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German Pages 337 [340] Year 1981
Drexel, Strategische Unternehmungsführung im Handel
Gerhard Drexel
Strategische Unternehmungsführung im Handel
w DE
G
Walter de Gruyter • Berlin • New York 1981
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Drexel, Gerhard: Strategische Unternehmungsführung im Handel / Gerhard Drexel. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1981. ISBN 3-11-008465-1
© Copyright 1981 by Walter de Gruyter & Co, vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Ubersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz und Druck: Georg Wagner, Nördlingen. - Bindearbeiten: Dieter Mikolai, Berlin
Vorwort
Beschleunigungseffekte und Kumulationseffekte auf sämtlichen relevanten gesellschaftlichen Gebieten haben in den letzten Jahren zu einem Wechsel in der Struktur und Dynamik der Unternehmungsumwelt geführt - mit der Folge, daß diese an Komplexität, Turbulenz, Gewichtigkeit und Novität kontinuierlich zugenommen hat. Die Konsequenz für das Management einer Unternehmung ist nun, daß es auf die sich häufenden unbekannten und unerwarteten externen Herausforderungen in der geeigneten Weise zu reagieren hat. Traditionelle Managementmethoden vermögen derartigen „challenges" nicht mehr in adäquater Weise Rechnung zu tragen. Vielmehr muß auf die erhöhte Dynamik der Umwelt auch mit einer erhöhten Dynamik der Führung geantwortet werden. Diesen Anforderungen kann aber nur eine strategisch ausgerichtete Unternehmungsführung entsprechen, da sie ein ständiges Infragestellen und Uberdenken der Aufgaben und der Stellung der Unternehmung im sozioökonomischen Kontext gewährleistet. Diese Hinweise gelten besonders auch für die Unternehmungen der Distributionswirtschaft, d. h. für Handelsunternehmungen; denn gerade in dieser Branche gilt der Grundsatz „Handel ist Wandel". Das Ziel dieses Buches ist nun, die Grundlagen - und zwar die konzeptuellen, methodischen und inhaltlichen - für eine erfolgreiche und wirkungsvolle strategische Untemehmungsführung im Bereich der Distributionswirtschaft, d. h. für das strategische Distributionsmanagement, zu erarbeiten und bereitzustellen. - Die konzeptuelle Grundlegung erfolgt durch Entwicklung und Darstellung einer integrierenden Gesamtkonzeption des strategischen Managements in Form eines logischen, sieben Phasen umfassenden, kreisförmigen und iterativen Prozeßschemas der strategischen Willensbildung und -durchsetzung. Als einzelne Phasen der strategischen Führung des Handelsbetriebes werden unterschieden: (1) die Analyse der Ausgangsposition und des Ausblicks, (2) die Formulierung des Unternehmungsleitbildes, (3) die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien, (4) die Festlegung der funktionalen Politiken und Aktionsprogramme, (5) die Gestaltung der Organisation und des Führungskonzeptes, (6) die Durchführung der Strategien, (7) die Einrichtung eines strategischen und operativen Kontrollsystems. - Im Rahmen der methodischen Grundlegung wird das Hauptaugenmerk auf die Entwicklung einer eigenständigen handelsspezifischen Portfolio-Methodik gelegt. Die Portfolio-Methodik gilt als das geeignetste Instrument zur
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Vorwort
Formulierung von Unternehmungsstrategien und steht deshalb im Mittelpunkt des strategischen Managements. Gleichzeitig soll aber durch die Orientierung an dem zugrundegelegten strategischen Gesamtmodell der Unternehmensführung in Handelsorganisationen die situativ richtige Einordnung und Anwendung einer Vielzahl anderer methodischer Instrumente wesentlich erleichtert werden. - Die begriffliche und inhaltliche Grundlegung des handelsbetrieblichen strategischen Managements muß notwendigerweise von den jeweils situationsspezifischen internen und externen Gegebenheiten der Handelsorganisationen abstrahieren; infolgedessen sind die in dieser Arbeit gemachten inhaltlichen Aussagen grundsätzlich allgemeingültig und können auf viele Unternehmungen der Distributionswirtschaft bezogen werden. Um die aus strategischer Sicht überaus bedeutsamen Aspekte der Einbindung der Handelsunternehmungen in ihre jeweilige sozio-kulturelle Umwelt besser zu erfassen und auszuleuchten, werden in die vorliegende Arbeit zusätzlich einige konsumund organisationssoziologische Überlegungen miteingeschlossen (S. 65-121). Generell liegt dem gesamten Buch jedoch eine betriebswirtschaftliche Perspektive zugrunde. Abschließend möchte ich all jenen danken, die zur Entstehung dieses Buches wesentlich beigetragen haben, allen voran meinen verehrten akademischen Lehrern, den Universitätsprofessoren Dr. Hans H. Hinterhuber und Dr. Julius Morel, sowie den Herren Dr. Richard Hammer, Dr. Tamas Meleghy, Dr. Max Preglau, Dr. Walter Schertier und Dr. Alois Tafertshofer von der Universität Innsbruck für die wertvollen Ratschläge, Anstöße und Perspektiven. Mein herzlicher Dank gilt aber auch all jenen Persönlichkeiten aus der distributionswirtschaftlichen Praxis, ohne deren fruchtbare und hilfreiche Hinweise ich meinem Bestreben nach Praxisbezogenheit der Arbeit sicherlich nicht in dem erforderlichen Ausmaß hätte nachkommen können. Besonders erwähnen möchte ich hierbei den Vorstand der SPAR österreichische Warenhandels-AG, Salzburg, allen voran meinen verehrten Vater, Herrn Komm.-Rat Luis Drexel, die SPAR-AG Zwiegniederlassung Dornbirn, sowie die Herren Präsident Ander Amonn (Despar Italien), Präsident Hans H. Mahler (Magazine zum Globus, Zürich), Vizedirektor Dr. Paul Meyer (Coop Schweiz) und stv. Direktor Jörg Schmid (Migros-Genossenschafts-Bund). Dank gesagt sei schließlich auch dem Verlag Walter de Gruyter für die sorgfältige Drucklegung der Arbeit. Innsbruck, im Sommer 1981
Gerhard Drexel
Inhalt
Verzeichnis der Abbildungen
13
I Grundlagen
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1 Einführung 11 Zur Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit 12 Zur Vorgehensweise und wissenschaftstheoretischen Position 13 Zum Aufbau der Arbeit 2 Grundlagen der strategischen Unternehmungsführung 3 Begriff und Abgrenzung des Handels bzw. der Distributionswirtschaft . . . . 4 Begriff und Abgrenzung der Konsum- und Organisationssoziologie
19 19 20 21 23 31 34
II Der Prozeß der strategischen Führung von Handelsorganisationen
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0 Der Prozeß des strategischen Managements im Uberblick 1 Die Analyse der Ausgangsposition und des Ausblicks 11 Einführung 12 Die Analyse und Prognose der Umweltentwicklung 121 Dimensionale und institutionale Betrachtung der Umwelt 122 Die Charakterisierung der Umwelt durch (externe) Constraints . . . 123 ökonomische Constraints der Unternehmungsführung: die aufgabenspezifische Umwelt 123.1 Formale Anforderungen an eine Analyse der ökonomischen Umweltentwicklung 123.2 Materielle Analyse der für die Distributionswirtschaft relevanten ökonomischen Umweltentwicklung 123.21 Volkswirtschaftliche bzw. makroökonomische Analyse 123.22 Wirtschaftspolitische Analyse 123.23 Analyse des Distributionssektors (Branchenanalyse) . . 123.231 Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen . . 123.232 Angebot von Produkten und Dienstleistungen 123.233 Die Dynamik der Angebots- bzw. Betriebsformen und -typen 123.234 Die Konkurrenzanalyse 123.24 Schlußfolgerungen 124 Soziologische Constraints der Unternehmungsführung: die gesellschaftliche und sozio-kulturelle Umwelt 124.1 Soziale Anspruchsträger und gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmung
39 44 44 45 45 46 47 47 48 48 50 51 51 54 57 63 64 65 65
Inhalt
8
124.2 Konsumentenverhalten und Unternehmungsführung 124.21 Das Grundmodell zur Untersuchung des Konsumentenverhaltens 124.22 Theoretische Ansätze zur Erklärung konsumtiven Verhaltens 124.23 Soziale Determinanten des Konsumentenverhaltens und ihre Implikationen auf die Führung von Handelsorganisationen 124.231 Einführung 124.232 Die Kultur (Soziokultureller Bezugsrahmen) . 124.233 Die Vermittler der Kultur (Soziostruktureller Bezugsrahmen) 124.234 Die Prozesse der Kulturbildung (Sozioprozessualer Bezugsrahmen) 124.3 Interorganisationales Verhalten und Unternehmungsführung . 124.31 Das interorganisationale Beziehungsgeflecht als Voraussetzung interorganisationalen Verhaltens 124.311 Stark vereinfachtes Beispiel einer möglichen Beziehungsstruktur 124.312 Arten bzw. Klassen interorganisationaler Beziehungen 124.313 Ursachen interorganisationaler Beziehungen von Handelsorganisationen 124.32 Interorganisationales Verhalten von Handelsorganisationen und Strategieentwicklung 124.321 Input/Output-Strategien 124.322 Reduktive Strategien 124.33 Systemtheoretische Analyse interorganisationalen Verhaltens von Handelsorganisationen 124.331 Systemebene 1 124.332 Systemebene 0 124.333 Systemebene 2 124.334 Systemebene 3 124.34 Implikationen auf die Unternehmungsführung in Handelsorganisationen 125 Technische Constraints der Unternehmungsführung: die technologische Umwelt 126 Die ökologische Umwelt 127 Die Ermittlung von Chancen und Gefahren der Umweltentwicklung 13 Die Analyse der Unternehmung 131 Die Erhebung der Basisinformationen 132 Die Ermittlung von Stärken und Schwächen der Unternehmung . . . 14 Die Klärung der unternehmensbezogenen Wertvorstellungen der Unternehmungsleitung
69 70 71
74 74 75 79 96 106 106 106 108 110 111 111 112 113 115 115 115 117 120 121 123 125 126 128 128 131
Inhalt
2 Die Formulierung des Unternehmungsleitbildes 21 Charakterisierung und Bedeutung des Unternehmungsleitbildes 22 Die Struktur des Unternehmungsleitbildes 23 Der Prozeß der Erstellung des Unternehmungsleitbildes
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien 31 Einführung 32 Charakterisierung, Bedeutung und Aufgliederung der Unternehmungsziele und -Strategien 321 Unternehmungsziele 321.1 Charakterisierung und Bedeutung 321.2 Das Zielsystem 322 Unternehmungsstrategien 322.1 Charakterisierung und Bedeutung 322.2 Aufgliederung der Unternehmungsstrategien 322.21 Betriebsstrategien 322.22 Betriebstypenstrategien 322.23 Gesamtstrategie 33 Die Festlegung der obersten Unternehmungsziele 34 Die Festlegung der strategischen Ziele, der Betriebstypenstrategien und der Gesamtstrategie mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios 341 Begriff und Methodik des Betriebstypen-Portfolios 342 Der Objektbereich des Betriebstypen-Portfolios 343 Die Dimensionen des Betriebstypen-Portfolios 343.1 Die Betriebstyp-Attraktivität 343.2 Die relativen Wettbewerbsvorteile 344 Uberblick über die generelle Aussagekraft des Betriebstypen-Portfolios 345 Die Festlegung der strategischen Ziele 345.1 Das Ist-Betriebstypen-Portfolio der Unternehmung 345.2 Die Positionierung von Wachstums- und Diversifikationsoptionen im Betriebstypen-Portfolio 345.3 Cash-flow-Analyse und Ermittlung von Finanzierungsoptionen 345.4 Das Ziel-Betriebstypen-Portfolio 345.5 Die Ableitung der strategischen Ziele und Allokation von Finanzierungsmitteln 346 Die Festlegung der Betriebstypen-Strategien 346.1 Investitionsstrategien 346.11 Wachstumsstrategien 346.111 Strategien der Marktgeltungserhöhung 346.112 Marktausschöpfungsstrategien 346.113 Gebietsexpansionsstrategien
9
134 134 135 138
140 140 140 140 140 142 148 148 149 149 150 151 151 153 153 155 157 157 162 166 169 169 170 174 176 178 180 181 182 184 184 185
Inhalt
10
346.12 Diversifikationsstrategien 346.121 Horizontale Diversifikationsstrategien 346.122 Vertikale und laterale Diversifikationsstrategien 346.13 Strukturpolitische Alternativen hinsichtlich der Investitionsstrategien 346.131 Interne Entwicklung 346.132 Akquisition 346.133 Fusion 346.134 Kooperation 346.135 Beteiligung 346.2 Abschöpfungsstrategien 346.3 Desinvestitions- bzw. Mutationsstrategien 346.4 Selektive Strategien 346.5 Die Beurteilung und Auswahl der Betriebstypen-Strategien . . 347 Die Bestimmung distributionsfremder Strategien und der Gesamtstrategie 35 Die Bestimmung der strategischen Subziele und der Betriebsstrategien mit Hilfe des Betriebs-Portfolios 351 Die strategischen Ziele als Bezugsrahmen für die entsprechenden strategischen Subziele 352 Die Betriebstypen-Strategien als Bezugsrahmen für die entsprechenden Betriebsstrategien 353 Begriff und Methodik des Betriebs-Portfolios 354 Der Objektbereich des Betriebs-Portfolios 355 Die Dimensionen des Betriebs-Portfolios 355.1 Die Betriebsattraktivität 355.2 Die relativen Wettbewerbsvorteile 356 Uberblick über die generelle Aussagekraft des Betriebs-Portfolios . . 357 Die Bestimmung der strategischen Subziele 357.1 Das Ist-Betriebs-Portfolio der Unternehmung 357.2 Die Positionierung von Wachstums- und Diversifikationsoptionen im Betriebs-Portfolio 357.3 Das Ziel-Betriebs-Portfolio 357.4 Die Ableitung der strategischen Subziele und Allokation von Finanzierungsmitteln an die entsprechenden Betriebe 358 Die Bestimmung der Betriebsstrategien 358.1 Investitionsstrategien 358.11 Neueröffnungsstrategien 358.12 Ladenerneuerungs- und -Verbesserungsstrategien . . . . 358.13 Strukturpolitische Alternativen hinsichtlich der Investitionsstrategien 358.2 Abschöpfungsstrategien 358.3 Desinvestitions- bzw. Mutationsstrategien 358.4 Selektive Strategien 358.5 Die Beurteilung und Auswahl der Betriebsstrategien 36 Die Revision der Unternehmungsziele und -Strategien
186 188 188 190 193 193 194 195 197 198 200 204 206 209 212 213 214 214 215 217 217 221 223 225 225 227 229 231 232 232 233 234 236 237 238 240 242 243
Inhalt
11
4 Die Festlegung der funktionalen Politiken und Aktionsprogramme 41 42 43 44 45 46 47
Wesen und Bedeutung der funktionalen Politiken und Aktionsprogramme Die Marketingpolitik Die Beschaffungspolitik Die Logistikpolitik Die Finanzpolitik Die Personalpolitik Exkurs für vertikal diversifizierte Handelsorganisationen: die Produktionspolitik
5 Die Gestaltung der Organisation und des Führungskonzeptes 51 Die 511 512 513 514 515 52 Die 521 522 523
Gestaltung der Organisation Einführung Der Zusammenhang zwischen Strategie und Organisation Die Bildung der strategischen Geschäftseinheiten (SGE) und der Strategie Centers (SC) in Handelsorganisationen Zur Festlegung der strategieadäquaten Aufbauorganisation in Handelsunternehmungen Zur Ablauforganisation des strategischen Managements Gestaltung des Führungskonzeptes Das Führungssystem Die Führungsmethodik Das Führungspotential
6 Die Durchführung der Strategien 61 Durchsetzungsfreundliche Formulierung der Strategien und strategiegerechte Durchführungsplanung 62 Schaffung günstiger Durchsetzungs- bzw. Implementierungsvoraussetzungen 63 Systematische „Führung" der Durchsetzungsaktivitäten 7 Das Kontrollsystem 71 Einführung 72 Das strategische Kontrollsystem 73 Das operative Kontrollsystem
246 246 247 256 258 260 263 266 268 268 268 269 271 274 283 286 287 287 288 291 292 292 294 296 296 297 302
III Schlußbetrachtung
307
Literaturverzeichnis
312
Sachregister
329
Verzeichnis der Abbildungen
Abb. 1 Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
2 3 4 0-1 0-2
Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
1-1 1-2 1-3 1—4 1-5 1-6
Abb. 1-7 Abb. 1-8 Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
1-9 1-10 1-11 1-12 1-13 1-14
Abb. 1-15 Abb. 1-16 Abb. 1-17 Abb. 1-18 Abb. 1-19 Abb. 1-20 Abb. 1-21 Abb. 1-22 Abb. 1-23
4-Felderschema der Portfolio-Methode (Marktanteils/ Marktwachstums-Matrix) Produktekategorien in der Marktanteils/Marktwachstums-Matrix Grundschema der Portfolio-Matrix (9-Felderschema) Das Fünf-Phasen-Modell der strategischen Unternehmungsführung Gesamtmodell der strategischen Unternehmungsführung Grundmodell der strategischen Unternehmungsführung in Handelsorganisationen Dimensionale und institutionale Umweltbetrachtung Die Schwerpunkte bisheriger und künftiger Werte der Konsumenten Tendenzen im Verbrauch Anspruchsgruppen in einer Unternehmung und typische Ansprüche Grundmodell zur Untersuchung des Konsumentenverhaltens Erweitertes sozioökonomisches Grundmodell des Konsumentenverhaltens Auswahl und Gliederung der sozialen Bestimmungsgründe bzw. sozialen Determinanten des Konsumentenverhaltens Klassifizierung der Bezugsgruppeneinflüsse auf dem Verbrauchsgütermarkt nach Produktgruppen und Marken Modell der einstufigen Kommunikation Modell der zweistufigen Kommunikation Konzept der mehrstufigen Kommunikation Kommunikationsstruktur bei Diffusionsprozessen Idealtypischer Verlauf des Diffusionsprozesses (Diffusionskurve) Interorganisationale Beziehungsstruktur von Handelsorganisationen (fiktives Beispiel) Das interorganisationale Beziehungsmuster einer einzelnen - fokalen Organisation (fiktives Beispiel) Interorganisationales Verhalten auf der Systemebene 0 (fiktives Beispiel) Interorganisationales Verhalten auf der Systemebene 2a (fiktives Beispiel) Interorganisationales Verhalten auf der Systemebene 2b (fiktives Beispiel) Der Wirtschaftszweig Handel im sozio-ökonomischen Kontext (Systemebene 3) Schema zur Erfassung technologischer Umweltinformationen Chancen/Gefahren-Relevanzprofil (dargestellt am Beispiel eines Verbrauchermarkt-Konzerns) Stärken/Schwächen-Profil einer Handelsunternehmung Verschiedene Wertvorstellungsprofile
24 25 27 29 40 42 46 52 54 67 71 72 75 88 98 99 100 103 104 107 109 114 116 118 119 123 127 130 133
14
Verzeichnis der Abbildungen
Abb. 2-1 Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
2-2 3-1 3-2 3-3 3-4
Abb. Abb. Abb. Abb.
3-5 3-6 3-7 3-8
Abb. 3-9 Abb. 3-10 Abb. 3-11 Abb. 3-12 Abb. 3-13 Abb. 3-14 Abb. 3-15 Abb. 3-16 Abb. 3-17 Abb. 3-18 Abb. 3-19 Abb. 3-20 Abb. 3-21 Abb. 3-22 Abb. 3-23 Abb. 3-24 Abb. 3-25 Abb. 3-26 Abb. 3-27 Abb. 3-28
Beispiel eines Unternehmungsleitbildes einer stark diversifizierten Handelsorganisation (Coop Schweiz) Der unternehmungspolitische Willensbildungsprozeß Das Zielsystem von Handelsorganisationen (mit Beispielen) Zielhierarchie von Handelsorganisationen Zielelemente Die Stellung der Unternehmungsstrategien im Prozeß der strategischen Unternehmungsführung Grundschema des Betriebstypen-Portfolios Der idealtypische Lebenszyklus der Betriebsformen Kriterien zur Bestimmung der Betriebstyp-Attraktivität Schematisches Beispiel zur quantitativen Bestimmung der BetriebstypAttraktivität Kriterienkatalog zur Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile einer strategischen Geschäftseinheit (SGE) Schematisches Beispiel zur quantitativen Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile einer SGE Das Ist-Betriebstypen-Portfolio einer Handelsorganisation (fiktives Beispiel) Die Positionierung von Wachstums- und Diversifikationsoptionen im Betriebstypen-Portfolio (fiktives Beispiel) Ist- und Ziel-Betriebstypen-Portfolio einer Handelsorganisation (fiktives Beispiel) Systematik distributionswirtschaftlicher Investitionsstrategien Charakterisierung distributiver Investitionsstrategien Umfassende distributive Mehrfachstrategie durch horizontale Diversifikation (dargestellt am Beispiel der Migros-Genossenschaft, Schweiz) Vertikale und laterale Diversifikation einer ursprünglich reinen Handelsorganisation (dargestellt am Beispiel der Migros-Genossenschaft, Schweiz) Strukturpolitische Alternativen hinsichtlich der Investitionsstrategien Charakterisierung distributiver Abschöpfungsstrategien Charakterisierung distributiver Desinvestitions- und Mutationsstrategien Mutationsstrategien (fiktive Beispiele) Charakterisierung distributiver Selektivstrategien Entscheidungsanalyse zur Beurteilung und Auswahl strategischer Alternativen Mittel/Zweck-Relation zwischen strategischen Subzielen und übergeordnetem strategischen (Primär-)Ziel Mittel/Zweck-Relation zwischen Betriebsstrategien und übergeordneter Betriebstypenstrategie Grundschema des Betriebs-Portfolios Kriterien zur Bestimmung der Betriebsattraktivität Der idealtypische Lebenszyklus der (Einzel-)Handelsbetriebe (inkl. zugeordneter Wirkungsphasen der Store Erosion)
137 139 143 147 147 150 156 158 160 161 163 165 171 173 177 181 183 189 191 192 199 201 203 205 207 213 214 216 218 220
Verzeichnis der Abbildungen
Abb. 3-29 Kriterienkatalog zur Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile eines einzelnen Handelsbetriebs bzw. Strategie Center (SC) Abb. 3-30 Das Ist-Betriebs-Portfolio (Ausschnitt) mit übergeordnetem IstBetriebstypen-Portfolio einer Handelsorganisation (fiktives Beispiel) Abb. 3-31 Die Positionierung von Wachstums- und Diversifikationsoptionen im Betriebs-Portfolio (Ausschnitt aus dem Betriebs-Portfolio; fiktives Beispiel) Abb. 3-32 Das Ziel-Betriebs-Portfolio (Ausschnitt) mit übergeordnetem ZielBetriebstypen-Portfolio einer Handelsorganisation (fiktives Beispiel) Abb. 3-33 Strukturpolitische Alternativen hinsichtlich der betriebsbezogenen Investitionsstrategien Abb. 4-1 Systematik der Marketing-Politik im Einzelhandel Abb. 4-2 Gliederung der Serviceleistungen Abb. 4-3 Einsatz marketingpolitischer Instrumente zur Unterstützung und Durchsetzung der Betriebstypen-Strategien Abb. 4—4 Marketingpolitische Aktionsprogramme für die einzelnen Warengruppen (fiktives Beispiel) Abb. 4-5 Das „Strategische Gewinnmodell" (nach Davidson/Doody/Sweeney) Abb. 5-1 Hypothese A: Die Struktur folgt der Strategie (nach Chandler) Abb. 5-2 Hypothese B: Die Strategie folgt der Struktur Abb. 5-3 Wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen Strategie und Struktur Abb. 5—4 Die Bildung von strategischen Geschäftseinheiten in Abhängigkeit der Segmentierung nach Betriebstypen und geographischen Absatzgebieten (Regionen) Abb. 5-5 Die hierarchische Einordnung der strategischen Geschäftseinheiten (SGE) und Strategie Centers (SC) in die Organisationsstruktur von Handelsunternehmungen Abb. 5-6 Gliederung nach Funktionsbereichen (funktionale Organisationsstruktur) Abb. 5-7 Gliederung nach Divisionen (divisionale Organisationsstruktur) Abb. 5-8 Gliederung nach Regionen (regionale Organisationsstruktur) Abb. 5-9 Gliederung nach Divisionen und Regionen (Matrixorganisation) Abb. 5-10 Unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten des Prinzips der Gliederung nach Regionen (Verkaufsbezirken) innerhalb einer SGE Abb. 5-11 Die „Tiefenstruktur" der Unternehmungsorganisation (nach S. Beer) Abb. 5-12 Flußdiagramm des jährlichen strategischen Planungszyklus Abb. 7-1 Der Zusammenhang zwischen Informationsstand und Reaktionsstrategien (nach Ansoff) Abb. 7-2 Stark aggregiertes operatives Kontrollsystem einer diversifizierten Handelsorganisation (Prinzipdarstellung)
15
222 226 228 230 238 249 251 254 255 262 269 270 270 272 273 276 277 278 279 280 282 284 300 304
I Grundlagen
1 Einführung
11 Zur Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit Die meisten Führungskräfte aus dem Bereich des Handels bzw. der Distributionswirtschaft sehen sich heute mit der Tatsache konfrontiert, daß die für die Steuerung ihres jeweiligen Führungsbereichs relevante Umwelt ständig an Dynamik und Komplexität zunimmt; dies trifft insbesondere für die Wettbewerbssituation in dieser Branche zu. Für den Handelsmanager erweist sich die derzeitige Lage nun insofern als Problem, als er auf diese erhöhte Dynamik der Umwelt mit keiner entsprechend erhöhten Dynamik der Führung antworten kann. Hierzu würde er ein umfassendes Konzept der „Strategischen Unternehmungsführung" benötigen, das speziell für Unternehmungen des Handels bzw. der Distributionswirtschaft zugeschnitten ist. Bis heute sind derartige umfassende Modelle der „Strategischen Führung im Handel" u. E. allerdings nicht in genügend systematischer und erfolgversprechender Form entwickelt worden. Das zentrale Problem der vorliegenden Arbeit läßt sich somit folgendermaßen formulieren: Es besteht in der Entwicklung einer Entscheidungslogik für die Suche nach adäquaten Lösungen bzw. Handlungsmöglichkeiten für die strategische Führung von Handelsunternehmungen. Diese pragmatische Fragestellung ist in drei Teilprobleme aufzugliedern: (1) die Frage nach den Zielen von Handelsunternehmungen; (2) die Frage nach den möglichen Strategien, Handlungsalternativen bzw. Instrumentalvariablen zur Erreichung der gesetzten Ziele; (3) die Frage nach den für eine Handelsunternehmung grundsätzlich nicht oder nur marginal beeinflußbaren bzw. verbindlichen Bedingungen, „Constraints" bzw. Situationsvariablen der Unternehmungsführung. Den Objektbereich dieses Buches bilden somit Unternehmungen bzw. Organisationen der Distributionswirtschaft schlechthin - vorzugsweise jedoch solche des Handels mit Nahrungs- und Konsumgütern; diese Gebilde sollen vereinfachend und generalisierend mit dem Ausdruck „Handelsorganisation"1 bzw. „Handelsunternehmung" bezeichnet werden. Die nähere Charakterisierung hier untersuchter Handelsunternehmungen erfolgt in Abschnitt 1/3.
1 Hier wird somit ein institutionaler Organisationsbegriff verwendet, d. h. die Organisation wird verstanden als soziales bzw. sozio-technisches Gebilde. Vgl. dazu Hill, W. / Fehlbaum, R. / Ulrich, P., Organisationslehre, Bd. 1, Bern/Stuttgart 1974, S. 17.
20
1 Einführung
Aufgrund der Problemstellung und des Objektbereichs ergeben sich die primären Zielsetzungen, die mit dieser Arbeit verfolgt werden sollen: (1) Verbesserung der unternehmerischen Führungseffizienz und Bewältigung des sog. „strategic fit" 2 in Handelsunternehmungen durch eine strategieorientierte und veränderte Umweltkonstellationen antizipierende Unternehmungsführung, die sich besonders auch mit Innovations- und Diversifikationsoptionen beschäftigt. (2) Anwendung und Adaption der allgemeinen - d. h. industriellen - PortfolioMethodik3, die als das Hauptinstrument des strategischen Managements betrachtet wird, auf Handelsunternehmungen. (3) Integration der Erkenntnisse aus den sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen - und hier vor allem der Organisations- und Konsumsoziologie - in die Theorie und Praxis der strategischen Führung von Handelsunternehmungen.
12 Zur Vorgehensweise und wissenschaftstheoretischen Position Die Arbeit beginnt mit einer extensiven Analyse des für die Distributionswirtschaft relevanten Bedingungsrahmens. Dabei wird größtes Augenmerk besonders auf die ökonomischen und soziologischen Situationsvariablen bzw. Constraints gelegt. Als Datenbasis dieser Umfeldanalyse dienen in erster Linie Literaturquellen sämtlicher hierfür in Frage kommender Gebiete. Darauf aufbauend soll dann das
Beziehungsdreieck:4
(3) Strategien auf logisch-analytische Weise herausgearbeitet werden. Es wird bewußt auf eine großangelegte empirische Untersuchung verzichtet, da diese für die vorliegende Problemstellung von keinem nennenswerten Nutzen wäre: Ziel dieser Arbeit ist ja nicht aufzuzeigen, wie Handelsunternehmungen (mit mehr oder minder 2 Vgl. dazu Abschnitt II/O. 3 Zur Einführung in die Portfolio-Methodik vgl. Abschnitt 1/2. 4 Ein formal ähnlicher Ansatz - allerdings mit unterschiedlicher Themenstellung - findet sich bei Hill, W. / Fehlbaum, R. / Ulrich, P., a. a. O., S. 29.
13 Zum Aufbau der Arbeit
21
großem Erfolg) versuchen, das Problem der strategischen Unternehmungsführung zu meistern, sondern vielmehr darzulegen, wie in Handelsunternehmungen zu diesem Zwecke vorgegangen werden soll, vorausgesetzt, daß eine Führung nach strategischen Prinzipien gewünscht wird. Um dieser Zielsetzung zu entsprechen, bedarf es theoretischer Modelle und Gestaltungsvorschläge, die allerdings, um sinnadäquat verwendet zu werden, genügend Praxisrelevanz aufweisen müssen. Diese Praxisrelevanz versuchte der Verfasser dadurch zu gewährleisten, daß er namhaften Persönlichkeiten aus dem Top-Management führender Handelsunternehmungen bzw. -konzerne seine theoretischen Modelle in Diskussionen und Interviews zur Begutachtung vorlegte, um sodann allfällige Korrekturen daran vorzunehmen. Um namentlich den Transfer von der Theorie zur Praxis besser zu bewerkstelligen, werden deshalb - soweit möglich und nützlich - Beispiele und Erkenntnisse aus der betrieblichen Praxis in die vorliegende Arbeit eingeflochten. Was die wissenschaftstheoretische Position5 betrifft, so steht somit das sog. pragmatische Wissenschaftsziel im Vordergrund, d. h. die Gewinnung praktisch verwendbarer Handlungsanweisungen, um bestimmte Gestaltungsziele zu verwirklichen. Ergänzend dazu bedarf es aber auch empirisch fundierten Grundwissens über Ursachen und Randbedingungen, welche eine konkrete Situation determinieren, d. h. der Wirklichkeitserkenntnis (theoretisches Wissenschaftsziel). Insbesondere werden in diesem Zusammenhang Erklärungsmodelle der Verhaltenswissenschaften (vor allem der Soziologie) über originäre Verhaltensdeterminanten mitberücksichtigt. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Handelsorganisationen zugleich Erkenntnis- und Gestaltungsobjekt der vorliegenden Untersuchung bilden, wobei jedoch die gestalterische Komponente eindeutig im Vordergrund steht.
13 Zum Aufbau der Arbeit In den nachfolgenden Abschnitten des I. Teils werden zunächst die wesentlichen Grundlagen der strategischen Unternehmungsführung erläutert und sodann das Gebiet der Distributionswirtschaft sowie der Konsum- und Organisationssoziologie definiert und abgegrenzt. Im II. Teil der Arbeit wird der Prozeß der strategischen Führung von Handelsorganisationen anhand eines 7-Phasen-Schemas detailliert abgehandelt.
5 Zu den wissenschaftstheoretischen Grundlagen vgl. z. B. Hill, W. / Fehlbaum, R. / Ulrich, P., a. a. O., S. 34 ff.
22
1 Einführung
Als Ubersicht für den gesamten Prozeß des in dieser Arbeit entwickelten „strategischen Handelsmanagements" dient Abschnitt 0. Abschnitt 1 befaßt sich mit der ersten Phase der strategischen Unternehmungsführung: der Analyse der Ausgangsposition und des Ausblicks. Hier wird eine Analyse und Prognose der - vorwiegend ökonomischen und sozialen Umweltentwicklung vorgenommen; anschließend werden die Aufgaben der Unternehmungsanalyse und Klärung der unternehmensbezogenen Wertvorstellungen der Unternehmungsleitung kurz dargestellt. In Abschnitt 2 wird die Formulierung des Unternehmungsleitbildes behandelt, Abschnitt 3 befaßt sich umfangreich mit den überaus wichtigen Fragen der Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien. Dabei wird die für Handelsorganisationen bedeutsame Unterscheidung getroffen zwischen Zielen und Strategien für die einzelnen Betriebsformen oder -typen6 sowie - auf einer niedrigeren Abstraktionsstufe - den Zielen und Strategien für die diversen Betriebe oder Verkaufsstellen. Im Abschnitt 4 werden die funktionalen Politiken und Aktionsprogramme dargestellt, die zur Realisierung der gesetzten Ziele und Strategien notwendig sind. Hauptaugenmerk ist dabei auf die Marketingpolitik zu legen, da diese ohne Zweifel zu den konstitutiven Merkmalen einer jeden Handelsunternehmung gehört. Abschnitt 5 behandelt die in Hinblick auf die gewählte strategische Ausrichtung adäquate Gestaltung der Organisation und des Führungskonzeptes. Schließlich werden in den Abschnitten 6 und 7 die Implementation bzw. Durchführung der Strategien und funktionalen Politiken sowie die Gestaltung des Kontrollsystems dargestellt, womit der als Regelkreis konzipierte Prozeß des strategischen Managements wieder geschlossen wird. Abgerundet wird die Arbeit im III. Teil mit einer kurzen Schlußbetrachtung.
6 Zur genauen Begriffsklärung der Betriebsformen bzw. -typen vgl. Abschnitt 123.233.
2 Grundlagen der strategischen Unternehmungsführung
Bevor wir den Begriff der strategischen Unternehmungsführung näher charakterisieren, ist es notwendig, auf ihren Kernbereich - die strategische Planung einzugehen. Die strategische Planung befaßt sich mit der langfristigen, die gesamte Unternehmung betreffenden Tätigkeitsfeld- bzw. Geschäftsfeldplanung7, d. h. - sofern wir es mit industriellen (Produktions-)Unternehmungen zu tun haben - mit der langfristigen Produktprogrammplanung. Dabei stehen „die Analyse der Erfolgsquellen und die Entwicklung langfristig angelegter Konzepte zur Zukunftssicherung der Unternehmung" 8 im Mittelpunkt der strategischen Planung. Zu beachten ist, daß die strategische Planung nicht als eine von Zeit zu Zeit (beispielsweise in jährlichen Abständen) zu vollziehende Aufgabe zu betrachten ist, sondern daß es sich bei der Bewältigung der strategischen Planungsaufgaben um ein „permanentes Problem" 9 handelt, da insbesondere die Frage des Unternehmungs- bzw. Systembestandes in langfristiger Hinsicht immer wieder von neuem zu problematisieren ist. Die überaus rasche Verbreitung, die die strategische Planung besonders in den 70er Jahren hauptsächlich in USamerikanischen Großkonzernen erfuhr, drückt Gerstner folgendermaßen aus: „Except for the so-called Computer revolution, few management techniques have swept through corporate and governmental enterprise more rapidly or completely." 1 0 Im Zentrum strategischer Planungs-Konzepte und -Modelle steht nun zweifelsfrei die sog. Portfolio-Methodik, die als „geeignetstes Instrument für die Formulierung von Strategien" 11 angesehen wird. Die Portfolio-Methodik setzt an bei der Grundproblematik der strategischen Planung, nämlich der Entscheidung, wie finanzielle, materielle und personelle Ressourcen beschafft und den verschie-
7 Vgl. Arbeitskreis „Langfristige Unternehmensplanung" der Schmalenbach-Gesellschaft, Strategische Planung, in: zfbf, 29. Jg., H . 1, 1977, S. 2. 8 Arbeitskreis „Langfristige Unternehmensplanung" der Schmalenbach-Gesellschaft, a. a. O., S. 1. 9 Vgl. dazu Welters, K., Zum Problembegriff einer Theorie strategischer Unternehmungsplanung, in: ZfO, 27. Jg., H. 3, 1978, S. 136. 10 Gerstner, Jr., L. V., Can Strategie Planning Pay Off?, in: Marketing Management - Perspectives and Applications, Homewood (III.), 1976, S. 174. 11 Hinterhuber, H. H., Strategische Unternehmungsführung, Berlin/New York 1977, S. 7.
24
2 Grundlagen der strategischen Unternehmungsführung
Einführungsphase Investitionen
Wachstumsphase II
I
Investitionsstrategien
Offensivstrategien
Sättigungsphase IV
Reifephase
Deckungsbeitrag
III
Abschöpfungsstrategien
Desinvestitionsstrategien
0,5
1
i
JL 1,0
2,0
4,0
„ , .. , ., Markanteil der Unternehmung Rel. Marktanteil = —; 77—. =z— Marktanteil des stärksten Konkurrenten Lebenszyklus Richtung des Cash-flow (Der durch den Abbau von strategischen Geschäftseinheiten hervorgerufene Cash-flow im IV. Quadranten wird hier nicht berücksichtigt). Abb. 1: 4-Felderschema der Portfolio-Methode (Marktanteils/Marktwachstums-Matrix)12
12 Hinterhuber, H. H., Strategische Unternehmensführung, a. a. O., S. 89.
2 Grundlagen der strategischen Unternehmungsführung
25
denen Unternehmungsbereichen - den sog. strategischen Geschäftseinheiten zugewiesen werden sollen, um die langfristige Existenzsicherung der Unternehmung zu sichern.13 Zur näheren Charakterisierung der Portfolio-Methodik erweist es sich als zweckmäßig, zwischen einem sog. 4-Felderschema (vgl. Abb. 1 und 2) und einem 9-Felderschema (vgl. Abb. 3) zu unterscheiden. 7.um 4-Felderschema: Die Portfolio-Methode bedient sich bei beiden Varianten eines Koordinatensystems, dessen Ordinate - im Falle des 4-Felderschemas - durch das Marktwachstum und dessen Abszisse - wiederum nur im Falle des 4-Felderschemas - durch den relativen Marktanteil (im Vergleich zum stärksten Konkurrenten) definiert ist. Es ist nun Aufgabe der jeweiligen Unternehmung, für jede einzelne „strategische Geschäftseinheit" 14 - dies können Produktbereiche, Funktionsbe-
o _c
Nachwuchsprodukte
Innovator
Starprodukte
• E
3
1u M S
I + Auslaufprodukte
E2 s i a J
& C i
1
S V e a-a H -Û «M >"U
60 C q a 3 J3 • s « tH i
nur wenn im Eigeninteresse
1
L
Berücksichtigung von Mitarbeiterzielen
keine > Berücl [ sichtigung 1 „autorijtär" ;
nur soweit leistungsfördernd
, politische / Aktivität in bestimmter Richtung
\ Fall zu Fall wenn Opfer gering
vWenn mit eigener Uberzeugung übereinstimmend
„kooperativ"
Abb. 1-23: Verschiedene Wertvorstellungsprofile 27 27 Vgl. Ulrich, H., Unternehmungspolitik, a. a. O., S. 56.
weitgehend
x
multinational V Mitbeteiligung d e r ^ » Mitarbeiter y sehr hoch maximale Unterstützung, Unterordnung generell so weit als möglich
maximale Berücksichtigung
auch wenn mit Opfern verbunden y f
beschränkt
maximale Qualitätsvorstellung
\
^ angemessene Innovationsfähigkeit mittel hoch politische Neutralität
maximales Wachstum
•
gering^»
*
Führungsstil
^
[ gr°!L hoch
so viel wie möglich — •
^
„demokratisch"
2 Die Formulierung des Unternehmungsleitbildes
21 Charakterisierung und Bedeutung des Unternehmungsleitbildes Nachdem wir in der ersten Phase des strategischen Distributionsmanagements Chancen und Gefahren der Umweltentwicklung, Stärken und Schwächen sowie die unternehmensbezogenen Wertvorstellungen der Führungskräfte der Handelsunternehmung ermittelt und beurteilt haben, können wir uns nun der Phase der Formulierung des sog. Unternehmungsleitbildes zuwenden. Das Unternehmungsleitbild stellt als „zusammengefaßte Charakterisierung der zukünftigen Unternehmung"1 das oberste Wertsystem für die Handelsunternehmung dar. Bei der Formulierung des Unternehmungsleitbildes geht es somit darum, ein Ideal- oder Wunschbild, für deren Verwirklichung sich sämtliche Unternehmungsmitglieder verpflichtet fühlen bzw. fühlen sollten, für die spezische Handelsorganisation festzulegen. Das Unternehmungsleitbild vermittelt aber nicht nur ein Bild über die unternehmensbezogenen künftigen Wunschzustände, sondern legt zudem - in sehr allgemein gehaltener Form - für sämtliche Unternehmungsangehörige die in bezug auf das unternehmensrelevante Verhalten obersten Verhaltensgrundsätze und -regeln fest; insofern erweist sich das Unternehmungsleitbild, das auch Unternehmensverfassung2 oder Unternehmenscharta3 genannt wird, als oberstes Normensystem der Handelsorganisation.4 Im Rahmen der strategischen Unternehmungsführung kommt dem Unternehmungsleitbild eine überhaus hohe Bedeutung zu: Es enthält die grundlegenden Richtlinien für die Wahl bzw. Ableitung der Ziele, Strategien, Aktionsprogramme und sonstigen Aktivitäten der Unternehmung. Da die meisten dieser Aktivitäten langfristig-strategischer Natur sind, stellt das Unternehmungsleitbild eine verbindliche Grundlage insbesondere für die Unternehmungsplanung dar.5 1 Ulrich, H., Unternehmungspolitik, a. a. O., S. 91. 2 Vgl. Timmermann, M., Strategien der Diversifikation, in: Plus, 6. Jg., H. 5, 1972, S. 18. 3 Vgl. Curmat, R., et al., Charta für die Unternehmung, in: MZ, 46. Jg., H. 10, 1977, S. 425 ff. 4 Zur Unterscheidung zwischen Werten und Normen vgl. die Ausführungen in Abschnitt 124.232. 5 Vgl. Ulrich, P. / Fluri, E., a. a. O., S. 65.
22 Die Struktur des Unternehmungsleitbildes
135
Ist das Unternehmungsleitbild einmal festgelegt, sind damit gleichzeitig in groben Zügen sämtliche daran anschließenden Phasen des strategischen Managements mitumrissen.
22 Die Struktur des Unternehmungsleitbildes Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, das Unternehmungsleitbild derart zu konzipieren, daß es Auskunft gibt über (1) oberste Verhaltensziele (Wunschbild der Unternehmung) und (2) oberste Verhaltensregeln (Verhaltensgrundsätze der Unternehmung). Zur Beschreibung des zukünftigen Wunschbildes der Unternehmung gehört in erster Linie eine präzise Charakterisierung des wirtschaftlichen Grundzweckes der Handelsunternehmung, d. h. die Festlegung - der beabsichtigten Tätigkeitsgebiete (Großhandel, Einzelhandel; Betriebstypen), - der geplanten Marktleistungen (Sortimentsstruktur, Preisniveau, Serviceniveau usw.), - der angestrebten geographischen Reichweite (lokale, nationale, internationale Ausdehnung), - der erwünschten Marktstellung (Marktanteile) sowie - der grundsätzlichen Vorstellungen über die Gewinnerzielung (maximaler Gewinn, angemessener Gewinn, funktioneller Gewinn, kein Gewinn aber Kostendeckung). Die genauere Festlegung des angestrebten Grundzweckes (Grundfunktion) ist allerdings nur die eine der beiden Säulen einer richtig verstandenen Formulierung des zukünftigen unternehmensbezogenen Wunschbildes. In gleicher Weise müssen auch - anknüpfend an die Ausführungen über die soziale Verantwortung der Unternehmung6 - die Fragen nach den weiteren Zwecken bzw. Funktionen der Unternehmung aufgegriffen und in langfristig und allgemein gültiger Form beantwortet werden. Die soziale Verantwortung der Unternehmung, die wir als „ausgewogene" Berücksichtigung der Ansprüche sämtlicher mit ihr in Austauschbeziehung befindlichen Anspruchsgruppen bezeichnet haben, spiegelt sich nun insofern im Unternehmungsleitbild wider, als in diesem die obersten Richtlinien für das unternehmungspolitische Verhalten gegenüber den verschiedenen Anspruchsgruppen festzulegen sind. 6 Vgl. dazu Abschnitt 124.1.
136
2 Die Formulierung des Unternehmungsleitbildes
Damit sind wir bei der Bestimmung der obersten Verhaltensgrundsätze bzw. -regeln angelangt; wir unterteilen diese in generelle und anspruchsgruppenbezogene Verhaltensgrundsätze. Die konkrete, unternehmensspezifische Festlegung der Verhaltensgrundsätze gegenüber den jeweiligen Anspruchsgruppen gibt in der Folge - unter der Voraussetzung, daß diese auch verhaltenswirksam werden - Aufschluß über die jeweils unternehmensspezifische Interpretation der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmung. Eine grundlegende Klärung der anspruchsgruppenbezogenen Verhaltensgrundsätze wird insbesondere durch die detaillierte Beantwortung der folgenden Fragen7 bewirkt: - Welche Grundsätze sollen unser Verhalten gegenüber unseren Marktpartnern (Kunden, Lieferanten, Konkurrenten) bestimmen? (Qualitätsgrundsätze, Preispolitik, Prinzipien des Kundendienstes und der Information; Kooperationsgrundsätze usw.) - Wie stellen wir uns grundsätzlich zu den Anliegen der Mitarbeiter? (Entlohnung, persönliche Entwicklung, soziale Sicherung, Mitbestimmung, finanzielle Mitbeteiligung usw.) - Welches sind die wesentlichsten Grundsätze der Mitarbeiterführung, die in unserer Unternehmung gelten sollen? - Welches sind unsere wesentlichsten Grundsätze gegenüber Eigentümern bzw. Aktionären? (Grundsätze in bezug auf Gewinnverwendung und Dividendenpolitik, Kapitalerhöhungen usw.) - Welches ist unsere grundsätzliche Haltung gegenüber dem Staat? - Wie sind wir eingestellt gegenüber wesentlichen gesellschaftlichen Anliegen? (Umweltschutz, Konsumentenschutz, Gesundheitspflege, Armutsbekämpfung, Entwicklungshilfe, Kunstförderung usw.) Bestandteile des Unternehmungsleitbildes sind aber auch bestimmte generelle Verhaltensgrundsätze der Unternehmung, von denen die folgenden besonders hervorzuheben sind: - Grundeinstellung zum Wandel („statisch-adaptive", „dynamisch-aggressive"8 oder dazwischenliegende Einstellung), - wirtschaftliches Handlungsprinzip (Wirtschaftlichkeitsprinzip), - zugrundegelegtes Menschenbild, - politische Leitvorstellung, - technologische Leitvorstellung. 7 Vgl. Ulrich, H., Unternehmungspolitik, a. a. O., S. 94. 8 Vgl. zu dieser Unterscheidung Albach, H., Betriebswirtschaftliche Anforderungen an eine langfristige Unternehmungsplanung, in: ZfB, 38. Jg., 2. Ergänzungsheft, 1968, S. 8.
137
22 Die Struktur des Unternehmungsleitbildes
Nachfolgend soll ein Beispiel eines Unternehmungsleitbildes einer Handelsorganisation (Coop Schweiz) wiedergegeben werden, das besonders durch seinen klaren Aufbau und die kurze und prägnante Formulierung hervorsticht (vgl. Leitbild der Coop-Gmppe
Soziale Verhaltensgrundsätze
Die Coop-Gruppe gehört den Genossenschaftern. Sic bestimmen durch die Institutionen der Genossenschaftsdemokratie letztlich das Leitbild der Coop-Gruppe. Das Unternehmungsleitbild dient als Grundlage aller Aktivitäten sämtlicher Unternehmungen der CoopGruppe. Die im Leitbild umschriebenen leistungswirtschaftlichen, sozialen und finanzwirtschaftlichen Verhaltensgrundsätze setzen den Bezugsrahmen für unsere Entscheidungen in der Praxis.
Wir sind für die Erhaltung und Entwicklung unserer liberalen und sozialen Gesellschaftsordnung mitverantwortlich. Im Rahmen unserer Möglichkeiten arbeiten wir an der Lösung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Probleme mit. Wir sind parteipolitisch unabhängig, nehmen jedoch an der politischen Entscheidungsfindung im Rahmen unserer unternehmungspolitischen Grundsätze teil.
Wesen, Ziele und Verhaltensgnindsätze der Coop-Gruppe
Leistungswirtschaftliche Grundsätze
Institutionen, die sich loyal für die Belange des Konsumenten einsetzen, stehen wir positiv gegenüber. Unsere Zielsetzungen können wir nur durch den vollen Einsatz all unserer Mitarbeiter realisieren. Wir arbeiten ziel- und teamorientiert und richten uns nach dem Leistungsprinzip. Von den Führungskräften aller Stufen verlangen wir Einfallsreichtüm und Dynamik in der Zielerreichung.
Wir sind eine kooperative Einheit von Produktions-, HanBerufliche Aus- und Weiterbildung, Förderung soziadels- und Dienstleistungsunternehmungen, die durch Be- ler Sicherheit, Entfaltung der Persönlichkeit und leistungsschaffen und Verteilen von Waren bzw. Erstellen von gerechte Entlohnung charakterisieren unsere PersonalDienstleistungen möglichst viel zur guten Lebensqualität politik. Unser Führungsstil ist durch Mitwirkung und der Konsumenten beitragen will. Mitverantwortung unserer Mitarbeiter und durch die Grundsätze der Führung durch Zielsetzung geprägt. Wir sind als Gruppe eine Einheit und treten als solche gemeinsam auf. Wir unterstützen als Mitglied des Internationalen Genossenschaftsbundes den Erfahrungs- und Güteraustausch Unsere Marktleistungen richten sich nach den Bedürfmit in- und ausländischen Genossenschaftsorganisationissen und Wünschen der Konsumenten. Unsere Struktur nen. soll einfach und klar sein. Unter Nutzung von Fortschritt und Technik wollen wir die günstigste Warenbeschaffung - einschliesslich rationelle Produktion - und eine zeitgemässe, fortschrittliche Verteilung unserer Waren und Dienstleistungen gewährleisten. Wir informieren sachlich und offen über Preise, Eigenschaften und Verwendung unserer Waren bzw. Dienstleistungen. Wir wollen wachsen, um unsere Leistungsfähigkeit zugunsten der Konsumenten zu verbessern. Daher verfolgen wir im fairen und transparenten Wettbewerb anspruchsvolle Marktanteilsziele. Von der Konkurrenz wollen wir uns klar abgrenzen; in Fragen, welche die Branche als Ganzes betreffen, sind wir zur Zusammenarbeit bereit.
Finanzwirtschaftliche Verhaltensgnindsätze Wir wollen langfristig unsere stungskraft ausbauen. Deshalb Expansion und Diversifikation Teil aus dem erarbeiteten Cash
Marktstellung u n d Leiwollen wir Erneuerung, zu einem angemessenen flow finanzieren.
Unsere Unabhängigkeit und wirtschaftliche Sicherheit wahren wir mit einer möglichst breiten und gesunden Finanzierungsbasis. Wir streben eine finanzwirtschaftliche Einheit an und setzen unsere selbsterarbeiteten Mittel zur Stärkung unserer Leistungsfähigkeit im Dienste der Konsumenten und unserer Mitarbeiter ein.
Abb. 2-1: Beispiel eines Unternehmungsleitbildes einer stark diversifizierten Handelsorganisation (Coop Schweiz)
138
2 Die Formulierung des Unternehmungsleitbildes
Abb. 2-1).9 Der in diesem Beispiel vorgenommenen Strukturierung der Verhaltensziele und -grundsätze in eine leistungswirtschaftliche, soziale und finanzwirtschaftliche Dimension werden wir weiter unten bei der Diskussion des unternehmerischen Zielsystems wieder begegnen.10
23 Der Prozeß der Erstellung des Unternehmungsleitbildes Der unternehmungspolitische Willensbildungsprozeß, der auf seiner obersten Ebene11 zur Bestimmung des Unternehmungsleitbildes führt, hängt einerseits maßgeblich von dem Wert- und Normensystem der dominanten Gruppe (Kerngruppe) der Unternehmung ab. Diese Kerngruppe (in der Regel das Top-Management) wird versuchen, das Unternehmungsleitbild nach den ihr eigenen Wertvorstellungen zu gestalten, die mehr oder weniger stark mit jenen der Anspruchsgruppen der Unternehmung harmonieren. Das Ausmaß an Berücksichtigung der Wert- und Normensysteme der diversen Anspruchsgruppen ist nun eine Funktion der spezifischen Machtverhältnisse zwischen den relevanten Interessengruppen, d. h. zwischen Kerngruppe einerseits und (übrigen) Anspruchsgruppen andererseits12 (Vgl. Abb. 2-2). Als geeignete Methode, die verschiedenen an die fokale Unternehmung gerichteten Anspruchskategorien zu erfassen, miteinander zu vergleichen und auf deren Kompatibilität, Neutralität oder aber Unvereinbarkeit zu untersuchen, erweist sich die sog. Stakeholder-Analyse13. Eine derartige Analyse der Erwartungen und Forderungen der wichtigsten Anspruchsgruppen führt im allgemeinen zu einem wesentlich systematischeren und transparenteren unternehmungspolitischen Willensbildungsprozeß. In das Unternehmungsleitbild fließen aber nicht nur Werte und Normen ein, sondern insbesondere auch die Ergebnisse aus der Unternehmungs- und Umweltanalyse und -prognose. Die zur Formulierung des Unternehmungsleitbildes legitimierte Kerngruppe trägt die Verantwortung, auf dieser obersten Entscheidungsebene die Voraussetzungen für die unumgängliche strategische Anpassung zwischen Unternehmung und Umwelt („Strategie fit") zu schaffen. Hiefür ist es notwendig, in Hinblick auf die analysierten bzw. prognostizierten Chancen, 9 Jahresbericht 1978 der Coop Schweiz, Basel, S. 38 f. 10 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 321.2. 11 Zu den verschiedenen Ebenen der Unternehmungsführung und insbesondere der Planung vgl. die Ubersicht bei Jantsch, E., Ethics, Morality, and System Management - An evolutionary perspective, in: Futures, 10. Jg., Dec. 1978, S. 463. 12 Vgl. Ulrich, P. / Fluri, E„ a. a. O., S. 63. 13 Vgl. dazu Bircher, B., Strategische Analysen und Prognosen . . ., a. a. O., Anhang 3.
23 Der Prozeß der Erstellung des Unternehmungsleitbildes
139
Gefahren und Rahmenbedingungen der Umweltentwicklung die erkannten Stärken bzw. Erfolgsfaktoren der eigenen Unternehmung auf die aussichtsreichsten Tätigkeitsgebiete zu lenken und dadurch allfällige Fehlanpassungen auf nachgelagerten Unternehmungsebenen möglichst zu verhindern.
Abb. 2 - 2 : Der unternehmungspolitische Willensbildungsprozeß
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien 31 Einführung Die dritte Phase im Prozeß der strategischen Unternehmungsführung ist die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien. Nach einer formalen Charakterisierung und Systematisierung von distributionsspezifischen Unternehmungszielen und -Strategien (Abschnitt 32) erfolgt die Festlegung der obersten Unternehmungsziele (Abschnitt 33), die sich direkt aus den beiden ersten Phasen des strategischen Managementprozesses ableiten lassen. Den Unternehmungszielen und -Strategien kommt in dieser dritten Phase infolge des zu bewältigenden strategischen Anpassungsprozesses zwischen Unternehmung und Umwelt Langfristcharakter zu; demzufolge ist deren Formulierung Aufgabe der langfristigen bzw. strategischen Planung. Eines der Hauptinstrumente der strategischen Planung ist die in Abschnitt 1/2 beschriebene allgemeine PortfolioMethodik; in den Abschnitten 34 und 35 wird eine Portfolio-Methodik entwickelt und vorgestellt, die speziell für Unternehmungen der Distributionswirtschaft konzipiert ist. Dabei erweist es sich als notwendig, eine Unterscheidung vorzunehmen zwischen einem - sog. Betriebstypen-Portfolio, welches dazu beitragen soll, strategische Ziele und sog. Betriebstypen-Strategien festzulegen (Abschnitt 34), und einem - sog. Betriebs-Portfolio, das auf einem niedrigeren Abstraktionsniveau Auskunft geben soll über konkrete strategische Subziele und einzelne sog. Betriebs-Strategien für die einen bestimmten Betriebstyp repräsentierenden Betriebe bzw. Verkaufsstellen (Abschnitt 35). Schließlich wird in Abschnitt 36 auf allenfalls notwendige Revisionen festgelegter Ziele und Strategien eingegangen.
32 Charakterisierung, Bedeutung und Aufgliederung der Unternehmungsziele und -Strategien 321 Unternehmungsziele 321.1 Charakterisierung und Bedeutung Ziele sind durch eigenes Verhalten angestrebte zukünftige Zustände oder Ereignisse; von Unternehmungs- bzw. Handelsunternehmungszielen sprechen wir dann, wenn bestimmte Zielformulierungen von den für die unternehmungs-
32 Charakterisierung, Bedeutung und Aufgliederung der Unternehmungsziele und -Strategien 141
interne Willensbildung legitimierten Kernorganen beschlossen und für die Unternehmung als verbindlich erklärt werden.1 In den einzelnen Zielen sollten die in der vorhergehenden Phase der Erstellung des Unternehmungsleitbildes festgelegten Zwecke und Grundsätze der Handelsorganisation zum Ausdruck kommen. Die - insbesondere obersten - Unternehmungsziele sind deshalb aus dem Unternehmungsleitbild abzuleiten2; in diesen Zielfindungsprozeß werden selbstverständlich auch die Ergebnisse aus der Unternehmungs- und Umweltanalyse und -prognose einfließen (vgl. Abb. 2-2). Von strategischer Bedeutung sind in erster Linie die langfristigen Ziele der Handelsunternehmungen. Ihre definitive Festlegung gehört deshalb zu den wichtigsten Aktivitäten jeder an einer langfristigen Existenzsicherung interessierten Unternehmung3, wird doch der durch die Formulierung des Unternehmungsleitbildes initiierte strategische Anpassungsprozeß zwischen Unternehmung und Umwelt auf diese Weise in groben Zügen festgelegt und deshalb zusehends konkreter. Im Rahmen einer strategieorientierten Unternehmungsführung kommt den Zielen in dreifacher Hinsicht eine besondere Bedeutung bzw. Funktion zu:4 (1) Die festgelegten Ziele sollen zunächst als sog. Problemgeneratoren wirken, d. h. die Suche nach geeigneten Strategiealternativen in Gang setzen und antreiben bzw. aufrechterhalten, bis eine genügende Anzahl erfolgversprechender Strategien ausfindig gemacht ist (varietätserzeugende Funktion). (2) Ziele sind aber auch notwendig, um Strategien zu bewerten und auszuwählen; insofern fungieren sie als Entscheidungskriterien bzw. Maßstäbe, an denen die zu ergreifenden Strategien, Maßnahmen und Aktionen gemessen werden (varietätsreduzierende Funktion). (3) Sind die beschlossenen Strategien, Maßnahmen und Aktionen einmal durchgeführt und liegen geeignete Informationen über die durch sie erzielten Ergebnisse vor (Ist-Daten), so erweisen sich die Ziele als Leistungsstandards (Sollgrößen), anhand derer die jeweiligen Zielerreichungsgrade in Form von sog. Soll/Ist-Vergleichen überprüft werden können (varietätsüberprüfende Funktion).
1 Vgl. Kirsch, W . / Gabele, E., Ziele in Handelsbetrieben, in: Tietz, B. (Hrsg.), Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Stuttgart 1974, Sp. 2336. 2 Vgl. Ziebart,E., Anwendung der integralen Unternehmungsplanung, in: MZ, 47. J g . , H . 1,1978, S. 10. 3 Vgl. Kami, M. J., Gap Analysis - Key to Super Growth, in: HSG-Weiterbildungsstufe (Hrsg.), Seminarunterlagen, St. Gallen 1976, S. 2. 4 Zu den beiden ersten Funktionen vgl. Bircher, B., Langfristige Unternehmungsplanung, Bern/Stuttgart 1976, S. 99.
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
142
321.2 Das Zielsystem Schon im Zusammenhang mit der Analyse der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmung und der Formulierung des Unternehmungsleitbildes5 haben wir erkannt, daß die Unternehmung und somit auch die Handelsorganisation von einer pluralistischen Zielkonzeption, von einem Nebeneinander mehrerer Zielsetzungen, auszugehen hat. Die Gesamtheit der Ziele, zwischen denen irgendwelche Beziehungen bestehen oder hergestellt werden können, bezeichnen wir als Zielsystem der Unternehmung.6 Hinsichtlich der Beziehungen zwischen den einzelnen Zielen unterscheidet man zwischen einer horizontalen und einer vertikalen Zielordnung? Während die horizontale Ordnung die Verhältnisse zwischen gleichrangigen Zielen klärt, unterscheidet die vertikale Ordnung nach Ober- und Unterzielen (vgl. Abb. 3-1). Zur horizontalen
Zielordnung:
Horizontal angeordnete Ziele sind dadurch gekennzeichnet, daß zwischen ihnen Komplementaritäts-, Indifferenz- oder Konkurrenzbeziehungen herrschen. Um zu einem logisch konsistenten und handlungsoperationalen Zielsystem zu gelangen, bedarf es (1) der Festlegung von Prioritäten und
(Beispiel: Umsatzziel vor Gewinnziel)
(2) der Bestimmung der jeweiligen Anspruchsniveaus (Beispiel: Streben nach maximalem Umsatzwachstum unter Einhaltung eines Mindestgewinns von x Geldeinheiten). Wie aus diesem Beispiel ersichtlich ist, können die einzelnen Ziele entweder unbegrenzt (Extremierung) oder aber begrenzt (Satisfizierung) formuliert werden. Durch das Instrument der begrenzten Formulierung wird die Möglichkeit wesentlich erhöht, mehrere - insbesondere konkurrierende - Ziele gleichzeitig zu erreichen. Wir wollen im folgenden das horizontale Zielsystem in eine finanzwirtschaftliche, leistungswirtschaftliche und soziale Zielkategories unterteilen und diese Systematik der Beschreibung bedeutender inhaltlicher Ziele von Handelsunternehmungen zugrundelegen.
5 Vgl. dazu die Ausführungen in den Abschnitten 124.1 und 2. 6 Zum allgemeinen Systembegriff vgl. Ulrich, H., Die Unternehmung als produktives soziales System, 2. Aufl., Bern/Stuttgart 1970, S. 105 ff. 7 Vgl. dazu Ulrich, P. / Fluri, E., a. a. O . , S. 81; Bidlingmaier, J., Zielkonflikte und Zielkompromisse im unternehmerischen Entscheidungsprozeß, Wiesbaden 1968, S. 43 ff.; Heinen, E., Das Zielsystem der Unternehmung. Grundlagen betriebswirtschaftlicher Entscheidungen, Wiesbaden 1966, S. 94 ff. 8 Vgl. dazu Ulrich, H., Unternehmungspolitik, a. a. O . , S. 107 ff.
32 Charakterisierung, Bedeutung und Aufgliederung der Unternehmungsziele und -Strategien 143
N . Horizontales \Zielsystem
Finanzwirtschaftliche Ziele
Leistungswirtschaftliche Ziele
Soziale Ziele
Vertikales Zielsystem Oberste Untemeh- - Cash-flow (GE) mungsziele - Reingewinn (GE) - Gewinnausschüttung ( % vom AK) - ROI (%) - Liquiditätsreserven (GE)
- Gesamtumsatz (GE) - Marktanteil gesamt (%)
Strategische Ziele (für die Betriebstypen bzw. SGE)
Pro SGE: - Cash-flow (GE) - Gewinn oder Dekkungsbeitrag (GE) - ROI (%) - div. Rentabilitäten (%)
Pro SGE: - Umsatz (GE) - Marktanteil ( % ) - Verkaufsfläche (qm)
Pro SGE: - Spezifischer Beitrag zu o. a. mitarbeiterund gesellschaftsbezogenen Zielen
Strategische Subziele (für die Betriebe bzw. SC)
Pro SC: - Cash-flow (GE) - Gewinn oder Dekkungsbeitrag (GE) - ROI (%) - div. Rentabilitäten
Pro SC: - Umsatz (GE) - Marktanteil ( % ) - Verkaufsfläche (qm)
Pro SC: - Spezifischer Beitrag zu o. a. mitarbeiterund gesellschaftsbezogenen Zielen
- Entwicklung und Förderung der Mitarbeiter - Gesamtverkaufsfläche - Arbeitsplatzsicherg. (qm) - Erhöhung der (Nah-) Versorgungsqualität - Konsumentenschutz
(%)
Funktionale Ziele - Marketingziele
- Deckungsbeitrag der Warengruppe A (GE) - Beschaffungsziele - Verbesserung der Einkaufskonditionen
(%)
- Logistische Ziele - Verringerung der Lagerkapitalbindung
(%)
- Personalpolitische - Verringerung der Ziele Personalkosten ( % ) - usw. Legende:
SGE SC GE AK
- Umsatzsteigerung bei - Persönliche EntWarengruppe A ( % ) wicklung der Warengruppenmanager - Erhöhung der Ein- Heranbildung der kaufskonzentration Chefeinkäufer zu unternehmerischen bei Lieferant B ( % ) Führungskräften - Produktivitätserhö- Zufriedenstellende Arbeitszeitregelung hung des Fuhrparks f. Fuhrparkpersonal (%) - Erhöhung der Perso- - Erhöhung der Arnalproduktivität ( % ) beitszufriedenheit
= Strategische Geschäftseinheit (Betriebstyp) = Strategie Center (Betrieb, Verkaufsstelle) = Geldeinheiten = Aktienkapital
Abb. 3-1 : Das Zielsystem von Handelsorganisationen (mit Beispielen)
144
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
(1) Finanzwirtschaftliche Ziele: Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der unternehmerischen Tätigkeit von Handelsunternehmungen ist und bleibt der Gewinn.9 Gewinnoder ertragsorientierte Zielsetzungen werden entweder absolut (Cash-flow, Reingewinn, Rohgewinn, Deckungsbeitrag) oder aber relativ formuliert (Rentabilitätsziele: Gesamtkapital-, Eigenkapital-, Investitions- und Umsatzrentabilität). In der heutigen distributionswirtschaftlichen Praxis werden gewinnorientierte Zielsetzungen schon aus methodischen Gründen zumeist als Satisfizierungsziele festgelegt, was bedeutet, daß von einem „befriedigenden Gewinn", „angemessenen Gewinn", Standard- oder Mindestgewinn ausgegangen wird. (Beispielsweise wird in den Großbetrieben des Einzelhandels zumeist ein langfristig definierter Mindestgewinn in Prozenten vom eingesetzten Kapital zur primären Zielkomponente der strategischen Unternehmungsplanung erhoben10). In kurz- bis mittelfristiger Sicht kann das (absolut oder relativ formulierte) Gewinnziel von anderen Elementen des Zielsystems aus seiner Vorrangstellung verdrängt werden; dies etwa dann, wenn in Zeiten der Rezession die Erhaltung des Marktanteils, zu Zeiten der Prosperität hingegen die Ausweitung des Marktanteils Vorrang genießen und die Unternehmung in diesen Fällen zugunsten kurzfristiger vorrangiger Erhaltungs- bzw. Wachstumsziele auf mögliche Gewinne verzichtet.11 Auf lange Sicht hingegen werden die gewinnorientierten Zielsetzungen - wie schon bei der Analyse der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmung erwähnt12 - die primären und originären Kriterien sein. - Keine Unternehmung kann allerdings nur aufgrund von Ertragszielen beurteilt werden.13 Was die finanzwirtschaftlichen Ziele betrifft, so bedarf es neben der Festlegung von Ertragszielen auch der Angabe anzustrebender Liquiditätsbzw. Zahlungsbereitschaftsziele sowie anvisierter Wirtschaftlichkeitsziele. (2) Leistungswirtschaftliche Ziele: Wichtigste leistungswirtschaftliche Zielkomponente sind die sog. Produkt/ Markt-Ziele, die darüber Auskunft geben, welche Produkte bzw. Produktekombinationen auf welchen Märkten und Marktsegmenten in welchen
9 Vgl. Riebel, P., Deckungsbeitragsrechnung im Handel, in: Tietz, B. (Hrsg.), Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Stuttgart 1974, Sp. 433. 10 Vgl. Barth, K., Systematische Unternehmungsführung in den Groß- und Mittelbetrieben des Einzelhandels, Göttingen 1976, S. 154. 11 Vgl. Kunt, W., Die Zielkonzeption der mittelständischen Einzelhandelsunternehmer, Göttingen 1975, S. 70; vgl. dazu auch Weilenmann, P., Kostenrechnung und strategische Unternehmungsziele, in: D U , 32. Jg., H . 1, 1978, S. 70. 12 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 124.1. 13 Vgl. Tibbits, G. E., Establishing Goals, in: L R P , 12. Jg., April 1979, S. 97.
32 Charakterisierung, Bedeutung und Aufgliederung der Unternehmungsziele und -Strategien 145
Mengen und zu welchen Preisen abgesetzt werden sollen. Diese Produkt/ Markt-Ziele manifestieren sich im vor allem bei Handelsorganisationen besonders ausgeprägten Umsatzstreben. Die dem Umsatzstreben zugrundeliegenden Umsatzziele können - wie zuvor die Ertragsziele - absolut oder relativ formuliert werden.14 Als absolute wertmäßige Größen können sich die Umsatzziele auf den Gesamtumsatz der Handelsunternehmung, den Umsatz der einzelnen Betriebstypen, Betriebe (Verkaufsstellen), Warengruppen und dgl. beziehen; beim relativen Umsatzstreben wird der Umsatz zu einer externen oder internen Größe in Beziehung gesetzt. Als externe Bezugsgröße gilt der Umsatz des relevanten Gesamtmarktes; das dieser Bezugsgröße entsprechende (relative) Umsatzziel ist der Marktanteil, welcher die Stellung der Handelsunternehmung im Markt gegenüber ihren Konkurrenten angibt. Von besonderer Bedeutung für die Festlegung der Unternehmungsstrategien ist der sog. relative Marktanteil, d. h. der Marktanteil im Vergleich zum stärksten Konkurrenten. - Ein großer Teil der relativen Umsatzziele stellt demgegenüber Bezüge dar zwischen Umsatz und internen Rechnungsgrößen der Handelsunternehmung. Wird der Umsatz in Beziehung gesetzt zum eingesetzten Kapital, so richtet sich die Zielfestlegung auf die Kapitalumschlagshäufigkeit; da das Produkt aus Kapitalumschlag und Umsatzrentabilität das (finanzwirtschaftlich) besonders bedeutsame Ziel der Verzinsung des investierten Kapitals (return on investment = ROI) ergibt und zudem die Umsatzrentabilität im Handel infolge einer tendenziellen Abflachung des realen Umsatzzuwachses und tendenziell steigender Kosten ständige Schmälerungen erfährt, kommt der Kapitalumschlagshäufigkeit im Handel eine bedeutende Funktion zu:15 Durch eine Steigerung des Kapitalumschlages kann die negative Wirkung eine Schmälerung der Umsatzrentabilität auf den ROI ausgeglichen oder sogar überkompensiert werden. - Andere relative Umsatzziele erfassen die Umsatzwirtschaftlichkeit der distributionswirtschaftlich besonders relevanten Einsatzfaktoren Raum, Personal und Waren, wie z. B. Umsatz in Beziehung zu Verkaufsflächen, zum Verkaufspersonal, zum Wareneinsatz pro Periode u. ä. Als weitere leistungswirtschaftliche Zielkomponente wird auch das Ausheben einer guten Produktivität angesehen16, d. h. eines günstigen Verhältnisses zwischen mengenmäßigen Einsatzgütern und Ausbringungsmengen.
14 Vgl. dazu Hansen, U „ a. a. O . , S. 143 f. 15 Vgl. dazu Blümle, E.-B., Angebotsüberhang und Nachfragesättigung - Ihre Auswirkungen auf die Unternehmensführung im Handel, in: Perspektiven des Marketing im Handel, Freiburg/ Schweiz 1974, S. 18 f. 16 Vgl. Ulrich, H., Unternehmungsführung V : Unternehmungspolitik, Vorlesungsunterlagen, St. Gallen 1975/76, S. 29.
146
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
(3) Soziale Ziele: Die sozialen Ziele bilden die dritte Zielkategorie innerhalb des horizontalen Zielsystems. Sie werden gewöhnlicherweise in gesellschaftsbezogene und mitarbeiterbezogene Ziele unterteilt. Auf die überaus vielfältigen Möglichkeiten der Entwicklung sozialer Zielsetzungen kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden;17 einige Beispiele sozialer Ziele in Handelsorganisationen sind in Abb. 3-1 eingetragen. Zur vertikalen Zielordnung: Das vertikale Zielsystem ist dadurch gekennzeichnet, daß zwischen den einzelnen Zielen Instrumental- bzw. Mittel/Zweck-Beziehungen herrschen; die Erreichung eines bestimmten Zieles ist jeweils Mittel zur Erreichung eines anderen, übergeordneten Zieles. (Eine Ausnahme bilden dabei die sog. obersten Unternehmungsziele, denen ex definitione keine weiteren Ziele übergeordnet sind.) Für das Distributionsmanagement bedeutet dies, daß die sog. funktionalen Ziele (Marketing-, Beschaffungs-, logistische, personalpolitische u. ä. Ziele) Unterziele bilden, die das Erreichen der ihnen übergeordneten strategischen Subziele - das sind die langfristig-strategischen Ziele der einzelnen Betriebe, Verkaufsstellen bzw. „Strategie Centers" (SC) - ermöglichen. Die funktionalen Ziele haben von den strategischen Subzielen aus betrachtet Mittelcharakter, können jedoch ihrerseits wieder von der Erfüllung hier nicht weiter verfolgter Unterziele (mit entsprechendem Mittelcharakter) abhängig sein. Die strategischen Ziele, d. h. die langfristig-strategischen Ziele der einzelnen Betriebstypen bzw. strategischen Geschäftseinheiten (SGE) 18 , werden auf analoge Weise mittels der Verfolgung der strategischen Subziele - aber auch mittels bestimmter funktionaler Ziele erreicht. Die Realisierung der strategischen Ziele garantiert folgerichtig die Erreichung der obersten Unternehmungsziele. Das vertikale Zielsystem läßt sich infolge der ihm inhärenten Mittel/Zweck-Beziehungen durch eine sog. Zielhierarchie19 charakterisieren. Die folgende Abbildung 3-2 verdeutlicht die grundlegende Struktur der Instrumentalbeziehungen zwischen vertikal angeordneten Zielen für Unternehmungen der Distributionswirtschaft; in Abbildung 3-1 sind einige diese Zusammenhänge illustrierende Beispiele aus der Praxis eingetragen. Eine wesentliche Aufgabe für die Handelsorganisationen ist es, aus den Oberzielen jeweils konkrete und operationale, d. h. möglichst quantitativ 17 Zu den sozialen Zielen vgl. die ausführliche Ubersicht bei Ulrich, H., Unternehmungspolitik, a. a. O . , S. 149 ff. 18 Zur Bildung von „strategischen Geschäftseinheiten" und „Strategie Centers" vgl. die Ausführungen in den Abschnitten 342 und 513. 19 Vgl. dazu Stadler, E., Die Führung von Selbsthilfeorganisationen des Lebensmitteldetailhandels, Diss. Freiburg/Schweiz 1975, S. 119 f.
32 Charakterisierung, Bedeutung und Aufgliederung der Unternehmungsziele und -Strategien 147
ZIELHIERARCHIE
MITTE L/ZWECK-BEZIEHUNGEN ZIEL
Oberste Unternehmungsziele ZIEL
Strategische Ziele (für die Betriebstypen)
t MITTEL
ZIEL . -fr MITTEL f.--'
Strategische Subziele (für die Betriebe) ZIEL
Funktionale Ziele
ft-
MITTEL
A b b . 3 - 2 : Zielhierarchie von Handelsorganisationen
meßbare, Unterziele abzuleiten. Namentlich sollte darauf geachtet werden, keine sog. Leerformeln20 ins unternehmerische Zielsystem aufzunehmen, da diese die betroffenen Handlungsträger dazu zwingen, unerwünschte Zielinterpretationen vorzunehmen, um diesen unvollständig und vage formulierten Zielvorstellungen konkrete Handlungsrichtlinien abzugewinnen. Ein einzelnes Ziel ist aber erst dann vollständig formuliert, wenn Zielobjekt, Zielmaßstab, Zielwert und Zielperiode, d. h. seine Elemente oder Komponenten, festgelegt sind.21 Die folgende Abbildung 3-3 verdeutlicht an einem Beispiel Wesen und Charakteristik der vier unterschiedenen Zielelemente. Zielelement
Frage
Beispiel
Zielobjekt
Worauf bezieht sich das Ziel?
Umsatzrentabilität (für Betrieb 1)
Zielmaßstab
W i e kann das Ziel bzw.
Betriebsgewinn in G E
die Zielerfüllung gemessen werden?
Bruttoumsatz in G E
W i e hoch ist das Ziel anzusetzen?
mindestens 2 %
Zielwert
x
jqq
Welches Anspruchsniveau wählen wir? Zielperiode
Wann (Zeitraum, Zeitpunkt)
1985
ist der Zielwert zu erreichen? A b b . 3 - 3 : Zielelemente 2 2
20 Vgl. dazu Blümle, E . - B . , Führungsprobleme kooperativer Gruppen im Handel, in: Forschungsinstitut für Absatz und Handel der Hochschule St. Gallen (Hrsg.), Unternehmung und Markt, Zürich 1978, S. 283. 21 Vgl. Bircher, B . , Langfristige Unternehmungsplanung, a. a. O . , S. 100 ff.; vgl. auch Bildingmaier, J . , Zielgesteuerte Führung im Marketing, in: ders. (Hrsg.), Modernes Marketing Moderner Handel, Wiesbaden 1972, S. 73 f. 22 Vgl. Bircher, B . , Langfristige Unternehmungsplanung, a. a. O . , S. 101.
148
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
322 Unternehmungsstrategien 322.1 Charakterisierung und Bedeutung Als Unternehmungsstrategien verstehen wir grundsätzliche, langfristig wirksame Vorgehensweisen zur Erreichung unternehmungspolitischer Ziele.23 Strategien sind somit Wege bzw. Maßnahmenkombinationen zur Realisierung zuvor gesetzter Ziele. Eine Einschränkung ist insofern vorzunehmen, als kurzfristige, taktische Maßnahmen nicht als Strategien, sondern vielmehr als funktionale Politiken und Aktionsprogramme anzusehen sind; strategische Maßnahmen hingegen sind dadurch charakterisiert, daß sie die „allgemeine Marschrichtung"24 bzw. Stoßrichtung der Unternehmung für die nächsten Jahre festlegen. Strategische Entscheidungen von Handelsunternehmungen sind demnach Entscheidungen über Investitionen, Expansionen, Abschöpfungen, Desinvestitionen und dgl. mehr auf der Ebene - der einzelnen Betriebe, Ladengeschäfte bzw. Verkaufsstellen, - der einzelnen Betriebstypen (als Zusammenschlußformen der Betriebe mit gleicher Betriebsform) sowie - der Gesamtunternehmung. Unternehmungsstrategien bezwecken somit die Erreichung der obersten Unternehmungsziele, der strategischen Ziele (Betriebstypen-Ziele) und der strategischen Subziele (Betriebsziele) sowie darüber hinaus die Erfüllung der im Unternehmungsleitbild verankerten Grundzwecke der Unternehmung. Mit der Festlegung und nachträglichen Realisierung der Unternehmungsstrategien ist die strategische Anpassung („strategic fit") 25 zwischen Umwelt und Unternehmung vollzogen; diese wird sich aber nur dann für die einzelne Unternehmung als erfolgreich erweisen, wenn die Unternehmungsstrategien gezielt in Hinblick auf die Schaffung, Sicherung und Nutzung langfristig wirksamer Erfolgs- bzw. Gewinnpotentiale konzipiert und ausgewählt wurden. Abb. 3-4 verdeutlicht nochmals die Bedeutung und Funktion der Unternehmungsstrategien im Prozeß des strategischen Managements. Im Interesse einer realistischen Ziel- und Strategieplanung ist eine ständige Abstimmung zwischen Zielen sowie vorgesehenen Strategien und deren Wirkungen auf die Zielerfüllung erforderlich.26 Solange die gesetzten Ziele aufgrund der Wirkungsprognose der Strategien nicht erreicht werden, ist ein erneuter Suchprozeß nach wirksameren 23 Vgl. Ulrich, H., Unternehmungspolitik, a. a. O., S. 107. 24 Eisenhut, U. P., Längerfristige Gesamtplanung in der Handelsunternehmung unter besonderer Berücksichtigung der Quantifizierungsmöglichkeiten (dargestellt am Beispiel einer schweizerischen Eisen- und Eisenwarenhandlung), Diss. Bern 1977, S. 114. 25 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt II/O. 26 Vgl. Bidlingmaier, J., Zielgesteuerte Führung . . ., a. a. O., S. 79.
32 Charakterisierung, Bedeutung und Aufgliederung der Unternehmungsziele und -Strategien 149
Strategien einzuleiten. Sobald genügend Strategien vorliegen, die eine Zielerreichung im erstrebten Umfang als genügend wahrscheinlich erwarten lassen, kann der Suchprozeß nach strategischen Alternativen abgebrochen werden. Für die aussichtsreichste(n) sind in der Folge die adäquaten funktionalen Politiken und Aktionsprogramme, organisatorische und führungstechnische Maßnahmen zu planen bzw. abzuleiten, bevor mit der eigentlichen Implementierung des gesamten Aktivitätenbündels begonnen werden kann.27 - Es ist aber auch möglich, daß bei der Festsetzung der Unternehmungsziele von allzu optimistischen Grundannahmen ausgegangen wurde, so daß die Wirkungsprognose der untersuchten Strategien die gewünschte Zielerreichung nicht erwarten läßt; in diesem Fall sind die Ausgangsdaten nochmals zu überprüfen und das Anspru^hsniveau der Ziele (präziser: der Zielwerte) zu reduzieren. - Schließlich besteht die Möglichkeit, daß eine bestimmte Unternehmungsstrategie (z. B. Auslandsinvestition) zwar eine genügend hohe Zielerreichung (z. B.: 2% Umsatzrentabilität) erwarten ließe, aber mit dem Unternehmungsleitbild (das beispielsweise ein diesbezügliches Auslandsengagement verbietet) nicht zu vereinbaren ist;28 in einem derartigen Fall ist entweder das Unternehmungsleitbild sinngemäß zu modifizieren oder aber die entsprechende Strategiealternative als inadäquat auszuscheiden.
322.2 Aufgliederung der Unternehmungsstrategien Wie schon im vorangehenden Abschnitt erwähnt, greifen strategische Entscheidungen von Handelsunternehmungen grundsätzlich auf drei verschiedenen Ebenen Platz: Wir unterscheiden deshalb zwischen „Betriebsstrategien", „Betriebstypen-Strategien" und der „Gesamtstrategie" einer Handelsunternehmung. Der Term „Unternehmungsstrategie" dient dabei nicht etwa - wie bei zahlreichen Autoren29 üblich - als Synonym für „Gesamtstrategie", sondern vielmehr als Oberbegriff für die drei hier unterschiedenen Strategietypen. 322.21
Betriebsstrategien
Als Betriebsstrategien bezeichnen wir die Normstrategien auf der Ebene eines konkreten Betriebes, Verkaufslokals bzw. einer Verkaufsstelle. Entscheidungen 27 Dieses Vorgehen entspricht dem in Abschnitt II/O vorgestellten Sieben-Phasen-Modell der strategischen Unternehmungsführung von Handelsorganisationen. 28 In einer vergleichbaren Situation befindet sich derzeit (noch) die größte Handelsorganisation der Schweiz, die Migros Schweiz, welcher es aufgrund ihrer Statuten verwehrt ist, bestimmte Auslandsaktivitäten zu betreiben. 29 Vgl. z. B. Dunst, K. H . , Portfolio Management - Konzeption für die strategische Unternehmensplanung, Berlin/New York 1979; Gälweiler, A., Produkt-Portfolio . . ., a. a. O . , S. 1.
150
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
Abb. 3-4: Die Stellung der Unternehmungsstrategien im Prozeß der strategischen Unternehmungsführung
über Betriebsstrategien betreffen z. B. Beschlußfassungen über neuzueröffnende Verkaufsstellen, aber besonders auch über Erneuerungs- und Umbauinvestitionen, Desinvestitionen und Abschöpfungen bestehender Betriebe bzw. Verkaufsstellen. Sämtliche Betriebe einer Handelsorganisation, die die gleiche Betriebsform repräsentieren und innerhalb eines abgegrenzten geographischen Gebiets angesiedelt sind, bezeichnen wir als eigenständige „Strategische Geschäftseinheit" (SGE) oder kurz als „Betriebstyp". Dementsprechend können die strategischen Entscheide über die einzelnen dieser SGE angehörenden Betriebe jeweils nicht unabhängig von den auf einer höheren Abstraktionsebene (zuvor) zu treffenden strategischen Entscheiden über die in Frage kommende strategische Geschäftseinheit, d. h. nicht unabhängig von den Betriebstypenstrategien, getroffen werden. 322.22
Betriebstypenstrategien
Betriebstypenstrategien legen als Normstrategien für die Betriebe einer bestimmten Betriebsform bzw. eines bestimmten Betriebstyps die Rahmenbedingungen
33 Die Festlegung der obersten Unternehmungsziele
151
für die einzelnen Betriebsstrategien fest. Entschließt sich eine Handelsunternehmung beispielsweise, ihre strategische Geschäftseinheit - d. h. den Betriebstyp „Lebensmittel-Diskontmärkte" wesentlich zu forcieren (Investitionsstrategie), so bedeutet dies für die Betriebsstrategien der einzelnen Diskontgeschäfte, daß diese in der Summe wachstumsorientiert sein müssen. Dies schließt aber nicht aus, daß für einzelne - z. B. defizitäre oder unattraktive - Diskontgeschäfte eine Desinvestitionsstrategie am zweckmäßigsten ist; bloß müssen diese betrieblichen Desinvestitionsstrategien dann durch eine entsprechende Menge von Investitionsstrategien (z. B. Neueröffnungen von Diskontgeschäften oder Erweiterungs- und Erneuerungsinvestitionen bestehender Diskonter) in ihrer Wirkung überkompensiert werden, so daß die für den Betriebstyp in seiner Gesamtheit beschlossene Investitionsstrategie realisierbar wird. 322.23
Gesamtstrategie
Wir können heute davon ausgehen, daß beinahe alle bedeutenden Handelsorganisationen mit mehreren - im Durchschnitt drei bis fünf - Betriebstypen operieren (z.B.: Nachbarschaftsgeschäfte, Diskonter, Supermärkte, Verbrauchermärkte).30 Es ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer optimalen Koordination der verschiedenen Betriebstypenstrategien zu einer Mehrfachstrategie bzw. Gesamtstrategie. Da Handelsorganisationen oft vertikal und auch lateral diversifiziert sind, d. h. über eigene Produktions- und/oder Dienstleistungsbetriebe verfügen, gehört zur Bestimmung der Gesamtstrategie einer derartigen „Handels"Organisation auch die Festlegung allfälliger distributionsfremder Strategien und deren Integration in die Gesamtstrategie. Dabei ist es für die strategische Planung grundsätzlich ohne Belang, ob die Handelsunternehmung bereits in distributionsfremden Branchen tätig ist oder aber ein diesbezügliches künftiges Engagement lediglich in Erwägung zieht.
33 Die Festlegung der obersten Unternehmungsziele Wir wenden uns nun wieder dem eigentlichen Prozeß der strategischen Unternehmungsführung zu. Gemäß diesem sind die obersten Unternehmungsziele aus dem zuvor festgelegten Unternehmungsleitbild abzuleiten, allerdings unter genauester Berücksichtigung der Ergebnisse der Unternehmungs- und Umweltanalyse und -prognose; durch die Orientierung an unternehmungsinter-
30 Vgl. o. V., Die Akteure: Wer kennt die Gruppen, nennt die Namen!, in: LMZ, Nr. 36,7. 9. 1979, S. F18.
152
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
nen und -externen Daten, Rahmenbedingungen und Entwicklungstrends soll der bei Zielbildungsprozessen überaus wichtige Realitätsbezug sichergestellt werden. Erste Aufgabe der Unternehmungsleitung wird es nun sein, einmal die langfristig anvisierten Zielgrößen oder -objekte festzulegen. Allzu abstrakt formulierte oberste Ziele - wie etwa das zumeist als Fundamentalziel jeder Unternehmung angesehene Ziel der generellen Existenzfähigkeit und Entwicklung der Unternehmung - sollen infolge ihrer fehlenden Orientierungskraft für die Ableitung von hierarchisch untergeordneten Zielen möglichst nicht in den Zielkatalog aufgenommen werden. Vielmehr sind als oberste Zielgrößen die als am bedeutendsten erachteten finanzwirtschaftlichen (z. B. ROI, Cash-flow), leistungswirtschaftlichen (z. B. Marktanteil, Umsatzvolumen, angestrebter Diversifikationsgrad) und sozialen Ziele (z. B. Förderung der Unternehmungsmitglieder, Erhöhung der Nahversorgungsqualität) unternehmungsindividuell auszuwählen (vgl. dazu Abb. 3-1). Nach der Festlegung des Katalogs oberster Ziele ist in der Folge eine generelle Zielgewichtung vorzunehmen, um zu einer klaren Regelung der Präferenz- und Prioritätsbeziehungen im obersten Zielsystem der Unternehmung zu gelangen. Von hervorragender Bedeutung für die weiteren Phasen des strategischen Managements von Handelsorganisationen ist die Umschreibung der anzustrebenden generellen Anspruchsniveaus der einzelnen Ziele, d. h. die Festlegung der grundsätzlichen Zielwerte. Geht beispielsweise eine Handelsorganisation bei der Festlegung ihrer obersten Ziele von einer bewußt offensiv konzipierten Zielwertbestimmung (z. B. Verdopplung des Marktanteils) aus, so wird sich dieses hohe Anspruchsniveau auch bei der Zielwertbestimmung auf allen nachgelagerten Führungsebenen durchschlagen. Hinsichtlich der zugrundegelegten Zielperiode gilt, daß bei der Festsetzung der obersten Unternehmungsziele stets vom Postulat der Langfristigkeit auszugehen ist; dies einerseits deshalb, weil oberste Zielkonzeptionen von kurzfristigen Unternehmungs- und Umweltentwicklungen abstrahieren müssen, andererseits aber auch infolge der Tatsache, daß die obersten Ziele zugleich auch die generellsten sind. Ist das oberste Zielsystem der Handelsunternehmung auf diese Weise festgelegt31, dann ist gleichzeitig auch die Ausgangsbasis geschaffen für die Bestimmung der strategischen Ziele für die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten oder Betriebstypen und der zu ihrer Realisierung notwendigen (Betriebstypen-) Strategien. Die obersten Unternehmungsziele von Handelsorganisationen fun-
31 Auf die institutionellen Aspekte der Zielbildung bzw. der Zielbildungsprozesse kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
153
gieren - in Verbindung mit dem Unternehmungsleitbild - aber auch als unternehmungspolitische Rahmenkriterien für die Festlegung allfälliger distributionsfremder (Neben-)Straiegi'ett. Auf diese Themenkreise werden wir ausführlich im nachfolgenden Abschnitt 34 eingehen.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele, der Betriebstypenstrategien und der Gesamtstrategie mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios 341 Begriff und Methodik des Betriebstypen-Portfolios Als methodisches Hilfsmittel zur Formulierung der strategischen Ziele, der Betriebstypenstrategien sowie der Gesamtstrategie soll im folgenden eine eigenständige, handelsspezifische Portfolio-Methodik entwickelt und vorgestellt werden. Dabei hat man sich allerdings die Vorab-Frage zu stellen, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine Portfolio-Methodik für Handelsunternehmungen zu konzipieren; denn wollte man die in Abschnitt 1/2 dargestellte allgemeine - d. h. präziser: industriespezifische - Portfolio-Methodik direkt auf Handelsorganisationen übertragen, so stieße man dabei sicherlich auf unüberwindbare Schwierigkeiten. Eine genauere Analyse läßt jedoch die Annahme plausibel erscheinen, daß durch eine geeignete Modifikation der industriellen Portfolio-Methodik, die handelsspezifischen Charakteristika Rechnung trägt, sehr wohl eine zweckmäßige und aussagefähige Portfolio-Methodik für die Distributionswirtschaft konzipiert werden kann. Die erforderlichen Modifikationen beziehen sich dabei auf den Objektbereich, die Dimensionen und den Aussagegehalt der Portfolio-Methodik. (1) Objektbereich des zu entwickelnden handelsspezifischen Portfolios sollten wie im allgemeinen Portfolio - ausschließlich strategische Geschäftseinheiten (SGE) sein, die selbstverständlich nach distributionswirtschaftlichen Gesichtspunkten einzurichten sind. Wie später noch zu zeigen sein wird32, ist es am zweckmäßigsten, als strategische Geschäftseinheiten Aggregate bzw. Zusammenschlußformen jeweils sämtlicher Betriebe des gleichen Betriebstyps einer Handelsorganisation zu betrachten. Operiert eine Handelsorganisation - wie dies heute beinahe für alle bedeutenden Unternehmungen der 32 Vgl. dazu die Ausführungen in den Abschnitten 342 und 513.
154
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
Distributionswirtschaft der Fall ist - mit mehreren so verstandenen strategischen Geschäftseinheiten, dann bedeutet dies nichts anderes als ein Agieren mit mehreren Betriebstypen oder -formen; jede strategische Geschäftseinheit (z. B. Supermarktkette, Verbrauchermarktkette) repräsentiert somit einen bestimmten Betriebstyp, da sie sich aus einer Mehrzahl von Betrieben des gleichen Betriebstyps zusammensetzt. Demnach sind Betriebstypen in der Form von strategischen Geschäftseinheiten der Objektbereich des zu konzipierenden handelsspezifischen Portfolios; aus diesem Grund bezeichnen wir dieses Portfolio im folgenden als „Betriebstypen-Portfolio". (2) Hinsichtlich der Dimensionen der Portfolio-Matrix müssen wir unterscheiden zwischen Abszisse und Ordinate. Als Abszisse dienen auch im Betriebstypen-Portfolio die sog. relativen Wettbewerbsvorteile (mit Bezug auf die stärksten Konkurrenten), deren Kriterien bzw. Subdimensionen allerdings den spezifischen Charakteristika von Handelsunternehmungen entsprechend zu modifizieren sind (vgl. dazu Abschnitt 343.2). Nicht ganz so einfach verhält es sich mit der Bestimmung der Ordinate. Die im Industrie- bzw. Produkt-Portfolio als Ordinate fungierende Variable „Marktattraktivität", welche die (exogen determinierte) Attraktivität der vom jeweiligen Industriebetrieb erzeugten Produkte bzw. Produktgruppen mißt, eignet sich aus naheliegenden Gründen nicht für das Betriebstypen-Portfolio. Vielmehr ist für Handelsunternehmungen die Attraktivität der durch ihre strategischen Geschäftseinheiten repräsentierten Betriebstypen oder -formen von besonderer strategischer Relevanz. Diese Attraktivität wollen wir im folgenden als „Betriebstyp-Attraktivität" bezeichnen, die als Analogon zur Marktattraktivität im Produkt-Portfolio zu sehen ist: Denn analog zu den Produkten bzw. Produktgruppen des Produkt-Portfolios sind die Betriebstypen des Betriebstypen-Portfolios insbesondere dadurch charakterisiert, daß sie ebenfalls jeweils - unterschiedliche Attraktivitäten aufweisen und - einem bestimmten Lebenszyklus unterworfen sind. Damit ist nun auch die zweite Dimension des Betriebstypen-Portfolios festgelegt; eine nähere Charakterisierung und Operationalisierung der Betriebstyp-Attraktivität wird in Abschnitt 343.1 vorgenommen. (3) Steht nach der Bestimmung der beiden Dimensionen das Gerüst bzw. Koordinatensystem des Betriebstypen-Portfolios fest, ist die Frage zu beantworten, welcher Aussagegehalt diesem Portfolio in Hinblick auf die einzelnen zu untersuchenden strategischen Geschäftseinheiten zukommt.33 33 Vgl. dazu auch die Ausführungen in Abschnitt 344.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
155
Das Betriebstypen-Portfolio soll Auskunft geben über - mögliche und sinnvolle strategische Ziele für die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten bzw. Betriebstypen und über - die generellen Normstrategien bzw. Betriebstypenstrategien für die jeweiligen strategischen Geschäftseinheiten; - schließlich erweist sich das Betriebstypen-Portfolio auch als geeignetes Instrument der Koordination sämtlicher Betriebstypenstrategien zu einer Gesamtstrategie; lediglich allfällige distributionsfremde Strategien von Handelsorganisationen können anhand dieses Portfolios nicht evaluiert werden. Das hieraus resultierende Grundschema des Betriebstypen-Portfolios ist in Abb. 3-5 verdeutlicht. Aus diesem ist ersichtlich, daß auch die Normstrategien im Vergleich zum Produkt-Portfolio einer nicht unwesentlichen Modifikation unterworfen sind: - Einerseits sind die Abschöpfungsstrategien im Betriebstypen-Portfolio im Gegensatz zum Produkt-Portfolio nicht in den Feldern links unten, sondern rechts von der Mitte positioniert (zur Begründung vgl. Abschnitt 344); - andererseits arbeitet die handelsspezifische Portfolio-Methodik mit einem zusätzlichen Typus von Normstrategien, die wir als „Mutationsstrategien" oder „Betriebstypänderungsstrategien" bezeichnen wollen. Darunter verstehen wir den durch Um- oder Ausbauinvestitionen bewirkten Ubergang von einer tendenziell unterdurchschnittlich attraktiven Betriebsform zu einer tendenziell überdurchschnittlich attraktiven oder zumindest attraktiveren Betriebsform (z. B. Umbau von Nachbarschaftsgeschäften zu Diskontgeschäften).
342 Der Objektbereich des Betriebstypen-Portfolios Wie im vorhergehenden Abschnitt erwähnt, bildet die Zusammenfassung sämtlicher Betriebe bzw. Verkaufsstellen mit gleicher Betriebsform zu jeweils eigenständigen organisatorischen Einheiten (strategischen Geschäftseinheiten) den Objektbereich des Betriebstypen-Portfolios. Da diese strategischen Geschäftseinheiten jeweils ex definitione einen bestimmten Betriebstyp repräsentieren, können sie etwas vereinfacht auch kurz als „Betriebstypen" einer Handelsorganisation bezeichnet werden. Eine Einschränkung dieses idealtypischen distributionswirtschaftlichen Begriffs der strategischen Geschäftseinheit ist aber in dreifacher Hinsicht gegeben: (1) Multinationale Handelskonzerne werden sicherlich nicht sämtliche ihrer Betriebe oder Verkaufsstellen mit gleicher Betriebsform, die über mehrere
niedrig
33
mittel
67
hoch
100
Relative Wettbewerbsvorteile Objektbereich: = (gedankliche oder effektive) Konsolidierung sämtlicher Betriebe des gleichen Betriebstyps innerhalb einer Handelsunternehmung = strategische Geschäftseinheiten (SGE) Normstrategien ^^
für die strategischen
Geschäftseinheiten:
Investitions- bzw. Abschöpfungsstrategien Selektive Strategien
^^
Desinvestitions- bzw. Mutationsstrategien
Abb. 3-5: Grundschema des Betriebstypen-Portfolios
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
157
Länder oder Regionen verstreut sind, unter eine einzige SGE subsumieren. In diesen Fällen sind als strategische Geschäftseinheiten jeweils die Betriebe mit gleicher Betriebsform innerhalb eines abgegrenzten geographischen Gebiets unter einer einheitlichen Leitung zusammenzuschließen. (2) Es kann - besonders bei Klein- und Mittelbetrieben der Distributionswirtschaft - aus betriebswirtschaftlichen Gründen manchmal nicht gerechtfertigt sein, jeweils eine eigenständige SGE für sämtliche von der Unternehmung bearbeiteten Betriebstypen einzurichten. In diesem Fall sind jedoch im Rahmen der strategischen Planung die Betriebe mit gleicher Betriebsform wenn schon nicht tatsächlich, so doch zumindest gedanklich als eigenständige strategische Geschäftseinheiten zu betrachten. Dadurch wird nicht nur eine allfällige spätere tatsächliche SGE-Bildung erleichtert, sondern vor allem auch sichergestellt, daß die für die einzelnen Betriebe oder Verkaufsstellen zu formulierenden Ziele und Strategien sich im Rahmen der zuvor festzulegenden betriebstypenbezogenen strategischen Ziele und Normstrategien bewegen. (3) Das Prinzip des Arbeitens mit lediglich gedanklich existierenden strategischen Geschäftseinheiten kann insofern weiterverfolgt werden, als vollkommen imaginäre strategische Geschäftseinheiten zum Zwecke der Bestimmung distributionsspezifischer Diversifikationsziele und -Strategien im Betriebstypen-Portfolio positioniert werden.34 Diese imaginären Analyseeinheiten unterscheiden sich von den zuvor erwähnten „gedanklichen" strategischen Geschäftseinheiten dadurch, daß sie sich jeweils auf eine bestimmte, von der Handelsorganisation derzeit nicht repräsentierte Betriebsform beziehen.
343 Die Dimensionen des Betriebstypen-Portfolios 343.1 Die Betriebstyp-Attraktivität Es ist eine empirisch nachgewiesene Tatsache, daß auch Betriebstypen bzw. -formen - analog zu Produkten - einen bestimmten Lebenszyklus besitzen. Die Lebenszykluskurve wird am Marktanteil und an der Rentabilität der Betriebsform gemessen und durchläuft nacheinander die idealtypischen Phasen -
des der der der
frühen Wachstums, beschleunigten Entwicklung, Reife und Degeneration.35
34 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 345.2. 35 Vgl. Davidson, W. R., et al., The Retail Intelligence System, Confidential Report of Management Horizons, Inc., Columbus 1975, S. 5, zitiert in: Berger, S., Ladenverschleiß (Store Erosion) - Ein Beitrag zur Theorie des Lebenszyklus von Einzelhandelsgeschäften, Göttingen 1977, S. 109.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
159
Kennzeichnend für die allgemeine Handelsdynamik ist die Erkenntnis, daß sich der Lebenszyklus der Betriebsformen des Einzelhandels in den letzten Jahrzehnten wesentlich beschleunigt hat; während beispielsweise die älteste Betriebsform, das Warenhaus, noch 100 Jahre bis zum Erreichen des Reifestadiums benötigte, verkürzte sich dieser Zeitraum bei der Betriebsform des Supermarktes auf 30 Jahre, bei jener der Einrichtungsmärkte gar auf 10 Jahre.36 Die Intentionen der Handelsorganisationen laufen deshalb darauf hinaus, zwischen die Reifephase und die Degenerationsphase eine Phase der sog. Maturity Extension37, d. h. der Ausweitung oder Verlängerung der Reife, einzuschalten, um dadurch einer allzu raschen Degeneration der Betriebsformen entgegenzuwirken. - Aus dem Gesagten ergibt sich der in Abb. 3-6 dargestellte idealtypische Lebenszyklus der Betriebsformen des Einzelhandels; der wesentlichste Unterschied im Vergleich zum allgemeinen Produktlebenszyklus ist sicherlich die in der Regel bedeutend längere Dauer der Lebenszyklen der Betriebsformen. Die Bedeutung des Lebenszyklus der Betriebsformen für die Bestimmung der Betriebstyp-Attraktivität ist nun darin zu sehen, daß aus der Kenntnis der Phase, in welcher sich eine bestimmte Betriebsform befindet, wesentliche Rückschlüsse auf die Bestimmung ihrer (Betriebstyp-)Attraktivität gezogen werden können. Denn ist ein bestimmter Betriebstyp der ersten oder zweiten Phase des Lebenszyklus zuzuordnen, so ist seine Attraktivität steigend und somit tendenziell überdurchschnittlich hoch; befindet sich ein Betriebstyp hingegen in der dritten oder vierten Phase, dann ist seine Attraktivität sinkend und somit in der Tendenz unterdurchschnittlich hoch. Beispielsweise befindet sich heute die Betriebsform der Lebensmittel-Bedienungsgeschäfte eindeutig in der Degenerationsphase;38 ihre Betriebstyp-Attraktivität ist demzufolge auch sehr niedrigFür eine exakte Bestimmung der Betriebstyp-Attraktivität bedarf es einer ausreichenden Operationalisiemng dieser Dimension. Das bedeutet zunächst, daß die Betriebstyp-Attraktivität in einzelne Kriterien bzw. Subdimensionen aufzugliedern ist, mit Hilfe derer die Attraktivität der einzelnen Betriebstypen hinreichend angegeben werden kann. Die wichtigsten Kriterien zur Bestimmung der Betriebstyp-Attraktivität sind in der folgenden Abb. 3-7 festgehalten.
36 Vgl. Davidson, W. R., et al., a. a. O., S. 5. 37 Vgl. Davidson, W. R. / Doody, A. F., et al., The Department Store Challenge: Strategies for Adapting to Change, Executive Summary, Confidential Report of Management Horizons Inc., Columbus 1974, S. 4, zitiert in: Berger, S., Ladenverschleiß (Store Erosion) . . ., a. a. O., S. 183. 38 Vgl. Hinterhuber, H. H., Strategische Planung und organisatorische Entwicklung als Instrumente der Unternehmungsführung, in: Rauter, A. E. (Hrsg.), Verbraucherpolitik und Wirtschaftsentwicklung, Wien 1976, S. 349.
160
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
(1) (2) (3) (4)
Anteil des Betriebstyps am gesamten Einzelhandelsvolumen (Marktanteil des Betriebstyps) Marktwachstum des Betriebstyps Zukunftschancen des Betriebstyps Betriebstypqualität (generelle Rohgewinnspannen, generelle Kosten- und Ertragsstruktur, gesetzliche Restriktionen usw.) (5) Eintrittsbarrieren (6) Konkurrenzintensität und -struktur (generell für den Betriebstyp) Abb. 3-7: Kriterien zur Bestimmung der Betriebstyp-Attraktivität
Aus der Kenntnis des Lebenszyklus eines Betriebstyps ergeben sich nun wichtige Anhaltspunkte für die zur Bestimmung der jeweiligen Betriebstyp-Attraktivität notwendige Beantwortung der Fragen nach dem jeweiligen Ausprägungsgrad der unterschiedlichen Kriterien. Ist nämlich die genaue Lage auf der Lebenszykluskurve eines Betriebstyps bekannt, so können insbesondere die Kriterien Marktanteil, Marktwachstum, Zukunftschancen, generelle Kosten- und Ertragsstruktur wesentlich besser in ihrer jeweiligen Ausprägung für den betrachteten Betriebstyp abgeschätzt werden. Hingegen bedarf es zur Abklärung des überaus wichtigen Kriteriums der generellen Konkurrenzintensität und -struktur insbesondere einer genaueren Analyse der Angebots- und Wettbewerbssituation innerhalb des jeweiligen Distributionssektors bzw. Betriebstyps. An dieser Stelle sei nochmals klargestellt, daß die Dimension „BetriebstypAttraktivität" Auskunft geben soll über die generelle, d. h. von einzelnen Unternehmungen bzw. strategischen Geschäftseinheiten abstrahierende Attraktivität einer Betriebsform oder -type, beispielsweise über die generelle Attraktivität von Nachbarschaftsgeschäften, Diskontern, Super- oder Verbrauchermärkten schlechthin (eventuell abgegrenzt nach verschiedenen Ländern). Die spezifischen Stärken und Schwächen der einer bestimmten Handelsorganisation angehörenden strategischen Geschäftseinheiten, die jeweils einen bestimmten Betriebstyp repräsentieren, werden hingegen bei der Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile berücksichtigt. Jede Handelsunternehmung sollte in Hinblick auf eine möglichst objektive und transparente Bestimmung von Betriebstyp-Attraktivitäten die hiefür verwendeten Kriterien (vgl. Abb. 3-7) in der Folge einer Gewichtung unterziehen. Dabei können in einem ersten Schritt die Hauptkriterien (z. B. Marktanteil, Marktwachstum, Betriebstypqualität), in einem zweiten sodann allfällige Subkriterien (z. B. für die Betriebstypqualität: generelle Rohgewinnspannen, generelle Kosten- und Ertragsstruktur, gesetzliche Restriktionen) gewichtet werden.39
39 Vgl. dazu Hussey, D. E., Portfolio Analysis: Practical Experience with the Directional Policy Matrix, in: LRP, 11. Jg., August 1978, S. 5.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
161
Sind die einzelnen Kriterien (inkl. allfälligen Subkriterien) sowie die diesen zugeordneten Gewichte festgelegt, so kann die Handelsorganisation die (exogen determinierte) Attraktivität der durch ihre strategischen Geschäftseinheiten repräsentierten Betriebsformen auf eine quantitative Weise bestimmen (vgl. dazu das hypothetische Beispiel in Abb. 3-8). Das Ergebnis dieses Vorgehens40 wird später in das sog. Ist-Betriebstypen-Portfolio eingetragen.41
Betriebsform bzw. -typ: Verbrauchermärkte
Geltungsbereich: Deutschland, Österreich, Schweiz
Kriterien
Gewicht
Beurteilung (Ausprägung)
Bewertung (0-100 Punkte)
Gewichtete Punktezahl
1. Marktanteil des Betriebstyps 2. Marktwachstum des Betriebstyps 3. Zukunftschancen des Betriebstyps
15
15% des gesamten Einzelhandelsvolumens 10% p. a.
85
12,75
90
18,00
kurz- bis mittelfristig gut bis sehr gut; langfristig allmähliche Sättigung
65
16,25
(%)
20 25
4. Betriebstypquali-
(10)
- gen. Rohgewinnspannen - gen. Kostenstruktur - gen. Ertragsstruktur - gesetzl. Restriktionen 5. Eintrittsbarrieren
2
unterdurchschnittlich
30
0,60
2
relativ geringe Personalkosten; hohe Kapitalkosten gut infolge hoher Absatzmengen
55
1,10
85
3,40
ungünstige Ladenöffnungszeiten; restriktive Raumordnungsgesetze hoch infolge hoher Anlageinvestitionen und restriktiver Raumordnungsgesetze starker Konkurrenzkampf durch Wettbewerber des gleichen Betriebstyps und anderer Betriebstypen (Diskonter, Warenhäuser, Shopping Centers)
20
0,40
95
9,50
50
10,00
6. Konkurrenzintensität und -struktur (generell)
4 2 10 20
Gesamtbewertung der Betriebstyp-Attraktivität
72,00
Abb. 3-8: Schematisches Beispiel zur quantitativen Bestimmung der Betriebstyp-Attraktivität
40 Vgl. zu diesem Vorgehen Hinterhuber, H. H., Strategische Unternehmungsführung, a. a. O., S. 85. 41 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 345.1 und insbesondere Abb. 3-11.
162
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
343.2 Die relativen Wettbewerbsvorteile Während die - aus der Sicht der einzelnen Unternehmung - unabhängige Variable der Betriebstyp-Attraktivität die generellen Gewinn- und Wachstumsperspektiven der Branchen oder Betriebstypen angibt, in denen die Unternehmung mit ihren strategischen Geschäftseinheiten tätig ist, sollen mit Hilfe der relativen Wettbewerbsvorteile als der abhängigen, d. h. von der Unternehmung beeinflußbaren Variable die für die Realisierung von Marktchancen im Konkurrenzkampf bedeutsamen unternehmungsinternen Faktoren eruiert und bewertet werden. Durch die Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile wird die Position der strategischen Geschäftseinheit (z. B. einer Verbrauchermarktkette) im relevanten Distributionssektor, d. h. in der jeweiligen Betriebsform oder -type (in unserem Beispiel: in der Verbrauchermarkt-Branche), ermittelt. - Da das strategische Management stets zukunftsorientiert ist, sind für jede strategische Geschäftseinheit nicht nur die gegenwärtigen, sondern ebenso die in Zukunft verfügbaren Wettbewerbsstärken in die Analyse miteinzubeziehen;42 als Bezugszeitraum dient hierbei der effektive Planungshorizont. Zur näheren Bestimmung und Operationalisierung der Dimension bzw. Variable „relative Wettbewerbsvorteile" bedarf es nun wiederum der Festlegung adäquater Kriterien und Subkriterien. Abb. 3-9 gibt einen möglichen Kriterienkatalog zur Bestimmung der Wettbewerbsstärke strategischer Geschäftseinheiten von Handelsorganisationen wieder. (1) Relative Marktposition der SGE - Marktanteil der S G E am jeweiligen Betriebstyp bzw. Distributionssektor - Aggregierte Ertragsentwicklung der S G E - Finanzkraft der S G E (2) Relatives Beschaffungspotential der SGE - Einkaufsvolumen und Nachfragemacht - Zugang zu Lieferanten - Zugang zu Konditionen (3) Relatives Logistikpotential der SGE - Organisation der Warenmanipulationsprozesse - Lagerkapazitäten - Lagerwirtschaftlichkeit - Leistungsfähigkeit des Fuhrparks (4) Relatives Marketingpotential der SGE - Image - Sortimentsstärke - Preisführerschaft und -vorteile - Werbepotential - Kundenbeziehungen
42 Vgl. Newman, W. H . / Logan, J. P., a. a. O., S. 66.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
163
- Servicestärke - Zielgruppen-Profilierung - Adaptionsfähigkeit an sich ändernde Konsumentenpräferenzen (5) Relative Qualifikation der Führungskräfte und Mitarbeiter der SGE - Professionalität, Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Kader und Mitarbeiter - Flexibilität der Kader und Mitarbeiter - Organisationsklima und -kultur - Qualität der Führungssysteme (6) Relatives Unterstützungspotential durch die Gesamtuntemehmung - Größe, Ertragslage und Finanzkraft der Gesamtunternehmung - Know-how und Fähigkeitspotential der Gesamtunternehmung - Image der Gesamtunternehmung Relativ: Im Vergleich zum stärksten Konkurrenten Abb. 3-9: Kriterienkatalog zur Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile einer strategischen Geschäftseinheit (SGE) Das sicherlich bedeutendste Kriterium zur Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile ist die relative Marktposition der SGE. Diese hängt ihrerseits in entscheidendem Maß v o m Marktanteil der SGE am jeweiligen Betriebstyp bzw. Distributionssektor ab. Gerade im Handel ist es besonders charakteristisch, daß hohe Marktanteile höchste Erfolgswahrscheinlichkeiten implizieren; denn die in der sog. PIMS-Studie gemachte empirische Feststellung, daß mit steigendem Marktanteil auch der „Return on Investment" (ROI) sich erhöht 4 3 , gilt auch f ü r die Distributionswirtschaft. V o n besonderer Bedeutung f ü r die Wettbewerbsstärke einer S G E ist aber v o r allem der relative Marktanteil der SGE, der sich aus der Relation des eigenen Marktanteils zum Marktanteil des stärksten K o n k u r renten ergibt. 44 Diese Relativierung des Marktanteils führt zu einer wesentlich realistischeren Bestimmung der eigenen Marktposition, da dadurch den tatsächlichen Wettbewerbsverhältnissen besser Rechnung getragen wird. So bedeutend der Marktanteil (absolut oder relativ gemessen) auch ist, so ist er aber trotzdem nicht das einzige Kriterium der relativen Marktposition oder gar der gesamten Wettbewerbsstärke einer SGE. 4 5 A l s besonders wichtige weitere (Sub-)Kriterien betrachten w i r die aggregierte Ertragsentwicklung und die Finanzkraft46 einer SGE. Eine gute Ertrags- und Finanzlage ist eine wesentliche 43 Vgl. Schoeffler, S. / Buzzell, R. D. / Heany, D. F., Impact of strategic planning on profit performance, in: HBR, 52. Jg., März-April 1974, S. 141. 44 Der relative Marktanteil kann auch aus der Relation des eigenen Umsatzes zu dem des stärksten Konkurrenten ermittelt werden. - Vgl. Hinterhuber, H. H., Strategische Unternehmungsführung, a. a. O., S. 75. 45 Vgl. dazu Patel, P. / Younger, M., A Frame of Reference for Strategy Development, in: LRP, 11. Jg., April 1978, S. 9. 46 Die größere Finanzkraft betrachtet Lipson als relativen Wettbewerbsvorteil insbesondere der groß dimensionierten strategischen Geschäftseinheiten. - Vgl. Lipson, H. A., New Patterns in United States Retailing, in: Perspektiven des Marketing im Handel, Freiburg/Schweiz 1974, S. 7.
164
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
Voraussetzung zur Initiierung geeigneter Investitionsstrategien im Handel; ist diesen Strategien ein Erfolg beschieden, dann führt dies zu einer Erhöhung der Marktgeltung bzw. des Marktanteils; dies hat im allgemeinen wiederum positive Implikationen auf die Entwicklung der Ertrags- und Finanzlage, was bedeutet, daß dieser positive Verstärkungsprozeß zwischen der Entwicklung der Ertragsund Finanzlage einerseits und jener des Marktanteils andererseits wieder von neuem beginnen kann. Weitere Kriterien zur Bestimmung der Wettbewerbsstärke von strategischen Geschäftseinheiten sind ihr relatives Beschaffungspotential und ihr relatives Logistikpotential, welchen in der Distributionswirtschaft ein wesentlich höherer Stellenwert als beispielsweise in der Industrie beizumessen ist, sowie ihr relatives Marketingpotential und die relative Qualifikation ihrer Führungskräfte und Mitarbeiter. Auf die diversen Teilkriterien dieser Variablen, die in Abb. 3-9 aufgelistet sind, wird hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen. Die relativen Wettbewerbsvorteile einer SGE können nun aber nicht lediglich auf SGE-interne Faktoren beschränkt bleiben; es ist das relative Unterstützungspotential durch die Gesamtunternehmung, welches die Wettbewerbsstärke einer SGE nachhaltig zu verbessern vermag! Ist die SGE Bestandteil einer Gesamtunternehmung, die über eine bedeutende Unternehmungsgröße, Ertragslage und Finanzkraft und zudem über ein hohes Fähigkeitspotential und Image verfügt, dann kommt dem daraus resultierenden Unterstützungspotential der Gesamtunternehmung (z. B. eines riesigen Handelskonzerns) in Hinblick auf die SGEinternen Wettbewerbsfaktoren eine Multiplikatorfunktion zu. Von entscheidender Bedeutung für eine realistische und objektive Bestimmung der relativen Wettbewerbsstärke einer SGE sind insbesondere zwei Voraussetzungen: - einerseits die situative, unternehmungsspezifische Auswahl der für die Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile relevanten Haupt- und Teilkriterien, wobei allerdings darauf geachtet werden sollte, für sämtliche strategische Geschäftseinheiten einer einzelnen Handelsunternehmung einen einheitlichen Kriterienkatalog zu verwenden; - andererseits eine unternehmungsspezifische Gewichtung, der die einzelnen Kriterien, allenfalls auch die Subkriterien, zu unterziehen sind. Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, kann das relative Wettbewerbspotential einer SGE auf eine quantitative Weise ermittelt werden (vgl. Abb. 3-10). Das Ergebnis dieser Analyse wird dann später in das sog. Ist-Betriebstypen-Portfolio eingetragen.47 Auf die gleiche Weise kann die SGE aber auch - unter der
47 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 345.1 und insbesondere Abb. 3-11.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
165
Voraussetzung ausreichender Informationen - die Wettbewerbsstärke ihrer wichtigsten Konkurrenten abschätzen und einer Gesamtbewertung unterziehen.
Absatzgebiet: Österreich
SGE: Verbrauchermarkt-Kette Kriterien
1. Rel. Marktposi-
Gewicht
(%)
Beurteilung (Ausprägung)
Bewertung (0-100 Punkte)
Gewichtete Punktezahl
Absoluter Marktanteil: 9,0% Relativer Marktanteil: 0,75
70
21,00
Gute Entwicklung in den letzten beiden Jahren
65
9,75
Niedrig Hohe Preisabschläge infolge großen Einkaufsvolumens; Partnerschaft mit Industrieunternehmungen Unterdimensionierte Lagerkapazitäten; Probleme bei der Organisation des Wareneingangs Gutes Image, hohe Profilierung, Sortimentsvorteile, hohe Werbewirksamkeit, hohes Serviceniveau Zu geringe Professionalität der Kader, zu wenig qualifiziertes Verkaufspersonal, relativ hohe Personalfluktuation Unterstützungsvorteile infolge guter Ertrags- und Finanzlage, hoher Nachfragemacht und guten Images des Gesamtkonzerns
25 90
1,25 7,20
30
1,20
85
8,50
40
3,20
90
18,00
(50)
- Marktanteil der 30 SGE am Betriebstyp - Aggregierte Er- 15 tragsentwicklung - Finanzkraft 5 2. Rel. Beschaf8 fungspotential 3. Rel. Logistikpotential
4
4. Rel. Marketingpotential
10
5. Rel. Qualifikation der Führungskräfte und Mitarbeiter 6. Rel. Unterstützungspotential durch die Gesamtunternehmung
8
20
Gesamtbewertung der relativen Wettbewerbsstärke der SGE
70,10
Abb. 3-10: Schematisches Beispiel zur quantitativen Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile einer SGE
166
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
344 Uberblick über die generelle Aussagekraft des BetriebstypenPortfolios Kernstück des Portfolio-Konzeptes ist die Hypothese, daß sich für die in den einzelnen Feldern der Portfolio-Matrix positionierten strategischen Geschäftseinheiten optimale Zielrichtungen und Verhaltensweisen (Normstrategien) angeben lassen.48 Je nach Konstellation externer Chancen und interner Stärken leiten sich hierbei unterschiedliche Kategorien von Zielrichtungen und dazugehöriger Normstrategien ab (vgl. Abb. 3-5). Nach der Positionierung der strategischen Geschäftseinheiten im Ist-Betriebstypen-Portfolio sind für jede SGE deren wichtigste strategische Ziele (Marktanteil, Cash-flow, ROI) festzulegen. Wesentlich ist nun, daß die generelle Zielrichtung durch die Lage der SGE im Ist-Portfolio bestimmt ist: Je nach dem, ob sich die SGE in der Zone der Marktanteilserweiterung bzw. -erhaltung oder in der Zone des Marktanteilsabbaus befindet, ergeben sich entsprechende Implikationen auf die Festsetzung der strategischen Ziele. Das Resultat des gesamten strategischen Zielbildungsprozesses ist in verdichteter Form im Ziel-Betriebstypen-Portfolio festgehalten.49 Zur Realisierung gesetzter strategischer Ziele bedarf es genereller Normstrategien, die für jede SGE je nach strategischer Lage die allgemeine Marschrichtung, d. h. die Bandbreite für die Entwicklung alternativer, konkreter BetriebstypenStrategien, festlegen. Innerhalb der Zone der Marktanteilserweiterung bzw. -erhaltung unterscheiden wir zwischen Investitions- und Abschöpfungsstrategien. Die Investitionsstrategien können sich wie schon erwähnt entweder auf bestehende oder aber lediglich auf „imaginäre" strategische Geschäftseinheiten beziehen; Investitionsstrategien des ersten Typus bezeichnen wir als Wachstumsstrategien50, jene des zweiten Typus hingegen als Diversifikationsstrategien.51 Wachstumsstrategien für die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten bezwecken eine Erhöhung (bei intensivem Konkurrenzkampf manchmal auch nur eine Erhaltung) des Marktanteils im jeweiligen Distributionssektor bzw. Betriebstyp; infolge der im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren (z. B. Industrie) tendenziell kürzeren Wiedergewinnungszeiten (Pay-off-Perioden) distributionswirtschaftlicher Investitionsstrategien führen SGE-bezogene Wachstumsstrategien nicht immer zu Ausgabenüberschüssen für die betroffene strategische Geschäftseinheit. Hingegen
48 Vgl. Pilz, V. F., Orientierungspunkte langfristiger Unternehmungsplanung: Produkt-Portfolio und Erfahrungskurven, in: Rat., 28. Jg., H. 2, 1977, S. 46. 49 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 345.4 und insbesondere Abb. 3-13. 50 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 346.11. 51 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 346.12.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
167
führen Diversifikationsstrategien, mit denen der Einstieg in neue Betriebsformen (oder auch distributionsfremde Marktsegmente) angestrebt wird, in den ersten Jahren zu gewöhnlich negativen Cash-flow-Uberschüssen. Die distributionswirtschaftlichen Abschöpfungsstrategien sind dadurch charakterisiert, daß sie auf die Marktanteilserhaltung der jeweiligen SGE abzielen und stets zu positiven Cash-flow-Uberschüssen führen. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, daß eine SGE, die eine Abschöpfungsstrategie verfolgt, zum Zwecke der Erhaltung des Marktanteils sich neue Betriebe oder Verkaufsstellen erwirbt und deshalb an absoluter Umsatzstärke allenfalls zunimmt. - Der wesentlichste Unterschied zum industriellen Produkt-Portfolio liegt allerdings in der Positionierung der Abschöpfungsstrategien: Diese sind im BetriebstypenPortfolio nicht wie im Produkt-Portfolio in den Feldern links unten, sondern in jenen rechts von der Mitte angesiedelt. Dies hat drei Gründe: (1) Zum einen sind Abschöpfungen im Handel in der Regel nicht erst - wie beispielsweise in der Industrie - in der Reifephase der durch die strategischen Geschäftseinheiten repräsentierten Betriebstypen üblich, sondern infolge der relativ raschen positiven Bilanzierung neu zu errichtender Betriebe und Verkaufsstellen, d. h. der vergleichsweise kurzen Pay-off-Perioden distributionswirtschaftlicher Investitionsstrategien, auch schon in der Wachstumsphase. Das bedeutet aber, daß Abschöpfungen zum einen im rechten oberen Viertel des Betriebstypen-Portfolios möglich sind. (2) Strategische Geschäftseinheiten, die der Reifephase zuzuordnende Betriebstypen repräsentieren, vermögen hingegen im allgemeinen nur in jenen Fällen positive Cash-flow-Uberschüsse - bei gleichzeitiger Erhaltung des Marktanteils - zu erzielen, wenn sie eindeutig überdurchschnittlich hohe relative Wettbewerbsvorteile und insbesondere eine gute Ertragsentwicklung aufweisen. Das bedeutet, daß Abschöpfungen zum anderen aber auch im rechten unteren Viertel des Betriebstypen-Portfolios möglich sind. (3) Schließlich sind im linken unteren Viertel des Betriebstypen-Portfolios, welches die Degenerationsphase symbolisiert, Abschöpfungsstrategien nicht sinnvoll bzw. gar nicht möglich, weil für die jeweilige SGE aufgrund der niedrigen Betriebstyp-Attraktivität und/oder der enormen Wettbewerbsschwächen keinerlei Gewinnpotentiale vorhanden sind. Auch in kurzfristiger Hinsicht ergeben sich in diesem Bereich keinerlei Erfolgspotentiale, da der für die Degenerationsphase charakteristische Umsatzrückgang zusammen mit der gerade im Handel üblichen Kostenremanenz rasch in die Verlustzone führt. Damit sind wir bei der Diskussion der Zone des Marktanteilsabbaus angelangt (vgl. Abb. 3-5), innerhalb welcher wir zwischen zwei Normstrategien unterscheiden: den Desinvestitionsstrategien und den Mutationsstrategien. Charakteri-
168
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
stisch für die Desinvestitionsstrategien ist, daß diese zu einem schrittweisen oder plötzlichen Marktanteilsabbau bzw. Rückzug aus der (unattraktiven) Branche führen. Für eine SGE, die in einem derart unattraktiven Distributionssektor (z.B. in der Branche der Bedienungsgeschäfte) tätig ist und die zudem über keine nennenswerte relativen Wettbewerbsstärken verfügt, ist dies oft die einzig gangbare Normstrategie. Allerdings erweist es sich infolge der gerade im Einzelhandel überaus hohen Knappheit an attraktiven Standorten oft als zweckmäßig, einmal erworbene Standorte zu behalten und zu prüfen, ob durch Um- oder Ausbauinvestitionen die desinvestitionsverdächtigen Betriebe bzw. Verkaufsstellen nicht dermaßen geändert werden können, daß sie nach erfolgtem Umbau eine attraktivere Betriebsform repräsentieren (z. B. Um- oder Ausbau der Bedienungs- zu Delikateß- oder Diskontgeschäften). Wird diese Strategie zur generellen Norm für eine SGE, so handelt es sich um eine SGE-bezogene Mutationsstrategie oder Betriebstypänderungsstrategie; gilt die Mutationsstrategie jedoch lediglich für einzelne ausgewählte Betriebe oder Verkaufsstellen, so sprechen wir von betriebs- oder verkaufsstellenbezogenen Mutationsstrategien.52 Zwischen der Zone der Marktanteilserweiterung bzw. -erhaltung einerseits und jener des Marktanteilsabbaus andererseits befindet sich die Zone des selektiven Vorgehens. Selektive Strategien sind demnach für jene strategischen Geschäftseinheiten zu entwickeln, die jeweils auf einem der drei Felder auf der Diagonale im Betriebstypen-Portfolio positioniert sind. Eine selektive Strategie ist dadurch gekennzeichnet, daß für eine SGE nicht a priori eine bestimmte Normstrategie aus der Lage im Portfolio abgeleitet werden kann, sondern daß erst nach eingehender Analyse die Entscheidung über eine als zieladäquat erachtete Normstrategie - d. h. für eine Investitions-, Abschöpfungs-, Desinvestitionsoder Mutationsstrategie - möglich ist. Das Betriebstypen-Portfolio gibt aber nicht nur Auskunft über die zu wählenden Zielrichtungen und Normstrategien für die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten einer Handelsorganisation; der vielleicht größte Nutzen dieses Instruments besteht darin, daß es die methodischen Voraussetzungen bereitstellt für eine in Abhängigkeit mit dem gesamtunternehmerischen Fähigkeitspotential vorzunehmende Koordination und Integration sämtlicher strategischer Ziele und Normstrategien der strategischen Geschäftseinheiten zu einer situativ-optimalen Gesamtstrategie. Abschließend seien noch kurz einige wesentliche Relativierungen zum Konzept des Betriebstypen-Portfolios angeschnitten: (1) Ein stures, situativen Gegebenheiten nicht Rechnung tragendes Vorgehen 52 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 358.3.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
169
gemäß der Portfolio-Methodik kann nicht zielführend sein: Namentlich vermag auch die Portfolio-Methodik gesunden Menschenverstand und klares Urteilsvermögen nicht zu ersetzen. (2) Die Anwendung der Portfolio-Methodik ist nur dann sinnvoll, wenn sie auf eine objektivierte und möglichst vollständig operationalisierte Weise erfolgt: So darf die Anwendung der Portfolio-Methodik beispielsweise nicht für eine nachträgliche Rationalisierung an sich unrentabler Geschäfte zweckentfremdet werden. (3) Schließlich darf das Vorhandensein einer noch so gut ausgestalteten PortfolioMethodik nicht darüber hinwegtäuschen, daß das strategische Management noch einer Reihe zusätzlicher Methoden bedarf, so beispielsweise geeigneter Prognose-, Analyse- und Kreativitätstechniken, Bewertungsmethoden (wie etwa Investitionsrechnungen, Nutzwertanalysen und dgl.), Kontrollmethoden usw. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Festlegung der strategischen Ziele der einzelnen strategischen Geschäftseinheiten (Abschnitt 345) und auf die Bestimmung der für ihre Realisierung geeigneten Betriebstypen-Strategien, die Konkretisierungen der Normstrategien sind (Abschnitt 346). Schließlich erfolgt in Abschnitt 347 die Bestimmung allfälliger distributionsfremder Strategien sowie die Koordination und Integration sämtlicher Strategien zu einer Gesamtstrategie.
345 Die Festlegung der strategischen Ziele 345.1 Das Ist-Betriebstypen-Portfolio der Unternehmung Der erste Schritt zur Festlegung der strategischen Ziele ist die Erstellung des Ist-Betriebstypen-Portfolios, d. h. des gegenwärtigen, tatsächlichen GesamtPortfolios der Handelsunternehmung. In dieses Ist-Betriebstypen-Portfolio werden sämtliche strategische Geschäftseinheiten eingeordnet, die jeweils einen bestimmten Betriebstyp repräsentieren. Die Positionierung der strategischen Geschäftseinheiten im Ist-Portfolio hängt in entscheidendem Maße von der Analyse der Ausgangsposition und des Ausblicks53 ab: - Einerseits beeinflussen die aus dieser Analyse hervorgehenden Input-Informationen in entscheidendem Maße die unternehmungsindividuell auszuwählenden und zu gewichtenden Haupt- und Teilkriterien der beiden Dimensionen der Portfolio-Matrix; 53 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt II/l.
170
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
- andererseits erfolgt die anschließende konkrete SGE-spezifische Bewertung der beiden Dimensionsvariablen „Betriebstyp-Attraktivität" und „relative Wettbewerbsstärke" selbstverständlich in Abhängigkeit von dem in der Phase der Analyse der Ausgangsposition und des Ausblicks zusammengetragenen Informationspotential. Die Positionierung der strategischen Geschäftseinheiten im Ist-BetriebstypenPortfolio sollte vom obersten Unternehmungsmanagement (z. B. Konzernmanagement) und den diesem unterstellten zentralen Stabsabteilungen entweder eigenständig vorgenommen oder aber von diesem - im Falle der selbständigen Erstellung des Ist-Portfolios durch die jeweiligen SGE-Leitungen und -Stabsabteilungen - zumindest gründlichst überprüft werden. Denn wird die IstPositionierung der strategischen Geschäftseinheiten den jeweiligen SGE-Leitungen zur Gänze delegiert, so besteht die Gefahr, daß diese ihre eigene SGE bewußt oder unbewußt - falsch in die Portfolio-Matrix einordnen: - Entweder werden die SGE-Leitungen dann zu einer zu optimistischen Positionierung ihrer SGE neigen, um beispielsweise ihre geleistete Managementarbeit in ein (ungerechtfertigt) verbessertes Licht zu rücken; - oder sie werden zu einer eher pessimistischen SGE-Positionierung tendieren, um auf diese Weise einen (aus der Sicht der Gesamtunternehmung suboptimal) erhöhten Betrag an Finanzierungsmitteln zugewiesen zu erhalten. Abb. 3-11 stellt ein hypothetisches Beispiel eines Ist-Betriebstypen-Portfolios einer Handelsorganisation (z. B. eines Handelskonzerns, einer Handelsgenossenschaft oder freiwilligen Handelskette) dar. Die Berechnung der verschiedenen Dimensionswerte der strategischen Geschäftseinheiten kann gemäß der in den Abbildungen 3-8 und 3-10 skizzierten Vorgehensweise erfolgen. 345.2 Die Positionierung von Wachstums- und Diversifikationsoptionen im Betriebstypen-Portfolio Im Anschluß an die Ermittlung des Ist-Betriebstypen-Portfolios werden - unter Zuhilfenahme der Ergebnisse aus der Analyse der Ausgangsposition und des Ausblicks - grundsätzlich möglich erscheinende Wachstums- und Diversifikationsoptionen aus^ndig gemacht; hierbei wird vorerst nicht näher überprüft, ob für eine allfällige Realisierung dieser Investitionsoptionen auch genügend finanzielle Mittel bereitgestellt werden können. Vielmehr dient diese Analyse geeigneter Strategieoptionen einer ersten Reflexion über die zu wählende optimale Gesamtstrategie54 mit dem Ziel einer weiteren Konkretisierung der 54 Vgl. Chandler, W. J., Plans-Their Preparation and Implementation, in: LRP, 11. Jg.,Dec. 1978, S. 15.
0
. Legende: V = SGE W = SGE N = SGE S = SGE B = SGE
niedrig
33
mittel
67
hoch
100
Relative Wettbewerbsvorteile
T
„Verbrauchermärkte" „Warenhäuser" „Nachbarschaftsgeschäfte" „Supermärkte" „Bedienungsgeschäfte"
Abb. 3-11: Das Ist-Betriebstypen-Portfolio einer Handelsorganisation (fiktives Beispiel)
strategischen Anpassung zwischen der eigenen Unternehmung und der Umwelt. Angestrebt wird insbesondere ein unter Ertrags-, Wachstums-, Finanzierungsund Risikoaspekten ausgeglichenes Gesamtportfolio der Unternehmung. Zu diesem Zweck werden zwei Arten von Investitionsoptionen in das Betriebstypen-Portfolio der Handelsunternehmung eingetragen: (1) strategische Wachstumsoptionen und
(für derzeit bearbeitete Betriebstypen)
172
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
(2) strategische Diversifikationsoptionen (für neu zu erschließende Betriebstypen). Während die strategischen Wachstumsoptionen das grundsätzliche Entwicklungspotential der bestehenden strategischen Geschäftseinheiten - allenfalls unter Zugrundelegung unterschiedlicher Umwelt- und Wettbewerbsszenarien - zum Ausdruck bringen sollen, dient die Ermittlung strategischer Diversifikationsoptionen dem Auffinden neuer, erfolgversprechender Tätigkeitsgebiete bzw. Betriebstypen und damit der Bildung neuer, möglichst komplementärer strategischer Geschäftseinheiten. Bei der Formulierung von Diversifikationsoptionen sollte darauf geachtet werden, geeignete Marktchancen ausfindig zu machen, mit Hilfe derer bestehende Schwächen reduziert oder beseitigt und gleichzeitig vorhandene Stärken und Synergien der Gesamtunternehmung genutzt werden können.55 Die Aufgaben der Identifikation und Evaluation von Diversifikationsoptionen sollten infolge ihrer hohen strategischen Bedeutung der obersten Unternehmungsleitung vorbehalten sein.56 Im folgenden fiktiven Beispiel sind für die Handelsorganisation aus Abb. 3-11 einige mögliche strategische Wachstums- und Diversifikationsoptionen in ihr Betriebstypen-Portfolio eingetragen (vgl. Abb. 3-12). Für die Positionierung der Diversifikationsoptionen bedienen wir uns des schon weiter oben erwähnten Instruments der „imaginären" strategischen Geschäftseinheiten57; das bedeutet, daß wir sämtliche im Falle der Realisierung eines bestimmten Diversifikationsprojekts zu errichtenden Betriebe oder Verkaufsstellen des neuen Betriebstyps als Elemente einer eigenständigen strategischen Geschäftseinheit betrachten (in Abb. 3-12 z. B. die - imaginäre - SGE „Diskontmärkte"). Zur Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile einer imaginären SGE hat man den in Abb. 3-9 dargestellten Kriterienkatalog allerdings in folgender Hinsicht zu modifizieren: (1) Das Kriterium „relative Marktposition" ist, da die SGE ja nur als eine gedankliche Analyseeinheit fungiert und deshalb keine tatsächliche Marktgeltung besitzt, durch jenes der „erwarteten relativen Marktposition" zu ersetzen, das den erwarteten Marktanteil und den erwarteten ROI bzw. Ziel-Deckungsbeitrag mißt. (2) Bei der Beurteilung des Ausprägungsgrades der übrigen Kriterien ist danach zu fragen, über welche mutmaßlichen Wettbewerbsstärken die vorläufig nur imaginär existierende SGE im Falle ihrer Errichtung voraussichtlich verfügen 55 Vgl. dazu auch die von Reed entwickelte Methode des „Fit Chart". - Reed, S. F., Corporate Growth by Strategie Planning. Part II: Developing a Plan, in: M & A , Fall 1977, S. 8 ff. 56 Vgl. Amara, R., a. a. O., S. 14. 57 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 342.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
173
100 •5
•c «
niedrig
o
33
mittel
Legende:
67
hoch
100
Relative Wettbewerbsvorteile
Ist-Position der S G E
O
V W N S B
= = = = =
Strategische Wachstums- oder Diversifikationsoptionen (Planungshorizont: mindestens 5 Jahre) S G E „Verbrauchermärkte" S G E „Warenhäuser" S G E „Nachbarschaftsgeschäfte" S G E „Supermärkte" S G E „Bedienungsgeschäfte"
H Dr Di F De
= = = = =
Imaginäre Imaginäre Imaginäre Imaginäre Imaginäre
SGE SGE SGE SGE SGE
„Hobby- und Freizeitmärkte" „Drogeriemärkte" „Diskontmärkte" „Frische-Märkte" „Delikateß-Märkte"
Abb. 3-12: Die Positionierung von Wachstums- und Diversifikationsoptionen im BetriebstypenPortfolio (fiktives Beispiel)
174
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
würde; hierbei ist insbesondere dem Kriterium des relativen Unterstützungspotentials durch die Gesamtunternehmung größte Aufmerksamkeit zu schenken. Die Bestimmung der Betriebstyp-Attraktivität von Diversifikationsoptionen (in Abb. 3-12 z. B. der Diskontmarkt-Branche) kann gemäß dem in Abschnitt 343.1 beschriebenen Verfahren erfolgen (vgl. dazu Abb. 3-8). 345.3 Cash-flow-Analyse und Ermittlung von Finanzierungsoptionen Die im vorigen Abschnitt dargestellte Ermittlung genereller Wachstums- und Diversifikationsoptionen erfolgte ohne nähere Berücksichtigung der finanziellen Aspekte. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb überaus hoch, daß sich aufgrund der finanzwirtschaftlichen Durchleuchtung der strategischen Optionen mehrere Abstriche und Revisionen als notwendig erweisen. Dies vor allem dann, wenn sich herausstellt, daß das gesamtunternehmerische Finanzierungspotential zur Realisierung aller ins Auge gefaßten strategischen Projekte nicht ausreicht, oder daß bestimmte strategische Projekte den der Beurteilung zugrundegelegten Zielkriterien (z. B. Rentabilität) nicht entsprechen. Vor der eigentlichen Cash-flow-Analyse sind die strategischen Optionen einer ersten Selektion zu unterziehen. Als Bewertungskriterien können hierfür speziell interessierende Haupt- oder Teilkriterien des Betriebstypen-Portfolios (wie etwa Zukunftschancen, Konkurrenzsituation, relative Marktposition, spezifische Wettbewerbsstärken) sowie zusätzliche Kriterien (wie etwa das einzugehende Risiko, Gewinnerwartungen) angewendet werden. Zweck dieses Selektionsprozesses ist - einerseits die Eliminierung ungeeigneter bzw. zu wenig geeigneter Strategieoptionen und - andererseits die Bildung einer Rangordnung bzgl. der als geeignet angesehenen Investitionsprojekte bzw. -optionen. In der Folge sind in einer Cash-flow-Analyse?* für sämtliche ins Auge gefaßten Investitionsprojekte die in den nächsten Jahren zu erwartenden Einzahlungs- und Auszahlungsreihen bzw. Einnahmen- und Ausgabenüberschüsse abzuschätzen. Mit Hilfe der Cash-flow-Analyse können die einzelnen Investitionsprojekte detaillierter bewertet werden, so daß sich allenfalls weitere Eliminierungen von Projekten und Änderungen in der Rangordnung der Optionen ergeben können.
58 Als Cash-flow bezeichnet man „die Differenz aus liquiditätswirksamem (,barem') Ertrag und liquiditätswirksamem (,barem') Aufwand". - Hinterhuber, H . H . , Strategische Unternehmungsführung, a. a. O . , S. 193.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
175
Besonderes Augenmerk ist aber vor allem auf die Ermittlung des gesamten Finanzbedarfs zu richten, der für eine allfällige Realisierung der Investitionsprojekte vonnöten ist. Ist der Finanzbedarf der Gesamtunternehmung bekannt, dann stellt sich als nächstes die Frage nach der Ermittlung des im betrachteten Planungszeitraum verfügbaren Finanzierungspotentials; dieses Finanzierungspotential kann hierbei als „Pool" angesehen werden, aus dem sämtliche liquiditätswirksamen Aufwendungen, insbesondere die Investitionen, gespeist werden. Für die Beschaffung der erforderlichen finanziellen Ressourcen eignen sich Finanzierungs- und Desinvestitionsvorgänge.59 Bei der Ermittlung des voraussichtlichen Finanzierungspotentials sind deshalb besonders auch die Auswirkungen der Investitions-, Abschöpfungs-, Desinvestitions- und Mutationsstrategien auf die Beschaffung finanzieller Ressourcen zu berücksichtigen. Die Gegenüberstellung von Finanzbedarf und Finanzierungspotential zeigt an, ob das voraussichtliche Finanzeinkommen kleiner, gleich groß oder größer als der zur Realisierung aller vorgesehenen Projekte benötigte Finanzbedarf ist. In einer Vielzahl von Fällen wird das Finanzierungspotential hiefür nicht ausreichen, d. h. kleiner sein als der gewünschte Bestand an finanziellen Ressourcen. In diesem Fall sind - sofern keine Möglichkeit auf die Erschließung zusätzlicher Finanzierungsreserven besteht - die Wachstums- und Diversifikationsoptionen, welche die ersten beiden Selektionsrunden bestanden haben, nun einem weiteren Auswahlverfahren zu unterwerfen. Die Unternehmungszentrale wird hierbei im allgemeinen so vorgehen, daß sie die in der Unternehmung vorhandenen Mittel (möglichst ungekürzt) für die gemäß erster Selektion und Cash-flow-Analyse erfolgversprechendsten Investitionsprojekte bzw. -optionen vergibt und in der Folge die übrigen Projekte (vorläufig) nicht mehr weiterverfolgt. (Die zweite mögliche Vorgehensweise, keine weiteren Projekte auszuscheiden, jedoch infolge der zu geringen finanziellen Ressourcen die Mittelzuweisungen für sämtliche oder die Vielzahl der grundsätzlich geeigneten Projekte um bestimmte Prozentsätze zu kürzen, erscheint aus strategischer Perspektive im allgemeinen als nicht sinnvoll.) - Ist das Finanzierungspotential hingegen größer als der voraussichtliche Finanzbedarf, so leitet sich hieraus die Forderung ab, zusätzliche, strategisch bedeutsame Wachstums- und Diversifikationsoptionen möglichst rasch ausfindig zu machen.60 Nach all diesen finanzwirtschaftlichen Analysen steht nun der Unternehmung nichts mehr im Wege, für jede einzelne SGE die generelle Zielrichtung und dazugehörige Normstrategie im sog. Ziel-Portfolio, d. h. hier: im Ziel-Betriebs59 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 45. 60 Unter der Annahme, daß die Unternehmung nicht größere Definanzierungen (wie z. B. Rückzahlungen von Fremdkapital) plant.
176
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
typen-Portfolio, festzulegen. Aus diesem sind dann die konkreten strategischen Ziele für die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten abzuleiten und ihnen die zur Realisierung der Ziele notwendigen Finanzierungsmittel von der Unternehmungszentrale zuzuweisen (vgl. Abschnitt 345.5). Mit Hilfe der danach festzulegenden Betriebstypen-Strategien wird schließlich die Umsetzung der Normstrategien in konkrete SGE-bezogene Strategien bewirkt (vgl. Abschnitt 346). 345.4 Das Ziel-Betriebstypen-Portfolio Das Ziel-Betriebstypen-Portfolio gibt einen Uberblick über die beabsichtigte distributive Mehrfachstrategie der Handelsorganisation. Es sind deshalb für alle bestehenden und geplanten strategischen Geschäftseinheiten der Handelsorganisation die generelle Zielrichtung und die Normstrategien zu bestimmen, d. h. jeweils deren gewünschte bzw. langfristig anvisierte zukünfte Position im Ziel-Betriebstypen-Portfolio sowie die hierfür geeignete Normstrategie (Wachstums-, Diversifikations-, Abschöpfungs-, Desinvestitions- oder Mutationsstrategie) festzulegen (vgl. Abb. 3-13). Das strategische Ziel-Betriebstypen-Portfolio ist mit Blickrichtung auf die langfristige Existenz- und Wettbewerbsfähigkeit der Gesamtunternehmung zu konzipieren und hat demzufolge folgenden Postulaten zu entsprechen:61 (1) Klare strategische Ausrichtung und ausgeglichene Struktur des Ziel-Portfolios; (2) ausgeglichene und optimale Risikoverteilung; (3) Ausgewogenheit in der Nutzung des unternehmungsinternen Fähigkeits- und Synergiepotentials; (4) Ausgewogenheit der Normstrategien in Hinblick auf den Lebenszyklus der Betriebstypen; (5) Ausgeglichenheit der geographischen Entwicklungen; (6) Sicherstellung eines optimalen „strategic fit" 62 zwischen Gesamtunternehmung und strategischen Geschäftseinheiten einerseits und den relevanten Umweltsegmenten andererseits. Die im Rahmen der Erstellung des Ziel-Betriebstypen-Portfolios vorzunehmende vollständige Evaluierung aller bestehenden und geplanten Tätigkeitsgebiete verhindert, daß die Handelsunternehmung ungewollt in eine unzweckmäßige strategische Lage hineinwächst. Insbesondere wird sie nach einer derartigen
61 In teilweiser Anlehnung an Hinterhuber, H. H., Strategische Unternehmungsführung, a. a. O., S. 122 ff. 62 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt II/O.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
177
100 :
3
2
•c
N
niedrig
33
mittel
Legende:
oo o
67
hoch
100 ^ ^ ^
Relative Wettbewerbsvorteile Ist-Position der strategischen Geschäftseinheiten Anvisierte Ziel-Position der bestehenden und geplanten strategischen Geschäftseinheiten Wachstumsstrategie Diversifikationsstrategie Mutationsstrategie Desinvestitionsstrategie Abschöpfungsstrategie
V W N S B
= = = = =
SGE SGE SGE SGE SGE
„Verbrauchermärkte" „Warenhäuser" „Nachbarschaftsgeschäfte" „Supermärkte" „Bedienungsgeschäfte"
H D
= Geplante SGE „Hobby- und Freizeitmärkte" = Geplante SGE „Delikateß-Märkte"
Abb. 3-13: Ist- und Ziel-Betriebstypen-Portfolio einer Handelsorganisation (fiktives Beispiel)
178
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
Gesamtschau davon Abstand nehmen, ihre größten Anstrengungen auf Tätigkeitsgebiete bzw. strategische Geschäftseinheiten zu konzentrieren, die ungünstige Entwicklungsperspektiven aufweisen bzw. sich schon im gegenwärtigen Zeitpunkt in einer ungünstigen strategischen Ausgangslage befinden.63 Für die in Abb. 3-13 charakterisierte fiktive Handelsorganisation würde dies beispielsweise bedeuten, daß sie ihre beiden strategischen Geschäftseinheiten „Warenhäuser" und „Bedienungsgeschäfte" desinvestiert und gleichzeitig überprüft, ob diese nicht gleichzeitig für eine Mutationsstrategie geeignet sind (im Beispiel: Um- und Ausbau der Bedienungsgeschäfte zu Delikateß-Märkten). Hingegen wird diese Handelsunternehmung hinsichtlich der sich in einer guten bzw. verbesserungsfähigen strategischen Lage befindlichen strategischen Geschäftseinheiten (im Beispiel: die SGE „Verbrauchermärkte" und die SGE „Nachbarschaftsgeschäfte") in der Regel eine Wachstumsstrategie verfolgen; dies schließt - besonders in der Distributionswirtschaft - allerdings keineswegs die Möglichkeit aus, daß einzelne strategische Geschäftseinheiten ihre Wachstumsstrategien unter bestimmten Bedingungen (z. B. bei guter Ertragslage, hohem Cash-flow) aus selbst erarbeiteten Mitteln finanzieren und darüber hinaus Einnahmenüberschüsse erzielen können, die von der Unternehmungszentrale abgeschöpft werden. Die Handelsunternehmung kann für bestimmte strategische Geschäftseinheiten, die über durchschnittliche bis ausgezeichnete Wettbewerbsstärken verfügen (im Beispiel: die SGE „Supermärkte") aber auch lediglich eine Erhaltung des jeweiligen Marktanteils anstreben und die von diesen erwirtschafteten positiven Cash-flow-Uberschüsse zur Gänze abschöpfen (Abschöpfungsstrategie). Diese Mittel können dann gemäß dem der Portfolio-Methodik inhärenten Prinzip der sog. Kreuz-Subventionierung** für die Finanzierung der Diversifikationsstrategien (im Beispiel: zur Finanzierung der geplanten strategischen Geschäftseinheiten „Hobby- und Freizeitmärkte" und „Delikateß-Märkte") und nicht gedeckter Wachstumsstrategien der bestehenden strategischen Geschäftseinheiten eingesetzt werden. 345.5 Die Ableitung der strategischen Ziele und Allokation von Finanzierungsmitteln Mit der Bestimmung des Ziel-Betriebstypen-Portfolios ist die distributive „Mehrfronten-Strategie" der Handelsunternehmung in relativ groben Umrissen festgelegt; namentlich ist damit für jede einzelne strategische Geschäftseinheit die einzuschlagende strategische Stoßrichtung bzw. Normstrategie und damit die Richtung für die Allokation der unternehmerischen Ressourcen bestimmt. 63 Vgl. dazu Trechsel, F „ Produkt/Markt-Strategie, in: MZ, 47. Jg., H. 9, 1978, S. 384. 64 Vgl. dazu Lofthouse, S., Strategy, Cross-Subsidization und the „Business Portfolio", in: LRP, 11. Jg., Aug. 1978, S. 58 ff.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
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Als nächste Schritte im Prozeß des strategischen Distributionsmanagements ergeben sich demzufolge (1) die Ableitung konkreter, operationaler strategischer Ziele für die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten und (2) die Allokation65 der für die Zielrealisierung erforderlichen Ressourcen an die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten. Was die materiellen bzw. inhaltlichen Aspekte der Festlegung strategischer Ziele betrifft, können wir nun Bezug nehmen auf die in Abschnitt 321.2 vorgestellte Systematik distributionswirtschaftlicher Ziele (vgl. Abb. 3-1). Denn für jede SGE sind nun die zur Erreichung der im Ziel-Betriebstypen-Portfolio anvisierten zukünftigen strategischen Lage erforderlichen strategischen Ziele finanzwirtschaftlicher, leistungswirtschaftlicher und sozialer Art zu präzisieren. Welchen Zielen dieser drei Zielkategorien die größte Beachtung beizumessen ist, hängt von der unternehmungsspezifischen Auswahl und Gewichtung der Kriterien zur Messung der relativen Wettbewerbsvorteile von strategischen Geschäftseinheiten (vgl. Abb. 3-9) sowie von den in einer früheren Phase festgelegten obersten Unternehmungszielen ab. Jedoch sind in Hinblick auf eine optimale PortfolioPosition der einzelnen strategischen Geschäftseinheiten die folgenden strategischen Ziele als die bedeutendsten anzusehen und SGE-spezifisch festzulegen: (1) Finanzwirtschaftliche Ziele: - ROI - Gewinn oder Deckungsbeitrag, - Cash-flow. (2) Leistungswirtschaftliche Ziele: - Marktanteil (an der Distributionsbranche bzw. Betriebsform), - Umsatz - Gesamtverkaufsfläche. Es versteht sich von selbst, daß diese primären strategischen Ziele der strategischen Geschäftseinheiten Konkretisierungen der im Ziel-Betriebstypen-Portfolio mehr global und qualitativ umschriebenen jeweiligen strategischen Ziel-Position sind. An eine zufriedenstellende Festlegung strategischer Ziele sind aber auch gewisse formale Anforderungen zu stellen, von denen einige wichtige nachfolgend erwähnt seien: - Die strategischen Ziele sind operational zu formulieren, d. h. für jede einzelne Zielgröße einer strategischen Geschäftseinheit (z. B. Cash-flow der SGE 1) 65 Zur Allokation von Ressourcen vgl. z. B. Stoff, W.-D., Marktposition und Unternehmensstrategie, in: DU, 32. Jg., H. 1, 1978, S. 11 f.
180
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
sind Zielmaßstab66, Zielwert oder Anspruchsniveau und Zielperiode festzulegen; - die verschiedenen strategischen Ziele müssen konsistent sein; - bei der Festlegung der strategischen Ziele ist darauf zu achten, daß diese von den betroffenen Unternehmungsangehörigen akzeptiert und für sinnvoll und notwendig gehalten werden; - für die Realisierung jedes einzelnen strategischen Zieles ist jeweils eine bestimmte Person (bzw. eine Mehrzahl von Personen) explizit verantwortlich zu machen;67 - die strategischen Ziele müssen durch das jeweilige SGE-spezifische Fähigkeitspotential68 realisierbar sein (sofern keine Unterstützung durch die Gesamtunternehmung geplant bzw. möglich ist); - die strategischen Ziele einer einzelnen strategischen Geschäftseinheit sind so zu konzipieren, daß ihre Realisierung die angestrebte Positionsänderung dieser SGE im Ziel-Betriebstypen-Portfolio bewirkt; - die strategischen Ziele sämtlicher strategischen Geschäftseinheiten einer Handelsorganisation dürfen schließlich den obersten Unternehmungszielen und dem Unternehmungsleitbild nicht zuwiderlaufen, sondern haben vielmehr zu deren Erfüllung beizutragen. Aufgrund der detaillierten Formulierung der strategischen Ziele können sich noch graduelle Modifikationen in der Verteilung der gesamtunternehmensbezogenen Ressourcen auf die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten ergeben; die generelle Richtung und das ungefähre Ausmaß der finanziellen Ressourcenströme innerhalb der Gesamtunternehmung wurden jedoch schon im Rahmen der Erstellung des Ziel-Betriebstypen-Portfolios festgelegt. Wichtig für das weitere Verständnis des strategischen Distributionsmanagements ist die Erkenntnis, daß mit der Zuweisung der finanziellen Ressourcen an die jeweils einen bestimmten Betriebstyp repräsentierenden - strategischen Geschäftseinheiten auch der finanzielle Bedingungsrahmen für die Festlegung der jeweils SGE-spezifischen Betriebstypen-Strategien abgesteckt ist.
346 Die Festlegung der Betriebstypen-Strategien Nach Bestimmung der strategischen Ziele für die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten, die jeweils einen bestimmten Betriebstyp repräsentieren, ist 66 Der Zielmaßstab sollte jeweils pro Zielgröße oder -objekt (z. B. Cash-flow) einheitlich für sämtliche strategische Geschäftseinheiten einer Handelsunternehmung festgelegt werden. 67 Vgl. Quinn, J. B „ Strategie Goals: Process and Politics, in: SMR, 19. Jg., Fall 1977, S. 36. 68 Zum strategischen Fähigkeitspotential („Strategie capability") vgl. Ansoff, H . I., Strategie Management, a. a. O., S. 72 ff.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
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nun danach zu fragen, wie diese Ziele durch geeignete und konkrete SGEspezifische Normstrategien - d. h. Betriebstypen-Strategien - verwirklicht werden können. Die Betriebstypen-Strategien erweisen sich somit als Konkretisierungen der im Ziel-Betriebstypen-Portfolio schon festgelegten generellen Normstrategien für die strategischen Geschäftseinheiten. Die zweifelsfrei wichtigsten hiervon sind die Investitionsstrategien. 346.1 Investitionsstrategien Im folgenden soll von einer eigenständigen Systematik distributionswirtschaftlicher Investitionsstrategien ausgegangen werden (vgl. Abb. 3-14). bestehende Betriebe
neue Betriebe (T>Jeueröffnungen) ii neuen Märkten bearbeiteten Märkten
bestehende Betriebstypen
Strategien der Marktgeltungserhöhung
Marktausschöpfungsstrategien
Gebietsexpansionsstrategien
neue Betriebstypen
Mutationsstrategien ( = Betriebstypänderungsstrategien)
Horizontale Diversifikationsstrategien I
Horizontale Diversifikationsstrategien II
^ • v B e t r i e b e und ^ ^ ^ Märkte Betriebstypen ^ - v ^
Abb. 3-14: Systematik distributionswirtschaftlicher Investitionsstrategien
Beziehen sich die Investitionsstrategien auf „bestehende Betriebstypen", d. h. auf existierende strategische Geschäftseinheiten, die eine bestimmte Betriebsform oder -type repräsentieren, dann bezeichnen wir diese als „Wachstumsstrategien". Wenn diese zudem auf bestehende Betriebe oder Verkaufsstellen bezogen sind, handelt es sich um „Strategien der Marktgeltungserhöhung", die oft als Ladenverbesserungs- oder Ladenerneuerungsstrategien bezeichnet werden. Verwirklicht eine strategische Geschäftseinheit eine Wachstumsstrategie aber auch durch Neueröffnungen bzw. die Errichtung neuer Betriebe oder Verkaufsstellen und führt sie diese in derzeit bearbeiteten Regionen oder Märkten durch, dann verwenden wir hierfür den Begriff „Marktausschöpfungsstrategien"; dringt die strategische Geschäftseinheit zu diesem Zwecke hingegen in neue Regionen oder Märkte (z. B. in bestimmte Auslandsmärkte) ein, so bezeichnen wir diesen Strategietyp als „Gebietsexpansionsstrategien". Die Investitionsstrategien können sich aber auch auf „neue Betriebstypen" beziehen, d. h. auf die Errichtung neuer strategischer Geschäftseinheiten, die
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3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
einem von der Handelsunternehmung derzeit nicht bearbeiteten Distributionssektor zuzurechnen sind. In diesem Fall handelt es sich um Diversifikationsstrategien, und zwar um horizontale Diversifikationsstrategien69, da sie nicht über die Distributionswirtschaft hinausgehen. Werden zu diesem Zweck neue Betriebe oder Verkaufsstellen eröffnet, dann nennen wir diese Strategien - je nach dem, ob sie in bearbeiteten oder in neuen Regionen durchgeführt werden - „horizontale Diversifikationsstrategien I" bzw. „II". Werden bestehende Betriebe oder Verkaufslokale durch geeignete Umbau- oder Ausbauinvestitionen einem neuen - und zwar möglichst attraktiveren - Betriebstyp zugeführt, bezeichnen wir diese Kategorie von Strategien als „Mutationsstrategien" oder „Betriebstypänderungsstrategien". Wir wollen sie im Zusammenhang mit den Desinvestitionsstrategien diskutieren70, da sie sich grundsätzlich jeweils auf desinvestitionsverdächtige strategische Geschäftseinheiten beziehen. In der folgenden Abb. 3-15 71 sind einige der wesentlichsten Charakteristika distributionswirtschaftlicher Investitionsstrategien nochmals zusammenfassend festgehalten. Investitionsstrategien, d. h. Wachstums- und Diversifikationsstrategien, werden für solche strategische Geschäftseinheiten formuliert, deren Betriebstyp-Attraktivität und relative Wettbewerbsvorteile (mit Bezug auf den stärksten Konkurrenten) jeweils als mittel bis hoch qualifiziert werden. Die Verteilung der einzelnen Typen von Investitionsstrategien auf die in Frage kommenden Felder der Portfolio-Matrix wird - je nach situativen Gegebenheiten - von der in Abb. 3-15 dargestellten mehr oder weniger stark abweichen. 346.11
Wachstumsstrategien
Wachstumsstrategien im hier verstandenen Sinn beziehen sich ausschließlich auf bestehende strategische Geschäftseinheiten. Bezeichnend für die drei bereits erwähnten unterschiedlichen Typen von Wachstumsstrategien ist, daß eine bestimmte SGE (z. B. Supermarktkette) nicht nur einen, sondern ebenso auch mehrere dieser Strategietypen gleichzeitig realisieren kann (z. B. Ladenerneuerungsprogramm für ältere Supermärkte und Eröffnung neuer Supermärkte im
69 Wir bezeichnen sämtliche Diversifikationsstrategien von Handelsunternehmungen, die sich auf die Distributionswirtschaft beziehen, als horizontal, somit z. B. auch die von einer Großhandelsunternehmung beabsichtigte Diversifikation in den Einzelhandel und umgekehrt die von einer Einzelhandelsunternehmung angestrebte Diversifikation in den Großhandel. - Zu den vertikalen und lateralen Diversifikationsstrategien vgl. die Ausführungen in Abschnitt 346.122. 70 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 346.3. 71 Vgl. hierzu die analoge Charakterisierung industriespezifischer Investitionsstrategien bei Hinterhuber, H . H., Strategische Unternehmungsführung, a. a. O . , S. 91.
niedrig
33
mittel
67
hoch
100
Relative Wettbewerbsvorteile Ziel:
Marktanteilserweiterung in bearbeiteten Branchen oder Betriebstypen bzw. Einstieg in neue Branchen oder Betriebstypen Strategien: Investitionsstrategien, d. h. Wachstums- bzw. Diversifikationsstrategien Die funktionalen Politiken und Aktionsprogramme müssen darauf gerichOperative Aktionen. tet sein, die relative Wettbewerbsposition der SGE weiter auszubauen Cash-flow-Bilanz: a) Bei Diversifikations- und aggressiven Wachstumsstrategien: kurzfristig zumeist negative, mittel- bis langfristig positive Cash-flow-Bilanz der betroffenen SGE b) Bei „angemessenen" Wachstumsstrategien: in der Regel positive Cashflow-Bilanz der betroffenen SGE ökonomischer Horizont: Mittel- bis langfristig Bedeutung: Die strategischen Geschäftseinheiten tragen zum zukünftigen, zumeist aber auch zum gegenwärtigen Gewinn und Wachstum der Handelsunternehmung bei und erfordern deshalb hohe Investitionen Abb. 3-15: Charakterisierung distributiver Investitionsstrategien
184
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
bearbeiteten und/oder in einem neuen Absatzgebiet). Wir wollen auf die drei unterschiedlichen Alternativen von Wachstumsstrategien noch etwas näher eingehen. 346.111 Strategien der Marktgeltungserhöhung Strebt eine strategische Geschäftseinheit eine Erhöhung ihres Marktanteils an, kann sie dies zunächst durch eine Stärkung bzw. Marktgeltungserhöhung ihrer angeschlossenen Betriebe oder Verkaufsstellen versuchen. Derartige Ladenverbesserungs- und -erneuerungsstrategien wird eine SGE insbesondere dann bevorzugen, wenn - die Infrastruktur der ihr angeschlossenen Betriebe veraltet bzw. erneuerungsbedürftig ist und/oder - die Möglichkeit zur Errichtung neuer Betriebe sehr gering ist (beispielsweise infolge der Besetzung sämtlicher geeigneter Standorte durch Konkurrenzunternehmungen). Repräsentiert die SGE einen Betriebstyp, der sich in einer Phase der Entwicklung oder des Wachstums befindet, wird eine Strategie der Marktgeltungserhöhung, die bekanntlich Verkaufsstellen-Neueröffnungen ausschließt, sicherlich nur in Kombination mit Marktausschöpfungs- und/oder Gebietsexpansionsstrategien zu einer Erhöhung des Marktanteils der SGE führen. Befindet sich hingegen der Betriebstyp in einem Stadium der Reife, dann ist ein Marktanteilszuwachs z. T. auch ohne Neuerrichtungen oder Aufkäufe von Betrieben realisierbar. Strategien der Marktgeltungserhöhung können bei guter Ertragslage der SGE im allgemeinen aus SGE-eigenen Mitteln finanziert werden. 346.112 Marktausschöpfungsstrategien Marktausschöpfungsstrategien sind die wahrscheinlich am häufigsten anzutreffende Kategorie distributionswirtschaftlicher Wachstumsstrategien. Sie sind dadurch charakterisiert, daß eine bestimmte SGE versucht, ihren Marktanteil durch Errichtung und Angliederung neuer Betriebe (z. B. auf dem Wege der internen Entwicklung, Akquisition oder Fusion) zu vergrößern. Dieser Strategietyp wird besonders von jenen strategischen Geschäftseinheiten angewandt, die in Branchen mit hohen positiven Wachstumsraten operieren, somit also Betriebstypen repräsentieren, welche sich in einer Phase der Entwicklung oder des Wachstums befinden. Aber auch in gesättigten Märkten (Betriebstypen der Reifephase) wird oft versucht, durch die Errichtung neuer und den Erwerb fremder Verkaufsstellen einen Marktanteilszuwachs zu erzielen. Je größer nun die von einer SGE angestrebte Marktausschöpfung bzw. Marktanteilserweiterung ist, um so höher sind die erforderlichen Investitionssummen, d. h. um so weniger reichen die von der SGE erzielten Cash-flow-Uberschüsse
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
185
aus und um so höher ist deshalb der von der Unternehmungszentrale bereitzustellende Betrag finanzieller Ressourcen. 346.113
Gebietsexpansionsstrategien
Eine strategische Geschäftseinheit kann sich aber auch im Einvernehmen mit der Unternehmungszentrale dazu entschließen, ihr regionales Absatzgebiet zu erweitern, indem sie neue Betriebe oder Verkaufsstellen in bisher nicht vertretenen Absatzgebieten errichtet bzw. erwirbt. In vielen Fällen - insbesondere wenn dieses regionale Wachstum über die Staatsgrenzen hinweg verläuft - wird dies zur Bildung eigenständiger strategischer Geschäftseinheiten (z. B. ausländischer Tochtergesellschaften) führen, die denselben Betriebstyp wie die ursprüngliche S G E repräsentieren. (Beispiel: Eine Handelsunternehmung, die u. a. auch über eine S G E „Verbrauchermärkte" verfügt, errichtet neue Verbrauchermärkte in mehreren ausländischen Staaten und faßt diese zu jeweils eigenständigen nationalen Tochtergesellschaften, d. h. strategischen Geschäftseinheiten, zusammen.) Die Gebietsexpansionsstrategien unterscheiden sich somit von den noch zu behandelnden horizontalen Diversifikationsstrategien II 7 2 nur darin, daß durch sie kein Einstieg in neue Branchen oder Betriebstypen vollzogen wird. 7 3 Sie sind insbesondere dann ein gangbarer Weg zur Verbesserung der relativen Wettbewerbsposition einzelner strategischer Geschäftseinheiten bzw. der Gesamtunternehmung, wenn (1) die Wachstumsraten in den derzeit bearbeiteten regionalen Absatzmärkten stagnieren oder rückläufig sind, bzw. (2) in den zu erschließenden neuen Absatzregionen oder -märkten (z. B. in bestimmten Auslandsmärkten) - hingegen gute Wachstums- und Ertragsmöglichkeiten in den in Frage kommenden Branchen zu verzeichnen sind, - gleiche oder ähnlich strukturierte Konsumgewohnheiten vorhanden sind und - keine prohibitiven oder restriktiven gesetzlichen Bestimmungen ein diesbezügliches Engagement unmöglich machen bzw. in Frage stellen. Die Cash-flow-Bilanz von Gebietsexpansionsstrategien ist infolge der in der Regel erforderlichen hohen Investitionsbeträge und der im allgemeinen noch
72 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 346.121. 73 Einen eindrucksvollen Überblick über die Gebietsexpansionsstrategien bedeutender deutscher und französischer Handelsunternehmungen findet man bei Rindermann, R., Euromarketing für den Einzelhandel. Niederlassungen und Kapitalbeteiligungen im Ausland, in: dih, 22. Jg., H . 10, 1978, S. 20 und 24.
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3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
ungenügenden Marktkenntnisse mit den daraus resultierenden Anpassungsschwierigkeiten in den ersten Jahren negativ, mittel- bis langfristig hingegen positiv. 346.12 Diversifikationsstrategien Diversifikationsstrategien wollen wir vereinfachend als Strategien zum Zwecke der Erschließung neuer Tätigkeitsgebiete definieren; in der Distributionswirtschaft sind neue Tätigkeitsgebiete immer neue Betriebstypen oder -formen, und zwar sowohl solche des Einzelhandels (z. B. Lebensmittel-Supermärkte, MöbelDiskontmärkte) als auch solche des Großhandels (z. B. Cash-and-CarryAbholmärkte). Als horizontal bezeichnen wir deshalb all jene Diversifikationsstrategien, die von Handelsunternehmungen innerhalb des gesamten Bereichs der Distributionswirtschaft durchgeführt werden können, so z. B. die Diversifikation einer Verbrauchermarkt-Gesellschaft in die Warenhausbranche oder auch der Einstieg einer Lebensmittel-Großhandelsunternehmung in die Supermarktbranche. Versucht eine Handelsorganisation hingegen, durch bestimmte Diversifikationsstrategien in distributionsfremde Tätigkeitsgebiete einzudringen, bezeichnen wir diese entweder als vertikal oder lateral. Eine vertikale Diversifikation liegt vor, wenn die Handelsunternehmung ihr Leistungsprogramm in ihr vorgelagerte Stufen des Produktionssektors erweitert, um etwa bisher fremdbezogene Handelswaren sodann in Eigenregie herzustellen. Von lateraler Diversifikation einer Handelsunternehmung sprechen wir, wenn sich diese neue Tätigkeits- oder Produkt/Markt-Bereiche angliedert, die in keinem sachlichen Zusammenhang zu den bestehenden distributiven Tätigkeitsgebieten bzw. Betriebstypen stehen (z. B. Banken, Reisebüros, Versicherungsunternehmungen). Die Notwendigkeit der Diversifikationsstrategien ergibt sich aus der Tatsache, daß sich jede Unternehmung - somit auch jede Handelsunternehmung angesichts des ständig rascher werdenden Wandels der Markt- und Umweltverhältnisse die Frage nach den für sie erfolgversprechendsten Tätigkeitsgebieten immer wieder von neuem stellen muß.74 Entscheidend für die langfristige Existenzsicherung jeder Unternehmung ist somit nicht nur das jeweils notwendige - branchenspezifische - Know-how, sondern vorab das sog. Know-what75, d. h. das Wissen, in welchen Tätigkeitsgebieten man überhaupt operieren soll und kann. Als Hauptmotive des Eintritts in neue Tätigkeitsgebiete sind deshalb vor allem folgende zu nennen: 74 Vgl. Hofer, H. R „ Diversifikation in der Industrie, in: MZ, 46. Jg., H. 1, 1977, S. 3. 75 Perutz, P. / Royston, M. G., Statt Produkte sind neue Geschäftsgebiete zu finden!, in: MZ, 46. Jg., H. 11, 1977, S. 467.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
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- Erschließung neuer Wirtschaftszweige, die hohe zukünftige Wachstums- und Erfolgspotentiale aufweisen, - Erhöhung der unternehmungsinternen Stärken bei gleichzeitigem Abbau von Schwächen76, - verbesserte Ausnutzung vorhandener bzw. brachliegender Ressourcen, - Beseitigung bestimmter Abhängigkeiten, - Risikoausgleich (durch Verfolgung einer Mehrfach-Strategie), - Ausgleich etwaiger saisonaler Schwankungen sowie - Vermeidung ruinöser Konkurrenzkämpfe. Von entscheidendster Bedeutung für eine erfolgreiche Diversifikationspolitik ist die richtige Bewertung der Diversifikationsprojekte. Wie schon in Abschnitt 345.2 erwähnt, sollten die diesbezüglichen Bewertungskriterien vor allem nach Portfolio-Gesichtspunkten ausgewählt werden; demnach kommen als bedeutendste Kriterien in Betracht: (1) die Betriebstyp-Attraktivität77 (für die Beurteilung horizontaler Diversifikationsstrategien) bzw. die Markt- oder Branchenattraktivität78 (für die Beurteilung vertikaler und lateraler Diversifikationsstrategien) sowie (2) die potentielle relative Wettbewerbsstärke der im Falle einer Realisierung der Diversifikationsstrategie zu errichtenden strategischen Geschäftseinheit.79 Anstelle des Teilkriteriums „relative Marktposition" hat dann jenes der „erwarteten relativen Marktposition" zu treten, das beispielsweise den erwarteten Marktanteil und den erwarteten ROI bzw. Ziel-Deckungsbeitrag mißt. Bei der Beurteilung der mutmaßlichen Wettbewerbsstärken ist besonders darauf zu achten, ob eventuelle Synergiepotentiale vorhanden sind und in der Folge nutzbar gemacht werden können. In der Praxis hat sich nämlich gezeigt, daß Diversifikationsstrategien um so mehr Erfolgschancen aufweisen, je gezielter sie um ein zentrales Know-how herum aufgebaut und dadurch die synergetischen Faktoren soweit wie möglich ausgenutzt werden.80 Auf die unterschiedlichen Wege oder Methoden der Realisierung von Diversifikationsstrategien werden wir im Rahmen der strukturpolitischen Analyse von
76 Vgl. dazu Ansoff, H. I. / Anderson, T. A. / Norton, F. / Weston, J. F., Planning for Diversification through Merger, in: Ansoff, H . I . (ed.), Business Strategy, Harmondsworth 1969, S. 296 f. 77 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 343.1 und insbesondere Abb. 3-7. 78 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 1/2. 79 Vgl. dazu die Ausführungen in den Abschnitten 343.2 und 345.2. 80 Vgl. Borschberg, E., Diversifikation - risikoreiche Wachstumsstrategie?, in: D U , 31. Jg., H . 1, 1977, S. 28; Arbeitskreis „Diversifizierung" der Schmalenbach-Gesellschaft, Diversifizierungsprojekte. Betriebswirtschaftliche Probleme ihrer Planung, Organisation und Kontrolle, in: zfbf, 25. Jg., H. 5, 1973, S. 306 f.
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3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
Investitionsstrategien81 eingehen. Zuvor wollen wir aber die bereits erwähnten Diversifikationsarten noch genauer untersuchen. 346.121 Horizontale Diversifikationsstrategien Wir haben horizontale Diversifikationsstrategien von Handelsunternehmungen definiert als deren Eindringen in neue Betriebstypen bzw. distributive Branchen. Die primäre Funktion horizontaler Diversifikationsstrategien besteht darin, durch den Eintritt in neue, attraktive Betriebstypen zukünftige Wachstums- und Erfolgspotentiale aufzubauen, um dadurch Wachstumseinbußen älterer Betriebstypen auszugleichen und wenn möglich überzukompensieren. Hierin wird wieder einmal mehr deutlich, daß im Handel den neuen Betriebstypen eine analoge Funktion zukommt wie in der Industrie den neuen Produkten bzw. Produktgruppen. Die Bedeutung horizontaler Diversifikationsstrategien läßt sich am anschaulichsten am Beispiel eines Einzelhandelsfilialbetriebes demonstrieren.82 Anhand der Entwicklung der Schweizer Migros-Genossenschaft kann die Ablösung älterer Betriebstypen durch neue über einen Zeitraum von 22 Jahren nachverfolgt werden (vgl. Abb. 3-16). Mit Hilfe horizontaler Diversifikationsstrategien, d. h. durch das Eindringen in immer neue Betriebstypen, gelang es der Migros, ihren Marktanteil im schweizerischen Einzelhandel im Untersuchungszeitraum (1952 bis 1974) nicht nur zu erhalten, sondern sukzessive auszubauen.83 Um die Verschiebungen der Umsatzanteile der einzelnen Betriebstypen - die migrosintern als „Verkaufsformen" oder „Ladenkategorien" bezeichnet werden stärker als bei absoluten Zahlen herauszustellen, wurden die Umsatzanteile jeweils in Relation zur Basis Gesamt-Jahresumsatz = 100% gesetzt. In den ersten fünf Jahren des Berichtszeitraums (1952 bis 1957) werden die Betriebstypen nur in Bedienungs- und Selbstbedienungsläden eingeteilt. Ab 1957 wird eine differenziertere Systematik der Betriebstypen geführt, wodurch es ermöglicht wird, die zwischen der Einführung neuer Betriebstypen liegenden Zeiträume abzulesen und Verschiebungen der relativen Bedeutung der einzelnen Betriebstypen im Zeitablauf festzustellen. 346.122 Vertikale und laterale Diversifikationsstrategien Als vertikal haben wir diejenigen Diversifikationsstrategien von Handelsunternehmungen bezeichnet, mit welchen ein Vorstoß in (vorgelagerte) Stufen des 81 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 346.13. 82 Vgl. zum folgenden Beispiel Berger, S., Ladenverschleiß (Store Erosion) . . a. a. O., S. 227 ff. 83 Hierbei handelte es sich jeweils um horizontale Diversifikationsstrategien des I. Typs, da sie sich jeweils auf bereits bearbeitete Absatzgebiete (Schweiz) bezogen.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
189
%
* ab 1957 wir die Umsatzverteilung nach Betriebstypen eingeführt Legende:
I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.
Die Kurven widerspiegeln die Entwicklung der Umsatzverteilung der Betriebstypen der Migros-Genossenschaft, Schweiz, in den Jahren 1952-1974 in % vom Gesamtumsatz (Bezugsbasis: jeweils jährlicher Gesamtumsatz der Migros-Genossenschaften) Verkaufswagen Bedienungsläden (ab 1962 unter 1 % ) Selbstbedienungsläden (Nachbarschaftsgeschäfte) Kombiläden (Supermärkte) MM-Migros Märkte (SB-Center) Migros Snacks und Restaurants, Autocenter/Tankstellen, Direkt- und Engroslieferungen. Sonstige MMM-Migros Märkte (Verbrauchermärkte) Spezialläden, wie z. B . : separate Kleider-, Möbel-, Blumen- und Do-it-yourselfGeschäfte
Quelle: Rechenschaftsberichte des Migros-Genossenschafts-Bundes, Zürich, aus den Jahren 19521974 Abb. 3-16: Umfassende distributive Mehrfachstrategie durch horizontale Diversifikation (dargestellt am Beispiel der Migros-Genossenschaft, Schweiz) 84
Produktionsbereichs angestrebt wird. Da heutzutage die bedeutendsten Handelsorganisationen (wie z. B. bestimmte Handelskonzerne, freiwillige Handelsketten, Konsumgenossenschaften, aber auch sog. Einzelhandels-Filialbetriebe) sowohl im Einzel- als auch Großhandel tätig sind, erweist es sich als zweckmäßig, sämtliche Diversifikationsstrategien innerhalb des Handels bzw. der Distributionswirtschaft als horizontal zu definieren, obwohl Groß- und Einzelhandel rein funktional betrachtet zwei getrennte, vertikal abgestufte Glieder innerhalb der 84 Vgl. Berger, S., Ladenverschleiß (Store Erosion) . . ., a. a. O . , S. 228.
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3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
gesamten Absatzkette sind. Wird demnach - wie in unserem Fall - eine pragmatischere und den tatsächlichen institutionellen Gegebenheiten Rechnung tragende Betrachtungsweise bevorzugt, dann sind nur diejenigen Diversifikationsstrategien von Handelsunternehmungen als vertikal zu definieren, mit welchen über den Distributionsbereich hinaus in den (vertikal) vorgelagerten Produktionssektor einzudringen versucht wird. Lateral nennen wir hingegen diejenigen Diversifikationsstrategien von Handelsunternehmungen, die einen Einstieg in völlig fremde Tätigkeitsgebiete oder Wirtschaftssektoren außerhalb des Handels bezwecken. Bezeichnend sowohl für laterale als auch vertikale Diversifikationsstrategien von Handelsorganisationen ist somit, daß sie sich jeweils auf distributionsfremde Tätigkeitsgebiete beziehen und deshalb keine Betriebstypen-Strategien sind. Ihre Festlegung hat daher nicht an dieser Stelle, sondern erst im Rahmen der Bestimmung der distributionsfremden Strategien und der Gesamtstrategie zu erfolgen.85 Dennoch wollen wir an dieser Stelle abschließend auf einige signifikante Beispiele distributionsfremder Diversifikationsstrategien von Handelsorganisationen hinweisen. Und zwar knüpfen wir an dem im vorhergehenden Abschnitt erwähnten Beispiel der Migros Schweiz an und wollen diesmal das Augenmerk auf die von dieser ursprünglich reinen Handelsorganisation im Laufe der letzten Jahrzehnte durchgeführten vertikalen und lateralen Diversifikationsstrategien richten (vgl. Abb. 3-17). 86 346.13 Strukturpolitische Alternativen hinsichtlich der
Investitionsstrategien
Im Rahmen der Festlegung der adäquaten Investitionsstrategien (Wachstumsund Diversifikationsstrategien) für die einzelnen im Ziel-Betriebstypen-Portfolio eingetragenen strategischen Geschäftseinheiten ist insbesondere zu berücksichtigen, daß diese über unterschiedliche strukturpolitische Alternativen verwirklicht werden können. Als bedeutendste strukturpolitische Alternativen bzw. Instrumente zur Realisierung von Investitionsstrategien können unterschieden werden (vgl. Abb. 3-18): (1) Interne Entwicklung, (2) Akquisition, (3) Fusion, (4) Kooperation, (5) Beteiligung. 85 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 347. 86 Vgl. dazu Rüßmann, K. H., Unternehmensanalyse Migros: Wachstum über alle Grenzen, in: mm, 9. Jg., H. 2, 1979, S. 48; Borschberg, E., Diversifikations-Strategien in der Distribution, a. a. O., S. 94 f.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
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(1) Angegliederte Tätigkeitsgebiete aufgrund vertikaler Diversifikationsstrategien triebe): - Brotwaren, Teigwaren (Jowa AG) - Bisquits, Puddingpulver, Speiseeis (Produktion AG Meilen) - Schokolade, Kakao, Süßigkeiten (Chocolat Frey AG) - Konserven, Tiefkühlkost, Konfitüren (Konservenfabrik Bischofszell AG) - Milchprodukte, Desserts, Fertiggerichte (Conserves Estavayer S.A.) - Frischfleisch, Fleisch- und Wurstwaren (Micarna S. A.) - Mineralwasser, Tafelgetränke (Seba S.A.) - Kosmetika, Seifen (Mibelle AG) - Speisefette und -öle, Margarine, Wasch- und Reinigungsmittel (Gifa AG) - u. a.
(Produktionsbe-
(2) Angegliederte Tätigkeitsgebiete aufgrund lateraler Diversifikationsstrategien und andere Betriebe): - Bank (Migros Bank) - Versicherung (Secura Versicherungsgesellschaft) - Touristik (Genossenschaft Hotelplan; Mehrheitsbeteiligung) - Druck und Verlag (Limmatdruck AG, Ex Libris Verlag) - Immobilien (diverse Immobilien-Gesellschaften) - Transport/Spedition (Reederei Zürich AG) - u. a.
(Dienstleistungs-
Abb. 3-17: Vertikale und laterale Diversifikation einer ursprünglich reinen Handelsorganisation (dargestellt am Beispiel der Migros-Genossenschaft, Schweiz)
Aus Abb. 3-18 geht klar hervor, daß das strukturpolitische Instrument der internen Entwicklung - das von vielen Unternehmungen oft als einzige ernstzunehmende Alternative angesehen wird - nur eine von mehreren strukturpolitischen Vorgehensweisen für eine erfolgreiche Implementierung von Investitionsstrategien ist. Verfolgt eine Handelsunternehmung für eine ihrer strategischen Geschäftseinheiten - sagen wir: für ihre Supermarktkette - beispielsweise eine Marktausschöpfungsstrategie, d. h. eine Erhöhung ihres Marktanteils durch Eröffnung neuer Betriebe bzw. Verkaufsstellen im derzeit bearbeiteten Absatzgebiet, dann kann sie dieses strategische Ziel grundsätzlich auf mehreren strukturpolitischen Wegen zu erreichen versuchen. Dabei kann es sich handeln um: - die eigene Errichtung neuer, zusätzlicher Betriebe oder Verkaufsstellen (Supermärkte), - den Aufkauf mehrerer Verkaufsstellen von Konkurrenzunternehmungen und deren anschließende Eingliederung in die betreffende strategische Geschäftseinheit, - die Fusion mit einer Unternehmung, die in derselben Branche (SupermarktBranche) tätig ist,
192
Strukturpolitik Investi^s. tionsstrategien
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
Interne Entwicklung
Akquisition
Fusion
Kooperation
Beteiligung
Wachstum I: Marktgeltungserhöhung Wachstum II: Marktausschöpfung Wachstum III: Gebietsexpansion Diversifikation I: Horizontale Diversifikation I Diversifikation II: Horizontale Diversifikation II Diversifikation III: Vertikale und laterale Diversifikation Abb. 3-18: Strukturpolitische Alternativen hinsichtlich der Investitionsstrategien
- den Abschluß eines Franchise-Vertrages mit einem geeigneten PartnerUnternehmen oder - den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an einer in derselben Branche operierenden Konkurrenzunternehmung. Auf analoge Weise ergeben sich für alle anderen Typen von Investitionsstrategien jeweils fünf unterschiedliche strukturpolitische Realisationsmöglichkeiten allerdings mit einer Einschränkung: Die Strategien der Marktgeltungserhöhung, die sich bekanntlich auf bestehende Betriebstypen und bestehende Verkaufsstellen beziehen, können direkt nur über die strukturpolitischen Instrumente der internen Entwicklung (z. B. durch Ladenerneuerungsprogramme) und der Kooperation (z. B. durch bestimmte Kooperationsverträge mit Regalgroßhändlern oder „Abteilungsmietern") realisiert werden; werden hingegen die strukturpolitischen Instrumente der Akquisition, Fusion bzw. der Beteiligung eingesetzt, die notwendigerweise immer auf neue Verkaufsstellen bezogen sind, kann dies für die bestehenden Geschäfte indirekt zu einer Erhöhung ihrer Marktgeltung führen, beispielsweise infolge des durch die Akquisition, Fusion bzw. die (Mehrheits-)Beteiligung stark erhöhten Image der Gesamtunternehmung.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
193
Wir wollen im folgenden auf die einzelnen strukturpolitischen Alternativen noch etwas näher eingehen. Allgemein gilt, daß zuerst Klarheit bestehen sollte über die zu verfolgenden Investitionsstrategien, bevor nach geeigneten strukturpolitischen Alternativen Ausschau gehalten wird. 346.131 Interne Entwicklung Die interne Entwicklung kann als die klassische strukturpolitische Vorgehensweise zur Verwirklichung von Investitionsstrategien angesehen werden. Die Unternehmung versucht hierbei, auf quasi „organische" Weise, d. h. ohne Drittorganisationen in den Entwicklungsprozeß miteinzubeziehen, den Marktanteil der bestehenden strategischen Geschäftseinheiten zu erhöhen oder in Eigenregie neue Tätigkeitsbereiche aufzubauen. Besonders im Handel sind der internen oder Eigenentwicklung allerdings zahlreiche Grenzen gesetzt: (1) Oft sind nämlich in den gegenwärtig bearbeiteten Tätigkeitsgebieten bzw. Betriebstypen keine „natürlichen" Wachstumsmölichkeiten mehr vorhanden (beispielsweise infolge des Fehlens geeigneter Standorte für neu zu errichtende Einzelhandelsbetriebe oder infolge der generellen Umsatzstagnation bestimmter Betriebstypen). (2) Auf der anderen Seite sind aber Sprünge in neue Tätigkeitsgebiete, d. h. Diversifikationsstrategien, über das strukturpolitische Instrument der Eigenentwicklung oft nicht zielführend bzw. zu riskant, weil beispielsweise - das Know-how für ein entsprechendes Engagement nicht vorhanden ist, - eine Eigenerrichtung viel zu viel Zeit kostet oder - durch eine Eigenerrichtung keine bedeutenden Marktanteile gewonnen werden können. Diese kurzen Hinweise verdeutlichen somit die Notwendigkeit, im Rahmen der Bestimmung von Investitionsstrategien auch die weiteren strukturpolitischen Alternativen einer Bewertung zu unterziehen. 346.132 Akquisition Akquisitionen sind Ankäufe von Drittorganisationen und deren Angliederung an die eigene Unternehmung; Akquisitionen bewirken die Beendigung der rechtlichen Selbständigkeit der angegliederten Organisation, wobei u. U. die organisatorische Selbständigkeit aufrechterhalten bleiben kann. Ihre Aktualität erwächst oft aus dem Zwang zur ständigen Ausdehnung der Unternehmungsgröße. Die Vorteile von Akquisitionen liegen deshalb auf der Hand: (1) Erhöhung des Marktanteils in derzeitigen Tätigkeitsgebieten, (2) Eintritt in neue und attraktive Tätigkeitsgebiete,
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3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
(3) Erschließung neuer und erfolgversprechender Absatzregionen, (4) Erhöhung der relativen Wettbewerbsstärke der Gesamtunternehmung bzw. einzelner ihrer Teilbereiche durch den mit einer Akquisition verbundenen Erwerb von fehlenden kritischen Ressourcen (wie z. B. von Markt-Kenntnissen, Good-will, Finanzkraft), (5) Realisierung von Produktivitäts- und Synergie-Effekten87, (6) Erhöhung der Flexibilität, Schlagkraft und Reaktionsgeschwindigkeit der Unternehmung und ihrer strategischen Geschäftseinheiten. Die bedeutendsten Nachteile von Akquisitionen sind darin zu sehen, daß - in vielen Fällen nur „kranke" Unternehmungen zum Kauf angeboten werden; - die finanziellen und manageriellen Kräfte u. U. verzettelt werden; - Probleme entstehen bei der Integration der angekauften Firma in die eigene Unternehmung, was zu Produktivitätsverlusten und dysfunktionalem Verhalten der betroffenen Unternehmensmitglieder führen kann; - zuverlässige Rentabilitätsberechnungen über die jeweiligen Investitionsprojekte äußerst schwierig sind. Als ein Beispiel für einen erfolgreichen Einsatz des strukturpolitischen Instruments der Akquisition zur Realisierung einer Gebietsexpansionsstrategie kann die deutsche Handelsunternehmung Albrecht KG angeführt werden: Durch die Akquisition bzw. die Geschäftsübernahme der Lebensmitteldiskont-Filialunternehmung Hofer KG, Österreich, konnte die bereits in der Diskontbranche tätige Albrecht KG ihr regionales Absatzgebiet mit einem Schlag auf den gesamten österreichischen Raum ausweiten. 346.133 Fusion Es können grundsätzlich zwei Typen von Fusionen auseinandergehalten werden:88 (1) die Verschmelzung durch Annexion oder Absorption (Aufnahme) (2) die Verschmelzung durch Kombination (System-Neubildung). Der erste Fusionstyp, die Aufnahme, entspricht im großen und ganzen dem strukturpolitischen Instrument der Akquisition - allerdings mit einer großen Ausnahme: Die Eigentümer der aufgenommenen bzw. absorbierten Firma werden durch die Fusion Miteigentümer an der fusionierenden Unternehmung (und nicht etwa „ausbezahlt" wie im Falle einer Akquisition). Diese Änderung in den Eigentumsverhältnissen der fusionierenden Unternehmung hat nun selbst87 Vgl. dazu Hinterhuber, H . H . , Strategische Unternehmungsführung, a. a. O . , S. 200 f. 88 Vgl. Tietz, B., Marketing, Tübingen/Düsseldorf 1978, S. 196.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
195
verständlich Auswirkungen auf die unternehmungsinternen Machtverhältnisse und somit auf die unternehmungspolitischen Willensbildungsprozesse. Fusionen des zweiten Typs, sog. System-Neubildungen, sind dadurch charakterisiert, daß sich mehrere rechtlich selbständige Unternehmen unter Preisgabe ihrer Rechtsautonomie zu einem einzigen, neu zu bildenden System zusammenschließen. Primär wird mit derartigen Fusionen das Ziel verfolgt, aus mehreren Firmen eine einzige große und leistungsstarke Gesamtunternehmung zu bilden, die über eine hohe relative Wettbewerbsstärke verfügt. Die Vorteile, die sich hieraus ergeben, entsprechen im großen und ganzen jenen von Akquisitionen, doch dürfte die Intensität der positiven Auswirkungen infolge des bei Fusionen im allgemeinen eher gewährleisteten Synergieeffektes tendenziell größer sein. Der gewichtigste Nachteil besteht wohl im Verlust der rechtlichen Selbständigkeit der sich zusammenschließenden Firmen. Ein anschauliches Beispiel aus der Distributionswirtschaft ist die im Jahr 1970 erfolgte Fusion von zehn rechtlich selbständigen österreichischen SPAR-Großhandelsfirmen zur „SPAR österreichische Warenhandels-AG" mit Sitz in Salzburg.89 Diese Systemneubildung entstand aus der Erkenntnis heraus, daß nur durch eine gezielte Zusammenlegung und Konzentration der Kräfte die für eine Handelsorganisation erforderliche Wettbewerbsstärke, Effizienz und Schlagkraft aufgebaut werden kann. 346.134 Kooperation Die zwischenbetriebliche oder interorganisationale Kooperation ist ein weiteres strukturpolitisches Instrument zur Realisierung von Investitionsstrategien. Von zwischenbetrieblicher Kooperation sprechen wir dann, „wenn zwei oder mehrere Unternehmungen freiwillig vereinbaren, gewisse Aufgaben gemeinschaftlich zu erfüllen."90 Die kooperierenden Unternehmungen „gehen dabei von der Erwartung aus, hierdurch höhere Zielniveaus und/oder einen höheren Grad der Zielerfüllung zu erreichen als bei individuellem Vorgehen."91 Eine in den letzten Jahren ständig bedeutender gewordene Kooperationsform ist die horizontale Kooperation zwischen zwei oder mehreren Handelsorganisationen. So konnte beispielsweise auf der Grundlage von Kooperationsverträgen, die zwischen z. T. in heftigem Konkurrenzkampf stehenden Handelsunternehmungen abgeschlossen worden sind, eine Vielzahl von Einkaufszentren (Shopping 89 Vgl. dazu auch Gross, H., Fusion im Handel, in: Tietz, B. (Hrsg.), Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Stuttgart 1974, Sp. 656. 90 Bidlingmaier, J., Kooperation im Handel, in: Tietz, B. (Hrsg.), Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, a. a. O., Sp. 1125. 91 Bidlingmaier, J., Kooperation im Handel, a. a. O., Sp. 1125 f.
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3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
Centers), Gemeinschaftswarenhäusern und dgl. mehr errichtet werden; die einzelnen an einem derartigen Joint Venture beteiligten Handelsorganisationen konnten auf diese Weise zusätzliche Verkaufsflächen, zusätzliche Umsätze und allenfalls auch zusätzliche Marktanteile gewinnen. - Investitionsstrategien können aber auch durch den Abschluß anders strukturierter kooperativer Vereinbarungen, so insbesondere durch Miet- oder Pachtverträge, eingeleitet werden. Das in der europäischen Distributionswirtschaft in diesem Zusammenhang wohl bekannteste Beispiel ist die sog. Horten/Edeka-Kooperation.92 Der zwischen dem deutschen Warenhauskonzern Horten und der Einkaufsgenossenschaft Edeka Deutschland 1979 abgeschlossene Kooperationsvertrag beinhaltet die Anmietung von 58 Horten-Supermärkten bzw. -Lebensmittelabteilungen mit einer Gesamtverkaufsfläche von über 64 000 qm durch die Edeka. Die zwischen den beiden Handelsorganisationen vereinbarte Kooperation bedeutet für die Edeka ein jährliches Umsatzplus von über 750 Mio. DM, was einer Erhöhung ihres Marktanteils im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel um ca. 0,8 Prozentpunkte entspricht. In der distributiven Praxis häufiger anzutreffen ist allerdings die sog. vertikale Kooperation zwischen Groß- und Einzelhandel. Beispielsweise wird im Rahmen dieser Kooperationsform investitionsfreudigen Einzelhandelsunternehmern die Möglichkeit gegeben, in Kooperation mit dem betreuenden Großhändler bestimmte Wachstums- oder Diversifikationsstrategien durchzuführen. Derartige Kooperations- oder Partnerschaftsmodelle zwischen Groß- und Einzelhandel sind insbesondere für die freiwilligen Handelsketten typisch93. Die freiwilligen Kettenorganisationen stellen nun ihrerseits in der Regel kombinierte vertikal-horizontale Kooperationssysteme dar94, werden aber im Rahmen des strategischen Managements - wie schon erwähnt - infolge des weithin wirksamen Umstrukturierungsprozesses dieser Kooperationssysteme zu marktaktiven und zentral geführten, filialähnlich strukturierten Systemen wie eigenständige Handelsunternehmungen betrachtet. Die vertikale Kooperation kann aber auch darin bestehen, daß eine Handelsorganisation die sie beliefernden Hersteller an der Schaffung von Groß- oder Einzelhandelskapazitäten beteiligt; beispielsweise kann ein diesbezügliches Kooperationsabkommen die Mitwirkung von Produzenten an der Finanzierung von Investitionen oder die Gewährung von Bürgschaften beinhalten. Als spezielles Kooperationsinstrument sei abschließend das sog.
Franchising
92 Vgl. o. v., Horten/Edeka, in: LMZ, 31. Jg., Nr. 37, 14. 9. 1979, S. 1 und 10. 93 Beispielsweise verfügt die SPAR Österreich über ein diesbezügliches (fünfstufiges) Partnerschaftsmodell. 94 Vgl. Seyffert, R „ a. a. O., S. 223. 95 Einen Uberblick über Franchising im Handel geben Marquardt, R. A. / Makens, J. C. / Roe, R. G., Retail Management. Satisfaction of Consumer Needs, Hinsdale (111.) 1975, S. 90 ff.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
197
erwähnt. Franchising bedeutet ein Partnerschaftsabkommen (Franchise) zwischen dem Franchisegeber und einem oder mehreren Franchisenehmern, wobei der Franchisegeber Ideen und Know-how (beispielsweise über eine erfolgreiche Vertriebsmethode für einen bestimmten Warenbereich) gegen eine einmalige Grundgebühr oder eine Umsatzbeteiligung dem Franchisenehmer überläßt; 96 dieser setzt seinerseits seine Arbeitskraft und sein Kapital im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen ein und hat die Möglichkeit, Vermögenssubstanz zu bilden, die ihm gehört. Als Mittel zur Realisierung von distributiven Investitionsstrategien eignen sich Franchisesysteme insofern, als sich Handelsorganisationen als Franchisegeber ein Netzwerk von Groß- oder Einzelhandelspartnern aufbauen können, welches durch das Kapital der Franchisenehmer schneller ausgedehnt werden kann, als aus eigener Kraft möglich wäre.97 - Franchisesysteme können, sofern sie als vertraglich streng geführte „Quasi"-Filialsysteme ausgebildet sind, im Rahmen des strategischen Managements wie andere Verbundsysteme des Handels auch als eigenständige Organisationen angesehen werden. 346.135 Beteiligung Investitionsstrategien können schließlich auch durch das strukturpolitische Instrument der (Kapital-)Beteiligung verwirklicht werden. Typisch für Kapitalbeteiligungen ist, daß diese immer ein „Mehr-oder-Weniger", d. h. einen Realisationswert zwischen 0 und 100 implizieren, je nach dem, wie hoch die Kapitalbeteiligung am betreffenden Investitionsobjekt ist.98 Von hoher strategischer Bedeutung sind insbesondere die Mehrheitsbeteiligungen, da durch diese der Ubergang der wichtigsten Steuerungs- und Kontrollbefugnisse auf die erwerbende Unternehmung vollzogen wird. Als eines der überaus zahlreichen Beispiele sei wiederum die Albrecht KG, Deutschland, genannt, die ihre Gebietsexpansionsstrategie nicht nur durch die strukturpolitischen Instrumente der internen Entwicklung (Unternehmensgründungen in Belgien und Dänemark) und der erwähnten Akquisition (Hofer KG, Österreich) vollzog, sondern diese zusätzlich durch den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an 50 niederländischen Diskont-Geschäften abrundete.99
96 Vgl. Sittig, C. A., Computergesteuertes Franchising im Fachhandel, in: MZ, 48. Jg., H. 6 , 1 9 7 9 , S. 301. 97 Vgl. Gross, H., Franchising im Handel, in: Tietz, B. (Hrsg.), Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, a. a. O., Sp. 613. 98 Eine Kapitalbeteiligung von 100% entspricht einer Akquisition. 99 Vgl. dazu Rindermann, R„ a. a. O., S. 24.
198
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
346.2 Abschöpfungsstrategien Auf die im Vergleich zum Industriesektor relativierte Bedeutung der Abschöpfungsstrategien in der Distributionswirtschaft wurde bereits hingewiesen. Als distributive Abschöpfungsstrategien bezeichnen wir jene Normstrategien für die strategischen Geschäftseinheiten einer Handelsorganisation, die auf die Erarbeitung möglichst hoher positiver Cash-flow-Überschüsse bei gleichzeitiger Erhaltung des Marktanteils abzielen. Der hierfür primär in Frage kommende Bereich des Betriebstypen-Portfolios ist in Abb. 3-19 schraffiert eingetragen. Die Abgrenzung dieses Bereichs, der sich z. T. mit dem Investitionsbereich und jenem des selektiven Vorgehens überschneidet, kann aufgrund folgender Uberlegungen nachvollzogen werden. (1) Strategien zur Erhaltung des Marktanteils bzw. der relativen Wettbewerbsstärke einer SGE sind nur in jenen Situationen sinnvoll, in welchen die jeweiligen strategischen Geschäftseinheiten bereits über eine gute oder sehr gute relative Marktposition verfügen, die entweder nicht oder kaum mehr verbesserungsfähig ist oder aber für die betreffende SGE eine „Grenzmarke" darstellt, und zwar insofern, als deren Uberschreiten zu - aus gesamtunternehmerischer Sicht - suboptimalen Ergebnissen führen würde. (Dies beispielsweise dann, wenn die knappen unternehmungsinternen Ressourcen ertragreicher eingesetzt werden können zur Verbesserung des Marktanteils bzw. der relativen Marktposition anderer strategischer Geschäftseinheiten.) (2) Abschöpfungsstrategien können zudem nur auf solche strategische Geschäftseinheiten bezogen werden, die positive Cash-flow-Uberscbüsse erzielen. Die Cash-flow- bzw. Ertragsentwicklung einer SGE haben wir bereits früher als eines der bedeutendsten Teilkriterien für die Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile von strategischen Geschäftseinheiten qualifiziert.100 Je stärker nun der Faktor „Ertragsentwicklung" im Rahmen der Ermittlung der relativen Wettbewerbsstärke von strategischen Geschäftseinheiten gewichtet wird, um so stärker prägt deshalb auch der Wert der Ertragsentwicklung den Gesamtwert der relativen Wettbewerbsstärke einer SGE. Dies bedeutet aber - ceteris paribus - zugleich, daß eine SGE tendenziell um so weiter rechts von der Mitte des Betriebstypen- Portfolios positioniert ist, je höher ihre positiven Cash-flow-Überschüsse sind, und daß sie umgekehrt tendenziell um so weiter links von der Mitte der Portfolio-Matrix einzustufen ist, je höher ihre negativen Einnahmen/Ausgaben-Uberschüsse sind. 100 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 343.2 und insbesondere die Abbildungen 3-9 und 3-10.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
niedrig
33
mittel
67
hoch
199
100
Relative Wettbewerbsvorteile
Ziel: Strategien: Operative
Aktionen:
Cash-flow-Bilanz: ökonomischer Horizont: Bedeutung:
Die schraffierte Fläche stellt den Hauptbereich potentieller distributiver Abschöpfungsstrategien dar Marktanteilserhaltung bei gleichzeitiger Erzielung möglichst hoher positiver Cash-flow-Oberschüsse Abschöpfungsstrategien Die funktionalen Politiken und Aktionsprogramme müssen darauf gerichtet sein, die relative Wettbewerbsposition der SGE zu erhalten, Leistungsvorteile auszuspielen, Profilierungschancen zu nutzen und Kostensenkungspotentiale zu erschließen Positiv Je nach Portfolio-Position mittel- bis langfristig Die strategischen Geschäftseinheiten tragen zum gegenwärtigen und teilweise auch zum zukünftigen Gewinn der Handelsunternehmung bei und erfordern einen geringeren Ressourceneinsatz als die Investitionsstrategien
Abb. 3-19: Charakterisierung distributiver Abschöpfungsstrategien
200
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
(3) Der in Abb. 3-19 angegebene Primärbereich potentieller distributiver Abschöpfungsstrategien ergibt sich schließlich durch die Mitberücksichtigung der Wirkungsbereiche der übrigen Arten von Normstrategien innerhalb des Betriebstypen-Portfolios. Die Abschöpfungsstrategien sind aus strategischer Perspektive nicht nur deshalb so bedeutend, weil sie zum gegenwärtigen und teilweise auch zum zukünftigen Gewinn der Gesamtunternehmung beitragen, sondern insbesondere auch aufgrund der Tatsache, daß diese Gewinne zur Finanzierung von Diversifikations-, Wachstums- und/oder Mutationsstrategien verwendet werden können. 346.3 Desinvestitions- bzw. Mutationsstrategien Strategische Geschäftseinheiten in Positionen mit niedriger oder mittlerer Betriebstyp-Attraktivität und ebenfalls kleinen oder mittleren Wettbewerbsvorteilen erfordern im allgemeinen Desinvestitions- bzw. Mutationsstrategien (vgl. Abb. 3-20). Charakteristisch für die Distributionswirtschaft ist nämlich, daß strategische Geschäftseinheiten in diesen Positionen, d. h. in den linken, unteren Feldern der Portfolio-Matrix, in der Regel nicht mehr in der Lage sind, Gewinne zu erzielen; derartige Positionen deuten zumeist auf ein Eindringen der betreffenden SGE in die sog. Degenerationsphase, welche durch ständige Umsatzeinbußen und eine - vor allem im Handel - relativ ausgeprägte Kostenremanenz gekennzeichnet ist. Strategische Geschäftseinheiten in diesen Portfolio-Positionen sind deshalb zumeist defizitär; es drängt sich damit die Frage auf, ob sie desinvestiert oder mutiert (d. h. in eine andere Betriebsform umgewandelt) werden sollen. Desinvestitionsstrategien oder Strategien der „Betriebstypenschließung"101 werden von Handelsunternehmungen den Mutationsstrategien vorgezogen, wenn - sich die Verkaufsstellen der zu schließenden SGE für einen Umbau in einen attraktiveren Betriebstyp nicht eignen, sei es aus technischen oder rechtlichen Gründen oder infolge der zu geringen Standortattraktivität102, - eine Mutation in einen anderen (attraktiveren) Betriebstyp zwar möglich, aber nicht genügend erfolgsversprechend erscheint, - die Unternehmung für eine Mutationsstrategie die erforderlichen Ressourcen nicht besitzt bzw. sich nicht beschaffen kann, 101 Vgl. Tietz, B., Aspekte der Struktur- und Wachstumspolitik, in: Nieschlag, R. / Eckardstein, D. v. (Hrsg.), Der Filialbetrieb als System. Das Cornelius-Stüssgen-Modell, Köln 1972, S. 157. 102 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 355.1.
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niedrig
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hoch
201
100
Relative Wettbewerbsvorteile Marktanteilsabbau in bearbeiteten Branchen oder Betriebstypen bzw. Umwidmung der Betriebstypen (Mutation) Desinvestitions- bzw. Mutationsstrategien Strategien: Operative Aktionen: Die erforderlichen operativen Aktionsprogramme zur Bewältigung der Desinvestition bzw. Mutation sind im Rahmen eines situativ konzipierten Projekt-Managements zu bestimmen, einzuleiten und durchzuführen Cash-flow-Bilanz: a) Bei Desinvestitionsstrategien: bis zur Aufgabe bzw. Veräußerung der desinvestitionsverdächtigen strategischen Geschäftseinheiten im allg. negative Cash-flow-Bilanz; durch anschließende Veräußerung der SGE Einnahmenüberschüsse infolge von Liquidationserlösen b) Bei Mutationsstrategien: bis zur Mutation der betreffenden SGE im allg. negative Cash-flow-Bilanz; anschließende Mutation erfordert einen z. T. hohen Einsatz von Ressourcen ökonomischer Horizont: Kurzfristig Bedeutung: Die strategischen Geschäftseinheiten leisten infolge ihrer strategisch schlechten Lage im allg. keinen Beitrag zum Gewinn oder Wachstum der Handelsunternehmung und sind deshalb zu schließen bzw. umzuwid2iel:
Abb. 3-20: Charakterisierung distributiver Desinvestitions- und Mutationsstrategien
202
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
- die Unternehmung die zu schließende SGE preisgünstig veräußern kann, so daß der zu erzielende Liquidationserlös mindestens gleich groß ist wie die im Falle einer Mutation zu erwartende Summe der diskontierten jährlichen Netto-Uberschüsse, - die Unternehmung den durch eine Veräußerung der SGE zu erzielenden Cash-flow (kurzfristig) dringend benötigt. Angesichts des beschleunigten Umweltwandels, der sich vor allem auch in der sog. Dynamik der Betriebsformen103 widerspiegelt, kann es sich eine (Handels-) Unternehmung gewöhnlich nicht erlauben, ihre Ressourcen zu lange in Tätigkeitsgebieten zu binden, die keine oder zu niedrige Renditen erbringen.104 Was deshalb nottut, sind wohlüberlegt vorgenommene Desinvestitionen zur richtigen Zeit und am richtigen Ort; freilich wird dies oft einen vorhergehenden diesbezüglichen Einstellungswandel („a changing mentality"105) bei den mit solchen Entscheidungen konfrontierten Führungskräften voraussetzen. Handelsunternehmungen können aber auch die Standorte bzw. Verkaufslokale einer desinvestitionsverdächtigen strategischen Geschäftseinheit einer ertragreicheren Nutzung zuführen, indem sie den durch die SGE bzw. die Verkaufslokale repräsentierten Betriebstyp ändern und in einen attraktiveren umwandeln; derartige Strategien der „Betriebstypenumwidmung"106 bezeichnen wir als Mutations- oder Betriebstypänderungsstrategien. Mutationsstrategien sind immer mit - z. T. relativ aufwendigen - Ausbau- oder Umbauinvestitionen verbunden und erfordern deshalb verhältnismäßig hohe finanzielle Ressourcen. Ziel der Mutationsstrategien ist es, daß die einzelnen Betriebe oder Verkaufsstellen der umgewidmeten strategischen Geschäftseinheit nach erfolgter Aus- oder Umbauinvestition einen (neuen) Betriebstyp repräsentieren, der über höhere und längerfristige Gewinn- und Wachstumspotentiale verfügt. Hierbei können zwei verschiedene Varianten von Mutationsstrategien auseinandergehalten werden: (1) Mutationsstrategien, die zum Eintritt in völlig neue, d. h. von der Handelsunternehmung derzeit nicht bearbeitete Betriebstypen oder distributive Branchen führen (horizontale Diversifikationsstrategien); (2) Mutationsstrategien, die die Umwidmung eines Betriebstyps in einen anderen, attraktiveren, von der Handelsunternehmung aber bereits bearbeiteten Betriebstyp bewirken mit der Folge, daß die diesen Betriebstyp repräsentie103 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 123.233. 104 Vgl. dazu Kami, M. J., Planning in times of unpredictability, in: HSG-Weiterbildungsstufe, Seminarunterlagen, St. Gallen 1976, S. 21. 105 Vgl. Hoorn, T. P. van, Strategie Planning in Small and Medium-sized Companies, in: LRP, 12. Jg., April 1979, S. 90. 106 Vgl. Tietz, B., Aspekte der Struktur- und Wachstumspolitik, a. a. O., S. 157.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
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Legende:
Relative Wettbewerbsvorteile Ist-Position der strategischen Geschäftseinheiten Anvisierte Ziel-Position der bestehenden und geplanten strategischen Geschäftseinheiten Mutationsstrategie Wachstumsstrategie Diversifikationsstrategie
B K N W
= = = =
SGE SGE SGE SGE
„Bedienungsgeschäfte" „Kleinpreisgeschäfte" „Nachbarschaftsgeschäfte" „Warenhäuser"
D
=
Geplante SGE „Delikateß-Märkte"
Abb. 3-21: Mutationsstrategien (fiktive Beispiele)
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
204
rende strategische Geschäftseinheit dadurch an relativer Wettbewerbsstärke zunimmt (Wachstumsstrategien). Ein Beispiel für den erstgenannten Typus ist die in Abb. 3-21 dargestellte Umwidmung eines Teils der Verkaufsstellen der SGE „Bedienungsgeschäfte" in Betriebe bzw. Verkaufsstellen der geplanten SGE „Delikateß-Märkte". Beispiele für den ¿weitgenannten Typus sind (a) die Umwidmungen der restlichen Verkaufsstellen der SGE „Bedienungsgeschäfte" in moderne Nachbarschaftsgeschäfte, wodurch die relative Wettbewerbsposition der bestehenden SGE „Nachbarschaftsgeschäfte" gestärkt werden soll, und (b) die Umrüstung sämtlicher Kleinpreisgeschäfte zu leistungsstarken Warenhäusern, d. h. die Eingliederung der aufzugebenden und in der Verlustzone operierenden SGE „Kleinpreisgeschäfte" in die über hohe relative Wettbewerbsvorteile verfügende SGE „Warenhäuser".107 346.4 Selektive Strategien Selektive Strategien sind im allgemeinen für diejenigen strategischen Geschäftseinheiten zu formulieren, die in den durch die Diagonale durchkreuzten Feldern der Portfolio-Matrix positioniert sind (vgl. Abb. 3-22). Charakteristisch für diese Portfolio-Positionen ist nämlich, daß für die darin befindlichen strategischen Geschäftseinheiten nicht a priori festgelegt werden kann, ob eine Strategie der Marktanteilserweiterung bzw. -erhaltung (wie in den Feldern rechts von der Diagonale) oder aber eine Strategie des Marktanteilsabbaus (wie in den Feldern links von der Diagonale) zieladäquat ist. - Für jede SGE, die sich im Bereich des selektiven Vorgehens befindet, ist somit nach eingehender Analyse jeweils situativ zu bestimmen, welche (Betriebstypen-)Strategie am zweckmäßigsten einzuschlagen ist. Es zeigt sich nun, daß den drei Feldern des selektiven Bereichs jeweils ein unterschiedlicher Bedeutungsgehalt zukommt; wir unterscheiden deshalb drei Arten von selektiven Strategien:108 (1) Offensivstrategien, (2) Ubergangsstrategien und (3) Defensivstrategien. Offensivstrategien beziehen sich im allgemeinen auf strategische Geschäftseinheiten in Positionen mit hoher Betriebstyp-Attraktivität und niedrigen relativen 107 Eine ähnliche Strategie verfolgte in den 70er-Jahren der größte deutsche Warenhauskonzern, Karstadt, durch die Umrüstung der „Kepa"-Kleinpreisgeschäfte zu modernen „Karstadt"Warenhäusern. - Vgl. Käckenhoff, U., Trading up bei Karstadt: Wieder Schwung im Laden, in: mm, 9. Jg., H. 11, 1979, S. 189 f. 108 Vgl. Hinterhuber, H. H., Strategische Unternehmungsführung, a. a. O., S. 93 ff.
0
niedrig
33
mittel
67
hoch
100
Relative Wettbewerbsvorteile
(A)
Offensivstrategien: - Strategischer Primärzweck: Auswahl und Aufbau der zukünftigen Erfolgspotentiale und distributiven Tätigkeitsgebiete der Handelsunternehmung (Wachstums- und Diversifikationsstrategien) - Cash-flow-Bilanz: Kurz- bis mittelfristig negativ, langfristig positiv - ökonomischer Horizont: Langfristig - Alternative Betriebstypenstrategie: Aufgabe (Desinvestition bzw. Mutation) der zu geringen bzw. keinen Erfolg versprechenden strategischen Geschäftseinheiten (C) Defensivstrategien: - Strategischer Primärzweck: Cash-flow-Maximierung bei gleichzeitiger Erhaltung der Marktstellung der betreffenden strategischen Geschäftseinheiten (Abschöpfungsstrategien) - Cash-flow-Bilanz: Positiv - ökonomischer Horizont: Kurz- bis mittelfristig - Alternative Betriebstypenstrategien: Stufenweiser Abbau des Marktanteils; stufenweise Desinvestition bzw. Mutation; Desinvestition bzw. Veräußerung der gesamten SGE zu Höchstpreis (B) Übergangsstrategien: Die in Hinblick auf eine optimale Nutzung von Cash-flow- und Wachstumspotentialen geeigneten Betriebstypenstrategien sind pro SGE jeweils situativ zu bestimmen (für die strategischen Geschäftseinheiten in Positionen oberhalb der Diagonale sind im allg. Wachstumsbzw. Abschöpfungsstrategien am zweckmäßigsten) Abb. 3-22: Charakterisierung distributiver Selektivstrategien
206
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
Wettbewerbs vorteilen; derartige Geschäftseinheiten benötigen nämlich oft einen (möglichst raschen) expansiven Vorstoß, der nur durch die Verfolgung einer konsequenten Investitionsstrategie bewältigt werden kann. - Für strategische Geschäftseinheiten im linken, oberen Feld können sich aber in bestimmten Fällen auch Desinvestitions- oder Mutationsstrategien aufdrängen und zwar insbesondere dann, wenn sie seit längerer Zeit eine stark defizitäre Entwicklung aufweisen. Übergangsstrategien sind für diejenigen Geschäftseinheiten zu formulieren, die im mittleren Feld des Betriebstypen-Portfolios positioniert sind. Hier ist in jedem einzelnen Fall stets situativ zu prüfen, ob für die jeweilige SGE eine Investitionsstrategie - so vor allem eine Strategie der Marktgeltungserhöhung oder der Marktausschöpfung - , eine Abschöpfungsstrategie oder hingegen eine Mutations- bzw. Desinvestitionsstrategie aus strategischer Perspektive zu bevorzugen ist. Grundsätzlich werden aber in diesen Positionen (vor allem in jenen oberhalb der Diagonale) Investitions- und Abschöpfungsstrategien den Vorzug genießen. Für strategische Geschäftseinheiten, die sich durch eine niedrige BetriebstypAttraktivität, aber hohe relative Wettbewerbsvorteile auszeichnen, ist im aligemeinen eine Defensivstrategie erforderlich. In einer derartigen strategischen Lage ist es nämlich in der Regel am zweckmäßigsten, den Cash-flow bei gleichzeitiger Erhaltung der relativen Wettbewerbsposition zu maximieren (Abschöpfungsstrategie). - Die situativen Gegebenheiten können aber auch dafür sprechen, den Marktanteil sukzessive abzubauen oder die betreffende SGE rechtzeitig zu mutieren bzw. desinvestieren.
346.5 Die Beurteilung und Auswahl der Betriebstypen-Strategien Bevor nun die einzelnen Betriebstypen-Strategien beschlossen werden, sind sie einer genauen Prüfung bzw. Beurteilung zu unterziehen. Von zentraler Bedeutung ist hierbei die Frage, welche der vorhandenen Strategiealternativen geeignet sind, die jeweils pro SGE festgelegten strategischen Ziele zu erreichen, d.h. die im Ziel-Betriebstypen-Portfolio für die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten jeweils anvisierte Wettbewerbsposition innerhalb der hierfür vorgesehenen Fristen herbeizuführen.109 Ein derartiges Beurteilungs- und Entscheidungsproblem stellt sich selbstverständlich nur dann, wenn pro SGE mehrere Alternativen von BetriebstypenStrategien vorhanden bzw. bekannt sind. Dies wird beispielsweise insbesondere
109 Vgl. hierzu die Ausführungen in den Abschnitten 345.4 und 345.5.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
207
für strategische Geschäftseinheiten zutreffen, die Wachstums- oder Diversifikationsziele verfolgen; Expansionsstrategien können nämlich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Strategietypen realisiert werden,- die zudem jeweils mehrere strukturpolitische Alternativen bzw. Gestaltungsmöglichkeiten zulassen. - Die unterschiedlichen strategischen Alternativen, die ein Erreichen der (zuvor) festgesetzten strategischen Ziele der betreffenden SGE als grundsätzlich möglich erscheinen lassen, sind somit im Rahmen eines geeigneten Verfahrens zu
Slir>-
Entscheidungskriterien
Strategische Alternativen
Muß-Kriterien: -
A
B
Ja/Nein
Ja/Nein
Verträglichkeit mit Unternehmungsleitbild Verträglichkeit mit anderen Strategien Tragbarkeit des Risikos Ausreichende Finanzierungsbasis Ausreichender Zeitbedarf für Realisierung Ubereinstimmung mit anvisierter Zielrichtung (ZielPortfolio)
Soll-Kriterien:
(1) Strategische
Gewicht
WZ
Gewichtete WZ
WZ
Gewichtete WZ
Ziele:
- Return on investment - Cash-flow - Gewinn bzw. Deckungsbeitrag - Marktanteil - Umsatz - Gesamtverkaufsfläche
(2) Fähigkekspotential: - Einsatzmöglichkeiten vorhandener Ressourcen, Fähigkeiten und Stärken - Erzielbare Synergieeffekte Summe der gewichteten Wertezahlen (WZ) Abb. 3-23: Entscheidungsanalyse zur Beurteilung und Auswahl strategischer Alternativen
208
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
qualifizieren. Infolge der notwendigen Einbeziehung einer Mehrzahl von Zielen bzw. Kriterien in die Entscheidungsanalyse erweist sich die Methode der Nutzwertanalyse110 als hierfür am ehesten geeignet (vgl. Abb. 3-23). Strategien zeichnen sich nämlich dadurch aus, daß sie stets ein ganzes Bündel von Ergebnissen und Konsequenzen implizieren, deren wichtigste in jeder Entscheidungsanalyse Berücksichtigung finden sollten. Als wichtigste Kriterien sind deshalb die - in einer früheren Phase festgelegten bedeutendsten strategischen Ziele (wie z. B. ROI, Cash-flow, Gewinn, Dekkungsbeitrag, Marktanteil, Umsatz, Gesamtverkaufsfläche) in die Nutzwertanalyse aufzunehmen und zu gewichten; die strategischen Alternativen sind in der Folge bezüglich ihres potentiellen Zielerreichungsgrads zu bewerten. Außer den Zielen sind aber auch die Variablen des unternehmungsinternen Fähigkeits- und, Synergiepotentials in die Entscheidungsanalyse mit einzubeziehen. In der Praxis zeigt sich nämlich immer wieder, daß diejenigen Strategiealternativen, die an bestehenden Leistungs- und Know-how-Segmenten anknüpfen, eine tendenziell höhere Erfolgswahrscheinlichkeit besitzen; dies gilt insbesondere auch für das Ausnützen von Synergiepotentialen.111 Im Handel kann ein synergetischer Effekt - der oft auch als „2 + 2 = 5"-Effekt 112 bezeichnet wird zum Beispiel dadurch erzielt werden, daß zusammen mit einem Verbrauchermarkt gleichzeitig ein SB-Restaurant errichtet wird; das Restaurant erhöht die Einkaufsatmosphäre bzw. -bequemlichkeit des Verbrauchermarktes, und umgekehrt steigert dieser die Besucherfrequenz des SB-Restaurants. Wären diese zwei Geschäfte hingegen standortmäßig voneinander getrennt, so entfiel die synergetische Wirkung. Bei der Beurteilung unterschiedlicher Strategiealternativen ist auch die Einhaltung sog. Muß-Kriterien zu überprüfen. Da anläßlich der Bestimmung des strategischen Ziel-Betriebstypen-Portfolios die generelle Zielrichtung sowie die strategischen Ziele für die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten bereits festgelegt wurden, müssen an dieser Stelle somit nur noch diejenigen SGEspezifischen Strategiealternativen evaluiert werden, die mit der für die jeweilige SGE anvisierten Zielrichtung grundsätzlich übereinstimmen (vgl. das entsprechende Muß-Kriterium in Abb. 3-23). Wurde für eine bestimmte SGE als 110 Vgl. dazu Brauchlin, E., Problemlösungs- und Entscheidungsmethodik, Bern/Stuttgart 1978, S. 217 ff. - Anwendungsbeispiele dieses Verfahrens finden sich z. B. auch bei Hinterhuber, H . H . , Strategische Unternehmungsführung, a . a . O . , S. 119 und Bircher, B., Langfristige Unternehmungsplanung, a. a. O., S. 370. 111 Vgl. Pümpin, C., Führungskonzeption und strategische Führung, in: HSG-Weiterbildungsstufe (Hrsg.), Strategische Führung - Frühwarnung, Strategieentwicklung und -durchsetzung, St. Gallen 1978, S. 2. 112 Vgl. Asnoff, H. I., Corporate Strategy, New York 1965, S. 75; Newman, W. H. /Logan, J. P., a. a. O., S. 71.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
209
generelle Zielrichtung beispielsweise eine weitere Erhöhung ihrer Marktstellung beschlossen, so sind anläßlich der Beurteilung und Auswahl der hierfür geeigneten Betriebstypenstrategien sämtliche Strategiealternativen nicht-expansiver Natur als zielinadäquat zu betrachten und deshalb nicht weiter zu verfolgen. Entstehen hingegen Zweifel an der Richtigkeit der - in einer früheren Phase festgelegten - strategischen Ziele und anvisierten Zielposition für eine bestimmte SGE, dann können im Rahmen einer Gesamtevaluation nochmals sämtliche für die SGE in Frage kommenden Betriebstypenstrategien beurteilt und geprüft werden; hierbei kann ebenfalls die in Abb. 3-23 dargestellte Nutzwertanalyse angewandt werden.113 Als Resultat einer derartigen Totalevaluation könnte sich für die betreffende SGE dann allerdings eine geänderte Position im ZielBetriebstypen-Portfolio mit einer daraus hervorgehenden Änderung der strategischen Ziele ergeben. Ist sich die Handelsunternehmung nach der Durchführung der Entscheidungsanalyse (Abb. 3-23) über die zur Erreichung der SGE-spezifischen strategischen Ziele jeweils geeignetsten Betriebstypenstrategien im klaren, dann sind in einer abschließenden Phase sämtliche daraus resultierenden finanziellen Auswirkungen im Rahmen einer Planungsrechnung zu ermitteln und in der Folge zu konsolidieren. Die konsolidierten Ergebnisse sind in periodenorientierten Planbilanzen und Planerfolgsrechnungen festzuhalten.114 In der Praxis hat es sich hierbei oft bewährt, den diesbezüglichen Berechnungen jeweils eine Minimal-, Realistisch- und Maximalvariante zugrundezulegen.115 Für den Fall des Eintreffens insbesondere der Minimalvariante, d. h. einer ungünstigen Situation, sind sodann - soweit möglich - im Rahmen einer sog. Alternativplanung („contingency planning")116 situationsgerechte Alternativstrategien und dazugehörige Aktionsprogramme bereitzuhalten.
347 Die Bestimmung distributionsfremder Strategien und der Gesamtstrategie Mit der in den vorangehenden Ausführungen erwähnten Auswahl der Betriebstypenstrategien ist die distributive Mehrfachstrategie zur Erreichung der im Ziel-Betriebstypen-Portfolio anvisierten Positionen für die einzelnen strategi113 Das Muß-Kriterium „Ubereinstimmung mit der anvisierten Zielrichtung" wäre folgerichtig zu streichen. 114 Vgl. Kienbaum, G. (Hrsg.), Strategische Unternehmensführung, Band 1: Unternehmensleitung, München 1976, S. 168. 115 Vgl. Bossard, H., Strategieentwicklung im Großhandel, in: Krulis-Randa, J. S. (Hrsg.), Entwicklungstendenzen im Handel, Bern/Stuttgart 1979, S. 65 f. 116 Vgl. dazu z. B. Rothschild, W. E., Putting It All T o g e t h e r - A Guide to Strategie Thinking, New York 1976, Ch. 12.
210
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
sehen Geschäftseinheiten festgelegt. Die Unternehmungsleitung wird hierbei in der Regel - wie aus Abb. 3-23 ersichtlich - jeweils jene Betriebstypenstrategie für die einzelne SGE auswählen, deren gewichtete Wertezahl am höchsten ist. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil der in Abb. 3-23 dargestellten Entscheidungsanalyse Kriterien zugrunde liegen, die u. a. auch die von den strategischen Alternativen ausgehenden koordinativen und integrativen Wirkungen mitberücksichtigen. Die definitive Festlegung der Betriebstypenstrategien und deren Integration zu einer distributiven „Mehrfrontenstrategie" wird in den meisten Fällen letztendlich aber erst durch das persönliche und intuitive Urteil der kompetenten Führungskräfte möglich sein, die die Ergebnisse der eingesetzten planungstechnischen Methoden und Instrumente zu qualifizieren haben. Die Koordination und Integration der distributiven Strategien sollte hierbei von der Leitmaxime geprägt sein, ein unter Portfolio-Gesichtspunkten ausgewogenes System von Betriebstypenstrategien zu beschließen.117 Für alle jene Handelsorganisationen, die keine vertikale und/oder laterale Diversifikationen118 aufweisen, und ein diesbezügliches Engagement auch nicht beabsichtigen, ist mit der Auswahl und Koordination der Betriebstypenstrategien zugleich die Gesamtstrategie festgelegt. - Hingegen setzt sich bei vertikal und/oder lateral diversifizierten „Handels"-Unternehmungen die Gesamtstrategie aus (1) distributiven Strategien (d. h. Betriebstypenstrategien) und (2) distributionsfremden Strategien (d. h. vertikalen und/oder lateralen Diversifikationsstrategien) zusammen. Entscheidungen über vertikale Diversifikationsstrategien problematisieren im Handel stets die Frage nach der optimalen Wahl zwischen Eigenherstellung und (dem für den Handel charakteristischen) Fremdbezug. Für den Einstieg einer Handelsorganisation in den ihr funktional vorgelagerten Produktionssektor können die unterschiedlichsten Motive ausschlaggebend sein, so insbesondere: (1) marketingpolitische Beweggründe (einheitliches Sortiment, einheitliches System von Handelsmarken, einheitliches Produktmanagement, eigenständige Preispolitik usw.); (2) finanzpolitische Beweggründe (Kostensenkungspotentiale, rungschancen; Ertragslage usw.);
Rationalisie-
117 Vgl. dazu die in Abschnitt 345.4 beschriebenen Postulate bzw. Anforderungen an eine optimale Festlegung des Ziel-Betriebstypen-Portfolios. 118 Zur Begriffsklärung vgl. die Ausführungen in Abschnitt 346.122.
34 Die Festlegung der strategischen Ziele mit Hilfe des Betriebstypen-Portfolios
211
(3) beschaffungspolitische Beweggründe (Beschaffungssicherung, Vereinheitlichung und Konzentration des Bestellwesens usw.); (4) logistische Beweggründe (Rationalisierung der Lagerhaltung, der physischen Warendistribution usw.); (5) organisatorische Beweggründe (Entflechtung der gegenwärtigen Handelsunternehmung, Konglomeratsbildung usw.); (6) übergeordnete Beweggründe (Eintritt in Wachstumsbranche; Unabhängigkeit; Macht; persönliche Präferenzen der Unternehmensleitung usw.). Allerdings ist mit aller Deutlichkeit auch zu betonen, daß der Eigenproduktion des Handels eine Reihe von potentiellen Gefahren anhaftet, die hauptsächlich darin begründet sind, daß die Handelsorganisation sich von ihrem angestammten Aufgabenkreis in einen ihr fremden, andersgearteten Tätigkeitsbereich begibt.119 Die bedeutendsten Nachteile bzw. Argumente gegen die Eigenproduktionsaufnahme von Handelsunternehmungen sind vor allem: (1) das fehlende Fähigkeitspotential bzw. Know-how; (2) der Verlust an Flexibilität, Dynamik und Reaktionsvermögen infolge der Gebundenheit der Marketing- und Beschaffungspolitik; (3) die suboptimale bzw. falsch gesteuerte Allokaton der unternehmerischen Ressourcen insbesondere aufgrund einer „unverhältnismäßigen Kapitalbindung für einen beschränkten Sortimentsausschnitt"120; (4) die zu erwartenden Kostennachteile gegenüber der Herstellkonkurrenz (wie z. B. höhere Stückkosten infolge zu geringer Produktionsmengen; Leerkosten infolge mangelhafter Abstimmung zwischen Produktions- und Absatzkapazität). Entscheidungen über vertikale Diversifikationsstrategien bedürfen stets einer vorhergehenden detaillierten Abwägung der damit verbundenen positiven und negativen Konsequenzen und vor allem auch der Mitberücksichtigung nichtrechenbarer Kriterien.121 Allgemein gilt, daß vertikale Diversifikationsstrategien von Handelsorganisationen besonders dann nicht verfolgt werden sollen, wenn deren Realisierung die Erreichung der distributiven Ziele und Strategien nicht fördert bzw. sogar in Frage stellt. Ähnliches gilt für die lateralen Diversifikationsstrategien von Handelsunterneh119 Vgl. Zimmermann, A., Einkauf oder Selbstherstellung als Entscheidungsproblem im Handelsbetrieb, Diss. Zürich 1979, S. 49. 120 Zimmermann, A., a. a. O., S. 50. 121 Vgl. dazu Dreibholz, H.-J., Betriebswirtschaftliche Überlegungen zur vertikalen Rückwärtsintegration - unter besonderer Berücksichtigung einer Genossenschaft des Lebensmitteleinzelhandels, Diss. Münster 1972, S. 117 ff.
212
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
mungen. Da diese ein Engagement in - dem Handel völlig fremden - Tätigkeitsgebieten implizieren, sollte im Rahmen der Beurteilung eventuell vorhandener lateraler Diversifikationsoptionen geprüft werden, ob deren Verwirklichung - eine Abrundung der gegenwärtigen distributiven Tätigkeitsbereiche durch dem Handel relativ nahestehende Dienstleistungsbereiche (wie z. B. Transport-, Speditions-, Reparatur- und Gastronomiegewerbe) zur Folge hätte, oder - zur Unterstützung der distributiven Ziele und Strategien beitragen würde (sei es lediglich indirekt aufgrund zu erzielender überdurchschnittlich hoher Erträge - z. B. in der Touristikbranche - oder direkt aufgrund der Errichtung bzw. des Erwerbs hierfür geeigneter Unternehmen - z. B. von Finanzierungsoder Immobiliengesellschaften). Ein Beispiel für eine umfassende vertikale und laterale Diversifikationsstrategie einer ursprünglich reinen Handelsorganisation wurde bereits in Abschnitt 346.122 dargestellt (vgl. Abb. 3-17). Zur Gesamtstrategie der Unternehmung gelangen wir nun durch die Koordination und ausgewogene Integration aller distributiven bzw. Betriebstypenstrategien und distributionsfremden Strategien; im Falle einer bereits vertikal und/oder lateral diversifizierten Handelsorganisation gehören hierzu die Normstrategien der vorhandenen Produktions- bzw. Dienstleistungsbetriebe ebenso wie eventuell neu geplante vertikale bzw. laterale Diversifikationsstrategien.
35 Die Bestimmung der strategischen Subziele und der Betriebsstrategien mit Hilfe des Betriebs-Portfolios Unsere Ausführungen über das strategische Distributionsmanagement haben sich hinsichtlich des Objektbereichs bisher auf strategische Geschäftseinheiten beschränkt, die wir als Aggregate von Verkaufsstellen, Verkaufsgeschäften bzw. Betrieben mit jeweils gleichem Betriebstyp bezeichnet haben. Mittels einer modifizierten, handelsspezifischen Portfolio-Methodik, des Betriebstypen-Portfolios, können für die strategischen Geschäftseinheiten die strategischen Ziele und die zu deren Realisierung erforderlichen Betriebstypenstrategien formuliert werden. - Obwohl nun diese strategischen Geschäftseinheiten jeweils innerhalb einer abgegrenzten geographischen Region (z. B. auf Länderebene) operieren, wäre eine Festlegung von Unternehmungszielen und -Strategien auf dieser Abstraktionsstufe - so wichtig sie auch ist - für sich allein genommen noch zu wenig operational, da sie den situativen Gegebenheiten der einer SGE angehörenden Verkaufsstellen bzw. Handelsbetriebe zu wenig Rechnung trägt.
35 Die Bestimmung der strategischen Subziele und der Betriebsstrategien
213
Es bedarf deshalb neben dem Betriebstypen-Portfolio eines zweiten Portfolios, das auf einer niedrigeren Abstraktionsstufe steht und sich auf die einzelnen lokalen Verkaufsstellen bzw. Handelsbetriebe bezieht; wir wollen dieses im folgenden als „Betriebs-Portfolio" bezeichnen. Die Aufgabe des BetriebsPortfolios liegt darin sicherzustellen, daß die unternehmungsinterne Ziel- und Strategienfestlegung nicht auf einem zu hohen Abstraktionsniveau stehenbleibt122, sondern zusätzlich für die einzelnen lokalen Betriebe spezifische, konkrete und präzise Ziele und Strategien festgelegt werden. Die diesbezüglichen Ziele bezeichnen wir infolge ihres instrumentellen Charakters als strategische Teil- oder Subziele, die entsprechenden Strategien als Betriebsstrategien.
351 Die strategischen Ziele als Bezugsrahmen für die entsprechenden strategischen Subziele Selbstverständlich können die strategischen Teil- oder Subziele für die einzelnen Betriebe nicht vollkommen autonom formuliert werden. Wie schon in Abschnitt 321.2 erwähnt wurde, stehen die strategischen Teilziele in einer Mittel/ZweckRelation zu den ihnen übergeordneten strategischen Zielen der betreffenden SGE. Auf eine einzelne S G E (z. B. nationale Verbrauchermarkt-Tochtergesellschaft) bezogen bedeutet dies, daß die strategischen Subziele für die jeweiligen ihr angehörenden Handelsbetriebe (im Beispiel: für die lokalen Verbrauchermärkte) so zu bestimmen sind, daß sie in ihrer Gesamtheit die Erreichung der strategischen Ziele der betreffenden SGE erwarten lassen (vgl. Abb. 3-24).
Abb. 3-24: Mittel/Zweck-Relation zwischen strategischen Subzielen und übergeordnetem strategischen (Primär-)Ziel 122 Auf die diesbezügliche Gefahr der Portfolio-Methodik wird hingewiesen bei Hamermesh, R. G. / Anderson, M. J. / Harris, J. E., Strategies for low market share businesses, in: HBR, 56. Jg., May-June 1978, S. 96.
214
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
352 Die Betriebstypenstrategien als Bezugsrahmen für die entsprechenden Betriebsstrategien Eine analoge Mittel/Zweckoder Instrumentalbeziehung besteht zwischen den Betriebsstrategien und den ihnen übergeordneten Betriebstypenstrategien. Demnach sind die einzelnen lokalen Normstrategien für die einer SGE angeschlossenen Handelsbetriebe, d. h. die Betriebsstrategien, so zu formulieren, daß diese in ihrer Gesamtheit die Realisation der für die betreffende SGE beschlossenen Betriebstypenstrategie herbeiführen (vgl. Abb. 3-25). Wurde beispielsweise für eine bestimmte SGE (z. B. Supermarkt-Tochtergesellschaft) eine Investitionsstrategie mit dem Ziel der Verbesserung der relativen Wettbewerbsposition beschlossen, so bleibt im Hinblick auf die Festlegung der Betriebsstrategien (im Beispiel: der Normstrategien für die einzelnen lokalen Supermärkte) durchaus die Möglichkeit offen, für einzelne Verkaufsstellen (Supermärkte) etwa eine Desinvestition oder Mutation zu beschließen. Es ist lediglich durch eine entsprechende Anzahl betrieblicher Investitionsstrategien (Ladenerneuerungen bzw. Neueröffnungen von Supermärkten) dafür Sorge zu tragen, daß die Betriebsstrategien in ihrer Gesamtheit die erwünschte relative Positionsverbesserung der SGE (Supermarkt-Tochtergesellschaft) auszulösen vermögen.
Abb. 3-25: Mittel/Zweck-Relation zwischen Betriebsstrategien und übergeordneter Betriebstypenstrategie
353 Begriff und Methodik des Betriebs-Portfolios Das in den nachfolgenden Abschnitten näher erläuterte Betriebs-Portfolio dient als Instrument zur Formulierung von Zielen und Strategien für die einzelnen (Handels-)Betriebe oder Verkaufsstellen. Das Betriebs-Portfolio weist eine
35 Die Bestimmung der strategischen Subziele und der Betriebsstrategien
215
analoge Konzeption auf wie das ihm übergeordnete, auf einer höheren Abstraktionsstufe einsetzbare Betriebstypen-Portfolio; die sinngemäßen Modifikationen beziehen sich auf den Objektbereich, die Dimensionen und den Aussagegehalt des Betriebs-Portfolios. (1) Zum Objektbereich: Den Objektbereich des Betriebs-Portfolios bilden die einzelnen regional verstreuten Verkaufsstellen, Verkaufsgeschäfte bzw. Verkaufslokale, die wir vereinfachend als (Handels-)Betriebe bezeichnen; um die strategische Bedeutung dieser Betriebe zu betonen, werden wir als Synonym für „Betrieb" auch die angelsächsische Bezeichnung „Strategie Center" (SC) gebrauchen. (2) Zu den Dimensionen: Auf der horizontalen Achse (Abszisse) der BetriebsPortfolio-Matrix werden die relativen Wettbewerbsvorteile gemessen, nunmehr allerdings auf den einzelnen lokalen Betrieb bezogen; auf die einzelnen für eine objektive und transparente Ermittlung der relativen Wettbewerbsstärke erförderlichen diesbezüglichen Haupt- und Teilkriterien wird in Abschnitt 355.2 näher eingegangen. Die vertikale Achse (Ordinate) ist insofern zu modifizieren, als unter dieser Perspektive größtes Augenmerk auf die Ermittlung und Messung der lokalen, standortbezogenen Attraktivität der jeweiligen Verkaufsstellen bzw. Betriebe zu richten ist; diese standortspezifische Attraktivität werden wir im folgenden als „Betriebsattraktivität" bezeichnen. - Wie wir in Abschnitt 355.1 sehen werden, entwickeln sich auch (Einzel-)Handelsbetriebe nach einer bestimmten, jedoch jeweils eigenständigen Lebenszykluskurve; es zeigt sich, daß für deren Verständnis vor allem die Kenntnis der im Einzelfall vorliegenden Betriebsattraktivität von besonderer Bedeutung ist. (3) Zum Aussagegehalt: Zweck und Aufgabe des Betriebs-Portfolios ist es, je nach Konstellation der pro Betrieb ermittelten Dimensionswerte (Betriebsattraktivität und relative Wettbewerbsstärke) Auskunft zu erteilen über - mögliche und geeignete strategische Subziele für die einzelnen Handelsbetriebe und - die grundsätzlich zu präferierenden Betriebsstrategien. Das Grundschema des Betriebs-Portfolios ist in Abb. 3-26 dargestellt. Auf die einzelnen Aspekte dieser Methodik wird in den nachfolgenden Ausführungen detaillierter eingegangen.
354 Der Objektbereich des Betriebs-Portfolios Den Objektbereich des Betriebs-Portfolios stellen die jeweiligen einer bestimmten Handelsorganisation angehörenden Handelsbetriebe bzw. Verkaufsstellen dar, auch „Strategie Centers" (SC) genannt. Wir können drei Arten von Strategie Centers unterscheiden:
216
:
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
S
1
8
niedrig
33
mittel
Objektbereich: = lokale (Handels-)Betriebe bzw. Verkaufsstellen = Strategie Centers (SC) Normstrategien für die
Betriebe:
Investitions- bzw. Abschöpfungsstrategien Selektive Strategien Desinvestitions- bzw. Mutationsstrategien Abb. 3-26: Grundschema des Betriebs-Portfolios
67
hoch
100
Relative Wettbewerbsvorteile (des einzelnen Betriebs)
35 Die Bestimmung der strategischen Subziele und der Betriebsstrategien
217
(1) existente Betriebe (wie z. B. einzelne Diskontgeschäfte, Supermärkte, SBCenters, Verbrauchermärkte und dgl. mehr), (2) geplante Betriebe (wie z. B. geplante Neueröffnungen von Diskontgeschäften, Supermärkten und dgl. mehr) und (3) imaginäre Betriebe (wie z. B. prüfenswerte Neueröffnungsprojekte von Diskontgeschäften, Supermärkten und dgl. mehr). Für eine Positionierung im Betriebs-Portfolio eignen sich neben sämtlichen existierenden Betrieben ebenso die geplanten und imaginären Betriebe. Anstelle der Bestimmung der relativen Wettbewerbsstärke hat bei diesen Betrieben lediglich jene der mutmaßlichen relativen Wettbewerbsvorteile zu treten;123 die Ermittlung der Betriebsattraktivität bleibt in allen drei Fällen gleich, sofern die Standorte der geplanten bzw. imaginären Betriebe hinreichend bekannt sind.124 Nochmals sei darauf hingewiesen, daß die (tatsächlichen und geplanten) Betriebe idealtypisch betrachtet jeweils einer bestimmten SGE angehören, die dadurch charakterisiert ist, daß sie die Verkaufsstellen mit gleicher Betriebsform innerhalb eines abgegrenzten geographischen Gebiets unter eine einheitliche Leitung subsumiert. 355 Die Dimensionen des Betriebs-Portfolios 355.1 Die Betriebsattraktivität Die Betriebsattraktivität stellt die vertikale Dimension der Betriebs-PortfolioMatrix dar. Sie drückt die durch das eigene betriebliche bzw. unternehmerische Verhalten grundsätzlich nicht beeinflußbare lokale, standortspezifische Attraktivität der jeweils untersuchten Handelsbetriebe bzw. Verkaufsstellen aus. Die (exogen determinierte) Attraktivität einer Verkaufsstelle setzt sich aus zwei Hauptkomponenten zusammen: (1) aus der generellen Attraktivität des durch die Verkaufsstelle verkörperten Betriebstyps, d. h. der Betriebstyp-Attraktivität schlechthin125, und (2) aus der spezifischen Standort-Attraktivität le.
der betreffenden Verkaufsstel-
Die Attraktivität einer einzelnen Verkaufsstelle bzw. eines konkreten (Einzel-)Handelsbetriebs ist aus naheliegenden Gründen durch die generelle Attraktivität des Betriebstyps geprägt, aber keineswegs vollkommen festgelegt. Für die 123 Vgl. dazu die analogen Ausführungen in Abschnitt 345.2. 124 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 355.1. 125 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 343.1.
218
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
lokale Attraktivität eines Handelsbetriebs erweisen sich nämlich die jeweils situativ unterschiedlichen Standortfaktoren als mindestens ebenso bedeutend. Die aus strategischer Sicht besonders interessierenden Standortfaktoren bzw. Kriterien der Standort-Attraktivität sind vor allem - die verkehrstechnische Situation, - die lokale bzw. regionale Konsumsituation, d. h. die standortspezifische Verbraucherstruktur und das Verbraucherverhalten, sowie - die spezifische Konkurrenzsituation, zu welcher insbesondere „das Auftreten und Verhalten gleicher oder innovativer Wettbewerber und deren Anpassung an eigene Strategien"126 gehört. Eine Auswahl der wichtigsten Kriterien zur Bestimmung der Betriebsattraktivität ist zusammenfassend in Abb. 3-27 wiedergegeben. In Hinblick auf eine möglichst objektive, transparente und vor allem auch quantitative Ermittlung der Betriebsattraktivität sind - die einzelnen Haupt- und Teilkriterien jeweils betriebsspezifisch auszuwählen und zu gewichten127 und sodann - einer quantitativen Bewertung zu unterziehen; hierzu kann das in Abb. 3-8 dargestellte Verfahren angewandt werden. (1) Betriebstyp-Attraktivität (generell) D. h.: Generelle Attraktivität des durch den einzelnen Betrieb verkörperten Betriebstyps (vgl. Abb. 3-7) (2) Standort-Attraktivität (konkret für den einzelnen Betrieb) (a) Verkehrsgeographie und infrastrukturelle Attraktivität - Standort bzw. Quartier mit „Sogwirkung" - zentrale City- oder Vorortslage - Erreichbarkeit mit privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln - Anzahl Parkplätze - spezielle Bauvorschriften und -auflagen (b) Verbraucherstruktur und -verhalten - Anzahl Einwohner (im relevanten Einzugsgebiet) - soziale Schichtung und Ausgabeverhalten - Einkaufsgewohnheiten und Konsumentenpräferenzen - Gesamt-Kaufkraft (im relevanten Einzugsgebiet) - lokales Marktpotential und -volumen (c) Konkurrenzintensität und -struktur - Anzahl Konkurrenten (im relevanten Einzugsgebiet) - Angebot an Verkaufsfläche (im relevanten Einzugsgebiet) - Art und Bedeutung der wichtigsten Konkurrenten Abb. 3-27: Kriterien zur Bestimmung der Betriebsattraktivität 126 Berger, S., Ladenverschleiß: heute top, morgen tot?, in: Gottlieb Duttweiler-Institut (Hrsg.), Chancen im Handel: Innovation statt Stagnation, Zürich-Rüschlikon 1977, S. 8. 127 Die Bestimmung der Attraktivität von Betrieben derselben SGE sollte anhand einer möglichst einheitlichen Auswahl und Gewichtung der Kriterien erfolgen.
35 Die Bestimmung der strategischen Subziele und der Betriebsstrategien
219
Wir haben in Abschnitt 343.1 anläßlich der Diskussion der BetriebstypAttraktivität darauf hingewiesen, daß diese in engem Zusammenhang zu sehen ist mit dem idealtypischen Modell des Lebenszyklus der Betriebsformen bzw. -typen (Abb. 3-6). - Zahlreiche empirische Studien haben bestätigt, daß auch die jeweiligen (Einzel-)Handelsbetriebe bzw. -geschäfte einen bestimmten Lebenszyklus durchlaufen, der in seiner idealtypischen Form sehr stark mit dem Modell des Lebenszyklus von Betriebsformen übereinstimmt, wenngleich z. T. erhebliche Unterschiede in der zeitlichen Dauer der einzelnen Phasen auftreten. Der idealtypische Lebenszyklus von Einzelhandelsbetrieben weist ebenfalls die vier bekannten Phasen der Einführung, des Wachstums, der Reife und der Degeneration auf. Ein Zusammenhang zwischen dem Lebenszyklus von Handelsbetrieben und der lokalen, standortspezifischen Attraktivität dieser Betriebe besteht nun insofern, als aufgrund der Lebenszyklusphase Rückschlüsse auf die Betriebsattraktivität gezogen werden können. Handelsbetriebe, die sich in der Einführungs- oder Wachstumsphase befinden, verfügen im allgemeinen über eine überdurchschnittlich hohe Attraktivität, wogegen sich bei Betrieben in der Reife- bzw. Degenerationsphase die Attraktivität in der Regel sukzessive vermindert. Diese Verminderung der Betriebsattraktivität geht gewöhnlich einher mit einer zunehmenden Wirkung der sog. Store Erosion, die „den Verschleiß aller Leistungskomponenten eines Einzelhandelsbetriebes"128 bezeichnet. Die in Abb. 3-28129 im Rahmen des idealtypischen Lebenszyklusmodells von Einzelhandelsbetrieben dargestellten Wirkungsphasen der Store Erosion bewirken eine jeweils zunehmende Verminderung des Leistungspotentials des Handelsbetriebes, und zwar aufgrund der Veränderung des inner- und außerbetrieblichen Datenkranzes in der Zeit.130 (Die Veränderung des außerbetrieblichen Datenkranzes entspricht hierbei weitgehend der Veränderung der Betriebsattraktivität.) Die Kenntnis der Store Erosion als Phase des Lebenszyklus eines Einzelhandelsbetriebes ermöglicht die rechtzeitige Initiierung von Gegensteuerungsmaßnahmen, die die Wirkungsweise der Store Erosion abzuschwächen bzw. im günstigsten Fall für eine gewisse Zeitdauer zu neutralisieren vermögen; angestrebt wird zumeist eine möglichst weite Ausdehnung der Reifephase, um ein Eintreten des Handelsbetriebes in die Degenerationsphase so lange wie möglich zu vermeiden. Gegensteuerungsmaßnahmen für die Wirkungsphasen I, II bzw. III der Store Erosion (Abb. 3-28) sind vor allem konsequent durchgeführte Ladenverbesserungs- und -erneuerungsstrategien in den betroffenen Einzelhandelsbetrieben.131 Befindet sich eine Verkaufsstelle dagegen bereits in 128 129 130 131
Berger, S., Ladenverschleiß (Store Erosion)..., a. a. O., S. 4. Vgl. Berger, S., Ladenverschleiß (Store Erosion).. ., a. a. O., S. 194. Vgl. Berger, S., Ladenverschleiß (Store Erosion).. ., a. a. O., S. 73. Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 358.12.
35 Die Bestimmung der strategischen Subziele und der Betriebsstrategien
221
der Degenerationsphase, so wird oft nur durch eine Mutationsstrategie 132 eine sog. Wiedergeburt („second life" 133 ) dieser Verkaufsstelle - dann allerdings in der Verkörperung einer neuen Betriebsform - herbeigeführt werden können.
355.2 Die relativen Wettbewerbsvorteile Für die Formulierung der adäquaten Betriebsstrategien bedarf es aber auch des Wissens um die relativen Wettbewerbsvorteile der betroffenen Handelsbetriebe. Während durch die Ermittlung der Betriebsattraktivität die aus betrieblicher Sicht grundsätzlich unbeeinflußbaren bzw. bestenfalls marginal beeinflußbaren Erfolgsfaktoren der lokalen Umwelt abgeschätzt werden, bezweckt die Ermittlung der vom einzelnen Handelsbetrieb beeinflußbaren, unternehmensinternen Erfolgsfaktoren bzw. Wettbewerbsvorteile die Kenntnis über die relative Wettbewerbsstärke des Betriebs im Vergleich zu seinem (oder seinen) stärksten Konkurrenten. Soll die Bestimmung der relativen Wettbewerbsstärke bzw. -vorteile auf möglichst operationale, objektive und transparente Weise erfolgen, so sind die folgenden drei Voraussetzungen zu beachten: (1) Es ist eine den betrieblichen Gegebenheiten Rechnung tragende geeigneter Kriterien und Subkriterien zu treffen.
Auswahl
(2) Die ausgewählten Haupt- und Teilkriterien der relativen Wettbewerbsvorteile sind sodann einer betriebsspezifischen Gewichtung zu unterziehen; es ist allerdings darauf zu achten, daß für die Betriebe derselben SGE, d. h. für Betriebe mit gleicher Betriebsform, die Kriterien jeweils einheitlich ausgewählt und gewichtet werden. (3) Schließlich sind die jeweiligen betriebsspezifischen Ausprägungsgrade der Haupt- und Teilkriterien auf eine quantitative Weise zu bewerten; hierzu kann das in Abb. 3-10 dargestellte Verfahren in analoger Form angewandt werden. Eine mögliche Auswahl geeigneter Haupt- und Teilkriterien zur Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile von Handelsbetrieben ist in Abb. 3-29 wiedergegeben. Aus naheliegenden Gründen ergeben sich große Ähnlichkeiten zwischen dem in Abb. 3-29 dargstellten Kriterienkatalog und jenem in Abb. 3-9. Auf die
132 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 358.3. 133 Vgl. Dhalla, N . K. / Yuspeh, S., Forget the product life cycle concept!, in: H B R , 54. Jg., Jan.-Feb. 1976, S. 103.
222
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
einzelnen in Abb. 3-29 aufgelisteten Kriterien wird hier aus Platzgründen allerdings nicht näher eingegangen.
(1) Relative Marktposition des Betriebs bzw. des SC - Lokaler Marktanteil des SC - Umsatzentwicklung des SC - Ertrags- bzw. Gewinnentwicklung des SC (2) Relatives Beschaffungspotential des SC - Einkaufsvolumen - Zugang zu Lieferanten - Zugang zu Konditionen - Belieferungssituation (3) Relatives Logistikpotential des SC - Organisation der innerbetrieblichen Warenmanipulationsprozesse - Lagerkapazitäten und -Wirtschaftlichkeit (4) Relatives Marketingpotential des SC - Image - Zielgruppen-Profilierung - Ladenatmosphäre und Erscheinungsbild - Sortimentsstärke - Preisführerschaft und -vorteile - Werbepotential und -Wirksamkeit - Kundenbeziehungen - Servicestärke - Adaptionsfähigkeit an sich ändernde lokale Konsumentenpräferenzen (5) Relatives Humanpotential des SC - Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Führungskräfte und Mitarbeiter - Kundenorientierung und Freundlichkeit des Verkaufspersonals - Betriebsklima (6) Relatives Unterstützungspotential durch die SGE und die Gesamtunternehmung - Größe, Ertragslage und Finanzkraft der SGE und der Gesamtunternehmung - Know-how und Fähigkeitspotential der SGE und der Gesamtunternehmung - Image der SGE und der Gesamtunternehmung Relativ: Im Vergleich zum stärksten Konkurrenten Abb. 3-29: Kriterienkatalog zur Bestimmung der relativen Wettbewerbsvorteile eines einzelnen Handelsbetriebes bzw. Strategie Center (SC)
Für die Gewichtung der Kriterien, die stets untemehmensindividuell durchzuführen ist, kann der allgemeine Grundsatz aufgestellt werden: Dem Kriterium der relativen Marktposition des Handelsbetriebs bzw. Strategie Center (SC) ist stets das mit Abstand höchste Gewicht beizumessen, denn die diesbezüglichen Teilkriterien wie lokaler Marktanteil, Umsatz- und Ertragsentwicklung sind die in Zielgrößen formulierten Erfolgsfaktoren eines Handelsbetriebs schlechthin. Allerdings bedarf es für eine hinreichende Ermittlung der Wettbewerbsstärke eines Betriebs bzw. einer Verkaufsstelle zusätzlich bestimmter als „Potentiale" definierter Erfolgsfaktoren (vgl. Abb. 3-29, Punkte 2 bis 6). Von diesen seien hier
35 Die Bestimmung der strategischen Subziele und der Betriebsstrategien
223
lediglich zwei der wichtigsten Teilkriterien des „relativen Marketingpotentials" genannt, die infolge ihrer generell hohen strategischen Bedeutung stets gebührend innerhalb des Kriterienkatalogs zu gewichten sind: das Image und die Zielgruppen-Profilierung des (Einzel-)Handelsbetriebs. Entscheidend ist hierbei insbesondere, ob es dem einzelnen Handelsbetrieb (bzw. der dahinter stehenden strategischen Geschäftseinheit) gelingt, sich zu profilieren, d. h. ein ihm eigenes, individuelles und positiv gefärbtes Image bei der Konsumentenschaft zu erzeugen.134 Schließlich führt die „Übereinstimmung von Image und Verbraucherwünschen, -neigungen und -Vorstellungen . . . erfahrungsgemäß zum größten Umsatzerfolg."135
356 Überblick über die generelle Aussagekraft des BetriebsPortfolios Sind pro Verkaufsstelle die relativen Wettbewerbsvorteile und die Betriebsattraktivität ermittelt, so können diese Handelsbetriebe bzw. Strategie Centers im Betriebs-Portfolio positioniert werden. Der Aussagegehalt des Betriebs-Portfolios besteht dann darin, für den einzelnen Betrieb je nach Lage im BetriebsPortfolio die optimale Zielrichtung und Normstrategie anzugeben. Ein Vergleich der beiden Abbildungen 3-5 und 3-26 zeigt, daß das BetriebsPortfolio für die einzelnen Portfolio-Positionen bzw. -Felder dieselben Zielrichtungen und Normstrategien (Investitions-, Abschöpfungs-, Desinvestitions-, Mutations- und selektive Strategien) postuliert wie das zuvor behandelte Betriebstypen-Portfolio. - Demnach sind für die lokalen Betriebe bzw. Verkaufsstellen, die sich in der Zone der Marktanteilserweiterung bzw. -erhaltung, d. h. im rechten, oberen Portfolio-Bereich, befinden, Investitions- oder Abschöpfungsstrategien zu wählen. Auf betrieblicher Ebene unterteilen wir die Investitionsstrategien in (1) Ladenverbesserungs- und -erneuerungsstrategien, sofern sie sich auf bestehende Verkaufsstellen beziehen, sowie in (2) Neueröffnungsstrategien, sofern es sich um noch nicht existierende, dafür aber geplante Verkaufsstellen handelt. Während die Ladenverbesserungs- und -erneuerungsstrategien Konkretisierungen von SGE-spezifischen Strategien der Marktgeltungserhöhung sind, 134 „A store for maximum success, must have true character - its own character." Vgl. Ornstien, E. J., The Retailers. A Study in successful marketing and promotion, London 1976, S. 20 (Ornstien verwendet die Bezeichnung „character" als Synonym für „image"). 135 Eggert, U., Marketing-Planung: Strategien für offensives Handeln, in: RH, 19. Jg., H. 6, 1976, S. 41.
224
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
bezwecken die betrieblichen Neueröffnungsstrategien die Realisierung von SGE-spezifischen Marktausschöpfungs-, Gebietsexpansions- und/oder horizontalen Diversifikationsstrategien.136 Werden für Verkaufsstellen mit positiven Cash-flow-Uberschüssen keine nennenswerten Investitionen für die nächste Planperiode vorgesehen, die Erhaltung ihrer relativen Marktposition vielmehr durch das Ausspielen der erworbenen relativen Wettbewerbsvorteile angestrebt, so handelt es sich um betriebliche Abschöpfungsstrategien. Wie aus Abb. 3-28 klar hervorgeht, ist im Handel die Erzielung positiver Deckungsbeiträge in der Regel nur in der Wachstums- und Reifephase der betrieblichen Lebenszykluskurve gewährleistet; demzufolge sind Abschöpfungsstrategien im allgemeinen nur für Betriebe bzw. Verkaufsstellen in Positionen rechts von der Mitte der Betriebs-Portfolio-Matrix sinnvoll bzw. möglich. Die adäquaten Normstrategien für Betriebe, die sich in der Zone des Marktanteilsabbaus, d. h. im linken unteren Bereich der Portfolio-Matrix befinden, sind Desinvestitions- oder Mutationsstrategien. Eine betriebliche Desinvestitionsstrategie impliziert die Schließung bzw. Veräußerung der betroffenen Verkaufsstelle; eine betriebsbezogene Mutationsstrategie bezweckt die durch Um- oder Ausbauinvestitionen vorzunehmende Umwidmung des durch die Verkaufsstelle verkörperten - zumeist unattraktiven - Betriebstyps. Für Betriebe, die in der Zone des selektiven Vorgehens, d. h. in den Feldern auf der Diagonale der Betriebs-Portfolio-Matrix positioniert sind, kann gemäß der Portfolio-Methodik nicht a priori eine bestimmte generelle Normstrategie als zieladäquat festgelegt werden; vielmehr bedarf es in diesen Fällen stets einer vorhergehenden situationsspezifischen Analyse der betreffenden Verkaufsstelle, ehe eine Entscheidung über die optimale betriebliche Normstrategie möglich ist. Abschließend sei darauf hingewiesen, daß ein stures, situativen Gegebenheiten nicht Rechnung tragendes Vorgehen entsprechend der Betriebs-PortfolioMethodik nicht zielführend sein kann: Wie bereits erwähnt, sind die Ziele und Strategien der jeweils einer bestimmten SGE angehörenden Betriebe bzw. Verkaufsstellen so auszuwählen, daß sie in der Summe die Realisierung der SGEbzw. betriebstypenbezogenen Unternehmungsziele und -Strategien herbeizuführen vermögen. Diesbezügliche strategische Entscheidungen werden von den betroffenen Führungskräften neben dem erforderlichen methodischen und fachlichen Wissen vor allem auch intuitive Fähigkeiten - wie etwa klares Urteilsvermögen und gesunden Menschenverstand - erfordern.
136 Vgl. dazu Abb. 3-14.
35 Die Bestimmung der strategischen Subziele und der Betriebsstrategien
225
357 Die Bestimmung der strategischen Subziele Das Vorgehen zur Festlegung der strategischen (Sub-)Ziele für die einzelnen Betriebe bzw. Verkaufsstellen entspricht im großen und ganzen der in Abschnitt 345 dargestellten Vorgehensweise zur Bestimmung der strategischen Ziele für die übergeordneten strategischen Geschäftseinheiten. Da im Rahmen der Ermittlung der SGE-bezogenen strategischen Ziele das verfügbare Finanzierungspotential der Gesamtunternehmung bereits abgeschätzt worden ist und jede aus einer bestimmten ^Anzahl von Verkaufsstellen zusammengesetzte SGE einen aus strategischer Perspektive optimalen Betrag an Finanzierungsmitteln zugewiesen erhalten hat, sind für die Festlegung der strategischen Subziele noch folgende vier Schritte zu bewältigen: (1) Erstellung des Ist-Betriebs-Portfolios der Unternehmung; (2) Positionierung von Wachstums- und Diversifikationsoptionen im BetriebsPortfolio; (3) Festlegung des Ziel-Betriebs-Portfolios und (4) Ableitung der strategischen Subziele mit anschließender Allokation von Finanzierungsmitteln an die einzelnen Betriebe bzw. Verkaufsstellen.
357.1 Das Ist-Betriebs-Portfolio der Unternehmung Sobald für sämtliche Handelsbetriebe bzw. Verkaufsstellen die jeweils standortspezifische Betriebsattraktivität sowie die konkreten relativen Wettbewerbsvorteile ermittelt sind, können diese Strategie Centers im Ist-Betriebs-Portfolio der Handelsunternehmung eingetragen werden. Aus Gründen der verbesserten Ubersicht und Anschaulichkeit empfiehlt es sich hierbei im allgemeinen, für sämtliche Betriebe der gleichen SGE eine jeweils eigene (Betriebs-)PortfolioMatrix zu verwenden. Ein derartiges Beispiel ist in Abb. 3-30 wiedergegeben. Während im oberen Teil der Abb. 3-30 das bereits aus Abb. 3-11 bekannte Beispiel eines \st-Betriebstypen-Vortio\ios nochmals dargestellt ist, enthält der untere Teil der Abb. 3-30 einen Ausschnitt eines möglichen Ist-BetriebsPortfolios; der Ausschnitt beschränkt sich auf die Visualisierung der strategischen Lage der bestehenden lokalen Verkaufsstellen bzw. Betriebe (hier: Verbrauchermärkte) einer einzelnen strategischen Geschäftseinheit (hier: nationale Verbrauchermarkt-Tochtergesellschaft). Wie aus Abb. 3-30 ersichtlich, vermag das Betriebs-Portfolio wesentlich konkretere - eben standortspezifische - Informationen zu vermitteln als das auf einem höheren Abstraktionsniveau operierende Betriebstypen-Portfolio, das die strategischen Ist-Daten einer Handelsorganisation in überaus verdichteter Form darstellt. Die Erstellung des Ist-BetriebsPortfolios ist erst abgeschlossen, nachdem für sämtliche Betriebe der Handelsor-
226
3 Die Festlegung der Unternehmungsziele und -Strategien
f\
Ist-Betriebstypen-Portfolio
Struktur 2 —» Strategie 3 —* Struktur 3 usw. Daraus geht hervor, daß umgekehrt auch die bestehende Organisationsstruktur die Festlegung von Strategien beeinflußt, „und zwar dadurch, daß sie den strategischen Prozeß erleichtert oder erschwert".4 Oft zeigt sich nämlich, daß Unternehmungen zuerst einer Neukonzeption ihrer Organisationsstruktur, d. h. einer Reorganisation, bedürfen, um danach eine strategische Neuanpassung möglichst wirkungsvoll zu bewältigen. Die These Chandlers, daß „die Struktur der Strategie folge" (Hypothese A), ist deshalb zu ergänzen durch die Hypothese 2 Chandler, Jr. A. D., Strategy and Structure: Chapters in the History of the American Industrial Enterprise, Cambridge (Mass.) 1962, S. 14. 3 Gabele, E., Unternehmungsstrategie und Organisationsstruktur, in: ZfO, 48. Jg., H. 4, 1979, S. 182. 4 Hinterhuber, H. H., Strategie und Organisation, in: Peemöller, V. H . (Hrsg.), Führung in Organisationen. Theoretische Ansätze - Praktizierte Formen - Internationale Entwicklungen, Berlin 1979, S. 30.
270
5 Die Gestaltung der Organisation und des Führungskonzeptes
B: „die Strategie folgt der Struktur" („strategy follows structure"5). Abb. 5-2 verdeutlicht diesen Zusammenhang:
Abb. 5-2: Hypothese B: Die Strategie folgt der Struktur
Es kann somit davon ausgegangen werden, daß zwischen den beiden Variablen „Strategie" und „Struktur" eine wechselseitige Beziehung herrscht, denn die Organisationsstruktur einer Unternehmung ist - auf der Ebene der strategischen Betrachtungsweise - gleichzeitig Instrument zur Durchsetzung von Strategien wie auch Voraussetzung, um überhaupt sinnvolle Strategien entwickeln zu können6 (vgl. Abb. 5-3)7.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß es an sich weniger wichtig ist, genaueste Kenntnis über die zugrunde liegenden Kausalzusammenhänge zu besitzen, als vielmehr zu versuchen, Strategie und Struktur harmonisch aufeinander abzustimmen.8 Im Kontext der hier repräsentierten strategischen Unternehmungsführung wird diese Abstimmung zwischen Strategie und Organisationsstruktur - der sog. 5 Baligh, H. H . / Burton, R. M., Marketing in Moderation - The Marketing Concept and the Organization's Structure, in: LRP, 12. Jg., April 1979, S. 93. 6 Vgl. Malik, F., Unternehmungsorganisation und strategisches Management, in: HSG-Weiterbildungsstufe (Hrsg.), Strategische Führung - Frühwarnung, Strategieentwicklung und -durchsetzung, St. Gallen 1978, S. 2. 7 Baligh, H. H. / Burton, R. M., a. a. O., S. 93. 8 Vgl. Galbraith, J. R. / Nathanson, D. A., Strategy Implementation: The Role of Structure and Process, St. Paul etc. 1978, S. 142.
51 Die Gestaltung der Organisation
271
strategy-structure fit9 - allerdings bevorzugt nach dem Prinzip „structure follows strategy" erfolgen, weil der Organisationsstruktur im Hinblick auf die Strategierealisierung eine im allgemeinen instrumentale Funktion zukommt. Dies gilt grundsätzlich jedoch nicht für die (erstmalige) organisatorische Einrichtung von strategischen Geschäftseinheiten und Strategie Centers, die organisatorische Voraussetzungen sind für die Formulierung adäquater Unternehmungsstrategien.
513 Die Bildung der strategischen Geschäftseinheiten (SGE) und der Strategie Centers (SC) in Handelsorganisationen Die Definition und organisatorische Einrichtung von strategischen Geschäftseinheiten wird oft als erster Schritt für die Implementierung eines Systems der strategischen Unternehmungsführung bezeichnet. Es ist hierbei Aufgabe der Unternehmungsleitung, das Unternehmungsganze in relativ autonome strategische Geschäftseinheiten aufzuteilen, die jeweils ein bestimmtes, strategisch relevantes Umfeldsegment mit eigenen Chancen, Bedrohungen und Tendenzen repräsentieren.10 Die Einführung von strategischen Geschäftseinheiten erfordert in vielen Fällen eine Änderung der bestehenden Organisationsstruktur der (Handels-)Unternehmung. Wie wir schon weiter oben erwähnt haben11, ist nämlich eine SGE in der Distributionswirtschaft dadurch charakterisiert, daß sie im allgemeinen jeweils sämtliche Betriebe oder Verkaufsstellen eines bestimmten Betriebstyps in einem geographisch abgegrenzten Gebiet zu einer schlagkräftigen und relativ autonomen organisatorischen Einheit zusammenfaßt (vgl. Abb. 5-4). Um zu einem sinnvollen System von distributiven strategischen Geschäftseinheiten zu gelangen, sind an die Definition bzw. Festlegung einer SGE zahlreiche Anforderungen zu stellen, so vor allem:12 (1) die Möglichkeit der Erarbeitung eigenständiger Ziele, Strategien und funktionaler Politiken bzw. Aktionsprogramme für die SGE; (2) die Abhebung von der Konkurrenz und Identifizierbarkeit von SGEspezifischen Wettbewerbern; (3) die Eigenständigkeit der Marktaufgabe der SGE; 9 Vgl. dazu Galbraith, J. R. / Nathanson, D. A „ a. a. O., S. 3 f. und 60. 10 Vgl. hierzu auch Ansoff, H . I., Managing Surprise and Discontinuity - Strategie Response to Weak Signals. Die Bewältigung von Überraschungen - Strategische Reaktionen auf schwache Signale, in: zfbf, 28. Jg., 1976, S. 143 f. 11 Vgl. dazu vor allem die Ausführungen in Abschnitt 342. 12 Vgl. hierzu Hinterhuber, H. H., Die organisatorische Umsetzung der strategischen Planung im Unternehmen, in: ZfB, 48. Jg., H. 5, 1978, S. 428.
272
5 Die Gestaltung der Organisation und des Führungskonzeptes
—.
Regionen
Betriebstypen SB-Geschäfte (bis 200 m2 VF) SB-Märkte (200-400 m2 VF)
INLAND BRD I
II
III
SGEi SGEj
IV
CH
GB
USA
CAN
V
SGE 2 SGE,
SGEi
SGEs
Diskont-Märkte Supermärkte
SGE?
SGE,
SGE,
SGEio
SB-Centers Verbrauchermärkte
SGEii
SGE, 2
C & C-Märkte
SGEu
SGEh
SGE 15 SGE,*
Warenhäuser Einrichtungsmärkte usw.
Legende: I - V = geographisch abgegrenzte Inlandsregionen (z. B. Bundesländer) V F = Verkaufsfläche Abb. 5-4: Die Bildung von strategischen Geschäftseinheiten in Abhängigkeit der Segmentierung nach Betriebstypen und geographischen Absatzgebieten (Regionen)
(4) die Gesellschaftsrelevanz der Marktaufgabe, d. h. die Orientierung an einem eindeutig definierbaren und andauernden Kundenproblem; (5) die Erreichbarkeit relativer Wettbewerbsvorteile durch die S G E ; (6) die eigenständige kurz- und langfristige Ergebnisverantwortung; (7) die relative Unabhängigkeit der SGE von den anderen strategischen Geschäftseinheiten der Unternehmung (im Rahmen des von der Unternehmungsleitung genehmigten strategischen Plans); (8) die Führungseffizienz bzw. -Wirtschaftlichkeit, d. h. zunächst die ökonomisch vertretbare Einrichtung einer SGE-spezifischen Führungsorganisation.
51 Die Gestaltung der Organisation
273
Die organisatorische Eingliederung der strategischen Geschäftseinheiten erfolgt im allgemeinen auf der zweiten hierarchischen Ebene der Organisationsstruktur von Handelsunternehmungen („Sekundärorganisation"13 der Unternehmung). Da sich nun eine SGE im Handel aus einer Mehrzahl von lokalen Verkaufsstellen, Verkaufsgeschäften bzw. Betrieben (des gleichen Betriebstyps) zusammensetzt, ist somit gleichzeitig die „Tertiärorganisation" der Handelsunternehmung mitumrissen; diese konstituiert sich aus der Gesamtzahl der den einzelnen strategischen Geschäftseinheiten jeweils angehörenden Verkaufsstellen bzw. Betriebe, die wir in der Terminologie des strategischen Managements mit dem synonymen Begriff der „Strategie Centers" (SC) bezeichnen wollen (vgl. Abb. 5-5).
Abb. 5-5: Die hierarchische Einordnung der strategischen Geschäftseinheiten (SGE) und Strategie Centers (SC) in die Organisationsstruktur von Handelsunternehmungen
Der Ausdruck „Strategie Center" soll verdeutlichen, daß selbst der einzelnen, auch noch so kleinen Verkaufsstelle in der Distributionswirtschaft stets eine strategische Bedeutung zukommt, die zudem jeweils im Kontext der strategischen Gesamtausrichtung der Handelsunternehmung zu sehen ist. Eine einzelne 13 Vgl. hierzu Hinterhuber, H . H., Die organisatorische Umsetzung der strategischen Planung im Unternehmen, a. a. O., S. 427.
274
5 Die Gestaltung der Organisation und des Führungskonzeptes
Verkaufsstelle kann somit erst dann als Strategie Center bezeichnet werden, wenn sie in einem bewußten Gestaltungsakt zum Objektbereich des strategischen Distributionsmanagements erklärt worden ist.14 Demgegenüber bereitet (auf einem höheren Abstraktionsniveau) die Gestaltung der Organisationsstruktur gemäß dem idealtypischen Gliederungsprinzip der strategischen Geschäftseinheiten u. U. zahlreiche Schwierigkeiten und erfordert zumeist relativ aufwendige Reorganisationsmaßnahmen. Will oder kann die betreffende Handelsunternehmung kurz- bis mittelfristig eine entsprechend konzipierte strategiegerechte Organisationsform nicht adoptieren, so haben sich die Führungskräfte - sofern sie an einer strategischen Ausrichtung interessiert sind - anläßlich des Prozesses der Strategieformulierung und -implementierung des bereits erwähnten Instruments der lediglich „gedanklich" oder „imaginär" existierenden strategischen Geschäftseinheiten zu bedienen.15 Abschließend sei noch kurz auf die Unterscheidung zwischen der SGEorientierten und der Profit-Center-Organisation eingegangen.16 Die SGE strebt nach Uberwindung der Nachteile, die aus der Fragmentierung der Unternehmenstätigkeiten in Profit-Centers resultieren; die Optimierung der relativ autonomen Profit-Centers führt in der Regel nicht zum Optimum der Gesamtunternehmung, sondern vielmehr zu einer Suboptimierung des Gesamtsystems und einem Verlust an interner finanzieller Mobilität. Demgegenüber ermöglicht die SGE-orientierte Organisationsform eine von der obersten Unternehmensleitung gesteuerte ausgewogene Entwicklung der einzelnen Teilbereiche, indem die Unternehmungsleitung über die einzelnen strategischen Optionen bzw. Vorgehensmöglichkeiten selbst entscheidet und auf diese Weise das Verhältnis zwischen den einzelnen Normstrategien und den dazugehörigen Cash-flowStrömen aus der Sicht der Gesamtunternehmung optimiert.
514 Zur Festlegung der strategieadäquaten Aufbauorganisation in Handelsunternehmungen Wir wollen im folgenden einige grundsätzliche aufbauorganisatorische Gestaltungsmöglichkeiten darstellen, die sowohl für die Durchsetzung der festgelegten Strategien geeignet sind, als auch dazu beitragen, den Prozeß der Strategieformulierung wirkungsvoll zu unterstützen.
14 Vgl. dazu die Ausführungen insbesondere in Abschnitt 35. 15 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 342. 16 Vgl. zum folgenden Hinterhuber, H. H., Strategische Unternehmensführung. Strategieformulierung - Strategieauswahl - Strategie und Organisation, in: HI, H. 1, 1979, S. 13.
51 Die Gestaltung der Organisation
275
Die konkrete Gestaltung der (formalen) Organisationsstruktur hängt stets von den situativen, unternehmungsspezifischen Verhältnissen ab; in Hinblick auf eine strategiegerechte Gestaltung der Organisationsstruktur ist hierbei das Hauptaugenmerk auf die organisatorische Eingliederung der strategischen Geschäftseinheiten und der Strategie Centers (Verkaufsstellen) zu richten. Grundsätzlich können in der Distributionswirtschaft vier bedeutende organisatorische Hauptgestaltungsalternativen unterschieden werden: 17 (1) die Organisation nach Funktionsbereichen, (2) die Divisionalorganisation, (3) die Regionalorganisation und (4) die Matrixorganisation. Wie wir später jedoch noch sehen werden, eignen sich in Hinblick auf eine strategiegerechte organisatorische Einbindung der strategischen Geschäftseinheiten und Strategie Centers nur die letzten drei der genannten aufbauorganisatorischen Strukturtypen. Beschränken wir uns zunächst auf die Eingliederung der strategischen Geschäftseinheiten in die Organisationsstruktur von Handelsunternehmungen, d. h. auf die Gestaltung der sog. Sekundärorganisation. (1) Entspricht die Art der Spezialisierung auf der zweitobersten Hierarchieebene der Unternehmung dem sog. Verrichtungsprinzip, liegt somit eine funktionale Organisationsstruktur bzw. eine Gliederung nach Funktionsbereichen vor, dann können die strategischen Geschäftseinheiten im Handel lediglich dem Funktionsbereich „Verkauf" zugeordnet werden (vgl. Abb. 5-6). Eine derartige Beschränkung der Kompetenzen (und Verantwortlichkeiten) der SGE-Leiter auf lediglich jene Aufgaben, die die Verkaufsdurchführung bzw. das sog. Operating 18 beinhalten, wäre mit den Postulaten der (relativen) organisatorischen Unabhängigkeit und der eigenständigen Ergebnisverantwortung der strategischen Geschäftseinheiten nicht zu vereinbaren; in Hinblick auf eine möglichst wirkungsvolle strategische Ausrichtung ist diese Organisationsform für Handelsunternehmungen deshalb grundsätzlich nicht geeignet. (2) Hingegen sind die Anforderungen, die an die Definition von strategischen Geschäftseinheiten gestellt werden19, erfüllt, wenn die strategischen Geschäftseinheiten gemäß dem Divisional- oder Spartenprinzip als eigenstän17 Vgl. hierzu Drexel, G., Führungsorganisation und -information in einem diversifizierten Handelsunternehmen - im Rahmen eines größeren Konzerns. Analyse und Gestaltungsvorschläge, Diplomarbeit St. Gallen 1976, S. 62 ff. 18 Vgl. dazu z. B. Barth, K., Führung der Handelsbetriebe, in: Tietz, B. (Hrsg.), Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, a. a. O., Sp. 644 f. 19 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 513.
276
5 Die Gestaltung der Organisation und des Führungskonzeptes
51 Die Gestaltung der Organisation
277
dige Divisionen der Unternehmungsleitung direkt untergeordnet sind (divisionale Organisationsstruktur). Zum Zwecke der Erzielung gewisser Produktivitäts- und Synergieeffekte können hierbei - ohne die strategische Eigenständigkeit der Divisionen zu gefährden - bestimmte distributive Kernfunktionen (z. B. Warenlagerung, Einkauf des Kernsortiments) aus dem Aufgabenbereich der strategischen Geschäftseinheiten ausgegliedert und in der Folge sog. zentralen Dienststellen übertragen werden (vgl. Abb. 5-7).
Zentrale Dienststellen
i — i — r
i — i — i
Divisionen
SGE 1
SGE 2
SGE 3
Supermärkte
Verbrauchermärkte
Warenhäuser
Abb. 5-7: Gliederung nach Divisionen (divisionale Organisationsstruktur)
(3) Operiert die Handelsunternehmung in mehreren, absatzseitig getrennten geographischen Regionen, so kann sie in den einzelnen Regionen sog. regionale Zentralen errichten (regionale Organisationsstruktur); die regionalen Zentralen sind dann ihrerseits in eigenständige (regionale) Divisionen aufgegliedert (vgl. Abb. 5-8). (4) Die funktionale, divisionale und regionale Organisation sind jedoch nicht mehr Alternativen, sondern (mehr oder weniger) gleichwertige Dimensionen mit geteilter Verantwortung, wenn die Handelsunternehmung nach dem Prinzip einer Matrix-Organisation strukturiert ist. In Hinblick auf eine strategiegerechte Organisationsstruktur ist hierbei als primäres Gliederungskriterium stets das Divisionalprinzip, d. h. hier das Prinzip der Gliederung nach strategischen Geschäftseinheiten, zu wählen, wogegen als zweite Dimension entweder bestimmte Funktionsbereiche (zentrale Dienststellen) oder aber gewisse Regionen (regionale Zentralen) fungieren können (vgl. Abb. 5-9). Die Problematik einer derartigen Matrix-Organisation dürfte wohl in der Regelung der zahlreichen Kompetenzkreuzungen und der damit in Zusammenhang stehenden Aufteilung der Verantwortlichkeiten gegeben sein.
278
5 Die Gestaltung der Organisation und des Führungskonzeptes
Abb. 5-8: Gliederung nach Regionen (regionale Organisationsstruktur)
Nach der Integration der strategischen Geschäftseinheiten in die Organisationsstruktur der Handelsunternehmung gilt es, die einzelnen Strategie Centers (Verkaufsstellen, Handelsgeschäfte bzw. -betriebe) auf eine strategisch richtige Weise in die Aufbauorganisation der betreffenden Handelsorganisation bzw. der ihnen jeweils übergeordneten SGE einzugliedern (Gestaltung der „Tertiärorganisation" der Handelsunternehmung); die diesbezüglichen organisatorischen Fragenkomplexe beziehen sich somit lediglich auf die jeweils SGE-interne Gebildestrukturierung. Für die Strukturierung einer einzelnen SGE können nun auf analoge Weise die vier unterschiedenen organisatorischen Hauptgestaltungsalternativen herangezogen werden: (1) die Gliederung nach Funktionsbereichen bzw. die funktionale Organisationsstruktur: die einzelnen Verkaufsstellen werden (evt. gegliedert nach Verkaufsbezirken) dem Leiter des SGE-internen Funktionsbereichs „Verkauf" unterstellt; (2) die Gliederung nach Sub-Divisionen, d. h. hier nach Verkaufsstellen bzw. Strategie Centers, die relativ autonom sind und vorwiegend durch SGEinterne Stabs- und Dienststellen unterstützt werden (divisionale Organisationsstruktur); (3) die Gliederung nach Verkaufsbezirken innerhalb der einzelnen SGE (regionale Organisationsstruktur): hierbei können die einzelnen jeweils einem
51 Die Gestaltung der Organisation
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Abb. 5-9: Gliederung nach Divisionen und Regionen (Matrixorganisation)
Verkaufsbezirk angehörenden Verkaufsstellen bzw. Strategie Centers entweder einer Bezirksleitung oder direkt der SGE-Leitung unterstellt werden; die Bezirksleitung kann aber auch einer sog. Kopf-Filiale, d. h. einer größeren, mit dem hierfür erforderlichen Fähigkeitspotential ausgestatteten Verkaufsstelle übertragen werden, die in einem System der sog. Anhänge-Organisa-
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5 Die Gestaltung der Organisation und des Führungskonzeptes
Abb. 5-10: Unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten des Prinzips der Gliederung nach Regionen (Verkaufsbezirken) innerhalb einer SGE
51 Die Gestaltung der Organisation
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iio« 20 eine Doppelfunktion wahrnimmt: Sie übernimmt einmal Aufgaben für die angeschlossenen „Anhänge-Filialen" bzw. -Verkaufsstellen und zum anderen diejenigen für den eigenen Betrieb (vgl. Abb. 5-10); (4) schließlich besteht die Möglichkeit einer zweidimensionalen Gliederung der SGE gemäß dem Prinzip der Matrixorganisation; während die einzelnen Verkaufsstellen bzw. Strategie Centers in diesem Fall die erste Dimension bilden, können als Variablen der zweiten Dimension bestimmte SGE-interne Dienststellen oder aber gewisse Verkaufsbezirke (Verkaufsbezirksleitungen) fungieren. Was die organisatorische Einrichtung von zentralen Dienststellen betrifft, so ist in Hinblick auf eine strategiegerechte Gestaltung der Organisationsstruktur vor allem darauf zu achten, daß sowohl auf der Ebene der Unternehmungs- bzw. Konzernzentrale als auch auf jener der einzelnen SGE-Leitungen die Aufgabenkomplexe der Planung und insbesondere der strategischen Planung organisatorisch verselbständigt und als entsprechende Stabs- bzw. Dienststellen in die Unternehmungshierarchie eingebaut werden. Ein diesbezüglicher Trend ist seit mehreren Jahren vor allem in US-amerikanischen Unternehmungen zu verzeichnen.21 - Auch werden in Zukunft mehrere Handelsunternehmungen dazu übergehen, eigene Innovationsstellen22 zu errichten, die als zentrale Stabsstellen Aufgaben übernehmen wie etwa die Prüfung bestimmter Diversifikationsoptionen (z. B. neuer Betriebstypen), die Prüfung von Akquisitions-, Fusions- und Kooperationsprojekten und dgl. mehr. Im Rahmen einer (stets nur temporär gültigen) Projekt-Organisation sollten zur Bewältigung dieser innovativen Aufgabenstellungen im allgemeinen auch Angehörige anderer Unternehmungsbereiche - vor allem der Linienstellen - beigezogen werden. Abschließend sei auf die für die praktische Organisationsarbeit überaus wichtige Erkenntnis vor allem der Systemtheorie und Kybernetik hingewiesen, die besagt, daß jegliche Gestaltung von Organigrammen bzw. Organisationsplänen lediglich eine Art „Oberflächenstruktur" festzulegen vermag. Die für die dauerhafte Existenz einer Unternehmung aber wirklich wichtigen Strukturelemente - die sog. Tiefenstrukturkann man daraus nicht ersehen; diese „Tiefenstruktur" ist aber „das entscheidende Organisationsproblem auf der strategischen Ebene" 2 3 schlechthin. 20 Vgl. dazu Herder, H. v., Filialunternehmen: Alle Macht der Zentrale?, in: RH, 22. Jg., H. 4, 1979, S. 8; vgl. auch Hartmann, K., Zur Organisation der Kaufhof AG, in: ZfO, 48. Jg., H. 3, 1979, S. 136 f. 21 Vgl. Hahn, D., Konzepte und Beispiele zur Organisation des Controlling in der Industrie, in: ZfO, 48. Jg., H. 1, 1979, S. 5. 22 Vgl. dazu Radosevich, H. R., Strategie Implications for Organizational Design, in: Ansoff, H. I./ Declerck, R. P. / Hayes, R. L. (eds.), a. a. O., S. 166 ff. 23 Malik, F., a. a. O., S. 2.
5 Die Gestaltung der Organisation und des Führungskonzeptes
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