199 3 26MB
German Pages 280 [284] Year 1996
Strategische Marktforschung Von
Dr. Günter Weber
R. Oldenbourg Verlag München Wien
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Weber, Günter: Strategische Marktforschung / von Günter Weber. - München ; Wien : Oldenbourg, 1996 ISBN 3-486-23605-9
© 1996 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeichenmg und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Huber KG, Dießen D 83 I S B N 3-486-23605-9
v
Vorwort
Vorwort Die zunehmende Bedeutung der strategischen Unternehmensfiihrung in Theorie und Praxis hat zur Folge, daß auch innerhalb der Marktforschung der Erfordernis, in strategischen Kategorien zu denken, Rechnung getragen werden muß. Die Methoden der klassischen Marktforschung sind dabei nur in beschränktem Umfang in der Lage, den vernetzten Informationsbedarf der Unternehmensführung zu decken, da sie vornehmlich zur Stützung taktisch-operativer Entscheidungen brauchbar sind. Insbesondere war die klassische Marktforschung bisher nicht in der Lage, komplexe und weit in die Zukunft gerichtete Wirkungszusammenhänge in ihrer vernetzten Struktur abzubilden, so daß auf dieser Basis die Konsequenzen von strategischen Entscheidungsalternativen untersucht und im Management diskutiert werden könnten. Das Anliegen dieses Buches besteht darin, Methoden und Methodenkombinationen mit quantitativem und/oder qualitativem Charakter zur Verfügung zu stellen, die der Erfordernis zur Generierung strategisch-vernetzter Informationen gerecht werden. Wirtschaftswissenschaftliche Forschung darf sich jedoch nicht in der Entwicklung theoretischer Konzepte oder Methoden erschöpfen, sondern muß eine möglichst hohe Übereinstimmung ihrer theoretischen Konstruktionen mit der Realität suchen. Deshalb werden die entwickelten Instrumente der strategischen Marktforschung empirisch im Rahmen einer Imageanalyse am Beispiel des deutschen Premium-Pilsmarktes fundiert. Der unter Anwendung multivariater Analysemethoden erzeugte MarktforschungsOutput sowie die innerhalb der Simulation verwandten Tabellenfunktionen können bei Bedarf vom Verfasser bezogen werden. Für die Erstellung der Arbeit war die Unterstützung der GfK Marktforschung, Nürnberg, von wesentlicher Bedeutung. Mein Dank gilt Herrn Dipl.-Kfm. Siegfried Högl, Herrn Dipl.-Volksw. Andreas Rother und Herrn Dipl.-Kfm. Michael Cipura. Mein besonderer Dank gilt zweier Kollegen des Lehrstuhls Marketing I an der Technischen Universität Berlin, Herrn Dipl.-Ing. Hans-Jörg Aleff und Herrn M.Sc., Dipl.-Kfm. Marcel Paulssen. Durch die fruchtbare Zusammenarbeit im Rahmen zahlreicher Praxisprojekte sowie durch ihre konstruktiv-kritischen Beiträge haben sie mich auf vielfältige Weise bei der Entstehung dieses Buches unterstützt. Vor allem aber danke ich meiner Lebenspartnerin Susanne Schütz, die mich während des gesamten Entstehungsprozesses begleitet hat. Günter Weber
VI
Inhaltsübersicht
Inhaltsübersicht
0.
Einführung
Teil I:
Notwendigkeit und Merkmale der strategischen Marktforschung
1
5
1.
Strategische Unternehmensfiihrung und Marktforschung
5
2.
Strategischer Informationsbedarf der Unternehmensfiihrung
7
2.1
Merkmale strategischer Informationen
7
2.2
Effizienz und Effektivität der klassischen Marktforschung im Rahmen der strategischen Unternehmensfiihrung
3.
4.
Konzept der strategischen Marktforschung
15
3.1
Begriff der strategischen Marktforschung
15
3.2
Anforderungen an eine strategische Marktforschung
17
Zusammenfassung
Teil II:
1.
Die systemtheoretische Perspektive der strategischen Marktforschung
3.
22
24
Allgemeine Systemtheorie
24
1.1
Systemtheorie und strategische Marktforschung
24
1.2
Begriff des Systems
26
1.3
Systemeigenschaften
28
1.4
Aspekte einer systemtheoretischen Ausrichtung der strategischen Marktforschung
2.
9
35
Modelle als Hilfe zur Strukturierung von Komplexität
41
2.1
Begriff und Funktion des Modells
41
2.2
Modell lebensfähiger Systeme nach Beer
44
Zusammenfassung
48
VII
Inhaltsübersicht
Teil III: Ausgewählte Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung 1.
Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse (WISA) als Methode zur statischen Komplexitätsbewältigung Klassische Imageanalyse als Ausgangspunkt
51
1.2
Grundlagen und Anforderungen der WISA
54
1.3
Analysemethoden der WISA
58
1.4
Methodeninnovation der WISA durch Integration der Konzepte
2.1 2.2
90
WISA-What-If (WISAWI) : Von der strategischen Positionierungsanalyse zur strategischen Entscheidungsunterstützung
Zusammenfassung
Teil IV: Anwendung von Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung am Beispiel des deutschen Premium-Pilsmarktes
117 121
122
Konzeption der Studie und Positionierungsmodelle im PremiumPilsmarkt
2.
90
Sensitivitätsmodell als Methodenkombination aus szenarioanalytischen Elementen und der Sensitivitätsanalyse
1.
75
Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden zur dynamischen Komplexitätsbewältigung
3.
51
1.1
des Evoked-set und strategischer Gruppen 2.
49
122
1.1
Beschreibung der Studie
122
1.2
Positionierungsmodelle im Premium-Pilsmarkt
131
Kausalanalytische WISA im Evoked-set und für strategische Gruppen als Methoden zur statischen Komplexitätsbewältigung 2.1
das Konzept des Evoked-set 2.2
147
Evoked-set-basierte WISA im Premium-Pilsmarkt und dessen Anwendung auf das Konzept strategischer Gruppen
2.3
147
WISA im Premium-Pilsmarkt und dessen Anwendung auf
168
Kritische Würdigung und Modifikationsvorschläge zur Evoked-set-basierten WISA
181
VIII
3.
Inhaltsübersicht
Sensitivitätsmodell und WISAWI als Methoden zur dynamischen Komplexitätsbewältigung 3.1
Systemanalyse im Premium-Pilsmarkt unter Anwendung des Sensitivitätsmodells
3.2
Zusammenfassung
Ausblick:
204
Kritische Würdigung der Methoden zur dynamischen Komplexitätsbewältigung
4.
184
WISAWI im bilateralen Wettbewerb zwischen Warsteiner und Bitburger
3.3
184
214 217
Anwendung der vorgestellten Methoden und Methodenkombinationen in der Unternehmenspraxis
218
IX
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis Tabellen Verzeichnis
0.
XVI XVIII
Einführung
1
0.1
Problemstellung
1
0.2
Aufbau der Arbeit
3
Teil I:
Notwendigkeit und Merkmale der strategischen Marktforschung
5
1.
Strategische Unternehmensführung und Marktforschung
5
2.
Strategischer Informationsbedarf der Unternehmensführung
7
2.1
Merkmale strategischer Informationen
7
2.2
Effizienz und Effektivität der klassischen Marktforschung im Rahmen der strategischen Unternehmensführung 2.2.1
Vernetztes Denken in der klassischen Marktforschung
2.2.2
Strategische Informationslücken der klassischen Marktforschung
3.
4.
9 10 11
Konzept der strategischen Marktforschung
15
3.1
Begriff der strategischen Marktforschung
15
3.2
Anforderungen an eine strategische Marktforschung
17
3.2.1
Integration der Marktforschung in den Planungsprozeß der Unternehmensführung
18
3.2.2
Komplexitätsadäquanz durch vernetztes Denken
19
3.2.3
Bereicherung des Methodenspektrums
20
3.2.4
Zielgruppenspezifische Kommunikation der Ergebnisse
21
Zusammenfassung
22
X
Inhaltsverzeichnis
Teil II:
1.
Die systemtheoretische Perspektive der strategischen Marktforschung
Allgemeine Systemtheorie
24
1.1
Systemtheorie und strategische Marktforschung
24
1.2
Begriff des Systems
26
1.3
Systemeigenschaften
28
1.3.1
Offene und geschlossene Systeme
28
1.3.2
Deterministische und stochastische Systeme
29
1.4
1.3.3
Statische und dynamische Systeme
30
1.3.4
Komplexität von Systemen
31
Aspekte einer systemtheoretischen Ausrichtung der strategischen Marktforschung
35
1.4.1
Ganzheitliches Denken in offenen Systemen
36
1.4.2
Analytisches und synthetisches Denken
37
1.4.3
Denken in kreisförmigen Prozessen
39
1.4.4
Denken in Strukturen und informationsverarbeitenden
1.4.5 2.
3.
Prozessen
40
Interdisziplinäres Denken
41
Modelle als Hilfe zur Strukturierung von Komplexität
41
2 .1
Begriff und Funktion des Modells
41
2.2
Modell lebensfähiger Systeme nach Beer
44
Zusammenfassung
Teil III: Ausgewählte Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung 1.
24
48
49
Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse (WISA) als Methode zur statischen Komplexitätsbewältigung
51
1.1
Klassische Imageanalyse als Ausgangspunkt
51
1.2
Grundlagen und Anforderungen der WISA
54
XI
Inhaltsverzeichnis
1.3
Analysemethoden der WISA
58
1.3.1
58
Konventionelle WISA 1.3.1.1 1.3.1.2
1.3.2
WISA mittels explorativer Faktorenanalyse und multipler Regressionsanalyse
58
Restriktionen der konventionellen WISA
60
Kausalanalytische WISA
62
1.3.2.1
Grundlagen und Aufbau eines LISREL-Modells
62
1.3.2.2
Ablauf der LISREL-Strukturgleichungsanalyse
65
1.3.2.2.1
65
Spezifikation des LISREL-Modells
1.3.2.2.2
Identifikation des LISREL-Modells
66
1.3.2.2.3
Verfahren der Parameterschätzung
67
1.3.2.2.4
Kriterien der Modellbeurteilung
68
1.3.2.2.4.1
Globalkriterien
69
1.3.2.2.4.2
Detailkriterien
71
1.3.2.2.4.3
Zusammenfassung des Kriterienkatalogs
1.3.2.3
analytische Studien 1.4
72
Informationsgewinn der WISA durch kausal73
Methodeninnovation der WISA durch Integration der Konzepte des Evoked-set und strategischer Gruppen
75
1.4.1
Kausalanalytische WISA im Evoked-set
75
1.4.1.1
75
1.4.2
Begriff des Evoked-set 1.4.1.1.1
Systematik von Narayana und Markin ... 75
1.4.1.1.2
Systematik von Brisoux und Laroche .... 78
1.4.1.2
Untersuchungen zu Determinanten des Evoked-set .. 79
1.4.1.3
Nutzen des Evoked-set-Konzepts für die WISA
81
Evoked-set-basierte WISA für strategische Gruppen
84
1.4.2.1
84
1.4.2.2
Begriff der strategischen Gruppen Mobilitätsbarrieren als Determinanten zur Abgrenzung strategischer Gruppen
1.4.2.3
85
Nutzen des Konzepts strategischer Gruppen für die WISA
87
XII
2.
Inhaltsverzeichnis
Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden zur dynamischen Komplexitätsbewältigung 2.1
Sensitivitätsmodell als Methodenkombination aus szenarioanalytischen Elementen und der Sensitivitätsanalyse 2.1.1
Sensitivitätsmodells
91
2.1.1.1
Charakteristika von Szenarien
91
2.1.1.2
Phasen der Szenarioanalyse
93
2.1.1.3
Beurteilung der Szenarioanalyse im Rahmen 97
Sensitivitätsmodell als systemtheoretisches Modell
99
2.1.2.1
99
2.1.2.2
Arbeitsschritte des Sensitivitätsmodells Semi-quantitative Sensitivitätsanalysen im Rahmen des Sensitivitätsmodells 2.1.2.2.1
Begriff und Grundgedanke semi-
2.1.2.2.2
Algorithmus semi-quantitativer
quantitativer Sensitivitätsanalysen Sensitivitätsanalysen 2.1.2.2.3 2.1.2.3
109 110 112
Nutzen semi-quantitativer Sensitivitätsanalysen
114
Beurteilung des Sensitivitätsmodells im Rahmen strategischer Marktforschung
3.
90
Szenarioanalyse als methodische Grundlage des
strategischer Marktforschung 2.1.2
2.2
90
115
WISA-What-If (WISAWI): Von der strategischen Positionierungsanalyse zur strategischen Entscheidungsunterstützung
117
2.2.1
Grundgedanke von WISAWI
117
2.2.2
Ziel und Weg von WISAWI
118
2.2.3
WISAWI in der praktischen Anwendung
120
Zusammenfassung
121
Inhaltsverzeichnis
XIII
Teil IV: Anwendung von Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung am Beispiel des deutschen Premium-Pilsmarktes
122
1.
Konzeption der Studie und Positionierungsmodelle im Premium-Pilsmarkt
122
1.1
122
1.2
Beschreibung der Studie 1.1.1
Ausgangspunkt: Imagewettbewerb im Premium-Pilsmarkt... 122
1.1.2
Erhebungsdesign
124
1.1.3
Univariate Analyseergebnisse
127
Positionierungsmodelle im Premium-Pilsmarkt
131
1.2.1
Imagedifferential
131
1.2.2
Klassische Positionierungsmodelle
134
1.2.2.1
Faktorenanalytische Positionierung
134
1.2.2.2
Diskriminanzanalytische Positionierung
140
1.2.2.3
Faktoren- und diskriminanzanalytischer Ergebnisvergleich
2.
145
Kausalanalytische WISA im Evoked-set und für strategische Gruppen als Methoden zur statischen Komplexitätsbewältigung 2.1
147
WISA im Premium-Pilsmarkt und dessen Anwendung auf das Konzept des Evoked-set
147
2.1.1
Evoked-set-Methodik der WISA
147
2.1.1.1
Empirische Ergebnisse zum Evoked-set
147
2.1.1.2
Evoked-set-Schnittmengen und deren Relevanz für eine WISA
2.1.2
149
Kausalanalytische WISA im Evoked-set
153
2.1.2.1
Meßmodellbildung im Premium-Pilsmarkt
153
2.1.2.2
Warsteiner im Imagewettbewerb
155
2.1.2.2.1
Evoked-set-basierte WISA zwischen Warsteiner und Bitburger
2.1.2.2.2
Extrakt der Evoked-set-basierten WISA-Ergebnisse für Warsteiner
2.1.2.3
155 161
Extrakt der Evoked-set-basierten WISAErgebnisse im Premium-Pilsmarkt
164
XIV
Inhaltsverzeichnis
2.2
Evoked-set-basierte WISA im Premium-Pilsmarkt und dessen Anwendung auf das Konzept strategischer Gruppen 2.2.1
Identifikation strategischer Gruppen im PremiumPilsmarkt
2.2.2
168
2.2.1.1
Clusteranalytische Ergebnisse
168
2.2.1.2
Typologisierung der strategischen Gruppen
171
Empirische Ergebnisse zum Evoked-set für strategische Gruppen
2.2.3
168
172
Kausalanalytische WISA im Evoked-set für strategische Gruppen 2.2.3.1
Evoked-set-basierte WISA zwischen Warsteiner und den strategischen Gruppen A, B und C
2.2.3.2
174 174
Extrakt der Evoked-set-basierten WISAErgebnisse im Premium-Pilsmarkt für strategische Gruppen
2.3
Kritische Würdigung und ModifikationsVorschläge zur Evoked-set-basierten WISA
3.
178 181
Sensitivitätsmodell und WISAWI als Methoden zur dynamischen Komplexitätsbewältigung 3.1
184
Systemanalyse im Premium-Pilsmarkt unter Anwendung des Sensitivitätsmodells
184
3.1.1
186
Systembestimmung im Premium-Pilsmarkt 3.1.1.1
Systembeschreibung und Erstellen des Variablensatzes
3.1.1.2
Kriterienmatrix - Überprüfung des Variablensatzes auf Systemrelevanz
3.1.2
186 187
Modellierung und Analyse der Systemzusammenhänge im Premium-Pilsmarkt 3.1.2.1
189
Einflußmatrix und kybernetische Rolle der Variablen
189
3.1.2.2
Wirkungsgefüge
195
3.1.2.3
Teilszenario „Preisstrategie"
197
3.1.2.4
Semi-quantitative Sensitivitätsanalysen am Beispiel von Teilszenario „Preisstrategie"
200
XV
Inhaltsverzeichnis
3.2
WISAWI im bilateralen Wettbewerb zwischen Warsteiner und Bitburger
204
3.2.1
Teilszenario „WISAWI"
204
3.2.2
Semi-quantitative Sensitivitätsanalysen am Beispiel von Teilszenario „WISAWI"
3.3
Kritische Würdigung der Methoden zur dynamischen Komplexitätsbewältigung
4.
Zusammenfassung
Ausblick:
207 214 217
Anwendung der vorgestellten Methoden und Methodenkombinationen in der Unternehmenspraxis
Anhang
218
220
Anhang 4-1:
Fragebogen
Anhang 4-2:
Extrakt der Evoked-set-basierten WISA-Ergebnisse für die
220
Marken Beck's, Bitburger, König-Pilsener, Krombacher, Veltins und Jever
230
Anhang 4-3:
Extrakt der Evoked-set-basierten WISA-Ergebnisse für die strategischen Gruppen A, B und C
233
Anhang 4-4:
Variablenbeschreibung des Variablensatzes
235
Literaturverzeichnis
238
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis Abb. 2-1:
System als Teil einer Systemhierarchie
27
Abb. 2-2:
Zeitschere
31
Abb. 2-3:
Komplexität von Systemen
33
Abb. 2-4:
Modellbildung als zirkulärer Prozeß
42
Abb. 2-5:
Modell des lebensfähigen Systems
45
Abb. 3-1:
Imagedifferential für fünf PKW-Oberklassemarken
52
Abb. 3-2:
Positionierungsmodell für fünf PKW-Oberklassemarken
53
Abb. 3-3:
Mono-Marken-Modell
55
Abb. 3-4:
Multi-Marken-Modell
55
Abb. 3-5:
Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse
56
Abb. 3-6:
Sukzessives Vorgehen der konventionellen WISA
59
Abb. 3-7:
Aufbau eines vollständigen LISREL-Modells
64
Abb. 3-8:
Struktur einer LISREL-basierten WISA
74
Abb. 3-9:
Konzept des Evoked-set nach Narayana und Markin
76
Abb. 3-10:
Konzept des Evoked-set nach Brisoux und Laroche
78
Abb. 3-11:
WISA für strategische Gruppen
88
Abb. 3-12:
Denkmodell zur Darstellung von Szenarien
92
Abb. 3-13:
Phasen des Szenarioprozesses
Abb. 3-14:
Ablaufdiagramm des Sensitivitätsmodells
100
Abb. 3-15:
Wirkungsintensitäten
105
Abb. 3-16:
Positiver und negativer Regelkreis
106
Abb. 3-17:
Beispiel für eine diskrete Tabellenfunktion
113
Abb. 3-18:
Methodenmix der WISA-What-If-Analyse
119
Abb. 4-1:
Bierausstoß (in Mio. Hektoliter)
122
Abb. 4-2:
Gestützter Markenbekanntheitsgrad (in %)
128
Abb. 4-3:
Imagedifferential im Premium-Pilsmarkt
132
Abb. 4-4:
Faktoranalytisches Positionierungsmodell im Premium-Pilsmarkt... 139
Abb. 4-5:
Diskriminanzanalytisches Positionierungsmodell im Premium-
95
Pilsmarkt
143
Abb. 4-6:
Verteilung des Evoked-set im Premium-Pilsmarkt
148
Abb. 4-7:
Evoked-set-Schnittmengen
149
Abb. 4-8:
Evoked-set-basierte WISA zwischen Warsteiner und Bitburger
157
Abb. 4-9:
Dendrogramm für das Ward-Verfahren
169
Abb. 4-10:
Elbow-Kriterium beim Ward-Verfahren
170
Abbildungsverzeichnis
Abb. 4-11:
XVII
Evoked-set-basierte WISA zwischen Warsteiner und der strategischen Gruppe C (Holsten und Karlsberg)
175
Abb. 4-12:
Aktiv- und Passivsummen
191
Abb. 4-13:
Rollenverteilung im Premium-Pilsmarkt
193
Abb. 4-14: Wirkungsgefiige im Premium-Pilsmarkt
195
Abb. 4-15:
Teilszenario - Preisstrategie
198
Abb. 4-16:
Variablen im Zeitablauf (ohne Eingriff)
201
Abb. 4-17: Variablen im Zeitablauf bei Erhöhung des Normalpreisniveaus
202
Abb. 4-18:
Variablen im Zeitablauf bei Senkung des Normalpreisniveaus
203
Abb. 4-19:
Teilszenario - WISAWI
205
Abb. 4-20:
Variablen im Zeitablauf (ohne Eingriff)
209
Abb. 4-21:
Variablen im Zeitablauf bei Erhöhung der USP-Dimension {Internationalität}
211
Abb. 4-22:
Variablen im Zeitablauf bei Erhöhung des {Herbheits}-Grades
212
XVIII
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis Tab. 2-1:
Merkmale einfacher und komplexer Problemsituationen
34
Tab. 2-2:
Zwei Ansätze zur Erfassung der Wirklichkeit
38
Tab. 3-1:
Klassifikation ausgewählter Methoden der strategischen Marktforschung
49
Tab. 3-2:
Acht Parametermatrizen eines vollständigen LISREL-Modells
65
Tab. 3-3:
Zusammenfassende Darstellung der Prüfkriterien
73
Tab. 3-4:
Anzahl der Marken je Markenset (Mittelwerte)
77
Tab. 3-5:
Anzahl der Marken je Markenset für „Bier" (Mittelwerte)
Tab. 3-6:
Kriterienmatrix
102
79
Tab. 3-7:
Bewertung der Einflußintensitäten
103
Tab. 3-8:
Einflußmatrix
103
Tab. 3-9:
Klassifikation der Systemvariablen
105
Tab. 4-1:
Itembatterie
126
Tab. 4-2:
Empirische Kaufanteile im Premium-Pilsmarkt (in %)
128
Tab. 4-3:
Matched sample T-Test
129
Tab. 4-4:
Validität der Konstantsummenskala (in %)
130
Tab. 4-5:
Univariate Trennfähigkeit der Items
141
Tab. 4-6:
Gütemaße der Diskriminanzfunktionen
142
Tab. 4-7:
Imagedimensionen im Faktor- und Diskrimanzraum
145
Tab. 4-8:
Evoked-set-Schnittmengen im Premium-Pilsmarkt
150
Tab. 4-9:
Expertenbasierte hypothetische Markenpositionierungen im Premium-Pilsmarkt
153
Tab. 4-10:
Meßmodelle im Premium-Pilsmarkt
155
Tab. 4-11:
Korrelationsmatrix der latenten exogenen Variablen
158
Tab. 4-12:
Interpretation der Pfadkoeffizienten
158
Tab. 4-13:
Stellung der Marke Warsteiner im Imagewettbewerb
162
Tab. 4-14:
Markenpositionierung im Premium-Pilsmarkt
164
Tab. 4-15:
„Bereinigte" Markenpositionierung im Premium-Pilsmarkt
165
Tab. 4-16:
Ergebnis der Clusteranalyse im Premium-Pilsmarkt
170
Tab. 4-17:
Evoked-set-Schnittmengen der strategischen Gruppen im
Tab. 4-18:
Durchschnittliche prozentuale Evoked-set-Schnittmengen
Premium-Pilsmarkt
Tab. 4-19:
172
zwischen Marken und strategischen Gruppen (in %)
173
Korrelationsmatrix der latenten exogenen Variablen
176
Tabellenverzeichnis
Tab. 4-20:
XIX
Stellung der Marke Warsteiner im Imagewettbewerb mit strategischen Gruppen
177
Tab. 4-21:
Positionierung der strategischen Gruppen
178
Tab. 4-22:
Variablensatz im Premium-Pilsmarkt
186
Tab. 4-23:
Kriterienmatrix im Premium-Pilsmarkt
188
Tab. 4-24:
Konsens-Einflußmatrix im Premium-Pilsmarkt
190
Tab. 4-25:
Skala der Einflußindizes im Premium-Pilsmarkt
192
Tab. 4-26:
Verhältnis der Regelkreise
198
Tab. 4-27:
Verhältnis der Regelkreise
205
Einfuhrung
0.
Einführung
0.1
Problemstellung
1
Die zunehmende Bedeutung der strategischen Unternehmensführung hat zur Folge, daß auch in anderen betriebswirtschaftlichen Bereichen der Erfordernis, in strategischen Kategorien zu denken, Rechnung getragen werden muß. Da die Qualität von Entscheidungen maßgeblich von den Informationen abhängt, die zu ihrer Absicherung herangezogen werden, muß dem .Informationsbedarf der Unternehmensfuhrung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die strategische Unternehmensführung kann folglich als Auslöser und Rahmen eines notwendigen Fortschritts der Marktforschung begriffen werden. Ziel der Marktforschung - sowohl der auf diesem Gebiet tätigen Wissenschaftler als auch Praktiker - muß deshalb sein, das bestehende Informationsproblem bzw. die strategischen Informationslücken der Unternehmensführung zu reduzieren. Der innovative Aspekt dieser Arbeit resultiert daraus, die Schnittstellen zwischen der Marktforschung und der strategischen Unternehmensfuhrung unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung adäquater Methoden herauszuarbeiten. Bisher wurden zur Deckung strategischer Informationslücken entweder primär Methoden der „klassischen", taktisch-operativen Marktforschung herangezogen, oder der Marktforschung wurde insgesamt das Know-how abgesprochen, einen Beitrag zur strategischen Entscheidungsunterstützung zu leisten. In Wissenschaft und Praxis wird die fehlende strategische Entscheidungsunterstützung der klassischen Marktforschung insbesondere durch einen Mangel an Methoden, die den komplex-vernetzten Problemstellungen der Unternehmensfuhrung Rechnung tragen, erklärt (Zabriskie/Huellmantel 1994, S. 108; Schroiff 1994, S. 20 f.; Trommsdorff 1993b, S. 27 f.; Köhler 1993, S. 59; Hüttner/Czenskowsky 1985, S. 52). Für den Bereich strategischer Marktforschungsmethoden muß folglich ein erheblicher Nachholbedarf konstatiert werden. Die Methoden der klassischen Marktforschung sind also nur in beschränktem Umfang in der Lage, den komplex-vernetzten Informationsbedarf der Unternehmensfuhrung zu decken. Die Hinwendung zu einer strategischen Marktforschung - die primär die Bereitstellung strategisch relevanter Informationen zum Inhalt hat - soll jedoch nicht zur Folge haben, die klassische Marktforschung zu ersetzen, sondern sie um die strategische Dimension zu erweitern.
2
Einführung
Der Begriff der strategischen Marktforschung ist zudem in der Literatur geprägt durch beispielhafte Aufzählungen ihrer Methoden oder durch vage Umschreibungen. Deshalb ist es notwendig, eine ausreichende Kennzeichnung grundlegender Merkmale und Anforderungen an eine strategische Marktforschung vorzunehmen. So erfordern komplexe Problemstellungen Methoden, die ein Denken in vernetzten Zusammenhängen unterstützen. Die systemische Betrachtungsweise strategischer Problemstellungen erhält so ihre methodische Grundlage. Sie ermöglicht die Berücksichtigung von Systemzusammenhängen, in die die Probleme der Praxis eingebettet sind und schult die Anwender im vernetzten Denken, wodurch Wechselwirkungen,
Rückwirkungen,
Fernwirkungen und
Nebenwir-
kungen zwischen den betrachteten Variablen eines Systems transparent werden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist folglich, Methoden und Methodenkombinationen mit quantitativem und/oder qualitativem Charakter zur Verfügung zu stellen, die der Erfordernis zur Generierung strategisch-vernetzter Informationen gerecht werden. Wirtschaftswissenschaftliche Forschung darf sich jedoch nicht in der Entwicklung theoretischer Konzepte oder Methoden erschöpfen, sondern muß eine möglichst hohe Übereinstimmung ihrer theoretischen Konstruktionen mit der Realität suchen. Dieser Anspruch macht es erforderlich, daß die entwickelten Methoden und Methodenkombinationen an einem Beispiel empirisch überprüft und somit kritisch mit der Realität konfrontiert werden. Der PremiumPilsmarkt eignet sich aufgrund eines intensiven Verdrängungswettbewerbs ganz besonders zu seiner methodischen Unterstützung. Infolge einer immer geringer werdenden Differenzierungsmöglichkeit auf der Produktebene verläuft die Wettbewerbsdifferenzierung zunehmend über Emotionen. In gleichem Maße steigt die Bedeutung der Imagepolitik für die Markenprofilierung, die für einzelne Unternehmen zur Existenzfrage werden kann. Komplexe Fragestellungen der Unternehmensführung sollen durch diese Methoden beherrschbar gemacht werden, ohne selbst dem Vorwurf einer zu komplizierten Methodik zu unterliegen. Es liegt in der Natur innovativer Methoden, daß sie nur dann Erfolg haben können, wenn sie in der Praxis akzeptiert und genutzt werden. Daher sollen die in dieser Arbeit entwickelten Methoden und Methodenkombinationen in erster Linie den Praktiker ansprechen. Ihm soll ein
3
Einführung
Methodenspektrum zur Verfügung gestellt werden, daß ihn zur Bewältigung seiner komplexen Fragestellungen befähigt.
0.2
Aufbau der Arbeit
Die Arbeit gliedert sich in vier Hauptteile: Im ersten Teil wird zu Beginn auf den Zusammenhang zwischen strategischer Unternehmensführung und Marktforschung eingegangen. Darauf aufbauend wird gezeigt, inwiefern die klassische Marktforschung in der Lage ist, dem strategischen Informationsbedarf der Unternehmensführung gerecht zu werden. Den Abschluß von Teil I bildet das Konzept der strategischen Marktforschung. Dabei wird zunächst auf den Begriff der strategischen Marktforschung eingegangen, um darauf aufbauend die Anforderungen an eine strategische Marktforschung zu spezifizieren. Der zweite Teil behandelt die Frage, inwiefern systemtheoretische Erkenntnisse für das Konzept der strategischen Marktforschung nutzbar gemacht werden können. Nach einer Beschreibung systemtheoretischer Grundbegriffe wird die systemtheoretische Ausrichtung der strategischen Marktforschung reflektiert. Da sich die strategische Marktforschung zur Strukturierung von Komplexität der Modellbildung bedient, wird zum Abschluß das „Modell des lebensfähigen Systems" von Stafford Beer dargestellt. Gegenstand des dritten Teils ist die theoretische Darstellung ausgewählter Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung. Die Methoden und Methodenkombinationen werden dabei hinsichtlich ihrer Eignung zur statischen und zur dynamischen Komplexitätsbewältigung unterteilt. Im Rahmen der statischen Komplexitätsbewältigung wird nach Darstellung klassischer Imageanalysen insbesondere auf die kausalanalytische WettbewerbsImage-Struktur-Analyse (WISA) eingegangen, die eine Methode zur strategischen Positionierung ist. Darauf aufbauend wird die Methodeninnovation der kausalanalytischen WISA im Evoked-set und für strategische Gruppen dargestellt. Als Methoden zur dynamischen Komplexitätsbewältigung wird zum einen das Sensitivitätsmodell als systemtheoretisches Modellierungskonzept stellt. Zum anderen wird mit Hilfe des dynamischen
vorge-
Entscheidungsunter-
stützungs-Modells WISA-What-If (WISAWI) gezeigt, daß Wettbewerbsstrate-
4
Einführung
gien bei größtmöglicher empirischer Objektivität im Rahmen semi-quantitativer Sensitivitätsanalysen getestet werden können. Die im dritten Teil diskutierten Methoden und Methodenkombinationen werden im vierten Teil empirisch im Rahmen einer Imageanalyse am Beispiel des deutschen Premium-Pilsmarktes fundiert. Die Ergebnisse zeigen, daß die klassischen Positionierungsmodelle nur beschränkt in der Lage sind, den strategischen Informationsbedarf der Praxis zu decken. Demgegenüber sind die Methoden
und
Methodenkombinationen
zur
statischen
und
Komplexitätsbewältigung eher in der Lage, die Komplexität
dynamischen strategischer
Problemstellungen adäquat abzubilden und damit relevante strategische Informationen zu generieren. Den Abschluß bildet ein Ausblick, in dem die Anwendung der vorgestellten Methoden und Methodenkombinationen in der Unternehmenspraxis aufgezeigt wird.
Teil I: N o t w e n d i g k e i t und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Teil I:
1.
5
Notwendigkeit und Merkmale der strategischen Marktforschung
Strategische Unternehmensführung und Marktforschung
Die strategische Unternehmensführung, speziell die Forderung nach einem strategischen Marketing (im folgenden werden diese beiden Begriffe synonym verwandt (Diller 1992, S. 1113)), tritt mit dem Anspruch auf, die Erfolgspotentiale der Unternehmen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten langfristig zu sichern (Porter 1991, S. 95; Gälweiler 1990, S. 22 f.; Kirsch/Trux
1983,
S. 59 ff.)- Im Zentrum steht hier die Forderung, über die Bewältigung des Tagesgeschäfts hinaus alle Unternehmensaktivitäten in strategische Überlegungen einzubinden, die jeweils darauf ausgerichtet sind, weit vorausschauend Ertragspotentiale zu erkennen und so früh wie möglich die für ihre Ausschöpfung nötige Richtung einzuschlagen (Hinder 1986, S. 3). Nach Gälweiler (1985, S. 229) kommt mit dem Begriff der strategischen Unternehmensfiihrung zum Ausdruck, daß •
die Unternehmensstrategie zu den obersten Führungsaufgaben gehört und nicht delegierbar ist,
•
der Festlegung der strategischen Stoßrichtungen und Schwerpunkte stets ein intensiver Prozeß der Strategie-Erarbeitung und der Entscheidung auf oberster Ebene vorangehen muß,
•
das Denken, Entscheiden und Handeln nach strategischen Kategorien und Zusammenhängen in einer sich rascher verändernden Umwelt immer mehr zu einer permanenten Aufgabe geworden ist.
Die Notwendigkeit einer langfristigen und ganzheitlichen Perspektive und damit eines stärker strategisch ausgerichteten Marketings resultiert aus folgenden besonders wichtigen, risikobehafteten Umfeldentwicklungen (Hahn 1990,S. 31 f.; siehe auch Raffée 1985, S. 4): •
zunehmende Globalisierung der Märkte,
•
Verschärfung des Wettbewerbs,
•
Erhöhung der Rohstoffpreise,
•
Verkürzung der Produktlebenszyklen,
•
verkürzte Vermarktungszeiten,
6
Teil I: Notwendigkeit und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
•
Werte- und Technologiewandel,
•
der Gefahr, steigende Ausgaben für Forschung und Entwicklung nicht mehr einspielen zu können,
•
Zwänge zu erhöhter Flexibilität in allen Bereichen und
•
neue Formen der Kooperation weit über Branchen- und Landesgrenzen hinweg.
Die durch sogenannte Diskontinuitäten oder Strukturbrüche generell gestiegene Komplexität der Unternehmensumwelt und -innenweit führt dazu, daß bisherige Entwicklungsverläufe abrupt beendet werden und/oder unerwartet neue Situationen entstehen lassen (Wiedmann 1985, S. 302). Ansoff (1979, S. 47 ff.) postuliert in diesem Zusammenhang, daß (1) die Vorhersagbarkeit von Veränderungen zunehmend schwieriger wird und (2) aufgrund des steigenden Neuigkeitswertes von Veränderungen die Reaktionszeit zunimmt, was zur Folge hat, daß die Unternehmen immer mehr Zeit benötigen, um ihr Reaktionspotential adäquat auszubilden. Mit der Zunahme der strategischen Orientierung des Marketing einerseits steigt gleichzeitig auch der Bedarf an adäquaten strategischen Informationen (Köhler 1993, S. 67; o. V. 1983, S. 24 f.). Andererseits nimmt die Verläßlichkeit von strategischen Informationen aufgrund der zuvor beschriebenen komplexeren Unternehmensumwelt und -innenweit ab. Die zunehmende Komplexität der Unternehmensumwelt und -innenweit verlangt wiederum nach besseren Entscheidungsgrundlagen durch Bereitstellung strategischer Informationen. Geht man von der Voraussetzung aus, daß die Qualität einer strategischen Entscheidung maßgeblich von der Qualität der Informationen abhängt, die das Management für eine Entscheidung heranzieht, so kann an dieser Stelle bereits konstatiert werden, daß strategische Unternehmensführung zunächst und möglicherweise sogar primär ein Informationsproblem ist. Neben unternehmerischer Kreativität sind danach gültige und relevante Informationen die beste Voraussetzung für ein erfolgreiches strategisches Management. Diese Informationen zu liefern ist Aufgabe der Marktforschung. In Wissenschaft und Praxis besteht übereinstimmend die Ansicht, daß die strategische Unternehmensführung auf einer adäquaten Informationsgrundlage basieren muß (Schroiff 1994, S. 17 f.; Pauli 1994, S. 25; Köhler 1993, S. 77;
Teil I: N o t w e n d i g k e i t und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
7
Hüttner/Czenskowsky 1986a, S. 74). Demgegenüber ist die Integration des strategischen Informationsaspekts in die strategische Unternehmensführung bisher nur unvollkommen gelungen (v. Rónai-Horváth 1981, S. 101; Huxold 1990, S. 59; Trommsdorff/Weber 1994, S. 56 ff.). Für Köhler (1993, S. 77; 1986, S. 113) läßt der momentane Stand der Marktforschung zwar nicht jegliche Ausrichtung auf strategische Fragestellungen vermissen, doch steht eine konsequente, umfassende Einbindung dieser Informationsfunktion in das strategische Marketing noch aus. Die geführte Diskussion verdeutlicht die Notwendigkeit der Forderung nach einer strategisch orientierten Marktforschung oder kurz nach einer strategischen Marktforschung. Bevor auf das Konzept der strategischen Marktforschung eingegangen wird, soll zunächst der strategische Informationsbedarf reflektiert werden.
2.
Strategischer Informationsbedarf der Unternehmensführung
2.1
Merkmale strategischer Informationen
Basis einer strategischen Entscheidung sind Informationen, die sich als zweckbzw. entscheidungsorientiertes Wissen bezeichnen lassen (Wittmarm
1959,
S. 14). Im Unterschied zu Daten, die sich eher auf den Entstehungszusammenhang beziehen (z. B. Befragung), fokussieren Informationen eher den Verwendungszusammenhang (Muchna 1988b, S. 11). „Strategisch" ist keine Eigenschaft der Information an sich. Als strategisch ist eine Information dann zu klassifizieren, wenn sie sich auf langfristig wirksame Erfolgs- und Mißerfolgsfaktoren (Chancen und Risiken sowie Stärken und Schwächen) des Unternehmens bezieht (Sprengel 1984, S. 23). Damit beinhalten derartige Informationen ein Potential, Entscheidungen der Unternehmensführung zu unterstützen. Umgekehrt fungiert eine strategische Information häufig selbst als Auslöser von Entscheidungsprozessen (Muchna 1988a, S. 37; Müller 1987, S. 252). Damit kommt ihr gleichzeitig innovativer Charakter zu. So zeigt eine empirische Studie des Marketing Science Institute (MSI) in Cambrigde, Massachusetts bei 60 renommierten Unternehmen (Top-Manage-
8
Teil I: Notwendigkeit und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
ment-Ebene), daß sehr unterschiedliche Informationsbedürfnisse in Zusammenhang mit strategischen Entscheidungen artikuliert werden (Honomichl 1993, S. 40). Dabei ergab sich folgende Rangordnung: •
Verbesserte Informationen zur Entwicklung von Neuprodukten,
•
Verbesserte Nutzung von Marktinformationen,
•
Messung und Management des Markenwertes,
•
Zusammenfassende, schlußfolgernde Marktinformationen,
•
Informationen zur Marktsegmentierung und -bearbeitung,
•
Identifikation der Konkurrenz, Antizipation und Reaktion auf Aktionen der Konkurrenten,
•
Informationen, um Käuferverhalten zu verstehen,
•
Informationen zu strategisch neuen Produktanforderungen.
Versucht man, diese vom Management artikulierten Informationsbedürfnisse auf einem höheren Aggregationsniveau zu kategorisieren, so können folgende drei zentrale Merkmals- bzw. Anforderungskomplexe strategischer Informationen herauskristallisiert werden: (1)
Frühaufklärung Bei strategischen Informationen handelt es sich um Informationen mit frühaufklärendem Charakter, die über eine in die Zukunft gerichtete zeitliche Reichweite und Nachhaltigkeit verfügen müssen.
Strategische
Informationen sollen das Unternehmen in die Lage versetzen, Entwicklungstendenzen oder Trendbrüche möglichst früh zu antizipieren (Gomez 1983, S. 11; Dierolf/Deiss 1989, S. 34 f.). Deshalb wird strategischen Informationen häufig die Funktion der Vorsteuerung des Unternehmenserfolgs zugesprochen (Weßner 1989, S. 21; Maul 1993, S. 721). Eine besondere
Relevanz
kommt
in diesem
Zusammenhang
dem
Zeitaspekt zu (Konrad 1991, S. 36), da Informationen rechtzeitig verfügbar sein müssen. (2)
Geringer Grad der Strukturierung1 Strategische Entscheidungen werden oftmals durch schlecht-strukturierte Informationen gestützt (Kirsch 1978, S. 38), da der Entscheider genötigt ist, so früh wie möglich relevantes Wissen aufzubauen (Ansoff 1979, S. 47 ff.). Eine weitere Ursache für den geringen Grad der Struk-
9
Teil I: Notwendigkeit und Merkmale der strategischen Marktforschung
turierung ist in der Erstmaligkeit strategischer Informationen zu sehen. Aufgrund ihres fragmentarischen Charakters lassen strategische Informationen meist alternative Interpretationen zu (Müller 1987, S. 249). Dies führt dazu, daß der Grad der Ungewißheit über den Ausgang strategischer Entscheidungen relativ groß ist (großes Maß an Entropie). Hinsichtlich der Anforderungen an Genauigkeit und Eindeutigkeit strategischer Informationen müssen Einschränkungen akzeptiert werden, da Entscheidungen häufig unter Unsicherheit oder Risiko getroffen werden. Damit kann der Nutzen einer strategischen Information objektiv nur beschränkt festgestellt werden. (3)
Geringes Aggregationsniveau Strategische
Informationen
sollten
im Sinne
einer
datenursprungs-
bezogenen Betrachtungsweise ein geringes Aggregationsniveau aufweisen (Sprengel 1984, S. 29; Müller-Merbach 1979, S. 151). Zwar ist die Analyse
hoch
aggregierter
Erfolgsgrößen
(z. B.
Marktattraktivität)
absolut notwendig. Derartige Analysen haben jedoch den Nachteil, daß durch die vorgenommene Aggregation die Rückführung auf strategisch relevante Informationen (z. B. Image) verlorengeht.
Erst durch die
Rückführung bzw. Disaggregation auf dahinterstehende Kausalfaktoren werden sie zu strategisch relevanten Informationen (Trommsdorff 1982, S. 111 ff.). Inwiefern die klassische Marktforschung in der Lage ist, Informationen für das strategische Marketing zur Verfügung zu stellen, soll im folgenden Abschnitt diskutiert werden.
2.2
Effizienz und Effektivität der klassischen Marktforschung im Rahmen der strategischen Unternehmensführung
Die Qualität des Marktforschungs-Outputs wird maßgeblich durch dessen Effizienz und Effektivität bestimmt. Effizienz gibt an, wie gut eine Aufgabe im Sinne ihres Zielerreichungsgrades erfüllt wird (Heinen 1991, S. 77). Sie stellt damit eine quantitative Größe dar. Demgegenüber hat die Effektivität qualitativen, strategischen Charakter (Rowe 1982, S. 40). Effektivität ist die Frage
10
Teil I: Notwendigkeit und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
danach, „die richtigen Dinge (Aufgaben) zu tun, anstatt die Dinge (Aufgaben) richtig zu tun" (Wagner 1980, S. 214). Die nachfolgenden Ausfuhrungen verdeutlichen, daß die klassische Marktforschung im Rahmen einer strategischen Unternehmensführung gegenwärtig zwar effizient, aber nicht immer effektiv ist.
2.2.1
Vernetztes Denken in der klassischen Marktforschung
Klassische Marktforschung ist heute vorwiegend taktisch-operativ bzw. projektartig ausgerichtet. Operative Entscheidungen sind häufig das Ergebnis solider Analysen auf der Basis von repräsentativen oder fokussierten, quantitativen oder qualitativen, entdeckenden oder prüfenden Untersuchungsdesigns (Trommsdorff 1993c, S. 70). Ein Großteil dieses Angebots wird in der Praxis akzeptiert. Hierzu gehört u. a. die Erhebung von Daten zu Marktvolumina, Marktanteilen, Distributionsquoten, Bekanntheitsgraden oder zur Kundenzufriedenheit. Andererseits ist die klassische Marktforschung gegenwarts- und vergangenheitsorientiert bzw. beschränkt sich auf die meist statische Beschreibung und Analyse von Märkten (Diller 1992, S. 1111). Derartig linear-retrospektive Analysen können jedoch als Erklärungsmuster für eine komplexe Realität nur bedingt herangezogen werden. Vielmehr zwingt die Komplexität (z. B. von Verbraucherentwicklungen) die Marktforschung, Probleme komplex zu formulieren und zu beantworten. Klassische Marktforschung hat in diesem Kontext Problemstellungen der Praxis häufig nicht in ihrer vernetzten Struktur betrachtet. In der Regel wurden Teilprobleme des Auftraggebers in Form sogenannter One-shot-Studien detailliert analysiert, ohne die komplex-vernetzten Abhängigkeiten zu berücksichtigen, in die das zu analysierende Problem eigentlich eingebettet ist. Klassische Marktforschung konnte deshalb bis dato kaum etwas dazu beitragen, „komplexe, weit in die Zukunft gerichtete, vernetzte Wirkungszusammenhänge in ihrer Struktur abzubilden, so daß dadurch die Konsequenzen von Entscheidungsalternativen untersucht und im Hinblick auf das strategische Management diskutiert werden könnten" (Trommsdorff 1994, S. 452).
11
Teil I: N o t w e n d i g k e i t und Merkmale der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Versorgt die klassische Marktforschung die Entscheidungsträger mit Daten von Gestern, um die Probleme von Morgen zu lösen? Flopratenschätzungen für Produktinnovationen scheinen zu bestätigen, wie schlecht die klassische Marktforschung für strategische Entscheidungen gerüstet ist: Sie gehen von 42% (Page 1993) über 70% (o. V. 1993, S. 217) bis zu 96% (Berger 1995, S. 316), trotz intensiver Nutzung klassischer Marktforschung. Da die Unternehmenspraxis sich einer zunehmend komplexer werdenden Unternehmensumwelt und -innenweit ausgesetzt sieht, werden Informationen benötigt, die dem Vernetzungsbedarf der Problemstellung und der Entscheider gerecht werden. Dabei ist neben der Beschreibung möglicher Einflußfaktoren auf eine oder mehrere Erfolgsgrößen insbesondere die Abhängigkeitsstruktur und damit ihre
Vernetzung
zwischen
relevanten
Einflußfaktoren offenzulegen.
Das
Management von heute benötigt danach Abschätzungen von Wechselwirkungen, Rückwirkungen, Fernwirkungen, Nebenwirkungen zwischen Preisen, Wettbewerbsreaktionen, Images und Marktanteilen oder dem Einsatz von Kommunikationsinstrumenten und deren Beitrag für den Unternehmenserfolg etc. Diese Netzwerke den Entscheidern zu liefern ist die herausfordernde Aufgabe der Marktforschung. Nur so ist eine höhere Leistungsfähigkeit der Marktforschung in Zukunft zu gewährleisten, die dann Entscheidungen des Managements hinreichend unterstützen kann (Lachmann/Devin 1987, S. 44 f.). Damit geht es nicht nur um graduelle Verbesserungen der klassischen Marktforschung, sondern um Erweiterungen, die die Vernetztheit, die Weitsichtigkeit über Kundenpotentiale, Wettbewerber und Umwelteinflüsse mit berücksichtigen.
2.2.2
Strategische Informationslücken der klassischen Marktforschung
In Wissenschaft und Praxis wird die nur gering ausgeprägte strategische Ausrichtung der klassischen Marktforschung beklagt (v. Ronai-Horväth
1982,
S. 20 ff.; Köhler 1987, S. 55; Trommsdorff 1993b, S. 27; Zabriskie/Huellmantel 1994, S. 107 ff.). Deshalb werden im folgenden aus der Sicht von Wissenschaft und Praxis strategische Informationslücken aufgezeigt.
12
(1)
Teil I: Notwendigkeit und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Strategische Informationslücken aus Sicht der Wissenschaft
Nach Köhler (1993, S. 59) läßt „weder der theoretische Entwicklungsstand der Marktforschung
noch
ihre Anwendung
durch
Unternehmen
forschungsinstitute - abgesehen von einzelnen Tendenzen - eine
und
Markt-
strategische
Orientierung erkennen" (siehe auch Köhler 1987, S. 55). Entscheidend ist, „daß die Marktforschung in den Prozeß der strategischen Führung integriert wird und ihrerseits Untersuchungsmethoden anbietet, die auf die Eigenart der strategisch orientierten Informationssuche zugeschnitten sind" (Köhler 1993, S. 59). Auch Muchna (1988a, S. 31 f.) sieht die klassische Marktforschung vorwiegend in der Rolle des Datenlieferanten, die eine Integration in den Planungsprozeß des Managements eigentlich unmöglich macht. Für Koschnick (1986, S. 504) „... knirscht es nirgendwo so wie in den Beziehungen zwischen Marktforschung und Management, weil das Management, wenn es rasch entscheiden muß, von den Marktforschern allzu oft allein gelassen wird". Strategische Informationslücken zwischen operativer Marktforschung und strategischem Management werden auch bei Meffert (1982, S. 22) konstatiert. Für Trommsdorff (1982, S. 113) geht die Theorie der strategischen Planung über das Datenproblem praktisch hinweg. Der Informationsbedarf des Managements für marketingstrategische Entscheidungen kann aus Sicht der heutigen Marktforschung, die vorwiegend durch Analysen für operative Entscheidungen geprägt ist, nur sehr eingeschränkt gedeckt werden (Trommsdorff
1993b,
S. 27). Die klassische Marktforschung wird deshalb zur Unterstützung strategischer Entscheidungen in der Praxis kaum akzeptiert (Trommsdorff/Weber 1994, S. 56). Strategische Entscheidungen werden dabei häufig gefühlsmäßig, bestenfalls durch Managementdiskussionen oder Unternehmensberatungen begründet (Trommsdorff 1993b, S. 27). Trommsdorff (1993b, S. 34) konstatiert: „Die S-Kurve der Marktforschung ist flach geworden, der Sprung auf die neue Technologie der strategischen Marktforschung ist überfällig." Der Methodenentwicklung muß deshalb besondere Beachtung geschenkt werden. Für Hüttner/Czenskowsky (1985, S. 52) ergeben sich aus dem Spannungsfeld zwischen strategischer Unternehmensplanung und Marktforschung noch offene methodische (siehe auch v. Ahsen 1990a, S. 278 und 1990b, S. 43) und organisatorische (siehe auch Czenskowsky 1988, S. 294 ff.) Fragestellungen, die zu einer entsprechenden Neuorientierung der Marktforschung führen müssen. Für
13
Teil 1: N o t w e n d i g k e i t und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
die operative Marktforschung sei insbesondere die isolierte Bearbeitung von Problemen charakteristisch (Förster 1979, S. 75). Die Forderung nach einer strategisch orientierten Marktforschung soll allerdings nicht zur Folge haben, die operative Marktforschung abzuschaffen, sondern vielmehr sie um die strategische Dimension zu ergänzen (Hüttner/Czenskowsky
1986a, S. 75;
Hüttner 1986, S. 311).
(2)
Strategische Informationslücken aus Sicht der Praxis
Eine der ersten Studien über das Anforderungsprofil der Marktforschung aus der Sicht des Managements wurde von der AMA (American
Marketing
Association) bei 50 Topmanagern speziell marketing-orientierter Großunternehmen in den USA durchgeführt. Der Beitrag der Marktforschung für das strategische Marketing wurde als bestürzend gering eingeschätzt. Danach hielten lediglich 16% der Topmanager die Leistungen der Marktforschung für zufriedenstellend, während 84% der Ansicht waren, daß die Marktforschung trotz hoher Aufwendungen und ständig verfeinerter Techniken die Erwartungen des Managements nicht erfüllen konnten (v. Rónai-Horváth 1982, S. 20 ff.). Der Marktforschung wurde vor allem •
fehlende Zukunftsorientierung,
•
Mangel an adäquaten Methoden,
•
fehlendes unternehmerisches Denken,
•
fehlender Realitätsbezug bzw. Umsetzungsorientierung und
•
mangelnde Kommunikationsfahigkeit zum Entscheidungsträger
vorgeworfen (v. Rónai-Horváth 1982, S. 21). Auch 12 Jahre später schätzen Zabriskie/Huellmantel (1994, S. 107 ff.), daß in den USA nur 5% der Marktforschungsabteilungen strategische Marktforschung betreiben, und das, obwohl man sich schon über 30 Jahre mit strategischer Planung beschäftigt und der strategische Informationsbedarf längst erkannt ist. Ursachen werden in der traditionell eher taktischen Ausrichtung der akademischen Marktforschung und der mangelnden Orientierung der Marktforschung an strategischen Fragestellungen gesehen (Zabriskie/Huellmantel 1994, S. 112 ff.). Neben dieser Praxisignoranz der klassischen Marktforschung wird weiterhin
14
Teil I: Notwendigkeit und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Bedarf an geeigneten Marktforschungsmethoden artikuliert
(Zabriskie/Huell-
mantel 1994, S. 108). Strategische Informationslücken der klassischen Marktforschung werden durch eine Umfrage in Deutschland indirekt bestätigt. 23% von 40 befragten Marktforschern messen der strategischen Marktforschung eine sehr große Bedeutung bei (o. V. 1988, S. 71). Für Schroiff (1994, S. 20 f.), Leiter der internationalen Marktforschung bei der Henkel
KGaA,
wird
hinsichtlich
strategischer
Fragestellungen
auf
dem
„Marktforschungsmarkt in methodischer und konzeptioneller Hinsicht nichts angeboten". Es lohnt sich deshalb, in die Entwicklung neuer Technologien und Methoden zu investieren (Schroiff 1994, S. 20). Pauli (1994, S. 25), Leiter der Marktforschung der Deutschen Bank AG, sieht die Defizite der Marktforschung vor allem darin, daß es Marktforschern noch nicht gelungen ist, sich als strategische Planer zu etablieren. Für Breunig (1993, S. 47) ist die Marktforschung hinsichtlich ihrer Kommunikationsfähigkeit noch unterentwickelt (siehe auch Jain 1993, S. 126). Methodische Innovationen sind für ihn das Resultat intelligent verknüpfter qualitativer und quantitativer Methoden (Breunig 1993, S. 47). Für den langjährigen Leiter der Marktforschung bei Philips, Lachmann (1994, S. 30), muß die Kommunikation zwischen Managern und Marktforschern verbessert werden, um die bestehende Kommunikationsmauer zu überwinden. Der Marktforscher sollte dabei nicht zum Datenlieferanten degenerieren, sondern sich verstärkt als strategischer Informationsberater profilieren (Lachmann 1994, S. 30; siehe auch Achenbaum 1993, S. 9 f.). Die mangelnde Verankerung des vernetzten Denkens sowie die in Wissenschaft und
Praxis
artikulierten
strategischen
Informationslücken
der
klassischen
Marktforschung lassen zugleich die Anforderungen an eine strategische Marktforschung erkennen. Dies ist Gegenstand des folgenden Abschnittes.
15
Teil I: N o t w e n d i g k e i t und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
3.
Konzept der strategischen Marktforschung
3.1
Begriff der strategischen Marktforschung
Die Zielsetzung Managements
strategischer Marktforschung,
für marketingstrategische
den Informationsbedarf
Entscheidungen
zu
decken,
des
ist
in
Wissenschaft und Praxis unstrittig (siehe 2.2.2). Demgegenüber werden inhaltliche Konkretisierungen des Begriffs der strategischen Marktforschung in der Literatur zum Teil recht unterschiedlich spezifiziert. Die Ursachen dieses uneinheitlichen Begriffsgebrauchs resultieren vorwiegend aus den unterschiedlichen Anforderungsprofilen,
die der
strategischen
Marktforschung
zugeschrieben
werden. Für Lüninghöner
(1986, S. 184) ergänzen sich strategische und
operative
Marktforschung wechselseitig. Strategische Marktforschung zeichnet sich dadurch aus, „daß ihr Detaillierungsgrad relativ gering, die Fristigkeit ihrer Aussagen sehr lang ist, während der Detaillierungsgrad der operativen Marktforschung im Regelfall außerordentlich groß, ihre Fristigkeit jedoch kurz anzusetzen ist" (Lüninghöner 1986, S. 184). Hüttner/Czenskowsky
(1986a, S. 75) sehen die strategische
Marktforschung
dadurch gekennzeichnet, daß sie systematisch erfolgt und vor allem langfristig ausgerichtet ist. Der laufenden Informationsbeschaffung wird dabei der Vorzug gegenüber
dem
„projektartigen"
Vorgehen
gegeben
(Hüttner/Czenskowsky
1986a, S. 75). Dabei muß es darum gehen, neben den auch weiterhin notwendigen Wirkungsprognosen mit eher kurzfristigem Aussagegehalt Methoden zu entwickeln und einzusetzen, welche dem Bedürfnis nach strategischer sagerelevanz
der
erhobenen
Daten
gerecht
werden
Aus-
(Hüttner/Czenskowsky
1986b, S. 8). Muchna (1988a, S. 35) faßt den Begriff der strategischen Marktforschung weiter und definiert ihn als „eine permanente, umfassende [...] in Gesamtzusammenhängen denkende, zukunftsorientierte Vorgehensweise, die insbesondere dem frühzeitigen Erkennen und Analysieren von unternehmensrelevanten Veränderungen dient", wobei sich der qualitative Stellenwert der Marktforschung von einer reinen Informationsfunktion zu einer Beratungsfunktion erweitert.
16
Teil I: N o t w e n d i g k e i t und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Da die oben angeführten Begriffsdefinitionen der strategischen Marktforschung zu eng gefaßt sind, ist für die weiteren Ausführungen eine eigene Begriffsfindung notwendig: Unter strategischer Marktforschung wird im folgenden ein flexibles, in das strategische Marketing integriertes Informationssystem verstanden, das systematisch sowohl in Abstimmung mit dem strategischen Marketing, als auch autonom •
eine strategische Informationsgrundlage für bestehende und potentielle bzw. neue - langfristig wirksame - Erfolgs- und Mißerfolgsfaktoren schafft, die dem komplex-vernetzten Informationsbedarf des strategischen Managements Rechnung trägt. Die erhobenen Informationen müssen dabei im Gesamtzusammenhang der jeweiligen Problemstellung und ihren Interdependenzen zu benachbarten Untersuchungsfeldern gesehen werden.
•
permanent Informationen über die zukunftsrelevanten Faktoren generiert und im Falle schlecht-strukturierter Entscheidungsprobleme sowohl qualitative als auch quantitative Informationen entweder isoliert oder integrativ nutzt. Die Integration bezieht sich sowohl auf die Datenerhebung, die Datenanalyse (quantitative und/oder qualitative Methoden) und Ergebnismodellierung als auch auf die Ergebnisdarstellung/-präsentation und Ergebnisdiskussion.
•
an der Erstellung und Bewertung möglicher Strategien im Rahmen des strategischen Marketing durch Einbringen gewonnener Informationen über Entwicklungen oder sich abzeichnende Trends in Form schwacher Signale im Sinne einer echten Entscheidungsunterstützung mitwirkt.
Strategische Marktforschung soll nun nicht als „Allheilmittel" verstanden werden, das alle anstehenden Probleme des Managements löst. Nach wie vor müssen Entscheidungen getroffen werden, die eine gewisse Unsicherheit in Kauf nehmen. Realistisches Ziel einer strategischen Marktforschung ist folglich, die Unsicherheit und die daraus resultierenden Fehlentscheidungen möglichst weitgehend zu reduzieren. Aufgabe der strategischen Marktforschung ist deshalb nicht, Unvorhersehbares vorhersehbar zu machen, sondern das Vorhersehbare so gut wie möglich zu ergründen und damit beherrschbar zu machen. Nur so ist
17
Teil I: N o t w e n d i g k e i t und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
eine flexible und schnelle Reaktion auf Veränderungen im Wettbewerbsumfeld von Seiten des Managements möglich. Nachdem der Begriff der strategischen Marktforschung definiert wurde, muß an dieser Stelle ihr Verhältnis zur operativen Marktforschung konkretisiert werden. Dabei ist insbesondere zu klären, in welcher Relation die Ergebnisse einer strategischen Marktforschung zu operativ-taktischen Analysen stehen. Strategische Marktforschung bildet danach die Grundlage vieler operativ-taktischer Untersuchungen und hat damit grundsätzlich prädisponierenden Charakter. Strategische Marktforschung bestimmt dabei einerseits, welche taktischen Untersuchungen unbedingt erforderlich sind und andererseits die inhaltlichen Zielsetzungen taktischer Studien. Damit wird der operativen Marktforschung die Erstellung des Untersuchungsdesigns, die Informationsselektion und die Interpretation operativer Ergebnisse erleichtert.
Das Verhältnis zwischen dem Konzept der strategischen Marktforschung und der klassischen Marktforschung mit ihrer taktisch-operativen
Schwerpunkt-
setzung ist nicht substituierbarer, sondern komplementärer Art. Die Forderung nach einer strategisch orientierten Marktforschung hat deshalb nicht die Ablehnung der operativen Marktforschung zum Ziel, sondern deren Erweiterung um die strategische Dimension.
3.2
Anforderungen an eine strategische Marktforschung
Die Begriffsfassung der strategischen Marktforschung hat gezeigt, daß sich das Aufgabenspektrum der Marktforschung erweitert hat. Daraus resultiert, daß die Anforderungen an eine strategische Marktforschung größer geworden
sind.
Darüber hinaus impliziert strategische Marktforschung für den Marktforscher auch eine Verschiebung der (Aufgaben)-Prioritäten.
18
3.2.1
Teil I: Notwendigkeit und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Integration der Marktforschung in den Planungsprozeß der Unternehmensführung
Damit die strategische Marktforschung den Informationsbedarf des Managements befriedigen kann, ist es notwendig, sie in den strategischen Planungsprozeß des Unternehmens zu integrieren. Nur so ist eine rechtzeitige Information der
Marktforschung über strategische Stoßrichtungen
von Seiten
des
Managements zu gewährleisten, die der strategischen Marktforschung die Möglichkeit gibt, ihre Forschung auf strategische Fragestellungen des Managements zu fokussieren. Die Ergebnisse einer derartig empirisch ausgerichteten Strategieforschung können dann in den Entscheidungsprozeß mit einfließen. Da strategische Entscheidungen in hohem Maße umsetzbare Informationen erfordern, ist der Transformation der Daten in konkrete Marketingempfehlungen besondere Beachtung zu schenken, damit Marktforschung einen bedeutsamen Beitrag zur Entscheidungs- bzw. Umsetzungsfindung leisten kann. Die Entscheidungsunterstützung darf dabei nicht dem Ideal einer ausschließlichen Quantifizierung ihrer Forschungsfragen nacheifern, da nicht alle Entscheidungen vollständig durch empirische Forschung gestützt werden können. In einem solchem Fall kommt der strategischen Marktforschung die Aufgabe zu, selbstbewußt ihre eigenen Grenzen aufzuzeigen. Zugleich muß strategische Marktforschung kommunizieren, daß Entscheidungen „soweit es geht" empirisch unterstützt und zusätzlich durch qualitative Untersuchungsdesigns ergänzt werden müssen. Quantitative und qualitative Informationen stellen damit keine antagonistischen
Informa-
tionsarten dar, sondern sind im Rahmen eines aufeinander abgestimmten Synergiepotentials zu nutzen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob mit einer in den Meinungs- und Entscheidungsprozeß der Unternehmensführung integrierten strategischen Marktforschung gleichzeitig auch eine höhere Ansiedlung in der Unternehmenshierarchie sinnvoll erscheint. Obwohl keine pauschale Beantwortung dieser Frage erwartet werden darf, spricht viel für eine möglichst hohe organisatorische Positionierung beispielsweise als Stabsstelle der Unternehmensführung. Die strategische Marktforschungs-Abteilung hätte dann unter Vermeidung von Zwischeninstanzen direkten Kontakt zur Unternehmensführung. Eine organisatorische Aufwertung scheint gleichfalls durch den gestiegenen Aufgabenbereich der strategischen Marktforschung notwendig. Gleichzeitig erhält sie damit ein besseres „Standing" im Unternehmensgefüge. Andererseits könnte eine zu hohe
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Teil 1: N o t w e n d i g k e i t und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
organisatorische Positionierung der strategischen Marktforschung dazu führen, daß diese von der mittleren Managementebene als Kontrollinstanz wahrgenommen wird. Die Ablehnung bzw. eine isolierte Stellung könnte die Folge sein.
3.2.2
Komplexitätsadäquanz durch vernetztes Denken
Im Mittelpunkt des vernetzten Denkens in der strategischen Marktforschung steht nicht die Analyse einzelner Teilprobleme, die in ihrem Zusammenspiel in ein Chaos führen kann, sondern das Verstehen der Zusammenhänge und damit des Verhaltens des ganzen Systems. Die isolierten Eingriffe in das komplexe System „Unternehmen" haben in der Vergangenheit eine Reihe von irreversiblen Folgen gezeigt (z. B. hohe Flopraten bei Produktinnovationen,
siehe
S. 11). Um die Komplexität der Unternehmensumwelt und -innenweit adäquat abzubilden, muß der Vernetzungsbedarf der Problemstellung und der Entscheider berücksichtigt werden. Viele vernetzte Faktoren wie z. B. Preise, Images oder Marktanteile müssen in Beschreibungen, Erklärungen, Zukunftsanalysen und Handlungsvorschläge einbezogen werden. Dem Erkennen und Verstehen von Vernetzungen bzw. Wirkungszusammenhängen anhand von Kriterien wie Richtung, Art, Intensität und zeitlicher Reichweite der Faktoren muß damit gerade im strategischen Marktforschungskontext Rechnung getragen werden. Strategische Marktforschung zeichnet sich dadurch aus, daß sie komplex-vernetzte Abhängigkeiten akzeptiert und diese bei der Ausübung ihrer Funktion im Unternehmen berücksichtigt. Um einer konkreten Problemstellung den entsprechenden Komplexitätsgrad zuzuordnen, muß der Marktforscher entweder komplexitätserhöhende oder komplexitätsreduzierende Maßnahmen in das Entscheidungskalkül miteinbeziehen. Bei prinzipiell Bekanntem ist Reduktion notwendig, währenddessen komplexitätserhöhende Maßnahmen dann vonnöten sind, wenn es sich um grundsätzlich neue Fragestellungen handelt wie z. B. die der Einführung neuer Produkte. Dies erfordert einen Typ Marktforscher, der sowohl über analytisch-zerlegende als auch über ganzheitlich-vernetzte, integrierende Fähigkeiten verfügt. Er muß in der Lage sein, eine komplexe Problemstellung zu verdichten und sprachlich sowie möglichst bildlich adäquat mit dem Management zu kommunizieren. Soweit möglich, sollten die abgebildeten Zusammenhänge in ihrer Komplexität durch eine Quantifizierung ihrer Regelkreise unter-
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Teil I: Notwendigkeit und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
stützt werden. Im Falle nicht-quantifizierbarer Abhängigkeiten ist die Evaluation alternativer Zukunftsszenarien notwendig, die vom Marktforscher Mut zur Komplexität, Sensitivität, Kreativität sowie visionäres Denken verlangt.
3.2.3
Bereicherung des Methodenspektrums
Um dem strategischen Informationsbedarf des Managements nachzukommen, sollte sich strategische Marktforschung stärker auf die Entwicklung und den Einsatz wissenschaftlicher Methoden konzentrieren, um sie in den Prozeß unternehmerischer Entscheidungsfindung einzubringen.
Kausalanalysen
(LISREL-
Modellierung) zur Messung latenter Variablen, Szenarioanalysen oder kybernetische Sensitivitätsanalysen sind nur einige Beispiele, um das bestehende strategische Methodendilemma zu reduzieren (siehe S. 49 f.). Der Streit zwischen den Vertretern der quantitativen und qualitativen „Schule" ist ein ewig gestriger. Die Vertreter der quantitativen Schule haben die qualitativen Verfahren oft als vage und unwissenschaftlich kritisiert ohne ihre Bedeutung beispielsweise bei der Ideengenerierung, der Ursachenforschung oder der Formulierung von Hypothesen sowie ihre grundsätzlich integrative Funktion zu sehen. Vertreter der qualitativen Schule stehen ihrerseits einer Annäherung im Wege, solange sie quantitative Analyseergebnisse nicht genügend akzeptieren oder etwa als irrelevant abqualifizieren. Die Polarisierung beider Forschungsrichtungen hat sich in der Vergangenheit als stark innovationshemmend ausgewirkt. So hat die klassische Marktforschung ihre einzelnen Methoden bisher weitgehend isoliert eingesetzt. Dem Integrationspotential quantitativer und/oder qualitativer Methoden ist bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Der Erfordernis der Effektivität im Rahmen komplex-strategischer Entscheidungen können insbesondere integrierte Methodensysteme gerecht werden. Dabei sollten auch nicht-lineare Beziehungen in die Modellbildung miteinfließen, um so einer adäquaten Erfassung der Realität mit ihren komplexen Fragestellungen besser gerecht werden zu können. Da sowohl quantitative als auch qualitative Forschung ihre spezifischen Stärken und Schwächen besitzt, kann insbesondere durch Kombination
quantitativer
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Teil I: N o t w e n d i g k e i t und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
(z. B. kausalanalytische Modellierung) und qualitativer Methoden (z. B. Szenarioanalyse) eine Kompensation ihrer methodenimmanenten Schwächen erzielt werden. Ob strategische Marktforschung eher mit quantitativer oder qualitativer Marktforschung forciert werden sollte,
ist deshalb nicht
eine Frage
des
Entweder-Oder, sondern des Sowohl-Als-auch (Reiner et al. 1991, S. 72 f.; Tomczak 1992, S. 82; Scheffler 1992, S. 8 f.). Die Integration von quantitativen und qualitativen Ansätzen beginnt bei der Datenerhebung, geht über die Datenanalyse und Ergebnismodellierung und endet mit der Ergebnispräsentation und -diskussion. Integrierte Methodensysteme besitzen damit ein
Synergie-
potential, das bei entsprechender Nutzung zu einem höheren Erkenntnisgewinn in der strategischen Marktforschung führt.
3.2.4
Zielgruppenspezifische Kommunikation der Ergebnisse
Strategischer Marktforschung kommt neben der Generierung von Informationen insbesondere die Aufgabe einer zielgruppenspezifischen - an den Bedürfnissen der Unternehmensführung ausgerichteten - Kommunikation ihrer Ergebnisse zu. Voraussetzung hierfür ist, daß sich Marktforschung von der Funktion des „reinen" Datenlieferanten löst und verstärkt in die Rolle eines interaktiven Problemlösers, eines strategischen Informationsberaters oder eines strategischen Marktinformationsmanagers hineinwächst. Eine Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit strategischer Marktforschung zum Management ist durch eine •
ergonomische Aufbereitung von Ergebnissen beispielsweise in Form visualisierter Kausalnetze oder Bilder über alternative mit Wahrscheinlichkeiten versehenen Zukunftsszenarien,
•
Verdichtung der Ergebnisse zu entscheidungsrelevanten Informationen im Rahmen der Entscheidungsfindung,
•
Entscheidungsunterstützungsfunktion
bei
der
Integration
von
Marktfor-
schungsergebnissen in den Kontext einer komplexen Fragestellung, •
stärkere auf Interpretation von Information angelegte Marktforschung
zu erzielen.
22
Teil I: Notwendigkeit und M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Der strategische Marktinformationsmanager muß sich danach als Agent von Wandlungsprozessen und zugleich als Ideengenerator verstehen, der in der Lage ist, Beiträge zu einem erfolgreichen Zukunftsmanagement zu liefern. Dies widerspricht nicht der Notwendigkeit, genaue und zuverlässige Meßinstrumente zu entwickeln, die gleichzeitig strategischen Anforderungen genügen. Der zukünftige Marktforscher muß die Entscheider im Marketing davon überzeugen, daß
strategische Marktforschung einen signifikanten Beitrag zur
Entschei-
dungsfindung leisten kann. Nur eine auf den Informationsbedarf der Unternehmensführung abgestimmte Kommunikation ist danach in der Lage, die Akzeptanz von Marktforschungsergebnissen im Management zu erhöhen. Dem muß die Bereitschaft der Entscheider im Marketing vorausgehen, sich über Wechselwirkungen, Rückwirkungen, Fern- und Nebenwirkungen für komplexe Entscheidungen informieren zu wollen.
4.
Zusammenfassung
Die Ausführungen haben gezeigt, daß die klassische Marktforschung mit ihrer taktisch-operativen Ausrichtung nur beschränkt in der Lage ist, den strategischen Informationsbedarf der Unternehmensführung, der mit einer zunehmend komplexer
werdenden
Unternehmensumwelt
und -innenweit
einhergeht,
zu
decken. Klassische Marktforschung ist heute zwar effizient, aber nicht immer effektiv. Die fehlende Verankerung des vernetzten Denkens sowie die von Wissenschaft und Praxis geäußerten strategischen Informationslücken der klassischen Marktforschung belegen diesen Vorwurf. Sie sind zugleich ein Indiz für die Notwendigkeit einer strategisch orientierten Marktforschung.
Das Konzept der strategischen Marktforschung macht deutlich, daß sich das Aufgabenspektrum der Marktforschung vergrößert hat. Ihr Verhältnis zur klassischen Marktforschung ist dabei grundsätzlich komplementärer Art,
wobei
strategische Marktforschung prädisponierenden Charakter für viele operativtaktische Untersuchungen besitzt. Strategische Entscheidungen bedürfen danach einer empirischen Absicherung und deren konsequenter Umsetzung in operativtaktische
Maßnahmen.
Die
Verschiebung
der
(Aufgaben)-Prioritäten
einer
strategisch orientierten Marktforschung manifestiert sich in vier Aufgabenkomplexen:
Teil I: N o t w e n d i g k e i t u n d M e r k m a l e der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
•
23
Integration der Marktforschung in den Planungsprozeß der Unternehmensführung,
•
Komplexitätsadäquanz durch vernetztes Denken,
•
Bereicherung des Methodenspektrums und
•
zielgruppenspezifische Kommunikation der Ergebnisse.
24
Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Teil II:
Die systemtheoretische Perspektive der strategischen Marktforschung
1.
Allgemeine Systemtheorie
1.1
Systemtheorie und strategische Marktforschung
Die allgemeine Systemtheorie, die am häufigsten mit dem Biologen Bertalanffy (1951; 1968) verknüpft wird, befaßt sich mit der Frage, was das Gemeinsame an Ganzheiten (Systemen) ist, unabhängig von der besonderen Art der Systeme, der Natur ihrer Elemente und der Beziehungen oder den Kräften zwischen diesen (Ulrich 1970, S. 102). Als Teilgebiet der Systemtheorie befaßt sich die Kybernetik mit der Steuerung und Lenkung von dynamischen Systemen (Beer 1967, S. 21; Kiener 1973, S. 17; siehe auch Wiener 1968 und Ashby 1956) der Technik, der Betriebswirtschaft und anderen Wissenschaftsdisziplinen. „Cybernetics, as the theory of control mechanisms in technology and nature and founded on the concepts of information and feedback, is but a part of a general theory of systems; cybernetic systems are a special case, however important, of systems showing seif regulation" (v. Bertalanffy 1968, S. 17). Die Kybernetik nutzt die Erkenntnis, daß lebensfähige Systeme wie z. B. Unternehmen zu einem großen Teil als ein selbstregulierendes und selbstorganisierendes System dargestellt werden können, wobei durch den Mechanismus der Rückkopplung der Zustand der Homöostase angestrebt wird (Probst 1987, S. 11 f.; Komorek 1991, S. 26 f.).
Aufgabe der allgemeinen Systemtheorie respektive der Kybernetik ist die Formulierung und Ableitung allgemeiner Prinzipien, die für Systeme jeglicher Art gleichermaßen gelten (Baetge 1983b, S. 14). Beide akzeptieren die Komplexität von Systemen bzw. Problemstellungen als etwas Gegebenes, das es nicht zu verneinen oder auf vereinfachte Systeme zu reduzieren, sondern im Sinne einer Komplexitätsbejahung in seiner Gesamtheit zu würdigen gilt (zu Knyphausen 1991, S. 52). Sowohl der Systemtheorie als auch der Kybernetik ist ein Streben nach einem ganzheitlichen Verständnis der jeweils zugrundeliegenden Probleme immanent, weshalb diese beiden Begriffe im folgenden synonym werden.
verwandt
25
Teil II: D i e systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
So weisen z. B. biologische, technische, soziale oder ökonomische Wissenschaftsdisziplinen Systemgesetzlichkeiten auf, d. h. immer wieder in der Beschreibung auftretende Prinzipien, die für eine Theorie der Systeme konstituierend sind (Kornwachs 1994, S. 118; Zahn 1972, S. 20). Dies ermöglicht, allgemeine Charakteristika von Systemen, die in allen Wissenschaften vorkommen, zu bestimmen. In Begriffen wie Komplexität, Dynamik, Rückkopplung, Vernetztheit, Offenheit, Stabilität, Chaos, Ordnung, Ganzheit und Selbstorganisation von Systemen manifestieren sich systemtheoretische Erkenntnisse. Diese Systemeigenschaften unterstützen sowohl die Erklärung und Interpretation des Verhaltens bestehender Systeme als auch die Gestaltung neuer oder zu verbessernder Systeme. Im Gegensatz zu den traditionellen Wissenschaftsdisziplinen, die ihre Methodik und Theorie primär auf die jeweils eigene Disziplin fokussieren, handelt es sich damit bei der Systemtheorie um eine Metatheorie, die generelle Aussagen über Verhaltenseigenschaften, Strukturmuster und Muster von Strukturveränderungen herausarbeitet, um reale Phänomene abzubilden (Gomez 1981, S. 22). Die komplexen Anforderungen an das System Unternehmen machen es notwendig, die Erkenntnisse der Systemtheorie insbesondere auf strategische Problemstellungen der Unternehmensführung anzuwenden (Händle/Jensen 1974, S. 12; siehe auch Malik 1989). Ulrich (1984, S. 66) konstatiert: Wenn also systemkybernetische Erkenntnisse richtig sind „... dann müssen sie auf Unternehmen übertragbar sein [...] und für die Zwecke der Unternehmensführung fruchtbar gemacht werden können". Die Systemtheorie als interdisziplinäre Metawissenschaft legt dabei ebensoviel Gewicht auf die ganzheitliche wie auf die analytische Beschreibung des Systems Unternehmen (Ulrich 1984, S. 25). Der strategischen Marktforschung kommt in diesem Kontext u. a. die Aufgabe zu, den strategischen Informationsbedarf der Unternehmensführung zu decken (siehe Teil I). Um dieser strategischen Informationsfunktion gerecht zu werden, muß die strategische Marktforschung ihre Problemstellungen, die größtenteils aus den Problemstellungen der Unternehmensfuhrung resultieren, als offene, stochastische, dynamische und komplexe Systeme begreifen. Damit besteht die Notwendigkeit, daß sich strategische Marktforschung die Erkenntnisse der Systemtheorie
zunutze
macht.
Die
systemorientierte,
strategische
Markt-
forschung rechnet deshalb mit komplexen Verhältnissen und versucht, überraschende Verzweigungen oder chaotische Prozesse (zur Chaostheorie siehe
26
Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Jürgens et al. 1989; Türschmann 1990; Pinkwart 1992; Seiler 1994; Feichtinger/Kopel 1994; Haken 1995) so zu handhaben, daß es an ihnen nicht scheitert. Sie erfordert eine Marktforschung, die nicht-lineare Abläufe, Umkippeffekte, Gegensätze und Widersprüche wahrnimmt und akzeptiert. Die Anwendung systemtheoretischer Erkenntnisse bietet damit die besten Voraussetzungen, u m den Anforderungen an eine strategische Marktforschung (siehe Teil 1-3.2) und damit dem Informationsbedarf des strategischen Managements gerecht zu werden.
1.2
Begriff des Systems
Nach Ulrich (1984, S. 50) stellen Systeme gegliederte Ganzheiten dar, die aus einzelnen Elementen aufgebaut sind, die miteinander in Beziehung stehen (siehe auch Rapoport 1985, S. 150). Für Vester (1991, S. 27) muß ein System aus mehreren Teilen bestehen, die zudem voneinander verschieden sind und nicht wahllos nebeneinander liegen, sondern in einer bestimmten Struktur miteinander vernetzt sind. Forrester (1972, S. 9) hebt bei seiner Systemdefinition als weiteres
Merkmal
die Zweckbezogenheit
von
Systemen heraus,
indem
er
ein
„ . . . System als eine Anzahl von miteinander in Beziehung stehenden Teilen, die zu einem gemeinsamen Zweck miteinander operieren", ansieht. Der dynamische Aspekt wird bei Ulrich und Probst (1991, S. 30) hervorgehoben: „Ein System ist ein dynamisches Ganzes, das als solches bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen besitzt. Es besteht aus Teilen, die so miteinander verknüpft sind, daß kein Teil unabhängig ist von anderen Teilen und das Verhalten des Ganzen beeinflußt wird vom Zusammenwirken aller Teile." Zusammenfassend soll, dem Systemverständnis von Beer (1967, S. 24) entsprechend, unter dem Begriff des Systems „jede Ansammlung miteinander in Beziehung stehender Teile" verstanden werden. Ein Verstehen von Systemen ist dabei dann möglich, „ . . . w e n n man die Verbindungen zwischen diesen Teilen, die dynamische Wechselwirkung innerhalb des Gesamtorganismus zum Gegenstand der Untersuchung macht" (Beer 1967, S. 24). Um von einem System sprechen zu können, müssen dessen Elemente bzw. Teile drei Kriterien genügen (Beer 1966, S. 247):
27
Teil II: D i e systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
•
Vernetzung: Die Elemente eines Systems stehen zueinander in Beziehung, wobei das Netzwerk nicht unbedingt sichtbar sein muß, sondern auch aus Wirkungen bestehen kann, die durch reinen Informationsaustausch zustande kommen.
•
Verhaltens- und Strukturmuster: Die Beziehungen sind nicht zufälliger Natur, sondern ergeben sich in ihrer Gesamtheit aus einer bestimmten Ordnung, die eine Vielzahl möglicher Verhaltensweisen des Systems
aus-
schließt. •
Zweck: Die Verhaltensweisen eines Systems dienen einem
bestimmten
Zweck. Was nun als Supersystem, System, Subsystem oder als Element zu bezeichnen ist (siehe Abb. 2-1) und wo die Systemgrenzen zu anderen Systemen sind, hängt zum einen von der Problemstellung ab (v. Werder 1994, S. 23). Andererseits stellt sie das Resultat menschlichen Denkens dar und hängt damit von der subjektiven Perspektive des Wahrnehmenden ab. „Systems are not something given in nature, but something defined by intelligence" (Beer 1966, S. 242).
Abb. 2-1:
System als Teil einer Systemhierarchie
28
Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Die Teile eines Systems können ihrerseits selbst Systemcharakter besitzen. Man spricht dann nicht von Elementen, sondern von Subsystemen. Als Element wird dabei jedes einzelne Teil eines Systems verstanden, das entweder nicht weiter aufgeteilt werden kann oder deren weitere Zerlegung unnötig oder gar störend wäre (Kiener 1973, S. 13). Systeme können aufgrund der Häufigkeit von Transaktionen zwischen den Elementen eines Systems von anderen Systemen unterschieden werden. Ein Abfall der Transaktionshäufigkeit sowie eine Reduktion der Interdependenzwahrscheinlichkeit können folglich als Kriterien zur Bestimmung von Systemgrenzen herangezogen werden (Baetge 1983a, S. 5). Danach liegt ein System dann vor, wenn die Interaktionsstärke innerhalb des Systems größer ist als außerhalb des Systems. Systeme sind danach keine abgeschlossenen Ganzheiten. Sie sind vielmehr mit Über- bzw. Supersystemen und Unterbzw. Subsystemen verflochten (Ulrich/Probst 1991, S. 29). Abbildung 2-1 verdeutlicht, daß es sich um ein Denken auf wechselnden Abstraktionsebenen handelt. Der Übergang auf eine höhere Abstraktionsebene entspricht der Integration des Systems in ein umfassenderes Ganzes ( = Supersystem), während der Wechsel auf ein niedrigeres Abstraktionsniveau die Analyse des Systems auf Subsystem-Ebene bis zu einzelnen Elementen zur Folge hat. Das ständige Zurückkehren auf eine bereits früher verlassene Betrachtungsebene, aber mit inzwischen zusätzlich gewonnenen Informationen, ist charakteristisch für diese Vorgehensweise. Integratives Denken einerseits und analytisches Denken andererseits stellen damit Kernkomponenten des Systemdenkens dar.
1.3
Systemeigenschaften
1.3.1
Offene und geschlossene Systeme
Nach der Schnittstelle mit der Umwelt können offene und geschlossene Systeme unterschieden werden. Während bei geschlossenen Systemen keine Austauschbeziehungen mit ihrer Umwelt bestehen, ist für offene Systeme charakteristisch, daß zwischen ihnen und ihren Umsystemen, insbesondere ihrer Umwelt energetische, materielle oder informationelle Austauschprozesse stattfinden (Brauchlin 1978, S. 122). Die Offenheit von Systemen gegenüber ihrer Umwelt bewirkt,
Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
29
„... daß kein System völlig unabhängig ist und sich völlig eigenbestimmt verhalten kann, sondern von der Umwelt beeinflußt wird, diese aber auch seinerseits beeinflußt" (Ulrich/Probst 1991, S. 97). Für Luhmann (1988, S. 242 f.) ist die Umwelt „... Voraussetzung der Identität des Systems ...", weshalb ihr grundsätzlich konstitutiver Charakter für die Systembildung beigemessen wird. Vester (1991, S. 29) führt in diesem Kontext an, daß ausschließlich offene Systeme lebensfähig sind. Die zahlreichen Vernetzungen des Systems Unternehmen mit der relevanten Umwelt haben zur Folge, daß Unternehmen und ihre Subsysteme immer als offene Systeme gesehen werden müssen (Kiener 1973, S. 15; Ulrich 1984, S. 52 f.; Probst 1987, S. 55). „Um ein Fließgleichgewicht zwischen dem Unternehmen und der Umwelt zu erreichen, müssen die Verhaltensmöglichkeiten eines Systems denjenigen der Umwelt entsprechen" (Probst 1987, S. 56). Es gilt deshalb, die von der Umwelt ausgehende Unsicherheit aus Sicht des Unternehmens und seiner Subsysteme wahrzunehmen, zu reflektieren, zu handhaben und zu absorbieren.
1.3.2
Deterministische und stochastische Systeme
Hinsichtlich ihrer „Prognosefähigkeit" unterscheidet man deterministische und stochastische Systeme (Fleissner 1977, S. 293). Als determiniert wird ein System dann bezeichnet, wenn seine Systemzustände eindeutig voraussehbar sind. Zu jedem Zustand Z und zu jeder Ausprägung der Eingänge des Systems existiert höchstens ein direkter Folgezustand und höchstens eine Ausprägung der Ausgänge des Systems (Guntram 1985, S. 306). Bei stochastischen oder probabilistischen Systemen läßt sich das Systemverhalten nur mit Aussagen über die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts bestimmen. Dabei können sowohl die Elemente als auch deren Kopplungen stochastischer Natur sein. Dem System Unternehmen ist die Systemeigenschaft der Stochastik immanent (Kiener 1973, S. 16). Stochastische Systeme sind dabei insbesondere bei strategischen Entscheidungen der Unternehmensführung und den ihnen zugrundeliegenden komplex-vernetzten Fragestellungen, die alternative Wirkungsbeziehungen zulassen, anzunehmen. Daneben treten im Unternehmenskontext gelegentlich Situationen auf, wo nicht einmal Wahrscheinlichkeiten bestimmt werden können, um Aussagen über das Verhalten von Systemen anzustellen. Deshalb werden syste-
30
Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
mische Fragestellungen aus Gründen der Praktikabilität meist als determiniert angenommen (Kiener 1973, S. 16).
1.3.3
Statische und dynamische Systeme
Nach ihrer Fähigkeit zur Zustandsänderung können statische und dynamische Systeme unterschieden werden. Dynamische Systeme sind dadurch charakterisiert, daß die einzelnen Elemente des Systems im Zeitablauf zahlreiche Verhaltensmöglichkeiten besitzen und vielfältige Wechselwirkungen mit der Umwelt bestehen (Ulrich/Probst 1991, S. 97). Während dynamischen Systemen durch Berücksichtigung der Zeitdimension grundsätzlich prozessualer Charakter zukommt, reicht zur Beschreibung statischer Systeme eine zeitunabhängige Strukturkomponente aus. Ulrich (1970, S. 113), der die Dynamik zu den grundlegenden
Systemeigenschaften zählt,
konstatiert:
„Unter
Dynamik
versteht
die
Systemtheorie jede Bewegung oder jedes 'Verhalten'; das dynamische System tut etwas, es läuft etwas in ihm ab. Statische Systeme sind solche, in denen überhaupt nichts geschieht, die weder als Ganzes noch in ihren Teilen irgendein Verhalten zeigen. [...] Damit wird 'Statik' zu einem selten feststellbaren, aber denkbaren Extremzustand auf der Skala der dimensionalen Eigenschaft 'Dynamik'."
Die
Veränderungsgeschwindigkeit
der
Elemente
des dynamischen
Systems
Unternehmen und seiner Umsysteme (Dynamikproblem) erfordern kurze und flexible Reaktionen seiner Subsysteme,
wie z. B. der strategischen
Markt-
forschung. Andererseits verlangt die Bewältigung des Komplexitätsproblems nach höheren Zeitbudgets, um das Problem in intransparenten und vielschichtigen Situationen zu durchdringen (Bleicher 1992, S. 26; siehe Abb. 2-2). Die sogenannte „Zeitschere" verdeutlicht, daß ein Auseinanderklaffen von dynamikinduzierter Handlungsnotwendigkeit und komplexitätsgebundenem vermögen existent ist.
Handlungs-
31
Teil 11: D i e s y s t e m t h e o r e t i s c h e P e r s p e k t i v e d e r s t r a t e g i s c h e n M a r k t f o r s c h u n g
Benotigte Reaktionszeit hei steigender Komplexität
des In- und Umsystems Komplexität/Dynamik
Abb. 2-2:
1.3.4
Zeitschere
Komplexität von Systemen
Mit der Betonung der Systemeigenschaft Komplexität kommt der Anspruch der Systemtheorie zur Geltung, eine „Theorie komplexer Phänomene" zu sein (v. Hayek 1972). „What we must get rid of is the naive superstition that the world must be so organized that it is possible by direct observation to discover simple regularities between all phenomena
and that this
is a
necessary
presupposition for the application of the scientific method. What we have by now discovered about the organization of many complex structures should be sufficient to teach us that there is no reason to expect this, and that if we want to get ahead in these fields our aims will have to be somewhat different from what they are in the fields of simple phenomena" (v. Hayek 1967, S. 36). Problemstellungen der Unternehmensführung sowie Methoden der strategischen Marktforschung sind insbesondere durch einen hohen Komplexitätsgrad gekennzeichnet. Komplexität erzeugt bei den Entscheidern häufig Ungewißheit, Unsicherheit,
NichtVorhersagbarkeit,
Intransparenz,
zeitliche
Unstimmigkeiten
u. ä. Das Hauptproblem bei der Erfassung komplexer Phänomene liegt für Hayek (1972, S. 15) in der Ermittlung aller Informationen, die ein Phänomen
32
Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
determinieren. Die Funktion des Managements besteht damit in der primären Aufgabe, komplexe Systeme im Sinne eines Managements zur Bewältigung von Komplexität zu lenken (Malik 1989, S. 184; siehe auch Balck/Kreibich 1991; H u b 1994, S. 56). Malik (1989, S. 170) verdeutlicht: „... das Kernproblem eines jeden Organismus besteht darin, die für sein Überleben relevante Komplexität unter Kontrolle zu bringen. [...] Faktisches Überleben, gleichgültig in welcher Zustandskonfiguration, ist nur möglich, wenn und insoweit das Problem des Komplexitätsausgleichs gelöst werden kann." Die Komplexität ist damit das entscheidende Kriterium für den Einsatz der Prinzipien, Methoden und Instrumente der Unternehmensführung respektive der strategischen Marktforschung. Der strategieorientierte Umgang mit komplexen Phänomenen setzt dabei die grundsätzliche Bereitschaft bzw. die Erzeugung einer gedanklichen Eigenkomplexität voraus (Eggers 1994, S. 47).
Die zahlreichen, unterschiedlich verwandten Definitionen des Komplexitätsbegriffes lassen eine intensive Beschäftigung notwendig erscheinen. Der Begriff der Komplexität wird umgangssprachlich häufig im Sinne von kompliziert, undurchschaubar oder unverständlich verwandt, der gleichzeitig das Unvermögen, die Dinge zu verstehen, zu erfassen und zu beeinflussen, beinhaltet (Malik 1989, S. 185). Für Ulrich und Probst (1991, S. 106 ff.) sind konstitutive Eigenschaften der Komplexität (1) die Anzahl und die Ausprägungsvielfalt der Beziehungen zwischen den Elementen eines Systems (ihr Vernetztheitsgrad) und (2) die Veränderungsgeschwindigkeit und Veränderungsqualität von Systemelementen (ihre Dynamik). Der Vernetztheitsgrad spiegelt dabei den strukturellen Aspekt und die Dynamik den prozessualen Aspekt der Komplexität wider. Stellt man die Kriterien Vernetztheitsgrad und Dynamik bildlich dar und legt die Ausprägungen der beiden Dimensionen mit Vielzahl/Vielfalt sowie Veränderlichkeit/Dynamik fest, so lassen sich durch Kombination ihrer Ausprägungen vier grundsätzliche Systemtypen (Ulrich/Probst 1991, S. 61 ff.; siehe Abb. 2-3) feststellen.
Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
33
Abb. 2-3: Komplexität von Systemen Ulrich und Probst (1991, S. 108; siehe auch v. Foerster 1984, S. 2 ff.) fassen einfache und komplizierte Systeme zu sogenannten trivialen Systemen und komplexe Systeme zu nicht-trivialen Systemen zusammen. Tabelle 2-1 verdeutlicht (in Anlehnung an Ulrich/Probst 1991, S. 110), daß es sich bei einfachen und komplexen Problemsituationen um grundsätzlich verschiedene System- bzw. Situationstypen handelt. Komplexe Systeme sind im Unterschied zu einfachen Systemen nicht nur durch eine größere Quantität, sondern zudem durch eine grundsätzlich andere Qualität gekennzeichnet.
34
Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
. .Einfache Situation Charakteristik
• wenige, gleichartige Elemente • viele, verschiedene Elemente • geringe Vernetztheit
• starke Vernetztheit
• wenig Verhaltensmöglich-
• viele verschiedene Verhaltens-
keiten der Elemente
möglichkeiten der Elemente
• determinierte, stabile
• viele veränderliche Wirkungs-
Wirkungsverläufe Erfassbarkeit
Komplexe Situation
verläufe im Zeitablauf
• analysierbar
• beschränkt analysierbar
• quantifizierbares Verhalten
• beschränkt quantifizierbare Verhaltensmuster
• prognostizierbar = analytisch erklärbar Geeigneter Model- • Systemtyp: Triviales System lierungsansatz Geeignete
• kausalanalytisches Denken
• Systemtyp: Nicht-triviales
• kausalanalytisches und ganzheitlich-vernetztes Denken
• quantitative Methoden
Problemlösungsmethoden
= synthetisch verstehbar
System
Denkweise Geeignete
• erkennbar
• quantitative und/oder qualitative Methoden
• Algorithmen
• Heuristiken und Algorithmen
Tab. 2-1: Merkmale einfacher und komplexer Problemsituationen Die Varietät, die die Anzahl der unterscheidbaren Zustände eines Systems wiedergibt, ist einer der zentralen Begriffe der Komplexitätsdimension
(Malik
1989, S. 186). Sie basiert auf dem von Ashby (1956, S. 207) aufgestellten Gesetz der erforderlichen Varietät: „Only variety can destroy variety." Es besagt, daß ein Lenkungssystem etwa über die gleiche Varietät verfügen sollte, wie das zu lenkende System. Die Hypothese, daß zwischen diesen beiden Varietäten ein Gleichgewichtszustand erreicht werden kann, muß nach Luhmann (1988, S. 249 f.) abgelehnt werden, da ein generelles Komplexitätsgefälle zwischen Lenkungssystem und dem zu lenkenden System zu konstatieren ist. Auf die strategische Marktforschung bezogen heißt das, daß deren komplexe Problemstellungen nur mit einem Management unter Kontrolle gebracht werden können, das über eine (annähernd) entsprechende Varietät bzw. Komplexität verfügt. Um den Umgang mit komplexen Systemen beherrschbar zu machen, ist auf unterschiedlichen Unternehmensebenen ein Wechsel zwischen varietätsverstärkenden und Varietätsreduzierenden Maßnahmen notwendig. Eine Annähe-
Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
35
rung an die Realität erfolgt dabei mit Hilfe von Modellen, deren Ziel es sein muß, die systemimmanente Varietätsdifferenz zwischen Modell und Wirklichkeit zu reduzieren. Dörner (1989, S. 66) vergleicht einen Entscheider in einer komplexen Handlungssituation mit einem Schachspieler, „... der mit einem Schachspiel spielen muß, welches sehr viele (etwa: einige Dutzend) Figuren aufweist, die mit Gummifäden aneinanderhängen, so daß es ihm unmöglich ist, nur eine Figur zu bewegen. Außerdem bewegen sich seine und des Gegners Figuren auch von allein, nach Regeln, die er nicht genau kennt oder über die er falsche Annahmen hat. Und obendrein befindet sich ein Teil der eigenen und der fremden Figuren im Nebel und ist nicht oder nur ungenau zu erkennen." Trotz all dieser Beschränkungen bei der Beschreibung komplexer Phänomene weist Hayek (1972, S. 34) auf die Notwendigkeit zur Entwicklung von Techniken hin, die in der Lage sind, zumindest gewisse Muster oder Ordnungen aufzuzeigen (siehe auch Mertens 1977, S. 777 ff.; Viefhues 1989, Sp. 1220 f.). Daß mathematische Exaktheit über ein bestimmtes Maß hinaus nicht sinnvoll ist, hat der Begründer der unscharfen Logik (Fuzzy Logic) Lofti A. Zadeh in seinem „Prinzip der Inkompatibilität" dargelegt: In dem Maße,
in dem die Komplexität
eines
Systems steigt, vermindert sich unsere Fähigkeit, präzise und relevante Aussagen über sein Verhalten zu machen. Ab einer gewissen Schwelle werden Präzision und Relevanz antagonistische Eigenschaften des Systems (Zadeh
1965,
S. 338-353; siehe auch Zimmermann 1993; Kosko 1993; Paysen 1992).
1.4
Aspekte einer systemtheoretischen Ausrichtung der strategischen Marktforschung
Ulrich (1972, S. 97) charakterisiert das systemische Denken wie folgt: „Es ist ein Denken in Interdependenzen vieler Elemente und Kräfte statt des noch sehr üblichen monokausalen Denkens, das für jede einzelne Erscheinung eine bestimmte Ursache sucht. Es ist ein Denken in offenen Systemen mit der automatischen Frage nach Umwelteinflüssen statt des isolierenden Denkens, das wichtige Einflüsse und Fernwirkungen vernachlässigt. Es ist ein Denken in Regelkreisen statt in linearen, von oben nach
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Teil II: Die systemtheoretische Perspektive d e r strategischen M a r k t f o r s c h u n g
unten führenden Steuerketten. Es ist ein wechselndes ganzheitliches und analytisches Denken statt des einseitig analysierenden Denkens der klassischen Wissenschaften. Es ist ein interdisziplinäres Denken, das klassische Wissenschaftsgrenzen außer acht läßt. Es ist ein auf Gestalten und nicht bloß Erkennen der Wirklichkeit ausgerichtetes Denken, das die Welt als etwas Werdendes, nie Vollendetes und sich stets Veränderndes ansieht und nicht als eine Welt von statischen Objekten mit ein für alle Mal bestimmten Eigenschaften." Dieses Zitat soll in den folgenden Abschnitten unter dem Gesichtspunkt der strategischen Marktforschung interpretiert werden.
1.4.1
Ganzheitliches Denken in offenen Systemen
Das Konzept der strategischen Marktforschung (siehe Teil 1-3) kann nur dann den strategischen Anforderungen der Unternehmensführung gerecht werden, wenn verstärkt ganzheitlich-vernetzte Denkstrukturen in offenen Systemen Einzug in die Marktforschung halten. Ganzheitliches Denken beinhaltet ein „... integrierendes zusammenfügendes Denken, das auf einem breiteren Horizont beruht, von größeren Zusammenhängen ausgeht, viele Einflußfaktoren berücksichtigt, und das weniger isolierend und zerlegend ist als das übliche Vorgehen. Es ist ein umfassenderes, generalistisch orientiertes Denken, das auch eine andere Gestaltungs- und Lenkungsphilosophie verlangt"
(Probst/
Gomez 1991, S. 5). Ganzheitliches Denken soll dabei nicht als endlich gefundener Weg zu objektiver Erkenntnis, zu endgültiger Wahrheit verstanden werden (Ulrich 1985, S. 29). Innerhalb komplexer Systeme existieren nicht nur vielfältige Wechselwirkungen zwischen den Elementen eines Systems, sondern zudem auch mannigfaltige Verflechtungen mit Super-und Subsystemen (siehe Teil II-1.2). Strategische Fragestellungen der Unternehmensführung müssen deshalb von der strategischen Marktforschung als untrennbare, verbundene Systeme ihrer relevanten Umsysteme betrachtet werden. Hierin zeigt sich der integrative Charakter der strategischen Marktforschung, der hinsichtlich der Zweckerfüllung der Problemstellung zusätzlich seine Umsysteme mit in das Entscheidungskalkül einbezieht.
37
Teil II: D i e systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Die strategische Marktforschung sollte eine einmal fokussierte Problemstellung nicht als etwas statisches, sondern als ein im Zeitablauf neu zu überdenkendes und in seiner Vielfalt der Verhaltensmöglichkeiten neu zu erfassendes System begreifen.
Hieran
anschließend
stellt
sich
die grundsätzliche
Frage,
wie
komplexe Problemstellungen zu modellieren und zu analysieren sind, um den gestellten Anforderungen nach Ganzheitlichkeit und Offenheit zu genügen. Systemadäquate
Modelle und Methoden,
wie z. B. die
komplex-vernetzte
Kausalanalyse, die Simulation, die Szenarioanalyse oder deren Kombinationen, besitzen das Potential, die komplexen Problemstellungen der Unternehmensführung hinreichend
abzubilden,
da
sie die
Vernetzung
der
Systemteile
berücksichtigen.
1.4.2
Analytisches und synthetisches Denken
Rein analytisches Vorgehen, bei dem auf der Basis von Detailwissen über die einzelnen Elemente und isolierten Ursache-Wirkungsketten das Wesen des Ganzen zu erklären versucht wird, ist geprägt von der Illusion der Beherrschbarkeit komplexer Systeme (Haken 1995, S. 21 f.). Als Konsequenz resultieren monokausales Denken und das Streben nach eindimensional-ökonomischen Zielgrößen sowie die ausschließliche Orientierung an kurzfristig Machbarem (Steinbrecher 1990, S. 4). Weitere Konsequenzen dieses Denkansatzes sind die organisatorische Zersplitterung und die voranschreitende Spezialisierung im Unternehmen (Servatius 1991, S. 103 f.). Klassische Marktforschung ist ein typischer Repräsentant des vorwiegend analytischen Denkens.
Die Ergebnisse
klassischer
Marktforschung sollten deshalb nur zur Unterstützung taktisch-operativer Entscheidungen herangezogen werden (siehe Teil 1-2.2). Grundlage der strategischen Marktforschung ist ein flexibles, wechselseitiges analytisch-synthetisches Vorgehen, um einerseits den Elementen selbst und ihrer Vernetzung und andererseits der Ganzheit Rechnung zu tragen. Strategische Marktforschung verzichtet somit keinesfalls auf analytische Elemente, jedoch führt die Marktforschung ihre Analysen unter anderen Bedingungen durch. Der strategische Marktforscher versucht dabei, abwechselnd auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen zu arbeiten, um die komplexe Fragestellung zu bewältigen. Diese Vorgehensweise ermöglicht die Analyse von Details, ohne den Gesamt-
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T e i l II: D i e s y s t e m t h e o r e t i s c h e P e r s p e k t i v e d e r s t r a t e g i s c h e n M a r k t f o r s c h u n g
Zusammenhang aus den Augen zu verlieren. Rosnay (1977; zitiert nach Vester 1991, S. 43) gibt einen Überblick über den Systemansatz und stellt ihn dem analytischen Ansatz gegenüber (siehe Tab. 2-2), der nicht im Sinne eines Entweder-Oder, sondern eines Sowohl-Als-auch verstanden werden soll.
Analytischer Ansatz
Systemansatz
Isoliert: Konzentriert sich auf die einzelnen
Verbindet: Konzentriert sich auf die Wechsel-
Elemente des Systems
wirkungen zwischen d e n Elementen
Berücksichtigt die Art der Wechselwirkungen
Berücksichtigt die Ergebnisse der Wechselwirkungen
Stützt sich auf die Genauigkeit der Details
Stützt sich auf die W a h r n e h m u n g der Ganzheit
Verändert jeweils nur eine Variable
Verändert Gruppen von Variablen gleichzeitig
Ist unabhängig von der Zeitdauer: Die betrachteten
Bezieht die Zeitdauer und Irreversibilitäten ein
Probleme sind reversibel Die Bewertung der Tatsachen erfolgt durch experi-
Die Bewertung der Tatsachen erfolgt durch d e n Ver-
mentellen Beweis im Rahmen einer Theorie
gleich einer Funktion eines Modells mit der Realität
Bildet genaue und detaillierte Modelle (z. B. ökono-
Bildet Modelle, die nicht stichhaltig genug sind, um
metrische Modelle), die jedoch kaum in
als Wissensbasis zu dienen (z. B. Meadows), j e d o c h
Handlungen umsetzbar sind
für Entscheidungen und Handlungen brauchbar
Nützlicher Ansatz, solange es sich um lineare und
Nützlicher Ansatz bei nichtlinearen und starken
schwache Wechselwirkungen handelt
Wechselwirkungen
Führt zu einer disziplinorientierten Ausbildung
Führt zu einer interdisziplinären Ausbildung
Führt zu einer im Detail programmierten Hand-
Führt zu einer durch Ziele bestimmten Handlungs-
lungsweise
weise
Erreicht gutes Detailwissen, jedoch schlecht
Erreicht nur unscharfe Details, jedoch gutes Wissen
definierte Ziele
über die Ziele
Tab. 2-2:
Zwei Ansätze zur Erfassung der Wirklichkeit
Die Kombination beider Ansätze könnte beispielsweise so aussehen, daß Problemstellungen von unternehmensweiter Bedeutung auf einem höheren Aggregationsniveau in Subsysteme mit einem niedrigeren Aggregationsniveau untergliedert werden, um einzelne zentrale Faktoren in ihren Mikroabhängigkeiten zu untersuchen. Die betrachtete Problemstellung wird also bewußt analytisch zerlegt und synthetisch zu etwas Neuem zusammengefügt, und dies in ständigem Bewußtsein der Arbeit auf verschiedenen Abstraktionsebenen.
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Teil II: D i e systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
1.4.3
Denken in kreisförmigen Prozessen
Dörner (1983; 1989) hat mit seinen Simulationsexperimenten nachgewiesen, daß der Mensch beim Erfassen und Planen von komplexen Systemen
schwer-
wiegende Fehler macht: •
Primär der augenblickliche Zustand einer komplexen Problemstellung wird berücksichtigt, ohne die zeitlichen Abläufe und die Wechselwirkungen der Entscheidungssituation zu reflektieren.
•
Die mangelnde Fähigkeit, Fern- und Nebenwirkungen,
Rückkopplungen,
Schwellenwerte, Umkippeffekte und Nichtlinearitäten in das Entscheidungskalkül miteinzubeziehen. •
Menschliches Denken ist geprägt durch ein Denken in Wirkungsketten statt in Wirkungsnetzwerken. Das Ergebnis sind wohlunterscheidbare UrsacheWirkungs-Ketten von Einzelwirkungen. Der Tatsache, daß eine Ursache viele unterschiedlich starke Wirkungen haben kann, die letztlich wieder auf sich selbst wirken, wird hierdurch kaum Rechnung getragen.
Die strategische Marktforschung sollte sich bei ihren Fragestellungen die oben angeführten Probleme menschlichen Denkens immer vor Augen halten und in adäquater Weise berücksichtigen. Der strategische Marktforscher wird bei seinen Problemstellungen zunächst die Beziehungen zwischen den Elementen analysieren, um festzustellen, welche Rückwirkungen im System existieren. Erst die Integration der Beziehungen zwischen den Elementen und der Rückkopplungen sowie verschachtelter Regelkreise im Rahmen von Netzwerken bzw. Feedback-Diagrammen (Forrester 1972, S. 23 ff.; Gomez/Probst 1989, S. 8; Grossmann 1992, S. 82 ff.) ermöglicht es, Zusammenhänge leichter zu erkennen und die Problemsituation umfassender zu beurteilen. Die Abbildung einer Problemstellung in Netzwerken macht deutlich, daß das Verhalten eines Systems nicht aus den einzelnen Elementen ableitbar ist, sondern daß aus dem Zusammenwirken der Systemelemente spezifische Eigenschaften des Systems hervortreten. Rückkopplungen, Nebenwirkungen, Schwellenwerte usw., die in strategische Fragestellungen eingebettet sind, werden so transparent und schärfen das Verständnis für deren Entstehung. Schon durch gedankliche Simulation derartiger Netzwerke kann ein erstes Gefühl für die Sensitivität der Elemente des Systems bzw. der Problemstellung geschaffen werden, das den „Systemdenker"
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Teil II: D i e systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
in die Lage versetzt, erste Lenkungsalternativen zu kreieren. Das Denken in Netzwerken regt so zu kreativen, innovativen Lösungen an.
1.4.4
Denken in Strukturen und informationsverarbeitenden Prozessen
Das Verhalten eines Systems wird durch seine Struktur begrenzt. Aufgabe der strategischen Marktforschung ist, jene Strukturen zu erfassen, die innerhalb eines Systems für Konstanz, Veränderung, Anpassung oder Entwicklung verantwortlich sind, um nach Uberschreiten eines Grenzwertes einen Warnmechanismus in Gang zu setzen. Informationsverarbeitende Prozesse, die einem Denken in zusammenhängenden Vorgängen, Abläufen und damit dem dynamischen Kontext einer Problemstellung Rechnung tragen sollen, haben eine zentrale Bedeutung zur Lenkung eines Systems (Probst 1985, S. 196). Informationen haben dabei durch ihren potentiell ordnungsschaffenden Charakter eine Reduktion von Entropie zur Folge. Das Erkennen von Ordnungsmustern eines Systems oder einer Problemstellung gehört damit zum Aufgabenspektrum des strategischen Marktforschers. Strategische Marktforschung darf jedoch nicht mit dem Erkennen von Systemregelmäßigkeiten enden, sondern beinhaltet zusätzlich ein auf Gestalten ausgerichtetes Denken, daß eine Problemstellung als etwas sich permanent Veränderndes wahrnimmt. Da der strategischen Marktforschung eine Entscheidungsunterstützungs-Funktion gegenüber der Unternehmensführung zukommt (siehe Teil I), sind Verhaltensalternativen einer Problemstellung und damit die Strukturen zu eruieren, die ein bestimmtes Verhalten ermöglichen oder verhindern. Die Struktur des Lenkungsmechanismus einer Problemstellung steht damit als Untersuchungsziel im Vordergrund. Deshalb sind die Verhaltensmöglichkeiten eines Systems zu überdenken und den Lenkungsmöglichkeiten gegenüberzustellen. Dieses Verhaltens- und Lenkungsrepertoire, beispielsweise im Sinne alternativer Szenarien, gilt es der Unternehmensführung zur Verfügung zu stellen.
41
Teil II: D i e systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
1.4.5
Interdisziplinäres Denken
Die Unternehmensführung sowie die mittleren und unteren Leitungsebenen sind noch häufig der Überzeugung, daß eine Problemstellung eindeutig bestimmten Wissenschaftsdisziplinen zugeordnet werden kann. Insbesondere die Ausbildung in Schulen und Universitäten hat zur Konsequenz, daß „... wir häufig Probleme selektiv im Rahmen disziplinarer Abgrenzungen wahrnehmen und behandeln und dann meinen, wir hätten wirkliche Probleme erfaßt und gelöst" (Probst 1985, S. 200). In diesem Zusammenhang konstatiert Ulrich (1981, S. 14): „Das Verhalten komplexer sozialer Systeme ist mit Hilfe der Hypothesen einer wissenschaftlichen Disziplin nicht erklärbar; entsprechende Gestaltungsprobleme in der Praxis sind adisziplinär, sie haben mit der Einteilung der empirischen Grundlagenwissenschaften überhaupt nichts zu tun."
Die Idee der Interdisziplinarität resultiert aus der Nutzung unterschiedlicher Perpektiven
und
Weltanschauungen
(v. Bülow
1988,
S. 122;
Schwaninger
1989a, S. 21 f.). Die strategische Marktforschung sollte in ihrem Vorgehen durch die Förderung von Interdisziplinarität ein Loslösen von zu engen Sichtweisen bewirken. Ihre komplex-vernetzten Problemstellungen erfordern geradezu eine Integration von Wissen aus unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen. Die Bildung interdisziplinärer Teams würde dazu führen, daß das Synergiepotential durch die unterschiedlichen Problemzugänge einzelner Teammitglieder besser ausgeschöpft werden kann. Insbesondere der Zugriff auf Erkenntnisse, Theorien, Methodiken und Modelle benachbarter Wissenschaftsdisziplinen führt durch deren Integration in eine strategische Marktforschung - beispielsweise im Rahmen von Analogieschlüssen - zu einer
Verbesserung
ihrer Erkenntnis- und Lenkungsmöglichkeiten sowie ihrer Ergebnisqualität.
2.
Modelle als Hilfe zur Strukturierung von Komplexität
2.1
Begriff und Funktion des Modells
Die Modellbildung stellt das wirksamste Instrument dar, um Informationen über Eigenschaften und Wirkungsweisen von komplexen Systemen zu generieren (Ulrich 1970, S. 146; Zwicker 1981, S. 19; Schwaninger 1989b, S. 157). Ein
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Teil II: D i e systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Modell repräsentiert ein Abbild eines Ausschnittes der Wirklichkeit, das von dem System bzw. der Problemstellung determiniert wird (Freiburghaus 1993, S. 10 f.). Abbildungsmedium der Modellierung ist das geistige Vorstellungsbzw.
Wahrnehmungsvermögen.
Die Modellbildung
kann
nach
Stachowiak
(1973, S. 73) als iterativer Prozess dargestellt werden, dessen Ausgangspunkt der relevante Ausschnitt der Realität bildet (siehe Abb. 2-4).
Ein Modell, welches das Resultat eines Abstraktionsprozesses ist, erschöpft sich allerdings nicht in der Beschreibung von Elementen und deren Vernetzungen. Darüber hinaus dienen Modelle der Erklärung, indem sie die Ursachen für Verhalten über das System aufdecken und Entscheidungen - durch Aufzeigen von Handlungsalternativen - unterstützen (Wöhe 1978, S. 29 f.).
Teil II: D i e systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
43
Hinsichtlich des Ausmaßes der Ähnlichkeit zwischen System und Modell unterscheidet man zwischen isomorphen und homomorphen Modellen. Während bei isomorphen Modellen die Struktur von Modell und System identisch ist, sind homomorphe Modelle dadurch gekennzeichnet, daß die Struktur von Modell und System ein geringeres Maß an Ähnlichkeit aufweist. Bei Modellen handelt es sich in der Regel um reduzierte Abbildungen - sprich homomorphe Modelle von realen Systemen, da das Denken von Menschen durch selektive Informationsaufnahme geprägt ist. Homomorphe Modelle dienen dabei der Vereinfachung von Systemen durch Reduktion von Komplexität. Komplexitätsreduktion soll allerdings nicht mit einer Zerstörung von Komplexität, sondern im Sinne ihrer Beherrschung verstanden werden.
Auch Manager treffen ihre Entscheidungen anhand von Modellen. Da die Güte dieser Entscheidungen im wesentlichen davon abhängt, wie gut ein Modell das System bzw. die Problemstellung abbildet, muß darauf geachtet werden, daß der allseits vorhandene Hang zur Vereinfachung von Modellen bzw. der daraus entstehende Komplexitätsverlust nicht unnötig groß ist. Deshalb gilt es, eine genügende Isomorphie zwischen Modell und Problemstellung herzustellen. Andererseits muß die Varietätsdifferenz zwischen Modell und System so groß sein, daß auch tatsächlich eine Reduktion von Komplexität erzielbar ist, die es dem Entscheider ermöglicht, Rückschlüsse auf das Verhalten des Systems zu ziehen. Das Prinzip der reversiblen Varietätsreduktion besagt: Bilde ein Modell über das System so ab, „... daß dessen Varietät zwar reduziert, nicht aber zerstört [wird], und halte dieses Modell durch Kopplung mit der Realität stets auf dem für die Überwachung notwendigen aktuellen Stand" (Gomez 1978, S. 223).
Im Sinne der Varietätsreduktion ist es notwendig, ein möglichst realitätsnahes Modell über das System zu erstellen. Das Modell muß jedoch nicht das letzte Detail des Systems abbilden, sondern es genügt, die wesentlichen Elemente und Vernetzungen des Systems zu erfassen (Gomez 1978, S. 225). Die Qualität eines Modells ist folglich keine Funktion der Anzahl seiner Elemente, sondern konstituiert sich aus der Kenntnis seiner essentiellen Elemente (Schwaninger 1989b, S. 161 f.). Dieses Modell gilt es, im Zeitablauf hinsichtlich neuer Elemente, neuer Beziehungen und ihrer dynamischen Abhängigkeiten regelmäßig zu überprüfen. Eine derartige Modellbildung versetzt die Entscheider in die Lage, neben der Erkenntnisgenerierung zusätzlich Handlungsalternativen auf ihre Wirkung hin zu untersuchen, um eine Verbesserung der Entscheidungsfindung zu
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Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
bewirken. Meyer (1986, S. 16) umschreibt die Vorteile des Denkens in Modellen als eine „... Erklärung und Gestaltung von Wirklichkeit in einer möglichst effizienten Weise: Es kostet weniger, ist ungefährlicher und oft der einzige Weg, mit Modellen anstelle der Wirklichkeit zu experimentieren."
2.2
Modell lebensfähiger Systeme nach Beer
Stafford Beer (1979; 1981) versucht mit seinem Modell des lebensfähigen Systems ( = Viable System Model (VSM)) einen konsistenten Ansatz zur Beschreibung komplexer Systeme zu liefern. In struktureller Analogie zu biologischen und neurophysiologischen Erkenntnissen stellt Beer fest, daß nicht nur alle lebensfähigen humanen Systeme ein invariantes, grundlegendes Strukturmuster aufweisen, sondern dieses auch bei Unternehmen und anderen sozialen Systemen nachgewiesen werden kann. Aus den Mindestanforderungen, die an lebensfähige Modelle gestellt werden, leitet Beer ein allgemeingültiges Modell ab, das aussagt, was die Lebensfähigkeit von Unternehmen determiniert. Bevor das Modell im einzelnen beschrieben wird, ist zunächst auf drei Gestaltungsprinzipien einzugehen, die den Ansatz maßgeblich prägen: •
Das Prinzip der Lebensfähigkeit dient zur Beurteilung der strukturellen oder systemischen Effektivität eines Systems (Malik 1989, S. 113). Damit ein Gesamtsystem das Kriterium der Lebensfähigkeit aufweist, sollte es die Systeme I bis V (siehe S. 46 f.) und alle erforderlichen Lenkungsmechanismen beinhalten. Mit Lebensfähigkeit ist dabei die Fähigkeit gemeint, eine Systemkonfiguration aufrechtzuhalten, die sich in einer gegebenen Umwelt längerfristig als optimal erweist (Herold 1991, S. 72 f.). Dazu ist es notwendig, sich einer dynamischen Umwelt anzupassen, von dieser zu lernen und sich selbst in seiner Struktur weiterentwickeln zu können (Beer 1989, S. 334).
•
Inhalt des Prinzips der Autonomie ist, daß die einzelnen Systeme mit einer Verhaltensfreiheit ausgestattet sind, die es ihnen ermöglicht, die Varietät ihrer relevanten Umwelt zu erfassen. Die Logik der Lebensfähigkeit eines Systems fordert allerdings, daß die Autonomie eines Subsystems dort ihre Grenze findet, wo eine weitere Verselbständigung zu einer Gefährdung der
Teil II: D i e systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
45
Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems führen würde (Schwaninger 1989b, S. 242). •
Nach dem Prinzip der Rekursivität muß jedes Subsystem innerhalb eines lebensfähigen Systems seinerseits ein lebensfähiges System darstellen. „In a recursive organizational structure, any viable system contains, and is contained in, a viable system" (Beer 1979, S. 118). Dies hat zur Folge, daß jedes Subsystem das gleiche Strukturmuster der Systeme I bis V (siehe S. 46 f.) aufweisen muß.
Abbildung 2-5 stellt das Modell lebensfähiger Systeme als Ganzes dar (Beer 1985, S. 136).
Abb. 2-5: Modell des lebensfähigen Systems Nach der Theorie von Beer hängt die Lebensfähigkeit eines Unternehmens von dem Vorhandensein von fünf Strukturkomponenten (System I bis V) ab, die einerseits eindeutig unterscheidbare Funktionen erfüllen und andererseits auf
46
eine
Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
bestimmte
Art
und
Weise
miteinander
interagieren
müssen
(siehe
Abb. 2-5). Die Systeme I bis V, die im folgenden diskutiert werden, sind jedoch nicht mit Institutionen, Projektteams usw. zu verwechseln, sondern stellen Gruppierungen von Aktivitäten dar, die im Rahmen des Ganzen eine Funktion wahrnehmen (Gomez 1981, S. 88). 1.
Divisionales Management (System I)
„The purpose of the system is what it does! And what the viable System does is done by System One" (Beer 1985, S. 128). Die Systeme I stellen als Lenkungsinstanzen die unterste Ebene des Gesamtsystems dar. Diese autonomen Operationseinheiten bzw. Divisionen bestehen einerseits aus ihrem Division-Management ( = Quadrate in Abb. 2-5). Andererseits sind entsprechende operative Tätigkeiten ( = Kreise in Abb. 2-5) notwendig, um die spezifischen Interaktionen mit der Umwelt („Local Environment") aufrechtzuhalten. Sie stellen gleichzeitig die Hauptaktivitäten des Gesamtsystems dar. Da Systeme I lebensfähig sind, findet man in jedem System I definitionsgemäß das strukturelle Muster des Gesamtsystems wieder (Malik 1989, S. 87). Die Anzahl der Systeme I ist dabei nicht beliebig, sondern hängt davon ab, ob eine Division das Merkmal der Lebensfähigkeit besitzt. Jede Division übernimmt einen bestimmten Aufgabenbereich innerhalb der Gesamtorganisation, wobei der Aufgabe entsprechend nur ein Teil der Varietät der Umwelt absorbiert werden kann.
2.
Divisionale Koordination (System II)
„System Two has the highly specific function of damping oscillations, and nothing else. In fact, then, System Two is a service to System One" (Beer 1979, S. 177). Die Autonomie eines Systems I wird einerseits durch die übergeordnete Unternehmenspolitik und andererseits durch die Aktivitäten
der
übrigen Systeme I beschränkt. Den Systemenil ( = Dreiecke in Abb.
2-5)
kommt deshalb primär eine Koordinationsfunktion der weitgehend autonomen Systeme I zu, die neben der Sicherstellung des Informationsflusses zwischen den Systemen I zusätzlich die Aufgabe haben, Synergieeffekte zu realisieren. Die Systeme II bilden dabei das Bindeglied zwischen den Systemen I und den Systemen III.
47
Teil II: D i e systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
3.
Operatives Management (System III)
„System Three is first of all typified by its metasystemic nature, and by the SYNOPTIC SYSTEMIC viewpoint from which it surveys the total activity of the operational elements of the enterprise. It is aware of all that is going on inside the firm, now" (Beer 1979, S. 202). System III ist verantwortlich für den reibungslosen Ablauf des gesamten internen Unternehmensgeschehens bei dem häufig kurzfristige Entscheidungen getroffen und operative Tätigkeiten („sporadic audits") der Systeme I überwacht
werden müssen
(Beer
1973,
S. 182 f.). Die Ziele von System III beinhalten die Sicherstellung der internen Stabilität des Unternehmens und die Allokationsoptimierung der Ressourcen Material, Personal, Finanzen und Information für die Systeme I und II. Das System III setzt sich vorzugsweise aus denselben Mitarbeitern zusammen, die die Systeme I leiten, nur befinden sie sich nun gedanklich auf einer höheren Abstraktionsebene.
4.
Strategisches Management (System IV)
„Every viable System is involved in an environment that is wider than the sum of System One Environments. Every viable system distinguishes between the problematic component of its wider environment that 'belongs' to it, and the accepted wider environment in which it is contained" (Beer 1979, S. 227 f.). Aufgabe von System IV ist zum einen die Sicherstellung der externen Stabilität des Unternehmens bei der die Aufnahme, Verarbeitung und Weiterleitung von Umweltinformationen im Vordergrund steht und zum anderen die Auseinandersetzung mit der Zukunft des Gesamtsystems. Es gilt die zukünftige Entwicklung der Unternehmensinnenwelt und -umweit so früh wie möglich zu erkennen, um mögliche Strategien in ihrer Wirkungsbreite zu simulieren. Die Weiterleitung dieser Informationen erfolgt sowohl an das übergeordnete System V als auch an System III.
5.
Normatives Management (System V)
Die Informationen des Systems III und IV bilden für das System V die Basis, um die übergeordnete Politik des Gesamtsystems zu planen. Diese besteht in der Entwicklung einer Unternehmensphilosophie und von Verhaltensrichtlinien, in deren Rahmen sich alle anderen Systeme bewegen und die eine Harmonisierung aller Systemaktivitäten gewährleisten soll. Das System V soll die interne und externe Stabilität und damit die Lebensfähigkeit des Gesamtsystems sicherstellen.
48
Teil II: Die systemtheoretische Perspektive der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Mit dem Modell lebensfähiger Systeme, dem ein interdisziplinäres Denken in offenen, autonomen, rekursiven Systemen immanent ist und das sowohl analytisches als auch synthetisches Denken sowie Selbstregulierungskräfte berücksichtigt, kann eine maximale Flexibilität entwickelt werden, um in komplexen, dynamischen Umwelten zu bestehen. Nach Gomez und Zimmermann (1992, S. 98) bildet das Modell lebensfähiger Systeme so einen Bezugsrahmen für die •
Analyse der Effektivität von natürlichen und sozialen Systemen,
•
die Diagnose möglichen Fehlverhaltens dieser Systeme und
•
die Gestaltung optimaler Organisationsstrukturen insbesondere für soziotechnische Systeme wie Unternehmen.
3.
Zusammenfassung
Die Darlegungen zur Systemtheorie inklusive der Darstellung ausgewählter Systemeigenschaften wie der Offenheit, der Stochastik, der Dynamik und der Komplexität haben deutlich gemacht, daß systemtheoretische Erkenntnisse im Sinne einer Metatheorie grundsätzlich für das Konzept der strategischen Marktforschung nutzbar gemacht werden können. Die systhemtheoretische Ausrichtung der strategischen Marktforschung manifestiert sich dabei in einem: •
ganzheitlichen Denken in offenen Systemen,
•
analytischen und synthetischen Denken,
•
Denken in kreisförmigen Prozessen,
•
Denken in Strukturen und informationsverarbeitenden Prozessen und
•
interdisziplinären Denken.
Um Systeme bzw. Problemstellungen in ihrer Komplexität hinreichend abzubilden, bedient sich die strategische Marktforschung der Modellbildung, die das Extrakt des menschlichen Vorstellungs- bzw. Wahrnehmungsvermögens ist. Am Modell lebensfähiger Systeme von Stafford Beer wurde deutlich, daß ein allgemeiner Bezugsrahmen für Gestaltungs- und Lenkungsprinzipien existiert, der das langfristige Überleben von Systemen determiniert.
49
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Teil III:
Ausgewählte Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung
Bevor eine eingehende Diskussion über relevante Methoden und Methodenkombinationen im Rahmen strategischer Marktforschung geführt werden kann, muß zunächst geklärt werden, durch welche Methoden der strategische Informationsbedarf des Managements grundsätzlich gedeckt werden kann. Tabelle 3-1 klassifiziert Methoden der strategischen Marktforschung hinsichtlich relevanter Merkmale: Das Kriterium „Art der Analyse" verdeutlicht, ob die Methoden quantitativen oder qualitativen Dateninput benötigen, während die Unterscheidung zwischen „statisch" und „dynamisch" dafür steht, ob es sich um eine Zeitpunkt- oder Zeitraumbetrachtung handelt. Anhand des Merkmals „Fristigkeit der Aussagen", wird deutlich, inwiefern die Methoden zur Generierung kurz-, mittel- oder langfristiger Informationen geeignet sind. Die Entscheidung, ob eine Methode der Kategorie
„singuläre
Analyse"
oder der
Kategorie
„Systembetrachtung" zugeordnet wird, hängt davon ab, inwiefern eine Methode die Interdependenzen zwischen den zu analysierenden Einflußgrößen berücksichtigt und damit einer komplex-vernetzten Problemstellung Rechnung trägt (siehe S. 16). Dieses Kriterium wird dazu verwandt, um zwischen strategischen Marktforschungsmethoden im „weiten Sinn" und im „engen Sinn" zu unterscheiden.
Kriterium
Methode
Art der Analyse
quantitativ
qualitativ
Abbildung des zeitlichen
Fristigkeit der
Berücksichtigung der Interdependenzen
Entwicklungsverlaufs
Aussagen
zwischen den zu analysierenden Größen
statisch
mittel
singuläre Analyse
Kohortenanalyse
Strategische
Zeitreihenanalyse
Marktforschungs-
Conjointanalyse
methoden
Delphimethode
i m weiten S i n n
fo^iH Szenarioanaîysc
Systembetrachtung
forschungtttiethodert
Tab. 3-1: Klassifikation ausgewählter Methoden der strategischen Marktforschung Die aufgeführten Methoden in Tabelle 3-1 weisen spezifische Vor- und Nachteile auf hinsichtlich ihrer Eignung, Problemstellungen der strategischen Unter-
50
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
nehmensführung wirkungsvoll zu unterstützen. Da innerhalb der strategischen Unternehmensführung vorwiegend komplex-vernetzte Systeme bzw. Problemstellungen einer Lösung zuzuführen sind, schränkt dies die Eignung
der
„Methoden im weiten Sinn" im Vergleich zu den Methoden der Kausalanalyse, der Szenarioanalyse und der Sensitivitätsanalyse ein. Aus diesem Grund wird im folgenden auf die Kohortenanalyse (Weßner 1989; Weber 1988), zeitreihenanalytische Box-Jenkins-Modelle (Scheer 1983), die Conjointanalyse
(Backhaus
et al. 1990) sowie die Delphimethode (Geschka 1977; Köhler 1978) nicht näher eingegangen („Methoden im weiten Sinn"). Der Vorteil der „Methoden im engen
Sinn"
besteht
insbesondere
darin,
daß
sie
im Gegensatz
zu
den
„Methoden im weiten Sinn" eine Vielzahl von Einflußgrößen identifizieren können, um sie dann in ihrer vernetzten Struktur - in ihrem Systemzusammenhang abzubilden. Den Methoden der Kausal-, Szenario- und Sensitivitätsanalyse sowie ihren Methodenkombinationen (siehe S. 20 f.) ist folglich der Vorzug zu geben, da sie eher in der Lage sind, die Entscheidungskomplexität strategischer Problemstellungen zu berücksichtigen und Wege zur Bewältigung vernetzter und dynamischer Zusammenhänge aufzuzeigen. Dies motiviert zur nachfolgenden Diskussion und Anwendung dieser Methoden.
Im folgenden wird das Potential der „Methoden im engen Sinn" untersucht, Entscheidungsprozesse des strategischen Managements wirksam zu unterstützen, wobei eine Unterteilung in Methoden zur statischen und zur dynamischen Komplexitätsbewältigung
vorgenommen
wird.
Darüber
hinaus
werden
die
„Methoden im engen Sinn" um sinnvolle Methodenkombinationen erweitert. In Teil IV, dem empirischen Teil dieser Arbeit, werden alle in Teil III diskutierten Methoden und Methodenkombinationen am Beispiel des deutschen PremiumPilsmarktes fundiert.
51
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
1.
Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse (WISA) als Methode zur statischen Komplexitätsbewältigung
1.1
Klassische Imageanalyse als Ausgangspunkt
Die meisten Märkte sind gesättigt. Die Produkte werden technisch homogener und funktional hochwertiger. Kroeber-Riel (1992, S. 122) spricht in diesem Zusammenhang von der Entmaterialisierung des Konsums, da sachlich funktionale Aspekte zugunsten emotionaler Konsumerlebnisse in den
Hintergrund
treten. Differenzierung findet damit zunehmend über Emotionen statt. In gleichem Maße steigt die Bedeutung der Imagepolitik für die Markenprofilierung. Ein Image wird dabei als mehrdimensionale Struktur des
eindimensionalen
Konstrukts Einstellung verstanden (Trommsdorff 1993a, S. 138). Das Image einer Marke besteht aus mehr oder weniger wertenden Eindrücken, die strenggenommen nur ganzheitlich bildhaft erfaßt werden können (Trommsdorff 1993a, S. 148). Als Determinante für Präferenzen und Kaufverhalten beeinflussen Images von heute die Marktanteile der Gegenwart und Zukunft (Woodside/ Clokey 1974; Laroche/Brisoux 1981 und 1986; Hildebrandt 1989, S. 360 ff.). Die von den Zielpersonen wahrgenommene Produktqualität, das Produktimage, wird somit zum wichtigsten Erfolgsfaktor.
Die Ergebnisse von Imageanalysen werden in ihrer einfachsten F o r m meist als Imagedifferentiale oder Imageprofile dargestellt, bei dem die wahrgenommenen Ausprägungen der Marken auf relevanten Merkmalen als Profile dargestellt werden. Profilvergleiche informieren über die merkmalsspezifischen Positionsunterschiede zwischen den Marken (zu methodischen Varianten, verhaltenstheoretischen
Modellen
sowie
praktischen
Problemen
von Imageratings
siehe
Trommsdorff (1975)). Abbildung 3-1 zeigt examplarisch das Imagedifferential von 20 Produktitems für fünf PKW-Oberklassemarken die auf einer
10er
Ratingskala gemessen wurden (eigene Analysen einer PKW-Studie). Es zeigt sich, daß die mit Imagedifferentialen gemessenen Wahrnehmungsunterschiede zwischen den Marken sehr gering sind. Mit Hilfe von Imagedifferentialen können damit keine strategischen Schlußfolgerungen getroffen werden, da die einzelnen Items zudem noch nicht auf strategisch relevante reduziert sind.
Imagedimensionen
52
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Perfekte Verarbeitungsqualität
• m
Sichere Fahreigenschaften
.
J
Höchste Unfallsicherheit
V
100%ige Zuverlässigkeit
.
V
Schadstoffarmer Motor
Ss
Wiederverwertbare Materialien .
Niedriger Kraftstoffverbrauch
.
Bequemes komfortables Auto
.
Geschmackvolle Inneneinrichtung
.
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.
Attraktives Aussehen
.
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Großer S p a ß beim Fahren Akzeptanz von Anderen I 4,5
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Sportliches Fahryefuhl
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Leistungsstarker Motor
Volle Identifikation mit dem Auto
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Niedrige Unterhaltungskosten
Geborgenheit
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Zukunftsweisende Technik
Sich sehen lassen können
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Geringste Reparaturanfälligkeit .
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V 6,5
7
7.5
8
9,5
10
1 0 Marke I _ Marke 2 ^ Marke 3 + Marke 4 ^ Marke 51
Abb. 3-1:
Imagedifferential für fünf PKW-Oberklassemarken
Bei der räumlichen Abbildung von Markenimages werden die konkurrierenden Marken auf möglichst wenigen, relevanten, voneinander unabhängigen Imagedimensionen abgebildet. Um derartige Positionierungsmodelle zu erzeugen, kommen in der Praxis vorwiegend kompositioneile Verfahren wie die explorative Faktorenanalyse und multiple Diskriminanzanalyse oder dekompositionelle Verfahren wie die mehrdimensionale Skalierung und die Korrespondenzanalyse zur Anwendung. Die Gründe für die weite Verbreitung räumlicher Positionierungsmodelle liegen in ihrer Anschaulichkeit, der plausiblen Analogie, daß Distanzen im Wettbewerbsraum mit Wettbewerbsintensitäten gleichzusetzen sind sowie
der
Anerkennung
und
guten
Verfügbarkeit
statistischer
Software
(Trommsdorff 1992, S. 330). Abbildung 3-2 zeigt exemplarisch das mittels explorativer Faktorenanalyse ermittelte Positionierungsmodell im PKW-Oberklassemarkt (eigene Analysen einer PKW-Studie).
53
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Die Interpretation von Positionierungsmodellen muß immer unter dem Blickwinkel der ihr zugrundeliegenden Prämissen und Beschränkungen vorgenommen werden. So ist die graphische Abbildung auf maximal drei Imagedimensionen begrenzt. Die Annahme, daß Konsumenten maximal drei Imagedimensionen zugrundelegen, um Wettbewerber voneinander zu unterscheiden, ist insbesondere bei High-involvement-Produkten wie z. B. Autos unrealistisch (Huber 1990, S. 93 f.). Daneben ist die Unabhängigkeit von Imagedimensionen nicht aufrechtzuhalten, da einzelne Imagedimensionen als Teile eines sich gegenseitig beeinflussenden Systems zu sehen sind.
Marke 1
Abb. 3-2:
Marke 2
Marke 1
Marke 4
Marke 5
Positionierungsmodell für fünf PKW-Oberklassemarken
Weiterhin unterstellen Positionierungsmodelle, daß alle Marken nach denselben Imagedimensionen beurteilt werden. Tatsächlich positionieren sich einzelne Marken
auf
gänzlich anderen
Imagedimensionen
als
ihre
Wettbewerber.
Positioning (Ries/Trout 1986), das den Begriffen „Unique-Selling-Proposition" (USP) und „Komparativer Konkurrenz-Vorteil" (KKV) entspricht, besagt, daß man mit einer alleinstellenden, einfachen Aussage, möglichst als erster, am Markt auftritt (Trommsdorff 1993b, S. 32). Räumliche Positionierungsmodelle können USPs nicht abbilden, da sie nur für die betreffende Marke und nicht für ihre Wettbewerber relevant sind. Die Vorstellung eines gemeinsamen Image-
54
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
raums für alle Marken entspricht deshalb einer restriktiven Theorie, die wesentliche Informationen unterschlägt, nicht jedoch der Realität. Zudem erlauben die extrahierten Imagedimensionen keine Aussage darüber, inwieweit sie den Kauf oder Nichtkauf einer Marke tatsächlich beeinflussen. Damit fehlt derartigen Positionierungsmodellen die Integration einer strategisch relevanten Größe wie z. B. der Kaufabsicht oder dem Marktanteil. Die mit Hilfe von Positionierungsmodellen ermittelten Ergebnisse können folglich in nur beschränktem Umfang zur Grundlage von Positionierungsstrategien herangezogen werden. Die Praxis benötigt deshalb zusätzlich ein realistischeres und strategierelevanteres Bild zur Analyse der vernetzten Wettbewerbsverhältnisse. Das Konzept der Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse (WISA), das im folgenden Abschnitt erläutert wird, soll die Lücken zwischen Imageforschung und strategischer Marktforschung schließen.
1.2
Grundlagen und Anforderungen der WISA
Ausgangspunkt der wettbewerbsorientierten Imageforschung ist die Überwindung der Restriktionen des Mono-Marken-Modells von Woodside und Clokey (1974) und des Multi-Marken-Modells von Laroche und Brisoux (1981), um dem komplex-vernetzten Informationsbedarf der strategischen Unternehmensführung gerecht zu werden. Beim Mono-Marken-Modell (Woodside/Clokey 1974, S. 35) wirken sich einzelne Imagekomponenten nur auf die betreffende Marke selbst aus (siehe Abb. 3-3). Die Einflüsse von Wettbewerber-Images auf das Kaufverhalten einer Marke werden damit nicht berücksichtigt.
Teil III: Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung
Image Marke A
Abb. 3-3:
Image Marke B
55
Image MarkeC
Mono-Marken-Modell
Das Mono-Marken-Modell wird von Laroche und Brisoux (1981) zu einem Multi-Marken-Modell erweitert (siehe Abb. 3-4), bei dem WettbewerberImages zur Erklärung des Marktanteils einer Marke explizit berücksichtigt werden. Das Multi-Marken-Modell basiert allerdings auf der Analyse globaler Images. Die Nicht-Berücksichtigung einzelner wettbewerbsrelevanter
Image-
dimensionen schränkt damit den strategischen Informationsgehalt des Modells von Laroche und Brisoux grundsätzlich ein.
Image MarkeC
Image Marke A
Marktanteil Marke B
Abb. 3-4:
Multi-Marken-Modell
56
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Die Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse, die auf Trommsdorff (1984) zurückgeht, stellt eine Erweiterung des auf globalen Images basierenden MultiMarken-Modells hin zu einer detaillierten Erfassung von Images dar. Beiden Ansätzen gemeinsam
ist, daß sie einen kausalen Zusammenhang
zwischen
Images und der Kaufabsicht postulieren. Im Gegensatz zum Multi-MarkenModell gehen bei der Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse einzelne
Image-
dimensionen direkt, ohne Aggregation zu einem Gesamtimage in das Wettbewerbsmodell als unabhängige Variablen ein (siehe Abb. 3-5). Die individuelle Kaufabsicht einer Marke ( = abhängige Variable in Abb. 3-5) wird mit Hilfe einer Konstantsummenskala gemessen. Bei der Konstantsummenskala müssen die Befragten jeweils angeben, wie sich ihre Kaufanteile bzw. Kaufabsichten auf die einzelnen Marken verteilen. Die Kaufabsicht stellt dabei einen validen Indikator zur Messung der strategisch relevanten Größe Marktanteil dar (Trommsdorff/Schuster 1987, S. 66).
Imagedimension 1
Imagedimension 2
Imagedimension 3
Unsere Wettbewerbsposition
Imagedimension 1
Abb. 3-5:
Imagedimension 2
Imagedimension 3
Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse
Die Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse
soll den Bedarf der Praxis
vernetzten Informationen für komplexe strategische Entscheidungen
nach
decken.
Um diesen Informationsbedarf zu spezifizieren, wird im folgenden die klassische Produktpositionierung im gemeinsamen Imageraum herangezogen (siehe Teil III-1.1), da deren Restriktionen zugleich die Anforderungen an die WISA verdeutlichen (Trommsdorff 1992, S. 332 f.; 1993b, S. 33 f.):
57
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
•
Klassische
Positionierungsstudien
beziehen - auf den ersten
Blick - den
Wettbewerb mit ein, weil Wettbewerber-Marken im gemeinsamen Wahrnehmungsraum mitpositioniert werden. Für das strategische Management muß jedoch über so globale Imagedimensionen im Faktorraum hinaus im einzelnen bekannt sein, welche Beziehungen zwischen relevanten Wettbewerber-Images bestehen. Weiterhin ist von Bedeutung, welchen Beitrag diese Imagedimensionen zur Stärkung der eigenen Wettbewerbsposition und/oder zur Schwächung von Wettbewerberpositionen zu leisten im Stande sind. •
Die klassische Image-Wettbewerbserfassung unterstellt, daß eine Imagedimension über die Wettbewerber hinweg die gleiche Bedeutung hat. Statt dieser
unrealistischen
Annahme
sollten
Wettbewerbsintensitäten,
d. h.
Effekte zwischen einzelnen Imagedimensionen und Erfolgsgrößen wie z. B. der Kaufabsicht, geschätzt werden. •
Klassische Positionierungsmodelle können USPs nicht abbilden, weil die betreffende Imagedimension für keine andere oder nur für einige wenige andere Marken relevant ist. Sie dürfen dann nicht im gemeinsamen Imageraum abgebildet werden, da sich die Wettbewerbsbeziehungen nicht mehr durch einfache Distanzen im euklidischen Raum veranschaulichen lassen. Im Extremfall muß eine WISA die eindimensionale Markenpositionierung auf einer eigenen, einzigartigen Imagedimension abbilden können.
•
Klassische Imageanalysen unterstellen pauschale Imagewirkungen zwischen Wettbewerbern, indem Eigenschaften einer Marke nur die eigene Position, aber nicht direkt den Erfolg oder Mißerfolg von Wettbewerber-Marken beeinflussen. Das Mono-Marken-Modell muß deshalb um „Querwirkungen" anderer Wettbewerber auf die Kaufabsicht einer Marke erweitert werden.
•
Klassische Positionierungsmodelle können keine Aussagen darüber machen, ob die generierten Imagedimensionen tatsächlich den Kauf oder Nichtkauf einer Marke beeinflussen, da keine Erfolgsgröße modelliert wird. Zudem wird nicht unterschieden, wie groß der Imagewettbewerb im Vergleich zum Nicht-Imagewettbewerb ist.
58
1.3
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Analysemethoden der WISA
Da mit Hilfe der WISA kausale Abhängigkeiten zwischen Imagedimensionen und der Kaufabsicht einer Marke modelliert und analysiert werden, kommen als Analysemethoden einerseits die Methodenkombination aus explorativer Faktorenanalyse und multipler Regressionsanalyse („konventionelle" WISA) und andererseits die LISREL-basierte Kausalanalyse in Betracht. Die konventionelle WISA unterliegt dabei einer Reihe methodischer Nachteile, weshalb insbesondere deren Probleme reflektiert werden. Anspruchsvollere WISA-Modelle sind jedoch aus Kausalstrukturanalysen (LISREL-Modellierung) zu berechnen. Die kausalanalytische WISA bildet damit die Grundlage der später in Teil IV darzustellenden Empirie.
1.3.1
Konventionelle WISA
1.3.1.1
WISA mittels explorativer Faktorenanalyse und multipler Regressionsanalyse
Die konventionelle WISA ist, im Gegensatz zur kausalanalytischen
WISA,
durch ein sukzessives Vorgehen gekennzeichnet (siehe Abb. 3-6). In einem ersten Schritt werden die Items einer Itembatterie mittels explorativer Faktorenanalyse (Backhaus et al. 1990, S. 67 ff.) zu übergeordneten Imagedimensionen zusammengefaßt. Die Faktorenanalysen werden dabei für jede Marke separat durchgeführt. Die getrennte Faktorisierung aller Marken ermöglicht, sowohl USP-Dimensionen als auch Imagedimensionen zu identifizieren, die von mehreren oder allen Marken beansprucht werden. Die Annahme eines allen Marken gemeinsamen Imageraumes wird folglich fallengelassen.
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
59
Schritt 1 Explorative Faktorenanalyse
r
Schritt 2 Multiple Regressionsanalyse Abb. 3-6:
Sukzessives Vorgehen der konventionellen WISA
In einem zweiten Schritt wird der Einfluß der Imagedimensionen aller im Wettbewerb stehenden Marken auf die Kaufabsicht einer Marke mittels multipler Regressionsanalyse (Backhaus et al. 1990, S. 1 ff.) untersucht. Die innerhalb der Faktorenanalysen für alle Wettbewerber berechneten standardisierten Faktorwerte gehen als unabhängige Variablen in die multiple Regressionsanalyse ein. Als abhängige Variable wird die mit Hilfe der Konstantsummenskala (siehe S. 56) gemessene Kaufabsicht der betreffenden Marke verwandt. Die standardisierten Regressions-Koeffizienten (Beta-Koeffizienten) geben für den Fall ihrer Signifikanz Auskunft über die Richtung und Intensität der Wettbewerbsbeziehungen. So begünstigen positive Beta-Koeffizienten - von Imagedimensionen einer Marke A auf die Kaufabsicht der Marke A - den beabsichtigten Kauf der Marke A. Das Beeinflussungspotential einer Marke A wird durch den Einfluß der ihr zugrundeliegenden Imagedimensionen auf die Kaufabsicht einer Marke B markiert. In der Regel handelt es sich hierbei um negative Pfadkoeffizienten von Imagedimensionen der Marke A, die potentielle Hinderungsgründe für den Erwerb der Marke B darstellen. Die globale Bedeutung des Imagewettbewerbs einer Marke in Relation zu anderen Marketingvariablen (z. B. Distribution) gibt das Bestimmtheitsmaß wieder. Es gibt an, wieviel Prozent der Varianz der Kaufabsicht durch die Regressionsgleichung erklärt wird. Die nicht erklärte Varianz quantifiziert die Relevanz des Nicht-Image Wettbewerbs.
60
1.3.1.2
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Restriktionen der konventionellen WISA
Die Beschränkungen der konventionellen WISA sind die direkte Folge ihrer Analysemethoden : Innerhalb explorativer Faktorenanalysen werden die ermittelten Imagedimensionen nicht nach theoretischen Gesichtspunkten, sondern nach einem mathematischen Maximierungskriterium zusammengefaßt. Die Höhe der Faktorladungen und die Zuordnung der Items zu Imagedimensionen ergeben sich durch Eigenwertbildung und Rotation aus der Itemkorrelationsmatrix (Tabachnick/Fidell 1989, S. 691). Die explorative Faktorenanalyse extrahiert dabei häufig einen Generalfaktor, auf den fast alle Items mehr oder weniger gut „laden" sowie wenige varianzschwache Restfaktoren (Hildebrandt/Trommsdorff 1984, S. 149). Die Gefahr, daß potentielle USPs durch diesen Generalfaktor
sozusagen
„verschluckt" bzw. nivelliert werden, ist deshalb sehr groß (Paulssen 1994, S. 28). Die Faktorwerte einzelner Imagedimensionen werden durch die Tatsache, daß jeweils alle Items zu ihrer Berechnung verwandt werden, unnötig verzerrt. Diese Verzerrung wirkt sich bei varianzschwachen Faktoren besonders stark aus. Extrahiert die explorative Faktorenanalyse beispielsweise aus einer Itembatterie von insgesamt 20 Items neben einem Generalfaktor zusätzlich einen Restfaktor der aus zwei Items besteht, so gehen in die Berechnung des Faktorwertes für den Restfaktor neben den zwei betreffenden Items auch noch die Faktorwertkoeffizienten der übrigen 18 Items ein. Die in den Faktorwerten enthaltenen Fehlerkomponenten gehen so als unabhängige Variablen in die multiple Regressionsanalyse ein, wodurch die tatsächliche Abhängigkeitsstruktur zwischen Imagedimensionen und der Kaufabsicht verzerrt wiedergegeben wird. Die der multiplen Regressionsanalyse zugrundeliegende Annahme, daß die Prädiktorvariablen voneinander unabhängig sind, d. h., daß keine Korrelationen zwischen den unabhängigen Variablen bestehen, entspricht nicht der Realität. Die Praxis zeigt, daß einzelne Imagedimensionen häufig miteinander korrelieren. Das Problem der Multikollinearität tritt dabei erst dann auf, wenn eine starke Korrelation zwischen den unabhängigen Variablen besteht, die bewirkt, daß die Standardabweichungen der Regressionskoeffizienten größer und damit ihre Schätzung unzuverlässiger wird (Backhaus et al. 1990, S. 34). Bei hoch
61
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
korrelierenden unabhängigen Variablen hängen die Ergebnisse zudem von dem verwandten Auswahlverfahren (z. B. stepwise regression) ab, das die Reihenfolge der zu überprüfenden unabhängigen Variablen festlegt (Brosius
1988,
S. 333; Tabachnick/Fidell 1989, S. 142 ff.). Auch die unrealistische Annahme der fehlerfreien Messung aller
Variablen
schränkt die Anwendung der multiplen Regressionsanalyse grundsätzlich ein. Nicht berücksichtigte Meßfehler im Regressionsmodell können die Ergebnisse stark
verfälschen und verleiten
so zu Fehlinterpretationen
(Bentier
1983,
S. 13 ff.). Grundsätzlich wird innerhalb der multiplen Regressionsanalyse eine abhängige Variable als Linearkombination mehrerer unabhängiger Variablen dargestellt. Komplexe Wettbewerbsstrukturen, die mehrere abhängige Variablen sowie indirekte Effekte erfordern, können jedoch nicht mit multiplen Regressionsanalysen modelliert
werden.
Der
komplexe
Imagewettbewerb
wird
durch
sie
auf
„einfache" kausale Zusammenhänge reduziert. Die genannten Schwächen der verwandten Analysemethoden führen dazu, daß die tatsächlichen Wettbewerbsstrukturen von Images nur teilweise, fehlerhaft oder gar nicht erfaßt werden. Trotzdem soll diese Methodenkombination der konventionellen WISA nicht gänzlich verworfen werden. Als Anwendungsempfehlung ist deshalb, beispielsweise für zwei miteinander
konkurrierende
Marken, folgendes Vorgehen sinnvoll: In einem ersten Schritt ist der Einfluß der eigenen Imagedimensionen und der Imagedimensionen des Wettbewerbers auf die jeweilige Kaufabsicht getrennt zu ermitteln. In einem zweiten Schritt werden dann eigene und Imagedimensionen des Wettbewerbers zusammen in die Regressionsmodelle beider Marken aufgenommen. Die Analyseergebnisse aus den beiden obigen Arbeitsschritten geben dann im Sinne einer Voranalyse wertvolle Hinweise hinsichtlich der Robustheit einzelner Imagedimensionen auf die Kaufabsicht der Wettbewerber. Zudem liefern die mittels konventioneller WISA ermittelten Imagedimensionen inklusive ihrer zugrundeliegenden Items erste Anhaltspunkte für die innerhalb der kausalanalytischen WISA zu erstellenden Meßmodelle.
62
1.3.2
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Kausalanalytische WISA
Während
der
Methodenkombination
aus
Faktoren- und
Regressionsanalyse
explorativer Charakter zukommt, ist die kausalanalytische WISA durch ein konfirmatorisches Vorgehen gekennzeichnet. Unter Vermeidung der zuvor diskutierten Schwächen des konventionellen Vorgehens werden innerhalb der kausalanalytischen WISA eine Vielzahl von Einflußfaktoren und deren Beziehungsgeflecht auf die Kaufabsicht einer Marke simultan geschätzt. Die Kausalanalyse stellt damit eine Methode zur Modellierung komplexer Wirkungsbeziehungen dar und ist derzeit wohl das leistungsfähigste multivariate Analyse verfahren. Bevor auf den Informationsgewinn der WISA durch Anwendung kausalanalytischer Studien eingegangen wird, besteht die Notwendigkeit, auf das wohl wichtigste kausalanalytische Verfahren, den LISREL-Ansatz (Linear Structural Relations Modeling), einzugehen. Auf eine ausführliche Darstellung (siehe Jöreskog Schmidt
1982; Jöreskog/Wold 1982a und 1982b; Hayduk 1987; Bollen 1989; Backhaus et al.
1990;
1987; Pfeiffer/
Hildebrandt/Rudinger/
Schmidt 1992a; Jöreskog/Sörbom 1993 a, b und c; Möbus/Schneider 1986) wird jedoch zugunsten eines kompakten Überblicks, der wesentliche Elemente dieses Ansatzes wiedergibt, verzichtet.
1.3.2.1
Grundlagen und Aufbau eines LISREL-Modells
Wesentliche Impulse innerhalb der empirischen Kausalanalyse gingen
von
Jöreskog (1973; 1977) aus. Bagozzi (1980) erschloß die Anwendungsbreite der Kausalanalyse für die Marketingforschung. Durch die Arbeiten von Hildebrandt (1983), Förster et al. (1984), Baiderjahn (1988), Homburg (1989), Benz (1990) und Fritz (1992) hielt die Kausalanalyse Einzug in die deutsche Marketingforschung. Die von Jöreskog und Sörbom entwickelte Software LISREL (aktuelle Version: LISREL 8) beinhaltet einen Algorithmus zur simultanen Schätzung der Parameter eines Systems vernetzter linearer Einflußgleichungen und Maße zur Güteprüfung geschätzter Kausalstrukturmodelle danach, ob die aufgestellten Kausalbeziehungen mit dem empirischen Datensatz hinreichend kompatibel sind.
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
63
Der LISREL-Ansatz kann dabei vereinfacht als eine Kombination aus faktoranalytischen und regressions- bzw. pfadanalytischen Komponenten verstanden werden. Neben der Analyse beobachtbarer Variablen ermöglicht der LISREL-Ansatz zusätzlich die Modellierung nicht beobachtbarer, latenter Variablen (theoretischer Konstrukte) (Hildebrandt 1984, S. 41). LISREL unterscheidet hierbei zwischen der Beobachtungssprache in Form der Faktorenmodelle sowie einer theoretischen Sprache, die die latenten Variablen des Strukturmodells beschreibt (Kube 1990, S. 53 ff.). „Die Indikatoren stellen die empirische Repräsentation der nicht beobachtbaren, latenten Variablen dar" (Hodapp 1984, S. 47). Vor Anwendung der LISREL-Software müssen jedoch im Rahmen der Hypothesenformulierung theoretische Vorüberlegungen über das zu analysierende Modell angestellt werden (konfirmatorisches Vorgehen), bei denen es zunächst um die Richtung und Stärke relevanter Beziehungen, als auch um die Zahl möglicher latenter Variablen sowie der sie determinierenden Indikatoren geht. Dieses theoretisch fundierte Hypothesensystem bildet die Basis für die Kausalanalyse, wobei eine endgültige Verifizierbarkeit wissenschaftlicher Aussagen durch das auf Popper (1976, S. 47 ff.) zurückgehende Falsifikationsprinzip begrenzt wird. „Das Spiel Wissenschaft hat grundsätzlich kein Ende: wer eines Tages beschließt, die wissenschaftlichen Sätze nicht weiter zu überprüfen, sondern sie etwa als endgültig verifiziert zu betrachten, der tritt aus dem Spiel aus" (Popper 1976, S. 26).
Datengrundlage der Kausalanalyse sind Korrelationen oder Varianzen und Kovarianzen der Indikatoren, wobei letztere einen höheren Informationsgehalt besitzen. Da der Begriff der Kausalanalyse auch aus wissenschaftstheoretischer Sicht problematisch ist, spricht man häufig auch von Kovarianzstrukturanalysen (Homburg 1992b, S. 500). Grundgedanke der Kausalanalyse ist somit, aus den Varianzen und Kovarianzen der Indikatoren Rückschlüsse auf die Abhängigkeitsstruktur der latenten Variablen zu ziehen. Das Hypothesensystem wird in einem nächsten Schritt durch ein Pfaddiagramm dargestellt, bei dem der Forschungspraxis entsprechend latente Variablen durch Ellipsen und Indikatoren durch Rechtecke symbolisiert werden (siehe Abb. 3-7). Kausale Beziehungen werden durch gerade Pfeile und korrelative Beziehungen durch gekrümmte Doppelpfeile visualisiert. Ein vollständiges LISREL-Modell
64
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
besteht einerseits aus einem Strukturmodell, das die Beziehungen zwischen den latenten exogenen Variablen
und den latenten endogenen Variablen (r|i)
festlegt, sowie aus zwei Meßmodellen (7^), in denen die für die Operationalisierung der latenten Variablen benötigten Indikatoren enthalten sind.
Innerhalb des Strukturmodells treten neben Beziehungen zwischen latenten exogenen und latenten endogenen Variablen auch Beziehungen zwischen latenten endogenen Variablen auf. Im ersten Fall handelt es sich um direkte Effekte (yy), im zweiten Fall um über „Zwischenvariablen" erzeugte indirekte Effekte (ßy), die die Berechnung von Totaleffekten ermöglichen. Davon zu unterscheiden sind sogenannte nicht-rekursive Beziehungen (ß2i und ß j 2 ' n Abb. 3-7) zwischen latenten endogenen Variablen, deren Berechnung sich in der praktischen Anwendung häufig als problematisch erweist. Darüber hinaus werden explizit Korrelationen zwischen den latenten exogenen Variablen ( z w i s c h e n den latenten exogenen Variablen
(Çj) und
latenten endogen Variablen
B
BE
D i e Beta-Matrix repräsentiert die kausalen Beziehungen (ßj) z w i s c h e n
$
PH
Die P h i - M a t r i x enthält die Korrelationen
den latenten endogenen Variablen
(r|j).
(r|j).
((|>j) zwischen
den latenten
exogenen Variablen
y
PS
D i e Psi-Matrix enthält die M e ß f e h l e r Variablen
08 0
£
der latenten e n d o g e n e n
(rij).
TD
D i e Theta-Delta-Matrix enthält die M e ß f e h l e r (Sj) der x-Indikatoren.
TE
Die Theta-Epsilon-Matrix enthält die M e ß f e h l e r ( q ) der y - I n d i k a t o r e n .
Tab. 3-2: Acht Parametermatrizen eines vollständigen LISREL-Modells LISREL unterscheidet drei Arten von Parametern. Feste Parameter werden im Modell nicht geschätzt, sondern gehen mit ihrem a priori festgelegten Wert, der von Null verschieden sein kann, in die Lösung ein. Soll ein Parameter genau dem Wert eines anderen Parameters entsprechen, so spricht man von restringierten Parametern. Alle übrigen, aus den empirischen Daten zu schätzenden Parameter, stellen freie Parameter dar.
66
1.3.2.2.2
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Identifikation des LISREL-Modells
Damit LISREL die unbekannten Parameter schätzen kann, muß zunächst geprüft werden, ob das Kausalmodell identifiziert ist. Die empirische Identifikation eines Modells ergibt sich aus der Beziehung zwischen den zu schätzenden Parametern und den empirischen Varianzen und Kovarianzen. Ein vollständiges LISREL-Modell, das immer ein Mehrgleichungssystem darstellt, ist dabei dann eindeutig lösbar, wenn die Anzahl der Lösungsgleichungen größer oder gleich der Anzahl der zu schätzenden, freien Parameter ist. Diese als Zahl der Freiheitsgrade (df) bezeichnete Eigenschaft eines linearen Modells läßt sich auch als Anzahl der Restriktionen definieren, die ein Modell den möglichen Werten der Varianzen und Kovarianzen auferlegt. Bei k beobachteten x- und y-Indikatoren und t zu schätzenden freien Parametern ergibt sich folgende Ungleichung:
d f > 0 o k * ( k + 1) / 2 > t Bei einem unteridentifizierten Kausalmodell, das durch eine negative Anzahl an Freiheitsgraden gekennzeichnet ist, können dessen Parameter nicht geschätzt werden. Unteridentifizierte Modelle lassen sich jedoch dadurch identifizieren, indem nicht identifizierte Parameter auf a priori vorgegebene Werte gesetzt bzw. fixiert werden. Bei gerade identifizierten Modellen ( d f = 0 ) , bei denen ebenso viele Parameter wie Lösungsgleichungen existieren, ist das Gleichungssystem eindeutig lösbar. Jedoch kann LISREL dann nicht die Modellstruktur testen, da die gesamte empirische Information zur Berechnung der Parameter benötigt wird. Deshalb sollten überidentifizierte Modelle ( d f > 0 ) angestrebt werden, da sie den Test der Modellstruktur ermöglichen.
Die obige Ungleichung stellt für die Modellidentifikation lediglich eine notwendige Bedingung dar. Zusätzlich kann mit Hilfe von LISREL die empirische Identifizierbarkeit eines Kausalmodells überprüft werden. Sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit dann erfüllt, wenn alle erforderlichen Matrizen
positiv
definit bzw. invertierbar sind. Sollten einzelne Matrizen nicht positiv definit sein, so erhält der Anwender im LISREL-Output Warnmeldungen. Diese Kriterien stellen jedoch keine hinreichenden Identifikationsbedingungen dar. Da bis dato keine hinreichenden Bedingungen existieren, stellt die Bestimmung von Kriterien, aus denen der Identifikationsgrad eines Kausalmodells hervorgeht, eines der drängendsten Probleme der Kausalanalyse dar.
67
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
1.3.2.2.3
Verfahren der Parameterschätzung
Ist ein Kausalmodell vollständig spezifiziert und identifiziert, so kann LISREL die Parameter des Modells schätzen. LISREL minimiert die Differenz aus (1) der empirischen Varianz-Kovarianzmatrix und (2) der laut Hypothesensystem aufgestellten modelltheoretischen Varianz-Kovarianzmatrix (Hildebrandt et al. 1992b, S. 5 f.). Stimmen die angenommenen Beziehungen mit den Daten hinreichend überein, so wird das zugrundegelegte Kausalmodell akzeptiert. LISREL stellt insgesamt sieben Verfahren zur Parameterschätzung zur Verfügung, die sich insbesondere hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit unter bestimmten Stichproben- und Verteilungsrestriktionen unterscheiden. Zum einen kann zwischen den beiden nicht-iterativen Verfahren der Instrumental Variables (IV) und der Two-Stage Least Squares (TSLS), die die Parameter sukzessive pro Gleichung schätzen, unterschieden werden. Da diese Verfahren nicht in der Lage sind, Teststatistiken zu berechnen, werden sie primär zur Generierung von Anfangsschätzungen (Initial Estimates) für die iterativen Verfahren verwandt (Jöreskog/Sörbom 1993b, S. 17 f.). Zu den iterativen Verfahren, die simultan alle Informationen der empirischen Varianz-Kovarianzmatrix zur Parameterschätzung heranziehen, zählen der Unweighted Least Squares- (ULS), der Generalized
Least Squares- (GLS),
der Maximum Likelihood- (ML),
der
Generally Weighted Least Squares- (WLS) und der Diagonally Weighted Least Squares-Schätzer (DWLS). Der ULS-Schätzer bietet sich bei kleinen Stichproben ( n < 100) und nicht normalverteilten Daten an. Nachteil dieses Schätzers ist, daß keine Teststatistiken über Standardfehler, T-Werte und den Chi-Quadrat-Wert ausgewiesen werden (Pfeifer/Schmidt 1987, S. 32). Bei großen Stichproben (n>200) und normal verteilten Daten führen der GLS- und ML-Schätzer zu konsistenten Ergebnissen, wobei die gesamte Teststatistik zur Verfügung steht. Die Berechnung der Standardfehler und T-Werte sind dabei ein Maß für die Genauigkeit der Parameterschätzungen.
WLS- und DWLS-Schätzer
kommen
insbesondere
bei
sehr
großen Stichproben (n>1000) und nicht normalverteilten Daten zur Anwendung. Hierzu ist es notwendig, eine Gewichtungsmatrix (asymptotische VarianzKovarianzmatrix) mit Hilfe des Programms PRELIS (Jöreskog/Sörbom 1993c) zu erzeugen. Die erforderliche Stichprobengröße der beiden zuletzt genannten
68
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Schätzverfahren liegt weit über den in Teil IV zu analysierenden Stichproben, weshalb das WLS- und DWLS-Verfahren nicht zur Anwendung kommen. Da der ML-Schätzer allgemein als das robusteste und genaueste Schätzverfahren angesehen wird (Bagozzi 1980, S. 103; Benz 1990, S. 246 ff.; Backhaus et al. 1990, S. 273), wird dieses Schätzverfahren zur Grundlage aller in Teil IV zu analysierenden Stichproben gemacht.
Simulationsstudien von Boomsma
(1987, S. 177 ff.) zeigen, daß der ML-Schätzer robust gegen kleinere Abweichungen von der Normalverteilung ist (siehe auch Bagozzi 1980, S. 103; Homburg 1989, S. 182). Darüber hinaus hat Boomsma (1987, S. 168 ff.) innerhalb ihrer Simulationsstudien festgestellt, daß durch Anwendung des MLSchätzers auch bei kleinen Stichproben robuste Schätzungen zu erwarten sind. Danach liefern ML-Schätzungen mit LISREL bei Stichproben von n > 200 robuste Ergebnisse. Bei Stichproben von n < 2 0 0 können Parameterschätzungen, Signifikanztests und die Goodness-of-Fit-Statistik verzerrt werden (Boomsma 1987, S. 176). Deshalb empfiehlt Boomsma (1987, S. 184), die Ergebnisse bei Stichproben von n < 2 0 0 , in einer zweiten Stichprobe abzusichern, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Nach Hayduk (1987, S. 169) konvergieren Stichprobenumfänge zwischen 50 und 100 in 99% aller Fälle zu einer konsistenten Lösung (siehe auch Backhaus et al. 1990, S. 311).
1.3.2.2.4
Kriterien der Modellbeurteilung
Bevor auf die einzelnen Gütekriterien zur Modellbeurteilung eingegangen wird, ist nach einer LISREL-Prozedur zunächst zu überprüfen, ob einzelne Parameter des Kausalmodells unplausible Werte aufweisen. Für den Fall unplausibler Parameterschätzungen, wie z. B. negative Varianzen, standardisierte Koeffizienten wie Korrelationen mit Ausprägungen größer als eins, hohe Standardfehler oder extrem hohe Korrelationen zwischen den Parameterschätzungen, ist das entsprechende Modell abzulehnen. Ursachen können darin liegen, daß das Modell extrem schlecht an die empirischen Daten angepaßt oder nicht ausreichend identifiziert ist. Bei der Beurteilung der Anpassungsgüte von Kausalmodellen unterscheidet man zwischen Global- und Detailkriterien. Erstere liefern Güte- bzw. Fit-Indizes für
69
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
die Beurteilung des Gesamtmodells, während Detailkriterien Maße für die Qualität einzelner Modellkomponenten bereitstellen. Sie stellen die Bewertungsgrundlage für die in Teil IV darzustellende Empirie dar.
1.3.2.2.4.1
Globalkriterien
Der globale Modellfit basiert auf den Differenzen zwischen den geschätzten modellimplizierten Varianzen und Kovarianzen und den empirischen Varianzen und Kovarianzen. Voraussetzung für die Interpretation ist, daß das Modell überidentifiziert ist. Im einzelnen werden zur Beurteilung eines Kausalmodells der Chi-Quadrat-Wert
(x 2 -Wert), der Goodness of Fit Index (GFI),
der
Adjusted Goodness of Fit Index (AGFI) und der Root Mean Square Residual (RMR) herangezogen (Jöreskog/Sörbom 1988, S. 42 ff.). Der x 2 - W e r t , der sich aufgrund seiner statistischen Eigenschaften nur für den ML- und GLS-Schätzer sinnvoll interpretieren läßt, testet die Nullhypothese (H 0 ), daß die modelltheoretische Varianz-Kovarianzmatrix der
empirischen
Varianz-Kovarianzmatrix entspricht, gegen die Alternativhypothese (H,), die besagt, daß die empirische Varianz-Kovarianzmatrix eine andere positiv definite Matrix ist (Pfeifer/Schmidt 1987, S. 36). Bei diesem Likelihood-Ratio-Test ist zu beachten, daß möglichst kleine x 2 -Werte angestrebt werden. Dies liegt darin begründet, daß die innerhalb des klassischen Signifikanztests zu maximierende Likelihood-Funktion durch ihre negative Logarithmierung in ein
Minimie-
rungsproblem umgewandelt wird (Hildebrandt 1983, S. 91; Arminger/Müller 1990, S. 18 f.). Die negative Log-Likelihood-Funktion, die damit zu einem identischen Ergebnis kommt, ist daher die Fitfunktion des ML-Schätzers. Je kleiner der berechnete x 2 -Wert im Verhältnis zu den Freiheitsgraden (x 2 :df) ist, desto besser ist die Modellanpassung. Während in der Praxis teilweise Verhältnisse von 5:1 akzeptiert werden (Hayduk 1987, S. 168), wird für die vorliegenden Berechnungen ein Verhältnis von 2:1 herangezogen. Zudem wird in Verbindung mit dem x 2 -Wert die Wahrscheinlichkeit (p) dafür berechnet, daß die Ablehnung der Nullhypothese einer Fehlentscheidung gleichkäme, d. h. 1-p entspricht der Irrtumswahrscheinlichkeit (Fehler 1. Art) der klassischen Testtheorie (Backhaus et al. 1990, S. 287). Der Praxis folgend werden Modelle dann angenommen, wenn p größer 0,10 ist (Bagozzi 1980, S. 105).
70
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Das x 2 -Maß unterliegt allerdings einer Reihe von Nachteilen. So können keine Aussagen über die Gütefunktion des Maßes angegeben werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit man ein falsches Kausalmodell als wahr annimmt (Fehler zweiter Art). Zudem reagiert der x 2 -Wert sensitiv auf die Stichprobengröße und auf Abweichungen von der Normalverteilungsannahme
(Hildebrandt
1983,
S. 97). Dies hat zur Folge, daß bei großen Stichproben, bei der die Trennschärfe sehr hoch ist, auch kleinere Fehlspezifikationen zu einer Modellverwerfung führen und vice versa. Die aufgeführten Problembereiche haben zur Konsequenz, daß das x 2 -Maß nicht als exakte Teststatistik, sondern als deskriptives Anpassungsmaß interpretiert werden sollte. Der GFI-Wert und der AGFI-Wert sind Maße für die relative Menge an Varianz und Kovarianz, der das Modell insgesamt Rechnung trägt, wobei der AGFIWert zusätzlich die Anzahl der Freiheitsgrade berücksichtigt (Jöreskog/Sörbom 1988, S. 43). Beide Maße, die sich im Wertebereich zwischen 0 und 1 bewegen, sind im Gegensatz zum x 2 -Wert unabhängig von der Stichprobengröße und relativ robust gegenüber nicht normalverteilten Daten (Förster et al. 1984, S. 361; Fritz 1992, S. 127). Je näher sich beide Maße an 1 annähern, desto besser ist der Fit des Modells. Der RMR mißt die durchschnittliche, nicht vom Modell erklärte Restvarianz. Die Anpassungsgüte des Modells ist dabei umso besser, je näher sich der RMR an 0 annähert. Da der RMR skalenabhängig ist, ist seine Interpretation nur dann sinnvoll, wenn die Varianzen der Indikatoren in etwa gleich sind. Sollte dies nicht der Fall sein, so kann dies durch einfache Rekodierung behoben werden. Zusätzlich wird in der LISREL 8-Version ein standardisierter RMR ausgewiesen, der skalenunabhängig ist (Jöreskog/Sörbom 1993b, S. 9). In der Forschungspraxis werden Kausalmodelle dann akzeptiert, wenn der GFI-Wert größer 0,95, der AGFI-Wert größer 0,90 und der RMR kleiner 0,10 ist.
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
1.3.2.2.4.2
71
Detailkriterien
Globalkriterien geben keine Auskunft über die Anpassungsgüte von Teilstrukturen eines Kausalmodells. So kann ein guter Fit der Globalkriterien von einer schlechten Anpassung einzelner Modellkomponenten überlagert werden. Deshalb besteht die Notwendigkeit, daß Detailkriterien wie Residuen, standardisierte Residuen, der Q-Plot, T-Werte, quadrierte multiple Korrelationskoeffizienten und Modifikations-Indizes zusätzlich überprüft werden. Durch Differenzbildung der modelltheoretischen Varianz-Kovarianzmatrix und der empirischen Varianz-Kovarianzmatrix erhält man die skalenabhängigen Residuen (zur Skalenabhängigkeit siehe RMR auf S. 70), die im Kausalmodell nicht erklärt werden. Innerhalb dieser Differenzmatrix (Fitted Residuais) sollten die Werte der Residuen kleiner als 0,1 sein, um von guten Modellen sprechen zu können. Die standardisierten Residuen ergeben sich, wenn man die zuvor betrachteten Residuen durch ihre geschätzte Standardabweichung dividiert. Da die standardisierten Residuen bei korrekten Modellannahmen annähernd normalverteilt sind, weisen Werte größer oder kleiner +1-2 auf Spezifikationsfehler hin, wobei die entsprechenden Indizes i und j den Hinweis liefern, welche Indikatoren betroffen sind. Negative Werte sind ein Indiz für eine Überschätzung des empirischen Wertes, während positive Werte darauf hinweisen, daß die zugehörige Varianz oder Kovarianz unterschätzt wurde. Beim Q-Plot, bei dem die standardisierten Residuen gegen die Quantile der Normalverteilung geplottet werden, sollten sich alle Werte etwa auf einer Geraden befinden. Größere Abweichungen der Werte von einer Geraden weisen auf Fehlspezifikationen oder Abweichungen von der Normalverteilungsannahme hin (Jöreskog/Sörbom 1988, S. 34). Eine horizontale Gerade steht dabei für den schlechtest möglichen und eine senkrechte Gerade für eine perfekte Anpassung des Modells an die Daten. Akzeptiert werden Kausalmodelle dann, wenn die Werte der standardisierten Residuen durch eine Gerade repräsentiert sind und deren Steigung größer oder gleich 45° ist (Jöreskog/Sörbom 1988, S. 34). Für jeden im Modell zu schätzenden Parameter wird ein T-Wert berechnet, um zu überprüfen, welche Parameter signifikant von Null verschieden sind und damit einen gewichtigen Beitrag zur Bildung der Modellstruktur
liefern
(Backhaus et al. 1990, S. 292). Der T-Wert eines Parameters berechnet sich als Quotient aus dem unstandardisierten Schätzwert und dem entsprechenden Stan-
72
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
dardfehler. Parameterschätzungen werden in der Forschungspraxis dann als von Null verschieden angesehen, wenn der T-Wert größer oder kleiner +/-1,96 bzw. die Vertrauenswahrscheinlichkeit größer als 95% ist (Jöreskog/Sörbom 1988, S. 89). Die quadrierten multiplen Korrelationskoeffizienten (A^2) sind ReliabilitätsMaße (Hildebrandt 1983, S. 108 f.), die angeben, wie gut die Indikatoren die latenten exogenen und latenten endogenen Variablen messen. Während Baiderjahn (1985, S. 256 f.) Indikatorreliabilitäten von 30% für zulässig hält, wird sich innerhalb der durchzuführenden Kausalmodellierung Forneil und Gur-Arie (1983, S. 255; siehe auch Homburg 1992b, S. 506) angeschlossen, die mindestens 50% (X,j2>0,5) gemeinsame Varianz zwischen einer Indikatorvariablen und dem betreffenden theoretischen Konstrukt fordern. Das LISREL-Programm berechnet für die fixierten und restringierten Parameter Modifikations-Indizes (MI), aus denen jeweils hervorgeht, um wieviel sich der Chi-Quadrat-Wert des Gesamtmodells verringert, wenn der entsprechende Parameter freigegeben wird (Pfeifer/Schmidt 1987, S. 38). Hohe ModifikationsIndizes (MI > 6 ) weisen darauf hin, daß das Modell entweder nicht korrekt spezifiziert ist oder daß der entsprechende Parameter möglicherweise freigegeben werden sollte. Modifikations-Indizes stellen damit gleichzeitig ein Instrument zur gezielten Modellkonstruktion und -modifikation dar (Förster et al. 1984, S. 360). In der Regel korrespondiert das zunächst spezifizierte Modell relativ selten mit den Daten. Ob ein Parameter letztlich freizusetzen ist, sollte dabei stets von dem Primat der Theorie vor der Empirie abhängig gemacht werden (Fritz 1992, S. 142 f.). Anderenfalls besteht die Gefahr, daß ein gut passendes Modell spezifiziert wird, das jedoch theoretisch unbefriedigend ist. An dieser Stelle wird der konfirmatorische Charakter des LISREL-Ansatzes zugunsten eines explorativen Vorgehens aufgegeben.
1.3.2.2.4.3
Zusammenfassung des Kriterienkatalogs
Eine fundierte Beurteilung der Anpassungsgüte eines Kausalmodells ist nur dann sinnvoll möglich, wenn sowohl Global- als auch Detailkriterien einbezogen werden. Innerhalb der kausalanalytischen WISA in Teil IV werden Modelle
73
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
dann akzeptiert, wenn sie einerseits die theoretischen Anforderungen und andererseits alle (!) in Tabelle 3-3 aufgeführten Prüfkriterien erfüllen. Dies stellt eine Verschärfung der bisher gängigen Prüfpraxis im Rahmen der Kausalanalyse
.'
i,:. •
'
2
X /df < 2 p > 0,10 GFI > 0,95 AGFI > 0,90 RM R < 0 10
Residuen
-2 Gerade des Q-Plots > 45° T-Werte < -1,96 bzw. >
+1,96
Indikatorreliabilität > 0,5 Modifikations-Indizes < 6 Tab. 3-3:
1.3.2.3
Zusammenfassende Darstellung der Prüfkriterien
Informationsgewinn der WISA durch kausalanalytische Studien
Die Ausführungen zur LISREL-Strukturgleichungsanalyse haben gezeigt, daß komplexe Wirkungsbeziehungen durch eine kausalanalytische Modellierung adäquat abgebildet werden können. Zudem wurde deutlich, daß die bestehenden Restriktionen der konventionellen WISA (siehe Teil III-1.3.1.2) durch eine kausalanalytische Vorgehensweise vermieden werden. Abbildung 3-8 zeigt die Grundstruktur der LISREL-basierten WISA, bei der fiktive Einflüsse zweier Imagedimensionen auf die Kaufabsicht zweier konkurrierender Marken modelliert wurden. Um die Mächtigkeit der LISREL-basierten WISA hinsichtlich ihres Potentials zur statischen Komplexitätsbewältigung
vernetzter
Wettbe-
werbsbeziehungen zu illustrieren, wurden innerhalb dieses noch recht einfachen Modells alle theoretisch möglichen korrelativen und kausalen Beziehungen des Strukturmodells und der Meßmodelle zugelassen.
74
Teil III: Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung
Indikator xl
Indikator y 1 Kaufabsicht Marke A
Imagedimension der Marke A I n d i k a t o r x2
Indikator y 2
Indikator x3
Indikator y 3 Kaufabsicht Marke B
Imagedimension j der Marke B Indikator x4
Indikator y 4
Abb. 3-8: Struktur einer LISREL-basierten WISA Obige Abbildung verdeutlicht, daß die simultane Prüfung des Meß- und Hypothesensystems eine realitätsnähere Abbildung komplexer
Wettbewerbsbezie-
hungen ermöglicht. Die Kausalanalyse verbindet dabei theoretische, meßtechnische und empirische Perspektiven der Forschung miteinander, die es ermöglichen,
daß
Forschung
ganzheitlich
betrieben
werden
kann
(Hildebrandt/
Trommsdorff 1984, S. 157). Durch das konfirmatorische Vorgehen wird der Marktforscher dazu angeregt, relevante theoretische Konstrukte und deren Beziehungen explizit darzustellen und zu testen. Zugleich hat die Modifikation einzelner Beziehungen explorativen Charakter, die eine kreativitätsfördernde Komponente beinhaltet. Die LISREL-basierte WISA eignet sich deshalb insbesondere zur Diagnose von Wettbewerbsbeziehungen und verbessert damit die Entscheidungsgrundlage
der
strategischen
Unternehmensführung.
können die Wirkungen beabsichtigter Strategien,
Zugleich
sowie deren Neben- und
Fernwirkungen durch „gedankliche" Simulation besser abgeschätzt werden.
Die unbestrittenen Vorteile einer kausalanalytischen WISA bedeuten jedoch nicht das Ende der Forschungsaktivitäten. Forschungsbedarf ergibt sich insbesondere hinsichtlich ihrer Verknüpfung mit Konzepten, die es ermöglichen, darüber hinaus strategisch relevante Informationen zu generieren. Die Integration der kausalanalytischen WISA mit so unterschiedlichen Konzepten wie dem des Evoked-set und strategischer Gruppen stellt eine derartige Methodeninnovation dar (siehe Teil III-1.4). Zudem ist im Falle komplexer Kausalmodelle eine unmittelbare „Strategieoptimierung" nicht möglich, weshalb WISA-Ergebnisse als Input für Simulationsanalysen dienen. Mit Hilfe von What-If-Analysen können so die Konsequenzen möglicher Positionierungsstrategien besser abgeschätzt werden. Dies ist Aufgabe der Erweiterung der statischen WISA-Modellierung zur dynamischen WISA-What-If-Analyse (WISAWI) (siehe Teil III-2.2).
75
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
1.4
Methodeninnovation der WISA durch Integration der Konzepte des Evoked-set und strategischer Gruppen
1.4.1
Kausalanalytische WISA im Evoked-set
1.4.1.1
Begriff des Evoked-set
Der Konsument kann zur Befriedigung eines bestimmten Konsumwunsches häufig aus einer Vielzahl alternativer Marken auswählen. Da der kognitiven Verarbeitungskapazität des Konsumenten enge Grenzen gesetzt sind, zieht er für eine Kaufentscheidung nur einen geringen Teil der von ihm insgesamt - subjektiv wahrgenommenen Marken einer Produktkategorie heran (Howard/Sheth 1969, S. 26). Howard und Sheth (1969, S. 98) bezeichnen die Anzahl der Marken, die vom Konsumenten anläßlich einer bestimmten Kaufentscheidung als relevante und damit akzeptierte Alternativen in Betracht gezogen werden, als das Evokedset (siehe auch Howard 1963, S. 84). Campbell (1969; 1973, S. 243) präzisiert: „... evoked set ist defined as the set of brands of a product which the buyer actually considers when making a specific brand choice.
It represents
a
significant simplification of the real world which is composed of all the brands of a product available to the buyer." Das Evoked-set, das eine Teilmenge der insgesamt wahrgenommenen Alternativen darstellt, dient somit der Vereinfachung des Kaufentscheidungsprozesses. Damit handelt es sich um eine der Kaufsituation
vorweggenomme
Vorauswahl.
Hinsichtlich
der
Bildung
von
Evoked-sets werden vom Konsumenten - in Abhängigkeit von der jeweiligen Produktkategorie - sowohl lexikographische (Parkinson/Reilly konjunktive (Brisoux/Laroche
1980b,
1979, S. 230),
S. 360) als auch disjunktive
(Myers
1979, S. 237) Entscheidungsregeln angewandt (siehe auch Kroeber-Riel 1984, S. 353 f.).
1.4.1.1.1
Systematik von Narayana und Markin
Eine Erweiterung des Evoked-set-Konzepts stammt von Narayana und Markin (1975). Sie konstatieren, daß neben dem Evoked-set noch andere relevante Markensets existieren, wobei die Zugehörigkeit einer Marke zu einem Set ihre
76
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n d e r strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Marketingstrategie determiniert (Narayana/Markin 1975, S. 1 f.). Abbildung 3-9 zeigt die einzelnen Markensets (Narayana/Markin 1975, S. 2).
Abb. 3-9: Konzept des Evoked-set nach Narayana und Markin Ausgangspunkt ihres Ansatzes ist das Total-set, als Menge aller zu einem bestimmten Zeitpunkt t verfügbaren Markenalternativen einer Produktkategorie. Das Total-set unterteilt sich einerseits in das Awareness-set, das aus der Menge der bewußt wahrgenommenen Markenalternativen einer Produktkategorie besteht und andererseits in das Unawareness-set, in dem alle Markenalternativen subsumiert sind, die dem Konsumenten nicht bewußt sind. Die Präsenz einer Marke im Awareness-set stellt dabei eine notwendige, nicht jedoch hinreichende Bedingung dar, um vom Konsumenten letztendlich ausgewählt zu
werden.
„However, there are a large number of brands that the buyer, though he is aware of their existence, would not consider buying either because they are beyond his reach or because they are not perceived as adequate for his motives" (Narayana/Markin 1975, S. 2). Deshalb erscheint es notwendig, daß Awarenessset weiter zu untergliedern:
•
Das Evoked-set besteht aus der Menge der vom Konsumenten positiv bewerteten Alternativen. Diese als relevant wahrgenommenen
Alternativen
werden vom Konsumenten bei einer anstehenden Kaufentscheidung in sein Entscheidungskalkül miteinbezogen.
77
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
•
Das Inert-set beinhaltet die Menge der neutral bewerteten Alternativen, da dem Konsumenten z. B. Informationen fehlen, um die Marke zu bewerten oder er erkennt keinen Nutzenvorteil gegenüber den Marken seines Evokedset.
•
Das Inept-set umfaßt die negativ bewerteten Marken. Da diese Alternativen z. B. wegen negativer Produkterfahrung vom Konsumenten abgelehnt werden, stellen sie keine Kauf- oder Entscheidungsalternativen dar.
Die Kategorisierung von Marken in einzelne Subsets hat dabei keinen endgültigen, statischen Charakter. Vielmehr ist es möglich, daß induziert durch eine Verbesserung der Produktqualität oder durch Herausstellen eines USP innerhalb einer Kommunikationskampagne ein Wechsel eines Produktes beispielsweise vom Inert-set zum Evoked-set stattfindet (gestrichelter Pfeil in Abb. 3-9). Umgekehrt kann ein Wechsel vom Evoked-set zum Inert-set erfolgen, wenn neue Produkte auf den Markt kommen, die vom Konsumenten stärker präferiert werden (Narayana/Markin, 1975, S. 3). In einer empirischen Untersuchung stellten Narayana und Markin (1975, S. 4 f.; siehe auch Schobert 1979, S. 55 ff.) fest, daß das Awareness-set im Durchschnitt etwa dreimal so groß ist wie das Evoked-set (siehe Tab. 3-4). Das Inertset ergab sich dabei als Residualgröße aus der Differenz von Awareness-set zu Evoked- und Inept-set. Awareness-
Zahnpasta Mundwasser Deodorant Bier Tab. 3-4:
set 6,5 3,5 6,0 10,6
Erokedset 2,0 1,3 1,6 3,5
Inertset 2,0 1,2 2,4 4,7
Ineptset 2,5 1,0 2,0 2,4
Anzahl der Marken je Markenset (Mittelwerte)
78
1.4.1.1.2
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Systematik von Brisoux und Laroche
Brisoux und Laroche (1980a, S. 112 f.) kritisieren das Evoked-set-Konzept von Narayana und Markin einerseits hinsichtlich der Bildung des Inert-set als Residualgröße und andererseits bezüglich der Annahme, daß die Marken aller Subsets des Awareness-set kognitiv so intensiv verarbeitet werden, daß eine Beurteilung der Marken durch die Befragten möglich ist. Nach Brisoux und Laroche (1980a, S. 112) ist das Awareness-set, obwohl es bereits eine Teilmenge des Available-set ( = Total-set) darstellt, aufgrund der restriktiven kognitiven Verarbeitungskapazität des Konsumenten noch zu groß, um komplett verarbeitet zu werden. Konsequenterweise unterteilen sie das Awareness-set zunächst in zwei zusätzliche Subsets, bevor es dann hinsichtlich der Richtung der Bewertung durch den Konsumenten weiter aufgegliedert wird (siehe Abb. 3-10). Dieser Kategorisierung wird sich nachfolgend angeschlossen, da mit Hilfe dieser Vorgehensweise die Nachteile des Konzepts von Narayana und Markin umgangen werden.
Abb. 3-10:
Konzept des Evoked-set nach Brisoux und Laroche
Das Foggy-set, als Teilmenge des Awareness-set, besteht aus der Menge an Markenalternativen, die der Konsument entweder nicht oder nur unvollständig verarbeitet hat. Aufgrund fehlender Information oder mangelnder Erfahrung besitzt der Konsument ein nur unscharfes Markenbild, daß ihn außerstande
79
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
setzt, die betreffenden Marken zu bewerten (Brisoux/Laroche 1980a, S. 112). Dem Processed-set gehören alle Marken an, von denen der Konsument ein klares Markenbild besitzt. Die Beurteilung der Markenalternativen erfolgt dabei anhand dreier Subsets. Die inhaltliche Interpretation des Evoked-set und des Reject-set ( = Inept-set) sind dabei identisch zum Konzept von Narayana und Markin (siehe Teil III-1.4.1.1.1). Bei den Marken, die dem Hold-set zugeordnet werden, handelt es sich im Unterschied zu den neutral bewerteten Marken des Inert-set von Narayana und Markin zusätzlich um Marken, die weder abgelehnt noch akzeptiert werden (Brisoux/Laroche 1980a, S. 113). So kann eine Marke beispielsweise negativ bewertet werden, ohne zugleich dem Reject-set zugeordnet zu werden, wenn ein entsprechend niedriger Preis einen günstigen Kauf erwarten läßt (Brisoux/Laroche 1980a, S. 113). Die potentielle Re-Kategorisierung einzelner Marken von einem Subset A zu einem Subset B (gestrichelte Pfeile in Abb. 3-10) trägt der Marken-Dynamik im Zeitablauf Rechnung.
Brisoux und Laroche (1980a, S. 113 f.) weisen die Existenz der von ihnen postulierten Markensets für die Produktkategorie „Bier" nach. Mittels gestützter Befragung für 13 alternative Biermarken kommen sie zu folgendem Ergebnis:
Evoked-set
Reject-set,
Hold-set
Foggy -set
3,27
1,97
3,50
2,43
Tab. 3-5: Anzahl der Marken je Markenset für „Bier" (Mittelwerte)
1.4.1.2
Untersuchungen zu Determinanten des Evoked-set
Es ist evident, daß Determinanten des Evoked-set wertvolle Informationen für das Marketingmanagement darstellen. Deshalb werden nachfolgend empirische Untersuchungsergebnisse verschiedener Studien vorgestellt, die aufzeigen, durch welche Einflußfaktoren das Evoked-set determiniert wird. Eine der ersten empirischen Untersuchungen hinsichtlich der Determinanten des Evoked-set erfolgte durch Campbell (1969, 1973), bei dem die Produktkategorien Waschmittel und Zahnpasta von 200 Hausfrauen beurteilt werden sollten. Die Ergebnisse zeigen, daß die Befragten über beide Produktkategorien eine intraindividuelle Konstanz hinsichtlich der Größe ihres Evoked-set aufweisen
80
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
(Campbell 1973, S. 243 f.). Die Annahme der Existenz einer relativen Evokedset-Größe je Proband, die unabhängig von der jeweiligen Produktklasse ist, darf jedoch nicht generalisiert werden, da sich die Untersuchungen von Campbell auf lediglich zwei Produktkategorien beziehen, die zudem Low-involvement-Produkte darstellen (siehe auch Gronhaug 1973, S. 232). Zwischen der Größe des Evoked-set und der Größe des Awareness-set konnte kein signifkanter Zusammenhang festgestellt werden (Campbell 1973, S. 244). Dieses Ergebnis wird durch eine Untersuchung von Ostlund (1974, S. 228) im PKW-Markt bestätigt. Demgegenüber konnte zwischen der Markentreue und der Evoked-set-Größe ein negativer Zusammenhang
nachgewiesen
werden
(Campbell 1973, S. 244; Ostlund 1974, S. 229; Gronhaug/Troye 1983, S. 100). Während Campbell (1973, S. 244) einen Nachweis für einen negativen Zusammenhang zwischen der Bedeutung des Preises und der Größe des Evoked-set sowie dem subjektiven Risikoempfinden und der Evoked-set-Größe liefert (siehe auch Kanti-Prasad 1975, S. 274 ff.), konnte dieses Ergebnis von Ostlund (1974, S. 229) nicht bestätigt werden. Auch die Ergebnisse zu sozio-demographischen Variablen wie Alter, Einkommen, Schulbildung oder Familiengröße sind widersprüchlich: Nach Campbell (1973, S. 244) geht von diesen Variablen keinerlei Einfluß auf die Größe des Evoked-set aus. Maddox et al. (1978, S. 168 ff.) hingegen stellen einen hochsignifikanten positiven Zusammenhang zwischen der Schulbildung und der Evoked-set-Größe sowie einen schwach negativen Zusammenhang zwischen dem Alter der Befragten und der Größe des Evoked-set von Autokäufern fest. Darüber hinaus liefern Maddox et al. (1978, S. 169) den Nachweis, daß die Intensität der Informationssuche positiv mit der Evoked-set-Größe korreliert. Belonax und Mittelstaedt (1978, S. 50) konnten für Mikrowellenherde einen negativen Zusammenhang zwischen der Anzahl der für eine Entscheidung herangezogenen Attribute und der Größe des Evoked-set nachweisen. Zudem führen geringfügige aber noch akzeptierte Qualitätsunterschiede einzelner Marken zu einer Vergrößerung des Evoked-set (Belonax/Mittelstaedt
1978, S. 50).
Belonax und Javalgi (1989, S. 213 f.) weisen wiederum für Mikrowellenherde einen
negativen
Zusammenhang
zwischen
dem
theoretischen
Konstrukt
Involvement - als wahrgenommene Wichtigkeit einer Produktkategorie - und der Größe des Evoked-set nach (siehe auch Sherif/Sherif 1979). Dieses Ergebnis läßt die Schlußfolgerung zu, daß die mit abnehmendem Involvement einher-
81
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
gehende Vereinfachung der Kaufentscheidung zu einem größeren Evoked-set führt (Jarvis/Wilcox 1973, S. 237; Schulte-Frankenfeld 1985, S. 63). Die sich zum Teil widersprechenden empirischen Ergebnisse machen deutlich, daß nach wie vor ein erheblicher Forschungsbedarf hinsichtlich der Bestimmung von Determinanten des Evoked-set aber auch aller übrigen Markensets besteht. Zudem erschweren unterschiedliche Operationalisierungen des Evoked-set sowie die Exemplifikation an unterschiedlichen Produktkategorien die Vergleichbarkeit der empirischen Ergebnisse.
1.4.1.3
Nutzen des Evoked-set-Konzepts für die WISA
Sowohl große deutsche Marktforschungsunternehmen als auch universitäre Einrichtungen haben in der Vergangenheit innerhalb ihrer Imageuntersuchungen nicht zwischen einzelnen relevanten Markensets unterschieden. So wurde teilweise nicht einmal zwischen dem Awareness- und dem Unawareness-set differenziert. Häufig wurde der eigentlichen Befragung eine Voruntersuchung vorgeschaltet, bei der u. a. die relevanten Marken ermittelt wurden, was einer Beschränkung auf das Awareness-set gleichkam. Die Befragten wurden dabei geradezu „genötigt", alle im Fragebogen enthaltenen Marken anhand einer vorgegebenen Imagebatterie zu bewerten, unabhängig davon, ob die Befragten dazu tatsächlich in der Lage waren. Zudem unterblieb eine Aufgliederung in so relevante Markensets wie dem Evoked-, Hold-, Reject- oder dem Foggy-set. Auch innerhalb
früherer Wettbewerbs-Image-Struktur-Analysen
wurde der
Be-
deutung relevanter Subsets keinerlei Beachtung geschenkt, da hier lediglich die undifferenzierte Analyse des Awareness-set erfolgte. Die Erfassung des Awareness-set stellt allerdings eine nur notwendige Bedingung, jedoch keine hinreichende Bedingung für den kausalen Einfluß von Imagedimensionen auf die Kaufabsicht einer Marke dar. Solch eine undifferenzierte Datenbasis beinhaltet damit die Gefahr, daß die Ergebnisse von Imageuntersuchungen im allgemeinen und einer WISA im speziellen unnötig verfälscht bzw. verzerrt werden. Diese Verzerrung der Analyseergebnisse läßt folglich keine befriedigenden Aussagen über die Größe ihrer Meßfehler und damit über ihre Reliabilität und Validität zu. Damit erhöht sich die Gefahr, daß strategische Fehlentscheidungen hinsichtlich der Positionierung einer Marke getroffen werden. Ostlund (1974, S. 226)
82
T e i l III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n d e r s t r a t e g i s c h e n M a r k t f o r s c h u n g
konstatiert: „... the use of only awareness measures of advertising effectiveness is rather pointless." Grundsätzlich sollten für eine WISA ausschließlich diejenigen Marken einer Produktkategorie in Betracht gezogen werden, die ein Befragter in seinem Processed-set hat und die somit entweder dem Evoked-, dem Hold- oder dem Reject-set zugeordnet werden können. Nur von diesen Marken besitzt der Befragte ein klares Markenbild. Die Fokussierung auf relevante Markensets besitzt dabei erhebliche Vorteile gegenüber einfachen, absolut unkontrollierten spontanen Nennungen und stellt folglich eine verbesserte Methode der Erhebung dar (Schulte-Frankenfeld 1985, S. 64). Zentraler Gedanke der WISA ist, den Einfluß von Imagedimensionen (unabhängige Variablen) auf die Kaufabsicht der jeweiligen Marke (abhängige Variable) nachzuweisen (siehe Teil III-1.2). Folgt man der bisherigen Methodik, bei der die Kaufabsicht mit Hilfe einer Konstantsummenskala (siehe S. 56) erhoben wird, so ist dies nur für das Evoked-set sinnvoll möglich.
Zweifellos könnte auch die negative Haltung (Reject-set) eines Befragten gegenüber einer Marke durch eine differenzierte Beantwortung der Imagebatterie erfaßt werden. Bei Marken, die dem Reject-set angehören, ist die Anwendung einer Konstantsummenskala zur Messung der Kaufabsicht jedoch nicht sinnvoll, da der Befragte dann Kaufanteile auf Marken verteilen müßte, die für ihn keine relevante Alternative darstellen. Gleiches gilt für das „neutrale" Hold-set. Eine Ausweitung der WISA auf das gesamte Processed-set hätte somit zur Konsequenz, daß die Methodik der WISA modifiziert werden müßte. An die Stelle der Kaufabsicht als abhängige Variable würde dann eine der Kaufabsicht vorgelagerte Größe treten, wie z. B. die Präferenzrangfolge der Marken im Processedset der Befragten. Diese Methodik wäre dann in der Lage, zusätzlich Aussagen über das Reject- und das Hold-set anzustellen. Für das Reject-set würde dann die Frage beantwortet werden, welche Imagedimensionen dafür verantwortlich sind, daß eine Marke, von der ein klares Markenbild existiert, nicht präferiert wird.
Der Untersuchungsgegenstand der in Teil IV durchzuführenden Kausalanalyse im Premium-Pilsmarkt bezieht sich ausschließlich auf das Evoked-set der Befragten.
„From the assumption that only alternatives evaluated
have
any
possibility of being chosen by the buyer, the practical implications of 'evoked
83
Teil III: Methoden und M e l h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
set' are evident" (Gronhaug 1973, S. 237). Neben der oben angeführten methodischen Implikation spricht für dieses Vorgehen zusätzlich der Tatbestand, daß das Vorhandensein einer Marke im Evoked-set der Befragten maßgebliche Bedeutung für den Kauf der Marke und damit eine besondere Relevanz für das strategische Marketing besitzt. „Marketers are greatly interested [...] of evoked sets because their brands are likely to be chosen by consumers only if they are elements
of consumers'
evoked sets"
(Kanti-Prasad
1975,
S. 272).
Eine
Evoked-set-basierte WISA beantwortet die Frage, durch welche Imagedimensionen die Kaufabsicht einer Marke beeinflußt wird, unter der Voraussetzung, daß es sich ausschließlich um Befragte handelt, die die betreffende Marke in ihrem Evoked-set haben. Das Evoked-set über alle Befragten dient zudem der sachlichen Präzisierung dessen, was konkret als relevanter Markt gelten soll und trägt damit dem Tatbestand Rechnung, daß Wettbewerb kein kategoriales Phänomen ist, sondern in verschiendenen Intensitätsstufen auftreten kann (Dichtl/Schobert 1979, S. 90 f.). Intensiver Wettbewerb findet somit zunächst im Bewußtsein der Konsumenten statt,
die die betreffenden Marken
in ihrem Evoked-set
haben.
„...
the
alternatives which the buyer evaluates define the competition for the marketer. If a buyer considers the alternatives A and B, then the choice will be between these alternatives. [...] The conclusion will consequently be that the marketer himself must go out and measure which brands his offers are competing with, and on this background formulate his marketing strategy" (Gronhaug
1973,
S. 240). Wettbewerb findet damit in erster Linie zwischen den Marken statt, die gleichzeitig im Evoked-set hinreichend vieler Befragter vertreten sind. Die Zusammensetzung des Evoked-set über alle Befragten sind für den Anbieter ein Indiz, mit welchen Wettbewerbern er in der Wahrnehmung der Konsumenten konkurriert.
Die relative Häufigkeit der Evoked-set-Schnittmengen zweier Marken sowohl aus Sicht einer Marke A als auch aus Sicht einer Marke B kann als ein Indikator für die allgemeine
Wettbewerbsintensität
zwischen diesen beiden Marken aufgefaßt werden. Durch die Beschränkung auf das Evoked-set der Befragten wird so die unrealistische Annahme aufgegeben, daß zwischen allen Marken einer Produktkategorie Wettbewerb besteht. Für die kausalanalytische Wettbewerbs-Image-Struk-
84
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
tur-Analyse heißt das, daß Imagewettbewerb nur zwischen Marken analysiert wird, die direkt im Bewußtsein hinreichend vieler Konsumenten um Kaufanteile konkurrieren und deren Wettbewerbsintensität somit ausreichend groß ist. Hierbei ist zu beachten, daß eine LISREL-Modellierung eine Stichprobengröße von mindestens 50 Fällen ( ~ ) erfordert (siehe S. 68). Bei denjenigen Marken, deren relative Evoked-set-Schnittmenge vernachlässigbar klein ist, wäre die Durchführung von Wettbewerbs-Image-Struktur-Analysen aufgrund der fehlenden bzw. nur schwach ausgeprägten Wettbewerbsintensität nicht nur unsinnig, sondern zudem auch wegen des hohen Rechenaufwandes nicht zu rechtfertigen.
1.4.2
Evoked-set-basierte WISA für strategische Gruppen
1.4.2.1
Begriff der strategischen Gruppen
Die Existenz strategischer Gruppen wurde erstmals von Hunt (1972) nachgewiesen. Er unterteilte Unternehmen der Haushaltsgeräteindustrie in vier strategische Gruppen, wobei er zur Kategorisierung drei Schlüsselvariablen heranzog: den Grad der vertikalen Integration, die Breite der Produktpalette und die Art der Produktdifferenzierung. Es blieb jedoch Porter (1980) mit seinem Werk „Competitive Strategy" vorbehalten, dem Konzept der strategischen Gruppen eine breitere Aufmerksamkeit zu verschaffen und es als eigenständiges Element der betriebswirtschaftlichen Wettbewerbstheorie zu verankern. Eine strategische Gruppe stellt dabei eine Gruppe von Unternehmen einer Branche dar, die eine identische oder ähnliche Wettbewerbsstrategie verfolgen (Porter 1992, S. 177). Im Extremfall wird die gesamte Branche nur durch eine strategische Gruppe repräsentiert oder jedes Unternehmen der Branche bildet eine eigenständige strategische Gruppe. In der Regel existiert jedoch eine kleine Anzahl von strategischen Gruppen, mit denen die strategischen Unterschiede zwischen den Wettbewerbern der Branche erfaßt werden können (Porter 1992, S. 177). Ursachen für das Entstehen strategischer Gruppen sieht Porter (1992, S. 178) durch Unterschiede in den Stärken und Schwächen der Unternehmen, durch die historische Entwicklung der Branche inklusive historischer Zufälle, durch ungleiche Zeitpunkte des Brancheneintritts, durch die Risikoneigung der Unternehmen sowie in der Technologiedynamik begründet.
85
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Ein Unternehmen einer strategischen Gruppe konkurriert einerseits mit Unternehmen der eigenen strategischen Gruppe (Intragruppen-Wettbewerb) und andererseits mit Unternehmen anderer strategischer Gruppen (Intergruppen-Wettbewerb), wobei in der Regel intensiver Wettbewerb zwischen Unternehmen derselben strategischen Gruppe besteht (Cool/Schendel 1988, S. 209; Homburg/ Sütterlin 1992, S. 653; Diedenhofen 1991, S. 209). Die Wettbewerbsintensität zwischen strategischen Gruppen hängt insbesondere von ihrer Marktinterdependenz, d. h. von dem Grad der Zielkundenüberschneidung ab (Porter 1992, S. 188). Weitere Einflußfaktoren stellen die von den strategischen Gruppen erreichten Produktdifferenzierungen, die Zahl und relative Größe sowie das Ausmaß der Verschiedenheit der Strategien der strategischen Gruppen dar (Porter 1992, S. 188 ff.; Bauer 1991, S. 399 f.). Ziel des Konzepts strategischer Gruppen ist „... die Erklärung langfristiger Profitabilitätsunterschiede zwischen Unternehmen einer Branche durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen strategischen Gruppen" (Homburg/Sütterlin 1992, S. 638). Das Konzept der strategischen Gruppen kann somit als ein analytisches Werkzeug der brancheninternen Strukturanalyse verstanden werden, das das angebotsseitige Gegenstück zur nachfrageorientierten Marktsegmentierung darstellt (Bauer 1991, S. 396).
1.4.2.2
Mobilitätsbarrieren als Determinanten zur Abgrenzung strategischer Gruppen
Neben der Analyse von Profitabilitätsunterschieden zwischen
strategischen
Gruppen interessiert zudem, wie erfolgreiche strategische Gruppen einer Branche Angriffe von Unternehmen aus weniger erfolgreichen strategischen Gruppen abwehren (Hinterhuber/Kirchebner 1983, S. 854; Albach 1992, S. 665 f.). Daß die Strategiemuster erfolgreicher strategischer Gruppen, die zumindest mittelfristig relativ stabile und verteidigbare Gebilde darstellen, nicht ohne weiteres durch „angreifende" Unternehmen imitiert werden können, wird durch das Vorhandensein von Mobilitätsbarrieren erklärt (Caves/Porter 1977, S. 241 ff.; Meffert/Heinemann 1989, S. 120; Olusoga/Mokwa/Noble 1995, S. 154). Unter Mobilitätsbarrieren, die als Verallgemeinerung des Begriffs der Markteintrittsbarrieren (Bain 1956) aufgefaßt werden können, sind all jene Umstände zu sub-
86
T e i l III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n d e r s t r a t e g i s c h e n M a r k t f o r s c h u n g
sumieren, die einem Unternehmen Probleme beim Wechsel in eine andere strategische Gruppe bereiten oder aber beim Eintritt in bzw. Austritt aus einem Markt entstehen. Voraussetzung für Mobilitätsbarrieren ist die Existenz von „sunk costs", die die Höhe der gruppenspezifischen Markteintrittsbarrieren bestimmen (Baumol/Willig 1981, S. 405 ff.). Sunk costs stellen Aufwendungen dar, die beispielsweise bei einem Markteintritt von einem Unternehmen aufzubringen sind, um den bestehenden Nachholbedarf gegenüber etablierten Unternehmen der strategischen Gruppe zu kompensieren (Brunken 1991, S. 34). Das neu auf den Markt tretende Unternehmen versucht in der Regel einen Gleichstand hinsichtlich des Aufbaus von Kostendegressionspotentialen, der Breite der Produktpalette, dem F & E- und Management-Know-how, der Erschließung von Vertriebswegen, des Aufbaus eines Markennamens etc. zu erarbeiten (McGee/ Thomas 1986, S. 151 ff.). Für den Fall, daß erfolgreiche strategische Gruppen nicht in der Lage sind, derartige Mobilitätsbarrieren aufzubauen, müssen sie damit rechnen, daß sie zukünftig mit weiteren Unternehmen ihren Erfolg teilen müssen (Gaitanides/Westphal 1991, S. 253).
In der Regel sieht sich jedoch das angreifende Unternehmen einem großen finanziellen und zeitlichen Aufwand sowie einem hohen Risiko hinsichtlich der Erfolgsträchtigkeit seines Vorhabens ausgesetzt. Durch die von den Mobilitätsbarrieren ausgehende Schutzfunktion in Form gruppenspezifischer Markteintrittsbarrieren werden so gleichzeitig die Grenzen der strategischen Gruppen abgesteckt. Die mit einem Wechsel in eine andere strategische Gruppe auftretenden Kosten können dabei asymmetrischer Natur sein, so daß ein Wechsel von einer strategischen Gruppe A in eine strategische Gruppe B mit größeren Mobilitätsbarrieren verbunden sein kann als umgekehrt (Hatten/Hatten 1987, S. 334 ff.).
Zur Branchenstrukturierung bzw. Abgrenzung strategischer Gruppen wurden in der Vergangenheit häufig bivariate Ansätze herangezogen. Der bivariaten Vorgehensweise liegt die Annahme zugrunde, daß aus der Vielzahl möglicher Variablen lediglich zwei Schlüsseldimensionen zur Bestimmung der Gruppenzugehörigkeit ausreichend sind (Hatten/Hatten 1987, S. 331). In methodischer Hinsicht sind derartig hermeneutische Verfahren zur Bildung strategischer Gruppen fragwürdig,
da
durch
die Beschränkung
auf
lediglich
zwei
Dimensionen
zwangsläufig ein Teil der verfügbaren Informationen vernachlässigt wird.
87
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Eine methodisch anspruchsvollere Identifikation strategischer Gruppen, die eine Vielzahl strategiebeschreibender Variablen berücksichtigt, erfolgt durch Anwendung multivariater Datenanalyse verfahren. Hierbei müssen Verfahren unterschieden werden, die einerseits zur Ermittlung der Gruppenstruktur und andererseits zur Identifikation der wichtigsten Mobilitätsbarrieren werden.
Während
in
vergangenen
empirischen
herangezogen
Untersuchungen
primär
Clusteranalysen zur Ermittlung der Gruppenstruktur verwandt wurden (Harrigan 1985, S. 59 ff.), kamen für die Identifikation der Mobilitätsbarrieren insbesondere
Regressions-,
Faktoren- und
Diskriminanzanalysen
zur
Anwendung
(Homburg/Sütterlin 1992, S. 644 ff.). So wurden in der Studie von Hatten, Schendel und Cooper (1978) für 13 Unternehmen der amerikanischen Brauereibranche mittels Clusteranalyse drei strategische Gruppen identifiziert. Anschließend wurden für jede strategische Gruppe separat multiple Regressionsanalysen durchgeführt, um den Einfluß von Strategie- und Umweltvariablen auf die Eigenkapitalrentabilität auf Gruppenebene zu berechnen.
1.4.2.3
Nutzen des Konzepts strategischer Gruppen für die WISA
Analysegegenstand bisheriger Wettbewerbs-Image-Struktur-Analysen
war die
einzelne Marke. Dabei wurde der Einfluß von Imagedimensionen der eigenen und der Wettbewerbermarken auf die Kaufabsicht der jeweiligen Marken im Evoked-set diskutiert (siehe Teil III-1.3 und 1.4.1). Überträgt man die Evokedset-basierte WISA auf das Konzept der strategischen Gruppen, so kann Imagewettbewerb auch zwischen Markengruppen untersucht werden. Galbraith und Schendel (1983, S. 158 ff.), die eine Liste relevanter Strategievariablen zusammenstellen, zeigen, daß die Positionierungsstrategie einen bedeutenden Beitrag zur Bildung strategischer Gruppen leistet (siehe auch Howell/Frazier
1983,
S. 59 ff.; Haedrich/Jenner 1995, S. 31 ff.). Marken, die dieselbe oder eine ähnliche Positionierungsstrategie verfolgen und die infolgedessen zu einer ähnlichen Positionierung im Wahrnehmungsraum der Konsumenten führen, können deshalb zu strategischen Gruppen zusammengefaßt werden. Die Clusteranalyse dient in einem ersten Schritt der Ermittlung der strategischen Gruppen und der sie repräsentierenden Marken. Die Identifikation der Mobilitätsbarrieren erfolgt in einem zweiten Schritt durch Anwendung der Kausalana-
88
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
lyse (siehe Teil III-1.3.2), wobei dieser Weg in der empirischen Praxis bisher noch nicht beschritten wurde (siehe hierzu Homburg/Sütterlin 1992, S. 644 ff., die einen Überblick über die verwandten Verfahren zur Identifikation von Mobilitätsbarrieren geben). Abbildung 3-11 verdeutlicht das sukzessive Vorgehen der kausalanalytischen WISA für strategische Gruppen.
Schritt 1 ClusteranalySe
1
Schritt 2 Kausalanalyse (LISREL) Abb. 3-11:
WISA für strategische Gruppen
Mit Hilfe einer Evoked-set-basierten WISA für strategische Gruppen wird der Einfluß von strategiebeschreibenden Imagedimensionen (unabhängige Variablen) der strategischen Gruppen auf die Kaufabsicht (abhängige Variable) der jeweiligen strategischen Gruppe empirisch nachgewiesen. Infolgedessen werden in einer WISA für strategische Gruppen „aggregierte" Imagedimensionen und „aggregierte" Kaufabsichten modelliert. Die strategiebeschreibenden, diskriminierenden Imagedimensionen, die angeben, durch was sich die einzelnen strategischen Gruppen unterscheiden, können dabei als Mobilitätsbarrieren interpretiert
werden
(Harrigan 1985, S. 56). Je größer die Mobilitätsbarrieren, die von der strategischen Gruppe aufgebaut wurden, desto höher sind die sunk costs, die ein potentieller Neueinsteiger aufbringen muß, um an den Gewinnen dieser strategischen Gruppe partizipieren zu können (Porter 1992, S. 193). Dies hat zur Folge, daß ein Neueinsteiger häufig die strategische Gruppe auswählt, bei der das Verhältnis zwischen dem Gewinnpotential und den sunk costs am günstigsten ist.
89
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Durch die Integration des Konzepts der strategischen Gruppen in die kausalanalytische WISA im Evoked-set gewinnt diese Methodik erheblich an Praxisrelevanz. Zum einen können mit Hilfe dieser Vorgehensweise die relevanten strategischen Gruppen inklusive der sie repräsentierenden Wettbewerber und zum anderen die innerhalb einer Branche existenten Mobilitätsbarrieren in Form aggregierter Imagedimensionen einer differenzierten Analyse unterzogen werden. Die Kenntnis, mit welchen Wettbewerbern man innerhalb einer strategischen Gruppe konkurriert,
läßt Aussagen bezüglich
der Intensität
des
Intragruppen-Wettbewerbs zu, der in der Regel stärker ausgeprägt ist als der Intergruppen-Wettbewerb. Das Wissen der am Markt existenten Mobilitätsbarrieren versetzt das Unternehmen in die Lage, die wichtigsten Strategierichtungen einer Branche zu erfassen. Die für eine mögliche Repositionierung einer Marke verfügbaren strategischen Optionen wie •
eine neue strategische Gruppe schaffen,
•
in eine erfolgversprechendere strategische Gruppe wechseln,
•
die strukturelle Position des Unternehmens in der strategischen Gruppe stärken,
basieren so auf einer validen Entscheidungsgrundlage (Porter 1992, S. 201). Die Analyse der strategischen Gruppenstruktur innerhalb einer WISA ermöglicht zudem eine grobe Abschätzung der Ertragspotentiale im Sinne langfristiger Profitabilitätsunterschiede und eventueller Risiken unterschiedlicher Positionierungsstrategien. Sichtbar wird auch, welche Mobilitätsbarrieren die eigene Marke schützen und wie schnell diese, durch Unternehmen anderer strategischer Gruppen oder auch von außerhalb der Branche, überwunden werden können. Die Evoked-set-basierte WISA für strategische Gruppen erlaubt somit eine differenzierte Stärken/Schwächen- und Chancen/Risiken-Analyse.
Da strategische
Gruppen in der Regel auf Veränderungen im marktbezogenen oder wettbewerblichen Umfeld ähnlich reagieren, können mögliche Wettbewerberreaktionen auf entsprechende Stimuli gedanklich simuliert werden (Homburg/Sütterlin 1992, S. 652 f.). Die Kenntnis der am Markt existenten Mobilitätsbarrieren hinsichtlich ihrer Art und Höhe erlaubt damit eine Einschätzung, aus welchen Bereichen zukünftig ernstzunehmende Wettbewerber zu erwarten sind.
90
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Die kausalanalytische WISA ist eine Methode zur statischen Komplexitätsbewältigung. Auch die Integration der Konzepte des Evoked-set und der strategischen Gruppen hat an dem statischen Charakter der Methodik nichts geändert. Die Zugehörigkeit einer Marke bzw. eines Wettbewerbers zum Evoked-set oder zu einer strategischen Gruppe inklusive der ihr zugrundeliegenden Mobilitätsbarrieren unterliegt in der Realität jedoch einer zeitlichen Instabilität. Um dem eigentlich dynamischen Imagewettbewerb Rechnung tragen zu können, kann deshalb entweder eine nochmalige Analyse im Sinne eines Image-Monitoring erfolgen, das die Überprüfung der zeitlichen Stabilität relevanter Strategievariablen zuläßt. Alternativ steht der strategischen Marktforschung ein Methodenspektrum zur Verfügung, daß die innerhalb komplexer Entscheidungssituationen existenten dynamischen Prozesse explizit berücksichtigt. Diese Methoden und Methodenkombinationen sind Inhalt des folgenden Abschnittes.
2.
Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden zur dynamischen Komplexitätsbewältigung
2.1
Sensitivitätsmodell als Methodenkombination aus szenarioanalytischen Elementen und der Sensitivitätsanalyse
Das Sensitivitätsmodell wurde Ende der 70er Jahre als Planungsinstrumentarium von Frederic Vester und Alexander v. Hesler im Rahmen des UNESCOProgramms „Man and the Biosphere" entwickelt (Vester/v. Hesler 1980). Zielsetzung war, eine Methodik zur Verfügung zu stellen, die der ganzheitlichen, dynamischen Erfassung komplexer Systeme Rechnung trägt und damit zu einer verbesserten Entscheidungsgrundlage führt. Ihre Philosophie gründet sich auf das Prinzip der Mustererkennung (siehe auch Mertens 1977, S. 777 ff.; Viefhues 1989, Sp. 1220 f.), dessen Ziel in dem Erkennen der vernetzten Zusammenhänge besteht, um ein möglichst vollständiges Bild einer komplexen Problemstellung erhalten zu können (Schlange 1994, S. 160 ff.). Das Sensitivitätsmodell resultierte aus der Erkenntnis, daß sich ein komplexes System anders verhält, als es aus der Addition seiner Teile zu erwarten wäre. Das computerunterstützte Instrumentarium des Sensitivitätsmodells ermöglicht durch die explizite Berücksichtigung des komplexen Systemverhaltens eine vali-
91
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
dere Bewertung alternativer Strategien. Es ist eine strukturierte Denkhilfe für eine vernetzte Sicht der Realität, in der die Art, die Intensität und der Verlauf der Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Systemkomponenten untersucht wird. Jedoch sollen durch das Sensitivitätsmodell die herkömmlichen Instrumentarien nicht ersetzt, sondern insbesondere für komplexe Systeme ergänzt werden (Vester 1992, S. 42). Da die einzelnen Arbeitsschritte des Sensitivitätsmodells von szenarioanalytischen Elementen überlagert werden, soll im folgenden zunächst auf die Szenarioanalyse eingegangen werden.
2.1.1
Szenarioanalyse als methodische Grundlage des Sensitivitätsmodells
2.1.1.1
Charakteristika von Szenarien
Der Begriff „Szenario" wurde in den 50er Jahren von Kahn während seiner Tätigkeit bei der RAND CORPORATION in die Wirtschaftswissenschaften eingeführt und spätestens durch die Erfolge der SHELL-Unternehmensplanung zu Beginn der 70er Jahre salonfähig (Wack 1985, S. 77). Kahn und Wiener (1967, S. 6) definieren ein Szenario als „...
a hypothetical sequence of
events
constructed for the purpose of focusing attention on causal processes and decision points". In der deutschsprachigen Literatur dominiert neben der Definition von Kahn und Wiener die Begriffsbestimmung von Mitarbeitern des Battelle-Instituts, Frankfurt. Diese verstehen unter einem Szenario „sowohl •
die Beschreibung einer möglichen zukünftigen Situation als auch
•
das Aufzeigen des Entwicklungsverlaufs, der zu dieser zukünftigen Situation führt" (Geschka/v. Reibnitz 1983, S. 128).
In Verbindung mit alternativen Szenarien kann so das Möglichkeitsspektrum zukünftiger Entwicklungen des Untersuchungsbereichs wiedergegeben werden, das sich graphisch anhand eines Trichtermodells (siehe Abb. 3-12) veranschaulichen läßt (Geschka/v. Reibnitz 1983, S. 129). Ausgangspunkt eines jeden
92
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Szenarios ist die aktuelle Situation zum Zeitpunkt tg. Tritt für einen Szenariopfad S, zum Zeitpunkt ^ ein Störereignis ein, so hat dies Auswirkungen auf den Entwicklungspfad von S, und es entsteht ein neues Szenario S 2 . Durch Gegenmaßnahmen, die zum Zeitpunkt ^ zu wirken beginnen, kann der Szenariopfad S 2 so dicht als möglich an den ursprünglichen Szenariopfad S, herangeführt werden.
Gegenwart
Abb. 3-12:
Betrachtungszeitpunkttn
Denkmodell zur Darstellung von Szenarien
Obige Abbildung verdeutlicht, daß mit zunehmender Reichweite der Zukunftsbetrachtung der Einfluß der Gegenwartstrukturen sinkt und gleichzeitig das Möglichkeitsspektrum denkbarer zukünftiger Situationen sich trichterförmig ausweitet. Der Szenariotrichter symbolisiert folglich die mit Zukunftsanalysen einhergehende Komplexität und Unsicherheit. Die Anzahl aller möglichen Szenarien ergibt sich im Querschnitt der Trichtermündung zu einem Betrachtungszeitpunkt t n , wobei die obere und untere Begrenzung des Szenariotrichters durch Extremszenarien beispielsweise in Form eines optimistischen und pessimistischen Szenarios erfolgt. Da nicht alle theoretisch denkbaren Entwicklungspfade innerhalb des Szenariotrichters sinnvoll analysiert werden können, erfolgt in der Praxis häufig eine Beschränkung auf zwei bis sechs Szenarien (Segner 1976, S. 28; Linnemann/Klein 1979, S. 87; Geschka/Winckler 1989,
93
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
S. 18). Eine sinnvolle Anzahl zu analysierender Szenarien sollte dabei immer von der jeweiligen Problemstellung abhängig gemacht werden, die insbesondere folgenden Gütekriterien genügen sollten (Angermeyer-Naumann 1985, S. 303 ff.; v. Reibnitz 1991, S. 28): •
Verständlichkeit,
•
Konsistenz und Plausibilität,
•
Vollständigkeit sowie Erfassung der Systemzusammenhänge,
•
Stabilität und Informationsgehalt.
Die wichtigste Funktion unternehmensspezifischer Szenarien besteht in der Generierung zukunftsgerichteter Informationen. Die Beschäftigung mit der Zukunft soll dabei das Verständnis für die Umwelt und ihre Unsicherheit verbessern helfen. Szenarien kommt zudem eine Frühwarnfunktion zu, da sie so früh wie möglich sich abzeichnende Chancen und Risiken identifizieren sollen (Gomez 1982, S. 9 ff.; Sprengel 1984, S. 104; Brauers/Weber 1986, S. 632). Darüber hinaus ist Szenarien eine Lern- und Kommunikationsfunktion immanent (Götze 1993, S. 51).
2.1.1.2 Die
Phasen der Szenarioanalyse
Szenarioanalyse
ist eine
Analysetechnik,
mit
deren
Hilfe
Szenarien
(Zukunftsbilder) erarbeitet werden, um hieraus Konsequenzen für eine definierte Problemstellung abzuleiten. Der Szenarioanalyse ist allerdings kein einheitliches, allgemeingültiges Verfahren zugrundegelegt. Vielmehr existiert
eine
Vielzahl unterschiedlicher Ansätze, die sich insbesondere hinsichtlich der Abgrenzung der einzelnen Arbeitsschritte unterscheiden (Geschka/Hammer 1990, S. 317; Götze 1993, S. 79 ff.; Mißler-Behr 1993, S. 11 f.). Zudem differieren bei der Szenario-Erstellung die Anteile quantitativer und qualitativer Vorgehensweisen (Götze 1990, S. 306). Für die verschiedenen szenarioanalytischen Ansätze können folgende idealtypischen Merkmale festgehalten werden. Diese bestehen darin, daß
94
•
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
eine sorgfältige Analyse des Untersuchungsbereichs den Ausgangspunkt darstellt (Geschka/v. Reibnitz 1983, S. 128),
•
interne und externe Einflußgrößen sowie deren Zusammenhänge im Zeitablauf berücksichtigt werden (Geschka/Winckler 1989, S. 17),
•
sowohl qualitative als auch quantitative Informationen verarbeitet werden, um einen Einblick in die komplexe Struktur des Untersuchungsbereichs zu gewinnen (Brauers/Weber 1986, S. 631 f.),
•
ein Denken in Alternativen und Bandbreiten im Vordergrund steht, das die Entwicklung in sich widerspruchsfreier Zukunftsbilder - inklusive ihrer Entwicklungspfade - begünstigt (Götze 1991, S. 356),
•
konsistente Annahmen für diejenigen Einflußfaktoren getroffen werden, deren zukünftige Entwicklung mit Unsicherheiten behaftet ist (Geschka/ Winckler 1989, S. 18),
•
auch im vornherein nicht erkennbare Störereignisse in Gestalt sogenannter Trendbrüche berücksichtigt werden (Götze 1993, S. 76),
•
sie systematisch und transparent vorgehen (Geschka/v. Reibnitz
1983,
S. 128), •
sie Analyse-, Prognose- (im Sinne eines Sich-darauf-Einstellens) und Syntheseelemente beinhalten (Lehnen 1979, S. 71 f.),
•
sie der Entscheidungsvorbereitung durch Ableitung robuster Strategien im Rahmen der strategischen Unternehmensfuhrung dienen (Mattrisch 1989, S. 7).
Zur Realisierung dieser Aspekte wird stellvertretend für die existierenden Ansätze in der Literatur auf den in der Praxis am häufigsten verwandten Szenarioprozeß des Batteile-Instituts (siehe Abb. 3-13) eingegangen (Geschka/v. Reibnitz 1983, S. 131 ff.; Geschka/Winckler 1989, S. 19; v. Reibnitz 1991, S. 30 ff.).
Teil III: Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung
Ablauf der Szenarioanalyse
Abb. 3-13:
__ __
.
95
verkürzter Planungsprozeß
Phasen des Szenarioprozesses
Durch eine innerhalb der ersten Phase geführte Gruppendiskussion (Experten, Entscheidungsträger etc.) erfolgt eine möglichst exakte Beschreibung der Aufgabenstellung.
Auf dieser Basis ist das Untersuchungsfeld
in sachlicher,
zeitlicher und regionaler Hinsicht abzugrenzen sowie die relevanten Schlüsselgrößen bzw. Handlungsfelder des Untersuchungsfeldes herauszuarbeiten. Um ein gemeinsames Problemverständnis zu erzielen, ist für alle Beteiligten eine akzeptable und verständliche Terminologie notwendig. Die zweite Phase ist dadurch gekennzeichnet, daß die internen und externen Einflußfaktoren zu identifizieren sind, die einen maßgeblichen Einfluß auf das Untersuchungsfeld haben. Diese mittels Metaplantechnik gesammelten Einflußfaktoren werden anschließend zu Einflußbereichen (Umfeldern) gebündelt und hinsichtlich ihrer Einflußintensitäten bewertet. Eine derartige systemanalytische Auswertung ermöglicht es, Aussagen über die relative Wichtigkeit der Einflußfaktoren oder der Einflußbereiche anzustellen. In der dritten Phase werden für die ermittelten Einflußfaktoren problembeschreibende Kenngrößen, sogenannte Deskriptoren, formuliert, für die zunächst der Istzustand zu erfassen ist, um darauf aufbauend mit Hilfe von Expertenwissen Projektionen für das Szenario-Zieljahr aufzustel-
96
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
len. Hierbei können Deskriptoren mit eindeutigem Entwicklungsverlauf
und
solche mit alternativen Entwicklungsmöglichkeiten, sogenannte kritische Deskriptoren, unterschieden werden. Da sich die alternativen Annahmen der kritischen Deskriptoren nicht beliebig miteinander kombinieren lassen, muß im Rahmen der vierten Phase für jede Ausprägung eines Deskriptors überprüft werden, mit welchen Ausprägungen der übrigen Deskriptoren sie konsistent ist, sich ausschließt oder sich neutral verhält. Neben der Konsistenzanalyse kommt hier häufig die Cross-Impact-Analyse zur Anwendung, mit der Interdependenzen zwischen
den Eintrittswahrscheinlichkeiten
möglicher
zukünftiger
Entwick-
lungen erfaßt werden (Götze 1993, S. 163 ff.; Welters 1989, Sp. 241 ff.). Diejenigen Annahmenbündel, welche die größte Konsistenz und eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit aufweisen und sich zudem möglichst stark voneinander unterscheiden, bilden die Grundlage für die innerhalb der fünften Phase zu erstellenden Szenarien. Diese werden durch die eindeutigen Deskriptoren aus Phase drei ergänzt, als Ganzes interpretiert und zu konsistenten Zukunftsbildern ausgestaltet. Für jeden ausgewählten Entwicklungspfad wird anschließend unter Berücksichtigung aller Deskriptoren in Zeitschritten von etwa fünf Jahren ein Szenario bis zum angestrebten Szenario-Zieljahr entwickelt und ausformuliert (Umminger 1990, S. 111). Im Rahmen der sechsten Phase ist zu untersuchen, inwieweit Störereignisse die entwickelten Szenarien beeinflussen. „Ein Störereignis ist ein plötzlich auftretendes Ereignis, das vorher trendmäßig nicht erkennbar
war
und
eine
Entwicklung
in
eine
andere
Richtung
lenkt"
(Geschka/Hammer 1990, S. 322). Da ein Störereignis sowohl negativer als auch positiver Natur sein kann, weisen sie einerseits auf Risiko- und andererseits auf Chancenpotentiale hin. Zur Generierung von Störereignissen werden Kreativitätstechniken angewandt. Diejenigen Störereignisse, welche die vorliegenden Szenarien am stärksten beeinflussen und zugleich eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit aufweisen, werden dann in die jeweiligen Szenarien integriert und hinsichtlich ihrer Auswirkungen überprüft. So läßt sich feststellen, wie sensitiv bzw. robust einzelne Szenarien auf Störereignisse reagieren. Innerhalb
der
siebten Phase können für konkrete Fragestellungen direkt Konsequenzen aus den in Phase fünf entwickelten Szenarien abgeleitet und in konkrete Gestaltungsvorschläge umgesetzt werden. Bei allgemeineren Fragestellungen,
wie
z. B. dem Erstellen eines Unternehmensleitbildes, ist es dagegen sinnvoll, aus jedem Szenario für die konkrete Problemstellung ein Untersuchungsfeldszenario abzuleiten. So kann aus den Entwicklungstendenzen der einflußstärksten Deskriptoren auf den Entwicklungsverlauf des Untersuchungsfeldes geschlossen
97
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
werden. Obwohl die achte Phase im engeren Sinne nicht mehr Gegenstand des Szenarioprozesses ist, hat sie wesentlichen Einfluß auf die erfolgreiche Umsetzung der ausgearbeiteten Szenarien. Deshalb sollte bei der Erstellung von Szenarien gleichzeitig die Umsetzung in die strategische Planung von Beginn an im Arbeitsablauf eingeplant werden, damit der Szenarioprozeß nicht zum Selbstzweck degeneriert. So lassen sich aus den entwickelten Szenarien wertvolle Informationen für entscheidungs- bzw. strategierelevante Größen ableiten, wobei die Entwicklung von Strategien, Handlungsalternativen, Zukunftsmechanismen, Zielvorstellungen sowie Zukunftsanalysen im Sinne eines Sich-darauf-Einstellens im Vordergrund stehen. Der Szenarioprozeß entspricht keinem starren Ablaufplan. Vielmehr können nach jedem Arbeitsschritt zusätzliche Erkenntnisse füir vorhergehende Phasen genutzt werden, weshalb der Szenarioanalyse grundsätzlich iterativer Charakter zukommt. Zudem hat die Beschreibung des Szenarioprozesses deutlich gemacht, daß innerhalb der einzelnen Phasen eine Vielzahl von Methoden bzw. Instrumenten eingesetzt werden kann. Neben den bereits genannten Verfahren kommen zudem Vernetzungsmatrizen,
Relevanzbaum verfahren,
morphologische
Analysen, Netzwerkdiagramme sowie Checklisten und die Delphi-Methode zur Anwendung, wobei ihre Auswahl sich an der Zielsetzung und Komplexität des Untersuchungsgegenstandes sowie an den verfugbaren Mitteln und der vorgesehenen Bearbeitungszeit orientiert (Lehnen 1979, S. 74; Götze 1993, S. 99 ff.; Mißler-Behr 1993, S. 19).
2.1.1.3
Beurteilung der Szenarioanalyse im Rahmen strategischer Marktforschung
Anwendungsgebiete der Szenarioanalyse sind vorwiegend komplex-vernetzte Problemstellungen, die langfristig ausgerichtet und mit Unsicherheiten behaftet sind (Geschka/v. Reibnitz 1983, S. 166 ff.; Brauers/Weber 1986, S. 632; Geschka/Hammer 1990, S. 332 f.; Kreikebaum 1991, S. 94 f.; v. Reibnitz 1993, S. 25). Das Potential der Szenarioanalyse im Rahmen der strategischen Marktforschung resultiert dabei insbesondere aus
98
•
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
dem Zwang, sich mit der Dynamik und der mit ihr einhergehenden Unsicherheit der Zukunft in Gestalt konsistenter, denkbarer Zukunftsbilder auseinanderzusetzen,
•
der Analyse komplexer Problemstellungen, die relevante Einflußgrößen und deren vernetzte Abhängigkeitsstrukturen berücksichtigt,
•
der Integration quantitativer und qualitativer Informationen,
•
der Identifikation von Störereignissen,
•
ihrer Fähigkeit, andere Methoden wie z. B. die Delphi-Methode in den Szenarioprozeß zu integrieren,
•
der begründeten Annahme, daß durch den interdisziplinären Charakter das Systemverständnis aller am Szenarioprozeß beteiligten Personen erheblich verbessert wird, womit eine Veränderung des Problembewußtseins im gesamten Unternehmen verbunden sein kann.
Der Szenarioanalyse haftet dabei vor allem ein relativ hoher Grad an Subjektivität an (Geschka/Winckler 1989, S. 23). Die Güte der erstellten Szenarien hängt folglich von der fachlichen Kompetenz, der Informationsbasis und der Vorstellungskraft der Teilnehmer hinsichtlich des Erkennens von Unsicherheiten und ihrer Wechselwirkungen ab. Die innerhalb eines Szenarioprozesses existente Unsicherheit hinsichtlich der Bearbeitung qualitativer Faktoren sowie Schwierigkeiten im Umgang mit der Komplexität und Vielfalt machen es bezüglich ihrer späteren Akzeptanz notwendig, daß die Entscheidungsträger in den Szenarioprozeß integriert werden (Geschka/Winckler 1989, S. 23). Die Szenarioanalyse muß von ihnen als Chance zur Verbesserung der strategischen Planung und nicht als Bedrohung der bis dato aufgebauten Planungskompetenz verstanden werden (Meyer-Schönherr 1992, S. 248). Aussagen, die mit Hilfe der Szenarioanalyse getroffen werden, sollen nicht mit Prognosen im traditionellen Sinne gleichgesetzt werden. Vielmehr werden die Unsicherheiten über die zukünftige Entwicklung in Form von Bandbreiten ausgedrückt, die dem Anwender mögliche Handlungsspielräume verdeutlichen. Dabei wird die Szenarioanalyse nur dann auf Akzeptanz stoßen, wenn die Nachfrager nach Information über zukünftige Entwicklungen ihr Verständnis des Begriffs „Prognose" ändern und die prinzipielle Unsicherheit jeder Aussage über die Zukunft bewußt hinnehmen.
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
2.1.2
Sensitivitätsmodell als systemtheoretisches Modell
2.1.2.1
Arbeitsschritte des Sensitivitätsmodells
99
Die Arbeitsweise des „Sensititvitätsmodells Prof. Vester" entspricht einem ganzheitlichen Systemansatz, der den Anwender in die Lage versetzen soll, ein System in seiner Komplexität zu erfassen, zu interpretieren und aus dem Zusammenhang heraus systemverträgliche Strategien abzuleiten. Das Sensitivitätsmodell, das durch eine interdisziplinäre Vorgehensmethodik charakterisiert ist, gliedert sich in acht Arbeitsschritte'. (1)
Systembeschreibung
(2)
Systemrelevanter Variablensatz
(3)
Kriterienmatrix
(4)
Einflußmatrix
(5)
Rollenverteilung
(6)
Wirkungsgefuge
(7)
Teilszenarien
(8)
Simulation
Innerhalb dieser Vorgehensweise wird „vom Ganzen zum Detail" vorgegangen, um die endgültige Stellung, Einordnung und auch Beschreibung des zu untersuchenden Systems zu ermöglichen. Da sich im Verlauf des Sensitivitätsmodells manuelle und computerisierte Arbeitsschritte abwechseln, wurde auf deren fruchtbare Interaktion größtmöglicher Wert gelegt. Das Sensitivitätsmodell besitzt dabei rekursiven Charakter (siehe Abb. 3-14; in Anlehnung an Vester 1993, S. 11), was zur Folge hat, daß alle Ergebnisse durch die Erkenntnisse nachgelagerter Arbeitsschritte korrigiert oder zumindest überdacht werden müssen. Dieser zeitliche Mehraufwand trägt dabei wesentlich zur Konsistenz und damit zur Qualität der Systemuntersuchung bei.
100
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Abb. 3-14: Ablaufdiagramm des Sensitivitätsmodells Da jeder der acht Arbeitsschritte seinen eigenen Stellenwert hat und wesentliche Erkenntnisse hinsichtlich eines zu untersuchenden Systems vermittelt, wird im folgenden näher auf sie eingegangen: ad 1:
Systembeschreibung
Die interdisziplinäre Zusammensetzung der Beteiligten (Experten, Entscheider etc.) stellt die Grundlage für eine möglichst große Perspektivenvielfalt innerhalb einer Systemuntersuchung dar. Mit der Systembeschreibung soll das Problemfeld zwar als Ganzes, dafür jedoch nur grob erfaßt werden. Mit Hilfe der Metaplantechnik wird die zu untersuchende Problemsituation zunächst in ihre verschiedenen Dimensionen mit ihren Komponenten, Elementen und Faktoren erfaßt. Zusätzlich erhobene Begriffe, Daten, Zahlen, Fakten und Meinungen (etwa 100) reichen aus, um ein System hinreichend zu beschreiben (Vester 1993, S. 11-SB). Diese Informationen dienen der Systembestimmung, d. h. der Frage nach der Größe und der Begrenzung des zu untersuchenden Systems.
101
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Dabei müssen Überlegungen hinsichtlich der Aufteilung größerer Systeme in Sub- oder Teilsysteme angestellt werden (siehe S. 26 ff.). Damit innerhalb einer Systemuntersuchung nicht nur die linke, verbal-abstrakte, sondern auch die rechte, intuitiv-bildhafte Gehirnhälfte genutzt wird, sollte die Systembeschreibung durch ein erstes, heuristisches Wirkungsgefüge ergänzt werden. Dabei werden die zuvor ermittelten Einflußgrößen mit Wirkungspfeilen verbunden, um einen ersten Eindruck von den dem Gesamtmodell zugrundeliegenden Wechselwirkungen zu vermitteln. Zudem wird hierdurch die Fähigkeit der Mustererkennung und der Assoziationsbildung aller Beteiligten gefördert, was zur Folge hat, daß zuvor nicht berücksichtigte Variablen nachgetragen, ergänzt oder korrigiert werden können. ad 2:
Systemrelevanter Variablensatz
Die innerhalb der Systembeschreibung generierten Begriffe, Faktoren, Meinungen etc. stellen eine noch unsystematische und redundante Sammlung der Einflußgrößen dar. Ziel des zweiten Arbeitsschrittes ist deshalb, diese Einflußgrößen so zu verdichten, daß ein systemrelevanter Variablensatz von etwa 15 bis 40 Variablen entsteht (qualitative und quantitative Aspekte), der in der Lage ist, das betrachtete System vollständig abzubilden (Vester 1993, S. 3-VS). Daß komplexe Systeme mit wenigen Ordnungsparametern hinreichend beschrieben werden können, wurde bereits durch die Arbeiten von Haken (1982; 1995) nachgewiesen. Der Variablensatz entwickelt die gemeinsame Sprache der am Prozeß Beteiligten und schafft so eine konsensfähige Diskussionsgrundlage. Zu jeder qualitativ gerichteten Variablen („entneutralisierte" Variablen) gehört eine Variablenbeschreibung mittels Indikatoren, wobei diese, anders als die meist qualitative Hauptvariable, weit eher quantifizierbar sind. Darüber hinaus sind bereits zu diesem Zeitpunkt Störgrößen zu berücksichtigen, die von außen auf das System einwirken. Einzelne Variablen werden dabei entweder weiter untergliedert
( = desaggregiert),
während andere inhaltlich
zusammengefaßt
( = aggregiert) werden müssen. Dieser Prozeß der Umformulierung, Desaggregation und Aggregation wird so lange durchgeführt, bis alle Variablen des Systemmodells sich annähernd auf der gleichen Aggregationsebene befinden.
102
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
ad 3:
Kriterienmatrix
Mit der Variablenbeschreibung und dem vorläufigen Variablensatz inklusive seiner Indikatoren wurde bisher eine Anzahl relevanter Systemkomponenten definiert. Entscheidend für die Brauchbarkeit eines auf wenige Variablen reduzierten Variablensatzes und damit für die Funktionstüchtigkeit des Sensitivitätsmodells ist jedoch die Systemrelevanz der Variablen. Mit Hilfe der Kriterienmatrix, die ein Kriterienraster von insgesamt 18 Kriterien bereitstellt (siehe Tab. 3-6), wird überprüft, ob sämtliche Kriterien durch den Variablensatz abgedeckt sind ( • = voll zutreffend; 0 = teilweise zutreffend). Ziel ist somit ein komplexes System mit wenigen Schlüsselvariablen repräsentativ abzubilden. Zudem sollten die Spaltensummen der einzelnen Kriterien in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, wobei Schwerpunktbildungen in Abhängigkeit von der Problemstellung denkbar sind. Falls einzelne Kriterien unterrepräsentiert sind, so
o
Öffnet durch Input
Öffnet durch Output
Strukiurgröße
Von innen beeinflußbar
Von außen beeinflußbar
Räumliche Dynamik
• • • • • • o • • o o • • o o o • o • o o • •
Zeitliche Dynamik
•
Flußgröße
Energie
• • o • • • o o
Information
beziehung
Gesellschaft und Staat
System-
Kategorie
Infrastruktur - dynamisch
Dynamische
Kategorie Ökologie & Ressourcenhaushalt
Systemaufbau - statisch
Physikalische Materie
Variable n
Lebensbereiche Befinden der Marktakteure
Wirtschaft Variable 1
Marktteilnehmer
ist dies ein Indiz dafür, daß eine Redefinition des Variablensatzes notwendig ist.
Summe:
Tab. 3-6: Kriterienmatrix Die innerhalb der Kriterienmatrix verwandten Kriterien stellen „ubiquitäre" Kriterien dar, weil sie in jeder Systemuntersuchung zum Tragen kommen (Vester 1993, S. 12-KM). Die Anwendung der Kriterienmatrix fuhrt meist zu einigen Änderungen in der Definition der Variablen sowie zu Streichungen - bei Redundanz - oder Ergänzungen des Variablensatzes. Neben der Reduktion des Variablensatzes auf ein Optimum (ohne Aussagenverlust), ermöglicht die Kriterienmatrix erste Aussagen über Systemeigenschaften von Variablen, wie z. B. ihre Fähigkeit, Verbindungen zu knüpfen oder das System zu öffnen.
Teil III: Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung
ad 4:
103
Einflußmatrix
Mit der Einflußmatrix werden systematisch binäre Wirkungen zwischen jeweils zwei Variablen des Variablensatzes abgefragt, wobei für jedes Variablenpaar die folgende Frage gestellt wird: Wenn ich Variable A verändere, wie stark verändert sich dann durch direkte Einwirkung von A Variable B? Die Ermittlung der Einflußstärken erfolgt anhand einer Skala von „0 bis 3" (siehe Tab. 3-7) ungeachtet dessen, ob es sich um eine positive oder um eine negative Wirkung handelt. Bewertung
Intensität der Beziehung
0
keine Beziehung
keine Wirkung, keine Veränderung
1
schwache Beziehung
schwache Wirkung, unterproportionale Veränderung
2
mittlere Beziehung
mittlere Wirkung, proportionale Veränderung
3
starke Beziehung
starke Wirkung, überproportionale Veränderung
Tab. 3-7: Bewertung der Einflußintensitäten Die Bewertungen werden in die jeweiligen Zellen der Einflußmatrix eingetragen
Wirkung v o n
1
n
auf
Variable
Variable Passivsumme ( P S ) Q = (AS:PS)xl00
Tab. 3-8:
1
Aktivsumme (AS)
Variable
Variable
(siehe Tab. 3-8).
a. X in < II d,
n
X
1
1
2
12
3
X
1
4
4
3
0
X
3
6
6
1
2
33
400
150
9
Einflußmatrix
Das Ausfüllen der Einflußmatrix wird zweckmäßigerweise in mehreren Gruppen getrennt voneinander durchgeführt, um möglichst verschiedene Sichtweisen in eine später zu erstellende Konsens-Einflußmatrix einfließen zu lassen. Die Einflußmatrix hat dabei einen stark disziplinierenden Charakter auf die beteiligten Personen, der dazu zwingt, jede nur denkbare Beziehung zwischen allen Variablen eines Variablensatzes abzufragen. Auf diese Weise wird man gehalten,
104
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Fragen zu stellen, die ansonsten überhaupt nicht aufgeworfen würden. Die Einflußmatrix verfolgt dabei keine quantitative Exaktheit im Detail. Vielmehr werden die Variablen erneut auf ihre inhaltliche Plausibilität überprüft, die eine Redefinition einzelner Variablen zur Folge haben kann (Vester 1993, S. 19-EM). Die Einflußmatrix verdeutlicht somit auf einfache Weise die Vernetzung, indem sie alle direkten Wirkungen zwar grob, aber in ihren Relationen korrekt abbildet und so ein vollständiges Bild der verschiedenen Kräfte und Gegenkräfte im System wiedergibt. Die inhaltliche Analyse und Interpretation der Einflußmatrix ist Aufgabe des folgenden Arbeitsschrittes. ad 5:
Rollenverteilung
Mit Hilfe des Arbeitsschrittes „Rollenverteilung" soll die Frage beantwortet werden, welche kybernetischen Rollen die Variablen aufgrund ihrer Wirkungsintensitäten innerhalb des Systems spielen. Die Einflußmatrix, deren Ergebnis die Grundlage für eine Analyse relevanter Systemeigenschaften ist, liefert hierzu folgende Informationen (siehe Tab. 3-8, S. 103): •
Die Aktivsumme AS ( = Zeilensumme) gibt an, wie stark eine Variable die übrigen Variablen beeinflußt. Die Passivsumme PS ( = Spaltensumme) sagt aus, wie stark eine Variable von anderen Variablen beeinflußt wird.
•
Der Quotient aus Aktiv-und Passivsumme je Variable (Q = (AS:PS)xl00) beantwortet die Frage, ob es sich um eine aktive- oder um eine passive Variable handelt (siehe auch Tab. 3-9).
•
Multipliziert man den Wert der Aktivsumme mit dem Wert der korrespondierenden Passivsumme je Variable, so kann der Systemcharakter einer Variablen weiter spezifiziert werden. Die Variablen, die einen großen P-Wert (P = ASxPS) aufweisen, repräsentieren kritische Variablen, während kleine P-Werte für puffernde Variablen stehen (siehe auch Tab. 3-9).
Zusammenfassend kann unter dem Aspekt der Dominanz bzw. Beeinflußbarkeit folgende Klassifikation der Systemvariablen vorgenommen werden (siehe Tab. 3-9; Vester 1993, S. 28 ff.-EM).
T e i l III: M e t h o d e n u n d M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n d e r s t r a t e g i s c h e n M a r k t f o r s c h u n g
K y b e r n e t i s c h e Rolle Aktive Variable
Charakteristik •
Anmerkungen
Viele Wirkungen
•
haben eine stabilisierende Eigenschaft und können gut als
gehen aus •
Hebel verwendet werden
Wenige Wirkungen
•
wenn sie sich verändern, haben sie nachhaltige Auswir-
gehen ein Passive Variable
•
105
kungen auf das Systemverhalten
Wenige Wirkungen
•
diese Variablen zu verändern, gleicht einer Symptombehandlung, die für die Gesamtkonstellation des Systems
gehen aus
relativ selten Verbesserungen bringt •
Viele Wirkungen
•
gute Indikatoren
gehen ein Kritische Variable
•
•
Viele Wirkungen
können als Hebel bei „festgefahrenen" Situationen verwandt werden
gehen aus •
•
Viele Wirkungen
Veränderungen mit diesen Variablen sind kontrolliert durchzuführen, da sich die Entwicklungen aufschaukeln können
gehen ein Puffernde Variable
•
Wenige Wirkungen
•
Einwirkungen auf diese Variablen wirken sich nicht oder
gehen aus •
mit großen Zeitverzögerungen aus •
Wenige Wirkungen
Vorsicht ist geboten, wenn diese Variable direkt und stark auf eine aktive oder kritische Variable wirkt („Wolf-im-
gehen ein
Schafspelz-Verhalten")
Tab. 3-9: Klassifikation der Systemvariablen Die Identifikation der Systemvariablen als aktive, passive, kritische oder puffernde Variablen trägt folglich dazu bei, deren kybernetische Rolle und damit deren Bedeutung in einem komplexen System zu lokalisieren. Für die einzelne Variable kann damit schon recht genau eine Charakterisierung ihrer Sensitivität erfolgen. Graphisch läßt sich dieser Zusammenhang wie folgt illustrieren (siehe Abb. 3-15):
VI •
v 2
.
Aktiv
Kritisch
V5 •
Puffernd
V4 •
Passiv
V3 • klein
Abb. 3-15:
Passivsumme
Wirkungsintensitäten
groß
106
ad 6:
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Wirkungsgefüge
Die Rolle einer Variablen im System ist wichtig, aber sie sagt noch wenig über das Zusammenspiel zwischen den Variablen aus. Deshalb erfolgt im Arbeitsschritt „Wirkungsgefüge" eine vernetzte Darstellung der Wirkungsflüsse und Regelkreise, wobei die Art der Wirkungsbeziehungen zwischen den systemrelevanten Variablen im Vordergrund steht. Hierbei werden zwischen zwei Variablen gleichgerichtete bzw. positive (durchgezogene Pfeile in Abb. 3-16) sowie entgegengerichtete bzw. negative (gestrichelter Pfeil in Abb. 3-16) Wirkungsbeziehungen unterschieden.
Abb. 3-16:
Positiver und negativer Regelkreis
Verschiedene zusammenhängende Wirkungen bilden Regelkreise innerhalb des Wirkungsgefiiges, die ebenfalls positiver oder negativer Natur sein können (siehe Abb. 3-16). Ein positiver Regelkreis ( + ) besteht entweder ausschließlich aus gleichgerichteten oder einer geraden Anzahl entgegengerichteter
Bezie-
hungen und hat damit grundsätzlich destabilisierenden Charakter (aufschaukelnde oder abschaukelnde Selbstverstärkung). Ein negativer Regelkreis ( - ) ist durch eine ungerade Anzahl entgegengerichteter Wirkungen gekennzeichnet und besitzt somit stabilisierenden Charakter. Das Wirkungsgefüge für den gesamten Variablensatz erhält man, indem für jede Variable die Frage beantwortet wird, ob eine Veränderung der Variable i eine starke Änderung der Variable j zur Folge hat. Bei der schrittweisen Herstellung des Wirkungsgefiiges wird sehr schnell deutlich, ob noch wichtige Variablen fehlen, redundante Variablen existieren oder indirekte Beziehungen fälsch-
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
107
licherweise innerhalb der Einflußmatrix als direkt eingetragen wurden (Vester 1993, S. 5-WG). Dies führt gegebenenfalls zu einer nochmaligen Korrektur des Variablensatzes. So erhält man ein zusammenhängendes Modell über die Beziehungen der Variablen untereinander und somit über das System als Ganzes (Vester 1993, S. 6-WG). Dieses Vorgehen ermöglicht weitere Einsichten über das Systemverhalten, wobei direkte und über Regelkreise induzierte indirekte Wirkungen sowie Zeitverzögerungen, Neben- und Fernwirkungen erstmals f ü r die Beteiligten transparent werden. Das Wirkungsgefüge zeigt somit auf, welcher Spielraum für menschliche Aktions- und Reaktionsmöglichkeiten existiert.
ad 7:
Teilszenarien
Das erarbeitete Wirkungsgefüge ist als Frühwarninstrument nur bedingt zu verwenden, da sich die Variablen häufig noch auf einer hohen Abstraktionsebene befinden. Zudem ist der Komplexitäts- bzw. Vernetzungsgrad bei mehr als 10 Variablen so groß, daß die Notwendigkeit besteht, das Wirkungsgefüge im Sinne einer Komplexitätsbewältigung in einzelne Teilszenarien aufzusplitten. Während also bisher der Strukturaspekt eines ganzen Systemmodells im Vordergrund stand, sollen mit Hilfe von Teilszenarien erstmals konkrete Probleme und Fragestellungen für sich analysiert werden (Vester 1993, S. 3-TS). Die Entwicklung eines Teilszenarios erfolgt dabei einerseits durch Desaggregation oder Aggregation interessierender Variablen des Wirkungsgefüges. Andererseits kann ein relevanter Regelkreis des Wirkungsgefüges die Grundlage eines Teilszenarios bilden. Zudem können im Wirkungsgefüge als unrelevant erachtete Variablen innerhalb eines Teilszenarios zusätzlich Berücksichtigung finden. Da ein Teilszenario einen Systemteil widerspiegelt, sind häufig andere oder zusätzliche Beziehungen von Bedeutung, weshalb eine unreflektierte Übernahme der Beziehungen aus dem Wirkungsgefüge nicht sinnvoll ist (Vester 1993, S. 16-TS).
Teilszenarien, die das Ergebnis einer Brainstorming-Sitzung darstellen und die durch Befragungen in der Praxis hinsichtlich ihrer Plausibilität zusätzlich abzusichern sind, bestehen in der Regel aus drei bis zehn Variablen. Sie ermöglichen eine vertiefte kybernetische Analyse und Interpretation von Ausschnitten des Systems ohne den Gesamtzusammenhang aus den Augen zu verlieren. So können durch Kenntnis ihrer Regelkreise erste Hinweise zur Sensitivität
bzw.
Robustheit einzelner Variablen abgeleitet werden. Zudem werden Steuerungshebel sowie Aussagen zu Eigendynamik, Grenzwerten oder Zeitverzögerungen innerhalb eines Systems offenbar.
108
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
ad 8:
Simulation
Gegenstand der Simulation sind die generierten Teilszenarien, um auf deren Basis ein verbessertes Verständnis der Systemzusammenhänge in ihrer zeitlichen Dynamik zu erlangen. Die Simulation soll dabei nicht als Prognoseinstrument, mit dem man Entwicklungen vorausberechnen kann, verstanden werden. Sie fungiert ausschließlich als Methode, um die vernetzte Dynamik der Variablen und damit ihre Sensitivität im Zeitablauf zu analysieren. Die Dynamik des Systems wird dabei in ihrem Ablauf an verschiedenen Wenn-Dann-Hypothesen im
Rahmen
von What-If- bzw. Sensitivitätsanalysen
(ausfuhrlich Teil
III-
2.1.2.2) getestet (Vester 1993, S. 7-Sim). Geeignete Steuerungshebel im System können simulativ erprobt werden, so daß unterschiedliche, auf das gleiche Ziel gerichtete Maßnahmen und Strategien vergleichbar werden. So kann der Entscheider im Zeitraffer sehen, welche direkten Folgen, Fern- und Nebenwirkungen zu erwarten sind. Nichtlinearitäten, Rückkopplungen, Grenzwerte oder zeitliche Verzögerungen im System können zusätzlich in das Entscheidungskalkül miteinbezogen werden.
So können erst Simulationen verdeutlichen, welche Regelkreise im dynamischen Zeitverhalten dominieren und wo die in verschiedene Richtungen wirkenden Kräfte unter welchen Randbedingungen auf Schwellenwerte zulaufen und so eventuell das Teilszenario zum Umkippen bringen. Der Modellnutzer
lernt
einerseits seine Lenkungseingriffe hinsichtlich möglicher Systemauswirkungen kennen, andererseits bekommt er einen Eindruck von der Sensitivität, d. h. der Empfindlichkeit des Modells gegenüber möglichen autonomen Veränderungen oder bewußten Systemeingriffen. Die Ermittlung einer robusten Systemstrategie ist somit einerseits das Ergebnis der Simulation sowie andererseits der kybernetischen Erkenntnisse, die mit Hilfe der „Einflußmatrix", der „Rollenverteilung", dem „Wirkungsgefüge" und den „Teilszenarien" gewonnen werden.
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
2.1.2.2
109
Semi-quantitative Sensitivitätsanalysen im Rahmen des Sensitivitätsmodells
Wenn Entscheidungsträger mit komplexen Systemen umgehen, ist eine Reihe von Anforderungen an sie gestellt: Erstens müssen sie das Analyseziel operationalisieren, Hypothesen über die Struktur des Systems bilden und diese Hypothesen aufgrund ihrer Erfahrungen im Zeitablauf anpassen. Zweitens müssen sie antizipieren, wie sich das System in Zukunft verhalten wird, und sie müssen Maßnahmen erwägen und sich für oder gegen strategische Eingriffe entscheiden. Drittens müssen sie die Folgen ihrer Eingriffe überwachen und gegebenenfalls korrigieren. Sobald ein System einen gewissen Komplexitätsgrad überschreitet, wird es unübersichtlich. Die Vielzahl der Faktoren und ihre gegenseitigen Wirkungen in Teilsystemen sind kaum noch zu überblicken. Komplexe Systeme mit konventionellen Methoden zu verstehen, wird schnell unmöglich. Es ist jedoch möglich, komplexe dynamische Systeme rechnergestützt zu simulieren, und so das Verhalten und die Sensitivität eines Systems im Zeitablauf zu analysieren (Vester 1993, S. 3 ff.-Sim). „Simulation eines Systems ist die Arbeit mit einem Modell, welches das wirkliche System abbildet. Das Modell kann in einer Weise manipuliert werden, die bei dem wirklichen System unmöglich, zu gefährlich oder zu teuer wäre" (Mertens 1969, S. 7). Ziel der Simulation ist das „Verstehen und Bewältigen von Wirklichkeit oder, konkreter formuliert, Erkennen der Strukturen und Verstehen des Verhaltens von Realsystemen einerseits sowie Erklären von Problemursachen und Entwerfen von Strategien zur Lösung von aktuellen Problemen in diesen Systemen andererseits" (Zahn 1972, S. 39). Im Kontext dieser Arbeit wird Simulation folglich als eine Methode verstanden, die die Dynamik sowie die vernetzten Abhängigkeiten zwischen Systemvariablen aufdeckt, um auf dieser Basis grundsätzliche Verhaltensprinzipien in typischen Entscheidungssituationen zu bewerten. Auf den Optimierungsgedanken als weitere Zielsetzung von Simulationsmodellen (Brink 1989, S. 679; v. Eicke/Schnuck 1995, S. 89) wird innerhalb dieser Arbeit nicht eingegangen. Insbesondere für Fragestellungen des strategischen Managements scheinen Optimierungsverfahren nicht erfolgversprechend zu sein, da sich ihre Einflußfaktoren häufig einer exakten Quantifizierbarkeit entziehen (Schmidt 1992, S. 92 f.).
110
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
2.1.2.2.1
Begriff und Grundgedanke semi-quantitativer Sensitivitätsanalysen
Bei der Sensitivitätsanalyse (Empfindlichkeits- oder Sensibilitätsanalyse) handelt es sich um ein Analyseverfahren, das im Rahmen von Simulationsexperimenten durchgeführt wird. „Mit der Sensitivität soll die 'Reaktionsstärke' der endogenen Variablen eines Modells bezüglich bestimmter Änderungen seiner Parameter ausgedrückt werden. [...] Ein Modell reagiert umso sensitiver bezüglich eines Parameters, je stärker sich eine Änderung dieses Parameters auf den Verlauf seiner endogenen Variablen auswirkt" (Zwicker 1981, S. 87 f.). Sensitivitätsanalysen in Form von What-If-Abfragen oder What-If-Folgen
(kombinierte
Parameteränderungen) dienen somit der Ermittlung derjenigen Einflußgrößen (Variablen), deren Auswirkungen hinsichtlich des Entscheidungskriteriums als besonders gravierend anzusehen sind (Kreikebaum 1991, S. 95). Zum anderen lassen sich Grenzwerte oder kritische Werte für einzelne Variablen bestimmen, bei denen die Vorteilhaftigkeit einer Strategie „umkippt". Durch ein Experimentieren am Modell werden Zusammenhänge und Interdependenzen transparent, womit ein wesentlicher Beitrag zur Komplexitätsbewältigung und zu einem besseren Problemverständnis im Rahmen des Entscheidungsprozesses geleistet wird (Schmidt 1992, S. 103). Durch dieses Vorgehen kann die Glaubwürdigkeit und
Aussagekraft
von
Simulationsmodellen
wesentlich
verbessert
werden
(v. Eicke/Schnuck 1995, S. 90).
Das zu untersuchende System bestimmt weitestgehend den Simulationstyp und somit die einsetzbaren Simulationshilfsmittel. Im Rahmen dieser Arbeit sollen Fragestellungen des strategischen Managements mit Hilfe von What-If-Abfragen analysiert werden. Da bei strategischen Problemstellungen des Managements in hohem Maße Erfahrungswissen und situatives Beurteilungsvermögen (qualitative Informationen) in die Modellbildung einfließen, ist eine exakte Quantifizierung sowohl des Modells als auch der Variablen in einem Simulationssystem schwierig. Flexible Simulationsmodelle sollten deshalb in der Lage sein, neben quantitativem Input zusätzlich unscharfe Konzepte und qualitative Variablen wie z. B. Konkurrenzdruck, Marktattraktivität oder Kundenzufriedenheit in die Modellbildung zu integrieren - auch dann, wenn keine harten Daten vorliegen. Simulationen mit stärker qualitativem Charakter sollten dabei immer dann zum Einsatz kommen, wenn quantitative Verfahren entweder nicht oder nur beschränkt anwendbar sind oder unverhältnismäßig hohen Zeitaufwand und damit zu hohe
111
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Kosten verursachen. Ziel qualitativer Simulationen ist somit nicht das schon ex ante erfolglose Streben nach Voraussicht über zukünftige Ereignisse, sondern das Bestreben, Einsicht in die Zusammenhänge der Verhaltensweisen zu gewinnen und Ansatzpunkte zur gezielten Beeinflussung zu erkennen (Milling 1990, S. 19 f.). Bei den im Rahmen eines Sensitivitätsmodells durchzuführenden Simulationsexperimenten (siehe Teil IV-3.1.2.4 und 3.2.2) handelt es sich aus den vorgenannten Argumenten um Sensitivitätsanalysen mit semi-quantitativem Charakter. Der Anspruch einer exakten Quantifizierung aller Variablen
eines
Systemmodells wird damit aufgegeben. Semi-quantitative Sensitivitätsanalysen verfolgen gänzlich andere Zielsetzungen als etwa der System-Dynamics-Ansatz von Forrester (1961; 1971), der primär die Prognose zukünftiger Entwicklungen eines geschlossenen Systems (siehe Teil II-1.3.1> in den Mittelpunkt seiner Analysen rückt. Die Prognosefunktion tritt bei semi-quantitativen Sensitivitätsanalysen zugunsten einer Denkhilfe zum besseren Verständnis des Verhaltens offener Systeme in den Hintergrund. Die Dynamik des Systems wird in ihrem Ablauf lediglich an verschiedenen Wenn-Dann-Hypothesen getestet. U m die vernetzte Dynamik der Variablen zu verstehen, reicht es aus, maximal 15 Simulationsperioden zu betrachten, da sonst ähnlich wie bei der
System-
Dynamics-basierten Simulationssoftware S T E L L A allzu leicht die Gefahr besteht, die Simulation statt zur Vertiefung des Verständnisses der Systemkybernetik als Langzeitprognose zu mißbrauchen (Vester 1993, S. 5-Sim). Die mit Hilfe der semi-quantitativen Sensitivitätsanalyse erfaßte Systemkybernetik in Form von Regelkreisen, Rückkopplungen, Grenzwerten, zeitlichen Verzögerungen
etc.
liefert dagegen auch für längere Zeiträume gültige Informationen über das Verhalten des Systems. In dieser Form ist die semi-quantitative Sensitivitätsanalyse als eine Art „Schnell-Lernwerkzeug" oder „Intelligenzverstärker" zu verstehen. Sie löst das Problem nicht, gestattet aber dem Entscheidungsträger, seine alternativ in Betracht gezogenen Handlungsstrategien simulativ zu testen. Auf diese Weise kann die Qualität der Ergebnisse überprüft werden, die Risiken können genauer festgestellt werden, und letztendlich führt die Verwendung
dieser
Informationen zu einer potentiell besseren Entscheidung. Das Potential der semi-quantitativen Sensitivitätsanalyse liegt somit in der Rationalisierung von Entscheidungen und darin, die Aufmerksamkeit der Entscheidungsträger auf die weitergehenden Implikationen jeder vorgeschlagenen
„Lösung"
zu
richten.
Infolgedessen führen semi-quantitative Sensitivitätsanalysen nicht notwendiger-
112
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
weise zur besten Handlungsstrategie, jedoch kann mit ihrer Hilfe das Spektrum möglicher Strategien auf ein handhabbares Maß reduziert werden. Das ist alles, was der Entscheidungsträger von semi-quantitativen Sensitivitätsanalysen innerhalb strategischer Problemstellungen verlangen kann und darf.
2.1.2.2.2
Algorithmus semi-quantitativer Sensitivitätsanalysen
Die semi-quantitative Sensitivitätsanalyse, welche innerhalb der Sensitivitätsmodellierung im Premium-Pilsmarkt (siehe Teil IV-3) zur Anwendung kommt, kann als dynamische, diskrete, deterministische Simulation gekennzeichnet werden. Im Gegensatz zur traditionellen, quantitativ orientierten Form der Simulation, bei der eindeutige mathematische Beziehungen der Form y = f ( x , , x 2 , . . . , x n ) spezifiziert werden, sind semi-quantitative Sensitivitätsanalysen durch explizite Berücksichtigung qualitativer Zusammenhänge und deren mathematische Umsetzung in ein Simulationsmodell gekennzeichnet. Dies hat zur Folge, daß die Ergebnisse semi-quantitativer Sensitivitätsanalysen nur qualitativ interpretiert werden können und dürfen. Die Konstruktion heuristischer mathematischer Funktionen für jeweils zwei Variablen erfolgt anhand diskreter Tabellenfunktionen der Form Ay = f (x), wobei für eine Beziehung zwischen abhängiger und unabhängiger Variable eine bestimmte Anzahl von x/Ay-Wertepaaren formuliert werden muß. Diese Wertepaare fungieren als Ankerpunkte, um die noch fehlenden Werte durch Interpolation zu ermitteln (Forrester 1972, S. 155). Die Anwendung von Tabellenfunktionen anstelle algebraischer Funktionstypen bietet dabei den Vorteil, daß die Zusammenhänge zwischen Variablenpaaren einfach und für alle am Modellierungsprozeß Beteiligten transparent dargestellt werden können. Zudem entfällt die stets problematische Auswahl eines mathematischen Funktionstyps.
Schließlich
können
hiermit
auch
bizarre
Abhängigkeiten
zwischen Variablenpaaren, wie z. B. Schwellenwerte oder ein mehrfacher „Richtungswechsel", relativ einfach in ein Systemmodell integriert werden (Ritzerfeld/Steffenhagen 1994, S. 5). Bei der Modellierung von Tabellenfunktionen wird - im Unterschied zur gewohnten Darstellung - die abhängige Variable auf der Abszisse und die unabhängige Variable auf der Ordinate abgetragen. So veranlassen die von einer unabhängigen Variable ausgehenden Wirkungen (Kommunikationsaufwand in
Teil III: Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung
113
Abb. 3-17) auf eine abhängige Variable (Image) diese nicht, einen bestimmten Zustand
einzunehmen,
sondern
sich - unabhängig
von
ihrem
jeweiligen
Zustand - um einen bestimmten Betrag und in einer bestimmten Richtung zu verändern (Vester 1993, S. 10 f.-Sim).
Kommunikationsaufwand (x)
Image
Abb. 3-17:
(Ay)
Beispiel für eine diskrete Tabellenfunktion
In einer Tabellenfunktion wird auf der Ordinate somit immer die Position der unabhängigen
Variable
abgetragen,
wobei eine qualitative
Skalierung
der
Variable zwischen ihren Grenzwerten (Wertebereich: 0 bis 30) erforderlich ist. Der korrespondierende Wert auf der Abszisse gibt die Intensität sowie die Richtung der Veränderung, also die positive oder negative Reaktion der abhängigen Variable wieder. Bei der Modellierung aggregierter Systemelemente ist dabei eine Annäherung nicht-linearer Verläufe durch lineare Funktionen eher zu erwarten als bei Modellen, die mikroökonomische Zusammenhänge abbilden (Zwicker 1981, S. 258 f.). Tabellenfunktionen stellen damit das Resultat von Erfahrungswissen hinzugezogener Experten, Daten der Vergangenheit, Ergebnisse spezieller Marktuntersuchungen sowie die logische und mathematische
114
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Verknüpfung dieser Größen dar. Die Ergebnisse von Sensitivitätsanalysen sind deshalb kritisch zu hinterfragen und müssen zu weiterführenden Überlegungen anregen (siehe Teil III-2.1.2.3).
2.1.2.2.3
Nutzen semi-quantitativer Sensitivitätsanalysen
Zusammenfassend können mit semi-quantitativen Sensitivitätsanalysen, die einen integralen Bestandteil eines systemorientierten Managements darstellen, folgende Nutzenpotentiale realisiert werden: •
Die Systembetrachtung führt zur Aufdeckung struktureller Eigenschaften in Form von positiven und negativen Rückkopplungen, zeitlichen Verzögerungen, Nichtlinearitäten, Indikatoren, kritischen Werten, lenkbaren-, nichtlenkbaren Systemelementen etc. und erhöht somit das Verständnis für die Dynamik des Systemverhaltens.
•
Die Methode erlaubt das Experimentieren mit alternativen Strategien, weshalb Aussagen hinsichtlich ihrer Sensitivität bzw. Robustheit sowie sich abzeichnender Fern- und Nebenwirkungen angestellt werden können. Der Anwender sieht sozusagen im Zeitraffer, welche Konsequenzen aus seinen Lenkungseingriffen resultieren. Aufgrund der simulierten Strategiealternativen kann er sich für die bestgeeignete entscheiden und so das Fehlentscheidungsrisiko minimieren.
•
Die Methode gibt Managern die Möglichkeit, ihre Strategiealternativen zu testen, ohne daß negative Konsequenzen in der Realität entstehen.
Ein
Lernen aus etwaigen Fehlschlägen ist wesentlich besser, kostengünstiger und gefahrloser möglich, als wenn die Entscheidung intuitiv getroffen wird. Durch den gefahrlosen Trial-and-error-Prozeß kann - induziert durch Lerneffekte - die Kommunikationsfähigkeit im Unternehmen zusätzlich verbessert werden. •
Die Methodik dient dem Erkennen von Strukturfehlern sowie der Aufdeckung redundanter Modellteile, womit die Konsistenz des Modells erhöht wird.
•
Die Methodik ermöglicht durch ihre Denkmodelle und Denkanstöße einen rationaleren Umgang mit komplexen Systemen im Sinne einer Komplexitätsbewältigung. Dies hat zur Folge, daß Entscheidungsprozesse der strate-
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
115
gischen Unternehmensführung wirkungsvoll unterstützt und folglich ein Beitrag zur „effektiveren" Planung und Gestaltung komplexer Systeme geleistet wird. •
Während die Wissenschaft bemängelt, daß es in 85% aller Fälle unmöglich ist, die Ergebnisse publizierter Aufsätze zur Simulation zu reproduzieren (Kulla 1987, S. 15), zielt der Algorithmus der semi-quantitativen Sensitivitätsanalyse auf ein Maximum an Transparenz. Damit ist eine Verbesserung der Mensch-Maschine-Schnittstelle verbunden, die die Kluft zwischen der menschlichen Denkweise in qualitativen Zusammenhängen und der quantitativen Repräsentation im Modell verringert.
2.1.2.3
Beurteilung des Sensitivitätsmodells im Rahmen strategischer Marktforschung
Die Ausführungen zum Sensitivitätsmodell haben gezeigt, daß diese Methodik einerseits stark durch szenarioanalytische Elemente sowie andererseits durch semi-quantitative Sensitivitätsanalysen geprägt ist. Gemeinsam mit den sich ergänzenden kybernetischen Ergebnissen aus der „Einflußmatrix", der „Rollenverteilung", dem „Wirkungsgefüge" und den „Teilszenarien" (siehe Teil III2.1.2.1) versetzen sie die Anwender in die Lage, strategische Entscheidungsprozesse wirkungsvoll zu unterstützen und somit einen Beitrag zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens zu leisten. Die Methode trägt dabei insbesondere der begrenzten Problemlösungskapazität der Entscheider Rechnung. Die Vorgehenskonzeption des Sensitivitätsmodells, die sich als ein systemtheoretisches Modellierungskonzept versteht (siehe Teil II), schult die am Modellierungsprozeß Beteiligten im systemischen Denken und unterstützt so Kommunikations- und Lernprozesse im Unternehmen. Das Sensitivitätsmodell versteht sich folglich als eine Art Management-Tool, das eine strategische Problemstellung als komplexes System begreift und differenziert in seinem vernetzten und dynamischen Zusammenhang wiedergibt. Da dem Prozeß einer Sensitivitätsmodellierung ein relativ hoher Grad an Subjektivität immanent ist, stellt sich die Frage hinsichtlich der Validität eines
116
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
Systemmodells, die darauf abzielt, inwiefern von einem generierten Modell verläßliche Aussagen über den betrachteten Realitätsausschnitt zu erwarten sind. Grundsätzlich stehen keine objektiven Prüfkriterien zur Verfügung, auf deren Basis entschieden werden könnte, ob ein Modell den Realitätsausschnitt hinreichend abbildet (Nieschlag et al. 1985, S. 867). Eine Überprüfung der inhaltlichen Validität, z. B. durch Heranziehen von Experten zur Beurteilung der Auswertungsschritte, ist grundsätzlich möglich. Da jedoch auch Experten nicht frei von subjektiver Einschätzung sind, mangelt es diesem Verfahren an Objektivität (Berekoven 1986, S. 84). Mit der Forderung nach Reliabilität wird auf die Reproduzierbarkeit des generierten Systemmodells abgezielt. Durch
die
qualitative Modellierung in Form von Expertenwissen und den daraus resultierenden Ermessens- und Gestaltungsspielräumen läßt sich eine exakte Reproduktion eines Systemmodells folglich nur schwerlich wiederholen. Zur Beurteilung eines Systemmodells müssen daher andere, qualitative Kriterien wie z. B. Umfassendheit, Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Konsistenz oder der Geltungsbereich, d. h. die Häufigkeit, mit der die Prämissen des Modells in der Realität wiedergefunden werden, herangezogen werden.
Da die bestmögliche Erfassung und Abbildung der Tabellenfunktionen die Voraussetzung für eine stimmige Interpretation ist, sollte eine funktionale Überprüfung des Modells zwischen Modellentwicklern und Modellnutzern erfolgen, u m die Akzeptanz generierter Handlungsempfehlungen in der Praxis zu erhöhen. Hierbei wird untersucht, ob sich das Modell rational nachvollziehbar verhält oder sich bei geringfügigen Parametermodifikationen unsinnige Resultate ergeben. Für den Fall, daß das Modell ein nicht erwartetes Verhalten zeigt, sind die Ursachen zu prüfen und gegebenenfalls entweder das Modell entsprechend zu ändern, oder aber der offenbar notwendig gewordene Lernprozeß anzuerkennen. Hat das Modell eine befriedigende „innere" Konsistenz erreicht, kann mit einer systematischen Sensitivitätsanalyse begonnen werden.
Die mit Hilfe des Sensitivitätsmodells generierten Ergebnisse stellen weder die Funktion einer Prognose dar, noch den Anspruch, eine eindeutige Lösung zu produzieren. Die Vorhersage über das Eintreten von Ereignissen ist in komplexen Systemen ohnehin obsolet, da Restunsicherheiten immer bestehen. Es gilt vielmehr, die Eigenschaften und Entwicklungsmöglichkeiten eines Systems zu erkennen und das Systemverhalten einzelner Variablen im Hinblick auf ihre Sensitivität bzw. Robustheit anhand von Wenn-Dann-Hypothesen zu
testen
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
117
(Vester 1993, S. 5). Die Methodik zielt damit primär auf eine Komplexitätsbewältigung und Verbesserung der Transparenz strategischer Entscheidungen. Ein Sensitivitätsmodell nimmt dabei keine Entscheidungen ab. Es ist Denkhilfe, keine Denkmaschine, kein Denkersatz. Die eigene geistige Anstrengung ist nach wie vor erforderlich. Um die Akzeptanz der Methodik in der Praxis zu erhöhen, ist es notwendig, daß jeder Beteiligte die Möglichkeit hat, seine Gedanken einzubringen, damit sich schließlich alle mit der geleisteten Arbeit identifizieren können. Für den Fall, daß die Modellnutzer nicht einmal eine Teildeckung zwischen ihrem mentalen Modell der Problemstellung und dem Systemmodell erreichen, besteht die Gefahr, daß der gesamte Modellierungsprozeß in Frage gestellt wird.
Das
wesentliche Problem der Vorgehenskonzeption des Sensitivitätsmodells besteht aber in seinem zeitintensiven Entwicklungsprozeß, der potentielle Anwender vielleicht zurückschrecken läßt. Dennoch führt die Methodik durch eine ständige Überprüfung eigener Erwartungen der am Entscheidungsprozeß Beteiligten an dem vom Modell generierten Verhalten zu einem verbesserten Verständnis der realen Zusammenhänge, da es die Modellnutzer zwingt, viele verschiedene Sichtweisen zu beleuchten.
2.2
WISA-What-If (WISAWI): Von der strategischen Positionierungsanalyse zur strategischen Entscheidungsunterstützung
2.2.1
Grundgedanke von WISAWI
Die WISA stellt bereits einen wichtigen Schritt in Richtung imagebasierter strategischer Markenführung dar (siehe Teil III-1.3.2 und 1.4). Mit Hilfe der kausalanalytischen WISA-Modellierung werden komplexe Wirkungsstrukturen zwar analysiert, jedoch können keine Aussagen über Auswirkungen alternativer Maßnahmen angestellt werden. Ein komplexes Kausalmodell ist kein Regressionsmodell, mit dem man durch probeweises Verändern von Strategievariablen Auswirkungen auf das Erfolgskriterium direkt ablesen könnte. Als strategisches Analysemodell gestattet die kausalanalytische WISA somit keine unmittelbare „Strategieoptimierung" im Sinne einer Erleichterung der WISA-Umsetzung in Strategien. Die noch offene Forschungsfrage betrifft folglich die Schnittstelle
118
Teil III: Methoden und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
zwischen der strategischen Positionierungsanalyse und der sich daran anschließenden Maßnahmenplanung. Das ist Aufgabe der Erweiterung der statischen WISA-Modellierung zur dynamischen WISA-What-If-Analyse (WISAWI). What-If- bzw. Sensitivitätsanalysen sind innerhalb der WISA aufgrund ihrer statisch-vernetzten und einseitig gerichteten Beziehungsstruktur nicht sinnvoll. Notwendige
Bedingung
für eine realitätsnahe Abbildung des
dynamischen
Imagewettbewerbs in Simulationsmodellen ist die explizite Berücksichtigung von Rückkopplungen, Nichtlinearitäten, Grenzwerten und zeitlichen Verzögerungen. Der Übergang vom strategischen Analysemodell WISA zum Entscheidungsunterstützungs-Modell WISAWI wird realisiert, indem kausalanalytische WISAErgebnisse - neben qualitativen Informationen - als Input für Simulationsanalysen verwandt werden, um alternative Positionierungsstrategien zu simulieren. In der Praxis würde dieser Vorgang ohne die objektive Stützung
durch
kausalanalytische WISA-Modelle entweder der Intuition der Entscheider überlassen oder das Ergebnis spekulativer Diskussionen in Vorstands- und Klausurtagungen sein. Derartig „datenarme" Strategiegespräche kranken oft daran, zu wenig objektiven und kaum einen komplex-vernetzten Dateninput zu haben.
2.2.2
Ziel und Weg von WISAWI
Unmittelbar einsichtig ist, daß komplexe Phänomene wie der Imagewettbewerb
nur
mit
Hilfe
einer
angemessen
bewältigt werden können. Deshalb mußten für die
dynamische
komplexen
Methodik
WISAWI-Methodenent-
wicklung bewährte Ansätze, die bisher noch isoliert eingesetzt wurden, auf ihr Integrationspotential hin überprüft werden. Da im Rahmen der strategischen Imageforschung
primär
komplex-vernetzte
Problemstellungen
von
Interesse
sind, bietet sich für WISAWI eine Verbindung der kausalanalytisch basierten WISA, der Szenarioanalyse und der semi-quantitativen Sensitivitätsanalyse an (siehe Abb. 3-18).
Teil III: Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung
119
Abb. 3-18: Methodenmix der WISA-What-If-Analyse Für die Integration sprechen nicht nur die Vorteile der semi-quantitativen Sensitivitätsanalyse, sondern auch die Schwächen der Szenarioanalyse: Ihre rein qualitativen Ergebnisse haben den Nachteil, daß eine exakte Formulierung von Strategien oder ein gezieltes Abwägen von Chancen und Risiken durch mangelnde Quantifizierung unnötig ungenau wird. Strategische Zukunftsanalysen mittels semi-quantitativer Sensitivitätsanalysen sollten deshalb nicht ausschließlich „futuristische" Elemente, sondern zusätzlich auch quantifizierte Komponenten enthalten. Soweit möglich liefert die kausalanalytische WISA quantitativen Input. Darüber hinausgehende qualitative Informationen werden mit Hilfe der Szenarioanalyse generiert. So können Wettbewerbs-Image-Strategien bei größtmöglicher empirischer Objektivität einerseits und ohne Verzicht auf ganzheitliche Visionen andererseits im Rahmen von What-If-Analysen getestet werden. Auf diese Weise kann die Entscheidung über die Gestaltung der Positionierungsstrategie vorbereitet und verbessert werden.
120
2.2.3
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
WISAWI in der praktischen Anwendung
Die Entscheidungsfindung bzw. -Unterstützung hinsichtlich der Imagepositionierung einer Marke ist als strategisch besonders erfolgskritisch anzusehen. Ziel von WISAWI ist deshalb, ein praxisnahes Entscheidungsunterstützungs-Modell zur Verfügung zu stellen, das durch ein zumutbar zu handhabendes und valide datengestütztes What-If-Analysesystem erfolgversprechende Um- und Neupositionierungen ermittelt. Kausalanalytische WISA-Ergebnisse bilden einen Bestandteil der
Simulation
möglicher Positionierungsstrategien. Zudem dient das WISA-Modell als Grundlage für einen Workshop in Form eines Management- bzw. Expertengesprächs. Dabei werden über den quantitativen Input hinaus qualitative
Deskriptoren
generiert und szenarioanalytisch gemeinsam weiterverarbeitet. Ohne die objektive Stützung durch Kausalmodelle wäre eine solche Strategiediskussion relativ spekulativ. Das zusammengefaßte Einflußnetzwerk bildet die Grundlage für ein Simulationsmodell, in dessen Rahmen semi-quantitative
Sensitivitätsanalysen
durchgeführt werden. Die Validität der Analyseergebnisse hängt somit nicht nur von den einfließenden Imagedimensionen aus einer WISA ab, sondern auch von der Qualität der Annahmen und Schätzungen, die das Management im Rahmen der Szenarioanalyse zu den What-If-Analysen beisteuert. Je nach Gültigkeit des Inputs kann das Modell die wettbewerblichen Auswirkungen einzelner Imagestrategien aufzeigen und damit eine rationale Bewertung der strategischen Alternativen ermöglichen.
In einer zweiten Management-Sitzung können konkrete Handlungsempfehlungen alternativer Positionierungsstrategien im Rahmen von What-If-Analysen getestet und beliebig modifiziert werden. Mit Hilfe von WISAWI können die Entwicklungsmöglichkeiten, die Sensitivität bzw. Robustheit vorgeschlagener Positionierungsstrategien im Zeitablauf analysiert werden. WISAWI ermöglicht sowohl die Bewertung strategischer Optionen auf bestehenden Imagedimensionen als auch auf neu aufzubauenden Dimensionen. Das Modell nimmt dabei keine Entscheidungen ab, sondern hat den Stellenwert einer aktivierenden Denkhilfe. Die vernetzten Konsequenzen einer strategischen Entscheidung werden so verläßlicher abzuschätzen sein, als es der Mensch mit seiner begrenzten Fähigkeit im Umgang mit Komplexität vermag. WISAWI führt den Benutzer zu einem neuen Umgang mit Komplexität und verhilft ihm zu Strategien, die den Systemzusam-
121
Teil III: M e t h o d e n und M e t h o d e n k o m b i n a t i o n e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g
menhang berücksichtigen. Mit ihrer die Kreativität anregenden, aber auch disziplinierenden Funktion ist die Methodik zugleich ein wirkungsvolles Instrument des „Marketing nach innen". Die Erfahrungen, die man mit Hilfe von WISAWI gewinnt, sind vor allem deshalb so wertvoll, weil die potentiellen Fehler einer Wettbewerbs-Image-Strategie antizipiert werden und dann vermieden werden können. WISAWI erhebt nicht den Anspruch auf Optimierung, aber auf ein Höchstmaß an Vermeidung der komplexen Entscheidungen anhaftenden „Logik des Mißlingens" (Dörner 1989).
3.
Zusammenfassung
Die vorangegangenen Ausführungen haben einen weiten Bogen über Methoden und Methodenkombinationen im Rahmen der strategischen Marktforschung gespannt.
Als Methodik zur statischen Komplexitätsbewältigung
wurde die
kausalanalytische WISA im Rahmen strategischer Positionierungsanalysen diskutiert und daran anschließend die Methodeninnovation der kausalanalytischen WISA im Evoked-set und für strategische Gruppen dargestellt. Diese Methodeninnovationen sind der Grund dafür, daß WISA-Analysen erheblich an Praxisrelevanz gewinnen. Das Sensitivitätsmodell als systemtheoretisches Modellierungskonzept, welches im Kern aus szenarioanalytischen Elementen und einer semi-quantitativen Sensitivitätsanalyse besteht, eignet sich prinzipiell zur dynamischen Komplexitätsbewältigung
strategischer Problemstellungen.
Darüber
hinaus wurde die methodische Lücke zwischen der strategischen Positionierungsanalyse und der sich daran anschließenden Maßnahmenplanung geschlossen. Der Übergang von der statischen WISA-Modellierung zum dynamischen Entscheidungsunterstützungs-Modell WISAWI wird durch ein Methodenmix aus kausalanalytischen WISA-Ergebnissen mit qualitativen Deskriptoren (szenarioanalytische Komponente) in einem Simulationsmodell realisiert. Dies ermöglicht, daß Wettbewerbs-Image-Strategien bei größtmöglicher empirischer Objektivität im Rahmen semi-quantitativer
Sensitivitätsanalysen
getestet
werden
können. Die diskutierten Methoden und Methodenkombinationen im Kontext der strategischen Marktforschung werden im folgenden Kapitel empirisch am Beispiel des deutschen Premium-Pilsmarktes fundiert.
122
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Teil IV:
Anwendung von Methoden und Methodenkombinationen der strategischen Marktforschung am Beispiel des deutschen Premium-Pilsmarktes
Wirtschaftswissenschaftliche Forschung darf sich nicht in der Entwicklung theoretischer Konzepte oder Methoden erschöpfen, sondern muß eine möglichst hohe Übereinstimmung ihrer theoretischen Konstruktionen mit der Realität suchen. Dieser Tatbestand macht es erforderlich, daß die in Teil III entwickelten Methoden und Methodenkombinationen zur statischen und dynamischen Komplexitätsbewältigung empirisch überprüft und somit kritisch mit der Realität konfrontiert werden.
1.
Konzeption der Studie und Positionierungsmodelle im PremiumPilsmarkt
1.1
Beschreibung der Studie
1.1.1
Ausgangspunkt: Imagewettbewerb im Premium-Pilsmarkt
Der deutsche Biermarkt befindet sich - abgesehen von dem Nachfrageschub durch die Wiedervereinigung - seit Ende der 70er Jahre in der Sättigungsphase (siehe Abb. 4-1).
Abb. 4-1:
Bierausstoß (in Mio. Hektoliter)
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im Premium-Pilsmarkt
123
Zwar stieg 1992 der Bierausstoß der Brauindustrie gegenüber dem Vorjahr nochmals um 1,8% auf nunmehr 120 Millionen Hektoliter, doch seit 1993 fuhrt insbesondere der gesunkene Pro-Kopf-Verbrauch auf 138 Liter (1992: 142 Liter) zu einem Rückgang auf nunmehr 115 bzw. 118 Millionen Hektoliter in 1994 (Deutscher Brauer-Bund 1995, S. 4). In gesättigten Märkten wie dem der Brauindustrie kommt der Wettbewerb einem Nullsummenspiel gleich: Absatzzugewinne des einen Wettbewerbers sind immer mit Absatzverlusten anderer Wettbewerber verbunden. Die wahrgenommenen Qualitätsunterschiede zwischen einzelnen Biermarken sind sehr gering. So sind 78% der deutschen Bevölkerung der Ansicht, daß Biermarken ungefähr die gleiche Qualität besitzen (Kanter 1981, S. 49 ff.). Eine Studie der Werbeagentur BBDO (Becker 1993, S. 167 ff.) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, nachdem die wahrgenommene Markengleichheit für Bier über 50% beträgt. Bei dem im Rahmen dieser Arbeit betrachteten Marktsegment der
Premium-Pilsmarken
spielt der Preiswettbewerb - wie später noch zu zeigen sein wird - im Vergleich zu den unterhalb der Premium-Pilsmarken angesiedelten Konsummarken eine untergeordnete Rolle. Der Anteil der wahrgenommenen Markengleichheit dürfte deshalb im Premium-Pilsmarkt einen wesentlich höheren Prozentsatz aufweisen. Da objektive Qualitätsunterschiede im Premium-Pilsmarkt kaum zum Tragen kommen, erfolgt Produktdifferenzierung primär über Emotionen. In gleichem Maße steigt die Bedeutung der Imagepolitik für die Markenprofilierung - die von den Kunden wahrgenommene Produktqualität, das Produktimage, wird damit zum wichtigsten Erfolgsfaktor (Trommsdorff 1993b, S. 32). Wettbewerbsstrategien sind damit letztlich Imagestrategien.
124
1.1.2
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r c m i u m - P i l s m a r k t
Erhebungsdesign
Als Vorstufe zur Primärbefragung erfolgte bei der zweitstärksten PremiumPilsmarke Deutschlands, der Bitburger Brauerei Th. Simon GmbH, im März 1993 ein Expertengespräch. Ziel des Meetings war, die bisherigen und gegebenenfalls neuen Positionierungsstrategien von Bitburger und seinen wichtigsten Wettbewerbern
einander vergleichend gegenüberzustellen.
Die
generierten
Hypothesen über die Markenpositionierungen der Wettbewerber fanden Eingang in den weitestgehend standardisierten Fragebogen, der in Zusammenarbeit vom Lehrstuhl Marketing I der Technischen Universität Berlin und der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), Nürnberg, entwickelt wurde. Ziel der Erhebung war, die Positionierungsstrategien der im Biermarkt agierenden Premium-Pilsmarken Beck's, Bitburger, Jever, König-Pilsener, Krombacher, Veltins und Warsteiner sowie der Konsummarken Holsten und Karlsberg zu untersuchen. Bei der Omnibus-Befragung, die in den Zeitraum von August bis September 1993 fiel, handelte es sich um eine für West-Deutschland repräsentative Befragung durch die GfK-Marktforschung, Nürnberg, bei der 1961 Personen persönlich interviewt wurden. Der Fragebogen (siehe Anhang 4-1) kann dabei in drei Fragenblöcke unterteilt werden: Block I Zunächst wurde das tatsächliche Kaufverhalten der Befragten ermittelt. Frage la dient hierbei als Selektionsfrage, um den Anteil der Biertrinker in der Stichprobe zu ermitteln: Für Befragte, die nicht mindestens einmal pro Monat Bier trinken, bedeutet dies den Abbruch des Interviews. Mittels Frage lb wird die Konsumintensität hinsichtlich verschiedener Biersorten ermittelt. Frage 2 fragt die gestützte Bekanntheit der neun relevanten Pilsmarken ab. In Frage 3 soll der Befragte beantworten, wie sich seine Einkäufe mengenmäßig über die letzten drei Monate verteilt haben, wobei auf einer Konstantsummenskala 100 Punkte auf die neun Pilsmarken sowie eine Kategorie „sonstige Biermarken" zu verteilen sind. Durch die gestützte Abfrage konnten vom Probanden auch Pilsmarken als relevant eingestuft werden, die ohne Markenliste aktiv nicht erinnert würden. Frage 3 stellt mithin einen potentiellen y-Indikator des Meßmodells der latenten endogenen Variablen (siehe Teil III-1.3.2.1) für die später durchzuführende kausalanalytische WISA im Evoked-set dar. Der ermittelte Kaufanteil hat allerdings vergangenheitsbezogenen Charakter.
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im Premium-Pilsmarkt
125
Block II Frage 4a ermittelt, welche der neun Pilsmarken für zukünftige Biereinkäufe überhaupt für den Befragten in Frage kommen bzw. welche nicht in Frage kommen. Mit dieser Frage unterscheidet der Proband, ob die aufgeführten Pilsmarken entweder seinem Evoked- oder seinem „Nicht"-Evoked-set zuzuordnen sind. Wie schon in Frage 3, sollen in Frage 4b wiederum auf einer Konstantsummenskala 100 Punkte auf die neun Pilsmarken verteilt werden, jedoch nur auf die Pilsmarken, die in Frage 4a ausgewählt wurden. Im Unterschied zu Frage 3 entfällt somit die Kategorie „sonstige Biermarken". Frage 4b stellt damit den zweiten potentiellen y-Indikator für das Meßmodell der latenten endogenen Variablen dar. Nach der Punktvergabe auf die einzelnen Pilsmarken wurde für jeden Befragten eine Rangliste gebildet, wobei allerdings nur die ersten vier Ränge (Top 4) für die Imageanalyse von Bedeutung waren. Durch eine Beschränkung auf die maximal vier wichtigsten Pilsmarken je Befragten wird d e m Konzept des Evoked-set Rechnung getragen (siehe Teil III-1.4.1).
Innerhalb der offenen Frage 4c soll der Befragte für die in Frage 4b genannten Pilsmarken beantworten (maximal vier!), was das Besondere an der jeweiligen Pilsmarke ist. Diese Frage, die bewußt vor die eigentliche Itembatterie plaziert wurde, dient der Verifizierung der Itembatterie. Da in Frage 4c jedoch keine relevante Schwerpunktbildung auftrat, die nicht auch schon durch die Itembatterie abgedeckt wurde, konnte die Itembatterie als vollständig bestätigt werden. Die Itembatterie (Frage 5), die aus 19 imagerelevanten Eigenschaften bzw. Items besteht (siehe Tab. 4-1), mußte der Befragte jeweils, dem Evoked-setGedanken entsprechend, nur für seine wichtigsten vier Pilsmarken (maximal!) bewerten.
126
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Ist eine moderne Marke Ist für Menschen mit Gefühl Ist ein Bier, auf das man sich im vornherein freut Ist ein besonderer Genuß Schmeckt besonders gut Ist etwas Besonderes Ist für anspruchsvolle Menschen Ist eine sympathische Marke Ist für junge Leute Ist für harte Typen Ist ein besonders reines, natürliches Bier Ist eine international bedeutende Marke Paßt zu aufregenden Erlebnissen Ist für schöne Momente/Erlebnisse des Alltags Ist von bester Herkunft Ist ein besonders herbes Bier Ist ein besonders frisches Bier Ist von besonders hoher Qualität Ist ein besonders mildes Bier Tab. 4-1:
Itembatterie
Die Beurteilung erfolgte mit Hilfe einer 5er Rating-Skala (siehe Anhang 4-1, S. 226). Die Auskunftsperson mußte dabei angeben, inwieweit eine Eigenschaft der betrachteten Pilsmarke zugeschrieben werden kann. Da die Abstände auf der Skala vom Befragten als gleich große Intervalle aufgefaßt werden, ist es gerechtfertigt,
intervallskaliertes
Meßdatenniveau
anzunehmen
(Berekoven
1986,
S. 66). Die Daten der 19 Items gehen dabei als potentielle x-Indikatoren in die Meßmodelle der latenten exogenen Variablen (siehe Teil III-1.3.2.1) für die im folgenden durchzuführende kausalanalytische WISA im Evoked-set ein. Block III Mit Hilfe von Frage 6 soll untersucht werden, ob die Annahme gestützt werden kann, daß der Preiswettbewerb im Premium-Pilsmarkt keine Relevanz besitzt. Der Befragte soll - wie zuvor in Frage 3 und 4b - auf einer Konstantsummenskala 100 Punkte auf die neun Pilsmarken verteilen, die er am wahrscheinlichsten kaufen würde. Frage 6 unterscheidet sich von den Fragen 3 und 4b
Teil IV: A n w e n d u n g v o n M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
127
insofern, als die Annahme gemacht wird, daß alle neun Pilsmarken im Geschäft vorhanden sind und dasselbe kosten. Frage 6 stellt somit den dritten potentiellen y-Indikator für das Meßmodell der latenten endogenen Variablen im Rahmen der kausalanalytischen WISA im Evoked-set dar.
1.1.3
Univariate Analyseergebnisse
Bei der für West-Deutschland repräsentativen Befragung (=persönliches Interview) von insgesamt 1961 Auskunftspersonen gaben 1126 Personen ( = 57,4%) an, zumindest einmal im Monat Bier zu trinken. Die Selektionsfrage la hatte zur Folge, daß die übrigen 835 Personen ( = 4 2 , 6 % ) bei der folgenden Datenanalyse nicht mehr berücksichtigt wurden. Die Datenbasis besteht folglich aus 1126 Personen, die durch 724 Männer (=64,3%) und 402 Frauen ( = 35,7%) repräsentiert ist. Von den 1126 Befragten trinken 87,6% die Sorte Pils. Pils ist damit die am stärksten präferierte Biersorte. An zweiter Stelle folgt mit deutlichem Abstand die Biersorte Weizen, das noch von 47,4% der Auskunftspersonen getrunken wird. Danach folgen geordnet nach abnehmender Bedeutung Export ( = 4 4 , 4 % ) , Alt ( = 34,6%), Alkoholfreies Bier ( = 30,8%), Light-Bier ( = 20,6%) und Kölsch (=19,1%). In Frage 2 wird die gestützte Markenbekanntheit der neun relevanten Marken abgefragt (siehe Abb. 4-2). Beck's liegt mit 92,9% noch vor dem Marktführer im Premium-Pilsmarkt, Warsteiner, der 91,7% auf sich verbuchen kann. Bitburger belegt mit 87,6% Platz drei. Das untere Ende wird durch Karlsberg besetzt, das nur noch einen gestützten Bekanntheitsgrad von 59,7% aufweisen kann.
128
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden d e r strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Abb. 4-2:
Gestützter Markenbekanntheitsgrad (in %)
Innerhalb der Befragung wurde dreimal der Kaufanteil bzw. die Kaufabsicht ( = Frage 3, 4b und 6) der neun betrachteten Pilsmarken abgefragt. Somit standen für die nachfolgende kausalanalytische WISA im Evoked-set drei potentielle y-Indikatoren zur Meßmodellbildung zu Verfügung, um den Kaufanteil der betreffenden Pilsmarken zu operationalisieren. Tabelle 4-2 gibt die durchschnittlichen Kaufanteile über alle Befragten für die neun Pilsmarken und für die drei potentiellen y-Indikatoren wieder. Pilsmarke
Frage 3 Frage 4b
Frage 6
I»i;:fo»m ans Frage 6 u n d 4b
Beck's
4,20
10,00
10,80
0,80
Bitburger
6,64
9,97
10,21
0,24
Holsten
2,73
3,91
3,47
-0,44
Jever
3,89
5,99
6,13
0,14
Karlsberg
2,82
3,45
3,42
-0,03
König-Pilsener
5,22
10,09
10,28
0,19
Krombacher
4,13
6,43
6,70
0,27
Veltins
3,88
6,17
6,74
0,57
Warsteiner
11,47
22,86
23,80
0,94
Sonstige Biermarken
49,60
-
-
Keine Angabe Tab. 4-2:
5,42
21,13
18,45
-
-
Empirische Kaufanteile im Premium-Pilsmarkt (in %)
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
129
In Tabelle 4-2 gibt Frage 3 die Bedeutung der neun betrachteten Pilsmarken am gesamten Biermarkt wieder. So wurden innerhalb der letzten drei Monate etwa 45% der getätigten Einkäufe mit den in der Erhebung verwandten Pilsmarken abgedeckt. Dieses Ergebnis deckt sich mit dem tatsächlichen Anteil der neun Pilsmarken am gesamten Pilsmarkt, der für den Zeitraum von Juli bis August 1993 45,4% betrug (GfK-Regionalpanel 1993). Frage 4b und Frage 6 unterschieden sich einzig und allein dadurch, daß der Kaufanteil in Frage 6 unter der Annahme ermittelt wurde, daß alle neun Pilsmarken im Geschäft vorhanden sind und zum selben Preis angeboten werden. Aus dem Vergleich beider Kaufanteile je Marke läßt sich die Hypothese überprüfen, ob der Preiswettbewerb im Premium-Pilsmarkt vernachlässigbar ist. Tabelle 4-2 zeigt, daß die absoluten Differenzen zwischen den in Frage 6 und Frage 4b gemessenen durchschnittlichen Kaufanteilen sehr klein sind. Sie liegen für alle neun Pilsmarken unter einem Prozentpunkt. So muß z. B. die Differenz von 0,94 Prozentpunkten für die Marke Warsteiner im Falle ihrer Signifikanz wie folgt interpretiert werden: Würde Warsteiner zum gleichen Preis angeboten werden wie die übrigen Pilsmarken, so würde sich der Kaufanteil von Warsteiner um 0,94 Prozentpunkte erhöhen. Es gilt nun zu überprüfen, ob die Differenz zwischen den in Frage 6 und Frage 4b ermittelten durchschnittlichen Kaufanteilen signifikant oder auf zufällige Abweichungen in der Beantwortung der Fragen zurückzuführen ist. Diese Fragestellung wird mit einem matched sample T-Test überprüft (siehe Tab. 4-3). Die Nullhypothese lautet wie folgt: Die Differenzen zwischen den empirischen durchschnittlichen Kaufanteilen aus Frage 6 und 4b sind lediglich zufälliger Art.
Pilsmarke
T-Wert
P-Wert
Beck's
-2,09
0,037
Bitburger
-0,75
0,451
1,55
0,122
Holsten
-0,54
0,589
0,17
0,866
König-Pilsener
-0,46
0,647
Krombacher
-1,02
0,308
Veltins
-1,92
0,055
Jever Karlsberg
-1,94 0,053 Warsteiner Tab. 4-3: Matched sample T-Test
130
Teil IV: A n w e n d u n g v o n Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % kann die Nullhypothese nur für die Marke Beck's abgelehnt werden. Das bedeutet, daß sich der durchschnittliche Kaufanteil der Marke Beck's unter der Annahme, daß alle Pilsmarken im Geschäft vorhanden sind und dasselbe kosten, signifikant um 0,80 Prozentpunkte erhöhen würde (siehe Tab. 4-2). Bei den übrigen Marken kann die Nullhypothese mit a =0,05 nicht abgelehnt werden. Der Preis hat bei diesen Marken keinen signifikanten Einfluß auf deren durchschnittlichen Kaufanteil. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß der Preis im Premium-Pilsmarkt keinen wesentlichen Einfluß auf den Kaufanteil der betrachteten Marken
Zentraler Kritikpunkt an konventionellen Positionierungsmodellen ist der fehlende Zusammenhang zwischen Images und einer strategisch relevanten Größe wie z. B. der Kaufabsicht (siehe S. 56 f.). In der WISA wird der Einfluß einzelner Imagedimensionen auf den Kaufanteil der jeweiligen Marke explizit berücksichtigt. Da der Kaufanteil eines Befragten für eine Marke ein Baustein des Marktanteils dieser Marke ist und der durchschnittliche Kaufanteil über alle Befragten
dem
tatsächlichen
Marktanteil
der
Marke
entsprechen
sollte
(Trommsdorff/Schuster 1987, S. 66), stellt sich die Frage, wie gut die von uns im Fragebogen verwandte Konstantsummenskala die Marktanteile der Pilsmarken tatsächlich mißt. In Tabelle 4-4 werden deshalb die aus dem empirischen Datensatz ermittelten Marktanteile für alle Marken den gemittelten Marktanteilen des GfK- und Nielsen-Handelspanels (GfK-Regionalpanel 1993) gegenübergestellt. Pilsmarke
GfK- und NielsenMarktanteile •. iürkiaole 11" , gemäß Datensatz
Differenz
Warsteiner
25,40
25,50
-0,10
Bitburger
14,90
14,80
0,10
Krombacher
13,90
9,20
4,70
Veltins
10,20
8,60
1,60
Holsten
10,00
6,10
3,90
König-Pilsener
9,10
11,60
-2,50
Beck's
6,80
9,30
-2,50
Karlsberg
4,90
6,30
-1,40
Jever
4,80
8,60
-3,80
Tab. 4-4: Validität der Konstantsummenskala (in %)
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
131
In Tabelle 4-4 entsprechen die Marktanteile des Datensatzes den Kaufanteilen aus Frage 3 (siehe Tab. 4-2). Um beide Marktanteilsreihen miteinander vergleichen zu können, wurde jeweils die Summe der Marktanteile über alle neun Marken als Basis (100%) gesetzt. Die Marktanteile in Tabelle 4-4 spiegeln damit den Marktanteil einer Marke, relativiert an dem Marktanteil den alle neun Pilsmarken zusammen repräsentieren, wider. Vergleicht man beide Marktanteilsreihen miteinander, so erkennt man, daß die Differenzen bis auf die Marke Krombacher mit 4,70 Prozentpunkten, relativ gering sind. Die Korrelation zwischen beiden Marktanteilsreihen beträgt zudem 0,89 und ist mit P = 0 , 0 0 1 hochsignifikant. Die im Fragebogen verwandte Konstantsummenskala zur Messung des Kaufanteils kann somit als valide Operationalisierung des Marktanteils betrachtet werden.
1.2
Positionierungsmodelle im Premium-Pilsmarkt
1.2.1
Imagedifferential
Beim Imagedifferential im Premium-Pilsmarkt werden die wahrgenommenen Ausprägungen der Marken bzw. Wettbewerber auf relevanten Merkmalen bzw. Items - über Zielpersonen aggregiert - als Profile dargestellt (Trommsdorff/ Weber 1994, S. 64). Profilvergleiche informieren somit über die merkmalsspezifischen Positionsunterschiede zwischen den Pilsmarken. Die Auskunftspersonen mußten im Rahmen des Interviews nicht alle neun in der Untersuchung betrachteten Pilsmarken anhand der Itembatterie (siehe Tab. 4-1) bewerten, sondern nur diejenigen, die sie am stärksten präferieren, mithin ihr Evoked-set (siehe Teil III-1.4.1). Da das Evoked-set für Bier aus drei bis vier Produktalternativen besteht (siehe S. 77 und S. 79), ist es sinnvoll, daß die Befragten maximal 4 Marken bewerten. Das heißt: Befindet sich für den Befragten i nur eine der neun Marken in seinem Evoked-set, so muß er ebenfalls nur diese eine Marke anhand der Itembatterie bewerten; befinden sich für den Befragten j sieben der neun Marken in seinem Evoked-set, so muß er nur diejenigen vier Marken anhand der Itembatterie bewerten, auf die der Befragte in Frage 4b (siehe S. 125) die höchsten Kaufanteile vergeben hat.
132
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden d e r strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Um das Imagedifferential für jeden der neun Wettbewerber zu erhalten, müssen die Mittelwerte je Item auf der verwandten 5er Rating-Skala berechnet werden. Eine Bewertung von „5" bedeutet, daß das betreffende Item auf die Marke „genau zutrifft" und eine Bewertung von „1", daß das Item auf die Marke „gar nicht zutrifft". Abbildung 4-3 zeigt zur besseren Visualisierung das Imagedifferential im Rating-Intervall zwischen 2,0 und 4,5 über alle neun Marken, wobei in Klammern die jeweilige Fallzahl angegeben ist.
Ist e i n e m o d e r n e M a r k e Ist f ü r M e n s c h e n m i t G e f ü h l Bier, auf d a s m a n sich im v o r n h e r e i n freut Ist e i n b e s o n d e r e r G e n u ß S c h m e c k t besonders gut Ist e t w a s B e s o n d e r e s Ist f ü r a n s p r u c h s v o l l e M e n s c h e n Ist e i n e s y m p a t h i s c h e M a r k e Ist f ü r j u n g e L e u t e Ist f ü r h a r t e T y p e n Ist e i n r e i n e s , n a t ü r l i c h e s B i e r Ist e i n e i n t e r n a t i o n a l b e d e u t e n d e M a r k e P a ß t zu a u f r e g e n d e n E r l e b n i s s e n Ist f ü r s c h ö n e M o m e n t e d e s A l l t a g s Ist v o n b e s t e r H e r k u n f t Ist e i n b e s o n d e r s h e r b e s B i e r Ist e i n b e s o n d e r s f r i s c h e s B i e r Ist v o n b e s o n d e r s h o h e r Q u a l i t ä t Ist e i n b e s o n d e r s m i l d e s B i e r
q Beek's/Mi
^Bitburger
* Holsten ( K W 0jc«r"(lf.r)
¡ j Karlsbcrg (69)
gKonig-Pilscncr (2V)) yKrombacher(l95> + Vellins (l*(i) -j-Warstcincr (492)
Abb. 4-3:
Imagedifferential im Premium-Pilsmarkt
Die größte Differenzierung zwischen den Marken ergibt sich für die Items [Ist ein besonders herbes Bier] und [Ist ein besonders mildes Bier]. 1 Die Reihenfolge der Marken für das Item [Ist ein besonders herbes Bier] entspricht exakt der umgekehrten Reihenfolge für das Item [Ist ein besonders mildes Bier]. Jever wird unter den neun Marken als das herbste Bier wahrgenommen, während Veltins das mildeste Bier repräsentiert. Jever ist es damit gelungen, sich von den übrigen herben Bieren wie Beck's oder Bitburger deutlich abzusetzen. Dies kann durch die konsequent geführte Kommunikationspolitik von Jever erklärt werden, die die Marke primär in Richtung Herbheit - „Friesisch herb, wie das Land so 1
Im folgenden werden zur Verdeutlichung Items in eckige Klammern | | und Imagedimensionen in geschweifte Klammern { } gefaßt.
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
133
das Jever" - positioniert. Der Unterschied von Veltins zu anderen milden Bieren wie Warsteiner und Krombacher ist vernachlässigbar gering. Auf die Frage nach ihrer internationalen Bedeutung ergeben sich f ü r die betrachteten Marken ebenfalls größere Unterschiede. Beck's hat sich auf dem Item [Ist eine international bedeutende Marke] deutlich von seinen Wettbewerbern absetzen können.
Die Positionierungsstrategie
von Beck's
(„Spitzen-
Pilsener von Welt"), als das international bedeutendste Bier wahrgenommen zu werden, scheint damit aufgegangen zu sein. Demgegenüber wird Karlsberg als das am wenigsten international ausgerichtete Bier wahrgenommen. Dieses Ergebnis ist plausibel, da Karlsberg vorwiegend regionale Bedeutung besitzt. Zudem liegt der gestützte Bekanntheitsgrad von Karlsberg mit 59,7% weit hinter den übrigen Marken (siehe Abb. 4-2).
Das Item [Ist für harte Typen] steht für die Frage, inwieweit es einzelnen Marken gelungen ist, männliche Attribute innerhalb ihrer Kommunikationspolitik tatsächlich auch zum Konsumenten hin zu „transportieren". Die Bewertung f ü r die Marke Karlsberg ist hierbei deutlich höher ausgefallen als für andere Wettbewerber. Dies korrespondiert mit der von Karlsberg favorisierten Positionierungsstrategie - „Das Bier für den Mann im M a n n " . Bei den restlichen 15 Items liegen die Wettbewerber - mit Ausnahme von Holsten - derart eng beieinander, daß differenzierte Aussagen kaum möglich sind. Für die Marke Holsten läßt sich in vollem und für die Marke Karlsberg in abgeschwächtem Umfang konstatieren, daß sie auf fast allen Items schlechter bewertet werden als ihre Wettbewerber. Dieses Ergebnis bestätigt, daß Holsten und Karlsberg eigentlich unterhalb der Premium-Pilsmarken positionierte Kons u m i e r e sind. Es gilt ferner festzuhalten, daß die Marken Warsteiner, Bitburger und Krombacher auf vielen der 19 Items Spitzenbewertungen erhalten. Dieses Ergebnis korrespondiert mit den aktuellen Marktanteilen dieser Marken (siehe Tab. 4-4).
Das Imagedifferential hat gezeigt, daß die Wahrnehmungsunterschiede für die Mehrzahl der Items vernachlässigbar gering sind. Mit Hilfe des Imagedifferentials können zudem keine strategischen Schlußfolgerungen getroffen werden, da die einzelnen Items noch nicht auf strategisch relevante Dimensionen reduziert sind. Des weiteren können keine Aussagen dahingehend gemacht werden, ob
134
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
und in welchem Ausmaß einzelne Items kaufverhaltens- bzw. wettbewerbsrelevant sind. Um einen Teil der methodischen Probleme der Profildarstellung zu beseitigen, werden im nächsten Abschnitt die Ergebnisse im weniger redundanten euklidischen Raum dargestellt.
1.2.2
Klassische Positionierungsmodelle
1.2.2.1
Faktorenanalytische Positionierung
Grundgedanke der explorativen Faktorenanalyse ist, aus einer Vielzahl von Variablen bzw. Items die wesentlichen voneinander unabhängigen Faktoren zu extrahieren. Ziel der Faktorenanalyse ist damit, die in den Items enthaltenen Überschneidungen (Redundanzen) zu eliminieren. Da grundsätzlich alle Items auf alle Faktoren „laden" können, die Zusammenfassung von Items zu Faktoren damit eine Resultante der Höhe ihrer empirischen Korrelation ist, hat die explorative Faktorenanalyse strukturentdeckenden Charakter (Arminger 1979, S. 79). Sie unterstellt, daß Korrelationen zwischen den Items auf hinter den Items stehende Faktoren zurückgeführt werden können (Backhaus et al.
1990,
S. 73 f.). Jeder Beobachtungswert eines Items läßt sich dabei als Linearkombination mehrerer (hypothetischer) Faktoren beschreiben (Backhaus et al. 1990, S. 74). Die mit der Itembatterie (siehe Tab. 4-1) für den Premium-Pilsmarkt erhobenen Daten dienen als Input für die explorative Faktorenanalyse. Zunächst wurden für alle Wettbewerber getrennt Faktorenanalysen durchgeführt, um zu überprüfen, inwieweit sich unterschiedliche Faktorenstrukturen ergeben.
Hoch-
korrelierende Items werden zu zentralen Imagedimensionen zusammengefaßt. Zuvor galt es jedoch zu überprüfen, ob der zur Verfugung stehende Datensatz die Anwendungsvoraussetzungen für eine Faktorenanalyse erfüllt. Nach Tabachnick und Fidell (1989, S. 604) sollten Faktorenanalysen nur dann angewandt werden, wenn die Korrelationen in der Item-Korrelationsmatrix größer als 0,30 sind. Dieses Kriterium wurde für die vorliegenden Faktorenanalysen
im
Premium-Pilsmarkt ohne Einschränkung erfüllt. Eine exaktere Beurteilung bezüglich der Eignung einer Item-Korrelationsmatrix für Faktorenanalysen liefert
135
Teil IV: A n w e n d u n g v o n M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
das KMO-Maß (Kaiser-Meyer-Olkin measure). Ein hoher KMO-Wert bedeutet, daß die Itemauswahl für eine Faktorenanalyse gut geeignet ist (Norusis 1990, S. 333). Der Wertebereich liegt zwischen 0 und 1. Da Kaiser (1974, S. 35 f.) KMO-Werte zwischen 0,8 und 0,9 als recht gut (meritorious) und Werte zwischen 0,9 und 1,0 als fabelhaft (marvellous) beurteilt, und die KMO-Werte der neun berechneten Faktorenanalysen zwischen 0,88 und 0,95 lagen, kann von einer hervorragenden Eignung der Items für die Faktorenanalysen ausgegangen werden. Als Faktorextraktionsverfahren wurde die Hauptkomponentenanalyse gewählt, die nach Benz (1986, S. 145 ff.; siehe auch Huber/Holbrook 1979, S. 509) hinsichtlich Robustheit und Rekonstruktionsqualität allen anderen Extraktionsverfahren deutlich überlegen ist. Robustheit wurde daran gemessen, bei welchem Anteil der untersuchten Datensätze das Verfahren verwertbare Ergebnisse liefert.
Die
Rekonstruktionsqualität
wurde
als Differenz aus
geschätzter
(rotierter) Faktorladungsmatrix und tatsächlicher Faktorladungsmatrix gemessen. Als Rotationsverfahren wurde die Varimax-Methode
( = orthogonale
Rotation) verwandt (Überla 1977, S. 208 f.). Hierdurch werden die inhaltlichen Modellvoraussetzungen der Faktorenanalyse sichergestellt, nachdem die Faktoren keine Korrelation miteinander aufweisen, also orthogonal sind (Brosius 1989, S. 158). Die Zahl der Faktoren wurde nach dem Kaiser-Kriterium bestimmt, wobei die Anzahl der zu extrahierenden Faktoren gleich der Zahl der Faktoren ist, deren Eigenwert größer als eins ist. Um die Faktorinterpretation zu erleichtern, bedient man sich der rotierten Faktorladungsmatrix. Die inhaltliche Interpretation der Faktoren ist dabei grundsätzlich subjektiver Natur. Comrey (1973, S. 226) empfiehlt folgende Faustregel hinsichtlich der Zuordnung von Items zu den jeweiligen Faktoren: •
Faktorladungen größer 0,71 sind hervorragend (50% gemeinsame Varianz),
•
Faktorladungen größer 0,63 sehr gut (40% gemeinsame Varianz),
•
Faktorladungen größer 0,55 gut (30% gemeinsame Varianz),
•
Faktorladungen größer 0,45 befriedigend (20% gemeinsame Varianz),
•
Faktorladungen größer 0,32 schlecht (10% gemeinsame Varianz).
Für die neun im Premium-Pilsmarkt durchzuführenden Faktorenanalysen wurde folgende Entscheidungsregel
angewandt:
Zur
Interpretation
eines
Faktors
136
Teil IV: A n w e n d u n g v o n Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
( = Imagedimension) wird ein Item nur dann herangezogen, wenn dessen Faktorladung für diesen Faktor größer als 0,63 und für keinen anderen Faktor größer als 0,32 ist (siehe auch Comrey 1973, S. 226 f.). Faktorenanalysen extrahieren dabei häufig einen dominierenden Faktor, der eine allgemeine Präferenz gegenüber den betrachteten Marken ausdrückt. Items, die mit diesem Faktor hoch korrelieren, haben für die Befragten eine ähnliche Bedeutung (Huber/Holbrook 1979, S. 507 ff.). Die durchgeführten Faktorenanalysen im Premium-Pilsmarkt bestätigen diese Aussage, wonach auf den ersten Faktor nahezu die Hälfte aller Items laden. Eine getrennte Ermittlung der Faktorenstruktur je Pilsmarke ermöglicht es dabei, die daraus resultierende gemeinsame Faktorenstruktur inhaltlich zu interpretieren. Die Interpretation der rotierten Faktorladungsmatrixen führte für die Marken Beck's, Bitburger, Holsten, Karlsberg, König-Pilsener, Krombacher, Veltins und Warsteiner zu einem - mit Ausnahme der Marke Jever - gemeinsamen Faktorraum. Für alle Marken ergab sich dabei eine Varianzerklärung für den ersten Faktor mit durchschnittlich 50%, für den zweiten Faktor mit durchschnittlich 10% und für den dritten Faktor mit durchschnittlich 1%. Der gemeinsame Imageraum wurde somit durch drei Imagedimensionen aufgespannt, die durch folgende Items operationalisiert wurden: •
Qualität bzw. allgemeine Präferenz (50%) - Ist ein besonderer Genuß - Schmeckt besonders gut - Ist ein besonders reines, natürliches Bier - Ist ein besonders frisches Bier - Ist von besonders hoher Qualität - Ist ein Bier, auf das man sich im vornherein freut - Ist von bester Herkunft
.
Erlebnis (10%) - Ist für junge Leute - Ist für harte Typen - Paßt zu aufregenden Erlebnissen
.
Herbheit (7%) - Ist ein besonders herbes Bier - Ist ein besonders mildes Bier
Teil IV: A n w e n d u n g v o n M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
137
Hierbei ist anzumerken, daß es sich bei dem dritten Faktor {Herbheit} im Unterschied zu den beiden ersten Faktoren um einen bipolaren Faktor handelt, da auf diesen Faktor das Item [Besonders herbes Bier] positiv und das Item [Besonders mildes Bier] negativ lädt. Dieser bipolare Faktor kann jedoch als Wahrnehmungskontinuum aufgefaßt werden, an dessen Extrema die Eigenschaften [Besonders herbes Bier] und [Besonders mildes Bier] stehen. Dies macht eine orthogonale Faktoren-Transformation unnötig (Revenstorf 1976, S. 125). Die Interpretation der rotierten Faktorladungsmatrix ergab für die Marke Jever folgende Faktorenstruktur: «
Freude und Geselligkeit (48%) - Ist ein Bier, auf das man sich im vornherein freut - Ist eine sympathische Marke - Paßt zu aufregenden Erlebnissen - Ist für schöne Momente/Erlebnisse des Alltags
•
Qualität bzw. allgemeine Präferenz (13%) - Ist ein besonders reines, natürliches Bier - Ist ein besonders frisches Bier - Ist von besonders hoher Qualität - Ist von bester Herkunft - Ist ein besonders herbes Bier
.
Erlebnis (6%) - Ist für junge Leute - Ist für harte Typen
Mit dem Faktor {Freude und Geselligkeit} erhält die Marke Jever im Vergleich zu seinen Wettbewerbern einen emotionalen „touch".
Der zweite Faktor
{Qualität bzw. allgemeine Präferenz} entspricht dem ersten Faktor der übrigen Wettbewerber, wobei dieser Faktor für Jever allerdings enger definiert ist. Interessant hierbei ist, daß das Item [Besonders herbes Bier] ebenfalls auf diesen Faktor lädt. Die Herbheit der Marke Jever wird damit der allgemeinen Qualitätsdimension zugeschrieben. Der dritte Faktor {Erlebnis} entspricht dem zweiten Faktor der restlichen Pilsmarken.
138
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Die gesamte Varianzerklärung beträgt für alle Pilsmarken durchschnittlich etwa 67%. Das bedeutet, daß eine Reduktion von 19 Items auf drei Faktoren bzw. Imagedimensionen zu einem Informationsverlust von lediglich 33% führt. Die Varianzerklärung je Imagedimension darf jedoch nicht als Maß für die Wettbewerbsbedeutung einzelner Imagedimensionen interpretiert werden. Sie sagt lediglich aus, wieviel Prozent der Varianz der Itembatterie durch eine Imagedimension abgebildet wird. Die Ähnlichkeit der Faktorenstruktur - mit Ausnahme der Marke Jever - und die Anzahl der Faktoren je Wettbewerber rechtfertigt es, die Positionierung der Wettbewerber im gemeinsamen Imageraum vorzunehmen. Um ein dreidimensionales Positionierungsmodell zu erhalten, ist es notwendig, die Faktormittelwerte für alle Marken zu berechnen. Sie ergeben sich aus dem Produkt der Matrix der Itemmittelwerte und der Matrix der Faktorwertkoeffizienten. Diesem Vorgehen liegen drei Annahmen zugrunde: 1. Es gibt nur drei Imagedimensionen. 2. Alle Wettbewerber sind auf den gleichen Imagedimensionen positioniert. 3. Alle Marken müssen an einer einheitlichen Faktorenstruktur relativiert werden. Problematisch ist Annahme 2, da die Marke Jever mit ihrem Faktor {Freude und Geselligkeit} eine Imagedimension besetzt, über die die übrigen Pilsmarken nicht verfügen. Zusätzlich unterscheidet sich Jever von seinen Wettbewerbern hinsichtlich der Reihenfolge seiner Imagedimensionen. Deshalb darf die Marke Jever nicht im gemeinsamen Imageraum positioniert werden. In Abbildung 4-4 kann durch einen Vergleich der Marken je Imagedimension die Stellung im Wettbewerb abgelesen werden. Räumliche Nähe der Marken im Imageraum wird hierbei mit Wettbewerbsintensität gleichgesetzt. Zudem wurden die Faktorwerte der Wettbewerber je Imagedimension zentriert. Dies ermöglicht eine zusätzliche Interpretation: Hat ein Wettbewerber auf einer Imagedimension einen Wert größer null, so heißt das, daß die Marke auf dieser Imagedimension eine bessere Bewertung erhalten hat als der Durchschnitt über alle Marken.
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Abb. 4-4:
139
Faktoranalytisches Positionierungsmodell im PremiumPilsmarkt
In früheren Analysen wurden die Marken bzw. Wettbewerber häufig an der Faktorenstruktur eines fiktiven Ideal-Produktes relativiert. Die Faktorenstruktur des Idealproduktes wurde dabei zur Berechnung der Faktorwerte für den gemeinsamen Imageraum herangezogen. Im Rahmen dieser Analyse wurde bewußt darauf verzichtet, ein Idealprodukt abzufragen, da sich dieses Vorgehen in vergangenen Analysen als äußerst problematisch erwies (siehe auch Kroeber-Riel 1984, S. 208). Deshalb erfolgte die Relativierung aller Marken anhand der Faktorenstruktur des Marktführers Warsteiner. Abbildung 4-4 verdeutlicht, daß die Marken auf den drei Imagedimensionen zum Teil unterschiedlich wahrgenommen werden. Auf der ersten Imagedimension {Qualität} gelingt lediglich den Marken Bitburger und Karlsberg eine überdurchschnittliche Bewertung. Während Warsteiner, Krombacher und Beck's auf dieser Imagedimension durchschnittliche Bewertungen erzielen, können sich die Marken Holsten, König-Pilsener und Veltins lediglich
unterdurchschnittlich
positionieren. Auf der zweiten Imagedimension {Erlebnis} kristallisieren sich zwei Markengruppen heraus. Auf der einen Seite handelt es sich um die beiden Konsumbiere Holsten und Karlsberg, die unterdurchschnittliche Bewertungen erhalten, und auf der anderen Seite die Premium-Pilsmarken, die sich durchschnittlich bis überdurchschnittlich positionieren können. Die dritte Imagedimension {Herbheit} zeigt, daß die Pilsmarken Veltins, Warsteiner, Krombacher
140
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
und König-Pilsener nahezu identisch positioniert sind. Sie werden von den Befragten als milde Biere wahrgenommen. Die Befragten können sie von den herben Pilsmarken Karlsberg, Beck's und Bitburger unterscheiden, während Holsten als weder eindeutig herbes noch als eindeutig mildes Bier wahrgenommen wird. Das mit Hilfe von explorativen Faktorenanalysen erzeugte dreidimensionale Positionierungsmodell ist zwar sehr anschaulich, doch zeigt es, daß die einzelnen Imagedimensionen
nur beschränkt als Differenzierungskriterien im
Premium-Pilsmarkt herangezogen werden können. Das Modell erlaubt keine Aussagen darüber, ob und in welchem Ausmaß einzelne Imagedimensionen kaufverhaltens- bzw. wettbewerbsrelevant sind. Damit ist es mit Hilfe faktoranalytischer Positionierungsmodelle nur in beschränktem Maße möglich, Handlungsempfehlungen für das strategische Management zu generieren. Zudem sind klassische Positionierungsmodelle nicht in der Lage, Positioning oder Unique Selling Propositions (USPs) zu modellieren, da die betreffende Imagedimension (siehe für die Marke Jever) für keine andere oder nur für einige wenige andere Marken relevant ist und daher nicht im gemeinsamen Imageraum abgebildet werden darf (Trommsdorff 1993b, S. 32).
1.2.2.2
Diskriminanzanalytische Positionierung
Die Diskriminanzanalyse ist ein zur Erstellung von Positionierungsräumen eher selten verwandtes Verfahren. Nach Diller und Bauer (1974, S. 188) ist sie insbesondere dann von Nutzen, wenn es um den Nachweis von Unterschieden zwischen wahrgenommenen Images geht. Im Gegensatz zur Faktorenanalyse werden bei der Diskriminanzanalyse Imagedimensionen extrahiert, anhand derer die Befragten die Marken bestmöglich voneinander unterscheiden können. Das Grundprinzip der Diskriminanzanalyse besteht darin, eine Vielzahl von Items bei minimalem Informationsverlust durch Linearkombinationen so zu Imagedimensionen zusammenzufassen, daß Wahrnehmungsunterschiede zwischen den Marken maximiert werden (Backhaus et al. 1990, S. 163).
Teil IV: Anwendung von Methoden der strategischen Marktforschung im Premium-Pilsmarkt
141
Zunächst wird für die im Premium-Pilsmarkt verwandte Itembatterie (siehe Tab. 4-1) mit Hilfe einer einfachen Varianzanalyse getestet, wie gut die 19 Items zwischen den neun Pilsmarken trennen (siehe Tab. 4-5).
Jw»i
Wilks* L a m b d a K-Test Signifikanz
Ist eine moderne Marke
0,986
3,40
Ist für Menschen mit Gefühl
0,994
1,46
0,0007 0,1655
Ist ein Bier, auf das man sich im vornherein freut
0,987
3,26
0,0011
Ist ein besonderer Genuß
0,985
3,63
0,0003
Schmeckt besonders gut
0,985
3,60
0,0004
Ist etwas Besonderes
0,985
3,53
0,0005
Ist für anspruchsvolle Menschen
0,978
5,48
0,0000
Ist eine sympathische Marke
0,995
1.23
0,2723
Ist für junge Leute
0,991
2,19
0,0256
Ist für harte Typen
0,984
3,91
0,0001
Ist ein besonders reines, natürliches Bier
0,993
1,62
0,1133
Ist eine international bedeutende Marke
0,966
8,71
0,0000
Paßt zu aufregenden Erlebnissen
0,994
1,39
0,1930
Ist für schöne Momente/Erlebnisse des Alltags
0,991
2,09
0,0333
Ist von bester Herkunft
0,991
2,29
0,0188
Ist ein besonders herbes Bier
0,914
23,20
0,0000
Ist ein besonders frisches Bier
0,997
0,66
0,7232
Ist von besonders hoher Qualität
0,984
3,84
0,0002
Ist ein besonders mildes Bier
0,923
20,41
0,0000
Tab. 4-5: Univariate Trennfähigkeit der Items Für die Items deren Signifikanzwert kleiner als 0,05 ist, kann dabei die Nullhypothese bezüglich der Gleichheit der Itemmittelwerte über alle Marken abgelehnt werden. Die Items [Ist für Menschen mit Gefühl], [Ist eine sympathische Marke], [Ist ein besonders reines, natürliches Bier], [Paßt zu aufregenden Erlebnissen] und [Ist ein besonders frisches Bier] zeigen keine signifikanten Unterschiede zwischen den Marken. Die Items [Ist ein besonders herbes Bier], [Ist ein besonders mildes Bier], [Ist eine international bedeutende Marke] und [Ist für anspruchsvolle Menschen], welche die höchsten F-Werte aufweisen, besitzen danach die größte Trennkraft zwischen den Marken. Die im Premium-Pilsmarkt durchgeführte Diskriminanzanalyse dient der Ermittlung, anhand wievieler und welcher Imagedimensionen die Auskunftspersonen die Marken unterscheiden können. Bei 19 Items (n) und neun Marken (p) kann es maximal acht Diskriminanzfunktionen (min [n, p-1]) geben, nach denen die Marken von den Befragten unterschieden werden können (siehe Tab. 4-6).
142
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Eigenwert Vartajuantett Kumulierter Kanonischer VarUmzanteU Korr.-K.iKtT. ¡unktion
WlIlB' Lwnlxb
CN-Qnadnu
df
Signifikanz.
1 0,1492
49,05
49,05
0,3603
0
0,7477
574,289
152 0,0000
2
0,0720
23,66
72,71
0,2591
1
0,8593
299,491
126 0,0000
3
0,0366
12,04
84,76
0,1880
2
0,9212
162,129
102 0,0001
4
0,0206
6,76
91,51
0,1419
3
0,9549
91,023
80 0,1877
5
0,0103
3,39
94,91
0,1011
4
0,9746
50,811
60 0,7951
6
0,0072
2,36
97,26
0,0844
5
0,9846
30,522
42 0,9056
7
0,0061
2,02
99,28
0,0781
6
0,9917
16,400
26 0,9261
8
0,0022
0,72
100,00
0,0467
7
0,9978
4,318
12 0,9770
Tab. 4-6:
Gütemaße der Diskriminanzfunktionen
Tabelle 4-6 zeigt, daß drei signifikante, voneinander unabhängige Diskriminanzfunktionen bzw. Imagedimensionen extrahiert wurden, nach denen die neun Marken unterschieden werden können. Diese drei Imagedimensionen erklären 84,76% der Varianz zwischen den Marken, wobei die erste Diskriminanzfunktion 49,05%, die zweite 23,66% und die dritte noch 12,04% der Varianz zwischen den Marken erklärt. Damit beträgt der Informationsverlust durch eine Verdichtung der ursprünglich 19 Items auf drei Imagedimensionen lediglich 15,24%. Die Interpretation der drei signifikanten Diskriminanzfunktionen erfolgt anhand einer Ladungsmatrix, die Korrelationen zwischen den Items und den Diskriminanzfunktionen beinhaltet. Die inhaltliche Interpretation, welche Items für die jeweilige Diskriminanzfunktion die größte Bedeutung besitzen, ist subjektiver Natur. Tabachnick und Fidell (1989, S. 539) empfehlen zur Interpretation nur Items heranzuziehen, deren Trennkraft einerseits signifikant ist (siehe Tab. 4-5), und die andererseits Korrelationskoeffizienten größer als 0,30 aufweisen. Der gemeinsame Diskriminanz- bzw. Imageraum wird folglich durch drei voneinander unabhängige Imagedimensionen aufgespannt, die durch folgende Items operationalisiert werden:
143
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
.
Herbheit (49%) - Ist ein besonders herbes Bier - Ist ein besonders mildes Bier
•
Internationalität (24%) - Ist eine international bedeutende Marke - Ist für anspruchsvolle Menschen
.
Genuß (12%) - Ist ein besonderer Genuß - Schmeckt besonders gut
Um eine dreidimensionale Positionierung aller Marken im Diskriminanzraum zu erhalten, müssen die Diskriminanzmittelwerte je Marke ( = Gruppenzentroide) bestimmt werden. Sie stellen die Koordinaten für die Pilsmarken auf den Imagedimensionen {Herbheit}, {Internationalität} und {Genuß} dar (siehe Abb. 4-5). Da die Diskriminanzwerte zentriert wurden, ist die Interpretation des Diskriminanzraumes ebenso wie bei der faktoranalytischen Positionierung vorzunehmen (siehe S. 138 f.).
Hei
A Veltins
Abb. 4-5:
Warsteiner
Diskriminanzanalytisches Positionierungsmodell im PremiumPilsmarkt
144
Teil IV: A n w e n d u n g v o n Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Der Diskriminanzraum verdeutlicht, daß die Pilsmarken zum Teil recht deutlich von den Befragten unterschieden werden können. Die erste Imagedimension {Herbheit} stellt mit 49% Varianzerklärung die bedeutsamste Dimension dar. Jever, das als das herbste Bier im Premium-Pilsmarkt gilt, ist es auf dieser Imagedimension gelungen, sich noch vor den übrigen herben Marken wie Beck's, Karlsberg und Bitburger zu positionieren. Für die restlichen Marken decken sich die Ergebnisse auf dieser Imagedimension mit der zuvor dargelegten faktoranalytischen Positionierung (siehe S. 139 f.). Auf der zweiten Imagedimension {Internationalität} können die Befragten zwischen der Markengruppe Beck's und Warsteiner, der Markengruppe Bitburger, König-Pilsener, Jever, Veltins und Krombacher sowie der Markengruppe Holsten und Karlsberg differenzieren. Auffallend ist, daß sich Beck's und Warsteiner auf dieser Imagedimension deutlich besser positionieren als ihre Wettbewerber. Sie werden als international bedeutende Biere wahrgenommen. Während Bitburger und KönigPilsener auf dieser Dimension noch überdurchschnittliche Bewertungen erzielen, können die Marken Jever, Veltins und Krombacher nur durchschnittliche Bewertungen erreichen. Holsten und Karlsberg hingegen unterscheiden sich von allen anderen Marken, da ihr Internationalisierungsgrad deutlich unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Dieses Ergebnis stützt die zuvor gemachte Aussage, daß es sich bei diesen Marken um primär regionale Konsummarken als um Premiummarken handelt. Die niedrigen numerischen Distributionsquoten für Karlsberg bestätigen dies. Bis auf das Nielsen-Gebiet 3a (Rheinland-Pfalz), wo die numerische Distribution von Karlsberg 73% beträgt, liegen diese für alle übrigen Nielsen-Gebiete weit unter 20% (GfK-Regionalpanel 1993). Bei der dritten Imagedimension {Genuß} fällt auf, daß die Marken Karlsberg und Jever überdurchschnittliche Bewertungen erzielen können. Im Vergleich hierzu werden die Marken Krombacher, Warsteiner, Bitburger, König-Pilsener und Veltins nur durchschnittlich bewertet. Holsten und Beck's weisen auf dieser Imagedimension die niedrigsten Diskriminanzwerte auf, wobei Holsten noch deutlich schlechter positioniert ist als Beck's. Während dieses Ergebnis für das Konsumbier Holsten zu erwarten war, überrascht es für die Premiummarke Beck's.
Der diskriminanzanalytischen Positionierung haftet prinzipiell dieselbe Beschränkung an wie der faktoranalytischen Positionierung (siehe S. 140), da keine Aussagen dahingehend gemacht werden können, ob und in welchem Aus-
145
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
maß einzelne Imagedimensionen kaufverhaltens- bzw. wettbewerbsrelevant sind. Daraus folgt, daß mit Hilfe eines Diskriminanzraumes die Ableitung strategischer Handlungsempfehlungen nur in sehr eingeschränktem Maße möglich ist.
1.2.2.3
Faktoren- und diskriminanzanalytischer Ergebnisvergleich
Vergleicht
man
die
Struktur
der
mit
Faktoren- und
Diskriminanzanalyse
rekonstruierten Imageräume miteinander, so fällt auf, daß diese Imageräume durch zum Teil unterschiedliche Imagedimensionen aufgespannt werden (siehe Tab. 4-7).
•
Diskrimmanzanalytisehe Imagedimensionen
Qualität bzw. allgemeine Präferenz
Herbheit
Erlebnis
Internationalität
Herbheit
Genuß
Tab. 4-7: Imagedimensionen im Faktor- und Diskriminanzraum Die Diskriminanzanalyse bestimmt Linearkombinationen von Items, um die Pilsmarken bestmöglich voneinander unterscheiden zu können. Daraus folgt, daß die Imagedimensionen in erster Linie aus solchen Items gebildet werden, bei denen die Befragten hinsichtlich ihrer Einschätzung der Marken
überein-
stimmen, d. h. daß die Varianz zwischen den Marken maximiert und innerhalb der Marken minimiert wird. Sie repräsentieren Imagedimensionen, die von den Befragten einheitlich wahrgenommen werden. Nach Huber und Holbrook (1979, S. 512) werden mit Diskriminanzanalysen die eher objektiven bzw. kognitiven Imagedimensionen rekonstruiert bei gleichzeitiger Vernachlässigung ihrer eher subjektiven bzw. affektiven Dimensionen. Dies wird durch die Ergebnisse im Premium-Pilsmarkt bestätigt, bei denen primär objektive Imagedimensionen wie {Herbheit} und {Internationalität} extrahiert wurden. Zwar wird auch innerhalb der Faktorenanalyse die Imagedimension {Herbheit} extrahiert, doch spielt sie dort im Vergleich zu dem Ergebnis innerhalb der Diskriminanzanalyse eine eher unbedeutende Rolle.
146
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
In explorativen Faktorenanalysen
wird
häufig ein dominierender
Faktor
extrahiert, der eine allgemeine Präferenz über die Marken ausdrückt (Huber/ Holbrook 1979, S. 507 ff.). Items, die mit diesem Faktor hoch korrelieren, haben eine ähnliche Relevanz für die Auskunftspersonen. Die innerhalb von Faktorenanalysen extrahierten Imagedimensionen stellen dabei primär subjektive bzw. affektive Imagedimensionen bei gleichzeitiger Vernachlässigung ihrer eher objektiven bzw. kognitiven Komponenten dar (Huber/Holbrook 1979, S. 512). Dies
konnte
für
den
Premium-Pilsmarkt
bestätigt
werden:
Die
Image-
dimensionen {Qualität bzw. allgemeine Präferenz} und {Erlebnis} stellen die subjektiven bzw. affektiven Imagedimensionen dar. Der innerhalb der Diskriminanzanalyse
vorgefundenen
eher
subjektiven
kommt dabei eine wesentlich geringere
Imagedimension
Bedeutung zu als ihrem
{Genuß} Pendant
{Qualität bzw. allgemeine Präferenz}, die innerhalb der Faktorenanalyse extrahiert wurde. Die von Huber und Holbrook (1979, S. 512) gemachte Aussage, daß Faktorenanalysen die eher subjektiven bzw. affektiven Komponenten und Diskriminanzanalysen die eher objektiven bzw. kognitiven Komponenten extrahieren, wird damit durch diese Untersuchung bestätigt.
Trotz der Annahmen, die klassischen Positionierungsmodellen zugrunde liegen, und der hieraus resultierenden Restriktionen (siehe Teil III-1.1 und S. 57) stellen diese beiden multivariaten Verfahren sinnvolle Analysen im Sinne der Extraktion eher affektiver bzw. kognitiver Imagedimensionen dar. Faktoren- und Diskriminanzanalysen eignen sich damit insbesondere als Voranalysen Durchführung von Wettbewerbs-Image-Struktur-Analysen (WISA).
zur
147
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
2.
Kausalanalytische WISA im Evoked-set und für strategische Gruppen als Methoden zur statischen Komplexitätsbewältigung
2.1
WISA im Premium-Pilsmarkt und dessen Anwendung auf das Konzept des Evoked-set
2.1.1
Evoked-set-Methodik der WISA
2.1.1.1
Empirische Ergebnisse zum Evoked-set
Das Erhebungsdesign im Premium-Pilsmarkt sah vor, daß die Befragten nur die Pilsmarken anhand der Itembatterie beurteilen durften, die für eine zukünftige Kaufentscheidung tatsächlich in Frage kamen und denen darüber hinaus die vier höchsten Kaufanteile auf der Konstantsummenskala zugewiesen wurde (siehe Teil IV-1.1.2). Befand sich beispielsweise nur eine Marke im Evoked-set des Befragten, so mußte nur für diese eine Marke die Itembatterie (siehe Anhang 4-1, S. 226) bewertet werden. Durch die Beschränkung auf das Evoked-set wurde sichergestellt, daß nur die Marken bewertet wurden, von denen der Befragte ein klares Markenbild hatte. Bei früheren Erhebungen mußten die Befragten häufig auch Marken bewerten, die zu ihrem Unawareness-set (siehe S. 76) gehörten, von denen folglich kein konkretes Markenbild
existierte.
Informationen, die durch derartige Erhebungen generiert werden, sind wertlos und verfälschen zudem die Analyseergebnisse (siehe Teil III-1.4.1.3).
Wettbewerb findet im Bewußtsein jedes einzelnen Konsumenten statt. Hat ein Befragter z. B. nur die Marken Warsteiner und Bitburger in seinem Evoked-set, so konkurrieren für diese Person nur diese beiden Marken miteinander. Eine dritte Marke, die für ihn keine relevante Alternative darstellt, konkurriert folglich nicht mit den Marken Warsteiner und Bitburger um Kaufanteile. Wettbewerb findet damit in erster Linie zwischen den Marken im Evoked-set der Befragten statt (siehe S. 83 f.). Von den 1126 Befragten, die angaben, mindestens einmal pro Monat Bier zu trinken (siehe Teil IV-1.1.3), hatten 886 Befragte ( = 78,68%) zumindest eine der neun relevanten Pilsmarken in ihrem Evoked-set. Die restlichen 240 Befragten ( = 21,32%), die keine der neun Marken in ihrem Evoked-set hatten, wurden folglich innerhalb der Evoked-set-basierten Wettbewerbs-Image-Struk-
148
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
tur-Analyse nicht berücksichtigt. Abbildung 4-6 gibt folglich die Verteilung der Größe des Evoked-set der 886 Befragten wieder.
Abb. 4-6:
Verteilung des Evoked-set im Premium-Pilsmarkt
Obige Abbildung verdeutlicht, daß beispielsweise 221 Personen zwei Marken in ihrem Evoked-set haben. Hat ein Befragter z. B. fünf Marken (insgesamt: N = 71) in seinem Evoked-set, so muß er - gemäß des Erhebungsdesigns (siehe Teil IV-1.1.2) - nur die vier mit dem höchsten Kaufanteil bewerteten Pilsmarken anhand der Itembatterie bewerten. Die fünfte Marke wird deshalb nicht anhand der Itembatterie bewertet und kommt folglich innerhalb der Analyse nicht zum Tragen. Von den 886 Befragten hatten insgesamt 165 Personen ( = 1 8 , 6 2 % ) fünf oder mehr Marken in ihrem Evoked-set. Diese jeweils über vier hinausgehenden „denkbaren" Markenbeurteilungen gingen infolgedessen nicht in die Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse mit ein. Dies erscheint zunächst viel. Berücksichtigt man jedoch, daß es sich hierbei um die Marken handelt, denen die Befragten die geringste Präferenz und damit die niedrigsten Kaufanteile zugestehen, so ist der Informationsverlust durch die Beschränkung auf vier Marken des Evoked-set zu vertreten. Zudem dürfte die Bewertung beispielsweise der achten Marke eines Befragten i wahrscheinlich ein Markenbild abfragen, daß nur sehr unscharf vorliegt und deshalb eigentlich dem Foggy-set zugerechnet werden muß (siehe S. 78 f.).
Die durchschnittliche Größe des Evoked-set im Premium-Pilsmarkt liegt bei 3,03 Marken (arithmetisches Mittel aus der Anzahl der Befragten und der Größe
Teil IV: Anwendung von Methoden der strategischen Marktforschung im Premium-Pilsmarkt
149
des Evoked-set). Damit werden die Untersuchungen von Narayana und Markin (1975, S. 4 f.), Silk und Urban (1978, S. 175) sowie Brisoux und Laroche (1980a, S. 113 f.) bestätigt: Deren durchschnittliche Evoked-set-Größe beträgt für Bier 3,5, 3,0 und 3,27 (siehe auch S. 77 und S. 79).
2.1.1.2
Evoked-set-Schnittmengen und deren Relevanz für eine WISA
Da mit der Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse bilaterale Wettbewerbsbeziehungen untersucht werden sollen, sind die Evoked-set-Schnittmengen jeweils zweier Wettbewerber von Bedeutung. Abbildung 4-7 verdeutlicht dies exemplarisch für drei Wettbewerber im Premium-Pilsmarkt.
Abbildung 4-7 zeigt, daß die Evoked-set-Präsenz bei insgesamt 1126 Bierkonsumenten für Warsteiner 492, für Beck's 263 und für Bitburger 260 beträgt. 135 Personen hatten sowohl Bitburger als auch Warsteiner in ihrem Evoked-set. Jeder zweite Bitburger-Konsument ( = 52%) hat somit gleichzeitig auch Warsteiner in seinem Evoked-set. Bei diesen Personen konkurrieren die Marken damit unmittelbar um Kaufanteile. Für den Fall, daß zwischen diesen beiden Marken
150
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen Marktforschung im Premium-Pilsmarkt
die Evoked-set-Schnittmenge verschwindend klein gewesen wäre, dürfte dann kein Wettbewerb zwischen diesen Marken existieren. Wettbewerb zwischen zwei Marken besteht folglich nur dann, wenn die prozentuale Evoked-setSchnittmenge zweier Wettbewerber hinreichend groß ist. Tabelle 4-8 gibt diese für alle neun Pilsmarken wieder, wobei die Marken in Abhängigkeit von ihrer Evoked-set-Präsenz sortiert wurden.
Warsteiner
Bitburger
Beck's
Dann Warsteiner
Beck's
Bitburger
N=492
N = 141
(=43,7%)
>«54»)
K ---14 •
N=263
(=2'*)>•
(=23,4%)
!V = 13S
«SS, 8 »
-
\
Krombacher
14t,
(=36%)
(=20%)
N - «* (
N=29
N=38
(=27%)
(=55%)
N=47
N=38
N = 10
!
•,.;•„..
N-2S» (=23%)
(»25&V
t=my
(=16%)
N=14
(=43'Sl
.
\
.V (-309:)
(=23%)
N»«i :
N^ir/- -
Beck's, Bitburger und Jever
•
Strategische Gruppe B
=> König-Pilsener, Krombacher und Veltins
•
Strategische Gruppe C
=> Holsten und Karlsberg
172
Teil IV: A n w e n d u n g v o n Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g int P r c m i u m - P i l s m a r k t
2.2.2
Empirische Ergebnisse zum Evoked-set für strategische Gruppen
Während in Teil IV-2.1.1.2 (siehe S. 149 ff.) Evoked-set-Schnittmengen für Marken gebildet wurden, sollen nun Evoked-set-Schnittmengen für strategische Gruppen analysiert werden. Tabelle 4-17, die wie Tabelle 4-8 (S. 150) zu lesen ist, gibt folglich die bilateralen Evoked-set-Schnittmengen für Warsteiner und die strategischen Gruppen A, B und C wieder. Wenn
Warsteiner
Dann Warsteiner
Strategische Gruppe A Strategische Gruppe B Strategische Gruppe C Tab. 4-17:
Strategische Gruppe A
N=492
Strategische Gruppe C
N=287
N = 294
N = 81
( = 54%)
(=63%)
(=46%)
N = 527
N = 266
N = 131
(=57%)
( = 74%)
N=465
N = 78
N = 287 . -5S-* N=294
Strategische Gruppe B
N=266 ;
(=«)%)
(=-50' -)
N --'
N = 13l
N = 78
( = 16%)
(=25%)
(=17%)
(=44%) N = 176
Evoked-set-Schnittmengen der strategischen Gruppen im Premium-Pilsmarkt
Die Diagonale der Matrix gibt die Evoked-set-Präsenz des Marktführers Warsteiner und der strategischen Gruppen A, B und C wieder. Für die strategische Gruppe A (Beck's, Bitburger und Jever) heißt dies z. B., daß 527 Personen (Zelle [2,2]) mindestens eine der drei Marken in ihrem Evoked-set haben. Tabelle 4-17 sind neben den absoluten Evoked-set-Schnittmengen auch die prozentualen Evoked-set-Schnittmengen zu entnehmen. Der Vergleich der prozentualen Evoked-set-Schnittmengen
zweier strategischer Gruppen kann - in
Analogie zu Teil IV-2.1.1.2 - als ein Indikator für die allgemeine Wettbewerbsintensität zwischen diesen strategischen Gruppen aufgefaßt werden. Für die strategische Gruppe C (Karlsberg und Holsten) erkennt man durch Vergleich ihrer prozentualen Evoked-set-Schnittmengen, daß ihr Beeinflussungspotential (Zellen [4,1] = 16%, [ 4 , 2 ] = 2 5 % , [4,3] = 17%) jeweils kleiner ist als das von den übrigen strategischen Gruppen ausgehende Bedrohungspotential
(Zellen
[ 1 , 4 ] = 4 6 % , [2,4] = 74%, [3,4]=44%). Dieses Ergebnis verdeutlicht ein weiteres Mal, daß die Konsumenten zwischen Premium-Pilsmarken und Konsum-
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
173
marken unterscheiden können. Darüber hinaus ergeben sich zwischen dem Marktführer Warsteiner und den strategischen Gruppen A und B nur marginale Unterschiede hinsichtlich ihrer allgemeinen Wettbewerbsintensität. In einem nächsten Schritt soll die Hypothese untersucht werden, ob die allgemeine Wettbewerbsintensität zwischen den Marken einer strategischen Gruppe (Intragruppen-Wettbewerb, siehe auch S. 85) größer ist als mit Marken anderer strategischer Gruppen (Intergruppen-Wettbewerb). Um dies zu überprüfen, werden die prozentualen Evoked-set-Schnittmengen von Tabelle 4-8 (S. 150) herangezogen. Würde man z. B. annehmen, daß zwischen der Marke Warsteiner und den übrigen acht Marken eine etwa identische Wettbewerbsintensität vorliegt, so müßte dieser Zeilenvektor in Tabelle 4-8 etwa gleich hohe prozentuale Evoked-set-Schnittmengen aufweisen. Da jedoch etwa gleich hohe allgemeine Wettbewerbsintensitäten weder für Warsteiner noch für die restlichen Pilsmarken vorliegen, muß davon ausgegangen werden, daß für einzelne Pilsmarken bestimmte Wettbewerber eine besondere Relevanz besitzen. Tabelle 4-18 gibt deshalb die allgemeine Wettbewerbsintensität einerseits zwischen Marken der eigenen strategischen Gruppe und andererseits mit Marken anderer strategischer Gruppen wieder, wobei die jeweiligen Prozentsätze sich aus den durchschnittlichen prozentualen Evoked-set-Schnittmengen der jeweiligen Marken Tabelle 4-8 (S. 150) berechnen. ^
^
Strategische Gruppen
Pilsmarken
Beck's (A) Bitburger (A) Jever(A) König-Pilsener (B) Krombacher (B) Veltins (B) Warsteiner Karlsberg (C) Holsten (C) Tab. 4-18:
Strategische
Strategische
Strategische
Gruppe A
Gruppe B
Gruppe C
38,50
26,75 27,00 14,50 32,00 32,67 32,00 63,67 3,75 10,00
28,00 41,00 20,50 25,00 14,00 5,50 43,50 8,00 13,00
32,00 22,00 28,00 18,33 16,33 53,33 8,33 15,33
Durchschnittliche prozentuale Evoked-setSchnittmengen zwischen Marken und strategischen Gruppen (in %)
aus
174
Teil IV: A n w e n d u n g v o n Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Tabelle 4-18 verdeutlicht, daß für die Pilsmarken Beck's, Jever, König-Pilsener, Krombacher, Veltins und Warsteiner der Intragruppen-Wettbewerb stärker ausgeprägt ist als der Intergruppen-Wettbewerb (schraffierte Zellen in Tabelle 4-18). Für die Marken Bitburger und Holsten kommt dem Intergruppen-Wettbewerb die größere Bedeutung zu. Die Marke Karlsberg zeigt ein indifferentes Verhalten, da die Wettbewerbsintensität mit den strategischen Gruppen A und C etwa gleich groß ist. So besteht beispielsweise für die Marke Veltins die größte durchschnittliche Evoked-set-Schnittmenge und somit die größte Wettbewerbsintensität mit Pilsmarken der eigenen strategischen Gruppe B (Zelle [6,2] =32%). Ein möglicher Grund, weshalb Bitburger ( = strategische Gruppe A) einer stärkeren Wettbewerbsintensität mit der strategischen Gruppe C (Zelle [2,3] =41%) ausgesetzt ist, läßt sich durch den intensiven regionalen Wettbewerb zwischen den Marken Bitburger und Karlsberg in Rheinland-Pfalz erklären. Umgekehrt ist dies gleichzeitig der Grund dafür, daß die Wettbewerbsintensität zwischen Karlsberg ( = strategische Gruppe C) und der strategischen Gruppe A ähnlich groß ist wie mit der eigenen strategischen Gruppe C. Der intensive regionale Wettbewerb der Marken Beck's, Jever und Holsten in Norddeutschland kann als Erklärung herangezogen werden, weshalb die Konsummarke Holsten die größte Wettbewerbsintensität mit der strategischen Gruppe A aufweist. Im nun folgenden Abschnitt wird die allgemeine Wettbewerbsintensität für strategische Gruppen weiter „aufgebrochen". Durch die Modellierung Evoked-setbasierter Wettbewerbs-Image-Struktur-Analysen für strategische Gruppen wird deutlich, welche Bedeutung und Struktur der Imagewettbewerb für strategische Gruppen hat.
2.2.3
Kausalanalytische WISA im Evoked-set für strategische Gruppen
2.2.3.1
Evoked-set-basierte WISA zwischen Warsteiner und den strategischen Gruppen A, B und C
Aus den Evoked-set-Schnittmengen für strategische Gruppen (siehe Tab. 4-17) geht für den Marktführer Warsteiner hervor, daß drei bilaterale Kausalmodelle mit den strategischen Gruppen A, B und C modelliert werden können. Da in
175
Teil I V : A n w e n d u n g v o n M e t h o d e n d e r s t r a t e g i s c h e n M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
bisherigen kausalanalytischen Modellen die Konsummarken Holsten und Karlsberg aufgrund ihrer geringen Fallzahlen (siehe Tab. 4-8, S. 150) nicht berücksichtigt werden konnten, soll im folgenden Kausalmodell zunächst der bilaterale Imagewettbewerb zwischen Warsteiner und der strategischen Gruppe C (Holsten und Karlsberg) aufgezeigt werden. Zudem macht dieses Modell deutlich, daß die USP-Positionierungen {Exklusivität} und {Internationalität} von Warsteiner auch im Wettbewerb mit strategischen Gruppen durchsetzungsfähig sind (siehe S. 171). Die Evoked-set-Schnittmenge in Tabelle 4-17 (Zelle [4,1]) zeigt, daß nur etwa jeder sechste Befragte ( = 16%), der zukünftig die Marke Warsteiner kaufen möchte, gleichzeitig darüber nachdenkt, Marken der strategischen Gruppe C zu erwerben. Umgekehrt (Zelle [1,4]) denkt fast jeder zweite Befragte (=46%), der zukünftig die Marken der strategischen Gruppe C kaufen möchte, zugleich darüber nach, die Marke Warsteiner zu erwerben. Abbildung 4-11 zeigt den bilateralen Imagewettbewerb im Evoked-set zwischen dem Marktführer Warsteiner und der strategischen Gruppe C, wobei 34% der Kaufabsicht von Warsteiner und 25% der Kaufabsicht der strategischen Gruppe C durch Imagedimensionen erklärt werden.
,29 ,54
El was Besonderes Beste Herkunft
,84 ,68
1,00
Kaufabsicht
,00
Kaufabsich,
1.00
RMR-0,043
P=0,47
Harte Typen
,20 ,11
Guter Gcschmack
,90
Besonderer Genuß
,94
Schätzmethode-ML
Abb. 4-11:
OFI-O.96
AGF1=0,90
Evoked-set-basierte WISA zwischen Warsteiner und der strategischen Gruppe C (Holsten und Karlsberg)
176
Teil IV: Anwendung von Methoden der strategischen Marktforschung im Premium-Pilsmarkt
Die Korrelationsmatrix für die latenten exogenen Variablen in Abbildung 4-11 gibt Tabelle 4-19 wieder. Das Ergebnis zeigt, daß die
Imagedimension
{Männer} der strategischen Gruppe C mit keiner anderen Dimension eine signifikante Korrelation aufweist. Die relativ hohe Korrelation zwischen den Imagedimensionen {Exklusivität} und {Internationalität} von Warsteiner (=0,57), kann - ebenso wie im Kausalmodell zwischen Warsteiner und Bitburger (siehe Abb. 4-8, S. 157) - als Indiz für die Existenz eines Halo-Effektes interpretiert werden (siehe auch S. 158). Exklusivität Exklusivität /
'
„Warsmtmx" j l -V-'.ilii „Straieg, Gruppe
!:1ifc;'i;i IC
-¡L-i
Waisfeiner "
Tab. 4-19:
Männer
Inieniaiionalität
„Strateg. Gruppe C "
„Warsteiner"
1,00 0,43
1,00
Ck
MMmm „Siraieg Gruppe
Genuß „Stratcg. G r u p p e € "
C
0,25
0,18
(nicht signifikant)
(nicht signifikant)
0,57
0,39
1,00 0,12
1,00
(nicht signifikant)
Korrelationsmatrix der latenten exogenen Variablen
In Abbildung 4-11 kann die Kaufabsicht von Warsteiner durch die eigene Imagedimension {Exklusivität} positiv beeinflußt werden. Eine Verbesserung der Wahrnehmung der Konsumenten auf dieser Imagedimension durch verstärkte Kommunikation hätte zur Folge, daß sich von den Personen, die sowohl die Marke Warsteiner als auch die Marken der strategischen Gruppe C in ihrem Evoked-set haben, ceteris paribus mehr Personen für Warsteiner entscheiden und damit die Kaufabsicht von Warsteiner erhöhen würden. Hierbei ist allerdings zu beachten, daß sich Warsteiner auf der Imagedimension {Exklusivität} bereits auf einem relativ hohen Niveau (=4,0) befindet (zur „Füllhöhenproblematik" siehe S. 157 und S. 160). Eine Verbesserung auf dieser Imagedimension wäre deshalb nur schwer bzw. mit hohen Kommunikationsaufwendungen zu realisieren, wobei der Grenznutzen einer derartig anvisierten Positionierungsstrategie schwierig abzuschätzen ist. Die strategische Gruppe C beeinflußt einerseits mit ihrer Imagedimension {Genuß} - bei einem Niveau von 3,7 - die Kaufabsicht von Warsteiner negativ. Eine Erhöhung der Wahrnehmung auf dieser Dimension würde die Kaufabsicht von Warsteiner folglich negativ beeinflussen. Andererseits wirkt die Imagedimension {Männer} der strategischen Gruppe C - bei einem Niveau von 3,1 - negativ auf die Kaufabsicht von Warsteiner. Dies ist plausibel, da die Marken Karlsberg und Holsten bereits innerhalb des Imagedifferentials (siehe Abb. 4-3 auf S. 132) auf dem Item [Harte Typen] die höchste Bewertung erhielten. Das Ergebnis deckt sich zudem mit ihrer momen-
Teil IV: A n w e n d u n g v o n M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im
177
Premium-Pilsmarkt
tan favorisierten Positionierungsstrategie, die primär maskuline Werbebotschaften zum Inhalt hat. Die Konsummarke Karlsberg wirbt mit dem Slogan „Das Bier f ü r den Mann im Mann", während die Konsummarke Holsten den Begriff „Männerwirtschaft" kommuniziert. Ob das Wahrnehmungsniveau auf dieser Imagedimension zukünftig erhöht werden sollte, kann nicht eindeutig beantwortet werden, da - wie im Fall von Beck's (siehe S. 165) - eine verstärkt maskuline Kommunikationsansprache auch mit Verlusten der Kaufabsicht verbunden sein kann. Die Kaufabsicht der strategischen Gruppe C kann im Wettbewerb mit dem Marktführer Warsteiner lediglich durch die eigene Imagedimension {Genuß} positiv beeinflußt werden. Damit besitzt die strategische Gruppe C lediglich einen Steuerungshebel, um positiven Einfluß auf die eigene Kaufabsicht zu nehmen. Eine Verbesserung auf dieser Imagedimension scheint bei einem derzeitigen Niveau von 3,7 eine potentiell ertragreiche Strategie zu sein. Zusätzlich wird die Kaufabsicht der strategischen Gruppe C von der
USP-Dimension
{Internationalität} des Wettbewerbers Warsteiner negativ beeinflußt. Da Warsteiner auf dieser Imagedimension ein identisches Wahrnehmungsniveau ( = 4,0) wie auf seiner Imagedimension {Exklusivität} aufweist, gelten die zuvor gemachten Ausführungen (siehe S. 176) in gleichem Umfang. Tabelle 4-20 gibt zusammenfassend
den Imagewettbewerb
zwischen
dem
Marktführer Warsteiner und den strategischen Gruppen A (Beck's, Bitburger und Jever), B (König-Pilsener, Krombacher und Veltins ) und C (Holsten und Karlsberg) wieder. ImagedimtRSiönen von
Warsteiner
Imagedimensionen
der
strategischen Gruppe i Basis
Oligopol
1. U S P
Basis
Oligopol
Fallzahl
Genuß
Herbheit
Exklusivität
nationalität
Genuß
Herbheit
Gruppe i
-0,46
0,50
Warsteiner{20%)
U S P der strategischen
Inter-
Erklärte Varianz der Kaufabsicht der strategischen Gruppe i
2. U S P
287 Strategische Gruppe A (25%) Warsteiner
{20%)
-0,40
0,48
0,56
-0,44
-0,42
0,43
0,66
-0,41
294 Strategische Gruppe B (19%)
0,26 -0,35
Warsteiner (34%)
(Männer)
81 Strategische Gruppe C (25%)
Tab. 4-20:
-0,50
0,50
Stellung der Marke Warsteiner im Imagewettbewerb mit strategischen Gruppen
178
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im Premium-PiLsmarkt
Tabelle 4-20 verdeutlicht, daß Warsteiner primär auf seiner USP-Dimension {Exklusivität} positioniert ist. Die USP-Dimension {Internationalität} konnte im Wettbewerbermodell mit der strategischen Gruppe C und die Basis-Dimension {Genuß} im Wettbewerb mit der strategischen Gruppe A nachgewiesen werden. Damit kann die in Teil IV-2.2.1.2 (S. 171) aufgestellte Hypothese, daß die USP-Positionierungen von Warsteiner nicht nur im Wettbewerb zwischen Marken, sondern auch mit strategischen Gruppen Bestand haben, durch die Empirie bestätigt werden. Die Analysen belegen, daß die strategischen Gruppen A, B und C auf der Basisdimension {Genuß} positioniert sind, wobei sie die eigene Kaufabsicht jeweils positiv und die Kaufabsicht von Warsteiner jeweils negativ beeinflussen. Zusätzlich hält die USP-Dimension {Männer} der strategischen Gruppe C vom Kauf der Marke Warsteiner ab, während die Oligopol-Dimension {Herbheit} der strategischen Gruppe B die eigene Kaufabsicht positiv beeinflußt.
2.2.3.2
Extrakt der Evoked-set-basierten WISA-Ergebnisse im PremiumPilsmarkt für strategische Gruppen
Gegenstand dieses Abschnittes ist eine zusammenfassende Darstellung
der
Evoked-set-basierten WISA-Ergebnisse für strategische Gruppen. Tabelle 4-21 zeigt im Überblick, auf welchen Imagedimensionen Warsteiner und die strategischen Gruppen A, B und C positioniert sind. Eine differenzierte Ergebnisübersicht je strategische Gruppe ist - wie zuvor für den Marktführer Warsteiner (siehe Tab. 4-20) - dem Anhang 4-3 zu entnehmen. Warsteincr 1
Genuß -
-
-
-
-
Strategische , Gruppe A
Strategische Gruppe B
s Strategische Gruppe C
3
2
3
1
3
-
Herbheit Exkiusjviföi
3
.taernatioaaütät
1
1
1 (*)
Männer Besonderes Bier
Tab. 4-21:
1 (*)
1 (*)
Positionierung der strategischen Gruppen
Teil IV: A n w e n d u n g v o n Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
179
Für den Marktführer Warsteiner und die drei strategischen Gruppen wurden jeweils drei bilaterale Kausalmodelle berechnet, wobei die gleichen Meßmodelle verwandt wurden wie innerhalb der Evoked-set-basierten WISA zwischen den Premium-Pilsmarken (siehe Teil IV-2.1.2.1). Da die Stichprobengrößen in den bilateralen Wettbewerbermodellen zwischen der strategischen Gruppe C und Warsteiner (N = 81), der strategischen Gruppe C und der strategischen Gruppe A ( N = 1 3 1 ) sowie der strategischen Gruppe C und der strategischen Gruppe B (N = 78) kleiner als 200 sind (siehe Tab. 4-17, S. 172), dürfen Imagedimensionen, die in nur einem bilateralen Wettbewerbermodell nachgewiesen werden, nur beschränkt zur Beurteilung der Stellung einer strategischen Gruppe im Imagewettbewerb herangezogen werden (siehe S. 68). Sie sind in Tabelle 4-21 mit einem Stern (*) gekennzeichnet. Die übrigen nur einmal im Wettbewerb mit strategischen Gruppen nachgewiesenen Imagedimensionen können in vollem Umfang zur Interpretation herangezogen werden, da die jeweiligen Stichprobengrößen entweder weit über 200 liegen (siehe Tab. 4-17) oder im Fall von Warsteiner bereits im Imagewettbewerb zwischen Premium-Pilsmarken
nachge-
wiesen werden konnten (siehe Tab. 4-15, S. 165).
Tabelle 4-21 zeigt, daß sich der Marktfiihrer Warsteiner und die strategischen Gruppen A, B und C auf der Basis-Dimension {Genuß} positionieren können, während die Oligopol-Dimension {Herbheit} von den strategischen Gruppen A (Beck's, Bitburger und Jever) und B (König-Pilsener, Krombacher und Veltins) besetzt wird. Zudem wird deutlich, daß sich der Marktführer Warsteiner (siehe auch Teil IV-2.2.3.1) und die strategischen Gruppen A, B und C auf USPDimensionen positionieren können: Der strategischen Gruppe A (Beck's, Bitburger und Jever) gelingt dies mit der USP-Dimension {Besonderes Bier}, die im Imagewettbewerb mit der strategischen Gruppe C negativ auf deren Kaufabsicht wirkt (siehe Anhang 4-3). Die Marken der strategischen Gruppe C (Holsten und Karlsberg) konnten in vergangenen Analysen als unterhalb der Premium-Pilsmarken angesiedelte Konsummarken identifiziert werden. Dies bestätigt sich auch innerhalb der Evoked-setbasierten WISA für strategische Gruppen,
nachdem mit der
strategischen
Gruppe A eher die Eigenschaft des „Besonderen an einem Bier" assoziiert wird. Die USP-Dimension {Besonderes Bier} der strategischen Gruppe A stellt dabei einen Hinderungsgrund für den Kauf der Marken der strategischen Gruppe C dar.
180
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Die strategische Gruppe B (König-Pilsener, Krombacher und Veltins) positioniert sich im Wettbewerb mit der strategischen Gruppe A auf der USP-Dimension {Exklusivität}, die bisher nur von Warsteiner besetzt wurde. Andererseits beeinflußt die USP-Dimension {Besonderes Bier} der strategischen Gruppe B die Kaufabsicht der strategischen Gruppe C (Holsten und Karlsberg) negativ (siehe Anhang 4-3). Insofern gelten die zuvor für die strategische Gruppe A gemachten Ausführungen in gleichem Maße. Die strategische Gruppe C (Holsten und Karlsberg) kann lediglich mit seiner USP-Dimension {Männer} negativen Einfluß auf die Kaufabsicht des Marktführers Warsteiner ausüben. Darüber hinaus sieht sich die strategische Gruppe C vielfältigen potentiellen Gefahren der übrigen strategischen Gruppen ausgesetzt. Die Kaufabsicht der strategischen Gruppe C wird sowohl negativ von der BasisDimension {Genuß}, der Oligopol-Dimension {Herbheit} als auch von den USP-Dimensionen {Exklusivität}, {Internationalität} und {Besonderes Bier} beeinflußt (siehe Anhang 4-3). Die Ergebnisse der Evoked-set-basierten WISA für strategische Gruppen belegen, daß der Imagewettbewerb zwischen strategischen Gruppen teilweise auf anderen Imagedimensionen ausgetragen wird als innerhalb der Evoked-setbasierten WISA für die Premium-Pilsmarken (siehe Tab. 4-15). Anscheinend werden durch die Zusammenfassung der Pilsmarken zu strategischen Gruppen gleichzeitig auch die zuvor existenten USP-Dimensionen dieser Marken nivelliert. An ihren Platz tritt neben der Imagedimension {Exklusivität} die Dimension {Besonderes Bier}, die eine eher globale Präferenz gegenüber den strategischen Gruppen A und B zum Ausdruck bringt. Die für die einzelnen strategischen Gruppen nachgewiesenen USP-Dimensionen können als Mobilitätsbarrieren (siehe Teil III-1.4.2.2) interpretiert werden, die zumindest mittelfristig relativ stabile und verteidigbare Gebilde darstellen, welche nicht ohne weiteres durch andere strategische Gruppen überwunden werden können.
Teil IV: A n w e n d u n g v o n Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
2.3
181
Kritische Würdigung und Modifikationsvorschläge zur Evoked-setbasierten WISA
Die empirischen Ergebnisse im Premium-Pilsmarkt haben gezeigt, daß die kausalanalytische WISA im Evoked-set die Beschränkungen konventioneller Positionierungsverfahren überwindet und eine realitätsnahe Abbildung des Imagewettbewerbs ermöglicht. Klassische Positionierungsmodelle und die Evoked-setbasierte WISA sollen jedoch nicht als sich gegenseitig ausschließende, sondern als komplementäre Analysen aufgefaßt werden. Durch den Transfer der kausalanalytischen WISA auf das Konzept des Evoked-set wurde nachgewiesen, daß hierdurch entscheidungsrelevante Informationen für das strategische Management generiert werden. Damit gewinnen derartige Analysen erheblich an Praxisrelevanz. Zudem konnte durch die Übertragung der Evoked-set-basierten WISA auf das Konzept der strategischen Gruppen im Premium-Pilsmarkt gezeigt werden, daß für strategische Gruppen spezifische Imagedimensionen von Bedeutung sind, die als gruppenspezifische Mobilitätsbarrieren interpretiert werden können. Damit wurden weitere relevante strategische Informationen generiert, die die Qualität der Positionierungsentscheidung des Unternehmens verbessern helfen. Dennoch können auch mit Hilfe einer Evoked-set-basierten WISA nicht alle für die Praxis relevanten Fragestellungen beantwortet werden, weshalb nachfolgend sinnvolle Modifikationsvorschläge diskutiert werden sollen: In Teil III-1.4.1 sowie Teil IV-2.1 und 2.2 wurden die Vorteile, die aus einer Fokussierung auf das Evoked-set der Befragten resultieren, diskutiert. Dem stehen allerdings auch Beschränkungen bzw. ein Erweiterungsbedarf gegenüber. In der jetzigen Konzeption der Evoked-set-basierten WISA wird Imagewettbewerb nur zwischen den Marken analysiert, die in den Evoked-sets der Befragten tatsächlich um Kaufanteile konkurrieren. Die jetzige Vorgehensweise beantwortet mithin folgende Frage: Welche Imagedimensionen beeinflussen die Kaufabsicht einer Marke unter der Nebenbedingung, daß Befragte die betreffenden Marken auch in ihrem Evoked-set haben. Keine Aussagen können über die Befragten gemacht werden, deren Evoked-set aus nur einer der neun Pilsmarken besteht. Die wichtige Gruppe der markentreuen Konsumenten wird damit vernachlässigt. Ein weiteres Problem besteht darin, daß für Marken, die über eine geringe Evoked-set-Präsenz verfügen, die Evoked-set-basierte WISA für bilaterale Wettbewerbsbeziehungen aufgrund geringer Fallzahlen nicht durchgeführt werden kann (siehe Holsten oder Karlsberg in Tab. 4-8, S. 150).
182
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
In der jetzigen Konzeption der Evoked-set-basierten WISA werden ausschließlich Konsumenten berücksichtigt, die die betreffende Marke in ihrem Evoked-set haben. Die Frage, welche Imagedimensionen dafür verantwortlich sind, daß eine Marke bewußt abgelehnt wird, stellt eine zusätzlich relevante Information für die Entscheider dar. Eine Erweiterung der Evoked-set-basierten WISA würde deshalb darin bestehen, neben dem Evoked-set zusätzlich das Hold- oder Reject-set (siehe Teil III-1.4.1.1.2) zu analysieren. Da sich diese Markensets ebenfalls im Processed-set befinden, können die Befragten aufgrund des klaren Markenbildes Aussagen über die betreffenden Marken abgeben. Weitet man die Evoked-set-basierte WISA folglich auf das Processed-set aus, so muß die WISA-Methodik leicht modifiziert werden. Die Kaufabsicht kann dann nicht mehr als latente endogene Variable ( = abhängige Variable) modelliert werden, da Befragte, die die Marke in ihrem Reject-set haben, auf einer Konstantsummenskala Punkte verteilen müßten, obwohl die Marke per Definition keine relevante Alternative darstellt. Deshalb müßte als abhängige Variable eine der Kaufabsicht vorgelagerte Größe, wie z. B. die Präferenzrangfolge der Marken im Processed-set der Befragten, verwendet werden. Man würde dann die Frage beantworten, welche Imagedimensionen einer Marke maßgeblichen Einfluß auf die Präferenzrangfolge der Befragten haben. Vergleicht man den gestützten Bekannheitsgrad der Marken König-Pilsener und Holsten miteinander, so fällt auf, daß diese sich nur geringfügig voneinander unterscheiden (siehe Abb. 4-2, S. 128). Während das Awareness-set dieser Marken also in etwa identisch ist, unterscheiden sie sich erheblich hinsichtlich ihrer Evoked-set-Präsenz (siehe Tab. 4-8, S. 150). Danach haben 259 Befragte die Marke König-Pilsener und 109 Befragte die Marke Holsten in ihrem Evoked-set. Werden Imagedaten über die Marken erhoben, die die Befragten in ihrem Processed-set haben, so kann man den Einfluß von Imagedimensionen auf ihre Zugehörigkeit zum Evoked-, Reject- oder Hold-set untersuchen.
Dies
könnte mit einem Logit-Modell (Demaris 1992; Tiede 1995) realisiert werden, bei dem die noch offene Forschungsfrage beantwortet würde, durch welche Imagedimensionen die einzelnen Subsets des Processed-set determiniert werden. Als abhängige Variable würde man im Unterschied zur herkömmlichen Modellierung die Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit einer Marke zum Evoked-, Reject- oder Hold-set verwenden. Die unabhängigen Variablen werden durch die Imagedimensionen abgebildet. Diese Vorgehensweise stellt damit ebenfalls
183
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im Premium-Pilsmarkt
eine
Erweiterung der Evoked-set-basierten
WISA dar,
indem neben
dem
Evoked-set zusätzlich noch das Reject- und das Hold-set analysiert würden. Mit Zwei-Wellen-Faktorenanalysen (Pfeifer/Schmidt 1987, S. 88 ff.) kann durch einen zweiten Meßzeitpunkt untersucht werden, inwieweit sich Einflußrichtung und Stärke der Imagedimensionen auf die Kaufabsicht der Wettbewerber im Zeitablauf verändern. Damit kann die Evoked-set-basierte WISA zur Werbeerfolgskontrolle eingesetzt werden, um durch Kommunikationsmaßnahmen induzierte Imageveränderungen zwischen zwei Meßzeitpunkten zu erfassen. Die Evoked-set-basierte WISA ist ein strategisches Analysemodell, jedoch kein Entscheidungsmodell.
Im Falle komplexer Kausalmodelle
ist folglich eine
unmittelbare „Strategieoptimierung" im Sinne einer Erleichterung der WISAUmsetzung
in
Strategien
nicht
möglich.
Um
Evoked-set-basierte
WISA-
Ergebnisse für Positionierungsentscheidungen voll nutzbar zu machen, sollen diese neben qualitativ-weichen Informationen die Grundlage für ein Simulationsmodell darstellen. Im Rahmen semi-quantitativer What-If-Analysen (siehe Teil III-2.1.2.2) können dann die Konsequenzen alternativer Positionierungsstrategien getestet werden, um deren Erfolgswahrscheinlichkeit „grob" abzuschätzen. Dies ist Aufgabe der Erweiterung des Modells zur WISA-What-IfAnalyse (WISAWI), die u. a. im folgenden Kapitel am Beispiel des PremiumPilsmarktes behandelt wird.
184
3.
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Sensitivitätsmodell und WISAWI als Methoden zur dynamischen Komplexitätsbewältigung
Der Premium-Pilsmarkt wurde in Teil IV-2 durch Anwendung von Methoden und Methodenkombinationen zur statischen Komplexitätsbewältigung analysiert. Der eigentlich dynamische Imagewettbewerb im Premium-Pilsmarkt
verlangt
jedoch nach einer methodischen Ergänzung, um der Erfordernis nach einer dynamischen Komplexitätsbewältigung
gerecht werden zu können.
Deshalb
werden im folgenden die in Teil III-2 diskutierten Methoden und Methodenkombinationen zur dynamischen Komplexitätsbewältigung
im
Premium-Pils-
markt zur Anwendung kommen und somit kritisch mit der Realität konfrontiert.
3.1
Systemanalyse im Premium-Pilsmarkt unter Anwendung des Sensitivitätsmodells
U m die Problemstellung „Premium-Pilsmarkt" ganzheitlich erfassen und abbilden zu können, wurde im März 1994 ein dreitägiger Workshop abgehalten, in dessen Rahmen die Arbeitsschritte des Sensitivitätsmodells zur
Anwendung
kamen (siehe Teil III-2.1.2). Das interdisziplinäre Projektteam bestand einerseits aus Mitarbeitern der GfK, Nürnberg, deren jahrelange Marktforschungs-Praxis mit Bierbrauern sie zu ausgewiesenen Experten des Biermarktes macht, und andererseits aus Mitarbeitern des Lehrstuhls Marketing I der Technischen Universität Berlin, die u. a. das methodische Know-how des Sensitivitätsmodells miteinbrachten. Teil IV-3.1.1, 3.1.2 und 3.2 stellen folglich eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Sensitivitätsmodellierung im Premium-Pilsmarkt dar.
Zielsetzung der Sensitivitätsmodellierung im Premium-Pilsmarkt ist die Entwicklung eines Standardinstrumentariums für Brauereikunden der G f K . Dieses Standardinstrument bzw. dessen Applikationen sollen dabei nicht nur auf einen speziellen Brauer anwendbar, sondern auch auf andere Brauereien übertragbar sein. Dies hat den Vorteil, daß bei Kunden bzw. potentiellen Kunden der G f K die zeitintensive Vorarbeit (Variablensatzerstellung
etc.) vermieden
werden
kann. Nach geringfügiger Modifikation dieses Standardinstruments mit dem Kunden könnte die GfK relativ schnell relevante Teilszenarien gemeinsam mit
Teil IV: A n w e n d u n g v o n M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
185
dem Brauer generieren und diese anschließend im Rahmen semi-quantitativer Sensitivitätsanalysen testen. Das Vorgehen des Sensitivitätsmodells für den Premium-Pilsmarkt basiert auf einer vernetzten Logik, in der die einzelnen Arbeitsschritte (siehe Teil III-2.1.2) iterativ durchlaufen werden, und bei dem der Anwender ständig neues Datenund Faktenwissen über den fokussierten Realitätsbereich gewinnt. Beginnend mit der Systembeschreibung,
die ein grobes Erfassen des Problemfeldes
verfolgt, führt der Weg über den Variablensatz (siehe Teil IV-3.1.1.1), mit dem das Entwickeln einer gemeinsamen Sprache angestrebt wird, weiter zur Kriterienmatrix (siehe Teil IV-3.1.1.2), mit deren Hilfe die Vollständigkeit der Abbildung überprüft wird. Anschließend dient die Einflußmatrix dem Erfassen der direkten Einflußbeziehungen, deren Auswertung eine Rollenverteilung ergibt (siehe Teil IV-3.1.2.1), durch die man den kybernetischen Charakter der Variablen verstehen lernt. Mit dem Wirkungsgefüge (siehe Teil IV-3.1.2.2) wird weiterhin die komplexe Systemstruktur handhabbar gemacht, die dann am Beispiel des Teilszenarios „Preisstrategie"
(siehe Teil IV-3.1.2.3) vertieft
untersucht wird. Dieses Teilszenario dient zugleich als Grundlage für die Dynamisierung der vernetzten Zusammenhänge innerhalb semi-quantitativer Sensititivitätsanalysen (siehe Teil IV-3.1.2.4), aus deren Resultaten systemverträgliche Strategien entwickelt werden können.
Bei dem Sensitivitätsmodell handelt es sich jedoch nicht um eine exakte Entscheidungsmethodik, deren strikte Anwendung die beste Lösung zu finden verspricht. Es handelt sich vielmehr um eine Heuristik, „... d. h. um eine Reihe von Verfahrensregeln, die die Wahrscheinlichkeit des Findens einer 'guten' Lösung erhöhen, aber nicht garantieren" (Ulrich/Probst 1991, S. 113).
186
Teil IV: Anwendung von Methoden der strategischen Marktforschung im Premium-Pilsmarkt
3.1.1
Systembestimmung im Premium-Pilsmarkt
3.1.1.1
Systembeschreibung und Erstellen des Variablensatzes
Die Systembeschreibung stellt das Ergebnis einer Brainstorming-Sitzung dar, in der mittels Metaplantechnik alle Daten, Zahlen, Fakten und Meinungen gesammelt wurden (etwa 100), die für den Premium-Pilsmarkt relevant sind. Zusätzliche Informationsquellen, wie der Lehrstuhl für Brauereiwesen der TU Berlin, die Industrie und Handelskammer Berlin sowie das Erfahrungswissen eines Marketingmanagers einer Berliner Brauerei, rundeten den Input für die Systembeschreibung ab. Das zu analysierende System „Premium-Pilsmarkt" wurde dabei immer aus der Sicht eines fiktiven Brauers betrachtet. Die interdisziplinäre Zusammensetzung des Projektteams gewährleistete eine objektive Systemidentifikation und Systemabgrenzung, die die Grundlage für eine ganzheitliche Erfassung der Zusammenhänge im Premium-Pilsmarkt darstellen. Da die innerhalb der Systembeschreibung generierten Begriffe etc. eine noch unsystematische und redundante Sammlung von Einflußgrößen darstellen, ergibt eine Verdichtung dieser Begriffe einen vorläufig systemrelevanten Variablensatz (siehe Tab. 4-22). 1.
Konkurrenzdruck
2.
Sortimentsumfang
3.
G e s e t z l i c h e Restriktionen
4.
Image
5.
Distributionsintensität
6.
Distributionsqualität
7.
Preisaggressivität
8.
Kommunikationsanstrengungen
9.
Ausstattungsniveau
10.
Marktattraktivität
11.
P r o d u k t i n v o l v e m e n t Bier
12.
Ö k o l o g i s c h e s V e r h a l t e n des U n t e r n e h m e n s
13.
Ö k o l o g i s c h e s V e r h a l t e n der K o n s u m e n t e n
14.
Segmentierungsgrad
15.
Kosten
16.
Macht der Absatzmittler
17.
Marktposition
Tab. 4-22: Variablensatz im PremiumPilsmarkt
187
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im Premium-Pilsmarkt
Zum jeweiligen Variablennamen in Tabelle 4-22 gehört eine Variablenbeschreibung mittels Indikatoren (siehe Anhang 4-4), wobei diese, anders als die meist qualitative Hauptvariable, weit eher quantifizierbar sind. Im Laufe des Projektes mußte die Beschreibung einzelner Variablen modifiziert werden, um ihnen mehr Profil zu geben bzw. um sie eindeutiger von anderen Variablen abzugrenzen. Weiterhin zeigte sich, daß die zunächst für relevant erachtete Variable „Qualität des Bieres" der Variable „Image" zugeordnet wurde, während die Variablen „Unternehmenspotential"
(Führungsqualität,
Unternehmenskultur
etc.)
und
„Technologiestärke" (Produktionsprozeßgüte, Produktionsflexibilität etc.) aufgrund ihres geringen Beeinflussungspotentials für die weitere Analyse keinerlei Berücksichtigung fanden.
3.1.1.2
Kriterienmatrix - Überprüfung des Variablensatzes auf Systemrelevanz
Mit der Kriterienmatrix, die den vorläufigen Variablensatz auf Systemrelevanz überprüft, wird das Ziel verfolgt, das komplexe System „Premium-Pilsmarkt" mit wenigen Schlüsselvariablen repräsentativ abzubilden. Tabelle 4-23 zeigt, daß der Variablensatz (siehe Teil IV-3.1.1.1) sämtliche Kriterien des Kriterienrasters abdeckt. In der Kriterienmatrix, in der gefragt wird, „was die Variable selbst ist", erfolgt für den Lebensbereich „Wirtschaft" eine Schwerpunktbildung (Spaltensumme = 11). Dies verwundert nicht, da es sich bei der Sensitivitätsmodellierung im Premium-Pilsmarkt um eine betriebswirtschaftliche Fragestellung handelt. Die übrigen Lebensbereiche sind mit Werten zwischen 3 ( = „Ökologie & Ressourcenhaushalt" sowie „Gesellschaft und Staat") und 7 ( = „Befinden der Marktakteure") relativ ausgewogen repräsentiert. Die nur schwach ausgeprägte Ökologieorientierung der Bierbranche läßt sich durch das ökologisch unproblematische Produkt Bier erklären.
188
Sortimentsumfang
Image Distribu lions intensität Distributionsqualitäi Preisaggressivität Kommunikationsanstrengungen Ausstattungsniveau
Ökolog. Verhallendes Unternehmens Ö k o l o g . Verhalten der K o n s u m e n t e n
Summe:
Tab. 4-23:
•
O
• • • • •
• •• ••
4.5
4,5
7,0
o 3.0
5.5
o 3.0
3.5
Von außen beeinflußbar
Von innen beeinflußbar
Öffnet durch Input
Öffnet durch Output
• • o • • • • • • O
o O o o • o o o o
• • • • o o o • o •
O • • • O • • o • • o • o • O • o O o • • o • • o • • o o • o • • • • • o o • • • • o o o o • • o • o • o o • •
7.0
8,5
7.5
O •
• O
• • •
12,0
• • O • o • • o • • • o
Räumliche Dynamik
Strukturgröße
Zeitliche Dynamik
Flußgröße
Energie
Information
Materie
• •
o
• • •
O • • o • •
•
o o
• •
O
o o o o o • o • • o o • o o 11.0
Gesellschaft und Staat
heziehung
Infrastruktur - dynamisch
System-
Kategorie
Ökologie & Ressourcenhaushalt
Dynamische
Kategorie
Befinden der Marktakteure
Marktteilnehmer
o
•
P r o d u k l t n v o l v e m e n t Bier
Marktposition
Physikalische
• O • • • 0 •
Marktattraktivität
Macht d e r Absatzmittler
o
O
Gesetzliche Restriktionen
Kosten
Lebensbereiche
• • O • •
Konkurrenzdruck
Segmentierungsgrad
Systemaufbau - statisch
Wirtschaft
Teil IV: Anwendung von Methoden der strategischen Marktforschung im Premium-Pilsmarkt
7,0
11.0
• •
O
8,0
8.0
11.5
11.5
Kriterienmatrix im Premium-Pilsmarkt ( • = voll z u t r e f f e n d ( 1 , 0 ) ; 0 = t e i l w e i s e z u t r e f f e n d ( 0 , 5 ) )
Innerhalb der „physikalischen Kategorien" ist das Kriterium „Information" ( = 1 2 ) am stärksten repräsentiert. Dies läßt sich durch die Bedeutung der vielen Entscheidungs- und Kommunikationsprozesse
der Marktteilnehmer
erklären.
Die Kategorien Materie und Energie besetzen Spaltensummen von 3,5 bzw. 7. Die vier „dynamischen Kategorien" sind relativ gleichmäßig besetzt (von 11 bis 7). Die „zeitliche Dynamik" ( = 1 1 ) ist ein Indiz für die Veränderungsgeschwindigkeit einzelner Variablen in diesem System. Der relativ niedrige Wert der „räumlichen Dynamik" ( = 7) erklärt sich aus der beschränkten geographischen Variabilität der Brauer. „Struktur- und Flußgrößen" sind mit Werten von 7 bzw. 8,5 ähnlich stark repräsentiert. Innerhalb der „Systembeziehungen" ist besondere Sorgfalt darauf zu legen, daß sich Input- und Outputgrößen einigermaßen die Waage halten (hier: 8 zu 8 und 11,5 zu 11,5). Die Variablen der Kategorie „von innen beinflußbar" ( = 1 1 , 5 )
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im Premium-Pilsmarkt
189
lassen dem Brauer viele Möglichkeiten offen, sein System selbst aktiv zu beeinflussen. Umgekehrt zeigt die Kategorie „von außen beeinflußbar" (=11,5), daß das Beeinflussungspotential der Außenwelt ebenfalls stark ausgeprägt ist. Wie bei der Erkennung kognitiver Muster kommt es auch bei der Erfassung des Premium-Pilsmarktes primär auf die Auswahl der Variablen, auf ihr Verhältnis zueinander und auf ihre Vollständigkeit an. Ein grobes, aber alle Aspekte berücksichtigendes Modell mit wenigen Schlüsselvariablen ist dabei besser geeignet als ein noch so detailliertes, aber einseitiges Modell (Vester 1990, S. 33). So wird erreicht, daß trotz der Aggregation der Input für die Variablen aus möglichst vielen unterschiedlichen Bereichen und Ebenen stammt. Der systemrelevante Variablensatz
stellt folglich die Basis der Systemmodellierung
im
Premium-Pilsmarkt dar. Damit dürfte die darauf aufbauende Sensitivitätsmodellierung und -analyse weitgehend verläßlich sein, da auch nicht erfaßte Systemkomponenten latent in den Variablen und ihren Wechselwirkungen enthalten sind.
3.1.2
Modellierung und Analyse der Systemzusammenhänge im Premium-Pilsmarkt
3.1.2.1
Einflußmatrix und kybernetische Rolle der Variablen
Mit der Einflußmatrix erfolgt die systematische Erfassung aller Interdependenzen des systemrelevanten Variablensatzes und die Bewertung ihrer Intensität (siehe Tab. 3-7, S. 103), wobei keine quantitative Exaktheit im Detail verfolgt wird. Zu diesem Zweck wurden die Teilnehmer des Workshops in zwei Arbeitsgruppen aufgeteilt, um möglichst viele verschiedene Sichtweisen in die später zu erstellende Konsens-Einflußmatrix (siehe Tab. 4-24) einfließen zu lassen. Damit wurden die Variablen neuerlich auf ihre inhaltliche Plausibilität überprüft.
12
13
14
15
16
17
0
1
0
2
0
1
1
16
448
0
1
0
2
0
2
2
0
0
0
0
2
3
0
1
15
165
0
1
1
1
1
2
2
0
3
1
0
3
1
0
19
57
0
0
0
2
0
0
2
0
0
0
0
1
3
10
170
2
0
0
0
2
1
0
0
0
2
2
1
14
126
1
1
1
0
0
0
0
0
3
2
1
12
216
2
0
3
0
I
0
1
0
0
1
15
195
0
0
3
0
2
0
3
1
2
16
416
0
0
0
1
0
3
0
1
9
0
1
0
2
0
1
0
15
1
2
1
0
0
0
13
104
1
1
2
0
0
15
225
1
0
0
0
14
98
3
1
2
18
234
0
2
10
240
1
21
252
18
288
2 Sorlimentsumfang
2
X
3 Gesetzliche Restriktionen
2
1
4 Image
2
0
0
X X
5 Distributionsintensität
2
0
0
2
6 Distributionsqualität
1
0
0
1
1
7 Preisaggressivität
3
0
0
3
0
I
8 Kommunikationsanstrengungen
2
0
0
3
0
0
0
9 Ausstattungsniveau
X X
X X
Aktivsumme (AS)
|
1
0
0
2
0
0
0
1
10 Marktattraktivität
3
2
0
0
0
2
2
2
11 P r o d u k t i n v o l v e m e n t Bier
0
2
0
0
0
0
2
3
0
2
12 Ö k o l o g . V e r h a l t e n d e s U n t e r n e h m e n s
1
1
0
2
0
2
0
2
2
0
13 Ö k o l o g . V e r h a l t e n d e r K o n s u m e n t e n
0
2
2
0
0
1
0
1
2
1
1
3
14 S e g m e n t i e r u n g s g r a d
3
1
0
1
2
1
0
3
1
0
0
0
15 K o s t e n
0
0
0
0
1
1
2
1
0
0
0
3
0
0
16 M a c h t d e r A b s a t z m i t t l e r
3
1
0
0
2
2
2
1
2
2
0
1
0
2
2
17 M a r k t p o s i t i o n
3
0
1
2
1
I
I
2
1
2
0
I
0
1
0
2
Passivsumme (PS)
28
II
3
17
9
18
13
26
13
17
8
15
7
13
24
12
16
Q = ( A S : P S ) x 100
57
136
633
59
156
67
115
62
69
88
163
100
200
138
42
175
113
Tab. 4-24:
X
Marktposition]
II
3
Kosten]
| Ökolog. Verhalten der Konsumenten]
10
0
Macht der Absatzmittler
|
9
2
Segmentieningsgrad|
Ökolog. Verhalten des Unternehmens
|
8
2
Marktattraktivität|
[
7
2
c Q
Produktinvolvement Bier|
Ausstattungsniveau|
|
6
1
oc o
Preisaggressivität|
Kommunikationsanstrengungen|
j
5
0
[mage| 4
0
Distributionsintensität|
3
1
1 X
Gesetzliche Restriktionen|
2
Sortimentsumfang|
|
auf
|
Wirkung von 1 Konkurrenzdruck
|
|
Konkurrenzdruck|
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen Marktforschung im Premium-Pilsmarkt
|
190
0
X X
1
X X
0
X X
X X
t/i a. f-ruri Wiriinnix
GBnßöttir(jx
—Hatiieil aihrpT
Inteniationalitä Warteincr
Variablen im Zeitablauf bei Erhöhung der USP-Dimension {Internationalität}
Die sich innerhalb der Evoked-set-basierten WISA abzeichnende USP-Dimension {Internationalität} von Warsteiner wird im Rahmen der semi-quantitativen Sensitivitätsanalyse flankiert durch einen entsprechend hohen Werbedruck (in Abb. 4-21 nicht dargestellt), um das internationale Image der Marke in den Köpfen der
Konsumenten
zu
festigen.
Die
gezielte
Kommunikation
der
{Internationalität} der Marke führt ab der 3. Periode zu einer verbesserten Wahrnehmung
auf dieser
Dimension.
Bis zur
11.
Periode
verharrt
die
{Internationalität} von Warsteiner auf diesem hohen Niveau, um ab der 12. Periode noch einmal anzusteigen. Auf die autonom durch Bitburger zu beeinflussende Imagedimension {Herbheit} und auf das {Werbe}-Budget von Bitburger (in Abb. 4-21 nicht dargestellt) hat dies jedoch keinen direkten Einfluß. Die USP-Dimension {Internationalität} ist zudem nicht in der Lage, einen indirekten Einfluß über die {Kaufabsicht} von Warsteiner auf die {Werbung} von Warsteiner auszuüben. Folglich entspricht der Kurvenverlauf der Imagedimensionen {Genuß} und {Freude} von Warsteiner sowie der Imagedimension {Genuß} von Bitburger denen im Ausgangsmodell.
Die wahrgenommene Verbesserung auf der Imagedimension {Internationalität} führt dazu, daß die {Kaufabsicht} von Warsteiner von der 3. bis zur 10. Periode kontinuierlich ansteigt, um sich anschließend auf einem geringfügig niedrigeren Niveau zu stabilisieren. Die {Kaufabsicht} von Warsteiner liegt dabei im Ver-
212
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
gleich zum Ausgangsmodell deutlich über der {Kaufabsicht} von Bitburger. Die semi-quantitative Sensitivitätsanalyse zeigt, daß die Imagedimension {Internationalität} von Warsteiner zunächst nur positiven Einfluß auf die eigene {Kaufabsicht} hat. Ein indirekter negativer Effekt über die {Kaufabsicht} von Warsteiner auf die {Kaufabsicht} von Bitburger kann bis zur 10. Periode nicht realisiert werden. Dies gelingt erst durch die Kombination aus stark verbessertem {internationalem} Image, verbesserter {Genuß}-Wahrnehmung sowie einer ab der 10. Periode schwach verbesserten emotionalen Aufladung der Marke durch die Imagedimension {Freude}. Die semi-quantitative Sensitivitätsanalyse hat somit deutlich gemacht, daß eine Verbesserung der USP-Dimension {Internationalität} von Warsteiner eine gewinnträchtige Strategie darstellen kann, die für den Wettbewerber Bitburger gleichzeitig mit einem Rückgang seines Marktanteils verbunden ist. Im bilateralen Wettbewerb können mit dieser Strategie folglich Wettbewerbsvorteile für die Marke Warsteiner realisiert werden.
ad 2)
Erhöhung der Imagedimension {Herbheit} von Bitburger
In der nun folgenden semi-quantitativen Sensitivitätsanalyse (siehe Abb. 4-22) wird gezeigt, welche Auswirkungen zu erwarten sind, wenn der {Herbheits}bzw. Bitterwert der Marke Bitburger erhöht wird.
I'mcxfc _ Q _ Kaufahadlt Warstdner
Kaufabsdit Hlhrgr
Abb. 4-22:
(.tniij W.T'J einer
Fraifc Waraemcr
CaußtilhryT
I laljicil
A
Inten],intHi.ilinii
VVVI'JL'IMLT
Variablen im Zeitablauf bei Erhöhung des {Herbheits}Grades
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
213
Die Erhöhung der objektiven Imagedimension {Herbheit} von Bitburger in der 3. Periode, die bis zum Ende des Beobachtungszeitraumes auf diesem hohen Bitterwert-Niveau verharrt, hat keinen Einfluß auf die Höhe des {Werbe}Budgets von Bitburger und Warsteiner (in Abb. 4-22 nicht dargestellt). Eine Werbekampagne von Bitburger, in der die Bitterwert-Modifikation offen kommuniziert wird, ist, da sie mit großen Risiken behaftet ist, realistisch gesehen kaum vorstellbar. Zudem wird die Imagedimension {Herbheit} bereits durch den Wettbewerber
Jever besetzt („friesisch herb").
Auf die
Imagedimensionen
{Internationalität}, {Genuß} und {Freude} von Warsteiner hat die Veränderung des {Herbheits}-Grades von Bitburger ebenfalls keinen direkten Einfluß.
Abbildung 4-22 verdeutlicht, daß die {Genuß}-Dimension von Bitburger durch eine Erhöhung des {Herbheits}-Grades lediglich zu einer Stabilisierung auf durchschnittlichem Niveau führt. Damit ist im Vergleich zum Ausgangsmodell ein stark negativer Effekt auf die {Genuß}-Dimension von Bitburger zu konstatieren, während die {Genuß}-Dimension von Warsteiner unverändert auf hohem Niveau verharrt. Konsumenten, die sowohl Bitburger als auch Warsteiner in ihrem Evoked-set haben, präferieren diese Biere folglich insbesondere deshalb, weil der Bitterwert der jeweiligen Biere genau ihren Geschmack trifft. Durch die vorgenommene Veränderung des Bitterwertes hat sich Bitburger anscheinend aus dem noch für diese Konsumenten akzeptablen Bitterwert-Intervall herausmanövriert.
Im bilateralen Wettbewerb mit dem eher milden Bier Warsteiner führt die Bitterwert-Zunahme von Bitburger direkt zu konstanten {Kaufabsicht}-Zugewinnen für Warsteiner ab der 6. Periode. Die Bitterwert-Zunahme hat indirekt zur Folge, daß der vormals (siehe S. 209 f.) starke positive Einfluß der Imagedimension {Genuß} von Bitburger auf die {Kaufabsicht} von Bitburger nur noch rudimentär ausgeprägt ist. Da „WISAWI" ein „Zwei-Marken-Spiel" mit variabler Summe darstellt (siehe S. 207 f.), ergeben sich je Simulationsperiode unterschiedliche Werte für die Summe der Ergebnisse der Wettbewerber. Die {Kaufabsicht} von Bitburger reagiert dabei erst ab der 10. Periode negativ auf die wesentlich verbesserte Marktposition von Warsteiner sowie die Imagedimension {Freude} von Warsteiner. Danach sinkt die {Kaufabsicht} von Bitburger sukzessiv auf ein für die Marke problematisches Niveau.
214
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Die Ergebnisse der semi-quantitativen Sensitivitätsanalyse zeigen, daß die Bitterwert-Erhöhung von Bitburger - im Wettbewerb mit Warsteiner - eine der Marke Bitburger abträgliche Strategie darstellt. Ob durch die stärkere Polarisierung beider Marken, induziert durch die deutlich wahrnehmbare BitterwertDifferenz, ein verstärkter oder abgeschwächter Imagewettbewerb
resultiert,
kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Es wäre auch vorstellbar, daß sich nach einer Bitterwert-Erhöhung der Imagewettbewerb zwischen Bitburger und den herben Bieren Jever und Beck's verstärkt. Durch ihre ähnlichen Bitterwerte würden sie dann eindeutig die strategische Gruppe der herben Biere repräsentieren.
3.3
Kritische Würdigung der Methoden zur dynamischen Komplexitätsbewältigung
Die Ausführungen zum Sensitivitätsmodell im Premium-Pilsmarkt haben gezeigt, daß den kybernetischen Ergebnissen aus der Einflußmatrix, der Rollenverteilung, dem Wirkungsgefüge, den Teilszenarien und den darauf aufbauenden semi-quantitativen
Sensitivitätsanalysen
eine
wertvolle
Entscheidungsunter-
stützungsfunktion hinsichtlich der Bewältigung komplexer
Problemstellungen
zukommt. Durch die Arbeit mit dem Modell erhält der Entscheider mehr Sicherheit und Transparenz im Umgang mit komplexen Problemstellungen. Zudem wird durch das Erkennen relevanter Systemelemente und Systembeziehungen sein systemisch-vernetztes Denken geschult, was seinerseits zu einer Verbesserung der Lern- und Kommunikationsprozesse im Unternehmen führt. Die permanente Arbeit mit dem Modell erlaubt es dem Anwender, Systemstrategien zu entwickeln, die entweder gedanklich oder im Rahmen semi-quantitativer Sensitivitätsanalysen beispielsweise auf unerwünschte Auswirkungen hin untersucht werden
können.
Die dargestellten
semi-quantitativen
Sensititivitätsanalysen
(siehe Teil IV-3.1.2.4 und 3.2.2), die einen verhältnismäßig kleinen Ausschnitt der Variationsmöglichkeiten der Teilszenarien widerspiegeln, zeigen die Sensitivität bzw. Robustheit alternativer Strategien auf. Sie sind zuerst auf ihre Brauchbarkeit hin zu überprüfen und regen so zu einem intensiven Gedankenaustausch an.
215
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
Die Variationsbreite potentieller Systemzustände hat zur Folge, daß die Ergebnisse strategischer Problemlösungsprozesse letztlich von der Selektion miteinander vernetzter Schlüsselgrößen abhängig sind, und deshalb prinzipiell einem Unsicherheitsfaktor unterliegen. Die semi-quantitative Sensitivitätsanalyse darf folglich nicht als Prognose oder Generator von Handlungsanweisungen mißverstanden werden, weshalb eventuell auftretende Frustrationseffekte beim Anwender nicht auszuschließen sind. Eine direkte Ableitung systemverträglicher Strategien, die dem Anwender quasi am Ende der Sensitivitätsmodellierung alternativ angeboten würden, darf also nicht erwartet werden. Die Strategieumsetzung hängt nach wie vor von der Kreativität der Entscheider ab.
Die Anwendung des Sensititvitätsmodells hat deutlich gemacht,
daß
diese
Methodik zu einem großen Teil durch qualitativen Input geprägt ist. In abgeschwächtem Umfang gilt dies auch für die Methodeninnovation WISAWI, bei der neben kausalanalytischen Ergebnissen ebenfalls Expertenwissen in die Modellbildung miteinfließt. Die Rechtfertigung für den großen Anteil an qualitativem Input wurde mit einer nur beschränkt zu leistenden Quantifizierung von Einflußfaktoren im Kontext
strategischer
Fragestellungen
begründet
(siehe
S. 109 ff.). Die Verwendung heuristischer mathematischer Tabellenfunktionen (siehe S. 112 ff.) anstelle exakter Lösungsalgorithmen hat zur Folge, daß die Konstruktion von Modellen kein eindeutiger Vorgang sein kann, sondern daß sich im Rahmen der Spezifikation Ermessens- und
Entscheidungsspielräume
ergeben. Dies hat zur Konsequenz, daß bei der Beurteilung von Systemmodellen sowohl Mängel hinsichtlich der Validität als auch der Reliabilität konstatiert werden müssen (siehe S. 115 f.). Das grundsätzliche Problem, ein geeignetes Referenzsystem zur Beurteilung von Systemmodellen zu finden, ist somit bis dato nicht gelöst. Im Rahmen einer Sensitivitätsmodellierung sollte die mangelnde Validität und Reliabilität jedoch weniger im Sinne ihrer Unvollkommenheit verstanden werden, sondern liegt vielmehr in ihrer Methodik und in ihren anvisierten Problemstellungen begründet. Aus dieser Perspektive scheint es sinnvoll, die Beurteilung eines Systemmodells statt auf Gütekriterien wie Validität und Reliabilität auf Kriterien wie Umfassendheit, Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Konsistenz, Robustheit - mithin ihre Brauchbarkeit bzw. Nützlichkeit - zu stützen.
Innerhalb des Prozesses der Modellbildung im Premium-Pilsmarkt trat häufig die Frage nach der Optimalkomplexität des Modells auf (siehe auch Teichmann
216
Teil IV: A n w e n d u n g von Methoden der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im P r e m i u m - P i l s m a r k t
1972, S. 519 ff.). So unterliegt ein leicht verständliches und klares Systemmodell häufig wegen seiner Unvollständigkeit der Kritik, was dazu führt, daß das Modell als trivial und damit nicht brauchbar qualifiziert wird. Andererseits wird die Forderung nach einer Maximalkomplexität durch die kognitiven Fähigkeiten zur rationalen Informationsverarbeitung durch die Entscheider begrenzt. Selbst wenn eine zunehmende Detaillierung eines Modells möglich wäre, ist dessen Trade-off zwischen zunehmender Planungsgenauigkeit und den damit einhergehenden Kosten zu berücksichtigen, wenngleich eine exakte Quantifizierung des Grenzgewinns bzw. der Grenzkosten kaum möglich ist. Der Vorteil aggregierter Modelle liegt u. a. darin, daß der begrenzten kognitiven Informationsverarbeitungskapazität der Entscheider Rechnung getragen wird. Dem steht jedoch als Nachteil gegenüber, daß relevante Informationen eventuell nicht berücksichtigt werden. Dem Entscheider ist aber schon dann geholfen, wenn er aus alternativen Modellen unterschiedlichen Komplexitätsgrades das ihm geeignet erscheinende Modell auswählen kann.
Die iterative Vorgehensweise des Sensitivitätsmodells - als wesentlicher
Be-
standteil der systemtheoretischen Modellierung - hat zur Folge, daß der Zeitbedarf für die Beteiligten sehr groß ist. Insbesondere Modellanwender bzw. Entscheider bringen - aufgrund der mitunter langwierigen Prozesse der Konsensfindung - häufig zu wenig Zeit für den Modellierungsprozeß auf. Damit steigt aber die Gefahr, daß die Brauchbarkeit des gesamten Modellierungsprozesses durch die Entscheider dann in Frage gestellt wird, wenn die Deckung zwischen ihrem mentalen Modell und dem erstellten Systemmodell zu gering ist. Um die Akzeptanz hinsichtlich der Brauchbarkeit des Systemmodells zu erhöhen, ist folglich eine bestmögliche Einbindung aller am Modellierungsprozeß Beteiligten notwendig. Sie stellt zugleich die entscheidende Voraussetzung für die Umsetzung zu entwickelnder Strategien dar. Darüber hinaus ist eine kontinuierliche Überprüfung, Anpassung und Weiterentwicklung des Modells notwendig, da sowohl die Modellanwender als auch die Situation, in die das Modell eingebettet ist, der Dynamik unterworfen sind.
Teil IV: A n w e n d u n g von M e t h o d e n der strategischen M a r k t f o r s c h u n g im Premium-Pilsmarkt
4.
217
Zusammenfassung
Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war die Tatsache, daß die Güte von Managemententscheidungen in erster Linie von der Güte der ihnen zugrunde liegenden Information abhängt. Vor diesem Hintergrund war zu fragen, welche Art von Marktforschung in der Lage ist, aus den vom Gedanken des strategischen Marketings in den Blick genommenen Marktsystemen relevante Informationen zu gewinnen und verstehbar zu machen. Die im methodischen Teil der Arbeit als Pfeiler einer strategischen Marktforschung vorgeschlagenen Verfahren zur statischen und dynamischen Komplexitätsbewältigung wurden anschließend am Beispiel des deutschen PremiumPilsmarktes auf Praxistaugiichkeit und -nutzen hin überprüft. Hierbei zeigte sich, daß sie da, wo klassische Positionierungsmodelle an ihre Grenzen stoßen und weder Aussagen über Systemzusammenhänge noch Systementwicklungen treffen können, einen weiterführenden Beitrag zur Bereitstellung strategischer Information leisten. Klassische Positionierungsmodelle behalten dennoch ihre Berechtigung als sinnvolle Voranalysen für eine Evoked-set-basierte WISA. Die hier vorgestellten Methoden und Methodenkombinationen zur statischen und dynamischen Komplexitätsbewältigung sind in der Lage, die komplexe Vernetztheit strategischer Problemstellungen hinreichend abzubilden und somit die systemische Betrachtungsweise methodisch zu unterstützen. Die dabei eingesetzten quantitativen und qualitativen Methoden sind als komplementär zu betrachten. Über die Bereitstellung konkreter Ergebnisse hinaus ist ihr wichtiges Verdienst, dem Praktiker durch die Anwendung so unterschiedlicher Methoden wie der Evoked-set-basierten WISA oder des Sensitivitätsmodells zu einem wesentlich vertieften Problemverständnis zu verhelfen. Die durch sie erreichte Komplexitätsbewältigung bietet eine echte Entscheidungsunterstützung, weil sie Komplexität reduziert und handhabbar macht, ohne sie zu zerstören.
218
Ausblick:
Ausblick
Anwendung der vorgestellten Methoden und Methodenkombinationen in der Unternehmenspraxis
Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, daß die vorgestellten Methoden und Methodenkombinationen zur statischen und dynamischen
Komplexitätsbewältigung
Instrumente einer Marktforschung sind, die das Attribut „strategisch" verdient. Der erzielte Mehrwert an Information wird bei der Anwendung dieses Instrumentariums freilich durch einen höheren Einsatz an finanziellen, personellen und „zerebralen" Ressourcen erkauft und fordert einen stärkeren Grad der Auseinandersetzung mit der Problemstellung. Dies könnte der Durchsetzung dieser Verfahren in der Unternehmenspraxis Hindernisse in den Weg stellen. Da der Mehraufwand sich durch höherwertige Information über den Markt und folglich bessere Managemententscheidungen jedoch mehr als bezahlt macht, sollten diese Hindernisse zu überwinden sein. Ein notwendiger erster Schritt in diese Richtung ist die grundlegende Bereitschaft der Entscheider, sich ein klareres Bild strategischer Problemstellungen und ihrer Wechsel-, Rück-, Fern- und Nebenwirkungen zu machen.
Diese Bereitschaft ist erfreulicherweise bereits in stärkerem Ausmaß zu erkennen. Die Methoden und Methodenkombinationen zur statischen Komplexitätsbewältigung konnten in der Unternehmenspraxis bereits erfolgreich eingesetzt werden. Zwei Projekte - mit Mercedes-Benz und der Bankgesellschaft Berlin konnten Nutzen und Leistungsfähigkeit der Evoked-set-basierten WettbewerbsImage-Struktur-Analayse unter Beweis stellen. Die GfK-Marktforschung, Nürnberg, setzt die Evoked-set-basierte WISA inzwischen als Standardinstrument ein. Die Methoden und Methodenkombinationen zur dynamischen
Komplexitäts-
bewältigung (Sensitivitätsmodell und WISAWI) wurden von der GfK-Marktforschung ebenfalls schon in ihr Methodenarsenal integriert, wenngleich sie sich noch in der Implementierungsphase befinden. Für die GfK wird es damit erstmals möglich, die vergangenheitsbezogene Beschreibung des Status quo durch eine system- und zukunftsorientierte Marktforschung zu ergänzen. Die Analyse im Premium-Pilsmarkt hat deutlich gemacht, wie eine bis dato isolierte Methodik (Imageforschung) praxisgerecht zu einem Instrument der strategischen Marktforschung weiterentwickelt werden kann, das Lösungen für
Ausblick
219
komplexe Problemstellungen liefert. Die vorgeschlagenen Methoden sind auch für andere Bereiche der Unternehmenspraxis nutzbar zu machen. Zahlreiche Entscheidungs- und Strategieprobleme können in ähnlicher Weise durch Kausal-, Szenario- und Sensitivitätsanalysen besser bearbeitet werden. Als nur ein Beispiel sei hier die oft propagierte, jedoch selten methodisch an ihrem Gegenstand strukturierte integrierte Unternehmenskommunikation genannt. Integrierte Kommunikation könnte als eine von vielen Unternehmensaufgaben mit den hier vorgeschlagenen Methoden auf festere Beine gestellt werden, indem ihre Aufgaben, Mittel und Wirkungen durch die Beschreibung per Kausal- und/oder Sensitivitätsmodell in ihrer Vernetzung verständlich und operabel gemacht würden.
220
Anhang
Anhang Anhang 4-1:
Fragebogen
Block I la
K o m m e n w i r nun zu Bier. T r i n k e n Sie denn zumindest 1 x pro M o n a t Bier?
Oja ( ) nein -
lb
->
ENDE
Es gibt j a verschiedene Biersorten. Wie h ä u f i g trinken Sie denn Bier der f o l g e n d e n Sorten?
INTERN:
Pils Export Weizenbier Alt Kölsch Light-Bier A l k o h o l f r e i e s Bier
BITTE VORGABEN VORLESEN!
täglich/
mind. 1-2 mal
mind. 1-2 mal
fast täglich
pro W o c h e
im Monat
seltener
gar nicht
221
Anhang
Auf dieser Liste stehen einige N a m e n von Pilsmarken. W e l c h e dieser Pilsmarken kennen Sie, zumindest d e m N a m e n nach?
INTERN:
V O R L A G E DER LISTE!
Beck's Bitburger Holsten Jever Karlsberg König-Pilsener Krombacher Veltins Warsteiner
W e n n Sie jetzt einmal an Ihre Biereinkäufe i n / f ü r Ihren(m) Haushalt in den letzten 3 M o n a t e n denken, wie haben sich diese E i n k ä u f e m e n g e n m ä ß i g auf die auf dieser Liste vorgegebenen M a r k e n verteilt?
V e r g e b e n Sie bitte 100 Punkte j e nach K a u f b e d e u t u n g der v o r g e g e b e n e n M a r k e n .
INTERN:
S U M M E S O L L 100 E R G E B E N !
Beck's
V O R L A G E DER LISTE!
Bitburger Holsten Jever Karlsberg König-Pilsener Krombacher Warsteiner Sonstige B i e r m a r k e n
INTERN:
SUMME KONTROLLIEREN!
SUMME:
100
222
Anhang
Block II 4a
Wenn Sie nun bitte an zukünftige Biereinkäufe in Ihrem Haushalt denken, welche der Pilsmarken auf dieser Liste kommen denn für Sie überhaupt in Frage bzw. welche kommen für Sie nicht in Frage?
Beck's Bitburger Holsten Jever Karlsberg König-Pilsener Krombacher Veltins Warsteiner
kommt in
kommt nicht
Anzahl
Frage
in Frage
der Punke
() () () () () () () () ()
()
Rangliste
() () () () () () () () Summe:
100
Lassen Sie uns jetzt nur noch über die Marken sprechen, die für Sie beim Kauf überhaupt in Frage kommen. Verteilen Sie nun bitte 100 Punkte so auf diese Pilsmarken, daß Sie der Marke, die Sie am wahrscheinlichsten kaufen würden, die meisten Punkte geben, und der Marke, die Sie am unwahrscheinlichsten kaufen würden, die wenigsten Punkte zuweisen. Bitte verteilen Sie alle 100 Punkte auf die von Ihnen in die engere Wahl gezogenen Marken. INTERN: DIE ANZAHL DER PUNKTE, DIE DEN PILSMARKEN AUS DER ENGEREN WAHL (KOMMT IN FRAGE) ZUGEORDNET WERDEN, IN DEN FRAGEBOGEN EINTRAGEN! WICHTIG: DIE SUMME ALLER VERTEILTEN PUNKTE MUß 100 ERGEBEN! INTERN: ERSTELLEN SIE NUN BITTE EINE RANGLISTE DER MARKEN ENTSPRECHEND DER VERTEILTEN PUNKTE. FALLS EINE PUNKTZAHL MEHRFACH VERGEBEN WURDE, ORDNEN SIE DIESE MARKEN NACH DER VORGEBENEN, ALPHABETISCHEN REIHENFOLGE. DIE RANGLISTE IST FÜR DIE NÄCHSTEN VIER FRAGEN MAßGEBEND. FÜR DIE NR. 1 BIS NR. 4 AUF DER RANGLISTE SIND DIE FOLGENDEN FRAGEN ZU BEANTWORTEN.
223
Anhang
4c
INTERN:
1.
FÜR DIE E R S T E M A R K E A U F DER R A N G L I S T E AUS F R A G E 4b STELLEN!
Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an Das Besondere an
?
(erste Marke) ist:
Und wie stark trifft diese Eigenschaft auf
zu?
Benutzen Sie dabei bitte die vorliegende Skala von 1 bis 5, wobei 1 = trifft gar nicht zu 5 = trifft genau zu
und
bedeutet. Mit den Werten dazwischen können Sie abstufen. trifft gar nicht zu
INTERN:
2.
trifft genau zu 1
2
3
4
5
( )
( )
( )
( )
()
FÜR DIE Z W E I T E M A R K E A U F DER R A N G L I S T E AUS F R A G E 4b STELLEN!
Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an Das Besondere an
?
(zweite Marke) ist:
Und wie stark trifft diese Eigenschaft auf
zu?
Benutzen Sie dabei bitte die vorliegende Skala von 1 bis 5, wobei 1 = trifft gar nicht zu 5 = trifft genau zu
und
bedeutet. Mit den Werten dazwischen können Sie abstufen. trifft gar nicht zu
trifft genau zu 1
2
3
4
5
( )
( )
( )
( )
()
224
Anhang
INTERN:
3.
FÜR DIE DRITTE MARKE A U F DER RANGLISTE AUS FRAGE 4b STELLEN!
Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an Das Besondere an
?
(dritte Marke) ist:
Und wie stark trifft diese Eigenschaft auf
zu?
Benutzen Sie dabei bitte die vorliegende Skala von 1 bis 5, wobei 1 = trifft gar nicht zu 5 = trifft genau zu
und
bedeutet. Mit den Werten dazwischen können Sie abstufen. trifft gar nicht zu
INTERN:
4.
trifft genau zu 1
2
3
4
5
( )
( )
( )
( )
()
FÜR DIE VIERTE MARKE AUF DER RANGLISTE AUS FRAGE 4b STELLEN!
Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an Das Besondere an
?
(vierte Marke) ist:
Und wie stark trifft diese Eigenschaft auf
zu?
Benutzen Sie dabei bitte die vorliegende Skala von 1 bis 5, wobei 1 = trifft gar nicht zu 5 = trifft genau zu
und
bedeutet. Mit den Werten dazwischen können Sie abstufen. trifft gar nicht zu
trifft genau zu 1
2
3
4
5
( )
( )
( )
( )
( )
225
Anhang
INTERN:
FÜR DIE E R S T E M A R K E A U F DER R A N G L I S T E AUS F R A G E 4b STELLEN! V O R L A G E DER SKALA!
Auf dieser Liste stehen nun die Eigenschaften, die auf Pilsmarken zutreffen können. Von Ihnen möchte ich jetzt wissen, inwieweit diese Eigenschaften auf die Marke (INTERN: BITTE M A R K E EINTRAGEN U N D VORLESEN!) zutreffen. Sagen Sie mir bitte anhand der vorliegenden Skala von 1 bis 5, wie stark die jeweilige Eigenschaft auf die Marke zutrifft. Dabei bedeutet: und:
1 = trifft gar nicht zu 5 = trifft genau zu
Mit den Werten dazwischen können Sie Abstufungen vornehmen. Beginnen wir also mit der Marke (INTERN: BITTE E I N T R A G E N U N D VORLESEN!) Wie stärkt trifft die Eigenschaft
auf die Marke
zu? trifft genau zu
trifft gar nicht zu 4 ist eine moderne Marke ist für Menschen mit Gefühl ist ein Bier, auf das man sich im vornherein freut ist ein besonderer Genuß schmeckt besonders gut ist etwas Besonderes ist für anspruchsvolle Menschen ist eine sympathische Marke ist für junge Leute ist für harte Typen ist ein besonders reines, natürliches Bier ist eine international bedeutende Marke paßt zu aufregenden Erlebnissen ist für schöne Momente/Erlebnisse des Alltags ist von bester Herkunft ist ein besonders herbes Bier ist ein besonders frisches Bier ist von besonders hoher Qualität ist ein besonders mildes Bier
5
226
Anhang
INTERN:
FÜR DIE Z W E I T E MARKE A U F DER RANGLISTE AUS F R A G E 4b STELLEN! VORLAGE DER SKALA!
Auf dieser Liste stehen nun die Eigenschaften, die auf Pilsmarken zutreffen können. Von Ihnen möchte ich jetzt wissen, inwieweit diese Eigenschaften auf die Marke (INTERN: BITTE MARKE EINTRAGEN UND VORLESEN!) zutreffen. Sagen Sie mir bitte anhand der vorliegenden Skala von 1 bis 5, wie stark die jeweilige Eigenschaft auf die Marke zutrifft. 1 = trifft gar nicht zu 5 = trifft genau zu
Dabei bedeutet: und:
Mit den Werten dazwischen können Sie Abstufungen vornehmen. Beginnen wir also mit der Marke (INTERN: BITTE EINTRAGEN U N D VORLESEN!) Wie stärkt trifft die Eigenschaft
auf die Marke
zu? trifft genau zu
trifft gar nicht zu 4 ist eine moderne Marke ist für Menschen mit Gefühl ist ein Bier, auf das man sich im vornherein freut ist ein besonderer Genuß schmeckt besonders gut ist etwas Besonderes ist für anspruchsvolle Menschen ist eine sympathische Marke ist für junge Leute ist für harte Typen ist ein besonders reines, natürliches Bier ist eine international bedeutende Marke paßt zu aufregenden Erlebnissen ist für schöne Momente/Erlebnisse des Alltags ist von bester Herkunft ist ein besonders herbes Bier ist ein besonders frisches Bier ist von besonders hoher Qualität ist ein besonders mildes Bier
5
227
Anhang
INTERN:
FÜR D I E D R I T T E M A R K E A U F DER R A N G L I S T E AUS F R A G E 4b STELLEN! V O R L A G E DER SKALA!
Auf dieser Liste stehen nun die Eigenschaften, die auf Pilsmarken zutreffen können. Von Ihnen möchte ich jetzt wissen, inwieweit diese Eigenschaften auf die Marke (INTERN: BITTE M A R K E E I N T R A G E N U N D VORLESEN!) zutreffen. Sagen Sie mir bitte anhand der vorliegenden Skala von 1 bis 5, wie stark die jeweilige Eigenschaft auf die Marke zutrifft. 1 = trifft gar nicht zu 5 = trifft genau zu
Dabei bedeutet: und:
Mit den Werten dazwischen können Sie Abstufungen vornehmen. Beginnen wir also mit der Marke (INTERN: BITTE E I N T R A G E N U N D VORLESEN!) Wie stärkt trifft die Eigenschaft
auf die Marke
zu? trifft genau zu
trifft gar nicht zu 4 ist eine moderne Marke ist für Menschen mit Gefühl ist ein Bier, auf das man sich im vornherein freut ist ein besonderer Genuß schmeckt besonders gut ist etwas Besonderes ist für anspruchsvolle Menschen ist eine sympathische Marke ist für junge Leute ist für harte Typen ist ein besonders reines, natürliches Bier ist eine international bedeutende Marke paßt zu aufregenden Erlebnissen ist für schöne Momente/Erlebnisse des Alltags ist von bester Herkunft ist ein besonders herbes Bier ist ein besonders frisches Bier ist von besonders hoher Qualität ist ein besonders mildes Bier
5
228
Anhang
INTERN:
FÜR DIE V I E R T E MARKE A U F DER R A N G L I S T E AUS F R A G E 4b STELLEN! V O R L A G E DER SKALA!
Auf dieser Liste stehen nun die Eigenschaften, die auf Pilsmarken z u t r e f f e n k ö n n e n . V o n Ihnen möchte ich jetzt wissen, inwieweit diese Eigenschaften auf die M a r k e (INTERN: BITTE M A R K E EINTRAGEN U N D VORLESEN!) zutreffen. Sagen Sie m i r bitte anhand der vorliegenden Skala von 1 bis 5, w i e stark die j e w e i l i g e Eigenschaft auf die M a r k e zutrifft. 1 = trifft gar nicht zu 5 = trifft genau zu
Dabei bedeutet: und:
Mit d e n W e r t e n d a z w i s c h e n können Sie Abstufungen v o r n e h m e n . Beginnen wir also mit d e r M a r k e (INTERN: BITTE EINTRAGEN U N D VORLESEN!) Wie stärkt t r i f f t die Eigenschaft
auf die M a r k e .
zu?
trifft g e n a u zu
trifft gar nicht zu 4 ist eine m o d e r n e M a r k e ist für M e n s c h e n mit G e f ü h l ist ein Bier, auf das m a n sich im v o r n h e r e i n freut ist ein b e s o n d e r e r G e n u ß s c h m e c k t besonders gut ist etwas Besonderes ist f ü r anspruchsvolle M e n s c h e n ist eine sympathische M a r k e ist für j u n g e Leute ist f ü r harte T y p e n ist ein besonders reines, natürliches Bier ist eine international bedeutende M a r k e paßt zu a u f r e g e n d e n Erlebnissen ist f ü r schöne M o m e n t e / E r l e b n i s s e des Alltags ist von bester H e r k u n f t ist ein b e s o n d e r s herbes Bier ist ein besonders frisches Bier ist von besonders hoher Qualität ist ein besonders mildes Bier
5
229
Anhang
Block III 6
Wenn wir einmal die Annahme treffen, daß alle Pilsmarken, die für Sie beim Kauf in Frage kommen, im Geschäft verfügbar/vorhanden sind und dasselbe kosten, welche Marke würden Sie dann kaufen?
Verteilen Sie bitte wieder 100 Punkte so auf diese Marken, daß Sie der Marke, die Sie am wahrscheinlichsten kaufen würden, die meisten Punkte geben, und der Marke, die Sie am unwahrscheinlichsten kaufen würden, die wenigsten Punkte zuweisen.
Anzahl der Punkte Beck's Bitburger Holsten Jever Karlsberg König-Pilsener Krombacher Veltins Warsteiner Summe:
100
230
Anhang
Anhang 4-2:
(1)
Extrakt der Evoked-set-basierten WISA-Ergebnisse für die Marken Beck's, Bitburger, König-Pilsener, Krombacher, Veltins und Jever
Stellung der Marke Beck's im Imagewettbewerb Imagedi
Erklärte Varianz der Kaufabsicht der Marke i
Fallzahl
Basis
Oligopol
1. U S P
2. U S P
Genuß
Herbheit
Freude
Männer
Becks 124«)
-0,15
Warsteiner (17%)
141
Beck's < 7 S )
-0,36
Sonstige
0,56 (Exklusivität)
0,53
0,28
-0,33 -0,42
0,42
0,57 69
Marke i
0,45 (Exklusivität)
-0,35
70
Beck > a i « Jever (24%)
U S P der
Herbheit
-0,52
0,39
König-Pilsener (24%)
Oligopol
-0,30
89
Bcck's ( 1 3 % )
Basis Genuß
-0,15
0,38
Bitburger (25%)
0,24
-0,42
-0,36
-0,29
Beck's««)
0,58
0,28
Krombacher (15%)
(2)
Imagedimensionen der Marke i
von Beck's
57
0,26
-0,31
Stellung der Marke Bitburger im Imagewettbewerb Imagedimensionen von 1titburger
Erklärte Varianz der Kaufabsicht der Marke i i iKSgl S
Fallzahl
i
Warsteiner (34%)
Beck's (7%)
89
58
Sonstige
Basis
Oligopol
USP der
Genuß
Herbheit
Marke i
0,18
0,53
0,28
-0,35 (Freude)
0,38 -0,19 (Milde)
-0,37
-0,59
0,54
0,82
-0,38
-0,52
0,77
43
-0,40
0.19 tliKcmaiionaliiiit)
0,59
-0,30
-0,36
Sonstige
0,65 (Freude)
-0,78
48
Bitimrger M % ) Veltins (37%)
USP
0.72
¿ ¡ Ä r g e r ¿50%) Jever (15%)
Herbheit
0,78 72
Bitburger . 0 4 % ) Krombacher (31%)
Oligopol
0,76 135
ÜMws«t