigkeit, Treue, Bescheidenheit) oder gar einen Kanon von spezifischen sittlichen Werten für das gesamte Wirtschaftsleben (Wirtschaftsethik) oder für die Unternehmen, ihre Inhaber, Manager und sonstige Mitarbeiter (Unternehmensethik)? Wandelt sich ein Wertekanon, eine Wertehierarchie nicht ständig, eine sozial-historische Relativität der Inhalte ethischer Werte widerspiegelnd? Bilden nicht Kultur-, Sozial-, und Wirtschaftsgeschichte die Bedingungen für die Herausbildung und Veränderung allgemeiner moralischer Wertmuster in einer Gesellschaft? (Vgl. A. PICOT 1974, Sp. 563). Und wird die Religion nicht als eine Art Metaethik angesehen, die nach Max WEBER für die Entwicklung der Wirtschaftsethik die Voraussetzung bildet? Wenige Fragen genügen, um die Problematik einer verlässlichen ethischen Grenzziehung für wirtschaftliches Handeln aufzuzeigen. Dabei ist die Urfrage, um die der sog. Werturteilsstreit der Nationalökonomie kreiste – ob sich die Wirtschaftswissenschaften überhaupt mit Fragen des Seinsollens, also mit Normen, beschäftigen dürfen oder sich auf Fragen des Seins zu beschränken haben –, noch nicht einmal angesprochen. Das wichtigste Ergebnis jenes Werturteilsstreits, nämlich dass werturteilsfreie Wissenschaft als solche gar nicht möglich ist, hat den Zugang zu Wirtschaftsethik, Wirtschaftsphilosophie und Unternehmenskultur gewiss erleichtert. Aber die Propheten einer normativen Ökonomie bzw. einer „integrativen Wirtschaftsethik“ (H. KAISER), welche eine Integration von explikativen und normativen Theorieteilen anstrebt, bieten für die ungezählten ökonomischen Alltagsentscheidungen alles andere als einen festen sittlichen Grund an. Dagegen ist die Psychologie, zumindest ihre humanistische und ihre behavioristische Richtung, zwangsläufig mit Ethik als der Lehre von den Normen menschlichen Verhaltens und Handelns befasst. Der ethische Ansatz in der Psychologie kennzeichnet dabei den Standpunkt, wonach sich in psychopathischem Verhalten das Fehlen eines Gefühls für Verantwortung widerspiegelt (vgl. BOURNE/EKSTRAND 1992, S. 597). Fehlendes Gefühl für Verantwortung kann aber nicht immer nur den Probanden und den Klienten, immer nur „den anderen“ (Jean Paul SARTRE), angelastet werden. In den offenen Werbekampagnen der „Markenartikler“ wie in ihren verdeckten Werbeaktionen des Product Placement und der Schleichwerbung in Film und Fernsehen wird deutlich, dass auch Werbepsychologen ethische Grundsätze immer öfter verlassen. Ohne erkennbare moralische Hemmungen wird versucht, psychische Notlagen der Verbraucher auszunutzen: − Ängste und Hemmungen („Der peinliche Mundgeruch“);
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5 Grenzen der Handelspsychologie
− Leistungszwang („Sind Sie sicher, dass Sie so weiß waschen, wie Sie könnten?“); − Leiden an der Anonymität in der Massengesellschaft („... wenn Sie das Besondere lieben“); − Enge und Langeweile des Alleinseins („Ein Hauch von Romantik und Abenteuer“) usw. Dass diese Probleme tatsächlich nicht durch den Kauf eines Produkts zu lösen sind, wissen Psychologen gewiss selbst am besten. Zum Glück für die Verbraucher ist die Wirkung der Werbung auch nicht so total, wie es sich die wünschen, die sie machen (vgl. KAKUSKA 1974, S. 301). In welches Hochspannungsfeld auch das rationale kaufmännische Handeln aus ethischer Sicht geraten muss, kann an wenigen Beispielen leicht einsichtig gemacht werden: Sind die Anspielungen auf das pure Lustprinzip der Kunden – nach S. FREUD die eher kindliche Grundlage des seelischen Geschehens, das der Mensch im Laufe seiner Entwicklung durch Anpassung an die realen Gegebenheiten meistern und durch das Realitätsprinzip zu ersetzen lernen muss – sittlich vertretbar? Oder ist der Weiterverkauf einer (unveränderten) Ware mit einem Kalkulationsaufschlag in Höhe von 25% oder 50% oder 150% oder 300% ethisch gerechtfertigt? Die alte Frage nach dem gerechten Preis, dem iustum pretium. Widerspricht der eine oder andere Kalkulationsaufschlag oder widersprechen gar alle genannten Aufschläge dem ethischen Gebot der Nächstenliebe, der Tugend der Gerechtigkeit? Ist das Feilbieten von preiswerter Importware ethisch gerechtfertigt? (Es verwirklicht offensichtlich völlig konträre Werte: die positiven Werte der preisgünstigeren Versorgung und der Reallohnsteigerung der Erwerbstätigen im Inland einerseits, die negativen Werte der Förderung der Arbeitslosigkeit im Bereich der inländischen Fertigung und u.U. der Ausbeutung von Produzenten im Ausland, etwa in Entwicklungsländern, andererseits). Verstoßen psychotaktische Maßnahmen des Handelsmarketings, wie etwa − − − −
das Aufstellen von sog. Stolperkörben auf den ersten drei Gangmetern des Supermarkts, der Einbau von Grifflücken im Regal bei Joghurtbechern, die Platzierung der Süßigkeiten in der Bückzone (Greifzone für Kinder) oder das kaufstimulierende Darbieten von Käseproben,
gegen das Gebot der Achtung der Persönlichkeitswerte (Manipulation)? LUTHER bot noch Antworten auf Einzelfragen des sittlich (= christlich) rechten und des unrechten kaufmännischen Verhaltens („Sermon vom Wucher“, 1520; „Von Kaufhandlung“, 1524; „An die Pfarrherrn, wider den Wucher zu predigen“, 1539/40). Aber wie zeitgebunden waren LUTHERs Ratschläge! Ethische Fragen scheinen aus der fachlichen Diskussion und aus der betrieblichen wie der schulischen und hochschulischen Handelslehre weitgehend ausgeklammert zu sein. Eine bemerkenswerte Ausnahme bot die Hochschule Bremen in den 90er Jahren mit ihrem Studiengang „Management im Handel“. Dort wurde den Studierenden ein zusätzliches Wahlfach angeboten, in dem Themen zu Fragen der Unternehmenskultur und Wirtschaftsethik im Vordergrund standen. Heute sind im deutschsprachigen Raum zwar an über 20 Universitäten Lehrstühle oder Institute für Wirtschafts- und Unternehmensethik, Umweltethik, nachhaltiges Management oder mit ähnlichen Bezeichnungen eingerichtet. Eine spezielle Lehr- und Forschungseinheit für Ethik im Handel ist dem Verfasser jedoch (noch) nicht bekannt geworden. (Internet-Suchmaschinen melden zur Suchwort-Kombination „Ethik im Handel“ jede Menge Fundstellen. Bei ihnen handelt es sich meist um Festvorträge zum Lobe des Fair
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Trade). In vielen wirtschaftswissenschaftlichen und in fast allen handelswissenschaftlichen Lehrbüchern sucht man jedenfalls nach wie vor vergeblich nach den Stichwörtern „Ethik“, „Wirtschaftsethik“ oder „Handelsethik“. Handel und Ethik – das ist eine Verbindung, die Ökonomen wie Moralphilosophen anscheinend zuletzt einfällt. Dafür stehen sie alle in einer allzu nachhaltig wirkenden Tradition der Vorurteile allem Händlerischen gegenüber (vgl. SCHENK 1991, S. 50–56), die sich heute hinter dem Modebegriff Image-Malus des Handels verbirgt. Sie reicht von den antiken griechischen Philosophen über die römischen Kirchenlehrer (Patristik), den Frühsozialismus und den MARX-ENGELSschen „wissenschaftlichen Sozialismus“ mit seiner Geringschätzung der „Zirkulationssphäre“ bis hinein in die ideologischen Verirrungen des Nationalsozialismus über das im Handel konzentrierte „jüdische Großkapital“. Aber man täusche sich nicht! Vorbehalte, Argwohn und Unverständnis dem Handel gegenüber sind immer noch virulent. Ein zeitgenössischer Literat fokussiert das Unanständige am Kapitalismus immer noch am liebsten in der Person des Händlers. Und wie viel dumm-diskriminierende Redensarten sind noch im Umlauf, denen zufolge Handel das Gegenteil von moralischen Werten verkörpert. In den Anfängen der Tauschwirtschaft und in der Frühzeit der Geldwirtschaft waren in der Tat Betrügereien an der Tagesordnung. Keine einheitlichen, geeichten Maße und Gewichte sowie eine Vielfalt von nicht fälschungssicheren Münzen, deren Wert von Kippern und Wippern geschätzt werden musste, schwankende Warenqualitäten, fehlendes Verkehrsrecht und tausend andere Unzulänglichkeiten machten das Handelsgewerbe, dem immerhin die Entstehung und Entwicklung von Städten und mancherlei kulturellen Einrichtungen zu verdanken ist – man denke nur an die großen Handelshäuser der FUGGER und WELSER, der BEHAIM, PAUMGARTNER und TUCHER –, auch zu einem Anziehungsort für Betrüger und „banquerotteurs“. Die Zeiten haben sich gründlich gewandelt, die Vorurteile kaum. Dem Handel gegenüber nehmen viele Menschen gern jene hedonische Tendenz ein, der zufolge sie die Ursache von angenehmen Zuständen sich selbst oder dem zufriedenstellenden Konsumgut zuschreiben, die Ursache für unangenehme Zustände, z.B. für die Enttäuschung über das erworbene Konsumgut, jedoch beim Händler und seiner schlechten Beratung suchen. In diesem Kontext ist wohl auch dem Bundesgerichtshof in jenem Metro-Urteil Weltfremdheit zu bescheinigen, in dem er eine Kontrolle des gewerblichen oder privaten Gebrauchs der Ware durch das Metro-Kassierpersonal als Kriterium für die Zulässigkeit des Einkaufs mit Ausweisen vorsah. Auch in der Gegenwart werden im Handel immer wieder Praktiken aufgedeckt, die ethischen Wert- und Anstandsvorstellungen widersprechen. Außer den eingangs erwähnten Methoden des Ladendiebstahls und der krankhaften Kleptomanie werden betrügerische Handlungen aller Art bekannt: Veruntreuung, Unterschlagung, Verkauf von Kundenanschriften, Komplizenschaft im Wareneingang, EDV-Manipulationen, Privattanken im Außendienst, Bezahlen mit Falschgeld, Einbruch und Überfall, Erpressung (vgl. die „Dagobert“-Aktionen gegen den Karstadt-Konzern), sogar Kidnapping usw. Anfällig für betrügerische Handlungen sind vor allem Internet-Handel und -auktionen. Sei es, dass im Internet gekaufte Ware trotz Bezahlung nicht geliefert wird, sei es, dass sich bei eBay-Versteigerungen Freunde gute Bewertungen zuschustern, die den irregeführten Erwerber vom betrügerischen Angebot ablenken, oder sei es, dass Online-Anbieter zu wenig in Technik für sicheres Online-Banking investieren. Leider nutzen einige sog. Online-Händler die Geiz-ist-geil-Mentalität mancher Kunden betrügerisch aus. Die Fachzeitschrift PC-Welt nannte im März 2004 die folgenden „fiesen Tricks der Onlinehändler“; sie werden gewiss nur von den Schwarzen Schafen angewandt,
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aber sie prellen die ahnungslosen oder allzu vertrauensseligen Kunden um erhebliche Geldbeträge: – Der Tagespreis-Trick (Anbieter gelangen über fiktive Niedrigpreise in Preissuchmaschinen. Auf der Homepage steht ein höherer Preis. Nur über einen unauffäligen Hinweis „Den Tagespreis finden Sie durch Eingabe im Suchfeld unserer Website“ kann der Kunde eventuell den niedrigeren Preis entdecken). – Der Versandkosten-Trick (Es werden Versandkosten verlangt, die erheblich über den Tarifen der Zusteller liegen; die Differenz wird von den Online-Händlern eingestrichen). – Der Sammelbestellungs-Trick (Der Online-Händler wartet 20, 30 Bestellungen ab und ordert erst dann verbilligt bei seinem Lieferanten). – Der Vorkasse-Trick (Die Vorauszahlung ist für Kunden die unsicherste Zahlungsweise, falls die Lieferung verspätet, fehlerhaft oder gar nicht eintrifft. Bezahlung per Nachnahme oder per Bankeinzug sind auch nicht risikofrei, aber beim Bankeinzugsverfahren kann der Kunde innerhalb von 6 Wochen eine Stornierung veranlassen). – Der Nicht-erreichbar-Trick (Besonders im Nebenberuf tätige kleinere Online-Händler bieten keine Rückfragemöglichkeit wie z.B. ein Call-Center; der telefonisch Rückfragende wird in teuere Warteschleifen gelenkt, der per E-Mail Nachfragende bekommt keine Antwort). (Vgl. www.pcwelt.de/_misc/article/print/index) Probleme bereitet vielen Unternehmen der Falschgeld-Umlauf. Außer an Tankstellen und in Apotheken wird Falschgeld vor allem im stationären Einzelhandel ausgegeben. Auch wenn Falschgeld von den Kassierer(inne)n zunächst unerkannt angenommen und erst bei der Bearbeitung durch Werttransportunternehmen oder Kreditinstitute als solches erkannt wird, muss das Handelsmanagement größte Aufmerksamkeit bei der Entgegennahme von Bargeld walten lassen und das Kassierpersonal gründlich in der Kenntnis aller Sicherheitsmerkmale auf den Euro-Banknoten schulen. Nach einer Zusammenstellung der WDR-Wirtschaftsredaktion vom 5.7.2001 tragen die 50-Euro-Noten z.B. folgende Sicherheitsmerkmale, die sie von den „falschen Fuffzigern“ unterscheiden: • • • • • • • •
Der Sicherheitsfaden ist in den Schein eingearbeitet und tritt an mehreren Stellen silbern glänzend an die Oberfläche. In Mikroschrift sind nur mit der Lupe lesbare Wertangaben geschrieben. In ultraviolettem Licht leuchten Teile des Städtebildes, die Notennummern und farbige Fasern im Papier. Durch den Stichtiefdruck sind mit den Fingerspitzen die hervorgehobenen Schriftzüge "Deutsche Bundesbank" und die Wertangaben deutlich fühlbar. Das Durchsichtsregister enthält in einem Sechseck unregelmäßige Zeichen, die bei der Durchsicht ein "D" bilden. Das Wasserzeichen erscheint im Gegenlicht. Das Kinegramm ist eine eingearbeitete Silberfolie. Nur die Scheine vom 50-Mark-Schein aufwärts weisen dieses Merkmal auf. Der Kippeffekt lässt im rechten Farbbalken die Notenwerte erscheinen. Auch dieses Merkmal ist nur auf den großen Scheinen vorhanden.
Mangelnde Aufmerksamkeit kann teuer werden; denn als falsch erkanntes Geld wird ersatzlos eingezogen, und wer gefälschtes Geld – jeglicher Währung – weitergibt, macht sich gemäß §§ 146 ff. StGB strafbar. Die Investition in Geldprüfgeräte, aber auch die Teilnahme am
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Internet-„Blütennetz“, einem vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) eingerichteten Frühwarnsystem, kann sich lohnen. Ein trübes Kapitel stellen unseriöse Kaffeefahrten dar. Hier werden vor allem ältere Menschen mit Einladungen zu „beliebten Senioren-Partys“ mit kostenlosem Mittagessen, mit Gewinn- oder mit Geschenkversprechen angelockt, um dann mit einem lächerlichen, wertlosen „Geschenk“ abgespeist und unter psychologischem Druck, manchmal animiert durch Komplizinnen des anonymen Veranstalters, zum Kauf minderwertiger und/oder überteuerter Ware verführt zu werden. Zwar sind falsche Versprechungen auf Kaffeefahrten strafbar. So bestätigte der Bundesgerichtshof die Verurteilung eines Veranstalters wegen strafbarer Werbung. Er hatte Rentner gelockt, denen er ein Mittagessen und Topgewinne versprach. Das Essen entpuppte sich als eine Dose Brechbohnen, und eine Verlosung hatte nie stattgefunden (BGH-Urteil v. 15.08.02, AZ 3 StR 11/02). Dennoch finden Veranstalter von Kaffeefahrten immer wieder psychologische Verkaufstricks, die ethisch verwerflich, juristisch jedoch eben noch zulässig sind. Zu solch dreisten Tricks zählt etwa die zermürbende, stundenlange winterliche Fahrt im Bus, dessen Klimaanlage „ausgefallen“ ist – eine Garantie für den schwunghaften Verkauf von (zu) teuren Wolldecken! Die unter dem Titel „Kriminal-Tango im Einzelhandel“ vorgelegte Sammlung von 333 skrupellosen Fällen zeigt erschreckend deutlich, dass moralische Enthemmung nicht nur auf allen Stufen der betrieblichen Hierarchie, also bei den internen Mitarbeitern, sondern auch bei Kunden sowie externen Mitarbeitern und Auftragnehmern (Kaufhaus-Detektive, Techniker und Handwerker, Rack Jobber und Kundendienste, Geldtransporte, Spediteure, Reinigungsund Werbekolonnen) anzutreffen ist (vgl. WIRSCHING 1989). Psychologisch mag vieles erklärbar sein: zunehmende Warenüberfülle (Sortenhypertrophie), Selbstbedienung, Zugang zu großen Kassenbeträge einerseits, zunehmende Armut und Missachtung privaten Eigentums andererseits. Gründe für Verfehlungen mögen in den geringen Aufklärungsquoten und in harmlosen Sanktionen für die Ertappten liegen; denn beides animiert nur zu weiteren Betrugshandlungen. Hinter manchen Formen von Wirtschaftskriminalität mögen wieder andere Gründe und Motive liegen. Kommen z.B. Zugang zu fremden Geldbeträgen erheblicher Größenordnung, eigene Überschuldung und Persönlichkeitsdefizite zusammen, dann kann daraus schweres kriminelles Fehlverhalten entstehen. Man denke an den HerosBetrugsskandal. Die Unterschlagung von mehr als 400 Millionen Euro durch Heros, das größte deutsche Geldtransport-Unternehmen, wurde Anfang 2006 aufgedeckt. Der Strafprozess wegen schwerer Untreue, Insolvenzverschleppung und Bankrott führte im Mai 2007 zu langjährigen Haftstrafen für den Firmengründer, der jahrelang Bilanzlöcher mit Kundengeldern gestopft hatte, sowie für zwei Niederlassungsleiter und einen Prokuristen. Insgesamt wurden durch den Heros-Betrug mehr als 1000 Firmen, vor allem aus dem Lebensmittel- und Parfümerieeinzelhandel, geschädigt (ZEIT online, dpa, v. 23.05.2007). Ein präventives Handelsmanagement ist offenbar nötig. Zur Prävention gehören neben Maßnahmen zur Vermeidung von betrügerischen Handlungen allerdings auch Vorkehrungen der Firmenleitung, des Vorstands oder des Topmanagements für die körperliche und seelische Unversehrtheit aller Mitarbeiter im Handelsbetrieb. Zahlreiche Vorkehrungen zum Schutz der Mitarbeiter (und Kunden) sind in der Verordnung über Arbeitsstätten v. 12.08.2004, zuletzt geändert am 06.03.2007, vorgeschrieben, z.B. Vorschriften über Fluchtwege, Raumtemperatur, Lüftung, Sanitärräume, Pausen- und Bereitschaftsräume. Informatorische Hilfestellung gewähren mehrere Institutionen. So hat etwa das
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5 Grenzen der Handelspsychologie
RKW Hessen im Rahmen seines GUSS-Projekts für Existenzgründer (Gesund und sicher starten) einen Katalog von Ratschlägen für gesunde Arbeitsbedingungen und für ein gutes Arbeitsklima im Einzelhandel zusammengestellt. (vgl. www.guss-net.de/02_Gruendergruppen/02_Einzelhandel). Die Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel BGE bietet auf ihrer Homepage unter www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Psychische-Fehlbelastung-Stress/ ISO10075/ISO10075.html__nnn=true einen Link auf die Zusammenstellung „Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA). Die Beschäftigten werden mit Freude und Engagement für den Betrieb arbeiten, wenn sie merken, dass sich das Management um sein Wohlergehen kümmert. Auf keinen Fall darf die Leitung einer Filiale zum riskanten oder sogar lebensbedrohenden Job werden. Leider ist es kein Geheimnis, dass Filialleiter beim Kassensturz und beim anschließenden Transport der Tageseinnahme zum Schließfach des Kreditinstituts in hohem Maße gefährdet sind. Sicherheitsvorkehrungen wie Notrufanlagen oder wenigstens mobile Telefone im Laden und/oder im Fahrzeug sind nicht nur eine psychologische Abschreckungsmaßnahme für potenzielle Täter – sie können auch Menschenleben retten. Entsprechende Sicherheitsvorkehrungen zu unterlassen muss daher als besonders verwerflicher Verstoß gegen ethische Wertvorstellungen angesehen werden. (Anfang August 1994 wurde die Leiterin einer Kölner Drogeriemarkt-Filiale ermordet. Nach mehreren Einbrüchen waren dort die Waren durch eine Alarmanlage gesichert worden – nicht aber die Menschen durch einen zusätzlichen Alarmknopf. Nach Ermittlungen der Polizei muss die Frau minutenlang mit dem Angreifer gekämpft haben. Wenn es einen Alarmknopf gegeben hätte, hätte sie genügend Zeit zu seiner Betätigung gehabt). (Vgl. WIRTSCHAFTSWOCHE Nr. 33/1994, S. 11). Um seelische Verletzungen zu verhindern bzw. mit Sanktionen zu belegen, kann das Handelsmanagement einen firmeneigenen Ethik-Kodex, eine Unternehmensethik, Ethikrichtlinien oder Sittenregeln schriftlich niederlegen, auf deren Einhaltung alle Mitarbeiter(innen) verpflichtet werden, tunlichst mit dem Einverständnis des Betriebsrats. Oder es kann eine neutrale Ethik-Hotline einrichten, an die sich Mitarbeiter wenden können, die sich belästigt oder verletzt fühlen. Bei derartigen Selbstnormierungen sind Verantwortung und Maß unerlässlich. Sonst werden ethische Grenzen so zweifelhaft wie das seinerzeit im deutschen Verhaltenskodex von WalMart enthaltene Verbot von „sexuell deutbarer Kommunikation jeder Art“. Dabei hat es sich wohl um eine wörtliche Übersetzung aus dem Amerikanischen gehalten (sexual harassment). In den USA riskieren zwei WalMart-Mitarbeiter für einen kurzen Moment lang Händchenhalten tatsächlich die Kündigung. Werden Mitarbeiter verpflichtet, Verstöße gegen den Ethik-Kodex zu „melden“, dann kann das als Aufruf zum Denunzieren missverstanden werden. Und wenn die Hotline-Beschwerde über einen massive Belästigung oder einen sonstigen Verstoß gegen den Ethik-Kodex bei einem Mitglied der Geschäftsführung landet, wird die normierte ethische Grenzziehung völlig ad absurdum geführt. Zum Glück handelt es sich bei den amoralischen Handlungsweisen nur um Ausnahmen. Denn es gibt auch ethisch besonders bewusst handelnde Menschen, wie überall so auch im Handel. Da ist der gerechte und menschenfreundliche Chef, der sorgfältig auf Qualität oder ökologisch unbedenkliche Ware achtende Einkäufer, der unbestechliche Buchhalter, der achtsame Lagerist und das ehrliche Verkaufspersonal auf der einen Seite. Auf der anderen Seite begegnen dem ordentlichen Kaufmann zuverlässige Lieferanten genauso wie korrekte Kundschaft. Der amerikanische Sozialpsychologe G.P. STONE hat im Beziehungsfeld Einzelhandel-Konsument vier Konsumenten-Persönlichkeiten identifiziert: den ökonomisch
5.3 Ethische Grenzen
297
handelnden Kunden (the economic shopper), den persönlichkeitsorientierten Kunden (the personalizing consumer), den gleichgültigen Konsumenten (the apathetic consumer) und den ethisch-verantwortungsbewussten Konsumenten (the ethical consumer). Nach STONEs Beobachtungen zieht der ethical consumer kleine unabhängige Geschäfte den großen anonymen Filialbetrieben vor, wobei ihn der Gedanke leitet „Dem Kleinen muss geholfen werden, ungeachtet seiner Preise, der geführten Marken oder anderer Kriterien; auch kommt er mit seiner individuellen Leistung meinen Bedürfnissen eher entgegen als die kalten, unpersönlichen Großen“. Diese Beobachtung aus den 50er Jahren und aus den USA mag auf breiter Front in Deutschland nicht (mehr) zutreffen. Aber ist der ethische Kundentyp nicht immer noch anzutreffen? Bedarf es womöglich nur etwas mehr Aufklärung, auch durch die allgemeinbildenden Schulen? Die aus den USA stammende Idee, Einkauf von und Handel mit Nahrungsmitteln aus Entwicklungsländern zum Schutze ihrer Kleinbauern nach ethischen Gesichtspunkten zu organisieren („shopping for a better world“), hat ebenfalls in Deutschland Einzug gehalten. Die Kölner Initiative TransFair e.V., zu der sich 31 Organisationen, darunter Verbraucherverbände, Unicef und kirchliche Träger zusammengeschlossen haben, setzt sich ebenfalls dafür ein, mit den Kleinbauern vor Ort Direktabnahmeverträge abzuschließen und ihnen stabile und gerechte Preise über Weltmarktniveau zu garantieren. Seit 1993 sind in Deutschland auf diese Weise allein beim Verkauf von Kaffee Mehreinnahmen von rd. zehn Millionen Mark erzielt worden. Sie gehen direkt an die Kleinbauern oder werden von Genossenschaften in Wasserversorgung, Schulen oder ökologische Anbaumethoden investiert. (Vgl H. HEINRICH: Guter Kaffee, fairer Handel, in: Die Zeit Nr. 19 vom 6.5.1994, S. 85). Bei allen Irritationen und bei allem gesellschaftlichen Wertewandel – ethische Grenzen sind für die Handelspsychologie immer zu beachten. Immer noch gibt es Grundsätze des ordentlichen kaufmännischen Verhaltens, geschriebenes Handelsrecht und ungeschriebene Gesetze des Handel(n)s, Standesregeln und Einzelfallentscheidungen zum Handelsbrauch (Usancen), an denen Gerichte, Kammern und Sachverständige mitwirken. Auch stehen Anlaufstellen zur Abklärung wirtschaftsethischer Probleme bereit: So gibt es Beratungsstellen (z.B. beim Zentralausschuss der Werbewirtschaft ZAW), und die Industrie- und Handelskammern unterhalten gesetzlich vorgeschriebene Schlichtungsstellen. Die meisten ethisch bedenklichen Tatbestände psychologischer Beeinflussung von Marktpartnern des Handelsbetriebs sind durch Gesetze und Verordnungen erfasst. Da sie in ihrer Fülle nicht als Einzeltatbestände kodifiziert werden können, müssen sie unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls unter Generalklauseln subsumiert werden. Im vorangegangenen Kapitel wurden die wichtigsten Tatbestandskreise (Wettbewerbsbeschränkung und unlauterer, insbesondere irreführender Wettbewerb) schon gestreift. Hinzu kommen spezielle Rechtsnormen, z.B. die VO zur Regelung der Preisangaben und das Ladenschlussgesetz. Die Preisangabenverordnung (PAngV) in der Neufassung v. 18.10.2002 ahndet Verstöße gegen das Gebot der Endpreisauszeichnung (Preisangabe gegenüber „Letztverbrauchern“ einschl. Mehrwertsteuer und sonstiger Preisbestandteile gem. § 1 I) oder der Grundpreisauszeichnung (§ 2) oder der Auszeichnung von Waren in Schaufenstern, Schaukästen, Regalen, Musterbüchern, Katalogen oder auf Bildschirmen (§ 4) als Ordnungswidrigkeit. Ausnahmsweise brauchen Kunstgegenstände, Sammlungsstücke und Antiquitäten nicht mit Verkaufspreisen ausgezeichnet zu werden (§ 9 Abs. 5). Auch die gesetzlichen Regelungen der Ladenöffnungszeiten, wie etwa das Gesetz über den Ladenschluss vom 2.6.2003 i.d.F. vom
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5 Grenzen der Handelspsychologie
31.10.2006 oder das nordrhein-westfälische Gesetz zur Regelung der Ladenöffnungszeiten (LÖG-NRW) vom 16.11.2006, ahnden Verstöße gegen die zulässige Arbeitszeit als Ordnungswidrigkeit mit Geldbußen bis zu 15.000 Euro (§ 13 LÖG-NRW). Die vorsätzliche oder fahrlässige Gefährdung von Arbeitskraft oder Gesundheit der Mitarbeiter ist sogar mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen strafbewehrt (§ 25 LSchlG). Die durch gesetzgeberische Maßnahmen garantierte „Minimalethik“ (H. RAFFÉE) wird allerdings nicht immer realisiert. Das für Kaufleute maßgebliche deutsche Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht mit seinen Generalklauseln und abstrakten Formulierungen lässt klare ethische Grenzen als solche nicht immer unmittelbar erkennen. Überdies machen zahllose Einzelfallentscheidungen der Wettbewerbsbehörden und der Gerichte (Richterrecht) diese Rechtsmaterie für Nichtjuristen kaum noch überschaubar. Selbst in der Öffentlichkeit als anstößig empfundene und heftig diskutierte provokante Werbekampagnen sind nicht per se unmoralisch. Im Einzelfall bedarf es des richterlichen Urteils. Die schockierenden Plakatund Anzeigenaktionen des italienischen Textilherstellers und Filialisten Benetton lieferten aufschlussreiche Beispiele: Die vergrößerten Abbildungen eines Toten des Balkan-Kriegs, dessen Hemd die Einschussstelle des todbringenden Geschosses erkennen ließ, oder eines ölverschmierten verendenden Wasservogels oder des in einen menschlichen Körperteil eingebrannten Stempels „H.I.V. positive“ sollten bewusst schockieren. Dabei gingen die Werbekampagnen (abgesehen von der Absicht, Aufmerksamkeit auszulösen) durchaus von einem moralischen Anspruch aus. Erst Gerichtsurteile erkannten diese „Schockwerbung“ und die Ausnutzung der so verursachten Publizität als sachfremd, sitten- und somit wettbewerbswidrig (vgl. zum letzt genanten Beispiel OLG Frankfurt AZ 6 W 10/94). Hinzu kommt die Besonderheit, dass unlauteres Verhalten, etwa in der Absatzwerbung, auch dann als wettbewerbswidrig angesehen und gerichtlich geahndet werden kann, wenn sich der Kaufmann der Wettbewerbswidrigkeit seines Tuns nicht bewusst war. Unlauteres Verhalten setzt also kein Verschulden voraus.
Da Behörden, Kammern und Verbände in der Regel keine Ethik-Kommission unterhalten, muss der Handelskaufmann die Grenzen der Sozialethik, d.h. der Verantwortung gegenüber dem ökonomischen Gesamtsystem, und der Individualethik, d.h. der Verantwortung gegenüber dem einzelnen Marktpartner, im Allgemeinen selbst finden – eine Aufgabe, an die er bei seinen Alltagsgeschäften vielleicht zuletzt bewusst denkt. Und doch sind ethische Gebote, gleichgültig ob sie in kodifiziertes Recht Eingang gefunden haben oder sich durch Konvention, durch freiwillige kaufmännische Verhaltenskodizes („Berliner Gelöbnis“) oder durch Normen religiöser Art in der Gesellschaft durchgesetzt haben, für ihn außerordentlich wichtig. Wer im Handel gegen die unsichtbaren ethischen Gesetze verstößt, verliert Vertrauen, Ansehen und damit Geschäftspartner auf seinen vier Märkten. Der Gesetzgeber hat dieser
5.3 Ethische Grenzen
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sozialpsychologischen Kettenreaktion in zahlreichen Normen Rechnung getragen (strafbewehrtes Verleumdungsverbot, Verbot des Anschwärzens, Verbot herabsetzender vergleichender Werbung, Konkurrenzverbot usw.). Und dasjenige Handelsunternehmen, das zur Entwicklung einer Corporate Identity sichtbare Verhaltensnormen oder Ethikrichtlinien für alle Mitarbeiter in einem Paket durchsetzen will, etwa in einem Firmenhandbuch, muss das in Deutschland geltende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87, I, Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz berücksichtigen. Mitbestimmungsfrei sind allerdings Regeln zum Arbeitsverhalten und Richtlinien zum privaten Verhalten der Mitarbeiter. In diesem Zusammenhang ist auch die Diskurs-Ethik zu erwähnen, die sich mit Bedingungen des idealen Dialogs zwischen den Handlungsbetroffenen befasst. Das Handelsmanagement kann z.B. im Hinblick auf die Schaffung von Rahmenbedingungen für ethisches Handeln Lieferanten- und Kundenforen, Verbraucherabteilungen, Verbraucherbeiräte oder ähnliche Diskussionsrunden einrichten (vgl. HANSEN 1992, S. 661). Trotz des Fehlens eines allgemein verbindlichen ethischen Wertekanons für den Handel und der daraus folgenden Notwendigkeit, das ethisch Richtige im Wesentlichen selbst zu finden, ist die nicht selten anzutreffende Grundhaltung, jegliche Psychostrategie oder -taktik im Handel sei ethisch verwerflich, zu undifferenziert und daher unzulässig. Psychologische Fundierung der Handelsentscheidungen kann solange nicht verurteilt werden, wie den Adressaten kein seelischer oder materieller Schaden zugefügt wird. Führen das lustvollere Ambiente eines Geschäfts, die reizvollere Hervorhebung eines Artikels im Schaufenster oder das anziehendere Wesen einer Verkäuferin zu mehr Umsatz, dann wird dadurch kein Käufer zur Kaufhandlung gezwungen. Die Käuferentscheidungen werden, wenn auch beeinflusst, frei, vielleicht sogar rein gefühlsmäßig getroffen. Die Beeinflussung bekommt allenfalls ethisch einen unterschiedlichen Stellenwert, je nachdem, ob die Reaktion des Marktpartners auf Überzeugung oder auf Überrumpelung beruht. Und ob der Käufer, der das hübsche Ausstellungsstück erworben hat, einen materiellen oder seelischen Schaden davongetragen hat? Man müsste ihn fragen. Aber es kann nicht Aufgabe des Groß- oder Einzelhändlers sein, beim Erwerber Erkundungen über den rechten, d.h. befriedigenden oder beglückenden Gebrauch der Ware anzustellen. Umgekehrt kann selbstverständlich auch nicht alles ethisch gerechtfertigt werden, was erfolgreich angewandte Psychologie im Handel betrifft: ablenkende Gesprächstaktik, suggestive und subliminal wirkende Maßnahmen (Duftnoten?), rationalisierte Argumentation von Verkäufern (die eine bestimmte Ware wegen ihrer Haltbarkeit, wegen ihrer DIN-Qualität oder wegen ihres Designs anpreisen, in Wirklichkeit aber die höhere Handelsspanne oder eine Verkaufsprämie im Hinterkopf haben), um nur ein paar Fälle zu nennen. Als bloßes Werkzeug zur Überlistung der weniger erfahrenen Marktpartner verlieren Psychostrategie und -taktik im Handel ihre ethische Berechtigung. Die Diskussion um Wirtschaftsethik in Wissenschaft und Praxis lässt Befürchtungen und Hoffnungen erkennen. Einerseits lauern in der Degeneration von Ethik zur Mode, in der Verwendung von Ethik als Kosmetik oder in beliebigen Werteformulierungen für verschiedene Funktionsbereiche, Branchen oder Berufsgruppen Gefahren. Andererseits liegen Chancen in der Aussicht auf eine neue Ethik, die der „planetarischen Zukunftsverantwortung“ (H. JONAS) entspricht, die von so vielen akzeptiert wird, dass Synergieeffekte entstehen, und die für den Einzelnen wie für die Gesellschaft sinnstiftend wirkt. „Will man die in den Ge-
300
5 Grenzen der Handelspsychologie
fahren steckenden möglichen Schäden vermeiden und die in den Chancen steckenden Verbesserungen erreichen, so ist es notwendig, sich mit ganzer Kraft auf den ethischen Diskurs einzulassen und diesen grenzenlos ... zu führen“ (PRAETORIUS 1991, S. 285). Schließlich hat die Diskussion um ökologische Ethik gezeigt, dass eine Veränderung der Einstellungen der Menschheit Voraussetzung für eine ökologische Regeneration ist. In den Unternehmen, auch in den Handelsunternehmen, werden die Werthierarchien der verantwortlichen Führungskräfte und die Leitbilder, die den Entscheidungsprozess steuernden Richtlinien, sich jedenfalls wesentlich verändern müssen: „Neben ökonomisch-rationale Überlegungen haben sittlich-ethisch-moralische Grundhaltungen zu treten“ (HOPFENBECK 1989, S. 927).
5.4
Grenzen der Effizienzkontrolle
Psychostrategische und -taktische Entscheidungen bedürfen als rationale Entscheidungen der Überprüfung ihrer Erfolgswirksamkeit, der Erfolgs- und Effizienzkontrolle. Ob sie zum Erfolg geführt haben und – wenn ja – in welchem Ausmaß und nach Möglichkeit isoliert für verschiedene Maßnahmen – das muss empirisch festgestellt werden, auch wenn es sich bei psychischen Reaktionen um Qualitäten handelt, die einer quantitativen Messung schwer zugänglich sind. Sonst führt Psychologie im Handel zu Zufallshandeln, zur Ungewissheit („Stochern mit der Stange im Nebel“) oder zum Selbstbetrug. Zwar stehen für eine ganze Reihe von psychisch aktivierenden Prozessen und Zuständen (Aktivierung, Emotion, Motivation, Einstellung) sowie von kognitiven Prozessen und Zuständen (Kognition, Informationsaufnahme, Informationsverarbeitung, Informationsspeicherung) Messmethoden zur Verfügung (vgl. FOSCHT/SWOBODA 2005, S. 37-115). Dennoch sind der Effizienzkontrolle in der Handelspraxis spürbare Grenzen gesetzt: − Das nötige Knowhow fehlt (z.B. über anspruchsvollere Methoden der Marktforschung wie die multivariaten Verfahren: Regressions-, Varianz-, Diskriminanz-, Cluster- und Faktorenanalyse; mehrdimensionale Skalierung MDS; Kenntnisse der psychologischen Marktforschung); − die nötige sachliche und apparative Ausstattung fehlt (Labor; Panel: Shop Audit, Haushaltspanel; Scanner, Home-Scanner; Test-Apparate); − die empirische Überprüfung scheitert an den Kosten (Druckkosten; Versandkosten; Telefonkosten; Interviewerkosten; Apparatekosten); − das erforderliche Personal für Kontrollaufgaben ist nicht vorhanden oder kann nicht abgestellt werden (Handelspsychologe; Verhaltenspsychologe, Tiefenpsychologe; Marktforscher, IT-Experte) oder − der Komplexitätsgrad ist zu hoch (gleichzeitiges Wirken von Hunderten von PsychoReizen, die allein im internen Markt des Geschäftslokals rasch zusammenkommen).
5.4 Grenzen der Effizienzkontrolle
301
In Anbetracht derartiger Erschwernisse kann vollständige Effizienzkontrolle nur als Ideal gesehen werden. Indes lehrt die Geschichte des Handels, dass Psychologie auch ohne systematisch-wissenschaftliche Effizienzkontrolle immer schon erfolgreich angewandt wurde. Das ist jedoch keine hinreichende Rechtfertigung, auf vorhandene Möglichkeiten der Erfolgskontrolle – und seien sie auch nur so bescheiden wie die Zählung der Schaufensterbetrachter oder die Ausgabe frankierter Fragepostkarten – zu verzichten und bekannte Methoden nicht anzuwenden oder zu verbessern. Wie zur Kontrolle von psychologisch orientierter Service- und Werbepolitik schon ausgeführt wurde, existieren genug einfache Kontrolltechniken und Hilfsmittel, selbst für Kleinund Mittelbetriebe des Handels. Mitunter ermangelt es den Handelsmanagern nur an psychologischem Problembewusstsein. Systematisches Befragen oder Beobachten von Marktpartnern und das systematische Sammeln, Aufbereiten und Auswerten der Befunde scheitert oft nicht unbedingt an mangelnder Personakapazität, sondern nur an fehlender Verinnerlichung. Dabei sollte ein Handelsmanager bedenken, dass ihn jeder professionelle Marktforscher um die permanente Experimentierbühne seines internen Markts beneidet, wo das kleinste Psycho-Experiment in einer biotischen Situation unmittelbar überprüft werden kann.
6
Handelspsychologie und soziale Kommunikation – Ein Kapitel zur Selbsterfahrung
Am Ende eines Lernbuchs stellt sich die Frage einer Überprüfung des Lernerfolgs. In anspruchsvollen Lehrbüchern werden dem Leser zu diesem Zweck üblicherweise Kontrollfragen oder Übungsaufgaben vorgelegt. Von diesem didaktisch bewährten Prinzip weicht die vorliegende Einführung zugunsten eines anderen Prinzips ab: Der Konzeption dieser „Psychologie im Handel“ entsprechend – nämlich das psychologische Problembewusstsein für Managemententscheidungen im Handelsbetrieb zu schärfen, die Augen zu öffnen und neue Perspektiven für psychostrategische und -taktische Möglichkeiten im Handel zu erschließen –, sei der Leser bzw. die Leserin zu einer doppelten Prüfungsaufgabe eingeladen, die auch im Unterricht aufgegriffen werden mag: zur Rekapitulation und zur schöpferischen Weiterführung.
K8
K1
Sender
K2a K2b K2c
Wortsprache Körpersprache weitere Signale
K3
Botschaft
K4
Medium
K5
Rezeption
K6
Empfänger
K7
Effekt
Keine Rückmeldung
Abb. 35: Elemente und Phasen der sozialen Kommunikation
K9
Rückmeldung
304
6 Handelspsychologie und soziale Kommunikation – Ein Kapitel zur Selbsterfahrung
Die Aufnahme des Lesestoffs, die kritische Verarbeitung der Anregungen und die Textrekapitulation lösen Informationsprozesse im Leser selbst aus: intrapersonale Informationsverarbeitung. Diese Prozesse sind wichtig und beabsichtigt. Sie zählen jedoch noch nicht zur interpersonalen (sozialen) Kommunikation, die auf Informationsprozessen zwischen zwei oder mehreren Personen, ggf. auch auf mediengebundener Massen-Kommunikation beruht. Da interpersonale Kommunikation und eine Rückmeldung zwischen Leser (Empfänger) und Autor (Sender) im Allgemeinen nicht möglich ist, werden zur Lernerfolgsüberprüfung folgende Übungen empfohlen: 1. individuelle Selbsterfahrung, d.h. die intrapersonale Informationsverarbeitung durch Selbststudium, eigene Suche von Beispielen aus der Handelspraxis und ihre Zuordnung zu gelernten psychologischen und handelstheoretischen Ordnungskategorien zu erproben, 2. kollektive Selbsterfahrung, d.h. die soziale Kommunikation durch Gruppendiskussion von Beispielen aus der Handelspraxis und ihre Zuordnung zu den psychologischen und handelstheoretischen Ordnungskategorien in Seminaren, Schulungen, Fortbildungskursen o.ä. einzuüben. Die freiwillige(!) Aufgabe besteht darin, die in Übersicht 17 vorangestellten - nur alphabetisch, nicht thematisch sortierten - Tatbestände zuzuordnen, und zwar (a) zur berührten Textstelle des Buches durch Eintrag der entsprechenden Kapitel- oder Seitenzahl, (b) zu dem/den berührten Markt/Märkten des Handelsbetriebs (Eintrag der entsprechenden Marktart(en): Beschaffungsmark BM, Absatzmarkt AM, Konkurrenzmarkt KM, interner Markt IM) und (c) zu den berührten Kommunikationsfeldern der Abb. 35 (Eintrag der zutreffenden Felder aus K1 bis K9). In die letzte Spalte sind konkrete, auch neue Beispiele einzutragen. Als ergänzende Übung könnten, namentlich im Unterricht, Beispiele zu den verschiedenen psychologischen Theorieansätzen oder zu psychostrategischen und psychotaktischen Entscheidungen im Handelsbetrieb durchgespielt werden (Rollenspiel). Überdies könnten – als angewandte Kreativitätstechnik – innovative Psychostrategien/-taktiken für Handelsbetriebe erarbeitet werden. Namentlich für die Examensphase hat der Autor eine Reihe von weiteren praktischen Übungen für den Hochschulunterricht vorgeschlagen (vgl. SCHENK 2005a). Beides, die Anwendung des Gelernten auf praktische Fälle und die Erarbeitung neuartiger psychologisch abgestützter Handlungskonzepte, ist von der Motivationslage völlig losgelöst. Gleichgültig, mit welcher Motivation der Leser, die Leserin oder eine Übungsgruppe an diese Aufgabe herangeht, ob − − − −
etwas beobachtet und beschrieben werden soll (Deskription), etwas erklärt werden soll (Explikation), etwas vorhergesagt oder vorgeschlagen werden soll (Prognose, Präskription) oder ob etwas kritisiert oder gerechtfertigt werden soll (Kritik oder Apologie),
kann das Schema in Übersicht 17 gewiss ohne Anstrengung ausgefüllt und ergänzt werden.
6 Handelspsychologie und soziale Kommunikation – Ein Kapitel zur Selbsterfahrung Übersicht 17: Übungsaufgabe zur Selbsterfahrung Tatbestand Artikelsicherung Bodenbelag Coupon Degustation Diebstahlssicherung Durchblickspiegel Einkaufsbörsen Einkaufswagen Erfa-Gruppe Farbeneinsatz Farbenwirkung Geruchsmessung Geschenkgutschein Hintergrundmusik Impulskauf Internet-Auktion Kaffeefahrten Kaufmotive Kaufverbund Konkurrenzimage Kreditpräsentation Kundenbeziehungsmanagement Kundenfang Ladenfunk Lieferantendienst Lockvogel Markensymbol Mimik neue Medien nonverbale Imageanalyse Preisoptik Preisschwelle Propagandist „Rabattitis“ Schlussverkauf Schwarze Schatten Serviceremanenz Sicherheitsvorkehrungen Signet Skontoverzinsung Sonderangebot Sonderveranstaltung Sortimentselastizität Stimmlage Stimmung Stressoren Teilzahlung Telefonofferte Umweltprüfliste Verkäuferfragen Warenanordnung Warenautomat Werbekonstante Wortmarke Zweitplatzierung
Zuordnung (a) zur Textstelle
Beispiel (E) (b) zur Marktart
(c) zu K1 bis K9
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6 Handelspsychologie und soziale Kommunikation – Ein Kapitel zur Selbsterfahrung
Wer die Aufgabe teilweise oder ganz lösen kann, mag selbst entscheiden, welche psychologische Lerntheorie er oder sie soeben praktisch anwendet: Beobachtungslernen, Bedingungslernen, operantes Lernen, Lernen am Modell, Lernen am Erfolg bzw. Versuch-und-IrrtumsLernen oder Lernen als Erkenntnisgewinn. Und wer neue Beispiele findet oder gar selbst entwirft, sei nicht nur als Kreativitätstechniker beglückwünscht, sondern kann die neue Idee sogar auch einem Handelsmanager zur Realisierung empfehlen – dessen Verständnis dürfte geweckt sein. Auf jeden Fall: Viel Spaß beim Lösen und viel Erfolg bei der Beispielsuche!
Nachwort Die Dominanz der Entscheidungstheorie in der Betriebswirtschaftslehre, insbesondere im Marketing, hat es mit sich gebracht, dass die psychologischen Gestaltungsmöglichkeiten oft zu kurz kamen und hinter technologisch-instrumentale Überlegungen zurücktreten mussten. Das gilt auch für die herrschende Managementlehre des Handels. Wenn ihr Blick auf die psychostrategischen und psychotaktischen Elemente der Entscheidungen fokussiert und ihr Blickfeld somit ausgeweitet werden konnte, wäre das wissenschaftliche Anliegen dieser Arbeit erfüllt. Und wenn das Handelsmanagement angeregt wurde, seine strategischen und taktischen Marketing-Entscheidungen systematisch unter psychologischen Gesichtspunkten zu prüfen und zu verbessern, wäre das praktische Anliegen dieser Arbeit erfüllt. Nun wirkt das analytisch-empirische Denken in isolierten Kategorien, wie hier beim Einsatz der einzelnen Instrumente des Handelsmarketings und ihrer Kontrolle, allerdings selbst leicht als Erkenntnisbarriere: Es verhindert die Suche nach Zusammenhängen und nach Analogien, die über eine einzelbetriebliche Reiz-Reaktions-Mechanik hinausgehen. Im Extremfall kann es den Blick des Wissenschaftlers wie des Praktikers schmälern statt ihn auszuweiten. Gesamtwirtschaftliches Verständnis für Lage und Leistungen des Handels, für seine Dynamik und für seine Bedeutung kann entscheidungstheoretisch allein jedenfalls kaum entwickelt werden. So stehen z.B. binnenhandelspolitischen Analysen Denkbarrieren im Wege, die ihrerseits psychologisch erklärbar sind. Dazu zählen etwa parteipolitische Themenbesetzungen (Politisierung) und wirtschaftspolitische Festlegungen (Dogmatisierung). Wenn beispielsweise die Partei X ein handelspolitisches Konzept programmatisch aufgegriffen hat, dann wendet sich der parteipolitisch Unabhängige wie der Anhänger der Partei Y von diesem Konzept gern ab, um nicht mit der Partei X identifiziert zu werden. Und wer jahrzehntelang eine bestimmte handelspolitische Konzeption gefordert oder abgelehnt hat, der wechselt konsequenterweise nicht in das andere Lager – man denke nur an die frühere unversöhnliche Gegnerschaft in der Frage der Ladenöffnungszeiten. Und wer sich als Gefolgsmann einer wertfreien Wissenschaft der Empirie verschrieben hat, der lehnt andere „ökonomische Perspektiven“ (H. ALBERT) als unwissenschaftlich ab. Manches ist aber erst durch Intuition oder phänomenologische Sicht einer Hypothesenbildung zugänglich. Kurz: In Wissenschaft und Praxis muss das unverzichtbare Denken in isolierten Kategorien um das Denken in Zusammenhängen ergänzt werden. Es ist schwieriger als wohlfeile Bekenntnisse zu ganzheitlicher Betrachtung in vielen Lehrbüchern vermuten lassen, aber es darf nicht unterbleiben. Daher sei zum Abschluss wenigstens ein kurzer Blick auf zwei ganzheitliche Handelsphänomene geworfen, die nichts mit Technologie, aber viel mit Psychologie und einiges mit Ethik zu tun haben und wegen der Blickeinengung weithin verkannt werden: das Phänomen der Konzentration im Handel und der Organismus-Charakter jeder Handelsunternehmung. Üblicherweise wird der vielzitierte Wandel im Handel vor allem am Phänomen der zunehmenden Konzentration im Handel festgemacht – und heftig beklagt. Dabei wird meist eine
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Nachwort
falsche Ursache-Wirkungs-Beziehung hergestellt: Die zunehmende Konzentration im Handel bewirke das Ladensterben. Konzentration im Handel gilt geradezu als etwas ethisch Bedenkliches, Unmoralisches. Diese Verurteilung beruht jedoch auf einer doppelten Blickeinengung: 1.
2.
Es wird übersehen, dass zu einer Unternehmungsverbindung (Mehrheitsbeteiligung, Übernahme, Fusion), zur einzelwirtschaftlichen Unternehmungskonzentration, immer zwei Unternehmen mit eigenen Motivationen gehören, ein übernahme- bzw. aufkauffähiges und ein verkaufwilliges Unternehmen. Beide nutzen nur das Recht der Vertragsund Gewerbefreiheit. Und wenn die Akquisition eines Unternehmens beim akquirierenden Unternehmen (externes) Wachstum und Machtzuwachs auslöst, ist auch dies per se nicht verwerflich oder wettbewerbsschädlich. So hat die auf besonderes Verhandlungsgeschick des Vorstandsvorsitzenden Alfons FRENK zurückgeführte Übernahme von Spar und Netto durch die Edeka AG dazu beigetragen, dass sich für Hunderte von Edeka-Kaufleuten die Beschaffugnskonditionen verbessern und sie Preisvorteile an der umkämpften Preisfront erlangen, dass die Selbstständigkeit und die Arbeitsplatzsicherheit der Mitarbeiter gestärkt und dass der Kundschaft ein gehobenes Sortiment geboten werden kann. Es wird nicht bedacht, dass die ungleichmäßige Verteilung von Handelsunternehmen und ihren Umsatzanteilen (eine rein statistische Beziehung!), die gesamtwirtschaftliche Unternehmenskonzentration, auf drei Einflüsse zurückzuführen ist: 1. auf disproportionales internes Wachstum (Expansion in ost- und südeuropäische Märkte!), 2. auf disproportionales externes Wachstum und 3. auf nicht-fusionsbedingtes Ausscheiden von Unternehmen. Zunehmende, abnehmende oder gleich bleibende Unternehmenskonzentration in einer Branche ist immer die Resultante aus allen drei Einflüssen. Sie kann z.B. ohne externes Wachstum und ohne Ausscheiden von Unternehmen allein aufgrund unterschiedlichen internen Wachstums (nur im Inland, nur im Ausland oder im In- und Ausland) zunehmen. Und internes Wachstum resultiert im Einzelhandel stets aus dem Einkaufsverhalten der Verbraucher. Diese nutzen nur das Recht auf Konsumfreiheit.
Beteiligungs- und aufkauffähige Handelsunternehmen einerseits, überproportional wachsende Handelsunternehmen und -gruppen andererseits sind also letztlich durch das Verbraucherverhalten erfolgreich und kapitalstark geworden. Zur Verkaufswilligkeit oder –notwendigkeit können außer nicht mehr ausreichender Konsumentennachfrage viele andere Gründe beitragen: Krankheit, Alter, fehlende Nachfolge, Überlastung, Liquiditätsprobleme, zu starker Wettbewerbsdruck usw. Letzterer war beispielsweise in der Baumarktbranche zumindest mitursächlich für die Übernahme von Götzen, Stinnes-Baumärkten und Marktkauf durch Rewe, von OBI durch Tengelmann oder von Max Bahr durch Praktiker. Mancher voreilige Konzentrationskritiker verkennt womöglich seine eigene Bewusstseinsspaltung; denn wer seinen Flachbildschirm, sein Mikrowellengerät oder seinen Champagner in einer jener großen „Verkaufsfabriken“ (J. HIRSCH) einkauft und nicht im kleineren Fachgeschäft, hat schlechterdings kein Recht, sich über zunehmende Konzentration im Handel zu beklagen. Er ist sich seines Beitrags zu zunehmender Unternehmenskonzentration nicht bewusst. Wir tragen alle zu zunehmender Konzentration bei, ohne uns dessen bewusst zu sein – fast alle.
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Es soll auch nicht übersehen werden, dass jeder Handelsbetrieb mit all seinen Waren und Menschen selbst ein hochkomplexer lebendiger Organismus ist. Die „Geburt“ des Handelsbetriebs beginnt mit der Gewerbeanmeldung. Zum lebenden Handelsbetrieb gehören alle Entscheidungskonflikte, alle menschlichen Regungen, Freuden, Ängste und Qualen, mit denen sich auch Psychologie und Psychotherapie beschäftigen. Die Analogien zwischen Mensch und Betrieb liegen auf der Hand: Kindheit und Jugend dort, Gründungsphase mit zwei-, dreijähriger Durststrecke und frühes Wachstum hier; menschliche Entwicklungsphasen (auch Krankheiten) dort, betriebliche Aufschwungs- und Reifephasen (auch Krisen) hier; eheliche Verbindungen und Kindersegen dort, Filialisierung, Unternehmungszusammenschlüsse und Kooperationen hier; Hineinwachsen in das familiäre und in das schulische Normen- und Wertesystem (primäre und sekundäre Sozialisation) dort, Integration in das berufliche Normen- und Wertesystem (tertiäre Sozialisation) hier. Der Mensch muss sich im Beruf ebenso durch Leistung bewähren, wie sich der immer durch Ausschaltung bedrohte Handelsbetrieb durch Handelsleistung bewähren muss. Der Tod besiegelt das Leben des Menschen wie die Firmenauflösung die Existenz des Handelsbetriebs beendet. Manche Ankündigung eines Räumungsverkaufs lässt ahnen, welche menschlichen Einzelschicksale sich hinter einer Geschäftsaufgabe verbergen. Freilich vermögen Handelsbetriebe zu überleben, wenn Nachfolgeregelungen getroffen oder Rechtsformen mit eigener Rechtspersönlichkeit gewählt werden konnten. Am Ende sei nicht vergessen: Die lebendigen Handelsbetriebe dienen in ihrer Gesamtheit der materiellen Bedarfsdeckung und der Wohlstandssicherung der Gesellschaft. Jeder einzelne Handelsbetrieb – das edle Haus für die Happy Few wie das schlichte für das große Publikum – gewährt seinem Inhaber, seinen Managern wie allen Mitarbeitern und seinen Kunden ein hohes Maß an individueller Bedürfnisbefriedigung, Wohlbefinden und Selbstverwirklichung.
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Anmerkungen des Vf. Soweit das vorstehende Literaturverzeichnis zu einem Titel zwei verschiedene Auflagen enthält, bezieht sich die erste Angabe auf die für die Erstauflage („Handelspsychologie“) herangezogene und im Text zitierte Quelle. Die zweite Angabe weist die derzeit neueste Auflage aus. Die optischen Täuschungen sind der Internet-Sammlung http://david-pye.com/illusions/index.php („Where Everything is Free“) entnommen (Stand: 26.03.2007).
Stichwortverzeichnis Abbildung 193 Ablauforganisation 123 Absatzfinanzierung 210 Absatzmittler 20 Absatzwerbung 2, 237 Abwehrmechanismen 259 Accessoires 132 Adequacy-Importance-Modell 74 Affekt 33 Agglomerationseffekt 115 Agglomerationsgesetz 73 Agoraphobie 27 akustische Reize 189 Akzeptkredit 215 Alleinvertrieb 159 Ambiente 131 Analogie 309 Anciennität 276 Angewandte Psychologie 20 Angst 174 Angstabbau 109 Anregungsbereiche 196 Anschaffungsdarlehen 215 Anti-Korruptionsabteilung 163 apparative Ausstattung 300 Apperzeption 37 Appetenz 239 Appetenzverhalten 174 Appetenzverstärkung 239 Arbeitsbedingungen 270 Arbeitsklima 141 Arbeitsschutz 290 Arbeitszeit 146 Arbeitszufriedenheit 274 Arteigenheiten der Einzelhandelswerbung 239 Audiologo 98 Audit 145 Aufbauorganisation 123, 124 Auffangstrategie 130 Aufmerksamkeitslenkung 120 Aufstiegsmöglichkeiten 274 Ausbeutung 285 Ausschaltung 63 Ausschreibung 165 Außenhandel 20
außerökonomischer Kommunikationserfolg 266 Automat 137 Automatengeschäft 107 Automatenknacken 137 Automatenstraße 137 Autopoiese 128 Autorität 271 Autostereotyp 222 Aversionen 239 Aversionsverhalten 174 Bachelor 143 Baligh/Richartz-Effekt 60 Bandwagon-Effekt 208 bargaining 161 Bedienungshandel 134 Bedürfnis 17 Bedürfnishierarchie 170 Bedürfnisse 65 Befragung 68 Begeisterungsfaktoren 91 Behaviorismus 32 Beiwort 30 Bekleidung 188 Belohnung 104 Berufsausbildung 147 Beschaffungscontrolling 154 Beschaffungsfinanzierung 210 Beschaffungskommunikation 164 Beschaffungsmethodenpolitik 158 Beschaffungspassivität 155 Beschaffungsprogrammpolitik 155 Beschaffungswerbung 164, 237 Best Agers 265 betriebliche Ausbildung 146 Betriebsform 105 Betriebsformen-Erosion 106 Betriebsgeheimnis 280 Betriebsgrößenpolitik 113 Betriebstypendifferenzierung 105 Betriebstypeninnovation 105 Betriebsverfassungsgesetz 299 Betrug 293, 295 Beweggründe 17 Bewerbungsgespräch 148 BGB 288 Bildungspersonal 147
322 Blockbildung 194 Bodenbeläge 191 bolstering 34 Bonitätsprüfung 217 Bonus 162 Bonusprogramm-Karten 92 Botschaft 230 Brainstorming 141 branchenfremde Schaustücke 188 browsing 133 Bumerang-Effekt 34 Bürgerliches Recht 282 Cap-Märkte 142 Cash-and-carry-System 136 co-branding 224 compliance officer 163 consumer confusion 174 consumer credit 212 consumer misbehaviour 90 continuous replenishment 45 corporate identity 222 Corporate Identity 299 cost-plus-System 207 cross selling 138 Customer Lifetime Value 103 deaktivierende Reizkonstellation 184 Deko-Punkte 121 Demonstration des Kaufobjekts 264 Desensibilisierung 27 Deskription 21 Dezentralisation 127 Discounter 136 Disstress 272 Distanzprinzip 160 Distribution 29 Distributionsforschung 80 Diversifikation 173 divisionale Organisation 125 dominant taktische Entscheidungen 153 Domizilprinzip 160 drop shipping 138 Duft 190 Dynamik im Handel 106 e-commerce 138 economies of scale 112, 224 Efficient Consumer Response 157 Effizienz-Erwartung 272 Effizienzkontrolle 300 Eigenmarken-Laden 107 Eigenmarkenpolitik 154 Einfühlungsvermögen 271 Einkaufsgewohnheiten 105 Einkaufskooperation 162 Einkaufstechniken 154 Einrichtungsgestaltung 130 Einstandspreis 287
Stichwortverzeichnis Einstellung 33, 41, 97, 226 Einstellungsänderungen 38 Einstellungspolitik 143 Einwände 263 Einzelhandel 19 Elastizitäten 269 Elastizitätsmessung 270 electronic data interchange 158 elektronische Kommunikation 255 elektronischen Marktforschung 75 Elementenpsychologie 186 elicitation-Technik 6 Empathie 165 Endpreisauszeichnung 297 Enthemmung 295 Entscheidungen 18, 25 Entscheidungsfreiheit 281 Entspannungsbereiche 196 e-retailing 138 Erfolgskontrolle 266 Erfolgsmessung 253 Erfolgsverwöhnung 275 Erkenntnisbarriere 307 Erlebnisbausteine 182 Erlebnisbühne 64 Erwartungsniveaus von Kunden 90 ethical consumer 297 Ethik 290, 293 Ethik-Hotline 296 Ethik-Kodex 296 Ethikrichtlinie 299 Eustress 272 evolutionärem Handelsmanagement 96 Exklusiv-Angebot 135 Experiment 23, 78 Experiment vom EBA-CBA-Typ 79 Experimente im Handelsbetrieb 78 Explikation 21 externer Kommunikationserfolg 267 extrinsische Motivation 273 facial action coding system 236 Fähigkeitenwerkstatt 147 fahrbarer Automatenladen 108 fahrende Läden 107 Fair Trade 293 Falschgeld 294 Falsifikation 22 Familienfreundlichkeit 144 Farben 186 Farbleitsystem 186 Farbwechsel 186 Feilschen 279 Feldexperiment 78, 268 Feldtheorie 41 Fernabsatzgesetz 288 Finanzierungsentlastung 61
Stichwortverzeichnis Fingerspitzengefühl 206, 264 Firma 96 Firmenbezeichnung 97, 100 Firmenimage 149 Firmensignet 251 Firmensymbol 102 Firmentreue 103 Firmenumwandlung 102 Firmenzusätze 98 free riding 135 freie Entfaltungsmöglichkeit 275 Frühwarnsystem 209 Frust 135 Frustratoren 274 Führen 276 Führungsanweisung 123 Führungslehren 275 Führungspersonal 141 Führungsstil 123 Funktionen des Handels 49, 57 Gate-keeper-Theorie 175 gebrochener Preis 200 Gefühl 33 Gehörsinn 10 Geldprüfgerät 294 Gemeinschaftseinkauf 154 Gendermarketing 66 Gerüche 190 Geruchssinn 11 gesamtwirtschaftliches Verständnis 307 Geschäftsbedingungen 289 Geschenk 180 Geschenkgutschein 180, 223 Geschmackssinn 10 Gesellschaftsrecht 282 Gesetz der Bewegung 41 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 286 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen 284 Gesetze 281 Gesetzmäßigkeiten 4 Gesichter 253 Gesichtssinn 10 Gestaltgesetze 40 Gestaltpsychologie 40 Gewerbefreiheit 63 gewerblicher Rechtsschutz 282 Gleichberechtigung 142 Glücksgefühl 174 Goodwill 116 Gravitationsgesetz 73 Grifflücken 120 Größentabelle für Textilien 176 Großhandel 20 Gütezeichen 175 GWB 282, 284
323 Hackordnung 274 Halo-Effekt 149 Handel 15, 27, 57 Handel und Ökologie 63 Handelsbetrieb 49, 51, 54, 55, 309 Handelsbetriebslehre 19 Handelsbrauch 281, 297 Handelslehre 292 Handelsleistung 309 Handelsmanagement 7 Handelsmanager 306 Handelsmarke 175, 176 Handelsmarketing 25, 42, 51 Handelsmarktforschung 67 Handelspanel 80 Handelsplattform 163, 179 Handelspraxis 30 Handelspsychologie 7, 19, 21, 31 Handelsrecht 282 Handelstheorie 27, 30 Handelswerbung 238 Handlungswissenschaft 3 Handzettel 42, 253 Happydigits-Karte 92 haptische Wahrnehmung 191 hard buying 158 hard selling 158 hard skills 143 Hausfarben 251 Haustürgeschäft 289 Hawthorne-Effekt 43 Hedonismus 273 Hemmungen 28 Hermes-Komplex 233 Herstellermarken 176 Heterostereotyp 222 Hintergrundmusik 189 Hochschulabsolventen 143 Hochschulunterricht 304 Höflichkeit 265 Homöostase-Prinzip 169, 183 human relations 141 Human Relations 258 humoristischer Elemente 99 Hypothesen 280 Hypothesentest 23 Ideale 290 Ideengenerierung 171 ideographische Methode 18 Image 149 Imageanalyse 109, 150 Imageforschung 73 Imagekomponenten 151 Image-Malus 293 Imagepolitik 150 Imitationslernen 261
324 Immunisierung 11 Impulskäufe 116 Inanspruchnahme von Krediten 212 Incentives 148 indirekter Kundenkontakt 266 Individualethik 298 Individualität 179 individuelle Selbsterfahrung 304 information overload 14 Informationsabgabepolitik 235 Informationspflichten-Verordnung 289 Innenarchitektur 132 Innovation 6 Inspektion 192 Instrumentalbereiche des Handelsmarketings 96 Integration von Kunden 92 Interaktion 1 Interaktionsprozess 220 interformale Konkurrenz 106 interne Kommunikationskontrolle 269 interne Marktdienste 219 interne Marktwerbung 237 interner Kommunikationserfolg 268 Internet-Auktion 133, 289 Internet-Handel 289, 293 intraformale Konkurrenz 106 intrinsische Motivation 124 Intuition 6 Inventurdifferenzen 84 inverse Preis-Absatz-Beziehung 209 Involvement 37 Irradiationseffekt 70, 175 Irritationen 102 Job Hopping 273 Jubiläumsverkäufe 287 Junior 143 Kaffeefahrten 295 Kampfpreispolitik 202 Kassenzone 122 Katalog-Schauraum 107 kategorischer Imperativ 291 Kauffreude 196 Kaufmotive 5 Kaufsignale 264 Kaufsucht 80 Kaufzwang 82, 83 Kennzahlen 171 Kernsortiment 155 Kinesik 154 kinky demand curve 206 klassisches Konditionieren 45 Klaustrophobie 27 Klein- und Mittelbetriebe 98, 224, 260 Kleinbetrieb 113, 271, 290 Kleinkredit 215
Stichwortverzeichnis Kleptomanie 81 Knappheitsverwaltung 62 Knowhow 300 kognitive Dissonanz 111 kognitives Lernen 46 Kognitivismus 32 kollektive Selbsterfahrung 304 Kommissionsgeschäft 215 Kommunikation 231 Kommunikationsformen 229 Kommunikationspolitik 232 kommunikationspolitisches Instrumentarium 231 Kommunikationsstörung 228 Kommunikationstheorie 226 Kommunikationstraining 236 Kommunikator 230 Konditionenverhandlungen 161 Konfliktsituationen 265 Konflikt-Strategie 239 Konkurrenz(markt)forschung 77 Konkurrenzaufruf 164, 165 Konkurrenzdienst 219 Konkurrenzforschung 77 Konkurrenzorientierung 201 Konkurrenzwerbung 237 Konnotation 29 Konsequenz-Erwartung 272 Konsonanzen 111 Konsonanzverstärkung 265 Konstitutionstypen 14 Konsumerismus 177 Konsumwirtschaft 55 Kontrahierungspolitik 161 Kontrastfehler 149 Kontrolle 226 Kontrolle des Personalverhaltens 276 Kontrollverfahren vom Typ EBA-CBA 269 Konzentration 308 Konzentration im Handel 307 Konzernunternehmen 97 kooperative Kartensysteme 224 kooperative Werbung 256 Kosten 300 Kreditauskunft 217 Kreditgewährung 211 Kreditkartensystem 213 Kreditmodalitäten 215 Kreditpräsentation 215 Kreditsicherheiten 217 Kreuzpreiselastizität 269 Krisenmanagement 13 Kultur 65 kulturelle Funktion des Handels 16 Kulturvermittlung 64 Kundenbeziehungsmanagement 92
Stichwortverzeichnis Kundenbindung 226 Kundenclubs 93 Kundendienst 163, 219 Kundenfang 285 Kundenkarte 226 Kundenkontakt 265 Kundenloyalität 92, 103 Kundensegment 246 Kundenunzufriedenheit 89, 90 Kundenzufriedenheit 89 Label 175 Labilisierung 275 Laborexperiment 78 Ladenatmosphäre 181 Ladenbau 182 Ladendiebstahl 84 Ladeneinrichtung 182, 184 Ladenfunk 190 Ladengestaltung 118 Ladenöffnungszeiten 298 Ladenschluss 297 Ladenschmuck 185 Ladentreue 38 Ladenverschleiß 187 Laienepistemologie 22 land marks 119 Lautsprecherdurchsage 199 Lebenszyklus 106 Leistungswettbewerb 83 Lernbereitschaft 46 Lernerfolg 303 Lernfähigkeit 46 Lernprozesse 46 Lerntheorien 45 Licht 187 Lichtdramaturgie 187 Lieferanten 88 Lieferantendienst 163, 219 Lieferantenkredit 211 Limitplanung 166 Low ball-Technik 263 Loyalität 91 Lücken im Regal 120 Lustgewinn 32 Lustprinzip 292 Macht 156 Machtausübung durch Kommunikation 261 makroökonomische Handelsmarktforschung 80 Makrostandort 116 Managemententscheidungen 95 Markenartikel 176 Markentreue 38 Marketing 29 Marketing-Fenster 180 Markt 52, 55
325 Marktarten 53 Märkte 16 Märktegenerierung 16 Märkteinformation 233 Märkteinformationspolitik 235 Markterkundung 67 Marktformen 53 Marktforschung 67 Marktforschungsmethoden 71 Marktkonflikte 65 Marktmacht 62, 163 Marktpsychologie 1 Marktwirtschaft 55 Massenuntersuchung 29 Materialien 187 materielle Anreize 273 Matrixorganisation 127 Medium 230 Mehrfachplatzierung 122 Mengenbeschränkung 288 Menschen 270 Mensch-Umwelt-Beziehungen 43 Mental Maps 119 mentale Buchführung 48 Mentalität 107, 130 Methoden der empirischen Sozialforschung 20 mikroökonomische Handelsmarktforschung 80 Mikrostandort 116 Milde-Effekt 149 Mischkalkulation 254 Mitarbeiterbeurteilung 148 Mitarbeiterführung 274 Mitarbeitermotivation 270 Mitarbeiterunzufriedenheit 141 Modifikation des Verhaltens 21 Mondpreis 207 Monosystempolitik 98 moral suasion 161 Motivation 141, 235 Motivationsförderung 275 Motivationsindex 275 Motivationsschübe 274 Motivatoren 274 Motivhierarchie 169 Motivklassen 223 Multichannel Retailing 133 Multimoment-Studien 146 multi-step communication 229 Muster 193 Mystery Shopper 72, 226 Nachahmung 7 Nachbarschaftsladen 110 Nachfragemacht 30, 157 Nachfragermacht 63
326 Nachkauf-Dissonanz 90 Nachwuchsführungskraft 143 neue Medien 254 Neugier 12 Neuigkeiten-Sortiment 156 Neuro-Marketing 33 Nicht-erreichbar-Trick 294 nichtsprachliche Kommunikationselemente 262 No Names 101, 175 nonverbale Imageanalyse 74 nonverbale Interaktion 168 nonverbale Kommunikation 236 Normen 281 Normerwartungen 112 Occasionen 165, 179 Offener Buchkredit 213 Öffentlichkeitsarbeit 258 ökologische Ethik 300 ökologische Orientierung 177 ökonomische Prinzip 65 Ökonomisierung 60 Olf 190 olfaktorische Reize 190 one-to-one marketing 92 Online Blogs 232 Online-Händler 294 Onlineshop 138 Online-Werbung 255 operantes Lernen 45 optimaler Aktivierungspunkt 272 optimales Aktivierungsniveau 195 optische Reize 186 optische Täuschungen 39 optische Wahrnehmung 38 Organisationspsychologie 2 Out-of-stock 120 passives Preisverhalten 202 Payback-Karte 92 Personalausbildungspolitik 146 Personalbeschaffungspolitik 276 Personalbestandspolitik 140 Personaleinsatzpolitik 145 Personalentwicklung 147 Personalentwicklungspolitik 276 Personalkostenpolitik 148 Personalkredit 215 Persönlicher Verkauf 262 Persönlichkeitstypen 14 Persuasion 38 Perzeption 37 Phantasiepreis 200 Phobien 112 Platzierung 194 Platzierungsregeln 195 Polaritätenprofil-Methode 73
Stichwortverzeichnis Polychronizität 141 Polygraph 238 Polysystempolitik 98 positive affektive Verstärker 109 positive kognitive Verstärker 109 positive Konnotationen 264 positive Stimmungen 184 Powershopping 233 PR-Abteilung 260 Prädispositionen 36 Präferenzen 134, 151 Präferenzschaffung 242 Prägnanz 40 Praktische Psychologie 20 Prämien 277 Prämienstaffelung 146 Pränumerandokauf 215 Prävention 295 präventives Handelsmanagement 295 praxeologische Wirkungsvoraussage 280 Praxis 27 PR-Botschaften 259 Preis 161, 197 Preis-Absatz-Reaktionen 208 Preisangabenverordnung 297 Preisargumentation 264 Preisbeurteilung 201 Preisdynamik 206 Preiserwartungen 209 Preisforderung 197 Preisgarantie 201 Preisgebot 197 Preisgegenüberstellung 288 Preisklassen 195 Preisoptik 199, 200, 216 Preispolitik 197, 198 preispolitischer Spielraum 206 Preispräsentation 199 Preisreduzierung 202 Preisschleuderei 176, 202 Preisschwelle 203 Preiswahrnehmung 206 Preiszone 202 Premiummarke 176 pretiale Funktion des Handels 55 Primacy-Effekt 200 Primärforschung 23 Probandentypen 109 Probe 193 Probehandeln 48 Product Placement 291 Produktinformationen 194 Produktionsverbindungshandel 63 Profilanalyse 150 Prognose 21 Projektion 149
Stichwortverzeichnis Prospekt 253 Psychoanalyse 32 psychographische Standortfaktoren 115, 117 Psycho-Instanz 128 Psychologie 17 psychologische Arbeitsgestaltung 271 psychologische Handelsmarktforschung 70 psychologische Segmentierung 99 psychologische Standortfaktoren 114 psychologische Werbewirkungstests 254 psychologisches Problembewusstsein 301 Psycho-Stäbe 129 Psychostrategie 18, 299 psychostrategische Preispolitik 198 Psychotaktik 18 psychotaktische Entscheidungen 155 psychotaktische Preispolitik 199 Psychotechniken 280 Psycho-Tricks 279 Public Relations 258 Qualitätssiegel 175 Quartierwerbung 256 Quengelware 122 Rabatt 162, 198 Rabattitis 162 Rabattkumulierung 162 Ratgeber 168 Rationalisierung 151 Raumanordnung 118 Raumaufteilung 118 Raumgestalt 183 Räumungsverkauf 286 Raumzuteilung 119 Reaktanz 34 Reaktionen 35 Realitätsprinzip 292 Rechtsbruch 285 reinforcement 37 Reiz 183 Reize 35 Reizüberflutung 85 Rekapitulation 303 Reliabilität 5, 23 Remanenz der Kreditpolitik 217 Residenzprinzip 159 Ressentiment 30 rewards 273 Rezipienten 230 Richterrecht 298 Risikoübernahme 61 Rosenthal-Effekt 43 rotierende Loss Leader 202 Rücktrittsrecht 289 runder Preis 200 Sachkompetenz 265 Sammelbestellungs-Trick 294
327 Schaufensterdekoration 187 Schaufenstergestaltung 251 Schaufensterpuppen 188 Schaufenster-Versuch 79 Scheckkarten 214 Scheintreue 104 Schleichwerbung 291 Schlichtungsstelle 297 Schulung des Einkaufspersonals 167 Schutz vor Ladendiebstahl 87 Schwellen der Kaufbereitschaft 205 seasonal dating 213 Second-hand-Läden 99 Segment-betonte Firmenwahl 99 Sekundärforschung 22 Selbstbedienung 135 Selbsteinschätzung 149 Selbstmanagement 142 Selbstorganisation 128 Selbstverwirklichung 277, 309 Selbstwertgefühl 176 self-improvement 142 sensorische Reize 189 Service-Elastizität 225 Serviceformen 218 Service-Innovation 222 Servicelimitierungen 225 Servicepolitik 218, 225 Serviceprofil 222 Service-Remanenz 225 Service-Typologien 220 sexual harassment 296 Sicherheitsmaßnahme 87 Sicherheitsvorkehrungen 296 Sicherungsetikett 87 Signale 108 signaling 234 Signalwirkung der Firma 97 Sinne 9 Sinnesphysiologie 43 Sinnespsychologie 43 Sittengesetz 291 sittenwidrig 285 Skonto 162 Skontoverzinsung 211 Slogan 98, 101 Smart Shopper 138, 254 Snob-Effekt 208 soft skills 143 Sonderangebot 202, 286 S-O-R-Modelle 36 Sortimentsausweitung 172 Sortimentsbildung 168 Sortimentscharakter 172 Sortimentsdimensionen 174 Sortimentsdynamik 172
328 Sortimentseinschränkung 173 Sortimentsentscheidungen 171 Sortimentsfenster 181 Sortimentsinnovation 173 Sortimentskonstanten 178 Sortimentskonstanz 173 Sortimentskontrolle 171 Sortimentskonzept 172 Sortimentspolitik 155 Sortimentssubstitution 173 soziale Interaktion 262 soziale Kommunikation 304 Soziale Marktwirtschaft 57 sozialer Druck 41 Sozialethik 298 Sozialisation 309 Sozialleistungen 148 Sozialpsychologie 18 space management 194 Spannenmaximierung 197 Spannenpolitik 197 Spiegel 183 Sponsored Links 261 Sponsoring 261 Sponsorships 261 sprachliche Kommunikationselemente 262 S-R-Modelle 36 Stab-Linien-System 125 Standesregeln 297 Standort-Entscheidungsmodelle 114 Standortforschung 72 Standortwahl 113 Stärken-Schwächen-Analysen 77 Stellenanforderungen 271 Stepladder-Technik 141 Stereotyp 105 Stichproben 77 Stimmungen 33 Stimuli 37 stimulierende Reizkonstellation 184 store erosion 187 Straftaten 85 strategische Unternehmerentscheidungen 95 strategischen Partnerschaft 154 Stress 124 Stressoren 272 Subimages 149 subliminale Beeinflussung 240 Submission 165 Sucht 80 Supermarkt 136 Supply Chain Management 93 Systemunternehmen 256 Tagespreis-Trick 294 taktile Reize 191 Tante-Emma 233
Stichwortverzeichnis Tastsinn 10 technologischer Transfer 26 Teilselbstbedienung 139 Teilzahlungskredit 214 Temperamentstypen 14 Testkäufer 226 That’s not all-Technik 263 Theoretische Psychologie 20 Theorie des Preises 48 Theorierichtungen 31, 34 trading down 172 trading up 172 Tragetasche 110 Traineeprogramm 145 training on the job 147 Transaktionskostensenkung 59 Treffprinzip 160 Treueverhalten 104 Tricks 281, 293 Triebe 32 Trust Shopper 254 two-step communication 228 Typologien 245 Überraschung im Sortiment 178 Überraschungen 207, 290 Überraschungseffekt 188, 192 Überschreitung eines Zahlungsziels 213 unbewusste Motive 105 Unbewusstes 68 Unfähigkeit 280 Uniformen 189 unique merchandising 176 unlauteres Wettbewerbsverhalten 287 Unternehmensethik 291, 296 Unternehmensgröße 110 Unternehmenskonzentration 308 Unternehmerentscheidungen 95 Unternehmungskonzentration 308 Unterricht 304 unverbindliche Preisempfehlungen 284 Unversehrtheit 295 Urteilsheuristik 21 UWG 282, 285, 286 Validität 5, 23 Valutaverkauf 213 VEBLEN-Effekt 208 Verantwortung 291 Verbraucherpreisempfehlung 284 Verbundbeziehungen 121 Verbundeffekt 137 Verbundgruppen 256 Verbundsortiment 175 Verdrängungsmechanismen 111 Verfehlungen 295 Verführungskunst 280 vergleichende Imageanalyse 150
Stichwortverzeichnis vergleichende Preiswerbung 288 Vergleichspreise 201 Vergütung 148 Verifikation 22 Verkauf unter Einstandspreis 202 Verkaufen 276 Verkaufsargumente 263 Verkaufsform 133 Verkaufsgespräch 263 Verkaufspersonal 188 Verkaufsraumgestaltung 182 Verkaufsstätten-Looks 185 Verkaufstechniken 153 Vermögenssicherungseffekt 209 Verordnungen 281 Verpackung 180 Verpackungsverordnung 157 Versandkosten-Trick 294 Vertragsvertrieb 154 Vertriebsbindung 158 Verunglimpfung 287 Verwirrung 174 Vier-Märkte-Problematik 70 vorgeprägte Einstellungen 149 Vorgesetzte 142 Vorkasse-Trick 294 Vorskonto 215 Vorurteile 110, 293 Wahrnehmungspsychologie 37 Wahrnehmungsverzerrungen 39 warehouse club 136 Warenhandel 16 Wareninszenierung 277 Warenplatzierung 119 Warenpräsentation 192 Warenwirtschaftssystem 166 Wegelenkung 120 Weiterbildung 147 Werbeaufdruck 252 Werbebudget 257 Werbeerfolgskontrolle 267 Werbekonstante 242
329 Werbekooperation 257 Werbemails 254 Werbemittel 249 Werbeobjekte 243 Werbeplanung 241 Werbepolitik 237 werbepsychologische Strategien 239 Werbesubjekte 245 Werbeträger 248 Werbevariablen 242 Werbeweiterpflanzer 243 Werbezeitpunkt 258 Werbeziele 241 Werbung 237 Werte 290, 291 Werthierarchie 290 Werturteilsstreit 291 Wettbewerb 284 Wettbewerbsgenerierung 58 Wettbewerbsrecht 282 Wettbewerbsvorteile 177 wettbewerbswidrige Individualverträge 284 Wettbewerbswidrigkeit 298 wheel of retailing 106 Widerruf 289 Wiedererkennbarkeit 98 window shopping 32 Wirtschaftsethik 291, 299 Wissen 158, 279 Zahlungsmoral 218 Zeigerware 179 Zentralisation 127 Zielgruppe 246 Zielverkauf 213 zirkularer Prozess des Wirtschaftens 65 zone pricing 202 Zufallshandeln 300 Zufriedenheit der Marktpartner 88 Zuordnungsverfahren 74 Zusatzsortiment 156 zweidimensionale Positionierung 74 Zwei-Stufen-Kommunikation 229
Logistik Band 1: Transport Wolfgang Domschke Logistik: Transport Grundlagen, lineare Transport- und Umladeprobleme 5., überarb. Aufl. 2007 I XIV, 234 S. I Broschur € 34,80 I ISBN 978-3-486-58290-1 Oldenbourgs Lehr- und Handbücher der Wirtschafts- u. Sozialwissenschaften Die Bände zur Logistik beinhalten Problemformulierungen und Lösungsverfahren für die Transport-, Rundreise-, Touren- und Standortplanung. Sie sollen Studierende der Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften an quantitative Methoden zur Lösung logistischer Probleme heranführen. Er/sie soll lernen, Modelle so zu formulieren und Daten so aufzubereiten, dass sie den Anforderungen eines verfügbaren Verfahrens (bzw. Computer-Programmes) genügen. Er/sie soll ferner dazu angeregt werden, einfachere Verfahren selbst möglichst effizient zu programmieren. Zu jedem der beschriebenen Verfahren wird ein Beispiel gerechnet. Die Aufgaben am Ende jedes Kapitels sind so angelegt, dass sie in der Regel einen kleinen Schritt über den behandelten Stoff hinausführen. Dem Praktiker und dem OR-Fachmann wird neben bewährten, klassischen Verfahren der neueste Stand der Forschung bei der Lösung der betrachteten Probleme vermittelt. Logistik Band 1: Transport Logistik Band 2: Rundreisen Logistik Band 3: Standorte
Prof. Dr. Wolfgang Domschke lehrt an der Technischen Universität Darmstadt am Institut für Betriebswirtschaftslehre.