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German Pages 323 [326] Year 2018
Properzens Vertumnus-Elegie (4,2) und das Dichtungsprogramm des vierten Buches Ein intertextueller Kommentar
Robert Karacsony
HambuRgeR studien zu gesellscHaften und KultuRen deR VoRmodeRne band 3
Geschichte Franz Steiner Verlag
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Robert Karacsony Properzens Vertumnus-Elegie (4,2) und das Dichtungsprogramm des vierten Buches
Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne Herausgegeben von Alessandro Bausi (Äthiopistik), Christian Brockmann (Klassische Philologie, Gräzistik), Christine Büchner (Katholische Theologie), C hristoph D artmann (Mittelalterliche Geschichte), Philippe Depreux (Mittelalterliche Geschichte), Stephan Faust (Klassische Archäologie), Helmut Halfmann (Alte Geschichte), Kaja Harter-Uibopuu (Alte Geschichte), Stefan Heidemann (Islamwissenschaft), Ulrich Moennig (Byzantinistik und Neugriechische Philologie), Barbara Müller (Kirchen geschichte), Sabine Panzram (Alte Geschichte), Werner Riess (Alte Geschichte), Jürgen Sarnowsky (Mittelalterliche Geschichte), Claudia Schindler (Klassische Philologie, Latinistik), Martina Seifert (Klassische A rchäologie), Giuseppe Veltri (Jüdische Philosophie und Religion)
Band 3
Robert Karacsony
Properzens VertumnusElegie (4,2) und das Dichtungsprogramm des vierten Buches Ein intertextueller Kommentar
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein
Umschlagabbildung: Sitzende Figur des Sommers, 1573 (Öl auf Leinwand) von Arcimboldo, Giuseppe (1527–93) (Schule), Privatsammlung, Bridgeman Images Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Druck: Hubert & Co, Göttingen Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11881-1 (Print) ISBN 978-3-515-11890-3 (E-Book)
EDITORIAL In der Reihe Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne haben sich geisteswissenschaftliche Fächer, die u. a. die vormodernen Gesellschaften erforschen (Äthiopistik, Alte Geschichte, Byzantinistik, Islamwissenschaft, Judaistik, Theologie- und Kirchengeschichte, Klassische Archäologie, Klassische und Neulateinische Philologie, Mittelalterliche Geschichte) in ihrer gesamten Breite zu einer gemeinsamen Publikationsplattform zusammengeschlossen. Chronologisch wird die Zeit von der griechisch-römischen Antike bis unmittelbar vor der Reformation abgedeckt. Thematisch hebt die Reihe zwei Postulate hervor: Zum einen betonen wir die Kontinuitäten zwischen Antike und Mittelalter bzw. beginnender Früher Neuzeit, und zwar vom Atlantik bis zum Hindukusch, die wir gemeinsam als „Vormoderne“ verstehen, zum anderen verfolgen wir einen dezidiert kulturgeschichtlichen Ansatz mit dem Rahmenthema „Sinnstiftende Elemente der Vormoderne“, das als Klammer zwischen den Disziplinen dienen soll. Es geht im weitesten Sinne um die Eruierung sinnstiftender Konstituenten in den von unseren Fächern behandelten Kulturen. Während Kontinuitäten für die Übergangszeit von der Spätantike ins Frühmittelalter und dann wieder vom ausgehenden Mittelalter in die Frühe Neuzeit als zumindest für das lateinische Europa relativ gut erforscht gelten können, soll eingehender der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Kulturen des Mittelalters im Allgemeinen auf die antiken Kulturen rekurrierten, sie fortgesetzt und weiterentwickelt haben. Diesen großen Bogen zu schließen, soll die neue Hamburger Reihe helfen. Es ist lohnenswert, diese längeren Linien nachzuzeichnen, gerade auch in größeren Räumen. Vielfältige Kohärenzen werden in einer geographisch weit verstandenen mediterranen Koine sichtbar werden, wobei sich die Perspektive vom Mittelmeerraum bis nach Zentralasien erstreckt, ein Raum, der für die prägende hellenistische Kultur durch Alexander den Großen erschlossen wurde; auch der Norden Europas steht wirtschaftlich und kulturell in Verbindung mit dem Mittelmeerraum und Zentralasien – sowohl aufgrund der Expansion der lateinischen Christenheit als auch über die Handelswege entlang des Dnepr und der Wolga. Der gemeinsame Impetus der zur Reihe beitragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besteht darin aufzuzeigen, dass soziale Praktiken, Texte aller Art und Artefakte/Bauwerke der Vormoderne im jeweiligen zeithistorischen und kulturellen Kontext ganz spezifische sinn- und identitätsstiftende Funktionen erfüllten. Die Gemeinsamkeiten und Alteritäten von Phänomenen – die unten Erwähnten stehen lediglich exempli gratia – zwischen Vormoderne und Moderne unter dieser Fragestellung herauszuarbeiten, stellt das Profil der Hamburger Reihe dar. Sinnstiftende Elemente von Strategien der Rechtsfindung und Rechtsprechung als Bestandteil der Verwaltung von Großreichen und des Entstehens von Staatlichkeit, gerade auch in Parallelität mit Strukturen in weiterhin kleinräumigen Gemeinschaften, werden genauso untersucht wie Gewaltausübung, die Perzeption und Re-
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Editorial
präsentation von Gewalt, Krieg und Konfliktlösungsmechanismen. Bei der Genese von Staatlichkeit spielen die Strukturierung und Archivierung von Wissen eine besondere Rolle, bedingt durch ganz bestimmte Weltvorstellungen, die sich z. T. auch in der Kartographie konkret niederschlugen. Das Entstehen von Staatlichkeit ist selbstverständlich nicht nur als politischer Prozess zu verstehen, sondern als Gliederung des geistigen Kosmos zu bestimmten Epochen durch spezifische philosophische Ansätze, religiöse Bewegungen sowie Staats- und Gesellschaftstheorien. Diese Prozesse der longue durée beruhen auf einer Vielzahl symbolischer Kommunikation, die sich in unterschiedlichen Kulturen der Schriftlichkeit, der Kommunikation und des Verkehrs niedergeschlagen hat. Zentrum der Schriftlichkeit sind natürlich Texte verschiedenster Provenienz und Gattungen, deren Gehalt sich nicht nur auf der Inhaltsebene erschließen lässt, sondern deren Interpretation unter Berücksichtigung der spezifischen kulturellen und epochalen Prägung auch die rhetorische Diktion, die Topik, Motive und auktoriale Intentionen, wie die aemulatio, in Anschlag bringen muss. Damit wird die semantische Tiefendimension zeitlich weit entfernter Texte in ihrem auch symbolischen Gehalt erschlossen. Auch die für uns teilweise noch fremdartigen Wirtschaftssysteme der Vormoderne harren einer umfassenden Analyse. Sinnstiftende Elemente finden sich auch und v. a. in Bauwerken, Artefakten, Grabmonumenten und Strukturen der jeweiligen Urbanistik, die jeweils einen ganz bestimmten Sitz im Leben erfüllten. Techniken der Selbstdarstellung dienten dem Wettbewerb mit Nachbarn und anderen Städten. Glaubenssysteme und Kultpraktiken inklusive der „Magie“ sind gerade in ihrem Verhältnis zur Entstehung und Ausbreitung des Christentums, der islamischen Kultur und der Theologie dieser jeweiligen Religionen in ihrem Bedeutungsgehalt weiter zu erschließen. Eng verbunden mit der Religiosität sind Kulturen der Ritualisierung, der Performanz und des Theaters, Phänomenen, die viele soziale Praktiken auch jenseits der Kultausübung erklären helfen können. Und im intimsten Bereich der Menschen, der Sexualität, den Gender-Strukturen und dem Familienleben gilt es ebenfalls, sinn- und identitätsstiftenden Elementen nachzuspüren. Medizinische Methoden im Wandel der Zeiten sowie die Geschichte der Kindheit und Jugend sind weitere Themengebiete, deren Bedeutungsgehalt weiter erschlossen werden muss. Gemeinsamer Nenner bleibt das Herausarbeiten von symbolträchtigen Elementen und Strukturen der Sinnhaftigkeit in den zu untersuchenden Kulturen gerade im kulturhistorischen Vergleich zu heute. Die Herausgeber
VORWORT Die vorliegende Arbeit ist die an einigen Stellen leicht gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im Frühjahr 2016 von der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg angenommen wurde (die Disputation fand am 21. März 2016 statt). Mein Dank gilt zunächst den Herausgebern, vor allem Frau Prof. Dr. Claudia Schindler, für die freundliche Aufnahme der Dissertation in die neue Schriftenreihe Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne. Ferner möchte ich der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften für den großzügigen Druckkostenzuschuss danken. An dieser Stelle auch ein herzliches Dankeschön an Frau Katharina Stüdemann vom Franz Steiner Verlag für die zuvorkommende Betreuung und Planungsarbeit bei der Veröffentlichung sowie an Frau Stefanie Ernst für die Gestaltung des Textumbruchs und Layouts dieses Bandes. Persönlich will ich daneben vielen meiner Kollegen und guten Freunden dafür danken, dass sie mein wissenschaftliches Projekt stets mit großer Anteilnahme verfolgt und mit ermutigenden Worten bestärkt haben. Ein besonderer Dank gebührt meiner Direktorin an der Stormarnschule in Ahrensburg, Frau Dr. Michaela Witte, für die geduldige und verständnisvolle Unterstützung in dieser Zeit. Die langjährige und teils langwierige Beschäftigung mit der Dissertation hat neben dem Berufs- und Lebensalltag sicherlich ihren Tribut in mancher Hinsicht gefordert. Trotzdem blicke ich nun, da die Arbeit vollendet ist, auch mit etwas Wehmut auf die schöne und gewinnbringende Zeit meines Studiums und der Promotion zurück: tempus fugit, memoria manet. Viele meiner ehemaligen Hochschulleh rer(innen) sind entweder schon lange emeritiert oder an anderen Universitäten tätig. In guter Erinnerung werde ich die intensiven lateinischen Stilübungen bei Herrn Dr. Hans-Joachim Hartung oder die bereichernde Arbeit als studentische Hilfskraft bei Frau Prof. Dr. Dorothee Gall während ihrer Hamburger Lehrzeit behalten. Insbesondere gilt mein aufrichtiger Dank Herrn Prof. Dr. Klaus Lennartz, dessen leidenschaftliche Begeisterung für die klassischen Fächer mich schon als Student beeindruckt und inspiriert haben und der als Zweitgutachter meiner Arbeit immer ein offenes Ohr (und eine „offene Tür“) für alle Fragen und Diskussionen auch abseits des streng Philologischen hatte. Was zum Schluss, umso persönlicher und schwieriger, zu sagen bleibt, sind die Worte der Dankbarkeit und Wertschätzung für meinen verehrten Lehrer und Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Wilt Aden Schröder. Bestimmt entspräche es seiner Bescheidenheit und Bevorzugung des gedrängten Stils (zu dem er mich stets angehalten hat), würde ich die unschätzbaren zeitlichen und gedanklichen Mühen, die er meinem umfangreichen Projekt zu dessen Gelingen gewidmet hat, möglichst „kurz und bündig“ zusammenfassen: Für seine Initiative zu dieser Arbeit, die fürsorgliche Betreuung, den stets sachdienlichen Ansporn, für die zahlreichen scharfsinnigen Anregungen und Verbesserungsvorschläge und nicht zuletzt für seine unermüdliche
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Vorwort
Geduld und Zuversicht über die vielen Jahre hinweg bin ich Herrn Prof. Schröder zutiefst zu Dank verpflichtet. Schließlich ist das Zustandekommen dieses Buches nicht ohne die Unterstützung und den Zuspruch meiner Familie möglich gewesen. Meinen Eltern, ebenso meinen nicht mehr lebenden Großeltern (die sicher sehr stolz wären) und meinen beiden Schwestern verdanke ich viel Kraft und Ausdauer auf dem langen akademischen Weg. Ihnen und meiner Mutter, die sich unentwegt und liebevoll um mein Wohl gesorgt hat, möchte ich dieses Buch widmen. Robert Karacsony
INHALTSVERZEICHNIS Editorial............................................................................................................... 5 Vorwort............................................................................................................... 7 I. Einleitung...................................................................................................... 11 II. Properzens Vertumnus-Elegie (4,2) und das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar...................................... 17 1. „Hoc quodcumque vides … maxima Roma est“: Intertextualität und Programmatik des vierten Buches (4,1a)............................................... 17 2. Die Elegie 4,2: Text und Übersetzung........................................................... 30 2.1 Text......................................................................................................... 30 2.2 Übersetzung............................................................................................ 31 3. Der Name und die Herkunft des Gottes Vertumnus: „Tuscus ego Tuscis orior“?........................................................................... 33 4. Die ersten beiden Ableitungen: Vertamnis oder Vertannus?......................... 41 4.1 Vertumnus von Vertamnis: „Callimachus Romanus at Work“............... 41 4.2 Vertumnus von Vertannus: Vergils Georgica und der Fruchtbarkeitskult der Ceres......................... 48 4.3 „Quid mirare? Alius mihi nominis index!“: Kallimachos und die aitiologische Lehrdichtung (Ovids Fasten).......... 59 5. Die dritte Ableitung des Vertumnus: Vertomnis!........................................... 69 5.1 „Indue me Cois, fiam (non) dura puella“: Das fallax opus (4,1b) der Liebeselegie im Spiegel erotischer Cynthia-Dichtung (4,5)............ 69 5.2 Der novus Callimachus Catull und Properzens docta Cynthia: Die Klage der Ariadne (Carm. 64) und das molle opus aitiologischer Amores-Dichtung (4,7).................................................... 86 5.3 „Cinge caput mitra: speciem furabor Iacchi“: Horazens Carmina und der „gestohlene“ Götterhymnos des Bacchus (3,17)................................................................................. 103 5.4 „Bella satis cecini: citharam iam poscit Apollo“: Vergils Aeneis und die kallimacheische Verwandlung des Actius Phoebus (4,6)........................................................................ 116 5.5 „Vos eritis testes, si quos habet arbor amores“: Vergils Bucolica und die Liebesklage des Cornelius Gallus (10. Ecl.).............................................................. 133
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Inhaltsverzeichnis
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus............................................ 161 6.1 „Epic into Elegy, Elegy into Epic“: Der heros exclusus Herkules (4,9) und Tarpejas amor armorum (4,4)......................................................... 161 6.2 Herrscherpanegyrik und elegische Herrschaftstransformation: Augustus’ Res Gestae (4,10) und der „Tatenbericht“ der Cornelia (4,11)................................................................................. 184 6.3 „Cinis hic docta puella fuit“: Catulls Asche der Liebe (Carm. 68b) und die epigrammatische Sphragis des vierten Buches (4,3)................. 213 6.4 „Quid ego adiciam, de quo mihi maxima fama est?“: Eine Hommage an den etruskischen Dichterpatron Maecenas (3,9) und den Schirmherrn der Gärten Priapus (Priap. 51)............................ 236 7. „In quamcumque figuram voles, verte, decorus ero“: Der Vertumnus amator Properz (Met. 14,622 ff.) und die „Ars Poetica“ des vierten Buches (4,8)................................................................................ 264 III. Schlussbetrachtung........................................................................................ 289 Literaturverzeichnis............................................................................................ 293 Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis............................................................... 301
I. EINLEITUNG Von jeher bot das abschließende vierte Buch des Properz, das sich durch seinen aitiologischen Charakter von der erotischen Dichtung der ersten drei Elegienbücher deutlich unterscheidet, verschiedenartigen Interpretationen Raum. Diese haben die – jeweils auch zeit- und interessengebundene – philologische Auseinandersetzung mit Properz, den Michael v. Albrecht einmal als den „modernsten der römischen Elegiker und den am wenigsten klassizistischen Klassiker der lateinischen Elegie“ bezeichnet hat1, befruchtet und neue, nicht selten widersprüchliche Sichtweisen auf eine anerkanntermaßen schwierige und schwer zugängliche Dichtung eröffnet, die der Deutung und dem Verständnis properzischer und augusteischer Dichtkunst insgesamt immer noch etwas mehr bietet, als man auf den ersten Blick vielleicht vermutet. Von Albrechts Urteil trifft sehr gut den paradoxen oder ambivalenten Kern properzischer Dichtung: Properz’ poetische Eigenart, ja Eigenwilligkeit lassen ihn – nicht nur auf den Gattungsbereich der römischen Elegie beschränkt – im Vergleich mit den stilbildenden „Klassikern“ Vergil oder Horaz ausgesprochen „modern“ erscheinen: ein bemerkenswerter Charakter- und Kunstzug, den der selbsternannte Romanus Callimachus Properz im vierten Buch in intellektueller Anlehnung an die bzw. den Alexandriner stilbewusst zur Schau stellt. Gleichzeitig ist das in seiner elegischen Ausgestaltung innovative und mitunter provokante abschließende vierte Buch, das prima facie eine römisch-erotische Replik auf die kallimacheische Aitiendichtung bietet, in dem klassischen, nämlich klassisch-augusteischen Dichtungsund Wertekosmos Horazens und Vergils so tief verwurzelt, dass der „modernste“ der römischen Elegiker in gewissem Sinne der traditionsbewussteste von allen ist. Dem Interpreten erschließen sich bei der Analyse einer anspruchsvollen, weil vielschichtigen und nicht zuletzt vieldeutigen Dichtung jedenfalls etliche Spannungsfelder der Auslegung (von den unzähligen textkritischen Fragen ganz zu schweigen), die immer noch oder immer wieder zu neuen Perspektiven anregen, je weiter und genauer man den Blick auf den lateinischen und griechischen Horizont properzischer Elegiendichtung ausrichtet. Mit besonderem Augenmerk hat sich die Forschung dabei dem Inhalt und Aufbau des vierten Buches und, zunehmend Gegenstand von allgemeinen und Spezialuntersuchungen, seinen Rezeptionsbedingungen, das heißt der „Intertextualität“ properzischer Dichtung gewidmet: sacra diesque canam et cognomina prisca locorum (4,1a,69) – das überraschende elegische Dichtungsprogramm, Roms heilige Bräuche, Festtage und Kultstätten besingen zu wollen, klingt so gar nicht nach dem gewohnten erotischen Bekenntnis zur puella Cynthia, wie es sich in den ersten drei Büchern zeigt, und lässt mit Blick auf die das vierte Buch inspirierenden Aitia des Kallimachos und Vergils kurz zuvor publizierte Aeneis wenn nicht etwas episch Großes, so doch etwas großartig Neues erwarten 1
Vgl. v. Albrecht, Properz 232.
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I. Einleitung
(Prop. 2,8,7): omnia vertuntur: certe vertuntur amores. Und Properz scheint mit diesem Versprechen am Ende seines poetischen Schaffens Ernst zu machen. Mit der vorliegenden Arbeit möchte ich einen – vor allem im intertextuellen Ausmaß der Betrachtung – erweiterten und vertieften Beitrag zum Verständnis des vierten Elegienbuches und, damit einhergehend, der Elegienbücher 1–3 leisten. Mein methodischer Zugriff der Analyse properzischer arte allusiva mag in manchem vielleicht recht konsequent und beherzt (oder eher modern) erscheinen, soll im Kern und Ergebnis aber Properz’ häufig als (zu) manieriert und artifiziell bemängelte Dichtung als eine hochgradig (inter-) textuelle ausweisen: Im Radius und Feinsinn seiner Anspielungskunst wird Properz wohl nur noch von seinem alexandrinischen Vorbild übertroffen. Nicht von ungefähr hat sich Properz im gereiften vierten Elegienbuch das außerordentliche Pseudonym des Romanus Callimachus (4,1a,64) zugelegt, um seinem künstlerischen Anliegen einen Ausdruck, Anspruch und Ansporn zu verleihen – dies sicherlich auch in der Absicht, den inoffiziellen Romanus Homerus Vergil oder den „römischen Alkaios“ Horaz dichterisch herauszufordern. Es gibt noch eine zweite unterschwellige, sozusagen autopoietische Referenz ebene, durch die Properz den „Wandel“ seiner amores und das neue aitiologische Dichtungsprogramm anzeigt: die Vertumnus-Elegie 4,2. Sie soll wie ein intertextueller Kristallisationspunkt des vierten Buches im Zentrum meiner Untersuchungen stehen und vermittelt von der (kontroversen) wissenschaftlichen Auseinandersetzung einen beispielhaften Eindruck: Seit den vergangenen sechziger und siebziger Jahren rückte das Gedicht 4,2 zunehmend in den Mittelpunkt einer Gesamtbetrachtung des vierten Buches: Schulz-Vanheyden2 und Pillinger3 stellten die formalen Bezüge der Elegie zu antiken griechischen Grab- und Weiheepigrammen heraus und verdeutlichten Properz’ aitiologische Dichtkunst nach Art des Kallimachos. Daran anknüpfend deutete Suits4 den römisch-nationalen Symbolcharakter der Elegie aus, und schon früh vermutete Marquis5 autobiographische Zusammenhänge zwischen dem Dichtungsgegenstand (Vertumnus) und dem Dichter (Properz). Dees6 Beitrag vertiefte an 4,2 das Dichtungsprogramm des vierten Buches, das sich für Dee in einem ironischen „Romanizing“ kallimacheischer Themen und Techniken ausdrückte. Dagegen legte Weeber7 den seriösen panegyrischen Inhalt des Gedichts offen: Der etruskische Gott Vertumnus repräsentiere den etruskischen Dichterpatron Maecenas und insofern die Friedens- und Versöhnungspolitik des Augustus. Diese Interpretation griff Shea8 auf, indem sie den Dichtergott Vertumnus als eine Art „personification of Augustan verse“ verstand: Das Vertumnus-Gedicht sei Properz’ persönliches Siegel auf die Vielseitigkeit römischer Dichtung und der augusteischen Elegie im Besonderen. In jüngerer Zeit haben die Gender Studies die 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Schulz-Vanheyden, Epigramm (bes. 78 ff.). Vgl. Pillinger, Callimachean Influences (bes. 178 ff.). Vgl. Suits, Vertumnus Elegy 475 ff. Vgl. Marquis, Vertumnus 491 ff. Vgl. Dee, Callimachus Romanus 43 ff. Vgl. Weeber, Das 4. Properz-Buch (bes. 67 ff.). Vgl. Shea, Vertumnus Elegy 63 ff.
I. Einleitung
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Dichtung des abschließenden Buches unter der kulturwissenschaftlichen Leitfrage einer (De-) Konstruktion von Geschlecht (Gender) und Identität beleuchtet: Während DeBrohun9 die „clashing poetics“ des vierten Buches (4,2) mit einem neuen elegischen decorum-Modell verband, hat Lindheim10 am Beispiel des „cross-dresser“ Vertumnus das vierte Buch als ein „experiment with transvestism“ bewertet. Diesen Ansatz hatte O’Neill11 psychoanalytisch ausgebaut und Vertumnus’ Verwandlungsgestalten, vor allem die als puella, als eine Widerspiegelung männlicher erotischer Machtphantasien gedeutet („the lover’s gaze“). Allein dieser kurze Überblick über die Forschungsdiskussion lässt deutlich werden, dass Beckers frühes Urteil, die Vertumnus-Elegie 4,2 sei „in keiner Weise programmatisch“ und „zu blaß, als daß sie für sich allein hätte bestehen können“12, als revidiert betrachtet werden kann. Tatsächlich hatte Warden den explizit programmatischen Wert von 4,2 hervorgehoben und das Gedicht als „a masterpiece of the aetiological genre“ gewürdigt13, und schon Rothstein hielt es für das „am besten gelungene unter den antiquarischen Elegien“ des abschließenden vierten Buches (219): Inhaltlich bietet es mit der dem Gotte selbst eigenen Beweglichkeit eine Fülle schnell wechselnder Bilder, und die natürliche, zu der liebenswürdigen Mitteilsamkeit des Vertumnus gut passende Sprache sticht vorteilhaft von dem gespreizten Stil ab, der in den anderen römischen Elegien vorherrscht.
Auch wenn die oben skizzierten Facetten der Vertumnus-Elegie in den einschlägigen Kapiteln noch genauer behandelt werden, will ich der Analyse doch programmatisch vorausschicken, dass gerade ein „Verwandlungsgedicht“ wie 4,2 einen gewissen Spielraum an Interpretationen bietet und zugesteht. Andererseits berechtigt Offenheit, vor dem Hintergrund der besonderen literaturgeschichtlichen Voraussetzungen, nicht zwingend zu jeder beliebigen methodischen Verfahrens- und Deutungsweise. Ich werde dazu in Kapitel 1 meinen Ansatz der Intertextualität theoretisch umreißen und am Prologgedicht 4,1a exemplifizieren. So gewinnt das Dichtungsprogramm des vierten Buches, Properz’ als maxima Roma entfaltete augusteische Literaturlandschaft, vorab ein konkretes poetisches Deutungsprofil, das anschließend im Spiegel von 4,2 an den maßgeblich rezipierten Autoren und ihren Werken punktuell und sukzessive präziser ausgelegt werden kann14: In der Tat ist es auffällig, wie viele literarische Genera der Dichter im 4. Buche in den Rahmen der Elegie übernimmt: Es finden sich Elemente des Grabepigramms (IV 2, IV 11), des Hymnos (IV 6), der Gerichtsrede, der laudatio funebris, der consolatio (IV 11) sowie der Briefform (IV 3), des Lehrvortrags und des Schmähgedichts (IV 5). Darüber hinaus entleiht Properz vom Epos Strukturen und Erzählweisen (IV 7, IV 8), und auch Tragödie (IV 11) und Neue Komödie (IV 5, IV 8,5 ff.) dienen dem Dichter als Vorlagen.
9 Vgl. DeBrohun, Rhetoric of Fashion (bes. 53 ff.). 10 Vgl. Lindheim, I am dressed 27 ff. 11 Vgl. O’Neill, Slumming 259 ff. 12 Vgl. Becker, Die späten Elegien 466. 13 Vgl. Warden, Fallax opus 104. 14 Weeber, Das 4. Properz-Buch 274 f.
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I. Einleitung
Weeber hatte richtig gesehen, dass mit der Vielfalt der Themen bzw. gattungsspezifischen Anleihen eine „Ausweitung der äußeren Gestaltungsmöglichkeiten“ (275) der römischen Liebeselegie einhergeht, was Fedeli zu der Einschätzung führte, Properzens Dichtung als ein carmen mixti generis auszuweisen, „as there were so many different genres and authors that influenced him“15. Diese noch näher zu beschreibende und differenzierende Gattungsvermischung oder „Gattungskreuzung“, wie Kroll sie nannte16, erreicht im vierten Buch schon durch die thematische Doppelausrichtung Roma und amor, aber auch förmlich durch die verschiedenen Sprecherrollen oder personae, die Properz’ dichterischen Gestaltwandel verkörpern, ihren Höhepunkt: In dem vielgestaltigen Verwandlungsgott Vertumnus, so die Leitthese meiner Arbeit, bündelt und artikuliert sich die themen- und genrespezifische Wandelbarkeit des vierten Buches und properzischer Elegiendichtung. In Kapitel 3 sollen Vertumnus’ signa paterna, die den etymologischen und historischen Kulthintergrund der ursprünglich etruskischen und später römischen Gottheit berühren, zuerst grundlegend erörtert und aufgedeckt werden. Properz’ mehrdeutige Aufklärung der möglichen linguistischen Wurzeln seines Gottes scheint zum einen Ausdruck einer allgemeinen kultgeschichtlichen Ungewissheit zu sein, dadurch andererseits aber das flexible aitiologische Spiel mit Vertumnus’ dichterischen Namensableitungen, seinen signa artificia, maßgeblich anzuregen. In Kapitel 4 werden die ersten beiden – vermeintlich falschen – Etymologien einer genauen intertextuellen Prüfung unterzogen: Properz’ kallimacheischer Witz und Tiefsinn prägen sich in origineller Weise an der ersten Ableitung Vertamnis aus, die unter Zugrundelegung der Parallel- und Referenztexte Vergils, Tibulls und Ovids vielleicht als Properzens eigene Erfindung gelten darf (Kapitel 4.1). Dagegen trägt die zweite Ableitung Vertannus das unverkennbare Markenzeichen der Georgica Vergils: Vertumnus in der verhüllten Gestalt der alma Ceres ist eine kongeniale Hommage an den von Augustus propagierten Fruchtbarkeitsmythos des Goldenen Zeitalters und an Kallimachos’ Hymnos auf Demeter (Kapitel 4.2). Damit sind die ersten beiden Etymologien als textuelle Kunsterzeugnisse ein wesentlicher diskursiver Bestandteil der neuen aitiologischen Lehrdichtung, wie sie durch Kallimachos’ Aitia vorgebildet war: Der Vergleich mit Ovids Fasten soll zeigen, dass didaktische Wissensvermittlung, ausgewiesen als dichterische Wissensdemonstration, auf der Glaubwürdigkeit des doctus poeta (Properz) selbst beruht, der seinen künstlerischen Aussagen unter dem Deckmantel des allwissenden Gottes (Vertumnus) eine gleichsam göttliche Wahrheit eingibt (Kapitel 4.3). In Kapitel 5 wird die dritte – vorgeblich zutreffende – Ableitung Vertomnis buch- und werkübergreifend auf ihren programmatischen Gehalt untersucht: Das fallax opus (4,1b) der Liebeselegie wirkt in Properz’ viertem Buch (4,5) insofern erotisch (un)gebrochen fort, als die (non) dura puella der ersten drei Bücher das gewandelte aitiologische Charakterbild der docta Cynthia in sich birgt bzw. bedingt (Kapitel 5.1). Cynthias Vielgestaltigkeit ist Ausdruck der Vielgestaltigkeit von Properz’ molle opus (4,7), welches trotz seiner Eigenart und Eigenheiten ohne Catulls 15 Vgl. Fedeli, Propertian Scholarship 20. 16 Vgl. Kroll, Studien 202–224.
I. Einleitung
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Carmina und die neue alexandrinische Dichtkunst der Neoteriker, die ars Battiadae, nicht denkbar ist: Catulls dura Lesbia oder Ariadna misera (Carm. 64) sind für die Entwicklung der römischen Liebeselegie ebenso unabdingbar, wie der miser poeta Properz die künstlerische Ausstrahlung des novus Callimachus Catull für sich und seine aitiologische Liebesdichtung des vierten Buches adaptiert (Kapitel 5.2). Properzens Bacchus-Hymnos 3,17 soll im Vergleich mit Horazens sublime opus der Oden (2,19) das kallimacheische Kunsthandwerk der λεπτότηϛ und ποικιλία verdeutlichen und den Anspielungsreichtum der arguti poetae als Ausdruck literarischer imitatio und aemulatio in Form eines gattungsspezifischen „Dichterwettstreits“ grundieren (Kapitel 5.3). Auf dem geschichtsträchtigen Fundament der Aeneis Vergils wird der zeit- und schöngeistige Charakter des vierten Elegienbuches unmittelbar evident: Properz greift in dem Apollon-Hymnos 4,6 den identitätsstiftenden augusteischen Kriegsmythos der Actia bella auf (Aen. 8,671 ff.) und verwandelt Vergils epischen Schlachtengott in den friedlichen Kitharöden Phoebus (Kapitel 5.4). Zuletzt sollen Vergils Bucolica die gattungsgenealogischen Anklänge properzischer Amores (1,18) an die Eklogen, echoartig als argutum carmen ausgestaltet, vertiefen: Im metapoietischen Sinnbild des tristis pastor Cornelius Gallus (Ecl. 10) verbinden und vereinen sich Properz’ bukolische Liebesdichtung und Vergils erotische Hirtendichtung (Kapitel 5.5). In Kapitel 6 wird die – unterschwellig insinuierte – „vierte“ Ableitung des Vertumnus von Versus unter den poetologischen und ideologischen Rahmenbedingungen des vierten Buches analysiert: Die Dialektik eines „Epic into Elegy“ (Warden) gipfelt in einem spannungs- und geistreichen Spiel der Gattungen, wofür der heros exclusus Herkules (4,9) und Tarpejas amor armorum (4,4) brillante Beispiele abgeben (Kapitel 6.1). Der augusteische Resonanzboden der elegischen maxima Roma soll anschließend durch die beiden exempla Romulus (4,10) und Cornelia (4,11) bereitet werden: Deren Tapfer- und Tugendhaftigkeit präfigurieren und antizipieren den divus Augustus und die staatspolitische Räson seiner „Res Gestae“ (Kapitel 6.2). Die epigrammatische Rahmung des vierten Buches richtet den intertextuellen Blick drittens auf das gemeinsame Lied über die Liebe und den Tod: Catulls „Asche der Liebe“ (Carm. 68b) tönt wie ein Refrain in die elegische Totenklage seiner Nachfolger hinein und bildet das Hintergrundecho für Properzens amor magnus der Arethusa (4,3) und die dichterische Sphragis der docta puella (Kapitel 6.3). Schließlich führt die pulvis Etrusca (1,21/22) Properz’ zartfühlenden Klagegesang hoch hinauf auf den Gipfel seiner maxima fama: Die Würdigung des etruskischen Dichterpatrons Maecenas (3,9) ist dabei sehr feinsinnig auf dem Ruhmesblatt der lateinischen Priapea verewigt (Kapitel 6.4). In Kapitel 7 soll die Analyse der Elegie 4,2 und des vierten Buches durch einige kunstästhetische und selbstreferentielle Betrachtungen rekapituliert werden: Ovids Interpretation in den Metamorphosen (14,622 ff.) setzt den Vertumnus amator in eine virulente Beziehung zum poeta amator Properz und leitet zur persona-Diskussion der subjektiven Liebeselegie über. Gemessen an Horaz’ Lehrwerk der Ars Poe tica werden diese und Fragen des gattungsbesonderen naturale decus an der zweiten Cynthia-Elegie, Properzens bühnenreifer Liebeskomödie 4,8, thematisiert: Properz’ vielgestaltige Maskerade der tot formae des Vertumnus kann im Resümee als
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I. Einleitung
ein klares Bekenntnis seiner dichterischen Begabung und Berufung zum Romanus Callimachus verstanden werden. Zum Schluss der inhaltlichen Gliederung dieser Arbeit seien noch wenige methodische Bemerkungen zur förmlichen Darstellung und textkritischen Tragweite meines intertextuellen Kommentars erlaubt. Die gleichsam mikroskopische Textanalyse hat zur visuellen Verdeutlichung der Bezüge ein zum Teil detailliertes Schriftbild der zitierten Texte hervorgebracht. Trotz der Vielzahl an expliziten/impliziten Referenzen (die das Maß der von mir markierten Textstellen noch weit übersteigen) habe ich mich andererseits um Überschaubarkeit und Klarheit bemüht, so dass sich das vielschichtige intertextuelle Beziehungsgeflecht hoffentlich in Grenzen hält und die Ästhetik und Nachvollziehbarkeit der optischen Darstellung nicht allzu sehr darunter leiden. Grundsätzlich sind die einschlägigen Referenzstellen kursiv markiert; die für den Kontext der Interpretation wichtigen bzw. zentralen Stellen werden außerdem fett gedruckt. Zusätzlich habe ich bedeutungsvolle Textstellen, im Allgemeinen namentliche Verweise auf andere Autoren oder den Dichter selbst, unterstrichen, wenn diese im Sinne meiner Analyse ein Höchstmaß an Referentialität, eine sog. Referenzidentität, anzeigen (näheres dazu in Kapitel 1). Der verhältnismäßig schlecht überlieferte Properz-Text macht es, zumal für eine punktuelle Deutung, erforderlich, die Analyse der Gedichte – sofern für die Interpretation von Belang – mit textkritischen Erwägungen/Erörterungen problematischer Stellen anzureichern. Dabei kann der intertextuelle Zugriff, so meine Überzeugung, die eine oder andere Crux bzw. Kontroverse properzischer Textforschung in ein neues Licht rücken. Um den analytischen Gedankengang des Fließtextes nicht unnötig zu belasten, sind textkritische Problemlösungen und Nebendiskussionen in der Regel Petit in die Hauptargumentation eingebunden und sollen diese möglichst überbrücken und voranbringen. Da Properz’ Textcorpus inzwischen auf einer gut fundierten Grundlage an Editionen und Kommentaren basiert, habe ich meinem Text der Elegie 4,2 (vgl. Kapitel 2) einen nur knappen textkritischen Apparat beigefügt, der die wesentlichen Konjekturen und Lesarten der (modernen) Properz-Ausgaben berücksichtigt. Als Grundlage für meinen Properz-Text und die textkritische Verwendung der Siglen dient Fedelis weithin anerkannte korrigierte Teubner-Ausgabe von 1994 (Sexti Properti Elegiarum Libri IV). Stellen, an denen ich von Fedeli abweiche und auf andere Editionen oder eigene Konjekturen verweise, sind entsprechend markiert und/oder kommentiert. Darüber hinaus trägt die von mir in Kapitel 2 gegebene Übersetzung der Elegie 4,2 einen besonderen „intertextuellen“ Charakter, was bedeutet, dass sich einige der gewählten und auf den ersten Blick nicht ganz wortgetreuen Übersetzungsnuancen erst im Fortschritt der Analyse und Interpretation vollständig erschließen.
II. PROPERZENS VERTUMNUS-ELEGIE (4,2) UND DAS DICHTUNGSPROGRAMM DES VIERTEN BUCHES: EIN INTERTEXTUELLER KOMMENTAR 1. „HOC QUODCUMQUE VIDES … MAXIMA ROMA EST“: INTERTEXTUALITÄT UND PROGRAMMATIK DES VIERTEN BUCHES (4,1A) Das vierte Properz-Buch nimmt in mancher Hinsicht eine besondere Stellung innerhalb des Gesamtwerks ein. Der inhaltlich auffälligste Aspekt ist dabei ein Bruch bzw. Wandel von der sog. „subjektiven“ Liebeselegie der Bücher 1–3 zu einer „objektiven“ elegischen Darstellungsform. In den elf Gedichten des abschließenden Buches löst sich Properz weitgehend von seiner selbstreferentiellen Präsentation des poeta amator und verleiht verschiedenen männlichen und weiblichen personae eine fiktive Stimme: In 4,2 gibt der Gott Vertumnus eine Erklärung seiner Herkunft und seines Namens ab; in 4,3 klagt Arethusa über die Abwesenheit ihres Gatten, der sich auf einem Feldzug befindet; in 4,4 führt die Vestalin Tarpeja die Gründe an, warum sie das römische Kapitol aus Liebe an den Feind verrät; mit welchen Liebeskünsten man einen Mann verführen kann, erklärt die Kupplerin Acanthis dagegen in 4,5; in 4,6 treibt der Gott Apollon seinen Schützling Augustus zum Sieg in der Seeschlacht von Actium an; während die tote Cynthia dem Dichter (Properz) in 4,7 in einer Traumvision eine Liebeserklärung macht, hält sie ihm in 4,8, sprühend vor Lebendigkeit und Eifersucht, seinen erotischen „Seitensprung“ vor; den Ausschluss vom Frauenkult der Bona Dea wirft Herkules den Priesterinnen in 4,9 vor und gründet an Ort und Stelle die Ara Maxima; „Jupiter, dieses Opfer (Acron) weihe ich dir“ lässt Romulus in 4,10 verlauten und begründet mit diesem Satz die römische Weltherrschaft; und in 4,11 verteidigt sich die jüngst verstorbene Matrone Cornelia vor dem Totengericht, indem sie einen Rechenschaftsbericht ihrer untadeligen Lebensführung abgibt. Man kann vielleicht sagen, dass diese „polyphone Integration“ sehr unterschiedlicher Sprecherrollen das vierte Properz-Buch vordergründig ausweist und ansatzweise das vorwegnimmt, was die Literaturtheorie mit dem Modell der Dialogizität für den modernen Roman behauptet1: „Romane inszenieren die Vielfalt fremder Stimmen, Äußerungen, Meinungen und Ideologien auf eine besondere Weise und in besonderem Maße.“ Es liegt zwar nicht in meiner Absicht, Properzens elegisches Dichtungsprogramm der maxima Roma (4,1a) und die „dialogische“ Vielstimmigkeit des abschließenden Buches als einen „polyphonen Roman“ im modernen Sinne zu verstehen. Überhaupt steht jede und gerade jede moderne Herangehensweise an die antiken (Kon-) Texte insofern unter Vorbehalt, als der spezi1 Berndt/Tonger-Erk, Intertextualität 25 f. zum „polyphonen Roman“ (was nach Bachtin beispielhaft für Dostoevskijs Romane gilt).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
elle und zunehmend spezialisierte Begriffs- und Deutungsapparat der modernen Literaturwissenschaft für den schöpferischen Prozess des Dichtens und das künstlerische Selbstverständnis des (antiken) Dichters an sich nebensächlich ist. Auch die von Roland Barthes ausgerufene methodologische Parole vom „Tod des Autors“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der poetische „Akt des Schreibens“ nicht lediglich einen kompilatorischen Form- und Verwertungscharakter trägt, sondern per se eine hochgradig „selbstreflexive“ Dialogbereitschaft dokumentiert, die rezeptionsästhetische Prozesse im Leser und Autor erst ursächlich zustande bringt2: Nevertheless, there is no getting away from the fact that the production of a poetic text is in some very important ways a private, self-reflexive, almost solipsistic activity; and even the poet’s dialogue with the work of other poets can be a very private, self-reflexive and solipsistic kind of dialogue.
Diese Tatsache muss aber die notwendig diachronen Rezeptionsverfahren des (modernen) Lesers und Textkritikers und den komplexen Aneignungsvorgang, also die bedeutungsrelevante „Dialogisierung“ der Kon- und Intertexte, nicht zwingend relativieren3: „(…) intertextuality is a matter of construction, thus of reading, and the appeal to the intention of the author has to be abandoned.“ Sicherlich mag die klassische hermeneutische Auffassung, dem Text liege eine bestimmte Intention oder ein bestimmter Sinn zugrunde, den man wie eine verborgene Botschaft oder Wahrheit nur entschlüsseln brauche, längst an ihre ideologischen Grenzen gestoßen sein. Dennoch erinnert das, was zum Beispiel die mittelalterliche Bibelexegese durch eine allegorische Auslegung der heiligen Schrift und ihrer Symbolik so beharrlich betrieb, an Wolfgang Isers modernen wirkungsästhetischen Ansatz, die unterschiedlichen „Sinnpotentiale“ fiktionaler Texte im „Akt des Lesens“ offenzulegen bzw. zu aktivieren (42): Damit stellt sich auch der Interpretation eine andere Aufgabe: statt den Sinn zu entschlüsseln, muß sie die Sinnpotentiale verdeutlichen, die ein Text parat hält, weshalb sich die im Lesen erfolgende Aktualisierung als ein Kommunikationsprozeß vollzieht, den es zu beschreiben gilt.
Isers Kritik an der traditionellen „universalistischen Interpretationsnorm“ (Akt des Lesens 23 ff.) hat auch den rezeptionstheoretischen Blickwinkel der Klassischen Philologie nachhaltig sensibilisiert. Wo es darauf ankommt, die strukturellen „Leerstellen“ im Text mit Bedeutung zu füllen, ist der methodische Zugriff aus der Per spektive des Lesers natürlich naheliegend und sinnvoll (anders ist Interpretation ja auch nicht vorstellbar bzw. sinnentleert). Trotzdem verstehe ich das hermeneutische Dreieck zwischen Text, Autor und Leser nicht wie Iser als „Opposition von Wirkung und Erklärung“ (23). Denn selbst die vermeintliche Textintention des Autors ist gewissermaßen auf den Blickpunkt des Lesers gerichtet und scheint den textkritischen Dialog teilweise sogar zu steuern (Prop. 4,1a,1): Hoc quodcumque vides, 2 Hinds, Allusion 48 f. Auch Iser stellt trotz seiner rezeptionstheoretischen Betrachtungen vom „Akt des Lesens“ im Vorwort (zur zweiten Auflage IVf.) fest: „Der literarische Text entspringt der Weltzuwendung eines Autors und gewinnt insofern den Charakter des Geschehens, als er eine Perspektive auf die vorhandene Welt bringt, die in ihr nicht enthalten ist.“ 3 Edmunds, Intertextuality 166 (164 ff.), der Hinds’ Unterscheidung zwischen einer autorintendierten („allusion“) und leserorientierten Perspektive („intertext“) in der Sache ablehnt.
1. „Hoc quodcumque vides … maxima Roma est“
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hospes, qua maxima Roma est (…). Daher ist der ambivalente „Akt des Lesens“ und Schreibens (in aller Regel sind Autoren die Leser anderer Autoren) eher ein sich gegenseitig bedingender und vollzieht sich im fruchtbaren Spannungsgefälle zwischen der autorzentrierten Textintention einerseits (die mehr oder weniger eindeutig fassbar ist) und der leserorientierten Textrezeption andererseits (die prinzipiell offen und variabel ist). Vor allem die Intertextualitätsforschung, der sich meine Arbeit in der Hauptsache zuwendet, sieht sich in ihrem methodischen Selbstverständnis mit einer potentiell unendlichen Vielzahl (a)synchroner literarischer Bezüge konfrontiert und hat in den letzten Jahrzehnten eine umfassende Nomenklatur teils sehr brauchbarer, teils eher redundanter Begriffe zur Beschreibung „intertextueller“ Phänomene entwickelt4: Doch ob wir nun vom Prätext, Hypotext, Genotext, Architext oder Subtext sprechen wollen, um damit denjenigen Text bzw. diejenigen Texte zu bezeichnen, auf die sich ein – nämlich der jeweils zu verstehende – Text als Hypertext, manifester Text, Anatext, Intertext, Posttext, Transtext, Phänotext, Autotext oder Metatext bezieht, halten wir für völlig unerheblich. Sachen und Begriffe sind in den Intertextualitätstheorien nur lose gefügt.
Grundsätzlich werde ich in meiner Analyse auf die obigen Fachausdrücke verzichten und mich auf die gängigen Begriffe wie Zitat, Anspielung, Reminiszenz, Referenz, Imitation oder Trans- und Deformation beschränken (und diese zum Teil selbst modifizieren), um Text-Text-Beziehungen besonderer Art anzuzeigen und auszudeuten. Wichtig ist letztlich, dass der intertextuelle Zugang kein methodischer Selbstzweck oder eine akrobatische Zurschaustellung eingeübter Techniken ist (mit denen nämlich manche literatur- bzw. kulturwissenschaftliche Ansätze die Interpretation der antiken Texte auch überfordern), sondern ein systematischer und pragmatischer Deutungsweg in die vergleichende Textanalyse. Ursprünglich gehen der Begriff und das Konzept der Intertextualität auf die Literaturwissenschaftlerin Julia Kristeva zurück, die ihr Textmodell auf der Grundlage von Michail Bachtins Dialogizitätstheorie und Roland Barthes’ texttheoretischen Überlegungen entwarf5: Mein Konzept der Intertextualität geht also auf Bachtins Dialogizität und Barthes’ Texttheorie zurück. Damals bestand mein Beitrag darin, dass ich Bachtins Idee verschiedener Stimmen innerhalb einer Äußerung ersetzt habe durch die Vorstellung verschiedener Texte innerhalb eines Textes.
Im Folgenden soll an der Eröffnungselegie des vierten Buches das Literaturmodell der Intertextualität mit meinen methodischen/begrifflichen Schwerpunkten und Modifikationen beispielhaft vorgestellt werden. Damit verbunden ist eine Einführung in das vielgestaltige bzw. wandelbare Dichtungsprogramm des abschließenden Buches (4,2). Das in etlichen Textausgaben in 4,1a und 4,1b geteilte Prologgedicht entfaltet im ersten Teil Properzens neue aitiologische Ambitionen, die der mythischen Frühgeschichte und topographischen Entwicklung der „maxima Roma“ gewidmet sind (4,1a,1–10): 4 Berndt/Tonger-Erk, Intertextualität 12. Vgl. ebenso kritisch Schmitz, Literaturtheorie 93 zur „modisch aufgemotzte[n] Version“ intertextueller Untersuchungen, deren Methoden und Techniken zum Teil schon in antiken Kommentaren angewandt wurden. 5 Zitiert/übersetzt nach Berndt/Tonger-Erk, Intertextualität 34.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar Hoc quodcumque vides, hospes, qua maxima Roma est, ante Phrygem Aenean collis et herba fuit; atque ubi Navali stant sacra Palatia Phoebo, Euandri profugae concubuere boves. 5 fictilibus crevere deis haec aurea templa, nec fuit opprobrio facta sine arte casa; Tarpeiusque pater nuda de rupe tonabat, et Tiberis nostris advena bubus erat. qua gradibus domus ista Remi se sustulit, olim 10 unus erat fratrum maxima regna focus. (…)
Wie Camps z. St. betonte Hutchinson den lebendigen Eindruck, den der obige Gedichtauftakt mit dem Erscheinungsbild des historischen Stadtkerns vermittle (59): „The book opens with one of the liveliest and richest prologues in Augustan literature“. Die für das vierte Buch programmatische Bedeutung der Kultstätten des Navalis Phoebus von Actium (4,6), der sacra Palatia des Herkules (4,9), des Tarpeius pater Jupiter (4,4) oder der domus des vergöttlichten Romulus (4,10) ist in der Tat so zentral, dass beispielsweise Welch Properz’ maxima Roma (Buch 4) topographisch als „elegiac cityscape“ auslegte6: Audiences both ancient and modern have been fascinated by the dignity and grandeur of Roman remains. Though the ancient city grew gradually, building by building, throughout its millennium-long heyday, the city experienced periodic growth spurts during which large-scale building programs dramatically transformed the urban landscape.
Zweifellos hat Augustus’ „transformation of the city“7 im Zuge der umfangreichen Bau- und Sanierungsmaßnahmen einen erheblichen Einfluss auf die dichterische Gestaltung des vierten Buches ausgeübt8: „Propertius’ responses to the new city demonstrate that he was keenly aware of the dynamics of the city-as-text, and of the differences between the visual and verbal arts“, insofern als der Dichter Augustus’ real erbautes „Rome of stone“ durch sein literarisch fiktives „Rome of words“ (27) abbildet bzw. neu erschafft. Um in Welch’ Bild des „city-as-text“ zu bleiben, baut Properz’ poetische Stadtlandschaft der maxima Roma aber nicht nur auf den architektonischen Versatzstücken der Wirklichkeit auf, sondern grundiert den Transformationsprozess auch durch eine „Überlagerung von Text-Ebenen“9, die auf dem literarischen Fundament bereits bestehender Stadtfiktionen fußen10: „The opening lines of Propertius’ poem [4,1] do indeed have many similarities with Tibullus 2.5 and it is clear that the poet intends his reader to make the comparison“ (~ Tib. 2,5,19– 26): (…) haec [Sibylla] dedit Aeneae sortes, postquam ille parentem 20 dicitur et captos sustinuisse Lares:
6 Welch, Elegiac Cityscape 1. 7 Vgl. Cooley, Res Gestae 182 (dazu Kapitel 6.2 zu Res Gest. 19). 8 Welch, Elegiac Cityscape 4. 9 Vgl. Berndt/Tonger-Erk, Intertextualität 36 (Kristeva zitierend). 10 Maltby, Early History 301.
1. „Hoc quodcumque vides … maxima Roma est“
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nec fore credebat Romam, cum maestus ab alto Ilion ardentes respiceretque deos. Romulus aeternae nondum formaverat urbis moenia, consorti non habitanda Remo, 25 sed tunc pascebant herbosa Palatia vaccae, et stabant humiles in Iovis arce casae. (…)
Die obigen thematischen und sprachlichen Ähnlichkeiten der maxima Roma / aeterna urbs des Properz und Tibull konstituieren bzw. markieren sozusagen den „textuellen Raum“ augusteischer Rom-Dichtung11, der sich kontrastreich in dem beliebten aitiologischen Topos des tunc – nunc ausgestaltet12: Tibulls Vergangenheitsbild der herbosa Palatia wird insofern textuell überlagert, als Properz das Gegenwartsporträt der sacra Palatia mit dem Navalis Phoebus, dem siegreichen Palatinus Apollo (4,6,11) der Seeschlacht von Actium13, gedanklich verschmilzt. Diese Verbindung qualifiziert und legitimiert, verwoben mit dem Troja-Mythos und seinem Helden Aeneas, Roms Auszeichnung als „ewige“ und „ruhmreichste“ Stadt, deren universale raumzeitliche Sphäre auf Ovids Liebesdichtung weithin ausstrahlen wird (~ Ars Am. 3,389): visite [puellae] laurigero sacrata Palatia Phoebo (…). Übertragen auf Kristevas Literaturmodell setzt sich Properz’ Dichtung der maxima Roma (4,1a) strukturell in Teilen aus einem „Mosaik von Zitaten“ zusammen: Tibulls aeterna urbs (2,5) ist unter anderem der für Properz’ Darstellung vorbildhafte „city-as-text“, den Properz aufnimmt, nach Kristeva geradezu „absorpiert“, stellenweise wörtlich wiedergibt und analog zum topographischen Wandel der Stadt unter der Prämisse einer neuen dichterischen Architektur „transformiert“, wobei der ursprüngliche Referenztext wie ein neu be- bzw. überschriebener Palimpsest erkennbar bleibt14: Jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle des Begriffs der Intersubjektivität tritt der Begriff der Intertextualität, und die poetische Sprache läßt sich zumindest als eine doppelte lesen.
In aller Regel ist der sinngebende Kontext der teils absichtsvollen, teils unterschwelligen literarischen Bezüge vielschichtiger geknüpft, so dass sich der rezeptionsästhetische Dialog zwischen den Dichtern (wie ihn der Autor intendiert oder der Leser interpretiert haben mag) in der assoziativen Breitenwirkung ausdrücklich ambivalent gestaltet15: „das Wort (der Text) ist Überschneidung von Wörtern (von Texten), in der sich zumindest ein anderes Wort (ein anderer Text) lesen läßt“. O’Rourke hatte diesen ambivalenten oder offenen Textcharakter mit Rücksicht auf
11 Vgl. Berndt/Tonger-Erk, Intertextualität 37. 12 Vgl. Fedeli/Dimundo, Properzio IV zu 4,1a,1 f. (165 f.) und Putnam, Tibullus zu 2,5,25 („Rome then and now“). 13 Vgl. Kapitel 5.4 zur Kultassoziation des Actius Phoebus (Prop. 4,6) mit dem Palatinus Apollo (Prop. 2,31). 14 Zitiert/übersetzt nach Berndt/Tonger-Erk, Intertextualität 38. 15 Zitiert/übersetzt nach Berndt/Tonger-Erk, Intertextualität 38 (Kristeva auf Bachtins Begriffe Dialog und Ambivalenz Bezug nehmend).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Vergils Aeneis als ein genrespezifisches „reciprocity of intertextuality“ bezeichnet16: For readers who prefer to see this ambivalence, or „openness“, as a key dynamic also of the elegiac genre, Virgil’s Gates of War will make for a particularly apposite intertext in so far as they have been highlighted by no less a reader than Don Fowler as an example of a monument, like any of stone or text, that cannot shut out competing readings.
Unbeschadet der Frage, ob bzw. inwiefern Vergils geminae portae des Krieges auch oder vorzugsweise eine augustuskritische Deutung des vierten Properz-Buches nahelegen (diese Frage wird vor allem in den Kapiteln 5.4 und 6.2 eingehend erörtert), lässt sich sprachlich wertfrei konstatieren, dass Tibulls „Wort“ Roma in Properz’ „Wörtern“ maxima Roma gegenstimmig widerklingt und auf diese Weise die dichterische (Re-) Produktion des „Rome of words“ als eines „city-as-text“ transparent macht17: „It [maxima Roma] also widens the intertextual focus of Propertius 4“ (~ Aen. 7,601–610): (…) 601 Mos erat Hesperio in Latio, quem protinus urbes Albanae coluere sacrum, nunc maxima rerum Roma colit, cum prima movent in proelia Martem, sive Getis inferre manu lacrimabile bellum 605 Hyrcanisve Arabisve parant, seu tendere ad Indos Auroramque sequi Parthosque reposcere signa: sunt geminae Belli portae (sic nomine dicunt) religione sacrae et saevi formidine Martis; centum aerei claudunt vectes aeternaque ferri 610 robora, nec custos absistit limine Ianus. (…)
Poetologisch auf Vergils geminae portae umgedeutet, bewegt sich Properzens maxima Roma thematisch demzufolge in den ambivalenten „Gattungsgrenzen“ (limen), die im obigen Beispiel durch Tibulls Elegie und Vergils Epos vorgegeben sind. Zugleich öffnet dieser abgegrenzte oder markierte „textuelle Raum“ einen Zugang zu den zeitgeschichtlichen Dimensionen der maxima Roma, denn „contemporary Rome is the Rome of Augustus“18. Was Asper dabei für die Aitia des Kallimachos behauptete, lässt sich auf Properz’ elegische bzw. „aitiologische“ Stadtlandschaft prinzipiell übertragen19: Damit sind wir schon bei der Intention der Kontinuitätsstiftung. Sofort springt ins Auge, daß Aitiologie, die Etablierung von Verbindungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit mit dem Ziel, die Gegenwart zu erklären, nichts anderes als eine Stiftung von Kontinuitätsbewußtsein ist. (…) Kallimachos war sicher obsessiv mit der Vergangenheit beschäftigt, sprachlich und sachlich – doch insistiere ich darauf, daß der Sinn dieser Beschäftigung in der Gegenwart lag: die zusammengewürfelte Griechenschaft in Ägypten mit einem gemeinsamen und zeitgemäßen kulturellen Gedächtnis auszustatten.
16 O’Rourke, Maxima Roma 478 (476). 17 Vgl. O’Rourke, Maxima Roma 475 zum Textbezug. 18 Welch, Elegiac Cityscape 21. 19 Asper, Kallimachos 20.
1. „Hoc quodcumque vides … maxima Roma est“
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Mit dem „Kontinuitätsbewußtsein“ römischer Vergangenheit (tunc) und Gegenwart (nunc) ist jener zentrale funktionale Aspekt aitiologischen Dichtens erfasst, durch den die maxima Roma im historischen Bewusstsein und Selbstverständnis der Römer als aeterna urbs er- bzw. verklärt wird und umgekehrt: Properzens Programm in 4,1a (1 ff.) „establishes an aetiological (dis)connection between the maxima Roma of the Augustan age and its aboriginal prehistory“20. Dieser Zusammenhang scheint mir Isers Auffassung verschiedener „Sinnpotentiale“ eines Textes insofern zu verengen, als die aeterna urbs in ihrer raumzeitlichen Ausdehnung von der mythischen Vergangenheit auf die augusteische Herrschaftsgenese in die Gegenwart und Zukunft gerichtet ist und die maxima Roma daher mit einer gewissen autorintendierten Eindeutigkeit bzw. Sinnhaftigkeit in der kontinuitätsstiftenden Tautologie des „maximus Caesar“ (Georg. 2,170) aufgeht. Was die augusteischen Dichter nämlich vor dem Hintergrund der Epoche der römischen Bürgerkriege zuallererst preisen, ist keine potentielle oder hypothetische, sondern die durch Augustus tatsächlich und propagandawirksam eingeläutete Zeitenwende der pax Augusta (~ Prop. 4,1a,67 f.): (…) Roma, fave, tibi surgit opus! date candida, cives, omina, et inceptis dextera cantet avis! (…)
Entsprechend ist die augusteische Dichtung auf konkreten sprachlichen Anzeigern und namentlichen Referenzen gegründet, die den historischen sowie literarischen Wirkungskreis der maxima Roma im Ganzen wie im Detail ausweisen: Properz’ opus des vierten Buches ist, wie O’Rourke im Vergleich mit der Aeneis feststellte, ebenso mit „Virgil’s cognomen“ (485) und dem „augur“ Tibull verbunden, der bereits verlauten ließ, quid fati provida cantet avis (2,5,11 f.). Um den rezeptionsästhetischen Dialog der Autoren noch etwas klarer zu erfassen, verweise ich auf das kommunikationstheoretische Modell der „Systemreferenz“ von Broich/Pfister: Danach kann man den Bezugsrahmen augusteischer Rom-Dichtung als das kulturell gültige „Normensystem“ definieren, in dem bedeutungsvolle textuelle Engramme wie „sprachliche Codes“ in das – laut Asper – „gemeinsame und zeitgemäße kulturelle Gedächtnis“ einfließen21: Die am weitesten gefaßte Systemreferenz in unserem Sinn ist der Bezug auf die sprachlichen Codes und das Normensystem der Textualität. Jeder sprachliche Text ist als sprachliches Konstrukt und als textuelle Einheit prinzipiell auf alle anderen [diskursrelevanten Texte] zu beziehen, steht er doch mit ihnen in der, wenn hier auch sehr abstrakten und allgemeinen, Similaritätsrelation gleicher oder ähnlicher textkonstitutiver sprachlicher Normsysteme.
Rezeptionstheoretisch verstanden bildet das normenstiftende Raumzeitkontinuum der urbs aeterna / maxima Roma den wohl wirkungsträchtigsten Kristallisations- und 20 Vgl. O’Rourke, Maxima Roma 476. 21 Broich/Pfister zitiert nach Berndt/Tonger-Erk, Intertextualität 153. Konkret verstehen Broich/ Pfister unter der „Systemreferenz“ analoge Textkollektiva, Diskurstypen, Mythen/Archetypen und Gattungen (vgl. 152 ff.). Auch Iser, Akt des Lesens (Vorwort VI) wies auf die „Sinnkon stanz der Sprache“ hin, die durch den jeweils „geteilten sozio-kulturellen Code“ bedingt sei.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Berührungspunkt augusteischer „Systemreferenz“, die sich idealtypisch in einer wortwörtlichen Identifikation mit dem sinnverwandten „Referenzträger“ darlegt (maximus Caesar). An dieser Stelle gewinnt für mich der – aus der linguistischen Textanalyse entlehnte und poetologisch abgewandelte – Begriff der „Referenzidentität“ eine spezielle intertextuelle Bedeutung und Aussagekraft, insofern als dieser über die förmliche Referenz des Zitats oder selbstreferentielle Textverbindungen allgemeiner Art hinaus den immanenten, auf zugleich engstem und weitestem textuellen Raum sich überschneidenden Themen- und Gattungszusammenhang der Autoren und ihrer Werken beschreibt und somit vorrangig nicht (aber selbstverständlich auch) die genrespezifischen Unterschiede und Eigenheiten, sondern vor allem die künstlerische Wesenseinheit der augusteischen Dichtungslandschaft bemessen soll22. Im Folgenden soll mein Verständnis dichterischer Referenzidentität an einem textkritischen Beispiel erläutert werden. Die Eröffnungsverse des vierten Buches halten unter anderem ein topographisches Deutungs- und Überlieferungsproblem bereit (4,1a,9 f.)23: qua gradibus domus ista Remi se sustulit, olim / unus erat fratrum maxima regna focus. Verbunden mit der Frage nach dem Tempus des se sustulit (präsentisches oder historisches Perfekt)24, steht zur Diskussion, ob die „domus Remi“ auf den Tempel des Romulus Quirinus (so Camps oder Richardson) oder auf die casa Romuli auf dem Palatin verweist (so Butler/Barber oder Hutchinson z. St.): „qua does not favour a contrast with the aedes Quirini on the Quirinal […] though steps are standard for temples“ (vgl. Aen. 1,446 ff.)25. Heyworth’ Konjekturvorschlag nunc richtet den Blickwinkel zwar zutreffend auf das Hier und Jetzt der prächtigen Tempelanlage („wo sich [nun] die aedes Quirini hoch auf Stufen erhoben hat [scil. befindet]“), ist in bildhafter Erinnerung an die zeitgenössischen „haec“ aurea templa (5) aber überflüssig, um die domus „ista“ Remi in den Rundumblick über die gegenwärtige maxima Roma (Hoc quodcumque vides …) und die domus Augusta im Besonderen einzufassen (ohnehin scheint auf die einfache „casa“ Romuli schon in V.6 angespielt zu werden). Properz’ aitiologische Ausrichtung gilt daher in V.9 nicht der Vergangenheit, sondern der Gegenwart des vergöttlichten Romulus Quirinus (4,10,11) und so unterschwellig und zukunftsweisend dem divus Augustus selbst (der die aedes Quirini 16 v. Chr. erneuerte!) – auf diese Weise schließt sich der panegyrische Kreis, und der Romulus augur (4,6,43) sah die von ihm ausgehende römische Weltherrschaft, das „imperium sine fine“ (Aen. 1,279) des Augustus, richtig voraus. Auf das normen- und kontinuitätsstiftende Modell der „Systemreferenz“ übertragen, bedeutet dies: Romulus’ maxima regna spiegeln das Raumzeitkontinuum der maxima Roma des Augustus in Referenzidentität wider (Tib. 2,5,55–64): 22 Vgl. Brinker/Cölfen, Textanalyse 29 f., wonach durch den Begriff der „Referenzidentität“ oder auch „Bezeichnungsgleichheit“ relativ simple sprachliche/grammatische Textbeziehungen ausgedrückt werden (aus ihrem Beispiel [1]): „Ein Mann war zu Rad unterwegs und wollte auf einen Berg steigen; er sah ein Anwesen liegen und stellte dort ein.“ In dem Beispiel stehen das unbestimmte Substantiv ein Mann (zugleich als „Referenzträger“ bezeichnet) und das darauf bezogene bestimmte Personalpronomen er in „Referenzidentität“ zueinander. 23 Shackleton Bailey z. St. verteidigte noch das überlieferte quo, das Camps z. St. mit „see how high“ wiedergibt. Die meisten Textausgaben übernehmen dagegen die humanistische Konjektur qua. 24 Dies berührt auch die Frage der Satzinterpunktion vor oder nach dem olim (letzteres von Hutchinson z. St. bevorzugt): „One would naturally refer se sustulit to the past, and connect it, not 10, with olim.“ Dagegen wenden Fedeli/Dimundo, Properzio IV z. St. ein, dass dadurch „il contrasto presente-passato“ verloren gehe. Ähnlich Butler/Barber z. St. („The tense suggests some modern improvement“). 25 Dazu Rothstein z. St. (191): „Das Distichon kann nur den Sinn haben, daß jetzt ein moderner Prachtbau [scil. aedes Quirini] an der Stelle steht, an der einst Romulus und Remus einen bescheidenen Wohnsitz hatten“.
1. „Hoc quodcumque vides … maxima Roma est“
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‚(…) 55 carpite nunc, tauri, de septem montibus herbas, dum licet! hic magnae iam locus urbis erit. Roma, tuum nomen terris fatale regendis, qua sua de caelo prospicit arva Ceres, quaque patent ortus et qua fluitantibus undis 60 Solis anhelantes abluit amnis equos. Troia quidem tunc se mirabitur et sibi dicet vos bene tam longa consuluisse via. vera cano: sic usque sacras innoxia laurus 64 vescar, et aeternum sit mihi virginitas.‘ (…)
Die raumzeitliche Ausstrahlung der maxima Roma, deren topographische bzw. textuelle Entwicklung Ovid in den – von Augustus baukünstlerisch vervollständigten – Gegenwartsmythos der „aurea Roma“ (Ars Am. 3,113) einpflanzen wird, bildet auch den apologetischen Bezugspunkt für Properzens Blick in die Vergangenheit. Gleichzeitig sind Romulus’ maxima regna und der Verweis auf den Phryx Aeneas (4,1a,2) aus der zeitlichen Perspektive des Mythos auf die Weltherrschaft des Augustus in die Gegenwart und Zukunft gerichtet, denn mit dem „Troianus Caesar“ (Aen. 1,286) scheint die aeterna urbs sprichwörtlich zu stehen oder zu fallen. Dieses zeitgeschichtliche oder besser überzeitliche – eben „klassisch-augusteische“ – Kontinuitätsbewusstsein wird von den römischen Dichtern mit besonderem Nachdruck und Nachklang gepflegt: Wenn Properz das vierte Elegienbuch unter das kallimacheische „sacra diesque canam“ (4,1a,69) stellt, schließt das die Erinnerung an Vergils „arma virumque cano“ der Aeneis (1,1) wie ein doppeltes „voice-over“ (O’Rourke) der Aitia und des Heldenepos ein. Was die eigentümliche metaphorische Klangsprache betrifft (cantet avis), lassen sich referentielle Textüberlagerungen als ein argutum carmen bzw. eine „Echokammer“ (Barthes) verbildlichen, in der Texte oder Textfragmente „endlos wider hallen“26: „Losgelöst vom Sprecher (Autor) (re-) produzieren sie [die Worte] sich selbst, wiederholen sich (werden zitiert). Sie hallen nach, aber oftmals bruchstückhaft und verzerrt, überlagert von anderen Echos.“ Man muss zugeben, dass sich die vermeintlich absichtsvollen (durch den Autor intendierten) „Echos“ von den eher zufälligen (durch den Leser aufgedeckten) Reminiszenzen nicht immer klar unterscheiden lassen und häufig mehr oder weniger (un)bewusst als literarisches Gemeingut in das komplexe „Mosaik von Zitaten“ einfließen. Auch wird die kritische Durchsicht der Texte dadurch beeinträchtigt, dass manch relevanter Paralleltext entweder ganz verloren, nur fragmentarisch und/oder in einem schlechten Zustand überliefert ist. Beispielsweise lässt sich eine derart traditionsreiche Motivgeschichte wie die der maxima Roma literarisch kaum weiter als bis auf Varro zurückverfolgen (vgl. De ling. Lat. 5,41). Auf der anderen Seite ist die für die vorliegende Arbeit ausschlaggebende augusteische Referenzdichtung der „altae moenia Romae“ (Aen. 1,7) in einen relativ engen und, für sich gesehen, beispielhaften Geschichts- und Literaturkontext einge26 Berndt/Tonger-Erk, Intertextualität 51. Vgl. zum argutum carmen Kapitel 5.5 (~ Prop. 1,18).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
bettet, der sich in den Grundzügen sowohl ideologisch und dichterisch gut differenzieren lässt. Mit Blick auf die weltanschauliche Genese der aeterna urbs ist schon deutlich geworden, dass das normenstiftende Raumzeitkontinuum der maxima Roma und deren Kultträger, der maximus/Troianus Caesar Augustus, auf den TrojaMythos und seinen für die Römer herausragenden Helden Aeneas verweisen. Ihm, dem profugus (Aen. 1,2), der schließlich in Italien die von Tibulls Sibylla von Cumae prophezeite glückliche Zuflucht fand, gilt Properzens mythologische Rückschau (4,1a,39–44): (…) huc melius profugos misisti, Troia, Penates; 40 heu quali vecta est Dardana puppis ave! iam bene spondebant tunc omina, quod nihil illam laeserat abiegni venter apertus equi, cum pater in nati trepidus cervice pependit 44 et verita est umeros urere flamma pios. (…)
Exemplarisch verdichten sich in den obigen Versen (43 f.) die sprachlichen Anklänge oder Echos, die sofort Vergils Aeneis (2,707 ff.), so das Zwiegespräch zwischen Anchises und Aeneas und die gemeinsame Flucht aus dem brennenden Troja, aufrufen. Daneben assoziieren Properz’ profugi Penates Vergils berühmten Flüchtling mit dem normativen Charakterbild jenes „pius Aeneas“, der der „maxima Iuno“ ein heiliges Schlachtopfer darbrachte (Aen. 8,84 f.). Akustisch nicht weniger vernehmbar klingt in den Versen außerdem Tibulls carmen der Sibylla wider (vera cano), die Aeneas den Weg in die versprochene neue Heimat wies (~ Tib. 2,5,39–46): (…) ‚Impiger Aenea, volitantis frater Amoris, 40 Troica qui profugis sacra vehis ratibus, iam tibi Laurentes adsignat Iuppiter agros, iam vocat errantes hospita terra Lares. illic sanctus eris, cum te veneranda Numici unda deum caelo miserit indigetem. 45 ecce super fessas volitat Victoria puppes, tandem ad Troianos diva superba vĕnit. (…)‘
Versteht man Intertextualität als eine bewusste (intendierte) echoartige Überlagerung von Textebenen, die als deutlich markierte Stellen eines oder mehrerer Referenztexte wirksam werden (und so wiederum selbst neue Textschichten für spätere Rezeptionen offenlegen), gestaltet sich die Dichtung der maxima Roma umso ausdrücklicher als ein vielstimmiger Dialog oder Wettgesang der poetae und ihrer Gattungen, als ein überaus vielschichtiges und verzweigtes und doch in sich verwurzeltes, thematisch kohärentes carmen der römischen respektive augusteischen Literaturepoche. Vor allem die Klassische Philologie steht dabei nach wie vor in der Tradition der Quellenund Einflussforschung, der ein lineares „literaturgeschichtliches Bewusstsein“ der dichterischen Entwicklung und Beziehungen zugrunde liegt27: „Die Quellen- und 27 Berndt/Tonger-Erk, Intertextualität 64 (65).
1. „Hoc quodcumque vides … maxima Roma est“
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Einflussforschung stellt Ordnung in der Literaturgeschichte her, indem sie chronologische Reihen [hier etwa von Tibull über Vergil bis Properz] bildet.“ Zwar mag der Ansatz der Quellen- und Einflussforschung dem Modell der Intertextualität, das von einem prinzipiell offenen, flexiblen und diachronen Text- und Rezeptionsverständnis ausgeht, vordergründig widersprechen. Trotzdem lässt sich nicht außer Acht lassen, dass das Bewusstsein der antiken Dichter, fest in eine literarische Genealogie eingebunden zu sein28, stark ausgeprägt war und für die künstlerische Entwicklung des Romanus „Callimachus“ Properz nicht wegzudenken ist. Genaugenommen gewinnt die augusteische Dichtungslandschaft, ausgelegt als ein gattungsübergreifender „Dichterwettstreit“, erst durch die traditionsbildenden Kategorien der imitatio und aemulatio eine innovative Signatur und kontrastreiche Schärfe (Prop. 4,1a,45–54)29: (…) 45 hinc animi venere Deci Brutique secures, vēnit et ipsa, sui Caesaris arma, Venus, arma resurgentis portans victricia Troiae. felix terra tuos cepit, Iule, deos, si modo Avernalis tremulae cortina Sibyllae 50 dixit Aventino rura pianda Remo, aut si Pergameae sero rata carmina vatis longaevum ad Priami vera fuere caput: 53 ‚vertite equum, Danai! male vincitis! Ilia tellus vivet, et huic cineri Iuppiter arma dabit.‘ (…)
Properz verknüpft in diesen Versen die topographischen, mythologischen, historischen und enkomiastischen Merkmale der maxima Roma zu einer großartigen Apotheose ihrer ruhmreichen Geschichte bzw. „Literaturgeschichte“ (arma virumque cano)30: „Then with Aeneas [scil. the Aeneis] came the greatness of Rome that was to be shown forth in her heroic warriors.“ Das Bild des pius Aeneas wird quasi genetisch auf die republikanischen Volkshelden Decius und Brutus übertragen und manifestiert sich teleologisch abschließend in dem maximus „Caesar“ Augustus31, der die Wiedererscheinung des „maximus Teucrorum ductor“ (Aen. 8,470) Aeneas verkörpert32: „in carrying Aeneas’ arms (47), Venus was figuratively carrying Augustus’ (46)“. Deshalb scheint mir Hollis’ Konjektur venit für das überlieferte vexit
28 Vgl. zum Beispiel Ovid, Trist. 4,10,41 ff. und Kapitel 5.2 zu Prop. 2,34,87 ff. 29 Vgl. Berndt/Tonger-Erk, Intertextualität 65 f. 30 Butler/Barber zu 4,1a,45 f. (tunc). Heinsius’ Konjektur hinc wird dagegen von Camps und Hutchinson z. St. vorgezogen: „hinc makes the heroes’ figurative coming from Troy part of Aeneas’ literal coming“. Ähnlich argumentieren neuerdings Fedeli/Dimundo, Properzio IV z. St. für das hinc (237): „gli eroi romani derivano da quelli troiani e Venere“. Ich möchte den Zusammenhang so verstanden wissen, dass das hinc den literarischen Ursprung sozusagen „von Vergil an“ (also der Aeneis) markiert. 31 Vgl. Richardson und Camps zu 4,1a,46 („The reference here is to Augustus“) und Kapitel 6.2 zum Staats- und Familienmythos der Caesares Iulii. 32 Hutchinson z. St. (69).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
in Vers 46 den intertextuellen Zusammenhang signifikant zu vertiefen33: Mit Vergils göttlicher Ahnherrin der gens Iulia, Venus, „kam“ bzw. „kommt“ Aeneas alias Augustus auch Tibulls Siegesgöttin Victoria zuhilfe (2,5,45 f.), so dass Properz’ arma victricia ihre ideologische Schlagkraft aus beiden Vorbildtexten beziehen. Die mythische Interpretation der urbs aeterna, jener aus der Asche der trojanischen Erde neu auferstandenen „Troica Roma“ (4,1b,87), impliziert mit Blick auf die rezeptionsästhetischen Verfahren der Nachahmung und Überbietung (resurgens Troia) eine dichterische De- und Rekonstruktion der hier von Tibull und Vergil erbauten elegischen/epischen maxima Roma (Prop. 4,1a,67): Roma, fave, tibi [re-] surgit opus! Properzens Anspruch, etwa Vergils „city-as-text“ der Aeneis auf einem neuen Fundament erstehen zu lassen, setzt in Fragen der Textproduktion und Textrezeption damit das Bewusstsein eines wandelbaren, weil vieldeutigen opus voraus, das auf der Grundlage der kallimacheischen Aitia errichtet ist34: In so gut wie jedem Vers, jeder Szene, in der Wahl vieler Sujets und eines Großteils des Wortschatzes ist die ältere griechische Dichtung präsent, vor allem das homerische Epos. In sehr vielen Fällen läßt sich sogar aus der Weise, wie Kallimachos ein seltenes homerisches Wort verwendet, nicht nur auf den genauen Prätext zurückschließen, sondern auch auf die Position des Kallimachos in einer Grammatikerkontroverse um dieses Wort (dasselbe gilt für Apollonius). Man hat dafür den Ausdruck „arte allusiva“ geprägt. Die Wirkung dieser Technik ist die einer potentiell offenen Vervielfältigung des Sinns.
Der Kritik einer – laut Scholion – ausgesprochenen πολυειδεία, sprich Vielgestaltigkeit bzw. Verschiedenartigkeit seiner Dichtung musste sich Kallimachos, dem die Augusteer eine ganz neue Kunstauffassung, ja Dichtungsphilosophie verdankten, im 13. Jambus noch schlagkräftig erwehren. Denn der Alexandriner setzte dem perpetuum carmen Homers oder Hesiods ein carmen mixti generis entgegen, das sich durch Kleinheit, Buntheit und Gelehrsamkeit vom traditionsreichen Epos abhob. Zwar zeichnet sich Properzens πολυειδεία nicht durch jene förmliche „Gattungsvielfalt“ des Kallimachos aus, dessen Gesamtwerk mit den Aitia, Jamben, Hymnen oder Epigrammen und darüber hinaus die ganze Spannweite des poetischen (und prosaischen) Genres erfasste. Dennoch gelingt es Properz, Kallimachos’ Vorsatz einer gattungsmäßigen Vielgestaltigkeit auf die Gestalt eines ungemein heterogenen Elegienbuches programmatisch zu übertragen (4,2,1): Quid mirare meas tot in uno corpore formas? Was Ovids „mutatae formae“ der Metamorphosen (1,1) ohnehin thematisieren, gilt im Kern genauso für Tibulls Gedicht 2,5 und für Vergils Aeneis35: „In a more abstract sense, metamorphosis is a central theme of the story of the rebirth of Rome out of the ashes of Troy“. Properzens Elegienepos der maxima Roma führt die fin gierte Wandelbarkeit der Gattungen dabei besonders markant vor Augen36: „Like Aeneid 7, Propertius 4 effects a transformation of amor potentially erotic and ele33 Vgl. Heyworth, Cynthia z. St. (420): „This text [venit] gives a neat polyptoton (venere, venit) leading into the double identification of the arma Venus brings“. 34 Asper, Kallimachos 52 zur „kallimacheischen“ Art zu dichten. Vgl. dazu Kapitel 4.3. 35 Hardie, Mutability of Rome 62. 36 O’Rourke, Maxima Roma 476 f. Ähnlich Maltby, Early History 303, Properz sei „more concerned to adapt elegy to epic subjects than Tibullus“. Vgl. Kapitel 6.1 („Epic into Elegy“).
1. „Hoc quodcumque vides … maxima Roma est“
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giac (Turnus’ for Lavinia, Propertius’ for Cynthia), into amor martial and epic (devotion to maxima Roma).“ Wie die Analyse von Tarpejas amor armorum (4,4) oder Arethusas „Liebe zu den Waffen“ (4,3) verdeutlichen soll, verstehe ich Properz’ „oscillation between epic and elegiac poetics“ (O’Rourke 478) aber nicht als in sich widersprüchlich und inkongruent (und erst recht nicht augustuskritisch), sondern als Ausdruck der alexandrinisch modernen Kunstform, „die einzelnen Stile und konventionellen Gattungen ständig zu dekonstruieren und neu zusammenzusetzen“37. Was Asper für Kallimachos’ raffinierte arte allusiva postuliert, lässt sich deshalb mit besonderem Nachdruck für Properzens hintergründige Anspielungskunst behaupten (ars Battiadae). In diesem Sinne sollen die intertextuellen Detailanalysen im Folgenden veranschaulichen, dass Properz’ maxima Roma des abschließenden Buches wie eine bunte Ekphrasis der augusteischen Dichtung einen künstlerisch reich verzierten decorus liber ausschmückt, dessen kallimacheische Programmatik den Leser von Beginn an offen und offensiv herausfordert. Im Ergebnis kann man daher nicht nur, sondern muss, wie v. Albrecht (Properz 232) betonte, Properzens intellektuelle Dichtkunst „positiv als den Versuch interpretieren, der Gattung [der Elegie] universale Bedeutung und klassischen Rang zu verleihen“. Dies schließt gleichwohl nicht aus, was O’Rourke aus der Sichtweise des Rezipienten folgerte (478): „Inescapably, it is all a question of what one sees“ – Hoc quodcumque vides (…) maxima Roma est.
37 Vgl. Asper, Kallimachos 51.
2. DIE ELEGIE 4,2: TEXT UND ÜBERSETZUNG 2.1 Text Quid mirare meas tot in uno corpore formas? accipe Vertumni signa paterna dei! Tuscus ego Tuscis orior, nec paenitet inter proelia Volsinios deseruisse focos. 5 haec mea turba iuvat nec templo laetor eburno: Romanum satis est posse videre Forum. hac quondam Tiberinus iter faciebat et aiunt remorum auditos per vada pulsa sonos: at postquam ille suis tantum concessit alumnis, 10 Vertumnus verso dicor ab amne deus. seu, quia vertentis fructum praecepimus anni, Vertumni rursus credis id esse sacrum: prima mihi variat liventibus uva racemis, et coma lactenti spicea fruge tumet; 15 hic dulces cerasos, hic autumnalia pruna cernis et aestivo mora rubere die; insitor hic solvit pomosa vota corona, cum pirus invito stipite mala tulit. mendax fama, noces! alius mihi nominis index: 20 de se narranti tu modo crede deo! opportuna mea est cunctis natura figuris: in quamcumque voles, verte, decorus ero. indue me Cois, fiam non dura puella: meque virum sumpta quis neget esse toga? 25 da falcem et torto frontem mihi comprime faeno: iurabis nostra gramina secta manu. arma tuli quondam et, memini, laudabar in illis: corbis in imposito pondere messor eram. sobrius ad lites: at cum est imposta corona, 30 clamabis capiti vina subisse meo. cinge caput mitra: speciem furabor Iacchi; furabor Phoebi, si modo plectra dabis. cassibus impositis venor: sed harundine sumpta fautor plumoso sum deus aucupio. 35 est etiam aurigae species Vertumnus et eius, traicit alterno qui leve pondus equo. 1 quid] qui ς 2 paterna NV2F4: petenda FLPDV│signa patere dei Sandbach: regna paterna dei Housman: signa fatente deo Shackleton Bailey 3 ego] ego et ς 5 mea] me P 9 tantum ω: spatium Heinsius: stagnum Housman 11 praecepimus] percepimus FLP: praecerpsimus Heinsius: praecerpimus Fea 12 credis id Postgate: credidit ω: creditur ς: creditis Guyet │Vertumni rursus credis id esse] Vertumno rursus credis inesse Karacsony 13–18 transp. post 42 Goold (post 44 Heyworth) 19 noces NV2F4: voces FLPVo: vaces DV│ alius] falsa es Lachmann 28 corbis in] corbis et ς: corbis at Passerat 34 fautor Rossberg: favor N: fauvor F: faunor LF2: faunus F4Δ: faustus Karacsony 35 Vertumnus] cum verbere Postgate 36 pondus] corpus Passerat
2. Die Elegie 4,2: Text und Übersetzung
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sub petaso pisces calamo praedabor et ibo mundus demissis institor in tunicis. pastor me ad baculum possum curvare vel idem 40 sirpiculis medio pulvere ferre rosam. nam quid ego adiciam, de quo mihi maxima fama est, hortorum in manibus dona probata meis: caeruleus cucumis tumidoque cucurbita ventre me notat et iunco brassica vincta levi; 45 nec flos ullus hiat pratis, quin ille decenter impositus fronti langueat ante meae. at mihi, quod formas unus vertebar in omnes, nomen ab eventu patria lingua dedit. et tu, Roma, meis tribuisti praemia Tuscis 50 (unde hodie Vicus nomina Tuscus habet), tempore quo sociis venit Lycomedius armis atque Sabina feri contudit arma Tati. vidi ego labentes acies et tela caduca atque hostes turpi terga dedisse fugae. 55 sed facias, divum Sator, ut Romana per aevum transeat ante meos turba togata pedes! sex superant versus: te, qui ad vadimonia curris, non moror: haec spatiis ultima creta meis. stipes acernvs eram, properanti falce dolatvs, 60 ante Nvmam grata pavper in vrbe devs. at tibi, Mamvrri, formae caelator aenae, tellvs artifices ne terat Osca manvs, qvi me tam dociles potvisti fvndere in vsvs. vnvm opvs est, operi non datvr vnvs honos. 37 sub petaso Alton/Smyth: supperat hoc N: suppetat hoc F3LPΔ: suppetat hic Heinsius: 39 pastor me (et curvare) Ayrmann: pastorem ω: pastor ovem (et curare) Huleatt│curvare ς: curare ω 41– 46 transp. post 18 Schrader 49 et NV2: at FLPΔ: haec Camps 52 atque] quoque Morel 57 superant ω: suberant Richardson: suberunt Heyworth 58 creta] meta ς 63 tam dociles] tot docilem Hertzberg 64 opus NF4VVo: usus FLPD
2.2 Übersetzung Was staunst du über meine so vielen Gestalten in einem einzigen Körper? Lerne die altväterlichen Wahrzeichen des Gottes Vertumnus kennen! Etrusker bin ich, von Etruskern stamme ich ab, und doch reut es mich nicht, während der Kriege die heimischen Feuerstätten Volsiniis verlassen zu haben. [5] Dieses mein Volk gefällt mir, nicht aber erfreue ich mich an einem elfenbeinernen Tempel: Es genügt mir, das römische Forum sehen zu können. Hier bahnte sich einst Tiberinus seinen Weg, und man sagt, der Klang der Ruder sei über die geschlagenen Fluten hinweg dort gehört worden: Doch nachdem jener seinen Sprösslingen in so gunstvoller Weise nachgegeben hatte, [10] werde ich heute Gott Vertumnus nach dem gewendeten Fluss genannt. Oder, weil wir die Frucht des sich wandelnden Jahres vorgeschrieben haben, glaubst du andrerseits, dies sei der Kult des Vertumnus: Zuerst verfärbt sich mir zu Ehren der Weinstock mit seinen reifenden Trauben, und mir zu Ehren schwillt die kornreiche Ähre durch ihre milchige Getreidefrucht an; [15] hier siehst
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
du süße Kirschbäume, hier herbstliche Pflaumen und an einem Sommertag Brombeersträucher blutrot schimmern; der Pfropfer löst hier mit einem Obstkranz sein Gelübde ein, sobald der Birnbaum gegen den Willen seines Stammes Äpfel hervorgebracht hat. Lügengerede, du schadest mir! Ich habe einen anderen Gewährsmann für meinen Namen: [20] Glaube du nur dem Gott, der über sich selbst erzählt. Passend ist meine Natur für sämtliche Erscheinungen: Verwandle mich, in welche auch immer du willst, ich werde schön sein. Verhülle mich in ein Koisches Seidenkleid, und ich werde zu einer nicht spröden Geliebten. Wer könnte wohl leugnen, dass ich ein Ehrenmann bin, wenn ich die Toga angelegt habe? [25] Gib mir meine Sichel und drücke mir die Stirn mit einem Kranz aus Heu: Du wirst schwören, dass ich das Gras mit meiner eigenen Hand gemäht habe. Einst trug ich Waffen und erntete, ja ich erinnere mich, in der Rüstung großes Lob. Unter der [doppelt] drückenden Last des Korbes war ich ein Schnitter. Nüchtern trete ich beim Strafprozess auf; doch sobald mir der Kranz aufgesetzt ist, [30] wirst du laut singen, der Wein sei mir zu Kopfe gestiegen. Kröne mein Haupt mit jener Mitra: Ich werde die Gestalt des Iacchus stehlen; des Phoebus Gestalt werde ich stehlen, wenn du mir das Plektron geben wirst. Mit übergeworfenen Fangnetzen gehe ich selbst auf Jagd; habe ich aber die Rohrflöte gewählt, bin ich als Gott [Pan] der Schirmherr für den gefiederten Vogelfang. [35] Es gibt sogar Vertumnus als Erscheinung eines Wagenlenkers sowie desjenigen, der sein leichtes Gewicht von Pferd zu Pferd hinüberschwingt. Unter einem Sonnenhut werde ich mit der Angelrute Fische erbeuten und ein andermal elegant als Händler in ungegürteter Tunika einherstolzieren. Als Hirte kann ich mich über meinen Stock beugen oder selber [40] Rosen in einem Binsenkorb mitten durch den Staub der Arena tragen. Denn wozu soll ich noch erwähnen, wovon mein größter Ruhm kündet, dass die Gaben der Gärten in meinen Händen Gefallen finden: Die meerblaugrüne Gurke, ebenso der Kürbis mit dem angeschwollenen Bauch kennzeichnet mich und der mit leichter Binse gebundene Kohl. [45] Auch sprießt keine Blume auf den Wiesen, ohne dass jene, schmuckvoll vorn auf meine Stirn gelegt, erschlafft. Aber, weil ich mich als einer in alle Gestalten verwandeln konnte, gab mir die Sprache der Väter von jenem Wirken her diesen Namen. Und du, Rom, hast meinen Etruskern hohe Ehren verliehen [50] (woher der Vicus Tuscus heute seinen Namen trägt), zu jener Zeit, als der Lykomedier [Lucumo] mit der verbündeten Streitmacht zu Hilfe kam und die sabinischen Waffen des wilden Tatius zerschmetterte. Ja, ich sah die wankende Schlachtfront und die zu Boden fallenden Waffen und sogar, wie jene Feinde sich rücklings der schändlichen Flucht preisgaben. [55] Aber du, Schöpfer der Götter, sollst dafür Sorge tragen, dass das Römervolk im Friedensgewande bis in alle Ewigkeit vor meinen Füßen vorüberschreitet. Sechs Verse sind noch übrig: Ich halte dich, der du zum Gerichtstermin eilst, nicht länger auf. Dies ist der letzte Kreidestrich für meine Rennbahn. ein Klotz aus Ahornholz war ich, zurechtgeschnitzt von einem gewandten Messer, [60] war vor Numa ein Einfaches Götterdenkmal in einer dankbaren Stadt. Doch dir, Mamurrius, Bildner meiner bronzenen Gestalt, möge die oskische Erde deine kunstfertigen Hände nicht wundreiben, der du es vollbracht hast, mich zu so gelehrigem gebrauch zu giessen. Ein einziges ist dein Kunstwerk, diesem Kunstwerke wird jedoch nicht nur eine einzige Ehre zuteil.
3. DER NAME UND DIE HERKUNFT DES GOTTES VERTUMNUS: „TUSCUS EGO TUSCIS ORIOR“? Die Elegie 4,2 behandelt die schon in der römischen Antike bzw. zu Properzens Zeit relativ obskure Gottheit Vertumnus, deren Herkunft, Natur und göttliches Wesen. Den Mittelpunkt des Gedichts bildet eine etymologische Erörterung des Eigennamens Vertumnus: Nach zwei verworfenen Ableitungen von Vertamnis, nach der „Wendung des Flusses“, und Vertannus, nach dem „Wandel des Jahres“, spricht sich der Gott selbst für die dritte Möglichkeit Vertomnis aus. Diese „allumfassende Verwandlung“ des Vertumnus ist wie die aitiologische Quintessenz seiner tot formae den Eröffnungsversen eingeschärft und mit der Ankündigung verknüpft, über die eigentümlichen „signa paterna“ des Gottes aufzuklären (1–2): Quid mirare meas tot in uno corpore formas? accipe Vertumni signa paterna dei! (…)
Bereits der zweite Vers wirft im Hinblick auf die konkreten signa paterna des Vertumnus Fragen der Textüberlieferung und Gedichtinterpretation auf: Zum einen steht zur Diskussion, ob sich die signa explizit auf Vertumnus’ „Götterstatue“ am römischen Forum beziehen (signum)1 oder als „symbolic tokens“ eher Vertumnus’ Herkunft und Charakterwesen beschreiben (notae)2. Und zum anderen ist, wie ich unten zur patria lingua (48) des Vertumnus noch ausführen werde, der genealogische/etymologische Kontext des Epithetons paterna umstritten, das wahlweise mit dem etruskischen3 oder römischen Götterkult4 des Vertumnus verbunden wird. Zumal Properz seinen Gott selbst äußern lässt, dass er an seinem templum eburnum (5) keinen Gefallen finde und eher den weitläufigen Blick über das Romanum Forum (6) schätze, liegt es nahe, die Personifikation bzw. „Verkörperung“ des Gottes zunächst „ad Vortumni signum“ (Liv. 44,16,10) zu beziehen. Diesem war, wie in V.61 präzisiert wird, ein bronzenes Götterdenkmal (forma aena) am Forum Romanum geweiht, so dass die Fiktion einer vermenschlichten und sprechenden Statue (im Gegensatz zum abstrakten Tempelkult) den dialogischen Auftakt des quid mirare einerseits motiviert und andererseits, analog zu den „artifices, vivida signa, boves“ (2,31,8) des Apollotempels, die künstlerische Anschaulichkeit, ja Formvollendung des vividus Vertumnus vor Augen hält – ganz im Sinne von Ovids dichterischem Credo „ars latet arte sua“ (Met. 10,252). 1 2 3 4
So Rothstein oder Hutchinson z. St. Vgl. dazu Cicero, In Verr. 2,1,154 (quis a signo Vortumni in circum Maximum venit …). Vgl. Pillinger, Callimachean Influences 179 oder Camps z. St. Vgl. ausführlicher zur Diskussion Suits, Vertumnus Elegy 481 (Anm. 24), der für Paleys „proofs of the parentage or paternity“ plädiert. So Suits, Vertumnus Elegy 481. So Marquis, Vertumnus 494.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
In diesem Kapitel sollen zu Beginn der Analyse von 4,2 die geschichtlichen/etymologischen Wurzeln des properzischen Verwandlungsgottes aufgedeckt werden. Die vereinzelten historischen Spuren des deus Etruriae princeps (Varro) Vertumnus scheinen auf den alten etruskischen Kriegergott Veltune – daraus vielleicht Voltumna und dann Vortumnus bzw. Vertumnus abgeleitet – zu verweisen, auch wenn die ursprünglichen signa paterna des Vertumnus infolge seiner Kultüberführung bzw. Romanisierung weitgehend fragwürdig sind und die antike zeitgenössische Diskussion seiner patria lingua, wie Properzens Gedicht dokumentiert, befördert und befruchtet haben. Vertumnus’ etruskischer und später den römischen Vorstellungen angepasster Götterkult ist insofern für den ethnogenetischen Transformationsprozess des populus Romanus beispielhaft. Zugleich spiegeln Vertumnus’ duae patriae (Cicero) Properz’ ambivalente Dichtung des vierten Buches wider, da die signa paterna des Gottes die signa artificia des Dichters, seine intertextuellen Spuren oder „Wahrzeichen“, verbergen5. Die Bedenken, die zuweilen an der handschriftlichen Überlieferung signa paterna (so NV2F4) oder signa petenda (so FLPDV) geäußert werden6, machen es erforderlich, den mutmaßlich „etruskischen“ Kulthintergrund des Vertumnus genauer zu beleuchten (4,2,3–4): (…) Tuscus ego Tuscis orior, nec paenitet inter proelia Volsinios deseruisse focos. (…) Den codd. dett. folgend, fügen etliche Textausgaben (so Hutchinson, Heyworth und zuletzt Fedeli/ Dimundo) in V.3 ein et nach ego ein, da die andernfalls jambische Messung des ĕgō für die klassische Dichtung ansonsten nicht belegt sei und einen einzigartigen Archaismus des Elegikers abgebe. In seiner Studie der Sprachkunst des Properz hob Tränkle zu den obigen Versen hervor, dass das Gedicht 4,2 „feierlich und hoch im Stil“ beginne7. So bezog zuvor Fedeli z. St. die metrische Besonderheit wie Pasoli „ad studium graecissandi [ἐγώ] et veterum poetarum usum renovandi“. Auch das emphatische Polyptoton Tuscus/Tuscis und die pathetische o-Interjektion (ego – orior) kommen ohne ein elidierendes et nach den syntaktischen Einschnitten der Trithemimeres/Hephthemimeres wirkungsvoller zur Geltung. Für die von Tränkle konstatierte „gehobene Wendung“ (Volsinios focos) sprechen zudem der unkonventionelle Gebrauch des bloßen Ablativus originis (Tuscis orior) oder aber die Reminiszenz an Catulls berühmte Allius-Elegie (~ Carm. 68b,101 f.): (…) fertur simul undique pubes / Graeca penetralis deseruisse focos (…). Der klangvoll-erhabene SprachdukVgl. poetologisch auch Kapitel 6.3 zu Prop. 4,2,57 ff. (sex superant versus …). Vgl. dazu Ovid, Fast. 2,512 (… et referunt certi sacra paterna dies). Die Verbesserungen von Baehrens (signa petita), Richards (signa putanda) oder Hanslik (signa petenda deo) führen kaum weiter. Aus Sandbachs Konjektur resultiert, wenngleich inhaltlich attraktiv, eine sperrige Interpunktion/Satzkonstruktion: Quid mirare? meas tot in uno corpore formas / accipe Vertumni signa patere dei. Shackleton Baileys von Goold übernommene Konjektur signa fatente deo korrespondiert zwar gut mit V.20 (de se narranti tu modo crede deo), die fehlenden Epitheta für signa und Vertumni machen den Versbau aber unausgewogen. Eine paläographisch erwägenswerte Verbesserung bietet außerdem Housmans regna paterna, das von Butler/Barber übernommen wird. Vgl. 3,19,22 (tondens [Scylla] purpurea regna paterna coma). Sie stellt eine gute topographische Überleitung zum dritten Vers her (Tuscus ego …), greift aber den Prologvers thematisch nicht mehr auf (tot formae). 7 Tränkle, Sprachkunst 174. Tränkle bewertet die Elegie 4,2 als beispielhaft dafür, wie im vierten Buch unterschiedliche Stilhöhen wechseln und in Beziehung auf die Motivvielfalt der Gedichte eine „Mehrstimmigkeit des Klanges“ erzeugen würden. 5 6
3. Der Name und die Herkunft des Gottes Vertumnus
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tus schlägt sich stimmig in der kryptischen Offenbarung der signa paterna des Vertumnus nieder, dessen konkreter Kulthintergrund zwischen der historischen Wahrheit und ihrer mythologischen Verklärung beinahe verschwimmt (4,2,49–54): (…) et tu, Roma, meis tribuisti praemia Tuscis 50 (unde hodie Vicus nomina Tuscus habet), tempore quo sociis venit Lycomedius armis atque Sabina feri contudit arma Tati. vidi ego labentes acies et tela caduca 54 atque hostes turpi terga dedisse fugae. (…)
Properz’ Darstellung wirft auf den ersten Blick ein zeitliches Paradoxon auf8: Einerseits geben die mit historiographischen Details versehenen Verse 3 f. Anlass zu der Vermutung, dass mit den proelia auf den militärischen Triumph des M. Fulvius Flaccus über die Volsinienser im Jahre 264 v. Chr. angespielt wird (Volsinios focos). Nach Plinius (Nat. 34,34) seien im Zuge dieses Sieges etwa 2000 etruskische Statuen nach Rom verschleppt worden, unter denen sich auch Vertumnus’ stipes acernus (59) befunden haben könnte. Verortet man den Ursprung des Götterkults demnach in der etruskischen Stadt Volsinii (Bolsena), folgt daraus, dass die Kultübertragung nach Rom in das 3. Jahrhundert v. Chr. fällt und vermutlich im offiziösen Rahmen einer evocatio (das meint ein reguläres Gelöbnis gegenüber fremden Gottheiten, sie gebührend in den römischen Kultapparat aufzunehmen) vollzogen worden ist9. Bemerkenswerterweise wird diese Form der religiösen Kultüberführung mit dem Begriff deserere (4) umschrieben. Da zudem überliefert ist, dass Vertumnus ein oder vielleicht jener templum eburnum (5) auf dem Aventin gestiftet worden war10, erscheint diese geschichtliche Kontextualisierung sehr plausibel. Andererseits relativieren die Verse 51 ff. diese historische Deutung eher und bieten eine mythologische Erklärung der Zusammenhänge: Die Kämpfe beziehen sich nach der sagenhaften Überlieferung auf die Rachekriege der Sabiner (Sabina arma) wegen des legendären Mädchenraubs. Somit muss die (formlose) Kultübertragung weit früher in die Anfangszeit des römischen Staatswesens fallen. Zieht man in Erwägung, dass der Gott Vertumnus laut Properz die mythischen Einigungskriege des römischen Vielvölkerstaates selbst miterlebt haben will (vidi ego), hat zu Roms Gründertagen möglicherweise, wie in V.60 impliziert, bereits ein einfacher Götterkult des Vertumnus bestanden (pauper deus), der dann unter dem zweiten König Numa Pompilius festere Kultformen angenommen hat (forma aena)11. Vgl. Suits, Vertumnus Elegy 485 f.; Marquis, Vertumnus 493 f.; Glock, Aitiologie 203 ff. Vgl. allgemein zu Vertumnus’ Götterkult Eisenhut, Vertumnus Sp. 1669 ff.; Wissowa, Religion der Römer 287 f.; Latte, Religionsgeschichte 191 f. und Radke, Götter Altitaliens 317 f. 9 Dies bezweifeln Eisenhut, Vertumnus Sp. 1675 und Radke, Götter Altitaliens 317 f. 10 Vgl. zum Beispiel die Commentarii diurni CIL I2, S.325 (Vortumno in Aventino). Nach Festus (209 M.) habe dort ein Bildnis des siegreichen M. Fulvius Flaccus gestanden. 11 Der Sabiner Numa Pompilius galt in der Antike als vorbildlicher Friedensregent und Sakralgesetzgeber, der das römische Volk der Überlieferung nach einte und zivilisierte (vgl. Aen. 6,809 ff.). Numas Begründung eines imperium magnum (Aen. 6,812) ist für den mythologischen Schöpfungsakt der maxima Roma (Romulus, Lucumo, Titus Tatius) insofern von we8
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Die nur sporadischen antiken Zeugnisse über den Gott Vertumnus und seinen althergebrachten Kult tragen dazu bei, dass die Elegie 4,2 die wichtigste, wenn nicht sogar einzige umfassende Informationsquelle darstellt12. Dass das Gedicht chronologische Unstimmigkeiten hervorruft, die sich aber nicht zwingend widersprechen müssen (der förmlichen evocatio des Gottes mag eine formlose Kult übertragung vorausgegangen sein), ist dem Umstand geschuldet, dass Properz über Vertumnus’ – historisch offenbar verbürgten – etruskischen Kult nur bedingt Zuverlässiges berichten kann oder will (De ling. Lat. 5,46): In Suburanae regionis parte princeps est Caelius Mons a Caele Vibenna, Tusco duce nobili, qui cum sua manu dicitur Romulo venisse auxilio contra Tatium regem. Hinc post Caelis obitum, quod nimis munita loca tenerent neque sine suspicione essent, deducti dicuntur in planum. Ab eis dictus Vicus Tuscus, et ideo ibi Vortumnum stare, quod is deus Etruriae princeps (…).
Varros ethnographische Qualifizierung des „deus Etruriae princeps“ legt nahe, dass Vertumnus ursprünglich der Rang eines „Hauptgottes“ und vielleicht die Kulthoheit über den „ganzen etruskischen Städtebund“ zukam13, was die allgemeine Ungewissheit über seinen etruskischen Kulthintergrund aber umso verwunderlicher macht. Bezeichnend dafür ist auch die unterschiedliche Ausrichtung bzw. Interpretation des Mythos: Während bei Properz Lucumo (Lycomedius) Rom bzw. Romulus gegen die Sabiner (Titus Tatius) zu Hilfe eilte, ist es bei Varro der Etrusker Caele Vibenna. Bei Varro hängen die Benennung des Vicus Tuscus und die Aufstellung des Vortumni signum mit der Umsiedelung der Etrusker, die sich nach Caeles Tod kriegerischer Absichten „verdächtig“ gemacht hätten, in die Tiefebene zusammen; Properz dagegen würdigt durch das lokale Kultaition den militärischen Treuedienst der Etrusker. Glock behauptete im Vergleich der Darstellungen, dass Properz Varros Angaben „geringfügig manipuliert und die Ereignisse der römischen Frühgeschichte aus der Perspektive des Gottes [Vertumnus] wiederum anders deutet“14. Zwar mag für den Römer die historische Wahrheit mit ihrer mythologischen Verklärung faktisch zusammenfallen, damit ist die aitiologische Triftigkeit der Darstellung aber weder in der einen noch der anderen Version zweifelsfrei erwiesen. Denn das, was Properz, sofern er auf Varro zurückgriff, in 4,2 als beglaubigtes Wissen neu interpretiert, erscheint schon bei Varro mythologisch verzerrt. Und selbst auf diesem brüchigen Fundament ist sich Varro der Unzulänglichkeit seiner Überlieferung aus zweiter und dritter Hand durchaus bewusst (dicitur, dicuntur, dictus). Daher überrascht es nicht, dass der römische Sprachforscher Vertumnus’ Götterkult an anderer Stelle mit dem religiösen/etymologischen Einfluss der Sabiner in Verbindung bringt (De ling. Lat. 5,74):
sentlicher Bedeutung, als sich mit ihm die concordia tribuum omnium (Latiner, Etrusker, Sabiner) schrittweise vollzog. Vgl. auch Kapitel 6.1 zu Prop. 4,1a,29 ff. (~ 4,2,49 ff.). 12 Vgl. Kapitel 7 zur zweiten ausführlicheren Quelle bei Ovid, Met. 14,622 ff. (Vertumnus und Pomona), der aber keine historisch gesicherten Informationen, sondern eher eine erotische Interpretation des properzischen Gedichts 4,2 gibt („Vertumnus amator“). 13 Vgl. Wissowa, Religion der Römer 287 (und Anm. 2 zu Varro). 14 Glock, Aitiologie 205.
3. Der Name und die Herkunft des Gottes Vertumnus
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(…) Et arae Sabinum linguam olent, quae Tati regis voto sunt Romae dedicatae: nam, ut annales dicunt, vovit Opi, Florae, Vediovi Saturnoque, Soli, Lunae, Volcano et Summano, itemque Larundae, Termino, Quirino, Vortumno, Laribus, Dianae Lucinaeque; e quis nonnulla nomina in utraque lingua habent radices ut arbores, quae in confinio natae in utroque agro serpunt. (…)
Varros Aussage, Titus Tatius habe Vertumnus’ Götterkult in Rom eingeführt oder zumindest regularisiert, lässt sich durch Properz’ Gedicht weder be- noch widerlegen (der ferus Tatius tritt aber als Kriegsgegner der Etrusker/Römer in Erscheinung) und ist vom sprachwissenschaftlichen Standpunkt der Sabina/patria lingua des Vertumnus eher fragwürdig. Ich bin auch nicht wie Glock der Überzeugung, dass der selbsterklärte Romanus Callimachus Properz eine manipulative oder ironische „Aufklärung“ bzw. „Richtigstellung“ Varros betreibe15. So kreativ und erfindungsreich sich Vertumnus’ Namensableitungen prima facie gestalten mögen – im Kern wendet sich das Kultaition 4,2 mit ernsthaften dichterischen Ambitionen und Erwartungen an das große alexandrinische Vorbild16: „Eins aber war seit Kallimachos nicht mehr möglich: Wollte man ihm nacheifern, reichte eine spielerische und gelegentliche Namendeutung (…) nicht aus. Fachwissen des grammaticus und Fähigkeiten des poeta sind nunmehr eng verbunden.“ Selbstverständlich schließt das Leitbild des kallimacheischen „Dichterphilologen“ (Koster), des doctus poeta, eine geistreich-gewitzte Behandlung aitiologischer Themen nicht aus, sondern bestärkt im Gegenteil deren gelehrsamen Charakter. Dass sich Properz aber wie Varro auf vage Anspielungen und Zusammenhänge beschränken muss, hat offenbar damit zu tun, dass zu republikanischer und augusteischer Zeit der etruskische Kulthintergrund des Vertumnus weitgehend nebulös und unsicher gewesen ist. Selbst Varros Bericht über den etruskischen Heerführer Caele Vibenna unterliegt dem charakteristischen Wissensverfall im Zuge mündlicher Tradierung und Ausschmückung. So kann sich einige Jahrzehnte nach Varro der römische Historiker Tacitus kein klares Bild des „dux gentis Etruscae“ mehr machen (Ann. 4,65): nam scriptores in eo dissentiunt. Mit der Frage nach den kultgeschichtlichen signa paterna des Vertumnus ist das Problem seiner – wahlweise etruskischen oder römischen – patria lingua untrennbar verbunden17: „Die Erklärung, daß es die Muttersprache gewesen sei, die ihm [Vertumnus] den Namen beigelegt habe, läßt den etymologischen Unernst der Definition erkennen. Denn der folgende Vers [49] bestätigt in der pointierten Gegenüberstellung der Etrusker mit Rom, daß trotz der lateinischen Bildung Etruskisch gemeint sein muß“ (4,2,47–48): at mihi, quod formas unus vertebar in omnes, nomen ab eventu patria lingua dedit. (…) Dass sich Vertumnus’ patria lingua, anders als Glock es behauptet, dagegen auf seine römische bzw. lateinische Muttersprache bezieht, wird in der Forschung mehrheitlich geteilt18. Um Vertum15 16 17 18
Vgl. Glock, Aitiologie 208. Koster, Tessera 48 f. Glock, Aitiologie 205 z. St. So Rothstein; Butler/Barber; Richardson oder Camps z. St. Ebenso Cairns, Augustan Elegist 287 (patria lingua „can only be Latin“). Wie Glock dagegen Hutchinson z. St.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
nus’ etruskische signa paterna von seiner vermeintlich römischen patria lingua präzise zu unterscheiden, bedarf es sowohl einer sprachwissenschaftlichen Analyse und konkreten Erörterung, wie Properz den Sachverhalt semantisch deutet. In den antiken Quellen finden sich entweder der Name Vertumnus (so bei Properz und Ovid) oder die archaische Form Vortumnus (so bei Varro und Cicero)19. Seither sind verschiedene Versuche unternommen worden, die Bezeichnungen auf einen lateinischen oder etruskischen Wortstamm zurückzuführen20: Nach Eisenhut „klingt [Vertumnus] indogermanisch, ja lateinisch“, könne „jedoch auch gut etruskisch sein“. Gegen Schulzes entsprechend hypothetische Bildung des etruskischen Gentiliz *vertumna wendet Radke ein, „daß weder der Name des Gottes noch ein nach ihm gebildeter Personen- oder Ortsname noch überhaupt eine Spur seiner Existenz in Etrurien nachweisbar ist“ (318). Radke erwägt analog zur Suffixprägung in Voltumna einen umbrischen Kulthintergrund des Vertumnus, dessen Name „kaum zu vertere, sondern zu *vorta [Erfüllung, Gewährung, Gottesdienst]“ (319) gebildet sei. Dieser Auffassung kann man aber die nach Eisenhut (zu Devotos Sprachstudien) gut belegte indogermanische Wortwurzel Wert („drehen, wenden“) entgegenhalten, deren „unbezweifelbaren Zusammenhang mit vertere“ auch Wissowa (288) behauptet und was durch Properzens Ableitungen von Vert-amnis (10), Vertannus (11) und Vert-omnis (47) nahegelegt wird21: „Yet is this not precisely the point of Popertius’ elegy? Is he not here telling us that a naturalized Roman deity was given the specifically Latin name of Vertumnus […] in explanation of his omniform nature […], and that this very omniformity was the god’s original (i. e. Etruscan) characteristic, suggested by Propertius’ use of the imperfect tense in vertebar?“ Marquis führte dabei den Kultursprung des deus Etruriae princeps (Varro) auf die alte etruskische Schutz- und Kriegergottheit Velϑa oder Veltune zurück, woraus sich die Formen Voltumna und, infolge eines konsonantischen Lautwandels, Vortumnus/Vertumnus entwickelt hätten. Dazu passt, dass der Historiker Livius ein „Etruriae concilium ad Voltumnae fanum“ (4,22,5) überliefert, welches nahe der Stadt Volsinii (Bolsena) oder etruskisch Velzna abgehalten worden sei und wo „noch in der Zeit Constantins alljährlich Spiele stattfanden“ (vgl. Latte 191). Aus diesem „spiritual centre of the entire nation“ folgerte Marquis, Vertumnus alias Veltune/Voltumna habe ursprünglich dem politisch-religiös verfassten Zwölferbund vorgestanden und in seinem ureigenen Kultaition die „Einheit aller“ (unus – omnes) Etruskerstämme versinnbildlicht22: This suggests that the goddess Voltumna was the wife, or, at all events, the female counterpart, of Vortumnus, and that the pair were the patron deities of Volsinii, from which they took their name and to which they stood in much the same relation in which Athena stood to Athens. If that was so, the proper form of the god’s name would seem to have been Voltumnus rather than Vortumnus.
Die oben in der Forschung verfolgten Hypothesen bieten einige plausible Ansätze, um Vertumnus’ etruskische signa paterna mit seiner lateinischen patria lingua in 19 Vgl. Eisenhut, Vertumnus Sp. 1669 zum Lautwandel („In den Inschriften kommen beide Formen vor“). 20 Vgl. im Überblick Marquis, Vertumnus 496 („Clearly, the efforts of the linguists have resulted in some confusion“) zu Eisenhut [Vertumnus Sp. 1669 f.], Radke [Götter Altitaliens 318 f.], Latte [Religionsgeschichte 191 f.] oder Wissowa [Religion der Römer 287 f.]. 21 Marquis, Vertumnus 496 f. Ebenso Latte, Religionsgeschichte 191 (Anm. 4): „Die Etymologien laufen alle auf eine Ableitung von vertere heraus“. Dazu wird eine veraltete Partizipbildung des Verbums erwogen (Marquis, Vertumnus 496): „Yet it is perfectly feasible to regard the word [Vertumnus] as formed from an obsolete participle of verto in -om(e)nos.“ 22 Frazer, Fasti 439 (zu 6,409). Ähnlich Wissowa, Religion der Römer 287 (Anm. 2): „Auch die etruskische Göttin Voltumna (…) kann von Vortumnus nicht wohl getrennt werden“. Eine Identität zwischen Voltumna/Vortumnus behauptet auch Latte, Religionsgeschichte 191, weist aber auf die Unsicherheiten einer geschlechtlichen Zuordnung in der etruskischen Sprache hin, „die keine Genusunterschiede in den Götternamen hatte“. Von einem Voltumnus ist jedenfalls nichts überliefert, sofern er denn das fehlende linguistische Bindeglied darstellt.
3. Der Name und die Herkunft des Gottes Vertumnus
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Einklang zu bringen, und vielleicht ist oder war Properz’ Verwandlungsgott tatsächlich mit jener altehrwürdigen Kriegergottheit Velϑa/Veltune verwandt oder identisch, auf die der Dichter verschwommen anspielt (4,2,27): arma tuli quondam et, memini, laudabar in illis. Trotzdem verbleiben einige Zweifel an einer Identifikation: Abgesehen von der Frage, ob Varros Epitheton des princeps tatsächlich den Götterstatus des Vertumnus anzeigt oder welcher Kultraum dem Etruria genau zugrunde liegt23, ist es etwas dubios, dass die antiken Quellen über Vertumnus’ angeblich herausragenden Kult „ad Voltumnae fanum“ (Livius), dessen sakralrechtliche Bedeutung immerhin bis in die spätantike Zeit Kaiser Konstantins reicht, nichts Stichhaltiges zu berichten wissen und den vermeintlichen deus princeps, wie der Elegiker, sogar zu einem pauper deus (60) stilisieren. Überhaupt schlägt eklatant ins Gewicht, falls nicht durch die Überlieferung verloren gegangen, dass Varro – ansonsten mit sprachwissenschaftlichen Erhellungen relativ ungezwungen und großzügig bei der Hand – sich im etymologischen Musterfall des Vertumnus in Stillschweigen hüllt bzw. konziliant gibt (in utraque lingua). Folglich lag Vertumnus’ ursprünglicher Kult entweder klar zutage und bedurfte keiner wahrheitsgetreuen aitiologischen Offenlegung (dann böte die Elegie 4,2 in der Tat bloß eine ironische Aufklärung allgemeinhin bekannten Wissens), oder die kultgeschichtlichen Spuren des Gottes waren, was für die problematische Überlieferungs- und Forschungslage eher be- und kennzeichnend ist, durch den ethnogenetischen Prozess der Kultüberführung, sprich Romanisierung, so stark überformt, dass die „hybride Identität“ (Welch) des etruskischen/römischen Vertumnus eine kultspezifische Unterscheidung erschwert oder unmöglich macht24: „Which is his patria – Volsinii or Rome?“ Ähnlich Welch, die anhand der doppelten patria des Vertumnus (das gelte ebenso für den aus Assisi stammenden Properz) „the instability of the construction of Roman identity“ (36) begründen will, drücken Vertumnus’ tot formae (4,2,1) für Lee-Stecum die ethnisch und kulturell gespaltene maxima Roma aus25. Sehr aufschlussreich ist Lee-Stecums Verweis auf Ciceros Vorstellung „zweier Vaterländer“ (duae patriae). Denn von Atticus nach seiner germana patria befragt, antwortet der römische Staatsphilosoph (De leg. 2,5)26: Ego mehercule et illi [Catoni] et omnibus municipibus duas esse censeo patrias, unam naturae, alteram civitatis: ut ille Cato, cum esset Tusculi natus, in populi Romani civitatem susceptus est, ita, cum ortu Tusculanus esset, civitate Romanus, habuit alteram loci patriam, alteram iuris. (…) Sic nos et eam patriam ducimus, ubi nati, et illam, a qua excepti sumus. Sed necesse est caritate eam praestare, qua rei publicae nomen universae civitatis est, pro qua mori et cui nos totos dedere et in qua nostra omnia ponere et quasi consecrare debemus. Dulcis autem non multo secus est ea, quae genuit, quam illa, quae excepit. Itaque ego hanc meam esse patriam
23 Vgl. Radke, Götter Altitaliens 319 f., der mit Verweis auf Cicero, De nat. deorum 2,67 (Princi pem in sacrificando Ianum esse voluerunt) dadurch eher die „Funktion“ beim Opferritus angezeigt sieht. Da laut Radke Voltumna „eher eine umbrische als etruskische Göttin ist, könnte auch V[ertumnus] von dorther stammen“ (320): Vertumnus sei dann, ethnographisch cum grano salis verstanden, ein „Gott Etruriens“, jedoch explizit „kein etruskischer Gott“. 24 Welch, Elegiac Cityscape 36. 25 Vgl. Lee-Stecum, Hybridity 34 ff. („The Vertumnus Model“). 26 Vgl. Lee-Stecum, Hybridity 30 ff. („Unity and Hybridity“).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar [Arpinum] prorsus numquam negabo, dum illa [Roma] sit maior, haec in ea contineatur ˂xxx˃ duas habet civitates sed unam illas civitatem putat.
Cicero differenziert hier zwischen einem „angeborenen“ und einem „angeeigneten“ Vaterland, also zwischen einer patria naturae bzw. civitatis: Wie der Tusculaner Cato stamme er zwar nach seiner Herkunft aus Arpino, habe sich aber zugleich das Bürgerrecht des römischen Volkes erworben. Obwohl Cicero wie der stammesbewusste Etrusker Vertumnus sein Geburts- und Heimatland niemals verleugnen würde, gilt der höhere persönliche wie politische Weihedienst doch dem „einen“ bzw. „universellen“ Vaterland der res publica, die „alle“ römischen Munizipien in sich erfasst und vereint27: „Rome as patria is the force and focus which unites all municipia through common citizenship and common obligations under the name of the Republic.“ Zwar lösten sich die ethnische Pluralität und kulturellen Spannungen des römischen Vielvölkerstaates auch in der augusteischen Zeit kaum derart verpflichtend im „Namen der Republik“ in allgemeinem Wohlgefallen auf. Dennoch bin ich nicht der Ansicht, Vertumnus’ (oder Properz’) duae patriae brächten den labilen Charakter der römischen Identität regimekritisch zum Vorschein (4,2,1): Quid mirare meas tot in uno corpore formas? Vergleichbar Veltunes/Voltumnas heiligem Kult des Etruriae concilium liegt dem Namen des Vertumnus vielmehr die tiefsinnige semantische und ideologische Bedeutung zugrunde, dass dieser in Eins gewendete Gott alle Volksstämme und Gesellschaftsgruppen kultisch erfasst und den weitverzweigten populus Romanus als ethnisch zusammengewachsenen Staatskörper wesentlich stabilisiert. Damit träten die etruskischen signa paterna des Einheitsgottes in der römischen patria lingua des Vertumnus kontinuitätsstiftend in Erscheinung. Von diesen möglichen kulthistorischen Ursprüngen und symbolträchtigen politischen Bezügen abgesehen, hat der „deus Etruriae princeps“ Vertumnus in der römischen Zeit, und soweit es Properz’ Interpretation der signa paterna/artificia des Gottes betrifft, einige gravierende Verwandlungen erfahren, so dass Vertumnus’ ursprünglich etruskischer und später angewandelter römischer Kultcharakter die aitiologische und religiöse Phantasie der Menschen beflügelte und zu einer Vielzahl von Kultdeutungen und Kultpraktiken anregte. Bei Properz trägt Vertumnus den Charakter einer profanen Allerweltsgottheit, eines pauper deus, dessen Verehrung weder privilegierten Gesellschaftsschichten noch exklusiven Priesterschaften vorbehalten blieb, sondern allen Bürgern und Peregrinen offenstand. Das offene und öffentliche signum Vortumni am Forum Romanum ist dafür der sichtbarste Beweis. Dass der Götterkult des Vertumnus tief im römischen Volksglauben wurzelte und je nach seiner Erscheinung ab eventu (48) unterschiedlich rezipiert und praktiziert wurde, verdeutlichen schließlich die verschiedenen Namensableitungen, die Properz in 4,2 vorstellt und gegeneinander abwägt: Vertamnis – Vertannus – Vertomnis! Dabei sind nicht nur die vielfältigen kultgeschichtlichen, sondern auch die vielgestaltigen dichterischen Spuren bzw. Wahrzeichen (signa) des Vertumnus in das Elegienwerk als Ganzes gleichsam inkorporiert: tot formae – unum corpus.
27 Lee-Stecum, Hybridity 31.
4. DIE ERSTEN BEIDEN ABLEITUNGEN: VERTAMNIS ODER VERTANNUS? 4.1 Vertumnus von Vertamnis: „Callimachus Romanus at Work“ In Kapitel 3 ist angerissen worden, dass die verschiedenen kultgeschichtlichen signa des Vertumnus unterschwellig als dichterische Spuren oder Wahrzeichen des Verwandlungsgottes in 4,2 zur Diskussion gestellt werden. In diesem Kapitel soll dies an der ersten Namensableitung Vertamnis veranschaulicht werden, die einen beispielhaften Einblick in Properz’ aitiologische Methode des „intertextuellen“ Etymologisierens gewährt und einen ersten Eindruck seines künstlerischen Selbstverständnisses als Romanus Callimachus verschafft. Dazu soll im Vergleich mit den Referenz- und Paralleltexten Vergils, Tibulls und Ovids die Frage behandelt werden, ob bzw. inwiefern Properz selbst als dichterischer auctor nominis dieser Ableitung verantwortlich zeichnet. Auch wenn die ersten beiden Namensableitungen von Vertamnis bzw. Vertannus vom Gott selbst letztlich als mendax fama (19) verworfen werden, scheinen sie doch zunächst reizvolle Alternativen darzustellen und werden deshalb zu Beginn durchaus glaubhaft erwogen (4,2,7–10): (…) 7 hac quondam Tiberinus iter faciebat et aiunt remorum auditos per vada pulsa sonos: at postquam ille suis tantum concessit alumnis, 10 Vertumnus verso dicor ab amne deus. (…)
Mit dem „hier“ (hac) lokalisierten Gebiet ist die ursprünglich sumpfige Tiefebene des Velabrum gemeint, das zwischen Kapitol, Palatin und Tiber eingebettet lag. Durch die Niederung des Velabrum führte, ausgehend vom nördlich gelegenen Forum Romanum, der lange Straßenzug des Vicus Tuscus, der sich in südlicher Richtung zwischen Forum Boarium und Circus Maximus gabelte. So berichtet Horaz in Od. 1,2,13 ff., wie die Gegend damals regelmäßig durch die Überschwemmungen des Tiber weitläufig bis zum Vesta-Tempel hinauf geflutet war. Nach der Trockenlegung des Gebiets durch die Cloaca Maxima entwickelte sich das Velabrum wegen der günstigen Verbindungslage schnell zu einem zentralen Knotenpunkt für den städtischen Nahverkehr und Handel1. Auch Properz richtet in dem Gedicht 4,9 den topographischen Blickwinkel auf die südwestliche Region des Palatium bzw. Forum Boarium und erzählt, wie das Velabrum, „von seinem eigenen Fluss überschwemmt“, zu den mythischen Zeiten eines Herkules mit dem Schiff passiert werden musste (1–6):
1
Vgl. Plautus, Curc. 483 ff. Putnam, Shrine of Vortumnus 177 sieht darin einen Verweis auf den (ungefähren) Standort des signum Vortumni (vgl. unten).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar Amphitryoniades, qua tempestate iuvencos egerat a stabulis, o Erythea, tuis, venit ad invictos, pecorosa Palatia, montes, et statuit fessos, fessus et ipse, boves, 5 qua Velabra suo stagnabant flumine quaque nauta per urbanas velificabat aquas. (…)
Die besondere Frage nach dem ursprünglichen Standort des signum Vortumni scheint, soweit es zunächst Properzens Darstellung berührt, von einer präzisen Verortung des hac im, am oder um das Forum Romanum abzuhängen. Mit Blick auf 4,2,6 lokalisierte Eisenhut2 diesen auf der dem Forum Romanum zugewandten Seite zwischen der Aedes Castorum (an dieser Stelle gelegen) und der Basilica Iulia, wo der Vicus Tuscus an der Kreuzung zur Sacra Via in das Forum mündete und einen guten Einblick in den Stadtkern mit der neuen Rednerbühne und dem Tempel des Divus Iulius gewährte3. Dagegen verlagerte Putnam4, den Versen 4,2,7 ff. folgend, den Standort der Statue an die äußere Grenze zwischen dem Forum Romanum und den Höhen des Velabrum, nämlich auf der dem Forum abgewandten Seite zwischen der Basilica Iulia (an dieser Stelle gelegen) und dem Tempel der Dioskuren, dort wo sich der Vicus Tuscus mit der Nova Via schräg gegenüber dem (postum errichteten) Tempel des Divus Augustus kreuzte5. Putnams Verweis auf Ovids Fasten, in denen der Dichter von der Begegnung mit einer alten Frau und einem noch älteren Brauch berichtet, bietet dazu eine interessante Parallelstelle (Fast. 6,395–410): (…) 395 Forte revertebar festis Vestalibus illa, quae Nova Romano nunc Via iuncta foro est. huc pede matronam vidi descendere nudo; obstipui tacitus sustinuique gradum. sensit anus vicina loci iussumque sedere 400 adloquitur, quatiens voce tremente caput: ‚hoc, ubi nunc fora sunt, udae tenuere paludes; amne redundatis fossa madebat aquis. Curtius ille lacus, siccas qui sustinet aras, nunc solida est tellus, sed lacus ante fuit. 405 qua Velabra solent in Circum ducere pompas, nil praeter salices cassaque canna fuit; saepe suburbanas rediens conviva per undas cantat et ad nautas ebria verba iacit. nondum conveniens diversis iste figuris 410 nomen ab averso ceperat amne deus. (…)‘
Eingerahmt in die aitiologische Erklärung jener Tradition, die Straßenwege des Velabrum pede nudo (397) abzuschreiten, schmückt Ovid Properzens fragmentarische Topographie des damals überfluteten Velabrum detaillierter aus. Auch entwickelt 2 3 4 5
Vgl. Eisenhut, Vertumnus Sp. 1677 ff. So auch Rothstein z. St. Vgl. Putnam, Shrine of Vortumnus 177 ff. Vgl. Boldrer 7 ff. (mit einem topographischen Kartenausschnitt [70]).
4. Die ersten beiden Ableitungen: Vertamnis oder Vertannus?
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Ovid Impressionen, die bei Properz in 4,9,5 f. angelegt sind, szenisch weiter, wenn er zum Beispiel seinen Zecher Properzens nauta(e) „betrunkene Worte“ zuwerfen lässt (407 f.). Vor allem Ovids Ortsbestimmung huc bzw. hoc lässt analog zu Properz eine Verortung des signum Vortumni an der dem Forum abgewandten Straßenseite der Nova Via vermuten (qua Velabra …)6: „The statue must have been on the borderline between the edge of the Forum Romanum and the Velabrum, at a spot where the flooding waters of the Tiber might turn back.“ Es ist auf den ersten Blick jedenfalls sehr bemerkenswert, wie unvermittelt und überraschend Ovid Properz’ Ableitung Vertamnis (4,2,10) in die topographische Entstehungsgeschichte des Velabrum einfließen lässt, indem er in V.409 f. eine „intertextuelle“ Deutung in die Diskussion einwirft: Was Wortwahl und Satzbau betrifft, zitiert Ovid de facto Properz’ Pentameter, ersetzt jedoch das passive dicor durch das aktive ceperat und verändert die Präpositionalstellung des ab. Die Referenz auf Properzens Verwandlungsgott Vertumnus (iste deus) ist zwar expressis verbis nicht genannt, wird aber aus dem Kontext seiner diversae figurae sofort ersichtlich. Ovids Properz-Rezeption kann die Frage eines historischen Wahrheitsgehalts der Etymologie Vertamnis möglicherweise befruchten. Da der volkstümliche Glaube den Gott Vertumnus offenbar in eine enge lokale Beziehung zu den rückläufigen Überschwemmungen des Tiber setzte, wird bzw. wurde ihm die Fähigkeit zugeschrieben, den Flusslauf ungefähr an der Grenzhöhe des Velabrum/Forum Romanum, dort wo das signum Vortumni mutmaßlich stand, „gewendet“ zu haben. Das passive dicor mag die (aus Properz’ Sicht) Unzulänglichkeit dieser später als mendax fama verworfenen Ableitung bereits antizipieren. Trotzdem ist Ovids Umformung in das aktive ceperat insofern beachtenswert, als die aitiologische Deutung Vertamnis die antike Namenforschung des Vertumnus neu oder wiederbelebte und sich scheinbar gut etablieren konnte (Plusquamperfekt!). Zu diesem Eindruck trägt auch der ambivalente grammatische Bezug des nondum bei (Fast. 6,409 f.)7: „Seinen Namen, der gut zur Verwandlung der Formen paßt, hatte/Von der Wendung des Stroms noch nicht bekommen der Gott.“ Der Sinn des nondum legt hier chronologisch nahe, dass Vertumnus’ ureigenes bzw. naturgemäßes Wesen, wie es Properz bzw. der Gott in 4,2,21 behaupten (opportuna mea est cunctis natura figuris), das seiner allseitigen Verwandlung sei und die vermeintlich irrtümliche Kultassoziation mit dem Tiber erst später erfolgt ist. Bezieht man das nondum hingegen auf das direkt anknüpfende Partizip conveniens diversis figuris, erhalten Ovids Verse eine andere Bedeutung: „Jener Gott aber, der noch nicht zu so verschiedenen Gestalten passte, hatte seinen Namen von dem gewendeten Fluss erhalten.“ Dieser Textsinn impliziert, Vertumnus’ ursprüngliche Fähigkeit sei die der Flusswendung gewesen und erst dann habe man ihm die populärere Ableitung Vertomnis beigelegt oder, auf Properz’ Elegie verweisend, angedichtet8: 6 Putnam, Shrine of Vortumnus 178, der daneben auf Cicero, In Verr. 2,1,154 verweist (quis a signo Vortumni in circum Maximum venit …). 7 Übersetzt nach Holzberg, Fasti z. St. (vgl. ebenso Frazers Übersetzung). 8 Dee, Callimachus Romanus 45 (zu Prop. 4,2,9 f.).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar The explanation Vertumnus gives in the lines 9–10 may tell us something about Propertius’ attitude toward his subject. The arbitrary conjunction of the turning of the Tiber and the name of the god is quite fanciful and probably not altogether serious. It is even possible that Propertius himself invented the derivation as a way of getting a piece of familiar antiquarian lore into his poem. The brevity and the absence of any outright rejection suggest that Propertius thought the whole thing too transparantly silly to need further comment, that he wanted to set a tone of light and genial wit, which will be maintained almost from beginning to end in this portion of the elegy.
Dees Aufsatz „Callimachus Romanus at Work“ arbeitete beispielhaft an dem Gedicht 4,2 den ingeniösen Charakter des vierten Buches heraus, der sich laut Dee durch eine geistreiche „Romanisierung“ kallimacheischer Themen und Techniken auszeichne. Dieser künstlerischen Wertschätzung kann vorbehaltlos zugestimmt werden. Dennoch scheint mir Dees Urteil, Properz’ Etymologie Vertamnis sei „too transparantly silly“, um wirklich ernst genommen zu werden, eines genaueren Blicks in ihre dichterische Entstehungsgeschichte zu bedürfen (Tib. 2,5,19 ff.): (…) haec [Sibylla] dedit Aeneae sortes, postquam ille parentem 20 dicitur et captos sustinuisse Lares. […] 33 at qua Velabri regio patet, ire solebat exiguus pulsā per vadă linter aquā. (…)
Im Vergleich mit Tibull werden die sprachlichen und stilistischen Parallelen und Abwandlungen unmittelbar deutlich (~ Prop. 4,2,7–10): (…) 7 hac quondam Tiberinus iter faciebat et aiunt remorum auditos per vadă pulsă sonos: at postquam ille suis tantum concessit alumnis, 10 Vertumnus verso dicor ab amne deus. (…)
Wie Ovid zitiert hier faktisch Properz Tibulls Pentameter (34), variiert jedoch gegenüber dem pulsa aqua den grammatischen Bezug (vada pulsa). Tibulls qua Velabri (33) klingt dagegen in Prop. 4,9,5 (und Fast. 6,405) nach, so dass sich eine mehrschichtige textuelle Überlagerung des aitiologischen Zusammenhangs herausbildet. Im Vergleich mit Tibull betonte Tränkle die größere „innere Anschauung“ bei Properz9: „Der Tiber nimmt machtvoll seinen Weg – das bedeutet die füllige Umschreibung iter facere. (…) Und sogleich ist mit dem Klang durch per vada pulsa noch eine visuelle Vorstellung verbunden.“ Diesen Beobachtungen fügte Dee außerdem hinzu10: „First, Propertius has ‚replaced‘ the dry Velabri regio with the rare and poetic use of Tiberinus as a noun. Second, whereas qua Velabri regio patet does little but specify the location, Propertius creates an unusual and vivid image with the phrase Tiberinus iter faciebat.“
9 Tränkle, Sprachkunst 96 f. (z. St.). 10 Dee, Callimachus Romanus 45.
4. Die ersten beiden Ableitungen: Vertamnis oder Vertannus?
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Die stärkere innere oder besser intertextuelle „Anschauung“ der properzischen Verse erscheint mir wesentlich, um die besondere Aussageabsicht sowie tiefere Bedeutung der Ableitung Vertamnis zu erfassen. Wie von Tränkle und Dee bemerkt, schlägt Properz’ „Tiberinus iter faciebat“ (7) einen Ton an, der den episch-feierlichen Auftakt der maxima Roma (4,1a) und des vierten Elegienbuches adäquat einfängt. Dass und wie Properz die Kultpersonifikation des Flussgottes Tiberinus in sein Kultaition des Flusswenders Vertumnus einwebt11, ist Ausdruck einer aitiologischen bzw. intertextuellen „Mehrfacherklärung“12: „Die etymologische Mehrfacherklärung [des Vertumnus] fungiert hier also offenbar als poetische Aitiologie eines vieldeutigen Namens“ (~ Aen. 8,31 ff.): (…) 31 huic [Aeneae] deus ipse loci fluvio Tiberinus amoeno populeas inter senior se attollere frondes visus (eum tenuis glauco velabat amictu carbasus, et crinis umbrosa tegebat harundo), 35 tum sic adfari et curas his demere dictis: ‚O sate gente deum, Troianam ex hostibus urbem qui revehis nobis aeternaque Pergama servas, exspectate solo Laurenti arvisque Latinis, hic tibi certa domus, certi (ne absiste) penates. 40 neu belli terrere minis; tumor omnis et irae concessere deum. […] 57 ipse ego te ripis et recto flumine ducam, adversum remis superes subvectus ut amnem. surge age, nate dea, primisque cadentibus astris 60 Iunoni fer rite preces iramque minasque supplicibus supera votis. mihi victor honorem persolves. ego sum, pleno quem flumine cernis stringentem ripas et pinguia culta secantem, caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis. 65 hic mihi magna domus, celsis caput urbibus exit.‘ (…)
„Der Tiber nimmt [deshalb] machtvoll seinen Weg“, wie Tränkle zu Prop. 4,2,7 feststellte, weil ihn dieser Weg bereits mächtig und erhaben durch Vergils Epos der Aeneis führte: hac quondam Tiberinus iter faciebat – beschwört eine gedanklich verdichtete Reminiszenz an Vergils caeruleus Thybris (64) und dessen erinnerungswürdige Epiphanie im Heldenepos herauf. Man könnte sogar sagen, Properzens Ableitung Vertamnis ist literaturgeschichtlich genau „hier“ (hac) in Vergils Episode des „caelo gratissimus amnis“ verortet, wobei die Überschneidung mit Tibulls Elegie 2,5 (19 f.) Properz’ doppelte „poetische Aitiologie“ verdeutlicht: Bei ihm ist das emphatische ille (4,2,9) nicht unmittelbar auf jenen so berühmten trojanischen Ahnherrn gemünzt, sondern Properz überträgt die mit Aeneas verbundenen Heldentaten 11 Tiberinus wurde sagengeschichtlich mit jenem gleichnamigen – im Fluss Albula (später dann Tiber getauft) ertrunkenen – König identifiziert. Vgl. Ovid, Fast. 2,389 f. Nur noch in 1,14,1 verwendet Properz das Wort adjektivisch (Tiberina unda). Vgl. Cairns, Augustan Elegist z. St. (281): Tiberinus „recalls and reinforces the allusive significance of Tiberis … advena of 4.1.8“. 12 Loehr, Mehrfacherklärungen 206.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
(der Aeneis) auf Vergils huldvollen Flussgott Tiberinus (ego). Derart gelingt es Properz in begrifflich bündiger Form, Tibulls Elegie mit Vergils Epos zu verknüpfen und der Kultdeutung Vertamnis, sozusagen in Referenzidentität mit dem mythologischen bzw. literarischen Kultzusammenhang, Glaubwürdigkeit und Gewicht zu verleihen (et aiunt). Textkritisch steht das Adverb bzw. Adjektiv oder Substantiv Neutrum tantum (4,2,9) zur Diskussion13, womit auch die Bedeutung und Funktion des (in-) transitiven concedere zusammenhängen14. Die Kommentare ziehen regelmäßig die adjektivische/substantivische Deutung des tantum vor, wie sie zum Beispiel Camps z. St. zur Wahl stellt: Entweder habe der Flussgott Tiberinus seinen Nachkommen eine „so große Gunst gewährt“ (tantum beneficii) oder ihnen als Ergebnis dieser Gefälligkeit „so viel Land freigegeben“ (tantum terrae). Deshalb erwägt Hutchinson Heinsius’ Konjektur spatium (so Goold) oder, auf Fast. 6,404 bezogen (nunc solida est tellus), die eigene Verbesserung terram. Plausibler erscheint mir Housmans Vorschlag stagnum, das von Heyworth unter Verweis auf Fast. 6,413 (stagna recesserunt) übernommen wird und eine Parallele in Prop. 4,9,5 findet (qua Velabra suo stagnabant flumine). Auch Fedeli/Dimundo ziehen die Konjektur stagnum nun vor, weil sie durch Vergils Epos gesichert erscheint (~ Aen. 8,86–91): (…) 86 Thybris ea fluvium, quam longa est, nocte tumentem leniit et tacita refluens ita substitit unda, mitis ut in morem stagni placidaeque paludis sterneret aequor aquis, remo ut luctamen abesset. 90 ergo iter inceptum celerant rumore secundo: labitur uncta vadis abies (…).
Setzt man textkritisch einmal die Konjektur stagnum für das umstrittene tantum (4,2,9) voraus, fänden die topographischen Beschreibungen des Velabrum als eines sumpfigen bzw. stehenden Gewässers nach Vergil im göttlichen Wirken des Tiberinus eine mythologische Erklärung. Unter dieser Prämisse wäre Properz’ Ableitung Vertamnis kultgeschichtlich in der Tat hinfällig, denn für die durch die Aeneis verbürgte Flusswendung kann allenfalls der Flussgott Tiberinus selbst verantwortlich zeichnen. Nimmt man Vergils Epos als maßgebliche Quelle für Properz’ intertextuelles Etymologisieren an, dann läge der mutmaßlichen Unrichtigkeit der Ableitung Vertamnis vielleicht ein obskurer, mythologisch unterfütterter Volksglaube zugrunde, den Properz in seinem Gedicht erstmals bezeugte oder mit Blick auf Vergils Aeneis schlichtweg erfand. Auch wenn die semantisch ingeniöse Ableitung Vertamnis wohl keinen sprachwissenschaftlich oder kulthistorisch gesicherten Wahrheitsanspruch für sich reklamieren kann, muss das den immanenten symbolischen Bedeutungscharakter dieser „Pseudoetymologie“ aber nicht unbedingt schmälern. Denn der besondere poetische und panegyrische Kontrapunkt der Elegie 4,2 (7–10), und darin verborgen der unterschwellige Textsinn des überlieferten tantum, besteht in der mythenumwobenen Referenz auf den Thybris genitor und jenen alumnus „vom Stamm der Götter“ (Aen. 8,36) bzw. Aeneas’ göttliche Nachkommen: Erst die patriotisch pflichtschul13 Vgl. Huchinson; Heyworth, Cynthia z. St. (tantum „is pointless“). 14 Vgl. Boldrer z. St. Als juristischer Terminus technicus hat das transitive concedere die auf den ersten Blick naheliegende Bedeutung „abtreten“.
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dige Demut des pius Aeneas stimmt den Herrscher über Hesperiens Gewässer für seinen Schutzbefohlenen „so sehr“ gewogen und gefällig (Aen. 8,71–78): (…) 71 ‚Nymphae, Laurentes Nymphae, genus amnibus unde est, tuque, o Thybri tuo genitor cum flumine sancto, accipite Aenean et tandem arcete periclis. quo te cumque lacus miserantem incommoda nostra 75 fonte tenent, quocumque solo pulcherrimus exis, semper honore meo, semper celebrabere donis corniger Hesperidum fluvius regnator aquarum. 78 adsis o tantum et propius tua numina firmes.‘ (…)
Wie Tiberinus den trojanischen Ankömmling bei Vergil verheißungsvoll als den Bewahrer der aeterna Pergama (37), also Begründer der maxima Roma anpries (vgl. Kapitel 1), so vergilt Aeneas dem Flussgott dies in Vers 72 mit einer in der klassischen Dichtung einzigartigen Apostrophe15: „the interjection, placed second, heightens the emotional effect“. Die gewöhnlichen Interpretationen des tantum beneficii/terrae umrahmen daher den äußeren topographischen Bereich des Velabrum stagnum zwar zutreffend, berühren aber nicht ebenso gut den inneren affektiven Kern der intertextuellen Gedankenbewegung (4,2,9)16: „Doch nachdem jener [Tiberinus] seinen Sprösslingen in so gunstvoller Weise nachgegeben hatte (…).“ Noch klarer lässt die gefühlsbetonte Wirkung des adverbial verstandenen tantum an jene denkwürdige Stelle der Aeneis erinnern, an der Aeneas’ Bestimmung für das zukünftige Schicksal der aeterna urbs Troja an die Gegenwartsoffenbarung des Augustus und seiner maxima Roma gebunden ist: Zuletzt nach der Erscheinung und dem fatum des jung verstorbenen Marcellus befragt, antwortet Anchises seinem Sohn in der berühmten Heldenschau der Unterwelt (Aen. 6,868–877): (…) ‚o gnate, ingentem luctum ne quaere tuorum; ostendent terris hunc tantum fata nec ultra 870 esse sinent. nimium vobis Romana propago visa potens, superi, propria haec si dona fuissent. quantos ille virum magnam Mavortis ad urbem campus aget gemitus! vel quae, Tiberine, videbis funera, cum tumulum praeterlabere recentem! 875 nec puer Iliaca quisquam de gente Latinos in tantum spe tollet avos, nec Romula quondam ullo se tantum tellus iactabit alumno. (…)‘
15 Gransden, Aeneid VIII zu V.78 (adsis o tantum). Vergleichbar Properz gelingt es Vergil in V.72, sein Vorbild Ennius, Ann. 54 (teque pater Tiberine tuo cum flumine sancto) durch begriffliche Variationen und feine Wortumstellungen im Stilpathos zu steigern. 16 Vgl. Heyworth, Cynthia z. St. (437): „the intransitive sense [of concedere] ‚abandon a place for‘ is both apt and poetic“. So auch von Willige übersetzt („Aber nachdem sich jener dem Wohl seiner Sprößlinge fügte“).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Wie ich in Kapitel 6.2 zum Staats- und Familienmythos der Caesares Iulii noch ausbreiten werde, kann man die persönliche und politische Tragweite, die sich mit der Totenklage um Marcus Claudius Marcellus, den Neffen und Schwiegersohn sowie angedachten Nachfolger des Augustus, verbindet, kaum überschätzen17: „In this passage the Aeneid comes into its closest contact with contemporary events. The death of Marcellus […] in 23 B. C. was a deeply-felt tragedy for the Roman world“. Nicht zufällig ist jener Tiberinus, der in Vergils Nationalepos den sagenhaften Aufstieg des römischen Weltreichs miterlebt, bei Properz wie ein zeitloses Mahnmal in den augusteischen Herrschaftsmythos eingefasst, der sich vom Stammvater Aeneas bis zu dem für Augustus’ Familiendynastie so „hoffnungsvollen“ Marcellus spannt. Vor diesem Hintergrund ist Properzens etymologischer Schöpfungsakt Vertamnis vom tiefen und aufrichtigen Pathos der Aeneis erfüllt: Die Elegie 4,2 (7–10) verknüpft die mythologisch sinnstiftende Tiberinus-Episode (Buch 8) mit der teleologisch vorgeschalteten Apotheose der maxima Roma (Buch 6), insofern als im Vertumnus-Gedicht die raumzeitlichen Dimensionen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem gemeinsamen aitiologischen, und zwar augusteischen Kontinuitätsbewusstsein zusammenfließen. Es ist im Ergebnis schwer zu beurteilen, ob Properz tatsächlich als intellektueller Urheber der Ableitung Vertamnis gelten darf. Ovids Quasizitat in den Fasten (6,410) legt eine entsprechende Autorschaft nahe, doch mochte sich im Volksglauben die topographische Kultassoziation des signum Vortumni mit den rückläufigen Tiberüberschwemmungen bereits früher herauskristallisiert haben. Dann gäbe Properz’ Gedicht 4,2 zumindest das erste literarische Zeugnis dafür ab. Wie das folgende Kapitel an der zweiten Namensableitung Vertannus und Vergils Georgica vertiefen soll, ist Properz’ kallimacheischer Erfindungsreichtum, unbeschadet einer durchaus kritischen „intertextuellen“ Prüfung durch den doctus poeta, vorzugsweise aber nicht streng sprachwissenschaftlich, sondern künstlerisch flexibel und ideologisch sinnstiftend ausgelegt. Insofern kann man Properz’ Vertamnis im dichterischen Gestaltungsprozess mit Tibull und Vergil einen ebenso originellen wie originären etymologischen Charakter zuschreiben. 4.2 Vertumnus von Vertannus: Vergils Georgica und der Fruchtbarkeitskult der Ceres Dass die erste Ableitung Vertamnis, wie in Kapitel 4.1 besprochen, offenkundig keinen substantiellen etymologischen Wahrheitsgehalt darlegt, sondern vermutlich Properzens Erfindergeist oder dem traditionellen Volksglauben entspringt, deutet sich auch förmlich dadurch an, dass ihr lediglich vier Verse gebühren. Im Gegensatz dazu fällt die zweite Ableitung Vertannus nicht nur doppelt so lang aus (11–18), sondern sie wirkt vor allem sprachlogisch durch den bedingenden Kausalsatz mit dem zugrundeliegenden Kultaition des Vertumnus verbundener (4,2,11–12):
17 Williams, Aeneid I–VI zu 6,854 f. (514).
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(…) seu, quia vertentis fructum praecepimus anni, Vertumni rursus credis id esse sacrum. (…)
Wegen des abrupten Übergangs von der ersten zur zweiten Etymologie wird an dieser Stelle bisweilen ein zusätzliches (verlorenes) Distichon vermutet, in dem Properz eine weitere bekannte Namensdeutung des Vertumnus, die als Gottheit des „Warenverkehrs“ (deus vertendarum rerum), aufgeführt haben könnte18. Überhaupt sind mit den Versen 4,2,11–18 und den Pendantversen 41–46 grundlegende Fragen der Gedichtkomposition verbunden19. An dieser Stelle soll zunächst das überlieferte credidit (12) diskutiert werden, das von Goold und Heyworth durch creditur verbessert wird. Das grammatisch und inhaltlich schwierige credidit lässt sich allenfalls durch die Konjektur vulgus für rursus rechtfertigen (so Boldrer z. St. mit Verweis auf Prop. 2,23,1). Allerdings ist das Adverb rursus bei Properz gut belegt und leitet antithetisch zur zweiten Etymologie über. Analog zum dicor (10) mag dagegen für die Verbesserung creditur sprechen, dass die passive Form den nur scheinbaren, „trügerischen“ Charakter der Ableitung Vertannus herausstreicht, wie es der Gott in V.19 ausdrücklich bestätigt (mendax fama). Guyets Verbesserung creditis (ebenso Rothstein) bestimmt zwar den grammatischen Handlungsträger, korreliert aber methodisch nicht gut mit der aitiologischen Dialogform des Gedichts (vgl. Kapitel 4.3), das sich an ein fingiertes „Du“ wendet: quid mirare – accipe (1 f.) und die Aufforderungen an die zweite Person Singular in V.20 ff. (crede, verte, indue usw.). Daher stimmen etliche Herausgeber (so Butler/Barber, Camps oder Fedeli) Postgates eleganter Konjektur credis id zu, aus dem vielleicht die irrtümliche Verdopplung credidit hervorgegangen ist20. Obwohl paläographisch nicht ganz so stichhaltig, möchte ich in meiner Interpretation (unten) zu einem neuen Verbesserungsvorschlag anregen (4,2,12): (…) Vertumno credis inesse sacrum. Die antike Vorstellung, dass die Gottheit dem Opferkult oder Kultgegenstand (sacrum) wesenhaft „innewohne“ und umgekehrt, findet sich ähnlich bei Ovid, Am. 3,1,2 oder Fast. 4,90021. In der Herkules-Elegie 4,9 verknüpft Properz diese Überzeugung sogar mit der dichterischen Genese seines abschließenden Aitienbuchs (72): Sanc[t]e, velis libro dexter inesse meo.
In diesem Kapitel soll anhand von Vergils Georgica Properz’ aitiologische Methode des intertextuellen Etymologisierens vertieft werden. So bildet die zweite Namens ableitung Vertannus eine Hommage an das Cereris sacrum (Od. 3,2,26) und, damit verbunden, eine literarische Würdigung der Georgica Vergils, in denen der Fruchtbarkeitskult der Korngöttin Ceres zu einem Lobgesang auf das neue goldene Zeitalter des Augustus ausgekleidet ist. Properzens Preislied der alma Ceres (Georg. 1,7) verknüpft in dem Gedicht 4,2 den agrarwissenschaftlichen und naturkosmologischen Kultzusammenhang des vertens annus mit den polyphonen mythologischen Kultassoziationen der aurea aetas, wie sie mit der pax Augusta an panegyrischer 18 Vgl. Butler/Barber (333); Camps zu 4,2 (72). Richardson markiert daher in seinem Text eine Lacuna. 19 Gravierende Versversetzungen nehmen etwa Goold (13–18 nach V.42) oder Heyworth vor (13–18 nach V.44). Umgekehrt schlug Schrader die Versetzung des Gedichtabschnitts 41–46 nach V.18 vor. Vgl. dazu meine Strukturanalyse in Kapitel 6.4. 20 Das an sich unpoetische Demonstrativum id ist bei Properz außerdem in 1,20,2 belegt, wird dort aber von Heyworth, Cynthia z. St. angezweifelt und verbessert (quod). 21 Vgl. auch im spätantiken Gleichnis bei Augustinus, De civ. Dei 4,11 (ipse in aethere sit Iuppiter … Liber in vineis, Ceres in frumentis).
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und mit Kallimachos’ Hymnos auf Demeter an poetischer Verbindlichkeit gewonnen hatte (Hymn. 6,134–138)22: (…) χαῖϱε, ϑεά, καὶ τάνδε σάω πόλιν ἔν ϑ᾽ ὁμονοίᾳ 135 ἔν τ᾽ εὐηπελίᾳ, φέϱε δ᾽ ἀγϱόϑι νόστιμα πάντα· φέϱβε βόας, φέϱε μᾶλα, φέϱε στάχυν, οἶσε ϑεϱισμόν, φέϱβε καὶ εἰϱάναν, ἵν᾽ ὃς ἄϱοσε τῆνος ἀμάσῃ. 138 ἵλαϑί μοι, τϱίλλιστε, μέγα κϱείοισα ϑεάων. Sei gegrüßt, Göttin, und bewahre diese Stadt ebenso in Eintracht [135] wie in Reichtum! Und bring’ alle Erträge vom Felde nach Hause! Weide die Rinder, schenk’ Äpfel, schenk’ Garben, bring’ Ernte! Laß auch Frieden wachsen, damit, wer gepflügt hat, der auch Ernte einbringe! Sei mir gnädig, dreifach Angeflehte, du großmächtige unter den Göttinnen.
An derartige Heilsvorstellungen, die sich mit dem Erscheinen und Wirken der Ceres/Demeter verbinden, schließt Properzens Vertumni sacrum gedanklich an, wenn der Dichter zu dem vorzüglichen Götterkult des Vertumnus und der vermeintlichen Namensdeutung Vertannus erläuternd ausführt (4,2,13–18): (…) prima mihi variat liventibus uva racemis, et coma lactenti spicea fruge tumet; 15 hic dulces cerasos, hic autumnalia pruna cernis et aestivo mora rubere die; insitor hic solvit pomosa vota corona, 18 cum pirus invito stipite mala tulit. (…)
Im Vergleich zur ersten Ableitung Vertamnis stellte Glock treffend heraus, dass sich der audiovisuelle Eindruck des Gedichts „vom Hören zum Sehen“ gleichsam wandle23. Überhaupt scheint dieser Gedichtabschnitt, dem Leitmotiv des vertere entsprechend, einem besonderen Verwandlungsprozess zu unterliegen: Der Rebstock verwandelt sich in einen Weinberg und die Getreidesaat in ein Ährenfeld; im Wandel der Jahreszeiten kommen mal Kirschen, mal Pflaumen oder Maulbeeren zum Vorschein; und der Pfropfer verwandelt den Birnbaum in einen Apfelbaum24: Die konkrete Bestimmung des Gottes, die formal über die Etymologie gesucht wird, erfolgt durch Kult. Unterschiedliche landwirtschaftliche Produkte schmücken den Gott vom Frühjahr bis in den Herbst, die Vielfalt der Früchte wird ebenso betont wie die unterschiedlichen Jahreszeiten (11–18). Die Wahl der Gaben ist hochindividuell: Der „Pfropfer“, der Äpfel von Birnbäumen erntet (17 f.), bietet dafür ein extremes Beispiel. Gleichwohl lassen sich diese Praktiken als sacrum zusammenfassen: Hier wird ein wiedererkennbarer Kultbrauch beschrieben.
Bringt man die Obst- und Getreidegaben, die sich im Wandel der Jahreszeiten naturbedingt einstellen, mit einem volkstümlichen sacrum, einem Fruchtbarkeitskult (fructus), in Verbindung, lässt sich ein authentisches Bild davon gewinnen, wie die Menschen damals offenbar glaubten, der Gott Vertumnus sei für den Fruchtwechsel verantwortlich, und dem pauper deus (60) ihre paupera sacra (2,10,24) zu Füßen 22 Übersetzt nach Asper, Kallimachos z. St. (457). 23 Vgl. Glock, Aitiologie 210. 24 Rüpke, Prop. 4,2 z. St. (127).
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der Statue darbrachten. Da die Fruchterzeugnisse saisonal dem Wandel des Jahres bzw. den verschiedenen Jahreszeiten unterliegen, ist dieser Kult oder Kultbrauch an die natürliche „Regelhaftigkeit“ des vertens annus gebunden25: „Sacrum impliziert Regelhaftigkeit, aber diese Regelhaftigkeit erwächst hier betontermaßen aus einem Usus, der in seiner Bandbreite in den Folgeversen [13–18] beschrieben wird.“ Der hier auf einem naturgemäßen Ritual beruhende Fruchtbarkeitskult (des Vertumnus) ist aber nicht nur von der ewiggleichen Abfolge/Wiederkehr der Jahreszeiten abhängig, sondern auch einer gewissen sakralrechtlichen bzw. literaturgeschichtlichen Reglementierung unterworfen (4,2,11): seu, quia vertentis fructum praecepimus anni (…). Butler/Barber und Camps z. St. deuten das praecepimus (praecipere) als „bekommen, erhalten“. Dagegen ziehen Hutchinson, Heyworth oder nun Fedeli/Dimundo die Konjektur praecerpimus vor („ernten, pflücken“). Ich möchte an der Überlieferung festhalten und dem praecepimus, auf Vergils vorbildhafte Georgica verweisend, die Bedeutung „vorschreiben, Vorschriften machen“ beimessen26. Bereits im zweiten Elegienbuch hatte Properz, Vergils Hauptwerk in 2,34,61–80 achronologisch kompilierend, neben Referenzen auf die Aeneis (Kapitel 5.4) und Bucolica (Kapitel 5.5) auf das Lehrgedicht über den Landbau verwiesen (77–78): (…) tu canis Ascraei veteris praecepta poetae, quo seges in campo, quo viret uva iugo. (…)
Das Prooemium der Georgica, in dem Vergil den dichterischen Anspruch und Ansporn seiner „veterum praecepta“ (1,176) an die große griechische Epentradition des „alten Dichters aus Ascra“ Hesiod anlehnt, legt die thematischen Berührungspunkte mit Properzens Apostrophe offen (Georg. 1,1–5): Quid faciat laetas segetes, quo sidere terram vertere, Maecenas, ulmisque adiungere vitis conveniat, quae cura boum, qui cultus habendo sit pecori, apibus quanta experientia parcis, 5 hinc canere incipiam. (…)
Auf den ersten Blick wirken Properz’ „Ascraei praecepta“ in 4,2,13 ff. wie ein bündiger Themenabriss der ersten beiden Bücher der Georgica, in denen sich Vergil vornehmlich der Feldarbeit (seges), dem Weinanbau (uva) sowie der Baumpflege (insitor) widmet. Daher appelliert Properz’ praecepimus (Plural!), unterschwellig zugleich Hesiods alte Dichtungsvorschriften traditionsbewusst aufrufend, an den agrarwissenschaftlichen Regelcharaker sowohl der Werke und Tage und (in deren Nachfolge) der Georgica. Seine Motive schöpft der Elegiker, wie unten veranschaulicht, fast direkt aus Vergils Lehrepos27, wobei auffällt, dass Properz den Schwerpunkt anders setzt: Sein kleines Kompendium der Georgica in 4,2,13–18 evoziert zuerst (prima) Vergils zweites Buch über die Weinkultur und, abgesehen 25 Rüpke, Prop. 4,2 (128). 26 Vgl. Richardson z. St. („I instructed them about the fruits“). 27 Vgl. Dee, Callimachus Romanus 46 (unter Auflistung verschiedener Textstellen).
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von V.14 (coma spicea), dann in den Versen 25 ff. das Prologbuch über den Ackerbau. Überhaupt folgt Properz bei der Aufzählung der verschiedenen Erstlingsfrüchte keiner genauen Jahreschronologie28: Schließlich zählt auch der Gott Vertumnus 4,2 den Reichtum an Erntefrüchten, die ihm gespendet werden, in einer von der chronologischen Folge ganz abweichenden Reihe auf. Es werden von ihm 13 ff. nacheinander genannt: Trauben, Getreide, Kirschen, Pflaumen, Maulbeeren. Dabei bezeichnet die Reife der Maulbeeren den Beginn der Obstzeit (Plin. nat. 15,97), während die Traubenlese erst in den September oder gar Oktober fällt (Varro R. R. 1,34).
Tränkle erklärte die abweichende Darstellung mit der „inneren Erregung oder Anteilnahme des Dichters“. Insofern Properz’ emotionale Bewegung von den beiden überragenden Vorbildern Hesiod und Vergil herrührt, mag diese Deutung stimmen. Dennoch wird es Properz kaum auf eine detailgetreue fachwissenschaftliche Reproduktion seiner veterum praecepta angekommen sein (was auch überflüssig gewesen wäre), sondern der leitende Gedanke ist eher künstlerischer Natur. Unbeschadet dessen, dass der Elegiker eine besondere Affinität zum (Dichter-) Kult des Bacchus bekundet (vgl. Kapitel 5.3), ist die inhaltliche Gewichtung zugunsten der uva dem Umstand geschuldet, dass Properz etliche Anleihen Vergils zweitem Buch verdankt. Insbesondere der Hexameterschluss in V.13 findet ein deutliches sprachliches Echo in Georg. 2,60 (et turpis avibus praedam fert uva racemos). Beispielhaft erweisen sich Vergils Bucheinleitung zur Baumpflege und der Höhepunkt der Baumpfropfung, in der Fachsprache als vertere bezeichnet, als Quellen properzischer Motivgestaltung und Rezeptionstechnik (Georg. 2,32–34): (…) 32 et saepe alterius ramos impune videmus vertere in alterius mutatamque insita mala ferre pirum et prunis lapidosa rubescere corna. (…)
Das Bild der Pfropfung, welches hier die Veredelung des äpfeltragenden Birnbaums beschreibt, ist teils unverändert von Vergil übernommen, teils in bemerkenswerter Weise abgewandelt (~ Prop. 4,2,17 f.): (…) insitor hic solvit pomosa vota corona, cum pirus invito│stipite mala tulit. (…)
Der unmittelbare Verweis auf Vergils praecepta ergibt sich neben den sprachlichen Bezügen auch grammatisch daraus, dass Properz das bei Vergil ursprüngliche Motiv der Baumpfropfung (videmus … ferre) sozusagen repetitiv neu verarbeitet hat (tulit). Bei Properz sticht die Substantivierung insitor aus dem Partizipattribut insita (mala) dadurch heraus, dass der bei Vergil abstrakte Vorgang der Baumpfropfung durch einen konkreten Handlungsträger visuell belebt wird. Wie in Kapitel 4.1 zu 4,2,7 ff. gezeigt, besteht Properz’ Anspielungskunst darin, vorgebildete Impressionen gedanklich/begrifflich stärker zu bündeln, um so mehr Spannungsreichtum 28 Tränkle, Sprachkunst 103.
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und eine größere innere Dynamik der Bildlichkeit zu erzeugen. Stilistisch ist dafür etwa der straffe chiastische Aufbau des Pentameters in V.18 mit der proleptischen Wendung invito stipite exemplarisch, in dem sich der antithetische Spannungsbogen der Baumpfropfung in der ersten daktylischen Tripodie zuerst bedrohlich aufbaut, um sich dann in der zweiten glücklich zu entladen. Man darf behaupten, dass sich die Kulturtechniken der Agrarwirtschaft und Fruchtveredelung grundsätzlich positiv in den Fortschrittsoptimismus der Georgica und Vergils Werkcredo „labor omnia vicit“ (1,145) einfügen. Denn im kulturstiftenden Kern des Lehrwerks ist es diese permanente Arbeit- und Betriebsamkeit des schöpferischen Menschen, die das idyllische Landschaftsbild in Prop. 4,2,11 ff. mit dem ewigen Kreislauf des vertens annus naturwüchsig assoziiert (Georg. 2,397–402): (…) 397 Est etiam ille labor curandis vitibus alter, cui numquam exhausti satis est: namque omne quotannis terque quaterque solum scindendum glaebaque versis 400 aeternum frangenda bidentibus, omne levandum fronde nemus. redit agricolis labor actus in orbem, atque in se sua per vestigia volvitur annus. (…)
Vergils „cyclical nature of labor“29 fließt wie ein kulturschaffendes Naturgesetz in die komplexen didaktischen und mythologischen Gedankenstränge der Georgica ein, insofern als die unberührte Natur durch den gestaltenden labor gleichsam selbst „verwandelt“ bzw. „veredelt“ wird (vertere). Der Eingriff des Menschen in die intacta tellus (Met. 1,101 f.), ob nun wie Vergil kulturoptimistisch oder wie Ovid eher kulturpessimistisch verstanden (vgl. unten), stellt trotz allem einen Eingriff in die Naturschöpfung dar, wie sie sich am Anfang der Entstehung der Welt entfaltete, bevor die ersten Tiere und Menschen die Erde bevölkerten, zu einer Zeit, als es noch keine Jahreszeiten gab und „ewiger Frühling“ herrschte (Georg. 2,336–342)30: (…) 336 non alios primā crescentis origine mundi inluxisse dies aliumve habuisse tenorem crediderim: ver illud erat, ver magnus agebat orbis, et hibernis parcebant flatibus Euri, 340 cum primae lucem pecudes hausere, virumque terrea progenies duris caput extulit arvis immissaeque ferae silvis et sidera caelo. (…)
29 So Thomas, Georgics I–II zu 2,401 f. (230). 30 Der Anspielungsreichtum auf Lukrez’ Lehrepos De rerum natura kann an dieser Stelle nur angedeutet werden (vgl. dort bes. 5,772–820): Vergils obiger Gedichtauszug rahmt die entsprechenden Verspartien bei Lukrez (Quod superest, quoniam magni per caerula mundi … omnia enim pariter crescunt et robora sumunt). Das Attribut prima bzw. Adverb primum wiederholt Lukrez mindestens viermal in V.781, 788, 790 und 805 (terra/tellus sogar dreimal so häufig). Vergils „hic ver adsiduum“ (Georg. 2,149) bzw. Ovids „ver erat aeternum“ (Met. 1,107) klingen in Lukrez’ Schöpfungsgeschichte zwar motivisch deutlich an, sind aber dort begrifflich noch nicht vorgeprägt.
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Mehr noch, als Properz’ Ableitung Vertannus Vergils kulturbringendem labor verbunden ist (insitor), sind die Verse 4,2,13–18 (primă mihi variat …) in der naturkosmologischen Vorstellung des immerwährenden Frühlings verwurzelt, wie er am „Ursprung“ der Weltschöpfung existiert habe. Wie oben bemerkt, ist die von Properz gegebene Fruchtfolge deshalb keiner stringten Jahreschronologie verhaftet, weil den ganzen Gedichtabschnitt Vergils Frühlings- bzw. Fruchtbarkeitskosmologie durchdringt (Georg. 2,323 f.)31: Ver adeo frondi nemorum, ver utile silvis, / vere tument terrae et genitalia semina poscunt. Vielleicht ist dieser etymologische Mehrklang in der Ableitung des vertens annus ja insinuiert. Jedenfalls hatte Thomas behauptet, dass die Verbindung „between the golden age and continuous spring“ unter Anlehnung an Lukrez und Vergil offenbar Ovids Erfindung sei (Met. 1,107–112)32: (…) 107 ver erat aeternum, placidique tepentibus auris mulcebant Zephyri natos sine semine flores. mox etiam fruges tellus inarata ferebat, 110 nec renovatus ager gravidis canebat aristis. flumina iam lactis, iam flumina nectaris ibant, flavaque de viridi stillabant ilice mella. (…)
Freilich gehen die antiken Zeitaltervorstellungen literaturgeschichtlich weit bis auf Hesiod zurück (vgl. Werke und Tage 109 ff.), dessen χϱύσεον γένος zusammen mit Vergils ver adsiduum zum Frühlingserwachen der aurea aetas in Ovids Weltaltermythos geführt haben mag (vgl. Met. 1,89 ff.). Wenngleich ausdrücklich nicht so formuliert, ist die ideengeschichtliche Verknüpfung zwischen dem goldenen Zeitalter und dem ewigen Frühling aber schon in Properzens Namensdeutung Vertannus angelegt (~ 4,2,13 f.): (…) prima mihi variat liventibus uva racemis, et coma lactenti spicea fruge tumet. (…)
Motivisch/sprachlich verweisen die Darstellungen bei Ovid und Properz augenscheinlich auf Vergils Dichtungslandschaft der Georgica (1,311–315): (…) 311 Quid tempestates autumni et sidera dicam, atque, ubi iam breviorque dies et mollior aestas, quae vigilanda viris, vel cum ruit imbriferum ver, spicea iam campis cum messis inhorruit et cum 315 frumenta in viridi stipula lactentia turgent? (…)
31 Vermutlich führt Properz die Jahreszeiten „Herbst“ (autumnalia pruna) und „Sommer“ (aestivo die) – und den „Winter“ gar nicht – daher nur in ihrer untergeordneten attributiven Funktion ein. Vgl. Thomas, Georgics I–II zu 2,319 ff. („Summer and winter, unsuitable times, appear in negative terms“). 32 Vgl. Thomas, Georgics I–II 218 (zu 2,336 ff.).
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Der wesentliche Unterschied zu Vergil (und Properz) besteht allerdings darin, dass Ovid das idyllische Fruchtbarkeitsbild, frei von den (negativen) Kultureingriffen des Menschen, in Hesiods Vorstellungshorizont einer sich selbstregulierenden und naturbelassenen Erde rückt (per se dabat omnia tellus), während bei Vergil die (positiven) Kultureinflüsse, diese Agrarutopie umgekehrt bedingend, auf die fruchtund lebenspendende Saturnia tellus (Georg. 2,173) einwirken: Der unermüdliche labor des Menschen ist die Voraussetzung und Garantie für die Rückkehr und Dauerhaftigkeit des hesiodeischen goldenen Götterzeitalters, jenes aureus Saturnus (Georg. 2,538)33. In Kapitel 6.2 werde ich noch darauf Bezug nehmen, wie sich diese mythenschwangeren Vorstellungen referentiell in dem divus Augustus und seiner Kulturschöpfung der pax Augusta manifestieren. Sie war oder ist, wie das Heiligtum der Ara Pacis Augustae bezeugt, das personifizierte Sinnbild für die glückverheißende Zeitenwende nach den Bürgerkriegen und fand ihren Ausdruck in einer auf idyllischen Bildern und urtümlichen Traditionen beruhenden Fruchtbarkeitsprogrammatik (Prop. 4,2,25–28): (…) 25 da falcem et torto frontem mihi comprime faeno: iurabis nostra gramina secta manu. arma tuli quondam et, memini, laudabar in illis: 28 corbis in imposito pondere messor eram. (…)
In den obigen Versen widmet sich Properz im Rahmen der dritten Ableitung Vert omnis thematisch Vergils Prologbuch der Georgica (seges). Abgesehen von V.27 (arma), in dem eine Reminiszenz an die einschneidenden bella civilia und Vergils Epos der Aeneis vorliegen mag (vgl. Kapitel 5.4), erschließt sich hier die tiefere Kultbedeutung des Vertumni sacrum (Vertannus). Denn Vertumnus’ Fruchtbarkeitskult (mihi) gilt zuerst den „annua sacra“ zu Ehren der Korngöttin Ceres und ihren – von Vergil nach kallimacheischem Vorbild geernteten – „novae fruges“ (~ Georg. 1,338–350): (…) in primis venerare deos atque annua magnae sacra refer Cereri, laetis operatus in herbis 340 extremae sub casum hiemis, iam vere sereno. tum pingues agni et tum mollissima vina, tum somni dulces densaeque in montibus umbrae. cuncta tibi Cererem pubes agrestis adoret: cui tu lacte favos et miti dilue Baccho, 345 terque novas circum felix eat hostia fruges, omnis quam chorus et socii comitentur ovantes et Cererem clamore vocent in tecta; neque ante falcem maturis quisquam supponat aristis, quam Cereri torta redimitus tempora quercu 350 det motus incompositos et carmina dicat. (…)
33 Vgl. Thomas, Georgics I–II zu 2,513 ff. („this existence is in essence Saturnian“).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Textkritisch betrachtet wirkt der Vers 4,2,28 wegen der (zweifachen) Dopplung der Präposition in (pondere), verbunden mit dem Kompositum imposito, auf den ersten Blick etwas „schwerfällig“ (Heyworth, Cynthia z. St.): „Yet either the preposition or the participle is superfluous“, weshalb gelegentlich die Konjektur et (so Butler/Barber) oder at (so Hutchinson) vorgezogen wird. Stilistisch lässt sich zugunsten des überlieferten in auf 4,2,38 (demissis … in tunicis) oder in freier Wortstellung auf 3,5,22 verweisen (et caput in verna …). Richardson z. St. erläutert das redundante in mit der betonten Erscheinung des Vertumnus („in the accoutrement of“). Diesen Aspekt hatte Tränkle (Sprachkunst 115) mit Blick auf Vertumnus’ signum ausgeführt: „Imponere kann doch nur bedeuten, daß man der Statue den Schnitterkorb aufs Haupt gesetzt oder an der Schulter festgebunden hat. So ist Vertumnus gleichsam ‚im Korb‘.“ Ich möchte diesen Gedanken intertextuell noch etwas ausweiten (vgl. Georg. 1,350!): Vertumnus ist nicht nur gleichnishaft „im Korb“, sondern, Vergils annua sacra der Ceres vorbildhaft zugrunde gelegt, sozusagen literarisch „in den Georgica“ inbegriffen. Dazu ist Tränkles Hinweis auf den „wohl aus der Bauernsprache stammenden“ Ausdruck corbis bemerkenswert, weil Properz wie in 2,15,52 oder 3,13,30 eher auf das von den Neoterikern eingeführte griechische Lehnwort calathus zurückgreift (Hymn. 6,1 f.)34: Τῶ καλάϑω κατιόντος ἐπιφϑέγξασϑε, γυναῖκες· / ‚Δάματεϱ, μέγα χαῖϱε, πολυτϱόφε πουλυμέδιμνε.‘ Kallimachos’ (doppelte) Kultapostrophe an das auserwählte Symbol der Ceres, ihren Fruchtkorb (1/3), macht es wahrscheinlich, dass Properz diesen mehrschichtigen Kult- und Dichtungszusammenhang bewusst aufruft: Der volkstümlich „derbe und gewöhnliche“ Begriff corbis (Tränkle) überträgt Kallimachos’ kultivierten Hymnos auf Demeter auf die einfache und naturverbundene Agrarwelt der Georgica35: „The rare and clumsy rhythm (no third-foot caesura) emphasizes the uncouth nature (incompositos) of the rustic dance“, worin Thomas einen archaischen Anklang an das goldene Zeitalter vermutet (Saturnia tellus). Die „schwergewichtige“ Formulierung in impositio pondere imitiert also einerseits Vergils rustikale „Bauernsprache“ und setzt andererseits lautmalerisch das idyllische Bild des (schwankenden) Schnitters in Bewegung, der wie in Georg. 1,164 mit Korb und Heu gleich „doppelt“ belastet ist (iniquo pondere). Vergils bzw. Kallimachos’ praecepta maßgeblich zugrunde gelegt, könnten die arma in 4,2,27 daher auch eine unterschwellige Referenz auf die Georgica implizieren (vgl. 1,160 ff.).
Obwohl der Gedichtabschnitt 4,2,11–18 vorzugsweise mit dem zweiten Buch der Georgica verknüpft ist (uva), antizipiert Vers 14 (~ 25 ff.) bereits die förmliche Gegenüberstellung mit Vergils erstem Buch (seges) und somit die Rezeption beider Bücher als eine gedankliche Themeneinheit (fructus)36. Der weitgespannte ideologische Zusammenhang verbindet Vertumnus’ Kultaition dabei einerseits friedensstiftend mit den „Cerealia arma“ (Aen. 1,177) des Augustus, dessen Beendigung der Bürgerkriege den neuen Fruchtbarkeitsmythos unmittelbar heraufbeschwor (~ Fast. 1,704): Pax Cererem nutrit, Pacis alumna Ceres. Zum anderen ist Properzens Kultaition Vert annus dadurch aber ebenso tautologisch in Referenzidentität vom „Cereris sacrum“ (Od. 3,2,26) abgeleitet, da die Göttin Ceres/Demeter die antiken Fruchtbarkeitsvorstellungen mythologisch ursprünglich verkörperte bzw. repräsentierte37: The concept of fertility is both essential and original to Ceres. It was the basis for Roman attitudes to the goddess, was present in her cult from its origines, and remained an important aspect of her nature until the end of paganism. The Romans [and Greeks] believed that Ceres’ essential
34 Übersetzt nach Asper, Kallimachos z. St. (449): „Kehrt der Korb zurück, Frauen, dann singt dazu den Refrain: ‚Demeter, herzlich willkommen, du vielernährende, vielscheffelige!‘“ 35 Thomas, Georgics I–II zu 1,350. 36 Dies mag außerdem dadurch bedingt sein, dass sich das Prädikativum prima (13), wie Camps und Hutchinson z. St. bemerken, ambivalent auf uva und coma (14) beziehen lässt. 37 Spaeth, Ceres 33 (vgl. ausführlich zu Ceres’ „agricultural fertility“ 34 ff.).
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nature was connected with fertility and that her basic function was to cause things to grow, to produice fruit (~ Hymn. 6,118–127)38: (…) [ἄϱχετε] παϱϑενικαί, καὶ ἐπιφϑέγξασϑε, τεκοῖσαι· ‚Δάματεϱ, μέγα χαῖϱε, πολυτϱόφε πουλυμέδιμνε.‘ 120 χὠς αἱ τὸν κάλαϑον λευκότϱιχες ἵπποι ἄγοντι τέσσαϱες, ὣς ἁμῖν μεγάλα ϑεὸς εὐϱυάνασσα λευκὸν ἔαϱ, λευκὸν δὲ ϑέϱος καὶ χεῖμα φέϱοισα ἡξεῖ καὶ φϑινόπωϱον, ἔτος δ᾽ εἰς ἄλλο φυλαξεῖ. ὡς δ᾽ ἀπεδίλωτοι καὶ ἀνάμπυκες ἄστυ πατεῦμες, 125 ὣς πόδας, ὣς κεφαλὰς παναπηϱέας ἕξομες αἰεί. ὡς δ᾽ αἱ λικνοφόϱοι χϱυσῶ πλέα λίκνα φέϱοντι, ὣς ἁμὲς τὸν χϱυσὸν ἀφειδέα πασεύμεσϑα. (…) [etwa: Beginnt zu singen], ihr Jungfrauen, und singt den Refrain, ihr Mütter: „Demeter, herzlich vielkommen, du vielernährende, vielscheffelige!“ [120] Und so, wie die lichthaarigen Stuten den heiligen Korb heranführen, vier an der Zahl, so wird uns die große Göttin kommen, weithinherrschend, einen lichten Frühling, einen lichten Sommer und Winter bringen und den Herbst, ein Jahr aufs andere wird sie uns schirmen. Wie wir baren Fußes und baren Hauptes die Stadt durchschreiten, [125] so werden wir Füße, so Häupter stets ganz unverletzt haben. Und wie die Schwingenträgerinnen Getreideschwingen tragen voll von Gold, so werden wir Gold die Fülle erhalten.
In Kallimachos’ Hymnos auf Demeter ist jene für die augusteische Dichtung so stereotype Assoziationskette der utopischen Bilder und Heilsvorstellungen – Jahreswechsel, Ernte, Überfluss, Reichtum, Eintracht und Frieden – wesentlich vorgeprägt. Um an dieser Stelle meinen Konjekturvorschlag für den Vers 4,2,12 (oben) anzubringen, spiegeln diese Wesensmerkmale des vertens annus „Ceres’ essential nature“ (Spaeth) insofern wider, als sie sich gegenständlich dem Kult der Göttin gleichsam „innewohnend“ offenbaren: (…) Vertumno [scil. Cereri] rursus credis inesse sacrum. Zumindest stehen Ceres’ annua sacra in der dichterisch unverbrüchlichen Tradition, ihre Ascraei praecepta in immer wieder alten und neuen Tönen anzupreisen (~ Am. 1,15,11 f.): vivet et Ascraeus, dum mustis uva tumebit, / dum cadet incurva falce resecta Ceres. Allein die augusteische Dichtungslandschaft der einschlägigen intertextuellen bzw. mythologischen Bezüge ist kaum überschaubar und kann hier nicht erschöpfend behandelt werden39. Ohne Zweifel hat Tibull seiner „flava Ceres“ (1,1,15) wichtiges Terrain für die erotische Fruchtbarmachung der Georgica erschlossen, welches von Ovid ausgeweitet wurde (Am. 3,10,29): „victus amore pudor“, als Ceres damals in Liebe zu Jasion entbrannt sei und ihre Felder brach darniedergelegen hätten. Angesichts seiner literatur- und kultgeschichtlich kontinuitäts- und sinnstiftenden Bedeutung ist es etwas überraschend, dass Properz jenes für den römischen (augusteischen) Staats- und Kulturmythos so zentrale „sacrum anniversarium Cereris“ (Liv. 22,56,4) in dem Gedicht 4,2 zwar sichtbar durchblicken lässt, namentlich aber an der Korngöttin nicht festbindet. Tatsächlich findet sich in Properz’ Œu38 Übersetzt nach Asper, Kallimachos z. St. (455). 39 Verwiesen sei auf die Darstellungen bei Tibull (1,1,7–16) und Ovid (Am. 3,10,1–12).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
vre (!) keine einzige explizite Referenz auf die große Kultur- und Gesetzgeberin, während Ovid Ceres’ besondere „vorrangige“ Stellung im Pantheon der Götter klar auf den Punkt bringt (Met. 5,341–345): (…) 341 ‚Prima Ceres unco glaebam dimovit aratro, prima dedit fruges alimentaque mitia terris, prima dedit leges: Cereris sunt omnia munus. illa canenda mihi est; utinam modo dicere possim 345 carmina digna dea! certe dea carmine digna est. (…)‘
Selbstverständlich nimmt sich Ovids Hymnos, noch dazu aus dem Munde der schönstimmigen Muse Kalliope (339) gesungen und in feierlicher Erinnerung an Kallimachos’ „Δάματεϱ, μέγα χαῖϱε“ (Hymn. 6,119), wie der krönende Abschluss des dichterisch wohllautenden Cereskults aus – bauen Ovids Verwandlungssagen doch nicht nur auf einer reichhaltigen Mythengeschichte, sondern vor allem auf einem umfassenden literarischen Erfahrungsschatz auf (~ Georg. 1,145–149): 145 (…) labor omnia vicit improbus et duris urgens in rebus egestas. prima Ceres ferro mortalis vertere terram instituit, cum iam glandes atque arbuta sacrae 149 deficerent silvae et victum Dodona negaret. (…)
Hält man sich den geradezu „universalen“ (omnia) Fruchtbarkeitskult der Ceres vor Augen, mündet Properz’ Ableitung Vertannus kulthistorisch fließend in die dritte etymologische Deutung Vertomnis, so dass die Verse 4,2,25–28 thematisch durchaus passend eingeordnet sind: Properzens Vertumni sacrum/Cereris schattiert somit nicht nur den allgegenwärtigen Fruchtbarkeitskult der omnipotenten Korngöttin, sondern impliziert auch einen „intertextuellen“ Kommentar des wandelbaren Dichtungscharakters der Georgica (1,147 f.), deren teils naturkosmologische (prima), teils mythologische (Ceres), bald agrarwissenschaftliche (ferro) und kulturstiftende (mortalis), bald panegyrische (terram) oder didaktische Dichtungsfacetten (vertere instituit) auch Vergils bukolisches Credo „omnia vincit amor“ (Ecl. 10,69) neu beleuchten: Harte und langwierige Arbeit, zumal des episch schaffenden poeta, vermag letztlich alles zu bezwingen – oder mit dem Esprit des elegischen Verwandlungskünstlers Properz alias Vertumnus ausgesprochen (4,2,22): in quamcumque [figuram] voles, verte, decorus ero. Was im Ergebnis den offenbar „falschen“ Wahrheitsgehalt der Etymologie Vertannus betrifft (mendax fama), gestaltet sich das zweite Kultaition des Vertumnus referentiell dennoch vielschichtiger und insofern substantiell glaubwürdiger. Auch Ovids erfundene Liebesgeschichte des Vertumnus amator und der Obstgöttin Pomona in Met. 14,622 ff. (vgl. Kapitel 7) legt nahe, dass Properzens Gott der Verwandlung gerne oder vorzugsweise mit dem Wandel des Jahres und so mit dem weitverzweigten antiken Fruchtbarkeitskult dem Wesen nach assoziiert worden ist. In den Versen 4,2,41–46 stellt Vertumnus (Properz), wie ich in Kapitel 6.4 zu den Anklängen an den Fruchtbarkeitsgott Priapus noch ausführen werde, seinen Gartenkult sogar als die ihm ureigene maxima fama heraus.
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Die spezifischen Funktionsbereiche synonymer Gottheiten ließen sich in der römischen Kultpraxis jedenfalls nur schwer voneinander differenzieren und definierten sich häufig durch eine Form der religiösen Kultassoziation40, wie etwa Vergils werkeinleitende Apostrophe „Liber et alma Ceres“ (Georg. 1,7) darlegt. Eine regelrechte Kultangleichung des Cereris sacrum veranschaulichen Ovids frugum matres, Ceres und Tellus/Terra, die in einer sozusagen göttlichen „Funktionsgemeinschaft“ den antiken Fruchtbarkeitsmythos aitiologisch abbilden (Fast. 1,671– 674): (…) 671 placentur frugum matres, Tellusque Ceresque, farre suo gravidae visceribusque suis: officium commune Ceres et Terra tuentur; 674 haec praebet causam frugibus, illa locum. (…)
Da Ovid die Georgica unter den Begriff fruges (Am. 1,15,25) schlechthin subsumiert, spielt jene segensreiche „Eleusina mater“ Ceres (Georg. 1,163) wohlmöglich auf die Saturnia tellus, die personifizierte „magna parens frugum“ (Georg. 2,173), an. Dies gibt vorausblickend auf das folgende Kapitel Anlass zu der Vermutung, dass sich die praktische (dichterische) Glaubwürdigkeit der Ableitung Vertannus nicht nur oder in erster Linie sprachtheoretisch bemisst. Vor allem der identitätsbildende Mythos, wie ihn Vergils bzw. Kallimachos’ Hymnos auf Demeter bezeugt, kann verbürgte Wahrheit stiften. Darin artikuliert und aktualisiert sich eine wesentliche ideologische Funktion der antiken aitiologischen Lehrdichtung, die im Dienste historischer Kontinuitätsstiftung kulturell oder literarisch gültige Sinn- und Wahrheitskonstrukte nicht bloß überprüft, sondern selbst (re)produziert. 4.3 „Quid mirare? Alius mihi nominis index!“: Kallimachos und die aitiologische Lehrdichtung (Ovids Fasten) In Kapitel 4.2 ist gezeigt worden, dass die zweite Ableitung Vertannus in den komplexen Fruchtbarkeitskult der Korngöttin Ceres eingebunden ist, der sich literaturgeschichtlich vom „praeceptor arandi“ Hesiod (Fast. 6,13) über die veterum praecepta des Kallimachos und Lukrez bis zu den Agrarvorschriften Vergils und der römischen Elegiker spannt. Auf dem Klangboden des Ascraeum carmen (Georg. 2,176) führt Properz die erotische Liebeselegie, Tibull nachfolgend, im vierten Buch (4,2) thematisch an das klassische Lehrepos heran und erschließt seinem „Lied aus Ascra“ die proklamierten neuen Dichtungsperspektiven (~ Prop. 2,10,25 f.)41: nondum etiam Ascraeos norunt mea carmina fontes, / sed modo Permessi flumine lavit Amor.
40 So trat zur sog. Aventinischen Trias neben Ceres und Liber (Bacchus) noch die Göttin Libera. Diese Dreiheit bildete das plebejische Pendant zur Kapitolinischen Trias der Patrizier (Jupiter, Juno und Minerva). Vgl. dazu im Einzelnen Spaeth, Ceres 6 ff. 41 Vgl. zu den Versen Kapitel 5.5 zur hesiodeischen „Dichterweihe“ des Properz / Cornelius Gallus (~ Ecl. 6,64 ff.).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Was sich in den obigen Versen mit der fingierten Dichterweihe an den Ascraei fontes ankündigt, gewinnt dann im dritten Buch einen ausdrücklichen Programmcharakter: Wie Vergil die „heiligen Quellen“ (sanctos fontes) ergründen und Hesiods Lehrgedicht „Romana per oppida“ (Georg. 2,175 f.) besingen wollte, so beruft sich Properz auf Kallimachos und Philetas, um lateinische Verse „durch griechische Reigen“ kundzutun (3,1,1–4): Callimachi Manes et Coi sacra Philitae, in vestrum, quaeso, me sinite ire nemus! primus ego ingredior puro de fonte sacerdos 4 Itala per Graios orgia ferre choros. (…)
Properzens Anspruch, als „erster“ römischer Dichter (Priester) „von der reinen Quelle“ alexandrinischen Künstlertums gekostet zu haben, impliziert mit Blick auf Vergils Georgica oder Horaz’ Oden (3,30,12 ff.) gattungsspezifische Fragen dichterischer imitatio und aemulatio, worauf ich in Kapitel 5.3 gesondert eingehen werde. Die Referenz auf den „kallimacheischen“ Wettstreit der römischen Dichter ist auch in den Versen 4,2,13 ff. insinuiert (prima mihi variat …), insofern als Properzens viertes Buch (4,2) Vergils Lehrepos nacheifert und wie die Georgica der aitiologischen Lehrdichtung des Kallimachos verpflichtet ist42: In manner and composition the Georgics is deeply indebted to Callimachus. The four books find their closest analogy in the four books of the Aetia, and Virgil indicates the structural dependence at various points […]; and if one word best describes Virgil’s manner of reference to his literary tradition that word is „Callimachean“.
Poetologisch bemerkenswert zu erwähnen ist, dass der Alexandriner im hochberühmten und für die Dichtkunst der Augusteer wegweisenden Aitienprolog sich der „ὄμπνια Θεσμοφόϱος“ Ceres (1,1,10 Pf.) als eines schlagkräftigen Arguments für die vom ihm gewählte Kleinform der elaborierten Elegiendichtung bedient43: „Nicht die Titel bestimmter literarischer Werke werden hier einander gegenübergestellt, sondern die schlanke Ähre und der gravitätische Eichenbaum als Sinnbilder von λεπτότης und παχύτης.“ Dass Puelma hinter dem Bild der „nährenden Brauchgeberin“ (Asper) „eine lobende Anspielung auf die für das Elegienwerk des Philetas repräsentative Demeter“ (105) vermutet, verstärkt den Eindruck, dass Properz’ kongenialer Ceres-Hymnos in 4,2 sowohl Kallimachos und Philetas von „Kos“ (3,1,1) verbunden ist44. Beide waren, wie ich in Kapitel 5.2 am „novus Callimachus“ Catull verdeutlichen werde, „eindeutig reine Vorbilder des kallimacheischen Stilideals“45, die das von den Neoterikern und Augusteern so stilbewusst gepflegte Image des doctus poeta erst eigentlich zur neuen Kunst- und Modeform auserkoren haben. In diesem Kapitel sollen die formalen und inhaltlichen Grundlagen, auf denen Properz’ aitiologische Dichtkunst des vierten Buches fußt, herausgearbeitet wer42 Thomas, Georgics I–II (3) zum literarischen Hintergrund des Lehrepos. 43 Puelma, Vorbilder 105 z. St. 44 Vgl. auch Kapitel 5.1 zu Prop. 2,1,6 (hoc totum e Coa veste volumen erit). 45 Vgl. Puelma, Vorbilder 104.
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den. Der Vergleich mit Ovids Fasten schärft den Blick für die wesentlichen dichterischen Anlagen der Elegie 4,2: Die etymologische Namensdeutung des Vertumnus trägt einen auktorial-referentiellen Dialogcharakter, der auf Glaubwürdigkeit bzw. verbürgte Wahrheit gründet. Parallel liegt dem Prozess aitiologischer Wissensvermittlung der Anspruch poetischer Wissensdemonstration zugrunde. Kallimachos’ Maximen der Überbietungstechnik und Modernisierung finden in der Dichtung des „Romanus Callimachus“ (4,1a,64) Properz einen äquivalenten künstlerischen Niederschlag. Insoweit es Properzens proklamiertes „Ascraeum carmen“ (2,10,25) betrifft, nahm Puelma an, dass damit „nationalrömische Kultelegien“ anvisiert würden46, wie sie in der kallimacheischen Tradition der Aitia das elegische Romepos des vierten Buches schließlich ausführt (Prop. 4,1a,67–70): (…) 67 Roma, fave, tibi surgit opus! date candida, cives, omina, et inceptis dextera cantet avis! sacra diesque canam et cognomina prisca locorum: 70 has meus ad metas sudet oportet equus.
Ovids Fasten pflegen die aitiologische Elegiendichtung des Properz (Buch 4) nicht nur weiter, sondern widmen dem römischen Festkalender in den sechs fertiggestellten bzw. überlieferten Büchern (von Januar bis Juni) eine zeitlich und stofflich geordnete Abhandlung der „heiligen Bräuche und Festtage“ und ihrer jeweiligen „Ursprünge“ (Fast. 1,1–8): Tempora cum causis Latium digesta per annum lapsaque sub terras ortaque signa canam. excipe pacato, Caesar Germanice, voltu hoc opus et timidae derige navis iter 5 officioque, levem non aversatus honorem, en tibi devoto numine dexter ades. sacra recognosces annalibus eruta priscis, 8 et quo sit merito quaeque notata dies. (…)
Dass Ovids opus ausgerechnet mit dem Monatsbeginn bzw. der Kalenderreform des divus „Iulius“ Caesar (Quintilis) endet und daher dem vergöttlichten Caesar „Augustus“ (Sextilis) seine aitiologische Ehrenbezeugung verweigert, hängt eher mit den strukturellen Begebenheiten infolge der Verbannung Ovids (etwa fehlenden Bibliotheken in Tomis) denn mit einer polemischen Spitze gegen den Prinzeps zusammen47. Auch jenes „Caesaris arma canant alii“ (Fast. 1,13) dürfte mehr als 46 Vgl. Puelma, Kallimachos (II) 296. 47 Vor Ovids Relegation im Jahre 8 n. Chr. sollten die Fasten nach eigener Aussage zwölf Bücher umfassen und Augustus gewidmet werden (vgl. Trist. 2,551 f.). Ihre Umwidmung auf „Germanicus“ mochte daher eine überstürzte Reaktion auf Augustus’ Tod 14 n. Chr. darstellen, mit dem Ovid die Hoffnung auf Rückkehr nach Rom verband. Politisch verbindlicher wäre dann aber die Widmung an Tiberius gewesen, zumal die Nachfolgeregelung spätestens mit dem Tod der beiden Caesares Iulii Lucius und Gaius 2 bzw. 4 n. Chr. (vgl. Kapitel 6.2) nicht auf Augustus’ geschätzten Großneffen Germanicus (den Vater/Bruder der nachfolgenden Kaiser Caligula/ Claudius), sondern – sehr zu Augustus’ Widerwillen – auf seinen Stiefsohn Tiberius, den Sohn
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
ein epischer Wink auf Vergils Aeneis zu verstehen sein. Properzens Programm des „sacra diesque canam“ münzt Ovid zumindest vordergründig ausdrücklich auf die Kultperson des Augustus (vgl. Fast. 1,13 f.). Miller hatte die Entwicklungslinien der antiken Aitiendichtung, die von Kallimachos über die Neoteriker (Catull) und Cornelius Gallus bis zu Properz und Ovid reichen, aufgezeigt und die Bedeutung „aitiologischen“ Dichtens für das künstlerische, das heißt „kallimacheische“ Selbstverständnis der Augusteer hervorgehoben48: „Among the manifold ways in which Roman poets revealed their allegiance to Neoteric and Hellenistic ideals, few are more important than the aition.“ Kallimachos’ vorbildhaftes Lehrwerk der Aitia bezieht sich begrifflich auf das, was die Römer unter dem lateinischen Synonym causa fassen49: „The term aition [causa] refers to the explanation, and usually the origin, of a name, object or custom.“ Ovids Fasten verifizieren dies schon im Prologvers, und auch Properz’ Elegie des Jupiter Feretrius zeigt sich am Gedichtanfang und -schluss fest in der aitiologischen Formelsprache verwurzelt (4,10,45–48): (…) 45 nunc spolia in templo tria condita: causa Feretri, omine quod certo dux ferit ense ducem; seu quia victa suis umeris haec arma ferebant, 48 hinc Feretri dicta est ara superba Iovis.
Die Frage, ob sich Jupiters causa bzw. cognomen „Feretrius“ eher von ferire oder ferre ableitet, bildet den analogen Diskussionskern der Vertumnus-Elegie (Vertamnis, Vertannus, Vertomnis). Die disjunktive Reihung verschiedener hypothetischer Bedingungsmöglichkeiten (sive quod, seu quia) entspricht dabei stilistisch der Argumentationsstruktur einer Gegenüberstellung verschiedener Deutungsalternativen. Modellartig schlägt sich dieses Prinzip in Ovids Aition des Romulus „Quirinus“ nieder (Fast. 2,475–480): (…) 475 Proxima lux vacua est; at tertia dicta Quirino, qui tenet hoc nomen (Romulus ante fuit), sive quod hasta ‚curis‘ priscis est dicta Sabinis (bellicus a telo venit in astra deus); sive suum regi nomen posuere Quirites, 480 seu quia Romanis iunxerat ille Cures. (…)
Sowohl Properz’ und Ovids obige Disposition lässt die konzeptionelle Neigung einer „triplex causa“ (Fast. 6,97) erkennen. Während Ovid dem aitiologischen Sachverhalt wie in Fast. 6,97 f. oft mehr oder weniger unentschieden oder unent-
seiner dritten und letzten Ehefrau Livia Drusilla, hinauslief (vgl. Bleicken, Augustus 645). Allerdings muss man in Rechnung stellen, dass Germanicus, der Arats Phainomena ins Lateinische übertrug, ebenso gut als ursprünglicher Widmungsadressat der Fasten vorstellbar ist (vgl. Holzberg, Fasten 352). 48 Miller, Callimachus 371. 49 Miller, Callimachus 373.
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schlossen gegenübertritt, löst Properz die etymologische Ursachenforschung des Vertumnus zugunsten der dritten Ableitung auf (4,2,19–20): (…) mendax fama, noces! alius mihi nominis index: de se narranti tu modo crede deo! (…)
Die Verse 4,2,19 f. sind textkritisch nicht unproblematisch50. Besondere Bedenken löst der bei Properz einmalige Ausdruck index aus, den Camps sinngemäß wie indicium auffasst (Butler/Barber z. St.): „But there is no example of its having this meaning“. Im herkömmlichen Sprachgebrauch meint der (formaljuristische) Begriff den „Zeugen“ bzw. „Anzeiger/Verräter“ einer zu erörternden causa (Boldrer z. St.): „index, termine tecnico-giuridico per il testimone (specie un delatore)“. Die Vermutung, Vertumnus’ Namensableitungen würden durch verschiedene „Gewährsmänner“ (Mojsisch) bestätigt oder verworfen, erscheint mit Blick auf „Vergils“ Georgica und Properzens „intertextuelle“ Etymologie Vertannus zutreffend (Kapitel 4.2). Vorausschauend auf Kallimachos’ Jamben 7/9 bzw. Aitia (Fr. 114,4– 17 Pf.), wird in diesen Versen eine Referenztechnik angewendet, bei der Properz „mit einem von Ovid in den Fasten oft benutzten Kunstgriff dem Gotte selbst“, wie Rothstein (218) formulierte, das Aition seiner Herkunft sozusagen „in den Mund“ legt (~ Fast. 5,191–192): (…) ipsa doce, quae sis: hominum sententia fallax; optima tu proprii nominis auctor eris. (…)
Analog zu Properz’ „mendax fama, noces“ distanziert sich Ovid in dem obigen (oft zitierten) Parallelbeispiel von jener „hominum sententia fallax“ und wendet sich an die Blumengöttin Flora persönlich, welche als „Gewährsfrau“ (auctor) ihres Namens ja am besten über sich Bescheid wissen müsse. Diese Referenztechnik, sich direkt auf die (allwissende) Gottheit zu berufen, soll zum einen die „Glaubwürdigkeit“ (crede) der Darstellung gewährleisten und zum anderen, damit verbunden, den „Lehrcharakter“ (doce) aitiologischer Dichtung unterstreichen. Der Wahrheitsschwur „bei sich selbst“ (de se) geht auf Kallimachos’ Aitia (Fr. 114,5 Pf.) zurück, in denen sich der Gott Apollon für sich selbst bzw. sein Standbild auf Delos ver-
50 Anstelle des noces überliefern einige Handschriften voces oder vaces und manche Textausgaben folgen dem (so Hutchinson, Heyworth oder Goold z. St.): „Be quiet, lying rumour“. Hutchinson vergleicht das brüske mendax fama „vaces“ mit einem Fragment aus Kallimachos’ ἱστοϱία des Akontius und der Kydippe (vgl. Ait. 3, Fr. 75,4–9 Pf.). Die schroffe Unterbrechung des „ἴσχεο, λαιδϱέ“ (4) dort, womit der Dichter das sakrosankte Aition eines naxischen Hochzeitsbrauchs, den sog. Vorhochzeitsschlaf, abschnürt, erinnert in der Tat an die etwas barsche Revision bei Properz. Kallimachos’ Angriff gegen menschliche (Pseudo-) Vielwisserei, die er als ein χαλεπὸν κακόν (8) stigmatisiert, steht dem mendax fama „noces“ aber gedanklich näher. Denn die (kallimacheische) Überzeugung, eine falsche „Zunge“ (9) richte schweres Übel bzw. großen „Schaden“ aus, ist in der römischen Dichtung weit verbreitet. Vgl. zum Beispiel Ecl. 7,28; Prop. 2,28,14 oder Am. 2,2,49. Vgl. auch Kapitel 5.2 zu Catull, Carm. 7,12.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
bürgt51: „This may be Propertius’ ‚version‘ of Apollo’s amusing ναὶ μὰ τὸν αὐτὸν ἐμέ.“ Dass die aitiologische Dichtung ihre Wissensinhalte glaubwürdig und mit einem didaktischen Anspruch vermitteln will, stellt nicht nur eine autopoietische Reaktion auf die „mendacia vatum“ dar (Fast. 6,253). So wird der Prozess der Wahrheitsfindung dadurch konterkariert, dass die (Lügen-) Geschichten der Menschen mit potentiell gravierenden Fehlern behaftet seien und einer Berichtigung durch den „erzählenden“ Gott selbst bedürften, wie es Properz in Bezug auf den (schlechten) Ruf seiner Geliebten ähnlich formulierte (2,18b,37): credam ego narranti, noli [Cynthia] committere, famae. Solche Vorstellungen sind bei Kallimachos vorgebildet, der die „ἄνϑϱωποι καὶ πουλύμυϑοι καὶ λάλοι“ (Jamb. 2,13 f.) anprangerte und deren naturbedingte Schwatzhaftigkeit mit den geflügelten Worten „Kreter sind immer Lügner“ zementierte (Hymn. 1,4–8)52: (…) πῶς καί νιν, Δικταῖον ἀείσομεν ἠὲ Λυκαῖον; 5 ἐν δοιῇ μάλα ϑυμός, ἐπεὶ γένος ἀμφήϱιστον. Ζεῦ, σὲ μὲν Ἰδαίοισιν ἐν οὔϱεσί φασι γενέσϑαι, Ζεῦ, σὲ δ᾿ ἐν Ἀϱκαδίῃ· πότεϱοι, πάτεϱ, ἐψεύσαντο; 8 ‚Κϱῆτες ἀεὶ ψεῦσται‘· (…) Wie sollen wir ihn denn besingen, als Zeus Diktaios oder als Zeus Lykaios? [5] In großem Zwiespalt ist mein Geist, denn seine Herkunft ist ja umstritten: Zeus, die einen sagen, du seist in den Bergen Idas zur Welt gekommen, Zeus, in Arkadien die andern! Wer von beiden hat gelogen, Vater? „Kreter sind immer Lügner“.
Wie sich Kallimachos an „Zeus“ Diktaios oder Lykaios persönlich wendet, beruft sich Properzens „Vertumnus“ auf sich selbst, da er allein als index/auctor seines Namens Licht in die überlieferte mendax fama bringen könne. Für diese fingierte Selbstreferentialität bietet Ovid eine weitere aussagekräftige Beleg- und Parallelstelle: Wie der „in großem Zwiespalt“ sich befindende griechische, glaubt auch der unkundige römische Dichter erst durch die Inspirations- bzw. Informationsquelle des Merkur „Caducifer“ zu einer klaren aitiologischen Kultdeutung zu gelangen (Fast. 5,445–450): (…) 445 dicta sit unde dies, quae nominis exstet origo, me fugit: ex aliquo est invenienda deo. Pliade nate, mone, virga venerande potenti: saepe tibi est Stygii regia visa Iovis. venit adoratus Caducifer. accipe causam 450 nominis: ex ipso est cognita causa deo. (…)
Was sich in Ovids Fasten und der Elegie 4,2 als poetische „Fiktion“ der charakteristischen Erzähl(er)perspektive herausbildet53, ist das Zurücktreten der persona 51 Dee, Callimachus Romanus 48 (Anm. 14) z. St. 52 Übersetzt nach Asper, Kallimachos z. St. (389). 53 Vgl. Müller, Dichtungslehre 116 zu Ovids „Umgang mit dem Wahrheits- und Glaubwürdigkeitsgebot“ (in den Metamorphosen): „Wesensgrund der Poesie ist die Fiktion.“
4. Die ersten beiden Ableitungen: Vertamnis oder Vertannus?
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des Dichters hinter die glaubwürdigere Instanz des Gottes: Nicht Properz, sondern Vertumnus verbürgt sich vordergründig für das selbstreferentielle „Erzähler-Ich“, so dass der causa in eigener Sache eine „von der allgemeinen Überlieferung sanktionierte Glaubwürdigkeit“ zukommt54: Beglaubigt erschien der Realitäts- und Wahrheitsanspruch durch die Rückbindung der Kunde von historischen und mythischen Begebenheiten an das Gedächtnis und die Unbestechlichkeit der Muse, also der Gottheit, die vorgeblich durch den Mund des Sängers sprach, deren Beistand jedesmal mit dem Akt des Musenanrufs herbeigebeten wurde.
Derart ist die Elegie 4,2 perspektivisch von Beginn an klar ausgerichtet, indem Properz den „Wahrheitsanspruch“ seines Kultaitions an die Erzählung des Gottes knüpft (2): accipe Vertumni signa paterna dei! Typisch für den „Akt des Musenanrufs“ (Müller) ist, dass der Prozess der Wissensvermittlung zwischen der Gottheit und dem Dichter in der Form eines Dialogs oder „Musengesprächs“ vollzogen wird55. Asper hatte an den Aitia (Bücher 1 und 2) verdeutlicht, wie Kallimachos in dem Musengespräch der Traumszene auf dem Helikon den Musenanruf des Epos aufgreift und das traditionelle Dialogschema zwischen der (allwissenden) Muse und dem (unwissenden) Dichter „modernisiert“56: Das [Musen-] Gespräch, das die ersten beiden Bücher der Aitien bildet, ist die Schilderung dieses Traums, mit dem sich Kallimachos, in charakteristischer Brechung, als ein neuer Hesiod präsentiert. Diese Rahmenstruktur erweitert naiv-artifiziell den traditionellen epischen Musenanruf. Naiv, weil konkretere Fragen als früher gestellt werden, weil überhaupt konkretisiert wird, wie denn genau die Wissensvermittlung zwischen Musen und Dichter vonstatten geht, wobei der Dichter natürlich auch sein Wissen demonstriert. Artifiziell, weil diese Vertrautheit eben eine ganz andere Musennähe wiedergibt, als sie den archaischen Sänger auszeichnete, und damit auch eine Überbietungstechnik darstellt. Zudem ist die Musenfrage mit einem anderen Inspirationsmoment, dem für Wissensdiskurse üblicheren Traum, verbunden. Man kann all das als eine Modernisierung des alten epischen Schemas von allwissender Muse und unwissendem Dichter verstehen.
In Nachfolge und Nachahmung des „neuen Hesiods“ Kallimachos darf man die Anspielungstechniken der imitatio und aemulatio insbesondere für den selbsternannten „neuen Kallimachos“ Properz geltend machen, dessen aitiologische Dichtkunst folglich in Referenzidentität zum alexandrinischen Vorbild (index) steht. Überhaupt verbürgen sich für das Kultaition 4,2 hintergründig eine Vielzahl dichterischer „Gewährsmänner“ oder docti poetae von Hesiod über Kallimachos und Catull bis zu Vergil, Horaz oder Tibull. Dies färbt zugleich auf das unterschwellige Erzähler-Ich bzw. die persona der Elegie 4,2 ab57: Die auktoriale Referenzebene des sprechenden Gottes (Vertumnus) wird durch den durch den Gott sprechenden Dichter (Properz) durchbrochen, insofern als dichterisches „Wissen“ de facto als göttliche „Wahrheit“ vorgespiegelt wird58. 54 Müller, Dichtungslehre 97. 55 Vgl. Miller, Callimachus 409 ff. („Dialogues with Deities“). 56 Asper, Kallimachos 25 f. 57 Vgl. Kapitel 7 zur persona-Diskussion bzw. zum „Vertumnus amator“ Properz. 58 Vgl. Müller, Dichtungslehre 166: „‚Wissen‘ des Sängers, d. h. ‚Wissen‘ der Dichtung, und ‚Wahrheit‘ sind in dieser Sicht identisch.“
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Man kann behaupten, dass sich Properz in dem Vertumnus-Gedicht 4,2 die künstlerischen Vorgaben der Modernisierung/Überbietungstechnik (Asper) sehr genau angeeignet hat: Wie Kallimachos das klassische Lehrepos Hesiods mit innovativen aitiologischen Gedanken neu belebte, so verwirklicht Properz durch die Fiktion der selbstreferentiellen Dichtergottheit die denkbar höchste innovative Form repräsentativer Musennähe. Damit entpuppt sich der aitiologische Wissensdiskurs der causa Vertumni im Kern als eine dichterische Wissensdemonstration des doctus poeta, der nach eigenem Ermessen und Dafürhalten die alte „Lügendichtung“ (mendax fama) Tibulls oder Vergils verwirft und den Sachverhalt, darin Kallimachos’ „δηναιοὶ δ’ οὐ πάμπαν ἀληϑέες ἦσαν ἀοιδοί“ (Hymn. 1,60) nacheifernd, unter Berufung auf sich selbst sozusagen richtigstellt. Dass „Properz“ die beiden Ableitungen Vertamnis und Vertannus ablehnt und auf die vermeintlich richtige Deutung Vertomnis spekuliert, zeigt schon der Prologvers an, der wie ein „Buchtitel“ (index) das vielgestaltige Kultaition selbstreferentiell eröffnet (4,2,1): Quid mirare meas tot in uno corpore formas? Im Detail sind, soweit es sich aus den Fragmenten und Diegesen erkennen lässt, wenigstens drei Gedichte der Aitia und Jamben für die Gestaltung der Elegie 4,2 vorbildlich59. Kallimachos’ Gedichtfragmente legen einige bemerkenswerte formale und inhaltliche Berührungspunkte mit Properz’ Vertumnus-Aition offen, wobei Pillinger auf Kallimachos’ Verknüpfung der aitiologischen Erzählung mit dem epigrammatischen Motiv der „sprechenden Statue“ verwiesen hatte60. Mit diesem Motiv ist bei Properz eine feine textkritische Nuance des Gedichtauftakts verbunden: Etliche Herausgeber ziehen die Lesart der jüngeren Handschriften qui (mirare) vor, wie es in 4,2,57 oder 1,21,1 vorgegeben ist61. Andere bevorzugen unter Verweis auf 3,11,1 das überlieferte quid mit anschließendem (in-) direkten Fragesatz62. Schulz-Vanheyden hatte dazu analysiert, wie die Verwunderung beim Anblick einer Grabinschrift von der direkten Frage des betrachtenden Subjekts (miror, quid) in eine „fingierte“ Frage des betrachteten Objekts übergegangen ist (quid mirare)63: 59 In dem ersten Gedichtfragment der Aitia (Fr. 114,4–17 Pf.) befragt ein anonymer Gesprächspartner den Gott Apollon bzw. dessen Statue auf Delos nach seiner Identität, Gestalt sowie der Bedeutung seiner Erkennungszeichen. Das zweite Gedichtfragment ist der 7. Jambos (Fr. 197 Pf.), der laut der Diegesis eine etymologische Kulterklärung des Hermes „Perpheraios“ gibt: Einst sei der vom berühmten Baumeister Epeios gefertigte Hermes durch die Überschwemmungen des Skamander in das Meer bei Ainos gespült worden. Als sich Hermes’ Bildnis wiederholt in den Netzen der Fischer verfing, hätten diese ihm ein Heiligtum und einen eigenen Kult geweiht, der wohl mit einer eigentümlichen Prozessionsform zusammenhing (πεϱιφέϱειν). Das letzte Fragment, Jambos 9 (Fr. 199 Pf.), behandelt ebenfalls den Hermeskult, der hier mit dem Phallos des Gottes verbunden ist: Gemäß der Diegesis findet der Sprecher Hermes’ Standbild mit erigiertem Glied vor und fragt nach dem Grund dafür. Ein wenig orakelhaft antwortet ihm der Gott, dies habe mit einem alten Mysterium seiner etruskischen Abstammung zu tun. 60 Vgl. Pillinger, Callimachean Influences 180 („talking statue“). 61 Vgl. Kallimachos’ Epigramm 21 Pf. (Ὅστις ἐμὸν παϱὰ σῆμα φέϱεις …). Mit weiteren Beispielen der lateinischen Epigrammatik Suits, Vertumnus Elegy 480 (Anm. 20). 62 Vgl. Weeber, 4. Properz-Buch 68 (Anm. 5). Vgl. Boldrer z. St. mit Verweisen auf 1,2; 1,4; 1,12 oder 2,20. Dagegen 2,3a; 2,12 oder 2,32 mit einleitendem Relativsatz. 63 Schulz-Vanheyden, Epigramm 79 f.
4. Die ersten beiden Ableitungen: Vertamnis oder Vertannus?
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Die in hellenistischer Zeit besonders beliebten Epigramme auf symbolische Grabdenkmäler beginnen häufig mit einer direkten Frage des Betrachters nach dem Sinn der Zeichen […] oder mit einer Äußerung des Forschens und Suchens […]. Von da aus war es nur ein kleiner Schritt, diese Äußerung des Wunderns nicht dem Betrachter selbst in den Mund zu legen, sondern sie zu Anfang der Erklärung des sprechenden Grabmals oder des Toten zu fingieren.
In Kapitel 3 ist behauptet worden, dass Vertumnus’ signa paterna (4,2,2) unterschwellig die Wahrzeichen des Dichters bedeuten. Diese signa artificia verweisen vor allem auf Kallimachos und die neue aitiologische Erzähltechnik des fingierten Dialogs bzw. dialogisierten Monologs, der aus der „Binnenperspektive des sprechenden Kunstwerks“ gestaltet ist64: Das gegenständliche Vortumni signum wird durch die poetische Fiktion der sprechenden Statue verlebendigt und mit eigenen Gefühlen und Gedanken belebt. So ist das betrachtete Objekt selbst zum betrachtenden Subjekt seiner Umwelt geworden. Wenn man so will, drückt sich in der Fiktion des loquens signum die eigentliche transzendentale „Verwandlung“ des Gedichts aus65: Die Realität der sinnlichen Wahrnehmung und Erfahrung ist in der grenzenlosen Scheinwirklichkeit der poesis aufgehoben, die ihren auf- oder verklärenden Ursprung in der wissbegierigen Fragehaltung des „staunenden“ Dichters selbst findet (vgl. Ait. 2, Fr. 43 Pf.,84 f.). Kaum überraschend begründet das Staunen an sich, das Grundmoment philosophischer Erkenntnisgewinnung (Platon, Theaitetos 155 D), auch den methodischen Ansatz der aitiologischen Lehrdichtung. Das miror-Motiv bildet den substantiellen Kern der ursächlichen Wahrheitsfindung und den Ausgangspunkt im didaktischen Prozess der Wissensvermittlung zwischen dem Dichter und der Gottheit (vgl. Fast. 1,165 f.). Vorausblickend auf die Kapitel 5.1 und 5.2, in denen der Zusammenhang zwischen der erotischen und aitiologischen Cynthia-Dichtung untersucht werden soll, ist interessant zu verfolgen, wie die subjektive Fragehaltung des Dichters in Bezug auf sein vielgestaltiges Liebesaition auf die objektive Fragehaltung der Leserschaft übertragen wird (Prop. 2,1,1–4): Quaeritis, unde mihi totiens scribantur amores, unde meus veniat mollis in ora liber. non haec Calliope, non haec mihi cantat Apollo: 4 ingenium nobis ipsa puella facit. (…)
Vor dem Hintergrund der kallimacheischen causae sacrorum deutete Puelma die obigen Verse, in denen jene vom Musen- und Dichtergott Apollon inspirierte puella Cynthia (die „Apollinische“) Properz’ neue causae amorum anrege, als eine „Abgrenzung“ oder „Verschiebung“ der mythologischen Kultaitien in den erotischen Erfahrungsbereich des „Biotischen“ und „Autobiographischen“66: Dadurch nämlich, dass die römischen Elegiker ihren Anspruch, Verkünder allgemeingültiger belehrender Wahrheit zu sein, in so betonter Weise mit der authentischen Lebenserfahrung und nicht mehr mit der Garantie legitimierten, die sich auf den Bericht von Musen, Göttern und alten Quellen gründete, verschoben sie den kallimacheischen Grundsatz, „nichts Unverbürgtes“ 64 Vgl. Asper, Kallimachos 32. 65 Vgl. Kapitel 5.2 zur loquens coma/Berenices Catulls (~ Carm. 66). 66 Puelma, Kallimachos (II) 290.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar vorzutragen, vom dominant Mythischen ins dominant Biotische und Autobiographische. Damit aber verstärkten sie nur – ganz im Geiste des Hesiodeischen in den Aitien – den Wahrheitsanspruch ihrer Elegie, insofern nichts so stark für ihren exemplarischen Echtheitsgehalt bürgen konnte wie die Berufung auf persönliche Lebenserfahrung. Der Amores-Dichter wies sich so gleichsam als Experte der causae amorum aufgrund eigener Autopsie aus.
Der Vorsatz der Liebeselegie, ihren erotodidaktischen Wahrheitsanspruch auf die „persönliche Lebenserfahrung“ des Dichters zu gründen, korrespondiert in der Tat eng mit der traditionellen aitiologischen Lehrauffassung, über althergebrachte Kultformen mittels göttlicher Eingebung „nichts Unverbürgtes“ zu verkünden. Trotzdem trifft Puelmas Interpretation nur scheinbar oder teilweise den Kern der poetischen Aussage: zum einen, weil die causae novae (2,1,12) properzischer Liebesaitien ja selbst durch die fiktive Kunstform der Dichtung vermittelt und als Ausdruck einer „authentischen Lebenserfahrung“ bedingt gültig sind; und zum anderen, weil das abschließende vierte Buch eine überraschend innovative Tendenz zurück zur klassischen Aitiendichtung der causae sacrorum aufweist (tot formae): Die ausgesprochene „Vielgestaltigkeit“ seiner Gedichte, die Kallimachos, wie im Aitienprolog, so im 13. Jambus (Fr. 203 Pf.) mit einem Anruf an die „Μοῦσαι καλαὶ κἄπολλον“ (1) gegen alle Literaturkritiker verteidigt, kristallisiert sich bei Properz zum apologetischen Programm einer wandelbaren Elegiendichtung heraus, die die neuen (alten) causae amorum den alten (neuen) causae sacrorum nicht „entgegenstellt“, sondern beides in überlegener Weise miteinander verbindet (tot amores).
5. DIE DRITTE ABLEITUNG DES VERTUMNUS: VERTOMNIS! 5.1 „Indue me Cois, fiam (non) dura puella“: Das fallax opus (4,1b) der Liebeselegie im Spiegel erotischer Cynthia-Dichtung (4,5) Dass und wie Properz in der Elegie 4,2 sprachlich/motivisch auf die kallimacheische Aitiendichtung zurückgreift, ist in Kapitel 4.3 aufgezeigt worden: Quid mirare? Alius mihi nominis index! Aber auch Ovids Amores fassen die „signa“ artificia erotischer Lehrdichtung in jene aitiologische Form ein, die die Fasten später mit dem adäquaten Programmstoff ausfüllen werden (Am. 2,1,1–10): Hoc quoque composui Paelignis natus aquosis ille ego nequitiae Naso poeta meae; hoc quoque iussit Amor; procul hinc, procul este, severi: non estis teneris apta theatra modis. 5 me legat in sponsi facie non frigida virgo et rudis ignoto tactus amore puer. atque aliquis iuvenum, quo nunc ego, saucius arcu agnoscat flammae conscia signa suae miratusque diu ‚quo‘ dicat ‚ab indice doctus 10 composuit casus iste poeta meos?‘ (…)
Wie in Properz’ Cynthia-Gedicht 2,1 (1–4) vorgeprägt, überträgt Ovid Amors Liebesursache aitiologisch kunstverständig auf den erotischen Sachverhalt der Elegie1: Der „erstaunte“, da in Liebesdingen unwissende junge Mann erfährt im vertrauten Gespräch mit dem „doctus poeta“ verbürgte Wahrheit seiner Leidenschaft. Als Auftrag und Enthüllung des Liebesgottes (Amor) vermittelt der wissende Dichter gleichsam das Aition des erotodidaktischen Analogons2: Die Erotodidaskalie weist […] den Aitien-Dichter auch auf dem Gebiet des Eros als Experten aufgrund eigener Forschung und Erfahrung aus und ordnet so auch seine Berichte über Liebesfälle der beherrschenden Idee der lehrhaft-empirischen Wahrheitsfindung unter. Genau dieser Leitgedanke ist es, den Ovid an den Anfang und den Schluss seiner elegischen Lehrabhandlung über die Liebeskunst stellt.
Wie im vorigen Kapitel betont, soll der erotodidaktische Anspruch des poeta „aufgrund eigener Forschung und Erfahrung“ in diesem und dem folgenden Kapitel in ein besonderes „intertextuelles“ Licht properzischer amores der Bücher 1–4 gerückt werden, was Properz’ „gelehrten“ Status des erfahrenen Liebesdichters in einem künstlerischen Sinne meint und sich in der Vertumnus-Elegie widerspiegelt: Das vieldeutige Charakterbild der (non) dura puella (4,2,23), in die sich Vertumnus Vgl. zu den zahlreichen Anspielungen auf Properz’ Liebesdichtung McKeown, Amores II (zu 2,1,1 ff.), der hier Ovids Selbstverständnis als praeceptor amoris hervorhebt. 2 Puelma, Kallimachos (II) 288 f. 1
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
verwandelt, impliziert einerseits eine erotische Retrospektive auf die Cynthia-Dichtung der Bücher 1–3. Andererseits bietet Properz’ fallax opus (4,1b,135) der Liebes elegie durch seinen „täuschenden“ Charakter einen aitiologischen Vorgriff auf das vielseitig-flexible Vertomnis-Modell des vierten Buches, das sich als ein molle opus präsentiert: In den Gedichten 4,5 und 4,7 sind die Stilideale des erotischen praeceptor amoris und des aitiologischen doctus poeta zu einem homogenen Liebes- und Kunstverständnis verbunden. Ovids erotodidaktischer Expertenstatus mag weniger durch eine authentische/ persönliche Lebenserfahrung begründet sein, sondern eher durch Ovids besondere dichterische Vertrautheit mit seinen „Lehrern“ der Liebe bzw. Liebeskunst. So kann der selbsterklärte „tenerorum lusor amorum“ (Trist. 4,10,1), der sich kraft seiner spielerisch-leichten nequitia bisweilen provokant von den „imitatae artes“ Tibulls oder Properzens abgrenzt, deren Liebesdichtung aus einem fundierten Blickwinkel teils kritisch, teils selbstironisch kommentieren und mit neuen Impulsen bereichern (Am. 2,4,9–20): (…) non est certa meos quae forma invitet amores: 10 centum sunt causae, cur ego semper amem. sive aliqua est oculos in se deiecta modestos, uror, et insidiae sunt pudor ille meae; sive procax aliqua est, capior, quia rustica non est spemque dat in molli mobilis esse toro; 15 aspera si visa est rigidasque imitata Sabinas, velle, sed ex alto dissimulare puto. sive es docta, places raras dotata per artes; sive rudis, placita es simplicitate tua. est quae Callimachi prae nostris rustica dicat 20 carmina: cui placeo, protinus ipsa placet. (…)
Der Anspielungsreichtum dieser Verse auf Properzens erotische „causae mille novae“ (2,1,12) ist offenbar: In stilbewusster Nachahmung der properzischen Vergleichssequenz 2,1,5 ff. (sive illam Cois …) kehrt Ovid die Quintessenz der Aussage um (10): „Es gibt hundert Gründe [puellae], warum ich ständig verliebt bin.“ Auf diese Weise konterkariert Ovid das auf eine ganz bestimmte Geliebte ausgelegte (certa forma) und durch sie inspirierte Programm elegischer Dichtung (~ Prop. 2,1,4): ingenium nobis ipsa puella facit. Dass Ovid das Stilideal der „docta“ puella (Cynthia), künstlerisch auf den doctus poeta „Kallimachos“ verweisend (index), hier derart witzig verzerrt3, ist aber nicht nur Ausdruck seiner rhetorischen Technik der amplificatio4. Die indifferente Redundanz der centum causae mündet bei Ovid in der Schlussfolgerung: omnibus historiis se meus aptat amor (Am. 2,4,44) – zweifellos auch ein humorvoller Wink auf Properzens „maxima historia“ (2,1,16) der CynthiaDichtung. Dennoch wirkt Ovids Parodie des properzischen „mollis“ liber (2,1,2) poetologisch substantieller und deckt eine ironische Kritik am „rigiden“ Verbind3 4
Vgl. McKeown, Amores II zu 2,4,19 f. („[a] witty declaration of allegiance to the Callimachean poetic ideal“) und Kapitel 5.2 zum kallimacheischen Stilideal des doctus poeta. Vgl. McKeown, Amores II 65 (zu 2,4).
5. Die dritte Ableitung des Vertumnus: Vertomnis!
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lichkeitscharakter der Elegie auf, dem Ovid eine „flexiblere“ Liebesauffassung entgegenhält (Am. 2,4,23–24): (…) molliter incedit: motu capit; altera dura est: at poterit tacto mollior esse viro. (…)
Ovids unterschwellige Kritik am erotischen Programm der certa forma/puella scheint für Properz’ neues aitiologisches Programm, das sich im vierten Buch durch eine Vielzahl an formae/puellae ausbildet, insofern von Belang zu sein, als das von Ovid antizipierte oder kommentierte Charakterbild der „non dura“ (mollis) puella bereits den innovativen elegischen „Wandlungen“ des abschließenden Buches zugrunde liegt (Prop. 4,2,21–24): (…) 21 opportuna mea est cunctis natura figuris: in quamcumque voles, verte, decorus ero. indue me Cois, fiam non dura puella: 24 meque virum sumpta quis neget esse toga? (…)
Dass Properz gerade das „vielgestaltige“ Aitienprogramm des vierten Buches (Vert omnis) mit dem klassischen Sujet der erotischen Elegie, der dura puella (Cynthia), einleitet, ist in der Tat bemerkenswert und hat häufig dazu geführt, den Interpretationsschwerpunkt des Gedichts 4,2 auf die Verse 23 f. zu legen. Allgemein werden diese als eine Anspielung auf die Liebesdichtung der Bücher 1–3 verstanden5: „The mention of Coan silks [Coa] at once conjures up the world of amatory elegy“ – nach Dee eine zwar geistreiche, aber eher unverbindliche Reminiszenz an die puella Cynthia: 4,2,23 „recalls the characteristics of the elegiac mistress Cynthia and the amatory idioms of the earliest Propertian poetry-books“6. Gleichzeitig weise dieser Vers, wie Shea behauptete, auf die Cynthia-Elegien 4,7 und 4,8 (und 4,5!) voraus7, wobei Properz’ „polarization“ bzw. „confusion of the sexes“ (Shea), nimmt man V.24 hinzu (vir), Ausdruck für das vielseitige – insbesondere episch-elegische – decorum des vierten Buches sei8: „On the one hand he [Vertumnus] may wear the Coa vestis of Propertian love elegy; but he may just as easily ‚switch‘ to wear the manly toga of a new, harder poetry, as well as assuming the many forms of the poet’s new plan.“ Vor allem in jüngerer Zeit sind unter dem Eindruck der Gender Studies vermehrt Deutungen an- und vorgeschlagen worden, die Vertumnus’ gespaltene „sexual identity“ (DeBrohun) in den gender determinierenden Fragen transsexueller „performance“ und „representation“ genauer ausleuchteten9: „Vertumnus has no identity until he chooses a gender and an occupation and performs it.“ Diese As5 6 7 8 9
Dee, Callimachus Romanus 48. Wyke, Elegiac Woman 156. Vgl. Shea, Vertumnus Elegy 67. DeBrohun, Rhetoric of Fashion 55. Vgl. dazu Kapitel 6.1 („Epic into Elegy“). Lindheim, I am Dressed 29.
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pekte verdichteten sich in O’Neills psychoanalytischem Ansatz des „gaze of the observer (poet)“10: Since Vertumnus is a programmatic figure, many of his forms are relational, depicting the subjects and narrators that Propertius wishes to address. Thus, since Vertumnus sometimes appears to speak as the poet but is also the object of the poet’s gaze, he is both agent and object of specularization. Here the poet’s gaze upon Vertumnus allows him to depict the gender- and role-switching the poet undertakes through the new narrators of book 4, and Vertumnus’ gaze upon the people around him discloses the abiding importance of amatory matters in this book.
Die zentrale Bedeutung, die dem Distichon 4,2,23 f. in der wissenschaftlichen Diskussion beigemessen wird, sollte einer sorgfältigen Analyse der Vertumnus-Elegie Vorschub leisten. Denn manche Deutung ist auch ein nicht unproblematisches Beispiel des modernen Umgangs mit antiken Texten, was hier etwa mit den Methoden der Gender Studies verknüpft ist11. Diese sind, sofern nicht per se apologetisch ausgerichtet, prinzipiell hilfreich, um teils explizite, teils implizite kulturelle Geschlechterstereotype von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ bewusst zu machen und diese an der hybriden natura des Vertumnus zu verdeutlichen. Inwiefern Properzens Verwandlungsgott dabei als „a performer in transvestite theatre“ (Lindheim) ausgewiesen werden kann, wird die persona-Diskussion in Kapitel 7 noch eingehender behandeln. Grundsätzlich sollte man kulturwissenschaftliche Aussagen aber eher vorsichtig auf das potentiell fiktive Wirklichkeitsbild der römischen Liebesdichtung anwenden (fallax opus). Außerdem ist formal zu bedenken, dass die beiden Verse 4,2,23 f. eine zwar wesentliche Funktion und Bedeutung für Properz’ neues elegisches Programm haben, aber nicht losgelöst vom übrigen Gedichtkontext (62 Verse!) nur für sich stehen. So scheint mir die puella-vir-Antithese wie bei O’Neill doch zu selektiv und tendenziös auf eine kulturkritische Offenlegung antiker „phallokratischer“ Gesellschafts- und Machtstrukturen verengt zu sein: Vertumnus als anstößiges Sinnbild für die „Prostituierte“ Cynthia zu deuten, geht wohl zu weit und verdeckt den dichterischen Form- und Kunstcharakter der non dura / docta puella (vgl. Kapitel 5.2). Es lässt sich nicht leugnen, dass dem ersten exemplum der allseitigen Verwandlungskunst des Vertumnus, der Verkörperung als „non dura puella“, bezogen auf den „Mann“ Vertumnus und sein „stahlhartes“ signum aus Bronze vordergründig ein doppelter Wortwitz anhaftet. Was das Epitheton (non) dura aber hintergründig ausdrückt, hatte Boldrer in der Masse an Vorschlägen richtig erkannt12: „L’epiteto è particolarmente espressivo in quanto dura è tipica qualifica ‚morale‘ della puella del poeta elegiaco, aspra, crudelmente indifferente“. Ovids „rigidae“ Sabinae (Am. 2,4,15) vergleichbar, lässt sich die puella der Liebeselegie mit dem Attribut „spröde“ (Flach) qualifizieren. Dieses Charaktermerkmal der Geliebten ist im Prologgedicht der Monobiblos spannungsreich angelegt, in dem Properz sein bislang
10 O’Neill, Slumming 272. 11 Vgl. Schmitz, Literaturtheorie 193 ff. 12 Boldrer z. St. Vgl. Rothstein („gefällig“), Willige („freundlich“), Mojsisch („willfährig“), Butler/Barber („graceful“), Goold („none too prudisch“) oder Heyworth („easy“).
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erfolgloses Werben um Cynthia in dem Paradebeispiel weiblicher „Sprödigkeit“, der arkadischen Jägerin Atalante, mythologisch spiegelt (1,1,7–10)13: (…) 7 et mihi iam toto furor hic non deficit anno, cum tamen adversos cogor habere deos. Milanion nullos fugiendo, Tulle, labores 10 saevitiam durae contudit Iasidos. (…)
Untersucht man werkübergreifend den sprachlichen Gebrauch des erotischen Wertbegriffs dura, so fällt auf, dass dieser – die puella Cynthia auszeichnend – von Buch zu Buch an Häufigkeit bzw. elegischer Verbindlichkeit zu verlieren scheint: Während Properz im ersten Buch die spröde Geliebte noch metonymisch mit den „tempora dura“, das heißt dem Wahnsinn/Schmerz seiner Liebe zur „dura domina“ gleichsetzte (1,7,1–10) Dum tibi Cadmeae dicuntur, Pontice, Thebae armaque fraternae tristia militiae, atque, ita sim felix, primo contendis Homero (sint modo fata tuis mollia carminibus), 5 nos, ut consuemus, nostros agitamus amores atque aliquid duram quaerimus in dominam; nec tantum ingenio quantum servire dolori cogor et aetatis tempora dura queri. hic mihi conteritur vitae modus, haec mea fama est, 10 hinc cupio nomen carminis ire mei. (…),
siegelt Properz im zweiten Buch Cynthias herausgehobene Stellung in seinem Leben bzw. seiner Dichtung, indem er in einem fingierten epigrammatischen Nachruf nicht eigentlich sich selbst, sondern die dura puella bildlich gesprochen „zu Grabe“ trägt (2,1,71–78)14: (…) 71 quandocumque igitur vitam mea fata reposcent et breve in exiguo marmore nomen ero, Maecenas, nostrae spes invidiosa iuventae et vitae et morti gloria iusta meae, 75 si te forte meo ducet via proxima busto, esseda caelatis siste Britanna iugis, taliaque illacrimans mutae iace verba favillae: 78 ‚Huic misero fatum dura puella fuit.‘
Dieser Wandel erotischer Liebesdichtung, der im Besonderen Cynthias Wandel zur „non dura“ (docta) puella beschreibt, wird maßgeblich durch Properz’ neue aitiologisch inspirierte Liebesdichtung, sein molle opus, bewirkt, so dass Ovids Anstoß
13 Vgl. auch Kapitel 5.5 zum Milanion-Atalante-Gleichnis (Prop. 1,1 ~ Ecl. 10). 14 Vgl. Kapitel 6.3 zur Sphragis der dura/docta puella (~ 4,7,79 ff.) und Kapitel 6.4 im Kontext der Maecenas-Elegie 3,9 (~ 2,1,17 ff.).
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am elegischen Verbindlichkeitscharakter der bestimmten Geliebten auf den zweiten Blick durch Properz’ Selbstparodie angeregt ist (2,22a,1–14): Scis here mi multas pariter placuisse puellas; scis mihi, Demophoon, multa venire mala. nulla meis frustra lustrantur compita plantis, o nimis exitio nata theatra meo! 5 sive aliqua in molli diducit candida gestu bracchia, seu varios incinit ore modos: interea nostri quaerunt sibi vulnus ocelli, candida non tecto pectore si qua sedet, sive vagi crines puris in frontibus errant, 10 Indica quos medio vertice gemma tenet. quae si forte aliquid vultu mihi dura negarat, frigida de tota fronte cadebat aqua. quaeris, Demophoon, cur sim tam mollis in omnes? 14 quod quaeris, ‚quare‘, non habet ullus amor. (…)
Das zweite Properz-Buch konfrontiert die Forschung insgesamt mit den größten textkritischen Problemen, was vor allem die Abtrennung einzelner Gedichte und Gedichtpartien betrifft15. Von diesen Schwierigkeiten abgesehen ist der intertextuelle Vorbildcharakter der obigen Verse klar erkannt worden16: „This is a foretaste of the Ovid of the Ars Amatoria, the sexually successful young blood who takes his success for granted, as far from the sufferer of the Cynthia poems as one can get.“ Ovids überfließendes Polyptoton places/placita/placeo/placet in Am. 2,4,17 ff. verdeutlicht unmittelbar die Anlehnung an Properz (placuisse). Auch der aitiologische Formcharakter der centum causae (Am. 2,4,10) liegt Properzens erotischer Ursachenforschung hier zugrunde17: „Deine Frage nach dem ‚Warum‘ gibt es in der Liebe nicht.“ Bedeutungsvoll ist, dass der erotische Perspektivwechsel von der certa forma (Cynthia) zu „irgendeiner“ Geliebten (aliqua)18 die gewandelte Poetologie einer vielseitig-flexiblen Amores-Dichtung (Vertomnis), die nicht eine einzige, sondern „multae puellae“ umfasst, schon in sich birgt. Die Unverbindlichkeit des Bezugs hat allerdings zur Folge, dass sich wie für das Teilgedicht 2,22b nicht mehr zweifelsfrei sagen lässt, ob sich das Prädikatsnomen dura in 2,22a,11 (kein Attribut!) an Cynthia oder eine anonyme puella richtet19: The reader must now recognize that between poems 20 and 22 [of book 2] he has rounded a turning-point and from here to poem 29 he is never at all sure that the woman addressed is Cynthia, and often, as in the last part of 24, he is reasonably sure she is not (2,22b,43–46): 15 Beispielhaft gilt dies für die Elegie 2,22. Während Flach die Elegie als einheitliches Gedicht betrachtet, fügen Richardson und Goold die Elegie 2,17 und das Textfragment 2,18a (1–4) an den Gedichtteil 2,22b (43–50) an. Dagegen nimmt Heyworth an dem überlieferten Text 2,22a/b erhebliche Versversetzungen und Tilgungen einzelner Gedichtabschnitte vor. 16 Richardson zu Prop. 2,22a (272). 17 Übersetzt nach Mojsisch zu 2,22a,14. 18 Vgl. Am. 2,4,11 (sive aliqua est oculos in se deiecta modestos …). Marklands Konjektur des überlieferten aliquis in 2,22a,5 wird in Fedelis Kommentar zum zweiten Buch mittlerweile anerkannt. Vgl. ebenso Heyworth, Cynthia z. St. 19 Richardson zu Prop. 2,22a (272).
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Aut, si es dura, nega: sin es non dura, venito! quid iuvat heu nullo ponere verba loco? 45 hic unus dolor est ex omnibus acer amanti, speranti subito si qua venire negat. (…)
Wie zu 2,22a (11) betonte Camps zu 2,22b den verallgemeinernden Charakter „about women“ (enklitisches qua), sah aber in dem si es dura (43) „a particular woman“, nämlich Cynthia, inbegriffen. Ähnlich deutete Flach z. St. den abrupten Themenumschwung von der aliqua zur dura puella Cynthia derart, dass „der Dichter unversehens in die Rolle des verzweifelten Liebhabers [schlüpft]“ und die Geliebte vor die Wahl stellt: „Wenn du spröde bist, sag Nein; wenn nicht, dann komm!“ Ich bin zwar von der recht sprunghaften Rhetorik und Argumentation des Gedichts 2,22a/b (vom Allgemeinen zum Besonderen) ebenfalls nicht ganz überzeugt, will aber mit Blick auf die „non dura puella“ Cynthia in 4,2,23 (indue me Cois …) einige programmatische Überlegungen anfügen, zumal sich die logische Verknüpfung der Verse 2,22a,11 f. etwas schwierig gestaltet20: „this observation on the effect of a harsh look and a refusal from the mistress [Cynthia] is out of place in topic, but also in tense (…).“ Unter der Voraussetzung, dass 2,22b (43) auf die dura puella Cynthia anspielt (nega), wäre 2,22a (11) dazu proleptisch aufzufassen (negarat), während der Imperativ Futur venito vage auf ein neues bzw. gewandeltes puella-Bild vorausdeutet (non dura). Jedenfalls sticht sprachlich und motivisch auffällig heraus, dass es jene Geliebte Cynthia (1,1,1) in ihrem „Koischen“ Seidenkleid ist oder war, die den Liebesschmerz des Dichters verursachte (1,2,1–6): Quid iuvat ornato procedere, vita, capillo et tenues Coa veste movere sinus, aut quid Orontea crines perfundere murra, teque peregrinis vendere muneribus, 5 naturaeque decus mercato perdere cultu, nec sinere in propriis membra nitere bonis? (…)
Die Coa, ein aus durchsichtigem Purpurstoff gefertigtes Seidengewand (von der kleinasiatischen Insel Kos stammend), versinnbildlichen in der römischen Dichtung teils konkret die erotische Geliebte, teils abstrakt den Sittenverfall der Zeit (mercato cultu)21. Bei Properz ist das Epitheton Cous ebenso programmatisch wie poetologisch ausgewiesen (~ 2,1,5 f.): sive illam [Cynthiam] Cois fulgentem ince dere cogis, / hoc totum e Coa veste volumen erit22: „The poet’s sleight of tongue
20 Heyworth, Cynthia z. St. (203), der das Distichon wie Richardson, Housman folgend, aus dem Text tilgt. Dagegen versetzen es Camps und Goold nach V.24, während Fedeli eine Lacuna nach V.10 behauptet. Rothstein z. St. erklärt den Wechsel der Tempora mit einer Rückblende (here): „Daher kann er [Properz] jetzt in dem Tempus der Vergangenheit fortfahren seinen Zustand bei dem gestrigen Besuch des Theaters zu schildern.“ 21 Vgl. z. B. Tib. 2,3,57 f.; 2,4,29 f.; Horaz, Sat. 1,2,101 f. oder Od. 4,13,13 f. 22 Heyworth, Cynthia z. St. (105 f.). Vgl. zu 2,1,5 f. auch Kapitel 5.2.
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makes the volume elegiac poetry in the style of Philitas simply through his desire to tell of Cynthia’s dress.“ In Kapitel 4.3 ist eingangs bemerkt worden, dass Properz’ Berufung auf Kallimachos und Philetas von „Kos“ (3,1,1) eine Verfeinerung erotischer Dichtung bedeutet, die das Programm des zweiten Buches experimentell auskleidet. So wendet sich das Cynthia-Aition 2,1 ausdrücklich vom stereotypen Bild der dura puella (78) ab und prägt zunehmend stilbewusster das „kallimacheische“ Profil der docta puella aus (vgl. Kapitel 5.2). Derart kunstvoll und kunstverständig sind die „Coi sacra Philitae“ (3,1,1) des vierten Buches daher in Cynthias „Coa vestis“ (2,1) eingewoben, ja färben aitiologisch geradezu wortgetreu auf die „Coa textura“ des abschließenden Elegienbuches ab (4,5,21–28): (…) 21 ‚Si te Eoa † Dorozantum † iuvat aurea ripa et quae sub Tyria concha superbit aqua, Eurypylique placet Coae textura Minervae sectaque ab Attalicis putria signa toris, 25 seu quae palmiferae mittunt venalia Thebae, murreaque in Parthis pocula cocta focis; sperne fidem, provolve deos, mendacia vincant, 28 frange et damnosae iura pudicitiae! (…)‘
Der äußerst elaborierte, um nicht zu sagen manierierte Sprachcode des obigen „Hetärenkatechismus“ der lena Acanthis in 4,5 zeichnet für einige textkritische Detailfragen verantwortlich23. Für die Deutung ist entscheidend, dass Philetas’ signa artificia in die „Koische“ Web- bzw. Dichtkunst des vierten Buches referentiell eingeschrieben sind (index)24. Allerdings steht Acanthis’ Lobpreis der peregrina munera (1,2,4), ähnlich den mendacia vatum (Fast. 6,253), in einer gewissen Spannung zum aitiologischen Wahrheitsbekenntnis des gott- und museninspirierten Liebesdichters (4,2,19): mendax fama, noces. Denn der Rat der Kupplerin gilt den vorgeschobenen „Lügen“ bzw. erotodidaktisch verfälschten oder „vorgetäuschten“ causae amorum, von denen ihre Schülerin erfindungsreich Gebrauch machen solle (4,5,29–30): ‚(…) et simulare virum pretium facit: utere causis! maior dilata nocte recurret amor. (…)‘ 23 Da eine orientalische Völkerschaft der Dorozantes (21) ansonsten nirgends überliefert ist, setzen Fedeli und Richardson (die V.19 f. umfassend Hutchinson) die Stelle in Cruces (Butler/ Barber z. St.): „it is impossible to say what the word may conceal“. Heyworth verbessert zu lecta lapis, während Fedeli/Dimundo wie schon Goold nun Morgans chrysolithus (si te Eoa …) übernehmen. Dagegen identifizierte Rothstein z. St. jene Dorozantes mit den von Plinius erwähnten Domazenes (Nat. 6,176). Wegen des doppelten Genitivs Eurypyli … textura Minervae ziehen Butler/Barber, Hutchinson und Heyworth die Verbesserung Eurypylisque (23) vor. Camps verweist dagegen auf Prop. 4,1b,103 (hoc neque harenosum Libyae Iovis explicat an trum). Vgl. Kapitel 5.2 zu Catull, Carm. 7,3 ff. (quam magnus numerus Libyssae harenae … oraclum Iovis inter aestuosi …). 24 Vgl. Richardson; Hutchinson zu 4,5,23.
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Was Properz der persona der Acanthis in den Mund legt, ist der erotodidaktische Katechismus einer dura puella, wie er sie in 2,24c,47 beschrieben hatte: dura est, quae multis simulatum fingit amorem (…). Aus der Sicht des poeta strahlt der Allgemeinvorwurf weiblicher Verstellungskunst und Untreue luzid auf Cynthias Charakterbild der Monobiblos zurück, wo der Dichter der Geliebten vorhielt, sich, geschmückt mit den „Edelsteinchen aus Fernost“ (Eois lapillis), wie für einen fremden Mann herzurichten (vgl. 1,15,7 f.). Es spricht deshalb einiges dafür, jene in 4,5 lediglich vage als „nostra amica“ (63) titulierte Adressantin der Liebesvorschriften mit Cynthia zu identifizieren25. Dieser Eindruck wird, sofern richtig überliefert, insbesondere durch das außergewöhnliche Selbstzitat erweckt, mit dem die Kupplerin jene „versus auditi“ aus 1,2,1 f. explizit aufnimmt (4,5,53–58): ‚(…) aurum spectato, non quae manus afferat aurum! versibus auditis quid nisi verba feres: 55 Quid iuvat ornato procedere, vita, capillo et tenues Coa veste movere sinus? qui versus, Coae dederit nec munera vestis, 58 istius tibi sit surda sine arte lyra. (…)‘
Die Frage nach der Echtheit bzw. einer Interpolation der Verse 55 f. ist mit dem textkritischen Detail verbunden, ob man in V.58 das handschriftlich überlieferte (sine) aere (N) oder arte (FLP) bevorzugt26: sine arte „is no improvement and introduces an extraneous idea“. Zwar korrespondiert das sine aere (was aber als redundant bemängelt wird) auf den ersten Blick gut mit dem Katechismus der Kupplerin (aurum spectato), streicht aber die „hübschere Pointe“ (Flach) des Selbstzitats, mit dem die Kupplerin Properzens „Coa ars“ des Philetas zugunsten einer ars (4,5,38) der Täuschung und Verstellung durchkreuzt27, nicht so wirkungsvoll heraus28: „Aber nach den bis dahin sehr direkten, eindeutigen Ratschlägen der Kupplerin ist es rätselhaft, warum die Verse [54/57] etwas mit Coa vestis zu tun haben sollen“: (…) Was man vor 57 vermißt, ist eine Vorbereitung des Motivs Coa vestis, eine Wendung des Dichters zu der Geliebten hin, möglichst in der Art, daß er solch kostbare Kleider für überflüssig erklärt; die Warnung der lena wäre dann motiviert, seine Anschauung wäre der genaue Gegensatz zu ihrer eigenen.
Auf diese besondere Form properzischer Selbstreferentialität durch das Sprachrohr der Kupplerin Acanthis wies schon Shackleton Bailey hin29: „As for the singularity 25 So auch Butler/Barber oder Hutchinson zu 4,5. Für Camps z. St. nicht zwingend. 26 Richardson z. St. (445). Ebenso für sine aere Fedeli, Camps oder Heyworth. Dagegen für sine arte Butler/Barber, Hutchinson oder Flach. 27 Vgl. zu 4,5,37 ff. auch Kapitel 7 im Kontext der Cynthia-Elegie 4,8 (40): et facilis spargi munda sine arte rosa (dazu mein Konjekturvorschlag). 28 Becker, Die späten Elegien 472 zur textkritischen Diskussion der Verse 4,5,55 f., die Goold und Heyworth aus ihren Textausgaben tilgen. Eine Interpolation nehmen auch Butler/Barber, Richardson, Hutchinson und nun Fedeli/Dimundo an. 29 Shackleton Bailey, Propertian criticism 19.
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of Selbstzitat, Propertius is not quoting himself but making the lena quote him.“ Deren Vorwurf, Properzens „Koische“ versus seien in materiellen Belangen „kunst“bzw. nutzlos, ist durch einen doppelten erotodidaktischen Boden unterlegt, indem „Properz in jenem Gedichte [1,2] selbst seiner Geliebten Lehren gegeben hatte, die zu denen der Kupplerin den schroffsten Gegensatz bilden“ (Rothstein zu 4,5,54). In der Tat klingt die der Täuschung verbundene ars amatoria der Acanthis wie ein gegenstimmiger Refrain in dem blandum carmen des Elegikers wider (~ Prop. 1,8,39– 42): (…) hanc ego non auro, non Indis flectere conchis, 40 sed potui blandi carminis obsequio. sunt igitur Musae, neque amanti tardus Apollo, quis ego fretus amo: Cynthia rara mea est! (…)
Wyke hatte die persona der „elegiac Acanthis“ als eine Weiterentwicklung oder Transformation der klassischen elegischen puella (Cynthia) gedeutet und diese in die neue Programmatik und perspektivische Ausrichtung des vierten Buches eingeordnet30: „When the elegiac Acanthis holds the stage and delivers her disquisition on the art of gaining lovers, the break with earlier Propertian discourse – the departure from the stance of the Propertian narrator, the male ‚I‘ of previous books – is clearly marked.“ Wykes Behauptung, dass die subjektive Sichtweise des poeta amator im vierten Buch durch objektive Stimmen weiblicher und männlicher „Erzähler-Ichs“ bzw. personae aufgebrochen oder übertönt werde, unterstreicht m. E. die referentielle Gültigkeit des obigen Selbstzitats – „namely to challenge and change the erotic discourse of ealier books through the adoption of new, especially female, narrative voices“ (Wyke 166). Dieser mitunter undurchsichtige, eben „täuschende“ Charakter des vierten Buches, das frühere erotische (poetische) Aussagen wertet und entwertet und je nach der Erzähl(er)perspektive belegt oder widerlegt, zeichnet im Kern den fingierten dichterischen Diskurs des properzischen fallax opus (4,1b,135) im Sinne einer komplexen und komplizierten Referenzidentität der verschiedenen Gedichtsprecher mit dem Autor der Gedichte selbst aus. Dass Properz das stereotype Bild der dura puella im vierten Buch offenbar neu auslegt, indem er von Arethusa (4,3), Tarpeja (4,4) oder Cornelia (4,11) das elegische Bild einer „non“ dura puella entwirft und die erotische Geliebte sogar mit dem Prädikat der docta Cynthia (4,7) auszeichnet, macht eine kurze Sprachanalyse deutlich: Ab dem dritten Buch lassen sich keine expliziten Referenzen mehr auf die „spröde“ Geliebte der Monobiblos nachweisen; das erotische Porträt der dura domina (1,7,6) erscheint wie in 3,5,2 grammatisch und metrisch zunehmend „aufgehoben“. Im vierten Buch erreicht die aitiologische Umwandlung der non/dura puella dann einen Höhepunkt und Abschluss, indem Properz die elegische Charakterrolle des exclusus amator in dem Gedicht 4,9 auf seinen Liebeshelden Herkules überträgt, der als „schickliches Mädchen“ am Spinnrocken und im Purpurkleid
30 Wyke, Elegiac Woman 166.
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trotz oder eher wegen seiner „spröden Hände“ nicht ganz zu überzeugen wusste (4,9,49 f.): mollis et hirsutum cepit mihi fascia pectus, / et manibus duris apta puella fui. Die Heldenparodie des „elegiac amator“ Herkules (DeBrohun) wird in Kapitel 6.1 als Ausdruck eines subtilen Gattungsspiels noch genauer verdeutlicht („Epic into Elegy“)31: Die elegische „Verweichlichung“ epischer Motive wie umgekehrt die epische „Verhärtung“ elegischer Themen prägen den wohl augenfälligsten Charakterzug dichterischer Flexibilität und Wandelbarkeit des vierten Buches aus (molle opus): Dadurch, dass in 4,9 das erotisch-zarte Sujet der „dura“ puella durch den episch-harten Stoff des „mollis“ heros spannungsreich durchkreuzt ist, wird auch Cynthias natürliches bzw. genremäßiges Genus (Hexameter!) in 4,2,23 ambivalent konterkariert32: indue me Cois, fiam non dura [mollis] puella. Rekapituliert man das puella-Bild der römischen Liebesdichtung, ist es kein Zufall, dass sich in den ganzen drei Büchern der Amores des Ovid m. W. nur eine einzige – ähnlich anonyme – Referenz auf die dura amica Corinna findet (Am. 1,9,19). Das beherrschende Thema der spröden Geliebten ist spätestens mit Ovid ausgeschöpft bzw. gewinnt wie in Am. 2,4 und schon in Prop. 2,22a/b neue, flexiblere Ausdrucksformen. Daher ist es etwas überraschend, dass Properz das offenbar überholte Programm der erotischen Elegie (nur hier benutzt er den Gattungsbegriff!) dem neuen aitiologischen Programm der maxima Roma (4,1a) als „fallax opus“ provokant gegenüberstellt (4,1b,135–146)33: ‚(…) 135 at tu [Properti] finge elegos, fallax opus (haec tua castra!), scribat ut exemplo cetera turba tuo. militiam Veneris blandis patiere sub armis, et Veneris pueris utilis hostis eris. nam tibi victrices quascumque labore parasti, 140 elusit palmas una puella tuas: et bene cum fixum mento discusseris uncum, nil erit hoc: rostro te premet ansa tuo. illius arbitrio noctem lucemque videbis, gutta quoque ex oculis non nisi iussa cadet. 145 nec mille excubiae nec te signata iuvabunt limina: persuasae fallere rima sat est. (…)‘ Die vielfältigen Schwierigkeiten, die sich um die kuriose Horos-Elegie 4,1b (135 ff.) ranken, sollen hier auf die mögliche Bedeutung des fallax (opus) zugeschnitten werden (Camps z. St.): „it is difficult to find an attested value for fallax that fits the context“. Camps deutet das fallax opus, analog zum blandum carmen (1,8,40), als „Schmeicheldichtung“, wie sie Properzens blanda arma (137) und seine erotodidaktischen Verse ausgewiesen hätten (Trist. 2,465): invenies eadem blandi praecepta Properti. Dagegen beziehen Butler/Barber z. St. das fallax opus auf die Liebe als „Täu-
31 Vgl. DeBrohun, Rhetoric of Fashion 48: „In poetic terms, then, Hercules has tried to ‚reduce‘ his stature from epic (or at least hard, patriotic) to elegiac“. 32 Vgl. zum variablen Cynthia-Bild Kapitel 5.2 (4,7) und Kapitel 7 (4,8). 33 Vgl. Maltby, Major Themes 156 ff. (~ Prop. 4,1b,135 ff.) zu den erotischen Programmschwerpunkten des foedus aeternum, servitium amoris und der „militia“ amoris.
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schungskunst“ („full of lovers’ guile“)34: „elegiac persuasion is here regarded from outside as deceiving“. Diese Auffassung kongruiert mit der obigen Interpretation der doppelwertigen ars amatoria der Acanthis bzw. des Properz (Trist. 2,461 f.): (…) docetque[Tibullus]/, qua nuptae possint fallere ab arte viros. Dagegen richtete Nethercut den Blickpunkt der Täuschung eher auf den poeta amator selbst35: „fallax implies that Propertius himself will be the object of deception as he lives the lover’s life and writes of Cupid’s ways“: My point is that the verses which come between fallax [135] and fallere [146] uniformly stress Propertius’ ἀμηχανία before Cynthia’s whims. Not only is the content of Apollo’s speech given over to Propertius’ inability to master his destiny with Cynthia, but the final word, fallere (146), is weighted in this manner too. Fallax in 135 has little chance to mean anything different as Rothstein [z. St.] makes quite explicit: „Fallax ist diese Dichtung … [weil sie, wie im folgenden geschildert wird, dem Dichter trotz aller glänzenden äußeren Erfolge doch nicht das bringt, was er durch sie erreichen will, den ruhigen Genuß seiner Liebe].“ Die Frage nach dem fallax opus wird durch ein zweites Textproblem zusätzlich verkompliziert: Wer genau ist der „Sprecher“ der obigen Verse? Nethercut setzte oben den Dichtergott Apollon (V.133) voraus, während schon Rothstein auf den Astrologen Horos spekulierte36: „Now Horos turns from the poet’s past to the future.“ Den Verweis auf die „prophetic future tenses“ in V.137 f. bezog Camps hingegen rückblickend auf Apollons Rede in 3,3 (vgl. unten)37: „so it seems best to take 135–8 [Lütjohann folgend] as a quotation from the speech of Apollo implied by lines 133–4“. Anders schloss sich Lefèvre Heimreichs Vorschlag an, den ganzen Gedichtabschnitt 4,1b,135–146 als ein „Relat der Apollo-Worte“ zu betrachten38: „Auf diese Weise gewinnen diese Worte eine unverbindliche Brechung, die in ihrer Eigenschaft als Zitat nur noch die Funktion einer Erinnerung an die frühere Dichtung des Properz haben“ (3,3,15–20): (…) 15 ‚Quid tibi cum tali, demens, est flumine? quis te carminis heroi tangere iussit opus? non hic ulla tibi speranda est fama, Properti: mollia sunt parvis prata terenda rotis, ut tuus in scamno iactetur saepe libellus, 20 quem legat exspectans sola puella virum. (…)‘
Wie Warden stellte Lefèvre enge Parallelen zwischen der Elegie 3,3 (15 ff.) und dem Teilgedicht 4,1b,71 ff. fest (Quo ruis imprudens, vage, dicere fata, Properti?)39: „Horos hat in dem vorliegenden Gedicht [4,1b] die umgekehrte Funktion wie beispielsweise Apollo in 3,3.“ Inspiriert durch die Callimachi Manes (3,1,1), wurde Properz in dem Gedicht 3,3 von dem Gott Apollon davor gewarnt, seinen elegischen Horizont ja nicht „verrückt wie von Sinnen“ zu übersteigen und dem molle opus alexandrinischer Provenienz ein carmen heroum ennianischer Prägung entgegenzusetzen (vgl. 3,3,1 ff.). Diese Gefahr scheint das anvisierte Großprojekt der maxima Roma in 4,1a erneut heraufzubeschwören, so dass 4,1b eine Art „Prokla34 35 36 37
Hutchinson z. St. Nethercut, Fallax opus 30 (34 f.). Richardson zu 4,1b,135 ff. (423). Ebenso Butler/Barber z. St. Ebenso Hutchinson z. St., der wie Heyworth deshalb für die Verbesserungen pararis (139) und eludet (140) plädiert. 38 Lefèvre, Form und Funktion 432. 39 Lefèvre, Form und Funktion 440. Vgl. Warden, Fallax opus 102 („Horos can be seen as an ersatz Apollo“).
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mation“ der Cynthia-Dichtung der Bücher 1–3 darstellt40. Für Lefèvre äußert sich das geistreiche Spiel mit dem literarischen Topos der recusatio darin, dass Properz hier eine „neue Form der excusatio“ biete41: „Indem Properz also in der Reife seines Spätstiles die beiden üblichen Komponenten umkehrt, hat er die traditionelle Form des apologetischen Gedichts sozusagen auf den Kopf gestellt: er rät zu dem Genus, das er gar nicht ausführt [4,1b], und er warnt vor der Dichtung, die ihm am Herzen liegt [4,1a].“ Man kann in der programmatisch verdrehten recusatio/excusatio 4,1b jenen „täuschenden“ Charakter properzischer Dichtung (fallax opus) vorbereitet sehen, den Richardson auf das wechselvolle Themenspektrum des vierten Buches bezog42: „The fact that no poem in this book is a clear cut example of the sort of elegy that made P[ropertius] famous (though poems 7 and 8 come close to it), while all the poems are by definition elegi, may be of some significance“. Tatsächlich reihen sich selbst die thematischen Cynthia-Gedichte 4,7 und 4,8 (und 4,5) nur oberflächlich in das klassische erotische Schema der una puella ein und veranschaulichen eher eindrucksvoll das aitiologisch-vielseitige molle opus. Außerdem wird im Vergleich mit der Elegie 3,3 oft ein feines, aber wichtiges Detail unbeachtet gelassen: Denn die Proklamation oder Rückbesinnung auf Properz’ frühere amores in 4,1b gilt in Apollons Epiphanie genaugenommen nicht der spröden Geliebten Cynthia, sondern jener sola puella (20), die ihrerseits den abwesenden Geliebten sehnsüchtig erwartet. Diesen Perspektivwandel wird Properz in dem Arethusa-Gedicht (4,3) ausweiten und Ovid in den Heroides zum Programm einer ganzen elegischen Briefdichtung ausgestalten (vgl. Kapitel 6.3). Betrachtet man alle Aspekte zusammen, ist mir unwahrscheinlich, dem Dichter- und Musengott Apollon, der mit jenem sacrum Actium 4,6 das gewiss erhabenste augusteische Kultaition stiftet (Kapitel 5.4), das erotisch anstößige fallax opus 4,1b in den Mund zu legen. Dagegen nimmt sich das „Pseudoprogramm“ der Liebeselegie, und zwar weniger apologetisch als eine recusatio/excusatio, sondern poetologisch als eine selbstkritische Reflexion oder Rekapitulation der Dichtung der dura puella verstanden43, aus dem Munde des fallax vates Horos viel passender aus. So hatte Properz den „trügerischen Weissager“ schon im zweiten Buch als bloße Scheinabhilfe gegen die causae amorum entlarvt (2,4): Multa prius dominae delicta queraris oportet, saepe roges aliquid, saepe repulsus eas, et saepe immeritos corrumpas dentibus ungues, et crepitum dubio suscitet ira pede! 5 nequiquam perfusa meis unguenta capillis, ibat et expenso planta morata gradu.
40 Vgl. Lefèvre, Form und Funktion 431. 41 Lefèvre, Form und Funktion 441. 42 Richardson zu 4,1b,135 ff. (423). 43 Vgl. Nethercut, Fallax opus 35. Der uneinheitliche Gebrauch der Tempora (und Modi) stiftet für die Deutung der Verse 4,1b,135 ff. viel Verwirrung. Unter Vorbehalt schlage ich daher die Verbesserung elusit (140) vor, die den Rückbezug auf die Cynthia-Dichtung wie in V.139 (parasti) zeitlich/thematisch etwas präziser fasst.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar non hic herba valet, non hic nocturna Cytaeis, 8 non Perimedaea gramina cocta manu; 15 nam cui non ego sum fallaci praemia vati? 16 quae mea non decies somnia versat anus? 9 quippe ubi nec causas nec apertos cernimus ictus, 10 unde tamen veniant tot mala, caeca via est; non eget hic medicis, non lectis mollibus aeger, huic nullum caeli tempus et aura nocet; ambulat – et subito mirantur funus amici! 14 sic est incautum, quidquid habetur amor. 17 hostis si quis erit nobis, amet ille puellas: gaudeat in puero, si quis amicus erit. tranquillo tuta descendis flumine cumba: 20 quid tibi tam parvi litoris unda nocet? alter saepe uno mutat praecordia verbo, altera vix ipso sanguine mollis erit.
Wie die Elegie 2,22a/b (oben) birgt das Gedicht 2,4 große Probleme der Textüberlieferung und des Textverständnisses, die an dieser Stelle in aller Ausführlichkeit nicht behandelt werden können. Trotzdem zitiere ich die Elegie in der von Butler/Barber und Fedeli verbesserten Versreihenfolge hier, weil sie wie ein intertextuelles Manifest der scripta puella (2,10,8) einige frappierende sprachliche/motivische Zusammenhänge zu der oben und unten diskutierten Cynthia-Dichtung erschließt und werkübergreifend die erotischen/aitiologischen Wandlungen des fallax/molle opus widerspiegelt44: A curiously bleak poem composed of disjointed couplets and quatrains all to the effect that for the lover love is nothing but suffering, but without any indication of the occasion from which this despair has sprung. The unrelieved pessimism, the evident reluctance of the poet to tell us precisely what it is that troubles him, the measured savagery of the end of the poem, all combine to make us see this as the outgrowth of a cruel humiliation, a fragment of something much larger. Die gedankliche Verbindung zwischen dem (leidenden) poeta amator und dem (belehrenden) praeceptor amoris verleiht diesem Gedicht einen zugleich verallgemeinernden und stark persönlich gefärbten Charakter (Camps zu 2,4): „the first-persons in 5–6 and 15–16 are in the manner of one quoting his own experience in the process of correcting or instructing another.“ Vorausschauend auf Apollons Epiphanie (oben) kann man fast sagen, dass sich Properz in 3,3,15 ff. (vgl. 2,4,19 ff.) unter dem Deckmantel des Dichtergottes quasi selbst zitiert (3,3,21–24): ‚(…) 21 cur tua praescriptos evecta est pagina gyros? non est ingenii cumba gravanda tui. alter remus aquas, alter tibi radat harenas, 24 tutus eris: medio maxima turba mari est.‘ (…) Der poetische Vergleich zwischen dem genus grande/tenue der Epik/Elegie kann helfen, das schwierige Sprachbild in 2,4,20 genauer zu fassen45: „Parvum litus hier offenbar nicht das kleine Ufer, sondern das nahe, durch einen geringen Zwischenraum getrennte Ufer“. Gegen diese Deutung gab Shackleton Bailey zu bedenken (69): „But litus in this sense is appropriate rather to large and formidable streams“, was zu parvum nicht passe. Daher werden alternativ die Konjekturen gurgitis (so 44 Richardson zu Prop. 2,4 (222). 45 Rothstein z. St. Mit Zweifeln erwägt Camps z. St. die Bedeutung „bay“ oder „haven“, was der erotischen Bildersprache durchaus nahesteht. Vgl. Prop. 2,14,29; 2,26,31 oder 3,24,15.
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nun Fedeli, Properzio II) oder limitis angenommen46: „Limitis paßt auch deshalb sehr gut, weil, soweit ich sehe, an den Stellen, an denen es in der Bedeutung ‚Kanal‘ verwendet wird, die Vorstellung vom ‚Weg, den das Wasser (zum Meer hin) nimmt‘ durchschimmert, was sich mit dem Hexameter (descendis) zu einem abgerundeten Bild fügt.“ Dieser Gedanke scheint dann in 3,3,21 ff. in den konkreten topographischen Blickpunkt gerückt zu sein: Der „sichere Kahn“ (2,4,19) soll das „offene Meer“ (3,3,24) besser meiden. Andererseits grenzen die Verse 3,3,23 f. aber metaphorisch jenen „geringen Zwischenraum“ ein (alter … alter), der den Schiffer (Elegiker) von den Turbulenzen auf hoher See und dem „litus iniquum“ wie in Od. 2,10,4 trennt47: „I think rather that P[ropertius] is simply developing his metaphor: the elegiac distich is commonly called the limping metre in Latin, and P[ropertius] has Apollo instruct him to take what will inevitably be a limping course.“ Horazens dichterische Weisung der aurea mediocritas (Od. 2,10,5) mag insofern Apollons Plädoyer für das elegische Distichon (die Elegie), den „goldenen Mittelweg“ etwa zwischen sakraler Epik und profaner Satire, vorbildhaft zugrunde liegen48: „It may therefore be that fallax [opus] is intended to evoke in a general way the ironic surprise which the elegiac distich keeps in store for its reader.“
Das fallax opus der Liebeselegie deutet gleich in mehrfacher Hinsicht auf den „täuschenden“ Charakter der non/dura puella in 4,2 hin: förmlich insofern, als das „elegische Distichon“ 23 f. die gattungsspezifischen Bezüge der puella-vir-Antithese ironisch vertauscht (der Hexameter/das Epos auf die puella und der Pentameter/die Elegie auf den vir bezogen); und inhaltlich dadurch, dass das molle opus des vierten Buches eine Wandelbarkeit bzw. Dialektik erotischer/aitiologischer Programmschwerpunkte zum Ausdruck bringt, die das Gedicht 2,4 bereits antizipiert: So sind die „somnia“ Callimachi (2,34,32) in den „Träumen“ (16) des Properz, die eine „alte Frau“ nach Belieben drehe und wende (versare), bedeutungsträchtig eingefangen. Im Schatten der nocturna Cytaeis Medea rückt die spröde Cynthia in das Zwielicht einer fallax domina (2,24b,16), die Lug und Trug zu ihren Tugenden zählt. Gewissermaßen scheint jene Kupplerin Acanthis wie in 4,5,55 f. (versibus auditis) Properz’ Worte in 2,4 noch sehr gut im Ohr zu haben, zumal es der zauberkräftigen anus schließlich gelungen sei, Properz’ Geliebte (Cynthia) zu „täuschen“ und ihren Sinn zu „wandeln“ (4,5,11–20/63): (…) 11 quippe et, Collinas ad fossam moverit herbas, stantia currenti diluerentur aqua. audax cantatae leges imponere lunae et sua nocturno fallere terga lupo, 15 posset ut intentos astu caecare maritos, cornicum immeritas eruit ungue genas; consuluitque striges nostro de sanguine, et in me hippomanes fetae semina legit equae. exorabat opus verbis ceu blanda † perure 20 saxosamque ferat sedula culpa † viam: ‚[…]‘ 63 his animum nostrae dum versat Acanthis amicae (…). 46 Riesenweber, Uneigentliches Sprechen 185 mit Verweis auf 4,9,60. Ebenso Heyworth und Goold für limitis. 47 Richardson z. St. (327). Ebenso Heyworth/Morwood, Propertius III z. St. 48 Nethercut, Fallax opus 31. Vgl. Nisbet/Hubbard, Odes II zu 2,10,5 („moderation was a persistent ideal of poets“).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Gemäß der obigen Überlieferung zählen die Verse 4,5,19 f. zu den besonders verderbten Textstellen im properzischen Œuvre. Die Kommentare/Editionen setzen deshalb entweder das ganze Distichon wie Butler/Barber, Camps oder Hutchinson in Cruces oder nehmen wie Richardson oder Heyworth eine Lacuna zwischen Vers 19 und 20 an. Die zahlreichen Konjekturvorschläge legen dem überlieferten Text in der Hauptsache einen bestimmten Sinn zugrunde: Vor allem Vers 20 wird in vermuteter Anlehnung an Vergil (Ecl. 5,84) oder Tibull (1,4,18) gerne mit dem Bild eines emsigen Gewässers (lympha) oder Tropfens (gutta) assoziiert, das/der anmutig umherfließt (pererrat) und einen steinigen Pfad aufreibt (terit) oder durchbohrt (ferit). Zu Recht tragen Butler/Barber z. St. angesichts etlicher Verbesserungsvorschläge große Bedenken49: „But in any case these corrections are ingenious rather than convincing. The methods of Acanthis are not appropriately described as a process of sapping. Here is a frontal attack.“ Auch ich bin der Auffassung, dass der „Frontalangriff“ der lena, also der Hetärenkatechismus in V.21 ff. (vgl. oben), den einzigen Anhaltspunkt für eine sinnvolle Emendation bietet. Deshalb schlage ich folgende Konjekturen vor, die sich paläographisch dichter an der Überlieferung orientieren und einen plausiblen Bezug zwischen den trügerischen Schmeichelworten der Kupplerin (fallax anus) und dem fallax opus der Liebeselegie ermöglichen: exorabat opus verbis, ceu blanda per ora saxosam quateret sedula cura viam. Sie [Acanthis] beschwörte ihr Zauberwerk geradezu mit (folgenden) Worten, so als ob ihr eifriges Bemühen durch den Schein einer schmeichelnden Stimme sogar einen steinigen Pfad zu erschüttern vermochte. Obwohl einmalig bei Properz, passt die epische Konjunktion ceu zunächst gut zu dem „hochtrabend archaischen“ Sprachduktus der anschließenden Verse50. Laut Tränkle sei das Distichon dadurch formal als ein Vergleich gegliedert, „denn ein Vergleich ist offensichtlich sein Inhalt“ (47). Etliche Verbesserungen scheitern bereits daran, dass die Vergleichsaussage (ceu blanda …) in keinem rechten Verhältnis zum Vergleichsgegenstand steht (exorabat opus verbis). So ist unklar, was ein umherirrender Wassertropfen (Fedeli) oder ein geschäftiger Maulwurf (Goold) mit dem sprachgewaltigen Lehrvortrag der Kupplerin zu tun haben, die Properz’ Geliebte vielmehr mittels ihrer „schmeichelnden“ Worte bzw. Stimme für sich einnahm51. Wie in Kapitel 5.2 vertieft wird, ähnelt die „trügerische“ Acanthis jenem Theseus fallax (151), dem Catulls Ariadne ihr Leid wortreich klagen wird (~ Carm. 64,139 f.): at non haec quondam blanda promissa dedisti / voce mihi (…). Der Hetärenkatechismus der Acanthis stellt dabei im Kern das erotodidaktische Gegenstück zum blandum carmen (1,8,40) des Elegikers dar: Dieser sieht die Lügenworte der meretrix blanda (Am. 1,15,18) typischerweise gegen sich persönlich gerichtet („frontal attack“). Dass dem versierten mendax „os“ (Am. 3,3,44) der Kupplerin daher etwas Schädliches oder „Schuldiges“ anhaftet, erklärt sich fast von selbst. So bezeugt Ovids Wortspiel „vanescit culpa culpa repensa tua“ (Am. 1,8,80) entweder eine geistreiche Referenz auf die verderbte Textstelle bei Properz oder zeichnet für den Überlieferungsfehler eher verantwortlich. Zumindest gibt Ovids Katechismus der Dipsas in Am. 1,8 einigen Aufschluss über die schwierige Properz-Stelle, wie Fedeli, Properzio IV zu 4,5,19 f. bemerkt: „Il pensiero espresso nel distico dovrebbe comunque corrispondere, a mio parere, ad Ov. Am. 1,8,[17-]18“: (…) evocat antiquis proavos atavosque sepulcris et solidam longo carmine findit humum. (…) 49 So hat z. B. Goolds „ingeniös“ konjizierter Text mit dem überlieferten nicht mehr viel gemeinsam (exercebat opus tenebris, ceu blatta papyron / suffossamque forat sedula talpa viam). 50 Vgl. Kershaw, Propertius 108. Ebenso Tränkle, Sprachkunst 47 z. St. („ceu jedoch erscheint mir sicher“). 51 Vgl. Georg. 3,8 f. (… temptanda via est, qua me quoque possim / tollere humo victorque virum volitare per ora) und Ennius, Varia 18: volito vivos per ora virum (p. 215 V2).
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Das besondere Problem des überlieferten culpa scheint mir weniger in der „zu harten“ Spannung mit dem blanda zu liegen (so Butler/Barber z. St.), was das Charakterbild der blanda/dura lena (aus der Perspektive des poeta amator) ja durchaus bedingt. Unklar bleibt aber, welcher Vergleich zwischen der sedula culpa (?) und dem fallax opus gezogen werden soll, damit sich Acanthis’ blandum carmen (21 ff.) in der potentiellen Wirkung eines longum carmen (der Dipsas) entfalten kann52: Exorare bezeichnet hier zunächst das die Zauberhandlung begleitende Gebet; dazu tritt opus als inneres Objekt […]. Aber es folgen nicht wirkliche Gebetsformeln, sondern als die eigentlichen Zaubermittel der alten Hexe erscheinen die schlimmen Lehren, die sie der Geliebten des Dichters gibt. Diese Lehren stehen nicht nur ihrer schlimmen Wirkung wegen mit dem Zauberwerk auf einer Stufe, sondern sie werden auch mit derselben Zungenfertigkeit vorgetragen, mit der eine solche alte Hexe ihre Zauberformeln abzuleiern pflegt. Barbers Verbesserungsvorschlag cura bietet den bisher besten Lösungsansatz53: Analog zu Dipsas’ „langem Zauberspruch“ widmet sich Acanthis ihrem opus mit „eifrigem Bemühen“. Zieht man in Erwägung, dass die Schmeichelworte der Kupplerin von der (Schein-) Fähigkeit getragen werden, die „fallax herba veneni“ (Ecl. 4,24) sprießen zu lassen oder dem „gebannten Mond“ (13) ihre Gesetze aufzuzwingen, bekommt die lena das bizarre Charakterbild einer striga eingeprägt, einer „übermächtige[n] Zauberin, die die Menschen und die Natur nach ihrem Willen lenken kann“ (Syndikus, Properz 327). Wenn die verba blanda der Kupplerin folglich mit ihrem fallax opus „auf einer Stufe“ stehen, muss man annehmen, dass auch die Vergleichsaussage (ceu blanda …) mit einer „Zauberhandlung“ korrespondiert, die Acanthis’ „Zauberwerk“ wirksam belegt: Ovids Dipsas vermochte den „festen Erdboden zu spalten“! Ich denke nicht, dass ihr Properz’ vorbildhafte Acanthis darin nachsteht, so dass der hyperbolische Vergleich ihrer durchschlagenden Lehrpredigt mit einer saxosa via, die gleichsam in ihren Grundfesten „erschüttert“ worden ist, passend erscheint54. Denn eigentlich ist Ovids Dipsas „versa“ (13), wie der Dichter richtig vermutet, ein intertextuelles „Spiegelbild“ der properzischen Acanthis (Am. 1,8,15): suspicor, et fama est. Alles, was Dipsas „wollte“ (9 f.) und konnte, „könnte“ (posset) und wollte Acanthis vor ihr. Dass Properz am Gedichtende alle Liebenden dazu ermahnt, den Grabhügel der toten Kupplerin mit verba mala (78) zu überhäufen, bildet den epigrammatischen Kontrapunkt der erotodidaktischen verba blanda. Die Invektive gegen das fallax opus der Acanthis strahlt umso greller auf das „Pseudoprogramm“ (4,1b) der Liebeselegie, Properz’ blandum carmen, zurück, als der Dichter den betörenden Zaubergesang der strigae im Prologgedicht noch als mögliche Abhilfe gegen die dura puella Cynthia herbeigefleht hatte (1,1,19–24): (…) at vos, deductae quibus est fallacia lunae 20 et labor in magicis sacra piare focis, en agedum dominae mentem convertite nostrae, et facite illa meo palleat ore magis! tunc ego crediderim vobis et sidera et amnes 24 posse Cytaeines ducere carminibus. (…) 52 Rothstein z. St. Alternativ werden noch die Konjekturen exornabat (Richardson) und exercebat (Heyworth) erwogen, die den Charakter einer dämonischen „Beschwörung“ aber nicht so gut wiedergeben (Kershaw, Propertius 106): „There are, however, several passages which indicate that exoro and blanda are indeed words particularly suited to the meretrix and her ways“. 53 Vgl. Kershaw, Propertius 108. Vgl. zum Überlieferungsfehler culpa/cura auch Prop. 1,8,1 und z. St. Tib. 1,5,33 (et tantum venerata virum hunc [Delia] sedula curet …). 54 Grammatisch kongruiert quateret zudem mit dem Potentialis/Konjunktiv Imperfekt cogeret (8), diluerentur (12) und posset (15). Sprachliche Parallelen lassen sich zu Prop. 1,3,10 (et quaterent sera nocte facem pueri) und 4,4,10 ziehen (cum quateret lento murmure saxa Iovis). Vgl. außerdem Aen. 5,199 f. (…tum creber anhelitus artus / aridaque ora quatit) und zusammen mit dem Abstraktum cura zum Beispiel Prop. 4,11,74 (haec cura et cineri spirat inusta meo).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Im Vorgriff auf das molle opus aitiologischer Amores-Dichtung (Buch 4) stellt sich im Resümee dieses Kapitels die Frage nach den programmatischen/poetologischen Abgrenzungen zum fallax opus erotischer Cynthia-Dichtung (Bücher 1–3): Dass Properz die causae amorum des vierten Buches mit dem klassischen Sujet der römischen Liebeselegie, der (non) dura puella (4,2,23), einführt, ist in hohem Maße kunst- und absichtsvoll gestaltet: Zwar gelingt es der Acanthis docta (4,5,5), durch ihr Zauberlied nicht nur das durum saxum (2,17,13) zu brechen, sondern den Sinn der spröden Geliebten zu „verwandeln“ – wenn auch nicht so, wie es sich der miser amator in 1,1 vorgestellt haben mag. Weil die fallax lena aber das stereotype Charakterbild der dura domina im vierten Buch „täuschend“ echt imitiert, indem die altgediente Hetäre die noch jungfräuliche meretrix in spe abbildet55, steht das Schmeichellied der Kupplerin in spannungsreicher Konkurrenz und Kongruenz zum blandum carmen des Elegikers – der doctus poeta verfällt im Rahmen seiner fiktionalen Figuren- und Charaktergestaltung, in die er selbst als Akteur seiner Gedichte verwickelt ist, wenn man so sagen darf, seiner eigenen dichterischen Täuschungskunst. 5.2 Der novus Callimachus Catull und Properzens docta Cynthia: Die Klage der Ariadne (Carm. 64) und das molle opus aitiologischer Amores-Dichtung (4,7) Im vorigen Kapitel ist das Charakterbild der (non) dura puella (4,2,23) werkübergreifend vor dem Spiegel des fallax opus (4,1b) der Liebeselegie untersucht worden: Properzens „Pseudoprogramm“ des vierten Buches impliziert sowohl in der Retrospektive auf die Bücher 1–3 (certa forma) als auch vorausblickend auf das wandelbare abschließende Elegienbuch (tot formae) einen täuschenden bzw. mehrdeutigen Charakter: Die (nicht) spröde Geliebte ist in dem molle opus des vierten Buches bzw. der janusköpfigen Gestalt des Vertumnus (4,2) inbegriffen, insofern als Properz’ Verwandlungsgott gleichzeitig die dura puella und jene docta Cynthia verkörpert, die ihre aitiologische Um- oder Anverwandlung im vierten Buch erfährt. In diesem Kapitel soll die aitiologische Genese properzischer Liebesdichtung vor dem Hintergrund der Carmina Catulls analysiert werden. Catulls ars Battiadae weist nicht nur thematisch auf die Dichtung der römischen Elegiker hinaus, sondern bildet auch den künstlerischen Horizont und Blickpunkt des Romanus Callimachus Properz: So berührt sich Catulls subjektive Liebesdichtung wie in Carm. 8 oder 76 einerseits mit der elegischen Gefühlswelt des miser amator Properz, während Catulls Klage der verlassenen Ariadne (Carm. 64) andererseits das aitiologisch gewandelte Bild der docta Cynthia in 4,7 inspiriert. Deren pia somnia sind Ausdruck und Abbild von Properz’ kongenialer Dichtkunst der Neoteriker bzw. des novus Callimachus Catull, dessen alexandrinisch verfeinerte ars der Augusteer Properz auf das molle opus des abschließenden Elegienbuches anwendet. 55 Vgl. Kapitel 7 zum (kunstästhetischen) Verdikt der Cynthia rugosa in 3,24/25.
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Obwohl, wie in Kapitel 5.1 gezeigt, das Bild der dura domina für Properz’ erotische Dichtung der ersten drei Bücher förmlich ausschlaggebend ist, sind doch die gelehrten „kallimacheischen“ Dichtungseinflüsse des vierten Buches schon in dem Eröffnungsgedicht der Monobiblos programmatisch angelegt (1,1,1–8): Cynthia prima suis miserum me cepit ocellis, contactum nullis ante Cupidinibus. tum mihi constantis deiecit lumina fastus et caput impositis pressit Amor pedibus, 5 donec me docuit castas odisse puellas improbus et nullo vivere consilio. et mihi iam toto furor hic non deficit anno, 8 cum tamen adversos cogor habere deos. (…)
Die vielschichtigen Assoziationen, die durch das allererste Wort der Elegiensammlung, Cynthia, aktiviert werden, reichen vom Berg Cynthus auf Delos, der Geburtsstätte des Cynthius (2,34,80) Apollon, zum berühmten Apollon-Sänger Kallimachos und knüpfen Properz’ poesis damit an die literarische Traditionslinie des großen griechischen Dichters56. Trotz oder eher wegen dieser direkten Einflussnahme darf nicht übersehen werden, dass Properz und die augusteischen Elegiker den „römischen Kallimacheismus“ nicht unvermittelt adaptiert haben, sondern dass die Amores-Dichtung von den poetae novi der Neoteriker wichtige Impulse empfangen hat. Denn die neuen, in der Kunst der Alexandriner geschulten römischen Dichter haben wie Licinius Calvus oder Catull, soweit literaturgeschichtlich fassbar, sich das kallimacheische Stilideal des „doctus“ poeta besonders bewusst angeeignet und die Liebe zu einer herausragenden puella zum beherrschenden Thema ihrer erotischen Kleindichtung auserkoren (~ Prop. 2,34,87–90)57: (…) 87 haec quoque lascivi cantarunt scripta Catulli, Lesbia quis ipsa notior est Helena; haec etiam docti confessa est pagina Calvi, 90 cum caneret miserae funera Quintiliae. (…)
Will man die Abhängigkeit der „Liebesgötter“ (1,1,2) des Properz von Catulls Cupidines (Carm. 3,1) näher bestimmen und ermitteln, in welchem Verhältnis die Cynthia-Dichtung des Elegikers zur Lesbia-Dichtung des Neoterikers steht, lässt sich zunächst feststellen, dass die „elegische“ Beziehungskonstellation zwischen dem „miser“ amator und der dura „puella“ schon bei Catull angelegt war (Carm. 8,1–8):
Miser Catulle, desinas ineptire, et, quod vides perisse, perditum ducas. fulsere quondam candidi tibi soles, cum ventitabas, quo puella ducebat,
56 Vgl. auch Kapitel 5.4 zum kallimacheischen Hymnos auf Apollon (~ Prop. 4,6). 57 Vgl. Kapitel 5.5 zur „poetischen Genealogie“ properzischer Amores-Dichtung (~ 2,34,79 ff.).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar 5 amata nobis, quantum amabitur nulla. ibi illa multa tum iocosa fiebant, quae tu volebas nec puella nolebat, 8 fulsere vere candidi tibi soles. (…)
Es kommt nicht von ungefähr, dass man in Catulls Versen häufig ein Zeugnis von „wirklichen Herzensergüssen“ (Kroll) sah bzw. sieht und seiner Liebesdichtung seit jeher einen ausgesprochen authentischen und gefühlsbetonten Charakter zuschreibt58: „diese unbedingte Aufrichtigkeit und Natürlichkeit des Pathos ist tief ergreifend“ – und es stimmt, dass Catull den furor seiner Liebe und die Rolle des „unglücklichen“ amator nach allen emotionalen Seiten hin auslotet, ja auskostet. Allerdings sind, anders als Kroll behauptete, die poetischen Ausdrucksmittel so kunstvoll in die „Stimmung des Augenblickes“ eingewoben, dass man die dichterische Fiktion und Stilisierung der erotischen Leidenschaft dabei fast zu vergessen scheint: Carm. 8 ist wie ein großes Klageecho gestaltet, in dem die Gedanken an die einst erfüllende Liebe zu Lesbia (candidi soles) mit dem scheinbar unwiderruflichen Verlust dieser Liebe verschmelzen (1): „Armer Catull, hör auf, ein Narr zu sein“. Syndikus sah in dem Gedicht bzw. in Catulls Dichtung jene „typisch elegische Liebesauffassung“ vorgezeichnet59, die Properz unter das Programm „nullo vivere consilio“ (1,1,6) stellt. Im Vergleich zu Properz (1,1) ist stilistisch vor allem der hohe Grad an Negation (Litotes) kennzeichnend, was die Beziehungsasymmetrie zwischen dem leidenden poeta und der spröden puella abbildet. Die antithetische Sprachform sowie inhaltliche Gegenüberstellung sind im zweiten Teil des Gedichts deutlich ausgewiesen (Carm. 8,9–19): (…) nunc iam illa non vult: tu quoque, inpotens, ‹noli› 10 nec, quae fugit, sectare nec miser vive, sed obstinata mente perfer, obdura. vale, puella. iam Catullus obdurat nec te requiret nec rogabit invitam: at tu dolebis, cum rogaberis nulla. 15 scelesta, vae te! quae tibi manet vita? quis nunc te adibit? cui videberis bella? quem nunc amabis? cuius esse diceris? quem basiabis? cui labella mordebis? 19 at tu, Catulle, destinatus obdura.
Die Eindringlichkeit der rhetorischen Fragen (15 ff.) mündet schließlich in der impulsiven Selbstaufforderung (19): „Aber du, Catull, sei hart und entschlossen“. Im 58 Kroll, Catull zu Carm. 8 (16). Zu einer anderen (ironischen) Deutung von Carm. 8 und Catulls „erotischem Werk“ regt Holzberg, Catull 88 ff. an, der in den sexuellen Anspielungen des Gedichts (amare, velle, obdurare usw.) ein unterhaltsames „übertriebenes Pathos“ (90) impliziert sieht. Diese Interpretation (vgl. dazu 164 ff.) legt er auch Catulls Allius-Elegie (Carm. 68) zugrunde, worauf ich gesondert in Kapitel 6.3 eingehen werde. 59 Vgl. Syndikus, Horaz 382. Das elegische Themenspektrum, nämlich das foedus aeternum („quantum amabitur nulla“), servitium amoris („quo puella ducebat“) und die militia amoris („multa tum iocosa fiebant“), ist hier ansatzweise vorgebildet.
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Gegensatz zu Properz, der sich unter Amors bzw. Cynthias Joch bereitwillig gebeugt hat, ist in Catulls „nec miser vive“ (10) zumindest der Anschein eines inneren Widerstands gegen die harte Geliebte spürbar. Zwar ist das Epitheton „dura“ bei Catull noch nicht ausdrücklich auf die puella, sondern in verbalisierter Form auf den poeta bezogen (obdurare), doch liegt in der Selbstapostrophe „miser Catulle“ jene innere oder subjektive Zwangs- und Gefühlslage geborgen, die im Zentrum der elegischen und properzischen Cynthia-Dichtung steht60. Auffällig ist aber, dass Catulls „Natürlichkeit des Pathos“ (Kroll), die sich unmittelbar durch die namentliche Selbstreferenz ausdrückt, bei Properz durch das miserum me (1,1,1) oder huic misero (2,1,78) distanzierter und reflektierter erscheint. Man kann in Catulls monologisch zerrissener – fast schizophrener – Selbstanalyse eine Vorstufe elegischer „Subjektivität“ wahrnehmen, die in ihrer unmittelbaren subjektiven oder selbstreferentiellen Ausdruckskraft von den Elegikern paradoxerweise nicht mehr erreicht wird (oder erreicht werden will). Die amores der beiden „unglücklichen“ poetae Catull und Properz unterscheiden sich perspektivisch offenbar darin, dass Catulls stärkere persönliche Ausrichtung des Dichtungsgegenstands (was auch dem jambischen Gedichtcharakter geschuldet ist) bei Properz mehr auf die Geliebte Cynthia konzentriert ist. Es ist also nicht verwunderlich, wenn Catulls „Odi et amo“ (Carm. 85) die Interpreten zu Bemerkungen wie „die Kraft und Prägnanz des Ausdrucks zeigen, daß seine [Catulls] Stimmung echt ist“ veranlasst61. Denn die zunehmend objektive „elegische“ Ausrichtung auf die puella als den förmlichen Dichtungsgegenstand bedingt in der poetischen Selbstwahrnehmung des Elegikers eine gewisse Objektivierung der subjektiven Liebeserfahrungen, so etwa, wenn Properz Catulls selbstreferentielles amo in Amors mythologischen Referenzbereich überträgt (1,1,4) oder Ovid Catulls inneren Zwiespalt zum Ringkampf zwischen amor und odium rhetorisch abstrahiert (Am. 3,11b,1 f.). Die elegische Motiventwicklung des „miserum me“ geht aber nicht primär auf Properz oder Tibull zurück, sondern erscheint bei Catull selbst in Carm. 76, das Rieks als den „Beginn […] der inneren Formentwicklung der römischen Liebeselegie“ bezeichnet hatte62, prototypisch vorgebildet (11–22): (…) 11 quin tu [Catulle] animo offirmas atque istinc teque reducis et dis invitis desinis esse miser? difficile est longum subito deponere amorem; difficile est, verum hoc, qua lubet, efficias: 15 una salus haec est, hoc est tibi pervincendum; hoc facias, sive id non pote sive pote. o di, si vestrum est misereri aut si quibus umquam extremo, iam ipsa in morte, tulistis opem, me miserum aspicite et, si vitam puriter egi, 20 eripite hanc pestem perniciemque mihi,
60 Vgl. Quinn, Catullus zu Carm. 8 (114): „Poem 8 gives dramatic form to a struggle in the poet’s mind“. 61 So Kroll, Catull zu Carm. 85 (259). 62 Vgl. Rieks, Entwicklungsstadien 101.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar quae mihi subrepens imos ut torpor in artus expulit ex omni pectore laetitias. (…)
Man kann sagen, Properz’ Cynthia-Dichtung (1,1) setzt chronologisch dort an, wo Catull das „Fazit seiner Liebe [zu Lesbia] zieht“ (Kroll zu Carm. 76). Poetologisch bedeutet dies, dass im künstlerischen Selbstverständnis der Elegiker eine ununterbrochene Entwicklungslinie zur Liebesdichtung der Neoteriker behauptet werden darf (me miserum/me). Diese Referenzidentität der subjektiven elegischen Gefühlsbestimmung bedeutet im Umkehrschluss, dass die herkömmliche Unterscheidung zwischen „Neoterikern“ und „Elegikern“ mehr ein formales literaturgeschichtliches Konstrukt bildet, das die entwicklungslogischen Zusammenhänge der docti poetae eher kaschiert, denn zutage fördert. So offenbart zum Beispiel Ovids „intertextueller“ Kommentar, wie stringent der dichterische Faden von Catull über Properz bis zu Ovid selbst verläuft (Am. 3,11a,1–8): Multa diuque tuli; vitiis patientia victa est: cede fatigato pectore, turpis amor. scilicet asserui iam me fugique catenas, et, quae non puduit ferre, tulisse pudet. 5 vicimus et domitum pedibus calcamus Amorem: venerunt capiti cornua sera meo. perfer et obdura: dolor hic tibi proderit olim: 8 saepe tulit lassis sucus amarus opem. (…)
Die weitgehende Kohärenz der subjektiven Erfahrungen der römischen Liebesdichter, die man als einen intersubjektiv gültigen pluralis amorum werten kann (vicimus … Amorem), findet ihren gemeinsamen Bezugspunkt in der vorbildhaften Dichtkunst der Alexandriner und des Kallimachos im Besonderen. Während Ovid das ausgezeichnete Prädikat des „docte Catulle“ (Am. 3,9,62) dem Veroneser zuschreibt, münzt es Properz auf Catulls Dichterfreund, den „gelehrten Calvus“ (2,34,89)63. Da von Calvus’ Dichtung bis auf wenige Fragmente nichts überliefert ist, lässt sich ein fundierter Vergleich zum – laut Properz – „lascivus Catullus“ (2,34,87) schwer ziehen. Obwohl die ästhetischen Werturteile auch eher als pars pro toto zu verstehen sind, besteht doch ein qualitativer Unterschied zwischen dem „lockeren“ Liebeständler Catull und jenem „gelehrten“ poeta, bei dem die ganze Spannbreite des „neuen“ kallimacheischen Künstlertums erst voll zur Geltung kommt (Carm. 1):
Cui dono lepidum novum libellum arida modo pumice expolitum? Corneli, tibi: namque tu solebas meas esse aliquid putare nugas
63 Auch Martial, Epigr. 8,73,8 apostrophiert den „docte Catulle“ und bezeichnet Properz als lascivus (8,73,5). Bei Ovid, Trist. 2,427 f. dagegen wie Prop. 2,34,87 (sic sua lascivo cantata est saepe Catullo / femina [Lesbia]).
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5 iam tum, cum ausus es unus Italorum omne aevum tribus explicare cartis, doctis, Iuppiter, et laboriosis. quare habe tibi, quidquid hoc libelli, qualecumque: quod, ‹o› patrona virgo, 10 plus uno maneat perenne saeclo.
Das Eröffnungsgedicht des catullschen Œuvres ist von den programmatischen Grundsätzen einer elaborierten nova poesis gekennzeichnet, die sich quantitativ durch ihre ausgewählte „Kleinform“ (libellus) und qualitativ durch „Esprit und Feinsinn“ (lepidus) im Ausdruck, „Geschliffenheit und Glätte“ (expolitus) im Stil sowie „Fleiß und Formvollendung“ (laboriosus) in der technischen Ausführung auszeichnet und sich durch ihren teils „spielerisch-leichten“ Inhalt (nugae) von der großen epischen Dichtungstradition absondert. So legt Catulls Gedichtsammlung in Carm. 1 jene „repräsentativste Ausprägung seines [Kallimachos’] neuen Stilideals der λεπτότηϛ und der ποικιλία“ dar64, auf die Ovid anspielt, wenn er dem „Battos-Sohn“ Kallimachos an erster Stelle einen hervorragenden „Kunstverstand“ bescheinigt (Am. 1,15,13 f.): Bat tiades semper toto cantabitur orbe: / quamvis ingenio non valet, arte valet. Weil der römische Kallimacheismus mit Catull, soweit überschaubar, seinen ersten und maßgeblichen Vertreter hervorbrachte, erscheint mir Catulls Imagebezeichnung als „novus Callimachus“ passend, um einerseits die künstlerischen Entwicklungslinien zum griechischen Archegeten und andererseits die dichterischen Zusammenhänge zum „Romanus Callimachus“ Properz präzise herauszuarbeiten und so die traditionelle Unterscheidung zwischen Neoterikern und Elegikern neu zu reflektieren. Es dürfte kaum überraschend sein, dass sich in der literarischen und gesellschaftspolitischen Umbruchphase des 1. Jh. v. Chr. die Neoteriker noch weitaus verbindlicher als nach ihnen die Elegiker mit dem Stilideal des intellektuellen Dichtertums, des doctus poeta, identifiziert haben. Sicherlich standen und sollten die modernen, mitunter von den Zeitgenossen (Cicero) abschätzig als affektiert und provokant empfundenen Ausdrucksformen der νεώτεροι (Ad Att. 7,2,1) auch bewusst in einer kunstästhetischen Opposition zur altlateinischen Epentradition eines Naevius oder Ennius stehen. Carm. 7 ist ein gutes Beispiel dafür, wie Catulls erotische Dichtung unter Einwirkung der „ars Battiadae“ aitiologisch geradezu verwandelt worden ist: Quaeris, quot mihi basiationes tuae, Lesbia, sint satis superque. quam magnus numerus Libyssae arenae lasarpiciferis iacet Cyrenis, 5 oraclum Iovis inter aestuosi et Batti veteris sacrum sepulcrum, aut quam sidera multa, cum tacet nox, furtivos hominum vident amores, tam te basia multa basiare 10 vesano satis et super Catullo est, quae nec pernumerare curiosi possint nec mala fascinare lingua. 64 Vgl. Puelma, Kallimachos (I) 223.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
In Kapitel 4.3 sind die formalen und inhaltlichen Merkmale der aitiologischen Lehrdichtung des Kallimachos an der Vertumnus-Elegie veranschaulicht worden. Wie Properz’ Gedicht 4,2 ist Carm. 7 in der Form eines dialogisierten Monologs ausgeführt: Die Lesbia unterstellte Frage, wieviele Küsse Catull denn mehr als genug seien (1 f.), entspricht der fingierten Fragehaltung einer anonymen Leserschaft wie in Prop. 2,1,1 (vgl. unten). Die syntaktische Gegenüberstellung des quam/tam verspricht Aufklärung der causa amorum und soll die Glaubwürdigkeit der gegenseitigen Liebesbindung durch den Schwur auf das heilige Grabmal des „Battus vetus“ (6), jenes sagenhaften Gründers von Kyrene und Ahnherrn des Kallimachos, bestärken65: „Die Sterne als Zeugen menschlicher Liebe [wie] z. B. Prop. 1,16,23 me mediae noctes, me sidera plena iacentem […]“. Catulls Vorstellung, die mala lingua (12) neugieriger oder neidischer Menschen könne ihn und seine Geliebte „verhexen“ (fascinare), gewinnt dabei in Properz’ Gedicht 4,5 eine konkrete Gestalt mit der zauberkräftigen lena (Kapitel 5.1). Insbesondere sprachlich erinnert die erste Vergleichsperiode in Carm. 7,3 ff. an den Hetärenkatechismus der Acanthis in 4,5,21 ff., so dass Properz dort den artifiziellen Klang der catullschen Verse vielleicht unmittelbar im Ohr hatte und nachahmte66: The poem, like No. 51, is a poem of courtship, but the technique of courtship in this society is a delicate and sophisticated affair. The Lesbias were not only beautiful; they were intelligent, well-read, and witty, and one courted them on all counts. Hence the form of this poem and its symbolism, are all-important. The very question itself – „How many kisses?“ – has a slightly intellectual twist, and the poet can play with it and can […] be learned, too, if only his learning is never paraded for its own sake but sits lightly and is used with graceful humor.
Was Elder (Quinn) für Catulls 7. Gedicht unter den Bedingungen des antiken Hetärenwesens soziologisch umreißt, ist, dass der doctus poeta durch die gesellschaftlich gebildete docta puella zu seiner erlesenen Dichtung inspiriert werde (Prop. 2,1,4): ingenium nobis ipsa puella facit. Dieser Gedanke soll unten am Beispiel der Cynthia-Elegie 4,7 – poetologisch verstanden – noch vertieft werden. Überleitend kann man jedoch sagen, dass der innovative sowie experimentelle Charakter properzischer Dichtung wesentlich von Catulls größeren Werken beeinflusst ist, in denen der Neoteriker vom Epithalamium (Carm. 61/62) über das Epyllion (Carm. 63/64) bis zur Elegie (Carm. 65–68) eine Vielzahl griechischer Textgattungen und Stilfiguren erprobt. Die engste Verbundenheit mit dem Alexandriner bekundet der „novus Callimachus“ Catull dabei in Carm. 66, einer sehr wortgetreuen Wiedergabe der Coma Berenices des Kallimachos (1–14)67: Omnia qui magni dispexit lumina mundi, qui stellarum ortus comperit atque obitus, flammeus ut rapidi solis nitor obscuretur, ut cedant certis sidera temporibus,
65 Kroll, Catull zu Carm. 7,7 (16), der es für sehr wahrscheinlich hält, „daß das Kußmotiv aus Kallimachos stammt“ (15). 66 Elder zitiert nach Quinn, Catullus zu Carm. 7 (111 f.). 67 Vgl. Quinn, Catullus zu Carm. 66 (355): „Almost certainly the version of Callimachus referred to in Poem 65 [15 f.]“: (…) mitto / haec expressa tibi [Ortale] carmina Battiadae.
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5 ut Triviam furtim sub Latmia saxa relegans dulcis amor gyro devocet aereo, idem me ille Conon caelesti ‹in› lumine vidit e Bereniceo vertice caesariem fulgentem clare, quam multis illa dearum 10 levia protendens bracchia pollicita est, qua rex tempestate novo auctus hymenaeo vastatum finis iverat Assyrios, dulcia nocturnae portans vestigia rixae, 14 quam de virgineis gesserat exuviis. (…)
Catulls Übertragung der carmina Battiadae ins Lateinische stellt für sich gesehen bereits ein einzigartiges Zeugnis künstlerischer Verpflichtung dar – drückt sich in einer „Übersetzung“ doch ein oder vielmehr das Höchstmaß intertextueller Referenzidentität aus, die das schöpferische Vorbild mit der ebenbürtigen Nachbildung verbindet68. Was Kallimachos bzw. Catull „der Locke selbst in den Mund“ legen (Kroll, Catull 200), ist die fingierte Wehklage jener Locke der „Berenike“, welche die frischvermählte Gattin des ägyptischen Regenten Ptolemaios Euergetes in der Hoffnung auf eine sichere Rückkehr ihres Mannes aus dem syrischen Feldzug im Tempel der Arsinoë geweiht hatte69: „(…) diese [Locke] war angeblich plötzlich verschwunden, und der Astronom Konon erklärte, sie am Himmel wiedergefunden zu haben.“ Offensichtlich waren die wissenschaftlichen Erkenntnisse „jenes Konon“ von Samos damals so legendär gewesen, dass sich sogar Properz’ (trügerischer) Astrologe Horos durch vorgebliche Blutsverwandtschaft auf die weithin bekannte Gelehrsamkeit eben dieses „Urahnen Konon“ berief (4,1b,75–80): ‚(…) 75 certa feram certis auctoribus, aut ego vates nescius aerata signa movere pila. me creat Archytae suboles Babylonius Orops Horon, et a proavo ducta Conone domus. di mihi sunt testes non degenerasse propinquos, 80 inque meis libris nil prius esse fide. (…)‘
Es spricht eine raffinierte Doppelbödigkeit aus der Art und Weise, wie der fallax vates (2,4,15) Horos bzw. Properz hier die altehrwürdige Stern- und Himmelskunde des „Universalgelehrten“ (omnia) Konon mit der ingeniösen Dichtkunst des doctus poeta Kallimachos (bzw. Catull) assoziiert: Der „Schein“ astronomisch/dichterisch verbürgter Wahrheit strahlt von jenen certi auctores Konon/Kallimachos unterschwellig auf den zweifelhaften doctus vates Horos/Properz über70: „vates in Augustan poetry plays constantly on the relation of poet, prophet and truth“. Derart wird die vordergründige Beweiskraft astrologischer fides durch die hintergründige Referenzebene der alexandrinischen „Lyra“ konterkariert, was Properz’ respektive
68 Vgl. dazu Ait. 4, Fr. 110 Pf.,7 f. 69 Kroll, Catull zu Carm. 66 (199). 70 Hutchinson zu 4,1b,75 f. (74).
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Horos’ Verlautbarungen in 4,1b,135 ff. im engeren Sinne den Charakter eines fallax opus verleiht71. Catulls „täuschend“ echte Nachahmung der Coma Berenices (Carm. 66) drückt sich auch bei Properz in der „Vielgestaltigkeit“ (tot) der fingierten Gattungsbezüge aus: Denn das kallimacheische Bildungsprinzip einer πολυειδεία der Gedichte bzw. rezipierten Genres (omnia), das in Catulls Carm. 66 im Versmaß des elegischen Distichons (!) durch aitiologisch-didaktische (1–4), episch-mythologische (5–6), lyrisch-hymnische (7–10), historisch-enkomiastische (11–12) und elegisch-erotische Reminiszenzen (13–14) ausgeformt ist, ist bei Properz zu einem vielstimmigen und kunstreichen „mollis liber“ ausgestaltet (2,1,1–16): Quaeritis, unde mihi totiens scribantur amores, unde meus veniat mollis in ora liber. non haec Calliope, non haec mihi cantat Apollo: ingenium nobis ipsa puella facit. 5 sive illam Cois fulgentem incedere cogis, hoc totum e Coa veste volumen erit; seu vidi ad frontem sparsos errare capillos, gaudet laudatis ire superba comis; sive lyrae carmen digitis percussit eburnis, 10 miramur, faciles ut premat arte manus; seu cum poscentes somnum declinat ocellos, invenio causas mille poeta novas; seu nuda erepto mecum luctatur amictu, tum vero longas condimus Iliadas; 15 seu quidquid fecit sive est quodcumque locuta, maxima de nihilo nascitur historia. (…)
Die Elegie 2,1 zählt nicht nur zu den komplexesten Gedichten im Gesamtwerk, sondern sie bildet auch den zentralen „intertextuellen“ Schnittpunkt72, an dem die Cynthia-Dichtung bzw. Properzens causae amorum einen bedeutungsvollen „aitiologischen“ Wandel vollziehen. Die Ursachen oder Voraussetzungen dafür liegen klar auf der Hand: Der „poeta novus“ Properz hat die Maximen der Modernisierung/Überbietungstechnik in seiner „Coma Cynthiae“ 2,1 insofern fest verinnerlicht, als er Catulls „carmen“ (66), also Kallimachos’ Coma Berenices (caesaries fulgens), durch das Abbild „jener strahlenden“ puella imitiert: Was Konon vor Zeiten am hellen Himmelsfirmament „erblickte“, „erblickte“ jäh Properz auf der erleuchteten Stirn seiner Geliebten. Die fingierte Übereinstimmung der Coma Berenices/Cynthiae belegt eine doppelte Referenz sowohl auf Catulls ars Battiadae und das kallimacheische Original (laudatae comae). Zugleich weist Cynthias somnus wie ein sich im Nachhinein realisierendes Trugbild auf jene Traumerscheinung in 4,7 voraus, die Cynthias Wandlung zur docta puella initiiert (1–10):
71 Vgl. ausführlich Kapitel 5.1. Ähnlich doppeldeutig ist auch Horos’ „Künstlername“ belegt, der an die ägyptische „Himmelsgottheit Horos“ und an die „Berufsbezeichnung Horoskopos“ erinnere (so Flach zu 4,1b,77 f.). 72 Vgl. zum Gedicht auch Kapitel 5.1 (~ 2,1,71 ff.) und Kapitel 6.4 (~ 2,1,17 ff.).
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Sunt aliquid Manes: letum non omnia finit, luridaque evictos effugit umbra rogos. Cynthia namque meo visa est incumbere fulcro, murmur ad extremae nuper humata viae, 5 cum mihi somnus ab exsequiis penderet amoris et quererer lecti frigida regna mei. eosdem habuit secum, quibus est elata, capillos, eosdem oculos, lateri vestis adusta fuit, et solitum digito beryllon adederat ignis, 10 summaque Lethaeus triverat ora liquor. (…)
In der Elegie 4,7 erscheint dem Dichter die „Seele“ (Manes) der kürzlich verstorbenen/bestatteten Cynthia in einer Traumvision: Die tote Geliebte rekapituliert die vergangene Liebesbeziehung mit Properz und erteilt ihm Anweisungen für die Zukunft ohne sie (vgl. 13 ff.). Über Cynthias angeblichen Tod kann, nimmt man bestimmte autobiographische Züge properzischer Dichtung an, nur vage spekuliert werden73. Gewiss wäre es, falls Cynthia nicht wirklich gestorben ist, etwas sonderbar, einen Nachruf auf eine noch lebende Person zu verfassen. Andererseits erscheint Properzens Geliebte, so wie die Gedichte im Buchcorpus angeordnet sind, in der folgenden Elegie 4,8 wie von den Toten „auferstanden“ und liefert dem Seitensprung des Dichters ein denkwürdiges erotisches Furienschauspiel74: „Passion and irony, pathos and comedy, melodrama and tragedy are juxtaposed and interwoven.“ Die Interpreten hat vor allem der literarische Hintergrund des somnus 4,7 inter essiert, der nämlich durch das formelhafte „Sunt aliquid Manes“ (1) an die „longae Iliades“ (2,1,14), so an Homers 23. Gesang der Ilias und Achilles’ Traumbild des Patroklos, angelehnt ist (vgl. dort 103 ff.)75. Dass bzw. inwiefern die „Manen etwas bedeuten“, wird in Kapitel 6.3 an Cynthias mollia ossa vertieft werden (vgl. 4,7,79 ff.). Die Assoziation mit Kallimachos’ pia somnia (4,7,88) ist aber bereits in den Eröffnungsversen evident76: „The combination of the two models, the Homeric and the Alexandrian, provides the literary context for the meeting of love and death that is explored in this poem.“ Da die „maxima historia“ (2,1,16) der Cynthia-Dichtung in 4,7 substantiell von den Aitia des Kallimachos und dem homerischen Epos angeregt ist, rückt die literarisch ohnehin nebensächliche Frage biographischer Authentizität, was Cynthias Leben und Tod betrifft, in den Hintergrund. Auch sei die Geliebte, so Richardson zu 4,7, eher als „a composite, if not fictitious, figure“ (454) zu verstehen, die im poetischen Sinne der „varia figura“ (3,24,5) Properz’ wandelbare Elegiendichtung und deren Zäsuren abbildet: Sunt aliquid Manes „serves as the ‚immediate cause‘ of the poem“77, indem Cynthias Tod (4,7) das „Siegelgedicht des ganzen CynthiaZyklus“ bedeutet78. Der metaphysische/metapoietische Übergang zwischen „Le73 Vgl. Syndikus, Properz 339 (zu 4,7). Ähnlich Hubbard, Propertius 150. 74 Warden, Fallax opus 13 (zu 4,7). Vgl. Kapitel 7 zu Prop. 4,8. 75 Vgl. Warden, Fallax opus 14 f.; Hubbard, Propertius 149 ff. 76 Warden, Fallax opus 15 (zu 4,7). 77 Vgl. Warden, Fallax opus 14. 78 Vgl. Puelma, Kallimachos (I) 230.
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ben“ (dura puella) und „Nachleben“ (docta puella) wird besonders in V.5 fühlbar, wo Cynthias „Leichenbegängnis“ (exsequiae) zwischen somnus und amor metrisch beinahe zerrissen und ihrer Seele eine letzte Erinnerung an die gemeinsame Liebesbeziehung in der Vergangenheit gewährt wird (4,7,13–22)79: (…) ‚Perfide [Properti] nec cuiquam melior sperande puellae, in te iam vires somnus habere potest? 15 iamne tibi exciderant vigilacis furta Suburae et mea nocturnis trita fenestra dolis, per quam demisso quotiens tibi fune pependi, alterna veniens in tua colla manu? saepe Venus trivio commissa est, pectore mixto 20 fecerunt tepidas pallia nostra vias. foederis heu taciti, cuius fallacia verba non audituri diripuere Noti! (…)‘
Etwas unvermutet führt die extrema via ins Jenseits Cynthia zunächst auf die tepidae viae der Subura zurück, die von ihr und Properz durch so manche „List des Nachts“ (16) unsicher gemacht worden seien. Das Ganze erinnert, humorvoll gewendet, ein wenig an Catulls Coma Berenices (Carm. 66) und den frischvermählten Ptolemaios Euergetes, der vor seinem Aufbruch in den Krieg noch die süßen Spuren der „nocturna rixa“ (13) an sich trug80. Die oben geschilderte Szenerie ruft jene „goldenen“ Zeiten der Liebe ins Gedächtnis, die unter Cynthias longa regna (50) gestanden haben. Cynthias Perspektive auf die gemeinsamen amores (der Bücher 1–3) ist sehr beachtenswert, zumal die flatterhafte fallax domina (2,24b,16) in den obigen Versen ausdrücklich dem „treulosen“ Properz fallacia verba (21) unterstellt. Freilich ist es müßig, (biographisch) danach zu fragen, wessen Erinnerung an die Vergangenheit nun trügt (auch Cynthias „täuschende“ Perspektive unterliegt schließlich dem fallax opus des Dichters), doch scheint eine besondere Botschaft darin verborgen, wenn die ehemalige dura puella dem miser amator sozusagen das Wort im Munde herumdreht (~ Prop. 2,5,3–8): (…) haec merui sperare? dabis mihi, perfida, poenas; et nobis aliquo, Cynthia, ventus erit. 5 inveniam tamen e multis fallacibus unam, quae fieri nostro carmine nota velit, nec mihi tam duris insultet moribus et te 8 vellicet: heu sero flebis amata diu! (…)
79 Vgl. Warden, Fallax opus 18 z. St. („The rhythm hangs too – a ‚non-caesural‘ line with no second food diaeresis“). 80 Vielleicht ist deshalb die Konjektur proelia (4,7,20) für pallia erwägenswert, wie von Goold, Heyworth und nun Fedeli/Dimundo bevorzugt. Anders Shackleton Bailey z. St. mit Bezug auf Ovid, Am. 1,4,50. Auch ginge durch proelia der subtile Themen- und Gattungsverweis auf die antike Komödie verloren (vigilacis furta Suburae), wie ich in Kapitel 7 zu den ignota furta / singula pallia (4,8,34/87) noch ausführen werde.
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Zwar beantwortet Cynthia Properz’ klagendes heu im vierten Buch relativ spät, dafür aber umso klangvoller („foederis heu taciti“)81: „The exclamatory genitive is very rare in Latin and appears to be a clear imitation of the Greek genitive after φεῦ.“ Eine so erlesene griechische Ausdrucksweise würde man wohl direkt vom poeta amator erwarten und nicht mittelbar aus dem Munde der „treulosen“ Geliebten. Folglich zeichnet sich bereits auf der sprachlichen Referenzebene ein markanter Charakterwandel ab: Der stereotype Formcharakter der dura puella zerbricht förmlich an der Macht des Traumes (Todes). Nirgends kommt diese Wandlung der „non“ dura puella (4,2,23) deutlicher zum Vorschein als postum in Cynthias Aufforderung, die „in ihrem Namen“ verfasste Dichtung (der Bücher 1–3) symbolisch zu verbrennen (4,7,49–53 / 77–78): ‚(…) non tamen insector, quamvis mereare, Properti: 50 longa mea in libris regna fuere tuis. iuro ego Fatorum nulli revolubile carmen, tergeminusque canis sic mihi molle sonet, 53 me servasse fidem. si fallo […]. 77 et quoscumque meo fecisti nomine versus, ure mihi: laudes desine habere meas! (…)‘
Die Pointe mag weniger darin bestehen, dass sich die fallax domina am Ende vielleicht selbst „betrügt“ (53) – dieser Gedanke scheint durch die sakrosankte und (intertextuell) hochgradig stilisierte Schicksalsoffenbarung ihres „Fatorum nulli revolubile carmen“ auch ganz abwegig, ja völlig „unglaubwürdig“ zu sein: die hervorstechende (Selbst-) Apostrophe Properti (49)82; Cynthias selbstreferentieller Schwur auf den unabwendbaren Götterspruch der Parzen (iuro ego), eingebunden in das weitgespannte Enjambement 51 ff. (me servasse fidem) im Gegensatz zum antithetisch verkürzten, sozusagen revidierten si fallo – man gewinnt den Eindruck, dass aus diesen Versen eine docta puella spricht, die sich nicht nur ihrer rhetorischen Fähigkeiten, sondern vor allem ihres dichterischen Standpunktes äußerst bewusst ist (4,7,87 f.): nec tu [Properti] sperne piis venientia somnia portis: / cum pia venerunt somnia, pondus habent. Homers archetypisches Traum-Motiv ist mit den „somnia Callimachi“ (2,34,32) in 4,7,87 f. zur vielleicht eindeutigsten literarischen Referenz des vierten Buches verschmolzen worden. Properzens verfeinerte ars Battiadae gibt das Distichon auf 81 Richardson zu 4,7,21 (nach Shackleton Bailey z. St. vielleicht sogar „unique in classical Latin“). Ein Problem bereitet die konkrete Bedeutung des „verschwiegenen Bundes“ (Willige) zwischen Properz und Cynthia (so Camps z. St.): „taciti in view of what follows [fallacia verba] cannot mean ‚unspoken‘, so must here mean ‚secret (between them)‘“. So auch Richardson zum „secret compact“ (457). Skeptisch dagegen Hutchinson z. St.: „taciti ‚secret‘ is unlikely, with verba to follow, and pointless: no lovers’ oaths would be public. […] Say pactum?“ Goold, Heyworth und jüngst Fedeli/Dimundo übernehmen daher Palmers Konjektur pacti. Vgl. zu meiner Interpretation des foedus tacitum unten (~ Catull, Carm. 64,132 ff.). 82 Eine Häufung an Selbstapostrophen weist das zweite Properz-Buch auf (die Monobiblos keine einzige!). Vgl. dazu 2,8,17; 2,14,27; 2,24c,35 und 2,34,93. Im dritten und vierten Buch jeweils nur zweimal in 3,3,17 und 3,10,15 bzw. in 4,1b,71 und oben.
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jeden Fall exemplarisch wieder: der beschwingte Rhythmus durch die Vielzahl der Daktylen im Hexameter; hier der goldene Einschnitt nach der dritten Hebung, der das anaphorische piis/pia somnia im Pentameter echoartig aufnimmt; dazu das Polyptoton venientia/venerunt in gesperrter Mittelstellung und der übergreifende Parallelismus piis / pia ~ portis / pondus, der sich in einem formschönen Chiasmus auflöst (sperne … habent). Gewichtet man außerdem die nachklingende p-Alliteration, gewinnt Homers episches „Sunt aliquid Manes“ erst durch Kallimachos’ aitiologisches „Somnia pondus habent“ an künstlerischer Prägnanz und Bedeutung. Was das Cynthia-Epos 2,1 zu versprechen scheint, scheint das schicksalsträchtige carmen 4,7 rückwirkend und wahrheitsgetreu einzulösen (~ Carm. 64,321): talia divino fuderunt [Parcae] carmine fata (…). Trotz der transparenten Reminiszenzen an Homers „divinum carmen“ der Ilias liegt der thematische Schwerpunkt der Elegie 4,7 aber nicht auf einem prototypischen Vergleich zwischen Cynthia/ Properz und Patroklos/Achilles. Selbst für Catulls Peleus-Epyllion dient der göttliche Gesang des homerischen Epos mehr als ein luzid schimmernder Hintergrund, vor dem sich der Kunsteindruck der kallimacheischen Aitia umso klarer herauskristallisiert. Der „elegische“ Blick zurück auf die Gattungsgenese römischer Liebesdichtung (miserum me) verrät dabei eine analoge Entwicklung zwischen dem doctus poeta (Properz) und der docta puella (Cynthia): Wie das erotische Charakterbild der dura puella aus Catulls Lesbia-Dichtung (Carm. 8) entstanden ist, so hat Properzens neues aitiologisches Porträt der „frommen“ Geliebten offenbar in dem klagenden „pius“ poeta Catull ein unmittelbares Vorbild gefunden (Carm. 76,1–12): Si qua recordanti benefacta priora voluptas est homini, cum se cogitat esse pium nec sanctam violasse fidem, nec foedere nullo divum ad fallendos numine abusum homines, 5 multa parata manent in longa aetate, Catulle, ex hoc ingrato gaudia amore tibi. nam quaecumque homines bene cuiquam aut dicere possunt aut facere, haec a te dictaque factaque sunt: omnia quae ingratae perierunt credita menti. 10 quare cur te iam amplius excrucies? quin tu animo offirmas atque istinc teque reducis et dis invitis desinis esse miser? (…)
Wie oben begründet, greift Catulls Carm. 76 nicht nur der elegischen Gefühlswelt des miser amator (Properz) voraus, sondern bietet auch eine referentielle Vorlage für Cynthias Verwandlung zur pia puella in 4,7 („foederis heu taciti“): Gestützt auf die homerische/kallimacheische Übermacht der Träume (certi auctores), kann sich Cynthia in Bezug auf den heiligen „Liebesbund“, den schon Catull der Stille und Verschwiegenheit seiner einsamen Gedanken anvertraute, deshalb nicht irren (me servasse fidem), weil sich andernfalls der episch inspirierte novus Callimachus und mit ihm der Romanus Callimachus Properz selbst eklatant irren würden, dessen patriotische Liebe und poetischer Dienst an der maxima Roma außer Frage stehen (4,1a,57): moenia namque pio coner disponere versu. Zwar leitet sich das Gegenbild der docta/pia puella nicht direkt und ohne Widersprüche aus dem Vorbild des doctus/pius poeta ab (auch wenn sich Dichter und Dichtungsgegenstand in gewis-
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ser Weise kongruent zueinander verhalten), doch kann sich Properzens Geliebte auf der intertextuellen Referenzebene des Mythos glaubhaft auf eine „Gewährsfrau“ berufen, die Cynthias unbescholtene (dichterische) fides nachdrücklich bestätigt (Carm. 64,50–57): (…) 50 Haec vestis priscis hominum variata figuris heroum mira virtutes indicat arte. namque fluentisono prospectans litore Diae Thesea cedentem celeri cum classe tuetur indomitos in corde gerens Ariadna furores: 55 necdum etiam sese, quae visit, visere credit, utpote fallaci quae tum primum excita somno desertam in sola miseram se cernat harena. (…)
Es bedarf eigens keines ausführlichen Nachweises mehr, dass sich Catulls berühmtes Peleus-Epyllion (Carm. 64) in hohem Maße von der ars Battiadae beeinflusst zeigt, wie Quinn zum Charakter des alexandrinischen „Kleinepos“ darlegte83: „This sophisticated refinement upon a traditional form seems to have been evolved by Hellenistic poets in response to Callimachus’ condemnation of epic as long-winded and flabby. (…) it was the sort of poem that might take years to write.“ Die künstlerische Virtuosität und Kompositionstechnik, mit denen Catull in die Rahmenhandlung der Hochzeit des Peleus mit der Meernymphe Thetis die „Ekphrasis“ des Ariadne-Mythos (die Beschreibung der purpurnen vestis in V.50–264) einwebt, haben die Interpreten erschöpfend herausgearbeitet. In Fragen poetischer (Selbst-) Referentialität springt dagegen ins Auge, dass der „miser Catullus“ (Carm. 8,1) das leidgeplagte Selbstbildnis sozusagen spiegelverkehrt auf den Dichtungsgegenstand der leiderfüllten „Ariadna misera“ projiziert. Diese gewissermaßen fingierte (Pseudo-) Referenzidentität der subjektiven/objektiven Liebeserfahrungen wird durch eine zweite fiktive Referenzebene überlagert, indem Properzens puella Cynthia wiederum ein Spiegelbild jener unglücklichen Ariadne Catulls abzugeben scheint (1,3,1–8): Qualis Thesea iacuit cedente carina languida desertis Cnosia litoribus; qualis et accubuit primo Cepheia somno libera iam duris cotibus Andromede; 5 nec minus assiduis Edonis fessa choreis qualis in herboso concidit Apidano: talis visa mihi mollem spirare quietem 8 Cynthia (…).
Die Interpretation der „schlafenden Cynthia/Ariadne“ und der anderen Mythengleichnisse ist für gewöhnlich durch die bildende Kunst inspiriert, die für Properz’
83 Quinn, Catullus zu Carm. 64 (297). Vgl. im Detail Kroll, Catull 140 ff. (zu Carm. 64) zur „modischen Gattung des kleinen Epos“ (in Bezug auf Komposition, Stoffauswahl, Erzähltechnik, den Gelehrsamkeitscharakter und die stilistische Gestaltung).
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dichterische Vorstellungskraft zweifellos eine große Rolle gespielt haben dürfte84: „When in 1.3 he [Propertius] comes on the sleeping Cynthia imagination presents her as the sleeping Ariadne beloved by ancient sculptors and painters (…).“ Vermutlich ist gerade Catulls reich verzierte vestis an ein spezifisches (hellenistisches) Porträt der einsam auf Naxos erwachenden Ariadne angelehnt, so dass Catulls literarische Verarbeitung zudem eine feine intermediale Nuance offenlegt (55): „Und sie [Ariadne] konnte noch gar nicht glauben, dass sie wirklich sieht, was sie sieht“. Bei Properz dringt diese raffinierte Selbstbespiegelung im Mythenvergleich zwischen Ariadne und Cynthia durch, wobei unlängst erkannt worden ist, dass Properz’ „Kunstwerkbeschreibung“ in 1,3 vor allem eine „intertextuelle“ Beschreibung der Ekphrasis von Catulls Gedicht ist85: Denn wichtiger als die direkte Verbindung zur Malerei scheint uns eine andere Beziehung. Die beiden geschilderten Bildtypen haben bereits vor Properz eine Art literarischer Bearbeitung erfahren. Catull hat in sein berühmtes Epyllion eine Kunstwerkbeschreibung eingelegt, der im Prinzip diese beiden Typen zugrunde liegen. Doch hat Catull eine Möglichkeit ausgenutzt, die die Literatur vor der bildenden Kunst voraus hat: Er läßt seine Ariadne ausführlich klagen. Die leidenschaftliche und unversöhnliche Klage einer zutiefst gekränkten Liebenden ist der Kern seiner Ariadnedarstellung (Carm. 64,132–142): (…) 132 ‚Sicine me patriis avectam, perfide, ab aris, perfide, deserto liquisti in litore, Theseu? sicine discedens neglecto numine divum 135 immemor, a! devota domum periuria portas? nullane res potuit crudelis flectere mentis consilium? tibi nulla fuit clementia praesto, immite ut nostri vellet miserescere pectus? at non haec quondam blanda promissa dedisti 140 voce mihi, non haec miserae sperare iubebas, sed conubia laeta, sed optatos hymenaeos. quae cuncta aerii discerpunt irrita venti. (…)‘
Ariadnes große „Klage“ kann sich nicht nur wie Catulls Liebesschmerz auf das „divum numen“ (Carm. 76,4) berufen, sondern findet auch ein helltönendes Echo in Cynthias Anklagen an den „treulosen“ Properz (~ 4,7,13 ff.). Die mehrschichtige Anspielungstechnik trägt auch zum Verständnis des schwierigen „foederis heu taciti“ (4,7,21 f.) bei, „dessen trügerische Worte die Winde, die sie nicht hören wollten, zerstreut haben“86. Wie Theseus’ blanda promissa stehen Properzens fallacia verba in einem spannungsvollen Gegensatz zur „stillschweigenden“, weil einseitigen bzw. unerwiderten Liebeserklärung der toten Cynthia, die an Catulls verlassene Ariadne erinnern will (142): „Dies alles verfliegt nun unerfüllt im Nebel der Winde.“ Die subjektive Dramatik und Tragik jener „Klage der Verlassenen“ (Wlosok), die 84 Hubbard, Propertius 164. Ähnlich Wlosok, Prop. 1,3 (333): „Das Denken scheint sich hier wesentlich in Vorstellungen und Bildern des Mythos zu vollziehen“. Vgl. auch Kapitel 5.4 zur dichterischen Rezeption des Apollotempels (Prop. 2,31). 85 Wlosok, Prop. 1,3 (338 f.). 86 Übersetzt nach Mojsisch z. St.
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sich in Ariadnes innerem Monolog ausdrückt (mihi miserae), sind bei Properz zur intertextuellen Klagerede der „unglücklich“ verlassenen Cynthia neu ausgeformt (1,3,35–46): (…) 35 ‚tandem te [Properti] nostro referens iniuria lecto alterius clausis expulit e foribus? namque ubi longa meae consumpsti tempora noctis, languidus exactis, ei mihi, sideribus? o utinam tales producas, improbe, noctes, 40 me miseram quales semper habere iubes! nam modo purpureo fallebam stamine somnum, rursus et Orpheae carmine, fessa, lyrae; interdum leviter mecum deserta querebar externo longas saepe in amore moras: 45 dum me iucundis lapsam Sopor impulit alis. illa fuit lacrimis ultima cura meis.‘ Der Schlussvers der Elegie 1,3 (46) birgt ein Problem, denn sowohl die genaue Bedeutung der (ultima) cura als auch der konkrete Bezug des illa sind umstritten. Nicht ganz von der Hand zu weisen ist die Konjektur ille (so von Heyworth erwogen), was, bezogen auf den Cynthia erlösenden Sopor, für Rothsteins letztes „Heilmittel“ spräche87: „Sleep might be called a remedy for grieving, certainly not a treatment“, wobei Shackleton Bailey Butler/Barbers Auffassung des „anxious thought“ (cura) vorzieht: „illa referring not to Sopor in 45 but to moras in 44.“ Beide Interpretationen sind für sich genommen plausibel, aber es scheint mir nicht nur eine Frage des romantischen Geschmacks zu sein, ob Properz seine Geliebte Cynthia nun mit einem „heilsamen“ oder „sorgenvollen“ letzten Gedanken in Catulls kallimacheische Traumvorstellung bzw. Ariadnes fallax somnus (56) entrückt88: „Es sind die beiden Wendungen deserto litore und cedens carina, die sich bei Catull am Anfang und Ende der Klage finden. An diese Klage also will Properz behutsam erinnern. In seiner Ariadne schlummert noch die Klage der Verlassenen.“ Ganz analog dazu wird auch Cynthia zum Schluss durch Catulls florens Iacchus (251) Properz, der seine „betrunkenen Füße nach viel Wein [multo Baccho]“ (1,3,9) zur Geliebten schleppte, aus ihrer schwermütigen Gefühlslage befreit: Cynthias illa cura erklingt bzw. „schlummert“ unterschwellig in den multiplices curae (250) der Ariadne, so dass die Elegie 1,3 eine strukturgetreue Kunstwerkbeschreibung der catullschen Klagerede bietet: Properz setzt mit dem episch-dramatischen Paukenschlag des entfliehenden Theseus ein und widmet den gleichsam letzten Augenschlag der elegisch-intimen Wehklage jener so „Sorgen“ geplagten Frau (Carm. 64,69–75): (…) illa vicem curans toto ex te pectore, Theseu, 70 toto animo, tota pendebat perdita mente. a! misera, assiduis quam luctibus externavit spinosas Erycina serens in pectore curas illa tempestate, ferox quo ex tempore Theseus egressus curvis e litoribus Piraei 75 attigit iniusti regis Gortynia templa. (…)
Die Nachahmung von Catulls Carmen 64 und der Klagerede der Ariadne in der Elegie 1,3 (me miseram) stellt ein ausgesprochen reifes und sehr frühes Zeugnis 87 Shackleton Bailey z. St. (14). 88 Wlosok, Prop. 1,3 (339).
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kallimacheischer Dichtkunst in der Nachfolge der Neoteriker dar: Wenn Cynthia behauptet, sie habe ihr Schicksal als „Verlassene zuweilen still bei sich beklagt“ (43), schließt das den Gedanken an Ariadnes sorgenvolles foedus tacitum, das der jählings entflohene Theseus niemals bekräftigen wird, ein. Andererseits scheint Cynthias „sanfter Schlaf“ (7) auf ihre pia somnia in 4,7 und das molle opus des vierten Buches vage vorauszudeuten, zumindest aber Properzens fallax opus der Liebeselegie und das stereotype Charakterbild der dura puella bereits im ersten Buch facettenreicher auszugestalten: Wenn Cynthia in 1,3 nicht wie Catulls Ariadne aus „trügerischem Traum“ (56) erwacht, sondern, zur Orphea lyra singend, selbst den „Traum betrogen“ (41 f.) haben will, verleiht das ihrem täuschenden Charakterwesen eine ganz eigene – intertextuell verbindliche – Gelehrsamkeit und Glaubwürdigkeit und durchkreuzt das (Pseudo-) Programm der subjektiven erotischen Dichtung durch eine – dem äußeren Anschein nach – mehrdeutige Referentialität (~ Prop. 1,1,1): Cynthia prima suis miserum me cepit ocellis. Ariadnes innerlich zerrissene querela wird sich schließlich zwischen den diffusen seelischen Gefühlsregungen zwischen Wut, Rache, Trauer und Verzweiflung derart „zwanghaft“ (cogor) Bahn brechen, dass nur Ariadnes Hinwendung an die vergeltenden Rachegöttinnen und Theseus’ Verfluchung eine Linderung ihres blindwütigen furor versprechen (Carm. 64,192–201). In dieses tragische Unglück folgt ihr Properz’ (tote) docta puella nicht, auch wenn Cynthias Leichenbegängnis in 4,7 ähnlich bedeutungsschwer über Properz’ Schlaf „hing“ (5), wie Ariadne sterbensbereit an Theseus „hing“ (70). Dennoch schlägt die klagende Geliebte einen den pia somnia gemäßen, versöhnlichen Ton an und steigert ihre Liebesklage sogar zu einer erotischen Todesphantasie (4,7,94)89: mecum [Properti] eris, et mixtis ossibus ossa teram. Wohlmöglich ist Ariadnes sprichwörtliche Leidenschaft insofern ja der „elegischen“ Liebesvorstellung des miser amator ähnlicher als erwartet, da sich auch Properz dem furor seiner Liebe „gezwungenermaßen“ hilflos ausgeliefert sieht (vgl. 1,1,7 f.). Und vielleicht ist dem problematischen cogis (2,1,5) dieser „innere, seelische Sinn“ eingeschrieben90, der Properzens „Coa vestis“ (2,1,6) der Cynthia-Dichtung mit Catulls „kallimacheischer Ekphrasis“ des Ariadne-Mythos in Form eines intertextuellen Dialogs unterschwellig assoziiert: „Sei es, dass du jene Strahlende zwingst, in ihrem koischen Seidenkleid einherzuschreiten, dann wird dieses ganze Buch aus koischer Webkunst bestehen“. Jedenfalls hing Properz’ puella fulgens, wie oben zur Coma Berenices (Carm. 66) gesagt, schon einmal 89 Vgl. zur Stelle im epigrammatischen Kontext Kapitel 6.3 („erotic death“). 90 Vgl. Tränkle, Sprachkunst 27. Das in 2,1,5 überlieferte cogis ist nach Fedeli bzw. Leo dittographisch aus dem duplizierten Cois entstanden und grammatisch mit den folgenden Versen nicht sinnkonform. Konjekturen wie Lachmanns coccis (so Butler/Barber) oder Marklands textis dienen zwar einer konkreten Nominalbestimmung des Cois, sind jedoch mit einer sperrigen Satzkonstruktion verbunden (sive illam Cois … seu vidi) und sprachlich nicht zwingend (vgl. 4,2,23). Der eher unschön gedoppelten Verbesserung vidi (so Camps und Goold) zieht Heyworth deshalb Leos cerno vor (Cynthia z. St.): „the second person has no place here nor does the sense of compulsion brought by cogere (despite Shackleton Bailey’s citation of Vitr. praef. 13 […]).“ Shackleton Bailey hatte diese Stelle „as evidence for this, perhaps colloquial, use of cogere“ (61) herangezogen.
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mehr oder weniger unfreiwillig an Catulls Sternenhimmel der klagenden Ariadne (60). In der Rückschau auf die in diesem Kapitel aufgedeckten Zusammenhänge und Bezüge werden die Komplexität und Kohärenz des poetischen „Gesamtkunstwerks“ unmittelbar deutlich: Properz’ Cynthia-Dichtung, beispielhaft dafür die Elegien 1,3, 2,1 und 4,7, ist wie eine kongeniale Kunstwerkbeschreibung jener carmina Battiadae ausgeschmückt, die Catull mit seinen größeren Gedichten wie Carm. 64 eindrucksvoll zur Schau stellt. Dabei stellt die kallimacheisch begabte docta puella eine Art dichterische Ikone oder Maßstab für die neuen aitiologischen Kunstmaximen des doctus poeta dar – so etwa, wenn Cynthias den „Traum [die Aitia] erforschende Augen“ (2,1,11 f.) Properz’ erotische causae novae des vierten Buches in den Blick nehmen (pia somnia)91. Mehr noch, als Catull und Properz durch die gemeinsame poetische Erfahrung einer potentiell wie substantiell unglücklichen Liebe verbunden sind, vereint den novus Callimachus und den Romanus Callimachus das künstlerische Vermächtnis ihres bedeutenden alexandrinischen Vorbildes: Das von den römischen Dichtern mit Eloquenz, Esprit und Sinn für das Moderne – mitunter modern Avantgardistische – gepflegte kallimacheische Image hebt damit in der Sache die förmliche Differenz bzw. Differenzierung zwischen Neoterikern und Elegikern auf – nicht so sehr im Sinne einer unterschiedslosen Nivellierung des literaturgeschichtlichen Zusammenhangs, wohl aber um bewusst zu machen, dass die maxima historia (2,1,16) der römischen bzw. properzischen Amores-Dichtung, analog zur integralen sowie integrativen poetischen Wirkung der maxima Roma (4,1a,1), keine statischen und episodenhaften, textuell gleichsam abgeschlossenen Liebesgeschichten bietet, sondern im Gegenteil einen mehr- und gegenstimmigen, veränderlichen sowie ganzheitlich verknüpften Liebeskosmos offenbart, in dem viele Autoren und Gewährsmänner oder Gewährsfrauen ihre erotischen bzw. dichterischen Spuren hinterlassen haben (tot amores). 5.3 „Cinge caput mitra: speciem furabor Iacchi“: Horazens Carmina und der „gestohlene“ Götterhymnos des Bacchus (3,17) In Kapitel 5.2 ist aufgezeigt worden, dass und wie Catull im Rahmen seiner LesbiaDichtung die kallimacheischen Kunstideale der λεπτότηϛ und ποικιλία aufnimmt und so seinen amores neue Facetten und Perspektiven der Darstellung hinzugewinnt. Die „Gattungsbuntheit“ seiner carmina Battiadae ist nicht nur auf das ganze 91 Wegen der Redundanz des überlieferten seu cum (poscentes) wird in 2,1,11 Leos Verbesserung (seu) compescentes von Fedeli, Goold und Flach vorgezogen (Leo zitiert nach Fedeli z. St.): „mihi quidem qui oculos declinat non poscere somnum, sed ab somno posci videtur, pugnare cum somno“. Vgl. ähnlich 4,7,14. Die häufig angeführte Parallelstelle bei Vergil, Aen. 6,880 f. (seu cum … seu) wird von Leo, Kleine Schriften II (196) allerdings nicht anerkannt. Mit gutem Bezug auf Catull Rothstein z. St.: „Die Geliebte wendet die Augen zur Seite, weil sie nach Schlaf verlangen, sich nicht mehr offen halten lassen. Declinare ist nicht anders gemeint als bei Catull [Carm.] 64,91 non prius [Ariadna] ex illo flagrantia declinavit lumina und ist hier aus der Situation leicht verständlich.“
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Werk gesehen kennzeichnend, sondern auch exemplarisch in dem Peleus-Epyllion ausgeprägt: Formal und in Bezug auf die Rahmenerzählung der Argonautensage dem Epos verhaftet, durchwebt Catull das genus grande der Epik in der Ekphrasis des Ariadne-Mythos mit Anklängen an das genus tenue der Liebeselegie. Die lyrische Klage der misera Ariadna leitet den Themen- bzw. Gattungsumschwung zum Hymnos oder Hochzeitsgesang ein, zu dem anlässlich ihrer (unverhofften) Errettung durch den „florens Iacchus“ Bacchus angestimmt wird (Carm. 64,251–264): (…) 251 At parte ex alia florens volitabat Iacchus cum thiaso Satyrorum et Nysigenis Silenis, te quaerens, Ariadna, tuoque incensus amore, quicum alacres passim lymphata mente furebant, 255 euhoe, Bacchantes, euhoe, capita inflectentes. harum pars tecta quatiebant cuspide thyrsos, pars e divolso iactabant membra iuvenco, pars sese tortis serpentibus incingebant, pars obscura cavis celebrabant orgia cistis, 260 orgia, quae frustra cupiunt audire profani; plangebant aliae proceris tympana palmis aut tereti tenuis tinnitus aere ciebant, multis raucisonos efflabant cornua bombos, 264 barbaraque horribili stridebat tibia cantu. (…)
Mit dem extravaganten Aufzug des „bakchischen Thiasos“ (Kroll), der formhalber auf der „anderen Seite“ der vestis abgebildet ist, endet die Kunstwerkbeschreibung, und Catulls Erzählung nimmt ab V.265 wieder die Hochzeitsfeierlichkeiten für das epische Brautpaar Peleus und Thetis in den Blick. Vor dem Hintergrund der intimen querela Ariadnes (132 ff.) mag der pompös-formidable Auftritt des „kreischenden“ Bacchus (ἰακχή), dem ein verzückter Schwarm von Bacchantinnen wild-schreiend anhängt (euhoe), für das moderne romantische Empfinden vielleicht befremdlich wirken und den Gefühlskontrast zu Ariadnes multiplices curae (250) eher auf grelle Weise verstärken denn ihre tiefempfundenen Seelenqualen versöhnlich besänftigen92: „Since the Romantic movement it has become difficult to understand the literary preconceptions of the ancient world, when form might matter more than self-expression and a poet could assume a mantle without having a message to preach.“ Gewiss darf man Catull (und die augusteischen Elegiker) nicht mit dem sentimentalen „Gefühlsmenschen“ der Romantik verwechseln, dessen melancholischer „Weltschmerz“ ebenso wenig Ariadnes Pathos und Psyche adäquat bemessen kann. Obwohl dies andererseits nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass die antike römische Liebesdichtung – durchaus wesensverwandt – die subjektive Perspektive amouröser Selbstdarstellung mit der Romantik teilt, grundieren doch zunächst feste literarische Konventionen und mustergültige (Stil-) Formen den kreativen künstlerischen Gestaltungsspielraum. 92 Nisbet/Hubbard, Odes II 317 (zu 2,19).
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In diesem Kapitel soll am Beispiel der Bacchus-Elegie 3,17 verdeutlicht werden, wie Properz den erlesenen griechischen Sprachwortschatz der Neoteriker (Catulls) zu einer manierierten Kunstform stilisiert und das molle opus der Elegiendichtung und besonders des vierten Buches in Anlehnung/Abgrenzung zu Horaz’ sublime opus der Odendichtung ästhetisch kultiviert: Properzens imitatio/aemulatio der Ode 2,19 ist Ausdruck eines Gattungswettstreits, bei dem der „römische Kallimachos“ Properz und der „römische Alkaios“ Horaz um den Vorrang ihres elegischen/lyrischen Göttergesangs wetteifern. In der Rück- bzw. Vorausschau auf das gattungsspezifisch „vielgestaltige“ fallax opus der Liebeselegie (tot formae) deutet niemand anders als der Verwandlungsgott Vertumnus diesen form- und kunstreichen Wandel properzischer Dichtung an, der sich mit der poetischen bzw. intertextuellen Inspirationskraft des Bacchus verknüpft (4,2,31): cinge caput mitra: speciem furabor Iacchi. Man muss „Graeci“ exempli causa davon ausgehen, dass Catulls Leser in dem abrupten emotionalen und stilistischen Stimmungsumschlag des fulminant auffahrenden Bacchus keinen gravierenden Bruch, sondern – dem deus ex machina des Theaterdramas entsprechend – eine glückverheißende bzw. „förmlich“ erwartete Wendung der Ereignisse gesehen haben: Wie Bacchus für Ariadne jene ultima cura (1,3,46) ihrer Leidenschaft ist, so verspricht sich Properz von seinem Liebesschmerz durch den Weingott geheilt zu werden (3,17,1–8): Nunc, o Bacche, tuis humiles advolvimur aris: da mihi pacato vela secunda, pater! tu potes insanae Veneris compescere fluctus, curarumque tuo fit medicina mero. 5 per te iunguntur, per te solvuntur amantes: tu vitium ex animo dilue, Bacche, meo! te quoque enim non esse rudem testatur in astris 8 lyncibus ad caelum vecta Ariadna tuis. (…) Mit den ersten Versen der Elegie 3,17 verbinden sich einige textkritische Fragen: Das überlieferte (mihi) pacato (2) verdient gegenüber der Konjektur pacatus den Vorzug93: „But the poet [not Bacchus!] asks for peace, relief from the storms of love“. Dieser Bezug rahmt auch den Götterhymnos insgesamt: Der sich „demütig“ (1) niederwerfende Dichter wünscht insofern „befriedet“ zu werden, als der Weingott dessen Sorgen durch heilsamen Schlummer „besiegen“ (42) möge. Riesenweber entnimmt das erotische Credo „Friede den Liebenden“ dem „Bereich der militia amoris“ (206), die auch die antithetische Gegenüberstellung Arma deus Caesar / Pacis Amor deus in 3,4/5 bestimmt. Damit hängt das schwierige fastus in V.3 zusammen (Camps z. St.): „The tradition gives fastus. But as lines 2 and 4 show, the thought at this point is not of love as a tormenting agent needing to be rebuffed but of love as a disturbance in the soul needing to be stilled.“ Camps Verbesserung flatus (so Goold und Heyworth) bietet zwar eine umstandslose Glättung und greift die Liebesmetaphorik der vela secunda explizit auf (wenngleich die Bitte um „günstige Segel“ und ein nicht zu stürmisches „Blasen“ des Windes etwas pleonastisch wirkt), bringt aber die Bildlichkeit der seelischen „Tur-
93 Richardson z. St. Kritisch Shackleton Bailey z. St. („pacato, applied to an isolated human being, is unexampled and obscure“). Riesenweber, Uneigentliches Sprechen 206 (Anm. 1) verweist dagegen auf Cicero, De re pub. 2,6 (pacatus an hostis sit).
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bulenzen“ der Liebe nicht so gut zum Ausdruck wie die Konjektur fluctus94: „Mit fluctus hingegen wäre ein weiterer Aspekt der navigatio amoris in den Blick genommen, der sich problemlos zu dem in Vers 2 erbetenen günstigen Wind fügt: das Motiv der Wogen der Liebe findet sich in Verbindung mit dem des Windes auch Prop. 2,12,7 f.“ und ausdrücklich sogar in 2,32,49 (tu prius et fluctus pot eris siccare marinos …). Das wertvollste textkritische „Zeugnis“ aber gibt Catulls Ariadne ab, die, eben erst aus dem Schlaf erwacht und vor Entsetzen wie eine „Bacchantin“ erstarrt, dem davoneilenden Theseus, von den sorgenbeschwerten „Sturmfluten“ der Liebe ergriffen, ungläubig hinterher schaute (Carm. 64,60–67): (…) 60 quem procul ex alga maestis Minois ocellis saxea ut effigies bacchantis, prospicit, eheu, prospicit et magnis curarum fluctuat undis, non flavo retinens subtilem vertice mitram, non contecta levi velatum pectus amictu, 65 non tereti strophio lactentis vincta papillas, omnia quae toto delapsa e corpore passim ipsius ante pedes fluctus salis adludebant. (…)
Properzens Assoziation der eigenen „Seelenturbulenzen“ (fluctus) der Liebe mit den stürmischen Gefühlsregungen der Ariadne Catulls „bezeugt“ bzw. steigert den pathetischen/epischen Charakter der elegischen Liebesklage in 3,17 (Carm. 64,195): huc huc adventate [Eumenides], meas audite querelas. Tatsächlich wird Catulls Wehklage der Ariadne weithin bis zu den Fasten „gehört“ werden, wenn Ovid seine Ariadne, dieses Mal über Bacchus’ Untreue, klagen lässt (Fast. 3,471): en iterum, fluctus, similes audite querellas. Der „nicht kunstlose“ Weingott schlägt dabei, wie jene „nicht spröde“ Cynthia (4,2,23), eine ästhetische Qualität properzischer Dichtung an, die den Charakterwandel der docta puella in 4,7 förmlich zu beflügeln scheint (2,3a,9–22): (…) nec me tam facies, quamvis sit candida, cepit 10 (lilia non domina sint magis alba mea, ut Maeotica nix minio si certet Hibero, utque rosae puro lacte natant folia), nec de more comae per levia colla fluentes, non oculi, geminae, sidera nostra, faces, 15 nec si qua Arabio lucet bombyce puella (non sum de nihilo blandus amator ego): quantum quod posito formose saltat Iaccho, egit ut euhantis dux Ariadna choros, et quantum, Aeolio cum temptat carmina plectro, 20 par Aganippaeae ludere docta lyrae; et sua cum antiquae committit scripta Corinnae, carminaque Erinnae non putat aequa suis. (…)
94 Riesenweber, Uneigentliches Sprechen 208 (mit ausführlicher Erörterung der Stelle). Vgl. dazu Ovid, Trist. 1,2,87 (tantos compescite fluctus). Bei Properz ist flatus nur (noch) einmal in 2,25,27 belegt, fluctus außerdem in 2,26,5; 3,7,51/65 und 4,6,46.
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In Kapitel 5.2 ist die Verbundenheit des lyrischen „carmen“ 2,1 (9), welches die Geliebte kunstfertig darbiete, mit Kallimachos’ bzw. Catulls „coma“ Berenices (Carm. 66) ausführlich dargelegt worden. In Reminiszenz an ihren zartfühlenden Klagegesang in 1,3 (42) wird Cynthias Orphea lyra in 2,3a an der Musenquelle der „Aganippe“ (am Helikon) neu gestimmt: Wie Catulls obscura orgia des Bacchus (Carm. 64,251 ff.), die Properz zu einem neuen Vergleich seiner puella mit der „euhoe“ kreischenden Ariadne anregen, fällt Cynthias bezaubernder Reigentanz musikalisch beschwingter bzw. Properzens verfeinerte Dichtkunst sprachlich artifizieller aus. Der fast „formvollendete“ (formose) Eindruck des Gedichts 2,3a wird maßgeblich dadurch evoziert, dass Cynthias musische/poetische Gelehrsamkeit mit der „aeolischen“ Lyrikerin Sappho (19), der „altehrwürdigen Corinna“ (21) und, falls die Humanistenkonjektur in V.22 zutrifft, mit den „Liedern der Erinna“ verglichen wird95. Auf diese Weise bindet Properz die poesis der Alexandriner/Neoteriker an die griechische lyrische Dichtung, so dass sich Cynthias docta carmina mit ihren pia somnia zu einem äußerst „melodischen“ künstlerischen Gesamtbild zusammenfügen (4,7,59–62): ‚(…) ecce coronato pars altera rapta phaselo, 60 mulcet ubi Elysias aura beata rosas, qua numerosa fides, quaque aera rotunda Cybebes mitratisque sonant Lydia plectra choris. (…)‘
Die besondere Ästhetik properzischer Dichtung prägt sich nicht allein darin aus, dass der griechisch geschulte Elegiker Catulls (affektierten) „unrömischen“ Gesang in Carm. 64 (264) bloß nachahmt, um seinen künstlerischen Standpunkt zu verdeutlichen. Die formgerechte Modernisierung und Überbietung seiner literarischen Vorbilder zeichnen sich, was den funktionalen Gebrauch fremdsprachlicher Kult- und Lehnwörter betrifft, vor allem dadurch aus, dass Properz Catulls Bacchus-Epiphanie regelrecht in einen griechisch-gekünstelten Götterhymnos verwandelt (3,17,19–40)96: (…) quod superest vitae, per te et tua cornua vivam, 20 virtutisque tuae, Bacche, poeta ferar. dicam ego maternos Aetnaeo fulmine partus, Indica Nysaeis arma fugata choris, vesanumque nova nequiquam in vite Lycurgum, Pentheos in triplices funera grata greges, 95 Das überlieferte quae quivis (22) ist schwer zu deuten/übersetzen. Fedeli, Properzio II setzte daher zuletzt den ganzen Vers in Cruces. Camps übernimmt die Verbesserung carminaque illius (Otto), während Shackleton Bailey Palmers quae quaevis erwägt. Textkritisch unter Vorbehalt ziehe ich wie Heyworth die Konjektur carminaque Erinnae sozusagen „Graeci“ exempli causa vor. Da Cynthias Aeolia carmina Properzens ars Battiadae abbilden, fiele der Vergleich mit den „Liedern der Erinna“, die Cynthia spielend überbiete, noch gewichtiger aus (so Heyworth, Cynthia z. St.): „What could be sexier for the poet than the girl’s elevation of his work?“ 96 Vgl. zum Hymnenkontext der Elegie 3,17 Heyworth/Morwood, Propertius III 271 ff.; Mader, Hymn to Bacchus 369 ff.; Littlewood, Elegiac Hymns 662 ff.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar 25 curvaque Tyrrhenos delphinum corpora nautas in vada pampinea desiluisse rate, et tibi per mediam bene olentia flumina Naxon, unde tuum potant Naxia turba merum. candida laxatis onerato colla corymbis 30 cinget Bassaricas Lydia mitra comas, levis odorato cervix manabit olivo, et feries nudos veste fluente pedes. mollia Dircaeae pulsabunt tympana Thebae, capripedes calamo Panes hiante canent, 35 vertice turrigero iuxta dea magna Cybebe tundet ad Idaeos cymbala rauca choros, ante fores templi cratere antistes et auro libatum fundens in tua sacra merum. haec ego non humili referam memoranda coturno, 40 qualis Pindarico spiritus ore tonat. (…)
Eine eingehende Analyse der vielschichtigen intertextuellen Bewegungen und textkritischen Feinheiten der Elegie 3,17 kann hier nur im engeren Rahmen meiner Interpretation geleistet werden. Dass sich etwa Heyworth’ (konjizierte) Ausgabe an mindestens sieben Stellen von dem obigen (konservativen) Text Fedelis unterscheidet, lässt die Problematik, die hauptsächlich der besonderen Gedichtsprache geschuldet ist, jedoch erahnen. Im Ergebnis legen diese Verse Properz’ hohen dichterischen Anspruch und Maßstab paradigmatisch dar: das begrifflich fast überladen manierierte Maß an Gräzismen, gepaart mit den teils entlegenen Mythologemen und stichwortartigen Reminiszenzen an den antiken Sagenstoff; dazu das latent hervorscheinende poetologische Begriffsgut, das zwischen den verschiedenen fingierten Gattungen bzw. Stilhöhen des Gedichts angesiedelt ist. Dies alles gipfelt in Properz’ vermeintlicher Absicht, sich einem „Pindar“ gleich emporschwingen und mit der hohen Hymnendichtung „wetteifern“ zu wollen (~ Od. 4,2,1–4): Pindarum quisquis studet aemulari, Iulle, ceratis ope Daedalea nititur pennis, vitreo daturus 4 nomina ponte. (…)
Auch wenn sich Horaz’ feierliche Lyrik im Carmen Saeculare oder in den sog. Römeroden Pindars festlichen Preis- und Siegesliedern tonal annähern mag, ist Horaz’ dichterischer Standpunkt der Carmina doch mit der privateren Gesangskunst einer Sappho oder eines Alkaios verbunden: Denn schon der Mythos lehre an Daedalus’ tragischer ops (die das Leben seines Sohnes Ikarus kostete), die poetischen Ziele nicht allzu hoch zu stecken. Thomas behauptete mit Blick auf Prop. 3,17,39 f.97, „that Pindaric encomium is opposed to the Callimachean, a proposition H[oratius] exploits in the second half of this poem and throughout the fourth book.“ Wenn schon Horaz seine Odendichtung eher mit dem kallimacheischen Ideal verbindet und Pindars anspruchsvollen Hymnos, wie Thomas meinte, in der Absicht einer 97 Thomas, Odes IV zu 4,2 (104).
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recusatio heranzieht, sollte man annehmen, dass der „hohe Kothurn“ der Tragödie noch weniger zur elegischen Kleindichtung passt. Vermutlich verbirgt sich hinter Properz’ Referenz auf den „Aeschyleus coturnus“ in 3,17 auch mehr rhetorischer Schein98, zumal sich ein solch überschwengliches Ansinnen mit dem „nicht schwülstigen Kallimachos“ (2,34,32) und Properzens dichterischem Grundsatzprogramm schwer verträgt (2,34,41 f.): desine [Lynceu] et Aeschyleo componere verba coturno, / desine, et ad molles membra resolve choros! Da die molles chori in 2,3a (18), 3,17 (36) und 4,7 (62) sprachbildlich in der alexandrinischen Dichtkunst fest verwurzelt sind, wird sich Properz mit dem Bacchus-Hymnos (3,17) auch kaum im Geltungsbereich eines „durus poeta“ (2,34,44) neu profilieren wollen. Eher markiert Pindars „non humilis coturnus“ den besonderen Grad „göttlicher Inspiration“99, derart dass die formal engen Grenzen der Elegie bzw. des elegischen Distichons thematisch aufgesprengt und eine „erhabenere“ Stilhöhe angestrebt werden (Od. 3,25,17 f.) nil parvum aut humili modo, / nil mortale loquar. Wie Horaz wird sich Properz in dem Apollo-Hymnos 4,6 zum „Musarum sacerdos“ (Od. 3,1,3) stilisieren und dem epischen Topos der Actia bella eine bis dahin ungeahnte elegische Tiefendimension verleihen (vgl. Kapitel 5.4). Analog dazu bietet der fingierte Götterhymnos 3,17 eine intertextuelle „Formalisierung“ horazischer (und catullscher) Lyrik, insofern als Properzens nova sacra/carmina den (doppelten) dichterischen Tempelbau des Bacchus weithin transparent machen (~ Od. 2,19): Bacchum in remotis carmina rupibus vidi docentem, credite posteri, Nymphasque discentis et auris capripedum Satyrorum acutas. 5 euhoe, recenti mens trepidat metu plenoque Bacchi pectore turbidum laetatur: euhoe, parce Liber, parce gravi metuende thyrso! fas pervicaces est mihi Thyiadas 10 vinique fontem lactis et uberes cantare rivos atque truncis lapsa cavis iterare mella, fas et beatae coniugis additum stellis honorem tectaque Penthei 15 disiecta non leni ruina Thracis et exitium Lycurgi. tu flectis amnis, tu mare barbarum, tu separatis uvidus in iugis nodo coerces viperino 20 Bistonidum sine fraude crinis.
98 Vgl. Mader, Hymn to Bacchus 384; Miller, Hymn to Bacchus 79. 99 Vgl. Mader, Hymn to Bacchus 383.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar tu, cum parentis regna per arduum cohors gigantum scanderet impia, Rhoetum retorsisti leonis unguibus horribilique mala; 25 quamquam choreis aptior et iocis ludoque dictus non sat idoneus pugnae ferebaris: sed idem pacis eras mediusque belli. te vidit insons Cerberus aureo 30 cornu decorum leniter atterens caudam et recedentis trilingui ore pedes tetigitque crura.
Horaz’ „stylistic virtuosity“ (Nisbet) und „sophisticated irony“ (Quinn) rücken die Ode 2,19 in den Horizont der ars Battiadae Catulls (~ Carm. 64,251 ff.)100: Atmosphärisch von Bacchus’ obscura orgia (euhoe) bzw. Catulls barbara tibia erfüllt, schlägt Horaz’ gravis thyrsus des Bacchus einen thematisch wechselvollen Takt. Die Inspirationskraft des Gottes lockere die Zunge nicht nur für die verspielten Reigentänze, sondern könne den Sänger zu einer „Gigantomachie“ (22) wie aus dem Munde Pindars verleiten101: „In Horatian terminology, verses 21–28 of Pro pertius’ hymn [3,17] emphasize primarily the periculum, verses 33–38 the dulce; together the conjoined polarity represents a conscious attempt to capture the full range of the god’s essential nature.“ Anders als Horaz, an dessen kriegerischen/epischen Bacchus Properz’ virtus (20) und arma (22) erinnern sollen, knüpft der durch die Kraft des Weines „friedvolle“ Elegiker seinen Hymnos aber vorzugsweise an die mollia tympana, sprich an Bacchus’ und Amors göttliche pax (3,5,1). Diese Verbindung korrespondiert, nicht zuletzt vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der pax Augusta (Kapitel 6.2), mit der Vorstellung, dass das kallimacheische molle opus im Kern ein Werk des Friedens und der zarten Klänge ist (Prop. 3,1,17–20): (…) 17 sed, quod pace legas, opus hoc de monte Sororum detulit intacta pagina nostra via. mollia, Pegasides, date vestro serta poetae: 20 non faciet capiti dura corona meo. (…)
In diese Ikonographie ist auch das Bild der docta puella in 2,3a (20) eingefasst, wenn Properz die Wirkung seines horazischen „Bacchus docens“ auf den dichterischen Referenzbereich jener „doctae virgines“ (Carm. 65,2) vom Helikon beschränkt, unter denen Properz seine Geliebte, wie einst Dionysos Ariadne, als „Anführerin“ der ekstatischen Reigentänze wähnte (2,30,33–40): (…) nec tu [Cynthia] Virginibus reverentia moveris ora: hic quoque non nescit, quid sit amare, chorus, 100 Vgl. Nisbet/Hubbard, Odes II (316) und Quinn, Odes (236) zu 2,19. 101 Mader, Hymn to Bacchus 376 mit Bezug auf Od. 3,25,18 (dulce periculum).
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35 si tamen Oeagri quaedam compressa figura Bistoniis olim rupibus accubuit. hic ubi te prima statuent in parte choreae et medius docta cuspide Bacchus erit, tum capiti sacros patiar pendere corymbos: 40 nam sine te nostrum non valet ingenium.
Auch wenn Properz’ elegischer Hymnos (3,17) im Gattungsvergleich mit Catulls lyrischem Epos (Carm. 64) oder Horazens epischer Lyrik (Od. 2,19) dem Anspruch eines „non humile“ opus streng formal nicht genügt, gelingt es Properz, gemessen an den Maximen der λεπτότηϛ und ποικιλία, trotzdem, den Anschein einer lyrischen Großdichtung „vorzutäuschen“ und die übernommenen literarischen Stilformen künstlerisch zu übertreffen (~ 3,17,33 f.): mollia Dircaeae pulsabunt tympana Thebae, capripedes calamo Panes hiante canent. Beispielhaft legen die obigen beiden Verse den intertextuell ausgeprägt formalistischen Charakter properzischer Dichtung dar: Sprachlich durch eine Häufung griechischer Kult- und Lehnwörter gesättigt (Dircaeae Thebae usw.), erweitern stichwortartige Anspielungen („Sieben vor Theben“) und werkimmanente Quer- und Rückverweise (vgl. Prop. 3,15,11 ff.) den Themenhorizont der Elegie. Berührungspunkte mit Catull (tympana) und Horaz (capripedes) sind für Properz’ mehrschichtige Referenztechnik sehr aufschlussreich102: Während Horaz’ capripedes Satyri an Catulls thiasus Satyrorum anschließen, verbinden Properz’ capripedes Panes, an Catulls Nysigeni Sileni und Horazens Nymphae discentes anknüpfend, beide Vorlagen zu einem motivischen Gesamtbild: Horazens Bild der „lernenden“ Nymphen bzw. dem „lehrenden“ Bacchus spitzohrig lauschenden Satyrn entwickelt Properz szenisch weiter, indem er die „singenden“ Pane (canent), durch den magister Bacchus inzwischen gut unterrichtet, selbst auf der Flöte spielen und dessen bzw. Horazens/Catulls Carmina erklingen lässt. Wie Kroll zu Catull bemerkt hatte103, erzeugen Properz’ mollia tympana einen akustischen Reiz, der die Klangfarbe weich tönender Pauken nachahmt und Catulls ausgelassene Stimmung der obscura orgia lautmalerisch einfängt. Stilistisch wird die hohe Kunstform der Dichtung durch einen ausgewogenen Versbau von Substantiven, Epitheta und Verben abgerundet (V.33 ein sog. versus aureus), was die Elegie 3,17 zu einem Musterbeispiel properzischer ars Battiadae macht (3,1,1–4): Callimachi Manes et Coi sacra Philitae, in vestrum, quaeso, me sinite ire nemus! primus ego ingredior puro de fonte sacerdos 4 Itala per Graios orgia ferre choros. (…)
Syndikus hat Recht, wenn er die Bacchus-Elegie 3,17 nicht so sehr als konkrete „Widerspiegelung einer Lebenssituation“, sondern als eine „literarische Aufgabe“ begreift104, die der ambitionierte Göttergesang Properz und seinen römischen Dichterkollegen abverlangt: Nach Catulls und Horaz’ carmina sei es nun am Elegiker gelegen, den florens Iacchus durch einen vergleichbaren oder noch verbesserten 102 Vgl. Tränkle, Sprachkunst 41 z. St.: „Der Vers [3,17,34] ist ein schönes Beispiel für die Kenntnis, die Properz von der älteren Poesie [des Lukrez] hatte.“ 103 Vgl. Kroll, Catull zu Carm. 64,261 („Das Raffinement in der Schilderung der bakchischen Musik hat kaum seinesgleichen“). 104 Vgl. Syndikus, Properz 273 (zu 3,17).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Hymnos zu preisen, was dem künstlerischen Anspruch, mit Pindars „Graius chorus“ wettzueifern, durchaus nahekommt (Od. 1,1,29–36): (…) me doctarum hederae praemia frontium 30 dis miscent superis, me gelidum nemus Nympharumque leves cum Satyris chori secernunt populo, si neque tibias Euterpe cohibet nec Polyhymnia Lesboum refugit tendere barbiton. 35 quodsi me lyricis vatibus inseres, sublimi feriam sidera vertice.
Mit der Ode 1,1 ordnet sich Horaz literaturgeschichtlich unter die lyrici vates der großen griechischen Dichtung ein105: „Lesbous is also programmatic, since H[o race]’s models for lyric will turn out to be Sappho and Alcaeus, both also of Lesbos.“ Metapoietisch anspielungsreich stehen sich nicht nur Properzens tibia docta (2,30,16) und Horazens Lesbous barbitos, sondern auch die Sorores/Pegasides vom Helikon (3,1,17 ff.) und die himmlischen Musen Euterpe/Polyhymnia gegenüber. Diese Metonymien bilden, wie Müller die Umdeutung der göttlichen Inspirationskraft zu einer „intertextuellen Wirkkraft“ bezeichnete106, die gattungsspezifischen Anzeiger ab, die Properz’ molle opus der Elegie (3,17) an Horaz’ sublime opus der Oden (2,19) zugleich anlehnen und von diesem abgrenzen107. In Kapitel 1 sind die methodischen/begrifflichen Voraussetzungen von Intertextualität, in diesem Kapitel auf die konkreten gattungsspezifischen Fragen dichterischer Nachahmung/Überbietung angewendet, vorgestellt worden: Die imitatio/aemulatio literarischer Vorbilder habe nach Müller ihren „Auslöser in einer intertextuellen Inspiration“ – sowohl „als Methode dichterischer Vervollkommnung wie auch als Schaffensprinzip der Poesie“ überhaupt108. Properz’ Verse 3,1,1 ff. sind ein Musterbeispiel für das intertextuell stark ausgeprägte „Mosaik von Zitaten“ (Kristeva), das unter verschiedenen Blickwinkeln einen jeweils anderen Sinnzusammenhang erschließt. So wetteifert Properz nicht nur mit Horaz’ Carmina, sondern, wie in Kapitel 4.2 verdeutlicht, auch mit Vergils Georgica (3,10 f.): primus ego in pa triam mecum, modo vita supersit, / Aonio rediens deducam vertice Musas. Der Wettstreit zwischen den arguti poetae, den Horaz als ein duellum karikiert, wird im Florus-Brief besonders deutlich, in dem Horaz in der Attitüde des (selbsternannten) Alcaeus sich mit dem (selbsternannten) Callimachus Properz einen pointierten und pointenreichen Schlagabtausch liefert (Epist. 2,2,90–101)109: 105 Mayer, Odes I zu 1,1,34 (60). 106 Vgl. Müller, Dichtungslehre 132 (zur Rezeptionspraxis der Ilias Homers). 107 Da das vierte Buch der Carmina (um 13 v. Chr.) ca. zehn Jahre nach der ersten Odensammlung (Bücher 1–3) bzw. Properz’ drittem Buch publiziert worden ist (vgl. unten), kann man Horaz’ gemäßigtes Programm in 4,2 umgekehrt als einen intertextuellen Kommentar der Elegie 3,17 (40) deuten, insofern als Properz’ Kunstideal der elegischen Kleinform in der Tat nicht geeignet sei, um ein lyrisches Epos wie aus dem Munde „Pindars“ zu schaffen. 108 Vgl. Müller, Dichtungslehre 154 f. 109 Vgl. Rudd, Epistles II 15 (zu 2,2): „The tone of exchange (in which Horace, of course, is a participant) is amusingly satirical rather than hostile“.
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(…) 90 qui minus argutos vexat furor iste poetas? carmina compono, hic elegos: ‚mirabile visu caelatumque novem Musis opus!‘ aspice primum, quanto cum fastu, quanto molimine circum spectemus vacuam Romanis vatibus aedem! 95 mox etiam, si forte vacas, sequere et procul audi, quid ferat et quare sibi nectat uterque coronam. caedimur et totidem plagis consumimus hostem lento Samnites ad lumina prima duello. discedo Alcaeus puncto illius; ille meo quis? 100 quis nisi Callimachus? si plus adposcere visus, fit Mimnermus et optivo cognomine crescit. (…)
Horaz’ literaturkritische Stellungnahme legt einige bemerkenswerte Details in Bezug auf Properz’ dichterischen Werdegang offen: Setzt man unter Vorbehalt einer nicht ganz sicheren Datierungslage voraus110, dass die ersten drei Bücher der Carmina (um 23 v. Chr.) kurz vor Properz’ 3. Buch erschienen und der Florus-Brief (um 20/19 v. Chr.)111 zwischen dem dritten und vierten Elegienbuch verfasst wurde (etwa 22/21 bis 16 v. Chr.), dann rezipiert Horaz das Programm des dritten Elegienbuches, indem er Properz’ Inspiration durch jene „Callimachi Manes“ (3,1,1) dessen Elegiendichtung wie ein künstlerisches Gütesiegel einprägt (und Properz’ Reputation in Referenz auf Mimnermos potentiell noch steigert). Das Pseudonym des Kallimachos, das wie Horaz’ Beiname des Alkaios vermutlich zunächst intern im Dichterzirkel kursierte und dann einem breiten Leserkreis als eine Art Künstlername oder Kunstanzeiger (index) der praktizierten Dichtung vorgestellt wurde, nimmt der zunehmend selbstbewusste Romanus vates Properz schließlich im vierten Buch für sich und sein aitiologisches mirabile opus ausdrücklich in Beschlag (4,1a,61–64): (…) 61 Ennius hirsuta cingat sua dicta corona: mi folia ex hedera porrige, Bacche, tua, ut nostris tumefacta superbiat Umbria libris, 64 Umbria Romani patria Callimachi! (…)
Auch wenn Properz Horaz’ carmina in seinen elegi keine ähnlich explizite Anerkennung zollt, die jenes „discedo Alcaeus puncto illius“ (99) schriftlich festhält, könnte Properz’ Götterhymnos 3,17 (Buch 3) dennoch als eine solche würdigende Demutsgebärde an das „non humile“ opus der Oden gemeint sein (1): Nunc, o Bacche [Horati], tuis humiles advolvimur aris – der gelehrte „Alcaeus“ Horaz hätte sich in der Attitüde des Dichtergottes, seines Bacchus docens (2,19), bestimmt nicht schlecht gefallen! Eine Steigerung des Dichtervergleichs scheint Horazens Kommentar im Florus-Brief dadurch zu bieten, dass sich Properz, sollte er noch „mehr“ (plus) von sich 110 Vgl. zur Datierung der vier Bücher des Properz Butler/Barber (Einleitung) xxvff.; Richardson (Einleitung) 7 ff.; Hubbard, Propertius 42 ff. 111 Vgl. Rudd, Epistles II (Einleitung) 12 f.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
erwarten, so denn mit dem Etikett des Mimnermos schmücken möge. Bereits Kallimachos hatte den mutmaßlichen εὑϱετής der erotischen Elegie bzw. Mimnermos’ ἁπαλαί νήνιες im Aitienprolog (1,11 f. Pf.) als Referenz für die von ihm favorisierte Kleindichtung herangezogen112, und Properz fühlt bzw. fühlte sich dessen „zarten Mädchen“, vor allem seiner puella Cynthia, wesensmäßig verbunden (1,9,11 f.): plus in amore valet Mimnermi versus Homero: / carmina mansuetus lenia quaerit Amor. Vielleicht bezieht sich Horaz mit der Anspielung auf den amourösen „Mimnermus“ Properz ja im Allgemeinen oder Besonderen auf die Cynthia-Dichtung des Elegikers, dessen fastus und furor (1,1,3/7) Mimnermos’ erotische bzw. poetische Leidenschaft für seine Geliebte Nanno nicht weniger ausgewiesen haben mochten (~ Prop. 1,7,21 f.): tum me non humilem mirabere saepe poetam, / tunc ego Romanis praeferar ingeniis – wenn der Ependichter Ponticus, einmal der Liebe verfallen, den wahren Kriegsdienst Amor ableisten muss. Dass damit auch eine Würdigung des „non humilis“ poeta Mimnermos verbunden ist, ist gut vorstellbar. Allerdings fällt auf, dass Properz werkübergreifend nur ein einziges Mal in 1,9,11 (und dies nicht in Form eines Pseudonyms!) auf das große griechische Vorbild der Liebe verweist. Dagegen begleitet der Referenzname des „Callimachus“ Properz’ dichterische Genese expressis verbis seit dem zweiten Buch (2,1,40) und faktisch seit der Monobiblos113: There had never been a time when Propertius was not aware of Callimachus as a master of erotic themes and a model in the use of myth and allusiveness, irony and surprise. More recently [Book 3] he had developed a highly imaged style that owes still more to the Greek poet. But in this investigation of his own poetic talent he was inevitably deeper in debt to him, and redefined his aims with Callimachus’ help. But this rethinking, though it gave him a more exact understanding of Callimachus and a terminology to express an ideal of poetic style, did not yet lead him to the imitation of Callimachus’ poem [Aitia]. The elegies of Book III remain in scale and shape Roman elegies of the by now traditional form.
Es stimmt, dass die Nachahmung der kallimacheischen Aitia erst im abschließenden vierten Elegienbuch durch die Identifikation bzw. Referenzidentität des „römischen Kallimachos“ Properz mit dem alexandrinischen Dichter zu ihrer wahren künstlerischen Meisterschaft und Blüte gelangt. Und vielleicht hatte Horaz, dessen Carmina (Bücher 1–3) Properzens drittes Elegienbuch (3,17) förmlich beflügelt haben, im Florus-Brief eine ungefähre Vorahnung oder Vorkenntnis von den elegi mirabiles des vierten Buches. Dann würde die Aufforderung des vates „Horos“ in 4,1b,135 ff. (at tu [Properti] finge elegos, fallax opus …), sozusagen „täuschend“ echt aus dem Munde des Horaz gesprochen, wie in der Ode 4,2 eine Kritik oder Warnung enthüllen, ja nicht den Aitia des Kallimachos nachzueifern, die Properz unter dem Deckmantel des Vertumnus prompt beantwortet (4,2,1): Quid mirare [Horati] meas tot in uno corpore formas? Syndikus befand, Properz habe im dritten Elegienbuch Horaz’ „Motive [der Oden] verwandelt und sie auf die kallimacheische Form und auf die Liebe als den 112 Vgl. zur Textergänzung νήνιες (Luppe) Asper, Kallimachos 67 (Anm. 7) z. St. 113 Hubbard, Propertius 71.
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Inhalt seiner Dichtung bezogen“114 – eine gewissermaßen kongeniale Synthese der förmlichen und substantiellen Wesensbestimmung der poesis des Kallimachos und Mimnermos (tot amores). Sofern man die ersten beiden Bücher noch vorrangig mit Cynthia und der Dichtung der Liebe verknüpft, kündigt spätestens das dritte Buch (3,17) einen ästhetischen Paradigmenwechsel an115: Nicht mehr die Liebe als der scheinbare Inhalt der Elegien steht für Properz im Vordergrund (fallax opus), sondern die künstlerische Form der Liebesdichtung selbst (molle opus). Jene göttliche bzw. poetische Inspiration, die die Cynthia-Dichtung folgerichtig der „ipsa puella“ (2,1,4) verdankte, wird nun durch den florens Iacchus (und Apollon) verkörpert und vermittelt. Der Weingott versetzt den Dichter in jenen Zustand der „μανία ποιητική under which the poetic metamorphosis, the μεταβολὴ εἰς ἄλλο γένος will be effected“ (4,2,31–32)116: (…) cinge caput mitra: speciem furabor Iacchi; furabor Phoebi, si modo plectra dabis. (…)
Die Verse 4,2,31 f. bilden den „lyrischen“ bzw. „hymnischen“ Höhepunkt der Vertumnus-Elegie und weisen programmatisch auf Properz’ Apollon-Hymnos 4,6 voraus (Kapitel 5.4) bzw. auf Bacchus’ Lydia mitra (3,17,30) zurück. In der Rückschau des vierten Buches entpuppt sich das Gedicht 3,17 als eben dieser (zukünftig anvisierte) Götterhymnos, der durch Horazens Oden (2,19) angeregt ist. Da der Wettstreit der arguti poetae, wie Horaz im Florus-Brief suggeriert, für den gebildeten Leser recht durchsichtig gewesen sein muss, ist es kaum – oder für Properzens diskrete Anspielungstechnik eher sehr – überraschend, dass der Elegiker den ungewöhnlich scharfen Ausdruck furabor gebraucht117, um unmissverständlich anzuzeigen, dass die Gattungsform bzw. Gestalt (species) des Göttergesangs 3,17 (4,6) von Horaz (Vergil) sozusagen „gestohlen“ ist. Der literarische „Diebstahl“ berührt aber nicht nur Horaz’ Oden (2,19), sondern auch Catulls Carmina (64), die sich Properz bzw. Cynthia für ihre Lydia plectra und jene mitrati chori (4,7,62) im Elysion zum Vorbild nahm. Denn es ist nicht irgendein Kopftuch, mit dem der Elegiker Bacchus’ Bassaricae comae (3,17,30) oder Vertumnus’ Haupt in 4,2,31 „umwindet“, sondern jene „subtilis mitra“ Ariadnes (Carm. 64,63), die ihr – jählings von Theseus verlassen – im Augenblick des ersten Schrecks unversehens vom Kopf herabfiel. Im Hinblick auf Ariadnes spätere Errettung durch Dionysos und ihre in Carm. 66,59 ff. beschriebene „Verstirnung“ (aurea corona) rundet Williges Übersetzung den mythologischen/dichterischen Kontext des Bacchus-Hymnos passend ab (4,2,31): „Kröne mein Haupt mit der Mitra, so stehl’ ich des Bacchus Gestalt mir“. 114 Syndikus, Horaz 385. 115 Dies äußert sich auch darin, dass der Name Cynthia im dritten Buch nur noch dreimal (so in 3,21,9; 3,24,3 und 3,25,6) und im vierten Buch lediglich in den einschlägigen Gedichten 4,7 (3/85) und 4,8 (15/51/63) erwähnt wird. 116 Mader, Hymn to Bacchus 381. 117 Dieser ist bei Properz bis auf das Gerundivum in 3,8,39 (furanda nox) einmalig.
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Bacchus’ μανία ποιητική, die Properz’ erotischem furor der ersten beiden Bücher im dritten Buch (3,17) eine neue künstlerische Form und inhaltliche Bestimmung verleiht, ist mit Catulls lyrischem Epos (Carm. 64) und Horazens epischer Lyrik (Od. 2,19) im Ergebnis „vielgestaltig“ wandelbar verbunden (tot formae): Das magnum opus der Epik und das sublime opus des Hymnos werden in das molle opus der Elegie gleichsam täuschend echt „inkorporiert“ (in uno corpore). Wenn Properz für seinen Kopf daher mollia serta (3,1,19) einfordert, weil ihm die dura corona (3,1,20) ausdrücklich nicht steht, meint er jene Inspirationskraft des Weingottes, die dem ebrius poeta wie in 4,2,29 f. sprichwörtlich „zu Kopf gestiegen“ ist. Seiner dichterischen Kreativität und Schaffenskraft verleiht der florens Iacchus aber erst jenen selbstironischen Schwung und hintergründigen Witz, wenn sich Properz wie in der Elegie 1,3 plötzlich selbst in der „gestohlenen“ Doppelrolle des perfidus Theseus bzw. blühenden Bacchus wiederfindet, der seine vor Trauer und Erschöpfung entschlafene misera Ariadna Cynthia zuerst wortbrüchig verlässt und ihr dann wie der sehnlichst erwartete Erlöser liebestrunken zu Hilfe eilt118. 5.4 „Bella satis cecini: citharam iam poscit Apollo“: Vergils Aeneis und die kallimacheische Verwandlung des Actius Phoebus (4,6) In Kapitel 5.3 ist der Dichterwettstreit zwischen Properz und Horaz unter dem Formaspekt literarischer imitatio/aemulatio untersucht worden. Rudd hatte dazu beispielhaft umrissen, wie man sich das wechselseitige duellum zwischen den Dichtern genau vorstellen muss119: „The exchange, which is likened to a duel, may be thought of as taking the following form: A recites a piece; B pays a compliment and recites a piece in return; A pays a compliment and recites another piece; and so on.“ Rekapituliert man auf dieser Grundlage den dichterischen Austausch, lässt sich folgender Ablauf skizzieren: Properz’ Bacchus-Elegie 3,17 (Buch 3) rezipiert Horaz’ Odendichtung (2,19); der „Alkaios“ Horaz kommentiert dies im Florus-Brief anerkennend und zahlt das Lob in Würdigung des „Kallimachos“ bzw. sogar „Mimnermos“ Properz gleich doppelt zurück; Properz wiederum nimmt dieses Kompliment im vierten Buch an und verewigt im Gegenzug sein dichterisches Vorbild (4,2,31): cinge caput mitra: speciem furabor Iacchi [Horati]. Schließlich lässt Horaz den Wechselgesang im vierten Buch seiner Carmina ausklingen, indem er Properz’ Apollon-Hymnos (4,6), wie im Verlauf dieses Kapitels entfaltet werden soll, in der Ode 4,6 einer minuziösen thematischen und ästhetischen Prüfung unterzieht (1–24): Dive [Phoebe], quem proles Niobea magnae vindicem linguae Tityosque raptor sensit et Troiae prope victor altae Pthius Achilles,
118 Vgl. Kapitel 5.2 zu Prop. 1,3,35 ff. und 4,7,13 ff. (~ Carm. 64,132 ff.). 119 Rudd, Epistles II zu 2,2,97 f. (135).
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5 ceteris maior, tibi miles impar, filius quamvis Thetidis marinae Dardanas turris quateret tremenda cuspide pugnax – ille, mordaci velut icta ferro 10 pinus aut impulsa cupressus Euro, procidit late posuitque collum in pulvere Teucro; ille non inclusus equo Minervae sacra mentito male feriatos 15 Troas et laetam Priami choreis falleret aulam, sed palam captis gravis, heu nefas, heu nescios fari pueros Achivis ureret flammis, etiam latentem 20 matris in alvo, ni tuis flexus Venerisque gratae vocibus divum pater adnuisset rebus Aeneae potiore ductos 24 alite muros. (…)
Horazens Ode 4,6 besingt in den ersten sechs Strophen den „Rächergott“ (vindex) Apollon, der Niobes hochmütigen Stolz auf ihre große Nachkommenschaft oder den schändlichen Vergewaltigungsversuch des Tityos an seiner (Apollons) Mutter Leto einst schrecklich vergalt. Im Zentrum dieser Verse stehen der Mythos des Trojanischen Krieges und Achilles’ schicksalsträchtiger Tod120: „The poem then be comes almost a hymn to Achilles“. Thomas hatte den auffälligen Perspektivwechsel vom moralisch gerecht handelnden vindex Apollon zu den (hypothetisch erwogenen) Greueltaten des rachdurstigen Achilles an den (ungeborenen) Säuglingen der Trojaner herausgehoben121: Die negativ besetzte Emphase ille (Achilles) rückt jenen so „frevelhaften“ griechischen Heros und die blindwütige Zerstörung der „Troia alta“ in einen Kontrast zu jenem so „frommen“ trojanischen Helden Aeneas und dem von Vergil ebenso klang- wie verheißungsvoll besungenen (Wieder-) Aufstieg der „alta Roma“ (Aen. 1,1–7)122: Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris Italiam fato profugus Laviniaque venit litora, multum ille et terris iactatus et alto vi superum, saevae memorem Iunonis ob iram, 5 multa quoque et bello passus, dum conderet urbem inferretque deos Latio; genus unde Latinum Albanique patres atque altae moenia Romae. (…) 120 Thomas, Odes IV zu 4,6 (163). 121 Vgl. Thomas, Odes IV zu 4,6,9 ff.; Quinn, Odes z. St. („a gratuitous act of cruelty and a crime against the gods [nefas] by Roman standards“). 122 Vgl. auch Kapitel 1 zum Troja-Mythos der „maxima Roma“ (~ Prop. 4,1a).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
In diesem Kapitel soll vor dem Hintergrund der einflussreichsten zeitgenössischen Dichtung, Vergils Aeneis, analysiert werden, dass Properz’ viertes Elegienbuch mit selbstbewusstem Vorsatz, aber auch in großer Anerkennung und Würdigung Vergils als eine besondere literaturkritische Replik auf das neue römische Nationalepos aufgefasst werden kann (4,6,69): bella satis cecini: citharam iam poscit Apollo – lässt der Elegiker verkünden, nachdem Vergil dem zeit- und geschichtsträchtigsten Epenstoff, den Actia bella des Augustus, in seinem größten und letzten Werk ein unübertroffenes und scheinbar unübertreffliches Denkmal gesetzt hat (Aen. 8,671 ff.): Vergils an die Ilias und Troja angelehnte Götterschlacht bei Actium stilisiert Properz in seinem Hymnos 4,6 zum künstlerischen Götterkampf zwischen dem homerischen und kallimacheischen Dichtergott Apollon. Derart „verwandelt“ Properz Vergils kriegerischen Rächergott der Aeneis in den musischen Friedensgott Phoebus Citharoedus und bereitet so dem selbst als novus Apollo verwandelten Augustus, dem Stifter eines bzw. seines neuen Weltzeitalters der pax Augusta, die dichterische Bühne. Nicht nur Horazens Ode 4,6 gewährt einen würdigenden Rückblick auf Vergils „Mauern des Aeneas“ (23 f.). Auch Properz’ Verse zeugen in der Vorausschau davon, dass allein die Ankündigung einer poetischen Erneuerung der epochalen Annalen des Ennius in den Dichterkreisen einen tiefen Eindruck hinterlassen haben muss. Es ist zumindest für Properz’ eher dezente Referenztechnik beispiellos, mit welcher Begeisterung er die im Entstehen begriffenen arma und moenia Roms bereits mit dem bahnbrechenden Epos der Ilias Homers vergleicht, indem er Vergils Heldengesang bzw. das Prooemium der Aeneis gleich an erster Stelle der kleinen „Werkchronik“ Vergils noch vor den Bucolica und Georgica quasi zitiert (Prop. 2,34,61–66)123: (…) 61 Actia Vergilium [iuvat] custodis litora Phoebi, Caesaris et fortis dicere posse rates, qui nunc Aeneae Troiani suscitat arma iactaque Lavinis moenia litoribus. 65 cedite, Romani scriptores, cedite, Grai! nescio quid maius nascitur Iliade. (…)
Ich verstehe diese Verse im Kern nicht wie Miller als eine „implizite Kritik“ an Augustus’ politischem Fundament der Actia bella/civilia124: „Propertius’ account of Virgil’s future Aeneid is accurate for its time, straightforward and highly laudatory“. Obwohl Properz thematisch/persönlich zweifellos mehr mit Vergils Eklogen verbunden hat (Kapitel 5.5), steht das (zukünftige) Heldenepos des Aeneas allein wegen der (vergangenen) Heldentaten des Augustus hoch im Kurs bzw. Diskurs der Zeit, zumal der Caesar fortis „Aeneas’ Waffen“ offenbar selbst zum Kampf, also
123 Vgl. Butler/Barber; Camps; Fedeli, Properzio II zu V.64 f. 124 Cairns, Augustan Elegist 313 (z. St.). Kritisch Miller, Apollo 77 mit Blick auf Prop. 2,1,27 ff. Vgl. insgesamt zur panegyrischen Tendenz properzischer Dichtung Kapitel 6.2.
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Vergils panegyrisches Epos zur Vollendung angehalten hat125. Was in 2,34,61 ff. ins Auge sticht, ist Properzens anachronistische Verknüpfung des epischen AeneasMythos mit dem hymnischen Apollon-Gesang, die ihren Ziel- und Fluchtpunkt in der historischen „Schlacht bei Aktium“ finden126: Als Properz diese Verse [2,34,61 ff.] Ende des Jahres 26 oder im Frühjahr 25 schrieb, muss er den Anfang der Aeneis bereits gekannt haben. Er hatte ihn vielleicht aus Virgils eigenem Mund gehört. […] Auf fällt dabei freilich, dass Properz im Gegensatz zu Virgil ausdrücklich von der Gründung Laviniums spricht, von einem Ereignis also, das in der Aeneis zwar mehrfach angekündigt, aber nicht erzählt wird. Noch verwunderlicher ist die Rolle, die die Schlacht bei Aktium innerhalb der Verse 61–64 zu spielen hat. Einerseits heißt es, Virgil beschäftige sich jetzt (nunc) mit dem Schicksal des Aeneas, andererseits aber wird die Darstellung jener Schlacht als das bezeichnet, was ihm an dem Werke Freude mache, gewissermaßen als die eigentliche Intention, die er damit verfolge. Wie geht das zusammen?
Tränkle erklärte den scheinbaren Widerspruch mit der Erwartungshaltung an ein römisches Nationalepos, in dem der Mythos als Abbild der Gegenwart dient (62): „Und was sollte das sonst sein als Oktavians Sieg im Bürgerkrieg?“ Vergleichbar der Ilias Homers ist in Properz’ Versen etwas von jenem zeitlosen, paradigmatischen Bedeutungscharakter der (entstehenden) Aeneis für das römische bzw. augusteische Selbst- und Weltverständnis spürbar, dessen literaturgeschichtlicher Tragweite sich Vergil von Anfang an voll bewusst gewesen war (Aen. 7,44 f.): maior rerum mihi nascitur ordo, / maius opus moveo. Mit Vergils dichterischem Vermächtnis der Aeneis, die einer Herkulesaufgabe gleichkommt, sieht sich Properz im vierten Buch in ungleich höherem Maße konfrontiert – muss oder will er doch Roms aitiologisches magnum opus in die elegische Kleinform eines molle opus bringen (4,1a,57 f.)127: moenia namque pio coner disponere versu: / ei mihi, quod nostro est parvus in ore sonus! In der Elegie 4,6 unternimmt Properz schließlich den ungemein schwierigen Versuch, den größten militärischen Triumph des Augustus, die Actia bella gegen Kleopatra und M. Antonius am 2. September 31 v. Chr., in nicht allzu „kleinem Ton“ zu besingen (4,6,15–30): (…) 15 est Phoebi fugiens Athamana ad litora portus, qua sinus Ioniae murmura condit aquae, Actia Iuleae pelagus monumenta carinae, nautarum votis non operosa via. huc mundi coiere manus: stetit aequore moles 20 pinea, nec remis aequa favebat avis. altera classis erat Teucro damnata Quirino, pilaque femineae turpiter apta manu: 125 Syntaktisch liegt es zwar näher fortis (2,34,62) bzw. fortes auf rates zu beziehen, doch erscheint die grammatische Verbindung mit Caesar gewichtiger. Vgl. Miller, Apollo 76 f. mit Verweis auf Vergils Schlachtbeschreibung unten (Aen. 8,678): hinc Augustus agens Italos in proelia Caesar (…). 126 Tränkle, Virgils Aeneis 60 f. 127 Camps, Hutchinson und Heyworth z. St. ziehen die Humanistenkonjektur conor vor. Der potentielle „Versuch“ bzw. Properzens Variante einer elegischen Nachahmung Vergils (arma virumque cano) wird durch das coner aber wie in 4,1a,69 (sacra diesque canam) besser zum Ausdruck gebracht.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar hinc Augusta ratis plenis Iovis omine velis, signaque iam patriae vincere docta suae. 25 tandem aciem geminos Nereus lunarat in arcus: armorum et radiis picta tremebat aqua, cum Phoebus linquens stantem se vindice Delon (nam tulit iratos mobilis una Notos) astitit Augusti puppim super, et nova flamma 30 luxit in obliquam ter sinuata facem. (…)
Die sprachlichen, stilistischen und inhaltlichen Schnittpunkte, die Properz’ nova flamma von Actium in den hellerleuchteten Horizont der Aeneis rücken, sind deutlich sichtbar und bereits lange klar erkannt worden128: „That Propertius was influenced by the Vergilian depiction of Actium at the centre of Aeneas’ shield seems certainly true“ (~ Aen. 8,671–681): (…) 671 Haec inter tumidi late maris ibat imago aurea, sed fluctu spumabant caerula cano, et circum argento clari delphines in orbem aequora verrebant caudis aestumque secabant. 675 in medio classis aeratas, Actia bella, cernere erat, totumque instructo Marte videres fervere Leucaten auroque effulgere fluctus. hinc Augustus agens Italos in proelia Caesar cum patribus populoque, penatibus et magnis dis, 680 stans celsa in puppi, geminas cui tempora flammas laeta vomunt patriumque aperitur vertice sidus. (…)
Dass Properz Actiums signa docta in 4,6 historisch wie literarisch genau „an dieser Stelle“ (hinc) der Aeneis verortet, ist nahezu unbestritten129: „This is the passage to which Propertius specifically refers when he says nescio quid maius nascitur Iliade“. Ob Properz dieser zentrale Gedichtabschnitt der Aeneis zum Zeitpunkt des zweiten Elegienbuches (2,34) schon mehr oder weniger druckreif vorlag, ist schwer zu sagen. Die motivische Verknüpfung der Actia litora/bella mit Augustus’ Schutzgott Phoebus Apollon legt diese Vermutung nahe, allerdings diente dieser Gott Augustus schon vor Actium als eine Art Sprachrohr des neuen „apollinischen Kulturkonzepts“ in der Propagandaschlacht gegen M. Antonius und Kleopatra130. Jedenfalls erübrigt sich diese Frage bezogen auf das vierte Elegienbuch, denn Properz’ von den Strahlen der Waffen „buntschillerndes“ (picta) Meer spiegelt Vergils Schildbeschreibung der „goldfarbenen“ See Actiums (671 ff.) wie eine doppelt
128 Baker, Caesaris in nomen zu 4,6 (154). Vgl. Pillinger, Callimachean Influences 194 f. 129 Williams, Aeneid VII–XII zu 8,675 (271). Für Richardson zu Prop. 2,34,61 f. ist dieser Bezug allerdings noch zu früh. 130 Vgl. Zanker, Macht der Bilder 241 und Kapitel 6.2 zu Augustus’ Herrschaftsprogramm. Vgl. unten zur Frage einer ideologischen Assoziation der Actia bella (4,6) mit dem Apollo Palatinus (2,34).
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überlagerte „Ekphrasis“ der Aeneis geradezu farbgetreu wider131. Im Unterschied zu Vergil ist aber erkannt worden, dass Properz die epische „Feldherrnrolle“ Caesar Octavians (hinc Augustus agens …) auf den vindex Apollon überträgt und so das historische Geschehen in eine Aura des Numinosen einkleidet (cum Phoebus lin quens …)132: Apollo steht plötzlich auf dem Hinterdeck des Admiralsschiffs, und das Flammenzeichen begleitet sein Auftreten, nicht mehr das des Augustus. Daran scheint mir zweierlei wichtig: Properz konzentriert erstens die Zeichen der Göttlichkeit auf den Gott Apollo und läßt zweitens den Gott die Feldherrnrolle in der Schlacht übernehmen. Dieser zweiten Neuerung, die man gar nicht ernst genug nehmen kann, hätte der Dichter alle Wirkung genommen, wenn er vorher die Kontrahenten durch ihre Anführer exemplarisch vorgestellt hätte.
Auch Miller wies darauf hin, dass Vergils Actius Apollo in Properzens Interpretation der Actia monumenta eine bedeutendere Rolle zukommt133: „Propertius greatly increases Apollo’s role in the battle (4.6)“. Dennoch sind die „Zeichen der Göttlichkeit“, mit denen der Elegiker sein Erinnerungsdenkmal an Actium bzw. an Vergils Aeneis ausschmückt, in der mythischen Vorstellungswelt des Epos fest verankert: „Hier“ (huc) prallten zwei Weltmächte aufeinander (4,6,19), wo Vergil das Pantheon der römischen und fremdländischen Gottheiten zu einer „neuen Schlacht“ antrieb, wie sie die (Literatur-) Geschichte seit Homers großem Götterkampf um Troja nicht mehr erlebt hatte (Aen. 8,693–705)134: (…) tanta mole viri turritis puppibus instant. stuppea flamma manu telisque volatile ferrum 695 spargitur, arva nova Neptunia caede rubescunt. regina in mediis patrio vocat agmina sistro, necdum etiam geminos a tergo respicit anguis. omnigenumque deum monstra et latrator Anubis contra Neptunum et Venerem contraque Minervam 700 tela tenent. saevit medio in certamine Mavors caelatus ferro, tristesque ex aethere Dirae, et scissa gaudens vadit Discordia palla, quam cum sanguineo sequitur Bellona flagello. Actius haec cernens arcum intendebat Apollo 705 desuper (…).
Zurecht hob Miller die Bedeutung dieser Verse hervor, die Vergils Kriegsdarstellung erst zu einem magnum opus nach dem Vorbild der Ilias Homers erheben 131 Dagegen ziehen Fedeli, Heyworth oder Flach in 4,6,26 (picta) die sprachbildlich/intertextuell weniger prägnante Konjektur icta vor. Vgl. Kapitel 6.1 zu Tatius’ picta arma (Prop. 4,4,20). 132 Kierdorf, Actium-Elegie 171. Beachtenswert ist Properzens grammatische Variation des regierenden Subjekts Augustus (Aen. 8,678) in das untergeordnete (Genitiv-) Attribut Augusta/Augusti. Diese feine Veränderung hatte schon Cairns, Battle of Actium 165 f. als Ausdruck dichterischer aemulatio registriert. Seine Ansicht, dass das rezipierte Lokaladverbum hinc eher unbedeutend sei („not an impressive coincidence“), teile ich aber nicht. Vielmehr „verortet“ Properz seine Elegie 4,6 damit förmlich in Vergils Epos. 133 Miller, Apollo 80. 134 Vgl. Miller, Apollo 67 ff. (z. St.).
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würden135: „The Gigantomachic paradigm elevates the event’s significance beyond a cataclysmic struggle of nations or even a fractured earth (Orient vs. the West) to a grander, cosmic level on which the celestial order is at issue.“ An dieser Stelle vollzieht sich bei Properz der wesentliche künstlerische Wandel in der kanonischen epischen Zurschaustellung der Actia bella: Der Elegiker verdichtet Vergils homerische Schlachtpanegyrik ebenso siegesbewusst wie ergebnisorientiert auf die Formel „vincit Roma fide Phoebi“ (57)136 und verwandelt, am dichterischen Höheund Wendepunkt Actiums stehend, den kriegerischen „Bogenschützen“ Apollon in den friedlichen „Kitharöden“ Phoebus (4,6,55–58 / 67–70): (…) 55 dixerat [Phoebus], et pharetrae pondus consumit in arcus: proxima post arcus Caesaris hasta fuit. vincit Roma fide Phoebi; dat femina poenas: 58 sceptra per Ionias fracta vehuntur aquas. […] 67 Actius hinc traxit Phoebus monumenta, quod eius una decem vicit missa sagitta rates. bella satis cecini: citharam iam poscit Apollo 70 victor et ad placidos exuit arma choros. (…)
Zwar ist Properz’ Phoebus, wie Vergils Apollo, mit dem historischen Epitheton und Anzeiger Actius ausgewiesen, dies aber weniger in der Absicht, um an jene bella zu erinnern, welche in der obigen „Kunstwerkbeschreibung“ der Aeneis (vgl. 4,6,19 ff.) ja „hinlänglich“ besungen worden seien (bella satis cecini). Im Kern berührt die elegische Verwandlung des epischen Apollon jenes ambivalente Charakterwesen des Gottes, das Kallimachos in dem berühmten Hymnos auf Apollon in eine feierliche Formelsprache brachte (Hymn. 2,9–19)137: (…) ὡπόλλων οὐ παντὶ φαείνεται, ἀλλ᾽ ὅτις ἐσϑλός· 10 ὅς μιν ἴδῃ, μέγας οὗτος, ὃς οὐκ ἴδε, λιτὸς ἐκεῖνος. ὀψόμεϑ᾽, ὦ ῾Εκάεϱγε, καὶ ἐσσόμεϑ᾽ οὔποτε λιτοί. μήτε σιωπηλὴν κίϑαϱιν μήτ᾽ ἄψοφον ἴχνος τοῦ Φοίβου τοὺς παῖδας ἔχειν ἐπιδημήσαντος, εἰ τελέειν μέλλουσι γάμον πολιήν τε κεϱεῖσϑαι, 15 ἑστήξειν δὲ τὸ τεῖχος ἐπ᾿ ἀϱχαίοισι ϑεμέϑλοις. ἠγασάμην τοὺς παῖδας, ἐπεὶ χέλυς οὐκέτ᾿ ἀεϱγός. εὐφημεῖτ᾽ ἀίοντες ἐπ᾽ ᾿Απόλλωνος ἀοιδῇ. εὐφημεῖ καὶ πόντος, ὅτε κλείουσιν ἀοιδοί 19 ἢ κίϑαϱιν ἢ τόξα, Λυκωϱέος ἔντεα Φοίβου. (…) Apollon erscheint nicht jedem, sondern nur dem Edlen; [10] wer immer ihn sieht, der ist groß – wer ihn nicht sieht, der ist gewöhnlich. Wir werden dich erblicken, du Weithintreffer, und werden niemals gewöhnlich sein. Nicht soll die Kithara schweigen lassen noch den Fuß lautlos 135 Miller, Apollo 68. 136 Vgl. Kierdorf, Actium-Elegie 169 („bei Properz [findet] ein Kampf gar nicht oder doch nur ganz andeutungsweise statt“). 137 Übersetzt nach Asper, Kallimachos z. St. (395).
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halten die Jugend, wenn Phoibos nun eintrifft, sofern sie Hochzeit feiern wollen und noch ihr graues Haar scheren, [15] die Stadtmauer aber stehen bleiben soll auf den alten Fundamenten. Lob den Jungen, denn die Schildkröte ist nicht mehr untätig! Seid still und hört auf Apollons Gesang! Still ist sogar das Meer, wenn die Sänger von der Kithara künden oder vom Bogen, den Wahrzeichen des Apollon von Lykoreia.
Man kann die dichterische Tragweite des Hymnos, den Kallimachos mit Apollons (elegischer) κίϑαϱις bzw. (epischem) τόξον verbindet, kaum hoch genug bemessen: Während Vergil den Bogen des Schirmherrn von Actium treffsicher spannt, verlangt Properz für den schlachterprobten Schützen (victor) nach der Laute. Nimmt man Kallimachos’ Aussagen hier zum poetischen Maßstab, ist es eher eine Frage der äußeren Gattungsform, ob Vergils bzw. Properz’ Darstellung in die Kategorie eines magnum oder molle opus fällt: Denn wahre dichterische „Größe“ (10), was die künstlerische und thematische Substanz des Besungenen betrifft, könne jeder erlangen, der Apollon dem Anlass entsprechend angemessen und würdevoll, eben außergewöhnlich erscheinen lasse. So ist das Bekenntnis zum kunstbegabten Göttergesang zuallererst ein Bekenntnis des referentiellen Standpunkts138: Nachdem Roms Triumph durch Vergils „homerischen“ arcus glaubwürdig erkämpft worden sei, bedürfe es nun der „kallimacheischen“ cithara, um den literarischen Meilenstein von Actium denkwürdig zu begehen (Prop. 4,6,11–14): (…) 11 Musa, Palatini referemus Apollinis aedem: res est, Calliope, digna favore tuo. Caesaris in nomen ducuntur carmina: Caesar 14 dum canitur, quaeso, Iuppiter ipse vaces! (…)
Formal ist die Elegie 4,6 dem Apollontempel auf dem Palatin, dem Palatinus Apollo, gewidmet139, dessen Bau anlässlich von Augustus’ Feldzug gegen Sextus Pompeius im Jahre 36 v. Chr. gelobt und der dann, auf den epochalen Sieg von Actium zurückgedeutet, im Jahre 28 v. Chr. eingeweiht worden war (vgl. unten zu 2,31). Die Elegie, deren Abfassung für gewöhnlich in das Jahr 16 v. Chr. datiert wird (in V.77 Bezug auf die Zurückdrängung der Sugambrer nach der clades Lolliana), ist daher vermutlich in einem feierlichen Zusammenhang mit den Ludi quinquennales zu Ehren Actiums zu betrachten140. Wenn Properz anaphorisch von den Actia monumenta (17/67) an den Gestaden der Athamanen im Jonischen Meer spricht, schließt er darin den nach der Schlacht von Augustus vergrößerten Apollontempel auf der Insel Leucas nahe Actium mit ein (vgl. Aen. 8,677). Folglich kann das Gedicht 4,6 auch als eine nachträgliche Würdigung des Leucadius Apollo verstanden werden, dem Properz in der Elegie 3,11 (69) eine zukünftige „Erinnerung“ an die Actia bella in Aussicht gestellt hatte. Aufgrund der historischen Mehrfachbe138 Vgl. Kapitel 5.3 zu Epist. 2,2,90 ff. (Prop. 3,17 ~ Od. 2,19). 139 Unterschwellig wird in 4,6,11 zudem auf die im Apollontempel befindliche „Bibliothek“ (aedis) angespielt, das sozusagen intellektuelle bzw. intertextuelle „Schlachtfeld“ der Romani vates. Vgl. Kapitel 5.3 zu Horaz, Epist. 2,2,90 ff. (94). 140 Vgl. Butler/Barber; Camps; Hutchinson z. St. Ausführlicher zum mutmaßlichen Anlass des Gedichts Cairns, Battle of Actium 149 ff.
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deutung des Palatinus Apollo stellt sich die Frage, ob bzw. inwiefern die in der Elegie 2,31 beschriebene festliche Eröffnung des Apollontempels auf dem Palatin bereits mit dem Actius Apollo in 4,6 ideologisch verbunden ist (Prop. 2,31): Quaeris, cur veniam tibi [Cynthia] tardior? aurea Phoebi porticus a magno Caesare aperta fuit. tantam erat in speciem Poenis digesta columnis, inter quas Danai femina turba senis. 5 hic equidem Phoebo visus mihi pulchrior ipso marmoreus tacita carmen hiare lyra; atque aram circum steterant armenta Myronis, quattuor artifices, vivida signa, boves. tum medium claro surgebat marmore templum, 10 et patria Phoebo carius Ortygia; in quo Solis erat supra fastigia currus et valvae, Libyci nobile dentis opus: altera deiectos Parnasi vertice Gallos, altera maerebat funera Tantalidos. 15 deinde inter matrem deus ipse interque sororem Pythius in longa carmina veste sonat.
Unbeschadet ihres unschätzbaren Stellenwertes, den Properz’ einzigartige und einmalige Ekphrasis des – augenscheinlich – imposanten Apollontempels vor allem für die archäologische Forschung genießt, sind die intertextuelle Bedeutung und Ausstrahlung des opus 2,31 nicht minder hoch zu veranschlagen141: „Propertius’ Actium elegy [4,6] responds to what the temple of Palatine Apollo [2,31] had become by 16 BCE: a talisman and monument of the Princeps’ authority“ – diesen Zusammenhang sah Welch aber zum Zeitpunkt der Tempelweihung 28 v. Chr. noch nicht gegeben und behauptete deshalb einen „destabilisierenden“ (augustuskritischen) Effekt der properzischen Darstellung in 4,6, den Miller (Apollo 221) auf die betont antikriegerische, friedensliebende Charakterzeichnung Apollons „as a splendid artistic monument in honor of the god of musical and poetic art“ in 2,31 bezog. In Kapitel 6.2, das sich der dichterischen Rezeption augusteischer Herrschaftsprogrammatik und -ideologie widmet, gehe ich auf Fragen properzischer Herrscherpanegyrik bzw. -kritik noch gesondert ein. Insofern es hier die Interpretation der Elegie 4,6 (2,31) berührt, hatte Bleicken herausgestellt, dass der Actius/Palatinus Apollo von Augustus nicht zufällig als sein ganz persönlicher Schutzheiliger auserkoren und „aufgebaut“ wurde142: An all dem ist die Absicht [des Augustus], als Person der Sphäre der Unsterblichen näher zu rücken, ebenso bedeutsam wie die Wahl gerade dieses Gottes [Apollon]. Die räumliche Nähe von Herrschersitz und Tempel verweist auf hellenistische Vorbilder; sie soll die herrscherliche Stellung Octavians nicht unterdrücken, vielmehr unterstreichen. Acht Jahre lang wurde an dem Tempel gebaut, und die Bedeutung, die Octavian ihm zumaß, kam nicht zuletzt rein äußerlich in einer ungewöhnlich prachtvollen Ausstattung zur Geltung: An Schönheit konnte kaum ein anderer Tempel der Stadt diesen übertreffen.
141 Welch, Elegiac Cityscape 97. Anders Miller, Apollo 192: „In this context, Octavian’s Temple of Apollo [2,31] must have been understood, at least in part, as an ex voto for Actium“. 142 Bleicken, Augustus 241.
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Zanker betonte mit Blick auf die Actia bella, dass es für Augustus nahegelegen habe, den Tempel in Erinnerung an den Actius Apollo als ein „Monument des Triumphes“ auszustatten143: „Aber der Sieger selbst trat völlig zurück. Statt des auftrumpfenden Pathos hellenistischer Herrscherpanegyrik füllten Zeichen des Friedens und der Devotion das Heiligtum“ – Augustus’ Palatinus Apollo habe „den Gott nicht mehr als rächenden Bogenschützen, sondern als friedlichen Sänger (Prop. IV 6,69)“ gefeiert: bella satis cecini, citharam iam poscit Apollo! Es ist in der Tat bemerkenswert, dass Properz’ Rächergott in 4,6 (31 ff.) die charakterliche Gestaltverwandlung zum Kitharöden in 2,31 „intertextuell“ exakt nachvollzieht144: „The Palatine Temple of Apollo is a model, an intertext with which he [Propertius] engages in pointed dialog.“ Man könnte rückblickend deuten, dass Properz in dem Gedicht 4,6 nicht nur „Vergils“ epische Gestalt (species) des Actius Apollo, sondern seine eigene „kallimacheische“ Formvorlage des Musengottes in 2,31 gewissermaßen stiehlt (4,2,32): furabor [speciem] Phoebi, si modo plectra dabis. Properzens Actius Phoebus (4,6) gäbe dann eine doppelte und dreifache Ekphrasis sowohl der Schildbeschreibung der Actia bella (Aen. 8,671 ff.) und der Tempelbeschreibung des Palatinus Apollo (2,31) auf dem Fundament von Kallimachos’ Hymnos auf Apollon ab. Denn die kunstvoll gestalteten signa artificia führen vom römischen Tempelberg und Actiums Seeschlacht ziel- und stilbewusst zum ebenso „goldreichen“ (aureus) wie „ewig schönen“ (pulcher) und „ewig jungen“ (novus) Dichtergott des Alexandriners zurück (vgl. Hymn. 2,32 ff.). Es besteht kein Zweifel, dass Properz’ carmen 4,6 eine außerordentliche Hommage an die poesis „docta et nova“ (24/29) der kallimacheischen Kleindichtung offenbart (ars Battiadae)145. Damit stellt jener Palatinus Apollo (4,6) zugleich ein „künstlerisches“ Erinnerungsdenkmal der Actia monumenta (2,31) dar, das Vergils epischen Bogenschützen an Kallimachos’ bzw. Augustus’ elegische „Zeichen des Friedens“ (Zanker) gemahnt. In Übereinstimmung mit der so nachhaltig betriebenen Friedenspolitik nach Actium, manifest und wirksam in der göttlich-personifizierten pax Augusta (Kapitel 6.2), ist es schwer vorstellbar und m. E. verfehlt, in den referentiell auf Caesar Augustus verweisenden Gedichten 2,31 und 4,6 einen ideologischen Widerspruch oder sogar Regimekritik zu vermuten. Vielmehr stehen die beiden carmina (4,6,13!) unter dem Zeichen der neuen, durch die „klassische griechische Kunst“ inspirierten Kulturpolitik des Augustus, mit der ein „neues Kunstdogma“ einherging146: Die Zeichen der Frömmigkeit und Zukunftshoffnung waren mit einem Bekenntnis zur klassischen und archaischen griechischen Kunst und den daraus resultierenden moralischen Implikationen verbunden. Der klassische Stil sollte die sakrale Aura der Bilder steigern. Zusammen mit der durch und durch griechischen Ikonographie huldigte so die ganze Ausstattung des Heiligtums der griechischen Kultur. Bald sollte deutlich werden, daß es ein Ziel der Kulturpolitik des neuen Herrschers war, nicht nur das Beste der Griechen nachzuahmen, sondern deren klassischer Kultur etwas Ebenbürtiges an die Seite zu stellen (~ Prop. 4,6,1–10): 143 Zanker, Macht der Bilder 90 f. 144 Miller, Apollo 198. 145 Vgl. Williams, Hymn to Apollo 4 („Callimachean aesthetic principles“). 146 Zanker, Macht der Bilder 96 zur Ausstattung des Apollotempels (Prop. 2,31).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar Sacra facit vates: sint ora faventia sacris, et cadat ante meos icta iuvenca focos. serta Philiteis certet Romana corymbis, et Cyrenaeas urna ministret aquas. 5 costum molle date et blandi mihi turis honores, terque focum circa laneus orbis eat! spargite me lymphis, carmenque recentibus aris tibia Mygdoniis libet eburna cadis. ite procul fraudes, alio sint aere noxae: 10 pura novum vati laurea mollit iter. (…)
Die „sakrale Aura der Bilder“ (Zanker), die Properz’ Kunstwerkbeschreibung 2,31 vor das geistige Auge führt und die durch die darüber gelagerte Ekphrasis 4,6 nachträglich eingerahmt werden, kann als Ausdruck für das kunstpolitische Selbstverständnis des Romanus Callimachus gewertet werden: Wenn Properz seinen Hymnos 4,6 an den Herrscherpreis des großen Dichters aus „Kyrene“ anlehnt, dessen Gleichsetzung des „Ptolemy and Apollo“ Properz’ Identifikation des „Augustus and Apollo“ und dadurch Augustus’ implizite Apotheose als novus Apollo bedingt (vgl. unten)147, bildet sich darin eine ebenbürtige Form „hellenistischer Herrscherpanegyrik“ (Zanker) aus, die jene vom „Gottkönig“ Augustus selbst inaugurierte, stark religiös-archaisch angehauchte Kunst- und Symbolsprache der griechischen Vorbilder zum neuen dichterischen Maßstab erhob. Die umfassende Bedeutung des sa crum Actium (4,6) als eines Sinnbilds für „Tieferes und Wesentlicheres“148 zeigt sich besonders darin, dass Properz eine qualitative Wandlung vom gewöhnlichen poeta zum erhabenen vates oder sacerdos (3,1,3) erfährt149: Der Dichter-Priester [Properz] vollzieht die heilige Handlung eines Trankopfers (libet). Sein Lied aus der „Mygdonischen Flöte“ ist sein Opfer. Wie die Tropfen aus dem Kruge, so fallen die Töne aus der Flöte, Ton um Ton, Tropfen um Tropfen. Sie fallen auf einen neuen Altar: Neu ist der Anlaß und das Opfer, neu die Funktion des Dichters als opfernder Priester, einen neuen Weg geht er, und neu ist seine Weise: pura novum vati laurea mollit iter (V.10). Auch sein Lied ist ein carmen non prius auditum [Od. 3,1,2 f.].
Auch wenn der Anspruch, ein carmen novum aus der Taufe zu heben, spätestens seit den Neoterikern zum Repertoire und Kunstverständnis des doctus poeta gehörte150, sind doch die ideologischen Verknüpfungen insofern sehr aufschlussreich151, als sich im exklusiven Stilideal des novus vates „griechische Ästhetik mit römischer Sittlichkeit und virtus“ verband152. Die Erwartungshaltung an Properz’ „neuen“ Gesang Apollon, Augustus und Actium zu Ehren sollte man allerdings nicht wortwörtlich mit „niemals zuvor gehörten Liedern“ verwechseln. Denn auch Horazens Dichterweihe zum „Musarum sacerdos“ in der Ode 3,1 (2 f.), die den panegyri147 Vgl. Gosling, Political Apollo 510 f. (im Vergleich zwischen Kallimachos und den augusteischen Dichtern) und dazu Hymn. 2,26 f. 148 Vgl. Eisenhut, Elegie IV 6 (302 f.). 149 Eisenhut, Elegie IV 6 (310 f.) zu 4,6,1 ff. 150 Vgl. Kapitel 5.2 zu Catull, Carm. 1 (novum libellum). 151 Vgl. dazu Müller, Dichtungslehre 11 ff. 152 Vgl. Zanker, Macht der Bilder 240 zur neuen (augusteischen) „Superkultur“.
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schen Reigen der Römeroden (3,1–6) eröffnet, bedeutet eher den konkreten Referenzbereich, in dem die römischen Dichter-Priester ihre kallimacheischen Gebetsformeln an den Musengott Apollon neu aussprechen. Der Blick zurück auf Vergils Actia bella und den Bogenschützen Apollon verrät daher nur die homerische Seite des janusköpfigen Verwandlungsgottes, der in der Aeneis aber auch zum schöngeistigen Reigentanz anzustimmen vermag. Es kommt nicht von ungefähr, dass Vergil, ja selbst ein Meister in der Gesangskunst des Cynthius Kallimachos153, ausgerechnet in der Liebesepisode zwischen Dido und jenem „pulcherrimus Aeneas“, dessen Erscheinung Properz’ „Phoebus pulchrior“ selbst (2,31,5) glich, seine dichterischen Anlagen so formbetont ausspielt (Aen. 4,141–150): 141 (…) ipse ante alios pulcherrimus omnis infert se socium Aeneas atque agmina iungit. qualis ubi hibernam Lyciam Xanthique fluenta deserit ac Delum maternam invisit Apollo 145 instauratque choros, mixtique altaria circum Cretesque Dryopesque fremunt pictique Agathyrsi; ipse iugis Cynthi graditur mollique fluentem fronde premit crinem fingens atque implicat auro, tela sonant umeris: haud illo segnior ibat 150 Aeneas, tantum egregio decus enitet ore. (…)
Aeneas’ Auftreten in der Gestalt des leibhaftigen „kallimacheischen“ Dichtergottes Apollon berührt eine ästhetische Qualität episch-elegischer Dichtung, die die förmliche Unterscheidung des magnum/molle opus im substantiellen Kern aufhebt und die gattungsspezifische „Vielgestaltigkeit“ des griechisch-gelehrten Göttergesangs betont (Vertomnis): Aeneas’ „so“ strahlendem decus vergleichbar, wusste Apollon durch seine „so“ prachtvolle species zu glänzen154. Die unterschwellige Kommentierung der Dichtungen ist dabei sehr feinfühlig und nuancenreich akzentuiert: Wenn Properz seinen „frischgebauten Altar“ in 4,6,7 (recentibus aris) mit „römischem Blumengewinde“ schmückt155, lässt er Vergils serta recentia (Aen. 1,417) des zyprischen Venusheiligtums neu erblühen. Auf der anderen Seite drückt Aeneas’ Gelöbnis, Apollon ein „solido de marmore templum“ zu stiften (Aen. 6,69)156, Vergils Hochachtung vor dem „dichterischen“ Architekten dieses Tempels, dem artifex Properz, aus (vgl. 2,31,9!). Vor diesem Hintergrund bin ich auch nicht davon überzeugt, dass man Aeneas’ bzw. Vergils „Odyssee“ nach Karthago in Buch 4 sprichwörtlich als „an errancy 153 Vgl. Kapitel 5.5 zu Ecl. 6,1 ff. (~ Prop. 2,34,79 ff.). 154 Daher ziehe ich die Verbesserung tantam (…) in speciem in 2,31,3 vor (ebenso Camps und Richardson z. St.). Goold und Heyworth favorisieren die Konjektur tota (…) in spatium, obwohl der Palatinus Apollo, poetologisch verstanden, weniger durch seine allgemeinen räumlichen, sondern durch seine konkreten künstlerischen Proportionen beeindruckt. 155 In 4,6,3 bevorzuge ich Scaligers frühe Konjektur serta [certent] anstelle des überlieferten cera (certet). Vgl. zum sprachbildlichen Vergleich Prop. 3,1,19 (mollia, Pegasides, date vestro serta poetae) und zur grammatischen Unregelmäßigkeit des Femininums serta (certet), laut Überlieferung des Codex Neapolitanus, 2,33b,37 (cum tua praependent demissae in pocula sertae …). 156 Vgl. Williams, Aeneid I–VI z. St.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
into the world of elegiac lovers“ bezeichnen kann, „that defines itself as not-epic, not-Roman“157. Abgesehen davon, dass Vergil in den Eklogen eine ursprüngliche Veranlagung für das zarte erotische Genre der Elegiker bekundet158, sind die „wandelbaren“ Gattungsbezüge episch-elegischer Dichtung doch von besonderer und besonders komplexer Art (Kapitel 6.1). Nimmt man umgekehrt die Elegie 4,6 als einen eposartigen Hymnos in „Caesars Namen“ (13) ernst, dann haben sich die Spuren dieses ambitionierten Vorhabens bereits im zweiten Buch deutlich herausgebildet (Prop. 2,10,1–12): Sed tempus lustrare aliis Helicona choreis, et campum Haemonio iam dare tempus equo. iam libet et fortes memorare ad proelia turmas et Romana mei dicere castra ducis. 5 quod si deficiant vires, audacia certe laus erit: in magnis et voluisse sat est. aetas prima canat Veneres, extrema tumultus: bella canam, quando scripta puella mea est. nunc volo subducto gravior procedere vultu, 10 nunc aliam citharam me mea Musa docet. surge, anime, ex humili! iam, carmina, sumite vires! Pierides, magni nunc erit oris opus. (…)
Es hat prima facie den Anschein, als visiere Properz, offenbar unter dem Eindruck der entstehenden Aeneis, in 2,10 selbst ein „magnum“ opus wie aus dem Munde Vergils an, das formhalber einer anderen, der homerischen cithara (10) bedürfe. Eine ähnliche Tendenz, die elegische Gattung am epischen Themenstoff zu transzendieren, ließ sich am Bacchus-Hymnos 3,17 beobachten (Kapitel 5.3): Properz’ Absicht, Pindars opus „non humile“ (39) neu aufleben zu lassen, korrespondiert hier mit dem Vorsatz des „bella canam“ – wenn (oder weil) die Cynthia-Dichtung zuende „geschrieben“ ist (scripta puella). Und tatsächlich beflügelt die Muse der epischen Dichtung, Calliope, den Elegiker in 4,6 (12) zwar relativ spät, aber umso emphatischer zu jenem großartigen Herrscherpreis, den Properz in 2,10 potentiell oder sogar zukünftig in Aussicht gestellt hatte159: Die Schilderung der Schlacht von Actium ist der eigentliche Opfergegenstand, Augustus soll verherrlicht werden: Properz dichtet das carmen als Priester des göttlichen Augustus, der sich als Inkarnation Apolls fühlte und als neuer Apollo gerne auftrat! In dem religiösen Doppelsinn, der das Gedicht durchzieht und ihm erst seinen tieferen, weihevoll-festlichen Gehalt verleiht, sind Apollo und Augustus nur die zwei Erscheinungsformen des Göttlichen. Erst dieses Verständnis erschließt das Gedicht in seiner Fülle und Tiefe.
Man kann Augustus’ gewollte und angetragene Selbsterhebung zum „neuen Apollo“ nicht deutlich genug hervorheben, weil Augustus’ faktische Verherrlichung als praesens divus (Od. 3,5,2) Properz’ Standpunkt eines relativ geradlinigen vates der augusteischen Sache enthüllt: Properz’ – aus dem Munde Apollons gesprochene – 157 So Hardie, Narrative Epic 89. Vgl. Kapitel 6.1 zu Aen. 4,9 ff. 158 Vgl. Kapitel 5.5 zu Ecl. 10 und den Amores des Cornelius Gallus. 159 Eisenhut, Elegie IV 6 (312 f.).
5. Die dritte Ableitung des Vertumnus: Vertomnis!
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Apostrophe an den „mundi servator Augustus“ (vgl. 4,6,37 ff.) werde ich in Kapitel 6.2 noch als ein oder eher das Glanzstück properzischer Herrscherpanegyrik hervorheben. Einstweilen ist für die Interpretation entscheidend, dass Properz das in 2,10 fingierte magnum opus (4,6) in der Form einer hexametrischen Dichtung nicht verwirklicht (sein Werk bleibt zeitlebens dem elegischen Distichon verbunden). Im Gegenteil, Properz scheint jegliche übertriebenen (Selbst-) Ansprüche eines großspurigen Heldengesangs rundweg auszuschlagen – nicht zuletzt deshalb, weil es das „neue Kunstdogma“ des novus Apollo Augustus sozusagen „fordert“ (4,6,69): bella satis cecini: citharam iam poscit Apollo [scil. Augustus]. Was gelegentlich durch den literaturkritischen Begriff der sog. recusatio verdeckt oder in der programmatischen Intention missverstanden wird160, beziehe ich im Sinne einer kunstbetonten und bewussten ästhetischen Restriktion auf die alexandrinische Kleindichtung bzw. Kallimachos’ Hymnos auf Apollon im Besonderen: Properzens molle opus 4,6 ist im Kern ein „geistig-künstlerisches Bekenntnis des Dichters zu Augustus und seinem Werk“161, denn der die pax Augusta besingende Musenpriester und der Apollons ars Battiadae befruchtende Friedenskaiser bilden das ideologischartifizielle Pendant zueinander. Insofern hebt die „kallimacheische Identitätskon struktion“ (Petrovic) des Götterhymnos 4,6 den förmlichen Unterschied zwischen der epischen und elegischen Dichtung substantiell auf: Properz ist kein – in rigiden Gattungskategorien gedacht – „epischer“ oder „elegischer“ vates, sondern der DichterPriester des augusteischen Apollon/apollinischen Augustus schlechthin162: Sollte ich mit der Annahme, dass Properz sich in diesem Gedicht [4,6] der kallimacheischen Identitätskonstruktionen bedient, Recht haben, so hat der Erzähler als vates mit der Schilderung des Aitions für den Apollontempel auf dem Palatin [2,31] eine zweifache Hymne gesungen: Auf den Gott und auf den Mensch, der von dem Gott besonders begnadet ist. Beide spielen für die Dichtung eine große Rolle: der Gott als Quelle und Patron jeglicher Dichtung; der Mensch Octavian als Friedensstifter. Das Gedicht ist eine Opfergabe an beide und der Dichter wurde für diese Gelegenheit zum vates, zu einem wichtigen, ja unverzichtbaren Glied in der Beziehung des Herrschers mit dem Gott (~ Prop. 4,6,69–76): (…) bella satis cecini: citharam iam poscit Apollo 70 victor et ad placidos exuit arma choros. candida nunc molli subeant convivia luco, blandit[i]aeque fluant per mea colla rosae, vinaque fundantur prelis elisa Falernis, terque lavet nostras spica Cilissa comas. 75 ingenium positis irritet Musa poetis: Bacche, soles Phoebo fertilis esse tuo. (…) Textkritisch erregt das überlieferte perque lavet in V.74 Anstoß, weil das Kompositum perlavare/perlavere in der klassischen Dichtung nicht weiter belegt ist. Andererseits sticht die Tmesis que grammatisch/rhetorisch auffällig heraus und wäre wenigstens für Properz einzigartig (vgl. Georg. 2,365 f.)163: 160 Vgl. auch Kapitel 5.1 (zu Prop. 3,3,15 ff.) und Kapitel 6.4 (zu Prop. 2,1,17 ff.). 161 So Eisenhut, Elegie IV 6 (302) zum Gedicht. 162 Petrovic, Aitiologie des Triumphes 204. 163 Vgl. Butler/Barber; Camps z. St. mit Verweis auf Vergil.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
(…) sed uncis / carpendae manibus frondes interque legendae. Man muss aber einräumen, dass die Wortabtrennung interlegendae bei Vergil das „Zerpflücken“ des Laubes förmlich abbildet, was bei Properz nicht der Fall ist (Soll das Haar des Dichters etwa Wurzel für Wurzel mit Safranöl „durchtränkt“ werden?). Hutchinson, Heyworth und Fedeli/Dimundo ziehen die Konjektur perluat et vor, wogegen stilistisch geltend gemacht werden kann, dass das verbreitete Kompositum perluere von Properz nicht gebraucht wird, während er Formen von lavare bzw. lavere häufiger benutzt164. Für den vermuteten Überlieferungsfehler zeichnet eher das perque verantwortlich, das wie in V.6 durch terque (so die Handschrift V2) gut geglättet werden kann (Richardson z. St.): „terque represents the simplest emendation, but … why should the poet be thrice drenched with saffron?“ Es stimmt, dass der „dreimalige“ Reinigungsritus am Opferaltar keine greifbare religiöse Funktion in dem abschließenden Symposion hat. Bemerkenswert ist aber, dass der „ebrius“ poeta in der Epenparodie 4,8 (Kapitel 7) jene rituelle κάϑαϱσις in den erotischen Kontext humorvoll-spielerisch einwebt (86): terque meum tetigit [Cynthia] sulpuris igne caput. Vielleicht kann man das synekdochisch „umgekehrte“ terque, analog zur satirisch „verdrehten“ comica moecha Cynthia (zumal unter dem berauschenden Einfluss des Weingottes), als originellen Ausdruck properzischer poesis nova verstehen. Davon abgesehen ist das obige Trinkgelage in dem Eröffnungsritual des „Sacra facit vates“ (1) fest verankert, wenn zum Beispiel Ovid anlässlich der Tempeleröffnung des Janus am Neujahrstag Properzens spica Cilissa neu verströmt (vgl. Fast. 1,76). Überhaupt ist die Kulthandlung des sacrum Actium (1 ff.) durch unzählige sprachliche Echos mit dem Kultfest des Phoebus Citharoedus (71 ff.) verbunden165. Was besonders deutlich ins Auge fällt, ist die poetische Kultassoziation Apollons mit Bacchus’ Inspirationskraft (vgl. 3,2,9). Diese schöpferische Doppelallianz der Dichtergötter ist ein wesentliches Markenzeichen properzischer poesis docta (4,2,31–32): (…) cinge caput mitra: speciem furabor Iacchi; furabor Phoebi, si modo plectra dabis. (…)
In Kapitel 5.3 ist ausgebreitet worden, wie Properz Horaz’ Carmina (2,19) am Beispiel der Bacchus-Elegie 3,17 förmlich „gestohlen“ hat. Analog dazu berührt Properz’ „Diebstahl“ des Actius Phoebus (4,6), der Höhepunkt des vierten Buches und der Verwandlungskunst des Vertumnus, Vergils Aeneis bzw. Aeneas’ arma (4,2,27): arma tuli quondam et, memini, laudabar in illis. Die maßgebliche künstlerische Gestaltverwandlung, von der Vertumnus’ „Waffenruhm“ hier kündet, betrifft aber, wie oben begründet, Kallimachos’ Hymnos auf Apollon und den friedliebenden Musengott. Damit unterstreicht Vertumnus’ programmatische Verwandlung in den kallimacheischen Phoebus Citharoedus quasi in der „Mitte“ des Gedichts 4,2 (insgesamt 64 Verse) die zentrale Stellung, die der chorus mollis 4,6 ideologisch wie poetologisch innerhalb des vierten Buches (insgesamt elf Elegien) einnimmt. So sind es nicht Apollons bzw. Vergils arma, sondern das plectrum (3,3,25) des „Cynthiers“ Kallimachos, um das sich Properz’ Actium-Preis bemühen wird und mit dem der Elegiker den augusteischen Frieden im Kreise jener parvi Amores wie seinen ganz persönlichen Siegesumzug zu feiern gedachte (Prop. 3,1,7–12): 164 Vgl. Phillimore, Index verborum 48. 165 Vgl. Cairns, Battle of Actium 133 ff. zur Struktur einer „Ringkomposition“ von 4,6. Vgl. zum Kultcharakter des Symposions Richardson zu 4,6,85 (454): Properz’ „drinking is to be a so lemn ritual in honor of the god“. Ähnlich Kallimachos’ Trinklied auf die Dioskuren (Fr. 227 Pf.) mit dem Apollon-Anruf zu Beginn und Horaz’ Ode 1,37 auf den Triumph von Actium (Nunc est bibendum …).
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(…) 7 a valeat, Phoebum quicumque moratur in armis! exactus tenui pumice versus eat, quo me Fama levat terra sublimis, et a me 10 nata coronatis Musa triumphat equis, et mecum in curru parvi vectantur Amores, scriptorumque meas turba secuta rotas. (…)
Werkübergreifend wird Properz’ zunehmendes Kunst- und Stilbewusstsein unter dem Einfluss der „Callimachi Manes“ (3,1,1) im dritten Elegienbuch deutlich: Während Properz im zweiten Buch auf die bloße Ankündigung der Aeneis noch mit einem ehrfürchtigen „cedite, Romani scriptores, cedite, Grai!“ reagierte, da etwas „Größeres als die Ilias“ im Entstehen sei (2,34,65 f.), fällt die Beurteilung wenige Jahre später (als die Aeneis übrigens weder vollendet noch veröffentlicht war!) nüchterner, ja beinahe kämpferisch aus (3,1,7): „Ach, hinfort mit jedem, der [wie Vergil] Phoebus durch ein Epos aufhält!“ – offensichtlich eine Anspielung auf die Actia bella der Schildbeschreibung (Aen. 8,671 ff.), die zum Zeitpunkt des dritten Elegienbuches (etwa 22/21 v. Chr.) im Großen und Ganzen verfasst und auszugsweise wohl bekannt war. Die Souveränität und Überlegenheit, mit denen der selbsterklärte Romanus Callimachus Properz Vergils episches Meisterwerk in die elegische maxima Roma des vierten Buches einbindet und Vergils Actius Apollo mit den kallimacheischen/ augusteischen Friedenszeichen künstlerisch neu ausstattet, wirken im dritten Buch noch etwas experimentell, stellenweise exaltiert und panegyrisch unausgewogen166 – so als wäre der von der erotischen Dichtung Abschied nehmende blandus amator (2,3a,16) und zukünftige Romanus vates Properz noch auf der Suche nach seiner besonderen poetischen Begabung und Bestimmung, jenem ebenso kunstvoll wie großartig ausgestalteten molle opus (Buch 4), das seine dichterische Reputation und seinen „Nachruhm“ dereinst begründen wird (Prop. 3,1,21–24)167: (…) 21 at mihi quod vivo detraxerit invida turba, post obitum duplici faenore reddet Honos; Famae post obitum fingit maiora vetustas: 24 maius ab exsequiis nomen in ora venit. (…) 166 Vgl. beispielhaft die komplexe wie komplizierte Kleopatra-Elegie 3,11 (Kapitel 6.2). 167 Die Mehrzahl der Editionen/Kommentare zieht in 3,1,23 anstelle des im Codex Neapolitanus überlieferten fam[a]e das omnia der Handschriften FLP vor (übersetzt nach Goold): „Time makes all things greater after death“. Diese Auffassung fügt sich zwar relativ glatt, aber sehr unbestimmt in die prophetische Gedankenbewegung ein (~ 3,1,35 f.): meque inter seros laudabit Roma nepotes: / illum post cineres auguror ipse diem. Ich denke nicht, dass der vates/augur Properz hier bloß eine umgangssprachliche oder rhetorische Übertreibung im Sinn hatte (so Camps z. St.), zumal die Stilfigur „duplizierter“ Wortverbindungen (post obitum) den „doppelten“ Dichterruhm abbildet (Honos et Fama): Wie Vergils (werdende) Aeneis bzw. Homers „opus bei der Nachwelt an Bedeutung gewann“ (3,1,33 f.), so erhofft sich Properz für sein Werk Dauer und Bestand, also eine wachsende Fama (Epist. ex Pont. 4,16,3): famaque post cineres maior venit. Dieser Gedanke ist auch bei Ovid, Trist. 4,10,121 f. angelegt (vgl. Prop. 3,1,23 f.): tu mihi, quod rarum est, vivo sublime dedisti / nomen, ab exequiis quod dare fama solet.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Selbstverständlich muss Properz nicht den Tag seines Todes abwarten, bis Augustus’ elegisches Romepos (Buch 4) zur maxima fama (4,2,41) des Dichters deklariert wird: Denn, was in „Caesars Namen“ (4,6,13) besungen wird, erwirbt sich bereits zu Lebzeiten unsterblichen Ruhm (maius nomen). Dass sich Properz im Wettstreit mit der „neidischen Schar“ anderer Dichter oder Kritiker der ihm gebührenden Anerkennung aber so gewiss sein kann, bezeugt ihm schließlich Kallimachos bzw. Apollon persönlich (Hymn. 2,105–112)168: (…) 105 ὁ Φϑόνος ᾿Απόλλωνος ἐπ᾿ οὔατα λάϑϱιος εἶπεν· ‚οὐκ ἄγαμαι τὸν ἀοιδὸν ὃς οὐδ᾿ ὅσα πόντος ἀείδει.‘ τὸν Φϑόνον ὡπόλλων ποδί τ᾿ ἤλασεν ὧδέ τ᾿ ἔειπεν· ‚Ἀσσυϱίου ποταμοῖο μέγας ῥόος, ἀλλὰ τὰ πολλά λύματα γῆς καὶ πολλὸν ἐφ᾿ ὕδατι συϱφετὸν ἕλκει. 110 Δηοῖ δ᾿ οὐκ ἀπὸ παντὸς ὕδωϱ φοϱέουσι μέλισσαι, ἀλλ᾿ ἥτις καϑαϱή τε καὶ ἀχϱάαντος ἀνέϱπει πίδακος ἐξ ἱεϱῆς ὀλίγη λιβὰς ἄκϱον ἄωτον.‘ (…) [105] Der Neid flüsterte heimlich ins Ohr Apollons: „Nicht schätze ich den Sänger, der nicht einmal singt, was groß wie die See ist!“ Den Neid vertrieb Apollon mit einem Fußtritt und sprach so: „Des assyrischen Flusses Flut ist zwar groß, doch schleppt sie größtenteils Erdschlamm und reichlich Unrat auf ihrem Wasser mit. [110] Der Demeter hingegen bringen die Bienen nicht von überallher Wasser, sondern nur, was rein und unbesudelt aus einer heiligen Quelle hervorsprudelt, ein winziger Schluck – das Feinste vom Feinen!“
Williams hatte zu den obigen Versen ausgeführt, wie Apollons Plädoyer für den künstlerisch verfeinerten Gesang „Callimachus’ own poetry“ repräsentiere169. Dessen „learning and subtlety“ haben Properz’ carmina, die „puro de fonte“ (3,1,3) im entlegenen griechischen Dichterhain entspringen, wie kein anderes Vorbild sprichwörtlich bis in die feinsten Versporen hinein geprägt. Die Elegie 4,6, durch die „Cyrenaeae aquae“ (4) von der homerischen Blutspur der Aeneis gereinigt, ist gleichsam zur ästhetischen Perfektion raffiniert (10): pura novum vati laurea mollit iter. Man muss Properzens „tenuis pumex“ (3,1,8) aber nicht unbedingt auf den kallimacheischen Schleifstein, den „feinsten vom Feinen“, zurückführen, um den „Neid“ zeitgenössischer Kritiker wie der Telchinen beim Alexandriner abzuwehren und zu beweisen, dass aus Kleinem Großes entstehen kann. So beruft sich auch Vergil in den Georgica auf Kallimachos’ Hymnos auf Demeter (Kapitel 4.2) und widmet dem wohlgeordneten „Bienenstaat“ im letzten Buch eine ganze allegorische Abhandlung (Georg. 4,6 f.): in tenui labor; at tenuis non gloria, si quem / numina laeva sinunt auditque vocatus Apollo. Lässt man zum Schluss die Verwandlung des epischen Apollo vindex in den elegischen Phoebus Citharoedus Revue passieren, so hat Kallimachos’ Götterhymnos die augusteischen vates zweifellos am nachhaltigsten beeinflusst. Es liegt daher auch kein Bruch mit der „historischen Kontinuität“ vor, sondern ist literaturgeschichtlich hochgradig kontinuitätsstiftend, wenn Horaz, nachdem er Homers „Rä168 Übersetzt nach Asper, Kallimachos z. St. (401). 169 Vgl. Williams, Hymn to Apollo 89.
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chergott“ Apollon in der Ode 4,6 (1–24) obligatorisch besungen hat, im zweiten Gedichtteil den schöngeistigen „Lehrer und Lautenspieler“ Phoebus in den Himmel lobt (25–44)170: (…) 25 doctor argutae fidicen Thaliae, Phoebe, qui Xantho lavis amne crines, Dauniae defende decus Camenae, levis Agyieu. spiritum Phoebus mihi, Phoebus artem 30 carminis nomenque dedit poetae. virginum primae puerique claris patribus orti, Deliae tutela deae, fugaces lyncas et cervos cohibentis arcu, 35 Lesbium servate pedem meique pollicis ictum, rite Latonae puerum canentes, rite crescentem face Noctilucam, prosperam frugum celeremque pronos 40 volvere mensis. nupta iam dices ‚ego dis amicum, saeculo festas referente luces, reddidi carmen, docilis modorum 44 vatis Horati.‘
5.5 „Vos eritis testes, si quos habet arbor amores“: Vergils Bucolica und die Liebesklage des Cornelius Gallus (10. Ecl.) In Kapitel 5.4 ist verdeutlicht worden, wie sich Properz in der Elegie 4,6 von der epischen Darstellung des Actius Apollo künstlerisch emanzipiert, indem er Vergils Aeneis und Apollons Kriegskünste in der historischen Seeschlacht von Actium unter Verweis auf den kallimacheischen Götterhymnos einer gründlichen ästhetischen Verwandlung unterzieht: Vergils Bogenschütze Apollon tritt als jener „zartbesaitete“ Musen- und Friedensgott neu in Erscheinung, auf den sich auch Horaz in der Ode 4,6 referentiell beruft, wenn er nach dem arcus die gelehrte fides Apollons anschlägt171 – dies gewiss auch ein unmittelbarer Tribut an Properz’ museninspirierten Phoebus Citharoedus (4,6) und das molle opus des vierten Buches, das an 170 Miller, Apollo 288 ff. kommt zu dem Schluss, dass Horaz in diesen Versen für einen Augenblick mit der episch verbindlichen Darstellung der Actia bella breche, indem er nicht Vergils Actius Apollo, sondern den Musen- und Dichtergott zu einer Art „personal divine poetic mentor“ stilisiere (293): „the swerve here from public to private, from retribution, war, and Roman destiny to Horatian poetry ruptures historical continuity“. Horaz’ wie Properz’ „kallimacheischer“ Darstellung liegt aber Augustus’ „neues Kunstdogma“, wie in diesem Kapitel verdeutlicht, auch ideologisch zugrunde. 171 Vgl. Thomas, Odes IV zu 4,6,25.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
höchster Stelle einer doppelten Schutz- und Schirmherrschaft untersteht: Kallimachos’ Hymnos auf Apollon bzw. Ptolemaios wird durch den novus Apollo Augustus kunstpolitisch insofern aktualisiert, als das Ende der Actia bella nicht nur den Anfang der augusteischen Friedensära, der pax Augusta, einläutete, sondern auch ein neues ästhetisches Verständnis dichterischer Lobpreisung forderte und förderte. Abgesehen von dieser wesentlichen Tiefen- und Breitenwirkung des ApollonGesangs, der nicht zufällig den künstlerischen und ideologischen Kern des abschließenden Properz-Buches bildet, sind die thematischen Untermalungen der elegischen Dichtungs- bzw. Stadtlandschaft des vierten Buches nicht weniger augenfällig. In Kapitel 1 ist in den Grundzügen veranschaulicht worden, wie die augusteischen Dichter die sagenumwobene maxima Roma durch Bilder und Eindrücke kenntlich machen, die jene einfachen arkadischen Ursprünge der später so glanzvollen Metropole in die Erinnerung rufen (Tib. 2,5,23–32): (…) Romulus aeternae nondum formaverat urbis moenia, consorti non habitanda Remo, 25 sed tunc pascebant herbosa Palatia vaccae, et stabant humiles in Iovis arce casae. lacte madens illic suberat Pan ilicis umbrae et facta agresti lignea falce Pales, pendebatque vagi pastoris in arbore votum, 30 garrula silvestri fistula sacra deo, fistula, cui semper decrescit arundinis ordo, nam calamus cera iungitur usque minor. (…)
In diesem Kapitel soll an Vergils Bucolica untersucht werden, welchen Einfluss die garrula fistula der Hirtenpoesie auf die solliciti amores (Ecl. 10,6) der Liebeselegie und Properz’ „elegiac cityscape“ (Welch) im Besonderen ausübt. Die Analyse soll am Beispiel von Prop. 1,18 nachweisen, dass der elegische Klagegesang ebenso von der bukolischen Erotik erfüllt ist, wie Vergils Liebesklage des Cornelius Gallus in der 10. Ekloge dessen Amores zum literarischen Vorbild hatte. Diese wesensverwandten divini fontes (1,18,27) properzischer Dichtkunst und Kunstbegabung, Gallus’ bukolische Liebesdichtung einerseits, andererseits Vergils elegische Hirtendichtung, verbindet Properz zur Reverenz an sein eigenes erotisches Cynthia-Epos und zur Hommage an die durch Kriege nicht minder leidgeprüfte maxima Roma. Nimmt man Tibulls Apollon-Hymnos 2,5 (23 ff.) zum Ausgangspunkt der motivischen Betrachtungen, so ist bemerkenswert, dass Properz’ Elegie 4,2 unmittelbar nach dem „hymnischen“ Höhepunkt des Gedichts, Vertumnus’ Verwandlung in Phoebus (32), mit einigen thematischen Abweichungen bzw. Abwandlungen in die „niedere“ Gattung der Hirten- und Schäferdichtung zu wechseln scheint (4,2,33–40)172: 172 In Vers 4,2,37 übernehme ich die inzwischen weitgehend anerkannte Konjektur sub petaso für das schwierige suppetat hoc der Überlieferung. Inhaltlich wird zugunsten der Verbesserung argumentiert, dass sich der breitkrempige Reise- oder Sonnenhut gut zu den verschiedenen Bekleidungsstücken des Vertumnus füge (vgl. V.23 ff.). Zudem ist der Blick auf Kallimachos’ Hekale (Fr. 292 Pf. und 304 Pf.) interessant: In beiden Fragmenten liegt eine gewisse Betonung auf dem vor der Sonne schützenden „Filzhut“ (πίλημα oder landläufig πέτασος genannt), wobei
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(…) cassibus impositis venor: sed harundine sumpta fautor plumoso sum deus aucupio. 35 est etiam aurigae species Vertumnus│et eius, traicit alterno qui leve pondus equo. sub petaso pisces calamo praedabor│et ibo mundus demissis institor in tunicis. pastor me ad baculum possum curvare│vel idem 40 sirpiculis medio pulvere ferre rosam. (…)
Parallel zum Gedichtabschnitt 4,2,23–32, in dem Vertumnus’ Verkörperungen als puella/vir bzw. messor/miles in den Gestalten der Dichtergötter Bacchus und Apollon kulminieren, lassen sich die obigen Verse, in denen die Berufsrollen der unteren Gesellschaftsschichten vom Vogelfänger über den Kunstreiter bis zum Blumenhändler aufgenommen sind, als eine Antiklimax beschreiben. Die innere Dynamik des Verwandlungsprozesses zuvor, der durch die Vielzahl der Imperative einen an den Leser gerichteten, aktiven Gestaltungscharakter trägt, gewinnt hier eine neue stilistische und inhaltliche Qualität: Rothstein z. St. hatte syntaktisch auf den „scharfen Sinneseinschnitt“ jeweils im fünften Fuß des Hexameters in V.35 (et eius), V.37 (et ibo) und V.39 (vel idem) aufmerksam gemacht. Dieses „contre-enjambement“ (Mader) mag den „Charakter der leichten Plauderei“ (Rothstein), die Vertumnus mit den Passanten am Forum Romanum pflegt, unterstreichen, scheint mit Blick auf Tibulls bzw. Pans „garrula fistula“ (2,5,30) aber nicht nur Properz’ bzw. Vertumnus’ allseitige Verwandlungskunst zu demonstrieren (Vertomnis)173: „et eius – et ibo – vel idem all have parallel contextual-thematic thrust, namely to emphasize again the leitmotiv tot in uno corpore formas“. Wie Mader zeigte, dient die Stiltechnik des „contre-enjambement“ dazu, ein bedeutsames Wortgebilde oder einen leitenden Themenkomplex hervorzuheben174. Es hat den Anschein, als klinge Tibulls fistula in den obigen Versen gedankenreich nach – so beschaulich wie sich Properz’ pastor über seinen Stab lehnt und Tibulls rastlos umherwandernden „Hirten“ (29) für einen Augenblick zum Innehalten animiert. Das pittoreske Bild des Schäfers, der sich auf seinen Hirtenstock „beugt“ (curvare) oder „stützt“, rechtfertigt die weitgehend anerkannten Konjekturen in 4,2,39 und gibt nach Richardson z. St. eine in der römischen Dicht- und bildenden Kunst beliebte „meditative Pose“ wieder175. Diese rahmt anschaulich die unbeschwert-einfache Lebenswelt der Hirten bzw. Hirtendichtung ein, denn auch Tibulls plaudernde fistula wurde textuell schon einmal mit „Schilfrohren und Wachs“ fest zusammengebunden (Ecl. 2,28–37):
dieser in Fr. 292 Pf. sogar als ποιμενικὸν πίλημα (des Theseus?) zusammen mit dem „Hirtenstab“ identifiziert ist. 173 Mader, Changing Forms 142 f. 174 Vgl. Mader, Changing Forms 141. 175 Vgl. Met. 8,217 ff.: hos [Daedalum et Icarum] aliquis, tremula dum captat harundine pis ces, / aut pastor baculo stivave innixus arator / vidit et obstipuit (…).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar ‚(…) o tantum libeat mecum tibi sordida rura atque humilis habitare casas et figere cervos, 30 haedorumque gregem viridi compellere hibisco! mecum una in silvis imitabere Pana canendo (Pan primum calamos cera coniungere pluris instituit, Pan curat ovis oviumque magistros), nec te paeniteat calamo trivisse labellum: 35 haec eadem ut sciret, quid non faciebat Amyntas? est mihi disparibus septem compacta cicutis fistula (…).‘
Nicht nur Tibull eifert in der Elegie 2,5 (25 ff.) danach, Vergils bzw. Pans Rohrflöte im Singen „nachzuahmen“ (imitatio). Properzens Vertumnus in der Gestalt eines pastor, der sich bedeutungsvoll über sein baculum beugt, drückt eine feine klangliche Reminiszenz an den obersten βουκόλος Pan und Vergils titelgebende Bucolica aus. Es wird im nervös-beschwingten Rhythmus der Verse 4,2,33 ff. fast fühlbar, wie der Elegiker, gerade den Actius Apollo des Heldenepos anpreisend, nun zum sehr persönlichen Höhepunkt des Gedichts 4,2, einer Liebeserklärung an das humile opus der Eklogen und den „Tityrus pastor“ Vergil, drängt (Ecl. 1,1–10)176: Meliboeus Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi silvestrem tenui Musam meditaris avena: nos patriae finis et dulcia linquimus arva. nos patriam fugimus: tu, Tityre, lentus in umbra 5 formosam resonare doces Amaryllida silvas. Tityrus O Meliboee, deus nobis haec otia fecit. namque erit ille mihi semper deus, illius aram saepe tener nostris ab ovilibus imbuet agnus. ille meas errare boves, ut cernis, et ipsum 10 ludere, quae vellem, calamo permisit agresti. (…)
Vergils Bucolica (um 38 v. Chr. publiziert) fassen zeitgeschichtlich die schwierige Phase der jüngsten römischen Bürgerkriege ein, die sich nach der Entscheidungsschlacht gegen die Caesar-Mörder bei Philippi 42 v. Chr. in der 1. Ekloge mit den Landkonfiskationen im Zuge des bellum Perusinum 41/40 v. Chr. verbinden (nos patriam fugimus)177. Dass sich hinter dem Pseudonym des Tityrus der poeta Vergil verberge und autobiographisch auf die Enteignung und Wiedergewinnung des Familienlandguts bei Mantua anspiele, vermutete schon der spätantike Vergilkommentator Servius178. Diese Auffassung scheint – autopoietisch verstanden – einiges Gewicht zu haben, zumal Ovid Vergils Eklogen entsprechend den „fruges“ der 176 Vgl. Hutchinson zu 4,2,39 („pastor may point again to the changes in Virgil’s career“) und zum Tityrus pastor Vergil unten (~ Prop. 2,34,67 ff.). 177 Vgl. Kapitel 6.4 zu Prop. 1,21/22 (Perusina sepulcra). 178 Zweifelnd Williams, Eclogues 90 zu Ecl. 1 („but precise correspondence by allegory is not Virgil’s method“).
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Georgica und den „Aeneia arma“ unter diesen Namensanzeiger subsumiert (vgl. Am. 1,15,25). Dass Vergil alias Tityrus offenkundig „ille deus“ Augustus meint179, der seine Apotheose offiziell postum und inoffiziell nach den Actia bella erfahren wird, spricht entweder für Vergils optimistischen Enthusiasmus oder eine spätere Überarbeitung der Eklogen. Jedenfalls wirkt die allgemeine Aufbruchstimmung der – ex eventu auf Augustus gedeuteten – 4. Ekloge, die eine literarische Reaktion auf den Friedensvertrag von Brundisium im Herbst 40 v. Chr. darstellt, authentisch und verleiht dem entwurzelten Lebensgefühl der Epoche, allegorisch auf den kriegsgeschädigten Tityrus/Vergil übertragen, einen melancholischen Hoffnungsschimmer (vgl. Kapitel 6.2). Im Rückblick auf die Bucolica stilisiert Properz Vergils Welt der klagenden Hirten geradezu zu einer „glückseligen“ Zeit unbeschwerter Liebe und Gesangskunst (Prop. 2,34,67–76): (…) 67 tu [Vergili] canis umbrosi subter pineta Galaesi Thyrsin et attritis Daphnin harundinibus, utque decem possint corrumpere mala puellas 70 missus et impressis haedus ab uberibus. felix, qui viles pomis mercaris amores! huic licet ingratae Tityrus ipse canat. felix intactum Corydon qui temptat Alexin agricolae domini│carpere delicias! 75 quamvis ille sua lassus requiescat avena, laudatur faciles inter Hamadryadas. (…)
Was an der Rezeption der Eklogen in 2,34 förmlich ins Auge sticht, ist im Vergleich zur kleinen Werkchronik der Aeneis (61–66) bzw. der Georgica (77–78), dass Vergils tenuis „avena“ der Hirtendichtung der breiteste Raum gespendet ist. Der Anspielungsreichtum auf die einzelnen Eklogen ist derart transparent180, dass Thomas den Gedichtabschnitt 67–76 als ein „mini-Eclogue book“ bezeichnet hatte181. Auch wenn sein Versuch (wie er selbst einräumt), jedem der „zehn“ Verse genau eine Textstelle der zehn Hirtengedichte zuzuordnen, bisweilen gewollt erscheint, greift doch andererseits die Behauptung zu kurz, Properz rezipiere Vergil schlicht „falsch“ aus der „Erinnerung“182. Denn dass der Elegiker im Gegensatz zum Bukoliker die decem mala wie in Ecl. 3,71 keinem Knaben, sondern puellae zuführt, stellt eher eine bewusste Gattungsentscheidung dar183: „This particular Propertian deformazione has the effect of assimilating the Eclogues, where love is often homosexual, to the mainly heterosexual ethos of Propertian (and Gallan) elegy.“ Die ausgesprochene Detailverliebtheit, mit der Properz auf Vergils Hirten der 1. (Zwiegespräch zwischen Tityrus und Meliboeus), 5. (Klage über den Tod des Daphnis) oder 7. Ekloge Bezug nimmt (Wettstreit zwischen Corydon und Thyrsis), zeigt 179 Vgl. Coleman, Eclogues zu 1,6 („the reference is certainly to Octavian“). 180 Vgl. Butler/Barber; Camps; Richardson z. St. 181 Vgl. Thomas, Intertextuality 242. 182 So Butler/Barber oder Richardson zu 2,34,67 ff. 183 Cairns, Augustan Elegist 314 z. St.
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beispielhaft Corydons Liebeswerbung um den schönen Alexis (Ecl. 2,1 f.): Formosum pastor Corydon ardebat Alexin, / delicias domini, nec quid speraret habebat. Abgesehen von den syntaktischen/metrischen Übereinstimmungen in 2,34,73 (Corydon … Alexin) bildet sich Properz’ „intertextuelle“ deformazione darin aus, dass er Vergils verschmolzenes delicias domini im Pentameter durch die Zäsur und die gesperrte Wortstellung (carpere) förmlich „zerpflückt“. Diese feine Variation ist wohldurchdacht: Während bei Vergil Corydons Werben und die Aussicht auf ein ungetrübtes Hirtendasein erfolglos, jener „unberührte“ Alexis also ganz im „Besitz seines Herrn“ bleiben, mutet bei Properz allein der Annäherungsversuch vielversprechend an. Dass der Elegiker jenen so unglücklich verliebten Corydon des Bukolikers regelrecht zu einem felix pastor umdeutet bzw. „umschreibt“184, ist in hohem Maße planund absichtsvoll gestaltet und steht im Einklang mit Properz’ Interpretation bzw. poetischer Utopie einer vom Liebesglück erfüllten pax bucolica in der fernen Vergangenheit (3,13,25 f.)185: felix agrestum quondam pacata iuventus, / divitiae quorum messis et arbor erant! Wie Cairns behauptete, würden die Verse 2,34,67 ff. eine gattungsspezifische deformazione ausdrücken, insofern als Properz die homoerotischen amores der Bukolik „entstellt“ (corrumpere) und dem elegischen Repertoire heterosexueller Liebeserfahrungen einverleibt. Sehr eingängig wird die bukolisch inspirierte „Liebes travestie“ zum Beispiel in der Elegie 2,19 zur Schau gestellt, in der Properz Cynthias Rückzug auf das einsame Land begrüßt, weil dort kein städtischer corruptor (3) die sittsame Geliebte „verderben“ (9) könne. Vollends zur selbstironischen Sexualphantasie sind die laudes ruris und das Gleichnis des weltentrückten poeta amator im zweiten Teil des Gedichts gesteigert: Nicht im wehleidigen Selbstaffront des „miserum me“ (1,1,1), sondern mit dem erotodidaktischen Spürsinn des „scit bene venator“ (Ars Am. 1,45) will sich der gehörnte Properz in freier Wildbahn auf die Jagd nach „sanftmütigen Hasen“ machen (2,19,17–26)186: (…) 17 ipse ego venabor: iam nunc me sacra Dianae suscipere et Veneri ponere vota iuvat. incipiam captare feras et reddere pinu 20 cornua et audaces ipse monere canes, non tamen ut vastos ausim temptare leones aut celer agrestes comminus ire sues. haec igitur mihi sit lepores audacia molles excipere et structo figere avem calamo, 25 qua formosa suo Clitumnus flumina luco integit et niveos abluit unda boves. (…) Eine feine textkritische Betrachtung zu 2,19 soll wieder zur Elegie 4,2 überleiten. Das besondere Problem berührt in V.24 die Frage nach dem überlieferten strictus oder verbesserten structus cala184 Vgl. Thomas, Intertextuality 244 („elegy rewrites pastoral“). 185 Vgl. vor allem Tib. 1,1,19 f. (Vos quoque, felicis quondam, nunc pauperis agri / custodes, fertis munera vestra, Lares). 186 Vgl. zum erotischen Motiv des „Jagens“ Cairns, Augustan Elegist 140 ff. zu Prop. 2,19 und Ecl. 10,55 ff. (unten).
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mus. Flach z. St. sprach sich für ersteres aus und verstand darunter „ein zu einem Pfeil zugespitztes Schilfrohr“. Dagegen bevorzugte Fedeli (Properzio II) z. St. den structus calamus und verwies begründend auf den frühen Kommentar des Altphilologen Claudius Salmasius (574): „non de sagitta hic intellegit Propertius, sed de calamo aucupatorio vel crescente arundine quae aves tangebat ac veluti fixas vinctasque capiendas dabat.“ Auch wenn Properz wie Vergils Cornelius Gallus in Ecl. 10,55 ff. selbst „jagen“ (aut acris venabor apros)187 oder wie der pastor Corydon in Ecl. 2,29 auf der Jagd Hirsche „durchbohren“ will (et figere cervos), ist die vermutete Jagdtechnik, einen Vogel mit einem Rohrpfeil abzuschießen, recht ungewöhnlich und bricht die friedvolle Landschafts idylle des formosus Clitumnus ein wenig hart auf. Auch beschränkt sich der Jagdinstinkt des Elegikers im Gegensatz zum bukolischen venator Gallus darauf, das Freiwild lediglich „einzufangen“ (captare, excipere), denn mit mächtigen Löwen oder borstigen Wildschweinen will Properz nichts zu tun haben: Sein literarisches Jagdrevier markieren vielmehr jene lepores molles (molle opus)188: „The literary polemic with which Propertius responds to Virgil takes the form of a ‚correction‘, and Propertius announces his intent by introducing a set of terms which encapsulate standard concepts from ‚Alexandrian‘ literary programmes.“ Diese geistreiche „kallimacheische“ deformazione bringt der structus calamus daher im poetischen Sinne einer „intertextuell“ übereinander geschichteten Leimrute gut zum Ausdruck und verdeutlicht im Folgenden die mythologischen Zusammenhänge, die sich um Properzens Vertumnus in der Gestalt eines Jägers und Vogelfängers ranken (4,2,33–34): (…) cassibus impositis venor: sed harundine sumpta fautor plumoso sum deus aucupio. (…)
Der Vers 4,2,34 birgt ein mythologisches bzw. textkritisches Problem: Der mutmaßliche Überlieferungsfehler der Handschriften favor, faunor u. ä. wird in der Hauptsache entweder zu fautor oder Faunus verbessert189. Richardson z. St. gab zu bedenken, dass die Konjektur fautor anders als in 4,2,31 f. keine explizite namentliche Gestaltverwandlung des Vertumnus begründe. Andererseits sei die Verbesserung Faunus ebenso fragwürdig, weil dieser Gott zwar als „patron of hunting“ bekannt sei (vgl. Grattius, Cyn. 18), nicht aber als Schutzherr der Vogeljagd (aucupium). Erwägenswert ist trotzdem eine Kultangleichung bzw. Kultassoziation der beiden synonymen Gegenstandsbereiche des antiken Jagdwesens, da auch Horaz’ Ode an den Faunus amator (3,18,1) mit Properz’ erotischem Landpreis 2,19 (Diana et Venus) motivisch zusammengeht. Bedenklich stimmt aber, dass Properz den ansonsten weitläufig rezipierten Gott Faunus an keiner (anderen) Stelle seines Werks erwähnt. 187 Vgl. Cairns, Augustan Elegist 142 z. St. (Properzens calamus „of course pathetically matches the arrows [spicula] of Virgil’s Gallus“). 188 Cairns, Augustan Elegist 142 (zu Prop. 2,19). 189 Zuletzt sprach sich Cairns, Augustan Elegist 282 f. für den Versuch De Grummonds (Roman Favor 307) aus, „to link the [Etruscan] god Thuf(ltha) more closely with the birding god Favor found in Propertius“. Von den sporadischen archäologischen/literarischen Bezugsquellen (Martianus Capella) abgesehen, muss De Grummond aber für den angenommenen etruskischen Kulthintergrund einräumen (304, Anm. 33): „I do not mean to exclude the possibilities that birds in Etruria may be connected with other cults as well.“ Die Assoziation mit dem weitgehend unbekannten Gott Fāvor/făvor (hier stellen sich auch metrische/etymologische Bedenken ein) wirft letztlich die Frage auf, ob man Properz einen so speziellen Exkurs in die römische (etruskische) Religionsgeschichte zutrauen darf, zumal schon der historische Kultkontext des Vertumnus sehr vage ist (vgl. Kapitel 3). Vgl. zum analogen Überlieferungsfehler die Elegie 3,9,57 (fautor anstelle von factor oder faustor).
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Unzweifelhaft ist nur, dass das überladene plumoso aucupio wie in 2,19,24 oder 3,13,32 (aut variam plumae versicoloris avem) das Jagdgebiet des Vogelfangs berührt, was durch das umrahmte „sum deus“ als der Zuständigkeitsbereich der Gottheit umso deutlicher abgegrenzt ist. Entgegen seiner Präferenz für den Gott Faunus bietet Rothstein z. St. noch eine andere Alternative, unter wessen Schutz und Schirm die Vogeljagd typischerweise fällt: Wenn hier dem Faunus der Vogelfang ausschließlich und im Gegensatz zur Jagd mit Netzen zugeschrieben wird, so scheint es, daß Properz einer Anschauung folgt, die für den Erfinder der Rohrflöte [scil. Pan] auch die Erfindung der Jagd mit der Leimrute, arundo oder calamus, in Anspruch nahm (~ Prop. 3,13,41–46): (…) 41 dique deaeque omnes, quibus est tutela per agros, praebebant vestris verba benigna focis: ‚Et leporem, quicumque venis, venaberis, hospes, et si forte meo tramite quaeris, avem: 45 et me Pana tibi comitem de rupe vocato, sive petes calamo praemia, sive cane.‘ (…)
Der motivische (intertextuelle) Mehrklang des Epigramms 3,13,43–46 ist für die Frage nach dem fautor deus (4,2,34) sehr aufschlussreich: Die Apostrophe an den fremden hospes, der wie der poeta in 2,19 in Pans ländlichen Gefilden – sei es mit dem Hund oder jenem calamus aucupatorius – nach Vögeln jagen wird, bedeutet umgekehrt, dass der unter dem Deckmantel des Dichters jagende Vertumnus referentiell auf den Gönner der Jagd und des Vogelfangs Pan verweist. Diese Identifikation schien in der mythologischen Vorstellungswelt der Antike so offensichtlich zu sein, dass das Beiwort fautor genügte, um Pans göttliche Funktion als Beschützer und Begleiter (comes) der Jäger und, in Erinnerung an Ecl. 2,31 ff. (oben), der Hirten anzuzeigen. Außerdem ist dadurch Vertumnus’ krasse Verwandlung vom Musen- und Dichtergott Apollon in den niederen Herden- und Waldgott Pan begrifflich etwas abgemildert. Da sich das prädikative Zustandsattribut fautor deus wie das Pana comitem ein wenig sperrig liest (dies aber eher ein fremdsprachliches Phänomen), schlage ich die stilistisch glattere Konjektur faustus vor (4,2,33 f.)190: „Habe ich aber die Leimrute gewählt, bin ich für den gefiederten Vogelfang ein Glück bringender Gott!“ Diese Verbesserung relativiert zumindest das mythologische Deutungsproblem um den „Erfinder“ des calamus aucupatorius: Der römische Kult des ὑληωϱὸς Πάν (Leonidas) ist nicht exklusiv auf die Vogeljagd zugeschnitten, sondern wird mit ihr allgemeinhin assoziiert (dique deaeque omnes). So klingt Vergils bukolische Version, in der Pan vorzugsweise zum Hüter der Schafe und deren pastores deklariert wurde, in den Georgica nach, wo der Dichter um den „wohlwollenden“ Beistand des Gottes für sein Werk bittet (Georg. 1,16–23): 190 Diese Konjektur bietet wie in Ecl. 2,50 (mollia luteola pingit vaccinia calta) zudem den Vorzug eines sog. versus aureus (faustus plumoso sum deus aucupio), der das Ambiente der pax bucolica farbenprächtig untermalt und ein Echo auf Properzens „omina fausta cano“ (3,4,9) der pax Augusta zu Ehren wirft.
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(…) 16 ipse nemus linquens patrium saltusque Lycaei, Pan, ovium custos, tua si tibi Maenala curae, adsis, o Tegeaee, favens, oleaeque Minerva inventrix, uncique puer monstrator aratri, 20 et teneram ab radice ferens, Silvane, cupressum: dique deaeque omnes, studium quibus arva tueri, quique novas alitis non ullo semine fruges, 23 quique satis largum caelo demittitis imbrem. (…)
Es ist nicht uninteressant zu bemerken, dass Vergils euphorischer Jubelpreis des jungen Himmelsstürmers Octavian in Ecl. 1,6 ff. in den knapp zehn Jahre später erschienen Georgica panegyrisch abgeklärter wirkt: Augustus Caesar, „quem mox quae sint habitura deorum / concilia incertum est“ (Georg. 1,24 f.), ist dem Lehr epos zwar als auctor frugum (27), als Urheber eines bzw. seines neuen goldenen Zeitalters der pax Augusta, pflichtschuldig eingeschrieben, gewidmet ist die Schrift aber Vergils Dichterpatron Maecenas (1,2), den auch Properz zum glückverheißenden mollis fautor (3,9,57) seiner Elegiendichtung auserkor (vgl. Kapitel 6.4). Vielleicht ist die unterschwellige Referenz des göttlichen Schutzherrn Pan (lepores molles) auf den künstlerischen Schirmherrn Maecenas (molle opus) ja eine Nuance zu subtil gedeutet. Dennoch wirft der musisch begabte Pan Tegeaeus ein markantes Schlaglicht auf das alexandrinische Dichtertum der Augusteer (Prop. 3,3,25–36): (…) 25 dixerat [Phoebus], et plectro sedem mihi monstrat eburno, quo nova muscoso semita facta solo est. hic erat affixis viridis spelunca lapillis, pendebantque cavis tympana pumicibus, orgia Musarum et Sileni patris imago 30 fictilis et calami, Pan Tegeaee, tui; et Veneris dominae volucres, mea turba, columbae tingunt Gorgoneo punica rostra lacu; diverseque novem sortitae iura Puellae exercent teneras in sua dona manus: 35 haec hederas legit in thyrsos, haec carmina nervis aptat, at illa manu texit utraque rosam. (…)
In Kapitel 5.1 ist Apollons Epiphanie 3,3 (15 ff.) als ein Plädoyer für das molle opus der Elegie umrissen und am Beispiel des Phoebus Citharoedus in 4,6 (Kapitel 5.4) verdeutlicht worden. Der obige locus amoenus, in dem Properz Pans calamus und die heiligen Embleme der neun Musen und der Liebesgöttin Venus deponiert, zeichnet metaphorisch die elegische Kleindichtung im Gegensatz zur epischen Traumvision in 3,3,1 ff. aus (Richardson zu 3,3,27): „The difference of this grotto from the spring of Ennius at the beginning of the poem is striking.“ Etwas schwierig gestaltet sich die Lokalisierung genau dieses Musenhains (hic), da die Elegie verschiedene topographische Bezüge herstellt: am Berg „Helikon“ (1) an der Hippokrene (Gorgoneo lacu); in einem „kastalischen Wäldchen“ (13) beim Parnassusgebirge (Delphi); in der Nähe von Pans Heimatstadt „Maenala“ in Arkadien (Georg. 1,17) oder an
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anderen Örtlichkeiten des Musenbergs191: „Irgendwo hier zwischen Permessos und Aganippe wird daher die Stelle zu verorten sein, die Properz vorgeschwebt hat“. Die exakte Verortung (am Helikon) ist in der Tat, wie Riesenweber resümiert, ein müßiges problema perenne, da der Dichter zur Verstärkung der Aussage mehrere poetische Inspirationsquellen miteinander kombiniert. Trotzdem hatte schon Kambylis in seiner Untersuchung der fraglichen spelunca (27) darauf hingewiesen, dass Properz’ „Dichterweihe“ hier mit einer ganz bestimmten „Grotte“ verknüpft ist: „Mit hic setzt die zweite Gedichthälfte ein, und dabei erschließt sich eine neue Szenerie, in der sich die Dichterweihe vollziehen wird“192: Allein die Tatsache, daß dorthin ein auf moosbewachsenem Boden „geebneter“ Weg führte, spricht deutlich dafür, daß der zweite Ort nicht einfach ein anderer Ort an derselben großen Quelle [der Hippokrene] war, sondern ein neuer, der sich von dem ersten unterscheiden ließ.
Diese „neue“ Grotte verband Kambylis mit den orgia Musarum (29) und, damit einhergehend, mit dem Dichterkult des Bacchus und der apollinischen Kultassoziation193: „Dionysos verbindet das properzische Liebesgedicht [3,3] mit dem Element des Weiblichen“, wie ich in Kapitel 5.3 zur motivischen Verknüpfung der docta Cynthia mit dem florens Iacchus ausgeführt habe (vgl. 2,30,37 ff.): hic ubi te prima [Virgines] statuent in parte choreae (…). Ich stimme mit Kambylis darin überein, dass die nova spelunca in 3,3 (27 ff.) sich von Ennius’ magni fontes (5) topographisch bzw. poetologisch abgrenzt und jene „zarten“ carmina Battiadae einschließt, von denen Vergils „tenera cupressus“ der Bukolik kündet: „Denn diese Grotte [2,30,37 ff.] ist dieselbe wie in 3,3,27 f., wie auch die Atmosphäre die gleiche ist“194: Es handelt sich also um etwas Wesentliches, wenn Properz den Gott [Dionysos] in der Grotte seiner Weihung und in Verbindung mit den Musen und Pan erscheinen läßt. Diese Bindung geht auf das Wesen der Dichtung zurück, die er nach Apollons Meinung zu pflegen hat: Für sie war er von Natur aus bestimmt, und für sie wird er geweiht.
Properz’ „Dichterweihe“ zum Musarum sacerdos (Od. 3,1,3) beschreibt einen sowohl räumlich und vor allem künstlerisch hochgradig exklusiven Initiationsritus, bei dem der poeta wie in 3,1,17 f. den verschlossenen Weg „auf nie berührtem Pfad“ (intacta via) zur verborgenen Inspirationsquelle, dem kallimacheischen purus fons (3,1,3), beschreitet. Obwohl die abgesonderte spelunca in 3,3 in einer topographischen Beziehung zum „Musenberg“ Helikon (1) steht, erinnert die sprachbildliche Auskleidung des Dichterhains doch an eine andere geheime Grotte, in die Cynthias Liebesvergehen Properz gedanklich einst führten (2,32,33–40)195: 191 Riesenweber, Uneigentliches Sprechen 329 (mit Blick auf Prop. 2,10,26). 192 Kambylis, Dichterweihe 164 f. (zu Prop. 3,3,27 ff.). 193 Kambylis, Dichterweihe 170. 194 Kambylis, Dichterweihe 170 f. 195 Textkritisch harrt der Vers 2,32,35 immer noch einer einwandfreien Lösung: Falls das überlieferte Parim zutreffend ist, spielt Properz auf eine unbekannte Liebesgeschichte zwischen dem pastor Paris und der Göttin Venus an (oder erfindet schlichtweg eine solche), die man sich im Anschluss an das Parisurteil vorstellen könnte (2,2,13 f.): cedite iam, divae, quas pastor [Paris] viderat olim / Idaeis tunicas ponere verticibus! Camps z. St. hält an der Überlieferung fest, erwägt jedoch Paris’ Liaison mit der Nymphe Oenone (Ovid, Her. 5,13). Die Konjektur deam (so Heyworth und Fedeli, Properzio II) ließe daher mehr oder weniger offen, ob an die Nais (40)
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(…) ipsa Venus fertur corrupta libidine Martis, nec minus in caelo semper honesta fuit, 35 quamvis Ida † Parim † pastorem dicat amasse atque inter pecudes accubuisse deam. hoc et Hamadryadum spectavit turba sororum Silenique senes et pater ipse chori, cum quibus Idaeo legisti poma sub antro, 40 supposita excipiens, Nai, caduca manu. (…)
Wo die eine der novem Puellae Efeu für die Thyrsusstäbe des Bacchus „sammelte“, genau dort „sammelte“ die Wassernymphe zuvor herabfallende Äpfel auf: in dem Idaeum antrum! Selbstverständlich sollte man die Lokalisierung in dem trojanischen Hochgebirge entgegen Properz’ Traumvision „irgendwo“ am Helikon nicht wortwörtlich nehmen. Die poetische Stilisierung/Inszenierung in 3,3 und 2,32 spricht eher dafür, sich die abgeschiedene Musengrotte als einen vergeistigten künstlerischen Tummelplatz vorzustellen, wo der Reigentanz des Kallimachos und Philetas „aus reiner Quelle“ hervorsprudelt (3,1,5): dicite, quo pariter carmen tenuastis in antro? Die Antwort darauf ist mit Apollons Epiphanie und Wegweisung in 3,3 gegeben (hic), und es macht intertextuell den Eindruck, als sei für das dichterische Symposion in 3,3 musikalisch und personell alles Nötige aufgeboten worden, damit die bocksfüßigen Pane den calamus des Hirtengottes und Bacchus’ „Idaei chori“ lautstark anstimmen können (~ Prop. 3,17,33–36): (…) mollia Dircaeae pulsabunt tympana Thebae, capripedes calamo Panes hiante canent, 35 vertice turrigero iuxta dea magna Cybebe tundet ad Idaeos cymbala rauca choros. (…)
Unbeschadet der erstrangigen Referenz auf Kallimachos’ Aitia darf man sagen, dass Properz nicht zufällig „molli recubans Heliconis in umbra“ (3,3,1) vor sich hinträumte, wohingegen Vergils Tityrus „recubans sub tegmine fagi“ (Ecl. 1,1) sein unverhofftes Glück besang196. Und ebenso wenig zufällig verwandelt sich Vertumnus in 4,2 vom Cynthius Apollon in den mit Vergils tenuis harundo ausgestatteten Hirtengott Pan: Denn Properzens bukolischer Gesang ist der Gesang des Tityrus pastor Vergil, der Theokrits „deductum carmen“ der Eidyllia nach eigener Bekundung als erster in römischen Versen eingeübt hat (Ecl. 6,1–9): Prima Syracosio dignata est ludere versu nostra neque erubuit silvas habitare Thalea. cum canerem reges et proelia, Cynthius aurem vellit et admonuit: ‚pastorem, Tityre, pinguis
Oenone oder eher an Venus’ gut bezeugte Liebesbeziehung mit dem pastor Phryx Anchises gedacht ist (vgl. Homer, Il. 2,819 ff. mit dem Ida-Gebirge als Schauplatz!). Unter Vorbehalt scheint mir Schraders Verbesserung Phrygem am wahrscheinlichsten (vgl. Prop. 4,1a,2). 196 Vgl. Heyworth/Morwood, Propertius III z. St.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar 5 pascere oportet ovis, deductum dicere carmen.‘ nunc ego (namque super tibi erunt, qui dicere laudes, Vare, tuas cupiant et tristia condere bella) agrestem tenui meditabor harundine Musam: 9 non iniussa cano. (…)
Es werden tatsächlich noch rund zehn (bis zur Publikation zwanzig) Jahre vergehen, bis das „canerem reges et proelia“ (hier für den consul suffectus 39 v. Chr. Alfenus Varus) mit der Aeneis eine konkrete apologetische Fixierung auf die Actia bella des Augustus erfährt. Bis dahin greift Vergil mit der einstweiligen Absage an die laudes epicae auf den Topos der recusatio zurück, die vom „Cynthier“ Kallimachos im Aitienprolog (1,22) standardisiert worden war197. Sinngemäß wird Properz’ vermeintliche Absicht, Alba Longas „reges et regum facta“ (3,3,3) episch aufzurollen, durch Apollons Zurechtweisung in 3,3 (15 ff.) zunichtegemacht. Denn der Musengott „fordert“ (4,6,69) für das elegische/bukolische molle/humile opus das dichterische Stilideal der λεπτότηϛ ein198: In the three lines of the opening recusatio translated directly from Callimachus, deductum carmen reproduces τὴν Μοῦσαν λεπταλέην, and has been thoroughly studied in the context of neoteric terminology. We have, in fact, become so accustomed to the term that we need to be reminded of its boldness in Latin: unlike tenuis, or even gracilis, it is anything but an obvious translation for the idea of λεπτός.
Wenn Properz seine „bukolische“ Liebesdichtung an den ästhetischen Maßstab und Auftrag des Kallimachos alias Apollon anbindet, dokumentiert dies auch eine „poetische Genealogie“ zu den Eklogen Vergils199: Nicht nur die Neoteriker (Catull) dienen literaturgeschichtlich als Bindeglied der elegischen carmina Battiadae, sondern Vergils „erotische“ Hirtendichtung bildet den zeitlich und thematisch dichtesten Bezugspunkt zum alexandrinischen „doctum carmen“ der Liebeselegie (Prop. 2,34,79–84): (…) tale facis [Vergili] carmen docta testudine, quale 80 Cynthius impositis temperat articulis. non tamen haec ulli venient ingrata legenti, sive in amore rudis sive peritus erit. nec minor his animis aut sim minor ore: canorus 84 anseris in│docto carmine cessit olor. (…)
Die 24 Verse umfassenden laudes Vergilii in 2,34 (61–84) stellen für sich gesehen bereits ein einzigartiges literaturkritisches Zeugnis dar, wobei Properz die poetische Genealogie römischer amores noch weiter bis zu dem Epiker P. Terentius Varro (85 f.), den Neoterikern Catull und Calvus (87–90) und dem Elegiker Cornelius Gallus (91 f.) spannt. Während Vergils Aeneis sechs (61–66) und den Georgica nur zwei Verse (77 f.) zukommen, gebühren den Bucolica ganze fünf Distichen dieser 197 Vgl. Coleman, Eclogues zu 6,3 („Cynthius“). Vgl. zu meiner Bemessung der recusatio im Sinne einer künstlerischen Restriktion auf die elegische Kleinform (molle opus) auch Kapitel 5.4 (~ Prop. 4,6) und Kapitel 6.4 (~ Prop. 3,9). 198 Ross, Backgrounds 26 f. zu Ecl. 6,1 ff. 199 Vgl. Ross, Backgrounds 27 f. („poetic genealogy“).
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kleinen Werkchronik (vgl. oben). Dies spiegelt den quantitativen bzw. qualitativen Stellenwert der Eklogen für Properz’ Elegie gut wider. Sofern es die obigen Verse betrifft, unterscheiden die Kommentare gewöhnlich Vergils docta testudine gefertigtes Gesamtwerk von der Liebesdichtung im Allgemeinen bzw. der properzischen im Besonderen200 und das, obwohl außerordentliche Anklänge an Vergils carmen der Eklogen festgestellt worden sind (~ Ecl. 6,9–12): (…) si quis tamen haec quoque, si quis 10 captus amore leget, te nostrae, Vare, myricae, te nemus omne canet; nec Phoebo gratior ulla est quam sibi quae Vari praescripsit pagina nomen. (…)
Wie Vergils Lobgesang auf Alfenus Varus jedermann, der „von Liebe ergriffen“ das bukolische Werk studiert, „willkommen“ ist, wird Properz’ elegische Dichtung niemandem – sei er „in der Liebe erfahren“ oder nicht – „unwillkommen“ sein. Poetologisch gewendet, betont Properz durch das anaphorisch wiederholte haec also keinen Gegensatz zwischen der „bukolischen“ und der „elegischen“ Liebesdichtung, sondern bringt im kongruenten Motiv des amor eine thematische Referenzidentität zum Ausdruck, was Fantazzi als „identification of pastoral as love poetry“ bezeichnet hatte201: „To him [Propertius] the Bucolics were an inspired paradise of love poetry.“ Dieser immanente Zusammenhang bukolisch-elegischer amores rückt auch die prominente Crux der Verse 2,34,83 (nec minor his animis aut sim minor ore …) in ein neues Deutungslicht: Die mittlerweile (fast) kanonischen Konjekturen hic (…) ut sit stellen zwar einen verständlichen Textsinn her, sind aber ebenfalls mit Problemen behaftet (Camps z. St.): „and here too the sweet-voiced swan triumphs over the cackling goose, even though he cannot make so loud a noise“. Text and meaning are both uncertain here. The wording echoes Virg. Ec. IX,35–6 videor … argutos inter strepere anser olores, but the application here is evidently quite different, for in the Eclogue the speaker compares his own inadequacy to that of the goose, whereas here what is emphasized is the superiority of the swan (Ecl. 9,26–36): Moeris 26 Immo haec, quae Varo necdum perfecta canebat: ‚Vare, tuum nomen, superet modo Mantua nobis, Mantua vae miserae nimium vicina Cremonae, cantantes sublime ferent ad sidera cycni.‘ Lycidas 30 Sic tua Cyrneas fugiant examina taxos, sic cytiso pastae distendant ubera vaccae, incipe, si quid habes. et me fecere poetam Pierides, sunt et mihi carmina, me quoque dicunt vatem pastores; sed non ego credulus illis. 35 nam neque adhuc Vario videor nec dicere Cinna digna, sed argutos inter strepere anser olores. (…) 200 Vgl. Butler/Barber; Camps; Richardson zu 2,34,81 f. 201 Fantazzi, Virgilian Pastoral 176 (zu Prop. 2,34,81 f.).
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Als Gegenstück zur 1. Ekloge (1 ff.), die den Tityrus pastor (Vergil) im Hochgefühl seines wiedergewonnenen Landbesitzes präsentierte, parallelisiert die 9. Ekloge die bitteren Schattenseiten jenes „nos patriam fugimus“ (vgl. Ecl. 9,5 f.): Das tragische Schicksal der tristes pastores Lycidas und Moeris ist in den obigen Versen noch enger mit der Biographie des bucolicus poeta Vergil verbunden bzw. regelrecht zu einer intertextuellen Synopsis der Eklogendichtung verknüpft (arguti olores)202: „The poem is surely based on his [Virgil’s] personal experience (…) but it is universalised in song rather than offered as veiled history.“ Es ist richtig, dass Vergil sein bukolisches „Gänsegeschnatter inmitten stimmbegabter Schwäne“ als eine ehrfürchtige Hochachtungsbekundung gegenüber den führenden Dichtern ihrer Zeit, Varius Rufus und Helvius Cinna, ausgibt. Diese Reverenz strahlt aber eher als eine rhetorische Übertreibung auf den anser Vergil zurück: Denn das den Musen und Apollon ganz und gar würdige humile opus in der Nachfolge Theokrits erhebt die Eklogen in die Sphäre der kallimacheischen Hymnendichtung (sublime opus), wo die κύκνοι als Musenvögel des Apollon ihre segensreichen Himmelsbahnen um Delos zogen (vgl. Hymn. 4,249 ff.). Analog zu Horazens Allegorie des zum „canorus ales“ (Od. 2,20,15 f.) verwandelten Dichters spielt Properzens „canorus olor“ (2,34,83 f.) nicht, wie allgemein verstanden, ironisch auf die „kunstlosen“ Eklogen (indocto carmine), sondern im Gegenteil würdigend auf das bukolische deductum carmen an, so dass Vergil vielmehr „im gelehrten Gesang einer Gans einherschritt“ (Rothstein z. St.)203: Virgils Gedicht [der Eklogen] war eben ein doctum carmen, und so kann auch Properz, wenn er selbst ein doctum carmen liefert, wenn er sich den Ansprüchen gewachsen zeigt, die die von ihm gewählte Dichtungsgattung [der Elegie] in bezug auf Inhalt und Form stellt, auf das Maß von Anerkennung hoffen, das ihn seine bescheidenere Begabung erreichen läßt.
Man darf davon ausgehen, dass der Kontext der Gattungsreferenzen und dichterischen Bezüge in 2,34 (79 ff.) von einem ausdrücklich intertextuellen Kontinuitätsbewusstsein geprägt ist: Wie Vergils humile opus der Eklogen durch Theokrits Syracosius versus (Ecl. 6,1) emporsteigt, wird Properzens molle opus der Elegie durch Cynthias Inspirationskraft förmlich beflügelt (2,34,93 f.): Cynthia quin etiam versu laudata Properti, / hos inter si me ponere Fama volet. Andererseits zeichnet die docta puella die kallimacheische Dichtkunst der Eklogen aus, insofern als Apollons poetische Musenvögel, die arguti olores Vergil und Properz, das doctum carmen des Ale202 Williams, Eclogues zur 9. Ekloge (126). Neben den Referenzen auf den Epiker Varius Rufus (welcher Vergils Aeneis postum edierte) und den Neoteriker Helvius Cinna wird eine unterschwellige Anspielung auf einen Dichter namens Anser vermutet (vgl. Ovid, Trist. 2,435), worauf Butler/Barber auch zu Prop. 2,34,84 verweisen. 203 Zwar ist man nach dem anaphorischen minor gehalten, dem cessit einen vergleichenden Sinn zuzuschreiben („weichen, nachgeben“), dieser ist aber entweder grammatisch unzulässig (anseris/carmine kein Dativ!) oder inhaltlich absurd: „Der wohlklingende Schwan [der Epiker Vergil] verzichtete auf den ungelehrten [bukolischen] Gesang einer Gans“? Behauptet man dagegen das deductum/doctum carmen des Apollon/Kallimachos als künstlerischen Maßstab bukolisch-elegischer Liebesdichtung, schreiten Vergils Eklogen wie Properz’ Elegien kunstverständig einher (vgl. Prop. 2,1,5): sive illam [Cynthiam] fulgentem incedere cogis (…). Herr Prof. Schröder hat mich hier auf die mögliche rhetorische Raffinesse einer Tmesis aufmerksam gemacht (in│cessit), die das docto carmine zusammen mit dem anseris/olor chiastisch formschön rahmen würde.
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xandriners wohllautend besingen. Diese künstlerische Referenzidentität bukolischelegischer Liebesdichtung akzentuiert die Ansätze einer gattungsspezifischen deformazione204 oder eines „intertextual manipulation“205 neu: Vergils „respondent omnia silvae“ im Blick oder eher im Gehör206, sind Properz’ Verse wie ein echoartiger Wechselgesang, ein argutum carmen, ausgestaltet, und man gewinnt den Eindruck, als sei Properz’ Liebesdichtung ihrem Wesen nach immer schon bukolisch gewesen, so wie umgekehrt Vergils Hirtendichtung elegische Motive in sich birgt (Ecl. 10,1–8): Extremum hunc, Arethusa, mihi concede laborem! pauca meo Gallo, sed quae legat ipsa Lycoris, carmina sunt dicenda: neget quis carmina Gallo? sic tibi, cum fluctus subterlabere Sicanos, 5 Doris amara suam non intermisceat undam, incipe: sollicitos Galli dicamus amores, dum tenera attondent simae virgulta capellae. 8 non canimus surdis, respondent omnia silvae. (…)
Der literarische Wert der 10. Ekloge lässt sich kaum hoch genug bemessen, nicht nur, weil Vergil seinem Freund und Dichterkollegen Cornelius Gallus ein einmaliges und sehr persönliches Denkmal gesetzt hat, sondern vor allem deswegen, weil – abgesehen von Vergils Zeugnis – von den „solliciti amores“ des Gallus bis auf ein ihm zugeschriebenes Papyrus-Fragment quasi nichts Originales überliefert ist. Dies macht die 10. Ekloge, wenn auch unfreiwillig und nicht unproblematisch, im Nachhinein zur wichtigsten, ja fast einzigen Informationsquelle seiner Amores. Auch ich werde in weitgehender Ermangelung authentischer Dokumente des Cornelius Gallus, der gemeinhin als Erfinder der römischen Liebeselegie gilt, Vergils Gallus-Ekloge in den Mittelpunkt der textuellen Betrachtungen zur bukolischelegischen Gattungsgenese stellen (~ Ecl. 6,11): nemus omne canet – dies gilt besonders für Properz’ „verschwiegenen Hain“, in dem der Dichter der öden Waldlandschaft seinen „argutus dolor“ einst wortreich klagte (1,18): Haec certe deserta loca et taciturna querenti, et vacuum Zephyri possidet aura nemus. hic licet occultos proferre impune dolores, si modo sola queant saxa tenere fidem. 5 unde tuos primum repetam, mea Cynthia, fastus? quod mihi das flendi, Cynthia, principium? qui modo felices inter numerabar amantes, nunc in amore tuo cogor habere notam. quid tantum merui? quae te mihi carmina mutant? 10 an nova tristitiae causa puella tuae? sic mihi te referas, levis ut non altera nostro limine formosos intulit ulla pedes. quamvis multa tibi dolor hic meus aspera debet, non ita saeva tamen venerit ira mea,
204 Vgl. (oben) Cairns, Augustan Elegist 104 ff. 205 Vgl. Thomas, Intertextuality 238 (in Bezug auf Vergils Theokrit-Rezeption). 206 Vgl. Kapitel 1 zur intertextuellen „Echokammer“ (Roland Barthes).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar 15 ut tibi sim merito semper furor et tua flendo lumina deiectis turpia sint lacrimis. an quia parva damus mutato signa colore et non ulla meo clamat in ore fides? vos eritis testes, si quos habet arbor amores, 20 fagus et Arcadio pinus amica deo. a quotiens teneras resonant mea verba sub umbras, scribitur et vestris ‚Cynthia‘ corticibus! an tua quod peperit nobis iniuria curas? quae solum tacitis cognita sunt foribus. 25 omnia consuevi timidus perferre superbae iussa neque arguto facta dolore queri. pro quo, divini fontes, et frigida rupes et datur inculto tramite dura quies; et quodcumque meae possunt narrare querelae, 30 cogor ad argutas dicere solus aves. sed qualiscumque es, resonent mihi ‚Cynthia‘ silvae, nec deserta tuo nomine saxa vacent.
Die obige „Liebesklage“ des miser poeta bricht sich akustisch weithin vernehmbar an dem erotischen Programm der Monobiblos, wie in Kapitel 5.1 anhand der dura puella (Cynthia) aufgezeigt worden ist. Die oberflächliche Sprachanalyse verdeutlicht, dass das vacuum nemus 1,18 durch etliche thematische Vor- und Rückgriffe auf Properz’ Cynthia-Dichtung prall gefüllt ist. Reizvoll ist zum Beispiel, wie die lyrische Klage der deserta puella Ariadne bzw. Cynthia (1,3,43) durch den bukolischen Kontrapunkt der deserta loca neu gestimmt ist207. Tatsächlich lassen die argutae aves mehr aus dem abgeschiedenen Wald hinausschallen, als es dem unglücklichen Dichter vorgeblich lieb wäre – gibt Properz’ querela doch ein einziges großartiges „Echo“ seiner Liebesdichtung ab208: Auffälligstes Wirkungsmoment ist die auf akustische Rezeption berechnete Klangkomposition: nicht weniger als 22 sinntragende Wörter oder Wortstämme werden echoartig und z. T. mehrfach, unter Abwandlung der Bedeutung wiederholt. Die Möglichkeit einer solchen Anordnung unterstreicht die der Elegie eigene zyklische Grundbewegung.
Die akustische Performanz der Elegie 1,18 entfaltet auf dem Resonanzboden der Eklogen ihr besonderes Sinn- und Wirkungspotential: So impliziert die Referenz auf den „Gott Arkadiens“ (20), wie in 4,2,34 zum fautor deus Pan begründet, eine intertextuelle Verortung des Gedichts inmitten jener (un-) „glücklich“ verliebten Hirten (7), die der Tityrus Vergil laut Properz höchstselbst bezeugt habe (2,34,71 f.). In der Hauptsache besteht kein Zweifel, dass Properzens Liebesklage hier die berühmte Klage des Akontios aus Kallimachos’ Aitia imitiert209: Der wiederholte Ausruf Cynthia liest sich wie ein imaginiertes Echo des „Κυδίππη καλή“ (Fr. 73 Pf.). Wenn der Elegiker wie Akontios den Namen der Geliebten für alle Ewigkeit tief in die Baumrinde eingravieren will, „schreibt“ er Kallimachos’ Liebesgeschichte in seine Cynthia-Dichtung (22) ein: Akontios bzw. Kallimachos wird zum mythologischen bzw. 207 Vgl. Kapitel 5.2 zu Prop. 1,3,35 ff. (~ Carm. 64,132 ff.). 208 Rieks, Entwicklungsstadien 109 (zu Prop. 1,18). 209 Vgl. Cairns, Augustan Elegist 119.
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literarischen testis (19) des Liebesschmerzes stilisiert – ebenso wie Vergil von Properz’ amores kenntnisreich „Zeugnis“ ablegt (Ecl. 8,17–25): Damon 17 Nascere praeque diem veniens age, Lucifer, almum, coniugis indigno Nysae deceptus amore dum queror et divos, quamquam nil testibus illis 20 profeci, extrema moriens tamen adloquor hora. incipe Maenalios mecum, mea tibia, versus. Maenalus argutumque nemus pinusque loquentis semper habet, semper pastorum ille audit amores Panaque, qui primus calamos non passus inertis. 25 incipe Maenalios mecum, mea tibia, versus. (…)
Wie Properz in 1,18 (19 f.), verknüpft Vergil die Lebens- und Liebesidylle der pastores mit der Gesangskunst des „Arcadius deus“ Pan zu einer dichterischen Wesenseinheit (Maenalii versus). Properzens Liebesklage kann sich aber, wie damals Damons Klage um seine Geliebte Nysa, nicht nur auf den Waldgott Pan berufen, der vor Zeiten die in eine „flüsternde Fichte“ verwandelte Nymphe Pitys liebte (pinus amica). Weil Pans bzw. Vergils calamus agrestis (Ecl. 1,10) zugleich mit Properz’ tibia docta (2,30,16) assoziiert ist, weist Properz’ Klagegesang 1,18 sowohl auf Vergils bukolische und auf Gallus’ elegische Liebeslieder zurück (19): vos eritis testes! Diese beiden Referenzebenen berühren auch die textkritische Frage, die sich im Zusammenhang mit den „divini fontes“ (27) stellt210: „Der Elegiker [Properz] erscheint [in 1,18] in einer pastoralen Szenerie vor einem traditionellen Hintergrund, aber seine eigene Erfahrung ist im Ergebnis um so lebendiger.“ Ich gehe noch einen Schritt weiter: Properz baut aus konventionellen Versatzstücken von Kallimachos, Theokrit, Vergil, Gallus eine Theaterkulisse wilden und einsamen Bergwaldes auf, in der er vor Cynthias und unseren Augen nach Catullischem Vorbild klagend agiert. Erinnert nicht der Eingangsvers an einen Bühnenauftritt? Könnte nicht jeden Augenblick Gallus von der anderen Seite hinzukommen? (~ Ecl. 10,9–17): (…) Quae nemora aut qui vos saltus habuere, puellae 10 Naides, indigno cum Gallus amore peribat? nam neque Parnasi vobis iuga, nam neque Pindi ulla moram fecere, neque Aonie Aganippe. illum etiam lauri, etiam flevere myricae, pinifer illum etiam sola sub rupe iacentem 15 Maenalus et gelidi fleverunt saxa Lycaei. stant et oves circum; nostri nec paenitet illas, nec te paeniteat pecoris, divine poeta. (…)
Während Goold und Heyworth das überlieferte divini fontes aus dem Text tilgen (stattdessen continui / dumosi montes), setzen Butler/Barber und Richardson das Epitheton divinus in Cruces. Der Haupteinwand dabei ist, dass die (Apostrophe an 210 Rieks, Entwicklungsstadien 111 unter Verweis auf Ross’ Hypothesen zu den Amores des Cornelius Gallus (unten).
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die) „göttlichen Quellen“ nicht zum Bild eines locus horridus passen würden (frigida rupes)211. Wie Flach z. St. annimmt, könnten sich die divini fontes auf die „niederen Naturgottheiten wie [die] Nymphen“ beziehen (puellae Naides), worauf Rothstein z. St. verwies (vgl. Ecl. 1,51 f.). So gilt die Apostrophe vielleicht direkt der pinus amica/loquens Pitys, die wie der fichtentragende/weinende Maenalus personifiziert gedacht ist. Auch das vermeintlich inkongruente Bild des locus horridus/ amoenus in 1,18 scheint von Vergils Eklogen eingerahmt zu sein: Einerseits liegt der amator Properz zwar wie der pastor Tityrus in Ecl. 1,4 „unter dem zarten Schatten“ (21) eines Baumes, beklagt aber andererseits wie Vergils Gallus in Ecl. 10,14 seinen Liebesschmerz „unter kaltem Felsen“ (27). Die Ambivalenz des Bezugs lässt sich dadurch erklären, dass die Elegien 1,18 (hic licet occultos …) bzw. 3,3 (hic erat affixis …) sowohl den metaphorischen locus horridus als auch metapoietischen locus amoenus der Liebesklage grundieren: Properzens „divini fontes“ seines molle opus entspringen genau hier an den „gelidi fontes“ der Eklogen, wo der „divinus poeta“ Gallus das Leben mit seiner Geliebten Lycoris, eingebettet in die mollia prata, zu verbringen wünschte (Ecl. 10,42–49): ‚(…) 42 hic gelidi fontes, hic mollia prata, Lycori, hic nemus; hic ipso tecum consumerer aevo. nunc insanus amor duri me Martis in armis 45 tela inter media atque adversos detinet hostis. tu procul a patria (nec sit mihi credere tantum) Alpinas, a, dura nives et frigora Rheni me sine sola vides. a, te ne frigora laedant! 49 a, tibi ne teneras glacies secet aspera plantas! (…)‘
Der Umstand, dass Vergil in der 10. Ekloge nicht nur einem der anerkanntesten zeitgenössischen Dichter, sondern auch dem bei Augustus in Ungnade gefallenen Feldherrn und ersten praefectus Aegypti die Bühne der poetischen Selbstdarstellung bereitet, hat die Ekloge seit jeher in ein besonderes Forschungslicht gerückt212. Da von der offenkundig sehr einflussreichen Dichtung des divinus poeta Cornelius Gallus so gut wie nichts überliefert ist213, ist Vergils erotische „Arkadienphantasie“ des Gallus umso wertvoller214, will man denn einen ungefähren Eindruck von seinen amores gewinnen. Trotzdem macht die perspektivische Mehrschichtigkeit, mit der Vergil die 10. Ekloge zum „Echo der Klage des Gallus“ stilisiert215 und den historischen poeta zu einem erotischen pastor und daher fiktiven Gegenstand der „Dichtungsreflexion“ selbst transformiert216, gewisse Vorbehalte der Interpretation geltend217:
211 Vgl. Heyworth, Cynthia z. St. 212 Vgl. Rumpf, Extremus labor 15–72 zu den klassischen Interpretationsansätzen (unten). 213 Neben dem sog. Gallus-Fragment (unten) ist durch Vibius Sequester (4./5. Jh.) nur noch der Pentameter „uno tellures dividit amne duas“ bezeugt. 214 Vgl. Rumpf, Extremus labor 133 (zu Ecl. 10,42 f.). 215 Vgl. Rumpf, Extremus labor 101 (zu Ecl. 10,13 ff.). 216 Vgl. Rumpf, Extremus labor 101 (zu Ecl. 10,13 ff.). 217 Williams, Eclogues zu Ecl. 10 (129).
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There is every reason to think that this poem, which concludes the collection of Eclogues, was the latest in composition (perhaps 37 BC), and it is certainly the most original and in many ways the strangest of all the Eclogues: Virgil introduces into the pastoral world the real person of Gallus, prominent statesman, military leader and elegiac poet. We have had in the other Eclogues glimpses of the real world (Pollio, Varus, Gallus himself in 6), and there have been oblique references to events such as land-confiscation, the death of Julius Caesar, the birth of a child; but here the whole poem is taken up with the attempt to assimilate Gallus into the idyllic world of Arcadia (Ecl. 10,18–30): (…) et formosus ovis ad flumina pavit Adonis. venit et upilio, tardi venere subulci, 20 uvidus hiberna venit de glande Menalcas. omnes ‚unde amor iste‘ rogant ‚tibi?‘ venit Apollo: ‚Galle, quid insanis?‘ inquit. ‚tua cura Lycoris perque nives alium perque horrida castra secuta est.‘ venit et agresti capitis Silvanus honore, 25 florentis ferulas et grandia lilia quassans. Pan deus Arcadiae venit, quem vidimus ipsi sanguineis ebuli bacis minioque rubentem. ‚ecquis erit modus?‘ inquit. ‚Amor non talia curat, nec lacrimis crudelis Amor nec gramina rivis 30 nec cytiso saturantur apes nec fronde capellae.‘ (…)
Dass Vergil hier eine erlesene Prominenz mythologischer Liebesgestalten und Dichtergötter aufbietet, die sich nach Gallus’ „cura Lycoris“ (22) erkundigen, bindet die „reale“ Person des Gallus (der in den eigenen Amores selbst eine fiktive persona verkörpert!) in die poesis der bukolischen Lebenssphäre und in die Liebesgeschichten ihrer pastores ein. Servius’ Kommentar zu Ecl. 10,46 ff. (hi autem omnes versus Galli sunt de ipsius translati carminibus) verleitete gelegentlich dazu, die 10. Ekloge wie ein Kataloggedicht des Cornelius Gallus zu lesen, das aus einzelnen seiner Amores zusammengefügt sei218, oder aber Vergils Hommage biographisch einzufärben, indem der vom durus Mars (44) ergriffene Dichter als Kriegsteilnehmer der Schlacht bei Philippi figuriere219. Gewiss wird, isoliert für sich betrachtet, weder der eine noch der andere Deutungsansatz der künstlerischen Eigenart der Ekloge und ihrem programmatischen Charakter für das Gesamtwerk ganz gerecht oder lässt sich nicht mehr hinreichend klären220. Auch kaschieren Auffassungen einer „Störung“221 oder „Konfrontation“222 der harmonischen Welt der Bucolica mit den konfliktträchtigen Amores die wesentlichen Verbindungen beider Dichtungsgattungen eher. Überhaupt mag die Vorstellung, die 10. Ekloge gehe als ein „autonomes Kunstwerk“ in einer „höheren Form des Daseins“ auf223, die dynamischen Bewegungen verkennen, die von Vergils 218 Vgl. Rumpf, Extremus labor 16 ff. (zu Skutsch). 219 Vgl. Rumpf, Extremus labor 22 ff. (zu Leo). 220 Vgl. Rumpf, Extremus labor 26 ff. (zu Snell). 221 Vgl. Rumpf, Extremus labor 44 ff. (zu Putnam). 222 Vgl. Rumpf, Extremus labor 54 ff. (zu Conte). 223 Vgl. Rumpf, Extremus labor 37 ff. (zu Klingner).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Sphragis des divinus poeta ausstrahlen. Dabei bekommt Gallus’ dichterische Apotheose vor dem Hintergrund seines politisch motivierten Selbstmords tragischerweise eine fast prophetische Note verliehen (Prop. 2,34,91 f.)224: et modo formosa quam multa Lycoride Gallus / mortuus inferna vulnera lavit aqua! Falls Properz diese Verse mit einer aktuellen Anspielung auf den Suizid des Cornelius Gallus verband, könnte sich dahinter eine latente Spitze gegen Augustus verbergen, die Vergil in seiner späteren Ependichtung, nun dem illustren Dichterkreis um Maecenas angehörend, vermied und die nur noch der verbannte Ovid spitzzüngiger formulierte (vgl. Trist. 2,445 f.). Trotzdem scheint mir Properz’ Nachruf auf den „Gallus mortuus“ weniger „einen gewissen Abstand zum augusteischen Zeitgeist“ zu dokumentieren225, sondern die Würdigung von Gallus’ „formosa Lycoris“, wie ich unten begründen werde, in den poetischen Kontext des „formosus Apollo“ (Ecl. 4,57) zu stellen. In Kapitel 5.2 ist untersucht worden, wie die subjektive Liebesklage des miser amator prototypisch in Catulls 76. Gedicht vorgebildet ist. Diese klingt beim Neoteriker noch ganz und gar selbstreferentiell in einem sprichwörtlich gegenstandslosen Raumzeitkontinuum, einem vacuum nemus, wider: Bei Catull ist die bukolische Szenerie des argutum nemus, jener locus amoenus/horridus der Wehklage des Dichters, allenfalls mythologisch in das arkadische Ambiente der von den Göttern begangenen Hochzeitsfeierlichkeiten des Peleus mit der Meernymphe Thetis im grünen Tempe-Tal eingefasst (vgl. Carm. 64,278 ff.)226: „The most important influence of all on Virgil was the sixty-fourth poem of Catullus“. Hält man sich Vergils „formschönen“ Kunstcharakter der Eklogen (10,18) in Anlehnung an Catulls „divinum carmen“ 64 (321) ästhetisch gegenwärtig, ist schwer vorstellbar, dass der „divinus poeta“ Gallus in eine bukolische Sphäre eingebunden sein soll, in der eine „entidealisierende Tendenz“ vorherrsche227: „Menschen und Tiere bilden eine Gemeinschaft, in der die Menschen Wesenszüge ihrer Tiere annehmen. Das ‚Niedrige‘ des Bukolischen wird deutlich vor Augen geführt.“ Nicht das bukolisch „Niedrige“ (humile) in der Gemeinschaft der Menschen und Tiere, sondern das episch „Erhabene“ (sublime) in der Gemeinschaft der Menschen und Tiere mit den Göttern wird in der 10. Ekloge pantheistisch beschworen. Gewissermaßen stellt Vergil (in der 4. Ekloge) jene aurea aetas wieder her, die Catulls Zeitaltervorstellung längst der Vergangenheit/Vergessenheit anheimgab (vgl. Carm. 64,397 ff.). Es liegt ein feiner Wink darin verborgen, wenn der Dichtergott Apollon, der Peleus’ Hochzeit nicht beiwohnen durfte (299), zum Gesang des 224 Vgl. zum biographischen Hintergrund Butler/Barber; Camps; Flach z. St. Den historischen Überlieferungen Suetons (Augustus 66,2) und Cassius Dios (53,23) nach zu urteilen, hat sich Cornelius Gallus nach seiner Berufung zum ersten praefectus Aegypti (30 v. Chr.) offenbar eines selbstherrlichen und undankbaren Verhaltens gegenüber Augustus schuldig gemacht. Dessen offiziöse renuntiatio amicitiae weitete der Senat zu einem Hochverratsverfahren aus, dem sich Gallus schließlich 27/26 v. Chr. durch Selbstmord entzog. Der genaue Straftatbestand bleibt im Dunkeln, so dass etwa Bleicken (Augustus 341) ein crimen maiestatis der „neuen, der monarchischen Zeit“ annimmt: „Die Majestätsklage der Kaiserzeit bereitete sich [mit Gallus] vor.“ 225 So Syndikus, Properz 213 z. St. 226 Williams, Eclogues zu Ecl. 4 (105). 227 So Rumpf, Extremus labor 110 zu Ecl. 10,19 f. (110).
5. Die dritte Ableitung des Vertumnus: Vertomnis!
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göttlichen Dichters Cornelius Gallus ausdrücklich „kommt“ (21) – und mehr noch: Vergils orakelhafte Verheißung eines zukünftigen bzw. soeben geborenen Heilsbringers (puer) gipfelt in einem Wettstreit mit den mythischen Sängern Orpheus und Linus, dem Gott Arkadiens Pan und indirekt mit der schönstimmigen Muse Kalliope und dem formosus Apollo persönlich (Ecl. 4,53–59): (…) o mihi tum longae maneat pars ultima vitae, spiritus et quantum sat erit tua dicere facta! 55 non me carminibus vincat nec Thracius Orpheus nec Linus, huic mater quamvis atque huic pater adsit, Orphei Calliopea, Lino formosus Apollo. Pan etiam, Arcadia mecum si iudice certet, 59 Pan etiam Arcadia dicat se iudice victum. (…)
Die obigen laudes erscheinen weit über die Erwartungen hinaus in der Tat derart exaltiert (und begegnen so „formvollendet“ wie in V.57 m. W. in Vergils Œuvre nicht mehr wieder), dass bisweilen sogar an der Textüberlieferung gezweifelt wur de228. Es ist, zumal vor dem zeitgeschichtlichen Spiegel der Bürgerkriege und in der hoffnungsvollen Erwartung des pacatus orbis (Ecl. 4,17), eher zu vermuten, dass diese Verse die Dichtkunst der Bucolica bewusst eindrucksvoll ausschmücken: Zum einen ist das Thema der Hirtenpoesie, Pans humiles myricae (Ecl. 4,2 f.) eines „Konsuls würdig“ zu besingen, per se doppelwertig angelegt, denn die „bukolische Sphäre ist ebenso götternah wie naturnah“229. Dies bewirkt sozusagen eine autopoietische Sublimierung der eigenen niedrigen Gattung230: „The fulfilment of the New Age will inspire Vergil to transcend his present achievements in poetry“. Zum anderen bildet der formosus Apollo jenen göttlich inspirierenden dichterischen Referenzpunkt, der Vergils deductum carmen der Eklogen werk- und gattungsübergreifend mit Properz’ doctum carmen der Elegie und Catulls epischem divinum carmen (64) verbindet. Wenn Vergil seinen Dichterpaten Cornelius Gallus daher als divinus poeta auszeichnet und Properz Gallus’ Geliebte als formosa Lycoris qualifiziert, impliziert dies das denkbar höchste Lob des gottbegnadeten Künstlers und führt Gallus’ augenscheinlich stilbildende Amores gleichsam zu den divini fontes seiner Dichterweihe am Permessosstrom zurück (Ecl. 6,64–73): (…) tum canit [Silenus], errantem Permessi ad flumina Gallum 65 Aonas in montis ut duxerit una sororum, utque viro Phoebi chorus adsurrexerit omnis; ut Linus haec illi divino carmine pastor floribus atque apio crinis ornatus amaro dixerit: ‚hos tibi dant calamos (en accipe) Musae, 70 Ascraeo quos ante seni, quibus ille solebat cantando rigidas deducere montibus ornos. his tibi Grynei nemoris dicatur origo, 228 So Coleman, Eclogues zu 4,58 f. 229 Rumpf, Extremus labor 112 (zu Ecl. 10,21). 230 Coleman, Eclogues zu 4,58 f. (148).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar 73 ne quis sit lucus quo se plus iactet Apollo.‘ (…)
In Vergils 6. Ekloge legt sich vorab der Dichterpreis des divinus poeta durch die In spiration eines „divinum carmen“ dar, wenn sich der versammelte Musenchor Gallus zu Ehren erhebt und Apollons talentierter Sprössling/Kitharöde, der Linus pastor, ihm Hesiods göttlichen Gesang eingibt231: „Das übertrifft nach Art und Umfang alles, was wir sonst in den Bucolica an Huldigungen für geschichtliche Persönlichkeiten lesen, bei weitem“. Tschiedel erklärte, Vergil habe Cornelius Gallus (in der 10. Ekloge) „in der Welt seiner eigenen Poesie“ (131) präsentieren wollen, und meinte damit Gallus’ Dichtung „seiner leiderfüllten Liebe zu Lycoris“ (124). Allerdings lassen die symbolisch hoch angereicherte Szenerie der „Dichterweihe“ und das Gryneum nemus (72) wie in Prop. 3,1,1 ff. eher an eine aitiologische Verfeinerung erotischer Elegiendichtung denken232. Fraglich wäre dann, ob Vergils Würdigung den divinus poeta auf dem Höhepunkt seiner Dichtung feiert233 oder jene formosa Lycoris Gallus erst zu einer höheren Form der Dichtung inspirierte. Dass Cornelius Gallus jedoch das Ansinnen verfolgte, seine Liebesdichtung an den göttlichen „Ascraei fontes“ künstlerisch zu transzendieren, erscheint evident (Prop. 2,10,25 f.)234: nondum etiam Ascraeos norunt mea carmina fontes, / sed modo Permessi flumine lavit Amor. Wenn Properz, dessen „magnum opus“ 2,10 eine überraschende Wendung erotischer Thematik ankündigte235, zum Schluss erklärt, er sei Hesiods Gesanges „noch nicht“ kundig, dann versetzt er sich in dieselbe Lage wie der Lycoris-Dichter Gallus, der laut Vergil am Permessus der Elegie sorgenvoll „umherirrt“ (64) und durch die Dichterweihe am Musenberg eine „epische“ Sublimierung seiner Amores erfährt236. Man ist also geneigt zu resümieren, dass Properz’ divini fontes literarisch aus ein und denselben Dichterquellen des Hesiod, Kallimachos und Theokrit entspringen, aus denen schon Vergil seinen Gesang auf den divinus poeta Gallus und dieser wiederum sein apollinisches divinum carmen schöpften237: „Orpheus, Linos und wahrschein231 Tschiedel, Vergil 124. 232 Vgl. Kambylis, Dichterweihe zu Hesiod (31 ff.) bzw. Kallimachos (69 ff.). Vergils Anspielung auf den alexandrinischen Dichter Euphorion aus „Chalkis“ (Ecl. 10,50), der nach Servius zu Ecl. 6,72 das „Gryneum nemus“ Apollons besungen und von Gallus „übersetzt“ worden sei (hoc autem Euphorionis continent carmina, quae Gallus transtulit in sermonem Latinum), nährt diese Vermutung. Vgl. Coleman, Eclogues z. St. Auch Wimmel, Kallimachos in Rom 235 nahm bereits an, dass Gallus’ Dichterweihe bei Vergil mit einer sehr grundsätzlichen Aussage verknüpft gewesen sei: „(…) möglicherweise war er [Gallus] der Archeget des römischen apologetischen Dichtens und Vorbild der allmählichen Hinwendung zum großen Stoff“. 233 So Williams, Eclogues zu 6,69 f. 234 Vgl. Cairns, Augustan Elegist 330 (zu Ecl. 6,64 ff.). 235 Vgl. zu 2,10 Kapitel 5.4 im Kontext der Actia bella (~ Prop. 4,6). 236 Vgl. Cairns, Augustan Elegist 330 zu Prop. 2,10,25 f. Anders Ross, Backgrounds 120 (Anm. 1) z. St.: „the Ascraeos fontis and the flumine Permessi are the same waters“. Diese Auffassung wies Riesenweber, Uneigentliches Sprechen 269 zuletzt zurück: „Wie nondum etiam …│sed modo zeigt, brauchen wir einen Gegensatz“. Die Deutung einer durch die formosa Lycoris angeregten aitiologischen Sublimierung der Amores des Gallus wird dadurch unterstrichen, dass Properz seinen Nachruf auf den divinus poeta sprach(bild)lich analog rahmt (2,34,91 f.): et modo formosa quam multa Lycoride Gallus / mortuus inferna vulnera lavit aqua! 237 Riesenweber, Uneigentliches Sprechen 270 (zu Prop. 2,13a,3 ff.).
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lich auch das Ascraeum nemus scheint Properz aus Gallus zu haben, da man keinen Grund zu nennen vermag, weshalb er in II 13 ausgerechnet auf Vergils Darstellung der Dichterweihe des Gallus in den Eklogen hätte zurückgreifen sollen“238: Furthermore, as we can gather from both the Sixth Eclogue and the testimonia, Gallan elegy was rich in myth, capable of such highly sophisticated aetiology as that on the Grynean Grove, could become on occasion pastoral, and defined self-consciously a new role for the poet as the representative of a long tradition of inspired singers. All of this follows quite easily as a logical consequence of Catullus’ longer poems, and in fact takes us half-way towards the Monobiblos (~ Prop. 1,1,7–22): (…) 7 et mihi iam toto furor hic non deficit anno, cum tamen adversos cogor habere deos. Milanion nullos fugiendo, Tulle, labores 10 saevitiam durae contudit Iasidos. nam modo Partheniis amens errabat in antris, ibat et hirsutas ille videre feras; ille etiam Hylaei percussus vulnere rami saucius Arcadiis rupibus ingemuit. 15 ergo velocem potuit domuisse puellam: tantum in amore preces et bene facta valent. in me tardus Amor non ullas cogitat artes nec meminit notas, ut prius, ire vias. at vos, deductae quibus est fallacia lunae 20 et labor in magicis sacra piare focis, en agedum dominae mentem convertite nostrae, et facite illa meo palleat ore magis! (…)
Vor dem Spiegel des extremus labor der Eklogen (10,1) nimmt sich der primus labor der Cynthia-Dichtung (1,1) wie ein kombiniertes Mehrfachecho der Dichterweihe bzw. Liebesklage des Cornelius Gallus in der 6. und 10. Ekloge aus – nicht zuletzt deshalb, weil Properzens Mythengleichnis jenes „umherirrenden“ Milanion und seiner artes, die spröde Jägerin Atalante für sich zu gewinnen, zu der Annahme (ver)führte, der Sagenstoff habe auch in den Amores des Gallus einen prominenten Platz gefunden (ut prius)239. Diese Vermutung wird vor allem durch Vergils Stilisierung des Gallus zum pastor Siculus Theokrit nahegelegt (~ Ecl. 10,50–61): ‚(…) 50 ibo et Chalcidico quae sunt mihi condita versu carmina pastoris Siculi modulabor avena. certum est in silvis inter spelaea ferarum malle pati tenerisque meos incidere amores arboribus: crescent illae, crescetis, amores. 55 interea mixtis lustrabo Maenala Nymphis aut acris venabor apros. non me ulla vetabunt frigora Parthenios canibus circumdare saltus. iam mihi per rupes videor lucosque sonantis ire, libet Partho torquere Cydonia cornu 238 Ross, Backgrounds 48. 239 Vgl. Ross, Backgrounds 90.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar 60 spicula – tamquam haec sit nostri medicina furoris, aut deus ille malis hominum mitescere discat. (…)‘
Auch wenn sich Vergils Anspielungsreichtum auf Cornelius Gallus’ amores im Stile des Euphorion/Theokrit nicht mehr klar aufzeigen oder nachweisen lässt, bestätigt doch das dichte sprachliche und motivische Geflecht der properzischen Parthenia antra (1,1,11) indirekt die alexandrinische Gelehrsamkeit des durch Vergils „parthenische“ Wälder jagenden Cornelius Gallus240: „Virgil’s Parthenios has rightly been taken as reflecting a sophisticated compliment paid by Gallus in his Amores to his Greek poetic master, Parthenius“. Vielleicht hatte sich Gallus in einem seiner Liebesgedichte an die dura Iasis Lycoris ja tatsächlich einmal in die Rolle des (erfolgreichen?) Milanion hineingesteigert. Der erlesene Mythenstoff hätte gut den Erotika Pathemata des Parthenios, einem kleinen, Cornelius Gallus gewidmeten Kompendium amouröser Sagengeschichten, entnommen sein können (1)241: Μάλιστα σοὶ δοκῶν ἁϱμόττειν, Κοϱνήλιε Γάλλε, τὴν ἄϑϱοισιν τῶν ἐϱωτικῶν παϑημάτων. Bei diesen Überlegungen und Gedankenspielereien sollte man aber berücksichtigen, dass der angenommene Vergleich zwischen dem miser amator Properz und dem Milanion amens Gallus nicht nur mythologisch, sondern auch durch Vergils Interpretation des liebeskranken pastor in der 10. Ekloge (die für Properz’ Elegie 1,1 die hier nachweislich überlieferte Quelle ist) insofern verdeckt und relativiert wird, als die literaturkritische Rezeption und Rekonstruktion der Amores des Cornelius Gallus maßgeblich von Vergils Bucolica abhängen. Inwiefern und inwieweit Properz’ furor sprachlich und thematisch unmittelbar aus Gallus’ Liebeselegie schöpft, lässt sich im Detail nicht mit Bestimmtheit oder nur unter Vorbehalt sagen, obwohl das Ausmaß für einen so textuell veranlagten Dichter wie Properz nicht unerheblich gewesen sein dürfte. Auch wenn Ross – noch ohne Kenntnis des drei Jahre später entdeckten Papyrus-Fragments 1978 – in seiner bahnbrechenden Untersuchung der Backgrounds to Augustan Poetry (1975) die Einflüsse der Amores des Gallus auf die augusteische Liebesdichtung und Properz’ Monobiblos im Besonderen stellenweise doch recht zuversichtlich einschätzte242, ist auf der anderen Seite – nach dem Fund von neun z. T. bruchstückhaften Versen im ägyptischen Qaṣr Ibrîm – das Urteil, „that [the fragmentary papyrus] had demonstrated little of the obvious erudition and complexity Ross had posited as Gallus’s style“243, wohl zu hart. Natürlich können die nur zwei vollständigen Distichen, noch dazu in einem umstrittenen historischen Kontext, die 240 Cairns, Augustan Elegist 110 zu Ecl. 10,57. 241 Übersetzt nach Brodersen, Erotika Pathemata z. St. (29): „Am meisten zu Dir, Cornelius Gallus, paßt – wie ich meine – die Zusammenstellung von Liebesleiden“. 242 Vgl. Ross, Backgrounds 51 ff. (zusammenfassend 81 ff.). Ross’ Thesen wurden zuletzt von Cairns, Augustan Elegist 110 ff. aufgegriffen und weitgehend bekräftigt. Unbeschadet thematischer Berührungspunkte sollte man mit Aussagen wie „but since Propertius wrote 1.20 so clearly in the manner and style of Gallus“ (Ross 82) vorsichtig umgehen (dies betrifft bei Cairns die Analyse der „Gallan Metrics“ 146 ff.), zumal über Gallus’ Dichtungsstil, selbst wenn man den Papyrus-Fund als authentisch anerkennt, kaum etwas Umfassendes ausgesagt werden kann. 243 So Pincus, Propertius’s Gallus 171.
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Elegiendichtung des divinus poeta nur ansatzweise veranschaulichen. Dennoch gewährt das, was von Gallus mutmaßlich überliefert ist, einen bemerkenswerten Einblick in die literaturgeschichtliche Genese der „maxima Roma“ und die gattungsspezifische Entwicklung der elegischen domina (Papy. Qaṣr Ibrîm): 1 tristia nequit[ia fort. fact]a Lycori tua. 2 Fata mihi, Caesar, tum erunt mea dulcia, quom tu 3 maxima Romanae pars eri‹s› historiae 4 postque tuum reditum multorum templa deorum 5 fixa legam spolieis deivitiora tueis. 6 …]…tandem fecerunt c[ar]mina Musae 7 quae possem domina deicere digna mea. 8 …] atur idem tibi, non ego, Visce 9 …]…l. Kato, iudice te vereor. (…)
Die grundsätzliche Streitfrage nach der Authentizität des sog. Gallus-Fragments kann hier nicht beantwortet werden. Aufgrund der motivischen Dichte und Vielschichtigkeit mag die allgemein erhobene Kritik „Alles paßt nämlich ein wenig zu gut“244 eher ein Argument für dessen Echtheit sein (~ Ecl. 6,69): hos tibi dant calamos (en accipe) Musae. Wenn die Musen Gallus laut Vergil zu einem divinum carmen inspirieren, sollte man annehmen, dass beim divinus poeta, wie bei Properz, Calliope (2,1,3) selbst am Werke war, damit der Dichter seiner domina würdige Lieder anzustimmen vermochte (~ Prop. 2,1,15 f.)245: seu quidquid fecit [Cynthia] sive est quodcumque locuta, / maxima de nihilo nascitur historia. Es ist sogar denkbar, dass Properz’ durch Cynthia angeregtes ingenium (2,1,4) direkt auf Gallus’ durch die Musen angeleitete carmina verweist246. Interessant ist insbesondere Gallus’ Assoziation der erotischen Lycoris-Dichtung mit der – für das vierte Properz-Buch innovativen – epischen Ausrichtung auf die maxima Roma (Kapitel 1), wobei ich die zeitgeschichtliche Einordnung in Augustus’ Actia bella für plausibler halte als den historischen Bezug auf den geplanten und nicht mehr realisierten Partherfeldzug des Diktators Julius Caesar (das dann proleptische postque tuum reditum wirkt vor dem Hintergrund seiner Ermordung etwas makaber und revisionsbedürftig)247. Dass Gallus bei der Eroberung Alexan drias 30 v. Chr. aktiv als Heerführer verantwortlich zeichnete und für seine militärischen Verdienste mit der ersten Präfektur Ägyptens belohnt wurde, würde zudem den auf Augustus konzentrierten Herrscherpreis in V.2 ff. steigern: Caesar Augustus, der „größte“ (Dichtungs-) Bestandteil römischer Zeit- und Weltgeschichte, ist in die erotischen fata dulcia des Gallus epigrammatisch sprichwörtlich eingebettet (vgl. Kapitel 6.3). 244 So Holzberg, Liebeselegie 34. 245 Vgl. Anderson/Parsons, Elegiacs by Gallus 148 („Lycoris“). 246 Vgl. Anderson/Parsons, Elegiacs by Gallus 148 (dazu Anm. 116) mit Bezug auf Martial, Epigr. 8,73,6 (ingenium Galli pulchra Lycoris erat). 247 Für den Bezug auf Augustus Newman, The New Gallus 22 ff. und Holzberg, Liebeselegie 33. Auf Julius Caesar bezogen dagegen Anderson/Parsons, Elegiacs by Gallus 151 ff. und Putnam, The New Gallus 49 ff.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Es steht außer Zweifel, dass sich mit den Amores des Cornelius Gallus ein Themen- und Begriffsrepertoire erschließt, das von den augusteischen Elegikern in immer wieder neuen Variationen gepflegt wird (vgl. Prop. 2,5,1 f.)248: Hoc verum est tota te ferri, Cynthia, Roma / et non ignota vivere nequitia? Zwar kann nicht mit Sicherheit behauptet werden, welches Wort die Lücke im Pentameter in Vers 1 ursprünglich ausgefüllt hat249, doch bleiben Gallus’ Reputation und Bedeutung für die Entwicklung der sog. „subjektiven“ Liebeselegie davon unberührt250. Die Annahme, dass das bei Vergil erstmals belegte Synonym cura für die Geliebte Lycoris Gallus’ poetischem Wortschatz entstammte251, hat viel für sich. Mit Blick auf Properz’ Elegien (1,16,14) und Vergils Eklogen ist das Attribut tristia von besonderem Belang, zumal auch Vergils pastor Gallus seine Liebeslieder einst „tiefbetrübt“ in Arkadiens Wälder und Berge hineinschallen ließ (Ecl. 10,31–34): (…) 31 tristis at ille [Gallus] ‚tamen cantabitis, Arcades,‘ inquit ‚montibus haec vestris; soli cantare periti Arcades. o mihi tum quam molliter ossa quiescant, 34 vestra meos olim si fistula dicat amores! (…)‘
Es liegt auf der Hand, dass sich das zentrale Sujet der dura domina (Prop. 1,7,6) wesentlich in den Amores des Cornelius Gallus herausgebildet hat252. Vermutlich hatte Gallus’ cura Lycoris (Ecl. 10,22) schon Eingang in den erotischen Topos des Paraklausithyrons gefunden, so offensichtlich wie Properz seine Liebesklage vor der verschlossenen Tür mit poetologischen Begrifflichkeiten umrahmt253. Auch scheint das bei Properz so markante Oxymoron der mollia ossa (4,7,80), wie ich in Kapitel 6.3 vertiefen werde, durch die fata dulcia des Gallus sprachbildlich herangereift zu sein (Prop. 1,17,19 ff.): illic [ignotis silvis] si qua meum sepelissent fata dolorem … molliter et tenera poneret [Cynthia] ossa rosa. Da die 10. Ekloge zuallererst einen sphragisartigen Lobpreis des divinus poeta und seiner Liebesdichtung darstellt, wird Rumpfs Interpretation, dass „für Gallus die von Pan vergegenwärtigte bukolische Sphäre unerreichbar bleibt“254, der tristis pastor Gallus also in Vergils Arkadienphantasie ein erotischer Fremdkörper sei, im selben Augenblick durch die Fiktion einer bukolischen Liebesdichtung durchkreuzt, deren „Gegen-
248 Vgl. Holzberg, Liebeselegie 33; Cairns, Augustan Elegist 94 f. 249 Mit Blick auf Prop. 1,1,16 (tantum in amore preces et bene facta valent) und 1,18,26 (iussa neque arguto facta dolore queri) ist das nominalisierte Partizip facta erwägenswert. Vgl. Anderson/Parsons, Elegiacs by Gallus z. St. Möglich ist aber auch ein Substantiv wie verba (vgl. Prop. 3,10,24 f.): (…) et sint nequitiae libera verba tuae, / dulciaque (…). 250 Vgl. Anderson/Parsons, Elegiacs by Gallus zum Begriff nequitia (1). 251 Vgl. Prop. 1,1,36 und zum etymologischen Wortspiel cura Lycoris (Ecl. 10,22) bei Vergil Ross, Backgrounds 68 f. 252 Vgl. Kapitel 5.1 zu Prop. 1,7,5 ff. (nos, ut consuemus, nostros agitamus amores …) 253 Vgl. 1,16,41 (at tibi [ianua] saepe novo deduxi carmina versu …). Bei Catull, Carm. 67 (O dulci iucunda viro …) ist das Paraklausithyron in Form eines Dialogs motivisch vorgeprägt. 254 Vgl. Rumpf, Extremus labor zu Ecl. 10,31 ff. (125).
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stand er selbst [Gallus] ist“ (~ Ecl. 10,54)255: „crescent illae [arbores], crescetis, amores“256: When Vergil has Gallus say crescent illae, crescetis, amores, he is, of course, not referring simply to „loves“ themselves, but also to Cornelius Gallus’s collection of poetry of the same name. Likewise, the word with which Propertius’s woods resound in lines [1,18] 31–32 is meant to be both the name of a woman and a title for the Monobiblos itself, which, according to the conventions of Augustan poetry, would have been referred to by its incipit, Cynthia.
Vergils Doppelreflexion vom „Dichtersein“ und „Dichten“ des Gallus257, was beides letztlich auf die poesis der Eklogen und den Tityrus Vergil zurückstrahlt, liegt eine raffinierte referentielle Überlagerung der Innen- und Außenperspektive des Gallus zugrunde, der in der 10. Ekloge sowohl als fiktive persona und realer poeta seiner Liebesdichtung in Erscheinung tritt. Dies bewirkt, unbeschadet etwaiger bucolici amores des Gallus, vor allem eine elegische Sublimierung der Hirtendichtung Theokrits, wenn Vergil Gallus persönlich dessen Amores in die „zarten Bäume“ (10,53 f.) der Eklogen einritzen lässt. Diese beiden divini fontes im Besonderen, Vergil und Cornelius Gallus, verbindet Properz in Referenzidentität zu einer thematischen Wesenseinheit und bezieht diese „gattungsgenealogisch“ auf seine eigene bukolische Liebesdichtung (1,18,19): Vos eritis testes, si quos habet árbŏr ămóres. Ein Schlussgedanke soll die Ergebnisse dieses Kapitels, die für das intertextuelle Verständnis augusteischer und properzischer Dichtung grundlegend sind, rekapitulieren. Eine feine Abwandlung scheint nämlich darin zu bestehen, dass Properz seine Cynthia-Dichtung (1,1) mit dem – vielleicht aus Gallus’ Amores entlehnten – erfolgreichen (!) Mythenbeispiel des Milanion einleitet und anreichert und das, obwohl sich Vergils Gallus schließlich ebenso erfahrungs- wie sentenzenreich Amors Allmacht fügt (Ecl. 10,69)258: omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori. Selbstverständlich ist es ein inhärentes Merkmal einer nova poesis, dass die erotische Dichtung, wie in Kapitel 5.2 gezeigt, von Catull über Properz bis zu Ovid dynamische Entwicklungsstufen und innovative Bruchstellen aufweist. Insofern ist die Suche gleichsam nach einem punktuellen „Ursprung“ der römischen Liebeselegie, erst recht im weitläufigen Horizont der griechischen Vorbilder, eher müßig und missverständlich. Vielmehr darf man sich die Wechselwirkung der nostri labores (Ecl. 10,64) als eine komplexe literarische Gemeinschaftsproduktion vorstellen, die je nach Maßgabe der dichterischen Grundlagen teils stärkere, teils schwächere Gattungsreferenzen ausbildet. Die Elegie und Bukolik überschneiden und befruchten sich thematisch durch die solliciti amores und künstlerisch durch die ars Battiadae wohl am deutlichsten. Rumpfs Behauptung, dass der „amor Galli das entscheidende Movens für das Erreichen des dichterischen maximum, für die abschließende selbstbewußte Selbsterhöhung des bukolischen Dichters und der bukolischen Dichtung“ sei259, hebt den 255 Vgl. Rumpf, Extremus labor zu Ecl. 10,33 f. (126). 256 Pincus, Propertius’s Gallus 183. 257 Vgl. Rumpf, Extremus labor zu Ecl. 10,50 f. (145). 258 Vgl. Coleman, Eclogues z. St. (293): „omnia vincit Amor could be a quotation from the cadence of one of Gallus’ elegiac pentameters“. 259 Rumpf, Extremus labor zu Ecl. 10,72 ff. (191).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
hohen textuellen Stellenwert der Bucolica zurecht hervor: Erst die Inspiration durch den divinus poeta Gallus macht Vergils divinum carmen der Eklogen (10) zu einem Kunstwerk von ganz eigenem und besonderem werkübergreifenden Rang. Trotzdem berührt Vergils Arkadienphantasie des Gallus wie eine autobiographische Sphragis zu gleichen Teilen den melancholischen Gefühlseindruck der Eklogen. Denn der tristis pastor färbt emblematisch auf eine tristis poesis ab, die mit tiefgreifenden gesellschaftspolitischen Umwälzungen und persönlichen Schicksalsschlägen einherging. Dagegen hat sich für Properz, einmal abgesehen von 1,21/22 (Kapitel 6.4), der im Schoß der pax Augusta sein Glück und Leid besingt, Vergils „nos patriam fugimus“ längst in eine utopische Dichtungslandschaft verwandelt, in der sich der felix Tityrus (Vergil) seinen scheinbar unbeschwerten amores hingibt. So erscheint bei Properz der (un-) glückliche pastor Cornelius Gallus im Spiegelbild des erfolgreichen Milanion für einen Wimpernschlag in Vergils bukolische Weltordnung der göttlichen Hirtensänger Pan, Linus und Apollon entrückt, wo man wie im Idealfall der dura puella Atalante die Geliebte noch mit Äpfeln oder Hartnäckigkeit beeindrucken konnte. Dies stellt, wie Vergils 10. Ekloge zeigt, spätestens seit Cornelius Gallus (genaugenommen schon seit Catull) keine realistische „elegische“ Option mehr dar: Wie der vom furor getriebene Gallus in Ecl. 10,60 f. wird auch Properz vergeblich nach einem Heilmittel (medicina) gegen das Liebesübel (malum) suchen und Seite an Seite gemeinsam mit „Gallus“ sein Unglück beklagen (vgl. 1,5,27 ff.)260. Auch wenn Vergils Gallus am Ende den Hamadryades (Ecl. 10,62) und Theokrits Gesang abschwören will – bei Properz’ „gefälligen Baumnymphen“ (2,34,76) dauert das argutum carmen bukolisch-elegischer Liebe ungebrochen fort. In diesem Sinne versinnbildlicht die ganze Monobiblos (1,18) einen einzigartigen helltönenden Dich terhain, in dem man die verschiedenen Stimmen von Hesiod über Kallimachos und Parthenios bis zu Gallus und Vergil wie übereinander gelagerte Echos zu vernehmen meint. Properz’ Vertumnus in der Gestalt des „jagenden“ pastor Gallus (Ecl. 10,56) stellt im Ergebnis nicht nur eine persönliche Hommage an Vergils Bucolica und den divinus poeta dar, sondern überhaupt eine idyllische Reminiszenz an die – vielleicht verlorene – „Verbindung von Natur, Liebe und Dichtung“261.
260 An dieser Stelle möchte ich jedoch nicht die Identifikation des Gedichtadressaten Gallus (1,5,31) mit dem divinus poeta befeuern, wie sie Cairns, Augustan Elegist 70 ff. für eine Anzahl an Widmungen der Monobiblos (so der Elegien 5/10/13/20) verfochten hatte. Vielleicht kann man den biographischen Einwand, der eques Cornelius Gallus könne nicht gut der nobilitas (1,5,23) zugerechnet werden, ja noch wie Cairns mit Gallus’ dichterischer Reputation entkräften (79): „Gallus’ nobilitas is therefore in effect the same thing as his tantum nomen“. Vergils zutiefst freundschaftlich-inniger amor Galli passt, zumal vorausschauend auf Gallus’ politisch erzwungenen Selbstmord, aber nicht zum ungenierten erotischen Gesprächston, den der poetische Parvenü Properz hier mit dem praefectus Aegypti pflegen soll (1,5,25 f.): quod si parva tuae dederis vestigia culpae, / quam cito de tanto nomine rumor eris! 261 Vgl. Schmitt, Bukolik Theokrits 323 zum „künstlerischen Anliegen“ der Eidyllia.
6. EINE „VIERTE“ ABLEITUNG DES VERTUMNUS: VERSUS 6.1 „Epic into Elegy, Elegy into Epic“: Der heros exclusus Herkules (4,9) und Tarpejas amor armorum (4,4) In Kapitel 5.5 ist verdeutlicht worden, dass man sich die properzische bzw. augusteische Dichtung wie eine großangelegte „Echokammer“ vorstellen muss1, in der einzelne Wörter, Wendungen oder ganze Verse in-, neben- oder gegeneinander widerklingen. Das metaphorische argutum nemus (1,18) bildet den akustisch einprägsamsten Bezugspunkt intertextueller Anspielungstechnik und verbindet Properz’ Dichtung allseits wandelbar mit den arguta carmina des Catull, Horaz oder Vergil. Die referentiellen Textüberlagerungen bedingen dabei eine „Kreuzung der Gattun gen“2, die sich beispielhaft in Vergils 10. Ekloge am tristis pastor Cornelius Gallus darlegt. Aber auch die Aeneis bezeugt die dichterischen Nachwirkungen der tenuis harundo (Ecl. 6,8), die den „tiefbetrübten“ Aeneas auf der sorgengeplagten Odyssee in die Heimat Latium an jenen „locus amoenus“ geleitet, an dem der Flussgott Tiberinus dem Trojaner einst die Zukunft offenbarte (Aen. 8,26–36)3: (…) 26 nox erat, et terras animalia fessa per omnis alituum pecudumque genus sopor altus habebat, cum pater in ripa gelidique sub aetheris axe Aeneas, tristi turbatus pectora bello, 30 procubuit seramque dedit per membra quietem. huic deus ipse loci fluvio Tiberinus amoeno populeas inter senior se attollere frondes visus (eum tenuis glauco velabat amictu carbasus, et crinis umbrosa tegebat harundo), 35 tum sic adfari et curas his demere dictis: ‚O sate gente deum (…).‘
Man darf in dem lukrezischen Idiom „alituum genus“ einen feinen Gattungsanklang wahrnehmen4, der den mythologischen Kriegsschauplatz des Epos mitten in dem genus tenue der bukolischen Dichtung verortet. Die arkadische Szenerie insbesondere des 8. Buches, das Gransden als „the most pastoral book of the poem“ ausgewiesen hatte5, ist von so idealisierenden Vergangenheitserinnerungen geprägt, dass Anderson den gleichnishaften pastor Aeneas wie ein „autobiographisches Bekenntnis“ Vergils auffasste6:
1 Vgl. zur intertextuellen „Echokammer“ (Roland Barthes) einführend Kapitel 1. 2 Vgl. Kroll, Studien 202 ff. (Kapitel 9). 3 Vgl. thematisch Kapitel 4.1 zu Prop. 4,2,7 ff. (hac quondam Tiberinus iter faciebat …). 4 Vgl. De rer. nat. 5,801 (principio genus alituum variaeque volucres …). 5 Vgl. Gransden, Aeneid VIII 24. 6 Anderson, Pastor Aeneas 6 f. (16).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar Vergil seems to let Aeneas look, with obvious regret, back to those last precious moments of uninvolvement, as though to an ideal existence from which he has been forcibly separated. Aeneas feels profoundly the change which was produced in his life by the violent overthrow of Troy, and, as he recounts the events which produced this change, he effectively summarizes his lost happiness and freedom from terrible responsibility in this pastoral simile.
Bestimmt drückt sich in dem (noch) freien und unbelasteten Kriegshelden der Ae neis auch eine Sympathie oder Nostalgie für die melancholisch-leichte Lebenswelt der Hirten aus. Dennoch räumte Anderson zutreffend ein, dass Aeneas für Vergil nicht lediglich „a simple bucolic hero“ sei7, sondern Aeneas’ bzw. Vergils Verpflichtung und Aufgabe, Roms Literaturschicksal und dasjenige des Augustus in die eigene Hand zu nehmen, einen tiefgründigen gattungsspezifischen Wandel voraussetzt, der den zeit- und literaturgeschichtlichen Horizont der Bucolica (und der Georgica) noch einmal deutlich übersteigt: Das kriegsverneinende „nos patriam fugimus“ der Eklogen (genus humile) hat sich in das gleichsam kriegsbejahende „arma virumque cano“ des Epos verwandelt (genus grande). In diesem Kapitel soll an den Elegien 4,4 und 4,9 veranschaulicht werden, dass sich Properz im vierten Buch, so vor dem Hintergrund der kurz zuvor publizierten Aeneis, in ungleich höherem Maße mit der dichterischen Herausforderung konfrontiert sah, den epischen Stoff der maxima Roma in eine elegische Form einzufassen oder erotische Sujets mit aitiologischen Inhalten auszufüllen. Aus dieser spannungsvollen Konfrontation bzw. Kreuzung episch-elegischer Themen und Motive entspringt ein geistreiches Gattungsspiel, für das der heros exclusus Herkules (4,9) und Tarpejas amor armorum (4,4) ausgezeichnete Beispiele abgeben. Beide Gedichte qualifizieren im Kern Properz’ dialektisches Verständnis einer poesis versa, die Anleihen aus verschiedenen Genres in sich aufnimmt und ihren ästhetischen Charakter der jeweils imitierten Dichtungsgattung formgerecht anpasst. Analog zu Vergils Aeneis, in der eine epische Verknüpfung mit bukolischen Rahmenthemen zu beobachten ist, bewirkt das nationalrömische Programm des vierten Buches bei Properz einen gattungstranszendierenden Wandel elegischer Liebesdichtung (4,9,1–8): Amphitryoniades, qua tempestate iuvencos egerat a stabulis, o Erythea, tuis, venit ad invictos, pecorosa Palatia, montes, et statuit fessos, fessus et ipse, boves, 5 qua Velabra suo stagnabant flumine quaque nauta per urbanas velificabat aquas. sed non infido manserunt hospite Caco 8 incolumes: furto polluit ille Iovem. (…)
Schon zu Beginn wird die Form elegischer λεπτότηϛ des Gedichts 4,9 dadurch konterkariert, dass das epische Patronymikon Amphitryoniades (Herkules) den halben Hexameter ausfüllt und durch das qua tempestate immanente Hinweise auf Vergils Aeneis (8,103) oder Catulls Carmina (68b,112) gibt. Obwohl diese imposanten Auftaktverse Properzens spätere Heldenparodie noch nicht erahnen lassen8, vermi7 8
Vgl. Anderson, Pastor Aeneas 7. Vgl. auch Kapitel 5.1 zu Prop. 4,9,45 ff. (…et manibus duris apta puella fui).
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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schen sich in dem ersten Wort textuelle Widerklänge, die unterschwellig an Vergils epische Mission des Aeneas und Catulls erotisches Pathos der Laodamia erinnern9. Andererseits behauptete Mutschler mit Blick auf die in 4,9 stark gekürzte CacusEpisode (vgl. Aen. 8,193 ff.), wo Herkules „im Glanz einer heldischen Lichtgestalt“ erscheine10, dass Properzens Held in der „unheroischen Szenerie“ von 4,9 seinen „denkbar unheroischen Auftritt“ habe (Aen. 8,213–218)11: ‚(…) interea, cum iam stabulis saturata moveret Amphitryoniades armenta abitumque pararet, 215 discessu mugire boves atque omne querelis impleri nemus et colles clamore relinqui. reddidit una boum vocem vastoque sub antro 218 mugiit et Caci spem custodita fefellit. (…)‘
Mutschlers Auffassung bedarf insofern einer relativierenden Klarstellung, als der Rinderraub des Cacus auch in Vergils Epos in das „unheroische“ argutum nemus der Bukolik eingeschlossen ist. Wie der pastor Aeneas vollzieht der heros epicus Herkules hier und in Properz’ Elegie eine bemerkenswerte Charakterverwandlung12: „No longer is Hercules the great knight-errant of antiquity, but a hero of a different stamp, the ἥϱωϛ βουκολικός.“ Derart gelingt es beiden Dichtern thematisch stimmig, den epischen Rinderhirten Herkules in die bukolische Szenerie der pecorosa Palatia einzubinden, indem der berühmte Keulenschwinger seinen Widersacher sozusagen mit dem „arkadischen Ast“ erschlägt (Prop. 4,9,15–20): (…) 15 Maenalio iacuit pulsus tria tempora ramo Cacus, et Alcides sic ait: ‚Ite boves, Herculis ite boves, nostrae labor ultime clavae, bis mihi quaesitae, bis mea praeda, boves, arvaque mugitu sancite Bovaria longo: 20 nobile erit Romae pascua vestra Forum.‘ (…)
Die Interpreten pflegen vor allem den humorvollen Charakter der Elegie 4,9 herauszustreichen, in der Properz den aitiologischen Epenstoff Vergils scheinbar freizügig neu arrangiert. Wegen der Bandbreite tendenziöser Bewertungen kann man jedoch nicht deutlich genug betonen13, dass Properz’ kallimacheische Nonchalance zunächst auf einer hohen künstlerischen Ebene angesiedelt ist14. Zweifellos soll Properzens Heldenpersiflage des exclusus amator (unten) amüsant und anregend wirVgl. Kapitel 6.3 zu Catull, Carm. 68b,73 ff. (~ Prop. 4,3). So Effe, Hercules fervidus 168 zu Vergils Darstellung. Vgl. Mutschler, Hercules im Hain 118 z. St. Pillinger, Callimachean Influences 185 (zu Prop. 4,9). So zum Beispiel Richardson („the whole poem is comedy“), Cairns, Hercules exclusus 86 („a hyper-grotesque Augustan reworking“) oder Effe, Hercules fervidus 171 zu 4,9 („eine ironische Antiklimax“). 14 Vgl. Pillinger, Callimachean Influences 182. 9 10 11 12 13
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ken: Die elegische „Entheroisierung des Helden“15, der sich wie Vergils pastor folglich „zum zweiten Mal“ (bis) um die geraubten Rinder kümmert, drückt aber zugleich eine bukolische Erhöhung des epischen Rinderhirten Herkules aus16: One might suggest that by these means Propertius is shifting the poem into a pastoral key, tempering the ferocity of the monster-slaying Hercules, substituting a picture of a love-sick cowherd, to prepare for the setting and mood of the episode that follows.
Deshalb bedeutet Herkules’ Charakterzeichnung in dem Gedicht 4,9 kein „bucolicelegiac ‚reduction‘ of epic motifs“17, sondern umgekehrt eine episch-bukolische Sublimierung elegischer Sujets: Properz wolle im Sinne dichterischer imitatio/aemulatio zeigen, „what his sophisticated elegiac mode can do with the material of epic“18: „There is a quality of exuberance, of display and self-confidence, a joyful impudence and a delight in his own creativity.“ Dieser gewitzt-ingeniöse Kunstcharakter des „Epic into Elegy“ (Warden) liegt dem Gedicht 4,9 zugrunde. Demgemäß bildet die gattungsspezifische „epische“ Anverwandlung elegischer Dichtung das substantiell differenzierbare Kriterium des augusteischen magnum/molle opus (vgl. Kapitel 5.4). Vom Standpunkt poetischer Kreativität und Produktivität ist es jedenfalls nicht verwunderlich, wenn sich zu den „erschöpften“ Rindern in 4,9 (4) ein ebenso „erschöpfter“ Hirte gesellt, denn Properz’ labor des Herkules verarbeitet „intertextuell“ Vergils mehrschichtigen „extremus labor“ (Ecl. 10,1) der Aeneis. Die aus der Cacus-Episode abgeleitete Stiftung des Forum Boarium bekundet darüber hinaus Properz’ (und Vergils) kenntnisreichen Umgang mit der traditionellen und zeitgenössischen römischen Geschichtsschreibung (Liv. 1,7,3–5)19: (3) Ita solus potitus imperio Romulus; condita urbs conditoris nomine appellata. Palatium primum, in quo ipse erat educatus, muniit. Sacra dis aliis Albano ritu, Graeco Herculi, ut ab Euandro instituta erant, facit. (4) Herculem in ea loca Geryone interempto boves mira specie abegisse memorant, ac prope Tiberim fluvium, qua prae se armentum agens nando traiecerat, loco herbido ut quiete et pabulo laeto reficeret boves et ipsum fessum via procubuisse. (5) Ibi cum eum cibo vinoque gravatum sopor oppressisset, pastor accola eius loci, nomine Cacus, ferox viribus, captus pulchritudine boum cum avertere eam praedam vellet (…).
Vielleicht stellen Properz’ „verweiblichte“ Rinder (quaesitae boves)20 ja eine unmittelbare Reminiszenz an Livius’ pulchritudo boum dar, die für Cacus und Herkules zum erotischen Objekt der Begierde avanciert sind (praeda). Bemerkenswerterweise offenbart der Vergleich mit Livius Properzens größere sprachliche Nähe zur Prosafassung (fessus et ipse). Dass Properz wider Erwarten die Episode des räube-
So Effe, Hercules fervidus 172. Warden, Epic into Elegy 233 (Anm. 11) zum Ausdruck Maenalius ramus (4,9,15). Vgl. Pinotti, Alexandrianism 137. Warden, Epic into Elegy 229 (zu Prop. 4,9). Nach Varro, De ling. Lat. 5,146 wurde das Forum Boarium für gewöhnlich vom römischen „Rindermarkt“ abgeleitet. Vgl. Butler/Barber z. St. 20 Heyworth verbessert in 4,9,18 zu quaesiti boves (Cynthia z. St.): „Why should Hercules address them as cows?“ Der „Geschlechtswandel“ ist aber nicht biologisch, sondern poetologisch zu verstehen (genus grande ~ tenue). Vgl. dazu Prop. 4,1a,4 (Euandri profugae concubuere boves). 15 16 17 18 19
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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rischen Cacus nicht direkt an das kanonische αἴτιον der Ara Maxima anbindet21, sondern eine einfallsreiche, wenn auch naheliegende Deutung des Forum Boarium gibt, fasse ich wie Rothstein z. St. aber nicht als eine wenig „glückliche Erfindung“ auf. Eher ist es für den heros elegicus bezeichnend, dass der panegyrisch verbindlichen Stiftung der Ara Maxima zunächst ein pointenreiches erotisches Zwischenspiel vorausgeht, das Vergils epischen Helden (zurück) an den bukolischen locus amoenus versetzt (Prop. 4,9,21–30): (…) 21 dixerat [Alcides], et sicco torquet sitis ora palato, terraque non nullas feta ministrat aquas. sed procul inclusas audit ridere puellas, lucus ubi umbroso fecerat orbe nemus, 25 femineae loca clausa deae fontesque piandos, impune et nullis sacra retecta viris. devia puniceae velabant limina vittae, putris odorato luxerat igne casa, populus et glaucis ornabat frondibus aedem, 30 multaque cantantes umbra tegebat aves. (…)
Die sprachbildliche Auskleidung der obigen loca clausa erinnert beinahe farbecht an Vergils arkadische Szenerie der Aeneis (8,31 ff.)22. Trotzdem klingt das elegische argutum nemus im Detail facettenreicher wider: die homerische Eingangsformel dixerat (et)23; die formschön in einen goldenen Vers eingebundenen puniceae vittae (27)24 oder die ästhetische Referenz auf den alexandrinischen purus fons der Programmgedichte 3,1 (3) und 3,3 (51)25 – dies alles baut den verschlossenen „götternahen und gottgeweihten Platz in der Natur“26 zu einer hochkarätig exklusiven „Dichtungslandschaft“ aus. Der feine Unterschied zu den deserta loca des Dichterhains 1,18 besteht aber darin, dass die Liebesklage des exclusus amator ausgerechnet hier an den verborgenen divini fontes der Bona Dea nicht „ungestraft“ (26) bliebe27: Auch dem Hain der Bona Dea kommt der Status einer Dichtungslandschaft zu. Allerdings nicht irgendeiner beliebigen. Denn es unterscheidet den Hain der Frauengöttin von den anderen Sze21 Vgl. unten Prop. 4,9,67 ff. und dazu Aen. 8,268 ff. bzw. Liv. 1,7,10. 22 Vgl. Warden, Epic into Elegy 235 („a remarkable example of Propertius’ tendency to intellectualise the visual image“). Wegen der bildhaften Wirkung der properzischen loca clausa ist Housmans Konjektur glaucis in V.29 dem longis vorzuziehen (Heyworth, Cynthia z. St.): „Length is not the salient feature of a poplar’s boughs (or leaves)“. Auch Camps z. St. verbindet das Epitheton longus eher farblich mit der graugrün-belaubten Pappel („this must refer to leafy boughs, or to foliage generally“). Vergils Aen. 8,31 ff. und die bicolor populus (276) schlagen so stark durch, dass eine Anspielung auf den glaucus amictus des „pappelumlaubten“ Tiberinus wahrscheinlich ist. 23 Vgl. Pillinger, Callimachean Influences 186 (zu 4,9,21). 24 Vgl. Warden, Epic into Elegy 235 z. St. 25 Vgl. Mutschler, Hercules im Hain 120 f. 26 So Syndikus, Properz 353 z. St. 27 Mutschler, Hercules im Hain 121 f. Vgl. Kapitel 5.5 zu Prop. 1,18,3 (hic licet occultos proferre impune dolores …).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar nerien eine zusätzliche Qualität, und zwar die, Männern untersagt, allein Frauen vorbehalten zu sein. Das ist für einen Hain der Bona Dea nicht verwunderlich. Was jedoch auffällt und der Erklärung bedarf, ist, daß diese Frauen – und nun kommt die Sprache endlich auf dasjenige Charakteristikum des Hains, das Properz als erstes, und zwar noch vor diesem selbst, ins Spiel bringt – als lachende Mädchen präsentiert werden (23).
Mutschler folgerte richtig, dass die inclusae puellae auf Properz’ Liebesdichtung anspielen, und verteidigte eingangs das überlieferte non „nullas“ in V.22 (120): „Der dürstende Hercules wendet seine Aufmerksamkeit nicht mehr von der Not gezwungen dem kühlfeuchten Hain der Frauengöttin zu, sondern er tut dies, weil ihm dessen Naß aus irgendwelchen [nämlich den obigen] Gründen verlockender scheint als das Wasser, das ihm – auf weniger problematische Weise – bereits zur Verfügung steht.“ Die überwältigende Mehrheit der Textausgaben/Kommentare zieht dagegen die Humanistenkonjektur non „ullas“ vor, zumal sich der heros epicus Herkules in seiner verzweifelten Lage vor der Frauengöttin sogar zu einer apta puella (50) erniedrigt. Die Frage ist, ob man Properz in gravierendem Widerspruch zur wasserreichen Landschaft des Velabrum (terra feta) ein solches „logical non-sequitur“ (Warden) zutrauen darf, um die Handlung voranzutreiben bzw. die Epenparodie vorzubereiten28. Falls das non ullas ein Oxymoron bzw. Paradoxon impliziert, würde ich aber wie in V.23 sprachlogisch ein adversatives sed als ein polysyndetisches terraque erwarten, um den bedingenden Gegensatz sitis/aqua klarzustellen. Insofern bekräftigt die Litotes non nullas im Gegenteil Properz’ poetologisches „Aber“: Der epische/bukolische Held fände allenthalben beim Tiber ausreichend Wasser (vgl. Liv. 1,7,4); doch obwohl er seinen Durst im Fluss hätte stillen können, zieht es den elegischen „Graecus Hercules“ zu einer ganz bestimmten „Quelle“ – und zwar derjenigen, die der Muse Kalliope für die Taufe des alexandrinisch inspirierten Dichters vorbehalten ist (Prop. 3,3,47–52): ‚(…) 47 quippe coronatos alienum ad limen amantes nocturnaeque canes ebria signa fugae, ut per te [Properti] clausas sciat excantare puellas, 50 qui volet austeros arte ferire viros.‘ talia Calliope, lymphisque a fonte petitis ora Philitea nostra rigavit aqua.
Da das Herkules-Gedicht 4,9 wie auch die anderen Properz-Elegien Kunsterzeugnisse nach dem Vorbild des Kallimachos und „Philetas“ sind, stellen sich gewisse Berührungspunkte zwischen dem exclusus amator (Properz) und dem heros exclusus (Herkules) von selbst ein: Wie der heros elegicus zum Reflexionsgegenstand einer epischen Liebesgeschichte permutiert (inclusae puellae), ist Properz’ clausa puella (Cynthia) in die erotische Heldenphantasie von 4,9 hineingedacht. Die verborgenen loca clausa der Bona Dea bilden daher referentiell den exklusiven locus amoenus der „kallimacheischen“ Dichtungslandschaft ab (Prop. 3,1,1 f.): Callima chi Manes et Coi sacra Philitae, / in vestrum, quaeso, me sinite ire nemus! 28 Vgl. Warden, Epic into Elegy 234 (Anm. 13).
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Auch wenn Properz den Topos des Paraklausithyrons (1,16) auf den von den geweihten feminei fontes „ausgesperrten“ Helden spielerisch-scherzhaft überträgt29, gilt es andererseits Schlussfolgerungen wie, der Dichter habe jenen heiligen Frauenhain „into an elegiac bedroom, the realm of erotic sport“ verwandelt30, kritischer zu beleuchten: Denn dass die Frauengöttin Bona Dea am Ende sogar der apta puella Herkules den Zutritt „legis“ causa (55) verweigert, ist ihrem Götterkult quasi de iure „generis“ eingegeben und gemäß diesem rigiden rituale Romanum indiskutabel („nulli viri“)31. Ebenso würdigen Interpreten, die Herkules’ „Transvestismus“ vom heros durus zur mollis puella in 4,9,49 f. polemisch beurteilen32, das dialektische Spiel mit den Gattungen bzw. den tot formae (4,2,1) des vierten Buches zu wenig33: Wenn Properz Vergils epischen Helden einen bukolischen Umweg machen lässt und den Rinderhirten an den elegischen Frauenhain geleitet, zeichnet er den Charakter einer nicht nur hochgradig exklusiven, sondern vor allem höchst wandelbaren Dichtungslandschaft nach, die sozusagen die poetische bzw. textuelle Topographie des vierten Elegienbuches, den Blick dabei Schritt für Schritt auf die literaturgeschichtliche Genese der maxima Roma gerichtet, beschreibt. Man muss die Deutung des heros exclusus nun insofern etwas einschränken, als Herkules’ Bitte um das reine Quellwasser ante fores (32) keine Liebesklage im klassischen Sinn darstellt (es sei denn, der erotische Impuls der dura puella ist hier schöpferisch auf den femineus fons übertragen). Vielmehr sieht sich der Held von den divini fontes der alexandrinischen Kleindichtung „ausgeschlossen“ (Philitea aqua), wodurch Herkules’ querela als eine Art künstlerische Klage um die Cyrenaeae aquae (4,6,4) nachklingt. Der süperbe chauvinistische Glanzpunkt der Elegie macht die ästhetischen Vorbehalte der Hohepriesterin am Ende gegenstands- und wirkungslos: Herkules wird sich, notfalls eben mit Gewalt und Körpereinsatz („Epic into Elegy“), seinen Weg zu den Dichterquellen des Kallimachos und Philetas zielsicher bahnen (Prop. 4,9,61–70): (…) 61 sic anus: ille umeris postes concussit opacos, nec tulit iratam ianua clausa sitim. at postquam exhausto iam flumine vicerat aestum, 64 ponit vix siccis tristia iura labris: 65 [angulus hic mundi nunc me mea fata trahentem 66 accipit: haec fesso vix mihi terra patet.] 29 Vgl. Anderson, Hercules exclusus 6 ff.; Cairns, Hercules exclusus 65 ff. (im griechischen Literaturkontext); Pinotti, Alexandrianism 125 ff. (mit einer genauen Strukturanalyse). 30 Vgl. Welch, Masculinity 75. 31 Man fühlt sich in der Tat an den politischen Skandal des P. Clodius Pulcher 62 v. Chr. erinnert, der sich, wie in Herkules’ Sidonia palla (47) gekleidet, Zugang zum Fest der Bona Dea im Haus des Julius Caesar verschaffte. Dieser tollkühne Transvestismus löste einen aufsehenerregenden Prozess wegen Religionsfrevels aus, in dessen Folge sich Clodius schließlich durch Bestechung freikaufen konnte. Vgl. Anderson, Hercules exclusus 9. 32 Vgl. Anderson, Hercules exclusus (11): Properz „has transformed a hero into a fool“. Ähnlich Effe, Hercules fervidus (172): „So treibt Properz die Entheroisierung des Helden bis an die Grenze des Komischen“. Dagegen weist Cairns, Hercules exclusus 89 auf die religiösen Bezüge hin: „Of course transvestism was even more common in ancient religious cult“. 33 Vgl. Hutchinson zu 4,9 (206): „H[ercules] contributes vitally to the thematic dialectic of book 4.“
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar 67 ‚Maxima quae gregibus devota est Ara repertis, ara per has‘ inquit ‚maxima facta manus, haec nullis umquam pateat veneranda puellis, 70 Herculis aeternum ne sit inulta sitis.‘ (…)
Es ist plausibel begründet worden, dass das Distichon 65 f. vermutlich fehlerhaft überliefert ist34. Zumindest konterkarieren diese Verse den aitiologischen Höhepunkt des Gedichts 4,9, die Stiftung der „Maxima Ara“, sonderbar und wenig effektvoll. Dagegen kommen der tiefere Sinn und Zweck dieses Kultaitions wirkungssteigernd in der paukenschlagartigen Apostrophe an Vergils Gründungsmythos zum Tragen (Aen. 8,271 f.): (…) hanc aram luco statuit [domus Pinaria], quae maxima semper / dicetur nobis et erit quae maxima semper. Im Vergleich zu Vergils eher unprätentiösen Versen35 entfaltet sich bei Properz das stilistische Raffinement – so wenn der Elegiker den Parallelismus der vergilischen Anapher „quae maxima semper“ mit der chiastisch eindrucksvollen Wortdopplung Maxima Ara /maxima unterbaut. Gerade weil Properz in dem Gedicht 4,9 die manierierte alexandrinische Verkleidung seiner nationalen „Rom-Mission“ so offen und offensiv zur Schau stellt36, sind immer auch Zweifel an der panegyrischen Ernsthaftigkeit seiner Dichtung geäußert worden37: Vielmehr dürfte es Properz darum gehen, sowohl generell in der gewalttätigen Ordnungsleistung des Hercules und seiner von keinerlei Skrupeln getrübten Selbstpräsentation die Leistung und Selbstdarstellung des Augustus, als auch speziell im gewaltsamen Einbruch des Hercules in den Hain der Bona Dea das unabänderliche Eindringen des von Augustus geprägten Zeitgeistes auch in den abgelegenen und bis jetzt den puellae vorbehaltenen Bezirk des elegischen Dichtens zu reflektieren.
Man kann vom modernen Standpunkt eines liberalen Demokratie- und Staatsverständnisses den autokratischen Prinzipat und Herrschaftsstil des Augustus (und der nachfolgenden römischen Kaiser) sicherlich mit guten Gründen kritisieren. Dies muss aber nicht zwangsläufig, wie ich in Kapitel 6.2 analysieren werde, auf die antike zeitgenössische Wahrnehmung abfärben, und die Erwiderungen der römischen Dichter auf die pax Augusta geben eher Anlass zu der Vermutung, dass Augustus’ Selbstdarstellung in den Res Gestae und die propagierte Rückkehr der aurea aetas wohl nicht ganz so widerwillig gewürdigt worden sind. In der Gestalt des göttlichen Herkules „dringt“ natürlich auch der divus Augustus, mal als novus Apollo (4,6), mal als neuer Romulus (4,10) verkleidet, wie bei den anderen Poeten in Properz’ „augusteische“ Dichtungslandschaft ein, die letztlich eigens durch und
34 Vgl. Camps; Hutchinson; Heyworth, Cynthia z. St. Für gewöhnlich wird das Distichon nach Vers 42 versetzt, wo anstelle der offenbaren Interpolation des Pentameters (accipit[e:] haec fesso vix mihi terra patet) eine Lacuna vermutet wird. 35 Vgl. Williams, Aeneid VII–XII zu 8,272 (a „rather weak line“). 36 Vgl. Pillinger, Callimachean Influences 189 zu 4,9 („The poem … is a frankly neoteric production“). 37 Mutschler, Hercules im Hain 122 (zu 4,9).
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für den neuen Herrscher erschaffen wurde, und Augustus, „if he should be the intended recipient, would appreciate the difference“38. So sehr man das männlich-übersteigerte Kontra der Elegie 4,9 („nullae puellae“) als implizite Kritik oder eher explizite Anerkennung des Augustus auch politisieren will – die Bedeutung der Maxima Ara, die ein zentrales topographisches/ mythologisches Fragment der maxima Roma und des vierten Buches bildet, bleibt davon unangetastet und bemisst sich nicht zuletzt an ihrem fast konfessionellen Charakter für den Romanus Callimachus Properz selbst. Man kann den intellektuellen Einfluss der griechischen Dichtung, die das römische Kultaition 4,9 in provokanter Weise überformt, kaum deutlich genug hervorheben, weil sie auch den panegyrischen Esprit der Elegie 4,6 für manchen Interpreten verdeckte39: „For Propertius 4.9 is both serious and humorous, both elegant hellenistic wit and Roman politico-religious poetry.“ Auf eine religionsgeschichtliche Sichtweise verengt, ist Properz’ „Epic into Elegy“ aber nicht nur mit einem selbstironischen Augenzwinkern versehen. Dass der Elegiker nämlich im Gegensatz zu Vergil (vgl. Aen. 8,268 ff.) Herkules die Ara Maxima persönlich „durch seine eigenen Hände“ (per has manus) erbauen lässt, macht das bei Vergil durch Potitius/Pinarius gestiftete sacrum Herculis erhabener und gottgeweihter, das heißt „epischer“. Dabei führt Properz die Gründung der Ara Maxima nicht auf jene beiden Kulthüter zurück, sondern bindet das Kultaition an dem zu rächenden „Durst“ (sitis) des Herkules fest – eine mythologische Version oder Variante, die offenbar schon der römische Sprachforscher und Gelehrte Varro kannte40: (…) unde et mulieres in Italia sacro Herculis non licet interesse, quod Herculi, cum boves Geryonis per agros Italiae duceret, sitienti respondit mulier aquam se non posse praestare, quod feminarum deae celebraretur dies nec ex eo apparatu viris gustare fas esset. Propter quod Hercules facturus sacrum detestatus est praesentiam feminarum et Potitio ac Pinario sacrorum custodibus iussit, ne mulierem interesse permitterent.
Dass Vergils Kultaition aus der Cacus-Episode und der Rache des maximus ultor (Aen. 8,201) Herkules hervorgeht, ist verständlicherweise der homerischen Intonation des „heroischen Zorns“ (des Achilles) geschuldet41. Diese epische Interpretation der Ara Maxima birgt jedoch ein kulturhistorisches Defizit: Vergils Aufruf „quare agite, o iuvenes“ (Aen. 8,273), das Mahnmal hoch in Ehren zu halten, vermag jenes ureigene sacrum Herculis von den Kultwächtern Potitius und Pinarius nicht zweifelsfrei schlüssig abzuleiten. Die aitiologische Kernfrage nach dem „Warum“ (unde) bleibt einstweilen unbeantwortet. Diese Lücke schließt Properz, indem er unter Verweis auf Varro (bei Macrobius) die vermutlich traditionsgemäßere Erklärung des Frauenkultes der Bona Dea anführt. So paart sich in der Elegie 4,9
38 Vgl. Pillinger, Callimachean Influences 189 zu 4,9. 39 Cairns, Hercules exclusus 90. Ebenso Pillinger, Callimachean Influences 183 zu 4,9: „This curious mixture of wit and piety is a hallmark of the Callimachean hymn“. Vgl. Kapitel 5.4 zur Actium-Elegie 4,6 vor dem Hintergrund von Kallimachos’ Hymnos auf Apollon. 40 Hier überliefert durch Macrobius, Saturn. 1,12,27. 41 Vgl. Effe, Hercules fervidus 170 (allgemein zum literarischen Motiv 164 ff.).
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kultgeschichtliche Gelehrsamkeit mit humorvoller Heldenparodie in anspruchsvoller Weise. Es ist im Zwischenresümee durchaus nicht überraschend, dass die vielschichtigen (intertextuellen) Anregungen und Erwartungen an Herkules’ bzw. Properz’ kallimacheische Rom-Mission (Buch 4) ein dynamisches Potential an – mitunter auch widersprüchlichen – Sinngebungen freilegen. In den Grundzügen lässt sich das Gedicht 4,9 aber vorbehaltlos in die Programmatik des abschließenden Buches einordnen: Properz definiert die aitiologische Entstehung der maxima Roma durch die Apotheose ihres mystifizierten Kultträgers, des maximus Caesar (Georg. 2,170) Augustus, und bezieht beides auf die maxima fama seiner eigenen Elegiendichtung (4,9,71–74)42: (…) 73 hunc [Alcidem], quoniam manibus purgatum sanxerat orbem, 74 sic Sancum Tatiae composuēre Cures. 71 sancte pater, salve, cui iam favet aspera Iuno: 72 Sance, velis libro dexter inesse meo! Das Gedichtende konfrontiert in mehrfacher Hinsicht mit einem schwierigen textkritischen Pro blem: Die obige Umstellung der überlieferten Verse stößt auf breite Zustimmung, da der Hymnos an den „sanctus pater“ das Aition 4,9 wirkungsvoller abrunde als der etymologische Verweis auf Herkules’ sabinischen Götterkult (so Butler/Barber z. St.). Fragwürdig ist zudem, dass der Götterkult des Semo Sancus/Sangus in keinem klaren Zusammenhang mit dem Kultaition der Ara Maxima steht, was eine Interpolation der Verse 73 f. zumindest erwägenswert macht und die problematische Mehrfachapostrophe Sanc[t]e erklären würde (so Hutchinson z. St.). Andererseits wies Rothstein z. St. auf die erlesene Sprache des composuere hin, was an die Programmeröffnung in 4,1a,57 (moenia disponere) erinnert und eine Kultassoziation des Graecus Hercules mit der sabinischen Gottheit bestärkt (Flach z. St.)43: „Daraus folgert er [Properz], das Bild vom Heilbringer Sancus habe Cures, die Siedlung, die der Sabinerfürst Titus Tatius auf dem Quirinal erbaute, geformt, weil es ihm ‚dafür‘, sic, Dank wusste, dass er [Herkules] den Erdkreis als mit Keule bewaffneter Held von Räubergesindel gesäubert und als zum Lohn vergotteter Retter geheiligt hatte“ (Fast. 6,213–218): (…) Quaerebam, Nonas Sanco Fidione referrem, an tibi, Semo pater; tum mihi Sancus ait: 215 ‚cuicumque ex istis dederis, ego munus habebo: nomina terna fero: sic voluēre Cures.‘ hunc igitur veteres donarunt aede Sabini 218 inque Quirinali constituēre iugo. (…) Der Vergleich mit Ovids Fasten legt bei Properz eine doppelte Referenz auf den griechischen und sabinischen Kult des Herkules Sancus nahe, dessen göttliche Potenz vom lateinischen Wortursprung sancire abgeleitet wurde. Trotz dieser etymologischen Verbindung fallen die Bedeutungsnuancen im Einzelnen sehr unterschiedlich aus44. Es ist eher abwegig, das manibus (4,9,73) wie Flach als einen Ablativus separativus mit dem monströsen Räubergesindel zu identifizieren: Wie Properz’ Herkules 42 Vgl. Kapitel 6.4 zur „maxima fama“ des vierten Buches (~ Prop. 4,2,41 ff.). 43 Vgl. Varro, De ling. Lat. 5,66 (…et [Aelius] putabat hunc [Dium Fidium] esse Sancum ab Sabina lingua et Herculem a Graeca). 44 Wie Flach übersetzen Heyworth oder Goold sancire mit „heiligen“ bzw. „weihen“ (im Übersetzungsteil gibt Heyworth es mit „protect“ wieder). Anders Camps („purify“), Willige („heilen“) oder Mojsisch („ordnen“).
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die Ara Maxima per has manus stiftet, so sind dessen Ruhmestaten bei Vergil instrumental durch seine eigene (doppelte) „Hand“ zustande gebracht (Aen. 8,289/294). Dass Properz’ Schlusspreis in Vergils Salierhymnos widerklingt, ist gut erkannt worden (Aen. 8,301 f.): salve, vera Iovis proles, decus addite divis, / et nos et tua dexter adi pede sacra secundo45: If we examine the diction, we discover two significant differences in the second line. In Vergil the prayer is that Hercules may come (adire) „to us and to your sacred rites“ (sacra). Propertius prays that Hercules be present (inesse) in his book (libro). (…) „May you be willing to be included as a successful theme in my volume of verse.“ Propertius substitutes a literary for a ritual formula, and Hercules becomes not a potent religious and political symbol but the subject of a poem.
Dass der heros exclusus Herkules, dem es nicht gestattet war, am Frauenkult der Bona Dea teilzunehmen (non licet interesse), als Dichtungsgegenstand in den loca clausa des vierten Buches ausdrücklich „eingeschlossen“ ist (libro dexter inesse), ist eine schöne Schlusspointe, die den zeitgeschichtlichen Rahmen des Kultaitions 4,9 signifikant vertieft: Wie Vergil Augustus’ „imperium sine fine“ durch Jupiters berühmte Weissagung ex eventu siegeln lässt46, greift Herkules’ „purgatus orbis“ bei Properz Augustus’ „pacatus orbis“ (Ecl. 4,17) mythologisch voraus: Herkules’ Friedens- und Kulturschöpfung, die Maxima Ara, ist ein Gleichnis für Augustus’ Lebenswerk, den durch die Ara Pacis Augustae besiegelten und verewigten römischen Weltfrieden47. Der sanctus pater Herkules gibt dabei nicht nur ein zeitgeistiges Erinnerungsdenkmal römischer Größe und Machtvollkommenheit ab, sondern rückt auch die Geschichts- und Integrationspolitik des „sanctus pater patriae“ (Fast. 2,127) Augustus in den Blickpunkt der aitiologischen Betrachtung (Prop. 4,2,49–54): (…) et tu, Roma, meis tribuisti praemia Tuscis 50 (unde hodie Vicus nomina Tuscus habet), tempore quo sociis venit Lycomedius armis atque Sabina feri contudit arma Tati. vidi ego labentes acies et tela caduca 54 atque hostes turpi terga dedisse fugae. (…)
In Kapitel 3 ist der kulthistorische/etymologische Zusammenhang des Vertumnus behandelt worden: Vertumnus’ duae patriae (Cicero) beschreiben die römisch-etruskischen signa paterna des Gottes und sind in den Versen 49 ff. zum mythologischen Höhepunkt des „Epic into Elegy“ von 4,2 gesteigert (signa artificia)48: „The description, though generalized, moves this elegy into epic territory“. Sagengeschichtlich verweist dieser Abschnitt auf jene Rachekriege des Sabinerkönigs Titus Tatius gegen Rom und die mit Rom verbündeten Etrusker, die durch den legendären Raub der Sabinerinnen entfesselt worden waren. Das die Schlachtschilderung „episch“ einleitende tempore quo in Vers 51 verknüpft die Elegie 4,2 mit dem Herkules-Ge45 Warden, Epic into Elegy 241 f. 46 Vgl. Kapitel 6.2 zu Aen. 1,279 ff. (imperium sine fine dedi. quin aspera Iuno …). 47 Vgl. Kapitel 6.2 zu Res Gest. 12 (~ Prop. 4,2,55 f.). 48 Hutchinson zu 4,2,53 f. (97).
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dicht 4,9 und Romulus’ arma in 4,1049. Die Reminiszenzen etwa an Livius’ „Kriegsprosa“ (Hutchinson) binden die doppelten arma der Etrusker und Sabiner bruchlos an die mythischen Caesaris arma und die aus Trojas Asche sich erhebende maxima Roma50. Dass das Hapax legomenon Lycomedius in diesem kleinen Schmuckstück properzischer Epik auffallend heraussticht, ist zutreffend beobachtet worden51: The style, to which Tränkle ascribes an „epische Macht“, reflects this shift in subject matter. Chief elements in this change are the name Lycomedius, unique in Latin poetry, which must have had rich and somewhat obscure associations with the archaic past, and the striking image contudit arma.
Es ist im Detail umstritten52, ob sich der altertümliche Gräzismus Lycomedius als kollektiver Singular des belegten Plurals Lucomedi auf den etruskischen Gefolgsmann an sich (der „Lykomedier“)53 oder wie in 4,1a,29 konkret auf den Etruskerfürsten Lycmon bzw. latinisiert Lucumo bezieht54. Mit einer Nuance ist mir die zweite Deutung wahrscheinlicher. Zwar sind die römischen Urstämme bis auf den herausragenden ferus Tatius (und eventuell den mit Rom verbündeten Lycomedius) in 4,2 unter die drei Volksbezeichnungen der Römer (Roma), Etrusker (Tusci) und Sabiner (Sabini) subsumiert, doch verdichtet Properz den Mythenstoff an prominenter Stelle ausdrücklich auf die drei großen Protagonisten der römischen Staatsgründung (4,1a,29–32)55: (…) prima galeritus posuit praetoria Lycmon, 30 magnaque pars Tatio rerum erat inter oves. hinc Tities Ramnesque viri Luceresque Soloni, quattuor hinc albos Romulus egit equos. (…)
Die thematische Assoziation der beiden programmatischen Textstellen hebt die Akzente der Darstellung gut hervor: In umgekehrter Abfolge bildet das friedvolle Panorama in 4,1a,29 ff. (oves) ein Hysteron proteron zur Kriegsmalerei in 4,2,49 ff. (arma), insofern als Lycmon (Lycomedius) seinen Metallhelm mit einer Pelzmütze ausgetauscht hat, der wilde Tatius die Regierungsgeschäfte besonnen wie ein Hirte unter Schafen führt und Romulus zugleich mit seinen siegreichen Schimmeln die 49 Vgl. Tränkle, Sprachkunst 40 f. zu 4,9,1 mit Verweis auf Catull, Carm. 64,73 ff. (illa tempes tate, ferox quo ex tempore Theseus …) und Kapitel 6.2 zu 4,10,7 f. (tempore quo portas Caeninum Acrona petentem …). 50 Vgl. Kapitel 1 zu Prop. 4,1a,46 ff. 51 Dee, Callimachus Romanus 52 z. St. 52 Vgl. Boldrer; Rothstein z. St. mit Bezug auf den nachchristlichen Grammatiker Festus (Luco medi a duce suo Lucomo dicti, qui postea Lucerenses dicti sunt). 53 So Butler/Barber, Camps oder Hutchinson z. St. 54 So Flach z. St. und Cairns, Augustan Elegist 280 f. 55 Der Vergleich mit Varro zeigt, dass Properz den Ursprung der drei römischen Tribus, der Sabiner (Tities), Latiner (Ramnes) und Etrusker (Luceres), etymologisch exakt in dieser Reihenfolge von den drei Namensgebern Titus Tatius, Romulus und Lucumo ableitet (De ling. Lat. 5,55): Ager Romanus primum divisus in partis tris, a quo tribus appellata Titiensium, Ramnium, Lucerum. Nominatae, ut ait Ennius, Titienses ab Tatio, Ramnenses ab Romulo, Luceres, ut Iunius, ab Lucumone.
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Zügel Roms fest in den Händen hält. Dieser mythologische Szenenwechsel vom zerstrittenen zum vereinten populus Romanus kommt nicht unvermittelt, sondern wird durch die Sabina arma in 4,2 kultgeschichtlich initiiert. Denn diese bauen eine aitiologische Brücke zu eben jenen „Waffen der Sabiner“ (32), die in der Elegie 4,4 von dem tragischen Liebesverrat der Tempelwächterin Tarpeja künden (1–6): Tarpeium nemus et Tarpeiae turpe sepulcrum fabor et antiqui limina capta Iovis. lucus erat felix, hederoso conditus antro, multaque nativis obstrepit arbor aquis, 5 Silvani ramosa domus, quo dulcis ab aestu fistula poturas ire iubebat oves. (…)
Auf den ersten Blick ist das schandbefleckte Tarpeium nemus (4,4) in dieselbe idyllische Topographie wie der locus amoenus/clausus 4,9 eingebettet. Klarer noch als in der dortigen schattenumschlossenen Lichtung (24) tönen im hiesigen efeubewachsenen lucus conditus Vergils fistula der Eklogen (2,37) und die bukolische Dichtungsszenerie der dulcia arva (Ecl. 1,3) hervor. Und obwohl sich Tarpejas „idyllic pastoral grove“ 4,456 den kallimacheischen loca clausa poetisch angleicht, leuchten diesen Dichterhain offenbar andere divini fontes gedanklich aus (4,4,7–16): (…) 7 hunc Tatius fontem vallo praecingit acerno, fidaque suggesta castra coronat humo. (quid tum Roma fuit, tubicen vicina Curetis 10 cum quateret lento murmure saxa Iovis, atque, ubi nunc terris dicuntur iura subactis, stabant Romano pila Sabina Foro? murus erant montes: ubi nunc est Curia, saepta; bellicus ex illo fonte bibebat equus). 15 hinc Tarpeia deae fontem libavit; at illi urgebat medium fictilis urna caput. (…)57: An extremely difficult passage, admitting of no certain explanation. As it stands nemus (1) must be identical with lucus (3), while aquis (4) must be the fons of 7, 14, and 15. But (i) If Tatius palisaded the spring, how did Tarpeia find access to it? (ii) The repetition of fons in 14–15 is extremely clumsy, while hinc following on ex illo fonte is also strange.
Die Verständnisschwierigkeiten, die Butler/Barber den obigen Versen attestieren, scheinen mir aus einem komplexen mythologischen/poetologischen Zusammenhang zu erwachsen und sollten vor gravierenden Texteingriffen mahnen: Sowohl die Konjekturen scelus für nemus (1)58 oder contra (Camps) für fontem (7) als auch umfassende Versumstellungen59 verdecken die stringente Dialektik eines zu56 Vgl. Brenk, Watery Romance 173 z. St. 57 Butler/Barber zu 4,4,1–14 (344). 58 So Camps, Hutchinson und zuletzt Fedeli/Dimundo, Properzio IV z. St. (613): „non è il nemus, ma lo scelus di Tarpea a costituire il vero e proprio argomento di canto“. 59 Vgl. zum Beispiel Heyworths (1–2 / 9–14 / 7–8 / 3–6) oder nun Fedeli/Dimundos Gliederung des Gedichtabschnitts (1–2 / 9–10 / 13–14 / 11–12 / 7–8 / 3–6).
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rückgeworfenen „Epic into Elegy“ („Elegy into Epic“), wie ich im zweiten Teil dieses Kapitels am Beispiel von Tarpejas amor armorum (4,4) schrittweise entfalten und erläutern werde: [1] Es wird zuweilen der Eindruck erweckt, als betrete Properz mit seiner virgo Vestalis Tarpeja, deren Verrat am römischen Kapitol ihr zu einem unverdienten etymologischen Nachruhm verholfen habe (vgl. 4,4,93 f.), dichterisches Neuland60. Dagegen legen die Verse vordergründig eine erstaunlich große sprachliche Annäherung an Varro dar (De ling. Lat. 5,41): Ubi nunc est Roma, septem montium nominatum ab tot montibus quos postea urbs muris comprehendit; e quis Capitolinum dictum, quod hic, cum fundamenta foderentur aedis Iovis, caput humanum dicitur inventum. Hic mons ante Tarpeius dictus a virgine Vestale Tarpeia, quae ibi ab Sabinis necata armis et sepulta: cuius nominis monimentum relictum, quod etiam nunc eius rupes Tarpeium appellatur saxum.
Die „intertextuelle“ Verortung der Elegie 4,4 (hinc) in Varros sprachwissenschaftliche Abhandlung wird deutlich, so dass Varros topographische Eingrenzung des Kultaitions (ubi, hic, ibi) vermutlich für Properz’ (verwirrende) Vielfalt an Lokaladverbien und Pronomina verantwortlich zeichnet (hunc, ubi, illo, hinc). Im Gegensatz zu Varros aitiologischer Blickrichtung hinauf auf den mons Tarpeius fokussiert Properz den kulthistorischen Brennpunkt auf das tiefgelegene Tarpeium nemus (1). Der gedankliche Zeitsprung von der Vergangenheit (tum) in die Gegenwart (nunc) wird geradezu apodiktisch von Vergils „parcere [Romane] subiectis et debellare superbos“ (Aen. 6,853) überlagert. Überhaupt scheint Vergils episches argutum nemus einige Geheimnisse des properzischen Dichterhains 4,4 preiszugeben (Aen. 8,347–353): (…) 347 hinc ad Tarpeiam sedem et Capitolia ducit [Euander] aurea nunc, olim silvestribus horrida dumis. iam tum religio pavidos terrebat agrestis 350 dira loci, iam tum silvam saxumque tremebant. ‚hoc nemus, hunc‘ inquit ‚frondoso vertice collem (quis deus incertum est) habitat deus; Arcades ipsum 353 credunt se vidisse Iovem (…).‘
[2] Der Vergleich mit Vergils Rezeption des Mythos (hoc nemus) veranschaulicht Properz’ Anspielungstechnik einer kongenialen Synthese mit Varros Fassung (hic mons): Dem Tarpeium nemus wird jener heilige Schauer (religio dira) eingeflößt, der die Dichtungslandschaft in 4,4,1 ff. von Beginn an tendenziös umweht (turpe sepulcrum). Der bukolische locus amoenus ist durch Tarpejas felsiges Schandgrab daher ambivalent konnotiert (locus horridus), worin man mitunter einen „ideologischen Widerspruch“ gesehen hat61: Last but not least, the myth of Tarpeia allows of a twofold – and hence ambiguous – political interpretation. Welch [Elegiac Cityscape 56] notes that „though her betrayal was memorialized in the Tarpeian rock, for example, Tarpeia was also venerated at her tomb in the city, which is 60 Vgl. Butler/Barber 343 f.; Camps 86 f. zu 4,4, die Tarpejas Leidenschaft/Liebe als Properzens originelle und originäre Interpretation des Mythos ansehen. Vgl. zu diesem Motiv bei einem gewissen Simylos einschlägig Brenk, Watery Romance 166 ff. 61 Garani, Tarpeia’s Myth 2 (mit Bezug auf Welch’ Interpretation).
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no longer extant. These two Roman places – Tarpeia’s rock and her altar – create an ideological contradiction: her betrayal of Rome is to be condemned (the symbolism of the rock) while her contribution to Roman pluralism is to be commended (via worship at the tomb)“. Therefore, the reader is puzzled by Propertius’ choice of topic which potentially undermines his aspirations to write patriotic poetry.
Ich kann in der Mehrfachbedeutung des Tarpeium saxum/sepulcrum keine derartigen ideologischen Widrigkeiten erkennen und schon gar nicht Properz’ Versuch, das Programm der maxima Roma durch Tarpejas Liebesverrat zu „untergraben“. Eher ist das Tarpeium nemus von einer feinen poetischen Invarianz gekennzeichnet: Tarpejas Hain 4,4 versinnbildlicht sowohl den locus amoenus der kallimacheischen Dichtkunst und den locus horridus ihres mythologischen Kultaitions. Diese Verknüpfung führt zu jener fragwürdigen „Quelle“ (14) zurück, aus der Tatius’ „Streitross“ (bellicus equus) zu trinken pflegte62: Diese Quelle, die durchaus freie Erfindung des Dichters ist und nur der poetischen Anschaulichkeit dienen soll, ist von der des lucus, auf die der Dichter nach dem Abschluß der Schilderung im nächsten Vers [15] wieder zurückkommt, verschieden.
[3] Ich bin zwar wie Rothstein der Ansicht, dass sich die beiden fontes der Verse 1 ff. und 7 ff. topographisch bzw. poetisch voneinander unterscheiden. Trotzdem fließen im polymorphen Bild des Wassers, „an element symbolizing not only innocence and protection, but also sexuality, lust, and violence“63, die verschiedenen „dichterischen“ fontes, die die Elegie 4,4 inspirieren und gattungsförmlich ausweisen, wie zu einem mixtus fons ganz eigener und eigenartiger Prägung zusammen. So wie einerseits Kallimachos Properz’ elegisches molle opus elementar durchdringt, liegen andererseits die Quellen seiner episierenden Dichtkunst tiefgründiger. Es macht den Eindruck, als habe Properz in 4,4 dem „Bellerophonteus equus“ Pegasos endlich die Zügel gelockert und nähere sich jenen „magni fontes“ des römischen Nationalepos an, aus denen vor Vergil der bzw. dessen „Vater“ Ennius getrunken hatte (Prop. 3,3,1–6): Visus eram molli recubans Heliconis in umbra, Bellerophontei qua fluit umor equi, reges, Alba, tuos et regum facta tuorum, tantum operis, nervis hiscere posse meis, 5 parvaque tam magnis admoram fontibus ora, unde pater sitiens Ennius ante bibit (…).
In Kapitel 5.5 ist aufgezeigt worden, dass Properz seine künstlerische spelunca in 3,3,27 ff. in dem tief verborgenen Dichterhain des kallimacheischen Musenbergs verortet: Genau hier entspringt jener vergeistigte purus fons (3,1,3), der formhalber 62 Rothstein z. St. Hutchinson übernimmt die Konjektur ex alto fonte, während Heyworth zu e vivo fonte verbessert. 63 Vgl. Brenk, Watery Romance 172. Ebenso King, Creative Landscaping 231 zu 4,4,7 f. („the water of the fountain symbolizes poetic language itself“) und Kambylis, Dichterweihe 127 zu Prop. 3,3,1 ff. (unten): „Das Symbol des Wassers spielt die wichtigste Rolle … sowohl für die Dichterweihe als auch für das dichterische Erzeugnis selbst“.
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die Elegie 4,4 mit dem „Wasser des Philetas“ (3,3,52) bespült64: „The main theme of the poem, then, is (…) the elegist’s inability, however much he might allegedly wish, to compose epic poetry.“ Da sich Properz im vierten Buch als Romanus Callimachus versteht und ausgibt, liegt Millers dichterisches Verdikt daher nahe (286): „an acceptance of Callimachus means a rejection of Ennius“. Dessen unbeschadet haben sich die thematischen Voraussetzungen aber spätestens seit Vergils Aeneis grundlegend verändert: Properz’ „epische“ maxima Roma (4,1a,1) muss so in die Form einer „elegischen“ maxima historia (2,1,16) gebracht werden, dass der Dichter dem hintergründigen jeu d’esprit alexandrinischer Kunstart gerecht wird, die kallimacheische tour de force durch Roms Kultur- und Literaturgeschichte aber nicht ins Absurde und Possenhafte abgleitet. Mit Herkules’ Heldenparodie in 4,9 gelingt Properz ein ausgesprochen eleganter Balanceakt, der die vorgeblich epischen Bestrebungen des vierten Buches gleichwohl weder negiert noch zunichtemacht. Vielleicht kann man in dem von „zornigem Durst“ (4,9,62) getriebenen Sancus pater Herkules sogar einen ironischen Gattungsverweis auf den pater sitiens Ennius und Herkules’ „hirsutum pectus“ des Heldenepos sehen (4,9,49 ~ 4,1a,61)65: Ennius hirsuta cingat sua dicta corona. Auch wenn Properz den epochalen Annalen des Ennius, die erst von Vergils neuem Nationalepos abgelöst wurden, künstlerisch herzlich wenig abgewinnen mochte, da dem Elegiker die mollia serta weitaus besser stünden als die dura corona (vgl. 3,1,19 f.), gestaltet sich die poetische Praxis in Abhängigkeit von den thematischen Vorgaben doch komplizierter. Denn wie Ennius (nach eigener Aussage?!) laut Lukrez den römischen Dichterkranz als erster „amoeno ex Helicone“ gebracht habe66, prägt sich Properz’ Dichtungslandschaft, die von Kallimachos und Ennius beeinflusst ist, gattungslogisch mehrdeutig bzw. „bunter“ aus (4,4,15–22): (…) 15 hinc Tarpeia deae fontem libavit; at illi urgebat medium fictilis urna caput. (et satis una malae potuit mors esse puellae, quae voluit flammas fallere, Vesta, tuas?) vidit harenosis Tatium proludere campis 20 pictaque per flavas arma levare iubas: obstupuit regis facie et regalibus armis, interque oblitas excidit urna manus. (…)
In der Forschung ist Tarpejas Verrat am römischen Kapitol aus „Liebe“ zum Sabinerkönig Titus Tatius verdeutlicht worden, indem Tarpeja ein Pendant zur Amazonenkönigin Penthesilea bzw. zu Vergils regina Dido abgebe67: Tarpejas Charakter64 Miller, Ennius 280 (zu Prop. 3,3). 65 So Miller, Ennius 282: sitiens (3,3,6) „seems immediately to make the Propertian admiration of pater Ennius ironic“. 66 Vgl. Lukrez, De rer. nat. 1,117 f. Dazu Miller, Ennius 280: „Ennius was himself deeply influenced by Hellenistic poetry, including that of Callimachus“. 67 Vgl. Warden, Would-be Amazon 187 („Tarpeia, like Dido, is shown as part Amazon, part Maenad“). Vgl. dazu Prop. 4,4,71 f. und unten Aen. 4,9 ff.
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zeichnung „between love and warlike violence“68 trage dem neuen Anspruch einer episierenden Elegiendichtung in besonderer Weise Rechnung, denn das Gedicht 4,4 „fulfils the poetic command to engage with the apparent polarities of arma and amor“69 – und mehr noch: Das genus epicum scheint so stark in die inhaltliche Ausschmückung des Kultaitions einzufließen, dass es die elegische Gattungsform des Gedichts fast verdeckt oder überformt. Das Zusammenspiel und Zusammenwirken verschiedener formaler bzw. substantieller Gattungsmerkmale, was Fowler als „kind“ und „mode“ differenzierte, sind für den inhärent wandelbaren Charakter von Dichtung und Literatur insgesamt typisch70: „(…) genres are actually in a continual state of transmutation. It is by their modification, primarily, that individual works convey literary meaning.“ Die fingierte epische „Anverwandlung“ des genus elegicum bewirkt vor dem Spiegel properzischer Liebesdichtung andererseits eine erotische Verfärbung der genrespezifischen picta arma („Elegy into Epic“): Der parenthetische Kommentar des poeta in den Versen 4,4,17 f., der nach wie vor großes textkritisches Unbehagen auslöst71, ist für Properz’ Gattungsspiel ebenso aufschlussreich wie ausschlaggebend. Abgesehen davon, dass die anstößigen Verse Tarpejas Status als Priesterin der Göttin Vesta bestimmen, bedarf der persönlich wertende Eingriff des Dichters in den mythologischen Erzählfluss in der Tat einer Erklärung. Mir scheint, dass sich Tarpejas Charakterbild nicht nur in den Epenvorbildern Penthesileas oder Didos wiederfindet, sondern die virgo Vestalis auch und vor allem ein „intertextuelles“ Abbild (hinc) der erotischen fallax puella Cynthia ist (Kapitel 5.1). Denn diese hatte Properz einmal selbst zur treuen Gefolgsfrau der Vesta stilisiert und bewundert (2,29,23–30): (…) mane erat, et volui, si sola quiesceret illa, visere: at in lecto Cynthia sola fuit. 25 obstipui: non illa mihi formosior umquam visa, neque ostrina cum fuit in tunica, ibat et hinc castae narratum somnia Vestae, neu sibi neve mihi quae nociturna forent: talis visa mihi somno dimissa recenti. 30 heu, quantum per se candida forma valet! (…)
68 Vgl. Garani, Tarpeia’s Myth 8 f. 69 Wyke, Elegiac Woman 165. Vgl. dazu unten Prop. 4,4,62 (arma mollire). 70 Fowler, Genres and Modes 24. Zu der begrifflichen Unterscheidung zwischen „genre“, „kind“ und „mode“ führte Fowler erläuternd aus (56): „As the broad term ‚genre‘ is used in this book, it includes not only the historical kinds but also the more or less unstructured modes, on the one hand, as well as purely formal constructional types on the other. These categories can be distinguished by introducing the idea of generic repertoire. (…) Mode, by contrast, is a selection or abstraction from kind. It has few if any external rules, but evokes a historical kind through samples of its internal repertoire.“ 71 Vgl. Butler/Barber z. St. („This couplet is awkward here“). Richardson und Hutchinson tilgen das Distichon aus dem Text, während es Heyworth, Housman folgend, nach V.86 bzw. Goold und nun Fedeli/Dimundo nach V.92 versetzen.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
King hatte am Beispiel der Elegie 4,4 die topographischen/narrativen Dichtungselemente als „objects of aesthetic reflection“ bzw. als Gegenstände eines „poetic self-reflection“ klassifiziert72. Tatsächlich scheint das spiegelverkehrte Bild jener mala puella Tarpeja eine Bruchstelle zu jener casta Vestalis Cynthia zu markieren und Properz’ poesis versa wie eine grellbunte „Ekphrasis“ (picta arma) in ein wechselvolles Licht zu rücken. Man ist fast geneigt zu behaupten, Tarpejas „erotischer“ Betrug an der Göttin Vesta initialisiert Cynthias „aitiologische“ Wandlung zur pia puella in 4,7 (Kapitel 5.2), indem Tarpejas Liebesverrat an das elegische Bild der fallax puella erinnert bzw. Cynthias candida forma in die förmliche Epen fiktion von 4,4 assimiliert wird (65): experiar somnum, de te [Tati] mihi somnia quaeram. Auf diese Weise wird Tarpejas erotische Kriegsphantasie, ihr amor armorum, durch die „trügerischen“ somnia Vestae/Callimachi (2,34,32) gattungslogisch nicht nur über-, sondern kunstästhetisch geradezu verformt (fallax opus)73 – gilt Tarpejas leidenschaftliche Liebesklage doch nicht eigentlich dem wunderschönen Antlitz des Titus Tatius, sondern augenscheinlich seinen „formosa arma“ (4,4,31–38): (…) 31 ‚Ignes castrorum et Tatiae praetoria turmae et formosa oculis arma Sabina meis, o utinam ad vestros sedeam captiva Penates, dum captiva mei conspicer arma Tati! 35 Romani montes et montibus addita Roma et valeat probro Vesta pudenda meo! ille equus, ille meos in castra reponet amores, 38 cui Tatius dextras collocat ipse iubas. (…)‘ Textkritisch wird das überlieferte esse in V.34, falls conspicer hier unregelmäßig passivisch gebraucht wird, entweder gerechtfertigt74 oder, die Form regulär als Deponens aufgefasst, durch ora verbessert75. Zwar brächte ein passivisch verstandenes captiva conspicer esse das erotische Motiv des servitium amoris besser zur Geltung (so Hutchinson z. St.), nähme aber im Gegensatz zur Konjektur ora das inhaltliche Bezugsobjekt (21) nicht so gut in den Blickpunkt der Begierde. Bemerkenswert ist, dass sich schon jene „forma pulcherrima Dido“ (Aen. 1,496) von Aeneas’ würdevollem „Antlitz“ tief beeindruckt zeigte – allerdings mehr noch von seinen Kriegsberichten und seinen glänzenden arma (Aen. 4,9–19): (…) ‚Anna soror, quae me suspensam insomnia terrent! 10 quis novus hic nostris successit sedibus hospes, quem sese ore ferens, quam forti pectore et armis! credo equidem, nec vana fides, genus esse deorum. 72 Vgl. King, Creative Landscaping 225 (232). Vgl. auch Kapitel 5.3 zu Prop. 3,17, Kapitel 5.4 zu Prop. 4,6 und Kapitel 7 zu Prop. 4,8. 73 In diesem Kontext erscheint mir der literaturkritische Ansatz der deformazione am ausgeprägtesten. Vgl. Cairns, Augustan Elegist 104 ff. Dennoch impliziert und (re)produziert das Gedicht 4,4 ein Themen- und Motivgebilde, das eine gattungsspezifische Referenzidentität zwischen der Elegie und dem Epos fingiert. Vgl. unten zu Prop. 4,4,31 ff. 74 So Fedeli, Camps, Richardson oder Flach. 75 So Butler/Barber, Goold, Hutchinson, Heyworth und nun Fedeli/Dimundo.
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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degeneres animos timor arguit. heu, quibus ille iactatus fatis! quae bella exhausta canebat! 15 si mihi non animo fixum immotumque sederet ne cui me vinclo vellem sociare iugali, postquam primus amor deceptam morte fefellit; si non pertaesum thalami taedaeque fuisset, 19 huic uni forsan potui succumbere culpae. (…)‘ Vergleichbar Tarpejas amor armorum ist Didos Liebe in doppelter Weise dem „Arma virumque cano“ der Aeneis verbunden76: „The essential basis of the tragedy is that Dido gives up everything for her personal love for Aeneas“. Man könnte auf den ersten Blick sagen, Properz’ epische „Verirrung“ in den römischen Gründungsmythos liefert das Gegenstück zur elegischen „Odyssee“ des nationalen Heldengesangs77: „Aeneas’ diversion from his epic track at Carthage in Book 4 is an errancy into the world of elegiac lovers that defines itself as not-epic, not-Roman“. Weil die Liebe seit Homers Ilias ein bestimmendes Thema und Motiv der epischen Dichtung ist (ohne Helenas Entführung durch Paris wäre der trojanische Krieg so nicht oder anders entstanden), wirkt die erotische Gattungsverknüpfung der Aeneis nicht so schwer wie umgekehrt die epische Gattungsverformung der formosa arma in 4,4. Im Gegenteil, der amor ist, auch in Erinnerung an Apollonios’ Argonautika und Medeas archetypischen furor, der wesentliche Katalysator für den Verlauf der epischen Geschichte und ihre inneren Charakterentwicklungen bzw. moralischen Fallstudien. In Didos Fall wird die unerfüllte Liebe zu Aeneas die karthagische Königin am Ende, von Wahnsinn und Verzweiflung überwältigt, in den tragischen Selbstmord treiben. Die elegische Feinfühligkeit und Dramaturgie, mit denen Vergil Didos amores (Aen. 4,28) in anrührender Weise in das genus grande der Epik einwebt, bilden deshalb einen umso wirkungsvolleren Kontrast zum epischen bzw. „römischen“ amor des Aeneas, zu seiner heiligen Verpflichtung gegenüber dem künftigen Vaterland Rom (vgl. Aen. 4,347). Darin unterscheidet sich Aeneas’ patriotische Liebe prima facie von dem Liebesverrat der Tarpeja, die sich zugunsten des Feindes und seiner arma von der römischen Heimat schwermütig oder eher leichtsinnig abwendet (vgl. Fast. 1,259 ff.): Wie Properz zeichnet Ovid seine levis custos Tarpeja als eine von den arma Tati (!) „Gefangene“ aus, so dass die vereinzelte Humanistenkonjektur arma (4,4,34) im programmatischen Rückblick auf 4,2,52 (!) ein besonderes Gewicht bekommt78. Garani behauptete, Ovid weise seine Tempelwächterin als levis aus, um Tarpejas „elegische Identität“ wiederherzustellen, die sie in Properz’ Version des Mythos verloren habe79. Dabei ist interessant zu verfolgen, dass Properz’ Tarpeja ihre „epischen“ amores (4,4,37) nicht nur auf Vergils Dido und Didos Liebe zum novus hospes Aeneas, sondern auch auf Catulls Ariadne bezieht, die über Theseus’ dulcis forma einst bitterlich klagte (Carm. 64,164–176): ‚(…) sed quid ego ignaris nequiquam conqueror aureis 165 externata malo, quae nullis sensibus auctae nec missas audire queunt nec reddere voces? ille autem prope iam mediis versatur in undis, nec quisquam apparet vacua mortalis in alga. sic nimis insultans extremo tempore saeva 170 fors etiam nostris invidit questibus auris. Iuppiter omnipotens, utinam ne tempore primo Gnosia Cecropiae tetigissent litora puppes,
76 Williams, Aeneid I–VI 333 (zu Buch 4). 77 Hardie, Narrative Epic 89 zur Aeneis (Buch 4). 78 So überliefert im Codex Leidensis Lat. Vossianus 117 (15. Jh.). 79 Vgl. Garani, Tarpeia’s Myth 12 f.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar indomito nec dira ferens stipendia tauro perfidus in Creta religasset navita funem, 175 nec malus hic celans dulci crudelia forma consilia in nostris requiesset sedibus hospes! (…)‘
Der Vergleich der drei mythologischen bzw. poetischen „Fallstudien“ Ariadnes, Didos und Tarpejas fördert einige frappierende Übereinstimmungen, aber auch markante Unterschiede zutage: Vergils novus hospes Aeneas, und insofern das Epos der Aeneis (Buch 4), ist tief in Catulls Gefühlswelt der Ariadne bzw. in die nova poesis der Neoteriker verstrickt (dulcis forma): Was sich bei Ariadne durch eine Vielzahl anklagender Fragen an den malus hospes Theseus emotional Bahn bricht (154 ff.), ist bei Dido an eine Kette bewundernder Ausrufe für das ungewöhnliche fatum und die noch ungewöhnlicheren arma des Fremdlings geknüpft. Properzens mala puella Tarpeja nähert sich damit gedanklich an Catulls Theseus fallax (151) an, während sich vor dem Hintergrund von Didos quälenden insomnia Tarpejas träumerische amores verfestigen. Tarpejas Liebesverrat will sich Vergils Heroine aber gar nicht erst zum Vorwurf machen müssen – mit Rücksicht auf ihren verstorbenen Ehegatten Sychaeus (primus amor) und, weil sie aus Ariadnes tragischem Vorbild „intertextuell“ offenbar dazugelernt hat. Die Gattungsdivergenz zwischen der epischen Form (arma) und der elegischen Förmlichkeit (amor) wird sich in Catulls 64. Gedicht durch die Epiphanie des florens Iacchus (251 ff.) schließlich hymnisch zu Ariadnes Wohlgefallen und dem des Lesers auflösen (Kapitel 5.3). Eine solch glückliche Wendung der Ereignisse kann Vergils Dido, die Ariadnes Wehklage an den Theseus/Aeneas perfidus (Aen. 4,366) in sich aufflammen spürt, nicht gelingen: Denn der pius Aeneas ist untrennbar mit dem römischen Schicksal und seinen Waffen verbunden (Aen. 4,347): hic amor, haec patria est – und nicht in (dem verfeindeten) Karthago. Daher muss Vergil Didos „elegische“ Liebe sozusagen auf dem epischen Altar des improbus Amor (Aen. 4,412) opfern, damit sich die Prophezeiung des „Arma virumque cano“ und der römischen Weltherrschaft, die auf Augustus in die Zukunft bzw. Gegenwart verweist, erfüllen kann. Im Mythenspiegel von Aeneas’ historischer Mission für das neue augusteische Weltzeitalter wirkt Tarpejas amor armorum (auch wenn sie am Einigungsprozess des populus Romanus sicherlich ihren verdienten aitiologischen Anteil hatte) wie ein doppelter Liebesverrat an Rom und seinen heldenhaften Waffen (der Aeneis). Was sich nämlich im Klagegesang der Ariadne und selbst bei der mythologischen „Staatsfeindin“ Dido bloß als hypothetische Gedankenspielerei ausnimmt (Irrealis!), verformt sich bei Properz zur möglichen Realität (Potentialis!): Vergils/Catulls nostri questus der Dido/Ariadne werden durch Tarpejas mei amores (37) gleichsam egozentrisch entkräftet und in eine kriegerische Selbstinszenierung gesteigert (ille equus). Dieser zweifache „Verrat“ an den mythologischen/literarischen Vorbildern mag in Properz’ fingierter Entrüstung über Tarpejas turpe sepulcrum mitschwingen, und trotzdem formt sich das Gattungsspiel in 4,4 graduell noch etwas „flexibler“ aus (51–62): ‚(…) 51 o utinam magicae nossem cantamina Musae! haec quoque formoso lingua tulisset opem.
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te toga picta decet, non quem sine matris honore nutrit inhumanae dura papilla lupae. 55 dic, hospes: par│iamne tua regina sub aula? dos tibi non humilis prodita Roma venit. si minus, at raptae ne sint impune Sabinae, me rape et alterna lege repende vices! commissas acies ego possum solvere nupta: 60 vos medium palla foedus inite mea! adde, Hymenaee, modos! tubicen, fera murmura conde! credite, vestra meus molliet arma torus. (…)‘
Was Properz in diesen Versen gleichnishaft zum Ausdruck bringt, ist eine ausgesprochen innovative, um nicht zu sagen provokative „Vermählung“ (foedus) des genus elegicum mit dem genus epicum80: „The narrative of 4.4 then represents a bonding of heroic and amatory poetry, a coupling parallel to the marriage of Tarpeia to Tatius.“ Dabei leuchten Tarpejas imaginierte Hochzeitsfackeln den intertextuellen Horizont dieser Gattungsverbindung luzid aus: Das „Epithalamium“ 4,4 ist ebenso mit Catulls Hymen Hymenaeus (Carm. 61) verbandelt, wie Tarpeja für ihre „königliche“ Hochzeitsphantasie offenbar Vergils regina Dido als Trauzeugin aufruft, die – von Aeneas verlassen – ihren Selbstmord mit den Klagetiraden einer Ariadne ankündigt (Aen. 4,323–330): ‚(…) cui me moribundam deseris hospes (hoc solum nomen quoniam de coniuge restat)? 325 quid moror? an mea Pygmalion dum moenia frater destruat aut captam ducat Gaetulus Iarbas? saltem si qua mihi de te suscepta fuisset ante fugam suboles, si quis mihi parvulus aula luderet Aeneas, qui te tamen ore referret, 330 non equidem omnino capta ac deserta viderer.‘ (…)
Rothstein und Richardson interpungieren das überlieferte nuptae (59) als eine Apostrophe an die raptae Sabinae (57), die Tarpejas „Raub“ entsprächen. Dagegen setzen Butler/Barber das Komma nach dem solvere und beziehen nuptae als Genitivattribut auf palla (60). Wie von Camps, Heyworth und zuletzt Fedeli/Dimundo bevorzugt, ist Lütjohanns nupta, als Prädikativum zu ego (Tarpeja) aufgefasst, am stichhaltigsten: Einerseits erklärt sich die palla als Hochzeitssymbol aus dem Kontext von selbst (foedus inite) und zum anderen kommt die gedankliche Hinwendung zu den damals von den Römern geraubten und inzwischen mit diesen verheirateten Sabinerinnen ziemlich abrupt, da sich der ganze Hymnos auf Tarpeja und ihre phantastischen Heiratspläne konzentriert (ego)81: Ihr „Ehebund“ könne, wenn sie Tatius offiziell als „Braut“ anvertraut sei, den militärischen Konflikt lösen. Diese Überzeugung entspricht der gängigen antiken Heiratspraxis, die im Namen und zum Zwecke der hohen Politik geschlossen wurde, und liegt nicht nur 80 King, Creative Landscaping 235. 81 Vgl. Fedeli/Dimundo, Properzio IV z. St. (676): „La centralità della funzione di Tarpea e la sua capacità di risolvere la situazione sono ribadite dal ricorso all’ ‚Ich-Stil‘“.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Tarpejas oder Didos Hochzeitsambitionen bündnispolitisch zugrunde (man denke an die arrangierte Vermählung des M. Antonius mit Augustus’ Schwester Octavia, deren spätere Ehescheidung Augustus zum Vorwand für die Kriegserklärung an Kleopatra nahm). Es wirkt fast so, als trete Tarpeja als jene „nova nupta“ Junia hervor, deren Heirat mit L. Manlius Torquatus Catull in seinem Hochzeitspro pemptikon wohllautend besang (Carm. 61,96–100): (…) 96 Prodeas, nova nupta, si iam videtur, et audias nostra verba. viden? faces aureas quatiunt comas. 100 Prodeas, nova nupta. (…)
In Reminiszenz an Aen. 4,328 f. (suboles) gibt Catulls Hochzeitsgedicht einigen Aufschluss über eine schwierige textkritische Frage zu Prop. 4,4,55 (pariam): In der Regel wird Tarpejas mutmaßliche Andeutung einer künftigen „Mutterschaft“, im Hinblick auf das sozioreligiöse Sakrosanktum vestalischer Keuschheit, als so unpassend und unangemessen empfunden, dass die Konjektur patriā metuar für das pariamne tua entschieden vorgezogen wird82. Meine Verbesserung par│iamne würde das Problem sogar umstandslos glätten: „Sprich (dic), Fremdling: Werde ich in deinem Palast denn eine ebenbürtige Königin sein?“ Dennoch ist gegen die erwogenen Texteingriffe einzuwenden, dass der Tenor einer Gebietsvergrößerung, Machterweiterung oder Ehrfurchtsbekundung Tarpejas überschwengliche Hochzeitsstimmung nicht wirklich wiedergibt (~ Carm. 61,38 f.): (…) agite [virgines] in modum / dicite ‚o Hymenaee Hymen (…)‘. Auf der anderen Seite lässt sich die Konjektur dic für sic logisch kaum vermeiden und intertextuell gut rechtfertigen83: Wie Dido richtet Tarpeja ihren dialogisierten Monolog an den gedanklich vergegenwärtigten hospes und steigert ihr Gebet an den Hochzeitsgott Hymenaeus, den „dux bonae Veneris, / boni coniugator amoris“ (Carm. 61,44 f.), analog zu Didos verzweifelter Hoffnung auf einen „parvulus Aeneas“ zu einer epischen Sexualphantasie84: „The emphasis is on queenship and on marriage, which is naturally accompanied by childbirth“. Daraus folgt, dass das überlieferte pariam (parere) bei Properz literarisch und thematisch wohlüberlegt und begründet erscheint. Man kann und soll aus der Sicht des auktorialen Erzählers Tarpejas frevelhaften Bruch ihres Keuschheitsgelübdes aufs Schärfste missbilligen. Aus der Perspektive 82 So Butler/Barber (sin), Camps und Richardson (sic). Dagegen verbessern Goold zu (sic) spatiorne (Heinsius) und Heyworth zu (dic) spatierne (Housman). Rothstein/Flach (sic) und Hutchinson (dic) halten an dem überlieferten pariamne fest. 83 Vgl. Shackleton Bailey z. St. (238): „dic (Passerat) followed by a question is very plausible“. Ebenso Hutchinson und Fedeli/Dimundo. Vgl. Prop. 4,3,23 (dic [Lycotas] mihi, num teneros urit lorica lacertos?). 84 Hutchinson z. St. (129). Eine gute Parallele zur Bezeichnung der Ehe führt Rothstein z. St. bei Statius, Theb. 12,538 an: magnis quod barbara semet Athenis misceat atque hosti veniat pari tura marito.
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der virgo Vestalis aber hat Tarpeja ihre Treueverpflichtung gegenüber der Göttin Vesta und ihrer Heimat Rom längst formell aufgekündigt (35 f.) und die ersehnte Verwandlung zur regina/nupta des Titus Tatius innerlich bereits vollzogen, verbunden mit der natürlichen Aufgabe bzw. Erwartung an sie, für den königlichen „Nachwuchs“ zu sorgen. Man müsste daher formhalber annehmen, dass die unterschwellige Spitze eines „parvulus Tatius“ viel besser zu den erotischen Waffen, den formosa arma, der Elegie als zu dem großspurigen Hochzeitsgetöse des Epos passt (dulcis forma)85: Nowhere else in the Aeneid (or in epic) is such immediacy of feeling presented in this way. Parvulus is the only example of a diminutive adjective in the Aeneid; epic requires a type of diction which precludes the homely and intimate. We are reminded irresistibly of the diminutives of the private poetry of Catullus, and especially of Cat. 61 [211–220]: (…) 211 ludite, ut lubet, et brevi liberos date! non decet tam vetus sine liberis nomen esse, sed indidem 215 semper ingenerari. Torquatus volo parvulus matris e gremio suae porrigens teneras manus dulce rideat ad patrem 220 semihiante labello. (…)
Es stimmt, den Mythos zugrunde gelegt, dass sich Tarpeja am Ende sowohl religiös an der casta Vesta wie politisch an der maxima Roma vergeht, deren heiligem Feuer und Staatsherd sie zum Treuedienst verpflichtet war. Daraus erklärt sich Properzens scheinbar unversöhnliches Urteil über die mala puella, und es entbehrt nicht einer gewissen Tragikomik, wenn der Dichter Tarpejas verräterischen amor durch Titus Tatius selbst unter einem Berg von arma begraben lässt (4,4,92): haec, virgo, officiis dos erat apta tuis. Ich will zwar nicht behaupten, dass Tarpejas frevelhafter Liebesverrat und ihre hochtrabenden Hochzeitspläne in Erinnerung an Didos süßen Ehebund mit Aeneas oder Catulls Glückwünsche für das Brautpaar Torquatus und Junia relativiert oder entschuldigt werden – obwohl Tarpejas hoffnungsschwangeres Begehren eines „klitzekleinen Tatius“ im Vergleich zur karthagischen Erzrivalin verhältnismäßig moderat formuliert ist und in der Form einer Frage an den hospes Tatius fast einem Selbstzweifel gleichkommt (vielleicht auch oder gerade deshalb, weil die Geburt eines Kindes das erotisch Machbare bzw. elegisch „Geziemende“ zwischen puella und poeta gedanklich weit übersteigt). Trotzdem oder vielmehr, weil Tarpeja keine nationalbewusste uni nupta Cornelia ist, deren kinderreiches honestum sepulcrum Augustus selbst beweinen wird (Kapitel 6.2), mag der gemeine Römer für Properz’ tragische „Königin“ nicht dieselbe Sympathie und Empathie aufgebracht haben wie für Vergils schicksalsgeplagte regina Dido86: Denn 85 Williams, Aeneid I–VI zu 4,327 f. (361). 86 Vgl. Williams, Aeneid I–VI zu 4,323 (hospes): „Servius tells us that Virgil’s voice showed great emotion when he read these lines to Augustus.“
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Tarpejas episch zerbrochene „elegische Identität“ (Garani) geht eher mit dem historischen Verriss der waffenstarrenden meretrix regina Kleopatra in 3,11 einher. Davon abgesehen ist Tarpejas amor armorum (4,4) im Ergebnis vor allem ein Extrembeispiel für den fingierten Gattungs- und Gestaltwandel des vierten Buches (Versus): Properzens „wedding of two forms“ (Richardson) verschmilzt die beiden in sich verformbaren Textgattungen des Epos und der Elegie zu einer ganz neuartigen dulcis forma. Das molle opus des abschließenden Buches „verwandelt“ gleichsam vice versa seinen teils elegischen, teils epischen (und anderen) Dichtungscharakter und prägt so künstlerisch ein naturale decus aus, das substantiell jede beliebige Form bzw. Gattung in sich aufnimmt und adäquat nachahmt (4,2,22): in quamcumque [figuram] voles, verte, decorus ero. 6.2 Herrscherpanegyrik und elegische Herrschaftstransformation: Augustus’ Res Gestae (4,10) und der „Tatenbericht“ der Cornelia (4,11) In Kapitel 6.1 ist an den Gedichten 4,9 und 4,4 Properz’ dialektisches Kunstverständnis einer episierenden Elegiendichtung veranschaulicht worden, das in einer Vermischung oder Überformung episch-elegischer Gattungs- und Themenmerkmale besteht: Während Herkules in 4,9 von den amourösen loca clausa „ausgeschlossen“ ist und sich seinen Weg hinein in den kallimacheischen Dichterhain gewaltsam ebnen muss („Epic into Elegy“), schöpft die jungfräuliche Vestalin Tarpeja in 4,4 am bellicus fons ihr „geweihtes“ Wasser und steigert sich in eine erotische Kriegsphantasie hinein („Elegy into Epic“). In diesem Kapitel sollen auf der Grundlage der augusteischen Epoche und Weltanschauung, literarisch und historisch manifest in den (postum veröffentlichten) Res Gestae des Augustus, die ideologische Bedeutung und Ausstrahlung des vierten Elegienbuches genauer untersucht werden. Properz errichtet in den Gedichten 4,10 und 4,11 die zentralen Eckpfeiler augusteischer Herrscherpanegyrik und gibt diesen durch die beiden exempla Romulus und Cornelia ein festes mythologisches und zeitgeschichtliches Fundament: Während Romulus’ virtus den kriegerischen Tatendrang des Augustus präfiguriert (bella civilia), haucht Cornelias pietas der neuen Sittenpolitik des Prinzeps Leben ein (mores maiorum). Damit offenbart sich Properz’ aitiologische Genese der maxima Roma (Buch 4) als ein persönlicher Tribut an den divus Augustus, sozusagen als eine Art elegischer „Tatenbericht“ der militärischen und moralischen Überlegenheit Roms und seines verewigten Herrschers (pax Augusta). Wirft man einen Blick auf die virgo Vestalis Tarpeja zurück, bedarf das strenge Dichterurteil ihres Hochverrats am römischen Kapitol einer mythologischen Klarstellung, insofern als Tarpeja nicht ganz zu Unrecht auf die raptae Sabinae (4,4,57) verweist. Dass die mala puella zwar ihr Keuschheitsgelübde und Treueversprechen gegenüber der Göttin Vesta und der Stadt Rom bricht und sich daher schuldig macht, soll außer Frage stehen. Dennoch weckt die Binnenperspektive auf den von Tarpeja „beispielhaft“ angeführten Raub der Sabinerinnen Bedenken gegenüber einer einseitigen Schuldzuweisung – hatte doch Properz einst Romulus selbst zum Urheber aller im Namen der Liebe begangenen Verbrechen gestempelt (2,6,19–22):
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(…) cur exempla petam Graium? tu criminis auctor, 20 nutritus duro, Romule, lacte lupae: tu rapere intactas docuisti impune Sabinas: per te nunc Romae quidlibet audet Amor. (…)
Freilich dürfte Tarpejas erotischer Feldzug keinen Platz in den heiligen templa Pudicitiae (2,6,25) gefunden haben, auch wenn der Dichter ihren Liebesverrat mit einem gewissen Einfühlungsvermögen schildert und sich die Vestalin in den Versen 4,4,57 f. (intertextuell) glaubhaft auf jenes exemplum römischer Frühgeschichte, den eigentlichen Auslöser der Rachekriege, berufen kann. Anstatt aber ihr Liebesverbrechen mit schlagkräftigen Argumenten, die den criminis auctor Romulus zur Verantwortung ziehen, zu widerlegen oder wenigstens zu relativieren, klagt Tarpeja im Gegenteil sich selbst und ihren eigenen unentschuldbaren Affront (crimen) gegen göttliches und sittliches Gebot umso schuldbewusster an (vgl. 4,4,43 f.). Vorausblickend auf Cornelias unbescholtene mores (4,11) kann dies nur bedeuten, dass der Tarpeja-Mythos kein positiv belegtes Beispiel für den augusteischen Herrschaftskult abgibt. Seine panegyrische Wirkung entfaltet Tarpejas turpe sepulcrum eher im negativen Kontrast daraus, dass es ein Mahnmal des patriotischen Zeitgeistes setzt. Denn Tarpejas Liebesverrat an der maxima Roma rückt Romulus’ Liebesverbrechen an den Sabinerinnen (wodurch er den Bestand des römischen Volkes immerhin mehrte und sicherte) in ein weniger grelles, wenn nicht sogar versöhnliches Licht. Schließlich kann sich eine Dichtung, die den Gründungsmythos der lupa Martia zum Ausgangspunkt des historischen Rompreises nimmt, eine potentielle Verunglimpfung seiner überragenden Sagengestalt kaum leisten (Prop. 4,1a,55–60): (…) 55 optima nutricum nostris lupa Martia rebus, qualia creverunt moenia lacte tuo! moenia namque pio coner disponere versu: ei mihi, quod nostro est parvus in ore sonus! sed tamen exiguo quodcumque e pectore rivi 60 fluxerit, hoc patriae serviet omne meae. (…)
In diesen zentralen Versen des Programmgedichts 4,1a (Kapitel 1) wird die „Vaterlandsliebe“ des Romanus Callimachus, der sich Properz mit seiner ganzen poetischen Kraft verschreiben will, die ihm die elegische Dichtung aufzubieten gestattet, besonders klang- und eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Der erhabene Dichterpreis der moenia Roms kommt nicht von ungefähr, denn Properz’ patriotische Kultivierung des pius versus gilt vor allem Vergils pius Aeneas und dem bahnbrechenden neuen Nationalepos (Aen. 1,275–282): ‚(…) 275 inde lupae fulvo nutricis tegmine laetus Romulus excipiet gentem et Mavortia condet moenia Romanosque suo de nomine dicet. his ego [Iuppiter] nec metas rerum nec tempora pono: imperium sine fine dedi. quin aspera Iuno,
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar 280 quae mare nunc terrasque metu caelumque fatigat, consilia in melius referet mecumque fovebit Romanos, rerum dominos gentemque togatam. (…)‘
Es lässt sich sagen, dass Vergils bzw. Jupiters hochberühmte Weissagung der zukünftigen bzw. gegenwärtigen Macht und Größe Roms die augusteische Herrschaftsideologie des „imperium sine fine“ mit dem römischen Herrschaftsmythos seines Gründers Romulus verwebt und durch ihn legitimiert87: „These are sonorous and unforgettable phrases: the proud certainty of Roman imperial rule must have had a profound patriotic impact on Virgil’s readers.“ Auf Properz’ elegische „Mauern“ des vierten Buches hat Vergils epische Grundsteinlegung einen gewiss unschätzbaren Eindruck gemacht: Die dichterischen Einflüsse der Aeneis pressen Properzens elegisches Hohelied der patria in eine kanonische Gussform weltanschaulicher „Tatbestände“ (nostrae res) – beginnend mit der legendären „Wölfin des Mars“, dem Wahrzeichen der Stadt: Sie, die Vergils Mavortia moenia mit ihrer Milch hochgezogen hat, ist der mythische Ursprung römischer Machtvollkommenheit, die sich im genealogischen Selbstverständnis vom Stammvater Romulus „suo de nomine“ über das Machtzentrum Rom zum Herrenvolk der Römer spannt. Der Vergleich mit Vergil macht Properz’ aitiologischen bzw. ideologischen Blickpunkt auf die Entstehung und Entwicklung des imperium Romanum deutlich: Was bei Vergil als Prophezeiung der gens togata (282) formal auf die Zukunft gerichtet ist (Futur!), hat sich bei Properz in der Retrospektive auf die Aeneis längst zur verwirklichten Gegenwart bzw. Vergangenheit manifestiert (qualia creverunt moenia). Es ist daher sehr bemerkenswert, dass der Elegiker auch das VertumnusGedicht mit einem glänzenden Lob des „divum Sator“ Jupiter (Augustus) ausschmückt: Dieser möge dafür Sorge tragen, dass das römische Weltreich tatsächlich „bis in alle Ewigkeit“ fortbestehen bleibt (4,2,55–56): (…) sed facias, divum Sator, ut Romana per aevum transeat ante meos turba togata pedes! (…)
Tränkle hatte diese zwei Verse mit Recht als den „stilistischen Höhepunkt“ der Elegie 4,2 bezeichnet88, was sich durch einige Beobachtungen noch untermauern lässt: Im Gegensatz zu Vergils Apostrophe an den „hominum sator atque deorum“ (Aen. 1,254) steigert der archaische Genitiv-Plural divum marginal die „epische“ Erhabenheit des Götterhymnos an den Iuppiter Optimus Maximus. In dem ennianischen per aevum, das den Hexameter zur Klimax abrundet, klingt Jupiters bzw. Vergils Verheißung eines imperium, dem „weder räumliche noch zeitliche Grenzen“ (278) auferlegt seien, bedeutungsträchtig nach. Das über das ganze Distichon weit gespannte Enjambement Romana (…) turba togata ist geradezu ein abbildender Ausdruck der territorialen Vormachtstellung über die „Meere und Länder und sogar den Himmel“ (280) hinaus: Man vermeint förmlich in der durchschlagenden t-Alliteration im Pentameter (nur 87 Williams, Aeneid I–VI zu 1,278 f. (181). 88 Vgl. Tränkle, Sprachkunst 175 z. St.
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Daktylen!) jenen siegreichen Eroberungsfeldzug der Römer zu vernehmen, der sich nach höchstem Götterbeschluss auf den ganzen Erdkreis erstreckt. Zugleich wird die römische Kriegstüchtigkeit, an Vergils „parcere [Romane] subiectis“ (Aen. 6,853) erinnernd, durch die s-Zischlaute wie eine solenne Mahnung zur Schonung der besiegten Feinde und Völker übertönt. Denn der Inhalt und Kern der panegyrischen Wunschvorstellung sind nicht eigentlich der militärischen virtus, sondern der Friedensbotschaft römischer Herrschaft gewidmet (gens/turba togata). Dee glaubte in dem Ausdruck turba „togata“ einen ironischen Unterton herauszuhören89, was die vordergründigen politischen Implikationen der Verse aber verdeckt90: „Augustus erreichte es, daß die toga für alle Römer zu einer Art Staatskleid und zum Symbol der rechten Gesinnung wurde“, was Weeber teleologisch zur „Vorstellung von Römern im Friedensgewande“ ausdeutete91. Misst man diese Frieden und Ordnung verkündende Botschaft an Ciceros geflügelten Worten „cedant arma togae“ (wie ja überhaupt das „sed facias, divum Sator“ stilistisch/intentional an das senatus consultum ultimum angelehnt ist)92, wird offenbar, dass Vergils imperium sine fine den entscheidenden historischen End- und Zielpunkt in der pax Augusta der Gegenwart bzw. Zukunft findet93: Eine denkwürdige Situation: Der bescheidene etruskische Gott Vertumnus, der plebs der Götter angehörend, wendet sich mit emphatischem Ausdruck an den obersten Gott [Jupiter] mit der Bitte, dem römischen Volk Frieden und Eintracht per aevum, für alle Ewigkeit, zu erhalten. Diese zwei Verse scheinen mir bisher interpretatorisch noch nicht voll ausgedeutet worden zu sein. Sie enthalten ein Programm, das dem Zeitgeist der augusteischen Ära voll und ganz Rechnung trägt. Die einzelnen Punkte dieses Programms sind: 1) Eintracht, 2) Frieden, 3) Ewigkeit der römischen Herrschaft.
Dass Properz diesen ideologisch hochangereicherten Glanzpunkt des Gedichts 4,2 unmittelbar an die Darstellung der mythischen Einigungskriege in den Versen 51 ff. anknüpft (Sabina arma), ist konzeptionell schlüssig und absichtsvoll gestaltet: Der Perspektivwechsel vom Mythos der Vergangenheit in den „augusteischen“ Mythos der Gegenwart und Zukunft (Caesaris arma)94 bedingt und bringt den propagierten Wandel von Uneinigkeit und Krieg zu „Eintracht“ und „Frieden“ mit sich. Das römische Macht- und Kontinuitätsbewusstsein der aeterna urbs entspringt und gipfelt in der Vorstellung ihres göttlich vergegenwärtigten Kultträgers, insofern als der divus Augustus sowohl den Ursprung und das Telos der augusteischen (Literatur-) Geschichte verkörpert. Weeber hatte richtig erkannt, dass sich in 4,2,55 f. ein Herrschaftsprogramm verdichtet und entfaltet, welches auf die zeitgenössische Dichtung einwirkt und das 89 Vgl. Dee, Callimachus Romanus 53: „turba togata does not sound very epic in tone or image“. Vgl. im Kontext der römischen Togata auch Kapitel 7 (~ Prop. 4,8). 90 Zanker, Macht der Bilder 167. Vgl. Rothstein z. St. („Togatus bezeichnet hier, wie oft, den zum Tragen der römischen Toga berechtigten Vollbürger“). 91 Vgl. Weeber, 4. Properz-Buch 74 (z. St.). 92 Vgl. Buchheit, Ciceros Triumph 238 zum politischen Idealbild des imperator togatus (In Cat. 3,23), „der, befähigt durch die Waffen des Geistes, den Frieden wahrt und mehrt“. 93 Weeber, 4. Properz-Buch 73 (zu Prop. 4,2,55 f.). 94 Vgl. einführend Kapitel 1 zu Prop. 4,1a,45 ff.
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geistige Klima einer Epoche prägt, deren herausragende res gestae die persönliche (literarische) Handschrift ihres Urhebers tragen (werden). Dass der politische Idealzustand des römisch gestifteten Weltfriedens, der pax Romana, auch gut zwanzig Jahre nach dem Ende der Bürgerkriege immer noch oder eher bezeichnenderweise eine akute poetische Anziehungskraft besaß, dokumentiert zum Beispiel Horaz’ letztes Buch der Carmina (um 13 v. Chr. publiziert). Obwohl sich der Odendichter schon zur Genüge den rühmenswerten virtutes des Augustus gewidmet haben dürfte, scheint das Bemühen, welche „Schrift“ (cura) Augustus’ Verdienste um die maxima Roma „für alle Zeiten“ verewigen solle, wie ein steinernes Manifest bestehen zu bleiben (Od. 4,14,1–6): Quae cura patrum quaeve Quiritium plenis honorum muneribus tuas, Auguste, virtutes in aevum per titulos memoresque fastus 5 aeternet, o, qua sol habitabilis illustrat oras, maxime principum? (…)
Formal zwar die militärischen Erfolge des Drusus und Tiberius gegen die Genaunen und Raeter im Alpen- und Rheingebiet feiernd (9 ff.), ist der wirkliche Herrscherpreis doch an Augustus’ „Leistung für die Stadt und das Volk“ von Rom geknüpft95. Sicherlich wird Horaz angesichts der Fülle an Ehrungen und Ämtern des maximus princeps an Augustus’ Verherrlichung in Gedenkinschriften und Geschichtsberichten allgemeiner Art gedacht haben96. Aber die rhetorische Frage „How to praise Augustus?“97, die die lobende Antwort impliziert, „that normal procedures for commemorating military success cannot cope with preserving the memory of Augustus’ victories“98, antizipiert im Nachhinein die einzig angemessene Form der Selbstdarstellung des Augustus in seinen postum veröffentlichten Res Gestae („titulus“): Rérum géstarúm divi Áugustí, quibus órbem│terrarum imperio populi Romani subiecit, et impensarum, quas in rem publicam populumque Romanum fecit, incisarum in duabus aheneis pilis, quae sunt Romae positae, exemplar subiectum.
Nach Augustus’ Tod im Jahre 14 n. Chr. publiziert bzw. erstmalig im Senat mit anderen testamentarischen Verfügungen verlesen, schmückten zwei bronzene Säulen den „Tatenbericht“ des – postum zum Gott erhobenen – Augustus vor seinem Mausoleum auf dem Marsfeld99. Sprachlich und metrisch ist beobachtet worden, dass 95 Vgl. Gall, Zeit des Augustus 82 zur Ode („nahezu hymnische Panegyrik“) und Thomas, Odes IV zu 4,14,3 (246): „the vocative [Auguste] is only here in H[oratius] and rare in Augustan poetry generally“. Vgl. dazu unten Prop. 4,6,38. 96 Vgl. Thomas, Odes IV zu 4,14,4. 97 Thomas, Odes IV zu 4,14 (245). 98 Quinn, Odes zu 4,14,1 ff. (323). 99 Vgl. Cooley, Res Gestae 3 ff. Je nach Kontext schwanke ich zwischen den verschiedenen Bedeutungszumessungen der Res Gestae als „Taten“- (Kienast), „Leistungs“- (Christ) oder „Rechenschaftsberichts“ (Bleicken), was in der Augustus-Forschung diskutiert wurde bzw. wird. Vgl. Ridley, Emperor’s Retrospect 25 ff. Damit verbunden ist die Frage nach der spezifischen
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in der vermutlich nachträglich angefügten Aufschrift Augustus’ geschichtliche Verdienste mit Vergils Götterprophezeiung der Aeneis assoziiert und so als epische Heldentaten verklärt sind100: „In addition, the way in which the opening words form a complete hexameter verse perhaps evokes the world of epic poetry and raises Augustus’ deeds even higher above history into the realm of heroic endeavour.“ Cooley erwog, dass der bei den Dichtern beliebte Topos der recusatio sogar als eine direkte Erwiderung auf Augustus’ res gestae verstanden werden könne, zumal sich viele bedeutende Poeten wie Properz offenbar nicht imstande gesehen hätten, ein solch episches Unterfangen dem Kaiser zu Ehren kraft- und würdevoll genug anzugehen. Da Augustus’ angebliche Erwartungshaltung eines magnum opus, wie ich in Kapitel 5.4 begründet habe, aber mehrere Möglichkeiten der dichterischen Lobpreisung als nur Vergils Paradigma der Aeneis offenließ (Properz’ molle opus 4,6 ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel), macht sich der Herrscherpreis nicht förmlich an einer besonderen Dichtungsgattung fest (wenngleich das Epos traditionell den literarischen Vergleichsmaßstab setzt), sondern substantiell an der Person und dem Beispiel des divus Augustus und seiner wesen- und gleichnishaften poetischen Epiphanie – so in Properz’ Elegie 4,6 in der kunst- und friedensbetonten Erscheinung als novus Apollo. Der der pax verbundene Elegiker (Properz) hat gegenüber den arma des Epikers (Vergil) sogar den Vorteil, dass sich Augustus’ apologetisches Selbstbildnis in erster Linie nicht mit den vergangenen Bürgerkriegsleistungen, sondern – durch diese zukunftswirksam zustande gebracht – mit der gegenwärtigen „pax Augusta“ berührt (Res Gest. 12): ([2]) Cum ex Hispania Galliaque, rebus in iis provincis prospere gestis, Romam redi, Tiberio Nerone Publio Quinctilio consulibus, aram Pacis Augustae senatus pro reditu meo consacrandam censuit ad campum Martium, in qua magistratus et sacerdotes virginesque Vestales anniversarium sacrificium facere iussit.
Den Zusammenhang und die Ideologie von „Krieg und Frieden“ analysierend, maß Gruen der Stiftung der Ara Pacis Augustae in Augustus’ Tatenbericht keine in sehr besonderer Weise herausragende Bedeutung bei101: Allusions to pax are subdued and secondary. Augustus does register the fact that the senat decreed erection of the Ara Pacis to commemorate his return from Spain and Gaul in 13 (RG, 12.2). The event, however, receives no special prominence in the text. Certainly no more so than the altar of Fortuna Redux consecrated by the senate to celebrate Augustus’ successful return from Syria in 19. That hardly implies that pax had become the watchword of the regime – any more than fortuna redux had.
Ich bin von Gruens Auffassung nicht überzeugt. Schon Bleicken hob die imminent wichtige Bedeutung der pax (Augusta) für den augusteischen Herrschaftskult hervor102: „Die wichtigsten Botschaften [des Augustus] waren zugleich die den Rö„Gattung“ der Res Gestae, die trotz ihres Schriftcharakters sui generis (so Cooley, Res Gestae 34) Berührungspunkte mit dem historischen Herrscherkommentar, der autobiographischen Inschrift sowie der antiken Grab- und Lobrede aufweisen. Vgl. Ridley, Emperor’s Retrospect 51 ff. 100 Cooley, Res Gestae z. St. (103). 101 Gruen, War and Peace 54. 102 Bleicken, Augustus 512.
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mern teuersten politischen Werte, nämlich Frieden und Freiheit.“ So verknüpften bzw. verknüpfen sich mit dem Götterkult der Pax (Augusta) mythenschwangere Bilder und Assoziationen, die nicht nur das gottgleiche Herrscherporträt des divus Augustus zu Lebzeiten, sondern das Epochenbild einer glückseligen aurea aetas/ Augusta befruchtet haben103: „not only did the new deity’s title encapsulate the idea that Rome could now enjoy a special relationship with the gods specifically through the mediation of Augustus, but it also facilitated the dissemination of such a cult beyond Rome, contributing to cultural unification of the empire“ (Res Gest. 13): Ianum Quirinum, quem claussum esse maiores nostri voluerunt, cum per totum imperium populi Romani terra marique esset parta victoriis pax, cum, priusquam nascerer, a condita urbe bis omnino clausum fuisse prodatur memoriae, ter me principe senatus claudendum esse censuit.
Auch diesen Abschnitt der Res Gestae bewertete Gruen mehr aus der Vergangenheits perspektive der bella civilia und kam zu dem Schluss, dass die Formulierung „parta victoriis pax“, da Augustus den Kriegs- bzw. Friedenstempel des Janus während seiner Regierungszeit gar „dreimal“ geschlossen habe, also den ununterbrochenen, nur zeitweise durch Frieden begleiteten Kriegszustand des römischen Reiches enthülle104: „What Augustus’ boast emphatically does not do is to claim that he brought permanent peace.“ Abgesehen davon, dass im 13. Kapitel bis auf victoriis nichts ausdrücklich auf Augustus’ Kriegsleistungen hinweist (das Vokabular ist wie in Kapitel 12 eher republikanisch unprätentiös gewählt)105, muten Gruens Begründung und Schlussfolgerung etwas tautologisch an (56): „Peace thus depends [subdued and secondary] on victory, conquest, and subjugation“. Ideologisch ist aber vielmehr das Gegenteil gemeint: Der Frieden ist übergeordnet und vorrangig das Ergebnis (parta pax) von Sieg, Eroberung und Unterwerfung! Dauerhafter Frieden kann erst instrumental durch Krieg gewonnen und so zur personifizierten pax Augusta mit den in stitutionellen Folgeerscheinungen ausgestaltet werden (me principe)106: Die weiteren Anlässe zur Schließung des Tempels […] besitzen ebenso wie die Frage, ob es zu diesem Zeitpunkt wirklich nirgendwo im Reiche kriegerische Handlungen gab, weniger Gewicht als der Akt der Wiederholung selbst, der nach dem Auftakt im Jahre 29 den Princeps immer wieder nicht nur als Friedensbringer, sondern auch als Bewahrer und Hüter des Friedens vorstellt. Die personifizierte Göttin des Friedens, Pax, ist fortan ein festes Sinnbild seiner Herrschaft (Fast. 1,701–704): (…) 701 gratia dis domuique tuae [Germanice]: religata catenis iampridem vestro sub pede bella iacent. sub iuga bos veniat, sub terras semen aratas: 704 Pax Cererem nutrit, Pacis alumna Ceres. (…)
In Kapitel 4.2 ist an Vergils Georgica der Fruchtbarkeitskult der Ceres als ein naturkosmologischer Bestandteil ihres „anniversarium“ sacrificium verdeutlicht wor103 Cooley, Res Gestae 156 z. St. („ara Pacis Augustae“). 104 Gruen, War and Peace 54. 105 Vgl. Cooley, Res Gestae z. St. („The word pax is emphasized“). 106 Bleicken, Augustus 512 f.
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den. Die laudes Italiae der römischen Dichter finden unisono in dem Götterkult der Pax Augusta ihren panegyrisch verbindlichen Höhepunkt und Ausfluss: Wie die Korngöttin Ceres im Frieden wächst und gedeiht (prospere), so ist Vergils neue Saturnia tellus (Georg. 2,173) das mystifizierte Resultat der augusteischen Kulturschöpfung (parta victoriis pax). Diese wesentliche auktorial-referentielle Geltung der Ara Pacis „Augustae“, die ein ebenso konkret anschauliches wie allegorisch überhöhtes Denkmal der Lebensleistung des Augustus darstellt und seine res gestae sprichwörtlich für die „Ewigkeit“ in einer mythenumwobenen Bildersprache zementierte, ergibt sich zudem daraus, dass sie ex eventu das Fundament für den trojanischen Sagenstoff der maxima Roma legte (Ilia tellus). Denn als Schöpfer und Bewahrer seiner neuen Friedensepoche zeichnet Augustus bereits ante eventum für die garantierte Wiederkehr des goldenen Zeitalters unter dem Göttervater und Saatgott Saturnus verantwortlich (Aen. 6,788–795)107: ‚(…) huc geminas nunc flecte [Aenea] acies, hanc aspice gentem Romanosque tuos! hic Caesar et omnis Iuli 790 progenies magnum caeli ventura sub axem. hic vir, hic est, tibi quem promitti saepius audis, Augustus Caesar, divi genus, aurea condet saecula qui rursus Latio regnata per arva Saturno quondam, super et Garamantas et Indos 795 proferet imperium. (…)‘
Die zentrale Bedeutung der Ara Pacis Augustae, die anlässlich von Augustus’ „Rückkehr“ (pro reditu meo) aus Spanien und Gallien vom Senat gestiftet worden war, liegt, wie der Autor selbst in Res Gest. 12 anaphorisch suggeriert, in ihrer religiösen Überhöhung. Und tatsächlich werden die dichterischen sacerdotes/vates kaum müde, Augustus’ (zukünftige) Bestimmung oft genug zu „wiederholen“. Wie einleitend bemerkt, gibt die „virgo Vestalis“ Tarpeja (4,4) für Augustus’ moralisches Erneuerungsprogramm bestenfalls ein prominentes mythologisches Monitum ab, während Augustus’ Gleichsetzung mit dem römischen Ahnherrn Aeneas, dem „insignis pietate vir“ (Aen. 1,10), sehr gewollt ist. Rückblickend liegt es auf der Hand, die „Rückkehr“ der aurea saecula mit der „Geburt“ des neuen Herrschers anzusetzen (priusquam nascerer), was Vergils berühmte 4. Ekloge – ex eventu auf Augustus gedeutet – als ein prophetisches Zeitdokument der pax Augusta verheißungsvoll ankündigt (4–10): (…) Ultima Cumaei venit iam carminis aetas; 5 magnus ab integro saeclorum nascitur ordo. iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna, iam nova progenies caelo demittitur alto. tu modo nascenti puero, quo ferrea primum desinet ac toto surget gens aurea mundo, 10 casta fave Lucina: tuus iam regnat Apollo. (…) 107 Vgl. Newman, Saturno Rege 229 f. („in some sense he himself [Augustus] becomes an avatar of Saturn“). Vgl. oben Prop. 4,2,55 f. (sed facias, divum Sator …).
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Der (sprachliche) Vergleich mit der Aeneis (6,788 ff.) deckt auf, dass Vergil den dunkelhaften „nascens puer“ seiner kryptischen Zukunftsvision mit dem hell erleuchteten „Augustus Caesar“ der unzweifelhaften Gegenwartsoffenbarung identifiziert wissen wollte: Der ersehnte pacatus orbis (Ecl. 4,17) ist damit im Vorausblick auf die pax Augusta zeitgeschichtlich kohärent enträtselt, wobei die Apotheose des „divus Iulius“ Caesar genealogisch nicht weniger bedeutungsvoll auf dessen Adoptivsohn, den „divus Augustus“ Caesar, und die prophezeiten Saturnia regna zurückfällt (gens aurea). In der intertextuellen Zusammenschau legt sich Properz’ Apostrophe an den „divum Sator“ (4,2,55) Jupiter deshalb sehr deutlich als ein nomineller Herrscherpreis an den „magnus/secundus Caesar“ Augustus dar (Od. 1,12,49–52)108: (…) gentis humanae pater atque custos, 50 orte Saturno, tibi cura magni Caesaris fatis data: tu secundo Caesare regnes. (…)
Es besteht kein Zweifel, dass das Ende der Bürgerkriege im zeitgenössischen (poetischen) Bewusstsein eine einschneidende Zäsur markierte, die ihren Ausdruck in überschwenglichen Mythengleichnissen fand. Dies artikuliert sich in Ovids Zirkelschluss des „Pacis alumna Ceres“ insofern, als etwa Tibull Vergils „alma Ceres“ tautologisch mit der „Pax alma“ gleichsetzte (vgl. 1,10,67). Der Herrscherkult der Pax Augusta birgt im Ergebnis den essentiellen sakrosankten Kern augusteischer Herrscherpanegyrik und ist daher vom Prinzeps staatspolitisch entsprechend mit Bedacht und Nachdruck gepflegt worden (gens togata). Zanker hatte dazu am Tellus-Relief der Ara Pacis aufgezeigt, wie sehr die „zukunftsweisende“ Friedensbot-
108 Vgl. dazu unten Prop. 4,6,13 f. und zu Julius Caesars Vergöttlichung Prop. 4,6,59 f. (at pater Idalio miratur Caesar ab astro …). Bleicken, Augustus 521 f. betrachtet Augustus Caesar zwar zutreffend als „Ziel und Fluchtpunkt des julischen Geschlechts“, ist aber der Ansicht, dass der Prinzeps den Diktator „am Ende nahezu verschwiegen“ habe. Dem widersprechen jedoch die Referenzen der Dichter und Augustus’ eigene Verweise auf seinen (Adoptiv-) „Vater“ in Res Gest. 10/15/20. Augustus’ Fingerzeig auf den (Tempel des) divus Iulius (vgl. Res Gest. 19/21) soll daher keine „Distanz“ zum vergöttlichten pater ausdrücken, sondern im Gegenteil einen umfassenden Staats- und Familienmythos der Caesares Iulii generieren (vgl. unten), der die ideologische Grundlage und Legitimation für die Nachfolge/Apotheose des divus Augustus bildet. Dies stimmt mit der Beobachtung von Eisenhut (Deus Caesar 106 f.) überein, dass „jedesmal, wenn Properz den Augustus Gott nennt, […] er ihn Caesar“ nennt und „Augustus immer da an[wendet], wo er an menschliche Taten des Kaisers erinnert“. Falls Richters (Divus Julius 451 ff.) – bis auf Fedeli weitgehend ignorierte – Konjektur in Prop. 4,6,60 (‚Tu [sum] deus es [est]: nostri sanguinis ista fides‘) stimmt, würde dieser Vers – aus dem Munde des divus Iulius gesprochen – in der Tat eine sehr bemerkenswerte Aussage über die „Göttlichkeit“ des Augustus „zu dessen Lebzeiten“ bieten (Richter 458). Vgl. unten zu Horaz, Od. 3,5,1 ff. (praesens divus). Da für Bosworth, Augustus 1 f. das hellenistische Gottkönigtum nicht nur in den Res Gestae, sondern auch in Vergils berühmter Unterweltsszene des 6. Buchs anklingt („an extraordinarily powerful case for deification“), hat Properz diesem vielleicht die Krone aufsetzen wollen („tu [Auguste] deus es“).
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schaft des Augustus-Denkmals von einer regelrechten „Fruchtbarkeitsprogrammatik“ durchdrungen war bzw. ist109: Sowenig die Gesellschaft bereit gewesen war, das politische Programm der moralischen Erneuerung direkt aufzunehmen und in Kindersegen umzusetzen, so anfällig war sie für Visionen der aurea aetas. Das Peuplierungsprogramm scheiterte, aber im Bild wurde das durch Gesetz verordnete Kinderzeugen sublimiert und aufgehoben. Der Vorgang ist zukunftsweisend: Ob politische Aktionen des Herrschers gelingen oder scheitern, wird zweitrangig, die Bilder eines dauerhaften Glückszustandes schieben sich wohltätig vor die Realitäten.
Unter diesen Vorzeichen ist es nicht überraschend, dass der das Leben der Menschen unmittelbar berührende Zwillingskult der Ceres-Pax in der Herrscherpraxis (vor allem im griechischen Osten des Reiches) die Verherrlichung des divus Augustus faktisch schon zu seinen Lebzeiten beförderte bzw. umfasste. Trotz oder gerade wegen eines reaktionären Festhaltens an den überbrachten Traditionen und Werten, den mores maiorum, begründet die Ara Pacis Augustae den neuen hellenistischen Herrschaftsstil und Herrschaftsanspruch: Der sakralrechtlich gewollte und erwartete Fingerzeig auf das alexandrinische Gottkönigtum stellt den römisch-republikanischen princeps mitten in das Pantheon seiner Helden und Götter. Es fügt sich deshalb passend zu Zankers „Macht der Bilder“, dass Augustus’ bauliche Restaurationsmaßnahmen den Friedens- und Ewigkeitscharakter der aeterna urbs besonders eindrucksvoll vor Augen führten (Res Gest. 19): Curiam et continens ei chalcidicum, templumque Apollinis in Palatio cum porticibus, aedem divi Iuli, Lupercal, porticum ad circum Flaminium, quam sum appellari passus ex nomine eius, qui priorem eodem in solo fecerat, Octaviam, pulvinar ad circum maximum, aedes in Capitolio Iovis Feretri et Iovis Tonantis, aedem Quirini, aedes Minervae et Iunonis Reginae et Iovis Libertatis in Aventino, aedem Larum in summa sacra via, aedem deum Penatium in Velia, aedem Iuventatis, aedem Matris Magnae in Palatio feci.
Es ist allein topographisch offenkundig, dass Augustus’ Projekt eines „transformation of the city“110, das nach eigener Aussage nicht weniger als „82 Göttertempel“ (Res Gest. 20) umfasst haben soll, das römische Stadtbild nachhaltig prägte und die poetische Wirkung auf Properzens „elegiac cityscape“ des vierten Buches nicht verfehlte111: „It was not for nothing that Augustus turned Rome into a sort of shrine“. Die restaurierte aurea urbs bildete so etwas wie den prestigeträchtigen Gradmesser dichterischer Lobpreisung, wie der Palatinus Apollo in 4,6 (2,31) anschaulich demonstrierte (1): Sacra facit vates. Es wirkt fast so, als wolle Properz Augustus’ ambitioniertes Bauprogramm in ein äquivalentes Dichtungsprogramm beispielgebend transformieren (4,10,1–10): Nunc Iovis incipiam causas aperire Feretri armaque de ducibus trina recepta tribus. magnum iter ascendo, sed dat mihi gloria vires: non iuvat e facili lecta corona iugo.
109 Zanker, Macht der Bilder 177 (185). 110 Cooley, Res Gestae 182 (zu Kap. 19 ff.). 111 Newman, Saturno Rege 226. Vgl. Kapitel 1 zu Welch’ Auslegung der maxima Roma als „elegiac cityscape“ („city-as-text“).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar 5 imbuis exemplum primae tu, Romule, palmae huius, et exuvio plenus ab hoste redis, tempore quo portas Caeninum Acrona petentem victor in eversum cuspide fundis equum. Acron Herculeus Caenina ductor ab arce, 10 Roma, tuis quondam finibus horror erat! (…)
Das prima facie wohl außergewöhnlichste, weil „unelegischste“ aller Properz-Gedichte 4,10 behandelt den althergebrachten Kult des Jupiter Feretrius, dem der Überlieferung nach bis dahin nur dreimal in der römischen Geschichte die spolia opima, die gegnerische Feldherrnrüstung, geweiht worden waren (vgl. 45 ff.): Nur Romulus, Cornelius Cossus und Claudius Marcellus sei es bislang omine certo (46) bzw. suo imperio gelungen, den feindlichen Heerführer im Zweikampf zu „töten“ (ferire) und sich so das Recht zu erwerben, Jupiter diesen höchsten Siegespreis „darzubringen“ (ferre). Die politische Aktualität und Brisanz des Themas – im Jahre 29 v. Chr. verweigerte Augustus dem damaligen Prokonsul Licinius Crassus, nachdem dieser den König der Bastarner eigenhändig besiegt hatte, das Recht spolia opima zu weihen – verdeutlichen zum einen Augustus’ unbedingten Repräsentationsanspruch auf den Tempel(kult) des Jupiter Feretrius und zum anderen die aitiologische Doppelbödigkeit und Dynamik des exemplum Romuli112. Es ist ein wenig oberflächlich und vorschnell geurteilt, der Elegie 4,10 keinen besonders großen „Aufwand an poetischer Phantasie“ (Rothstein) oder aber eine eher indifferente „Leidenschaftlichkeit“ (Richardson) für die Sache des Prinzeps zu attestieren. Vielleicht ist 4,10, wie Hubbard bemerkt, nicht Properz’ bestes aitiologisches Gedicht des vierten Buches, sofern man es denn nach „elegischen“ Maßstäben bewertet, „but the one at which he probably had to work hardest“113. Hutchinson erkannte, dass die Elegie Properzens „strategy of surprise“ (219) darlege, denn bis auf die Form des elegischen Distichons erinnert kaum etwas in diesem Gedicht an das klassische erotische Themenrepertoire und den beispielhaften criminis auctor Romulus zuvor (vgl. 2,6,19 ff.)114: „What the poem presents is small but very special.“ Diese Besonderheit drückt sich für Hutchinson in der Verknüpfung von „epic pretensions with Callimachean littleness“ (220) aus. Die gattungsspezifische Wandelbarkeit des „Epic into Elegy“ (Kapitel 6.1) findet in 4,10 daher ihren deutlichsten Niederschlag, zumal die Elegie inhaltlich gewissermaßen eine „epische“ Miniaturausgabe oder Variation des „Arma virumque cano“ Vergils ist. Dass das substantiell epischste Gedicht des abschließenden Properz-Buches ironischerweise auch sein kürzestes ist (nur 48 Verse), sollte in der Beurteilung aber nicht über die hohen Dichtungsambitionen und verherrlichenden Momente des magnum iter 4,10 hinwegtäu-
112 Vgl. dazu Harrison, Spolia Opima 408 ff. 113 Vgl. Hubbard, Propertius 128. 114 Hutchinson zu 4,10 (220).
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schen, da mit der „Rückkehr“ des victor Romulus die Erinnerung an den „siegreichen“ Augustus einhergeht (Res Gest. 3)115: Bella terra et mari civilia externaque toto in orbe terrarum saepe gessi [suscepi Mommsen] victorque omnibus veniam petentibus civibus peperci. Externas gentes, quibus tuto ignosci potuit, conservare quam excidere malui.
Selbstverständlich schließt der Gründungsmythos des Iuppiter Feretrius, dessen Tempelkult auf den ehrwürdigen „urbis virtutisque parens“ (4,10,17) Romulus verweist, die Reminiszenz an die militärische Tapferkeit des Stadt- und Tempelerneuerers Augustus ein116: „Wherever Romulean virtue is encoded in Roman buildings and places, Propertius’ poem encourages us to see bloodstains and victims.“ Das Gedicht 4,10 sei, so Welch, vor allem eine „blutbefleckte“ kritische Hommage an Romulus’ bzw. Augustus’ zerstörerische virtus. Dieser Deutung muss man einiges entgegenhalten: Zwar wird Acron in V.15 f. wie ein oder das „Opfertier“ (victima) Jupiter zu Ehren getötet. Romulus’ pietätvoll-blutbesudeltes Opfergelöbnis steht jedoch in einem positiven Kontrast zu Acrons Angriffslust und Hybris117: „Acron’s folly is impious: Quirini [11] superimposes Romulus’ future divinity“. Damit rückt der in den Stand der Götter erhobene „Teucrus Quirinus“ (4,6,21) in die wehrhafte Genealogie des trojanischen Ahnherrn, des pius Aeneas, und präfiguriert den vergöttlichten „Troianus Caesar“ (Aen. 1,286), den tugendhaften divus Augustus selbst. Die mythologisch beispielgebende Referenzidentität zwischen Romulus’ und Augustus’ historischer Kriegstüchtigkeit (victor) markiert auf der anderen Seite den bedeutsamen ideologischen Charakterwandel bzw. Wendepunkt der bella civilia: Im Gegensatz zu Romulus’ unbarmherzigen arma streicht Augustus betontermaßen seine „Gnade“ (venia) gegenüber den (willigen) Besiegten heraus – ein Charakterzug, mit dem Augustus Anchises’ Ermahnungen quasi beim Wort nimmt (Aen. 6,853): parcere [Romane] subiectis et debellare superbos – Schonung und Milde gegenüber denjenigen (Bürgern), die sich dem Sieger freiwillig unterwerfen, diese Herrschertugenden hat sich der Prinzeps von der sprichwörtlichen clementia seines Adoptivvaters zueigen gemacht; sie wird im Verein mit der virtus, iustitia und pietas des Augustus (Res Gest. 34) seinem goldenen Schild, dem clupeus aureus, in der Curia Iulia pflichtschuldig eingraviert sein (vgl. unten). Nicht umsonst bezeichnet Properz sein poetisches spolium an Augustus als einen „steilen Weg“ hinauf in die Höhen der epischen Dichtung, denn die Elegie 4,10 beschreibt jenen enkomiastisch beschwerlichen – und im elegischen Versmaß umso beschwerlicheren – welthistorischen Werdegang, der Augustus, ganz wie es jener „Romulus augur“ vorhersah, vom blutigen Schlachtfeld der Actia bella in das staatsbürgerliche Heiligtum der Ara Pacis führte (4,6,37–46): 115 Bemerkenswert sind hier auch die (bewussten?) Anklänge der Res Gestae (3) an Cicero, In Cat. 2,11: omnia sunt externa unius [Pompeii] virtute terra marique pacata: domesticum bel lum manet (…). Buchheit, Ciceros Triumph 235 deutet Ciceros Selbstdarstellung in den Catilinarischen Reden (3,1 f.) so, dass Cicero „durch seine Leistung wie Romulus, ja mehr als dieser ein Anrecht auf Unsterblichkeit“ habe. 116 Welch, Elegiac Cityscape 165 (zu 4,10). 117 Hutchinson zu 4,10,11 f. (223).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar (…) 37 mox ait [Apollo]: ‚O Longa mundi servator ab Alba, Auguste, Hectoreis cognite maior avis, vince mari: iam terra tua est; tibi militat arcus 40 et favet ex umeris hoc onus omne meis. solve metu patriam, quae nunc te vindice freta imposuit prorae publica vota tuae. quam nisi defendes, murorum Romulus augur ire Palatinas non bene vidit aves. 45 et nimium remis audent prope: turpe Latinis principe te fluctus regia vela pati! (…)‘
In Kapitel 5.4 ist gezeigt worden, wie Properz das Actium-Gedicht 4,6, mit Vergils Aeneis (8,671 ff.) wetteifernd, nach kallimacheischem Vorbild in einen Friedensgesang Augustus zu Ehren verwandelt (69 f.): bella satis cecini: citharam iam poscit Apollo / victor et ad placidos exuit arma choros – und der siegreiche Musengott in Gestalt des novus Apollo Augustus macht kunstpolitisch Ernst mit diesem Versprechen: Was Zanker am Beispiel des Apollotempels auf dem Palatin (2,31) auf Augustus’ „neues Kunstdogma“ in Anlehnung an die archaische und klassische griechische Ikonographie bezog118, ist in dem obigen Herzstück properzischer Herrscherpanegyrik auf Augustus’ staatspolitische Räson im Einvernehmen mit den überlieferten republikanischen Normen und Werten gemünzt. Diese sind spätestens mit dem ruhmreichsten „augur Augustus“ spruchreif (Res Gest. 7): Triumvirum rei publicae constituendae fui per continuos annos decem. Princeps senatus fui usque ad eum diem, quo scripseram haec, per annos quadraginta. Pontifex maximus, augur, quindecimvirum sacris faciundis, septemvirum epulonum, frater arvalis, sodalis Titius, fetialis fui.
Wie zur Friedens- und Wohlstandsbotschaft der Res Gestae dargelegt, gilt der Herrscherpreis des „mundi servator Auguste“, unfehlbar und unverbrüchlich aus dem Munde seines Schutzgottes Apollon gesprochen, nur vermittelnd den Bürgerkriegsleistungen „zu Lande und zu Wasser“. Vielmehr erschöpfen sich die publica vota für Augustus in seinem persönlichen Weihedienst an der „res publica“119 – hat Augustus doch dem römischen Staatswesen als „erster Mann“ (princeps) zum Zeitpunkt der Niederschrift des Rechenschaftsberichts per annos quadraginta vorgestanden. Nach menschlichem Ermessen kommt die bis kurz vor Augustus’ Tod ganze „vierzig Jahre“ währende Blütezeit seiner Herrschaft (seit 28 v. Chr.) Properz’ per aevum (4,2,55) schon ziemlich nahe. Damit wird oder ist der quasi lebenslange Prinzipat des Augustus die politische Bürgschaft und das Vermächtnis der pax Augusta und begründet schon zu Augustus’ Lebzeiten seinen gottgleichen Kaiserkult und die Verdienste des „Erhabenen“ um die Republik und das römische Volk (Res Gest. 34): In consulatu sexto et septimo, postquam bella civilia exstinxeram, per consensum universorum potens [potitus Mommsen] rerum omnium, rem publicam ex mea potestate in senatus populique Romani arbitrium transtuli. Quo pro merito meo senatus consulto Augustus appellatus sum et, 118 Vgl. Zanker, Macht der Bilder 95 f. (in Kapitel 5.4). 119 Vgl. Hutchinson zu 4,6,42 (162): „publicus is a striking word in poetry […] never [used] by Catullus, Lucretius, Virgil or Tibullus“.
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laureis postes aedium mearum vestiti publice, coronaque civica super ianuam meam fixa est, et clupeus aureus in curia Iulia positus, quem mihi senatum populumque Romanum dare virtutis clementiaeque iustitiae et pietatis caussa testatum est per eius clupei inscriptionem. Post id tempus auctoritate [dignitate Mommsen] omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius habui quam ceteri, qui mihi quoque in magistratu conlegae fuerunt.
Selbstredend erinnert in diesem vorletzten Kapitel der Res Gestae, der apologetischen Quintessenz oder „Sphragis“ (inscriptio) augusteischer Herrschaftsauffassung, förmlich wenig an eine auctoritas divina des Augustus, der in Einklang mit der republikanischen Verfassungstradition die politische sowie militärische Amtsgewalt (potestas) nach den Bürgerkriegen an die ordentlichen Staatsorgane des „Senats und Volks von Rom“, also an die res publica, abgetreten habe und seither allein aufgrund persönlich erworbener „Autorität“ (auctoritas) eine besondere Stellung als primus inter pares behaupte. Da die Actia bella/civilia, rückblickend vom Status quo der pax Augusta betrachtet, als ein geheiligter Krieg (bellum iustum) gegen die internen und externen Feinde von den Göttern selbst sanktioniert sind, ist in dem Kulttitel Augustus die göttliche auctoritas des Herrschers fest implementiert. Denn Augustus ist namentlich der „Urheber“ (auctor) der von ihm gestifteten pax „Augusta“ und folglich der nach Ansehen und Würde einzig legitime Inhaber und Träger des verfassungsmäßig außerordentlichen Prinzipats120. Aus diesem referentiellen Zusammenhang erschließt sich die tiefere Bedeutung der Actium-Elegie 4,6 als der politischen und „religiöse[n] Rechtfertigung der irdischen Sendung des [divus] Augustus“121: Properz’ Augustus-Hymnos 4,6 ist kein „indirektes“ Preisgedicht122 und erst recht kein regimekritisches Machwerk, sondern im Gegenteil das „deutlichste Bekenntnis zu Augustus’ politischer und kriegerischer Leistung“123. Die insofern natürliche Verehrung und Kultivierung seiner auctoritas divina sind der Grund, warum Augustus’ daraus abgeleitete Herrscherattribute der „Tapferkeit, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Frömmigkeit“ in so unprätentiöser Weise seinem republikanischen clupeus aureus eingeschrieben sind und sich schließlich in mystifizierter Form auf Vergils goldenen Schild der Aeneis (Buch 8) ergießen. Obwohl sich Augustus, wie die dichterischen Dokumente bezeugen, mit Fug und Recht auf den Kanon seiner gottgleichen Glorifizierung als Romulus, Apollon oder Jupiter berufen könnte (und es inoffiziell auch tat), rechtfertigte der Prinzeps seinen Kampf um die res publica constituenda bezeichnenderweise „durch den Konsens“ (per consensum) mit der gesamten römischen Bevölkerung124. Nicht von 120 Vgl. Cooley, Res Gestae z. St. („Augustus appellatus sum“) zum ideologischen/etymologischen Kontext Augustus/auctoritas/augere/augur Romulus (261): „Above all, it conveyed the idea of superhuman status“. Vgl. Hutchinson zu 4,6,43 unter Verweis auf Ennius, Ann. 155 (augusto augurio … condita Roma est). 121 Eisenhut, Elegie IV 6 (313 f.). 122 Vgl. Kierdorf, Actium-Elegie 178. 123 Vgl. Gall, Zeit des Augustus 122. 124 Cooley, Res Gestae z. St. misst der Präposition per (consensum) keine explizit rechtfertigende Bedeutung bei (per „simply denotes the background circumstances“). Die machtpolitische Ausrichtung des imperium sine fine (per aevum) ist in Augustus’ „per totum imperium“ (Res Gest. 13) aber ideologisch inbegriffen: Vergils Herrschaftsprophetie in Aen. 1,275 ff. (oben) hat sich nicht zeitlich unbestimmt, sondern infolge der militärischen/politischen Eigen- und Errun-
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
ungefähr hatte dem mehrmaligen Konsul Augustus der damals verantwortlich zeichnende Konsul Cicero bei der Aufdeckung der Catilinarischen Verschwörung 63 v. Chr. (dem Geburtsjahr Octavians) die Parole eines consensus omnium bonorum schlagkräftig vorgelebt (In Cat. 1,32): Polliceor hoc vobis, patres conscripti, tantam in nobis consulibus fore diligentiam, tantam in vobis auctoritatem, tantam in equitibus Romanis virtutem, tantam in omnibus bonis consensionem, ut Catilinae profectione omnia patefacta, illustrata, oppressa, vindicata esse videatis.
Der Vergleich enthüllt, unbeschadet der (rhetorischen) Selbstinszenierung des homo novus Cicero, die zeittypischen Vorstellungen und Veränderungen. Ovid brachte das augusteische Selbst- und Herrschaftsverständnis im Verhältnis zur tradierten Staatsform auf die ebenso pointierte wie pointenreiche Formel „res est publica Caesar“ (Trist. 4,4,15)125: „Since there was no aspect of political life to which he [Augustus] was irrelevant, he quickly became an emblem of the state.“ Während Ciceros Übereinkunft aller Patrioten (boni) die politische Überzeugungskraft ausdrücklich pluralistisch aus der auctoritas des Senats und der virtus der Ritterschaft gewinnt, denen die consules ihre Amtsbefugnisse sowie Handlungsfähigkeit verdanken, konzen triert sich im Prinzipat der Staatsdienst an der „gemeinsamen Sache“ auf die Person des Augustus, der in und mit dem Tatenbericht sein persönliches autobiographisches Testament ablegt (Res Gest. 35): Tertium decimum consulatum cum gerebam, senatus et equester ordo populusque Romanus universus appellavit me patrem patriae idque in vestibulo aedium mearum inscribendum et in curia Iulia et in foro Augusto sub quadrigis, quae mihi ex senatus consulto positae sunt, censuit. Cum scripsi haec, annum agebam septuagensumum sextum.
Die obersten Beamten sind also nicht mehr dem hohen Senatsgremium gegenüber verpflichtet, sondern die altehrwürdigen patres conscripti geraten ihrerseits in eine loyale Bringschuld gegenüber dem pater patriae Augustus126: „Der Prinzipat beruhte allein auf dem Willen des Herrschers, die Verfassung zu beachten. Niemand außer ihm stand für ihre Gültigkeit ein; er allein war ihr Garant.“ Deshalb war die institutionelle Wiederherstellung der Republik auf die auctoritas und virtus des Prinzeps so zugeschnitten, dass sich das Wohl des Staates über seinen „Konsens aller Patrioten“ neu definierte. Und weil Augustus „allen“ boni, sprich Senatoren und Rittern, an Ehre und Tapferkeit voranstand (omnibus praestiti), bedurfte es formal keiner gesetzlichen potestas, um die res publica restituenda in den altbewährten Strukturen nach seinem Willen neu zu gestalten. So konnte sich Augustus mit der republikanischen Bescheidenheit Ciceros für seine Verdienste „ad conservandam rem publicam“ (In Cat. 4,23) feiern lassen und dies andererseits zum Anlass nehmen, seine hellenistische Prinzipatsherrschaft in die Aura des Göttlichen einzukleiden (Od. 3,5,1–4)127: genschaften des Augustus erfüllt, wie es nämlich durch die Inschrift auf dem goldenen Schild bezeugt werde (per eius clupei inscriptionem). 125 White, Realigning 333. 126 Bleicken, Augustus 373. 127 Buchheit, Ciceros Triumph 235 hat an den Catilinarischen Reden aufgezeigt, wie Cicero sich als „Retter und Heiland der Stadt, d. h. hellenistisch gesprochen als Soter“ präsentiere (237): „Erste Ansätze einer Annäherung des Herrschers an Juppiter in Rom liegen schon vor Cicero.“
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Caelo tonantem credidimus Iovem regnare: praesens divus habebitur Augustus adiectis Britannis 4 imperio gravibusque Persis. (…)
Auch wenn die offiziöse Selbstdarstellung des divus Augustus den Konsens mit den althergebrachten Traditionen der Vorväter, den mores maiorum, suchte und fand, umschmückte die persönliche auctoritas des Herrschers aber machtpolitisch der „sakrale Nimbus“128 kraft seiner tribunizischen Amts- bzw. Allgewalt (Res Gest. 6): Quae tum per me geri senatus voluit, per tribuniciam potestatem perfeci – diese konziliant in den republikanischen Blickpunkt gelenkte Eigenleistung des Augustus (per me), seine Selbstaufopferung für das allgemeine Staatswohl und die durch ihn „vollendete“ römische Republik (perfeci), brachte dem Prinzeps jenen extraordinären Heiligenschein eines „praesens divus“ ein, womit die Dichter in ihren Lobgesängen gerne und bereitwillig kokettierten. Trotz aller Vorbehalte und Zurückweisungen, mit denen Augustus nach außen hin die Fassade der res publica aufrechterhalten mochte und wollte, legte er dennoch selbst den teils unterschwelligen, teils augenscheinlichen Grundstein seiner wohlkalkulierten und -inszenierten Apotheose129: durch die mitunter a privatis (Res Gest. 21) finanzierten stadtweiten Tempelsanierungen; durch die örtlichen Kultverbindungen der domus Augusta mit dem Palatinus Apollo; oder durch die Gleichsetzung des pater patriae Augustus mit dem himmlischen Göttervater „Jupiter selbst“130: The significance of the title pater patriae for Augustus was not limited to precedent, however: it also encouraged the development of a parallel between Augustus and Jupiter, with the former’s elevated position being the human equivalent to the latter’s pre-eminence in heaven (~ Prop. 4,6,13–14): (…) Caesaris in nomen ducuntur carmina: Caesar dum canitur, quaeso, Iuppiter ipse vaces! (…)
Nicht ohne Widerspruch sind – auf das ganze Elegienwerk gesehen – wiederholt Zweifel an der Aufrichtigkeit properzischer Panegyrik geäußert worden. Dabei kann nur die Detailanalyse von Gedicht zu Gedicht eine punktuelle Klarheit in den komplexen Gesamtzusammenhang verschaffen. Wenn der Elegiker in den obigen Versen Horaz’ epischen „Donnergott“ Jupiter (Od. 3,5,1) sozusagen um andächtiges Schweigen für den praesens divus Augustus bittet, impliziert dies auch eine 128 Vgl. Bleicken, Augustus 380. 129 Vgl. zur „Verbreitung des Kaisermythos“ in den westlichen und östlichen Reichsgebieten Zanker, Macht der Bilder 294 ff. und Bleicken, Augustus 378 ff., der den „sakralen Herrscher“ (Augustus) als eine neue „sakrale Potenz“ auffasst, „die neben die bis dahin offiziell verehrten göttlichen Wesen trat“ (385). 130 Cooley, Res Gestae zu Kap. 35 („pater patriae“). Vgl. zum Augustus-Zeus-Kult in Olympia Bleicken, Augustus 383 oder zu Augustus’ „Jupiterrolle“ auf der Gemma Augustea Zanker, Macht der Bilder 232 ff.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
humorvolle Referenz auf Augustus’ aedes Iovis Tonantis (Res Gest. 19), die mit großen sakralen und bautechnischen Anstrengungen frisch aus der Taufe gehoben wurde. Hintergründiger Humor muss den ernstgemeinten Herrscherpreis aber nicht notwendig und schon gar nicht augustuskritisch konterkarieren, denn sicherlich verstand der ebenso machtbewusste wie geistreiche „joviale“ Kaiser den Unterschied zu erkennen und zu würdigen. Trotzdem hatte vor allem Properz’ frühere dichterische Rezeption der Actia bella immer wieder den Stein des Anstoßes gegeben (2,16,37–42): (…) 37 cerne ducem, modo qui fremitu complevit inani Actia damnatis aequora militibus! hunc infamis amor versis dare terga carinis 40 iussit et extremo quaerere in orbe fugam. Caesaris haec virtus│et gloria Caesaris haec est: illa, qua vicit, condidit arma manu. (…)
Vermutlich ist die auffällige sprachliche Parallele zu den Res Gestae (25) lediglich dem Zufall geschuldet, textkritisch aufschlussreich ist sie dennoch131. Für das moderne Empfinden etwas überzogen und abrupt angefügt, geben die Verse 2,16,41 f. ein umso klingenderes Beispiel ab, „in modo tale che la virtus e la gloria del principe siano incorniciate dall’anafora del suo nome“132. So setzt das exemplum des Augustus, dessen Tapferkeit in Romulus’ bzw. Properzens „Ruhmeshalle“ (4,10,3) gleich doppelt Platz findet, das Gegen- bzw. Schandbeispiel des Marcus Antonius (cerne ducem) und dessen infamis amor (Kleopatra) herab und hebt wie ein emphatisch berechnetes Monitum Augustus’ größte Heldentat für Rom und Roms gottgeweihte Mauern hervor (3,11,65 f.): haec di condiderant, haec di quoque moenia servant: / vix timeat salvo Caesare Roma Iovem! Das Pathos der Vergöttlichung, mit dem Properz in diesen Versen neben der Archaischen (Jupiter, Mars, Quirinus) bzw. Kapitolinischen Trias (Jupiter, Juno, Minerva) eine neue „Augusteische“ Götterdreiheit in den Himmel lobt (Caesar, Rom, Jupiter), wirkt in der Tat so exaltiert, dass das berühmt-berüchtigte Kleopatra-Gedicht 3,11 zum Teil erhebliche Bedenken an der Ernsthaftigkeit properzischer Herrscherpanegyrik weckte133: Natürlich hat der Dichter diesen Schluß nicht ohne ironischen Hintersinn nahegelegt. Von Augustus war bekannt, daß er in seinem Privatleben durchaus nicht enthaltsam und nicht im Sinne mancher seiner Gesetze lebte. Politische Propaganda und persönliches Beispiel gingen nicht konform – wenn auch Augustus den Verführungskünsten der Kleopatra gegenüber kalt blieb.
131 Vgl. Res Gest. 25: Iuravit in mea verba tota Italia sponte sua et me belli, quo vici ad Actium, ducem depoposcit. Heyworth tilgt das Distichon 2,16,41 f. aus dem Text und auch Butler/Barber z. St. tragen große Bedenken (219): „An irrelevant couplet, clumsily inserted and probably an interpolation.“ 132 Fedeli, Properzio II z. St. (498). 133 Glücklich, Zeitkritik 52 (zu Prop. 3,11,65 f.). Ähnlich Mader, Hallucination 200 („this strident patriotism is not in fact sincere“) und Sullivan, Propertius 23 („it is hard to interpret it as a seriously intended eulogy of Augustus“).
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Überleitend zu Cornelias exemplum (4,11) können an dieser Stelle die dynamischen Bewegungen und vielschichtigen Sinnebenen der Elegie 3,11 nur umrissen werden (so muss die Hauptfrage der Versumstellungen unberührt bleiben). Grundsätzlich sollte man der Interpretation, wie oben zum praesens divus Augustus alias Jupiter erklärt, vorausschicken, dass selbst ein vermeintlich „ironischer Hintersinn“ im dichterischen Umgang mit historischen Persönlichkeiten wie Augustus nicht Dissens oder Regimekritik implizieren muss (was für Properz, ein Mitglied des von Augustus protegierten Maecenas-Kreises, auch kaum überzeugend wäre). Eher fügen sich Augustus und alle anderen geschichtlichen, mythologischen oder frei erfundenen Charaktergestalten beispielgebend in Properzens hohe Kunst der Dichtung ein (das gilt sinngemäß bzw. vorbildhaft für Kallimachos’ Gleichsetzung des Ptolemaios mit Zeus in Hymn. 1,79 ff. oder mit Apollon in Hymn. 2,26 ff.). Subtile panegyrische Spitzen gegen sich musste und konnte der divus Augustus anstandslos ertragen – umso mehr, als die Elegie 3,11 oberflächlich in weiten Teilen eine maßlos überzeichnete Invektive gegen jene von der „blutigen Schande“ ihrer Vorfahren besudelte ägyptische Königin Kleopatra abgibt (3,11,27–36): (…) 27 nam quid ego heroas, quid raptem in crimina divos? Iuppiter infamat seque suamque domum. quid, modo quae nostris opprobria nexerit armis 30 et famulos inter femina trita suos? coniugii obsceni pretium Romana poposcit moenia et addictos in sua regna Patres. noxia Alexandria, dolis aptissima tellus, et totiens nostro Memphi cruenta malo, 35 tres ubi Pompeio detraxit harena triumphos! tollet nulla dies hanc tibi, Roma, notam. (…)
Bewertet man Properzens vordergründige Botschaft, so stellt die „meretrix regina“ (3,11,39), die sich der altehrwürdigen moenia Roms und Ciceros Patres conscripti durch politische Prostitution zu bemächtigen angemaßt habe134, nicht nur einen Frontalangriff auf die wiederhergestellte Republik bzw. Augustus’ Prinzipatsverfassung dar (vgl. 4,6,45 f.). Kleopatras Weiberregiment (regna) ist im Kern ein naturwidriger Affront gegen die römisch-patriarchalisch geordnete res publica libera der Vorväter135: „the championing of libertas against the threat of servitus or regnum became the validating slogan for insurrection“. Augustus selbst stilisierte in den Res Gestae (1) die Schlacht bei Mutina 43 v. Chr., die seinen kometenhaften 134 Das überlieferte coniugis (obsceni) in V.31 würde die Invektive direkt auf den famulus Antonius lenken, der ansonsten bei Properz und den anderen augusteischen Dichtern ebenso wie in den Res Gestae (!) als kriegführender „Staatsfeind“ eher verschwiegen wird (Butler/Barber z. St.): „obsceni is too strong an epithet for Antony“. Um dem bellum civile den Anschein einer geheiligten auswärtigen Mission zu geben, war Kleopatra die offiziell erklärte hostis der römischen Republik und des Augustus. Passerats Konjektur coniugii fügt sich daher besser zu Kleo patras Verunglimpfung wie in 2,16,39 (infamis amor): „The coniugium is obscenum for Antonius“ (Butler/Barber). 135 Wyke, Augustan Cleopatras 108.
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Aufstieg vom politischen Emporkömmling zum pater patriae einleitete, als einen Kampf um die „Freiheit“ (libertas) gegen die „Gewaltherrschaft“ (dominatio) einer abtrünnigen, von Marcus Antonius angeführten Machtgruppe. Und Properz will, nachdem schon Horaz den Boden Actiums in der Ode 1,37 pede libero (1) feierlich festgestampft hatte, Augustus’ libera signa (4,6,62) dort bildgewaltig hissen. Der Vergleich mit Horaz’ Charakterbild der Kleopatra in der Ode 1,37, die laut Mader eine „psychologische Transformation“ Kleopatras vom fatale monstrum (21) zur non humilis mulier (32) darlegt136, rückt Properz’ regelrechten Verriss der blutschänderischen „Hurenkönigin“ in ein umso grelleres Licht. Denn Vergils gigantomachische Götterschlacht bei Actium in Aen. 8,694 ff. (Kapitel 5.4) gestaltet sich bei Properz wie eine „sich ins Groteske steigernde Aufzählung dessen, worin sich Kleopatras Verlangen, über Rom zu herrschen, ausdrückte oder, falls durchgesetzt, ausgedrückt hätte“137: Anubis bellt den Jupiter an (v.41), der Nil droht dem Tiber (v.42), die Isisklapper vertreibt die römische Kriegstuba (v.43) und ägyptische Lastschiffe verfolgen römische Schnellschiffe (v.44). Ja, schließlich spannt Kleopatra ihr Mückennetz aus, schlägt ihr Lager auf dem Kapitol auf und spricht von dort aus Recht […].
Gewiss hätte der praesens divus unter solchen Vorzeichen den ganz besonderen Beifall des Iuppiter Tonans gefunden (3,11,49 f.): (…) cape, Roma, triumphum / et longum Augusto salva precare diem! Dass der Höhepunkt des Herrscherpreises in 3,11,55 f. noch dazu aus dem Munde der überwundenen, in „Trunksucht“ (assiduo mero) sterbend verfallenen Königin gesprochen ist, verleiht dem republikanischen Freiheitskampf eine prachtvoll-bizarre Note – schließlich hatte der beherrschtnüchterne Prinzeps, so zumindest der schrille Ton seiner Kriegspropaganda, über das coniugium obscenum par excellence, den famulus ebrius Antonius und die berauschte Dirnenregentin Kleopatra, triumphiert. Properz’ gleichermaßen furioses wie offensives und daher oft angezweifeltes Bekenntnis zu Augustus und Actium in dem Gedicht 3,11 tönt aus dem vergleichsweise moderaten Kanon der proaugusteischen Darstellungen bei Horaz oder Vergil jedenfalls deutlich heraus. Dagegen wird die erklärte Staatsfeindin Kleopatra in den Res Gestae namentlich nicht erwähnt und Antonius beiläufig als „is, cum quo bellum gesseram“ (24) unterdrückt138. Interessant ist, dass sich Vergil der damnatio memoriae insofern entzieht139, als er Marcus Antonius, den „victor ab Aurorae populis et litore rubro“ (Aen. 8,685 f.), ausdrücklich auf seinem goldenen Epenschild verewigt. Aber auch auf Properz übte der Bezwinger der orientalischen Heerscharen eine besondere „erotische“ Anziehungskraft aus. Denn dem Elegiker dient Vergils lobenswürdiger Kriegsherr als ein prominentes exemplum jenes beklagenswer-
136 Vgl. Mader, Hallucination 188. 137 Glücklich, Zeitkritik 50 f. zu Prop. 3,11. 138 Ein indirekter Bezug auf Kleopatra, das heißt auf ihr mitgeführtes Bildnis beim Triumphzug, findet sich in Kap. 4 der Res Gestae: [3] In triumphis meis ducti sunt ante currum meum reges aut regum liberi novem, unter denen sich auch Kleopatras und M. Antonius’ Kinder Alexander Helios und Kleopatra Selene befunden haben. 139 Vgl. dazu Ridley, Emperor’s Retrospect 72 f.
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ten „Liebesknechtes“ (famulus), der wie Properz einer Frau zur militia amoris verpflichtet und ihrem Willen hoffnungslos unterworfen ist (3,11,1–4): Quid mirare, meam si versat femina vitam et trahit addictum sub sua iura virum, criminaque ignavi capitis mihi turpia fingis, 4 quod nequeam fracto rumpere vincla iugo? (…)
Die Parallelen zwischen Properz/Antonius und Cynthia/Kleopatra dringen in der Tat auffällig durch, auch wenn man M. Antonius’ historische Bedeutung und Funktion als „model for the elegiac lover“ (Welch, Masculinity 79) nicht überbewerten sollte – vor allem dann nicht, wenn dadurch der potentiell wie substantiell fiktive Charakter von Dichtung im geschichtlichen Zusammenhang biographisch überformt und Properz zu einem „antiaugusteischen“ Dichter gestempelt wird140. Die latente Identifikation des famulus Properz mit Antonius mag den anstößigen Argumentationsbruch des Gedichts (abrupter Sprung vom Mythos in die Zeitgeschichte) und den schroffen Schmähcharakter insofern erklären, als die femina Kleopatra ein emotional bzw. erotisch aufgeladenes Spiegelbild der puella Cynthia abgibt und Properz’ Klage über das servitium amoris durch das historische Skandalbeispiel begründet141. Allerdings fielen Antonius’ crimina turpia dann umso gewichtiger auf Properz selbst zurück, der sich, seiner Rechtfertigungsabsicht zuwiderlaufend, als „Feigling“ (ignavus) im schlechtesten oder eher besten Sinne strafen würde. Diese Schlussfolgerung lässt sich mit dem aufdringlichen Patriotismus des Gedichts 3,11 nicht gut vereinbaren. Es fällt mir im Resümee schwer, Properzens Paradestreich augusteischer Enkomiastik wie Glücklich als eine „bewußte und ironische Umbiegung“ hellenistischer Heilandsvorstellungen zu deuten142. Dafür gibt es weder ein zwingendes poetisches Indiz noch einen plausiblen biographischen Grund143: „Any attempt to read 3,11 as ‚subversive‘ is therefore based on petitio principii.“ Zugegeben irritiert der ungewöhnlich scharfe, chauvinistische Tonfall der Elegie ein wenig, der das Maß proaugusteischer „Propaganda“ der anderen römischen Dichter spürbar übersteigt und für Properz’ Feingefühl eher untypisch ist. Erst im vierten Buch (4,6) hat der Elegiker zu einer ausgewogenen Form der Darstellung gefunden: Der Augustus-Hymnos schiebt sich siegesbewusst, aber stilsicher vor die Kleopatra-Invektive. Wenngleich man, zumal nach modernem Empfinden, Properz in 3,11 ein provokant übersteigertes Nationalbewusstsein vorwerfen kann, dürfte sich dieses im Vergleich zu den mit Hohn und Spott kolportierten Nachrichten und moralisierenden 140 So Griffin, Propertius and Antony 17 ff. (bes. 23 ff.), der eine enge Beziehung zwischen dem poeta amator Properz und der historischen Gestalt des Antonius behauptet und im methodischen Ansatz den Unterschied zwischen „literature“ und „life“ aufhebt. Vgl. zur persona-Diskussion elegischer Dichtung Kapitel 7. 141 Vgl. Mader, Hallucination 194, der Kleopatras Charakterbild bei Properz „in the context of the lover’s servitium to his dura domina“ betrachtet. 142 Vgl. Glücklich, Zeitkritik 53. 143 Cairns, Augustan Elegist 351, der die Bedeutung der Dichterpatronage dabei zu Recht hervorhebt (35 ff.). Vgl. Kapitel 6.4 zur Maecenas-Elegie 3,9.
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Halbwahrheiten über Kleopatra und Antonius wenig nehmen. Vor, während und sogar nach den Actia bella wurde der ideologische Kampf um die res publica libera von einer heftigen Propagandaschlacht begleitet, und Properz’ Zerrbild der meretrix regina hat im Bereich der poetischen Erinnerungskultur gewiss seinen (negativ) her ausragenden Anteil daran. Trotzdem bin ich der Ansicht, dass sich Kleopatras beispielhafte Bedeutung als ein „artful and artificial symbol“ (Wyke) in den gängigen römischen Vorstellungs- und Wertkategorien von „gender, race, and imperialism“ nicht hinreichend erfassen lässt144. Immerhin steht Kleopatra, die Nachfahrin der Ptolemaer und letzte „Königin der Könige“ des hellenistischen Weltreichs Alexan ders, in einer unmittelbaren Blutlinie zu den großen Herrschern Alexandrias (3,11,33) und dadurch zugleich in einer Traditionslinie zu dem bedeutenden griechischen Kulturerbe, so insbesondere zum „Dichter der Dichter“ Kallimachos. Es ist nicht undenkbar, dass der (werdende) Romanus Callimachus Properz diese unterschwellige kunstästhetische Beziehung zur griechischen Thronerbin, abseits der offiziellen oder persönlichen Verlautbarungen, durchaus positiv wahrgenommen und anerkannt hat. Man könnte sogar sagen, dass die literarisch wie sprachlich gebildete und in allen Umgangsformen der Hofetikette geschulte Herrscherin, deren legendäre Verführungskünste vor Antonius schon der famulus Julius Caesar ergebnisträchtig erprobt hatte (aus der Beziehung zu Kleopatra ging Caesars angeblicher Sohn Caesarion hervor), auf den Liebesdichter Properz einen seelenverwandten erotischen bzw. poetischen Reiz ausübte: Denn die historische Kleopatra vereint in sich die elegischen Qualitäten der docta puella und dura domina. Wie immer man den politischen Gehalt von 3,11 einschätzen mag, in Form und Inhalt ist das Gedicht eine (Liebes-) Elegie, deren zentrales Sujet, Properz’ Geliebte Cynthia, in die anregendste femme fatale der Zeitgeschichte sozusagen „transformiert“ worden ist145: But the development of the two poems [1,12 and 3,11] is very different: after femina in the first line of 3.11 Cynthia is not only not named, she is not mentioned. She has, with Propertius, become an exemplum (6), the fitting start of a list of dominant women from myth and history. Such a list recalls the Catalogue of Women, a now fragmentary poem by the Alexandrians’ favourite model, Hesiod.
Analog zum „Epic into Elegy“ (Kapitel 6.1) bildet sich an Kleopatras exemplum der Versuch einer „historisierenden“ Liebesdichtung experimentell aus, die erst mit Cornelias Beispiel im vierten Buch zu einer thematisch und gedanklich einheitlichen, panegyrisch ebenso verbindlichen wie anmutigen Form findet. So stellt im Gegensatz zur meretrix regina Kleopatra das Cornelia-Gedicht 4,11, jene vielbewunderte regina elegiarum (Scaliger), ein eindrucksvolles und beeindruckendes Dokument des augusteischen Zeitgeistes dar, indem es das in den Res Gestae entworfene Sittenmonument der exempla maiorum mit dem Vorbild der tugendhaften römischen Matrone fundamentiert. Sofern man mit Glücklich für das Gedicht 3,11 behauptet, der erhabene Status des divus Augustus drücke sich darin aus, dass bei
144 Vgl. Wyke, Augustan Cleopatras 105 (115). 145 Heyworth/Morwood, Propertius III zu 3,11 (205).
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ihm „von Frauen und Liebe keine Rede“ und er frei „von Gefühlen“ sei146, bietet Cornelias Chronik eine sehr bemerkenswerte elegische Beurteilung seiner epischen Apotheose (4,11,55–60): (…) 55 nec te, dulce caput, mater Scribonia, laesi: in me mutatum quid nisi fata velis? maternis laudor lacrimis urbisque querelis, defensa et gemitu Caesaris ossa mea. ille sua nata dignam vixisse sororem 60 increpat, et lacrimas vidimus ire deo. (…)
Die Elegie 4,11 ist eine fiktive Consolatio der um das Jahr 16 v. Chr. verstorbenen Cornelia an ihren Ehemann L. Aemilius Paullus Lepidus (1), den consul suffectus 34 v. Chr. und Zensor des Jahres 22 v. Chr.147. Mütterlicherseits bestanden direkte Familienverbindungen zum Kaiserhaus: Cornelia war die Tochter von Augustus’ zweiter Ehefrau Scribonia und die (Halb-) „Schwester“ ihres gemeinsamen und Augustus’ einzigen Kindes Julia (sua nata)148. Dass Augustus, wie es sich für einen „Gott“ eigentlich nicht geziemt, „Tränen“ vergossen und den Tod seiner Stieftochter zusammen mit ihrer Mutter und der ganzen Stadt Rom betrauert habe, dämpft das auftrumpfende, universale Herrscherpathos in 3,11 (65 f.) in einer zutiefst anrührenden Weise. Augustus’ querela bildet sozusagen den politischen Kontrapunkt zur subjektiven Liebesklage des Elegikers, die mit den fata dulcia des Cornelius Gallus ihren prominentesten Vorsänger gefunden hatte (Kapitel 5.5). Und für einen Augenblick wirkt es so, als fänden der vergöttlichte Herrscher und der divinus poeta im gemeinsamen Motiv der Trauer noch einmal zusammen. Man kann sagen, dass der hoheitlichen Dimension und Würde des pater patriae in diesen Versen ein ausgesprochen menschlich-familiäres Ethos eingegeben ist – ein sehr persönlicher Schriftzug, den Augustus als selbst vom Schicksal getroffener (Adoptiv-) Vater in seinem Tatenbericht keineswegs verleugnete (Res Gest. 14):
146 Vgl. Glücklich, Zeitkritik 52. 147 Vgl. unten und zum historischen (Familien-) Hintergrund von 4,11 (55 ff.) Butler/Barber; Camps; Hutchinson z. St. 148 Der Umstand, dass sich Augustus kurz nach Julias Geburt 39 v. Chr. von Scribonia angeblich „pertaesus morum perversitatem eius“ scheiden ließ (Sueton, Aug. 62), um die Ehe mit Livia Drusilla eingehen zu können, warf damals kein gutes Licht auf den Triumvirn. Vgl. Bleicken, Augustus 208 ff. zu dem „beispiellosen“ Scheidungsvorgang. Dennoch dürfte der Eklat über zwanzig Jahre später und unter neuen politischen Konstellationen weitgehend der Erinnerungsgeschichte angehört haben. Andernfalls wären Paullus’ außerordentliche Zensorwürde und das Konsulat von Cornelias Bruder P. Cornelius Scipio 16 v. Chr. kaum verständlich. Ironisch-subversive Untertöne würden den Trostcharakter der Elegie ohnehin sonderbar aufbrechen (Hutchinson zu 4,11,55 ff.): „we cannot infer ironies about her [Scribonia] in 56. Augustus’ continuing involvement with Scribonia’s family is notable“ – nicht zuletzt durch die gemeinsame Tochter Julia, die erst 2 v. Chr. wegen Ehebruchs vom Prinzeps verbannt und von ihrer Mutter ins Exil begleitet wurde. Anders sieht Johnson, Final Exit 173 ff. den damaligen Skandal durch Scribonias Erwähnung wiederaufgefrischt und betrachtet Properzens Cornelia als „a sort of living Recusatio“ (179).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar Filios meos, quos iuvenes mihi eripuit fortuna, Caium et Lucium Caesares, honoris mei caussa senatus populusque Romanus annum quintum et decimum agentis consules designavit, ut eum magistratum inirent post quinquennium.
Properzens Cornelia kann vor allem deshalb auf eine vorbildliche Lebensführung und die Kraft ihrer Trostworte vertrauen, weil schon der Prinzeps seine (Adoptiv-) Söhne und designierten Nachfolger Gaius und Lucius „Caesar“, die Kinder seiner Tochter Julia und M. Agrippas, vorzeitig zu Grabe tragen und selbst diesen tragischen Schicksalsschlag „bezeugen“ musste149: „the living god’s [Augustus’] grief for her [Cornelia’s] death is the index of his approval for her life“. Angesichts ihrer streng formalistischen Handschrift schimmert in dem obigen Kapitel so etwas wie „echtes Vatergefühl“ und authentische Betroffenheit durch die ansonsten nüchterne Fassade der Res Gestae150. Dass Augustus seinen privaten Schmerz im Trauerzuge der laudatio funebris öffentlich zur Schau stellte und das nemus Caesarum (Res Gest. 23) zu einem Wallfahrtsort der Erinnerung stilisierte, fließt aber auch als ein politisch berechnetes Moment in die Selbstdarstellung ein: Der „Familienmythos“ der Caesares Iulii entspringt nämlich direkt aus dem „Staatsmythos“ der maxima Roma und ist mit diesem wie zu einer Schicksalsgemeinschaft untrennbar verbunden (4,11,37–44): (…) 37 testor maiorum cineres tibi, Roma, colendos, sub quorum titulis, Africa, tunsa iaces, † et Persen proavi s[t]imulantem pectus Achilli, 40 quique tuas proavo fregit Achille domos, † me neque censurae legem mollisse neque ulla labe mea vestros erubuisse focos. non fuit exuviis tantis Cornelia damnum: 44 quin et erat magnae pars imitanda domus. (…) Das diffizile textkritische Problem der Verse 4,11,39 f. ist bislang noch nicht befriedigend gelöst worden. Erschwerend kommt hinzu, dass der Gedichtabschnitt 17–76 im Codex Neapolitanus nicht überliefert ist. Allerdings lässt sich der historische Hintergrund einigermaßen sicher erschließen: Cornelias Schwur auf ihre ruhmreichen Familienahnen väterlicherseits (maiores) bezieht sich offenbar auf L. Aemilius Paullus (qui), den Vater jenes jüngeren P. Cornelius Scipio Africanus Numantinus (so V.30 mit Scaligers Konjektur Afra für aera), der Karthago 146 v. Chr. und Numantia 133 v. Chr. endgültig besiegt und die römische Vorherrschaft im Mittelmeerraum gefestigt hatte. Zuvor hatte L. Aemilius Paullus, dessen berühmter Sohn P. Cornelius Scipio Aemilianus in den Familienzweig der Scipionen adoptiert wurde, Perseus von Makedonien in der Schlacht bei Pydna 168 v. Chr. vernichtend geschlagen (vgl. Prop. 3,3,8). Dieser Triumph über Perseus bzw. Perses, der sein Geschlecht auf den größten griechischen Helden Trojas, den proavus Achilles, zurückführte, besiegelte den Niedergang des hellenistischen Weltreichs und hob das römische imperium sine fine aus der Taufe (~ Aen. 6,836–840)151:
149 Johnson, Final Exit 168. 150 Vgl. Reitzenstein, Cornelia-Elegie 135 zu Cornelias Sorge um die eigene Familie (unten): „Alle ihre Kinder leben und nur sie ist tot. Das ist wieder echtes Muttergefühl und steht in unmittelbarem Gedankenzusammenhang mit dem Wunsch in Vers 95 [quod mihi detractum est, vestros accedat ad annos]“. 151 Vgl. Newman, Augustan Propertius 330 f. Dieser bezieht Prop. 4,11,37 f. (1) auf Ciceros Somnium Scipionis. In dieser fiktiven Traumerzählung prophezeite der ältere P. Cornelius Scipio Africanus, der Bezwinger Hannibals im 2. Punischen Krieg, seinem Adoptivenkel Scipio Ae-
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(…) 836 ille triumphata Capitolia ad alta Corintho victor aget currum caesis insignis Achivis. eruet ille Argos Agamemnoniasque Mycenas ipsumque Aeaciden, genus armipotentis Achilli, 840 ultus avos Troiae templa et temerata Minervae. (…) Demnach liegt dem problematischen Distichon vermutlich die Konstruktion testor (…) et illum [L. Aemilium Paullum], qui Persen (…) zugrunde152. Finkenauer, Perseus 146 ff. hält dies für eine „nicht nur schwierige, sondern geradezu konstruierte Deutung“ (150) und erwägt, mehrere Konjekturen voraussetzend, eine Umstellung der Verse nach V.30. Die von ihm und Flach bevorzugte Verbesserung (Persen) simulantem ist fragwürdig, weil Perseus’ Herabsetzung, der Achills Heldenmut nur „vorgetäuscht“ habe, zu Vergils imposantem Stammbaum des armipotens Achilles nicht passt und Cornelias Schwur auf die avita tropaea (29) und das Andenken an die vergangenen mythologischen bzw. historischen Heldentaten eher durchkreuzt (4,6,38): (…) Auguste, Hectoreis cognite maior avis. Das überlieferte (Persen) stimulantem akzentuiert zwar die Kriegstüchtigkeit der römischen Altvordern und ihrer berühmten Feinde, nötigt aber zu Texteingriffen (Butler/Barber übernehmen Lipsius’ proavo Achille). Die unschöne Dopplung proavo Achille in V.40 (konzessiver Ablativus absolutus?) hatte schon Heyworth, Cynthia z. St. bemängelt. Ein Kompromiss wäre, das verbesserte simulantem nicht als „täuschen“, sondern wie das imitanda in V.44 aufzufassen: „Ich rufe jenen [L. Aemilius Paullus] zum Zeugen an, der Perses, welcher den Heldenmut seines Urahnen Achilleus nachahmen wollte (…)“. Der grammatische/gedankliche Zusammenhang mit Vers 40 lässt sich ohne weitere Konjekturen aber nicht mehr überzeugend rekonstruieren, so dass Cruces kaum vermeidbar sind. Abgesehen von den textkritischen Schwierigkeiten liegen die Bedeutung und Tragweite dieser Verse klar vor Augen (Res Gest. 8): ([5]) Legibus novis me auctore latis multa exempla maiorum exolescentia iam ex nostro saeculo reduxi et ipse multarum rerum exempla imitanda posteris tradidi.
Neben der politischen und religiösen Erneuerung bildete die moralische Restaurierung der exempla maiorum die dritte tragende Säule „augusteischer“ auctoritas und Herrschaftsprogrammatik (me auctore)153: „Readers are to view C[ornelia]’s exemplary life as illuminating Augustus’ recent social laws“. Die leges novae beziehen sich insbesondere auf die Ehe- und Sittengesetzgebung von 18 v. Chr., zu deren Verabschiedung Augustus im Senat eine beispielgebende Rede des altrömischen Zensors Q. Caecilius Metellus Macedonicus aus dem Jahre 131 v. Chr. verlesen hatte (De prole augenda). Wie die Diktatur lehnte der Prinzeps zwar die ihm „mit höchster Machtbefugnis“ (summa potestate) angetragene Würde des „curator legum et morum“ ab (Res Gest. 6), da diese „contra morem maiorum“ sei. De facto bestand aber kein Zweifel daran, dass die Kontrolle der eigens initiierten Gesetze Augustus persönlich oblag, der sich selbst (ipse) zum „größten exemplum [stilisierte] und durch seine Lebensweise und seine Auftritte fortwährend für die mores maiorum [warb]“154. milianus Africanus die endgültige Zerstörung Karthagos. Vgl. Hutchinson zu 4,11,37 (238): „C[ornelia] calls the two Scipiones Africani to witness as if they were gods“. 152 Vgl. Heyworth z. St., der den Vers 4,11,39 (et …) als vermutete Interpolation tilgt, aber einen Ausklang des Hexameters mit et illum annimmt. 153 Hutchinson zu Prop. 4,11 (230). Vgl. Wallace-Hadrill, Moral Legislation (183): „The restoration of order to the family was felt to be a necessary part of the reestablishment of political order.“ 154 Vgl. Zanker, Macht der Bilder 164 („Der Princeps als Vorbild“).
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Ob und in welchem Ausmaß man für die Res Gestae (Kap. 8) einen unmittelbaren literarischen Einfluss der Cornelia-Elegie geltend machen kann155, ist trotz oder wegen der engen Berührungspunkte schwierig abzuschätzen. Bestimmt hatte Augustus Properz’ Gedicht gekannt, vielleicht sogar angeregt, und Cornelias exem plum imitandum bei der Abfassung seines Rechenschaftsberichts noch gut im Ohr gehabt. Umgekehrt bemisst sich Properz’ Porträt der römischen matrona an dem allgemeinen Moraldiskurs der Zeit, wofür der princeps in seiner öffentlichen Leitwirkung den maßgeblichen Denkanstoß gab – nicht zu vergessen das historische „Vorbild“ Cornelia selbst, die als ein offenkundiges Paradebeispiel der censurae lex ganz für sich alleine besteht und die Früchte augusteischer Familien- und Sittenpolitik auf natürliche Weise in sich trägt bzw. austrug (magna domus)156: „Propertius represents Cornelia as an embodiment of Augustus’ own moral ideals“. Ohne expliziten Verweis auf Augustus’ Tatenbericht hatte Reitzensteins Analyse ergeben157, „daß es im ganzen Gedicht um die mores der Verstorbenen [Cornelia] geht, die den männlichen res gestae als gleichwertig gegenübergestellt werden.“ Cornelias „exemplum of female virtue“158 stellt gewissermaßen das familiäre Gegengewicht zu den militärischen Verdiensten des Augustus dar, für dessen Rückkehr aus Syrien der Altar der Fortuna Redux „ante aedes Honoris et Virtutis“ gestiftet worden war (Res Gest. 11). Nicht weniger traditionsbewusst kann sich Cornelias „großer Rechenschaftsbericht“159 auf die Tapferkeit und die Ehrentitel einer bedeutenden Ahnenreihe stützen (4,11,61–72): (…) 61 et tamen emerui generosos vestis honores, nec mea de sterili facta rapina domo. tu, Lepide, et tu, Paulle, meum post fata levamen, condita sunt vestro lumina nostra sinu. 65 vidimus et fratrem sellam geminasse curulem, consule quo facto tempore rapta soror. filia, tu specimen censurae nata paternae, fac teneas unum nos imitata virum! et serie fulcite genus: mihi cumba volenti 70 solvitur aucturis tot mea facta meis. haec est feminei merces extrema triumphi, laudat ubi emeritum libera fama rogum. (…)
Abgesehen von den textkritischen Fragen zu 4,11,66160 ist der ideologische Gehalt der obigen Verse unbestritten: Die republikanische Staatspflege des cursus hono155 Vgl. Hallett, Cornelia-Elegy 73 ff., die das Gedicht 4,11 als eine Art „forerunner“ bzw. „counterpart“ der Res Gestae diskutiert. 156 Hallett, Cornelia-Elegy 80. 157 Vgl. Reitzenstein, Cornelia-Elegie 136. 158 Vgl. Lowrie, Cornelia’s Exemplum 172. 159 So Reitzenstein, Cornelia-Elegie 138 zu 4,11 (!). 160 Die geballten Ablativformen erregen hier Anstoß. Rothstein, Butler/Barber und Goold übernehmen Lachmanns Konjektur consul (…) factus (dazu Heyworth, Cynthia z. St.): „consul quo factus tempore […] seems too precise in identifying the very moment at which Cornelia died“. Daher werden für das problematische facto die Verbesserungen festo (so Camps) bzw. fausto (so
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rum ist in Cornelias Gedanken um den Fortbestand ihrer Familie fest verwurzelt (et serie fulgite genus). Gleichzeitig sind Augustus’ leges Iuliae Cornelias eigener Tochter „vorbildhaft“ (nos imitata) bzw. als ein sittenstrenges Monitum väterlicherseits eingeprägt (censura paterna). Dass Cornelias tief verinnerlichtes Familien ethos permanent durch die und vor den mores maiorum vergegenwärtigt wird, spiegelt den pragmatischen Geist der augusteischen Ehegesetzgebung eingängig wider (Res Gest. 8): Patriciorum numerum auxi consul quintum iussu populi et senatus. Schließlich kann sich Cornelias bzw. Augustus’ magna domus nur dann auf zukünftige Ruhmestitel und Ehrenämter berufen, wenn das Geschlecht durch Nachkommenschaft gestützt und fortgesetzt wird – ein natürlicher (Herrschafts-) Kreislauf, der wie im Fall der beiden jung verstorbenen Adoptivsöhne des Augustus jederzeit zusammenzubrechen und den Staats- und Familienmythos der Caesares Iulii existentiell zu gefährden droht (4,11,45–48): (…) 45 nec mea mutata est aetas, sine crimine tota est: viximus insignes inter utramque facem. mi natura dedit leges a sanguine ductas, 48 nec possis melior iudicis esse metu. (…)
Von Belang für das zum Ideal erhobene augusteische Sittenbild ist, dass Properzens Matrone ihre moralische Selbstverpflichtung gegenüber dem Staat und der Familie nicht von förmlich mahnenden leges herleitet, sondern sich auf das Naturgesetz jener „Blutsverwandtschaft“ beruft, die auch Augustus’ virtus und clementia in die vortreffliche Herrschergenealogie seines vergöttlichten Adoptivvaters stellte (vgl. Prop. 4,6,60). Cornelias tief empfundene „Ehrfurcht vor den Göttern und den Häuptern der Familie“161, verdichtet in der so bedeutungsreichen Wertvorstellung römischer pietas, bedarf formhalber keines obersten iudex (Augustus), weil Cornelias „natürliche“ Tugendhaftigkeit jenes exemplum abgab bzw. abgibt, das dem Prinzeps bei der Gesetzesimplementierung praktisch vorgeschwebt haben moch te162. Vor diesem Hintergrund sind die Bedenken gegen die guten Konjekturen in 4,11,70 unbegründet163: „facta does not seem appropriate to the domestic virtues of a Roman woman“. Im Gegenteil, die ebenbürtige Referenz auf Cornelias „chastity Richardson, Heyworth und nun Fedeli/Dimundo) vorgeschlagen. Ähnlich beurteilte Reitzenstein Cornelias „Glücksgefühl über das Konsulat des Bruders“ (138), billigte aber das überlieferte consule quo facto und fasste das davon losgelöste tempore durch die Zäsur im Pentameter adverbial auf: „Als er Konsul geworden, wurde zur rechten Zeit (für sie) die Schwester dahingerafft“. Falls das Konsulat des P. Cornelius Scipio 16 v. Chr. abseits der regulären Ämterabfolge (sella curulis) auf Augustus’ Vorrecht der adlectio zurückging (Butler/Barber z. St.), könnte man den fragwürdigen Ablativus absolutus noch konkreter fassen: „Als er zum Konsul bestimmt worden war (…)“. 161 Vgl. Bleicken, Augustus 519. 162 Vgl. Cairns, Augustan Elegist 358: Cornelia „conforms in all respects to the Augustan ideal of a matrona“. 163 So Camps z. St. (anstelle von fata), der aber wie Fedeli und Goold aucturis (für uncturis) und meis (für malis) akzeptiert. Die einschlägigen Konjekturen übernehmen Butler/Barber, Hutchinson und Heyworth. Vgl. zur oft zitierten Parallelstelle Tib. 1,7,55 f. (at tibi [Messala] suc-
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and childbearing“ ist weder ungeziemend noch verwunderlich164, sondern offenbart die weltanschauliche Praxis der Res Gestae (8), die Augustus’ sittenpolitische Agenda in den Geltungsbereich der privaten Familienfürsorge überführt165: Das Gedicht [4,11] will aber nicht nur eine Consolatio sein, sondern zugleich eine Laudatio funebris. Beide Gattungen sind miteinander verwandt, bedienen sich auch oft der gleichen τόποι, sind aber doch ihrem Wesen nach verschieden. Zweck der Laudatio ist der Preis des Toten, seiner Leistungen (merita) und seiner Familie. Die merita des römischen Mannes bestehen in erster Linie in seinem Wirken für den Staat und die Öffentlichkeit (facta, res gestae). Bei der Frau, die vom öffentlichen Leben ausgeschlossen ist, treten an ihre Stelle die mores.
Was sich in 4,11,37 ff. durch Cornelias Berufung auf die exempla maiorum abzeichnet und in 4,11,61 ff. zu ihrem eigenen exemplum imitandum ausgestaltet, ist, poetologisch ausgedrückt, die elegische Transformation des epischen Herrscherpreises (femineus triumphus)166: Cornelias Verdienste um den Fortbestand und das Ansehen ihrer Familie stehen Augustus’ res gestae des Krieges und der Politik prinzipiell nicht nach, denn der Staats- und Familienmythos der domus Augusta gründet auf den Keimzellen der stolzen römischen Adelsgeschlechter, die die maxima Roma als einen „familiär“ gewachsenen und verzweigten Großverband repräsentieren und stabilisieren. Wenn sich Cornelia gemäß den mores maiorum daher an einen „einzigen Mann“ (68) bindet, bindet sie sich moralisch in Referenzidentität an jenen vir „Augustus Caesar“, dessen Erscheinung und Wirken die Geburt eines neuen goldenen Zeitalters der virtus und pietas verkündeten (Aen. 6,789 ff.). Damit geben Cornelias facta (4,11) im Ergebnis einen krönenden elegischen „Tatenbericht“ augusteischer Sitten- und Familienpolitik ab, und es mag vielleicht etwas kühn, zumindest unkonventionell, aber gewiss nicht selbstherrlich anmuten, wenn Properz’ „Triumph einer Frau“ Augustus’ episches Vermächtnis militärischer Glanzleistungen und Ehrenauszeichnungen in sich einschließt (Res Gest. 4): Bis ovans triumphavi et tris egi curulis triumphos et appellatus sum viciens et semel imperator, decernente pluris triumphos mihi senatu, quibus omnibus supersedi.
Selbstverständlich sollen die unzähligen Triumphe und Dankfeste dem Prinzeps zu Ehren in republikanischer Bescheidenheit alles übertreffen, was die heldenmütigen Ahnen bis dahin an honos und virtus vorzuweisen hatten oder kommende Generationen jemals vorweisen werden (Fast. 1,591 f.): perlege [Germanice] dispositas generosa per atria ceras: / contigerunt nulli nomina tanta viro. Dadurch sind die Res Gestae genaugenommen über jede Rechenschaft „erhaben“, weil der divus Augustus der Nachwelt das größte aller Beispiele überliefert. Niemand hat dem Kaisermythos einen so einprägsamen aitiologischen Gedenkstein errichtet wie der verbannte Ovid (Fast. 1,605–616):
crescat proles, quae facta parentis / augeat …), was Shackleton Bailey z. St. aber „in the mouth of a Roman matron“ (266) für eher unpassend hält. 164 Vgl. Hutchinson z. St. („mea facta remains slightly surprising“). 165 Reitzenstein, Cornelia-Elegie 128. 166 Vgl. Hallett, Cornelia-Elegy 80 zu „Cornelia’s distinctions through the vocabulary and symbols of Roman male aristocratic accomplishment“. Ähnlich Heyworth, Cynthia zu 4,11,70.
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(…) 605 nec gradus est supra Fabios cognominis ullus: illa domus meritis Maxima dicta suis. sed tamen humanis celebrantur honoribus omnes, hic socium summo cum Iove nomen habet. sancta vocant augusta patres, augusta vocantur 610 templa sacerdotum rite dicata manu: huius et augurium dependet origine verbi et quodcumque sua Iuppiter auget ope. augeat imperium nostri ducis, augeat annos, protegat et vestras querna corona fores: 615 auspicibusque deis tanti cognominis heres omine suscipiat, quo pater, orbis onus. (…)
Mehr noch als den Fabiern würde wohl Augustus’ politischer und sittlicher Weltschöpfung nach eigenem Verständnis das Prädikat einer domus maxima gebühren – hatte dieser doch das römische imperium sine fine, wie es Jupiter (Vergil) anfangs prophezeite, suo de nomine „vergrößert“ und „befriedet“ (vgl. Res Gest. 26). Ebenso strahlt das Herrscherlob vom pater patriae Augustus auf Cornelias magna domus zurück, deren Nachkommen ihre Verdienste um das Familienimperium und insofern Augustus’ Verdienste um das römische Weltreich „vermehren“ würden (4,11,70). Falls die mater familias Cornelia167 in ihrer hehren Verkörperung weiblicher Tugend auf die First Lady Livia Drusilla oder sogar auf Livias’ Ebenbild Juno anspielt, verleiht dies Cornelias Sorge um die tota domus (4,11,78), analog zu Jupiters alias Augustus’ Dienst an der tota Italia (Res Gest. 25), eine ins Epische gesteigerte sakrosankte Note. Junos hochheiliges Ehe- und Moralgesetz verletzt zu haben, muss sich Cornelia jedenfalls nicht vorwerfen lassen, und es scheint so, als habe Properz auf Horaz’ Eingangsfrage nach dem „Quae cura patrum“ (Od. 4,14,1), die Augustus’ Verdienste um das Staatswohl auf ewig in Stein einmeißeln möge, mit Cornelias Tatenbericht und Epitaph eine passende Antwort griffbereit (4,11,74): haec cura et cineri spirat inusta meo. Vorausblickend auf das Kapitel 6.3, in dem der epigrammatische Charakter properzischer Elegiendichtung untersucht werden soll, will ich die Analyse der Res Gestae mit einem letzten Gedanken abschließen. Es gibt im Grunde nur eine wirkliche Machtprobe, die den staatlichen/familiären Kult der magna domus / Augusta und den auf Augustus geprägten Mythos der domus maxima / Roma ernsthaft bedroht – und das ist der Tod. Freilich können alle poetischen und philosophischen Betrachtungen die besondere metaphysische Beschaffenheit und Grenzerfahrung des Todes rational nicht hinreichend erfassen, sondern die spezifische Essenz sowie Wahrnehmung des Todes – jeweils auch zeit- und kulturgebunden – mit einer übersinnlichen und/oder persönlichen Bedeutung für den bzw. die Menschen füllen. Denn dass der Tod eines Menschen nicht zuletzt für die Hinterbliebenen etwas bedeutet, wird niemand bestreiten168. Der Tod des Augustus hatte zweifellos eine 167 Vgl. Reitzenstein, Cornelia-Elegie 133. 168 Vgl. Kapitel 6.3 und 5.2 zu Cynthias „Tod“ in Prop. 4,7,1 ff. (Sunt aliquid Manes: letum non omnia finit …).
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heilsgeschichtliche Signalwirkung ungeahnten Ausmaßes, insofern als Augustus’ postum offizielle Erhebung zum divus den übernatürlichen Kulminationspunkt im Bewusstsein der Menschen verankerte: die göttliche Vergegenwärtigung seiner irdischen Taten. Ähnlich wird Cornelias edler patriotischer Gesinnung am Ende die verdiente moralische Apotheose zuteil (4,11,99–102)169: (…) causa perorata est. flentes me surgite, testes, 100 dum pretium vitae grata rependit humus. moribus et caelum patuit: sim digna merendo, cuius honoratis ossa vehantur avis.
Nicht nur Cornelias „Vorfahren“ (avi), allem voran die beiden hoch dekorierten Scipiones Africani, würden sich vor dem Unterweltstribunal „weinend“ für Cornelia verbürgen, sondern der göttliche Augustus selbst und mit ihm der ganze römische Erdkreis „klagen“ (57) Cornelias unbescholtene mores sprichwörtlich ein. Auf diese Weise überwindet Cornelia durch die persönlich besänftigende wie politisch stabilisierende Idee respektive Ideologie der „Familie“170, die den Staatsmythos der Caesares Iulii existentiell ebenso begründet und festigt, die infernae leges (4,11,3) und die Ungewissheit oder Angst vor dem Tod. Deshalb liegt in der domus der wesentliche, menschlich-natürliche Kern des augusteischen Herrscherkultes verborgen, den die Res Gestae oder Vergils Aeneis mit Properz’ panegyrisch gefühlvollem – eben spezifisch elegischem – Ausdrucksvermögen nicht vergleichbar herausheben. Man kann also resümieren, dass das Cornelia-Gedicht im Gegensatz zu Augustus’ Vergöttlichung in den Elegien 4,6 (Apollon), 4,9 (Herkules) und 4,10 (Romulus) umgekehrt die empfindungsvolle (Wieder-) „Menschwerdung“ des praesens divus glorifiziert. So bilden Augustus’ „Königin der Inschriften“ (Mommsen) und Properz’ „regina elegiarum“ (Scaliger) das gedankliche und literarische Gegenstück ein und derselben, nämlich römisch-augusteischen Welt- und Kunstanschauung.
169 Hutchinson zu 4,11,101 f. (249): „C[ornelia]’s gens is emphasized by avis, which caelum demands“. Dagegen ziehen eine Reihe von Editoren (so Camps, Richardson, Heyworth oder Flach) das gut überlieferte aquis vor, das zuletzt von Riesenweber, Uneigentliches Sprechen 388 f. verteidigt wurde. Allerdings bildet das aquis keine sehr wirkungsvolle Schlussapostrophe an Cornelias mores maiorum (4,11) und Properz’ maxima Roma des vierten Buches. Vgl. Hallett, Cornelia-Elegy 78 (Anm. 15) mit Verweis auf Ennius, Epigr. 21 ff. (…nemo est qui factis aequiperare queat / si fas endo plagas caelestum ascendere cuiquam est, / mi [Africano maiori] soli caeli maxima porta patet) und vor allem in Reminiszenz an Ciceros Somnium Scipionis (26): Quae cum dixisset, ‚ego [Scipio Aemilianus] vero‘ inquam ‚Africane [maior], siquidem bene meritis de patria quasi limes ad caeli aditum patet, quamquam a pueritia vestigiis ingressus patris et tuis decori vestro non defui, nunc tamen tanto praemio exposito enitar multo vigilantius.‘ 170 Vgl. Hutchinson zu Cornelias „idea of the family“ (230).
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6.3 „Cinis hic docta puella fuit“: Catulls Asche der Liebe (Carm. 68b) und die epigrammatische Sphragis des vierten Buches (4,3) In Kapitel 6.2 ist Properz’ elegische Transformation augusteischer Herrscherpanegyrik an dem Gedicht 4,11 exemplifiziert worden: Die Cornelia-Elegie bietet einen zeitgenössischen Taten- und Rechenschaftsbericht der „Res Gestae“, der Augustus’ virtus/pietas am Beispiel der römischen Matrone und ihrer facta veranschaulicht und verherrlicht. Wie es das innovative „apollinische Kulturkonzept“ der ActiumElegie 4,6 verriet, dient Augustus’ Berufung auf die mores maiorum der „symbolischen Manifestation der moralischen Erneuerung“171: In dem novus Apollo (Augustus) schlägt sich weniger ein propagandistisch auferlegtes „Kunstdogma“, sondern eher eine ideologisch internalisierte „Kunstsprache“ nieder, die „griechische Ästhetik mit römischer Sittlichkeit und virtus“ verknüpfte172. Auf diesem Fundament entfaltet das hellenistische Prinzipatsmodell des divus Augustus bei den römischen Dichtern seine moralisch reglementierende und ästhetisch kunstbetonte Wirkung. Vergleicht man den formalen bzw. fingierten Epitaphiencharakter von 4,11 mit der Großinschrift der Res Gestae, wird die epigrammatische Verbundenheit beider Texte deutlich. So hatte Hallett zum Beispiel auf Grabepigramme aufmerksam gemacht, die wie die subjektive Liebesdichtung im elegischen Distichon bzw. wie Augustus’ Tatenbericht aus der Ich-Perspektive verfasst sind (~ CIL VI 1293)173: Virtvtes generis mieis moribvs accvmvlavi, progenivm genvi, facta patris petiei. maiorvm optenvi lavdem, vt sibei me esse creatvm, laetentvr: stirpem nobilitavit honor.
In diesem Kapitel soll der epigrammatische Formcharakter des vierten Buches als der wesentliche strukturelle und thematische Rahmen properzischer Elegiendichtung herausgearbeitet werden. Ausgehend vom Vertumnus-Gedicht 4,2 führt die kreisförmige Analyse zunächst zu den beiden „Grabelegien“ 4,7 und 4,11 zurück, die das molle opus des vierten Buches gattungsmäßig ausweisen (mollia ossa). Der panegyrische Rückblick auf den „magnus Caesar“ Augustus umrahmt dann im Zentrum der Interpretation Arethusas „amor magnus“ in 4,3, der wie eine anagrammatische Sphragis über dem Programm der maxima Roma steht und Catulls Totenklage um den Bruder in Carm. 68b in das intertextuelle Gedächtnis ruft (dulcis amor): Catulls „Asche der Liebe“ begleitet die augusteische Amores-Dichtung wie ein literarisches Transzendental- bzw. epigrammatisches Urerlebnis und findet
171 Vgl. Kapitel 5.4 zu Zanker, Macht der Bilder 241. 172 Vgl. Zanker, Macht der Bilder 240 ff. zur „Formensprache des neuen Mythos“. Auch Bleicken, Augustus 539 wandte sich gegen die Ansicht, die augusteischen Dichter seien „Hofpoeten“ gewesen, und deutet Augustus’ Politik „eher als geeigneten Resonanzboden für ihr Weltgefühl, nicht als Aufforderung zum Lobgesang“. Ähnlich White, Realigning 332 ff., dass unsere Vorstellungen stark von den Erfahrungen mit modernen autokratischen Regierungssystemen und ihren Propagandamechanismen geprägt seien (335): „The Augustan Principate introduces a new framework for thinking about the relationship of literature to the state.“ 173 Vgl. Hallett, Cornelia-Elegy 75 ff.
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einen ebenso schwermütigen wie kunstverständigen Ausdruck in Properz’ kongenialem Gesang über die Liebe und den Tod (4,2,57–64): (…) 57 sex superant versus: te, qui ad vadimonia curris, non moror: haec spatiis ultima creta meis. stipes acernvs eram, properanti falce dolatvs, 60 ante Nvmam grata pavper in vrbe devs. at tibi, Mamvrri, formae caelator aenae, tellvs artifices ne terat Osca manvs, qvi me tam dociles potvisti fvndere in vsvs. 64 vnvm opvs est, operi non datvr vnvs honos.
Es ist in Kapitel 4.3 aufgezeigt worden, dass der poetische Kunstgriff, dem Gott Vertumnus die Eröffnung seiner causa in den Mund zu legen, auf Kallimachos’ Aitia verweist, der die neue Erzähltechnik des dialogisierten Monologs mit dem epigrammatischen Motiv der sprechenden Statue verbunden hat. Vor allem die formelhafte Schlusswendung „sex superant versus“ (57) verleiht der Elegie den Charakter eines Epitaphs174: Die herkömmliche Bitte an den vorüberziehenden Wanderer (te, qui …), dieser solle noch einen Augenblick verweilen und die Inschrift zuende lesen, ist an Vertumnus’ signum am Forum Romanum angepasst (…ad vadimonia curris, non moror)175. In der Forschung sind wiederholt ironische Brüche behauptet worden, die Properz’ obige Grabinschrift in 4,2 auszeichnen würden176: The address in lines 57–58 plays brilliantly upon the conventional motif of the statue speaking to an audience. Nowhere else do we have a suggestion that the listener might be getting bored, that he might actually walk away without hearing the rest. Propertius here echoes the language of sepulchral inscriptions in which a shade addresses a disinterested viator, but the precise reference in vadimonium, revealing what sort of audience Vertumnus has had all along, brings the motif to life.
Es sei „mildly ironical“ (Dee) oder „scherzhaft“ (Glock) gemeint, dass sich der Gott der Sprache des römischen Unterhaltungswesens (ultima creta) bedienen müsse, um bei dem vorübereilenden Gerichtspublikum (vadimonium) Aufmerksamkeit für seine causa zu erregen bzw. diese nicht vorzeitig zu verlieren, und sich daher bei den verbliebenen „acht“ Versen (57–64) möglicherweise verzählt habe. So bewertet Hutchinson Properzens Abwandlung als „a comic version of epigraphic addressees“ (98) und hält es nicht für notwendig, den Gedichtschluss durch Kapitälchen als eine „Grabinschrift“ zu kennzeichnen177. 174 Vgl. Dee, Callimachus Romanus 53 f.; Glock, Aitiologie 200 ff. 175 Das „Epitaph“ 4,2,59 ff. (1 ff.) weist die typischen Merkmale griechischer Epigrammatik auf: Angaben zum Namen des Verstorbenen (Vertumnus), zum familiären und sozialen Status (Tuscus deus) sowie zum topographischen Hintergrund seiner Herkunft (Volsinii foci). Diese kleine Lebenschronik ist durch aitiologische Informationen angereichert: der materielle Wandel vom Ahornklotz (stipes acernus) zum Bronzeguss (forma aena) zur Herrschaftszeit des Numa Pompilius und die laudes artificis an Vertumnus’ Schöpfer Mamurrius Veturius, dem der insinuierte Grabbeispruch „sit tibi terra levis“ gilt. 176 Dee, Callimachus Romanus 53. 177 Ebenso gewöhnlich abgedruckt Butler/Barber, Camps, Fedeli oder Willige. Dagegen als Kapitälchen markiert Richardson, Goold, Boldrer, Heyworth oder Flach.
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Selbstverständlich fingiert die Elegie 4,2 den Epitaphiencharakter der – exklusiv gezählt – „sechs“ Verse 59–64 (sex superant versus), so dass Konjekturen wie Richardsons suberant oder Heyworth’ suberunt aus einer zu formalistischen Deutung herrühren178. Zudem impliziert das Zahlwort sex, wie ich am Schluss dieses Kapitels rekapitulieren werde, einen subtilen selbstreferentiellen Verweis, indem es die Dichtung des „Sextus Propertius“ wie ein autopoietisches Kryptogramm siegelt. Den Res Gestae entsprechend, die Augustus’ autobiographisches Vermächtnis umfassen und in Form einer Inschrift das kaiserliche Mausoleum schmückten, sind die Verse 4,2,59 ff. sozusagen in das künstlerische sepulcrum des vierten Elegienbuches eingeschlossen (Prop. 4,5,1–4): Terra tuum spinis obducat, lena, sepulcrum, et tua, quod non vis, sentiat umbra sitim! nec sedeant cineri Manes, et Cerberus ultor 4 turpia ieiuno terreat ossa sono! (…)
Bereits der oberflächliche Eindruck zeigt, dass die epigrammatische Rahmung ein elementares Merkmal properzischer Dichtung bildet und in den meisten Elegien des vierten Buches strukturell angelegt ist: Wie das dornenübersäte Grab der Kupplerin Acanthis in 4,5, kündet der Tarpejische Hain 4,4 von jenem turpe sepulcrum, an dem die verräterische Tempelwächterin bestattet liegt; der epische Lobpreis der Actia bella in 4,6 klingt mit einem Nachruf auf Crassus’ busta bei Carrhae aus; Cornelias ossa in 4,11 werden durch Augustus’ Totenklage in den Himmel geleitet; und Cynthias Manes, die des Nachts als bleicher Schatten umherirren, prophezeien dem Dichter die baldige Vereinigung „Gebein an Gebein“ mit der Geliebten (4,7,89–94): ‚(…) nocte vagae ferimur, nox clausas liberat umbras, 90 errat et abiecta Cerberus ipse sera. luce iubent leges Lethaea ad stagna reverti: nos vehimur, vectum nauta recenset onus. nunc te possideant aliae: mox sola tenebo: 94 mecum eris, et mixtis ossibus ossa teram.‘ (…)
Verglichen mit 4,2,62 wirft das Polyptoton „ossibus ossa teram“ (4,7,94) eine wichtige Detailfrage auf179: „Mit mir wirst zusammen du sein, und mit dir vereinigt werde Gebein ich an Gebein reiben“. Das erotische Bild zweier ineinander umschlungener, sich gegenseitig zersplitternder Skelette wirkt nach modernem (romantischen) Gefühl recht skurril180: „This is a strange and deliberately macabre touch“. Daher wird auch das terat (4,2,62) zuweilen abgemildert oder an die Grab178 Vgl. zum Beispiel CIL I2 1203–1205: (…) qvoivs [Atistiae] corporis reliqviae / qvod svperant svnt in / hoc panario. Abgedruckt und kommentiert in Kolb/Fugmann, Tod in Rom 119–124. 179 Übersetzt nach Flach z. St. 180 Richardson z. St. Ähnlich Warden, Fallax opus 60: „It is a brutal and wholly unromantic description of the sexual act, here prolonged to eternity.“ Goold („press“), Mojsisch („berühren“) und Willige („anschmiegen“) schwächen die Bedeutung des terere (τρίβειν) ab oder deuten das
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formel „sit tibi terra levis“ angelehnt181: „Aber, Mamurrius, dir […] ruhe der oskische Grund leicht auf der kunstreichen Hand“. Allerdings liegt der epigrammatische Schwerpunkt in 4,2 nicht wie in 1,17,24 auf dem lastenden „Gewicht“ (pondus) der Erde, sondern auf der Vorstellung, diese könne Mamurrius’ artifices manus durch „Wundreiben“ verletzen182. Einen solch peinigenden Schmerz auf die Liebesmetaphorik in 4,7,94 zu übertragen, mutet einem aber etwas zu selbstquälerische Assoziationen zu, was auch dem erotischen Heilscharakter des Todes in dem Gedicht eher widerspricht (4,7,69): sic mortis lacrimis vitae sanamus amores. In seiner Monographie hatte Papanghelis den „Poet on Love and Death“ Properz im vormodernen Lichte hellenistischer „Romantik“ beleuchtet und die ambivalente Bedeutung des teram hervorgehoben183: „As used by Propertius, terere is apt to have a potential at once deadly and erotic.“ Die Referenz auf Parthenios’ Erotika Pathemata mag den „erotic death“ als „Propertian fantasy par excellence“ unterstreichen184. So scheint Cynthias Wandlung zur pia puella in 4,7 (Kapitel 5.2), wie sie durch Tibulls „lacrimis oscula mixta“ (1,1,62) antizipiert wird, durch die „Tränen des Todes“ nachdrücklich befördert bzw. beglaubigt zu werden und die Vereinigung der Liebenden im Tod wie ein epigrammatisches Bekenntnis ihrer gegenseitigen Liebe zu besiegeln (94): „Gebein an Gebein vereint, werden wir zusammen zergehen“. Zwar sollte man Properzens dichterisches Credo des „laus in amore mori“ (2,1,47) eher vorsichtig an die schwärmerische Sehnsucht der Romantiker nach dem „Liebestod“ annähern, doch unterliegt Cynthias Siegelgedicht 4,7 (79 ff.) einem sehr besonderen erotisch-morbiden Zartgefühl (mollia ossa), wonach der Tod den metaphysischen/metapoietischen Höhepunkt der Liebe markiert. Die Vorstellung einer Unvergänglichkeit der Liebe, die über den existentiellen Bezugspunkt hinaus den artifiziellen Blick und Sinn properzischer amores neu ausrichtet und definiert, scheint durch Tibulls epigrammatische Dekonstruktion der dura puella angeregt worden zu sein (Tib. 2,6,27–44): (…) 27 Spes facilem Nemesim spondet mihi, sed negat illa. ei mihi, ne vincas, dura puella, deam. parce, per immatura tuae precor ossa sororis: 30 sic bene sub tenera parva quiescat humo. illa mihi sancta est, illius dona sepulcro et madefacta meis serta feram lacrimis: illius ad tumulum fugiam supplexque sedebo et mea cum muto fata querar cinere. Bild wie Camps z. St. romantisch um: „Thus the sentence as a whole perhaps is meant to say only that her shade will hold his in a tight embrace.“ 181 Übersetzt nach Willige z. St. 182 Vgl. Yardley, Roman Elegy 270 zu Tib. 1,1,67 und bezogen auf Cynthias Gestalt Prop. 4,7,10 (summaque Lethaeus triverat ora liquor). 183 Papanghelis, Love and Death 23. Vgl. auch Fedeli/Dimundo, Properzio IV zu 4,7,94 mit Verweis auf den Antigone-Mythos in 2,8,23 (et sua cum miserae permiscuit ossa puellae). 184 Vgl. Papanghelis, Love and Death 191 zu den Erotika Pathemata 31 (102): „the passage [of Thymoetes’ story] shows death and sensuality in flagrant harmony“.
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35 non feret usque suum te propter flere clientem: illius ut verbis, sis mihi lenta veto, ne tibi neglecti mittant mala somnia Manes, maestaque sopitae stet soror ante torum, qualis ab excelsa praeceps delapsa fenestra 40 venit ad infernos sanguinolenta lacus. desino, ne dominae luctus renoventur acerbi. non ego sum tanti, ploret ut illa semel, nec lacrimis oculos digna est foedare loquaces: 44 lena nocet nobis, ipsa puella bona est. (…)
Tibulls werkabschließender Hymnos auf die „Hoffnung“ (Spes) der Liebe endet wie Properz’ Acanthis-Gedicht 4,5 mit einer Verwünschung der Kupplerin. Wie in den Kapiteln 5.1 und 5.2 zum fallax/molle opus der Liebeselegie dargelegt, initiieren die pia somnia/Callimachi (2,34,32) in Properzens Traumerscheinung Cynthias Wandlung zur docta puella in 4,7 (1): Sunt aliquid Manes: letum non omnia finit – was vor allem künstlerisch von Bedeutung ist: Die „Tränen“ des Todes bewirken eine epigrammatische „Katharsis“, die das erotische Charakterbild der spröden Geliebten (Bücher 1–3) aufhebt bzw. aitiologisch umdeutet: Cynthias „Klagen hat quasi therapeutische Kraft“185. Man kann den unmittelbaren Einfluss der fata dulcia des Cornelius Gallus auf Tibulls und Properz’ Konzeption des „erotic death“ nur vage abschätzen. Da die Liebesklage des Gallus in Vergils 10. Ekloge wegen seines Selbstmords biographisch/poetisch untrennbar mit dem „Wasser der Unterwelt“ getränkt ist (inferni lacus)186, darf man annehmen, dass von Vergils divinus poeta wichtige epigrammatische Impulse für die augusteische Liebesdichtung ausgingen. Ich werde dazu unten noch ausführen, wie Properz’ bukolische Liebesklage in 1,18 (Kapitel 5.5) als erotische Totenklage in 1,17 gewandelt in Erscheinung tritt. Dass sich die „Gesetze der Lethe“ (4,7,91) sogar auf Augustus’ Familien- und Sittenpolitik erstrecken (leges Iuliae), ist in Kapitel 6.2 an der Cornelia-Elegie thematisiert worden. So muss sich die vorbildliche Matrone, deren Tod der Kaiser persönlich betrauerte, Plutos Herrschaft und den „Gesetzen der Unterwelt“ verantwortlich stellen (4,11,1–10): Desine, Paulle, meum lacrimis urgere sepulcrum! panditur ad nullas ianua nigra preces; cum semel infernas intrarunt funera leges, non exorando stant adamante viae. 5 te licet orantem fuscae deus audiat aulae: nempe tuas lacrimas litora surda bibent. vota movent superos: ubi portitor aera recepit, obserat herbosos lurida porta rogos. sic maestae cecinere tubae, cum subdita nostrum 10 detraheret lecto fax inimica caput. (…)
185 Habermehl, Tod und Verklärung 62 zu Prop. 4,7,69. 186 Vgl. Kapitel 5.5 zu Prop. 2,34,91 f. (…mortuus [Gallus] inferna vulnera lavit aqua).
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Die Eröffnungsverse der Elegie 4,11 sind von einigen textkritischen Schwierigkeiten geprägt: Besonders problematisch erscheinen die herbosi rogi (8), die von der Pforte des Totenreiches abgeriegelt seien (Butler/Barber z. St.): „The phrase is strange, but for rogus = sepulcrum cp. III.vii.10 [nec pote cognatos inter humare rogos]“. Dass bei den Toten bzw. Totengeistern (funera) an deren grasbedeckte Gräber gedacht ist, liegt nahe, denn andernfalls zwingt das Konkretum Scheiterhaufen zu komplizierten Mehrfachkonjekturen187. Das farbige Epitheton herbosus wirkt in Plutos fusca aula zwar in der Tat ein wenig deplaziert, „though clearly not impossible“ (Butler/Barber). Auffällig ist eine gehäufte Verwendung des Begriffs herba im vierten Buch – so an prominenter Stelle in 4,1a,2 (ante Phrygem Aenean collis et herba fuit)188. Man könnte die proleptische Bedeutung der herbosi rogi daher auf Augustus’ Restaurationsprogramm der mores maiorum beziehen, insofern als die grasreichen Gräber wie ein metabolisches Memento mori römischer Herrlichkeit und Größe dienen189: Hügel und Gras, aus denen die maxima Roma einst erstanden sei, würden nach ihrem moralischen Zerfall wieder alles überwuchern (vgl. 2,6,35 f.). Andererseits markiert die lurida porta jene metaphysische Grenzlinie zwischen den fahlen Schattengeistern der Unterwelt und ihren sichtbaren Grabmälern auf der Oberwelt (4,7,2): (…) luridaque evictos effugit umbra rogos. Diese wüchsen mit der Zeit und ohne Pflege zu einem natürlichen Beet aus „Gras“ an (3,13,36).
Das lebendige Bild der herbosi rogi in 4,11 (8) scheint direkt aus der damaligen Alltagserfahrung der Menschen gegriffen, als etliche Grabmonumente, so etwa das repräsentative Rundgrab der Caecilia Metella, die Hauptverkehrsadern entlang der Via Appia zierten und als steinerne Erinnerung an die Toten den fremden Wandersmann zum Verweilen im Grünen einluden190. Mit Augenmerk auf die Trauerprozession (maesta tuba) und Leichenverbrennung (fax inimica) sind Cornelias Gedanken von den diesseitigen Todesvorstellungen geprägt, wenngleich den Gedichtabschnitt insgesamt die antike Jenseitsvorstellung der infernae leges beherrscht191: Die Verbindung intrare leges wird nur dadurch möglich, daß einer der beiden Begriffe oder vielleicht auch beide ihre Bedeutung erweitern; sie ist gewählt, um gerade durch die ungewöhnliche Ausdrucksweise um so nachdrücklicher die Tatsache einzuschärfen, daß der zunächst nur räumlich vorgestellte Eintritt in die Unterwelt zugleich die Unterordnung unter die unerbittlichen Gesetze des Totenreiches bedeutet, die eine Rückkehr auf die Oberwelt nicht mehr gestatten.
Einmal abgesehen von Orpheus’ mythologischem (Miss-) Erfolg, die infernae leges zu brechen (vgl. Met. 10,1 ff.), und die erlebte Realität menschlicher Sterblichkeit vorausgesetzt, werden die Unerbittlichkeit und Tragik des Todes durch die Lautmalerei der a-Interjektionen (2) und die harte t-Alliteration des exorato stant adamante (4) eindringlich evoziert. Dennoch stellt die Konjektur exorando eine gute Alternative dar192. Zwar wird den infernae leges durch das metrische Gewicht der 187 Vgl. beispielhaft Heyworth’ Text (obserat umbrosos invida Parca locos). Inzwischen akzeptieren Fedeli/Dimundo, Properzio IV z. St. die Konjektur umbrosos locos, während Hutchinson herbosos rogos in Cruces setzt. 188 Vgl. 4,5,11; 4,7,72; 4,8,35 und 4,3,58 (unten), wozu Dee, Arethusa 92 bemerkt: „We know that Augustus revived the Compitalia […], and herba Sabina was evidently an appropriately mo dest offering with traditional and patriotic associations“. 189 Vgl. auch Kapitel 1 zu Tib. 2,5,25 (herbosa Palatia). 190 So Rothsteins Verweis z. St. (CIL XI 5357): hic iacet, at viridi reqviesce, viator, in herba. Vgl. zum antiken Bestattungsort und Grabmonument Kolb/Fugmann, Tod in Rom 16 ff. 191 Rothstein z. St. Goold und Hutchinson übernehmen Heinsius’ Konjektur sedes. 192 Vgl. Hutchinson z. St. So auch Goold, Heyworth und Fedeli/Dimundo, Properzio IV z. St. mit Verweis auf 3,18,23 (exoranda canis [Cerberus] tria sunt latrantia colla).
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Spondeen eine unabänderliche Geltung eingegeben: Wie „harter Stahl“ lässt sich das Gesetz des Todes durch kein Bitten und Flehen brechen. Allerdings tönt in dem sanfteren exorando (adamante) durch die Nasallaute jene feinfühlige maesta tuba hervor, die Tibulls Totenklage um Nemesis’ maesta soror (2,6,38) oder Catulls Wehklage der Ariadna maesta (Carm. 64,249) begleitet und durch die Cornelia, wie damals Orpheus, Plutos stahlhartes Herz „erweichen“ will (4,11,11–18): (…) 11 quid mihi coniugium Paulli, quid currus avorum profuit aut famae pignora tanta meae? non minus immites habuit Cornelia Parcas: et sum, quod digitis quinque legatur, onus. 15 damnatae noctes et vos, vada lenta, paludes, et quaecumque meos implicat unda pedes, immatura licet, tamen huc non noxia veni: 18 det Pater hic umbrae mollia iura meae. (…)
Die in einigen Textausgaben bevorzugte Konjektur nec precor (huic) in 4,11,18 erscheint in Anspielung auf die immatura ossa von Nemesis’ kleiner Schwester verführerisch (Tib. 2,6,29!)193. Deren „allzu früher“ Tod wird von Tibull ebenso tränenreich beweint wie Cornelias sepulcrum von Paullus’ widerhallender Wehklage194: „the weeping husband [casts] in the role of elegy’s excluded lover“, denn Tibulls und Properzens (Liebes-) Elegien verbindet im epigrammatischen Kern die etymologische Reminiszenz an den klassischen griechischen „Klagegesang“ (ἔ ἔ λέγειν)195, den das römische Epitaph noch in der Kaiserzeit pflegte (CIL VI 6314)196: Non optata tibi conivnx monimenta locavit vltima, in aeternis sedibvs vt maneant, spe frvstra gavisa Nothi qvem prima ferentem aetatis Plvton invidvs eripvit. hvnc etiam flevit qvaeqvalis tvrba et honorem svpremvm digne fvneris inposvit.
Vor diesem Hintergrund bringt das gut überlieferte det Pater (hic) den mythologischen/ideologischen Gedankenreichtum der laudatio funebris sichtbar zum Vorschein: Es ist nicht nur der verfrühte Tod der jungen Caesaren Gaius und Lucius (Res Gestae 14), den Augustus’ schwerer Schicksalsschlag mit Paullus’ bzw. Cornelias immites Parcae in der Hoffnung auf ein gnädiges Urteil für die Verstorbenen im Jenseits teilt. Weil Cornelia nämlich ein ganz und gar nachahmenswertes Vorbild und Beispiel der leges Iuliae ist, braucht sie die infernae leges und Plutos Missgunst nicht zu fürchten. Ihren anerkannten ossa wird eine würdige Totenehre 193 So Goold, Heyworth, Hutchinson und nun Fedeli/Dimundo. Hutchinson und Fedeli/Dimundo übernehmen jedoch das hic anstelle des im Codex Parisinus überlieferten huic. Insgesamt bereitet der obige Gedichtabschnitt, so vor allem der Vers 15, große textkritische Bedenken. 194 Wyke, Elegiac Woman 171 zu Prop. 4,11. Ebenso Heyworth, Cynthia zu 4,11,1 ff. („we have a series of evocations of elegy“). 195 Vgl. Holzberg, Liebeselegie 5 und Horaz, Ars Poet. 75 (versibus impariter iunctis [scil. elegis] querimonia primum …). 196 Abgedruckt und kommentiert in Kolb/Fugmann, Tod in Rom 162–164.
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zuteil, denn ihre Verdienste um die mores maiorum hätten gewiss einen Platz in dem Familiengrab des divus Augustus gefunden (CIL VI 886)197: Ossa Agrippinae M(arci) Agrippae [f(iliae)] Divi Avg(vsti) neptis vxoris Germanici Caesaris matris C(ai) Caesaris Avg(vsti) Germanici principis
Die Grabinschrift der von Tiberius verbannten Vipsania Agrippina maior, deren sterbliche Überreste (ossa) von ihrem Sohn Kaiser Caligula – nach offiziellem Titel Gaius Caesar Augustus Germanicus princeps – 37 n. Chr. nach Rom übergeführt und im monumentalsten sepulcrum seiner Zeit, Augustus’ Mausoleum, beigesetzt worden waren, beinhaltet alles, um das Andenken an den Staats- und Familienkult der Caesares Iulii und die domus Augusta auf ewig zu bewahren: Als Augustus’ Enkelin war Agrippina die Tochter der von Augustus verbannten Julia und Marcus Vipsanius Agrippas, des siegreichen Flottenadmirals von Actium. Die Verortung ihres monimentum im kaiserlichen Grabmal impliziert andererseits die ideologische Verbundenheit der Cornelia-Elegie 4,11 mit den hier (18) inschriftlich verewigten Res Gestae des Augustus. Es sei dahingestellt, ob der allmächtige „Vater“ der Unterwelt Pluto sogar an den überirdischen pater patriae Augustus erinnern soll, dessen wenig „nachgiebige“ Sittengesetze zwar seiner Tochter Julia, aber Cornelia gewiss kein moralisches Kopfzerbrechen bereitet hatten (4,11,37 ff.): testor maiorum cineres ([41]) me neque censurae legem mollisse. Poetologisch ist nun bemerkenswert, dass Cornelias Plädoyer für mollia iura Berührungspunkte mit Cynthias „mollia ossa“ und ihrem Wunsch, ein epigrammatisches Denkmal gesetzt zu bekommen, aufweist (4,7,79–86): ‚(…) pone hederam tumulo, mihi quae praegnante corymbo 80 mollia contortis alliget ossa comis. ramosis Anio qua pomifer incubat arvis, et numquam Herculeo numine pallet ebur, hic carmen media dignum me scribe columna, sed breve, quod currens vector ab urbe legat: 85 hic tibvrtina iacet avrea Cynthia terra: accessit ripae lavs, aniene, tvae. (…)‘
Sandbachs für meine Interpretation maßgebliche Konjektur pone anstelle des überlieferten pelle in 4,7,79 spaltet die Kritiker198. Die Frage, die sich mit dem um Cynthias mollia ossa rankenden „Efeu“ (hedera) verknüpft, besteht darin, ob man Cynthia den Wunsch unterstellen könne, „den allen Dichtern und ihrem Schutzgott Dionysos heiligen Efeu von ihrem Grabhügel zu vertreiben“ (Flach z. St.). Cynthias angebliche Bitte um Pflege ihres Grabmals ist zwar praktisch nachvollziehbar 197 Abgedruckt und kommentiert in Kolb/Fugmann, Tod in Rom 27–30. 198 Für das pone z. B. Camps, Fedeli, Goold und Heyworth; dagegen für das pelle Butler/Barber, Richardson, Hutchinson und Flach.
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(herbosi rogi), kann aber die Bedeutung und Funktion der sacri corymbi (2,30,39), die den Akt der poetischen Inspiration symbolisieren, nicht erklären (4,1a,62): mi folia ex hedera porrige, Bacche, tua! Wie kann die Geliebte von Properz ein lobpreisendes carmen dignum erwarten dürfen, wenn der Musendichter seine Dichterquellen unberührt lassen soll? Und warum verlangt Cynthia überhaupt ein kunstvolles carmen breve (was die Elegie 4,7 ja formal ist!), wenn Properz „alle in ihrem Namen verfassten Gedichte“ (77) verbrennen möge? Das pelle durchkreuzt Cynthias aitiologisch gewandeltes Bild m. E. in unzumutbarer Weise und setzt das pone fast zwingend voraus199: „docta puella optare non potest, ut hedera e sepulcro pellatur“. Folglich liegt Cynthias mollia ossa auch nicht die makaber-groteske Vorstellung „zerbröckelnder“ Gebeine zugrunde200, sondern Properz’ Oxymoron enthüllt eine feine Anspielung auf die „zarten“ Gebeine der mollis puella. Der Verweis auf den efeubekränzten Dichter verleiht dem Epitaph der „aurea Cynthia“ denselben künstlerischen Glanz und Anspruch, der Properz’ molle opus epigrammatischer Elegiendichtung auszeichnet (2,11): Scribant de te alii vel sis ignota licebit: laudet, qui sterili semina ponit humo. omnia, crede mihi, tecum uno munera lecto auferet extremi funeris atra dies; 5 et tua transibit contemnens ossa viator, nec dicet: ‚Cinis hic docta pvella fvit.‘
Wenn auch in dem „Epigramm“ 2,11 noch negativ formuliert (vgl. unten), kann ich weder Wykes Deutung201, Cornelia (4,11) sei „very far removed from the figure of the mistress“ Cynthia, beipflichten noch Properz’ Sphragis der docta puella (4,7) wie Müller ein „makabres Pathos des Todes“ bescheinigen202: Cynthias mollia ossa bilden eher das erotische Gegenstück zu Cornelias digna ossa und setzen ein epigrammatisches Gütesiegel auf Properz’ Liebesdichtung. Daher ist die Cynthia-Elegie 4,7 trotz latenter Spannungen auch nicht für das alexandrinische Kunstprinzip einer „poikilia cum incongruity“ beispielgebend203, sondern die Gedichte des abschließenden Buches verbindet im Kern eine ausgesprochene „Buntheit“ kongruenter Bezüge: Die epigrammatische Liebesklage (4,7) und die elegische Totenklage (4,11) tönen wie ein argutum carmen in- und gegeneinander wider. Zugleich findet die „goldene Cynthia“ vom idyllischen Tivoli einen referentiellen Anklang an Augustus’ steingewordene aurea aetas in dem Sittengemälde der Cornelia204. Darüber hinaus hat der für Properz so bedeutungsvolle Themenkreis „Liebe und Tod“ in der 199 Sandbach zitiert nach Fedeli z. St. 200 So Papanghelis, Love and Death 186 ff. z. St. 201 Vgl. Wyke, Elegiac Woman 171. Dagegen betrachtet Syndikus, Properz 367 das CorneliaGedicht 4,11 keineswegs als eine „Aufgabe der elegischen Liebesauffassung“. 202 Vgl. Müller, Imaginationen 138 (zu 4,7,94). Ähnlich deutete Warden, Fallax opus 65 (zu 4,5,67 ff.) Properzens „enjoyment of the horror of death“. 203 So Papanghelis, Love and Death 194. 204 Die Kommentare heben diese erotische Panegyrik der aurea Cynthia selten hervor. Mit Bezug auf Cornelias pietas maß Habermehl, Tod und Verklärung 64 dem „Epitheton ornans, das göttliche Schönheit evoziert, aber auch Sittlichkeit“, eine wichtige Bedeutung bei (legt aber auf dieser Grundlage das überlieferte pelle m. E. falsch aus): Da sich Cynthia in 4,7,85 „selbst zur
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
elegischen Dichtung seine berühmten Vorbilder. Das wohl inspirierendste carmen dignum/breve ist Catulls Allius-Elegie, die in der Form eines fiktiven „Briefes“ an Catulls Freund Allius verfasst ist (Carm. 68a,1–10): Quod mihi fortuna casuque oppressus acerbo conscriptum hoc lacrimis mittis epistolium, naufragum ut eiectum spumantibus aequoris undis sublevem et a mortis limine restituam, 5 quem neque sancta Venus molli requiescere somno desertum in lecto caelibe perpetitur, nec veterum dulci scriptorum carmine Musae oblectant, cum mens anxia pervigilat, id gratum est mihi, me quoniam tibi dicis amicum 10 muneraque et Musarum hinc petis et Veneris. (…)
Müller sah die mentalen Bedingungen, die Tibulls und Properz’ Faszination für den „erotic death“ (mortis lacrimae) zugrunde lägen, in der gesellschaftspolitischen Umbruchphase der ausgehenden Republik und des augusteischen Prinzipats verwurzelt – ein, wie Müller einräumte, biographisches Verständnis gegenüber dem modernen literaturkritischen Zugang205. Verfolgt man diesen Ansatz kurz, so mag sich das „von physischer Existenzbedrohung geprägte Lebensgefühl“ (Müller) der damaligen Zeit gerade bei den Neoterikern niederschlagen, deren Lebensumstände inter arma weitaus brisantere poetische Reaktionen hervorriefen als bei den Elegikern unter der politisch mehr oder weniger gefestigten pax Augusta206. Obwohl man Catulls dichterische Temperamentsausbrüche mit Properz’ stil sicherem Taktgefühl biographisch kaum vergleichen kann, stellte bzw. stellt der Tod doch damals wie heute, unabhängig von den zeitspezifischen Begleiterscheinungen, die äußerste Grenzerfahrung des Lebens dar, die den „römischen Kallimacheismus“ in seiner literarischen Bandbreite persönlich wie künstlerisch herausforderte. Catulls epistolium ist nicht nur ein autobiographisches Zeugnis dafür, wie die intime Trauer um den Verlust des Bruders in einem „kunstvollen modernen Gedicht“ aufgeht207. Mit Blick auf die elegische Liebes- und Totenklage ist es vor allem, wie Kroll konstatierte, eine „wichtige Vorstufe der Elegie des Gallus und Properz“ (4,3,1–6)208: Dichterin“ stilisiere (docta puella), braucht die dura puella den „poetischen Efeu“, um ihre Verwandlung zu vollziehen (pone hederam). 205 Vgl. Müller, Imaginationen 139 f. 206 Ein Beispiel für Catulls persönliche/poetische (Über-) Reaktionen auf das sozialpolitische Klima der Zeit sind die Invektiven gegen den nachmaligen Diktator Julius Caesar in Carm. 29 (cinaede Romule), 57 (pathicus Caesar) oder 93 (ater homo). Dass die Spottgedichte einen biographischen Hintergrund haben, ist unzweifelhaft (so ist überliefert, dass Caesar von Catull eine Entschuldigung erzwang, sich dann aber mit ihm versöhnt habe). Dennoch unterliegt auch die Schmäh- bzw. Satirendichtung künstlerischen Konventionen. Vgl. Kapitel 6.4 zu den lateinischen Priapea. 207 Vgl. Kroll, Catull 218 zu Carm. 68 (vgl. 218 ff. zu den besonderen textkritischen Fragen des Gedichtadressaten und der Gedichtkomposition). 208 Vgl. Kroll, Catull zu Carm. 68 (219). Holzberg, Liebeselegie 11 bewertet Carm. 68 als „Übergangsstufe von den hellenistischen Elegien […] zu der augusteischen Amores-Dichtung“.
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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Haec Arethusa suo mittit mandata Lycotae, cum totiens absis, si potes esse meus. si qua tamen tibi lecturo pars oblita derit, haec erit e lacrimis facta litura meis: 5 aut si qua incerto fallet te littera tractu, signa meae dextrae iam morientis erunt. (…)
Die wesentliche formale Übereinstimmung zwischen der Elegie 4,3 und Carm. 68a besteht darin, dass „Brief und Gedicht innerlich mit einander verknüpft“ sind209. Catulls große Bedeutung für die Entwicklung der römischen „Briefelegie“ wird etwas dadurch verdeckt, dass die Diskussion um ihren literarischen Ursprung und Primat häufig auf Properz’ Arethusa-Gedicht und Ovids Elegienwerk der Heroides verengt wird210: Since there is no evidence one way or the other for epistolary elegy as a genre among Hellenistic poets, we cannot say whether Propertius was inventing or borrowing in his choice of narrative framework. In any case, his originality within Latin literature seems fairly certain.
Trotz oder wegen eines (noch) fehlenden griechischen Vorbildes soll Properz’ bzw. Ovids Stellenwert für die (Weiter-) Entwicklung der römischen Briefelegie außer Frage stehen. Dies darf andererseits nicht den Blick darauf verstellen, dass schon Catull die (prosaische) Trost- und Briefliteratur in die dichterische Form der Elegie gebracht und mit erotischen Motiven angereichert hatte. Dass Catull in Carm. 68b auf die Liebesbeziehung zu Lesbia zurückblickt (die von seinem Freund Allius entweder angeregt oder protegiert worden ist) und ihr die Charakterzüge einer „elegischen“ puella gibt211, soll den Leser aber nicht mit „sexuellen Enthüllungen“ konfrontieren oder ihn „erotisch stimulieren und Komik erzeugen“212. Catulls Gedicht, und darin eingebettet die candida diva (70) Lesbia und die acerba cinis (90) seines Bruders, ist zuallererst „a story of love and death“ (Carm. 68b,77–86)213:
209 Kroll, Catull zu Carm. 68 (219). Die besondere Frage, ob Catulls Carmen 68 als ein einheitliches Gedicht aufzufassen ist oder in die Teilgedichte a [1–40], b [41–148] und c [149–160] untergliedert werden muss, soll und kann hier nicht behandelt werden. Die Komplexität des Gedichts mag einen in sich geschlossenen Themenkreis aufweisen (Allius als Widmungsadressat, der Tod des Bruders als Hauptthema, Catulls Liebe zu Lesbia als Rahmenhandlung), zeigt aber auch einige abrupte formale und gedankliche Sprünge, die eine Teilung des Gedichts erwägenswert machen. 210 Dee, Arethusa 94 f., der wie die Properz-Kommentare (vgl. Butler/Barber, Richardson oder Hutchinson zu 4,3) und Gärtner, Gattungsgenese 212 das „properzische Prototypon“ favorisiert. Weder Gärtner noch Zimmermann (Heroides 130 ff.), der dagegen Ovids Frauenbriefe als originäre „Neugestaltung“ eines bekannten Themas behauptet, beziehen sich in ihren Analysen explizit auf Catull. Ovids Ausspruch in Ars Am. 3,346 (ignotum hoc aliis ille [Ovidius] novavit opus) scheint weniger den literarischen Vorrang zu meinen, sondern die Heroides „ganz im Sinne der alexandrinischen Poetik“ (Zimmermann 133 zu Carm. 85!) in die Tradition der Neoteriker zu stellen. 211 Vgl. Holzberg, Catull 171. 212 So Holzberg, Catull 168 zum Gedicht. 213 Vgl. Lyne, Love and Death 206 zum Laodamia-Gleichnis.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar (…) 77 nil mihi tam valde placeat, Rhamnusia virgo, quod temere invitis suscipiatur eris. quam ieiuna pium desideret ara cruorem, 80 docta est amisso Laudamia viro, coniugis ante coacta novi dimittere collum, quam veniens una atque altera rursus hiems noctibus in longis avidum saturasset amorem, posset ut abrupto vivere coniugio: 85 quod scibant Parcae non longo tempore abisse, si miles muros isset ad Iliacos. (…)
Die gelehrte kallimacheische Dichtung ist in Catulls mythologischer Ekphrasis der docta Laudamia kenntnisreich dokumentiert und gewinnt im Vergleich mit Properz an intertextuellen Konturen: Was jene „Schicksalsgöttinnen“ Laodamia durch den Verlust ihres Ehemanns einst leidvoll beibrachten, fügten die Parcae jüngst Cornelias Gemahl Paullus schmerzlich zu. Laodamias leidenschaftlicher amor, der Allius’ unruhigen somnus (Carm. 68a,5) gleichsam innerlich neu aufwühlt, erinnert an Properz’ somnus amoris (4,7,5), der den Dichter, metaphorisch an der Schwelle des Todes stehend, in die Traumwelt der „frommen“ Geliebten entrückte (pia somnia). Dass die Elegie 4,3 allgemein zu Properzens schönsten und natürlichsten Gedichten gezählt wird214, liegt freilich an ihrer handwerklichen Meisterschaft. Arethusas litterae sind aber auch eine intertextuelle Replik auf die Allius-Elegie. Gerade jenes todernste „tragische Pathos“, das Merklin in 4,3 zu vernehmen meinte215, ist dem auctor Catull geschuldet, dessen gefühlsbetonte „Sehnsucht“ der Laodamia (deren Gatte Protesilaos als erster Grieche vor Trojas Mauern fiel) Properz in die fiktive Lebenswirklichkeit einer jungen römischen Soldatenfrau überträgt, deren kriegsabwesender Ehemann wie der griechische Held jederzeit zu fallen droht (4,3,23–32): (…) dic mihi [Lycotas], num teneros urit lorica lacertos? num gravis imbelles atterit hasta manus? 25 haec noceant potius, quam dentibus ulla puella det mihi plorandas per tua colla notas! diceris et macie vultum tenuasse: sed opto e desiderio sit color iste meo. at mihi cum noctes induxit vesper amaras, 30 si qua relicta iacent, osculor arma tua. tum queror in toto non sidere pallia lecto lucis et auctores non dare carmen aves. (…)
Gemessen am aufrichtigen Pathos der Eingangsverse, sah Dee in dem obigen Gedichtabschnitt einen „ironischen“ Stimmungsumschlag216: „In lines 23–28 Arethusa 214 Vgl. Richardson oder Rothstein zu 4,3 (228): „Eine verhältnismäßig einfache Sprache, natürliches Empfinden und leichte Gedankenübergänge zeichnen die Elegie aus“. 215 Vgl. Merklin, Arethusa 465 zu 4,3,13 ff. mit Bezug auf die griechische Tragödie. Ebenso Dee, Arethusa 82 zu 4,3,1 ff. („sense of pathos“). 216 Dee, Arethusa 86.
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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moves a surprising distance from the pathos of the opening into the world of jealousy and playfulness characteristic of amatory elegy.“ In Kapitel 6.1 ist an Tarpejas amor armorum 4,4 die Verknüpfung erotischer und epischer Motive aufgezeigt worden („Epic into Elegy“). Dass die „Waffen des Mannes“ (Merklin) Arethusas Leidenschaft in 4,3 ebenso kokett erregen (osculor arma), würde ich aber nicht als ein humorvoll-subversives Spiel mit den Gattungen bzw. Tränen des Todes deuten. Denkbar ist, dass Arethusas noctes amarae, die auch Properz zu haben pflegte (1,1,33!), und ihr eifersüchtiges desiderium an Catulls Passer-Gedicht (2,5!) erinnern sollen. In Arethusas Liebesklage aber ein sexuell aufgereiztes, bestenfalls romantisch erfülltes tête-à-tête mit dem oder der Geliebten zu sehen, führt am patriotisch und emotional tiefgründigen Pathos der Verse und des Gedichts vorbei217: Ihr [der Heroides] gemeinsamer Grundtenor, der im übrigen auch Arethusas Brief beherrscht, ist das Motiv der Sehnsucht, die die unglückselige Trennung überwinden will, durch die Zusammengehöriges zerrissen und die Einheit, die jede Liebesbeziehung bedeutet, zerbrochen ist. So liegt schon in der Grundvoraussetzung eines jeden Briefes die Ausrichtung auf ein fremdes Ich, eine Tendenz, die die Erfüllung der eigenen Existenz nur in der Vereinigung mit dem geliebten Partner findet.
Im Folgenden soll Merklins psychologische Interpretation von Arethusas amor magnus (4,3,49) einer panegyrischen Deutung zugeführt werden, die vor allen privaten Belangen und persönlichen Bedürfnissen, mit denen Arethusa die Wiedervereinigung mit Lycotas herbeisehnt, ihre Liebe zur maxima Roma und zum magnus Caesar (2,7,5) zum Ausdruck bringt. Dies erklärt, warum „beide Sphären [des Erotischen und Epischen] sich einander in eigentümlicher Weise angenähert“ haben218 und inwiefern Arethusa sich vom klassischen elegischen Charakterbild der puella emanzipiert219: „As a wife, the elegiac Arethusa constituted a departure from the beloved mistress Cynthia.“ So könnte man in Anlehnung an die römische Matrone Cornelia (4,11) vom idealen zeitgenössischen Frauentypus einer Augusta puella sprechen: Arethusas sinnkonforme causae amoris/Romae verknüpfen die epische Weltschöpfung des divus Augustus mit der elegischen Privatsphäre der pia puella – ein innovativer Schriftzug, den das analoge Gedicht 3,12 mit diesem ausgereiften panegyrischen Stilgefühl noch nicht bietet (1–14): Postume, plorantem potuisti linquere Gallam, miles et Augusti fortia signa sequi? tantine ulla fuit spoliati gloria Parthi, ne faceres Galla multa rogante tua? 5 si fas est, omnes pariter pereatis avari, et quisquis fido praetulit arma toro! tu tamen iniecta tectus, vesane, lacerna potabis galea fessus Araxis aquam. illa quidem interea fama tabescet inani, 10 haec tua ne virtus fiat amara tibi,
217 Merklin, Arethusa 477 zu Ovids Heroides. 218 Vgl. Merklin, Arethusa 466. 219 Wyke, Elegiac Woman 172.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar neve tua Medae laetentur caede sagittae, ferreus aurato neu cataphractus equo, neve aliquid de te flendum referatur in urna: 14 sic redeunt, illis qui cecidere locis. (…)
Wie 4,3 behandelt die Elegie 3,12 die Klage einer gewissen Galla, deren Ehemann Postumus dem Kaiser auf einen Feldzug in den Osten gefolgt ist220. Was auf der zeitlichen/fingierten Ebene des Gedichts als Befürchtung kriegsbedingter Todesfälle in die Zukunft weist (virtus amara), wird rückblickend durch Augustus’ sichere „Rückkehr“ aus Syrien 19 v. Chr., die der Senat mit dem Tempel der „Honos und Virtus“ belohnte, historisch aktualisiert (vgl. Res Gest. 11). Die Frage, wie Properz „Zustimmung“ und „Bedauern“ zum geplanten Partherfeldzug und den möglichen Folgen äußern könne, lässt sich nicht nur damit beantworten, dass der Dichter „im Privatleben andere Maßstäbe“ gehabt habe221. In Kapitel 6.2 ist an den Res Gestae verdeutlicht worden, wie die historischen Dimensionen augusteischer Kriegs-, Friedens- und Sittenpolitik auf die erotischen Inhalte properzischer Dichtung ausstrahlen: So ist Augustus’ friedensstiftende virtus amara (fortia signa) unter dem Banner von Properz’ kriegslustigen noctes amarae (militia amoris) ein Aspekt der poetischen Reflexion bzw. Wandelbarkeit der Gattungen. Die bewundernd-kritische Unentschiedenheit, mit der Properz in 3,12 zwischen dem „Arma deus Caesar“ (3,4) und dem „Pacis Amor deus“ (3,5) schwankt, wird Arethusas umfassender „amor magnus“ schließlich kunstvoll in Einklang bringen (4,3,43–50): (…) felix Hippolyte! nuda tulit arma papilla et texit galea barbara molle caput. 45 Romanis utinam patuissent castra puellis! essem militiae sarcina fida tuae, nec me tardarent Scythiae iuga, cum Pater altas astricto in glaciem frigore nectit aquas. omnis amor magnus, sed aperto in coniuge maior: 50 hanc Venus, ut vivat, ventilat ipsa facem. (…)222: The meaning here of aperto in coniuge (which is without parallel) has to be inferred from the context. Arethusa has been saying how much she wishes she could be with her husband, and how if she were with him no dangers or difficulties would prevent her from going wherever he went; so by apertus here Propertius must mean praesens conspicuusque […].
220 Vgl. Rothstein und Butler/Barber (zu 3,12) zur Identifikation des Postumus (1) mit dem Senator und Prokonsul C. Propertius Postumus, einem möglichen Verwandten des Dichters, und der [L]Aelia Galla (38) mit der Schwester des ägyptischen Präfekten Aelius Gallus. Dazu Cairns, Augustan Elegist 18 ff. („The Propertii“). Skeptisch dagegen Richardson zu 3,12. 221 Vgl. Syndikus, Properz 259 f. zu 3,12. 222 Camps zu 4,3,49. Goold verbessert das aperto zu adempto, Heyworth zu rapto. Fedeli/Dimundo, Properzio IV z. St. setzen das aperto in nun in Cruces (565): „(…) l’espressione aperto in coniuge continua, quindi, a destare forti perplessità“.
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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Camps’ Deutung des persönlich gegenwärtigen und folglich sichtbaren Ehegatten entspricht auf den ersten Blick Tarpejas Situation in 4,4 (33 f.): o utinam ad vestros sedeam captiva Penates, / dum captiva mei conspicer arma Tati! Der wichtige Unterschied besteht darin, dass Tarpejas überzogene Wunschvorstellung (Potentialis!) durch Arethusas besonnene Einschätzung einer unmöglichen Hoffnung (Irrealis!) zurückgenommen wird. Die motivische Assoziation „von kriegerischen Eigenschaften und erotischem Empfinden“ (Rothstein zu 4,3,43) ist in 4,4 noch mit einer Kritik an der zügellosen „Amazonenkönigin“ Tarpeja alias Hippolyte (71 f.) verbunden, auf die sich Arethusa in 4,3 ausdrücklich, ja beispielhaft beruft, um ihrer beispiellosen Sehnsucht nach Lycotas Gewicht zu verleihen: arma papilla, barbara molle, castra puellis oder sarcina fida – das ganze konjugierte Begriffsrepertoire bietet eine Variation und Vertiefung des osculor arma zuvor. Auch wenn die Referenz auf Hippolyte Arethusas amor die Intensität und Qualität eines furor verleiht, ist die Romana puella keine barbarische Tarpeja, die sich wie eine Amazone „mit entblößter Brust“ (aperta sinu) blindlings in den Verrat am Iuppiter Capitolinus stürzte. In ihrem tugendhaften Denken und pflichtbewussten Handeln orientiert sich Arethusa an Cornelias mores maiorum (oder bereitet diese gedanklich vor), so dass Arethusas amor magnus die sittenpolitisch ins Private gekehrte Bedingung für Cornelias magna domus (4,11,44) und Augustus’ moralisches Restaurationsprogramm ist (domus Augusta). Umgekehrt gilt Arethusas Leidenschaft für die römischen arma persönlich wie politisch dem „magnus Caesar“ und seinem militärischen Geschick. Darin grenzt sich Arethusas epische Liebesklage von der querela des Elegikers ab und klingt zugleich in ihr panegyrisch stilvoll wider (Prop. 2,7,5–12): (…) 5 ‚At magnus Caesar!‘ sed magnus Caesar in armis: devictae gentes nil in amore valent. nam citius paterer caput hoc discedere collo, quam possem nuptae perdere more faces aut ego transirem tua limina clausa maritus, 10 respiciens udis prodita luminibus. a mea tum quales caneret tibi tibia somnos, tibia, funesta tristior illa tuba! (…)
„In der Liebe bedeuten Waffen und besiegte Völker sehr wohl etwas“ – könnte das revidierte elegische Bekenntnis des vierten Buches (4,3) also lauten: Denn Arethusas sehnsüchtige Erfüllung ihrer „großen Liebe“ bedarf der siegreichen Waffen des „großen Caesar“ Augustus; dieser allein vermag das durch Kriege „verschlossene“ Gebiet zu Lycotas zu „öffnen“, wenn er im Frieden und wohlbehalten zurückkehrt223. Im Gegensatz zu Tarpeja, die sich durch ihren Liebesverrat an der maxima Roma versündigt, liegt Arethusas desiderium ein rechtschaffenes und rechtmäßiges Begehren zugrunde. Die Indifferenz oder Ignoranz, mit der Properz Augustus’ leges novae in 2,7 noch frei nach dem Motto „militat omnis amans“ (Am. 1,9,1) begegnen mag, erfährt 223 Vgl. Carm. 68b,67 ff. (is [Allius] clausum lato patefecit limite campum …). Dazu Kroll, Catull z. St. (228): „Gedacht ist an das Bild der Erschließung eines unzugänglichen Geländes“.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
spätestens im vierten Buch mit der „offen anerkannten Ehe“ der Arethusa eine klare wertgebundene Auslegung224: Arethusas amor maior gilt der durch die mores maiorum moralisch und gesetzlich verankerten Ehegemeinschaft (3,12,15–22): (…) 15 ter quater in casta felix, o Postume, Galla! moribus his alia coniuge dignus eras. quid faciet nullo munita puella timore, cum sit luxuriae Roma magistra suae? sed securus eas: Gallam non munera vincent, 20 duritiaeque tuae non erit illa memor. nam quocumque die salvum te fata remittent, pendebit collo Galla pudica tuo. (…)
Merklin hatte die Verse 4,3,43 ff., in denen sich Augustus’ und Arethusas Lebenswelten „einander nähern und teilweise durchdringen, um sich schließlich ganz zu vereinigen“, zu Recht als den „Höhepunkt des Gedichts“ bezeichnet225. Arethusas amor magnus drückt aber weder eine „paradoxe Metamorphose“226 aus, noch sind „softness, gender and war“ in überraschender Weise miteinander verbunden227 oder zu einer „parody of epic diction“ gesteigert228. Das osculor arma/Caesaris stellt, so wie es die direkte Gegenüberstellung der Elegien 4,3 und 4,4 im Buchcorpus anzeigt, die augen- und sinnfällige Antithese zu Tarpejas amor armorum/Tati dar. Hinter den fiktiven Pseudonymen Arethusa und Lycotas die realen Persönlichkeiten der Aelia Galla und des C. Propertius Postumus zu vermuten229, führt wohl zu weit. Schließlich sorgt sich in 4,3 Arethusa um die marita fides (11) ihres Gatten und nicht Lycotas (Postumus) um die unbescholtenen Tugenden seiner Ehefrau (Galla). Trotzdem hat sich der elegische Ton der tibia docta (2,30,16) seit 2,7 geändert: amor und arma sind keine zwingenden Gegensätze mehr! Mehr noch als Gallas Penelopes fides (3,12,38) offenbart Arethusas epische Liebesbezeigung ein unverbrüchliches Treuegelöbnis gegenüber Augustus und seiner Politik des Kriegs und Friedens (4,3,63–72): (…) ne, precor, ascensis tanti sit gloria Bactris raptave odorato carbasa lina duci, 65 plumbea cum tortae sparguntur pondera fundae, subdolus et versis increpat arcus equis; sed tua sic domitis Parthae telluris alumnis pura triumphantes hasta sequatur equos:
224 So Rothstein z. St. mit Bezug auf Prop. 2,6,23 f. (felix Admeti coniunx et lectus Ulixis …). Ebenso Flach und Butler/Barber z. St. (341): „The greatest love is wedded love for a man who is openly acknowledged as one’s husband.“ 225 Vgl. Merklin, Arethusa 467. 226 So Merklin, Arethusa 467. 227 So Hutchinson zu 4,3,43 (110). 228 So Dee, Arethusa 90 zum Ausdruck sarcina fida (4,3,46). 229 So Butler/Barber zu 4,3. Gegen diese Vermutung Richardson zu 3,12.
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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incorrupta mei conserva foedera lecti! 70 hac ego te sola lege redisse velim; armaque cum tulero portae votiva Capenae, subscribam salvo grata pvella viro.
Es stimmt, dass Postumus’ (kritisierte) Kriegsgefolgschaft ebenso Gallas heroische Liebe lobpreisen soll230, wie Arethusas Brief an Lycotas in eine fast militärische Ermahnung zur ehelichen Treue mündet: conserva foedera lecti! Deutlich ist Arethusas fürsorgliche admonitio von dem „Klang der Römeroden oder der Aeneis“ erfüllt (armaque … viro)231. Andererseits fließt die epische „Heraufbeschwörung“ des Krieges232 in die erotische Symphonie einer anmutigen Geliebten ein (grata puella). Denn Lycotas’ virtus amara wird bei seiner sicheren Rückkehr durch den „Bund der Ehe“ ein zweites Mal auf die Probe gestellt. An dieser Stelle will ich mit einer vertiefenden Bemerkung zu Augustus’ „Friedensbund“ mit den Parthern, in den Arethusas Ehebund gedanklich eingebettet ist, wieder zu Catulls Allius-Elegie und Properz’ erotischen Todesvorstellungen überleiten (4,6,79–84): (…) hic referat sero confessum foedere Parthum: 80 Reddat signa Remi, mox dabit ipse sva. sive aliqvid pharetris Avgvstvs parcet Eois, differat in pveros ista tropaea svos. gavde, Crasse, nigras si qvid sapis inter harenas: 84 ire per Evphraten ad tva bvsta licet. (…)
Dass der römische Herrschaftsanspruch des „imperium sine fine“ (Aen. 1,279) wie im Fall der nachwirkenden Katastrophe gegen das konkurrierende Partherreich die historische Wirklichkeit nur bedingt widerspiegelt, ist offenkundig233: Mit dem Verlust der signa bei Carrhae 53 v. Chr. erlitt Rom eine der schwersten Niederlagen seiner Geschichte, und es ist symptomatisch, dass Augustus unter Verdrehung der Tatsachen den friedlichen Ausgleich mit den Parthern 20 v. Chr. und die Rückgabe der erbeuteten Feldzeichen (vgl. Res Gest. 29) wie einen militärischen Sieg feiern und seiner „Ehre und Tapferkeit“ propagandawirksam angedeihen ließ (Res Gest. 11): Aram Fortunae Reducis ante aedes Honoris et Virtutis ad portam Capenam pro reditu meo senatus consacravit. Derart würdigt die Arethusa-Elegie 4,3 (71 f.) den diplomatisch erzwungenen Siegfrieden als eine Art außenpolitische Garantieerklärung für die sichere „Rückkehr“ des Lycotas bzw. Augustus aus dem Krieg, und man sollte nach den traumatischen Erfahrungen der vergangenen und jüngsten civilia busta (2,1,27) die pragmatische Schlagkraft augusteischer „Verzichtpolitik“ (Bleicken) nicht unterschätzen: Augustus’ signa docta (4,6,24) zeugten, wenn man so sagen darf, von einer klug und vorausschauend berechneten Außenpolitik, mit der er seine ehemaligen Feinde (Phraates IV.), wie in Res Gest. 32 beschrieben, nicht durch Krieg und Unterwerfung 230 Vgl. Lieberg, Properz III,12 (791) zur Gedichtfunktion des Postumus. 231 Vgl. Merklin, Arethusa 471. 232 So Hutchinson zu 4,3,65 („an alarming evocation of warfare“). 233 Vgl. Bleicken, Augustus 357 ff.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
(non bello superatus), sondern in gegenseitiger Bündnistreue (fides) und Freundschaft (amicitia) an sich band und in den römischen Herrschaftsbereich der pax Augusta zog234: „While ongoing military operations throughout the empire harmonize perfectly well with the ideology of pax Augusta, the pax Propertiana has always observed the elegists’ logic.“ Man kann, muss den ideologischen Zirkelschluss des parta victoriis pax aber nicht notwendig als Ausdruck römischer Expansionsbestrebungen kritisieren235. Gewiss ist die Vorstellung eines weltumspannenden, römisch versöhnten Friedens nicht zuletzt aus der Perspektive der (un-) besiegten fremden Völkerschaften etwas naiv. Dennoch bereitet Augustus’ politische fides, soweit sie die pax Propertiana betrifft, den apologetischen Resonanzboden für Arethusas eheliche fides und Properz’ poetische Schaffenskraft überhaupt (4,6,69): bella satis cecini: citharam iam poscit Apollo [Augustus]. Der Frieden des Kaisers und der Frieden des Dichters gehen daher Hand in Hand zusammen, insofern als die pax Augusta das politische Siegel auf Properz’ Lebenswerk der Liebe und Freundschaft setzt – Themen, die den Elegiker und seine private Gefühlswelt in Verbindung mit dem Tod ganz besonders berühren (~ Carm. 96)236: Si quicquam mutis gratum acceptumve sepulcris accidere a nostro, Calve, dolore potest, quo desiderio veteres renovamus amores atque olim missas flemus amicitias: 5 certe non tanto mors immatura dolori est Quintiliae, quantum gaudet amore tuo.
Man könnte rückblickend sagen, dass Catulls tief bewegendes Grabgedicht (96) Properz’ molle opus der Liebe und Augustus’ magnum opus der Freundschaft zu einer schwermütig-leichtherzigen, zwischen Schmerz und Freude angesiedelten Einheit der Empfindungen und Hoffnungen verbindet237: „amores wird mit amicitias gleichgesetzt“. Die Trostworte, die Catull seinem Dichterfreund Licinius Calvus anlässlich des Todes von dessen Ehefrau spendet, hallten auch bei Properz nach (vgl. 2,34,89 f.). Das Quintilia postum unterstellte Glück über die innige Liebe ihres Mannes klingt zudem in Cornelias Totenklage 4,11 wider, die sich weniger über ihr eigenes „allzu zeitiges“ sepulcrum grämt als über Paullus’ ihretwegen vergeudete Tränen, „da das Grab auf alle Klagen keine Antwort gibt“238. Cornelias anrührende Liebe assoziiert Catulls Epigramm andererseits mit Arethusas desiderium 4,3 (grata 234 Miller, Apollo 233 (zu Prop. 4,6,80 ff.). 235 Vgl. Kapitel 6.2 zu Res Gest. 13 und 12 (pax Augusta). 236 Vgl. Hutchinson zu Prop. 4,6,83 f. mit Bezug auf „Catullus 96“: Die Verse 4,6,80–84 seien „themselves like an inset epigram, with a variation of a motif from sepulchral epigram“ (169). Ähnlich Camps und Butler/Barber z. St. („nigras refers rather to the darkness of the grave“). Dieser Gedichtabschnitt wird in den Texteditionen für gewöhnlich als „Zitat“ eines anonymen Dichters (hic referat …) mit Anführungszeichen versehen. Da sich der epigrammatische (Rahmen-) Eindruck der Verse aber so stark aufdrängt (vor allem, wenn man den vorzeitigen Tod von Augustus’ pueri Gaius und Lucius hinzuzieht, den Properz selbstverständlich nicht vorausahnen konnte), erscheint mir die Interpunktion durch Kapitälchen prägnanter. 237 Kroll, Catull zu Carm. 96,3 (269). 238 Kroll, Catull zu Carm. 96,1 („muta sepulcra“).
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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puella), das wiederum an Properz’ Sehnsucht und Cynthias „erotic death“ in 4,7 erinnert (docta puella). Was sich in der Summe der intertextuellen Bezüge herauskristallisiert, ist eine komplexe Referenzidentität der epigrammatisch-elegischen Liebesdichtung, die in ihrer thematischen Bandbreite und Breitenwirkung kaum überschaubar ist. Vieles von dem, was zum Verständnis der augusteischen bzw. properzischen erotischen Grabdichtung beitragen könnte, liegt wohl unwiederbringlich im Verborgenen verschüttet. Inwiefern dem Neoteriker Calvus eine Vorreiter- oder Vermittlerrolle griechischer Epigrammatik beigemessen werden kann239, lässt sich im Ausmaß nur erahnen. Immerhin oder glücklicherweise ist Catulls Allius-Elegie erhalten geblieben, die wie Properzens Briefelegie 4,3 im zweiten separaten Teilgedicht des dulce carmen (68a,7), anknüpfend an das Laudamia-Gleichnis und den Troja-Mythos, in eine erotische Sphragis mündet – in Catulls Totenklage um seinen über alles geliebten Bruder (Carm. 68b,87–100): (…) 87 nam tum Helenae raptu primores Argivorum coeperat ad sese Troia ciere viros, Troia (nefas!) commune sepulcrum Asiae Europaeque, 90 Troia virum et virtutum omnium acerba cinis: quaene etiam nostro letum miserabile fratri attulit. ei misero frater adempte mihi, ei misero fratri iocundum lumen ademptum! tecum una tota est nostra sepulta domus, 95 omnia tecum una perierunt gaudia nostra, quae tuus in vita dulcis alebat amor. quem nunc tam longe non inter nota sepulcra nec prope cognatos compositum cineris, sed Troia obscena, Troia infelice sepultum 100 detinet extremo terra aliena solo. (…)
In kaum einer zweiten römischen Elegie ist der Klagegesang über Liebe und Tod so eindringlich und kunstverständig zu einer gesamtheitlichen querela verwoben wie in Catulls 68. Gedicht [b]: Die leidenschaftliche Erinnerung an die communes amores (69), denen sich der Dichter mit Lesbia unter Allius’ Schutz hingab, zerfließt nach der epischen Rückbesinnung auf den Trojanischen Krieg, Asiens und Europas commune sepulcrum, in dem schmerzlich-schönen Höhepunkt der Elegie, Catulls persönlichem Requiem seines Bruders. Vielleicht stellen Catulls Verse in Reminiszenz an Quintilias letum miserabile, dem Calvus offenbar eigens ein Klagelied gewidmet hatte, nicht den Prototyp der subjektiven römischen Grabelegie dar. Aber das erotische Pathos des Todes, mit dem Catulls „süße Liebe“ (dulcis amor) in der „bitteren Asche“ (acerba cinis) seines Bruders buchstäblich zerrinnt, hatte auf die Elegiker und insbesondere Properz zweifellos einen unschätzbaren Eindruck gemacht (~ 2,11):
239 Vgl. Quinn, Catullus zu Carm. 96 (433): „We gather from Propertius ([2,34,89 f.]) that Calvus wrote a poem on the death of Quintilia“.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar Scribant de te alii vel sis ignota licebit: laudet, qui sterili semina ponit humo. omnia, crede mihi, tecum uno munera lecto auferet extremi funeris atra dies; 5 et tua transibit contemnens ossa viator, nec dicet: ‚Cinis hic docta puella fuit.‘
Wie oben angedeutet, resultiert die „lakonische Kürze und Kälte“ des Gedichts 2,11240 aus dem Epitaphiencharakter und nimmt in noch negativer Grundstimmung die aitiologische Sphragis der docta puella in 4,7 vorweg (aurea Cynthia). Auch wenn Properz die „Gelehrsamkeit“ seiner dura puella hier negiert (das Siegel in Vers 6 bleibt davon aber unberührt), sind die Parallelen und Zusammenhänge zum doctus poeta (Catull) in Kapitel 5.2 ausführlich erörtert worden. Weder Properz’ eingeäscherte Geliebte noch Catulls begrabener Bruder können kaschieren, was im Kern der erotischen Totenklage verborgen liegt: Catulls Klagegesang ist von demselben kallimacheischen „erotic death“ beseelt wie Properzens mollia ossa oder Cornelius Gallus’ fata dulcia241. Versteht man diese „acerba cinis“ Catulls wie ein schicksalsund kunsterprobtes Gütesiegel elegischer Dichtung, tönt es aus Properz’ bukolischem Liebeshain 1,18 beim extremum funus der Liebe umso deutlicher wider (1,17,13–24): (…) a pereat, quicumque rates et vela paravit primus et invito gurgite fecit iter! 15 nonne fuit levius dominae pervincere mores (quamvis dura, tamen rara puella fuit), quam sic ignotis circumdata litora silvis cernere et optatos quaerere Tyndaridas? illic si qua meum sepelissent fata dolorem, 20 ultimus et posito staret amórĕ lăpis, illa meo caros donasset funere crines, molliter et tenera poneret ossa rosa; illa meum extremo clamasset pulvere nomen, 24 ut mihi non ullo pondere terra foret. (…) The poem is delicate, a dreamy, insubstantial tissue. It is the first of three elegies in which the poet plays with the idea of separation from his mistress and various conventions of Latin poe try. Here it is the poetry of sea and storm, the world of the propempticon […]; in 1.18 it is the world of the bucolic; and in 1.19 the poetry of death. The three form a little sequence and gain by being read together, though they are otherwise unrelated (1,19,1–6)242: Non ego nunc tristes vereor, mea Cynthia, Manes, nec moror extremo debita fata rogo; sed ne forte tuo careat mihi fúnŭs ămore, hic timor est ipsis durior exsequiis. 240 Vgl. Syndikus, Properz 141 zu 2,11. 241 Vgl. Newman, The New Gallus 22 mit Verweis auf Didos „Liebestod“ bei Vergil, Aen. 4,651 (dulces exuviae, dum fata deusque sinebat …) und Anderson/Parsons, Elegiacs by Gallus zum Papyrus-Fragment Vers 2 (141): „fata is not here a neutral word for ‚fortune‘, but has a melancholy note (appropriate to elegy)“. Vgl. auch Kapitel 5.5 zu Cornelius Gallus’ Amores-Dichtung. 242 Richardson zu 1,17 (194).
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5 non adeo leviter nostris puer haesit ocellis, ut meus oblito púlvĭs ămore vacet. (…)
Tatsächlich sind die Beziehungen zwischen den Elegien 1,17–19 enger geknüpft, als Richardson annahm: amore lapis, funus amore oder pulvis amore – wie Properz hier und dort erotisches mit epigrammatischem Begriffsgut gedanklich (und me trisch) zur Vorstellung des elegischen Liebestodes verschmilzt, hat seinen intellektuellen und intertextuellen Anreiz243: Das „Todesthema steht in beständiger Beziehung zu amor“ und das bedeutet im Besonderen zu Catulls „Asche der Liebe“ (Carm. 68b), die die Zeiten und Catulls persönliches bzw. dichterisches Erleben überdauert (Prop. 4,7,1): Sunt aliquid Manes: letum non omnia finit. Zwar mochte Properz in 1,17 (22!) noch nicht vorhergesehen haben, dass er die mollia ossa seiner Geliebten einmal selbst zu Grabe tragen und auf „Efeu und Rosen“ betten würde (4,7,79 f.). Catulls allegorisches Propemptikon des liebesschiffbrüchigen Allius (Carm. 68a) war Properz aber gut bekannt – legte sein tränenreicher Abschied von Cynthia auf der fiktiven Seereise ins ferne Cassiope nach Korfu (1,17,3) doch literarisch eine noch größere Wegstrecke über Gallus Amores und Vergils Eklogen zurück (vgl. Kapitel 5.5). Properzens „imaginative Vergegenwärtigung des eigenen Todes“, den Müller als den „existentiellen Bezugspunkt der Liebe“ bewertete244, ist daher immer auch oder zuallererst eine poetische Vergegenwärtigung des gemeinsamen künstlerischen Vermächtnisses: Das commune sepul crum und die communes amores sind vor allem ein „intertextueller“ Bezugs- und Reflexionspunkt erotischer Grabdichtung von Kallimachos über Catull bis zu Properz selbst. Ich möchte am Ende dieses Kapitels wieder zur Vertumnus-Elegie zurückkehren und die Analyse properzischer Epigrammatik mit einigen autopoietischen Betrachtungen abschließen, die in den nachfolgenden beiden Kapiteln vertieft werden sollen (~ Prop. 4,2,57–64): (…) 57 Sex[ti] superant versus: te, qui ad vadimonia curris, non moror: haec spatiis ultima creta meis: stipes acernus eram, Proper[an]ti falce dolatus, 60 ante Numam grata pauper in urbe deus. at tibi, Mamurri, formae caelator aenae, tellus artifices ne terat Osca manus, qui me tam dociles potuisti fundere in usus. 64 unum opus est, operi non datur unus honos.
Wie eingangs zu den Schlussversen des Gedichts 4,2 bemerkt, ist richtig erkannt worden, dass die obige „Grabinschrift“ (ultimus lapis) durch Anspielungen auf das antike Gerichts- und Unterhaltungswesen (ultima creta) ironisch bzw. situativ abgewandelt worden ist. Der thematische Rückverweis auf den auriga Vertumnus (35) und Vertumnus’ Besonnenheit beim Strafprozess in Vers 29 (lites) konterkariert den herkömmlichen Epitaphienstil und prägt Properz’ Versen eine Bedeutung 243 Schmidt, Grabschrift 320 zu 1,19,5 f. 244 Vgl. Müller, Imaginationen 132.
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ein, wodurch der Gott der „Verwandlung“ (vertere) zum Gott der „Dichtung“ erhoben wird245: „(…) the very fact that Propertius has reworked in elegiacs some notable productions in other meters suggests that Vertumnus may also be regarded as an avatar of elegiac verse.“ Nicht nur Shea vermutete, dass das versus (57) neben den expliziten Namens ableitungen von Vertamnis, Vertannus und Vertomnis unterschwellig eine „vierte“ Etymologie des Vertumnus impliziere, die den Gott als „personification of Augustan verse“ ausweise246. Ob der Ausdruck sex, wie Shea erwog, einen Hinweis auf die Anzahl an personae des vierten Buches gibt (so Arethusa, Tarpeja, Acanthis, Cynthia, Herkules und Cornelia), ist eher unwahrscheinlich, zumal nicht nur andere konkrete Personenbezüge (so Horos, Vertumnus, Apollon, Romulus, Jupiter oder Augustus), sondern der Dichter selbst, Sextus Propertius, unberücksichtigt blieben247: Now, as we have remarked above on line 1 of this poem, the Vertumnus elegy represents a departure from the poet’s usual practice: the „I“ of the poem is no longer the „I“ of the poet. The poet intends to signal a change in point of view, a change from the persona „Propertius“, a transformation.
Obwohl sich die tot formae (4,2,1) des vierten Buches von der subjektiven Liebeselegie der ersten drei Bücher substantiell unterscheiden, lässt sich das „Ich“ des Gedichts von dem „Ich“ des Dichters nicht einfach loslösen. So strahlt auch „Arethusas“ amor magnus auf „Properz’“ magnus amor (1,19,12) facettenreicher zurück, als man auf den ersten Blick vermuten würde. In Kapitel 7 werde ich noch genauer darlegen, inwiefern der „Vertumnus amator“ auf den poeta amator anspielt und damit eine Referenzidentität zwischen Properz und seinem Dichtungsgegenstand fingiert248: „Vertumnus masks the poet“, insofern als der Gott der Verwandlung eine Hommage an den Liebesdichter darstellt und Properz’ künstlerische Verwandlung bzw. Auferstehung als Romanus Callimachus im vierten Buch siegelt (2,13b,35 f.): et duo sint versus: qvi nvnc iacet horrida pvlvis, / vnivs hic qvondam servvs amoris erat. Sei es, dass man Properz’ obiges oder Ovids spielerisch abgewandeltes „Dichterepitaph“ in den Vergleich zieht249 – der ultimus lapis der Liebe ruht fest auf dem molle opus der Liebesdichtung250: „duo sint versus: nur zwei Verszeilen – aber diese ‚Kleinheit‘ lässt sich auf das Ideal der Kallimacheischen λεπτότης zurückfüh245 Shea, Vertumnus Elegy 66. 246 Vgl. Shea, Vertumnus Elegy 66 (64). Ebenso Glock, Aitiologie 214. Dies wurde bereits von Suits, Vertumnus Elegy 484 (Anm. 31) vermutet: „Possibly there is also intended in the word versus another play on the name Vertumnus.“ 247 Shea, Vertumnus Elegy 70. 248 Welch, Elegiac Cityscape 42. Dies nahm schon Marquis, Vertumnus 500 an. 249 Vgl. Trist. 3,3,73 ff. (… Nasonis molliter ossa cubent). 250 Schmidt, Grabschrift 319 (zu Prop. 2,13b,35 f.), der Properz’ Dichterepitaph in Verbindung mit dem servitium amoris als originäre Schöpfung ansieht. Die intertextuellen Referenzen bei Vergil (Ecl. 10,33), Properz (1,17,22) und Ovid (Trist. 3,3,76) legen aber nahe, dass schon die Amores des Gallus in Anlehnung an Catull (dulcis amor) einen epigrammatischen Charakter aufwiesen (fata dulcia).
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ren, die im Gegensatz zur ‚grossen‘ Poesie steht“. Dass Kallimachos’ thematisch vielfältige (und wohl nur zum Teil überlieferte) Epigrammdichtung bei der Ausarbeitung der römischen Grabelegie vorbildlich war, ist unstrittig251. Es ist daher erwägenswert, ob das tam dociles (4,2,63) der Handschriften nicht durch Hertzbergs tot docilem verbessert werden muss (~ 4,2,1)252: Quid mirare meas tot in uno corpore formas? Laut Hutchinson z. St. besteht Mamurrius’ Kunsthandwerk darin, den „passiven“ Gott für „so viele Rollen“ (tot formae) passend gestaltet zu haben, so dass das tot (docilem) den vielseitigen Dichtungscharakter der Elegie (unum opus) bzw. Verwendungszweck der Vertumnus-Statue (usus) gut herausstellen würde. Ebenso sind tot(iens) amores dem zweiten Elegienbuch (2,1,1) „in uno corpore“ eingeschrieben253: „The reader may then recognize this elegy as a new hat on a old friend, the author’s apostrophe to his book.“ In diesem Sinne hob Hutchinson zum artifices (manus) hervor (99): „Elegy’s artistic refinement links the poet [Propertius] with Mamurius“, indem „docilis hier die Bedeutung von doctus“ hat (Rothstein z. St.). Allerdings ist der Wink auf Properzens kallimacheische Dichtkunst (ars) hinreichend evident und muss dem Dichtergott Vertumnus nicht so plakativ aufgedrückt werden (me docilem). Ohnehin sind attributive Bedeutungsverschiebungen bei Properz nicht ungewöhnlich, sondern für seinen poetischen Ausdruck eher stilbildend (3,23,1–4)254: Ergo tam doctae nobis periere tabellae, scripta quibus pariter tot periere bona! has quondam nostris manibus detriverat usus, 4 qui non signatas iussit habere fidem. (…)
Wie das Vertumnus-Gedicht zu Beginn des vierten Buches (tot formae) setzen die „verlorenen“ doctae tabellae gegen Ende des dritten Buches einen Schlussoder besser Gedankenstrich unter Properzens bisherige Cynthia-Dichtung (certa forma)255: „P[ropertius] seems to face the end of his love life as well as his elegy“. Trotzdem fasse ich das vierte Buch im Resümee nicht als eine programmatische renuntiatio amoris auf256. Denn die docta puella, die in 4,7 symbolisch beerdigt wird, blüht im erotischen Reigen und Frauenchor des vierten Buches neu auf: Aus Cynthias Asche geht Cornelias und Arethusas und insofern Properz’ amor magnus panegyrisch gewachsen hervor. Die leidenschaftliche Liebe, die der Dichter der maxima historia (2,1,16) Cynthias widmete, hat sich zum Liebesbekenntnis zur maxima Roma (4,1a,1), ja zum augusteischen Ethos und Eros, die dem magnus 251 Vgl. zum Beispiel Epigr. 21,1 f. Pf.: Ὅστις ἐμὸν παϱὰ σῆμα φέϱεις πόδα Καλλιμάχου με / ἴσϑι Κυϱηναίου παῖδά τε καὶ γενέτην. 252 Shackleton Bailey z. St. hält Hertzbergs selbst verworfene Konjektur für möglich und Goold, Hutchinson, Heyworth und zuletzt Fedeli/Dimundo nehmen sie in ihren Text auf. 253 Shea, Vertumnus Elegy 66 f. zu 4,2,2 („signa paterna“). 254 Vgl. Camps zur Enallage in 3,23,3 und 4,2,63 (77): „The transfer of the epithet [docilis] from me to usus is remarkable, and worth noting as a feature of Propertian style.“ 255 Heyworth/Morwood, Propertius III zu 3,23 (325). 256 So Cairns, Augustan Elegist 348 zur abschließenden Gedichtsequenz 3,23–25.
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Caesar und seiner Friedensherrschaft gelten, gewandelt. Spielerischer Ausdruck dafür mag das bekannte Palindrom Amor/Roma sein, das Properzens „flexibles“, weil wandlungsfähiges docile/molle opus des vierten Buches siegelt und die verdiente Sphragis auf das Elegienwerk des magnus poeta (1,7,24) setzt257. 6.4 „Quid ego adiciam, de quo mihi maxima fama est?“: Eine Hommage an den etruskischen Dichterpatron Maecenas (3,9) und den Schirmherrn der Gärten Priapus (Priap. 51) Im vorigen Kapitel ist verdeutlicht worden, dass Properzens epigrammatische Elegiendichtung wesentlich von Catulls Allius-Gedicht (Carm. 68b) beeinflusst ist. Catulls dulcis amor und die Totenklage um seinen Bruder können, unbeschadet der mutmaßlichen Verdienste des Licinius Calvus um die römische Grabelegie, im engeren Sinne als der Prototyp des elegischen Klagegesangs betrachtet werden, der in Catulls Nachfolge von Cornelius Gallus (fata dulcia) über den Bukoliker Vergil (10. Ecl.) bis zu den augusteischen Liebesdichtern stil- und traditionsbewusst gepflegt wurde. Vorausblickend auf Properz’ Hommage an seinen „etruskischen“ Dichterpatron Maecenas in der Elegie 3,9 und dem Vertumnus-Gedicht 4,2, ist es einführend in dieses Kapitel daher wichtig zu rekapitulieren, dass die Monobiblos den wohl deutlichsten epigrammatischen Einschlag im ganzen Œuvre des Properz verzeichnet (1,22): Qualis et unde genus, qui sint mihi, Tulle, Penates, quaeris Pro nostra semper amicitia. si Perusina tibi patriae sunt nota sepulcra, Italiae duris funera temporibus, 5 cum Romana suos egit discordia cives, (sis mihi praecipue, pulvis Etrusca, dolor, tu proiecta mei perpessa es membra propinqui, tu nullo miseri contegis ossa solo): proxima supposito contingens Umbria campo 10 me genuit terris fertilis uberibus.
Die literarische Tradition der Grabepigrammatik, in der die buchabschließende Sphragis 1,22 steht, ist unverkennbar258. Trotzdem lösten und lösen die motivischen Abwandlungen (Perusina sepulcra) und thematischen Brüche (Romana discordia), mit denen Properz kurz vor oder nach der historischen Zäsur von Actium sein erstes, um 29 v. Chr. publiziertes Elegienbuch siegelt, interpretatorisches Befremden und kontroverse Meinungen aus259: „Man bedenke: Der junge Caesar war nach dem Sieg von Aktium und der Eroberung Alexandriens der unangefochtene 257 Vgl. Postgate zu 4,2,63 („docilis almost = flexible“) und Fedeli, Properzio IV z. St. 258 Vgl. Döpp, Sphragis 105 ff. zum Gedicht. 259 Syndikus, Properz 100 zu 1,21/22. Ähnlich Hubbard, Propertius 40: „From a poet writing after Actium, the declaration is unexpected and indeed startling, and it brings the book to a troubling close“. Anders DuQuesnay, In memoriam 79, der auf die ansonsten fehlenden (politischen) Bezüge auf Augustus in der Monobiblos verweist: „Propertius therefore has absolutely no reason to concern himself with Octavian directly“.
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Beherrscher der römischen Welt“, wozu sich der Dichter spätestens im vierten Buch klar bekennt (Kapitel 6.2). Dass Properz gleichwohl seine „Autobiographie“ (Döpp) an das Schicksal der – von Octavian/Augustus im Bürgerkrieg gegen L. Antonius 41/40 v. Chr. ausgehungerten und niedergebrannten – etruskischen Stadt Perusia bindet (pulvis Etrusca), lässt die von ihm später besungene pax Augusta in einem gewissen Zwielicht widerscheinen260: Gewiß ist in Properzens Zeilen kein direkter Angriff auf Octavian enthalten – die Zeitbestimmung, als die römische Zwietracht die Bürger gegeneinander trieb, ist ohne Schuldzuweisung –, aber die Erinnerung an das grausame Geschehen paßte wenig zu der allgemeinen Stimmung in den ersten Jahren des Prinzipats, als eine neue Friedens- und Segenszeit propagiert wurde (~ Prop. 1,21): ‚Tu, qui consortem Properas evadere casum, miles ab Etruscis saucius aggeribus, quid nostro gemitu turgentia lumina torques? pars ego sum vestrae proxima militiae. 5 sic te servato, ut possint gaudere parentes; ne soror acta tuis sentiat e lacrimis: Gallum per medios ereptum Caesaris enses effugere ignotas non potuisse manus; at quaecumque super dispersa invenerit ossa 10 montibus Etruscis, haec sciat esse mea.‘
Das Kenotaph 1,21 (dispersa ossa) bildet das fehlende Gegenstück zur Sphragis 1,22 (ossa propinqua), insofern als die allgemeingültige Zeichnung der heimatlichen Perusina sepulcra durch den tödlich verwundeten Gallus, der im Perusinischen Krieg auf L. Antonius’ Seite gegen Caesar Octavian gekämpft hatte, eine konkrete menschliche und, falls mit Properzens verunglücktem propinquus (1,22,7) identisch, sehr intime persönliche Facette gewinnt261: „Though the poet must have been a boy at the time, the tragedy had clearly left a deep impression on his mind.“ Überhaupt dürfte sich die Romana discordia tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben haben und dies kann, schuldig oder nicht möchte man meinen, im Nachhinein auch der divus Augustus nicht vergessen machen (~ Ecl. 1,71 f.): en quo discordia civis produxit miseros – klagten sich schon Meliboeus und Tityrus gegenseitig, so dass Properz’ querela hier weniger eine politische Anklageschrift gegen Augustus bezeugt, sondern wie Vergils Eklogen ein eher dichterisch motiviertes „indictment of civil war“ (Richardson) dokumentiert.
260 Syndikus, Properz 101. Dagegen verweisen die Elegien 1,21/22 nach Feichtinger, Poetische Fiktion 168 „als dezidierte politische Aussage […] in aller Deutlichkeit auf die Schattenseiten der augusteischen Machtpolitik“. Vgl. zum bellum Perusinum detailliert Bleicken, Augustus 189 ff. (Perusina fames). 261 Butler/Barber zu 1,21 (186). Vgl. zur Identifikation des Gallus alias propinquus Properti Rothstein, Butler/Barber, Camps zu 1,21/22. Anders Richardson zu 1,21 (207): „It is best to take the poem as a fiction and the characters as unidentifiable“. Spekulativ DuQuesnay, In memoriam 74 ff., der den Gallus (1,21) mit dem Vater des Gedichtadressaten der Monobiblos identifiziert. Vgl. dazu die Elegien 1,5/10/13/20. Dagegen bringt Cairns, Augustan Elegist 70 ff. den Gallus dieser Elegien genauso hypothetisch mit dem Dichter Cornelius Gallus in Verbindung.
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An dieser Stelle kann das komplizierte „poetische Labyrinth“262 der Gedichte 1,21/22 freilich nicht abschließend durchschritten werden, wenngleich mir einige textkritische Bemerkungen mit Blick auf die nachfolgende Analyse lohnenswert erscheinen. So bereiten die Verse 1,21,5 f. gemäß der Überlieferung derart große Verständnisschwierigkeiten, dass zum Beispiel Heyworth einen ganz neuen Text(sinn) zugrunde legt: sic te servato [ut del. Passerat] possint gaudere parentes: / me [La Penna] soror Acca [Scaliger] tuis sentiat e lacrimis / Gallum (…). Heyworth’ Begründung der vorgeschlagenen Konjekturen beruht letztlich auf zwei (unbewiesenen) Voraussetzungen, die auch andere Kommentare anführen: Erstens wird angenommen, dass zwischen dem Sprecher Gallus, dem anonymen Adressaten/Kriegsgefährten (miles) und der oder dessen soror und den parentes ein freundschaftliches/verwandtschaftliches Verhältnis bestehe263. Und zweitens wird im Zusammenhang antiker Bestattungskultur Gallus’ Wunsch, Stillschweigen (ne) über sein Schicksal zu bewahren, als unpassend empfunden264. Zieht man die formale Kürze und Informationsdichte der herkömmlichen Grabinschrift, die sich an einen fremden Wandersmann richtet (tu, qui viator), in Erwägung, erscheint der unmittelbare Eindruck des Epigramms, das sich an einen vorbeieilenden anonymen Kriegsgefährten wendet (tu, qui miles), ausschlaggebend: Der Dichter vergegenwärtigt keinem exklusiven familiären, sondern einem breiten öffentlichen Rezipientenkreis die ganz „Rom und Italien“ betreffenden Perusina sepulcra (1,22) an Gallus’ fiktivem Beispiel265: „Gallus dies almost as a sacrificial victim who symbolizes the entire Etruscan cause.“ Diese Deutung mag zwar den Boden von Properz’ „poetic landscape“ 1,21/22 ebnen (vgl. unten)266, kann aber die anstößige Umkehrung traditioneller Totenoffenbarung (ne) nicht wirklich erklären267: „One does not easily put aside the unburied bones of patriots.“ Da der pathetische Charakter von 1,21/22 grundsätzlich nicht angezweifelt wird, sollte man weniger das epigrammatische Ethos, sondern mehr den emotionalen bzw. elegischen Gedankenfluss der Gedichte beleuchten (sentiat)268: 262 Vgl. Heiden, Sic te servato 167. 263 Die möglichen Verwandtschaftsbeziehungen werden allerdings sehr unterschiedlich geknüpft: Während Butler/Barber z. St. die soror des Gedichtadressaten mit der „Verlobten“ des Gallus und den miles sinngemäß mit Gallus’ „Schwager“ identifizieren, vermuten Heyworth und Camps zu 1,21 (98), der Sprecher Gallus beauftrage einen unbekannten Kriegskameraden, „to take a message to his (the speaker’s) sister“. Heiden, Sic te servato 163 spekuliert sogar, Gallus und der adressierte consors seien blutsverwandt „Brüder“, so dass „by taking his life and letting the addressee escape unencumbered Gallus hopes to spare his parents the tragedy of losing both sons at once.“ Allein diese relative Konfusion der Deutungen stellt die zugrunde gelegten Konjekturen auf ein eher unsicheres Fundament. Auch sollte man, enge familiäre Verbindungen vorausgesetzt, dem Umstand Rechnung tragen, dass diese für manchen zeitgenössischen Leser vermutlich nicht ersichtlich waren und der Sinn des Gedichts und der Dichtung der Monobiblos mehr oder weniger verloren ging. 264 Vgl. Heyworth, Cynthia z. St. mit Verweis auf Kallimachos, Epigr. 12 Pf. (!). Ebenso Butler/ Barber und Flach z. St., die wie Goold die Konjektur haec (acta) aufgreifen. Tränkle, Textkritik 570 erwägt die von Leo, Kleine Schriften II (202) befürwortete Verbesserung et anstelle des überlieferten ne bzw. nec der recentiores. 265 Heiden, Sic te servato 166. 266 Vgl. Heiden, Sic te servato 165. 267 Heiden, Sic te servato 165. 268 Heiden, Sic te servato 166 zu 1,21,9 f. Einschränkend verstehen das quaecumque/haec ossa Flach und – Housman folgend – Fedeli, Transmitted Text 40: „Certainly Gallus is not trying to say that all of the bones found by his sister on the Etruscan mountains are his own: all emphasis is placed on haec.“ Umschreibend für omnia ossa deuten die Stelle dagegen Richardson und – Housman revidierend – Heiden, Sic te servato 165: „The sense of this would be not that Gallus was an individual with 1,000 heads, as Housman implied, but that Gallus did not see himself as an individual at all, that in death he had become one with his lost comrades.“ Zwar scheint sich die übertragene Bedeutung der omnia ossa dem unmittelbaren Verständnis und Fokus auf Gallus (haec ossa) etwas zu versperren, gibt dem Bürgerkrieg aber den Charakter eines intersub-
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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The sister would feel not only her own anguish at the loss of her brother, but all the anguish of all the sisters and wives and mothers who had lost kin in the war and who were unable to bury them. Just so in poem 1.22 Propertius’ unburied kinsman focuses a feeling of affiliation that is much broader than that between one individual and another: the whole Umbrian land has given the poet birth (1.22.9–10). Diese gefühlsmäßige Verbundenheit der Menschen infolge der gemeinsam durchlebten Bürgerkriegserfahrungen ist das, was Heiden als „communal, first-person plural identity“ (165) auf Gallus’ quaecumque/haec ossa bezog: Der Schmerz über seinen Tod und die unbestatteten Gebeine klingt stimmlich in den tausendfachen Schicksalstragödien des bellum Perusinum wider (nostro gemitu). Dass die betroffenen Familien sich darüber „freuten“, wenn ihre Angehörigen unversehrt heimkehrten, versteht sich von selbst; umso schwerer musste der Schmerz aber gewogen haben, wenn Verwandte und Mitbürger (cives) grausam umgekommen sind, – vermutlich sogar so schwer (sic), dass nur das Schweigen über die Kriegsgreuel (acta) ihnen Trost und Linderung verschaffen konnte (~ 1,21,5 ff.)269: „So sollst du dich retten, damit die Eltern sich freuen können; denn nicht erfühle die Schwester aus deinen Tränen die Greuel: dass Gallus (…).“ In etlichen Textausgaben wird das sic te servato durch Tilgung des ut als ein Ablativus absolutus innerhalb eines Wunschsatzes verstanden („at your survival“)270 und das, obwohl der Epigrammcharakter eines memento mori eher für den Imperativ Futur spricht (2,13b,39)271: tu [Cynthia] quoque si quando venies ad fata, memento (…). Umgekehrt scheint die horrida pulvis Properz (2,13b,35) mit der pulvis Etrusca Perusias (1,22,6) mehr gemeinsam zu haben als bisher vermutet: Die weithin anerkannte Verbesserung sic für das schwierige sit der Überlieferung bildet vordergründig ein Echo zu 1,21,5272: „the poet can hardly be wishing that the Tuscan dust be a special pain to him.“ Um den Sinn zu verdeutlichen, schlägt Heyworth die Einfügung eines (praecipue) es vor. Vgl. Fedeli z. St. mit Verweis auf Leo, „qui pulvis Etrusca pro vocativo habet et tu es simul audit“. Die Apostrophe an „Etruriens Asche“ mache, so die Begründung, Properz’ privaten bzw. „autobiographischen“ dolor besonders greif- und fühlbar273: Hält man sich nämlich das an Catulls Stil geschulte Pathos und insbesondere die Exponierung des Gedankens (pro nostra semper amicitia) vor Augen, so wird ja ganz deutlich: Es geht hier nicht lediglich um ein zwar tiefes, aber eben doch nur temporäres Empfinden, um eine Gefühls jektiv verbindenden Gemeinschaftserlebnisses (consortem casum). Ich halte es für möglich, dass Heidens Deutung der „bones confused with those of others“ (164) Properz’ „mixtis ossibus ossa“ (4,7,94) gedanklich entspricht. 269 Ayrmanns Verbesserung at für das überlieferte et (1,21,9) ziehe ich vor, weil sich der adversative Schlussgedanke nicht strigent und präzise, sondern eher schwach und unverbunden aus dem et ableitet. Vgl. dazu Traill, The Bones 91 (Anm. 8). 270 Wie Heyworth z. St. bevorzugt DuQuesnay, In memoriam 62 den Ablativus absolutus, obwohl seine Paraphrase den Imperativ Futur nahelegt („the miles should try to save himself“). Dafür spricht auch, dass die Gewissheit auf Rettung im Augenblick der Ansprache (Tu, qui consortem …) noch fraglich ist, da der miles den Häscherhänden ebenfalls zum Opfer fallen könnte. 271 Diese Konstruktion ist für Butler/Barber z. St. „most probable“. Auch für Tränkle, Textkritik 569 ist die Überlieferung „der Sprache wie dem Sinne nach einwandfrei“, obwohl die metrischen Bedenken gegen die außergewöhnliche Elision servat(ō) ŭt gewichtig sind. Vgl. Heyworth, Cynthia z. St. Platnauers Metrikanalyse der römischen Elegiker führt unter dem Punkt B.24 (77) lediglich oder immerhin Prop. 3,16,14 (nemo ‹a›deō ŭt noceat barbarus esse volet) und, sofern richtig überliefert, Ovid, Her. 13,69 auf (et facitō ŭt dicas, quotiens pugnare parabis). Außerhalb der elegischen Dichtung sind sprachliche Parallelen etwas häufiger vorzufinden, so beispielsweise bei Horaz, Sat. 2,3,31 (esto ut) oder Vergil, Ecl. 5,15 (iubeto ut). 272 Heyworth, Cynthia z. St. (101), der aber wie Camps die Konjektur sed übernimmt. 273 Döpp, Sphragis 111 (zu 1,22), der wie Leo z. St. auf Catulls „commune sepulcrum“ verweist. Vgl. Kapitel 6.3 zu Carm. 68b (89).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar aufwallung, vielmehr sieht der Dichter sein Leben durch jenes verhängnisvolle Geschehen in Entscheidendem geprägt. Wenn es sich aber so verhält, dann läßt sich ja wohl nicht gut sagen, Properz habe hier dasjenige, was bei einer Sphragis die Hauptsache ist, die Aussage über sich selbst, zur Nebensache gemacht. Vielmehr hat er die traditionelle Form auf eigenwillige Weise variiert, sie gewissermaßen von innen verwandelt, indem er sie dazu verwendete, weniger über äußere Daten seines Bios als über ein Stück seiner geistig-seelischen Existenz zu sprechen. Der Dichter hat nicht „das Autobiographische verkürzt“, sondern seiner Selbstvorstellung gerade einen erweiterten Begriff von Autobiographie zugrundegelegt.
Die eingehende (textkritische) Analyse der beiden Epigrammgedichte 1,21/22 zu Beginn dieses Kapitels ist grundlegend, um Properz’ poetische Erinnerungsarbeit entsprechend zu würdigen und seinen panegyrischen Umgang mit Augustus’ Bürgerkriegstaten, vor allem vor dem Hintergrund des weitgehend zerstörten etruskischen Kulturerbes, angemessen einzuordnen. Die beiden Elegien 1,21/22 sind ein gleichermaßen großartiges wie bedrückendes Dokument römischer Zeitgeschichte, und Döpp hat zweifellos recht, wenn er die Italiae funera als einen Spiegel nicht nur der „geistig-seelischen Existenz“ des Properz, sondern der psychischen Verfassung einer ganzen Nation versteht. Was Horaz in der 16. Epode durch eine pessimistische Zukunftsvision der bella civilia brandmarkte (suis et ipsa Roma viribus ruit) und Vergil in der 4. Ekloge in die optimistische Heilsvorstellung der aurea aetas rückte (redeunt Saturnia regna), gestaltet sich bei Properz ambivalent als ein hoffnungsträchtiges Menetekel römischer Vergänglichkeit und Wiederauferstehung aus der eigenen Asche des Bürgerkriegs: Die pulvis Etrusca bildet den ebenso persönlichen wie überpersönlichen Höhe- und Wendepunkt der Romana discordia274. Sie ist, wenn man so sagen darf, das einzig wirklich „Beklagenswürdige“ für den geschichtsbewussten patriotischen Dichter, der seinen Ruhm und Glanz aus dem – nicht immer ruhm- und glanzvollen – Aufstieg der maxima Roma gewinnt. In diesem Kapitel soll, ausgehend von der historischen Sphragis der Perusina sepulcra, untersucht werden, welche Bedeutung Properzens „Etruscan landscape“ (Heiden) für die Gestaltung seiner elegischen Dichtungslandschaft des vierten Buches hat. Denn die etruskischen Kriegsgräber führen den vaterlandstreuen „Um brier“ (1,22,9) unweigerlich auf das Feld seiner eigenen Elegiendichtung zurück (4,1a,64): (…) Umbria Romani patria Callimachi! Tatsächlich sind Cynthias mollia ossa (4,7,80) in dem Andenken an Etruriens Gräberlandschaft so stark verwurzelt, dass die Hommage an den etruskischen Dichterpatron Maecenas (mollis fautor) andererseits Properzens kallimacheisches molle opus signiert. Die Würdigung des kunstverständigen Gönners in 3,9 und der molles horti/Maecenatis läutet zugleich einen kontrastreichen erotischen Farbwechsel ein: Der Verwandlungsgott Vertumnus in der Gestalt des Fruchtbarkeitsgottes Priapus bietet einen pointierten und pointenreichen Vorgeschmack auf die Carmina Priapea (51) und lässt Properz’ Maecenatis fides in 4,2 in gleichermaßen extravaganten wie eindrucksvollen Tönen erklingen (maxima fama). Es steht außer Frage, dass die etruskische Stadt Perusia in der „harten Bürgerkriegszeit“ (duris temporibus) weder das süße noch zarte Todesschicksal ereilte, 274 Vgl. dagegen Kapitel 5.4 und Vergils mythologische Verklärung der Actia bella als eines gigantomachischen Götterkampfes (Aen. 8,702): et scissa gaudens vadit Discordia palla (…).
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das die dura domina dem verliebten Dichter zu bereiten pflegte (~ Prop. 1,7,8): (…) cogor et aetatis tempora dura queri. In der „gequält“ klingenden Lautmalerei der beiden Epigramme, so vor allem in 1,22, wird der argutus dolor (1,18,26) Etruriens in seiner menschlichen und gesellschaftspolitischen Tragweite hör- und fühlbar. Dass Properzens Gentilname (1,22,2!) wie ein zersplittertes Hintergrundecho in die persönliche Totenklage um den propinquus Gallus und Italiens funera eingewoben ist, verstärkt den autobiographischen Eindruck des elegischen Trauergesangs275. Deshalb ist die biographische „Aussage über sich selbst“ (Döpp) von der „gattungstheoretischen Aussage“ über das eigene Dichtertum kaum zu unterscheiden oder zu trennen276: Durch die Verknüpfung von Elegie 21 und 22 mit den übrigen Elegien des Buches wird implizit eine gattungstheoretische Aussage gemacht. Denn in den beiden Gedichten wird das Motiv der Totenklage angesprochen, dadurch in die Erinnerung gerufen, daß – jedenfalls nach Auffassung der Zeitgenossen des Properz […] – die Elegie ursprünglich ein Trauergesang war, und gleichzeitig der neue Gattungstyp der römischen Liebeselegie in die Gattungstradition eingeordnet.
Vielleicht kann man Döpps „erweiterten Begriff von Autobiographie“ dahingehend verstehen, dass die Wehklage um die pulvis Etrusca das erotische Klagelied des poeta in sich birgt oder bedingt277: „Es ist Pathos und tragische Farbe in dem Gedicht: (…) Das ist doch nicht Epigramm, sondern Elegie.“ So wie Catulls „Asche der Liebe“ auf Asiens und Europas commune sepulcrum (Carm. 68b,89) gründet, sind die patriae sepulcra Italiens mit Properz’ horrida pulvis (2,13b,35) verbunden. Die m. W. nie ernsthaft erwogene Konjektur sis in 1,22,6 verdient in der intertextuellen Rückschau daher besondere Beachtung278: „Mögest besonders du, Asche Etruriens, mir ein ewiger Schmerz sein“ – so wird es im vierten Buch widerhallen, wenn der Dichter seine berührende Wehklage auf den Niedergang der etruskischen Stadt Veji anstimmt (4,10,23–30): (…) Cossus at insequitur Veientis caede Tolumni, vincere cum Veios posse laboris erat, 25 necdum ultra Tiberim belli sonus, ultima praeda Nomentum et captae iugera terna Corae. heu Vei veteres! et vos tum regna fuistis, et vestro posita est aurea sella foro: nunc intra muros pastoris bucina lenti 30 cantat, et in vestris ossibus arva metunt. (…)
275 Vgl. zum Anagramm in 1,22,2 Heyworth, Cynthia z. St. Döpp, Sphragis 115 (Anm. 27) wendet ein, dass „das übrige Oeuvre des Properz nirgendwo auf eine Neigung zu solch manieristischem Versteckspiel schließen“ lasse. Vgl. dagegen Kapitel 6.3 zu 4,2,57 ff. (Sex[ti] superant versus … Proper[an]ti falce dolatus). 276 Holzberg, Liebeselegie 47. Vgl. Kapitel 6.3 und Kapitel 7 zur persona-Diskussion. 277 Leo, Kleine Schriften II zu 1,21 (202). 278 Von den mir zur Verfügung stehenden Texten/Kommentaren wird die Einzelkonjektur sis (ed. Brix.) nur von Fedeli und Riesenweber, Uneigentliches Sprechen 102 z. St. angemerkt.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Die kritische Kontroverse um die Perusina sepulcra entzündet sich an den Veientia ossa aufs Neue279: „Details peculiar to Propertius’ account of Cossus and Tolumnius seem calculated to raise the specter of recent civil war in this poem about the attachment to martial valor.“ Horaz’ blutbefleckte impia aetas in der 16. Epode (9) vor Augen, lässt sich kaum abstreiten, dass Vejis Schicksal in der Vergangenheit Roms gegenwärtiger Macht und Größe einen warnenden Spiegel vorhält: Properz’ Troica Roma (4,1b,87), die aus der Asche bedeutender Völker hervorgegangen ist, könnte in ferner Zukunft ebenfalls untergehen – erst recht, wenn sie sich durch Bürgerkriege von selbst zugrunde richtet (2,8,9 f.)280: magni saepe duces, magni cecidere tyranni, / et Thebae steterant altaque Troia fuit. Wie in Kapitel 6.2 an Romulus’ exemplum in 4,10 (1 ff.) aufgezeigt, ist Properzens viertes Elegienbuch im Kern von der augusteischen Euphorie und Heilsbotschaft römischer Weltherrschaft durchdrungen. Wie der mythologische Held Romulus antizipiert der berühmte Militärtribun Cornelius Cossus, der den Vejenterkönig Lars Tolumnius um 428 v. Chr. im Zweikampf bezwungen hatte, Augustus’ virtus im Anblick der größten historischen Schicksalsschlacht – der Actia bella gegen M. Antonius und Kleopatra281: „However, Veii was actually refounded by Augustus“, so dass die Verse 4,10,23 ff. „into an implicit eulogy of Augustus“ umschlügen. Es fällt auf den ersten Blick nicht leicht, Properzens Klagegesang auf den Untergang Vejis als einen unterschwelligen Herrscherpreis auszulegen282: „This lament falls at the center of the poem and lends to the whole a feeling of melancholy and sympathy for Rome’s victims“. Im Vergleich mit Vergil ist aber bemerkenswert, dass die Dichter die kriegerisch aufstrebende maxima Roma ebenso vergangenheitsbewusst wie zukunftsorientiert mit der niedergerungenen pulvis Etrusca assoziieren (Georg. 1,493– 508): (…) scilicet et tempus veniet, cum finibus illis agricola incurvo terram molitus aratro 495 exesa inveniet scabra robigine pila aut gravibus rastris galeas pulsabit inanis, grandiaque effosis mirabitur ossa sepulcris. di patrii, Indigetes et Romule Vestaque mater, quae Tuscum Tiberim et Romana Palatia servas, 500 hunc saltem everso iuvenem succurrere saeclo ne prohibete. satis iam pridem sanguine nostro Laomedonteae luimus periuria Troiae; iam pridem nobis caeli te regia, Caesar, invidet atque hominum queritur curare triumphos. 279 Welch, Elegiac Cityscape 155. Vgl. bei Welch (140 ff.) das formalrechtliche Problem, dass Cornelius Cossus die spolia opima nach Livius (4,20,1) vermutlich in der Funktion eines tribunus militum und nicht Konsuls suo imperio, so Augustus’ Auslegung, geweiht habe. 280 Man denke hier zum Beispiel, wie durch Polybios (38,22) überliefert, an den jüngeren Scipio, der beim Anblick des zerstörten Karthagos und eingedenk des Niedergangs großer Weltreiche wie der Assyrer, Meder, Perser und Makedonen den Untergang Roms vorausgesehen habe, indem er Homer zitiert habe (Il. 6,448): ἔσσεται ἦμαρ, ὅτ’ ἄν ποτ’ ὀλώλῃ Ἴλιος ἱρὴ. 281 Cairns, Augustan Elegist 292. 282 Welch, Elegiac Cityscape 152.
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505 quippe ubi fas versum atque nefas, tot bella per orbem, tam multae scelerum facies, non ullus aratro dignus honos, squalent abductis arva colonis 508 et curvae rigidum falces conflantur in ensem. (…)
Vielleicht überrascht, wie bei Properz, prima facie etwas der negative Beiklang der obigen Verse, die eher an Horaz’ 16. Epode oder Catulls Zeitaltervorstellung in Carm. 64 (397 ff.) erinnern und jene Aufbruchstimmung der 4. Ekloge nicht annähernd so enthusiastisch aufgreifen, obwohl der ersehnte pacatus orbis (Ecl. 4,17) zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Georgica um 29 v. Chr. bereits reale Konturen annahm. Auch Properz’ „bukolischer“ Blick zurück auf den pastor lentus (4,10,29) Tityrus/Vergil rahmt die grandia ossa der Bürgerkriege in das landwirtschaftlich-beschauliche Wunschbild des goldenen Zeitalters ein283: „As the town [Vei] has become a site for bucolic life […], so in the old battlefields there is georgic activity.“ Vielleicht kann man Properz’ etwa zeitgleich mit Vergils Lehrepos erschienene Monobiblos (1,21/22) ja als einen Kommentar der Georgica auffassen: Diejenigen dispersa ossa, die Vergils Bauer einmal „finden“ (495) und aus der blutgetränkten Erde bergen wird (Futur I), wird die Schwester bei Properz „gefunden“ (1,21,9) und der fruchtspendenden Erde wieder überantwortet haben (Futur II)284: „The passage from the Georgics [oben] juxtaposes Italian fecundity and Italian death.“ Properzens aufblühender Gräberlandschaft 1,21/22 ist damit wie Vergils kriegszerfurchter Saturnia tellus eine fruchtbar-potente Unvergänglichkeit eingeprägt (ossibus arva metunt). Auch wenn sich Vergils zeitkritisches „nos patriam fugimus“ (Ecl. 1,4) nach Actium in einen Lobgesang auf Caesar Augustus’ Triumphe gewandelt hat, klingt doch der machtpolitische „Vernichtungskrieg“ (Bleicken) der Römer 396 v. Chr. gegen den Hauptkonkurrenten Veji, und insofern die Zerstörung Perusias durch Augustus, noch Jahrzehnte später in Ovids Fasten nach (2,212)285: Tusco sanguine terra rubet. Es greift daher historisch wie dichterisch zu kurz, die menschengemachte Schicksalstragödie Etruriens, mit der Properz sein erstes und letztes Buch siegelt, lediglich mit der traurigen Berühmtheit Perusias oder Properz’ aitiologischem Interesse an Vejis Verfall zu erklären286. Vielmehr wird deutlich, dass das eversum saeclum der Bürgerkriege und die „vernichteten Feuerstätten“ (eversi foci) des uralten Stammes der Etrusker den zentralen, nämlich panegyrisch „beklagenswürdigen“ Gedenkstein setzen, mit dem jede ambitionierte Dichtung über den Aufstieg der maxima Roma und Augustus’ Kriegs- und Friedenstaten steht oder fällt (Prop. 2,1,17–36):
283 Heyworth, Cynthia zu 4,10,29 f. (497) mit Verweis auf Georg. 1,493 ff. 284 Welch, Elegiac Cityscape 153 mit Bezug auf Prop. 1,21/22. 285 Vgl. Bleicken, Römische Republik 8. Nach Aigner-Foresti, Integration 19 f. hätten Vejis Niederlage und die Annektierung des Staatsgebietes (laut Livius 5,15,7 ff. seien die Vejenter sogar deportiert und versklavt worden) „zu rapiden Verlusten des Etruskertums“, das heißt im Zuge der Romanisierung Italiens zum weitgehenden Verlust „etruskischer Identität“ geführt. 286 So Camps zu 1,22,9 bzw. Cairns, Augustan Elegist 291 zu 4,10.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar (…) 17 quod mihi si tantum, Maecenas, fata dedissent, ut possem heroas ducere in arma manus, non ego Titanas canerem, non Ossan Olympo 20 impositam, ut caeli Pelion esset iter, nec veteres Thebas nec Pergama, nomen Homeri, Xersis et imperio bina coisse vada, regnave prima Remi aut animos Carthaginis altae, Cimbrorumque minas et bene facta Mari: 25 bellaque resque tui memorarem Caesaris, et tu Caesare sub magno cura secunda fores. nam quotiens Mutinam aut, civilia busta, Philippos aut canerem Siculae classica bella fugae eversosque focos antiquae gentis Etruscae 30 et Ptolemaeei litora capta Phari, aut canerem Aegyptum et Nilum, cum attractus in urbem septem captivis debilis ibat aquis, aut regum auratis circumdata colla catenis, Actiaque in Sacra currere rostra Via: 35 te mea Musa illis semper contexeret armis, et sumpta et posita pace fidele caput. (…)
Blickt man von dem obigen „episch“ imposanten Auftakt in 2,1 auf die „elegisch“ intime Sphragis 1,21/22 zurück, so bilden die vergangenen und jüngsten bella civilia/busta von Marius und Sulla bis zu Antonius und Augustus den wesentlichen gattungsübergreifenden Topos poetischer Vergangenheitsbewältigung287: „Die Prägnanz des Ausdrucks hat eine Fülle von Stoff bewältigt, den Stoff eines Epos“ – und man mag ahnen, dass Properz diesen epischen Stoff in den Epigrammen 1,21/22 noch nicht aufgebraucht hat. Gerade weil der Niedergang der gens Etrusca an den Beispielen von Veji und Perusia mit Augustus’ res gestae so imminent verwachsen ist, bin ich nicht davon überzeugt, dass sich der obige Herrscherpreis im elegischen Kern völlig „klaglos in die Erfolgserie“ friedensstiftender Panegyrik einfügt (pax Augusta)288. Auf der anderen Seite ist aber ebenso schwer vorstellbar, der mythologisch/episch verklärten Waffengewalt des Caesar magnus, von der Vergils „Arma virumque cano“ der Aeneis so verheißungsvoll berichten wird (vgl. Kapitel 5.4), eine augustuskritische Tendenz zu unterstellen289: Propertius’ closure to Book 1 forces a rereading of the rest of the book and reinterprets the lover-poet who dominates the earlier poems. He repeats his disdain at 2.1.29; in a famous and lengthy recusatio, Propertius mentions in the context of other imperial feats he won’t celebrate in song the eversos focos antiquae gentis Etruscae (the overturned hearths of the ancient Etruscan people). As Nethercut [Recent Scholarship 1839] has shown, the passage is structured so as to taint all the emperor’s exploits with the stain of civil war. 287 Leo, Kleine Schriften II zu Prop. 1,21 (202). 288 So Syndikus, Properz 109 zu 2,1,29. Cairns, Augustan Elegist 262 f. bezieht den Vers nicht konkret auf das bellum Perusinum (41/40 v. Chr.), sondern in chronologischer Abfolge zu den Kriegsschauplätzen von Mutina (43 v. Chr.) und Philippi (42 v. Chr.) auf die bis 36 v. Chr. (Naulochus) nachwirkende Zerstörung des Etruskertums. 289 Welch, Elegiac Cityscape 154. Mit ähnlichen Bedenken Hubbard, Propertius 101.
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Wie schon an verschiedenen Stellen meiner Arbeit begründet, besteht ein grundlegendes Missverständnis properzischer Elegiendichtung darin, die vorgebliche „Ablehnung“ (recusatio) großer epischer Nationalthemen auf die persönliche bzw. politische Haltung des poeta zum Bürgerkrieg und Kaisertum des Augustus zu übertragen. Auch sollte man berücksichtigen, dass und wie der Abriss der römischen Kriegsgeschichte in Properzens Liebesgeschichte eingefasst ist (vgl. Kapitel 5.2 zu 2,1,1 ff.). Denn die „Caesaris cura“ ist durch zarte erotische Anklänge an Cornelius Gallus’ Amores bzw. Vergils 10. Ekloge durchwoben („cura Lycoris“). Was die Deutung einer recusatio außerdem relativiert, ist, dass Properz das, was er in 2,1,39 ff. abzulehnen vorgibt, in 2,1,17 ff. faktisch bzw. formhalber darbietet. Raffinierterweise werden die laudes epicae sogar dadurch gesteigert, dass der Elegiker die klassischen Themen der epischen Dichtung (Titanomachie, Gigantomachie, Theben, Troja usw.) deswegen „verweigert“, weil sie dem würdigsten Stoff panegyrischer Großdichtung, Augustus selbst, eben nicht gleichkämen. Mir ist kaum ein zweites (elegisches) Beispiel bekannt, in dem der ideologische Gedankenstrom römischer Machtvollkommenheit und Weltgeltung vom Ursprung des Mythos bis in die unmittelbare Zeitgeschichte derart komprimiert und wuchtig in Augustus’ größten historischen Triumph und Dienst an der maxima Roma mündet. Properz’ „waffenkundige“ Muse kündigt in 2,1 die spätere Kleopatra-Elegie 3,11 und insbesondere das Actium-Gedicht des vierten Buches bereits erwartungsvoll an (4,6,11): Musa, Palatini referemus Apollinis aedem. Deshalb sollte man Properz’ vermeintlichen „Mangel an wirklicher poetischer [epischer] Begabung“ (Rothstein) auch nicht wörtlich verstehen, sondern die bekundete Absicht, nicht in die „homerischen“ Fußstapfen der (entstehenden) Aeneis zu treten, zementiert Properzens künstlerische Restriktion (sed) auf die „kallimacheische“ Kleindichtung (2,1,39–42)290: (…) sed neque Phlegraeos Iovis Enceladique tumultus 40 intonet angusto pectore Callimachus, nec mea conveniunt duro praecordia versu Caesaris in Phrygios condere nomen avos. (…)
Was der literaturkritische Begriff der recusatio homerischer Dichtweise also tendenziös verdeckt, hebt Hubbards „Callimachean apology“ umso deutlicher hervor291: „The Callimachean topic, that is, is perhaps being reclaimed for Callimachean purposes, used to exclude a poetic genre [epic], not, as commonly in Roman poetry, to exclude a particular subject matter [Augustus].“ Es wird ein Götterhymnos in „Caesars Namen“ ertönen – zwar nicht von Homer und Jupiters Donnern 290 Vgl. poetologisch Kapitel 5.4 zu Prop. 4,6 und Kapitel 5.5 zu Prop. 3,3. Ähnlich unterscheidet O’Neill, Slumming 260 die recusatio begrifflich eher als ein „generic disavowal“. Vor allem Sullivan, Propertius 138 hat die augustuskritische Deutung einer recusatio nachdrücklich verfochten: „I suggest that Book 4, far from being a concession to Augustan pressures, is in fact Propertius’ ultimate recusatio.“ Vgl. dazu unten im Zusammenhang mit der Dichterpatronage (Prop. 3,9). 291 Hubbard, Propertius 111 (100) zu 2,1 und 3,9 (unten).
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begleitet, wohl aber durch Kallimachos’ Μοῦσα λεπταλέα andächtig inspiriert (~ Prop. 4,6,13 f.): Caesaris in nomen ducuntur carmina: Caesar / dum canitur, quaeso, Iuppiter ipse vaces! Das Bemerkenswerte an 2,1 ist rückblickend weniger, dass Properz den Actia bella und seiner patriotischen Sorgfaltspflicht für die Sache des Kaisers durchaus an vorderster Front Genüge leisten wird, indem er das in 2,1 angedachte „Augustus epos“ in 4,6 auf seine spezielle kallimacheische Weise verwirklicht und den civilia busta Actiums ein Herrschafts- und Erinnerungsdenkmal für die Ewigkeit setzt (Actia monumenta). Der eigentliche Überraschungseffekt der Elegie 2,1 ist werkübergreifend, wie unerschrocken und unversiegelt Properz’ erotisches „Cynthiaepos“ (1–16) zum panegyrischen Lob- und Klagegesang der bella civilia überleitet und von dort in den Gedanken an Properzens eigenes Dichterepitaph fließt (78): ‚Hvic misero fatvm dvra pvella fvit‘. Somit stellt sich die Frage, was genau die maxima historia Cynthia (Buch 2) mit Augustus’ maxima Roma (Buch 4) verbindet und wie sich die bürgerkriegsversehrte pulvis Etrusca (Buch 1) mit Maecenas’ heimatverwurzelter Friedensliebe in Einklang bringen lässt (Prop. 3,9,1–8): Maecenas, eques Etrusco de sanguine regum, intra fortunam qui cupis esse tuam, quid me scribendi tam vastum mittis in aequor? non sunt apta meae grandia vela rati. 5 turpe est, quod nequeas, capiti committere pondus et pressum inflexo mox dare terga genu. omnia non pariter rerum sunt omnibus apta, 8 palma nec ex aequo ducitur una iugo. (…)
Richardson bezeichnete das Maecenas-Gedicht 3,9 als „one of the most baffling“ aller Properzelegien (348): Es sei zwar wie ein Programmgedicht für das dritte Buch konzipiert, wirke jedoch an der überbrachten Stelle mitten im Buch deplaziert: „Moreover the program it announces is one that is then not fulfilled in the rest of this book“. Auf das in 3,9,47 ff. vorgelegte „epische“ Dichtungsprogramm werde ich unten noch genauer eingehen. Formal bzw. im biographischen Kontext erschwerend kommt hinzu, dass die Interpretation der Elegie 3,9 von der zeitweise belasteten Beziehung zwischen Augustus und Maecenas beeinflusst war und ist292. 292 Vgl. Williams, Augustan Patronage 258 ff. auf der Grundlage von Ronald Symes deutungsmächtigem „Fall from Favor“ im Zusammenhang mit der dubiosen Verschwörung des Licinius Murena, Maecenas’ Schwager, gegen Augustus 23 v. Chr., deren Aufdeckung Maecenas seiner Frau Terentia und damit Murena verraten habe. Williams revidiert seine frühere Ansicht, dass dieser Skandal zum Bruch zwischen den engen Vertrauten geführt habe, und sieht hinreichend Anzeichen dafür, „that friendship continued as close as ever between Maecenas and Augustus after 23 B. C.“ (261). Ähnlich urteilte Kienast, Augustus 108 (Anm. 96) trotz persönlicher „Spannungen“ zu dieser Zeit: „Von einem Bruch mit Maecenas zu reden, geht aber sicherlich zu weit.“ Unter Vorbehalt einer nicht ganz sicheren Datierungslage stimmt zudem bedenklich, dass die Veröffentlichung der Maecenas gewidmeten Odensammlung 1–3 in das Krisenjahr 23 fällt (daher wohl eher vor Bekanntwerden der Verschwörung herausgegeben). Einen Bruch zwischen Maecenas und Augustus angenommen, wäre es noch schwieriger zu erklären, warum Properz’ kurz nach Horaz erschienenes Elegienbuch 3 (der Tod des M. Clau-
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Zum anderen verleitete die politisch bzw. poetologisch unreflektierte Deutung der recusatio wie in 2,1 zu einer teilweise scharfen ironischen, teilweise regimekritischen Bewertung des Gedichts293. Erwägt man dagegen das leidvolle Pathos der eversi foci, mit dem Properz der Auslöschung des etruskischen Volkes gedachte, bekäme die latente oder offene Kritik an dem „eques Etruscus“ Maecenas einen ziemlich bitteren Beigeschmack. Diese Auffassung verträgt sich auch nicht mit dem Sinn und Zweck der Dichterpatronage und dem Intimitätsverhältnis zwischen poeta und Patron (2,1,73 f.): Maecenas, nostrae spes invidiosa iuventae / et vitae et morti gloria iusta meae – doch wohl ehrlich anerkennende Worte, die Properz seinem künstlerischen und finanziellen Förderer hier zukommen lässt. Genaugenommen nimmt sich Properz’ cura secunda (2,1,26), die er Maecenas widmen wolle, als eine taktvolle Höflichkeitsgeste gegenüber Augustus aus, denn das vorrangige Bemühen gilt eher wie bei Horaz dem „Ritter von königlichem Geblüt“ (Od. 1,1,1–6): Maecenas atavis edite regibus, o et praesidium et dulce decus meum, sunt quos curriculo pulverem Olympicum collegisse iuvat, metaque fervidis 5 evitata rotis palmaque nobilis terrarum dominos evehit ad deos. (…)
Das freundschaftlich-innige Verhältnis zwischen Horaz und Maecenas soll außer Frage stehen. Schließlich widmete der Dichter seinem „dulce decus“ neben den Oden die Epoden (1,4), Satiren (1,1,1) und Episteln (1,1,3). Dieser Umstand muss aber nicht bedeuten, dass Maecenas zu Properz nicht vergleichbar enge, wenigstens enge berufliche Kontakte geknüpft hatte, was zuweilen aus der angeblich unterkühlten Beziehung zwischen Properz und Horaz gefolgert wird294. Unbeschadet gewisser Vorlieben oder Abneigungen, über die man aus der Dichtung besser vorsichtig schließen sollte, darf man von einem regen literarischen und vermutlich auch privaten Austausch zwischen Horaz und Properz ausgehen, der eher von gegenseitigem Respekt und wohlwollender Anerkennung geprägt war295. Dabei ist wichtig zu betonen, dass Maecenas selbst einen integralen Bestandteil und Gegenstand des „Dichterwettstreits“ (aemulatio) abgibt, den Properz allegorisch überhöht auf dem Musenberg austrug (vgl. 3,1,17 f.). Ähnlich Horaz, der seine Begabung für die Lyrik auf dem himmlischen Gipfel der Polyhymnia verortete (Od. 1,1,29 ff.), dius Marcellus Mitte/Ende 23 gibt in 3,18 den spätesten Fixpunkt) Maecenas’ fides (3,9,34) so hervorhebt. Will man Properz’ Dichtung keinen blanken Zynismus oder eine sonderbare Versöhnlichkeit attestieren (wofür es auch keinen Grund gibt), war das Verhältnis zwischen den langjährigen Weggefährten möglicherweise kurzfristig etwas getrübt, aber bestimmt nicht dauerhaft beschädigt. 293 Vgl. Sullivan, Propertius 17 („Propertius’ most devastating undercutting of the Augustan lite rary establishment“). 294 So Flach, Maecenaskreis 68, dass Properz anfangs „weder zu Maecenas als Menschen noch zu Vergil oder Horaz als Dichtern ein engeres Verhältnis“ gehabt habe. Ähnlich Cairns, Augustan Elegist 258: „Certainly Propertius never achieved the intimacy which Horace apparantly enjoyed with Maecenas“. 295 Vgl. Kapitel 5.3 zu Epist. 2,2,90 ff.
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rechtfertigt der Elegiker in 3,9 sein Unvermögen, die grandia vela (4) der Ependichtung zu setzen, durch eine Reihe ausgewählter exempla der bildenden und gestaltenden Kunst (vgl. 9–16), die in ihrer parva ars (12) herausgeragt und dafür „Ruhm“ (palma) geerntet hätten. Die Bedeutung des problematischen Verses 3,9,8 scheint darauf abzuzielen, dass ebenbürtiger Dichterruhm aus verschiedenen Bergeshöhen des Helikons gewonnen werden könne296. Der gegenständliche „Palmzweig“ fügt sich zwar etwas glatter in die Bergmetaphorik ein297, denkbar ist aber ebenso gut das abstrakte fama (3,3,17 f.): non hic ulla tibi speranda est fama, Properti: / mollia sunt parvis prata terenda rotis. Die rhetorischen Fragen, die Properz dem Musengott Apollon in 3,3,15 ff. in den Mund legt (quis te carminis heroi tangere iussit opus?), lassen sich rückblickend so beantworten, dass es Maecenas persönlich ist, der Properz „wie von Sinnen“ (demens) auf den „riesigen Ozean“ der Epik hinausschickt. Wahrscheinlich zeichnet die etwas disparate Bilderkette der poetischen Vergleiche für die Crux verantwortlich298, obwohl der leitende Gedanke immer derselbe ist: Properz’ Ruhm und Talent sind auf das molle opus der elegischen Kleindichtung beschränkt. Weitet man die Maecenas-Elegie 3,9 im Rahmen und als Teil eines gattungsspezifischen Dichterwettstreits mit Horaz (und Vergil) aus, muss Properz’ Antwort auf das von Maecenas offenbar erwartete magnum opus zunächst abschlägig ausfallen, da es den förmlichen Ansprüchen an die kallimacheische ars nicht genügt. Dass das Wetteifern um die poetische Vorrangstellung – schließlich haben sich alle Augusteer im Wesen ihrer Dichtung als „Kallimacheer“ verstanden – letztlich ein Wetteifern um die künstlerische Qualität und nicht Quantität des Besungenen ist, macht die Forderung nach einer bestimmten dichterischen Gattung im Prinzip unwirksam: Man kann und soll die Properz unterstellte recusatio homerischer Dichtweise nämlich umgekehrt als eine sehr exklusive laudatio kallimacheischer Machart begreifen, und der eques Etruscus Maecenas ist ein, wenn nicht sogar der substantielle Teil davon (4,2,3 f.): Tuscus ego Tuscis orior, nec paenitet inter / proelia Volsinios deseruisse focos. Wie es für Properzens Elegiendichtung gilt, hatte Macfarlane für Vergils Aeneis einen besonderen poetischen Einfluss des etruskischen Kulturgutes behauptet299: 296 Vgl. Camps und Butler/Barber z. St. (282): „His [Propertius’] point is that artists and others may rise to equal fame in different branches.“ Anders Shackleton Bailey („from heights unequal men bring down different palms“) und Heyworth, Cynthia z. St. mit Bezug auf 4,10,3 f. (318): „The branches of his [Propertius’] art are symbolized by different mountains“, was die Frage aufwirft, welcher andere Dichterberg außer dem Helikon gemeint ist (etwa der Olymp?). Die bevorzugten Konjekturen palma/una (so Fedeli, Butler/Barber, Camps) für das überlieferte flamma/ulla (so Rothstein) ergeben insgesamt kein einheitliches Bild: So zieht Flach fama/una vor, während Goold palma/ulla übernimmt und Heyworth das ex aequo/ulla zu haec ex quo/illa verbessert. 297 Vgl. Prop. 4,1b,102 (… libris est data palma meis). 298 Vgl. Riesenweber, Uneigentliches Sprechen 230 (zu 3,9,7 f.) zur „Vorstellung verschiedener Höhenstufen [der Helikonsymbolik] für die einzelnen Genres“. Vgl. dazu auch Kapitel 5.5 zu Prop. 3,3,25 ff. 299 Macfarlane, Etruscan Figures 249.
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„It may be that the impulse to include Etruscan themes is precisely what produced Vergil’s epic.“ Ob die augusteischen Dichter von Maecenas dazu ermuntert worden seien, den vergangenen Glanz der gens Etrusca zu besingen bzw. zu „beklagen“, ist wegen der virulenten Bürgerkriegsbezüge, die das politische Fundament der pax Augusta zumindest unterschwellig als fadenscheinig und brüchig erweisen, schwierig zu sagen. Vermutlich hat sich Maecenas aus Staatsräson und Loyalität gegenüber dem Herrscher mit solchen Erwartungen zurückgehalten, und ohnehin schien das persönliche oder aitiologische Interesse der Dichter an der Religion, Kultur und Geschichte der Etrusker sehr groß gewesen zu sein. Bemerkenswert ist, dass Properz seinen Dichterpatron Maecenas, den „eques Etrusco de sanguine regum“ (3,9,1), wie zu einer anachronistischen Gegenstimme des neuen hellenistischen Gottkönigtums des divus Augustus stilisiert300: „Dieses bewußte Hochhalten des Etruskischen setzt ein ausgeprägtes Identitätsbewußtsein voraus“ – und damit, möchte man annehmen, ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein für den kulturellen Niedergang Perusias, Vejis und Volsiniis, dem das zartfühlende Klagelied der Elegie – so vielleicht die implizite Argumentation in 3,9 – gattungsmäßig besser als jedes großspurige Epos Rechnung tragen kann. Trotz oder gerade wegen eines blühenden Burgfriedens und nationaler Einheitsbestrebungen in der augusteischen Epoche stellt bzw. stellte Maecenas in mancher Hinsicht eine biographische Kuriosität oder atypische Zeiterscheinung dar. Vergleichbar dem altehrwürdigen „deus Etruriae princeps“ Vertumnus trug Maecenas einerseits den Stolz seiner Abkunft von altem Adel Arretiums und so indirekt die schicksalsschwere Bürde der untergegangenen etruskischen Kultur wie ein wandelndes Menetekel römischen Machtstrebens öffentlich zur Schau. Andererseits war Maecenas aber, wie Aigner-Foresti betonte301, eine „exemplarische Integrationsfigur“ für den ethnogenetischen Transformationsprozess des populus Romanus302: Etruskische Erinnerung, ja Identität war also politisch-gesellschaftlich kein Gegensatz mehr zur Geltung in Rom. Wie assimilationsfördernd eine solche Tatsache wirken mußte, liegt auf der Hand. Dieser wohl in Geist, Begabung, kultureller Initiative und Adel bedeutendste Mann [Maecenas] der ehemaligen etruskischen Traditionsträger seiner Zeit war ganz und gar Römer geworden, ja förderte in seinem literarischen Zirkel römische, betont nationalrömische Dichtung wie kein anderer. Er empfand nicht den geringsten Widerspruch, und das mit Recht.
Man kann Maecenas’ Biographie insofern mit dem Verwandlungsgott Vertumnus (und dem Umbrier Properz) vergleichen, als deren duae patriae sozusagen „in uno corpore“ (4,2,1) aufgenommen bzw. aufgehoben sind. Während der „römische Etrusker und etruskische Römer“ Maecenas laut Dobesch (131) ganz in der völkischen Metamorphose des populus Romanus aufgeht, weist dessen Biographie „zwischen zwei Kulturen“ nach Aigner-Foresti Brüche auf303: „Die Integration ins Römische ist bei dem Etrusker Maecenas sehr weit fortgeschritten, aber keinesfalls abgeschlossen.“ Zwar habe Maecenas wie Vertumnus die patria lingua (4,2,48) des Lateini300 Aigner-Foresti, Integration 16 zu Maecenas’ Umgang mit seiner Herkunft. 301 Vgl. Aigner-Foresti, Integration 26. 302 Dobesch, Metamorphose 86 f. 303 Aigner-Foresti, Integration 27 (26).
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schen angenommen, diese sei aber „von seinen Zeitgenossen als auffällig schwülstig und zugleich holprig“ empfunden worden304. Jedenfalls galt Maecenas seinen Zeitgenossen als ein exemplum für bescheidenes Standesbewusstsein, persönliche Inte grität und Loyalität sowie eine selbstgenügsame Lebensführung im „Schatten des großen Caesar“ (3,9,21–34): (…) 21 at tua, Maecenas, vitae praecepta recepi, cogor et exemplis te superare tuis. cum tibi Romano dominas in honore secures et liceat medio ponere iura foro, 25 vel tibi Medorum pugnaces ire per hastas atque onerare tuam fixa per arma domum, et tibi ad effectum vires det Caesar, et omni tempore tam faciles insinuentur opes, parcis et in tenues humilem te colligis umbras: 30 velorum plenos subtrahis ipse sinus. crede mihi, magnos aequabunt ista Camillos iudicia, et venies tu quoque in ora virum, Caesaris et famae vestigia iuncta tenebis: 34 Maecenatis erunt vera tropaea fides. (…)
Inwiefern Maecenas an Augustus’ bella civilia persönlich Anteil hatte und den militärischen Spuren der „Caesaris fama“ folgte, ist nur lückenhaft oder widersprüchlich überliefert305. Neben dem Seekrieg gegen Sextus Pompeius scheint seine Beteiligung an der Schlacht bei Philippi gesichert (Eleg. Maec. 1,43), die ihm einen Teil der Kriegsbeute und erste engere Kontakte mit Octavian/Augustus verschaffte. Ob Maecenas an dem Perusinischen Krieg mitwirkte, ist dagegen nicht belegt und kaum vorstellbar306. Properz’ obige Charakterzeichnung begünstigt vor allem Maecenas’ kriegsferne Bemühungen um Verständigung, worunter besonders (zusammen mit Asinius Pollio) die Vermittlung zwischen den zerstrittenen Triumvirn im Vertrag von Brundisium 40 v. Chr. fiel, der Vergils Verheißung eines neuen Friedenszeitalters in der 4. Ekloge zumindest zeitweise Nahrung gab. Obwohl Maecenas’ sprichwörtliche fides historisch außer Frage stehen dürfte, wird das Distichon 3,9,33 f. an der überlieferten Stelle dennoch angezweifelt307: It would be a strange non sequitur to add now „your fame shall march in step with the fame of Caesar“ and worse than irrelevant to continue „the true trophies of Maecenas will be his loyalty.“ The poet has been talking about himself and Maecenas, not Maecenas and Caesar, about moderation, not loyalty.
Es scheint mir fast unmöglich und von Properz auch nicht beabsichtigt, Maecenas’ beispielhafte vita humilis von der gelebten Göttlichkeit des Augustus und Properz’ eigenen poetica praecepta gedanklich zu lösen. Denn zum einen stützt sich Augus304 Vgl. Aigner-Foresti, Integration 27. Vgl. dazu unten Prop. 4,2,41 ff. 305 Vgl. Kappelmacher, Maecenas zu Herkunft und Lebenslauf (Sp. 208 ff.). 306 Vgl. Cairns, Augustan Elegist 263 (zu 2,1,29). 307 Richardson z. St. (352), der das Distichon, Housman folgend, wie Goold zur behaupteten Lacuna nach Vers 2,1,38 versetzt.
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tus’ militärischer sowie politischer Erfolg auf Maecenas’ unbedingte Freundschaft und „Treue“, deren „wahre“ Bedeutung den Triumphen eines M. Furius Camillus gleichkomme (vera tropaea)308. Und zum anderen zehrt Maecenas’ fides im Wirken als Dichterpatron genauso von Augustus’ Kriegsruhm (fama), der wie jener Camillus mit der Eroberung Vejis 396 v. Chr. der Bürgerkriegszeit erst seinen Friedensstempel aufdrücken musste (~ Ecl. 1,1–5): Meliboeus Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi silvestrem tenui Musam meditaris avena: nos patriae finis et dulcia linquimus arva. nos patriam fugimus: tu, Tityre, lentus in umbra 5 formosam resonare doces Amaryllida silvas. (…)
Derart suggestiv und doppelbödig von Horazens Prooemium der Oden (dulce decus) und den Eklogen des Tityrus Vergil unterlegt, schlägt die poetologische Argumentation der Elegie 3,9 noch wirkungsvoller durch: Maecenas’ exemplum humile sei nicht nur für die humiles myricae (Ecl. 4,2) der Hirtendichtung, sondern auch für die tenuis Musa der Liebesdichtung vorbildlich309: „[tenues and humilem] associate Maecenas with the ‚unambitious‘ elegiac style commended by Callimachus“. In diesem Sinne beziehen sich Maecenas’ vitae praecepta auf Properz’ elegische „Dichtungsgrundsätze“, die der poeta dereinst seiner Geliebten „teneras sub umbras“ (1,18,21) unter Berufung auf Kallimachos beschwor (Kapitel 5.5). Mit Augenmerk auf 2,1,17 ff. müssten sich der „große“ Caesar und erst recht der „demütige“ Maecenas also nicht wundern, wenn Properz’ mollis liber, wie ja „auch“ das einfache Lebensbekenntnis seines Gönners, „in aller Leute Munde komme“ (~ 2,1, 1–4): Quaeritis, unde mihi totiens scribantur amores, unde meus veniat mollis in ora liber. non haec Calliope, non haec mihi cantat Apollo: 4 ingenium nobis ipsa puella facit. (…)
Es lassen sich so weit einige Zwischenergebnisse formulieren, die Maecenas’ programmatische Einbindung in das genus tenue der Liebeselegie verdeutlichen (humilem te): Dass das erotische Cynthia-Epos mit Augustus’ maxima historia / Roma verbunden ist, ist insofern stimmig, als die Caesaris fama (3,9,33) dichterisch restriktiv in Kallimachos’ Namen besungen wird – eine kunstästhetische Qualitätsentscheidung, der sich Maecenas aufgrund seiner qualitätsbewussten Lebensphilosophie begründetermaßen nicht entziehen konnte: Die unprätentiösen bzw. „unpolitischen“ epikureischen Lebensvorschriften des Dichterpatrons gehen mit den bescheidenen alexandrinischen Dichtungsmaximen des Elegikers konform, der sich, ganz im pri308 Vgl. zum gesellschaftspolitischen Fundament römischer fides und amicitia Cicero, Lael. (De amicitia) 64–65: Itaque verae amicitiae difficillime reperiuntur in iis, qui in honoribus reque publica versantur (…). Firmamentum autem stabilitatis constantiaeque est eius, quam in amicitia quaerimus, fides. 309 Heyworth/Morwood, Propertius III zu 3,9,29 f. (189).
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vaten Freundeskreis versunken, seinen fata dulcia hingibt. Man kann die Maecenatis fides (3,9,34) daher nicht nur auf die Treueverpflichtung gegenüber Augustus, sondern auch, von Maecenas’ eigener erprobter lyra ganz zu schweigen (unten), auf seine zuverlässige Bürgschaft für junge Dichtertalente wie Properz beziehen, deren ingenium Maecenas erkannte und künstlerisch/finanziell großzügig förderte. Vor diesem Hintergrund erscheinen mir die Zweifel an dem konkreten Ausmaß oder der bloßen Tatsache einer Dichterpatronage durch Maecenas und/oder Augustus unbegründet310: „This poem [3,9] is at the heart of a controversial issue: was Maecenas in any serious sense a patron of Propertius, or is 3.9 (and 2.1) a rejection of any approach that had been (or might be) made by Augustus’s minister […]?“ Die Vorstellung, Properz habe auf eigene Initiative und Kosten sein poetisches Kunsthandwerk völlig unabhängig und selbsttätig betrieben, ist dem tiefverwurzelten römischen Klientelwesen eher fremd und wenig plausibel. Es trifft vielleicht zu, dass Properz bald nach dem Erfolg der ersten drei Elegienbücher von Augustus persönlich protegiert worden ist, da das abschließende Buch Maecenas namentlich nicht mehr erwähnt. Trotzdem ist richtig erkannt worden, dass das „nationalpolitische Programm“ (Williams) des vierten Buches, das Properz Augustus und dessen res gestae widmet311, bereits im dritten Buch (3,9) in der Form einer aufgeschobenen „Zusage für die Zukunft“ (Rothstein) eine programmatische Gestalt gewinnt312: By the end of 3.9 he [Propertius] seems to be professing readiness to accept Maecenas’ suasion to a higher task, not epic, which has already been excluded in lines 37 ff., but the Roman Aetia, still elegiac and Callimachean, but different from his poetry hitherto, more serious, more Roman, more in harmony with the professed ideals of the régime (3,9,47–60): (…) 47 te duce vel Iovis arma canam caeloque minantem Coeum et Phlegraeis Eurymedonta iugis, celsaque Romanis decerpta Palatia tauris 50 ordiar et caeso moenia firma Remo eductosque pares silvestri ex ubere reges, crescet et ingenium sub tua iussa meum! prosequar et currus utroque ab litore ovantes, Parthorum astutae tela remissa fugae, 55 castraque Pelusi Romano subruta ferro Antonique graves in sua fata manus. mollis tu coeptae fautor cape lora iuventae dexteraque immissis da mihi signa rotis! hoc mihi, Maecenas, laudis concedis, et a te est 60 quod ferar in partes ipse fuisse tuas. 310 Heyworth/Morwood, Propertius III 183 (zu 3,9). Ähnlich Camps zu 2,1,17 („Propertius would not need a patron“). Dagegen weist Williams, Augustan Patronage 264 auf den Terminus cogere hin (vgl. Prop. 3,9,22; Epist. 2,1,228), der das förmliche Klientelverhältnis „between pa tron and poet“ bezeichne. 311 Vgl. Cairns, Augustan Elegist 279, der Augustus zwar als „patron of Book 4“ betrachtet, sich aber zurecht fragt (Anm. 140), warum dieser vom Dichter an keiner Stelle unmittelbar apostrophiert wird, sondern nur indirekt durch die fiktiven Sprecher der Gedichte. 312 Hubbard, Propertius 114 f. Anders dagegen Gold, Maecenas 103: „It is neither necessary nor, I believe, correct to view 3.9 as a prelude to book 4.“
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Die angemessene Interpretation der Maecenas-Elegie 3,9 und deren Bedeutung für die Entwicklungslinien properzischer Dichtung hängen maßgeblich von einer differenzierten (textkritischen) Analyse der Schlussverse ab. Wie oben zu 2,1,17 ff. und 3,9,1 ff. bemerkt, wird dieser Abschnitt gerne mit dem Etikett der recusatio versehen313: Weil Properz sich, an Maecenas’ exemplum orientierend, gegen das genus grande ausspreche, seien die in V.47 ff. offenbar angestrebten epischen Themen (vgl. 2,1,19 ff.!), die Maecenas’ Beispiel zuwider plötzlich „unter seiner Führung“ (te duce) besungen werden sollen, rhetorisch bzw. hypothetisch zu verstehen314: „when (or if) you lead the way“ – „aber ich weiß“, so der Properz unterstellte Gedankengang, „du, Maecenas, wirst deinen Lebensgrundsatz nicht ändern, also muss ich meinen Dichtungsgrundsatz nicht ändern“. Zurecht hatte Richardson, schon wegen der formelhaften Phraseologie te duce315, Bedenken an dieser Deutung geäußert (354): Moreover the poem [3,9] does not read like a recusatio; it reads like a program poem. Were it set at the beginning of Book 4, no one would think to read te duce as a condition, since in that book P[ropertius] treats the sort of subject he enumerates here. Not only that, in the program poem of the fourth book he tells us that it is from his poems on aetiological themes that he aspires to be hailed as the Roman Callimachus (4.1.61–70). It therefore seems advisable to take te duce in the more normal sense „with you as my guide“ (…).
Das oben skizzierte Thementableau liest sich in der Tat wie eine Programmvorschau des vierten Buches: die spolia opima des Jupiter Feretrius (Iovis arma), die von Remus’ Bruder Romulus errungen werden (4,10); das Forum Boarium auf dem heiligen Palatin (decerpta Palatia), wo Herkules seine geraubten Rinder weiden lassen wird (4,9); die Actia bella (4,6), denen Augustus’ Schutzgott Apollon ein Denkmal setzen wird (Antoni fata); der Siegeszug der pax Augusta bis in den fernen Orient, der zum Friedensbund mit den Parthern führt (4,3); und zuletzt, die Quintessenz von allem, das Mauerwerk der maxima Roma, das nicht nur durch die Milch der lupa Martia, sondern durch Properz’ Gesang wahrhaftig „angewachsen“ sein wird (4,1a,56): qualia creverunt moenia lacte tuo – „and given the habit among Augustan poets of transferring to patron and Caesar the epithets of divinity in general, and the attributes and function of Muses and Apollo in particular, there seems no reason for assuming that Propertius’ phrase te duce does not also refer precisely to this ‚numinous‘ function“316. Vergils Bitte um göttliche Inspiration und Führung durch Asinius Pollio in den Eklogen (4,13) verleitete den Hirtensänger, mit der Stimme des divinus poeta Cornelius Gallus vorgetragen, sogar zu einer elegischen Sublimierung der bukolischen Dichtungsgattung (~ Ecl. 10,54): crescent illae [arbores], crescetis amores. Diese
313 Vgl. zum Beispiel Gold, Maecenas 112 („3.9 is an elaborate and complex recusatio“). Anders Cairns, Augustan Elegist 268, der 3,9 (47 ff.) als „self-correction“ von 2,1 (17 ff.) bezeichnet. 314 Camps z. St. Ebenso Heyworth/Morwood, Propertius III z. St., die daher Camps’ Verbesserungsvorschlag crescat (52) vorziehen und die ambivalenten Formen ordiar (50), prosequar (53) und ferar (60) als potentiale Konjunktive auffassen. 315 Vgl. Vergil, Ecl. 4,13 (an Asinius Pollio) und Horaz, Od. 1,2,52 (an Augustus). 316 Bennett, Poetical Inspiration 339.
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Vorstellung liegt, bezogen auf die epische Transzendenz des elegischen Genres317, auch den obigen Versen zugrunde. Was sich in 2,1,19 ff. als hypothetische Gedankenspielerei gestalten mag (canerem), hat sich in 3,9,47 ff. längst zur Zukunftsgewissheit verfestigt (canam): Properzens ingenium (2,1,4) wird über die erotische Cynthia-Dichtung hinauswachsen und im vierten Buch zum eposhaften Lobgesang auf Rom und Augustus anheben – und zwar bewirkt durch Maecenas’ poetische Anregung und Weisung (tua iussa). Diese Deutung der Elegie 3,9 (47 ff.) birgt allerdings ein feines Problem, zumal etliche Textkritiker die Verbesserung mollia/lora für das überlieferte mollis/fautor in V.57 entschieden bevorzugen (so Butler/Barber z. St.): „Propertius would have avoided using it of Maecenas, against whom the reproach of effeminacy was often brought.“ Zugegeben, die Verbesserung mollia ist außerdem stilistisch/ikonographisch attraktiv, weil das lora mit einem Attribut versehen wird, die mehrdeutigen Bezüge geklärt (tu/fautor bzw. coeptae/iuventae) und die „geschmeidigen Zügel“ in die Bildersprache der mollia serta (3,1,19) oder mollia prata (3,3,18) eingefügt werden. Will man das mollis (fautor) verteidigen, stellt sich die Frage, worauf Properz mit der Charakterisierung des „feinfühligen Förderers“ (Flach) abzielt, da der tendenziöse Vorwurf, Maecenas und seine Lebensweise seien „verweichlicht“ bzw. „verweiblicht“, biographisch im Raum steht und der Hommage an den Dichterpa tron eher abträglich wäre. Die Kommentare erklären das mollis für gewöhnlich mit der „wohlwollenden Gesinnung“ (Rothstein), die Maecenas Properz’ mollis liber der Liebesdichtung entgegenbringen möge – hatte doch schon Vergil dessen „haud mollia iussa“ zugleich beklagt und gewürdigt (~ Georg. 3,41 f.): (…) te sine nil altum mens incohat. Gerade diese „epische“ Inspiration durch den Dichterpatron setzt Properz für sein nationalrömisches molle opus aber voraus (3,9,52): crescet et ingenium sub tua iussa meum! Der Punkt ist, dass Properz’ Kleindichtung zwar substantiell durch epische Themen „anwächst“, der Formcharakter seiner Dichtung aber dem „non inflatus Callimachus“ (2,34,32) verbunden bleibt, also dem mollis versus (1,7,19) der Elegie. Deshalb muss Maecenas Properz nicht „wohlwollend“ gesinnt sein, denn der mollis fautor, so die poetologische Schlussfolgerung, bezeugt eine kunstverständige Referenz zum mollis poeta, nämlich eine Referenzidentität zwischen Dichtung, Dichter und Dichterpatron: Horaz’ dulce decus Maecenas ist sowohl der (passive) Rezeptionsgegenstand und (aktive) Rezipient der gelehrten Dichtkunst seiner Günstlinge, die „seinen eigentlichen Ruhm und das Mäzenatentum als solches begründet“ hätten (Georg. 2,39–46)318: (…) tuque ades inceptumque una decurre laborem, 40 o decus, o famae merito pars maxima nostrae, Maecenas, pelagoque volans da vela patenti. non ego cuncta meis amplecti versibus opto, non mihi si linguae centum sint oraque centum, ferrea vox; ades et primi lege litoris oram; 317 Vgl. Kapitel 6.1 zu Prop. 4,9 und 4,4 („Epic into Elegy“). 318 Vgl. Koster, Maecenas 66.
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45 in manibus terrae: non hic te carmine ficto atque per ambages et longa exorsa tenebo. (…)
Wie Vergils „Maecenas, da vela“ entspringt Properzens Aufforderung (da mihi signa) dem ernstgemeinten Anliegen, den Glanz und die Gefälligkeit des Dichterpatrons und insofern den eigenen Dichterruhm würdevoll zu besingen. Was sich aber für den Hymnendichter Horaz und selbst den Ependichter Vergil als schwierig erweist, muss den Liebesdichter Properz vor umso größere Probleme stellen (3,9,4): non sunt apta meae grandia vela rati. Im Bewusstsein der Unmöglichkeit, die Elegie (das elegische Distichon) förmlich in das genus grande der Epik einzufassen, stellt das vierte Buch, mit dem sich Properz inhaltlich dennoch auf das vastum aequor der großen Ependichtung hinauswagt, im Ergebnis vor allem ein einzigartiges Zugeständnis an Maecenas’ bzw. Augustus’ tatsächliches oder unterstelltes Ersuchen um eine bedeutende römische Nationalpoesie dar. Obwohl der panegyrische Charakter des dritten Elegienbuches stellenweise noch etwas überzogen und unausgereift wirkt319, ist die Konsequenz, die sich aus den Ansätzen einer zunehmend historisierenden Elegiendichtung im ersten und zweiten Buch ergibt, doch unvermeidbar und evident: Die Maecenas-Elegie (3,9) ist keine wie auch immer geartete recusatio nationalrömischer Dichtung, sondern sie schlägt eine thematische und programmatische Brücke zu Augustus’ maxima Roma (Buch 4), die zugleich Properz’ größten dichterischen Ruhm begründet (maxima fama). Im Einklang mit dieser zukunftsweisenden Bedeutung von 3,9 strahlen die künstlerischen Implikationen des mollis fautor weit aus320: Properz „had learned his philosophy from Maecenas but his technique from Callimachus“. Sicherlich ist die Spitze auf Maecenas’ extrovertiert-luxuriösen Lebensstil (dulce decus) und auf sein Auftreten in dem prunkvollen essedum Britannum (2,1,76) oder in „ungegürteter Tunika“ mit dem Charakterbild des mollis vir spannungsreich verbunden (4,2,37 f.)321: (…) et ibo mundus demissis [institor] in tunicis. Darin drückt sich m. E. aber keine wortwörtliche Kritik oder Verspottung des berühmt-berüchtigten Lebemanns aus, sondern das ausgefallene Modebewusstsein und epikureische Lebensgefühl betonen eher Maecenas’ kultivierte ästhetische Facette: Der Dichterpatron werde von Properz „fast zu einem Elegiker“ stilisiert322! Nicht zufällig ist Horazens Prädikat des „Maecenas docte“ (Epist. 1,19,1) gewählt, denn Maecenas machte nicht nur als Förderer und Kenner der schönen Künste auf sich aufmerksam, sondern versuchte sich selbst nach besten Kräften in der ars Battiadae323: „Er wurde jener Strömung zugerechnet, deren Vertreter Cicero z. B. durchaus abschätzig ‚Neoteroi‘, also die ‚Neueren‘ nannte, eine Stilrichtung, in deren späte Blütezeit Maecenas gehörte.“ 319 Vgl. beispielhaft Kapitel 6.2 zur Kleopatra-Elegie 3,11 („meretrix regina“). 320 Richardson zu 3,9,47 (354). 321 Vgl. Koster, Maecenas 63 zu dessen tunica demissa/soluta, „was als Zeichen der Unmännlichkeit galt“. Vgl. zum Vorwurf der mollitia auch Schoonhoven, Eleg. Maec. (40 ff.) zu 1,25 (livide, quid tandem tunicae nocuere solutae …). 322 So Marinčič, Maecenas 127. 323 Koster, Maecenas 63 f.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Schenkt man den zeitgenössischen Urteilen über Maecenas’ „stilistische Ex travaganz“ und seine dem Asianismus zuneigende κακοζηλία Glauben324, haben Maecenas’ eigenwillige Künsteleien weder Catulls mira ars (Carm. 64,51) noch die attizistische patria lingua des Prinzeps wirklich getroffen – oder der „vornehme Dilettant“ (Koster) Maecenas hat die Genialität der Neoteriker ziemlich überspannt, wovon Augustus’ Persiflage des „ebur ex Etruria, lasar Arretinum, adamas supernas, Tiberinum margaritum, Cilneorum zmaragde, iaspi figulorum, berulle Porsenae“ (nach Macrobius 2,4,12) ein glänzendes Zeugnis aus erster Hand gibt325. Auch wenn das vierte Properz-Buch das persönliche Namenssiegel der Maecenatis fides explizit nicht trägt, sticht doch unter artifiziellen und biographischen Gesichtspunkten umso deutlicher heraus, dass Vertumnus’ maxima fama offenbar „in den Händen“ des praktizierenden Kunstliebhabers und epikureischen „Gartenphilosophen“ liegt (4,2,41–46)326: (…) 41 nam quid ego adiciam, de quo mihi maxima fama est, hortorum in manibus dona probata meis: caeruleus cucumis tumidoque cucurbita ventre me notat et iunco brassica vincta levi; 45 nec flos ullus hiat pratis, quin ille decenter impositus fronti langueat ante meae. (…)
Wie von Mader herausgearbeitet worden war327, nimmt der obige Gedichtabschnitt sprachlich, stilistisch und inhaltlich eine Sonderstellung innerhalb der Elegie 4,2 ein. Formal wird dabei Schraders Vorschlag einer Versetzung der Verse 41–46 nach Vers 18 erwogen328: Two arguments give strong support to the transposition. First, fama in 19 is surely easier when preceded by maxima fama (41). The emphasis given to this etymology by the addition of these six lines makes the mock irritation of mendax fama, noces more appropriate. Second, the theme of lines 41–46 is not changing figurae, as in 21–39, but offerings and first fruits (dona, 42), just as in 13–18.
Auch Glock hält Dees Argumente für begründet, erklärt den vermeintlichen Gedankenbruch aber mit dem „etymologischen“ bzw. „aitiologischen Unernst“ des Dichters329. Mader spricht sogar von einer „unlogischen Logik“ (145), wodurch sich die 324 Vgl. Marinčič, Maecenas 129 f. unter Verweis auf Eleg. Maec. 1,36 (garrulus) und 1,68 (verba nova). 325 Vgl. Marinčič, Maecenas 128 (zu Eleg. Maec. 1,19): „eine erkennbare Anspielung auf ein (fragmentarisch erhaltenes) Gedicht des Maecenas“. Vgl. Prop. 4,7,9 (et solitum digito beryl lon adederat ignis). 326 Vgl. dazu die neuen geistigen Beschäftigungen, denen sich Properz auf seiner fiktiven Reise nach Griechenland/Athen widmen wollte (3,21,25 f.): illic vel stadiis animum emendare Platonis / incipiam aut hortis, docte Epicure, tuis. 327 Vgl. Mader, Changing Forms 143 f. 328 Dee, Callimachus Romanus 45. Umgekehrt hatte Goold den Abschnitt 13–18 nach Vers 42 bzw. Heyworth nach Vers 44 versetzt (Cynthia zu 13 ff.): „(…) and the presence of mihi in 13 shows that these are not the fallacious words of fama but come from the god himself.“ 329 Vgl. Glock, Aitiologie 212 (205).
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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Überlieferung rechtfertigen lasse330: „The point is precisely that lines 41–46 have no point within the etymological argument.“ Ich bin nicht überzeugt, dass man – ob nun für oder wider Schraders Versumstellung – in der Bewertung so weit gehen sollte. Denn der Gedichtkomposition vom hohen konzeptionellen und künstlerischen Format des Properz liegen, auch wenn seine Gedanken mitunter etwas sprunghaft erscheinen, eine sehr bewusste Gliederung und Argumentation zugrunde. Diese resultiert zunächst formal aus der alexandrinischen Kompositionstechnik einer „Ringstruktur“ der Elegie 4,2: Der Gedichtprolog 1–2 [a1], der die etymologische Quintessenz des Vertumnus-Aitions zum Ausdruck bringt (tot formae), wird in den Versen 47–48 [a2] durch die dritte Etymologie gesiegelt (Vert omnis). Die Verse 3–6 [b1] bzw. 49–56 [b2] rahmen die aitiologische Darlegung durch Exkurse in die etruskische/römische Früh- und Zeitgeschichte ein (Tuscus – Roma). Die ersten beiden Namengebungen Vertamnis in V.7–10 [c1] und Vertannus in V.11–18 [c2] werden in V.19–20 [d1] für ungültig erklärt (mendax fama). Der Gedichtabschnitt 41–46 [d2] bildet dazu die Antithese (maxima fama) sowie die Klimax und Sphragis der dritten Namensdeutung in V.21–40 [c3]. Die implizite „vierte“ Etymologie (Versus) ist in den epigrammatischen Schlussteil 57–64 [e] eingefasst, der ringförmige Verbindungen zu allen Gedichtteilen aufweist, so zu a1,2 (unum corpus/opus), b1,2 (Tuscus ego/stipes eram), c1,2,3 (vertere) und d1,2 (fama/Properti), und die Elegie als ganzes Kunstwerk auszeichnet (tot honores).
Man könnte mit Blick auf die obige Strukturanalyse einwenden, dass Schraders Versumstellung die verschiedenen Namensableitungen des Vertumnus eher unproportioniert gewichten würde (Vertamnis: 4 Verse, Vertannus: 14 Verse und Vertomnis: 20 Verse). Abgesehen davon ist aber noch ein besonderer „intertextueller“ Aspekt für die logische Gedankenführung der Elegie 4,2 ausschlaggebend: Denn, weil Vergil mit seinen Versen nicht alles umfassen kann oder will (Georg. 2,42), erhält der caeruleus cucumis im Lehrepos lediglich „en passant“ das ihm gebührende Lob (Georg. 4,116–125): (…) 116 Atque equidem, extremo ni iam sub fine laborum vela traham et terris festinem advertere proram, forsitan et pinguis hortos quae cura colendi ornaret canerem biferique rosaria Paesti, 120 quoque modo potis gauderent intiba rivis et virides apio ripae, tortusque per herbam cresceret in ventrem cucumis nec sera comantem narcissum aut flexi tacuissem vimen acanthi pallentisque hederas et amantis litora myrtos. 125 namque sub Oebaliae memini (…).
Es hat den Anschein, als ordneten Properzens übertrieben „fachspezifische“ Ergüsse in 41 ff. Vergils Fachsprache der Georgica in einen merkwürdig verschrobenen (Gattungs-) Kontext ein: Das, was der Epiker aus mangelnden Platzgründen den „anderen“ Dichtern nach ihm überlassen muss (Georg. 4,147 f.), führt der – räumlich ohnehin beschränkte – Elegiker im Detail näher aus. Properzens Verwandlungsgott ergeht sich geradezu überproportional langatmig in seinem Stolz als 330 Mader, Changing Forms 146.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
„Meistergärtner“ par excellence. Diesem komisch-verzerrten Kunstgriff der prae teritio, „which purports to minimize, but in fact creates emphasis“331, liegt bei Properz dieselbe rhetorische Funktion einer Steigerung der Gedankenabfolge zugrunde (mendax fama – maxima fama). Ähnlich wird Properz’ Kupplerin Acanthis in 4,5,61 (!) jener „rosaria Paesti“ Vergils einmal wortgewaltig gedenken332: „Durch die Rosen [4,2,40] wird der Gott an die Attribute seiner Bedeutung für den Gärtner erinnert, die in der Form der Aposiopese mit nam eingeführt werden.“ Im strukturellen Vergleich ist dabei interessant, was Thomas zum obigen Gartenpreis der Georgica bemerkt hatte (167): „(…) but this topic is merely used as a transitional device to the description, which Virgil conveys in an intensely personal mode […]“. Ähnlich übergangsweise bzw. emphatisch steigernd dreht Properz Vergils logische Rahmung at – nam um und schließt begründend durch Vertumnus’ letzte Verwandlung in den „Gartengott“ (Priapus) seine aitiologische Beweisführung adversativ bedingend ab (4,2,47 f.): at mihi, quod formas unus vertebar in omnes (…). Loehr hatte betont, dass Properz die verschiedenen Etymologien des Vertumnus in der Form und Funktion einer „poetischen Aitiologie“ gestaltet habe333, indem Vertumnus’ signa paterna die signa artificia des Dichters bedeuten: Die Ableitungen Vertamnis, Vertannus und Vertomnis sind allesamt in der „Vielgestaltigkeit“ properzischer Versus bzw. in dem Elegienwerk als „Ganzem“ inbegriffen (tot formae – in uno corpore). Dass Vertumnus’ unterschwellige Verwandlung in den Gartengott Priapus, wie ich unten zeigen werde, im Gegensatz zu den ausdrücklichen Verwandlungen in Bacchus (31) und Apollon (32) in den Versen 41 ff. nur hintergründig durchschimmert und der Blickfang den hortorum dona gebührt, mag zwar einen unerwarteten Höhe- und Schlusspunkt der dritten Etymologie setzen, bietet aber einen umso größeren Überraschungseffekt des Gedichts. Properz’ bzw. Vertumnus’ maxima fama des Gartenkultes ist in Sprache, Form und Inhalt ein kleines Schmuckstück kallimacheischer Kunstfertigkeit für sich und verlöre, an eine andere Stelle versetzt, viel von seiner brillanten literarischen und kultspezifischen Eigenstrahlung. Wie der poeta eigenhändig keine Helden in den Kampf schickt, sondern Gurken, Kürbisse und Kohlköpfe auf das Schlachtfeld der Kunst führt, sucht wahrlich seinesgleichen – cucumis, cucurbita oder brassica sind in Properzens Œuvre nicht nur einmalig, sondern überhaupt in der nicht fachwissenschaftlichen Poesie/Prosa nur sporadisch belegt334. Die kakophonische Doppel- bzw. Vierfachalliteration cucumis/cucurbita dürfte in der Dichtung wohl ohne Beispiel sein. Erwähnenswert sind daneben die intertextuellen Zwischenklänge, die die Spannung zwischen dem episch überladenen Pathos der maxima fama und dem vergleichsweise trivialen Gemüsegegenstand der specialia dona zusätzlich steigern: Außer der „meerblaugrünen“ Gurke und dem Kürbis, dessen bauchige Frucht wie 331 Vgl. Thomas, Georgics III–IV z. St. (167). 332 Rothstein zu 4,2,41 f. Ebenso Butler/Barber zu 4,2,18 gegen eine Versumstellung (334): „In 41–6 he [Vertumnus] deals with flower and kitchen garden, a topic naturally suggested by his transformation to a rose-seller [40].“ 333 Vgl. Loehr, Mehrfacherklärungen 204 f. 334 Vgl. Tränkle, Sprachkunst 112 z. St.
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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Vergils Meerbusen bei Actium drohend „anschwillt“ (Aen. 8,671 f.), erregt die an Catull angelehnte erotische Metapher einer „Blume“ (vgl. Carm. 11,21 ff.), die, kaum auf der Wiese frisch erblüht, auf Vertumnus’ Stirn schon „erschlafft“, die Aufmerksamkeit des Lesers (Prop. 2,34,59): me iuvet hesternis positum languere corollis (…). Das „ruhmreichste“ dulce decus der Verse besteht allerdings in der augenscheinlichen Anspielung auf jene horti Maecenatis bzw. Maecenas’ aufgeblähtschwülstigen Rede- und Dichtungsstil, den Properz, auch in Erinnerung an Augustus’ „berulle Porsenae“, hier liebevoll-geistreich karikiert. Als Maecenas’ süßeste Zierde dienten sprichwörtlich die hochgelobten molles horti (Eleg. Maec. 1,35) und der prächtige Palastbau mit der von Properz bewohnten Künstlerresidenz auf dem Esquilin (3,23,24)335. Ursprünglich als Richtplatz und Begräbnisstätte genutzt, wurde die Bergspitze Roms von Maecenas in eine blühende Parklandschaft transformiert, deren neues Erscheinungsbild Maecenas’ „größten“ – zumindest größten sichtbaren – Ruhm bezeugt hatte336. Wenn auch als novus poeta von nicht ganz so hochkarätigem Format, dürfte die biotopische Verwandlung des Esquilin dem architektonischen Kunstverständnis des mollis fautor uneingeschränkt entsprochen haben. Denn Maecenas’ wasserreiche Gärten schufen einen Lebensraum von so hoher Qualität und gaben dem „durch bleiche Gebeine entstellten Hügel“ (Sat. 1,8,16) ein so formschönes Antlitz, dass es seither möglich war, „auf dem Esquilin gesund zu wohnen und sich beim Spaziergang in der Höhensonne zu baden“ (Sat. 1,8,14 f.). Horaz’ Würdigung der stadtbekannten novi horti ist mit Properz’ maxima fama der Gartenkultur untrennbar verbunden, denn Maecenas’ größter Gartenschatz wurde schließlich von der „größten Vogelscheuche“, dem Schirmherrn der Gärten Priapus, ehrfurchtgebietend bewacht (Sat. 1,8,1–7): Olim truncus eram ficulnus, inutile lignum, cum faber, incertus scamnum faceretne Priapum, maluit esse deum. deus inde ego, furum aviumque maxima formido: nam fures dextra coercet 5 obscenoque ruber porrectus ab inguine palus, ast importunas volucres in vertice harundo terret fixa vetatque novis considere in hortis. (…)
Zum Schluss dieses Kapitels soll am Beispiel der Carmina Priapea (51) vertieft werden, dass die Elegie 4,2 (41–46) eine leibhaftig in den horti Maecenatis zu bewundernde Hommage an den cucurbitarum custos (Priap. 63,12), den Fruchtbarkeitsgott Priapus, darstellt, dessen erotische Potenz und Gelehrsamkeit (ruber palus) ebenso dem properzischen Holzklotz des deus Vertumnus eingemeißelt sind
335 Vgl. Kappelmacher, Maecenas zur „Schönheit und Weite der horti Maecenatis“ (Sp. 216) und Cairns, Augustan Elegist 257 ff. zum Esquilin („poets’s quarter“). Vgl. dazu auch Kapitel 7 zu Prop. 4,8,1 ff. 336 Newman, Defining a Poetic Self 342 vermutet, dass Properz mit dem locus amoenus in 3,3 auf Maecenas’ molles horti anspiele (vgl. Kapitel 5.5 zu 3,3,25 ff.): „He [Propertius] may have been flatteringly describing some grotto in the Horti Maecenatis“.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
(4,2,59)337: stipes acernus eram, Proper[an]ti falce dolatus (…). Horazens hyperbolische Posse des verpus Priapus (Carm. 47,4) ist in einen vielschichtigen Kultund Literaturzusammenhang eingebettet, der jenen fremdländischen „custos furum atque avium“ (Georg. 4,110) vom Hellespont/Lampsakos sowohl mit den hortorum dona als auch mit Priaps „hervorragender“ ithyphallischer Natur assoziiert (~ Tib. 1,1,17 f.)338: pomosisque ruber custos ponatur in hortis, / terreat ut saeva falce Priapus aves. Obwohl unverkennbar ist, dass die kaiserzeitliche Priapdichtung insbesondere Properz’ Gedicht 4,2 zum Vorbild hatte339, geht der satirische Höhepunkt des Priaphymnos doch in dem Phalluskult des „strafenden“ Gartengottes pragmatisch auf (Priap. 51): Quid hoc negoti est quave suspicer causa venire in hortum plurimos meum fures, cum, quisquis in nos incidit, luat poenas et usque curvos excavetur ad lumbos? 5 non ficus hic est praeferenda vicinae uvaeve, quales flava legit Arete, non mala truncis adserenda Picenis pirumve, tanto quod periculo captes, magisque cera luteum nova prunum 10 sorbumve ventres lubricos moraturum. praesigne rami nec mei ferunt morum nucemve longam, quae vocatur † alva †, amygdalumve flore purpurae fulgens. non brassicarum ferre glorior caules 15 betasve, quantas hortus educat nullus, crescensve semper in suum caput porrum. nec seminosas ad cucurbitas quemquam ad ocimumve cucumeresque humi fusos venire credo, sessilesve lactucas 20 acresque cepas alliumque furatum, nec ut salaces nocte tollat erucas mentamque olentem cum salubribus rutis. quae cuncta quamvis nostro habemus in saepto, non pauciora proximi ferunt horti. 25 quibus relictis in mihi laboratum locum venitis, improbissimi fures: nimirum apertam convolatis ad poenam, 28 hoc vos et ipsum, quod minamur, invitat.
337 Vgl. Gowers, Satires I zu 1,8 (265): „Above all, this first-person narrative [Olim truncus eram …] projects a grotesque image of H[oratius]. He, too, is in transition.“ 338 Vgl. Gowers, Satires I (zu 1,8) zum „sexual humour“ der Priapea (263) und zum etymologischen Wortspiel palus/φαλλός (1,8,5). 339 Vgl. Buchheit, Corpus Priapeorum 96 ff. (zu Priap. 51), der neben Prop. 4,2 die wesentlichen Einflüsse bei Vergil (dem Catalepton), Martial und Homer ausmacht (vgl. Priap. 68). Vgl. Goldberg, Priapea zu den umstrittenen Fragen der Autorschaft (28 ff.) und Datierung der Carmina Priapea (35 f.). Im Gegensatz zu Buchheit, der die „These von einem Autor“ (13) vertritt, nimmt Goldberg eine Anthologie an, die „auf die geschickte Hand eines Sammlers“ (42) zurückgehe und teilweise von Martial verwendet worden sei.
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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Die Berührungspunkte der causa Vertumni (4,2) mit dem 51. Priapgedicht muten auf den ersten Blick frappierend an. Aitiologisch vergleichbar erstaunt gibt sich der Sprecher Priapus darüber, „warum“ nur so viele Diebe gerade in seinen Garten einbrächen, wo sich doch all jene specialia dona nicht weniger begehrenswert nebenan vorfänden. Priaps eigentümliche Strafandrohung der Penetration (excavare ad lumbos) wird am Ende pointenreich in ihr Gegenteil verkehrt und das abnorme Verhalten der Gartenräuber dadurch erklärt, dass Priaps ruber palus seine abschreckende Wirkung verloren habe und selbst „ursächlich“ (hoc ipsum) zum verlockenden Objekt der Begierde geworden sei340. Priaps wesenstypischer Phallos färbt seinen Kult als Beschützer der Gärten daher mehr oder weniger derb erotisch ein: Wegen ihrer „Wirkung als Aphrodisiakum“ wurde/wird die „Minze“ (22) volksetymologisch mit der sexuellen Manneskraft (mentula) verbunden, während die „scharfe Zwiebel“ (20) ohnehin eine augenfällig „stimulierende Wirkung“ entfaltet341. Der nachts „geilmachende Wirsing“ (21), die „langgeschwollene Nuss“ (12), der „samenreiche Kürbiss“ (17) und „niedrighängende Lattich“ (19) spiegeln überhaupt den Geschlechtsakt bzw. die erigierte aperta poena wider342: „Die Betonung des Phallos zeigt, daß von P[riapus] Fruchtbarkeit erwartet wurde, animalische wie vegetabilische.“ Bemerkenswerterweise lässt Properz diese ithyphallische maxima fama der Gartengottheit in seinem Lobpreis 4,2 (41–46) unberührt oder nur subtil anklingen. Gleiches gilt für den mit Priapus’ Fruchtbarkeitskult assoziierten Gedichtabschnitt 4,2,11 ff. (Kapitel 4.2), der auf die obigen Verse 6 ff. sprachlich/motivisch einwirkt und die maiorum exempla (Priap. 53,5), so Vergils „Liber et alma Ceres“ (Georg. 1,7), deutlich vor Augen hält: Das 51. Priapgedicht klingt wie ein intertextueller locus amoenus an, in dem sich die literarisch bekannten Kultattribute und Referenzen des Gartengottes verzweigen. Die textkritische Frage einer Versetzung der Verse 4,2,41 ff. (etwa nach V.18) hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich Priapus’ umfassender Kult mit demjenigen anderer Gottheiten überschneidet343: „Priapus and Vertumnus have certain things in common. Both are minor deities with an important horticultural role.“ Wie Vertumnus wurde Priapus regelrecht als „Allgott“ verehrt, und möglicherweise ist die Elegie 4,2 im Besonderen jenem omnipotenten Erzeuger allen Lebens und universalen Fruchtspender gewidmet: „The speaking statue [of Vertumnus] recalls the Priapeia“344: Für gewöhnlich wurden die signa des Priapus aus einfachem, altem Holz (stipes acernus eram …) und mit grobem Handwerkszeug gefertigt (… properanti falce dolatus). Die Gesichtspartie der Statuen wies bisweilen bäuerische Züge auf (corbis in imposito pondere messor eram), so einen struppigen Bart- und Haarwuchs (et torto frontem mihi comprime faeno), konnte jedoch auch, mit einem turbanartigen Kopftuch umwunden (cinge caput mitra …) oder dem Efeukranz des Dionysos umschmückt (at cum est imposta corona), gepflegte orientalische Formen annehmen (… spe340 Vgl. Buchheit, Corpus Priapeorum 97 (zu Priap. 51): Das „eigentliche Ziel [der Diebe] ist die mentula Priapi“. 341 Vgl. Goldberg, Priapea zu 2,8 (mentula Priapi) und 51,20 (acres cepas). 342 Herter, Priapos Sp. 1939. 343 Warden, Fallax opus 103. 344 Warden, Fallax opus 103. Vgl. Herter, Priapos zu Priaps Bildern (Sp. 1922 ff.) und Aufgaben (Sp. 1926 ff.).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
ciem furabor Iacchi). Priaps Bekleidung bestand, sofern er bzw. sein Phallus verhüllt wurden, aus einem dünnen herabfallenden Chiton (indue me Cois …), der die weiblich-weichliche Seite des kleinasiatischen Gottes betonte (… fiam non dura puella). Mit der typischen Sichel ausgestattet (da falcem), schreckte der Schirmherr der Gärten Diebe und Vögel ab (fautor plumoso sum deus aucupio). Zudem oblag Priapus die Aufsicht über den Wein- und Ackerbau (iurabis nostra gramina secta manu), Pans Wälder (cassibus impositis venor) sowie die Schiffahrt und Fischerei (sub petaso pisces calamo praedabor). Als Wegweiser für vorbeiziehende Wanderer (te [viator], qui ad vadimonia curris) lassen sich seine Abbildungen sogar auf Grabmonumenten finden (sex superant versus).
Trotz oder eher wegen der komplexen Kultbezüge, durch die sich Vertumnus’ mendax fama (13 ff.) ebenso zutreffend als Priapus’ maxima fama (41 ff.) herausstellt, sollte man an dem überlieferten Text der Elegie 4,2 festhalten. Die Kultassoziation bzw. Kultangleichung von Gottheiten mit verwandten Gegenstands- und Wirkungsbereichen macht eine klare Unterscheidung nicht immer leicht. Hier schafft Properz strukturell ein wenig Abhilfe, indem er die einschlägigen Kultreferenzen auf Bacchus (uva), Ceres (seges), Pan (aucupium) und Priapus (hortus) gedanklich voneinander abgrenzt. Dennoch bleibt erklärungsbedürftig, warum Properz den kultprägenden ruber palus seines Gartengottes ausdrücklich nicht offenlegt. (Der Satiriker) Horaz hatte weniger Berührungsängste, die aufreizende mentula Priapi im Garten seines Dichterpatrons hoch aufzurichten (maxima formido). Man könnte natürlich einwenden, dass die mittelbare Maecenas- und Augustus-Panegyrik der Elegie 4,2 empfindlich gestört würde, würde Properz den Fruchtbarkeitsgott in seiner ganzen erotischen Anzüglichkeit präsentieren (vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass Priapus’ Name expressis verbis nicht fällt). Auf der anderen Seite geht die römische Liebeselegie mit dem obszönen Ausdrucksreichtum der Satire deutlich sparsamer bzw. subtiler um345. Tibulls Priapus nudus in 1,4 umspielt eher eine elaborierte „jungfräuliche Schamröte“ (14), wobei die (homo-) erotica praecepta des gelehrten Gartengottes den (heterosexuellen) Liebesdichter in der elegischen/didaktischen Charakterrolle des magister amorum antizipieren346. Überraschenderweise erwähnt der tenerorum lusor amorum Ovid den liebeserprobten Priapus in der Ars Amatoria explizit gar nicht und in den Amores (2,4,32) beiläufig347. Erst in den Fasten wird Ovid das frivole Repertoire des rigidus custos (1,391) auskosten und von Priaps „ungeziemenden“ Annäherungen an die Nymphe Lotis und die Göttin Vesta wie gewohnt verschmitzt berichten (Fast. 6,319 f.): praeteream referamne tuum, rubicunde Priape, / dedecus? Im Gegensatz zu den anderen augusteischen Dichtern sticht bei Properz heraus, dass dieser das allerorts emporsprießende hortorum decus (Fast. 1,415), den ruber Priapus, seiner Dichtung namentlich an keiner einzigen Stelle einprägt und das, obwohl Properz’ Priaphommage des Tuscus Vertumnus in 4,2 mit dem ithyphallischen Kultaition des etruskischen Hermes eng verbunden ist (~ Jamb. 9, Fr. 199 345 Vgl. Richlin, Garden of Priapus 47: „Elegy used only part of the erotic [satirical] ideal available to the literary Roman“. 346 Vgl. Putnam, Tibullus zu 1,4 (88). 347 Allerdings reizt Ovid in Am. 3,7, einer durchsichtigen (Selbst-) Parodie auf den Phalluskult des Priapus (pars pessima nostri) bzw. auf Horaz’ inutile pondus (Sat. 1,8), die sexuellen Avancen der Elegie bis zum Anschlag aus.
6. Eine „vierte“ Ableitung des Vertumnus: Versus
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Pf.)348: Ἑϱμᾶ, τί τοι τὸ νεῦϱον, ὦ Γενειόλα, / ποττὰν ὑπήναν κοὐ ποτ᾿ ἴχνι[ον …; Kallimachos’ derbe Anekdote auf Hermes’ barthohe „Spannkraft“ ergießt sich bei Properz allenfalls geistreich gesättigt in die ansonsten stark erotische Epen- bzw. Homerparodie des „geilen Gartengottes“ (~ Priap. 68,17 f.)349: „Und so beginnt die hehre Ilias gleich mit dem Zorne des Peliden,/am Anfang jenes Heldenliedes war sein Phallus unzufrieden.“ Ob und in welchem Ausmaß man Properz’ Dichtung in jene provokante Gattungsspielart der „iambischen Elegie“ einordnen kann, die von Kallimachos vorbereitet, von Catull und Horaz weitergepflegt und in Martials Epigrammen und den Carmina Priapea zur Blüte gebracht worden ist350, muss die individuelle Gedichtanalyse nachweisen. Im groben Überblick sind die jambischen bzw. satirischen Impulse properzischer Elegiendichtung, so beispielsweise in 4,5 und 4,8 (Kapitel 7), unstrittig; Catulls bissige Freizügigkeit des „Pedicabo ego vos“ (Carm. 16) teilt Properz aber gewiss nicht351. Die republikanische Offenheit und Offensive, mit der selbst die historischen Größen ihrer Zeit, etwa der „cinaedus Romulus“ (Carm. 29,5) Julius Caesar, Catulls dichterischem Verdikt zum Opfer fielen, sind unter dem moralisch rigiden und reglementierten Prinzipat des Augustus in der Tat schwer vorstellbar oder blieben wie im Sonderfall von Ovids Verbannung nicht unbeantwortet. Denn mit dem Wandel der politischen Verhältnisse ging ein Wandel des literarischen Kunstgeschmacks einher, für dessen sinnstiftenden Heilscharakter sich der neue Herrscher persönlich verbürgte. Andererseits zeichnet Properzens und die „augusteische“ Dichtung insgesamt aber auch ein natürliches Empfinden für das gehobene kallimacheische dulce decus aus, das sich an Catulls großen Carmina und seiner alexandrinischen Gelehrsamkeit orientiert. Auf diese Weise wird das anstößige dedecus der Priapdichtung in der Elegie 4,2 durch den Glanz der molles horti/ Maecenatis übertüncht und in das patriotisch kultivierte molle opus des vierten Buches eingerahmt: Die maxima Roma bezeugt und begründet so Properzens hohes Kunstverständnis und seine besondere poetische maxima fama.
348 Vgl. Kapitel 4.3 (dazu die Diegesis) zu Kallimachos’ Jamben 9 (Fr. 199 Pf.) und 7 (Fr. 197 Pf.), den beiden zentralen Vorbildern für Properz’ Elegie 4,2 und Horaz’ Priapsatire 1,8. 349 Vgl. Kytzler, Priapea 11 (übersetzt z. St.): nobilis hinc nata nempe incipit Ilias ira, / principiumque sacri carminis illa [mentula] fuit. 350 Vgl. Puelma, Kallimachos (II) 292 ff., der die „iambische Elegie“ einer „echt alexandrinischen Gattungskreuzung von sentimentaler Elegie und mimischem Iambus“ (294) zuordnet, die von den augusteischen Elegikern aufgegriffen und weiterentwickelt worden sei. 351 Vgl. Richlin, Garden of Priapus 144 ff. zu Catulls Epigrammen – „some of the coarsest in Latin verse“ (144). Aus der Vielzahl der teils rüden Spott- und Schmähgedichte findet die Invektive gegen den römischen Emporkömmling Mamurra (Caesars Günstling) den deutlichsten Anklang an die Priapdichtung. Ihm widmete Catull unter dem Spitznamen Mentula einen ganzen Zyklus an Tiraden (so Carm. 94/105/114/115,8): non homo [Mamurra], sed vero mentula magna minax. Vgl. dazu Priap. 30,1: Falce minax et parte tui maiore, Priape (…).
7. „IN QUAMCUMQUE FIGURAM VOLES, VERTE, DECORUS ERO“: DER VERTUMNUS AMATOR PROPERZ (MET. 14,622 FF.) UND DIE „ARS POETICA“ DES VIERTEN BUCHES (4,8) Im vorigen Kapitel ist am Beispiel der Maecenas-Elegie 3,9 und der Priaphommage in 4,2 (41–46) veranschaulicht worden, dass Properz’ Dichtung trotz einiger anstößiger Implikationen dennoch ein sehr ausgewähltes Stilgefühl für den verfeinerten augusteischen Kunstgeschmack bekundet, welches manches erotische Raffinement zulässt und sucht, andere sexuelle Spitzen dagegen nur vage andeutet oder ganz unterdrückt. Darin unterscheidet sich der selbsternannte Romanus Callimachus Properz von jenem lascivus Catullus (Prop. 2,34,87), dessen Dichtung zum Teil derbe epigrammatische Auswüchse aufweist. So hatte etwa Martial Properz’ Jugenddichtung der Monobiblos eine besondere „Eloquenz“ bescheinigt (Epigr. 189): Cynthia – facundi carmen iuvenale Properti – / accepit famam, non minus ipsa dedit. In diesem Kapitel soll, die intertextuelle Analyse der Elegie 4,2 abschließend, die „Ars Poetica“ des vierten Buches im Spiegel von Horaz’ gleichnamigem Lehrwerk (Epistula ad Pisones) rekapituliert und an der „Liebeskomödie“ 4,8, in der Properz seiner Geliebten gleichsam die poetische Theaterbühne für ihren letzten großen Auftritt bereitet, verdeutlicht werden: Die fabula Cynthiae bringt wie kein zweites Gedicht die kallimacheischen Kunstmaximen des molle opus mit dem augusteischen Romepos des vierten Buches zu einem versöhnlichen und denkwürdigen Abschluss. Denn die Elegie 4,8, in der die „tote“ docta puella (4,7) paukenschlagartig zum Leben erwacht, bietet ein grandioses erotisches Furienschauspiel und exemplifiziert die überraschenden (gattungsspezifischen) Wendungen und Wandlungen, die mit Properz’ abschließender Dichtung kunstvoll einhergehen (4,2,22): in quamcumque [figuram] voles, verte, decorus ero. Der Vergleich mit den Metamorphosen (14,622 ff.), in denen Ovid die mythologische Liebesgeschichte zwischen Vertumnus und Pomona unterschwellig zu einer Würdigung properzischer Cynthia-Dichtung ausgestaltet, soll zeigen, dass sich hinter der Maske bzw. Charakterrolle des Vertumnus amator niemand anders als der poeta amator Properz verbirgt. Es ist zunächst erwähnenswert, dass der vielschichtige Zusammenhang der Elegie 4,2, die ihre Proteusnatur auf verschiedenen thematischen, gattungs- und personenbezogenen Sinnebenen darlegt, offenbar auch von Properz’ Zeitgenossen so verstanden und gedeutet worden ist. Mit den Metamorphosen widmet Ovid dem Verwandlungsthema (mutatae formae) eine ganze Ependichtung und malt Properz’ „Gartengott“ Vertumnus (Priapus) erotisch aus, indem er diesen zum amator der Obstgöttin Pomona stilisiert, deren einzige Liebe wiederum den hortorum dona galt (Met. 14,622–627): 622
Iamque Palatinae summam Proca gentis habebat. rege sub hoc Pomona fuit, qua nulla Latinas inter Hamadryadas coluit sollertius hortos,
7. „In quamcumque figuram voles, verte, decorus ero“
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625 nec fuit arborei studiosior altera fetus; unde tenet nomen. non silvas illa nec amnes, rus amat et ramos felicia poma ferentes. (…)
Im Gegensatz zu Vertumnus’ mehrdeutiger patria lingua ist das Kultaition der Latina Hamadryas Pomona offenkundig (poma). Deshalb verwundert es nicht, wenn Ovids Verwandlungsgott zuletzt in der Gestalt einer alten Frau in V.687 f. seine Vorliebe für die felicia poma und insofern für Properz’ zweite Kultdeutung Vertannus anführt, um die Obstgöttin etymologisch bzw. „intertextuell“ zu überzeugen1: Pomonas agrikulturelles Charakterwesen geht aus ihrer „Liebe“ zu Vergils Georgica hervor (rus)2, denen sich Properzens Vertumnus ebenso kunstverständig und detailverliebt verbunden fühlte (Kapitel 4.2). Zum anderen dokumentiert Pomonas Abneigung gegen die „Flüsse“ und „Wälder“ dennoch ihre Leidenschaft für Vergils Eklogen (10,8): re spondent omnia silvae – so zum Beispiel, wenn sich Ovids kunstfertige Göttin „inmitten von Properz’ Nymphen“ und denen Vergils wiederfindet3: „The ultimate source for the use of these nymphs as poetic symbols may be Callimachus […].“ Man darf der Interpretation der Metamorphosen (14,622 ff.) zugrunde legen, dass Ovids erfundene Liebesgeschichte zwischen Vertumnus und Pomona vor allem ein Bestandteil und Reflexionspunkt der „kallimacheischen“ Gefühlswelt der Bucolica und Amores-Dichtung ist (Kapitel 5.5). Es stimmt, dass sich Ovids Göttin wie eine elegische dura puella geriert (vgl. 634 ff.), die nicht nur die sexuellen Avancen sämtlicher Satyrn und Pane, des Silenus iuvenalior oder jenes „Diebe mit Sichel oder Glied abschreckenden Gottes“ Priapus (640) ausschlägt. Auch ihrem größten Verehrer Vertumnus schien trotz seiner reizvollen Verwandlungskunst anfangs keine sehr fruchtbare Liebe mit Pomona beschieden (Met. 14,641–653): 641 (…) sed enim superabat amando hos quoque Vertumnus neque erat felicior illis. o quotiens habitu duri messoris aristas corbe tulit verique fuit messoris imago! 645 tempora saepe gerens faeno religata recenti desectum poterat gramen versasse videri; saepe manu stimulos rigida portabat, ut illum iurares fessos modo disiunxisse iuvencos; falce data frondator erat vitisque putator; 650 induerat scalas, lecturum poma putares. miles erat gladio, piscator harundine sumpta. denique per multas aditum sibi saepe figuras 653 repperit, ut caperet spectatae gaudia formae. (…)
Man kann sich prima facie kaum des Eindrucks erwehren, dass Ovids multae figurae des Vertumnus bis auf ein paar Variationen Properz’ Verwandlungskatalog in Vgl. Myers, Metamorphoses XIV zu 634 (hic amor, hoc studium) mit Verweis auf Vergil, Georg. 2,514 ff. (hic anni labor …). Vgl. Kapitel 4.2 zu Prop. 4,2,11 ff. 2 Vgl. Myers, Metamorphoses XIV zu 623 ff. (165). 3 Myers, Metamorphoses XIV zu 623 f. (165 f.). Vgl. Kapitel 5.5 zu Ecl. 10,62 und Prop. 2,34,76 (…laudatur faciles inter Hamadryadas). 1
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
4,2,23 ff. fast wortgetreu nachahmen. Was bei Properz allerdings fehlt bzw. einer anderen Intention unterliegt, ist der erotische Impuls, der Vertumnus’ tot formae bei Ovid anregt4: „The purpose for his [Vertumnus’] putting on his Propertian disguises is to see the object of his passion [Pomona], to enjoy her beauty (…)“. In Ovids Fassung ist Vertumnus’ Verwandlungsfähigkeit also ein funktionaler didaktischer Aspekt der Liebeskunst des Gottes, während Vertumnus’ Vielgestaltigkeit bei Properz den wandelbaren aitiologischen Gedichtstoff an sich definiert (Prop. 4,2, 47–48): (…) at mihi, quod formas unus vertebar in omnes, nomen ab eventu patria lingua dedit. (…)
Myers’ Verweis auf Ars Am. 1,759 ff., wo der Dichter die Vielfalt der Liebe an dem Verwandlungskünstler Proteus beschreibt5, scheint die Vermutung zu bekräftigen, dass Ovids miles amator Vertumnus der militia amoris des Elegikers nachempfunden ist (Prop. 4,2,27): arma tuli quondam et, memini, laudabar in illis. Die innovative Pointe der Metamorphosen besteht darin, dass Ovid das naturale decus des Verwandlungsgottes (Prop. 4,2,21 f.) faktisch begründend in die Liebeswerbung seines Vertumnus einfließen lässt. Die erotodidaktische Argumentation des Vertumnus iu venis wird zugleich nachdrücklich beglaubigt und selbstironisch durchkreuzt, indem der Gott seine vielgestaltige Naturschönheit Pomona schließlich in der Gestalt einer anus darbietet, die sich für Vertumnus’ Liebe verbürgt (Met. 14,675–686): ‚(…) 675 sed tu si sapies, si te bene iungere anumque hanc audire voles, quae te plus omnibus illis, plus quam credis, amo, vulgares reice taedas Vertumnumque tori socium tibi selige, pro quo me quoque pignus habes (neque enim sibi notior ille est 680 quam mihi). nec passim toto vagus errat in orbe: haec loca sola colit; nec, uti pars magna procorum, quam modo vidit, amat: tu primus et ultimus illi ardor eris, solique suos tibi devovet annos. adde quod est iuvenis, quod naturale decoris 685 munus habet formasque apte fingetur in omnes et, quod erit iussus, iubeas licet omnia, fiet. (…)‘
Die übereinander geschichtete Perspektive dieser letzten raffinierten Verwandlung strahlt gedanklich und poetisch am weitesten aus: Einerseits impliziert die „fingierte“ Referenzidentität zwischen dem Gott Vertumnus (sibi) und seiner greisen Fürsprecherin (mihi), dass deren Schmeicheleien auf die Täuschungskunst des göttlichen blandus amator (Prop. 2,3a,16) selbst zurückfallen. Andererseits ist das Po4 Johnson, Vertumnus in Love 369. Vgl. auch Myers, Metamorphoses XIV zu 643 ff. 5 Vgl. Myers, Metamorphoses XIV zu 643 ff., die Tarrants vermutete Interpolation und Tilgung des Verses 651 in der Oxford-Ausgabe wegen des Echos harundine sumpta in Prop. 4,2,33 anzweifelt (171): „the miles amator is, after all, a stock amatory figure“.
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mona gegebene Versprechen „Tu primus et ultimus illi ardor eris“ offensichtlich eine Replik auf die Liebesschwüre des poeta amator6: „a common amatory claim, but see especially Prop. 1,12,19–20: mi neque amare aliam neque ab hac desistere fas est: / Cynthia prima fuit, Cynthia finis erit.“ Dass Ovids mythologische Erfindung des Vertumnus amator allem Anschein nach auf den selbsternannten ardoris poeta (1,7,24) Properz anspielt, bedarf wegen der auffälligen sprachlichen/motivischen Berührungspunkte in den Versen 643 ff. einer Erklärung. Es genügt nicht, darin bloß spielerisch Ovids „familiarity with Propertius’ poetry“ (Myers) zu sehen, denn dafür schlägt die Verwandlungsthematik des vierten Properz-Buches (4,2) im Rückblick auf das „carmen iuvenale“ (Mart. 189,1) der Monobiblos hier zu programmatisch durch. Besonders herausfordernd gestaltet sich Ovids ästhetische Motivumkehrung, insofern als sich in den Metamorphosen Vertumnus zuletzt in eine anus verwandelt, wohingegen Properz’ Gott, wie zu 4,2,23 erörtert (Kapitel 5.1), zuerst die Gestalt der puella Cynthia annimmt (Prop. 3,24,1–6): Falsa est ista tuae, mulier, fiducia formae, olim oculis nimium facta superba meis. noster amor tales tribuit tibi, Cynthia, laudes: versibus insignem te pudet esse meis. 5 mixtam te varia laudavi saepe figura, ut, quod non esses, esse putaret amor. (…)
In der Forschung besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Elegie 3,24 (und 25) mit der Absage an die Geliebte zugleich den Abschied von der Liebesdichtung der ersten drei Bücher einläutet7. Inwiefern die vermeintliche renuntiatio amoris Properz’ erotische (Pseudo-) Biographie berührt8, kann trotz der Aussage, er habe Cynthia quinque anni (3,25,3) treu gedient9, nicht mit Bestimmtheit gesagt werden – sofern man ein „autobiographisches“ Resümee der Liebesbeziehung in dem Gedicht vermutet10: Sein [Properz’] Schwärmen galt einer Wirklichkeit, die nur Schein war. Die Schönheit, an der er sich berauscht hatte, bestand nur in seiner Vorstellung. Die Gestalt der Geliebten war eine Schöpfung seiner Phantasie und seiner Wünsche. Sein Lieben und seine Liebesdichtung haben sich als Wahn erwiesen. Wieder stellt sich die Frage: wie ist dies alles möglich gewesen, und was hat diese umstürzende Wandlung herbeigeführt?
Burck deutete die Absage an Cynthia teils durch die „Vergänglichkeit menschlicher Schönheit“, teils durch die „Bedingtheit eines Liebes- und Lebensideals“ (211), dessen persönliche bzw. poetische Desillusionierung auf Properz selbst zurückstrahle (199): „die Liebe und das Bild, das sich der Liebhaber von der Geliebten macht, beruhen auf Selbsttäuschung.“ Auch Heyworth/Morwood führten den Ab6 Myers, Metamorphoses XIV zu 682 f. (177). 7 Vgl. Heyworth/Morwood, Propertius III; Rothstein zu 3,24. 8 Vgl. Cairns, Augustan Elegist 356 (zu Prop. 3,24/25). 9 Vgl. Syndikus, Properz 294 f. zu 3,25. 10 Burck, Abschied 194 zum Gedicht.
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
schied von der falsa mulier bzw. Cynthia-Dichtung auf Properz’ „self-deception“ zurück und plädierten deshalb poetologisch präzisierend für Schraders Konjektur elegis (332)11: „she [Cynthia] is superba because that is how he [Propertius] has described her. Not only her beauty but even her existence depends upon his writing“. Ich stimme darin überein, dass Properz’ Bild der Geliebten sowohl ihre natürliche „Schönheit“ (forma) und künstlerische „Gestalt“ (figura) umfasst, was per spektivisch in den „Augen“ (oculi) des Dichters liegt bzw. von seinen „Versen“ (elegi) abhängig ist. Da sich Properz’ Dichtung im Allgemeinen und Besonderen von visuellen Eindrücken (vorbildlicher Kunstwerke) stark beeinflusst zeigt12, verdeckt die Konjektur elegis ein wenig den äußeren ästhetischen Reiz, der sich mit Cynthias (einst) formschöner Erscheinung verbindet (~ 3,10,15 f.): dein, qua primum oculos cepisti veste Properti, / indue (…). Daher trifft die von Butler/Barber und Goold bevorzugte Verbesserung (oculis) tuis (3,24,2) in Reminiszenz an Cynthias stolze „Äuglein“ (1,1,1) nur scheinbar den fingierten Charakter der Liebeselegie (4,1b,135): at tu [Properti] finge elegos, fallax opus (…). Tatsächlich kann man zurück- und vorausschauend auf die Gedichte 4,7 und 4,8 in 3,24/25 nur bedingt von einer renuntiatio amoris sprechen, denn Cynthias varia figura bleibt, auch für die verschiedenen neuen Frauenbilder des vierten Buches, stilbestimmend: Bald in der Gestalt der dura puella hervortretend (Kapitel 5.1), bald im Schein einer docta puella herausragend (Kapitel 5.2), enthüllt die Geliebte zuallererst den fiktiven, „wandelbaren“ Kunstcharakter properzischer Dichtung (4,2,21–22): (…) opportuna mea est cunctis natura figuris: in quamcumque voles, verte, decorus ero. (…)
Die Elegien 3,24 (25) und 4,2 proklamieren zugleich das Ende und den Anfang einer Cynthia-Dichtung, deren Erscheinung und Charakter sich, wie von Ovid kommentiert (Met. 14,684 ff.), durch die Fiktion des „natürlich-schönen“ Vertumnus gleichsam von innen verwandeln und neu ausformen. Die persona-Diskussion wird unten noch genauer begründen, dass und inwiefern Ovids Vertumnus amator eine profunde Referenzidentität zum poeta amator Properz beglaubigt (Vertumnus – vertere – versus – Propertius)13. Auch wenn sich Ovid in Ars Am. 3,772 auf die vielfältigen Liebesstellungen beim Geschlechtsakt bezieht, kann man das Programm des vierten Properz-Buches gut mit Ovids Fazit übertiteln: „non omnes una figura decet“. Jedenfalls bekundet Ovid in seiner amourösen Mythenhommage ein feines Gespür für die Wendungen und Wandlungen properzischer Liebesdichtung (Prop. 2,8,7): omnia vertuntur: certe vertuntur amores. Diese Aussage verband Properz im zweiten Buch noch mit einem Menetekel des möglichen Untergangs der alta Troia Rom (2,8,10). 11 Auch Syndikus, Properz 293 (Anm. 347) hält die Konjektur elegis „mit guten Gründen“ für gerechtfertigt, während die anderen Editionen an dem überlieferten oculis (3,24,2) festhalten. 12 Vgl. beispielhaft Kapitel 5.2 zu Prop. 1,3 (~ Catull, Carm. 64,50 ff.): Haec vestis priscis hominum variata figuris / heroum mira virtutes indicat arte. 13 Vgl. auch Kapitel 6.3 zu Prop. 4,2,57 ff. (sex superant versus …).
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Zwar hat sich die dunkle Vorahnung im vierten Buch zur verheißungsvollen Prophezeiung der maxima Roma aufgeklärt, Ovids kunstästhetisches Mahnbild der „rugosa anus“ Cynthia bleibt einstweilen aber bestehen (Prop. 3,25,11–18): (…) 11 at te celatis aetas gravis urgeat annis, et veniat formae ruga sinistra tuae! vellere tum cupias albos a stirpe capillos, a! speculo rugas increpitante tibi, 15 exclusa inque vicem fastus patiare superbos, et quae fecisti facta queraris anus! has tibi fatales cecinit mea pagina diras: 18 eventum formae disce timere tuae!
Die beiden versöhnlich-anmutigen Cynthia-Elegien 4,7 und 4,8 vor dem geistigen Auge, stellt Properzens „satirisch“ ebenso apodiktische wie befremdliche Verunglimpfung der Geliebten die Interpreten vor einige Schwierigkeiten14: Wie lässt sich Cynthias diffamatio im Stile der Invektiven Catulls mit der erotischen Überhöhung der pia puella in Einklang bringen? Daneben werfen die Verse besondere textkritische Probleme auf. So tilgt Heyworth das Distichon 3,25,13 f. als eine vermutete Interpolation aus seinem Text (Tib. 1,8,41–50): (…) 41 heu sero revocatur amor seroque iuventas, cum vetus infecit cana senecta caput. tum studium formae est: coma tum mutatur, ut annos dissimulet viridi cortice tincta nucis: 45 tollere tum cura est albos a stirpe capillos et faciem dempta pelle referre novam. at tu, dum primi floret tibi temporis aetas, utere! non tardo labitur illa pede. neu Marathum torque! puero quae gloria victo est? 50 in veteres esto dura, puella, senes! (…)
Die Cynthia in 3,25 unterstellte Klage über ihr bevorstehendes „Greisenalter“ spiegelt sich in Tibulls Mahnung an Pholoe vielschichtig wider: Der dem poeta gegenüber spröde Marathus ist selbst einer dura puella verfallen und erfährt von Tibull Verständnis und Unterstützung (Tib. 1,8,78): quam cupies [Pholoe] votis hunc revocare diem! Die Möglichkeit einer Interpolation ist zwar nicht ganz von der Hand zu weisen, doch liegt Tibulls Expertise in 1,8 (cupies) Properz’ Warnung in 3,25 (cupias) wie ein potentielles „intertextuelles“ Wirklichkeitsbild der Zukunft zugrunde: Cynthias facies nova der Pholoe beschwört die bedrohliche Kulisse der albi capilli gleichermaßen betont wie unvermeidbar herauf (~ Ars Am. 2,117 f.): et tibi iam venient cani, formose, capilli, / iam venient rugae, quae tibi corpus arent. Dass die römische Elegie sprachlich/motivisch aus dem reichhaltigen Repertoire der Epigrammatik und Satire schöpft, drückt sich insbesondere „im Motiv der 14 Vgl. Horaz’ Epoden 12/8 (3 f.): cum sit tibi [Canidia?] dens ater et rugis vetus / frontem senectus exaret (…). Dazu Richlin, Garden of Priapus 109 ff. („Invective against Old Women“).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
Kurzlebigkeit von Schönheit und Liebe“ aus15. Gleichwohl reizt die Elegie, wie in Kapitel 6.4 an den Carmina Priapea gezeigt, die harte Verbalinjurie der antiken Invektive nur eingeschränkt aus und neigt zum naturale decus des erotisch Schönen und Formvollendeten. So wird Cynthia bis zum Schluss Properzens „fortunata“ (3,2,17) bleiben und in dem Gedicht 4,7 ein Erinnerungsdenkmal ihrer unnachahmlichen Schönheit und Sittsamkeit errichtet bekommen (aurea Cynthia). Trotzdem ist die unheilschwangere Drohgebärde des disce timere (3,25,18) damit nicht völlig hinfällig: Der superba puella werden im vierten Buch tatsächlich noch hässliche „Runzeln“ erstehen – und zwar im „schrill kreischenden Spiegelbild“ der anus Acanthis (4,5,59–62): ‚(…) dum vernat sanguis, dum rugis integer annus, 60 utere [Cynthia], ne quid cras libet ab ore dies! vidi ego odorati victura rosaria Paesti sub matutino cocta iacere Noto.‘ (…)
Hält man die satirisch „verunstalteten“ Elegien 3,24/25 dem naturale decus des vierten Buches (4,2) entgegen, kann ich DeBrohuns Auffassung einer genrespezifischen Unvereinbarkeit oder „Inkongruenz“ der beiden Dichtungsprogramme in 4,1a (Roma) und 4,1b (amor), die zu einem turpis liber verschmelzen würden16, im Ergebnis nicht zustimmen. Denn die Vorstellung, Properz habe zwar ein gattungsmäßig beeindruckend flexibles, aber manipulativ unförmiges molle opus verfasst, ist wenig plausibel. Dem widerspricht, wie DeBrohun bemerkte, auch das „ästhetische“ Programm der Vertumnus-Elegie 4,2 (21 f.), das die Themen- und Gattungsvielfalt des vierten Buches in einem wandelbaren decorus liber vereint17: „Implicit in Vertumnus’ model in IV.2 is the idea that a poet, or a character, or any forma or opus (l.64) can be simultaneously and decorously one thing or its opposite as well as both together.“ Vertumnus’ tot formae prägen das mitunter spannungsvolle Kunst- und Schönheitsideal des abschließenden vierten Buches aus, das sich weniger in einer „rhetoric of fashion“ (DeBrohun), sondern in einem rhetorischen bzw. dialektischen Gattungsdiskurs darstellt (Versus): Wie in dem Acanthis-Gedicht 4,5 (59 ff.) durchkreuzen sich in 3,24/25 die motivischen Charakteristika der Elegie und Satire in ihrem je angemessenen naturale decus (Prop. 2,18b,25): ut natura dedit, sic omnis recta figura est – was spiegelbildlich ebenso für die runzelige alte anus (Acanthis) und die jugendlich schöne puella (Cynthia) gilt. Dies im Blick ist Vertumnus’ Verwandlung in eine eloquente Greisin bei Ovid noch etwas hintergründiger schattiert, zumal Pomona Tibulls „esto dura, puella“ (1,8,50) zugunsten ihrer Zuneigung für Vertumnus aufgibt (oder die Aufforderung für Vertumnus’ Mitbewerber bestehen lässt), nachdem Ovid mit dem erhobenen 15 Vgl. Gall, Zeit des Augustus 110 (zu Tib. 1,8) mit Verweis auf Horazens Liebeslyrik. 16 Vgl. DeBrohun, Rhetoric of Fashion 41 ff. Diese These versuchte DeBrohun vor allem an der Herkules-Elegie 4,9 nachzuweisen: Der „cross-dressed Herkules“ (apta puella) sei „a comic, even grotesque personification of the clashing fashions which represent an attempt to fit together the two poles of amor and Roma“ (61). Vgl. dazu Kapitel 6.1 („Epic into Elegy“). 17 DeBrohun, Rhetoric of Fashion 61.
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Zeigefinger Properz’ fatales dirae ins intertextuelle Gedächtnis rief (Met. 14,694): „time Rhamnusidis iram“ – allein diese Warnung, exemplifiziert am Mythos des Iphis und der Anaxarete (698–764), zeigt bei der spröden Pomona keine Wirkung und erst Vertumnus’ Rückverwandlung in seine natürliche Jünglingsgestalt bringt den ersehnten Erfolg (vgl. 765–771). Selbstverständlich sollte man Ovids Liebesgeschichte, die sich vor dem Spiegel der Elegie 4,2 als eine Art „Metamorphose-in-der-Metamorphose“ entpuppt, für die Deutung der Entwicklungen und Brüche properzischer Dichtung nicht zu sehr ausreizen. Schließlich ist es Ovid, der die Wandlungen und Anwandlungen seiner eigenen Dichtung mit metapoietischen Spitzen in ein immer wieder neues Licht stellt. Trotzdem verdanken die Heroides oder Fasten Properz’ aitiologischer Pionierarbeit des vierten Buches so einiges an Anregungen und gedanklicher Vorleistung, und die These, Ovid habe mit seinem Vertumnus amator Properz’ wandelbare Amores-Dichtung würdigen und/oder kommentieren wollen, ist durchaus begründet. Zumindest fällt auf, dass Ovids Kontrapunkt der bejahrten anus (deren Blendkunst Pomona nicht zu beeindrucken wusste!) bei Properz als ein – ebenso vergängliches – Memento mori seiner Liebesdichtung in 3,24/25 zwar angedacht, an Cynthias Beispiel aber nicht ausgeführt worden ist. So tritt Ovids Vertumnus iuvenis bei Properz zwar mehr oder weniger durchsichtig, parallel neben der (non) dura puella jedoch umso transparenter in Erscheinung (4,2,23–24): (…) indue me Cois, fiam non dura puella: meque virum sumpta quis neget esse toga? (…)
Die Diskussion um Vertumnus’ persona hat die Analyse der Elegie 4,2 und des vierten Buches virulent begleitet und soll im zweiten Teil dieses Kapitels programmatisch vertieft werden (1): Quid mirare meas tot in uno corpore formas? Mit Rücksicht auf die verschiedenen Sprecherrollen, die der Verwandlungsgott in den einzelnen Gedichten mittel- oder unmittelbar repräsentiert18, ist die Referenz auf Vertumnus’ persona in die grundsätzliche Fragestellung der subjektiven Liebeselegie eingebunden, in welchem (autobiographischen) Verhältnis der Dichter bzw. Privatmann zu seiner „Maske“ oder „Charakterrolle“ im Rahmen der Liebesdichtung steht und wie diese (autopoietische) Konstruktion oder Fiktion des poeta amator von dem antiken und modernen Leser wahrgenommen wurde bzw. wird19: „As Clay demonstrated […] there is little or nothing to suggest that an ancient reader was in a position to recognize the sort of generic persona a modern critic postulates as a matter of course (for example, the elegiac lover or mistress, the didactic writer, 18 Vgl. DeBrohun, Rhetoric of Fashion 55: „Vertumnus thus represents the perfect medium between the poet and any role he wishes to assume or create.“ 19 Mayer, Persona Problems 78. Vgl. Elliott, Literary Persona 19 ff. zu den verschiedenen etymologischen Ableitungen von persŏnare (durch die Maske „hindurchtönen“), πεϱί σῶμα („um den Körper herum“), dem maskierten Gladiator einer „etruskischen“ Grabmalerei (namentlich als Phersu identifiziert) oder von πϱόσωπον für die im antiken griechischen Theater verwendete „Maske“ (20 f.): „Whatever the uncertainties about derivation, there is no question that, in Latin, persona refers originally to a device of transformation and concealment on the theatrical stage.“
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the satirist). This fact ought to open readings that deploy our modern notion of the persona to a charge of irrelevance.“ Die moderne, weitgehend etablierte Sichtweise, „that there is a difference be tween the poet of a poem and a poet in a poem“20, wird im traditionellen Verständnis einer biographischen Dichtung jüngst wieder angezweifelt und die mutmaßlich antike Auffassung zugrunde gelegt, dass der Dichter in propria persona spreche21. Der theoretischen Diskussion scheint insofern etwas Tautologisches anzuhaften, als die persona des Dichters von seiner Dichtung natürlich nicht isoliert betrachtet werden kann22: „The author in the book was the author of the book.“ Es spricht deshalb, wenngleich im Detail nicht beweisbar, nichts dagegen, dass der autopoietischen Liebesdarstellung eine autobiographische Liebeserfahrung zugrunde liegt, was Sharrock als „first-personal realism of presentation“ bezeichnet hatte23. So wird der „realistische“ subjektive bzw. selbstreferentielle Eindruck der elegischen Dichtung in Ovids Tristia dadurch erweckt, dass der autopoietische Charakter der Trauergedichte durch das autobiographische Schicksal des verbannten Dichters bzw. Privatmanns geradezu verdeckt wird (Trist. 4,10,27–32)24: (…) 27 interea tacito passu labentibus annis liberior fratri sumpta mihique toga est, induiturque umeris cum lato purpura clavo, 30 et studium nobis, quod fuit ante, manet. iamque decem vitae frater geminaverat annos, cum perit, et coepi parte carere mei. (…)
Wie Ovids Trauergesang ist Properz’ fallax opus 4,1b (neben den Epigrammen 1,21/22) von den werkübergreifend deutlichsten Bezügen auf die persönliche vita des Elegikers durchdrungen: Durch die persona des Propheten Horos lässt Properz daran erinnern, wie ihm der Dichtergott Apollon nicht die donnernde Kraft der Redekunst, sondern die zartfühlende Gabe eines Liebeslieds (carmen) eingegeben habe, damals als das junge Dichtertalent die „Toga des freien Mannes angelegt“ hatte (Prop. 4,1b,127–136): ‚(…) 127 ossaque legisti non illa aetate legenda patris et in tenues cogeris ipse lares: nam tua cum multi versarent rura iuvenci, 130 abstulit excultas pertica tristis opes.
20 Vgl. im Überblick Clay, Literary Persona 9 ff. (17) zum Rezipienten orientierten Perspektivwechsel der modernen Literaturkritik („reader response criticism“). 21 Vgl. Mayer, Persona Problems 60: „the mask served to express the speaker’s own opinion, only by a tactful indirection.“ 22 Clay, Literary Persona 36. 23 Vgl. Sharrock, Constructing Characters 265, die im Gegensatz zu Clay, Literary Persona 34 („art was taken to imitate life“) von einem „intercourse between life and art“ (275) spricht. 24 Vgl. Mayer, Persona Problems 72 zu den Satiren des Juvenal: „But the word mihi [6,454] especially gives the line an apparently personal reference (…)“.
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mox ubi bulla rudi dimissa est aurea collo, matris et ante deos libera sumpta toga, tum tibi pauca suo de carmine dictat Apollo et vetat insano verba tonare Foro. 135 at tu finge elegos, fallax opus (haec tua castra!), scribat ut exemplo cetera turba tuo. (…)‘
Diese Verse zeigen, wie biographische und poetische Elemente der Selbstdarstellung in die „Fiktion“ einer hochgradig personalisierten und insoweit potentiell „authentischen“ Dichtung einfließen: Properzens durch Kriege belastetes „Horoskop“ teilt dieselbe tragische Schicksalsoffenbarung (pertica tristis), wie sie der Tityrus Vergil in den Eklogen für sich reklamierte (vgl. Kapitel 5.5). Die Erinnerung an Vergils tenuis avena (Ecl. 1,2) und an die Enteignungen der Bürgerkriegszeit (tenues lares) wirft ein biographisches Schlaglicht auf Etruriens ossa zurück (1,22,1 f.)25: Qualis et unde genus, qui sint mihi, Tulle, Penates, / quaeris Pro nostra semper amicitia. Nicht weniger schicksalsverbunden ist die Geliebte Cynthia in Properz’ „kallimacheische“ Lebens- bzw. Liebeschronik eingefasst (3,9,43–46): (…) inter Callimachi sat erit placuisse libellos et cecinisse modis, Coe poeta, tuis. 45 haec urant pueros, haec urant scripta puellas, meque deum clament et mihi sacra ferant! (…)
Die Selbsterhebung zum „gottgleichen“ Romanus Callimachus im vierten Buch (meque deum) strahlt auf Vertumnus’ bzw. Properzens persona markant voraus re spektive zurück (meque virum). Wie schon Kallimachos im Hymnos auf Apollon (2,70), kokettiert Properz in 4,2 mit der Vielgestaltigkeit seines Dichtergottes. New man mutmaßte, dass sich der Elegiker durch die siegelartige Apostrophe meque deum (3,9,46), wie der Alexandriner, mit dem cantor Apollo identifiziere26. In Reminiszenz an Ovids „properzischen“ Vertumnus amator wird dagegen offenbar, dass Properz durch die Maske des „Verwandlungsgottes“ sich selbst und seinen vielgestaltigen carmina Battiadae ein sehr persönliches Denkmal gesetzt hat: Vertumnus’ ästhetischer Vorsatz des decorus ero (4,2,22) spiegelt Properzens Anspruch auf künstlerische Unsterblichkeit wider – immortalis ero (2,14,10)! Gewichtet man die feinen Selbstreferenzen, die sich ambivalent mit Properz’ Verwandlung in Vertumnus verbinden, wird die moderne literaturkritische Interpretation der „generic persona“ dadurch bestärkt, dass die dura puella und der vir togatus (4,2,23 f.) nicht nur das Spiel mit den Geschlechtern und Gattungen der Elegie und des Epos abbilden. Denn mit den Coa und der toga stehen sich unterschwellig auch die leichtblütige listige Hetäre und der ehrenwerte genarrte Bürger des römi25 Vgl. Hutchinson zu 4,1b,127 f. (82 f.): „The reader may even at first relate ossa legere to bones at Perusia [1,21,9]“. Vgl. Kapitel 6.4 zu Prop. 1,21/22 („Perusina sepulcra“). 26 Vgl. Newman, Augustan Propertius 463. Ähnlich Asper, Kallimachos 243 (Anm. 114) zu Jamb. 12 (Fr. 202 Pf.): „Kallimachos parallelisierte offenbar das Neugeborene mit Hebe und sein Liedgeschenk mit dem Apollons, d. h. letztlich sich selbst mit dem Gott.“
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schen Nationallustspiels, der fabula togata, spannungsreich gegenüber. Wie aus dem antiken Alltagsleben und seiner bühnenreifen Inszenierung gegriffen, bereiten diese beiden klischeehaften Charakterrollen Properzens finalen erotischen Geniestreich vor – das komödiantische Liebesdrama 4,8, in dem sich der poeta amator und die Geliebte Cynthia in den Hauptrollen wiederfinden (4,8,1–10 [I. Akt]): Disce, quid Esquilias hac nocte fugarit aquosas, cum vicina novis turba cucurrit agris. 19 [turpis in arcana sonuit cum rixa taberna, 20 si sine me, famae non sine labe meae!] 3 Lanuvium annosi vetus est tutela draconis, hic ubi tam rarae non perit hora morae, 5 qua sacer abripitur caeco descensus hiatu, qua penetrat virgo (tale iter omne cave!) ieiuni serpentis honos, cum pabula poscit annua et ex ima sibila torquet humo. talia demissae pallent ad sacra puellae, 10 cum temere anguino creditur ore manus. (…)
Der Prolog der fabula Cynthiae konfrontiert die Forschung mit einigen textkritischen Schwierigkeiten27. Tränkle bezog die turpis taberna (19 f.), wie überliefert, auf Cynthias spectaclum in V.15 ff. (unten), das an Catulls salax taberna erinnere28: „Die treulose Geliebte in schlechter Gesellschaft und noch dazu in einer Kneipe ist keine so fremde Vorstellung, wenn wir an Catull [Carm.] 37 denken“ – und Cynthias erotische Fluchtwege führten offenbar nicht zum erstenmal über die Via Appia nach Lanuvium (2,32,6). Nicht zufällig bietet das abschließende Buch neben der Elegie 4,7 ein zweites Cynthia-Gedicht, das den thematischen Bogen vom carmen iuvenale zu Properz’ gereifter „ars poetica“ schlägt. Der dramatisch überzeichnete Auftakt der aufgewühlten horti Maecenatis auf dem Esquilin (novi agri) lässt dabei erahnen, dass das obige Fruchtbarkeitsritual, bei dem die Jungfräulichkeit der Tempeldienerinnen durch eine hungrige Schlange auf „Leben und Tod“ geprüft wurde, im Gegensatz zur virgo Vestalis Tarpeja in 4,4 glimpflich enden wird29. Als hielte 27 Diese betreffen insbesondere Lütjohanns Vorschlag einer Versetzung der V.19 f. nach V.2 (Butler/Barber z. St.): „This couplet is meaningless at the point where it is placed“, passe aber nach V.2 hervorragend in den Kontext. Auch Camps, Richardson oder Fedeli/Dimundo nehmen die Versumstellung mit der Begründung vor, dass dadurch Cynthias späterem „Racheakt“ an Properz’ erotischen Gespielinnen Phyllis und Teja nahe einer abgelegenen taberna (62) erläuternd vorgegriffen werde. Es mag stimmen, dass das Distichon 19 f. – sogar als retardierendes Moment aufgefasst – an der überlieferten Stelle überzogen und störend wirkt. Andererseits verbessert seine Versetzung den Textzusammenhang aber nur unwesentlich, da die Abschweifung zur turpis taberna den erwartungsvollen aitiologischen Auftakt des disce quid sonderbar durchkreuzt. Vgl. Hubbard, Propertius 153 f. (Anm. 2). Hutchinson und Heyworth tilgen die Verse daher aus dem Text, wogegen Shackleton Bailey zu bedenken gab (255): „Yet the couplet does not read like an interpolator’s work.“ 28 Vgl. Tränkle, Sprachkunst 180 (Anm. 1). Dazu Kroll, Catull zu Carm. 37,1–10 mit Verweis auf Prop. 4,8,17 (Appia, dic quaeso …). 29 Vgl. Syndikus, Properz 345 f. mit Bezug auf Aelians „wesentlich undramatischere“ Beschreibung des Festritus.
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sich der Dichter die satirische Warnung des disce timere (3,25) ironisch gegenwärtig, setzt der aitiologische Bühnenrahmen von 4,8 einen wohldurchdachten emotionalen Akzent auf das je gattungsmäßige naturale decus, denn „die Natur formt uns zuerst innerlich passend zu jeder Gemütslage“ (Ars Poet. 99–109): (…) non satis est pulchra esse poemata: dulcia sunto, 100 et quocumque volent, animum auditoris agunto. ut ridentibus adrident, ita flentibus adflent humani vultus. si vis me flere, dolendum est primum ipsi tibi: tum tua me infortunia laedent, Telephe vel Peleu; male si mandata loqueris, 105 aut dormitabo aut ridebo. tristia maestum vultum verba decent, iratum plena minarum, ludentem lasciva, severum seria dictu. format enim natura prius nos intus ad omnem 109 fortunarum habitum (…).
Horaz’ nachmalige Abhandlung über die Dichtkunst (Epistula ad Pisones) ist sehr aufschlussreich, um einen Eindruck davon zu bekommen, welche theoretischen Vorstellungen der Liebesdichtung des lascivus Catullus (Prop. 2,34,87) oder des „lockeren Properz“ (Mart. 8,73,5) bezüglich der affektiven Ausgestaltung ihrer poemata dulcia zugrunde liegen30: Das „Wirkungsziel der Dichtung [ist] die seelische Beeinflussung und Lenkung des Hörers oder Lesers“. Das didaktische Prinzip der ψῡχαγωγία, das die verschiedenen divergenten Gefühlsregungen von Trauer bis Heiterkeit umfasst, war schon in den Dichtungsvorschriften des Platon und Aristoteles musterhaft vorgebildet31: In the theatre the actor reflects on the fortune and condition of the character he is portraying, and induces in himself the analogous emotion. On the contrary theory, propounded by the Stoics, the actor remains at a distance from the character, and uses his professional technique to simulate the appropriate emotion.
Neben dem klassischen antiken Theaterstück der Tragödie und Komödie ist der Liebeselegie die Kunstfertigkeit emotionaler „Seelenführung“ immanent eingegeben. Ich möchte sogar so weit gehen zu behaupten, dass die für den modernen Rezipienten problematische persona-Frage darin ihre wesentliche Ursache hat: Die autobiographische/autopoietische Unterscheidung zwischen dem liebenden Dichter / dichtenden Liebhaber fällt deswegen so schwer, weil der poeta amator seine Gefühle „wie ein Schauspieler zu simulieren“32, das heißt seine elegische Charakterrolle besonders überzeugend verinnerlicht hat (4,1b,135): at tu finge elegos, fal lax opus (…). Wie oben und in den einzelnen Kapiteln beschrieben, verbindet sich mit dem „täuschend“ echten molle opus des vierten Buches ein komplexer referentieller Paradigmenwechsel (tot formae), wobei nicht nur der „traurige“ Liebesdichter Properz in der Gestalt des wandelbaren Dichtergottes Vertumnus seine alte Maske fallen lässt. Auch die in 4,7 verstorbene pia puella erscheint in dem neuen 30 Vgl. Müller, Dichtungslehre 200 zu Horazens Ars Poetica (100). 31 Rudd, Ars Poetica zu 102 f. (167 f.). 32 Vgl. Müller, Dichtungslehre 211 (mit Verweis auf die antike Redelehre).
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Gewand einer comica moecha plötzlich von den Toten auferstanden33: „Cynthia is no virgin, but also returns – from Lanuvium, to her lover’s discomfort, and from death“ (4,8,15–26 [II. Akt]): (…) 15 huc mea detonsis avecta est Cynthia mannis: causa fuit Iuno, sed mage causa Venus. Appia, dic quaeso, quantum te teste triumphum egerit effusis per tua saxa rotis! [turpis in arcana sonuit cum rixa taberna, 20 si sine me, famae non sine labe meae!] spectaclum ipsa sedens primo temone pependit, ausa per impuros frena movere locos. serica nam taceo vulsi carpenta nepotis atque armillatos colla Molossa canes, 25 qui dabit immundae venalia fata saginae, vincet ubi erasas barba pudenda genas. (…)
In kaum einem anderen properzischen Gedichtpaar wird Horaz’ Gemütsbewegung lachender bzw. weinender Menschen (101) so kunstverständig und spannungsvoll auf den Höhepunkt gebracht wie in 4,7/834: „Cynthia dead is followed by Cynthia alive – last night (1). This unexpected order has created puzzlement“. Neben der chronologischen Einordnung wirft der antithetische Gefühlseindruck der beiden Elegien erneut die Frage ihres autobiographischen Charakters auf35. Laut Rothstein sei 4,8 ein „mit kräftigem Humor gezeichnetes Wirklichkeitsbild aus seinem [Properz’] Verhältnis zu Cynthia“ (307). Zugleich räumt Rothstein ein, dass die Elegie 4,8 „als ein Zeugnis für die Vielseitigkeit der Begabung des Dichters“ (308) umso interessanter sei36: In the seventh and eighth poems of Book 4 of Propertius it is possible to detect aspects of comedy, aetiological poetry, tragedy, epigram, and eulogy within the anticipated themes of love elegy. But the atmosphere of both is established and maintained through the use of epic motifs.
Allisons Analyse der gattungsspezifischen Vielgestaltigkeit von 4,7/8 gilt insgesamt für das Dichtungsprogramm des vierten Buches (Vertomnis). Die obigen Verse 15 ff. geben davon sprachlich, stilistisch und inhaltlich ein beeindruckendes Zeugnis ab37: „the artificiality is so obvious that we cannot help sensing Propertius’ own satisfaction at his elegantly expressed malice.“ Die doppelbödigen Feinheiten und Überraschungseffekte sind bereits hinreichend aufgedeckt worden. So leitet die aufschiebende „Exkursion“ nach Lanuvium aitiologisch desto pointenreicher zu Cynthias größtem spectaclum über: Die hyperbolische Hinwendung an die Via Appia, Zeugin ihres furiosen Triumphzugs, antizipiert und konterkariert humorvoll Cornelias femineus triumphus 4,11, den Augustus persönlich unter Tränen „be33 Heyworth, Cynthia zu 4,8,1 f. (475). 34 Hutchinson zu Prop. 4,8 (189). 35 Vgl. Camps zu Prop. 4,8 („presumably real, but very likely embellished“). 36 Allison, Virgilian Themes 332. 37 Dee, Propertian Comedy 46 zum Gedicht 4,8.
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zeugte“ (99). Daneben führt die Erinnerung an Augustus’ „spektakuläre“ triumphi38 klatschgeschichtlich an jener „sündhaften“ Meile der Via Appia vorbei (impuri loci), auf der die berühmt-berüchtigte Skandaldame Clodia ausgiebig verkehrt habe (Pro Cael. 34)39: ideo viam munivi, ut eam tu [Clodia] alienis viris comitata cele brares? Zwar artet Ciceros fingierte Anklage des altehrwürdigen Straßenstifters und Zensors Appius Claudius in Properz’ Gedicht nicht wie in Catulls Carm. 37 in eine glühende Hasstirade gegen Lesbia und ihre contubernales aus, gibt aber den bissigen jambischen Ton für den stereotypen vulsus nepos vor, „whose disgraceful luxury and effeminacy he [Propertius] attacks in carefully chosen expressions of unusual intensity“40. Die Verse 23 ff. veranschaulichen sehr gut die ästhetische Vermischung des naturale (de-) decus der Elegie und Satire41: Neben dem „glatt epilierten Prasser“, der sich bald mit „schmutzigem Bartwuchs“ als Gladiator prostituiere, stehen jene „in Bezug auf ihre molossischen Hälse bespangten Hunde“ (24) in einem überspannten, genrehaft karikierenden Verhältnis zu Horaz’ Epoden (6,1/5). Den Höhepunkt bildet Cynthias epengleiche Parodie eines kampflustigen auriga, wie sie – eben erst aus dem Reich der Toten (4,7) zurückkehrend – mit ihren kurz geschorenen Ponys Lanuviums erotische Wettkampfarena betritt42. Die Berührungspunkte der Elegie 4,8 mit der antiken Komödie liegen im Ergebnis klar vor Augen (Prop. 4,5,37–44): ‚(…) 37 supplex ille sedet: posita tu scribe cathedra quidlibet! has artes si pavet ille, tenes. semper habe morsus circa tua colla recentes, 40 litibus alternis quos putet esse datos. nec te Medeae delectent probra sequacis (nempe tulit fastus ausa rogare prior), sed potius mundi Thais pretiosa Menandri, 44 cum ferit astutos comica moecha Getas. (…)‘
In Kapitel 5.1 ist der Hetärenkatechismus der lena in dem Gedicht 4,5 vorgestellt worden43: „The speech of Acanthis (21–62) is filled with standard erotodidaxis of the kind found frequently in comedy.“ Yardley hatte vor allem auf das einschlägige Begriffsrepertoire der Verse 43 f. verwiesen (181): „Both [astutus and comicus] are common in Plautus, and moechus occurs often in Terence“, sei für die römische Elegie ansonsten aber nicht belegt, was den Verdacht einer außerordentlichen Referenz auf die „Dichtkunst“ Menanders, „the leading representative of the Greek New 38 Vgl. Res Gest. 23 (Navalis proeli spectaculum populo dedi trans Tiberim …). 39 Clodia wurde bzw. wird seit Apuleius vorzugsweise mit Catulls Lesbia (!) identifiziert. Vgl. Holzberg, Catull 16 ff. (zu Carm. 79). 40 Vgl. Dee, Propertian Comedy 46 zu 4,8,23. 41 Vgl. Richardson zu 4,8 (462): „Another recurrent motif of a different sort is the theme of purity and elegance versus dirt and impurity“. 42 Vgl. dazu Aen. 5,146 f. (… nec sic immissis aurigae undantia lora / concussere iugis pronique in verbera pendent). Vgl. auch die Pointe des dissonanten Wortspiels „Cynthia mannis“ (Prop. 1,19,1): Non ego nunc tristes vereor, mea Cynthia, Manes (…). 43 Yardley, Roman Comedy 180 mit Bezug auf Plautus (Most. 180–210).
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Comedy“44, erhärtet. Schon im zweiten Buch beförderte Properz Menanders „Thais pretiosa“ auf die elegische Theaterbühne, um seine „pretiosa puella“ (3,13,1) Cynthia in das Zwielicht einer comica moecha zu rücken (vgl. 2,6,1–6). Soweit es das genremäßige naturale decus der Neuen Komödie betrifft, ist bemerkenswert zu verfolgen, wie sich Cynthias Karikatur in 4,8 mit Properz’ Auszeichnung des mundus Menander (4,5,43) verträgt und in den kallimacheischen decorus liber einfügt (4,2,37 f.): (…) et ibo [Vertumnus] mundus demissis institor in tunicis45: „Daraus wird der Beiklang des Wortes offenbar: fein, sauber, angenehm, bei Ovid ans Elegante grenzend, aber einfach, schlicht. Dies paßte schlecht ins Epos oder in die Tragödie.“ Es ist möglich, dass von dem anekdotenhaften liber mundus des Horaz etwas auf Properzens wandelbares viertes Elegienbuch abfärbt (Epist. 1,20,1 f.): Vertumnum Ianumque, liber, spectare videris, / scilicet ut prostes Sosiorum pumice mun dus – und vielleicht ist die schlüpfrige Pointe, die formvollendete „Cynthia lecta“ (2,24a,2) wie das fein geglättete Briefcorpus „käuflich“ feilzubieten, in der kostspieligen, weil „eleganten“ comica moecha insinuiert. Immerhin war der Vicus Tuscus, wo man Vertumnus’ signum bewundern konnte, nicht nur für das exquisite Buchgewerbe der Gebrüder Sosii berühmt, sondern auch als Rotlichtviertel der „Tusci turba impia vici“ berüchtigt46: Thus mundus seems to have a sexual sense in Propertius. In any case, it is safe to say that these two forms, the prostitute [moecha] and the peddler [institor], each dressed in scandalous attire, involve the Propertian Vertumnus with the kind of amatory figures one might expect to meet around his street shrine.
Bestimmt fließt vom satirischen Komödienstoff eine kräftige erotische Farbmischung in die elegische Liebesdichtung ein – hat der miser amator doch, wie es für die motivische Gattungsgenese der Elegie behauptet wird, mit dem comicus moechus des antiken Lustspiels einiges gemeinsam47: „the comic adulescentes function as forerunners or literary ancestors of the male personae of elegy, who like them disdain marriage and public life.“ Properz hatte sich auf seiner imaginären Fernreise nach Griechenland ins „gelehrte Athen“ in 3,21 sogar fest vorgenommen, den geistsprühenden Humor des doctus Menander (28) eingehend zu studieren – ein dichterisches Anliegen, das in 4,8 Früchte zu tragen scheint. Zwar blüht Properz’ erotisch attraktive puella leibhaftig nicht, wie in 3,25 proklamiert, in der Gestalt der satirisch versierten anus auf, wohl aber legt Cynthias komödiantische Charakterrolle Menanders „munda ars“ ausgesprochen vorteilhaft und stilvoll dar (4,8,27–42 [III. Akt]): (…) 27 cum fieret nostro totiens iniuria lecto, mutato volui castra movere toro. Phyllis Aventinae quaedam est vicina Dianae, 30 sobria grata parum: cum bibit, omne decet. 44 Vgl. Rudd, Epistles II zu 2,1,57 (dicitur Afrani toga convenisse Menandro …). 45 Tränkle, Sprachkunst 132 (zu „mundus“) mit Verweis auf Horaz, Od. 3,29,14 und Ovid, Ars Am. 3,479. 46 O’Neill, Slumming 271. Vgl. Horaz, Sat. 2,3,228. 47 James, Gender and Genre 11.
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altera Tarpeios est inter Teia lucos, candida, sed potae non satis unus erit. his ego constitui noctem lenire vocatis et Venere ignota furta novare mea. 35 unus erat tribus in secreta lectulus herba. quaeris concubitus? inter utramque fui. Lygdamus ad cyathos, vitrique aestiva supellex et Methymnaei Graeca saliva meri. Nile, tuus tibicen erat, crotalistria Phyllis, 40 et facilis spargi munda sine arte rosa; Magnus et ipse suos breviter concretus in artus iactabat truncas ad cava buxa manus. (…)
Die obigen Verse, in denen Properz Menanders geschmackvollen Witz (Graeca saliva) und die extravagante griechische Sprache nachahmt, bergen eine Reihe textkritischer Probleme: Kaum mehr richtig herstellbar ist die Textüberlieferung der (crotalistria) Phyllis in V.39 – sofern der Dichter nicht auf die in V.29 genannte gleichnamige Phyllis anspielt48. Der inhaltliche Haupteinwand, die mit Properz „zu Bett liegende“ (concubitus) Phyllis könne beim Gelage nicht zeitgleich das Tanzbein schwingen, ist aber zu statisch betrachtet und verkennt die dynamische Szenenabfolge der Liebeskomödie 4,8 (Camps z. St.): „Phyllis may well be a performer as well as a guest at table on such an occasion“ – cantabant surdo [Phyllis et Teia], nudabant pectora caeco: / Lanuvii ad portas, ei mihi, solus eram (47 f.). Zu Anfang gelten Properzens Gedanken noch seinen reizvollen Gespielinnen, und auch der anvisierte ménage à trois, ein erotischer Vergeltungsschlag gegen Cynthias iniuria, nimmt sich recht zuversichtlich aus: Zwar „nüchtern“ (30) kaum erträglich, stehe Phyllis unter Alkoholeinfluss „alles gut“ (Mojsisch) – ähnliches lässt sich von dem sobrius poeta (Vertumnus) sagen, den erst der Weingenuss zum überschwenglichen Seitensprung anregte (Prop. 4,2,29 f.). Der intertextuelle Esprit der Verse ist in der Tat anerkennenswert: Dass die „strahlende“ Nymphomanin Teja aus jener Gegend inmitten des „Tarpejischen Hains“ stammt, wo die sündige Vestalin (4,4) ihr religiöses Keuschheitsgelübde brach (Tarpeium nemus), entbehrt nicht einer grellen Komik – umso mehr, weil die trinkfreudige Naturschönheit darüber hinaus an (den promisken Charakter von) Catulls candida diva Lesbia (Carm. 68b,70) und Properz’ candida forma Cynthia (2,29,30) erinnert. Zudem sind epische Anklänge an das Symposion Actium und Augustus zu Ehren zu vernehmen (Prop. 4,6,71 f.): can dida nunc molli subeant convivia luco, / blanditiaeque fluant per mea colla rosae. Große syntaktische und inhaltliche Verständnisschwierigkeiten bereitet der Vers 4,8,40 (Butler/Barber z. St.): „and neat without art [Phyllis] was ready to be pelted with roses“ – „but munda sine arte is not a natural description of a rose nor is facilis spargi specially appropriate.“ Sei es, dass man rosa entweder als Ablativ oder Nominativ deutet, steht dem in dem einen wie dem anderen Fall eine unausgewogene Häufung kongruenter Kasus entgegen. Da das Epitheton munda der comica moecha (Phyllis) wie ein genrespezifisches Etikett anhaftet, schlage ich unter Vor48 Fedeli und Hutchinson setzen das überlieferte Phyllis in Cruces. Daneben werden die Konjekturen Baetis (Richardson), Byblis (so Goold) oder Orontes (so Heyworth) diskutiert.
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behalt folgende Konjektur(en) vor, die den Satzbau glätten und den vermeintlichen Textsinn verdeutlichen (4,8,39–40): Nile, tuus tibicen erat, crotalistria Phyllis et facilīs sparsi‹t› munda sine arte rosa‹s›. Nil, dein Flötenspieler gesellte sich dazu, und die Kastagnettentänzerin Phyllis streute ohne Kunstfertigkeit [aber] elegant [in ihrer Art] liebliche Rosen aus.
Stilistisch greift das so verbesserte Distichon den elliptischen Ton der vorhergehenden Verse 37 f. auf (Lygdamus ad cyathos …) und leitet zum schwungvollen Enjambement der folgenden Verse 41 f. über (Magnus et ipse suos …). Das Werturteil sine arte soll sich hier nicht auf Phyllis’ tänzerische Performance beziehen (die der Dichter unter anderen Umständen wohlmöglich zu schätzen wüsste), sondern meint vordergründig das schmucklose Blumenarrangement bzw. im übertragenen Sinne den satirisch „beschmutzten“ Rosenteppich (impuri loci), den die erzürnte Geliebte Cynthia am Schluss entsprechend mit aitiologisch „reinem Wasser“ entsühnen wird (4,8,83–88 [V. Akt]): (…) dein, quemcumque locum externae tetigere puellae, suffiit, at pura limina tergit aqua, 85 imperat et totas iterum mutare lucernas, terque meum tetigit sulpuris igne caput. atque ita mutato per singula pallia lecto 88 respondi, et toto solvimus arma toro.
Das erlösende „Happy End“ des epischen Liebesdramas 4,8 führt die autobiographische Ernsthaftigkeit des elegischen Ehebruchs bzw. das genreuntypische Sexualdelikt (ignota furta) vollends ad absurdum: Properz’ erotische Versöhnung mit Cynthia gibt einen schrillen Widerklang seines komischen Fehltritts zuvor (27 f.) und nimmt auch Tarpejas „molliet arma torus“ (4,4,62) mit einem humorvollen Augenzwinkern auf. Den Wortwitz des „munda sine arte“ hatte Richardson z. St. gut erkannt (467): „the expression is an oxymoron, the adjective munda implying ars“, insofern als die elegisch „kunstlose“ Phyllis wie ein Spiegel- oder Zerrbild der komödiantisch „eleganten“ Cynthia erscheint, deren lyrische Kunstfertigkeit sogar die tänzerischen Qualitäten der crotalistria in den Schatten stellt (2,1,10): (…) miramur, faciles ut premat [Cynthia] arte manus. Derart ist das Reinigungsritual mit den Cyrenaeae aquae (4,6,4), dem sich der Dichter gleichsam „Bettdecke für Bettdecke“ (singula pallia) unterziehen muss, spielerischer Ausdruck für Properz’ dramatisch gewendete ars Battiadae nach Art des Menander. Vielleicht ist es kein Zufall, dass in Ovids Auflistung der lesenswürdigen Dichter der „tener Propertius“ unmittelbar auf denjenigen Dichter (Menander) folgt, „bei dem der Vater durch die List (ars) des pfiffigen Geta gefoppt wird“ (Ars Am. 3,332 f.). Jedenfalls sind die in 4,8 handelnden, griechischnamigen (!) personae Lygdamus, Teja und Phyllis ziemlich „obviously stock characters out of Comedy“49, auch wenn der Geistesblitz der crotalistria Phyllis, sofern richtig überliefert, verborgen bleibt. Der Mythos weiß von einem Demophoon, Sohn des The49 So Cairns, Augustan Elegist 68.
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seus, zu berichten, der die thrakische Prinzessin Phyllis, wie sein Vater die minoische Königstochter Ariadne, entflammte und verließ (vgl. Ovid, Her. 2). Dagegen spielt der amator Properz in der bühnenreifen Vorstellung 4,8 Phyllis, Teja und Cynthia (Ariadne) gleich doppelt und dreifach gegeneinander aus. Und da einige hinter dem Pseudonym Demophoon einen Liebesdichter namens Tuscus und Tuscus’ Geliebte Phyllis vermuten50, ist der Witz der anstößigen Stelle vielleicht doch oder noch tiefgründiger. Properzens Graeci sales kommen in den Versen aber unverkennbar zur Geltung (Ars Poet. 263–274): (…) non quivis videt immodulata poemata iudex, et data Romanis venia est indigna poetis. 265 idcircone vager scribamque licenter? an omnis visuros peccata putem mea, tutus et intra spem veniae cautus? vitavi denique culpam, non laudem merui. vos exemplaria Graeca nocturna versate manu, versate diurna. 270 at vestri proavi Plautinos et numeros et laudavere sales, nimium patienter utrumque, ne dicam stulte, mirati, si modo ego et vos scimus inurbanum lepido seponere dicto 274 legitimumque sonum digitis callemus et aure. (…)
Gewiss braucht sich der „römische Menander“ Properz nicht in die Riege jener zweitklassigen Komödiendichter einzureihen, denen Horaz, wie Plautus, mangelnden Geschmack und fehlende Spritzigkeit nachsagt. Zwar lässt sich Horaz’ Urteil über Plautus’ immodulata poemata mit dichterischen Vorlieben und Neigungen erklären, welche Horaz mit den exemplaria Graeca der Neuen Komödie verbanden (poemata dulcia). Dass sich aber Ciceros Lobpreis des Plautus, dessen „iocandi genus (…) elegans, urbanum, ingeniosum, facetum“ gewesen sei (De off. 1,104), offenkundig gewandelt hat, zeigt, dass das decus Graecum der Alexandriner auch den Feinsinn der Augusteer für das traditionsreiche Genre der griechischen und römischen Komödie sensibilisierte51. Catulls mitunter satirisch derbe nugae mögen noch an die republikanische Freizügigkeit der rustikalen „Plautinischen Rhythmen“ anknüpfen; dennoch werden Catull und die Neoteriker zum wichtigsten Importeur des verfeinerten griechischen Kunstgeschmacks52: „He [Propertius] had the example of Callimachus before him“, und wie kein zweiter der augusteischen Dichter hat sich der Romanus Callimachus Properz Horaz’ Dogma des „exemplaria Graeca versate“ kunst- und stilbewusst zu 50 Vgl. Ovid, Epist. ex Pont. 4,16,20 (quique sua nomen Phyllide Tuscus habet). Vgl. Butler/ Barber; Camps; Fedeli, Properzio II zu 2,22a,2 („Demophoon“). 51 Vgl. Panayotakis, Comedy 135 f. (zu Horaz’ Kunsturteil). V. Albrecht, Römische Literatur (I) 133 ff. (153) sah das Plautus zum Teil durch die frühe Forschung attestierte inurbanum dictum dagegen durch „beträchtliche Stildifferenzen“ gekennzeichnet (155): „Seine Sprache ist lebendig, aber durch natürliche Anmut gebändigt.“ 52 Currie, Propertius IV.8 (621). Vgl. Kapitel 5.2 zum „novus Callimachus“ Catull (Carm. 64 ~ Prop. 4,7).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
eigen gemacht. Denn das geistreich-gewitzte Bühnendrama 4,8 gibt den vorschriftsmäßigen „Klang“ griechisch-komödiantischer Gelehrsamkeit sowohl tagsüber und „bei Nacht“ weithin vernehmbar wieder (4,8,49–62 [IV. Akt]): (…) cum subito rauci sonuerunt cardine postes 50 et levia ad primos murmura facta Lares; nec mora, cum totas resupinat Cynthia valvas, non operosa comis, sed furibunda decens. pocula mi digitos inter cecidere remissos, palluerantque ipso labra soluta mero. 55 fulminat illa oculis et quantum femina saevit, spectaclum capta nec minus urbe fuit. Phyllidos iratos in vultum conicit ungues: territa vicinas Teia clamat aquas. lumina sopitos turbant elata Quirites, 60 omnis et insana semita nocte sonat. illas direptisque comis tunicisque solutis excipit obscurae prima taberna viae. (…)
Cynthias fulminantes Schauspiel erreicht in diesen Versen durch die konjugierte Verwandlung der comica moecha zur furibunda femina seinen tragikomischen Glanzpunkt53: „The tone throughout the poem is mock-epic“, was vor allem in Reminiszenz an die todessehnsüchtige Dido furibunda (Aen. 4,646) und Achills unheilbringenden „Zorn“ (μῆνις) der Ilias an Konturen gewinnt, den Vergil in den römischen Gründungsmythos der Aeneis übertrug: fulminat Aeneas armis (12,654) – und zusammen mit Aeneas der waffenerprobte Augustus am tiefen Euphrat (Georg. 4,560 f.). Auch die dämonischen Gesichtszüge der Medea ferox (Ars Poet. 123) sowie der zauberkräftigen Kupplerin leuchten in dem fulminat hervor (Am. 1,8,16), so dass die verschiedenen Konjekturvorschläge den grotesk-glamourösen Charakter dieser Epenparodie eher verdecken54. Cynthias komödiantische „Irrfahrt“ nach Lanuvium und ihre Rückkehr von dort bzw. aus dem Totenreich (4,7) in der Gestalt einer eifersüchtigen „Rachegöttin“ karikieren nicht nur den Rollentausch der Geschlechter und Gattungen55: „We should notice that in Propertius the rôles are reversed, for it is a female who is do53 Richardson zu Prop. 4,8 (462). 54 Verbunden mit Palmers Konjektur in V.58 (territa ‚vicini‘ Teia clamat ‚aquam!‘), übernehmen Goold und Heyworth in 59 f. voce für nocte und verbessern lumina zu crimina (vgl. Ars Am. 3,375 f.). Von Cynthias furiosem Finale (73 ff.) und dem ritualisierten „Fertilis annus erit“ (14) abgesehen, legt der Dichter seinen personae aber keine wörtliche Rede in den Mund. Das dramatische Rollenspiel trägt im Wesentlichen den narrativen Charakter eines dialogisierten Monologs (4,8,1 f.): Disce, quid Esquilias hac nocte fugarit aquosas, / cum vicina novis turba cucurrit agris. Tejas vermeintlicher „Notruf nach Gerechtigkeit“ (crimina) wühlt den wasserreichen Esquilin zwar sprichwörtlich auf (insana voce), überschattet aber die komischen Glanzlichter der „tollwütigen Nacht“: Ihr affektionierter Hilfeschrei nach löschendem Wasser („Feuer!“) wird dadurch beantwortet, dass die aufgeschreckten Spießgesellen allerorts brennende „Fackeln“ (lumina) entzünden. 55 Currie, Propertius IV.8 (622).
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minant and who drives out female rivals.“ Zwar erinnert die episch-burleske Geliebte in 4,8 nur noch vage an jene erotisch-bezaubernde Heroine, für die Properz wie einst Paris den Trojanischen Krieg lieber in Cynthias Schoß ausgetragen hätte (vgl. 2,3a,31 ff.). Auch erscheinen Cynthias „Locken“ (52) nicht mehr ganz so kunstvoll frisiert wie damals (2,1,8), als die docta puella mit Catulls Coma Berenices verglichen wurde (Kapitel 5.2). Trotzdem brilliert Cynthia in ihrem letzten Auftritt mit solch einer epischen Widerspenstigkeit und Anmut (furibunda decens), dass ihre schillernde persona Properz’ elegischem „Theaterdrama“ einen sehr eigenen und eigentümlichen erotischen Charme und schöngeistigen Charakter verleiht (Ars Poet. 189–201): (…) neve minor neu sit quinto productior actu 190 fabula, quae posci vult et spectanda reponi. nec deus intersit, nisi dignus vindice nodus inciderit, nec quarta loqui persona laboret. actoris partis chorus officiumque virile defendat neu quid medios intercinat actus, 195 quod non proposito conducat et haereat apte. ille bonis faveatque et consilietur amice et regat iratos et amet peccare timentes, ille dapes laudet mensae brevis, ille salubrem iustitiam legesque et apertis otia portis, 200 ille tegat commissa deosque precetur et oret, ut redeat miseris, abeat fortuna superbis. (…)
Wie zur förmlichen Gestaltung des antiken Dramas angemerkt wird56, kennen weder die griechische Tragödie noch die Alte Komödie Horaz’ stereotype Einteilung in „fünf Akte“ (diese liegt später Senecas Tragödien und dem neuzeitlichen Drama zugrunde). Da die römischen Inszenierungen des Plautus oder Terenz augenscheinlich fortlaufend ohne Unterbrechungen aufgeführt wurden (um das rastlose Publikum zum Verweilen anzuhalten), betrachtet man im hellenistischen Umfeld Menanders Neue Komödie als vorbildlich. Wie meine Strukturanalyse nahelegt, besteht auch Properz’ fingierte fabula 4,8 aus fünf Akten (dem Prolog und vier Episoden): Lanuvium (I. Akt), Via Appia (II. Akt), Symposion (III. Akt), Esquilin (IV. Akt) und Happy End (V. Akt). Zwar wird kein deus ex machina den tragischen Liebesknoten zwischen dem poeta und der puella lösen, doch liegt der erotischen κάϑαϱσις am Ende mehr als nur eine glückliche Fügung der Ereignisse zugrunde (4,8,63–82 [V. Akt]): (…) Cynthia gaudet in exuviis victrixque recurrit et mea perversa sauciat ora manu, 65 imponitque notam collo morsuque cruentat, praecipueque oculos, qui meruere, ferit. 56 Vgl. Rudd, Ars Poetica z. St. (quinto actu); v. Albrecht, Römische Literatur (I) 84 (allgemein zum antiken Drama 75–92); Panayotakis, Comedy 133 ff. (mit Schwerpunkt auf dem antiken Mimus 139–146).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar atque ubi iam nostris lassavit bracchia plagis, Lygdamus ad plutei fulcra sinistra latens eruitur geniumque meum protractus adorat. 70 Lygdame, nil potui: tecum ego captus eram. supplicibus palmis tum demum ad foedera veni, cum vix tangendos praebuit illa pedes, atque ait: ‚Admissae si vis me ignoscere culpae, accipe, quae nostrae formula legis erit: 75 tu neque Pompeia spatiabere cultus in umbra, nec cum lascivum sternet harena Forum. colla cave inflectas ad summum obliqua theatrum, aut lectica tuae se det aperta morae. Lygdamus in primis, omnis mihi causa querelae, 80 veneat et pedibus vincula bina trahat.‘ indixit leges; respondi ego: ‚Legibus utar.‘ riserat imperio facta superba dato. (…)
Die Dramaturgie einer episierenden Elegiendichtung ist durch Cynthias finale querela zum humoristischen Höhepunkt des vierten Buches gesteigert. Denn im Gegensatz zum mythologischen victor (4,10,8) und Begründer des römischen „imperium sine fine“ (Aen. 1,279), Romulus, weiht die machtbewusste victrix Cynthia dem Jupiter Feretrius freilich keine spolia opima eines Acron. Cynthias eroberte „Beutestücke“ (63) sind die zerrauften Haare und die zerrissene Tunika ihrer Konkurrentinnen Phyllis und Teja, was mit einem subtilen erotischen Gespür jene virgineae exuviae (Carm. 66,14) anklingen lässt, die Berenikes Gemahl Ptolemaios als Unterpfand der Treue mitten aus der Hochzeitsnacht in den syrischen Feldzug entführt hatte. Auch Augustus kehrte, zur Freude der Soldatenfrau Arethusa (4,3), „siegreich“ aus Syrien zurück und besiegelte zugleich mit dem Friedensbund mit den Parthern Arethusas foedera lecti (69). Die erotische Persiflage der pax Augusta/Propertiana, die die Geliebte dem „kniefälligen“ Dichter wie ein imperator abpresst (indixit leges), ist dabei in die typisch juristische Amts- und Gesetzessprache eingefasst (formula legis): Gleichsam von der Venus Genetrix mit dem summum imperium ausgestattet und den Spuren von Julius Caesars „veni vidi vici“ folgend, nimmt Cynthia den unterlegenen Properz im Handumdrehen „gefangen“ und diktiert dem servus amoris, wie einst der römische Feldherr den besiegten Galliern, die Bedingungen der Kapitulation (vgl. Bell. Gall. 1,27!). Und wie Indien seinen „Nacken“ (colla) dem Triumph des Augustus beugen musste (2,10,15), so trägt Properz’ blutiger Hals das unverkennbare Siegeszeichen seiner Geliebten. Cynthias „umgekrempelte“ Hand (perversa manu) scheint den schmerzvollen erotischen Vollzug des summum supplicium fast sinnbildhaft auszudrücken57: Der in flagranti ertappte Liebessünder ist der sexual57 Der Ausdruck perversa manu (64), unter dem allgemeinhin der „Handrücken“ verstanden wird (vgl. Butler/Barber, Camps z. St.), ist ungewöhnlich und wird von Hutchinson z. St. angezweifelt. Richardson z. St. stellte sich darunter eine rasche Schlagabfolge abwechselnd mit der Handinnen- und außenseite vor. Es ist aber wahrscheinlich, dass die Formulierung in Anbetracht der politischen/juristischen Fachsprache der Verse bewusst gewählt ist (Seneca, De ira 1,16,5): Itaque et si perversa induenda magistratui vestis et convocanda classico contio est,
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ethischen culpa für schuldig befunden worden und empfängt die Strafe für den elegischen Ehebruch. Das souveräne selbstironische Spiel, mit dem Properz das große „Welttheater“ (summum theatrum) des Mythos und der Geschichte in seinen privaten Liebeskosmos einschließt, stellt zweifellos ein Glanzlicht der erotischen Elegie dar58: „Cynthia speaks with regal dignity and carefully chosen words, almost as though she were a queen in epic.“ Nicht von ungefähr hatte Wilamowitz nicht die Elegie 4,11, sondern das zweite Cynthia-Gedicht zur wahren regina elegiarum (Scaliger) gekürt. Zwar reicht das Komödiantenepos 4,8 nicht an den epischen/tragischen Maßstab Didos (Vergil) oder Medeas (Euripides) heran, zumal Cynthias Liebessorgen dem phallischen Blickumfeld des „wollüstigen“ Forum und damit dem lascivus Catullus (Prop. 2,34,87) gelten. Aber die tragikomische Leichtigkeit, mit der Properz seine Geliebte und sich selbst in der poetischen Phantasie auf die historische Theaterbühne des divus Augustus, des vergöttlichten Julius Caesar oder Pompeius Magnus befördert, setzt dem panegyrischen Pathos des Cornelia-Gedichts glänzenden Humor und überlegene Ironie äquivalent entgegen. Eine Schlussbetrachtung zur persona-Diskussion soll die Analyse properzischer Dichtkunst des vierten Buches (4,2) zusammenfassen. Wie sich die erotische ἀναγνώϱισις zwischen dem miser poeta und der superba puella in 4,7/8 nicht ohne gattungsimmanente Widersprüche und Spannungen vollzieht (so ist der Rezipient gezwungen, Cynthias Hohelied der Liebe mit ihrem Amour fou in Einklang zu bringen)59, stellt die künstlerische „Wiedererkennung“ des decorus liber aufgrund der vielfältigen, sich genrehaft voneinander abgrenzenden Dramatis personae des vierten Buches ein besonderes Problem dar (4,2,1): Quid mirare meas tot in uno corpore formas? Man kann die Frage durch Horaz’ Metapher „ut pictura poesis“ (Ars Poet. 361), die bei Properz zu einem bunten Bild selbstreferentieller Personenbzw. intertextueller Gattungsbezüge ausgemalt ist, oberflächlich gut beantworten, trifft aber im Kern keine wirkliche Aussage darüber, in welchem Verhältnis die Biographie des poeta amator (Properz) zur Fiktion des Vertumnus amator steht, das heißt, wie sich die „Wechselwirkung zwischen Leben und Kunst“ (Sharrock) konkret ausgestaltet. Auf den ersten Blick erscheint das polyphone Zusammenspiel der verschiedenen personae des vierten Buches zugleich einfacher und komplizierter: Einerseits weisen historische/fiktive Persönlichkeiten wie Cornelia (4,11) oder Arethusa (4,3) mit Properz’ vita keine spezifischen Berührungspunkte auf. Und auch in der Rolle des blutrünstigen Romulus (4,10) lässt sich der zartfühlende Elegiker kaum vorstelprocedam in tribunal non furens nec infestus, sed vultu legis (…). Die toga/vestis perversa (Petron, Saty. 58,12), also die vom römischen Magistrat „verkehrt“ herum getragene (Trauer-) Amtstracht, begleitete im republikanischen Kriminalverfahren (causa capitis) symbolisch die Verurteilung zum Tode. Es ist denkbar, dass Properz, der seiner „elegischen“ Rechtsexistenz vergleichbar verlustig wird, die verbildlichte Amtshandlung seiner bevorstehenden Hinrichtung auf die erotische Metapher von Cynthias „Henkershand“ übertragen hat. 58 Richardson zu 4,8,73 ff. (470). 59 Vgl. Habermehl, Tod und Verklärung 69: „Zu viele literarische Vorbilder standen für Cynthia Modell, um ein Porträt aus einem Guß zu ergeben.“
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
len. Auf der anderen Seite teilen Cynthia (4,7/8), Tarpeja (4,4) oder Acanthis (4,5) aber etliche motivische Gemeinsamkeiten, und der epische Held Herkules (4,9) wird vorzugsweise mit dem exclusus amator der Elegie verglichen. Schließlich zeigt sich Properz’ ars insbesondere durch den Dichtergott Apollon (4,6) inspiriert. Schon der abrupte Personenwechsel des Prologgedichts 4,1a/b vom Sprecher (Propertius) zum Angesprochenen (Horos) lässt daher vielschichtigere interpersonelle Referenzen vermuten, als es zunächst den Anschein hat. So macht es für Horaz einen großen Unterschied, ob der Schriftsteller einen jugendlichen Hitzkopf oder eine matrona potens auf die Theaterbühne bringt (Ars Poet. 125–127): (…) 125 si quid inexpertum scaenae committis et audes personam formare novam, servetur ad imum, qualis ab incepto processerit, et sibi constet. (…)
Die „mit sich übereinstimmende“ fiktionale Charaktergestaltung zeichnen Properz’ minuziös ausstaffierte personae allesamt aus, und selbst der so albern wirkende Rollentausch zwischen der puella Herkules (4,9) und dem heros Cynthia (4,8) spiegelt die närrische Gesellschaftstravestie der römischen Saturnalien angemessen wider (persona „perversa“)60: „elegy’s commonalities with comedy provide some crucial clues to its fictional nature.“ Dabei hat der Begriff persona nach Elliot mit der Zeit eine neue Bedeutung gewonnen61: „From the simple ‚false face‘ worn by an actor the word carries the meaning in Terence of the role played by an actor: agit personam (he plays a part)“: respondi, et toto solvimus arma toro (4,8,88). Sofern richtig überliefert, lässt sich der ursprüngliche Sinn des respondi nicht mehr klar erfassen62. In der Sache laufen die Interpretationen auf Butler/Barbers „I performed my [sexual] part in return“ hinaus63: Respondi – das ist augenzwinkernd – beinahe möchte man meinen – zum Publikum gesprochen, vergleichbar dem „I’ll do my very best“, das der Butler James, während er die betagte Dame die Treppe hoch zum Schlafzimmer geleitet, am Ende der Geburtstagsfeier in Dinner for one zum Zuschauer gewendet äußert, zuversichtlich, sich trotz seines ungeheuren Alkoholkonsums als Herr der Situation erweisen zu können, obwohl er zuvor von Miss Sophie so gnadenlos – und doch erwünscht – herumkommandiert worden war.
Da die Elegie 4,8 wie ein Theaterstück komponiert ist, in dem Properz bzw. seine persona selbst die führende „Rolle eines Schauspielers“ (Ars Poet. 193) übernimmt, könnte in dem respondi eine bühnenreife Schlusspointe impliziert sein, die das zuvor an Cynthia gerichtete respondi ego (81) dem Leserpublikum wie ein erotisches Crescendo ins Ohr und Gedächtnis einprägt. Auch optisch fällt der elegi60 James, Gender and Genre 12. Vgl. zur „libertas Decembri“ Horaz, Sat. 2,7 (4). 61 Elliott, Literary Persona 25. 62 Goold übernimmt die Verbesserung despondi („I made my obeisance“), während Heyworth, Cynthia z. St. mit Verweis auf 4,3,11 und 4,7,21 (textkritisch beides unsicher!) für res pacta plädiert („the matter was settled“). Hutchinson setzt respondi in Cruces („nothing convinces“). 63 Schindler, Komödie der Liebe 114. Vgl. Fedeli/Dimundo, Properzio IV („sinonimo di satisfeci, ovviamente in senso erotico“) und Camps z. St. (135): Properz „functioned normally again, in regard to sex“.
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sche Vorhang rechtzeitig genug, um Ovids „militat omnis amans“ (Am. 1,9,1) der Vorstellung des lesenden Zuschauers zu überantworten. Das der Komödie verwandte Motiv des miles amoris ist auf den „schauspielernden“ poeta amator quasi bruchlos übergegangen64. Der wesentliche und für das (moderne) persona-Verständnis schwer nachvollziehbare Unterschied besteht letztlich darin, dass – von öffentlichen Rezitationen einmal abgesehen – die literarisch vergeistigte Liebesdichtung dem Leser/Zuschauer das ursprüngliche und unmittelbare audiovisuelle Theatererlebnis des agens poeta lediglich in gedanklich fiktionaler Form darbieten kann65: „Literacy and the ancient book opened a gap between a poet and his audience, and the absence of the performing poet is filled by the mask or persona of the writer.“ Dies hat zur Folge, dass Properz’ persona einen sozusagen autopoietisch verfälschten biographischen Charakter trägt, insofern als sie sich entweder auf den agens poeta/amator selbst bezieht oder diesen hinter der anonymen Maske bzw. Charakterrolle einer selbstreferentiellen Dichterschöpfung wie des Vertumnus verbirgt. Was Sharrock für die subjektive „first-personal“ Liebeselegie behauptete, muss in besonderer Weise für die objektive „interpersonelle“ Charakterdarstellung des vierten Buches gelten (tot formae)66: „there are many levels of ‚persona‘ active in the communicative dynamics of elegy“. Basierend auf Aristoteles’ Poetik unterschied Clay drei verschiedene Typen der dramatischen/mimetischen bzw. „rollespielenden“ Dichtung („Personative Poetry“)67: [1] der Dichter in der Rolle des Erzählers, [2] der Dichter als Erzähler in der Rolle eines (fiktiven) Charakters und [3] der Dichter, der die handelnden (fiktiven) Charaktere seiner Erzählung selbst repräsentiert68: In this mode [3], the poet „conceals himself“ completely and nowhere speaks in his own person. If this is the case, a distance opens between the poet or imitative artist and his work as it is enacted autonomously. And it is precisely in this gap that we should expect to detect our modern notion of the literary persona and the analogue to the ancient representations of the Greek tragic or comic poet contemplating his masks.
Es ist im Resümee nicht einfach, die obigen modellhaften Kategorien der dichterischen persona auf die Charakterzeichnung der properzischen Liebeselegie eindeutig anzuwenden: In dem idealtypischen poeta amator der Bücher 1–3 (4,8) vermischen sich sowohl [1] narrative/epische (disce, quid) und [2] handelnde/dramatische Elemente der Selbstdarstellung (respondi). Aber auch die für das abschließende Buch programmatische Verkörperung [3] autonom agierender personae, so beispielhaft die puella Cynthia, ist bereits ein innovativer Bestandteil der Monobiblos69. Es ist deshalb eine ebenso simple wie folgenschwere Erkenntnis, dass zuletzt alle vom Dichter erfundenen Charakterrollen, unbeschadet der geschlechts- oder gattungsspezifischen Merkmale seiner personae, mehr oder weniger luzid auf den poeta selbst 64 Vgl. James, Gender and Genre 13 („role-playing is an essential part of elegy“). 65 Clay, Literary Persona 30. 66 Sharrock, Constructing Characters 263. 67 Vgl. Clay, Literary Persona 24 ff. 68 Clay, Literary Persona 26. 69 Vgl. Kapitel 5.2 zu Prop. 1,3,35 ff. (Cynthias Klagerede).
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II. Das Dichtungsprogramm des vierten Buches: Ein intertextueller Kommentar
zurückstrahlen, da sie das Produkt seiner künstlerischen Schaffenskraft sind. Properz’ Demaskierung als wandlungsfähiger Dichtergott Vertumnus offenbart nur den augenfälligsten Zusammenhang interpersoneller Referenzidentität, denn die intertextuelle Vielgestaltigkeit des vierten Elegienbuches (4,2) zeichnet Properz’ Dichtungsprogramm und seine „ars poetica“ insgesamt aus.
III. SCHLUSSBETRACHTUNG Abschließend sollen die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst und auf bisherige und weiterführende Forschungsdebatten über die Elegie 4,2 und das vierte Properz-Buch bezogen werden: Beginnend mit der Frage nach dem etymologischen/kultgeschichtlichen Ursprung des Gottes sind Vertumnus’ signa paterna in den Blickpunkt der signa artificia des Dichters gerückt, die als intertextuelle Wahr- und Erkennungszeichen Properz’ künstlerische Vielgestaltigkeit widerspiegeln. Die universale Proteusnatur des Gedichtthemas wird auf mehreren Sinnebenen abgebildet: Vertumnus’ topographische Kultüberführung von Etrurien nach Rom bedingt eine diachrone Zeitverschiebung von der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft des Gottes. Mit den verschiedenen Kultdeutungen wandelt sich auch Vertumnus’ besonderes Charakterwesen: vom Flusswender (Vertamnis) über den Fruchtbringer (Vertannus) zum omnipotenten All- (Vertomnis) und Dichtergott (Versus). Die allumfassende Wandelbarkeit der elegischen Verse, die sprachlich, stilistisch und motivisch die jeweils passende Form der rezipierten bzw. imitierten Dichtung annehmen, bildet den wesentlichen Kern properzischer Dichtkunst des vierten Buches (tot formae): Je nach dem, wie es dem Leser beliebt, kann die Elegie 4,2 (Buch 4) entweder vor dem Hintergrund der Aeneis, Georgica und Bucolica, der Amores-Dichtung, der Dichtung der Carmina (Oden), der politisch anklingenden „Res Gestae“, der satirischen und Komödiendichtung, der epigrammatischen oder aitiologischen Lehrdichtung gesehen und gedeutet werden. Daher liegen dem facettenreichen decorus liber (4,2) auch unterschiedliche Namens- bzw. Dichtungsanzeiger referentiell zugrunde: Je nach Blickwinkel demaskiert der Verwandlungsgott Vertumnus den episch (Apollon), didaktisch (Ceres) oder bukolisch (Pan) dichtenden Vergil; den Wegbereiter der römischen Liebeselegie Cornelius Gallus (Lycoris); den in der Kunst der Alexandriner versierten Catull (Ariadne); den ganz und gar kunstvollen Hymnendichter Horaz (Bacchus); den in Menschengestalt sich offenbarenden divus Augustus (Jupiter) oder den philanthropischen Garten- und Dichterpatron Maecenas (Priapus); zuletzt den meisterhaften doctus poeta Kallimachos oder den kongenialen Romanus Callimachus Properz selbst. Sicherlich können die Vorstellungen und Vorlieben, was eine gute Dichtung ausmacht, im Einzelnen weit auseinandergehen, sind immer auch zeitspezifischen Modeerscheinungen oder schlicht dem subjektiven Kunstgeschmack unterworfen – Quintilian hatte dies sehr treffend mit den Worten charakterisiert (10,1,93): sunt, qui Propertium malint. Ovid jedenfalls hat sich der Liebesdichtung seines Vorgängers sehr verbunden gefühlt und dem Vertumnus amator Properz in den Metamorphosen ein persönliches Denkmal gesetzt – ein Tribut an Properzens erotischen Schöngeist und die graziöse Vielgestaltigkeit elegischer Dichtung überhaupt. Mir scheint, dass die persona-Diskussion die poetologischen Entwicklungslinien und Bruchstellen des vierten Buches im Detail wie im Ganzen noch schärfer
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III. Schlussbetrachtung
und differenzierter herausarbeiten kann. Dies betrifft nicht nur evidente selbstreferentielle Bezüge wie zwischen dem poeta amator und dem Hercules exclusus (hier wären gattungsspezifische Fragen des „Epic into Elegy“ zu vertiefen), sondern auch spannungsvolle Übereinstimmungen wie zwischen dem blandum carmen des Elegikers und dem Hetärenkatechismus der Acantis (fallax opus). Dass die „non“ durae puellae des vierten Buches – das gilt ebenso für Tarpejas verräterisches und Arethusas patriotisches Liebespathos – im Kern von derselben erotischen Leidenschaft und poetischen Kohärenz durchdrungen sind, ist eines genaueren Blickes auf die dichterische Genese und Wandelbarkeit des elegischen Frauenbildes wert: Cornelias offiziöse Totenklage hat mit Cynthias privatem Klagegesang weitaus mehr gemeinsam als bislang vermutet oder zugestanden. Kunstästhetische Bewertungen, die das teils paradox-polymorphe, teils unförmig-hybride Dichtungsprogramm des vierten Buches unter das Verdikt eines turpis liber stellen, verkennen die gattungsspezifische „Vielgestaltigkeit“ properzischer ars Battiadae, die sich im Verhältnis zu den thematisch einheitlicher konzipierten Elegienbüchern 1–3 durch ein vielseitig-flexibles amores-Verständnis neu und formschöner ausgestaltet (molle opus). Dieser Standpunkt berührt andererseits die kunstpolitische Ausrichtung der maxima Roma des vierten Buches: Properzens abschließendes Werk ist keine wie auch immer geartete recusatio augusteischer Herrschaftsideologie, sondern im Gegenteil das deutlichste persönliche und poetische Zugeständnis an den Prinzeps und die Blütezeit der pax Augusta. Der novus Apollo Augustus und der cantor Apollo Properz stimmen im weltanschaulichen Selbstverständnis darin überein, dass die Actia bella einen bzw. den Wendepunkt von der Epoche der Bürgerkriege zum neuen Friedenszeitalter markieren. Selbst das erotische Cynthia-Epos ist zum Panegyrikus der maxima historia Roms und seiner aitiologischen Entwicklung literaturgeschichtlich überhöht. Man mag Properz vor allem im vierten Buch die Neigung zu einer artifiziellen Perfektion attestieren, die das antike und moderne Empfinden mitunter vorschnell als übertrieben manieristisch abtat und abtut. Darin drückt sich jedoch eine für die intellektuellen Literatur- und Bildungskreise gültige Kunstauffassung aus, die von den Neoterikern trotz mancher Kritik (Ciceros) hoffähig gemacht und von den anderen augusteischen Dichtern in der Sache nicht weniger stilbewusst vertreten worden war. Allerdings führte der selbsternannte „römische Kallimachos“ die stilbildenden alexandrinischen Maximen der Modernisierung und Überbietungstechnik konsequent zur Formvollendung: Kunst ist für Properz gleichbedeutend mit dem Manifest der eigenen dichterischen Kraft und Größe (maxima fama). Kaum ein anderer der docti poetae hat den Dialog mit den zeitgenössischen und verewigten literarischen Vorbildern derart schöpferisch und gewinnbringend für seinen eigenen poetischen Kosmos geführt wie Properz. Denn Properz hat den prestigeträchtigen Wettstreit mit den führenden Dichtern und ihren schon zu Lebzeiten unsterblichen Werken – zumal aus der gattungshierarchisch „unterlegenen“ Position des Elegikers – als eine besondere künstlerische Aufgabe und Herausforderung unter kallimacheisch prinzipiell Gleichgesinnten verstanden. Properzens Methoden der imitatio/aemulatio bieten einen potentiell unermesslichen Anspielungsreichtum, wobei natürlich nicht jede Reminiszenz auf eindeutiger Absicht beruhen muss.
III. Schlussbetrachtung
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Vielmehr überlässt Properz die intertextuelle Bedeutung und Breitenwirkung seiner Dichtung auch dem Weit- und Scharfblick des Interpreten bzw. Lesers. Durch dessen individuelle Perspektive manifestiert sich Properz’ maxima Roma als eine poetische Wirklichkeit, die mehrere und verschiedene Sinnbezüge bietet und zulässt – eben, um es mit den Worten des Verwandlungskünstlers Vertumnus abzuschließen: in quamcumque figuram voles, verte, decorus ero.
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STELLEN-, SACH- UND NAMENVERZEICHNIS I. Verzeichnis der textkritisch behandelten Stellen (Properz) 1,3,46 101 1,18,27 149 1,21,5–6 238 1,21,9 239 (Anm. 269) 1,22,6 241 2,1,5 102 (Anm. 90) 2,1,11 103 (Anm. 91) 2,3a,22 107 (Anm. 95) 2,4,20 82 2,16,41–42 200 2,19,24 138 2,22a,11–12 75 2,31,3 127 (Anm. 154) 2,32,35 142 (Anm. 195) 2,34,83–84 145 3,1,23 131 (Anm. 167) 3,9,8 248 3,9,33–34 250 3,9,57 254 3,11,31 201 (Anm. 134) 3,17,2 105 3,17,3 105 3,24,2 268 3,25,13–14 269 4,1a,9 24 4,1a,45 27 (Anm. 30) 4,1a,46 27 4,1a,57 119 (Anm. 127) 4,1b,135 79 4,1b,140 81 (Anm. 43) 4,2,1 66 4,2,2 34 (Anm. 6) 4,2,3 34 4,2,9 46 4,2,11 51 4,2,12 49 4,2,19 63 (Anm. 50) 4,2,28 56 4,2,34 139 4,2,37 134 (Anm. 172) 4,2,39 135
4,2,41–46 256 4,2,57 215 4,2,63 235 4,3,49 226 4,4,14 175 4,4,17–18 177 4,4,34 178 4,4,55 182 4,4,59 181 4,5,19–20 84 4,5,21 76 (Anm. 23) 4,5,23 76 (Anm. 23) 4,5,55–56 77 4,5,58 77 4,6,3 127 (Anm. 155) 4,6,26 121 (Anm. 131) 4,6,60 192 (Anm. 108) 4,6,74 129 4,7,20 96 (Anm. 80) 4,7,21 97 (Anm. 81) 4,7,79 220 4,8,19–20 274 (Anm. 27) 4,8,39 279 4,8,40 279 4,8,58 282 (Anm. 54) 4,8,59 282 (Anm. 54) 4,8,60 282 (Anm. 54) 4,8,64 284 (Anm. 57) 4,8,88 286 4,9,18 164 (Anm. 20) 4,9,22 166 4,9,29 165 (Anm. 22) 4,9,71–74 170 4,11,4 218 4,11,8 218 4,11,18 219 4,11,39–40 206 4,11,66 208 (Anm. 160) 4,11,70 209 4,11,102 212 (Anm. 169)
302
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
II. Verzeichnis der zitierten Stellen (Properz) Die fett markierten Textstellen sind für die Analyse/ Interpretation zentral. Buch 1 1,1,1–8 87 1,1,1 75, 89, 102, 138, 268 1,1,2 87 1,1,3 114 1,1,4 89 1,1,6 88 1,1,7–22 155 1,1,7–10 73 1,1,7–8 102 1,1,7 114 1,1,11 156 1,1,16 158 (Anm. 249) 1,1,19–24 85 1,1,33 225 1,1,36 158 (Anm. 251) 1,2,1–6 75 1,2,4 76 1,3,1–8 99 1,3,7 102 1,3,9 101 1,3,10 85 (Anm. 54) 1,3,35–46 101 1,3,41–42 102 1,3,42 107 1,3,43 102, 148 1,3,46 101, 105 1,5,23 160 (Anm. 260) 1,5,25–26 160 (Anm. 260) 1,5,31 160 (Anm. 260) 1,7,1–10 73 1,7,5 158 (Anm. 252) 1,7,6 78, 158 1,7,8 241 1,7,19 254 1,7,21–22 114 1,7,24 236, 267 1,8,1 85 (Anm. 53) 1,8,39–42 78 1,8,40 79, 84 1,9,11–12 114 1,12,19–20 267 1,14,1 45 (Anm. 11) 1,15,7 77 1,16,14 158 1,16,23 92 1,16,41 158 (Anm. 253) 1,17,3 233 1,17,13–24 232
1,17,19 158 1,17,22 158, 233 1,17,24 216 1,18 147 1,18,3 150, 165 (Anm. 27) 1,18,7 148 1,18,19 149, 159 1,18,20 148–149 1,18,21 150, 251 1,18,22 148 1,18,26 158 (Anm. 249), 241 1,18,27 134, 149–150 1,19,1–6 232 1,19,1 277 (Anm. 42) 1,19,12 234 1,20,2 49 (Anm. 20) 1,21 237 1,21,1 66 1,21,5–6 238–239 1,21,5 239 1,21,9–10 238 (Anm. 268) 1,21,9 239 (Anm. 269), 243, 273 (Anm. 25) 1,22 236 1,22,1–2 273 1,22,2 241 1,22,3 238, 240, 242 1,22,4 240 1,22,5 240 1,22,6 239–241 1,22,7 237 1,22,9 240, 243 (Anm. 286) Buch 2 2,1,1–16 94 2,1,1–4 67, 251 2,1,1 92, 235 2,1,2 70 2,1,3 157 2,1,4 70, 92, 115, 157, 254 2,1,5–6 75 2,1,5 70, 102, 146 (Anm. 203) 2,1,6 60 (Anm. 44), 102 2,1,8 283 2,1,9 107 2,1,10 280 2,1,11–12 103 2,1,12 68, 70 2,1,14 95
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis 2,1,15–16 157 2,1,16 70, 95, 103, 176, 235 2,1,17–36 244 2,1,26 247 2,1,27 118 (Anm. 124), 229 2,1,35 245 2,1,39–42 245 2,1,40 114 2,1,47 216 2,1,71–78 73 2,1,73–74 247 2,1,76 255 2,1,78 76, 89 2,2,13–14 142 (Anm. 195) 2,3a,9–22 106 2,3a,16 131, 266 2,3a,19 107 2,3a,20 110 2,3a,21 107 2,3a,22 107 2,4 81 2,4,15 93 2,4,16 83 2,4,19 82–83 2,4,20 82 2,5,1–2 158 2,5,3–8 96 2,6,19–22 185 2,6,19 194 2,6,23 228 (Anm. 224) 2,6,25 185 2,6,36 218 2,7,5–12 227 2,7,5 225 2,8,7 12, 268 2,8,9–10 242 2,8,10 268 2,8,17 97 (Anm. 82) 2,8,23 216 (Anm. 183) 2,10,1–12 128 2,10,8 82 2,10,15 284 2,10,24 50 2,10,25–26 59, 154 (Anm. 236) 2,10,25 61 2,10,26 142 (Anm. 191) 2,11 221, 232 2,13b,35–36 234 2,13b,35 239, 241 2,13b,39 239 2,14,10 273 2,14,27 97 (Anm. 82) 2,14,29 82 (Anm. 45)
2,15,52 56 2,16,37–42 200 2,16,39 201 (Anm. 134) 2,17,13 86 2,18b,25 270 2,18b,37 64 2,19,3 138 2,19,9 138 2,19,17–26 138 2,19,23 139 2,19,24 138, 140 2,22a,1–14 74 2,22a,2 281 (Anm. 50) 2,22a,5 74 (Anm. 18) 2,22a,11 75 2,22b,43–46 75 2,24a,2 278 2,24b,16 83, 96 2,24c,35 97 (Anm. 82) 2,24c,47 77 2,25,27 106 (Anm. 94) 2,26,5 106 (Anm. 94) 2,26,31 82 (Anm. 45) 2,28,14 63 (Anm. 50) 2,29,23–30 177 2,29,30 279 2,30,16 112, 149, 228 2,30,33–40 110 2,30,37 142 2,30,39 221 2,31 124 2,31,3 127 (Anm. 154) 2,31,5 127 2,31,8 33 2,31,9 127 2,32,6 274 2,32,33–40 143 2,32,35 142 (Anm. 195) 2,32,40 142 (Anm. 195) 2,32,49 106 2,33b,37 127 (Anm. 155) 2,34,32 83, 97, 109, 178, 217, 254 2,34,41–42 109 2,34,44 109 2,34,59 259 2,34,61–66 118 2,34,62 119 (Anm. 125) 2,34,65–66 131 2,34,67–76 137 2,34,73–74 138 2,34,76 160, 265 (Anm. 3) 2,34,77–78 51 2,34,79–84 144
303
304
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
2,34,80 87 2,34,81–82 145 2,34,83–84 145–146 2,34,84 146 (Anm. 203) 2,34,87–90 87 2,34,87 27 (Anm. 28), 90, 264, 275, 285 2,34,89 90, 230 2,34,91–92 152, 154 (Anm. 236), 217 (Anm. 186) 2,34,93–94 146 2,34,93 97 (Anm. 82) Buch 3 3,1,1–4 60, 111 3,1,1–2 166 3,1,1 60, 76, 80, 112–113, 131, 154 3,1,3 126, 132, 142, 165, 175 3,1,5 143 3,1,7–12 131 3,1,7 131 3,1,8 132 3,1,17–20 110 3,1,17–18 112, 142, 247 3,1,19 116, 127 (Anm. 155), 176, 254 3,1,20 116, 176 3,1,21–24 131 3,1,23 131 (Anm. 167) 3,1,33–34 131 (Anm. 167) 3,1,35–36 131 (Anm. 167) 3,2,9 130 3,2,17 270 3,3,1–6 175 3,3,1 80, 141–143 3,3,3 144 3,3,5 142 3,3,6 176 (Anm. 65) 3,3,8 206 3,3,13 141 3,3,15–20 80 3,3,15–16 248 3,3,17–18 248 3,3,17 97 (Anm. 82) 3,3,18 254 3,3,20 81 3,3,21–24 82 3,3,24 83 3,3,25–36 141 3,3,25 130 3,3,27 141–142, 150, 175 3,3,29 142 3,3,47–52 166 3,3,51 165
3,3,52 176 3,4,1 105, 226 3,4,9 140 (Anm. 190) 3,5,1 105, 110, 226 3,5,2 78 3,5,22 56 3,7,10 218 3,7,51 106 (Anm. 94) 3,7,65 106 (Anm. 94) 3,8,39 115 (Anm. 117) 3,9,1–8 246 3,9,1 249 3,9,3 248 3,9,4 248, 255 3,9,8 248 3,9,12 248 3,9,21–34 250 3,9,22 252 (Anm. 310) 3,9,33–34 250 3,9,33 251 3,9,34 247 (Anm. 292), 252 3,9,43–46 273 3,9,47–60 252 3,9,47 253 3,9,52 254 3,9,57 139 (Anm. 189), 141, 254–255 3,10,15–16 268 3,10,15 97 (Anm. 82) 3,10,24–25 158 (Anm. 249) 3,11,1–4 203 3,11,1 66 3,11,27–36 201 3,11,31 201 (Anm. 134) 3,11,33 204 3,11,39 201 3,11,49–50 202 3,11,56 202 3,11,65–66 200 3,11,69 123 3,12,1–14 225 3,12,1 226 (Anm. 220) 3,12,15–22 228 3,12,38 226 (Anm. 220), 228 3,13,1 278 3,13,25–26 138 3,13,30 56 3,13,32 140 3,13,36 218 3,13,41–46 140 3,16,14 239 (Anm. 271) 3,17,1–8 105 3,17,1 105, 113 3,17,2 105
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis 3,17,3 105–106 3,17,19–40 107 3,17,20 110 3,17,22 110 3,17,30 115 3,17,33–36 143 3,17,33–34 111 3,17,33 110 3,17,39 108–109, 128 3,17,40 112 (Anm. 107) 3,17,42 105 3,18,23 218 (Anm. 192) 3,19,22 34 (Anm. 6) 3,21,1 278 3,21,9 115 (Anm. 115) 3,21,25–26 256 (Anm. 326) 3,21,28 278 3,23,1–4 235 3,23,24 259 3,24,1–6 267 3,24,2 268 3,24,3 115 (Anm. 115) 3,24,5 95 3,24,15 82 (Anm. 45) 3,25,3 267 3,25,6 115 (Anm. 115) 3,25,11–18 269 3,25,17 271 3,25,18 270, 275 Buch 4 4,1a,1–10 20 4,1a,1 18, 103, 176, 235 4,1a,2 25, 142 (Anm. 195), 218 4,1a,4 164 (Anm. 20) 4,1a,5 24 4,1a,6 24 4,1a,9–10 24 4,1a,29–32 172 4,1a,29 172 4,1a,39–44 26 4,1a,45–54 27 4,1a,46 172 4,1a,55–60 185 4,1a,56 253 4,1a,57–58 119 4,1a,57 98, 119 (Anm. 127), 170 4,1a,61–64 113 4,1a,61 176 4,1a,62 221 4,1a,64 12, 61, 240 4,1a,67–70 61 4,1a,67–68 23
305
4,1a,67 28 4,1a,69 11, 25, 119 (Anm. 127) 4,1b,71 80, 97 (Anm. 82) 4,1b,75–80 93 4,1b,87 28, 242 4,1b,102 248 (Anm. 297) 4,1b,103 76 (Anm. 23) 4,1b,127–136 272 4,1b,133 80 4,1b,135–146 79 4,1b,135 70, 78–80, 94, 114, 268, 275 4,2,1–2 33 4,2,1 28, 39–40, 66, 114, 135, 167, 234–235, 249, 271, 285 4,2,2 65, 67, 235 (Anm. 253) 4,2,3–4 34 4,2,3–4 248 4,2,4 35 4,2,5 33, 35 4,2,6 33, 42 4,2,7–10 41, 44 4,2,7 45, 161 (Anm. 3) 4,2,9 45–47 4,2,10 38, 43, 49 4,2,11–12 49 4,2,11 38, 51, 53 4,2,12 49, 57 4,2,13–18 50 4,2,13–14 54 4,2,13 54, 56 (Anm. 36), 60 4,2,14 52, 56 (Anm. 36) 4,2,17–18 52 4,2,18 53 4,2,19–20 63 4,2,19 41, 49, 76 4,2,20 34 (Anm. 6) 4,2,21–24 71 4,2,21–22 268 4,2,21 43, 266 4,2,22 58, 184, 264, 273 4,2,23–24 271 4,2,23 69, 71–72, 75, 79, 86, 97, 102 (Anm. 90), 106, 135, 267, 273 4,2,24 71–72, 135, 273 4,2,25–28 55 4,2,27 39, 55–56, 130, 266 4,2,28 56 4,2,29–30 116 4,2,29 233, 279 4,2,31–32 115, 130 4,2,31 105, 115–116 4,2,32 125, 134 4,2,33–40 135
306
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
4,2,33–34 139 4,2,33 140, 266 (Anm. 5) 4,2,34 139–140, 148 4,2,35 135, 233 4,2,37–38 255, 278 4,2,37 134 (Anm. 172), 135 4,2,38 56 4,2,39 135–136 4,2,40 258 4,2,41–46 256 4,2,41 58, 132, 170 (Anm. 42) 4,2,47–48 37, 266 4,2,47 38, 258 4,2,48 33, 40, 249 4,2,49–54 35, 171 4,2,51 171–172 4,2,52 173, 179 4,2,55–56 186 4,2,55 191 (Anm. 107), 192, 196 4,2,56 187 4,2,57–64 214, 233 4,2,57–58 214 4,2,57 34 (Anm. 5), 66, 215, 234, 241 (Anm. 275), 268 (Anm. 13) 4,2,59 35, 260 4,2,60 35, 39, 50 4,2,61 33 4,2,62 215 4,2,63 235 4,3,1–6 223 4,3,11 228, 286 (Anm. 62) 4,3,23–32 224 4,3,23 182 (Anm. 83) 4,3,43–50 226 4,3,43 227 4,3,46 228 (Anm. 228) 4,3,49 225–226 4,3,58 218 (Anm. 188) 4,3,63–72 228 4,3,69 284 4,4,1–6 173 4,4,1 174, 215, 279 4,4,7–16 173 4,4,10 85 (Anm. 54) 4,4,14 175 4,4,15–22 176 4,4,17–18 177 4,4,20 121 (Anm. 131) 4,4,31–38 178 4,4,32 173 4,4,33–34 227 4,4,34 178–179 4,4,37 179–180
4,4,43 185 4,4,51–62 180 4,4,55 182 4,4,57 181, 184 4,4,59 181 4,4,60 181 4,4,62 177 (Anm. 69), 280 4,4,65 178 4,4,72 227 4,4,92 183 4,5,1–4 215 4,5,5 86 4,5,8 85 (Anm. 54) 4,5,11–20 83 4,5,11 218 (Anm. 188) 4,5,12 85 (Anm. 54) 4,5,13 85 4,5,15 85 (Anm. 54) 4,5,19–20 84 4,5,21–28 76 4,5,29–30 76 4,5,37–44 277 4,5,38 77 4,5,43 278 4,5,53–58 77 4,5,59–62 270 4,5,61 258 4,5,63 77, 83 4,5,78 85 4,6,1–10 126 4,6,1 130, 193 4,6,3 127 (Anm. 155) 4,6,4 132, 167, 280 4,6,6 130 4,6,7 127 4,6,10 132 4,6,11–14 123 4,6,11 21, 123 (Anm. 139), 245 4,6,12 128 4,6,13–14 199 4,6,13–14 246 4,6,13 125, 128, 132 4,6,15–30 119 4,6,17 123 4,6,19 121 4,6,21 195 4,6,23 120, 121 (Anm. 132) 4,6,24 125, 229 4,6,26 121 (Anm. 131) 4,6,29 121 (Anm. 132), 125 4,6,37–46 196 4,6,37–38 129 4,6,38 188 (Anm. 95), 207
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis 4,6,43 24, 197 (Anm. 120) 4,6,46 106 (Anm. 94) 4,6,55–58 122 4,6,57 122 4,6,59 192 (Anm. 108) 4,6,60 192 (Anm. 108), 209 4,6,62 202 4,6,67–70 122 4,6,67 123 4,6,69–76 129 4,6,69–70 196 4,6,69 118, 122, 125, 129, 144, 230 4,6,71–72 279 4,6,74 129 4,6,77 123 4,6,79–84 229 4,6,80–84 230 (Anm. 236) 4,6,84 215 4,7,1–10 95 4,7,1 95, 211 (Anm. 168), 215, 217, 233 4,7,2 218 4,7,3 115 (Anm. 115) 4,7,5 96, 102, 224 4,7,9 256 (Anm. 325) 4,7,10 216 (Anm. 182) 4,7,13–22 96 4,7,13 100 4,7,14 103 (Anm. 91) 4,7,16 96 4,7,20 96 (Anm. 80) 4,7,21–22 100 4,7,21 96, 97 (Anm. 81), 286 (Anm. 62) 4,7,49–53 97 4,7,50 96 4,7,59–62 107 4,7,62 115 4,7,69 216, 217 (Anm. 185) 4,7,72 218 (Anm. 188) 4,7,77–78 97 4,7,77 221 4,7,79–86 220 4,7,79 220 4,7,80 158, 216, 221, 233, 240 4,7,85 115 (Anm. 115), 221 (Anm. 204), 270 4,7,87–88 97 4,7,88 86, 95, 102–103, 107, 217, 224 4,7,89–94 215 4,7,91 217 4,7,94 102, 215–216, 221 (Anm. 202), 238 (Anm. 268)
4,8,1–10 274 4,8,1–2 282 (Anm. 54) 4,8,14 282 (Anm. 54) 4,8,15–26 276 4,8,15 115 (Anm. 115) 4,8,17 274 (Anm. 28) 4,8,19–20 274 (Anm. 27) 4,8,21 276 4,8,23 277 4,8,24 277 4,8,27–42 278 4,8,34 96 (Anm. 80) 4,8,35 218 (Anm. 188) 4,8,39–40 280 4,8,39 279–280 4,8,40 77 (Anm. 27), 279–280 4,8,47–48 279 4,8,49–62 282 4,8,51 115 (Anm. 115) 4,8,52 283 4,8,58 282 (Anm. 54) 4,8,59 282 (Anm. 54) 4,8,60 282 (Anm. 54) 4,8,62 274 (Anm. 27) 4,8,63–82 283 4,8,63 115 (Anm. 115), 284 4,8,64 284 (Anm. 57) 4,8,81 286 4,8,83–88 280 4,8,86 130 4,8,87 96 (Anm. 80) 4,8,88 286 4,9,1–8 162 4,9,1–6 42 4,9,1 172 (Anm. 49) 4,9,4 164 4,9,5 44, 46 4,9,6 43 4,9,15–20 163 4,9,15 164 (Anm. 16) 4,9,18 164 (Anm. 20) 4,9,21–30 165 4,9,22 166 4,9,24 173 4,9,29 165 (Anm. 22) 4,9,32 167 4,9,42 168 (Anm. 34) 4,9,47 167 (Anm. 31) 4,9,49–50 79, 167 4,9,49 176 4,9,50 162 (Anm. 8), 166 4,9,55 167 4,9,60 83 (Anm. 46)
307
308
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
4,9,61–70 167 4,9,62 176 4,9,68 169 4,9,70 169 4,9,71–74 170 4,9,72 49, 171 4,9,73 170–171 4,10,1–10 193 4,10,3 194, 200 4,10,7 172 (Anm. 49) 4,10,8 284 4,10,11 24, 195 4,10,15 195 4,10,17 195 4,10,23–30 241 4,10,29 243 4,10,30 243 4,10,45–48 62 4,10,46 194 4,11,1–10 217 4,11,1 205, 219 4,11,2 218 4,11,3 212, 218 4,11,4 218 4,11,8 218
4,11,11–18 219 4,11,13 224 4,11,18 219–220 4,11,29 207 4,11,30 206 4,11,37–44 206 4,11,37 206 (Anm. 151), 220 4,11,39–40 206 4,11,41 220 4,11,44 207, 227 4,11,45–48 209 4,11,55–60 205 4,11,57 212 4,11,61–72 208 4,11,66 208 (Anm. 160) 4,11,68 210 4,11,70 209–211 4,11,71 276 4,11,74 85 (Anm. 54), 211 4,11,78 211 4,11,95 206 (Anm. 150) 4,11,99–102 212 4,11,99 277 4,11,102 212 (Anm. 169), 215
III. Verzeichnis der zitierten Stellen (andere Autoren) Die fett markierten Textstellen sind für die Analyse/Interpretation zentral. Augustinus De civitate Dei 4,11 49 (Anm. 21) Augustus Res Gestae titulus 188 Kap. 1 201 Kap. 3 195 Kap. 4 210 Kap. 4 202 (Anm. 138) Kap. 6 199, 207 Kap. 7 196 Kap. 8 207 Kap. 8 209 Kap. 11 208, 226, 229 Kap. 12 189 Kap. 13 190 Kap. 13 197 (Anm. 124), 230 Kap. 14 206 Kap. 14 219
Kap. 19 193 Kap. 19 200 Kap. 20 193 Kap. 21 199 Kap. 23 206, 277 (Anm. 38) Kap. 24 202 Kap. 25 200 (Anm. 131), 211 Kap. 26 211 Kap. 32 229 Kap. 34 196 Kap. 34 195, 197 (Anm. 124) Kap. 35 198 Catull Carmina 1 90 1,1 126 (Anm. 150) 2,5 225 3,1 87 7 91 7,3 76 (Anm. 23)
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis 7,5 76 (Anm. 23) 7,6 92 7,12 63 (Anm. 50), 92 8,1–8 87 8,1 88, 99 8,9–19 88 8,10 89 8,19 88 11,23 259 16,1 263 29,5 222 (Anm. 206), 263 37,1 274, 277 47,4 260 57,2 222 (Anm. 206) 61,38–39 182 61,44–45 182 61,96–100 182 61,211–220 183 64,50–57 99 64,50–51 268 (Anm. 12) 64,51 256 64,55 100 64,56 101–102 64,60–67 106 64,63 115 64,69–75 101 64,70 102 64,73 172 (Anm. 49) 64,91–92 103 (Anm. 91) 64,132–142 100 64,139–140 84 64,142 100 64,151 84, 180 64,164–176 179 64,195 106 64,249 219 64,250 101, 104 64,251–264 104 64,251 101, 180 64,264 107, 110 64,321 98, 152 65,2 110 65,15–16 92 (Anm. 67) 66,1–14 92 66,13 96 66,14 284 66,60–61 115 67,1 158 (Anm. 253) 68a,1–10 222 68a,5 224 68a,7 231 68b,67 227 (Anm. 223) 68b,69 231
68b,70 223, 279 68b,77–86 224 68b,87–100 231 68b,89 239 (Anm. 273), 241 68b,90 223 68b,101–102 34 68b,112 162 76,1–12 98 76,4 100 76,11–22 89 85,1 89 93,2 222 (Anm. 206) 96 230 115,8 263 (Anm. 351) Cicero De legibus 2,5 39 De natura deorum 2,67 39 (Anm. 23) De officiis 1,104 281 De re publica 2,6
105 (Anm. 93)
Epistulae ad Atticum 7,2,1 91 In Catilinam 1,32 198 2,11 195 (Anm. 115) 3,23 187 (Anm. 92) 4,23 198 In Verrem 2,1,154
33 (Anm. 1), 43 (Anm. 6)
Laelius (De amicitia) 64–65 251 (Anm. 308) Pro Caelio 34 277 Somnium Scipionis 26 212 (Anm. 169)
309
310
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
Cornelius Gallus Papy. Qaṣr Ibrîm 1–9 157 2 157–158, 205, 217, 232 (Anm. 241), 234 (Anm. 250), 236, 252 Homer Ilias 2,819 6,448
142 (Anm. 195) 242 (Anm. 280)
Horaz Ars Poetica 75 219 (Anm. 195) 99–109 275 123 282 125–127 286 189–201 283 193 286 263–274 281 361 285 Episteln 1,1,3 247 1,19,1 255 1,20,1–2 278 2,1,57 278 (Anm. 44) 2,1,228 252 (Anm. 310) 2,2,90–101 113 2,2,94 123 (Anm. 139) 2,2,99 113 Epoden 1,4 247 6,1 277 6,5 277 8,3–4 269 (Anm. 14) 16,2 240 16,9 242 Oden 1,1,1–6 247 1,1,29–36 112 1,1,34 112 1,2,52 253 (Anm. 315) 1,12,49–52 192 1,37,1 130 (Anm. 165), 202 1,37,21 202 1,37,32 202 2,10,4 83 2,10,5 83 2,19 109
2,19,8 110 2,19,22 110 2,20,15–16 146 3,1,2–3 126 3,1,3 109, 142 3,2,26 49, 56 3,5,1–4 199 3,5,1 199 3,5,2 128, 192 (Anm. 108), 199, 201–202, 212 3,18,1 139 3,25,17–18 109 3,25,18 110 3,29,14 278 (Anm. 45) 4,2,1–4 108 4,6,1–24 116 4,6,23–24 118 4,6,25–44 133 4,14,1–6 188 4,14,1 211 Satiren 1,1,1 247 1,8,1–7 259 1,8,5 260 (Anm. 338) 1,8,14–15 259 1,8,16 259 2,3,31 239 (Anm. 271) 2,3,228 278 2,7,4 286 (Anm. 60) Kallimachos Aitia 1,1,10 (Pf.) 1,1,11–12 (Pf.) Fr. 73 (Pf.) Fr. 114, 5 (Pf.)
60 114 148 63
Epigramme 21,1–2 (Pf.)
235 (Anm. 251)
Hekale Fr. 292 (Pf.) Fr. 304 (Pf.)
134 (Anm. 172) 134 (Anm. 172)
Hymnen 1,4–8 64 1,60 66 2,9–19 122 2,10 123 2,105–112 132 4,249 146 6,1–2 56
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis 6,118–127 57 6,119 58 6,134–138 50 Jamben 2,13–14 (192 Pf.) 64 9 (Fr. 199 Pf.) 263 13,1 (203 Pf.) 68 Livius Ab urbe condita 1,7,3–5 164 4,20,1 242 (Anm. 279) 4,22,5 38–39 22,56,4 57 44,16,10 33 Lukrez De rerum natura 1,117–118 176 5,772 53 (Anm. 30) 5,801 161 (Anm. 4) 5,820 53 (Anm. 30) Macrobius Saturnalien 1,12,27 169 2,4,12 256 Martial Epigramme 8,73,5 90 (Anm. 63), 275 8,73,6 157 (Anm. 246) 8,73,8 90 (Anm. 63) 189 264 189,1 267 Ovid Amores 1,4,50 96 (Ann. 80) 1,8,13 85 1,8,15 85 1,8,16 282 1,8,17–18 84 1,8,80 84 1,9,1 227, 287 1,9,19 79 1,15,11–12 57 1,15,13–14 91 1,15,18 84 1,15,25 59, 137 2,1,1–10 69 2,2,49 63 (Anm. 50)
2,4,9–20 70 2,4,10 74 2,4,11 74 (Anm. 18) 2,4,15 72 2,4,23–24 71 2,4,32 262 2,4,44 70 3,1,2 49 3,3,44 84 3,7,15 262 (Anm. 347) 3,7,69 262 (Anm. 347) 3,9,62 90 3,10,29 57 3,11a,1–8 90 3,11b,1–2 89 Ars Amatoria 1,45 138 2,117–118 269 3,113 25 3,332–333 280 3,346 223 (Anm. 210) 3,389 21 3,479 278 (Anm. 45) 3,772 268 Epistulae ex Ponto 4,16,3 131 (Anm. 167) 4,16,20 281 (Anm. 50) Fasten 1,1–8 61 1,13 61 1,76 130 1,260–261 179 1,391 262 1,415 262 1,591–592 210 1,605–616 211 1,671–674 59 1,701–704 190 1,704 56 2,127 171 2,212 243 2,475–480 62 2,512 34 (Anm. 6) 3,471 106 4,900 49 5,191–192 63 5,445–450 64 6,13 59 6,97 62 6,213–218 170
311
312
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
6,253 64, 76 6,319–320 262 6,395–410 42 6,404 46 6,405 44 6,408 43 6,409–410 43 6,410 48 6,413 46 Heroides 5,13 13,69
142 (Anm. 195) 239 (Anm. 271)
Metamorphosen 1,1 28 1,101–102 53 1,107–112 54 1,107 53 (Anm. 30) 5,341–345 58 8,217–219 135 (Anm. 175) 10,252 33 14,622–627 264 14,634 265 (Anm. 1) 14,639 265 14,640 265 14,641–653 265 14,651 266 (Anm. 5) 14,675–686 266 14,694 271 Tristia 1,2,87 106 (Anm. 94) 2,427–428 90 (Anm. 63) 2,435 146 (Anm. 202) 2,445–446 152 2,461–462 80 2,465 79 3,3,76 234 (Anm. 249) 4,4,15 198 4,10,1 70, 262 4,10,27–32 272 4,10,121–122 131 (Anm. 167) Petron Satyricon 58,12
284 (Anm. 57)
Plinius Naturalis historia 6,176 76 (Anm. 23)
Quintilian Institutio oratoria 10,1,93 289 Seneca De ira 1,16,5
284 (Anm. 57)
Statius Thebais 12,538
182 (Anm. 84)
Sueton De vita Caesarum Aug. 62 205 (Anm. 148) Tacitus Annalen 4,65 37 Tibull Elegien 1,1,15 57 1,1,17–18 260 1,1,19–20 138 (Anm. 185) 1,1,62 216 1,1,67 216 (Anm. 182) 1,4,14 262 1,4,18 84 1,5,33 85 (Anm. 53) 1,7,55–56 209 (Anm. 163) 1,8,41–50 269 1,8,50 270 1,8,78 269 1,10,67 192 2,5,11–12 23 2,5,19–26 20 2,5,19–20 44 2,5,23–32 134 2,5,25 21, 218 (Anm. 189) 2,5,29 135 2,5,30 135 2,5,33–34 44 2,5,39–46 26 2,5,45–46 28 2,5,55–64 25 2,6,27–44 216 2,6,29 219 2,6,38 219 2,6,40 217
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis Varro De lingua Latina 5,41 174 5,46 36 5,46 34, 36, 38, 40, 249 5,55 172 (Anm. 55) 5,66 170 (Anm. 43) 5,74 37 5,146 164 (Anm. 19) Vergil Aeneis 1,1–7 117 1,1 25, 27, 119 (Anm. 127), 162, 179–180, 194, 244 1,2 26 1,7 25 1,10 191 1,177 56 1,254 186 1,275–282 185 1,278 186 1,279 24, 171 (Anm. 46), 186–187, 197 (Anm. 124), 206, 211, 229, 284 1,280 186 1,282 186 1,286 25, 195 1,417 127 1,496 178 4,9–19 178 4,28 179 4,141–150 127 4,323–330 181 4,328–329 182 4,347 179–180 4,366 180 4,412 180 4,646 282 4,651 232 (Anm. 241) 5,199–200 85 (Anm. 54) 5,146–147 277 (Anm. 42) 6,69 127 6,788–795 191 6,792 210 6,812 35 (Anm. 11) 6,836–840 207 6,853 174, 187, 195 6,868–877 47 6,880–881 103 (Anm. 91) 7,44–45 119 7,601–610 22 8,26–36 161
8,31–41 45 8,33 165 (Anm. 22) 8,36 46 8,37 47 8,57–65 45 8,71–78 47 8,84–85 26 8,86–91 46 8,103 162 8,201 169 8,213–218 163 8,271–272 168 8,273 169 8,276 165 (Anm. 22) 8,289 171 8,294 171 8,301–302 171 8,347–353 174 8,470 27 8,671–681 120 8,671–672 259 8,677 123 8,678 119 (Anm. 125), 121 (Anm. 132) 8,685–686 202 8,693–705 121 8,702 240 (Anm. 274) 12,654 282 Bucolica 1,1–10 136 1,1–5 251 1,1 143 1,2 137, 273 1,3 173 1,4 146, 150, 160, 162, 243 1,7 137 1,10 149 1,71–72 237 2,1–2 138 2,28–37 136 2,29 139 2,37 173 2,50 140 (Anm. 190) 3,71 137 4,2–3 153 4,2 251 4,4–10 191 4,6 240 4,13 253 (Anm. 315) 4,17 153, 171, 192, 243 4,24 85 4,53–59 153
313
314
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
4,57 152 5,15 239 (Anm. 271) 5,84 84 6,1–9 143 6,1 146 6,8 161 6,9–12 145 6,11 147 6,64–73 153 6,69 157 6,72 154 (Anm. 232) 7,28 63 (Anm. 50) 8,17–25 149 9,26–36 145 10,1–8 147 10,1 155, 164 10,6 134, 147, 159 10,8 147, 265 10,9–17 149 10,14 150 10,17 150, 152–154, 157–158, 160, 205, 217, 253 10,18–30 151 10,18 152 10,21 153 10,22 151, 158, 245 10,31–34 158 10,33 234 (Anm. 250) 10,42–49 150 10,44 151 10,50–61 155 10,50 154 (Anm. 232) 10,53–54 159 10,54 159, 253 10,56 139, 160 10,57 156 10,60–61 160 10,62 160, 265 (Anm. 3) 10,64 159 10,69 58, 159 Georgica 1,1–5 51 1,2 141 1,7 14, 49, 59, 192, 261 1,16–23 141 1,17 141 1,20 142 1,24–25 141 1,27 141 1,145–149 58 1,145 53 1,163 59
1,164 56 1,176 51 1,311–315 54 1,338–350 55 1,493–508 242 1,495 243 2,32–34 52 2,39–46 254 2,42 257 2,60 52 2,149 53 (Anm. 30) 2,170 23–24, 170 2,173 55–56, 59, 191, 243 2,175–176 60 2,176 59, 61 2,323–324 54 2,336–342 53 2,365–366 130 2,397–402 53 2,514 265 (Anm. 1) 2,538 55 3,8–9 84 (Anm. 51) 3,10–11 112 3,41–42 254 4,6–7 132 4,110 260 4,116–125 257 4,148 257 4,561 282 Anonyme Autorschaft Carmina Priapea 2,8 261 (Anm. 341) 30,1 263 (Anm. 351) 51 260 51,4 261 51,12 261 51,17 261 51,19 261 51,20 261 51,21 261 51,22 261 51,27 261 53,5 261 63,12 259 68,17–18 263 Corpus Inscriptionum Latinarum I2 1203–1205 215 (Anm. 178) VI 886 220 VI 6314 219 VI 1293 213 XI 5357 218 (Anm. 190)
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis Elegiae in Maecenatem 1,19 256 (Anm. 325) 1,25 255 (Anm. 321) 1,35 259
1,36 1,68
315
256 (Anm. 324) 256 (Anm. 324)
IV. Sachverzeichnis (allgemein) Actia bella (s. a. Actium) 15, 109, 118–123, 125, 127, 131, 133 (Anm. 170), 134, 137, 144, 154 (Anm. 235), 157, 195, 197, 200, 204, 215, 240 (Anm. 274), 242, 246, 253, 290 aemulatio (s. a. Dichterwettstreit) 15, 27–28, 60–61, 65–66, 94, 105, 107–108, 112, 116, 121 (Anm. 132), 164, 247–248, 290 aeterna urbs (s. a. Rom, Troja) 21, 23, 25–26, 47, 187, 193 Aitiologie 11–12, 14–15, 19, 21–25, 28, 33, 36–45, 48–49, 56, 58–71, 73–74, 76, 78–79, 81–83, 86, 91–92, 94–95, 98, 103, 113–114, 119, 129, 143–144, 148, 154, 162–163, 168–171, 173–175, 177–178, 180, 184, 186, 194, 210, 214, 217, 221, 232, 243, 249, 256, 257–258, 261–262, 265–266, 271, 274 (Anm. 27), 275–276, 280, 289–290 Alexandriner (s. a. Kallimachos) 11, 28, 60, 87, 90, 92, 107, 125, 132, 273, 281, 289 ἀναγνώϱισις 285 Apotheose (s. a. divus Augustus/ Iulius) 20, 24, 27, 48, 61, 126, 128, 137, 152, 170, 188, 192–195, 197, 199–200, 205, 209, 212–213, 285 Ara Pacis (Augustae) 55, 171, 189–193, 195 argutum carmen (s. a. Echo/ Echokammer) 15, 25, 147, 160–161, 221 argutum nemus (s. a. Echo/ Echokammer) 152, 161, 163, 165, 174 ars Battiadae (s. a. Kallimachos) 15, 29, 86, 91, 94, 97, 99, 107 (Anm. 95), 110–111, 125, 129, 159, 255, 280, 290 arte allusiva (s. a. Intertextualität) 12, 28–29 auctoritas (Augusti) 197–199, 207 aurea aetas 14, 49, 54–56, 141, 152, 168, 190–191, 193, 210, 221, 240, 243 aureus versus 111, 140 (Anm. 190), 165 Autobiographie (Dichtung) 12, 67–68, 95, 136, 160–161, 188 (Anm. 99), 198, 215, 222, 237, 239–241, 267, 271–272, 275–276, 280 Autopoiesis (Dichtung) 12, 64, 136, 153, 215, 233, 271–272, 275, 287
bellum Perusinum 136, 237–240, 244 (Anm. 288) Bukolik 15, 58, 118, 128, 134–140, 142–156, 158–167, 173–174, 191, 217, 232–233, 236–237, 240, 243, 245, 250–251, 253, 265, 273, 289 Bürgerkrieg (allgemein) 23, 55–56, 118–119, 136, 153, 184, 188–190, 192, 195–197, 237–240, 242–246, 249–251, 273, 290 Caesares Iulii 27 (Anm. 31), 48, 61 (Anm. 47), 192 (Anm. 108), 206, 209, 212, 220 censurae lex 208 clupeus aureus 195, 197, 202 coma Berenices 67 (Anm. 65), 92–94, 96, 102, 107, 283 comica moeca 130, 276–279, 282 comicus moechus 277–278 consolatio 13, 205–206, 210, 223, 230 cursus honorum 208–209 damnatio memoriae 202 decorum/ decus 13, 15, 71, 127, 184, 247, 251, 254–255, 259, 262–263, 266, 270, 275, 277–278, 281 deformazione 137–139, 147, 178 (Anm. 73) Dialogizität 17–19, 21, 23, 26, 33, 49, 61, 65, 67, 92, 102, 125, 158 (Anm. 253), 182, 214, 282 (Anm. 54), 290 Dichterpatronage (s. a. Maecenas) 203 (Anm. 143), 245 (Anm. 290), 247, 252 Dichterweihe 59 (Anm. 41), 60, 126, 142, 153–155, 175 (Anm. 63) Dichterwettstreit (s. a. aemulatio) 15, 27, 60, 105, 112, 115–116, 132, 247–248, 290 Dichtungslandschaft 24, 27, 54, 57, 160, 165–168, 174, 176, 240 Didaktik (Dichtung) 13–15, 51, 53, 58–60, 62–64, 66–70, 76–79, 82, 84–85, 92, 94, 138, 141, 243, 257, 262, 264, 266, 275, 289 diffamatio (s. a. Invektive) 269 divinus poeta (s. a. Cornelius Gallus) 150, 152–154, 157–158, 160, 205, 217, 253 divus Augustus (s. a. Augustus) 15, 24, 55, 61, 128, 168, 184, 187, 189–190, 192–193,
316
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
195, 197, 199–202, 204–205, 210, 212–213, 220, 225, 237, 249–250, 285, 289 divus Iulius (s. a. Julius Caesar) 61, 192, 209, 285 docta puella (s. a. Cynthia) 14–15, 70, 72–73, 76, 78, 86, 92, 94, 96–98, 102–103, 106–107, 110, 142, 146, 204, 217, 221, 231–232, 235, 264, 268, 283 doctus poeta 14, 37, 48, 60, 66, 69–70, 86–87, 90–93, 98, 103, 113, 126, 232, 235, 278, 289 domus Augusta 24, 199, 210, 220, 227 dura puella (s. a. Cynthia) 14–15, 69, 71–79, 81, 83, 85–87, 89, 96–98, 102, 148, 156, 158, 160, 167, 203 (Anm. 141), 204, 216, 221 (Anm. 204), 232, 241, 265, 268–271, 273, 290 Echo/ Echokammer (s. a. Intertextualität) 15, 25–26, 52, 100, 130, 145, 147–148, 150, 155, 160–161 Eklogen (s. Bukolik) Ekphrasis 29, 99–104, 121–122, 124–126, 178, 224 Elegie 11–17, 19–20, 22, 25, 28–29, 33–34, 36, 39–40, 43, 45–46, 48–49, 51, 58–62, 64–74, 76–92, 94–95, 98, 101–116, 118–125, 127–134, 136–139, 141, 144–151, 153–154, 156–160, 162–171, 173–181, 183–186, 189, 193–195, 197–199, 201–205, 208, 210–242, 244–246, 248–249, 251–259, 261–280, 283–290 Enkomiastik (s. Panegyrik) Epic into Elegy (s. a. Gattungskreuzung) 15, 28 (Anm. 36), 71 (Anm. 8), 79, 164, 167, 169, 171, 174, 177, 184, 194, 204, 225, 254 (Anm. 317), 270 (Anm. 16), 290 Epigrammatik 12–13, 15, 28, 66–67, 73, 85, 102 (Anm. 89), 140, 157, 211, 213–217, 219–221, 230–231, 233–236, 238–241, 244, 257, 263–264, 269, 272, 289 Epitaph (s. a. Epigrammatik) 66, 188, 211–215, 219–221, 232–234, 238, 246 Epithalamium 92, 181–182 Epos 11, 13, 15, 22, 25, 28, 45–46, 48, 51, 53 (Anm. 30), 55, 58–62, 65–66, 71, 79, 82–84, 91, 94–95, 98–99, 101, 104, 106, 109–111, 112 (Anm. 107), 116, 118–119, 121–123, 125, 127–129, 131–134, 136, 141, 144, 152–154, 157, 161–167, 169, 171–172, 174–186, 189, 194–195, 199, 205, 210–211, 215, 225, 227–229, 231,
243–246, 248–249, 251, 253–255, 257–258, 264, 273, 278–280, 283, 285–287, 289–290 Epyllion 92, 98–100, 104 erotic death (Liebestod) 102 (Anm. 89), 216–217, 222, 231–233 Erotik (s. Elegie) Etruskertum 12, 14–15, 33–40, 66 (Anm. 59), 139 (Anm. 189), 171–172, 187, 236–244, 246–249, 256–257, 262, 271 (Anm. 19) Etymologie 14, 33–34, 36–39, 41, 43–46, 48–50, 54, 58, 61, 63, 66 (Anm. 59), 139 (Anm. 189), 158 (Anm. 251), 170–171, 172 (Anm. 55), 174, 197 (Anm. 120), 219, 234, 256–258, 260 (Anm. 338), 261, 265, 271 (Anm. 19), 289 evocatio 35–36 exclusus amator 15, 78, 162–163, 165–167, 171, 184, 286, 290 fallax opus (s. a. Elegie) 14, 70, 72, 78–86, 94, 96, 102, 105, 115, 178, 217, 272, 275, 290 foedus aeternum 79 (Anm. 33), 88 (Anm. 59) furor 88, 102, 114, 116, 156, 160, 179, 227 Gattung (Genre) 11, 13–15, 22–24, 26–29, 60, 79, 83, 92, 94, 96 (Anm. 80), 98, 99 (Anm. 83), 103–105, 108, 111–112, 115, 123, 127–129, 134, 137–138, 146–147, 151, 153, 157, 159, 161–162, 164, 167, 175–181, 184, 189, 194, 210, 213, 223–226, 241, 244–245, 248–249, 253–254, 257, 263–264, 270, 273, 275–282, 285, 287, 290 Gattungskreuzung 14, 161, 179, 181, 263 (Anm. 350) Gender Studies 12–13, 71–72, 204, 228 Genre (s. Gattung) genus grande (s. a. Epos) 82, 104, 162, 164 (Anm. 20), 179, 253, 255 genus humile (s. a. Bukolik) 162, 251 genus tenue (s. a. Elegie) 82, 104, 161, 164 (Anm. 20), 251 Goldenes Zeitalter (s. aurea aetas) Hellenismus 62, 67, 99, 100, 124–126, 169, 176 (Anm. 66), 192 (Anm. 108), 193, 198, 203–204, 206, 213, 216, 222 (Anm. 208), 223, 249, 283 Hetärenkatechismus/ Hetärenwesen 76–78, 83–86, 92, 273, 277, 290 horti Maecenatis 240, 259, 263, 274 humile opus (s. a. Bukolik) 111, 113, 128, 136, 144, 146, 152 Hymnos 13–15, 28, 50, 56–60, 87 (Anm. 56), 94, 104–105, 107–119, 122–123,
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis 125–130, 132–134, 146, 169 (Anm. 39), 170–171, 180–181, 186, 188 (Anm. 95), 197, 203, 217, 229, 245, 247, 251, 260, 273, 289 Ideologie 15, 17–18, 26, 28, 40, 48, 56, 59, 120 (Anm. 130), 124–126, 129–130, 133 (Anm. 170), 134, 174–175, 184–187, 189–190, 192 (Anm. 108), 195, 197 (Anm. 120, 124), 204, 208, 210, 212–213, 219–220, 230, 245, 290 imitatio 15, 27–28, 60, 65, 70, 92, 94, 97, 101, 105, 107, 111–112, 114, 116, 119 (Anm. 127), 136, 164, 184, 266, 279, 290 imperium Romanum 24, 35 (Anm. 11), 48, 171, 186–187, 190, 197 (Anm. 124), 206, 211, 229, 284 Interpersonalität 286–288 Intertextualität 11–16, 18–19, 21–22, 24–29, 34, 41, 43, 45–49, 56–58, 63, 69, 74, 82, 85, 90, 93–94, 97, 99–102, 105, 108–109, 111–112, 123 (Anm. 139), 124–125, 138–140, 143, 146–148, 159, 161, 164, 170, 174, 177, 180–182, 185, 192, 213, 224, 231, 233, 234 (Anm. 250), 241, 257–258, 261, 264–265, 269, 271, 279, 285, 288–289, 291 Invektive 13, 85, 201, 203, 222 (Anm. 206), 263 (Anm. 351), 269–270 Jambos 28, 34, 63, 66, 68, 89, 263, 277 κάϑαϱσις 130, 217, 283 Komödie 13, 15, 96 (Anm. 80), 130, 214, 264, 270 (Anm. 16), 274–283, 285, 287, 289 Kultassoziation 21 (Anm. 13), 43, 48–49, 59, 130, 139, 142, 170, 262 Kunstdogma 125, 129, 133 (Anm. 170), 196, 213 Kunstwerkbeschreibung (s. Ekphrasis) laudatio funebris 13, 206, 210, 219 laudes Italiae 191 leges Iuliae (Sittengesetze) 207, 209, 217, 219–220 leges novae (Ehegesetze) 207, 209, 227 λεπτότηϛ 15, 60, 91, 103, 111, 144, 162, 234 libertas (rei publicae) 190, 201–202, 204 Liebesklage 86, 100–102, 104, 106, 134, 148–150, 152, 155, 158, 165, 167, 178, 180, 203, 205, 217, 219, 221–222, 225–227, 231, 284 Liebestod (s. erotic death) locus amoenus 141, 150, 152, 161, 165–166, 173–175, 259 (Anm. 336), 261 locus horridus 150, 152, 174–175 lupa Martia 185–186, 253
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Lyrik (s. a. Hymnos) 94, 104–105, 107–109, 111–112, 115–116, 148, 247, 270 (Anm. 15), 280 magnum opus (s. a. Epos) 116, 119, 121, 128–129, 154, 189, 230, 248 maxima Roma 13, 15, 17, 19–29, 35 (Anm. 11), 39, 45, 47–48, 79–80, 98, 103, 117 (Anm. 122), 131, 134, 157, 162, 167, 169–170, 172, 175–176, 183–185, 188, 191, 193 (Anm. 111), 206, 210, 212 (Anm. 169), 213, 218, 225, 227, 235, 240, 242–243, 245–246, 253, 255, 263, 269, 290–291 miles amator 266, 287 militia amoris 79 (Anm. 33), 88 (Anm. 59), 105, 203, 226, 266 miser amator/ poeta 15, 86–90, 96, 98–99, 102–103, 138, 148, 152, 156, 278, 285 molle opus (s. a. Elegie) 14, 70, 73, 79–83, 86, 102, 105, 110, 112, 115–116, 119, 123, 127, 129, 131, 133, 139, 141, 144, 146, 150, 164, 175, 184, 189, 213, 217, 221, 230, 234, 236, 240, 248, 254, 263–264, 270, 275, 290 mores maiorum 184, 193, 199, 207, 209–210, 212 (Anm. 169), 213, 218, 220, 227–228 Mythos 14–15, 19, 21, 23, 25–28, 35–36, 41, 46, 48–49, 53–59, 65, 67–68, 73, 89, 94, 99–100, 102, 104, 108, 114–115, 117, 119, 121, 139–140, 148, 151–153, 155–156, 159, 161, 168–169, 171–175, 177, 179–180, 183–187, 190–192, 195, 199 (Anm. 129), 201, 203–204, 206–207, 209–212, 213 (Anm. 172), 216 (Anm. 183), 218–219, 224, 231, 240 (Anm. 274), 242, 244–245, 264, 267–268, 271, 280, 282, 284–285 Nachahmung (s. imitatio) Naturkosmologie 49, 54, 58, 190 Neoteriker (s. a. Catull) 15, 56, 60, 62, 86–87, 90–91, 102–103, 105, 107, 126, 144, 180, 222, 223 (Anm. 210), 255–256, 281, 290 Oden (s. Hymnos) Panegyrik 12, 24, 27, 46, 49, 58, 94, 108, 118 (Anm. 124), 119, 122, 124–126, 128–131, 134, 141, 145, 157, 165, 168–169, 184–204, 210–213, 215, 221 (Anm. 204), 225, 227, 235, 240, 242–246, 254–255, 262, 285, 290 Paraklausithyron 158, 167 pax Augusta 23, 49, 55, 110, 118, 125, 129, 134, 140 (Anm. 190), 141, 160, 168, 184,
318
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
187, 189–192, 196–197, 222, 230, 237, 244, 249, 253, 284, 290 pax bucolica 138, 140 (Anm. 190) pax Propertiana 230, 284 pax Romana 171, 188 persona 14–15, 17, 64–65, 72, 77–78, 151, 159, 203 (Anm. 140), 234, 241 (Anm. 276), 264, 268, 271–275, 278, 280, 282 (Anm. 54), 283, 285–287, 289 personative poetry 287 pietas 26–27, 47, 86, 95, 98, 102–103, 107, 126, 178, 180, 184–185, 195, 209–210, 213, 216–217, 221 (Anm. 204), 224–225, 269, 275 poeta amator 15, 17, 78, 80, 82, 85, 97, 138, 203 (Anm. 140), 234, 264, 267–268, 271, 274–275, 285, 287, 290 Poetologie 15, 22, 24, 34 (Anm. 5), 60, 70, 74–75, 81, 86, 90, 92, 108, 127 (Anm. 154), 130, 142, 145, 158, 164 (Anm. 20), 166, 173, 210, 220, 245 (Anm. 290), 247, 251, 254, 268, 289 ποικιλία 15, 91, 103, 111, 221 πολυειδεία 28, 68, 94 praeceptor amoris 69 (Anm. 1), 70, 82 praeteritio 258 Prinzipat 168, 196–198, 201, 213, 222, 237, 263 Programmatik 11–14, 17, 19–20, 23, 28–29, 55, 60, 62, 68–72, 75–76, 78–79, 81, 83, 85–88, 91, 102, 109, 112–113, 115, 120 (Anm. 130), 124, 129–130, 139, 148, 151, 162, 165, 170, 172, 175, 179, 185, 187, 191, 193, 207, 213, 218, 227, 235, 246, 251–253, 255, 267–268, 270–271, 276, 287–288, 290 Propaganda 14, 23, 120, 168, 187, 200, 202–204, 213, 229, 237 Propemptikon 182, 232–233 Pseudonym 12, 14, 82, 94 (Anm. 71), 113–114, 136, 140, 228, 281 querela (s. Liebesklage, Totenklage) recusatio 81, 109, 129, 144, 189, 205 (Anm. 148), 244–245, 247–248, 253, 255, 290
Referenzidentität 16, 24, 46, 56, 65, 78, 90, 93, 99, 114, 145, 147, 159, 178 (Anm. 73), 195, 210, 231, 234, 254, 266, 268, 288 renuntiatio amoris 235, 267–268 res publica 27, 37, 40, 190, 193, 196–199, 201–202, 204, 208, 210, 222, 263, 281, 284 (Anm. 57) Restriktion (s. a. recusatio) 129, 144 (Anm. 197), 245 Romanus Callimachus (Properz) 11–12, 16, 37, 41, 44, 61, 86, 91, 98, 103, 114, 126, 131, 169, 176, 185, 204, 234, 264, 273, 281, 289 sacerdos/ vates (Dichtung) 60, 81, 93, 109, 112–114, 123 (Anm. 139), 126–132, 142, 191, 193 Satire 83, 112 (Anm. 109), 130, 222 (Anm. 206), 247, 260, 262–263, 269–270, 272, 275, 277–278, 280–281, 289 Selbstreferentialität 15, 17, 24, 64–66, 77–78, 89, 97, 152, 215, 272–273, 285, 287, 290 Selbstzitat 77–78, 82 servitium amoris 79 (Anm. 33), 88 (Anm. 59), 178, 203, 234 (Anm. 250), 284 Sphragis 15, 73 (Anm. 14), 152, 158, 160, 197, 213, 221, 231–232, 236–237, 240, 244, 257 spolia opima 194, 242 (Anm. 279), 253, 284 sublime opus (s. a. Hymnos) 15, 105, 112, 116, 146 Systemreferenz 23–24 Togata (s. a. Komödie) 187 (Anm. 89), 274 Totenklage 15, 48, 213, 215, 217, 219, 221–222, 230–232, 236–237, 241, 290 Tragödie 13, 109, 224 (Anm. 215), 275, 278, 283, 285 Überbietung (s. aemulatio) Unterwelt 47, 192 (Anm. 108), 212, 217–218, 220 virtus (Augusti) 126, 184, 187, 195, 197–198, 200, 208–210, 213, 226, 229, 242 ψῡχαγωγία 275
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
319
V. Namenverzeichnis (allgemein) Acanthis 17, 76–78, 80, 83–86, 92, 215, 217, 234, 258, 270, 277, 286 Achilles 95, 98, 117, 169, 206–207 Acron 17, 195, 284 Actium 17, 20–21, 81, 118, 120–126, 128, 130, 133, 169 (Anm. 39), 196–197, 202, 213, 220, 236, 243, 245–246, 259, 279 Aedes Castorum 42 Aelia Galla 226 (Anm. 220), 228–229 Aelian 274 (Anm. 29) Aemilius Paullus Lepidus, L. (Suffektkonsul 34) 205, 219, 224, 230 Aeneas 21, 25–28, 45–48, 117–120, 127, 130, 161–163, 178–183, 185, 191, 195, 282 Aganippe 107, 142 Agrippa, M. Vipsanius 206, 220 Agrippina, Vipsania (Maior) 220 Aischylos 109 Akontios 63 (Anm. 50), 148 Alba Longa 144 Alexander (der Große) 204 Alexis 138 Alfenus Varus 144–145, 151 Alkaios 12, 105, 108, 112–113, 116 Allius 34, 88 (Anm. 58), 222–224, 229, 231, 233, 236 Amor 69, 89, 105, 110, 114, 159, 180, 226 Anaxarete 271 Anchises 26, 47, 142 (Anm. 195), 195 Antonius, L. (Bruder des Triumvirn) 237 Antonius, M. (Triumvir) 119–120, 182, 200–204, 242, 244 Apollon 15, 17, 20–21, 33, 63–64, 66 (Anm. 59), 67, 80–83, 87, 100 (Anm. 84), 109, 115–136, 140–144, 146, 152–154, 160, 168, 169 (Anm. 39), 189, 193, 196–197, 199, 201, 212–213, 230, 234, 248, 253, 258, 272–273, 286, 289–290 Apollonios (Rhodos) 28, 179 Apuleius 277 (Anm. 39) Arat 61 (Anm. 47) Arethusa 15, 17, 29, 78, 81, 213, 223–230, 234–235, 284–285, 290 Ariadne 15, 84, 86, 99–107, 110, 115–116, 148, 179–181, 219, 281, 289 Arkadien 141, 148, 150, 153, 158, 160 Arsinoë 93 Asinius Pollio 151, 250, 253 Atalante 73, 155, 160 Atticus 39
Augustinus (s. a. Stellenverzeichnis) 49 (Anm. 21) Augustus (s. a. Stellenverzeichnis) 12, 14–15, 17, 20, 22–28, 47–49, 55–56, 61–62, 105, 118–121, 123–126, 128–129, 132–134, 137, 141, 144, 150, 152, 157, 162, 168–172, 180, 182–184, 186–213, 215, 217–221, 225–230, 234, 236–237, 240, 242–247, 249–256, 259, 262–263, 276–277, 279, 282, 284–285, 289–290 Aventin 35, 59 (Anm. 40) Bacchus 15, 32, 52, 59, 101, 104–107, 109–111, 113, 115–116, 128, 130, 135, 142–143, 180, 220, 258, 261–262, 289 Basilica Iulia 42 Berenike 93, 284 Bona Dea 17, 165–169, 171 Brundisium 137, 250 Cacus 163–165, 169 Caecilia Metella 218 Caecilius Metellus (Macedonicus) 207 Caele Vibenna 36–37 Caesarion 204 Caligula 61 (Anm. 47), 220 Campus Martius 188 Carrhae 215, 229 Cassiope (Korfu) 233 Cassius Dio 152 (Anm. 224) Cato, M. Porcius (Censorius) 40 Catull (s. a. Stellenverzeichnis) 14–15, 34, 60, 62, 63 (Anm. 50), 65, 67 (Anm. 65), 76 (Anm. 23), 84, 86–94, 96–107, 109–111, 115–116, 126 (Anm. 150), 144, 149, 152–153, 155, 158 (Anm. 253), 159–163, 172 (Anm. 49), 179–183, 196 (Anm. 119), 213, 219, 222–225, 229–233, 234 (Anm. 250), 236, 239, 241, 243, 256, 259, 263–264, 269, 274–275, 277, 279, 281, 283, 285, 289 Ceres 14, 49–50, 55–60, 132, 190–193, 261–262, 289 Cicero (s. a. Stellenverzeichnis) 33 (Anm. 1), 34, 38–40, 43 (Anm. 6), 91, 105 (Anm. 93), 171, 187, 195 (Anm. 115), 198, 201, 206 (Anm. 151), 212 (Anm. 169), 251 (Anm. 308), 255, 277, 281, 290 Circus Maximus 41 Claudius (Kaiser) 61 (Anm. 47) Claudius, Appius 277 Claudius Marcellus, M. (Konsul 222) 194
320
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
Claudius Marcellus, M. (Neffe des Aug.) 47–48, 246 (Anm. 292) Clitumnus 139 Cloaca Maxima 41 Clodia (Schwester des P. Clodius, s. a. Lesbia) 277 Clodius Pulcher, P. 167 (Anm. 31) Corinna (puella) 79 Corinna (Dichterin) 107 Cornelia 15, 17, 78, 183–185, 201, 204–213, 215, 217–221, 224–225, 227, 230, 234–235, 276, 285, 290 Cornelius Cossus 194, 242 Cornelius Gallus (s. a. Stellenverzeichnis) 15, 59 (Anm. 41), 62, 128 (Anm. 158), 134, 139, 144, 147, 149–161, 205, 217, 222, 232–233, 234 (Anm. 250), 236, 237 (Anm. 261), 245, 253, 289 Cornelius Scipio, P. (Konsul 16) 205 (Anm. 148), 208 (Anm. 160) Cornelius Scipio Africanus (Maior), P. 206 (Anm. 151), 212 Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (Minor), P. 206, 212, 242 (Anm. 280) Corydon 137–139 Curia Iulia 195 Cynthia 11, 14–15, 17, 29, 64, 67, 69–87, 89–90, 92, 94–103, 106–107, 110, 114–116, 128, 130, 134, 138, 142, 146, 148–149, 155, 157–159, 166, 177–178, 203–204, 211 (Anm. 168), 215–217, 220–221, 225, 231–235, 240, 246, 251, 254, 264, 267–271, 273–287, 290 Cynthius (s. a. Apollon, Kallimachos) 87, 127, 130, 143–144 Cynthus 87 Daedalus 108 Damon 149 Daphnis 137 Decius Mus, P. 27 Delos 63, 66 (Anm. 59), 87, 146 Delphi 141 Demeter (s. a. Ceres) 14, 50, 56–57, 59–60, 132 Demophoon 280–281 Dido 127, 176–183, 232 (Anm. 241), 282, 285 Dionysos (s. a. Bacchus) 110, 115, 142, 220, 261 Dioskuren 42, 130 (Anm. 165) Dipsas 84–85 Divus Augustus (Tempel) 42 Divus Iulius (Tempel) 42, 192 (Anm. 108) Drusus 188
Ennius 47 (Anm. 15), 84 (Anm. 51), 91, 113, 118, 141–142, 175–176, 197 (Anm. 120), 212 (Anm. 169) Epikur 251, 255–256 Erinna 107 Esquilin 259, 274, 282 (Anm. 54), 283 Etrurien 34, 36, 38–40, 139 (Anm. 189), 239–241, 243, 249, 256, 273, 289 Euphorion (Chalkis) 154 (Anm. 232), 156 Euripides 285 Euterpe 112 Faunus 139–140 Festus (Grammatiker) 35 (Anm. 10) Forum Boarium 41, 164–165, 253 Forum Romanum 33, 40–43, 135, 214, 285 Fulvius Flaccus, M. (Konsul 264) 35 Furius Camillus, M. 251 Gaius Caesar (Enkel des Aug.) 61 (Anm. 47), 206, 219, 230 (Anm. 236) Gallus (Freund des Prop.) 160 (Anm. 260) Gallus (Verwandter des Prop.) 237–239, 241 Germanicus 61 (Anm. 47) Hannibal 206 (Anm. 151) Helena 179 Helikon (Musenberg) 65, 107, 110, 112, 141–143, 154, 175–176, 247–248 Herkules 15, 17, 20, 41, 49, 78–79, 162–164, 166–171, 176, 184, 212, 234, 253, 270 (Anm. 16), 286, 290 Hermes 66 (Anm. 59), 262–263 Hesiod 28, 51–52, 54–55, 57, 59–60, 65–66, 154, 160, 204 Hippokrene 141–142 Hippolyte 227 Homer (s. a. Stellenverzeichnis) 12, 28, 95, 97–98, 112 (Anm. 106), 118–119, 121–123, 127–128, 131 (Anm. 167), 132, 142 (Anm. 195), 165, 169, 179, 242 (Anm. 280), 245, 248, 260 (Anm. 339), 263 Horaz (s. a. Stellenverzeichnis) 11–12, 15, 41, 60, 65, 75 (Anm. 21), 83, 105, 108–118, 123 (Anm. 139), 126, 130, 132–133, 139, 146, 161, 188, 192 (Anm. 108), 199, 202, 211, 219 (Anm. 195), 239 (Anm. 271), 240, 242–243, 246 (Anm. 292), 247–248, 251, 253 (Anm. 315), 254–255, 259–260, 262–264, 269 (Anm. 14), 270 (Anm. 15), 275–278, 281, 283, 285–286, 289 Horos 79–81, 93–94, 114, 234, 272, 286 Hymenaeus 181–182 Iacchus (s. a. Bacchus) 101, 104–105, 111, 115–116, 142, 180
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis Ikarus 108 Iphis 271 Janus 130, 190 Jasion 57 Julia (Tochter des Aug.) 205–206, 220 Julius Caesar (Diktator) 136, 151, 157, 167 (Anm. 31), 192, 195, 204, 209, 222 (Anm. 206), 263, 284–285 Junia (Aurunculeia) 182–183 Junius Brutus, L. 27 Juno 26, 59 (Anm. 40), 200, 211 Jupiter 17, 20, 59 (Anm. 40), 62, 171, 186–187, 192, 194–195, 197, 198 (Anm. 127), 199–202, 211, 227, 234, 245, 253, 284, 289 Juvenal 272 (Anm. 24) Kallimachos (s. a. Stellenverzeichnis) 11–12, 14–16, 22, 27–29, 37, 41, 44, 50, 56–68, 70, 76, 86–87, 90–95, 98–99, 103, 105, 107, 109, 112–116, 122–123, 125–127, 129–132, 134, 143–144, 146 (Anm. 203), 148–149, 154, 160, 166–167, 169, 175–176, 185, 201, 204, 214, 233–235, 238 (Anm. 264), 246, 251, 253–255, 263–265, 273, 281, 289–290 Kalliope 58, 128, 153, 157, 166 Kapitol (Rom) 17, 41, 59 (Anm. 40), 174, 176, 184, 200, 202, 227 Karthago 127, 180, 206, 242 (Anm. 280) Kleopatra 119–120, 131 (Anm. 166), 182, 184, 200–204, 242, 245, 255 (Anm. 319) Konon (Samos) 93–94 Kydippe 63 (Anm. 50), 148 Lanuvium 274, 276–277, 282–283 Laodamia 163, 223 (Anm. 213), 224, 231 Latium 161 Leonidas (Tarent) 140 Lesbia (Clodia) 15, 87–88, 90, 92, 98, 103, 223, 231, 277, 279 Leto 117 Leucas 123 Liber (s. Bacchus) Libera 59 (Anm. 40) Licinius Calvus (Dichter) 87, 90, 144, 230–231, 236 Licinius Crassus, M. (Triumvir) 215 Licinius Crassus, M. (Prokonsul 29) 194 Licinius Murena 246 (Anm. 292) Linus 153–154, 160 Livia Drusilla (3. Frau des Aug.) 61 (Anm. 47), 205 (Anm. 148), 211 Livius (s. a. Stellenverzeichnis) 38–39, 164, 172, 242 (Anm. 279), 243 (Anm. 285)
321
Lotis 262 Lucius Caesar (Enkel des Aug.) 61 (Anm. 47), 206, 219, 230 (Anm. 236) Manlius Torquatus, L. 182–183 Lucumo 35 (Anm. 11), 36, 172 Lukrez (s. a. Stellenverzeichnis) 53 (Anm. 30), 54, 59, 111 (Anm. 102), 161, 176, 196 (Anm. 119) Lycidas 146 Lycomedius (s. Lucumo) Lycmon (s. Lucumo) Lycoris 150–154, 156–158, 245, 289 Lycotas 225, 227–229 Lygdamus 280 Macrobius (s. a. Stellenverzeichnis) 169, 256 Maecenas 12, 15, 73 (Anm. 14), 141, 152, 201, 203 (Anm. 143), 236, 240, 246–256, 259, 262, 264, 289 Maenalus 150 Mamurra 263 (Anm. 351) Mantua 136 Marathus 269 Marius 244 Mars 151, 186, 200 Martial (s. a. Stellenverzeichnis) 90 (Anm. 63), 157 (Anm. 246), 260 (Anm. 339), 263–264 Medea 83, 179, 282, 285 Meliboeus 137, 237 Menander 277–281, 283 Merkur 64 Milanion 73 (Anm. 13), 155–156, 159–160 Mimnermos 113–116 Minerva 59 (Anm. 40), 200 Moeris 146 Mutina 201, 244 (Anm. 288) Naevius 91 Naulochus 244 (Anm. 288) Niobe 117 Nova Via 42–43 Numantia 206 Numa Pompilius 35, 214 (Anm. 175) Nysa 149 Octavia (Schwester des Aug.) 182 Octavian (s. a. Augustus) 119, 121, 124, 129, 137 (Anm. 179), 141, 198, 236 (Anm. 259), 237, 250 Oenone 142 (Anm. 195) Orpheus 153–154, 218–219 Ovid (s. a. Stellenverzeichnis) 14–15, 21, 25, 27 (Anm. 28), 28, 33, 34 (Anm. 6), 36 (Anm. 12), 38, 41–44, 45 (Anm. 11), 48–49, 53–55, 57–59, 61–64, 69–74, 79,
322
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis
81, 84–85, 89–91, 96 (Anm. 80), 106, 130, 131 (Anm. 167), 136, 142 (Anm. 195), 146 (Anm. 202), 152, 159, 170, 179, 192, 198, 210, 223, 225 (Anm. 217), 234, 239 (Anm. 271), 243, 262–273, 278, 280–281, 287, 289 Palatin 20–21, 24, 41, 120 (Anm. 130), 123–125, 127 (Anm. 154), 129, 163, 193, 196, 199, 218 (Anm. 189), 253 Pan 135–136, 140–143, 148–149, 153, 158, 160, 262, 289 Paris 142 (Anm. 195), 179, 283 Parnassos 141 Parthenios 156, 160, 216 Patroklos 95, 98 Pax 56, 190–193 Peleus 98–99, 104, 152 Penelope 228 Penthesilea 176–177 Permessos 142, 153–154 Perses/ Perseus (Makedonien) 206–207 Perusia (Perugia) 237, 239–240, 243–244, 249, 273 (Anm. 25) Petron (s. a. Stellenverzeichnis) 284 (Anm. 57) Philetas (Kos) 60, 76–77, 143, 166–167, 176 Philippi 136, 151, 244 (Anm. 288), 250 Phoebus (s. a. Apollon) 15, 20–21, 118, 120, 122, 125, 127, 130–134, 141 Pholoe 269 Phraates (IV.) 229 Phyllis 274 (Anm. 27), 279–281, 284 Pinarius 169 Pindar 108–110, 112, 128 Pitys 149–150 Plautus 277, 281, 283 Plinius (s. a. Stellenverzeichnis) 35, 76 (Anm. 23) Pluto 217–220 Polybios 242 (Anm. 280) Polyhymnia 112, 247 Pomona 36 (Anm. 12), 58, 264–266, 270–271 Pompeius (Magnus) 285 Pompeius, Sex. 123, 250 Ponticus 114 Postumus (C. Propertius) 226, 228–229 Potitius 169 Priapus 58, 240, 258–265, 289 Protesilaos 224 Ptolemaios (Euergetes) 93, 96, 134, 201, 284 Pydna 206 Quintilia 230–231 Quintilian (s. a. Stellenverzeichnis) 289
Quirinal 24, 170 Quirinus (s. a. Romulus) 24, 62, 195, 200 Remus 24 (Anm. 25), 253 Rom (s. maxima Roma) Romulus 15, 17, 20, 24–25, 35 (Anm. 11), 36, 62, 168, 172, 184–186, 194–195, 197, 200, 212, 234, 242, 253, 263, 284–285 Sacra Via 42 Sappho 107–108, 112 Saturn 55, 191 Scribonia (2. Frau des Aug.) 205 Seneca (s. a. Stellenverzeichnis) 283, 284 (Anm. 57) Servius (Vergilkommentator) 136, 151, 154 (Anm. 232), 183 (Anm. 86) Sibylla (Cumae) 26 Silenus 265 Simylos 174 (Anm. 60) Sosii 278 Statius (s. a. Stellenverzeichnis) 182 (Anm. 84) Sueton (s. a. Stellenverzeichnis) 152 (Anm. 224), 205 (Anm. 148) Sugambrer 123 Sulla 244 Sychaeus 180 Tacitus (s. a. Stellenverzeichnis) 37 Tarpeja 15, 17, 29, 78, 162, 173–185, 191, 215, 225, 227–228, 234, 274, 279–280, 286, 290 Teja 274 (Anm. 27), 279–281, 282 (Anm. 54), 284 Terentia 246 (Anm. 292) Thais 278 Theben 111, 245 Theokrit 143, 146, 149, 154–156, 159–160 Theseus 84, 100–102, 106, 115–116, 134 (Anm. 172), 179–180, 280 Thetis 99, 104, 152 Thyrsis 137 Tiber 41, 43–45, 48, 166, 202 Tiberinus 44–48, 161, 165 (Anm. 22) Tiberius (Kaiser) 61 (Anm. 47), 188, 220 Tibull (s. a. Stellenverzeichnis) 14, 20–23, 26–28, 41, 44–46, 48, 57, 59, 65–66, 70, 80, 84, 89, 134–136, 192, 196 (Anm. 119), 216–217, 219, 222, 262, 269–270 Titus Tatius 35 (Anm. 11), 36–37, 121 (Anm. 131), 170–173, 175–176, 178, 181, 183 Tityos 117
Stellen-, Sach- und Namenverzeichnis Tityrus (s. a. Vergil) 136–137, 143, 146, 148, 150, 159–160, 237, 243, 251, 273 Tolumnius 242 Tomis 61 Troja 21, 26, 28, 47, 117–118, 121, 172, 191, 206, 224, 231, 245 Tuscus (Dichter) 281 Umbrien 239–240 Varro, M. Terentius (s. a. Stellenverzeichnis) 25, 34, 36–39, 52, 164 (Anm. 19), 169, 170 (Anm. 43), 172 (Anm. 55), 174 Varro, P. Terentius (Atacinus) 144 Veji 241–244, 249, 251 Velabrum 41–44, 46–47, 166 Veltune/ Velϑa (s. a. Vertumnus) 34, 38–40 Vergil (s. a. Stellenverzeichnis) 11–12, 14–15, 22–23, 25–28, 41, 45–49, 51–56, 58–60, 62–63, 65–66, 84, 103 (Anm. 91), 112, 115, 117–123, 125, 127–134, 136–165, 167–169, 171, 173–176, 179–181, 183,
323
185–187, 189–192, 194, 196–197, 202, 207, 211–212, 217, 232 (Anm. 241), 233, 234 (Anm. 250), 236–237, 239 (Anm. 271), 240, 242–245, 247 (Anm. 294), 248–251, 253–255, 257–261, 265, 273, 282, 285, 289 Vertumnus 12–15, 17, 33–41, 43–45, 48–52, 55–56, 58, 61–67, 69, 71–72, 86, 92, 105, 114–115, 130, 134–136, 139–140, 143, 160, 171, 186–187, 213–214, 233–236, 240, 249, 256–259, 261–262, 264–268, 270–271, 273, 275, 278–279, 285, 287–289, 291 Vesta 41, 177–178, 183–184, 262 Via Appia 218, 274, 276–277, 283 Vibius Sequester 150 (Anm. 213) Vicus Tuscus 36, 41–42, 278 Volsinii (Bolsena) 35, 38–39, 249 Voltumna (s. a. Vertumnus) 34, 38–40 Vortumnus (s. Vertumnus)
Jean François Boyer
Pouvoirs et territoires en Aquitaine du VIIe au Xe siècle Enquête sur l’administration locale
Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne - vol. 2 l’auteur Jean François Boyer a soutenu une thèse d’histoire médiévale à l’Université de Limoges sous la direction du professeur Philippe Depreux. Docteur en histoire, et également docteur en pharmacie, il est chercheur associé du Centre de recherches interdisciplinaires en Histoire, Histoire de l’Art et Musicologie (EA 4270) de l’Université de Limoges. Ses travaux portent sur l’administration des territoires en Aquitaine et en Gaule dans le haut Moyen Âge et également sur l’orfèvrerie médiévale.
L’analyse des tiers de sou d’or mérovingiens permet d’avancer qu’il ne s’agit pas d’une monnaie d’échange classique, mais d’un outil de la collecte fiscale. Les noms de lieux et de monétaires qui y sont inscrits désigneraient les recettes fiscales et les agents actifs au sein des vici, districts administratifs hérités de l’Empire romain. A la fin du VIIe siècle, le regnum Francorum unifié sous Clotaire II perd sa cohérence. Dès le début du VIIIe siècle, les ducs aquitains jouissent d’une large autonomie, perçoivent les impôts, nomment les comtes. Après la mise au pas de Pépin le Bref, Charlemagne crée en 781 un regnum pour Louis le Pieux, ajoutant à l’Aquitaine, la Gascogne, la Marche de Toulouse et la Septimanie. Pour seconder les comtes dans ces cités parfois très vastes, le pouvoir met en place des vicarii, affectés au niveau vicinal. Par la suite, apparaissent les vicariae, dans lesquelles le vicarius, notable local, semble un médiateur entre communautés d’habitants et pouvoir comtal. Cette organisation paraît avoir pris appui sur les anciens vici, districts administratifs qui pourraient aussi être la matrice des grandes paroisses créées par le pouvoir épiscopal au sein des diocèses. sommaire Avant-propos | Introduction | Enjeux, méthodologie, expérimentation sur les trientes mérovingiens | Reconsidérer l’Aquitaine et son histoire du VIIe au Xe siècle | Les subdivisions de l’Aquitaine du haut Moyen Âge et leurs agents | Conclusion | Annexes | Abréviations | Sources et bibliographie | Index
2018 967 pages avec 103 illustrations 978-3-515-11859-0 livre relié
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Der antike römische Dichter Properz (ca.
here erotische Dichtung im Rahmen einer
50–15 v. Chr.) zählt neben Vergil, Horaz,
neuartigen aitiologischen Nationaldichtung.
Tibull und Ovid zu den renommierten Ver-
Thematisch der mythologischen und histori-
tretern der literarischen Blütezeit unter
schen Entstehung Roms verbunden, spiegelt
Kaiser Augustus. Properz’ Leben und Dich-
das vierte Buch im Besonderen die literatur-
ten sind der Liebe zu seiner schönen Muse
geschichtliche Entwicklung der römischen
„Cynthia“ gewidmet, wobei das letzte der
Weltmetropole wider. Im Wettstreit mit den
insgesamt vier Elegienbücher, so vor allem
namhaften Autoren seiner Zeit gestaltet der
das weniger profilierte zweite Gedicht über
„römische Kallimachos“, wie sich Properz
den Verwandlungsgott Vertumnus, einen
selbstbewusst nennt, eine anspruchsvolle
poetischen Paradigmenwechsel markiert:
„intertextuelle“ Stadtlandschaft, die wie
In der Gestalt des Vertumnus, der zum Gott
eine bunte Kunstwerkbeschreibung die Viel-
der Dichtung schlechthin avanciert, über-
gestaltigkeit und Wandelbarkeit seiner und
windet oder verwandelt Properz seine frü-
der augusteischen Dichtung kommentiert.
ISBN 978-3-515-11881-1
9
7 83 5 1 5 1 1 88 1 1
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag