Provenienz und Kulturgutschutz: Juristische und kunsthistorische Perspektiven 9783110662825, 9783110664201

This volume reveals the potential effects of interdisciplinary cooperation between the areas of provenance research and

214 26 2MB

German Pages 128 Year 2022

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Grußwort
Die Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Universität Bonn
Die Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht (FPK) der Universität Bonn: Rechtswissenschaftliche Perspektiven
Kunst in Bewegung. Die wechselvolle Geschichte des Porträts . Manuel García de la Prada von Francisco de Goya
Provenienzforschung. Persönliche und Bonner Perspektiven
Beiträge der ersten Fachtagung der Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht
Laboratorium extraneum. Ehemaliger und aktueller Umgang mit dem Kulturerbe
Zivilrechtliche Auswirkungen des KGSG. Importverbote und Transparenzpflichten
Die unvollendete Geschichte von NS-Raubkunst. Zum 20. Jubiläum der Washington Principles on Nazi-Confiscated Art
Transparent – innovativ – nachhaltig. Die Mosse Art Research Initiative (MARI). Kooperative Provenienzforschung im NS-Kontext
Agieren in Grauzonen. Forschungsfragen zum Entzug von Kulturgütern in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR
Von »Kunst und Recht« zu »Bild und Recht« Anmerkungen zur Regulierung des Visuellen
Bildnachweise
Farbtafeln
Personenverzeichnis
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Provenienz und Kulturgutschutz: Juristische und kunsthistorische Perspektiven
 9783110662825, 9783110664201

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Provenienz und Kulturgutschutz

Schriftenreihe der Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht

Band 1

Herausgegeben von Ulrike Saß, Matthias Weller und Christoph Zuschlag

Provenienz und Kulturgutschutz Juristische und kunsthistorische Perspektiven Ulrike Saß, Matthias Weller und Christoph Zuschlag (Hrsg.)

Ermöglicht von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.

ISBN 978-3-11-066282-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-066420-1 ISSN 2749-4004 Library of Congress Control Number: 2022941710 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Quetzalfeder-Kopfschmuck, um 1515, 116 × 175 cm, Weltmuseum Wien, Inv.-Nr. 10402. Creditline: KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien. Covergestaltung, Layout und Satz: hawemannundmosch, Berlin Druck und Bindung: Druckhaus Sportflieger, Berlin www.degruyter.com

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  7 Grußworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  9

Die Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Universität Bonn Matthias Weller Die Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht (FPK) der Universität Bonn: Rechtswissenschaftliche Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  27 Ulrike Saß Kunst in Bewegung Die wechselvolle Geschichte des Porträts Manuel García de la Prada von Francisco de Goya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  31 Christoph Zuschlag Provenienzforschung Persönliche und Bonner Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  47

Beiträge der ersten Fachtagung der Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht Antoinette Maget Dominicé Laboratorium extraneum Ehemaliger und aktueller Umgang mit dem Kulturerbe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  57 Haimo Schack Zivilrechtliche Auswirkungen des KGSG Importverbote und Transparenzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  67

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James D. Bindenagel Die unvollendete Geschichte von NS-Raubkunst Zum 20. Jubiläum der Washington Principles on Nazi-Confiscated Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  79 Meike Hoffmann Transparent – innovativ – nachhaltig Die Mosse Art Research Initiative (MARI). Kooperative Provenienzforschung im NS-Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  91 Gilbert Lupfer Agieren in Grauzonen Forschungsfragen zum Entzug von Kulturgütern in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Thomas Dreier Von »Kunst und Recht« zu »Bild und Recht« Anmerkungen zur Regulierung des Visuellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  107 Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  117 Farbtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  119 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  127

6  Inhalt

Vorwort

Die Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Rhei­ nischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn nahm zum Sommersemester 2018 ihre Arbeit auf. Sie ist ein Novum in der akademischen Welt und ein Alleinstellungsmerkmal der Universität Bonn. Die Forschungsstelle bündelt die Aktivitäten dreier neuer Professuren: der beiden Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungslehrstühle für Bürgerliches Recht, Kunst- und Kulturgutschutzrecht (Matthias Weller) und für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart mit Schwerpunkt Provenienzforschung/Geschichte des Sammelns (Christoph Zuschlag) sowie der Juniorprofessur für Kunsthistorische Provenienzforschung (Ulrike Saß). Ziel ist, in interdisziplinärer Zusammenarbeit die Bereiche Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht in Forschung und Lehre an der Universität Bonn zu verankern. Dies beinhaltet ­einen eigenen Masterstudiengang, die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, die Veranstaltung gemeinsamer wissenschaftlicher Tagungen, die Herausgabe von Publikationen sowie den Aufbau nationaler und internationaler Kooperationen. Die vorliegende Publikation versammelt die Beiträge der Auftaktveranstaltung und ersten Fachkonferenz, die am 23. und 24. Oktober 2018 stattgefunden hat. Der Tagungsband umfasst drei Teile: Teil 1 enthält die Grußworte der Repräsentantinnen und Repräsentanten der Universität Bonn, der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Im zweiten Teil stellen sich die drei Professuren der Forschungsstelle mit Beiträgen vor, die einen Einblick in laufende und geplante Forschungsvorhaben b ­ ieten und darüber hinaus persönliche Perspektiven eröffnen. Teil 3 umfasst die insgesamt sechs juristischen und kunsthistorischen Beiträge der Fachkonferenz, die jeweils in zwei Sektionen präsentiert worden sind und gemeinsame Forschungsansätze sichtbar machen. Ein Teil der juristischen Beiträge wurde bereits in dem von Thomas Dreier, Nicolai Kemle und Matthias Weller herausgegebenen Tagungsband des Zwölften Heidelberger Kunstrechtstags mit dem Titel Handel – Provenienz – Restitution veröffentlicht. Alle Beiträge decken ein breites thematisches und methodisches Spektrum ab, das von den Washingtoner Prinzipien und der Suche nach NS-Raubgut über Fragen des neuen Kulturgutschutzgesetzes und des Bildrechts bis hin zum Umgang mit dem unrechtmäßigen Entzug von Kulturgütern in der S ­ owjetischen Besatzungs­zone und der DDR sowie dem kulturellen Erbe außereuropäischer Kulturen reicht. Damit liegt nun Band 1 der Schriftenreihe der Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunstund Kulturgutschutzrecht vor. Diese Reihe soll dazu beitragen, die Fächer Rechtswissen­ schaften und Kunstgeschichte in eine fruchtbare Kooperation zu führen und die Forschungs-

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desiderate zu Kunst- und Kulturgütern gemeinsam zu denken und zu erarbeiten. Wir freuen uns auf die weiteren Sammelbände sowie monografischen Studien, die in der Reihe erscheinen und den konstruktiven transdisziplinären Forschungsansatz vertiefen werden. Dabei wird es sich um Forschungsbeiträge handeln, die sich teils fachspezifisch, teils in transdisziplinärer Perspektive ausgewählten gemeinsamen Themenfeldern, Grundfragen und Forschungsschwerpunkten zwischen kunsthistorischer Provenienzforschung und ihren juristischen Rahmenbedingungen innerhalb des nationalen wie des internationalen Kunst- und Kulturgutschutzrechts widmen werden. Bonn, im November 2021

8  Vorwort

Ulrike Saß, Matthias Weller, Christoph Zuschlag

Grußwort

anlässlich der feierlichen Auftaktveranstaltung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-­Stiftungslehrstühle für Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Uni­versität Bonn Michael Hoch 

In keinem Land sei in den vergangenen Jahren so viel über Provenienzforschung gesprochen worden wie in Deutschland, stellte die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy in ei­ nem viel beachteten Vortrag Anfang 2018 fest. Und ohne Zweifel: Provenienzforschung hat Hochkonjunktur. Aber ist diese Forschung zur Provenienz und Restitution nur eine Mode­ erscheinung, ein Hype, der in naher Zukunft wieder merklich abebben wird? Das Gegenteil ist der Fall. Es wird immer deutlicher, dass das Wissen um die Herkunft und Besitzgeschichte von Kulturgütern unseren Umgang mit ihnen tiefgreifend und nachhaltig verändern wird, insbeson­ dere auch im Kontext von nationalsozialistischer und kolonialer Raubkunst. Die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ist sehr stolz darauf, dass wir im Jahr 2018, im 200. Jahr unseres Bestehens, einen einmaligen Schwerpunkt für Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht etablieren konnten. Die Gründung der Forschungsstelle vor nunmehr knapp über einem Jahr war das Ergebnis eines systematischen und strategischen Ausbaus dieses Forschungsbereichs an unserer Alma Mater, u. a. durch Stiftungsprofessuren, die wir mit maßgeblicher Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung einrichten konnten. Mit den drei neuen Professuren, deren Finanzierung wir mit den betei­ ligten Fakultäten nachhaltig sichern konnten, haben wir ein Zentrum geschaffen, das bereits jetzt weit über Bonn hinausstrahlt. Und es strahlt vor allem auch deshalb, weil die dort betrie­ bene Forschung von Beginn an aus der Stärke der einzelnen Disziplinen heraus grundlegend interdisziplinär betrieben wurde. Es ist dieser fruchtbare Dialog, den die Kunstgeschichte mit den Rechtswissenschaften über die Fächer- und Fakultätsgrenzen hinweg mit herausragenden a­ ußeruniversitären Partner*innen führt, der diese Forschungsstelle besonders macht. Ich bin der festen Überzeugung, dass der transdisziplinäre Ansatz, der sich hier zeigt und ganz praktisch umgesetzt wird, der richtige Weg für unsere Universität und die Wissenschaft als Ganzes ist. Der nun vorliegende erste Band der Schriftenreihe stellt die geleistete Arbeit der For­ schungsstelle seit der Aufnahme ihrer Arbeit eindrucksvoll vor. Und gewiss wird die breite Anschlussfähigkeit des Themas Provenienz für weitere Disziplinen auch in Zukunft zu höchst spannenden und wertvollen Forschungsbeiträgen für die gesamte Wissenschaft führen. Darauf freue ich mich!

Michael Hoch ist Rektor der Universität Bonn.

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Grußwort

anlässlich der feierlichen Auftaktveranstaltung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-­Stiftungslehrstühle für Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Uni­versität Bonn Raimund Waltermann 

Es ist mir eine Freude, bei dieser Auftaktveranstaltung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungslehrstühle ein Grußwort zu sprechen. In der vergangenen Woche hat die Universität Bonn ihr 200-jähriges Bestehen gefeiert. Als ich den beeindruckenden Festreden und Grußworten zuhörte, wurde mir bewusst, welchen Schwung der Ausblick in die Zukunft – der bei unserer Universität, nachdem sie sechs Exzel­ lenzcluster erringen konnte, im nächsten Schritt auf den Exzellenzstatus der Universität gerich­ tet ist – durch den Rückblick auf eine erfolgreiche Geschichte gewinnen kann. Kurz fiel mir das Grußwort ein, das ich jetzt halte. Aus dem Rückblick kann man hier keinen Schwung gewinnen. Im Sommersemester ist mit den Stiftungslehrstühlen für Provenienzforschung, Kunst- und Kul­ turgutschutzrecht etwas Einzigartiges und vollkommen Neues begonnen worden. Die Univer­ sität Bonn hat hier (und zwar, wie es aussieht, weltweit) eine Alleinstellung. Aber auch die Universität Bonn hat ja 1818 ohne eine Geschichte begonnen. Jedoch mit guten Startbedingungen, wie wir sie auch bei unseren Stiftungsprofessuren dank der Groß­ zügigkeit der Stiftung vorfinden. Mit diesem günstigen Ausgangspunkt werden die Kollegin Jun.-Prof. Dr. Ulrike Saß und die Kollegen Prof. Dr. Matthias Weller und Prof. Dr. Christoph Zuschlag den nötigen Schwung in die Sache bringen. Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät und der Rechtswissenschaftliche Fach­ bereich begrüßen das interdisziplinäre und auf Internationalität ausgerichtete Vorhaben sehr. Ich übermittle Ihnen auch die Grüße und Glückwünsche des Dekans der Fakultät, Prof. Dr. Jürgen von Hagen. Die bei uns am Rechtswissenschaftlichen Fachbereich angesiedelte Professur für Kunst­ recht und Kulturgutschutzrecht von Herrn Prof. Dr. Weller ist einem nicht ganz trivialen Verhält­ nis gewidmet. Kunst und Recht – es gibt einfachere Beziehungen. Wir Juristen sind bestrebt, die Dinge begrifflich zu erfassen, zu definieren. Bei der Kunst ist das heikel. Die Verfassung gewährleistet in Art. 5 Abs. 3 GG die Freiheit der Kunst vorbehaltlos. Aber was ist da gewährleistet? Der durch die Verfassung garantierte Freiheitsbereich liegt nicht a priori fest. Eine gewisse Wertung ist unumgänglich. Das Gebot der Neutralität und Tole­ ranz gegenüber dem Pluralismus im Kunstverständnis entbindet nicht von der Notwendigkeit, sich dem Begriff der Kunst im Recht zuzuwenden.

Raimund Waltermann war von 2018 bis 2020 Vorsitzender des Rechtswissenschaftlichen Fachbereichs und Prodekan der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn.

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Das Bundesverfassungsgericht formuliert in seinem berühmt gewordenen Mephisto-Be­ schluss von 1971 in der Art einer Definition: »Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vor­ gängen, die rational nicht aufzulösen sind.«1 Das hat sich weiterentwickelt. Heute verneint das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, Kunst generell zu definieren und verwendet nebeneinander mehrere Kunstbegriffe: den von ihm als material bezeichneten Kunstbegriff des Mephisto-Beschlusses; einen von ihm formal genannten Kunstbegriff, der das »Wesentliche« eines Kunstwerks darin sieht, dass es einem bestimmten Werktyp (also Malen, Bildhauen, Dich­ ten) zugeordnet werden kann; schließlich einen sozusagen »offenen« Kunstbegriff, der »das kennzeichnende Merkmal einer künstlerischen Äußerung darin sieht, dass es wegen der Man­ nigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten ­Interpretation immer weiter reichende Bedeutungen zu entnehmen, sodass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt.«2 Man sieht, auf welche Heraus­ forderung die Jurisprudenz zu reagieren hat. Sonst würden wir nicht mit gleich drei Begriffs­ bildungen kommen. Nun ist die Stiftungsprofessur für Kunstrecht und Kulturgutschutzrecht in der Säule des Zivilrechts, nicht im Verfassungsrecht angesiedelt. Es geht in der Praxis im Spannungsfeld von Kunst und Recht nämlich vor allem um privatrechtliche Fragestellungen und um das Wirt­ schaftsrecht des (internationalen) Kunstmarkts. Aber die Frage, was als Kunst gewährleistet ist und was Kunst ist, hat auch für die zivilrechtliche Betrachtung Bedeutung. Auch in der Sache Mephisto ging es um einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch. Und die Sachverhalte sind zivilrechtlich sehr interessant. Die meisten von Ihnen werden mitbekommen haben, dass am 5. Oktober 2018 bei Sotheby’s das Bild Girl with Balloon des Street-Art-Künstlers Banksy, soeben für über 1 Million Pfund (1,2 Millionen Euro) versteigert, von einem Schredder in kleine Streifen zerlegt, durch den unteren Rand seines Rahmens ent­ wich. Das war vom Künstler so eingerichtet, nur sollte das Bild eigentlich ganz geschreddert werden. Der Künstler selbst hatte den Schredder in den Rahmen eingebaut (und selbst oder durch Dritte mit Fernbedienung gesteuert). So etwas ist für Juristen ein Fest (wahrscheinlich noch mehr als für die Kunstszene). Leider hat diese Sache einen schlimmen Haken: Das Bild ist jetzt das Doppelte wert, deshalb haben in diesem Fall wohl alle, auch wirtschaftlich, gewonnen. Das ist für Juristen schade. Aber die Aktion könnte Nachahmung finden, und nicht bei jedem in einer Auktion kurz nach dem Zu­ schlag geschredderten Bild wird eine Werterhöhung eintreten. Dann gibt es Ärger – und Arbeit für die Juristen: § 156 BGB, Kaufvertrag mit dem Hammerschlag geschlossen, dann die Aktion mit dem Schredder, Bild teilweise zerstört, also nachträgliche objektive Unmöglichkeit zu über­ eignen, Rücktrittsrecht (§ 437 Nr. 2 BGB), Schadensersatz, Rechtsanwaltsgebührenordnung. Oder war Gegenstand der Auktion gar kein Bild, sondern ein schöpferischer Prozess, der in Gestalt eines Bildes mit einem (möglicherweise schon 2006 in den Rahmen gebauten) Schred­ der begann und dann in der Auktion seinen publikumswirksamen schöpferischen Höhepunkt finden sollte (vielleicht um auf Eigentümlichkeiten des Kunstmarkts hinzuweisen)? Ich sehe hier 1 2

BVerfGE 30, 173 (188 f.). BVerfGE 67, 213 (226 f.).

11  Grußwort  

verfassungsrechtlich eine vielstufige Informationsvermittlung. Das Zivilrecht ist wahrscheinlich nüchterner: Unter den Hammer kam für jeden offensichtlich ein Bild, das so, wie es versteigert wurde, nicht mehr übereignet werden konnte. Ich muss das nicht auflösen, möchte aber in Bezug auf die akademische Lehre sagen: Wen ein solcher Fall, wenn er Jura studiert, nicht interessiert, der hat das falsche Fach gewählt. Auch in der Lehre ist der Fachbereich durch die neue Professur bereichert. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir am Schluss doch noch einen kurzen Rückblick. Es ist auch ein wesentliches Verdienst des in der Zeit der anfänglichen Gespräche zwischen Universität und Stiftung amtierenden Dekans und späteren Vorsitzenden der Berufungskom­ mission Prof. Dr. Rainer Hüttemann, dass das Projekt mit der Unterstützung durch das Rektorat in Bonn angesiedelt ist und dass wir unseren Wunschkandidaten Prof. Dr. Matthias Weller an die Angel bekommen und am Ende an Land gezogen haben. Dafür hat der Fachbereich viel­ mals zu danken. Wir glauben, dass der Bonner Fachbereich mit seinen vorhandenen und auf Internationali­ tät setzenden Forschungsausrichtungen im Zivilrecht und in anderen Bereichen der Professur für Kunst- und Kulturgutschutzrecht gute Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Und der Standort Bonn, auch mit Sitz der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und anderen Kultureinrichtungen, bietet viele Kooperationsmöglichkeiten. Ihnen dreien, Frau Jun.-Prof. Dr. Saß, Herrn Prof. Dr. Weller und Herrn Prof. Dr. Zuschlag, wünschen die Fakultät und der Fachbereich das allerbeste Gelingen!

12  Raimund Waltermann

Grußwort

anlässlich der feierlichen Auftaktveranstaltung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-­Stiftungslehrstühle für Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Uni­versität Bonn Volker Kronenberg

Ich freue mich außerordentlich – stellvertretend für die Philosophische Fakultät –, ein paar Worte zur Begrüßung sprechen zu dürfen. Denn der Anlass ist ja ein ganz besonderer: Nicht nur begehen wir heute die zum Sommersemester vollzogene Besetzung dreier neu geschaffe­ ner Professuren durch hervorragende und bestens ausgewiesene Wissenschaftler, die ich zu dieser Gelegenheit noch einmal ganz herzlich an der Universität Bonn willkommen heißen möchte – namentlich sind dies Herr Prof. Dr. Matthias Weller, Frau Jun.-Prof. Dr. Ulrike Saß sowie Herr Prof. Dr. Christoph Zuschlag. Dieser festliche Anlass wird darüber hinaus durch die morgen stattfindende erste Fachkon­ ferenz der Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht flankiert. Dies zeigt sehr deutlich, dass Sie Ihre Lehrstühle nicht nur angetreten, sondern bereits mit Impulsen, mit Leben gefüllt haben. Es steht deshalb ganz außer Frage, dass die heute Gewürdigten das wissenschaftliche Spektrum unserer Universität – der beiden beteiligten Fakultäten – um neue Schwerpunktset­ zungen bereichern und der Forschungslandschaft Bonn neue Fachbereiche erschließen. Neu, aber selbstverständlich nicht losgelöst von der fachlichen Rahmung durch bereits bestehende Disziplinen, durch die Philosophische wie auch die Rechts- und Staatswissen­ schaftliche Fakultät. Hier finden die Fächer Anknüpfung und Einbettung, Möglichkeit zur ­Kooperation, aber auch zur Abgrenzung. Gerade im Austausch über Fachgrenzen hinweg zeigt sich die große Stärke geisteswissen­ schaftlicher Analyse, Fragestellungen und Erkenntnisse unterschiedlicher Art miteinander zu verbinden, diese im gegenseitigen Austausch weiterzuentwickeln, zu inspirieren, zu ergänzen, zu korrigieren, neu zu denken – nicht durch Scheuklappen eingeengt, sondern die Fruchtbar­ keit unterschiedlicher Perspektiven erkennend. Dieser Impetus ist konstitutiv für die Wissenschaft im Allgemeinen und diesem Grundver­ ständnis fühlen wir uns als Philosophische Fakultät nicht erst aufgrund aktueller wissenschafts­ politischer Anforderungen, sondern aus tiefster Überzeugung und aus der Kenntnis der Wur­ zeln geisteswissenschaftlichen Denkens heraus ganz besonders verpflichtet. Die Gründung der Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie wissenschaftlich wertvoll, wie erfolgreich eine solche Kooperation über Fachgrenzen hinweg sein kann.

Volker Kronenberg ist Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn.

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An dieser Stelle möchte ich der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung ganz herz­ lich dafür danken, dass sie den Nexus von Kunst- und Rechtswissenschaft durch ihre groß­ zügige Unterstützung möglich macht. Neben ihrer interdisziplinären Ausrichtung stehen die neugeschaffenen Lehrstühle, steht die Forschungsstelle aber noch in anderer Hinsicht für das, was unsere Fakultät auszeichnet: Die Provenienzforschung verbindet geradezu exemplarisch historisch gewachsene Grundlagen des Wissens und der Analyse mit aktuellen Problemen und Fragestellungen. Die enge Verwobenheit dieser beiden Aspekte liegt dabei bereits in ihrem Untersuchungs­ gegenstand begründet – geht es doch darum, altbekanntes Wissen über Kunst und Kultur wie­ derzuentdecken, nachzuzeichnen, nachvollziehbar, aber auch – und das illustriert nicht zuletzt auch die thematische Bandbreite der morgen beginnenden Fachkonferenz – wieder ganz kon­ kret nutzbar zu machen. Die für die Philosophische Fakultät so wesensimmanente Grundlagen­ wissenschaft ist insofern nicht nur Komplementär, sondern auch Fundament des Anwendungs­ bezugs. Gerade im Zusammenspiel mit der Erforschung des Kunst- und Kulturgutschutzrechts ge­ lingt der Brückenschlag zur praktischen Anwendung, zur Bearbeitung aktuell sich stellender Herausforderungen. Diese Verbindung trägt damit neben dem Gewinn wissenschaftlicher ­Erkenntnis auch zur Sichtbarmachung der unmittelbaren Relevanz der beteiligten Fachberei­ che bei. Hierbei möchte ich im Namen der Philosophischen Fakultät weiterhin bestes Gelingen wünschen.

14  Volker Kronenberg

Grußwort

anlässlich der feierlichen Auftaktveranstaltung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-­Stiftungslehrstühle für Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Uni­versität Bonn Ursula Gather

Der in Kamerun geborene Politikwissenschaftler und Philosoph Achille Mbembe hat jüngst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die These aufgestellt, dass »jede authentische Restitu­ tionspolitik untrennbar mit Wahrheitsfähigkeit verbunden ist«,1 und mehr oder weniger explizit angezweifelt, dass die europäischen Nationen überhaupt wahrheitsfähig sind. Grundsätzlicher noch hat Mbembe im Hinblick darauf, dass die aus Afrika geraubten Gegenstände vielfach in einem sehr engen Zusammenhang von Lebenswelt, Ritualen und Zeremonien gestanden ­haben, festgestellt: »Diese Welt wird uns niemand je zurückgeben können.«2 Die Fragen, die im Zusammenhang mit Provenienzforschung und Restitution heute gestellt werden, sind in hohem Maße komplex, transdisziplinär, länderübergreifend und philosophisch tiefgehend. Das Verständnis für ein Kunstobjekt und seine Herkunft wird überdies von sehr vielfältigen juristischen Problemstellungen begleitet. Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung hat mit zwei unabhängigen, aber doch aufeinander bezogenen »Tandemprofessuren« am Institut für Kunstgeschichte sowie in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät hier in Bonn einen Forschungsschwerpunkt ­geschaffen, der sich den Schlüsselfragen der Provenienzforschung widmet und Impulse für weitergehende Forschungen setzen kann. Beide Professuren werden für fünf Jahre mit jeweils einer Million Euro durch unsere Stiftung gefördert, inhaltliche Vorgaben bestehen nicht; unser primäres Ziel ist es, gute Wissenschaft zu ermöglichen. Über eine mögliche Initiative zur Provenienzforschung war in der Stiftung seit 2014 gespro­ chen worden. Die Sache nahm Fahrt auf bei einem Sondierungsgespräch mit der Kulturstaats­ ministerin Prof. Monika Grütters im April 2015. Ein Gespräch, das mir aufgrund des intensiven fachlichen Austauschs noch heute gut in Erinnerung ist. Noch im selben Jahr wurden bei uns in der Stiftung die Weichen gestellt. Das Kuratorium stimmte dem Vorschlag zu, zwei Profes­ suren an der Universität Bonn einzurichten: heute besetzt durch Herrn Prof. Dr. Weller und Herrn Prof. Dr. Zuschlag und ergänzt durch Frau Jun.-Prof. Dr. Saß. Ich freue mich über diese hervorragenden Berufungen.

Ursula Gather ist Vorsitzende des Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. 1 Achille Mbembe, Restitution ist nicht genug, in: FAZ 234 (2018), S. 11. 2 Ibid.

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Dem Rektor der Universität Bonn, Herrn Kollegen Prof. Dr. Dr. h.c. Hoch, bin ich sehr dank­ bar, dass er diese Stiftungsinitiative aufgegriffen hat, tatkräftig unterstützt und die dauerhafte Fortführung der Professuren nach fünf Jahren zugesagt hat. Die Weichen für fachlich tiefgehende und fachübergreifende kooperative Forschung sind also gestellt. Die Veranstaltung heute und morgen verdeutlicht nicht nur die Dimension moderner Pro­ venienzforschung, sondern macht neugierig auf das, was noch kommen mag.

16  Ursula Gather

Grußwort

anlässlich der feierlichen Auftaktveranstaltung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-­Stiftungslehrstühle für Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Uni­versität Bonn Günter Winands

Lassen Sie mich zunächst herzliche Grüße von Frau Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grüt­ ters ausrichten, die – wie Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Gather bereits ausgeführt hat – die Einrichtung der Stiftungslehrstühle für Provenienzforschung sowie Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Universität Bonn von Anfang an unterstützt hat. Meine Ministerin hat in Bonn Kunstgeschichte studiert, ich selbst Rechtswissenschaften – und wie wir uns dadurch auf Bundesebene fachlich gut ergänzen, sind wir sicher, dass diese Kombination Kunstwissenschaft und Rechts­ wissenschaft genauso eine hervorragende Grundlage für eine erfolgreiche Arbeit der neuen Forschungsstelle sein wird. Die Bundesregierung ist am Gelingen dieser bislang einmaligen interdisziplinären Kooperation sehr interessiert. Ich möchte Ihnen daher auch an dieser Stelle nochmals die Bereitschaft unseres Hauses und auch von mir ganz persönlich zur weiteren Unterstützung dieses Leuchtturmprojektes versichern. Die Washingtoner Konferenz über Holocaust-Vermögen, die vor 20 Jahren im Dezember 1998 stattfand, war ein entscheidender Wendepunkt bei der Aufarbeitung des durch das natio­ nalsozialistische Deutschland verübten Kulturgutraubs. So wie der Holocaust mit der Ermor­ dung von 6 Millionen Juden einmalig war, so ist auch die Skrupellosigkeit der durch die natio­ nalsozialistischen Machthaber organisierten Kunstraubzüge, denen vornehmlich das jüdische Bürgertum zum Opfer fiel, schier unfassbar und in der Kunstgeschichte beispiellos. Beschämend ist aber letztlich auch, wie lange es gedauert hat, dass mit der Washingtoner Erklärung eine wirkliche systematische Erforschung und Aufarbeitung des NS-Kulturgutraubs begonnen wurde. Erschreckend ist leider auch die dabei gewonnene Erkenntnis, dass viele in der Weimarer Zeit hoch angesehene Kunsthistoriker und -historikerinnen, Museumsleute so­ wie Kunsthändler und -händlerinnen später in einer Mischung aus ideologischer Verblendung, Karrierestreben, Willfährigkeit oder schlichter Bereicherungsabsicht zum Täter, Gehilfen oder Profiteur wurden – und nach 1945 oftmals wieder, ohne ein Wort des Bedauerns oder Reue, wichtige Positionen in der Kunstwelt einnahmen, so, als wäre dazwischen nichts gewesen. Dies hat eindringlich im letzten Jahr die Ausstellung in der Bundeskunsthalle über den Kunsthänd­ ler Hildebrand Gurlitt aufgezeigt, die aktuell im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen ist und danach als nächste Station im Israel Museum in Jerusalem.

Günter Winands ist Staatssekretär a.D., Ministerialdirektor und Amtschef bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

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Die Aufklärung des NS-Kulturgutraubs und vor allem die Auseinandersetzung mit den Schicksalen der überwiegend jüdischen Opfer sind unverändert gesamtgesellschaftliche Auf­ gaben von immenser Bedeutung. Das heutige Deutschland wird nicht zuletzt im Ausland daran gemessen, wie es mit diesem dunklen Kapitel auch in der Kunstgeschichte umgeht. So steht die Aufklärung des in vielerlei Hinsicht spektakulären Kunstfundes Gurlitt, seitdem er Anfang ­November 2013 weltweit die Schlagzeilen beherrscht hat, unter großer internationaler Beob­ achtung. Lassen Sie mich dazu vielleicht eine Anmerkung machen. In Deutschland wird prob­ lematisiert, dass nach vier Jahren Aufklärungsarbeit sich nur zehn Kunstwerke als Raubkunst herausgestellt haben, von über 600 zunächst raubkunstverdächtigen. Vergessen wird dabei, dass auch nur rund 30 Arbeiten völlig frei von Raubkunstverdacht sind, und dies zeigt, wie schwierig nach 70 Jahren Provenienzforschung ist, zumal bei einem Kunsthändler, der seine Bücher bewusst nicht wahrheitsgetreu geführt hat. Aber: Bei vielen Kunstwerken fehlt nur der letzte Beweis, und deshalb wird das Kunstmuseum Bern, also die Erbin des Gurlitt-Nachlasses, solche grenzwertigen Werke in Deutschland lassen. Und ich sage sogar: Selbst wenn sich auch nur ein einziges Bild als Raubkunst herausgestellt hätte, so wäre auch dann der Aufwand ­gerechtfertigt gewesen. Denn hinter einem im Nationalsozialismus entzogenen, geraubten Kunstwerk stehen immer auch das individuelle Schicksal und das – nicht mehr wiedergutzuma­ chende – Leid eines Menschen. Bei der Aufarbeitung des NS-Kulturgutraubes geht es darum, die Herkunft der Werke zu erforschen, um zum einen mit den Opfern und heute fast ausnahmslos nur noch mit ihren Er­ ben eine »gerechte und faire Lösung« zu finden, wenn Raubkunst identifiziert wird. Dahinter steht aber eben vor allem die angemessene Würdigung der Opferbiografien und des Leids und des Unrechts, dem Verfolgte des NS-Regimes, insbesondere Menschen jüdischen Glaubens, unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft ausgesetzt waren. Im Ergebnis der Provenienzforschung wurden in den letzten Jahren zahlreiche Kunstwerke, Bücher und Archivalien als NS-Raubgut identifiziert und restituiert bzw. andere »gerechte und faire Lösungen« im Sinne der Washingtoner Erklärung gefunden. Fast wöchentlich kann man über solche Rückgaben in den Zeitungen lesen, und es sind beileibe nicht nur die großen Mu­ seen. Viele Museen engagieren sich heute viel stärker als früher – sie wissen, dass sie nicht mehr nur an ihrer Ankaufs- und Ausstellungspolitik gemessen werden, sondern auch daran, wie sie ihre Geschichte und die ihrer Sammlungen aufarbeiten. Ein Meilenstein auf dem Weg der Stärkung der Provenienzforschung war im Jahr 2015 die Gründung des aus dem Kulturetat des Bundes finanzierten Deutschen Zentrums Kulturgutver­ luste in Magdeburg. Die Initiative hierzu geht auf Kulturstaatsministerin Prof. Grütters zurück, getragen wird es gemeinsam durch Bund, Länder und Kommunen. Die Gründung war eine unmittelbare Folge des Gurlitt-Falls. Deutschland hat nun mit dem Zentrum einen zentralen Ansprechpartner, Förderer und Impulsgeber bei der Umsetzung der Washingtoner Prinzipien. Einem Ausländer konnte man vorher unser insoweit zersplittertes föderales System kaum er­ läutern, ja der Kulturföderalismus wurde mitunter als schiere Ausrede des Bundes für eine vermeintliche Verschiebung des Problems auf die Länder betrachtet. Beim Deutschen Zent­ rum Kulturgutverluste sind sodann sehr schnell auch die Förderung von Provenienzforschung zu Kulturgutverlusten in der ehemaligen SBZ/DDR hinzugekommen und jetzt auch – ausgelöst durch das Humboldt Forum in Berlin – im Bereich der Kulturgüter aus kolonialen Kontexten. Das Bewusstsein, dass die Ergründung der Geschichte eines Werkes nicht nur moralische Pflicht, sondern Teil eines professionellen Umgangs mit Kulturgut und nicht zuletzt auch urei­

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genes Interesse jedes Museums sowie jedes Kunstbesitzers und jeder Kunstbesitzerin sein muss, ist sicherlich auch noch einmal durch das seit 2016 geltende Kulturgutschutzgesetz ge­ wachsen. Es legt etwa dem gewerblichen Handel zum ersten Mal überhaupt verbindliche Sorg­ faltspflichten im Hinblick auf die Herkunftsgeschichte der von ihm veräußerten oder vermittel­ ten Werke auf. Es geht dabei darum, ganz allgemein – auch über den Kontext der NS-Raubkunst hinaus – mehr Sensibilität für die Herkunftsgeschichte von Kulturgütern zu schaffen, übrigens auch derjenigen anderer Länder und Kulturen. Die Bundeskulturbeauftragte fördert die Provenienzforschung zum einen in den von ihr getragenen Museen und Einrichtungen. Uns ist dabei wichtig, dass die großen Häuser eigene feste Stellen für Provenienzforscherinnen und -forscher haben. Daneben fördern wir – über­ wiegend über das Magdeburger Zentrum – die dezentrale Erforschung bundesweit vor allem in solchen Einrichtungen, die keinen dauerhaften Bedarf haben, aber einmal ihre Sammlung untersuchen wollen. Wir haben die Mittel von ursprünglich 1 Million Euro 2018 auf zwischen­ zeitlich 7 Millionen Euro jährlich erhöht, und ab nächstem Jahr werden wir diese nochmals um 2 Millionen Euro für den Bereich der Erforschung von Kulturgütern in kolonialen Kontexten aufstocken. Die Verankerung der Provenienzforschung in Wissenschaft und Forschung ist eine notwen­ dige Ergänzung der finanziellen Förderung der Provenienzforschung. Den wissenschaftlichen Hochschulen kommt dabei naturgemäß eine Schlüsselrolle zu. Denn ohne wissenschaftliche Expertise ist es nahezu unmöglich, die Herkunft eines Kunstwerks über Jahrzehnte zurück­ zuverfolgen und zweifelsfrei zu klären. Wissenschaftliches Know-how brauchen wir aber nicht nur an den Universitäten, sondern auch in der Praxis: in Museen, Archiven, Bibliotheken, im Umgang mit privaten und öffentlichen Sammlungen, im Kunsthandel. Deshalb müssen das er­ forderliche Wissen und die Sensibilität für die Aufgabe schon im Rahmen der wissenschaft­ lichen Ausbildung vermittelt werden. Nur so stärken wir die Provenienzforschung nachhaltig. Die Einrichtung von Professuren auf diesem Gebiet, neben Bonn auch an den Universitäten Hamburg und München sowie künftig auch in Berlin, ist eine höchst erfreuliche – seitens der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien beförderte – Entwicklung, gerade weil der Bedarf an qualifizierten Forscherinnen und Forschern groß ist und für lange Zeit groß bleiben wird. Die Universität Bonn gibt jetzt hier ein herausragendes Beispiel mit der Einrich­ tung der bundesweit ersten Stiftungslehrstühle auf den Gebieten Provenienzforschung und Kulturgutschutz und der sich nun daraus ergebenden Gründung der Forschungsstelle Proveni­ enzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht. Gerade die interdisziplinäre Perspektive, die nun an der Universität Bonn möglich ist, wird den vielfältigen und komplexen Herausforderun­ gen bei der Erforschung der Provenienz von Kulturgütern gerecht. Das Konzept der Forschungsstelle, die Fragestellungen der Provenienzforschung mit dem Aspekt des Kunst- und Kulturgutschutzrechts zu verknüpfen, ist bestechend konsequent. Als Amtschef der Bundeskulturbeauftragten und als Jurist habe ich regelmäßig gerade mit recht­ lichen Fragen, die mit der Aufarbeitung von Kulturgutentziehungen verbunden sind, zu tun. Ich würde mich daher freuen, wenn die Forschungsstelle nicht zuletzt diese unmittelbar aus der Praxis stammenden Probleme aufgreifen würde. Darüber bin ich auch mit Prof. Dr. Weller ­bereits intensiv im Gespräch. Liebe Frau Jun.-Prof. Dr. Saß, lieber Herr Prof. Dr. Weller und lieber Herr Prof. Dr. Zuschlag, ich wünsche mir und uns, dass Ihr Wirken und gerade auch Zusammenwirken die Universität Bonn zu einem Wissensquell, Impulsgeber und Ansprechpartner für die Provenienzforschung

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und den Kulturgutschutz macht. Und an Sie, liebe Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Gather und lieber Herr Dr. Kempf, richte ich abschließend meinen Dank, dass die Alfried Krupp von Bohlen und Hal­ bach-Stiftung die Einrichtung der beiden Stiftungsprofessuren und der Forschungsstelle hier in Bonn überhaupt erst möglich gemacht hat.

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Grußwort

anlässlich der feierlichen Auftaktveranstaltung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-­Stiftungslehrstühle für Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Uni­versität Bonn Hildegard Kaluza

Ich freue mich sehr, Ihnen die Grüße der Landesregierung und besonders von Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen überbringen zu dürfen. Diese festliche Auftaktveranstaltung betrifft die ­beiden in unserem Ministerium ressortierenden Politikbereiche »Kultur« und »Wissenschaft« gleichermaßen. Daher müsste ich jetzt eigentlich ein doppeltes Grußwort halten. Aber keine Sorge, mit Blick auf die bereits von meinen Vorrednern gemachten Ausführungen zu den rechtswissenschaftlichen Aspekten werde ich mich auf einige Bemerkungen zur Bedeutung der Provenienzforschung für das Land Nordrhein-Westfalen beschränken. Zuvor möchte ich jedoch die Gelegenheit nutzen, der Alfried Krupp von Bohlen und Hal­ bach-Stiftung und besonders Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Gather als Vorsitzende des Kuratori­ ums für ihr großartiges Engagement zu danken. Das starke bürgerschaftliche Engagement der Stiftungen in Nordrhein-Westfalen trägt entscheidend zum Profil der Forschungslandschaft bei. Ich freue mich besonders, dass in diesem Fall das immens wichtige Gebiet des Kulturgut­ schutzes und der Provenienzforschung unterstützt wird. Denn beide Themen stehen in einem engen Zusammenhang. Ebenso wie die beiden Diszi­ plinen Kunstgeschichte und Rechtswissenschaft. Ich halte es daher für einen äußerst lobens­ werten Ansatz, beide Disziplinen in einer Forschungsstelle zu vereinen und so zu fruchtbaren Synergien in der Forschung zu gelangen. Entscheidungen nach dem Kulturgutschutzgesetz sind vielfach auf lückenlose Nachweise der Provenienz angewiesen. Die Ergebnisse der Provenienz­ forschung benötigen das juristische Instrumentarium, um volle Wirksamkeit zu entfalten. Ich möchte nun im Folgenden aus Sicht des Landes die mit der Einrichtung der neuen Lehrstühle verbundenen Erwartungen formulieren. Mit der Einrichtung der neuen Bonner Lehrstühle ist ein dringend notwendiger Pfeiler der deutschen Provenienzforschung etabliert worden. Hier werden im Rahmen eines bundesweit einzigartigen Studiengangs umfassende Kenntnisse in Provenienzforschung und Sammlungs­ geschichte unter Einbeziehung juristischer Aspekte erforscht und vermittelt. Die Forschungs­ stelle wird ein Ort sein, an dem Forschungsergebnisse, Methoden und praxisbezogene A ­ nsätze gebündelt und den Kulturinstitutionen zur Verfügung gestellt werden. Auf diesen Wissens­ transfer sind die mit den konkreten Rechercheaufgaben befassten Institutionen dringend an­ gewiesen.

Hildegard Kaluza ist Leiterin der Kulturabteilung im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.

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Die Provenienzforschung ist für Museen und Kulturinstitutionen eine große, aber auch ­notwendige Herausforderung. Die Verabschiedung der Washingtoner Erklärung von 1998 und die selbstverpflichtende Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der Kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kultur­ guts (1999) bildete einen ersten Meilenstein. In Umsetzung dessen kommen deutsche Museen und Kulturinstitutionen im Rahmen ihrer Möglichkeiten der Aufgabe nach, Provenienzen ihrer Sammlungen – insbesondere in Bezug auf das Zeitfenster 1933 bis 1945 – wissenschaftlich zu erforschen. Diese Recherchen stellen Museen, vor allem kleinere Häuser, vor große Herausfor­ derungen. Oft mangelt es an personellen und finanziellen Kapazitäten. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste steht den Museen bei der Bewältigung dieser Aufgabe mit finanzieller Unter­ stützung zur Seite. Mit den neuen Lehrstühlen an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Univer­ sität Bonn werden unsere Museen neue kompetente Ansprechpartner und wissenschaftlichmethodische Expertise finden. Über die rechtliche Verpflichtung hinaus wird die Provenienzforschung mittlerweile auch als Chance begriffen. Inzwischen sind an Museen und anderen Kulturinstitutionen Provenienz­ recherchen, Recherchen zur Eigentümergeschichte und zur Biografie einzelner Kunstwerke fester Bestandteil der kunsthistorischen Praxis geworden. Die Provenienzforschung hat sich zu einem wichtigen Instrumentarium entwickelt. Darin liegen auch Chancen, denn über gezielte Provenienzrecherchen können die Institutionen Informationen über die eigenen Bestände im Kontext der Sammlungsgeschichte aufarbeiten und wiederum in die Ausstellungspraxis ein­ fließen lassen. Auch bei geplanten Schenkungen, Ankäufen oder Leihgaben ergeben sich aus Provenienzrecherchen Aufschlüsse über Herkunft, Urheberschaft und Originalität von Wer­ ken. Somit ist Provenienzforschung sowohl retrospektiv ausgerichtet als auch auf die Zukunft von Sammlungen angelegt. In Nordrhein-Westfalen möchte ich mit dem Leopold-Hoesch-Museum in Düren und dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln zwei Museen hervorheben, die sich in enger Beziehung zu­ einander besonders intensiv mit Provenienzrecherchen befasst haben. Mit der Absicht einer lückenlosen Aufklärung von Erwerbungszusammenhängen, der Sammlungsentwicklung und Institutionsgeschichte leisteten sie eine vorbildliche Forschungsarbeit, unterstützt durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste. Die Ergebnisse wurden im Jahr 2016/17 in der Ausstel­ lung Unsere Werte? Provenienzforschung im Dialog: Leopold-Hoesch-Museum und WallrafRichartz-Museum vorbildlich präsentiert und dokumentiert. Es zeigt sich dabei, dass eine erfolgreiche Provenienzforschung auf die Kooperation aller Akteure angewiesen ist. Dies sind zum einen die von Auskunfts- und Restitutionsersuchen betroffenen Institutionen. Die in diesem Kontext beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissen­ schaftler haben sich in Deutschland im Arbeitskreis Provenienzforschung e. V. zusammenge­ schlossen, um die Forschung strukturell und inhaltlich voranzubringen. In NRW haben auch die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe Initiativen zur Provenienzforschung an ihren Museen ergriffen. Die vielfältigen Ansätze zu bündeln, Forschungsergebnisse zu sammeln und auszutauschen und Forschungsergebnisse für andere Institute anwendbar zu machen, ist ein wichtiges Desiderat aller Akteure. Bei dieser koordinierenden Aufgabe und Vernetzung werden die Bonner Lehrstühle eine herausragende Rolle einnehmen! Lassen Sie mich abschließend noch auf einige Initiativen des Landes auf dem Gebiet der Provenienzforschung eingehen:

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Weil das Land Nordrhein-Westfalen zu seiner Verantwortung bei der Auffindung und Rück­ gabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes steht, sind von Seiten des Landtags NRW in dieser Legislaturperiode zusätzliche Mittel zur Unterstützung der Provenienzforschung in NRW bereitgestellt worden. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft fördert damit Initia­ tiven der Provenienzforschung in NRW: 2019 unterstützen wir eine internationale Jahrestagung des Arbeitskreises Provenienzfor­ schung e. V., die dem fachlichen Austausch der Mitglieder untereinander, aber auch mit inter­ nationalen Experten zu aktuellen Themen und Fragen der Provenienzforschung dienen wird. Darüber hinaus unterstützen wir Initiativen der Landschaftsverbände Rheinland und West­ falen-Lippe. Sie führen zurzeit eine Bedarfsermittlung zur Provenienzforschung an rheinischen und westfälischen Museen durch. Dabei stehen die kleineren Museen der L ­ andschaftsverbände im Fokus. Absicht ist, Museen zu beraten und strukturierte Recherchemethoden zu vermitteln, z. B. Erst-Checks, Antragsberatung, Initiierung von Kooperationen. Bei ihren vielfältigen Aufgaben wünsche ich der Forschungsstelle viel Erfolg und freue mich bereits jetzt auf das Wirken der daraus hervorgegangenen exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

23  Grußwort

Die Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der ­Universität Bonn

Die Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht (FPK) der Universität Bonn: Rechtswissenschaftliche Perspektiven Matthias Weller

Magnifizenz, Spektabilitäten, Honoratioren, Eminenzen, Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren, 1971 – Stanford University: John Henry Merryman, Nelson Bowman Sweitzer & Marie B. Sweitzer Professor of Law an der Stanford University, legt den allseits atemberaubenden Vorschlag vor, einen neuen Kurs an der Law School anzubieten mit dem Titel: Law, Ethics and the Visual Arts. Dies erschien damals, selbst zu Flower-Power-Zeiten in Kalifornien, als dermaßen kühn, dass die Fakultät, wie eben rechtswissenschaftliche Fakultäten manchmal so sind, skeptisch reagierte. Der Erfolg, die Nachfrage, der Markt, wenn Sie so wollen, gab Merryman Recht, und so gilt dieser Moment 1971 als die Geburtsstunde des universitären Kunstrechts. Merrymans Kurs war von Anfang an interdisziplinär angelegt. Merryman unterrichtete mit einem kunsthistorischen Kollegen in Stanford, Albert Elsen, und bald gab es erste Lehrbücher. Merryman kam fachlich aus dem Privatrecht und der Rechtsvergleichung. 2018 – Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn: Diese schafft, im Jahr ihres 200-jährigen Bestehens, mit der Förderung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, etwas, wovon Merryman bis zum Ende seines Lebens und die universitäre Disziplin des Kunstrechts weltweit bis 2018 nur träumen konnten, nämlich eine entschlossene, institutionelle und interdisziplinäre Verankerung des Fachs an einer der forschungsstärksten Universitäten des Landes. Es gab immer wirkmächtige Einzelpersonen im akademischen Feld der Rechtswissenschaften, die das Kunstrecht entwickelt und weitergeführt haben: Gerte Reichelt, Universität Wien, mit besonderem Fokus auf dem internationalen Kulturgüterschutz, heute Abend unter uns, Haimo Schack, Universität Kiel, der Autor des deutschsprachigen Standardlehrbuchs zum Kunstrecht, damit so etwas wie der deutsche John Henry Merryman, seinerseits Privatrechtler, Internationalprivatrechtler, Rechtsvergleicher, heute unter uns. Thomas Dreier, führender Urheberrechtler, auch in den und durch die Untiefen des Kunstrechts, heute unter uns. Und es gab seit längerem ein aus dem Umfeld der Universität Heidelberg hervorgegangenes, vereinsrechtlich getragenes Institut für Kunst und Recht, deren Vorstände heute unter uns sind, ebenso wie zahlreiche, langjährige Institutsmitglieder. Aber eines gab es eben bisher nicht: Voll ausgestattete, dauerhafte, reguläre, auf das Feld fokussierte Lehrstühle. So viel zu den zentralen Unterschieden zwischen 1971 und 2018, zwischen Stanford und Bonn. Matthias Weller ist Inhaber der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Professur für Bürgerliches Recht, Kunst- und Kulturgutschutzrecht sowie Direktor des Instituts für deutsches und internationales Verfahrensrecht der Universität Bonn. Die Vortragsform ist beibehalten.

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Es gibt auch Parallelen, fast verblüffende Parallelen: Die Bonner Professuren tragen einen ähnlich komplizierten Namen wie damals Merrymans Nelson Bowman Sweitzer & Marie B. Sweitzer Professur in Stanford. Der juristische Kollege des Bonner Tandems der Krupp-Professuren kommt ebenfalls aus dem Privatrecht, dem Internationalen Privatrecht und aus der Rechtsvergleichung und arbeitet mit dem kunsthistorischen Kollegen von Anfang an interdisziplinär. Die Nachfrage, das allgemeine Interesse ist bisher groß, heute vielleicht noch größer – im Grunde überwältigend, wie man auch heute Abend sehen kann. Dafür danken wir Ihnen allen ganz herzlich. Nun hat das Bonner Projekt dadurch einen besonderen Akzent, dass auf kunsthistorischer Seite die Provenienzforschung betont wird. Dazu hören wir im Anschluss und auch morgen mehr. Der Auftrag, der sich daraus für die rechtswissenschaftliche Arbeit ableitet, liegt auf der Hand: Wir sind 2018 auch im 20. Jahr der Washington Principles on Nazi-Confiscated Art, beschlossen am 3. Dezember 1998 durch 44 Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland. Und es ist für uns eine besondere Ehre und Freude, dass wir heute Abend mit James D. Binde­ nagel den damaligen Botschafter der Vereinigten Staaten und US Special Envoy for Holocaust Issues unter uns haben, der damals mit Stuart Eizenstat die Washington Principles für die USA verhandelt hat. Wir werden morgen auf der Fachkonferenz von ihm über eine unfinished story hören, und in der Tat hat die Bundesrepublik Deutschland, haben wir, zur Wahrnehmung unserer historischen Verantwortung, vieles geleistet, anderes steht aber eben noch aus – ist unfinished. Dies gilt zum Beispiel für die normative Ausdifferenzierung der zentralen Forderung der Washington Principles, für Objekte nationalsozialistischer Raubkunst heute jenseits des geltenden Rechts, auf der Grundlage allgemein-moralischer Wertungen »gerechte und faire Lösungen« zu finden. Jeder Normwissenschaftler wird sofort sagen: Das wird aber sehr schwierig, wenn kaum weitere Vorgaben dazu bestehen, was denn nun in einem Fall oder in einem anderen Fall als gerecht und fair gelten soll. Nehmen wir ein Beispiel, einen Fall, der in England unter den Washington Principles 2012 entschieden wurde, und ich zitiere, in Übersetzung, aus der Empfehlung des englischen Spo­ liation Advisory Panel: Otto Koch war ein erfolgreicher jüdischer Juwelier in Frankfurt, er starb 1919 und hinterließ der Familie eine umfangreiche Uhrensammlung. Die Familie emigrierte unter dem Druck der nationalsozialistischen Verfolgung im Laufe der 1930er Jahre nach England, und die Familie konnte auch 161 Uhren aus der Sammlung nach England verbringen. Der Sohn, Ernst Koch, im Zeitpunkt des Verfahrens vor dem Spoliation Advisory Panel wohnhaft in Toronto, studierte von 1937 bis 1940 an der Universität Cambridge, im St. John’s College. Finanzielle Schwierigkeiten der Familie im Exil, davon zeugen auch Verhandlungen mit dem College, führten zu der Entscheidung der Familie, einige Uhren 1939 bei Christie’s in London zu versteigern. Nach verschiedenen Zwischenstationen erwarb dann 1958 das British Museum diese Uhren als Bestandteil der Sammlung Courtenay Adrian Ilbert. 2012 verlangte Ernst Koch für die Erbengemeinschaft Herausgabe.1 1

Report of the Spoliation Advisory Panel in respect of fourteen clocks and watches now in the possession of the British Mu­seum, London, 07.03.2012 https://www.britishmuseum.org/sites/default/files/2019-11/spoliationreport_14clocks_2012_0.pdf (abgerufen am 19.07.2021).

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Was wäre für uns in einem solchen Fall eine gerechte und faire Lösung: Der englische Spoliation Advisory Panel entschied jedenfalls, und ich zitiere wieder in Übersetzung: »Dieser Fall ist am unteren Ende der Gewichtigkeit solcher Fälle und von ganz anderer Qualität als solche, in denen Kunstwerke in besetztem Gebiet verkauft werden mussten, um zu überleben.«2 Deswegen sprach sich das Panel gegen die Rückgabe an die Anspruchsteller aus, schlug aber zugleich vor, dass das British Museum die Provenienz der Uhrensammlung dem Besucher vor Augen führt, und das tut das British Museum auch in seinem Internetauftritt zu dieser Sammlung. Andere Stellen haben in vergleichbaren Fällen zu sogenanntem Fluchtgut anders, zugunsten der Erben, entschieden, und wir haben hierzu vor kurzem, hier in diesem Saal, auf der ersten Veranstaltung des neu eingerichteten Gesprächskreises Kunst- und Kulturgutschutzrecht den Vorsitzenden der deutschen Beratenden Kommission, Hans-Jürgen Papier, gehört. Wir sehen also nach 20 Jahren der Restitutionspraxis in solchen und anderen Fällen – natür­ lich – zunehmend Divergenzen. Die Liste spontaner, im konkreten Fall entwickelter, zugleich umstrittener Normsätze ist lang. Wie auch sonst sollten die Entscheidungsträger den vollständig abstrakten Normbefehl, »gerechte und faire Lösungen« zu finden, aufgreifen. Dass das dabei entstehende Fallmaterial viel Richtiges, aber eben auch Ungereimtheiten, Widersprüche, Lücken, Irrungen und Wirrungen hervorbringt, ist unvermeidbar und typisch für die Herausbildung eines Normengeflechts in einem neuen Bereich. Dass dieses Normengeflecht in Deutschland und in anderen Ländern der Washingtoner Konferenz überhaupt zu wachsen begonnen hat, ist der große Erfolg der Washington Principles. Nachdem wir aber jetzt auch eine Art normativen Wildwuchs zu verzeichnen haben, ist, meine ich, die Zeit gekommen, hierauf normwissenschaftlich zu reagieren. Und das klassische Instrument hierzu ist im anglo-amerikanischen Fallrechtssystem entwickelt worden, in dem ganz ähnliche Entwicklungen regelmäßig auftreten – Wildwuchs durch Einzelfallentscheidungen in neuen Rechtsgebieten. Es ist dies das sogenannte Restatement. Ein Restatement sichtet das Fallmaterial eines bestimmten Rechtsbereichs und versucht, die Ratio der jeweiligen Einzelentscheidungen diskursiv freizulegen und auf den Punkt zu bringen und die dabei zu Tage tretenden Normen und Wertungen in ein Verhältnis zu setzen – mit anderen Worten, eine Grammatik der Entscheidungsgründe zu formulieren. Ein Restatement enthält sich dabei des Urteils darüber, was richtig und was falsch ist, es zeigt lediglich umfassend auf, wie in der Vergangenheit entschieden wurde, was davon zusammenpasst und was widersprüchlich ist und welche Entscheidungen künftig konsistent getroffen werden könnten. Niemand ist an ein solches Restatement unmittelbar gebunden. Es ist ja kein Gesetz, sondern eine normwissenschaftliche Bestandsaufnahme, eine Gesamtschau der Einzel­ fälle, eine Systematisierung, eine Art Kommentierung. Es lebt allein von der persuasiven Kraft des besseren Arguments. So machen es die wirkmächtigen Restatements of the Law des ­American Law Institute für alle großen Bereiche des US-amerikanischen Fallrechts und erzielen damit eine erstaunliche Vereinheitlichung im Wildwuchs der vielen Einzelentscheidungen zu wiederkehrenden Fragen. Und so etwas, meine ich, brauchen wir für unsere Restitutionspraxis. Wir wissen nur wenig Konkretes über Gerechtigkeit, aber eines wissen wir dann doch: Im Wesentlichen Gleiches

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Ibid., S. 7 f.

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muss gleich, und Ungleiches ungleich entschieden werden. Daran sollten wir jetzt verstärkt arbeiten. Dies würde die Legitimität und die Akzeptanz unserer Restitutionsentscheidungen substanziell stärken. Vor diesem Hintergrund kann es uns eigentlich nicht zufriedenstellen, dass wir zur Wahrnehmung unserer historischen Verantwortung und zur Vorbereitung gerechter und fairer Lösungen viel in die Provenienzforschung investieren, also die Tatsachengrundlage mit großem Einsatz erheben – wie das konkret geschieht, dazu hören wir jetzt gleich und morgen von kunsthistorischer Seite mehr – dann aber, wenn wir diese Tatsachen haben, diese Tatsachen nicht in eine methodisch bestmöglich abgesicherte, normative Entscheidung zu gerechten und fairen Lösungen überführen. Kurzum: Wir brauchen ein Restatement of Restitution Rules for Nazi-Confiscated Art. Und es liegt nahe, wenn nicht sogar in der Natur der Sache, dass der juristische der Stiftungslehrstühle dazu in der einen oder anderen Weise beiträgt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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Kunst in Bewegung Die wechselvolle Geschichte des Porträts Manuel García de la Prada von Francisco de Goya Ulrike Saß

Noch nie stand der Wechsel von Eigentümer:innen und Besitzer:innen so prominent im Fokus der Kunstgeschichte wie in der aktuell vielfach betriebenen und neuartig diversifizierten Provenienzforschung. Diese verfolgt zumeist die Frage, ob das Kunstwerk im Laufe der ­Geschichte unrechtmäßig entzogen wurde und nach heutigen gesetzlichen Vorgaben oder moralisch-ethischen Wertvorstellungen restitutionswürdig ist. Wenig Beachtung findet oftmals der »ganz nebenbei« ermittelte neue (kunst)wissenschaftliche Erkenntniswert, der aus diesen Forschungen resultiert, nämlich die verschiedenen Betrachter:innen, Nutzer:innen und Rezipient:innen und deren Einfluss auf das Objekt selbst sowie die Geschichte von dessen Semantisierung. Dabei sind diese für Fragen zur Bedeutung und Rezeption eines Kunstwerkes allgemein anerkannte Verhandlungsgrößen. Schon die kunstsoziologischen Forschungen sowie Untersuchungen zur Sammlungsgeschichte, zum Kunstmarkt und zur Rolle von Kunst als Visualisierungs-Medium für reale Machtgefüge und gesellschaftliche Wertvorstellungen rücken die »Bedeutungsaufladung von Kunstwerken jenseits des künstlerischen Schöpfungsakts« in den Fokus.1 Ferner sind vor allem für sakrale mittelalterliche Artefakte im Sinne einer Objektbiografie wichtige Erkenntnisse zur Nutzungs- und Funktionsvariation sowie zum Wandel der Wahrnehmung von Artefakten und Kunstwerken formuliert worden. Auf diese Weise werden die Ein- und Überschreibungen von Werten und Nutzungszusammenhängen in das Kunstwerk selbst, das teilweise auch in seiner äußeren Erscheinung verändert worden ist, in der langen Dauer seines Bestehens evident. Philippe Cordez hat in diesem Zusammenhang betont, dass anhand von überlieferten Gegenständen zeitgenössische Denkmuster und Wertordnungen verhandelt werden.2 Dabei sei der Begriff der Objektbiografie zu überdenken, weil dieser die Eigenaktivität des Gegenstandes suggeriert und davon ablenkt, dass Objekte vielmehr die Wertvorstellungen und Welttheorien derjenigen Gesellschaft spiegeln, die das Artefakt für sich beansprucht.3 Diese Ansätze der Objektwissenschaft und der Provenienzforschung sind für zukünftige Forschungen zur Geschichte eines Kunstwerkes grundlegend. Inwiefern daraus evidente Neuerungen für die kunsthistorische Forschung resultieren, gilt es abzuwarten. Gail Feigenbaum und Inge Reist

Ulrike Saß ist Juniorprofessorin für Kunsthistorische Provenienzforschung am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn. 1 2 3

Susanne Wittekind, Versuch einer kunsthistorischen Objektbiographie, in: Dietrich Boschung, Tobias Kienlin, Patric-Alexander Kreuz (Hrsg.), Biography of Objects. Aspekte eines kulturhistorischen Konzepts, Paderborn 2015, S. 143–172, hier: S. 143. Philippe Cordez, Die kunsthistorische Objektwissenschaft und ihre Forschungsperspektiven, in: Kunstchronik 67 (2014), S. 364–373, hier: S. 368. Ibid., S. 365.

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postulierten bereits vor zehn Jahren, dass mit dem Fokus auf die Provenienzforschung eine »alternative Kunstgeschichte« geschrieben werden könnte, jüngst bekräftigte Christoph Zuschlag diesen Ansatz.4 Unbestreitbar ist das Potenzial, das in der Erforschung der verschiedenen Provenienzen eines Kunstwerkes liegt, um zu verstehen, inwiefern einzelne Personen oder auch Gruppen gesellschaftspolitische Fragen durch Artefakte auch aus älterer Zeit visualisiert sehen und diese zu Trägern gesellschaftlicher und individueller Identität werden können. Die Rekonstruktion der Provenienzen eines Kunstwerkes verdeutlicht die Stationen seiner unterschiedlich ausgeprägten Sichtbarkeit und damit seiner Deutungen. Inwiefern die historischen Deutungen bis heute den Blick auf die Kunstwerke prägen, ist in der kunsthistorischen Forschung spätestens seit dem 12. Kunsthistoriker-Kongress im April 1970 in das Bewusstsein des Faches gerückt.5 Dabei sind bislang die Rezeptionsgeschichten vornehmlich kanonischer Künstler:innen und Werke von der Forschung in den Blick genommen worden, wie Albrecht Dürer oder Michelangelo beziehungsweise die Mona Lisa oder die Sixtinische Madonna.6 Derartige Fragen der Deutung und Rezeption jenseits des ursprünglichen Verwendungskontextes sind aber nicht nur für die heute als wegweisend angesehenen Werke von Relevanz. So können auch vermeintlich weniger relevante Kunstwerke in ihrer Rezeption Eigendynamiken ent­wickeln, die einerseits für einzelne Kulturräume und Zeitepochen bedeutsam sein können und andererseits erst im Vergleich zur breiteren Rezeptionsgeschichte kunstgeschichtlicher Epochen und Kulturräume verständlich werden. Die folgenden Ausführungen verstehen sich daher als Aufruf, die longue durée der Verwendungs- und Rezeptionsgeschichte einzelner Werke stärker in den Fokus kunstgeschichtlicher Forschungen zu rücken. Exemplarisch sei daher die Prove­nienz eines einzelnen und bislang kaum untersuchten Kunstwerkes in den Mittelpunkt gerückt, nämlich eines Gemäldes von Francisco de Goya, das sich heute im Des Moines Art Center in Iowa befindet und das Porträt von Manuel García de la Prada zeigt.

I. Das Porträt und sein Entstehungskontext Der spanische Hofmaler Francisco de Goya (1746–1828) schuf vermutlich in den Jahren zwischen 1805 und 1808 das repräsentative, lebensgroße Porträt von Manuel García de la Prada (1776–1839, Tafel I).7 Dieser ist fast frontal dargestellt und nach französischer Mode gekleidet: Er trägt eine gelbe Kniebundhose, einen dunkelblauen, zweireihigen Gehrock sowie ein weißes Hemd mit hoch aufgestelltem Kragen, der das Gesicht des Dargestellten betont. Selbstbewusst steht er da, die Beine leger überkreuzt. Mit seiner linken Hand stützt er sich auf einen rustikalen Stuhl und mit der rechten berührt er liebevoll ein Mops-Weibchen, das neben ihm auf dem Tisch sitzt. Den Zylinder hat García de la Prada abgenommen und auf den Stuhl gelegt. 4

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Gail Feigenbaum, Inge Reist (Hrsg.), Provenance. An Alternate History of Art, Los Angeles 2012; Christoph Zuschlag, Vom ­Iconic Turn zum Provenancial Turn? Ein Beitrag zur Methodendiskussion in der Kunstwissenschaft, in: Maria Effinger et al. (Hrsg.), Von analogen und digitalen Zugängen zur Kunst. Festschrift für Hubertus Kohle zum 60. Geburtstag, Heidelberg: art­ historicum.net, 2019. https://doi.org/10.11588/arthistoricum.493 (abgerufen am 20.07.2021). Martin Warnke, Das Kunstwerk zwischen Wissenschaft und Weltanschauung, Gütersloh 1970. Dazu siehe auch: Frank Zöllner, Kanon und Hysterie: Primavera, Mona Lisa und die Sixtina im Chaos der Deutungen, in: Kunstgeschichte. Open Peer Reviewed Journal, 2010, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0009-23-25157 (abgerufen am 13.04.2022). Francisco de Goya Lucientes, Manuel García de la Prada, Öl auf Leinwand, 236,5 × 154,3 cm, 1805–1808, Iowa, Des Moines Art Center (Inv.Nr. 1953.15).

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Seine Beinhaltung, der leicht zurückgelehnte Oberkörper sowie die Handhaltungen verleihen ihm eine lässige, elegante Pose. Goya positioniert die helle, lichte Gestalt García de la Pradas vor einen dunklen, unbestimmten Hintergrund und nutzt damit ein etabliertes Gestaltungsmittel in der Porträtmalerei, das den Porträtierten in den Fokus der Betrachter:innen rückt.8 Ferner lassen sich in dem Porträt Adaptionen repräsentativer Darstellungsmodi aus der zeitgenössischen englischen Porträtmalerei erkennen, mit der sich Goya spätestens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts aus­einandergesetzt hat.9 Genannt seien etwa die mangelnde Tiefenwirkung in dem Werk sowie die stilllebenhafte Anordnung und Gestaltung der Gegenstände.10 Damals galt das englische bürgerliche Porträt als »Inbegriff eines internationalen Bildnisstils«, der vor allem für seine vermeintliche »Natürlichkeit« wertgeschätzt wurde.11 Im Sinne dieser Natürlichkeit ist hier auch García de la Prada repräsentiert, was unter anderem anhand des freundlichen, offenen Gesichtsausdrucks und der lockeren Pose deutlich wird.12 Manuel García de la Prada entstammte einer Adelsfamilie aus Kantabrien, einer Region an der Nordküste Spaniens, und war ein angesehener Geschäftsmann mit hohen administrativen und höfischen Ämtern sowie Ehren in Madrid.13 Das Porträt in Des Moines wurde in einer Zeit geschaffen, als sich das Machtgefüge in Europa zugunsten einer Vorherrschaft des napoleonischen Frankreichs verschoben hatte. Diese war nicht zuletzt eine Folge von kriegerischen Auseinandersetzungen, militärischen Besetzungen anderer Länder sowie bilateralen Verträgen, die durch militärische Dominanz erzwungen waren. Auch Spanien war zu einem solchen Bündnis mit Frankreich genötigt worden und wurde 1808 besetzt. Während der Entstehungszeit des Gemäldes war der spanische Hof zudem von Kämpfen um die Vormachtstellung innerhalb der königlichen Familie geprägt. Daraus resultierte eine wechselnde politische Einflussnahme Frankreichs, pro-französischer Staatsmänner und reaktionärer, zumeist klerikal beeinflusster Kreise auf den Hof in Madrid. Die Ideen der Französischen Revolution sowie der Aufklärung hatten sich bereits am Ende des 18. Jahrhunderts in Spanien verbreitet und ihre Anhänger gefunden.14 García de la Prada trägt Kleidung nach französischer Mode, nämlich den dunkelblauen, doppelreihigen Gehrock mit goldenen Knöpfen: über dem weißen, hoch geschlossenen Hemd und dazu gelbe Culotte. Der Dargestellte, der dem intellektuellen Personenkreis der spanischen Aufklärung zuzuordnen ist, präsentiert sich hier also offensichtlich profranzösisch und damit liberal. Zu seinen Freunden und Bekannten zählten weitere afrancescados, wie diejenigen bezeichnet wurden, die sich an der französischen Kultur orientierten, wie beispielsweise der Dichter und

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Manuela B. Mena Marqués, Reflections on Goya’s Portraits, in: Goya: The Portraits, hrsg. von Xavier Bray (Ausst.-Kat. London, The National Gallery, 7. Oktober 2015 bis 10. Januar 2016), London 2015, S. 13–21, hier: S. 13. Sylvaine Hänsel, Goyas Porträt der Familie des Infanten Don Luis de Borbón, in: Christoph Frank, Sylvaine Hänsel (Hrsg.), Spanien und Portugal im Zeitalter der Aufklärung, Frankfurt/M. 2002, S. 391–423, hier: S. 405. Andrea M. Kluxen, Das Ende des Standesporträts. Die Bedeutung der englischen Malerei für das deutsche Porträt 1760 bis 1848, München 1989, S. 75 und 80. Ibid., S. 72. José Camón Aznar, Francisco de Goya, Zaragoza 1980–1981, Bd. 3, S. 171. Zu García de la Prada siehe: Gudrun Maurer, Katalogeintrag zu Nummer 46: Manuel García de la Prada, in: Goya en tiempos de guerra, hrsg. von Manuela B. Mena Marqués und José Luis Díez (Ausst.-Kat. Madrid, Museo Nacional del Prado, 14. April bis 13. Juli 2008), Madrid 2008, S. 216. Jörg Traeger, Goya. Die Kunst der Freiheit, München 2000, S. 114.

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Dramatiker Leandro Fernández de Moratín (1760–1828).15 Dieser war wie García de la Prada sehr wahrscheinlich selbst ein Freund Goyas. Die fünf Goya-Gemälde, die García de la Prada der Akademie San Fernando nach seinem Tod vermachte, bezeugen darüber hinaus zumindest für seine späteren Lebensjahre eine antiklerikale Einstellung. Sie sind in der Goya-Forschung nämlich als Kritik an den politischen Repressionen unter König Ferdinand VII. von Spanien (reg. 1808; 1813–1833) und an der klerikalen Reaktion gedeutet worden.16 Spätestens die Realität der französischen Herrschaft ließ die frankophilen Intellektuellen Spaniens aller­dings ihre Haltung einer grundlegenden Revision unterziehen. Denn die französischen Besatzer stellten sich als sehr viel repressiver heraus, als es die positive Einstellung der afrancescados gegenüber den französischen Vordenkern hatte erwarten lassen.17 Als sich García de la Prada dafür entschied, dass Goya ihn porträtieren sollte, war der Künstler bereits seit mehreren Jahren erster Hofmaler in Madrid und darüber hinaus ein beim Hochadel und beim etablierten Bürgertum beliebter Porträtist.18 So hatte er zuvor schon die Familie von García de la Pradas Frau gemalt.19 Gleichzeitig war Goya, wie García de la Prada selbst, Teil des Kreises der afrancescados, auch wenn der Künstler offiziell keine eindeutige politische Stellung bezog und jeweils im Dienst derjenigen stand, die aktuell an der Macht waren.20 Dabei wandte er Stilmittel der modernen Porträtmalerei auch in den Porträts der königlichen Familie und der Mitglieder reaktionärer Kreise an, wie die helle Beleuchtung der Personen vor einem dunklen Hintergrund oder die vermeintlich natürliche Darstellung. In jedem Fall zeugt das Auftragswerk von einem hohen Selbstverständnis García de la Pradas am Hofe und innerhalb seiner Familie. Es ist ein evidentes Zeugnis seiner politischen Haltung und hat sich für Zeitgenossen unschwer als nachdrückliches Bekenntnis zu Frankreich verstehen lassen, das zu diesem Zeitpunkt als Synonym für die Werte der Aufklärung gelten konnte.

II. Der Transfer nach Frankreich Möglicherweise hatte García de la Prada das Gemälde seiner zweiten Ehefrau María Teresa García Escribano geschenkt, die im Jahr 1826 verstarb. Denn in ihrem Testament wird ein wertvolles Porträt ihres Mannes erwähnt.21 Spätestens als García de la Prada 1839 starb, ging sein Porträt dann sehr wahrscheinlich in den Besitz der Familie seiner Tochter, María Concepción García de la Prada, über, die mit Manuel Ruiz de la Prada verheiratet war.22 Inwiefern der politische Inhalt des Werkes für die neuen Besitzer:innen eine Rolle spielte, ist kaum zu rekonstru15 Mena Marqués 2016 (wie Anm. 8), S. 14; Xavier Bray, Goya: The Portraits, in: Goya: The Portraits, hrsg. von ders. (Ausst.-Kat. London, The National Gallery, 7. Oktober 2015 bis 10. Januar 2016), London 2015, S. 23–208, hier: S. 200 f.; Traeger 2000 (wie Anm. 14), S. 116. 16 Peter K. Klein, Insanity and the Sublime: Aesthetics and Theories of Mental Illness in Goya’s Yard with Lunatics and Related Works, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 61 (1998), S. 198–252, hier: S. 249; Pierre Gassier, Juliet Wilson, Francisco Goya. Leben und Werk, Frankfurt/M. 1971, S. 251. 17 Dazu auch: Gassier/Wilson 1971 (wie Anm. 16), S. 251. 18 Ibid., 160 f.; Goya en tiempos de guerra, hrsg. von Manuela B. Mena Marqués und José Luis Díez (Ausst.-Kat. Madrid, Museo Nacional del Prado, 14. April bis 13. Juli 2008), Madrid 2008, S. 183; Janis Tomlinson, Goya in the Twilight of Enlightenment, New Haven/London 1992, S. 196. 19 Maurer 2008 (wie Anm. 13). 20 Bray 2016 (wie Anm. 15), S. 163. 21 Maurer 2008 (wie Anm. 13). 22 Freundliche Auskunft von Gudrun Maurer an die Verfasserin, 30. März 2020.

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ieren, da über das Ehepaar und seine Wertvorstellungen wenig bekannt ist. Sehr wahrscheinlich ist allerdings, dass nun auch genealogische Aspekte die Wahrnehmung mitbestimmten. Nicht auszuschließen ist weiterhin, dass dem Gemälde eine persönliche Wertschätzung zu­ gesprochen wurde, da es an den (Schwieger-)Vater erinnerte. Aus Spanien ist das Werk nach Frankreich gelangt, wo es 1900 in der Sammlung von Émile Pacully (1864–1938) nachzuweisen ist.23 Pacully hatte das Gemälde noch aus Familienbesitz der Erben des Dargestellten erworben. Die bis in die jüngste Literatur erhaltene Annahme, dass es sich zwischenzeitlich in einer Sammlung »Ruiz y Prado« befunden habe, resultiert vermutlich aus einer falschen Identifizierung des Porträtierten im Jahr 1900.24 Im Katalog der Sammlung ­Émile Pacully wird der Dargestellte nämlich als ein Mann namens »Ruiz y Prado« bezeichnet, der Bürgermeister Madrids und ein Freund Goyas gewesen sein soll.25 Obwohl diese falsche Benennung bereits 1902 durch Paul Lafond berichtigt wurde, schrieb sich der vermeintliche Aufenthalt des Werkes in einer Sammlung »Ruiz y Prado« in der Forschung weiter fort.26 Nun hatte Manuel García de la Prada selbst in Madrid unter anderem das Amt eines Corregidor inne, das dem eines Bürgermeisters ähnelte. Ferner gelangte mit der Heirat der Tochter García de la Pradas der Name »Ruiz« in die Familie.27 Damit kann die These vertreten werden, dass es nie eine Sammlung »Ruiz y Prado« gegeben hat, sondern damit fälschlicherweise die Erben nach Manuel García de la Prada gemeint gewesen sind, sodass das Porträt direkt aus deren Besitz in die berühmte Sammlung Pacully übergegangen ist. Die Sammlung von Émile Pacully vereinte bedeutende Werke überwiegend von ­italienischen und nordalpinen Künstlern. Gemälde spanischer Maler waren dagegen nur in geringerer Quantität vertreten. Dennoch werden diese im Sammlungskatalog besonders hervorgehoben, denn die École Espagnole wird an erster Stelle vorgestellt und in dem begleitenden Text betont, dass Pacully in Spanien besonders ausgewählte »Stücke« erworben habe.28 Ende des 19. Jahrhunderts, als Pacully vermutlich das Goya-Gemälde für seine Sammlung kaufte, war die spanische Malerei in Frankreich bereits seit längerem sehr beliebt.29 Deren Rezeption erfolgte seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im höfischen Umfeld, in der kunsthistorischen Literatur und im Bürgertum. Zeugnisse dafür sind unter anderem die Einrichtung der sogenannten Galerie Espagnole im Louvre, die vermehrte Verfügbarkeit von spanischen Gemälden auf dem Pariser Kunstmarkt sowie französische Publikationen zu spanischen Künstlern.30 Die durch Louis-Philippe I. (1773–1850) initiierte Zusammenführung von mehreren hundert spanischen 23 Eugène Müntz (Hrsg.), Collection Pacully, Paris 1900. 24 Xavier Desparmet Fitz-Gerald, L’oeuvre peint de Goya, Paris 1928–1950, S. 188. 25 Paul Lefort, École Espagnole, in: Müntz 1900 (wie Anm. 23), S. 4: »Ruiz y Prado, ami de Goya, avait exercé les fonctions de maire ou d’alcade de Madrid. […] M. Pacully a aquis ce chef-d’oeuvre de la famille même du modèle…«. 26 Paul Lafond, Goya, Paris 1902, S. 135, Kat.Nr. 182; Desparmet Fitz-Gerald 1928–1950 (wie Anm. 24), S. 188; Maurer 2008 (wie Anm. 13). 27 Ich bedanke mich herzlich bei Gudrun Maurer, Madrid, für den Austausch zur Provenienz des Gemäldes und der Frage nach dem Besitzvermerk »Ruiz y Prado«. 28 Müntz 1900 (wie Anm. 23), S. I. 29 Gudrun Maurer schlägt das Jahr 1890 vor, allerdings ohne konkrete Quellen zu nennen. Vgl. Maurer 2008 (wie Anm. 13). 30 Dazu siehe: Véronique Gerard Powell, Taste or Opportunity?: Durand-Ruel and Spanish Old Masters, in: Susanna AveryQuash, Barbara Pezzini (Hrsg.), Old Masters Worldwide: Markets, Movements and Museums, 1789–1939, London 2021, S. 131– 146; Geneviève Lacambre, The Discovery of the Spanish School in France, in: Manet/Velázquez. The French Taste for Spanish Painting, hrsg. von Gary Tinterow und Geneviève Lacambre (Ausst.-Kat. Paris/New York, Musée d’Orsay, 16. September 2002 bis 12. Januar 2003/The Metropolitan Museum of Art, 4. März bis 8. Juni 2003), London 2003, S. 67–91, hier: S. 79, 87/88; Ilse Hempel Lipschutz, Goya and the French Romantics, in: Tinterow/Lacambre 2003, S. 161–173, hier: S. 162 f.

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Gemälden im Louvre zur Galerie Espagnole in den Jahren von 1838 bis 1849 resultierte unter anderem aus politischen Intentionen, nämlich einer Aussöhnung mit dem zuvor immer wieder von französischen Truppen heimgesuchten und um Kunstwerke beraubten Land.31 Ferner ergab sich aus der Präsenz der Werke in Paris sofort ein gesteigertes Interesse des französischen Publikums und der französischen Künstler:innen an der spanischen Malerei.32 In der spanischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts wurde im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in Frankreich eine »Wahrheit« der Naturdarstellung erkannt, die Künstler:innen des Naturalismus und Impressionismus zum Vorbild ihrer Kunst machten. Die spanische Malerei in Paris fungierte so um die Jahrhundertwende als Inspiration für die Kunstströmungen der Moderne. Im französischen Bürgertum stieg gleichzeitig die Nachfrage nach den spanischen Alten Meistern, sodass nun die Kunsthändler:innen, die sich eigentlich auf zeitgenössische Kunst spezialisiert hatten, ebenfalls der Mode folgten, wie beispielsweise die einflussreiche Kunsthandlung von Paul Durand-Ruel (1831–1922).33 Dieser handelte um die Jahrhundertwende vornehmlich mit Goya-Porträts, anderen Werken des Künstlers sowie mit Gemälden El Grecos, die er in Spanien selbst erwarb und nach Frankreich, Deutschland und die USA weitervermittelte.34 Der besondere Fokus auf religiöse Themen wurde durch das französische Bürgertum, das sich im Erbe der Aufklärung sah, als Ausdruck eines wahren und ungeschönten Glaubens verstanden, der aus einer romantisierenden Vorstellung heraus der spanischen Gesellschaft zugesprochen wurde.35 Dementsprechend wurde auch die spanische Mal- und Darstellungsweise als wahrheitsgetreu, lebensecht und pur gewertet.36 Pacully erwarb das Gemälde also in einer Zeit, als es modern war, Goya-Gemälde zu besitzen. Entsprechend der damals üblichen Unterteilung in nationale beziehungsweise regionale Schulen gliedert der Katalog, der 1900 von Eugène Müntz erstellt worden ist, seine Sammlung in eine École Espagnole, École Italienne, École Française und den Écoles du Nord.37 Die sogenannte spanische Schule nimmt für den Autor innerhalb der Sammlung einen besonderen Stellenwert ein, obwohl sie – wie weiter oben schon erwähnt – die wenigsten Kunstwerke umfasste. Das lässt sich unter anderem daraus ableiten, dass Müntz sich dazu entschlossen hat, einleitend darüber zu berichten, wie er Pacully in Madrid im Prado kennengelernt hat.38 Zusätzlich betont er, ebenso wie Paul Lefort, der Autor des Textes zur École Espagnole, dass Pacully auf seinen zahlreichen Reisen auf die iberische Halbinsel nur ausgewählte Stücke erworben habe, die die Charakteristik der spanischen Schule besonders repräsentiert hätten.39 Dieser Aspekt findet in den Texten zu den anderen Kunstwerken keine besondere Erwähnung. Und schließlich sind die Werke der École Espagnole gleich als Erstes im Katalog vorgestellt. Zu den lediglich sechs Gemälden spanischer Künstler gehörten zwei Goya zugeschriebene Werke. Bei diesen handelte es sich um zwei Porträts, nämlich zum einen um dasjenige eines unbekann31 Gary Tinterow, Raphael Replaced: The Triumph of Spanish Painting in France, in: Tinterow/Lacambre 2003 (wie Anm. 30), S. 3–62, hier: S. 34–38. Zur Galerie Espagnole siehe: Jaennine Baticle, The Galerie Espagnole of Louis-Philippe, in: Tinterow/ Lacambre 2003 (wie Anm. 30), S. 175–189. 32 Und zum Folgenden: Tinterow 2003 (wie Anm. 31), S. 38–40. 33 Powell 2021 (wie Anm. 30), S. 134. 34 Ibid., S. 138–140. 35 Ilse Hempel Lipschutz, Spanish Painting and the French Romantics, Cambridge 1972, 211 f. 36 Ibid., S. 191; Lacambre 2003 (wie Anm. 30), S. 89. 37 Müntz 1900 (wie Anm. 23), Titelblatt. 38 Und Folgendes: Ibid., S. I. 39 Ibid.; Lefort 1900 (wie Anm. 25), S. 3.

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ten jungen Mannes sowie zum anderen um dasjenige von Manuel García de la Prada, der als schöner und intelligenter caballero (Gentleman) beschrieben wird.40 Dieses Bildnis zeichne sich laut Lefort durch eine »meisterhafte Ausführung« aus, wobei die »großen Augen« die »würdevolle und schöne Physiognomie« des Dargestellten im Besonderen »lebendig« werden ließen. Das Porträt Manuel García de la Prada war also bis zur Versteigerung Teil des kleinen und feinen Herzstücks einer privaten Sammlung: Es fungierte nicht mehr als repräsentative Selbstdarstellung eines Mitglieds des spanischen Hofes in politisch unruhigen Zeiten – und auch nicht als familiäres Erinnerungsstück, sondern wurde nunmehr vornehmlich aufgrund der Auto­renschaft Goyas geachtet.

III. Französisches Kulturerbe – entwendet von den Nationalsozialisten Im Jahr 1903 ließ Émile Pacully seine bekannte und hoch angesehene Sammlung in der Galerie Georges Petit in Paris versteigern (Abb. 1).41 In dem Auktionskatalog werden zwar die einführenden Texte zu den verschiedenen »écoles« aus dem Sammlungskatalog reproduziert, aber die Reihenfolge wird verändert. Anscheinend rechneten die Versteigerer mit einem größeren Interesse an den französischen und niederländischen Kunstwerken und präsentierten diese im Katalog an erster und zweiter Stelle. Die überlieferten Annotationen zu den erzielten Preisen bezeugen allerdings den hohen Marktwert des Goya-Porträts. Dieses wurde für 34.500 frs. versteigert und nur von einem Werk übertroffen, das Peter Paul Rubens und Jan Breughel d. Ä. zugeschrieben wurde.42 Ferner erhielten lediglich zwei weitere Werke einen ähnlich hohen Zuschlag wie das Porträt von Goya, nämlich eine Bildtafel mit der Darstellung des Heiligen Ilde­ fons von Toledo, das im Katalog Hans Memling zugeschrieben wurde, sowie ein spektakulärer Akt von Gustave Courbet.43 Das hohe Ergebnis für das Werk Goyas spiegelt einerseits die Wertschätzung wider, die den Porträts des Künstlers zu Beginn des 20. Jahrhunderts entgegengebracht worden ist. Darüber hinaus war die Rezeption des Werkes in Frankreich durch die Kleidung Manuel García de la Pradas positiv beeinflusst, denn auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannte man in seiner Kleidung ein ausdrucksstarkes Bekenntnis zur französischen Aufklärung. Paul Lafond stellt in seiner Monografie zu Francisco de Goya sogar die Frage, ob der Künstler wie viele seiner Landsleute nach der Abdankung Karls IV. im Jahr 1808 möglicherweise die Hoffnung auf eine bessere, freiere Gesellschaft gehegt hat – »une ère de liberté et d’affranchissment«.44 Die Ideale der Französischen Revolution wurden nämlich auch im Frankreich des frühen 20. Jahrhunderts als vorbildlich angesehen und García de la Prada konnte insofern stellvertretend für eine positive Annahme dieser Werte stehen. Dementsprechend ist sein Blick durch die französische Kunstkritik des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts als besonders wach und intelligent beschrieben worden. Der britische Kunsthistoriker Hugh Stokes (1875–1932) bezeichnete in seiner umfänglichen Goya-Monografie das Porträt Manuel García de la Pradas sogar als

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Lefort 1900 (wie Anm. 25), S. 4. Auktionskat. Paris, Collection Émile Pacully. Galerie Georges Petit, 4. Mai 1903. Ibid., S. 62, Kat.Nr. 29 (versteigert für 43.500 frs.). Ibid., S. 16, Kat.Nr. 2 (Courbet, versteigert für 34.000 frs.); S. 56, Kat.Nr. 26 (Memling, versteigert für 34.000 frs.). Lafond 1902 (wie Anm. 26), S. 64 f.

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1  Besprechung der Auktion der Sammlung Émile Pacully im Jahr 1903.

eines der besten des Künstlers.45 Andererseits ist der hohe Wert des Porträts auch damit zu begründen, dass es auf dem bisherigen Kunstmarkt in Paris unbekannt gewesen ist, da Émile Pacully es direkt in Spanien erworben hat. Denn ob ein Werk neu in den Kunsthandel gelangte oder immer wieder von einer Privatsammlung in die nächste verkauft wurde, war damals und ist bis heute eine relevante Größe in der Preisgestaltung. Erworben wurde das Goya-Porträt vermutlich von Henri Haro (1855–1911), Sohn des bekannten Kunsthändlers Étienne-François Haro (1827–1897), der das Geschäft seines Vaters weiterführte.46 Es ist unklar, ob er es dann direkt an das Ehepaar (Joseph) John (1843–1934) und Anna Emily (1845–1942, geb. Gluge) Jaffé in Nizza veräußert hat, oder, ob das Gemälde nach seinem

45 Hugh Stokes, Francisco Goya, New York 1914, S. 249. 46 Desparmet Fitz-Gerald 1928–1950 (wie Anm. 24), S. 188, Kat.Nr. 475: »Vente Pacully, Paris, 4 mai 1903, n° 50 du catalogue. (Reproduit.) Vendu 34.500 francs à M. Haro | Collection Haro, à Paris«. Zu Étienne-François Haro siehe: http://www.marquesdecollections.fr (abgerufen am 27.05.2021), zu Henri Haro: https://data. bnf.fr/ark:/12148/cb10824927f (abgerufen am 27.05.2021).

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2  Das Ehepaar Jaffé vor seiner Villa, 1933.

Tod wiederum auf den Kunstmarkt gelangt ist.47 In der Sammlung Jaffé ist das Werk spätestens ab 1922 nachweisbar.48 Das britische Ehepaar Jaffé war 1885 aus Belfast nach Nizza gezogen und bewohnte eine Villa in der Promenade des Anglais (Abb. 2).49 Für seine großen Verdienste, vor allem die Stiftung eines Teils der privaten Bibliothek Napoleons I. an das Musée national des châteaux de Malmaison et Bois-Préau, den Anna und John Jaffé zuvor in Berlin erworben 47 In den Versteigerungskatalogen der Sammlung Haro konnte das Werk bisher nicht nachgewiesen werden. Es gab mindestens fünf Versteigerungen im Hôtel Drouot: 12. und 13. Dezember 1911, 8. und 9. Februar 1912 (3. Versteigerung), 18.–20. März 1912 (4. Versteigerung), 16. und 17. April 1912 (5. Versteigerung). 48 Aureliano de Beruete y Moret, Goya as Portrait Painter, London 1922, S. 215, Kat.Nr. 276; ERRATUM! Portrait No. 276 for »(Pacully Collection, Paris)« read »( Jaffé Collection, Nice)«. 49 L’Éclaireur du Dimanche illustré 473, 19. März 1933, S. [18 f.]; Le Journal (Paris), 8. Mai 1934, S. 5; The New York Times, 7. Dezember 1938. Zu dem Ehepaar Jaffé siehe weiterhin: Andrew Marton, Stealing Beauty. Part 1, in: Star-Telegram, 9. Juni 2006, https://www.lootedart.com/news.php?r=ML28KF668241 (abgerufen am 28.05.2021); ders., Stealing Beauty. Part 2, in: Star-Telegram, 9. Juli 2006, https://www.lootedart.com/news.php?r=ML28RC939791 (abgerufen am 28.05.2021); Judit Kiraly, John and Anna Jaffe: The art lovers from Belfast who gave the Emperor’s library to a nation, in: The Riviera Reporter, 17. September 2013, http://www.rivierareporter.com/history-and-traditions/618-john-and-anna-jaffe-the-art-lovers-frombelfast-who-gave-the-emperors-library-to-a-nation (abgerufen am 28.05.2021).

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3  Auktionskatalog der Sammlung Jaffé, Halle du Savoy, Nizza, 12. und 13. Juli 1943, Titelseite.

hatten, erhielt das Ehepaar am 3. Mai 1934 den französischen Verdienstorden Chevalier de la Légion d’Honneur.50 Darüber hinaus stellten die Jaffés eine umfangreiche Kunstsammlung zusammen und stifteten daraus immer wieder Kunstwerke an britische und französische Museen. Das Ehepaar verkehrte in den Kreisen der internationalen Elite in Nizza, hatte Kontakt zu Intellektuellen und stand wohl auch im Austausch mit Wilhelm von Bode (1845–1929). Der tatsächliche Umfang ihrer Kunstsammlung lässt sich heute nur über den Katalog der Versteigerung der Sammlung nach Anna Jaffés Tod im Jahr 1942 erschließen (Abb. 3).51 Dieser gibt aber nur unzureichend Auskunft vor allem über die zahlreichen Gemälde. Demzufolge schien die Sammlung Kunsthandwerk, italienische Bronzen des 16. und 17. Jahrhunderts sowie Gemälde des 19. Jahrhunderts, wie von John Constable oder William Turner, ebenso wie Alte Meister, beispielsweise von Francesco Guardi, Anthonis van Dyck und Rembrandt, umfasst zu haben.

50 Le Matin (Paris), 7. Mai 1934, S. 3. Nur drei Tage darauf verstarb John Jaffé. 51 Auktionskat., Collections John Jaffé, Halle du Savoy, Nizza, 12. und 13. Juli 1943: NARA (fold3), World War II, Holocaust Collection, M1944, Roberts Commission – Protection of Historical Monuments, Reports: Liaison-British, S. 17–44 https:// www.fold3.com/image/270043313 (abgerufen am 18.10.2021).

40  Ulrike Saß

Spätestens 1922 war das Goya-Gemälde also Teil einer umfänglichen, großbürgerlichen Sammlung eines englischen Ehepaares, das nach Südfrankreich ausgewandert war. Nizza war seit dem 19. Jahrhundert ein beliebtes Reiseziel für die wohlhabende britische Gesellschaft, die oftmals den Winter dort verbrachte. Anna und John Jaffé, die in zeitgenössischen Zeitungs­ artikeln oftmals als »couple anglais« bezeichnet werden, sind in Nizza also respektierte Mitglieder der großbürgerlichen und intellektuellen Gesellschaft gewesen und mit großzügigen Stiftungen für Frankreich aufgefallen.52 Dafür wurden sie vom französischen Staat und der Gesellschaft öffentlich geachtet und honoriert. Welche Rolle der jüdische Glaube für das Ehepaar im Alltag sowie für die eigene gesellschaftliche Verortung gespielt hat, kann nach aktueller Quellenlage nicht eingeschätzt werden. Somit ist auch die Frage, inwiefern die Kunstsammlung und die mäzenatischen Aktivitäten der Jaffés bewusst oder unbewusst einen Beitrag zu deren Akkulturation beziehungsweise Integration in die christliche Gesellschaft geleistet haben, nicht zu beantworten. Ein vorbildliches gesellschaftliches Verhalten, wie beispielsweise die Umsetzung des Bildungsideals und soziales sowie kulturelles Engagement, kann den Wunsch widerspiegeln, als religiöse Minderheit positiv wahrgenommen zu werden.53 Das Ehepaar Jaffé gehörte immerhin aufgrund seines jüdischen Glaubens und seiner britischen Abstammung gleich in doppelter Hinsicht einer Minderheit an. Als Höhepunkt oder zumindest offizielles Zeichen ihrer Akzeptanz durch und Integration in die Wahlheimat kann durchaus die Verleihung des Ordens der französischen Ehrenlegion gelten. Ihre Kunstsammlung war Ausdruck und Teil der persönlichen Lebenswirklichkeit des kulturellen Engagements, des eigenen Selbstverständnisses sowie der sozialen Stellung. Das Porträt Manuel García de la Prada von Goya bediente insofern gleich mehrere Aspekte, die für das Ehepaar Jaffé von Bedeutung gewesen sein dürften: Erstens konnte der Dargestellte leicht als Repräsentant liberaler bürgerlicher Werte wahrgenommen werden, mit denen sich sehr wahrscheinlich auch Anna und John Jaffé identifizierten. Zweitens war das Porträt in der englischen Goya-Rezeption und Forschung bekannt und wurde als eines der bedeutendsten wahrgenommen. Es ist nicht auszuschließen, dass es auch deswegen von dem Ehepaar Jaffé eine besondere Wertschätzung erfahren hat. Und schließlich ist es ebenso wahrscheinlich, dass die Elemente und Anleihen der englischen Porträt­ malerei von Anna und John Jaffé besonders goutiert worden sind. Als Anna Jaffé 1942 starb, wurde Frankreich schon seit zwei Jahren durch das Deutsche Reich militärisch dominiert. Seit November des Jahres war auch Südfrankreich von den Deutschen besetzt. Da die Familie Jaffé nach den deutschen nationalsozialistischen Rassegesetzen als jüdisch kategorisiert wurde, wurde die Kunstsammlung von der Vichy-Regierung beschlagnahmt und im Juli 1943 versteigert (Abb. 3).54 Um die Preise zu drücken, wurden viele der hochwertigen Gemälde als Kopien und Werkstattarbeiten eingestuft, so auch das Porträt von Goya, das nun als spanische Schule des 19. Jahrhunderts firmierte und noch nicht einmal im Auktionskatalog gelistet oder abgebildet war.55 Die Zuschreibung des Gemäldes als eigenständiges Werk des Künstlers war bis dahin in der Fachliteratur nie bezweifelt worden. Mit 300 frs. 52 53 54 55

Le petit journal (Paris), 28. September 1933, S. 2. Hier werden sie als »deux amis de la France« bezeichnet. Sven Kuhrau, Der Kunstsammler im Kaiserreich. Kunst und Repräsentation in der Berliner Privatsammlerkultur, Kiel 2005, S. 76–83. Auktionskat. Nizza 1943 (wie Anm. 51). NARA (fold 3), World War II, Holocaust Collection, M1944, Roberts Commission – Protection of Historical Monuments, Card File on Art-Looting Suspects: [Blank], S. 413, https://www.fold3.com/image/273352948 (abgerufen am 18.10.2021): Karteikarte Jaffé Collection: »J. J. Terris [...] incorrectly stated that many pictures in subject [Sammlung von John Jaffé, A. d. V.] were copies, thus permitting their sale below true value.«

41  Kunst in Bewegung

4  Karteikarte des Central Collecting Point in München.

Schätzpreis wurde es dann für 70.000 frs. versteigert und nach Paris gebracht, wo es im Mai 1944 – nun wieder als ein Werk von Goya angepriesen – von dem deutschen Kunsthändler Wil­ helm Grosshennig (1893–1983) für 5.200.000 frs. für den Sonderauftrag Linz erworben wurde.56 Am 19. Juni 1944 erhielt Grosshennig aus Dresden, wo der Sonderauftrag Linz in der Gemäldegalerie angesiedelt war, die Nachricht, dass der »Goya in gutem Zustand eingetroffen sei«.57 Der Sonderauftrag Linz war ein von Adolf Hitler initiiertes Projekt, das eine massive A ­ kquisition von Kunst- und Kulturgütern im Deutschen Reich sowie in den besetzten Gebieten zum Ziel hatte, die einerseits Eingang in den Sammlungsbestand eines neuen Museums in Linz finden sollten und andererseits auf verschiedene bestehende Museen des damaligen Deutschen Reiches verteilt wurden.58 Für den Kunsthändler Grosshennig avancierte der Handel zur bedeutsamen Transaktion, die allerdings Schwierigkeiten mit dem französischen Kunstschutz nach sich zog, der ebenfalls auf das Werk aufmerksam geworden war. Michel Martin (1905–2003), Kurator für Gemälde am Louvre, sprach sich nämlich entschieden gegen die Ausfuhr des Werkes aus.59 Es entfachte sich ein Streit zwischen französischen und deutschen Kulturfunktionä-

56 Zu dem Ankauf siehe ausführlich: Ulrike Saß, Die Galerie Gerstenberger und Wilhelm Grosshennig. Kunsthandel in Deutschland von der Kaiserzeit bis zur BRD, Köln 2021. 57 BArch, Koblenz B323/133, Bl. 273: Telegramm der Gemäldegalerie Dresden an die Galerie Gerstenberger vom 19. Juni 1944. 58 Zum Sonderauftrag Linz siehe grundlegend: Hanns Christian Löhr, Das Braune Haus der Kunst. Hitler und der »Sonderauftrag Linz«. Kunstbeschaffung im Nationalsozialismus, Berlin 2016; Kathrin Iselt, »Sonderbeauftragter des Führers«: Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884–1969), Köln 2010. 59 Archives nationales, Paris, Archives des musées nationaux, Bureau des exportations d’oeuvres et douanes de la direction des musées des France (sous-série 4AA), 20144657/7: licenses d’exportation refusées, licences individuelles (4): demande n. 25059: Schreiben von Michel Martin an Jacques Jaujard vom 23. Juni 1944.

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ren, der aufgrund der militärischen Vorherrschaft Deutschlands schnell zugunsten des Kunsthändlers entschieden wurde. In der Korrespondenz kategorisierte Grosshennig das Werk geflissentlich wieder als spanische Schule des 19. Jahrhunderts. Von den rechtmäßigen Eigentümer:innen beschlagnahmt und basierend auf militärischer Macht außer Landes gebracht, wurde das Werk nun von der Kulturpolitik einer unmenschlichen und brutalen Diktatur vereinnahmt. Zunächst ist es von Dresden nach München verbracht und dort in den sogenannten Führerbau oder den Verwaltungsbau der NSDAP am Königsplatz eingelagert worden.60 Nur einige Monate später nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird es dann von amerikanischen Kunstschutzoffizieren im Central Collecting Point inventarisiert (Abb. 4).61 Bereits 1951 erfolgte die Restitution an den rechtmäßigen Erben, einen Neffen des Ehepaars Jaffé, der es nur wenig später über die New Yorker Galerie Knoedler an das Des Moines Art Center in Iowa verkaufen ließ.62

IV. Schluss Seit 1953 befindet sich das Porträt von García de la Prada im Kunstmuseum in Des Moines und wird dort als ein Highlight der Sammlung klassifiziert: Auf der Museumshomepage ist es als ein Meisterwerk der Porträtkunst aus Goyas bester künstlerischer Schaffensperiode beworben.63 Es sei ein ideales Gemälde für das Museum, denn es beinhalte einen Bedeutungshorizont für mehrere kunstbezogene Bereiche, nämlich Musik, Literatur und internationale Ereignisse der Zeit, die es repräsentiert – wie die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika.64 Weitere Be­schreibungen des Gemäldes verdeutlichen, dass die hier vorgenommene Interpretation von Idealen der modernen amerikanischen Gesellschaft getragen sind. So wird der Dargestellte als »Arbeiter« (working man) bezeichnet, der »besonders intelligent« (extremely intelligent) gewesen sei und sich von der Aristokratie abgegrenzt habe.65 Offensichtlich sind auch tradierte Deutungsmuster in diese Lesart überführt worden: So lässt sich die Einschätzung, dass der Dargestellte intelligent gewesen ist, aus den Beschreibungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ableiten, die bereits den wachen Blick und die vermeintliche Intelligenz des Dargestellten betont haben. Damals resultierte diese Deutung auf der positiven Einordnung der aufklärerische­n Gedanken. Die am heutigen Aufbewahrungsort vorgenommene Zuordnung García de la Pradas zur (gut situierten) Arbeiterklasse ist dagegen wohl nur als Summe seiner Deutungen als Sym60 Ich bedanke mich herzlich für die Auskunft von Leonhard Weidinger, Wien, 17. November 2018. 61 Siehe Datenbank zum Central Collecting Point (CCP) in München: https://www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_ccp.php?seite=9 (abgerufen am 12.06.2021), München-Nummer: 7492, Linz-Nummer 3546. 62 Zur Restitution siehe: NARA (fold3), World War II, Holocaust Collection, M1949, OMGUS – Monuments, Fine Arts, and Archives, Cultural Property Claim Applications: F95B Jaffé, John France https://www.fold3.com/image/295530373 (abgerufen am 20.10.2021). 63 »This vivid portrait […] is a master-work of portraiture of Goya’s best period and style; and we believe it ranks with the finest portraits of all time. […] This is an ideal painting for our Center, because of its connotations: for its meaning in several artrelated fields (music, literature: and international events of the period it represents,--such as the beginning of our United States of America).« Digitale Sammlung des Museums Des Moines Art Center, Iowa, https://emuseum.desmoinesartcenter. org/objects/39402/don-manuel-garcia-de-la-prada (abgerufen am 12.06. 2021). 64 Auf der Homepage des Museums ist darauf hingewiesen, dass der hier zitierte Text im Mai 1953 im Des Moines Art Center Bulletin veröffentlich wurde. 65 Beschreibung des Werkes durch Juliet Wilson-Bareau auf der Homepage des Museums Des Moines Art Center, Iowa, https:// emuseum.desmoinesartcenter.org/objects/39402/don-manuel-garcia-de-la-prada (abgerufen am 12.06.2021).

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pathisant der Aufklärung und seiner kritischen Haltung zum Hofe zu erklären. In ähnlich geschichtsklittender Weise steigert der zitierte Text das amerikanische Identifikationspotenzial von Goyas Porträt, wenn es die Wertvorstellungen der französischen Aufklärung zum unmittelbaren Vorbild für das liberale Bürgertum der USA macht und die vermeintlich naturalistische und lebensnahe Darstellungsweise des Bildnisses sowie überhaupt die besondere Bedeutung der spanischen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts für die Geschichte der modernen Kunst in einer Weise steigert, die zu der erstaunlichen Schlussfolgerung führt, dass das Porträt zu den besten des Künstlers gehöre. Bis zur heutigen Besitzerin lässt sich also aus der Eigentums- und Besitzgeschichte des Werkes beobachten, dass sein Bedeutungsgehalt entsprechend den Wertvorstellungen bestän­ dig aktualisiert und modifiziert worden ist. Seine ursprüngliche Rolle, nämlich die der Repräsentation eines pro-französischen Mitgliedes des spanischen Hofes, als dieser ein Bündnis mit Frankreich eingegangen war, hatte das Werk nur wenige Jahre inne. Es konnte damals als ein öffentliches Bekenntnis für eines der politischen Lager dienen und war damit direkt mit den spanischen politischen Prozessen korreliert. Das Bekenntnis von García de la Prada zu den Ideen der französischen Aufklärung ist zunächst in diesem konkreten Bedeutungszusammenhang zu lesen. Tatsächlich ist die Verortung in die reale Politik spätestens mit dem Verkauf nach Frankreich in den Hintergrund gerückt und der Bezug zur Aufklärung hat an Relevanz gewonnen, der bis heute für die Bewertung des Werkes wesentlich ist. Die Ausführungen haben deutlich gemacht, wie das Gemälde einerseits eine wesentliche Bedeutung für die individuellen Besitzer:innen hat einnehmen können und andererseits gleichzeitig zu einem Teil der französischen Kulturgeschichte avanciert ist. Die Geschichte des Werkes kulminiert in gewisser Hinsicht mit seinem Eingang in die Sammlung von John und Anna Jaffé, denn hier werden verschiedene Aspekte der Werksrezeption miteinander verknüpft. Das britische Ehepaar, kunsthistorisch sowie intellektuell gebildet und versiert, war Mitglied des europäisch vernetzten liberalen Großbürgertums und goutierte vermutlich die in dem Werk erkennbare R ­ ezeption englischer Porträtmalerei. Darüber hinaus erhielt es den Orden der Ehrenlegion für die Rückführung von Teilen der privaten Bibliothek Napoleons aus Berlin nach Frankreich, das heißt eben desjenigen französischen Herrschers, von dem García de la Prada zum Entstehungszeitpunkt des Porträts glauben durfte, dass er seinen Idealen zur Durchsetzung in Europa verhelfen würde. Schließlich konnte gezeigt werden, inwiefern ein europäischer kunsthistorischer Kanon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Identifikationsgröße einer internationalen intellektuellen Elite wurde, die ihre soziale Stellung unter anderem mittels umfangreicher Kunstsammlungen zum Ausdruck brachte. Während der Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten war das Gemälde zwar noch immer – nämlich seit dem 19. Jahrhundert – fest im kulturellen Verständnis des Landes verankert. Allerdings galten die Erben des einst hofierten Ehepaares Jaffé nach Maßgaben der Vichy-Regierung nicht mehr als rechtmäßige Bewahrer:innen dieser Kultur. Die Beschlagnahme und die erzwungene Ausfuhr nach Deutschland bewirkten, dass das Gemälde dauerhaft das Land verließ, obwohl es damals schon als »Arbeit ersten Ranges« beurteilt ­wurde, das durch den französischen Kunstschutz keine Ausfuhrgenehmigung erhielt.66 Der Anspruch der nationalsozialistischen Führungselite, die Kulturhoheit in Europa innezuhaben, führte unweigerlich

66 »... une œuvre de première valeur...«, Licenses d’exportation refusées, demande n. 25059, 23. Juni 1944 (wie Anm. 59).

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dazu, dass das identitätsstiftende Werk Begehrlichkeiten weckte und auf der Grundlage militärischer Macht in das damalige Deutsche Reich verbracht wurde. Die aktuelle Präsentation des Werkes verschweigt seine wechselvolle Geschichte, dabei zeigen die Ausführungen hier, wie die Besitzer:innen- und Eigentumswechsel seine Funktion und seine inhärente Aussagekraft verändert haben und noch bis heute bestimmen. Dabei spielen individuelle Wertzuschreibungen ebenso eine Rolle wie größere kulturgeschichtliche und (kultur)politische Kontexte. Das Zusammenspiel dieser rezeptions- und deutungsgeschicht­ lichen Entwicklungen lässt sich – wie hier geschehen – anhand der genauen Rekonstruktion der Geschichte eines einzelnen Kunstwerkes aufzeigen.

45  Kunst in Bewegung

Provenienzforschung Persönliche und Bonner Perspektiven Christoph Zuschlag 

I. Zukunft braucht Herkunft Der Titel von Odo Marquards philosophischem Essay »Zukunft braucht Herkunft« (dessen wunderbarer erster Satz lautet: »Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt.«) würde sich hervorragend für ein flammendes Plädoyer für mehr Provenienzforschung eignen, auch wenn dies nicht Odo Marquards Anliegen ist. Ihm geht es vielmehr, so sein Untertitel, um »Philosophische Betrachtungen über Modernität und Menschlichkeit«, um die Notwendigkeit der Verbindung von Schnelligkeit (Zukunft) und Langsamkeit (Herkunft) in unserer modernen, wandlungsbeschleunigten Welt.1 Legen wir indes »Zukunft braucht Herkunft« in dem Sinne aus, dass wir die Vergangenheit kennen müssen, um die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten zu können, so wäre dies fast schon ein Gemeinplatz – und träfe doch einen wahren Kern. Zumal der Provenienzforschung. Denn warum erforschen wir die Herkunft und (Besitz-)Geschichte von Kulturgütern? Weil wir verstehen wollen, wann, auf welchen Wegen und unter welchen Bedingungen zum Beispiel ein Gemälde an seinen heutigen Standort gelangt ist, welche Sammler- und Sammlungsgeschichten es dabei gekreuzt, welche Deutungen, Ein- und Zuschreibungen es erfahren, was das wiederum mit Geschmackswandel und Marktmechanismen, mit Recht und Unrecht zu tun hat, nicht zuletzt, wie dies zu einer kritischen Geschichte der eigenen Wissenschaft und Institutionen beitragen könnte, und endlich auch, wie sich aus all dem vielleicht Ansätze, gar Visionen einer Zukunft (des Museums, der Gesellschaft, der interkulturellen Verständigung …) entwickeln ließen. Zukunft braucht Herkunft!

II. Wege zur Provenienzforschung Eigentlich kommt man als Kunsthistoriker2 kaum an der Provenienzforschung vorbei. Ob man zu einer privaten oder öffentlichen Sammlung recherchiert, einen Bestands- oder Œuvre­

Christoph Zuschlag ist Inhaber der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Professur für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart (19.–21. Jh.) mit Schwerpunkt Provenienzforschung/Geschichte des Sammelns am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn. 1 2

Vgl. Odo Marquard, Zukunft braucht Herkunft. Philosophische Essays, Stuttgart 2015, S. 234–246. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Beitrag das geschlechtsneutrale generische Maskulinum verwendet. Für Unterstützung bei den Recherchen für diesen Beitrag danke ich Nora Jaeger vielmals.

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1  Kunsthistorisches Museum Wien (Hrsg.), Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien. Verzeichnis der Gemälde, Wien 1991, Umschlag.

katalog erarbeitet, sich mit der Entwicklung des Kunstmarkts beschäftigt, Fragen der Urheberschaft oder Authentizität von Kulturgütern nachgeht – immer wird die Herkunft und Biografie von Objekten eine Rolle spielen, häufig eine zentrale Rolle. Nicht anders ist es mir ergangen. Meine erste Berührung mit der Provenienzforschung hatte ich zu einer Zeit, in der sie im Fach Kunstgeschichte, insbesondere in den Museen, ganz selbstverständlich und ohne viel Aufhebens praktiziert wurde. 1987/88 verbrachte ich zwei Semester in Wien, wo ich parallel zum Studium an der Universität ein mehrmonatiges Praktikum in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums absolvierte. Das Kunsthistorische Museum war im Auftrag Kaiser Franz Josephs I. errichtet und von ihm persönlich am 17. Oktober 1891 eröffnet worden. Es entstand aus der Zusammenlegung der habsburgischen Kunstkammern. Während meines Praktikums bereitete die Gemäldegalerie gerade einen neuen Bestandskatalog vor, an dem ich mitarbeiten durfte. Meine Aufgabe war es, das im Hause befindliche dreibändige, mit Gouachefarben gemalte Inventarium der Kayl. Bilder Gallerie in der Stallburg […], das Ferdinand Storffer in den Jahren 1720 bis 1733 im Auftrag von Kaiser Karl VI. angefertigt hatte, durchzugehen und zu prüfen, ob sich die dort abgebildeten Werke noch immer im Museumsbestand befinden.3 Die einzelnen Blätter des Inventars zeigen Ausschnitte der prunkvollen Wandvertäfelung in der Wiener Stallburg, in welche die Gemälde und Skulpturen eingepasst waren. Jedes Werk ist mit einer Nummer versehen. Diese Storffer-Nummern hatte ich in die Provenienzketten der einzelnen Gemälde, die für den Bestandskatalog akri-

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Vgl. zu dem Inventar: Die Galerie Kaiser Karls VI. in Wien. Solimenas Widmungsbild und Storffers Inventar (1720–1733) hrsg. von Sabine Haag, Gudrun Swoboda, (Ausst.-Kat. Wien, Kunsthistorisches Museum, 15. Juli bis 30. November 2010), Wien 2010.

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2  Kunsthistorisches Museum Wien (Hrsg.), Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien. Verzeichnis der Gemälde, Wien 1991, S. 36 (Detail).

bisch recherchiert wurden, einzufügen als Nachweis dafür, dass sich die betreffenden Objekte spätestens seit den Jahren 1720 bis 1733 im Sammlungsbestand befanden. Ein Beispiel: Abb. 1 zeigt den Umschlag des 1991 in Wien erschienenen Verzeichnisses der Gemälde des Kunsthistorischen Museums, auf dem eine Tafel aus dem ersten Band des Storffer’schen Inventars abgebildet ist. Im Zentrum der Komposition ist das Gemälde Turmbau zu Babel (Tafel II) von Pieter Bruegel d. Ä. aus dem Jahr 1563, noch heute eines der bekanntesten Werke im Kunsthistorischen Museum, gut erkennbar. Es ist mit der Nummer 28 versehen. In Abb. 2 ist der Eintrag zu diesem Bild aus dem Bestandsverzeichnis von 1991 reproduziert. In der Provenienzkette findet sich der damals von mir vorgenommene Eintrag: Storffer I, 28. ­Provenienzrecherchen beginnen in der Regel mit einer Autopsie des betreffenden Objektes selbst: Gibt es Merkmale wie Beschriftungen, Aufkleber oder Stempel, die Hinweise auf die Provenienz liefern? Der nächste Schritt ist dann die Konsultation der im Hause vorhandenen Quellen – vor allem der Inventarbücher. Genau dies war meine Aufgabe als Praktikant in Wien. Während meines Wiener Studienjahres wurde ich auch erstmals mit Rückgabeforderungen eines Objektes aus einem kolonialen Kontext konfrontiert. Es ging um die sogenannte Federkrone des Montezuma (Tafel III) im Museum für Völkerkunde. Eines Tages schlugen Angehörige indigener Gruppen aus Mexiko, Nachfahren der Azteken, auf dem Rasen vor der Wiener Hofburg buchstäblich ihre Zelte auf, um für die Rückgabe des Federkopfschmucks zu demonstrieren (Abb. 3).4 Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, traten sie in einen mehrwöchigen

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Vgl. die Website des an den damaligen Protesten beteiligten mexikanischen Aktivisten Xokonoschtletl Gómora: http://www. spenden-montezumasfederkrone.org/Deutsch/ (abgerufen am 25.02.2021).

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3  Brigitta Zessner-Spitzenberg, Nachkommen der Azteken tanzen am Heldenplatz und fordern die Federkrone des ­Montezuma aus dem Völkerkundemuseum zurück, 1987, Fotografie, Österreichische Nationalbibliothek Wien. Auf dem Transparent vor dem Zelt steht der Satz: »Bitte gebt uns Azteken … unsere Federkrone zurück!!«

Hungerstreik. Das Museum für Völkerkunde befand sich damals wie heute – seit 2013 unter dem Namen Weltmuseum Wien – im Corps de Logis der Neuen Burg. Die Federkrone des Montezuma ist ein altmexikanischer Kopfschmuck aus hunderten langen Federn verschiedener Vogelarten und mehr als tausend Goldplättchen. Es handelt sich um ein weltweit einzigartiges Objekt und um das prominenteste Exponat des Museums. Seine Provenienz ist ungeklärt, denn wir wissen nicht, wann und auf welchen Wegen der Kopfschmuck nach Österreich gelangt ist. Erstmals sicher belegt ist er 1596 in Schloss Ambras bei Innsbruck im Nachlassinventar der Sammlung von Erzherzog Ferdinand II. von Tirol, einer der größten und berühmtesten Rüst-, Kunst- und Wunderkammern jener Zeit. Von dort kam er 1806 nach Wien. Berühmt ist der Federkopfschmuck wegen seines (vermeintlichen) einstigen Besitzers. Doch ob es tatsächlich eine Verbindung zu dem aztekischen Herrscher Montezuma II. gibt, ist völlig ungewiss,

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sogar eher unwahrscheinlich (auf der Website des Museums wird die Bezeichnung Krone des Montezuma explizit als falsch und das Objekt als Kopfschmuck eines Priesters bezeichnet5). Im Bewusstsein vieler Mexikaner bleibt er jedoch untrennbar mit Montezuma verbunden. Aufgrund dieser Zuschreibung, dieser alten Legende, hat der Kopfschmuck für die kulturelle Identität Mexikos einen kaum zu überschätzenden ideellen Wert, weswegen Nachfahren der Azteken, wie oben erwähnt, seit langem die Rückgabe fordern. Im Museo Nacional de Antropología in Mexiko-Stadt befindet sich seit 1940 eine Kopie des Federkopfschmucks, deren Herstellung auf die von Österreich abgelehnte Rückgabeforderung in den Jahren 1932–1934 zurückging. Auf offizieller Ebene kam es von 2010 bis 2012 im Rahmen einer binationalen interdisziplinären Kooperation zwischen Österreich und Mexiko zu einer umfassenden Untersuchung und Konservierung des Objektes. Am Ende des Projektes wurde vom österreichischen und mexikanischen Kollegium gemeinsam entschieden, dass der Federkopfschmuck wegen seiner Fragilität nicht reisefähig ist. 6 Dennoch erbat Mexiko im Oktober 2020 den Kopfschmuck als Leihgabe für eine Ausstellung.7 Ortswechsel. Von Wien aus reiste ich im Sommer 1988 nach Kalifornien, um im Rahmen eines dreimonatigen Internships am Los Angeles County Museum of Art mit der Kuratorin Stephanie Barron an einer Rekonstruktion der nationalsozialistischen Propagandaausstellung Entartete Kunst zu arbeiten. Wieder ging es – nicht nur, aber auch – um Provenienzrecherchen, dieses Mal zu den Werken moderner Kunst, die 1937 in München angeprangert worden waren. Nach Deutschland zurückgekehrt, setzte ich die Recherchen zum Thema Entartete Kunst fort. Es sollten eine Dissertation und mehrere Aufsätze daraus entstehen, u. a. zur Provenienz des Gemäldes Die Prise (Rabbiner) (Tafel IV–V) von Marc Chagall, das 1937 in der Städtischen Kunsthalle Mannheim als »entartet« beschlagnahmt wurde und seit 1939 dem Kunstmuseum Basel gehört. Die Geschichte dieses einen Bildes diente mir als roter Faden, um daran die Geschichte der Kunsthalle Mannheim im Nationalsozialismus und zugleich wichtige Stationen der NS-Kunstpolitik zu veranschaulichen (Abb. 4).8 Dies zeigt: Provenienzforschung ist immer auch Kontextforschung.

5 Vgl. https://www.weltmuseumwien.at/object/531234/ (abgerufen am 25.02.2021). 6 Vgl. Sabine Haag et al. (Hrsg.), Der altmexikanische Federkopfschmuck, Altenstadt 2012. Vgl. die Rezension von Elke Bujok, in: Anthropos – Internationale Zeitschrift für Völker- und Sprachenkunde 110 (2015), Nr. 2., S. 624–626: https://www.nomos-elibrary. de/10.5771/0257-9774-2015-2-624/haag-sabine-alfonso-de-maria-y-campos-lilia-rivero-weber-und-christian-feest-hrsg-deraltmexikanische-federkopfschmuck-jahrgang-110-2015-heft-2?page=1 (abgerufen am 25.02.2021). Vgl. zur Restitutionsdebatte um die Federkrone jüngst Khadija von Zinnenburg Carroll, Quetzalapanecáyotl – Ein Restitutionsfall, Wien 2022. Englische Original-Ausgabe: https://bibliopen.org/p/bopen/9780226802237 (abgerufen am 12.06.2022). 7 Vgl. https://www.welt.de/geschichte/article217842798/Azteken-Mexiko-fordert-Federkrone-Montezumas-von-Wien.html (abgerufen am 25.02.2021). Das Leihgesuch wurde dem österreichischen Bundespräsidenten persönlich überreicht und von der Präsidentschaftskanzlei mit Schreiben vom 23. Oktober 2020 abgelehnt (freundliche Nachricht von Gerard W. van Bussel, Weltmuseum Wien, per E-Mail vom 26.04.2021). 8 Vgl. Christoph Zuschlag, Das Schicksal von Chagalls »Rabbiner«. Zur Geschichte der Kunsthalle Mannheim im Nationalsozia­ lismus, in: Stadtarchiv Mannheim (Hrsg.), Mannheim unter der Diktatur 1933–1939. Ein Bildband, Mannheim 1997, S. ­179–190 und S. 242–244. Eine aktualisierte Version des Aufsatzes erschien unter dem Titel: »... eines seiner stärksten Bilder«. Das Schicksal des »Rabbiners« von Marc Chagall, in: Uwe Fleckner (Hrsg.), Das verfemte Meisterwerk. Schicksalswege moderner Kunst im »Dritten Reich«, Berlin 2009, S. 401–426. Die Rückseite des Bildes (Tafel V ) weist diverse Provenienzmerkmale auf, darunter am oberen horizontalen Keilrahmen einen Ausstellungsauf­kleber des Kunsthauses Zürich aus dem Jahr 1950 mit der rot übermalten Aufschrift »Besitzer: Nell Walden«. Da sich das Werk seit 1939 im Eigentum des Kunstmuseums Basel befindet, handelt es sich hier um einen Irrtum, der durch die rote Überschreibung (im Sinne eines Durchstreichens) kenntlich gemacht wurde.

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4  Tabelle zur Provenienz des Gemäldes Die Prise (Rabbiner) von Marc Chagall, Veröffentlichung des Autors 1997.

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III. Der proveniente Blick In einem 2018 erschienenen lesenswerten Essay schreibt Thomas Thiemeyer, ein provenienter Blick auf kolonialzeitliche Objekte könnte nicht nur die Mechanismen des Kolonialismus in Wissenschaft und Alltag offenlegen, sondern auch andere Zeiten neu bewerten. Er könnte beispielsweise die Aufklärung und ihre Arbeitsweisen anders ­sehen, würde erkennen, in welchem Ausmaß asymmetrische Machtbeziehungen den wissenschaftlichen Entdeckergeist korrumpierten. […] So könnten neue Narrative entstehen, die gerade eine sich intellektuell neu formierende Migrationsgesellschaft benötigt, weil mit ihnen die Leerstellen der alten nationalstaatlichen Erzählungen gefüllt werden können.9 Die Studierenden des Bonner Masterstudiengangs Provenienzforschung und Geschichte des Sammelns zu einem »provenienten Blick« auf alle Epochen – einschließlich der Gegenwart! – an­ zuleiten, ihren Blick für die oben angedeuteten (Erkenntnis-)Dimensionen der Provenienzforschung zu schärfen und sie zugleich für Fragen des Kunst- und Kulturgutschutzrechts zu sensibilisieren, scheint uns nicht nur ein lohnendes und wichtiges Ziel unserer universitären Lehre, sondern nachgerade geboten. Denn seit dem Sommersemester 2018 verfügt die Universität Bonn über ein (man darf wohl sagen: weltweites) Alleinstellungsmerkmal: In diesem Semester nahmen die W1-Professur für Kunsthistorische Provenienzforschung (Ulrike Saß), die W3-Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Professur für Bürgerliches Recht, Kunst- und Kulturgutschutzrecht (Matthias Weller) und die W3-Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Professur für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart (19.–21. Jahrhundert) mit Schwerpunkt Provenienzforschung/Geschichte des Sammelns (Christoph Zuschlag) ihre Arbeit auf und gründeten im Oktober 2018 die Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht. Einige Vorhaben wurden bereits umgesetzt, andere auf den Weg gebracht: Der erwähnte Masterstudiengang Provenienzforschung und Geschichte des Sammelns wird seit dem Wintersemester 2019/20 angeboten und erfreut sich steigender Nachfrage. Die Schriftenreihe der Forschungsstelle im De Gruyter Verlag beginnt mit dem vorliegenden Band. Zudem erscheint dank der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und in Kooperation mit der Universitätsbibliothek Heidelberg ab 2022 die Open-Access Online-Zeitschrift transfer – Zeitschrift für Provenienzforschung und Sammlungsgeschichte. Eine Einführung in die Provenienzforschung sowie ein Handbuch Provenienzforschung befinden sich in Vorbereitung bzw. in Planung, einzelne Publikationen sind bereits erschienen.10 Ein informelles Netzwerk der ProThomas Thiemeyer, Kulturerbe als »Shared Heritage«? (I). Kolonialzeitliche Sammlungen und die Zukunft einer europäischen Idee, in: Merkur 72, Nr. 829 (2018), S. 30–44, hier: S. 42 f. 10 Vgl. Ulrike Saß, Eine Frage des Wertes. Kunstwerke im Fadenkreuz der Judenverfolgung im Nationalsozialismus, in: Matthias Weller et al. (Hrsg.), Raubkunst und Restitution – Zwischen Kolonialzeit und Washington Principles. Tagungsband des Dreizehnten Heidelberger Kunstrechtstags am 18. und 19. Oktober 2019, Baden-Baden 2020, S. 37–59; Matthias Weller, Towards 25 years of Washington Principles on Nazi-Confiscated Art: Time for a Restatement of Restitution Rules, in: Festschrift für Wojciech Kowalski, Warschau 2020, S. 680–692; ders. / Anne Dewey, Warum ein »Restatement of Restitution Rules for Nazi-Confiscated Art«?, in: Kunst und Recht (KUR) 21 (2019), S. 170–178; Matthias Weller, In Search of »Just and Fair Solutions«: Towards the Future of the »Washington Principles on Nazi-Confiscated Art«, in: Commission pour l’indemnisation des victimes de

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fessuren im Bereich Provenienzforschung an deutschen Hochschulen wurde ebenso gegründet wie ein Transuniversitäres Promovierendenforum Provenienzforschung. Auch an der im Dezember 2020 gegründeten, beim LVR-LandesMuseum in Bonn angesiedelten Koordinations­ stelle für Provenienzforschung in Nordrhein-Westfalen (KPF.NRW) ist unsere Forschungsstelle beteiligt. Im juristischen Bereich läuft das große, von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien finanzierte rechtsvergleichende Forschungsprojekt Restatement of ­Restitution Rules for Nazi-Confiscated Art auf Hochtouren.11 Der Abschluss ist für 2024 geplant. Weitere Herausforderungen werden kommen – entfalten die Themen der Forschungsstelle doch seit geraumer Zeit eine bisher ungekannte Dynamik in den fachlichen wie auch öffent­ lichen Diskursen.

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spoliations (CIVS), Guide to the work of the Restitution Committees. Five ways of resolving claims, Paris 2019, S. 9–17; Christoph Zuschlag, Vom Iconic Turn zum Provenancial Turn? Ein Beitrag zur Methodendiskussion in der Kunstwissenschaft, in: Maria Effinger et al. (Hrsg.), Von analogen und digitalen Zugängen zur Kunst. Festschrift für Hubertus Kohle zum 60. Geburtstag, Heidelberg 2019, S. 409–417, https://doi.org/10.11588/arthistoricum.493.c6573 (abgerufen am 08.03.2022); ders., Provenienz – Geschichte und Perspektiven eines neuen Paradigmas in den Geistes- und Kulturwissenschaften, in: Weller 2020 (wie Anm. 10), S. 23–35; ders., Provenienz – Restitution – Geschichtskultur, in: Thomas Sandkühler, Angelika Epple, Jürgen Zimmerer (Hrsg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit, Köln u.a. 2021, S. 429–447. Vgl. die in Anm. 10 angegebene Literatur sowie auch: Matthias Weller, Anne Dewey, Warum ein »Restatement of Restitution Rules for Nazi-Confiscated Art«? Das Beispiel »Fluchtgut«, in: Weller 2020 (wie Anm. 10), S. 61–81.

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Beiträge der ersten Fachtagung der Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht

Laboratorium extraneum Ehemaliger und aktueller Umgang mit dem Kulturerbe Antoinette Maget Dominicé

In einem Text zum Salon de 1840 beschreibt Jules Janin (1804–1874),1 ein etablierter Kunst­ kritiker seiner Zeit, ein Gemälde von Adrien Dauzats (1804–1868), das den Caracallabogen, ei­ nen Ehrenbogen im heutigen Djémila, Algerien, zeigt.2 Über das Motiv hinaus wird vor allem die Diskussion um den Transport der dargestellten Architektur nach Paris mittels präsentierter Argumente von Gegnern und Befürwortern der Verlagerung thematisiert. In dem kurzen Ab­ schnitt lassen sich außerdem wichtige Aussagen zum Umgang mit dem Erbe anderer Kulturen ausmachen, die man in der Gegenwart unter Begriffe des Kulturgutschutzes fassen würde. Der Umgang mit diesem Erbe ist an mehreren Orten und zu verschiedenen Zeiten zu betrachten: Die Reflexion über die Herkunft von Kulturgütern, über ihre Provenienz und ihre Bewahrung, über ihre Stellung im Handel und die damit verbundenen gesellschaftlichen Praktiken weist darauf hin, wie verflochten und eigenständig zugleich diese Themenkomplexe sind. Es sind ferner Fragestellungen, die zum einen Teil aus politischen und militärischen, zum anderen Teil aus begrifflichen Experimenten entstanden sind. Experimente, die nicht im eigenen Labor3 stattfanden, sondern sich hinter fernen Horizonten entwickelten. Die vielen notwendigen Dis­ kussionen, die heute zu diesen Themenkomplexen geführt werden, weisen durch die unter­ schiedlich gefestigten Verfahren und die jeweilige Einzelfallprüfung noch immer die Züge ­experimenteller Arbeit auf, die in einem ersten historischen Teil beispielhaft anhand der Situ­ a­tion in Algerien, Neuseeland und im Senegal besprochen wird. Im zweiten Teil werden aus zeitgenössischen Ereignissen die Folgen der vergangenen Experimente hinterfragt und die unterschiedlichen Vorgehensweisen und Haltungen, die über eine vereinfachte Zuteilung zwi­ schen Herkunftsländern und ehemaligen Herrschaften hinausgehen, dargestellt und diskutiert. Diese Analyse der zeitgenössischen Ereignisse bildet letztlich die Grundlage des abschließen­ den Abschnitts. Antoinette Maget Dominicé ist Juniorprofessorin für Werte von Kulturgütern und Provenienzforschung am Institut für Kunst­ geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Die Autorin dankt Niklas Wolf, M.A. (LMU/UZH) und Jana Raspotnig, M.A. (LMU) für die sorgfältigen Korrekturen und Formatierungen. 1 2

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Vgl. Olivier Bara, Jules Janin (1804–1874), in: Dominique Kalifa et al. (Hrsg.), La civilisation du journal. Histoire culturelle et littéraire de la presse française au XIXe siècle, Paris 2011, S. 1139–1142. Jules Janin, Beaux-Arts. Le Salon de 1840. 4 e article, in: L’Artiste: journal de la littérature et des beaux-arts, Reihe 2, Bd. 5 (1840), S. 219. Das Gemälde soll sich in privaten Händen befinden; ein Holzschnitt von Charles Nodier wird in den Sammlungen des Musée de l’Armée, Paris, Inv.-Nr. 4689 BIB, aufbewahrt; siehe Nabila Oulebsir, Les usages du patrimoine. Monuments, musées et politique coloniale en Algérie (1830–1930), Paris 2004, S. 39. Die Kolonien als Laboratorien zu betrachten, basiert auf dem Aufsatz von Roland Drago, L’administration coloniale, laboratoire de la réforme administrative, in: Mélanges en hommage à André Breton et Fernand Derrida, Paris 1991, S. 83–89.

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I. Der Sieg französischer Truppen über die Osmanen in Staoueli am 19. Juni 1830 markiert den Beginn der französischen Herrschaft in einem sich geografisch erweiternden Territorium. Diese Herrschaft sollte Algerien bis 1962 dominieren und zu bedeutenden Umbrüchen im Um­ gang mit dem Kulturerbe auf beiden Seiten des Meeres führen. Die von der französischen Regierung organisierten wissenschaftlichen Expeditionen,4 die sich Napoleons Vorgehen in Ägypten zum Vorbild nehmen, werden von Personen durchgeführt,5 die mit einer eigenen Vorstellung des Kulturerbebegriffs in Algerien ankommen. Die Ereignisse der Französischen Revolution und ihre Konsequenzen für bewegliche und unbewegliche Kulturgüter sind noch immer in den Köpfen der Menschen präsent. Die Schriften des Abbé Grégoire (1750–1831), in denen er den Vandalismus anprangert,6 sowie die von Aubin-Louis Millin (1759–1818) verfassten Bände7 stellen den Respekt vor den Zeugen der Vergangenheit in den Mittelpunkt der Diskussionen. Es zeigt sich jedoch, dass es sich dabei um ein allmähliches Bewusstsein handelt, das zu einer starken Kategorisierung von Gütern und einer selektiven Bewahrung führte: Die Spuren der archäologischen Vergangenheit erhielten somit mehr Auf­ merksamkeit als zeitgenössische Güter und die Terminologien waren noch in der Entwicklung.8 Darüber hinaus verschärfte der zentralisierende Diskurs der Revolutionäre das Modell eines globalen Museums, in das die meisten Kulturgüter transportiert werden würden. Der Begriff des Kulturerbes selbst ist eine Erscheinung der Moderne, die von westlichen Gesellschaften und deren eigenen Entwicklungsbedingungen geprägt worden ist.9 Die Entwicklung spiegelt Vorstellungen von räumlichen Zuordnungen, zeitlichen Anhaltspunkten, Zeitsystemen und der Verehrung bzw. dem quasi kultischen Umgang von bzw. mit Objekten wider.10 Dies stellt einen radikalen Bruch mit der tradierten islamischen, in Algerien vor der Kolonisation gebräuch­ lichen Idee eines Denkmals dar, welches als Hinterlassenschaft, als Rest oder als Spur verstan­ den worden ist (athar). Auch der Begriff des Erbes, der materielle wie auch geistige Dimensio­ nen eines Objekts zugleich beschreibt (turâth), wird tangiert.11 Auf einer rein termino­logischen Ebene lassen sich bei der Betrachtung dieser Entwicklungen unterschiedliche Haltungen dem Vgl. Numa Broc, Les grandes missions scientifiques françaises au XIXe siècle (Morée, Algérie, Mexique) et leurs travaux géo­ graphiques, in: Revue d’histoire des sciences 34 (1981), Nr. 3/4, S. 319–358. 5 Vgl. Hélène Blais, Le rôle de l’Académie des sciences dans les voyages d’exploration au XIXe siècle, in: La revue pour l’histoire du CNRS 10 (2004), http://journals.openedition.org/histoire-cnrs/587 (abgerufen am 08.07.2019), Rz. 21–22, 26; Broc 1981 (wie Anm. 4), 328 f. 6 Siehe Abbé Grégoire Baptiste Henri, Reprise du rapport de Grégoire, au nom du comité d’Instruction publique, sur les destructions des monuments des arts, lors de la séance du 14 fructidor an II (31 août 1794), in: Archives Parlementaires de 1787 à 1860, Première série (1787–1799) Tome XCVI – Du 10 fructidor au 22 fructidor an II (27 août au 8 septembre 1794), Paris 1990, S. 150–157. 7 Insbesondere die fünf Bände seiner Voyage dans les départmen[t]s du sud de la France, Paris 1807–1811. 8 Vgl. Dominique Poulot, Le sens du patrimoine: hier et aujourd’hui, in: Annales ESC 6 (1993), Nov.-Dez., S. 1601–1613. 9 Vgl. Françoise Choay, L’allégorie du patrimoine, Paris 1992; vgl. zur Lage in Marokko, Arrif Abdelmajid, Le paradoxe de la construction du fait patrimonial en situation coloniale. Le cas du Maroc, in: Revue du monde musulman et de la Méditerranée 73–74 (1994), S. 153–166; für Tunesien Myriam Bacha, La législation patrimoniale tunisienne pendant le Protectorat, in: Jean-Pierre Bady et al. (Hrsg.), 1913. Genèse d’une loi sur les monuments historiques, Paris 2013, S. 310–313. Kritisch dazu Leïla Ammar, Les enjeux du patrimoine ancien et récent à Tunis aux XIXe et XXe siècles. Entre volontés de sauvegarde et périls, in: Al-Sabîl: Revue d’Histoire, d’Archéologie et d’Architecture Maghrébin 3 (2017), http://www.al-sabil.tn/?p=2877 (abgerufen am 07.09.2020). 10 Vgl. Jean-Pierre Babelon, André Chastel, La notion de patrimoine, in: Revue de l’art 49 (1980), S. 5–32. 11 Vgl. zu beiden Begriffen Mercedes Volait, Introduction, in: Raffaela Cattedra et al. (dir.), Patrimoines en situation. Constructions et usages en différents contextes urbains : Exemples marocains, libanais, égyptien et suisse, Beyrouth u.a., https://doi.org/10.4000/books. ifpo.869, Rz. 12–15 (abgerufen am 07.09.2020); Mirhan Damir, Denkmal(?) Erbe(?) Perplexity, in: Simone Bogner et al. (Hrsg.), Denkmal – Erbe – Heritage: Begriffshorizonte am Beispiel der Industriekultur, Heidelberg 2018, https://books.ub.uni-heidelberg.de/ arthistoricum/reader/download/374/374-16-82606-1-10-20181024.pdf (abgerufen am 12.04.2022), S. 105–107.

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58  Antoinette Maget Dominicé

materiellen Aspekt solcher Dinge gegenüber feststellen: Das Konzept des Erbes nimmt die Vergänglichkeit des Menschen und jeglicher Objekte stärker wahr. Das Wesen der Dinge und das damit verbundene Wissen, die Lebensweisen und -rhythmen stehen im Vordergrund. Mit der territorialen Expansion der französischen Herrschaft in Algerien geraten diese Be­ grifflichkeiten in Konflikt miteinander, was sich auf mehreren Ebenen bemerkbar macht12 und Auswirkungen auf den Schutz, die Aufbewahrung und den Transport von Kulturgütern wie auch auf die Normierung und die Gesetzgebung in diesem Bereich hat.13 Neben der Gründung von ersten Museen in Algier (1838), Cherchell (1840) und Constantine (1852) werden Versuche zur Inventarisierung des Kulturerbes unternommen.14 Es werden Instrumente geschaffen, um das Kulturerbe und dessen materielle Zeugnisse vor Ort aufbewahren zu können, was allerdings nur bedingt gelingt: Der Transport von ausgewählten Kulturgütern nach Paris soll zur Konstruk­ tion einer vermeintlich französischen Vergangenheit in Algerien dienen. Aus diesem Grund werden insbesondere Kulturgüter römischer Herkunft verlagert, die den Bezug zu vorigen Herrschaften und Zusammenhängen zwischen gemeinsamen Vergangenheiten aufbauen kön­ nen. Die vielen Transporte haben schon damals zum Erlass einer Rundverfügung geführt, wel­ che das Aufbewahren und Ausstellen an einem dem Fundort nahe gelegenen Ort vorschreibt.15 Unternommen wurden auch – im Gegensatz zur Situation in Kontinentalfrankreich, wo der Archäologie kein rechtlicher Rahmen verliehen worden war – Versuche zur Regulierung der Archäologie16 und zur Übertragung aller Kulturobjekte, die im Rahmen einer neuen Grund­ stückszuweisung gefunden werden sollten, in staatliches französisches Eigentum.17 In Frank­ reich selbst war ein solches juristisches Vor­haben in dieser Zeit undenkbar.18 Genau dort aller­ dings wird – dezidiert auch für algerische Kulturobjekte – am 30. März 1887 das Gesetz zum Schutz der Baudenkmäler und Kulturgüter von historischem und künstlerischem Wert erwei­ tert und verstärkt.19 12 Über den Begriff hinaus führte die Aufhebung mancher Eigentumsformen wie des habūs, eine Art frommer Stiftung, zu einem Rückgang im Erhalt vieler Gebäude. Vgl. Hervé Bleuchot, Art. "Habous", in: Encyclopédie berbère, Bd. 21, Gland-Hadjarien, Aix-en-Provence 1999, S. 3265–3272; Tewfik Guerroudj, La question du patrimoine urbain et architectural en Algérie, in: Insaniyat 12 (2000), S. 31–43; Tahar Khalfoune, Le Habous, le domaine public et le trust, in: Revue internationale de droit comparé 57 (2005), Nr. 2, S. 441–470. 13 Zum gesetzgebenden Verfahren in den Kolonien im Allgemeinen und zum Kulturgutschutz im Besonderen betont Chedouki, wie die Gesetzgebung sich einseitigen Verwaltungsakten nähert. Vgl. Jihane Chedouki, La loi sur les monuments historiques dans le contexte colonial: le cas du Maroc, in: Jean-Pierre Bady et al. (Hrsg.), 1913. Genèse d’une loi sur les monuments historiques, Paris 2013, S. 304–309; zur Lage in Algerien vgl. Antoinette Maget Dominicé, Colonies françaises et politique de protection du patrimoine culturel. Prémices de réflexion sur l’expérience coloniale et sa transposition en Métropole, in: Kerstin Odendahl, Peter Johannes Weber (Hrsg.), Kulturgüterschutz – Kunstrecht – Kulturrecht: Festschrift für Kurt Siehr zum 75. Geburtstag aus dem Kreise des Doktoranden- und Habilitandenseminars »Kunst und Recht«, Baden-Baden 2010, Bd. 8, S. 599–600; Oulebsir 2004 (wie Anm. 2). 14 Vgl. Monique Dondin-Payre, La commission d’exploration scientifique de l’Algérie, une héritière méconnue de la Commission d’Egypte, Paris 1994; Bonnie Effros, Incidental Archaeologists. French Officers and the Rediscovery of Roman North Africa, Ithaca 2018; Nabila Oulebsir, La découverte des monuments de l’Algérie. Les missions d’Amable Ravoisié et d’Edmond Duthoit (1840–1880), in: Revue du monde musulman et de la Méditerranée Nr. 73–74 (1994), S. 57–76. 15 Vgl. Oulebsir 2004 (wie Anm. 2), S. 164. 16 Vgl. Nabila Oulebsir, Patrimoine et législation, entre Paris et Alger, in: Jean-Pierre Bady et al. (Hrsg.) 1913. Genèse d’une loi sur les monuments historiques, Paris 2013, S. 292–303. 17 Clause du 29 décembre 1847, vgl. Oulebsir 2004 (wie Anm. 2), S. 102; Oulebsir 2013 (wie Anm. 16), S. 293. 18 Vgl. Marie Cornu, Noé Wagener, L’objet patrimoine. Une construction juridique et politique?, in: Vingtième siècle. Revue d’histoire 1 (2018), Nr. 137, S. 33–47. 19 Chapitre IV, Art. 16, Loi du 30 mars 1887 relative à la conservation des monuments et objets d’art ayant un intérêt historique et artistique, JO, 31 mars 1887, Bulletin 17739; vgl. Eugène Albertini, La réglementation nouvelle des Monuments historiques en Algérie, in: Bulletin de la Société de géographie et d’archéologie d’Oran, (Sept.–Dez. 1926), S. 264–270.

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Ähnliche Entwicklungen erfolgen weltweit dort, wo vormalige Kolonialmächte ihre wirtschaftlichen und politischen Projekte begleitet von ihren Wahrnehmungen und Vorstellungen zu Aspekten des Schutzes kulturellen Erbes etablieren. 20 Diese bilden die Grundlage der Diskussionen, die in jüngeren Zeiten stark in der Öffentlichkeit thematisiert werden und zu grundlegenden Debatten über Fragestellungen zu Eigentum, Besitz, Zugänglichkeit und folglich der Teilhabe von Kulturerbe am gesellschaftlichen Leben führen. Dies jedoch geschieht in sehr unterschiedlichen normativen Rahmen, wie zum Beispiel die Situationen im Senegal oder in Neuseeland zeigen: Auf dem Territorium des heutigen Senegal wurde 1863 eine erste museale Einrichtung gegründet21 und der Umgang mit Kulturgütern 1937 spezifisch normiert.22 Die weitere Entwicklung ist durchaus rasant, sodass sich die Kontrolle über wissenschaftliche Missionen und die Ausfuhr von Kulturgütern bald etabliert, 23 das Prinzip einer Teilung der gesammelten Kulturobjekte24 eingeführt und das wissenschaftliche Institut français d’Afrique noire gegründet wird.25 Auf der Nordinsel Neuseelands wird 1840 der Vertrag von Waitangi unterschrieben. Mit diesem Akt beginnt die kolonialistische Ausbreitung britischer Macht auf die neuseeländi­ schen Inseln (Abb. 1). Während Handel und »Zivilisierung« vorangetrieben werden, bleiben die Kulturgüter lange Zeit außerhalb des Blickfelds des Gesetzgebers. Kulturobjekte der Maori, vor allem menschliche Überreste wie tätowierte Köpfe, die toi moko, stoßen seit der ersten Reise von James Cook bei westlichen Reisenden auf großes Interesse. Der Handel zwischen Europa und Neuseeland floriert fortan, nicht zuletzt aufgrund ausgenutzter Notsituationen verschiedener Maori-Gruppen, ausgelöst durch kriegerische Auseinandersetzungen wie den Krieg der Musketen (1807–1845) und den damit verbundenen Bedarf an Waffen.26 Im April 1831 setzte der damalige britische Gouverneur ein Zeichen gegen die Etablierung solcher Märkte und erklärte den Handel mit tätowierten Köpfen für illegal – erst 70 Jahre später sollte ein erstes Gesetz zum Schutz des Kulturerbes erlassen werden: Der Ma¯ori Antiquities Act aus dem Jahr 190127 bildet eine Basis zur generellen Kontrolle der Ausfuhr von Kulturgütern der

20 Nicht zu vergessen ist an dieser Stelle die Tatsache, dass das Prinzip der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative in den Kolonien Französisch-Westafrika (AOF) nicht galt, ergo manche rechtlichen Bestimmungen nur für die Kolonisierten galten. Beispiel ist das Strafgesetzbuch für Eingeborene (sog. Code de l’indigénat), vgl. Martine Fabre, L’indigénat: des petites polices discriminatoires et dérogatoires, in: Bernard Durand, et al. (dir.), Le juge et l’Outre-mer, Bd. 5: Justicia illiterata : aequitate uti ? Les dents du dragon, UMR 5815 – Montpellier Histoire de la Justice 2010, Lille 2010, S. 273–310, hier: S. 285; Isabelle Merle, Retour sur le régime de l’indigénat : Genèse et contradictions des principes répressifs dans l’empire français, in: French Politics, Culture & Society, Special Issue: Regards croisés: Transatlantic Perspectives on the Colonial Situation 20 (2002), Nr. 2, S. 77–97. Auch anzumerken ist die Tatsache, dass die Gebiete in zivile und militärische Zonen unterteilt waren, was zu unter­ schiedlichen Umsetzungen gesetzlicher Bestimmungen führte, vgl. Francesca Bruschi, Politique indigène et administration au Sénégal (1890–1920), in: Il Politico 70 (2005), Nr. 3 (210), S. 501–522. 21 Vgl. Adama Djigo, Histoire des politiques du patrimoine culturel au Sénégal (1816–2000), Paris 2015, S. 189–191. 22 Décret du 25 août 1937 tendant à la protection des monuments naturels, et des sites, à caractère historique, scientifique, légendaire ou pittoresque des colonies, pays de protectorat et territoire sous mandat relevant du Ministère des Colonies, in: Journal Officiel de l’AOF, Nr. 1744, 16. Oktober 1937, S. 1063–1065. 23 Décret du 25 janvier 1944 relatif au classement des objets d’intérêt historique et à la réglementation des fouilles archéologiques, in: Journal Officiel de l’AOF, Nr. 2166, 2. Juni 1945, S. 402–405. 24 J0 de l’AOF, Nr. 2272, 25. Januar 1947; vgl. Marie-Albane de Suremain, L’IFAN et la »mise en musée« des cultures africaines (1936–1961), in: Outre-mers 94 (2007), Nr. 356–357, S. 151–172, hier: S. 162. 25 Vgl. Djigo 2015 (wie Anm. 21), S. 155; de Suremain 2007 (wie Anm. 24), hier: S. 151–156. 26 Simon Harrison, Dark Trophies. Hunting and the Enemy Body in Modern War, New York 2012, S. 62–64. 27 New Zealand Parliamentary Debates Bd. 119, 350, 11. Oktober 1901 / 1 EDW VII 1901 Nr. 21.

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1  Robert Ellison Brockie: Great moments in N.Z. history – Signing the Treaty of Waitangi, National Business Review, 8 February 1982, National Library of New Zealand, Ministry for Culture and Heritage.

Maori.28 Weiter liefert der Text eine Definition dieser Kulturgüter (Art. 2) und räumt der britischen Regierung sowohl die Möglichkeit, solche in »angemessenem und notwendigem« Umfang zu erwerben (Art. 3),29 als auch ein Vorkaufsrecht vor einer potenziellen Ausfuhr (Art. 4) ein. Viele Objekte der Maori finden einen Platz im damaligen Kolonialmuseum in Wellington, 1865 gegründet und 1907 in Dominion Museum umbenannt, dessen Bestände eine breite Dar­ stellung des kulturellen Erbes Neuseelands ermöglichen.30

28 Schwächen in diesem Text sollten durch zwei Revisionen 1904 und den Maori Antiquities Act von 1908 behoben werden, die bis 1962 in Kraft blieben. Vgl. Moira White, New Zealand’s first antiquities legislation. The Maori Antiquities Act 1901 and a proposal for a National Maori Museum, in: Anne E. Allen, Deborah B. Waite (Hrsg.), Repositioning Pacific Arts: Artists, Objects, Histories, Canon Pyon 2014, S. 88–95. 29 Art. 3 Maori Antiquities Act 1901: »The Governor may acquire on behalf of the colony such Maori antiquities as he deems expedient, and may provide for the safe custody of the same.« 30 Vgl. Conal McCarthy, Carving out a place in better Britain of the South Pacific: Māori in New Zealand museums and exhibitions, in: Sarah Longair, John McAleer (Hrsg.), Curating Empire: Museums and the British Imperial Experience, Manchester 2016, S. 56–81, hier: S. 63.

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Die Beispiele aus Algerien, dem Senegal und Neuseeland – drei Staaten, die eine euro­ päische Kolonialherrschaft erlebt haben – zeigen, wie ihr Umgang mit dem eigenen Kulturerbe von westlichen Vorstellungen beeinflusst worden ist. So haben nämlich französische und briti­ sche Kolonialmächte ihre eigenen Vorstellungen vom Kulturerbe auf das der fremden Territo­ rien übertragen, Gesetze erlassen und folglich Versuche unternommen, Kulturobjekte und Baudenkmäler aus ihrer Sicht zu schützen. Die besondere Rechtslage, die der Bevölkerung kolonisierender Staaten andere Rechte einräumte als den Kolonisierten, ermöglichte starke Eingriffe in das Eigentum anderer. Die Vorgehensweise in den drei angesprochenen Territorien, die man sich laborähnlich vorzustellen hat, darf als Versuch angesehen werden, gewonnene Begriffe festzu­legen und praktisch zu etablieren. II. Die sukzessive Unabhängigkeitswerdung ehemaliger Kolonien ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs – Neuseeland 1947,31 Senegal 196032 und Algerien 196233 – hat die Pforte dieser als Laboratorien verstandenen Orte der terminologischen Verhandlung geschlossen. Gegenwärtig entstehen nach und nach neue Zugänge, da in den letzten Jahren die Forderungen nach Rück­ gabe und Restitution von Objekten lauter geworden sind. Im Sommer 2012 forderte die algeri­ sche Regierung die Rückgabe von 158 Objekten, die während der 132-jährigen französischen Herrschaft ihren Weg in die französische Hauptstadt gefunden hatten. Anfang 2018 erweiterte die algerische Regierung ihre Forderungen, indem nun auch die Rückgabe von nach Frankreich transportierten Archiven34 und die Restitution von 37 Schädeln algerischer Widerstandskämp­ fer aus dem 19. Jahrhundert gefordert wurde (Abb. 2).35 Der französische Präsident Emmanuel Macron zeigte sich gegenüber den Rückgabeforderungen grundsätzlich offen, betonte aller­ dings, dass es absolut notwendig sei, die entsprechende Gesetzgebung und deren zeitliche Vorgaben zu beachten.36 Am 3. Juli 2020 wurden 24 Schädel als Dauerleihgabe Frankreichs an Algerien übergeben. Am Folgetag wurden diese menschlichen Überreste bestattet.37 31 Vgl. John Wilson, New Zealand Sovereignty: 1857, 1907, 1947, or 1987?, in: Political Science 60 (2007), Nr. 2, S. 41–50. 32 Vgl. Kathrin Heitz, Décolonisation et construction nationale au Sénégal, in: Relations internationales 1 (2008), Nr. 133, S. 41–52, hier: Rz. 9–12 zu dem Aufbau einer »reconquête culturelle«. 33 Vgl. Hubert Bonin, L’empire colonial français de l’histoire aux héritages: XIX e–XXI e siècles, Malakoff 2018, S. 317–320. 34 Vgl. Benoît Van Reeth, Isabelle Dion (Hrsg.), Histoires d’outre-mer. Les Archives nationales d’outre-mer ont 50 ans, Paris 2017, S. 46–51, 82; Fouad Soufi, Les archives algériennes en 1962: héritage et spoliation, in: Insaniyat 65–66 (2014), S. 211–237. 35 Vgl. Unbekannt, Restitution des crânes d’insurgés algériens: Macron demande un »geste« pour les Harkis, in: Jeune Afrique, 7. Dez. 2017, https://www.jeuneafrique.com/500006/politique/restitution-des-cranes-dinsurges-algeriens-macron-demande-un-gestepour-les-harkis (abgerufen am 18.10. 2018); Sophie Granel, Crânes de combattants au Musée de l’Homme: l’Algérie demande la restitution, in: France Info, 11. Januar 2018, https://www.francetvinfo.fr/culture/patrimoine/histoire/cranes-de-combattants-aumusee-de-l-homme-l-algerie-demande-la-restitution_3294225.html (abgerufen am 08.07.2019). 36 Vgl. Sindbad Hammache, Entretien avec Alain Froment, in: Le Journal des Arts 525 (2019), S. 14. Im Juli 2020 wurden 24 Schädel an die algerische Regierung »restituiert«, vgl. u. a. Madjid Zerrouky, La France remet à l’Algérie vingt-quatre crânes de résistants décapités au XIXe siècle et entreposés à Paris, in: Le Monde, 3. Juli 2020, https://www.lemonde.fr/afrique/article/2020/07/03/ la-france-remet-a-l-algerie-24-cranes-de-resistants-decapites-au-xixe-siecle-et-entreposes-a-paris_6045108_3212.html (abgerufen am 03.09.2020). Zum tatsächlichen Vorgehen vgl. Catherine Morin-Desailly, Travaux en cours de la mission d’information sur les restitutions des oeuvres d’art – Communication, 2. Wortmeldung, in: Comptes rendus de la Commission de la culture, de l’éducation et de la communication, 22. Juli 2020, http://www.senat.fr/compte-rendu-commissions/20200720/cult.html (abgerufen am 03.09.2020). 37 Max Brisson, Pierre Ouzoulias, Le retour des biens culturels aux pays d’origine : un défi pour le projet universel des musées français, Rapport d’information No 239, fait au nom de la commission de la culture, de l’éducation et de la communication, 16.12.2020, https://www.senat.fr/rap/r20-239/r20-2391.pdf, S. 17 (abgerufen am 02.09.2021); anders Farid Alilat, La France va restituer les crânes des résistants algériens entreposés à Paris, in: Jeune Afrique, 2. Juli 2020, https://www.jeuneafrique.com/­1009751/culture/ la-france-va-restituer-les-cranes-de-resistants-algeriens-entreposes-a-paris/ (abgerufen am 02.09.2021).

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2  Anthropologische Sammlung, Musée de l’Homme, Paris.

Aus dem Senegal haben sich bis jetzt weniger konkrete Rückgabeforderungen vernehmen lassen, vielmehr ist eine starke mediale Präsenz und ein symbolischer Transfer von ­Kulturgütern zu beobachten. 1998 wurden Kopien der Bücher, Korrespondenzen und weiterer Archivalien den Nachfahren des Scheichs El Hadj Oumar Tall in Segou gegeben – 108 Jahre nachdem sie (1890) von den Franzosen entwendet worden waren.38 Im November 2019 wurde dem knapp ein Jahr zuvor in Dakar eröffneten Musée des Civilisations noires der Säbel El Hadj Oumar Talls (ca. 1796–1864)39 für fünf Jahre als Leihgabe zur Verfügung gestellt, eine Leihgabe, die 2020 zu einer Restitution wurde.40 Auch auf innerstaatlicher Ebene stellen sich Fragen nach der Rückgabe von Kulturobjekten und menschlichen Überresten. 2011 wurden vom damaligen senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade zwei Ausschüsse ins Leben gerufen, die die Rückgabe von Resten zweier Figuren aus der Casamance, einem Gebiet im Süden des Landes mit sezessionistischen Tendenzen, verhandeln sollten.41 In diesem Verfahren wurde der Ob­ jektwert der Dinge zunächst nicht in die Diskussion einbezogen – eine Haltung, die auch in weiteren Beiträgen zum Ausdruck kam. In einem Artikel, veröffentlicht im Juni 2018, erwähnt

38 Vgl. Abdoulaye Camara, Butins et trophées de guerre. Quelques exemples se rapportant au Sénégal, in: Anne Mayor et al. (Hrsg.), African Memory in Danger – Mémoire africaine en péril, Frankfurt/M. 2015, S. 13–20. 39 Vgl. Sabre attribué à El Hadj Oumar Tall, Inv.-Nr. 6995, Musée de l’Armée, https://basedescollections.musee-armee.fr/ark:/66008/ ­6995.locale=fr (aktualisiert am 9. Juni 2020, abgerufen am 03.09.2020). 40 Im Sommer 2020 wurde im Eilverfahren dem französischen Parlament ein Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Rückgabe dieses Säbels vorsah. Das Gesetz wurde am 24.12.2020 verabschiedet. Vgl. Loi n° 2020–1673 du 24 décembre 2020 relative à la resti­ tution de biens culturels à la République du Bénin et à la République du Sénégal, JORF n°0312 du 26 décembre 2020, texte 5. 41 Vgl. Marc Maire, Restitutions de biens culturels africains à leurs pays d’origine (part.II), 16. April 2017, in: Semin’R, Enquêtes en et sur la conservation, https://seminesaa.hypotheses.org/tag/spoliation (abgerufen am 08.07.2019).

63  Laboratorium extraneum

der senegalesische Kultusminister Abdou Latif Coulibaly nach dem Treffen mit Felwine Sarr im Rahmen der Biennale d’art contemporain in Dakar, wie bedeutend der Zugang zu den vielen archivalischen Materialien sei, und betont ferner, »das Verfahren könne dauern«.42 Es scheint, die Kulturgüter wären als alleinstehende Objekte weniger bedeutend als die zwingende Zusam­menführung der Dokumentation und des physischen Objekts. In Neuseeland wurde 1992 der Museum of New-Zealand Te Papa Tongarewa Act erlassen. Das dadurch gegründete Museum öffnete 1998, 2003 wurde ihm von der Regierung die Verant­ wortung übertragen, menschliche Überreste der Maori aus ausländischen Institutionen zurück nach Neuseeland zu holen.43 Begleitend wurden ein wissenschaftliches Programm und ein Aus­ schuss ins Leben gerufen. In direkter Folge konnten in den letzten 15 Jahren über 400 mensch­ liche Überreste aus vielen Staaten an Neuseeland restituiert werden.44 In Wellington wurden diese zunächst zentral gesammelt und es wurde versucht, ihre ursprüngliche Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung zu klären.45 Diesen Körperteilen, die durch die Integration in westliche Sammlungen aus ihren ursprünglichen Funktionen des Ahnenkults der Maori gelöst und zu musealen Artefakten gemacht worden waren, wurde so die Verbindung zu und Teilhabe an der Konstruktion von Identität in der Gegenwart ermöglicht. Andere menschliche Über­ reste, deren Herkunft uneindeutig geblieben ist, werden in einem geschlossenen, geschützten Bereich des Museums aufbewahrt. Nicht betroffen von diesem Rückführungsprogramm sind hingegen alle weiteren Kulturobjekte aus ehemals kolonialen Sammlungsbeständen. Vertreter:innen der Maori-Bevölkerung baten die neuseeländische Regierung im Rahmen des Wai-262-Verfahrens vor dem Waitangi-Gericht46 u.a. um eine eigenständige Kontrolle über das eigene materielle und immaterielle Kulturerbe.47 In dem Bericht, den das Gericht 2011 – bei­ nahe 20 Jahre nach seiner Anrufung – vorgelegt hat, wird dieses Thema jedoch nicht direkt erwähnt. Es wird der Regierung lediglich empfohlen, Leitlinien zu verabschieden, die die Inter­ essen der Maori in weiteren internationalen Angelegenheiten berücksichtigen sollen.48 Im Juni 2021 wurden von der Dachorganisation der neuseeländischen Museen, Museums Aotearoa, Leitlinien zur internen Repatriierung verabschiedet, die eine ähnliche Grundlage auf natio­naler Ebene wie die nun auf internationaler Ebene erprobte Vorgehensweise schaffen sollen.49

42 Abdou Latif Coulibaly, Les chemins de la restitution des biens culturels africains, in: Jeune Afrique, 12. Juni 2018, https://www. jeuneafrique.com/576552/societe/tribune-les-chemins-de-la-restitution-des-biens-culturels-africains/ (abgerufen am 18.10.2018). 43 Vgl. Museum of New Zealand Te Papa Tongarew, Annual Report 2003–2004, S. 10; Te Herekiekie Herewini, The Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa (Te Papa) and the Repatriation of Koiwi Tangata (Maori and Moriori skeletal remains) and Toi Moko (Mummified Maori Tattooed Heads), 15 IJCP 405 (2008); Brian Hole, Playthings for the Foe: The Repatriation of Human Remains in New Zealand, in: Public Archaeology 6 (2007), Nr. 1, (2007), S. 5–27. 44 Vgl. die institutionelle Webseite zu der International Repatriation, https://www.tepapa.govt.nz/about/repatriation/internationalrepatriation (abgerufen am 08.07.2019). 45 Lynne Heidi Stumpe, Restitution or repatriation? The story of some New Zealand Māori human remains, in: Journal of Museum Ethnography 17 (2005), S. 130–140. 46 Waitangi Tribunal, Ko Aotearoa Tenei: A Report into Claims Concerning New Zealand Law and Policy Concerning Affecting Māori Culture and Identity (Wai 262, 2011). 47 Vgl. Jessica C. Lai, Maori Traditional Knowledge and the Wai 262 Report: A Coherent Way Forward?, University of Lucerne, Switzerland, i-call Working Paper No. 03 (2012), https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1996405 (abgerufen am 10.03.2022). Vgl. auch David V. Williams, Ko Aotearoa Tenei: Law and Policy Affecting Maori Culture and Identity, in: International Journal of Cultural Property 20 (03/2013), S. 311–331. 48 Waitangi Tribunal, Ko Aotearoa Tenei 2011 (wie Anm. 46), 239 f. 49 Siehe [o.A.] Museums Aotearoa adopts Repatriation Policy, 29.06.2021, https://www.museumsaotearoa.org.nz/news-and-events/ news/museums-aotearoa-adopts-repatriation-policy (abgerufen am 02.09.2021).

64  Antoinette Maget Dominicé

III. Die drei besprochenen Beispiele aus unterschiedlichen Ländern weisen eine starke Ausdifferenzierung in den Anforderungen an Restitution von kulturellem Erbe und ihrer Rezeption auf nationaler und internationaler Ebene auf. Die unterschiedlichen Vorgehensweisen betrachtend, ist eine gegenwärtige Wiederbelebung des Laborbegriffs zu erahnen: Dieser Überblick zeigt beispielhaft, wie angelegte Strukturen und erlassene Normen eine dauerhafte Auswirkung auf die translozierten Objekte haben, und von welcher Komplexität die Diskussion dominiert ist. Ein Satz aus einer 16-seitigen Rede des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, gehalten 2017 in Ouagadougou,50 hat eine proaktive Wahrnehmung des Umgangs mit dem Kultur­erbe Anderer ausgelöst und folglich Kohorten von Laborantinnen und Laboranten verpflichtet, sich ans Werk zu machen, innovative und respektvollere Lösungen für den Umgang mit Kulturgütern zu suchen. In der Vergangenheit wurden ferne Territorien zu vielfältigen Versuchsplätzen des Staates im Bereich des Kulturgutschutzes. Ebenso experimentell sind die heutigen Vorgehensweisen – und und dies sollte Mut machen, an neuen Lösungsmodellen für Fragen nach dem Umgang mit dem kulturellen Erbe anderer Kulturen zu arbeiten, die der kulturellen, sozia­len und juristischen wechselseitigen und Vielfalt mehr Anerkennung schenken. Weiter sollte man die ­ weitreichenden gesellschaftlichen Verflechtungen (an)erkennen angesichts der k­ omplexen Geschichte und ihrer Auswirkungen. Felwine Sarr betonte im Juni 2018, diese Modelle sollten auch Antworten auf die Fragen nach den Eigenschaften des epistemologischen Dispositivs, in welchem die Objekte verankert werden, enthalten. 51 So spielten symbolische und philosophische Aspekte über die strukturellen, juristischen und politischen Argumente hinaus eine zentrale Rolle.

50 Rede von Emmanuel Macron, Universität Ouagadougou, 28. November 2017, https://www.elysee.fr/emmanuel-macron/2017/ 11/28/discours-demmanuel-macron-a-luniversite-de-ouagadougou (abgerufen am 08.07.2019). 51 Manon Laplace, Restitution: Dakar sur la piste des biens culturels mal acquis, in: Le Point, 14. Juni 2018, mis à jour le 21 juin 2018, https://www.lepoint.fr/culture/restitution-dakar-sur-la-piste-des-biens-culturels-mal-acquis-14-06-2018-2227154_3.php (abgerufen am 08.07.2019).

65  Laboratorium extraneum

Zivilrechtliche Auswirkungen des KGSG Importverbote und Transparenzpflichten Haimo Schack

Das am 6.8.2016 in Kraft getretene neue Kulturgutschutzgesetz1 (KGSG) hat für große A ­ ufregung 2 unter den Kunsthändlern und Kunstsammlern gesorgt. Exportverbote zum Schutz nationalen Kulturguts vor Abwanderung ins Ausland kennt das deutsche Recht schon lange,3 seit 1919. Die Exportverbote und das als lästig empfundene Genehmigungsverfahren4 sind heute in §§ 21 ff. KGSG geregelt und nicht Gegenstand der folgenden Überlegungen. Neu für das deutsche Recht sind die Importverbote in §§ 28 ff., 32 KGSG, die ihren Ursprung im UNESCO-Übereinkommen vom 14.11.1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut5 haben. Dieses Übereinkommen gilt inzwischen in den allermeisten Kulturgüter im- und exportierenden Staaten, so in der Schweiz seit dem 1.6.2005, in Deutschland6 seit dem 29.2.2008 und in Österreich erst seit dem 15.10.2015.7 Um diese Verbote der Einfuhr und des »Inverkehrbringens« von »Kulturgut«8 (unten I.) und um deren Auswirkungen auf das allgemeine Zivilrecht, insbesondere auf den ­Versteigerungserwerb und die Ersitzung in § 935 II bzw. § 937 BGB, soll es als erstes gehen (unten II.). Danach werden die Transparenz- und Sorgfaltspflichten in §§ 41 ff. KGSG untersucht (unten III.) und das Spannungsverhältnis zwischen Provenienzforschung und Diskretion im Kunsthan-

Haimo Schack ist ehemaliger Direktor des Instituts für Europäisches und Internationales Privat- und Verfahrensrecht der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel und lehrt ebenda. 1

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Gesetz zum Schutz von Kulturgut vom 31.7.2016, BGBl. I 1914. Die Handreichung der BKM vom 12.4.2017 »Das neue KGSG: Handreichung für die Praxis«, auch unter www.bundesregierung.de (abgerufen am 27.07.2021), entspricht im Wesentlichen der Gesetzesbegründung in BTDr. 18/7456 vom 3.2.2016. Heftige Kritik übt etwa die Geschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) Birgit Sturm, Aspekte der Novellierung des Kulturgutschutzes, in: Kunst und Recht (KUR) 2016, S. 73–79; kritisch auch Lucas Elmenhorst, Volker Wiese, KGSG Kommentar, München 2018, Einführung Rn. 34 ff., 45 (besprochen von Haimo Schack, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) 2018, S. 600). Einen unaufgeregten Blick auf das neue KGSG werfen Günter Winands, Melanie List, Das neue Kulturgutschutzgesetz, in: Kunst und Recht (KUR) 2016, S. 198–206. Vgl. Haimo Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl., Tübingen 2017, Rn. 546 mwN. Mit deutlich heraufgesetzten Wertuntergrenzen in § 24 II KGSG. BGBl. 2007 II 626; hierzu Kurt Siehr, Kunst und Recht (KUR) 2005, S. 33–46; Patrick J. O’Keefe, Commentary on the UNESCO 1970 Convention, 2. Aufl., Leicester 2007; weitere Nachweise bei Schack 2017 (wie Anm. 3), Rn. 542. BGBl. 2008 II 235; zum AusfG vom 18.5.2007 (BGBl. I 757) Michael Ivens, Ausführungsgesetz (KGÜAG) zum Kulturgutüber­ einkommen in Kraft, in: Kunst und Recht (KUR) 2008, S. 36–40. Die USA kennen Importverbote schon deutlich länger, und zwar seit 1972 für präkolumbianische Kunst, vgl. Patrick J. O’Keefe, Lyndel V. Prott, Law and the Cultural Heritage, Bd. III: Movement, London u.a. 1989, S. 598. Beides extrem weit definiert in § 2 I Nr. 9 bzw. Nr. 10 KGSG.

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del (unten IV.). Im Ergebnis fällt die Würdigung des Kulturgutschutzgesetzes gespalten aus: Die ungeahnt weitreichenden Auswirkungen der Importverbote auf das allgemeine Sachenrecht müssen dringend reduziert werden, während die gesetzlichen Transparenzpflichten grundsätzlich zu begrüßen und weiter auszubauen sind (unten V.).

I. Verbot des Inverkehrbringens von Kulturgut, § 40 KGSG 1. Zweck der Verbotsnorm Die Verbotsnorm des § 40 KGSG verfolgt das Ziel, den illegalen Kunstmarkt auszutrocknen. 9 Absatz 1 lautet: »Verboten ist das Inverkehrbringen von Kulturgut, das abhandengekommen ist, rechtswidrig ausgegraben oder unrechtmäßig eingeführt worden ist.« § 32 I Nr. 1 KGSG definiert die Einfuhr als unrechtmäßig, wenn das Kulturgut entgegen den Ausfuhrbestimmungen eines anderen EU-Mitgliedstaates nach dem 31.12.1992 oder eines anderen Vertragsstaates des UNESCO-Übereinkommens von 1970 nach dem 26.4.2007 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verbracht worden ist. § 32 I Nr. 1 KGSG knüpft damit – ge­ nauso wie Nr. 2 iVm § 28 Nr. 1 KGSG für nationales Kulturgut – die Unrechtmäßigkeit der Einfuhr daran, ob die Ausfuhr des Kulturgutes nach ausländischem Recht unrechtmäßig war. Diese Vorfrage der deutschen Verbotsnorm kann mitunter schwierig zu beurteilen sein.10 Unklar ist das Verhältnis von § 28 zu § 32 KGSG, wo einmal von »verbotener«, das andere Mal von »unrechtmäßiger« Einfuhr die Rede ist.11 Anders als im allgemeinen Sprachgebrauch sind diese Begriffe hier augenscheinlich nicht synonym gemeint. Aus § 32 I Nr. 2, der auf § 28 KGSG verweist, folgt, dass § 32 KGSG den größeren, umfassenderen Anwendungsbereich haben soll.12 Die Importverbote in §§ 28, 32 KGSG greifen auch dann, wenn der Eigentümer das Kulturgut etwa als Umzugsgut einführen möchte. Sogar Werke noch lebender Urheber sind hier – anders als in § 7 I 2 KGSG bei der Eintragung in ein Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes und bei den erleichterten Sorgfaltspflichten in § 43 KGSG – nicht privilegiert. Die Verbotsnorm des § 40 I KGSG betrifft indes nicht nur (iSv §§ 32, 28 KGSG) unrecht­ mäßig eingeführte, sondern auch abhandengekommene oder rechtswidrig ausgegrabene Kulturgüter. Während der Begriff »rechtswidrig ausgegraben« in § 2 I Nr. 14 KGSG (wieder unter Bezugnahme auf ausländische Rechtsvorschriften) legaldefiniert wird, ist der Begriff »abhan­ dengekommen« wie in § 935 I BGB zu verstehen13 als unfreiwilliger Verlust des unmittelbaren Besitzes.14 Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 40 KGSG Rn. 1; Steffen M. Jauß, Zur Frage des Erwerbs abhandengekommener, rechtswidrig ausgegrabener oder unrechtmäßig eingeführter Kulturgüter, in: Neue Juristische Online Zeitschrift (NJOZ) 2018, S. 561, 564. 10 Selbst wenn das vom BKM gemäß § 4 I KGSG eingerichtete Internetportal www.kulturgutschutz-deutschland.de (abgerufen am 27.07.2021) später einmal auch die ausländischen Rechtsgrundlagen enthalten sollte. 11 Vgl. Katharina Garbers-von Boehm, in: Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 28 KGSG Rn. 31–35. 12 Winands/List 2016 (wie Anm. 2), S. 198, 204 Fn. 33 mit dem Hinweis, dass eine Strafandrohung nur an eine Verbotsnorm geknüpft werden könne, vgl. § 83 I Nr. 3 KGSG. 13 RegE BTDr. 18/7456, S. 96; Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 40 KGSG Rn. 8. Gleiches gilt für § 41 I Nr. 1 KGSG. 14 Und auch des mittelbaren Besitzes, entgegen Jauß 2018 (wie Anm. 9), S. 561, 562, jedoch nur unter der Voraussetzung des § 935 I 2 BGB; Lucas Elmenhorst, Henrike Strobl, Anmerkung zur Entscheidung des OLG Nürnberg vom 6.9.2017 ­– 12 U 2086/15, in: Kunst und Recht (KUR) 2017, S. 158.

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2. Rechtsfolgen Dieser weite Anwendungsbereich des Verbots des Inverkehrbringens von Kulturgütern aller Art iSv § 2 I Nr. 10 KGSG führt zu Friktionen mit dem allgemeinen Zivilrecht, insbesondere mit den sachenrechtlichen Prinzipien des gutgläubigen Erwerbs und der Ersitzung in §§ 932, 935 II, 937 BGB (unten II.). § 40 II KGSG erklärt: »Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte, die nach Absatz 1 verboten sind, sind nichtig.« Im Hinblick auf Verpflichtungsgeschäfte scheint dies eine harmlose Klarstellung, dass hier die von § 134 BGB vorgesehene zivilrechtliche Nichtigkeitsfolge greifen soll.15 Brisanter ist, dass § 40 II KGSG auch die entsprechenden Verfügungsgeschäfte16 für nichtig erklärt und so bewusst das für das deutsche Recht charakteristische Abstraktionsprinzip durchbricht.17 Einen solchen Kurzschluss von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft kennt das deutsche Recht sonst nur bei Fehleridentität,18 etwa wenn der Verfügende geschäftsunfähig war, bewuchert (§ 138 II BGB) oder arglistig getäuscht19 (§§ 123, 142 BGB) worden ist. Die kategorische Nichtigerklärung des Verfügungsgeschäfts, wie etwa im Drogen- oder Waffenhandel, setzt sich über das in anderen Fällen durchaus legitime Interesse des Rechtsverkehrs hinweg, der nicht immer erkennen kann, ob es sich bei dem zu erwerbenden Gegenstand um ein Kulturgut handelt, und vor allem, ob es irgendwann einmal abhandengekommen oder unrechtmäßig eingeführt worden ist. Stattdessen speist § 40 IV 1 KGSG den Erwerber mit einem Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens ab.20 Hier erweist sich als »kontraproduktiv«,21 dass der deutsche Gesetzgeber in § 40 II KGSG auch das Verpflichtungsgeschäft für nichtig erklärt hat. Zum Schutz eines gut­ gläubigen Käufers, dessen Erwerb an der Nichtigkeit des Verfügungsgeschäfts gescheitert ist (§ 275 I BGB), hätte der Gesetzgeber dem Käufer besser einen (verschuldensabhängigen) Anspruch auf vollen Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 311a II BGB gewähren sollen.22 Die brutale Regelung in § 40 II KGSG der doppelten Nichtigkeit von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft ist wegen der damit verbundenen Rechtsfolgen rechtspolitisch verfehlt. Dazu kommen ernste Auswirkungen auf die Fundamente des deutschen Sachenrechts.

15 BTDr. 18/7456, S. 96. 16 Zu ihnen zählt auch eine Ermächtigung gemäß § 185 BGB; wie hier Jauß 2018 (wie Anm. 9), S. 561, 563. 17 Jauß 2018 (wie Anm. 9), S. 561, 562. Erik Jayme, Internationales Gesellschafts- und Unternehmensrecht und deutsch-italienische Rechtsvergleichung ­– Heidelberger Symposium Amoricum zum 80. Geburtstag von Giuseppe Portale, in: IPRax - Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (IPRax) 2018, S. 455 f. hält dessen Abschaffung mit Recht für »besonders einschneidend und wenig bedacht«. 18 Vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Aufl., München 2018, vor § 104 BGB Rn. 23. 19 Vgl. Haimo Schack, BGB Allgemeiner Teil, 16. Aufl., Heidelberg 2019, Rn. 277. 20 Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 40 KGSG Rn. 25. § 40 IV 2 KGSG stellt diesen Anspruch auf das negative Interesse zudem unter den Vorbehalt einer Exkulpation des Schuldners. Nach dem Wortlaut kann Schuldner auch eine andere Person als der Verkäufer sein, vgl. § 2 I Nr. 9 KGSG. 21 Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 40 KGSG Rn. 26. 22 Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 40 KGSG Rn. 27; Schack 2018 (wie Anm. 2), S. 600. Siehe unten V.

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II. Auswirkungen auf den gutgläubigen Erwerb, §§ 932 ff. BGB Die kategorische Nichtigkeit aller Verfügungsgeschäfte ohne Rücksicht auf die Gutgläubigkeit des Erwerbers oder auf ein Abhandenkommen der Sache bricht mit althergebrachten Grundsätzen des Sachenrechts in §§ 932 ff., 935 II BGB. In der Gesetzesbegründung (BTDr. 18/7456) findet sich hierzu kein einziges Wort, so dass man annehmen muss, dass der Gesetzgeber des KGSG die weitreichenden Auswirkungen seiner Regelung nicht erkannt hat. Dass das Ziel, den illegalen Kunstmarkt auszutrocknen, ohne jede Rücksicht auf Verluste verfolgt werden sollte, ist kaum anzunehmen. Wenn bei unrechtmäßig eingeführten Kulturgütern die Nichtigkeit der Verfügung unabhängig von der Gutgläubigkeit des Erwerbers eintreten soll, werden sie insoweit den abhandengekommenen Sachen gleichgestellt. Das kann man so machen, wie bei den Totalverboten etwa im Drogenhandel oder im ungenehmigten Handel mit Kriegswaffen. Doch muss man sich dann mit dem im Kunsthandel relevanten Problem auseinandersetzen, wie weit die Privilegierung des Eigentumserwerbs auf einer öffentlichen Versteigerung in § 935 II BGB reichen soll.

1. Öffentliche Versteigerungen, § 935 II BGB Gemäß § 935 II BGB kann auf öffentlichen Versteigerungen23 auch an abhandengekommenen Sachen gutgläubig Eigentum erworben werden. Dies setzt jedoch, wie stets in §§ 932 ff. BGB, ein (abgesehen von der fehlenden Berechtigung des Veräußerers) wirksames Verfügungsgeschäft voraus. Da dieses aber von § 40 II KGSG torpediert wird, scheint § 935 II BGB auf den ersten Blick leerzulaufen, sobald ein Kulturgut nach § 40 KGSG verbotenerweise in Verkehr gebracht worden ist.24 Geht man davon aus, dass der Gesetzgeber den deutschen Auktionsmarkt nicht leichtfertig ruinieren wollte und dass § 40 II KGSG »vor allem der Klarstellung« dienen sollte,25 dann wird man die Norm korrigieren, d.h. teleologisch reduzieren müssen.26 Wollte man an der uneingeschränkten Anwendung von § 40 II KGSG als lex specialis festhalten, dann hätte dies ungewollte Auswirkungen auch auf Pfandveräußerungen nach § 1244 BGB und wohl auch auf die (öffentlich-rechtliche) Übereignung öffentlich versteigerter gepfändeter Sachen gemäß §§ 814, 817 II ZPO und auf die öffentliche Versteigerung sichergestellter Kulturgüter durch den Zoll.27 Nach Inkrafttreten des Kulturgutschutzgesetzes (am 6.8.2016) abhandengekommene28 Kulturgüter würden dann faktisch zu res extra commercium. Genau das wollte der Gesetzgeber mit § 40 KGSG jedoch verhindern.29 An einer teleologischen Reduktion von § 40 II KGSG führt 23 Im Sinne von § 383 III BGB, d.h. durch Gerichtsvollzieher oder durch gemäß § 34b IV GewO öffentlich bestellte Versteigerer, vgl. Schack 2017 (wie Anm. 3), Rn. 515. 24 So Jauß 2018 (wie Anm. 9), S. 561, 564; wortkarg auch: Jayme 2018 (wie Anm. 17), S. 455 f. Heinz-Peter Mansel, Ludovico Carracci auf dem US-Kunstmarkt, in: Klaus Backhaus, Peter Michael Lynen (Hrsg.), Wissenschaft und Kunst, Paderborn 2018, S. 207, 227; Matthias Weller, Rethinking EU Cultural Property Law: Towards Private Enforcement, Baden-Baden 2018, S. 84. 25 So die Gesetzesbegründung BTDr 18/7456, S. 96. 26 Nicolai von Cube, Die Ratlosigkeit des Rechtsanwenders nach gut gemeinter Gesetzgebung, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2017, S. 787, 791; Elmenhorst/Strobl 2017 (wie Anm. 14), S. 158 f., Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 40 KGSG Rn. 13; Schack 2018 (wie Anm. 2), S. 600. 27 Vgl. Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 40 KGSG Rn. 11; von Cube 2017 (wie Anm. 26), S. 787, 791. In diesem Fall könnten dann auch Amtshaftungsansprüche drohen! 28 Vgl. Jayme 2018 (wie Anm. 17), S. 455, 456. 29 RegE BTDr. 18/7456, S. 96.

70  Haimo Schack

deshalb kein Weg vorbei. Als Bereichsausnahme muss der gutgläubige Erwerb abhandengekommener Kulturgüter auf öffentlichen Versteigerungen nach § 935 II BGB wirksam bleiben.30 Die Öffentlichkeit der Versteigerung bietet gerade im Kunsthandel die optimale Möglichkeit, dass der Eigentümer vom Verbleib seiner Sache erfährt. Nutzt er diese Gelegenheit nicht, dann darf man einen gutgläubigen Erwerb auch von Kulturgütern zulassen und den früheren Eigentümer auf Schadensersatz- und Bereicherungsansprüche (§ 816 I BGB) verweisen. Auf einer öffentlichen Versteigerung gutgläubig erworbene Kulturgüter können danach auf dem Markt frei zirkulieren (vorbehaltlich anderer Beschränkungen). Nur so lassen sich die Funk­ tionsfähigkeit öffentlicher Versteigerungen und die Verkehrsfähigkeit von Kulturgütern gewährleisten. In dem Maße, wie das Verfügungsgeschäft wirksam, d.h. Erfüllung eingetreten ist, muss man hier auch die rechtspolitisch fragwürdige Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts (oben I.2) teleologisch reduzieren, weil sonst der Schutz des Erwerbers ausgehebelt würde. Die teleologische Reduktion im Hinblick auf § 935 II BGB greift jedoch nur bei nach deutschem Recht abhandengekommenen Kulturgütern. Rechtswidrig ausgegrabene und unrechtmäßig eingeführte Kulturgüter stehen auf einem anderen Blatt, schon wegen der Vorgaben der Rückgabe-RL 2014/60/EU.31 Für diese beiden Gruppen von Kulturgütern sind die strikten Nichtigkeitssanktionen in § 40 II KGSG im Interesse des wechselseitigen internationalen Kultur­ güterschutzes vertretbar.

2. Ersitzung, § 937 BGB Wer das Ziel, den illegalen Kunstmarkt auszutrocknen, über alles stellt, der wird auch einen Eigentumserwerb durch Ersitzung nach zehn Jahren gutgläubigen Eigenbesitzes für ausgeschlossen halten. So deutet Jauß § 40 I KGSG als ein Erwerbsverbot, das auch einen gesetzlichen Eigentumserwerb durch Ersitzung nach § 937 BGB ausschließen soll.32 Dem ist jedoch nicht zu folgen, vielmehr lässt § 40 II KGSG eine Ersitzung unberührt.33 Schon sein Wortlaut betrifft nur rechtsgeschäftliche Verfügungen und keine Fälle eines originären gesetzlichen ­Eigentumserwerbs wie § 937 BGB. Wäre eine Ersitzung nach zehn Jahren gutgläubigen Eigenbesitzes ausgeschlossen, dann würden zivilrechtliche Herausgabeansprüche erst nach 30 Jahren verjähren.34 Und danach würden der Besitz und das Eigentum an solchen Kulturgütern auf Dauer auseinanderfallen, was weder den Besitzer noch den Eigentümer glücklich werden lässt35 und faktisch wiederum zu res extra commercium führt. Zivilrechtliche Rückgabeansprüche lässt § 49 I 2 KGSG ausdrücklich unberührt. Das muss auch für deren Erlöschen durch Ersitzung gelten. § 937 BGB wird deshalb nach Wortlaut und Telos von § 40 II KGSG nicht verdrängt. 30 So rechtspolitisch auch Christian Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2001, 3581, 3585. Dagegen kategorisch einen gutgläubigen Erwerb gestohlener Kulturgüter verneinend DCFR VIII.–3:101 II 2; Christian von Bar, Eric Clive (Hrsg.), Draft Common Frame of Reference, Full Edition, Bd. 5, München 2009, S. 4824, 4834 f. 31 Vgl. auch Art. 13 des UNESCO-Übereinkommens von 1970. 32 Jauß 2018 (wie Anm. 9), S. 561, 562 f., 564. 33 So auch OLG Nürnberg KUR 2017, 160, 172 Tz. 137 (ohne nähere Begründung), mit zustimmender Anm. Elmenhorst/Strobl 2017 (wie Anm. 14), S. 158 f.; BeckOGK/Buchwitz, § 937 BGB Rn. 98 (Stand: 1.6.2018); und die Vermutung von Weller 2018 (wie Anm. 24), S. 84 Fn. 175. Auch DCFR VIII.–4:102 I sieht für Kulturgüter nur längere Ersitzungsfristen vor. 34 § 197 I Nr. 2 BGB. Entsprechend für öffentlich-rechtliche Rückgabeansprüche § 55 II KGSG, mit einer Sonderregelung in Abs. 1 für deren Erlöschen nach 75 Jahren. 35 Vgl. Schack 2017 (wie Anm. 3), Rn. 517.

71  Zivilrechtliche Auswirkungen des KGSG

Wie § 935 II BGB heilt auch eine Ersitzung den Makel des Abhandenkommens.36 Danach kann das Kulturgut grundsätzlich frei zirkulieren. Der neue Eigentümer unterliegt jedoch weiterhin den für unrechtmäßig eingeführte oder rechtswidrig ausgegrabene Kulturgüter geltenden Beschränkungen.

3. Internationales Privatrecht Das Private Enforcement des Kulturgüterschutzrechts37 ist – ungeachtet der Richtlinie 2014/60/ EU vom 15.5.2014 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern38 – weltweit ganz unterschiedlich geregelt. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, welches nationale Recht anwendbar ist, wenn das Verpflichtungsoder das Verfügungsgeschäft, wie hier typischerweise, Verbindungen mit einem ausländischen Staat aufweisen. Das Vertragsstatut können die Vertragspartner nach Art. 3 der Rom I-Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht39 grundsätzlich frei wählen, sich dadurch aber selbstverständlich nicht dem Importverbot des § 40 KGSG entziehen. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine Eingriffsnorm im Sinne von Art. 9 II Rom I-VO für Import- wie für Exportverbote,40 die sich als international zwingendes deutsches Recht unabhängig davon durchsetzt, welches Recht die Parteien für ihren Vertrag gewählt haben. Für das Verfügungsgeschäft hingegen gilt traditionell und nahezu weltweit die lex rei sitae, d.h. das Recht der Belegenheit der Sache im maßgeblichen Zeitpunkt der Rechtsänderung.41 Doch sind § 40 II und III KGSG auch insoweit Eingriffsnormen,42 die ein deutsches Gericht auch gegenüber einem ausländischen Belegenheitsrecht durchsetzen muss. Über diese disparate Rechtslage könnte nur eine unionsweite Vereinheitlichung der Kollisionsnormen für Kultur­ güter hinweghelfen.43 Doch der Preis hierfür ist hoch: Wenn für bestimmte Gegenstände eine von der lex rei sitae abweichende Kollisionsnorm gelten soll, muss deren sachlicher Anwendungsbereich konkret und rechtssicher abgegrenzt werden.44 Ein so uferlos weiter Kulturgutbegriff wie in § 2 I Nr. 10 KGSG oder Art. 2 des Unidroit-Übereinkommens vom 24.6.1995 über die Rückgabe gestohlener oder illegal exportierter Kulturgüter45 ist dazu ersichtlich ungeeignet. Statt die Rechtssicherheit der lex rei sitae preiszugeben, bemüht man sich besser um die Vereinheitlichung des materiel-

36 Vgl. auch zum Erlöschen von Rechten Dritter die parallelen §§ 936, 945 BGB. 37 Hierzu die Studie für das Europäische Parlament von Weller 2018 (wie Anm. 24). 38 EU-ABl. 2014 L 159, S. 1, die Vorläufer-Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 ersetzend. Der Vorschlag einer Verordnung über die Einfuhr von Kulturgütern vom 13.7.2017, COM (2017) 375 final, will die Terrorismusfinanzierung bekämpfen und betrifft im Wesentlichen das Zollverfahren. 39 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17.6.2008, EU-ABl. 2008 L 177, S. 6. 40 Vgl. § 40 III KGSG und Schack 2017 (wie Anm. 3), Rn. 431, 546. 41 Art. 43 EGBGB, mit dem Vorbehalt einer wesentlich engeren Verbindung in Art. 46 EGBGB. 42 So beiläufig auch Jayme 2018 (wie Anm. 17), S. 455 f. 43 Hierzu Weller 2018 (wie Anm. 24), S. 69–77. Zu denkbaren Anknüpfungsmöglichkeiten Staudinger/Mansel BGB Internationales Sachenrecht, München 2015, Art. 46 EGBGB Rn. 63 ff. (lex furti), 69 ff. (lex originis). Die spezielle Kollisionsnorm in §§ 54 I, 72 KGSG (früher §§ 5 I, 9 KultGüRückG) gilt nur nach erfolgter Rückgabe des Kulturgutes in das Gebiet eines EUMitgliedstaates oder Vertragsstaates, hierzu jüngst Kurt Siehr, Schicksal von unrechtmäßig verbrachtem Kulturgut nach dessen Rückgabe in den Herkunftsstaat der EU, in: Burkhard Hess, Erik Jayme, Heinz-Peter Mansel (Hrsg.), Europa als Rechts- und Lebensraum. Liber Amicorum für Christian Kohler zum 75. Geburtstag, Bielefeld 2018, S. 461–472. 44 Vgl. den Versuch von Staudinger/Mansel 2015 (wie Anm 43.), Rn. 72–74. 45 Vgl. Schack 2017 (wie Anm. 3), Rn. 531, 542. Dieses Übereinkommen ist für Deutschland nicht in Kraft.

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len Kulturgutschutzrechts,46 hier der Anforderungen an die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§§ 276 II, 932 II, 937 II BGB) beim Handel und Erwerb von Kulturgütern.47

III. Transparenzpflichten, §§ 41 ff. KGSG Wesentlich flexibler als die von § 40 II KGSG angeordnete totale Nichtigkeit aller Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte ist die Anordnung spezieller Sorgfaltspflichten im Kunsthandel. Hier könnte man einmal beim Erwerber ansetzen und ihm gesteigerte Erkundigungs- und Nachforschungspflichten auferlegen, deren Verletzung ihn bösgläubig im Sinne von § 932 II BGB werden lässt.48 Mit den Sorgfaltspflichten in §§ 41 ff. KGSG hat der deutsche Gesetzgeber indes an der Ver­ käuferseite49 angesetzt.50 Neben den allgemeinen Sorgfaltspflichten in § 41 sehen §§ 42 ff. KGSG gesteigerte Sorgfaltspflichten für solche Personen vor, die Kulturgut in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit in Verkehr bringen. Mit diesen gesetzlichen Sorgfaltspflichten will der Gesetzgeber »die Position des seriösen Kunsthandels in Deutschland stärken«.51 Deutlich weiter geht die Schweiz, wo auch der Erwerber abhandengekommener Kulturgüter wegen fahrlässiger Hehlerei bestraft werden kann.52 Nach deutschem Recht indes macht sich ein Erwerber nach § 83 KGSG nur strafbar, wenn er – sei es als Teilnehmer (Anstifter oder Ge­ hilfe) oder im seltenen Fall des § 83 I Nr. 5 iVm § 40 III KGSG als Täter – vorsätzlich gehandelt hat (§§ 15, 26, 27 I StGB). Auch wenn den Erwerber die Sorgfaltspflichten in §§ 41 ff. KGSG nicht treffen, zwingt ihn doch schon das Nichtigkeitsrisiko in § 40 II KGSG dazu, dem Verkäufer unangenehme Fragen zu stellen und insbesondere Provenienznachweise zu fordern. Mittelbar von den Sorgfaltspflichten der Kunsthändler betroffen sind die Erwerber auch insofern, als deren persönliche Daten53 (Name und Anschrift) gemäß §§ 42 I Nr. 1, 45 KGSG aufgezeichnet und 30 Jahre lang aufbewahrt werden müssen.54 Die der Verkäuferseite auferlegten Sorgfaltspflichten haben für den Erwerber den Vorteil, dass, wenn er auf deren Einhaltung vertrauen kann, sein Risiko deutlich sinkt, später Rückgabeansprüchen ausgesetzt zu sein.55

46 Schack 2017 (wie Anm. 3), Rn. 530 mit weiteren Nachweisen; so auch Christiane Wendehorst, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 12, IPR II, 7. Aufl., München 2018, Art. 43 EGBGB Rn. 192 f. 47 Ausführlich Schack 2017 (wie Anm. 3), Rn. 531 ff. 48 Vgl. Ibid., Rn. 536. 49 Einschließlich aller Absatzmittler, vgl. § 2 I Nr. 9 KGSG; Henrike Strobl, Sorgfaltspflichten im Kulturgutschutzgesetz: Heraus­ forderungen für die Praxis, in: Neue Juristische Online-Zeitschrift (NJOZ) 2017, 810, 811. 50 Ebenso die Schweiz mit den Sorgfaltspflichten in Art. 16 des Kulturgütertransfergesetzes (KGTG) vom 20.6.2003, in Kraft seit dem 1.6.2005. 51 RegE BTDr. 18/7456, S. 46. 52 Art. 24 KGTG, vgl. Andrea F. G. Raschèr, Giorgio Bomio, in: Peter Mosimann, Marc-Andre Renold, Andrea F. G. Raschèr (Hrsg.), Kultur, Kunst, Recht, Basel 2009, Kap. 6 Rn. 436 ff., 443. In Art. 25 KGTG strafbewehrt sind auch die Sorgfaltspflichten des Verkäufers, vgl. Schack 2017 (wie Anm. 3), Rn. 538 mit weiteren Nachweisen. 53 Datenschutzrechtlich gedeckt von Art. 6 I lit. c, III DSGVO. 54 In der Schweiz indes muss der Kunsthandel gemäß Art. 16 II lit. c KGTG den Namen und die Adresse nur des Verkäufers auf­ zeichnen (dafür aber auch den Ankaufspreis!) und 30 Jahre lang aufbewahren. 55 Vgl. RegE BTDr. 18/7456, S. 46.

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1. Allgemeine Sorgfaltspflichten, § 41 KGSG Jeder, der Kulturgut gleich welcher Art und welchen Wertes in Verkehr bringt, ist gemäß § 41 I KGSG verpflichtet, zuvor mit der erforderlichen Sorgfalt zu prüfen, ob das Kulturgut abhanden­ gekommen ist, unrechtmäßig eingeführt oder rechtswidrig ausgegraben worden ist. Diese all­ gemeine Sorgfaltspflicht knüpft an die Verbotsnorm des § 40 I KGSG und trifft nicht nur professionelle Kunsthändler, sondern auch Sammler, Erben und Sicherungseigentümer, wenn sie Kulturgüter veräußern wollen. Die Prüfungspflicht des § 41 I KGSG soll nach Absatz 2 jedoch nur greifen, »wenn sich einer vernünftigen Person die Vermutung aufdrängen müsste«, dass ein verbotenes Inverkehrbringen in Betracht kommt. Hierfür nennt § 41 II 2 KGSG beispielhaft, wenn bei einem früheren Erwerb56 des Kulturgutes ein außergewöhnlich niedriger Preis oder vom Verkäufer eine Barzahlung von über 5.000 € gefordert worden ist. Absatz 3 begrenzt die Prüfungspflicht weiter auf »Informationen, die mit zumutbarem Aufwand zu beschaffen sind«.57 Die zweifache Bezugnahme auf eine »vernünftige Person«58 meint nichts anderes, als dass die erforderliche Sorgfalt wie in § 276 II BGB objektiv und normativ zu bestimmen ist.59 So wird man differenzieren müssen, ob das Kulturgut von einem erfahrenen Kunsthändler, einem privaten Sammler oder einem schlichten Laien veräußert werden soll. Die Sorgfaltspflichten in § 41 KGSG sind danach nicht sonderlich stark. Sie konkretisieren die allgemeinen vertraglichen Schutzpflichten in § 241 II iVm §§ 280 I, 311 II BGB. Ihre Wirkung als Schutzgesetz im Sinne von § 823 II BGB ist insofern begrenzt, als der Erwerber mit delik­ tischen Ansprüchen nicht sein Erfüllungsinteresse, sondern immer nur den Ersatz seines Vertrauensschadens verlangen kann. Das Gleiche gilt für den Schadensersatzanspruch in § 40 IV 1 KGSG, der in aller Regel60 nach Satz 2 entfallen dürfte, wenn der Veräußerer die Sorgfaltspflichten der §§ 41 ff. KGSG erfüllt hat.

2. Gesteigerte Sorgfaltspflichten bei gewerblichem Inverkehrbringen, §§ 42 ff. KGSG Wer Kulturgut in Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit in Verkehr bringt, unterliegt über § 41 hinaus den gesteigerten Sorgfaltspflichten des § 42 I KGSG. Festgehalten werden müssen Name und Anschrift der am Veräußerungsgeschäft beteiligten Personen (Nr. 1) und die Identität des Kulturgutes durch dessen Beschreibung und Abbildung61 (Nr. 2). Unerfindlich ist, weshalb – anders als früher gemäß § 18 I 1 Nr. 4 KultGüRückG – die An- und Verkaufspreise nicht mehr festgehalten werden müssen. 56 Damit kann allein der frühere Erwerb des Veräußerers gemeint sein. Strobl 2017 (wie Anm. 49), S. 810 f.; Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 41 KGSG Rn. 11. 57 Hierzu Strobl 2017 (wie Anm. 49), S. 810, 812. 58 Der »reasonable man« des Common Law lässt grüßen, auf die Schippe genommen von von Cube 2017 (wie Anm. 26), S. 787, 791 mit einem Zitat von A.P. Herbert. 59 Zum Sorgfaltsmaßstab Strobl 2017 (wie Anm. 49), S. 810, 812; Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 41 KGSG Rn. 14, 20. Ob man das »aufdrängen« in § 41 II 1 KGSG mit grobfahrlässiger Unkenntnis des Veräußerers gleichsetzen darf (so Rn. 14), ist fraglich. 60 Vgl. Strobl 2017 (wie Anm. 49), S. 810, 815; und allgemein dies., Kulturgüterrelevante Verhaltenskodizes. Bestand, Analyse und rechtliche Bedeutung, Baden-Baden 2018, S. 476 ff., 484. 61 Die damit verbundenen urheberrechtlichen Probleme hat der Gesetzgeber geahnt (BTDr. 18/7456, S. 98), aber nicht gelöst, vgl. Schack 2018 (wie Anm. 2), S. 600.

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Die übrigen Pflichten in § 42 I 1 Nr. 3–6 KGSG, die Provenienz des Kulturgutes sowie Einund Ausfuhrdokumente zu prüfen und öffentlich zugängliche Datenbanken wie www.lostart.de oder www.artloss.com einzusehen, stellt § 42 I 3 KGSG unter den Vorbehalt der ­wirtschaftlichen Zumutbarkeit. Darüber hinaus greifen sämtliche gesteigerten Sorgfaltspflichten, solange es nicht um archäologisches Kulturgut geht, erst ab einer Wertgrenze von 2.500 €, § 42 III KGSG.62 Die vom Handel kritisierte63 von zehn auf 30 Jahre verlängerte Aufbewahrungsfrist64 für die nach § 42 I KGSG zu fertigenden Aufzeichnungen korrespondiert mit der allgemeinen Ver­ jährungsfrist für dingliche Herausgabeansprüche in § 197 I Nr. 2 BGB und der regelmäßigen Ausschlussfrist in Art. 8 I 2 der Rückgabe-RL 2014/60/EU für den öffentlich-rechtlichen Rückgabeanspruch unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter. Die verglichen mit dem Steuer- und Handelsrecht (zehn Jahre, § 257 HGB) deutlich längere Aufbewahrungsfrist dient dem Kulturgüterschutz und der Provenienzforschung und ist dem Kunsthandel durchaus zumutbar, zumal die Aufzeichnungen auch in elektronischer Form erfolgen können, § 45 I 2 KGSG. Eine andere Frage ist, wie weit die Pflicht in § 42 I Nr. 3 KGSG gehen soll, »die Provenienz des Kulturgutes zu prüfen«, wohlgemerkt: nicht festzustellen, sondern zu prüfen. Das gilt ganz besonders, wenn zu vermuten ist, dass das Kulturgut NS-verfolgungsbedingt entzogen wurde (§ 44 KGSG). Dann sollen nämlich weder der Maßstab des zumutbaren Aufwandes noch die Wertgrenze von 2.500 € gelten (§ 42 I 3, III KGSG). Doch darf man einem gewöhnlichen Kunsthändler nicht den gleichen Aufwand abverlangen wie der vom BKM eingesetzten Taskforce im Fall Gurlitt, die mit extremem Aufwand kaum mehr als bruchstückhafte Ergebnisse erzielt hat.65 Anforderungen in § 44 KGSG jenseits des »zumutbaren Aufwandes« dürften vielmehr unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig sein.66 Auch wenn der Kunsthändler seine Prüfungspflichten erfüllt hat, bleibt das N ­ ichtigkeitsrisiko des § 40 II KGSG (oben I.2), wenn sich später herausstellt, dass das Kulturgut NS-verfolgungsbedingt abhandengekommen war.67 Sobald das Kulturgut – zu Recht oder zu Unrecht – in der Lost Art-Datenbank eingetragen ist, ist es praktisch unverkäuflich, solange es zu keiner Einigung mit dem Prätendenten kommt.68 Die Vermutung NS-verfolgungsbedingten Entzugs mit der Konsequenz noch einmal gesteigerter Sorgfaltspflichten in § 44 Satz 1 Nr. 1 KGSG dürfte jedenfalls dann greifen, wenn das Kulturgut mit substanziierten Angaben in der Lost Art-Datenbank eingetragen ist.69 Einsicht in die nach §§ 42, 45 KGSG zu fertigenden Aufzeichnungen kann nicht nur die Behörde verlangen (§ 46), sondern gemäß § 48 KGSG auch der Erwerber eines Kulturguts, wenn er gerichtlich70 auf Herausgabe des Kulturgutes in Anspruch genommen wird. Dieser Auskunftsanspruch trägt zumindest nachträglich wesentlich zur Transparenz und zum Käuferschutz bei.

Die alte Wertgrenze in § 18 II Kulturgüterrückgabegesetz vom 18.5.2007 (KultGüRückG) lag mit 1.000 € deutlich niedriger. Sturm 2016 (wie Anm. 2), S. 73, 77; vgl. auch Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 45 KGSG Rn. 7 ff. § 45 II 1 KGSG. Ebenso in der Schweiz Art. 16 III KGTG. Insoweit berechtigt die Kritik von Sturm 2016 (wie Anm. 2), S. 73, 78. Vgl. von Cube 2017 (wie Anm. 26), S. 787, 791 f. Geboten ist zunächst eine verfassungskonforme Auslegung. Dann entfällt lediglich die Schadensersatzpflicht nach § 40 IV 2 KGSG; Strobl 2017 (wie Anm. 49), S. 810, 814. Das »erhebliche Erpressungspotenzial« beklagen mit Recht Lucas Elmenhorst, Lisa Heimann, Die Neuregelung des Kultur­ gutschutzrechts, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2016, S. 3398, 3403; vgl. Schack 2017 (wie Anm. 3), Rn. 498. 69 Allein die Eintragung nicht ausreichen lassen will Strobl 2017 (wie Anm. 49), S. 810, 814. 70 Unter Umständen auch außergerichtlich, § 48 II KGSG. 62 63 64 65 66 67 68

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IV. Provenienzforschung versus Diskretion im Kunsthandel Insgesamt sind die Sorgfalts- und Aufzeichnungspflichten der §§ 41 ff. KGSG ein wichtiger Schritt in Richtung größerer Transparenz im Kunsthandel. Wer es mit der Provenienzforschung ernst meint, muss für größtmögliche Transparenz sorgen. So muss ein Erwerber nicht nur seinen Vertragspartner (Kunsthändler, Auktionator), sondern auch den Kommittenten oder Einlieferer kennen.71 Mit Herkunftsangaben wie »aus privatem Kunstbesitz« darf man einen Erwerber nicht abspeisen, denn das macht es ihm völlig unmöglich, das Nichtigkeitsrisiko des § 40 II KGSG einzuschätzen. Die üblichen Verschleierungstaktiken nützen nur dem Kunsthandel, der seine Bezugsquellen und Absatzwege nicht offenlegen will, und begünstigen schlimmstenfalls Steuer­ hinterziehung und Geldwäsche. Die im Rechtsverkehr mit Kulturgütern erforderliche Sorgfalt sieht anders aus. Wer das Kulturgutschutzgesetz als »Kontrollprogramm hochwertigen Kunstbesitzes« brandmarkt,72 verkennt, dass das Anonymitätsinteresse des Eigentümers und des Veräußerers von Kulturgut durch dessen besondere Sozialpflichtigkeit (Art. 14 II GG) seit jeher deutlich eingeschränkt ist. Das gilt für den Abwanderungsschutz genauso wie für die Prove­ nienz­forschung. Dass die »absolute Diskretion [...] seit mehreren Jahrhunderten ein elementarer und existenzieller Bestandteil des Geschäftsmodells des internationalen und nationalen Kunst- und Auktionshandels« ist,73 mag sein, ist aber keine Rechtfertigung. Dieses anonyme Geschäfts­modell lässt sich auch nicht mit dem Schutz personenbezogener Daten rechtfer­ tigen.74 Dass die Einsichtsrechte des Käufers in § 48 KGSG einen verfassungswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Veräußerers und des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs des Kunsthändlers oder Auktionators darstellen sollen,75 ist deshalb nicht anzu­ nehmen. Mit der »absoluten Diskretion des Kunsthandels« sollte endlich Schluss sein. Bei Kunst­ gegenständen im Wert von über 2.500 € sind die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten durchaus zumutbar und sollten auch wieder auf die An- und Verkaufspreise (§ 18 I 1 Nr. 4 KultGüRückG aF) erstreckt werden. Auch die Informationsrechte des Käufers sollten weiter gestärkt werden, damit er das Risiko eines fehlgeschlagenen Erwerbs abhandengekommener Kulturgüter selbstständig abschätzen kann. Die Provenienzforschung darf sich nicht auf Feststellungen ex post beschränken, sondern sie muss auch einem Kaufinteressenten erleichtert werden, zumal wenn er das uneingeschränkte Nichtigkeitsrisiko des § 40 II KGSG tragen soll (oben I.2). Von den gesteigerten Sorgfaltspflichten des § 42 I KGSG profitiert deshalb nicht nur die Provenienzforschung, sondern auch der seriöse Kunsthandel, da eine gesicherte und nachweis­ bare Provenienz werterhöhend wirkt. Allerdings umfasst die Prüfung der Provenienz des Kulturgutes in § 42 I Nr. 3 KGSG entgegen der Gesetzesbegründung76 nicht »die Klärung der Urheberschaft eines Werkes«, sondern 71 Umgekehrt hat auch ein Urheber ein schützenswertes Interesse daran, die Person des Erwerbers zu erfahren, wenn er von seinem Zugangsrecht (§ 25 UrhG) Gebrauch machen oder den Kunstgegenstand für eine Retrospektive ausleihen möchte; vgl. LG Hamburg, in: Kunst und Recht (KUR) 2007, S. 17, 18 f., hierzu Benjamin Raue, Diskretion im Kunsthandel?, in: Kunst und Recht (KUR) 2007, S. 16 f.; Schack 2017 (wie Anm. 3), Rn. 665 mit weiteren Nachweisen. 72 So Sturm 2016 (wie Anm. 2), S. 73, 75. 73 Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 48 KGSG Rn. 5. 74 Siehe Anm. 53. 75 Vgl. Elmenhorst/Wiese 2018 (wie Anm. 2), § 48 KGSG Rn. 5. 76 BTDr. 18/7456, S. 98. Vgl. Strobl 2017 (wie Anm. 49), S. 810, 813.

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nur die Kette der Voreigentümer des Kunstgegenstandes. Das Fälschungsrisiko steht auf einem anderen Blatt und wird vom Kulturgutschutzgesetz nicht erfasst. Andererseits erscheint es nicht ausgeschlossen, dass auch berühmte Kunstfälschungen, etwa von Han van Meegeren oder Wolfgang Beltracchi, schutzwürdige Kulturgüter sein können.77

V. Fazit Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Die gesteigerten Sorgfaltspflichten in § 42 KGSG sind grundsätzlich zu begrüßen und sollten im Interesse einer effektiven Provenienzforschung weiter aus­ gebaut werden. Unhaltbar ist jedoch § 44 KGSG, soweit Prüfungspflichten ohne jede Rücksicht auf den zumutbaren Aufwand begründet werden. Konzeptionell verfehlt ist ferner die kategorische Nichtigerklärung sämtlicher Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte über abhanden­gekommenes oder unrechtmäßig eingeführtes Kulturgut in § 40 II KGSG. Das missachtet das Interesse des redlichen Handelsverkehrs an eine­m gutgläubigen Erwerb oder zumindest an einem vollen Schadensersatzanspruch auf das positive Interesse. Gleich beides darf man einem redlichen Erwerber nicht nehmen. Zumindest auf öffentlichen Versteigerungen sollte deshalb ein gutgläubiger Erwerb abhandengekommener Kulturgüter gemäß § 935 II BGB unverändert möglich sein (oben II.1). Und das Verpflichtungsgeschäft muss entgegen § 40 II KGSG schon deshalb grundsätzlich wirksam bleiben, weil überhaupt kein Anlass besteht, den Kunsthandel (erst recht den unseriösen!) von jeglichen vertraglichen Schadensersatzansprüchen freizustellen. Hier ist der Gesetzgeber erneut gefordert nachzubessern. Neben diesen konzeptionellen Mängeln des Kulturgutschutzgesetzes bleibt der Geburtsfehler des uferlos weiten Kulturgutbegriffs78 in § 2 I Nr. 10 KGSG. Soweit das Gesetz grundsätzlich auch für Bücher und Schallplatten,79 Briefmarken und Trödel gilt, wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen und die Überzeugungskraft des gesamten Kulturgutschutzgesetzes leidet. Das ist schade!

77 Verneinend für die Schweiz Beat Schönenberger, Picasso Revisited? – Unechte Kunstwerke und das Kulturgütertransfergesetz, in: Festschrift für Ingeborg Schwenzer zum 60. Geburtstag, Bern 2011, Bd. II: Private Law, S. 1541, 1545 ff., 1553. 78 Vgl. Schack 2017 (wie Anm. 3), Rn. 531. 79 Vgl. § 42 II KGSG, der aber die allgemeinen Sorgfaltspflichten des § 41 KGSG unberührt lässt.

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Die unvollendete Geschichte von NS-Raubkunst Zum 20. Jubiläum der Washington Principles on Nazi-Confiscated Art James D. Bindenagel

I. Einleitung Für die Durchsetzung von Menschenrechten und Gerechtigkeit gibt es keine zeitliche Begrenzung. Mein heutiger Vortrag behandelt die bis heute unvollendete Geschichte von K ­ unstwerken, die während des Holocaust von den Nationalsozialisten geraubt wurden, und von der Washingtoner Erklärung – den Washington Principles – die im Jahr 1998 von 44 Nationen unterzeichnet wurde. Diese Erklärung ist mittlerweile über 20 Jahre alt. Dennoch ist der Versuch, in der Frage der NS-Raubkunst Gerechtigkeit zu schaffen, bis heute nicht zu einem vollständigen Abschluss gekommen. Auch nach der Aushandlung einer internationalen Erklärung auf der Washington Conference on Holocaust-Era Assets hat mich die Verpflichtung, mich für Gerechtigkeit in HolocaustFragen einzusetzen, in den letzten zwei Jahrzehnten weiter umgetrieben. Stuart Eizenstat, der ehemalige Vize-US-Finanzminister, der sich maßgeblich für die Washingtoner Erklärung eingesetzt hat und die Konferenz damals leitete, zitiert in seinem Buch »Imperfect Justice: Looted Assets, Slave Labor, and the Unfinished Business of World War II« mit Blick auf diese Aufgabe aus der Pirkei Avot: »Es ist nicht deine Pflicht, die Aufgabe abzuschließen, aber du bist auch nicht frei, dich von ihr zu befreien.« William Penn schrieb im Jahr 1693, »To delay justice is an injustice.«1 In der Frage der NS-Raubkunst setzt sich das Unrecht auch 20 Jahre nach der Washingtoner Erklärung weiter fort, da die Rückgabe an die rechtmäßigen Besitzer selbst sieben Jahrzehnte nach ihrer gewaltsamen Entwendung nicht vollständig erfolgt ist. Nach Jahren des Stillstandes waren erst durch die Beschlagnahmung von Egon Schieles Gemälde Wally in New York im Jahr 1997 in der Öffentlichkeit wieder Stimmen laut geworden, die erkennbare Bemühungen in der Rückgabe von nationalsozialistischer Raubkunst forderten. Diese Bemühungen gipfelten schließlich im Jahr 1998 in der Washingtoner Konferenz. Zusammen mit ihrem Resultat, der Washingtoner Erklärung, kann die Konferenz als eine der größten kulturpolitischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts betrachtet werden. Sie sorgte dafür, dass das Thema des NS-Kunstraubs und der Plünderung von Kulturgütern insbesondere in Deutschland wieder auf der politischen Tagesordnung erschien, und bildete die Grundlage für James D. Bindenagel führt nach Ende seiner Amtszeit als Inhaber der Henry-Kissinger-Professur und Leiter des Center for International Security and Governance seine Arbeit als Senior Professor am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) an der Universität Bonn fort. Von 1998 bis 2002 war er US-Sonderbotschafter für Holocaust Fragen. 1

William Penn, Some Fruits of Solitude (1693), London 1905, S. 86.

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die Provenienzforschung in einem zeitgenössischen Kontext. So hat sich etwa das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste das Streben nach gerechten und fairen Lösungen im Sinne der ­Washingtoner Erklärung zum erklärten Ziel gesetzt.2 Die Provenienzforschung im Bereich des Kunst- und Kulturgutschutzrechts hat gegenwärtig nichts von ihrer Aktualität und Relevanz verloren. Es ist wichtiger denn je, die Frage zu stellen, wie ihre wissenschaftlichen Ergebnisse einen Beitrag zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen und der Gewährleistung rechtlicher Verpflichtungen leisten können.

II. Raubkunst im Fokus der Öffentlichkeit Die Plünderung von Kunstwerken war ein integraler Bestandteil der nationalsozialistischen Kriegspläne. Raubkunst und die Geschichte von Kunstplünderungen ist in besonderem Maße emotional konnotiert, was den Umgang mit ihr besonders sensibel macht. Kunst unterscheidet sich in vierlei Hinsicht von anderen Vermögenswerten. Kunstwerke berühren Emotionen, Fantasien und Erinnerungen der Menschen. In diesem speziellen Fall bilden sie eine bis heute spürbare Verbindung zu den im Holocaust umgekommenen, vertriebenen oder entrechteten Menschen und dem von ihnen durchlebten Leid. Das Versäumnis, die ursprünglichen Besitzverhältnisse wiederherzustellen, stellt eine konstante Erinnerung dar, dass das Unrecht des Nationalsozialismus sich bis in die Gegenwart erstreckt und bis heute nicht getilgt ist. Aus diesem Grund arbeiten wir so hart daran, dass die von den Nationalsozialisten geraubten Kunstwerke den rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben werden. In der Geschichte der Aufarbeitung von NS-Raubkunst in der jüngeren Vergangenheit spielen zwei Ereignisse eine Schlüsselrolle. Das erste bildet den Ausgangspunkt für die Washingtoner Konferenz: Das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) präsentierte im Jahr 1997/98 eine Ausstellung mit dem Titel Egon Schiele: The Leopold Collection, Vienna, die unter anderem das Gemälde Wally beinhaltete. Als das Gemälde vom Bundesstaat New York beschlagnahmt wurde, sah sich die Association of Art Museum Directors (AAMD) dazu veranlasst, Richtlinien für die Verwaltung von Kunst mit unklarer Herkunft zu verfassen. Diese bildete damit einen ersten Schritt zur Washingtoner Erklärung und leitete den internationalen Prozess der Restitution ein.3 Das zweite Schlüsselereignis war der Fund der Gurlitt-Sammlung im Jahr 2013. In der Münchner Wohnung des zurückgezogen lebenden 80-jährigen Cornelius Gurlitt wurde eine Kollektion von rund 1.400 Kunstwerken gefunden, darunter Gemälde von Pablo Picasso, Marc Chagall, Henri Matisse und Max Beckmann. Gurlitts Vater, Hildebrand Gurlitt, war einer der wenigen von den Nationalsozialisten begünstigten Kunsthändler gewesen, die sich mit »ent­ arteter Kunst« beschäftigen durften, und sammelte im Auftrag von Adolf Hitler und den Natio­ nalsozialisten Kunstwerke.4 Die Gurlitt-Sammlung eröffnete der Bundesrepublik Deutschland 2 3

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Erklärung der Aufgaben des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. Online unter: https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/ Stiftung/Aufgaben/Index.html (abgerufen am 19.07.2021). Vgl. Süddeutsche Zeitung: Die Geschichte der Raubkunst 1945–2014. Januar 1998: Schieles Wally wird beschlagnahmt. Online unter: https://gfx.sueddeutsche.de/apps/556424ff2ea46e521ce1a92a/mobile/#/25 (abgerufen am 19.07.2021). Der Autor hat an der MoMA Konferenz teilgenommen. Vgl. Evelien Campfens, Fair and Just Solutions? Alternatives to Litigation in Nazi-Looted Art Disputes: Status Quo and New Developments, Utrecht 2015, S. 87 f.

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die Chance, der Welt ihren politischen Willen zur Herstellung von Gerechtigkeit durch die Rückgabe geplünderter Kunstwerke zu demonstrieren – denn noch immer waren nach Schätzungen der Bundesregierung tausende Kunstwerke nicht zu den Opfern des nationalsozialistischen Kunstraubs zurückgekehrt. Im Nachgang des Krieges wurden zentrale Sammelstellen für aufgefundene Kunstwerke des nationalsozialistischen Kunstraubs wie etwa der Munich Central Collection Point (CCP) eingerichtet.5 Im Jahr 1965 etablierte dann die deutsche Finanzverwaltung einen Sachverständigenrat für museale Kunstwerke, um mehr als 580 Gemälde und 1.200 Grafiken in der Bundessammlung untersuchen zu lassen, die langfristig an 102 deutsche Museen verliehen wurden. Weitere Kunstobjekte befinden sich auf Leihbasis im Besitz verschiedener anderer staatlicher Stellen. All diese Bemühungen fallen im Vergleich zu den tausenden noch nicht zurückgegebenen Kunstwerken bis dato jedoch spärlich aus. In einem Bericht kritisierte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel die geringen Anstrengungen der deutschen Regierung seit 1945, die Herkunft von rund 2.000 noch im Besitz deutscher Museen und Agenturen befindlichen Kunstwerke zu untersuchen und an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben.6 Die defizitäre Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunst­ raubs bedeutet bislang ein eklatantes Versäumnis innerhalb einer ansonsten weitgehend positiven Geschichte der Aufarbeitung und des Gedenkens an den Holocaust.

III. Egon Schieles Wally Doch wie kam es nun dazu, dass die Frage von während des Holocaust geraubter Kunst kurz vor Ende des 20. Jahrhunderts nach so langen Jahren wieder an die Oberfläche gelangte und mit Wally die Grundfesten der Kunstwelt erschütterte? Die Geschichte von Wally begann im Jahr 1912, als der österreichische Künstler Egon ­Schiele ein kleines Porträt seiner Geliebten Walburga (Wally) Neuzil malte. Nach der ­Annexion Österreichs durch Nazi-Deutschland im Jahr 1938 wurde das Gemälde von Friedrich Welz, einem Anhänger der Nationalsozialisten, aus der Sammlung der jüdischen Galeristin Lea BondiJaray entwendet. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs spürten amerikanische Truppen das Bild auf und übergaben es an die österreichische Regierung, sodass es in das Eigentum des rechtmäßigen Besitzers übergehen konnte. Die österreichische Regierung war nach den Grundsätzen der Alliierten dazu verpflichtet, die rechtmäßigen Besitzer von Nazi-Raubkunst zu identi­ fizieren und die Kunstwerke zurückzugeben. Lea Bondi-Jaray wurde von der österreichischen Regierung jedoch nicht als rechtmäßige Besitzerin des Gemäldes identifiziert. Stattdessen erwarb ein privater Sammler das Porträt von Wally: Nachdem Lea Bondi-Jaray im Jahr 1946 ihre Wiener Kunstgalerie wiedereröffnet hatte, traf sie im Jahr 1953 Rudolph Leopold, der Gemälde von Egon Schiele sammelte, und bat ihn um seine Hilfe bei der Wiedererlangung von Wally. Leopold jedoch kaufte das Bild im Jahr 1954 selbst für seinen eigenen Besitz, woraufhin

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Die Datenbank des CCP ist einzusehen unter https://www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_ccp.php?seite=9 (abgerufen am 19.07.2021). Vgl. Ulrike Knöfel, Balky Bavarians. US Congress Demands Action on Nazi Looted Art, in: Spiegel Online, 26. November 2015. Online unter: https://www.spiegel.de/international/germany/bavarian-museums-reluctant-to-return-nazi-looted-art-a-1064113. html (abgerufen am 27.07.2021).

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es für mehr als 40 Jahre in seiner Sammlung verblieb und damit in die gemeinsam mit dem Staat Österreich gegründete Leopold Museum Privatstiftung einging.7 Fast 60 Jahre nach seinem ursprünglichen Raub wurde das Gemälde im Jahr 1997 vom Wiener Leopold Museum dem New Yorker MoMA für eine Sonderausstellung zur Verfügung gestellt. Das Kunstwerk gelangte unter einer Bundeslizenz in die Vereinigten Staaten, bei der das MoMA für die Richtigkeit der Eigentumsverhältnisse bürgte. Willi Korte, ein Forscher des Holocaust Art Restitution Projects, informierte die Staatsanwaltschaft von Manhattan jedoch über den fragwürdigen Besitzanspruch des Leopold Museums hinsichtlich Wally. Auf Antrag von Bondi-Jarays Erben beschlagnahmte der New Yorker Staatsanwalt Robert Morgenthau das Gemälde schließlich als gestohlenes Eigentum und übergab es in die Verwahrung durch US-Bundesbehörden, da der Verdacht bestand, dass Dr. Leopold den National Stolen Property Act verletzt habe, indem er im Zusammenhang mit der Einfuhr von Wally in die USA den Eigentümer des Gemäldes nicht korrekt angegeben habe. In der Folge kamen ausgehend von der Beschlagnahmung von Wally internationale Verhandlungen zustande, die sich mit der rechtmäßigen Rückgabe für von den Nationalsozialisten geraubte Kunst beschäftigten. Auch in der Öffentlichkeit geriet die Materie zunehmend in den Fokus. Im September 2009 wurde Wally verbindlich als Nazi-Raubkunst identifiziert. Das Museum of Jewish Heritage in New York stellte das Gemälde vor seiner Rückkehr nach Österreich aus. Fast 13 Jahre nach Beginn des Streits um die Rückgabe wurde schließlich ein Vergleich mit den rechtmäßigen Eigentümern geschlossen und Wally durfte in das Leopold Museum nach Wien zurückkehren. Die Erben von Lea Bondi-Jaray erhielten als Entschädigung 19 Millionen US-Dollar.8 Seit 2010 hängt Wally nun wieder im Wiener Leopold Museum.

IV. Von den Richtlinien der Association of Art Museum Directors zur Washingtoner Konferenz Niemand konnte vorhersehen, dass die Leihgabe von Wally an das MoMA ein solches Auf­ sehen erregen und den internationalen Kampf um die Rückgabe von Nazi-Raubkunst neu entfachen würde. Die Beschlagnahmung des Gemäldes durch Morgenthau löste einen Sturm der Unruhe in der Museumswelt aus. In zahlreichen Museen und Kunstgalerien kamen Sorgen auf, dass eine Welle von Besitzansprüchen für geraubte Kunst aus der ganzen Welt bevorstehen und für leere Museen sorgen könnte. Dem entgegen stand der Wunsch der Überlebenden des Holocaust und ihrer Erben, ihre verlorenen Schätze zurückzuerlangen und das in der NS-Zeit begangene Unrecht endlich in einem weiteren Ausmaß zu korrigieren als bisher. Zumindest in den USA besteht darüber hinaus die Möglichkeit, dass sich zivile Rechtsstreitigkeiten außerdem zu strafrechtlichen Angelegenheiten hinsichtlich Diebstahlsvorwürfen auswachsen. Die Geschichte von Wally endete dementsprechend nicht mit ihrer Rückgabe und dem anschließenden Vergleich. Der Streit um das Gemälde hatte vielmehr einen immensen langfristigen Einfluss auf den internationalen Umgang mit Nazi-Raubkunst. Nach der Beschlagnahmung von Wally rief Glenn D. Lowry, der Direktor des MoMA, ein Treffen der Association of 7

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Raphael Contel, Giulia Soldan, Alessandro Chechi, Case Portrait of Wally – United States and Estate of Lea Bondi and Leopold Museum, in: Platform arThemis (2012), Art Law Center, University of Geneva, https://plone.unige.ch/art-adr/cases-affaires/caseportrait-of-wally-2013-united-states-and-estate-of-lea-bondi-and-leopold-museum (abgerufen am 13.03.2022). Anne-Catherine Simon, Bildnis »Wally«: »Wir haben es sehr geliebt«, in: Die Presse, 7. Juli 2010.

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Art Museum Directors ein. Die Konferenz der AAMD, an der neben Museumsdirektoren auch Wissenschaftler und andere prominente Personen teilnahmen, sollte die Auswirkungen der Beschlagnahmung Wallys auf die internationale Kunstwelt ergründen. Auf der Suche nach einer Lösung für diese und ähnliche Fälle versprach der AAMD dem US-Kongressabgeordneten James Leach vom Bankausschuss, dass der AAMD Richtlinien für die Schlichtung von Streitigkeiten über Nazi-Raubkunst verfassen würde, womit weitere Rechtsstreitigkeiten vermieden werden könnten. Am Ende des Treffens beschlossen die Direktoren des AAMD, Richtlinien für ihre Mitglieder zu verfassen, die erstmals in der Geschichte eine Überprüfung der Herkunft und Geschichte ihrer Sammlungen verlangten, wobei der Schwerpunkt auf der von den Nationalsozialisten geraubten Kunst lag. Unter den Teilnehmern der von Lowry organisierten Konferenz befand sich auch Craig Smyth, ein sogenannter Monuments Man, der am Ende des Zweiten Weltkriegs daran mitge­ arbeitet hatte, rund 600.000 gestohlene Kunstobjekte ausfindig zu machen, wovon etwa 100.000 immer noch vermisst wurden. Als amerikanischer Sonderbotschafter für Fragen zum Holocaust im State Department lud mich Glenn D. Lowry als Repräsentant der US-Regierung ebenfalls zur vom MoMA organisierten Konferenz ein. Die Kontroverse veranlasste auch uns im US-Außenministerium dazu, uns nochmals entschiedener mit der Frage nach Gerechtigkeit für die Opfer von Nazi-Deutschland zu befassen. Auf Basis dieser Entwicklungen berief Staatssekretär Stuart Eizenstat im November 1998 schließlich in gemeinsamer Organisation mit dem United States Holocaust Museum die Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Nazi-Ära ein.

V. Die Washingtoner Verhandlungen, internationale Widerstände und nationale Gesetzgebung Um im Vorfeld der Washingtoner Konferenz weitere Optionen auszuloten, versammelte ich am 9. Juni 1998 als zuständiger Mitarbeiter des US-Außenministeriums eine weitere Gruppe von Anwälten, Kunsthistorikern, Vertretern der AAMD und amerikanischen Kunsthändlern. Meine Aufgabe war es, die Richtlinien des AAMD für eine Anwendung auf internationaler Ebene aufzubereiten und sie auf der Washingtoner Konferenz vorzulegen. In Vorbereitung der großen Washingtoner Konferenz Ende 1998 veranstaltete Stuart Eizenstat am 30. Juni 1998 ein Organisationstreffen in Form einer Mini-Konferenz. Earl »Rusty« Powell, der Direktor der Nationalgalerie, Ronald Lauder, der Vorsitzende des Vorstandes des MoMA, Michael Kurtz vom Nationalarchiv und andere drängten bei diesem Anlass nochmals darauf, Richtlinien zur Rückgabe geraubter Kunst zu verfassen, und machten deutlich, dass hunderttausende von Kunstwerken für ihre rechtmäßigen Besitzer immer noch verloren waren. In den Verhandlungen formierte sich damals erheblicher Widerstand aus Europa gegen die Idee der Rückgabe geraubter Kunst nach amerikanischen Richtlinien. In den Niederlanden, die Tausende von bisher nicht beanspruchten Kunstgegenständen besaßen, und in Frankreich mit seiner MNR-Sammlung wurde die an die Regierungen beider Länder zurückgegebene NaziRaubkunst nach dem Zweiten Weltkrieg treuhänderisch verwaltet.9 Regierungen und Museen 9

Siehe auch Musées nationaux récupération (MNR), Auflistung von über 16.000 Objekten geraubter Kunst in französischen nationalen Museen. Online unter: http://www.culture.gouv.fr/documentation/rnnr/pres.html (abgerufen am 27.07.2021); und

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beider Staaten überlegten nun, ob sie dazu bereit wären, sich an internationalen Richtlinien zu beteiligen, um die Restitution all dieser Kunstgegenstände einzuleiten. In Großbritannien, Deutschland und anderen Ländern herrschte ebenfalls heftiger Widerstand gegenüber den von den USA auferlegten neuen Grundsätzen. Gesetze für Käufe nach Treu und Glauben und die Verjährungsfrist gehörten zu den Einwänden gegen eine gemeinsame Washingtoner Er­ klärung. Der Umgang mit Russland gestaltete sich noch wesentlich schwieriger. Die Plünderungen der Roten Armee von öffentlichen, religiösen und privaten Kunstwerken aus Deutschland am Ende des Zweiten Weltkriegs galten als Kriegsbeute. Die Sowjetunion beziehungs­weise Russland deklarierte all diese Besitztümer als Staatseigentum und behielt sie in ihrem Besitz – bis heute.10 Auch die Europäer lehnten zunächst jedoch jede Bestätigung der AAMD-Richtlinien ab; nichtsdestotrotz vorverfasste unser Verhandlungsteam die Washington Principles on Naziconfiscated Art zur anschließenden Verhandlung und Genehmigung auf der im November stattfindenden Washingtoner Konferenz. Auf dieser Basis wurden in den Washingtoner Prinzipien einige Schüsselgrundsätze festgeschrieben, u.a. der Grundsatz, strittige Kunstwerke in öffentlichen Ausstellungen und öffentlichen Archivdatenbanken allgemein zugänglich und iden­ tifizierbar zu machen, damit die Anspruchsberechtigten ihre potenziellen Ansprüche geltend machen können. Der zentrale Punkt der Erklärung war jedoch die direkte Anweisung an nationale Regierungen, Prozesse für »gerechte und faire Lösungen« zu schaffen, die auf einem begründeten Antrag anstelle der bisherigen technischen Rechtswege basieren, welche den Kläger dafür bestrafen, dass über einen langen Zeitraum keine Besitzansprüche erhoben wurden. Ziel ist es, die Belastungen für die Geschädigten bei der Beweiserbringung für ihre Besitzansprüche vor dem Hintergrund des Holocaust und der anschließenden Bemühungen, geraubte Kunst zu verstecken und dadurch Forderungsansprüche zu unterdrücken, zu minimieren. Die Washingtoner Erklärung bietet den Überlebenden und ihren Familien somit einen Fahrplan zur Erlangung eines gewissen Maßes an Gerechtigkeit. Das Besondere an der Washingtoner Konferenz war das Zustandekommen der Washingtoner Erklärung, die auf der Zusammenarbeit vieler verschiedener Parteien basierte. Amerikanische und europäische Museumsdirektoren befanden sich in einem ständigen Dialog und auch die Regierungen schlossen auf höchster Ebene Kompromisse, um einen Konsens zu erreichen. Stuart Eizenstat strebte nach einem Kompromiss der unterschiedlichen Rechtssysteme in den USA und Europa und verankerte diesen in der Präambel der Washingtoner Erklärung: Bei der Schaffung eines Konsens über unverbindliche Richtlinien zur Unterstützung der Lösung von Fragen hinsichtlich nationalsozialistischer Raubkunst erkennt die Konferenz die unterschiedlichen Rechtssysteme der teilnehmenden Nationen an und dass die Länder im Kontext ihrer eigenen Gesetze handeln.11

Stichting Nederlands Kunstbezit, NK Collection, Auflistung von 4.217 Objekten in der Verwahrung des Netherlands Institute for Cultural Heritage. Online unter: http://www.herkomstgezocht.nl/en/nk-collection (abgerufen am 19.07.2021). 10 Vgl. Sarah Hofmann, Wie es heute um die Beutekunst von Hitler und Stalin steht, in: Deutsche Welle, 17. November 2015. Online unter: https://www.dw.com/de/wie-es-heute-um-die-beutekunst-von-hitler-und-stalin-steht/a-18856140 (abgerufen am 19.07.2021). 11 Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust: Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washington Principles). Online unter: https://www. kulturgutverluste.de/Webs/DE/Stiftung/Grundlagen/Washingtoner-Prinzi-pien/Index.html (abgerufen am 19.07.2021).

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Der US-Kongressabgeordnete James Leach aus Iowa setzte sich für die rechtliche Unterstützung der Washington Principles ein und schlug vor, Artikel XI der Richtlinien zu modifizieren und Folgendes aufzunehmen: Die Nationen werden ermutigt, nationale Verfahren zur Umsetzung dieser Grundsätze zu entwickeln, insbesondere hinsichtlich alternativer Streitschlichtungsmechanismen zur Lösung von Eigentumsfragen.12 Artikel XI stellte die Weichen für nationale Gesetzgebungen, die die Kunstwelt verändern würden. Als erste Nation konnte Österreich zum Handeln bewegt werden und erließ ein Gesetz über die Rückgabe nationalsozialistisch beschlagnahmter Kunst. Die damalige österreichische Kulturministerin Elisabeth Gehrer, die sich empört über die Beschlagnahmung von Egon Schieles Wally gezeigt hatte, forderte das österreichische Parlament dazu auf, ein Gesetz zur Rückgabe von nationalsozialistischer Raubkunst zu verabschieden. Diesem Ansinnen kam das österreichische Parlament noch während der Washingtoner Konferenz am 30. November 1998 nach. Mit der Erkenntnis, dass die Zivilgesellschaft dazu gezwungen ist, auch in Privatbesitz befindliche Kulturgüter zu schützen, kam die internationale Gemeinschaft also Ende des Jahres 1998 in Washington zusammen. Alle in der Kunstwelt involvierten Personen waren dazu auf­ gerufen, ihre Bemühungen um die Rückgabe nationalsozialistischer Raubkunst an ihre rechtmäßigen Eigentümer fortzuführen und sich für die Etablierung einer Nachkriegsgerechtigkeit einzusetzen. Die Washington Principles on Nazi-confiscated Art wurden schließlich vom Vorsitzenden der Konferenz und ehemaligen amerikanischen Bundesrichter und Kongressabgeordneten Abner Mikva in einer Konsensentscheidung verabschiedet. Die teilnehmenden 44 Länder verpflichteten sich zu einer organisierten, wenn auch unverbindlichen, globalen Zusammenarbeit, um im Zuge der Provenienzforschung unentdeckte Raubkunst zu identifizieren, ihre Existenz öffentlich zu machen und gerechte und faire Lösungen für ungeklärte Eigentums­ ansprüche bereitzustellen – Prinzipien, die in der Washingtoner Erklärung für von den Nationalsozialisten geraubte Kunst verankert wurden. Da die an der Washingtoner Konferenz teilnehmenden Nationen den Weg zu einer Gesetzgebung in ihrem Ansinnen, einer rechtlichen Verantwortung nachzukommen, für ihr eigenes Land darlegten, blieb die Umsetzung von Artikel XI eine nationale Verpflichtung; das heißt, dass die Regierungen eine Rechtsgrundlage für die Forschung und die Streitbeilegung schaffen mussten. Im Anschluss an die Washingtoner Konferenz entwickelte sich ein internationales Einvernehmen über den konsequenten und effizienten Umgang mit Besitzansprüchen in Hinblick auf Nazi-Raubkunst. Im Jahr 1999 forderte der International Council of Museums seine Mitglieder dazu auf, die Washingtoner Erklärung zu befolgen. Resolution 1205 des Europarats, die Erklärung des Vilnius-Forums aus dem Jahr 2000, die Anhörungen des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2003 und schließlich Resolution 408 des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2003 forderten Maßnahmen zur Erleichterung von Verfahren, die sich mit der Beilegung von Anspruchsforderungen für Raubkunst beschäftigten. Die Washingtoner Erklärung und die Bemühungen anderer Konferenzen, die im Anschluss stattfanden, haben zu Richtlinien für die Rückgabe von Kunst an ihre rechtmäßigen Besitzer geführt. Die Washingtoner Erklärung hat, wie Philippe de Montebello, der Direktor des Metro12 Ibid.

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politan Museum of Art und Vorsitzende der AAMD Task Force für die Enteignung von Kunstwerken, bemerkte, »die Kunstwelt für immer verändert.« Und wie bei jeder großen Veränderung spielten auch hier gewisse, diese Entwicklung begleitende Ängste eine Rolle. Angesichts drohender gerichtlicher Beschlagnahmungen von Kunstwerken bei Kunstaustauschprogrammen von Museen, strebten viele Museen eine Immunität gegen Beschlagnahmungen während des Ausleihens von Kunstwerken aus anderen Ländern an. Die Grundsätze der Washingtoner Erklärung wurden ein Teil der Tätigkeiten des US-Außenministeriums bei der Beratung des US-Justizministeriums, ob das »nationale Interesse« die Gewährung eines Antrags auf Immunität gegen eine Beschlagnahmung rechtfertigt. Eine solche Immunität erhält diesen wichtigen kulturellen Austausch. Die damalige American Association of Museums (AAM), heute American Alliance of Museums, eine Vereinigung mit über 3.000 Institutionen, hat im Zuge der Aufarbeitung von NaziRaubkunst ein Internetportal zur Provenienzforschung geschaffen. Die Datenbank enthält über 28.000 Objekte aus 165 Museen. Ziel ist es, »ein durchsuchbares Register für ­Kunstsammlungen von Objekten aus US-Museen bereitzustellen, die während der Nazi-Zeit (1933–1945) in Europa den Besitzer gewechselt haben«. Anmeldung und Nutzung der Datenbank sind kostenlos und die Nutzer können sich benachrichtigen lassen, sobald neue Objekte zur Datenbank hinzugefügt worden sind. Die AAMD hat Verzeichnisse herausgegeben und diese Informationen für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.13 Auch die Smithsonian’s Freer Gallery of Art und die Arthur M. Sackler Gallery haben Internetauftritte eingerichtet, auf denen die Öffentlichkeit Zugriff auf Provenienzforschungsprojekte dieser Galerien hinsichtlich geraubter Kunst aus dem Zweiten Weltkrieg hat. Fachleute und Experten auf diesem Gebiet sind weiterhin bestrebt, Informationen auszutauschen, die zur Identifikation und Lösung von Schadensfällen beitragen könnten. So wurden in Deutschland im Jahr 1999 in einer gemeinsamen Erklärung von Bund, Ländern und Kommunalverbänden die Grundsätze der Washingtoner Erklärung umgesetzt, nach denen national­ sozialistisch beschlagnahmte Kunst, insbesondere das Eigentum von Holocaust-Opfern, ausfindig gemacht und zurückgegeben werden soll. Die Bundesregierung hat eine eigene Datenbank für verlorene Kunstwerke eingerichtet (www.lostart.de) und ihre Definition für Raubkunst erweitert, nach welcher nicht mehr verpflichtend der Nachweis von Zwangsverkäufen erbracht werden muss.14 Am 11. und 12. Dezember 2008 wurde das Thema der Nazi-Raubkunst erneut auf der Konferenz Verantwortung wahrnehmen. NS-Raubkunst – Eine Herausforderung an ­Museen, Bibliotheken und Archive in Berlin behandelt. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste veranstalteten anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Washingtoner Erklärung ein internationales Symposium, bei dem die Referenten die vergangenen Entwicklungen Revue passieren ließen, neue Perspektiven untersuchten und über grundlegende Fragen der Rückgabe von Kunstgegenständen, der Provenienzforschung und möglichen »gerechten und fairen Lösungen« diskutierten. Bei einer Podiumsdiskussion kamen Vertreter von Kulturinstitutionen, aus dem rechtswissenschaftlichen Bereich und von Interessengruppen zusammen und die gastgebenden Organisationen sorgten für den Abschluss des Symposiums. 13 Die Datenbank ist unter http://www.nepip.org/ (abgerufen am 19.07.2021) erreichbar. 14 Deutsches Zentrum Kulturgutverluste: Lost Art-Datenbank. Online unter: http://www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/Index. html (abgerufen am 19.07.2021).

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In Paris fand im Jahr 2008 vom 14.–15. September ebenfalls eine Konferenz mit dem Thema Plünderung, Restitution, Entschädigung und Provenienzforschung: Das Schicksal von nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckten Kunstwerken statt. Die Konferenz wurde von der Direktion der französischen Museen und dem Museum für Kunst und Geschichte des Judentums ausgerichtet. Konzipiert wurde sie von Isabelle le Masne de Chermont als Vertreterin der Direktion der französischen Museen, zusammen mit Jean-Pierre Bady, Mitglied der CIVS und Vorsitzendem der französischen Kommission für die Überprüfung von Kunstwerken, sowie Laurence Sigal, Direktorin des Museums für Kunst und Geschichte des Judentums in Paris. Darüber hinaus hat das gestiegene Bewusstsein für Angelegenheiten der Raubkunst in Verbindung mit einem verstärkten Engagement vieler Institutionen dazu beigetragen, die Klärung einiger Streitigkeiten um geraubte Kunstwerke voranzutreiben. Während die Washingtoner Erklärung die Betrachtungsweise des Kunstbesitzes verändert hat, haben sie Forschern wie Willi Korte und Anwälten wie Thomas Kline dabei geholfen, Werkzeuge wie das Art Loss Register zur Identifikation nutzen zu können, um verlorene Kunst zu entdecken und geplünderte Kunst für ihre rechtmäßigen Besitzer ausfindig zu machen. Auf diesem Wege wurde die Wiedererlangung gestohlener Kunst ermöglicht, die für einen Großteil der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts außer Reichweite war. Ein Teil der Vergleichsvereinbarung im Rahmen der Streitbeilegung des Gemäldes von Wally sieht vor, dass auf die Geschichte der Plünderung des Kunstwerks während des Holocaust bei jeder Ausstellung hingewiesen wird. Tom Freudenheim, ehemals angestellt bei der Smithsonian Institution, bemerkte, dass die Vergleichsvereinbarung von Wally das Gemälde in einem alternativen, extra-künstlerischen Universum der Wahrnehmung platziere. Die Beschilderung des Gemäldes zeige die wahre Herkunft des Gemäldes, einschließlich Lea Bondi-Jarays vorherigem Besitz und dessen Diebstahl durch einen Kunstagenten der Nationalsozialisten.

VI. Unerfüllte Versprechen Wie deutlich geworden ist, endet die Geschichte über die Rückgabe von Nazi-Raubkunst nicht mit der Vergleichsvereinbarung von Wally. Bis heute haben es die Regierungen nicht geschafft, einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen für die Rückgabe von Kunstwerken mit einem umstrittenen Besitz zu entwickeln. Auch die Forschung konnte noch nicht alle von den Nazis während des Zweiten Weltkriegs geplünderten Kunstwerke aufspüren. Während es einige Fortschritte bei der Funktionsweise des Kunstmarktes gegeben hat und einige wichtige Kunstwerke an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben wurden, so gab es auch Bereiche, in denen nur ein sehr geringer oder gar kein Fortschritt erzielt werden konnte. Die in der Washingtoner Erklärung geforderten Verbesserungen zum Umgang mit Kunstwerken, die in den Jahren 1933 bis 1945 verschwunden sind, halten einem Vergleich mit der Realität leider nicht stand. Resolution 1205 des Europarates aus dem Jahr 1999 und die Resolution des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2003 forderten Maßnahmen zur einfacheren Lösung von Besitz­ ansprüchen und riefen zur Schaffung von Maßnahmen auf, die die Rückgabe von Kunstwerken an ihre rechtmäßigen Eigentümer erleichtert. Es ist an der Zeit, dass Europa die Resolution des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2003 an- und konkrete Schritte unternimmt, um gemeinsame Grundsätze hinsichtlich Raubkunst, Kultur und beweglichem Eigentum zu entwickeln und umzusetzen. Diese Grundsätze könnten es wahrscheinlicher machen, dass Besitzansprü-

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che als gerechter verstanden und effizienter gelöst werden können. Regierungen haben hunderte von Kunstwerken an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben. Mehrere Länder, an­ geführt von Österreich, den Niederlanden und Großbritannien, haben die Leitlinien der ­Washingtoner Erklärung in ihre nationale Gesetzgebung übernommen. Bei der Umsetzung dieser Prinzipien sind jedoch signifikante Lücken aufgetreten, die von technischen Abwehrmaßnahmen zur Verhinderung von Restitution bis hin zu unzureichendem Archivzugang und fehlender Provenienzforschung der meisten Länder und ihrer Museen reichen. Es ist an der Zeit, dass alle Länder ihren Verpflichtungen aus dem Zweiten Weltkrieg nachkommen und die von den Nationalsozialisten geraubte Kunst in Anlehnung an die Washingtoner Erklärung an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgeben. Verspätete Gerechtigkeit bedeutet auch, dass den Menschen, die ihre von den Nazis gestohlenen Kunstwerke noch nicht zurückerhalten haben, Gerechtigkeit verwehrt wird. Noch immer werden zu viele Kunstwerke in Museen in Europa und der ganzen Welt treuhänderisch verwaltet. Die wenigen positiven Beispiele spektakulärer Rückgaben von Kunstwerken sollten uns nicht zu der Annahme verleiten, dass es systematische Bemühungen um die Rückgabe von Nazi-Raubkunst durch öffentliche und private Museen und Sammlungen auf der ganzen Welt gegeben habe. Es sollte gesagt werden, dass die Washingtoner Erklärung sowohl für öffentliche als auch private Museen und private Sammlungen gelten sollte.

VII. Fazit Historisch gesehen war es der deutsche Staat, der unter dem nationalsozialistischen Regime die Rechte und die Würde verfolgter Gruppen verletzt hat – eine Tatsache, die allgemein unstrittig ist. Daraus folgt, dass auch der deutsche Staat die Verantwortung für gerechte und faire Lösungen hinsichtlich von den Nationalsozialisten beschlagnahmter Kunst trägt. Diese Verantwortung steht im Einklang mit dem deutschen Grundgesetz, das die gleichen Richtlinien wie das Völkerrecht in Bezug auf die Plünderung und den Zwangsverkauf von individuellem Eigentum beinhaltet. Anlässlich des 20. Jubiläums der Washingtoner Erklärung sollte die Bundesregierung Richtlinien festlegen, wie mit wiederentdeckter, in Deutschland festgehaltener Nazi-Raubkunst umgegangen werden soll. Eine solche festgelegte Vorgehensweise könnte anschließend auch auf die Länderebene und die dortigen Museen übertragen werden. Der Fund der Gurlitt-Sammlung im Jahr 2013 zeigt anschaulich, dass die ungeheuerlichen Verbrechen der Nationalsozialisten immer noch nicht angemessen aufgeklärt worden sind. Der Weg in die Zukunft führt über die Washingtoner Erklärung, die einen Fahrplan für den richtigen Umgang mit den rechtmäßigen Eigentümern der Kunstwerke und ihrer Familien beinhaltet. Die Provenienzforschung ist dabei entscheidend für die Identifizierung der von den Nazis beschlagnahmten Kunst. Um zur Herstellung von Gerechtigkeit beitragen zu können, muss sie von Regierungen, Museen, privaten Sammlungen oder Stiftungen und NGOs gefördert werden. Die Universität Bonn trägt weiterhin zur wissenschaftlichen Untersuchung der Provenienz von durch die Nationalsozialisten geplünderter Kunst bei und wirkt bei der Klärung der Frage mit, ob Kunstwerke ihren rechtmäßigen Besitzern möglicherweise durch Beschlagnahmung oder einen erzwungenen Verkauf entwendet wurden. Durch diese Anstrengungen könnte es ermöglicht werden, endlich – über 20 Jahre nach Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung und

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mehr als 70 Jahre nach dem Niedergang des Nationalsozialismus – »gerechte und faire Lösungen« für die Rückgabe von Kunstwerken an ihre rechtmäßigen Besitzer zu erzielen.

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Transparent – innovativ – nachhaltig Die Mosse Art Research Initiative (MARI). Kooperative Provenienzforschung im NS-Kontext Meike Hoffmann

Als am 1. März 2017 die Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse zusammen mit der Freien Universität Berlin (FU Berlin) die Mosse Art Research Initiative (MARI) ins Leben rief, wurde ein neues Kapitel in der Erforschung von verfolgungsbedingten Entzugskontexten zwischen 1933 und 1945 aufgeschlagen (Tafel VI).1 Erstmals erklärten sich deutsche Einrichtungen und Nachfahren von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung bereit, in einer öffentlich-privaten Partnerschaft miteinander zu kooperieren. Die Initiative ging von der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus. Das Forschungsvorhaben ist in vielerlei Hinsicht innovativ und von hoher kulturpolitischer Relevanz. Beide Seiten arbeiten gemeinsam in einem Netzwerk höchster Kompetenz und Transparenz, um wichtige Impulse für die zukünftige Wissensgenerierung auszusenden und darüber hinaus einen nachhaltigen Beitrag zur Gestaltung der Erinnerungskultur in Deutschland zu leisten.

I. Worum geht es bei MARI? Gegenstand des Forschungsprojektes ist die ehemalige Kunstsammlung von Rudolf Mosse (1843–1920). Konkret geht es um ihren Aufbau, die Bedeutung in der damaligen Zeit und die Lokalisierung der Werke. Ebenso sollten Erkenntnisse über die wirtschaftliche Situation des Mosse-Konzerns, die Gleichschaltungsmechanismen des Pressewesens nach 1933 sowie die Verfolgungssituation der Familie und die Emigrationswege der einzelnen Mitglieder gewonnen werden, um auf Grundlage der Befunde das ganze Ausmaß des Schicksals und die bis heute fortwirkenden Folgen erfassen zu können. Das Projekt ist damit vor mehrere Herausforderungen gestellt: Anders als bei den in Museen zur Bestandsüberprüfung durchgeführten Recherchen sind die Kunstwerke nicht präsent, sondern absent. Sie müssen zunächst identifiziert werden, sodann sind die Verlust- und Distributionswege nachzuvollziehen, bevor die Suche nach ihrem aktuellen Standort beginnen kann. Im eigentlichen Sinne handelt es sich daher um

Meike Hoffmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle Entartete Kunst der Freien Universität Berlin und leitet die Mosse Art Research Initiative als Projektkoordinatorin. 1

MARI-Portal, https://www.mari-portal.de (abgerufen am 29.09.2019). Der wissenschaftliche Titel des Projekts lautet: Berliner Mäzenatentum. Die Kunstsammlung Rudolf Mosse (1843–1920). Aufbau – Bedeutung – Verlust. Vgl.: https://www.geschkult. fu-berlin.de/e/khi/forschung/projekte/drittmittelprojekte/mari/index.html (abgerufen am 03.10.2019).

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Rekonstruktion, Authentifizierung und Verbleibforschung und weniger um Herkunftsforschung im ureigenen Sinne, was eine methodische Spezifikation des Projektes bedingt. Zudem erhöhen die Vielgestaltigkeit und der Umfang der ehemaligen Sammlung den Schwierigkeitsgrad des Forschungsvorhabens. Neben Gemälden, Bildwerken und Arbeiten auf Papier vorwiegend deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts, ergänzt durch zeitgleiche Referenzwerke des europäischen Auslands und einzelne Beispiele herausragender Meister aus anderen Epochen der abendländischen Kunst, sammelte Rudolf Mosse Kunstgewerbe, Tapisserien und Antiquitäten – von allem zusammen weitaus mehr als 1.000 Werke. Ostasiatika, Ägyptika, Benin-Bronzen und eine 10.000 Bände umfassende Gelehrtenbibliothek deutscher Literatur gehörten auch dazu. Insofern bestimmen ein breitgefächertes kunst- und kulturhistorisches Wissen sowie die Erfahrung in quellenkundlicher Differenzierung von originalen und reproduzierbaren Werken die Parameter des Projekts. Über die Einzelwerkrecherche hinaus, aber eng damit verwoben, soll die Entstehungsgeschichte der Sammlung im Kontext der damaligen Zeit ermittelt werden. Bis zum Beginn des Mosse-Projektes war die Sammlung in ihrer Bedeutung und Zusammensetzung unerforscht. Was motivierte Rudolf Mosse, welche Kunstwerke bei wem zu welchen Konditionen zu erwerben? Was sagt das Profil seiner Kunstsammlung über ihn selbst aus? Was verbindet Mosse mit anderen Sammlern seiner Zeit, was unterscheidet ihn von diesen? Diese Fragen zu stellen, ist auch wichtig im Hinblick auf Unrechtskontexte vor 1933, z.B. bei den Erwerbungen der nichteuropäischen Sammlungsbestände. Bei all dem ist die Mosse-Sammlung ein Exempel für die Entziehung von Kulturgut zu Beginn des nationalsozialistischen Regimes mit seinen noch unkoordinierten Abläufen. Der Verlagskonzern wurde gleich 1933 gleichgeschaltet, die Erben – Felicia (1888–1972) und Hans Lachmann-Mosse (1885–1944) mit ihren drei Kindern – enteignet und in die Emigration getrieben, die Sammlung 1934 in Berlin versteigert.2 Die Erforschung des Familienschicksals soll allgemein Rückschlüsse auf Arisierung und Verwertung von Fremdvermögen in der Frühphase des Natio­ nalsozialismus ermöglichen. Ein besonderes Augenmerk muss hierbei auf Zweit- und Dritt­ geschädigten liegen, deren früh ersteigerte Werke mit den sich sukzessive verschärfenden Aneignungsmechanismen nach Erlass der Nürnberger Rassengesetze ein weiteres Mal ent­ zogen worden sein können.

II. Projektstruktur und Recherchestrategie Die Komplexität des Themenspektrums erfordert die Einbindung fachkundiger Partner auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Daher ist MARI als ein Verbundforschungsprojekt konzipiert worden. Neben der engen Zusammenarbeit mit den Erben nach Rudolf Mosse kooperiert das relativ kleine Forscherteam3 mit Kolleg:innen von zahlreichen Institutionen, Museen und Archi-

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Vgl. Claudia Marwede-Dengg, Die Enteignung der Familie Lachmann-Mosse, in: MARI-Portal 2018, https://www.mari-portal. de/page/die-enteignung-der-familie-lachmann-mosse (abgerufen am 02.08.2021). Eine Vollzeitstelle und zwei halbe Stellen für Provenienzforschung, eine halbe Stelle für Archivrecherche, eine halbe Stelle für die Konzeption des Online-Portals. Durch die finanzielle Förderung der Mosse-Erben sind wir vorteilhafterweise in der Lage, zusätzlich Werkverträge zur Datenpflege zu vergeben, siehe MARI-Team, https://www.mari-portal.de/page/team (abgerufen am 03.10.2019).

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ven, die sich schon im Vorfeld mit dem Mosse-Fall beschäftigt haben, von Ansprüchen betroffen waren oder Mosse-relevante Archivalien und Dokumentationen verwahren. Die dahinterstehende Idee zielt darauf, bereits generiertes Wissen und Ressourcen zu bündeln. Aufgaben können zwischen den Kooperationspartnern je nach Expertise, Ortsvorteil, Personal- und Finanzmitteln delegiert werden. Damit setzt MARI der in Deutschland vorwiegend geförderten Ein-Personen-Provenienzforschung ein interdisziplinäres, dezentrales, wissenschaftlich koordiniertes Netzwerk gegenüber, das durch sein Forschungsgefüge immanent für die Qualitäts­ sicherung der Resultate sorgt. Die Informationen fließen hier nicht wie bei einer Auftragsvergabe von einer Richtung in die andere, sondern frei und ergebnisoffen im Kreis der Fachleute, wodurch sie Reibungs- und Filterkoeffizienten ausgesetzt sind. Das Projekt ist nicht hierarchisch angelegt, keiner der Partner hält die Deutungshoheit. Die Freie Universität als unbefangene, von Restitutionsansprüchen nicht betroffene Institution ist hierfür der ideale Träger – auch, weil das Kunsthistorische Institut mit seiner Ausrichtung auf die globale Kunstentwicklung Ansprechpartner für die diversen Sammlungsteile vorhält und hier die Forschung zum Berliner Mäzenatentum, zu dem auch Rudolf Mosse gehörte, bereits in den späten 1990er Jahren begründet worden ist.4 Ebenso ist die Einbindung von Studierenden ein großer Vorteil im Hinblick auf die quantitative Bewältigung der Forschungsaufgabe, der an anderen Orten nicht gegeben ist. Im Rahmen von regelmäßig angebotenen Seminaren zur Rekonstruktion der Mosse-Sammlung übernehmen die Teilnehmer:innen die horizontale Basisrecherche, indem sie systematisch zentrale Quellenbestände auswerten, bevor das MARI-Team mit der vertikalen Tiefenrecherche zu den Einzelwerken beginnt. Explizit finden im Rahmen des Projektes keine Restitutionsverhandlungen statt. MARI ist eine Forschungs-Initiative, keine Restitutions-Initiative. Empfehlungen werden nicht aktiv übermittelt, stattdessen die Fakten auf einer gemeinsamen Arbeitsplattform, zu der alle Kooperationspartner Zugang haben, passiv zur Verfügung gestellt. Nur so kann die für das Projekt wesensbestimmende Neutralität aufrechterhalten und die Kommunikation unter den sich bisher diametral gegenüberstehenden Seiten beflügelt werden. Solange die Priorität in der Erkenntnisförderung liegt, sind alle Partner über ein gleich ausgerichtetes Interesse miteinander verbunden und profitieren von einem freien Austausch aller Informationen und Dokumente.

III. Welche Resultate wurden bisher erzielt? Ausgangspunkt unserer Recherchen sind die Auktionskataloge von Lepke und Union 1934. Das MARI-Team konnte bisher zahlreiche Exemplare in privatem und öffentlichem Besitz neu ermitteln, 23 davon enthalten handschriftliche Annotationen zu den Einzelwerken.5 Daneben sind die Sammlungskataloge von zentraler Wichtigkeit. Zu Beginn des Projektes waren drei Kataloge aus den Jahren 1908, 1921 und 1929 bekannt. Vier weitere von 1900, 1912, 1913 und 1915 sind seither von uns entdeckt worden.6 In den Katalogen sind nur die Werke aus der Sammlung

4 5 6

Vgl. u.a. Thomas W. Gaehtgens, Der Bürger als Mäzen, Opladen 1998; ders., Martin Schieder (Hrsg.), Mäzenatisches Handeln: Studien zur Kultur des Bürgersinns in der Gesellschaft, Berlin 1998. Siehe MARI-Quellen, https://www.mari-portal.de/page/quellen (abgerufen am 29.09.2019). Ibid.

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1  Verzeichnis der Rudolf Mosse’schen Kunst-Sammlung, Berlin 1900.

2  Peter Paul Rubens (Werkstatt), Büßende ­Magdalena, 1635/40, Öl auf Leinwand, 115 × 170 cm.

verzeichnet, die im Palais am Leipziger Platz 15 ausgestellt waren. Sie sollten weniger als Inventare denn als Führer durch das Palais dienen und enthalten daher nur spärliche Angaben zu den entsprechend der Raumfolge verzeichneten Werken (Abb. 1). Das topografische Prinzip erlaubt uns heute kaum, die Identifizierung der einzelnen Werke voranzutreiben, wohl aber die jährlichen Neuerwerbungen, die Umhängungen und die dahinterliegende Sammel- bzw. Ausstellungsintention Rudolf Mosses zu erörtern. Was nun die zeitaufwendige Einzelwerkrecherche anbelangt, so konnte das MARI-Team mit­ hilfe der Kooperationspartner:innen und der Studierenden die Forschung zu allen in den Auktionskatalogen von 1934 und den Sammlungskatalogen verzeichneten Positionen aufnehmen, das sind um die 1.000 Positionen. Zu mehr als 200 Werken haben wir aussagekräftige Dokumente gefunden, 106 davon konnten eindeutig identifiziert und Spuren des Verbleibs bis mehrere Jahrzehnte nach dem Entzug gefunden werden. Teilweise kennen wir den Verbleib der Werke dieser Gruppe bis ins Jahr 2013.7 Bei 27 Gemälden konnte das MARI-Team den heutigen Standort ermitteln, wenn auch in einigen Fällen noch Lücken in der Provenienzkette bestehen. So zum Beispiel bei der Büßenden Magdalena (Abb. 2), die Rudolf Mosse vor 1912 als ein Ge-

7

U. a. Eugen von Blaas, Ninetta, 1887, Öl auf Leinwand, 246 × 138 cm. Forschungsdatenbank MARI (Freie Universität Berlin), https://www.mari-portal.de/details/760 (abgerufen am 29.09.2019).

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3  Hanns Fechner, Theodor Fontane, 1893, Öl auf Leinwand, 120 × 87 cm.

mälde von Peter Paul Rubens erworben hatte und die sich bis vor Kurzem als Schenkung des Hermann Göring nahestehenden Kunsthändlers Moritz Julius Binder in der Stiftung Museum Kunstpalast in Düsseldorf befand. Hier ist der Verbleib zwischen Ende 1936 und Ende 1943 noch unbekannt, weshalb es weitere Geschädigte geben könnte.8 Bei 16 Werken wiederum sind alle Fragen geklärt und die Recherchen abgeschlossen, wie bei Hanns Fechners FontanePorträt (Abb. 3), das NS-Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht auf der Lepke-Auktion ersteigert hatte und das sich noch heute in dessen Familienbesitz befindet.9 Zu dieser Gruppe gehört ebenso das von dem Schweizer Künstler Karl Stauffer-Bern (1857–1891) 1883 gezeichnete Selbstbildnis, das von dem jüdischen Textilfabrikanten Julius Freund (1869–1941) 1934 ersteigert und 1941 vom Museum Winterthur übernommen wurde, wodurch auch das Thema Fluchtgut gestreift wird.10 Insgesamt sind bis heute elf Werke auf Grundlage der MARI-Provenienzforschung restituiert worden, bei dreien davon haben die aktuellen Besitzer gemeinsam mit den

Petrus Paulus Rubens (Werkstatt), Die büßende Magdalena, 1635/40, Öl auf Leinwand, 115 × 170 cm. Forschungsdatenbank MARI (Freie Universität Berlin), https://www.mari-portal.de/details/847 (abgerufen am 29.09.2019). 9 Hanns Fechner, Theodor Fontane, 1893, Öl auf Leinwand, 120 × 87 cm. Forschungsdatenbank MARI (Freie Universität Berlin), https://www.mari-portal.de/details/772 (abgerufen am 29.09.2019). 10 Karl Stauffer-Bern, Selbstbildnis, 1883, Bleistift auf Papier, 26 × 23 cm. Forschungsdatenbank MARI (Freie Universität Berlin), https://www.mari-portal.de/details/1055 (abgerufen am 29.09.2019). 8

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Mosse-Erben einvernehmliche Lösungen gefunden. Wiederum drei Ansprüche wurden zurückgewiesen und die Rückgabe verweigert, da sich die Werke heute in Privatbesitz befinden, für den die Washingtoner Prinzipien nicht bindend sind. Die restlichen Werke, die von MARI lokalisiert werden konnten, befinden sich in Verhandlungen.11 Parallel zur Einzelwerkrecherche und eng damit verwoben führt das Team K ­ ontextforschung durch. Bisher konnten wesentliche Erkenntnisse über die Erwerbsstrategien Rudolf Mosses gewonnen werden, wie über die seines Schwiegersohnes Hans Lachmann-Mosse, von dem bisher kaum Aktivitäten beleuchtet wurden. So wissen wir heute, dass Rudolf Mosse seine Sammeltätigkeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs abgeschlossen hatte. Er bevorzugte Erwerbungen auf den großen deutschen Akademieausstellungen in Berlin und München, für die er in seinem Verlag die Kataloge druckte und so über ein Vorwissen verfügte. Ebenso pflegte er Kontakt zu einigen wenigen ausgewählten Kunsthändlern, wie Paul Cassirer (1871– 1926), Fritz Gurlitt (1854–1893) und Eduard Schulte (1817–1890) in Berlin. Beraten wurde Mosse von seinem Redakteur Fritz Stahl (eigentlich Siegfried Lilienthal), der Mosse auch überzeugt hatte, zusätzlich zum Schwerpunkt der Sammlung – dem Realismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – Werke aus früheren Epochen für eine kunsthistorische Einbettung zu erwerben. Durch Hans Lachmann-Mosse sind einige der herausragenden Stücke der Sammlung erst in den 1920er Jahren erworben worden, wie die Werke der niederländischen Meister des 17. und 18. Jahrhunderts, ebenso wohl auch die Ostasiatika und Benin-Bronzen. Die weitaus wichtigste Erkenntnis zur Rekonstruktion der historischen Abläufe betrifft die bisher von allen Wissenschaftler:innen angenommene Insolvenzanmeldung des Mosse-Konzerns durch Hans Lachmann-Mosse am 13. September 1932. Wie das MARI-Team herausfinden konnte, gibt es dafür jedoch keine Nachweise, die eigentlich an mehreren Stellen vorliegen müssten, da schon damals ein Insolvenzverfahren veröffentlichungspflichtig war.12 Ganz offensichtlich geht die Behauptung auf einen Zahlenfehler in einer Publikation von 1959 zurück, der in der Folgezeit immer wieder übernommen, weiter verfälscht und bis zur Darstellung getrieben wurde, »von einer ›Arisierung‹ im üblichen Sinne« nicht reden zu können.13 Tatsächlich aber meldeten erst genau ein Jahr später am 13. September 1933 die Nationalsozialisten ein Vergleichsverfahren an, was im Falle einer vorliegenden formellen Insolvenz so gar nicht möglich gewesen wäre. Der Mosse-Verlag ist indes eines von vielen Unternehmen, bei denen nur wenige Wochen nach der Machtübertragung die Verschuldung durch Inflation und Weltwirtschaftskrise als Hebel genutzt wurde, um jüdische Inhaber aus dem Geschäft zu drängen.14 Die dafür heran­gezogenen Erklärungsmuster sind in der Nachkriegszeit undifferenziert übernommen worden und wirken bis heute fort.

Neben den bereits genannten Werken der Rubens-Werkstatt und von Stauffer-Bern gehören zu dieser Gruppe Gemälde von Jakob Emil Schindler, Forschungsdatenbank MARI (Freie Universität Berlin), https://www.mari-portal.de/details/1058 (abgerufen am 29.09.2019), von Jozef Israels, Forschungsdatenbank MARI (Freie Universität Berlin), https://www.mari-portal. de/details/951 (abgerufen am 29.09.2019), von Eduard Grützner, Forschungsdatenbank MARI (Freie Universität Berlin), https:// www.mari-portal.de/details/780 (abgerufen am 09.10.2019) und Carl Ludwig, Forschungsdatenbank MARI (Freie Universität Berlin), https://www.mari-portal.de/details/800 (abgerufen am 09.10.2019) sowie ein Pastell von Gari Melchers, Forschungs­ datenbank MARI (Freie Universität Berlin), https://www.mari-portal.de/details/806 (abgerufen am 29.09.2019) u. a. 12 Marwede-Dengg 2018 (wie Anm. 2). 13 Peter de Mendelssohn, Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der Geschichte der deutschen Presse, Berlin 1959, S. 335 ff.; Elisa­ beth Kraus, Die Familie Mosse: Deutsch-jüdisches Bürgertum im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, S. 506, 518 f. 14 Vgl. hierzu Frank Bajohr: »Arisierung« in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933–1945, 2. Aufl., Hamburg 1998. 11

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IV. Dokumentation und Transparenz Für die Dokumentation der Resultate der Provenienz- und Kontextforschung im Einzelnen und die Erkenntnisse aus ihrem relationalen Bedeutungsgefüge wurde bereits ein Jahr nach Projektbeginn, am 2. Mai 2018, das MARI-Portal, eine Projektwebseite samt Datenbank, im Internet publiziert.15 An dieser Stelle muss wiederholt auf die in vielerlei Hinsicht segensreiche Kooperation mit den Erben nach Rudolf Mosse verwiesen werden, von denen die Technik finanziert worden ist. Darüber hinaus sind Maßnahmen zur Transparenz durch wiederholte Vorträge zum Projekt auf internationalen Konferenzen und Tagungen sowie durch Publikationsbeiträge getroffen worden, wie auch zwei Pressekonferenzen organisiert wurden, in deren Folge europaweit und in den USA über das Projekt berichtet wurde.16 Die mit den unterschiedlichen Publikationsformen angestrebte Präsenz des Projektes in den öffentlichen Debatten um Wiedergutmachung und Restitution ist von der Erbengemeinschaft dringend gewünscht worden, um über die Aufklärung von NS-Verbrechen hinaus ein ehrendes Gedenken an Rudolf Mosse als prägenden Kunstförderer, Mäzen und Philanthrop wachzuhalten.

V. Warum ist das MARI-Portal ein unverzichtbarer Bestandteil des Projekts? Wird die Provenienzforschung in Deutschland mittlerweile flächendeckend von Bund und Ländern gefördert, wirkt sich der Mangel an digitalen Strategien immer verheerender aus. Online-Datenbanken, bisher vorwiegend eindimensional als Ablage- bzw. Entnahmeort von Informationen eingesetzt, nutzen die technischen Möglichkeiten für eine vernetzte und kollaborative Forschung nicht aus. Mögen die Provenienzangaben – dank des vom Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. 2018 herausgegebenen Leitfadens17 – mittlerweile in der empfohlenen Schreibweise korrekt erscheinen, sind die Informationen selten datenbankkompatibel aufbereitet. Improvisierte Datenstrukturierungen führen zur Inkompatibilität der Verwaltungssysteme. Häufig verknüpfen sich nicht einmal die Informationen innerhalb der eigenen Datenbasis. Ungerichtete Suchanfragen von außen erzielen keine Treffer. Hinzu kommt, dass die recherchierten Daten einem personengebundenen Auswahl- und Auswertungsverfahren unterliegen. Daten, die miterforscht, aber für das zu erforschende Objekt zu dem Zeitpunkt als falsch oder nicht relevant erscheinen, fallen weg. Die Ergebnisse repräsentieren somit nur die Spitze des Eisbergs und sind als faktenbasierte Interpretationen der jeweiligen Forscher zu verstehen, die naturgemäß keine objektive und gleichbleibende Qualität aufweisen. Auch sind die Ergebnisse für den Datenbanknutzer nicht verifizierbar, er kann lediglich anhand der Quellenangaben (sofern diese angegeben werden, was immer noch

15 Presseerklärung der Freien Universität Berlin, 02.05.2018, https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2018/fup_18_086mosse-online-portal/index.html (abgerufen am 29.09.2019). 16 7.3.2017: PK in der Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern Berlin; 2.5.2019: PK in der Alten Nationalgalerie Berlin, https://www.mari-portal.de/page/presse (abgerufen am 02.08.2021). 17 Arbeitskreis Provenienzforschung e.V., Leitfaden zur Standardisierung von Provenienzangaben, 1. Auflage, Hamburg 2018, https:// www.arbeitskreis-provenienzforschung.org/data/uploads/Leitfaden_APFeV_online.pdf (abgerufen am 29.09.2019).

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nicht Standard ist) die Forschung noch einmal von vorne nachvollziehen. Sinn und Vorteile einer Datenbank werden hierdurch konterkariert. Aus dieser Misere heraus fand im Vorfeld der Publikation des MARI-Portals im November 2017 ein Workshop mit dem Titel Transparenz, Vernetzung, Kollaboration. Digitale Wissens­ repräsentation in der Provenienzforschung an der FU statt.18 Die große Resonanz bei den Fachkolleg:innen und die intensiven Diskussionen haben gezeigt, dass die Entwicklung spezi­ fischer Konzepte und Werkzeuge für die Datenerfassung und -präsentation von zentraler Bedeutung für die Provenienzforschung ist. Nachdem es einzelne Vorreiter in diesem Bereich schon lange gegeben hat, ist mittlerweile eine Juniorprofessur für Digitale Provenienzforschung an der Technischen Universität Berlin (TU) eingerichtet worden, und es hat sich mithilfe des Arbeitskreises Provenienzforschung e. V. ein aktives Netzwerk von Kolleg:innen etabliert, von denen diese Fragen kontinuierlich weiter erörtert werden.19 In diesem Bewusstsein hat das MARI-Team an der FU mit dem Portal ein offenes und flexibles Forschungsinstrument entwickelt. Da es sich bei unserem Projekt um die Rekonstruktion einer zerschlagenen Sammlung handelt, ist nicht das (virtuelle) Objekt die primäre Entität des Verwaltungssystems, sondern es sind die Quellen und das daraus generierte Wissen. Alle anfallenden Informationen werden transkribiert, fragmentiert und in strukturierte Daten überführt, um sie am/für den Computer lesbar zu machen und damit für eine Zukunft im Semantic Web vorzubereiten (Abb. 4). Durch Beziehungen verknüpft, sind die Inhalte in verschiedenen Ebenen für die unterschiedlichen Nutzer:innen abrufbar (Visibilität). Ergebnisse können anhand der Meta­daten kritisch hinterfragt und durch das Verknüpfungssystem schnell aktualisiert werden, ohne dabei Informationen zu verlieren (Transparenz). Damit sind wichtige Grundlagen dafür geschaffen, dass geleistete Forschung nachhaltig verfügbar und wirksam bleibt.

VI. MARIs Vorbildfunktion Als das erste vom DZK geförderte Projekt zur Rekonstruktion einer NS-liquidierten Privatsammlung in Kooperation mit den Erben avancierte MARI schnell zum Vorbild für weitere Vorhaben dieser Art. Mittlerweile gibt es viele Beispiele dafür, u.a. an den Universitäten in Hamburg, München und Mainz. Die Bedingungen für die Forschungen sind jedoch nicht immer so günstig wie bei MARI. Häufig fehlen einzelne Faktoren der ursprünglichen Konzeption. So wird nur selten die Lehre mit in die Projekte einbezogen, die an sich den freien Informationsaustausch unter Fachkolleg:innen potenzieren soll, und damit für die Plausibilität von Provenienzforschungsprojekten nach den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis und Transparenz an öffentlichen Forschungsinstitutionen steht. Häufig fehlt auch die für das Netzwerk verantwortliche wissenschaftliche Koordination, die flexibel auf interne und externe Bedürfnisse reagie-

18 Transparenz, Vernetzung, Kollaboration. Digitale Wissensrepräsentation in der Provenienzforschung, Workshop organisiert von Meike Hoffmann und Michael Müller, Freie Universität Berlin, 28.11.2017, https://www.mari-portal.de/news (abgerufen am 06.10.2019). 19 Zu nennen sind hier insbesondere Christian Huemer (2008–2017 Leiter des German Sales Projektes am Getty Research Institute, Los Angeles, seit 2017 Leiter der Forschungsabteilung der Österreichischen Galerie Belvedere, Wien) und Leonhard Weidinger (2006–2009 Konzeption und Leitung des Projekts »Digitalisierung von Wiener Auktionskatalogen aus der NSZeit«, Kommission für Provenienzforschung, seit 2009 Konzeption und Aufbau der Webplattform und des Digitalen Archivs der Kommission für Provenienzforschung).

98  Meike Hoffmann

4 Datenaufbereitung zu dem Gemälde von Anders Zorn, Blondes Bauernmädchen am Fenster, um 1900, Öl auf Leinwand, 73 × 68 cm.

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ren muss, um Forschungsresultate und -erwartungen in Einklang zu bringen. Der gravierendste Mangel liegt im Bereich eines nachhaltigen Datenmanagements und seiner Visibilität. Ohne die dafür notwendigen finanziellen Ressourcen, die das DZK aufgrund seiner Bestimmungen den bewilligten Projekten nicht gewähren kann, bleiben viele Quellen und Informationen, die keinen unmittelbaren Objektbezug haben, der Öffentlichkeit verschlossen und damit auch das daran ablesbare Ausmaß der im Zentrum der Projekte stehenden Familien­schicksale. Das Konzept geht nur auf, wenn alle Parameter darin berücksichtigt werden. Der Mehrwert liegt indes nicht allein in einer Beschleunigung, Verbesserung und Vermittlung der Forschungsresultate, sondern in der gemeinsamen Erforschung des damaligen Geschehens. Mehr Einsicht in die unterschiedlichen Herangehensweisen und unterschiedlichen Standpunkte der einzelnen Kooperationspartner soll Konflikten vorbeugen, wie sie zum Beispiel in Zusammenhang mit dem Flechtheim- und dem Max-Stern-Projekt aufgetreten sind. Um »gerechte und faire Lösungen« für alle einvernehmlich finden zu können, hat MARI mit seiner offenen Verständigungspolitik als praxisleitende Strategie ein Fundament für eine gemeinsame, nicht nur für eine deutsche Erinnerungskultur gelegt.

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Agieren in Grauzonen Forschungsfragen zum Entzug von Kulturgütern in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR Gilbert Lupfer

Es gibt Konjunkturen der öffentlichen, medialen und wissenschaftlichen Wahrnehmung (und damit einhergehend der Priorisierung), natürlich auch in Bezug auf die Provenienzforschung. Die kurze Phase, als der Entzug von Kulturgütern in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ, 1945–1949) und in der DDR weit oben auf der Agenda gestanden hat, scheint fast schon wieder vorbei zu sein, obwohl noch immens großer Forschungsbedarf besteht. Derzeit dominiert der sogenannte koloniale Kontext die öffentlichen Debatten um Provenienz und Restitution (und es ist durchaus berechtigt, dass dieses lange kaum beachtete Problem endlich gebührende Aufmerksamkeit findet). Der Entzug von Kulturgütern in der SBZ und der DDR wirkt vor diesem globalen Szenario wie eine exotische Aufgabe für Ost-Spezialisten. Dieses Schicksal der vorübergehend nur peripheren Aufmerksamkeit teilt das Thema übrigens mit der sogenannten Beutekunst, also der Translokation von Kulturgütern während des Zweiten Weltkrieges und direkt danach. Wie schnell sich aber der Fokus und der Grad öffentlicher Aufmerksamkeit verschieben kann, hat vor wenigen Jahren der Fall Gurlitt eindrucksvoll demonstriert, der dem Nazi-Kunstraub wieder die gebotene Aufmerksamkeit gesichert hat. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien im Folgenden ein paar Forschungsfelder definiert, wobei vor allem auf (zonen)grenzüberschreitende Berührungspunkte, Verflechtungen und Netzwerke hingewiesen werden soll. Zunächst allerdings ist eine (juristisch sicher laienhafte) Vorbemerkung notwendig. Die Suche nach der Beute des NS-Raubes geschieht nie ergebnisoffen und nie im wissenschaftlichen Reinraum, sondern ist immer verbunden mit der Suche nach »gerechten und fairen Lösungen« im Sinne der Washingtoner Prinzipien.1 Diese Prinzipien sind ein soft law, dem sich die Träger öffentlicher Museen, Bibliotheken und anderer sammelnder Institutionen in Deutschland nicht entziehen können. Auf die Nachkriegszeit hingegen zielen die Washingtoner Prinzipien überhaupt nicht und können dafür auch nicht angerufen werden. Für Verlagerungs- und Entzugskontexte in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR von 1945 bis 1949 bzw. von 1949 bis 1990 existiert kein soft law, sondern es gibt »harte« gesetzliche Regelungen mit zuständigen

Gilbert Lupfer ist Professor für Kunstgeschichte an der Technischen Universität Dresden, ehemaliger Leiter der Abteilung Forschung und wissenschaftliche Kooperation an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sowie hauptamtlicher Vorstand der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg. 1

https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Stiftung/Grundlagen/Washingtoner-Prinzipien/Index.html (abgerufen am 28.04.2022).

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»Ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen«.2 Zur ersten Phase (also für die sowjetzonale Zeit 1945–1949) handelt es sich um das Gesetz über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage, kurz Ausgleichsleistungsgesetz oder EALG genannt; der Deutsche Bundestag verabschiedete es 1994.3 Zur zweiten Phase (also für die Zeit der Eigenstaatlichkeit der DDR 1949–1990) ist es das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, das noch von der letzten DDR-Volkskammer im ­September 1990 verabschiedet worden ist.4 Daraus ergeben sich in der rechtlichen Beurteilung bis heute gravierende Unterschiede, je nachdem, ob sich ein fragliches Objekt in den »alten« oder den »neuen« Bundesländern befindet. Ein Museum in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen oder Ost-Berlin hat hier ganz andere, weitergehende Verpflichtungen als ein »WestMuseum«. Diesen Sachverhalt näher auszuführen, würde hier zu weit gehen und auch größere juristische Kompetenz verlangen. Welche Forschungsfragen könnten nun aus dem genannten Kulturgutentzug und speziell aus den Verflechtungen zwischen Ost und West resultieren? Das chronologisch gesehen erste Feld, das dafür zu skizzieren ist, bezieht sich auf die frühen Nachkriegsjahre, auf die sogenannte »Schlossbergung« (so wenigstens die in Sachsen gebräuchliche Bezeichnung; in anderen Ländern der Sowjetischen Besatzungszone gab es dasselbe Phänomen, allerdings ohne Bezeichnung – der Einfachheit halber wird im Folgenden generell von Schlossbergung gesprochen). Die Schlossbergung erfolgte 1945/46 im Rahmen der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, also im Zuge der Enteignung und Kollektivierung des Großgrundbesitzes ab 100 Hektar landwirtschaftlicher Fläche.5 Auch die Enteignung der ehemals, bis 1918, regierenden Fürstenhäuser, wie z.B. der Wettiner in Sachsen, der Reuß in Thüringen oder der Mecklenburg-Schweriner, kann darunter gefasst werden. Die Gebäude auf den Ländereien, die Schlösser, Herren- und Gutshäuser mitsamt ihrer Ausstattung waren gleichfalls Gegenstand der Enteignung. Hunderte von Gebäuden zwischen Elbe und Oder wurden mehr oder weniger komplett leergeräumt. Auf Kunstwerke und Antiquitäten zielte die Bodenreform eigentlich gar nicht, diese waren eher ein willkommener »Beifang«, der sich ökonomisch verwerten ließ. Etlichen Museen und Bibliotheken gelang es, sich sammlungswürdige Stücke zu sichern und diese so der intendierten Verwertungskette, also dem Verkauf in den Westen, zu entziehen. Doch das war eben nicht der eigentliche Sinn der kulturelle Werte ignorierenden Maßnahmen. In Dresden beispielsweise existierte im Albertinum eine öffentliche Verkaufsstelle für Schlossbergungsbestände.6 Sie wurde allerdings völlig 2

3 4 5 6

Vgl. z.B. Michael Geißdorf, Zur rechtlichen Prüfung von Restitutionsansprüchen in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, in: Dresdener Kunstblätter 2 (2012), S. 96–106; Harald König, Die Entziehung und Verlagerung von Kulturgütern als offene Ver­ mögensfragen, in: Konferenz nationaler Kultureinrichtungen (Hrsg.), Museumsgut und Eigentumsfragen. Die Nachkriegszeit und ihre heutige Relevanz in der Rechtspraxis der Museen in den neuen Bundesländern, Halle 2012, S. 27–36. Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (Gesetz zur Regelung vermögensrechtlicher Fragen infolge der Wiedervereinigung Deutschlands), Ausfertigungsdatum 27.09.1994, im Bundesgesetzblatt I 2624. Vermögensgesetz (Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen), Ausfertigungsdatum 23.09.1990, in der Fassung vom 09.02. 2005 im Bundesgesetzblatt I 205. Vgl. Thomas Rudert, Gilbert Lupfer, Die sogenannte »Schlossbergung« als Teil der Bodenreform, in: Museumskunde 73 (2008), Nr. 1, S. 57–64. Vgl. Gilbert Lupfer, Thomas Rudert, Schlossbergung, Republikflucht, Kunst gegen Devisen, in: Ars pro toto 1 (2016), http://www. kulturstiftung.de/schlossbergung-republikflucht-kunst-gegen-devisen-2/ (abgerufen am 14.03.2022); Thomas Rudert, Die Verkäufe von Werken aus der sächsischen Schlossbergung im Dresdner Albertinum 1946–1950, in: Mathias Deinert, Uwe Hartmann, Gilbert Lupfer (Hrsg.), Enteignet, entzogen, verkauft, Berlin 2022, S. 22–40.

102  Gilbert Lupfer

unabhängig vom Museum von der Landesbodenkommission betrieben und ihre Einnahmen kamen dem Museum nicht zugute. In Halle an der Saale fungierte die Moritzburg als überörtliches Depot und Verteilerstelle für einschlägige Bestände.7 In Berlin existierte damals ein florierender, die Sektorengrenzen ignorierender und überspringender grauer bis schwarzer Kunstmarkt. Viele Stücke aus Schlossbergungsbeständen gelangten über Berlin vermutlich nach Westdeutschland, Zwischenhändler und Abnehmer sind teilweise sogar bekannt.8 Zur Schlossbergung wird objektbezogen und gegebenenfalls restitutionsvorbereitend in vielen Museen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone recherchiert. An einer umfassenden, vergleichenden und länderübergreifenden Darstellung mangelt es aller­ dings noch, genauso wie an Untersuchungen zur Rolle des Kunsthandels bei der Verwertung der Objekte und zu deren die Sektorengrenzen überschreitenden Wegen. Die Frage einer Restitution stellt sich auf der erwähnten gesetzlichen Grundlage des Ausgleichsleistungsgesetzes nur für Museen auf dem Boden der ehemaligen DDR, für West-Museen hingegen besteht, ungeachtet moralischer Aspekte, keinerlei rechtliche Verpflichtung. So konnte es durchaus verwundern, als sich das Bayerische Nationalmuseum in München 2015 dazu entschloss, einen Meißener Porzellanteller (Tafel VII) aus dem sächsischen Schloss Schön­ wölkau an die Erben der Alteigentümer zu restituieren.9 Dieser Teller war 1951 im Schloss­ bergungsdepot Moritzburg in Halle nachweisbar und ging dann wohl über den Kunsthandel an einen Düsseldorfer Privatsammler, bevor er schließlich ins Münchner Museum gelangte.10 Ein weiteres Feld eröffnet sich mit der Tätigkeit der 1953 installierten Tresorverwaltung beim Finanzministerium der DDR. Auch hier liegen bei der Verwertung von Kunstwerken und Antiquitäten Beziehungen nach Westen auf der Hand. Hierzu finden sich Aktenbestände im Bundesarchiv vor, aber noch kaum Forschungen.11 Hinsichtlich der Aktion Licht aus dem Jahr 1962 hingegen steht ein signifikanter Erkenntniszuwachs kurz bevor. Hinter dem Decknamen verbirgt sich die Öffnung Tausender »herrenloser«, seit 1945 nicht mehr geöffneter BankSchließfächer in der gesamten DDR, initiiert und durchgeführt durch das Ministerium für Staatssicherheit im Rahmen einer generalstabsmäßig geplanten Nacht-und-Nebel-Aktion. Hier ging es – möglicherweise neben der Suche nach belastenden Unterlagen zu ehemaligen NSFunktionären – vor allem um die devisenbringende Verwertung der Tresorinhalte. Der Aktion Licht war ein Forschungsprojekt in Kooperation zwischen dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden gewidmet.12 Sensationelle Kunstfunde wurden allerdings nicht gemacht. Wenn es um (zonen)grenzüberschreitende Provenienzfragen geht, dann sind diese meist vor dem Hintergrund der Verwertung von Kunstwerken, Antiquitäten, Büchern und anderen Vgl. Jan Scheunemann, Die Moritzburg in Halle (Saale) als Zentrallager für enteignetes Kunst- und Kulturgut aus der Boden­ reform, in: Provenienz & Forschung 1 (2019), S. 26–33. 8 Vgl. Heike Schroll, Ost-West-Aktionen im Berlin der 1950er Jahre. Potenziale und Grenzen behördlicher Überlieferungen zum Kunst­ handel in der Viersektorenstadt und in der jungen Hauptstadt der DDR, Berlin 2018. 9 Alfred Grimm, Ein Schmetterling kehrt zurück!, in: Aviso 1 (2016), S. 44–47. 10 Ein Pilotprojekt in Kooperation des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste und der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern widmet sich seit Anfang 2021 unter dem Titel »Geschäfte mit dem Osten?« fragwürdigen Provenienzen in bayerischen Museen. 11 Ende 2021 startete ein Kooperationsprojekt des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste mit dem Deutschen Historischen Museum: »Die Abteilung Tresorverwaltung des Ministeriums der Finanzen der DDR als zentrale Verwertungsstelle von Kunstund Kulturgut«. 12 Thomas Widera, Die MfS-Aktion »Licht«, in: Provenienz & Forschung 1 (2019), S. 12–17.

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103  Agieren in Grauzonen

Kulturgütern gegen Devisen zu sehen. Das lässt sich vor allem auf eine Organisation zurückführen, deren klandestines Wirken hier als weiteres potenzielles Forschungsfeld erwähnt sei: Die 1966 etablierte Kommerzielle Koordinierung (KoKo) als Bereich des DDR-Handelsministeriums sollte sich bald wie eine Krake über das Land legen. Der Jurist Ulf Bischof hat mit seiner 2003 erschienenen, grundlegenden Dissertation über die Kunst und Antiquitäten GmbH (KuA), eine 1973 eingerichtete Untergliederung der KoKo, wissenschaftliche Pionierarbeit geleistet,13 der seither relativ wenig nachgefolgt worden ist. Das könnte sich in absehbarer Zeit ändern, denn das Bundesarchiv hat inzwischen die umfangreichen Aktenbestände des Lagers der Kunst und Antiquitäten GmbH in Mühlenbeck bei Berlin erschlossen.14 Hieraus dürften wichtige Impulse für notwendige neue Forschungen resultieren, beispielsweise hinsichtlich der Vertriebswege der KoKo und der KuA oder hinsichtlich der Händlernetzwerke und Endabnehmer außerhalb der DDR. Eine interessante Frage dabei wäre auch, was in der Bundesrepublik tatsächlich über die Provenienzen der via KuA erworbenen Objekte gewusst wurde (oder auch gewusst werden wollte). Allerdings sollte man die Erwartungen an diesen Aktenbestand vor allem aus einem Grunde nicht zu hochschrauben: Es lag naheliegenderweise nicht im Interesse der KuA, die Vorprovenienzen exakt zu dokumentieren, vor allem, wenn es sich – was allerdings keineswegs immer der Fall war – um trübe Quellen handelte. Kurz vor dem Ende der DDR, als die Auflösung der KuA und die Liquidation ihrer Bestände schon feststanden, konnten DDR-Museen dort zu günstigen Konditionen quasi »Restposten« (von meist eher bescheidener künstlerischer Qualität) günstig erwerben. Etliche taten das auch; die Verzeichnung in den Inventarbüchern erlaubt in der Regel keine Rückschlüsse auf die – höchstwahrscheinlich auch nicht bekannten – Vorprovenienzen.15 Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha als ein seinerzeitiger Einkäufer in Mühlenbeck hat sich dazu entschlossen, diese Erwerbungen auf ihrer Website zu publizieren.16 Keineswegs das ganze Geschäftsgebaren der mit der Verwertung von Kunstwerken, Antiquitäten und anderen Kulturgütern befassten Einrichtungen der DDR kann man als moralisch und rechtlich verwerflich qualifizieren, es hat natürlich auch ganz unproblematische Transaktio­ nen gegeben. Doch über das grundsätzlich fragwürdige Geschäftsmodell und die häufig anzutreffende Skrupellosigkeit kann das nicht hinwegtäuschen. Die devisengesteuerten Begehrlichkeiten zielten genauso auf Privatsammler wie auf öffentliche Sammlungen in der DDR. Jede Streichung aus einem Museums- oder Bibliotheksinventar kann allerdings nicht umstandslos zu Lasten der KoKo bilanziert werden, der fragwürdige Verkauf von Museumsstücken erfolgte auch noch über andere Kanäle. So gelangten beispielsweise unabhängig von der KoKo aus Völkerkundemuseen wertvolle Objekte im Zusammenspiel von Mitarbeitern und dem amerikanischen Kunsthändler Everett Rassiga auf den West-Markt, meist getarnt durch vorgebliche Tauschgeschäfte zur Bestandsarrondierung. 13 Ulf Bischof, Die Kunst und Antiquitäten GmbH im Bereich Kommerzielle Koordinierung, Berlin 2003 (Diss. Humboldt-Uni. Berlin, 2002). 14 https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Downloads/Meldungen/20180601-kua-findbucheinleitung.pdf ?__blob= publicationFile (abgerufen am 28.04.2022); Bernd Isphording, Kunstexporte aus der DDR, in: Provenienz & Forschung 1 (2019), S. 36–41. 15 Ein im Laufe des Jahres 2022 beginnendes Kooperationsprojekt des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste und der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden wird sich den einschlägigen Zugängen aus Mühlenbeck im Dresdner Kunstgewerbemuseum exemplarisch widmen. 16 https://www.stiftungfriedenstein.de/sammlungen (abgerufen am 28.04.2022); Friedegund Freitag, Die Stiftung Schloss Frieden­ stein Gotha stellt ihre Bestände der »KoKo Mühlenbeck« online, in: Provenienz & Forschung 1 (2019), S. 53–57.

104  Gilbert Lupfer

Überhaupt die wissenschaftlichen Museumsmitarbeiter: Sie wurden häufig von Staatsorganen als Gutachter herangezogen, beispielsweise wenn Hab und Gut von Ausreisewilligen zu schätzen und Ausfuhrgenehmigungen zu erteilen waren. Das noch auf systematische Untersuchungen wartende Agieren umfasste das ganze Spektrum von vorauseilendem Gehorsam bis zu subtilem Unterlaufen der staatlichen Erwartungen. Von besonderer Ambivalenz war es, wenn sich Museumsdirektoren oder -wissenschaftler im Zuge ihrer Gutachtertätigkeit Stücke für ihr Museum sicherten: Diese wurden damit zwar ihrem Eigentümer entzogen, aber andererseits davor bewahrt, spurlos auf dem Kunstmarkt zu verschwinden. Gelegentlich versuchten sich DDR-Museen auch selbst und im eigenen Interesse als Verkäufer auf dem Westmarkt. Das bedeutendste Beispiel dürfte der Erwerb von Otto Dix’ Kriegstriptychon 1968 durch die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gewesen sein. Nachdem Dix’ Anti-Kriegs-Werk jahrzehntelang als Leihgabe des Künstlers im Dresdner Albertinum ausgestellt gewesen war, forderte es der hochbetagte Dix zurück. Er wollte seinen Nachlass regeln, bot aber einen Verkauf an, gegen D-Mark selbstverständlich. Der Ankauf ließ sich nur finanzieren, indem die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden selbst Bestände devisenbringend veräußerten, unter anderem aus der sogenannten Schlossbergung. Über gut an den Transfers verdienende Zwischenhändler in der Bundesrepublik, der Schweiz und Großbritannien gelangten diese Stücke auf den westlichen Kunstmarkt.17 Private Sammler und Händler gab es – aus West-Perspektive vielleicht überraschender­ weise – auch in der DDR. Ihre Aktivitäten wurden misstrauisch wahrgenommen, bei strenger Beobachtung durch das Ministerium für Staatssicherheit, die Sammlungen waren Objekt staatlicher Begierde. In manchen Fällen kam es zur Verfolgung durch Staatsorgane, um an devisenbringende Kunstwerke zu gelangen. Die Grauzone zwischen Sammlern und Händlern war oft fließend und genau dies wurde staatlicherseits zur Kriminalisierung benutzt. Es wäre unangemessen, private Sammler nur als Opfer zu definieren. Vielmehr gilt es, den kunstsoziologischen Blick auch auf das meist diskrete Handeln dieser besonderen Spezies zu lenken. Von einzelnen Biografien und Fallstudien abgesehen,18 ist noch zu wenig über Ziele, Erwerbungsstrategien, nationale und grenzüberschreitende Netzwerke bekannt. Agieren in Grauzonen – das ließe sich als Titel über privates Kunstsammeln und -handeln in der DDR setzen. Aber er eignet sich darüber hinaus als Titel für das gesamte hier skizzierte Feld, es trifft genauso auf Mitarbeiter des staatlichen Kunsthandels oder auf Museumsmitarbeiter zu. Bezogen auf den Museumssektor lässt sich dies nachvollziehen anhand einer ersten Fallstudie, die der Museumsverband des Landes Brandenburg zusammen mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste durchgeführt hat. Dazu erfolgten in ausgewählten Museen Brandenburgs (in Frankfurt/Oder, Neuruppin, Eberswalde, Strausberg) exemplarische Tiefenbohrungen zur Herkunft des Sammlungsgutes und zu den Erwerbungswegen.19 Ob sich aus den Erkenntnissen eines solchen Forschungsprojektes auch Folgerungen für die Museumspraxis ergeben (direkt gesagt, ob daraus möglicherweise Restitutionen erfolgen könnten), ist eine andere, die Grenzen der Forschung überschreitende Frage. Einleitend wurde skizziert, dass als Grundlage für die Aufarbeitung des Entzugs in der Nachkriegszeit kein 17 Vgl. Birgit Dalbajewa, Otto Dix in der Dresdener Galerie, Dresden 2007, S. 13–22. 18 Einige Fallbeispiele präsentierte die Herbstkonferenz 2020 (»VEB Kunst«. Kulturgutentzug und Handel in der DDR) des Deut­ schen Zentrums Kulturgutverluste. Vgl. dazu den erweiterten Tagungsband: Mathias Deinert, Uwe Hartmann, Gilbert Lupfer (Hrsg.): Enteignet, entzogen, verkauft. Zur Aufarbeitung der Kulturgutverluste in SBZ und DDR, Berlin 2022. 19 Vgl. Alexander Sachse, »…komme nicht mehr zurück in die DDR«, in: Provenienz & Forschung 1 (2019), S. 18–25.

105  Agieren in Grauzonen

soft law in der Art der Washingtoner Prinzipien existiert. Stattdessen gibt es präzise gesetz­ liche Rahmen, die zwar Rechtssicherheit für alle Seiten schaffen, andererseits aber auch bestimmte Ansprüche an die Nachweisführung stellen und kategorisch Fristen setzen. Das kann im Einzelfall für die einstigen Eigentümer von Kunstwerken bzw. ihre Erben enttäuschend und unbefriedigend sein, wenn beispielsweise nicht rechtzeitig berechtigte Ansprüche angemeldet worden sind. Auch bei Forschungen zum West-Handel der KoKo und der KuA werden nach der heutigen Gesetzeslage keine Restitutionen aus möglichen Ergebnissen resultieren können. Dies mag man für fragwürdig halten oder aber im Sinne des Rechtsfriedens für unumgänglich. Forschungen zum Entzug von Kunstwerken und anderen Kulturgütern in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR können nicht nur unter dem Aspekt der Restitution gesehen und evaluiert werden, sondern auch und vor allem unter dem Aspekt der Auseinandersetzung mit der deutschen (und speziell auch der deutsch-deutschen) Geschichte – und das wäre nicht wenig.

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Von »Kunst und Recht« zu »Bild und Recht« Anmerkungen zur Regulierung des Visuellen Thomas Dreier

I. Kunst und Recht Kunst und Recht, Recht und Kunst: Das scheint, sieht man einmal von Spezialmaterien wie dem Kulturgüterschutzrecht und dem Urheberrecht ab, auf den ersten Blick eine eher unwahrscheinliche Kombination. Wenn ich es richtig sehe, ist die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-­Professur, die neben dem bürgerlichen Recht das Kunst- sowie das Kulturgutschutzrecht prominent benennt, die erste und einzige Professur an einer juristischen Fakultät in Deutschland, die in ihrer Benennung Kunst und Recht zusammenbringt. Freilich beschäftigen sich mehrere Kollegen mit Fragen des Kunstrechts, zumal wenn sie im IPR oder dem Urheberrecht zu Hause sind, allen voran Prof. Erik Jayme aus Heidelberg,1 den man mit Fug und Recht als den Doyen des Kunstrechts bezeichnen kann, und Prof. Haimo Schack aus Kiel,2 aber etwa auch Prof. Kurt Siehr aus der Schweiz3 und natürlich der gegenwärtige Inhaber des Bonner Lehrstuhls, Prof. Matthias Weller, der im Rahmen des von ihm und dem Heidelberger Kunstrechtsanwalt Dr. Nicolai B. Kemle gegründeten Instituts für Kunst und Recht (IFKUR) seit über einem Jahrzehnt den Heidelberger Kunstrechtstag organisiert.4

1. Kunst und Recht: ein Gegensatz? Dass Recht und Kunst meist nicht zusammen gesehen werden, dürfte weniger mit einer fehlenden wirtschaftlichen Bedeutung des Kunstrechts zu tun haben, gibt es in juristischen ­Fakultäten

Thomas Dreier ist Leiter des Instituts für Informations- und Wettbewerbsrecht und des Zentrums für Angewandte Rechtswissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Honorarprofessor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie Senior Fellow des Bonner Käte Hamburger Kollegs »Recht als Kultur«. 1 2

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Schriftenverzeichnis von Erik Jayme unter www.ipr.uni-heidelberg.de/md/jura/ipr/personen/jayme/schriftenverzeichnis.pdf. (abgerufen am 19.07.2021). Schriftenverzeichnis von Haimo Schack unter www.ipvr.uni-kiel.de/de/ls_schack/prof.-dr.-haimo-schack/schriftenverzeichnis (abgerufen am 19.07.2021), sowie insbesondere Haimo Schack, Kunst und Recht. Bildende Kunst, Architektur, Design und Fotografie im deutschen und internationalen Recht, 3. Aufl., Tübingen 2017. Insbesondere das von Kurt Siehr mitgestaltete Werk von Klaus Ebling, Marcel Schulze (Hrsg.), Kunstrecht, 2. Aufl., München 2012. https://ifkur.de (abgerufen am 19.07.2021) – Weiterhin mit dem Kunstrecht verbunden sind insbesondere Prof. Gerte Reichelt, die in Wien einen eigenständigen Studiengang eingerichtet hat, sowie RA Dr. Peter Mosimann und Prof. Beat Schönenberger, die vergleichbar dem Heidelberger Kunstrechtstag im Zusammenhang mit der Art Basel ein jährliches Kunstrechtsseminar organisieren. Zunächst als eigenständiges Institut gegründet wurde schließlich das Genfer Centre du droit de l’art, das unter der Leitung von RA Prof. Marc André Renold seit 2009 der Universität Genf eingegliedert ist.

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doch fest etablierte Rechtsgebiete, denen in wirtschaftlicher Hinsicht weit geringere Bedeutung zukommt. Die nur zögerliche Paarung von Kunst und Recht dürfte ihren Grund vielmehr darin haben, dass Kunst und Recht seit jeher als zwei unterschiedliche Sphären gesellschaftlichen Handelns angesehen werden.5 Von Kants Unterscheidung der reinen und der praktischen Vernunft von der ästhetischen Urteilskraft6 über die Trennung des kaufmännisch Gewerblichen vom zweckfrei verstandenen Schöngeistigen im 19. Jahrhundert7 bis hin zur Systemtheorie Luhmanns8 sind Kunst und Recht als unterschiedliche gesellschaftliche Subsysteme mehr oder minder streng geschieden worden. Kunst und Recht verfolgen danach kein gemeinsames Ziel, und es unterscheiden sich Recht und Kunst in nahezu allen ihrer Charakteristika. Recht, jedenfalls wie es uns heute begegnet, übt eine starke regulatorische Funktion aus, gleichviel, ob es ihm um die Verfassung und Organisation des Staates und der öffentlichen Gewalt oder um die Rechtsverhältnisse der Bürger untereinander geht. Je mehr man das Recht nicht abstrakten Gerechtigkeitsvorstellungen verpflichtet sieht, sondern es vielmehr als ein divergierende Interessen ausgleichendes Steuerungsinstrument versteht, das Anreize für ein möglichst zweckrationales Verhalten setzen will, desto größer sind die Anforderungen an die Präzision rechtlicher Definitionen und Normbefehle. Das schlägt sich zum einen in der Detailliertheit nieder, die gerade Gesetze neueren Datums auszeichnet. Zum anderen wird Recht vor allem von der Rechtswissenschaft in Deutschland als ein in sich dogmatisch geschlossenes System betrachtet.9 Kunst dagegen spricht ganz generell die Sinne an, sie zielt auf das Verständnis für ­Bedeutung, sorgt für geistige Erleuchtung und will neue Gedanken hervorrufen oder zumindest schlichtweg Freude verschaffen. Kunstwerke sind daher per definitionem interpretationsoffen10 – ideologisch festgelegte Kunst ist durchweg schlechte Kunst – und weisen daher einen den Rechtsnormen diametral entgegengesetzten Charakter auf. Das unterschiedliche Präzisionsbedürfnis spiegelt sich zugleich in der Textbezogenheit des Rechts ebenso wider wie in der visuellen Medialität von Werken der bildenden Kunst. Die Sprache ermöglicht den hohen Abstraktionsgrad von Rechtsnormen, wie die Unschärfe visueller Repräsentation die Interpretationsoffenheit der Kunstwerke garantiert. Auch weitere Unterschiede lassen sich benennen. So beanspruchen normative Rechtsbefehle eine generelle und teils sogar nationale Grenzen überschreitende Geltung. Die Regeln, nach denen sich Kunstwerke beurteilen, sind jedoch in großem Maß subjektiv und damit personen-, orts- und zeitabhängig. Zur Verabschiedung von Rechtsnormen bedarf es einer zuvor definierten Kompetenzordnung. Das Kunstschaffen hin-

Siehe dazu wie zum Folgenden näher Thomas Dreier, Law and Images – Normative Models of Representation and Abstraction, in: Werner Gephart, Jure Leko (Hrsg.), Law and the Arts – Elective Affinities and Relationships of Tension, Frankfurt/M. 2017, S. 155 ff. 6 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Riga 1781; ders., Critik der practischen Vernunft, Riga 1788; ders., Critik der Urtheilskraft, Berlin u. a. 1790. 7 Erhalten hat sich diese Trennung bis heute in der Bezeichnung des maßgeblichen deutschen Fachverbandes, der Deutschen Verei­ nigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e. V.; auch in Frankreich sind die propriété industrielle und die propriété littéraire et artistique scharf voneinander abgegrenzt. 8 Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1993; und ders., Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997. 9 Siehe nur Christoph Engel, Wolfgang Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, Tübingen 2008; Christian Bumke, Rechtsdogmatik – Eine Disziplin und ihre Arbeitsweise, Tübingen 2017; Rolf Stürner, Das Zivilrecht der Moderne und die Bedeu­ tung der Rechtsdogmatik, in: JuristenZeitung ( JZ) 67 (2012), Nr. 1, S. 10–44. 10 Umberto Eco, Das offene Kunstwerk, Frankfurt/M. 1973. 5

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gegen nimmt für sich Legitimität aus eigenem Grund in Anspruch. Anders formuliert: Das rechtliche System vertraut auf die normative Kraft der Rechtsnorm, die Kunst hingegen lebt in ihrer Innovationskraft vom Prinzip der Grenzüberschreitung. Oder noch einmal anders mit den Worten des griechischen Professors und Direktors des Londoner Birkbeck Institute for the Humanities Costas Douzinas: »Juristen leben mit dem Text, lieben die Vergangenheit und verabscheuen das Neue. Große Kunst hingegen ist, gerade weil sie sich über Konventionen und Regeln hinwegsetzt und auf kreative Freiheit und Phantasie setzt, die Antithese des Rechts«.11

2. Kunst und Recht: Verbindendes Sind Kunst und Recht aber tatsächlich zwei gänzlich verschiedene Institutionen, die in ihrer je­ weiligen Systematik und Begriffsbildung nur wenig Gemeinsames aufweisen? Bei näherer Be­ trachtung ergeben sich jedenfalls nicht wenige Querverbindungen und wechselseitige Bezüge. So ist zunächst auch die Kunst bestimmten Regeln unterworfen. Das gilt sowohl, was die handwerkliche Verfertigung von Kunstwerken anbelangt, als auch, welche Inhalte zu einer bestimmten Zeit erlaubt waren und ins Bild gesetzt werden konnten. Hingewiesen sei hier lediglich auf die präzisen Anleitungen zur handwerklich korrekten Herstellung von Farben und Gemälden, wie sie etwa in dem im frühen 12. Jahrhundert verfassten Werk De diversis artibus des Benediktinermönchs Theophilus Presbyter niedergelegt sind.12 Auch die als selbstverständlich erachtete Regel, dass Stifterfiguren kleiner darzustellen waren als die abgebildeten Heiligen, ist als normative Vorschrift zu nennen. Schließlich waren die Attribute der Heiligen, derer es bedurfte, um die im Bild zu sehenden Personen identifizieren zu können, im Rahmen der christ­lichen Ikonografie durch Konventionen festgelegt.13 Dass Kunst nur sei, was sich innovativ über bestehende Grenzen hinwegsetzt und mithin in scharfen Gegensatz zum normativen Anspruch des Rechts tritt, ist ohnehin eine Auffassung neueren Datums. Sie setzte sich erstmals durch, als sich im 19. Jahrhundert die Impressionisten ganz bewusst von dem an den Kunstakademien gelehrten Regelkanon absetzten. In der Folge waren die sukzessiven Avantgarden programmatisch zwar durchweg dem Neuen verpflichtet. Nachdem die Dada-Bewegung den Versuch unternommen hatte, mit jeglicher künstlerischer Tradition zu brechen, nachdem Kasimir Malewitsch sein Schwarzes Quadrat gemalt und Marcel Duchamp den Weg in die Konzeptkunst gewiesen hatte, war eine linear gedachte Fortschrittsgeschichte der Kunst, wie sie die Moderne entworfen hatte, jedoch an ein Ende gekommen. Seit der Postmoderne herrscht in der Kunsttheorie wieder ein zirkuläres Verständnis der Weiterentwicklung von Kunst und künstlerischem Schaffen vor. Angenommen wird nicht länger, dass neue Kunstwerke die Regeln der jeweils zuvor geschaffenen Werke überwinden und außer Kraft setzen, sondern dass sie ihre eigene Qualität dadurch entwickeln, dass sie Vorheriges

Costas Douzinas, Introduction, in: Costas Douzinas, Lynda Nead (Hrsg.), Law and the Image – The Authority of Art and the Aesthetics of Law, Chicago 1999, S. 1 (»lawyers live by the text and love the past, they hate novelty … Great art, on the other hand, precisely because it breaks away from conventions and rules, and expresses creative freedom and imagination, is the antithesis of law.«). 12 Zur Übersetzung und Kommentierung siehe Erhard Brepohl, Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk, 2. Aufl., Köln 2013. 13 Siehe Hiltgart Leu Keller, Lexikon der Heiligen und biblischen Gestalten. Legende und Darstellung in der bildenden Kunst, 10. Aufl., Stuttgart 2005; Engelbert Kirschbaum (Hrsg.), Lexikon der christlichen Ikonografie, Rom u. a.1968. 11

109  Von »Kunst und Recht« zu »Bild und Recht«

aufnehmen und variieren und subtile Differenzen aufzeigen.14 Nicht zuletzt aufgrund der globalen Auffächerung des künstlerischen Schaffens stehen Tradition und Innovation in der Kunst heute in einem weit komplizierteren Verhältnis zueinander als seinerzeit die akademische Kunsttradition und die dagegen gerichtete impressionistische Auflehnung. Das führt zu dem Schluss, dass sich künstlerisches Schaffen heute zwar durchweg mit der normativen Grenzlinie von Bestehendem und Neuem auseinandersetzen muss, dass aber gerade deshalb eine inhärente Beziehung von Kunstschaffen und Normativität besteht. Aber auch das Recht ist nicht ganz so autopoietisch gegenüber der Kunst abgeschottet, wie die systemtheoretische Beschreibung von Niklas Luhmann glauben lassen mag. Zwar trifft es zu, dass juristische Schlussfolgerungen allein nach den Regeln binnenjuristischer Dogmatik produziert werden. Das heißt aber noch nicht, dass zwischen Recht und anderen Subsystemen der Gesellschaft keinerlei Verbindungen bestünden. An mehreren Stellen verweist das Recht durchaus auf Begriffe, Entscheidungen und Sachverhalte außerhalb seiner eigenen Kompetenz, die dann tel quel in den juristischen Argumentations- und Entscheidungsdiskurs übernommen werden. Als Beispiele genannt seien nur die »für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Verkehrskreise«, auf die es nach der Rechtsprechung zur Feststellung der für den urheberrechtlichen Schutz erforderlichen Individualität eines Werkes ankommt. Beim urheberrechtlichen Folgerecht, also dem Anspruch von Künstlern auf eine Beteiligung am Weiterverkaufserlös ihrer Werke im Kunsthandel und bei Versteigerungen, verweist der europäische Gesetzestext explizit auf Exemplare, »die als Originale von Kunstwerken angesehen werden«. Aber auch methodische, nicht dogmatische Herangehensweisen an das Recht, wie insbesondere die ökonomische Analyse und auch die Rechtssoziologie, plädieren dafür, außerrechtliche Definitionen, Zusammenhänge und Erkenntnisse im rechtlichen Gesetzgebungs- und Entscheidungsdiskurs zu berücksichtigen. Das führt zu der entscheidenden Frage, wem – dem Gesetzgeber bzw. Richter oder der externen Instanz – insoweit die Definitionsund Entscheidungskompetenz zukommen soll.15 Kunstrecht vermag hier also durchaus als »Brückenschlag zwischen den so verschiedenen Gebieten«16 von Kunst und Recht zu wirken. Auch weitere strukturelle wie institutionelle Parallelen zwischen Kunst und Recht sind zu konstatieren. Institutionen sowie Regeln im normativen und im ästhetischen Bereich mögen sich unterscheiden, doch finden sich sowohl Institutionen als auch Regeln in beiden Gebieten. Nicht nur das Recht, sondern auch die Kunst kennt einen Kanon von Werken, wird in Hochschu­ len unterrichtet und in Zeitschriften diskutiert. Eine weitere Verschränkung besteht darin, dass sich manche Juristen mit den Regeln hinsichtlich der Kunst befassen, wie spiegelbildlich manche Künstler in ihren Werken rechtliche Zusammenhänge und Fragestellungen thematisieren. Bislang nur wenig ausgeleuchtete Querverbindungen bestehen auch bei denjenigen Künstlern, 14 Siehe nur etwa Pia Müller-Tamm, Die Kunst der Wiederholung und das Museum: Vorwort, in: Déjà-vu? – Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis Youtube, hrsg. von Ariane Mensger (Ausst-Kat. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, 21. April bis 5. August 2012), Karlsruhe u. a. 2012, S. 19–24; sowie Wolfgang Ullrich, »Ein Original vom Original«, in: Déjà-vu? – Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis Youtube, hrsg. von Ariane Mensger (Ausst-Kat. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, 21. April bis 5. August 2012) Karlsruhe u. a. 2012, S. 19–24. und 25–29. Parallel dazu mit einem spekulativen materialistischen, kunstphilosophischen Ansatz, nach dem nichts notwendige Folge eines Vorhergehenden, sondern alles kontingent ist, Quentin Meillssoux, Après la finitude – Essai sur la nécessité de la contingence, Paris u. a. 2006. 15 Siehe dazu Nicole Fallert, Definitionskompetenz – Wer entscheidet, was als Kunst gilt?, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) 8 (2014), S. 719–724, hier: S. 719 ff. 16 Erik Jayme, Kunstrecht und Kunstgeschichte, in: ders., Barbara Schock-Werner, Kunstrecht und Kunstgeschichte , Köln 2017, S. 9 ff., 10, 15 f.

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die wie E.T. A. Hoffmann, Heinrich Heine und Anselm Kiefer, aber auch Cicero, Montesquieu und Goethe in ihrer jeweiligen Anfangszeit zumindest juristische Studien betrieben haben, wenn sie nicht gar voll ausgebildete Juristen waren.17 Nur nebenbei: Dem nachzugehen würde ein wunderbares Dissertationsthema abgeben. Und schließlich: Auch wenn Recht zumeist als bilderfeindliche Textwissenschaft apostrophiert wird, finden sich doch auch im Recht eine Reihe von Bildern, wie umgekehrt das Recht in einer Reihe von Bildern thematisiert wird. Dass das Recht nicht so bilderfeindlich ist, wie ihm zumeist unterstellt wird, wird besonders deutlich, wenn man den Bildbegriff nicht auf visuelle Bilder beschränkt, sondern von ihm auch mentale Bilder umfasst sieht und mithin auch die Sprachmetaphorik rechtlicher Texte wie auch die den Rechtsbegriffen selbst zugrunde liegenden Bilder mitberücksichtigt.

II. Bild und Recht Das bringt mich zum zweiten Teil, mit dem der Blick von »Kunst und Recht« zu »Bild und Recht« übergehen und erweitert werden soll. Freilich haben die Geldgeber für die Denomination des Lehrstuhls nicht ohne Grund die Bezeichnung »Kunst- und Kulturgutschutzrecht« gewählt. Im Mittelpunkt stehen das neue Kulturgutschutzgesetz und mithin die rechtlichen wie moralischen und kulturhistorischen Fragestellungen der Nationalität von Kunstwerken, der ­Identitätsbildung und Geschichtsschreibung ebenso wie Fragen des einfachgesetzlichen und des verfassungsrechtlich garantierten Eigentumsrechts. Das zielt – im Zusammengehen mit den beiden anderen kunstgeschichtlichen Professuren – vor allem auf Fragen der Provenienz von Kunstwerken ab, die in der Vergangenheit unter zweifelhaften Umständen entwendet beziehungsweise aus ihrem angestammten Umfeld herausgelöst und in andere Hände verbracht worden sind. Dennoch gibt es, so meine ich, gute Gründe, nicht allein die klassische Kunst und die ihr zuzurechnenden Werke in den Blick zu nehmen, sondern ganz allgemein auf Bilder abzustellen, wenn die Regulierung des Visuellen in Augenschein genommen werden soll.

1. Von »Kunst und Recht« zu »Bild und Recht« Zunächst einmal besitzen Werke der bildenden Kunst jeweils eine visuell wahrnehmbare Form. Kunstwerke lassen sich daher problemlos als »Bilder« verstehen, vorausgesetzt freilich, man will den Bildbegriff nicht auf »Flachware«, also auf lediglich zweidimensionale Werke, beschränken. Nur als Exkurs sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass sich vom Bildbegriff ausgehend auch das Problem lösen lässt, welches das Urheberrecht mit der Akzeptanz von Werken der Konzeptkunst und der Appropriation Art hat. Deren urheberrechtliche Schutzfähigkeit wird bekanntlich zumeist deshalb verneint, weil die für Werke der bildenden Kunst erforderliche Formgebung bei Readymades wie bei Werken der Appropriation Art nicht von demjenigen herrührt, der das Readymade vorstellt bzw. der das fremde Werk appropriiert hat. 18 Damit aber bleiben nach traditioneller Auffassung gerade die Ikonen der Kunst des 20. Jahrhunderts

17 Siehe Frank Stiens, Vom Recht zur Kunst – 14 Porträts unvergänglicher Künstler, die zuvor Juristen waren, o.O. 2012. 18 So in besonderer Deutlichkeit Haimo Schack, Appropriation Art und Urheberrecht, in: Ulrich Loewenheim (Hrsg.), Urheberrecht im Informationszeitalter, Festschrift für Wilhelm Nordemann zum 70. Geburtstag, München 2004, S. 107–114; für die Berück­ sichtigung eines »inneren« Abstandes, jedoch nach wie vor auf die Bildlichkeit abstellend Anna Blume Huttenlauch, Appropriation

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schutzlos. Vermeiden lässt sich dieses Ergebnis, wenn man darauf abstellt, dass es bei Readymades, Appropriation Art und Konzeptkunst weniger um die konkrete visuelle Form des jeweils vorgestellten Gegenstandes geht als vielmehr um das damit verbundene Konzept. Dass letzteres in vielen Fällen erst im Wege sprachlicher Erklärung deutlich gemacht werden muss, ist von Kritikern dieser Kunstrichtungen oft beklagt worden, weist jedoch darauf hin, dass die urheberrechtliche Einordnung der genannten Werke nicht als »Bilder« und mithin als Werke der bildenden Kunst angezeigt erscheint, sondern ihre Subsumption unter die Sprachwerke. In jedem Einzelfall zu prüfen ist dann freilich noch, ob das betreffende Konzept als Text die urheberrechtliche Schöpfungshöhe erreicht und nicht lediglich eine schutzunfähige bloße Idee darstellt. Doch zurück zu der Frage, warum die Bilder als Bezugsobjekte für das Zusammengehen von Recht und Kunst geeigneter erscheinen als die Kunst. Wie der Kunsthistoriker Hans ­Belting in seinem Opus magnum Bild und Kult in dessen Untertitel angezeigt hat, gab es Bilder auch bereits vor dem Zeitalter der Kunst.19 Gemeint ist damit, dass Artefakte nicht per se als Kunst qualifizieren, sondern lediglich zu einer bestimmten Zeit als Kunstwerke angesehen werden. Wenn es aber Bilder vor dem Zeitalter der Kunst gegeben hat, dann liegt die Annahme nahe, dass es auch Bilder nach dem Zeitalter der Kunst geben wird. Schon heute sind die Studenten der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, um nur ein Beispiel anzuführen, nicht mehr daran interessiert, »Kunst« zu machen. Ihnen geht es schlicht darum, etwas Kreatives zu »machen«, meistens in Form kommunikativer und interaktiver Akte, bei denen durchaus Artefakte entstehen können, aber nicht entstehen müssen, bei denen jedoch immer etwas sichtbar wird.20 In den gegenwärtigen Zeiten digitaler Vernetzung gibt es schließlich einen weiteren Grund, nicht allzu eng auf eine elitär verstandene Hoch-Kunst zu fokussieren. War es früher nämlich nur gelernten Kunsthandwerkern vorbehalten, Artefakte zu produzieren, denen die Gesellschaft das Etikett der Kunst angeheftet hat, ist visuelles Kunstschaffen aufgrund der demokratischen Verbreitung digitaler Kameras und vor allem der allgegenwärtigen Smartphones nicht mehr allein Künstlern vorbehalten, sondern auch der großen Zahl derjenigen, die man früher abschätzig als Amateure bezeichnet hatte. Angesichts der immensen Bedeutung, die Bildern in der gesellschaftlichen Kommunikation zukommt, sollte das Phänomen des user-generatedcontent nicht allzu leichtfertig ausgeblendet bleiben. Auch das lässt es meines Erachtens angezeigt erscheinen, sich mit dem Recht und der rechtlichen Regulierung nicht nur von Kunst, sondern ganz generell auch der Bilder zu befassen.

2. Die Regulierung der Bilder Die Erweiterung des Blicks von Kunstwerken auf alle Bilder eröffnet zugleich eine Reihe weite­ rer Perspektiven und Fragestellungen, die auch für das Verhältnis von Kunst und Recht fruchtbar gemacht werden können. Nimmt man nämlich die Regulierung der Bilder in den Blick, hat man es nicht nur mit einem genitivus objectivus zu tun, sondern zugleich mit einem genitivus subjectivus. Es geht also nicht

Art – Kunst an den Grenzen des Urheberrechts, Baden-Baden 2010; siehe auch Veronika Fischer, Digitale Kunst und freie Benutzung – Systematisierung und Flexibilisierung, Baden-Baden 2018, S. 33 ff. 19 Hans Belting, Bild und Kult – Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990. 20 Diesen Hinweis verdanke ich Wolfgang Ullrich, der von 2006 bis 2015 an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe eine Pro­ fessur innehatte.

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allein um Bilder – und mithin um Kunstwerke – als Objekte einer normativen Regulierung. Vielmehr geht von den Bildern beziehungsweise den Kunstwerken als Subjekten ebenfalls eine normative Wirkung aus. Dies ist eine weitere Verschränkung von Recht und Kunst beziehungsweise Bild, auf die man bei der bloßen Frage nach den Rechtsnormen, die auf Sachverhalte im Zusammenhang mit Kunst und Bildern zur Anwendung kommt, nicht ohne weiteres stößt. Diese Verschränkung des Normativen mit dem Visuellen wirkt in beide Richtungen. Zum einen geht es – wie soeben angedeutet – um die normative Kraft, die nicht allein Rechtsnormen, sondern auch die Bilder zu entfalten vermögen. Zum anderen können auch Rechtsnormen meines Erachtens durchaus als Bilder verstanden werden. Lassen Sie mich das kurz ausführen. Bei der Frage nach der Bildhaftigkeit von Rechtsnormen geht es nicht allein um die Verwendung sprachlicher Metaphern in Rechtstexten, also in Gesetzen, Urteilen und der rechtswissenschaftlichen Literatur. Zu berücksichtigen ist ebenfalls, dass im Recht verwandte Begriffe wie »Kunst« und »Bild«, die in der grundgesetzlichen Kunstfreiheit oder in den Vorschriften des Kunsturhebergesetzes vorkommen, zunächst einer Vorstellung und Definition dessen bedürfen, was denn nun eigentlich als Kunst und was als ein Bild zu verstehen ist. Mit anderen Worten: Die Definition und Begrifflichkeit visueller Erscheinungen geht rechtstheoretisch deren normativer Erfassung voraus. Vor allem aber zielt die Frage nach Bildhaftigkeit von Rechtsnormen darauf ab, inwieweit den textförmlichen Rechtsnormen selbst Bilder zugrunde liegen. Meines Erachtens wird man die Frage nach der Bildhaftigkeit von Rechtsnormen dann bejahen können, wenn man den in den Bild- wie auch den Rechtswissenschaften bislang nicht verwandten Begriff des Modells einführt.21 Nach der Abbildtheorie, die der gängigen Definition dessen zugrunde liegt, was ein Modell ausmacht, handelt es sich bei einem Modell um ein Abbild der Wirklichkeit, das die ungleich komplexere Wirklichkeit um diejenigen Merkmale reduziert, die aus der Sicht der jeweiligen Fragestellung für unwesentlich erachtet werden. Ziel der Modellbildung ist die Reduktion und Abstraktion von Wirklichkeit, um für den zu untersuchenden Zusammenhang als grundlegend erachtete Strukturen heraus zu präparieren, um deren Funktionsweise besser verstehen und handhabbar machen zu können. Als Abbild von etwas lassen sich Modelle in einem weiteren Sinn durchaus als den Bildern zugehörig verstehen. Zugleich sind Modelle immer auch Modelle für etwas.22 Genau diese Aussagen treffen auch auf Rechtsnormen zu: Es wird der zu beurteilende Sachverhalt nicht anhand konkreter Geschehensabläufe, sondern abstrakt in der Rechtsnorm erfasst und dabei die bunte und dreidimensionale Wirklichkeit um alle aus rechtlicher Sicht für unwichtig gehaltenen Elemente reduziert und in die zwei-, wenn nicht gar eindimensionale sequenzielle Sprachform des Normsatzes überführt. Um erneut Douzinas zu zitieren: Es basiert das Recht »auf einem entfernenden oder reinigenden Vorgehen«.23 Zugleich ist die Rechtsnorm nicht nur Abbild von etwas, sondern sie ist auch zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks formuliert. Um es am Beispiel der zivilrechtlichen Schadensersatznorm des § 823 Abs. 1 BGB zu erläutern: Die Tatbestandsmerkmale »Wer«, »vorsätzlich/fahrlässig«, »Leben, Körper, Gesundheit« u.a., »eines anderen«, »widerrechtlich«, »verletzen« sowie die Rechtsfolge »Schadensersatz« sind die aus der Wirklichkeit

21 Dazu näher Thomas Dreier, Bild und Recht – Versuch einer programmatischen Grundlegung, Bild und Recht, Baden-Baden 2019, S. 377. 22 Bernd Mahr, Modellieren – Beobachtungen und Gedanken zur Geschichte des Modellbegriffs, in: Sybille Krämer, Horst Brede­ kamp (Hrsg.), Bild – Schrift – Zahl, München 2003, S. 59–86, hier: S. 59 ff. 23 Douzinas, Introduction, in: Douzinas/Nead 1999 (wie Anm. 11), S. 3 f. (»predicated upon a cleansing or purificatory operation«); ähnlich Johann Braun, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Tübingen 2011, S. 45 und 381 ff.

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abstrahierten Parameter, die das Ideal des rechtlich Gesollten umschreiben und die zugleich aufgrund der der Norm innewohnenden normativen Kraft darauf hinwirken, dass das in der Norm modellhaft abgebildete rechtlich Gesollte in die Wirklichkeit zurückgespiegelt wird. Versteht man also Rechtsnormen als Modelle und mithin als Bilder, dann lassen sich Aussagen über sie nicht allein mit dem Instrumentarium der juristischen Dogmatik, sondern auch unter Heranziehung der Methoden der Bildwissenschaften treffen. Was schließlich die normative Kraft anbelangt, die nicht allein Rechtsnormen, sondern auch Bilder zu entfalten vermögen, so dürfte diese Frageperspektive den Juristen zunächst eher fremd vorkommen. Am ehesten noch ruft sie die seinerzeitige Debatte um die W ­ erbekampagne 24 der Firma Benetton mit Bildern vom Leid anderer in Erinnerung, wie auch die noch nicht beendete Debatte um das von Werbung und Modeindustrie transportierte Rollenbild der Frau. Die Problematik ist jedoch weit älter und zugleich umfassender. So hatte die Erfindung der Zentralperspektive zur Folge, dass der Bildgeber dem Betrachter innerhalb des Bildraumes einen bestimmten Punkt zuweist, von dem aus – und nur von dem – der Betrachter das Bild betrachten kann, gleichviel, aus welchem Winkel und aus welcher Distanz der Betrachter ein zentralperspektivisch konstruiertes Bild anblicken mag. Aber auch ganz generell lösen Bilder beim Menschen aufgrund von dessen anthropologischer Konditionierung als visuelle Störungen stabil memorierter Umweltmuster einen neurophysiologischen Aufmerksamkeitsreflex aus. Die Musterveränderung könnte ja von einem Tiger herrühren, der im Unterholz des Waldes zum angreifenden Sprung ansetzt. Diese den Bildern innewohnende, den Blick des Betrachters herausfordernde Kraft hat einige Kunstwissenschaftler in jüngerer Zeit dazu veranlasst, den Bildern ein eigenes Agens zuzuschreiben.25 Damit ist genau diese Eigenleistung der Bilder benannt, Handlungen des Betrachters zu provozieren, herauszufordern und zu erzeugen. Oder anders formuliert: Bildern kommt die Eigenschaft zu, aufgrund des von ihnen ausgehenden Appells an den Sinnesapparat des Betrachters normativ auf den Betrachter einzuwirken. Aber auch unabhängig davon, ob man den Bildern ein eigenes Agens und mithin normative Kraft zuschreiben will oder nicht, hat die Massenhaftigkeit der heutigen fotografischen Bilder zur Folge, dass Betrachter oft Gesehenes als »normal« erachten, und aus dem gesehenen »Normalen« eine diesem entsprechende Norm ableiten. Auch insoweit lässt sich eine den Bildern innewohnende normative Kraft ausmachen. Dass derartige Schlüsse vom »Normalen« auf eine »Norm« die bloße Häufigkeit des Gesehenen mit dessen moralischem Inhalt verwechseln und so aus philosophischer Sicht einen Kategorienfehler begehen, steht freilich auf einem anderen Blatt.

III. Coda: Von »Law and Literature« zu »Law and Image« Kurz zusammengefasst: Ich will meine Ausführungen verstehen als ein Plädoyer für eine umfassende Erforschung des Verhältnisses von »Bild und Recht«, ganz so wie die »Law and Litera24 BGH, Urteile vom 6.7.1995, I ZR 239/93, NJW 1995, 2488 – Ölverschmutzte Ente, und vom 6.12.2001, I ZR 284/00, ZUM-RD 2002, 232 – »H.I.V. POSITIVE« II, sowie dazu Beschluss des BVerfG vom 11.3.2003, 1 BvR 426/02, BVerfGE 102, 347 – Benetton-Werbung. 25 James Elkins, The Object Stares Back – On the Nature of Seeing, New York u. a. 1996, S. 46 ff.; W. J. T. Mitchell, What do pictures want?, dt. »Das Leben der Bilder – Eine Theorie der visuellen Kultur«, München 2008, S. 46 ff.; Horst Bredekamp, Theorie des Bildaktes, Frankfurt/M. 2010, S. 20 ff.

114  Thomas Dreier

ture«-Bewegung sich bereits in einer Vielzahl von Beiträgen dem Verhältnis von Recht und Literatur unter den Blickwinkeln von Recht als Literatur und Recht in der Literatur gewidmet hat. Parallel dazu würde es bei »Recht und Bild« – also »Law and Image« – darum gehen, jenseits der Regulierung der Bilder durch das Recht umfassend den Fragen von Recht im Bild über Recht als Bild bis hin zu Bildern als Recht nachzugehen.26 Im Dreieck von Bilderzeugung und Bildgebrauch, technologischer Entwicklung sowie rechtlicher Regulierung lässt sich aus den hier skizzierten Fragestellungen – so steht zu hoffen – ein besseres Verständnis dessen gewinnen, wie die Wirklichkeit durch die technologiegesteuerten Bilder gestaltet wird, auf welche Weise die durch Bilder veränderte Wirklichkeit auf den Entwurf neuer Bilder zurückwirkt, und welche Funktion dem gegenwärtig noch immer einseitig an Sprache gebundenen Recht bei dieser Konstruktion von Wirklichkeit und mithin des Menschenbildes zukommt. Aufgrund der genannten Verschränkungen sollten und können diese Fragen nur im interdisziplinären Zusammenwirken von Rechts- und Kunst- beziehungsweise Bildwissenschaften angegangen werden. Als Mitherausgeber der im NOMOS-Verlag erscheinenden Reihe Schriften zum Kunst- und Kulturrecht und zugleich der ebenfalls im Verlag NOMOS erscheinenden neuen Reihe Bild und Recht – Studien zur Regulierung des Visuellen ist Prof. Weller mit seinem Lehrstuhl dazu bestens aufgestellt. In diesem Sinne wünsche ich dem Stiftungslehrstuhl wie insbesondere der Forschungsstelle Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht (FPK) eine erfolgreiche Arbeit und freue mich auf eine weitere fruchtbringende Zusammen­ arbeit.

26 Ausführlicher dazu Dreier 2019 (wie Anm. 21), S. 377; in Teilen bereits ders., Bilder und die Werkzeuge des Rechts – Normative Bilderregeln und Visual Images, in: Matthias Weller, Nicolai Kemle (Hrsg.), Kultur im Recht – Recht als Kultur. Tagungsband des Neunten Heidelberger Kunstrechtstags am 30. und 31. Oktober 2015, 1. Aufl., Baden-Baden u.a. 2016, S. 113 ff.

115  Von »Kunst und Recht« zu »Bild und Recht«

Bildnachweise

Abbildungen Ulrike Saß Abb. 1  aus: Virgile Josz, Les Grandes Ventes. La Collection Émile Pacully, in: Les Arts 16, 1903, S. 35; Abb. 2  aus: L’Éclaireur du dimanche illustré 473, 19. März 1933, S. 18, https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k9810943w (abgerufen am 20.10.2021); Abb. 3  aus: Auktionskat., Collections John Jaffé, Halle du Savoy, Nizza, 12./13. Juli 1943: NARA (fold3), World War II, Holocaust Collection, M1944, Roberts Commission – Protection of Historical Monuments, Reports: Liaison-British, S. 19, https:// www.fold3.com/image/270043315 (abgerufen am 20.10.2021); Abb. 4  BArch, Koblenz, B323/660, München-Nummer: 7492, https://www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_ccp.php?seite=9 (abgerufen am 20.10.2021). Christoph Zuschlag Abb. 1  aus: Kunsthistorisches Museum Wien (Hrsg.), Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien. Verzeichnis der Gemälde, Wien 1991, Umschlag. Foto: Jean-Luc Ikelle-Matiba; Abb. 2  aus: Kunsthistorisches Museum Wien (Hrsg.), Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien. Verzeichnis der Gemälde, Wien 1991, S. 36 (Detail). Foto: Jean-Luc Ikelle-Matiba. Abb. 3 Creditline: ÖNB/Wien Bildarchiv 434.475-B. Foto: Brigitta Zessner-Spitzenberg; Abb. 4 aus: Christoph Zuschlag, Das Schicksal von Chagalls »Rabbiner«. Zur Geschichte der Kunsthalle Mannheim im National­sozialismus, in: Stadtarchiv Mannheim (Hrsg.), Mannheim unter der Diktatur 1933–1939. Ein Bildband, Mannheim 1997, S. 190. Foto: Jean-Luc Ikelle Matiba. Antoinette Maget Dominicé Abb. 1  Creditline: Brockie, Robert Ellison 1932: Great moments in N.Z. history – Signing the Treaty of Waitangi, in: National Business Review, 8 February 1982. Foto: National Business Review Ltd. Brockie, Robert Ellison 1932: Great moments in N.Z. history – Signing the Treaty of Waitangi, in: National Business Review, 8 February 1982. Ref: A-314-2-003. Alexander Turnbull Library, Wellington, New Zealand; Abb. 2  Creditline: MNHN_JC Domenech. Foto: Jean-Christophe Domenech, Musée de l’Homme. Meike Hoffmann Abb. 1  Gutenberg-Museum Mainz, Bibliothek; Abb. 2  aus: Haus der Sammlungen Rudolf Mosse, Berlin 1932, unpaginiert; Abb. 3 aus: Kunstsammlung Rudolf Mosse, Berlin, Rudolph Lepke‘s Kunst-Auctions-Haus (Katalog Nr. 2075), 29./30. Mai 1934, Berlin 1934, Tafel 11; Abb. 4  Forschungsdatenbank MARI (Freie Universität Berlin), http://www.mari-portal.de/details/832 (abgerufen am 06.10.2019).

Farbtafeln Tafel I  Foto: Rich Sanders, Des Moines; Tafel II  Creditline: Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie; Tafel III Creditline: KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien; Tafel IV und V  Creditline: Kunstmuseum Basel, mit einem Sonderkredit der Basler Regierung erworben. Foto: Martin P. Bühler, VG Bild-Kunst, Bonn 2022; Tafel VI  https://www.mari-portal. de/ (abgerufen am 30.06. 2021); Tafel VII  Creditline: Bayerisches Nationalmuseum München. Fotos: Karl-Michael Vetters.

117  

I  Francisco de Goya, Manuel García de la Prada, Öl auf Leinwand, 236,5 × 154,3 cm, 1805–1808, Des Moines (Iowa), Art Center, Inv.-Nr. 1953.15.

119   Farbtafeln

II  Pieter Bruegel d. Ä., Turmbau zu Babel, 1563, Öl auf Eichenholz, 114 × 155 cm, Gemäldegalerie des Kunsthistorischen ­Museums Wien, Inv.-Nr. 1026.

120   Farbtafeln

III  Quetzalfeder-Kopfschmuck (auch: Federkrone des Montezuma), um 1515, Federn von Quetzal, Kotinga, Rosalöffler, ­Cayenne-Fuchskuckuck, Eisvogel; Holz, Rohrspäne, Fasern, Papier, Baumwolle, Leder, Gold, Messing, Farbe, 116 × 175 cm, Weltmuseum Wien, Inv.-Nr. 10402.

121   Farbtafeln

IV  Marc Chagall, Die Prise (Rabbiner), 1923–1926, Öl auf Leinwand, 116,7 × 89,2 cm, Kunstmuseum Basel, mit einem ­Sonderkredit der Basler Regierung erworben 1939, Inv.-Nr. 1738.

122   Farbtafeln

V  Tafel IV, Rückseite.

123   Farbtafeln

VI  Mosse Art Research Initiative (MARI), Startseite des MARI-Portals (Logoentwicklung: Stan Hema, Webdesign: Jan Lindenberg).

124   Farbtafeln

VII  Teller mit glattem Rand und Schmetterlings-Dekor, Inv.-Nr. ES 1218, Foto-Nr. D38277, Foto-Nr. D38278.

125   Farbtafeln

Personenverzeichnis

Bady, Jean-Pierre  87 Banksy 11 Barron, Stephanie  51 Beckmann, Max  80 Belting, Hans  112 Beltracchi, Wolfgang  77 Binder, Moritz Julius  95 Bischof, Ulf  104 Bondi-Jaray, Lea  81, 82, 87 Breughel der Ältere, Jan  37 Bruegel der Ältere, Pieter  49 Cassirer, Paul  96 Chagall, Marc  51, 80 Cicero, Marcus Tullius  111 Constable, John  40 Cook, James  60 Cordez, Philippe  31 Coulibaly, Abdou Latif  64 Courbet, Gustav  37 Dauzats, Adrien  57 Dix, Otto  105 Douzinas, Costas  109, 113 Duchamp, Marcel  109 Dürer, Albrecht  32 Durand-Ruel, Paul  36 Dyck, Anthonia van  40 Eizenstat, Stuart  28, 79, 83, 84 El Greco  36 El Hadj Oumar Tall  63 Elsen, Albert  28 Feigenbaum, Gail  31 Ferdinand II., Erzherzog von Tirol  50 Ferdinand VII., König von Spanien  34 Fernández de Moratín, Leandro  34 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich  48 Freund, Julius  95 Freudenheim, Tom  87 García de la Prada, Manuel  32, 33, 34, 35, 37, 41, 43, 44 García de la Prada, María Concepción  34 García Escribano, María Teresa  34 Gehrer, Elisabeth  85 Göring, Hermann  95

127  

Goethe, Johann Wolfgang von  111 Goya, Francisco de  32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 41, 42, 43, 44 Grégoire, Abbé  58 Grosshennig, Wilhelm  42, 43 Grütters, Monika  15, 17, 18 Guardi, Francesco  40 Gurlitt, Cornelius  80 Gurlitt, Fritz  96 Gurlitt, Hildebrand  17, 18, 75, 80, 88, 101 Haro, Étienne-François  38 Haro, Henri  38 Heine, Heinrich  111 Hitler, Adolf  42, 80 Hoffmann, E.T.A.  111 Huemer, Christian  98 Hüttemann, Rainer  12 Ilbert, Adrian  28 Ildefons von Toledo, Heiliger  37 Jaffé, Anna Emily  38, 39, 40, 41, 44 Jaffé, John (Joseph)  38, 39, 40, 41, 44 Janin, Jules  57 Jauß, Steffen M.  71 Jayme, Erik  107 Kant, Immanuel  108 Karl IV., König von Spanien  37 Karl VI., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 48 Kemle, Nicolai  7, 107 Kiefer, Anselm  111 Kline, Thomas  87 Koch, Ernst  28 Koch, Otto  28 Korte, Willi  82, 87 Kurtz, Michael  83 Lachmann-Mosse, Felicia  92 Lachmann-Mosse, Hans  92, 96 Lafond, Paul  35, 37 Lauder, Ronald  83 Leach, James  83, 85 Lefort, Paul  36, 37 Leopold, Rudolph  81 Louis-Philippe I., König von Frankreich  35 Lowry, Glenn D.  82, 83

Luhmann, Niklas  108, 110 Macron, Emmanuel  62, 65 Malewitsch, Kasimir  109 Marquard, Odo  47 Martin, Michel  42 Masne de Chermont, Isabelle le  87 Matisse, Henri  80 Mbembe, Achille  15 Meegeren, Han van  77 Memling, Hans  37 Merryman, John Henry  27, 28 Michelangelo 32 Mikva, Abner  85 Millin, Aubin-Louis  58 Montebello, Philippe de  85 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat de  111 Montezuma II., Herrscher der Azteken  49, 50, 51 Morgenthau, Robert  82 Mosimann, Peter  107 Mosse, Rudolph  91, 92, 93, 94, 96, 97 Müntz, Eugène  36 Napoleon I., Kaiser von Frankreich  39, 44, 58 Neuzil, Walburga (Wally)  81, 82, 83, 85 Pacully, Émile  35, 36, 37, 38 Papier, Hans-Jürgen  29 Penn, William  79 Pfeiffer-Poensgen, Isabel  21 Picasso, Pablo  80

128   Personenverzeichnis

Powell, Earl  83 Presbyter, Theophilus  109 Rassiga, Everett  104 Reichelt, Gerte  27, 107 Reist, Inge  31 Renold, Marc André  107 Rembrandt 40 Rubens, Peter Paul  37, 95, 96 Ruiz de la Prada, Manuel  34, 35 Sarr, Felwine  64, 65 Savoy, Bénédicte  9 Schacht, Hjalmar  95 Schiele, Egon  79, 80, 81, 85 Schindler, Jakob Emil  96 Schönenberger, Beat  107 Schulte, Eduard  96 Siehr, Kurt  107 Smyth, Craig  83 Stahl, Fritz  96 Stauffer-Bern, Karl  95, 96 Stern, Max  100 Stokes, Hugh  37 Storffer, Ferdinand  48 Thiemeyer, Thomas  53 Turner, William  40 Wade, Abdoulaye  63 Welz, Friedrich  81