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German Pages 418 [420] Year 1997
Cesare Bermani Sergio Bologna Brunello Mantelli Proletarier der „Achse"
Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts
Cesare Bermani Sergio Bologna Brunello Mantelli
Proletarier der „Achse" Sozialgeschichte der italienischen Fremdarbeit in NS-Deutschland 1937 bis 1943 Übersetzt von Lutz Klinkhammer Mit einem Vorwort von Karl Heinz Roth
Akademie Verlag
Titelfoto: Italienischer Arbeiter im Preßstoffwerk der Siemens-Werke bei der Nacharbeit an elektrischen Bauteilen (Bundesarchiv Koblenz, Zentralbild)
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Proletarier der „Achse" : Sozialgeschichte der italienischen Fremdarbeit in NS-Deutschland 1937 bis 1943 / Cesare Bermani ; Sergio Bologna ; Brunello Mantelli. Ubers, von Lutz Klinkhammer. Mit einem Vorw. von Karl Heinz Roth. — Berlin : Akad. Verl., 1997 (Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts) ISBN 3-05-003144-1
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1997 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen von WILEY-VCH. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO T C 46. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Umschlaggestaltung und Satz: Hans Herschelmann, Akademie Verlag Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis Vorwort
9 13
Sergio Bologna Kontinuität und Zäsur in der Geschichte der italienischen Migrationsarbeit 1. Der politische Standort 2. Das sozio-ökonomische Modell der italienischen Arbeitsmigration 3. Der nordamerikanische Beitrag zur Erforschung der italienischen Migrationsgeschichte 4. Die Spaltung der italienischen Auswanderercommunity 5. Der Migrationszyklus und die Schiffahrtsgesellschaften 6. Die zeitlich befristete Migration als politischer Lernprozeß 7. Die Arbeitsmigration unter dem Faschismus 8. Bilaterale Migrationsabkommen 9. Der Generationswechsel in der Arbeitsmigration 10. Die Kultur der Auswanderung 11. Von der Migration zur gelenkten Mobilität der Arbeitskraft 12. Das Ende der selbstregulierten Arbeitsmigration 13. Zur Entstehung der italienischen Geschichtsschreibung mit mündlichen Quellen . .
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Cesare Bermani Odyssee in Deutschland. Die alltägliche Erfahrung der italienischen „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich" 1. Die Migration ins Ausland zwischen den beiden Weltkriegen 2. Sind die in den Statistiken genannten Angaben über die italienischen Fremdarbeiter glaubwürdig? 3. Die direkte Emigration der Italiener von Frankreich nach Deutschland
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6
Inhalt
4. Eine „neue Form der Emigration" 5. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung: die Antriebskräfte der Emigration in den bäuerlichen Regionen 6. „Ich kehre ins Vierte Reich zurück" 7. „Ich habe 3 3 Monate gearbeitet, und ich habe nichts dafür b e k o m m e n " 8. Kraft-durch-Freude-Stadt 9. „ . . . v o r genau 50 Jahren sind wir abgereist..." 10. Die Arbeiter und Deutschland 11. Eine Wanderungsbewegung mit „Subversiven" und „Störenfrieden" 12. Geld zusammenbringen auf jede mögliche Art und Weise 13. Die Verzögerungen bei den Uberweisungen der Lohnersparnisse 14. Deutsche Frauen und italienische „Fremdarbeiter" 15. „Rassismus von unten" und mangelhafte Strukturen für die Aufnahme der Arbeiter 16. Italienisches Essen 17. Ein deutscher Bericht über die Proteste der italienischen Arbeiter zwischen Frühjahr und Herbst 1941 18. Die Industriellen und die deutschen Forderungen nach qualifizierten Arbeitskräften 19. „Schickt mir ein Telegramm, daß Papa im Sterben liegt..." 20. N u r weg aus Deutschland, koste es, was es wolle 21. Von den Baustellen der I.G.-Farben-Werke und der Oberschlesischen Hydrierwerke laufen die Arbeiter weg 22. Die Zwangsverpflichtungen 23. Formen illegaler und selbstgewählter Mobilität bei den Arbeitern 24. Die Korruptheit von Lagerfuhrern und Lagerobmännern 2 5 . Der Streik v o m 7. April 1942 bei den Essener Krupp-Werken 2 6 . Die organisatorischen Aktivitäten und Kontrollmaßnahmen, mit denen die italienische Botschaft gute Lebensumstände in den Lagern der italienischen Arbeiter aufrechterhalten wollte 27. Die Arbeitergruppe aus O m e g n a bei den Arado-Flugzeugwerken 28. A m 2 5 . Juli haben wir die „Internationale" gesungen 29. Die letzten Heimkehrer des Jahres 1943 30. Die italienischen „Fremdarbeiter" nach dem 8. September 1943 31. „Wir glaubten, wir würden christlich behandelt"
63 68 78 88 89 94 99 103 106 117 124 128 138 141 146 160 168 174 186 191 201 210
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Brunello Mantelli Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft. Die Anwerbung der italienischen Arbeiter für das „Dritte Reich" und die ,Achse Berlin-Rom" 1938-1943 1. Überblick und offene Fragen Tagelöhner, Bergarbeiter, Industriearbeiter 2 5 4 - Einige Erwägungen über die Rolle und die Bedeutung der italienischen Arbeiter 2 5 7
253
Inhalt 2.
7
Landwirtschaftliche Arbeiter aus der Po-Ebene nach Mitteldeutschland
259
Landarbeiter ohne Beschäftigung und Landwirtschaft ohne Arbeiter 259 - Woher sie kamen und wohin sie gingen... 261 - Anpassungsschwierigkeiten 270 - Das Experiment wird wiederholt 273 - In Mitteldeutschland herrscht weiterhin Arbeitermangel 276 - Die italienischen Reserven schienen sich zu erschöpfen 280 — 1942: Die Schwierigkeiten wurden größer 283 — Deutscher Druck und italienische Verweigerung 286 3.
Italienische Bauarbeiter im „Dritten Reich": von Fallersleben bis nach Auschwitz . . . 2 9 7 Arbeitskräfte für Fallersleben und Salzgitter 299 - Verhandlungen auf zwischenstaatlicher Ebene 304 - Die Anwerbungen dehnten sich stark aus 305 - Italien als Arbeitskräftereservoir für das Reich 307 - Wo wurden die italienischen Bauarbeiter eingesetzt? 309 - Bauaufträge für italienische Firmen 312
4.
Kohle im Tausch gegen Arbeitskräfte: Die italienischen Bergarbeiter im „Dritten Reich"
318
Aus Nordfrankreich ins Ruhrgebiet 319 — Aus den Schwefelminen und Steinbrüchen in die Kohlebergwerke 323 - „Wollt Ihr Kohle? Dann gebt uns Bergleute!" 325 - Arbeit und Produktion unter Tage 328 - Kohle gegen Arbeiter... - Aber Arbeiter sind nicht aufzutreiben 332 5. Auskämmung aus den italienischen Fabriken für die Kriegswirtschaft im „Dritten Reich". Die großen Einberufungen des Jahres 1 9 4 1
340
Soldaten oder Arbeiter? 343 - Zwischen militärischen Niederlagen der Italiener und deutschen Angriffsplänen 345 - Arbeitsproduktivität und -konflikte 347 - Proteste und Methoden der Repression 354 — Die quantitative Größenordnung der Verweigerung 359 - Individuelle Migration und Anwerbungen in den von den Deutschen besetzten Gebieten 362 - Das Herausziehen von Arbeitskräften aus den italienischen Fabriken 367 - Arbeitermigration nach Deutschland und Arbeitsmarktsituation in Italien 370 6.
Ein letzter kraftloser Versuch, sich aus der Abhängigkeit zu lösen: die Verhandlungen über die Rückführung der Arbeiter im Jahre 1 9 4 3
373
Das Defizit im Clearing und die Arbeiterrückfuhrung 374 - Das Defizit als Ausbeutungsinstrument 378 - Die Katze spielt mit der Maus 285 Autoren und Ubersetzer
393
Personen und Sachregister
395
Geographisches Register
411
Abkürzungsverzeichnis
AA AB ABdl Abt. ACN ACS ADAP AEL AG A.G.R. AOZ AP AP Landi AR ASB ASMAE AST AWI
Auswärtiges Amt Ambasciata di Berlino Archivio della Banca d'Italia Abteilung Archivio del Comune di Novara Archivio Centrale dello Stato, Rom Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945 Arbeitserziehungslager Aktiengesellschaft Affari Generali e Riservati Allgemeine Ortskrankenkasse Zoppot Affari Politici (Bestand ASMAE) Archivio Privato di Giuseppe Landi Abteilung Arbeitsrecht Archivio di Stato di Bologna Archivio Storico-diplomatico del ministero agli affari Esteri Roma Archivio di Stato di Treviso Arbeitswissenschaftliches Institut (der DAF)
BA BA/MA B.f.L. BMW BNL BRD BRQ
Bundesarchiv Bundesarchiv/Militärarchiv in Freiburg i. Br. Bevollmächtigter fur das Luftfahrtindustriepersonal Bayerische Motorenwerke AG Banca Nazionale del Lavoro Bundesrepublik Deutschland Botschaft Rom-Quirinal
CCoMIn C.F.L.C. CFLA C.F.L.I. CIAF CIO CISL
Commissariato per la Colonizzazione e le Migrazioni Interne Confederazione Fascista Lavoratori del Commercio Confederazione Fascista Lavoratori dell'Agricoltura Confederazione Fascista Lavoratori dell'Industria Commissione Italiana Armistizio in Francia Congress of Industrial Organizations Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori
Abkürzungsverzeichnis
10 DAF DAGR DAK DDI DDR DGPS D.I.E. (auch DIE, DGIE)
Deutsche Arbeitsfront Divisione Affari Generali Riservati Deutsche Arbeits-Korrespondenz Documenti Diplomatici Italiani Deutsche Demokratische Republik Direzione Generale di Pubblica Sicurezza Direzione Generale Italiani all'Estero
DPP
Divisione Polizia Politica
Fa.
Firma
FNFCE GBA GB-Bau GB-Chem G.B.I. Gen. Gestapo GmbH
Federazione Nazionale Fascista Costruttori Edili e Imprenditori Grandi Opere Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz Generalbevollmächtigter für die Regelung des Bauwesens Generalbevollmächtigter für Sonderfragen der chemischen Erzeugung Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt (Berlin) General Geheime Staatspolizei Gesellschaft mit beschränkter Haftung
HGW HSG
Reichswerke „Hermann Göring" Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts
I.G. IL IMI I N C E (IstCambi) Ing. ISTAT ital. I.W.W.
Interessengemeinschaft Ispettorato del Lavoro Italienischen Militärinternierte Istituto Nazionale per i Cambi con l'Estero Ingenieur Istituto Centrale di Statistica Italienisch Industrial Workers of the World
KdF Kgl. KPI
Kraft durch Freude Königlich Kommunistische Partei Italiens
LAA
Landesarbeitsamt
MA MAE MPB Mcom MCor (Mcor) MG
Ministero Ministero Ministero Ministero Ministero Ministero
dell'Agricoltura degli Affari Esteri della Produzione Bellica delle Comunicazioni delle Corporazioni della Guerra
Abkürzungsverzeichnis MI (auch Min. Int.) Ministero dell'Interno MICL Ministero dell'Industria, Commercio e Lavoro MPB Ministero della Produzione Bellica MSV Ministero per gli Scambi und per le Valute MVSN Milizia volontaria per la sicurezza nazionale NAW NdsHStA NdsStA Wf NDS-WiRüA-ZZ NKFD NS NSDAP
National Archives, Washington Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel Nachgeordnete Dienststellen des Wi-Rü-Amtes mit zentraler Zuständigkeit Nationalkomitee „Freies Deutschland" Nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
Ο KM OKW O.M.-Werke OMGUS ORR OT OVRA
Oberkommando der Kriegsmarine Oberkommando der Wehrmacht Officine Metalmeccaniche Office of Military Government of the United States for Germany Oberregierungsrat Organisation Todt Organizzazione per la Vigilanza e la Repressione dell'Antifascismo
PA/AA PCI PCM PK PNF PolPol PS PSI
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn Partito Comunista Italiano Presidenza del Consiglio dei Ministri Parteikanzlei Partito Nazionale Fascista Polizia Politica Polizia di Stato Partito Socialista Italiano
RAAA RArbM RE RFA RFM RK RLM RM RMEL RMI RMRuK RNS RSDB RSI
Reichsanstalt fiir Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Reichsarbeitsministerium Rapporti con l'Estero Reichsstelle für Außenhandel Reichsfinanzministerium Reichskanzlei Reichsluftfahrtministerium Reichsmark Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Reichsministerium des Innern Reichsministerium für Rüstungs- und Kriegsproduktion Reichsnährstand Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung Repubblica sociale italiana
12
Abkürzungsverzeichnis
Rii-In Rü-Kdos RVK RWK RWM
Rüstungsinspektion Rüstungskommandos Reichsvereinigung Kohle Reichswirtschafts kammer Reichswirtschaftsministerium
SA SAP S. Exzellenz SOPADE SPD SS StA STA W O B StM
Sturmabteilung (der NSDAP) Serie AfFari Politici Seine Exzellenz Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel (der NSDAP) Staatsarchiv Stadtarchiv Wolfsburg Staatsministerium
U-Boot UIC USA USI USts
Unterseeboot Ufficio Italiano Cambi United States of America Ufficio Sindacale Italiano di Collegamento con la DAF Unterstaatssekretär
V-Mann
Vertrauensmann
Wi-Rü Amt W.W WWNEP
Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt beim O K W Wehrwirtschaft Wehrwirtschaftlicher Neuer Erzeugungsplan
Vorwort
Als die Hamburger Stiftung fur Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts vor zehn Jahren ein Forschungsprojekt zur Geschichte der italienischen Migrationsarbeit in NS-Deutschland startete, ging sie von bestimmten methodischen Erwägungen aus. Ihr Hauptanliegen war, die damals breit in Gang gekommene historische Publizistik zur Rolle der Fremd- und Zwangsarbeit während der NS-Diktatur konstruktiv herauszufordern. Indem neue Forschungswege beschritten wurden, sollten einige problematische Entwicklungstendenzen in der einschlägigen deutschdeutschen Geschichtsschreibung sichtbar gemacht werden. Kritik und konstruktive Alternative bezogen sich dabei vor allem auf die folgenden Beobachtungen: 1. Die meisten Autorinnen und Autoren der B R D und D D R betrieben eine Geschichtsschreibung aus der Sicht „von oben". Sie lehnten sich weitgehend an die überlieferten schriftlichen Quellen der Arbeitsbehörden an, wobei sie noch nicht einmal die Aktenbestände der in den Entsendestaaten tätig gewesenen Komplementär-Bürokratien zur Kenntnis nahmen. Dadurch wurde der Blick von oben noch zusätzlich verengt. Die behördlichen Kooperationspartner der Entsendestaaten, in deren Registraturen neben den oftmals brisanten Konflikten zwischen Vormacht und Kollaborateuren auch die Reflexionen über das Verhalten der jeweiligen nationalen Migrationsobjekte weitaus stärker mitschwangen, blieben unbeachtet. 2. Der behördliche Quellenpositivismus führte notgedrungen zu einer Ausblendung der Subkultur der Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter. Sie blieben völlig gesichtslos und wurden lediglich dann wahrgenommen, wenn sie in den Akten als „Problemfälle" auftauchten, weil sie Arbeitsnormen verletzt, sich auf dem Schwarzmarkt betätigt oder die ihnen gesetzten sozialrassistischen Einfriedungen durchbrochen und mit anderen Nationalitäten bzw. sogar den Deutschen gesellschaftliche Beziehungen aufgenommen hatten. Es entstand der Eindruck, als ob die Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter abgesehen von diesen Regelverletzungen über keinen eigenen Alltag, über keine selbstbestimmten Informationskanäle und über keine den Behörden und Aufsehern verborgenen subkulturellen Netzwerke verfügt hätten. Die Ambivalenz ihrer Geschichte und die daraus entstandenen widersprüchlichen Bedürfnisse und Verhaltensweisen spielten keine Rolle. Oftmals unbeabsichtigt ergab sich als unausgesprochenes Fazit, daß die in der Tat enormen Reglementierungen des „Arbeitseinsatzes" bruchlos gegriffen und die ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter zumindest bis kurz vor Kriegsende vollkommen um ihre Handlungsmöglichkeit gebracht hätten. Die Historie der Fremdarbeiter war nicht mehr Teil der Arbeiter- und Sozialgeschichte, sondern reflektierte ein Teilgebiet politischer Herrschaft während der NS-Diktatur. 3. Manche Autorinnen und Autoren versuchten diese Defizite dadurch zu mildern, daß sie den unausgesprochenen Verzicht auf eine Sichtweise von oben und unten zur Sozialgeschichte
14
Vorwort
kompensierten, indem sie die ihnen verborgenen Erfahrungswelten der Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter mit ihrer eigenen Betroffenheit besetzten. Das hatte zur Folge, daß die Objekte der nationalsozialistischen Arbeitslenkungspolitik nur noch als Opfer wahrgenommen wurden. Wider bessere Absicht wurden ihnen auch in diesem Fall ihre Identität und ihre wie immer auch begrenzt gewesenen eigenständigen Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten nachträglich entzogen. Ohne die Härte und Grausamkeit des von den Nazis und ihren Kollaborateuren praktizierten „europäischen Arbeitseinsatzes" mit all seinen zerstörerischen Folgen in Frage stellen zu wollen, mußte darüber nachgedacht werden, ob es nicht doch auch manchmal verschwiegene wie wirksame Wege gab, um bedrohte Arbeitskollegen zu schützen, Unordnung in das System zu bringen und Kommunikationsstrukturen aufzubauen, die den Verwaltungs- und Lenkungsapparaten einfach verborgen blieben. Es galt, die tendenzielle Reduktion eines sich dazu freilich besonders anbietenden Forschungsfelds der labor history zur ausschließlichen Unterdrückungs- und Opfergeschichte wieder zurückzunehmen. Das Votum für eine Migrationsgeschichtsschreibung, die die alltäglichen Lebens- und Erfahrungswelten der Fremdarbeiter auch im Fall der NS-Ara nicht mehr auf die Bürokratendebatten über Aussonderungs-, Bestrafungs- und Kasernierungstechniken reduzierte, wurde durch eine Reihe neuer Veröffentlichungen auf einem benachbarten Terrain gestützt. Mehrere Autorinnen und Autoren setzten der zunehmend geschichtsmetaphysisch gewendeten — und sich der kritischen Geschichtsschreibung letztlich entziehenden — Historie des Holocaust die mündlichen und schriftlichen Überlieferungen jener Individuen und Gruppierungen entgegen, die selbst gegen die extremste Form der nazistischen Ausbeutungs- und Vernichtungspolitik noch Informations-, Überlebens- und Widerstandsnetze aufzubauen vermocht hatten. 4. Besonders folgenreich erschien die ereignisgeschichtliche Einengung auf die Kriegsjahre der NS-Diktatur und insbesondere die Pathologie des „totalen Kriegs" seit 1943. Dadurch wurde zum einen der Eindruck erweckt, als ob es die behördlichen Rekrutierungs-, Lenkungs- und Ausbeutungsinstrumente gegenüber den Fremd- und Zwangsarbeitern schon immer gegeben hätte; es fehlte jeder Versuch, die Prozeduren der gelenkten Migrationsarbeit im Kontext einer damals immerhin schon fünfzigjährigen Geschichte der Arbeitsmigration zu verstehen und vor allem mit anderen historischen Migrationsformen zu vergleichen. Hinzu kamen die Ausblendung der speziellen Migrationsgeschichte der jeweiligen Nationalitäten und die fehlende Auseinandersetzung mit neuartigen historischen Forschungsansätzen in den wichtigsten ehemaligen Entsende- und Aufnahmeländern von Migrationsarbeitern. Diese Desiderate berücksichtigen wir in unserer Forschungskonzeption, um die Fremdarbeitergeschichtsschreibung als eng begrenzter Spezialbeitrag zum Thema „NS-Diktatur" zugunsten einer komplex sozialgeschichtlich orientierten Sichtweise zu erweitern. Dafür schien die Auseinandersetzung mit den italienischen Fremdarbeitern in der Periode der faschistisch-nationalsozialistischen ,Achse" besonders geeignet: bei den italienischen Arbeitsmigranten handelte es sich offensichtlich um eine wegen der Verwandtschaft der beiden politischen Systeme zunächst relativ angepaßte, innerhalb des Spektrums der Fremdarbeit privilegierte und gerade deshalb besonderen Desillusionierungen ausgesetzte Schicht des multinationalen proletarischen Milieus der Jahre seit 1937/38. Die Rekonstruktion ihrer Wahrnehmungswelten und Lernprozesse schien infolgedessen besonders gut möglich. Es war zu hoffen, daß eine exemplarische Präsentation dieser Sichtweise eine Annäherung an die verschollenen Erfahrungshorizonte auch jener Fremd- und Zwangsarbeiterschichten erleichtern würde, die aufgrund ihrer bis zur „Vernichtung durch Arbeit" reichenden Ausbeutungsgeschichte sehr viel weniger Spuren hinterlassen haben.
Vorwort
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Für das Projekt wurden drei italienische Mitarbeiter gewonnen, und zwar als kompetente Exponenten der Arbeiter- und Sozialgeschichte ihres Lands, die zugleich mit den Quellen und Ansätzen zur deutschen Sozial- und Sozialpolitikgeschichte während der NS-Diktatur vertraut sind. Sergio Bologna unternahm es, in einem knapp gehaltenen Einleitungsbeitrag die Querbeziehungen zur italienischen Migrationsgeschichte seit den 1880er Jahren herzustellen, dabei die Zäsuren durch die faschistische Migrationspolitik vergleichend herauszuarbeiten und die wichtigsten Trends der einschlägigen italienischen Historiographie zu skizzieren. Vor diesem Hintergrund sollte sodann in zwei Hauptabschnitten die Geschichte der italienischen Arbeitsmigration bis zur dramatischen Wende in den Beziehungen der faschistischen , Achse" im Spätsommer 1943 „von unten" und aus der Sicht „von oben" rekonstruiert werden. Angesichts der Quellenlage wurde daraus notwendigerweise ein Kontrastprogramm von oral history und klassischer, archivalisch gestützter, historischer Forschung. Cesare Bermani, der den ersten Hauptteil übernahm, unterzog sich der mühevollen Suche nach überlebenden Interviewpartnern (er konnte immerhin noch etwa 30 ausfindig machen) und nach repräsentativen Briefkorrespondenzen ehemaliger Deutschland-Arbeiter in den entlegensten italienischen Archiven, um die innere Seite der Migrationsgeschichte rekonstruieren zu können. Brunello Mantelli wertete neben den einschlägigen deutschen Aktenüberlieferungen auch die reichen italienischen Behördenarchive aus und analysierte die arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Zusammenhänge im kontroversen Zusammenspiel der einschlägigen Zentralverwaltungen in Berlin und Rom. Wie so oft, hat sich auch in diesem Fall der Abschluß des Projekts aus den unterschiedlichsten Gründen verzögert. Abgesehen davon, daß inzwischen einige Bemühungen um eine zumindest ergänzende Berücksichtigung der mündlichen Uberlieferung der ehemaligen Fremd- und Zwangsarbeiter ihren publizistischen Niederschlag gefunden haben, sind in der deutschsprachigen Fremdarbeiterhistoriographie die seinerzeit formulierten Desiderate noch weitgehend uneingelöst. Es ist also keineswegs „zu spät", wenn wir nun endlich die Arbeitsergebnisse vorlegen. Daß sie überhaupt noch zur Druckreife gelangten, verdanken wir vor allem Frau Heidemarie Kruschwitz vom Lektorat Geschichte im Akademie Verlag. Sie sind durch zwei unterschiedliche Sichtweisen bestimmt, die sich ergänzen, zugleich aber auch wesentlich voneinander unterscheiden. Wir haben bewußt darauf verzichtet, diese faszinierend heterogenen Annäherungswege an die Geschichte der italienischen Arbeitsmigration in den Studien von Cesare Bermani und Brunello Mantelli zu glätten oder gar in einer um Harmonisierung bemühten Zusammenfassung einzuebnen. Inwieweit überhaupt eine Synthese dieser beiden Methoden versucht werden sollte, möge der Leser entscheiden. Karl Heinz Roth
Sergio Bologna Kontinuität und Zäsur in der Geschichte der italienischen Migrationsarbeit
Die historische Erforschung der Migrationswellen des 19. und 20. Jahrhunderts hat in den letzten Jahren in verschiedenen Ländern Europas einen neuen Aufschwung genommen. Italien stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Dieses erneuerte Interesse am Phänomen der Migrationswellen und an der sozio-kulturellen Problematik der Auswanderer steht in einer gewissen Beziehung mit der neuen Phase der Immigration aus nichteuropäischen Kontinenten in die Länder der Europäischen Gemeinschaft und nach Westeuropa im allgemeinen. Mit der Zuwanderung von Menschen aus Afrika, Asien und Lateinamerika müssen in den 1990er Jahren auch Länder wie Italien rechnen, die bisher reine Exporteure von Arbeitskräften gewesen sind. Welche politische Konsequenzen aus dieser neuen Situation entstanden sind, hat unter anderem das Ergebnis der politischen Wahlen von 27.128. März 1994 in Italien gezeigt. Zum erstenmal in der Geschichte der italienischen Republik gingen aus ihnen Parteien als Gewinner hervor, die ausdrücklich eine nationalistische Orientierung vertreten oder sich explizit auf ethnisch fundierte Wertvorstellungen berufen. Diese Parteien haben in ihrer Propaganda die einwanderungsfeindliche Stimmung von Teilen der Bevölkerung ausgenutzt, d. h., sie verdanken ihren Erfolg auch den reaktionär-konservativen Transformationsprozessen, die sich in der Mentalität der Massen angesichts des Phänomens der neuen Zuwanderung aus nichteuropäischen Kontinenten breitgemacht haben. Feindselige Reaktionen bis hin zu rassistischen Ausschreitungen gegen farbige Immigranten sind einmalig in der italienischen Bevölkerungsgeschichte. Selbst während der faschistischen Diktatur, als Ende der 1930er Jahre die Rassengesetze eingeführt wurden, hielt sich die Bevölkerung von Pogromen oder Aktionen ähnlicher Art gegen andere ethnische oder religiöse Gruppen zurück. Was unter dem Faschismus nicht geschah, geschieht heute in einem Land, das seine Vergangenheit als Auswanderungsland vergessen zu haben scheint. In dieser Konstellation, wo postfaschistische Parteien und politische Gruppierungen, die eine aktive ausländerfeindliche Propaganda betreiben, an die Macht gelangt sind, gewinnt die Migrationsforschung eine neue Brisanz. Und das vor allem dann, wenn sie, wie in diesem Buch, die fast unerforschte Geschichte der Arbeitsmigration in dem vom NS-Regime beherrschten Deutschland untersuchen will.
1. Der politische Standort Auch wenn dies nicht in allen ihren Beiträgen explizit zum Ausdruck kommt, geht die heutige Migrationsforschung von einem klaren politischen Standort aus. Das Erinnern an die Odyssee italienischer Emigranten von gestern kann zum Mahnruf gegen Intoleranz gegenüber den
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Kontinuität
und Zäsur in der Geschichte der Migrationsarbeit
nichteuropäischen Immigranten von heute werden; die Erinnerung an die Not unserer Großväter kann zu einem besseren Verständnis der Not der heutigen Immigranten, die unsere Länder bevölkern, beitragen. Die politische Brisanz der Migrationsforschung akzentuiert sich noch deutlicher, wenn sie zu tieferen Kenntnissen über die Zeit des Faschismus führt. Die Erinnerung an die miserablen Lebensbedingungen in der italienischen Provinz der 1930er Jahre, als das faschistische Regime seine „goldene Zeit" und Italien ein gewisses Wirtschaftswachstum feiern konnten, und die Rekonstruktion der Hungererfahrungen vieler junger Arbeiter, die in das nationalsozialistische Deutschland einwanderten, wo die Verdienstmöglichkeiten für gleiche Leistungen das Siebenfache der italienischen betrugen, sollten die Neubewertung der Mussolini-Zeit als einer Zeit von wirtschaftlichen Erfolgen und einer im Vergleich zu heute angeblich besseren Lebensqualität dämpfen. Obwohl die Geschichte der Emigration mit nationalistischen Tönen geschrieben werden könnte (sie scheint dazu durchaus geeignet zu sein, wenn man das Phänomen der Aufrechterhaltung ethnischer und volkstümlicher Züge in fremden Ländern bedenkt), muß betont werden, daß die italienische Historiographie über das Phänomen der Auswanderung fast ausschließlich aus liberaldemokratischen, linkskatholischen und radikaldemokratischen Milieus oder aus der Arbeiterbewegung selbst stammt. Umso mehr ist folglich die Behauptung gerechtfertigt, daß die Migrationsforschung von heute mit der aktuellen Problematik der Migration und mit den aktuellen politischen Konflikten in Beziehung steht.
2. Das sozio-ökonomische Modell der italienischen Arbeitsmigration Ein Beweis dafür ist das Referat von Emilio Franzina, einem der bedeutendsten Experten der italienischen Migrationsforschung, auf der Tagung „La riscoperta delle Americhe", deren 1994 veröffentlichte Vorträge uns eine gute Bestandsaufnahme des state of the art der Migrationsforschung liefern.1 Franzina stellt fest: „Italien hat in seiner Geschichte, auch wenn wir uns nur das letzte Jahrhundert vor Augen halten, jede Phase und fast jede Art von Auswanderung kennengelernt, die in der Kasuistik der inneren und der äußeren Mobilität der Bevölkerung vorkommt. Dabei spielte besonders diejenige Art von Auswanderung von Arbeitskräften eine Rolle, die mit den verschiedenen Phasen der industriellen Revolution und den daran anknüpfenden Innovations- und Modernisierungsprozessen verbunden ist." 2 Gemeint ist hier, was Franzina „die italienische Emigration durch Antonomasie" nennt, und zwar die Auswanderungswelle, die nach der Beendigung der politischen Vereinigung der Halbinsel (1870) in Gang kam. Von 1873 bis 1973 sind ungefähr 26 Millionen Italiener ausgewandert, vor allem nach Zentral- und Westeuropa, nach Nord- und Südamerika und nach Australien. Es entwickelte sich auf diese Weise ein sozio-ökonomisches Modell, das bis in die 1970er 1 La riscoperta delle Americhe. Lavoratori e sindacato nell'emigrazione italiana in America Latina, 1870—1970, Brescia 1995. Da das Buch bis zum Abschluß dieses Beitrages noch nicht gedruckt war, zitiere ich hier aus der Manuskriptfassung (im folgenden: Brescia-Akten). 2 Emilio Franzina, Emigrazione e immigrazione nella storia d'Italia. Appuntiper un dibattito, in: Brescia-Akten, S. 675-687.
Der nordamerikanische Beitrag zur Erforschung
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Jahre wirksam gewesen ist: gebremste Erweiterung des Produktionsapparates im Innern, Export überflüssiger Arbeitskraft nach außen, und Rückgewinnung der Einkommen der Emigranten durch die „rimesse"(Rückzahlungen) an die Familien. Die Auswanderung fungierte als wichtigste Quelle für Deviseneinnahmen.3 Mussolini hat kurzzeitig, nämlich von 1927 bis zur großen Krise von 1930, versucht, dieses Modell zu durchbrechen, und zwar parallel zu den Einschränkungsmaßnahmen der amerikanischen Regierung. Sobald die Wirtschaftskrise eintrat, wurden die Schleusen der Auswanderung wieder göffnet. Trotzdem stellt diese Zeit einen großen Bruch dar. Als 1930 der Migrationsfluß wieder zu strömen begann, waren tiefe Strukturveränderungen eingetreten und ganz neue Rahmenbedingungen geschaffen.4 Das Modell der Kopplung von innerer Stagnation mit äußerer Mobilität und Devisenbeschaffung ist erst Mitte der 1980er Jahre revidiert und fast ins Gegenteil verkehrt worden: Expansion des Produktionsapparats durch mittlere und kleine Industrien, Export von Devisen durch Luxuskonsum, Immigration aus nichteuropäischen Kontinenten. Das Referat von Franzina war vollkommen dieser neuen Situation und den damit verbundenen Problemen gewidmet. Franzina behauptete, daß die italienische Gesellschaft, die italienischen Institutionen, u. a. auch die Gewerkschaften (die Veranstalter der Tagung!) sich als völlig unvorbereitet erwiesen hätten. Lediglich die katholische Kirche hätte für die neuen Immigranten in den 1980er und 1990er Jahren Aufnahmestrukturen bereitgestellt. Kein Wunder, können wir hinzufügen, wenn soziale und massenpsychologische Konflikte daraus entstanden sind, die zu einer Umwälzung der politischen Macht geführt haben. Vergangenheit und Gegenwart können also in der Migrationsforschung nur schwer voneinander getrennt werden.
3. Der nordamerikanische Beitrag zur Erforschung der italienischen Migrationsgeschichte Wenn wir die fast 700 Seiten umfassenden Tagungsreferate durchsehen, bemerken wir, wie groß der Beitrag der nordamerikanischen Historiker zur Erforschung der italienischen Emigration gewesen ist. In seinem Vortrag über die italienischen Immigranten und die Arbeiterbewegung in den USA in der Epoche zwischen 1880 und 1950 stellte Rudolph Vecoli, der Begründer des Studienzentrums über die italienische Migration in die USA an der Universität von Minnesota, eine umfassende Bestandsaufnahme der Forschungsergebnisse vor.5 Mit drei Millionen Menschen stellten die Italiener die größte nationale Gruppe unter den 13 Millionen Auswanderern, die zwischen 1901 und 1915 aus Europa nach Nordamerika übersiedelten. Zwischen 1876 und 1914 sind 14 Millionen Italiener ausgewandert, 56 Prozent davon sind nach Nord- und Südamerika, 44 Prozent in die europäischen Länder gegangen. Die überseeische Auswanderung war zum großen Teil als vorläufige Lebensstrategie gedacht. In der Tat kam nur die Hälfte der Emigrierten wieder zurück. Die Italiener wurden als 3 Ercole Sori, L'emigrazione italiana dall'unita alia seconda guerra mondiale, Bologna 1979. 4 Ercole Sori, Emigrazione all'estero e migrazioni interne in Italia tra le due guerre, in: Quaderni Storici, Mai bis Dezember 1975, S. 578-606. 5 Rudolph Vecoli, Etnia, internazionalismo e protezionismo operaio: gli immigrati italiani ed i movimenti operai negli USA, 1880-1950, in: Brescia-Akten, S. 501-519.
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Kontinuität und Zäsur in der Geschichte der
Migrationsarbeit
typische sojourners angesehen, als Leute, die ohne Familie wegzogen, um so lange und so viel zu arbeiten, bis sie genug Ersparnisse gesammelt hatten, um im Heimatland eine neue Lebensperspektive zu finden. Ein Teil dieser Emigration, vor allem nach Südamerika, war an die Saisonarbeiten der Landwirtschaft gebunden. Nicht zufällig spiegelte sich diese Bedingung auch im Sprachgebrauch wider: die Emigration wurde einfach campagna genannt, entsprechend dem Wort, das die Erntekampagnen bezeichnet. Vecoli betont, daß die Italiener in den USA den Afrikanern und Asiaten gleichgestellt waren, sie galten als „Farbige". Als sie ankamen, war die ethnische Struktur schon hierarchisch organisiert. Ihnen wurden zuerst die schlechtesten Arbeitsaufgaben zugewiesen. Schnell lernten die Praktiker der Disziplinierung von Arbeitskraft, die ethnischen Gruppen in der ersten Phasen der tayloristisch-fordistischen Produktion gegeneinander auszuspielen. Schlecht Verdienende und Ausgegrenzte wurden oft als Streikbrecher benutzt. Italienische Auswanderer konnten nur unter diesen Bedingungen in den Arbeitsmarkt eintreten. So bekamen sie rasch einen schlechten Ruf als Instrumente der Entsolidarisierung. Andererseits zeichneten sich viele Italiener, hauptsächlich Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten, die nicht nur aus sozialer Not, sondern auch aus politischen Gründen Italien hatten verlassen müssen, als charismatische Arbeiterführer aus. Italienische Emigrantengemeinden wirkten in den großen Streiks der Textil- und Kleidungsindustrie, in Lawrence, Paterson, Mesabi und Chicago als aktive organisatorische Kraft. Sie schlossen sich häufig der radikalen anarcho-syndikalistischen Organisation der Industrial Workers of the World (/. W.W) an. Das war „die einzige Arbeiterorganisation in Amerika, die den Grundsätzen des Internationalismus treu gewesen ist, indem sie alle Arbeiter, ohne Diskriminierung von Rasse, Religion oder Geschlecht, in ihren Reihen aufnahm".6 Eine Reihe von Zeitungen und Periodika wurde von italienischen Militanten gegründet und mit Auflagen von mehreren tausend Exemplaren verteilt. Trotzdem ist nach Vecolis Meinung „die Bedeutung der italienischen Linken in den USA unterschätzt worden. Ihr Einfluß wirkte viel tiefer und war wirksamer, als die Zahl der Mitglieder aussagt".7 Männer wie Serrati, Galleani, Berteiii, Buttis, Tresca, Ciancabilla, Giovannetti oder Fraina haben in der Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung vor dem ersten Weltkrieg eine wichtige Spur hinterlassen. Während die Italiener eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des radikalen Syndikalismus gespielt haben, ist der Beitrag deutscher sozialdemokratischer Emigranten zur Bildung der sozialistischen Parteien, der Socialist Labor Party und der Socialist Part y of America, entscheidend gewesen.
4. Die Spaltung der italienischen Auswanderercommunity Die Spaltung innerhalb der nationalen Gemeinden wurde zu einer Konstante der italienischen Emigration: als Spaltung zwischen einer Minderheit, die sich aktiv für die Emanzipation der Arbeiterklasse einsetzte, indem sie die utopischen Vorstellungen der Anarchie in Sozialrevolutionäre Praxis umzusetzen versuchte, und der großen Mehrheit der durch die soziale Not zur Auswanderung Gedrängten, die unter die Kontrolle der katholischen Kirche oder der Mafia
6 Ebenda, S. 505; vgl auch die umfassende Bibliographie in dem Referat von Vecoli. 7 Ebenda, S. 512
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geriet. Was später als Mafia bezeichnet wurde, war ursprünglich eine Organisation zur Anwerbung der Arbeitskraft in den süditalienischen Provinzen, die gleichermaßen die Anwerbung der Tagelöhner in der Heimat und die Anwerbung von Auswanderern betrieb. Als padroni wurden nicht nur die Landeigentümer bezeichnet, sondern auch ihre Obleute, die als Rekrutierungsagenten fungierten. Sie arbeiteten häufig eng mit den Schiffahrtsgesellschaften zusammen und betreuten die Emigranten bei ihren bürokratischen Odysseen vor, während und nach der Überseereise. Diese hierarchische Struktur deckte die ganze Auswanderungskette ab und übte Kon troll- und Filterfunktionen bei der Verwaltung und Rücksendung der Ersparnisse aus (padrone bankers). So entstand das von Experten wie Sori und Franzina in Italien sowie von Harney und Ramirez in Amerika studierte Phänomen des padronismo, der die italienischen Auswanderer zur gleichen Zeit beschützte und tyrannisierte.8 Als der amerikanische Kapitalismus in den 1920er Jahren mit Hilfe des staatlichen Apparats und gestützt auf private Polizeieinheiten und Spitzelbanden den Sozialrevolutionären Gewerkschaften den Krieg erklärte, bot sich für die italienische Mafia in den USA, die nach 1924 auf die aktive Unterstützung der faschistischen Diktatur rechnen konnte, die Gelegenheit, sich an diesem Feldzug gegen ihre eigenen Landsleute zu beteiligen, wenn diese Aktivisten oder Mitglieder von gewerkschaftlichen Organisationen waren.9 Während des ersten Weltkriegs und nach Kriegsende brach in den „Little Italies" der nordamerikanischen Städte der Kampf zwischen radikalen Militanten und reaktionär-konservativen Kräften aus: „Die padrone bankers und die katholischen Pfarrer versuchten ihren Einfluß aufrechtzuerhalten und gründeten für Arbeiter Selbsthilfeorganisationen mit patriotisch-militaristischem Charakter oder von religiös-lokalpatriotischer Ausprägung."10
5. Der Migrationszyklus und die Schiffahrtsgesellschaften Als Exponent der zeitgenössischen Migrationsforschung hat sich der an der Universität von Montr£al lehrende Bruno Ramirez am gründlichsten mit der Problematik der sojourners auseinandergesetzt. In seinem 1990 veröffentlichten Buch „On the move. French-Canadian and Italian Migrants in the North Atlantic Economy 1860-1914", betont er: „... the study of sojourning demands, in fact, that the historical observation be constantly directed both to the sending society and to receiving society. For, as we shall see, sojourning throws as much light on the receiving society as it does on the sending society. Thus forces the historian to adopt a transnational and transcultural standpoint". 11 Vorbedingung dieser vorläufigen Emigration war die Verfügbarkeit einer effizienten und schnellen Transportkette:
8 Luciano Lorizzo, Italian Immigration and the Impact of Padrone System, New York 1980; George S. Pozzetta und Bruno Ramirez (Hrsg.), The Italian Diaspora. Migration across the Globe, Toronto 1992. 9 Bob Harmon, ein in Cicero (Chicago) tätiger Historiker, bereitet eine umfassende Studie über die Beziehungen zwischen der Gang von Al Capone und der Unterdrückung des Arbeiterradikalismus vor. Ich danke ihm für die Überlassung der ersten Fassung seiner Studie. 10 Vecoli, in: Brescia-Akten, S. 512. 11 Bruno Ramirez, On the move. Franch-Canadian and Italian Migrants in the North Atlasntic Economy 18601914, Toronto 1991, S. 95.
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„... providing cheaper and faster service, many shipping companies became integrated into truly multinational labor-recruiting operations through special arrangements with padroni and labour agents who arranged prepaid passages and assisted migrants through the bureaucratic red tape."12 Dadurch wurden auch die Migrationsströme gelenkt: „... for a southern Italian migrant it had become cheaper to cross the Atlantic than to travel by land to Central Europe."13 Die zentrale Rolle der Schiffahrtsgesellschaften bei der Organisation des Migrationszyklus wurde schon von vielen Historikern hervorgehoben, u. a. in Italien in den Arbeiten Ercole Soris und Emilio Franzinas.14 In ihren Studien wurde die enge Verknüpfung zwischen Rekrutierungs- und Transporttätigkeit betont. Während der Vorbereitung einer Studie über die Schiffbauindustrie in St. Nazaire konnte ich selbst in den französischen Archives Nationales anhand der Akten der wichtigsten französischen Schiffahrtsgesellschaften nachvollziehen, wie der Transport von Auswanderern zur wichtigsten Einnahmequelle avancierte, nachdem das Uberangebot an Ladekapazität zum Verfall der Frachtpreise der Cargoes geführt hatte. Während die Historiker eine Zeitlang die Kapitalisten der Schiffahrtsgesellschaften fast als „moderne Sklavenhändler" eingeschätzt haben, wird seit neuestem die fast „humanitäre" Rolle hervorgehoben, die von den deutschen Reedern gespielt wurde.15 Um den englischen Schiffahrtsgesellschaften und Häfen den profitablen Menschentransport zu entziehen, boten die deutsche Reedereien Norddeutscher Lloyd und Hapag mit der Unterstützung der Stadtverwaltungen von Hamburg und Bremen sowie des preußischen Staats bessere Passagedienste an. Darunter verstand man nicht nur modernere und sicherere Schiffe sowie bessere Verpflegungsund Ausstattungsmöglichkeiten, sondern auch eine effizientere Organisation der Transportkette vom Heimatort bis zur Endstation. Durch die Einrichtung von Sammel- und Überprüfungszentren vor allem an den osteuropäischen Grenzen, wo Auswanderungswillige auf ihren Gesundheitszustand untersucht wurden, blieb vielen von ihnen die Abschiebung aus den nordamerikanischen Häfen erspart. Um weitere Erkrankungen während der Reise zu vermeiden, wurde die Erlaubnis zum Transport von Auswanderern nur denjenigen Schiffseignern erteilt, die die Passagiere mit genügend Nahrungsmitteln versorgen konnten. So war auch eine gewisse Verbesserung der hygienischen Bedingungen Ergebnis des kapitalistischen Wettbewerbs. Italienische und französische Reeder hatten bei den amerikanischen Behörden einen schlechten Ruf hinsichtlich der Qualität ihrer Dienste. Seit 1901 trat eine gewisse Verbesserung ein, nachdem die italienische Regierung ein erstes Migrationsgesetz erlassen hatte, das für seine Zeit als vorbildlich galt. Staatskommissare und Arzte der öffentlichen Gesundheitsbehörde mit Aufsichtsfunktionen wurden auf den Auswandererschiffen eingesetzt. Die Berichte der Schiffsärzte an den staatlichen Gesundheitsdienst stellen heute eine der wichtigsten Quellen zur Migrationsgeschichte in der Phase ihrer größten Expansion (1910 bis 1914) dar. Es wurde auch die Nationalisierung der Flotte für Auswanderertransporte diskutiert. Schriftsteller, So12 Ebenda, S. 96. 13 Ebenda. 14 Emilio Franzina, Ricchi e poveri attraverso l'Atlantico, in dem Band verschiedener Autoren Le Americhe. Storie di viaggiatori italiam, Mailand 1987. Sori, L'emigrazione italiana all'estero (Anm. 4). 15 Vgl. die ausgezeichnete Studie von Agnes Bretting, From the Old "World to the New, in dem Ausstellungsband Fame, fortune and sweet liberty The Great European Emigration, hrsg. von Dirk Hoerder und Diethelm Knauf, Bremen 1992, S. 75-119.
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ziologen und Journalisten berichteten über die „Ozean-Reisen". Sie schufen eine weit verbreitete Literatur, die Franzina u. a. in seinem Buch „L'immaginario degli emigranti" analysiert hat. 16 Die Entwicklung der Schiffahrtsdienste spielte also eine entscheidende Rolle bei der Lenkung der Mobilitätsströme und bei der Neustrukturierung der Mobilität selbst. Unter der Vorbedingung, daß die transozeanischen Reisen schneller und preisgünstiger geworden waren, konnten italienische „Pendler" ein halbes Jahr in Italien und ein halbes Jahr in Südamerika verbringen. Die typischen sojourners waren jedoch nicht solche „Pendler", sondern Leute, die einige Jahre ausgewandert waren, um genug Geld verdienen und sparen zu können, bis sie in Italien eine neue Lebensphase mit einem neuen sozialen Status beginnen konnten. Die Migration stellte also eine durchstrukturierte Lebensstrategie dar. Das Scheitern trieb manche Migranten in den Selbstmord. Die berufliche Struktur der Auswanderer war in den aufeinander folgenden Phasen unterschiedlich. Im Anschluß an die previous migrants der ersten Jahrhunderthälfte setzte die erste große Emigrationswelle mit Nord- und Mittelitalienern ein, die den landwirtschaftlichen Schichten angehörten. Es handelte sich nicht um besitzlose Landarbeiter oder Tagelöhnner, sondern um Kleinbauern und Pächter, deren Überlebenschancen durch die Steuerpolitik des neuen Staates ruiniert worden waren. Sie kamen vor allem aus den Voralpen- und den Hügelgebieten, wo immer landwirtschaftliche Arbeit physisch eine furchtbare Anstrengung erfordert hatte. Man denke nur an die steilen Küstengebiete von Ligurien und an ihr Hinterland oder an die Voralpen der ehemaligen habsburgischen Provinz Venetien. In der ersten Emigrationsphase (1876 bis 1890) stammten 30 bis 40 Prozent der gesamten italienischen Emigration aus den venetischen Gebieten. 17 Dieselbe soziale Struktur wies auch die Masse der Auswanderer aus Süditalien auf. Es handelte sich um Bauern, die mit ihrem Kleineigentum nicht überleben konnten, um nachgeborene Bauernkinder, die kein Land geerbt hatten, oder um Pächter, die ihre Vertragsverpflichtungen wegen der hohen Steuerlast nicht mehr einhalten konnten. Hinzu kamen viele, die einfach an die fabelhaften Erzählungen über die überseeischen Wunderländer geglaubt hatten. Noch vor der Jahrhundertwende stellten die Süditaliener die absolute Mehrheit bei den Auswanderern. Später entzog auch die Konkurrenz der neuen Industrien auf dem Arbeitsmarkt der Landwirtschaft die notwendigen Arbeitskräfte. Erst 1906 wurde auch die Auswanderung „industrieller Arbeitskräfte" aus den industrialisierten Gebieten zu einem gewichtigen Faktor. Der „amerikanische Traum" bedeutete für die bäuerlichen Emigranten Landbesitz, und die Industriearbeiter verbanden mit ihm die Aussicht auf bessere Löhne. Genauso wie in unserer Gegenwart wurde das sojourning von der receiving society positiv eingeschätzt, weil es die Gefahr einer permanenten Einbürgerung reduzierte, die Prekärität der Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Mentalität der Immigranten verinnerlichte und eine besonders adäquate Mischung von Integration und Ausgrenzung anzubieten schien.
16 Emilio Franzina, L'immaginario degli emigranti, Treviso 1992; ergänzend Titus Heydenreich, „Italien an Bord". Edmondo De Amicis als Reporter der Massenemigration, in: Zibaldone, Nr. 2, Oktober 1986. 17 Annunziata Nobile, Politica migratoria e vicende dell'emigrazione durante ilfascismo, in der den Auswanderungen gewidmeten Sondernummer der II Ponte, November—Dezember 1974; Fondazione Sella (Hrsg.), L'emigrazione biellese nel Novecento, Band 2, Mailand 1988, S. 19-84. Zur beruflichen Struktur der italienischen Auswanderer vgl. die Bemerkungen von Dirk Hoerder in dem Band: Farne, Fortune and sweet Liberty, Bremen 1992, S. 66ff.
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Im Buch von Ramirez und in den ihm voraufgegangenen Recherchen von Harney sind sowohl die Rückwirkungen des sojourning auf die Mentalität der Auswanderer wie seine Anpassung an die Arbeitsorganisation der ersten tayloristisch-fordistischen Phase untersucht worden: „... the majority of Italians participating in this movement lived in a mental universe that included two worlds. In their psychic map and in their emancipatory timetables their relations with their home towns and with their kin figured more prominently than the relations they might establish while working in North America." 18
6. Die zeitlich befristete Migration als politischer Lernprozeß Ein anderer sehr wichtiger und fast unerforschter Aspekt des sojourning ist von Cesare Bermani und Filippo Colombara in ihrer 1993 veröffentlichten Studie über die sozialistischen Organisationen in der Provinz Novara 19 herausgearbeitet worden: die Rolle der zeitlich befristeten Migration als Vorbereitungs- und Ausbildungsphase für eine politische Karriere im Heimatort nach der Rückwanderung. Bermani und Colombara haben die Lebensläufe der Abgeordneten und der Prominenten der Sozialistischen Partei in der Provinz Novara rekonstruiert und dabei festgestellt, daß ein gutes Fünftel aus Rückwanderern und Heimkehrern bestand. Die Migration scheint somit auch bei der Bildung politischer Eliten ein wichtiger Faktor gewesen zu sein. Die im Piemont gelegene Provinz Novara, die damals auch die heutigen Provinzen Vercelli und Biella mit einbezog, war zwischen 1900 und 1918 eines der Hauptzentren der sozialistischen Bewegung in Italien. Von der Mitgliederzahl her rangierten die sozialistischen Organisationen Novaras sogar an erster Stelle unter den italienischen Provinzen. Deutlich treten die Spuren der Auswanderung bei der Bildung der politischen Eliten aus den mündlichen und schriftlichen Familienüberlieferungen hervor. Die beiden Autoren haben die Bücherbestände der in Betracht kommenden Familien gesichtet. Sie identifizierten viele Bücher oder Broschüren, die in Amerika gedruckt worden waren. Besondere Bedeutung gewann in den Auwanderungszyklen die Provinz Biella, wo die Textilindustrie eine große Expansion durchgemacht hatte. Nicht nur die reformistisch-sozialistische, sondern auch die anarcho-syndikalistischeTradition waren in dieser Gegend sehr stark. Ein Teil der fuhrenden Köpfe der großen Textilstreiks in den USA stammte aus Biella. Berühmt ist vor allem der Streik in Paterson (1913) geworden, wo die Redner vom Balkon des Hauses der aus Biella stammenden Familie Botto zu den Streikenden sprechen konnten. Das Haus war Hauptquartier der Streikführung und fungierte dank der Hausarbeit der Frauen der Familie auch als Verpflegungsstätte der Streikenden. 20 Es ist heute Sitz des American Labor Museum in New Jersey. Die Forschung über die Emigrantengemeinden aus Biella hat in der italienischen Migrationsgeschichtsschreibung eine richtunggebende Bedeutung gewonnen, die über die Grenzen der regionalen Fallstudie hinausgeht. Die Auswanderung hochspezialisierter Maurer und Steinhauer aus der Gegend begann schon Mitte des 19. Jahrhundertes vor allem in Richtung Frankreich und Schweiz. Einige Bielleser sind später mittlere und große Bauunternehmer geworden, die Auf18 Ramirez, On the move, S. 95. 19 Cesare Bermani/Filippo Colombara, Cento anni di socialismo nel Novarese. Dalle origini alia prima mondiale. Band I, Novara 1992. 20 Vgl. Sella, L'emigrazione biellese nel Novecento (Anm. 17).
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Lernprozeß
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träge für große Konstruktionen (Brücken, Eisenbahnlinien, Dämme wie der Assuan-Damm in Ägypten usw.) in der ganzen Welt bekommen haben. 21 Mit der Restrukturierung der Textilindustrie von Biella begann die Emigration der Textilarbeiter in Richtung Nord- und Südamerika. In den 1920er und 1930er Jahren haben die Bielleser zum Beispiel dank ihrer Kenntnisse der französischen Sprache eine starke Stellung im New Yorker Gaststättengewerbe erlangt, weil die chefi und cuisiniers in der Regel Franzosen waren. Sie spielten eine entscheidende Rolle bei der Bildung und Entwicklung der Kellner-Gewerkschaft (Hotel and Restaurant Employees and Bartender International Union). Entsprechende Sprachkenntnisse verhalfen Frauen aus Biella zur Beschäftigung in dem in Tausenden kleiner sweatshops verstreuten Bekleidungsgewerbe von New York, wo Eigentümerinnen und Vorarbeiterinnen in der Regel aus dem in der Mode als Vorbild geltenden Frankreich stammten. Der Versuch, auch dort eine Gewerkschaft derTextilarbeiterinnen zu gründen, scheiterte. Bis in die 1960er Jahre hinein existierte jedoch in New York eine „Biellese Workers Mutual Aid Society", und der „Biellese Youth Progressive Club" bewahrte die jüngere Generation vor der faschistischen Propaganda. 22 Wenn wir die Geschichte der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen in Italien verfolgen, stellen wir fest, daß ihre Tradition eine deutliche Kontinuität zwischen der vor-faschistischen und der post-faschistischen Zeit aufweist. Als sich die Kommunistische Partei Italiens 1945 als Massenpartei konstituierte, nachdem sie sich zwei Jahre lang als treibende Kraft der bewaffneten Widerstandsbewegung profiliert hatte, bestanden fast 60 Prozent ihrer Führungsgruppe aus Militanten, die aus diesen piemontesischen Provinzen stammten. Der in Biella geborene Pietro Secchia war Nummer zwei in der Parteihierarchie nach Palmiro Togliatti, der in Genua geboren, aber in Turin aufgewachsen war. Frauen wie Teresa Noce, Männer wie die Gebrüder Pajetta, Luigi Longo (Generalsekretär der KPI nach Togliattis Tod), Celeste Negarville, Battista Santhiä, der Partisanenführer Cino Moscatelli und andere stammten aus dieser Gegend oder waren dort aufgewachsen und hatten dort ihre politische Sozialisation begonnen. Sie alle hatten eine andere Art von Migration hinter sich, nämlich das politische Exil der faschistischen Ära. Nach der Stabilisierung des faschistischen Regimes und nach den Ausnahmegesetzen (1926) begaben sich viele führende und mittlere Kader der 1921 aus einer Spaltung der Partito Socialista Italiano (PSI) entstandenen KPI ins Ausland, und zwar überwiegend nach Frankreich und anschließend in die Sowjetunion. Sie folgten nicht mehr den alten Migrationsketten, sondern den neuen Parteiketten der kommunistischen Bewegung. Eine ähnliche Kontinuität können wir bei dem italienischen Radikalismus in den USA feststellen. Viele Gewerkschaftsaktivisten, die von der Säuberungswelle der 1920er Jahren erfaßt worden waren, traten in den 1930er Jahren wieder als Organisatoren von Arbeitskonflikten in Erscheinung und leisteten einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau der Congress of Industrial Organizations (CIO) während der New Deal-Zeit.23
21 Banca Sella, Safere la strada. Percorsi e mestieri dei biellesi net mondo, Mailand 1986. 22 Vgl. den Aufsatz von Patrizia Audenino, Biellesi α New York: una comunitä di passaggio?, in: Sella (Hrsg.), L'emigrazione biellese (Anm. 17), S. 115-174. 23 Vgl. den Beitrag Vecolis sowie die Bibliopgraphie in: Brescia-Akten (Anm. 5), wobei erstaunlicherweise die Forschungsarbeit der Zeitschrift Primo Maggio unerwähnt bleibt. Dazu noch weiter unten.
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Kontinuität und Zäsur in der Geschichte der
Migrationsarbeit
7. Die Arbeitsmigration unter dem Faschismus Kurz vor der Konsolidierung der Macht des Faschismus in Italien wurden im Jahr 1924 die endgültigen Einschränkungsmaßnahmen zur Immigrationspolitik erlassen. Für die Italiener, die noch ein Jahr zuvor in großem Umfang zurückgekehrt waren, wurden Jahresquoten von weniger als 6.000 Menschen eingeführt, wobei die Frauen und Kinder der schon Zugewanderten nicht einbezogen waren. Folge dieser Politik war die Stabilisierung des sojourning·24 Die zweite Generation der Italo-Amerikaner versuchte sich schnell in die Wertestruktur der Massengesellschaft zu integrieren. Die „Little Italies"' wurden „amerikanisiert", und diese Art von Einbürgerung, wo die Italiener der zweiten Generation die Verbindung mit den kulturellen Normen ihrer Eltern verloren, galt auch als Emanzipationsprozeß von der katholischen Kirche und als Immunisierung gegenüber der faschistischen Ideologie. Sie besuchten fast ausschließlich staatliche Schulen. In den 1920er Jahren waren die Spaltungen innerhalb der „Little Italies" sehr akut geworden. Die politische Verfolgung der Radikalen wurde parallel zur Faschisierung der italienischen Gemeinden vorangetrieben. Bis gegen Ende der 1930er Jahre setzte sich dann eine Entwicklung durch, wo alte Radikale, die inzwischen Gewerkschaftsfunktionäre oder Aktivisten der CIO geworden waren, und vollständig amerikanisierte Italiener der zweiten Generation einen gemeinsamen Nenner im neuen Patriotismus des antifaschistischen Kriegs fanden. Mehr als die Spaltungen zwischen Linken und Rechten spielten jetzt die Konflikte innerhalb des linken Spektrums eine Rolle, vor allem zwischen Stalinisten, Trotzkisten und Anarchisten. In einigen Fällen hatten diese Auseinandersetzungen tragische Konsequenzen. „Man kann das Jahr 1924 als letztes Datum betrachten, wo das faschistische Regime die Auswanderung positiv einschätzte, weil sie sowohl als Instrument sozialer Kontrolle als auch als Quelle finanzieller Ressourcen fungierte. Die internationale Migrations-Konferenz in Rom vom 15. bis 31. Mai 1924 stellte den letzten Versuch dar, die Politik der 59 an der Migration interessierten Länder miteinander zu koordinieren. Danach wurde nicht zuletzt auch wegen der enttäuschenden Ergebnisse der Konferenz die Migration als Verlust von Arbeitskraft und als Zeichen nationaler Schwäche betrachtet. Seit 1926 wurde stattdessen die Politik der .inneren Migration' geplant. Ein Jahr später wurde nicht mehr von Auswanderern, sondern von .Italienern im Ausland' geprochen. Das Hohe Kommissariat für die Emigration wurde abgeschafft, und durch das Generalsekretariat für die Italiener im Ausland beim Außenministerium ersetzt".25 Eine Reihe von Maßnahmen zur Einschränkung der Emigration wurde in den Jahren 1927 bis 1930 erlassen. Wenn wir die Statistiken genau ansehen, scheint ihr Erfolg jedoch ziemlich gering gewesen zu sein. Vor allem die vorübergehende und die saisonale Auswanderung in die Nachbarländer Frankreich und Schweiz blieben, abgesehen von den Grenzgängern, anscheinend davon fast unberührt.26 Frankreich wurde zum Hauptziel sozialer und politischer Emigration. In manchen Provinzen, beispielsweise im Nordosten (Kärnten, Friaul) lag die Zahl der nach Frankreich Ausgewanderten absolut an erster Stelle. Diese Mischung aus sozialer Auswanderung und politischer Emigration weist eine Kontinuität mit den Jahrzehnten 1870 bis 24 Vgl. Vecoli, ebenda S. 509. 25 Franco Ceccotti, Storia dt Pepi Merican. Appuntisull'emigrazione dal Gradiscano fra Otto e Novecento, Quale Storia, Nr. 1/2, 1994, S. 25-64. 26 Nobile, Politica migratoria (Anm. 17); Sori, Emigrazione italiana all'estero (Anm. 4).
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Bilaterale Migrationsabkommen
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1910 auf und blieb bis in die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg typisch. Jedoch blieb — wie oben schon angemerkt — die formelle Auswanderungssperre nur ein paar Jahre in Kraft. Mit Beginn der großen Krise wurden die Schleusen wieder geöffnet. Einige Jahre später, nämlich ab 1935/36, fand Mussolini in der Kolonialpolitik einen anderen Weg zur Lösung des Problems der überflüssigen Arbeitskraft. Trotzdem stellt die Zeit nach dem ersten Weltkrieg in mancher Hinsicht eine Zäsur in der Geschichte der italienischen Auswanderung dar. Diese Zäsur ist besonders spürbar hinsichtlich der Richtung der Auswanderungsströme (mehr kontinentale als transozeanische Migration), aber auch in bezug auf die institutionellen Rahmenbedingungen (weniger laissez faire und strengere Kontrollen seitens der Staaten).
8. Bilaterale Migrationsabkommen Die Tendenz, die Migration durch bilaterale Abkommen zwischen Entsende- und Aufnahmestaaten zu reglementieren, setzte sich schon nach dem Ende des ersten Weltkriegs durch. Am 30. September 1919 wurde ein Vertrag zwischen Frankreich und Italien abgeschlossen, der den zugewanderten Arbeitern beider Länder paritätische Lohn- und Sozialbedingungen zusicherte. Nach diesem Muster wurden später auch mit Spanien und Albanien Migrationsabkommen unterzeichnet. Noch wichtiger erscheint der Versuch des faschistischen Regimes im Jahre 1924, durch die Gründung eines „Kreditinstituts für die italienische Arbeit im Ausland" die monetären Flüsse der Rückzahlungen der Italiener im Ausland aufzufangen und für Investitionen in italienische Unternehmen im Ausland einzusetzen.27 Dadurch verändert sich der Begriff von Migration. Er beinhaltet nicht mehr die Mobilität unspezifischer Bevölkerungsgruppen, sondern von Industriearbeitern. Die Migration und ihre Begrifflichkeit unterlagen einem Prozeß der „Industrialisierung", der in Gestalt der bilateralen Verträge zwischen NaziDeutschland und Italien 1938 auf die Spitze getrieben wurde, als die Verrechtlichung der Migrationsströme in den Rahmen einer Gesamtplanung eingegliedert und selbst die Lohntransfers über einen zentral gesteuerten Verrechnungsmechanismus geregelt wurden. Einen entscheidenden Schritt in diese Richtung hatte schon der deutsch-polnische Vertrag über landwirtschaftliche polnische Wanderarbeiter vom 24. November 1927 gebahnt. Der Vertrag „schloß jegliche autonome Zuwanderung von polnischen Arbeitskräften aus, garantierte der deutschen Landwirtschaft die Verfügbarkeit polnischer Landarbeiter zu deutschen Bedingungen, legalisierte die deutsche Anwerbung in Polen, die Festsetzung von Jahreskontingenten, den Rücktransport der Arbeiterinnen und Arbeiter zum Jahresende und die Abschiebung ansässig gewordener Polen".28 Ahnliche Tendenzen gab es seit dem Ende der 1920er Jahre auch in Italien. Am 7. März 1928 wurde in einem Rundschreiben des „Generalsekretariats der Italiener im Ausland" die zeitlich befristete Migration geregelt. Nur diejenigen Auswanderungswilligen erhielten eine Emigrationserlaubnis, die einen von den Behörden bestätigten Arbeitsvertrag und eine Rückfahrkarte vorweisen konnten. 27 Ebenda. 28 Horst Kahrs, Die Verstaatlichung der polnischen Arbeitsmigration nach Deutschland in der Zwischenkriegszeit, in: Eberhard Jungfer/Susanne Heim/Ahlrich Meyer und Horst Kahrs, „Arbeitsmigration und Flucht". Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik 11, Berlin - Göttingen 1993., S. 134.
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Kontinuität und Zäsur in der Geschichte der Migrationsarbeit
Wie weit bis in die 1930er Jahre die Bürokratisierung der Migration fortgeschritten war, zeigt die biographische Skizze eines in Brasilien geborenen italienischen Emigrantenkinds. Pepi Merican kehrte in den 1920er Jahren in das Herkunftsland seiner Eltern zurück. Er fand keine Arbeit und versuchte deshalb 1930 vergeblich nach Nordamerika auszuwandern. Schließlich ließ er sich als Bergarbeiter fiiir ein französisches Bergwerksunternehmern in Lothringen anwerben. Zu dieser Zeit war die Mobilität zwischen Frankreich und Italien so streng geregelt, daß die bisherige betriebliche Rekrutierungsfreiheit vollständig durch einen administrativen Apparat ersetzt war. 29 Die staatliche Zentralstelle der Migrationsbehörde leitete an die Provinzialstellen die Anfragen der ausländischen Betriebe weiter, wobei die Lohn- und Arbeitsbedingungen in groben Zügen skizziert waren. Dann folgte eine für den Auswanderer genau festgelegte Reihe von Verfahrensschritten: a. Unterzeichnung des Arbeitsvertrags bei der örtlichen Migrationsstelle, der die Arbeits- und Transportbedingungen im Detail beschrieb. Der Grenzübergang wurde genau festgelegt. b. Ausstellung eines Passes, der nur für die Dauer des Arbeitsvertrags gültig war. c. Gesundheitliche Untersuchung an der Prüfstelle des festgesetzten Grenzübergangs. Erst jetzt konnten die Vetrauensleute des anwerbenden Betriebs den Arbeitsmigranten in Empfang nehmen. Im Anwerbungsformular wurden die physischen Vorbedingungen für schwere Bergmannsarbeit unter Tage insoweit angedeutet, als bestimmte handwerkliche Berufe wie Schlosser, Tischler und Maurer explizit ausgeschlossen waren. Der Effekt dieser Regulierungsmaßnahmen scheint gleichwohl sehr begrenzt gewesen zu sein. Im Juli 1930 sah sich die Regierung gezwungen, ein Sondergesetz gegen die klandestine Migration zu erlassen. Die Ergänzungsstrategie der „demographischen Kolonisierung" wurde schon 1934/35 in Richtung Libyen und Somalia wirksam. Am 31. Dezember 1940 lebten schließlich 426 000 Italiener in diesen Gebieten Afrikas. So blieb die Politik der „offenen Schleusen" von 1930/31 mehr eine vorübergehende Maßnahme, um krisenbedingte soziale Unruhen zu vermeiden, und die „Autarkie-Wende" in der Bevölkerungspolitik Mussolinis zeichnete sich ab.
9. Der Generationswechsel in der Arbeitsmigration Wenn wir die berufliche Struktur der Migration in den Jahren 1920 bis 1927 betrachten, so rangieren die Kleinbauern noch einmal an erster Stelle. Zwischen 1927 und 1928 unterliegt die italienische Auswanderung sodann einem tiefen Restrukturierungsprozeß, der auch die beruflichen Merkmale betrifft. Die Auswanderung von Arbeitern und Handwerkern stellt seit dieser Zeit den größten Anteil dar, nachdem sie schon im Vergleich mit der Vorkriegsperiode erheblich höher gewesen war. 30 Neben den Bauern setzt sich die Auswanderung bestimmter hochspezialisierter Berufsgruppen der Bauindustrie oder anderer Industriezweige fort, die ihrer Spezialisierung wegen ihre Existenz seit Generationen auf einem internationalen bzw. europäischen Arbeitsmarkt gefristet hatten. Diese Berufsgruppen wußten auch die Einschränkungsmaßnahmen der faschistischen Regierung dank ihrer informellen Beziehungen zu umgehen, wie die Forschungen auf regionaler Ebene gezeigt haben. Diese Bewegungen richteten sich hauptsächlich nach Frankreich, Belgien und in die Schweiz. Der Anteil der kontinentalen Auswanderung war von 41 Prozent im 29 Ceccotti, Storia di Pepi Merican (Anm. 25). 30 Vgl. die schon zit. Aufsätze von Nobile, Sori und Ceccotti.
Die Kultur der Auswanderung
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Jahr 1920 bis 1938 auf 80 Prozent gestiegen. Insofern verstärkte diese Episode die schon seit Ende der 1920er Jahre sich anbahnende Tendenz, keine transozeanischen Reisen mehr anzutreten. So formierte sich eine Generation, die über unmittelbare Auswanderungserfahrungen nicht mehr verfügte. Es entstand das historische Problem der „Übertragung einer Kultur der Auswanderung" von der älteren Generation zu dieser neuen Generation, die außerdem im faschistischen Staat aufgewachsen und nur sehr indirekt über andere politische Systeme informiert war. Es fehlte dieser Generation das Erlebnis einer von akuten sozialen Konflikten geprägten Gesellschaft, wie sie in Italien von 1900 bis 1922 existiert hatte. Das bedeutete konkret den Zusammenbruch der durch die sozialen Kämpfe hervorgebrachten Netzwerkbeziehungen, wie sie sich bei kollektiven Handlungen entwickeln und verstärken. Es fehlte dieser Generation somit das Wissen über die informelle Struktur der Solidarität und letzten Endes über die informelle Kette der Auswanderungswege, die der vorherigen Auswanderergeneration das „sapere la strada" (den „Weg wissen" - so der Titel einer Migrationsausstellung in Biella) beigebracht hatte. Im Vorwort zu diesem Ausstellungsband schreiben Peppino Ortoleva und Chiara Ottaviano: „In einer gewissen Weise .wußten sie den Weg', indem sie die Regeln des internationalen Arbeitsmarktes kannten. Sie hatten Freunde, Verwandte und Landsleute, die sich für eine Weile oder für immer im Ausland niedergelassen hatten. Sie wußten, was ein Arbeitsauftrag oder eine Unterlieferung ist und wußten, wie sie zu gewinnen waren". 31 Aber auch dieses „Wissen" war weitreichenden Transformationen unterworfen. Es war nicht mehr die Zeit des Mulberry District, jenes Wohnviertels in der West Side von Manhattan, wo die italienische Emigrantengemeinde sich zuerst konzentriert hatte und wo die frisch Angelandeten eine Art „Arbeitsbörse" finden konnten. Die Struktur der Nachfrage hatte sich inzwischen gewandelt. Die Verrechtlichung und Verstaatlichung der Anwerbungsmechanismen hatten die Autonomie der Arbeitsuche {cerca di lavoro) stark in Mitleidenschaft gezogen. Der Weg war nicht mehr ein informeller Pfad von menschlich-ethnischen Beziehungen, sondern eine „obligate Fahrt". Die Arbeitsmärkte waren ziemlich streng segmentiert. Dirk Hoerder betont in seinem schon zitierten Aufsatz, daß das Charakteristikum der italienischen Emigration der campanilismo war, 32 d. h. die „Dorfbeziehungen", die sich unter dem selben Glockenturm ( c a m p a n i l e ) entwickelt hatten. Die Stärke der lokalistischenTradition ist im Falle Italiens bekannt. Die nationale italienische Hochsprache war kein Bindeglied, vielmehr fungierte als solches der einzelne Dialekt. Compaesano bedeutet viel mehr „Mann aus dem selben Dorf' als Landsmann.
10. Die Kultur der Auswanderung Die Frage, inwieweit die unter dem Faschismus aufgewachsene Generation von der älteren Generation die Kultur und das Wissen der Auswanderung übernommen hat, ist nie systematisch untersucht worden. In dem Buch von Brunello Mantelli 33 wird dieses Problem kaum thematisiert, und auch in seinem Beitrag für diesen Band konnte er kaum darauf eingehen, 31 Peppino Ortoleva/Chiara Ottaviano, Sapere la strada. Senso e ordine di una mostra, in dem oben zit. Ausstellungsband: Sella, Sapere la Strada (Anm. 21), S. 13. 32 Vgl. Anm. 17. 33 Vgl. Brunello Mantelli, Camerati del lavoro, Florenz 1992.
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weil die schriftlichen Quellen der Auswanderungsbehörden darüber keine Auskunft geben. In der Untersuchung von Bermani findet man dagegen deutlichere Hinweise. Sie lassen es wahrscheinlich erscheinen, daß die Kultur der Auswanderung als solche und das Wissen über die möglichen Wege der Migration den italienischen Proletarierfamilien fast immanent waren. Hinsichtlich der italienischen Arbeitsmigration nach Deutschland tauchen zusätzliche Probleme auf. Deutschland war für die italienischen Auswanderer noch in den 1930er Jahren ein ziemlich fremdes Land. Als Zuwanderungsort von Italienern hatte es bislang weit unten in der europäischen Länderskala rangiert, und zwar nicht nur wegen der sprachlichen Probleme, sondern auch infolge der außerordentlich schwierigen Arbeitsmarktbedingungen der Weimarer Republik und der frühen NS-Zeit. Als sich der deutsche Arbeitsmarkt 1938 plötzlich den Italienern öffnete, befanden sie sich im Vergleich zur USA-Emigration um die Jahrhundertwende in einer fast entgegengesetzten Stellung. Sie fanden sich nicht am Ende der sozialen Skala wieder, sondern an der Spitze, denn sie waren nicht mehr parias, sondern in einer gewissen Weise Privilegierte. Die Erinnerung an die armselige Lage ihrer Väter, die in gewisser Weise ihre „immanente Kultur" prägte, wirkte sich deshalb ambivalent aus. Der Vergleich mit der überlieferten Stellung der Italiener in der sozialen Skala der Zuwanderungsländer wirkte sich einerseits auf die Einschätzung der Politik Mussolinis aus, andererseits führte er zu einem Solidaritätsgefühl den Polen, Russen und den Kriegsgefangenen gegenüber. Viel schwieriger ist das Gewicht einer möglichen antifaschistischen Tradition in der „immanenten Kultur" dieser Generation einzuschätzen. Wir müssen vor allem davon ausgehen, daß sich die vorausgegangene Generation weitgehend an die Verhältnisse des faschistischen Staats angepaßt hatte und daß die sozialistischen Traditionen bei den proletarischen Familien - abgesehen von einigen Militanten, die das Risiko der Verfolgung eingingen — fast verschwunden waren. Hinzu kommen die Kontrolltechniken des faschistischen Polizeiapparats, die zu einer gewisse Vorab-Selektion der Angeworbenen geführt haben dürften. Von entscheidender Bedeutung war schließlich das Gewicht der „materiellen" Frustrationen, das bei den Migrationswilligen gegenüber den „ideologischen" Aspekten mentalitätsmäßig erheblich überwog. Wenn einzelne „Rebellen" das Angebot des nationalsozialistischen Arbeitsmarkts annahmen, um von Mussolinis Regime loszukommen, so geschah dies wegen der Unzufriedenheit mit der harten Arbeitsdisziplin in ihren Betrieben oder im Gefolge von Reibereien mit der örtlichen Parteihierarchie, d. h. aus Gründen, die viel mehr mit ihren konkreten Lebenserfahrungen als mit der Überlieferung einer antifaschistischen Tradition zu tun hatten. Die Bereitschaft zur Arbeitsmigration war mehr die Folge individueller Rebellionsgefühle als kollektiver Protestaktionen. Kollektives Handeln hatte diese Generation verlernt. Für die große Mehrheit ging es einfach um ein ökonomisches Kalkül: sie wollte sich dorthin begeben, wo der Preis der Ware Arbeitskraft höher war.
11. Von der Migration zur gelenkten Mobilität der Arbeitskraft Wenn wir diese subjektiven Motivationen bedenken und sie mit den neuen institutionellen Rahmenbedingungen, nämlich der Verrechtlichung und Verstaatlichung der Austauschmechanismen, der Segmentierung des Arbeitsmarkts, der Spezialisierung der Arbeitsnachfrage, der Vorgabe bestimmter Verfahrenswege und mit der Entziehung jeder Autonomie bei der Konstruktion einer Lebensstrategie in Zusammenhang bringen, dann stellt sich die Frage, inwieweit es überhaupt noch gerechtfertigt ist, von „ A u s w a n d e r u n g " z u sprechen. Ist es nicht ei-
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gentlich ein ganz anderes Phänomen? Allein die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die festgesetzte Dauer des Arbeitsvertrags entzieht der Lebenserfahrung dieser Menschen jene „Unsicherheit", die konstitutiv für das Massenphänomen der Auswanderung gewesen war. Der Grenzübertritt hatte alle seine Bedeutung von „Bruch" verloren, er war zu einer reinen Formalität geworden. Sollten wir lieber von einer Episode der Mobilität der Arbeitskraft innerhalb eines schon vereinheitlichten Arbeitsmarkts sprechen? So formuliert, gewinnt das Problem der Überlieferung einer Auswandererkultur bei der Bildung der subjektiven Verfassung der italienischen „Gastarbeiter" eine andere Bedeutung. Übertragen wurde ein Wissen, das in mancher Hinsicht inzwischen „obsolet" geworden war, genau so wie jedes berufstechnische Wissen aus der Zeit vor der Durchsetzung technologischer Innovationen. Aber unter einem anderen Gesichtspunkt war das überlieferte Wissen nicht „obsolet", weil die Erfahrung der vorherigen sojourners, der Pendler, der Grenzgänger und der Wanderarbeit bestimmter Berufsgruppen die Kultur der italienischen Auswanderer schon frühzeitig mit der Vorstellung eines internationalen, von ganz bestimmten Regeln beherrschten, Arbeitsmarkts geprägt hatte. Dort konnte sich jede Arbeitskraft gut bewegen, wenn sie nur mit diesen Regeln umzugehen wußte. Der italienische Fremdarbeiter von 1938 empfand Deutschland nicht als eine Gesellschaft mit bestimmten sozialpolitischen und kulturell-ideologischen Verhältnissen, sondern als ein moderneres Fabriksystem. Insofern blieb die Mythisierung des Zuwanderungslands auch in diesem Fall typisch für die subjektive Einstellung der Auswanderer. Es handelte sich dabei aber um eine Art von Mythisierung, die sich innerhalb „industrieller" Phantasiegrenzen hielt: kein Wunderland wartete auf den Arbeitsmigranten, sondern ein besseres Betriebssystem und ein effizienteres arbeitsorganisatorisches Modell. Als die italienischen Fremdarbeiter entdeckten, daß diese Vorstellung in der Wirklichkeit auf der Zwangsarbeit bestimmter, als minderwertig betrachteter, Bevölkerungsgruppen basierte, ging der Mythos zugrunde. Die Erinnerung verlagerte sich auf andere ethnische Hierarchien zurück, wo die Italiener die paria-Rolle gespielt hatten. Die Unzufriedenheit mit den neuen Arbeits- und Lebensverhältnissen begann mit Konflikten zwischen den Fremdarbeitern und der italienischen Partei- und Gewerkschaftshierarchie. Funktionäre der faschistischen Partei oder faschistischer Massenorganisationen, hauptsächlich der Gewerkschaften, übten eine Aufsichtsrolle über die Fremdarbeiter aus. Sie begleiteten sie über die Grenze und lebten weiter mit ihnen in Deutschland. Sie sollten ihnen in allen bürokratischen Fragen beistehen. In der Tat reproduzierten sie dieselbe mafiose Struktur der padroni der älteren nordamerikanischen Auswanderung: mit dem Unterschied allerdings, daß der alten padroni-Kiasse eine gewisse soziale Funktion zuerkannt war, während die faschistischen Funktionäre als reine Parasitenkaste empfunden wurden. Sie stellten eine Schicht dar, die eine Filterfunktion bei den Beziehungen mit den deutschen Betriebs- und Parteihierarchien innehatte. Wie die von Bermani gesammelten Zeugnisse zeigen, agierten sie nicht nur als Vermittler einer von oben kommenden Disziplin, sondern sie erpreßten ihre Landsleute zusätzlich mit miserablen Schindereien und Diebereien. Durch ihre Anwesenheit verloren die italienischen Neuauswanderer bald das Gefühl, eine privilegierte Gruppe zu sein. Insofern war es ein geschicktes Spiel der nationalsozialistischen Behörden, daß sie die Italiener der Disziplinargewalt ihrer eigenen Landsleute überließen, weil sich dadurch die innerbetrieblichen Konflikte auf eine gemeindeinterne Ebene verlagerten.
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12. Das Ende der selbstregulierten Arbeitsmigration Wenn wir von der Überholtheit einer gewissen Auswandererkultur sprechen, die mit dem Ubergang von der Politik der ungeregelten Massenauswanderungen zur selektiven internationalen Arbeitsmarktpolitik zustandekam, müssen wir gleichzeitig betonen, daß mit der Verrechtlichung und Verstaatlichung der Mechanismen des Arbeitsaustauschs ein großes Stück Arbeiterautonomie verloren ging. Sapere La strada, den Weg wissen, setzte eine Masse von Informationen voraus, die mit der Existenz vieler informelle Solidaritätsketten untrennbar verknüpft waren. Die Auswandererkultur und die durch sie konstituierte Selbständigkeit informeller Netzwerke stellten eine einheitliche Welt dar, wo sich die Flucht aus sozialer N o t in eine Befreiung von Zwängen durch Solidarisierungspraktiken umwandelte. Dieses Universum, wo der Autonomie der Klassenbewegungen ein gewisser Raum bewahrt blieb, wurde durch die strenge Reglementierung der Auswanderungsströme und durch die selektive Anwerbungspolitik aufgehoben. Von der tayloristischen Reorganisation der Industriearbeit, die den Arbeitern das berufstechnische Wissen entzog und die mit ihm verbundene Arbeiterautonomie aufhob, geht bis zur Verstaatlichung und Verrechtlichung der informellen Netzwerke der internationalen Selbsthilfe der Wanderarbeiter eine durchgehende historische Linie. Die faschistischen Regimes haben in dieser Richtung einen endgültigen Schritt vollzogen, indem sie die quantitative und qualitative Struktur der Nachfrage nach Arbeitskraft einem Gesamtplan unterstellten, der ihren militärischen Zielen dienen sollte. So hat die Regulierung der internationalen Mobilität ihren Höhepunkt erreicht. Nach dem zweiten Weltkrieg wandelte sich diese Politik in eine Politik der Arbeitsbedarfsplanung auf dem europäischen Markt um, die durch das Instrument der bilateralen Abkommen geregelt wurde. Gleichzeitig aber wurde die Politik des laissez faire teilweise wieder eingeführt - man denke nur an die Auswanderung von Italienern der Ostprovinzen nach Australien —, bis die transkontinentale Auswanderung schließlich vollständig dereglementiert wurde. In diesem neuen Szenario sehen wir die Wiedergeburt alter Strukturen: mafiose Anwerbungsagenturen, klandestine Migration, Ausnutzung der Migrantenketten für kriminelle Zwecke (Drogenhandel usw.). Zugleich entstehen aber auch eine neue multikulturelle Gesellschaftsstruktur und neue Selbsthilfe- und Solidarisierungsinstrumente. Die Kirche, vor allem die katholische Kirche, spielt eine zentrale Rolle bei der Lenkung der Mobilitätsströme, während die soziallibertären Traditionen völlig von der Bühne verschwunden sind. Sie überleben als Arbeiterautonomie nicht mehr. Wenn von ihnen eine Spur zu finden ist, dann in den humanitär-reformistischen Initiativen der receiving societies. Während sich der soziale Zyklus der Migration fortsetzt, ist der politische Zyklus der Migration zum Abschluß gekommen.
13. Zur Entstehung der italienischen Geschichtsschreibung mit mündlichen Quellen Noch eine Schlußbemerkung zur Geschichte der italienischen Geschichtsschreibung mit mündlichen Quellen und zum politisch-methodischen Hintergrund der Autoren dieses Buchs. Oral history ist in Italien nicht als akademische Disziplin entstanden. Milieus, die zur deutschen „Geschichte von unten" gehören, zeigen eine totale Unkenntnis der historisch-politischen Umstände, die zur Entwicklung einer „Geschichte von unten" in Italien geführt haben. Die Initiatoren waren in den 1950er Jahren Einzelgänger wie Danilo Montaldi und Gianni
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Bosio. Beide sind am südlombardischen Po-Ufer zwischen Cremona und Mantua aufgewachsen und waren tief in die agrarwirtschaftlichen Traditionen und Kulturen ihrer Heimat eingebunden, wo die Landwirtschaft einen frühen kapitalistischen Transformationsprozeß durchgemacht hatte: eine Art von „Industrialisierung", die die Kultur der Landarbeiter der Kultur der Industriearbeiter sehr nahegebracht hat. Sie waren in der Lage, die stalinistisch-populistische Ausprägung der linken Intellektuellen der Nachkriegszeit frühzeitig zu kritisieren. Beide empfanden sich viel mehr als .Aktivisten einer basisdemokratischen Bewegung" denn als Vordenker-Funktionäre irgend einer linken Partei. Danilo Montaldi war ursprünglich Mitglied der KPI. Er verließ die Partei schon in den 1950er Jahren und näherte sich den internationalistischen Splittergruppen an, um sich später auch von diesen zu entfernen. Er wurde Mitarbeiter großer Verlagshäuser, Übersetzer, Kunst- und Literaturkritiker. Gleichzeitig verfaßte er die ersten großen Untersuchungen über die sozialen Verhältnisse an der Peripherie der norditalienischen Metropolen Mailand und Turin, wo sich die neue Generation der süditalienischen Immigranten Anfang der 1960er Jahre zu konzentrieren begann. 34 Es waren weder soziologische Untersuchungen eines außenstehenden Beobachters noch journalistische Reportagen eines „engagierten" Intellektuellen. Montaldi erarbeitete vielmehr Zeugnisse, in denen er die immanente politische Kultur der Subjekte in ihren Wahrnehmungsprozessen auswertete und den Befragten ihre Würde als selbständige Individuen zurückgab, ohne ihnen eine belehrende Parteikultur aufzuzwingen. Die Erkenntnis, daß die Lebensinteressen der Individuen nicht mit dem Interesse der Weiterexistenz der Organisation (Gewerkschaft, Partei) identisch waren, übersetzte sich bei ihm nicht in eine veraltete „Kritik der Bürokratie". Montaldis Erkenntnisansatz war, daß die immanente politische Kultur vieler Proletarier, ihr Wissen über die Arbeitsmarktverhältnisse und über die Machtstrukturen viel reicher und differenzierter waren als die politische Kultur der Organisationen. Er drehte die hierarchische Struktur zwischen „hoher" und „niedriger" Kultur, zwischen Kultur als Synonym von „politischem Wissen" und Subkultur, um. So waren bei ihm die Interviews keine Sammlung von Erinnerungen, Emotionen und Eindrücken, sondern politische Lernprozesse, die aus einem Dialog zwischen zwei Gleichgestellten im Bedürfnis nach echten Demokratisierungsprozessen entstanden. Dabei war er aber kein „Spontaneist" oder Verehrer „wilder politischer Aussagen", die wie natürliche Quellen aus dem Mund des Volks hervorsprudeln. Vielmehr verstand er den beiderseitigen Lernprozeß als Voraussetzung einer Parteinitiative, die sich mit der immanenten politischen Kultur auseinandersetzen sollte, um sich permanent zu erneuern und zu einer dienenden lebendigen Organisation zu werden. Die Wiederaneignung der politischen Organisationen seitens derjenigen, die sie aufgebaut hatten, war sein Hauptziel. Insofern war das Instrument des Interviews mit dem einzelnen Zeugen völlig unangemessen, es war eher ein erkenntnistheoretischer Kompromiß. Der wahre Dialog entstand beim gemeinsamen „Handeln". In seinen Schriften wirkt Montaldi wie ein Chronist der Mikrobewegung der sozialen Auseinandersetzungen. Er verfolgt minutiös Schritt für Schritt das Verhalten der Akteure (zum Beispiel Betriebsfiihrung, Partei- und Gewerkschaftsstruktur und Ar-
34 Die vier Bücher von Montaldi sind: (mit Gianni Alasia) Milano Corea. Inchiesta sugli immigrati, Mailand 1960 (erweiterte Ausgabe, Mailand 1975); Autobiografia della leggera, Turin 1961; Militant! potitici di base, Turin 1971; und Saggio sulla politica comunista in Italia (1919-1970), Piacenza 1976. Vgl. auch L'inchiesta sulla nuova classe operaia. Lettere di Danilo Montaldi, in: Quaderni Piacentini, Nr. 72/73, Oktober 1979, S. 93-103.
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beitnehmer), u m jedes Detail sowohl der Machtstruktur als auch des politischen Lernprozesses zu enthüllen. Diese Mikroanalysen sind eine Art von „Tagesgeschichte" der sozialen Auseinandersetzungen an einem Ort. 3 5 Die unglaubliche Fähigkeit, aus den kleinsten Bewegungen allgemeingültige Bewertungen abzuleiten, läßt Montaldi als einen großer Historiker des „Entstehens des politischen know how des Proletariats" erscheinen. Wissen, Kultur, Information und know how ersetzen bei ihm die alten Begriffe von „Klassenbewußtsein" u n d „Ideologie". Das war eine überaus „moderne" Art, Marxist zu sein. Montaldi blieb immer ein Einzelgänger. Er gründete keine Gruppe, keine „Schule" u n d keine Zeitschrift, die ihn überlebt haben. Auch als zwischen 1961 u n d 1964 die ersten organisierten Gruppen der „neuen operaistischen Linken" entstanden („Quaderni Rossi", „Classe Operaia"), blieb Montaldi allein. Im April 1975 wurde seine Leiche in einem kleinen Fluß in der Nähe der italienisch-französischen Grenze gefunden. Es wurde nie aufgeklärt, ob er Selbstmord begangen hatte, einem Anschlag zum Opfer gefallen oder — wohl a m wahrscheinlichsten — verunglückt war. Sein politischer Ansatz lebte nur in d e m kleinen Kreis seiner engsten Freunden weiter. Erst in den 1990er Jahren hat eine Gruppe von Jugendlichen der neuen politischen Generation der Mailänder Jugendzentren seine nicht in den großen Büchern enthaltenen Schriften gesammelt u n d i m September 1994 mit Cesare Bermani als Herausgeber unter dem Titel Bisogna sognare. Scritti 1952—1975, veröffentlicht. Eine andere Richtung nahm das Werk von Gianni Bosio, der nicht aus der kommunistischen, sondern aus der sozialistischen Tradition stammte. Bosio war Leiter des Parteiverlags „Edizioni Avanti". Aus mündlichen Quellen beschrieb er den Prozeß der Industrialisierung der Landwirtschaft in seiner Heimat. 3 6 Er gründete viele Schriftenreihen, in denen exemplarische Forschungen über verschiedene unbekannte oder verschwiegene Aspekte und Episoden der Arbeiterbewegung und der Geschichte des italienischen Proletariats veröffentlicht wurden. Unter anderem publizierte Maria Luisa Betri die erste Untersuchung über die Erfahrung der „utopischen anarchistischen Gemeinden" des italienischen Auswanderers Giovanni Rossi in Südamerika. Bosio gründete die Schallplattenreihe „Nuovo canzoniere italiano", in der Lieder der Volkskultur und der politischen Linken gesammelt und wiedergegeben w u r d e n . 3 7 Die 35 Über Montaldi vgl. M. G. Meriggi, Coscienza di classe e istanza dipartito dentro i comportamenti proletari. La ricerca sociologica e storica di Danilo Montaldi, in: Composizione di classe e teoria del partito. Sul marxismo degli anni 60, Januar 1978, S. 139-192. E. Campelli, Note sulla sociologia di Danilo Montaldi alle origini di unaproposta metodologica, in: La critica sociologica, Nr. 49, Frühling 1979, S. 26-50; Gianfranco Fiameni, Autobiografia di una bambolaia. Dai materiali di uninchiesta sulla nuova classe operaia diretta da Danilo Montaldi, in: Quaderni Piacentini, Nr. 70/71, Mai 1979, S. 130-132; Nicola Gallerano, L',altra storia' di Danilo Montaldi, in: Memoria operaia e nuova composizione di classe, problemi e metodi della storiografia sul proletariate, hrsg. von Istituto Ernesto De Martino, Rimini, Dezember 1986 ; M. G. Meriggi, La cultura dell'inchiesta, in: 11 Ponte, November-Dezember 1989, Nr. 6, S. 129-133; Cesare Bermani, Danilo Montaldi e Gianni Bosio, in dem Band verschiedene Autoren Bosio oggi: rilettura di una esperienza, Istituto Ernesto De Martino, 1986, S. 153-161; ders., Danilo Montaldi e la ,conricerca, in: L'utopia concreta, Catanzaro, September 1993. 36 Gianni Bosio, II trattore adAcquanegra. Piccola e grande storia di una comunitä contadina, hrsg. von Cesare Bermani, Bari 1981; vgl. auch Bosios theoretische Schriften, in: Ders., L'intellettuale rovesciato. Interventi e ricerche sulla emergenza d'interesse verso le forme di espressione e di organizzazione spontanee nel mondo popolare e proletario (Januar 1963-August 1971), Mailand 1975. 37 II Nuovo Canzoniere Italiano. Venti anni della nostra storia, in dem Jahrbuch der Stiftung Micheletti: Ii Sessantotto. L'evento e la storia, hrsg. von Pier Paolo Poggio, Brescia 1989, S. 349-408; Cesare Bermani,
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Schriften von Antonio Gramsci spielten bei Bosio eine zentrale Rolle. Cesare Bermani, einer seiner engsten Mitarbeiter, gründete später zusammen mit anderen das „Istituto de Martino", das im Lauf der Jahre eines der größten italienischen Tonbandarchive mit mündlichen Quellen aufgebaut hat. Wegen chronischen Geldmangels und im Ergebnis einer völligen Ausgrenzung durch die linken Parteien mußte das Institut in den 1980er Jahren geschlossen werden. Das Archiv wurde trotzdem gerettet. Die Gemeinde von Sesto Fiorentino in der Toscana hat ihm jüngst neue Unterbringungsmöglichkeiten angeboten. Von dieser ganzen Geschichte38 sind die prominenten italienischen Wissenschaftler der oral history von heute (von Sandro Porteiii abgesehen 39 ) weit entfernt. Sie wissen nichts davon, und sie wollen auch nichts darüber wissen. Nur Luisa Passerini hat in ihrem Ende der 1980er Jahre erschienenen Buch über oral history dieser Geschichte und der Begründer Montaldi und Bosio gedacht. 40 Hierher gehört auch die Innovation des politisch-soziologischen Denkens und der Untersuchungsmethoden, die von Männern wie Raniero Panzieri und Romano Alquati vorangetrieben wurde. Panzieri und Alquati sind Mitbegründer der ersten Reihe der Zeitschrift „ Quaderni Rosst' gewesen, die aktiv in die Arbeiterkämpfe der frühen 1960er Jahren interveniert hat. Die „Fabrik-Untersuchungen", die von der Redaktion der Zeitschrift zusammen mit radikalen Arbeitern und Aktivisten der Betriebsräte der Großbetriebe durchgeführt wurden, eröffneten eine neue Epoche in der Geschichte der linken Intellektuellen in Italien und schufen die theoretischen und politischen Voraussetzungen für die Entwicklung der „Neuen operaistischen Linken". Philosophen und Politiker wie Mario Tronti und Massimo Cacciari, Soziologen wie Vittorio Rieser, Giovanni Mottura und Massimo Paci, Literaturhistoriker und Kritiker wie Franco Fortini und Alberto Asor Rosa, Politologen und Rechtswissenschaftler wie Antonio Negri sowie Historiker wie Gaspare de Caro gehörten zu den Mitbegründern und Mitarbeitern der Zeitschrift. Sie gründeten die nachfolgende Zeitschrift „Classe Operaia" (1964—1966) und die zweite Serie von „Quaderni Rossi" (1964—1967). Alle diese Initiativen griffen auf die vergessenen und verschwiegenen Erfahrungen und Vorstellungen der Massenarbeiter und der BasisErnesto De Martino e i movimenti di ,Cantacronache' e del Nuovo Canzoniere Italiano, in: II Cantastorie, Reggio Emilia, Nr. 45, Januar-Juni 1993. 38 Der bedeutendste Historiker dieser Kulturbewegung ist Cesare Bermani selbst: Cesare Bermani, L'altra cultura. Interventi, rassegne, ricerche, Riflessi culturali di una milizia politica (1962—1969), Milano, Edizioni del Gallo, März 1970; ders, Pagine di guerriglia. L'esperienza dei garibaldini della Valsesia, Band I (mit einem Vorwort über Mündliche Quellen, ,kleine Geschichte' und andere Kultur), Milano, Dezember 1971 (der zweite Band dieser umfassenden Studie (fast 2000 Seiten) über die Partisanenbewegung wird im 1995 beim Institut für Geschichte der Widerstandsbewegung in Vercelli erscheinen); ders., Dieci anni di lavoro con le fonti orali, in: Primo Maggie, Nr. 5, Frühling 1975, S. 35-50; ders., (mit Sergio Bologna), Soggettivitä e storia del movimento operaio, in der Zeitschrift II Nuovo Canzoniere Italiano, dritte Reihe, Nr. 4/5, März 1977, S. 7-36; ders, Dalla raccolta all'archiviazione all'analisi: mezzi tecnici, procedimenti, metodologie. Intervista α Cesare Bermani, in: Studi e ricerche. Bollettino nazionale d'informazione, Jg. 2, Nr. 3, Dezember 1982, S. 48-61; ders., Storia e antropologia. Appunti di lavoro, in: La cultura delle classi subalterne fra tradizione e innovazione, hrsg. vom Institut fiir Geschichte der Widerstandsbewegung in Alessandria, 14.-15. März 1985. 39 Alessandro Porteiii, Biografia di una cittä. Storia e racconto: Terni 1830-1985, Turin 1985; ders., The death of Luigi Trastulli and other stories. Form and Meaning in Oral History, New York, State University of New York Press, 1991. 40 Vgl. Luisa Passerini, Storia e soggetivitä. le fonti orali, la memoria, Firenze 1988, S. 117ff. Zehn Jahre davor schon Stefano Merli, l'altra storia. Bosio, Montaldi e le origini della nuova sinistra, Milano 1977.
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Militanten zurück. Insofern leisteten sie außerhalb der akademischen Mauern und inmitten der sozialen Auseinandersetzungen und Bewegungen ihrer Gegenwart einen entscheidenden Beitrag zur Gründung einer echten „Geschichte von unten" . Eine nicht unbedeutende Rolle hat in diesem Zusammenhang auch die von mir und Cesare Bermani herausgegebene Zeitschrift „Primo Maggio" (1973-1986) gespielt. 41 Ich kam aus der Erfahrung von „Quaderni Rosst' und „Classe operaia", Bermani aus dem Kontext von Gianni Bosio. Die Redaktion der Zeitschrift „Primo Maggio" hat einige Beiträge zur Geschichte der italienischen politischen Auswanderung, und insbesondere zur Geschichte der Organisation der I.W.W, geleistet. Es war eine Initiative „militanter Geschichtsschreibung", wo die Erlebnisse der Auswanderer als ein wichtiger Bestandteil der politischen und sozialen Geschichte des italienischen Proletariats betrachtet wurden. Viele Autoren, deren Namen in den internationalen Bibliographien der Migrationsgeschichtsschreibung auftauchen, wie Bruno Cartosio, Peppino Ortoleva, Bruno Bezza, Fernando Fasce, Ferruccio Gambino, Bruno Ramirez und Alessandro Porteiii sind Mitarbeiter von „Primo Maggio" gewesen. Die selbstfinanzierte Zeitschrift wurde von der alternativen Buchhandlung „Calusca" in Mailand herausgegeben 42 und im engen Zusammenhang mit den sozialen Auseinandersetzungen der 1970er Jahre entworfen und redigiert. Die Behandlung mündlicher Quellen aus der Sicht von Montaldi und Bosio wurde oft in der Zeitschrift diskutiert. Im Dezember 1976 wurden Bermani und ich deshalb gebeten, auf der ersten Internationalen Tagung, die in Italien über oral history stattfand, das Hauptreferat zu halten. Das geschah in Bologna vor einem hauptsächlich aus Studenten und Jugendlichen zusammengesetzten großen Publikum in einer gespannten und spannenden Atmosphäre, wo „militante Geschichtsschreibung" und basisdemokratische Bewegungen einen alten Dialog weiterführten. Als die Universität von Bologna, der Veranstalter der Tagung, die Tagungsbeiträge veröffentlichte, war unser Referat aus dem Band verschwunden. Die Herausgeber des Buchs gelten in mancher deutschen Bibliographie als Vertreter der italienischen „Geschichte von unten . 3
41 Vgl. Sergio Bologna, Die Zeitschrift, Primo Maggio' der siebziger Jahre. Ein Beitrag zur Geschichte des Operaismus in Italien, in: Patient Geschichte, hrsg. von Karsten Linne und Thomas Wohlleben, Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1993, S. 297-306; zusätzlich einige Bemerkungen zu dem methodischen Ansatz dieser Historiker-Bewegung in meinem Aufsatz: Zur Analyse der Modernisierungsprozesse. Einftihrung in die Lektüre von Antonio Gramscis,Americanismo e Fordismo', hrsg. von der Hamburger Stiftung zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Proceedings, Heft Nr. 5, November 1989. Zum Beitrag von Panzieri zur Innovation der historischen und soziologischen Methoden vgl. auch Luisa Passerini, op.cit., und die Sammlung seiner Briefe: Raniero Panzieri, Lettere 1940-1964, hrsg. von Stefano Merli/Lucia Dotti, Venezia 1987. 42 Diese Buchhandlung spielt noch heute eine aktive Rolle in der Bewegung der italienischen Jugendzentren. 43 Die Hamburger Stiftung fur Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts hat dieses Referat mit einem kurzen Vorwort über seine politischen Zusammenhänge neu gedruckt: Cesare Bermani/Sergio Bologna, Soggetivitä e storia del movimento operaio. Arbeitspapiere-Atti-Proceedings, hrsg. von Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, 1990, H. 6.
Cesare Bermani Odyssee in Deutschland. Die alltägliche Erfahrung der italienischen „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich" * In Erinnerung an Giovanni Pirelli
1. Die Migration ins Ausland zwischen den beiden Weltkriegen Um vollständig die Bedeutung zu ermessen, die die deutsch-italienischen Verträge über die Verschickung von Arbeitern ins Reich, die über befristete Kollektiwerträge abgewickelt wurde, zwischen 1937 und 1943 für die italienische Regierung hatte, müssen diese in die Entwicklung der italienischen Migrationsarbeit eingeordnet werden, für die der erste Weltkrieg bereits das Ende des freien internationalen Arbeitsmarktes eingeläutet hatte.1 Ab Ende 1914 begannen massive Repatriierungen von Migranten, und den Wehrpflichtigen wurde verboten, ins Ausland abzuwandern.2 Von den 280.000 Arbeitern, die zwischen dem 15. August und dem 10. Oktober 1914 repatriiert wurden (und die häufig höhere Löhne und ihre Wohnungseinrichtung verloren), fanden nur 40 Prozent Arbeit in Italien. Dies gilt vor allem für Nord- und Mittelitalien (Venetien, Lombardei, Piemont und die Emilia sind davon am meisten betroffen), da die von dort ausgehende Migrationswelle in erster Linie auf Europa ausgerichtet war.3 Mit dem Beginn der Kriegswirtschaft wurde die Mehrheit der Italiener, die im Ausland geblieben war, in der dortigen Rüstungsproduktion eingesetzt; die Migration aus Italien setzte daher von neuem ein — dazu gehörten auch ein paar Tausend Soldaten, die lieber ins Ausland gingen, als in den Krieg zu ziehen, aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit" jedoch arbeitslos wurden. Diese Migrationsbewegung ging vor allem in Richtung Schweiz und Frankreich, zum geringeren nach Deutschland und Österreich. Im Jahr 1916 endete der Migrantenstrom, da sich das Potential an Arbeitskräften ebenso erschöpfte wie das an Wehrpflichtigen. 4 Im Jahre 1917 stellte der Literacy Act den ersten Sieg einer Bewegung dar, die den Zuzug in die Vereinigten Staaten beschränken wollte. Doch der Wirtschaftsboom, den der Handel mit den kriegfiihrenden Staaten in den USA hervorrief, verhinderte vorerst, daß dies unmittelbare Auswirkungen zeitigte. * Sowohl in den Erinnerungsinterviews wie in den schriftlichen Quellen werden Orts- und Firmennamen mitunter nur in verballhornter Form wiedergegeben. Daher war es nicht in allen Fällen möglich, den genauen Ort zu ermitteln, von dem die Zeitzeugen sprachen. In den Interviews wechseln die Gesprächspartner häufig unvermittelt das Thema. Dadurch bleiben Sätze unvollständig. Diese abrupten Themenwechsel sind im Text durch Auslassungszeichen kenntlich gemacht worden. 1 Vgl. Celestino Arena, Italiani per il mondo. Politica nazionale dell'emigrazione, Mailand 1927, S. 11; R. Michels, Percha i tedeschi non emigrano piü?, in: La Riforma sociale, Turin 1911, S. 17. 2 Vgl. Giorgio Mortara, Prospettive economiche, Cittä del Castello 1921, S. 251; Francesco Balletta, II banco di Napoli e le rimesse degli emigrati (1914-1925), Neapel 1972, S. 46-47. 3 Vgl. das Annuario Statistico Italiano, 1914, S. 300.
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich"
Die Auswanderung aus Italien stieg in der Nachkriegszeit wieder an und die erste „Quoten"Regelung von Seiten der USA, der sog. Quota Act, machte erstmalig die Zulassung von Ausländern von ihrer Herkunft abhängig - im Jahre 1921. Mit diesem Gesetz wurde festgeschrieben, daß jedes Jahr nur 3 Prozent der Gesamtzahl derjenigen, die der gleichen Nationalität angehörten und bei der Zählung des Jahres 1910 in den USA ihren Wohnsitz hatten, einwandern durften. Damit war die Quote für die Italiener auf 42.057 Personen festgesetzt worden. 5 Bei der Erneuerung des Gesetzes im Jahre 1924 wurde der Anteil auf 2 Prozent gesenkt und zusätzlich auf die Zählung des Jahres 1890 bezogen. Dadurch sank die Quote der Italiener auf ganze 3.845 Personen. 6 Aufgrund der Arbeitslosigkeit erließ auch die kanadische Regierung im Jahre 1919 ein Gesetz analog zum Literacy Act. Diese restriktiven Gesetze hatten besonders schwerwiegende Auswirkungen auf Italien, wo die Emigration seit eh und je das Instrument dargestellt hatte, um einen Ausgleich zwischen der Bevölkerungszahl und den Ressourcen herzustellen, wobei sich der Emigrantenstrom besonders in Richtung Lateinamerika verstärkte, vor allem nach Argentinien und — in geringerem Maße — nach Brasilien. Aber die Aufnahmekapazität dieses überseeischen Arbeitsmarktes wurde, vor allem nach 1924, eingeschränkt durch die schwere Wirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit, die auch diese Länder heimsucht. 7 Die europäischen Länder, die in den zwanziger Jahren in der Lage waren, in größerem Umfang Emigranten in ihren Arbeitsprozeß aufzunehmen, waren Luxemburg und Frankreich, vor allem im besetzten Ruhrgebiet, 8 während in Belgien nur in den Bergwerken Arbeitskräfte eingestellt wurden. 9 Der Uberfluß von Arbeitskräften im Balkanraum verhinderte seit 1923, daß die traditionelle italienische Emigration nach Österreich-Ungarn Eingang fand, was vor allem die Gebiete Venetiens und Emiliens besonders schwer traf. 10 Die rasche Demobilisierung brachte für Italien nach dem ersten Weltkrieg erhebliche Beschäftigungsprobleme mit sich, die durch die Zerstörung von Produktionsanlagen erschwert wurden. 11 Die italienischen Kriegsverluste, Epidemien eingeschlossen, betrugen zwar 1,5 Millionen Mann, 1 2 waren aber dennoch nicht hoch genug, um den zeitweisen Stillstand der Auswanderungen ausgleichen zu können. Zwischen 1910 und 1914 hatte die Zahl der Emigranten 3.248.515 erreicht, was einem Jahresdurchschnitt von 649.703 Auswanderern entsprach. Obwohl die Kriegszeit einen Auswanderungsstop bewirkt hatte, sank die Zahl der Emigranten zwischen 1919 und 1923 auf 1.740.353 ab, also auf einen Jahresdurchschnitt von 348.070, und hatte sich damit im Vergleich zum Vorkriegsjahrfünft nahezu halbiert. 13 Angesichts dieser Situation überwog bereits 4 Siehe S. 37: Vgl. Roberto Michels, Cenni sulle migrazioni e sul movimento dt popolazione durante la guerra europea, in: La Riforma sociale, Turin 1917, S. 18, 20-29 und 38. 5 6 7 8 9 10 11 12
Vgl. Adriano A. Fiorentino, Emigrazione transoceanica, Rom 1931, S. 49-61. Ebenda. Vgl. Ercole Sori, L'emigrazione italiana dall'Unitä alia seconda guerra mondiale, Bologna 1979, S. 419—420. Stanislao G. Scafati, I mercati del lavoro esteri (1923), in: Ders., Scritti di economia e finanza, Rom 1925, S. 193. Vgl. Arena, Italiani, S. 19. Vgl. ebenda, S. 20 sowie Mortara, Prospettive, S. 254. Annunziata Nobile, Politica migratoria e vicende dell'emigrazione durante il fascismo, in: II Ponte, Florenz, H. 11-12, Dezember 1974, S. 1323-1324. Bei Giorgio Mortara, La salute pubblica in Italia durante e dopo la guerra, Bari 1925, wird die Zahl der Kriegstoten mit 560.000 beziffert, eine halbe Million starb durch Verletzungen und Spätfolgen, die übrigen durch Epidemien.
13 Nobile, Politica, S. 1324.
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seit Kriegsende eine Emigrationspolitik, die vor allem darauf ausgerichtet war, „die Unzufriedenen dorthin gehen zu lassen, wohin es ihnen am besten paßt, weil sie zu Rebellen werden könnten". 1 4 Nach den Statistiken des Nationalen Arbeitsamtes gab es zum 30. Juni 1920 in Italien 105.831 Arbeitslose, eine Zahl, die zum 10. Juli 1921 a u f 3 8 8 . 7 4 4 in die Höhe schnellte u n d am 10. September auf 4 7 0 . 5 4 2 , u m im Februar 1922 sogar 6 0 6 . 8 1 9 zu betragen. Hinter jedem Arbeitslosen standen mindestens zwei weitere Familienangehörige, deren Lebensunterhalt dieser zu tragen hatte. Die Situation war dergestalt, daß dem Schatzminister Paratore gesagt wurde, daß „in alle Länder, in die es möglich ist, überschüssige Arbeiter geschickt werden müssen, u m sich dort Arbeit zu suchen. W i r müssen nunmehr jede Präferenz u n d alle gesundheitsmäßigen, sozialen und juristischen Vorbehalte aufgeben." 1 5 Das erste Kabinett Mussolini änderte diese politische Richtung nicht, und Mussolini selbst erklärte 1924, daß „wir 4 0 Millionen sind, die eingeschlossen sind auf unserer engen und lieblichen Halbinsel, die allzu viele Berge hat und deren Territorium nicht alle ernähren kann". 1 6 In Italien bot die Arbeitslosigkeit daher „nur eine oder vielmehr zwei Lösungen: eine interne besteht darin, den nationalen Boden bis zum letzten Quadratzentimeter und alle Energien des nationalen Territoriums ausnutzen. Die zweite Lösung: die Emigration". 1 7 Aber welche Auswege gab es? Die italienischen Emigrantenströme wurden geringer, u n d die Emigration konzentrierte sich nunmehr i m Norden des Landes, mehr in Richtung Europa als nach Ubersee. Darin waren in zunehmendem M a ß e auch Facharbeiter involviert, die zwar insofern beruflich abgestiegen waren, als sie gezwungen waren, im Ausland Arbeit zu suchen, aber sie sind nicht in ihren handwerklichen Fähigkeiten beeinträchtigt, so daß mit diesem Wechsel eine Verarmung der italienischen Produktivkräfte eintrat. Viele wanderten nach Frankreich: in das Lothringer Becken, u m dort im Bergbau zu arbeiten; demgegenüber entwickelte sich in Richtung Südwest (Gers, Gironde, Landes, Tarn et Garonne, Lot et Garonne) in den zwanziger Jahren eine bäuerliche Emigration, die sowohl Tagelöhner als auch selbständige landbesitzende Bauern umfaßte und dazu führte, daß 5 0 . 0 0 0 ha nicht kultivierter Flächen neu erschlossen und 2 . 5 0 0 verlassene Höfe wieder bewirtschaftet wurden. Damit ging Italien einer besitzenden bäuerlichen Mittelschicht verlustig, die ihr Kapital m i t n a h m und in Frankreich die Geschäftsführung bäuerlicher Pachtbetriebe übernahm bzw. dort Ländereien erwarb. Dieses Phänomen war auch eine Konsequenz des Rückschritts, den die Arbeitsverträge der Faschisten für die Landwirtschaft bedeutet und die nicht nur die Errungenschaften der Tagelöhner, sondern auch die der mezzadri (Halbpächter) und der kleinen Pächter beschnitten hatten. Diese bäuerliche Migration betraf insgesamt 8 0 . 0 0 0 Personen, die sich bereits 1927 alle in Frankreich befanden. 1 8 Des weiteren führte ein Emigrantenstrom zu den belgischen
14 Luigi Bodio, Deiproblemi
del dopoguerra relativi all'emigrazione,
in: Giornale deglt economist!, Padua 1918,
S. 154.
15 ACS, Presidenza del consiglio dei ministri, 1922, Fasz. 2/9, n. 2732, Emigration. 16 Benito Mussolini, Scritti e discorsi, Vol. III: L'inizio della nuova politica 28 ottobre 1922—31 dicembre 1923, Mailand 1934, S. 97, Auszug der Rede vom 2. 4. 1922 in der Scuola Normale Femminile Carlo Tinea in Mailand. 17 Ebenda, S. 116, Auszug der Rede vom 4. 6. 1923 an die Bevölkerung Venedigs.
18 Vgl. Sori, L'emigrazione italiana, S. 422-424.
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich"
Kohlebergwerken, wo risikobehaftete Arbeiten zu übernehmen waren. Aus Süditalien, Sardinien und Sizilien gingen die Emigrantenströme jedoch weiterhin überwiegend nach Übersee. Zwischen 1922 und 1942 wanderten 75,6 Prozent der Emigranten aus Norditalien in europäische Länder, während 66,2 Prozent der Emigranten aus dem Süden und von den Inseln Italien Richtung Ubersee verließen. 19 Bis 1926/27 blieb die Politik der italienischen Regierung darauf ausgerichtet, die Emigration zu fördern, nicht zuletzt um das Vorkriegsniveau der Arbeiterersparnisse (und der damit verbundenen Devisenströme) aufrechtzuerhalten. Man gab also vorzugsweise Pässe an kräftige Männer aus, die vor allem dann Ersparnisse „produzierten", wenn die Familie in Italien blieb. 20 Mit dieser Emigrationspolitik ging eine verstärkte Selektion der Emigranten einher, die eine größere hygienische, moralische und gesundheitliche „Fürsorge" vor der Abfahrt und während der Reise erforderte, um sich einerseits nicht die Märkte zu verderben und um andererseits nicht auf Kosten des Staates für die Rückbeförderung sorgen zu müssen, falls Arbeitskräfte zurückgewiesen werden sollten. Zwischen 1924 und 1926 operierten in jeder Provinz mobile Emigrationsausbildungsbüros (cattedre ambulanti dell'emigrazione), die Berufsvorbereitungsund Einwanderungskurse fur die möglichen Emigranten durchführten. 2 1 Die Regierung Mussolini versuchte jedoch ab 1925/26, der Arbeitslosigkeit, den Spannungen im Verhältnis zur ländlichen Bevölkerung, der Auslandsverschuldung und dem enormen Ungleichgewicht in der Zahlungsbilanz eine massive Emigrationswelle entgegenzusetzen, der ein aus dem Export herrührender Aufschwung im Produktivbereich folgen sollte. Grundlegend für diese Politik war jedoch ein beträchtlicher Zufluß an Lohnersparnissen von selten der Auslandsitaliener. 22 Zwischen 1926 und 1927 begann die faschistische Regierung eine Politik der Binnenkolonisierung, die offiziell von Mussolini in der Abgeordnetenkammer mit der „Himmelfahrtsrede" vom 26. Mai 1927 proklamiert wurde: „Seit fünf Jahren sagen wir, daß die italienische Bevölkerung einen Uberschuß aufweist. Das ist nicht wahr! Der Fluß tritt nicht mehr über die Ufer, er ist dabei, recht rasch in sein Bett zurückzukehren. (...) Wenn er abnimmt, meine Herren, dann wird es nichts mit dem Impero, dann werden wir eine Kolonie". 23 Laut Mussolini handelte es sich also darum, die durch die Emigration verursachte demographische „Blutung" zu stoppen, Arbeitskräfte in die zukünftigen Kolonien zu entsenden und — im Inneren - die übermäßige Verstädterung zu bremsen, indem man die bäuerliche Bevölkerung auf dem Land zurückhielt. Nur der temporären Emigration kam noch eine Wertschätzung bei, nämlich um den schweren finanziellen Schaden abzuwenden, der sich bei einer Emigration der Familienangehörigen der im Ausland Arbeitenden durch das Ausbleiben der Lohnüberweisungen einstellen mußte. Trotz dieser Haltung und obwohl die Anwerbung von Arbeitskräften, die im Königreich bereits eine Beschäftigung besaßen, fur eine Auslandstätigkeit verboten war, riß der Emigrantenstrom nicht ab, so daß die faschistische Regierung im
19 Vgl. die Tabelle 7 (Geographische Verteilung der Emigration nach Herkunfts- und Bestimmungsländern Prozentuale Angaben für die Jahre 1922-1942) bei Nobile, Politica, S. 1341. 20 Vgl. Pellegrino Nazzaro, Italy from the American Immigration Quote Act of 1921 to Mussolini's Policy of Großraum: 1921-1924, in: The Journal of European History n. 3, S. 711-713. 21 Vgl. Commissariato generale dell'emigrazione, L'emigrazione italiana negli anni 1924 e 1925, Rom 1926, S. 69. 22 Vgl. Sori, L'emigrazione italiana, S. 427. 2 3 Mussolini, Scritti e discorsi. Vol. IV: Dal 1927 al 1928, S. 42.
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Jahre 1930 auf ein Gesetz zurückgreifen mußte, um die heimliche Emigration zu unterbinden. 24 Jedenfalls nahmen die Auswanderungszahlen deutlich ab und betrugen in dem Jahrfünft zwischen 1927 und 1931 nur 936.890, die sich innerhalb Europas vorwiegend nach Frankreich und in die Schweiz begaben, während die Vereinigten Staaten und Argentinien an der Spitze der überseeischen Auswanderungsziele lagen. 25 Und dies, obwohl sich der italienische Regierungschef während der Weltwirtschaftskrise gezwungen gesehen hatte, den Präfekten Liguriens, Piemonts, der Lombardei, Venetiens, der Emilia-Romagna und Mittelitaliens, also der politisch und gesellschaftlich schwierigsten Regionen Italiens, mit einem Rundschreiben vom 13. August 1930 die Instruktion zu geben, die größtmögliche Zahl von Pässen für das Ausland auszustellen. 26 Ein Jahr später äußerte sich Mussolini über diese Anordnung folgendermaßen: „Viele haben in gutem Glauben wirklich angenommen, daß hier die Hölle und anderswo das Paradies sei, daß nur in Italien das Elend und anderswo der Überfluß herrsche, daß nur in Italien Arbeitslosigkeit sei und anderswo nicht. Nun gut. Diese Maßnahme hat vom moralischen Gesichtspunkt her eine hundertprozentige Wirkung gezeigt. In den ersten Tagen waren die Polizeibehörden voll, vollgestopft von Leuten, die nachdrücklich Pässe forderten; dann wurde die Menge kleiner und heute ist die Zahl derer, die zurückkehren, größer als die derjenigen, die abreisen. Tausende, ja Zehntausende von einzelnen sind vollkommen geheilt und wissen, daß es in diesem Augenblick in keinem Teil der Welt bequeme Länder gibt". 27 Man hat nicht zu Unrecht daran gedacht, daß Mussolini mit dieser Maßnahme das Land von Regimegegnern aller Art freimachen wollte, denn ein anhängiges Paßgenehmigungsverfahren war bereits ein Beweis für diese Gegnerschaft. 28 In der Tat stehen wir im Jahr 1930 - wie im übrigen bereits nach dem Aufstieg des Faschismus in den zwanziger Jahren — vor einer Emigration, deren „ökonomische" Gründe kaum von den „politischen" getrennt werden können. Es ist offensichtlich, daß man ein weiteres Mal die konfliktträchtige Arbeiterklasse loswerden wollte, die sich — wie wir bereits gesagt haben - nach Frankreich und Belgien orientierte. Die Krise der Jahre 1929/1930 gibt den jedenfalls quantitativ beträchtlicheren Formen der Emigration den Gnadenstoß; denn in allen Ländern gab es nunmehr eigene Arbeiterreservearmeen, die größer waren als normal. Drastische Beschränkungen gegenüber den hereinströmenden Migranten wurden in Frankreich im Jahr 1932 aufgestellt, in Brasilien — das bereits seit 1921 einige solcher Maßnahmen erlassen hatte - im Jahr 1934. In dem Jahrfünft zwischen 1932 und 1936 verringerten sich die Auswanderungen aus Italien auf 333.991, während die Zahl der Rückkehrer immerhin 261.854 betrug. 29 Des weiteren mußte die faschistische Regierung 1934 zur Kenntnis nehmen, daß die koloniale Ansiedlungspolitik in Libyen weit langsamer voranschritt, als es die in sie gesetzten Hoffnungen vorsahen. 30
24 Vgl. Fiorentino, Emigrazione, S. 29-31. Das von Grandi vorgeschlagene Gesetz wurde am 24. Juli 1930 verabschiedet. 25 Für genauere Angaben vgl. die Tabelle 5 bei Nobile, Politica. 26 Ercole Sori, Emigrazione all'estero e migrazioni interne in Italia tra le due guerre, in: Quaderni storici, H. 2 9 30, 1975, S. 582-583. 27 Mussolini, Scritti e discorsi, Vol. VIII: Dal 1929 al 1931, S. 255. 28 Sori, L'emigrazione italiana, S. 437. 29 Vgl. die Tabelle 5 bei Nobile, Politica. 30 Vgl. Sori, L'emigrazione italiana, S. 437.
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich" D o c h auch die a u f demographisches Wachstum ausgerichtete faschistische Kolonisierungs-
politik war im wesentlichen gescheitert, denn nur einige Tausend bäuerlicher Familien waren angesiedelt worden. Diese Kolonisierungspolitik wurde zwischen 1 9 3 4 und 1 9 3 9 dann von der Urbarmachung der Sümpfe und der Aktivitäten des Frontkämpferverbandes ( O p e r a nale Combattenti)
Nazio-
verdrängt. 31 Dies war der Rahmen, in dem 1 9 3 5 der Äthiopienkrieg statt-
fand, wo sich zwischen den Wunden der allgemeinen Mobilisierung von neuem die für die Regierung bestehende Notwendigkeit vorausahnen läßt, die tiefgehende Unzufriedenheit abzuschwächen, die vor allem bei den Massen von Arbeitern und Bauern in Venetien, in der R o m a g n a und in Süditalien bestand, die Arbeitslosigkeit in Italien abzumildern und Äthiopien als mögliches Ventil für Arbeitskräfte in Aussicht zu stellen. Die Freiwilligen im Äthiopienfeldzug waren häufig Arbeitslose, zum großen Teil aus Venetien oder Kalabrien, die einen Sold beziehen, den sie großteils nach Hause schicken und der in Wirklichkeit einen heimlichen Lohntransfer von Migranten darstellt. Auch im Fall derjenigen, die am Spanienkrieg teilnahmen, sah es nicht viel anders aus. In Italienisch-Ostafrika gab man daher keineswegs zufällig denjenigen Vorrang, die aus den Regionen mit der stärksten ländlichen Arbeitslosigkeit kamen, nämlich Venetien, R o m a g n a und Apulien, 3 2 so daß 1 9 3 6 die Zahl der Süditaliener, die als Soldaten in den Kolonien dienten, etwa 1 1 0 . 0 0 0 M a n n ausmachte. 3 3 Die Zahl der Arbeiter betrug 1 9 3 6 1 4 6 . 0 0 0 (darunter 3 7 . 0 0 0 entlassene Soldaten), 1 9 3 7 7 6 . 0 0 0 , 1 9 3 8 nur noch 3 6 . 0 0 0 und 1 9 3 9 ganze 1 0 . 0 0 0 M a n n . 3 4 Diese zahlenmäßige Abnahme war bedingt durch den Umstand, daß die Arbeitsverträge bei Ablauf nicht verlängert wurden — vor allem weil die wahren Nutznießer dieser kolonialen Unternehmung, also die Unternehmer und die Spekulanten, die den ungeordneten öffentlichen Haushalt für das Kaiserreich
auskämmten, es vorzogen, die weitaus billigeren afri-
kanischen Arbeitskräfte anstelle italienischer Emigranten zu beschäftigen. Von den im L a u f einiger Jahre vorgebrachten 6 0 0 . 0 0 0 freiwilligen Arbeitsgesuchen für Italienisch-Ostafrika wurden nur 1 9 8 . 0 0 0 angenommen. Trotz der Wiederaufnahme der Kolonisierungspolitik in Libyen war die Zahl der Italiener, die sich im Kolonialreich niedergelassen hatten, Ende 1 9 4 0 folgendermaßen verteilt: etwa 1 2 0 . 0 0 0 in Libyen; 4 . 5 6 0 in Eritrea; 1 . 6 6 8 in Somalia; 3 0 0 . 0 0 0 im ehemaligen äthiopischen Kaiserreich. Zusammengenommen waren das 4 2 6 . 0 0 0 Personen, eine Zahl, die unter dem natürlichen Bevölkerungsüberschuß lag, den Italien innerhalb eines Jahres hervorbrachte 3 5 — so daß „für den D u c e , der stets den Mythos von Äthiopien als dem AufFangbecken für die überschüssige Bevölkerung des Mutterlandes (mit 7 0 0 . 0 0 0 beziffert) genährt und die weiße Kolonisation in diesen fernen Gebieten als sicher angesehen hatte, die Enttäuschung gar nicht stärker und niederschmetternder sein k o n n t e " . 3 6 Die Suche nach einem Ventil für die wachsende Arbeitslosigkeit zeigt sich daher in diesen Jahren als immer drängendere Aufgabe. Eine Lösung war der Transfer von 1 0 0 . 0 0 0 „Freiwilligen" in den spanischen Bürgerkrieg — ein wahres Söldnerheer, das wie im Fall Äthiopiens von der massiven Präsenz von Süditalienern und aus Venetien Stammenden geprägt war. Eine zwei-
31 32 33 34 35 36
Ebenda, S. 435. Nobile, Politica, S. 1334. Francesco Barbagallo, Lavoro ed esodo nel Sud: 1861-1971, Neapel 1973, S. 149. Sori, L'emigrazione italiana, S. 439. Giorgio Rumi, L'imperialismo fascista, Mailand 1974, S. 91, zit. nach Nobile, Politica, S. 1335. Carlo Zaghi, L'Africa nella coscienza europea e l'imperialismo italiano, Neapel 1973, S. 476.
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te Lösung stellt der spezielle Abfluß von Migranten dar, der sich im Rahmen der Politik der „Achse Berlin-Rom" eröffnet. Mitte April 1937 kommt bei der Italienischen Botschaft in Berlin die von deutscher Seite geäußerte Bitte an, 500 Landarbeiter in Dauerstellung und 2.000 fiir die Saisonarbeit einstellen zu dürfen. Wenig später, am 28. Juli, wird ein „Italienisch-deutsches Abkommen über die Anwerbung, die Verteilung und den Einsatz von italienischen Saisonarbeitern für die Landwirtschaft" erzielt, das am 3. Dezember durch ein Zusatzprotokoll komplettiert wird, in dem es heißt, daß die Arbeiter „die Zahl von 10.000 erreichen und bis zu 30.000" ausmachen könnten. 37 „Auf der Basis dieses Abkommens", so faßt Vittorio Briani treffend zusammen, „begann ab 1938 eine kollektive Wanderbewegung, da die Emigration in organisierten Gruppen und nicht vereinzelt stattfand; zudem begann zum gleichen Zeitpunkt eine saisonale und Gelegenheitsmigtanon, die sich zu bestimmten Zeiten für die Arbeiter in der Landwirtschaft ergab sowie für die anderen Arbeiterkategorien, jedoch ohne strenge zeitliche Präzisierung; diese Migration war nur fur eine bestimmte Zeit, da die Arbeiter mit einem Vertrag auswanderten, dessen Dauer bereits vorher festgelegt war (in der Regel halbjährlich); und zuletzt gab es eine freiwillige Migration, die dennoch genauestens reglementiert war." „Der Mustervertrag, nach dessen Schema der eigentliche Vertrag zwischen den einzelnen deutschen Firmen und den einzelnen italienischen Arbeitern, die auch namentlich angefordert werden konnten, ausgefertigt wurde, regelte die Anwerbung, den Zustrom der Arbeiter, die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses und die Stundenzahl, den Lohn und die Sozialleistungen, den Transfer der Lohnersparnisse, das Essen, die Unterkunft und den Urlaub (bezahlt und mit dem Recht, nach Italien zu verreisen: normalerweise 15 Tage alle 6 Monate); er regelte auch jedes weitere Problem, das das Emigrations- oder das Immigrationsland betraf. Im besonderen bedeutete die Vereinbarung über die Sozialversicherung, die auf dem Kriterium der Reziprozität beruhte, fur jeden italienischen Arbeiter in Deutschland die Bezahlung von allen Leistungen, die den deutschen Arbeitern zustanden, und — falls der Versicherungsfall eintreten sollte — auch die gleiche Behandlung, wobei die Arbeitszeiten im Ausland zugunsten des Arbeiters voll wirksam zu jenen in Italien hinzugerechnet wurden. (...) Zu der deutschen Wahlmöglichkeit, unter den italienischen Arbeitern diejenigen auszusuchen, die ihre ausdrückliche Zustimmung zu der Emigration gaben, trat die Möglichkeit für die faschistischen Gewerkschaften, die Arbeitsbedingungen vor Ort zu kontrollieren und dort direkt ihre Aktivitäten zu entfalten. (...) Während das jährliche Kontingent an Arbeitern fiir die Landwirtschaft kaum nennenswerten Veränderungen unterlag (das Minimum betrug 30.427, das Maximum 53.381), so nahm die Zahl der gewerblichen Arbeiter beträchtlich zu: von 7.524 stieg sie auf 177.823 Personen und umfaßte insgesamt eine Zahl von etwa 500.000 Migrationen (Grenzübertritten). " 38
37 Vgl. Mario Oazzi, Accordi fra l'Italia e la Germania in materie di lavoro e assicurazioni sociali 1937-1942, Rom (Ministero degli Affari Esteri) 1942, S. 9ff. 38 Vittorio Briani, II lavoro italiano all'estero negli ultimi cento anni, Rom 1970, S. 121-122. Nach Nobile, Politica, S. 1332, Anm. 30, wurden zwischen 1938 und 1942 485.810 Arbeiter über kollektive Arbeitsverträge nach Deutschland transferiert.
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Der Export von Arbeitern über diese Form von Kollektiwerträgen dauerte bis zum Ende des Jahres 1942 an. Man kann daher die Bedeutung verstehen, die dieses Abkommen mit Deutschland für den Faschismus hatte, gerade wenn man bedenkt, daß in dem Jahrfünft zwischen 1937 und 1942 (auch wegen des Kriegsbeginns und der Vielzahl derjenigen, die aus Frankreich nach Italien zurückkehrten) die dauerhaften Emigrationen 219.854 betrugen und diesen 2 8 7 . 7 5 7 Repatriierungen gegenüberstanden. 39 Auch wenn genauere Daten über die Arbeitslosigkeit in Italien in jenen Jahren fehlen, so geht aus einer Studie Giovanni La Sorsas von 1940, die von 9 Provinzen handelt, dennoch klar hervor, daß etwa 20 Prozent der Arbeiterschaft zwischen Juli 1937 und August 1938 von Arbeitslosigkeit betroffen waren. 60 Prozent der Arbeitslosen waren dauerhaft arbeitslos, 40 Prozent temporär. 40 Wenn man diese Zahlen auf die gesamte arbeitende Bevölkerung von damals (18,8 Millionen) ausweitet, so hätte dies eine Zahl von gut 2 Millionen Arbeitslosen und 1,5 Millionen Unterbeschäftigten bedeutet. 4 1 Die keynesianisch inspirierte deutsche Politik, die darauf ausgerichtet war, nur Investitionen als die einzig wahre Form der Staatsverschuldung zuzulassen, erforderte weitgehende Investitionen im industriellen Sektor und benötigte daher eine enorme Zahl von Arbeitskräften. Nichts war daher besser für Deutschland als seine Grenzen für die italienischen Arbeiter zu öffnen, die überdies die sozialen Kosten der Arbeit senken halfen. Denn da die Italiener einen zeitlich begrenzten Vertrag hatten, kamen sie ohne ihre Familien. Sie brachten daher nur ihre Arbeitskraft mit und zogen keine hungrigen Mäuler mit sich, die es sofort zu stopfen galt, so wie es ζ. B. bei der transatlantischen und damit bei der definitiven Emigration der Fall war. Und die Ersparnisse des Emigranten garantierten — mehr als irgendwelche Unterstützungszahlungen — den Lebensunterhalt für den Rest der Familie, die in Italien wohnen blieb, wo man — wie sich Guido Bianchini angesichts seiner Jugendjahre in Venetien erinnert —, „wenn man auf dem Land war, das Schwein schlachtete; die beiden Schinken wurden in 6 Stücke geteilt. Daraus machte man 12 Streifen und jeder Streifen mußte für einen Monat reichen". 4 2 Auch wenn das deutsche Interesse am Anwachsen dieses Stroms von temporären Arbeitsmigranten offensichtlich war, so war dieser auch für Italien unverzichtbar. Für den Faschismus bedeutete diese Migration nach Deutschland das Allheilmittel für die gescheiterte Wirtschaftspolitik der dreißiger Jahre und wurde benutzt, um die Wirkung der Arbeitslosigkeit und der örtlichen Unterbeschäftigung abzumildern sowie um den unabweislichen Nutzen in Anspruch zu nehmen, den die Lohntransferzahlungen der Emigranten für die italienische Zahlungsbilanz bedeuteten. Im Sommer 1942 bemerkte die theoretisch orientierte Zeitschrift der Kom-
39 Ebenda. 40 Giovanni La Sorsa, L'attuale composizione della popolazione produttiva dell'Italia e l'impiego del lavoro nazionale, in: Rivista di scienze economiche, Jg. XIV, März 1940, Heft 3, S. 313-348. Es handelt sich dabei um einen Vortrag auf dem Kongreß für Studien zur Arbeitssituation, der von der Italienischen Gesellschaft für statistische Demographie im Dezember 1939 in Neapel veranstaltet wurde. 41 Vgl. Nicola Gallerano/Luigi Ganapini/Massimo Legnani/Mariuccia Salvati, Crisi di regime sociale, in: Operai e contadini nella crisi italiana del 1943-1944, Mailand 1974, S. 58. 42 Mündliche Äußerung von Guido Bianchini (geboren 1925 in Padua, Wirtschaftswissenschaftler) am 14. 12. 1988 in Ferrara. Die Interviews, die ich in meinem Beitrag verwende, wurden komplett auf Tonband aufgezeichnet. Wenn es nicht wirklich notwendig ist, werden die Interviews nur das erste Mal ausführlich zitiert; alle weiteren Male wird lediglich der Name des Zeitzeugen angeführt, um die Anmerkungen nicht unnötig aufzublähen.
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munistischen Partei Italiens, Stato operaio, ganz richtig, daß dieser Migrantenstrom nicht nur bedingt war durch die „für Hitler-Deutschland bestehende Notwendigkeit, über Hunderttausende von nichtdeutschen Arbeitern zu verfügen, um sie in der Landwirtschaft und den Fabriken des Reichs anstelle von deutschen Arbeitern einzusetzen, die eingezogen worden waren. Man kann auch zwei andere Gründen benennen: die Arbeitslosigkeit in Italien, die Notwendigkeit für Italien, über deutsche Devisen zu verfügen, um die deutsch-italienische Außenwirtschaftsbilanz auszugleichen. (...) Es handelt sich um einen Export von Arbeitssklaven [im ital. Orig. carne da lavoro], gegen den deutsche Rohstoffe geliefert werden, die aufgrund des desaströsen Zustands der faschistischen Landwirtschaft (und trotz des extremen Verzichts an Nahrungsmitteln, der der italienischen Bevölkerung auferlegt wird) nicht durch den Export von landwirtschaftlichen Produkten bezahlt werden können." 43 Daß man das Abkommen — auch wenn es in seiner Gesamtheit zumindest bis zum Ausbruch des Krieges auch von den italienischen Arbeitern selbst als vorteilhaft angesehen wurde — derartig bewerten konnte, schien auch dem italienischen Botschafter in Frankreich, Guariglia, denkbar, der sich in einem Bericht über einen eventuellen Transfer italienischer Saisonarbeiter nach Frankreich gegenüber dem italienischen Außenministerium am 27. Oktober 1939 folgendermaßen äußerte: „Ich kann nicht (...) davon absehen, meinen nicht zu beseitigenden Widerwillen zu demonstrieren, den diese Lieferungen von Arbeitskräften in mir persönlich hervorrufen sei es, daß diese — wie es seit einigen Jahren geschieht - nach Deutschland abgehen, sei es, daß diese — wie man jetzt möchte — auch auf Frankreich erstreckt werden. Wie dem Ministerium bekannt ist, wurde während des Krieges von 1914 ein Abkommen mit der französischen Regierung abgeschlossen, das dem, was jetzt vorgeschlagen wird, recht ähnlich ist. Die Zehntausende von italienischen Arbeitern, die nach Frankreich geschickt wurden, um in den Fabriken oder auf den Feldern eingesetzt zu werden, haben diesem Land einen wertvollen Dienst erwiesen. Aber was war das Ergebnis vom politischen und moralischen Blickwinkel her? Die öffentliche Meinung in Frankreich wurde in ihrem Urteil bestärkt, daß unsere Nation zum Arbeiten und nicht zum Kämpfen geeignet sei (und die Toten, die wir in Bligny ließen, genügten nicht, um diese Meinung zu ändern); und die französischen Soldaten, die sich den Italienern, die sie an den Arbeitsplätzen hinter der Front ersetzten, zwar überlegen fühlten, entwickelten gegen diese eine tiefe Abneigung gerade weil die Italiener sie ablösten und sie daher in größerer Zahl den Gefahren des Krieges aussetzten." „Diese Situation, die durch den Transfer von zahlreichen Gruppen unserer Arbeiter in der öffentlichen Meinung Frankreichs entstand, war um so schmerzhafter für alle diejenigen Italiener, die — wie ich selbst - diesen Zustand persönlich feststellen und ertragen mußten. Ich bin mir vollkommen über die wirtschaftlichen Vorteile im klaren, die solche Lieferungen an Menschen mit sich bringen können und mir sind auch einige der Gründe klar, die dazu geführt haben, daß diese Lieferungen seit einigen Jahren von hier nach Deutschland gehen. Aber mein Stolz als Italiener kann das nicht akzeptieren ohne tief
43
Due anni dipolitica fascista di guerra nette Campagne e la rovina del contadiname, Jg. II, Heft 6 - 7 , Juni/Juli 1 9 4 2 , S. 1 3 5 .
in:
Stato operaio,
New York,
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darüber verletzt zu sein, daß diese Lieferungen an jedes x-beliebige auswärtige Land gemacht werden, das eine staatliche Organisation hat (obwohl die materiellen Vorteile klar sind, die das mit sich bringt), so daß ich vollständig die negativen Rückwirkungen kenne, die sich daraus im Ausland für das italienische Prestige und für die Vorstellung, die man dort von der italianitä selbst hat, ergeben." 44 Guariglia nahm also die französische Anfrage nach italienischen Arbeitern zum Anlaß, um klar zu verstehen zu geben, was er von einem Transfer italienischer Arbeiter nach Deutschland hielt. Die Abneigung, die sich — wie wir noch sehen werden - bei Teilen der deutschen Bevölkerung gegen die italienischen Arbeiter entwickelte, hat er prophezeit - ohne daß dies jedoch sonderlich schwierig gewesen wäre. Der Austausch von Arbeitskräften gegen Rohstoffe erwies sich als ein wahres Damoklesschwert für Italien; denn seit 1942, als das deutsche Defizit im bilateralen Clearing in zunehmendem Maße und in schwindelerregender Weise stieg, verwandelte sich dieses faktisch in eine Form der immer stärkeren Ausbeutung des Landes durch den deutschen Verbündeten.
2. Sind die in den Statistiken genannten Angaben über die italienischen Fremdarbeiter glaubwürdig? Wenn man sich dem spezifischen Thema der historischen Forschung nähert, in diesem Fall der Migration der italienischen „Fremdarbeiter" nach Deutschland zwischen 1937 und 1943, und dabei - anstatt der bis dahin privilegierten — eine neue Quellengattung benutzt, so erwachsen daraus sowohl neue wie auch alte Probleme. Vor allem scheint mir meine Studie einige Hinweise zu geben, um einige grundsätzliche Fragen aufzuwerfen: — In welche Richtungen muß man forschen, um hinreichend glaubwürdige statistische Ausarbeitungen über die Zahl der Italiener zu erhalten, die sich in jenen Jahren nach Deutschland zum Arbeiten begeben haben? — Woher kamen sie und wer waren sie? Dies sind unverzichtbare Fragen, wenn man einen großen Teil des Verhaltens adäquat erklären will, das von diesem Migrantenstrom an den Tag gelegt wurde. Seit den Studien von Antonio Gibeiii — er hat sich als erster Historiker mit diesem Strom von Wanderarbeitern beschäftigt - sind größere Diskrepanzen bemerkt worden, die zwischen den verschiedenen Zahlen, die in den Zeitungen, in den archivalischen Quellen und den zeitgenössischen Statistiken aufzufinden sind, herrschen. 45 Dazu einige Beispiele: In einem Dokument, das Nicola Gallerano in den amerikanischen Archiven entdeckt hat 4 6 und das von Antonio Gibeiii benutzt wurde, 47 wird berichtet, daß
44 ASMAE, Serie Affari Politici (im folgenden: SAP), Direzione Generale Italiani all'Estero (im folgenden: DGIE), Frankreich, Mappe 40. 45 Antonio Gibeiii, Les travailleurs Italiens et l'iconomie de guerre allemande dans le programme du „Nouvel ordre europien" de Hitler (1939-1945), in: Studia historiae oeconomicae, Poznan, Jg. 8, 1973, S. 80ff.; ders., II reclutamento di manodopera nella provincia di Genova per il lavoro in Germania (1940—1945), in: II movimento di liberazione in Italia, Mailand, Jg. 22, Heft 99-100, 1970, S. 119. 46 National Archivs Washington (im folgenden: NAW), RG 58, OSS, R & Α Report n. 958, Population Movement in Italy. Es handelt sich um ein Dokument, das auf die Mitte des Jahres 1943 zurückgeht und das über die italienische Arbeitersituation allgemeine Zahlen verzeichnet, die zwar aus verschiedenen
Sind die Statistiken über die italienischen Fremdarbeiter
glaubwürdig?
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sich i m September 1941 2 7 1 . 0 0 0 italienische Arbeiter in Deutschland befanden, darunter 2 1 . 7 0 0 Frauen." 48 Aber Ribbentrop bestätigte in einem Bericht, der am 4. November 1941 an den italienischen Botschafter in Berlin, Dino Alfieri, geschickt wurde, daß „Ende September 1941 in Deutschland circa 2 7 2 . 0 0 0 italienische handwerkliche Arbeiter beschäftigt waren, ( . . . ) vorwiegend in den Sektoren der Bauwirtschaft, des Bergbaues, der Ziegelherstellung und Metallwirtschaft." 4 9 Also allein in der Industrie wären danach 2 7 2 . 0 0 0 italienische Arbeiter beschäftigt gewesen, zu denen noch die Arbeiter in Landwirtschaft und Handel/Gewerbe hinzugerechnet werden müßten. Im übrigen gibt auch Gibeiii an, daß in verschiedenen ministeriellen Telegrammen zwischen Februar u n d M ä r z 1941 von 2 0 4 . 0 0 0 Industriearbeitern die Rede ist — darunter 5 0 . 0 0 0 Metaller und Maschinenbauer - sowie von 7 0 . 0 0 0 Bauern. Aber in einem Telegramm vom 2 1 . Februar 1941 wird hingegen von 2 5 0 . 0 0 0 Industriearbeitern gesprochen, die bis zum 15. M ä r z nach Deutschland abreisen sollten; Gibeiii ist der Ansicht, daß in dieser Zahl auch die arbeitslosen Industriearbeiter eingeschlossen sind, die aus den verschiedenen Industriearbeitergruppen herausgesucht werden sollten und deren Zahl sich auf 5 4 . 0 0 0 belief. Nach diesen Quellen hätte die Zahl der italienischen Arbeiter in Deutschland zu jenem Zeitpunkt also rund 3 2 0 . 0 0 0 betragen. 5 0 Dies würde grosso modo mit der Schätzung Ribbentrops übereinstimmen. Im Gegensatz dazu betrug die Zahl der Italiener, die in Deutschland arbeiteten — nach diesem amerikanischen Dokument — zum 5. Juli 1942 3 0 0 . 0 0 0 Personen (darunter 2 4 . 0 0 0 Frauen, mithin 8 Prozent). Nach einem anderen amerikanischen Aktenstück 5 1 — wiederum von Gallerano entdeckt — soll die Zahl der Italiener Anfang 1943 3 5 0 . 0 0 0 erreicht haben, darunter 100.000 M a n n in der eisen- u n d der metallverarbeitenden Industrie sowie 2 5 . 0 0 0 M a n n im Bergbau. Im wesentlichen widersprechen sich diese Zahlenangaben nicht mit den Berichten der Informanten der faschistischen Geheimpolizei, der OVRA. In einer Aufzeichnung vom 19. Februar 1942 heißt es, daß die Arbeiter in Deutschland „augenblicklich etwa 2 5 0 . 0 0 0 betragen, aber sie werden auf 3 2 0 . 0 0 0 gebracht werden". 5 2 In einem anderen Bericht vom 17. M ä r z 1942 liest man unter anderem, daß „Deutschland für Ende Juni ( . . . ) etwa 140.000 italienische Arbeiter haben will". 5 3
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Quellen stammen und mehr oder weniger Annäherungsziffern darstellen, aber nichtsdestotrotz wertvoll sind. (siehe S. 46): Gibeiii, Travailleurs, S. 80ff. Die Angabe stammt aus dem Reichsarbeitsblatt vom 5. Dezember 1941, Nr. 34, Teil V, S. 611 sowie vom 5. 1. 1942, Nr. l.TeilV, S. 9. Der Bericht wurde veröffentlicht unter dem Titel Die italienischen Arbeiter in Deutschland in den Document! diplomatici Italiani (im folgenden: DDI), Nona serie, Band VII, Rom 1987, S. 732-736. Das Zitat befindet sich auf S. 732. Gibeiii, Reclutamento, S. 119. NAW, RG 58, OSS, R & Α Report n. 2887.1, Population Displacement of Selected European Countries as of January 1 1945: Italy. Bericht eines Vertrauensmanns aus Rom vom 19. 2. 1942, in: ACS, Ministero dell'Interno (im folgenden: Min. Int.), Direzione Generale di pubblica sicurezza (im folgenden: DGPS), Divisione Affari Generali Riservati (im folgenden: DAGR), Divisione Polizia Politica (im folgenden: DPP) 1927-1944, Mappe 223. Bei allen Dokumenten dieses Bestandes handelt es sich um Berichte von Vertrauensleuten. Ebenda, Mappe 223, Bericht eines V-Mannes, Mailand, 17. 3. 1942.
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Aber bereits in einem von Ciro Poggiali verfaßten Artikel vom April 1941 54 wird davon ausgegangen, daß sich in jenem Moment 300.000 gewerbliche Arbeiter in Deutschland befanden (und in einem zweiten Artikel vom Juli desselben Jahres werden diese sogar auf 350.000 geschätzt). 55 Es handelte sich, so der Verfasser des Artikels, vorwiegend um Metaller und Stahlarbeiter, aber auch um Bauarbeiter, Zimmerleute, Maurer und Chemiearbeiter, zu denen 15.000 Bergleute hinzukamen, die größtenteils aus den sizilianischen Schwefelbergwerken gekommen waren. Ferner 70.000 landwirtschaftliche Arbeitskräfte, 3.000 Arbeiter im Dienstleistungssektor (die alle Deutsch sprachen und daher am meisten dazu geeignet waren, um im Hotel- und Gaststättengewerbe eingesetzt zu werden) sowie 800 Experten auf dem Feld der Gewerkschafts- und Sozialpolitik, d. h. solche, die Führungsaufgaben und disziplinarische Kontrollmaßnahmen bei den Inspektoraten, den Delegationen und Unterdelegationen wahrnahmen. Zu diesen kam noch das Hilfspersonal im eigentlichen Sinne hinzu: Dolmetscher, Arzte, Kapläne, Verwaltungsangestellte. Daher befanden sich laut Poggiali im Juli 1941 etwa 425.000 italienische Arbeiter im Reich - eine Zahl, die höher ist, als die aller Arbeiter, die seit 1938 über die befristeten Kollektiwerträge bis zu diesem Zeitpunkt abgereist waren, zusammengenommen. Und dies, obwohl in diversen Fällen eine einzige Person mehrere Fahrten unternommen hatte! Für das Jahr 1943 schätzt eine der amerikanischen Quellen 56 die Zahl der in Deutschland anwesenden Arbeiter zum 25. Juli auf 280.000, während Informanten der OVRA der Meinung sind, daß es bereits im ersten Quartal 1943 nicht mehr als 250.000 gewesen seien. 57 Aber aus den Zahlen der Tabellen „Auswanderungen nach Zielländern" und „Rückkehrer nach Herkunftsländern", die nur die aus ökonomischen Gründen Ausgewanderten ausweisen und die einige Jahre nach den Ereignissen vom ,»Allgemeinen Industrieverband" veröffentlicht worden sind, 58 kann man entnehmen, daß die Zahl der Migranten (auch wenn man zugesteht, daß viele dieser Arbeiter mehrfach abgereist und wieder zurückgekommen sind) einen Monat später etwa 186.000 betragen konnte. Und da in Deutschland Ende Juli auch noch die Urlaubsheimfahrten gestoppt wurden, weisen die verschiedenen Zahlenangaben auch in diesem Fall einen eklatanten Widerspruch auf. Im übrigen lassen diese Zahlen des .Allgemeinen Industrieverbands" die Summe der Arbeitermigrationen nach Deutschland zwischen 1937 und August 1943 auf lediglich 479.151 ansteigen und erlauben die Schlußfolgerung, daß bereits Ende 1941 nur 179.709 italienische Arbeiter in Deutschland verblieben — also weniger, als sich im August 1943 dort befanden. Diese Widersprüche zwischen den Quellen lassen sich meines Erachtens nicht leichten Herzens übergehen, sondern sollten — sofern es möglich ist — geklärt werden. Wir verfugen über vermutlich glaubhafte Zahlen im Fall derjenigen, die mit befristeten Kollektivarbeitsverträgen abgereist sind. Diese Zahlen wurden von der Italien-Dienststelle Sauckels geliefert, die für die 54 Ciro Poggiali, Milizia del lavoro nella Germania in guerra, in: La Domenica del Corriere (Erscheinungsort Mailand), n. 17 vom 27. 4. 1941, S. 9. 55 Ciro Poggiali, Diecimila contadine italiane sui campi di Germania, in: La Domenica del Corriere, n. 29 vom 20. 7. 1941, S. 5. 56 Vgl. NAW, RG 58, OSS, R & Α Report n. 2887.1. 57 ACS, Mappe 223, Bericht eines V-Mannes, Rom, 15. 1. 1943 sowie Rom, 16. 3. 1943. 58 Vgl. Confederazione generale dell'industria, Annuario di statistiche del lavoro, Rom 1949 (Rassegna di Statistiche del Lavoro), S. 404—405, Taf. 317 und 318. Wenn man die beiden Tabellen vergleicht, erhält man diese Differenz.
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Sind die Statistiken über die italienischen Fremdarbeiter glaubwürdig?
Jahre zwischen 1 9 3 8 und 1 9 4 2 insgesamt 4 9 1 . 3 3 2 Migranten nennt - eine Zahl, die nicht viel höher liegt, als die im gleichen Zeitraum von den Statistiken des ,Allgemeinen Industrieverbands" erfaßten Migrationen ( 4 7 8 . 3 3 0 ) , welche sich folgendermaßen a u f die verschiedenen Sektoren verteilen: 2 4 . 2 9 5 Bauarbeiter; 2 0 0 . 4 5 1 landwirtschaftliche Arbeitskräfte; 2 6 5 . 0 6 5 Industriearbeiter; 1 . 5 2 1 Gesindekräfte. 5 9 Entsprechend sind auch die Zahlen, die Brunello Mantelli im Privatarchiv Giuseppe Landi gefunden hat, und die die Kontingente an Industriearbeitern, die zwischen 1 9 3 8 und 1 9 4 2 ins Reich transportiert wurden, betreffen. 6 0 Die Gesamtzahl dieser Abreisen betrug 2 8 9 . 8 6 1 . U n d da in dieser Zahl auch die Bauarbeiter mitgezählt sind, übersteigt sie nur wenig die Zahl von 2 8 9 . 3 5 0 Abreisen, die für diese Arbeiterkategorie von der Dienststelle
Italien
angegeben wur-
den. Aber die Detailforschung auf diesem Feld erweist, daß es in jedem dieser Sektoren Personen gab, die in diesen Jahren zwei oder gar drei Verträge abgeschlossen haben. Daher ist es ausgesprochen schwierig, die genaue Zahl der Personen festzustellen, die von den Kollektivarbeitsverträgen Gebrauch gemacht haben. Darüber hinaus fehlen vor allem drei Gruppen in den Statistiken: 1. All jene Arbeiter, die direkt auf italienischem Staatsgebiet von Agenten dieser oder jener deutschen Firma angeworben wurden, was sicherlich nicht wenige waren. D e n n bereits am 3 0 . August 1 9 3 9 vermeldet die Italienische Botschaft in Berlin, „daß permanent italienische Arbeiter nach Deutschland fließen (als Folge der Erleichterungen, die den deutschen Firmen und Vermittlungsbüros entgegen unseren W ü n s c h e n angeboten wurden) und die nicht mit einem regulären Arbeitsvertrag versehen sind ( . . . ) man sieht sich gegenwärtig vor einer nicht näher präzisierbaren Zahl, die jedoch auf etwa 3 . 0 0 0 Landsleute geschätzt wird, die keinen Geldtransfer vornehmen können und die — direkt oder mittels ihrer Familien, die sich in Italien befinden — hartnäckig die Intervention der Kgl. Behörden verlangen, um die notwendigen Uberweisungen zu erhalten und damit den Unterhalt für ihre Angehörigen in Italien leisten zu können ( . . . ) D i e unter solchen Bedingungen nach Deutschland gesandten Arbeiter bedeuten eine schwere Belastung für die italienische Wirtschaft. D e n n der Arbeiter, der die ganzen S o m m e r m o n a t e in Deutschland gearbeitet hat und ohne einen Pfennig nach Italien zurückkehrt, fällt im W i n t e r unserer Arbeitslosenkasse zur Last und die Familien, die in Italien geblieben sind, müssen ständig durch unsere Sozialfürsorge unterstützt werden." 6 1 I m September 1 9 3 9 gelangen die beiden Regierungen zu einem A b k o m m e n : auch jene N i c h t Regulären können monatlich 7 0 Reichsmark nach Hause schicken; doch Italien verpflichtet sich ab sofort dazu, dieser Emigration ohne regulären Vertrag ein Ende zu setzen, 6 2 wohinge59 Diese Zahlen werden ausfuhrlich im Beitrag Brunello Mantellis in diesem Band erörtert. 60 Vgl. Privatarchiv Giuseppe Landi, Mappe 16, Bericht über Contingenti di operai industriali partiti per il Reich dal 1938 al 1942, zit. bei Brunello Mantelli, Operai delle fabbriche italianeper l'economia di guerra del III Reich. Ilgrande reclutamento, Referat während des Kongresses Italia in guerra 1940-1943, der vom 27. bis 30. 9. 1989 von der Fondazione Micheletti in Brescia veranstaltet wurde (die Tagungsreferate werden demnächst in den Annali der Fondazione Micheletti veröffentlicht werden). 61 ASMAE, SAP, Germania, Mappe 64, Telegramm n. 6496/2016 vom 30. 8. 1939 - XVII der KöniglichItalienischen Botschaft in Berlin an das Königlich-Italienische Außenministerium sowie an das Königliche Ministerium fur Währungsbeziehungen und an das Nationalinstitut für Außenhandel, betr.: Italienische Industriearbeiter in Deutschland — Überweisung von Ersparnissen. 62 Vgl. ASMAE, Serie Affari Commerciali, Germania, Mappe 28/29, Aktenplan 28/8, Bericht der Botschaft Berlin vom 30. 8. 1939; Brief von Clodius an Giannini vom 9. 9. 1939.
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gen die deutschen Firmen gehalten sind, Einstellungen nur über die zuständigen Arbeitsämter vorzunehmen. 63 Jedenfalls ist im Mai 1940 die Zahl dieser nicht-regulären Industriearbeiter auf 12.000 gestiegen, 64 ein Zeichen dafür, daß dieser Abfluß keineswegs zum Stillstand gekommen war. 2. Jene Arbeiter, die sich für eine gewisse Zeit ins Ausland begeben hatten und die von ihrer eigenen Firma — außerhalb der Kollektivarbeitsverträge - bezahlt wurden. 3. Jene Arbeiter — meines Erachtens vor allem Facharbeiter — die einen individuellen Arbeitsvertrag mit einem deutschen Arbeitgeber geschlossen hatten. Zum Beispiel Bernardino Ruggeri, 1913 in Gardelletta, in der Gemeinde Marzabotto, geboren, der zuerst direkt von der Bologneser Firma Ducati nach Berlin zu den Erich & Graetz-Werken entsandt wurde, um dort von Mai bis August 1941 zusammen mit weiteren 17 Arbeitern und 4 Vorarbeitern, alle hoch qualifiziert und direkt von der Fa. Ducati bezahlt, zu arbeiten. Anschließend läßt er sich auf eine Warteliste der Ducati setzen, um ein weiteres Mal, nämlich von Mai 1942 bis August 1943, nach Berlin geschickt zu werden, um elektrische Rasierapparate der Marke Raselet zu reparieren, diesmal direkt eingestellt und bezahlt von dem deutschen Vertragshändler dieser Marke. 6 5 Darüber hinaus werden in dieser Statistik all jene nicht mitgezählt, die auf eigene Faust nach Deutschland auswanderten, überwiegend aus Venetien, Friaul, dem Trentino und Südtirol. Allein im Jahre 1938 gingen 40.757 einheimische Südtiroler nach Deutschland 6 6 und zwischen 1937 und 1942 — nach einer von Annunziata Nobile aufgrund der ISTAT-Daten ausgearbeiteten Statistik — emigrierten 69.641 Personen aus Italien nach Deutschland, während im gleichen Zeitraum die Zahl der Rückkehrer 6.707 betrug. 67 Und ferner wissen wir auch, daß die Zahl der heimlichen Emigrationen hoch war. Um daher die wahre Zahl der Arbeiter festzustellen, die sich zwischen 1937 und 1942 nach Deutschland begaben und die heute annäherungsweise auf eine halbe Million geschätzt wird, muß man sich unter anderem all dieser Probleme bewußt sein. Und dies ist noch nicht alles, denn zu dieser Zahl müssen auch noch die Zehn tausende von Italienern hinzugerechnet werden, die — bereits naturalisiert oder noch nicht — aus Frankreich und Belgien nach Deutschland abreisten; ein Phänomen, das bislang noch nicht angemessen untersucht wurde.
3. Die direkte Emigration der Italiener von Frankreich nach Deutschland Für eine Untersuchung über die Widersetzlichkeiten, das die italienischen Arbeiter, die sich in jenen Jahren ins „Dritte Reich" begaben, an den Tag legten, hat eine Analyse der italienischen Emigranten in Frankreich und deren Situation während des zweiten Weltkriegs eine besondere
63 Vgl. Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA/AA), Bonn, Abteilung Kriegsrecht, R V, Allgemeines und Deutschland, Faszikel 9, Rundschreiben des Außenministers an alle diplomatischen und konsularischen Vertretungen des Deutschen Reichs in Europa (ausgenommen UdSSR), Prot. Nr. R 12819. Das Dokument ist zit. bei Mantelli, Operai delle fabbriche. 64 Vgl. ASMAE, SAP, Germania, Mappe 70, Bericht Dino Alfieris vom 23. 5. 1940. 65 Interview mit Bernardino Ruggeri, Bologna, 17. 5. 1989. 66 Vgl. Nobile, Politica, S. 1336, Anm. 46. 67 Vgl. die Tabelle 5 (Auswanderung italienischer Emigranten nach Bestimmungsländern zwischen 1922 und 1942 - absolute und relative Anzahl) bei: Nobile, Politica, S. 1340.
Die Emigration von Frankreich nach Deutschland
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Bedeutung. Die ökonomisch motivierte Emigration der Italiener nach Frankreich hatte bereits m i t dem A u f k o m m e n der Großindustrie einen massenhaften Charakter angenommen u n d wurde eines der Sicherheitsventile für die italienische Überbevölkerung. So hatten sich innerhalb kurzer Zeit Hunderttausende von Arbeitern in die französische Wirtschaft eingereiht. Ab 1922 bestand ein Teil dieser Immigranten aus Arbeitern, die der Faschismus aus den Fabriken, den Feldern, d e m eigenen Dorf verbannt hatte und die daher eine Art Arbeitsverbot erlitten hatten. Diese neue Form der Emigration beruhte i m wesentlichen auf wirtschaftlichen Motiven, begann sich aber untrennbar mit einer stärker rein politischen Emigration zu verflechten, die auch w e n n sie begrenzter war — ebenfalls die Form einer Massenbewegung annahm. Hierin besteht einer der Gründe für die ab 1939 zu beobachtende politische Homogenität der italienischen Kolonie in Frankreich. 6 8 U m einen Eindruck über die Zusammensetzung dieser italienischen Kolonie zu vermitteln, möchte ich daran erinnern, daß sich am Ende des zweiten Weltkriegs 4 3 7 . 0 0 0 italienische Arbeiter in Frankreich befanden, die sich auf die verschiedenen Wirtschaftssektoren folgendermaßen verteilten: 120.000 in der Bauwirtschaft (Maurer, Handlanger, aber auch zahlreiche Unternehmer), 7 0 . 0 0 0 in der Landwirtschaft (Bauern, Tagelöhner, aber auch kleinere Eigentümer), 5 0 . 0 0 0 in der Bekleidungs-, Chemie- und Ernährungsindustrie, 4 0 . 0 0 0 im Handel, 2 0 . 0 0 0 als Hauspersonal, 18.000 bei öffentlichen Dienstleistungseinrichtungen, 16.000 in der Holzindustrie, 14.000 in den Bergwerken, 13.000 in der Textilindustrie, 9 . 0 0 0 in den Steinbrüchen, 8 . 0 0 0 als Privatlehrer, Priester oder in anderen Beschäftigungen, 7 . 0 0 0 i m Transportsektor, 2 . 0 0 0 bei verschiedenen kleineren Arbeiten. 6 9 Diese werktätige Bevölkerungsgruppe erreichte zusammen mit ihren Familienangehörigen eine Zahl von etwa 8 0 0 . 0 0 0 Personen. Wenn m a n noch die große Zahl derjenigen Italiener hinzuzählt, die sich in Frankreich für die Einbürgerung entschieden hatten und die der italienische Botschafter Guariglia Anfang 1940 auf mindestens 150.000 schätzte, so nähert sich die Gesamtzahl gar an eine Million Italiener an. Diese waren (in quantitativ degressiver Folge) auf die nachfolgenden Departements verteilt: Seine, Alpes Maritimes, Bouches du Rhone, Isere, Meurthe-et-Moselle, Var, Moselle, Lotet-Garonne, Haute Garonne, Seine-et-Oise, Rhone (Lyon), Gers, Savoie, etc. 7 0 Parallel zu der italienischen Kolonie in Frankreich müssen auch noch die 3 0 . 0 0 0 Italiener, überwiegend Bergleute, gezählt werden, die in Belgien und Luxemburg lebten. 7 1 Die Emigranten in Frankreich stellten besonders in den dreißiger Jahren eine antifaschistische Massenbewegung dar, die ihre eigenen Organisationen hatte u n d für einen hohen Anteil an Beitritten zu den französischen Linksparteien, besonders aber zur Confederation Nationale du Travail sorgte. Die H i n w e n d u n g von Italienern, Spaniern und Belgiern zu dieser Gewerkschaft zwischen 1936 u n d 1937 trug geradezu plebiszitären Charakter u n d zwang die Arbeitgeber dazu, dieses traditionelle Arbeitskräftereservoir durch Immigranten aus Polen, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Österreich und Ungarn zu ersetzen. 72 Innerhalb der italienischen Emigration
68 Siehe diesbezüglich Mario Montagnana, Lavoratori italiani e comunisti nell'emigrazione, in: Trenta anni di vita e lotte del PCI, Rom 1952 (Quaderni di Rinascita, 2), S. 121. 69 Bezüglich dieser Zahlenangaben siehe Pia Carena Leonetti, Gli italiani del Maquis, Mailand 1966, S. 34. 70 Ebenda. 71 Vgl. Montagnana, Lavoratori, S. 21. 72 Sori, L'emigrazione italiana, S. 291.
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in Frankreich agierten außerdem - mit großer Breitenwirkung - die „Sprachkommissionen" der Einheitsgewerkschaften, die antifaschistischen Arbeiterkomitees, die 1936 durch die Unione Popolare Italiana ersetzt wurden, eine antifaschistische Organisation mit über 50.000 Mitgliedern, die sich in Zirkel, Sportgemeinschaften und politische Jugendverbände auffächerte. 73 1937 wurde die in italienischer Sprache erscheinende demokratische Tageszeitung La Voce degli Italiani (Die Stimme der Italiener) ins Leben gerufen, die eine Auflage von 20.000 bis 25.000 Exemplaren aufwies, die jedoch am 10. September 1939 verboten wurde, weil sie den Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin gutgeheißen hatte. 74 Zwar gab es auch Grüppchen von Faschisten oder Personen, die mit dem Herrschaftsapparat verbunden waren, doch waren diese nicht nur wenige, sondern auch von geringem Einfluß. 75 In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, daß die italienischen Emigranten nicht am Rande der französischen Gesellschaft lebten, sondern in ihr verwurzelt waren und daß die französische Öffentlichkeit Mussolini als ridicule ansah. Es war daher in diesem Ambiente sehr schwierig, Faschist zu sein. Nahezu alle Italiener in Frankreich befanden sich deshalb in einer kritischen Haltung gegenüber dem Faschismus, auch wenn natürlich nicht alle militante Antifaschisten waren. Eine solide Minderheit aktiver Antifaschisten war vielmehr vermischt mit einer Masse von Leuten, die dem Faschismus gegenüber feindselig eingestellt waren und ihn mit Antipathie betrachteten. Es sei hinzugefugt, daß die italienischen „Exulanten" — nach Ernesto Ragionieri — zum größten Teil Arbeiter waren, die — auch wenn sie sich niemals vollständig von der vorausgegangenen italienischen Emigration abwandten - ein starkes Hemmnis für eine Politik der Wiedergewinnung der ins Ausland abgewanderten italienischen Massen durch den Faschismus darstellten.76 Allerdings, und hier muß Ragionieri korrigiert werden, hatte der Faschismus nur sehr geringe Möglichkeiten, bei der großen Masse politisch Fuß zu fassen. Die Masse der italienischen Emigranten engagierte sich vielmehr mehrheitlich bei der Einheitsfront, nahm an den großen Streiks jener Jahre teil, die das Leben der Arbeiterklasse veränderten. Zu den Errungenschaften, die damals erzielt wurden, zählen der Urlaub, die 40-Stunden-Woche, die Tarifverträge, die Fünftage-Woche etc. Es ist daher kein Zufall, daß sich gerade in Frankreich die Internationalen Brigaden bildeten und daß die überwiegende Zahl der 3.000 Freiwilligen, aus denen sie bestanden, aus den Reihen der Emigranten stammten, bei denen es äußerst schwer fällt, zwischen „wirtschaftlicher" und „politischer" Emigration zu unterscheiden.77 Doch kommen wir zu der direkten Migration von italienischen Arbeitern aus Frankreich nach Deutschland. Anfang 1939 wurde berichtet, daß „... vereinzelt, aus anderen Deutschland benachbarten ausländischen Staaten, besonders aus Frankreich (...) eine gewisse Zahl von italienischen Arbeitern bereits von sich aus und aufgrund eines nicht zu unterdrückenden natürlichen Flusses nach Deutschland .einsickern' - vor allem über die französische Grenze. Es handelt sich um Arbeiter, denen
73 Vgl. Montagnana, Lavoratori, S. 122; Interview mit Gino Vermicelli, Verbania, 10. 11. 1989. 74 Montagnana, Lavoratori, S. 123 sowie Interview mit Gino Vermicelli. 75 Interview mit Gino Vermicelli. 76 Ernesto Ragionieri, Italiani all'estero ed emigrazione di lavoratori italiani: un tema di storia del movimento operaio, in: Belfagor (Erscheinungsort Florenz), Jg. 17, H. 6, 30. 11. 1962, S. 663. 77 Vgl. Montagnana, Lavoratori, S. 1 2 1 - 1 2 2 . Montagnana schreibt u. a., daß gerade die „Wirtschaftsemigranten" den Kern der Brigaden bildeten.
Die Emigration von Frankreich nach Deutschland
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die gegenwärtige Atmosphäre in den französisch-italienischen Beziehungen einen längeren Verbleib in Frankreich, vor allem in den Grenzgebieten, absolut unmöglich macht." 7 8 Die italienische Regierung versuchte bereits zu diesem Zeitpunkt, ihre geringen Möglichkeiten einzusetzen, u m das Phänomen einzudämmen. Im Februar 1939 erhielt der italienische Botschafter in Berlin, Attolico, eine negative Antwort auf seinen Vorschlag, „eine begrenzte Zahl von ihnen [Emigranten], besonders wenn sie eine Familie mit sich führen, nach Deutschland einreisen zu lassen." Denn wenn sie eine Familie haben, so die Begründung für die Ablehnung, sei klar, daß die Uberweisung von Ersparnissen nach Italien schwierig, wenn nicht unmöglich werde. 7 9 Das Einsickern dieser Arbeiter nach Deutschland betrachtete die italienische Regierung mit Besorgnis — wegen der Clearing-Vereinbarungen mit Deutschland. Diese sahen die Lieferung von Kohle aus Deutschland gegen Arbeitskräfte aus Italien vor, so daß die Lohnersparnisse der Migranten in dieser Phase stark gebunden waren. D a die italienischen Arbeiter in Frankreich, Belgien und Luxemburg faktisch keine Bindungen mehr - oder höchstens rein formale — an die italienische Regierung hatten, so scheint diese negative Position der Regierung von der Furcht diktiert gewesen zu sein, daß die Lohnüberweisungen der Arbeiter, die ohne Kontrolle durch die italienische Regierung direkt von Frankreich nach Deutschland gewandert waren, zu einer Absenkung der mit der deutschen Regierung vereinbarten maximalen Uberweisungsbeträge führen könnten; dies hätte auch den Anwerbemechanismus für die Kollektiwerträge in Italien in eine Krise bringen können. Hinter der negativen Haltung der Regierung steckte überdies die Befürchtung, daß die Lohnersparnisse Italien nur passieren und schließlich in den Ländern landen würden, wo jene Arbeiter in überwiegender Zahl ihren Wohnsitz eingerichtet hatten. Als Frankreich den Waffenstillstand mit Deutschland und Italien geschlossen hatte, wurde es Ende Juni 1940 längs einer sogenannten Demarkationslinie zweigeteilt: in die nördliche Zone, die von den Deutschen militärisch besetzt wurde, und in die südliche Zone mit der Vichy-Regierung. Generell gesehen ging es den Italienern in der Südzone schlechter, weil die Vichy-Regierung — trotz ihrer Kollaboration mit den „Achsen'mächten — die Italiener nicht mochte; im deutsch besetzten Frankreich hingegen hatten die Italiener angesichts des deutsch-italienischen Bündnisses den Franzosen gegenüber sogar gewisse Vorteile. Am 7. August 1940 ließ Hitler Lothringen annektieren und dem Gau Baden anschließen; am 30. November 1940 wurde das Elsaß zu einem Bestandteil des Deutschen Reichs gemacht. Was mit den Italienern in diesen Zonen passierte, geht am besten aus dem Bericht des Königlich-Italienischen Konsulats in Metz hervor. 8 0 Die italienische Kolonie in Lothringen umfaßte zu Beginn des Kriegs etwa 30.000 Personen, fast ausschließlich Hilfs- und Facharbeiter in den dortigen großen Bergwerken und eisenverarbeitenden Industriebetrieben. Diese Zahl hatte sich 1940 jedoch erheblich verringert, weil die Italiener Opfer folgender Ereignisse wurden: a. der von den französischen Behörden aus Kriegsgründen angeordneten Evakuierungen; b. von freiwilligen Evakuierungen: 78 ASMAE, SAP, Germania, Mappe 64, Fernschreiben Nr. 01170/343 der Kgl.-Italienischen Botschaft in Berlin vom 20. 2. 1939 - XVII an das Außenministerium in Rom, betr.: Italienische Industriearbeiter in Deutschland. 79 Ebenda. 80 ASMAE, SAP, Francia, Mappe 46, Fernschreiben n. 20/7 des Kgl.-Italienischen Konsulats in Metz an das Außenministerium, Abteilung D.I.E. vom 17. 9. 1940 - X V I I I .
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„Wegen der Nähe der deutsch-französischen Grenze und wegen der bevorstehenden und dauernden Gefahren, die die lothringische Bevölkerung bedrohen, sind viele Landsleute in dem Zeitraum zwischen dem Ausbruch des deutsch-französischen Kriegs und der deutschen Besetzung mit ihren Familien geflohen oder sie haben die Frauen und Kinder fortgeschickt und sind allein am Arbeitsort geblieben. Die große Mehrheit jener Italiener ist nach Italien zurückgekehrt; nur eine ganz kleine Minderheit, die jedoch aus Elementen besteht, welche aus patriotischen Gesichtspunkten nicht erwünscht sind, hat sich ins Innere Frankreichs zurückgezogen. Von der ersten Gruppe werden wahrscheinlich einige die Behörden des Königreichs um die Erlaubnis bitten, nach Lothringen zurückzukehren, u m die Arbeit wiederaufzunehmen oder um wieder mit den dort zurückgelassenen Familienmitgliedern zusammenzutreffen. Von den übrigen werden sicherlich nur wenige von neuem die lothringische Grenze überschreiten können und nur wenige dies wünschen"; 81 c. von einer Abwanderung nach Deutschland aus Arbeitsgründen: „Die Krise der Arbeitslosigkeit, die Lothringen aufgrund des Krieges getroffen hat, hat viele italienische Arbeiter dazu gebracht, vorübergehend - für einige vielleicht aber auch definitiv — Arbeit außerhalb der Grenzen Lothringens zu suchen. Das einzige nahegelegene Land, das diese Arbeiter aufnehmen könnte, war und ist noch Deutschland. Im Reich hat der Krieg mit seiner Mobilisierung von Millionen arbeitsfähiger Menschen seit Monaten zu einem Klima gefuhrt, das für die Aufnahme ausländischer Arbeitskräfte sehr günstig ist. Was Lothringen angeht, so hat die nahe und an Industrien und Bergwerken reiche Saar leicht allen Arbeitsgesuchen beschäftigungsloser Italiener nachkommen können; dort werden noch weitaus mehr Arbeitskräfte aufgenommen werden können, nicht nur in der Industrie, sondern auch für die Arbeiten zur Instandsetzung all dessen, was durch den Krieg zerstört wurde — Arbeiten, die die Deutschen bereits begonnen haben. Die Nachfrage nach Arbeitern ist momentan im Saargebiet dermaßen groß, daß deutsche und italienische Unternehmer häufig aus Saarbrücken kommen, u m persönlich Arbeiter anzuwerben, die bereit sind, sich in diesen Raum zu begeben. Darüber hinaus haben die Deutschen seit einiger Zeit in Metz ein Arbeitsamt eingerichtet, das die Arbeitsgesuche von Beschäftigungslosen sammelt und in dem kurzen Zeitraum weniger Tage dafür sorgt, daß diejenigen, die im Besitz der erforderlichen Arbeitsnachweise sind, an die Saar geschickt werden. Die Arbeit, die an der Saar angeboten wird, ist gut bezahlt und bildet einen erstklassigen Anreiz für unsere arbeitslosen und bedürftigen Landsleute." 82 d. von der Vertreibung derjenigen, die sich während jener Jahre zur Einbürgerung in Frankreich entschieden hatten. Im Elsaß wie in Lothringen werden diese zu Opfern der nationalsozialistischen Volkstumspolitik: Lothringer und Elsässer gelten jetzt als zweisprachige Volksstämme deutschen Ursprungs. Diejenigen, die später gekommen sind, sind Eindringlinge. Wer Italiener war, konnte als Ausländer akzeptiert werden. Wer sich jedoch als Franzose hatte einbürgern lassen und in Elsaß/Lothringen nach 1919 angekommen war, war ein Eindringling. Mehr als 20 Prozent der Italiener in Lothringen hatten sich einbürgern lassen, vor allem um weniger Probleme bei der Suche nach Arbeit zu haben; denn in Frankreich hat es stets eine Politik gegeben, die die Ausländer diskriminierte. N u n lastet auf ihnen das 81 Ebenda. 82 Ebenda.
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„unumstößliche Urteil, das die örtlichen deutschen Behörden über sie verhängt haben. Auf der Grundlage einer unerbittlichen grundlegenden Entscheidung sind alle französischen Staatsbürger, die sich nach 1919 in Lothringen niedergelassen oder nach 1919 französische Staatsbürger geworden sind, aus dem Land vertrieben worden: mit zwei Stunden Vorankündigung und der Erlaubnis, pro Person ganze 40 Kilo Gepäck und 1.000 Francs mit sich führen zu dürfen. Alle naturalisierten Italiener, mithin einige hundert Familien, haben dieses Schicksal erlitten, ohne irgendeine Differenzierung. Während es sich in vielen Fällen um unerwünschte Italiener handelt, die eine harte Lektion verdient haben [also aktive Antifaschisten], so wurden in anderen Fällen einfache Arbeiter getroffen, Unwissende, mit vielköpfigen Familien, die vom Hunger und von Drohungen dazu getrieben worden waren, ihre Staatsbürgerschaft abzulegen." 83 Aus Lothringen — das gilt im übrigen auch für das Elsaß — wanderte ein Teil der Arbeiter direkt an die Saar, um dort zu arbeiten, ein weiterer Teil kehrte nach Italien zurück und eine dritte Gruppe war zur Evakuierung gezwungen und fand sich in einem der beiden Teile Frankreichs wieder. Von denen, die nach Italien heimkehrten, ist anzunehmen, daß sie anschließend wieder ins Elsaß oder nach Lothringen zurückkamen, um dort als Ausländer zu arbeiten, oder daß sie über die Kollektivarbeitsverträge in andere Teile Deutschlands abwanderten. Dies war ζ. B. bei zwei Mitgliedern der Familie Brebbia der Fall, die aus Cireggio stammten und sich in Richwiller bei Mulhouse niedergelassen hatten, 1939 jedoch nach Italien zurückkehrten. Von diesen wird im folgenden noch die Rede sein. 84 Was aber geschah in den beiden unterschiedlichen Teilen Frankreichs? Gino Vermicelli, der 1922 in Novara geboren wurde und 1930 mit seiner Familie nach Frankreich ausgewandert war, berichtet darüber folgendes: „Es kommt der Krieg, Frankreich ist im Krieg mit Deutschland, du bist ein Arbeiter aus einem neutralen Land und machst deine Arbeit. Als im Radio die Nachricht kam, daß Italien Frankreich den Krieg erklärt hatte, arbeitete ich gerade in der Fabrik Licorne und baute Geländewagen für das französische Heer. Der Vorarbeiter rief mich: ,Geh ins Büro'. Sie haben mir meine paar Kröten gegeben und haben mich heimgeschickt. Und so haben sie es mit allen anderen Italienern gemacht, die da gearbeitet haben, denn es war natürlich unmöglich, daß in einer Rüstungsfabrik ein Angehöriger eines Feindstaates arbeitete. Zu Hause angekommen ging ich zu den Antifaschisten, die ich kannte, und ich bekam folgende Anweisung: ,Wir melden uns alle zum [französischen] Heer'. Wir wußten genau, daß wir nie einberufen worden wären. Aber wir wußten auch, daß irgendein dämlicher Präfekt einen ins Konzentrationslager einweisen konnte. Und tatsächlich hatten die Franzosen etliche Zehntausend Italiener sofort nach der Kriegserklärung ins Internierungslager gesteckt. Das passierte aber nur in einigen Departements und außerdem wurden die herausgezogen, von denen die Franzosen annahmen, daß sie der italienischen Regierung besonders nahestanden. Wenn du dich aber freiwillig für die Armee meldest und die Bestätigung darüber erhältst, schickt dich keiner mehr weg. Nach 10 Tagen kommen die Deutschen und du fühlst dich wie ein Depp, wenn die Fabriken geschlossen sind. Also versucht jeder irgendwie klarzukommen, wie er gerade kann. Ich und vier andere sind zum Arbeiten aufs Land gegangen, denn es ist klar, daß die Ernte eingebracht werden muß, auch wenn Krieg ist, und die Bauern waren zum Teil abgehau83 Ebenda. 84 Vgl. Die Arbeitsgruppe aus Omegna bei den Arado-Flugzeugwerken in diesem Band.
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Italienische „Fremdarbeiter " im „Dritten Reich " en. Ich war in der von den Deutschen besetzten Zone und konnte daher an die Küste der Bretagne gehen, weil ich Angehöriger eines Staates war, der mit den Deutschen verbündet war; die Franzosen waren jedoch durch eine Schranke daran gehindert, auf die eine oder die andere Seite hinüberzugehen. Die Bauern da nehmen dich gleich auf, sie geben dir zu essen, sie geben dir auch ein bißchen Geld und du erntest die Rüben, die Kartoffeln und bleibst zwei Monate. Dann kehrst du nach Paris zurück, um zu sehen, wie die Dinge stehen. Und da gibt es das Anwerbebüro für Deutschland: unverzüglich bietet sich den Arbeitslosen über Plakate an den Häuserwänden und Aushänge in den Arbeitsämtern die Aussicht, mit einer guten Bezahlung zum Arbeiten nach Deutschland zu gehen. Sie suchten vor allem Facharbeiter und bevorzugten es, die Hilfsarbeiter zur Organisation Todt zu schicken. Die französischen oder ausländischen Arbeiter, die arbeitslos oder mit ihrer Beschäftigung unzufrieden waren, konnten durch diese Propagandakampagne für Deutschland durchaus angelockt werden und gingen problemlos dorthin. Und auch für die französischen Patrioten und für die italienischen Antifaschisten bedeutete dieser Umstand keinen Verrat angesichts der Tatsache, daß du damals, egal welche Beschäftigung du hattest, in jedem Fall für die Deutschen gearbeitet hast. O b du für die Deutschen in Frankreich oder in Deutschland produziert hast, spielte unter militärischen Gesichtspunkten keine große Rolle. Wer militanter Antifaschist war, tat es nicht aus moralischen und politischen Gründen — es schien richtig, in Frankreich zu bleiben, wo der maquis organisiert wurde —, aber das war auch schon alles. Deswegen hatte die Skandalkampagne, die vor ein paar Jahren gegen den Generalsekretär der französischen Kommunisten, George Marchais, initiiert wurde, überhaupt keine Grundlage. Dieser besatzungspolitische Gesichtspunkt galt im übrigen immer noch, als ich 1943 aus Frankreich weggegangen bin. Aber je länger der Krieg dauerte, gab es etwa ab 1941 ein wachsendes Bewußtsein dafür, daß die Lebensbedingungen in Deutschland sich in Zukunft verschlechtern würden, daß die Sicherheit vermehrt von Zufällen abhängig sein würde und deshalb hatte keiner mehr Lust, nach Deutschland zu gehen. Und darauf begannen die Zwangsanwerbungen. Aber vorher sind viele freiwillig gegangen. Einige meiner Freunde habe ich eines Tages nicht mehr gesehen und du bekamst zur Antwort: ,Er ist nach Deutschland gegangen.' Was das für Typen waren? Naja, die Arbeiter waren nicht nur Proletarier, die ihre Arbeitskraft verkauften, sondern in jenen Jahren auch gezwungen, eine Art von Arbeiter-Fremdenlegionären zu werden. O b sie Italiener oder Franzosen waren, sie waren vor allem Arbeiter, die in Frankreich keinen sicheren Verdienst oder keine entsprechende Verwurzelung hatten. Diese Arbeiter emigrierten, weil sie arbeiten mußten, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie zu sichern, und weil es in jenen Jahren fast keine sicheren Stellen gab, mußten sie sich lohnende Arbeitsplätze suchen. Und deshalb trafen die Mutigsten, die Unternehmungs- und Abenteuerlustigsten unter ihnen Entscheidungen wie die, nach Deutschland zu wandern, Entscheidungen, die nicht politisch oder ideologisch waren, was sie in der Regel nämlich ziemlich wenig kratzte, sondern sie waren abhängig von dem Umstand, daß sie etwas verdienen mußten, um Essen für die Familie heranzuschaffen, um sich ein Grundstück, eine Wohnung oder neue Möbel zu kaufen. Diese Leute, die weggehen, sind immer die abenteuerlustigsten und vorurteilslosesten, aber auch die kämpferischsten. Häufig sind darunter auch .Lumpen', d. h. Leute, denen alles scheißegal ist - denn normalerweise sind es die Gottesfürchtigen, die daheim bleiben — und die dir am meisten Arger machen, die Schwarzmarktgeschäfte betreiben usw. Das war jedenfalls die Sorte Menschen, die damals
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abgewandert sind und die natürlich teilweise sympathisch sein können und teilweise nicht. Denn in diesen Emigrationen ziehst du die Hefe heraus. Franzosen und Italiener, von denen ich mich erinnere, daß sie von Frankreich weggingen, waren von dieser Art. In der Regel waren es junge Leute, die geringe familiäre Verpflichtungen hatten — vielleicht nur Frau und ein Kind - oder überhaupt nicht verheiratet waren." Wie wir noch sehen werden, hatten auch die jungen Arbeiter, die aus Italien abreisten, häufig jene Charakteristika, auch wenn ihre Sozialisation überwiegend in den faschistischen Schulen stattgefunden hatte. Anders war die Situation bei einem Teil des alten Proletariats, das am meisten unter dem Zwang stand, eine vielköpfige Familie ernähren zu müssen. Außerdem gab es weitere Faktoren, die jedenfalls die italienischen Arbeiter dazu bewegten, in vermutlich weitaus größerer Anzahl zu emigrieren als die französischen Arbeiter. Vermicelli erinnert sich diesbezüglich: „Die italienische Arbeit war weniger fest und weniger gesichert; man war daher eher dazu geneigt, den Arbeitsplatz zu wechseln. Ich will damit sagen, daß es sicher nicht die Hausmeister sind, die weggehen, sondern es ist eher ein Maurer, der das tut. Aber damals in Frankreich gab es gegenüber den Ausländern seit jeher eine offene, gewollte und legale Diskriminierung. Als ich in Zeiten der Arbeitslosigkeit auf der Suche nach Arbeit war, konnte man an den Fabriktoren lesen, welche Berufe gerade gebraucht wurden, aber auf einem Plakat wurde auch präzisiert: pas d'itranger. Und du liefst vielleicht zu dreißig Fabriken, bevor du schließlich eine ohne dieses Plakat gefunden hattest. Am Schluß war es meistens so, daß du in irgendeine kleine Firma arbeiten gegangen bist. Ich denke daher, daß die Italiener sicherlich zu einem höheren Anteil emigrierten als die Franzosen. Und etliche — im übrigen auch Franzosen — stürzten sich in die Gefahr bei der Organisation Todt." Das Problem der Anwerbung von Italienern durch die Arbeitsämter schien sich im Sommer 1942 weiter zu verschärfen, weil es immer schwieriger wurde, die französischen Arbeiter zur freiwilligen Abreise nach Deutschland zu bewegen. Was die Anwerbungen im Südwesten Frankreichs betrifft, so berichtete der Chef der Königlich-Italienischen Delegation für die Heimkehr und die Unterstützung der italienischen Emigranten in Frankreich am 6. Juli 1942, daß „... im Departement Bouche du Rhone unter den Industriearbeitern im allgemeinen und unter den Bau- und Hafenarbeitern im besonderen eine bereits chronische Arbeitslosigkeit herrscht. Diese Arbeitslosigkeit ist natürlich unter unseren Landsleuten noch schärfer — wegen der bekannten Einschränkungen beim Einsatz von ausländischen Arbeitskräften und weil faktisch auch bei gleicher Eignung immer die französischen Arbeiter bevorzugt werden. Der Beifall, mit dem die italienischen Arbeitslosen die Möglichkeit, nach Deutschland zu gehen, aufgenommen haben, ist nicht nur gerechtfertigt durch die Notwendigkeit, sich das tägliche Brot zu sichern, sondern auch durch den Wunsch, der täglichen Demütigung zu entfliehen, bei den französischen Firmen um Arbeit betteln zu müssen. (...) Die bürokratische Abwicklung der Anwerbung für Deutschland ist außerdem äußerst schnell und das Werbebüro kümmert sich um alles, was die Abreise angeht, mit größter Schnelligkeit, so daß zwischen dem Datum der Anwerbung und dem Arbeitsbeginn sehr wenig Zeit vergeht. Dem Arbeiter, der sich nach Deutschland begibt, wird nicht nur ein sicherer und gut bezahlter Arbeitsplatz garantiert, sondern er vermeidet auch all jene Kosten, die mit dem Umzug und der Niederlassung seiner Familie verbunden sind und vor die er unweigerlich gestellt wäre, wenn er sich in Italien anwerben
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ließe — ohne im übrigen mitzurechnen, daß letzteres System aus sich selbst heraus und abgesehen von jeder anderen Erwägung zu einer beträchtlichen Verzögerung führt." 85 Die italienische Regierung wollte nämlich, daß die italienischen Arbeiter, die in Deutschland zu arbeiten wünschten, vorher nach Italien zurückkehren sollten, um von dort aus das Anwerbeverfahren bei den zuständigen Stellen in Gang zu setzen. Aber über die zutreffenden Bemerkungen des hier zitierten Schreibens hinaus, nämlich daß ein französischer oder belgischer Arbeiter keinen Grund hatte, sich diesem langen und kostspieligen Weg zu unterwerfen, muß man hinzufügen, daß ein großer Teil der italienischen Arbeiter in Frankreich (auch wenn ein Teil davon älter war, aber diese waren wenig geneigt, sich ins Abenteuer zu stürzen) sich dem Wehrdienst oder der zivilen Mobilisierung entzogen hatte. Nach Italien zurückzukehren, um sofort gepackt und an die Front verfrachtet, in jedem Fall aber zwangsverpflichtet zu werden, war daher das letzte, was diese Italiener in Frankreich in Betracht gezogen hätten. Abgesehen von den „Berufsrevolutionären", die es im allgemeinen eher vorzogen, in die Reihen der Widerstandsbewegung einzutreten oder heimlich in Italien zu arbeiten als nach Deutschland arbeiten zu gehen, war in jedem Fall klar, daß ein „Emigrant", aber auch ein Arbeiter, der in Italien geringfügig in den Geruch einer antifaschistischen Haltung geraten war, sich davor hütete zurückzukehren.86 Gino Vermicelli erinnert sich, daß „all dies den Deutschen völlig egal war. Sicher, wenn sie die Nachricht erhielten, daß jemand ein Antifaschist war und das für sie eine Gefahr darstellen konnte, so kriegten sie ihn dran, auch wenn es nie eine enge Verbindung zwischen ihrer Polizei und der OVRA gegeben hat. Aber erstmal warben die Arbeitsämter Leute für Deutschland an, ohne irgend eine Überprüfung anzustellen." Überdies ließ der Delegierte für Zivilangelegenheiten der Italienischen Waffenstillstandskommission für Frankreich in bezug auf die Seealpen mitteilen, daß die Rückkehr der Familien vor der Anwerbung für das Reich nicht immer durchführbar sei, „angesichts der häufigen familiären Überschneidungen der Italiener in diesem Land und der sich daraus ergebenen Unmöglichkeit, den heimkehrfähigen italienischen Familienkern klar herauszutrennen". 87 Die italienische Regierung war faktisch ohnmächtig; mit geringerem Optimismus als der Außenminister war der Chef der Italienischen Delegation für die Rückkehr und Unterstützung der Italiener in Frankreich der Meinung, daß
85 ASMAE, SAP, DGIE, Francia, Mappe 55, Brief der Italienischen Delegation fur die Rückkehr und die Unterstützung der Italiener in Frankreich, Prot. Nr. 10823/1340/c, Marseille, 6. 7. 1942-XX an das Außenministerium Rom, Abt. D.I.E., betr.: Anwerbung von Arbeitskräften für Deutschland in der freien Zone. 86 Zahlreiche Fälle von Personen, die von der faschistischen Polizei gesucht wurden und sich aus Frankreich direkt nach Deutschland begeben hatten, sind dokumentiert im Bestand ACS, Min. Int., DGPS, Ufficio di Collegamento con la Germania. - Das Gesuch der italienischen Behörden an die entsprechenden deutschen Dienststellen, eine gewisse Zahl militanter Antifaschisten, die sich zur Arbeit nach Deutschland begeben hatten, zu verhaften und an Italien zu übergeben, wurde mehrfach von Kappler, dem Vertreter der deutschen Polizei in Rom, ausweichend beantwortet. 87 A S M A E , SAP, D G I E , Francia, Mappe 55, Italienische Waffenstillstandskommission für Frankreich, Schreiben η. 1986 R, Nizza, den 1. 8. 1942-XX, an das Außenministerium Rom, Abt. D.I.E. sowie Generaldirektion A.E.M. und an die Unterkommission Affari Generali der C.I.A.F. in Turin, betr.: Anwerbung italienischer Arbeiter in Frankreich für Deutschland.
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„die Anwerbung italienischer Arbeiter in der freien Zone nicht behindert werden soll, damit die juristischen Prärogativen [Italiens] gerettet werden können — in dem Sinn, daß die deutsche Dienststelle mit der hiesigen Königlichen Dienststelle zusammenarbeiten, ihr die Namenslisten aller angeworbenen Arbeiter übergeben und ihr schriftliches Urteil einholen solle, bevor die Arbeiter nach Deutschland weitergeschickt werden." „Durch dieses Verfahren würden nicht nur das Prestige und die juristischen Prärogativen der Kgl. Dienststellen gegenüber der italienischen Kolonie wie gegenüber den deutschen Repräsentanten gesichert, sondern es könnte auch dem deutschen Rekrutierungsbüro von großem Nutzen sein, da einerseits eine größere Zahl von Anwerbungen zu erwarten wäre, man aber andererseits vermeiden würde, unerwünschte und dem Ansehen des italienischen Arbeiters in Deutschland schädliche Elemente dorthin zu schicken." 88 Es versteht sich von selbst, daß die Deutschen keinerlei Vorteil von einem solchen Verfahren gehabt hätten, da das Vorhandensein von Kontrollen dieser Art das Anwerbeverfahren selbst hätte in Schwierigkeiten bringen können. Wenn den Arbeitern Gefahren dieser Art bevorgestanden hätten, wäre die Anwerbung weit weniger attraktiv gewesen. Warum sollte man außerdem junge Arbeitskräfte nach Italien schicken, damit sie dort Soldat würden, wenn die Deutschen sie sich für den Arbeitseinsatz im Reich sichern konnten? Der direkte Weggang italienischer Arbeiter nach Deutschland setzte sich daher ununterbrochen fort und die Pressionen der faschistischen Regierung (damit die Arbeiter vor der Abreise nach Deutschland nach Italien repatriiert würden) blieben so gut wie ergebnislos, obwohl ein entsprechendes Abkommen mit der deutschen Regierung abgeschlossen worden war. 89 Und noch im Oktober 1942 „geben die deutschen Arbeiterwerbebüros vor, die Instruktionen des Ministeriums [des italienischen Außenministeriums] nicht zu kennen, und statt die italienischen Arbeiter, die sich bei ihnen meldeten, unseren Delegationen für die Repatriierung zuzuführen, ließen sie sie sofort nach Deutschland abreisen." 90 Zu dieser Haltung der Deutschen muß man die Richtung hinzufügen, die die Regierung Laval nach dem Gesetz vom 4. September 1942, das den „obligatorischen Arbeitsdienst" einführte, einschlug. Die Deutschen, die nicht auf eine militärische Hilfe Frankreichs zählen konnten, hatten daher gefordert, daß aus der Bevölkerung Kontingente von „freiwilligen" Arbeitern für die Arbeit in Deutschland rekrutiert werden sollten. Die Vichy-Regierung sah sich daher gezwungen, dieses Diktat zu akzeptieren, und hatte versucht, die Pille zu versüßen, indem sie versicherte, daß die Abreise von Freiwilligen dazu bestimmt sei, die Freilassung französischer Kriegsgefangener aus den deutschen Lagern vorzubereiten. Aber angesichts der Weigerung der französischen Arbeiter, sich nach Deutschland zu begeben, hatte sie zu dem Zwangsgesetz greifen müssen. Gedrängt von der Notwendigkeit, die größtmögliche Zahl von Arbeitern für diese Abschiebung zu finden und angesichts einer Anwerbung, die bereits große Schwierigkeiten aufwies, schickte die Vichy-Regierung - überdies von einer traditionellen Diskriminierung der Italiener dazu angetrieben — mit den Gruppen französischer Arbeiter vor allem naturalisierte Italie88 Vgl. den Brief vom 6. 7. 1942 in: ASMAE, SAP, DGIE, Francia, Mappe 55. 89 Dazzi, Accordi, S. 307-308. 90 ASMAE, SAP, DGIE, Francia, Mappe 55, Der Präsident der Italienischen Waffenstillstandskommission für Frankreich, Schreiben n. 48001, Turin 12. 10. 1942, an das Außenministerium Rom, Abteilung A.E.M., betr.: Mißbräuchliche Anwerbung italienischer Arbeitskräfte fur Deutschland.
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ner und sogar Arbeiter, die die italienische Staatsbürgerschaft beibehalten hatten. Davon zeugt ζ. B. ein Brief des Königlich-Italienischen Konsulats in Frankfurt am Main, welches am 17. September 1942 mitteilte, daß ein beträchtlicher Teil der ersten Trupps französischer Arbeiter, die von der Vichy-Regierung nach Deutschland geschickt worden waren, um nach und nach - diesen Anschein hatte die Vichy-Regierung erweckt - die französischen Kriegsgefangenen zu ersetzen, „nicht französischen Ursprungs sind; es handelt sich vielmehr um in mehr oder weniger jüngerer Zeit naturalisierte Italiener oder gar um unsere Landsleute, denen ein französischer Paß ausgehändigt worden ist. Es ist nicht sehr einfach, eine genaue Kontrolle über diesen ungesetzlichen Stand der Dinge zu haben: sei es, weil sich die einzelnen jeder direkten Nachforschung durch die Kgl. Konsulatsbehörden entziehen, sei es weil die Durchführung einer Initiative dieser Art nicht zulässig erscheint ohne eine Vereinbarung zwischen den französischen und den deutschen Behörden, die sich daher höchstwahrscheinlich jeglichem, von italienischer Seite vorgebrachten Gesuch um Klärung widersetzen würden." 91 Das Problem verschärft sich noch im Oktober desselben Jahres: „Die Vichy-Regierung, die unter dem Zwang steht, bis zum 15. des Monats jene Menge von spezialisierten Arbeitskräften nach Deutschland zu schicken, welche vom Reich gefordert wurde, hat über die Fabrikleiter und die Werksdirektoren den Druck auch auf die ausländischen und in Frankreich wohnhaften Arbeiter intensiviert, um sie dazu zu bewegen, sich anwerben zu lassen. Von solchen Pressionen sind die italienischen Arbeiter natürlich nicht ausgenommen und sie werden daher weiterhin von den Werbebüros für Deutschland eingestellt, ohne daß in irgendeiner Form den Zusicherungen Rechnung getragen würde, die mehrmals von den deutschen Büros gegeben wurden, nämlich daß die italienischen Arbeiter, die sich dort vorstellen würden, an die Kgl. Repatriierungsdelegationen verwiesen werden sollten. Auch wenn diese Formalität mitunter anfänglich befolgt wird, so werden die italienischen Arbeiter danach trotzdem abbefördert, obwohl die Anwerbebüros genau wissen, daß unsere Arbeiter - um sich regulär nach Deutschland begeben zu können - repatriiert werden müßten. Doch das ist noch nicht alles: die Regierung von Vichy versucht nunmehr, das obengenannte Gesetz über die Zwangsverpflichtung französischer Arbeitskräfte auch auf die ausländischen Arbeiter anzuwenden, obwohl eine solche Ausweitung noch durch keinerlei Rechtsverordnung festgelegt worden ist (das Gesetz vom 4. September enthält in Abschnitt 50, Artikel 130, lediglich den Vorbehalt, analoge Maßnahmen auch für Ausländer zu erlassen. (...) Weil die französischen Arbeiter sich in ihrer überwiegenden Mehrzahl entschieden weigern, den an sie gerichteten Aufforderungen, sich anwerben zu lassen, spontan nachzukommen, sind die Direktoren, Inhaber und Geschäftsführer von Firmen, Betrieben und Werken von den vorgesetzten verantwortlichen französischen Behörden ultimativ aufgefordert worden, die Arbeiter, die doch in jedem Fall gezwunge-
91 ASMAE, SAP, D G I E , Francia, Mappe 55, Femschreiben n. 1378 des Kgl.-Italienischen Generalkonsulats zu Frankfurt am Main vom 17. 9. 1942 an das Außenministerium Rom, betr.: Französische Arbeiter in Deutschland.
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nermaßen abreisen müssen, per Beschluß festzusetzen und diese vorzugsweise unter den Ausländern zu suchen, die wie behauptet wurde - zu Recht oder zu Unrecht - bei den Betriebsversammlungen ebenso behandelt wurden wie die Franzosen, was die Auswirkungen der relive angeht. Die Masse der .Ausländer' besteht hier natürlich zum allergrößten Teil, um nicht zu sagen vollständig, aus Italienern, die solchermaßen gezwungen sind, rein den französischen Interessen zu dienen." 92 Von der italienischen Regierung wurde darauf folgende Haltung eingenommen: man verlangte, daß die italienischen Arbeiter nicht zwangsweise nach Deutschland geschickt würden, sondern sich freiwillig dorthin begeben sollten und daß sie „nicht auf Konto Befreiung französischer Gefangener angerechnet" werden sollten. 93 Es handelt sich offensichtlich um eine Position, die geringe praktische Auswirkungen hatte - um so mehr, als sie spät eingenommen wurde, nämlich erst nach Mitte November 1942. Die Belastung durch die releve muß daher für die Italiener sehr hoch gewesen sein. In zahlreichen Fabriken sind die Italiener auf den Verzeichnissen der Abreisenden stark vertreten; teilweise bestand nicht weniger als ein Viertel der Abreisenden aus Italienern.94 Die Gesamtergebnisse dieser Operation sind jedoch gering. Die Deutschen greifen daher frühzeitig zu Zwangsmitteln, ja zu einer „arbeitsmäßigen Zwangsverpflichtung", die sich naturgemäß auch auf alle eingewanderten Ausländer, die Italiener eingeschlossen, erstreckte. Dies beginnt ab Januar 1943 und Silvio Delich, der Chef der Kontrollkommission, die die Ausführung des Artikels XXI des Waffenstillstands zu überwachen hat, schreibt folgendes an das italienische Außenministerium: .Angesichts der Tatsache, daß die Überredungsarbeit nicht die gewünschten Ergebnisse erbringt, sieht sich die Vichy-Regierung gezwungen, energische und schnelle Maßnahmen anzuwenden, um die französischen Arbeiter zu zwingen, zum Arbeiten nach Deutschland zu gehen. Die Polizeibeamten gehen mit den Listen in der Hand in die Fabriken und rufen die ausgewählten Arbeiter auf, die im Fall der Weigerung in Gewahrsam genommen werden, um darauf in den für Deutschland bestimmten Konvoi eingereiht zu werden. Und häufig passiert es, daß auf diese Weise auch italienische Arbeiter zwangsverpflichtet werden. 92 ASMAE, SAP, DGIE, Francia, Mappe 55, Italienische Waffenstillstandskommission fiir Frankreich - Kgl. Delegation für Repatriierung und Fürsorge, Fernschreiben n. 8181, Chambery den 9. 10. 1942, an das Außenministerium Rom, Abteilung A.E.M. sowie an die Italienische Waffenstillstandskommission für Frankreich - Unterkommission Allgemeine Angelegenheiten in Turin, betr.: Mißbräuchliche Anwerbung italienischer Arbeitskräfte für Deutschland und Ausweitung des Gesetzes über die Arbeitsdienstverpflichtung auf die italienischen Arbeiter. 93 ASMAE, SAP, D G I E , Francia, Mappe 55, Italienisches Außenministerium Rom, Abteilung D.I.E. an die Kgl.-Italienische Botschaft in Paris, Telegramm (Eingangsnummer 7125 vom 13. 11. 1942, 12 Uhr), betr.: Italienische Arbeiter für Deutschland. 94 ASMAE, SAP, D G I E , Francia, Mappe 55, Italienisches Vizekonsulat Grenoble, Fernschreiben n. 6237/86 vom 14. 10. 1942 an das Außenministerium Rom, Abteilung D.I.E. sowie an die Abteilung A.E.M. und an die Italienische Waffenstillstandskommission für Frankreich - Unterkommission Allgemeine Angelegenheiten, Turin, betr.: Anwerbung von italienischen Arbeitern in Frankreich fur den Einsatz in Deutschland. - Relive bedeutet „Austausch" und bezieht sich auch darauf, daß die Ankunft freiwilliger Arbeitskräfte den französischen Kriegsgefangenen erlaubt hätte, in die Heimat zurückzukehren.
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Aber jedesmal, wenn unsere Dienststelle Kenntnis von einem solchen Vorfall erhalten hat, habe ich unverzüglich Einspruch bei Herrn Mathon, dem Beauftragten des Innenministeriums, eingelegt, worauf die illegale Zwangsanwerbung widerrufen wurde." 9 5 Viele Italiener und ein großer Teil der Flüchtlinge aus Spanien, die häufig mittels Zwang in militärische Arbeitskompanien eingegliedert worden waren, wurden durch Schikane und Entbehrungen dazu gebracht, sich für die Fremdenlegion anwerben zu lassen, während ein anderer Teil von Spaniern der Organisation Todt übergeben wurde, wo sie von den Deutschen weitaus härter als die (Kriegs-)Gefangenen behandelt wurden. 9 6 In Frankreich, wo es keinen 8. September 1943 gegeben hatte, war es vor allem der ,Arbeitszwang", der die Reihen des Widerstands anwachsen ließ. Wieviele Italiener waren es, naturalisierte und andere, die durch diese Ereignisse dazu gebracht wurden, aus dem einen oder anderen Grund nach Deutschland zum Arbeiten zu gehen? Sicherlich waren es Zehntausende, die nicht nur aus den Industrie- und Bergwerksregionen Frankreichs (Nordwestfrankreich, Region Paris, Elsaß-Lothringen) kamen. Es handelte sich in jedem Fall um ein solch beachtliches Phänomen, daß der unten bereits genannte Annäherungswert von 500.000 italienischen Arbeitern, die sich zwischen 1938 und 1943 zum Arbeiten nach Deutschland begaben, beträchtlich modifiziert werden muß. Beim gegenwärtigen Stand der Forschungen ist es jedoch schwierig, diese Gruppe quantitativ exakt zu fassen, aber um eine ungefähre Vorstellung der Größenordnung zu vermitteln, genügt es an dieser Stelle, auf einen Brief Cianos vom 9. Januar 1941 zu verweisen, in welchem die Meinung geäußert wird, daß sich mit den Nicht-Organisierten und den direkt von den deutschen Behörden in Belgien und Frankreich Angeworbenen in diesem Jahr nicht weniger als 90.000 Italiener nach Deutschland begeben würden. 97 Und im Tagebuch der Italienischen Botschaft in Berlin wurde unter dem Datum 21. September 1942 folgendes eingetragen: „Starker Anteil von Italienern (ursprünglich Staatsbürgerschaft) unter den französischen Arbeitern, die nach Deutschland gelangt sind (darunter ist auch ein beträchtlicher Prozentsatz von Kommunisten und von Arbeitsscheuen usw.)". 98 Um zu einer glaubwürdigen Einschätzung der Zahl der italienischen Arbeiter, die aus Frankreich ins Reich kamen und den italienischen Migrantenstrom nach Deutschland verstärkten, zu gelangen, muß man überdies der Tatsache Rechnung tragen, daß ein guter Teil derjenigen Arbeiter, die (aus Frankreich) nach Italien zurückkehrten und deren Zahl zwischen 1937 und
95 ASMAE, SAP, DGIE, Francia, Mappe 70, Italienische Waffenstillstandskommission fur Frankreich - Organisation für die Kontrolle von Artikel XXI der Waffenstillstandsvereinbarung, Schreiben vom 14. 1. 1943 aus Lyon, prot. n. 489, an das Außenministerium Rom, an die Italienische Botschaft Paris, an die Italienische Botschaft bei der Vichy-Regierung, an das Präsidialamt der Italienischen WafFenstillstandskommission Turin, Abteilung 10, sowie an die Unterkommission fiir Allgemeine Angelegenheiten der Italienischen Waffenstillstandskommission Turin, betr.: Die Kampagne gegen die Relive. 96 Leonetti, Gli italiani del Maquis, S. 47. 97 ASMAE, SAP, Germania, Mappe 73, Aus Rom abgehendes Telegramm n. 763 PR. des Außenministeriums, Abteilung D.I.E. - A.G. - A.E.M. - A.C. vom 9. 1. 1941, gez. Ciano, an die Kgl.-Italienische Botschaft in Berlin, betr.: Übereinkunft über den Transport von Arbeitern nach Deutschland. - Über die massiven Versuche, die in Belgien lebenden Italiener für deutsche Fabriken anzuwerben, vgl. A. Morelli, Fascismo e antifoscismo nell'emigrazione italtana in Belgio 1922-1940, Rom (Borucci) 1987, S. 260-261. 98 ACS, Nachlaß Edoardo Dino Alfieri, Mappe 7, Faszikel 32, Tagebuch der Botschaft Berlin vom 8. 6. 1942-22. 7. 1943.
Eine „neue Form der Emigration "
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1942 auf 178.674 anstieg," im Rahmen der befristeten Kollektivarbeitsverträge von neuem abreisten — nunmehr in Richtung Deutschland. Wie wir noch sehen werden, hatte die beträchtliche Anwesenheit solcher Arbeiter, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl Antifaschisten waren, einen großen Einfluß auf diejenigen Arbeiter, die direkt aus Italien kamen. Dies ist zweifellos ein grundlegendes Element für das Verständnis der Protesthandlungen, die diese Arbeiter ab dem Sommer 1941 an den Tag legten.
4. Eine „neue Form der Emigration" Was den Migrantenstrom angeht, der sich in den Jahren zwischen 1937 und 1943 in Richtung Deutschland bewegte, wird uns durch die mündliche Überlieferung unter anderem bestätigt, daß man in Deutschland damals das Zwei- bis Fünffache dessen verdienen konnte, was man in Italien bekam: im Jahr 1940 konnte ein Arbeiter daher durchschnittlich 450 Lire nach Hause schicken, wenn er in der Landwirtschaft arbeitete und sogar 800 bis 1.000 Lire bei einer Beschäftigung in der Industrie. 100 Nach einer vertraulichen Information vom März 1941 konnten die Industriearbeiter sogar zwischen 3000 und 4000 Lire monatlich verdienen und durchschnittlich 1500 bis 2000 Lire nach Hause schicken. 101 Daß diese Migrationsbewegung sich von derjenigen in der Vergangenheit unterschied, wurde von den Faschisten selbst in ihrer Propaganda stark hervorgehoben. Es ist zum Beispiel äußerst interessant, die Bedeutung festzustellen, die die faschistische Propaganda jenen touristischen Reisen beimaß, bei denen sich zwischen Juni 1938 und Ende 1939 Hunderttausende italienischer Industriearbeiter für sechs freie Tage nach Deutschland begaben: sie waren eines der Elemente, die ein geeignetes Klima schufen für die freiwillige Massenemigration, die über die befristeten Kollektivarbeitsverträge zustande kam. Die erste dieser Reisen fand am 4. Juni 1938 statt und betraf eine Gruppe von 2500 Arbeitern. Nach Nürnberg reisten 500 Arbeiter aus Venedig sowie weitere 500 aus Vicenza, nach Freiburg fuhren 500 Mann aus Alessandria, 500 aus Novara reisten nach Stuttgart und weitere 500 aus Florenz nach München. 1 0 2 In Deutschland wurden die Arbeiter enthusiastisch aufgenommen, denn ein Teil des Programms blieb auf diese erste Reisegruppe beschränkt: so gab es eine großartig inszenierte Veranstaltung in Nürnberg, an der u. a. Tullio Cianetti, der Direktor des Faschistischen Industriellenverbands, Prof. Baiella, der Führer der DAF, Ley, und der Gauleiter von Franken, Julius Streicher, teilnahmen. 103 In seinem Buch Botschafter des Volkes beschrieb Tullio Cianetti die Abreise folgendermaßen: „Im Inneren des Bahnhofs herrscht eine gespannte Atmosphäre. Fahnen an den Wänden, wartende Behördenvertreter und eine Menschenmasse überall herum. (...) Der Zug steht schon bereit auf einem der zentralen Gleise. Ein Zug wie für eine große internationale Reise, ein Zug, der zum Einsteigen einlädt und der einen beim Gedanken an die Ferne lächeln läßt. Fast alle Wagen sind geschmückt mit den Farben der italienischen 99 100 101 102
Vgl. Nobile, Politica, S. 1340, Tabelle 5. Vgl. Gibeiii, Les travailleurs, S. 80-81. ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Rom, den 20. 3. 1941. Ebenda, Rom, Juni 1938 - XVI, gez. Tullio Cianetti: Beginn der Reisen der italienischen Arbeiter nach Deutschland - Besuch in Westfalen und im Rheinland - Anfragen nach italienischen Arbeitskräften.
103 Ebenda.
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich " und deutschen Fahnen. Auf dem ersten Waggon prangt auf beiden Seiten ein großes Hakenkreuz; auf dem letzten Waggon sind die Liktorenbündel; in der Mitte dominieren die Namen des Duce und des Führers. (...) Einem Fanfarenbläser folgen die Arbeiter, die wie eine Welle der Festlichkeit und der Freude in den Bahnhof einmarschieren. (...) Aufgeteilt auf Gruppen von je 25 Mann, die von einem Gewerkschaftsfunktionär angeführt werden, nehmen sie rasch ihre Plätze in den Waggons ein. (...) Der Sekretär der Union, der dem Zug durch die Stadt voranmarschiert ist, übernimmt nun das Kommando über die Reise und geht rasch durch den ganzen Zug, gibt den verschiedenen Arbeitergruppen genaue Anweisungen und praktische Ratschläge. Dann begibt er sich schnell zum Eingang des Bahnhofs, um die Parteiführung zu empfangen. Die Abfahrt eines solchen ,Arbeiterzugs' hat einen völlig neuen, wahrhaft faschistischen Charakter. Davon zeugen das Ziel der Reise, die Atmosphäre auf dem Bahnhof, die Haltung der Arbeiter. (...) Die Blicke der Leute auf der Straße, die den Zug durch die Stadt gehen sahen, haben einige charakteristische Züge der Arbeiter aufgenommen: ihr Enthusiasmus, ihre korrekte Kleidung, Alte und Junge nebeneinander, vor allem aber eine gewisse Grundstimmung, die schwer zu fassen ist und die man etwa vergleichen könnte mit dem Wunsch, sich auf alle Fälle allen Situationen gewachsen zu zeigen. Hier im Zug aber enthüllt sich die ganze Wesensart der Arbeiter, ihre Gefühle und ihre Gedanken, in den Einzelheiten: hier sieht man, wie die Reisevorbereitungen bereits einen Vorgeschmack der Reise geliefert haben; hier fühlt man die echte, bewußte und geradezu stolze Rührung der Arbeiter, die mehr ist als eine vorübergehende Welle des Enthusiasmus, im Angesicht dieses undenkbaren Ereignisses, an dem sie heute teilnehmen. Es genügt, die Koffer zu sehen: in schöner Ordnung aufgereiht auf der Gepäckablage. Neue Koffer, in vorzüglicher Ordnung, mit Bedacht, ja vielleicht sogar mit dem Wunsch nach Eleganz ausgewählt. Ein Koffer, eine Winzigkeit im Lebensgefüge eines Mannes. Aber welche Bedeutung kann dieser annehmen auf der Stufenleiter der Lebensumstände eines Arbeiters! Um die neuen Koffer der Arbeiter, die nach Deutschland gehen, nicht zu bemerken, dürfte man nichts von der Geschichte der Leiden und Entbehrungen der Arbeiter wissen, die das Italien von vor 30 Jahren auf der Suche nach Brot in die ganze Welt hinausschickte; man dürfte nie die Wartesäle der dritten Klasse auf dem Bahnhof von Genua oder von Neapel gesehen haben, die mit Emigranten angefüllt waren; man dürfte weder die Arbeiter gesehen haben, die nachts unter den Portiken lagen, noch die niedrigen Laderäume der .Schiffe', die nach Südamerika in See stachen, noch die Wartehalle von Bardonecchia zu den Tagen, an denen unsere armseligen Arbeitskräfte auf die Wanderung gingen. Es war der Sack, der den Arbeiter immer begleitet hat: er war sein Kopfkissen während der Nacht und sein treuer Gefährte in den langen Stunden des Wartens und der Langeweile, er war sein Besitz, seine einzige Ressource außer seinen Armen, aber zur selben Zeit auch sein Fluch und seine Verdammnis. In diesem armen Sack war das ganze Leben des Arbeiters versammelt: drin war der rote Paß, die baumwollenen Hemden, die von der Mutter oder der Frau fertiggemacht worden waren, die Arbeitsschuhe, Gebrauchsgegenstände und in einem kleineren Bündel, das mit einem Band zugeschnürt ist, die Erinnerungen, die Fotografien, die bunten Postkarten, alles. Aber dieser armselige Sack, der jedem Arbeiter im Grunde teuer war, weil er die einzige Sache war, die ihm gehörte und ihm nicht zum Schaden gereichte, war auch ein Beweis, ein Zeugnis seiner Minderwertigkeit. Der Sack erzählte aller Welt, daß jeder nach seinem Wunsch die italienischen Arbeiter ausnutzen konnte, die auf gut Glück
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durch die Gegend zogen, auf der Suche nach Brot, und es auch dort suchten, wo sie ihr Leben dafür riskieren mußten. Jetzt aber ist die Zeit des Sacks zu Ende. Er ist eine traurige, weit zurückliegende Erinnerung. Auch die Arbeiter reisen mit ihrem normalen Koffer, wie alle anderen Reisenden: häufig aus Vergnügen und um etwas zu lernen, sie tragen Fotoapparate, die in der Welt des Tourismus ein Zeichen guten Geschmacks sind. Auch wenn sie emigrieren sollten, " 104 reisen sie so. Der ,Arbeiterzug", der nicht mehr Waren transport, sondern ein internationaler Reisezug sein soll, und der Koffer, der den traditionellen Sack ersetzt, werden vom Faschismus als Symbole einer neuen Form der Migration eingesetzt. Die von oben gesteuerte Choreographie kommt in den offiziellen Verlautbarungen zum Vorschein, die mit besonderer Häufigkeit die nach Deutschland abreisenden italienischen Arbeiter begleiteten: „Hiermit wird mitgeteilt, daß am Montag, dem 28. [April 1941], um 1 Uhr, vom Bahnhof Principe aus, der erste Trupp des Gaststätten- und Dienstleistungspersonals, auf der Basis der Absprachen zwischen unserer Confederazione und der Deutschen Arbeitsfront, nach Deutschland abgereist ist. (...) Z u m Zeitpunkt der Abreise, die in perfektester Ordnung ablief, haben die Arbeiter, die bis Verona durch einen Funktionär der Unione in faschistischer Uniform begleitet wurden, kräftige Hochrufe auf den Duce und den Führer ausgebracht. Die Parteimitglieder unter den Arbeitern trugen das Schwarzhemd, die anderen graugrüne Hemden, wie es von oben angeordnet worden war. Alle Abreisenden waren mit einer regulären Ausrüstung versehen worden, die genauestens kontrolliert wurde und die mit Ausnahme der Säckchen und Bündel in akzeptablen Koffern verstaut war." 105 Carlo Dal Farra, der am 9. September 1938 als Zementarbeiter nach Fallersleben abfuhr, erinnerte sich beispielsweise daran, daß die faschistische Gewerkschaft ihm bei der Abfahrt eine Kappe und eine schwarze Krawatte, eine khakifarbene Jacke und eine blaue, militärisch geschnittene Hose, schwarze Schuhe und — hebt er ironisch hervor — einen „glänzenden Koffer" geliefert hatte. 106 In Mailand und Verona konnten die Emigranten darüber hinaus Kleidungsstücke kaufen, die sie benötigten, oder andere persönliche Ausrüstungsgegenstände, die ihnen vom ersten Lohn 1 0 7 oder im Fall größerer Anschaffungen auch von mehreren Monatslöhnen abgezogen wurden. 1 0 8 Die faschistische Industriearbeitergewerkschaft sorgte über ihre verschiedenen Regionalbüros auf Provinzebene dafür, daß die Rechnungen beglichen wurden, die
104 Ambascerie di popolo, hrsg. von der Confederazione Fascists dei Lavoratori dell'Industria, Rom (Societä editrice di .Novissima') 1938, S. 96-107. Der Text des Bandes stammt in Wirklichkeit vonTullio Cianetti. 105 Staatsarchiv Genua, Präfektur Genua, Band 148, Fasz. Italienische Arbeiter, die in Deutschland arbeiten: Schreiben des Sekretärs der Unione Provinciale Fascista dei Lavoratori del Commercio an den Präfekten, betr.: Abreise von Arbeitern des Gaststättengewerbes und des öffentlichen Dienstleistungssektors, vom 28. 4. 1941. 106 Interview mit Carlo Dal Farra in Ponte della Alpi am 9. 9. 1988. Ein großer Teil des Interviews befindet sich im Abschnitt... vor genau 50 Jahren sind wir abgereist... in diesem Band; vgl. dort auch die Beschreibung der Abreise aus Italien. 107 Interview mit Romeo Chiovenda in Rom am 13. 7. 1988. Nachforschung und Tonbandaufzeichnung von Bruno Mattozzi. 108 ACS, Min. Int., DGPS, DPR Band 223, Vertraulicher Brief aus Bologna (n. 707/2 prot.) vom 5. 5. 1941, an S. Exzellenz, den Generaldirektor und Chef der Polizei, Abteilung Politische Polizei, Rom.
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von den diversen Firmen eingingen, die mit der Lieferung der Ausrüstung beauftragt worden waren. Die Qualität der Ware ließ häufig zu wünschen übrig, denn häufig waren die Lieferfirmen keine seriösen Firmen, sondern Unternehmen, die den schnellen Gewinn suchten. Die römische Firma Libensi & Buchi, die die aus den Marken abreisenden Arbeiter belieferte, stellte beispielsweise folgende Preise in Rechnung: ein Tuchmantel für 230 Lire, ein Regenmantel für 20 Lire, Baumwollsocken 3,50 Lire das Paar, eine blaue Arbeitsjacke und -hose für 75 Lire, eine wollene Weste 31 Lire, eine Bauchbinde 18 Lire, ein Paar kräftige Schuhe für 98 Lire. Dies sind nicht gerade Schleuderpreise. Man muß sich daher fragen, wieviele der 800 Arbeiter, die von dieser Firma beliefert wurden, sich Schuhe oder Mantel kaufen konnten; ihre Ausgaben beliefen sich auf durchschnittlich 150 Lire. Vor allem aber wurde die Qualität der Ware immer schlechter. Die Koffer, die den aus der Provinz Ancona kommenden Landarbeitern geliefert wurden und die von einer anderen römischen Firma stammten, wurden den Arbeitern zu 40 Lire das Stück angerechnet. Koffer der gleichen Qualität wurden von dem Industrie- und Handwerkerkonsortium der Stadt Ancona jedoch zu 25 Lire das Stück verkauft.109 Eine Untersuchung, die in Salerno gemacht wurde, wo die Ausrüstungen von 4 lokalen Firmen geliefert wurden, ergibt folgende Preise für die Kleidungsgegenstände, die von minderer Qualität waren, dafür aber um so mehr kosteten: ein Mantel 240 Lire, ein undurchlässiger Regenmantel 149 Lire, ein warmes Unterhemd 32 Lire, eine Wetterjacke 18 Lire, ein Paar Schuhe 100 Lire, ein Paar Strümpfe 7,50 Lire, ein Kulturbeutel 50 Lire. Es wurde auch ein Kleidungsstück aus Stoff von schlechter Qualität geliefert, dessen Preis der mit der Untersuchung beauftragte Polizeiinspektor allerdings nicht ermitteln konnte.110 In Neapel wurden die Arbeiter, falls sie entsprechendes nicht hatten, von Amts wegen mit folgenden Gegenständen beliefert: ein Straßenanzug zu 180 oder zu 230 Lire, ein Paar eisenbeschlagene Schuhe für 78 Lire, ein Arbeitsregenmantel zu 125 Lire, ein Mantel zu 180 oder zu 250 Lire, zwei Paar Wollstrümpfe, zwei Unterhemden, eine Wetterjacke, drei Hemden, zwei Unterhosen. Während die Unterwäsche, deren Preis wir nicht wissen, direkt von dem römischen Konsortium geliefert wurde, kamen die Schuhe und die Regenmäntel von der lokalen Gesellschaft Kleidungsstücke Fiordelisi, deren Präsident der Baron Filippo Fiordelisi war. Paolo Scarfoglio, der zusammen mit seinem Bruder ehedem Besitzer der Zeitung II Mattino war, fungierte als Akquisiteur dieser staatlichen Lieferungen, und war bekannt dafür, daß er - nur um den Auftrag zu bekommen — diese auch unter Preis übernahm. Mäntel und Anzüge wurden hingegen direkt vom Generalsekretär und vom Vorstand der örtlichen Industriearbeiterunion besorgt und bei drei neapolitanischen Firmen eingekauft, die bereits seit geraumer Zeit einen riesigen Lagerbestand dieser Art hatten und die daraus ein anständiges Geschäft machten, denn die Verkäufe wurden in den Eingangs- und Ausgangsbüchern nicht registriert — was uns auch nicht erlaubt, genauer zu klären, wieviel der Sekretär und der Vorstand der Arbeiterunion an dieser Transaktion verdient haben.111 Hinter der offiziellen Choreographie verbergen sich somit nicht ganz hehre Interessen, aber die Choreographie ist vorhanden und hat vor allem den Zweck, den deutschen Verbündeten 109 Vgl. ebenda. 110 Vgl. A C S , M i n . Int., DGPS, DPP, Band 223, Streng vertraulicher Brief vom 13. 5. 1941 aus Neapel ( V i l a Zona, prot. 0 7 5 al n. 500/14862, 24. 4.) an das Innenministerium, Generaldirektion Öffentliche Sicherheit, Abteilung Politische Polizei, Rom. 111 Vgl. ebenda.
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davon zu überzeugen, daß sich Italien gewandelt hat, gewandelt im Vergleich zu einer nicht allzu weit zurückliegenden Vergangenheit, und daß man Fortschritte gemacht habe in der Migrationspolitik, wie sie Mussolini unmittelbar nach dem amerikanischen Stop angekündigt hatte. Damals hatte er erklärt, „daß die italienische Regierung überzeugt ist, daß es opportun ist, gute Arbeiter nach Amerika zu schicken; solche, die im technischen Bereich entsprechend spezialisiert und im sozialen Bereich ruhig sind".112 Es war also eine stärkere Auswahl der ins Ausland Abreisenden versprochen worden, die vom Migranten unter anderem eine größere Sorgfalt im hygienischen, moralischen und gesundheitlichen Bereich vor wie während der Reise erforderte, um sich die Märkte nicht zu verderben und um keine Zurückweisungen und Rücktransporte auf Kosten des Staates zu riskieren. Einer der Ratschläge, die der Kleine Führer für den italienischen Landarbeiter in Deutschland gibt, ist daher gerade derjenige: Achte auf deine Person. „Pflege deine Person. Dies ist sehr wichtig. Ein Volk wird mehr daran beobachtet und daran gemessen, als du denkst. Gepflegt sein, mit Respekt gegenüber deiner eigenen Person, mit Würde, ist ebenso wichtig, wie darin beurteilt zu werden, was man wirklich ist. Wir haben nicht mehr die Zeit des ungepflegten und heruntergekommenen Arbeiters, mit schmutzigen Kleidern, die nicht zusammenpassen und die aus Lumpen bestehen. Der äußere Eindruck einer Person wird immer beachtet und nicht bloß auf der Arbeit. Sorgfalt auf sich selbst zu verwenden, bringt überall Würde und Respekt."113 Schon jene erste Gruppe von Industriearbeitern, die nach Deutschland geschickt wurde, war mit Sorgfalt ausgewählt worden. So berichtete Tullio Cianetti über deren Abreise: „Ich schicke voraus, daß die Auswahl der Arbeiter in Italien nach Merkmalen vor sich ging, die in jeder Hinsicht klug und umsichtig waren: so hatte man große Aufmerksamkeit auf den physischen Eindruck gelegt und hatte sogar darauf geachtet, daß alle möglichst korrekt gekleidet waren und daß die Koffer schmuck und möglichst einheitlich aussahen. Die Leiter des Transports hatten vorher Instruktionen und Empfehlungen erteilt, wie sich die Arbeiter verhalten sollten und wie die Disziplin unter allen Umständen gewahrt werden sollte. Der warme und feierliche Empfang der ersten Tage hat den Arbeitern in konkretester Form die ,nationale' Bedeutung der Reise klargemacht - so daß die Arbeiter einmütig aus der Disziplin, dem Respekt und der Ordnung eine Frage der Ehre gemacht haben. Und die Deutschen haben ihrerseits unverzüglich die ausgezeichnete materielle und geistige Vorbereitung der Reise hervorgehoben."114 Wie wir noch sehen werden, sollten unterhalb der Ebene der offiziellen Choreographie recht schnell einige der traditionellen Merkmale italienischer Migrantenströme zum Vorschein kommen. Dennoch waren die Arbeiter in jedem Fall die ersten, die diese „neue Form der Migration" befürworteten. Unter anderem nahmen sie das ernst, was sie in dem Kleinen Führerfür den italienischen Landarbeiter in Deutschland lesen konnten: 112 Arena, Italiani, S. 96. 113 Confederazione Fascista dei Lavoratori dell'Industria, Piccola guida del lavoratore agricolo italiano in Germania, o. O., o. J. [1940], S. 23-24. 114 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Rom, Juni 1938 - XVI, gez. Tullio Cianetti: Beginn der Reisen der italienischen Arbeiter nach Deutschland ...
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich "
„Du verläßt heute die Heimat, vorübergehend. Du bist kein verlassener Emigrant, wie in der Vergangenheit, kein Paria zusammen mit vielen anderen, erniedrigt, umherirrend, von der Arbeit ausgeschlossen. Du reist ab als Soldat, als Italiener, als Schöpfer und Erzeuger von Aktivitäten; dank des Faschismus immer in allen Belangen deiner Arbeit angespornt, in sicherer Position, verteidigt, . . . " 1 1 5 Die Hin- und Rückreise nach Deutschland, die auf Kosten des Arbeitgebers geht, bestätigt den Arbeitern ein weiteres Mal die Idee, daß diese Fahrt in Richtung Deutschland im Vergleich zu noch nicht allzu lang vergangenen Zeiten wirklich eine „neue Form der Emigration" darstellt. 116 Was diese Arbeiter aber nicht schätzten, war — wie wir noch sehen werden — das Auseinanderklaffen von Wirklichkeit und offizieller Propaganda. Angesichts solcher Versprechen, die nicht eingehalten wurden, fühlten sie sich auf den Arm genommen. Dies stellt eine nicht unwesentliche Ursache fiir ihre Unzufriedenheit und ihren Protest dar, am stärksten mitunter bei jenen, die (und dies war die Mehrheit) jener Propaganda wirklich geglaubt hatten. Im allgemeinen war es diese Majorität, die die durch den Krieg verursachte kontinuierliche Verschlechterung der Lebens- und Ernährungsbedingungen mehr als andere empfand.
5. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung: die Antriebskräfte der Emigration in den bäuerlichen Regionen Daß die Wanderungsbewegung während des Faschismus — wie ihre Vorgänger in der Geschichte Italiens auch — in ihrer Gesamtheit von dem verzweifelten Bedürfnis bestimmt war, neue Verdienstmöglichkeiten zu suchen, und nicht selten dazu diente, miserablen Lohnverhältnissen oder gar der Arbeitslosigkeit zu entfliehen, wird bereits durch die Herkunft der Wanderarbeiter belegt: sie kommen aus der östlichen Lombardei, den zu Venetien und Emilien gehörenden Teilen der Po-Ebene, aus Mittel- und Nordvenetien, aus der Romagna, aus Friaul und dem Cadore sowie aus der Provinz Bari (wenngleich nur mit einem kleinen Kontingent von 797 Arbeitern). 117 Viele der Bauern und Handwerker, der Bergleute und der Bauarbeiter, der Steinmetzen und der Sägewerksarbeiter, die sich 1938/39 nach Deutschland begaben, kamen aus Zonen, die besonders von der ländlichen Arbeitslosigkeit und der Unterbeschäftigung betroffen waren. In Deutschland war damals bereits die Flucht aus der Landwirtschaft im Gange, verursacht durch die im Vergleich zur Industrie niedrigeren Löhne; doch selbst die Löhne der deutschen Landwirtschaft waren für die italienischen Arbeiter (auch angesichts des günstigen Wechselkurses) eine riesige Gelegenheit. Für das kleine Kontingent von Arbeitern, das beispielsweise in Vicenza vermittelt wurde, gab es daher „unendlich viele Anmeldungen". 1 1 8 Ahnlich war die Situation in Padua, wo noch im Jahre 1940 — trotz der Ventilfunktion, die die Migration nach Deutschland darstellte — die Landbesitzer weit niedrigere Löhne bezahlten (3,80 bis 4 Lire pro Tag 1 1 9 ) als die Minimallöhne, die die Bauern aus Angst vor Arbeitslosigkeit zu akzeptieren 115 Vgl. ebenda, S. 11 der Schrift den Absatz Du bist kein verlassener Emigrant mehr. 116 Vgl. Piccola guida, S. 45, Abschnitt Norme contrattual. 117 Vgl. Ufficio di Propaganda della Confederazione Fascista Lavoratori dell'Agricoltura (Hrsg.), Rurali di Mussolini nella Germania di Hitler, Rom 1939. 118 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Vicenza, den 17. 3. 1939. 119 Ebenda, Mailand, den 8. 8. 1940.
Antriebskräfte der Emigration in bäuerlichen Regionen
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bereit waren. In verschiedenen Dörfern der Region Trentino, wo es nicht weniger als 5.000 Arbeitslose gab, wo die Leute in den Tälern häufig Hunger leiden mußten 120 und wo die saisonale Wanderarbeit bereits vor dem ersten Weltkrieg ein enormes Ausmaß angenommen hatte, fand ein wahrer Exodus statt — und zwar nicht nur in den Dörfern, in denen die Situation am ärgsten war. Ein Informant der italienischen Geheimpolizei schrieb diesbezüglich: „Nehmen wir zum Beispiel ein Dorf wie Folgaria (4.000 Einwohner), das sicherlich zu den weniger armen Dörfern des Trentino gehört und das ein bedeutendes Zentrum des Tourismus ist, mit enormen Waldbeständen, mit reichen Wiesen und Almen. Selbst aus diesem Dorf sind mehr als 400 Männer nach Deutschland gegangen! (...) Gegenwärtig gibt es in Folgaria keine Männer mehr. Selbst die Jungen von 15 oder 16 Jahren, ja selbst die Schwachsinnigen sind in Deutschland, zum großen Teil in Innsbruck bzw. in Tirol, und man sagt, daß sie zu Arbeiten herangezogen werden, die - wenn sie nicht vollkommen militärischen Charakter haben - doch von sicherlich strategischer Bedeutung sind, wie die Eisenbahnen, die Straßen, die Kasernen..." 121 Die Werbung, die die Rückkehrer aus Deutschland in jener ersten Phase der Migration machten, war so groß, daß 90 Prozent der Männer in Folgaria einen Paß beantragten. Alle schauten nach Deutschland als der einzigen Möglichkeit, besser zu leben. Die Quästur inTrient stoppte für eine gewisse Zeit die Ausgabe von Pässen, doch „dann mußte sich auch der Polizeichef den Pressionen beugen und dieser beeindruckenden Wanderung über den Brenner hinweg den Weg freigeben". 122 In Rovereto „ist bei der Arbeiterschaft eine wahre Manie ausgebrochen, um einen Arbeitsplatz in Deutschland zu erhalten; dort, so heißt es, finden alle unter günstigen Bedingungen Arbeit und so gibt es einen Wettlauf, um sich von Freunden oder Bekannten, die bereits ihren Wohnsitz in Deutschland haben, nachholen zu lassen. Diese Situation ist, so sagt man in der Stadt, ein Glücksfall für eine in Trient wohnhafte Person, die großen Einfluß beim Kgl. Polizeipräsidium hat und die ein richtiggehendes Büro eröffnet hat, an das sich alle, die einen Paß benötigen, wenden und nach Zahlung von dreißig, vierzig oder fünfzig Lire einen Touristenpaß erhalten." 123 Der massenhafte Exodus wird noch verstärkt durch Werber, die außerhalb der berufsspezifischen Staatsgewerkschaften stehen, auf der Suche nach Industriearbeitern sind und deshalb etlichen Bauern die günstige Gelegenheit bieten, zu einer Tätigkeit in der Industrie zu wechseln, wo sie besser bezahlt werden als für die von den Gewerkschaften angebotene landwirtschaftliche Arbeit. 124 Auch in Folgaria suchen Aufkäufer menschlicher Arbeitskraft Personal für die Bauwirtschaft, vor allem Steinmetzen und Maurer. 125 In Rovereto „ist, wie es heißt, ein eigener Beauftragter des Konsuls von Saarbrücken dabei, in Verbindung mit dem Arbeitsamt 100 Arbeiter einzustellen, die bereit sind, beim Kohleabbau
120 121 122 123 124 125
Ebenda, Trient, den 17. 2. 1939. Ebenda, Trient, den 25. 3. 1939. Ebenda. Ebenda, Rovereto, den 2. 6. 1939. Vgl.ebenda, Trient, den 17. 2. 1939. Ebenda, Trient, den 25. 3. 1939.
Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich"
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unter Tage zu arbeiten und denen hohe Stundenlöhne versprochen werden (etwa eine Mark pro Stunde)." 126 Für diese Arbeiter ist der problematischste Augenblick jenes Zeitraums mit dem Juni 1939 erreicht, als die Möglichkeit der Lohnüberweisungen zeitweise ausgesetzt wird. Ein gewisser De Angelis, Mitarbeiter der Baumwollfabrik von Podgora, kommentiert dies kurze Zeit nach der Maßnahme folgendermaßen: „Diejenigen unserer Bauern, die saisonweise vom Frühjahr bis zum Herbst in Deutschland arbeiten, bekommen die Reise von ihrer Gewerkschaft bezahlt. Und in Deutschland erhalten sie Kost und Logis, dazu eine Bezahlung in Mark. Im vergangenen Jahr und in den ersten Monaten dieses Jahres hatten sie die Erlaubnis, pro Person eine bestimmte Summe an die Familienangehörigen zu schicken, und zwar bis zu 70 Mark monatlich. Auf diese Weise konnten die Familien etwa 350 Lire monatlich erhalten und davon leben. Letzten Monat haben die deutschen Behörden diese Erlaubnis zurückgenommen und den Arbeitern mitgeteilt, daß keinerlei Geldüberweisungen nach Italien mehr toleriert würden und daß auch die gesparten Gelder bei Ablauf des Vertrags nicht ausgeführt werden dürften. Dies hat Unzufriedenheit und Sorgen erzeugt. (...) Viele haben protestiert. Und weil die deutschen Behörden jenen Protesten mit Brutalität und Strafandrohungen entgegengetreten sind, ist es zu Streitereien gekommen und etliche haben gedroht, die Arbeit halbfertig liegenzulassen und unverzüglich nach Italien zurückzukehren." 127 Einige Arbeitergruppen wurden zeitweise von dieser Maßnahme stark erschüttert und so kehrten ζ. B. aus der Region Hannover etliche jener Arbeiter nach Valle di Rabbi zurück, die „in der Holzverarbeitung, in Sägereien oder als Waldarbeiter" tätig waren. „Sie wurden sehr gut bezahlt (...) und in jeder Hinsicht sehr gut behandelt (...) Diese waren fast alle auch im vergangenen Jahr in Deutschland, und sie brachten es alle auf einen Nettoverdienst zwischen 5.000 und 6.000 Lire. Dasselbe wäre auch diesen Herbst geschehen, aber das Verbot, den Familien Geld zu schicken, hat sie zur Heimkehr gezwungen. Mit dem bis dahin erzielten Verdienst haben sie sich mit Kleidern, Schuhen, Hemden und Uhren eingedeckt, da sie verpflichtet waren, das Geld im Reich auszugeben." 128 Es hieß, daß „nur die Arbeiter, die 1938 in Deutschland geblieben sind und die daher alte Verträge von damals haben, ihren Verdienst überweisen können". 129 Bereits Anfang August war jedoch die Migrationsbegeisterung wieder zurückgekehrt, denn „während die mit einem Touristenpaß auf eigene Faust Auswandernden bis vor einem Monat schwere Befürchtungen hatten, wie sie ihren Verdienst importieren sollten, so (...) finden sich heute auf den Zügen jenseits der Grenze Geldwechsler aus Innsbruck, die die Reichsmarkbeträge in Lire umtauschen, welche sie auf der hiesigen Seite der Grenze und nach der Zollkontrolle übergeben." 130
126 127 128 129 130
Ebenda, Rovereto, den 3. 6. 1939. Ebenda, Görz, den 8. 7. 1939. Ebenda, Trient, den 20. 8. 1939. Ebenda. Ebenda, Rovereto, den 2. 8. 1939.
Antriebskräfte der Emigration in bäuerlichen Regionen
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Jedenfalls waren die Arbeitsverträge 1 9 3 9 weniger gut als im Vorjahr, und die Verpflegung wurde aufgrund des Kriegsausbruchs zwischen Deutschland und Polen überall schlechter. 1 3 1 Aber die Veränderung in der Situation war noch nicht so gravierend, als daß sie bemerkenswertere Spuren in der Erinnerung der Landarbeiter hinterlassen hätte, die sich — wie wir noch sehen werden — vor allem daran erinnern, daß ihnen Italiens Nicht-Eintritt in den Krieg zum Zeitpunkt des deutsch-polnischen Konflikts einige Schwierigkeiten bereitete, weil man für sie in verschiedenen Orten — auch wenn dies nur vorübergehend war — erheblich weniger Achtung hatte. 1 3 2 Allerdings muß man sich darüber im klaren sein, daß nach Aussage der Landarbeiter, die im Oktober 1 9 3 9 nach Italien zurückkehrten, die Ernährungsbedingungen auf dem Land noch gut waren und daß die Ernte in jenem Jahr, vor allem bei Kartoffeln, die beste der letzten zehn Jahre gewesen wäre, wenn sie nicht etwas durch das schlechte Wetter gelitten hätte. In den Städten jedoch, so erzählen es wiederum die Landarbeiter, „ist das, was verteilt wird, obwohl es gleichmäßig verteilt wird, für eine alte Person zu wenig, und ( . . . ) an Festtagen gehen zahlreiche Stadtbürger aufs Land, um all das zu kaufen, was sie finden können, und sie bezahlen (das, was sie kaufen können) zu jedem Preis. Zur großen Befriedigung der Bauern, die Riesengeschäfte machen." 1 3 3 Bereits zu diesem Zeitpunkt also ist die Ernährungslage in den Städten sehr unterschiedlich und im November 1 9 3 9 finden sich in den Berichten der Informanten der Geheimpolizei erste Hinweise darauf, daß sich Arbeiter über das Essen beklagen. Arbeiter, die damals zum Urlaub nach Padua zurückkehrten, erzählen, daß „die ihnen zugeteilte Lebensmittelration in der letzten Zeit ungenügend geworden ist, weil sie aus einer Kartoffelbrühe mit geringen Spuren von Fleisch besteht und nicht genießbar ist wegen der übelkeitserregenden Qualität der verwendeten Fette." 1 3 4 Andere Arbeiter, die zum Urlaub nach Brescia zurückkehrten, erklären im gleichen Zeitraum, daß „sie nicht nur von der deutschen Bevölkerung schlecht angesehen werden, sondern auch mißhandelt und mit einem spärlichen Gehalt bei minimalster Ernährung — bestehend aus Kartoffeln und Gemüse — gehalten werden." 1 3 5 Von den landwirtschaftlichen Arbeitern werden die Verschlechterung der Ernährungslage und das Ansteigen der Lebenshaltungskosten jedenfalls weder zu diesem Zeitpunkt, noch in den darauffolgenden zwei Jahren nennenswert bemerkt. Man muß jedoch der Tatsache Rechnung tragen, daß diese Arbeiter aus Gegenden kommen, wo eine starke Arbeitslosigkeit herrscht, wie zum Beispiel in Trient. Daher werden erst ab 1942 Schwierigkeiten bei deren Anwerbung gemeldet, als unter den 2 . 0 0 0 Arbeitern des Vorjahres 2 6 Prozent eine weitere Anwerbung verweigern. Aber sie verweigerten sie nicht so sehr, weil sie nicht nach Deutschland gehen wollen, als vielmehr „weil sie in die Gruppe der Industriearbeiter wechseln wollen, wo fast das Doppelte dessen gezahlt wird, was in der Landwirtschaft verdient wird". 1 3 6
131 Ebenda, Venedig, den 23. 12. 1939. 132 Vgl. diesbezüglich beispielsweise ebenda, Mailand, den 23. 9. 1939 bzw. ebenda, Rovereto, den 31. 10. 1939. 133 Ebenda, Rovereto, den 31. 10. 1939. 134 Ebenda, Padua, den 3. 11. 1939. 135 Ebenda, Brescia, den 4. 11. 1939. 136 Ebenda, Trient, den 13. 3. 1942.
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Soweit die Erzählungen der aus den bäuerlichen Regionen stammenden Arbeiter sich auf die Jahre 1937 bis 1940 beziehen, berichten sie uns noch und vor allem vom Hunger, den sie hinter sich zurücklassen, und von den guten Arbeitsbedingungen, die sie in Deutschland gefunden zu haben glaubten. Domenico Cecchella (geboren 1918 in Mel in der Provinz Belluno), ein Eisenschmied, verläßt sein Dorf Ende 1938 und geht anfänglich nach Glennhammer, einem Dörfchen in Westfalen zwischen Lüdenscheid und Werdohl, um dort für die Firma Pechstein-Steinwerke bis zum Februar 1940 in den Steinbrüchen zu arbeiten. Er verläßt dann Italien ein weiteres Mal im April 1941 und begibt sich nach Bremen und von dort nach Wilhelmshaven, aber er wird krank und kehrt im Juli 1941 nach Mel zurück. Von Februar bis September 1942 geht er wiederum nach Westfalen, wo es ihm besser als irgendwo anders gefallen hat, und nimmt die Arbeit bei seiner alten Firma wieder auf. Seine Erfahrungen faßt er folgendermaßen zusammen: „Damals, 100 Lire im Monat ohne Versicherung, ohne alles. Also, wenn man es ausnutzen konnte, ging man dahin, wo man essen konnte (...) Im ersten Jahr konnte man da etwa 70 Mark im Monat rauskriegen. Das waren immerhin über 500 Lire. Danach, in dem Jahr, als ich nach Bremen gegangen bin, damals konnte man viel kriegen, weil wir im Akkord gearbeitet haben. Danach konnte man nicht mehr bleiben, weil im Mai 41 der Krieg gegen Rußland losging." 137 Angelica Calzolari, geboren am 15. Dezember 1921 in Carpi in der Provinz Reggio Emilia, erzählt hingegen ihre Erfahrungen als Arbeiterin in der Landwirtschaft so: „Sehen Sie, mein Bruder arbeitete das ganze Jahr, sie gaben ihm zu essen und zu trinken und 150 Lire im Jahr, daher (...) es gab keine Arbeit, obwohl ich in Carpi wohnte, einem vom Handwerk geprägten Ort, sicher, es gab die Schwarzarbeit, die Haare, die Flechtarbeiten, aber ein, zwei Lire pro Tag konnten sie schon für das Brot verlangen, nicht mehr. Aber Brot allein genügte nicht, da war die Miete, die Heizung und viele andere Dinge, aber an Heizung konnte man noch nicht mal denken, sondern nur daran, für das Essen zu Hause zu sorgen (...) 1938 bin ich abgereist. (...) Damals war es das Arbeitsamt, das fragte, wer wegwandern wollte, und mein Bruder, der arbeitslos war, hat sich gemeldet (...) und sie haben ihm gesagt, sie nehmen nur Paare, keine Alleinstehenden, also hat mein Bruder gesagt: ,Dann gehen wir beide weg'. Meine Mutter war darüber unglücklich, weil ich erst 17 Jahre alt war, aber mein Bruder war 16 Jahre älter und war für mich wie ein Vater, ich hatte den Vater verloren, er war der Vater. So sind wir im März abgereist und sind Ende Dezember zurückgekehrt. Aber er ist nicht zurückgekommen. Der Vorarbeiter im Stall war da krank geworden und er war sehr geschickt bei den Arbeiten im Stall (...) wenn eine Kuh ihr Kälbchen bekam, dann wußte er, was zu tun war; und damals waren wir auf einem staatlichen Bauernhof und der damalige Chef hat ihm gesagt: ,Wenn du bleiben willst, dann behalte ich dich gern hier'. Und so ist er geblieben. (...) [Als wir abreisten] aus Carpi, stand da ein ganzer Zug, ich weiß nicht, wieviele wir waren, aber Carpi hatte bereits 20.000 Einwohner, und ich weiß, daß der Zug [der Abreisenden] sehr lang war. Etwa 1.500, denke ich. Also da gab es das Reisfeld, das Keltern, das Mähen und sonst fast nichts... (...) [Der Vertrag] war ein regulärer, wir erhielten Sozialleistungen und Altersversorgung, ich weiß, daß man nicht mehr als 385 Lire während der ganzen Saison [nach Hause] schicken konnte. Wenn [mein Bruder] Vittorio 150 Lire im Jahr verdiente, so waren 385 Lire für uns eine bessere Bezahlung. Inklusive 137 Mündliche Äußerung von Domenico Cecchella am 8. 9. 1988 in Villa di Villa.
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das Essen, sie gaben uns zu essen, wir bekamen die Lebensmittel dazu, und wir hatten eine Köchin, die auf unsere Art das Essen zubereitete, denn wie sie konnten wir nicht essen, sie haben eine ganz andere Art. (...) [Ich bin] nach Magdeburg [gegangen], zu einem Staatsbetrieb, es gab dort ein großes Haus, das wir ,die Kaserne' nannten, wo wir Zimmer hatten, mit einem Waschbecken darin. Wir waren recht gut untergebracht, es ist nicht so, als (...) und dort sind wir von März bis Anfang Dezember geblieben." 138 Und Leonardo Rossi, geboren 1916 inTaneto di Gattatico, erzählt: „Die Mama war eine Hausfrau, hatte viele Kinder, acht insgesamt, Sie können sich vorstellen. Der Papa hatte einen sehr harten Beruf, Schotterarbeiter. Er machte also den Schotter für die Straßen, und der mußte von einer bestimmten Größe sein. Ich habe mal etwas als Junge auf einer Baustelle, mal als Bauer gearbeitet, fünf oder sechs Jahre, bis ich zum Militär mußte. Ich bekam dort nur die Hälfte, oder auch noch weniger. Na ja, es war schwierig, eine Arbeit zu finden. Nach Deutschland bin ich am 14. April 1938 gegangen. Ich ging nach Hannover, um auf dem Feld und im Stall zu arbeiten. Wir hatten wenigstens einen Lohn, der höher war als das Doppelte, würde ich sagen. Ganz zu schweigen vom Akkord, denn der war laut Vertrag zusätzlich. Ich würde sagen, fast das Doppelte wie der Tarif in Italien. Wir sind von hier, von Praticello, aus abgereist, mit einem saisonalen Arbeitsvertrag, der bis zum Ende der Saison, also etwa Dezember, nicht aufgelöst werden konnte. Den Vertrag zu brechen, hieß, für das Jahr darauf die Möglichkeit zu verlieren, nach Deutschland zurückzukehren. Das erste Jahr wurden wir sehr gut aufgenommen. Das zweite, angesichts des Egoismus der Italiener, haben auch sie sich etwas mit ihrer Großzügigkeit zurückgehalten. Denn sie waren wirklich großzügig. Das erste Jahr bin ich allein gegangen, 1939 bin ich jedoch in der Gruppe, mit allen Jungs aus Praticello, zurückgegangen. Ich hatte ein recht ordentliches Zimmer, die Besitzerin hielt es in Ordnung, denn der Vertrag sah Kost, Logis und so weiter vor, ich mußte nur an die Bettwäsche denken." 139 Domenica Sarotti, die 1921 in Teglio im Veltlin geboren wurde und sich 1941 nach Deutschland begab, bestätigt im wesentlichen diese Zeugnisse: „Ich bin nach Deutschland gegangen, weil man da mehr als bei uns verdiente. Fast das Doppelte. Ja, denn die Tagessätze in Teglio waren absolut niedrig. Ich bin dahin gegangen, um Rüben und Kartoffeln zu ernten. Aber ich erinnere mich nicht mehr an die Gegend, wo ich gewesen bin. Von Teglio waren wir zu etwa 15, 20 Frauen abgereist, mit einem Mann, der den Dolmetscher machte. Ich arbeitete acht Stunden, die Arbeit war nicht anstrengend, mir erging es sehr gut. Man aß relativ gut. Wir kochten das Essen. Sie gaben uns soundsoviel Mehl, soundsoviel Brot. Wir machten zum Beispiel die Gnocchi selbst. Wir hatten ein großes Zimmer, wo wir alle zusammen schliefen und was die Temperaturen anging, so ging es einem gut. Ich bin acht Monate weggewesen und bin zu-
138 Mündliche Äußerung von Angelica Calzolari, 1985, in Cadebosco Sotto. Nachforschung und Tonbandaufceichnung von Silvia Pastorini. Die hier benutzte Äußerung ist in extenso publiziert im Anhang zu Silvia Pastotini, La .produzione' delta ricerca storica attraverso l'esempio di una ricostruzione dell'emigrazione di lavoratori reggiani in Germania (1938—1943), in: Ricerche Storiche. Rivista di storia della resistenza reggiana, Reggio Emilia 1985, S. 102-115. 139 Mündliche Äußerung von Leonardo Rossi, 1985 in Praticello. Nachforschung und Tonbandaufzeichnung von Silvia Pastorini.
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rückgekehrt, als der Vertrag endete. Danach sind wir nicht mehr weggegangen, weil es kein Angebot mehr gab." 1 4 0 Ciro Poggiali, der die Zahl der italienischen Bäuerinnen in Deutschland für den Juli 1941 auf mehr als 10.000 schätzt, die überwiegend aus den Regionen Mittel- und Norditaliens kamen, geht davon aus, daß die Arbeiterinnen damals „Unterkunft und Nahrung umsonst hatten und einen Stundenlohn, der zwischen 24 und 37 Pfennig variierte (also umgerechnet zwischen 2,05 und 2,80 Lire), so daß sie monatlich ein beträchtliches Sümmchen nach Italien schicken konnten. (...) Die Bäuerinnen waren natürlich in kleinere Gruppen aufgeteilt, so daß es auf den verschiedenen Bauernhöfen mindestens eine oder zwei gab, die dafür sorgten, daß den italienischen Bauern, die dort zusammen arbeiteten, der Genuß des Essens nach italienischer Art gesichert blieb." 141 Die Äußerungen derjenigen, die in der Landwirtschaft eingesetzt waren, bezeugen in der Regel die allgemeine Zufriedenheit für diese Art der Tätigkeit. Sie heben nicht die vorgefundenen Schwierigkeiten hervor, die — im Gegensatz zu den bislang zitierten Aussagen — in einigen wenigen schriftlichen und mündlichen Quellen thematisiert werden und die keineswegs von geringer Bedeutung waren. Piera Bassi aus Villa Tirano im Veltlin schrieb ζ. B. am 6. August 1941 aus Mahndorf bei Halberstadt, daß „man, wenn man krank ist, Zeit zum Sterben hat, bevor ein Doktor zur Visite vorbeikommt. Wenn es noch geht, kannst du dort hingehen und mußt 4 Kilometer zurücklegen, wenn du es nicht mehr kannst, hast du Zeit zu krepieren. Es ist ein Glück, daß wir, wie die Sindacati gesagt haben, in Deutschland gut aufgenommen und gut versorgt sein würden; wenn du wüßtest, wie die Leute uns behandeln und die Kinder, die spucken uns hinterher. Vielleicht kann man auch dies machen, weil wir Kameraden sind. Denk dir nur, daß gestern zwei Kolleginnen beim Doktor gewesen sind und er sie 10 Tage krankgeschrieben hat. Am Morgen danach kam der Patron und hat die Frechheit besessen, dem Dolmetscher zu sagen, er solle die beiden zum Arbeiten rufen. Das ist die Behandlung, die die Italiener in Deutschland erfahren." 142 Dieser Brief, der voller Vorwürfe ist angesichts einer Situation, in der die Italiener offenbar nicht als Kameraden behandelt werden, (und diese Klage wird noch in vielen mündlichen Äußerungen und in vielen Briefen von Bauarbeitern und Industriearbeitern wieder auftauchen) ist im übrigen der einzige dieser Art aus dem Bereich der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte unter den zahlreichen zensierten Briefen im Zentralen Staatsarchiv in Rom 1 4 3 , und er ist zu einem Zeitpunkt geschrieben worden, als der Krieg bereits ein fortgeschrittenes Stadium erreicht und die Betreuungssituation bereits einige Rückschläge erhalten hatte. Es darf jedenfalls nicht vergessen werden, daß das deutsche Fürsorgesystem weitaus fortgeschrittener war als das italienische. Grenzen der ärztlich-gesundheitlichen Versorgung waren in einigen Fällen 140 Mündliche Äußerung von Domenica Sarotti am 7. 12. 1988 in Biandrate. 141 Ciro Poggiali, Diecimila contadine italiane..., in: La Domenica del Corriere, n. 29 vom 20. 7. 1941. 142 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Kopie eines Briefauszugs. Absender: Piera Bassi, bei Doktor Kurt Busch, Mahndorf über Halberstadt (Deutschland), Empfänger: Lucia Bignotti, Trattoria Stazione, Villa Tirano. Der Brief trägt das Datum vom 6. 8. 1941 und den Stempel der italienischen ProvinzZensurkommission. 143 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b sowie ebenda, DAGR, DPP 1927-1943, Band 223.
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ohne Zweifel vorhanden, aber sie dürften keineswegs allgemein oder vorherrschend gewesen sein, da keiner der Befragten entsprechende Klagen geäußert hat. W i r werden allerdings noch sehen, daß mit dem Fortgang des Krieges mit einem Mangel an Medikamenten, die vorrangig an die Front geschickt wurden, ebenso gerechnet werden mußte wie mit der Tendenz bei den italienischen Arbeitern, sich krank zu stellen, um die Arbeitskraft wieder an die geringe Ernährung anzugleichen oder gar um zeitweise oder endgültig nach Hause zurückgeschickt zu werden. Dies führte häufig zu einem gegenseitigen Mißtrauen zwischen Ärzten und Arbeitern, wobei sich die ersteren stärker irren konnten, da sie häufig Simulation annahmen, wo in Wirklichkeit Krankheit vorhanden war, und sie schließlich von ihren Patienten als dienstbeflissene Sklaven der Arbeitgeber angesehen wurden. Jedenfalls erscheinen die größeren Probleme, die anfänglich zwischen Arbeitgebern und landwirtschaftlichen Arbeitern entstanden, vor allem eine Folge der oberflächlichen italienischen Kontrolle über die Migrationsbewegung gewesen zu sein. Denn Italien war ein Land, wo die hohe Arbeitslosigkeit häufig auch Personen mit einer prekären gesundheitlichen Situation zwang abzuwandern und wo die außerordentlich geringen Möglichkeiten der Beschäftigung die Arbeiter häufig zwangen, sich Arbeiten zuzuwenden, die ihrer ursprünglichen Berufsausbildung überhaupt nicht entsprachen. Obwohl die Nachfrage der Migrationswilligen in jenen ersten Jahren das Arbeitsangebot überstieg, konnte Italien nach einer raschen ärztlichen Untersuchung, die mehr proforma als ernsthaft vorgenommen wurde, verlassen werden, so daß die deutschen Bauern danach häufig protestierten wegen der Ankunft kranker oder ungeeigneter Arbeiter, schwangerer Arbeiterinnen oder solcher, die mit der Feldarbeit nicht vertraut waren usw. Von diesen und anderen Schwierigkeiten - die zumeist von der unangemessenen Ausstattung der italienischen Arbeiter zum Zeitpunkt ihrer Abreise herrührten — ist beispielsweise die Rede in einem Brief des italienischen Botschafters in Berlin an das Kgl. Außenministerium vom 28. Januar 1939: „... angesichts der bevorstehenden Anwerbeoperationen erlaube ich mir, die Aufmerksamkeit Eurer Exzellenz auf die Notwendigkeit zu lenken, daß man dieses Jahr an die Werbemaßnahmen mit sehr viel strengeren Kriterien als letztes Jahr herangeht, um im Rahmen des Möglichen die beim ersten Experiment beklagten Unzuträglichkeiten nunmehr zu vermeiden. Es ist notwendig, echte landwirtschaftliche Arbeiter abzuschicken, die für ihre beruflichen Qualitäten und ihre moralische Integrität bekannt sind. Es ist ferner notwendig, daß die ärztliche Untersuchung entsprechend rigoros durchgeführt wird, um die Abreise von Ungeeigneten oder Kranken ebenso zu vermeiden wie den von Arbeiterinnen im Zustand fortgeschrittener Schwangerschaft. Eine Rekrutierung, die unter Beachtung dieser Kriterien erfolgt, ist die beste Garantie für den Erfolg der ganzen Initiative und beseitigt unendliche Schwierigkeiten jeglicher Art. Die Bauern müssen dann, und zwar bereits wenn sie den Vertrag unterzeichnen, spätestens aber vor ihrer Abreise nach Deutschland, genauestens über die wirklichen vertraglichen Arbeitsbedingungen, über die Gehälter, das Essen und vor allem über die Möglichkeiten des Sparens und über die genaue monatliche Quote der erlaubten Lohnüberweisungen informiert werden. Der Vertrag setzt zum Beispiel das Deputat fest, also die Menge des normalen Essens, die zu Lasten des Eigentümers geht. Es ist wichtig, daß die Bauern wissen, daß dieses Deputat nur eine Quote der lebensnotwendigen Kost darstellt, die zwingenderweise durch weitere Einkäufe ergänzt werden muß, die der Bauer auf eigene Kosten vornehmen muß. Wenn dies vorher nicht erklärt wird, wird sich jeder Bauer täglich von seinem Arbeitge-
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ber betrogen fühlen und daher nicht nur schlecht arbeiten, sondern auch zänkisch und widerspenstig werden." 1 4 4 Attolico streift nur die anderen negativen Aspekte, die in jenem Zeitraum von den Informanten der Geheimpolizei berichtet werden: 1938 trugen die von den italienischen Staatsgewerkschaften für die Bauern abgeschlossenen Verträge den in Deutschland anfallenden Lebenshaltungskosten nicht genügend Rechnung, so daß die deutschen Arbeitgeber in einigen Regionen mehr als das Vereinbarte gezahlt hatten. 1 4 5 In einigen Fällen waren die Bauern zu völlig anderen Arbeiten herangezogen worden, als es der Vertrag vorsah, 1 4 6 so daß zu jenem Zeitpunkt etliche derjenigen, die ein weiteres Mal nach Deutschland gingen, befürchteten, für den Bau von Festungswerken und für militärische Zwecke eingesetzt zu werden. 1 4 7 Manchmal verspäteten sich aber auch die Lohnüberweisungen um bis zu sechs Monate und auf jede Überweisung nach Italien wurde eine Gebühr von 15 Lire für den Weg vom Brenner bis nach Vicenza erhoben, so daß es vorkommen konnte, daß diese Summe mehrmals einbehalten wurde. 1 4 8 Attolico fährt fort: „Es ist ebenso notwendig, den Bauern klarzumachen, daß sie außer für ihre Ernährung auch für die Kleidung sorgen müssen. Sie müssen zum Schutz ihres eigenen Geldes und ihrer eigenen Gesundheit etwas für Kleidung ausgeben, vor allem für jene Kleidungsstücke, die durch die natürliche Umgebung und die Jahreszeit, in der die Arbeiter leben müssen, vorgegeben sind: für Spezialschuhe, für Mäntel, Wollsachen usw. Diese Vorbereitungsarbeit, die in Italien erfolgen muß, ist essentiell, und ich füge zuletzt hinzu, daß ich mir vornehme, den unterstellten Kgl. Konsulatsbehörden genaue Instruktionen zu erteilen, und zwar in dem Sinne, daß im Fall eines deutschen Arbeitgebers, der — wegen einer ungenügenden Auffassung von seinen Pflichten gegenüber den italienischen Arbeitern — zu irgendwelchen Beanstandungen Anlaß gibt, ohne Zögern und ohne Kompromisse dafür gesorgt wird, daß unsere Arbeiter zu einem anderen H o f transferiert oder ganz repatriiert werden. Jedenfalls werde ich es nicht tolerieren, daß Vergleiche mit Arbeitern aus anderen Ländern angestellt werden, und ich weise bei jeder Gelegenheit darauf hin, daß die Persönlichkeit des italienischen Arbeiters gewissenhaft respektiert werden muß. Analog dazu müssen alle Arbeiter, die auf die eine oder die andere Weise einen Beweis schlechten Verhaltens geben, unverzüglich (und wenn nötig, auf unsere Kosten) repatriiert werden und dies, um die anderen nicht aufzuhetzen und zu verderben. Auf der Basis der im vergangenen Jahr gemachten Erfahrungen ist es meine Absicht, unsere Organisation zur Unterstützung und zum Schutz unserer Landarbeiter einigen Modifikationen zu unterziehen, um sie etwas geschmeidiger und effizienter zu machen und um Überschneidungen und Doppelarbeit zu vermeiden. Meiner Meinung nach sind die Kgl. Konsulatsbüros im Prinzip allein verantwortlich für das, was in ihrem Jurisdiktionsbereich passiert. Die Sekretäre der Fasci [die faschistische Auslandsorganisation], die Beamten der Confederazione, die Priester usw. müssen direkt 144 ASMAE, D G I E , Band 64: Fernschreiben n. 0 0 7 6 9 der Kgl.-Italienischen Botschaft Berlin an das Kgl. Außenministerium Rom vom 28. 1. 1939, betr.: Italienische Landarbeiter in Deutschland. 145 ACS, Min. Int., D G P S , DPP, Band 223, Padua, den 29. 12. 1938. 146 Ebenda, Mailand, den 17. 3. 1939. 147 Ebenda, Vicenza, den 17. 3. 1939. 148 Ebenda, Vicenza, den 18. 1. 1939.
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dem Kgl. Konsul unterstellt sein und müssen nach den Instruktionen handeln, die sie von letzterem erhalten und die ihrerseits von mir an die Kgl. Konsuln - in Übereinstimmung mit den zuständigen deutschen Behörden - erteilt werden. Um die Kompetenzen der Fasci und die der Funktionäre der Confederazione voneinander abzugrenzen, bin ich der Ansicht, daß man im Prinzip den ersteren die Fürsorge übertragen muß und den letzteren die Lösung der Streitigkeiten am Arbeitsplatz, die Auslegung der Vertragsklauseln und die Zusammenarbeit mit den deutschen Arbeitsbehörden. Diese Aufteilung darf man nicht als eine absolute verstehen, sondern als eine Art Demarkationslinie, denn in der Praxis wird es mitunter von Nutzen sein, in kameradschaftlicher Form auf die Fasci zurückzugreifen, um kleine Streitigkeiten in Gegenden zu lösen, die weit vom Sitz eines Funktionärs der Confederazione entfernt sind; und andererseits soll auch der zuständige Funktionär der Confederazione bei der Fürsorge für die Arbeiter, die von den Fasci organisiert wird, mitwirken. Die Funktionäre der Confederazione sollen direkt dem Kgl. Konsul unterstellt werden, dem sie genauestens über ihre Aktivitäten Bericht erstatten sollen, und sie sollen für jene Aufgaben zur Verfügung bleiben, die der Kgl. Konsul ihnen übertragen zu wollen glaubt. Die Reisen jener Funktionäre außerhalb ihrer regionalen Kompetenzbereiche müssen von den Kgl. Konsuln genehmigt werden. Der Abgeordnete Angelini hat beschlossen, alle Funktionäre mit einem Auto auszustatten. Dies wird ihre Arbeitsmöglichkeiten und die Schutzmöglichkeiten für unsere Arbeiter sehr erweitern. Was die Priester angeht, die fiir die religiöse Betreuung zuständig sind, so müssen sie, wenn es sie gibt, die faschistische Uniform tragen und es zumindest in den Gegenden, in denen sich ein Funktionär der Confederazione aufhält, vermeiden, mit den Arbeitsbehörden zu verhandeln, um Arbeitsstreitigkeiten beizulegen. Alle unsere Organe, die sich mit dem Schutz und der Betreuung [von Arbeitern] beschäftigen, bei den konsularischen Vertretungen zu konzentrieren, wird eine größere Einheitlichkeit des Vorgehens mit sich bringen, ein effizienteres Einschreiten zugunsten unserer Landarbeiter und wird dazu beitragen, die beklagte Inflation von Inspektionen zu vermeiden. Die Arbeitsbehörden wissen dann genau, mit wem sie verhandeln müssen, und die konsularischen Behörden können in ihrem Zuständigkeitsbereich besser und wirksamer die Situation verfolgen." 149 Trotz der guten Absichten von Botschafter Attolico reißen die von ihm in seinem Brief getadelten Mißstände auch in den Jahren 1939 und 1940 nicht ab - und auch das Eingreifen der den Arbeitern vorgesetzten Organisationen zeigt nach wie vor schwere Lücken. Leonardo Rossi erinnert sich beispielsweise, daß er „im Jahre 39 genau dieses Problem der Witterung gehabt habe, vor allem im Herbst. Wir Italiener waren nicht vorbereitet, wir hatten keine Möglichkeit, für den Norden Deutschlands geeignete Kleidung zu erhalten. Wir sind von Italien abgereist ..." Auch Walter Cilloni, der 1914 in Cadebosco Sopra (in der Provinz Reggio Emilia) geboren wurde und als Landarbeiter in Niendorf bei Wolfenbüttel tätig war, bestätigt, daß „wir mit leichten Kleidern dorthin gegangen sind. Im April war dort noch halber Winter, immer Wind und Regen und Schnee. Wir waren nicht ausgerüstet wie sie. Sie hatten
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Wintermäntel, so daß es acht Tage regnen konnte (...) Aber wir hatten nur leichte Schuhe dort auf den Feldern und wir halfen uns mit Säcken auf den Beinen, auf dem Rücken, denn wir waren nicht eingekleidet. Sie hatten uns wohl wasserundurchlässige Jacken gegeben. In den anderen Jahren, nachdem wir wußten, was uns bevorstehen würde, haben wir uns die Oberkleidung bezahlen lassen. Aber in den beiden ersten Jahren war es wirklich ein Problem, das Klima auszuhalten. Denn da geht man arbeiten, ob es regnet oder nicht." 1 5 0 Wie sind die Landarbeiter verteilt? 1939 befindet sich fast die Hälfte (14.426) in Mitteldeutschland, aber sie sind auch verbreitet in Niedersachsen (4.378), in Bayern (3.104), im Südwesten (3.100), in Hessen (1.920), in Pommern (1.328), in Brandenburg (1.177), inWestpreußen (788), in Schlesien (372), in Sachsen (261) und in der Nordmark (197). 1 5 1
6. „Ich kehre ins Vierte Reich zurück" Die folgende Äußerung stammt von Don Angelo Cocconcelli, Pfarrer in der Pfarrei San Pellegrino in der Provinz Reggio Emilia. Sie bezieht sich auf seine Tätigkeit als Kaplan bei den Landarbeitern in Oberschlesien während der Jahre 1939/1940 und dann bei den Arbeitern in dem Linzer Sankt-Valentins-Lager im Winter 1940/1941. Anschaulich berichtet er von den Problemen, die der Strom von bäuerlichen Emigranten hervorgerufen hat und die das Jahr 1938 weit überdauerten: „Ich wurde 1912 in Cavriago, in der Provinz Reggio Emilia, geboren. Mein Vater war ein Arbeiter in der Molkerei von Cavriago, meine Mama hatte ein Stück Land und war Bäuerin. Meine Familie war katholisch, sie glaubten an die Arbeiterbewegung des Weißen Bundes. Obwohl ich ein Junge war, habe ich die Streiks und die sozialistische Agitation gesehen und ich fühlte, daß die Leute dieses Klimas müde waren. Der Eindruck, den wir zu Hause hatten, war, daß die faschistische Reaktion leider von alldem verursacht war, von dieser fehlenden Autorität des Staates, von dem Chaos in den Fabriken, mit den unaufhörlichen Streiks und Agitationen, an die unser Volk nicht gewöhnt war. Ich erinnere mich noch gut an die gewaltsame Durchsetzung des Faschismus in meinem Dorf 1921/22. Deswegen bin ich immer stark antifaschistisch geblieben. Geistlicher wurde ich im Jahr 1936, und sie haben mich zum Kaplan in der Pfarrei, in der ich geboren wurde, gemacht, in San Terenziano di Cavriago. Eines Tages rief mich der Bischof und sagte zu mir: ,Die Kongregation des Heiligen Stuhls fur Emigration braucht einen Priester aus Reggio Emilia. Die Emigranten aus Reggio haben dies gewünscht und ich habe gedacht, daß du gut gehen könntest, denn du bist daran gewöhnt, inmitten armer Leute zu sein.' Und so bin ich abgereist, ohne ein einziges Wort Deutsch zu können. Im Jahr 1938 arbeiteten die Arbeiter, die nach Deutschland gegangen waren, vielleicht 100.000, 1 5 2 fast alle in der Industrie, um die berühmte Autostadt, Wolfsburg bei Fallers150 Mündliche Äußerung von Walter Cilloni, 1985 in Cadebosco Sopra. Recherchen und Tonbandaufzeichnung von Silvia Pastorini. 151 Vgl. Ufficio di Propaganda della Confederazione Fascista Lavoratori dell'Agricoltura (Hrsg.), Rurali di Mussolini nella Germania di Hitler. 152 Wir wissen jedoch, daß es 31.071 in der Landwirtschaft und 6.024 Arbeiter waren, die 1938 zwischen Fallersleben und Salzgitter lebten. Zwischen Herbst 1938 und Ende 1939 reisten 9.500 Arbeiter ab, da-
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leben, zu bauen. Dort wurde eine Stadt, angefangen bei den Fundamenten, aus dem Erdboden gestampft, eine dieser wunderbaren Sachen, die nur die Deutschen machen können. Es kam ein Meter pro Tag dazu. Und dort sollte ich auch hingehen, aber wegen eines Zwischenfalls in Rom — wir waren an das Militärbischofsamt angeschlossen und Sie können sich vorstellen, wie das funktionierte - kam in letzter Minute ein Telegramm bei mir an, daß ich statt dessen nach Breslau gehen sollte. Als Kapläne waren wir halb militarisiert, so daß ich schließlich bei den Leuten aus Venetien landete, in einer Region, in der es keine Industriearbeiter gab, sondern in der alle in der Landwirtschaft tätig waren: dem damals deutschen, nunmehr polnischen Schlesien. In der Zwischenzeit waren bereits andere Kapläne aus Venetien nach Fallersleben (wo hingegen nur Leute aus der Emilia, der Romagna, der Toskana und der Lombardei waren) geschickt worden, die dort aber echte Schwierigkeiten hatten, weil die Gestapo bemerkte, daß unter den Arbeitern auch Kommunisten waren. Und jene Kapläne haben mir wirklich bestätigt, daß unter diesen Arbeiter die antinazistische und antifaschistische Propaganda kursierte. 153 Wie konnte eine solche Sache passieren? Nun, die Arbeiter, die ins Ausland abwandern, gehören nie zu den besten. Die besten bleiben zu Hause, weil sie immer eine Möglichkeit finden, sich durchzulavieren. Wer weggeht, macht dies häufig, weil es ihm nicht gelungen ist, sich einstellen zu lassen — die Gründe dafür können verschieden sein, auch politischer Natur. Ich bin also nur durch Fallersleben durchgefahren, ich bin dort zwei Tage gewesen und dann bin ich von dort aus nach Hannover gegangen, wo eine große Gruppe von Italienern aus der Gegend von Reggio Emilia war, die in der Landwirtschaft arbeitete. Da erreichte mich dann per Telegramm der Befehl, nach Schlesien zu gehen, das nicht abgedeckt war. Ich nahm also den Zug nach Breslau, und dort befand ich mich nur unter landwirtschaftlichen Arbeitern, alle aus den Provinzen Venetiens: Treviso, Vicenza und Venedig, vor allem aber landwirtschaftliche Tagelöhner und ein paar Kleinbauern. Die waren auf ihrem Stück Land daheim zu zweit oder dritt, also ging einer von ihnen für eine Saison nach Deutschland, verdiente etwas und kehrte wieder nach Hause zurück. Es war das erste Mal, daß Italiener in Schlesien ankamen, Italiener in der Gegend: nie gesehen. von 3.000 nach Fallersleben, die anderen nach Salzgitter. Vgl. diesbezüglich Brunello Mantelli, I lavoratori italiani in Germania 1938-1943: uno specchio delle relazionifra lepotenze dell'Asse, masch. Referat auf dem Kongreß von Brescia: Italien im zweiten Weltkrieg, 27. bis 30. 9. 1989, S. 2. - Im übrigen ist bekannt, daß mündliche Äußerungen von Zeitzeugen sehr häufig Irrtümer aufweisen, was genaue Zahlen und Größenordnungen angeht. 153 Das Vorhandensein von antifaschistischer Propaganda in den Arbeiterlagern, in denen sich auch Italiener befanden, wird nicht nur von verschiedenen Zeitzeugen bestätigt, sondern auch durch Polizeiberichte. Siehe beispielsweise den Bericht eines Vertrauensmannes, datiere Wien, den 22. 1. 1942, in dem die schlechte Situation in den Lagern rund um Wien geschildert wird und in dem es heißt, daß „man sagt, daß infolge dieses Zustandes sich auch in dem einen oder anderen Lager Fälle von subversiver Propaganda ereignet haben, genauer gesagt von antifaschistischer Propaganda, die durch Einzelpersonen erfolgt ist, welche von dem Gemütszustand der Arbeiter in den Lagern profitiert haben, in welchen sie einen günstigen Boden für ihre Propaganda vorgefunden haben". (Die Berichte finden sich ebenfalls in ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223.) Diese Propaganda scheint jedoch nie Ausdruck von politisch organisierten Kräften gewesen zu sein.
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Meine Arbeit dort wurde sehr erleichtert durch die Tatsache, daß die Beziehungen zwischen dem italienischen Konsulat in Breslau und den deutschen Behörden ausgezeichnet waren. Schlesien war die am wenigsten nationalsozialistische Region Deutschlands, auch weil sie halb polnisch war. Und daher war sie auch diejenige Region, in der der Katholizismus am wenigsten hart bekämpft wurde, auch weil die schlesischen Katholiken sehr stark waren, und dann erwies es sich als günstig, daß die Italiener gut arbeiteten und daß es keinen Grund gab, die Sache zu verschärfen. Obwohl es eine furchtbare Mühe war - denn weil meine Pfarrei so groß war wie eine ganze Region, war ich immer auf Reisen —, so war es doch ein Amt, das ich niemals vergessen werde wegen des Verhältnisses, der Zuneigung, die diese tief religiösen Menschen aus dem Veneto mir entgegenbrachten. Aber alle wollten meinen Besuch, auch weil ich mich zusätzlich den Hygiene- und Arbeitsproblemen widmen mußte. Die Landwirtschaftsinspektoren, die dorthin geschickt wurden, machten so gut wie gar nichts. Und so mußten häufig die Kapläne einspringen. Es war daher absolut notwendig, daß ich mich auch um Fragen der Arbeitsorganisation kümmerte. Die faschistische Landarbeiterkonföderation hatten einen Inspektor dorthin geschickt, einen einzigen für ganz Schlesien, doch der konnte noch weniger Deutsch als ich, und anstatt die riesige Region zu bereisen, anstatt die Dörfer abzuklappern, sich diesen Leuten zu nähern und ihre kleinen Probleme anzuhören, beschränkte er sich darauf, im italienischen Konsulat zu bleiben und seine Rundschreiben rauszuschicken. Kaum mehr. Und wenn er rausging, ging er mit mir raus, denn er sagte: ,Ihnen gelingt es, sonntags alle um sich zu versammeln. Wie soll ich es machen, 800 Betriebe mit 12.000 Arbeitern zu besuchen?' Er wollte sagen, durch 800 Dörfchen zu reisen, wo die Arbeiter in 800 durchaus hübschen, anheimelnden Barackenlagern oder in Bauernhäusern schliefen. Aber wie sollte ich es anstellen, alle in den wenigen Monaten, die ich dort verbrachte, zu besuchen? In Absprache mit einer deutschen Organisation, dem Caritasverband, gelang es mir, an alle bäuerlichen Arbeitgeber, die um eine Stadt herum angesiedelt waren, eine Ankündigung zu schicken, in der es hieß, daß ich an dem und dem Sonntagmorgen da wäre, um die Arbeiter zu erwarten, und daß die Arbeiter zur Messe kommen würden, wenn sie mir den Gefallen täten, diese mit einem Fahrer vorbeizubringen, der die Arbeiter oben auf einem Anhänger mitnahm (denn die Betriebe waren mehr als rückständig). Und dann schickte ich eine weitere Ankündigung an den Gruppenführer, also an den Anführer einer Arbeitergruppe, und unfehlbarerweise kamen sie fast alle. Dort in Schlesien, wo sie alle so religiös waren, war es ein gefundenes Fressen zu wissen, daß der Kaplan an dem und dem Tag da war (...) und wenn sie dann da waren, so ließ ich mir von deutschen Priestern, die des Italienischen mächtig waren, helfen, die Beichte abzunehmen, sie sangen während der Messe, und die Deutschen waren mehr als erstaunt, weil sie dachten, die Italiener könnten keine Kirchenlieder singen. Und wenn die Deutschen dann die Menschen sahen, wie sie ordentlich auf ihren Plätzen standen und wie sie, obwohl sie doch aus verschiedenen Dörfern kamen, schön den Gottesdienst verrichteten, dann waren sie voller Bewunderung. Ja, sie spendierten uns danach sogar das Essen. Es war Krieg, die Lebensmittel 154 waren rationiert, und dennoch gelang es ihnen, uns ein gutes Essen zu verabreichen.
154 Der Priester benutzt hier das deutsche Wort.
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Als das Essen beendet war, gingen unsere Arbeiter nicht mehr weg, weil sie anfingen, ihren Lohnzettel herauszuziehen, wo alles aufgeschrieben war — soundsoviele Stunden, soundsoviel Stunden an Feiertagen, soundsoviel Gebühren für die Sparkasse155 usw.: .Lesen Sie mir das hier vor, ich verstehe überhaupt nicht, was drinsteht.' Der deutsche Inspektor, der sie bezahlte, war nicht in der Lage, ihnen das in Italienisch zu erklären, deshalb mußte ich gezwungenermaßen den Gewerkschaftssekretär spielen. Denn der Arbeiter fuhr fort: ,Ich habe an jenem Sonntag gearbeitet, und sie haben mir nichts bezahlt.' Es war eine Sache, die die Konsulatsbeamten hätten machen müssen, aber die Landwirtschaftsinspektoren waren nicht da, und so ging ich häufig zum deutschen Arbeitsamt. Da sich das deutsche Arbeitsamt um diese Sachen kümmerte, bat der Arbeiter mich: ,Wenn die Italiener etwas zu sagen haben, schicken sie, da sie kein Deutsch können, irgendeinen.' Und so bot ich mich an, den Dolmetscher zu machen. Aber es war sehr schwierig, die Deutschen zu ertappen, sehen Sie. Ja, irgendwelche Arbeitgeber (...) aber im allgemeinen waren sie sehr ehrlich. Aber wissen Sie, einmal entdeckte eine Frau, als sie gerade in Deutschland ankam, daß sie schwanger war, und forderte entweder die volle Betreuung oder nach Hause zurückkehren zu können. Der Patron antwortete: ,Ihr habt gesagt, daß sie als Köchin kommen oder auf dem Feld arbeiten wird. Statt dessen arbeitet sie nun nicht mehr, weil sie schwanger ist.' Außerdem gab es viele, die keine richtigen Bauern waren. Die Emigration in jenen Jahren war nicht leicht, bei den Sanktionen, die es gegenüber Frankreich gab und Amerika war zu. Also gingen die Leute dorthin arbeiten, wo sie konnten. Jedenfalls gab es in jenen Zeiten in der Landwirtschaft keine großen Probleme, die Bedingungen waren gut, denn unsere Arbeiter wurden ebenso behandelt wie die deutschen. Die Gewerkschaft war dort viel weiter als in Italien, ihre Sozialversicherung war völlig regulär, sie hatten Regelungen, die die Akkordarbeit begünstigten und Regelungen für die Lebensmittelzuteilung, denn den Arbeitern wurde nicht mehr und nicht weniger gegeben, als wenn sie Soldaten gewesen wären. Für unsere Arbeiter bestand das größte Problem darin, das Klima auszuhalten, denn die Deutschen arbeiteten auch bei Regen auf den Feldern, was es in Italien nie gegeben hat. Aber in Schlesien regnet es im Juli und August den ganzen Tag und unter diesem kalten, anhaltenden Nieselregen arbeiten zu müssen, war für sie eine Anstrengung. Sie hatten ihnen wohl große, mit Wachs imprägnierte Mäntel gegeben und auch einen gewachsten Arbeitsanzug, um beim Regen arbeiten zu können, aber es gab natürlich Leute, die nicht daran gewöhnt waren, und viele zogen sich Rheuma zu und lagen am Tag danach mit Fieber im Bett und mußten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Damals gab es noch die Vorstellung, daß der Rheumatismus durch Bakterien entstünde, die sich in kariösen Zähnen befänden. Und das Erste, was die Ärzte machten, war, daß sie in den Mund schauten. Keiner dieser Arbeiter hatte gute Zähne. Also behandelten sie die kariösen Zähne und da hagelte es Proteste: ,Mir tut der Rücken weh und sie behandeln meine Zähne!' Sie konnten die Sprache ja nicht, daher waren sie entsetzt. Vielleicht hatten sie hohes Fieber, einen akuten Rheumaanfall (...) und die Deutschen behandelten die Zähne. Ich mußte von einem Hospital zum anderen laufen, um den Dolmetscher zu machen und ihnen zu erklären, daß die Zähne behandelt worden seien, weil ein kariöser Zahn die Ursache ihrer Krankheit sein könnte. 155 Der Priester benutzt hier das deutsche Wort.
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Jedenfalls war die Betreuung die gleiche, wie sie die deutschen Arbeiter genossen und andere Probleme gab es nicht. Und dennoch mußte man sich um eine Reihe von Dingen kümmern - auch wenn die italienische Gewerkschaftsstruktur trotz allem halbwegs funktionierte. Sonntags war ich also dort, und am Nachmittag ging ich dann diejenigen Gruppen besuchen, die nicht gekommen waren, weil ich den Grund wissen wollte, weshalb sie nicht gekommen waren, und im allgemeinen war es derjenige, daß sie sonntags arbeiteten, um mehr zu verdienen. Sie sagten: ,Wir sind gute Christen, aber, wissen Sie, wir sind hier im Ausland, um ein bißchen Geld zu verdienen. Sie verstehen, es ist, weil wir hier die Möglichkeit haben (...)' Hitler entzog der Landwirtschaft fortlaufend Männer. Die Männer waren alle Soldaten, oder sie waren in der Kriegswirtschaft. Und deshalb wurden die italienischen Arbeiter wirklich gebraucht, auch am Sonntag. Danach machte ich dann die Runde in den Hospitälern, wo ich dann diese Leute traf, viele davon sehr niedergeschlagen, die nach Hause zurückkehren wollten, weil es ihnen nicht gut ging oder weil sie kein Vertrauen zu den deutschen Ärzten hatten. Aber ich wiederhole, daß sie nicht schlecht behandelt wurden. Am Ende der Saison haben die Deutschen dann gesagt: ,Die italienischen Arbeiter - und wir sagen das nicht, weil wir Verbündete sind, sondern weil wir sie mit 11 anderen Nationen verglichen haben — sind die besten von allen. Sie haben drei Qualitäten, die die anderen nicht besitzen: sie sind intelligent156, sie sind diligent157 und sie sind Groß-Sparer,158 das heißt, sie sind schrecklich sparsam. Während die anderen Arbeiter samstags abends, wenn sie den Lohn bekommen, dahin und dorthin gehen, um ihn auszugeben, so geben die Italiener hier nichts aus, sondern versuchen auch noch feiertags zu arbeiten, weil sie dann den doppelten Lohn bekommen, sie versuchen, Überstunden zu machen, weil sie von dieser zusätzlichen Verdienstmöglichkeit profitieren wollen, solange sie hier sind, um etwas nach Hause schicken zu können. Und sie beklagen sich, weil sie des Devisengesetzes wegen nicht mehr als 40 Mark pro Monat wegschicken können.' Weil die Bezahlung, wie ich ja gesagt habe, gut war, kamen unsere Arbeiter zu mir und sagten: ,Wir haben Mark übrig und können sie nicht wegschicken. Können Sie das mir nicht wechseln? Denn dann in Italien, so haben sie uns gesagt, bekommen wir nicht das gewechselt.' .Kauft Sachen. Fotoapparate, zum Beispiel. In Italien könnt Ihr die sofort verkaufen.' Dies war im übrigen auch das Problem unserer Saisonarbeiter, und nicht bloß das der Aushilfsarbeiter. Ich habe mein Apostelamt außerdem inmitten der Eisverkäufer ausgeübt. Da unten gab es kein Dorf und keine Stadt, in der nicht mindestens ein Eisverkäufer gewesen wäre, und sie kamen alle aus dem Cadore: aus Cibiana, Benas, Alleghe, Pieve di Cadore (...), so daß ich sie später, während des Winters, besuchen ging, und auch sie hatten dieselben Probleme wie die Arbeiter. Sie hatten einen Haufen Reichsmark, weil sie sehr viel verdienten und nicht wußten, wie sie das Geld nach Italien bringen sollten. Sie wußten allerdings besser damit umzugehen, denn sie konnten die Sprache gut, und sie fanden schon irgendwie heraus, wie man das machen konnte. Es waren alles Leute, die später heimkehrten und sich im Cadore ein Haus kauften.
156 Der Priester benutzt hier das deutsche Wort. 157 Der Priester benutzt hier ein von ihm als deutsch eingeschätztes Wort. 158 Der Priester benutzt hier das deutsche Wort.
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Als die Landarbeiter schließlich weggegangen waren, da kam der Vertreter des Arbeitsamts Breslau dort zum Konsulat, um die Wiederkehr der Arbeiter im Jahr darauf zu besprechen, und sagte: ,Wir werden im kommenden Jahr die doppelte oder dreifache Anzahl dieser Arbeiter anfordern. Wir wollten ihnen nicht die landwirtschaftlichen Geräte in die Hand geben, weil wir dachten, daß in Italien noch mit dem Holzpflug gepflügt wird, doch statt dessen wollten dje Jüngeren, sobald sie sie sahen, sofort auf die Traktoren klettern.' Die Deutschen sagten über diese Landarbeiter, die — wie ich bereits gesagt habe — fast alle aus den Provinzen Treviso, Vicenza und Venedig stammten, folgendes: ,Aber ihr habt uns hierher gewiß keinen Ausschuß geschickt. Ihr habt Leute geschickt, die zu arbeiten wissen, die fleißig sind.' Sicher, bei den Italienern gab es untereinander Schwierigkeiten. Wenn man die aus Treviso mit denen aus Rovigo zusammentat, wissen Sie, da sagten sie dann: ,Von Rovigo will ich nichts wissen!' Aber insgesamt gesehen haben sie eine großartige Leistung vollbracht. Selbst die deutschen Landarbeiter sagten, daß die Italiener .fleißig' seien, sehr aufgeweckt, während sie selber hingegen in geordneterer Form arbeiten. Und ab und zu sagten sie: .Langsam, langsam!' 159 Ihr habt ja wirklich ,ein faschistisches Tempo'. 1 6 0 Das heißt, sie wollten keine allzu intensiven Arbeitsabläufe. Die Italiener arbeiteten im übrigen am liebsten im Akkord, sie fragten immer nach Akkordarbeit, denn in der Landwirtschaft war das für sie sehr günstig. Wenn sie zum Beispiel Kartoffeln ernteten, so ließen sie für jeden Korb Kartoffeln, den sie auf den Anhänger warfen, eine Kartoffel in ihrer Tasche verschwinden. Wenn es dann darum ging, die Rüben auszumachen, so nahmen sie auf soundsoviel Reihen eine weg, und los damit, wer als erster fertig war. Das, was sie zusätzlich ausgemacht hatten, wurde dann als Akkord bezahlt. Und die Arbeit dort, los, ran an die Arbeit! Wenn sie Kartoffeln ernteten und wenn auch die Frauen dabei waren, weil dies die umfangreichste Ernte war, dann sagten sie: ,Ab und zu werfen uns die deutschen Arbeiterinnen eine Kartoffel hinterher und rufen: >Langsam, langsame' Diese Landarbeiter — zumeist Tagelöhner, die migriert waren, weil sie am Hungertuch nagten — wurden vom italienischen Staat gut betreut. Sie reisten in Trupps ab. Sie wurden von den deutschen Arbeitsämtern angefordert, die zum Beispiel sagten: ,Wir brauchen 2 0 für die Herrschaften Rittofen [sie!].' Denn alle gingen zum Arbeiten auf die großen Besitztümer dieser berühmten Junker. Also 80 auf diese Seite, 3 0 auf die andere, bis zu 10 Personen, aber nie weniger als 10. Und sie mußten als vollkommen autonomer Trupp abreisen, also mit der Frau, die die Küche besorgte, und mit einem Dolmetscher. Die Dolmetscher waren Leute, die sie hier und dort aufgesammelt hatten, die ein bißchen in Deutschland gewesen waren, die jene paar Worte konnten, mit denen sie versuchten, möglichst wenig zu tun, kurz Dolmetscher 1 6 1 , die nichts taugten. Und dann, wie der Krieg kam, dann bekamen sie die Lebensmittel aus Italien. D a war die Firma Gallinari aus Reggio Emilia, die den Chiantiwein dorthin schickte. Aber sie mußten soviel wie möglich sparen, und daher verkauften sie den Wein. Sie verkauften ihn selbst an mich. Denn alle Eisverkäufer Breslaus und auch die Konsulatsangestellten
159 Der Priester benutzt hier das deutsche Wort. 160 Der Priester benutzt hier das deutsche Wort. 161 Der Priester benutzt hier das deutsche Wort.
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sagten: Ja, ist es denn wahr, daß die Italiener so gute Dinge haben?' - ,Ja, sie haben Parmesankäse, Nudeln und Wein.' - .Können Sie uns nichts davon besorgen?' - ,Nein, denn die allein können die Sachen bestellen. Es sind Dinge, die ausschließlich für deren Gebrauch bestimmt sind und die zu extrem günstigen Konditionen geliefert werden. Ich bezahle sie mit italienischem Geld, damit sind sie am zufriedensten.' Wir haben aber nie Schwarzmarktgeschäfte gemacht. In ihren Geschäften mit dem Konsulat haben sie sich mit dem üblichen Preis begnügt, den sie genauestens kannten. Aber sie verkauften auch zu Schwarzmarktpreisen, oh ja. Ich habe mich dazu nicht hergegeben, das kann ich vor Gott mit gutem Gewissen sagen. Aber daß sie mit gewissen Eisverkäufern, mit jenen da in der Nähe von Breslau, Schwarzmarktgeschäfte gemacht haben, das will ich nicht ausschließen. Als ich im Frühjahr 1939 dort ankam und mit den Priestern, mit den Italienern, die dort waren und auch mit den Deutschen sprach (mit dem bißchen Deutsch, das ich damals konnte), da habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Arbeiter die Nazis als exaltiert einschätzten, als eine Partei gefährlicher Leute. Bis zum Ausbruch des Kriegs mit Polen wurde der Nationalsozialismus lediglich von den Volksmassen akzeptiert, aber nach der Eroberung Polens innerhalb von 20 Tagen und vor allem im Jahr darauf nach dem Frankreichfeldzug, da verloren die Deutschen alle den Kopf. Sie sagten: ,Wir haben niemals einen solchen Führer gehabt. Wir haben den gefunden, der Deutschland rettet, endlich zählen wir wieder etwas.' Und sie wählten fast alle die Nazis. Als der Krieg mit Polen ausbrach, da sah Breslau, das 40 Kilometer von der Grenze weg war, wie bei einem Leichenbegängnis aus an jenem Tag. Es gingen alle diese Leute vorbei, die einberufen worden waren. In einer Nacht haben sie ganz Schlesien mobilisiert. Unglaublich, wie effizient die deutsche Organisation war! In der Nacht zwischen dem 31. August und dem 1. September 1939 war ich in Hisberg, und ich hatte ausgemacht, daß ich am nächsten Morgen in einer Kapelle eines Dorfes eine Messe für all jene Arbeiter, die dort herum waren, halten würde. Es waren 7 oder 8 Trupps, die am Sonntag vorher nicht hatten zur Messe kommen können. Und daher ging ich am Abend vorher auf alle Höfe und sagte: .Morgen, wenn ihr kommen wollt (...)' - Ja, ja, wir können kommen (...)' - .Wie macht ihr das?' - .Einige junge Leute, die bereits den Traktor steuern können, kommen damit und bringen die anderen auf dem Anhänger mit.' — ,Ist gut.' Während des Sommers wird es dort sehr viel früher hell als hier und so sagte ich: ,Ich bin am Morgen ab vier Uhr da und bereit, die Beichte abzunehmen. Um fünf oder halb sechs lese ich die Messe und um halb sieben, sieben bin ich bereits zu Hause.' Am Morgen bin ich also da, es vergeht eine Stunde, es vergehen zwei Stunden und man sieht keinen Menschen. Also gehe ich zu dem am nächsten gelegenen Bauernhof, sehe eine Frau, die mir entgegenkommt und ich frage sie: .Was ist passiert?' — .Wissen Sie denn nichts davon?! Der Krieg ist ausgebrochen, und heute Nacht war die Generalmobilmachung. Um halb drei kam einer hierher mit einer langen Liste: Ihr Mann muß den Wagen nehmen und sich schnellstmöglich bei seiner Einheit melden. Arbeiter soundso, der einen Anhänger hat, und sein Kollege soundso mit dem Lastwagen müssen dort hingehen. Wir haben fast alle deutschen Arbeiter verloren, die wenigen, die wir noch auf dem Hof hatten. Und heute morgen sind wir ohne Fahrzeuge. In einer Nacht haben wir mobilgemacht.' Um es noch mal zu wiederholen: lange Zeit waren die Deutschen Hitler gegenüber unsicher, aber dann haben sie entdeckt, daß sie eine militärische Stärke hatten, die unschlag-
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bar schien; die Erfahrung des Blitzkriegs 162 und diese ganze perfekte Organisation, die ihnen so gut gefiel, das hatte sie aus dem Häuschen gebracht. Ich erinnere mich an eine Sache, die eine Vorstellung davon geben mag, welches Klima damals geherrscht hat. In einem D o r f hatte ein Ehepaar Zwillinge bekommen, und diese beiden einfachen Bauern waren glücklich. Und sie haben mir gesagt: ,Wir möchten, daß Sie sie gleich hier taufen, Herr Kaplan.' - ,Wie wollt ihr sie nennen?' — ,Den einen Adolf und den anderen Benito.' - D a r a u f habe ich geantwortet: ,Hört mal zu: wir geben ihnen noch einen zweiten Namen.' — .Warum?' — ,Ach, es könnte ja sein, daß ihnen eines Tages ein zweiter Name nützlich ist.' Sie nahmen das so krumm, daß sie mich sogar denunzierten. Ich ging dort weg Ende 1939; ich mußte bis Dezember bleiben, weil sie nämlich Arbeiter verlangt hatten, die längst hätten zu Hause sein müssen, um die Ernte zu beenden, denn die Deutschen tun, um keine Zeit zu verlieren, das Getreide, den Hafer und all diese Sachen, die sie im August mähen, in große Scheunen, und wenn dann die Arbeiten beendet sind, die Samen geerntet, dann dreschen sie im November und Dezember drinnen in den Scheunen. So mußte ich bis Weihnachten bleiben, um mit den Letzten heimzukehren. Anfang November sollten die Inspektoren der Confederazione zusammen mit denen vom Arbeitsamt 1 6 3 Sonderzüge mit jeweils etwa 8 0 0 bis 9 0 0 Arbeitern nach Italien begleiten. Aber das war eine elende Mühe, denn man mußte durch das Protektorat Böhmen und Mähren, um nach Wien zu kommen, von Wien nach Tarvis und von da nach Mestre. Und etliche Male sagten die dann zu mir: .Gehen Sie, Herr Kaplan, gehen Sie an meiner Stelle, denn ich schaffe das nicht.' Und so machte ich nichts anderes, als die Konvois per Zug hin und zurück zu begleiten. Ich habe es gern gemacht, denn während der Fahrt da traf ich sie alle: ,Und, wie ist es euch ergangen? Seid ihr zufrieden? Habt ihr was verdient (...)?' — .Wir ham nix verdient!' Aber alle hatten etwas nach Hause geschickt und waren zufrieden. Denn sie sind fast alle im Jahr darauf wieder zurückgekehrt. Und wenn sie nicht mehr Geld nach Hause hatten schicken können, als erlaubt war, so hatten sie eben Fotoapparate gekauft. Und so bin ich erst im Dezember 1 9 3 9 nach Hause gekommen und mein Bischof, M o n signor Bretoni, hat daraufhin gesagt: ,Schluß jetzt! Die Kongregation in R o m wird mich nicht mehr damit ärgern, junge Priester von hier wegzubringen, die wir hier selber brauchen.' Und tatsächlich hat er mir während des Winters einen Haufen Aufgaben hier in Reggio Emilia gegeben, ich habe Unterricht gehalten und all das, was sie mir zu tun auftrugen. Als dann der Frühling kam, im April des Jahres 1940, da sagte der Bischof: ,Ich habe hier die Telegramme aus Rom, die darauf bestehen, daß du wieder abreist.' Und so habe ich die ganze Saison 1 9 4 0 mitgemacht, wiederum in Schlesien. Bis 1 9 3 9 kamen die Arbeiter, die dorthin gingen, ausschließlich aus Oberitalien. Und wie ich bereits gesagt habe, haben sie dort eine phantastische Arbeit geleistet. 1 9 4 0 ging die Sache weniger gut, denn aus Italien haben sie sehr viel mehr Arbeiter herangeschafft, und dann war ja bereits der Krieg, und ab einem gewissen Punkt wollte Starace dann auch Arbeiter aus Unteritalien schicken, und so kamen ein oder zwei Züge mit Arbeitern aus Lecce an, die unfähig waren zu arbeiten. Während unsere aus Oberitalien häufig in
162 Der Priester benutzt hier das deutsche Wort. 163 Der Priester benutzt hier das deutsche Wort.
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den Fabriken gearbeitet hatten, waren diese nicht in der Lage, die Maschinen zu bedienen. Und dann voller Dünkel: ,Wir sind aber Faschisten, wir haben aber Starace, der uns hierhin zu den deutschen Verbündeten geschickt hat' und noch dieses und jenes andere. Und dann begannen die Scherereien und die Unannehmlichkeiten. Das Konsulat hielt es nicht mehr aus und verfluchte Starace, der sie ihnen geschickt hatte. Diese Lecceser waren weder mit der Arbeit, noch mit der Unterkunft zufrieden ( . . . ) und protestierten. Und vorher waren da Veneter gewesen, die sich ausgesprochen wohl gefühlt hatten ( . . . ) abgesehen davon, brachten die aus Lecce längst nicht soviel Leistung wie die aus dem Veneto, mit denen es Auseinandersetzungen dieser Art nie gegeben hatte. Die Lecceser wollten zum Beispiel, daß der 24. Mai wie in Italien ein Feiertag sein sollte, und sie brachten die Ansicht vor, daß für den, der an diesem Tag arbeitete, der Feiertagstarif gezahlt werden müsse. Sie wollten also, daß auch die Deutschen den 24. Mai als Feiertag anerkannten! Sie waren naiv, die Armen: ,Wissen Sie, bei uns in Italien, wenn einer am 24. Mai arbeitet (...)' Aber, um ehrlich zu sein, kam das auch bei denen aus dem Norden vor, nicht wahr. Den 24. Mai und den 4. November betrachteten sie als Feiertag. Aber am 4. November waren viele bereits wieder zu Hause. Aber am 24. Mai mußte man ihnen erklären, wie die Sache stand. Jedenfalls trugen sie am Ende der Saison ein hübsches Sümmchen nach Hause. Für jene armseligen Zeiten war das bereits etwas. Wenn der Krieg nicht ausgebrochen wäre, wenn nicht die Lebensmittelrationierung, die Karten und all das gekommen wären, so hätten sich diese Arbeiter auch später noch wohl gefühlt. Als Italien dann in den Krieg eintrat, wurden die Jüngeren wegen der Wehrpflicht natürlich zu Hause behalten. Als ich Ende 1940 nach Italien zurückgekehrt bin, haben sie in Rom zu mir gesagt: ,Wir haben eine schwierige Aufgabe in Österreich zu erledigen, wo die Nazigegnerschaft sehr stark ist und wo Industriearbeiter sind, die auch den Deutschen eine Menge Schwierigkeiten verursachen. Gehen Sie nach Salzburg. W i r haben dies bereits mit dem dortigen Bischof vereinbart.' Und so habe ich den ganzen Winter 1940/41 in Salzburg und in Linz verbracht. Salzburg war wirklich ein gefährlicher Ort, weil dort ein Konsulatsbeamter war, ein gewisser Berardo, der zwar Mitglied der OVRA war, aber während seiner Zeit dort zu einem heftigen Gegner des Nationalsozialismus geworden war. Die Deutschen wußten dies, wußten aber nicht, wie sie ihn loswerden konnten. Als ich in seinem Hause war, rief er mich in ein Zimmer und, hopp, da erzählte er mir das! In Linz gab es die Fabrik Sankt Valentin, wo die deutschen Kampfflugzeuge gebaut wurden, die berühmten Messerschmitt. Dort war ein Lager mit mehr als 3.000 italienischen Arbeitern. Viele stammten aus der Emilia, und mitten unter ihnen kursierte die kommunistische Propaganda. Es gab ein paar, die in diesem Sinne agierten. Ich ging dorthin ins Lager, sie duldeten mich, weil ich in Uniform war, es gab die ,Achse', ich las die Messe, ich hielt die Beichte ab und machte nicht viel mehr, ja. Es war nicht möglich, darüber hinaus etwas zu machen. Aber bei den italienischen Arbeitern gab es ein paar Tschechoslowaken und vor allem 4.000 bis 5.000 polnische Arbeiter, Kriegsgefangene, die schlechter behandelt wurden als Tiere. Halbverhungert, dort zum Sterben verdammt, mußten sie bis zur Erschöpfung all ihrer Kräfte arbeiten, um schließlich vernichtet zu werden. Mir tat es in der Seele weh, deren miserablen Zustand zu sehen. Eines Tages nahm ich meinen Mut zusammen und trat mitten unter diese polnischen Arbeiter, um mit ihnen zu reden. Ich sagte, daß ich die Erlaubnis besaß, ihnen - wenn sie es wollten — die Absolution zu erteilen und die Kommunion zu geben. Ich habe es auch getan, unter großem Risiko habe ich es gemacht.
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Als sie gesehen hatten, wie ich mich verhielt, da gab mir die SS zwei Italiener, die von der Gestapo waren, zur Seite, denen ich — jung und noch naiv — auf die Frage ,Was sagen Sie zum Krieg', folgende Erklärung gab: ,Hören Sie, meiner Meinung nach haben wir eher ein Interesse daran, den Krieg zu verlieren, als ihn an deutscher Seite zu gewinnen.' Es war der Zeitpunkt, als wir Albanien verloren und die Deutschen sich über uns lustig machten, weil wir uns zurückziehen mußten. Drei Monate später sind sie dann losmarschiert und in fünfzehn Tagen hatten sie alles niedergemacht: Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien, Griechenland (...) man kann sich also die Beleidigungen vorstellen, die wir damals von den Deutschen zu hören bekamen. Der Grund, weswegen ich so offen mit diesen beiden sprach, war, daß dort im Lager die Arbeiter, auch wenn sie permanent kontrolliert wurden, keine Faschisten waren, und jene waren zwei Arbeiter, die mir als Meßdiener zugeteilt waren, und ich dachte, sie wären wie die anderen. Wissen Sie, wir hatten die Polen nah bei uns, die ein beredtes Zeugnis davon ablegten, was der Nationalsozialismus war. Doch statt dessen, mein Lieber, waren die beiden Arbeiter Agenten der Gestapo. Naja, eines schönen Tages, als ich aus dem Lager Sankt Valentin rausging, kamen deutsche SS-Männer, um mich zu verhaften. ,Sie sind verhaftet.' - ,Nein, Sie können mich nicht verhaften, weil ich zum italienischen Konsulat gehöre.' — .Kommen Sie (...)' — ,Nein', es waren Leute herum, ,Sie erlauben mir, ein Telegramm an den italienischen Botschafter nach Berlin — das war Alfieri — zu schicken, und ich komme dann mit.' Sie haben sich besprochen und hier und dorthin telefoniert, dann haben sie mich freigelassen, sagten mir aber, ich solle mich dort zur Verfügung halten. Als ich nach Hause kam, erfuhr ich dann von Monsignor Giordani, daß der Botschafter unverzüglich nach Rom telegrafiert hatte. In Rom war Ciano, ein Nazigegner wie ich. Und als er erfuhr, daß sie mich verhaften wollten, ließ er den Botschafter unverzüglich wissen: ,Die italienischen Kapläne in Deutschland dürfen nicht angerührt werden. Sagen Sie ihnen, daß sie die Kapläne, die zu Problemen Anlaß geben, repatriieren sollen.' Es verging ein Monat. Wir kamen im Mai an, und ich bin wieder nach Schlesien gegangen, in der Hoffnung, daß sich dort meine Spuren verlieren würden. Doch am 5. Mai 1941 kam die SS und sagte zu mir: ,Wir müssen Ihnen mitteilen, daß Sie nicht länger im .Dritten Reich' bleiben können.' Und ich sagte zu mir selbst: ,Dann kehre ich eben ins Vierte zurück.' Aber damals mußte ich unverzüglich abreisen. Als ich nach Hause zurückkam, habe ich gesagt: .Passen Sie auf, wenn man hier in Italien erfährt, daß ich von dort ausgewiesen worden bin, werde ich noch nicht einmal mehr Pfarrer.' Denn damals brauchte man, um Pfarrer zu werden, die Zustimmung des Regimes, und sie hätten daher meine Ernennung blockieren können. Der Bischof hat verstanden und gesagt: ,Ich schicke dich sofort als Pfarrer los, bevor das Dossier hier ist (...) Nach drei Monaten war ich bereits Pfarrer hier in der Pfarrei von San Pellegrino. Und hier in diesem Pfarrhaus wurde unmittelbar nach dem 8. September das Nationale Befreiungskomitee für Reggio Emilia gegründet, dessen Mitglied ich war. I960 bin ich nach Deutschland zurückgekehrt, aus Anlaß des Internationalen Eucharistiekongresses und, unmittelbar nachdem ich die Grenze überschritten hatte, habe ich zu meinem Schwager gesagt: ,Na also! Ich kehre ins Vierte Reich zurück!" 164
164 Bei meiner Abfassung dieses Stücks Lebensgeschichte habe ich sowohl die mündlichen Aussagen verwandt, die Don Angelo Cocconcelli aus Reggio Emilia 1985 Silvia Pastorini gegenüber gemacht hat, wie die, welche er mir gegenüber am 26. 10. 1989 gemacht hat.
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7. „Ich habe 33 Monate gearbeitet, und ich habe nichts dafür bekommen" Auch nach dem 8. September 1 9 4 3 scheinen die nach Deutschland gewanderten italienischen landwirtschaftlichen Arbeiter im allgemeinen keinen Hunger gelitten zu haben, obwohl sie — und dies teilweise schon seit 1 9 4 2 — als Zwangsarbeiter behandelt wurden. Außerdem, so erzählt mir G . B., der 1916 in Romagnano Sesia geboren wurde und in Berlin für die faschistische Landarbeiterkonföderation arbeitete, ließen die faschistischen Behörden mit Unterstützung der entsprechenden deutschen Organisationen bereits vor diesem Datum in verschiedenen Orten, darunter auch Stendal, eine — in der Zwischenzeit beträchtlich verringerte — Zahl von Beamten auftreten, um die Lebensmittellieferungen aus Italien in gleichem Umfange wie vorher in Anspruch nehmen zu können. Von diesem Betrug profitierten die örtlichen faschistischen und deutschen Führungspersonen, die sich einen Teil des Weines, der aus Italien kam, unter den Nagel rissen, aber zum Teil waren auch die Arbeiter die Nutznießer. Die ganze Sache flog auf, als das Jahr 1 9 4 3 bereits recht fortgeschritten war, und wurde unverzüglich abgestellt. 1 6 5 W i e wir sehen werden, wurde dieser Betrug, über den eine bessere Versorgung zu erzielen war, auch in den Fabriken angewandt, aber in dem mir bekannten Fall scheint dies einzig zu dem Zweck der persönlichen Bereicherung eines einzelnen geschehen zu sein. 1 6 6 Aber widmen wir uns hier erneut der Biographie von Angelica Calzolari, die — abgesehen von den Gründen, die sie zwangen, Anfang 1943 wieder nach Deutschland zurückzukehren — viele Merkmale hat, die verallgemeinert werden können. Angelica blieb in Carpi in den Jahren 1 9 3 9 , 1 9 4 0 und 1941, kehrte 1942 nach Deutschland zurück, wo ihr - abgesehen von einer kurzen Rückkehr in die Heimat am Ende jenes Jahres - jeder weitere Urlaub verweigert wurde, so daß sie sich am 8. September in Deutschland befand und dort bis zum September 1945 bleiben mußte: „ 1 9 4 2 bin ich wieder [nach Deutschland] eingereist, weil man dort mehr verdienen konnte als zu Hause; ich arbeitete in einer Brennerei, aber ich verdiente sehr wenig. Ich bin 1 9 4 2 dorthin gegangen und bin dort bis Anfang Dezember geblieben, bin dann nach Hause zurückgekehrt und habe gesagt: ,Ich gehe nicht mehr da hin', denn der Krieg hatte ja bereits begonnen. Auch mein Bruder kam nach Haus, denn in der Zwischenzeit hatte er [in Deutschland] ein Kind bekommen, und sie wollten es meiner M a m a und der M a m a von meiner Schwägerin zeigen, und dadurch haben sie ihren Vertrag verloren. Aber sie hatten ja den Berechtigungsschein und meine Schwägerin weinte, weil sie nicht abreisen konnten, ich war es, die reisen konnte und meine Mama sagte: ,Was machen wir da?'. Die Russen waren bereits im Vormarsch und so haben wir gedacht: ,Du gehst weg, du kannst gehen, und dann schicken wir ein Telegramm, und du kommst wieder nach Hause.' Als ich abgereist war, konnte ich nicht mehr nach Hause kommen, und meine Familie schickte ein Telegramm, daß meine Mutter krank geworden sei; doch da war nichts zu machen, und so mußte ich dann eben in der Ferne bleiben. Ich habe den Patron um einen Tag Urlaub gebeten, um mit dem Dolmetscher zu reden, denn ich war in Berlin 165 Interview mit G.B., am 26. 9. 1988 in Romagnano Sesia. 166 Vgl. beispielsweise ACS, Min. Int., D G P S , DAGR, PS 1943, Band 26, Schreiben an das Kgl.-Italienische Generalkonsulat Berlin, betr.: Calloni Enrico, geboren am 26. 11. 1906.
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und mein Bruder in Magdeburg, und das war 170 km entfernt. Also eines Tages hat er mich gehen lassen, und ich bin zu dem Chef dort gegangen und habe ihm erklärt: .Sehen Sie, meinem Bruder haben sie den Vertrag gelöst.' Und darauf haben sie sich eingeschaltet, und mein Bruder ist im Juni raufgekommen. Im Juli darauf ist der Duce gestürzt worden, und wir haben gesagt: ,Du wirst sehen, daß wir im Nu nach Hause gehen können.' Doch im September hat Italien kapituliert, Deutschland war allein, wir waren besiegt (...) Das Üble fing nun erst an. Wir wurden am 11. April [1945] befreit, und wir sind nach Hause am 15. September 1945 zurückgekehrt. Wir haben sechs Monate gebraucht, um von dem einen Ort an den anderen zu kommen, denn es gab keine Züge. Ich war also 33 Monate lang weg. Und hinzukommt, daß ich von 1943 bis zum 11. April immer gearbeitet habe, das Geld ist nicht mehr zu Hause angekommen, deshalb haben wir auch keines mehr geschickt, wir haben es selbst behalten. Als wir zu Hause waren, habe ich das Geld bei der Sparkasse in Carpi eingezahlt, und sie haben mir eine Quittung gegeben; aber Geld habe ich nie dafür bekommen. Tatsache ist, daß ich 33 Monate gearbeitet habe, und man mußte wirklich arbeiten, denn sie bezahlten uns für Akkordarbeit (...) und ich habe nichts bekommen. Kurz nach dem 8. September hat der Chef gesagt: ,Ihr seid genau wie die andern Gefangenen', wir hatten polnische und französische Gefangene, und wir waren Zivilinternierte und damit basta. (...) [Jedenfalls] haben sie es uns nie an Brot und Kartoffeln fehlen lassen, alles weitere fehlte wohl, aber jene (...) hatten einen Hof mit vielen Erbsen und wir sagten ,laßt uns einen Sack Erbsen, dann geben wir euch ein Päckchen Zigaretten'. Am Abend gingen wir uns dann den Sack Erbsen oder Möhren abholen, denn wir hatten nur Weizen, Rüben und Kartoffeln, und das hatten wir nicht. Um Gemüsesuppe zu kochen, haben wir das dann dazugetan. (...) Wir hatten zum Beispiel weder Seife noch Waschmittel, und wir wußten nicht, was wir machen sollten, also haben wir gesagt: ,Wir geben euch einen Laib Brot, gebt uns dafür (...), Es war einfach, dies in der Stadt zu finden. Damals gab es viele Russen und Polen, es kamen russische und polnische Frauen, wir gaben ihnen Brot und Kartoffeln, und sie gaben uns Waschmittel. Aber auch Milch, Butter, sowas, wir wußten gar nicht mehr, was das war, ein bißchen Margarine und entrahmte Milch (...) und wenig mehr." 167 Was die Ernährungslage angeht, so war sie — wie wir noch sehen werden - in der Regel sehr viel härter für die Arbeiter im Baugewerbe und in der Industrie.
8. Kraft-durch-Freude-Stadt Ribbentrop erinnerte daran, daß „es noch zu Beginn des Kriegs möglich war, den Einsatz italienischer Arbeitskräfte auf breite, genau präzisierte territoriale und wirtschaftliche Bereiche zu beschränken. Zu jener Zeit waren die größten Kontingente italienischer Arbeiter in erster Linie bei den Hermann-Göring-Werken in der Umgebung von Braunschweig und von Linz beschäftigt, aber auch in den Volkswagenwerken in Fallersleben sowie in einigen weiteren großen Firmen. Die Versammlung der Arbeiter in großen Lagern, die mit diesem massenhaften Arbeitseinsatz verbunden waren, erwies sich unter vielen Gesichtspunkten als 167 Interview mit Angelica Calzolari.
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nützlich. Vor allem eröffnete sich die Möglichkeit eines wohlorganisierten Werksbetriebs und der Kontrolle der Arbeiterschaft. Darüber hinaus konnten die zuständigen deutschen Behörden dank einer Konzentration ihrer Kräfte die vorgeschriebene Betreuungsleistung erbringen. Sowohl die Arbeitsproduktivität wie das Betragen der italienischen Arbeiter gab zu keinerlei Bemerkungen Anlaß." 168 Aber untersuchen wir die Situation in Fallersleben einmal etwas genauer. Eine erste Gruppe von etwa 2.500 Bauarbeitern wurde 1938 nach Fallersleben geschickt, in die „Stadt des KdF-Wagens", die die faschistische Propaganda als eine Art irdischen Paradieses schilderte: „Die Fabrik von Fallersleben gehört zu den perfektesten, zu den am besten organisierten in der Welt und nicht nur unter den deutschen Anlagen. Die Arbeiter haben ein Theater, einen Gesellschaftskreis, ein Kino, eine Bibliothek, ein Aquarium — selbst ein Aquarium gibt es! — und einen großartigen Sportplatz, wo jeden Sonntag ein internationales Fußballspiel zwischen italienischen und deutschen Arbeitern stattfindet, ein Spiel, bei dem nicht nur Arbeitskollegen, sondern auch eine Menge Fußballbegeisterter aus allen Städten der Umgebung zum Zuschauen kommen, um das schöne Spiel der italienischen Mannschaft zu bewundern — Pisaner, Luccheser, Florentiner: die ganzeToscana. Und das Ganze wird unweigerlich beendet (...) mit dem Sieg unserer Mannschaft. Ein anderes Spiel, das in Fallersleben Furore macht, ist Boccia, das die deutschen Kameraden nicht kannten, aber für das sie ein solches Interesse gezeigt haben, daß sie mit unseren Meisterspielern — teilweise siegreich — wetteifern. Für Kost und Logis, es ist alles frei bis auf Ausgaben für den persönlichen Genuß, zahlen die italienischen oder deutschen Arbeiter 1,25 Mark (also 9 Lire in unserer Währung) und haben zusätzlich zum Unterhalt ein gutes Bett, Bettdecke aus Baumwolle und drei Wolldecken, schöne Gemeinschaftszimmer, bestens geheizt, belüftet, beleuchtet, mit persönlichen Schränkchen und einem großen Gemeinschaftstisch bestückt; in jedem Zimmer ein Radio, die Zeitung, ein paar Zeitschriften, Schreibzeug — was fehlt noch? Die Tageszeitungen und die italienischen Illustrierten kommen an, und alle zwei Wochen erscheint ein von Deutschen und Italienern zusammengestelltes und gedrucktes Heft mit den Neuigkeiten aus dem Lager und einer besonders geschätzten Sportseite, auf der die Ergebnisse kommentiert werden, auf der von deutscher Seite Vorschläge für eine Revanche gemacht werden, wo über den Gesundheitszustand der italienischen Spieler berichtet wird. Die Fabrik ist so organisiert, daß ein hygienisches, würdevolles und bürgerliches Leben auch für die Anspruchsvollsten gesichert ist: zahlreiche und gut verteilte Baracken stehen für Bäder, für Duschen und körperliche Bedürfnisse zur Verfügung. Was den Rest anbetrifft, so hat die Stadt alle nötigen Einrichtungen, Geschäfte, Kommoditäten und Möglichkeiten des Zeitvertreibs, Lokale zum Einkehren und zur Zerstreuung, Weinkeller, Post, Radiostation, Lazarett, ein Zahnstudio, Schuster, Schneider, Kaufhäuser, Tabakgeschäfte - all das, was man braucht, und des Uberflüssigen für ein christliches Leben genug." 169 Dieses Bild von Fallersleben wurde propagandistisch ausgenutzt, um Arbeiter nach Deutschland zu locken, denen dann teilweise unangenehme Arbeiten zugeteilt wurden. Die im Reich 168 Vgl. den Bericht von Ribbentrops „Die italienischen Arbeiter in Deutschland", in: DDI, Nona serie, Band VIII, S. 732. 169 Pietro Solari, Si lavora α Fallersleben, in: Rivista del lavoro, Turin, Jg. VIII, Heft 4, April 1939, S. 24.
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geltenden Bestimmungen erlaubten es in der Tat, die Arbeiter zu Aufgaben heranzuziehen, die von denen, die im Anstellungsvertrag vorgesehen waren, abwichen, solange der vereinbarte Lohn eingehalten wurde. Die Normen erlaubten sogar die Uberstellung eines Arbeiters von einer Firma zur anderen, innerhalb eines Baukomplexes. Ein Arbeiter durfte nicht nur seinen Arbeitsplatz nicht frei wählen, sondern war auch nicht berechtigt, die ihm zugewiesene Arbeit zurückzuweisen. Ich zitiere diesbezüglich aus einem Brief, den Renato Liperini, 1900 in Livorno geboren, an seine Frau schrieb. Liperini war eine Arbeit in der Fabrik in Fallersleben versprochen worden, doch statt dessen wurde er zum Bau einer Eisenbahnlinie eingesetzt: „15. September 1940 - X V I I Liebe Lina, ich schreibe dir diese Zeilen, um dich über meinen guten Gesundheitszustand zu informieren, und ich hoffe, daß dies bei dir und den Kindern ebenso der Fall ist. Was die Arbeit betrifft, so haben sie uns am gestrigen Samstag von halb sieben bis ein Uhr arbeiten lassen und am heutigen freien Sonntag ist folgendes: wir befinden uns in einem großen Tal, wo Hunderte von Barackenbauten stehen, und in jedem Lager gibt es die ,Feierabendorganisation', es gibt eine Ansammlung von uns Italienern hier, wir sind etwa 5.000 über die ganze Gegend verteilt, und in jeder Baracke schlafen 12 Mann; es gibt Betten in Kastenform, also eins unten und eins oben, bestehend aus einem Bettgestell und einem Eisenrost, die Matratze aber besteht aus Stroh, dazu haben wir ein Bettuch für unten drunter und ein Laken fur oben drüber, das Kopfkissen ebenfalls aus Stroh und drei Decken zum Schlafen, also es geht einem nicht schlecht, dazu haben sie uns einen Teller in Form einer Waschschüssel und einen Löffel gegeben, die Gabel habe ich mir selbst kaufen müssen, was das Essen betrifft, so ist es italienische Küche, aber es ist so organisiert, daß es am Morgen Kaffee mit Milch gibt, natürlich ohne Zucker und anstatt Kaffee ist es verlängerter Malzkaffee, du kannst dir also vorstellen wie gut das ist, wir stehen um fünf auf, um um halb sieben am Arbeitsplatz zu sein, wir müssen mindestens drei Kilometer durch Matsch und Wasser dorthin marschieren, schließlich haben sie uns darangestellt, eine Eisenbahnlinie zu ziehen und glaub' mir, es geht langsam, aber es ist eine schwere Arbeit, aber trotzdem geht es uns gut, um 9 machen wir eine halbe Stunde Pause und um ein Uhr eine weitere halbe Stunde zum Essen, denn wir essen auf der Arbeit kalte Sachen, die wir am Morgen mitbringen, das Brot besteht aus Roggen und Kartoffeln und glaub' mir, es ist gut, danach gibt es etwas Käse und Olsardinen oder Butter, jedenfalls, wir haben uns bereits dran gewöhnt, und am Abend um 5 ist Feierabend und um 6 geben sie uns ein warmes Essen, und zwar entweder Suppe oder Nudeln und dazu den Brotbelag für den nächsten Morgen auf der Arbeit, also Suppe einmal am Tag. Glaub' mir Lina, die Herren von der Gewerkschaft haben uns betrogen, denn anstatt hierher gekommen zu sein, um in einer Automobilfabrik zu arbeiten, wie sie uns gesagt haben, ist es völlig anders, und dann gibt es noch eine Reihe anderer Sachen, die ich dir im nächsten Brief genauer erklären werde, jedenfalls werde ich jede Schwierigkeit schon meistern, denn ich bin ja bereits an das entbehrungsreiche Leben gewöhnt, wahrscheinlich werden viele Sätze zensiert werden, aber du kannst ruhig sein, alles wird gutgehen und die paar Monate gehen schnell vorbei, deshalb mach', daß ich mir keine Gedanken zu machen brauche, sonst ist es eine noch größere Entmutigung für mich..." 1 7 0 170 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Handschriftlicher Brief ohne weitere Angaben. Daß der Verfasser Renato Liperini sein muß, läßt sich aus dem vertraulichen Einschreiben der Kgl. Präfektur von Livorno (Az. Divisione PS, n. di prot. 020037) vom 7. 10. 1940 ableiten.
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Die Zwangszuweisungen zu bestimmten Arbeiten, die Unmöglichkeit, diese abzulehnen, die erzwungenen Wechsel von einer Firma zur anderen und von einem O r t zum anderen standen — wie wir noch feststellen werden - bei den italienischen Arbeitern so ziemlich in ganz Deutschland am Anfang von Arbeitsfluchten, Repatriierungen usw. So gab der als Maurer tätige Hilfsarbeiter Vito Fulciniti, der 1906 in Cenadi in der Provinz Catanzaro geboren wurde, bei der Polizeibehörde von San Vito Jonio ζ. B. folgendes zu Protokoll: „Am 12. April 1 9 4 2 , zum Zeitpunkt meiner Abreise aus Catanzaro zum Arbeiten nach Deutschland, als Hilfsarbeiter in der Metallindustrie, unterzeichnete ich bei der Industriearbeiterunion in Catanzaro einen Arbeitsvertrag für die Dauer von 12 Monaten bei der Firma Wanderer Werke Schönau (Chemnitz). In Deutschland angekommen, arbeitete ich bei dieser Firma bis zum 18. November. An diesem Tag befahl mir der Lagerführer Selvino Tonolli, mich nach Dresden zu begeben, um dort eine Arbeit bei einer anderen Firma als Gepäckbeförderer auszuüben. Obwohl ich von der Firma Wanderer Werke nicht entlassen worden war, bei der ich mit der Bezahlung nicht vollkommen zufrieden war, begab ich mich — angesichts der Aufforderung — nach Dresden. Dort angekommen, meldete ich mich krank und der örtliche Arzt schrieb mich zwei Tage krank. Als die zu Ende waren, erbat ich eine erneute ärztliche Visite. Darauf kam ein anderer Arzt, der mir zwei weitere Tage Ruhe gewährte. Danach habe ich mich geweigert, die Arbeit zu beginnen, weil mein Gesundheitszustand mir das nicht erlaubte, denn ich hatte Schmerzen in der Brust und in den Beinen. Als Folge dieser Weigerung wurde ich verhaftet, und nach 9 Tagen ließ mich die italienische Gewerkschaftsdelegation nach Hause zurückschicken." 1 7 1 Diejenigen, die ohne ihre Zustimmung von einem Arbeitsplatz zum anderen verschoben und zu Arbeiten herangezogen wurden, die sich nicht bloß von den in Aussicht gestellten unterschieden, sondern die für sie unbefriedigend oder gar inakzeptabel waren, brachen zum Teil den Vertrag oder besser, sie ließen sich nach Italien aus Gründen höherer Gewalt zurückrufen. „Du weißt, manch einer wurde dort als Schreiner angefordert", erzählt Remo Ricci über die Babelsberger Arado-Werke in den Jahren 1 9 4 1 / 4 2 , „und dann ließen sie dich unter Umständen Nägel einschlagen oder den Hammer an einen anderen weiterreichen. Es geschah häufig, daß aus diesen Gründen die Leute vorzeitig zurückgekehrt sind. Einer von diesen hat geschrieben, man solle ihm über das Konsulat ein Telegramm schicken, daß ein Verwandter gestorben sei. Er hatte bloß anderthalb Monate hinter sich, aber er konnte es nicht mehr aushalten, und auf diese Weise hat er unverzüglich und ohne Probleme heimfahren können." 1 7 2 Die Tatsache, daß man den Arbeitsplatz nicht frei wechseln konnte, zwang jeden Arbeiter unter anderem dazu, mit einem C h e f zu tun haben zu müssen, mit dem er unter Umständen nicht übereinstimmte und dies ist eine weitere wesentliche Ursache von Konflikten, die teilweise zum unerlaubten Verlassen des Arbeitsplatzes führte — was im übrigen auch in Fallersleben häufig vorkam und mit gesalzenen Strafen geahndet wurde, wie der folgende Brief bezeugt, der von einer Firma an einen Zimmermann geschickt wurde:
171 ACS, Min. Int., D G P S , DAGR, PS 1943, Band 26, Kgl. Carabinieri, Territoriallegion von Catanzaro, Posten San Vito Jonio: von Vito Fulciniti und dem Oberfeldwebel und Kommandant des Postens Salvatore Favoine gezeichnetes Protokoll. 172 Interview mit Eligio Remo Ricci, am 11. 5. 1988 in Omegna.
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„Sie haben heute in den frühen Morgenstunden unsere Baustelle ohne unsere Zustimmung und ohne unser Wissen verlassen und sind auch seitdem nicht an Ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt. Unser Zimmererpolier A. erteilte Ihnen den Auftrag, zusammen mit dem Zimmerer B. Zimmererarbeiten an dem Hasselbach auszuführen. Als der Polier A. nach etwa 2,5 Stunden Ihre Arbeiten kontrollieren wollte, mußte er feststellen, daß Sie zusammen mit dem Zimmerer B. bereits seit einiger Zeit die Baustelle verlassen und auch die Ihnen übertragenen Arbeiten nicht ausgeführt hatten. Nicht nur, daß dadurch eine Verzögerung in der Fertigstellung der Arbeit eingetreten ist, haben Sie sich außerdem gröblichst gegen die Arbeitsdisziplin vergangen. Auch Sie müssen gerade als Gast hier in Deutschland die bestehenden Verordnungen genau beachten. Es geht schließlich nicht an, daß auf einer größeren Baustelle jeder macht, was er will, und kommt und geht, wann er will. Aufgrund der uns durch Verfügung eingeräumten Rechte belegen wir Sie wegen dieses groben Verstoßes mit einer Buße in Höhe eines Tagesverdienstes, und zwar zehnmal —,74 RM = RM 7,40. Diesen Betrag werden wir auch wegen des uns durch Ihre Nichtarbeit zugefugten Schadens die heute bereits tatsächlich gearbeiteten Stunden nicht bezahlen [sie]. Dem Syndikat, Arbeitsamt, Arbeitsfront und Stadtbaubüro haben wir eine Abschrift dieses Schreibens zugesandt. Heil Hitler!" 173 Ende 1938 befanden sich im Arbeiterlager der Volkswagen-Werke 2.534 Italiener, 1.272 Deutsche, 120 Polen, 80 Holländer, 140 Tschechoslowaken, 200 Sudetendeutsche und 10 weitere Ausländer. 174 Die italienischen Arbeiter waren mithin entscheidend für den Erfolg des Projekts, und die Deutschen bauten sehr auf sie. Viele der Italiener, die nach Fallersleben gegangen waren, waren überzeugte Faschisten, und dies wird von der Zeitschrift Kameraden der Arbeit hervorgehoben: „Es sind unter den italienischen Kameraden viele alte Faschisten aus der Kampfzeit, Abessinien- und Spanien-Kämpfer, die, in faschistischer Luft aufgewachsen, sich den Satz Mussolinis wohl eingeprägt hatten, daß sie keine Auswanderer seien, sondern in Marsch gesetzte Arbeiter, um, wie Soldaten, da eingesetzt zu werden, wo man sie braucht. Sie haben sich an die Seite der deutschen Kameraden gestellt, um mitzuarbeiten im Rahmen der großen aufbauenden Arbeit und der Freundschaft der Führer beider Revolutionen und beider Völker." 175 Trotz dieser Tatsache — und vielleicht gerade der propagandistischen Versprechungen wegen — gab es auch hier Klagen über das deutsche Essen, wie dies einige Arbeiter in Briefen sogar an die Königin und an den Papst zum Ausdruck brachten. Klagen aber auch wegen der Verspätungen, mit denen die Lohnüberweisungen bei den Familien ankamen, wegen der deutschen Versuche (für die sich im Oktober 1939 auch die in Fallersleben befindliche Delegation der faschistischen Industriearbeitergewerkschaft einsetzte), den Urlaub und die Rückkehr nach Italien aussetzen zu lassen: mittels Pressionen suchten sie
173 Sonntag, Dokumentenanhang, S. 16; abgedruckt in: Klaus-Jörg Siegfried, S. 114. 174 Stadtsarchiv Wolfsburg (im folgenden: StA WOB), Die Chronik Wüstefeld verzeichnet folgende Zahlen: 8. 1. 1939: 900 Italiener; 28. 1. 1938: 800; 21. 2. 1939: 844; Februar/März 1939: 2.400; 8. 3. 1939: 800; 6. 5- 1939: 882 Italiener. Die ankommenden Italiener ersetzten jedoch zum Teil nur die nach Ablauf ihres Arbeitsvertrages zurückkehrenden Italiener (International Labour Office, S. 286), so daß unklar ist, wieviel Italiener ständig im Gemeinschaftslager präsent waren - wahrscheinlich maximal 3.000. Vgl. Klaus-Jörg Siegfried, S. 111. 175 Kameraden der Arbeit, Jg. 1, 2. Folge, Juni/Juli, S. 2; zit. bei Klaus-Jörg Siegfried, S. 111.
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„die Italiener darauf einzustimmen (...), den deutschen Kameraden unter Verzicht auf Urlaub im Kriege zu helfen". 176 Darüber hinaus war die Produktivität der italienischen Arbeiter geringer als vorgesehen, wozu als Pendant bei den Italienern eine Zahl von Krankheitstagen trat, die höher war als angenommen. 177 All dies läßt vermuten, daß unter den Italienern — und wir haben gesehen, daß dies im übrigen auch die Überzeugung der italienischen Priester war 178 — sich eine „kommunistische Propaganda" ausbreitete, die die faschistische Führung dazu bewog, nach dem Urlaub eine gewisse Zahl von Arbeitern zu Hause zu lassen und sie durch andere zu ersetzen. 179 Es ist noch hinzuzufügen, daß die Anwesenheit von Kommunisten - wenn es sie denn gegeben hat - sich in Fallersleben zwischen 1938 und 1940 in wesentlich weniger radikalen Protestbekundungen äußerte, als die italienischen Arbeiter in anderen Gegenden des Reichs in den darauffolgenden Jahren zum Ausdruck brachten.
9. „.. .vor genau 50 Jahren sind wir abgereist..." Über diese ersten Jahre in Fallersleben haben wir die Erinnerungen von Carlo Dal Farra, einem Zementarbeiter, der in Ponte delle Alpi in der Provinz Belluno geboren wurde und der in Fallersleben vom September 1938 bis zum April 1940 gearbeitet hat, der dann bis zum August 1945 in Deutschland blieb, so daß seine Geschichte durchaus als repräsentativ fur das Schicksal angesehen werden kann, das die italienischen Arbeiter, die nach dem 8. September 1943 in Deutschland waren, erfuhren: „Genau am heutigen Tag, vor 50 Jahren, am 9. September 1938, sind wir abgereist (...) mit einem Mützchen, nicht mit dem Schwarzhemd, denn das kostete zuviel Geld. Sie haben uns eine schwarze Krawatte und eine khakifarbene Jacke, eine blaue, militärisch geschnittene, unten zugebundene Hose, schwarze Schuhe und einen Koffer, der glänzte, gegeben. Ja, die faschistische Gewerkschaft hat mir die Mütze und die schwarze Krawatte und die Uniform gegeben. Und so sind wir nach Wolfsburg gefahren und sind bis zum 20. April 1940 dageblieben. Fast 20 Monate. 1938 verdienten wir 500 Lire im Monat als Festlohn, vielleicht bekam der Vorsteher etwas mehr Geld dort. Der Lohn in Wolfsburg, also ich verdiente 60 Pfennige die Stunde, aber später in Berlin war es eine Mark und 8 Pfennig. Dazu eine Mark Trennungsgeld, in den Orten unter 100.000 Einwohnern. Diejenigen, die aus Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern stammten, ζ. B. Padua, bekamen damals 2 Mark. Essen und Schlafen kostete damals alles zusammen 1 Mark und 30 Pfennig. Also, eine Mark Trennungsgeld, das kam dann so mehr oder weniger auf eins raus. Die Schmiede verdienten 64 Pfennig die Stunde und die Handlanger 54. Ja, als Junggeselle ging es einem schlecht in Deutschland. Diejenigen, die viele Kinder hatten, ja die verdienten gut. Im andern Fall Steuern, oh je! Jedenfalls entsprach eine Mark damals 7,60 bis 7,70 Lire, und nach dem 8. September ging sie auf 10 Lire rauf.
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StA W O B , Stadtbaubüro Nr. 312, 17. 10. 1939; zit. bei Klaus-Jörg Siegfried, S. 115f. Ebenda. Vgl. das Interview mit Don Angelo Cocconcelli im Kapitel „Ich werde ins Vierte Reich zurückkehren". StA W O B , Chronik Wüstefeld..., zit. bei Klaus-Jörg Siegfried, S. 116.
. vor genau 50 Jahren sind wir abgereist. Am Anfang bin ich als Zementarbeiter da rein. Wir Italiener, mit jenem Vertrag abgereist, Zement oder nicht Zement, sie gaben uns den Lohn. Den Deutschen nicht. Wenn sie mit Zement arbeiteten, Beton, dann bekamen auch sie 68 Lohn. Wenn nicht, dann bekamen sie den Lohn eines Handlangers. Davon hatten sie einen ganzen Haufen, nicht wahr (...) Dann habe ich mich als halber Maurer verdingt. Und da gab es alles zu machen, dort. Aber es ist gut gegangen, '38, '39 und auch noch ein bißchen im Jahr 1940, aber dann, aber dann (...) Ja, bei der Arbeit, um die Wahrheit zu sagen, sie waren gut darin, uns Italiener schuften zu lassen. Ja, ja (...) Die Deutschen waren jedoch besser ausgerüstet, nun ja, und besser ausgerüstet kann man auch besser arbeiten, und es macht noch weniger Mühe. Hier in Italien hatte man eine spitze Schippe und sonst nichts. Der Arbeiter mußte seinen Spaten mitbringen. Und schuften. Dort in Deutschland haben wir uns weniger angestrengt. Anders als später, als wir noch weniger arbeiteten, aber wie soll das auch gehen ohne Essen, he? Und doch muß man etwas zu essen haben (...) das war die Situation später. Wir wurden auch von den faschistischen Gewerkschaften kontrolliert, damals, nicht wahr. Aber sie wurden wieder von den Deutschen kommandiert, das ist es. Sie konnten nichts machen (...) denn jedes Lager hatte einen Dolmetscher, einen Gewerschaftsdelegierten, Vertrauensmann wurde er genannt, sie verstanden sich so gut beim Klauen, er und der deutsche Lagerführer, daß dann, wenn das Essen für uns andere ankam, kaum noch was, oder besser gesagt nichts mehr, übrig war. Aus Italien schickten sie Waggons mit Käse, Waggons mit Wein, alles was der Mensch so braucht. Und sie klauten. Und sich zu beschweren, damit war nicht viel (...) denn es gab auch noch die Erziehungslager. Oh, danke vielmals! Es genügte, in ein bombardiertes Haus zu gehen und irgend etwas gefunden zu haben oder einem Deutschen unpassend geantwortet zu haben, dann kam die Todt (...). Und wenn die dort draußen waren, die Todt und die Wehrmacht, dann kamen diese Bestien von der SS, damals (...) Einmal in Berlin, im März '41 oder '42 ist einer bei mir vorbeigekommen und hat einen Sack Zement von mir verlangt. Er hatte ihn auf dem Rücken, war am Weggehen, und sie haben es gemerkt. Ich bin in Deckung gegangen, aber dieser arme Teufel, der den Sack Zement mitgenommen hat, und sie hatten Tausende und aber Tausende von Tonnen Zement, die da rumlagen, der hat es teuer bezahlt. Im Erziehungslager. Aber vor dem 8. September gab's immer wieder Scherereien. Aber sie, wissen Sie, immer Vorgesetzte, nichts zu machen. Vorgesetzte. Jedenfalls dort, oh ja, da konnte man nicht viel reden, he. Und wenn einer anderer Meinung war, der mußte wohl oder übel schweigen und so tun, als würde er immer ja sagen. Streiks, sagen Sie? Nein, nein, nein. He, natürlich Streiks! Sabotage? Haaa! Dort bei Volkswagen drin, nein, he. Nein. Und auch nicht in den andern Fabriken. Nein, weil, Gott (...), weil immer Fanatiker dazwischen waren (...) Jedenfalls aß man gut bei Volkswagen 1938/39. Das heißt, deutsches Essen, sie geben dir belegte Brote zu essen. Die Italiener waren nicht dran gewöhnt. Weil ich vorher in Belgien war, kannte ich diese Scheiben mit Brot und Butter und aß sie, aber die anderen, die konnten das nicht essen. Viele sind vor allem aus diesem Grund zurückgekehrt. Aber zu essen gab es. Sie gaben uns auch Trauben, sie gaben uns Obst, auch manches Stück Hartkäse, aber anstatt es in die Suppe zu werfen, gaben sie es uns so: ,Ein Stückchen die Woche, schaut wie ihr klarkommt, eßt es, wie ihr wollt. 1 Ja, ja, zu essen gaben sie uns, ja. Sie gaben uns.
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich " Wegen des deutschen Essens gab es Beschwerden, aber sie machten, was sie wollten. Es gab diese Rübensuppe, das war unmöglich. Aber manchmal gaben sie uns auch schönen Fisch, der direkt aus der Nordsee kam. Der war gut, im übrigen. Sie gaben uns auch Stücke Schweinefleisch, aber wir wollten es gebraten und sie gerade nicht, sondern gekocht. Und dann diese Brühen, auch die Suppe, das ging einfach nicht (...) So sah es in Wirklichkeit aus. Wir schliefen in Baracken. Gut, die Baracken waren ganz nett, aber eng und Hochbetten mit Stroh darauf u n d den Bettdecken, ja. Sie taten ein weißes Bettuch darunter, u n d darauf legten sie die Decken, die wegen des Staubs in einem Bezug steckten, das war schön. Schön auch das Licht, der Ofen, denn da war es kalt, ja kalt (...) Die Arbeitszeit betrug 10 und auch 11 Stunden. Die ärztliche Betreuung, ja, die gab es. Nicht bloß mal ein Furunkel kurieren, das gab es nicht. Einer, der sich irgendwas brach oder der einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte, das ja, das nahmen sie ernst. Aber wenn sich einer den Finger gequetscht hatte, ein Vaterunser und ab an die Arbeit. Ach ja, bei Volkswagen (...) da haben wir noch damit angefangen, den Wald zu roden und die ersten Pfeiler zu setzen, 1938. Und 1940 haben sie bereits begonnen, einige Sachen zu montieren. Aber Menschen, Menschen (...) Tausend und mehr Italiener, aus Modena, aus For 11, aus Piemont und der Lombardei, aus Belluno u n d dem Friaul, also die, die mit mir zusammen waren. Und dann die Deutschen, das waren viele. Später gab es dann die Gießerei, denn da, wo ich gearbeitet habe, war die Montage der Autos, und die Gießerei, wo sie die Einzelteile herstellten, war nah dabei. Sie haben die Volkswagenwerke gemacht und dazu die Stadt mit damals etwa 30.000 bis 35.000 Einwohnern. Aus dem Boden gestampft. Denn da, wo wir die Stadt gemacht haben, war ein Spargelfeld. Sicher, danach Schulen und den ganzen Rest. Wenn ich nicht arbeitete, ging ich in die Kneipe, die dort im Werk war. O h , aber wie viele gab es davon, oh (...) eine Stadt aus Baracken. Es gab ein Theater, sie nannten es den Cianetti-Saal, es war nämlich jener berühmte Tullio Cianetti, der es eingeweiht hat, er und der Dr. Ley, doch nach dem 8. September haben sie alles kaputt gemacht (...) O h , ich erinnere mich an Cianetti als wäre es heute. Er und Ley, ein alter Säufer (...) und doch war er Führer der Deutschen Arbeitsfront, die recht gut funktionierte, ja. Im übrigen, in jenem Theater war ein Saal für 5.000 M a n n , alles aus Holz, aber gut gemacht, mit den Korridoren, den Notausgängen. Einer erzählte, daß die Polen bei der Befreiung ein Feuer angezündet und alles verbrannt haben. Aber seinerzeit gab es dort eine Menge Vorstellungen! Italienische Musik, aber gut gemacht, he. Wiener Zeug, Varietd (...) und danach gab es Boxveranstaltungen, Gymnastik u n d all das. Im Saal. Und wer Sport machen wollte, konnte das machen. Es gab die Turnhallen, es gab alles. O h , die Arbeitsfront da (...), alles andere als. Doch dann mit dem Fortgang des Kriegs da hat die ,Achse' angefangen (...) und dann wurde es immer schlechter. Nach Fallersleben bin ich nach Oschersleben/Bode, Magdeburg, gegangen, da gab es eine große Fabrik (...) eine Zuckerfabrik, danach haben sie eine Flugzeugfabrik daraus gemacht. Sie reparierten welche und machten sogar neue. Sie haben sie ein schönes Stück größer gemacht. Ich bin da von April bis Dezember 1940 geblieben. Ich war grade zu dem Zeitpunkt da, als Italien in den Krieg eintrat. Lebensbedingungen, immer noch dasselbe. Wem es schlecht ging, das waren die Polen. Später sind dann die Franzosen gekommen. Und so weiter.
. vor genau 50 Jahren sind wir abgereist.
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Später sind wir dann von Oschcrsleben/Bode nach Berlin gegangen, die letzten im Dezember 1940, und dort bin ich bis zum Juli 1943 geblieben. In Berlin habe ich zuerst bei Siemens Bauunion gearbeitet, denn Siemens in Berlin ist riesengroß, dann war ich bei Arvis, danach wieder bei Siemens und dann bei Henri Buzzer. Da gab es diese verfluchten Schutzbunker. Zwei Meter dick die Mauern und fünf Meter der Boden. 10 Stunden am Tag und auch 10 Stunden nachts. Als ich nach Hause kam, 1942, wollten sie mich einziehen, zur Front schicken. Da war der Lehrer Broi, ein Invalide, der sagte: ,Ach, Carlo, in ein paar Tagen mußt du zur Front, aber (...) he, du mußt weggehen'. Und so bin ich weggegangen. O, diese Reise, welch eine Katastrophe in Verona, um Richtung Brenner zu kommen. Alles drunter und drüber, viele Leute, aber sonst nichts: Waggons durchgebrochen, ohne Boden. Um nach Berlin zu kommen, ein Waggon ohne Schrauben. Ich bin auf der Straße weiter. Aus Italien nahm ich diesmal ein paar Strümpfe, einige Taschentücher, ein paar Kleidungsstücke mit, und damit (...) denn die deutschen Männer und Frauen, Strümpfe, Unterwäsche, davon haben sie wenig. Dann versuchten sie zu verhindern, daß wir den Wein verkauften, aber die Deutschen wollten den Wein haben, wissen Sie (...) und dann habe auch ich es gemacht (...) sie haben mir die Flasche mit Wein gegeben, es gab vor dem Bahnhof dort ein Lager mit Polen und einem Deutschen, die Kartoffeln ausmachten. Ich sagte: .Gibst du mir ein paar Kartoffeln?' — ,Ja, und dann (...)' —,Schau, wenn du mir diesen Sack mit Kartoffeln gibst, gebe ich dir den Wein hier. Es ist italienischer Wein, he.' Aber nicht alles, eine Flasche, noch nicht einmal einen Liter. .Arbeiter, komm her. Ich füll' dir den Sack mit Kartoffeln (...)' Aber große hat er mir gegeben, oh (...) Als ich später sah, daß alles sich verschlechterte, da sind wir zu diesem Staudamm in Hagen in Westfalen gegangen. Den haben die Engländer in die Luft gesprengt mit Schnelltorpedobooten, und wir mußten ihn mit den Franzosen reparieren, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Einige wenige Monate war es etwas ruhiger, ohne Bombardierungen, ohne irgendwas (...) Dann haben sie auch dort bombardiert, danke vielmals, Hagen ist das Herz der Schwerindustrie in Deutschland. Essen, oh ja! Da gab es zwar den Splitterschutz, aber es war besser zu verschwinden und, wenn möglich, sich auf den Boden zu werfen. Da nahmen sie sich ein Planquadrat vor und dann runter mit den Bomben auf die ganze Fläche (...) Von da aus haben sie uns an die belgische Grenze geschickt. Sie haben angefangen, diese phantastischen Rampen für die V 2 zu bauen. Das Essen wurde immer schlechter. Rüben, eine scheußliche Brühe, eines dieser Brote wie Stein für 8 oder 10 Mann. Von da nach dort, innerhalb von 24 Stunden war nichts mehr davon da. Übel, übel, übel, immer schlechter. Und arbeiten. In der Zwischenzeit waren die Unsrigen dort angekommen, Italiener. Und so war noch nicht einmal im September 1943 Schluß, als bereits die ersten aus Albanien reingekommen waren. Und wir wurden nach dem 8. September noch schlechter behandelt. Herrgott, jedes Jahr konnte ich nach Haus, 1943 nicht. 1943 haben die Deutschen dann gesagt: ,Hier geht keiner nach Haus. Ihr bleibt jetzt hier, solange bis wir es sagen. Paßt auf, denn ihr seid in keiner guten Lage, spielt nicht die Schlauköpfe (...)' Verflucht! (...) Oh, .Zigeuner' 180 haben sie uns genannt. Und ,Badoglios'. Schließlich .Duce, Duce, Duce, Duce, ooooooh'. Wissen Sie, wenn wir so riefen (...) Sie zogen uns auf wegen 180 Carlo Dal Farra benutzt hier den deutschen Ausdruck.
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Italienische „Fremdarbeiter " im „Dritten Reich " unseres ,Duce, Duce, Duce'. Als sie den Duce geraubt haben, exakt an diesem Abend, kam der Obmann und sagte: Jungs, nur Mut, sie haben den Duce gefunden, sie haben den Duce gefunden!' Verdammt und zugenäht, wissen Sie, daß dies fast ,zum Glück' war? Denn wir waren uns selbst überlassen, nicht. ,Wer weiß, ob es nicht schlecht enden wird, aber dennoch wird es ein bißchen besser werden.' Wissen Sie, dort gab es nichts zu essen, und ich, was sollte ich tun? Wissen Sie, ich konnte nicht (...) So war's. Den Soldaten ging es schlechter als uns, denn wir anderen, wir wußten es bereits, wir hatten das System gesehen - gegenüber den Polen, gegenüber den Franzosen, und deshalb paßten wir auf, denn wenn einer anfing zu schlagen, dann schlug der eine und darauf der andere, und dann (...) verdammte Schweinerei (...) Sie waren sich darüber nicht im klaren und der Nächste prügelt weiter. Oh diese Prügel, wenn man ihnen nicht ausweichen konnte! Sie konnten die Italiener nicht ausstehen und so Stockschläge über Stockschläge. Wir Zivilisten sagten zu den Soldaten schon mal: .Seid schlau. Denn ihr müßt aufpassen; je mehr ihr hier heult, um so mehr traktieren sie euch, bis sie euch am Schluß umbringen.' — ,Aber wissen Sie, wir haben nichts zu essen ( . . . ) ' - Ja, ich weiß es, schaut, was wir anderen essen (...)' Denn die Rationen waren fiir sie die gleichen wie fur uns. Allerdings, sie bekamen manchmal sogar ein paar Vitamine mehr. Es waren irgendwelche Pillen, aber ich hab' dem nicht getraut (...) ich glaube, die bewirkten gar nix, he. Wissen Sie, was wir hatten, wenn sie uns schließlich einmal die Woche bzw. fast alle 10 Tage davon gaben? Es hätte einmal die Woche sein sollen, aber manchmal wurde die Ausgabe übersprungen, d. h. 250 Gramm Zucker. Ja, das gaben sie uns. Ich hatte Hunger, ich öffnete das Loch unten und herunter damit, ich hab' alles gegessen. Ja dann, da ging es wieder ein bißchen. Aber im übrigen (...) Es war schwierig, an anderes Essen zu kommen, über das wenige hinaus, das sie uns gaben. In der Stadt, vor allem in Berlin, ist es schwierig, wissen Sie. Denn dort, wo sich heute alles Erdenkliche findet, in der Großstadt, da war in jenen Krisenjahren die Stadt der schlechteste Platz (...) Und dann war da noch folgendes: ich verstand so ein bißchen Deutsch hier und da, und so bekam ich zu hören: ,Los, geh du nach draußen' und was blieb mir da anderes übrig (...) Da waren welche aus der Gegend von Belluno, die wurden auch rausgeschickt, wieder auf die andere Seite: ,Oh, das Geld, gib' mir ein bißchen Brot', oder ein paar Nudeln, die bereits ranzig schmeckten. (...) Wir machten das bei den Bauern dort, wo der Damm war, da waren Bauern: ,Sag, bring' mir etwas, ich geb' dir Geld dafür (...)' Aber es waren Angsthasen, sie brachten gar nichts, weil sie Angst hatten. Ah ja, natürlich: ,Die Russen kommen' (...) Von der belgischen Grenze aus wurden wir 1945 nach Essen geschickt, und als wir dort ankamen, waren wir ziemlich am Ende. Etliche Belgier und etliche Franzosen zogen sie am Morgen von der Mauer der Festung, bomm, wie einen Sack voll Knochen, verhungert. ,Herr Stabsarzt, woran ist er gestorben?' — ,Er ist verhungert. Wenn diese verfluchten Amerikaner sich nicht beeilen, uns zu befreien, dann kostet es uns allen die Haut.' Wir waren am Ende. Ich weiß nicht mehr, wieviel Kilo ich inzwischen verloren hatte. Und da waren auch ein paar Deutsche, einige von denen von der Organisation Todt, auch sie haben es gesehen, auch sie fluchten untereinander: ,Was sollen wir denn gegen die da machen? Hier sind welche vor Hunger gestorben (...) Was macht man da?' Aber vorwärts, nichts zu machen, da kamen diese famosen Generäle, diese Obersten mit den hermelinbesetzten Mänteln (...) In Dortmund war ich 1945. In der Nähe war ein Lager der Luftwaffe. Dort gab es noch etwas Brot für die Flieger, für die von den Jagdflugzeugen. Also los, alles weggebracht und runter damit, aufgegessen. Aber es war ihr
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Kaffee, der wie Suppenbrühe schmeckte, und ich hatte danach einen riesig aufgeblähten Bauch, aber danach ist es wieder weggegangen (...) Und am 11. April sind wir von den Amerikanern befreit worden. N a ja, in Deutschland, das waren sieben magere Jahre. Ja, ja, sie hatten uns richtig ausgelaugt! Wir hatten keinen Willen mehr, nichts mehr. So wie wir da heruntergekommen waren, hatten wir für nichts mehr Interesse, da war gar nichts mehr. Heute leben, um morgen zu überleben, wer weiß, wann es zu Ende ist. Danach bin ich dann in Italien angekommen, da war es noch schlimmer als in Deutschland (...) Ich komme an und kenne nichts mehr wieder. Als ich noch in Italien war, hatte das Glas Wein 70 Centesimi gekostet, ich komme zurück und es kostet 10 Lire! Alles verkehrt. Und es fehlte am Essen..." 1 8 1
10. Die Arbeiter und Deutschland Wir haben von den Beweggründen gesprochen, die bei Handwerkern und Bauern bei ihrer Entscheidung für die Abreise nach Deutschland vorherrschten. Ganz anders waren die Motive der Arbeiter, die ihrerseits untereinander wieder außerordentlich ähnlich waren. Vor allem bei den jüngeren trat zu den ökonomischen Beweggründen, also der besseren Verdienstmöglichkeit, ein gewisser „Abenteuergeist" hinzu sowie der Wunsch, mit einer Gesellschaft in Kontakt zu kommen, die technologisch eine Spitzenposition einnahm. Rinaldo Valente, 1923 in Omegna geboren, verließ die Maschinenfabrik Serafin in Omegna, wo er als unspezialisierter Mechanikerlehrling tätig war, und ging zu den Vogtländischen Metallwerken nach Plauen in Sachsen, wo er von Mai 1941 bis Februar 1942 arbeitete. „Ich bin vor allem des Geldes wegen nach Deutschland arbeiten gegangen", sagt er mir. „Zu jener Zeit verdiente ich in Italien 1,70 Lire pro Stunde, und in Deutschland betrug mein erster Lohn etwa eine Mark; das entsprach 7,20 Lire. Ich verdiente also viermal so viel wie in Italien. Außerdem gefiel mir die Idee, in ein Land zu gehen, das technisch besser entwickelt war. Tatsächlich habe ich dort arbeiten gelernt, ich hab' da neue Sachen gelernt." 1 8 2 Guido Grassi, 1923 in Casale Cortecerro geboren, Mechanikerlehrling bei der Fabrik Calderoni in Omegna, ging im August 1941 zu den Arado-Flugzeugwerken in das Lager Babelsberg bei Potsdam und arbeitete dort bis zum September 1942. Er äußerte sich wie folgt: „Für mich war es ein Abenteuer. Es war noch nicht einmal des Geldes wegen, auch wenn wir dort 90 Pfennig in der Stunde verdienten. Für mich war es vor allem, um die Welt zu sehen, weil es mir immer gefallen hat, herumzuziehen. Zuerst wollte ich nach England, aber es ist mir nicht gelungen, also bin ich nach Deutschland gegangen. Und auch um die deutsche Arbeitsorganisation kennenzulernen. Und die habe ich wirklich gesehen. Man muß schon sagen, daß die Leute da, auch wenn sie verrückt waren, doch in einer unglaublichen Weise organisiert waren. Und dann die Technik. Ich habe mir Zeichnungen mit nach Hause gebracht, um davon für meine Arbeit als Mechaniker zu profitie-
181 Interview mit Carlo Dal Farra am 9. 9. 1988 in Ponte delle Alpi. 182 Interview mit Rinaldo Valente am 27. 6. 1988 in Crusinallo. 183 Interview mit G u i d o Grassi am 13. 7. 1988 in Casale Cortecerro.
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich "
Luciano Gugole, 1925 in Brolo di Nonio geboren, arbeitete bei der Firma Cobianchi als Gießer. Er reiste zusammen mit Grandi als Dreher im August 1941 nach Deutschland und blieb dort bis September 1942. Er arbeitete zuerst als Feinmechaniker bei den Brandenburgischen Arado-Werken und dann bei der gleichnamigen G m b H in Babelsberg. Auch er ging nach Deutschland, „vor allem, um umherzuziehen, um etwas zu sehen. Außerdem dachte ich daran, ein bißchen mehr zu verdienen. Ich hatte 13.000 Lire auf die hohe Kante gelegt. Doch dann kam die Inflation..." 1 8 4 Eligio Remo Ricci, 1923 in Omegna geboren, war Mechanikerlehrling bei den Piemont-Werken in Omegna. Auch er ging im gleichen Zeitraum zu den Babelsberger Arado-Werken „gegen den Willen der Familie, um mit der damaligen deutschen Technik in Kontakt zu kommen. Damals war unsere Industrie sehr zurückgeblieben. Ich arbeitete für eine Mark und noch etwas die Stunde. Wenn man auf vieles verzichtete, konnte man den berühmten 1.000-Lire-Scheck nach Hause schicken. Aber das hieß, jeden Tag (außer Sonntag) 12 Stunden zu arbeiten. Und wer etwas ausgab, der hatte am Ende des Monats kein Geld mehr. Ich hatte Freunde, die machten das so - aber sie waren eine Minderheit unter den Arbeitern —, und es gab sogar solche, die sich von den anderen eine kleinere Summe leihen mußten." Bortolo Consoli, 1924 in Vigolo in der Provinz Bergamo geboren, aber damals in Omegna wohnhaft, arbeitete ebenfalls bei der Piemont-Maschinenfabrik als Mechanikerlehrling. Im August 1941 ging er zu den Arado-Flugzeugwerken nach Brandenburg und kehrte im Juli 1943 nach Italien zurück. Seine Abreise nach Deutschland wurde durch einen Streit ausgelöst — von dem noch später die Rede sein wird —, war aber auch motiviert durch .Abenteuergeist und durch den Faktor Verdienst, denn ich verdiente fünfmal so viel wie in Italien". 185 Dino Pizzetti, 1923 in Asola in der Provinz Mantua geboren, damals aber wohnhaft in Mergozzo, ging als Dreher ebenfalls zu den Arado-Werken nach Babelsberg. Von dort wechselte er zu der Berliner Firma Kaltemberg. Er blieb von August 1941 bis Mitte 1943 in Deutschland und ein weiteres Mal von Ende November 1943 bis April 1945. Auch er hatte in Italien einen Streit am Arbeitsplatz - auch davon später —, ging aber vor allem deshalb nach Deutschland, weil „es hieß, daß sie dort im Maschinenbau sehr viel weiter waren als wir, daß man dort mehr lernen konnte und gleichzeitig das Vierfache verdienen konnte." 186 Aldo De Paulis, 1924 in Grignasco geboren, war Mechanikerlehrling in einer kleinen Werkstatt in seinem Dorf. Auch er gehörte zu denen, die im August 1941 zu den Arado-Werken abreisten (er ging aber nicht wie die anderen nach Babelsberg, sondern nach Brandenburg). De Paulis erzählte folgendes: „Ein Lehrling war damals in Italien der Laufbursche für jedermann. Die älteren Dreher riefen dich, griffen mit einer Hand unter die eingefettete Fräse und schmierten dir das Zeug in die Fresse. Von allen herumkommandiert ging es mir sehr schlecht. Die Plakate an den Wänden verkündeten, daß Lehrlinge und Facharbeiter für Deutschland gesucht wurden, und der Abenteuergeist hat mich gepackt. Neue Leute kennenlernen! Und dann dachte ich daran, daß die Deutschen auf dem Gebiet des Maschinenbaus stark sind 184 Interview mit Luciano Gugole am 18. 8. 1988 in Omegna. 185 Interview mit Bortolo Consoli am 8. 5. 1988 in Orta San Giulio. 186 Interview mit Dino Pizzetti am 25. 1. 1989 in Mergozzo.
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(...) ,Ich gehe nach Deutschland'. In dem Alter damals da hatte man eine Menge Ideen. In Italien gaben sie mir 1,70 Lire am Tag. In Deutschland 50 Pfennig pro Stunde. Als Mechanikerlehrling war ich der Produktion von Ersatzteilen zugeteilt und verdiente mehr als ein spezialisierter Dreher in Italien, der 1,20 Lire verdiente. Ich arbeitete 10 Stunden und verdiente 5 Mark am Tag. Unendlich viel mehr als in Italien. Deutschland hat auf mich großen Eindruck gemacht, vor allem was den Arbeitsablauf und die technische Seite anging. Zum Arbeiten benutzten wir Werkzeuge, die ich nie gesehen hatte. Der Vorarbeiter an der Werkbank hatte in seiner Schublade Arbeitszettelchen für die Arbeiten in seinem Bereich, und er wies den Arbeitern je nach ihren technischen Fähigkeiten die Arbeiten zu. In der Mappe, die er mir gab, waren Zettelchen drin mit Zahlen und Wörtern. So begann ich ζ. B. bei dem Sektor Zeichnungen und entnahm aus der Mappe den für die Zeichnung vorgesehenen Umschlag. Dann nahm ich aus der Mappe den Umschlag mit der Erlaubnis, das Wägelchen zu benutzen. Denken Sie nur, daß sie bereits Wägelchen hatten, die mit Batteriebetrieb fuhren! Ich ging in den Sektor mit den Rohlingen, und sie luden mir die Aluminium- oder Eisenrohlinge auf, auf deren Basis ich weiterzuarbeiten hatte. Wenn auf ein solches Stück weitere Stücke zu schweißen waren, so nahm ich aus dem Umschlag auch den Zettel mit der Nummer des Schweißgeräts, und dann ging ich zum Schweißen in eine dieser riesigen Hallen genau zu jenem Schweißgerät. Diese fabelhafte Organisation hatte mich beeindruckt. Und dann gab es in den Hangars noch die Lautsprecher mit Musik, und sie gaben dir ein Blatt, auf dem die Stunden aufgeschrieben waren, und sie fragten dich, welche Musik du lieber zu der oder zu einer anderen Zeit hören wolltest. Diesen Zettel gabst du dem Anführer der Wache, der ihn wiederum zum Bürochef brachte, der ihn wiederum an ein entsprechendes Büro weitergab, das die eingegangenen Antworten analysierte; und die größere Nachfrage nach dieser oder jener Musik entschied. Und sie spielten die Musik während der Arbeit. Und dann konntest du zur Toilette gehen, um eine zu rauchen, und selbst wenn der Vorarbeiter kam, sagte er nichts." 187 Im Gespräch mit den Arbeitern unter meinen Zeitzeugen (etwas anders ist die Lage im Fall der Bauern, der Bergleute und der Bauarbeiter), habe ich den Eindruck gewonnen, daß die meisten (auch wenn es ein paar gab, denen unpassende Tätigkeiten zugeteilt wurden und die die Situation vom beruflichen Gesichtspunkt her unerträglich fanden) die Massenproduktion durchaus schätzten, in die sie eingepaßt wurden. Dort genügte eine kurze Ausbildungs- und Anlernzeit, um gut zu arbeiten, und die dort vorherrschenden Arbeitsrhythmen wurden von allen als nicht besonders belastend angesehen. Vor allem schätzten diese Arbeiter in hohem Maße die geringere Arbeitsanstrengung im Vergleich zu den belastenden Arbeitsrhythmen, die sie in Italien zurückließen — vor allem jene kleiner Fabriken, die sich auf die übermäßige Ausbeutung der Arbeitskräfte stützten. Im übrigen werden auch die landwirtschaftlichen Arbeiten und selbst die Bauarbeiten im Vergleich mit den Arbeitsrhythmen in Italien in den meisten Fällen als nicht übermäßig schwer angesehen. Einige der Bauarbeiter, die im Jahr 1939 nach Italien zurückkehrten, um dort den Osterurlaub zu verbringen, erzählen im nachhinein beispielsweise, daß ein deutscher Maurer nicht mehr als 700 Ziegel am Tag verarbeitete, während der italienische Maurer bis zu 1.200 Ziegel am Bau unterbrachte. 188 Viele Arbeiter erzählen
187 Interview mit Aldo De Paulis am 6. 7. 1988 in Grignasco. 188 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Padua, den 10. 4. 1939.
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darüber hinaus, daß sie von den deutschen Arbeitern dazu aufgefordert worden seien, „langsamer zu arbeiten". Dies scheint eine der illegalen Parolen 189 gewesen zu sein, die von der deutschen Arbeiterklasse am wohlwollendsten aufgenommen wurde. Marcello Crevola, 1907 in San Maurizio d'Opaglio bei Borgomanero geboren, der von 1941 bis 1943 als Polier bei den Münchner BMW-Werken tätig war, erzählt beispielsweise, daß man „nicht so arbeiten konnte, wie man wollte, weil die deutschen Arbeiter nicht wollten, daß man so viel wegschaffte. Sie sagten: ,Ihr anderen geht nach Hause, wenn der Krieg zu Ende ist, aber wir bleiben hier zum Arbeiten.' Sie sagten uns ununterbrochen, wir sollten langsamer machen, und sie schrien uns sogar an und buhten uns aus. Arbeiter und Vorarbeiter sagten, wir sollten wenig arbeiten, sonst wären sie gezwungen, die gleiche Leistung zu bringen. Die Arbeitsrhythmen in Deutschland waren weitaus weniger schwer als bei uns, viel weniger. Zu Hause schaffte man nie genug. In Deutschland hingegen immer zuviel." 190 Luciano Gugole bestätigt dies: „Wenn man gut arbeitete, dann übten sie keinen Druck aus, eine ruhige Arbeit. (...) Nein, nein, das war es nicht (...), wenn das in Italien gewesen wäre, (...) bei uns setzten sie uns das Messer auf die Brust..." Und Dino Pizzetti erklärt sogar: „Zu sagen, daß wir die Hälfte von dem schafften, was wir in Italien arbeiteten, scheint mir fast übertrieben. Ich sagte ,Ende' und reinigte die Maschine oder ging eine rauchen. Ich mußte nur anwesend sein." Die Arbeitszeiten konnten während des Krieges zu manchen Zeiten bis zu 12 Stunden täglich betragen, aber die Arbeit ging dennoch gelassen vonstatten. Viele der interviewten Arbeiter haben im übrigen erklärt, daß sie am Arbeitsplatz „mehr respektiert" wurden als in Italien. Was die Gesundheitsfürsorge anging — bei der bereits mehrfach die Grenzen der Wirksamkeit in einigen Randlagen beklagt worden sind, vor allem auf den Baustellen und in den Bergwerken - , gibt der Fall von Bernardino Ruggeri, einem sozialistisch inspirierten Facharbeiter, der während des kurzen Aufenthalts bei der Firma Erich & Graetz in Berlin im Jahre 1941 erkrankte, einen gewissen Aufschluß: „Beim Eindrehen einer kleinen Schraube habe ich mir den Schraubenzieher in die Hand gerammt und habe mir einen Nerv verletzt. Ich bin 14 Tage zu Hause gewesen. Dann haben sie mich für weitere 7 Tage krank geschrieben. Aber in der Fabrik brauchten sie mich, um die Radios zu justieren. ,Du kannst das doch mit einer Hand machen' — ,Na gut, ich komme, um ein bißchen zu helfen, aber ich bleibe weiter krank geschrieben. In der Zwischenzeit konnte ich die erste Woche krankfeiern. Ich hab' gedacht: ,Mit dem Führer mag es sein, wie es will, aber in der Gesetzgebung sind sie weiter als wir.'" 191
189 In der Süddeutschen Volksstimme vom Juli 1939 heißt es: „.Wieviel Lohn, soviel Leistung' und .langsamer arbeiten', diese illegalen Parolen haben sich heute in eine Methode des Kampfes verwandelt, die an vielen Orten und in wirksamer Form zu finden ist." (zit. nach W. A. Schmidt, Damit Deutschland lebe. Ein Quellenwerk über den deutschen antifaschistischen Widerstand 1933-1945, Berlin 1958, S. 100). 190 Interview mit Marcello Crevola am 26. 1. 1989 in San Maurizio d'Opaglio. 191 Interview mit Bernardino Ruggeri am 17. 5. 1989 in Bologna.
Eine Wanderungsbewegung mit „Subversiven " und „Störenfrieden "
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11. Eine Wanderungsbewegung mit „Subversiven" und „Störenfrieden" Bei der Abreise der Industriearbeiter aus Italien muß auf die Leichtfertigkeit hingewiesen werden, mit der — nach den ersten Jahren und zumindest ab 1941 - die Erlaubnis für den Arbeitsplatzwechsel nach Deutschland gegeben wurde. Wir haben ja bereits auf die geringe ärztliche und gesundheitliche Kontrolle der Abreisenden hingewiesen. Viele Arbeiter unterstreichen, daß die ärztliche Untersuchung „ziemlich flüchtig" war und daß „sie mehr auf die Tuberkulose als auf irgend etwas sonst achteten". Im folgenden gebe ich die Beschreibung einer solchen Untersuchung, die im übrigen von einem deutschen Arzt im Juli 1940 in Grosseto bei einer Gruppe von Arbeitern durchgeführt wurde, die dazu bestimmt waren, im Bergwerk zu arbeiten, was doch sicher eine anstrengende Arbeit war: „Gestern hat sich überraschend ein Arzt der Deutschen Arbeitsfront — in Begleitung eines Funktionärs der Confederazione — bei der Provinzunion der Industriearbeiter gemeldet, um zusammen mit den Ärzten der Industriearbeiter-Krankenkasse die Bergleute zu untersuchen, für die die Abreise nach Deutschland bevorstand (...) Während er darauf wartete, die anderen Abreisenden zu untersuchen, eine Untersuchung, die heute morgen stattgefunden hat, verlangte der deutsche Arzt vom Provinzialbüro der Krankenkassen, die dort vorhandenen allgemeinen Krankheitsblätter derjenigen Arbeiter, die er zu untersuchen hatte, einsehen zu können. Wenigstens die Hälfte der Arbeiter hatte vorher Krankheiten gehabt, und vielleicht brauchen einige noch nicht einmal untersucht zu werden angesichts ihres Allgemeinzustands. Es wäre logischer und seriöser gewesen, wenn die Arbeiter einer strengen Untersuchung von Seiten der Krankenkassenärzte unterzogen worden wären, bevor man den deutschen Arzt nach Grosseto kommen ließ und — noch besser — bevor man der Confederazione und der Deutschen Arbeitsfront die Namen der Abreisenden mitteilte, so daß die als physisch ungeeignet Angesehenen noch vorher hätten herausgezogen werden können. Glücklicherweise muß der Bedarf an Arbeitskräften in Deutschland sehr groß sein, denn nach einer sehr summarischen Untersuchung, bei der nur 3 oder 4 als ungeeignet abgewiesen wurden, hat der deutsche Arzt alle anderen en bloc akzeptiert. Die Untersuchungen, die um 10 Uhr begannen, waren etwa 12 Uhr beendet. Da es sich insgesamt um 33 Arbeiter handelte, waren die Kontrollen höchst oberflächlich." 192 Erst im Juli 1941 wurden die ärztlichen Kontrollen sehr viel strenger, vor allem weil „viele der für Deutschland bestimmten Arbeiter an den Auffangstellen zurückgewiesen werden, weil sie physische Mängel aufweisen". 193 Das heißt, daß ein Teil der Arbeiter bei den Kontrollen durch die deutschen Beauftragten zurückgewiesen wurde, weil diese, man könnte sagen: mit bloßem Auge, feststellten, daß sie ungeeignet waren! Nicht zufällig werden wir es daher noch mit Tragödien zu tun haben, die solche Bauarbeiter ereilten, die aufgrund der schuldhaften Komplizenschaft der Ärzte bereits krank abgereist waren.
192 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Grosseto, den 30. 7. 1940. 193 Atchivio del C o m u n e di Novara (im folgenden: ACN), Brief der Kgl. Präfektur Novara an die Bürgermeister in der Provinz, vom 7. 7. 1941, betr.: Für Deutschland vorgesehene Arbeiter, gez. Der Präfekt.
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Des weiteren reisten Arbeiter ab, ohne daß die Faschistische Arbeitergewerkschaft den Ausweis mit der Zugehörigkeit zur Faschistischen Partei verlangt hätte, so als wolle man es geradezu darauf anlegen (wie wir es bereits im Fall der Emigration nach Frankreich in den Jahren 1930 und 1931 festgestellt haben), jedes oppositionelle Gären ins Ausland zu treiben. Attilio Vignarelli, am 26. Juni 1903 in San Pietro Mosezzo in der Provinz Novara geboren, ein von sozialistischen Ideen geprägter Setzer in der Druckerei, der [polizeilich] bereits bekannt war, weil er an den Fabrikbesetzungen im Jahre 1920 teilgenommen hatte, und der nie in der Faschistischen Partei war, erzählt beispielsweise, daß er sich im Juni 1939 auf folgende Weise zu den Germendorfer Heinkel-Werken begeben hatte, wo er bis zum Dezember desselben Jahres blieb: „In der faschistischen Gewerkschaft war der Renato Ruspo aus Cameri, er war der Sekretär, und wir waren kontra. Er war Faschist, und ich war Sozialist. Aber wir haben Omar zusammen gemacht, wir haben zusammen bei der Luftwaffe gedient, kurz: wir waren Freunde und Feinde zugleich. Als ich jedoch dorthin [nach Deutschland] gegangen bin, da hat er daran gedacht, mir die Papiere auszustellen. Und er wollte mich dort zum Lagerführer machen. Ich hab' ihm gesagt: ,Nein, Renato, schick' einen anderen, um das zu machen. Ich gehe dorthin, um zu arbeiten und sonst nichts.' [in Dialekt] Daraufhat er kapiert, denn wir waren immer entgegengesetzter Meinung." 194 Wenn man also befreundet war, konnte es sogar vorkommen, daß ein Arbeiter zum Lagerfiihrer vorgeschlagen wurde, der für sozialistische Ideen bekannt war, aber von dem man auch wußte, daß er eine lange praktische Erfahrung in der Arbeitswelt hatte und daß er deswegen vertrauenswürdig war. Unter denen, die sich nach Deutschland begaben, um dort zu arbeiten gab es mitunter auch welche, die sich als Kommunisten oder Sozialisten bekannten (so geht es zumindest aus verschiedenen Äußerungen hervor) und die den Arbeitskollegen gegenüber daraus kein Geheimnis machten, wenn sie diesen vertrauten. Des weiteren ging auch ein gewisser Anteil von Arbeitern nach Deutschland, die mit dem Arbeitgeber Streit gehabt hatten, die mit ihrem Vorarbeiter tätlich aneinandergeraten waren oder die schwere Verfehlungen begangen hatten und die daher vor Ort keine Arbeit mehr gefunden hätten. Attilio Vignarelli erzählte, daß „dort, wo ich war, bei Gd & Baci in Novara, der Chef einen zum Vorarbeiter gemacht hatte, der unter mir war. Ich hab' mich darüber aufgeregt. Aber damals, wenn einer entlassen wurde, dann erhielt er keine Abfindung. Doch plötzlich hieß es im Gesetz, daß der Arbeitgeber sie für einen, der nach Deutschland ging, dennoch zahlen mußte". Und Dino Pizzetti erinnert sich, daß er „damals, als ich 14 Jahre alt, ich als Lehrling bei der Firma Marenzi in Crusinallo beschäftigt war. Später habe ich mich dann mit jemandem gestritten. Ich habe vier Monate Ferien gemacht, dann konnte ich nach Potsdam gehen. Ich habe mich gestritten, weil der Direktor, ein gewisser Manini, mich die Teile fur die Benzinzuleitung in den MacchiFlugzeugen, die aber in Ordnung waren, bezahlen lassen wollte. Ich habe also gesagt: ,Sie wissen, daß meine Stücke alle in Ordnung waren. Den geringen Ausschuß habe ich Ihnen gezeigt.' Denn wir arbeiteten in zwei Schichten von morgens bis abends um 10. Und für die Art, wie er mich zahlen lassen wollte, da ist ihm das Tintenfaß voller Tinte auf dem weißen Hemd gelandet."
194 Interview mit Attilio Vignarelli am 13. 5. 1989 in Novara.
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Bortolo Consoli bekannte, daß er „um ehrlich zu sein, nach Deutschland gegangen ist, weil ich mit dem Abteilungsleiter Streit hatte. Denn er wollte mir eine Arbeit geben, die nicht in mein Fach fiel. Er hat mir das noch einmal gesagt, und da habe ich ihm einen schönen Faustschlag versetzt, ich wog bereits so um die 70 bis 80 Kilo. Ich bin aus der Fabrik raus und sofort zum Arbeitsamt gegangen, denn ich wußte, daß ich schuld war. Ich wußte, daß für Deutschland Leute gesucht wurden und da..." Auch Gianni Bellotti, 1923 in Omegna geboren, entschied sich im August 1941, nach Deutschland zu gehen, weil er mit dem Inhaber der Piemontesischen Eisenwerke, wo er arbeitete, Streit bekommen hatte. Auch er war Mechanikerlehrling, und auch er ging zu den AradoFlugzeugwerken nach Babelsberg. 195 „Mein Schwager Enrico Monier, 1902 in Villadossola geboren, wurde 1938 aus disziplinarischen Gründen entlassen. Er arbeitete bei den Sisma-Werken in der Zieherei-Abteilung. Es zerbrach eine Maschine, die dazu diente, das Eisen zu ziehen, und er wurde der Nachlässigkeit geziehen und für den Vorfall verantwortlich gemacht. Er wurde entlassen. Er hatte eine Frau und drei kleine Kinder, die er ernähren mußte. Er ging zum Arbeiten nach Berlin, zu den Arado-Flugzeugwerken." 196 Abgesehen von der Anwesenheit antifaschistischer Arbeiter, die aus Frankreich und Belgien kamen und von denen ich bereits gesprochen habe, müssen auch diese Aspekte des Emigrationsstroms in Erinnerung behalten werden, wenn man vollständig verstehen will, wie aus dieser Deutschland-Erfahrung bei den Arbeitern Protest- und Oppositionshaltungen erwachsen sind. Es ist nicht so, als wären alle Italiener,Arbeiter-Fremdenlegionäre" gewesen, um die schillernde Bezeichnung aufzugreifen, die Gino Vermicelli benutzt hat. Aber im allgemeinen wiesen die Jugendlichen eine solche Haltung auf, während unter den älteren Arbeitern und unter denen mit einer vielköpfigen Familie eine geringere Zahl von einem solchen Abenteuergeist erfüllt war. Dennoch muß eine beträchtliche Zahl von Arbeitern von einem solchen Geist beseelt gewesen sein, und es scheint mir, daß dies auch der Eindruck war, den Dino Alfieri, der von Mai 1940 bis September 1943 italienischer Botschafter in Berlin war, gewonnen hatte: „Die Masse der Italiener war keineswegs homogen zusammengesetzt. Darunter waren unerwünschte Elemente, Nichtstuer, Abenteurer, von denen sich die Gewerkschaftsorgane gerne befreiten; undisziplinierte Menschen, immer unzufrieden, Stänkerer, die gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland die Schuhe und den Mantel verkauften, Sachen, die kaum zu finden und daher äußerst gefragt waren; aber ich wiederhole, die große Mehrheit bestand aus ernsthaften, ehrlichen, arbeitsamen und disziplinierten Arbeitern, die Italien mit ihrem Verhalten alle Ehre gemacht haben." 197
195 Interview mit Gianni Belotti am 19. 7. 1989 in Omegna. Gianni Belotti wollte keinen Tonbandmitschnitt seiner Äußerungen und daher habe ich mich auf das Mitschreiben des Gesagten beschränken müssen. 196 Interview mit Giovanni Zaretti am 13. 1. 1989 in Novara. 197 Dino Alfieri, Due dittatori di fronte, Mailand 1948, S. 170.
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12. Geld zusammenbringen auf jede mögliche Art und Weise Dino Alfieri sagte: „...man verkaufte die Schuhe und den Mantel...". Die Italiener waren Arbeiter, die auf allen Wegen Geld zu machen versuchten. Im Sommer 1941 waren in Deutschland, wie ein Arbeiter meinte, der aus Westfalen zurückkehrte, „die Schaufenster der Läden voller Waren, aber man kann nichts kaufen, weil die Läden innen drin ganz oder nahezu leer sind". 198 Im September 1941 werden in Italien Maßnahmen gegen die Blockade des Bekleidungssektors ergriffen, der nicht zuletzt durch das Faktum lahmgelegt worden war, daß die Deutschen in Italien die italienischen Läden geradezu leergeräumt hatten. 199 Wir haben bereits gehört, daß Carlo Dal Farra aus seinem Urlaub in Italien Seidenstrümpfe und Dessous mitnahm, um sie in Deutschland zu verkaufen. „Die Italiener waren es, die die Geschäfte machten", erinnerte sich Mario Da Rol, geboren 1910 in Cavarzano in der Provinz Belluno, ein ehemaliger Brotbäcker, der 1942 als Eisenbahnhilfsarbeiter nach Kilberg bei Innsbruck ging und später nach Schkopau bei Halle als Schreiner bei den Leunawerken. „Sie verkauften. Wenn sie im Urlaub nach Italien fuhren, brachten sie alles mit und da gab es viele, die keine Sachen hatten. Nicht Deutsche, nä, aus anderen Ländern. Und die arbeiteten und bezahlten ihnen eine Hose, die 20 kostete, die der Italiener ihm für 100 verkaufte [sie]. Viele Italiener kamen mit dem Zeug, vielleicht zwei oder drei Kleider und verkauften sie an die Russen oder anderen Nationen. Nicht die Deutschen. Die Deutschen kauften nix und verkauften nix." 200 Der Handel mit Kleidungsstücken vereinte faschistische Vertrauensmänner, Lagerführer und Arbeiter und war äußerst verbreitet, selbst auf der Basis der Polizeiakten, aus denen hervorgeht, daß — bei dem Obmann Antonio Zanchetta (geboren 1900 in Oderzo in der Provinz Treviso) „20 Paar Frauenstrümpfe, 23 Meter Seidenstoffe, 500 Päckchen Zigaretten, 1000 Zigarillos Marke Toscani, 5 kg Schokolade und andere Schmuggelwaren gefunden wurden"; 201 — bei Baidassare Bussello (geboren 1905 in Agrigent) wurden „19 Paar Frauenstrümpfe, 11 Paar Männerstrümpfe, 30 Seidenschärpen, 2 Rollen Stoff und andere Schmuggelwaren gefunden"; 202 Mario Mazzoccato (geboren 1911 in Caerano San Marco in der Provinz Treviso) hat „schwarz mit Kleidern, Butter und Wein gehandelt. Er wird darüber hinaus verdächtigt, verschiedene Kleidungsstücke gestohlen zu haben. Er stellt sich häufig krank, um nicht arbeiten zu müssen, führt aber ein liederliches Leben und praßt mit Freunden und Frauen"; 203 198 199 200 201
ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Parma, den 2. 7. 1941. Ebenda, Rom, den 7. 10. 1941. Interview mit Mario Da Rol am 8. 9. 1988 in Belluno. ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Servizio Migrazioni Estero, Prot. η. 11/17445/E. 38/2, Rom den 18. 11. 1942, an das Innenministerium, Generaldirektion P.S., Divisione Affari Generali e Riservati (im folgenden: A.G.R.), betr.: In Deutschland beschäftigte italienische Arbeiter, die wegen gewöhnlicher Vergehen verhaftet wurden. 202 Ebenda. 203 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Kopie des Schreibens des Korporationsministeriums, Servizio Migrazioni Estero, Prot. η. 11/6009/E. 18/7, Rom den 23. 1. 1943, an das Innenministerium,
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— Angelo Mazzuccato (geboren 1907 in Padua) „hat Kleidungsstücke, die er aus Italien geschmuggelt hat, zu übertriebenen Preisen an Russinnen verkauft, die in dem gleichen Werk beschäftigt waren"; 204 — Sabato Monaco (geboren 1904 in Torre Annunziata) „rückfällig des Schmuggelvergehens, wurde dabei überrascht, wie er an Frauen russischer Nationalität zu überhöhten Preisen Waren verkaufte, deren Herkunft er nicht angeben konnte". 205 — Mose Massirani (wohnhaft in Lecce) wurde am Tor des Lagers Salzhof beim Ausgehen „mit einem Koffer überrascht, der folgendes enthielt: ein neues Kleid, ein Paar neue Bergschuhe, ein Paar neue Stiefel, ein Paar halbneue Halbschuhe, zwei Stoffstücke für einen Kittel, 6 Paar Seidenstrümpfe, eine neue Bluse, ein Paar neue Wollunterhosen und zwei Fläschchen Parfüm". 206 Der Lagerführer schlug ihm die Heimkehr nach Italien vor, „um diesem Handel, der sich bereits in jedem Lager breitgemacht hat, einen Riegel vorzuschieben". 207 Blühend waren die Geschäfte mit Schuhen, die äußerst gefragt waren auf dem Schwarzmarkt und die auch an Kriegsgefangene verkauft wurden: Giuseppe Bartolini, ein Arbeiter aus Cerreto d'Esi in der Provinz Ancona, schrieb am 25. September 1940 aus Braunschweig an seine Frau: „Bevor du das Paket machst, warte auf mich, damit ich dir sage, was du mir schicken mußt, vielleicht schickst du mir noch ein Paar Schuhe, weil ich über meine mit einem Polen am Handeln bin, und wenn ich es geschickt anstelle, verdiene ich mehr als 100 Lire, hier oben gibt es keine wie die, in jedem Fall sage ich dir Bescheid mit einem weiteren Brief.. ."; 208 er bittet daher, „noch ein Paar Schuhe wie die, die du geschickt hast Größe 41, denn mit den anderen verdiene ich viel". 209 Pietro Di Leonardo (geboren 1901 in Calascibetta, Provinz Enna), verkauft „Gummisohlen zu Liebhaberpreisen". 210
Generaldirektion P.S., Divisione A.G.R., betr.: Polizeiliche Maßnahmen. Italienische Arbeiter, die aufgrund behördlicher Anordnung aus Deutschland zurückgeholt wurden. 204 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Kgl.-Italienisches Vizekonsulat Mannheim, Kopie des Fernschreibens n. 2 7 8 9 vom 27. 4. 1943 an Kgl. Außenministerium, Kgl. Innenministerium, Kgl. Italienische Botschaft Berlin, Kgl. Konsulatsbehörden in Deutschland, Kgl. Grenzpolizeibüro am Brenner, Kgl.-Büros der Spezialpolizei für die aus Deutschland Repatriierten, Verona, Kgl. Polizeiämter in Brescia, Messina, Neapel, Padua und Vicenza; betr.: Repatriierungen. 2 0 5 Ebenda, Aus einem Verzeichnis von aus verschiedenen Gründen repatriierten Arbeitern, vom 30. 4. 1943. 2 0 6 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 23, Kopie des Schreibens prot. 9 6 6 8 CA/Du, betr.: Massironi M o s i di Enrico, wohnhaft in Lecce, vom 5. 9. 1942, an das Kgl.-Italienische Konsulat in Berlin. 2 0 7 Ebenda. 2 0 8 A C S , M i n . Int., DGPS, DPP, Band 223, Von der Provinzial-Zensurkommission Ancona maschinengeschriebene Kopie eines Briefes von Giuseppe, Watenstedt 1 über Braunschweig, Lager 11, Stube 140, Deutschland (Poststempel Cerreto d'Esi, Provinz Ancona, 25. 9. 1940) an Eugenia Bartolini, Ospedale Civile Umberto I, Ancona. 2 0 9 Ebenda. 2 1 0 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Kopie der Note des Korporationsministeriums, Staatssekretariat fur Migration und Kolonisation, η. 11/6172/E. 18/7 vom 16. 2. 1943, an das Innenmi-
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Federico Visentin (geboren 1913 in Görz) verkauft „ein Paar neuer Schuhe, um sich zu bereichern". 211 Besonders stark ist auch der Handel mit Wein, Zigaretten und Lebensmitteln aller Art. Es sind viele, die zu astronomischen Preisen an Deutsche oder an öffentliche Einrichtungen den Wein verkaufen, der Teil der Genußmittel ist, die aus Italien nach Deutschland geliefert werden. Der ein oder andere verdoppelte kurzerhand seinen Gewinn, indem er ihn einfach verwässerte. Luciano Gugole erzählte mir diesbezüglich vom Lager der Firma Arado in Babelsberg: „Der Chianti, der aus Italien kam, 5 Flaschen pro Monat und pro Kopf, den verkauften wir an die Deutschen, um etwas Geld zu verdienen. Wir zogen den Korken aus der Flasche, mischten halb Wein, halb Wasser und verkauften die Flasche zu 18 Mark. Wir bezahlten gar nichts dafür, weil sie ihn uns aus Italien schickten. Nur daß sie später gemerkt haben, daß er verwässert war und sie haben uns erwischt und etwas Krach gemacht [in Dialekt]. Dann kamen die Zigaretten aus Italien, die schlechtesten, die es gab. Die waren mehr für uns als für sie, natürlich, aber davon verkauften wir auch." Sein bäuerlicher, wehrpflichtiger Arbeitskollege Bernardo Mario Borgatta präzisiert weiter, daß sie den Wein an Kneipen und Gaststuben verkauften und daß dieses Verhalten auch in anderen italienischen Arbeitslagern üblich war.212 Auch in München, so berichtete Marcello Crevola, „kamen Deutsche und Polen, um unseren Wein zu kaufen. Sie gaben 5 oder 6 Mark fiir die Flasche". Bortolo Consoli erzählte, daß sie nach einer ersten Zeit des Hungers im Werk Brandenburg „das Ganze auf italienische Art angefangen haben, schwarzer Markt, Markt aller Farbschattierungen: du hast Butter, Margarine, Zigaretten verkauft, du hast verhandelt. Den Deutschen gabst du die Butter und sie gaben dir die Karte für das Brot, das damals 28 Pfennig kostete. Auf diese Weise ging es mir gut. Ich verdiente Geld und aß gut." Dieses, von den Zeitzeugen überlieferte Bild wird durch die polizeilichen Maßnahmen bestätigt. Argillano Luciani, Filippo Filipponi, Francesco Meola, alle seit zwei Jahren in Deutschland, verkaufen im Juli 1943 im Lager Lippendorf sieben Liter Wein für 90 Mark an zwei Russen, die darauf sturzbesoffen sich mit ihnen prügelten. 213 Pietro Foddai, 1914 in Porto Torres in der Provinz Sassari geboren, „hat mit russischen Gefangenen Schwarzhandel mit Tabak und Wein betrieben".214
nisterium und (zur Kenntnisnahme) an die Faschistische Industriearbeiterkonföderation, Dienststelle: Arbeiter in Deutschland; betr.: Polizeiliche Maßnahmen. Italienische Arbeiter, die aufgrund behördlicher Anordnung aus Deutschland zurückgeholt wurden. 211 Ebenda. 212 Interview mit Bernardo Mario Borgatta am 27. 7. 1988 in Brolo di Nonio. 213 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 23, Lager der Italienischen Industriearbeiter, Lippendorf, Nr. 575 di Prot. I/Co, Schreiben vom 4. 8. 1943, an das Kgl.-Italienische Vizekonsulat Leipzig, betr.: Bericht über den mißbräuchlichen Verkauf von Wein zu überhöhten Preisen. 214 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Korporationsministerium, Staatssekretariat fiir Migration und Kolonisation, Servizio Migrazioni Estero, prot. n. 11/8151/H. 18/7, Rom den 15. 4. 1942, Schreiben an das Innenministerium, Generaldirektion PS., Divisione A.G.R., betr.: Polizeiliche Maßnahmen. Italienische Arbeiter, die aufgrund behördlicher Anordnung aus Deutschland zurückgeholt wurden.
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Giacomo Cimatti, der 1894 in Galeata in der Provinz Fori! geboren wurde und im August 1942 im Lager Nr. 12 in Braunschweig arbeitete, besaß Freunde in Watenstedt, wo er vorher gearbeitet hatte, und ging mitunter samstags dorthin, um sie zu besuchen. „Unter diesen", berichtete er der italienischen Polizei, „gab es welche, die nicht Hunger leiden mußten, und ich kaufte die Zigaretten für 4 Mark und verkaufte sie an andere Freunde im Lager Nr. 12 (...) für 4 Mark 50 und gewann dabei 50 Pfennig pro Päckchen. Dies machte ich im Auftrag der französischen, slowakischen, holländischen und auch spanischen Arbeitskollegen." 215 Cimatti präzisierte ferner, daß er seiner Frau „das schickte, was er bei der Arbeit herausholte, den Ertrag der anderen Geschäfte und auch etwas vom Gewinn aus den Zigaretten, denn ich hatte zu Hause die Frau mit vier Kindern zurückgelassen und mußte daher versuchen, Geschäfte zu machen." 216 Angelo Marson, 1910 in Annona Veneto in der Provinz Venedig geboren, hatte „Zigaretten gegen Brotkarten verkauft". 217 Giovanni Razza, 1896 in Chioggia, ebenfalls in der Provinz Venedig geboren, „soll einen unerlaubten Handel mit Tabak und Lebensmitteln betrieben haben". 218 Giuseppe Barbato, geboren in Benevent, hat „mit Tabak und Wein gehandelt". 219 Edoardo Del Grosso, 1904 in Torre le Nocelle in der Provinz Avellino geboren, hat „versucht, in einem Cafe 18 Päckchen A.O.I. [Italienisch-Ostafrika] und 5 paar Frauenstrümpfe zu verkaufen. Ferner wurden bei ihm 4 deutsche Seifengutscheine gefunden, die zum Teil beweisen, daß er andere Käufe getätigt hat." 220 Gennaro Vecchia, 1889 in Neapel geboren, hat versucht, „in Berlin 14 Päckchen Zigaretten Marke Nazionali zu verkaufen". 221 Pasquale Curione, 1886 in Fardella in der Provinz Potenza geboren, verkaufte „italienische und deutsche Waren auf der Straße". 222 Luigi Sturna, 1905 in Taipana in der Provinz Udine geboren, verkaufte „Wein, Tabak und Zigaretten mit einem Gewinn von 150 Mark". 223 Aldo Biasutti, 1912 in Udine geboren, hatte versucht,
2 1 5 ACS, M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Kgl. Carabinieri, Territoriallegion Bologna, Posten San Martino in Strada, betr.: Protokoll der Befragung von Giacomo Cimatti, geboren in Galeata am 2. 9. 1894 und wohnhaft in Forll, Frazione San Martino in Strada Nr. 80, Arbeiter. 2 1 6 Ebenda. 2 1 7 ACS, M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Korporationsministerium, Staatssekretariat für Migration u n d Kolonisation, Servizio Migrazioni Estero, prot. η. 11/8151/E. 18/7, Rom den 15. 4. 1942, Schreiben an das Innenministerium, Generaldirektion ES.. 2 1 8 ACS, M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Servizio Migrazioni Estero, Prot. η. 11/17445/E. 38/2, Rom den 18. 11. 1942, an das Innenministerium. 2 1 9 Ebenda, Innenministerium, Generaldirektion PS., Divisione A.G.R., Kopie der Personalakte von Mario Enea, betr.: Kopie der Note des Korporationsministeriums, Kommissariat für Migration und Kolonisation, Servizio Migrazioni Estero, η. 11/19779/E. 38/3 vom 15. 1. 1943 an das Innenministerium, Generaldirektion PS., Divisione A.G.R., betr.: Italienische Arbeitsdisziplin - Verhaftete Arbeiter. 2 2 0 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Kopie des Schreibens des Korporationsministeriums, Servizio Migrazioni Estero, Prot. η. 11/6009/E. 18/7, Rom den 23. 1. 1943, an das Innenministerium. 2 2 1 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Kopie der Note des Korporationsministeriums, Staatssekretariat fiir Migration und Kolonisation, η. 11/6172/E. 18/7 vom 16. 2. 1943, an das Innenministerium. 2 2 2 Ebenda. 2 2 3 Ebenda.
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„Schnaps, Zigarren und Zigaretten zu Liebhaberpreisen zu verkaufen". 224 Mario Oldani, 1909 in Bergamo geboren, zeichnete „verantwortlich dafür, Kontakt mit französischen Gefangenen gehabt zu haben und mit diesen Zigaretten gehandelt zu haben". 225 In etlichen Fällen wurde den Arbeitern allgemein der Handel mit unerlaubten Gegenständen vorgeworfen, aber in einigen wird auch ausdrücklich auf Schmuggelware aus Italien hingewiesen: Bernardo Piatti, 1899 in Casorate Sempione in der Provinz Varese geboren, „befand sich im Besitz von Waren, deren Herkunft er nicht erklären konnte". 226 Aleardo Rossi, 1905 in Verona geboren, war „verantwortlich für Schwarzhandel". 227 Pietro Cremona, 1905 in Naro in der Provinz Agrigent geboren, wurde „angeklagt, Schwarzhandel betrieben zu haben". 228 Andrea Cacciaguerra, 1894 in Augusta in der Provinz Syrakus geboren und wohnhaft in Savona, wurde im März 1943 aus Leipzig nach Italien zurückgeschickt, weil er unter anderem „Inhaber eines Kontos bei einer örtlichen Bank ist, das mehrere Hundert Mark Guthaben aufweist. Außerordentliche Gewinne und das Bankkonto sind, laut Bekenntnis von Cacciaguerra, der Gegenwert für verschiedene Waren, die aus dem Königreich zu Handelszwecken exportiert wurden". 229 Giovanni Inglima, 1899 in Canicatti in der Provinz Agrigent geboren, wurde „des Schwarzhandels und Devisenschmuggels angeklagt". 230 Der „Devisenschmuggel aus Deutschland" hing in einem ersten Zeitraum von den Höchstgrenzen bei den Lohnüberweisungen ab, aber ab 1941, als die Höchstgrenzen abgeschafft wurden, stand er sowohl in Relation zu den Verspätungen bei den Lohnüberweisungen als auch zu dem Faktum, daß teilweise das durch den Handel angesammelte Geld einen ganzen Monatslohn überstieg. Dies über die Bank zu schikken, hätte Verdacht erregen können. Auch die Zeitzeugen heben bei ihren Äußerungen hervor, daß die italienischen Arbeiter einen Teil ihrer Markbeträge direkt nach Hause brachten. „Als ich Weihnachten 1941 nach Hause kam, haben wir die Geldscheine dort versteckt, um sie nach Hause zu bringen, und dann haben wir sie in der Bank in Italien gewechselt", erklärte Bernardo Mario Borgatta. Und Bernardino Ruggeri bezeugte:
224 Ebenda. 225 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Aus einem Verzeichnis von aus verschiedenen Gründen repatriierten Arbeitern, vom 30. 4. 1943. 226 Ebenda. 227 Ebenda. 228 Ebenda, Korporationsministerium, Staatssekretariat für Migration und Kolonisation, Servizio Migrazioni Estero, prot. n. 11/8151 /E. 18/7, Rom den 15.4. 1942, Schreiben an das Innenministerium, Generaldirektion P.S. 229 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 23, Kgl.-Italienisches Konsulat Leipzig, Kopie des Fernschreibens n. 2038, Pos. Ind. 10/Rimp., an das Kgl. Außenministerium Rom, betr.: Cacciaguerra Andrea, Eltern Cacciaguerra Giuseppe und Albino Marianna, geboren in Augusta am 5. 8. 1894, wohnhaft in Savona. Industriearbeiter - Zwangsrepatriierung. 230 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Korporationsministerium, Staatssekretariat fiir Migration und Kolonisation, Servizio Migrazioni Estero, prot. η. 11/8151/E. 18/7, Rom den 15. 4. 1942, Schreiben an das Innenministerium, Generaldirektion PS.
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„Im Juli 1943 habe ich einen Kuchen nach Hause gebracht mit dem ganzen Silbergeld darin." Nahrungsmittel vom Acker zu stehlen, war ebenfalls verbreitet. Zuerst stand es in Verbindung zu den Schwierigkeiten der Lebensmittelversorgung, die aus der Ablehnung des deutschen Essens herrührte, später dann war es eine Folge der verringerten Rationen. Luciano Gugole erinnerte sich, daß sie in der zweiten Hälfte des Jahres 1941 im Babelsberger Arado-Lager „Kartoffeln klauen gingen, um sie zu essen, denn in der ersten Zeit, als wir dort waren, gab es dort ein deutsches Essen aus einer deutschen Küche, und sie gaben uns den berühmten Kohl, den ich nicht ausstehen konnte, denn er hatte diesen Geruch..." Aldo De Paulis erzählt, daß sie im Lager Brandenburg „nachts den Deutschen die Kartoffeln klauten." Und er bemerkt, daß „durchaus Essen da war, denn wir hatten eine reduzierte deutsche Lebensmittelkarte". Guido Grandi bestätigte dies, aber er ist der Meinung, daß es auch eine gewisse Art von Hunger gab, die ihn dazu brachte zu stehlen: .Abends gingen wir Kartoffeln klauen. Mitten im Lager gab es eine Scheune, wo die Polen Wache stehen mußten. Wir verständigten uns mit diesen polnischen Jungen, die ein Päckchen Zigaretten erreichte. Und dann drehten wir uns um und gingen Kartoffeln holen. Dann kletterten wir rauf und holten uns Reihen von Kartoffeln, denn der Hunger war recht groß. Wir hatten Hunger, weil das Zeug, das sie uns gaben, nicht ausreichte — wir waren 18 Jahre — und weil es uns nicht schmeckte. Aber im Lager Brandenburg wurden sie etwas schlechter behandelt als wir. Und Bortolo Consoli hat wie ein Verrückter geschuftet, wie ein Verrückter, wirklich. Sie hatten Hunger, dort flöß der Fluß vorbei, und es gab einen Schwan. ,Wir essen diesen Schwan, wir essen diesen Schwan', und sie haben ihn getötet und tatsächlich gegessen! Darauf haben sie die Federn versteckt, denn die Polizei hatte es gemerkt und suchte die Federn. Sie haben sie nicht gefunden, sonst wären sie im Kittchen gelandet." „Ja", bestätigt Bortolo Consoli, „in der ersten Zeit, als wir angekommen waren, gingen wir umher und klauten Kartoffeln und all das, was es gab. Und dieser Schwan war so hart wie Stein, ein Zeug zum Verrecken. Beim Kochen ist er dann weich geworden. (...) Um ihn weich zu kriegen, haben wir sogar einen Holzhammer kaputtgehauen. Als sie kamen, um die Federn zu suchen, waren selbst die Flöhe verschwunden, die an ihm dran waren." Man versteht also, wieso es in den Polizeiberichten so häufig recht vage heißt: Ettore Polizzetti, geboren in Omegna, wurde erwischt, als er in einem Feld umherstreifte, wo Früchte waren. 231 Antonio Del Ben, in Ponte di Piave in der Provinz Treviso geboren, „soll Kartoffeln gestohlen haben". 232 Antonio Rao, 1907 in Messina geboren, wird verdächtigt, „Wild geraubt zu haben". 233 Der Hunger ist die Antriebsfeder für weitere Formen des Diebstahls und des Handels mit Lebensmitteln, die mitunter von schlechtester Qualität sind: Andrea Mira, in Orbe in der Schweiz geboren, aber wohnhaft in Intra, wird 1942 in einem Lager in Germendorf überrascht
2 3 1 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Servizio Migrazioni Estero, Prot. η. 11/17445/E. 38/2, Rom den 18. 11. 1942, an das Innenministerium. 2 3 2 Ebenda, Innenministerium, Generaldirektion ES., Divisione A.G.R., Kopie der Personalakte von Mario Enea. 233 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, IV D 3 b - 4 2 5 3 / 4 1 , Berlin, den 28. 10. 1942; betr.: Verhaftung italienischer Staatsbürger.
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„... mit 6 Päckchen französischem Tabak, einem Dreipfünder-Brot und zwei Vierpfünder-Broten, einer Raucherkarte, die auf einen Deutschen ausgestellt ist sowie einzelnen Brotmarken. Das Brot verkaufte er zu 15 Reichsmark an Kriegsgefangene." 234 Ottorino Segarelli, wohnhaft in Cremona, sammelte im August 1942 in den Mülltonnen des Lagers des Heeresbekleidungsamts Berlin, Kartoffeln „die absolut ungenießbar waren, da sie aus der Küche fortgeworfen worden waren". 235 Darauf verkaufte er sie im Lager Biesdorf, wohin er sich häufig begab, um Zigaretten und Wein gegen Brotgutscheine zu tauschen. Stefano Lanfranconi, wohnhaft in Mandello Lario in der Provinz Como, stahl im September 1942 zwei Arbeitskollegen ihre Lebensmittelkarten, mit denen er „ebenso viele Rationen abholt, um sie dann im Lager zu überhöhten Preisen zu verkaufen". 2 3 6 Des weiteren widmete er sich seit Juni „dem Handel mit Tabak, den er aus den Resten von Zigarren und Zigaretten gewonnen hatte, die er in den Aschenbechern der Eisenbahnwaggons gefunden hatte". 237 Ebenso verbreitet, wenn auch weit gefährlicher als das Stehlen auf den Feldern, war der Diebstahl in der Fabrik bzw. am Arbeitsplatz, der in den Aussagen der Zeitzeugen nicht zum Ausdruck kommt, aber der sehr wohl in den Polizeiberichten auftaucht und zwar sowohl als Diebstahl von Lebensmitteln und Genußmitteln wie als Diebstahl von Werkzeugen: Angelo Rollo, 1908 in San Cesario in der Provinz Lecce geboren, Schmied bei der Firma Stahl, einer Brotfabrik im Berliner Stadtteil Neukölln, „ist mehrfach mit Brotlaiben ertappt worden, die er aus der Bäckerei entwendet hatte, in der er beschäftigt war. Zuletzt ist er exakt am 10. Juni [1942] überrascht worden, wie er mit drei Laib Brot weggehen wollte, und am 11. Juni dasselbe mit einem Laib. Die Firma hat sich in der Vergangenheit immer davon enthalten, ihn bei der Polizei anzuzeigen — wegen des absoluten Arbeitskräftemangels. Aber jetzt hat sie sich angesichts der dauernden Wiederholungen dieser Taten an uns gewandt und die Repatriierung des Arbeiters verlangt". 238 Giuseppe Gerardi, 1910 in Forno in der Provinz Turin geboren, befand sich „im Besitz von Wurst, die er seinem Arbeitgeber gestohlen hatte". 239
234 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Kopie eines Schreibens des Ispettore Delegate F. Tiberio an das Kgl.-Italienische Generalkonsulat, Berlin 35, betr.: Mira Andrea, Vater: Mira Emilio, geboren in Orbe (Schweiz) am 24. 4. 1909, wohnhaft in Intra Verbania (Provinz Novara). 235 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 23, Kopie eines Schreibens vom 5. 9. 1942 an das Kgl.Italienische Generalkonsulat, Berlin W 35, betr.: Segarelli Ottorino (Vater: Segarelli Stefano), wohnhaft in Cremona. 236 Ebenda, Schreiben vom 24. 8. 1942 an das Ufficio Sindacale Italiano - Delegazione di Berlino, betr.: Lanfranconi Stefano (Vater: Lanfranconi Francesco), wohnhaft in Mandello Lario, Provinz Como. 237 Ebenda, Kopie eines Schreibens vom 5. 9. 1942 an das Kgl.-Italienische Generalkonsulat Berlin W 35, betr.: Lanfranconi Stefano. 238 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Kopie eines Schreibens an das Kgl.-Italienische Generalkonsulat Berlin W 30, betr.: Rollo Angelo (Vater: Rollo Giuseppe), geboren am 12. 4. 1908 in San Cesorio, wohnhaft in San Cesorio (Provinz Lecce). 239 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Aus einem Verzeichnis von aus verschiedenen Gründen repatriierten Arbeitern, vom 30. 4. 1943.
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Angelo Nardo, 1898 in Castellaneta in der Provinz Taranto geboren, war „verantwortlich für die Entwendung von Paketen bei der Reichspost, bei der er beschäf« 94n tigt war . Beniamino Falascia, 1898 in Schiavi d'Abruzzo in der Provinz Chieti geboren, und Nicola Mancini, 1901 im gleichen Ort geboren, „hatten diverse Waren aus den Lagern des Bahnhofs Regensburg entfernt". 241 Angelo Alberio, in Rovello in der Provinz Como geboren, „hat im Güterbahnhof, wo er im Auftrag der Firma Böser arbeitete, Zigaretten entwendet". 242 Mario Enea, 1905 in Mailand geboren, „hat einen [IndustrieJDiamanten, den er aus einer Maschine ausgebaut hatte, geraubt". 243 Giovanni Totti, 1896 in Sanguinetto in der Provinz Verona geboren, war „verantwortlich für den Raub von Werkzeug, zum Schaden der Firma, bei der er beschäftigt war". 244 Giacomo Bellardo, 1886 in Savona geboren, befand sich „im Besitz von verschiedenen Gegenständen, die er aus der Fabrik, in der er arbeitete, herausgeschafft hatte". 245 Bruno Piazzoli, 1910 in Bergamo geboren, Arbeiter bei den Arado-Werken in BrandenburgHavel, eignete sich neun Utensilien an, die er einer befreundeten deutschen Familie zur Aufbewahrung anvertraute, aber er wurde entdeckt und nach Italien zurückgeschafft. 246 Auch Giovanni Gentile eignete sich diverse Werkzeuge an, die sich im Besitz der Babelsberger AradoWerke befanden. 247 Gabriele Colagrande, 1896 in Cappelle sul Tavo in der Provinz Pescara geboren, ein Bergmann, schaffte vom Gelände der Hamborner Bergwerks-AG 21 Kilo Gummibänder und andere Gegenstände fort und wurde am Brenner verhaftet, als er sie nach Italien einzuführen versuchte. 248 Während der ersten Monate des Jahres 1943 wurden Bruno Fossa, Antonio Taffarel und Luigi Maggi nach Italien zurückgeschafft, 240 Ebenda. 241 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Servizio Migrazioni Estero, Prot. η. 11/17445/E. 38/2, Rom den 18. 11. 1942, an das Innenministerium. 242 Ebenda. 243 Ebenda, Innenministerium, Generaldirektion ES., Divisione A.G.R., Kopie der Personalakte von Mario Enea. 244 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Aus einem Verzeichnis von aus verschiedenen Gründen repatriierten Arbeitern, vom 30. 4. 1943. 245 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25i Innenministerium, Generaldirektion P.S., Divisione A.G.R., Kopie der Personalakte von Mario Enea. 246 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Schreiben der C.F.L.I. - Vizedelegation Brandenburg-Havel, prot. n. 1636, vom 19. 6. 1943 an das Kgl.-Italienische Generalkonsulat Berlin, betr.: Vorschlag der Repatriierung aus disziplinarischen Gründen. Arbeiter Piazzoli Bruno, geboren in Bergamo am 6. 6. 1910. 247 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Schreiben der C.F.L.I. - Delegation Berlin-Peripherie, prot. n. 12/13479 vom November 1942 an das Kgl.-Italienische Generalkonsulat Berlin, betr.: Vorschlag der Repatriierung von Giovanni Gentile, Arado-Werke Babelsberg. 248 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Korporationsministerium, Kommissariat für Migration und Kolonisation, Servizio Migrazioni Estero, prot. η. 11/19989/E. 38/3, Rom den 7. 1. 1942, Schreiben an das Innenministerium, Generaldirektion PS., Divisione A.G.R.
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Italienische „Fremdarbeiter
" im „Dritten Reich "
„weil die deutsche Kriminalpolizei in ihren Schränken verschiedene Arbeitsgegenstände, Gummi, Leder sowie eine Autopumpe gefunden hat, die sie der Firma, bei der sie arbeiteten, entwendet hatten", 249 und zwar aus der Immelmann-Kaserne in Königsberg. In den Polizeiberichten wird ferner der Diebstahl von Gegenständen aus bombardierten Häusern während der Aufräumungsarbeiten erwähnt. Aurelio Minell, 1899 in Monte Fiorino in der Provinz Modena geboren, und Luca Di Schiena, 1893 in Andria in der Provinz Bari geboren, wurden der Hamburger Justizbehörde überantwortet, „wegen des Diebstahls von Kleidungsgegenständen während der Räumungsarbeiten in einem durch Bombenabwürfe zerstörten Ort". 250 Giuseppe Daldos, 1907 in Cavedago in der Provinz Trient geboren, war „dafür verantwortlich, sich zwei Silbergläschen angeeignet zu haben, die er zwischen den Trümmern von Häusern gefunden hatte, welche durch feindliche Luftangriffe zerstört worden waren". 251 Vincenzo Del Buono, 1916 in Castiglione del Lago in der Provinz Perugia geboren, hatte unter den Trümmern verschiedene Gegenstände aufgesammelt, die polizeilich nicht näher aufgelistet wurden. 252 Weitere Fälle von Diebstählen aus von Bomben zerstörten Gebäuden werden in dieser Studie aufgeführt. Verbreitet war auch der Diebstahl aus der Lagerkantine, wie dies Mario Da Rol erzählt hatte: „Wo wir gegessen haben, da gab es Teller und Löffel, und Besteck zum Essen, aber auf allen stand darauf Buna-Werke. Irgendwann waren die Sachen nicht mehr da. ,Aber wie ist das passiert? Eßt ihr Italiener auch die Teller mit? Eßt ihr auch die Löffel?' Am Brenner angekommen, wurden die Koffer kontrolliert, und da fanden sich dann die Löffel und die Teller, die die Italiener mitgenommen hatten. So weit ist es gekommen, eine wahre Schande. Sie haben damals das Salz im Salzfaß gebracht, und selbst das ist aus der Kantine verschwunden." Ebenso verbreitet war es, auf jede mögliche Art und Weise Lebensmittelkarten zusammenzuraffen. Bei Domenico La Rosa, 1910 in Person in den USA geboren, wohnhaft in Rom, wurden „Karten für 25 Kilogramm Brot gefunden". 253 Armando Marmai, der in Enemonzo in der Provinz Udine geboren wurde und aus Belgien nach Deutschland gekommen war, „soll verantwortlich gewesen sein für den Diebstahl von Lebensmittelkarten, die er dann weiterverkauft hat". 254 Die Italiener handelten also mit allem und verkauften sogar — zumindest bei den Essener Krupp-Werken - den eigenen Paß an französische Kriegsgefangene, ohne den Verlust zu mel-
2 4 9 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Kgl.-Italienisches Generalkonsulat Danzig, Fernschreiben n. 995/140 vom 20. 4. 1943 an das Außenministerium Rom, Posizione Mise. 47, betr.: Repatriierung der Arbeiter Fossa Bruno, Taffarel Antonio und Maggi Luigi. 2 5 0 Ebenda, IV D 3 b - 4253/41, Berlin, den 28. 10. 1942; betr.: Verhaftung italienischer Staatsbürger. 251 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Aus dem Verzeichnis der italienischen Arbeiter, die von der Polizei des Deutschen Reichs in Haft genommen wurden. 2 5 2 Ebenda. 253 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Aus einem Verzeichnis von aus verschiedenen Gründen repatriierten Arbeitern, vom 30. 4 1943. 254 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Servizio Migrazioni Estero, Prot. η. 11/17445/E. 38/ 2, Rom den 18. 11. 1942, an das Innenministerium.
Geld zusammenbringen auf jede mögliche Art und Weise
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den. Ein sicherlich florierender Handel, denn auch bei den Arado-Flugzeugwerken in Babelsberg mußten 1942 die Pässe der Arbeiter eingezogen werden, 2 5 5 und mitunter liest man in den Polizeiberichten Mitteilungen wie die folgenden: Giorgio Morelli, 1 9 2 2 in Neapel geboren, auch er aus Belgien nach Deutschland gekommen, war „verantwortlich für den Kauf eines Passes, ohne daß der Zweck desselben geklärt worden « TSC*
ware Ζ 3 0 Dieser Handel ist teilweise auch an eine aktive Solidarität zwischen Italienern und Kriegsgefangenen gebunden. So heißt es ζ. B. von Teodora Pallucci, 1918 in Cesio in der Provinz Imperia geboren, „daß sie in mehreren Fällen ( . . . ) die Flucht von Kriegsgefangenen begünstigt oder unterstützt h a t " . 2 5 7 Im übrigen waren es die Lebensumstände der Kriegsgefangenen, die — wie wir noch sehen werden - einen der Hauptgründe dafür bildeten, daß bei einem Teil der italienischen Arbeiter eine zumindest ansatzweise antinationalsozialistische Geisteshaltung entstand. Man könnte aber auch sagen, daß das gesamte Verhalten der italienischen Arbeiter an die Notwendigkeit gebunden war, nicht nur Geld, sondern auch Lebensmittel zu sparen, um mehr nach Hause schicken zu können. So wiesen die italienischen Arbeiter Ende 1 9 4 0 zum Beispiel „über ihre Obmänner die Arbeitsfront daraufhin, daß die Zuckerration, die ihnen zugeteilt wurde, niedriger sei als die, die sie normalerweise in Italien erhielten und zu niedrig fur den angesichts ihrer Arbeitsbedingungen entstehenden Bedarf; daher verlangten sie eine zusätzliche Zuteilung oder im Falle von Zuckermangel die Zuweisung von Süßstoff. Die Arbeitsfront nahm die Forderungen entgegen und sorgte für die Verteilung von Süßstoff. Es ist jedoch vorgekommen, daß die italienischen Arbeiter nicht nur auf den Verzehr des Süßstoffs verzichteten, sondern diesen vielmehr beiseite legten und ihn aus Anlaß ihrer Heimkehr zu Weihnachten nach Italien importierten." 2 5 8 Die Neigung, Butter zu sparen, ist die Ursache der Schwierigkeiten von Alfredo Fiorillo, 1 8 9 7 in Casagiove in der Provinz Caserta geboren: „Im Dezember 1 9 4 2 sollte ich mich für den Urlaub nach Italien begeben, und weil mir täglich Butter zugeteilt wurde, beschloß ich, sie zu sammeln und nach Hause zu bringen. Aus Gründen beruflichen Neids berichtete einer meiner Kollegen ( . . . ) , der wußte, daß ich die tägliche Butterration aufhob, dies an den für die Unterkunft zuständigen Lagerführer ( . . . ) Dieser beschlagnahmte Anfang Dezember ein Schränkchen und fand darin eine Aluminiumdose mit 6 0 0 Gramm Butter darin. Diese Butter hat der Lagerchef beschlagnahmt und mir in der Zwischenzeit mitgeteilt, daß ich die tägliche Butterration nicht aufheben könne, weil dies die Bestimmungen verböten. Nach etwa 6 Tagen wurde ich vor eine italienische Delegation aus Berlin zitiert und unter der Mitteilung, wieviel der Lagerchef bei mir gefunden hatte, wurden mir als Strafe 15 Gramm meiner Tabakration entzogen.
2 5 5 Interview mit Bernardo Mario Borgatta. 2 5 6 ACS, Min. Int., D G P S , DAGR, PS 1943, Band 26, Aus einem Verzeichnis von aus verschiedenen Gründen repatriierten Arbeitern, vom 30. 4. 1943. 2 5 7 Ebenda, I V D 3 b - 4 2 5 3 / 4 1 , Berlin, den 28. 10. 1942; betr.: Verhaftung italienischer Staatsbürger. 2 5 8 ACS, Min. Int., D G P S , DPP, Band 223, Mailand, den 2. 3. 1941.
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Nach etwa 10 Tagen wurden mir die Ausweise ausgehändigt und ich wurde nach Italien zurückgeschickt, wo ich am 23. Dezember 1942 ankam." 259 Es ist offensichtlich, daß niemand an die - wahrscheinlich wahre - Geschichte Alfredo Fiorillos geglaubt hat, dieser vielmehr heimgeschickt wurde, weil er verdächtigt wurde, Schwarzhandel mit Butter getrieben zu haben, die ja ein kontingentiertes Lebensmittel darstellte, deren Verkauf durchaus einträchtig war, was mit ein bißehen Glück die unvorhergesehenen Probleme hätte lösen können, denen sich Angelo Ciarmatori (1915 in Sonnino in der Provinz Latina geboren) gegenübersah: „Ich wurde am 29. April 1942 nach Deutschland geschickt. Am 2. Mai kam ich in Berlin an und wurde zum Arbeiterlager geschickt. Am 3. oder 4. Mai nahm ich meinen Dienst in Siemensstadt auf, wo ich 18 Mark die Woche erhielt, was damals 136,80 Lire entsprach. Diesen Lohn erhielt ich drei Monate lang, ein Zeitraum, der, sagen wir einmal, der Einarbeitung diente. Danach wurde ich der Abteilung zugeteilt, wo die Elektromotoren zusammengebaut wurden, und der Lohn stieg auf etwa 30 Mark pro Woche. Eines Tages wurde mir in der Fabrik eine fast neue Hose gestohlen. Ich machte Meldung bei dem zuständigen Büro, aber trotz der durchgeführten Nachforschungen wurde die Hose nicht gefunden. Ich mußte also unvorgesehenerweise Geld fiir den Kauf einer neuen Hose (bei einem Landsmann) ausgeben, denn die gestohlene war die einzige Hose, die ich besaß. Um mir diese nicht eingeplante Ausgabe leisten zu können, hatte ich keine andere Wahl, als irgendwelche Geschäfte zu machen - auch solche mit den Lebensmittelrationen, die mir zugeteilt worden waren. Ich machte also etwa 600 Gramm Butter bzw. Margarine zu Geld. Daraufkaufte ich bei meinen Kameraden (...) weitere 1.200 Gramm Butter und Margarine, die ebenfalls aus irgendwelchen Geschäften herrührten, die diese mit ihren eigenen Lebensmittelrationen gemacht hatten, und ich zahlte ihnen 60 Reichsmark. In einer Tasche trug ich ganz unten die Butter und die Margarine, über die ich verfügte, und ging zu der Kantine der italienischen Dopolavoro-Oi^^nisztion in der Berliner Vicktavia Strasse [sie], wo ich einen Landsmann, der aus Fondi stammte, treffen sollte (...)., der mir ein Restaurant nennen sollte, das bereit gewesen wäre, die Butter zu kaufen. In der Kantine wollte ein Aufseher aber wissen, was ich in der Tasche hatte, und ich erzählte ihm die ganze Wahrheit. Nach ein paar Tagen wurde ich aus disziplinarischen Gründen nach Hause zurückgeschickt."260 Das Bedürfnis, Geld zu verdienen, ist immer der vorherrschende Grund, der die Arbeiter mitunter dazu zwang, den Arbeitsplatz illegal zu wechseln - was nicht wenige Risiken in sich barg - oder von einer wesentlich weniger lukrativen landwirtschaftlichen Arbeit zu einer Stelle in der Industrie zu wechseln bzw. von einer italienischen Baufirma zu einer deutschen oder zumindest von einer Firma zu einer anderen, die mehr Lohn bot und bessere Lebensbedingungen anbot, zu wechseln. Diesen illegalen Arbeitsplatzwechseln werden wir uns noch in einem späteren Kapitel widmen. 261
259 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Befragung von Alfredo Fiorillo am 5. 2. 1943 bei der Carabinieri-Station von Casagiove. 260 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Befragung von Angelo Ciarmatori am 18. 1. 1943 im Polizeipräsidium von Littoria. 261 Vgl.den Abschnitt Formen illegaler und selbstgewählter Mobilität bei den Arbeitern in diesem Band.
Die Verzögerungen bei den Überweisungen
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13. Die Verzögerungen bei den Überweisungen der Lohnersparnisse Das Problem der meisten war, wie sie die größtmögliche Summe Geldes an ihre Familien schicken konnten. Denn andernfalls mußte die Familie hungern. Die Lohnersparnisse waren also einer der Punkte, auf die sich gelegentlich die Unzufriedenheit konzentrieren konnte: Anfänglich lag die Ursache der Unzufriedenheit in der Höchstgrenze für die Uberweisungen, die zuerst 70 Reichsmark betrug, darauf 88 Reichsmark für die Industriearbeiter und 100 Reichsmark für die Arbeiter im Bergbau, die unter Tage schafften. Ab Juni 1939 bis zu den Vereinbarungen vom Februar 1940 war es das Verbot der Überweisung von Ersparnissen. Eine ständige Ursache von Klagen (auch nachdem die Arbeiter aufgrund jener Vereinbarungen schließlich den Nettobetrag ihres zu versteuernden Einkommens nach Italien überweisen konnten) waren jedoch die gravierenden Verspätungen, die unaufhörlich die Überweisung aus dem Ausland belasteten und die teilweise (vor allem in den Jahren 1938 und 1939, also in den Jahren, als das bei der Deutschen Bank neu eingerichtete Spezialbüro mit der Durchführung der Überweisungen nach Italien beauftragt wurde) sogar bis zu fünf oder sechs Monaten betrugen und damit die Vorteile, die die Migration nach Deutschland für diejenigen bot, die eine Familie in Italien zurückließen, praktisch zunichte machten. 262 Die Ursachen dieser Verzögerungen waren nach Meinung von Lorenz Kleber, dem Direktor des bei der Deutschen Bank eingerichteten Spezialbüros für die „Ausländische(n) Arbeiter" mit durchschnittlich 200 Angestellten, in dem Verfahren zu suchen, die das Büro gewählt hatte, um die Löhne an die ausländischen Banken zu überweisen: „Als im Jahre 1937 der Lohntransfer für die damals in Deutschland auf vollkommen freiwilliger Grundlage zum Einsatz kommenden italienischen Saison-Arbeiter seitens der Italienischen Botschaft einer Bank übertragen werden sollte, war es daher naheliegend, diesen Dienst der Deutschen Bank anzuvertrauen. (...) Nachdem die Deutsche Bank den Lohntransfer nach Italien nun einmal übernommen und große Erfahrungen auf diesem ganz neuen Gebiet gesammelt hatte, erteilte das Reichswirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit dem Reichsarbeitsministerium und später dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ihr automatisch in Form von Devisenrunderlassen weitere Aufträge zur Durchführung der Überweisungen in die anderen Länder. Es erschien den Behörden geradezu selbstverständlich, daß die Deutsche Bank in dieser sozialen Aufgabe weiterfahre, die dem Erwerbsinstitut keinen angemessenen Gewinn, dagegen eine gewaltige Verantwortung und große personelle Schwierigkeiten brachte. Der große Mangel an Arbeitskräften zwang mich beispielsweise, in den Jahren 1942 bis 1944 zur Erledigung dringender Arbeiten 150 bis 200 französische Kameraden, die tagsüber in den Berliner Fabriken arbeiteten, in den Abendstunden (19 bis 22) als Bürokräfte zu beschäftigen. Die Franzosen konnten sich freiwillig bei mir melden. Sie erhielten von der Deutschen Bank als Entschädigung: — vor der Arbeit eine warme Suppe in ausreichender Menge und guter Qualität, — Überstundengelder nach den Tarifen für deutsche Angestellte, 2 6 2 Vgl. Gibeiii,
II reclutamento di manodopera, S. 1 2 3 - 1 2 4 . Gibeiii hat im Staatsarchiv Genua, Bestand Prä-
fektur Genua, zahlreiche Briefe gefunden, in denen die Familienangehörigen gegenüber den italienischen Behörden protestiert und um Klärung nachgesucht haben.
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— Entschädigung für ihr Fahrgeld. Die Franzosen kamen gerne zu mir. Sie hatten Gruppenführer aus ihren eigenen Reihen und waren vollkommen selbständig. Neben den unbedeutenden Zinsgewinnen, die der Deutschen Bank aus dieser Aktion zuflössen, wurde ihr seinerzeit von den zuständigen Behörden genehmigt, von jeder in das Ausland weitergeleiteten Lohnersparnisüberweisung eine kleine Gebühr abzuziehen. Dieselbe stieg von zunächst - , 2 5 RM auf - , 6 0 RM pro Überweisung, unabhängig von der Höhe des weitergeleiteten Betrages. Dabei mußte die Deutsche Bank schon allein der Deutschen Verrechnungskasse bei der Vornahme von Einzahlungen auf die ClearingKonten immer eine Gebühr in Höhe von 1/2 Promille entrichten. Es wird jedem Fachmann einleuchten, daß die bei einem so komplizierten Sonderdienst anfallenden Unkosten nicht durch die obige Gebühr gedeckt werden konnten, ohne überhaupt einen Nutzen in Erwägung zu ziehen, der bei einer ideellen Leistung dieses Ausmaßes zu erwarten wäre. (...) Sämtliche Aufträge zur Durchführung der Lohnersparnisüberweisungen nach den einzelnen Ländern wurden der Deutschen Bank vom Reichswirtschaftsministerium, das dieselben stets vorher mit dem Reichsarbeitsministerium bzw. dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz sowie mit der DAF abstimmte, erteilt. Das Reichswirtschaftsministerium veröffentlichte diese Auftragserteilung jeweils mit seinen Devisenrunderlassen, wodurch die gesetzliche Regelung erfolgte. Nicht veröffentlicht wurden die der Deutschen Bank ganz generell vorgeschriebenen Kontrollen, nämlich — Kontrolle der Einhaltung der vom Reichswirtschaftsministerium festgesetzten Überweisungshöchstsätze, — Kontrolle, ob die Lohngelder aus dem Betrieb kamen, in welchen der betreffende Arbeiter von der deutschen Arbeitseinsatzverwaltung vermittelt wurde (Betriebskontrolle). Es mußte daher von der Deutschen Bank für jeden einzelnen Arbeiter, der Überweisungen durchführen ließ, eine besondere Position geführt werden. Überweisungen durften nur für solche ausländischen Arbeiter, Arbeiterinnen und Angestellten (im folgenden kurz Arbeiter genannt) zugelassen werden, die entweder mit amtlichen Transportlisten oder mit besonderen, von den zuständigen Arbeitsämtern beglaubigten Vordrucken zum Lohn transfer angemeldet waren. Die Lohnersparnisüberweisungen durften nur vom Einsatzbetrieb vorgenommen werden, also niemals vom Arbeiter direkt. (...) Die Deutsche Bank überwies die von ihr gesammelten Lohnersparnisse der Arbeiter täglich in einer Summe auf dem vom Reichswirtschaftsministerium vorgeschriebenen Wege nach deren Heimatländer. Dort war eine Bank oder andere Stelle eingeschaltet, welche den Gegenwert des transferierten Reichsmarkbetrages erhielt und die Auszahlung an die Empfangsberechtigten auf Grund der von der Deutschen Bank erhaltenen Zahlungsaufträge durchzuführen hatte. Zu Beginn der Überweisungen nach einem Lande wurde der Deutschen Bank jeweils der Name der eingeschalteten ausländischen Auszahlungsstelle vom Reichswirtschaftsministerium offiziell bekanntgegeben. Die Deutsche Bank hatte sich mit ihr über das bei den Überweisungen anzuwendende Verfahren zu einigen und die Zustimmung des Reichswirtschaftsministeriums einzuholen. (...) Den betreffenden Betrieben wurden von der Deutschen Bank Zahlungsaufträge - Überweisungsvordrucke A — zur Verfügung gestellt. Jedesmal, wenn ein Arbeiter eine Überweisung durchführen lassen wollte (im allgemeinen einmal im Monat), hatte der Betrieb einen solchen Vordruck (bestehend aus drei Blättern) im Durchschreibeverfahren mit der Schreibmaschi-
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ne auszufüllen, dem Arbeiter das Blatt 3 mit den rechtsverbindlichen Unterschriften des Betriebes versehen als Quittung auszuhändigen, den Betrag an die Deutsche Bank zu überweisen und die Blätter 1 und 2 der Deutschen Bank einzusenden. Die Uberweisungsvordrucke Α hatten eine Absenderspalte, in welcher der Vor- und Zuname des Arbeiters, der die Überweisung tätigen ließ und eine Empfängerspalte, in welcher die genaue Anschrift des Empfangsberechtigten seiner Lohnersparnisse einzusetzen war. Bei der Deutschen Bank wurden die Blätter 1 und 2 der eingegangenen Uberweisungsvordrucke Α voneinander getrennt. Die Blätter 2 wurden, sofern devisenrechtlich und formell in Ordnung, maschinell in einer Tagesmeldung zusammengestellt und der ausländischen Auszahlungsstelle zugesandt. Die Endsumme der Tagesmeldung wurde der ausländischen Auszahlungsstelle auf dem dafür vorgesehenen Wege überwiesen. Dieses Verfahren hatte den großen Nachteil, daß infolge der bestehenden Sprachschwierigkeiten und dem Mangel an geeigneten Kräften in den Betrieben die Anschriften der Empfangsberechtigten sehr oft mangel- bzw. fehlerhaft waren, was zu unangenehmen Verzögerungen führte. ( . . . ) In Anbetracht der schlechten Erfahrungen, die mit dem unter a) beschriebenen Verfahren in der ersten Zeit des Lohntransfers nach Italien gemacht worden waren, wurde bei dem in den Jahren 1939 bis 1942 stattgefundenen Großeinsatz italienischer Arbeiter in Deutschland zum ersten Mal ein ganz neuwertiges Verfahren für die Lohnüberweisungen benutzt. Jeder nach Deutschland in Marsch gesetzte Arbeiter erhielt vor seiner Abreise bereits in Italien in einem besonderen Umschlag einen italienischen Bankausweis mit den dazu gehörigen Uberweisungsvordrucken A. Das Bankausweisverfahren bezweckte, für jeden überweisungsberechtigten ausländischen Arbeiter eine Nummer festzulegen, unter welcher für ihn im Rahmen der bestehenden devisenrechtlichen Bestimmungen von seinen Lohnersparnissen Uberweisungen in sein Heimatland durchgeführt werden konnten. Neben der Schaffung dieses Kontrollnummernsystems wurde durch dieses Verfahren, bei welchem von vornherein die Personalien von Absender und Empfänger der Lohnersparnisse im einzelnen festgelegt wurden, eine weitgehende Sicherung gegen Irrläufer erreicht. Dadurch, daß die am Lohntransfer in erster Linie beteiligten drei Stellen, nämlich — der italienische Arbeiter, — die Deutsche Bank — als Sammelstelle der Lohnersparnisse — — die italienische Auszahlungsstelle durch das Ausschreiben eines Bankausweis-Formularsatzes im Durchschreibeverfahren die gleichen Angaben erhielten, sollten Unstimmigkeiten so weit wie möglich ausgeschlossen werden. Von der Druckerei wurden zu jeder Bankausweis-Kontrollnummer geliefert: 1. ein Umschlag 2. der aus sieben Blättern bestehende Bankausweis-Formularsatz — alle Blätter trugen die gleiche Kontrollnummer — 3. ein Block mit 25 Überweisungsvordrucken ,A' - alle Blätter trugen die gleiche Kontrollnummer des Bankausweis-Formularsatzes, zu welchem sie gehörten. Wollte ein Arbeiter seine Lohnersparnisse überweisen lassen, so hatte er selbst ein Exemplar der zu seinem Bankausweis gehörenden Überweisungsvordrucke ,A' auszufüllen; alles, was er zu schreiben hatte, war: seinen Vor- und Zunamen und in ein Kästchen — nach seiner Wahl — die Nummer eines der drei in seinem Bankausweis — nach seinem Willen - eingesetzten Empfangsberechtigten. Den ausgefüllten Vordruck hatte er zu-
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sammen mit dem Betrage seinem Betriebe abzugeben. - Weiterer Ablauf wie bei A. Dieses Verfahren war ein großer Erfolg. (...) Jeder nach Hause zurückkehrende oder auf Urlaub fahrende Arbeiter aus bestimmten Ländern konnte bei der Deutschen Bank, deren Angestellte die für die betreffenden Arbeiter eingelegten Sonderzüge zu begleiten hatten, einen Reisegutschein bis zu einem bestimmten Betrage erwerben und in seiner Heimat einlösen. Der Transfer des Gegenwertes der ausgegebenen Reisegutscheine erfolgte auf dem gleichen Wege wie die Lohnersparnisüberweisungen. (...) Transfer: bis zum 6. September 1943 im Wege des deutsch-italienischen Verrechnungsabkommens — Deutsche Verrechnungskasse / Istituto Nazionale per i Cambi con l'Estero (Clearing) italienische Auszahlungsstelle, von der italienischen Regierung bestimmt: Banca Nazionale del Lavoro, Rom, später Venedig, mit den Filialen Bozen, Mailand, Turin, Triest, Verona. Auszahlungen mittels Assegni Circolare durchgeführte Uberweisungen vom 20. März 1941 bis Mai 1944: (die anderen Zahlen kann ich nicht ermitteln) Anzahl der abgewickelten Überweisungen 5.063.681
Reichsmark 756.583.806,55 RM
Alle Lohnersparnisüberweisungen nach dem 7. September 1943 wurden auf Grund des am 30. Januar 1944 zwischen der deutschen und italienischen Regierung abgeschlossenen .Abkommen zur Regelung der Auszahlung der Lohnersparnisse italienischer Arbeiter und Angestellter in Deutschland' nicht mehr im Rahmen des deutsch-italienischen Verrechnungsabkommens nach Italien überwiesen, sondern auf ein bei der Deutschen Verrechnungskasse geführtes besonderes Reichsmark-Konto (kein Clearing-Konto) Italienisches Schatzamt — Arbeiterlohnersparniskonto Italien eingezahlt. Gemäß Artikel 3 des vorerwähnten Abkommens hatte die italienische Seite dafür Sorge zu tragen, daß der Lire-Gegenwert aller von der Deutschen Bank gelieferten Zahlungsaufträge unverzüglich an die Begünstigten in Italien ausgezahlt wurde. Bis zum 30. November 1944 wurden von der Deutschen Bank an Lohnersparnissen auf das Konto des Italienischen Schatzamtes eingezahlt: 89.829.881,50 RM. Stark in Anspruch genommenes Reisegutschein-Verfahren! Keine Überweisungshöchstsätze: Die Arbeiter konnten ihr eigenes versteuertes NettoEinkommen in voller Höhe überweisen lassen. Bankausweis-Verfahren!"263 Die Banca Nazionale del Lavoro geht jedoch davon aus, daß diese Verzögerungen anderen Ursachen zuzuschreiben sind: „Der Zeitraum von etwa 30 Tagen, der seit der Überweisung durch den Arbeiter vergeht, bis der Gegenwert der Ersparnisse in Lire den Begünstigten in Italien erreicht, hängt von technischen Bedürfnissen ab, die in derjenigen Phase der Dienstleistung anfallen, die
263 HSG-Archiv, Bestand Deutsche Bank AG, Exhibits zum OMGUS-Report, Nr. 273, Sonderdienst Deutsche Bank, Berlin W 8, Lohnersparnisüberweisungen für Arbeiter aus Belgien, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Provinz Laibach, Norwegen, Serbien, Slowakei, (nur Arbeiter der Hermann-Göring-Werke), Ungarn, Berlin 24. 3. 1946, gez.: Lorenz Kleber. Ich danke Karl Heinz Roth, der mir eine Fotokopie dieses Dokuments zur Verfugung gestellt hat.
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sich in Deutschland vollzieht, und führt dazu, daß die Überweisungsaufträge bei der Deutschen Bank liegenbleiben. Auf die Bemühungen, die von Seiten unserer Bank seinerzeit diesbezüglich gemacht wurden, wurde erklärt, daß die Verzögerungen auch von dem Faktum abhängen, daß viele deutsche Arbeitgeber, die die Uberweisungszettel erhalten, nur in periodischen Abständen die Lohnersparnisse abfließen lassen können, aufgrund des Mangels an geeignetem Personal, wegen der Komplexität der verschiedenen Arbeitsschritte, die sie vornehmen müssen, und häufig auch wegen ihrer beträchtlichen Entfernung zu den städtischen Zentren. Andererseits hat sich die Ausführung der Zahlungsanweisungen in der letzten Zeit in Deutschland weiter verzögert, auch als Folge der neuen Aufgaben, die der Deutschen Bank aufgrund des Inkrafttretens der neuesten Abkommen, die zwischen dem Korporationsministerium und dem Reichsarbeitsministerium geschlossen worden sind, anvertraut wurden. Um diese zu erfüllen, ist die Deutsche Bank gehalten, für jede bei ihr eingehende Uberweisungsorder festzustellen, welche besonderen Rechte dem Arbeiter zukommen, welche Verpflichtungen die deutsche Seite im Gegenzug hat, bevor sie die Überweisung bestimmter vereinbarter Beiträge nach Italien vornimmt." 264 Nach Ansicht der Banca Nazionale del Lavoro würden die aus Deutschland eingehenden Zahlungsanweisungen bei ihr „nur solange liegenbleiben, wie es notwendig sei, um die in ihre Zuständigkeit fallenden komplexen Operationen durchzufuhren, die binnen 4 bis 5 Tagen nach der Ankunft der Überweisungen in Italien abgeschlossen werden". 265 Aber aus einigen Arbeiterbriefen vom November 1942 erfahren wir, daß die Deutsche Bank im Gegensatz dazu (der Schwarze Peter wird hier gegenseitig hin- und hergeschoben) der Meinung war, daß gerade die Banca Nazionale del Lavoro für die Verzögerungen verantwortlich sei, was im übrigen auch die Überzeugung vieler italienischer Arbeiter war. Armando Foglietta schrieb aus Berlin an einen Verwandten in Neapel folgendes: „Lieber Pasqualino, wenn die Überweisungen, die ich dir mit allergrößter Schnelligkeit zugeschickt habe, bei Dir nicht mit der üblichen Pünktlichkeit angekommen sind, so trage ich daran, glaube mir, keine Schuld. Alles hängt von diesen Herren in der Banca del Lavoro in Rom ab. (...) Ich weiß, daß der Deutsche Konsul in Neapel wie die Deutsche Bank in Berlin damit nichts zu tun haben. Diese Sache hat bei mir große Wut und gleichzeitig Mitleid für dich und die Kinder hervorgerufen, aber ich habe keine Möglichkeit gefunden, Abhilfe zu schaffen und habe mich darauf beschränkt, nach Rom einen Protest abzuschicken." 266
264 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b: Banca Nazionale del Lavoro - Istituto di credito di Diritto Pubblico - Capitale L. 402.000.000, Sede centrale Roma, Kopie des Schreibens an das Kommissariat für Migration und Kolonisation, Servizio Migrazioni Estero, Roma, Piazza Nicosia, betr.: Uberweisungsdienst für die italienischen Arbeiter in Deutschland, Rom den 25. 11. 1942, gez.: Banca Nazionale del Lavoro, Direzione Generale, Unterschrift unleserlich. 265 Ebenda. 266 Ebenda, Auszüge aus Briefen, die aus Deutschland kommen, Anlage zum Schreiben der Kgl. Präfektur Neapel, Zensurabteilung, Prot. 7314, vom 27. 12. 1942 an das Innenministerium, Generaldirektion P.S., Abteilung Politische Polizei, Rom, betr.: Lohnüberweisungen der italienischen Arbeiter aus Deutschland.
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Italienische „Fremdarbeiter"
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Salvatore Campobasso schrieb aus Debtesck an seine Frau Maria in Cercola: „... bis heute habe ich Dir vier Schecks geschickt, und es ist nicht meine Schuld, wenn sie nicht rechtzeitig ankommen, denn Du mußt wissen, daß die örtliche Bank versichert, daß das Geld innerhalb von maximal drei Tagen an die Bank nach Rom geschickt wird, die sich aber nur zur Pflicht macht, auf ihre Bequemlichkeit zu achten, zum Schaden von uns Arbeitern und unserer Familien. Es ist immer dieselbe Geschichte, die sich wiederholt: die Großen stecken die Kleinen in die Tasche, aber auch hier ist Geduld angebracht, und gelobt sei der Tag, an dem ich das über den Haufen werfen kann und kein Sklave dieser Banca Nazionale mehr zu sein brauche, die sich sogar noch Bank der Arbeit tituliert. Du scherzt wohl, daß nach 34 Tagen unsere Ersparnisse noch immer nicht überwiesen sind, und das wiederholt sich am laufenden Band, eine Sache, die mich entnervt hat, und dennoch muß ich das weiter erleiden, aber ich hoffe, daß wir bald die Freiheit haben, uns eines anderen Instituts zu bedienen, das sehr viel rascher ist, und nicht dieses, das lahm wie eine Schnecke ist."267 Aus Kassel schrieb Gennaro Basile an seine Frau Maria in Neapel: „Du machst Dir keine Vorstellung, wie sehr es mir leid tut zu hören, daß du noch immer nicht den zweiten Scheck erhalten hast — und es sind bereits mehr als 40 Tage vergangen. Wenn er immer noch nicht gekommen ist, dann geh' zu dem Gewerkschaftsbüro in der Via Duomo, das sich um die Fürsorge für die Arbeiter in Deutschland kümmert, und sage das. Ich warte nun auf Deine Antwort und wenn du immer noch nichts erhalten hast, schreibe ich nach Rom. Denn mit einer vielköpfigen Familie wie der unseren, da kann ich meine Wut nicht mehr beherrschen."268 Aus Wien schrieb Vito Crispina nach Forio d'Ischia an seine Frau Maria: „...im Dezember komme ich zurück, denn die Sache wird hier immer enger. Sie haben uns kategorisch verboten, samstags nachmittags und sonntags zu arbeiten und das Geld, das wir schicken, vergleichen sie mit den Lohnlisten. Was die beiden Überweisungen angeht, die ich bereits nach Haus geschickt habe, also zuerst die 340 Mark und dann die 350 Mark, die ich am 21. September mit dem Bankscheck Nr. 437664 schickte, so versuch', dies in Rom bei der Banca Nazionale del Lavoro zu reklamieren. Sobald du den Gegenwert der Uberweisung ausgezahlt bekommen hast, lasse es mich unverzüglich wissen, denn ich werde noch verrückt bei dem Gedanken, daß mein gesamter Verdienst unterwegs ist, ohne anzukommen."269 Diese Verzögerungen bei der Aushändigung der Ersparnisse waren häufig Anlaß zu dramatischen Briefen, wie im Fall von Valerio Racca, der aus Taucha bei Leipzig an seine Frau am 30. Juni 1941 folgendes schrieb: „Mein angebetetes Frauchen, heute erreicht mich deine schmerzhafte und verzweifelte Klage, aber aus gut informierter Quelle bin ich auf dem laufenden, daß du es (vielleicht) am 22. Juni bekommen hast, stimmt's? (...) Ich habe wegen dieses Geldes bereits von hier aus einen Streit angefangen, wie du dir das gar nicht vorstellen kannst; glaubst du etwa, daß ich nicht daran denke, in welch katastrophaler Lage du dich befindest, zusam-
267 Ebenda. 268 Ebenda. 269 Ebenda.
Die Verzögerungen bei den Überweisungen
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men mit deinen Brüdern und Mama, aber ich hoffe, daß du finanziell die Sache in den Griff bekommst und so deine Geschäfte erledigen kannst." 270 Und für den Schwager fügte er hinzu: „Glaub' mir nur, daß auch ich von hier aus - ich weiß nicht wie oft - an die schreckliche Situation gedacht habe, in der ihr euch befindet, aber glaub' mir, daß ich nicht mehr weiß, an welche Stelle ich mich wenden soll, um unverzüglich mein Geld zu bekommen. Wenn ich das Geld schicke, dann nimmt das seinen elend langen Amtsweg, und das ist, glaube ich, der Grund; ich, wie alle anderen, gebe das Geld dem Lagerführer, der wartet, bis er alles von allen eingesammelt hat, dann bringt er es zur Fabrik zur Kontrolle, die Fabrik schickt es nach Berlin, noch ein Halt, von Berlin nach Rom, noch eine Verzögerung in Rom, dann an die Städte in Italien, du siehst also, daß ich nicht wissen kann, an welchem Tag es kommt. Ich verstehe, welcher Schmerz das für Mavi bedeutet, mir mitzuteilen, wie es euch geht, aber wie du weißt, wird sie bald ihren Gang wegen der Finanzen machen können und dann braucht ihr nicht mehr im Schlamassel zu stecken." 271 Aus Berlin schrieb Antonio Coppola im November 1942 an seine Frau auf Capri: „... jeder deiner Briefe ist vergiftet mit der Frage, warum das Geld nie ankommt. Was soll ich denn noch tun? Die Uberweisung mache ich jeden Monat. Ich arbeite viel, im Schweiße meines Angesichts bin ich nur noch am Arbeiten, ich verkaufe den Wein, die Butter usw., um mehr essen zu können, um mehr Kraft zum Arbeiten zu haben." 272 In Situationen, in denen es ohnehin schon notwendig ist, der Familie soviel wie möglich zukommen zu lassen, genügt es also, daß ein Arbeiter krank wird und somit nur noch über 50 Prozent seines Lohns verfügen kann, um den Vorteil des Aufenthalts in Deutschland häufig dahinschwinden zu sehen. Dies ist der Fall von Domenico Cecchella, ein Schmied, der 1918 in Mel in der Provinz Belluno geboren wurde und der im August 1942 krank wurde. Zu diesem Zeitpunkt verdient er etwa 100 Mark im Monat für Arbeiten im Steinbruch bei den Pechsteinwerken, die ihn nach Westfalen geschickt hatten. Es bleiben ihm also nur noch 50 Mark, von denen er monatlich 20 für den Unterhalt braucht und etwa 10 für sonstige Ausgaben des persönlichen Bedarfs. Er kann also nur noch 20 Mark pro Monat nach Hause schicken — statt 70 bis 80 wie in den vorhergegangenen Monaten. Die Familie schickt ihm einen Brief, der dazu geeignet ist, für seine unverzügliche Rückkehr nach Italien zu sorgen, „wegen Sachen, die dich angehen". Wenn die Verspätungen bei den Überweisungen sehr auf den Arbeitern lasten, so kommt im Verlauf des Krieges noch die Inflation hinzu, welche bereits bei Kriegsende die hartverdienten Ersparnisse, die die Arbeiter aus Deutschland nach Italien transferiert haben, ihrer Kaufkraft beraubt hat.
270 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Maschinengeschriebene Kopie eines handschriftlichen Briefes. Absender: Valerio Racca, Italienerlager M.M.W., Taucha (Bezirk Leipzig), an Mavi Racca, Piazza Statuto 13, Turin. Poststempel Taucha (Bez. Leipzig) 30. 6. 1941. 271 Ebenda. 272 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Auszüge aus Briefen, die aus Deutschland kommen.
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14. Deutsche Frauen und italienische „Fremdarbeiter" „Aus Italien", erzählte Guido Grandi, „brachten wir Likör und vor allem Frauenstrümpfe mit. Sie waren gut, um mit diesen Mädchen auszugehen, um sie zu erobern. Für die Italiener war das damals eine große sexuelle Freiheit." Der Grund dafür wurde von Remo Ricci deutlich ausgeleuchtet: „80 Prozent der deutschen Männer war im Krieg, und die Frauen in Deutschland waren sehr viel freier als unsere, sie hatten eine weitaus offenere Mentalität. Jedenfalls konnte ein Paar Strümpfe dazu dienen, mit einer Freundschaft zu schließen, aber es ist nicht so, als ob ein Paar Strümpfe dich schon in ihr Bett gebracht hätte. Jedenfalls muß man sagen, daß es eine enorme Auswahl gab, da waren Frauen aller Nationalitäten, und nicht alle waren Kriegsgefangene. Es gab Französinnen, Spanierinnen..." Italien war seinerzeit ein Land, in dem Sexualität weitgehend unterdrückt wurde. Daher wurde Deutschland unter diesem Gesichtspunkt als eine Befreiung erlebt. Dies war keineswegs einer der unwichtigsten Gründe, weshalb so viele Jugendliche den Weg nach Deutschland wählten. Ubaldo Coluzzi, ein Maurer aus Rom, spricht noch heute mit Bewunderung und Respekt von den deutschen Frauen: „Die deutschen Fräuleins kamen in das Lager, und sie suchten sich die aus, die ihnen gefielen und brachten sie nach draußen. So war das damals. »Also kommst du mit zum Tanzen?' Wenn du dann mitgingst zum Tanzen, da hast du alles gemacht, die Mädchen sind sehr frei da. Als ich das damals 1941 sah, war ich fassungslos. .Verdammt und zugenäht, wenn das eine Frau bei uns täte (...)' Es war ein Lebensgefühl, das mir gefiel. Es gefiel mir, weil es ehrlicher war. Ich fand es völlig in Ordnung, daß eine Frau das tun und lassen konnte, was ihr gefiel." Aber es ist schwierig, amouröse Beziehungen von damals zu entdecken, die nicht noch irgendwelchen materiellen Zwecken dienten. Der sexuelle Kontakt hatte fiir die italienischen „Fremdarbeiter" auch eine ökonomische Bedeutung. Zumindest ist dies die Ansicht von Bortolo Consoli: „Wer uns geholfen hat in Deutschland, das waren die Frauen. Die deutschen Frauen beteten uns Italiener an. Die schönsten Jahre meiner Jugend habe ich dort in Deutschland verbracht, denn bei mir zu Hause herrschte immer ein großes Elend. Und wer es mit den Frauen verstand, der hatte nie Hunger. Sie sagten dir ,Komm mit mir' und du gingst die Frau besuchen, und du sagtest dann zu ihr: ,Ich komme nicht mit dir, wenn du mir nicht zu essen gibst.' Sie gaben dir zu essen, dann nach und nach gaben sie dir Brotmarken bis (...) danach du dir dann auch Mühe gabst. Ich habe ein Jahr im Lager gelebt. Dann, als ich gut Deutsch gelernt hatte, habe ich erst mit der einen, dann mit einer anderen und noch einer anderen angebandelt, bis ich schließlich außerhalb des Lagers lebte. Ich gehörte zum Lager, aber ich lebte draußen. Ich hatte ein Schweineglück. Es war eine Beziehung, die nicht nur rein sexuelle Ziele hatte. Denn dort genügte es, ein Stück Brot zu besitzen, und dann fandest du Frauen, soviel wie du wolltest: Russinnen, Polinnen, Jüdinnen (...) Dort herrschte Hunger! Um es noch mal zu betonen: die Italiener haben in dieser Zeit damals nur wegen der Frauen überlebt. Wir wurden beschützt von den Frauen und vor allem von den Huren. Ah, es gab doch keinen Italiener, der nicht zwei oder drei von jenen Frauen da gehabt hätte, die ihm Butter brachten. Wir hatten eine enorme Menge von Vorteilen von diesen Frauen da. Sie beschützten uns. Und deshalb, was weiß ich, passierte das nicht nur im Lager Brandenburg, sondern auch in anderen Unterbringungsorten.
Deutsche Frauen und italienische „Fremdarbeiter"
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Abends gingen wir zum Tanzen und, was willst du, die deutschen Frauen waren alle hinter den Italienern her. Die deutschen Soldaten - und das waren 90 Prozent der Deutschen, die da rumliefen, waren daher unglaublich eifersüchtig. Die Prügel, die nahmen kein Ende. Und wenn wir sie bekommen hatten, gingen wir anschließend raus und schlugen die Wachen, die mit dem Pickel auf dem Kopf rumliefen. Hiebe für die da. Weil uns aber die Liebe gefiel, gab es da ein paar schöne polnische Mädchen, wir hoben den Stacheldrahtzaun an, der das Lager umgab, sie kamen rein und wir hauten ab. Und schon wieder gab es Prügel. Mit den Italienern gab es dauernd Streit." Daß die Streitereien sehr häufig vorkamen, wird auch von Guido Grandi bestätigte: „Eines Abends gingen wir ins CafέTag, das war wie bei uns zu Hause da, am Abend, weil es sehr nah am Lager war. Und als diese Deutschen gesehen haben, daß wir nur wenige waren, haben sie angefangen, uns zu beleidigen, weil die Mädchen uns ihre Zuneigung schenkten und mit ihnen nichts zu tun haben wollten. Und wir hatten Angst, weil Soldaten unter ihnen waren. Einer von uns ging daher den Balbo rufen - wir nannten ihn so, weil er einen Bart hatte und Italo Balbo ähnlich sah —, und er kam dann aus der Baracke. Balbo war ursprünglich Schäfer gewesen und hatte nur ein Unterhemd an und ein Stoffjäckchen und es waren 20 Grad unter Null. ,Ist irgendwas nicht in Ordnung, hier drin?', fragte er. Und da sind sie ganz ruhig geworden." Die amourösen Beziehungen wurden von den „Fremdarbeitern" also wie eine zusätzliche Möglichkeit betrachtet, die es erlaubte, besser zu leben, Gewinn zu machen, aus dem Lager rauszukommen. Auch deswegen ließen sich etliche von ihnen zeitweise in einer Wohnung nieder. Was hingegen die Beziehungen zwischen den italienischen „Fremdarbeitern" und den Kriegsgefangenen in Deutschland anging, so ist die Erzählung Aldo De Paulis sehr erhellend: „Ich habe einen Russen gesehen, der sich alle vier Finger abgeschlagen hat, um nach Hause zu kommen. Denn am Anfang wurde derjenige, der zum Arbeiten nicht tauglich war, nach Hause geschickt. Er kam am Morgen an, wir hatten Schneidemaschinen für Eisenbänder, fünf mal drei Meter, sie wurden wie mit einer Rasierklinge abgeschnitten, zack, und er hat sich alle vier Finger abgeschnitten. Ich hab' es gesehen, als er bereits schrie, die Finger im Mund, das Blut lief ihm aus dem Mund. Aber dann schnitt sich einer einen Finger ab, ein anderer einen Zeh, und dann haben die Deutschen die Sache kapiert, und sie schickten sie nicht mehr nach Rußland, sondern die starben im Lager, weil sie nicht ärztlich behandelt wurden. Auch die Schwangeren haben sie nach Hause geschickt. Deswegen gibt es auf der Welt so beängstigend viele dieser Kinder, die nicht wissen, von wem sie abstammen. Ich erinnere mich noch, daß wir aus dem Lager in die Stadt gingen, und da waren diese Mädchen aus diesen Lagern ohne Stacheldraht, sie saßen da am Mäuerchen und sagten: Ja, ich komme mit dir. Aber du mußt mich schwanger machen.' Sie machten das, um nach Hause gehen zu können. Da war ein Freund von mir, der ging am Abend zu drei oder vier von diesen, Französinnen, Polinnen, Serbinnen, alles was ihm so begegnete. Und dann hieß es, ,sie ist nicht mehr da, sie ist nach Hause gegangen.'" Wenn den Italienern in jenen Jahren ein enormes Potential an Frauen zur Verfügung stand, so war es deswegen, weil sie noch Verbündete und nicht Feinde waren und daher eine Nationalität repräsentierten, mit der sexuelle Beziehungen erlaubt waren, obwohl es eine sehr starke soziale wie polizeiliche Kontrolle gegenüber jenen Frauen gab, die mit ausländischen Arbeitern — auch wenn es Italiener waren — Beziehungen aufnahmen und deren Mann Soldat war. Mario Da Rol erinnert sich:
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„Da waren viele deutsche Frauen, sie hatten eine andere Art zu denken und zu leben, sie sind nicht so wie bei uns, ihnen bedeutet auch Freundschaft nicht viel, sie sind nicht eifersüchtig wie bei uns. Aber die Polizei, die war gar nicht spaßig. Wenn Sie mit einer Frau gingen, weil sie jung war oder die Sie in der Kneipe kennengelernt hatten, und wenn die einen Mann an der Front oder in Gefangenschaft hatte, dann war das ganz schön happig. Die Deutschen, die Polizei, die verteidigten sogar den, der nicht da war. Übel, wenn einer mit einer Frau ging, deren Mann in Gefangenschaft war. Es kam vor, daß die Italiener sich dahin und dorthin verteilten, aber es gab welche, die sind vor Hunger gestorben, es gab wenig zu essen. Aber wenn sie einen erwischten, brachten sie ihn zur SS. Zur SS zu kommen, das war ein Problem..." Und Dino Pizzetti erzählte: „Wenn sie einen verheirateten italienischen Mann mit einem deutschen Mädchen erwischten, auch wenn sie unverheiratet war, so steckten sie ihn zwanzig Tage in ein Erziehungslager. Wenn sie sie erwischten, wurde sie gezüchtigt. Auch eine verheiratete Frau mußte auf ihrem Platz bleiben. Die einzige Rasse, mit der eine Deutsche gehen konnte, waren die Italiener, wenn sie jung waren. Wenn sie verheiratet war, Herrgott, manch eine konnte es im Verborgenen machen, aber wenn sie überrascht wurde, wurde sie ebenfalls zwanzig Tage ins Erziehungslager gesteckt. Als ich in Berlin war bei der Kaltembach-Fo [sie! — Kaltenbach und Söhne], da gefiel mir eine deutsche Frau, die ebenfalls dort arbeitete und die verheiratet war. Einmal war ich mit ihr in der Straßenbahn, die in die Gegend führte, wo sie wohnte, da hat sie mir sofort gesagt: ,Dino, wir kennen uns nicht. Wenn sie uns nur etwas nah zusammen auf der Straße sehen, dann muß ich, weil ich verheiratet bin, es bezahlen.' Die jungen unverheirateten Frauen konnten jedoch mit den Italienern das tun, was sie wollten; wenn sie aber mit anderen gingen, war es eine Gefahr, wenn sie gefaßt wurden." Dennoch ermahnte die Berliner Polizei im Sommer 1941 gleichermaßen zwei ledige Mädchen, die mit italienischen „Fremdarbeitern" ausgegangen waren: „Ich und mein Freund waren mit zwei Deutschen ausgegangen, die bei uns in der Fabrik bei Erich & Graetz arbeiteten", erzählt Bernardino Ruggeri. „EinesTages gingen wir aus, es war alles verdunkelt worden, pechschwarz, wir sind in einem kleinen Park, wo Bänke standen. Dann plötzlich, verflucht noch mal, ich war da mit der Frau, zack, leuchtet mir plötzlich ein Scheinwerfer ins Gesicht. ,Komm.' Zwei SS-Männer. Wir haben ihnen die Ausweise gezeigt. ,Gut.' Aber das haben sie nicht zu den beiden Mädchen gesagt! Sie haben sie angeschrien, haben ihnen eine Strafpredigt gehalten: ,Euer Freund ist im Krieg, und ihr geht mit diesen Ausländern273 spazieren!'" Die Geschichte ereignete sich genau im Sommer 1941, als an manchen Stellen auf lokaler Ebene die deutschen Frauen dazu aufgefordert wurden, sich der Beziehungen zu Italienern zu enthalten, da diese unter rassischen Gesichtspunkten als minderwertiger angesehen wurden als Angehörige von Feindstaaten, welche germanischer Abstammung waren.274 In einem anderen Bericht, den Botschafter Dino Alfieri im September 1941 nach Rom schickte, schrieb er zu diesem Punkt folgendes: 273 Der Interviewte benutzt hier das deutsche Wort. 274 Zu dieser Ansicht vgl. den Briefwechsel, der abgedruckt ist in den Documenti Diplomatici Italiani, Nona serie, Bd. VII sowie in den Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945 (im folgenden: ADAPJ, Serie D, Bd. VI, Göttingen 1970.
Deutsche Frauen und italienische
„Fremdarbeiter"
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„Bereits seit einigen Monaten stellt sich in Zusammenhang mit der kontinuierlichen Zunahme von italienischen Arbeitern in Deutschland, die häufig in entlegenen Orten versammelt werden, das Problem der Kontakte zwischen Italienern und deutschen Frauen. Von mehreren Seiten wurden Maßnahmen gemeldet, die mehr oder weniger offiziell von Seiten der Parteidienststellen, der Polizei oder der Behörden erlassen worden sind, um von solchen Kontakten abzuraten. Die Begründung ist immer dieselbe: die rassische Besorgnis, die von der angeblichen rassischen Minderwertigkeit des Italieners ausgeht oder die von der Ansicht ausgeht, daß die germanische und die italienische Rasse verschieden sind. Es sei daher nicht angebracht, das Konnubium zwischen beiden zu erlauben, das nur zur Degeneration führen würde. Es haben sich bereits schon zahlreiche Zwischenfälle ereignet: deutsche Frauen, die auf der Straße bei Italienern stehengeblieben waren, wurden angehalten oder auf die Polizeiwache gerufen und verwarnt. Daß trotz der offiziellen Dementis irgend etwas Systematisches und Programmatisches im Sinne der obengenannten Ereignisse vor sich geht, hat eine Bestätigung durch die Initiative von Prof. Gross erhalten, der im Auftrag Dr. Rosenbergs im vergangenen Juli zu mir kam und die allgemeine Frage der Rassenbeziehungen zwischen Italien und Deutschland erörterte — wie ich in meinem Bericht Nr. 8584 vom 25. Juli dargelegt habe. Jüngst ist nun sogar von Seiten der Parteiorgane jenen Frauen, die sich mit Italienern eingelassen hätten, angedroht worden, es würden ihnen die Haare abgeschnitten oder mit Pech beschmiert werden — und manchmal ist der Drohung auch die Strafe gefolgt." 275 Wegen all diesen Dingen hat Alfieri lebhafte Diskussionen mit den deutschen Behörden und droht sogar an, die italienischen Arbeiter aus Deutschland heimkehren zu lassen. 276 Auch der Präsident der Confederazione, Landi, bekommt während einer Inspektion im April des Jahres 1942 an den Sammelstellen für die nach Deutschland abgehenden Arbeiter Klagen zu hören „über die Behandlung, die unseren Arbeitern und Bauern im Reich zuteil wurde. Man sagt, daß sie mehr oder weniger in einem .Gefängnis' leben, daß sie auf viele Weisen erniedrigt werden, ζ. B. indem den deutschen Frauen verboten wird, mit Italienern Kontakt zu haben, da sie als Angehörige einer minderwertigen Rasse angesehen werden. Tatsache ist, daß unsere Leute auf der Skala der menschlichen und ethischen Wertschätzung grosso modo ein wenig höher als die Juden eingeordnet werden, aber nach allgemeiner Ansicht unterhalb der Polen." 277 Diese Versuche, die sexuellen Beziehungen zwischen Italienern und Deutschen zu unterbinden, scheinen jedoch in den Erinnerungen der von mir befragten Zeitzeugen keine Spuren hinterlassen zu haben. Deren Tragweite muß also sehr viel geringer gewesen sein, als dies Alfieri angenommen hat. Die Interviewten fürchteten sehr viel mehr die normalen Gesetze über den Unterhalt von Kindern: „Da gab es eine große Gefahr", erzählte Domenico Cecchella, „mit dem Gesetz, das die da hatten. Es hat genügt, daß du einen Abend mit einer Frau zusammen warst, sie wird schwanger, es werden zwei Dutzend Namen aufgezählt und wenn du darunter bist, mußt du zahlen. Und für das Kind mußte bis zum vierzehnten Lebensjahr bezahlt werden. Oh nein, unter diesem Aspekt war Deutschland kein schöner Ort." 275 Alfieri, Due dittatori, S. 170-171. 276 Ebenda, S. 171. 277 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Rom, den 4. 4. 1942.
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„Jedenfalls", fuhr Bernardino Ruggeri in seiner Erzählung fort, „war Deutschland für mich, was die Vergnügungen anging, der reinste Spaß. Ich ging in die Kneipen, in die Tanzcafes, dort tanzten sie, man fand Frauen, man trank zusammen an einem Tischchen und dann - ab. Es gab nur deutsche Frauen und Italiener, die tanzten. Die Frauen dort waren viel freier als bei uns. Sie waren schon damals so, wie sie bei uns erst nach '45 geworden sind." Erzählungen dieser Art, die eine vollständige Gewöhnung an die Annehmlichkeiten des Lebens zeigen, die in den großen Städten damals angeboten wurden, sind alles andere als ungewöhnlich bei den jungen italienischen „Fremdarbeitern", die keine Familienväter waren und die es sich daher erlauben konnten, den Lohn und den übrigen Verdienst anzugreifen, um sich zu vergnügen. Es ist daher natürlich, daß einige Arbeiter, die im vorangegangenen Zeitraum in Deutschland waren und dann in eine neue militärische Einheit eingegliedert wurden, Ende Juni 1940 die „große Freiheit, die die Frauen dort genießen, und die Leichtigkeit, mit der man mit ihnen intimen Kontakt bekommen kann", enthusiastisch unterstrichen. 278
15. „Rassismus von unten" und mangelhafte Strukturen fiir die Aufnahme der Arbeiter „Die Frage des Transfers italienischer Arbeitskräfte nach Deutschland", schrieb Dino Alfieri in ungeschminkter Form, „war von Anfang an schlecht angegangen worden. Wegen der Kriegsnotwendigkeiten wollte Hitler den Armeen die größtmögliche Zahl an Männern zur Verfügung stellen, indem er sie der Landwirtschaft, den Fabriken und Werkstätten entzog, und ordnete daher massenhafte Aushebungen von Arbeitern in den besetzten Ländern an. Obwohl er die Kapazität und die Produktivität der italienischen Arbeiter gut kannte, hatte er ein großes Arbeiterkontingent von Mussolini verlangt, der hingegen bekanntlich lieber Soldaten schicken wollte. Aber es entstand eine Art von Transaktion, die Mussolini dazu brachte, dem Transfer von Arbeitern zuzustimmen, während Hitler die Beteiligung italienischer Soldaten akzeptierte. Aufgrund des von deutscher Seite ausgeübten Drucks wurden die ersten Transporte aus Italien überhastet und undiszipliniert durchgeführt. Nach einem langwierigen Eisenbahntransport, bei dem unzählige Male die Waggons auf Abstellgleisen hielten, entluden die aus Italien kommenden Züge schließlich in den verschiedenen deutschen Bahnhöfen große Gruppen von Arbeitern, die teils auf Lastwagen, teils zu Fuß in ihre jeweiligen Lager verbracht wurden. Weil es noch keine Absprachen bezüglich der Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Arbeitsfront und den italienischen Gewerkschaftsorganisationen gab und weil die Transporte aus Italien und deren Ankunft in Deutschland daher ohne vorherige Vereinbarungen stattfanden, geschah es häufig, daß die Lager, in denen die Italiener untergebracht werden sollten, bereits vollständig besetzt waren oder daß sie (weil sie erst einen Tag vorher geräumt worden waren) in einem so verdreckten Zustand waren, daß sie unbewohnbar waren. Und so sah man damals Gruppen von italienischen Arbeitern durch die Straßen der großen und kleinen deutschen Städte ziehen, mit dem Fiberkoffer, einigen Bündeln und der unvermeidlichen Weinflasche unter dem Arm, halb betäubt, halb ver278 Ebenda, Rom, den 28. 6. 1940.
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träumt, müde von der Reise und bereits enttäuscht vom ersten Empfang. (...) Nachdem sie mit so viel Enthusiasmus angekommen waren, zu dem die Neugier auf das neue Land hinzukam, stellten sie fest, dal? der Anfang ziemlich trist war. Umgeben von einer Atmosphäre der Gleichgültigkeit, aber häufig auch der Abneigung, wurde mit dem Finger gezeigt auf sie als diejenigen, die den zur Front geschickten deutschen Arbeitern den Platz weggenommen hatten - und wenn sie am Sonntag in eine Gaststätte gingen, um ein Bier zu trinken, bekamen sie zu hören, daß es für sie keins gab, wie sie im übrigen vom Tabakhändler zu hören bekamen, daß die Zigaretten, die drei rationierten Zigaretten, ausgegangen waren. War das die Behandlung, die die befreundete und verbündete Nation den Italienern vorbehalten hatte? Und sie dachten im stillen: ,Wenn das Mussolini wüßte...'" Doch Mussolini, der immer über alles informiert war, wußte es. Und schickte der Botschaft, über das Außenministerium, Telegramme voller Entrüstung und Proteste. Einige Male telegrafierte er persönlich: „Ich habe erfahren, daß der Arbeiter X von zwei .Polizei' mißhandelt wurde, weil er völlig gerechtfertigt gegen eine Gruppe von Deutschen vorgegangen ist, die schlecht über Italien sprachen. Sorgen Sie unverzüglich für eine strenge Untersuchung und informieren Sie mich darüber. Mussolini." Oder er telegrafierte: „Italienische Arbeiter, die auf dieser Baustelle in jener Gegend arbeiten, haben nach drei Wochen nur einen mageren Vorschuß erhalten. Das nennt man Ausbeutung. Mussolini." Aber mit Telegrammen und Anfragen konnte eine so komplexe und delikate Situation, die er selbst verursacht hatte, nicht gelöst werden. Und in der Zwischenzeit gingen bei der Botschaft Reklamationen und Proteste von Arbeitern ein, es ereigneten sich weiterhin Zwischenfälle, die fast immer mit einer angemessenen Schlägerei von selten unserer Arbeiter endeten. 279 Ivo Bertulli aus Fano berichtet ζ. B., daß der deutsche Lagerführer Mayer, mit dem er persönlich ein sehr gespanntes Verhältnis hatte, „eines Abends halb besoffen in unsere Stube kam und mit einem Messer alle unsere Fotos vom Duce zerschnitt und zerriß, die wir auf die Wand neben die von Hitler geklebt hatten. Und der deutsche Lagerführer brüllte mit vielen anderen Deutschen: .Mussolini?! Scheiße!' (...), so daß wir Italiener beschlossen, Mayer eine ordentliche Lektion zu erteilen." 280 Darüber hinaus „gab es häufig Raufereien und Verletzungen zwischen Deutschen und Italienern, weil die Deutschen - vor allem wenn sie betrunken waren - uns beleidigten, indem sie .Maccheroni' riefen und andauernd den Duce beleidigten, indem sie hinzufügten, daß Hitler allein der Held des Tages sei und daß bei Beendigung des Weltkriegs ein neuer Krieg zwischen Deutschen und Italienern beginnen würde, weil Deutschland allein herrschen müsse. Nach diesen Beleidigungen gingen die Italiener geschlossen auf die Barrikaden, und obwohl sie von der Zahl her weniger waren, verprügelten sie die Deutschen und schlugen sie in die Flucht und machten das Licht aus." 281 An diesem Punkt überrascht es daher nicht, wenn wir hören, daß ein Arbeiter aus Genua auf den Gruß „Heil Hitler" mit „Mussolini" geantwortet hat und „daß diese Antwort verschiede-
279 Alflen, Due dittatori, S. 163-165. 280 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Pesaro, den 21. 7. 1942. 281 Ebenda, Pesaro, den 21. 7. 1942 (Es handelt sich um ein anderes Blatt als das vorhergehende.).
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ncn Leuten nicht sehr erwünscht erschien" 282 - ebenso wie „bei etlichen Deutschen der Gesang unseres ,Piave-Lieds' besonders unerwünscht war". 283 Die Tatsache, daß Italien nicht sofort an deutscher Seite in den Krieg eingetreten war, brachte die antiitalienischen Topoi, die mit den Ereignissen des ersten Weltkriegs verbunden waren, wieder zum Vorschein. Arbeiter aus Meran erzählten im September 1939, „daß das Verhalten Italiens gegenüber dem deutsch-polnischen Konflikt die dortige Bevölkerung vor den Kopf gestoßen habe, so daß sie keine besondere Achtung mehr hätten gegenüber allem, was italienisch sei. Unseren Arbeitern seien sogar die Löhne gekürzt worden, und sie seien geradezu zum Verlassen Deutschlands gezwungen worden. Man hätte erwartet, so heißt es, daß sich Italien bewaffnet an die Seite Deutschlands stellen würden." 284 Arbeiter aus Rovereto, die Ende Oktober nach Hause zurückkehrten, erzählten, „daß sie während ihres Aufenthalts immer gut behandelt worden waren, aber daß sie seit Ende September in der Behandlung eine gewisse Kälte gespürt hatten und es einige der Erregtesten unter den Arbeitgebern nicht versäumt hatten, ihnen die Haltung unserer Regierung zum Vorwurf zu machen, die — wie sie sagten — es genau wie 1914 machen würde, nämlich zuerst neutral bleiben und sich dann der Sache der Anglo-Franzosen in die Arme werfen würde." 285 Dieses Mißtrauen ist eine der Konstanten in jenen Jahren und Anfang Januar 1941 berichtet ein aus Genua stammender V-Mann der „Politischen Polizei", daß „vor allem nicht damit gespart werde, bei jeder Gelegenheit daran zu erinnern, daß Deutschland heutzutage im Krieg sei, um die schweren Schäden wiedergutzumachen, die es 1919 erhalten habe, und um auf den Versuch der Zerstörung zu reagieren, deren Opfer Deutschland werden solle. Diese Situation, so sollen die Deutschen nun behaupten, wurde verursacht durch den ,Verrat' Italiens, das, nachdem es das Bündnis mit Deutschland aufgekündigt hatte, auf Seiten des Erbfeindes England und auf Seiten Frankreichs gekämpft hat. Wenn Italien Deutschland nicht verraten hätte, wäre der Krieg schon damals gewonnen worden, und so wäre Deutschland heute nicht gezwungen, so viele seiner Söhne zu opfern, die ganze Bevölkerung — mit den unvermeidlichen Einschränkungen - zu opfern, es würde heute nicht die immensen Zerstörungen an Werten geben, die der Krieg auferlegt. Auch wenn Äußerungen dieser Art nicht immer und nicht von allen gemacht werden, so lassen sie doch ein Gefühl von angeblicher Superiorität der Rasse spüren." 286 Darüber hinaus nehmen viele Deutsche nicht bloß die Gelegenheit wahr, den „Verrat von 1914" anzuprangern (vor allem einige derjenigen, die am ersten Weltkrieg teilgenommen haben, zeigen ihren Groll gegenüber den Italienern 287 ), sondern machen Italien auch „den Verlust des Kaiserreichs und die militärischen Rückschläge in Libyen und in Griechenland" zum 282 283 284 285 286 287
Ebenda, Genua, den 31. 3. 1942. Ebenda. Ebenda, Meran, den 23. 9. 1939. Ebenda, Rovereto, den 31. 10. 1939. Ebenda, Genua, den 2. 1. 1941. Dies wird in verschiedenen der aufgezeichneten Augenzeugenberichte zum Ausdruck gebracht. Vgl. auch ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Kopie einer vertraulichen Aufzeichnung vom 5. 8. 1940, die die Äußerungen des Arbeiters Gino Perenzin aus Vido (in der Provinz Treviso) wiedergeben, der damals in Wolfenbüttel gearbeitet hatte.
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Vorwurf. 288 Aus den mündlichen Äußerungen der Zeitzeugen und aus den Berichten der Spitzel der „Politischen Polizei" kommt aber darüber hinaus ein Bild zum Vorschein, dessen auffälligste Merkmale die bisher berichteten Ereignisse bei weitem übersteigen. Unter den Arbeitern, so teilte der V-Mann aus Rom ab dem 23. Mai 1941 mit, „geht die Ansicht um, daß die Lebensumstände der Arbeiter in Deutschland, vor allem die der Italiener, die von .Galeerensträflingen' sind. Ich habe das Gerücht kursieren hören, daß Arbeiter aus nichtigsten Anlässen erschossen worden sind. Eine dieser Episoden, von der genauer berichtet wurde, ist die von zwei Arbeitern, die seit vielen Tagen zwei Hühner, die andauernd in der Nähe ihrer Arbeitsstelle (...) pickten, futterten, so daß man annehmen mußte, daß sie niemandem gehörten, weil sie sich nie von dem Fleck weg bewegten, wo die beiden arbeiteten und niemand war sie suchen gekommen, obwohl schon eine ganze Zeit verstrichen war. Eines schönen Tages beschlossen die beiden Arbeiter, die beiden Hühner zu essen, von denen sie annahmen, daß sie verlorengegangen seien und die sich von Gott weiß woher bei ihnen eingefunden hatten und die von ihnen seit so langer Zeit versorgt worden waren. Nach einigen Tagen kommt jemand nach den Hühnern suchen. Darauf erklären die beiden, daß sie sie gegessen hätten und erzählen die hier berichtete Geschichte. Sie wurden unverzüglich verhaftet. Die Behörden fragten bei den Vertretern der italienischen Arbeiter an, ,was sie mit diesen beiden machen sollten'. Die italienischen Faschisten sollen geantwortet haben: ,Sie sind bei euch zu Hause. Macht mit ihnen, was ihr wollt.' Und darauf seien die beiden Arbeiter erschossen worden. Dies ist eine von vielen Episoden dieser Art. Andere wurden nicht näher geschildert. Aber es ist sicher, daß mehr als eine Frau besorgt gefragt hat, ob es wahr sei, daß die italienischen Arbeiter in Deutschland .schlechter als die Kriegsgefangenen' behandelt würden." 2 8 9 O b sich diese Geschichte wirklich ereignet hat oder ob sie eine Legende ist, vermögen wir nicht zu entscheiden, aber es ist sicher, daß sie es uns ermöglicht zu begreifen, wie sich viele italienische Arbeiter in Deutschland fühlten und wie sie die Tätigkeit ihrer Lagerführer und Vertrauensleute einschätzten. Anderen Gerüchten zufolge, die während der Zugfahrt von dem Vertrauensmann aus Parma am 12. Dezember 1941 gesammelt wurden, „wurden die Italiener [in der Tschechoslowakei] für jeden auch noch so kleinen Fehler brutal zusammengeschlagen. Etliche sollen als Folge davon gestorben sein." 290 Im August 1942 hörte der örtliche V-Mann der Politischen Polizei, wie in einer Bierkneipe in derTrienter Brennerstraße erzählt wurde, daß „in Deutschland viele Arbeiter erschossen worden sein sollen, weil sie sich verschiedener Vergehen, des Diebstahls und der Sabotage, schuldig gemacht hätten, und daß unter den Hingerichteten auch einige Italiener seien, aber daß es sich um Arbeiter aus den Altprovinzen handeln würde". 291 Und im gleichen Monat berichtete ein Funktionär der faschistischen Gewerkschaften, der als Verbindungsmann zur Arbeitsfront fungiert hatte und nun aus Deutschland zurückkehrte, daß 288 289 290 291
ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Rom, den 28. 11. 1941. Ebenda, Rom, den 25. 5. 1941. Ebenda, Parma, den 12. 12. 1941. Ebenda, Trient, den 2. 8. 1942. [Das ehemals österreichische Trentino kam erst nach dem ersten Weltkrieg zu Italien.]
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„häufig Streitereien und Zwischenfälle vorkommen, darunter auch gravierendere Fälle; häufig werden gegenüber unseren Arbeitern drakonische Maßnahmen ergriffen, und dies vor einer relativ großen Öffentlichkeit, so daß dies zur Schmach wird und als eine Beleidigung des guten Namens und des Ansehens unseres Vaterlandes erscheint. Es sind auch Landsleute umgebracht worden, aus brutaler Rache und als schwere Verurteilung, weil sie Beziehungen zu deutschen Frauen geknüpft hatten. Kurz: die Unsrigen werden nicht besser wie Polen, Juden und Kriegsgefangene behandelt." 292 Als im September zahlreiche Arbeiter aus Deutschland nach Cosenza heimkehrten, „sagen sie, daß sie nicht [nach Deutschland] zurückkehren wollen, weil sie mißhandelt worden sind, und der eine oder andere erzählt, daß sie unter Stockschlägen arbeiten mußten." 293 Im Dezember erzählten die Arbeiter, die nach Rom heimkehrten, daß die italienischen Arbeiter „schlechter als Gefangene behandelt wurden" 294 und daß „die italienischen Arbeiter in einigen Lagern, wo sie Baracken errichten sollten, schlecht behandelt, geschlagen und der ein oder andere sogar von den Deutschen getötet wurde". 295 Mailänder Arbeiter, die im Februar 1943 für die Winterferien zurückkehrten, bestätigten, daß „diejenigen Italiener, die ihre Arbeit in Fabriken ableisten, wo auch Kriegsgefangene (Franzosen, Polen, Russen usw.) arbeiten, genau wie diese behandelt werden; der einzige Unterschied: die Barackenlager, wo die Gefangenen sich aufhalten, sind eingezäunt und werden von bewaffneten Aufsehern bewacht." 296 Die Gerüchte, die vermutlich umlaufen, tragen dazu bei, daß bestimmte Geschehnisse verstärkt und verallgemeinert werden; sie sind deswegen aber nicht weniger aussagekräftig, da sie die tiefgehende Unzufriedenheit unter den italienischen Arbeitern aufzeigen. Es ist ζ. B. sicher, daß das Italienische Konsulat in Köln und die Italienische Botschaft in Berlin einschreiten mußten, um das Leben des Arbeiters PietroTeolin (oder Geolin), der 1896 in Portogruaro bei Venedig geboren wurde und seinen Wohnsitz in Merna in der Provinz Görz hatte, zu retten. Teolin, der bei den Essener Krupp-Werken beschäftigt war, „wurde von der deutschen Polizei verhaftet und zum Tod verurteilt — eine Strafe, die aufgrund des Begnadigungsersuchens, das das Kgl. Generalkonsulat in Köln beim Essener Sondergericht gestellt hat, und aufgrund der Anstrengungen, die die Kgl.-Italienische Botschaft in Berlin diesbezüglich beim deutschen Außenministerium unternommen hat, in acht Jahre Zuchthaus geändert wurde". „Die Gründe, die die Verurteilung des Genannten verursachten, waren folgendermaßen: am Morgen des 17. September d. J. [1942] fand Teolin auf seinem Weg zur Arbeit in einer Straße des Viertels von Bergeborbeck eine Schachtel mit 30 Zigaretten, die infolge des Luftangriffs in der vorhergegangenen Nacht aus der Auslage eines Tabakladens herausgeflogen war. Der Inhalt der Schachtel wurde nach Aussage Teolins mit zwei anderen Arbeitern (einem Deutschen und einem Italiener, die er nicht kannte) geteilt. Teolin kehrte aus Neugierde noch einmal an die Stelle zurück, wurde dort aber von einem Mitglied des Wachdienstes überrascht und von diesem zur Polizeistation begleitet, welche 292 293 294 295 296
Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda. Ebenda,
Rom, den 14. 8. 1942. Cosenza, den 25. 9. 1942. Rom, den 22. 12. 1942. Mailand, den 10. 2. 1943.
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11 Zigarren beschlagnahmte, die sich in seinem Besitz befanden. Der Arbeiter wurde sofort vor Gericht gestellt." 297 Die gewöhnlichen Delikte, die nicht die Arbeitsdisziplin betrafen, wurden nach den deutschen Gesetzen geahndet und in diesem Fall kann man nur sagen, daß das Urteil — für die damaligen Zeiten - sehr milde ausfiel. Wenn auch nur in einer begrenzten Zahl von Fällen gegenüber italienischen Arbeitern die Todesstrafe verhängt wurde, so waren es dennoch nicht wenige Italiener, die vor, aber auch nach dem Dezember 1941, also aufgrund eines Abkommens, auf das wir noch zurückkommen werden, der Bruch der Arbeitsdisziplin in den Zuständigkeitsbereich der italienischen Polizei fiel, in Straflager verbracht wurden, ζ. B. in das sogenannte „Lager 21, das ein Sonderlager war, in dem der zu Bestrafende 21 Tage bleiben mußte. In jenem Lager war die Disziplin äußerst hart, während die Ernährung wie die Bezahlung halbiert wurden — abgesehen von den zahlreichen Stockschlägen, die nach Gutdünken des Lagerkommandanten verabreicht wurden. Ein Italiener wurde von einem Franzosen geschlagen, ein Pole von einem Deutschen usw., so daß die Bastonade ein Ventil für persönliche Ressentiments sein konnte." 298 Auch nach dem Abkommen vom Dezember 1941 landeten diverse Italiener, deren Vergehen als außerhalb der Arbeitsdisziplin stehend angesehen wurden, im Straflager. Dies ist der Fall bei Alfonso Gavazza, 1903 in Suzzara geboren, dem 24 Zähne fehlten und der daher Ende 1942 für 400 Mark 15 Gramm Gold von einem kroatischen Arbeitskollegen bei den Münchner Mercedes-Benz-Werken kaufte, um sich ein Gebiß machen zu lassen. Aber das Gold war gestohlen und Gavazza ging zur Polizei, um das abzuliefern, was er gekauft hatte. Er wurde der Hehlerei angeklagt und landete fiir drei Wochen im Gefängnis, wurde dann für vier Monate in eine staatliche Fabrik zum Arbeiten gesteckt, ohne irgendeinen Lohn dafür zu erhalten; er bekam lediglich Nahrung, Unterkunft und 30 Pfennig pro Tag. Dann wurde er polizeilich ausgewiesen und nach Italien zurückgeschickt. 299 Bei meinen Recherchen habe ich mitunter zu hören bekommen, wie Arbeitskollegen der Befragten ins Straflager gesteckt wurden. Aber die Gründe für die alltägliche Unzufriedenheit der italienischen Arbeiter bestanden neben der Langsamkeit, mit der die Lohnersparnisse bei den Familien ankamen, in den großen Problemen, die bei der Aufnahme von 154.646 Industriearbeitern entstanden, die zwischen Januar und Juli 1941 in Deutschland ankamen. 300 Anfänglich schienen die Spannungen in der Industrie vor allem dadurch bedingt zu sein, daß die Migrationsbewegung allzu plötzlich angelaufen und sich allzu schnell vergrößert hatte und daher auf Strukturen traf, die fur die Aufnahme
297 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Schreiben des Korporationsministeriums, Kommissariat für Migration und Kolonisation, Servizio Migrazioni Estero, Prot. n. 11/5145/E.R. 9, vom 10. 5. 1942, an das Innenministerium, Generaldirektion ES., Abteilung A.G.R., betr.: Italienischer Arbeiter, in Deutschland verhaftet. 298 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Parma, den 12. 12. 1941. 299 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26, Schreiben der Kgl. Präfektur Mantua, Divisione II, N . di prot. 7562, vom 28. 5. 1943, an das Innenministerium, Generaldirektion ES., betr.: Alfonso Gavazza, Sohn von Lorenzo Gavazza und Anna Pasquarielli, geboren am 10. 3. 1903 in Suzzara, dort wohnhaft, Mechaniker, aus Deutschland repatriiert. 300 Privatarchiv Giuseppe Landi, Mappe 16, Bericht über Contingenti di operai industrial! partiti per il Reich dal 1938 al 1942, zit. bei Mantelli, Operai delle fabbriche italiane, Referat während des Kongresses Italia in guerra 1940-1943.
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der Arbeiter nicht adäquat waren, daß zum anderen den Arbeitern aber auch mancherorts Ablehnung entgegenschlug. Bernardo Mario Borgatta erzählt diesbezüglich: „Als wir in der Fabrik ankamen, bei den Arado-Werken in Babelsberg, alle in einer Reihe, sofort .Maccheroni' und irgendwelche Schimpfwörter aus den Fenstern. Und da haben wir mit .Kartoffeln' geantwortet. Und da kam das Gezänk her. Später in der Fabrik hat sich alles beruhigt. Aber wenn wir rausgingen, gab es immer Plänkeleien. 70 Prozent der Deutschen behandelten uns schlecht, 30 Prozent nicht. Aber nahezu von 100 Prozent dieser 70 Prozent wurden wir nicht gern gesehen. Sie gruben den Krieg '15—'18 wieder aus, sie sagten, daß wir Verräter gewesen seien und all diese Sachen. Aber da war der Gianni Bellotti, und so prügelten wir uns mit den Deutschen. Später kam dann die Lagerpolizei, sie durchsuchte die Baracken, durchwühlte die Betten und das Stroh auf der Suche nach Waffen. Wir wurden von der Polizei da in Potsdam wirklich schlecht behandelt." Auch Aldo De Paulis erinnerte sich an rassistische Äußerungen: „Im Sommer 1942, kurz vor unserer Rückkehr nach Italien, haben sie in einigen öffentlichen Lokalen Zettel angeschlagen mit der Aufschrift: .Italiener unerwünscht'. Denn später sind dort über 500 Süditaliener angekommen, und du weißt, wie das ist, die reden laut und sie rufen .Fraulenne, Fraulenne'. Und ich bin in eine dieser Gaststätten gegangen, bin an die Kasse gegangen und habe gesagt: .Entschuldigen Sie, ich bin Italiener. Kann ich etwas zu trinken bekommen?' Er sieht mich an und sagt: Ja, natürlich.' Also bin ich an den Tisch gegangen und habe aus dem Augenwinkel gesehen, wie der Kellner den Kassierer angeschaut hat, und der hat genickt. Jedenfalls hat zu mir nie einer gesagt: ,Du darfst hier nicht rein.'" Domenico Cecchella erinnerte sich an eine ähnliche Episode in Bremen: [in Dialekt] „Wir hatten Kontakt zu einem einzigen Lokal, das in der Nähe des Lagers war, und überall sonst wurden wir zurückgewiesen. Ich ging aus mit meinem Cousin, wir sind in ein Lokal gegangen, ich habe in freundlicher Form ein Bier bestellt, und ich habe es nicht bekommen. Allen anderen wurde serviert, nur uns nicht. Da bin ich wütend geworden: .Verflucht noch mal, schau dir diese verdammte Sache hier an (...) Italiener und Deutsche kämpfen zusammen, italienische und deutsche Arbeiter arbeiten zusammen und ich habe nicht das Recht, ein Bier zu trinken?'Da legt mir einer die Hand auf die Schulter, es war einer von der Polizei: ,Ihr zapft ihm sofort das Bier und ihr [seil, die Italiener] braucht es nicht zu zahlen. (...)'Aber, wenn man in die Straßenbahn stieg, sah man sofort den Mißmut, denn (...) wenn die einen von uns sahen, stiegen sie sofort aus (...) Sie hatten Angst, wir hätten Flöhe..." In manchen Fällen scheint es, als ob die rassistische Intoleranz gegenüber den Italienern zu einer Tragödie geführt habe. Am 15. Oktober 1941 erzählte eine Gruppe von Arbeitern, die teils von der Nordsee, teils aus Mannheim, teils aus dem Rheinland zurückkehrten, während der Zugfahrt, daß „unsere Arbeiter von den Deutschen mit großer Kälte behandelt worden sind, häufig auch mit Verachtung, daß sie aus den Geschäften weggeschickt wurden mit den Worten .Nichts Italiener' 301 ; daß jedesmal, wenn die Unsrigen in einen Laden traten, in dem Zigaretten und Zigarren verkauft wurden, der Verkauf eingestellt und gesagt wurde: .Fertig, fertig' 302 . 301 Der Interviewte benutzt hier den deutschen Ausdruck. 302 Der Interviewte benutzt hier den deutschen Ausdruck.
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Ein Süditaliener, der ein passionierter Raucher war, ging in Berlin in einen Tabakladen und als ihm das übliche .fertig' entgegenschlug, protestierte er lebhaft, denn die Zigaretten seien doch zu sehen; schlußendlich faßte er den Verkäufer an der Jacke und gab ihm einen Stoß. Er wurde zur Polizei gerufen. Der Polizist mißhandelte ihn, und als er mit dem Tabakverkäufer verhandelte, zog der Arbeiter ein Messer aus derTasche, brachte den Polizisten mit einem Stich in den Rücken um und wurde darauf erschossen."303 Diese Formen eines bei der Bevölkerung verbreiteten „Rassismus", mit dem die Italiener in Konflikt geraten, werden vor allem von der Polizei eingedämmt — wie das Zeugnis Domenico Cecchellas beweist. Hitler hatte damals nicht die Absicht, das Bündnis mit Italien zu schwächen, sondern es zu verstärken. Aber in der Zeit danach, zumindest ab August/September 1942, werden die Italiener daran gehindert, in die für die Deutschen vorgesehenen Luftschutzkeller zu flüchten. Der Genueser Arbeiter Mario Zunino, der in einem Bergwerk in der Nähe von Saarbrücken arbeitete, das fast vollständig von den feindlichen Luftangriffen zerstört worden war, berichtete, wie er Anfang September, mitten in der Nacht, „ein Schild abriß, das außen an einem Luftschutzbunker angebracht war, der sich in der Nähe des (...) Bergwerks befand. Das Schild trug folgende Aufschrift: ,Der Zugang zum Bunker ist Ausländern (Italienern und Russen) verboten.'" 304 Der Maurer Ubaldo Coluzzi, der 1910 in Rom geboren wurde und von Februar 1941 bis Juni 1945 in Bremen arbeitete, erzählte seinerseits: „Es gab einen kleinen Bunker. Als der Alarm losging, ging ich rein, aber dann war dort der deutsche Bunkerführer, er ging vorbei, um die Ausländer zu suchen. (...) Als er bei mir ankam: »Ausländer?' — ,Ja, Italiener.' — ,Raus!' — .Warum?' — ,Raus, raus' 305 . (...) Mitunter war es das gleiche in den Bunkern im Zentrum der Stadt. Aber ich habe mir Respekt verschafft, denn damals, da habe ich ihm geantwortet, und wie ich ihm geantwortet habe! Aber es gab immer einen Bunkerführer und jener hat mich rausgeschmissen." 306 Was die mangelhafte Organisation bei der Aufnahme der Arbeiter angeht, die vom italienischen Botschafter in Berlin angeprangert worden war, so verfügen wir über die Aussage Aldo De Paulis, der über seine Ankunft in Brandenburg folgendes berichtete: „Im Vertrag stand, daß ich in einem Zweibettzimmer untergebracht sein sollte. Statt dessen waren wir zu 18 bis 20 in einer Baracke. Sie beachteten den Vertrag nicht. Protestieren, das war eine Frage des Prinzips. An dem Morgen, an dem wir vom Lager uns zur Arbeit melden mußten, haben wir uns im Hof versammelt, bereit zur Arbeit zu gehen, und wir haben zu unserem Obmann gesagt: ,Wir gehen arbeiten, wenn ihr uns die Garantie gebt, daß ihr für Abhilfe sorgen werdet. Wir wollen keinen Schlafsaal, in dem alle essen und schlafen wie ein Haufen Tiere.' Der Obmann telefonierte darauf mit der Firma und die Polizei kam mit Schäferhunden an. Zuerst haben sie versucht, uns mit Gewalt wegzubringen, uns auf einen Lastwagen zu laden und uns zur Arbeit zu bringen. Dann hat jemand von den Alteren protestiert und darauf hat der Obmann gesagt: ,Wir sind Verbündete. Wir haben Forderungen und ich werde sie vorbringen.' Daraufhaben 303 304 305 306
ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Verona, den 15. 10. 1941. Ebenda, Genua, den 21. 9. 1942. Der Interviewte benutzt hier den deutschen Ausdruck. Interview mit Ubaldo Coluzzi in Rom, am 18. 7. 1988. Durchführung und Aufzeichnung von Mauro Mattozzi.
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sie vom Büro 3 0 7 des Lagerführers aus telefoniert und es kamen Abgesandte der Firma, die schriftlich garantierten, daß sie innerhalb kürzestmöglicher Zeit Abhilfe schaffen würden. A m Tag danach kamen sie, um uns mit einem Bus abzuholen und uns in ein Haus zu bringen, dessen Türen mit Brettern verbarrikadiert waren: .Dieses Haus war fur euch vorbereitet worden. Aber vor euch waren hier Italiener, die vielleicht noch niemals ein Haus mit Küche, Speisesaal und Schlafzimmer hatten. Vielleicht lebten sie noch in Ställen.' In der Tat hatten sie das Holz des Klosetts und die Holzfenster verbrannt, weil sie zu faul gewesen waren, Kohle von unten zu holen. Anstatt sich in der Küche zu waschen, hatten sie Eimer auf die Tische gestellt und sich darin gewaschen, so daß der Holzfußboden voller Schimmel war. ,Wir werden versuchen, dieses Haus wieder in Ordnung zu bringen. Aber für den Augenblick müßt ihr in den Baracken bleiben.' Und zwei Monate vergingen." Es ist klar, daß die Deutschen versuchten, die ethnischen Unterschiede zwischen den Italienern gegeneinander auszuspielen, um in der Zwischenzeit eine bittere Pille zu verdauen, obwohl es auch sicher war, daß die Deutschen die Arbeitskräfte aus dem Norden gegenüber jenen aus Süditalien bevorzugten. Denn letztere waren damals in der Mehrzahl kulturell weit entfernt von einer entwickelten Industriegesellschaft und bildeten daher eine Ursache des gegenseitigen Unmuts. Von dieser Situation legt eine Vielzahl von Gerüchten, die unter den norditalienischen Arbeitern kursierten, ein beredtes Zeugnis ab. Im übrigen waren die Arbeiter aus dem Norden selbst wiederum durchtränkt von rassistischen Vorurteilen, die dazu führten, daß ein gewisser Konsens bestand, was die von den Deutschen betriebene Diskriminierung der Süditaliener anging, wobei die letzteren - wie sich mehrere Augenzeugen ausdrückten - mit ihrer häufig lärmenden Anwesenheit die gesamten Beziehungen zwischen Italienern und Deutschen belastet hätten. Der Obmann ausTrient berichtete beispielsweise im September 1940: „Mir ist mitgeteilt worden, daß demnächst zahlreiche Arbeiter aus demTrentino und aus Venetien nach Deutschland abreisen werden, weil Arbeiter aus dem Norden bevorzugt würden und weil die Süditaliener mit ihrem Verhalten in Deutschland Zwischenfälle provoziert hätten (...); sie sollen faul sein und den deutschen Frauen nachstellen, von denen sie glauben, daß sie leicht zu erobern sind; aber auch in Deutschland sollen sie eifersüchtig auf ihre eigenen Frauen achten und dies heutzutage noch mehr aus rassischen Gründen." 3 0 8 Und zum Ende des Jahres 1941 teilten einige Arbeiter, die aus Rovereto stammten, mit, daß in Deutschland die Süditaliener „fast aus dem Land herausgedrängt werden", weil „sie ein (...) schlechtes Beispiel abgegeben haben, sei es wegen der geringen Ausdauer am Arbeitsplatz, sei es wegen ihres Verhaltens." 3 0 9 Der wahre Grund, daß diese Arbeiter entfernt werden sollten, wurde hingegen von anderen italienischen Arbeitern angedeutet, die mit dem Zug aus Deutschland in die Heimat zurückkehrten und erzählten, daß „in etlichen Orten (...) unter unseren Arbeitern Aufruhr herrscht, vor allem dort, wo Süditaliener überwiegen, die (...) auch für die Deutschen unbezähmbar und unbeugsam sind." 3 1 0 307 308 309 310
Der Interviewte benutzt hier den deutschen Ausdruck. ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Trient, den 11. 9. 1940. Ebenda, Rovereto, den 6. 1. 1942. Ebenda, Verona, den 15. 10. 1941.
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Daß die Spannungen, die mit Gruppen von süditalienischen Arbeitern bestanden, häufig sehr stark waren, wird belegt durch die Ereignisse, die sich bei der Pulverfabrik Deutsche Sprengchemie in Mark Oderberg ereigneten, wo am 5. Juli 1942 ganze 39 Arbeiter aus der Region Neapel 311 zwangsweise heimgeschickt wurden, weil sie die Arbeit verweigert hatten. Diejenigen, die als Rädelsführer aufgefallen waren, wurden nach ihrer Ankunft in Italien in die polizeiliche Verbannung nach Pisticci oder Castel del Guido geschickt. 312 Eine Untersuchung, die das Korporationsministerium über diese Arbeiter, die Ende Mai 1942 in Oderberg angekommen waren, anstellte, veranlaßte den Minister dazu, folgendes zu schreiben: „Ihr Betragen, für jegliche Form der Disziplin unempfänglich, ist beklagenswert. Es hat sich in der Tat herausgestellt, daß sie sich unter anderem des unerlaubten Handels mit Lebensmitteln und persönlicher Kleidung, des Diebstahls in den Baracken und auf den Feldern wie der Nötigung mit Waffengewalt schuldig gemacht haben. Sie haben sich als unerwünschte und als arbeitsscheue Elemente erwiesen, die sehr häufig ohne gerechtfertigten Grund ihren Arbeitsplatz verlassen und ein geringes Moralbewußtsein haben. Zahlreiche Arbeiter weigern sich zu arbeiten, indem sie sich krank melden, während sich dann bei der ärztlichen Untersuchung herausstellt, daß sie sehr wohl für die Arbeit geeignet sind. Es sind aufrührerische, vorlaute Leute, mit geringem Pflichtbewußtsein; sie protestieren der nichtigsten Sachen wegen, insistieren ständig auf einer Rückführung in die Heimat und erklären, daß sich die Arbeit, die ihnen nun in Deutschland zugeteilt werden soll, mit der, die sie vorher in Italien ausgeübt haben, nicht vereinbaren läßt. Um die Situation in dem Lager, in dem die obengenannten Gruppen von Arbeitern beherbergt werden, wieder zu normalisieren, schlägt die Gewerkschaftsorganisation in Übereinstimmung mit den deutschen Behörden vor, diejenigen Personen, die die größte Schuld an den Arbeitsniederlegungen und den Ruhestörungen tragen, nach Italien zurückzuholen." 313 Obwohl das Verhalten, das diese Gruppe von Arbeitern an den Tag legte, unter allen italienischen Arbeitern sehr verbreitet war - und dies unabhängig von ihrer Herkunft! — kam bei der hier beschriebenen Gruppe ein starkes Protestpotential hinzu. Das war darauf zurückzufuhren, daß diese Arbeiter — die in Neapel als Schuster oder Polsterer, als Steinmetze oder Bahnarbeiter, als Friseure oder Blumenhändler, als Anstreicher oder Maurer arbeiteten und die unter dem Zwang der Umstände abgereist, aber auch von der Aussicht auf hohe Verdienstmöglichkeit nach Deutschland gelockt worden waren - zu Arbeiten herangezogen wurden, die sich stark von denen unterschieden, die ihnen im Anstellungsvertrag in Aussicht gestellt worden waren:
311 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 23, Siehe das Verzeichnis der Arbeiter, die wegen Arbeitsverweigerung ausgewiesen und repatriiert worden sind. 312 Vgl. diesbezüglich die Materialien, die den Schuster Raffaele Caccavallo und den Arbeiter Antonio Cardone betreffen (in: ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 23) sowie die Kopie des Schreibens des Korporationsministeriums, Servizio Emigrazione all'Estero, prot. η. 11/15580/E. 18/7, vom 2. 9. 1942, an das Innenministerium, Generaldirektion ES., Divisione A.G.R., betr.: Arbeitsverweigerung von seifen italienischer Arbeiter in Deutschland. 313 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 23, Kopie des Schreiben des Korporationsministeriums, Servizio Migrazione Estero, prot. η. 11/19998/E. 18/7, vom 7. 1. 1943, an das Innenministerium, Generaldirektion PS., Divisione A.G.R., betr.: Polizeiliche Maßnahmen. Italienische Arbeiter, die zwangsweise aus Deutschland repatriiert wurden.
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denn sie mußten nunmehr als Feuerwerker in einer Pulverfabrik arbeiten und sahen sich gezwungen, inmitten schädlicher Säure-Emissionen arbeiten zu müssen, die bei vielen von ihnen zu Vergiftungserscheinungen führten. 314
16. Italienisches Essen Lebensbedingungen in den Lagern, die völlig anders waren als vorhergesagt, und vor allen Dingen das Fehlen von italienischem Essen, das von der faschistischen Propaganda vollmundig versprochen worden war, das sind die tieferen Ursachen der Proteste jenes Sommers 1941. Bei den Arbeitgebern in aller Welt ist bis heute die besondere Zuneigung bekannt, die ein großer Teil der italienischen Arbeiter für die heimische Küche hat. Die deutsch-italienischen Abkommen sahen daher nicht zufällig vor, daß die Lebensmittel aus Italien importiert und von italienischem Küchenpersonal zubereitet werden sollten. Aber der große Zustrom italienischer Arbeiter macht es häufig unmöglich, diese Abmachungen einzuhalten. Gegenüber dieser Frage sind die italienischen Arbeiter übrigens so sensibel, daß an gewissen Orten etwa die Hälfte von ihnen es vorzieht, nach Ablauf der Probezeit nach Italien zurückzukehren, wie im Fall einer Gruppe von 72 Arbeitern, die im Mai 1941 aus Novara zu den Vogtländischen Metallwerken nach Plauen (Bezirk Dresden) abgereist waren. Es sind Arbeiter, die 1.000 Lire pro Monat hätten nach Hause schicken können, die aber außerordentlich unter dem deutschen Essen gelitten haben. Einer von ihnen, Rinaldo Valente, erzählte folgendes: „Das Essen, das war das Unangenehme. Ich war wahrscheinlich der einzige unter den 72, der sich wohl gefühlt hat, weil ich ein guter Esser bin und mich angepaßt habe. Ja, diese Mahlzeiten dort schmeckten mir sogar. Aber die anderen, die hielten das mit dem deutschen Essen nicht aus, die anderen litten, sie litten unter Magenschmerzen. Und das war das Hauptmotiv dafür, daß viele von den anderen, etwa die Hälfte, es dort nicht aushalten konnten und vorzeitig nach Italien zurückgekehrt sind. Die Graupensuppe, Grießbrei mit Kakao und Zucker, roher Fisch in Salzlake, die verschiedenen Sorten von deutscher Wurst (...) Ich konnte zwanzig Rationen essen, ich hatte sie jeden Tag. Weil die anderen von ihrem nur wenig und unwillig aßen, aber um 12 Stunden am Tag arbeiten zu können, war es notwendig, daß sie etwas aßen. Doch eines Tages hielten sie es nicht mehr aus; nachdem sie uns das Essen im Speisesaal serviert hatten, haben wir alle zusammen den Teller genommen, haben ihn umgedreht und sind ohne Essen arbeiten gegangen. Danach haben sie entschieden, uns italienisches Essen zu geben, also einen italienischen Koch. Das Zeug war deutsch, aber wenn es anders als auf deutsche Art gekocht wurde, dann schmeckte es auch anders, es ähnelte mehr dem Gewohnten." Das Essen schmeckte nicht bloß schlecht, sondern darüber hinaus war es für junge Männer, die arbeiten müssen, auch noch zu wenig. Valerio Racca schrieb aus Taucha folgendes an seine Frau: „Was die Bezahlung angeht, so war ich den ganzen Monat Mai auf 0,93 Reichsmark Normallohn, bei 50 Stunden die Woche, im Monat Juni hingegen sind es 60 Stunden 3 1 4 Dies läßt sich aus den vorhin zitierten Dokumenten ableiten sowie aus Materialien, die die nach Italien repatriierten Arbeiter Alessandro Chiumarulo, Luigi Comandatore, Francesco Federico und Francesco Filardi betreffen und die sich im A C S , Min. Int., D G P S , D A G R , PS 1943, Band 24 (für die beiden ersteren) sowie Band 2 6 (fiir die beiden letzteren) befinden.
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die Woche und Akkordarbeit, so daß ich jetzt auf maximal 1,33 Reichsmark kommen kann. Aber um das verdienen zu können, muß ich hart arbeiten, wofür mir und allen meinen Kameraden die Kräfte fehlen, und so landet man bei 1,20 bis 1,15 bis 1,22 (...) Der Lohnabzug betrug fiir den Monat Mai 63 Mark, das Essen eingeschlossen. (...) Die im Vertrag genannte Tätigkeit als Fahrer habe ich nicht bekommen können, weil sie einen großen Bedarf an Feinmechanikern haben und so wurde ich an die Werkbank gestellt, wo ich mit einer kleinen elektrischen Waage arbeite und den Abschluß der Ventile für Kompressormaschinen wie auch Sirenen mache, diese Arbeiten verlangen viel Präzision und Ruhe — wo ich doch schon fast das Augenlicht verloren habe. (...) Was das Essen angeht, so geht es mir sehr schlecht, weil es auf deutsche Art gemacht ist; nicht daß es schlecht wäre, aber es schmeckt mir nicht, doch um weitermachen zu können, kaufe ich mir Marmelade, die aus Glucose hergestellt ist, eine Sache, die ungenießbar ist, aber man muß gute Miene machen. (...) Heute bin ich aus der Krankenstation gekommen, wo ich für drei Tage im Bett gelegen habe, weil ich so sehr geschwächt bin. Den Grund kannst du dir denken. Und so habe ich vier Arbeitstage verloren. Jede Nacht bringen sie italienische Arbeitskameraden auf der Trage fort. Was die Kleidung angeht, so sind meine Schuhe vollkommen kaputt, und ich kann sie mir nicht flicken lassen, denn es gibt kein Leder. Doch sobald wie möglich schicke ich dir das Maß von Sohlen und Absätzen, ja? Oder noch besser: kannst du für mich Leder für die Besohlung eines Paares von Größe 41 kaufen? Hast du verstanden?" 315 Die Unmutsäußerungen wegen des Essens sind so ziemlich überall bei den italienischen Arbeitern auf der Tagesordnung und am 22. August 1941 inszeniert ein Großteil der aus insgesamt 207 Arbeitern bestehenden Gruppe bei den Rostocker Heinkel-Werken eine große Protestkundgebung, 316 während bei den Arado-Flugzeug-Werken in Brandenburg-Havel sich ebenfalls in der zweiten Hälfte des Jahres 1941 die Proteste über das Essen mit den Protesten gegenüber den Versuchen der Deutschen, die Italiener mit einer Markierung zu versehen, vermischen. Aldo De Paulis erinnert sich, daß „... wir reklamiert haben, als sie uns den dreifarbigen Streifen [mit den italienischen Farben] auf den Arm heften wollten. Da haben wir untereinander gesagt: ,Wir können nicht sagen, daß wir nicht zur Arbeit gehen werden, weil sie uns sonst keine Bezahlung geben. Wir müssen zur Arbeit gehen, aber wir dürfen nicht arbeiten.' Und so waren wir bis Mittag an der Werkbank, ohne etwas zu tun. Der Vorarbeiter und die anderen lachten: ,Ihr habt Recht. Wir sind Verbündete, warum müssen sie euch ein Abzeichen geben?' Dort an der Werkbank waren auch französische, polnische, serbische, rumänische und holländische Zivilgefangene, die da arbeiten mußten. Auch sie sagten: ,Ihr habt Recht. Wir sind Zivilgefangene, weil sie uns besetzt haben. Aber ihr kämpft an der Seite Deutschlands. Dann müssen sie auch den Japanern ein Abzeichen verpassen!' Und so haben sie uns die Markierung nicht gegeben." Und Bortolo Consoli, der junge Arbeiter aus Omegna, bestätigte diesen Bericht: „Sie wollten uns das italienische Abzeichen tragen lassen. Alle Ausländer dort trugen eine Markierung. Wir wollten es nicht tragen, und so haben wir deswegen und auch wegen des Hungers gestreikt. Wir Jugendlichen waren damals 16 bis 18 Jahre alt, das
3 1 5 Vgl. den Brief von Valerio Racca 30. 6. 1941, in: ACS, M i n . Int., DGPS, DPP, Band 223. 3 1 6 Vgl. die in dem Bericht Ribbentrops erwähnten Ereignisse, in: DDI, Nona Serie, Bd. VII, S. 7 3 5 - 7 3 6 .
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Essen war ein Viertel von dem, was wir an notwendigen Kalorien brauchten. Wir haben uns mit 8 oder 10 Mann an die Spitze des Streiks gesetzt. Wegen dieses Streiks haben sie uns verhaftet und für drei Tage ins Gefängnis gesteckt. Danach hat mein Ingenieur gesagt: . N i m m Vernunft an'. Aber die Markierung haben wir nie getragen." Was die Protestäußerungen im Lager Babelsberg im August 1941 angeht, so erzählte Guido Grandi folgendes: „In der Baracke haben wir eines Tages Krach geschlagen. Wir hatten solche Eßnäpfe aus Aluminium. Wir begannen zu protestieren, weil sie uns so wenig zu essen gaben. Der Lagerführer hat uns damals gesagt, wir sollten uns beruhigen, daß er für etwas mehr sorgen würde. Und sie haben uns etwas mehr gegeben. Wir waren dort eine ganz schön lange Reihe, eine große Truppe, die rebelliert hat. Ein anderes Mal passierte es, daß wir auf den Putz hauten, weil wir zu Mittag wenig gegessen hatten, und es gab dort einen anderen Lagerführer, der kam ausTriest. Ich erinnere mich an zwei Triester, die Schweine waren, die sich auf die Seite von denen, auf die der Deutschen, schlugen. Weil sie deutsch sprachen. Was hat dieser Kerl also getan? Er hat die Polizei gerufen. Er hat angerufen und gesagt, daß unter den Italienern eine Revolution ausgebrochen sei. Und die Polizei ist mit Motorrädern mit Beiwagen erschienen, sie haben uns eingekreist dort drin, darauf hat einer gesprochen und zwei Ohrfeigen bekommen. Es war ein Faschist aus Novara, einer von den wirklich gestandenen Faschisten. Er hat zu den Deutschen gesagt: ,Ich sage das, ich, der ich ein Faschist bin, der von Anfang an in der Partei gewesen ist.' Und da hat er noch mehr bekommen, weil die anderen nicht verstanden hatten, was er gesagt hatte. Sie haben ihn diesmal wirklich hart geschlagen. Aber danach ist es mit dem Essen etwas besser geworden." Diejenigen, die wegen Aktionen solcher Art verhaftet wurden, wurden in der Regel schnell wieder freigelassen und wieder ihrem Arbeitsplatz zugeführt, weil die deutsche Regierung zu diesem Zeitpunkt alles tat, um die Beziehungen zu ihrem Verbündeten zu intensivieren. Über diese Formen des Protestes hat Karl Heinz Roth bemerkt, daß die italienischen Arbeiter „lautstark wegen des schlechten Essens protestierten und in den Firmenkantinen Schlachten mit den Aufsehern ausfochten und die sogenannten .Revolten gegen die Leberwurst' organisierten oder aber gemeinsam die autoritären Vorschriften, die in den Lagern galten, überschritten - was bedeutete, daß sie bewußt und absichtlich ihrer Vereinnahmung für die in Deutschland herrschenden Mechanismen despotischer Arbeitssteuerung Grenzen setzen wollten." 3 1 7 Vielleicht erreichten diese Revolten nicht immer ein wirkliches Protestbewußtsein, aber das Urteil ist im wesentlichen richtig.
317 Karl Heinz Roth, Gli archivi aziendali e l'esportazione di forza-lavoro dall'Italia. Note sul problema della accessibility delle fonti e sullo sviluppo di alcune ipotesi di ricerca, in: Istituto storico della Resistenza in Piemonte (Hrsg.), Una storia di tutti. Prigionieri, internati, deportati italiani nella seconda guerra mondiale, (Tagung Turin 2.-4. 11. 1987) Mailand 1989, S. 185.
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17. Ein deutscher Bericht über die Proteste der italienischen Arbeiter zwischen Frühjahr und Herbst 1941 Um die Charakteristika kennenzulernen, die die von den italienischen Arbeitern hervorgerufenen Konflikte im Jahre 1941 angenommen haben, ist es wichtig, einen Bericht über die Proteste während Frühjahr und Herbst 1941 heranzuziehen, den Ribbentrop am 4. November 1941 von der Ostfront aus an den italienischen Botschafter in Berlin, Dino Alfieri, sandte - als Antwort auf dessen Klagen über die rassische Diskriminierung der Italiener. 318 In dem Begleitbrief bemerkte Ribbentrop, „daß einerseits die Leistungen der italienischen Arbeiter da und dort zurückgegangen, andererseits aber fast durchweg ihre Forderungen gestiegen sind, und zwar oft über das Maß dessen hinaus, was Deutschland auch beim besten Willen zu erfüllen möglich ist. So überstiegen ζ. B. die Forderungen der italienischen Arbeiter vielfach den Standard des deutschen Arbeiters, so daß die deutschen Stellen wiederholt einfach nicht in der Lage waren, solchen Forderungen gerecht zu werden. Euere Exzellenz werden sich an Hand dieser Beispiele selbst von der wahren Sachlage überzeugen können. (...) Zusammenfassend möchte ich sagen, daß in Anbetracht des vorliegenden Materials eher das Auswärtige Amt Veranlassung gehabt hätte, sich wegen gewisser Mißstände bei den italienischen Arbeitern um Abhilfe an Euere Exzellenz zu wenden. Wenn die deutschen Stellen dies nicht taten, sondern durchweg versucht haben, die Dinge an Ort und Stelle zu regeln und zu aplanieren, so geschah dies in der Erkenntnis, daß einerseits solche Vorkommnisse beim Einsatz von einigen Hunderttausenden italienischen Arbeitern, die in großer Eile angeworben worden sind, schon einmal eintreten könnten, daß sie andererseits aber niemals von solcher Bedeutung seien, um die Regierungen der beiden befreundeten Länder überhaupt damit befassen zu sollen." 319 In dem beigefügten Bericht erinnerte Ribbentrop daran, daß „die ständig wachsenden kriegsbedingten Anforderungen an die deutsche Wirtschaft es mit sich brachten, daß im Laufe der Zeit eine mehr und mehr differenziertere Verteilung nicht nur der italienischen, sondern aller ausländischen Arbeitskräfte erfolgen mußte. Neben den oben erwähnten Staats- und Großbetrieben beschäftigte bereits nach dem ersten Kriegsjahr eine große Anzahl von Mittel- und Kleinbetrieben ausländische Arbeiter. Der ansteigende Bedarf der deutschen Industrie an ausländischen Arbeitskräften mußte zwangsläufig dazu führen, daß 1. die Auswahlmöglichkeiten bei der Anwerbung im Ausland sich entsprechend verringerten und 2. die besonders günstigen Bedingungen, die ein geschlossener Arbeitseinsatz mit sich bringt, zum Teil wegfielen ... " 320 Diesen objektiven Schwierigkeiten galt es für Ribbentrop jedoch, folgendes hinzuzufügen: „Allem Anschein nach hat die vom Frühjahr 1941 besonders verstärkte Entsendung süditalienischer Kräfte sich nachteilig auf den gesamten Arbeitseinsatz ausgewirkt. Aus den 318 Der Bericht trägt den Titel Die italienischen Arbeiter in Deutschland und ist dem bereits zitierten Schreiben als Anlage beigefügt. Beides ist publiziert in den DDI, Nona Serie, Bd. VII, S. 729-736. 319 DDI, Nona Serie, Bd. VII, S. 730-731. 320 Ebenda, S. 732-733.
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statistischen Zahlenübersichten, die den deutschen Zentralbehörden vorliegen, ergibt sich, daß die Arbeitsleistungen der Nord- und Süditaliener erheblich voneinander abweichen. Die durchschnittliche Arbeitsleistung der norditalienischen Arbeitskräfte beträgt etwa 75 bis 90 Prozent der Leistung der deutschen Arbeiter; das Leistungsniveau sinkt bei den Süditalienern auf 50 Prozent, 40 Prozent und darunter." 321 Dieses auffällige Absinken der Leistungsquoten wurde von Ribbentrop vor allem dahingehend interpretiert, daß „die besonders vordringlichen und damit kurzfristigen Einsatzmaßnahmen dazu gefuhrt haben, daß bei der Auswahl der Arbeitskräfte in Italien nicht immer die sonst übliche Sorgfalt beachtet werden konnte." Im zweiten Teil der Denkschrift, die wir hier ausfuhrlich wiedergeben, untersucht der deutsche Außenminister dann die Fälle, in denen es zu Konflikten mit italienischen Arbeitern kam, die seit dem Frühjahr 1941 in massiver Form zum Ausbruch kamen: „Neben den Erscheinungen, die sich wie das grundlose Verlassen des Arbeitsplatzes, die Rückkehr in die Heimat ohne Kündigung und das allgemeine Absinken der Arbeitsleistung im Laufe dieser wenig erfreulichen Entwicklung auf den Produktionsprozeß immerhin nur mittelbar auswirken konnten, nahmen in neuester Zeit nun leider auch die Klagen über unmittelbare Störungen des Arbeitsfriedens durch Aktionen gewisser Gruppen italienischer Arbeiter oder durch Einzelakte in den verschiedensten Betrieben und Lagern zu. Die hier folgenden typischen Beispiele lassen erkennen, welchen Charakter diese vielfachen unmittelbaren Störungen des Arbeitsfriedens hatten. 1. Am 23. März 1941 erschien im Lager Britz, Berlin, Buckower Chaussee an der Essenausgabe ein italienischer Arbeiter in angetrunkenem Zustand und beschwerte sich über seine Fleischportion, die ihm zu gering erschien. Der Lagerführer Langensiepen hat dem Mann in der Küche in Gegenwart des italienischen Kochs das gebratene Fleisch vorgewogen und 75 gr. festgestellt. Dies entsprach ohne Zweifel einem Rohgewicht von 100 gr. Der Arbeiter beleidigte den italienischen Koch Bertol und lärmte in der Küche, nachdem der Lagerführer weggegangen war. Dadurch wurde dieser veranlaßt, nochmals zurückzukehren und den Arbeiter aufzufordern, sich zu beruhigen. Anstatt dieser Aufforderung Folge zu leisten, griff der Italiener zum Messer und ging auf Langensiepen los; dieser schlug ihm das Messer aus der Hand und warf den Angreifer zurück. Dieser Vorfall alarmierte ungefähr 50 Italiener, die das Lagerbüro von beiden Seiten belagerten, die Fensterscheiben durch Steinwürfe zertrümmerten und außerdem eine Tür eintraten. Den beiden Lagerführern gelang es rechtzeitig, telefonisch das zuständige Polizeirevier zu alarmieren. Es war den Lagerführern infolge des Angriffs nicht möglich, aus ihrem Büro herauszukommen. Erst beim Eintreffen der zwei Polizeibeamten sprangen beide aus dem Fenster heraus. Den Polizeibeamten gelang es sodann, 2 Rädelsführer festzunehmen, und zwar die Arbeiter Ciavoni und Baradella. Ein Uberfallkommando konnte nur durch Boten herbeigezogen werden, weil die aufsässigen Italiener inzwischen die Telefonleitung durchschnitten hatten. 2. Am 8. Juni 1941 sollte in den Chemischen Werken in Hüls in Westfalen, wo mehrere Hundert italienische Arbeiter eingesetzt sind, eine Umverlegung in andere Baracken vorgenommen werden. Sie war dadurch gerechtfertigt, daß 140 Italiener in ihre Heimat 3 2 1 Ebenda, Bd. VII, S. 7 3 3 .
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zurückgekehrt waren und nunmehr zahlreiche Stuben leer geworden, bzw. nur noch zum Teil mit Arbeitern belegt waren. Ein großer Teil der Italiener weigerte sich aber aus Bequemlichkeitsgründen, dieser Forderung zu entsprechen, so daß der Umzug zunächst unterbleiben mußte. Der den Befehl des Betriebs übermittelnde Wachmann Kendha wurde von einer großen Zahl italienischer Arbeiter tätlich angegriffen und lebensgefährlich bedroht. Erst durch das Eingreifen des Uberfallkommandos des Polizeipräsidiums in Recklinghausen konnten die aufsässigen Italiener zur Ruhe gebracht werden. Sie erklärten nunmehr, sich der Lagerdisziplin fugen und keine Überfälle und Demonstrationen mehr veranstalten zu wollen. 3. Am 21. Juni 1941 betrat der italienische Lagervertrauensmann Tiniccolo die Küche des Wohnlagers im Gemeinschaftslager Rudow bei Berlin und beanstandete den für die italienischen Arbeiter mit Mayonnaise bereiteten Kartoffelsalat, weil angeblich die Arbeiter den auf diese Art zubereiteten Salat nicht essen könnten. Als auf die Beanstandungen des Tiniccolo der Rechnungsführer des Lagers dem anwesenden Küchenpersonal Kostproben verabreichen wollte, wurde dies durch Tiniccolo unterbunden. Der inzwischen herbeigerufene Lagerführer versuchte schlichtend einzugreifen. Hierbei wurde Tiniccolo so ausfällig, daß ihn der Lagerführer aus der Küche weisen mußte. Die laute Auseinandersetzung wurde von der Masse der Italiener durch laute Zwischenrufe und durch Schlagen mit Schlüsseln und Tellern begleitet. Es kam zu einem regelrechten Tumult. Eine sachliche Erledigung des Streits war nicht mehr möglich; zur Wiederherstellung der Ordnung mußte der Lagerfuhrer die Polizei rufen. Dem herbeigeholten Überfallkommando wurde Widerstand geleistet, wobei Tiniccolo einen Beamten zurückstieß, während der italienische Arbeiter Banzi den Rock eines Polizeibeamten am Hals aufriß. Die beiden Anführer mußten in Haft genommen werden. 4. Am 2. Juli 1941 hat ein Teil der italienischen Lagerinsassen des Lagers Genshagen der Firma Daimler-Benz-Werke eine drohende Haltung gegen die deutsche sowie die italienische Lagerverwaltung eingenommen, weil angeblich die zur Verteilung gekommene Butter ranzig und die Wurst verdorben sei. Die Italiener haben diese Lebensmittel teils durch die Fenster geworfen, wobei die Fensterscheiben zertrümmert wurden und zum Teil auf dem Fußboden zertreten. Eine Untersuchung ergab, daß die beanstandeten Lebensmittel in jeder Hinsicht einwandfrei waren und die Küche ausschließlich von italienischem Küchenpersonal geleitet wurde. Da die Italiener mit dem Untersuchungsergebnis nicht einverstanden waren, haben sie die deutsche und die italienische Lagerverwaltung umstellt und damit gedroht, die Eingeschlossenen totzuschlagen. Erst eine Versetzung der Haupträdelsführer zu einer anderen Firma hat wieder Ruhe in das Lager gebracht. 5. Am 22. Juli 1941, mit Beginn der Nachtschicht um 17.30 Uhr verweigerten 177 italienische Industriearbeiter in dem Wehrwirtschaftsbetrieb Mitteldeutsche Motorenwerke in Leipzig aus völlig unerheblichen Gründen die Arbeitsaufnahme. Die Lagerleitung der Mitteldeutschen Motorenwerke beabsichtigte am 22. Juli 1941, 13.00 Uhr, 18 italienische Arbeiter in eine neu hergestellte Wohnbaracke zu verlegen. Infolge Lieferungsschwierigkeiten konnten in diesen Wohnbaracken erst am 26. Juli 1941 die noch fehlenden elektrischen Beleuchtungskörper angebracht werden. Für den Bezug der Baracke war dies auch unerheblich, da sämtliche 18 Italiener bis zum Wochenende in der Nachtschicht arbeiten mußten und infolgedessen auf elektrische Beleuchtung gar nicht angewiesen waren.
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Der als Vertrauensmann zwischen Betrieb und der Deutschen Arbeitsfront einerseits und der italienischen Delegation andererseits fungierende italienische Staatsangehörige Antonio Actis-Barone hat, wie die Feststellungen einwandfrei ergaben, anstatt mit der Betriebsführung über die nötigen Beleuchtungsträger zu verhandeln, seinen Landsleuten den strikten Befehl erteilt, die Arbeit nur auf seine ausdrückliche Anordnung hin wieder aufzunehmen. Erst auf Anweisung des Italienischen Konsulats in Leipzig, an das sich in der Zwischenzeit ein anderer italienischer Arbeiter fernmündlich gewandt hatte, nahm etwa die Hälfte der italienischen Arbeiter die Arbeit wieder auf, nachdem sie von etwa 15.00 Uhr bis 20.30 Uhr gestreikt hatten. Der Rest war erst um 22.30 Uhr zur Aufnahme der Arbeit zu bewegen. Die Verpflegung der Werkkantine wurde von dem größten Teil der Italiener an diesem Tag nicht in Anspruch genommen. Die Haltung einzelner italienischer Arbeiter bei diesem Zwischenfall zeigte rein gewerkschaftliche oder sogar kommunistische Auffassungen. 6. Am 3. August 1941 ist in dem Lager Flötzerweg bei Linz zum ersten Mal italienischer Wein ausgegeben worden. Der Lagerführer hat dabei, um Unregelmäßigkeiten zu vermeiden, selbst die Aufsicht geführt und sich an der Ausgabe beteiligt. Sowohl auf Anweisung des Stadtrats als auch mit Rücksicht auf die sich in letzter Zeit gelegentlich verzögernden Lieferungen der italienischen Regierung hat er nicht den ganzen vorhandenen Wein zum Ausschank gebracht. Nachdem sechseinhalb Stunden lang, in der Zeit von 13.30 bis 20.00 Uhr, Wein ausgegeben worden war, sperrte er den weiteren Ausschank. Einige der Lagerinsassen fühlten sich dadurch benachteiligt. Sie drangen trotz des ausgesprochenen Schankverbots in den Ausschankraum ein, schrien, gestikulierten und versuchten in temperamentvoller Weise den weiteren Ausschank zu erzwingen. Einer der Haupthetzer griff, als der Lagerführer die Eindringlinge langsam aus dem Ausschankraum herausdrängte, diesen an und riß ihm Kragen und Schlips ab. Als sich ein großer Teil der Italiener vor seiner Kanzlei abermals zusammenrottete, dabei Rufe ausbrachte, wie ,Wir marschieren noch gegen Deutschland', sah sich der Lagerführer gezwungen, die Polizei zu Hilfe zu rufen. Auf seinen Anruf kamen 2 Polizeibeamte. Der Tumult war inzwischen durch Hinzuziehung neuer radaulustiger Elemente, die offenbar schon zuviel Alkohol genossen hatten, noch mehr gewachsen. Unter anderem wurde damit gedroht, das Lager in Brand zu setzen. Die Polizeibeamten schritten deshalb zur Festnahme des Italieners, der den Lagerführer tätlich angegriffen hatte. Andere Italiener versuchten, ihn später zu befreien und leisteten der Polizei erbittert Widerstand. Es gelang ihnen auch, sich zu Hunderten zusammenzuballen und auf die Beamten zu stürzen und sie an der Erfüllung ihrer Pflicht zu hindern. Als diese zu ihrem Schutz ihre Pistolen zogen, wurden sie von der Menge mit einem orkanartigen Steinhagel beworfen. Darauf machten die Beamten von der Schußwaffe Gebrauch. Es wurden zunächst zwei Warnschüsse abgegeben. Drei italienische Arbeiter wurden dabei verletzt, von denen einer verstorben ist. In der Zwischenzeit wurde das Überfallkommando alarmiert, das nach kurzer Zeit eintraf. Es wurde mit Schreien und Johlen empfangen. Nach der Verhaftung von fünf Rädelsführern unter den Italienern trat endlich Ruhe im Lager ein. Viele vernünftige Italiener mißbilligten das Verhalten ihrer Landsleute. 7. Am 22. August 1941 streikten bei der Firma Heinkel in Rostock von 287 italienischen Arbeitern rund 80 Prozent und hinderten Arbeitswillige am Einsatz. Um größere Auswirkungen auf die Gesamtbelegschaft im Keime zu ersticken, mußten die Streikenden polizeilich aus den Betten geholt werden. Als Begründung fur ihre Arbeitsverweige-
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rung gaben sie an, daß sie nicht genug zu essen bekämen und mit hungrigem Magen keine Tiefbauarbeit leisten könnten. Wie bereits in früheren Fällen, so versammelten sie sich auch diesmal in den Gemeinschaftsräumen, um in temperamentvollen Streikreden Richtlinien für ihr weiteres Verhalten und die Arbeitsniederlegung zu geben. Es muß darauf hingewiesen werden, daß das Essen zu Anfang ausschließlich von italienischen Köchen bereitet wurde. Mußten diese einmal in der Woche — was im Kriege eben nicht anders möglich ist — eine schmackhafte Fischsuppe einschieben, so ist es vorgekommen, daß die italienischen Arbeiter diese Suppe in den Speisesaal schütteten und mit den Füßen darin herum traten. Wurden Fische gereicht, die nach deutscher Art gekocht und ordentlich zubereitet waren, so wurden sie demonstrativ an die Wand genagelt. Uber die geringfügigsten Anlässe wurden Beschwerden angebracht, zumeist nur zu dem Zweck, die Arbeit unnütz zu unterbrechen und Freistunden zu erreichen. Es ist vorgekommen, daß sich die italienischen Arbeiter geweigert haben, bei leichtem Regen an ihre Arbeitsplätze zu gehen, obwohl ihre Baracken nur wenige 100 Meter von der Montagehalle entfernt waren. Deutsche Arbeiter wurden beschuldigt, Sonderzuteilungen von italienischem Wein, Zigaretten usw. unberechtigterweise bezogen zu haben. Nachforschungen ergaben, daß diese Dinge von den Italienern zu 3 bis 5fachen Preisen an die deutschen Arbeiter weiterverkauft worden waren. Die Sauberkeit in den Lagern ließ häufig zu wünschen übrig. Mit Hilfe der italienischen Delegierten und des überwiegenden anständigen Teils der Italiener mußte oftmals gegen die zur Unsauberkeit neigenden Elemente eingeschritten werden. 8. Am 2. Oktober 1941 wurde ein nach Italien abgehender Urlauberzug der Reichswerke Hermann Göring in Braunschweig einer unvermuteten Kontrolle unterzogen, weil seit einiger Zeit umfangreiche Werkzeugdiebstähle in den Werklagern festgestellt worden waren. Dabei wurden im Gepäck der italienischen Urlauber ungeheure Mengen Bettwäsche, Wolldecken, Bohrer, Schmirgelscheiben, Leitungsdraht, Zinn, Hammer, Nägel, Zangen, Sägeblätter, Lampen, Gummischläuche, aus Transportbändern herausgeschnittene Gummiteile gefunden. Von den 650 Urlaubern wurden etwa 65 Personen festgehalten und zunächst von der Abreise ausgeschlossen. Bei der Kontrolle auf dem Bahnsteig des Werkbahnhofs wurde von italienischen Arbeitern weggeworfenes Diebesgut aufgefunden. Alle Fälle dieser Art zeigen, daß sich etwa seit dem Monat März dieses Jahres bis in die jüngste Zeit hinein die Arbeits- und Lagerdisziplin unter den italienischen Arbeitern immer mehr aufgelockert hat." 322 Wie man sieht, bringt der Bericht Ribbentrops — abgesehen von seinem Ziel, deutsche Verantwortlichkeiten zu leugnen — von neuem zum Vorschein, daß die Protestaktionen der italienischen Arbeiter nicht nur vom geringen und auf deutsche Art zubereiteten Essen herrührten, sondern auch von den Diebstählen der Lagerführer und der Köche sowie von den schlechten Wohnbedingungen. Der Verkauf von Wein und italienischen Zigaretten zu überhöhten Preisen an die Deutschen und der Diebstahl von Werksmaterialien (im übrigen beides weit verbreitete Praktiken) dienten Ribbentrop ferner dazu, hervorzuheben, daß unter der Masse der italienischen Arbeiter auch andere Verhaltensweisen zu finden waren, die für ihn ebenso unrechtmäßig waren wie die Proteste.
3 2 2 Ebenda, Bd. VII, S. 7 3 3 - 7 3 6 .
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18. Die Industriellen und die deutschen Forderungen nach qualifizierten Arbeitskräften A m 10. Februar 1941 wurde die Vereinbarung über den Transfer von 5 4 . 0 0 0 Arbeitern nach Deutschland unterzeichnet, die in großer Zahl unter den Arbeitslosen rekrutiert und der Bauwirtschaft wie dem Bergbau zur Verfügung gestellt werden sollten. 3 2 3 Eine weitere Vereinbarung vom 10. Februar sah jedoch eine Anwerbung von 150.000 Arbeitern vor, unter denen 5 0 . 0 0 0 Metallarbeiter sein sollten, während 3 0 . 0 0 0 aus anderen Sektoren kommen, aber für die Metallindustrie geeignet sein sollten. 7 0 . 0 0 0 Industriearbeiter sollten schließlich aus den Fabriken rekrutiert u n d in drei Schüben nach Deutschland transportiert werden. 3 2 4 „Vorab m u ß gesagt werden", heißt es in einem Brief des Korporationsministeriums vom 2 7 . Februar 1941 an die Führung des Ispettorato Corporative bezüglich des ersten Arbeiterschubs, „daß das Kontingent von 5 0 . 0 0 0 Arbeitern, das nach Deutschland transportiert werden soll, sich ausschließlich auf die Belegschaften bezieht, die in den Werken der Eisen-, Metall- u n d Maschinenbauindustrie beschäftigt sind. Sie ist unabhängig von der Zahl der Arbeitslosen, die ebenfalls [nach Deutschland] transferiert werden können. ( . . . ) Des weiteren wird darauf hingewiesen, daß das Kriegsministerium mit Rundschreiben Nr. 5 8 2 vom 22. Februar vergangenen Jahres zugestimmt hat, daß nicht nur den über 30 Jahre alten wehrdienstfähigen Arbeitern (über 4 0 Jahre für die Gebirgstruppen) die Ausreiseerlaubnis erteilt wird, sondern auch all den Arbeitern, die untauglich oder teilweise tauglich gemustert bzw. zurückgestellt worden sind, weil sie vier oder mehr Kinder haben, die sie unterhalten müssen; gleiches gilt für die Angehörigen der Jahrgänge 1923, 1924 und 1925 — bis zu einer Gesamtzahl von 10.000 M a n n — wobei in dieser Quote auch die 3 . 0 0 0 Jugendlichen enthalten sind, denen mit Rundschreiben Nr. 5 8 2 des Kriegsministeriums v o m 9. Oktober vergangenen Jahres die Ausreisegenehmigung erteilt worden ist." 3 2 5 Nicht nur die zeitweise Freistellung vom Wehrdienst, sondern auch die Abschaffung der Höchstgrenzen bei den Lohnüberweisungen (als Folge der Vereinbarungen vom Februar), die hohen Löhne u n d der günstige Wechselkurs boten den Arbeitern mächtige Anreize, nach Deutschland zu gehen — vor allem wenn sie aus den Gegenden kamen, die von der regionalen Arbeitslosigkeit besonders betroffen waren. Dies war beispielsweise in der ganzen Provinz Vicenza der Fall, während in anderen Provinzen Venetiens „überall bei den Jugendlichen, die noch niemals in Industriebetrieben gearbeitet haben, weil sie Gewerbetreibende, wohlhabend, Nichtstuer oder ähnliches sind, eine bedrükkende Nachfrage nach Arbeitsbüchern u n d nach Arbeitsangeboten in Deutschland festgestellt wird. Die Anfragen dieser Anwärter sind begleitet von einem Drängen, das nicht ohne Geldversprechungen vorgebracht wird, u m nur nach Deutschland abreisen zu kön-
323 Vgl. Dazzi, Accordi, S. 174-181. 324 Ebenda, S. 182-184. 325 ACN, Bestand Präfektur, Divisione Gabinetto, Band 42: Schreiben des Korporationsministeriums - Generaldirektion Arbeit und Korporationssekretariat, Prot. Nr. 712-240-G.3, vom 27. 2. 1941, an die Leiter des Ispettorato Corporativo, betr.: Verringerung der Belegschaften in den Industriebetrieben.
Die Forderungen
nach qualifizierten
Arbeitskräften
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nen, damit sie — was ohne Zurückhaltung bekannt wird - dadurch einer eventuellen Einberufung entgehen können." 3 2 6 In diesem Fall bot die Emigration vielen die Möglichkeit, „schwierige und unangenehme Situationen zu lösen, viele Familien konnten wieder auf die Beine kommen, viele Arbeiter endlich eine Beschäftigung finden, Ordnung in ihre Angelegenheiten bringen und die augenblicklichen Schwierigkeiten meistern." 3 2 7 Auch aus der Provinz Rovereto wollten alle nach Deutschland gehen und „die Anwerbekampagne dehnte sich aufgrund der Tätigkeit der Gewerkschaft selbst auf die beschäftigten Arbeiter aus, von denen zahlreiche zu emigrieren wünschten. Dieses Phänomen findet eine sehr starke Entsprechung (...) unter den Arbeitermassen der Montecatini-Werke, die sich der hohen Verdienstmöglichkeiten in dem verbündeten Land — im Vergleich zu den armseligen Löhnen, die sie bei ihren Industriebetrieben vorfinden — bewußt sind. Entsprechend stark ist der Druck und zahlreich sind die Empfehlungen, die von den Arbeitern aufgeboten werden, um zu den Abreisenden zu gehören." 3 2 8 Dieses Verhalten läßt sich nicht nur bei den Arbeitern allgemein, sondern auch bei Facharbeitern und spezialisierten Arbeitskräften feststellen 329 und breitet sich wie ein Ölteppich „auch über die ländlichen Regionen und Gebirgsgegenden aus, wo Männer und Frauen migrieren wollen, selbst wenn sie Land zu bearbeiten haben". 3 3 0 Die Abkommen vom Februar 1941, die den Tausch von Kohle, Eisen und Stahl gegen Arbeitskräfte zum Inhalt hatten, wurden zu einem Zeitpunkt geschlossen, als man bereits seit geraumer Zeit in eine Phase des Ubergangs eingetreten war, in der die Migration nicht mehr als weitgehend vorteilhaft aufgefaßt wurde, sondern auch die beträchtlichen Nachteile zum Vorschein gekommen waren. In einem vertraulichen Bericht vom April 1940 hieß es, daß nach dem Treffen am Brenner der Transfer von Arbeitskräften nach Deutschland zwar wiederaufgenommen worden sei, daß nunmehr aber häufig Zwangsrekrutierungen vorgenommen würden, weil es in Deutschland „nichts mehr gibt und man schlecht lebt". 3 3 1 Natürlich gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht die seit dem Frühling 1941 verbreitete Verweigerungshaltung, über die man meines Erachtens bereits das sagen kann, was Antonio Gibeiii zum Jahr 1942 festgestellt hat: „Während dieselben Arbeiter vorher darauf bestanden hatten, in die Kontingente der Migranten aufgenommen zu werden, weil sie von dem höheren Verdienst angezogen wurden (bzw. eine Verdienstmöglichkeit überhaupt sahen), so ändern die neuen Arbeitsmöglichkeiten in Italien und die Berichte, die nach 1941 von den zurückkehrenden Arbeitern über die ihnen widerfahrene Behandlung geliefert werden, radikal die Lage: von jenem Zeitpunkt an verwandelt sich die Anwerbung fast überall in eine Zwangsrekrutierung. 3 3 i
326 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Brief des Generalinspektors ES. (Unterschrift unleserlich), Prot. Nr. 02241, Mailand 24. 2. 1941, an das Innenministerium, Generaldirektion P.S., Abteilung Politische Polizei, betr.: Rekrutierung von Arbeitern für Deutschland. 327 Ebenda, Vicenza, den 5. 3. 1941. 328 Ebenda, Rovereto, den 3. 3. 1941. 329 Ebenda, Rovereto, den 25. 3. 1941. 330 Ebenda. 331 Ebenda, Rom, den 8. 4. 1940. 332 Gallerano/Ganapini/Legnani/Salvati, in: Operai e contadini, S. 59-60.
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Und Gibeiii fuhr fort: „Die neuen Schwierigkeiten bei der Anwerbung werden dadurch verursacht, daß es in der italienischen Industrie nur wenig Facharbeiter gibt und daß die Betriebsführer selbst sie nicht gehen lassen wollen. Obwohl die Anwerbung nur in geringfügiger Weise das industrielle Dreieck [zwischen Mailand, Genua und Turin] betrifft (wo es nichtsdestotrotz bis 1942 arbeitslose Industriearbeiter gibt), verbreitet sich überall die Besorgnis, man könne qualifizierte Arbeiter verlieren. Besonders hoch ist diese Furcht in den Provinzen mit traditionell hoher Arbeitslosigkeit, in denen intensivere Anwerbekampagnen stattfinden, die aber auch mit einer gewissen Zahl von Industriebetrieben ausgestattet sind." 3 3 3 Auch diese Entwicklung setzt unmittelbar nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens vom 10. Februar 1941 ein, wie im übrigen viele — von ein paar Enthusiasten abgesehen - sich sträuben, nach Deutschland abzureisen - eine Haltung, die sich ab dem Frühjahr 1941 stark ausweitet. Von Anfang an gibt es aber auch einzelne Fälle der Verweigerung gegenüber den Anwerbungen, auch wenn Brunello Mantelli zurecht bemerkt hat, daß damals „hochqualifizierte Arbeiter, die von den höheren Löhnen in Deutschland angezogen wurden, sich direkt bei den Provinzgewerkschaftsunionen in die Listen der Migrationswilligen eintragen ließen. Mit der Verbreitung der Nachricht, daß in Deutschland Arbeiter gesucht würden, regnete es Briefe bei der Deutschen Botschaft in Rom, bei den Präfekturen, bei den Gewerkschaftsstellen. Sie sind verfaßt von Arbeitslosen, fast immer ohne Ausbildung. Und gerade die lokalen Behörden derjenigen Provinzen, die am meisten von der Arbeitslosigkeit betroffen sind, drängen darauf, daß die Kontrollen, für die die Faschistische Industriearbeiterkonföderation zuständig ist, nicht allzu streng durchgeführt werden." 334 Dies ist übrigens auch ein deutliches Anliegen der italienischen Betriebsführer. Die Einberufung zur Armee und die Intensivierung der Anforderung von immer qualifizierteren Arbeitskräften für Deutschland rufen jedoch den Widerstand der Industriellen hervor, die die Facharbeiter nicht verlieren wollen. So widersetzen sich die Betriebsfiihrer mehrfach den Wünschen, die gleichzeitig vom Korporations- und vom Innenministerium wie von der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation bei ihnen vorgebracht werden, nämlich daß sie eine bestimmte Prozentzahl ihrer Arbeiter fur den Einsatz in Deutschland zur Verfügung stellen sollen und dabei diejenigen bevorzugen sollten, die freiwillig zu gehen wünschten. Aber diejenigen, die freiwillig gehen wollen, sind häufig Facharbeiter und die Betriebsleitungen setzen Zwangsmechanismen in Gang, um diese am Arbeitsplatz zu behalten und an ihrer Stelle Arbeiter, die für die Produktion als entbehrlicher angesehen werden, nach Deutschland zu schicken. Die diesbezüglich vorhandenen Dokumente sind zahlreich und entsprechend deutlich formuliert. Bezeichnend ist vor allem ein Brief über „Arbeiter, die nach Deutschland transferiert werden sollen", gezeichnet von S. Amadio, dem Geschäftsführer der Faschistischen Industriearbeiterunion in der Provinz Genua, den dieser am 20. März 1941 an die Faschistische Industriellenvereinigung der Provinz Genua schickt: „Wir haben festgestellt, daß einige Firmen in der mechanischen Industrie, im Bergbau und in der Stahlindustrie in ihre Listen der nach Deutschland zu transferierenden Arbeiter auch Personen aufnehmen, die ihnen unliebsam sind. 333 Ebenda.
334 Mantelli, I lavoratori italiani, S. 4-5.
Die Forderungen nach qualifizierten Arbeitskräften
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Viele haben in dem Moment protestiert, als der Arzt sie für tauglich erklärte. Um Mißverständnisse wie Rückwirkungen politischer Natur zu vermeiden schlagen wir daher vor, daß Sie die Firmen dahingehend informieren, daß die Abreise nach Deutschland freiwilligen Charakter haben muß. Die Firmen müssen die Zahl der Arbeiter angeben, die sie zur Verfügung stellen können, aber sie müssen diejenigen, die aus freien Stücken die Abreise beantragt haben, namentlich auflisten. Wenn die Zahl der Freiwilligen niedriger sein sollte als die der zur Disposition stehenden Arbeiter, dann sollten weitere Meldungen durch rechtzeitige propagandistische Tätigkeit der beiden Gewerkschaftsorganisationen, der Betriebsleitungen und darüber hinaus der Partei wie der Offiziere der Delefag sichergestellt werden, so daß das Arbeiterkontingent unserer Provinz bis zur maximalen Höhe gebracht werden kann. Bei dieser Gelegenheit halten wir es für nötig, Ihre Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit zu lenken, die auch bei Beachtung der legitimen Bedürfnisse unserer Produktion besteht, daß nämlich die Arbeiter, die beruflich über dem Durchschnitt liegen, nicht davon abgehalten werden, nach Deutschland abzureisen. Denn wir haben feststellen können, ohne daß wir dies zum Gegenstand einer Anschuldigung machen wollen, daß von selten einiger Betriebsführer die Tendenz besteht, sich der weniger guten Arbeiter zu entledigen und denjenigen, die beruflich die besten sind, von dem Weggang nach Deutschland abzuraten. Wenn diese Tendenz sich ernsthaft verstärken sollte, so ist es offensichtlich, daß daraus schwere Unzuträglichkeiten entstehen würden, da gegenüber den zuständigen Behörden des Deutschen Reiches, das die gewünschten Arbeiter nicht nur zahlenmäßig, sondern auch in der entsprechenden Qualität benötigt, klare Verpflichtungen eingegangen worden sind. Wir sind sicher, daß von ihrer Seite aus dem von uns Mitgeteilten entsprechend Rechnung getragen wird, da auch unter diesen Umständen die größtmögliche Zusammenarbeit notwendig ist, damit die uns übertragenen Aufgaben vollständig gelöst werden können." 335 Mit dem Jahr 1941 manifestiert sich in Genua — und wahrscheinlich auch andernorts — die Tendenz, den Arbeitern, die beruflich am besten gerüstet bzw. für die Produktion am nützlichsten sind, von einem Wechsel nach Deutschland abzuraten, während parallel dazu die Tendenz besteht, sich der befristeten Kollektivarbeitsverträge zu bedienen, um sich jener Arbeiter zu entledigen, die in etlichen Regionen als unerwünscht angesehen werden. Wenn die Fabriken dazu gezwungen wurden, einen gewissen Anteil an Arbeitern abzugeben, dann versuchten sie jedenfalls, sich von jenen zu trennen, die ihnen am wenigsten nützten. Dies trug dazu bei, eine Atmosphäre des Mißtrauens zu schaffen, die die Frage des Weggangs nach Deutschland umgab. So meldete der V-Mann der Genueser Geheimpolizei auch in der Tat, daß es zu einer Gärung gekommen sei wegen der Tatsache, daß „in die Liste derjenigen, die nach Deutschland abreisen müssen, all diejenigen aufgenommen wurden, die bekannt dafür sind, daß sie Streitfragen gewerkschaftlicher Natur aufgeworfen haben, daß sie ihre Rechte eingeklagt hatten usw." 336 Dies war beispielsweise der Fall bei den Arbeitern Emilio Bozzolo und Emilio Castello, die
335 Staatsarchiv Genua, Bestand Präfektur Genua, Band 148, Faszikel, Arbeiter,
Unterfaszikel, Reisen nach Deutschland
die in Deutschland
und Arbeiter, die zur Arbeit dorthin geschickt
336 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Genua, den 12. 3. 1941.
wurden.
arbeiten,
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„die Feierabend-Organisation im Ilva-Werk leiten, während der erste auch Sekretär der örtlichen Stahlgewerkschaft ist. Beide sind in der Faschistischen Partei eingeschrieben und zwischen den Genannten und den Leitern der Industriebetriebe scheinen keine besonders guten Beziehungen zu bestehen." 3 3 7 Uber die Auswahl der Arbeiter, die nach Deutschland geschickt werden sollen, sind aber gleichzeitig in der Gegend von Genova-Sestri Ponente „verschiedene Gerüchte im Umlauf über das .Placet', das nicht wenigen Arbeitern, die weggehen wollten, verweigert wurde und weiterhin verweigert wird. Statt dessen wurden (und werden weiterhin) eine Reihe geringwertiger Arbeitskräfte, die alles andere als willig sind, sich nach Deutschland zu begeben, die mehr Hilfsarbeiter und nicht besonders gefragt sind, dorthin geschickt sowie Personen, die teilweise nachgewiesenermaßen antifaschistisch eingestellt sind." 3 3 8 In den Listen, die zusammengestellt werden, sind diejenigen, die von der Firma zur Verfügung gestellt werden, nicht jene, die freiwillig nach Deutschland gehen wollten, sondern vor allem die weniger erwünschten. Die abreisenden Arbeiter entsprechen also nur zu einem geringen Teil den deutscherseits vorgebrachten und in den bilateralen Abkommen festgeschriebenen Wünschen nach spezialisierten Arbeitern. Nur „sehr wenige" 3 3 9 Arbeiter sind mit der Abreise nach Deutschland zufrieden und dies aus verschiedenen Gründen: „Die Gewerkschaftsfunktionäre haben den Arbeitern, die sich nach Deutschland begeben werden, beispielsweise versichert, daß sie eine monatliche Entlohnung von nicht weniger als 2.000 Lire erhalten werden, daß sie vor der Abreise von den Firmen, bei denen sie zuletzt beschäftigt waren, eine Abfindung erhalten würden, und daß sie bei ihrer Rückkehr in die Heimat ihren alten Arbeitsplatz wieder erhalten würden bei vollständiger Anerkennung [der Zeit in Deutschland] auf die Dienstjahre [in Italien]. Nun heißt es bei den Arbeitern, daß diese Versprechungen in keiner Weise der Wirklichkeit entsprechen, weil sie aus anderen Quellen erfahren haben, daß die Bezahlung für die spezialisierten Arbeiter etwa 1.700 Lire betragen wird, während für die in die Klassifizierung aufgenommen Arbeiter und für die Hilfsarbeiter die Bezahlung erst noch vereinbart, daß sie aber in jedem Fall armselig sein wird. Darüber hinaus heißt es, daß derjenige, der weggeht, bei seiner Rückkehr in die Heimat den von ihm bei seinem Weggang freigemachten Arbeitsplatz nicht zurückerhalten wird. Alle diejenigen, die anfänglich die Abreise akzeptiert hatten, sind jetzt wütend und sagen, daß sie von den Gewerkschaftsführern betrogen worden sind und daß sie nicht von Genua weg wollen." 3 4 0 So kam es bei dem Eisenwerk Bruzzo und bei den Ilva-Werken von Bolzaneto zu Protesten der Arbeiter, die in die Listen der nach Deutschland Abreisenden aufgenommen worden waren, 3 4 1 so daß
3 3 7 Ebenda, Schreiben Nr. 4 4 2 / 1 3 8 9 2 des Innenministeriums, Generaldirektion P.S., Abteilung A . G . R . , Sektion 2a, an die Abteilung Geheimpolizei, Abschrift: der Mitteilung Nr. 10769 PS. vom 3. 5. 1941, die die Kgl. Präfektur Genua an die Generaldirektion P S . , Abteilung A . G . R . , Sektion 2a, gerichtet hat und die Mitteilungen
von V-Männern zum Gegenstand hat.
3 3 8 Ebenda, Genua, den 17. 5. 1941. 3 3 9 Ebenda, Genua, den 26. 3. 1941. 3 4 0 Ebenda. 3 4 1 Ebenda, Genua, den 12. 3. 1941.
Die Forderungen nach qualifizierten Arbeitskräfien
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„die Firmen, die bislang drei Schichten von jeweils 8 Stunden gefahren hatten, sich nach der Abreise ihrer Arbeiterkontingente gezwungen sahen, die Schichten auf zwei (von jeweils 12 Stunden) umzustellen", 342 und darauf zu verzichten, unverzüglich neue Arbeitskräfte einzustellen — und dies alles, um wenigstens den Eindruck hervorzurufen, daß die Arbeitsplätze der Migranten erhalten blieben. Aber der Widerwillen gegen die Abreise wurde auch verursacht durch die Gerüchte, die nunmehr bereits überall zirkulierten und davon sprachen, daß „die Einhaltung der Disziplin äußerst streng geahndet werde, daß die Lebensmittel rarer seien als in Italien, daß angeblich schwere Gefahren durch englische Bombenabwürfe bestünden, usw. usw. Diese Propaganda hat jene erschüttert, die die Anwerbung für die Arbeit in Deutschland anfänglich akzeptiert hatten, und führt nun dazu, daß die anderen nichts mehr von einer Anwerbung wissen wollen." 343 Aber Widerstände gegen die Abreise gab es damals nicht nur in Genua, sondern sie waren bereits in fast ganz Italien verbreitet. Diesbezüglich ist ein Bericht sehr interessant, der von der in der Provinz Novara tätigen Anwerbekommission am 7. April 1941 an den Präfekten dieser Provinz geschickt wurde: „Die Anwerbekommission der Provinz Novara, die in Ubereinstimmung mit den ministeriellen Anordnungen geschaffen wurde und die sich zusammensetzt aus einem Inspektor des Korporationsministeriums, einem Vertreter der Turiner Dienststelle des Kriegsrüstungsamts, einem Vertreter der Provinzdienststelle der Faschistischen Industriellenverbandes und einem Vertreter der Provinzdienststelle des Faschistischen Industriearbeiterverbandes, hat die Beschäftigungslage der Arbeiterschaft und die Arbeitszeiten in den Firmen der Stahlindustrie, der Metallindustrie und des Maschinenbaus untersucht, wobei die Firmen außer Betracht gelassen wurden, die für die Luftwaffe arbeiten. Insgesamt sind 98 Firmen untersucht worden, die eine Gesamtzahl von 12.147 männlichen und weiblichen Arbeitskräften beschäftigen. In Übereinstimmung mit den ministeriellen Anordnungen hat die Kommission bei der Festlegung der Arbeiterkontingente, welche jede einzelne Firma für den Abgang nach Deutschland zur Verfügung stellen muß, vor allem den Arbeitszeiten Rechnung getragen, die während des Zeitraums galten, der dem Beginn der Anwerbeoperationen unmittelbar vorausging (für die Zulieferfirmen galt der Januar), gleichzeitig wurde aber auch auf die technischen Notwendigkeiten geachtet, so daß die Produktionskapazitäten und die Leistung der Firmen auch nach dem Transport der zur Verfügung gestellten Arbeiter zu der verbündeten Nation praktisch unverändert bleiben kann, indem die Arbeitszeiten auf die vom Ministerium festgelegte Höchstgrenze von 60 oder 72 Wochenstunden heraufgesetzt werden. Bei Werken, in denen die Wochenarbeitszeit bereits jene Höchstgrenze erreicht oder ihr angenähert worden war, wurden entweder alle Arbeiter von der Anwerbung ausgenommen oder es wurde eine erheblich reduzierte Zahl von Arbeitern gefordert. 342 Ebenda, Schreiben Nr. 442/13892 des Innenministeriums, Generaldirektion P.S., Abteilung A.G.R., Sektion 2a, an die Abteilung Geheimpolizei, Abschrift der Mitteilung Nr. 10769 PS. vom 3. 5. 1941, die die Kgl. Präfektur Genua an die Generaldirektion P.S., Abteilung A.G.R., Sektion 2a, gerichtet hat und die Mitteilungen von V-Männern zum Gegenstand hat. 343 Ebenda, Genua, den 26. 3. 1941.
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Die Kommission hat auch dort, wo die Firmenarbeitszeit niedriger als 6 0 Wochenstunden war, nicht darauf bestanden, daß spezialisierte oder qualifizierte Arbeiter, die als unverzichtbar für den ungestörten Fortgang der Fertigungen betrachtet wurden, zur Verfugung gestellt wurden. Demgegenüber wurde dahingehend Druck ausgeübt, daß in erster Linie (außer wenn bei den Firmen in bestimmten Fällen eine besondere und unumgängliche Notwendigkeit besteht) Arbeiter, die sich freiwillig melden oder [zumindest] ihr Einverständnis geben, ausgewählt werden — und daß nur dann, wenn es notwendig ist, die festgelegte Abgabezahl mit Arbeitern aufgestockt wird, die nicht dazu bereit sind, nach Deutschland zu gehen. Auf der Basis der oben ausgeführten Direktiven hat die Kommission 14 der 98 überprüften Firmen davon suspendiert, Arbeiter zur Verfügung zu stellen, und sie hat die von den verbleibenden 84 Firmen aufgestellten Namenslisten gebilligt, welche insgesamt 9 6 2 Arbeiter enthalten, die sich für den Transfer nach Deutschland bereitzuhalten haben. Diese 9 6 2 stellen 13 Prozent der 7 . 4 2 5 männlichen und über 16 Jahre alten Arbeiter dar, die bei diesen Firmen beschäftigt sind. Von den 9 6 2 bereitgestellten Arbeitern haben sich 597, also 62,1 Prozent, freiwillig gemeldet oder der Auswanderung nach Deutschland zugestimmt, während die verbleibenden 3 6 5 von Amts wegen dazu bestellt worden sind, um die Zahl zu erreichen, die erfüllt werden mußte. Es ist jedoch anzunehmen, daß ein — bislang allerdings noch nicht näher zu bezeichnender - Teil der von Amts wegen festgesetzten Arbeiter - aufgrund der Überredungsinitiativen, die die Provinzdienststelle der Industriearbeitergewerkschaft diesbezüglich unternimmt — sich nach und nach mit der Abreise nach Deutschland einverstanden erklären wird." 3 4 4 Das heißt, daß ab April 1941 in Novara 37,9 Prozent der ausgewählten Arbeiter mit der Abreise nicht einverstanden waren. Auch in Florenz erwies sich die Rekrutierung der Arbeiter im September 1941 als äußerst schwierig. Angesichts der Nachrichten, die von den aus Deutschland zurückkehrenden italienischen Arbeitern mitgebracht wurden, „gibt es niemand oder so gut wie niemand unter den Arbeitern, der freiwillig zum Arbeiten nach Deutschland geht. Mir wurde berichtet, daß vor einigen Tagen bei den GalileiWerken die dortigen Arbeiter befragt wurden, um sich in die Listen für Deutschland eintragen zu lassen, von wo 100 weitere spezialisierte Arbeiter angefordert worden waren. Nur 3 0 boten sich freiwillig an, so daß zur Zwangsrekrutierung geschritten wurde, um die Zahl zu vervollständigen, und die fehlende Zahl unter den ledigen Männern ausgelost wurde. Einige von diesen, die den Unterhalt für die Eltern bestreiten müssen, haben diesen Umstand geltend gemacht, um von der Maßnahme dispensiert zu werden, aber diese Anfrage wurde nicht in Erwägung gezogen. Diese erzwungene Rekrutierung ist die Ursache von Unzufriedenheit vor allem unter den Arbeitern und wird in lebhafter und harter Form kommentiert." 3 4 5 Eine mutige Verteidigung der eigenen Facharbeiter, die in der Luftwaffenfertigung tätig waren, findet sich in einem Schreiben, das der Alfa Romeo-Direktor Ugo Gobbato am 16. März 1941 an das Mailänder Ispettorato Corporative richtete, 3 4 4 ACN, Bestand Präfektur, Kanzlei des Präfekten, Band 4 2 , Korporationsministerium, Korporativinspektorat, Kreis Turin, Schreiben Prot. Nr. 15363 vom 7. 4 . 1941 an Seine Exzellenz, den Präfekten von Novara, betr.: Rekrutierung von Arbeitern aus der Stahl- und Metallindustrie sowie dem Maschinenbau. 3 4 5 ACS, Min. Int., D G P S , DPP, Band 223, Florenz, den 10. 9. 1941.
Die Forderungen nach qualifizierten
Arbeitskräften
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„zu Händen der .Kommission für die Festlegung der nach Deutschland zu schickenden Arbeiterkontingente'" und das die ,Arbeiter, die in unserer Luftwaffenfertigung tätig sind", zum Gegenstand hatte: „Wir haben Ihr oben genanntes Einschreiben erhalten, in dem verlangt wird, daß auch ein Teil unserer Belegschaft aus unserer Luftwaffenfertigung für die Bildung von Kontingenten, die zum Transport nach Deutschland bestimmt sind, zur Verfügung gestellt wird. Diesbezüglich können wir nur bestätigen, was bereits am 10. dieses Monats durch unseren Delegierten Ingenieur Ferrero mündlich ausgeführt worden ist, daß es für uns unmöglich ist, Ihren Anforderungen nachzukommen und gleichzeitig die Verpflichtungen einzuhalten, die uns das Luftwaffenministerium für die Fertigstellung unserer Aufträge auferlegt hat. Falls eine einfache Rechnung, die auf der Zahl der gearbeiteten Wochenstunden basiert, wie sie aus der Übersicht hervorgehen, die von uns erstellt und Ihnen am 7. dieses Monats zugesandt worden ist, Sie zu der Annahme gefuhrt haben mag, daß eine Verringerung der Zahl der tätigen Arbeiter durch eine Erhöhung der Arbeitsstunden ausgeglichen werden könne, so sind wir sicher, daß die Erwägungen, die wir weiter unten ausführen werden, Sie dazu bringen werden, unsere berechtigten Sorgen zu teilen und zu dem Urteil zu kommen, daß es in der Tat für die Erhaltung unseres Produktionsrhythmus unabdingbar ist, daß keinerlei Arbeitskräfte von den Fertigungen für die D . A. abgezogen werden." 3 4 6 In dem Brief wird daraufhin mit technischen Argumenten zu begründen versucht, daß die Verringerung der Arbeiterzahl unmöglich mit einer allgemeinen Erhöhung der Arbeitszeit auf täglich 10 Stunden (60 Stunden in der Woche) kompensiert werden könne. Am Schluß heißt es dann folgendermaßen: „ . . . während unser Werk in Pomigliano die Anfrage gestellt und ohne weiteres die nötige Zustimmung erhalten hat, daß keine Aushebung von Arbeitskräften zum Schaden des Werks durchgeführt werden solle, so hat das Mailänder Werk in den letzten 6 Monaten die gesamten Arbeitskräfte, die auf dem Markt zur Verfügung standen, aufgenommen und damit (...) die Belegschaft von 6.706 auf 7.187 erhöht. Wir haben keinerlei Zweifel daran, daß Sie auf der Grundlage des oben Ausgeführten die Notwendigkeit anerkennen, von der Aushebung eines bestimmten Teils unserer Arbeitskräfte, die der Luftwaffenfertigung zugeteilt sind, abzusehen und ebenfalls der Tatsache Rechnung tragen, daß wir im Sektor Automobilproduktion (...) — im Bewußtsein unserer klaren Verpflichtung und der Wichtigkeit Ihrer Anforderungen - zugestimmt haben, daß über 300 Arbeiter zur Verfügung gestellt werden. In jedem Fall halten wir es für unsere Pflicht, auf unsere Erklärung hinzuweisen, die wir auch der Direktion unserer Luftwaffenfertigung zukommen lassen werden, nämlich daß jegliche Kürzung der dort eingeteilten Arbeitskräfte uns nicht nur daran hindern wird, das uns für die kommenden Monate auferlegte Produktionsniveau zu erreichen, sondern es uns noch nicht einmal erlauben wird, die Produktion auf dem erreichten Niveau zu halten." 3 4 7
3 4 6 Der Brief befindet sich in Kopie in meinem Privatarchiv. D a s Original wird im Alfa Romeo-Archiv in Mailand aufbewahrt. 3 4 7 Ebenda.
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Am 19. Mai 1941 schickte Alfa Romeo dann eine Liste mit 310 Arbeitern aus Fertigungsbereichen, die nicht zur Luftwaffe gehörten und die vermutlich für den Einsatz in Deutschland „freigesetzt" worden waren. Aber von den 353 Arbeitern, die aus der Luftwaffenfertigung für Deutschland abgestellt werden sollten, wurden lediglich 15 wirklich nach Deutschland geschickt. 348 Welches Schicksal erlitten jene 15 und die anderen Arbeiter, die von den AlfaWerken kamen? Im September des darauffolgenden Jahres war bei den italienischen Arbeitern folgendes in aller Munde: „Die Arbeiter wurden zu der Flugzeugfabrik Messerschmitt zum Arbeiten geschickt. Sie waren in schmutzigen Baracken untergebracht, die etwa dreieinhalb Kilometer von den Messerschmitt-Werken entfernt waren. Ihre Versorgung mit Lebensmitteln entsprach der der Kriegsgefangenen. Anfangs wurden die dreieinhalb Kilometer auf Lastwagen zurückgelegt, doch darauf wurde der Transport eingestellt und unsere Arbeiter mußten den Weg zu Fuß machen, im Winter versanken sie im Schnee, der sehr hoch war. Viele Arbeiter stellten sich krank, andere verbargen ihren Mißmut nicht. Ihnen wurde darauf mit Erschießung gedroht. Unsere Gewerkschaftsführer liefen herbei und es gelang ihnen, unsere Arbeiter davon zu überzeugen, von dem Verlangen nach einer massenhaften Repatriierung Abstand zu nehmen." 349 Die Industrieführer waren hingegen der Meinung, daß „das Angebot an Arbeitskräften im allgemeinen zwar weiterhin zahlreich ist, sich aber immer mehr das Fehlen von spezialisierten Arbeitskräften bemerkbar macht, welche außerdem noch vom gegenwärtigen Augenblick profitieren, indem sie höhere Löhne als die in den Tarifvereinbarungen festgelegten verlangen. Die Industriellen, und zwar explizit die aus der Metallindustrie und dem Bergbau, befürchten, daß die italienische Industrie — sollte sich der Abtransport von Facharbeitern nach Deutschland fortsetzen — am Ende notwendigerweise deren Fehlen spüren wird — natürlich zum großen Schaden der Binnenproduktion." 350 Es sind vor allem die Betriebe, die Rüstungsgüter produzieren, die sich darüber beklagen, daß eine allzu hohe Zahl von Facharbeitern von ihrem Arbeitsplatz in Italien abgezogen und nach Deutschland geschickt werde. Die Firmen gaben an, sie hätten bereits Schwierigkeiten, die Forderungen des Kriegsministeriums zu erfüllen. 351 Aber auch in Turin ist man der Meinung, daß die Flucht von zuverlässigen spezialisierten Metallarbeitern die Firmen der Metall- und Maschinenbauindustrie in große Schwierigkeiten gebracht habe: Die Arbeiter „ziehen es vor, nach Deutschland arbeiten zu gehen wegen der besseren Lohnsituation, wegen der anderen Arbeitsdisziplin, die dort herrscht, und vor allem, weil die Haltung der deutschen Gewerkschaftsorgane - auch wenn sie auf einer äußerst harten Disziplin beruht — wirklich für alle gleich ist und nicht zu Interpretationen Anlaß gibt, die von Firma zu Firma unterschiedlich sind." 352 Die Besorgnisse der Betriebsleiter betrafen nicht nur die Tatsache, daß „die überwiegende Mehrheit jener Facharbeiter nach Deutschland abreisen möchte und dazu auf alle möglichen Listen und Notbehelfe zurückgreift, weil sie der Meinung sind, 348 349 350 351 352
Ebenda. ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Venedig, den 27. 9. 1942. Ebenda, Mailand, den 26. 5. 1941. Ebenda, Mailand, den 5. 3. 1941. Ebenda, Mailand, den 23. 3. 1941.
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daß es ihnen bei der verbündeten Nation in jeder Beziehung gut gehen werde, so daß sie ihren jeweiligen Familien eine bescheidene Summe Geldes jeden Monat würden zuschikken k ö n n e n " . 3 5 3 Sie betreffen vielmehr auch das Faktum, daß „das Angebot an Arbeitskräften im allgemeinen zwar weiterhin zahlreich ist, sich aber immer mehr das Fehlen von spezialisierten Arbeitskräften bemerkbar macht, welche außerdem noch vom gegenwärtigen Augenblick profitieren, indem sie höhere Löhne als die in den Tarifvereinbarungen festgelegten verlangen." 3 5 4 Doch die Industriefuhrer haben die Absicht, sich beiden Gefahren entgegenzustellen. Aus einem Bestand von 2 8 Briefen, in denen Arbeiter der O.M.-Werke (Officine Meccaniche) in Brescia zwischen September 1941 und Anfang Juni 1942 an ihre Betriebsleitung das Begehren vorbrachten, nach Deutschland abzuwandern, 3 5 5 zeigt deutlich, daß den Facharbeitern, aber auch ausgebildeten Hilfsarbeitern, die Abreise vollständig verweigert wurde, während jenen, die im Produktionsablauf leicht ersetzt werden konnten, die Genehmigung gewährt wurde. Und in der Tat erscheinen gewöhnlich auf den Briefen mit Bleistift geschriebene Randbemerkungen irgendeines Direktors, die meist folgenden Tenor haben: „Nein!", „Er ist unverzichtbar für unsere Produktion", „Wir brauchen ihn für unsere Produktion". Diese Briefe und die häufig beigefügten Bemerkungen der Werksdirektoren über die Arbeiter, die diese einreichen, bringen zum Vorschein, daß die Arbeiter, die abwandern wollen, häufig eine vielköpfige Familie besitzen und sich in finanzieller Bedrängnis befinden. Die Bezahlung bei den O.M.-Werken war oft niedrig. Ein Arbeiter an der Bohrmaschine verdiente beispielsweise 3 , 2 0 Lire pro Stunde. Uber Akkordarbeit konnte er auf durchschnittlich 5 , 1 6 Lire kommen, d. h. monatlich maximal 8 2 5 , 6 0 Lire erzielen. In diesem Fall teilte der C h e f mit, daß der Arbeiter vor allem deswegen einen Abreiseantrag gestellt habe, um eine Lohnerhöhung zu bekommen und bei der O . M . zu bleiben. Die Bemerkung seines Werkstattmeisters fiel folgendermaßen aus: „Der ausgebildete] Hilfsarbeiter] Giacomo Zani, Abteilung Federn, mit einem Normalstundenlohn von 2 , 9 0 Lire, verheiratet, 2 Kinder, arbeitet 9 Stunden täglich an 5 Tagen der Woche. Er beantragt einen Wechsel nach Deutschland, um mehr zu verdienen, möchte den Arbeitsplatz bei der O . M . aber nicht verlieren. Ist denn nicht eine Erhöhung möglich? Weil er doch nicht übermäßig entschlossen ist, nach Deutschland zu gehen? Und er arbeitet zu einem Normallohn von 2 , 9 0 die Stunde?" Auch wenn Angelo Zani nur 5 2 2 Lire verdiente, kam dennoch ein unmißverständliches „Nein" sowohl unter den Abreiseantrag wie unter die Lohnerhöhung. Brunello Mantelli, der die Löhne in den Fabriken Emiliens untersucht und mit jenen in Deutschland verglichen hat, kam zu dem Schluß, daß 1941 „ein normaler Hilfsarbeiter ungefähr zwischen 2 , 6 0 und 3,05 Lire in der Stunde verdiente, was 0 , 3 4 bis 0 , 4 0 Reichsmark entsprach. Ein Facharbeiter konnte eine Summe zwischen 4 , 2 1 und 5,55 Lire Stundenlohn erreichen, also 0,55 bis 0 , 7 2 Reichsmark. Der Arbeitsvertrag N.Metall 6 8 4 , der für das Hannoveraner Werk der Accumulatorenfabrik A G galt und nur die in Italien zu rekrutierenden normalen Hilfsarbeiter betraf, legte den
3 5 3 Ebenda, Mailand, den 5. 3. 1941. 3 5 4 Ebenda, Mailand, den 26. 5. 1941. 3 5 5 Das Dokument befindet sich im Archiv der Stiftung Luigi Micheletti in Brescia.
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Stundenlohn (ohne Akkordzulage) auf 0,80 Reichsmark, also 6,12 Lire fest. Auf der Basis des vertraglich garantierten Minimums von 48 Wochenstunden (der Monat bequemlichkeitshalber zu 4 Wochen gerechnet) konnte ein normaler Hilfsarbeiter als Minimum 1.175 Lire monatlich verdienen. Was die Facharbeiter anging, so meinten die deutschen Finanzbehörden zu dem Zeitpunkt, als die Abkommen geschlossen wurden, daß ein italienischer Facharbeiter in der deutschen Rüstungsindustrie bis zu 400 Reichsmark monatlich verdienen könne, was nach dem damals gängigen Umtauschkurs einer Summe von 3.060 Lire entsprach". 356 Aber in den großen Fabriken behielten die Arbeitgeber, zumindest in der letzten Instanz, die Entscheidung darüber, wer nach Deutschland gehen muß oder nicht. Deswegen versuchte nicht nur die Firmenleitung der O.M.-Werke, die Arbeiter von diesem Trick abzuhalten, einen Transfer nach Deutschland zu beantragen, um eine Lohnerhöhung bewilligt zu bekommen — weil sie keine gefährlichen Präzedenzfälle schaffen wollte. Als der Unternehmer Alfredo Landsberg sich die Frage stellte, „wie die übergeordneten Behörden es erlauben können, daß diese [Arbeiter] allein aus Gewinnsucht [Herv. — d. Verf.] ihren Arbeitsplatz verlassen können, denn diese gehen nur nach Deutschland, um dort nach höheren Tarifen bezahlt zu werden", 357 da gab er in Wirklichkeit preis, wie der Faschismus auf lange Sicht die Knauserigkeit des italienischen Unternehmertums geschützt hatte. Und trotz der Verpflichtungen, die er gegenüber dem Verbündeten eingegangen war, tat der Faschismus dies auch weiterhin. Brunello Mantelli, der im Staatsarchiv Bologna diesen Brief und andere Dokumente gefunden hat, die über die Haltung der Unternehmer in der Emilia Auskunft geben, hat zahlreiche Beispiele geliefert, wie die Unternehmer die Flucht ihrer qualifizierten und spezialisierten Arbeiter verhinderten. So verwiesen die Bologneser Mechanikwerke Baldi und Matteuzzi auf ihre laufenden Fertigungen für das Kriegsrüstungsamt und verlangten, daß die 10 Facharbeiter und die 10 Fachgehilfen von dem geplanten Transfer nach Deutschland ausgenommen werden sollten. Auch die SIRMA-Werke in Parma, die Vereinigten Elektrotechnischen Werke in Ferrara, das Slanzi-Werk in Reggio Emilia, die Firmen Morini, Buini & Grandi wie Azzaroni in Bologna sowie die Mechanischen Betriebe Giuseppe Carenzi in Piacenza verteidigten ihre gar „nicht zu ersetzenden" Arbeiter und schlugen statt dessen andere vor, mit Vorliebe ältere, aber auch solche, die gar nicht bereit waren, nach Deutschland zu gehen. 358 Also fast überall, auch in den kleineren Fabriken, versuchten die Inhaber, die guten Arbeiter von der Migration nach Deutschland abzuhalten - ohne statt dessen jedoch Lohnerhöhungen konzedieren zu wollen. „Der C h e f ' , erzählte Rinaldo Valente, „hat mir davon abgeraten zu gehen, weil es für ihn bequemer war. ,Du bist jung, wer weiß, wie es dir ergehen wird, du weißt nicht, wo du landen wirst.' Aber er rückte nichts heraus." Wenn die großen Fabriken die qualifizierten und spezialisierten Arbeiter, die gern nach Deutschland gegangen wären, quasi mit Gewalt dabehielten, weil sie die Möglichkeit hatten,
356 Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover (NdsHSTA), Sozialministerium, Akten des LAA Niedersachsen, Nds 300, Acc. 27/71, Nr. 137. Vgl. dazu Brunello Mantelli in diesem Band, S. 253ff. 357 Staatsarchiv Bologna, Bestand Arbeitsinspektorat, Band Arbeiter für Deutschland 1941·. Brief der Firma Alfredo Landsberg an die Faschistische Industriearbeitervereinigung, Sektion Bologna und nachrichtlich an das Kriegsministerium vom 24. 4. 1941. Vgl. dazu Brunello Mantelli in diesem Band. 358 Die Schreiben befinden sich alle im Staatsarchiv Bologna, Bestand Arbeitsinspektorat, Band Arbeiter für Deutschland 1941. Für weitere Informationen vgl. Brunello Mantelli in diesem Band.
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andere, die lieber zu Hause geblieben wären, nach Deutschland zu schicken, so gab es diesen Spielraum für die kleinen Fabriken nicht. Zwar sorgte der Gang nach Deutschland in Gegenden, in denen es wenig Arbeit gab, fiir den Abfluß von Arbeitskräften, die als Belastung empfunden wurden: Wie mir Marcello Crevola erzählt, „mußte jede Firma im Raum Borgomanero 20 Arbeiter abgeben. Hier gab es wenig Arbeit und sie versuchten, die Leute zur Abreise zu ermutigen." Aber andererseits hatten die kleinen Fabriken daraufhin kaum noch die Möglichkeit, die spezialisierten und qualifizierten Arbeiter, die freiwillig weggehen wollten, zu behalten. Man kann daher wohl annehmen, daß diejenigen Facharbeiter, die schließlich abgereist sind, vor allem aus kleineren Firmen kamen, daß sie geringer bezahlt wurden als ihre Kollegen bei Alfa Romeo oder Fiat und daß ihr Verdienst weniger gesichert war. Einige kleinere Fabriken sahen sich daher mit einem Aderlaß an guten Arbeitskräften konfrontiert. Die Proteste wegen des Entzugs an Facharbeitern betrafen daher keineswegs zufälligerweise auch kleine oder mittelgroße Städte. Ein Werkstattmeister in einer Fabrik im Raum Brescia machte seinem Arger gegenüber der Freundin eines seiner nach Deutschland abgewanderten Arbeiter auf folgende Weise Luft: „Eine ganze Stunde redete er auf mich ein, ließ die Streiche der Betriebsleitung und die größeren der Gewerkschaften Revue passieren, die die Hauptursache dafür seien, daß alle guten Arbeiter früher oder später das Werk verlassen hätten. Darauf fuhr er fort: wie kann ich mit solchen Arbeitern weiterproduzieren: dem buckligen Marchiondi, dem schielenden Marco Gelmi, dem mit der verstümmelten Hand, dem vier Finger fehlen (Damiolini), dem unbeweglichen Ghirardi (mit dem steifen Bein) und mit anderem minderwertigen Personal, während andererseits gefordert wird, daß die Produktion von Tag zu Tag aufgrund der höheren Kriegsnachfrage steigen soll?" 359 In Parma „fürchten viele Betriebsleiter der Maschinenfabriken die Gefahr, daß ihnen nach der jüngsten Lieferung von Arbeitskräften nach Deutschland nur Hilfsarbeiter bzw. ungeeignete Arbeiter übrigbleiben. Die Produktion, so sagen sie, wird aus diesem Grund zweifellos beträchtliche Einbußen erleiden." 360 In Rovereto führte die Begeisterung der Arbeiter, nach Deutschland zu gehen, etliche Arbeitgeber dazu, „sich zum Präfekten zu begeben, um gegen den Entzug von Facharbeitern aus ihren Betrieben zu protestieren, während einige andere, die für ihr mangelndes Verständnis der Bedürfnisse der Arbeiter bekannt waren, sich dazu durchringen mußten, Lohnerhöhungen über die vereinbarte Grenze hinaus zu versprechen, um die Arbeiter in ihren Betrieben zu halten." 361
359 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Handschriftlicher Brief von Barbara Bonomelli aus Malonno (Provinz Brescia), vom 14. 12. 1942, an Filisetti, Thoerl's Vereinigte Harburger Ölfabriken AG. 360 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Die aus vertraulicher Quelle stammende Nachricht ist enthalten in dem Schreiben Nr. 712/prot., Bologna, den 18. 2. 1941, von Polizei-Generalinspektor Dr. Mariano Norcia an Seine Exzellenz den Generaldirektor und Chef der Polizei, Abteilung Politische Polizei, Rom. 361 Ebenda, Rovereto, den 25. 3. 1941.
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Auch in Padua 362 und in Belluno 363 gerieten die Metallindustrie, der Maschinenbau und der Bergbau in eine kritische Situation. In Trient protestierten die Industriellen und fürchteten einer Verminderung ihrer Produktivität. 364 In Civitanova Marche wurde im Februar 1941 die Abreise von 250 Arbeitern, zum großen Teil Facharbeiter aus den Cecchetti-Werken, verhindert. Der Arbeitgeber zog sich hier den starken Unmut von Seiten der einfachen Arbeiter zu, die äußerst geringfügige Löhne erhielten, welche den Lebenshaltungskosten nicht angemessen waren und die es als Ungerechtigkeit ansahen, daß nach Deutschland solche Arbeiter geschickt wurden, die sich bereits in einer besseren wirtschaftlichen Lage befunden hatten. 365 In der Region Novara beklagten die in Ghiffa angesiedelte Hutfabrik G. Panizza & Co. im März 1942 „eine Flucht unsere besten Facharbeiter, die täglich anfragen, ob sie zur Arbeit nach Deutschland geschickt werden könnten. Diese wertvolle ausgebildete Belegschaft, ein wertvolles und nicht zu ersetzendes Element unseres Betriebes, löst sich auf diese Weise auf — mit schwersten und nicht abzusehenden Folgen für den ganzen Produktionsapparat. (...) Warum sollen wir also wertvolle Arbeitskräfte verschwenden und verlieren, die in Deutschland zu gewöhnlichen Handlangertätigkeiten eingesetzt werden, für die sie ungeeignet sind?" 366 Dies ist alles andere als eine rhetorische Frage, denn im November 1941 wurden in Sachsen — zumindest berichtet dies ein V-Mann der Geheimpolizei — Facharbeiter aus dem Bereich Maschinenbau sogar zu Arbeiten auf dem Feld eingesetzt!367 Das Korporationsinspektorat von Novara forderte die Firma Panizza auf, die Namen der Facharbeiter anzugeben, die ihre Arbeit verlassen hatten, um nach Deutschland zu gehen. Es sollte diese danach der Anwerbekommission der Provinz Novara zuleiten, die die Arbeiter ihrerseits wiederum aus dem Abreisekontingent ausschloß und dazu ausführte: „Natürlich ist eine derartige Aktion nur im Fall von Facharbeitern möglich, weil im Fall der Hilfsarbeiter und Handlanger — in Ubereinstimmung mit den Anordnungen, die das Korporationsministerium gegeben hat — die Anwerbung die größtmögliche Zahl von Arbeitern erbringen muß." 3 6 8 Auch den Italienischen Metallgestein-Werken gelang es, daß der Antrag auf einen Transfer nach Deutschland, den ihr Kraftfahrer im Bergwerk von Alfenza, ein gewisser Francesco
362 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1941, Kategorie K1B15, Band 54, Quästur Padua, Bericht über die wirtschaftliche und politische Situation, 26. 6. 1941. 363 Ebenda, Band 49, Quästur Belluno, Prot. Gabinetto 01597, Bericht über die politisch-wirtschaftliche Lage, 27. 6. 1941. 364 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Trient, den 25- 3. 1941. 365 Ebenda, Schreiben Nr. 753/prot., Bologna, den 18. 2. 1941, von Polizei-Generalinspektor Dr. Mariano Norcia an Seine Exzellenz den Generaldirektor und Chef der Polizei, Abteilung Politische Polizei, Rom, betreffend die Cecchetti-Werkstätten in Civitanova Marche-, ferner befindet sich hier ein weiteres Schreiben mit den gleichen Aufschriften und der gleichen Protokollnummer, welches das Datum des 26. 2. 1941 trägt. 366 A C N , Bestand Präfektur, Kanzlei des Präfekten, Band 42, Schreiben der Hutfabrik G. Panizza & Co., dg/Uff./Pers., Ghiffa, den 21. 3. 1942, an Seine Exzellenz, den Präfekten von Novara, betr.: Arbeiter, die den Antrag stellen, zur Arbeit nach Deutschland geschickt zu werden. 367 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Rom, den 28. 11. 1941. 368 A C N , Bestand Präfektur, Kanzlei des Präfekten, Band 42, Korporationsministerium, Korporativinspektorat, Kreis Novara, Schreiben Prot. Nr. 5546 vom 27. 3. 1942 an die Firma G. Panizza & Co., Hutfabrik, Ghiffa, betr.: Arbeiter, die den Antrag stellen, nach Deutschland zu gehen.
Die Forderungen nach qualifizierten Arbeitskräften
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Secondo Battaglia, gestellt hatte, zurückgezogen wurde, weil er als unverzichtbar für die Produktion deklariert wurde. 369 Und die Firma lieferte „die Liste unserer qualifizierten und freigestellten Arbeiter, die unter allen Umständen nötig sind, damit wir unsere Produktion aufrechterhalten können." 370 Es ist diese Art von Beziehungen zwischen den Arbeitgebern und den vom Korporationsministerium mit der Rekrutierung beauftragten Dienststellen, die es erlaubt, gute Arbeiter, die nach Deutschland gehen wollen, zurückzuhalten, ohne Lohnerhöhungen konzedieren zu müssen. Umgekehrt wird dem Arbeiter, der im Begriff ist abzureisen, entgegenkommenderweise eine höhere Qualifikation bestätigt, als er in Wirklichkeit hatte. Den Chef kostete es nichts, den abwandernden Arbeitern diesen Gefallen zu tun, sondern erlaubte es ihm im Gegenteil noch, den scheinbaren Verlust eines weiteren Facharbeiters, den sein Betrieb erlitten hatte, geltend zu machen. Dies wurde vor allem dann wichtig, als die Deutschen die Abstellung einer größeren Zahl von Facharbeitern forderten. Bernardo Mario Borgatta, der im August 1941 aus Omegna abreiste, erinnert sich: „Ich war Lehrling, aber die Vistarini hatte .Geselle' hingeschrieben. In Deutschland bekam ich 7,63 Lire die Stunde, um den Beruf zu lernen, während ich hier in Italien als Geselle 4 Lire bekommen hätte." Diese Arbeiter gingen in die Metall-, Stahl- und chemische Industrie, in den Bergbau und in die Schiffswerften, sie wurden weitgehend im Rahmen der Rüstungsindustrie eingesetzt, wo sie gegenüber Arbeitskräften aus anderen Ländern bevorzugt wurden, weil sie Verbündete waren. Was die von mir untersuchten Zeitzeugen angeht, so ging ein großer Teil von ihnen in die Luftwaffenfertigung, vor allem zu den Arado-Flugzeug-Werken. Welche Art von Arbeitern ging überhaupt nach Deutschland? Laut Bernardino Ruggeri handelte es sich „meistens um einfache Arbeiter. In dem Lager, wo ich untergebracht war, gab es nur einen Bäcker, der in die Fabrik ging. Denn die Arbeit am Fließband konnten alle machen." Und laut Dino Pizzetti waren bei den Arado-Werken oder bei der Kaltenbach und Söhne „alle Arbeiter, die draußen arbeiteten, als Monteure oder Dreher, als Arbeiter an der Bohrmaschine, Maurer, Tischler - das waren alles Deutsche. In den Werken drinnen gab es auch unter den Deutschen keine besonderen Spezialisten. Feinarbeiten oder Korrekturen gab es wenige. Vielleicht ging das Zeug noch zu einem anderen Werk, aber man kann kaum sagen, daß es in den Werken größere Genies gab. Es gab den Direktor und - je nach Anzahl der Arbeiter — ein oder zwei Maschinenmeister. Wenn man selber nicht wußte, wie man mit der Maschine umzugehen hatte, dann war man da den ganzen Tag und tat gar nichts, bis der Maschinenmeister beim eigenen Turnus ankam." Vittorio Poletti erinnerte sich, daß „es ganz wenig Facharbeiter und wenig ausgebildete Arbeiter gab. Es waren einfache Arbeiter, die nach Deutschland gingen. Wenn jemand darunter war, der besser ausgebildet war, behielten sie ihn da, dann wollten sie ihn nicht gehen lassen. Und nach Deutschland gingen die, die mehr verdienen wollten. Zum Beispiel Ferndinando Miglio aus Feriolo, der mit mir in Plauen war, der war Steinmetz und sie haben ihm beigebracht, mit den Maschinen umzugehen." 369 Ebenda, Schreiben der Azienda Minerali Metallici Italiani (A.M.M.I.), Ceppomorelli, den 11. 3. 1941, an Seine Exzellenz, den Präfekten von Novara. 370 Ebenda, Schreiben der Azienda Minerali Metaüici Italiani (A.M.M.I.), Pestarena, den 26. 2. 1941, an Seine Exzellenz, den Präfekten von Novara, betr.: Abwanderung von Arbeitern aus der Bergwerksindustrie.
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich"
19. „Schickt mir ein Telegramm, daß Papa im Sterben liegt..." Mit dem Krieg und dem Beginn der Bombenangriffe Ende 1940, aber auch aufgrund der Verschlechterung in der Ernährungslage, wuchsen andere Formen des Protestes, als es sie im vorausgegangenen Zeitraum gegeben hatte, und es traten neue Gründe ein, weswegen sich die Arbeiter wünschten, schnellstmöglich in die Heimat zurückzukehren. Celeste Del Farra, der von 1941 bis 1942 in Bremen als Bauhilfsarbeiter tätig war, erzählte folgendes: „Einmal am Tag ein Stückchen Brot mit Kartoffeln essen. Wir waren mitten im Hafen. Es gab Eisenschiffe, die völlig verbogen waren (...), das muß man mal gesehen haben. Und ich hab' weitergemacht, bis ich Urlaub bekam. Ich war Junggeselle damals, und einmal pro Jahr gaben sie einem 14 Tage Urlaub. Ich bin weggegangen und hab' mir gesagt ,Ich komm' nicht zurück, Herrgott, sonst sterb' ich vor Hunger oder sie bringen mich um.'" 3 7 1 Bereits seit September 1940, aber in verstärktem Maß ab Sommer 1941, beklagten sich sehr viele Arbeiter über das ungenügende Essen. Ende September 1941 berichtete der aus den Marken stammende Behördenleiter Moscatelli, daß „das Essen, dessen Grundbestandteil immer Kartoffeln sind, äußerst wenig sein soll. Ohne dem entfliehen zu können, weil man als .militärisch mobilisiert' betrachtet werde, versuchen die Arbeiter, sich irgendeine Krankheit zuzulegen und die Fälle von selbst zugefügten Verletzungen sollen zahlreich sein. Vor dem Krieg wurden die italienischen Arbeiter und Bauern gut behandelt, wurden protegiert und bekamen große Mengen zu essen, heute hingegen ist — abgesehen von der generellen Verachtung [für die Italiener] — das Essen minimal und die Behandlung härter geworden." 3 7 2 Einige Arbeiter, die Mitte Mai 1941 zum Urlaub nach Italien zurückkehrten, berichteten während der Zugfahrt, daß „die Deutschen schlecht essen, obwohl sie von allem ein bißchen bekommen. Aber den Italienern wird nur ein Einheitsessen gegeben, nicht sehr reichhaltig und auf der Grundlage von gekochtem Gemüse oder von Kartoffeln. Das Fleisch ist nicht sehr gut und mengenmäßig sehr wenig. Wenn jedoch in den .Lagern' das Essen in solchen Mengen zur Verteilung käme, wie dies die deutschen Behörden vorgesehen haben, ginge es einem nicht gerade schlecht. Aber das Übel ist, daß die Lagerführer sich um nichts kümmern weder um das Essen, noch um die Betreuung - und daß sie soviel Schiebereien organisieren wie möglich. Was das Essen in jedem .Lager' angeht (...), so verschwindet in den Küchen all das, was bessere Qualität hat, denn die Lagerfuhrer und die Dolmetscher schaffen es zusammen mit den Bediensteten in den Küchen beiseite und verprassen es dann im allgemeinen mit Frauen, die mitunter die Ehefrauen von deutschen Arbeitern sind und die ihren Männern mit allzu großer Leichtigkeit Hörner aufsetzen." 3 7 3 Im Juni verließen einige Arbeiter, die aus Sant'Antimo in der Provinz Neapel stammen, Deutschland, nachdem es ihnen gelungen war, die Grenzsoldaten zu täuschen. Der Grund fiir die Flucht war 371 Interview mit Celeste del Farra, Ponte nelle Alpi (Belluno), 9. 9. 1988. 372 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Rom, den 26. 9. 1940. 373 Ebenda, Parma, den 17. 5- 1941.
Schickt mir ein Telegramm.
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„die anstrengende Arbeit und das fehlende Essen, das nur aus drei Kartoffeln pro Tag und irgendeiner anderen lächerlichen Ration bestanden hat." 374 Im Oktober desselben Jahres berichteten einige Arbeiter, die in Norddeutschland, im Rheinland und in Mannheim gearbeitet hatten, während der Zugfahrt, daß „die Arbeiter am Morgen ein Stück Brot bekommen, etwas Margarine, ein Stück Wurst, das häufig angefressen ist und dermaßen stinkt, daß man es lieber gleich wegwerfen würde, anstatt es zu probieren. Am Abend eine Brühe aus Kartoffeln und Möhren, ohne Geschmack und dünnflüssig — und das ist alles." 375 Im Dezember beschrieb der Mailänder Arbeiter Algemiro Camozzi, der aus Linz zurückkehrte, die Essenration für die Arbeiter als „eine Brühe, die überhaupt nicht nahrhaft ist, schlecht zubereitet, wenig und fade, weil der Käse und das Gemüse von den Küchenbediensteten nicht benutzt worden sind. Der Käse und der Wein (...) werden vom deutschen Personal selbst an die Geschäftsleute in der Stadt verkauft, anstatt für den ausschließlichen Gebrauch in den für die italienischen Belegschaften vorgesehenen Küchen reserviert zu sein." 376 Im Juni 1942 erhielten die Arbeiter, die bei der italienischen Firma Romualdo Palermo mit dem Bau von Gebäuden und Unterkünften im Lager Auschwitz beschäftigt sind, „300 Gramm Brot, eine Suppe mit wenig Gemüse, ein Stückchen Wurst, eine Zigarette und keinen Wein", während „das Führungspersonal", so die Meinung einiger Arbeiter, „fortlaufend Nudelgerichte ißt, ziemliche Mengen von Wein trinkt und italienische Zigaretten raucht". 377 Im September 1942 erklärte der 38jährige Genueser Mario Zunino, der auf einer Saarbrücker Zeche arbeitete, „daß das Essen, welches in den Unterkünften für die italienischen Arbeiter verteilt wird, sich zusammensetzt aus: - morgens: einem dünnen Ersatz, der nahezu schmutzigem Wasser gleichkommt, mit einem Stückchen Butter und einem Brot aus Kartoffelmehl; - um 11 Uhr: einer Brühe aus gekochtem Trockenkohl, einem Stück Weißbrot, das sehr viel besser ist als das vom Morgen, das aber von der Menge her nicht ausreicht; - um 17 Uhr: aus 700 Gramm gekochten Kartoffeln, von denen mehr als die Hälfte weggeworfen werden muß, weil sie faul sind; aus einem Stückchen Wurst, aus einem Stückchen Brot wie das um 11 Uhr und ebensowenig ausreichend." 378 Und er präzisierte weiter, „daß das oben genannte Essen nicht nur absolut schlecht ist, sondern noch nicht einmal dem allernötigsten Bedarf entspricht, um so mehr, wenn man an die neunstündige, anstrengende Arbeit im Kohlebergwerk denkt." 379 Der Arbeiter Corrado Gagliardi, 1906 in Popoli in der Provinz Pescara geboren, kehrte im Januar 1943 zum Urlaub nach Italien zurück und beeilte sich, seinem Freund Livio Forcucci folgendes mitzuteilen: 374 375 376 377 378 379
Ebenda, Neapel, den 16. 6. 1941. Ebenda, Verona, den 15. 10. 1942. Ebenda, Mailand, den 17. 12. 1941. Ebenda, Trient, den 25. 6. 1942. Ebenda, Genua, den 2 1 . 9. 1942. Ebenda.
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich"
„Ich fasse dir nun zusammen, was in der Zeit passiert ist, die ich in diesem Land verbracht habe (...) Als ich aus Italien als ein ausgebildeter Arbeiter abreiste, glaubte ich, [in Deutschland] als echter Kamerad aufgenommen zu werden. Doch ganz im Gegenteil haben uns unsere Freunde dort äußerst schlecht behandelt, und ich habe neun Monate gearbeitet, die mir wie neun Jahre vorgekommen sind. Das Essen war miserabel; sie gaben uns immer Kartoffeln, Schwarzwurzeln, Rüben mit Weißkohl, Perlgraupen, Grieß, Möhren und als Beilage gab es ein Zeug, das man aus Kohle und Feuer gewinnt (...) zum Schlafen bekamen wir als Zudecke einen Sack mit Stroh und 400 Gramm Brot, Brot aus Kartoffelbröckchen, das überhaupt nicht sättigte." 380 Es gab auch Arbeiter, denen es schlechter ging, aber eine Lage wie die hier beschriebene scheint die Norm gewesen zu sein. Auch die ärztliche Versorgung wurde an vielen Stellen schlechter, weil es, so meinten einige zurückkehrende Arbeiter im Oktober 1941, „völlig an Medikamenten fehlt. Die Unsrigen werden behandelt, so gut es geht, doch mit der Entschuldigung, daß die Medikamente für die Fronttruppen zur Verfügung stehen." 381 In Deutschland erhöhten sich die Lebenshaltungskosten immer weiter, so daß einige Arbeiter, die nach Florenz zurückkehrten, bereits im Juli 1941 „feststellen (...), daß sie gezwungen sind, 12 oder 13 Stunden pro Tag zu arbeiten (bei einer Mittagspause von einer halben Stunde), daß sie schlecht untergebracht sind, daß das Essen weder ausreichend noch gut ist. Sie sagen, daß ihre Opfer noch nicht einmal aufgewogen werden von der Aussicht, am Ende ein hübsches Sümmchen Geld nach Hause bringen zu können, weil das Leben — auch wenn sie augenscheinlich eine nicht schlechte Bezahlung erhalten — so teuer geworden ist, daß sie gezwungen sind, alles oder fast alles auszugeben, um sich mit dem Notwendigen zu versorgen. (...) Sie sind einer rigiden militärischen Disziplin unterworfen und werden militärisch befehligt. Jede noch so kleine Unregelmäßigkeit wird mit Lohnabzügen bestraft. Es heißt auch, daß unsere Arbeiter manchmal sogar von den deutschen Anführern mit der Reitpeitsche geschlagen werden." 382 Der Mangel an Rohstoffen hat in einigen Industriesektoren zur Verringerung der Arbeitsstunden geführt 3 8 3 und ab dem 10. April 1942 zu einer drastischen Verringerung der Trennungsentschädigung von täglich 3,40 RM auf 1,75 RM. 384 Dies sind weitere Gründe dafür, ein Verweilen in Deutschland weniger wünschenswert erscheinen zu lassen. Aber der entscheidende Faktor sind die Bombenangriffe, die sich mit der Fortdauer des Krieges in immer beträchtlicherer Weise häufen. Vor allem seit Juni 1941 häufen sich die Meldungen von selten der V-Männer der Geheimpolizei, daß es in den Industriegebieten des Nordens unter den Arbeitern Stimmen gibt, die dazu raten,
380 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 26. Es handelt sich um einen Auszug aus einem zensierten Brief, der sich in dem Schreiben der Kgl. Quästur in Pescara vom 15. 4. 1943, N. 013222 Div.Gab., an das Italienische Generalkonsulat Berlin findet und die Kriegszensur betrifft. 381 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Verona, den 15. 10. 1941. 382 Ebenda, Florenz, den 18. 7. 1941. 383 Ebenda, Padua, den 14. 5. 1942. 384 Ebenda, Venedig, den 1. 7. 1942.
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„man soll der Aufforderung, nach Deutschland zu gehen, nicht nachkommen, weil man dort immer den Bombenangriffen der englischen Luftwaffe ausgesetzt ist". 385 In einer Meldung vom 24. Juni hieß es, daß „in Watenstedt bei Braunschweig ein halber Aufstand unter den italienischen Arbeitern, die in den dortigen Werken und in den verschiedenen Bergwerken beschäftigt sind, ausgebrochen zu sein scheint. Die italienischen Arbeiter möchten nach Hause zurückkehren, da sie aber von den Gewerkschaftsdelegierten ihre Pässe nicht ausgehändigt bekommen, reisen sie ohne Paß ab und wollen die Grenze ohne Dokumente erreichen. Es scheint, daß der wahre Grund der wiederholten Abreisen die Angst vor den englischen Bomben ist, denn die Engländer haben in den vergangenen Nächten verschiedentlich Zonen bombardiert, wo Italiener arbeiten." 386 Vor einer Menge von Neugierigen passierten am 30. Juni die sterblichen Überreste von sechs Arbeitern, die bei einem Bombenangriff auf Hamburg getötet wurden, die Stadt Rovereto. Die Arbeiter, die die Särge begleiteten, erzählen, daß „die feindliche Luftwaffe in Deutschland enorme Schäden verursacht hat und weiter verursacht." 387 Am 3. Juli 1941 starben in Bremen vier italienische Arbeiter, die sich in einen Bunker geflüchtet hatten und am 6. Juli wurde das Italienerlager in Watenstedt getroffen, wo die Arbeiter der Hermann-Göring-Werke untergebracht sind: 41 Tote und 32 Verletzte.388 Als Daniele Preti (1906 in Olfianello in der Provinz Brescia geboren und 1987 in Botticino Sera, ebenfalls in der Provinz Brescia, gestorben), einer der Teilnehmer an dem Streik in den Essener Krupp-Werken im April 1942, von dem später noch die Rede sein wird, nach Hause zurückkehrte, erzählte er, daß „es einem, was die Arbeit anging, nicht schlecht ging, weil die Arbeiter in Deutschland auf der Arbeit mehr respektiert wurden als bei uns und weil es nicht so wie hier war, daß sie einen dazu angehalten haben, immer mehr zu arbeiten. Ja, man arbeitete weniger als hier und dann waren sie umgänglicher und zeigten auch mehr Respekt gegenüber den Arbeitern. Aber es war wegen des Essens und wegen der Bombenangriffe. Immer Bombenangriffe, nicht wahr. Man war immer in den Bunkern. Und als ich aus Deutschland wieder nach Hause kam, hatte ich Alpträume, ich wachte auf und schrie. Die Bombenangriffe hatten einen solchen Schock verursacht." 389 Der Mailänder V-Mann berichtete am 21. September 1942, daß „die italienischen Arbeiter absolut nicht nach Deutschland arbeiten gehen wollen, trotz all der verlockenden Versprechungen üppiger Löhne. Der Grund dafür liegt in erster Linie darin, daß man erfahren hat, daß Hunderte von italienischen Arbeitern in Gelsenkirchen, in Dortmund, in Duisburg, Essen, Düsseldorf, Köln, Mainz, Frankfurt, Karlsruhe und vor allem im Saargebiet während der großen englischen Luftangriffe getötet worden sind. Zum zweiten, weil sie hungern müssen, denn obwohl sie über viel Geld verfügen, können sie keine Lebensmittel kaufen, weil die Kosten dafür enorm hoch sind.
385 386 387 388 389
Ebenda, Rom, den 11. 6. 1941. Ebenda, Innsbruck, den 24. 6. 1941. Ebenda, Rovereto, den 2. 7. 1941. Vgl. ASMAE, Affari Politici, Germania, Band 73. Interview mit der Tochter Orsolina Preti in Botticino a Sera, Brescia, am 31. 1. 1989.
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Diese Lage der Dinge wird von vielen Arbeitern, die vor kurzem in die Lombardei heimgekehrt sind und die nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wollen, bestätigt." 390 Igino Bonomi aus Mede in der Provinz Pavia schrieb nach dem Luftangriff auf Essen am 5. März 1943 an seine Frau Maria folgendes: „Der Bombenangriff Freitagnacht hat fast die ganze Stadt zerstört, Tausende sind ausgebombt und ebenso viele tot. Unser Lager ist vollständig zerstört worden, wie auch all unsere Habe, ich bin ohne Strümpfe und ohne Arbeitsanzug, ich habe nur meinen Anzug; drei Tage waren wir in einem Ubergangslager und haben auf dem Boden schlafen müssen, gestern haben sie uns in dieses neue Lager gebracht, es ist etwas außerhalb, aber mit der Straßenbahn ist es recht bequem; was die Arbeit angeht, so ist es momentan schwierig, davon zu sprechen, aber mein Verdienst ist weg und keiner redet davon, mir den Schaden zu ersetzen; es ist gut möglich, daß sie uns in dieser Situation lassen, 35 Arbeiter haben im Luftschutzkeller des Lagers den Tod gefunden. Es wäre sehr viel besser gewesen, wenn ich früher zusammen mit Filugello zurückgekommen wäre, es tut mir leid, und ich wollte dir das gar nicht sagen, aber weil die Zeitungen es veröffentlicht haben, wollte ich dir Bescheid geben. Unter solchen Gefahren befand ich mich in jener Nacht mit einem Freund auf der Straße, auf dem Weg von der Arbeit nach Hause; doch Gott wollte, daß mir nichts passierte. Jetzt spüre ich die Strapazen, aber ich hoffe, daß es schnell vorübergeht. Diese Nacht wurde viermal Alarm gegeben, aber es war nichts Schlimmes. Mach' Dir keine Sorgen um mich, küß' mir die Kinder vielmals und auch dir einen dicken Kuß. Igino. Mein Paß ist dabei vernichtet worden, und ich weiß nicht, wann ich zurückkehren werde." 391 Marcello Crevola, der bei den Münchner BMW-Werken beschäftigt ist, widerstand bis April 1943, „doch dann bin ich weggegangen, weil es in der Nacht einen Bombenangriff gab, und danach begannen sie zuzuschlagen, zuzuschlagen, zuzuschlagen. Und so habe ich gesagt: ,Ich gehe nach Hause.' Sie wollten mich nicht gehen lassen, aber ich bin dann nicht mehr zur Arbeit erschienen. Ich bin zu der Italienischen Kommission gegangen und habe mich nach Hause schicken lassen." Als in Italien die Leichname von Arbeitern eintrafen, die bei den Bombenangriffen getötet worden waren, rief dies eine weit verbreitete Weigerung hervor, zum Arbeiten nach Deutschland zu gehen. Als einer der Leichname im August 1941 in dem in der Provinz Catanzaro gelegenen Verzino ankam, teilte ein Vertrauensmann der Geheimpolizei mit, daß im Zug „erzählt wird, daß niemand mehr - und dies zu Recht — nach Deutschland gehen will". 392 Die Nachrichten von den Zerstörungen, die die Bombenangriffe hervorgerufen hatten, verbreiteten sich über tausend Kanäle und vervielfachten die ohnehin schon verbreitete Weigerung, nach Deutschland abreisen zu wollen. Sobald der aus Vigevano stammende Arbeiter Alessandro Arrigoni von dem Bombenangriff auf Essen vom 5. März 1943 erfuhr, schrieb er an einen Verwandten, der sich bei der Armee befand:
3 9 0 ACS, Min. Int., D G P S , DPP, Band 223, Mailand, den 21. 9. 1941. 391 ACS, Min. Int., D G P S , D A G R , PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Kgl. Präfektur Pavia. Provinzialzensurkommission: Auszug aus einem Brief vom 10. 3. 1943, Absender: Igino Bonomi, Frintroperstraße, Essen, Empfänger: Maria Bonomi, Via Umberto I. 2, Mede (Pavia), (originalgetreue Abschrift). 3 9 2 ACS, Min. Int., D G P S , DPP, Band 223,Cosenza, den 23. 8. 1941.
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„Heute, am Tag meiner Abreise, schreibe ich dir diese Zeilen, um dir mitzuteilen, daß ich mich entschieden habe, doch nicht abzureisen. Denn einer meiner Freunde, der aus Essen zurückgekommen ist, hat erzählt, daß unsere Unterkunft in Flammen aufgegangen ist, daß das Werk, wo ich arbeiten soll, ebenso wie die Stadt zu 6 0 Prozent zerstört worden sind und daß die Kameraden etwa 50 Kilometer von dem Ort entfernt sind, nur mit den Kleidern, die sie anhatten, und mit einer einzigen Tagesration Gemüse versehen — und dies an einem Ort ohne Schutz und in Erwartung weiterer Anweisungen. Etliche Italiener sind im Kellergeschoß der Küche begraben worden, andere sind verletzt worden, während die Bevölkerung nicht weiß, welche Ausmaße die erlittenen Verluste haben; und so bin ich bereit, wie du siehst, jegliches Geschehnis zu ertragen — aber nicht, dorthin zurückzukehren; denn fur die Verteidigung des Vaterlands zu sterben ist eine Sache, aber so als Dummkopf will ich nicht, daß mir irgendein Unglück zustößt." 3 9 3 Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1941 wurden ganze 9.731 Telegramme geschickt, um die Verwandten mittels irgendeiner Entschuldigung nach Italien zurückzuholen. 394 Es sind häufig die Arbeiter in Deutschland selbst, die ihre Familienangehörigen darum bitten zu schreiben, daß irgendein enger Verwandter krank geworden ist oder irgendeine andere plausible Ausrede zu erfinden. So schrieb der aus Cerreto d'Esi, in der Provinz Ancona, stammende Arbeiter Silvano Arzini, der in Watenstedt bei Braunschweig bei einer Baufirma arbeitete, am 23. September 1940 an seine Frau folgenden Brief: „Meine liebe Frau, ich schicke dir diesen Brief über diesen meinen Freund, um dir offen all das zu sagen, was ich dir nun sagen kann, weil es keine Zensur gibt. Du weißt sehr gut, daß das Essen hier sehr schlecht und zu wenig ist, vor allem in diesen Tagen, in denen viele am Schafott angekommen sind, wie ich es auch bin. Die Flugzeuge kommen fast jede Nacht zu uns, aber ich will es bis Dezember aushalten. Doch du sollst dir auf jeden Fall über Pagano ein ärztliches Attest beschaffen lassen, das vom Bürgermeister oder von den Carabinieri oder gar vom Kommissar der Polizei unterzeichnet ist, denn sonst besteht die Wahrscheinlichkeit, daß wir zu Weihnachten zu niemandem geschickt werden: Maria, du weißt, daß wir hier nur einmal am Tag essen, die Gemüsesuppe nur abends und mit nur 100 Gramm Wurst oder Speck und mit einem Stück Brot oder Kartoffeln; wir müssen den ganzen Tag arbeiten und wenn ich in die Baracke komme, dann ziehe ich die Beine nach; vor allem in den letzten Tagen habe ich mich nicht besonders gut gefühlt. Geld verdient man wenig, und man muß es sich durch Opfer ersparen, und dann gibt es nichts zu kaufen; ich habe bereits zwei Paar Schuhe verbraucht, es ist ein Vergnügen darin zu laufen, aber sie kosten 7 , 5 0 Mark. Du kannst dir vorstellen, daß man keinen großen Gewinn machen kann; wieviel Mark könnte ich nach Hause an meine Familie schicken, an die ich jeden Augenblick denke. Ich habe es bereits sehr bereut, diesen Schritt getan zu haben; ich würde am liebsten nur Salat essen, aber dafür bei meinen Kindern sein, die mir sehr viel mehr am Herzen liegen als das deutsche Geld, das ich schicke. In den letzten Tagen hat mir das Rheuma in den Beinen Schmerzen bereitet, 393 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Kgl. Präfektur Pavia. Provinzialzensurkommission: Auszug aus einem Brief vom 21. 3. 1943, Absender: Alessandro Arrigoni, V. M. Negroni 6, Vigevano, Empfänger: Dino Arrigoni, 106. gemischte Kompanie T.R.T., Division Piacenza, Militärpostnummer 94 (originalgetreue Abschrift). 394 BA, R 4 1 , Band 164, Bericht der Zentralauswertungsstelle für den Ausländerbrief- und Telegrammverkehr vom 10. 1. 1942, zit. nach Wiesemann, Italienische Arbeitskräfte, S. 431.
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am heutigen Sonntag konnte ich nicht arbeiten, weil ich mich überhaupt nicht gut fühlte; denn wenn ich ein paar Tage von der Arbeit fernbleiben will, dann geht das nicht; man m u ß arbeiten, sonst besteht die Möglichkeit, daß sie dich von den Gendarmen holen lassen und vielleicht auch, daß einige ( . . . — Auslassung im Text) und so muß ich hierbleiben, hier, wo der bleibt, der hier bleiben will; ich hab' doch immer Pech, meine Liebe, mir geht es immer schlecht, ich hab' eben kein Glück im Ausland; anderen geht es gut, nicht was das Essen betrifft, sondern was die Firma angeht; sie kriegen sogar die Gummistiefel zum Arbeiten, doch wenn ich nicht aufpasse, dann ( . . . - Auslassung im Text) sie mir; ich bitte dich dringend, erinnere dich an das, was ich dir gesagt habe und zeig' diesen Brief niemandem — hast du verstanden? Auch Zazl geht es sehr schlecht; er hat es sehr bereut, aber sag' bloß nichts davon, zu niemandem, sonst könnte ich Schwierigkeiten bekommen — hast du verstanden? W i r müssen immer schreiben, daß es uns gut geht, wir sind dazu gezwungen, hier ist es schlimmer als in Abessinien, hast du verstanden, wieviel Seufzer müssen wir noch machen, damit die Familie über die Runden kommt, wieviele Opfer, und dann nützt es doch nichts. Maria, die Tücher sind bereits aufgebraucht, Strümpfe habe ich keine mehr, ich bin ständig inmitten von Eisen, Hölzern, die voller Nägel stecken, in ausgeschachteten Gräben. Ich will dir nichts weiter sagen, sonst würdest du es nicht glauben. Grüße und dicke Küsse an die Kinder und an euch alle. Ich mußte meinen Arbeitsanzug flicken, weil er kaputt gegangen ist. Wenn du mich so sehen würdest; innerhalb von zwei Monaten sehe ich aus, als würde ich in Lumpen stekken. Wenn du es nicht glaubst, so laß' es dir von diesem Freund hier sagen, wenn er dir den Brief persönlich überbringt, oder aber er gibt ihn in Falconara zur Post. Viele Grüße, Silvano. Seit 10 Tagen habe ich keine Nachrichten mehr von euch bekommen." 3 9 5 Die Briefe und Telegramme aus Italien, mit denen die Arbeiter unter irgendwelchen Vorwänden nach Hause zurückgerufen werden, häuften sich dermaßen, daß die Regierung gezwungen war, alle Bürgermeister davon in Kenntnis zu setzen: „Das Kgl. Korporationsministerium — Kommissariat für Migration und Kolonisation — hat mitgeteilt, daß es häufig dazu kommt, daß italienische Arbeiter, die in Deutschland beschäftigt sind, aus schwerwiegenden persönlichen Gründen dringend nach Hause gerufen werden, und zwar mittels Telegrammen, die von den Bürgermeistern ihrer Wohngemeinden unterzeichnet sind, oder auf der Basis von ärztlichen Attesten, die die Krankheit eines Familienangehörigen bestätigen. Wie die Nachforschungen der Kgl. Carabinieri ergeben haben, entsprechen die angegebenen schwerwiegenden familiären Motive in der Mehrzahl der Fälle nicht der Wahrheit. Offensichtlich nehmen einige unserer Arbeiter zu diesem Mittel Zuflucht, um die Arbeit in Deutschland verlassen zu können — und erwecken den Anschein einer plausiblen höheren Gewalt, um ungestraft der Anwendung der Maßnahmen, mit denen die Arbeitsflucht geahndet wird, entgehen zu können. Jedenfalls fuhren die unehrlichen Bestäti3 9 5 ACS, Min. Int., D G P S , DPP, Band 2 2 3 , Absender Silvano Arzini, Watenstedt 1, über Braunschweig Lager 11 / Stube 140, Deutschland (Poststempel Cerreto d'Esi, Ancona, 2 5 / 9 4 0 ) , Empfänger: Maria Arzini, Corso Alberto 17, Ancona. Der Brief ist datiert: Watenstedt, 23. 9. 4 0 (Abschrift des maschinengeschriebenen Originals. Der Brief strotzt von Fehlern in der Rechtschreibung. Die Interpunktion fehlt so gut wie ganz.)
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gungen der Bürgermeister und der Ärzte zu bedauerlichen Unzuträglichkeiten; um diesen Abhilfe zu schaffen, ist es notwendig, daß die Kommunalbehörden die Rückholanträge der Familien erst dann weiterleiten, wenn sie über die Kgl. Carabinieri haben feststellen lassen, daß die Anträge wirklich begründet sind. U m die Unterstützung der Behörde zu haben, müssen sie deshalb sowohl notwendigen wie dringlichen Charakters sein. Es wird gebeten, den Gemeindebürgermeistern jeder Provinz dies zur Kenntnis zu geben und sich den Erhalt dieser Mitteilung bestätigen zu lassen." 3 9 6 D a ß Rückholtelegramme aus Italien geschickt wurden, wird seitdem zu einem gängigen Faktum und Alfredo Andreatta aus Vipiteno schrieb aus Karteuren am 4 . Januar 1 9 4 3 an seine Frau Costantina: „ . . . i c h bin es wirklich leid, liebe Pina, und wenn du kannst, dann schick mir irgendwie ein Telegramm, und wenn du es nicht kannst, dann schreib' an Papa, daß er zum Arzt gehen soll und i h m sagen soll, er müsse sich die Operation machen lassen. Aber schick' mir kein einfaches Telegramm, weil nur das zählt, das vom Feldwebel der Carabinieri unterzeichnet ist. Also wenn du es nicht kannst, schick' Papa zum Doktor, und der D o k tor wird i h m sagen, was er machen soll. Würdest du das tun, Tina? Aber ich sage dir, vielleicht geht es genauso wie mit dem Paket, und dann weiß ich nicht, was ich machen soll. Ich warte also geduldig auf den Tag, an dem es a n k o m m e n wird, und wenn es k o m m t , der Tag wird unvergeßlich s e i n . " 3 9 7 U m in die Heimat zurückgeschickt zu werden, konnten die Arbeiter sich auch krank stellen und hoffen, daß ihnen dies abgenommen würde. In einem solchen Fall kamen sie nach Hause und konnten, wenn sie es wünschten, später noch einmal nach Deutschland zurückkehren, indem sie erklärten, daß sie nunmehr gesund seien. Dieses Verfahren, zu dem ihnen teilweise sogar von den Arbeitgebern geraten wurde, 3 9 8 war dann zwingend notwendig, wenn der Arbeiter während der ersten 4 0 Arbeitstage erkrankte (weil er in diesem Zeitraum keinen Arzt aufsuchen konnte), oder wenn es ihm an der Arbeitsstelle schlecht erging und er hoffen konnte, bei einer Rückkehr nach Deutschland einen besseren Arbeitsplatz anzutreffen. So schrieb der aus Senigallia in der Provinz A n c o n a stammende Elektriker Renato Bellini aus Dornach (Linz) an seine Frau Giovanna am 1. Februar 1 9 4 3 : „Liebe Giovannina, mit großem Schmerz m u ß ich dir mitteilen, daß ich zu einer anderen Firma gewechselt bin und daß ich dort in die unteren Kellergeschosse zum Arbeiten geschickt worden bin, den ganzen Tag, und so bin ich krank geworden, weil es sehr kalt war, und am Abend bin ich in die Baracke mit Fieber und Bronchitis zurückgekehrt, und noch immer liege ich im Feldbett, weil ich mich so lange nicht krank melden kann, bis ich 4 0 Tage gearbeitet habe, und so leide ich, und niemand gibt mir ein Glas Wasser, weil alle a u f der Arbeit sind. Hier gibt es viel Schnee und Eis, so daß du, wenn du mich lieb hast, zum Feldwebel der Königlichen Carabinieri gehen mußt, wo du ja schon einmal für mich warst ( . . . ) das letzte M a l , so daß er dir ein Telegramm aufsetzt, daß die Firma mir
396 ACN, Der Auszug aus dem Schreiben des Ministeriums vom 18. 9. (Prot. Nr. 300/83521-44-2) wird zit. im Bulletin Nr. 32-33 der Kgl. Präfektur Novara, Prot. Nr. 013021 Div. Gab., betr.: Italienische Arbeiter in Deutschland, die aus familiären Gründen nach Italien zurückgerufen worden sind. 397 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Auszug aus einem Brief von Alfredo Andreatta, Via 28 Ottobre, Verona, an Costantina Andreatta, V. Ceves 65, Vipiteno (Provinz Bozen), Poststempel Bergamo 1. 2. 1943, datiert: Karfeuren, 4. 1. 43. 398 Interview mit Hans Deichmann, Mailand, 1. 2. 1989.
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Urlaub gibt und dann gehe ich Ende April wieder zurück zu der ersten Firma, wo es einem sehr gut geht. Ich schreibe dir vom Bett aus, und ich zittere vor Fieber, wenn du mich liebst, dann rette mich aus diesem Übel, das ich nicht aushalte, ich habe mit der alten Firma gesprochen, daß die mich wieder nehmen, wenn ich Ende April zurückkomme, ich bitte dich inständig, wenn du mich liebst und um mich vor diesen zwei eisigen und sehr kalten Monaten zu retten, besorg' das Telegramm, denn hier will ich meine Haut nicht lassen, ich brauche die Luft der Heimat, das hat der Arzt aus Linz gesagt. Ich schreibe nicht länger, weil ich vor Kälte zittere. Ich grüße dich und versuch', mich zu retten, so daß ich im April hierher zurückkehre." 399
20. Nur weg aus Deutschland, koste es, was es wolle Spätestens seit dem Sommer 1941 tragen die schlechten Nachrichten, die von den Deutschlandrückkehrern berichtet werden, dazu bei, viele andere Arbeiter davon abzuhalten, ebenfalls das Abenteuer Deutschland auszuprobieren. 400 Es fehlt auch nicht an Vorhaltungen von Seiten der Familie, um diejenigen, die sich bereits zur Abreise entschieden haben, wieder umzustimmen. Der Vater von Giuseppe Lepri, einem aus Bevagna in der Provinz Perugia stammenden Arbeiter, der nach Deutschland gehen wollte, schrieb seinem Sohn am 19. August 1941 folgenden Brief: „Mein liebster Beppino, bevor es eine nicht wieder rückgängig zu machende Sache ist, will ich dich warnen, damit du dir über deine Reise nach Deutschland keine Illusionen machst. Hier nach Bevagna sind zwei Arbeiter zurückgekommen, die dort gewesen sind; sie haben von der äußerst schlechten Behandlung erzählt, die sie dort angetroffen haben, sowohl was das Essen wie auch den Arbeitsplatz angeht. D u mußt wissen, daß sie dort zweimal am Tag Kartoffeln bekommen und ein Kilo Brot pro Woche!! Und sonst nichts. Etwas anderes können sie nicht bekommen und daher ist ihre Gesundheit in äußerste Mitleidenschaft gezogen worden; durch ständige Arztbesuche ist es ihnen schließlich gelungen, sich heimschicken zu lassen; aber man weiß nicht, wieviel Arztbesuche sie haben machen müssen, denn es ist ihre Art, daß sie niemanden krank schreiben. Das Geld, die 100 Lire, die sie dort täglich verdient haben, genügt ihnen heute nicht, um wieder zu Kräften zu kommen, ganz zu schweigen davon, daß dort jeden Tag Arbeiter sterben!!! Hast du verstanden??!!!" 401
399 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Handschriftliches Schreiben des Elektrikers Renato Bellini, Lager Dornach (80 Steg. B. 7 - 1 Linz, Deutschland), an Signota Giovanna Bellini, Via Boito 17, Senigallia (Ancona), Italia, datiert: Linz, 1. 2. 43. 400 Vgl. beispielsweise die Aussage von Antonio Gibeiii, La mandopera, S. 123: „... die Nachrichten, die die Familien der in Deutschland beschäftigten Arbeiter verbreiteten, waren alles andere als beruhigend, vielleicht nicht so sehr wegen der Arbeitsbedingungen und der Entlohnung, als vielmehr wegen der Schwierigkeiten und der immer massiveren Verspätungen, die auf den Lohnüberweisungen aus dem Ausland lasteten - wegen der internationalen Finanzmechanismen und wegen der finanzwirtschaftlichen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland." 401 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Absender: Vater des Empfängers (Bevagna), Empfänger: Giuseppe Lepri, Ferriera Valbruna, Vicenza, datiert: Bevagna, 19. 8. 1941 (maschinenschriftliche beglaubigte Kopie des Originaltextes).
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Vom S o m m e r 1941 an dürften diese Briefe alles andere als selten gewesen sein. Ein V-Mann der Politischen Polizei schrieb Mitte August 1941: „ D i e Italiener leben in Baracken und in Lagern, ohne jeglichen Komfort, wie Tiere, das Essen besteht aus wenigen Kartoffeln und Sauerkraut, jede ihrer Bewegungen wird bewacht und ausspioniert. Der größere Teil der Arbeiter möchte nach Hause zurückkehren, aber sie können es nicht. Etliche fliehen, aber sie werden an der Grenze verhaftet. Selbst die, bei denen die Vertragsdauer von 6 Monaten abgelaufen ist, sind gezwungen, ihn u m weitere 6 M o n a t e zu verlängern. ( . . . ) Nicht einmal mehr die Arbeitslosen lassen sich verlocken von der Bezahlung und der Versuchung durch das Abenteuer. Allzu wirksam ist die Propaganda derer, die aus Deutschland zurückkehren." 4 0 2 Trotz des ausgeübten Drucks ging es mit den Anwerbungen des Jahres 1942/43 keinen Schritt vorwärts. Statt dessen werden immer mehr Arbeiter durch Verwandte nach Hause zurückgerufen, und auch das Phänomen der Arbeitsflucht macht sich immer stärker bemerkbar. Zwischen Ende August und Anfang September 1941 kam es zu Empörungen. In der U m g e b u n g von N ü r n b e r g mußten Gendarmen und Soldaten an Ort und Stelle geschickt werden, 4 0 3 in Watenstedt wurden - nach dem Bombenangriff v o m 6. Juli - 12 Arbeiter verhaftet und zur Bestrafung in das Erziehungslager Hallendorf eingewiesen. 4 0 4 Im August „mußte die Polizei ( . . . ) in einem in der Nähe von Linz gelegenen italienischen Arbeiterlager eingreifen. Es kam zu Verhaftungen, welche immer noch aufrechterhalten werden. Z u diesem unerfreulichen Ereignis ist es deswegen gekommen, weil der Lagerfuhrer — den die Arbeiter bereits seit einer Weile überwacht hatten, weil sie bemerkt hatten, daß er Lebensmittel stahl — von den Arbeitern geprügelt worden ist. Sie hatten ihn zwar vorher angezeigt, waren es aber leid, daß keinerlei Maßnahme gegen ihn ergriffen wurde und wollten nun selbst für Gerechtigkeit sorgen. Nachdem die Wachen dorthin gerufen worden waren, wandten sich die Arbeiter, die bereits ziemlich erregt waren, auch gegen die Wachen, so daß eine größere Zahl von Wachen herbeigerufen wurde, die fur die Wiederherstellung der Ordnung gesorgt haben. In einem anderen Lager, in Wien, hatten sich die Arbeiter bereits seit längerem über die Zubereitung des Essens beschwert, und als sie sahen, daß alle ihre Proteste nichts nützten ( . . . ) , da beschlossen sie, einen Streik zu machen. So geschah es auch. Auch hier mußte die Polizei eingreifen, welche zahlreiche Verhaftungen vornahm." 4 0 5 Trotz der Zwangsmaßnahmen nahm die Flucht aus den Arbeitslagern immer stärker zu — so sehr, daß ein Funktionär der Stahlwerke in Salzgitter schrieb: „Besonders aus luftgefährdeten Gebieten wie Rheinland, Norddeutschland und Niedersachsen wandern in Innsbruck, da Grenzgebiet, täglich Arbeitsvertragsbrüchige zu. Allein in den letzten 8 Wochen wurden über 4 . 0 0 0 Italiener aufgefangen, wobei Tage waren, an denen sich bis 3 0 0 M a n n meldeten." 4 0 6
402 Ebenda, Band 223, Rom, den 14. 8. 1942. 403 Ebenda, Rom, den 7. 10. 1941. 404 Brunello Mantelli, I lavoratori italiani in Germania 1938-1943, in: Rivista di storia contemporanea, 18/ 1989, S. 569. - Dieser Text entspricht mit einigen Abweichungen dem Vortrag, den Mantelli während der in Mülheim a. d. R. vom 17. bis 20. Januar 1989 veranstalteten Tagung über Ausländische Arbeiter, Kriegsgefangene und Deportierte in der deutschen Kriegswirtschaft 1939—1945 gehalten hat. 405 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223,Wien, den 11. 9. 1941. 406 NdsHStA, Sozialministerium (SozM), Nds Landesarbeitsamt, Nds 300 Acc 27/71, Bericht des Angestellten Poser vom 17. 9. 1941, als Anlage an den Brief des Leiters des AA bei den Reichswerken H G W
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In Italien sahen sich die Präfekten gezwungen, den Bürgermeistern und Präfektoralkommissaren mitzuteilen, daß „das Kommissariat für die Binnenmigration und die Kolonisierungen gemeldet hat, daß jüngst in Innsbruck eine starke Gruppe von Arbeitern festgehalten und vor Ort festgesetzt worden ist, die sich von anderen Ortlichkeiten in Deutschland mit der Absicht entfernt hatten, vor dem festgesetzten Ablauf des Arbeitsvertrags und ohne die Zustimmung der Firmen bzw. der zuständigen [faschistischen] Gewerkschaftsorgane in die Heimat zurückzukehren. Die vorgenannten Arbeiter greifen zu den unterschiedlichsten Mitteln, um nach Italien zurückkehren zu können. Vor allem weisen sie Zertifikate vor, in denen Krankheiten von Verwandten attestiert werden, durch die sie in die Heimat zurückgerufen werden. Weil solche Zertifikate ausschließlich Verwandte dieser flüchtigen Arbeiter betreffen, die in Innsbruck festgehalten werden und die häufig aus ein und demselben Dorf stammen, gibt es Grund zu der Annahme, daß der Inhalt der Atteste nicht der Wahrheit entspricht. Angesichts dieser Erwägungen und um Störungen der Ordnung zu vermeiden, die sich notwendigerweise aus den hier angezeigten Unzuträglichkeiten ergeben, hat das Innenministerium verfügt, daß die oben genannten Zertifikate, um nicht ungültig zu sein, mit einem Stempel der Königlichen Carabinieri versehen werden müssen — wie sie auch schon für diejenigen verlangt werden, auf deren Basis Freistellungen vom Wehrdienst erfolgen." 407 Einer dieser Arbeiter wurde bei seiner Rückkehr nach Cosenza von der Bevölkerung dort aufgehalten und in das Cafe Gatto gebracht. Dort wurden ihm Getränke angeboten, weil alle wissen wollen, warum er zurückgekehrt sei. Und darauf erzählte er folgendes: „Ich bin abgehauen und mit mir sind etwa 1.500 andere abgehauen. Sie befinden sich in einem Konzentrationslager nahe der Grenze, der größte Teil davon stammt aus Cosenza. Sie werden Ende des Monats zurückkehren. Die Deutschen können uns nicht ausstehen. Sie haben uns Hunger leiden lassen und jetzt, wo es immer mehr Bombenangriffe gibt, ist es eine Gefahr, in Deutschland zu bleiben. Um zurückzukommen, habe ich 800 Lire ausgegeben." 408 Welche disziplinarischen Maßnahmen wurden gegenüber diesen Arbeitsflüchtigen erlassen? Anfänglich, so schrieb der Leiter des in Berlin befindlichen Italienischen Verbindungsbüros zur deutschen Polizei, Osvaldo Chiavaccini, „waren die Deutschen besorgt wegen dieser Disziplinlosigkeit der Italiener und haben die Maßregeln zur Anwendung gebracht, die hier für den Schutz der Arbeit und der Produktion in Kraft sind; d. h., wenn ein Italiener verantwortlich ist für den Bruch des Arbeitsvertrags, also wenn er seine Arbeit verläßt, so verhaften sie ihn und schicken ihn in ein Erziehungslager - das eine Art von etwas abgemildertem Konzentrationslager darstellt. An diesem Punkt fällt die Behandlung des Arbeiters nicht mehr in die Zuständig-
Watenstedt an den Reichstreuhänder der Arbeit fiir das Wirtschaftsgebiet Niedersachsen vom 23. 9. 1941 (Prot. Nr. 5760.Dr.Tr./We), zit. nach Brunello Mantelli, Vortrag der Tagung in Brescia, 27. bis 30. 9. 1989, Manuskript S. 4. (vgl. S. 253ff. in diesem Band). 407 A C N , Kgl. Präfektur Novara, Prot. Nr. 10375 Gab., Schreiben an die Bürgermeister und Präfektoralkommissare, Novara, den 22. 9. 1941, betr.: Disziplin der nach Deutschland geschickten, vorzeitig nach Italien zurückkehrenden Arbeiter. 408 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Cosenza, den 23. 8. 1941.
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keit der Arbeitsorganisationen, sondern in die der Polizei. Obwohl sie eine gewisse Zahl von Arbeitern verhaftet und in die oben genannten Lager gesperrt hat, weigert sich die Polizei, den zuständigen [italienischen] Konsulaten Auskünfte über diese zu geben. Die diplomatischen Vertretungen haben sich natürlich darüber beschwert." 4 0 9 Etwa Mitte Oktober schlug der Chef der Gestapo, Müller, vor, daß ein Büro der italienischen Polizei eingerichtet wird, dem die Deutschen die Verhaftungen mitteilen können und das es übernimmt, die Maßnahmen gegenüber den Vertragsbrüchigen Arbeitern zur Ausführung zu bringen. 4 1 0 Von italienischer Seite wurde darauf rasch „entschieden, die Arbeiter der Geltung der deutschen Gesetze zu entziehen. M a n wünscht jedoch, daß ein einmal nach Italien geflohener Arbeiter - so die deutschen Befürchtungen — dies nicht frei tun kann, weil sonst nach und nach alle fliehen werden. Es treffen nämlich aus Italien eine Reihe von Briefen in den Arbeitslagern ein, die von Personen geschrieben worden sind, die geflohen sind, und die geradezu eine Anregung zur Flucht aus Deutschland geben. Der Arbeiter, der die Arbeit verläßt, sollte verhaftet und bis zu unserer Grenze gebracht werden. Von dort dann zu dem Ort, wo er seine Strafe verbüßen muß, die sowohl den deutschen Behörden wie auch der Leitung des Lagers, dem der Arbeiter zugeteilt war, mitgeteilt werden sollte." 4 1 1 Bereits am 22. Oktober berichtete Chiavaccini dem italienischen Polizeichef Leto, daß „nach den Gesprächen zwischen dem [italienischen] Botschafter und Reichsführer Himmler beschlossen worden ist, daß die italienischen Arbeiter, die ihren Arbeitsvertrag nicht erfüllen, nicht mehr in die Erziehungslager gesperrt werden. Diejenigen, die bereits dort sind, sollen freigelassen und in ihre [ursprünglichen] Arbeitslager zurückgeschickt werden." 4 1 2 Und am 11. Dezember ordneten die italienischen Behörden an, daß diejenigen Arbeiter, die sich an der Grenze ohne regulären Urlaubsschein bzw. ohne eine Bescheinigung über die Beendigung ihres Arbeitsvertrags einfinden, verhaftet werden sollen: „Mit den deutschen Behörden sind die Maßnahmen vereinbart worden, die gegenüber denjenigen unter unseren Arbeitern getroffen werden sollen, welche in Deutschland ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllen, indem sie von ihrem Arbeitsplatz desertieren. Folglich wird hiermit mitgeteilt, daß ab dem 16. dieses Monats alle unsere Arbeiter, die als Einzelreisende aus Deutschland in der Heimat eintreffen, unseren Grenzpolizeibehörden ein Dokument vorlegen müssen, das von der in Deutschland befindlichen Dienststelle des Kommissariats für Migration ausgestellt worden ist und in dem attestiert wird, daß die Rückkehr nach Italien aufgrund regulären Urlaubs oder aufgrund der Beendigung des Vertrags erfolgt. Ein Arbeiter, der sich ohne ein solches Dokument an der Grenze präsentiert, muß ohne weiteres verhaftet werden. Die Grenzpolizeibehörde wird darauf den Weitertransport [des Verhafteten] zu der Quästurbehörde übernehmen, die für die jeweilige Region zuständig ist. Die Quästurbehörde hat dafür zu sorgen, daß der Verhaftete zu der Quästurbehörde seines Erstwohnsitzes überstellt wird, welche 409 Ebenda, Kgl. Botschaft Berlin, an Leto gerichtetes Schreiben, datiert: Berlin, den 20. 10. 1941, gez. Chiavaccini. 410 Ebenda. 411 Ebenda. 412 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Kgl. Botschaft Berlin, an Leto gerichtetes Schreiben, datiert: Berlin, den 22. 10. 1941, gez. Chiavaccini.
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ihn dann gegenüber der Provinzialkommission für die polizeiliche Verbannung bestimmen wird. Für die Arbeiter, deren Einreise unter den vorgesehenen Bedingungen stattfindet, endet die Vergünstigung der Unabkömmlichkeitstellung als zeitweise im Ausland wohnhafter Arbeiter, daher muß eine entsprechende Mitteilung an das zuständige Wehrkreiskommando erfolgen. Diesen Arbeitern wird ohne weiteres der Ausreisepaß entzoHl3λ gen. "41 Nachdem Mussolini seine Zustimmung erteilt hatte, traten am 18. Dezember die Verfahrensweisen in Kraft, die von Chiavaccini zusammen mit Müller und anderen Beamten der Gestapo vereinbart worden waren. Die italienischen Arbeiter, die in Deutschland die Arbeitsordnung und die Arbeitsdisziplin gebrochen hatten, sollten folgende Behandlung erfahren: „Wenn sich ein italienischer Arbeiter gegen die Arbeitsordnung und die Disziplin in dem Arbeiterlager, dem er angehört, vergeht, werden von der deutschen Polizei folgende Maßnahmen getroffen: 1. In leichteren Fällen wird der Arbeiter dazu ermahnt, sich besser zu verhalten und sorgfältiger zu sein. Darauf wird er an die Arbeit zurückgeschickt. 2. In schwerwiegenderen Fällen wird der Arbeiter sofort verhaftet, um ihn aus dem Arbeitslager zu entfernen, wo sein weiterer Verbleib einen schädlichen Einfluß auf die anderen Arbeiter haben könnte. Er wird einen oder maximal zwei Tage in der Haft verbleiben, so daß Zeit besteht, um Nachforschungen über das Ausmaß seines Vergehens anzustellen. Wenn das ihm zur Last gelegte Faktum nicht besonders gravierend erscheint, wird der Arbeiter verwarnt und an die Arbeit zurückgeschickt. Ist der Fall hingegen schwerwiegend, kommen die Maßnahmen zur Anwendung, die im folgenden Paragraphen 3 angegeben werden. 3. Wenn das Fehlverhalten des Arbeiters wirklich schwerwiegend ist und solcherart, daß die Ruhe und Ordnung im Lager und bei der Arbeit gestört wird, wird der betreffende Arbeiter von der Ortspolizei festgenommen, die unverzüglich mittels eines detaillierten Telegramms die Geheime Staatspolizei in Berlin zu informieren hat. Diese teilt dann dem Vice Questore [Stellvertretender Polizeichef] Chiavaccini die Festnahme mit, der die Schwere des Vergehens zusammen mit der Geheimen Staatspolizei untersucht und der den Arbeiter, wenn sich das Vergehen als schwer herausstellt, zum Brenner oder nach Tarvis transportieren läßt, damit er den italienischen Grenzbehörden übergeben und dann dem Innenministerium überstellt wird, das ihn in die polizeiliche Verbannung schickt oder ihn in der Weise bestraft, wie das Ministerium fallweise für angebracht hält. Die deutsche Polizei meldet die Festnahme und die Gründe, die eine solche veranlaßt haben, dem Vice Questore Chiavaccini und übergibt ihm einen detaillierten Bericht über das Vergehen, das der Arbeiter begangen hat, sowie (soweit möglich) eine Kopie des Protokolls vom Verhör des Verhafteten und der bei der Tat anwesenden Zeugen. Wenn ein italienischer Arbeiter verhaftet wird, während er sich - ohne die vorgeschriebenen Dokumente zu besitzen - auf dem Weg zur italienischen Grenze befindet, wird er vorübergehend in ein spezielles Sammellager aufgenommen, das bereits in Innsbruck eingerichtet worden ist, und dort auf seinen Status hin untersucht. Wenn sich herausstellt, daß er gerechtfertigte Gründe für die Rückkehr hat, wird er durch das italienische Konsulat in Innsbruck mit ordnungsgemäßen Dokumenten versehen und in Richtung Brenner gebracht. 413 Es handelt sich um das bereits zitierte Rundschreiben (Prot. Nr. 300/112168) vom 11. 12. 1941.
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Wenn sich jedoch herausstellt, daß er die Arbeit willkürlich verlassen hat, wird er in das Arbeitslager, aus dem er sich entfernt hat, mit der Verwarnung zurückgeschickt, daß ihm gegenüber die Maßnahmen des Paragraphen 3 zur Anwendung kommen, wenn er sich ein weiteres Mal ohne Erlaubnis entfernen sollte. Die Grenzpolizeibüros, bei denen die Übergabe der Arbeiter stattfindet, sind die am Brenner und in Tarvis. Um eine unnötig lange Reise bis zum Brenner zu vermeiden, dient das zweite Büro für diejenigen Arbeiter, die in Kärnten, der Steiermark und generell auf ehemals österreichischem Territorium arbeiten. Wenn ein Arbeiter eine Tat begeht, die den Charakter einer gewöhnlichen Straftat trägt, wie sie im Strafgesetzbuch enthalten ist, außerhalb der Lagerordnung und der Lagerdisziplin, dann kommen die deutschen Gesetze zur Anwendung." 414 In einigen Fällen wurden diese Arbeitsflüchtigen, wie wir noch sehen werden, in die polizeiliche Verbannung nach Pisticci oder Castel del Guido geschickt, in anderen Fällen landeten sie ftir einen mehr oder weniger langen Zeitraum in irgendwelchen Gefängnissen. 415 Offensichtlich betraf das Phänomen der Arbeitsflucht nicht nur die Italiener. Um das Phänomen einzudämmen, zogen verschiedene Fabriken in den ersten 10 Wochen einen Anteil von 10 Prozent vom Lohn ab, den die Arbeiter bei Beendigung des Vertrags wieder ausgezahlt bekamen. 416 Dennoch reichte diese Maßnahme häufig nicht aus, wie das Beispiel der Filmfabrik Wolfen zeigt, in der in jenem Jahr von diesen eingefrorenen Lohngeldern etwa 2.500 Mark nicht abgeholt wurden. 417 Ich weiß nicht, wie vielen Arbeitsfluchten diese Summe entspricht, doch sicher waren es mehrere Dutzend. Ab der zweiten Jahreshälfte 1941 wurden jedenfalls, so die Ergebnisse von Eva Seeber, monatlich etwa 7.000 Arbeitsflüchtige verhaftet. 418 Und Schmelzer gibt an, daß bei den Leuna-Werken zwischen dem Ausbruch des Kriegs und dem November 1942 insgesamt 27 Prozent der ausländischen Arbeiter ihren Arbeitsvertrag gebrochen hatten, ein Prozentsatz, der bei den Buna-Werken während der Kriegszeit 33 Prozent betrug. 419 Auch bei den Italienern kam es 1942 und 1943 weiterhin zu Arbeitsvertragsbrüchen und zur Flucht vom Arbeitsplatz. So kehrten die italienischen Arbeiter nach den Weihnachtsferien 1941 nicht mehr nach Deutschland zurück. Dies bezeugen lange Listen von Namen, die den italienischen Behörden übermittelt wurden. 420
414 ACS, Min. Int., D G P S , DPP, Band 223, Disziplinarische Maßnahmen für italienische Arbeiter in Deutschland. Anlage zum Schreiben der Kgl. Botschaft Berlin, Prot. Nr. 15012, an Seine Exzellenz, den Chef der Polizei, datiert: Berlin, den 5. 12. 1941/XX, gez. Vize-Quästor Chiavaccini. 415 Vgl. beispielsweise ASMAE, Abteilung Affari Politici, Deutschland, Band Außenpolitischer Schriftwechsel vom 26. 12. 1941. Aber Brunello Mantelli, der sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt hat, schreibt, daß „die neuen Direktiven in die Rundschreiben des Innenministeriums vom 3. und vom 16. Dezember aufgenommen werden" (Brunello Mantelli, I lavoratori italiani in Germania 1938—1943: uno specchio delle relazioni tra lepotenze dell'Asse, S. 22, Anm. 30). 416 Enderlein-Riedek, Die Preisbildung beim Einsatz von Kriegsgefangenen und Ausländern in der Bauwirtschaft, B e r l i n - W i e n 1942, S. 2 - 1 3 . 417 J. Schmelzer, Das hitlerfaschistische Zwangsarbeitssystem und der antifaschistische Widerstandskampf der ausländischen Gefangenen und Deportierten, Halle (Diplomarbeit), S. 139; zit. nach Karl Heinz Roth, L'altro movimento operaio. Storia della repressione capitalistica in Germania dal 1880 a oggi, Mailand 1976, S. 157. 418 Eva Seeber, Zwangsarbeiter in der faschistischen Kriegswirtschaft, Berlin 1964, S. 223. 419 Schmelzer, Zwangsarbeitssystem, S. 209ff., zit. nach Roth, L'altro movimento operaio, S. 157. 420 Eine lange Liste von Arbeitern, die nach den Weihnachtsferien 1941/42 nicht mehr ins Reich zurückgekehrt sind, findet sich in ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 23.
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Daher war es häufig notwendig, auf die italienische Polizei zurückzugreifen, um sich sträubende Arbeiter, die anfänglich fur eine normale Ferienzeit zu ihrer Familie zurückgekehrt waren, wiederzufinden und sie zu zwingen, nach Deutschland zurückzukehren. 421 Der 1907 in San Maurizio d'Opaglio geborene Vittorio Poletti, ein Dreher, der sich 1941/42 nach Plauen begeben hatte, um im Flugzeugbau zu arbeiten und der nach den Weihnachtsferien nicht nach Deutschland zurückkehrte, erzählte folgendes: „Ich zog es vor, zu Hause zu bleiben. Und vielleicht konnte ich hier ja auch die eine oder andere Arbeit finden ( . . . ) Ich bin zwei Monate zu Hause geblieben, denn haben sie mich gezwungen abzureisen. Weil es den Vertrag gab — und aus Deutschland wollten sie den Grund wissen, weshalb ich nicht zurückgekehrt war. Ich hatte gesagt, daß ich zu Hause bleiben müsse, um meiner Familie bei der Landarbeit zu helfen. Aber dann sind die Carabinieri gekommen, und ich mußte wieder zurück." 4 2 2 Gegenüber denjenigen, die die Rückkehr nach Deutschland akzeptierten, auch wenn sie verspätet zu ihrer Arbeitsstelle wiederkamen, wurde nicht nur auf jegliche polizeiliche Maßnahme verzichtet; es sollte vielmehr weder die Erneuerung des Passes noch die Anbringung des Ausreisesichtvermerk auf den noch gültigen Pässen verweigert werden. 4 2 3 Auch dieses Phänomen setzt sich im Jahr 1942/43 fort und verstärkt sich noch - trotz der Versuche, es mit Hilfe von polizeilichen Maßnahmen zu unterdrücken und trotz einer ganzen Reihe von Urlaubssperren, die ihrerseits zu Protesten verschiedener Art Anlaß geben. So verließ ζ. B. der 1902 in Palmi, in der Provinz Reggio Calabria, geborene Annunziato Pavia seine Arbeit zum Zeichen des Protests, weil ihm verboten worden war, für die Weihnachtstage nach Hause zu fahren. 4 2 4 Und der 1904 in Copertino (Provinz Lecce) geborene Pasquale Iaconisi fiel durch „undisziplinierte Proteste" auf, als bei einer Arbeiterversammlung „die Gründe erklärt wurden, die die Aussetzung des Urlaubs veranlaßt haben". 4 2 5
2 1 . Von den Baustellen der I. G.-Farben-Werke und der Oberschlesischen Hydrierwerke laufen die Arbeiter weg Am 14. März 1942 hatten die I. G. Farben und die Oberschlesischen Hydrierwerke mit 40 mittelgroßen italienischen Firmen, die sich innerhalb der Faschistischen Bauunternehmerföderation zu einer „Gruppe Italien" (auch „Vereinigung Deutschland" genannt) zusammengeschlossen hatten, einen Vertrag über den Bau von drei großen Hydrierwerken in Oberschlesien geschlossen. 15 Firmen sollten den Bau des entsprechenden Werkes in Heydebreck überneh-
4 2 1 Ein größere Menge von derartigen Unterlagen, die die Jahre 1942 und 1943 betreffen, finden sich in A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1942, Band 3/B und 3/C; PS 1943, Bände 23, 24 und 26. Weitere Dokumente sind von Antonio Gibeiii im Kommunalarchiv Savona (Cat. II, Agricoltura-Industria-Commercio, cl. 2, Industria, Fasz. 8, betr.: Arbeitslosigkeit-Statistiken-Baustellen) gefunden worden. 4 2 2 Interview mit Vittorio Poletti in San Maurizio d'Opaglio am 26. 1. 1989. 4 2 3 ACS, M i n . Int., DGPS, DPP, Band 223, Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Politische Abteilung. Grenzangelegenheiten, Sektion 2784, Prot. Nr. 300/40406, Schreiben vom 22. 1. 1942 an die Präfekturen des Königreichs (mit Ausnahme von Cagliari, Sassari, Nuoro und der Quästur Rom), betr.: Rückkehr von Arbeitern aus Deutschland. 424 Vgl. das bereits zitierte Schreiben aus Rom vom 23. 1. 1943. 4 2 5 Ebenda.
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men, 19 Firmen den des Werks in Blechhammer und 6 Firmen den Bau des Werks in Auschwitz.426 Aber seit dem Frühjahr und dem Sommer 1942 entstand bei den Arbeitern in den von der „Gruppe Italien" geführten Lagern eine lebhafte Unzufriedenheit. Hans Deichmann, der 1907 in Köln geboren wurde und damals als Zivilist einberufen worden war, um die Ausführung der zwischen der I. G. Farben und der Faschistischen Bauunternehmerföderation ausgehandelten Arbeitsverträge bezüglich der Bauten in Auschwitz und Heydebreck zu besorgen, erzählt, „daß es in Blechhammer, einer Baustelle, die nicht zum I. G. Farben-Komplex gehörte, besser lief als anderswo. Und dies weil es dort einen Direktor gab, der echtes Verständnis für den Charakter der Italiener hatte, der ihre Arbeitskraft voll auszuschöpfen wußte, indem er sie gut behandelte. Die italienischen Arbeiter sind in der Regel aufgeweckter als die deutschen und wenn man mit ihnen von gleich zu gleich zusammenarbeitet, erhält man von ihnen eine wunderbare Leistung. Was das Leistungsniveau der Bauarbeiten dieses Typs, den wir in Oberschlesien zu erfüllen hatten, angeht, so waren die Italiener am besten; denn die Deutschen, die zwar exakter und ordentlicher sind, können nicht improvisieren. Wo es jedoch schlechter lief, das war in Heydebreck, weil dort ein deutscher Direktor von der Sorte war, die sich allen gegenüber überlegen fühlen und den Italienern natürlich allemal. Und der hat alle möglichen Bosheiten begangen, die absolut überflüssig waren, so daß es ständig zu Protesten wegen des Essens kam oder weil der Wein bzw. der Tabak fehlten. Dort wurden sie wirklich schlecht behandelt, ihr Wert wurde nicht wahrgenommen und so wurde auch ihre Arbeitskraft nicht gut ausgenützt. Dort lief alles schlecht und die Italiener arbeiteten auch wirklich schlecht, weil ihnen das Ambiente nicht gefiel."427 Doch die Italiener liefen nicht nur ständig von der Baustelle in Heydebreck weg, sie flohen auch — wie wir sehen werden - aus Blechhammer. Im Zentralen Staatsarchiv in Rom habe ich die Polizeiunterlagen von 18 Arbeitern einsehen können, die die Baustelle in Heydebreck aus eigenem Antrieb verlassen hatten. 428 Diesem Material konnte ich nicht nur die Ursachen der Arbeitsflucht, sondern auch die alternativen Arbeitsmöglichkeiten entnehmen, welche die Flüchtigen hatten, und in einigen Fällen auch die Strafen, die ihnen von der italienischen Justiz wegen des unerlaubten Verlassens ihres Arbeitsplatzes auferlegt wurden. Torino Romboli, der 1897 in Fiumana in der Provinz For Ii geboren und bei der Firma Cidonio tätig war, ging im April 1942 mit zwei Arbeitskollegen zur Firma A. Poor nach Zwenterdorf bei Wien, weil er unzufrieden war mit den Bedingungen seines Arbeitsvertrags. Die zuständige Dienststelle der Arbeitsfront schien der neuen Anstellung zugestimmt zu haben. Damiano Cosmi aus For 11, der im April 1942 zum zweiten Mal nach Deutschland zurückging, um dort zu arbeiten, bemerkte darauf, daß der Vertrag ihm nicht behagte, weil der normale Tarif nur einen Stundenlohn von 76 Pfennig vorsah. Zusammen mit zwei seiner Arbeitskollegen verließ er darauf sofort die Baustelle. Wie er über das Italienische Gewerkschaftsbüro mitteilen ließ, verdingte er sich bei der Firma Wilhelm Sagen. Doch als er vom 12. bis zum 26. August für die Sommerferien nach Italien zurückkehrte, wurde er verhaftet und darauf in der Landarbeitersiedlung von Pisticci (Provinz Matera) interniert. 426 Vgl. Dazzi, Accordi, S. 310-325. 427 Interview mit Hans Deichmann in Mailand am 1. 2. 1989. 428 Alle diese Unterlagen finden sich in ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1942, Band 3/B und 3/C, sowie in PS 1943, Bände 23, 24 und 26.
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Der 1905 in Belluno geborene Gino Facchin war bei der Firma Dotti beschäftigt. Er erreichte die Baustelle am 13. April 1942, doch er verließ sie bereits am 9. Mai wieder; denn obwohl er als Buchhaltergehilfe eingestellt worden war, wurde er zuerst als Zimmermann eingesetzt, danach gar als Barackenwächter, dann wieder als Zimmermann. Schlecht bezahlt und gezwungen, Handlangerarbeiten und niedrige Reinigungsarbeiten durchzuführen, protestierte er dagegen, doch als einzige Antwort wurde ihm darauf der Reisepaß ausgehändigt. Er fand keine andere Arbeit und meldete sich am 20. Mai an der Grenze bei Tarvis und beantragte die Rückkehr in die Heimat. Pietro De Rosa, 1898 in Silvi in der Provinz Teramo geboren, wohnhaft in Domegge in der Region Cadore, wurde ebenfalls von der Firma Dotti eingestellt und kam zusammen mit Gino Facchin auf der Baustelle an. Gezwungen, als Zimmermann zu arbeiten, was nicht sein Beruf war, ereilte ihn kurze Zeit später eine Ischiasattacke; aber der deutsche Arzt schrieb ihn nur für drei Tage krank. Gesundheitlich nicht in der Lage, die Arbeit wiederaufzunehmen, fragte er vergebens nach einer weniger anstrengenden Beschäftigung. Er verließ das Lager am 9. Mai und wurde am 20. Mai in Tarvis verhaftet. Er wurde zunächst in das Gefängnis von Belluno überführt, doch dann in Pisticci interniert. Gemeinsam flohen am 29. Mai 1942 vier Arbeiter, die aus der Region Novara kamen und von der Firma Bertolotti in Malinverni eingestellt worden waren. Sie wurden von der italienischen Polizei in Tarvis festgenommen und in das Gefängnis von Novara überführt. Folgendes war ihnen widerfahren: Sempionino Oioli, 1901 in Varzo geboren, reiste am 16. April ab. Der Arzt hatte bei ihm die Folgen einer Brustfellentzündung sowie Arthroseerscheinungen festgestellt. Er war für die Arbeit nicht geeignet, aber die ökonomische Notwendigkeit trieb auch ihn nach Deutschland. Ab dem ersten Arbeitstag hatte er starke Schmerzen in einer Schulter und wurde daher für die Arbeiten in den Wohnbaracken abgestellt. Doch 15 Tage später schwollen auch seine Beine an, und der Arzt schlug die Rückkehr nach Italien vor. Weil die bürokratische Erledigung der Angelegenheit sich in die Länge zog, beschloß Oioli, auf eigene Kosten heimzukehren und das Lager ohne Genehmigung zu verlassen. Auch dem 1914 in Baveno geborenen Giuseppe Sassi riet der Arzt von einem Gang nach Deutschland ab, und zwar wegen einer Verletzung an der Wurzel des Ischiasnervs und an den schmerzleitenden Nerven des rechten Beins, derentwegen er bereits eine Schwerbeschädigtenrente erhielt. Sassi reiste aber dennoch am 9. April ab und wurde in einer auf dem Baustellengelände befindlichen kleinen Werkstatt als Schmied eingesetzt. Zu den 11 Stunden täglich kam der Fußweg vom Schlafsaal zur Baustelle und zurück noch hinzu, 7 Kilometer hin und 7 Kilometer zurück. Er beantragte die Repatriierung, erhielt aber keine Antwort. Darauf beschloß er, auf eigene Kosten nach Italien zurückzukehren und verließ das Lager ohne Genehmigung. Der 1901 in Borgolavezzaro geborene Carlo Aniasi, der bereits von April bis Oktober 1941 in Deutschland gearbeitet hatte, reiste am 9. April 1942 ein weiteres Mal ab und wurde zu den für die Errichtung von Gebäuden notwendigen Ausschachtarbeiten eingesetzt. Nach drei Wochen Arbeit bekam er eine Bronchitis. Nach der Wiederaufnahme der Arbeit stellte er fest, daß er diese kräftemäßig nicht mehr durchhielt. Er war gezwungen, die Arbeit mehrmals auszusetzen und so beschloß er, auf eigene Kosten nach Italien zurückzukehren, was er ohne Genehmigung tat. Ein weiteres Motiv, das ihn zur Rückkehr zwang, war dieTatsache, daß seine Frau seit dem Zeitpunkt seiner Abreise insgesamt nur 100 Lire bekommen hatte. Der 1910 in Donada in der Provinz Rovigo geborene, in Lumellogno wohnhafte Ugo Dona reiste am 16. April aus Italien ab, obwohl er herzkrank war und für den Militärdienst als un-
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tauglich eingeschätzt worden war. Aber er war arbeitslos und hatte eine mehrköpfige Familie (die Frau war gerade mit dem vierten Kind schwanger). Er wurde zum Ausheben von Abwassergräben eingesetzt, doch er schaffte die 60 Arbeitsstunden pro Woche nicht und erkrankte an einer Bronchitis. Nach 25 Tagen erzwungener Untätigkeit entschied er sich angesichts der Tatsache, daß er weder in ärztliche Behandlung kam, noch repatriiert wurde, dafür, auf eigene Kosten nach Italien zurückzukehren und verließ das Lager ohne Erlaubnis. Doch wir verfügen noch über weitere Kurzbiographien von Arbeitern, die von ihrem Arbeitsplatz wegliefen: Francesco Roman, im Jahre 1889 in Sequals in der Provinz Pordenone geboren, fuhr am 20. April aus Italien ab. Er gehörte zur Belegschaft der Straßenbaufirma Vittorio Marchioro. Mitte Mai konnte er wegen einer Infektion der Mundhöhle und der Entfernung von 6 Zähnen nichts mehr essen und wurde schwächer. Der deutsche Betriebsleiter der Firma Huta, zu der er abgestellt worden war, entließ ihn wegen mangelnder Leistung. Vergeblich verlangte er von seiner italienischen Firma eine weniger schwere Arbeit und versuchte ebenso vergeblich von der Arbeitsfront eine Genehmigung zu bekommen, um als Dolmetscher eingesetzt zu werden. In seiner Verzweiflung verließ er Ende Juni die Baustelle ohne Erlaubnis. Francesco Leonarduzzi, 1904 in Ragogna in der Provinz Udine geboren, verließ Italien am 25. April. Er war von der Firma Dotti eingestellt worden. Aber er hatte ein Magengeschwür, das nach 8 Tagen schlimmer wurde. Ais er außerdem noch eine Darminfektion bekam, beantragte er die Rückkehr nach Italien. Die Antwort traf knapp einen Monat später ein, direkt von Ingenieur Dotti, dem Firmenchef: „Er sagte mir, daß ich doch dorthin gegangen sei, wo ich hin wollte, und daß er mir den Paß nicht aushändigen würde und weil ich nicht arbeite, würde er mir keine Lebensmittelgutscheine mehr geben. Verzweifelt wie ich war, habe ich meine Koffer gepackt und habe mich in den Zug nach Tarvis gesetzt — ohne Paß." Am 3. Juli wird er dem Gefängnis von Udine überstellt. Aurelio Cardano, 1891 in Galliate in der Provinz Novara geboren, verließ Italien am 12. April. Er gehörte zur Firma Bertolotti & Malinverni. Nach zwei Monaten wurde er krank. Trotz einiger Tage Krankenlager konnte er nicht mehr weiter arbeiten. Am 24. Juni entschied er sich dazu, das Lager zu verlassen und in die Heimat zurückzukehren. Der Präfekt von Novara verlangte für ihn Polizeiaufsicht. Costantino Rosso, 1896 inVercelli geboren, aber wohnhaft in Galliate, war bereits ein erstes Mal von Mai bis November 1941 in Deutschland gewesen. Am 9. April 1942 ließ er sich ein weiteres Mal für Deutschland anwerben, diesmal von der Firma Bertolotti &C Malinverni, und kam nach Regisfel bei Heydebreck. Doch nach zweieinhalb Monaten hatte er Schmerzen im Bauchbereich und kam ins Krankenhaus. Von dort wurde er nach vier Tagen wieder entlassen, ohne daß eine Diagnose gestellt worden wäre. Die Schmerzen hielten jedoch an. Er bat die Firma, ihn nach Italien zurückzuholen, doch die Antwort fiel negativ aus. Daraufhin entschloß er sich, auf eigene Kosten zurückzukehren, und er verließ das Lager. Bei der Einreise nach Italien wurde er in Villach ärztlich untersucht. Dabei wurden ein Kräfteverfall und eine nicht näher präzisierte Darmkrankheit diagnostiziert. Am 7. August erfolgte eine Notoperation im Krankenhaus von Novara wegen einer Bauchfellentzündung, die durch einen Zahnstocher verursacht worden war, der die Darmwand durchbohrt hatte. Lazzaro Cacciaguerra, 1900 in Rontagnano in der Provinz Fori! geboren, wohnhaft in Cesena, war von der Baufirma Luigi Cidonio als Monteur für Eisenarmierungen eingestellt worden. In Deutschland hatte er jedoch Waggons zu entladen, obwohl ihm eine Niere fehlte. Ihm wurde eine leichtere Arbeit verweigert, und so verließ er das Lager. Für 6 Monate fand er eine neue Arbeit bei der ChemiefabrikTul (Wien).
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Sabatino Buccella, im Jahr 1914 in Cugnoli in der Provinz Pescara geboren, wohnhaft in Francavilla, war von der Firma Vesuvio eingestellt worden. Er verließ das Lager im Juni wegen des unzulänglichen Essens. Uber seinen Schwager fand er eine Anstellung bei B. R. Lagav 6 [sie] in Linz. Der 1902 in Fondi in der Provinz Latina geborene Michele Papparella wurde zusammen mit seinem Dorfgenossen Fortunato Moschitto von der Firma Giovanni Dotti eingestellt und in Oberschlesien eingesetzt. Im Juni flohen sie aus dem Lager wegen der schlechten Vertragskonditionen, der schweren Arbeit und des dortigen feuchten Klimas. Sie fanden eine neue Arbeit bei der Firma Soragva in Villach. Mitte September wurde Papparellas Flucht aus dem Lager in Oberschlesien auch in Villach belcannt und er wurde vor die Wahl gestellt, nach Heydebreck zurückzukehren oder ins Gefängnis zu gehen. Während er zur Baustelle zurückkehrte, zog er sich jedoch ein heftiges Fieber zu, und er war gezwungen, den Zug in Wien zu verlassen, wo er vier Tage in der Notaufnahme eines Krankenhauses verbrachte. Angesichts seines Gesundheitszustands erteilte ihm das Wiener Büro der italienischen Arbeitsdelegation die Genehmigung, nach Italien zurückzukehren. Doch die deutsche Polizei nahm ihn an der Grenze fest, weil ihm auf seinem Paß der Stempel der Arbeitsfront fehlte. Er kehrte daher nach Villach zurück, wo sie jedoch nichts davon hören wollten und ihn am Brenner der italienischen Polizei übergaben. Er wurde in das Gefängnis von Littoria überführt, sein nachweislich prekärer Gesundheitszustand ersparte ihm die Uberstellung in ein Internierungslager. Der 1913 in Vermiglio in der Provinz Trient geborene Luigi Mazzalai war von der Firma Conti eingestellt worden. Er verließ die Baustelle im Juli und suchte sich eine andere Arbeit beim Silvretta-Werk in dem in der (österreichischen) Region Vorarlberg gelegenen Flecken Dorf über Partenen im Montafon. [Die Ortsangabe, die der Arbeiter selbst gemacht hatte, lautete folgendermaßen: Dorf Ubert Panthenen Montafon Ostenarch Varalbierg.] Marino Flora, 1893 in Paluzza in der Provinz Udine geboren, verließ Italien am 13. April 1942 als Arbeiter bei der Firma Colombo. Er wurde in Heydebreck als Zimmermann beschäftigt, bis er am 2. November das Lager ohne Erlaubnis verließ und nach Leoben (in der Steiermark) abreiste. Er hatte nämlich an einen Freund, der dort bereits tätig war, geschrieben und fand über dessen Vermittlung eine Stelle bei der Firma Hitthaller, die ihm weitaus bessere Arbeitsbedingungen garantierte. Am 8. Januar 1943, während er sich auf Urlaub in Italien befand, wurde er polizeilich befragt und erklärte, er habe die Baustelle in Heydebreck wegen des Essens, der schweren Arbeit und der beschwerlichen Lebensumstände verlassen. Der Zimmermann Mario Cardano aus Galliate, der eine Frau und 5 Kinder unter 14 Jahren zu veTsorgen hatte und der am 8. Juli 1942 aus Heydebreck geflohen war, 4 2 9 hat mir folgendes erzählt: „Ich wurde am 11. August 1903 in Galliate geboren. Seit meiner Jugend war ich von sozialistischen Ideen geprägt. Ich ging nach Deutschland als Arbeiter der Firma Bertolotti & Malinverni, weil es hier wenig Arbeit gab, weil man wenig verdiente und weil die Familie groß war. 1941 habe ich in Bitterfeld als Zimmermann gearbeitet, mit einem Sechs-Monats-Vertrag. Ich erinnere mich noch daran, daß ich von dort 1.000 Lire oder vielleicht auch mehr pro Monat nach Hause geschickt habe, während ich hier — in Mailand arbeitend — höchstens 350 Lire pro Monat verdienen konnte. Und in Deutschland
4 2 9 Es ist mir gelungen, die ihn betreffenden Polizeiakten zu finden. Vgl. ACS, M i n . Int., DGPS, DAGR, Band 23.
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brauchte ich weniger zu arbeiten als hier, nicht wahr. Ich war den ganzen Herbst über in Bitterfeld, denn ich bin im Mai dorthin gefahren und erst im November wieder zurückgekommen. Dann bin ich ein paar Monate zu Hause geblieben und bin am 9. April 1942 nach Heydebreck abgereist. Aber dort mußten wir hungern. Der Unterschied in der Behandlung im Vergleich zu Bitterfeld davor war deutlich. In Bitterfeld hatten wir alles. So bin ich nur zweieinhalb Monate in Heydebreck geblieben, auch weil ich mit dem deutschen Chef nicht klarkam. Er schrie immer ,Das macht man so!' und ich ,Nein, das macht man so!'. Als dann der Luftalarm war, ging er mit den deutschen Arbeitern, die auf der Baustelle waren, in den Luftschutzkeller, während er die Italiener nicht reinließ, noch nicht einmal Andrea Bolla, den Vertreter der faschistischen Gewerkschaft. Und eines Tages habe ich mich mit dem deutschen Chef geprügelt. Aber dort, auch wenn du Recht hattest, hattest du am Schluß immer Unrecht. Also bin ich mit einem Fahrrad abgehauen. Ich habe mir die Räder genommen, ich habe sie nicht .geklaut', ich habe sie benutzt, und ich habe immer wieder eins stehengelassen und dafür ein anderes genommen, denn sie hatten ein Nummernschild. Ich habe das Fahrrad jeden Tag gewechselt. Und so bin ich bis nach Wien gekommen. Das hat, wenn ich mich recht entsinne, so drei Tage gedauert. Ich hatte Geld für den Zug gespart und deshalb hatte ich kein Geld nach Hause geschickt. Denn ich hatte sofort kapiert, daß ich es dort 6 Monate nicht aushalten würde. Und in Wien habe ich den Zug nach dem Brenner genommen. Als der Zug bereits in Italien war, haben sie mich festgenommen. Und dann bin ich für 40 Tage im Gefängnis von Novara gelandet. Einer meiner Onkel war Rektor des Seminars von San Carlo in Arona und über Frau Cronilde Musso bin ich dann freigelassen worden. Und so war die Sache zu Ende. Aus Heydebreck sind viele geflohen. Und der Bolla, der wie ich schon gesagt habe Vertreter der faschistischen Gewerkschaft war, hat uns viel geholfen." 430
430 Interview mit Mario Cardano am 11. 1. 1989. Vgl. auch die Kopie der Erklärung, die Mario Cardano gegenüber der Kgl. Präfektur Novara am 7. 7. 1942 gemacht hat: ACS, Min. Int., D G P S , DAGR, Band 23: Schreiben der Kgl. Präfektur Novara (Prot. Nr. 10249 PS.) an das Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Abteilung A.G.R., Rom, betr.: Nichtbeachtung der vertraglichen Verpflichtungen durch den Deutschland-Arbeiter Mario Cardano, Sohn des Francesco Cardano, geb. am 13. 8. 1903 in Galliate, hier wohnhaft, Schreiner. - In dieser Erklärung gab Mario Cardano natürlich nicht die wirklichen Gründe für seine Flucht an und sagte stattdessen: „Ich arbeitete zwei Monate lang, darauf fühlte ich mich krank, ein allgemeines Unwohlsein, ich stellte mich beim Arzt des Lagers vor, der mir einige Tage Ruhe verordnete. Ich nahm die Arbeit wieder auf, doch nach ein paar Tagen war ich gezwungen, wieder um eine Untersuchung zu bitten. Der Arzt schrieb mich wiederum ein paar Tage krank, danach kehrte ich an den Arbeitsplatz zurück. So ging das etwa drei Wochen lang. Danach fühlte ich mich vollkommen erschöpft und körperlich geschwächt, daß ich mich - weil sich das offizielle Verfahren für die Repatriierung verzögerte - dazu entschloß, auf eigene Kosten heimzukehren, und auch abreiste." - Es versteht sich von selbst, daß auch bei der Lektüre der Aussagen der anderen Arbeiter, die uns als Polizeiprotokolle vorliegen, darauf geachtet werden muß, daß - zumindest in einigen Fällen - bei den Arbeitern die Tendenz bestand, die wahren Gründe für die Flucht zu verdunkeln oder zumindest zu verschleiern, indem sie vor allem Krankheit oder wenigstens physische Entbehrungen hervorhoben wobei solche Elemente natürlich bei all diesen Arbeitern wegen der mangelhaften Ernährung in irgendeiner Form vorhanden waren.
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In manchen Fällen war der Aufenthalt im Gefängnis jedoch sehr viel länger als im Fall von Cardano. So schrieb Nunziata Bongiovanni in einem Bittbrief vom 14. Juli 1942 an Benito Mussolini: „Im Februar dieses Jahres entschied sich mein Ehemann, Rocco Di Carmine, der 8 Monate als Facharbeiter im Maschinenbau in Deutschland tätig war, seinen Arbeitsplatz zu verlassen, weil er angesichts eines Krankheitsfalls in der Familie keinen regulären Urlaub bekommen konnte. Er wurde an der Grenze verhaftet und nach Caltanisetta verbracht. Seit gut fünf Monaten befindet er sich nunmehr in Haft..." 4 3 1 Darüber hinaus landeten die vom Arbeitsplatz Geflohenen in verschiedenen Fällen, wie wir gesehen haben, in einem Internierungslager. Wenn die Arbeitsflucht aus Heydebreck einen größeren Umfang gehabt zu haben schien als in anderen Lagern, so heißt das nicht, daß die Situation in den anderen Lagern besser gewesen wäre. Das Lager, in dem die Lage relativ gut war, war das von Auschwitz: „In Auschwitz", berichtet Hans Deichmann, „ging es den italienischen Arbeitern gut, sie hatten schöne Baracken, die auf einer Anhöhe standen, von welcher aus man in einer Entfernung von einigen Kilometern das Konzentrationslager sehen konnte, über dem bereits der Rauch aus den Krematorien aufstieg. Und man wußte, daß das größte Konzentrationslager Deutschlands dort lag, aber man wußte noch nicht, was dort als Fabrik des Todes wirklich seinen Anfang nahm. Und die italienischen Arbeiter, die meistens kein einziges Wort Deutsch sprechen konnten, wußten aber doch alles über diese schreckliche Sache, die sie vor sich sahen. Und alle Informationen, die ich über das, was dort vor sich ging, erhielt, bekam ich anfänglich von den Italienern." Es hat tatsächlich den Anschein, daß nur wenige aus dem Arbeiterlager in Auschwitz geflohen sind. Die Polizeiakten, die ich gefunden habe, enthalten nur einen Fall von Lagerflucht. Man kann dem jedoch entnehmen, daß auch in Auschwitz die Verpflegung spärlich war. Giovanni Busicchia, der 1920 in Zenson di Piave in der Provinz Treviso geboren wurde und bei der Firma Martini beschäftigt war, kam am 16. April 1942 im Arbeiterlager Auschwitz an. Doch nach einem Monat intensiver Arbeit und spärlichem Essen, fühlte er sich nicht mehr dazu in der Lage weiterzuarbeiten und bat um eine ärztliche Untersuchung, die ihm jedoch verweigert wurde. So floh er am 29. Mai aus dem Lager, wurde aber in Villach festgenommen und in Tarvis der italienischen Polizei übergeben. Nach seiner Überführung in das Gefängnis von Treviso wurde er ärztlich untersucht. Dabei wurde festgestellt, daß er „stark geschwächt und anämisch ist, erhöhte Schulterblätter und einen Brustumfang von 72 cm aufweist und rascher Wiederherstellungsmaßnahmen bedarf'. 432 Zu diesem Zeitpunkt waren die Essenrationen im übrigen nicht nur auf den Baustellen schon äußerst spärlich und von schlechter Qualität. Ein V-Mann der Geheimpolizei meldete am 22. Mai 1941 aus Rom, daß auch in der Schwerindustrie ein nicht unbeträchtlicher Prozentsatz von ausländischen Arbeitern zurückgeholt wird
4 3 1 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, Band 25, Brief der Nunziata Bongiovanni aus Matera an Ihre Exzellenz Benito Mussolini, Rom, datiert 14. 7. 1942 - XX E.F. 4 3 2 A C S , M i n . Int., D G P S , D A G R , PS 1942, Band 3/B, Schreiben der Kgl. Präfektur Treviso, Prot. Nr. 8945, Div. 2a PS., vom 9. 6. 1942, an das Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Politische Abteilung, Rom, betr.: Giovanni Busicchia, Sohn des Romano Busicchia und der Maria Carrer, geboren am 20. 5. 1920 in Zenson di Piave, hier wohnhaft, Hilfsarbeiter.
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„wegen ihrer geringen Arbeitsleistung, die durch körperliche Schwäche oder durch das Fehlen von Vitaminen im Essen bedingt ist, oder weil die Arbeiter wegen der verlängerten Arbeitszeit von Krankheiten betroffen sind. Italienische Industriearbeiter sollen (...) nach Italien zurückgekehrt sein, weil sie von Darmkrankheiten und sogar von Skorbut betroffen seien."433 Auch wenn in Blechhammer eine wesentlich geringere Zahl von Arbeitern die Baustelle verläßt als in Heydebreck, so ist deren Zahl doch weitaus höher als in Auschwitz.434 Mauro Cardone, wohnhaft in Lavello in der Provinz Potenza, war von der Firma Epifani eingestellt worden, die jedoch die Lohnzahlungen für 45 Tage aussetzte. So floh er am 24. Mai 1942 aus dem Lager und verdingte sich als Maurer bei der Firma Ludwig Gallup in Berlin. Am 22. Juni wurde ihm ein Urlaub von 20 Tagen gewährt, um seine Familie aufzusuchen. Doch auf der Rückreise nach Deutschland wurde er in Verona verhaftet, nach Potenza zurückgeschickt und mußte dort unter Polizeiaufsicht leben. Auch der in Ripacandida (Provinz Potenza) wohnhafte Antonio Labriola, der ebenfalls von der Firma Epifani eingestellt worden war, verließ seinen Arbeitsplatz ohne Erlaubnis und wurde am 4. Juni in Tarvis verhaftet. Er gab an, er habe das Klima, die beschwerliche Arbeit und das geringe Essen nicht aushalten können und sei krank geworden. Er wurde in das Gefängnis von Potenza verbracht. Der 1904 in Castelnuovo Scrivia geborene Mario Chiodi kam auf dem Bauplatz mit weiteren 250 Arbeitern an, die aus der Provinz Alessandria stammten. Er mußte zusammen mit Engländern, Russen und Polen Arbeiten an den Kanalanlagen verrichten, wo er als Hilfsarbeiter beim Asphaltieren eingesetzt wurde. Nach zwei Monaten hielt er das spärliche Essen nicht mehr aus und verließ das Lager. Mit ihm ging Arturo Ginetto, der nicht krank geschrieben wurde und der sich am Tag vor der Flucht einen Vorschuß von 83,71 Mark hatte geben lassen und sich das Arbeitsbuch aushändigen ließ. Die beiden fanden Arbeit in Arbescian [sie] bei Villach, in dem Sägewerk des Italieners Fulzen de Zordo, aber bereits einen Monat später beschlossen sie, nach Italien zurückzukehren, weil auch dort das Essen äußerst knapp war. In Tarvis hielt die deutsche Polizei sie fest und übergab sie der italienischen Polizei. Sie wurden nach Italien verbracht und in Alessandria einem Verhör unterzogen. Mario Chiodi erklärte dabei unter anderem: „Ich bin reguläres Parteimitglied seit 1935, und ich habe am Krieg in Italienisch-Ostafrika als Schwarzhemd [in der Parteimiliz] teilgenommen. Ich bin Kriegsinvalide aufgrund einer Krankheit, die ich mir bei Ausübung meines Dienstes zugezogen habe. Während meines Aufenthalts in Deutschland habe ich mich nie um Politik gekümmert. Wir Italiener waren allesamt stolz darauf, Faschisten zu sein."435 Uber die Situation in Blechhammer gab uns der Genueser Agostino Pesante, vermutlich der faschistische Dolmetscher des Lagers, eine klare Auskunft. Am 8. Mai 1942 schrieb er an einen Freund: „Wir sind hier angekommen, so wie wir waren; es geht uns schlecht. Den Arbeitern geht es noch schlechter als uns und wir, die wir uns bemühen, ihre Situation zu verbessern, bekommen alle möglichen Beschimpfungen zu hören. Chaos von der Abfahrt bis zur Ankunft. Bis wann noch? 433 Vgl. ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223. 434 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1942, Band 3/B; ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 26. 435 Aus dem (bereits zitierten) Verhör von Mario Chiodi, ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 24.
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Verschiedene Arbeiter haben die Arbeitsstelle unberechtigterweise verlassen; trotz der vielen Anzeigen, die von der Führung der .Gruppe' vorgenommen wurde, sind sie weggegangen, um besser zu leben. Sie werden nicht zurückkehren. Andere wollen fliehen, wieder andere nach Italien zurückkehren, ich weiß wirklich nicht, wie diese Angelegenheit gelöst werden soll. Wir sind in einer Gegend, die unglücklicherweise fernab von der Stadt liegt, inmitten von Menschen aller Rassen; nur wegen dieser gesegneten deutschen Sprache bin auch ich hierher gekommen, aber wenn sich nicht wenigstens die Bezahlung ändert, wird es nicht von Dauer sein, und es wird nur dann überhaupt weitergehen, wenn ich etwas Besseres finde. Am nächsten Sonntag mache ich einen Ausflug nach Wien, um Freunde zu besuchen und um zu sehen, ob es dort auch etwas für mich gibt (...) Ich bin hier ohne einen Vertrag unterschrieben zu haben und daher kann ich mich eventuell auch freimachen und meiner Wege gehen. Bald wird Herr Secondo Parodi hier heraufkommen. Sobald ich aus Wien Bescheid habe, werde ich hier herumerzählen, daß jeder in der Baracke bleiben muß — aber ich bin in einem Zimmer in der nahen Stadt Cosel, ich habe so dafür gesorgt, mich der Überwachung durch meine Vorgesetzten zu entziehen, auch wenn es ihnen nicht gepaßt hat, denn der eine oder andere hat versucht, mich einzuschüchtern. Für die Gegend, in der wir uns befinden, und für die schwere Arbeit [die wir leisten] verdienen wir zu wenig. Unsere eigenen Vorgesetzten behandeln uns sehr schlecht und man sieht die Ausbeuter hier, die bereit sind, alles zu tun, sofern es nur ihren Interessen dient. Wenn ich weiter über die ganze Geschichte hier reden müßte, würde ich sehr viel Schlechtes sagen. Ich habe auch an den Federale [Parteichef einer italienischen Provinz] geschrieben und in einigen Tagen werde ich ihm weitere Neuigkeiten mitteilen. Die Arbeiter, die hierher gekommen sind und die nichts von besseren Plätzen wissen, werden sicher nicht nach Italien [in Urlaub] fahren, um darauf wieder hierher zurückzukehren. Sie werden ganz einfach zu Hause bleiben und -selbst wenn es sonst nichts wäre — zumindest nicht frieren müssen. Anfänglich ist es mir recht gut gegangen, denn über die Deutschen kann ich mich nicht beschweren. Sie haben uns sehr freundlich behandelt. Aber das Üble kam, als es um die Organisation ging. Die Arbeiter sind über uns hergefallen. Ihrer Meinung nach ist alles unsere Schuld, aber wir können nichts oder nur sehr wenig machen. Wenn ich könnte, würde ich auch das Unmögliche versuchen, um sie wenigstens etwas zufriedener zu sehen, denn die Mehrzahl von ihnen ist gut, sie lassen sich leicht überzeugen, aber sie haben fast immer Recht, wenn sie gegen eine Sache protestieren. Der italienische Arbeiter ist fleißig, ist sparsam, aber er empfindet auch seine Pflichten gegenüber der Familie, und an diese Dinge hätte man denken müssen vor der Abreise nach Deutschland. Der Arbeiter hier fühlt sich alleingelassen, ohne Zuspruch; und wenn die Dinge sich nicht ändern, fürchte ich, daß alles noch schlimmer enden wird." 436 Was die Ernährung der Arbeiter in Blechhammer angeht, so heißt es in einem Brief, den der Arbeiter Luigi Mela an seine Eltern schrieb, dazu folgendermaßen: „Wir essen nur einmal alle 24 Stunden, und zwar einen Teller Suppe und ein Stück Brot. Bei der Suppe, die es zwei- oder dreimal pro Woche gibt, handelt es sich um nichts ande-
4 3 6 ACS, Min. Int., D G P S , DPP, Band 223, Kopie eines Schreibens von Agostino Pesante, datiert: Blechhammer, 8. 5. 1942 / X X , an Berio.
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res als um ein paar Kräuter ohne irgendwelche Beilage. Und wenn man mit Essen fertig ist, hat man mehr Hunger als vorher. 24 Stunden lang nüchtern sein; ihr könnt euch vorstellen, welche Kraft man haben muß, um von morgens um 6 bis abends um 6 zu arbeiten. Wir arbeiten hier zusammen mit Polen, englischen Gefangenen, Bulgaren, Franzosen, Tschechoslowaken, politischen Häftlingen; um es kurz zu machen: wir sind mitten zwischen allen europäischen Rassen; das Tolle ist, daß wir Italiener, verbündet mit den Deutschen, am schlechtesten von allen gelitten sind. Wenn wir in die Stadt gehen, um ein Glas Bier zu trinken, bedienen sie erst alle Deutschen, dann zu vorgerückter Stunde bedienen sie uns, aber meistens antworten sie uns, daß es momentan nichts gibt, daß noch nicht einmal ein Zapfhahn da sei — und hier herrscht ein derartiger Hunger, daß viele von uns die Kartoffelschalen im Abfall suchen gehen. Ich mache das nicht, eher sterb' ich vor Hunger, aber Hunger hab' ich so viel, daß ich um 10 Uhr abends vor Schwäche nicht mehr laufen kann, und den ganzen Tag über ziehe ich die Beine nach wie ein Besoffener." 437 Zu den miserablen Ernährungs- und Arbeitsbedingungen kamen noch die beeindruckenden Lohnkürzungen hinzu, die die italienischen Firmen in Deutschland bei den Arbeitern vornahmen. Auch das italienische Innenministerium erhielt — vermutlich aufgrund der Meldungen Agostino Pesantes — Informationen über solche Vorgänge: „Die italienischen Firmen, die in Deutschland tätig sind (Ing. Giovanni Bay, Riccardo Parodi, Mantileo, Bernero & Traversa aus Genua) und die selbständig Arbeiter angeworben, eingestellt und nach Deutschland geschickt haben, genauer gesagt nach Blechhammer und Heydebreck (Schlesien), sollen seit einiger Zeit Anlaß zu starker Unzufriedenheit bei den Arbeitern gegeben haben, und zwar aufgrund von mangelhafter Vertragserfüllung, wegen Mißbrauch und Ausbeutung zum Schaden der Arbeiter. Dies konnte einigen Briefen entnommen werden, die der Zensur unterworfen wurden, sowie aus Hinweisen, die heimkehrende Arbeiter verschiedentlich gegeben haben. Vor allem wird der gravierende Unterschied beklagt, der zwischen den Löhnen besteht, die die deutschen Firmen an die italienischen Arbeiter zahlen, und den Löhnen, die die italienischen Firmen für die gleiche Kategorie von Bauarbeitern zahlen. Die Unterschiede und Ungleichgewichte sollen dadurch bedingt sein, daß den Arbeitern nicht die Summe ausgehändigt wird, die ihnen zusteht. Als Anlage wird eine Kopie einer Vierzehntagesrechnung beigefügt, die von der Firma Ing. Giovanni Bay erstellt worden ist. Diesbezüglich heißt es von Seiten der Arbeiter und der Angestellten, daß die Erhöhungen von 50 Prozent auf die Basislöhne und von 20 Prozent auf die Zusatzlöhne, die sich für die erste Lohngruppe auf 10.715,53 Mark und für die zweite auf 38.759 Mark belaufen, nicht an die Arbeiter ausgezahlt, sondern von den Firmen einkassiert würden. Demgegenüber sollen die Deutschen diese Summen zur Auszahlung bringen, damit sie den Arbeitern zugute kommen. So hänge die Zahlung vom Zufall ab. Was die Frage der .Beiträge' angeht, beklagt man die enorme Höhe der Summe, die den Arbeitern vom Lohn abgezogen wird (ζ. B. 724,40 Mark Abzüge an Lohnsteuer, während die Firma offenbar keinen Anteil davon zu tragen hat). Ebenfalls wird hervorgehoben, daß unter dem Titel .Beitrag Deutsche Arbeitsfront' innerhalb von 14 Tagen den
437 Ebenda, Kopie eines Schreibens von Luigi Mela.
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Arbeitern 360,75 Mark abgezogen wurden, ohne daß den Firmen ein Teil der Abzüge abverlangt worden wäre. Aus den obengenannten und den in der Ubersicht befindlichen Zahlenangaben will man den enormen Verdienst herauslesen, den die Firmen machen, und man leitet daraus ab, daß die Arbeiter einer echten Ausbeutung unterworfen seien - im Unterschied zu dem, was sich bei den deutschen Firmen ereignet. Zweitens sollen die obengenannten Firmen — im Gegensatz zu dem System, das für alle italienischen Arbeiter, die in Deutschland beschäftigt sind, gilt (die Arbeiter haben mittels der Banca Nazionale del Lavoro immer selbst für die Uberweisung ihrer Ersparnisse gesorgt — und zwar über einen besonderen Bankausweis, der an jeden Arbeiter ausgegeben worden ist...) — die Arbeiter zur Unterzeichnung eines Formulars veranlaßt haben, das in Kopie beigefugt ist. Mit Hilfe dieses Formulars, das den Bankausweis für ungültig erklärte, haben die Firmen direkt für die Uberweisungen der Lohnersparnisse gesorgt, über die die Arbeiter keine Kontrolle mehr hatten und die mit enormen Verspätungen bei den Familien ankamen. Daher rühren auch die Proteste von Seiten der Familien, die in dauernder Bedrängnis leben. Absolut ungenügendes Essen, das aus einer Art Suppe ohne Einlage besteht, aus wenig schlechtem Brot und aus äußerst wenig Wurst. Darüber hinaus wird auch das Faktum beklagt, daß die Arbeiter nach der Arbeit gezwungen seien, etwa zwei Stunden lang in der Schlange zu stehen, um auf die Verteilung der Essenration zu warten, während die Verteilung in den deutschen Arbeitslagern mittels entsprechender Eßnäpfe in den Baracken erfolgt. Es scheint, daß die Unterkünfte der Arbeiter, die von den genannten Firmen eingestellt worden sind, wie es heißt, nicht besser sind. Sie sollen zum Schlafen in Baracken und schmutzigen Barackenlagern, die kurz vorher von Kriegsgefangenen freigemacht worden sind, untergebracht worden sein, weil die Firmen nicht, wie es vorgeschrieben war, für die Errichtung entsprechender Baracken gesorgt haben, die mit Einrichtungen für Hygiene und Sauberkeit versehen sind, wie diejenigen, die in den deutschen Lagern Anwendung finden. All der Dinge wegen, die hier ausgeführt wurden - und deren Richtigkeit könnte über entsprechende Nachforschungen festgestellt werden - soll die Mehrzahl der Arbeiter - so heißt es — mit allen Mitteln versuchen, entweder in die Heimat zurückzukehren oder sich von deutschen Firmen in anderen Gegenden Deutschlands einstellen zu lassen, um nicht unter diesen Bedingungen leben zu müssen. Es dürfte in Zukunft schwierig sein, einen Arbeiter zu finden, der bereit ist, als Beschäftigter einer italienischen Firma nach Deutschland zu gehen." 438 Dieser Text, der dem Ministerium durch den Stellvertretenden Kommissar Dr. Rinaldi aus Mailand zugeschickt wurde, wurde daraufhin dem Polizeichef Bocchini und dem Präsidenten der Faschistischen Föderation der Bauunternehmer im Hoch- und Tieflau sowie verwandter Industrien, Ing. Aurelio Aureli, zur Kenntnisnahme zugestellt und mit folgendem Kommentar versehen: „Nachdem er von diesem Bericht Kenntnis genommen hat, hat der Duce hervorgehoben, daß er — obwohl er selbst den Transfer von Arbeitern nach Deutschland ermuntert 438 Ebenda, Band 223, Brief vom 17. 10. 1942 aus Mailand an das Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Abteilung Politische Polizei, Rom, Prot. Nr. 02978, Anlage 5, betr.: Arbeiter, die für italienische Firmen in Deutschland eingestellt worden sind.
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hat - doch niemals vermutet hätte (sofern die oben angegebenen Nachrichten der Wahrheit entsprechen), daß die Arbeiter in ihren Löhnen so beschnitten werden und sich bei der Beschaffung der Notwendigkeiten des täglichen Lebens dermaßen selbst überlassen bleiben. Der hiesigen Föderation mögen die Nachforschungen und die eventuell angebrachten Maßnahmen mitgeteilt werden." 439 O b es „Nachforschungen" gab, konnte ich nicht feststellen, aber es wird deutlich, warum es gerade in Blechhammer am 10. Oktober 1942 zu einem richtigen Aufstand kam: Seit August 1942 verschärfte sich die Unduldsamkeit bei den Arbeitern, die auf den Baustellen der I. G. Farbenindustrie und der Hydrierwerke tätig waren, erheblich. Dies betraf die Lager Hechtgraben (2.572 Arbeiter), Blechhammer (3.119 Arbeiter) und Auschwitz (1.155 Arbeiter), also alle Lager, die unter der Leitung des italienischen Baufirmenkonsortiums standen. Die Arbeiter waren der Meinung, daß ihnen nach sechs Monaten Arbeit rechtlich einige Ferientage zustünden und daß ihnen dies verheimlicht worden sei. In Wirklichkeit hatten die Arbeiter, auch wenn sie bereits seit sechs Monaten in Deutschland arbeiteten, einen Vertrag, dessen Laufzeit am 10. April 1942 begann, also zwei Monate nachdem sie ihre Tätigkeit aufgenommen hatten. Daher hatten sie juristisch gesehen erst am 30. November Recht auf Urlaub. Dies war vereinbart worden, um zu vermeiden, daß vor Ablauf des Arbeitsvertrags unternommene Urlaubsreisen nach Italien bezahlt werden mußten. Außerdem sollte das Risiko ausgeschaltet werden, daß die Arbeiter den Urlaub dazu benutzen würden, in Italien zu bleiben und nicht nach Deutschland zurückzukehren. Am 10. Oktober weigerten sich 85 Arbeiter des Lagers Blechhammer, die bei den Hydrierwerken zu Arbeiten von besonderer rüstungswirtschaftlicher Bedeutung eingesetzt waren, zu ihrer Arbeitsstelle zu gehen. Sie forderten statt dessen, ihre Reise nach Italien antreten zu dürfen. Am 15. Oktober begaben sich der italienische Gewerkschaftsinspekteur und der Vertreter des Kattowitzer DAF-Büros sowie ein Vertreter der italienischen Delegation in Berlin in die Fabrik. Es gelang ihnen, die Mehrheit der Streikenden zur Wiederaufnahme der Arbeit zu überreden. Aber 19 Arbeiter, alle aus der Provinz Foggia, führten den Streik fort und blieben in ihren Baracken. Sie wurden von der Gendarmerie in das Gefängnis des Barackenlagers gesteckt und schließlich der italienischen Polizei am Brenner übergeben. 440 Es handelte sich um Antonio Longo, 1906 in San Giovanni Rotondo in der Provinz Foggia geboren, um Rodolfo D'Alessandro, 1906 in Gepito geboren, um Vincenzo Rossi, im Jahr 1900 in Casalnuovo Montegiovanni geboren, um Michele Delmastro, 1901 in San Giovanni Rotondo geboren, um Matteo Millonico, 1903 ebenfalls in San Giovanni Rotondo geboren, um den im Jahre 1908 in San Giovanni Rotondo geborenen Michele Diorio, um den ebenfalls dort geborenen Michele Cisternini (Jahrgang 1901), um Francesco Landi, 1901 in Rocchetta Sant'Antonio gebo-
439 Ebenda, Kopie eines Schreibens vom 14. 11. XXI, gez. Der Chef der Polizei, Prot. Nr. 34747, Persönlich, Einschreiben per Eilbote, an den Ingenieur Ritter Aurelio Aureli, Präsident der Federazione Nazionale Fascista Costruttori Edili, Imprenditori di Opere e Industriali Affini, Piazza SS. Apostoli 73, Rom. 440 Vgl. ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 24, Schreiben des Korporationsministeriums. Kommissariat für Migration und Kolonisierung. Abteilung Auslandsmigration, Prot. Nr. 11/19994/E. 18/ E. 18/7, vom 8. 1. 1943, an das Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Abteilung A.G.R., Rom, betr.: Polizeiliche Maßnahmen - Verhaftung von 19 Arbeitern im Lager Blechhammer (Kattowitz) sowie Kopie des Berliner Schreibens vom 31. 10. 1942 (IV D 3 b - 3279/49), betr.: Arbeitsflucht von italienischen Arbeitern von den Baustellen in Blechhammer.
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ren, um Pasquale Leone, 1901 in Biccari geboren, um Vincenzo Roberto, 1909 in Bovino geboren, um Matteo Fiorentini, 1906 in San Giovanni Rotondo geboren, um Antonio Zaurrini, 1900 in [unleserlich] geboren, um Paolo Mastrangolo, 1906 in Lesina geboren, um Alfonso Parente, 1907 in Santa Maria Nuova geboren, um Giovanni Cera, 1904 in Bovino geboren, um den 1913 in Sant'Agata di Puglia geborenen Luciano Orlandelli, um den 1907 in Apricena geborenen Amedeo Fontana, um den 1906 in Torremaggiore geborenen Nicola Sacconi sowie um den 1906 in Lesina geborenen Matteo Rocco Parigino. 441
22. Die Zwangsverpflichtungen Mit dem Eintritt Italiens in den Krieg wurden die wehrpflichtigen Jahrgänge — mit Ausnahme einer Maximalzahl von 10.000 Arbeitern, wie bereits geschildert — von der Anwerbung für die Arbeit in Deutschland ausgeschlossen. Aber die Möglichkeit, von einem Moment zum anderen einberufen zu werden, stellte für viele derjenigen, die vor 1910 geboren waren, eine Triebfeder dar, nach Deutschland zu gehen und dadurch eventuell in den Genuß einer „Unabkömmlichstellung als zeitweise im Ausland wohnhafter Arbeiter" zu kommen. 4 4 2 Der im Jahr 1915 in Rom geborene Romeo Chiovenda, ein Maurer, der zuerst in Bremen für verschiedene Firmen arbeitete, die Bunker bauten, und der darauf von April bis September 1941 in einer Raffinerie arbeitete, erzählte im nachhinein, daß er nach Deutschland gegangen sei, weil „man ständig erwartete, daß sie dich einberufen, um Soldat zu werden, und beim Arbeitsamt gab es einen Anschlag, daß man nach Deutschland als Arbeiter gehen könne und dadurch auch vom Militärdienst befreit sei, weil die, die in Deutschland waren, nicht gleichzeitig Soldat sein konnten. Es gab ein Gesetz, das sie für diejenigen Geburtsjahrgänge gemacht hatten, die sie als Reserve hielten. Ich arbeitete auf dem Flughafen Centocelle als Maurer. Und so haben sie mich militärisch als Arbeiter verpflichtet, weil sie Leute brauchten, die auf dem Flughafengelände arbeiteten: ,Schau, du bist jetzt militarisiert, jetzt kannst du nicht mehr weg, aber dafür geben wir dir ein Uniformabzeichen als Unteroffizier'. Aber sie haben wenig bezahlt. So hab' ich zum Feldwebel gesagt: »Aber Feldwebel, was bedeutet mir schon so ein Abzeichen als Unteroffizier. Was soll das darstellen? Wenn ich arbeiten soll, dann müßt ihr mir einen Lohn geben, der üblich ist. Wenn nicht, dann geh' ich dahin, wo es mir gefällt.' ,Aber du bist militärisch verpflichtet!' ,Das ist mir völlig egal.' Darauf ist er zu mir nach Hause gekommen, um mich einzuberufen und hat gesagt, daß ich dorthin gehen muß, weil ich sonst bestraft würde. In Deutschland haben sie statt dessen einen richtigen Vertrag gemacht, sie haben dir gesagt: du verdienst soundsoviel in der Stunde — und gleichzeitig gab es diese Leute, die sagten, daß es sich lohnt ('In sechs Monaten bring' ich ein ganz schönes Sümmchen zusammen'). Und so zog man vor, nach Deutschland arbeiten zu gehen (aber das war kein Spaß, du hattest jeden Abend die Bomben über dir), als in Italien zu bleiben. Deshalb übertrat man das Gesetz. Und so war mein ganzer Jahrgang dort." 443 441 Die Namen der durch polizeiliche Anordnung Repatriierten gehen aus dem gerade zitierten Schreiben vom 31. 10. 1942 hervor. 442 Aus einem Rundschreiben des Innenministeriums vom 11. 12. 1941 (Prot. Nr. 300/112168). 443 Interview mit Romeo Chiovenda in Rom am 13. 7. 1988. Aufzeichnung und Recherche durch Mauro Mattozzi.
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Zwangsverpflichtungen
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Celeste del Farra, 1910 in Ponte delle Alpi geboren, ging aus dem gleichen Grund im Jahr 1941 nach Bremen, wo er als Zementarbeiter tätig war: „Es kamen andauernd die Einberufungskärtchen an. Man bemühte sich um die Erlaubnis und den Paß zu bekommen, um wegzugehen. Aber es ist gut gegangen und so bin ich abgereist. Mein Jahrgang war stets den Einberufungen unterworfen und tatsächlich haben sie mir zu der Zeit, als ich in Deutschland war, den Einberufungsbefehl nach Hause zugestellt. So hab' ich in Bremen vierzehneinhalb Monate verbracht." 444 Mit dem Gesetzesdekret vom 24. Mai 1940 war die Einberufung von „Zivilverpflichteten" oder „Zwangsverpflichteten" möglich geworden. Sie betraf all diejenigen, die zwischen 18 und 55 Jahren alt waren, wurde aber vor dem Februar 1942 nur in einigen wenigen Fällen zur Anwendung gebracht. Egidio Baraldi hat dazu in bezug auf die Provinz Reggio Emilia folgendes festgestellt: „Aus 1208 Berichten von Arbeitern aus der Provinz Reggio Emilia, die nach Rückkehr der Arbeiter aus Deutschland bei Kriegsende angefertigt worden sind, weil die Betreffenden in den Genuß der Vergünstigungen gelangen wollten, die den sogenannten .Zivildeportierten' zustanden, geht hervor, daß etwa Hundert Arbeiter zwangsverpflichtet worden waren. Bei etwa einem Dutzend war dies vor dem 8. September 1943 geschehen, bei einigen vor dem Februar 1942. Es waren Personen, die nicht den Einberufungsjahrgängen angehörten und die die Zwangsverpflichtungskarte erhalten hatten. In einigen Fällen war die Zwangsverpflichtung von den Behörden vorgeschlagen worden, sei es weil die Betreffenden Antifaschisten waren, oder sei es auch nur weil sie irgendeiner höhergestellten Person des Ortes mißliebig waren. Man muß bedenken, daß die Betreffenden auf dem Dorf lebten, in kleinen Gemeinden, wo die Leute alles voneinander wissen. Einer der Zwangsverpflichteten hat ζ. B. erklärt, sein Name sei den Behörden deswegen genannt worden, weil er dem faschistischen Ortsbürgermeister mißfallen hatte. Darauf sei er zwangsverpflichtet worden. Einige der Zwangsverpflichteten hatten sich zum örtlichen Parteibüro begeben, um dort vorstellig zu werden, weil sie Familie hatten — doch es wurde ihnen bedeutet, wenn sie nicht freiwillig gingen, würde Zwang angewandt." 4 4 5 Zwangsverpflichtungen wurden in massiver Form seit dem Februar 1942 vorgenommen und als Maßnahme eingesetzt, um die Arbeiter dazu zu bringen, die Abreise nach Deutschland zu akzeptieren. Selbst in Kreisen der faschistischen Gewerkschaften hieß es, daß diese Maßnahme „angeordnet werde, um die Arbeiter und Bauern dazu zu bringen, sich nach Deutschland zur Arbeit zu begeben", 4 4 6 und dies in einem Moment, in dem sich die Anwerbung „als schwierig erweist, weil die Arbeiter nicht dorthin gehen wollen". 4 4 7 Denn als Deutschland mit aller Dringlichkeit 36.000 italienische Bergarbeiter für die deutschen Kohlebergwerke anforderte und dabei drohte, widrigenfalls die Brennstofflieferungen nach Italien einzustellen, erwies sich der Einsatz der „Zwangsverpflichtung" als unvermeidlich. Ein V-Mann der Politischen Polizei schrieb diesbezüglich: „Italien hat kein so großes Kontingent an Bergleuten, aber die Sache ist dringend und es wird bekräftigt, daß man in kurzer Zeit diesen Beitrag zur Arbeit leisten wird." 4 4 8 444 445 446 447 448
Interview mit Celeste Del Farra. Interview mit Egidio Baraldi in Reggio Emilia am 26. 10. 1989. ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Rom, den 6. 3. 1942. Ebenda, Rom, den 16. 3. 1942. Ebenda, Mailand, den 17. 3. 1942.
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Um dem Bedarf an Arbeitskräften für die Bergwerke nachzukommen, mußte man, so der Minister Lombrassa, „angesichts des Fehlens von speziell dafür geeigneten Arbeitern" 449 an die „Bereitschaft von solchen Arbeitern [appellieren], die im Besitz der entsprechenden physischen Voraussetzungen sind und die eine entsprechende Leistung bei den Arbeiten unter Tage, für die sie bestimmt sind, garantieren können". 450 Sie sollten vor allem aus den Arbeitslosen ausgewählt werden, dann aus Arbeitern, die im Baugewerbe und in den benachbarten Industrien tätig waren, und schließlich aus Gesellen und Arbeitern, die in den anderen Betrieben arbeiteten, vor allem, wenn dort Kurzarbeit vorherrschte und die Arbeitszeit für die Übriggebliebenen daher in der Folge heraufgesetzt werden konnte. Im Juli wurden die beim Bau von neuen Hydrieranlagen eingesetzten Arbeiter von der Anwerbung ausgenommen. 451 Um die Anwerbung für die Bergwerke sicherzustellen, wurden im April auch die Reservisten der Jahrgänge 1906, 1907 und 1908 für den Arbeitsdienst mobilisiert, sofern sie nicht den Gebirgsjägern oder speziellen Kategorien von Funkern oder Kraftfahrern angehörten. 452 Wie ein V-Mann der Politischen Polizei erklärte, „soll es sich bei all diesen Arbeitern um Personen handeln, die bislang noch nicht zu den Waffen gerufen worden sind. Angesichts der geringen Ergebnisse der Freiwilligenwerbung für den Arbeitsdienst in Deutschland, soll sich die italienische Regierung unter dem ständigen Drängen der deutschen Regierung dazu entschieden haben, für die zivile Mobilisierung die gleichen Kriterien anzuwenden wie für die militärische Mobilisierung und hat die durch den Verbündeten angeforderten Arbeiterkontingente nach Jahrgängen einberufen." 453 Darüber hinaus wurden aus der Reihe der Arbeitslosen wie der Arbeiter, die bei Firmen beschäftigt waren, die nicht zu rüstungswirtschaftlichen Hilfsbetrieben erklärt worden waren, die Wehrpflichtigen herausgezogen, die den Jahrgängen zwischen 1909 und 1916 angehörten, sofern sie eine sitzende Tätigkeit ausgeübt hatten oder keine militärische Ausbildung erfahren hatten. Aus den rüstungswirtschaftlichen Hilfsbetrieben konnten außerdem die wehrpflichtigen Reservisten herausgezogen werden, die von den Einberufungen ihrer Jahrgänge ausgenommen und statt dessen dem Fabbriguerra zur Verfügung gestellt worden waren und daher zum damaligen Zeitpunkt unabkömmlich gestellt waren oder — vorübergehend oder dauerhaft — zum Stab abkommandiert waren. 454 Es handelte sich unter anderem um eine Anwerbung, die nur in den Provinzen Nord- und Mittelitaliens vorgenommen wurde, wobei allerdings nicht
449 A C N , Bestand Präfektur, Abteilung Kanzlei des Präfekten, Band 42, Schreiben des Korporationsministeriums. Generaldirektion fiiir Arbeit und soziale Vorsorge, Prot. Nr. 2007/240 G.B., Rom, 26. 4. 1942, an die Präfekten des Königreichs, betr.: Anwerbung von Arbeitern für die deutschen Kohlenbergwerke (originalgetreue Abschrift). 450 Ebenda. 451 A C N , Bestand Präfektur, Abteilung Kanzlei des Präfekten, Band 42, Schreiben des Korporationsministeriums. Generaldirektion für Arbeit und soziale Vorsorge, Prot. Nr. 3266, Rom, 4. 7. 1942, an das Korporativinspektorat von ...", betr.: Anwerbung von Arbeitern für Deutschland. 452 Ebenda, Schreiben des Korporationsministeriums. Generaldirektion für Arbeit und soziale Vorsorge, Prot. Nr. 2007/240 G.B., Rom, 26. 4. 1942. 453 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Rom, den 16. 4. 1942. 454 A C N , Bestand Präfektur, Abteilung Kanzlei des Präfekten, Band 42, Schreiben des Korporationsministeriums. Generaldirektion fur Arbeit und soziale Vorsorge, Prot. Nr. 2007/240 G.B., Rom, 26. 4. 1942.
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nur die Provinzen Bozen, Fiume und Pola ausgenommen wurden, sondern auch alle Analphabeten unter den Arbeitern. In den gemischten deutsch-italienischen Kommissionen, die damit beauftragt waren, die physische Eignung der Arbeiter für eine Tätigkeit in den deutschen Bergwerken definitiv festzustellen, bestanden die deutschen Vertreter aufgrund der bestehenden Vereinbarungen darauf, „daß Arbeiter, die angeben, daß sie sich nicht freiwillig nach Deutschland begeben, von den zu erstellenden Listen nicht länger ausgeschlossen werden dürfen. Für die Arbeiter, die sich nicht bei den gemischten Kommissionen gemeldet oder die ihre Anwerbung für Deutschland nicht akzeptiert haben, müssen die zuständigen faschistischen Provinzunionen der Industriearbeiter die entsprechenden Namenslisten erstellen und sie den Präfekten zustellen, die [gleichzeitig] Präsidenten des Provinzrats der Korporationen für die individuelle Zwangsverpflichtung sind." 455 Die „Zwangsverpflichtung derjenigen, die sich nicht freiwillig nach Deutschland begeben wollen", 456 schien also nicht ausreichend zu sein, um von sich aus das Gelingen der Anwerbemaßnahmen zu garantieren - wenn es wahr ist, was der römische V-Mann der Politischen Polizei bekräftigte, nämlich daß das Korporativinspektorat des Korporationsministeriums „unter Einsatz von Zwangsmechanismen verschiedene Unternehmer dazu ermahnt haben soll, von den Arbeitern nicht mehr acht, sondern zehn und zwölf Stunden Arbeit pro Tag zu verlangen, ohne ihnen die Uberstunden zu bezahlen. Auf diese Weise sollen die Arbeiter gezwungen werden zu kündigen (eine Beschwerde bei der zuständigen [faschistischen] Gewerkschaft soll aus dem gleichen Grund erfolglos sein) oder den Weggang nach Deutschland zu akzeptieren." 457 Daß die Anwerbungen keineswegs leicht vor sich gingen und nur am Rande auf Freiwilligkeit beruhten, wurde unter anderem durch einen faschistischen Funktionär bestätigt, der im Zug von Trient nach Bozen folgendes erzählte (er bezog sich auf den Zeitraum, der den jüngsten Abkommen unmittelbar vorausging, als die Deutschen wünschten, daß aus Italien nur freiwillige Arbeiter nach Deutschland kommen sollten): „Im letzten Monat kam ein Eilbrief aus dem Zentrum, in dem die sofortige Mobilisierung von 400 Arbeitern aus der Provinz Trient gefordert wurde, die nach Deutschland geschickt und in den Bergwerken eingesetzt werden sollten, weil es äußerst dringlich sei, diesen Brennstoff abzubauen, den die uns verbündete Nation uns sonst nicht mehr aushändigen könne. Also zogen wir schnell Arbeiter aus einigen Firmen heraus, zogen wir andere aus weiteren Firmen heraus, am Schluß haben wir es unter großer Anstrengung geschafft, die geforderten Arbeiter aufzutreiben. Wir haben sie einer entsprechenden deutschen Kommission zur Verfügung stellen müssen, die die Arbeiter nach der Gesundheitsprüfung an ihren Bestimmungsort schicken sollte. Bei der Übergabe haben wir der Kommission erklärt, daß es uns nur mit großer Mühe — trotz der hohen Löhne und der versprochenen Prämien — gelungen ist, die gewünschten Arbeiter zu finden. Doch sie werden mit dem Bemerken zurückgewiesen, daß sie keine Zwangsarbeiter gewollt hätten, sondern ausschließlich Freiwillige, es täte ihnen leid, aber sie könnten sie nicht nehmen. Und von 400 Arbeitern, die unter so großer Mühe zusammengeklaubt wurden, 455 Ebenda. 456 Ebenda. 457 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Rom, den 28. 3. 1941.
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weißt du, wieviel darauf noch den Antrag stellten, nach Deutschland zu gehen? Nur 21, wobei fünf weitere nicht durch das Sieb der ärztlichen Untersuchung gekommen sind!" 4 5 8 Und unter diesen 21 „Freiwilligen" gab es sicherlich auch solche, die gezwungen waren zu emigrieren, weil ihnen im Fall der Weigerung mit der Kündigung oder der militärischen Einberufung gedroht worden war, selbst wenn es sich um einen älteren Einberufungsjahrgang handelte. Die Schwierigkeiten bei der Anwerbung waren jedenfalls so groß, daß der Polizeichef Senise am 3. Juli 1942 folgendes Telegramm an alle Präfekten des Königreichs — mit Ausnahme der Provinzen Sardiniens — und an den Quästor von Rom schickte: „Grenzstation 300/71624 Stop Angesichts Notwendigkeit Abtransport Bergarbeiter Deutschland zu verstärken, wird gebeten, für Kategorie Bergarbeiter bei Paßgesuchen gegenüber Vorstrafen großzügige Untersuchungskriterien anzuwenden Stop Eventuelle Zweifelsfälle sollen hiesigem Ministerium mitgeteilt werden für endgültige Bestimmun«459
gen. Bei meinen Nachforschungen habe ich einige Interviews mit Zwangsverpflichteten geführt bzw. Äußerungen von solchen zusammengetragen. Giuseppe Bazzoni, 1909 in Prato Sesia geboren, ehemaliger Bersagliere und Arbeiter in einer Textilfabrik seines Heimatortes, „er arbeitete bei Botto, aber er arbeitete, sie waren nicht arbeitslos. Er half beim Waschen und mußte die Manschetten machen, er war also ein Facharbeiter. Eines Tages sind die Faschisten von Romagnano Sesia in die Fabrik gekommen und haben zu ihm und zu anderen gesagt, daß sie in einigen Tagen nach Deutschland zum Arbeiten gehen müßten. Darauf haben sie gesagt: ,Nach Deutschland gehen wir nicht. Soll das ein Scherz sein? Ich bin hier fünf Minuten von zu Hause weg, ich komme und gehe zu Fuß zur Arbeit ( . . . ) ' ,Oh nein, ihr müßt gehen, sonst verliert ihr euren Arbeitsplatz.' Und Bazzoni erzählte: ,Ich bin ,freiwillig' nach Deutschland gegangen: sie haben mich abgeholt in der Fabrik, eingepackt.' Sie haben ihm gesagt, entweder müsse er gehen oder er würde seinen Arbeitsplatz verlieren. Und so ist er gegangen, weil er Frau und Tochter hatte. Und im November sind er und die anderen abgereist, um im Bergbau zu arbeiten." 4 6 0 Giuseppe Rossin, 1913 in Romagnano Sesia geboren, Schreiner bei der Papierfabrik Burgo, erlitt ein ähnliches Schicksal. Er reiste im November 1942 ab, arbeitete in Bergwerken in Merlenbach, Felsen und Luisenthal und konnte erst im Juni 1945 wieder nach Italien zurückkehren: „In der Papierfabrik gab es die Zivilmobilisierung, und ich bin daher mit der Einberufungskarte abgereist. W i r waren insgesamt 17, dazu Pozzi und Bazzoni von der Wollspinnerei Botto. Der Direktor der Papierfabrik hat zu mir gesagt: ,Ihr werdet den Beruf ausüben, den ihr hier zu Hause macht. Du wirst den Schreiner oder Zimmermann machen.' Aber er hat mir gewiß nicht gesagt, daß es ins Bergwerk geht." 461 Der 1908 in Gozzano geborene Polierer und Sägewerker Mario Giacomoni, der zusammen mit Rossin abreisen mußte, erinnerte sich: 4 5 8 Ebenda, Bozen, den 2. 5. 1942. 4 5 9 Ebenda, Innenministerium. Generaldirektion Polizei, Abteilung Grenzfragen und Transporte: chiffriertes Telegramm, Rom 3. 7. 1942, an die Präfekten des Königreichs (mit Ausnahme der Provinzen Sardiniens sowie des Quästors in Rom). 4 6 0 Interview mit Daniela Dell'Occhio, die den Bazzoni sehr gut kannte, in Prato Sesia am 26. 12. 1988. 4 6 1 Interview mit Giuseppe Rossin am 24. 5. 1989.
Formen illegaler und selbstgewählter Mobilität
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„Sie wollten Leute haben. Sie sagten, entweder Soldat oder ab nach Deutschland. Also habe ich mich beim Arbeitsamt eingeschrieben." 462 Und Egidio Baraldi bemerkte ferner, daß „sich das Phänomen der Zwangsverpflichtung nach dem 8. September 1943 vermutlich verstärkt hat. Die Maschinenfabrik in Reggio hatte etwa 9.000 Beschäftigte und stellte Flugzeuge für den Krieg her. 1944 mußten sich zahlreiche Arbeiter, die Probestücke herstellten, sowie besonders qualifizierte Dreher und Fräser nach Deutschland begeben. Die Betriebsleitung stimmte zu, daß sie dort für maximal 4 Monate arbeiteten und bestimmte sie per Anordnung dazu, nach Deutschland zu gehen, da sie abhängig Beschäftigte waren. Viele erklärten, daß sie aufgrund des Einsatzes der Betriebsleitung hätten zurückkehren können, aber andere kehrten erst 1945 zurück, nach der Befreiung."
23. Formen illegaler und selbstgewählter Mobilität bei den Arbeitern Unstimmigkeiten am Arbeitsplatz, der Wunsch, in weniger bombengefährdeten Zonen zu arbeiten, besser bezahlte Tätigkeiten auszuüben, bessere Ernährungsbedingungen vorzufinden usw., gaben Anlaß zu Formen individueller und selbstbestimmter Wanderung innerhalb Deutschlands. Daß die faschistischen Gewerkschaftsbüros in Deutschland in vielen Arbeitslagern ausgesprochen schlecht funktionierten, war ein weiterer Grund, der zum Anwachsen dieser „Protestwanderung" beitrug. Ein V-Mann aus Wien berichtete am 22. Januar 1942 in deutlichen Worten, daß „viele Arbeiter sich weigern, bei dem italienischen Büro vorzusprechen, sie versuchen auf jede Art und Weise, seiner Überwachung auszuweichen, sie halten sich vollkommen fern von italienischen Behörden im allgemeinen, sie suchen in der Mehrzahl der Fälle selbständig eine Arbeit, eine Arbeit ohne die notwendigen Genehmigungen durch die zuständigen Behörden und dies aus Furcht, zwangsweise repatriiert zu werden, wie es jüngst in vielen Fällen geschehen ist. Angesichts der großen Nachfrage nach Arbeitskräften ist es für diese Arbeiter nicht schwierig, eine Arbeit zu finden, aber weil sie (...) sich nicht bei den italienischen Büros vorstellen, können sie keine regulären Arbeitspapiere bekommen. Daher kommt es vor, daß sie, nachdem sie eine Weile an einem bestimmten Platz gearbeitet haben, diesen verlassen müssen, weil ihnen die vorgeschriebenen Papiere fehlen. Folglich suchen sie sich eine andere Arbeit und vagabundieren auf diese Weise von einem O r t zum anderen, wobei sie den örtlichen Behörden erhebliche Mühe bereiten." 463 Es m u ß sich hierbei um ein Phänomen gehandelt haben, das bei den italienischen Arbeitern einen gewissen Stellenwert hatte, auch wenn es nicht massenhaft verbreitet war. Die mündlichen Zeugenaussagen gehen im allgemeinen dahin, eine solche Möglichkeit sogar auszuschließen, 464 aber wir haben ja bereits im Fall der Baustellen in Heydebreck und Blechhammer gese462 Interview mit Mario Giacomoni in Gozzano am 24. 5. 1989. 463 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Wien, den 22. 1. 1942. 464 Allein Carlo Del Farra, der diese Form der selbstbestimmten Mobilität praktizierte, war in der Lage, auf meine diesbezüglichen Fragen in ausreichender Form zu antworten. Und selbst er ist der Meinung, daß dieses Phänomen keine großen Dimensionen hatte.
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hen, daß es Arbeiter gegeben hat, die widerrechtlich von einer der italienischen Firmen der „Gruppe Deutschland" zu irgendeiner deutschen Firma gewechselt sind, wobei sie häufig vom Baugewerbe in die Industrie übergewechselt sind. Darüber hinaus war es, wie Brunello Mantelli bemerkt hat, „keine Seltenheit - wenn man die Akten der Polizeibehörde (...) von 1941, 1942 und 1943 untersucht und dabei auf einen Schriftwechsel stößt, der die Flucht eines Arbeiters von seinem Arbeitsplatz zum Gegenstand hat - daß der Betreffende nach Aussagen der Familienangehörigen keineswegs heimgekehrt ist, sondern sich darauf beschränkt hat, von Köln nach Berlin oder von Düsseldorf nach Frankfurt überzusiedeln." 465 Nach Manteliis Meinung „versuchten daher nicht wenige, sich, indem sie sich auf Freunde oder Verwandte stützten, die ebenfalls nach Deutschland migriert waren, unter günstigeren Bedingungen von anderen Unternehmern einstellen zu lassen." 466 Dies ist vermutlich der Fall bei Erna Folladore, 1911 in Artegna in der Provinz Belluno geboren, die die Firma Reibnitz Kr. [sie] in Breslau am 28. Mai 1942 verließ, um sich zu ihrem Ehemann nach Weisenhöhe bei Nürnberg zu begeben, der bei den dortigen Dachziegelwerken beschäftigt war. Den beiden, die seit einigen Monaten keine gültigen Pässe mehr hatten, scheint es dennoch gelungen zu sein, ihren Aufenthalt dort zu legitimieren. 467 Fälle dieser Art sind möglich, weil sich die Arbeitgeber häufig persönlich darum bemühen, die neue Arbeitskraft einstellen zu können. Der Arbeiter Angelo Burroni schrieb im März 1942 aus Landsberg: „Ich bin hier noch auf meiner Baustelle, wo ich die Arbeit wiederaufgenommen habe. Aber ich bin es leid, an diesem Ort zu sein, weil sie den Arbeitsvertrag kaum einhalten. Ich habe zufällig einen Arbeitsplatz außerhalb von Asburgo [sie] gefunden, in einer maschinellen Ziegelei, wo ich eine gute Bezahlung bekommen würde. Aber ich weiß nicht, ob ich die Papiere von meiner Firma bekomme. Jedenfalls werde ich dieser Tage nach München gehen, um zu sehen, ob ich irgend etwas erreichen kann, denn der Chef dort hilft mir dabei, mich mit der [faschistischen] Gewerkschaft auseinanderzusetzen, damit sie mir die Papiere geben." 468 Es sollte nicht vergessen werden, daß ein Teil der Genehmigungen für Arbeitsplatzwechsel, die von den faschistischen Gewerkschaftsbüros erteilt werden, vermutlich auf ein solches Drängen der Arbeitgeber zurückzuführen ist. Außerdem verbirgt sich ein Teil dieser Mobilität hinter der Rückkehr nach Italien; sie wird begründet durch Krankheiten oder Todesfälle in der Familie, die häufig nur fingiert sind. Dies war — wie gesagt — die einfachste Art, sich von einer uner-
465 Mantelli, I lavoratori
italiani
in Germania:
uno specchio delle relazioni tra le potenze
dell'Asse, S. 21,
Anm. 23. 4 6 6 Ebenda, S. 8. 4 6 7 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 26, Kgl.-Italienisches Konsulat Breslau, Fernschreiben Nr. 7 1 3 3 vom 22. 12. 1942 an das Außenministerium Rom, das Innenministerium Rom, die Italienische Botschaft Berlin, die Quästur von Udine sowie an die Kgl. Konsulate in Deutschland, betr.: die säumige Vilma Falladore, Tochter des Vito Folladore und der Maria Clapiz, geboren in Artegna am 13. 6. 1 9 1 1 , wohnhaft in Gemona. Der Name der Frau wurde handschriftlich in Erna Folladore korrigiert. 4 6 8 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Kgl. Präfektur Pavia. Provinzialzensurkommission, Kopie einer am 15- 3. 1942 geschriebenen Postkarte. Absender: Arbeiter Angelo Burroni, Hochtief 4 G. Landsberg Lech, Deutschland; Empfänger: Antonio Burroni, Via Roma Stradella (Provinz Pavia).
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wünschten Arbeit zu befreien, um darauf eventuell von neuem nach Deutschland zu gehen und auf einen besseren Arbeitsplatz als vorher zu hoffen. So reiste der im Jahr 1 9 0 0 in Neapel geborene Francesco Castiglione im Mai 1 9 4 1 als Mechaniker nach Neumünster ab, um dort bei der Land Und See. [sie] zu arbeiten. Aus Krankheitsgründen ließ er sich repatriieren, reiste aber am 2 8 . August bereits wieder nach Deutschland, um bei den Habel-Werken in Brandenburg zu arbeiten, w o er bis zum November 1 9 4 1 blieb. Dann kehrte er wieder aus Krankheitsgründen nach Italien zurück, reiste aber im Juli 1 9 4 2 von neuem nach Deutschland, w o er zu den Babelsberger Ufa-Film-Studios ging. Nach Ablauf seines Vertrags wechselt er zu der Firma Altof-Film, um dort als Maler zu arbeiten. Nachdem auch dieser Vertrag ausgelaufen war, ging er zu der Firma Bunobor Wey [sie] in Brandenburg, doch am 18. Mai 1 9 4 3 mußte er Deutschland verlassen, weil er „intime Kontakte zu einer verheirateten deutschen Frau unterhielt, mit der er auch einen Sohn gezeugt hatte". 4 6 9 W e n n man die Quellen über die unerlaubten Arbeitsplatzwechsel untersucht, die sich in einer bestimmten Reihe von Aktenbänden im Zentralen Staatsarchiv in Rom befinden, 4 7 0 so bemerkt man vor allem die Tendenz, einen Arbeitsplatz in der Landwirtschaft mit einer Stellung in der Industrie zu vertauschen. Dies ist der Fall bei dem im Jahre 1 9 1 5 in San Pietro di M o r u bio (Provinz Verona) geborenen Guerrino Carazza, der aus diesem G r u n d im Dezember 1 9 4 2 repatriiert wurde, 4 7 1 und bei Genesio Formolo, 1 8 9 8 in Sporminore (Provinz Trient) geboren, der ebenfalls aus diesem Grund im Juni 1 9 4 3 aus München nach Italien zurückkehrte. 4 7 2 Auch Clara Ciotti, am 2 1 . 7. 1 9 1 8 in Capparo geboren und in Brescia wohnhaft, verließ die Schar der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte, w o sie als Köchin arbeitete, weil sie v o m Lagerführer und v o m Dolmetscher schlecht behandelt worden war. Im September 1 9 4 2 ließ sie sich
469 Vgl. ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 23, Kopie des polizeilichen Verhörs von Francesco Castiglione, Sohn des verstorbenen Vito Castiglione und der verstorbenen Giuseppina Romeo, geboren in Neapel am 20. 10. 1900, das am 13. 6. 1943 im Polizeibüro in Stella di Napoli durchgeführt wurde. Vgl. auch das Schreiben der Kgl. Präfektur Neapel, Div. P.S., Prot. 0263155, vom 27. 6. 1943, an das Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza, Rom, betr.: Francesco Castiglione... 470 Vgl. ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1942, Band 3/B; PS 1943, Bände 23, 24, 25 und 26. 471 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 23, Schreiben des Innenministeriums. Generaldirektion Pubblica Sicurezza, Paßabteilung, Prot. Nr. 105642, Rom, den 23. 12. 1942, an die Abteilung A.G.R. des Innenministeriums, betr.: Guerino Carazza, Sohn des Agostino Carazza, geboren am 3. 8. 1915 in San Pietro di Marubio. — Vgl. auch das ebenda befindliche, von der Territoriallegion der Kgl. Carabinieri Verona (Station Roverchiara) gestempelte Blatt, wo das Protokoll des am 7. 2. 1943 mit Guerino Carazza durchgeführten Polizeiverhörs wiedergegeben ist und wo es heißt: „Während meines Aufenthalts in Deutschland bin ich nie von der Arbeit in der Landwirtschaft entlassen worden und habe niemals zur Industrie Ubergewechselt. Ich habe immer in der Landwirtschaft gearbeitet, wiewohl ich verschiedentlich die Firma gewechselt habe in den fünf Jahren, die ich in Deutschland gearbeitet habe." 472 Ebenda, Kgl.-Italienisches Konsulat München, als Fernschreiben befördertes Rundschreiben Nr. 6674 vom 12. 6. 1943 an das Kgl. Außenministerium Rom, das Kgl. Innenministerium Rom, die Kgl. Botschaft Berlin, die Kgl. Konsulate in Deutschland, die Kgl. Quästur in Trient und das Polizeibüro Brennero, betr.: Genesio Formolo, Sohn des verstorbenen Bortolo Formolo und der verstorbenen Teresa Decristian, geboren am 6. 3. 1898 in Sporminore (Provinz Trient) und dort auch wohnhaft.
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bei den Hermann-Göring-Werken einstellen und blieb dort bis zum Zeitpunkt ihrer Repatriierung im November.''73 Mario Bielli aus Taino in der Provinz Varese, der am 19. Mai 1942 die Heimat verlassen hatte, verließ wenig später seinen landwirtschaftlichen Betrieb in Halberstadt, aber es gelang ihm nicht, einen Arbeitsplatz in der Industrie zu finden, so daß er schnell wieder repatriiert wurde. 474 Es ist interessant festzustellen, wie diese autonome Mobilität mitunter von dem einen oder anderen faschistischen Funktionär unterstützt wird. Vor allem aber kann sie auf die Unterstützung der deutschen Arbeitsämter zählen, die — angesichts fehlender Beschwerden von selten der italienischen Gewerschaftsbüros — gegenüber den italienischen Arbeitern, die auf der Suche nach einer Arbeit vorstellig werden, keine allzugroßen Formalitäten walten lassen. Dies beweist der Fall des 1911 in Pontevico, in der Provinz Brescia, geborenen Davide Gardani, der anfänglich als Landarbeiter für etwa 8 Monate nach Deutschland ging. Dank des Geschäftsträgers in der Hannoveraner Zweigstelle der Faschistischen Partei gelang es ihm, sich als Arbeiter bei den Sägewerken von Rovevig Maia Bohnenberg [sie] (Hannover) einstellen zu lassen. Dort blieb er vom 15. Dezember 1938 bis zum 9. September 1940, dem Zeitpunkt seiner Kündigung, weil er keine schweren Arbeiten mehr übernehmen konnte. Wiederum half ihm der Leiter des Hannoveraner Parteibüros, in einer Zementfabrik unterzukommen, wo er bis zum 21. April 1942 tätig war. Aufgrund einer Krankheit entband ihn die Firma — nach Vorliegen des ärztlichen Urteils — von jeglicher vertraglicher Verpflichtung. Er zog nach Minden und wurde Kellner in einer Eisdiele, aber dort fehlte es an Arbeit, und so ließ er sich am 10. Juni 1942 bei einer anderen Eisdiele in Saarlautern einstellen, wo er bis zum August 1942 blieb. Es schien, daß all diese Ortswechsel — zumindest hat Gardani dies so bekundet — mit Genehmigung des deutschen Arbeitsamts erfolgten. 475 Davide Gardani gelang es also, von einer Arbeit in der Landwirtschaft in die Industrie überzuwechseln und wurde schließlich sogar Kellner, eine der Arbeiten, die in Deutschland damals am begehrtesten waren - nicht nur unter finanziellen Aspekten, sondern auch weil es einem Kellner kaum an der Verpflegung fehlen würde. Um sich eine Vorstellung von den Verdienstmöglichkeiten machen zu können, die ein Kellner damals hatte, kann man den Fall eines gewissen Otello Francalanci anführen, 1903 in Fucecchio (Provinz Florenz) geboren, der eine Anstellung im Hotel Europa in Heidelberg hatte. Zwischen dem 15. März 1941 und dem 15. Januar 1943 verdiente er 9.194 Mark (5.674 Mark Lohn und 3.520 Mark Trinkgeld). Indem er außerdem einiges auf die Preise für die Speisen aufschlug und sich vielleicht auch anderen illegalen Geschäften widmete, gelang es ihm, zusätzlich zu seinem Verdienst 3.021
4 7 3 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, Band 24, Kgl. Quästur Brescia, Nr. 3070, an das Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Politische Abteilung, Rom, betr.: Clara Ciotti, verheiratete Scassa, Tochter des verstorbenen Coriolano Ciotti und der Matilde Orlandi, geboren am 21. 7. 1918 in Capparo, wohnhaft in Brescia in Via Serbanella 2. 4 7 4 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1942, Band 3/B, Innenministerium, Abteilung A.G.R. II, Prot. Nr. 442/18815, Rom, den 8. 7. 1942, an die Kgl. Präfektur Taino (Provinz Varese), betr.: Arbeiter Mario Bielli aus Taino (Varese). 4 7 5 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, Band 26, Kgl. Quästur Brescia, Nr. 2P74, an das Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Politische Abteilung, Rom, betr.: Davide Gardani, Sohn des Daniele Gardani und der Laura Azzini, geboren in Pontevico am 17. 1· 1911, dort wohnhaft.
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Mark nach Hause zu schicken und hatte auf einem Banksparbuch außerdem noch weitere 1 . 0 0 0 M a r k Guthaben. 4 7 6 Von 1 9 4 3 an erfährt die Tendenz, über die selbstbestimmte Mobilität die Arbeit in der Landwirtschaft mit einer solchen in der Industrie zu vertauschen, eine Umkehrung — nicht zuletzt, weil die Lebensmittel in verschiedenen Städten rar werden. In den ersten Monaten des Jahres 1 9 4 3 wechselt der im Jahr 1 9 1 0 in Stenico in der Provinz Trient geborene Mario Corradi freiwillig aus einem Münchner Industriebetrieb zu einer Tätigkeit in der Landwirtschaft. 4 7 7 Aber, um die Wahrheit zu sagen, geht diese selbstbestimmte Mobilität etwas in alle möglichen Richtungen: Edoardo Del Grosso, den wir bereits früher beim Handel mit Schmuggelwaren kennengelernt haben, „ließ sich zuerst bei einem C a f t , dann bei der Gruppe Aschinger A.S. einstellen, anstatt die Arbeit bei der Firma aufzunehmen, für die er bestimmt worden ist." 478 Luigi Fortunato, 1 9 1 0 in Mormanno in der Provinz Cosenza geboren, kam im März 1 9 4 3 mit einem Passierschein in Frankfurt an, um „von der Industriearbeit in den Handel" zu wechseln. „Er läßt sich in einer Metzgerei einstellen und ändert dadurch sogar die im Paß befindliche berufliche Einordnung." 4 7 9 D e n n o c h treten die häufigsten Arbeitsplatzwechsel innerhalb des Industriesektors auf. So wechselten Ferruccio Capulzini ( 1 9 0 5 in Cortona Provinz Arezzo, geboren), 4 8 0 Feiice Collenz ( 1 8 9 6 in G ö r z geboren) 4 8 1 und Arnaldo Cornacchini ( 1 9 0 4 in Capolona, Provinz Arezzo, geboren) 4 8 2 eigenmächtig ihren Arbeitgeber und wurden alle im Juni 1 9 4 3 repatriiert.
476 Ebenda, Schreiben der Heidelberger Delegation des Verbindungsbüros der Confederazione Fascista Lavoratori del Commercio (C.F.L.C.) zur Deutschen Arbeitsfront, Prot. Nr. 9, an Herrn Dr. Ettore Scampicchio, Leiter der C.F.L.C., Berlin-Dahlem, sowie an Herrn Dr. Marcello Mininni, Vizekonsul in Mannheim, betr.: Otello Francalanci (Abschrift der Schreiben). 477 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 24, Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Paßabteilung. Kgl. Generalkonsulat München, als Fernschreiben befördertes Rundschreiben Nr. 4821 vom 19. 4. 1943 an die Kgl. Quästur in Trient, betr.: Mario Corradi, Sohn des Virgilio Corradi. 478 Vgl. das bereits zitierte Schreiben vom 23. 1. 1943. 479 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 23, Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Paßabteilung, Prot. Nr. 211934, Rom, den 20. 3. 1943, an das Innenministerium, Abteilung A.G.R., betr.: Luigi Fortunato, Sohn des Francesco Fortunato, geboren am 15. 10. 1909 in Mormanno, aus Deutschland repatriierter Arbeiter. 480 Ebenda, Kgl.-Italienisches Konsulat München, als Fernschreiben befördertes Rundschreiben Nr. 667 vom 2. 6. 1943 an das Kgl. Außenministerium Rom, das Kgl. Innenministerium Rom, die Kgl. Botschaft Berlin, die Kgl. Konsulate in Deutschland, die Kgl. Quästur in Arezzo und das Polizeibüro Brennero, betr.: Ferruccio Capulzini, Sohn des Pietro Capulzini und der Enrichetta Tronchi, geboren in Cortona (Provinz Arezzo) am 31. 1. 1905 und dort wohnhaft. 481 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 24, Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Paßabteilung. Kgl. Konsulat Nürnberg, als Fernschreiben befördertes Rundschreiben Nr. 01757 vom 4. 8. 1943, an das Kgl. Außenministerium Rom, das Kgl. Innenministerium Rom, die Kgl. Botschaft Berlin, die Kgl. Quästur in Görz - Gemeinde von [Gemeindeangabe fehlt] und das Grenzpolizeibüro Tarvis, betr.: Feiice Collenz, Sohn des Pietro Collenz und der Anna Paris, geboren am 5. 7. 1896 in Görz... 482 Ebenda, Kgl. Generalkonsulat München, als Fernschreiben befördertes Rundschreiben Nr. 8440 vom 19. 7. 1943 an das Kgl. Außenministerium Rom, das Kgl. Innenministerium Rom, die Kgl. Botschaft Berlin, die Kgl. Konsulate in Deutschland, die Kgl. Quästur Arezzo, das Grenzpolizeibüro Brennero,
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Umberto Pipolo wechselte eigenmächtig innerhalb kurzer Zeit mehrfach die Firma. Im April 1943 befand er sich bei der Firma Christian Karth in Frankfurt am Main, als er für die Repatriierung vorgesehen war. 483 Die Gründe fur diese Wechsel lagen vor allem in der Suche nach einer besseren Bezahlung: Pietro Capitanio, 1906 in Tarent geboren, arbeitete anfänglich in einer Metallfabrik in Frankfurt, wo er 7 Mark pro Tag verdiente. Mitte November 1942 bat er den Direktor der Firma um seine Zustimmung für einen Wechsel zu einer Firma nach Berlin, die ihm als Dreher 1,15 Mark pro Stunde bot. Die Zustimmung wurde ihm verweigert, aber Capitanio ging trotzdem. Es gelang ihm, fünf Tage lang 15 Mark pro Tag zu verdienen, dann wurde die Sachlage entdeckt und er wurde repatriiert. 484 Attilio Farris, 1897 in Barisardo in der sardischen Provinz Nuoro geboren, arbeitete im Lager Brüx beim Abbau von Kohle und beim Bau von Häusern für die Firma Ilces, die er jedoch verließ, weil ihm nur 60 Pfennig für die Stunde bezahlt wurden — anstelle der vereinbarten 62. Außerdem wurde er monatlich bezahlt, während eine vierzehntägige Zahlungsweise ausgemacht worden war. Am 9. August 1942 fand er Arbeit bei der Innsbrucker Firma Anton Grennecke, wo er bis zum 29. November blieb; zu diesem Zeitpunkt wurde er repatriiert, weil er aufgrund eines Leidens am Ischiasnerv als ungeeignet für die Arbeit angesehen wurde. 485 Alvaro Devoti, 1916 in Roccastrada in der Provinz Grosseto geboren, „wurde im April 1942 — aus Frankreich kommend - als Arbeiter in der Schuhfabrik Romika in Gusterath-Tal [bei Trier] eingestellt. Weil Devoti einem kriegsversehrten Aufseher einen Schlag ins Gesicht versetzte, weil er ihm nicht erlaubt hatte, zu rauchen (wie es im übrigen die Werksvorschriften besagten), wurde er im Oktober 1942 von der Polizei verwarnt und an die Laeis-Werke in Trier übergeben. Im selben Monat verließ er eigenmächtig die Arbeit und begab sich nach Frankreich, wo er sich für eine gewisse Zeit aufhielt, darauf kehrte er zur Arbeit bei den genannten Laiswerken zurück. Anfang Dezember 1942, nachdem Devoti einen Urlaub von 4 Tagen erhalten hatte, aber nicht nach Ablauf der Zeit zurückkehrte, sondern verdingte sich in Metz bei einer Baufirma. Devoti weigerte sich, zu den Laiswerken zurückzukehren. Als Grund gab er an, daß für ihn der Stundenlohn von 0,70 Mark zu wenig sei. Trotz entsprechender Ermahnungen ist Devoti nicht bereit, die Arbeit wiederaufzunehmen.
betr.: Aldo Cornacchini, Sohn des Giuseppe Cornacchini und der Giuseppa Niccolini, geboren am 10. 5. 1904 in Capolano (Provinz Arezzo) und wohnhaft in Subbiano (Provinz Arezzo). 483 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 24, Innenministerium. C.F.L.I. - Verbindungsbüro mit der Deutschen Arbeitsfront - Büro Frankfurt, Prot. Nr. Ma/ST I US 2971, 9. 4. 1943, an das Kgl.-Italienische Generalkonsulat Frankfurt am Main, betr.: Arbeiter Umberto Pipolo und Alfredo Consagro. 484 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 23, Kgl. Präfcktur Tarent. Abteilung Pubblica Sicurezza, Prot. Nr. 20984, 12. 4. 1943, an das Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Abteilung A.G.R., Rom, betr.: Pietro Capitanio, Sohn des verstorbenen Vincenzo Capitanio und der Crescenza Carbone, geboren in Tarent am 6. 8. 1906 und hier wohnhaft. 485 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 26, Kgl. Präfektur Nuoro. Abteilung II, Prot. Nr. 14424 P.S., an das Innenministerium Rom. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Abteilung A.G.R., betr.: Attilio Farris, Sohn des verstorbenen Pasquale Farris und der verstorbenen Antonia Manca, geboren am 11. 12. 1897 in Barisardo, wohnhaft in Rom, Borgata Primavalle Nr. 4, Interno 134, Hilfsarbeiter.
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(...) Ich habe in der Zwischenzeit die sofortige Ausweisung Devotis nach Italien verfügt. Der Betreffende wird der italienischen Grenzpolizei am Brenner übergeben." 4 8 6 Alvaro Devoti wurde ausgewiesen und in die polizeiliche Verbannung nach Castel del Guido geschickt. Andere Ursachen für diese Mobilität sind in der mühseligen Arbeit zu suchen, in den unangemessenen Tätigkeiten, die den Arbeitern zugedacht wurden, im schlechten Essen, kurzum: in einem Gefühl des Sich-Unwohl-Fühlens an einem bestimmten Arbeitsplatz. Der 1905 in San Giovanni Incarico in der Provinz Frosinone geborene Hilfsarbeiter Angelo De Santo arbeitete ab August 1940 an den Kokskohleöfen der Firma Krupp in Essen. Nach einem Urlaub von 45 Tagen im März 1941 kündigte er, weil ihm diese Arbeit zu beschwerlich war. Er versuchte, in Lindenburg, wo sein Bruder arbeitete, eine Beschäftigung zu finden, aber das italienische Gewerkschaftsbüro in Wien gab ihm nicht die erforderliche Unbedenklichkeitserklärung. Darauf wünschte er, nach Italien zurückzukehren. 487 Der 1914 in Cavoretto in der Provinz Turin geborene Perino Truffo war zwar als Zeichner angeworben worden, wurde jedoch der Maschinenabteilung als Hilfsarbeiter zugeteilt. Da er für diese Arbeit als ungeeignet betrachtet wurde, ließ man ihn gehen, und er verdingte sich bei einer Firma in Kassel. 4 8 8 Giovanni Gagarelli, 1901 in Fiorano Modenese (Provinz Modena) geboren, arbeitete vom 26. August 1940 bis zum 12. Dezember 1942 in Innsbruck. Anschließend ging er zu einem Urlaub nach Italien, kehrte jedoch nicht zu seiner alten Arbeitsstelle zurück, sondern verdingte sich in Berlin bei dem Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt (G.B.I.) Das Arbeitsamt in Innsbruck forderte ihn an, worauf er von der neuen Firma freigegeben wurde. Da er sich jedoch weigerte, an den alten Arbeitsplatz zurückzukehren, wurde er zur Repatriierung vorgesehen. 489 Es gab jedoch auch diejenigen, die nach Ablauf ihres Arbeitsvertrags die Tätigkeit wechselten und nicht nach Italien zurückkehren wollten: So begab sich der 1910 in Adro in der Provinz Brescia geborene Pietro Corsini am 13. November 1942, nachdem er ein Jahr für die Chemnitzer Firma Auto-Union gearbeitet hatte und bei Ablauf seines Vertrags nicht nach Italien zurückkehren wollte, zum Arbeitsamt nach Nürnberg und fragte nach einer anderen Arbeit. Nach 15 Tagen wurde er jedoch vom dortigen italienischen Gewerkschaftsdelegierten entdeckt und nach Italien repatriiert. 490
486 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, Band 25, Schreiben IV D 33 b - 3656/42, Berlin, den 7. 1. 1943, betr.: Alvaro Devoti, geboren am 27. 1. 1916 in Roccastrada (Provinz Grosseto). 487 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1942, Band 3/B, Kgl. Präfektur Frosinone, 16. 5. 1942: Protokoll des Polizeiverhörs mit Angelo Di Santo, Sohn des Giovanni Di Santo und der Assunta Pompei, geboren in San Giovanni Indarico am 12. 12. 1905, Hilfsarbeiter. 488 Ebenda, Kgl. Präfektur Turin. Abteilung Pubblica Sicurezza, Prot. Nr. 014110, 9. 7. 1942, an das Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Abteilung A.G.R., Sektion II, Rom, betr.: Pierino Truffo, Sohn des Giovanni Truffo und der Benedetta Berino, geboren in Cavoretto am 21. 9. 1915, wohnhaft in Via San Rocco 56, Angestellter. 489 ACS, Min. Int., D G P S , DAGR, Band 24, Berlin S O 16, Engeldamm 62, an das Kgl.-Italienische Generalkonsulat Berlin W 35, betr.: Giovanni Gagarelli, Sohn des Pietro Gagarelli, geboren in Fiorano (Provinz Modena) am 4. 7. 1901. 490 Ebenda, Kgl. Quästur Brescia, Ν. 2076, Bezug Nr. 442-35985, an das Innenministerium. Generaldirektion Pubblica Sicurezza. Politische Abteilung, Rom, betr.: Pietro Corsini, Sohn des Alessandro Corsini, geboren in Adro am 19. 5. 1910.
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Natürlich umfaßt diese selbstgewählte Mobilität auch das Phänomen der Doppelarbeit, das von den faschistischen Gewerkschaften bekämpft wird. Der 1910 in Mirandola geborene Lastträger Oriano Chiosi ging im Juni 1941 zu einer Kunstfaserfabrik nach Regensburg, wo er einen Tagelohn von 4 Mark erhielt. Er übte jedoch, wie viele seiner Arbeitskollegen, noch eine andere Arbeit aus, da er nämlich als Maurergehilfe bei einer Baufirma beschäftigt war, für die er im Akkord arbeitete und bei der er nochmals 4 Mark verdiente. Er wurde von einem faschistischen Delegierten entdeckt und bei den Justizbehörden angezeigt, die ihn zu drei Monaten Gefängnis verurteilten, weil er nach Italien höhere Beträge geschickt hatte, als von Gesetzes wegen vorgesehen war und weil er drei Paar Stoffhosen, die er extra dazu aus Italien mitgebracht hatte, verkauft hatte. Nachdem er seine Strafe verbüßt hatte, wurde er am 8. Januar 1943 nach Italien repatriiert. 491 Diese Fallbeispiele stützen sich nur auf diejenigen, die entdeckt wurden, also eine kleine Minderheit. Aber sie ist ausreichend, um zu zeigen, daß Formen einer solchen eigenmächtigen Binnenwanderung möglich waren, auch wenn sie nicht leicht realisiert werden konnten und für den Betroffenen stets ein gewisses Risiko bildete. Karl Heinz Roth hat daher Recht, wenn er feststellte, daß es „eine eigenständig organisierte Mobilität von Seiten aller proletarischen Schichten gegeben hat. Diese hat sich aller möglichen Übergänge und Schlupflöcher bedient, die zwischen der durch die Behörden eingerichteten und der von Privatfirmen in Anwendung gebrachten .Arbeitskräfteplanung' bestanden haben." 492 Es gab sicherlich diejenigen, die von einem Arbeitsplatz wegliefen und sich einen anderen suchten. In der Regel wurde dies akzeptiert, denn — wenn der Betreffende nicht gerade auf der Straße festgenommen wurde und in diesem Fall riskierte er das Straflager - „er arbeitete ja weiterhin für das Großdeutsche Reich". Der aus Ponte delle Alpi stammende Zementarbeiter Carlo Del Farra erzählte, daß es „bei den Deutschen so war: wenn man auf einer Baustelle war, konnte man da nicht weg. Wenn einer einmal da ist, muß er auch da bleiben. Jawohl. Doch das gab es auch, daß einer — vor allem nach 1943 — abhaute, weil er entweder mit dem Chef nicht klarkam oder (...) Wenn sie dich draußen aufgriffen mit deinem Gepäck auf dem Weg in die Stadt, dann bist du sicher im Konzentrationslager gelandet und ,leb wohl'. Aber wenn dich niemand verhaftete und du eine andere Firma finden konntest und dich dort zum Arbeiten einfädeln konntest, dann hat niemand was gesagt. 'Ja, da ist es, arbeite.' - ,Oh, wenn du arbeitest, genügt es.' Versuche, den Arbeitsplatz zu wechseln, gab es. Aber nicht einen zu finden, der abgehauen war, der auf der Straße war, der auf den Bus wartete oder auf den Zug im Bahnhof (...) also man fand Arbeit. Arbeit gab es, ja. Ja, die neue Firma wollte ein Zeugnis haben, aber sie brauchten alle Arbeiter (...) Wenn er dann ,ja' sagte, na (...) Wenn man aber zufälligerweise erfuhr, daß du abgehauen warst und du hast gearbeitet, ,er arbeitet dort, arbeitet in jedem Fall für das Großdeutsche Reich' und vorwärts (...) Man wechselte die Arbeit, um etwas mehr zu verdienen, aber oft auch wegen eines Vorgesetzten, mit dem man nicht klarkam (...) 4 9 1 Ebenda, Territoriallegion Bologna der Kgl. Carabinieri. Station Mirandola, Nr. 89: Polizeiliches Protokoll des Verhörs und der Entgegnung von Oriano Chiosi, Sohn des Ardilio Chiosi und der Antonietta Reggiani, geboren in Mirandola am 6. 10. 1910, hier wohnhaft in Via Francesco Montanari 48, Industriearbeiter. 4 9 2 Roth, Note sulproblema, S. 182.
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Aber es waren nicht viele, die die Arbeit gewechselt haben. Es war ein Risiko, wissen Sie. Einmal bin ich auch abgehauen. Ich und ein anderer, ein gewisser Resina, ich bin abgehauen, und ich wurde in der Stadt Halle gefaßt: ,Kriminalpolizei'. Zum Glück hatten wir unsere Arbeitsbücher, aus denen hervorging, daß wir dort, von wo wir kamen, alle brav unsere Arbeitstage gemacht hatten. Eine Visage wie ein Kommissar, eine häßliche Fratze (...) Ja, aber man hat uns bis nach Berlin geschickt, um unsere Ausweise zu holen.' — ,Und die Erlaubnis?' — ,Na (...), es sollte nur hin und zurück gehen.' — >Also für mich seid ihr zwei Vagabunden.' Bei dem Kerl da, guter Gott, sage ich:,Resina, willst du, daß wir noch mal mit dem ersten Zug abhauen?' — ,Eh, schau mal, wie der da sich an den Zigarettenautomat lehnt. Was macht der Kerl da mit dem Gabardinemantel (...)?' Es war nach dem 8. September. Wir waren dabei, einen Staudamm in Westfalen zu bauen, und wir wollten noch nach Berlin zurückgehen. Wir haben nicht den Mut dazu gehabt, und es war besser so. Ich habe nach vielen von meinen Freunden gefragt, die dort in Berlin zur Zeit der Bombenangriffe waren, und ich habe nichts mehr von ihnen gehört..." Diese Form der Mobilität, die auch immer weniger verschleiert wurde durch die (über angebliche Krankheits- oder Trauerfälle) inszenierten Familienheimfahrten nach Italien, die nunmehr nur noch äußerst spärlich zugelassen wurden, verstärkte sich ab 1942 in fortschreitendem Maße, parallel zum Ansteigen der Entbehrungen und der Gefahren und — als die Niederlage bereits nah war - wegen der Krise der Kontrollinstanzen. Ich zitiere diesbezüglich eine Äußerung, die Albert Speer bereits 1942 in einem Gespräch Hitler gegenüber machte, daß nämlich „jeden Monat von der Polizei 30.000 oder 40.000 geflohene Arbeiter und Kriegsgefangene wieder aufgegriffen werden, die dann als Häftlinge in den Konzentrationslagern für die Unternehmungen der SS eingesetzt werden. Dies ist für mich unerträglich, weil es sich zum großen Teil um teilausgebildete oder ausgebildete Arbeiter handelt, die so schnell wie möglich zu ihrem ursprünglichen Arbeitsplatz zurückgeführt werden müßten. Ein Absinken von 500.000 Arbeitern im Jahr kann ich nicht verkraften." 493 Während eines Auskämmungsunternehmens, das im März 1943 unter dem Namen Operationsplan Alpha auf breiter Front durchgeführt wurde, wurden innerhalb von 14 Tagen 14.000 Personen verhaftet, darunter 8.250 Ausländer. Aber es stellte sich heraus, daß sich die Zahl der Verhafteten keineswegs mit der Zahl derjenigen deckte, die wirklich geflohen waren.494 Aufgrund der Angaben des NKFD gab es im Mai 1944 in Deutschland 60.000 flüchtige ausländische Arbeiter.495 Ich glaube, daß diese Zahl angesichts des zunehmenden Auseinanderbrechens des „Dritten Reiches" absolut glaubwürdig ist. Allerdings ist die quantitative Dimension dieser selbstgewählten Mobilität für die beiden vorhergehenden Jahre alles andere als klar. Wir haben bereits gesehen, daß innerhalb dieses Migrationsstroms Formen von Mobilität seit Beginn an existierten, weil die großen Gruppen und die Industrieverbände immer ihre eigenen Anwerbebüros auch in Italien gehabt haben, wo die Arbeitskräfte seit 1937/38 direkt angeworben wurden. Man kann daher sagen, daß die Unternehmer und Betriebsleiter insgesamt gesehen nie-
493 Zit. nach Kämpfendes Leuna 1916-1945, Berlin 1961, Teil I, S. 810-811. 494 Seeber, S. 225 und J. Schmelzer, S. 218ff., zit. nach Roth, L'altro movimento operaio. 495 Übertragung des NKFD vom 11. 5. 1944. Erwähnt bei Schmelzer, S. 217, zit.nach Roth, L'altro movimento operaio, S. 158.
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mals darauf verzichtet haben, eigenständige Anwerbe- und Auswahlmaßnahmen zu treffen, wobei sie unter Umständen besondere Beziehungen zur SS oder zu den Verwaltungen der besetzten Länder zu diesem Zweck genutzt haben. 496 Aber wie hoch war in den Jahren 1942 und 1943 die Zahl derjenigen, die ihren Arbeitsplatz ohne Erlaubnis verließen, wirklich? Die Zahl der bei den großen Polizeiaktionen in jenen Jahren Verhafteten sagt uns dies nicht — denn bei einem großen Teil der Verhafteten handelte es sich nicht um Arbeitsflüchtige. Während meiner Recherchen habe ich Gelegenheit gehabt, mit italienischen Arbeitern zu sprechen, die der Polizei bei Auskämmungsaktionen ins Netz gingen. Sie wurden einfach verhaftet, weil sie sich von dem Ort, an dem sie arbeiteten, entfernt hatten, häufig sogar dann, wenn sie gültige Dokumente besaßen und eine gültige Ausgangserlaubnis. Giuseppe Rossin hat mir erzählt, wie es ihm und Mario Giacomoni dabei erging: „Einmal sind wir nach Klein-Rosen gegangen. Ich wollte ein Foto von meiner Hochzeit und eines, das ich im Bergwerk gemacht hatte, vergrößern lassen. Da lag Klein-Rosen, und da war eine Brücke, die nach Rosen führte, es waren zwei Dörfer, die durch diese Brücke getrennt waren. Die Fotos mußte ich nach Groß-Rosen bringen, doch als ich dort mit einem Bus ankam, sah ich deutsche Wachen auf der Straße. Als Giacomoni die Wachen sah, ist er aus dem Bus gestiegen, doch dann ist er zurückgegangen, er. ,Oh, ich muß zurück, ich muß mal (...)' hat er zu mir gesagt. Ich bin vorgegangen, ich bin dorthin gegangen, sie haben mich gefaßt und haben mich in ein Zimmer gebracht, wo schon ein paar andere drin waren. Die waren also da und warteten, daß der Bus ankam, um die Ausländer zu verhaften. Aber Giacomoni haben sie trotzdem erwischt, weil es auf der anderen Seite auch welche gab, und die haben ihn gefaßt und dorthin gebracht. .Welch eine Sache! Du bist doch dorthin abgehauen!' - Ja, aber die Deutschen waren auch auf der Seite.' Wir waren alle zusammen. Dann haben sie uns ein paar Stunden dort festgehalten, und dann ist einer von diesen geschlossenen Polizeiwagen angekommen. Aber es ist mir nie gelungen zu erfahren, in welchem Ort sie dieses Lager hatten, wo sie uns hingebracht haben, in welcher Gegend das war. Wie wir dort angekommen sind in dem Bus, haben sie uns alle in einer Reihe aufgestellt und auf Deutsch angebrüllt. Und dann haben sie uns antreten lassen. Der da aus Gozzano, Giacomoni, hat keine Haltung angenommen, darauf haben sie ,Pitsch-Patsch' gemacht, zwei Ohrfeigen. Dann hat er auch Haltung angenommen. Später haben sie uns in ein großes Zimmer gebracht, haben uns all das, was wir anhatten, ausziehen lassen, Uhr und Ringe, alles in eine Mütze, wer keine Mütze hatte, tat sie in ein Taschentuch, alles schön fein aufgereiht. Später mußte man sie sich da wieder abholen, wie wir dorthin zurückkamen. Aber ich wußte nicht, was ein Konzentrationslager war. Und dann sind wir da reingekommen, dann haben sie uns am Abend das Essen gegeben. Auch dort gab es diese Näpfe wie beim Militär, nicht aus Messing, sondern diese Näpfe aus Aluminium. Darauf wieder alle in eine Reihe, dann bekamen wir Wasser, es sollte Brühe sein, aber es war Wasser, dann weiter vorne ein Stückchen zwei oder drei Möhren, im wesentlichen Möhrenblätter, und ein Stück von diesem Schwarzbrot. Dieses Wasser war so heiß, daß man es nicht trinken konnte. Also man kam da an, man versuchte, dieses Zeug zu trinken, ich weiß nicht, ob es Brühe oder Wasser war, weil es so im Mund brannte, wumm, rein in die anderen beiden Kessel, die da standen, und der Napf war leer. Man mußte das Zeug 496 Vgl. die diesbezüglich vorgetragenen Überlegungen von Roth,
Note sulproblema, S. 182-183.
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reinwerfen, weil man es nicht [essen] konnte. Und man mußte schnell machen, um die Näpfe nach hinten weiterzugeben, denn es waren immer die gleichen, die für alle da waren. Danach bin ich in die Baracke gegangen, um zu schlafen, eine kleine Baracke und wir waren da drin zu 40 oder 45 Mann. Das heißt, man mußte stehen. Danach haben wir dann probiert, ein Bein auf das andere zu legen, also auf einem Bein zu sitzen und das andere darauf zu legen. Zu zweit, praktisch, denn hinlegen konnte man sich nicht. Nur die Russen haben sich hingelegt, das sah aus wie eine Sonnenblume auf der Erde. Sie brauchten wenig Platz und haben sich alle hingelegt. Und sie schliefen halbwegs normal — sofern man so etwas überhaupt sagen kann. Dann gab es da diesen Blechkanister und wenn einer zum Klo gehen wollte und die anderen lagen da unter Umständen nah dran, das war ekelhaft. Dann am Morgen das Wecken um halb fünf oder um fünf, und da mußte man rauslaufen, denn wenn man nicht im Laufschritt rausging, war da einer rechts und einer links, die hatten Stöcke und schlugen zu. Also die Letzten, die haben natürlich am meisten abbekommen. Dann ließen sie uns den ganzen Tag den Weg durch das Konzentrationslager machen. In jenem Lager waren die Baracken an den Seitenwänden, und in der Mitte war es wie in einem Fort, und dort war ein kleines Schwimmbecken. Wir anderen Normalen mußten den großen Rundgang machen, die Frauen und die Kinder ließen sie den kleinen Rundgang machen. Wir machten einen Rundgang, sie machten zwanzig, weil sie so liefen wie wir. Und an allen Tagen das gleiche. Danach ging es wieder von vorne los: wieder Rundgang, wieder Wasser, Möhren und dieses Stück Schwarzbrot. Aber am Tag danach sind die Leute vom Bergwerk gekommen, um sich zu beschweren, weil sie gemerkt haben, daß viele Italiener fehlten. Daraufhaben sie die Namen genannt, um die Leute wieder in das Bergwerk zurückzuholen. Saargrüber hieß unser Bergwerk. Ich und Giacomoni waren am Reden, und da haben wir nicht gehört, wie der Name Saargrüber aufgerufen wurde. Und so sind wir dageblieben. Aber am nächsten Tag machten sie dasselbe noch mal, sie suchten die Arbeiter aus den Bergwerken. Und am Tag darauf haben wir es gehört, und darauf haben wir uns da gemeldet: Ja, wir haben nachgefragt, seid ruhig, denkt nicht an Schlimmeres' (...) Daraufhaben sie uns noch einen oder zwei Tage dabehalten, und dann haben sie uns freigelassen, und wir sind von neuem ins Bergwerk gegangen. Ich war da viereinhalb Tage, denn wir sind zu Mittag da reingekommen. Es war nämlich so, daß amerikanische Fallschirmspringer runtergekommen waren, und das war nicht das erste Mal. Als die Fallschirmspringer runterkamen, da haben sie alle Ausländer, die sich in jener Gegend befanden, zurückgezogen."
24. Die Korruptheit von Lagerfiihrern und Lagerobmännern Angesichts der Oberflächlichkeit, mit der der Faschismus sein Personal für die Tätigkeit im Ausland auswählte, überrascht es nicht, wenn wir von zahlreichen Unterschlagungen, Willkürakten und Diebstählen hören, durch die die italienischen Arbeiter von selten ihrer Lagerführer, Dolmetscher, Obleute usw. geschädigt worden sind. Wir haben bereits verschiedene Klagen über diesen Personenkreis gehört, aber dem kann eine Vielzahl weiterer Beispiele hinzugefügt
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werden. Ein V-Mann der Politischen Polizei meldete am 11. September 1941 aus Wien, daß in den Lagern „die größten Unzuträglichkeiten durch die Lagerführer entstehen, die fast nie ihren Aufgaben gewachsen sind. In der Regel handelt es sich um Personen, die am Ort eingestellt worden sind, die diese Tätigkeit nicht kennen, die keineswegs immer beide Sprachen perfekt sprechen und die auch nicht immer ehrbar sind. Sie kümmern sich zu wenig um die Arbeiter, vernachlässigen die örtliche Lösung kleinerer Zwischenfälle, die sich naturgemäß täglich ergeben, sie vollziehen oftmals nicht in der notwendigen Regelmäßigkeit ihre Verwaltungsgeschäfte, sondern berauben die Arbeiter der für sie vorgesehenen Lebensmittel. Andererseits lassen die Kontrollen und die Überwachung durch die für diese Aufgabe zuständigen italienischen Behörden sehr zu wünschen übrig. Von den Personen, die diese Koordinierungsaufgabe zu erfüllen haben und die von der Industriearbeiterföderation des Königreichs entsandt werden, gibt es zu wenige und mitunter sind sie vollkommen ungeeignet fur diese Arbeit. Die Zahl dieser Beauftragten ist zu klein im Verhältnis zur Zahl der in dieser Region beschäftigten Arbeiter, so daß die Lager noch nicht mal einmal pro Monat von den Delegierten besucht werden. Darüber hinaus bestehen nur in spärlichen Fällen gute Beziehungen zwischen den Delegierten und den deutschen Behördenvertretern (...) Das Hauptmotiv der Unzufriedenheit muß aber in dem Faktum gesehen werden, daß die Arbeiter sich allgemein vollkommen allein gelassen und ohne Unterstützung durch die italienischen Behörden fühlen — angesichts der zu kleinen Zahl von Delegierten, die damit beauftragt sind, sich um ihre Belange zu kümmern. Das Faktum, daß diese Delegierten sich allzu selten in den betreffenden Lagern sehen lassen — und wenn sie sich sehen lassen, nehmen sie sich nicht die Zeit, sich die Klagen aller Arbeiter anzuhören —, gibt den Arbeitern die Überzeugung, daß die Delegierten sich nicht um sie kümmern. Viele Arbeiter beschweren sich auch über die schlechte Behandlung, die die Delegierten ihnen gegenüber an den Tag legen, so daß es viele Arbeiter vorgezogen haben, sich direkt an die deutschen Behörden zu wenden, anstatt ihren Delegierten um Hilfe zu bitten. Diese Umstände haben in einigen Lagern zu äußerst schwierigen Situationen geführt, es besteht eine Spannung zwischen Arbeitern auf der einen Seite und Lagerfuhrern bzw. Behörden auf der anderen. Diese Spannung ist teilweise durch irgendwelche unwesentlichen Tatsachen hervorgerufen worden, die zu schweren Folgen gefuhrt haben, gerade weil es im Lager keine Person gab, die geeignet gewesen wäre, die Arbeiter zu überzeugen und im Rahmen zu halten." 497 Diese Situation wirkte sich im übrigen auch auf einen wohlgesonnenen faschistischen Gewerkschaftsdelegierten unweigerlich aus - wie im Fall von Antonio Amori, der am 28. November 1942 aus Dresden folgende Zeilen an seine Ehefrau schrieb: „Seit 6 Monaten bin ich allein, allein, allein, ohne einen Freund, du bist weit weg, die Kinder sind weit weg. (...) Es scheint mir manchmal, daß alles zwischen uns steht und daß mich die Kinder vergessen und daß du in Trübsinn verfällst, der uns noch mal voneinander entfernt als uns näherzubringen. Ein Schweigen, als wäre es ein Lebewohl. Und jetzt bin ich in der Lage zu reagieren, und ich bin hier, um den Zug zu nehmen und um nach Italien zurückzukehren. Lieber unter schlechteren Bedingungen leben als so wie jetzt. (...) Ich muß dem hinzufügen, daß meine politischen Ideale jeden Tag zu Bruch 4 9 7 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Wien, den 11. 9. 1941.
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gehen: durch das Unverständnis von vielen, durch die Dummheit der Mehrheit, die mich nicht arbeiten läßt, wie ich es im wahren Interesse unserer italienischen Arbeiter tun müßte. Mitten unter all den Unehrlichen. Und anstatt wirklich etwas zu arbeiten, muß ich einen halben Tag zwischen den Behörden hin- und herlavieren — um alle ihre geheimen Präferenzen zu verstehen, um zu verstehen, wen sie schützen, um sich vor ihren Sippschaften zu schützen. Und die Arbeiter erwarten von mir Worte und Taten, die ihnen zu helfen versuchen und die ihnen die Mittel verschaffen, ihren Arbeitsalltag zu leben. Auch ihnen geht es so wie mir, schlechter als mir, in den Lagern: sie sind weit weg von den Familien, um ihren Familien und ihren Kindern eine bessere Zukunft und einen guten Namen zu verschaffen. Sie, die guten, sie arbeiten wirklich für das Vaterland und leisten einen echten und sichtbaren Beitrag. Wenn ich sie in den Lagern wiedersehe, dann blicken sie so, daß es den Anschein hat, als würden sie alle diese Dinge sagen, und diese Dinge wiederhole ich mir erschöpft am Ende eines jeden Tages, weil ich selbst mich nicht davon überzeugen kann, daß so viele Menschen den Faschismus verraten - auf so unsichtbare Weise, über die tausend Details, die sich jeden Tag und bei jeder Handlung ergeben. Der Faschismus bezahlt sie, aber sie .bedienen, sich' des Faschismus, um im Großen oder im Kleinen ihre Pfründe zu verteidigen und sie machen eine Politik, die ausschließlich darauf ausgerichtet ist, ihre eigene Person wertzuschätzen." 4 9 8 Aber hier ist ζ. B. der Brief, den Alberto R. Cosentino, ein Arbeiter aus Savona und ein treuer Faschist, am 2 5 . Oktober 1941 aus Duisburg nach Hause schrieb. Cosentino war ebenso erstaunt über die Behandlung, die ihm widerfuhr, wie über die Korruption, die er bei der Lagerleitung feststellen mußte: „Liebste Braut, heute erhalte ich zum ersten Mal in meiner Hütte deinen von mir so geliebten Brief. Ich würde deine Briefe am liebsten zu jeder Tageszeit bekommen, weil sie für mich in dieser Umgebung, in der ich lebe und die mir so vorkommt, als würde man wie betäubt in den Wolken schweben, so viel Halt geben. Nichts zu verstehen, nichts sagen zu können — vor allem in den letzten Tagen hätte meine Zunge zahlreichen Idioten beweisen müssen, daß hier niemand ein D u m m k o p f ist. Aber leider mußte ich mich als D u m m k o p f verhalten, ich konnte meine Argumente nicht vorbringen, und ich mußte gezwungenermaßen ein Untergebener jener Lumpen bleiben, die eigentlich positiverweise aus Italien geschickt worden sind, um den italienischen Arbeitern beizustehen, die sich statt dessen jedoch mit Leib und Seele der Firma und den Herren Arbeitgebern verschrieben haben und uns nun auf jede Art quälen — wobei schändlicherweise unser finanzieller Vorteil, die heilige Frucht des Schweißes des italienischen Arbeiters, verletzt wird ( . . . ) Die italienischen Behörden wissen von alledem überhaupt nichts und glauben, daß jeder sein Amt mit gewissenhafter Ehrlichkeit ausübe - so etwas geschieht, weil die meisten unter den Arbeitern leider arm im Geiste sind und nicht wissen, daß es genügen würde, unseren Vorgesetzten die Diskrepanz zu melden, um danach schleunigst mit jener Liebe versorgt zu werden, die der Faschismus seinen Söhnen in der Heimat und im Ausland zukommen läßt. Was hier passiert, scheint mir ein Einzelfall zu sein, weil wir
4 9 8 ACS, Min. Int., D G P S , DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Handschriftlicher Brief, zensiert, adressiert an Clara Costanzi, V. San Paolo 36, Assisi (Italia), und zurückgeschickt an Dott. Antonello Amori, Delegato Sindacale Italiano bei D.A.F., Platz du Sa 14 [sie], Dresden (Germania), gez. Antonello.
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abgeschieden in einem Dorf leben, das von allem weit weg ist. Aber Morgen, Sonntag, den 26. Oktober, wird in Duisburg der Marsch auf Rom gefeiert. Zu diesem Anlaß sind alle Faschisten eingeladen. Es wird auch der italienische Konsul teilnehmen — stell Dir vor, welche Freude, nach drei Monaten Lethargie endlich den Mund aufmachen zu können und ein paar klare Worte auf Italienisch sagen zu können, woran wir leiden und wer diejenigen sind, die wenig oder überhaupt keine kameradschaftlichen Gefühle als Italiener und als Faschisten haben und dadurch gerechtfertigten Unmut unter einer Gruppe von Arbeitern hervorgerufen haben, deren Betreuung ihnen von der Heimat besonders ans Herz gelegt worden ist. Um zu meinem Fall zurückzukommen. Nun heißt es, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Ich will dir nicht alle Einzelheiten beschreiben, wie diese häßliche Sache vor sich gegangen ist und vor sich geht. Es mag genügen, daß der Vertrauensarzt der Firma sich bewußt ist, daß mein Zustand sich verschlechtern könnte, wenn ich weiter diesem Klima ausgesetzt bin, und daß er daher der Ansicht ist, mich repatriieren zu lassen. Aber der Herr Lagerfuhrer — der sich in Übereinstimmung mit der Firma befindet, die interessiert daran ist, einen bis zum Maximum auszubeuten — zerreißt die ärztlichen Bescheinigungen vor meinen Augen und befiehlt mir in einem napoleonhaften Gehabe, die Arbeit wiederaufzunehmen. Was willst du machen?" 499 Der 1907 in Serra San Bruno in der Provinz Catanzaro geborene Camillo De Leo, der seit 1923 der Faschistischen Partei angehörte und im Dezember 1942 aus Deutschland heimkehrte, erklärte folgendes: „Ich habe fünf Monate als Arbeiter in Deutschland zugebracht und dabei alle möglichen Quälereien, Mißbräuche und Übergriffe der gewissenlosen Vorgesetzten erlitten, und daher erkläre ich vor allen meinen Vorgesetzten, daß es, wenn der italienische Arbeiter in Deutschland leidet, allein die Schuld der dort befindlichen Delegierten und Vertrauensleute ist, denn sie sind die niederträchtigsten Wesen dieser Erde, unwürdig, die faschistische Uniform zu tragen, hinter deren Abzeichen sie alle ihre Missetaten, welche italienischer Menschen unwürdig sind, verstecken." 500 Der Lagerchef des Italienerlagers in der Cannstätter Straße 37, Vertrauensmann der Stuttgarter Firma Mahle, hatte ihn von der Arbeit suspendiert, weil er auf seinen Rechten bestand: denn als Metallfacharbeiter erzielte De Leo bei weitem mehr als den pro Tag festgesetzten Akkordlohn, aber dennoch wurde ihm nur der normale Tagesverdienst bzw. wenig mehr als dieser ausgezahlt. „Er hat mich entlassen ohne Lebensmittel, nur mit dem Brot, das ich schon bezahlt hatte, und überließ mich meinem Schicksal in einem Land, das ich nicht kannte, in der Annahme, daß ich vor Hunger sterben würde. Er drohte mir, daß ich wegen des Mangels an Lebensmitteln in einem russischen Kriegsgefangenenlager enden würde. Ich trat den Weg an und erreichte die Grenze, wo ich meinen Fall einem leitenden Angehörigen der deutschen Polizei erklärte; dieser konnte sich in meine Situation hineinversetzen und hat
499 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Auszug aus einem, mit normaler Post beförderten Brief. Absender: R. Alberto Cosentino, Chamberystr. 9, Duisburg (Germania), Adressat: Frau Malvina Cosentina, Via Montenotte 36/9, Savona, datiert: Duisburg, 25. 10. 1941. 500 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Carabinieristation von Serra San Bruno: Erklärung von Camillo De Leo, Sohn des verstorbenen Carmine De Leo und der Rosina Bertucci, 1907 in Serra San Bruno geboren und dort wohnhaft, datiert: Serra San Bruno, den 22. 2. 1943-XXI".
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mir eine Unbedenklichkeitserklärung ausgestellt, mit der ich nach Italien zurückkehren konnte." 5 0 1 Auf welche Art und Weise kam es zu den Diebstählen von selten der Lagerleiter, der Vertrauensleute, der Dolmetscher und der Köche? Es kam häufig vor, daß sich das Lagerpersonal einen Teil der Lebensmittel aneignete, die als Genußwaren für die Arbeiter aus Italien geschickt wurden. In den meisten Fällen wurden sie dann auf dem Schwarzmarkt verkauft, wie aus der Zeugenaussage von Carlo Del Farra über die Volkswagenwerke in Fallersleben hervorgeht und wie es — wie weiter unten geschildert — auch in der Lagern der Essener Krupp-Werke vorkam. Der 1902 in Volta Mantovana geborene Luigi Ferrari war seit Dezember 1941 Vertrauensmann in einem von italienischen Arbeitern bewohnten Lager der Firma Flettner in Berlin. Er eignete sich Geld der Arbeiter an, indem er die Preise fur die aus Italien kommenden Lebensmittel weit überhöhte — von denen er außerdem einen Teil einbehielt, um damit zu ebenfalls erhöhten Preisen Handel zu treiben. Ferner verkaufte er an italienische Arbeiter eines anderen Lagers ein Paar Skistiefel zu 120 Mark und einen Anzug fiir 250 Mark. Er konnte daher mehr Geld nach Italien schicken, als er an Lohn erhielt, konnte aber deswegen keine reguläre Lohnüberweisung machen und vertraute nach und nach das Geld Arbeitern an, die für den Heimaturlaub nach Italien zurückreisten, damit sie das Geld seiner Familie übergaben. Als die Sache aufflog, wurde er seines Amtes enthoben. 502 Enrico Calloni, 1906 in Varese geboren, war provisorisch damit beauftragt worden, für die Entgegennahme und die Verteilung der italienischen Lebensmittel in dem Lager der Berliner Askania-Werke zu sorgen. Er forderte Lebensmittel für etwa 15 Personen mehr an, als er an Arbeitern im Lager hatte - wir wissen nicht, ob er damit die Einzelrationen erhöhen wollte oder ob er mit dem Uberschuß Handel treiben wollte —, aber es gelang ihm darauf nicht, das Fehlen der überschüssigen Lebensmittel zu rechtfertigen. 503 Mario Gamboni, Vertrauensmann im Lager Adlershof in der Berliner Bismarckstraße, verkaufte einem gewissen Herrn Mökl einen gebrauchten Pelzmantel für 450 Mark, ein Paar gebrauchte Stiefel für 250 Mark und eine Armbanduhr fur 150 Mark. Außerdem organisierte er, daß auch einige der Arbeiter des Lagers an diesen „Kunden" Wein, Tabak und hochprozentigen Alkohol verkauften und nahm schließlich noch „an einem ausgedehnten .Umtrunk' [teil], der aus Anlaß des genannten Verkaufs in einer Baracke des Lagers stattfand". 504 In einem anderen Lager ermächtigten zwei Vertrauensleute im Sommer 1941 den Arbeiter Arturo Buonaccorsi (1906 in Papanice geboren, wohnhaft in Crotone) Zigaretten und Wein
501 Ebenda. 502 ACS, Min. Int., D G P S , DAGR, PS 1943, Band 26, Kgl. Präfektur Mailand, Divisione P.S., Prot. Nr. 095845/942 u.p., an das Innenministerium, Generaldirektion Polizei, Abteilung Allgemeine und Vertrauliche Angelegenheiten, Rom, betr.: Luigi Ferrari, Sohn von Sperandio Ferrari und von Maria Floriana, geboren am 22. 11. 1902 in Volta Mantovana, hier wohnhaft im Largo Notari n. 2, ehemals Arbeiter in Deutschland - Vertrauensmann eines Arbeiterlagers, datiert: Mailand, den 17. 4. 1943 XXI. 503 Ebenda, Schreiben an das Kgl.-Italienische Generalkonsulat Berlin, betr.: Calloni Enrico, geboren am 26. 11. 1906. 504 Ebenda, Abschrift eines Briefes. Adressiert an das Kgl.-Italienische Generalkonsulat zu Berlin, betr.: Mario Gamboni, Sohn des Nicolö Gamboni, geboren am 17. 2. 1899 in Sassowaro, wohnhaft in Pesaro...; die Abschrift trägt den Eingangsstempel des Innenministeriums vom 12. 5. 1942.
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einzukaufen - den Wein kaufte dieser für 2,80 Mark die Flasche ein und verkaufte sie zu 5 bis 6 Mark. Der Gewinn sollte an die beiden Vertrauensmänner abgegeben werden. Als Gegenleistung erhielt Buonaccorsi ab und zu ein Stück Brot.505 Die Lagerküche war offensichtlich der bevorzugte Ort für solche Unterschlagungen, die häufig direkt von den Köchen begangen wurden. Der Koch Carlo Besedniak, der bei der Wittenauer Firma Max Hensel beschäftigt war, teilte im Juni 1943 an die Arbeiter statt der ihnen zustehenden 150 Gramm Butter nur 125 Gramm aus — mit der Entschuldigung, daß er die Differenz in die Suppe getan habe, die er für die Arbeiter zubereitet hatte. Diese Sache und das Verschwinden von 98 Litern Wein aus einem Faß, das übrigens vom Vertrauensmann versiegelt worden war, führten dazu, daß der Koch das Lager verlassen mußte, weil die Arbeiter ihn nach Strich und Faden verprügeln wollten. 506 In vielen Lagern gab es Streit um die Kontrolle der Küche. Der 1911 in Mailand geborene Angelo Grisa, der seit August 1941 bei der Firma Argus im friesländischen Norden beschäftigt war, führte zusammen mit den anderen Arbeitern seines Lagers einen Kampf gegen das „unkorrekte und unehrliche Verhalten des Lagerleiters, der uns die für uns bestimmten Lebensmittel vorenthielt und der es zuließ, daß auch die Küchenangestellten aus ihrer Stellung zum eigenen Nutzen Profit schlugen, indem sie kaum ausreichendes und mit wenig Zutaten zubereitetes Essen kochten. Aufgrund der Proteste durch uns Arbeiter (...) wurde der Lagerleiter daraufhin auf Anordnung der italienischen Delegation ersetzt, und es wurde der Befehl gegeben, die Zeltvorhänge, die den Blick auf die Küche verhinderten, zu beseitigen, so daß alle sich über die Zubereitung des Essens Gewißheit verschaffen konnten. Der neue Lagerleiter ordnete später an, die an der Essenausgabe befindlichen Küchenfenster durch Anmalen zu verdunkeln, doch die Arbeiter (...) wollten daraufhin die Fenster kaputtschlagen. (...) Obwohl der Unterzeichnete (...) die Erlaubnis besaß, als Kontrolle von Seiten der italienischen Delegation in die Küche einzutreten, (...) ging er allein in das Innere der Küche und ließ sich vom Koch (...) heißes Wasser bereiten, um darauf von einem anderen Arbeiter (...) die Malerei von den Fensterscheiben entfernen zu lassen. (...) Als Folge dieser Zwischenfälle bin ich zusammen mit anderen Arbeitern zwangsweise repatriiert worden, weil mir Disziplinlosigkeit vorgeworfen wurde." 507 Häufig endeten die Auseinandersetzungen mit den Lagerleitern auf diese Weise, d. h. mit der Repatriierung derjenigen, die protestierten. So wurden zum Beispiel drei Arbeiter, die lange in Frankreich gelebt hatten, repatriiert, weil ihnen von den Vertrauensmännern des Lagers, Ernesto Guidubaldi und Ernesto Franceschini sowie vom Koch Modesto Veronesi „kommunistische Propaganda" vorgeworfen wurde: und zwar sollte der 1909 in Calolzio Corte in der Pro-
505 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Kgl. Präfektur Catanzaro, Divisione P.S., Prot. Nr. 10256, an das Innenministerium, Generaldirektion Polizei, Abteilung Allgemeine und Vertrauliche Angelegenheiten II, Rom, betr.: Arturo Buonaccorsi, Sohn des Gioacchino Buonaccorsi, geboren am 14. 11. 1906 in Papanice, dort wohnhaft; datiert: Catanzaro, den 17. 12. 1942 - Jahr XXI. 5 0 6 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Kopie eines Briefes. Ufficio Sindacale Italiano. Delegazione di Berlino: Bericht zu Lasten von Carlo Besedniak, Koch bei der Firma M a x Hensel in Wittenau, datiert: Berlin, den 18. 6. 1943 - X X I . 5 0 7 A C S , M i n . Int., DGPS, DAGR, PS 1942, Band 3/B, Ufficio Politico der Kgl. Quästur Mailand, Protokoll des Verhörs von Angelo Grisa, Sohn des Ernesto Grisa und der Giuseppina Torriani, geboren am 12. 3. 1911 in Mailand und dort wohnhaft in Via Cino da Pistoia 9.
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vinz Bergamo geborene Angelo Carenini „Mißfallen über die Zensur seiner Briefe" geäußert haben, indem er diese als „die neue, fortschrittliche Zivilisation bezeichnete" 508 ; ferner sollte er sich angeblich „immer darüber zufrieden [gezeigt haben], wenn die Kriegsnachrichten für uns ungünstig ausfielen". 509 Cleto Gervasi, der im Jahr 1900 in Apiro in der Provinz Macerata geboren wurde und in Castel Raimondo wohnhaft war, „brüstet sich damit, in Frankreich der kommunistischen Partei angehört zu haben und 6 Monate Gefängnis hinter sich zu haben". 510 Der 1922 in San Biagio in der Provinz Pistoia geborene Leo Beneforti „hat gesagt (...), daß Hitler und Mussolini der Kopf abgeschnitten werden müsse". 511 Aber Angelo Carenini erklärte während des Verhörs: „Wegen der Arbeit wanderte ich am 26. April 1941 nach Deutschland aus und fand Beschäftigung bei einer Baufirma, genau gesagt bei der Firma Betzel in Mainz. (...) Ich bin sicher, daß Ernesto Franceschini und Amilcare Guidubaldi aus Rache diese Anklage erhoben haben. Die beiden haben alles versucht, um mich aus Deutschland zu entfernen, weil ich entdeckt hatte, daß sie den Deutschen zu völlig überhöhten Preisen Wein, Teigwaren und Tabak verkauften, die sie den italienischen Arbeitern geraubt hatten. Diese Entdeckung geschah auf folgende Weise: einige Baustellenleiter bekamen Klagen von selten der italienischen Arbeiter zu hören, weil diese 4 Mark mehr zahlen mußten für die Waren aus Italien, als der wahre Preis betrug. Außerdem bekamen die Arbeiter mengenmäßig weniger Waren als auf den Beförderungsscheinen verzeichnet war. Da ich gegenüber den beiden Lagerführern einen Verdacht hatte, (...) ließ ich mir von dem deutschen Leiter Karl Penter den persönlichen Schrank der beiden öffnen (...) Dort fanden sich die folgenden Waren, die der Verteilung entzogen worden waren: 5 Flaschen Wein; 10 kg Teigwaren; 14 Päckchen Zigaretten Marke Nazionali zu jeweils 20 Zigaretten das Päckchen; 4 Schachteln mit toskanischen halben Zigarren zu je 10 Zigarren pro Schachtel; eine halbe Schachtel Tomatenmark und etwas Marmelade. (...) Ein Deutscher (...) hat mich informiert, daß eine Flasche Wein, die nicht zur Verteilung kam, zu 25 Mark verkauft worden war (...) Ich habe keine reguläre Anzeige wegen dieser Sache gemacht, weil ich mich von den Bitten der beiden Verantwortlichen habe erweichen lassen. Die beiden haben aber dann versucht, mir Schaden zuzufügen, haben mich beim Konsul in Frankfurt angezeigt, weil ich subversive Propaganda gemacht haben soll, und ließen mich auf diese Art und Weise verhaften." 512 Um sich zu verteidigen, sahen sich die italienischen Arbeiter daher häufig gezwungen, sich gegen die faschistischen Gewerkschaften auf die Seite der Deutschen zu schlagen — wie dies bereits aus dem Bericht des Vertrauensmanns in Wien hervorging. So wurde beispielsweise der
508 ACS, Min. Int., D G P S , DAGR, PS 1943, Band 26, Innenministerium, Generaldirektion Polizei, Abteilung Allgemeine und Vertrauliche Angelegenheiten Sektion II, betr.: Erklärung unterzeichnet von Vertrauensmann Amilcare Guidubaldi, Ernesto Franceschini, Modesto Veronesi, Mainz, den 28. 1. 1943 (Kopie). 5 0 9 Ebenda. 5 1 0 Ebenda. 511 Ebenda. 5 1 2 ACS, Min. Int., D G P S , DAGR, PS 1943, Band 23, Protokoll des im Gerichtsgefängnis von Bergamo am 19. 4. 1943 vorgenommenen Verhörs von Angelo Carenini, Sohn von Angelo Carenini und Teresa Rossi, geboren am 3. 8. 1909 in Torre de' Busi, wohnhaft in Calolziocorte, Maurerpolier.
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Italienische „Fremdarbeiter " im „Dritten Reich "
faschistische Arbeiter Gino Moriconi, der häufig der Arbeit fernblieb und auf diese Weise seine italienischen Kollegen bei den Buderus'schen Eisenwerke in Wetzlar verärgerte, Mitte April 1942 von zwei deutschen Polizeibeamten zwangsweise zur Arbeit geschafft. Die faschistische Gewerkschaftsdelegation - über die sich bereits vorher fast alle italienischen Arbeiter wegen der schlechten Essenversorgung beschwert hatten - ordnete aus Protest darüber die Repatriierung von allen 33 italienischen Arbeitern, die bei dieser Firma beschäftigt waren, an. Aber viele Arbeiter — einige von ihnen hatten erst kurze Zeit vorher einen Verlängerungsvertrag für ein weiteres Jahr unterzeichnet - versuchten sich in Absprache mit der deutschen Firma der Anordnung zu widersetzen, weil sie dort einigermaßen gut verdienten und außerdem fürchteten, in Italien keine Arbeit zu finden. Sie wurden trotzdem alle zwangsweise repatriiert.513 Mitunter eigneten sich die Lagerführer sogar die Ersparnisse der Arbeitsmigranten an. So bereicherte sich ein Lagerführer in einem Lager in Bremen — dies berichtete Domenico Cecchella — im Jahr 1941 um 12.000 Mark. 514 Bei der Firma Rheinbach in Lager [sie] übergab der 1902 in Pesaro geborene Metallarbeiter Dante Andreani am 10. September 1941 dem Lagerführer und Vertrauensmann Siciliani 300 Mark, was 2.200 Lire entsprach, damit dieser sie über die Banca delLavoro nach Italien überweisen sollte. Aber der Lagerführer behielt sie selbst. Dies wurde entdeckt, und ihm wurde der Prozeß gemacht, aber — wie dies Dante Andreani fast zwei Jahre später in einem Brief an seinen Bruder Umberto kommentiert — „ich glaube, daß die Sache schlecht ausgeht, für all diejenigen, die wie wir betrogen worden sind, und das sind 80 Arbeiter, also 80 gestohlene Lohnüberweisungen, für die unser Vertrauensmann mit 4 Monaten Gefängnis weggekommen ist." 515 Auch der Lagerführer Dino Cirella (1889 in Gaiba in der Provinz Rovigo geboren) wurde von einem Hannoveraner Gericht zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er sich 2.000 Mark angeeignet hatte, die ihm von Arbeitern gegeben worden waren, damit er für die Uberweisung des Betrags nach Italien Sorge trage. 516
513 Ebenda, Vgl. Kgl.-Italienisches Generalkonsulat, Aktenzeichen A 59, Frankfurt am Main, den 11. 5. 1943, Schreiben an das Kgl. Innenministerium Rom, die Kgl.-Italienische Botschaft zu Berlin, die Kgl. Polizeibehörden in Terni und Vercelli, betr.: Zwangsrepatriierung der bei den Buderusschen Eisenwerken in Wetzlar beschäftigten Arbeiter. In diesem Aktenband finden sich auch die Protokolle der polizeilichen Befragungen von Marsilio Brunetti (1904 in Assisi geboren), von Umberto Pastori (1893 in Terni geboren), von Silvio Collarini (1896 in Gualdo Tadini geboren), von Ermando Corridori (1899 in Bagni, L'Aquila, geboren), von Fioravante Ceccarelli (1905 in Terni geboren), die alle - mit Ausnahme derjenigen Corridoris, die am 12. 7. 1943 in Arrone stattfand - zwischen dem 23. und dem 29. 6. 1943 im Polizeipräsidium von Terni vorgenommen wurden. 514 Interview mit Domenico Cecchella. 515 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Handschriftlich verfaßter und staatlich zensierter Brief von Dante Andreani, Via Gargattoli 4, Pesaro, an Umberto Andreani, Adlershof, RB Lager, Berlin, Deutschland, Poststempel vom 12. 1. 1943. Vgl. auch für weitere Informationen in dieser Angelegenheit das Schreiben der Kgl. Polizeibehörde von Pesaro-Urbino, Abteilung P.S., Prot. Nr. 01955, an das Innenministerium, Generaldirektion Polizei, Abteilung Allgemeine und Vertrauliche Angelegenheiten Sektion IIa, Rom; betr.: Zensierter Brief, 13. 4. 1943 - X X I . 516 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 24, Schreiben des Korporationsministeriums, Kommissariat für Migration und Kolonisation, Servizio Migrazioni Estero, Prot. η. 11/18842/E.18/7 vom 9. 11. 1942 - XXI an das Innenministerium, Generaldirektion Polizei, Abteilung Allgemeine und Vertrauliche Angelegenheiten, Rom, betr.: Repatriierung von italienischen Arbeitern aus Deutschland aus unterschiedlichen Gründen.
Die Korruptheit von Lagerführern und Lagerobmännern
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In einigen Fällen gingen die Lagerführer sogar so weit, an den Briefmarken zu verdienen, indem sie die Briefe, die nach Italien als Einschreiben abgeschickt werden sollten, mit der normalen Post befördern ließen und den DifFerenzbetrag einsteckten. 517 Außerdem ließen sich die Lagerführer, Vertrauensleute und Dolmetscher gewöhnlich selbst für die kleinsten Gefälligkeiten gesalzene Summen bezahlen. Gino Borghesi aus Cattolica in der Provinz Forli schrieb ζ. B. im April 1943 an Franco Acone von der italienischen Gewerkschaftsdelegation — zu einem Zeitpunkt, als es für die meisten zum wichtigsten Anliegen wurde, aus Deutschland wegzukommen (aber die Ereignisse der Buderus-Eisenwerke zeigen, daß es nicht das Anliegen von allen war): „Was macht der neue Vertrauensmann denn Schönes? Soviel ich feststellen konnte, schmeckt ihm das Wasser nicht besonders [seil.: eine Umschreibung für: er klaut Wein]. Und Pazzani? Es gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, viel zu reden, aber da er ein Heuchler ist und ich Schurke zu ihm sagen könnte, will ich dir nicht verschweigen, daß er sich nicht schämt — wie mir von verschiedenen Arbeitern gesagt worden ist — sich 50 Mark zahlen zu lassen, um die Rückreise von ein paar Herumstreunern, die sich im Lager Drapig [sie] herumtreiben, unterstützen zu können. Ein gewisser Mingucci aus Rimini hat ihm 50 Mark gegeben, einer namens Barboni 50, einen anderen ließ er 10 oder 15 Tage warten, wobei er - soweit mir berichtet wurde — täglich 3 Mark bekam, oder besser: er ließ sie sich bezahlen. Und mehr will ich gar nicht erzählen." 518 Riccardo Trevisani aus Pagnacco in der Provinz Udine mußte aus gesundheitlichen Gründen aus dem Arbeitslager der Brühler Eisenwerke repatriiert werden. Er brauchte dringend die nötigen Dokumente. Er bekannte in einem Brief an einen Arbeitskameraden: „Ich habe dir noch nicht erzählt, du weißt, daß der Herr Vertrauensmann 30 Mark verlangt hat, um mir die Bescheinigungen auszustellen - denn er sagte, er habe sich mit einem von der Verwaltung verständigt und ich habe ihm gesagt, das sind Fälschungen - , und doch mußte ich sie ihm geben und habe ihn darauf angezeigt. Er hat soviel reden und machen hören, daß ich ihm 10 Mark geben mußte, und er hat mir gesagt, die anderen 20 legt er aus. Was sagst du dazu? So geht es nicht - einen armen Arbeiter ausbeuten..." 5 1 9 Der Brief landete in den Händen der Zensur, und die Faschistische Gewerkschaftsdelegation in Köln versetzte den Vertrauensmann Domenico Formosa und zwang ihn dazu, dem Trevisani die 10 Mark zurückzugeben. 520 Giuseppe Cobitto, 1923 in Valle Moncallo in der Provinz Vercelli geboren, erklärte im November 1941 über den 1891 in Como geborenen Giovanni Corti, der als Dolmetscher bei der Deutschen Metallwerke AG im Frankfurter Stadtteil Heddernheim tätig war:
517 Vgl. die Erzählung von Marco Travaini im nächsten Abschnitt. 518 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Handschriftlich verfaßter und staatlich zensierter Brief von Gino Borghesi, Cattolica (Provinz Forll), an Herrn Franco Acone, Italienische Delegation, Halle/Saale, Platz 42/44, Deutschland. 519 Ebenda, Zensurbüro für Auslandspost II, Abschrift eines Briefauszugs. Absender: Riccardo Trevisani, Pagnacco (Prov. Udine); Empfänger: Emilio Benvenuti, Brühl (Köln), Elisabethstr. 39, Deutschland. 520 Ebenda. Vgl. das Schreiben des Korporationsministeriums, Kommissariat für Migration und Kolonisation, Prot. η. 11/5220/E.R./15 vom 6. 7. 1943, an das Innenministerium, Generaldirektion Polizei, Abteilung Allgemeine und Vertrauliche Angelegenheiten, Rom, betr.: Arbeiter Riccardo Trevisani aus Pagnacco (Udine).
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich "
„Am 23. 10. (...) bekam ich einen Urlaub bewilligt, um mich zu meiner Familie zu begeben, wo ich meiner Mutter beistehen wollte, weil von der Kgl. Marine die Mitteilung gekommen war, daß mein Bruder als vermißt zu gelten habe. Ins Lager zurückgekehrt [von der Arbeit] bat ich den Dolmetscher um die Erledigung der für den Urlaub notwendigen Papiere. Es war samstags, etwa um 13 Uhr. Der Dolmetscher Corti antwortete mir, daß samstags um 13 Uhr die Lagerbüros geschlossen würden und er daher bis montags nichts machen könne. Da ich aber doch so dringend nach Hause fahren mußte, bat ich den Dolmetscher, sich doch trotzdem zu bemühen und ich bot ihm 10 Reichsmark als Entschädigung. Corti akzeptierte das Geld und erledigte sofort die notwendigen Vorgänge. Am selben Abend noch konnte ich so, ordnungsgemäß mit allen Ausweisen versehen, nach Hause abreisen."521 Mario Bernardo Borgatta erinnert sich, daß der faschistische Vertrauensmann des Lagers Babelsberg „Essen und alles mögliche klaute. Er stahl Geld und bereicherte sich. Er hatte die Aufgabe, auf unsere Rationen zu achten. Doch unsere Rationen..." Die Struktur der faschistischen Gewerkschaften wurde in den Lagern häufig als Belastung empfunden. Aus Taucha schrieb Valerio Racca am 27. Juni 1941 folgendes an seinen Schwager: „... wenn man dir gesagt hat, daß wir bei der Arbeit gut behandelt werden, ist es richtig, aber wir könnten auch draußen sein, wenn da nicht der italienische Lagerleiter im Weg wäre, völlig draußen geht es einem schlechter als schlecht."522 Und der Arbeiter Emilio Castagna aus Vicenza schrieb aus dem in Norddeutschland gelegenen Echenford am 29. Juni 1943 an seine Frau: „... tut mir einen Gefallen und schreibt nicht mehr ,auf ein baldiges Wiedersehen', denn es wäre viel besser, wenn ich an dem Tag, an dem ich abgereist bin, unter den Zug gekommen wäre; aber dieser Führung, die wir Italiener hier haben, werden wir eines Tages erklären, daß sie das Gesetz unseres Duce, Artikel 1, nicht beachtet, dann werden sie ihr Teil bekommen und dann müßte man denen die Hände abschneiden, die Augen ausstechen und die Zunge in Aspik einlegen, und das wäre immer noch nicht genug."523
25. Der Streik vom 7. April 1942 bei den Essener Krupp-Werken Am 7. April 1942 kam es auf dem Firmengelände der Essener Krupp-Werke zu einer Demonstration von etwa 600 italienischen Arbeitern, die zuvor ihre Arbeit niedergelegt hatten. In einem Schreiben der Abteilung Auslandsmigration des Korporationsministeriums vom 23. Januar 1943 heißt es dazu:
521 Ebenda, Abschrift eines Briefs aus dem Campo sociale von Heddernheim [sie], datiert: Frankfurt am Main 20. 11. 1941 und gez. Giuseppe Cobitto, an die italienische Gewerkschaftsdelegation in Frankfurt am Main. 522 ACS, Min. Int., DGPS, DPP, Band 223, Maschinengeschriebene Kopie eines handschriftlichen Briefes. Absender: Valerio Racca, Italienerlager M.M.W., Taucha (Bezirk Leipzig), an Mavi Racca, Piazza Statuto 13, Turin. Poststempel Taucha (Bez. Leipzig) 30. 6. 1941. 523 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 25, Faszikel 15b, Zensierte Postkarte. Absender: Emilio Castagna, Echenford, Norddeutschland, an Olinta Castagna, Santa Croce n. 52, Vicenza, Italien.
Der Streik bei den Essener Krupp-Werken
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„Betreff: Polizeiliche Maßnahmen. Arbeitsniederlegung bei der Firma Krupp. Die Arbeiter, die im folgenden Verzeichnis aufgeführt werden und die bei der Firma Krupp in Essen beschäftigt waren, sind von Amts wegen aus Deutschland repatriiert worden, da sie sich als Anstifter einer schweren disziplinarischen Verfehlung erwiesen haben. Am 7. April letzten Jahres haben sich etwa 600 italienische Industriearbeiter, die bei der oben genannten Firma beschäftigt waren, der Arbeit enthalten und eine Demonstration inszeniert, die erst durch den Einsatz der Werkpolizei aufgelöst werden konnte. Vorwand für diese Demonstration war die schlechte Zubereitung des Essens am Vortag und die ausgebliebene Verteilung des Tabaks. Der wahre Beweggrund der Disziplinlosigkeit ist jedoch in der Unruhe bei den in der Anlage aufgeführten Arbeitern zu suchen, die sich als aufrührerische Elemente erwiesen haben, welche jeglicher Disziplin abhold sind. Dies vorausgeschickt ist das hiesige Kommissariat der Meinung, daß gegenüber den in Frage kommenden Arbeitern eine Strafmaßnahme zur Anwendung kommen soll. Hier wird in jedem Fall die definitive Entscheidung Ihres Ministeriums diesbezüglich erwartet."524 Es folgen die Namen von 19 Arbeitern: Emilia Guarnieri, Arturo Tedoldi, Daniele Preti, Vittorio Fontana, Angelo Arrighini, Battista Baiguerra, Alfredo Cippini, Alfredo Costa, Dante Lazzaroni, Italo Bonometti, Carlo Poffa (aus Brescia); Primo Ghidoni (aus Molinetto, Provinz Brescia); Giacomo Bresciani (aus Nuvolera, Provinz Brescia); Domenico DiTrani, Nicola Recina, Marco Travaini (aus Mailand); Abramo Caravina (aus Sesto San Giovanni); Mario Riva (aus Monza); Oscar Calsavara (aus Genua). Das Schreiben verbirgt einen politischen Beweggrund, der jenseits der ausgesprochenen Forderungen liegt, aber es scheint nicht, als sei dies der wirkliche Grund gewesen. In jedem Fall habe ich durch meine Recherchen vor Ort klären können, daß zumindest drei der Repatriierten (Daniele Preti, Dante Lazzaroni und Abramo Caravina) sich selbst als Kommunisten bezeichneten. Ich gebe im folgenden die Aussage von einem der Streikteilnehmer wieder — und zwar von Marco Travaini, der am 11. Mai 1914 in San Giorgio su Legnano geboren wurde und der aus einer katholischen Familie stammt. Travaini wurde später aktives Mitglied der katholischen Gewerkschaft CISL und der Democrazia Cristtana: „Ich bin im Juni 1941 nach Deutschland abgereist. Zu Weihnachten bin ich nach Hause gefahren und am 19. Januar 1942 wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Ich war bei Krupp in Essen. Und zu Ostern 1942 haben wir da den Streik gemacht. Sie hatten uns viel versprochen, auch in der Propaganda: in Deutschland verdienst du viel, du wirst gut behandelt und dies und das (...) Und in Wirklichkeit wäre es uns wie Millionären gegangen, wenn es da keine Italiener gegeben hätte, die klauten. Wir waren Millionäre, aber es durfte auch nicht das Händchen eines Italieners zum Vorschein kommen. Von jenen, die uns die Nudeln wegnahmen, das Fleisch wegnahmen, die Zigaretten wegnahmen, die den Wein verkauften und das alles (...) Wenn die Deutschen dort kommandiert hätten,
524 ACS, Min. Int., DGPS, DAGR, PS 1943, Band 23, Schreiben des Korporationsministeriums, Kommissariat für Migration und Kolonisation, Prot. η. 11/6102/E.18/7 vom 23. 1. 1 9 4 3 - X X I , an das Innenministerium, Generaldirektion Polizei, Abteilung Allgemeine und Vertrauliche Angelegenheiten, Rom, betr.: Polizeiliche Maßnahme - Arbeitsniederlegung bei der Firma Krupp in Essen.
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich "
ich sage es offen und ehrlich (...) denn wir sollten die italienischen und die deutschen Lebensmittelgutscheine bekommen. Stellen Sie sich also vor, wieviel sie uns zu essen geben konnten. Aber die italienischen Lagerkommandanten, ein gewisser Francesco Delle Donne, der Dolmetscher 525 war und aus einem Dorf in der Nähe von Mailand stammte, sowie ein gewisser De Luigi, die mit dem Liktorenbündel, dem faschistischen Stemma, die kommandierten, nicht wahr, und die klauten. Sie schickten die Briefe ab — wir schickten die Briefe per Einschreiben —, aber sie kamen nur normal frankiert an. Und der Streik, den gab es auch aus diesem Grund. Wir beförderten über diese Leute Einschreibebriefe und statt dessen kamen sie als normale Post an. Den Unterschied bei den Briefmarken, den haben sie kassiert, weil sie mit weniger frankierten. Wissen Sie, die hatten die Funktion, da zu sein und den Dieb zu spielen, den Lagerfiihrer. Sie sollten die Arbeiter fragen, ob sie etwas benötigten, aber wenn sie es machten — lassen wir das (...) Ihre Funktion sollte sein, den italienischen Arbeitern Unterstützung zu leisten, vielleicht mit Hilfe eines Dolmetschers — aber die, mein lieber Mann (...) Wir, als wir fast alle nach Italien fuhren, um Urlaub 526 zu machen, an Weihnachten, haben wir immer etwas aus Italien mitgebracht und haben es beiseite getan. Ich habe kleine Salami-Würste mitgebracht, und die habe ich bis Ostern aufgehoben, weil sie uns am Ostersonntag versprochen haben, daß wir besseres Essen bekommen würden, daß die Sachen aus Italien kommen würden, jawohl. Denn wir reklamierten immer mal wieder, daß das Essen zu wenig sei, daß es nicht gut sei, zu dünn, und darauf haben sie gesagt: .Nein, nein, zu Ostern werdet ihr schon sehen (...)' — Und am Ostersonntag haben sie uns .einen guten Teller voll Nudeln' gegeben — aber es war eine durchsichtige Brühe und eine Scheibe Fleisch, die mit der Maschine geschnitten und so dünn war, daß man hindurchsehen konnte, nicht wahr? Aus Italien kamen schon Lebensmittel an. Wein, ja, sie sollten uns eine Flasche pro Woche geben, doch wir bekamen ihn nur einmal im Monat oder alle sechs Wochen. Und dann erzählt mir doch ein Deutscher, mit dem ich zusammenarbeitete und mit dem ich etwas ins Vertrauen gekommen war, eines Tages: ,Ich gestern trinken Wein italienisch', .Wieviel?' — Ja, eine Flasche' — .Bezahlen?' 527 — ,Och, ein paar Münzen', hat er zu mir gesagt. ,Wie ist das möglich, wir sind hier und warten auf den Wein (...) und haben keinen.' Der Wein kam im Lager an, und die Herren, die dort waren, verkauften ihn an die Deutschen. Verstehen Sie? Da kam der Wein zum Beispiel zweioder dreimal im Monat, und uns gaben sie nur ein Mal davon, die beiden anderen Male haben sie ihn verkauft, diese Dreckskerle. Sie unterstanden dort der Partei, und später nutzten sie ihre Stellung aus, um uns schlecht zu behandeln. Und sie verschafften sich Geld über die Briefmarken bis zum Wein und all das andere. Das andere, was das war? Sie waren da den ganzen Tag und machten überhaupt nichts. Das war der Lohn dafür, daß sie die Italiener nach Hause schickten, ohne zu arbeiten. Haben Sie verstanden? Und das waren die Gründe für den Streik. Denn wir beschwerten uns sowohl wegen der Post wie auch wegen der Behandlung, die uns widerfuhr (...) ich zum Beispiel, warum bin ich nach Hause geschickt worden? Weil sie am Abend Gemüsesuppe machten und die war nicht gut. Ich habe das zu einem namens Popi della Barona gesagt: , Hör mal zu. Warum m u ß ich am Abend die Suppe bezahlen, die ich nicht esse?' - .Warum ißt du sie 525 Im italienischen Bericht wird das deutsche Wort benutzt. 526 Im italienischen Bericht wird das deutsche Wort benutzt. 527 Im italienischen Bericht wird das deutsche Wort benutzt.
Der Streik bei den Essener Krupp-Werken
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nicht?' - ,Weil sie mir nicht schmcckt, sie ist nicht gut.' — ,Ach, du wirst dich schon dran gewöhnen (...)' — .Nein, ich pfeife auf das und wir haben ihm alles erklärt. Wir hatten ihm etwas Italienisch beigebracht, und er lehrte uns Deutsch, wissen Sie, wie das so geht. Darauf hat er gesagt, daß er sich drum kümmern würde. ,Aber versprechen Sie das wirklich, daß Sie sich darum kümmern?' Und tatsächlich hat er sich darum gekümmert, aber später hat er gesagt, daß es nicht möglich war, jenen Ort freizuräumen, weil sonst alles zusammengekracht wäre und es eine unnütze Arbeit gewesen wäre. Und darauf haben wir eines Abends unter uns Mädchen und Jungen, Franzosen, eine Besprechung abgehalten, und wir haben gesagt: .Denkt doch mal, wenn es Italiener oder Franzosen sind, die wie die Hunde sterben zu lassen, einfach so. Arme Teufel, wer weiß ( . . . ) , Und tatsächlich ist am Tag darauf Giuliano, der der meine Freundin geheiratet hat, losgegangen, um nachzuschauen. Er war aufgeweckt, sprach gut deutsch, der Junge. Er hat sich informiert und gesagt: J a , ja, es sind wirklich Italiener und Franzosen. Schau dir diese Schweine an, sie wollen sie nicht rausholen.' Und er sagt: ,Hört mal her, wir müssen etwas tun. Wir müssen in der Nacht hingehen und sehen, ob wir sie rausholen können. Denn tagsüber lassen sie uns nicht hingehen, aber wenn wir aufgehört haben zu arbeiten, und wenn wir schnell einen Happen essen, versuche ich zu sehen, ob wir die Erlaubnis bekommen rauszugehen.' Und darauf ist er ins Büro gegangen, er sprach gut Deutsch, und Tatsache ist, er hat die Erlaubnis bekommen: ,Für uns ist es egal, wenn ihr in der Nacht nicht schlafen wollt, macht nur. Wenn ihr eure Haut aufs Spiel setzen wollte, macht wie ihr wollt.' Und sie haben uns die Erlaubnis gegeben. Und darauf kam dieser Chef, der uns die Hacken, Spitzhacken, Arbeitsanzüge gegeben hat, diese Sachen, die wir bereits benutzt hatten, wir hatten enorme Schwielen an den Händen, und wir sind losgegangen. Jedenfalls, schau, es ist nicht zu schildern. Da unten waren etwa 200 Personen, Italiener und Franzosen, einige hatten es nicht überlebt, aber viele ( . . . ) und das dank, sagen wir, dank uns, die wir dieses große Opfer gebracht haben, denn die hätten sie nie da rausgeholt. Unsere Lebensbedingungen wurden jedenfalls immer härter, und ich habe eines Tages die Geduld verloren und habe den Lagerführer, es war eine Frau, geschnappt ( . . . ) ich habe den Tisch genommen, wie er war, und wenn sie nicht gekommen wären und mich nicht unter die Arme gepackt hätten, hätte ich sie zerquetscht, in Stücke geschlagen. Und darauf haben sie mich sicherheitshalber zur Erschießung geschickt, zur Sicherheit. ,Nun ist es aus, habe ich mir gesagt, du kehrst nicht mehr zurück.' Und statt dessen haben sie mich nach Wien zu den Aufsehern gebracht, so, dorthin, um meine Rebellion und diese Sachen zu besprechen. Sie hatten verstanden, daß ich zu der anderen Seite gehörte, sie hatten es sofort gespürt, daß ich nichts mit ihnen zu tun hatte, daß mir diese Sachen nicht paßten, daß es eine Ungerechtigkeit war und daß ich sie nicht akzeptierte. Und daher hatten sie bereits schriftlich festgelegt, mich direkt nach Deutschland zu schicken. Sie hätten mich in irgendein Lager geschickt, wo sie mich ausgelöscht hätten. Daraufhat dieser Herr, den ich kannte, ein gewisser Nicola Rino aus Brescia, der sehr gut Deutsch sprach und außerdem hatte auch ich in der Zwischenzeit soviel Deutsch gelernt, um mich durchzuschlagen, weißt du, um ein bißchen die Situation zu meistern, daraufhat sich der also sehr eingesetzt ( . . . ) Jedenfalls war er der Liebhaber der Frau eines deutschen Großkopfeten. Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat, denn wir haben uns danach nicht mehr gesehen ( . . . ) denn nach dieser Sache, als er die Situation gemeistert hatte, hat er es so eingerichtet, daß ich noch bleiben konnte, sie haben die Sache blockiert. Sie haben mir zwar mitgeteilt, daß das ein zweites Mal nicht mehr passieren würde, daß sie mich augenblicklich erschießen würden, ja, so war
Wir glaubten,
wir würden christlich
behandelt"
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das. Er ist darauf geflohen, er hat eine Möglichkeit gefunden, nach Hause abzuhauen. Ich wußte nicht, wie er es gemacht hat. Aber ich habe es später erfahren, als ich ihn in Italien aufgesucht habe. Er hat mir gesagt, daß er bereits seit Monaten Leute in Osterreich hatte, die für ihn arbeiteten und die das so eingerichtet hatten, daß er von dort fliehen konnte. Sie sind dann gekommen, um mich zu verhaften; sie sagten, ich sei eine Mitwisserin. Doch die Zeit verging, die Dinge schritten voran, und es wurde immer schlechter. Und, meine Güte, schließlich fingen sie an, davon zu reden, daß die Russen am Kommen sind. Und darauf habe ich gesagt: ,Hört Mädchen, es gibt sicher Grund, Angst zu haben, weil auch die unsere Situation nicht kennen und uns nicht trauen können (...) sie wissen nicht, daß wir vielleicht auch damit zufrieden sind, daß sie einmarschieren, um uns hier zu befreien, und daß wir auch viele Dinge riskieren (...), Wie machen wir es, wie machen wir es nicht, schließlich bin ich zum Konsulat gegangen zusammen mit einer meiner Freundinnen und habe gesagt: ,Was sollen wir machen? Hier marschieren sie ein (...)', sie waren wenige Kilometer weg. Und er sagt: ,Macht, was ihr wollt, ihr seid frei. Geht, wohin ihr wollt.' Und daraufhaben wir einen Marathonmarsch gemacht, sagen wir mal so. Ich habe all die, die ich kannte, zusammengetrommelt, meine Freundin ist zusammen mit ihrem Freund, den sie später geheiratet hat, nach Frankreich gereist, eine meiner Schwestern haben sie nicht gehen lassen und eine andere hingegen, die kleinste, haben sie zu mir gelassen, weil sie unter meiner Obhut stand, sie war minderjährig. Ich wäre nie ohne meine kleine Schwester zurückgekehrt, eher wäre ich dort geblieben, weil ich sie nicht zurücklassen konnte. Und so habe ich gesagt: ,Nein, die Erlaubnis, aus Wien wegzugehen, muß ich auch für meine kleine Schwester haben.' Denn die haben uns eine Art von idiotischem Passierschein ausgestellt, du weißt wie das geht, ohne große Verpflichtungen. Ein Papier mit einem Stempel, fertig, weiter, so, ich war jedenfalls verantwortlich für meine Schwester. Ja, ich habe sie immer nahe bei mir haben wollen. Und ich habe sie mit nach Hause gebracht. Aber sie ist ein Fall für sich. Denn ich erinnere mich noch daran, daß sie mich und meine Freundin in eine Baracke gesteckt haben und in die unmittelbar danebenliegende Baracke sie und meine andere Schwester. Und ich habe immer ein Auge auf sie gehabt. Als meine Baracke in Rauch aufgegangen war, blieb ich ohne alles zurück, aber sie hat mir noch nicht einmal die Strümpfe geliehen, auch wenn ich vor Kälte und Lungenentzündung bald gestorben bin. Jedenfalls, um von dort wegzugehen, haben uns auch die Deutschen freie Hand gegeben: .Flieht, macht was ihr wollt (...), Man war am Ende. Also sagten dort die Männer wie die Frauen: ,Was machen wir? Wir kennen den Weg nicht, wir haben keine Karte, wir haben nichts.' Und so hatte ich eine Idee, habe gesagt: ,Hört mal her, wir machen folgendes. Die einzige Möglichkeit, um nach Hause zurückzukehren, ist, der Eisenbahn zu folgen. Es gibt keinen anderen Weg. Wir gehen auf den Eisenbahngleisen. Leute, ein paar Brocken Deutsch kennen wir, irgendeiner wird uns auch ein Stück Brot geben, irgend etwas, unterwegs in irgendwelchen Bauernhöfen.' Und so gingen wir los, rafften ein paar Sachen zusammen, was da war, so, und auf ging's (...) unterwegs, als wir ankamen, wir kamen fast nackt an, hatten wir nichts mehr, denn sie gaben uns ein Stück Brot, das Brot gewesen sein soll, im Tausch gegen irgend etwas, was wir hatten. Wir kamen barfuß an, mit nichts mehr sind wir angekommen, zu Fuß, mit blutenden Füßen, mit lauter Blasen, aber es gab auch welche, die schlechter dran waren als wir. Denn es gab Leute, die aus Deutschland kamen, die, die aus den näheren Orten hatten fliehen können, mit Verwundeten, mit vier Holzrädern oder irgendwelchen gefundenen Wägelchen,
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Italienische „Fremdarbeiter" im „Dritten Reich"
mit einem Stück Holz, sie setzten sie hinten drauf und zogen sie hinter sich her, die Ärmsten. Und schließlich sind wir am Brenner angekommen. Langsam, langsam sind wir dort angekommen, ich kann dir sagen, was wir durchgemacht haben, um dort anzukommen. Man kann es nicht erzählen, es ist zu aufwühlend. Du sahst all diese jungen Leute, wir waren alle wie Skelette, wir waren keine menschlichen Wesen mehr. D a gab es einen Pfarrer mit zwei oder drei Wagen, der unmittelbar nach Überschreiten der Grenze die einsammelte, die er einsammeln konnte, Leute, auch andere Leute, sagen wir, kamen von überall her. Wir wußten nicht, wer er war, weil wir uns alle weinend auf diesen Boden geworfen haben. Wir haben uns weinend auf den Boden geworfen, haben ihn geküßt als hätten wir (...) ich kann es dir nicht sagen. All diese Leute, die schrien, es war eine Sache, die man nicht beschreiben kann, ja, all diese armen Leute. Und wenn ich daran denke, daß ich diese Welt verlassen hatte, all diese Leute, all diese Italiener, dieses ganze Martyrium hinter mir zurückgelassen hatte (...) man kann es nicht erzählen, man muß es erlebt haben, ja." 6 0 0
6 0 0 Interview mit Maria Rosa Luchin, geführt am 21. 4. 1988 in Novara.
Brunello Mantelli Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft. Die Anwerbung der italienischen Arbeiter fur das „Dritte Reich" und die ,Achse Berlin-Rom" 1938-1943
1. Überblick und offene Fragen* Während in Rom aus Gründen, die ich später genauer analysieren werde, die Entscheidung fiel, den Transport italienischer Arbeiter nach Deutschland einzustellen und ferner die Rückkehr der etwa 160.000 Arbeiter zu fordern, die sich zu diesem Zeitpunkt im Reich befanden, übermittelte und befürwortete der deutsche Botschafter in Rom, Mackensen, dem Auswärtigen Amt am 14. Januar 1943 den Vorschlag des Leiters der Dienststelle Italien des GBA, 1 die halbe Million von Italienern, die zwischen 1938 und 1942 ins Reich und in die von diesem nach und nach eroberten Gebieten gewandert und in den verschiedensten Sektoren der deutschen Wirtschaft tätig gewesen war, bei einer öffentlichen Feier, die in Mailand oder Treviso unter Mitwirkung deutscher wie italienischer Behördenvertreter stattfinden sollte, auszuzeichnen. Der deutsche Beamte hatte „gedacht, den 500.000 Arbeitern eine italienische Schatzanweisung (Buono del Tesoro) auszuhändigen, deren Höhe noch zu bestimmen wäre, und den übrigen Transportteilnehmern wegen der dem reinem Zufall überlassenen Auswahl der 500.000 Arbeiter eine kleine Entschädigung in Form von persönlichen Gebrauchsgegenständen als Erinnerung an diesen Tag auszuhändigen." All dies geschah aufgrund einer Anweisung Sauckels, der die ihm unterstellten und in den verschiedenen besetzten oder verbündeten Ländern befindlichen Dienststellen aufgefordert hatte, propagandistische Anstrengungen zu unternehmen, die vor allem finanzielle Prämienangebote umfassen sollten,
* Ich stelle in diesem Beitrag, unter dem besonderen Blickwinkel der Modalitäten der Anwerbung und des Einsatzes der italienischen Arbeitskräfte im Dritten Reich, einige der Resultate meines noch nicht abgeschlossenen Forschungsprojekts vor, dessen Titel lautet Die italienischen Fremdarbeiter im Dritten Reich zur Zeit des Achsenbündnisses. Soziale, politische und wirtschaftliche Aspekte der Emigration im ungleichen Bündnis. Auch wenn ich es an dieser Stelle nicht ausführlich tun kann, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um den Leitern und den Mitarbeitern all jener Archive zu danken, deren Bestände ich für meinen Text benutzt habe. O h n e ihre zuvorkommende Hilfe und Bereitschaft hätte diese Arbeit nicht entstehen können. 1 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn (PA/AA), Abteilung Arbeitsrecht (AR), R V, Nr. 11, Italien, Band 2, Protokoll Nr. R50990; dem Brief Mackensens ist das an ihn gerichtete Schreiben von Merckling, Chef der Dienststelle Italien des GBA, als Anlage beigefugt.
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
254
„wenn dadurch die Anwerbung gefördert und günstig beeinflußt werden kann". Schwerpunkt dieser Studie ist die Untersuchung der Anwerbung von Arbeitern durch die deutschen Behörden in Italien, dem Land, das damals, in den Jahren 1938 bis 1943, als sich die beiden faschistischen Mächte in der ,Achse Rom-Berlin" zusammenfanden, der Hauptverbündete Deutschlands war. Obwohl es gerade einmal 5 Jahre waren, verging die Zeit angesichts großer Veränderungen im bilateralen Verhältnis besonders schnell: Der gemeinsame Weg führte von der Situation eines „bewaffneten Friedens", der dem „Anschluß" Österreichs und der durch das Münchener Abkommen sanktionierten Besetzung des Sudetengebiets unmittelbar vorausging, über die Realisierung der - wenn auch stark asymmetrischen - beiderseitigen imperialistischen Pläne (am 16. März 1939 proklamierte Hitler das Protektorat Böhmen und Mähren, am 7. April 1939 begann die italienische Besetzung Albaniens) bis zum Ausbruch des Weltkriegs (als Folge des deutschen Angriffs auf Polen) und schließlich zur Phase der „NichtKriegführung" Italiens, die am 10. Juni 1940 mit dem Kriegseintritt an der Seite des mächtigeren Verbündeten endete. Parallel zu jeder dieser Änderungen der politischen Rahmenbedingungen vollzog sich eine Modifikation der Bedürfnisse, der Erwartungen und der Verhandlungsstärke bei beiden beteiligten Staaten, was die Migration von italienischen Arbeitern nach Deutschland anging; ebenso wie sich die Bedingungen, die Haltungen und die Reaktionen jener Hunderttausende von Menschen änderten, die das Objekt des Tauschhandels darstellten.
Tagelöhner, Bergarbeiter, Industriearbeiter Ich möchte hier nicht die Zahlen diskutieren, die von der „Dienststelle Italien" der SauckelOrganisation angegeben wurden. Diese werde ich weiter unten genauer analysieren. An dieser Stelle soll es lediglich darum gehen, die Größenordnungen hervorzuheben, die als durchaus glaubwürdig anzusehen sind.
Tabelle 1 Im „Dritten Reich " beschäftigte italienische Arbeiter (1938 bis 31. 12. 1942) DAF
Landwirtschaft
Industrie
Gastgewerbe
Bauindustrie
Gesamt
1938
6.024
31.071
-
-
-
1939 1940
10.084
36.327
-
-
-
37.095 46.411
-
-
98.719
49.184
1941
-
53.381
49.535 174.052
1942
-
30.488
41.478
391
8.187
228.563 80.544
200.451
265.065
1.521
8.187
491.332
Ges.
-
16.108
1.130
-
Quelle: PA/AA, AR, R V, Italien, Band 2
Es empfiehlt sich, die einzelnen Kategorien genauer aufzuschlüsseln: hinter der Rubrik DAF verbergen sich die Bauarbeiter, die in den Jahren 1938 und 1939 aus Italien zu den Bestim-
Überblick und offene Fragen
255
mungsorten Fallersleben und Salzgitter in Niedersachsen abreisten, wo sie am Bau der Volkswagenwerke („Kraft-durch-Freude-Stadt") und des großen Stahlwerks, das zu den HermannGöring-Werken gehörte, mitwirkten. 2 Dies geschah aufgrund einer besonderen Vereinbarung zwischen Robert Ley, dem Leiter der DAF, undTullio Cianetti, dem Präsidenten der Confederazione Fascista Lavoratori dell'Industria (CFLI). Unter der Rubrik „Bauwirtschaft" sind auch solche Arbeiter erfaßt, die zwar nach Deutschland gingen, dort aber für italienische Firmen arbeiteten, die im Reich Aufträge für Bauarbeiten erhalten hatten. Die wichtigste Vereinbarung in dieser Hinsicht wurde am 14. März 1942 in Rom zwischen der IG-Farben und den Oberschlesischen Hydrierwerken (einer Tochtergesellschaft der Hermann-Göring-Werke), die die deutsche Seite vertraten, und einer Gruppe von 40 italienischen Baufirmen abgeschlossen, die bei dieser Gelegenheit sogar von dem Präsidenten der „Federazione Fascista Costruttori Edili ed Imprenditori Grandi Opere" (Faschistische Vereinigung der Bauunternehmer im Hoch- und Tiefbau), Aurelio Aureli, vertreten wurde. In den Wochen, die dem Brief der Dienststelle Italien vorausgingen, wurde ein zweites Abkommen unterzeichnet, das — stets in der Form der Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen an italienische Firmen — den Einsatz von 20.000 Bauarbeitern in Deutschland vorsah, die beim Wiederaufbau und bei den Reparaturmaßnahmen in den Städten, die unter den alliierten Bombenangriffen gelitten hatten, eingesetzt werden sollten. 3 Die Arbeiter der anderen Kategorien (Landarbeiter, Industriearbeiter, Dienstboten) reisten hingegen auf der Basis von Vereinbarungen, bei denen auf beiden Seiten staatliche Organe als Vertragspartner aufgetreten waren und die im Laufe der Zeit immer mehr den Charakter von regelrechten Regierungsabkommen annahmen. 4 Den korporativen oder sektoralen Organisationen, wie der DAF oder dem Reichsnährstand (RNS) auf deutscher Seite und der CFLI sowie der Confederazione Fascista Lavoratori dell'Agricoltura (CFLA) auf italienischer Seite,
2 Bezüglich der Volkswagenwerke vgl. die interessanten Arbeiten von Klaus-Jörg Siegfried, Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit im Volkswagenwerk 1939—1945, Frankfurt am Main 1986, sowie ders., Das Leben der Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk 1939-1945, Frankfurt am Main 1988, auch wenn diese nicht frei sind von einer übermäßigen Schärfe der Interpretation. Mit der Erforschung der Firmengeschichte beschäftigt sich gegenwärtig ein Forscherteam der Universität Bochum unter der Leitung von Hans Mommsen. — Uber die Hermann-Göring-Werke in Salzgitter siehe Gerd Wysocki, Zwangsarbeit im Stahlkonzern. Salzgitter und die Reichswerke „Hermann Goring" 1937-1945, Braunschweig 1992. 3 Archivio Centrale dello Stato, Rom (ACS), Mikrofilme aus den National Archives Washington (NAW), Personal Papers of Benito Mussolini, Segreteria particolare del Duce 1943-1945 (Segreteria Duce 43—45), Rolle Nr. 320. Das Abkommen wurde offenbar am 4. 12. 1942 zwischen den Vertretern der Federazione Nazionale Fascista Costruttori Edili e Imprenditori Grandi Opere (FNFCE) und dem Vertreter des Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft (GB-Bau) unterzeichnet. 4 Uns steht heute die vollständige Sammlung der Abkommen, die in Arbeits- und Sozialversicherungsfragen zwischen Italien und Deutschland zwischen Juli 1937 und August 1942 abgeschlossen worden sind, zur Verfügung. Die Texte der Vereinbarungen wurden in deutscher wie italienischer Sprache in einem Band gesammelt, der den Titel Accordi fra Italia und Germania in materia di lavoro ed assicurazioni sociali 1937—1942 (Vereinbarungen zwischen Deutschland und Italien auf dem Gebiet der Arbeit und der Sozialversicherung) trägt; der Band wurde herausgegeben von Antonio Dazzi, dem damaligen Sekretär für Migration bei der Königlich-Italienischen Botschaft in Berlin, und war nur fur den Dienstgebrauch bestimmt und von der hauseigenen Druckerei des Außenministeriums in Rom 1942 gedruckt worden (im folgenden: Dazzi, Accordi). Das Exemplar, dessen ich mich bedient habe, befindet sich frei zugänglich in der Bibliothek des Außenministeriums in Rom.
256
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
wurde lediglich beratende Funktion zugebilligt, oder sie wurden bei Fragen von mehr technischer Natur eingeschaltet. Wie man aus der Tabelle ersehen kann, waren es Gruppen von Landarbeitern, zum größten Teil Saisonarbeiter, die als erste abreisten. Ab 1940 folgten in beträchtlicher Zahl auch Industriearbeiter. Von geringer Bedeutung war hingegen die Zahl der Dienstboten. Auf den folgenden Seiten werde ich versuchen, die verwandten, aber nicht identischen Schicksale dieser verschiedenen Gruppen zu rekonstruieren. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Bauarbeitern zu, die den größten Anteil unter den nicht-landwirtschaftlichen Arbeitern ausmachten, sowie den Zechenarbeitern, die einen Faktor von beträchtlicher Bedeutung bei den schwierigen deutsch-italienischen Verhandlungen über die Kohlelieferungen darstellten, auf die die Italiener absolut angewiesen waren. 5 Wenn die Zahlen, die Mackensen liefert, auch glaubhaft sind was die Größenordnung angeht, so müssen doch einige Präzisierungen vorgenommen werden: die erste ist, daß in der Tabelle Zehntausende von Arbeitern, fast ausschließlich Industriearbeiter, nicht aufgeführt sind. Es handelt sich dabei um zwei verschiedene Arbeiterströme: der erste wurde gebildet von denjenigen, die aus eigener Initiative ins Reich wanderten und fast immer aus jenen Regionen des Nordostens (Venetien, Friaul, Trient) kamen, die historisch mit dem deutsch-österreichischen Raum verbunden waren; in dem zweiten sammelten sich die Italiener, die in die Bergwerks· und Industrieregionen Frankreichs (Nordwestfrankreich, Großraum Paris, Elsaß-Lothringen), Belgiens und Luxemburgs ausgewandert waren und die nach der deutschen Besetzung dieser drei Staaten im Mai/Juni 1940 nur dann Arbeit fanden, wenn sie sich bei den Anwerbestellen meldeten, die von den Besatzern unverzüglich eingerichtet wurden. Uber beide Gruppen können wir jedoch zumindest summarische Daten liefern, die sich auf die direkten und indirekten Spuren stützen, die diese in den Quellen hinterlassen haben. 6 Die zweite wichtige Präzisierung betrifft hingegen die zu hohen Angaben bei den landwirtschaftlichen Arbeitskräften. Schließlich handelte es sich fast ganz um Saisonarbeiter, die in den Monaten März oder April anreisten, um zwischen September und Oktober wieder nach Hause zurückzukehren. Zumindest teilweise waren es dieselben Personen, die mehrmals nach Deutschland gegangen sind (und daher in der Tabelle mehrfach gezählt werden!), auch wenn das Jahr 1940 in dieser Hinsicht eine gewisse Zäsur darstellte: mit dem Kriegseintritt Italiens wurden die Männer der Jahrgänge 1910 bis 1924 von der Arbeiterwerbung für Deutschland ausgeschlossen, sofern sie dem Militärdienst oblagen. Präziser hingegen sind die Zahlen in der Tabelle, was die Industriearbeiter betrifft: es ist richtig, daß die Verträge anfangs auch für diese Gruppe nur eine Laufzeit von einem halben Jahr hatten; jedoch blieb die übergroße Mehrheit letztlich sehr viel länger, entweder auf Wunsch der Firmen, oder aufgrund der Entscheidung der Arbeiter selbst. Auch in dieser Frage gab es Unterschiede zwischen den verschiedenen Sektoren und insbesondere zwischen den Industriearbeitern im engeren Sinne und den Bauarbeitern.
5 Für einen Überblick über diese Frage siehe Angela Raspin, The Italian
War Economy 1940-1943.
With
Particular Reference to Italian Relations With Germany, New York - London, 1986; besonders S. 219ff. 6 Eine Arbeit über die Migration der Arbeiter aus den industrialisierten Regionen Frankreich, Belgiens und Luxemburgs ins „Dritte Reich", die der multinationalen Zusammensetzung (in erster Linie Italiener und Polen, neben der autochthonen Bevölkerung) dieser sogenannten „Westarbeiter" Rechnung trüge, könnte ein interessantes Licht auf die nationalsozialistischen Pläne zur Neuordnung des Arbeitsmarkts auf europäischer Ebene werfen.
257
Überblick und offene Fragen Einige E r w ä g u n g e n über die Rolle und die Bedeutung der italienischen Arbeiter
Es gibt keinen Zweifel, daß eine halbe Million Italiener quantitativ gesehen eine beachtliche Zahl darstellt; doch diese verblaßt, wenn sie den 1 . 6 7 1 . 0 0 0 Sowjetbürgern oder den 1 . 5 1 5 . 0 0 0 Polen gegenübergestellt wird, die sich am 3 0 . Juni 1 9 4 3 im Gebiet des ,Altreichs" befanden. 7 Einmal ganz abgesehen von der Masse der Kriegsgefangenen. Es ist daher kein Zufall, daß die Aufmerksamkeit der Historiker sich in besonderer Weise auf die Arbeiter aus den besetzten Ländern Osteuropas gerichtet hat. Auch solche nach Richtung und methodischem Vorgehen so verschiedene Arbeiten wie — um nur die wichtigsten zu nennen — die Studie von Ulrich
Herbert (Fremdarbeiter.: Politik und Praxis des ,»Ausländer-Einsatzes " in der Kriegswirtschaft des Dritten
Reiches)
und die umfangreiche Geschichte
der deutschen
Kriegswirtschaft
von Dietrich
Eichholtz stimmen in diesem Punkt überein. Es dürfte jedoch die M ü h e lohnen, einen stark qualitativen
Ansatz der Verifizierung zu verfolgen und zumindest im Rahmen des Möglichen
den konkreten Einsatz der Fremdarbeiter in den verschiedenen Produktionsbereichen zu analysieren. Dies möchte ich im Fall der Italiener vornehmen, wo sich meines Erachtens eine Untersuchung qualitativen Charakters als äußerst erhellend erweisen kann. Eine zweite Frage, die diskutiert werden muß, ist das Gegensatzpaar „freiwillige Arbeiter Zwangsarbeiter". In der Literatur wird der Begriff „Zwangsarbeit" häufig benutzt, um die Merkmale des physischen Zwangs zu betonen, der ganz oder größtenteils a u f nicht-ökonomischem W e g durchgesetzt wurde. Wer nicht in diese so rigoros definierte Kategorie hineinpaßt (und dies ist sicher der Fall bei den Italienern, zumindest bis zum 8. September 1 9 4 3 ) , wird etwas leichtfertig als „Freiwilliger" bezeichnet. Das Bild, das sich aus dem Schicksal der Fremdarbeiter ergibt, die aus Italien kamen, ist hingegen wesentlich differenzierter, und man kann es mit einer schiefen Ebene vergleichen, die von einer Migrationsbewegung ausgeht, die von den traditionellen ökonomischen Triebkräften (Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, befristete Arbeit, niedrige Löhne) getragen ist, dann jedoch abgleitet in eine Art von „Auskämmung", die von der italienischen Regierung auf starken deutschen D r u c k hin betrieben wird, um letztlich im Laufe des Jahres 1 9 4 3 und bereits vor dem 8. September (parallel zu der Vorbereitung der deutschen Besetzung Italiens [„Fall Achse"]) in offene Zwangsmaßnahmen zu münden (Aufschub der Ferien sowie der Rückkehr in die Heimat trotz abgelaufenen Vertrags). Was diese Entwicklung entscheidend hervorrief, war vor allem der Fortgang des Krieges und die Art und Weise, in der sich die Machtverhältnisse innerhalb der ,Achse" verschoben und in der Italien immer mehr die Rolle eines untergeordneten Partners einnahm. Ein weiterer Punkt, der vertieft werden m u ß , ist die Analyse des Verhaltens und der Haltung der italienischen Arbeiter in Deutschland. Hier kann ich mich a u f den Beitrag Cesare Bermanis in diesem Band stützen. D i e Existenz eines ziemlich hohen Konfliktpotentials und
7 Ich beziehe mich auf die Zahlenangaben von Dietrich Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, Band II: 1941-1943, Berlin (Ost) 1985, S. 244, Tabelle 32. Ich habe als Zeitpunkt für den Zahlenvergleich den Juni 1943 gewählt, weil dies angesichts der zeitlichen Grenzen meiner Arbeit m. E. den angemessensten Vergleich darstellt. Nach dem 8. 9. 1943 ändert sich die italienische Situation radikal mit der Deportation von über 600.000 italienischen Soldaten, von denen im August 1944 427.238 im Produktionsbereich tätig gewesen sein dürften. (Vgl. Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin - Bonn 1985, S. 271, Tabelle 42, sowie S. 425, Tabelle 56).
258
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschafi
mangelnder Disziplin ist nicht hinwegzudeuten. Es wäre jedoch ein schwerer Fehler, dieses Faktum allzu simplifizierend oder monokausal deuten zu wollen; wie Bermani zeigt, wäre es verfehlt, sich darauf zu beschränken, das in Deutschland herrschende allgemeine Vorurteil, daß die Italiener keine Lust gehabt hätten zu arbeiten, in sein Gegenteil verkehren und statt dessen in allen auftretenden Konflikten ein klares Zeichen des Protests oder gar eines antifaschistischen Widerstands sehen zu wollen - auch wenn es solche Fälle gab. In der gleichen Weise muß man sich davor hüten, die niedrige Arbeitsleistung hervorzuheben, die in einigen zeitgenössischen Statistiken den Italienern unterstellt wird; denn dann lassen sich nicht die starken Widerstände erklären, die 1943 der Rückkehr der Italiener in ihre Heimat entgegengebracht wurden und die bis zu der Drohung reichten, dem mediterranen Verbündeten die lebensnotwendigen Kohlelieferungen zu streichen. Auch in diesem Fall glaube ich, daß nur die genauestmögliche Analyse der sozialen, berufsmäßigen und geographischen Zusammensetzung der Italiener, die im „Dritten Reich" arbeiteten, aber auch ihrer Verwendung und ihrer genauen Verteilung auf deutschem Territorium sowie der Lebensumstände, in denen sie sich befanden, Klarheit bringen kann über die Konflikte und die spezifischen und untersuchungsbedürftigen Modalitäten, mit denen das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien arbeiteten, um eben diese Konflikte zu unterdrücken. Ein letztes Untersuchungsfeld, das ich hier nur andeuten kann, ist die Art, in der die Frage der „Fremdarbeiter" auf dem Gesamtkomplex der deutsch-italienischen Wirtschaftsbeziehungen lastete. Wir treffen hier sowohl auf Handels- wie auf Devisenprobleme: die Lohnersparnisse der Arbeiter bildeten einen nicht zu unterschätzenden Faktor für die bilateralen ClearingBeziehungen, und der Zufluß von Arbeiterkontingenten wurde von beiden Seiten explizit als Gegenleistung für die deutschen Rohstoff- und Kohlelieferungen sowie als besondere Form eines italienischen Beitrags zur gemeinsamen Kriegführung betrachtet. Es ist kein Zufall, daß noch vor dem Ausbruch des Krieges die Frage des Limits für die Uberweisung der Lohnersparnisse (Italien wollte die Grenze möglichst hoch fixiert wissen, während die Deutschen zum Gegenteil neigten), das Problem der Kontrolle der auf eigene Faust nach Deutschland gewanderten Arbeiter sowie das der Verlagerung der italienischen Zechen- und Industriearbeiter aus Frankreich nach Deutschland (die Rom unter der Bedingung akzeptierte, daß die Familien der Arbeiter nach Italien zurückgeführt würden, um die Arbeiter zu zwingen, Geld nach Hause zu schicken) zum Gegenstand von besonderen, komplexen Verhandlungen wurden. Diesbezüglich wäre ein Vergleichsrahmen von großem Vorteil, da die Mechanismen des Lohntransfers der Fremdarbeiter sich im Lauf des Krieges gewaltig ausweiteten und praktisch auf alle verbündeten oder besetzten Länder ausgedehnt wurden. Zum Schluß der hier nur skizzierten Liste von Problemen möchte ich hervorheben, daß sich bei der Geschichte der italienischen Arbeiter in Deutschland zur Zeit des „Achsen"bündnisses mittelfristige Prozesse, die die Struktur des Arbeitsmarkts und die Wirtschaftspolitik der Firmen wie des Staates in beiden Staaten beeinflussen, mit kurzfristigen Veränderungen überlagern, die durch die Entwicklung der militärischen Ereignisse bestimmt werden, welche den unverzichtbaren Hintergrund für die Deutung der gesamten Ereignisse darstellen. Auf der Bühne eines Europas im Kriege bewegen sich die Akteure; auf der einen Seite Regierungen, Interessengruppen, Firmenleitungen, auf der anderen Arbeiter, die zu Hunderten in den Fabriken der Industriezonen konzentriert oder in Grüppchen auf den Höfen Sachsens und Pommerns verstreut sind. Unter diesen letzteren befinden sich besitzlose Landarbeiter aus Venetien, Arbeitslose aus den Städten Süditaliens, Industriearbeiter auf der Suche nach höheren Löhnen, Arbeiter, die gezwungenermaßen abreisen und solche, die als Gegner des Regimes ins
Landwirtschaftliche Arbeiter nach Mitteldeutschland
259
Ausland ausgewandert waren und die nunmehr die Arbeit im nationalsozialistischen Deutschland der sicheren Arbeitslosigkeit oder der polizeilichen Verfolgung in der Heimat vorziehen — ohne jedoch letztlich eine Wahl zu haben.
2. Landwirtschaftliche Arbeiter aus der Po-Ebene nach Mitteldeutschland Der erste diplomatische Notenwechsel, der die mögliche Aufnahme von italienischen Landarbeitern in der deutschen Landwirtschaft betrifft, geht auf den April des Jahres 1937 zurück. Die Deutsche Botschaft Rom war es, die mit zwei Mitteilungen vom 12. bzw. 15. des Monats die Initiative ergriff. 8 Die erste Anfrage fing klein an: Deutschland wollte ganzjährig 500 Landarbeiter aufnehmen, die zwar italienischer Staatsangehörigkeit, aber deutscher Sprache sein sollten und die daher zwangsläufig unter den Südtirolern hätten angeworben werden müssen. Drei Tage später wurde jedoch nach Saisonarbeitern gefragt: „Es wird [deutscherseits] lebhaft gewünscht, weitere circa 1500 bis 2000 Wanderarbeiter für die Landwirtschaft (...) aufzunehmen. Mit der Bevorzugung weiblicher Arbeitskraft kämen in erster Linie deutschsprachige Personen in Frage, aber es können auch Personen, die aus anderen Regionen als dem Oberetsch kommen, in Betracht gezogen werden. Die fraglichen Personen könnten am Ende ihres Einsatzes im fortgeschrittenen Herbst ihre Ersparnisse bis zu einer Summe von 350 Reichsmark pro Person nach Italien ausführen." Wie man sieht, handelte es sich um ziemlich geringfügige Größenordnungen. Die Frage wurde von den italienischen Behörden mit den Verantwortlichen der Italienischen Botschaft in Berlin und den Beamten des Landwirtschafts- wie des Innenministeriums (Ministero dell'Agricoltura = M A , Ministero dell'Interno = MI) sowie mit der „Generalabteilung Italiener im Ausland" (Direzione Generale Italiani all'Estero = DIE; eine Unterabteilung im Außenministerium, M A E ) und der Präfektur der Provinz Bozen diskutiert. 9 Daraus resultierte der Vorschlag, der den deutschen Behörden am 2. Juni übermittelt wurde, nämlich in offizielle bilaterale Verhandlungen auf Regierungsebene einzutreten. 10
Landarbeiter ohne Beschäftigung und Landwirtschaft ohne Arbeiter Diese Gespräche begannen am 21. Juli im Außenministerium in Rom und wurden nach einer Woche mit der Unterzeichnung eines allgemeinen Vertrages und zweier Zusatzabkommen beendet: das erste bezog sich auf die 500 ganzjährigen Arbeiter, deren Anwerbung sofort beginnen sollte, das zweite auf die Saisonarbeiter, deren Zahl nicht genau fixiert wurde und die erst 8 Archivio Storico-diplomatico del Ministero agli Affari Esteri Roma (ASMAE), Serie Affari Politici (AP), Germania, Band 4 0 . 9 Ebenda, Brief der Botschaft Berlin vom 24. 4. 1937 sowie die Aufzeichnung fur den Außenminister v o m 28. 6. 1937, in denen die von den verschiedenen konsultierten Dienststellen vertretenen Positionen zusammengefaßt werden. 10 PA/AA, A R , R V, n. 11, Allgemein, Band 3, Verbalnote vom 2. 6. 1937 (Übersetzung; Protokollnummer 2 2 2 3 8 6 / 6 3 ) , vom italienischen Außenministerium an die Deutsche Botschaft beim Quirinal übermittelt.
260
Zwischen
Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt
und
Kriegswirtschaft
im folgenden Jahr, also 1938, abreisen sollten. 11 Wie in der Präambel des Abkommens präzisiert wurde, handelte es sich eindeutig um Verhandlungen auf Regierungsebene, auch wenn die Führung der Verhandlungen der höheren Ministerialbürokratie überlassen wurde. Delegationsleiter und Unterzeichner der Vereinbarungen waren auf italienischer Seite Attilio D e Cicco, Stellvertretender Direktor der DIE, auf deutscher Seite der Ministerialrat und Abteilungsleiter im Reichsarbeitsministerium (RArbM) Alexander Wende. Auf deutscher Seite tauchte kein Vertreter des R N S auf, während der italienischen Delegation Franco Angelini, Präsident der C F L A , angehörte. 12 Es war vor allem Angelini, der in entscheidender Weise auf den Gang der Abmachungen Einfluß ausübte und der die italienischen Bedenken überwand, denen die Angst vor einem Anwachsen der prodeutschen Propaganda in Südtirol als Folge der vorgesehenen 500 Anwerbungen zugrunde lag. So gab Angelini zu Protokoll, daß „selbst zum gegenwärtigen Zeitpunkt intensiver landwirtschaftlicher Arbeiten 147.000 Arbeitslose in diesem Sektor in Italien zu verzeichnen sind und es auf jeden Fall notwendig ist, diese Last zu verringern. [Daher] macht die italienische Delegation Eure Exzellenz [den Außenminister] darauf aufmerksam, daß es — obwohl die gegenwärtige Anfrage nach 500 Arbeitskräften keine nennenswerte Entlastung der Zahl der Arbeitslosen bedeutet — günstig sein kann, dem deutschen Wunsch zuzustimmen, um nicht diejenigen Verhandlungen zu belasten, die die deutsche Delegation unmittelbar danach über die Aufnahme landwirtschaftlicher Saisonarbeiter im nächsten Jahr beginnen will, deren Zahl sich auf einige Tausend belaufen soll. Diese Saisonarbeitskräfte müßten nicht aus dem Oberetsch, sondern könnten aus jeder beliebigen Region Italiens kommen." 1 3 Es waren vor allem Überlegungen dieser Art, die den Weg freimachten und zur Unterzeichnung der Verträge am 28. Juli führten. Deutscherseits durchschaute man sehr genau die italienischen Absichten bei den Verhandlungen und Legationsrat Gustav Rödiger, Mitglied der deutschen Delegation, berichtete dem Auswärtigen Amt: „Von italienischer Seite wurde zum Ausdruck gebracht, daß die Zustimmung der italienischen Regierung zu der Vereinbarung über die Anwerbung von Arbeitern aus Südtirol sich als eine italienische Konzession darstelle (...). An dem Abschluß der 2. Vereinbarung (Wanderarbeiterabkommen) war den Italienern, wie sie offen erklärten, viel gelegen. Sie verlangten deshalb auch schon jetzt für das nächste Jahr die Zusage der Anwerbung einer bestimmten Zahl italienischer Landarbeiter und meinten, daß sie ohne
11 Vgl. Dazzi, Accordi, S. 5 - 6 (italienische Version) und S. 63-68 (deutscher Vertragstext). 12 Zur italienischen Delegation gehörten auch Vertreter des Ministero degli Affari Esteri (MAE), des Ministero dell'Agricoltura (MA), des Ministero dell'Interno (MI), des Commissariato per la Colonizzazione e le Migrazioni Interne (CCoMIn) (damals ein Büro, das der Presidenza del Consiglio dei Ministri [PCM] unterstand), des Ministero delle Corporazioni (MCor); bei der zahlenmäßig kleineren deutschen Delegation waren auch Vertreter des AA und des RAAA. (Ebenda, S. 9 und S. 67.) 13 ASMAE, AP, Germania, Band 40, Aufzeichnung fur Seine Exzellenz den Minister, vom 22. 7. 1937, S. 4. - Die gleichen Inhalte tauchen in einer Aufzeichnung vom 23. 7. auf (ebenda), in der klar die Notwendigkeit vertreten wird, den Deutschen die Anwerbung von 500 Volksdeutschen aus Südtirol zu gestatten, um daftir im Austausch „zu günstigen Konditionen den Einsatz von einigen Tausend Landarbeitern aus jeder beliebigen Region Italiens für einen Zeitraum von etwa 9 Monaten, vom März bis zum Dezember des nächsten Jahres" zu erhalten. Handschriftlich hinzugefügt wurde der Satz: „circa 6.000 [Arbeiter] aus den Provinzen Ferrara und Rovigo".
Landwirtschaftliche Arbeiter nach Mitteldeutschland.
261
weiteres in der Lage sein würden, 10.000 oder auch 20.000 landwirtschaftliche Arbeitskräfte hierfür zur Verfügung zu stellen." 14 Nach dem Urteil des Diplomaten hatte die italienische Delegation sogar den Eindruck gemacht, als würde sie erwarten, daß Deutschland sich bereit erkläre, seinen gesamten Bedarf an saisonalen Arbeitskräften für die nächsten Jahre über den Einsatz italienischer Wanderarbeiter zu decken. Diese für Italien entscheidende Frage der Saisonarbeiter bildete einen besonderen Verhandlungsgegenstand bei den Berliner Gesprächen vom 3. Dezember, in denen folgende Ubereinkunft erzielt wurde: „Die deutsche und die italienische Seite erklären, daß im Jahre 1938 eine Zahl von 10.000 bis 30.000 Arbeitern erreicht werden könnte, wenn in Italien geeignete Arbeitskräfte zur Verfügung wären und wenn der Stand des Kontos .Verschiedene Übertragungen' die Überweisung der Lohnersparnisse für eine Zahl von 10.000 Arbeitern gestatte." 15 Ich verzichte an dieser Stelle darauf, mich mit dem Problem der Lohnüberweisungen zu beschäftigen. Was die Auswahl der Arbeiter angeht, so wurde der CFLA diese Aufgabe in Zusammenarbeit mit dem Commissariato per la Colonizzazione e le Migrazioni Interne (CCoMIn) übertragen. Die italienischen Behörden entschieden ferner, daß die Arbeiter nicht einzeln abzureisen hatten, sondern organisiert in Gruppen. Anfänglich sprach man von 6 bis 8 Personen, dann wurde die Zahl auf 10 bis 20 aufgestockt. Jede Gruppe sollte einen Truppführer und falls notwendig — einen Dolmetscher erhalten, die beide Mitglieder der Faschistischen Partei (Partito Nazionale Fascista = PNF) sein mußten. 16 Es ist allzu offensichtlich, daß diese letzte Anordnung getroffen wurde, um eine starke Kontrolle auf die Arbeiter auszuüben: sei es aus politischen Gründen, sei es, wie die italienische Botschaft in Berlin übrigens ausdrücklich empfohlen hatte, „weil der Erfolg des Experiments gerade von dem guten Beispiel abhängt, das dieses erste Kontingent von italienischen Arbeitern geben wird".
Woher sie kamen und wohin sie gingen... Was die Regionen anging, aus denen die Arbeiterkontingente herausgezogen werden sollten, so richtete sich die Aufmerksamkeit auf die landwirtschaftlichen Gegenden der Lombardei und Venetiens, wo es einen Überfluß an Arbeitskräften gab und wo es seit alters her ähnliche Anbauformen gab wie in Deutschland (vor allem Kartoffeln und Rüben), so daß man dem
14 PA/AA, AR, R V, n. 5, Italien, Band 1; Bericht vom 6. 8. 1937, Protokoll-Nr. Β 14343. 15 Dazzi, Accordi, S. 2 1 - 2 4 und S. 79-82; Kopie der Vereinbarungen auch in: PA/AA, Botschaft Rom-Quirinal (im folgenden: BRQ), W la, Band 1; sowie PA/AA, R V, n. 11, Italien, Band 1. - Italienischerseits waren die Verhandlungen der CFLA, deren Präsident Angelini die Delegation führte, sowie in untergeordneter Weise den Diplomaten der Italienischen Botschaft in Berlin anvertraut. Deutscherseits tauchten neben den Vertretern des RArbM und der RAAA zwei Delegierte der Reichsstelle fur Devisenbewirtschaftung auf; zu den Punkten, über die verhandelt werden mußte, zählten vor allem die Fragen des Lohntransfers der Arbeiter nach Italien, eine Angelegenheit, die später eine starke Bedeutung erfuhr, wie wir noch sehen werden. 16 ASMAE, AP, Germania, Band 40; Protokoll der interministeriellen Sitzung vom 29. 12. 1937 sowie die Aufzeichnung für den Außenminister vom 31. 12. 1937 (bei der es sich um eine Zusammenfassung des Protokolls handelt). Vgl. auch ebenda, den Brief von Franco Angelini, Präsident der CFLA an Außenminister Ciano vom 8. 1. 1938.
262
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
ausdrücklichen deutschen Wunsch nach erfahrenen Arbeitskräften entgegenkommen konnte. Wie aus dem äußerst genauen Bericht einer Spezialkommission der CFLA hervorgeht, die vom 24. Januar bis zum 4. Februar die Regionen besichtigte, in die die italienischen Arbeiter transferiert werden sollten,17 beabsichtigte man italienischerseits, im Laufe des Jahres 1938 28.900 Arbeiter (davon 5.000 als Ganzjahres- und der Rest als Saisonarbeiter) nach Deutschland zu schicken. Diese sollten nach Herkunftsorten folgendermaßen aufgeteilt werden: Tabelle 2 Beabsichtigte Verteilung der Arbeiter nach Herkunftsprovinzen im Jahre 1938 Provinz
Anzahl der Arbeiter
Prozentual
Provinz
Anzahl Prozentual der Arbeiter
Aquila
200
0,7
Padua
2100
7,3
Bari
800
2,8
Parma
800
2,8
Belluno
300
1,0
Piacenza
300
1,0
Bergamo
500
1,7
Ravenna
1500
5,2
Bologna
1800
6,2
Reggio Emilia
1700
5,9
Bozen
100
0,3
Rovigo
2100
7,3
Brescia
400
1,4
Trient
1500
5,2
Cremona
600
2,1
Treviso
1350
4,7
Ferrara
2100
7,3
Udine
1800
6,2
Forll
1500
5,2
Venedig
1300
4,5
50
0,2
Verona
1800
6,2
Mantua
1000
3,4
Vicenza
1000
3,4
Modena
2300
8,0
Gesamtzahl
28900
100,0
Macerata
Quelle: PA/AA, BRQ, R 6 C III, Band 1.
Nach der Vorausplanung sollte das italienische Arbeiterkontingent nicht über das ganze Reichsgebiet verstreut werden, sondern in 5 Regionen konzentriert werden: - in Mitteldeutschland (vor allem in den Bezirken Erfurt, Weimar, Weißenfels, Halle, Eisleben, Aschersleben, Bernburg, Halberstadt, Magdeburg), wo die Mehrzahl der 16.000 Saisonarbeiter untergebracht werden sollte (die ihrerseits aus den Provinzen Bologna, Ferrara, Mode-
17 Der maschinengeschriebene Bericht von 22 Seiten Länge trägt den Titel Sul trasferimento di operai agricoli in Germania und befindet sich im PA/AA, BRQ, R 6 C III, Band 1. - Über die Regionen der Absiedlung hinaus wurden die Besonderheiten des Gebiets, des Bodens, der Anbauformen, der Größe und der Organisation der landwirtschaftlichen Betriebe, die wichtigsten Arbeits-, Wohn- und Nahrungsbedingungen in Betracht gezogen, um mit der Untersuchung der verbreitetsten landwirtschaftlichen Geräte zu schließen. Auf diese Weise, hieß es in dem Bericht, könne man versuchen, die Wanderarbeiter in Gegenden anzusiedeln, die ihren Herkunftsregionen am ähnlichsten seien, um so deren Arbeitskraft effektiver nutzen zu können.
Landwirtschaftliche Arbeiter nach
Mitteldeutschland
263
na, Ravenna, Forli, Rovigo, Padua, Venedig, Treviso, Udine und Mantua kamen, also aus den Gegenden mit intensivem Rübenanbau), die in Trupps von je 25 Personen aufgeteilt werden sollten; — für Niedersachsen (Bezirke Göttingen, Northeim, Goslar, Blankenburg, Alfeld, Hameln, Hildesheim, Braunschweig, Helmstedt, Hannover, Celle, Nienburg, Verden, Uelzen, Lüneburg; eine Region, die an die vorhergehende angrenzt) waren insgesamt 4.000 Saisonarbeiter bestimmt, die aus den Provinzen Bergamo, Bologna, Brescia, Forli, Piacenza, Vicenza, Cremona, Reggio Emilia und Trient stammten und die in kleinere Gruppen von je 10 bis 12 Personen aufgeteilt werden sollten; — in Hessen (Bezirke Frankfurt, Hanau, Offenbach, Mainz, Darmstadt, Worms) sollten 1.550 Saisonarbeiter und 2.050 Dauerarbeitskräfte untergebracht werden, die aus den Provinzen Verona und Vicenza bzw. Bologna, Forli, Modena, Parma, Padua, Treviso, Vicenza und Piacenza aufzubringen waren; — in Südwestdeutschland (Bezirke Mannheim, Weinheim, Heidelberg, Mosbach, Bruchsal, Heilbronn, Karlsruhe, Pforzheim, Ludwigsburg, Stuttgart, Esslingen, Gmünd, Heidenheim, Göppingen, Reutlingen, Ulm, also auch eine an die vorhergehende angrenzende Region) sollten 1.950 Saisonarbeiter aus Bari, Udine, Verona und Trient und 1.475 Ganzjahresarbeiter aus Bozen, Ravenna, Trient und Verona zum Einsatz kommen; — schließlich waren für Bayern (vor allem für die Bezirke Schweinfurt, Würzburg, Donauwörth, Ingolstadt, Kempten und Holzkirchen) 400 Saisonarbeiter aus L'Aquila, Macerata, Parma, Reggio Emilia und Trient sowie 1.475 feste Arbeiter aus Belluno, Bergamo, Brescia, Reggio Emilia und Udine vorgesehen.
Tabelle 3 Beabsichtigte Verteilung der Landarbeiter nach Bestimmungsorten im Jahre 1938 Bestimmungsregion Mitteldeutschland
Saisonarbeiter 16000
Niedersachsen
4000
Hessen
1550
Südwestdeutschland
1950
Bayern Gesamt Prozentual
Feste Arbeiter
Gesamt
-
16000
55,4
-
4000
13,8
2050
3600
1475
3425
12,5 11,8
400
1475
1875
23900
5000
28900
82,7
Prozentual
17,3
6,5 100
100
Quelle: PA/AA, BRQ, R 6 C III, Band 1. Die Tabelle gibt den Blick frei auf einen sehr differenzierten Versuch, die italienische Migrationsbewegung exakt zu planen, und zwar sowohl die saisonale wie die ganzjährige (auch im letzteren Falle handelte es sich um eine temporäre Angelegenheit, da die Arbeitsverträge im Schnitt ein Jahr betrugen). Dabei bemühte man sich darum, die Arbeiter nach den geophysischen Gegebenheiten ihrer Herkunfts- und Bestimmungsorte, nach den Hauptanbauprodukten, den Eigentumsformen (kleine oder große Höfe) sowie nach den gewünschten Arbeitsmo-
264
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
dalitäten zu verteilen. So wurden die ersten Arbeiterkontingente, die aus unterschiedlichen Provinzen kamen, noch nach ihrer Herkunft aus gebirgigen, hügeligen oder flachen Zonen unterschieden. 18 Vom geographischen Gesichtspunkt her wurden die Italiener faktisch in zwei Regionen konzentriert (mit Ausnahme der zahlenmäßig wenig bedeutsamen bayerischen Bezirke Kempten und Holzkirchen): die erste Region war das nördliche Mitteldeutschland, das aufgrund der Zahl der dorthin zu entsendenden Arbeiter dominierte; die zweite Region, die wegen der geringeren Quantität zwar weniger wichtig, dafür aber dazu bestimmt war, fast die gesamte Zahl der Dauerarbeitskräfte aufzunehmen, war der Südwesten des Reiches. Was den Verdienst anging, so kalkulierte die italienische Delegation, daß - auch bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedingungen - ein Landarbeiter im Rahmen des neunmonatigen Aufenthalts, der für die Saisonarbeiter theoretisch vorgesehen war, nach Abzug von Kost, Logis und sonstigen Aufenthaltskosten zwischen 550 und 600 Reichsmark verdienen konnte. Dies entsprach einer Summe zwischen 4180 und 4560 Lire, gleich einem Verdienst von 465 bis 506 Lire im Monat, und dies bei 10 bis 11 Stunden Arbeit täglich an circa 26 Tagen im Monat. Nach dem Abkommen vom 3. Dezember 1937 19 durfte jeder Landarbeiter im Laufe des Jahres maximal 300 RM zu dem günstigeren Kurs von 7,6 Lire pro RM nach Hause schicken. Darüber hinausgehende Summen mußten zu 4,5 Lire pro RM umgetauscht werden. 20 Wenige Wochen später, ab Mitte März 21 (nach dem Bericht über die Hereinnahme ausländischer landwirtschaftlicher Arbeiter im Jahre 1938, der am 24. November 1938 von der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung verfaßt wurde, ging der erste Transport am 16. März ab) erreichten die ersten Sonderzüge mit den italienischen Arbeitern das Reich. Nach Auskunft der Italienischen Botschaft in Berlin 22 waren bis zum 10. März bereits 21.000 Arbeiter im Deutschen Reich angekommen. Wie man der propagandistischen Erinnerungspublikation der CFLA mit dem Titel Rurali di Mussolini nella Germania di Hitler (Italienische Landarbeiter in Deutschland) entnehmen kann, 23 war die Gesamtzahl der abgerei18 Vgl. die Tabelle 14. 19 Dazzi, Accordi, S. 24 und S. 82. Die Frage wurde geregelt über einen Briefwechsel zwischen Regierungsrat Spreng vom RSDB und dem Cavaliere Bandini, Leiter des Auswanderungsamtes bei der Italienischen Botschaft in Berlin; die gegenseitigen Mitteilungen wurden dem Vertragsprotokoll als Anlagen beigefugt. 20 Die Lohnüberweisungen wurden deutscherseits über die Deutsche Bank abgewickelt, italienischerseits durch die Banca Nazionale del Lavoro (BNL). Vgl. ACS, Ufficio Italiano Cambi (UIC), Germania, Band 117, Brief des Präsidenten der CFLA, Franco Angelini, an die Generaldirektion des Istituto nazionale per i cambi con l'estero [INCE] vom 25. 3. 1938 (Protokoll-Nr. CFLA 165576; INCE 057017). Auf das Problem des deutsch-italienischen Clearing in Verbindung mit den Ersparnissen der italienischen Arbeiter werde ich im Schlußteil dieser Studie eingehen. 21 PA/AA, AR, R V, Nr. 11, Allgemein, Band 4, RAAA, „Bericht über die Hereinnahme ausländischer landwirtschaftlicher Arbeiter im Jahre 1938", vom 24. 11. 1938, S. 8. 22 ASMAE, AP, Germania, Band 40, Brief des Botschaftsrates Magistrati an das italienische Außenministerium vom 8. 4. 1938; vgl. auch PA/AA, AR, R V, η. 11, Italien, Band 2, Brief des RNS an das Auswärtige Amt vom 5. 4. 1938, der im folgenden an Rödiger weitergeleitet wurde, wie uns ein handschriftlicher Vermerk sagt. In beiden Quellen ist von Vorbereitungen für Feiern am 8. des Monats die Rede, die anläßlich der Durchfahrt eines Zuges mit 800 landwirtschaftlichen Arbeitern durch Berlin, die für die Kurmark bestimmt waren, veranstaltet werden sollten. 23 Erschienen in Rom im Jahre 1939, herausgegeben durch die Propaganda-Abteilung (Ufficio Propaganda) der CFLA. Das von mir benutzte Exemplar befindet sich in der Nationalbibliothek in Rom. Der Text
Landwirtschaftliche Arbeiter nach
Mitteldeutschland
265
sten Arbeiter mit 3 1 . 0 7 1 nur unwesentlich höher als ursprünglich vorgesehen. Davon waren 2 5 . 9 5 6 Saisonarbeiter und 5 . 1 1 5 Ganzjahresarbeitskräfte. 24 Die regionalen Kontingente fielen etwa nach den Vorhersagen aus, wenn man von 2 kleinen Gruppen aus G ö r z und Rieti einmal absieht. Bezeichnenderweise übertrafen auch die Zahlen in den Provinzen Bologna, Modena, Padua, Rovigo und Treviso um einige Hunderte die Planungen.
Tabelle 4 Abgereiste Arbeiterkontingente
nach Herkunftsprovinzen im Jahre 1938
Provinz
Männer
Frauen
Aquila
170
30
Bari
640
-
Belluno
234
55
Bergamo
406
32
64
Bologna
1665
320
116
76
4
324
123
Bozen Brescia Cremona
Gesamt
Prozentual
200
0,6
797
2,6
289
0,9
502
1,6
2101
6,8
80
0,3
6
453
1,5
8
601
1,9
Jugendl. -
157 -
-
457
136
Ferrara
1628
468
-
2101
6,8
Fori!
1141
255
5
1401
4,6
Görz
102
1
1
104
0,3
Macerata
37
13
Mantua
749
256
Modena
2174
620
Padua
1836
452
Parma
681
141
Piacenza
340
66
50
0,2
3
1008
3,2
-
2794
9,0
113
2401
7,8
58
880
2,8
-
406
1,3
-
enthält eine Reihe von höchst interessanten Daten über die Zahl der abgereisten Landarbeiter, über die Provinzen, aus denen sie stammten, über die Regionen, für die sie bestimmt waren, sowie über die Zahl der abgeschlossenen Verträge. Es folgte ein beschreibender Teil, der auf dem bereits zitierten Kommissionsbericht (Sul trasferimento di operai agricoli in Germania und befindet sich im PA/AA, BRQ, R 6 C III, Band 1) basierte. Schließlich folgte ein Propaganda-Teil mit vielen Fotografien und Briefzitaten, die von Arbeitern an die Sekretäre der Provinzbüros der CFLA geschickt worden waren. Die Herausgeber hatten dabei versucht, alle Provinzen, aus denen Arbeiter abgereist waren, zu berücksichtigen. 24 In dem zitierten Band gibt es eine Diskrepanz zwischen den Zahlen der Saisonarbeiter (24.430) und der festen Arbeiter (6.641), die in den nicht paginierten „cartine" angegeben werden, die der Einleitung als Anlagen beigegeben sind und die auf S. 213 wiederholt werden, sowie zwischen den Summen, die sich bei der Addition der Saison- und der Dauer-Arbeiter (aufgeteilt nach Bestimmungsregionen, auf S. 52) ergeben (und die 25.965 und 5.115 betragen; vgl. meine Tabelle 5). Für eine Bewertung der verschiedenen Zahlen verweise ich auf die Bemerkungen dieser Arbeit, die auf Tabelle 6 folgen.
266
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Tabelle 4 — Fortsetzung Provinz
Männer
Ravenna
1099
Reggio Emilia Rovigo
Jugendl.
Gesamt
Prozentual
226
57
1382
4,4
1473
308
3
1784
5,7
1900
663
-
2563
8,2
23
7
-
30
0,1
Trient
1303
160
-
1463
4,7
Treviso
1324
198
1
1523
4,9
Udine
1326
421
56
1803
5,8
Rieti
Frauen
Venedig
1205
113
32
1350
4,3
Verona
1465
417
97
1979
6,4
Vicenza
797
234
-
1031
3,3
24575
5719
Total Prozentual
79,1
18,4
777 2,5
31071
100
100
Quelle: CFLA, Rurali di Mussolini nella Germania di Hitler - Italienische Landarbeiter in Deutschland.
Aus dem Bericht erfahren wir viele interessante Details über die Modalitäten, nach denen die Arbeiter ausgewählt wurden, die theoretisch eine doppelte Hürde passieren mußten, zuerst die italienische, dann die deutsche: „Von der Confederazione war bereits eine Vorauswahl von geeignet erscheinenden Kräften getroffen worden, die dann den Beauftragten der Reichsanstalt zur Auswahl und Verpflichtung vorgestellt wurden. Besonders anzuerkennen war dabei, daß die italienischen landwirtschafltichen Arbeiter von der Confederazione nicht nur mit einheitlicher Arbeitskleidung und einheitlichen Reisekoffern ausgestattet, sondern auch über die Bedeutung ihres Einsatzes in Deutschland unterrichtet und nachdrücklich ermahnt wurden, Disziplin zu halten und ihren Verpflichtungen nachzukommen." Wieder einmal vermischte sich meines Erachtens bei den italienischen Behörden der Wunsch, ein mögliches Ventil für die eigene Arbeitslosigkeit zu besitzen, mit dem Problem, die Kontrolle über die Arbeiter zu bewahren, aber auch mit gewissen politischen Befürchtungen vor einer Konsolidierung des deutsch-italienischen Bündnisses. Was die Bestimmungsorte anging, so wurde die Vorausplanung — laut den Angaben der CFLA - weitgehend berücksichtigt. Es gab jedoch eine größere Streuung der landwirtschaftlichen Arbeiter über das Reichsgebiet, als man abgesprochen hatte, was den von italienischer Seite nachdrücklich geäußerten Wünschen widersprach:
Landwirtschaftliche Tabelle 5 Aufteilung
Arbeiter nach Mitteldeutschland
der Arbeiter
Region Mitteldeutschland Niedersachsen Hessen Südwestdeutschland Bayern
im Reich im Jahre Saisonarbeiter
267
1938* Feste Arbeiter
Gesamt
Prozentual
14.056
370
14.426
46,4
4.272
106
4.378
14,1
894
1.026
1.920
6,2
2.313
787
3.100
10,0
279
2.825
3.104
10,0
Pommern
1.348
-
1.348
4,3
Brandenburg
1.177
-
1.177
3,8
Ostpreußen
788
-
788
2,6
Schlesien
372
-
372
1,2
Sachsen
260
261
0,8
Nordmark
197
97
0,6
Total Prozentual
25.956 83,6
1 -
5.115 16,4
31.071
100
100
* nach den Angaben der CFLA Quelle: CFLA, Rurali di Mussolini nella Germania di Hitler - Italienische Landarbeiter in Deutschland.
3.946 Arbeiter (ohne die 197, die in die Nordmark geschickt wurden), also 12,7 Prozent, kamen in die Regionen Ostdeutschlands bzw. des östlichen Mitteldeutschlands, genau dorthin, wo es nach Ansicht der Italienischen Botschaft nicht angebracht war, Arbeiter unterzubringen, weil auf dem Land „die allgemeinen Lebensbedingungen etwas primitiv und daher ziemlich hart" seien. 25 Es gibt jedoch keine Spuren dafür, daß sich auf italienischer Seite Widerstände geregt hätten — im Gegenteil Botschafter Attolico kündigte in einem Bericht vom 20. August 1938 unter anderem an, daß er einen Tag in der Woche dem Besuch von Arbeitergruppen widmen wolle 26 und daß die Lebensbedingungen der Arbeiter auf einigen Gütern in Brandenburg, die er zusammen mit dem Chef der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (RAAA), Syrup, besucht habe, gut seien.
25 ASMAE, AP, Germania, Band 40, Fernschreiben vom 24. 4. 1937 an das Außenministerium sowie an das Innen- und das Landwirtschaftsministerium, Prot.Nr. 1963/620; beigefugt ist eine Denkschrift des Leiters des „Ufficio Emigrazione" der Botschaft, jenes „Cavaliere Bandini", den wir bereits an den Verhandlungen im Juli und Dezember 1937 haben teilnehmen sehen. - Für einen Vergleich zwischen der tatsächlichen Verteilung der Arbeiter und der von der CFLA-Delegation geplanten siehe die diesbezüglichen Tabellen im Tabellenanhang. 26 ASMAE, AP, Germania, Band 49, Fernschreiben an das Außenministerium vom 20. 8. 1938, Prot.Nr. 5973/1718. Die einzige Kritik, die Attolico äußerte, betraf nicht so sehr die Lebensbedingungen als vielmehr „die Anwesenheit von jungen und alleinstehenden Frauen in den Gruppen, [was] zu Unzuträglichkeiten Anlaß geben [könnte]". Er meinte daher, „daß es nötig ist, dies zu vermeiden". Die deutsche Regierung hatte jedoch ausdrücklich eine größere Zahl von Frauen unter den Landarbeitern gefordert und fuhr,
268
Zwischen Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt
und
Kriegswirtschaft
Mit aller Wahrscheinlichkeit hatten einerseits politische Überlegungen, die an die Entwicklung der Beziehungen zu Deutschland geknüpft waren, andererseits ökonomische Erwägungen, die von der Situation des italienischen Arbeitsmarkts abhingen, die früher gezeigte Zurückhaltung geringer werden lassen. Mit der Verbreitung der Nachricht über die Aufnahme von Land- und Bauarbeitern in Deutschland hatte sich nämlich in Italien ein Klima voller Erwartungen entwickelt. Zahllose Briefe von Arbeitslosen an verschiedenste Organisationen — an die Deutsche Botschaft R o m ebenso wie an die Italienische Botschaft zu Berlin, an die C F L A wie an das italienische Außenministerium — legen davon ein beredtes Zeugnis ab. Es muß jedoch hervorgehoben werden, daß sich nach den Angaben, die von der RAAA im Anhang zu dem bereits zitierten Bericht gemacht wurden, 2 7 nicht nur die geographische Verteilung sondern vor allem auch die Aufteilung zwischen Wanderarbeitern und Gesindekräften anders darstellten, als dies in den italienischen Quellen angegeben wurde: Tabelle 6 Aufteilung der Arbeiter im Reich im Jahre
1938*
Region
Saisonarbeiter
Dauerkräfte
Gesamt
13769
440
14209
47,1
Niedersachsen
4182
106
4288
14,2
Hessen
1041
1040
2081
6,9
Südwestdeutschland
576
2338
2914
9,6
Bayern
290
2766
3056
10,1
Mitteldeutschland
Prozentual
Pommern
1007
-
1007
3,3
Brandenburg
1037
-
1037
3,4
Ostpreußen
790
-
790
2,6
Schlesien
362
-
362
1,2
Sachsen
270
-
270
0,9
Nordmark
199
-
199
0,7
Total Prozentual
23523 77,9
6690 22,1
30216
100
100
* nach den deutschen Quellen Quelle: PA/AA, AR, R V, Band 11.
wie wir noch sehen werden, fort, diese Forderung zu bekräftigen - in offenem Gegensatz zu dem italienischen Widerstreben. Bei einem Teil der Frauen, die mit dem Kontingent von 1938 abgereist waren, handelte es sich um die Frauen von männlichen Landarbeitern (der Botschafter sprach auch von Ehepaaren, die er auf den besichtigten Gütern angetroffen habe). Falk Wiesemann spricht in seinem Aufsatz Italienische Arbeitskräfte im nationalsozialistischen Deutschland, (in: Annali della facolth di lettere dell' Universitä di Napoli, n.s., n. 13 (1982-1983), vol. XXV, S. 423-437) von „unverheiraten Arbeitskräften" (S. 424), was sich jedoch durch keine mir bekanntgewordene Quelle bestätigen läßt. 27 PA/AA, AR, R V, Nr. 11, Allgemein, Band 4; RAAA, Bericht, S. 21.
Landwirtschaftliche
Arbeiter nach
Mitteldeutschland
269
Außer im Falle Südwestdeutschlands handelte es sich nicht u m allzugroße Abweichungen, doch waren sie bezeichnend. Beim gegenwärtigen Stand meiner Forschungen ist es schwer zu sagen, welche der Tabellen genauer ist. Was das gewandelte Verhältnis von Wanderarbeitern zu Gesindekräften und die Klärung der von der Vorausplanung teilweise abweichenden geographischen Verteilung angeht, so stützte sich die Begründung, die deutscherseits geliefert wurde, auf das Faktum, daß — angeblich entgegen den ursprünglichen Absprachen — die ersten Transporte von Wanderarbeitern nur zu 10 bis 15 Prozent aus Frauen bestanden, während die versprochene Frauenquote 4 0 Prozent hätte betragen sollen. Dies soll zur Folge gehabt haben, daß etliche landwirtschaftliche Unternehmer ihre bereits eingereichten Arbeitskräfteanforderungen wieder zurückzogen, so daß es notwendig geworden sei, die bereits angekommenen Arbeiter anderweitig unterzubringen; zu einem gewissen Zeitpunkt sei die vollständige Aufnahme der ursprünglich vereinbarten Q u o t e von italienischen Arbeitern dadurch sogar ganz in Frage gestellt worden. D a s Problem sei dann aber gelöst worden, so die deutsche Argumentation weiter, durch den Einsatz der Arbeitskräfte in Gegenden, die ursprünglich nicht vorgesehen waren, sowie durch die Verstärkung der Q u o t e von Dauerarbeitern, die bei den landwirtschaftlichen Betrieben untergebracht wurden. Wie wir noch sehen werden, bewirkte dies auch Unzuträglichkeiten anderer Art. Die Erklärung ist unzweifelhaft überzeugend, u m so mehr als später von neuem dieses Szenarium auftauchen wird: Deutschland forderte aus verschiedenen Gründen eine Erhöhung der Frauenquote, u n d Italien akzeptierte dies seelenruhig. Jedenfalls ist es merkwürdig, daß sich bezüglich dieser Frage kein dokumentarischer Niederschlag in den italienischen Quellen findet. Ferner bleibt das Problem Südwestdeutschland offen, wo das Verhältnis zwischen Wander- und Dauerarbeitern geradezu umgekehrt worden war — jedenfalls wenn man die italienischen mit den deutschen Zahlen vergleicht. M a n könnte sicherlich an einen Irrtum beim Eintragen der Zahlen in die betreffenden Spalten denken. Aber wem könnte dieser Irrtum unterlaufen sein? N u r Untersuchungen auf lokaler Ebene, die bisher noch völlig unbeachtet blieb, könnten dies klären. Ich habe dieses vielleicht nebensächliche Problem besonders ausführlich behandelt, weil die in diesem Fall relativ große Menge des vorhandenen Zahlenmaterials (eine Situation, die sich im Verlauf der Studie nicht häufig wiederholen wird) es mir erlaubt hat, die praktischen Grenzen und die eingeschränkte Glaubwürdigkeit dieses Zahlenmaterials darzulegen. Die Tabellen, die ich zu benutzen gezwungen bin, müssen daher cum grano salis betrachtet und mehr als Indikatoren der betreffenden Größenordnungen denn als exakte Angabe angesehen werden. Was die Verteilung der Arbeiter in mehr oder weniger umfangreichen Gruppen oder gar in Einzelunterbringungen angeht, so können manche Informationen aus den abgeschlossenen Arbeitsverträgen gezogen werden: es gab 8.865 Arbeitsverträge, die sich auf 3 0 . 1 7 9 Arbeiter bezogen 2 8 (wie man aus dieser Zahl ablesen kann, sind dies 8 9 2 weniger als tatsächlich abgereist sind. Wenn man Additionsfehler ausschließt, die jederzeit möglich waren, so bleibt nichts anderes übrig als eine zahlenmäßige Erhebung anzunehmen, die sich auf einen bestimmten Stichtag bezog und einige später abgeschlossene Verträge nicht mit einbezog. Z u m Glück ist
28 RURALI, S. 53; die dort berichteten Gesamtzahlen nennen 8.665 Arbeitsverträge und 30.189 Arbeiter. Die Zahlen sind jedoch fehlerhaft: es waren 200 Verträge weniger und 10 Arbeiter mehr, als die Liste aufzählt. Ich habe es im Text für richtig befunden, die korrekten Zahlen einzusetzen.
270
Zwischen Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
die Abweichung relativ gering.) Im Durchschnitt waren dies 3,4 Arbeiter pro Vertrag, also ziemlich wenig. Ich gebe im folgenden die Zahlen nach der Größe der Arbeitergruppen gestaffelt wieder: Tabelle 7 Verteilung nach Arbeitergruppen Umfang der Arbeitergruppen
im Jahre 1938*
Verträge Arbeiter
Prozent
Betroffene
Prozent
1 Arbeiter
5786
66,63
5786
19,17
von 2 bis 5
1655 572
19,06
4390
14,55
von 6 bis 10
6,58
4457
14,77
von 11 bis 20
411
4,73
6251
20,71
von 21 bis 50
243
2,80
24,70
16
0,18
7455 1092
von 51 bis 100 über 100 Gesamt
3,62
2
0,02
748
2,48
8685
100,00
30179
100,00
* auf der Basis der abgeschlossenen Arbeitsverträge Quelle: C F L A , Rurali di Mussolini nella Germania di Hitler - Italienische Landarbeiter in Deutschland.
Man kann daraus eine recht ausgewogene Verteilung der Arbeiter entnehmen, die danach bei praktisch allen Arten von landwirtschaftlichen Betrieben tätig wurden, vom Familienbetrieb bis zu mittleren und großen Gütern, bei teilweiser Aussparung des Großgrundbesitzes im Osten des Reiches (wo lediglich 6 Prozent arbeiteten) und mit einer stärkeren Konzentration auf die mittelgroßen Unternehmen, die im übrigen mit der höheren Bevölkerungsdichte in Mitteldeutschland korrespondierte. Auch nach Aussage der deutschen Dokumentation ändert sich das Bild nicht - wenn wir einmal die Einzelverträge ausschließen, die — laut Bericht — zum größten Teil Dauerarbeiter betrafen.
Anpassungsschwierigkeiten Eine so beträchtliche Zahl von italienischen Arbeitern, die etwa 26 Prozent aller in der deutschen Landwirtschaft beschäftigten Ausländer ausmachten, 29 konnte nicht unbeachtet bleiben: bereits im Januar 1938 wurde ihre bevorstehende Ankunft von dem Informationsblatt 2 9 PA/AA, A R , R V, Nr. 1 1 , Allgemein, Band 4; R A A A , Bericht. Laut dieser Quelle wurden im Laufe des Jahres in ganz Deutschland 1 1 4 . 4 6 7 Ausländer bei der Landarbeit eingesetzt. Davon waren 6 3 . 3 0 0 W a n derarbeiter und 5 1 . 1 6 7 Gesindekräfte. Polen und Italiener stellten mit 6 0 . 7 8 6 bzw. 3 0 . 2 1 6 Personen die stärksten Gruppen. Unter den Saisonarbeitern dominierten zahlenmäßig - wenn auch nur knapp - die Italiener (mit 2 3 . 5 2 6 von 6 3 . 3 0 0 , mithin 3 7 , 2 Prozent), während unter den Dauerkräften die Polen den ersten Platz einnahmen ( 3 8 . 5 9 4 von 5 1 . 1 6 7 , somit 7 5 , 4 Prozent).
Landwirtschaftliche Arbeiter nach
Mitteldeutschland
271
Faschismus angekündigt, das in Amsterdam von der Internationalen Transportarbeiter-Föderation herausgegeben wurde und in dem von etwa 30.000 Arbeitern gesprochen wurde. Das Blatt kehrte noch mehrmals auf dieses Thema zurück und übermittelte schon ab Ende April Nachrichten von Spannungen und Protesten, die durch das Essen hervorgerufen worden waren, das für die Italiener vollkommen ungewohnt war. 30 Auch das im Untergrund arbeitende Nachrichtennetz der SPD übermittelte an die im Exil befindliche Parteizentrale etliche Nachrichten über die italienischen Arbeiter, in denen neben Ungenauigkeiten in den Informationen allgemeiner Natur (so heißt es ζ. B., daß die deutsch-italienischen Verträge die Migration von 100.000 Arbeitern vorsähen 31 ) höchst interessante Beschreibungen auftauchten, wie die folgende, die sich auf die Region Weimar bezog, in der etwa 800 Italiener angelangt waren: „Die Italiener sind alle sehr arme Teufel, sie sind ausgehungert und haben fast nichts am Leib. Die neuen Hilfskräfte sind den SS-Landscharen unterstellt (...). Die italienischen Landarbeiter dürfen sich nicht frei bewegen (...) Sie sind fast alle Leute zwischen 20 und 30 Jahren." 32 Völlig anders war natürlich der Tenor der Nachrichten, die in der deutschen wie der italienischen offiziellen Presse erschienen, die dazu neigten, die Migration als ein Symbol der guten Beziehungen zwischen den beiden faschistischen Mächten anzupreisen und ein idyllisches Bild des täglichen Lebens und der Beziehungen zwischen den italienischen Arbeitern und der ortsansässigen deutschen Bevölkerung zu zeichnen. In den Artikeln der Staatszeitungen scheint dennoch durch, daß nicht alles so glatt ging: wiederum war es die Frage der Nahrung, die den ersten Platz einnahm, besonders in einigen resümierenden Artikeln, die im Herbst in deutschen Regionalzeitungen erschienen. 33 Dennoch sind die Bewertungen der deutschen Behörden insgesamt positiv; dies geht ζ. B. aus einem Bericht des Oberpräsidenten der Provinz Sachsen von Ende April 1938 hervor, in dem es unter anderem heißt: „In der Landwirtschaft hat die Hereinnahme von italienischen Saisonarbeitern wenigstens in den Großbetrieben für die Frühjahrsbestellungen eine fühlbare Erleichterung gegeben. Die anfänglichen Schwierigkeiten, die sich insbesondere auf dem Gebiet der Ernährung, der Unterbringung und der Verständigung gezeigt hatten, scheinen inzwischen erfolgreich überwunden zu sein, so daß die Bestellung der Felder gesichert ist. Bedenken ergeben sich bei den Großbetrieben für die Zukunft aus der Tatsache, daß die Italiener vermutlich schon vor der Herbsthackfruchternte wieder in ihre Heimat zurückkehren werden." Uber die Situation in Bayern heißt es im Bericht des Reichstreuhänders der Arbeit vom 10. August 1938:
30 Faschismus, Jahrgang 6, 1938, Nr. 2 vom 22. 1., S. 1 7 - 1 8 ; Nr. 4 vom 19. 2., S. 34; Nr. 9 vom 30. 4., S. 73; Nr. 19 vom 19. 9., S. 170. Ich habe die Ausgabe benutzen dürfen, die sich in der Bibliothek der FriedrichEbert-Stiftung in Bonn-Bad Godesberg befindet, wo sie die folgende Signatur trägt: Bestand II, 2, Mappe 25. 31 Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SOPADE) 1 9 3 4 - 1 9 4 0 , Salzhausen-Frankfurt am Main 1980; hier Band 1938, Nr. 7, Juli, S. 724, und Band 1939, Nr. 1, Januar, S. 57. 32 Ebenda, Nr. 7, Juli, S. 727, zit. bei Herbert, Fremdarbeiter, S. 59. 33 Dies ist der Fall in einem langen Artikel, der im Niedersächsischen Kurier vom 14. 9. erschien, und in einem analogen Beitrag, der in Deutsche Arbeits-Korrespondenz (im folgenden: DAK) vom 2 1 . 9 . publiziert wurde. (Bundesarchiv Potsdam (BA Potsdam), Bestand 62.03, DAF, Arbeitswissenschaftliches Institut (AWI), Nr. 2834.)
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auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
„ D i e zunächst erhobenen Klagen der Italiener über zu lange Arbeitszeit und zu geringen Lohn sind verstummt." U n d weiter liest man: „Auch in Schlesien hat man mit italienischen Wanderarbeitern gute Erfahrungen gemacht."34 Nicht wesentlich verschieden fiel auch das Urteil der RAAA im November 1938 aus: die Erfahrungen, die mit den italienischen Arbeitern gemacht wurden, seien „nicht unbefriedigend"; die entstandenen Schwierigkeiten seien den für die Arbeiter ungewohnten Lebensbedingungen und (ein weiteres Mal!) dem wenig geschätzten Essen zuzuschreiben. U n d dies obwohl ausdrücklich der zollfreie Import von Lebensmitteln aus Italien vorgesehen worden war, deren Menge sich jedoch als ungenügend erwiesen hatte. 3 5 Analog dazu kam es im Herbst zu weiteren Schwierigkeiten aufgrund der mangelhaften Ausrüstung und Bekleidung der Arbeiter, die für sie die Arbeit bei ungünstiger Witterung äußerst beschwerlich machte. Es war nötig, die Gutsbesitzer, bei denen Italiener beschäftigt waren, unter Einschaltung des R N S dazu aufzufordern zu kontrollieren, ob ihre Arbeiter ausreichende Kleidung besäßen und widrigenfalls Abhilfe zu schaffen. Aber die Probleme beschränkten sich nicht auf die Lebensbedingungen, sie betrafen auch die Arbeitsbeziehungen im engeren Sinne: „Bei d e m Einsatz der italienischen Kräfte in Wanderarbeiterstellen ergaben sich Schwierigkeiten auch dadurch, daß die italienischen Kräfte bei gewissen Akkordarbeiten teils wegen mangelnder Ü b u n g , teils da bestimmte Akkordsätze auf den Stundenlöhnen für weibliche Kräfte aufgebaut sind, nicht auf den von ihnen erwarteten Verdienst kamen. Bei d e m Einsatz in Gesindestellen gaben die Dauer der täglichen Arbeitszeit und die in einzelnen Bezirken niedrige Entlohnung Anlaß zur Klage der italienischen Arbeiter." Im wesentlichen findet man sich hier mit Protesten und Klagen konfrontiert, die fiir eine konflikthafte Arbeitssituation typisch sind. Die Proteste verstärkten sich noch als Folge des mißverständlichen Hin und Hers in der Frage des Anteils, den die Frauen unter den Wanderarbeitern ausmachen sollten. Es handelte sich dabei nicht zuletzt u m eine Frage der Entlohnung: M i t der Frauenquote argumentierten die Gutsbesitzer, die, wenn sie Männer anstelle der Frauen akzeptierten, diesen nur die niedrigere Bezahlung zukommen lassen wollten, die zu einem Zeitpunkt vereinbart worden war, als man noch davon ausgeging, Arbeiterinnen zu bekommen. Etliche Male mußten die örtlichen Diensstellen der RAAA, des R N S und der eigens auf deutschem Boden eingerichteten Delegationen der C F L A intervenieren und „in befriedigender Weise" den Vermittler spielen. Nichts von all dem findet sich in den Berichten von italienischer Seite, wo das Bild, das präsentiert wurde, ohne alle Schatten und voller Licht zu sein schien. Dabei spielte die Gesamts u m m e der Lohnersparnisse in H ö h e von 68 Millionen Lire, die von den Arbeitern nach Italien geschickt wurde, eine zentrale Rolle; ferner hielt man es bereits für ausgemacht, daß das Experiment des Arbeiterverleihs auch im darauffolgenden Jahr 1939 wiederholt werden würde. 3 6 34 Timothy W. Mason, Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft 1975\ siehe S. 348-353 (Wirtschaftlicher Lagebericht des Oberpräsidenten der Provinz Sachsen für die Monate Februar und März 1938 vom 25. 4. 1938) und S. 653-663 (Auszug aus den Monatsberichten des Treuhänders der Arbeit fur die Monate Mai und Juni 1938). Beide Quellen sind zit. bei Herbert, Fremdarbeiter, S. 59. 35 PA/AA, AR, R V, Nr. 11, Allgemein, Band 4; RAAA, Bericht, S. 8-10. 36 RURALI, S. 213-214, wo der Bericht, den der Präsident der CFLA, Franco Angelini, Mussolini nach der vollzogenen Rückkehr der Arbeiter vorgelegt hatte, abgedruckt ist.
Landwirtschaftliche Arbeiter nach Mitteldeutschland
273
Was diese Aussicht anging, so stimmte die RAAA ihrerseits dem nur in vorsichtiger Weise zu und berichtete, daß es nach Aussage der mit der Anwerbung beauftragten Beamten möglich wäre, in Italien bis zu 50.000 Wanderarbeiter und bis zu 10.000 Gesindekräfte zu rekrutieren.
D a s E x p e r i m e n t wird wiederholt Nachdem die NS-Führung entschieden hatte, sich neuerlich der italienischen Landarbeiter zu bedienen, fand in Berlin vom 9. bis 24. Januar 1939 eine neue Verhandlungsrunde statt. Die italienische Delegation bestand ganz aus Vertretern der C F L A , mit der einzigen Ausnahme des Chefs der Migrationsabteilung der Botschaft Berlin, Dante Cesare Bandini. Die deutsche Vertretung wurde im wesentlichen von Delegierten des RArbM gebildet, denen Beamte des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (RMEL), des Auswärtigen Amts, des Reichsministeriums des Innern (RMI) und des Reichsfinanzministeriums (RFM) für die Fragen, die in ihre Kompetenzbereiche fielen, zur Seite standen. 3 7 Präsident der deutschen Delegation war Syrup, der Chef der RAAA, die seit wenigen Wochen in das RArbM eingegliedert war. 38 Es handelte sich nicht so sehr um einen neuen Vertrag als vielmehr um die modifizierte Neuauflage der Vorjahresvereinbarungen, in der jede Partei versuchte, ihre eigenen Interessen besser zum Ausdruck zu bringen. Die Italiener bemühten sich darum (ohne jedoch mehr zu erreichen als eine allgemeingehaltene Absichtserklärung der deutschen Seite), die Deutschen davon zu überzeugen, für die Gesindekräfte, die vorwiegend in landwirtschaftlichen Betrieben eingesetzt werden sollten, Mindestlöhne festzusetzen (für die Männer 12 R M netto wöchentlich, für die Frauen und Jugendlichen 10 RM). Sie erreichten eine Erhöhung des Maximalbetrags, den die Arbeiter zum günstigeren Kurs nach Hause überweisen konnten, auf 400 R M . 3 9 Ferner setzten sie in einer Frage, die in erster Linie das sogenannte Nationalprestige betraf, eine Garantie durch, daß die italienischen Arbeiter „soweit irgend möglich, in Deutschland so eingesetzt werden, daß sie nicht mit anderen, nichtdeutschen Landarbeitern zusammenzuarbeiten brauchen." Die deutschen Unterhändler insistierten ihrerseits darauf, daß Italien sich anstrengen solle, erstens „den Anteil an weiblichen Arbeitskräften an der Zahl der zu stellenden Arbeitskräfte so hoch wie möglich zu halten", zweitens Gruppen von Saisonarbeitern, die alle aus der gleichen Region zu stammen hatten, zusammenzustellen, drittens für die Gesindestellen „nur ledige Kräfte und ( . . . ) aus Provinzen mit einfachen Lebensverhältnissen" auszuwählen und viertens
37 Dazzi, Accordi, S. 25-34 (italienischer Text) und S. 83-92 (deutscher Text). 38 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter, S. 45. 39 Die Summe von 400 Reichsmark, die jeder Landarbeiter nach Hause schicken konnte, taucht nicht ausdrücklich in den Abkommen auf, die am 24. 4. unterzeichnet wurden, sondern wurde im Rahmen des Handelsabkommens zwischen den beiden Ländern festgelegt, das im gleichen Zeitraum in Rom diskutiert wurde. Die vereinbarte Formel war ziemlich restriktiv, da sie von „monatlichen Raten von 50 RM, bis zu einem Betrage von 400 RM je Kopf' ausging (siehe PA/AA, AR, R V, Nr. 11. Italien, Faszikel 1; Zusammenfassung einer Besprechung vom 10. 3. 1939 im Auswärtigen Amt, gez. Mangold; bei dieser Besprechung stand gerade das Problem der Lohnersparnisse der italienischen Arbeiter auf der Tagesordnung, zu einem Zeitpunkt, als die deutschen Behörden ernstlich besorgt waren wegen des Saldos im Clearing-Verkehr mit Italien).
274
Zwischen Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
dafür zu sorgen, daß die abreisenden Arbeiter mit warmer Kleidung und Schuhen, die der Arbeit und dem Klima angepaßt waren, versehen würden. Die Größenordnung des Kontingents wurde auf 30.000 Wanderarbeiter und 7.000 Ganzjahreskräfte festgelegt. Unter den Dauerarbeitern waren auch die Gesindekräfte Inbegriffen, die in Deutschland überwintert hatten und die bereit waren, den Vertrag zu erneuern. Die statistischen Daten, die ich für das Jahr 1939 zusammentragen konnte, sind nicht so reichlich wie die für das Vorjahr. Die fragmentarischen Zahlen, über die ich verfüge, lassen jedoch die Hypothese einer qualitativ gezielten Verwendung der Landarbeiter zu, sowohl bezüglich der Herkunftsregionen, als auch was den noch wichtigeren Gesichtspunkt der Einsatzgebiete betraf. Die vorgesehene Gesamtzahl wurde jedenfalls nahezu erreicht: im Juli 1939 betrug die Zahl der auf deutschem Boden anwesenden italienischen Arbeiter 35.672 und erreichte damit ihren Höchststand, der jedoch bis Ende Oktober, als die Zahl noch 34.433 betrug, nahezu konstant blieb — wenn man einmal von einer natürlichen Verminderung absieht, die durch die vorzeitige Rückkehr einiger hundert Arbeiter aus gesundheitlichen oder ähnlichen Gründen bewirkt wurde. Im November begann die Heimkehr der Saisonarbeiter, aber 28.416 arbeiteten zu diesem Zeitpunkt noch. Wenige Wochen später hörten auch diese auf, und im Dezember waren lediglich noch 3.667 italienische Landarbeiter im Reich registriert. 40 Im Vergleich zu der Gesamtzahl der in der Landwirtschaft tätigen Ausländer (etwa 118.000 4 1 ) repräsentierten die Italiener weiterhin einen beträchtlichen Anteil von nahezu 30 Prozent. Die Po-Ebene spielte bei der Anwerbung der Arbeiter eine zentrale Rolle. Dafür spricht nicht nur die Tatsache, daß in Bologna die deutsche Zentralstelle eingerichtet wurde, die in den ersten Monaten des Jahres 1939 im Einvernehmen mit der C F L A und den italienischen Behörden die Anwerbung durchzuführen hatte, 42 sondern auch das stark schematische und ziemlich unvollständige Bild, das am 12. März 1939 in der Zeitung Illavoro fascista, der Tageszeitung der CFLI, veröffentlicht wurde und in dem es hieß, daß sich über 70 Prozent des neuen Kontingents aus solchen Arbeitern zusammensetze, die bereits 1938 in Deutschland gewesen seien. In dem Artikel wurde die Gesamtzahl von 37.000 Arbeitern bestätigt sowie die partielle Aufteilung nach Herkunftsprovinzen für diese Gruppe angegeben. Diese Angaben wurden jedoch nur für eine Gesamtzahl von 27.300 Arbeitern aufgelistet, ohne daß irgendetwas über die restlichen 10.000 verlautbart worden wäre:
40 Ich habe mich auf die Zahlen gestützt, die sich finden im: Bundesarchiv Koblenz (BA Koblenz), R 42 II, Allgemeine Ortskrankenkasse Zoppot (AOZ), Band 36, Verbindungsstelle der deutschen Krankenversicherungen, Rundschreiben vom 11. 11. 1942, Beilage 1, S. 4, die eine Statistik enthält, die die Zahl der Landarbeiter, die vom Juli 1939 bis Ende Mai 1942 im Reich präsent waren, Monat für Monat verzeichnet. 41 Lothar Eisner, Joachim Lehmann, Ausländische Arbeiter unter dem deutschen Imperialismus 1900-1985, Berlin (Ost) 1988; siehe. S. 395, Tabelle 20. 42 PA/AA, AR, R V, Nr. 11, Italien, Faszikel 1, Brief vom RArbM, gez. Timm, an das Auswärtige Amt (Prot.Nr. AA R 13260) vom 30. 5. 1939.
Landwirtschaftliche Arbeiter nach
Mitteldeutschland
275
Tabelle 8 Verteilung nach Herkunftsprovinzen im Jahre 1939 Provinz der Rekrutierung
Vorgesehene Anzahl
Prozentual
Provinz der Rekrutierung
Vorgesehene Anzahl
Prozentual
800
2,2
Bari
500
1,4
Ravenna
Belluno
300
0,8
Reggio Emilia
2.000
5,4
Bergamo
300
0,8
Rovigo
3.800
10,2
Bologna
2.000
5,4
Trient
1.200
3,2
Brescia
300
0,8
Treviso
2.500
6,7
Cremona
800
2,2
Udine
2.000
5,4
2.000
5,4
Venedig
1.000
2,7
Forll
800
2,2
Verona
3.300
8,9
Görz
100
0,3
Vicenza
1.000
2,7
1.500
4,1
Parma
800
2,2
27.300
73,8
Piacenza
300
0,8
Ferrara
Mantua
Summe der Tabelle Gesamtzahl
37.000
100
Quelle: II lavoro fascista, 12. 3. 1939. Genauere Informationen, die diejenigen betreffen, die tatsächlich abgereist sind, habe ich nur für 4 Provinzen finden können: nämlich für Fori), Mantua, Modena und Treviso. 43 Die drei letzteren erhöhten ihr Kontingent im Verhältnis zum Jahr 1938 beträchtlich (von 1.008 auf 1.500 fiir Mantua, von 2.794 auf 3.800 für Modena und von 1.523 auf 2.631 [davon 622 Frauen] fur Treviso), während die Quote der Provinz Fori! von 1.401 auf 1.021 sank, dabei aber doch beachtlich blieb und in jedem Fall höher lag, als von den faschistischen Behörden vorgesehen war. Aus einer anderen Quelle wissen wir, daß zu diesem Zeitpunkt die Abfahrt weiterer, zahlenmäßig starker Gruppen, die aus den Regionen Venetiens (Provinzen Trient, Vicenza und Verona) kamen und aus einigen Hundert Personen bestanden, kurz bevorstand. 44
43 Bezüglich Forll siehe Dianella Gagliani, Comportamenti e atteggiamenti dei braccianti dell' Emilia Romagna negli anni del fascismo, in: Massimo Legnani, Domenico Preti, Giorgio Rochat (Hrsg.), Le Campagne emiliane in periodo fascista. Materiali e ricerche sulla battaglia del grano, (Istituto regionale per la storia della Resistenza und della guerra di liberazione in Emilia Romagna), Annali, Nr. 2/1981-1982, S. 157-202, hier S. 162, Anm. 12; zu Mantua und Modena vgl. Antonio Gibeiii, Les travailleurs Italiens et l'iconomie de guerre allemande dans le programme du „Nouvel ordre europien" de Hitler (1939-1945), in: Studia historiae oeconomicae, Nr. 8/1973, S. 77-89; hier S. 80; für Treviso siehe Archivio di Stato di Treviso (AST), Gabinetto di Prefettura, Band 279, Bericht vom 23. 7. 1939. 44 ACS, Bestand MI, DGPS, divisione Polizia Politica (PolPol), Band 223, Informationen aus Vicenza vom 15. 5., aus Trient vom 25. 4., vom 9. 5. und vom 20. 8., aus Rovereto vom 31. 10. sowie Blätter aus Verona, die undatiert sind, aber aus der gleichen Zeit stammen. Gemeinsam ist all diesen Berichten, daß sie die Schwierigkeiten betonen, die die deutschen Behörden den Lohnüberweisungen entgegenstellten. Wie wir
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Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Was die Verteilung der Arbeiter auf deutschem Boden anging, so zeigen die wenigen Informationen, die ich darüber finden konnte, daß die Arbeiter mehr oder weniger an den gleichen Orten präsent waren wie im Vorjahr: etwa 3 . 5 0 0 bis 4 . 0 0 0 scheinen in Schlesien eingesetzt worden zu sein, starke Gruppen befanden sich offenbar in Südwestdeutschland, Sachsen, Bayern und in Niedersachsen; nur für die Gesindekräfte läßt sich mit Sicherheit sagen, daß sie in Bayern, Südwestdeutschland, Pommern und Brandenburg eingesetzt wurden. 4 5 Der Artikel in II lavoro fascista, den ich gerade zitiert habe, sagt uns auch, daß die Arbeiter dazu bestimmt waren, in Mitteldeutschland, Niedersachsen, Brandenburg, Pommern, Schlesien, Hessen, Bayern und Südwestdeutschland eingesetzt zu werden. Möglicherweise spiegelt diese Reihenfolge der Regionen auch ihre Bedeutung für die quantitave Verteilung der Arbeiter wider, doch fehlen uns darüber jegliche Angaben.
In Mitteldeutschland herrscht weiterhin Arbeitermangel Auch nachdem sich das „Dritte Reich" nach der Besetzung Polens zu Beginn des Jahres 1 9 4 0 die Bereitstellung einer beträchtlichen Arbeiterreserve sichergestellt hatte, 46 finden wir Verhandlungen über die Einstellung einer Zahl von italienischen Arbeitern. Ein erster Rahmenvertrag wurde in Berlin am 27. Februar unterzeichnet. 47 Darin wurde in beiderseitiger Übereinstimmung die Anwerbung von 3 1 . 0 0 0 italienischen Arbeitern vereinbart, von denen nur 1 . 0 0 0 Gesindekräfte und alle anderen Wanderarbeiter sein sollten; diese sollten geographisch folgendermaßen über Deutschland verteilt werden:
später noch sehen werden, stellte gerade das Jahr 1939 einen krisenhaften Moment im deutsch-italienischen Wirtschaftszahlungsverkehr dar. 45 Vgl. ASMAE, Bestand Botschaft Berlin (Ambasciata di Berlino = AB), Band 167, Die Konsuln aus Breslau (4. 11. 1939), Stuttgart (2. 11. 1939), Dresden (2. 11. 1939) und München (2. 11. 1939) erwähnten bei der Berichterstattung über die Feiern des 28. 10., den Jahrestag des Marsches auf Rom (22. 10. 1922), ausdrücklich die Anwesenheit von Arbeitern in den ihnen anvertrauten Konsulatsbezirken. In den Sopade-Berichten vom Juni 1939 wurde über die Anwesenheit dieser Arbeiter in Südwestdeutschland und in Niedersachsen berichtet, vor allem in den Städten Karlsruhe und Hannover (Band 1939, S. 746-747). Auf die Italiener bezogen sich in allgemeiner Form auch die Meldungen aus dem Reich vom 13. 11. 1939 (Heinz Boberach [Hrsg.], Meldungen aus dem Reich, Herrsching 1984, Band 3, S. 464); darin wird beklagt, daß „die Italiener kein Interesse mehr an der Arbeit haben, da sie die 350,- RM, die sie nach Hause schicken dürfen, bereits abgesandt haben" (zit. in Herbert, Fremdarbeiter, S. 99). Was die Gesindekräfte angeht, so sind die Regionen, in denen diese im Jahr 1939 verteilt wurden, im Text der am 9. 3. 1940 unterzeichneten Abkommen genannt. (Vgl. Dazzi, Accord, S. 44 (italienische Version) und S. 102 (deutscher Text)). 46 Siehe diesbezüglich Herbert, Fremdarbeiter, vor allem Kapitel IV, 1939/40: Der Poleneinsatz als Modellversuch, S. 67-90; sowie Eichholtz, Geschichte, S. 90-102. 47 Dazzi, Accordi, S. 35-41 (italienischer Vertragstext) und S. 93-99 (deutsche Vertragsversion). Die deutsche Delegation bestand diesmal aus Beamten des RArbM, des AA und des RMEL, denen Experten des RWM und des RNS beigegeben waren. Die Italiener waren allesamt Vertreter der CFLA, die von dem neuen Präsidenten der Organisation, Vincenzo Lai, angeführt wurden, dem wie gewohnt Bandini zur Seite stand.
Landwirtschaftliche
Arbeiter nach Mitteldeutschland
277
Tabelle 9 Beabsichtigte
Verteilung der Saisonarbeiter
Zielregion
Anzahl
Prozentual
Mitteldeutschland
13.800
46,0
Niedersachsen
5.000
16,7
Schlesien
4.000
Brandenburg
3.000
13,3 10,0
Hessen
2.000
Südwestdeutschland
1.200
Pommern
1.000
Gesamt
30.000
im Reich im Jahre 1940
6,7 4,0 3,3 100
Quelle: Antonio Dazzi (Hrsg.), Accordi fra Italia und Germania in materia di lavoro ed assicurazioni
sociali
1937-1942.
Deutscherseits bestand man auch diesmal darauf, daß die Italiener sich bemühen sollten, „den Anteil an weiblichen Arbeitskräften möglichst hochzuhalten, mindestens in der Höhe des Vorjahres", während die italienische Delegation die Forderung erneuerte, daß ihre Arbeiter nicht mit Fremdarbeitern anderer Nationalitäten vermischt und daß sie, angesichts der in Gang befindlichen Kriegshandlungen, nicht in Gefahrenzonen eingesetzt werden dürften. Man einigte sich schließlich darauf, „daß die Anwerbungen in Italien baldmöglichst beginnen müssen". Was die für die Italiener ziemlich wichtige Frage der Ersparnisse anging, wurde das Limit von 400 RM zum Kurs von 7,5 Lire pro RM beibehalten, aber man vereinbarte darüber hinaus, daß mögliche Ersparnisse, die diese Summe überstiegen, zum Kurs von 6 Lire anstatt zu 4,5 Lire pro RM überwiesen werden konnten.48 Wie man sieht, sollte das Gros der Arbeiter wie im Vorjahr in den Regionen Mitteldeutschlands und Niedersachsens eingesetzt werden, während die Quote der Arbeiter, die für die östlichen Gebiete des .Altreichs" und das Umland von Berlin bestimmt waren, stärker wurde. Weitere bilaterale Gespräche, die dazu bestimmt waren, die technischen Aspekte der Angelegenheit zu klären, fanden vom 4. bis 9. März in Bologna und am 16./17. März in Berlin statt, wo die Italiener die Forderung nach Festlegung von monatlichen Mindestlöhnen für die Ganzjahresarbeitskräfte vorbrachten und für die Saisonarbeiter eine detaillierte Regelung der wirtschaftlichen Aspekte verlangten (Akkord, Einsatz von landwirtschaftlichen Maschinen, partielle Entlohnung in Naturalien usw.), die den Charakteristika, den Anbauformen und den Gewohnheiten der einzelnen Einsatzgebiete stärker Rechnung tragen sollte.49 Die Deutschen
48 ACS, UIC, Serie Germania, Band 117, Telegramm vom 11. 5. 1940 und Brief vom 14. 4. 1940, beide vom Ministero per gli Scambi und per le Valute (MSV) an das Außenministerium gesandt. 49 Ebenda, S. 42—46 und S. 100-104; über die Vereinbarungen, die für jede betroffene Region des Reichs getroffen wurden siehe PA/AA, BRQ, R 6 C, III, Faszikel 1, Rundschreiben des RArbM vom 9. 5. 1940 an eine lange Reihe von Reichsministerien und Reichsbehörden, darunter auch das AA (prot. RArbM V a, 5760.14/167).
278
Zwischen Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
stimmten praktisch allem zu, eine Tatsache, die ihr Interesse an den Arbeitskräften deutlich unterstreicht. Es ist richtig, daß die Gesamtforderung nach italienischen Landarbeitern im Jahr 1940 kleiner war als in der Vergangenheit, doch war dies vor allem Ausfluß von Devisenfragen: a m 18. M ä r z berichtete das R M E L an das RArbM, daß die Notwendigkeit bestehe, die im Februar vereinbarte Q u o t e der Landarbeiter zu erhöhen, und forderte das Reichswirtschaftsministerium (RWM) auf, soviel an Geldern bereitzustellen, wie noch Arbeiter rekrutiert würden. D a s R W M befand sich jedoch in Schwierigkeiten und antwortete am 1. April, „daß es bei dem gegenwärtigen Stand des deutsch-italienischen Clearings nur unter allergrößten Schwierigkeiten möglich sein würde, die Zahl der italienischen Landarbeiter in Deutschland zu erhöhen". Es bedurfte einer weiteren Intervention von selten des R A r b M , das auf „die dringende N o t wendigkeit der Hereinnahme weiterer italienischer Arbeiter" hinwies, u m die widerstrebenden Wirtschaftsbehörden zu überzeugen, die Anwerbung von weiteren 15.000 Arbeitern zu genehmigen, 5 0 die Mitte Mai über einen Notenwechsel zwischen dem deutschen Botschafter in R o m , Mackensen, und dem italienischen Außenminister, Galeazzo Ciano, schnell in die Wege geleitet wurde. 5 1 Die Anwerbung in den italienischen Provinzen schritt in der Zwischenzeit wie in den vorhergehenden Jahren voran, wobei man sich vor allem auf den R a u m u m die Anwerbezentrale in Bologna konzentrierte. Auch für dieses Jahr sind unsere Informationen relativ gering, es scheint jedoch, daß die Anwerberegionen der Landarbeiter nahezu die gleichen blieben. Sehr hoch war die Q u o t e im R a u m Padua, von wo aus im Laufe des Jahres 1940 4 . 1 2 2 Landarbeiter ihre Reise antraten; diese 3 . 0 8 4 Männer und 1.038 Frauen stellten 2 5 , 2 Prozent der Gesamtarbeiterzahl, eine Ziffer, die sich der von den Reichsbehörden gewünschten bereits annäherte. Schon 1938 waren von Padua 4 5 2 Frauen abgereist, mithin 18,2 Prozent der Gesamtzahl von 2 4 0 1 Wanderarbeitern, die damals nach Deutschland gingen. 5 2 Zahlreich vertreten waren auch die Arbeiter aus Trient (2.300 Personen), einer Provinz, aus der nach d e m Urteil der Polizeibehörden aufgrund der Migration nach Deutschland jede Spur von Arbeitslosigkeit verschwunden war, ebenso aus Vicenza (1.050) und aus Verona (wo eine Zahl von 9 0 0 Migranten genannt wird, ohne daß klar wird, ob dies die definitive Abreisezahl darstellte). 5 3 Aus M a n t u a kamen über 1.900, aus M o d e n a gar über 5 . 0 0 0 und weitere 1.585 aus Fori!. 5 4
50 PA/AA, AR, R V, Nr. 11, Italien, Faszikel 1, Brief des RWM (gez. Dr.Bergmann) vom 9. 4. 1940 an das AA (prot. V Ld. 7/111002/40 II. Ang. del RWM). 51 PA/AA, AR, R V, Nr. 11, Italien, Faszikel 2; Zweitexemplar in BRQ, R 6 C, III, Faszikel 1; die Anfrage Mackensens datiert: 8. 5- 1940, die bejahende Antwort Cianos vom 16. 5. (prot. MAE 52051/428; prot. AA R 62706). 52 ACS, MI, DGPS, categoria A 5 G (II guerra mondiale), Serie 1944-1948, Band 4, der Schriftwechsel wurde von der DGPS am 12. 1. 1946 an das Ministerbüro übersandt; als Provenienz wurde das Ministerium für die Assistenza postbellica, die Kriegsheimkehrerversorgung, angenommen (Brief prot. 4723/M vom 18. 12. 1945); prot. gabinetto MI Nr. 53503/6102. 53 ACS, MI, DGPS, PolPol, Band 223, fogli informativi (Informationsblätter) aus Trient (24. 5. 1940), Vicenza (15. 5.), Verona (9. 5.). 54 Bezüglich Mantua und Modena cfr. Gibeiii, Les travailleurs, S. 80. Für Forli cfr. Gagliani, Comportamenti, S. 162, Anm. 12.
Landwirtschaftliche Arbeiter nach Mitteldeutschland
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In Treviso ergriff der Provinzsekretär der faschistischen Partei sogar die Initiative und wandte sich direkt an den deutschen Botschafter Mackensen: diesem berichtete er in vertraulicher Form, daß es in seiner Provinz 2 0 . 0 0 0 arbeitslose Landarbeiter gebe. „Er halte es für besonders nützlich", gab Mackensen nach Berlin weiter, „wenn ein Teil dieser Landarbeiter nach Deutschland ginge und dort politisch für Deutschland gewonnen würde; dies sei besonders notwendig, da Provinz Venetien stets antideutsch gewesen und n o c h heute Antipathien gegen Deutschland weit verbreitet. Norditaliener auch für deutsches Klima besonders geeignet." 5 5 Bislang habe ich keine ähnlichen Schreiben von anderen italienischen Lokalbehörden
finden
können, die sich unter „ausdrücklichem Hinweis, italienischen Stellen gegenüber keinen G e brauch davon zu m a c h e n " , an deutsche Repräsentanten gewandt haben, um zu versuchen, die Spannungen a u f dem italienischen Arbeitsmarkt abzubauen und die dabei wie im Fall des faschistischen Parteiführers von Treviso Argumente vorbrachten, von denen sie annahmen, daß diese in den O h r e n des Verbündeten angenehm klingen würden. Auch wenn es sich u m einen Einzelfall handeln sollte, scheint mir dieser symptomatisch zu sein für den grundlegenden Widerspruch zwischen der Anmaßung, die bei einigen hohen Beamten und Funktionären der faschistischen Massenorganisationen zweifellos vorhanden war, den Arbeitsmarkt in „großem" Stil managen zu wollen, und der Realität einer Situation, in der das Vorhandensein einer h o hen Arbeitslosenquote, zumindest in einigen Regionen, dazu zwang, jeden Strohhalm zu ergreifen, der sich bot, auch wenn er nur Abhilfe für einen kurzen Zeitraum versprach. A u f dem Territorium des Reichs kamen über 5 2 . 0 0 0 Italiener an ( 5 2 . 6 7 6 im M a i 1 9 4 0 ) , d. h. sogar n o c h einige Hundert mehr, als es die Vereinbarungen vorsahen. 5 6 Bis M i t t e April hatten 3 . 4 0 0 Personen bereits Schlesien erreicht und wenige Tage später teilte das Landesarbeitsamt (LAA) Hannover in einem Bericht mit, man könne bereits a u f etwa 5 . 0 0 0 Italiener zählen, während weitere 4 . 0 0 0 für M i t t e Mai in Niedersachsen erwartet wurden. 5 7 Insgesamt kamen 9 . 0 9 9 Arbeiter in dieser Region an. D a m i t stellten die Italiener 2 4 , 1 Prozent aller dort v o m 1. Januar bis 3 0 . Juni des Jahres in der Landwirtschaft beschäftigten Ausländer (insgesamt 3 7 . 7 2 1 ) . E n d e M a i waren jedoch noch 2 9 . 8 0 0 Arbeitsstellen offen. 5 8 Angesichts der sich durch den Fortgang des Krieges ergebenden Situation sank natürlich der Anteil der italienischen Arbeiter an der Gesamtzahl der in der deutschen Landwirtschaft 55 PA/AA, AR, R V, Nr. 11, Italien, Faszikel 1; Telegramm der deutschen Botschaft Rom an das Auswärtige Amt vom 29. 4. 1940 (prot. Wmb 2430/40). 56 BA Koblenz, R 42 II, Nr. 36, vgl. Anm. 33. - Eine erste Welle kam im April an; in diesem Monat stieg die Zahl der registrierten italienischen Arbeiter von 2.854 auf 22.937. Es handelte sich dabei um solche, die aufgrund der Vereinbarungen vom Februar abgereist waren. Im darauffolgenden Monat Mai wurde mit 5 2 . 6 7 6 die Spitze erreicht. Bis Oktober, als die Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Italiener noch 50.346 betrug, änderte sich quasi nichts. Im November begann die Heimkehr (in diesem Monat sind noch 3 7 . 2 4 2 Italiener im Reich), die im Lauf des Dezembers abgeschlossen wurde (es blieben 8.338 Landarbeiter zurück, die dort überwinterten). Die Zahl 52.000 findet sich in einem Bericht der Zeitschrift Der Angriff vom 14. 12. 1940 (BA Potsdam, DAF, AWI, 62.03, Nr. 2838). 57 Bezüglich Schlesien vgl. Schlesische Tageszeitung vom 1 5 . 4 . 1940, (in: BA Potsdam, DAF, AWI, 62.03, Nr. 2835); fur Niedersachsen finden sich die Daten im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel (NdsStA W f ) , Bestand Staatsministerium (StM), 12 Α Neu 18, Nr. 783: vgl. die Berichte des LAA Hannover vom 20. 4. und vom 7. 5. 1940. 58 NdsStA Wf, StM, 12 Α Neu 18, Nr. 783, Bericht des LAA Hannover vom 9. 7. 1940, (prot. I VI 2362/ 40), Anlage 2 und S. 2.
280
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
beschäftigten Ausländer schroff auf 12,6 Prozent ab und halbierte sich praktisch. Die Zahl der Fremdarbeiter in der Landwirtschaft betrug insgesamt 412.000, wobei in dieser Zahl die 249.000 Kriegsgefangenen nicht berücksichtigt sind, die ebenfalls in der Landwirtschaft eingesetzt waren. 59
Die italienischen Reserven schienen sich zu erschöpfen Die Möglichkeit, weiterhin einige Zehntausende italienischer Lohnarbeiter zu beschäftigen, schien die deutschen Behörden beträchtlich zu interessieren: noch im Lauf des Jahres 1940, am 16. November, als die Rückbeförderung der Saisonarbeiter in ihre Heimat in vollem Gange war, schrieb der Ministerialrat Max Timm, hoher Beamter im RArbM, an die CFLA, daß „im kommenden Jahr [1941] Einsatzmöglichkeiten für mindestens 50.000 italienische Landarbeiter bestehen werden", 60 und schlug vor, schnellstmöglich diesbezügliche Gespräche zu führen, um die Anwerbung beschleunigen zu können. Die römischen Dienststellen gaben einen Monat später ihre Zustimmung, teilten jedoch gleichzeitig mit, daß die italienische Regierung beschlossen habe, der .Anwerbung wehrpflichtiger jüngerer Arbeitskräfte" nicht mehr zuzustimmen. 61 Die offiziellen Verhandlungen fanden vom 17. bis 23. Januar 1941 in Rom statt. Die Delegationen waren in der üblichen Weise zusammengesetzt und wurden von Timm bzw. italienischerseits von Lai geleitet. Die Italiener erreichten, daß in dem unterzeichneten Abkommen der Höchstbetrag für die Lohnersparnisse auf 600 RM angehoben und die monatliche Begrenzung der Überweisungssumme ganz aufgehoben wurde. Sie bekräftigten ihre Forderung - und fanden die Zustimmung der Gegenseite —, daß die italienischen Arbeiter nicht bei solchen Firmen eingesetzt werden sollten, wo andere Ausländer oder gar Kriegsgefangene arbeiteten und erreichten es auch, die Anwerbung über die Provinzen, die in den Vorjahren betroffen waren, ausweiten zu können, um sich so den deutschen Forderungen in einer Situation entgegenstellen zu können, in der nach dem Kriegseintritt Italiens am 10. Juni 1940 „gerade die jüngeren Kräfte von der [italienischen] Wehrmacht in Anspruch genommen" waren. Schließlich versprachen sie angesichts der wiederholten deutschen Wünsche in dieser Hinsicht, „eine größere Anzahl weiblicher Kräfte (...) freizugeben", nicht ohne jedoch ausdrücklich das wahre Motiv ihres Widerstrebens klarzumachen: „Jedoch können Frauen wie bisher nur zur Verfügung gestellt werden, wenn die Möglichkeit besteht, sie zusammen mit männlichen Angehörigen einzusetzen." Die Vertreter der CFLA machten jedoch ein wichtiges Zugeständnis: nämlich daß im Falle des Vertragsbruchs von Seiten eines Arbeiters die deutschen Behörden nach geltendem deutschen Recht einschreiten konnten. Diese Konzession sollte sich als ein ganz entscheidender Punkt erweisen, wie wir noch sehen werden. Die deutsche Delegation brachte keine weiteren besonderen Forderungen vor, bestand jedoch darauf, daß die Quote der Arbeiter auf insgesamt 60.000 erhöht werden sollte (50.000 Wanderarbeiter und 10.000 Gesindekräfte) und schlug vor, daß die 8.338 festen Arbeiter, die
59 Eisner, Lehmann, Ausländische Fremdarbeiter, S. 399. 60 PA/AA, AR, R V, Nr. 11, Italien, Faszikel 2, Brief des RArbM (Prot.Nr. Va 5771.14/573.) 61 Ebenda, Telegramm des Deutschen Botschafters in Rom an das Auswärtige Amt vom 19. 12. 1940.
Landwirtschaftliche Arbeiter nach Mitteldeutschland
281
in Deutschland überwintert hatten, auf diese Zahl nicht angerechnet werden sollten. Damit hätte man quasi die Marke von 70.000 Personen erreicht. Das neue Kontingent sollte in folgender Weise aufgeteilt werden: 62 Tabelle 10 Verteilung des geplanten Kontingents im Reich im Jahre 1941 Zielregionen Mitteldeutschland Niedersachsen
Wanderarbeiter
Prozent
Gesindekräfte
Prozent
20.000
40
3.000
30
3.000
30
9.000
18
Schlesien
8.000
16
Brandenburg
7.000
14
1.000
10
Pommern
4.000
8
1.000
10
Hessen
1.000
2
1.000
10
Südwestdeutschland Gesamt
-
-
1.000
2
1.000
10
50.000
100
10.000
100
Quelle: Antonio Oazzi, Accordifra Italia und Germania in materia di lavoro edassicurazioni sociali 1937—1942.
Die mittleren Regionen des ,Altreichs" sowie Niedersachsen absorbierten weiterhin mehr als die Hälfte der italienischen Arbeiter. Immer größer wurde die Bedeutung der östlichen Gebiete als Einsatzort (in Schlesien, Pommern und Brandenburg befanden sich 35 Prozent). Es wäre interessant zu wissen, wie und warum die Nachfrage nach italienischen Arbeitskräften von selten der landwirtschaftlichen Betriebe dieser Gegenden so hoch blieb, da doch zumindest nach Ausweis der deutsch-italienischen Verträge derjenige, der Italiener einstellte, neben diesen keine anderen Ausländer oder Kriegsgefangene mehr beschäftigen konnte. Nur Untersuchungen auf regionaler Ebene können Licht auf diese Fragen werfen, und meines Wissens besteht bislang diesbezüglich eine Forschungslücke. 1941 jedoch blieb das italienische Kontingent, das für die Landwirtschaft bestimmt war, hinter den deutschen Erwartungen zurück. Der Grund dafür lag nicht nur in den Auswirkungen der militärischen Mobilisierung (die sich nicht nur direkt auf die Arbeitslosigkeit in den ländlichen Gebieten ausgewirkt und etliche Jahrgänge in Italien blockiert hatte, nämlich alle Männer, die zwischen 1910 und 1924 geboren waren), sondern auch in der Notwendigkeit, die für die italienische Regierung bestand, sich der immer stärkeren deutschen Nachfrage nach Industriearbeitern entgegenzustellen. Die höchste Zahl wurde im Juni mit 53.829 Landarbeitern erreicht. 63 Aus den unvollständigen und nicht besonders reichlichen Zahlenangaben, die ich habe finden können, geht hervor, daß 1941 der Frauenanteil in der Tat beträchtlich stärker
62 Dazzi, Accordi, S. 50-54 (italienischer Text) und S. 108-112 (deutscher Text). Kopie des deutschen Textes auch in PA/AA, AR, R V, Nr. 11, Italien, Faszikel 2, Prot. R52757/1941, und BRQ, R 6 C III, Faszikel 1, gleiche Protokoll-Nr. 63 BA Koblenz, R 42 II, Nr. 36. (zit. in Anm.40).
282
Zwischen Strukturwandel aufdem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
war als früher: zum 25. September entsprach er 30,1 Prozent (14.996 Frauen auf eine Gesamtzahl von 49.847) und lag damit noch höher als die bereits beträchtliche Zahl von 26,9 Prozent, die Ende April erreicht worden war (5.874 Frauen von 21.777). 64 Die einzige italienische Provinz, über die ich exaktere Informationen besitze, nämlich Padua, scheint das neue Verhältnis zwischen Männern und Frauen zu bestätigen: wenn die Gesamtzahl der Wanderarbeiter, 3.938, leicht niedriger war als im Vorjahr (als es noch 4.122 waren), so war von dem Absinken nur der Männer-Anteil betroffen (2.107 im Jahr 1941 zu 3.084 im Jahr 1940, mithin 31,8 Prozent weniger), während die Zahl der Frauen sich nahezu verdoppelt hatte (von 1.038 auf 1.831, also 76 Prozent Zuwachs). Unter den Paduaner Lohnarbeitern, die 1941 nach Deutschland gingen, war das Verhältnis nahezu ausgewogen: 53,5 Prozent Männer gegenüber 46,5 Prozent Frauen. Deutlich unterschieden sich hingegen die Altersgruppen: etliche Männer waren vor 1900 geboren, das Durchschnittsalter lag etwa bei 40 Jahren; die Frauen waren hingegen wesentlich jünger, zwischen 1910 und 1922/23 geboren, mit einem Durchschnittsalter von circa 24 bis 25 Jahren. 65 Wie wir bereits gesehen haben, hatte sich die italienische Seite bei der Unterzeichnung der Verträge für 1941 die Möglichkeit vorbehalten, Arbeiter auch außerhalb der Provinzen anzuwerben, die bislang in die Anwerbekampagnen einbezogen worden waren. Als erstes wurden nun auch jene apulischen Provinzen herangezogen, in denen die Wanderlohnarbeit Tradition hatte und die bereits 1938 kleinere Kontingente von Arbeitern gestellt hatten. In Frage kam zumindest die Provinz Lecce,66 wo die Anwerbung jedoch auf einen starken Widerstand der dortigen Landbesitzer stieß, unter denen „die Tatsache Besorgnis ausgelöst hat, daß die Arbeitskräfte, die wegen des andauernden Militärdienstes einer großen Zahl von Bauern nur noch in ungenügender Zahl für die Bedürfnisse der Landwirtschaft zur Verfügung stehen, nun noch weiter verknappt werden durch die Abreise eines beträchtlichen Teils der Landleute nach Deutschland. Wegen des Ausmaßes der Arbeiten, die mit dem Weinanbau verknüpft sind, findet im Salento ein umfangreiches Aufkaufen von Arbeitskräften statt, dessentwegen die wenigen noch verfügbaren Bauern zu erhöhten Tarifen bezahlt werden, die deutlich über denjenigen liegen, die von den Tariforganen festgelegt wurden." Nach dem, was die Polizeiorgane berichteten, folgte die Anwerbung von 1941 nicht nur dem Bedürfnis, die Arbeitslosigkeit abzubauen und ein soziales Ventil zu öffnen, sondern sie beeinflußte — im Namen von allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Bedürfnissen, die an das Verhältnis der beiden „Achsen'mächte geknüpft waren - auch die gesellschaftlichen Beziehungen in Italien. Es handelt sich hierbei um eine These, die wir bei der Behandlung der Anwer-
64 BA Koblenz, R 4 3 II, Reichskanzlei (RK), Band 652, Die Ergebnisse der Erhebung über die ausländischen Arbeiter und Angestellten vom 25. 9. 1941, S. 6 (Bl. 149 des Bandes), sowie Die Ergebnisse vom 25. 4. 1941, S. 6 (Bl. 138 des Bandes). 65 ACS, MI, DGPS, categoria A 5 G (II guerra mondiale), 1944-1948, Band 4, Liste der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte aus der Provinz Padua, die im Jahr 1941/XIX nach Deutschland gewandert sind; vgl. Anm. 44. Auch 1940 war das Durchschnittsalter der Männer höher, und es gab Arbeiter, die in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts geboren waren, doch waren die Unterschiede geringer: die Männer waren durchschnittlich 30 bis 35 Jahre alt, die Frauen circa 10 Jahre jünger. 66 ACS, MI, DGPS, Bestand Segreteria capo della Polizia 1940-43 (SCP 40-43), Band 3, Bericht des Inspekteurs der OVRA fiir den Raum Bari vom 13. 5. 1941. Die OVRA (faschistische Geheimpolizei) war ein Spezialzweig der Polizei, der die Aufgabe hatte, die Regimegegner zu überwachen und zu bekämpfen.
Landwirtschaftliche Arbeiter nach Mitteldeutschland
283
bung der Industriearbeiter vielfach bestätigt sehen werden. Spuren der Anwesenheit von Arbeitern, die aus anderen Provinzen stammten, habe ich ebenfalls finden können, auch wenn deren Zahl zu niedrig ist, um daraus Hypothesen ableiten zu können. Gerade im Raum Magdeburg, im Herzen Mitteldeutschlands, das allein nahezu die Hälfte der italienischen Bauern absorbierte, wurden Landarbeiter aus Mittel- und Süditalien (aus den Provinzen Frosinone, Benevent und Avellino) registriert, auch wenn sie mit einer überwiegenden Zahl von Arbeitern aus Padua, Modena und Rovigo vermischt waren. 67 Es ist klar, daß 1941 der prozentuale Anteil der Italiener an der Gesamtzahl der in der deutschen Landwirtschaft beschäftigten Ausländer weiter abnahm. Die 53.829 Italiener machten nur noch 7 Prozent der 769.000 Zivilarbeiter aus (zu denen weitere 642.000 Kriegsgefangene hinzukamen), die auf den deutschen Feldern arbeiteten.
1942: Die Schwierigkeiten wurden größer Auch 1941 kam pünktlich die deutsche Nachfrage nach Arbeitskräften für das kommende Jahr 1942. Im Januar schrieb das Reichsarbeitsministerium dem Auswärtigen Amt: „die noch immer angespannte Lage des landwirtschaftlichen Arbeitseinsatzes macht es erforderlich, auch in diesem Jahr italienische landwirtschaftliche Arbeitskräfte in deutschen landwirtschaftlichen Betrieben einzusetzen". 68 Die gewünschte Zahl dieser Arbeiter sollte 55.000 betragen. Die italienische Regierung stimmte im Lauf der Verhandlungen, die vom 26. Januar bis zum 9. März in Rom stattfanden, dieser Zahl zu, in der sowohl die Saisonarbeiter wie die festen Arbeitskräfte enthalten waren. 69 Nach den Planungen der Reichsbehörden sollte das neue Kontingent mehr oder weniger in der gewohnten Weise verteilt werden: 70
67 Staatsarchiv Magdeburg, Bestand Arbeitsamt Wanzleben, C 30, Nr. 162, 164, 166. 68 PA/AA, AR, R V, Nr. 11, Italien, Faszikel 2, Brief von Ministerialrat Max Timm (RArbM) an Legationsrat Gustav Rödiger (AA), vom 29. 1. 1942. 69 Ebenda, Rundschreiben von Max Timm, vom 20. 4. 1942, Prot.Nr. RArbM Va 5760.l4/306.II.Ang., Prot.Nr. AA R55623/1942. - Was das Jahr 1942 betrifft, so ist bei Dazzi, Accordi lediglich ein summarisches Protokoll abgedruckt, das in Rom am 2. 3. unterzeichnet wurde, sowie eine weitere Vereinbarung über die Betreuung der Arbeiter, die am 14. 4. in Berlin von CFLA und RNS unterzeichnet wurde (Dazzi, Accordi, S. 5 5 - 5 7 und 113-116, sowie S. 58-59 und 117-118). Die allgemeinen Vereinbarungen zwischen Italien und Deutschland wurden am 2 1 . 2 . unterzeichnet und betrafen allgemein die Anstellung der italienischen Arbeiter sowohl für die Landwirtschaft wie für die Industrie. (Vgl. BA Koblenz, R 16, Band 168, Bericht über die Dienstreise des Dr. Hatesaul nach Rom in der Zeit vom 11.2. 1942 bis 21. 2. 1942.) 70 Ebenda, Kontingentsverteilung der Italiener 1942 (ohne Datum).
284
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
Tabelle 11 Verteilung des geplanten Kontingents im Reich im Jahre 1942 Einsatzgebiete
Landarbeiter Prozent Mitteldeutschland 23.000 41,8 Niedersachsen 10.000 18,2 Niederschlesien Brandenburg Pommern Hessen Sachsen
8.000
Einsatzgebiete
Landarbeiter Prozent Südwestdeutschland 200 0,4 Bayern: München 300 0,5 Bayern: Nürnberg 100 0,2 Oberschlesien 150 0,3
6.000
14,5 10,9
5.000 1.000 100
9,1 1,8 0,2
Gesamt Reserve
53.950 1.050
100
0,2
Total
55.000
Westmark
98,1 1,9 100
Quelle: BA, R 16, Band 168.
Dieses Mal jedoch gab es offenbar wirklich große Schwierigkeiten auf italienischer Seite, die Forderungen des Verbündeten zu erfüllen: am 22. April übermittelte die Deutsche Botschaft in Rom eine diplomatische Note des italienischen Außenministeriums, in der mitgeteilt wurde, daß „nicht mehr als dreißigtausend landwirtschaftliche Arbeitskräfte einschließlich der Überwinterer nach Deutschland vermittelt werden können".71 Und dies trotz der Bemühungen der CFLA, die auch in stärkerem Maße als gewöhnlich Frauen anzuwerben versuchte. Die italienischen Behörden rechtfertigten sich damit, daß es einen beträchtlichen Mangel an Arbeitskräften in der Landwirtschaft gebe; dies wurde von den Beamten der Deutschen Botschaft bestätigt, die ihrerseits den Reichsbehörden vorschlugen, darauf zu bestehen, daß anstelle der fehlenden Landarbeiter die Zahl der italienischen Arbeiter für die mechanische Industrie erhöht werde; die Italienische Regierung hatte sich ab 1941 verpflichtet, letztere zur Verfügung zu stellen, wobei sie diese aus anderen Industriezweigen herausziehen wollte. Der Hinweis wurde aufgenommen und bildete den Gegenstand einer fast unverzüglichen Antwort des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, der jedoch nicht darauf verzichtete hervorzuheben, daß es sehr erwünscht wäre, wenn die italienische Regierung die Zahl der auszuleihenden Landarbeiter neu überdenken könnte.72 Wenn man bedenkt, daß die Zahl der festen Arbeiter, die in Deutschland überwintert hatten, insgesamt 8.566 betrug (6.156 Männer und 2.410 Frauen) und daß nach Ausweis der offiziellen deutschen Statistiken die Maximalzahl der italienischen Landarbeiter im Jahr 1942 28.741 ausmachte (16.633 Männer und 12.411 Frauen), so bedeutet dies, daß das Kontingent dieses Jahres unter 20.000 Personen lag.73 71 PA/AA, AR, R V , Nr. 11, Italien, Faszikel 2, Telex der Deutschen Botschaft Rom vom 22. 4. 1942, Prot.Nr. AA R55252/1942. 72 Ebenda, Brief Rödigers an die Deutsche Botschaft Rom vom 1. 5. 1942, Prot.Nr. AA R55634/1942; der Botschaftsbeamte berichtet über die Mitteilung bezüglich Sauckel. 73 PA/AA, AR, R V, Nr. 9, Allgemein, Faszikel 10, Die Ergebnisse der Erhebung über die ausländischen Arbeiter und Angestellten vom 20. 1. 1942, Die Ergebnisse der Ausländererhebung vom 20. 5. 1942 vom 10. 7. 1942, vom 10. 10. 1942 sowie, im Faszikel 12, die Erhebung vom 20. 11. 1942.
285
Landwirtschaftliche Arbeiter nach Mitteldeutschland Tabelle 12 Umfang des zur Abreise gebrachten Arbeiterkontingents im Jahre 1942 Datum
Männer
Prozent
20.1.
6.156
71,9
2.410
28,1
8.566
30
20.5
10.421
64,9
5.646
35,1
16.067
56
10.7
Frauen
Prozent
Gesamt
1 0 . 0 k t . = 100
15.412
58,0
11.183
42,0
26.595
93
10.10
16.633
56,8
12.411
43,2
28.741
100
20.11
15.408
55,7
12.237
44,3
27.645
96
Quelle: PA/AA, AR, R V, Band 9.
Zwei weitere interessante Beobachtungen können aus diesen Daten gezogen werden: Erstens scheinen sich die Anwerbungen äußerst verlangsamt zu haben; während in den vorhergehenden Jahren die Spitze bereits zwischen Mai und Juni erreicht war, so wurde dies 1942 erst zum Oktober erzielt. Dafür scheint die Rückkehr der Arbeiter zeitlich hinausgeschoben worden zu sein, denn Mitte November hatte sich fast noch niemand in Richtung Heimat bewegt. Zweitens war die Zahl der Frauen ausgesprochen hoch. Nach einem von der C F L A herrührenden Dokument vom 26. Juni waren unter den in Abreise befindlichen Wanderarbeitern mehrheitlich Frauen: 11.221 bei einer Gesamtzahl von 21.137, mithin 53 Prozent. 74 Der einzige Vergleich, über den ich für die Herkunftsregionen verfuge und der die Provinz Verona betrifft, bestätigt diese Hypothese vollständig: es reisten ingesamt 1.105 Landarbeiter ab; davon waren nur 4 2 2 Männer, hingegen 683 Frauen (dies entspricht 38,2 bzw. 61,8 Prozent). 75 Ein annäherndes Bild der endgültigen Bestimmungsorte der italienischen Arbeiter kann aus dem soeben zitierten Dokument vom 26. Juni entnommen werden. Es handelt sich auch in diesem Fall um eine geplante Verteilung und nicht um die tatsächlichen Zahlen, so daß die italienischen Zahlen im Vergleich zu den deutschen Statistiken zu hoch ausfallen. In der Vorausschau ist jedoch die Absenkung des Kontingents auf etwa 30.000 einkalkuliert und kann uns daher ein recht genaues Bild der Wirklichkeit geben:
Tabelle 13 Von der CFLA geplante Aufteilung des Arbeiterkontingents (Stand: 26. Juni 1942) Männer
Frauen
Prozent
3.005
4.449
4.989
12.443
41,4
Niedersachsen
1.705
2.327
1.666
5.698
19,0
Schlesien
1.464
1.117
2.234
4.815
16,0
Zonen Mitteldeutschland
Überwinterer
Wanderarbeiter
74 BA Koblenz, R 16, Band 168, Bericht über die Aufteilung des Kontingents der italienischen Landarbeiter in den Zuständigkeitsbereichen der jeweiligen CFLA-Delegationen in Deutschland. 75 ACS, MI, DGPS, Kategorie A 5 G (zweiter Weltkrieg), Serie 1944-1948, Band 4.
286
Zwischen Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
Tabelle 13 — Fortsetzung Zonen
Überwinterer Wanderarbeiter
Männer
Frauen
Prozent
Brandenburg
780
1.197
1.159
3.136
10,4
Pommern
490
1.014
1.144
2.648
8,8
Hess.SüdW.Deutsch.
954
31
39
1.024
3,4
Bayern
286
2
288
1,0
8.684
10.137
Insgesamt
-
11.231
30.052
100
Quelle: ACS, MI, DGPS, categoria A 5 G (II guerra mondiale), Band 4.
Wie man sieht, wurde bei der Verteilung — wenn auch bei reduzierter Gesamtzahl — die Vorausplanung prozentual gesehen durchaus befolgt (vgl.Tabelle 11).
Deutscher Druck und italienische Verweigerung Trotz der enttäuschenden Resultate des Jahres 1942 starteten die Reichsbehörden im darauffolgenden Jahr, dem schicksalhaften 1943, einen neuen Versuch: am 5. Januar forderte das Auswärtige Amt die Botschaft in Rom auf, eine Klärung bei den betroffenen italienischen Dienststellen herbeizuführen, „welche Zahl von landwirtschaflichen Arbeitskräften für 1943 von Italien zum Einsatz im Reichsgebiet zur Verfügung gestellt wird. Deutscherseits wird mit der in vorjähriger Absprache vereinbarten Zahl von 50.000 gerechnet".76 Ich habe keine Spuren dieser „vorjährigen Absprache" finden können und auch nicht, wer diese Verpflichtung eingegangen sein soll. Es könnte sich um die CFLA gehandelt haben, die angeblich Druck ausgeübt haben soll, damit die Frage der Landarbeiter prompt gelöst würde, und die den Ausgang der bilateralen Regierungsverhandlungen, die in der Zwischenzeit in Berlin im Gange waren, nicht abwarten wollte. Die Idee wurde zwei Tage später in einer Mitteilung wiederholt, die der GBA, Fritz Sauckel, an das Auswärtige Amt richtete. Darin wurde an die Bedeutung erinnert, die einer raschen Klärung der Anwerbungsplanungen im gerade begonnenen Jahr bei den verbündeten Staaten Italien, Kroatien, Bulgarien, Ungarn und der Slowakei vor allem für die Arbeiten in der Landwirtschaft zukam. Sauckel hob hervor: „der Vertreter des italienischen faszistischen [sie] Verbandes der Landarbeiter hat dementsprechend gebeten, die Verhandlungen mit Italien über die Hereinnahme italienischer Landarbeiter unabhängig von den Verhandlungen der Regierungsausschüsse vorweg in Berlin zu führen". 77 Daß die CFLA sich, wie es im übrigen auch bei der CFLI passieren wird, immer mehr als eine Art wanderarbeitsfreundliche Lobby verhielt, ist ein klares Faktum, auch weil auf diese Weise
76 PA/AA, AR, R V, Nr. 11, Italien, Faszikel 2, Schnellschreiben Gustav Rüdigers an die Deutsche Botschaft Rom, Prot.Nr. AA R50090/1943. 77 PA/AA, AR, R V, Nr. 9, Allgemein, Faszikel 11, Schnellbrief vom 7. 1. 1943, Prot.Nr. AA R50588.
Landwirtschaftliche Arbeiter nach
287
Mitteldeutschland
die Führungsgruppe des Verbandes ihre Macht ausdehnen konnte. Man darf jedoch nicht den Druck vergessen, der durch das Netz der in Deutschland befindlichen italienischen Beamten 7 8 ausgeübt wurde und die wenig geneigt waren, auf die Gesamtheit von Privilegien und Macht zu verzichten, die ihre Position in sich barg. Jedoch war die Situation in jenem Jahr etwas komplizierter: aus Rom teilte die Deutsche Botschaft am 13. Januar mit, daß die Verantwortlichen der C F L A dementierten (bzw. sich davon distanzierten), ihre Bereitschaft zu separaten Verhandlungen gegeben zu haben und verlauten ließen, daß die italienische Regierung dies in keinem Fall erlauben würde. Botschafter Mackensen informierte seinen Minister, daß er bereits Amedeo Giannini, dem Chef der italienischen Delegation, dargelegt habe, daß er mit den Delegierten des Deutschen Reiches, die wie üblich vom Gesandten Clodius geführt wurden, den Stand der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden verbündeten Staaten wie auch die Frage der Landarbeiter diskutieren müsse, da diese in den Augen der Reichsbehörden von erheblicher Bedeutung seien. Giannini war, so hatte es zumindest für Mackensen den Anschein, gegen jede weitere Arbeitermigration in Richtung Deutschland, auch was die Saisonarbeiter anging. Es sei daher schwierig, Schloß der Botschafter, daß man etwas anderes erreichen könne, als die Bestätigung des Kontingents an Dauerarbeitskräften, welche gerade auf deutschem Boden überwinterten. 79 In seiner Antwort vom 31. Januar an Sauckel konnte das Auswärtige Amt nichts anderes tun als zu bekräftigen, daß die Situation, was Italien angehe, praktisch blockiert sei, in erster Linie wegen der mit dem Clearing verbundenen Probleme, die von den römischen Behörden auf die Tagesordnung gesetzt worden seien. Rom sei nicht in der Lage, die für die Lohnzahlungen notwendige Summe vorzuschießen, da das Reich ein enorm hohes Defizit in der Zahlungsbilanz angesammelt habe. 80 Ich werde später auf diese Frage zurückkommen, die - wie wir sehen werden - zu der italienischen Entscheidung führen wird, die Rückführung sowohl der in Deutschland befindlichen Industrie- wie der Landarbeiter zu verlangen. Deren Abreise stellten sich Hindernisse jeder Art in den Weg, und die Rückführung wurde faktisch eingestellt nach dem von Monarchie und Militär am 25. Juli 1943 durchgeführten Staatsstreich, der
78 Im Jahr 1942 gab es auf deutschem Territorium ein Zentral-Inspektorat
der C F L A mit Sitz in Berlin, das
aus 4 faschistischen Gewerkschaftsfunktionären und 5 Beschäftigten bestand; ferner gab es 10 Regionaldelegationen (in Berlin, Stettin, Halle, Magdeburg, Weimar, Hannover, Goslar, Breslau, Frankfurt am Main und München), wo insgesamt 16 Beamte und ebensoviele Angestellte tätig waren. Diese Angaben stammen aus: B A Koblenz, R 16, Band 168, Rundschreiben des Reichsbauernfuhrers vom 14. 5. 1942 an alle Landesbauernschaften der verschiedenen Regionen, betr.: Betreuung der italienischen landw. Arbeitskräfte. Zusammenarbeit mit dem faschistischen Landarbeiterverband. Die Struktur der C F L A im Reich wurde auch veröffendicht in der an die italienischen Arbeiter im Reich gerichteten Zeitung II camerata (Der Kamerad), Jahrgang 2, Heft 21, vom 31. 5. 1942, S. 5. II camerata wurde in Berlin zwischen Januar 1941 und August 1943 v o m Zentralbüro des Italienischen Gewerkschaftsverbindungsbüros zur D A F (Officio Sindacale Italiano di Collegamento con la DAF, im folgenden: USI), so der N a m e der in Deutschland geschaffenen Struktur der C F L I ) herausgegeben. Nach dem 8. 9. und der Errichtung der Sozial-Republik
(Repubblica sociale italiana,
Italienischen
im folgenden: RSI) in den nord- und mittelitalienischen Re-
gionen, die von der Wehrmacht besetzt waren, nahm die Zeitung ihre Veröffentlichungstätigkeit wieder auf, die bis zum Kriegsende andauerte. D a s von mir benutzte Exemplar befindet sich in der nazionale
Biblioteca
centrale in Rom, die jedoch nicht die nach dem 8. 9. 1943 erschienenen Hefte besitzt. D i e
komplette S a m m l u n g befindet sich hingegen im Institut für Sozialwissenschaften der Universität Kiel. 79 PA/AA, A R , R V, Nr. 11, Italien, Faszikel 2, Telegramm v o m 12. 1. 1943, Prot.Nr. AA R 5 0 3 4 8 / 1 9 4 3 . 80 PA/AA, A R , R V, Nr. 9, Allgemein, Faszikel 11, Bericht vom 3 1 . 1 . 1943, Prot.Nr. AA R 5 0 5 8 8 / 1 9 4 3 .
288
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
zum Sturz Mussolinis und zur Auflösung der Faschistischen Partei führte. Die in Deutschland verbliebenen italienischen Landarbeiter unterlagen daher auch dem Schicksal derjenigen, die in den anderen Produktionsbereichen beschäftigt waren. Ich habe kein Dokument gefunden, das weitere Abreisen von Wanderarbeitern für das Reich im Laufe des Jahres 1943 bestätigen würde. Hingegen kehrten Anfang Februar 1943 die etwa 11.000 Überwinterer an ihren Arbeitsplatz zurück, nachdem sie die Weihnachtsferien in der Heimat verbracht hatten.81 Der 8. September 1943 ereilte auch sie allesamt: aus den deutschen Statistiken geht hervor, daß am 30. November 1943 noch 11.664 italienische Landarbeiter auf den Feldern tätig waren (7.347 Männer und 4.317 Frauen).82
Anhang Tabelle 14 Herkunfts- und Zielregionen der Arbeiter für
Saisonarbeiter
1938
Mitteldeutschland
Zielort
Herkunftsprovinz
Geländeform der Herkunftsprovinz
Halberstadt
Bologna
Ebene
1200
Anhalt
Ferrara
alle Geländeformen
2100
Magdeburg
Forll
Ebene
Anhalt
Mantua
alle Geländeformen
1000
Modena
Ebene
1700
Padua
Ebene
1950
Quedlinburg
Anzahl
750
Parma
Ebene
725
Wanzleben
Ravenna
Ebene
1300
Halle
Rovigo
alle Geländeformen
2100
Treviso
Ebene
1150
Venedig
alle Geländeformen
1300
Verschied.Orte Gesamt
Udine
Ebene
400
Trient
alle Geländeformen
325 16000
81 ACS, Bestand Dino Alfieri (Alfieri), Band 7, Tagebuch der Italienischen Botschaft Berlin, Eintrag vom Montag, den 8. 2. 1943. 82 PA/AA, AR, R V, Nr. 9, Allgemein, Faszikel 12, Die Ergebnisse der Ausländererhebung vom 30. 11. 1943.
Landwirtschaftliche Arbeiter nach Mitteldeutschland
289
Niedersachsen Zielort
Herkunftsprovinz
Geländeform der Herkunftsprovinz
Anzahl
Zwischen
Bergamo
hügelig-eben
200
Hildesheim
Bologna
hügelig
200
und Goslar
Brescia
hügelig-eben
325
For Γι
hügelig
450
Piacenza
Ebene
225
Vicenza
Ebene
400
Hannover
Cremona
alle Geländeformen
600
Celle-Uelzen
Reggio Emilia
Ebene
verschied.Orte
Trient
alle Geländeformen
1450 150 4000
Gesamt
Hessen und
Südwestdeutschland
Zielort
Herkunftsprovinz
Geländeform der Herkunftsprovinz
Hessen
Verona
Ebene
1250
Vicenza
hügelig
300
Südwest-
Bari
alle Geländeformen
800
deutschland
Udine
hügelig
800
Verona
hügelig
300
Trient
alle Geländeformen
versch.Orte
Anzahl
50 3500
Gesamt
Bayern Anzahl
Zielort
Herkunftsprovinz
Geländeform der Herkunftsprovinz
Bayern
Aquila
alle Geländeformen
200
Macerata
alle Geländeformen
50
Parma
hügelig
50
Reggio Emilia
hügelig
50
Trient
alle Geländeformen
50
Gesamt
400
290
Zwischen Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
Dauerarbeiter Zielort
Herkunftsprovinz
Geländeform der Herkunftsprovinz
Bayern
Belluno
alle Geländeformen
300
Bayern
Bergamo
gebirgig
300
Hessen
Bologna
gebirgig
400
Siidwestdeutschland
Bozen
alle Geländeformen
100
Bayern
Brescia
gebirgig
75
Hessen
Forll
gebirgig
300
Hessen
Modena
hügelig-gebirgig
600
Hessen
Parma
gebirgig
Hessen
Padua
hügelig
125
Südwestdeutschland
Ravenna
hügelig
200
Bayern
Reggio Emilia
gebirgig
200
Südwestdeutschland
Trient
gebirgig
925
Hessen
Treviso
hügelig
200
Bayern
Udine
gebirgig
600
Hessen
Vicenza
gebirgig
300
Südwestdeutschland
Verona
gebirgig
250
Hessen
Piacenza
hügelig
75
Gesamt
5000
Anzahl
25
Quelle: PA/AA, BRQ, R 6 C III, Band 1. Tabelle 15 Das abgereiste Arbeiterkontingent im Jahre 1938
nach Herkunftsprovinzen
und
Verwendungszonen
L'Aquila Zielregion Niedersachsen
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
200
-
Gesamt 200
Bari Zielregion Niedersachsen Hessen
Saisonarbeiter 116 2
Dauerarbeiter -
Gesamt 116 2
Landwirtschaftliche
Arbeiter nach Mitteldeutschland
Mitteldeutschland
398
Bayern
45 236
Südwestdeutschland Gesamt
291 -
-
-
797
-
398 45 236 797
Belluno Zielregion Niedersachsen Hessen Mitteldeutschland Bayern Südwestdeutschland Gesamt
Zielregion Niedersachsen Hessen Gesamt
Saisonarbeiter 3
Dauerarbeiter -
4
-
143 72
-
20
47
-
24
175
Bergamo Dauerarbeiter Saisonarbeiter 1 266 22
213 214
288
Gesamt 3 4 143 92 47 289
Gesamt 267 235 502
Bologna Zielregion
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
Ostpreußen
80
-
Brandenburg
473
-
Hessen Mitteldeutschland Bayern Südwestdeutschland Gesamt
Zielregion Brandenburg Mitteldeutschland Bayern Gesamt
29
195 21
Gesamt 80 473 224 870
849 12
212
224
16
214
1459
642
230 2101
Bozen Saisonarbeiter 5 6 67 78
Dauerarbeiter
Gesamt
2
5 8
2
67 78
-
292
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Brescia Zielregion
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
Gesamt
Niedersachsen
146
-
146
Mitteldeutschland
277
-
277
30
-
30
453
-
453
Südwestdeutschland Gesamt
Cremona Zielregion Niedersachsen
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
601
-
Gesamt 601
Ferrara Zielregion Ostpreußen Brandenburg Pommern Mitteldeutschland Sachsen Gesamt
Dauerarbeiter
Saisonarbeiter
Gesamt
243
-
243
10
-
10
215
-
215
1627
-
1627
-
2095
1
1
1
2096
Forti Zielregion Ostpreußen Pommern Niedersachsen Mitteldeutschland
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
Gesamt
60
-
60
7
-
7
19
-
19
20
823
843
Sachsen
27
-
27
Bayern
10
86
96
Südwestdeutschland
17
332
349
963
438
1401
Gesamt
Görz Zielregion Pommern Hessen
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
Gesamt
11
-
11
-
19
19
Landwirtschaftliche Arbeiter nach
Mitteldeutschland
Mitteldeutschland
3
3
71
71
93
104
-
Bayern Gesamt
293
11 Macerata
Zielregion Südwestdeutschland
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
50
-
Gesamt 50
Mantua Zielregion
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
Gesamt
Niedersachsen
8
2
10
Hessen
4
2
6
971
16
987
Mitteldeutschland Bayern Gesamt
5
-
988
20
5 1008
Modena Zielregion
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
Gesamt
Brandenburg
162
-
162
Pommern
355
-
355
Nordmark
84
-
84
Niedersachsen
30
2
32
69
69
1660
233
1893
Bayern
8
35
43
Südwestdeutschland
5
151
156
2304
490
2794
Hessen Mitteldeutschland
Gesamt
-
Padua Zielregion Brandenburg Pommern Niedersachsen Hessen Mitteldeutschland Bayern
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
Gesamt
16
-
16
276
-
276
1
-
-
1609 -
1
173
173
34
1643
228
228
294 Südwestdeutschland Gesamt
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft 4
60
64
1906
495
2401
Parma Zielregion Mitteldeutschland
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
705
-
Gesamt 705
Bayern
-
149
149
S üdwestdeutschland
-
26
26
175
880
Gesamt
705
Piacenza Zielregion Niedersachsen
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
265
60
Gesamt 325
Mitteldeutschland
8
Bayern
-
19
19
Südwestdeutschland
3
51
54
276
130
406
Gesamt
-
8
Ravenna Zielregion
Dauerarbeiter
Saisonarbeiter
Gesamt
Brandenburg
342
-
342
Mitteldeutschland
848
-
848
Bayern
11
-
S üdwestdeutschland Gesamt
1190
11
181
181
192
1382
Reggio Emilia Zielregion Niedersachsen Südwestdeutschland Gesamt
Dauerarbeiter
Saisonarbeiter 1705
-
-
1705
Gesamt 1705
79
79
79
1784
Rieti Zielregion Niedersachsen
Saisonarbeiter 30
Dauerarbeiter -
Gesamt 30
Landwirtschaftliche Arbeiter nach Mitteldeutschland
295
Rovigo Zielregion
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
Gesamt
Ostpreußen
388
-
388
Pommern
106
-
106
Nordmark
29
-
29
Niedersachsen
40
6
46
Mitteldeutschland
1994
-
1994
Gesamt
2557
6
2563
Trient Zielregion
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
Gesamt
Ostpreußen
17
-
17
Brandenburg
69
-
69
Pommern
53
-
53
Nordmark
6
-
6
Niedersachsen Hessen Mitteldeutschland
193
10
203
12
1
13
245
12
257
Sachsen
5
Bayern
13
562
29
236
265
642
821
1463
Südwestdeutschland Gesamt
-
5 575
Treviso Zielregion
Saisonarbeiter
Schlesien
372
-
372
Brandenburg
96
-
96
Niedersachsen
71
-
71
-
95
95
Hessen
Dauerarbeiter
Gesamt
Mitteldeutschland
256
-
256
Schlesien
228
-
228
Bayern Südwestdeutschland Gesamt
-
193
193
19
193
212
1042
481
1523
296
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Udine Zielregion
Saisonarbeiter
Brandenburg
Dauerarbeiter
Gesamt
4
-
4
Pommern
10
-
10
Nordmark
78
-
78
Niedersachsen
24
3
27
2
3
Hessen Mitteldeutschland
538
5 538
-
Bayern
24
664
688
S üdwestdeutschland
36
417
453
716
1087
1803
Gesamt
Venedig Zielregion Niedersachsen Hessen Mitteldeutschland Bayern Südwestdeutschland Gesamt
Saisonarbeiter 50 -
Dauerarbeiter 22
72
252
252
1
804
31
31
803 -
Gesamt
5
186
191
858
492
1350
Verona Zielregion
Saisonarbeiter
Pommern
308
Niedersachsen
211
Hessen
702
Mitteldeutschland Bayern Südwestdeutschland Gesamt
Dauerarbeiter -
-
Gesamt 308 211 702
20
20
86
252
338
290
110
400
1597
382
1979
-
Vicenza Zielregion Pommern Niedersachsen
Saisonarbeiter
Dauerarbeiter
Gesamt
7
-
7
293
-
293
297
Italienische Bauarbeiter im „Dritten Reich " Hessen Mitteldeutschland Bayern Südwestdeutschland Gesamt
121
121
296
8
304
4
225
229
77
77
431
1031
-
600
Quelle: CFLA, Rurali di Mussolini nella Germania di Hitler - Italienische Landarbeiter in Deutschland.
3. Italienische Bauarbeiter im „Dritten Reich": von Fallersleben bis nach Auschwitz Im Rahmen einer Analyse der Strukturen und der Mechanismen der Anwerbung italienischer Arbeiter für die deutsche Kriegswirtschaft verdienen die Bauarbeiter zweifellos einen eigenen Abschnitt, und zwar aus wenigstens zwei Gründen: zum einen waren sie die erste Gruppe von Industriearbeitern, die noch im Jahr 1938, als die Abreise der ersten Trupps von Landarbeitern stattfand, angeworben wurde und die bis zur Krise des „Achsen"bündnisses im Jahr 1943 und noch darüber hinaus immer die zahlenmäßig stärkste Berufsgruppe unter den italienischen Industriearbeitern darstellte. Auch machten sie einen beträchtlichen Anteil unter den ausländischen Arbeitern im Bausektor aus. Leider verfuge ich über ausreichend spezifiertes Zahlenmaterial erst ab d e m April 1941; 8 3 es erscheint mir jedoch angebracht, die wichtigsten Daten herauszuziehen:
83 Um die Tabelle zu erstellen, habe ich mich verschiedener Nummern der Publikation Ergebnisse der Erhebung über die ausländischen Arbeiter und Angestellten bedient. Die Ausgaben vom 25. 4. und vom 25. 9. 1941 finden sich in: BA Koblenz, R 43 II, Band 652; die vom 20. 1., 20. 5., 10. 7. und 10. 10. 1942 befinden sich in: PA/AA, AR, R V, Nr. 9, Allgemein, Faszikel 10; jene vom 20. 11. 1942, vom 15. 2. und vom 30. 11. 1943 befinden sich in: ebenda., Faszikel 12. Es gibt weitere Exemplare auch in anderen Archivbeständen, sei es im BA Koblenz, sei es im Bundesarchiv/Militärarchiv in Freiburg i. Br. (BA/MA). Die geringe Glaubwürdigkeit dieser Angaben ist von der Forschung bereits hervorgehoben worden. Doch da sie die einzige vollständige Zahlenreihe darstellen, habe ich es für angezeigt gehalten, sie zu benutzen, zumindest als Indikator für die Größenordnungen. Mir war es an dieser Stelle nicht möglich, sie mit den von den LAA, dem RArbM und dem Reichsministerium fur Rüstungs- und Kriegsproduktion (RMRuK) ausgearbeiteten Zahlen zu vergleichen, die jedoch wesentlich lückenhafter sind. Man trage vor allem der Tatsache Rechnung, daß die wenigen Daten von Seiten der CFLI sich insgesamt nicht wesentlich von jenen der „Ergebnisse" unterscheiden. Zu einer Vertiefung dieser Fragen verweise ich auf Abschnitt 5 meines Beitrags.
298
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Tabelle 16 Anteil der italienischen Bauarbeiter an den italienischen Arbeitern im Reich sowie an den ausländischen Bauarbeitern 1938 bis 1943 italienische Arbeiter
italienische Bauarbeiter
Prozent
ausländische Bauarbeiter
Prozent
Stelle
2 5 . 4 . 1941
103.861
53.096
51,1
207.601
25,6
1
25. 9. 1941
216.834
114.668
52,9
325.407
35,2
1
20. 1. 1942
174.500
84.915
48,7
297.853
28,5
1
20. 5. 1942
183.582
82.811
45,1
270.953
30,6
1
10. 7. 1942
179.419
82.522
46,0
276.368
29,9
1
10.10.1942
176.213
76.422
43,4
274.776
27,8
1
20. 11. 1942
171.058
70.405
41,2
281.067
25,0
1
15. 2. 1943
152.156
55.928
36,8
302.289
18,5
2
30.11.1943
105.884
36.773
34,7
343.955
10,7
5
Datum
Quelle: Ausarbeitung anhand der Daten der Ergebnisse der Erhebung über die ausländischen stellten.
Arbeiter und Ange-
Wie man sieht stellten die italienischen Bauarbeiter bis zum Ende des Jahres 1942 nahezu die Hälfte der italienischen Industriearbeiter und einen Anteil an allen in der Bauwirtschaft beschäftigten Ausländern, der zwischen einem Viertel und einem Drittel schwankte (natürlich ohne Einbeziehung der Kriegsgefangenen). Sie waren in jedem Fall die zahlenmäßig stärkste Gruppe unter den verschiedenen Nationalitäten. Doch zum Jahresbeginn 1943 schien sich die Situation zu wandeln: die Zahlen vom Februar zeigen eine klare Abnahme sowohl der absoluten wie der relativen Stärke der Italiener, und erstmals überstieg die Zahl der polnischen Bauarbeiter die der Italiener. Die Zahlen sind jedoch unter einem gewissen Vorbehalt zu betrachten, denn im Februar waren möglicherweise etliche Bauarbeiter noch in den Ferien in Italien bzw. gerade im Begriff, nach Deutschland zurückzukehren. Es ist jedenfalls hervorzuheben, daß von den 55.928 Bauarbeitern, die im Februar im Reich waren (einmal angenommen, es wären keine weiteren eingetroffen), 36.773 nach dem 8. September 1943 im Reich in der Falle saßen, während es deutlich weniger als der Hälfte gelang, rechtzeitig in die Heimat zurückzukehren. Mir scheint es daher sinnvoll zu sein, die These vom qualitativen Einsatz der italienischen Arbeitskräfte durch die deutschen Behörden in die Debatte zu werfen. Denn diese waren durch die Beziehungen innerhalb des Bündnisses dazu gezwungen, den italienischen Bedürfnissen in gewisser Weise Rechnung zu tragen, auch wenn die Position des südländischen Verbündeten im Lauf der Zeit immer schwächer wurde. In diesem Sinne ist es vollkommen klar, daß angesichts eines reichlichen Angebots an Arbeitskräften in der italienischen Bauwirtschaft die Migration und Wanderarbeit in Deutschland sich für beide Seiten als vorteilhaft darstellte. Dies wurde auch von deutschen Funktionsträgern wie Max Timm bemerkt, der 1942 schrieb: „In der Bauwirtschaft, in der zur Zeit etwa 1.000.000 Arbeitskräfte beschäftigt werden, bestand in Italien von jeher ein Überangebot an Arbeitskräften. Nur in den Sommermo-
Italienische Bauarbeiter im „Dritten Reich"
299
naten trat zeitweise eine Verknappung ein. Es gelang daher ohne große Schwierigkeiten, über 100.000 Bauarbeiter für den Einsatz in Deutschland zu gewinnen."84
Arbeitskräfte fur Fallersleben und Salzgitter Wie im Falle der landwirtschaftlichen Arbeiter begann auch der Einsatz der italienischen Bauarbeiter in Deutschland recht unauffällig: die ersten Abkommen betrafen relativ geringe Gruppen von Arbeitern, die für begrenzte Zeit bei dem Bau von lediglich zwei Fabrikanlagen eingesetzt werden sollten. Diese hatten jedoch einen großen Umfang und waren dazu bestimmt, die Kernstücke zweier Städte zu werden: das Volkswagenwerk in Fallersleben85 und das große Stahlwerk des Konzerns der Hermann-Göring-Werke in Salzgitter.86 Die Initiative war diesmal nicht von staatlichen Stellen ausgegangen, sondern es agierten dabei deutscherseits die DAF und italienischerseits die CFLI. Zwischen diesen beiden Organisationen und besonders zwischen ihren Chefs, Robert Ley undTullio Cianetti, wurde ein dichtes Beziehungsgeflecht aufgebaut, das von den Diskussionen über die Opportunität, eine faschistische Gewerkschaftsinternationale zu errichten, über die Organisation von Reisen, bei denen Gesellschaften italienischer und deutscher Arbeiter in das jeweils andere Land befördert werden sollten, um die gegenseitige Freundschaft zu festigen, bis hin zu dem Versuch reichte, sich als Geschäftsführer einer organisierten Arbeitermobilität innerhalb der „Achse" zu gerieren. Es war im Verlauf der ersten organisierten Reise im Juni 1938, die 2.500 italienische Arbeiter für eine Woche nach Nürnberg, Freiburg i. Br., Stuttgart und München führte, 87 als die Führung der DAF Tullio Cianetti ihr Interesse an der Anwerbung italienischer Arbeiter kundtat: „Man will nicht nur Maurer in beträchtlicher Zahl, sondern auch Metallarbeiter für die neuen Werke, wie jenes, in dem 4 Millionen Volkswagen gebaut werden sollen. Die Deutsche Arbeitsfront würde gerne die gesamte Betreuung (wie sie für die deutschen Arbeiter vorgenommen wird) für die italienischen Arbeiter, die sich eventuell aus Arbeitsgründen in das befreundete Land begeben würden, übernehmen. Die Gruppe Farbenindustrie würde allein bereits 20.000 Arbeiter benötigen. Auch dem Unterzeichneten scheint es in jeder Hinsicht angebracht, daß — sollten sich große Arbeitermassen nach
84 Max Timm, Der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte, Sonderdruck aus dem Reichsarbeitsblatt, Berlin 1942, S. 56. Das von mir benutzte Exemplar befindet sich in: PA/AA, AR, R V, Nr. 9, Allgemein, Faszikel 10. 85 Vgl. zur Gesamtentwicklung Hans Mommsen/Manfred Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996. 86 Vgl. Gerd Wysocki, Arbeit fiir den Krieg. Arbeitseinsatz, Sozialpolitik und staatspolizeiliche Repression bei den Reichswerken „Hermann Göring" im Salzgitter-Gebiet 1937/39 bis 1945, Braunschweig 1992. 87 ACS, Sammlung Tullio Cianetti, Ordner 4, Bericht vom Juni 1938 über seine Reise, gez. Cianetti, der die politische Abwicklung übernahm und die offizielle Delegation der CFLI anführte, die dieser folgte. Aus dem Dokument geht hervor, daß die Gruppen, alle aus 500 Personen bestehend, aus den Provinzen Venedig, Vicenza, Alessandria, Novara und Florenz kamen. Über die vorausgegangenen Kontakte und über die Beziehungen zwischen den beiden faschistischen Führungsfiguren im allgemeinen siehe die Angaben in: Tullio Cianetti, Memorie dal carcere di Verona, hrsg. von Renzo De Feiice, Mailand 1983, S. 2 6 2 - 2 6 6 und 305-311.
300
Zwischen
Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt
und
Kriegswirtschaft
Deutschland verlagern - alle Fragen, die mit dieser Bewegung zusammenhängen, auch von den betreffenden italienischen und deutschen Organisationen geregelt werden. (...) Es wäre daher günstig, wenn die ersten Kontakte zu diesem Zweck sobald wie möglich eingeleitet werden könnten." 88 Zwei Monate später, am 6. August, konkretisierten sich diese Initiativen in einem ersten Abkommen, das in Berlin unterzeichnet wurde und bei dem nicht die beiden Zentralorganisationen als Vertragspartner fungierten, sondern die Abteilungen, die sich besonders mit der Bauwirtschaft beschäftigten: fiiir die DAF das Fachamt Bau, vertreten durch Paul Harpe, und fiir die CFLI die Federazione Nazionale Fascista dei Lavoratori dell'Edilizia, vertreten durch Luigi Begnotti. 89 Im Vertragstext wurde „die disziplinierte Durchführung der Entsendung von 1500 italienischen Bauarbeitern im Jahre 1938 nach Deutschland sowie ihrer Arbeitsbedingungen bei deutschen Bauunternehmern im Deutschen Reich" geregelt. Der Vereinbarung ist ein Entwurf eines Musterarbeitsvertrags beigelegt, aus dem interessante Informationen hervorgehen: die Einstellungen wurden für einen recht kurzen Zeitraum vorgenommen, nämlich für wenig mehr als 2 Monate; denn die Verträge sollten am 20. November 1938 enden. Ferner war vorgesehen, die Italiener unterschiedslos „in Privatquartieren oder Wohnbaracken, die vom Unternehmer zur Verfügung gestellt werden", unterzubringen. Wie in der diesbezüglichen Literatur bereits hervorgehoben wurde, 90 war es gerade die Möglichkeit, in privaten Unterkünften zu wohnen, die die Kritik der deutschen Polizeibehörden hervorrief und die in der Folgezeit daher in Wegfall kam. Schließlich betrug der vorgesehene Durchschnittslohn 0,64 RM in der Stunde, bei einer Wochenarbeitszeit von 42,5 Stunden. Dies entsprach theoretisch einem Wochenverdienst von 27,2 RM, von dem - neben den Steuern — 1,2 RM täglich für Kost abgezogen wurden. Man kann daher annäherungsweise rechnen, daß ein italienischer Bauarbeiter einen wöchentlichen Durchschnittslohn von 16 bis 18 RM erzielen konnte. Dies entsprach 120 bis 135 Lire, zu denen noch die eventuellen Zuschläge für Überstunden, Nacht- oder Feiertagsarbeit hinzukamen sowie für die Akkordarbeit, die normalerweise eine zwanzigprozentige Erhöhung des Grundlohns betrug. 91 Wenige Wochen später jedoch waren sich beide Seiten einig, daß sich nicht 1.500, sondern 6.000 Bauarbeiter nach Deutschland begeben sollten. Auf der Basis dieser Zahl wurden in Rom am 23. August zwischen einem Beauftragten des Reichswirtschaftsministeriums und Vertretern der M S V die Modalitäten des Transfers der Lohnersparnisse der Arbeiter besprochen, der auf maximal 175 RM je Arbeiter beschränkt wurde. 92 Ich habe kein Dokument gefunden, das erklären würde, warum das Arbeiterkontingent vervierfacht wurde und es scheint, daß 88 ACS, ebenda; die Behauptung Cianettis, immer gegen die Ausreise von Arbeitern nach Deutschland gewesen zu sein (S. 306 der Memoiren), erscheint im Lichte dieser und anderer Quellen wenig überzeugend. 89 Dazzi, Accordi, S. 121flF. (italienischer Text) und S. 203ff. 90 Herbert, Fremdarbeiter, S. lOOff., 108, 142, 154ff., 162, 165; Siegfried, Rüstungsproduktion, S. 107ff.; ders., Das Leben, S. 88ff. 91 Als Stundenlöhne für die verschiedenen Arbeiterkategorien war folgendes vorgesehen: Postengeselle 0,74 RM; Maurer 0,68 RM; Zementfacharbeiter 0,68 RM; Eisenarbeiter (Flechter und Bieger) 0,62 RM; Zimmerleute 0,68 RM; Tiefbauarbeiter 0,54 RM; Bauhilfsarbeiter 0,56 RM. (Dazzi, Accordi, S. 126 und 209.) 92 Dazzi, Accordi, S. 128 und 210. Dort ist das zustimmende Schreiben des RWM an das M S V vom 8. 9. abgedruckt. Im Text findet sich ein ausdrücklicher Bezug auf die in Rom am 23. 8. erzielten Vereinbarungen. Kopie des Schreibens auch in: PA/AA, BRQ, W I i , Faszikel 1; sowie in: ACS UIC, Germania, Ordner 117.
Italienische
Bauarbeiter
im „Dritten
Reich "
301
kein besonderes Zusatzprotokoll notwendig war. Jedenfalls hatte das Abkommen auch bei anderen deutschen Dienststellen Interesse erweckt, wie im Falle des Generalinspektors für das Straßenwesen, der Ende August 1 . 0 0 0 italienische Bauarbeiter für den Straßenbau einzustellen wünschte, wobei diese aus dem zwischen D A F und C F L I vereinbarten Kontingent kommen sollten. Zwar handelte er sich trotz seines Insistierens eine eindeutige Ablehnung der D A F ein, 9 3 doch fragten im Herbst nunmehr auch private Firmen aus der Steiermark an, ob sie Italiener einstellen könnten. 9,4 In der Zwischenzeit, also zwischen der zweiten August- und der ersten Septemberhälfte, vollzogen sich in Italien die Anwerbeoperationen. Ich habe leider keine Zusammenstellung oder Liste der von den Anwerbungen betroffenen Provinzen finden können, jedoch kam mit 1 . 0 7 5 ( 1 . 0 6 6 laut einer anderen Quelle) Arbeitern ein großer Anteil aus der Provinz Treviso, 95 eine Region, die von einer starken Arbeitslosigkeit gezeichnet war. Von dort sollten auch in den folgenden Jahren Bau- wie Metallarbeiter nach Deutschland migrieren, um für Volkswagen zu arbeiten. Andere, nicht unbeträchtliche Gruppen sollten aus den Provinzen Bergamo, Bologna und Udine geliefert werden. 9 6 Etwa 2 . 5 0 0 Arbeiter wurden in Fallersleben untergebracht, 9 7 die anderen 3 . 5 0 0 gingen nach Salzgitter. 98 Die Werkstätten und die Lager waren Gegenstand einer nicht geringen propagan-
93 BA Potsdam, 46.01, Generalinspektor für das Straßenwesen, Nr. 1233. Die Briefe, in denen der Generalinspektor die Bauarbeiter anfordert, datieren vom 29. 8. und vom 1. 9. 1938, die Antworten der DAF vom 10. bzw. 29. 9. 1938. - Uber die schwierigen und konfliktreichen Beziehungen zwischen Fritz Todt und Robert Ley vgl. Franz W. Seidler, Fritz Todt. Baumeister des Dritten Reiches, Frankfurt am Main Berlin 1988, S. 342-248. 94 Ebenda., Briefe verschiedener, in dieser Region tätiger Firmen, die zwischen Oktober und Dezember 1938 abgefaßt wurden. 95 AST, Gabinetto di Prefettura (Präfektur, Büro des Präfekten), Ordner 279; Brief der CFLI - Unione Provinciale di Treviso, in dem sich eine genaue Liste nach Beruf und Herkunftsregion für alle 1.075 Abreisenden befindet: Maurer 75; Handlanger 200; Terrazzoarbeiter 420; Schreiner 250; Eisenarbeiter 75; Zementfacharbeiter 35; Hilfsarbeiter 20; aus der Region Treviso stammend: 281; aus Oderzo 126; aus Conegliano 146; aus Valdobbiadene 90; aus Vittorio Veneto 170; aus Castelfranco Veneto 132; aus Montebelluna 130. Eine weitere von der Unione Treviso zusammengestellte Liste (ohne Datum, jedoch nach dem 10. 9. entstanden, dem letzten Abreisetag) nennt die Zahl von 1.066 Wanderarbeitern, deren Erstwohnsitz angegeben wird. Das Bild, das man daraus ableiten kann, ist das einer Anwerbung, die auf homogene Art und Weise die ganze Provinz überzieht, ohne daß besondere Massierungen auffallen würden. 96 BA Koblenz, 62.03, DAF - AWI, Nr. 2834, aus einem Artikel der Frankfurter Zeitung vom 9. 9. 1938, wo es ferner heißt, daß 6.024 italienische Bauarbeiter in Kürze ankommen würden. 97 Diese Zahl findet sich in der Frankfurter Zeitung worn. 25. 11. 1938 (BA Koblenz, 62.03, DAF-AWI, Nr. 2834) und wird bestätigt von Siegfried, Das Leben, S. 110-111. Siegfried irrt jedoch, wenn er meint, daß „per Dienstverpflichtung im September 1938 ca. 20.000 italienische Bauarbeiter nach Deutschland" kamen (S. 111). In Wirklichkeit waren es wesentlich weniger und die Ursache war keine „Dienstverpflichtung", sondern eine drückende Arbeitslosigkeit. Der gleiche, diesmal jedoch entgegengesetzt interpretierte Fehler findet sich in einer Bildunterschrift (Siegfried, Rüstungsproduktion, S. 51), in der ein Bild mit italienischen Arbeitern, die in faschistischer Uniform die „Stadt des KdF-Wagens" betraten und von denen einige den faschistischen Gruß zeigten, mit „regimetreue italienische Bauarbeiter" kommentiert wird. Die Arbeiter waren verpflichtet, in Uniform abzureisen (Vgl. AST, gabinetto Prefettura, Ordner 279, Dokument vom 6. 9. 1938). Häufig besaßen die Arbeiter gar keine andere Kleidung! 98 In der Ausgabe der Braunschweiger Tageszeitung vom 6. 10. 1938 ist die Rede von 3.600 italienischen Bauarbeitern, die dem Bau des Stahlwerks zugeordnet sind.
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auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
distischen Aufmerksamkeit seitens der Behörden beider Staaten: am 16. Oktober kamenTullio Cianetti und Robert Ley zu einem Besuch, am 28. Oktober kam der Milizgeneral Melchiorri, um den Jahrestag des Marsches auf Rom zu feiern." In der Zwischenzeit drängte die DAF erfolgreich, damit das italienische Bauarbeiterkontingent erhöht werde: in einem weiteren Abkommen, das am 10. Dezember in Rom unterzeichnet wurde, kam man überein, weitere 1.500 Italiener zu übernehmen. Gleichzeitig wurden die am 20. November auslaufenden Verträge bis zum 15. März 1939 verlängert, 100 wobei die Klausel eingefügt wurde, daß die Arbeiter, die sich weigern würden zu bleiben, durch die CFLI ersetzt werden würden. Es scheint, daß genau die Hälfte (3.000) von dieser Möglichkeit Gebrauch machte und zwischen dem 26. und dem 29. November nach Hause zurückkehrte. Sie wurden teilweise ersetzt durch 1.500 neu Eingestellte, die aus den Provinzen Padua, Venedig, Verona undTrient stammten, während das am 10. November vertraglich vereinbarte Kontingent Anfang 1939 abreisen sollte. Es sollte aus 1.850 Arbeitern bestehen, anzuwerben in den Provinzen Reggio Emilia, Udine und Venedig. 101 Auch in diesem Fall wurden Regionen einbezogen, die bereits von der Anwerbung von Landarbeitern berührt worden waren. Auch wenn es ihr dieses Mal gelungen war, dem Reichsarbeitsministerium und dem Auswärtigen Amt die Zustimmung zu den Einstellungen abzuringen, 102 so führte das Engagement der DAF zu Spannungen mit anderen deutschen Organisationen; das AA unternahm einen offiziellen Schritt bei den römischen Behörden mit folgendem Tenor: „Die Beschäftigung von italienischen Arbeitern in Industrie und Gewerbe hat sich bisher ohne eine Vereinbarung mit Italien (...) vollzogen (...). Der zur Zeit bestehende Zustand ist unbefriedigend. Es geht auf die Dauer nicht an, daß sich der Einsatz italienischer Arbeiter in Industrie und Gewerbe ohne Einflußnahme der fur den Arbeitseinsatz zuständigen staatlichen Stellen vollzieht. (...) Es empfiehlt sich daher, alsbald an die italienische Regierung zwecks Abschlusses einer allgemeinen, auf unbestimmte Zeit gülti-
99 NAW, Τ 83 Records of Private Austrian, Dutch, and German Enterprises 1917-1946 (Enterprises), Roll Nr. 77: „Veranstaltungen im Italienerlager der H G W mit italienischen Vertretern (aus Akte Philippi, Bauleiter) Programm vom 16. 10., Nr. 3449196 und vom 28. 10. 1938, Nr. 3449194. - Die Milizia volontaria per Lt sicurezza nazionalc (MVSN) war der militärische Verband der Partei, der aus den faschistischen Aktionsgruppen (squadre d'azione) heraus entstanden war. [Etwa mit der nationalsozialistischen SA vergleichbar - Anm. d. Übers.] 100 Dazzi, Accordi, S. 129-130 und 211-212. Ein weiteres Exemplar des Abkommens findet sich in: PA/AA, BRQ, W la, Faszikel 1. 101 ACS, Presidenza del consiglio dei ministri (PCM), Ordner 2983, 3.2.4, 195/5, Aufzeichnung der CFLI vom 9. 12. 1938. 102 PA/AA, BRQ, W la, Faszikel 1, Schriftwechsel über die Absichten der DAF, die zum Abkommen vom 10. 11. fuhren; am 3. des Mts. ist es der Beamte des RArbM, Hetzell, der für seine Vorgesetzten eine Zusammenfassung der Besprechung mit dem Leiter des Fachamts Bau der DAF, Harpe, und dem Delegierten des RAAA, Häßler, abfaßt. (Prot. IIc 6804/38); am 7. 11. teilt Harpe Hetzell den bevorstehenden Beginn der Verhandlungen mit den Delegierten der CFLI mit und daß man grünes Licht vom RWM (über den Ministerialbeamten Rappold) in der Frage der Lohnersparnisse bekommen habe (Prot. 6874/ 38). Am 11. 11. richtet sich ein führender Beamter des RArbM, Wende, an das AA, um sich zu vergewissern, daß die italienische Regierung der Angelegenheit zugestimmt hatte (Prot. AA R23448).
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gen und mit einer Kündigungsfrist versehenen Vereinbarung über die Beschäftigung von italienischen Arbeitern in Industrie und Gewerbe in Deutschland heranzutreten." 103 Die Einladung wurde von der italienischen Seite problemlos akzeptiert: ein Feld für Sondierungen stellten die bilateralen Regierungsverhandlungen dar, die am 13. Februar 1939 zur Abfassung eines vertraulichen Handelsabkommens führten, das sozusagen als allgemeiner Rahmen fungieren sollte. Darin wurde vereinbart: „Die Zahl der auf Grund saisonmäßiger Kollektiwerträge in Deutschland im Jahre 1939 tätigen Arbeiter wird auf 37.000 Landarbeiter und 8.500 Industriearbeiter festgesetzt". Die letzteren, die praktisch nur Bauarbeiter waren, konnten ein Maximum von 80 RM monatlich nach Hause schicken und damit im Zeitraum der vorgesehenen Arbeitszeit von 10 Monaten insgesamt bis zu 800 RM erreichen. 104 Wie wir bereits bei den Landarbeitern gesehen haben, war das Jahr 1939 für Deutschland durch Devisenprobleme gekennzeichnet, die die verantwortlichen Dienststellen dazu bewegten, die Hereinnahme von Ausländern zu stoppen, darunter natürlich auch die der italienischen Bauarbeiter. 105 Diese Maßnahme wurde von etlichen Firmen mißbilligt, die es nicht an Initiativen fehlen ließen, um den Stop zu umgehen — wie es die Industrie- und Handelskammer von Freiburg im Breisgau am 3. Juli ausdrücklich forderte: die Baufirmen und die Bauzulieferbetriebe, hieß es, haben die Auftragsbücher voll, können ihren Verpflichtungen jedoch nicht nachkommen wegen des Mangels an Arbeitskräften, die die Arbeitsämter nicht in genügender Anzahl zur Verfügung stellen können. Die notwendigen Kräfte „wären in Italien ohne Schwierigkeit in genügender Anzahl erhältlich" - wenn es nicht vereitelt würde, den Arbeitern die Möglichkeit zu garantieren, Geld nach Hause zu schicken. Man bat daher die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern in der Reichswirtschaftskammer nachzuprüfen, „inwieweit das Verbot der Einstellung italienischer Arbeiter gelockert werden kann". 106 Es ist natürlich ziemlich schwierig zu bewerten, wieviel italienische Industriearbeiter mit privaten Verträgen in Deutschland präsent waren; ein indirekter Blick auf diese Gruppe ergibt sich über die wiederholten italienisch-deutschen Vereinbarungen, die dem Zweck dienten, die Situation dieser Arbeiter zu verbessern, indem ihnen erlaubt wurde, Geld an ihre Familien zu schicken.
103 PA/AA, BRQ, W la, Faszikel 1, Prot. AA R21965. Die Botschaft übermittelt am 21. 12. die diplomatische Note an das MAE, das sich seinerseits mit der Antwort beeilt und am 31. 12. sich vollkommen einverstanden erklärt. (Prot. BRQ 8169/38 und Prot. MAE 6333860/975). Zu den Spannungen zwischen der DAF und dem RArbM in der Frage der Anwerbung von Arbeitskräften siehe BA Koblenz, R 41 RArbM, Bd.II, Nr. 653. 104 PA/AA, R 6 C III, Faszikel 1; der Text ist zweisprachig (das Zitat findet sich auf Seite 18). 105 Am 31.3. 1939 ist es das Büro des Generalinspektors für das Straßenwesen, das am 17. 3. 1939 neuerlich auf den Plan tritt, um die Übernahme von italienischen Bauarbeitern für die Baustellen im Autobahnbau zu fordern, und das in Konflikt gerät mit dem ausdrücklichen Anwerbeverbot, welches den Devisenmangel zur Ursache hatte. (BA Potsdam, 46.01, Generalinspektor für das Straßenwesen, Nr. 1233). Die Nachricht von der Aussetzung neuer Vertragsabschlüsse mit Italien wegen der Hereinnahme von Bauarbeitern berichtet einige Monate später die Zeitung Die Bauindustrie am 29. 7. 1939 (BA Koblenz, 62.03, DAFAWI, Nr. 2835) 106 BA Koblenz, R H , Reichswirtschaftskammer (RWK), Band 1242, Bl. 246.
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Verhandlungen auf zwischenstaatlicher Ebene Aber kehren wir zurück zur Situation des Jahres 1939: am 8. März wurden in Berlin neue Verhandlungen eröffnet, in deren Zentrum die Definition präziser Regeln für die Anwerbung von Industriearbeitern für das Deutsche Reich stand. Die Zusammensetzung der Delegationen zeigte die Veränderung auf, die sich in der Zwischenzeit ergeben hatte: die Vertreter der CFLI und der DAF waren zwar anwesend, hatten jedoch im wesentlichen eine beratende Funktion inne. Entscheidungsträger waren italienischerseits die 4 Vertreter des Außenministeriums, darunter wiederum Dante Cesare Bandini, der Chef der Abteilung Migration der Italienischen Botschaft in Berlin, während deutscherseits die 6 Delegierten des Reichsarbeitsministeriums die Entscheidungen fällten, wie üblich unterstützt von Gustav Rödiger vom Auswärtigen Amt. Von der Wende, die sich in den vorangegangenen Monaten in Deutschland ereignet hatte, waren die italienischen Behörden durch einen Bericht vorabinformiert worden, der auf diplomatischem Wege von Botschafter Attolico kam. Über die Eingliederung der RAAA als eigene Abteilung in das RArbM urteilte der Diplomat, daß „mit dieser Umwandlung sich die Bedeutung dieser Dienststelle bemerkenswert erhöht [habe] und die seit langer Zeit zwischen dieser Dienststelle und der DAF bestehenden Streitigkeiten zugunsten der ersteren gelöst" worden seien. Für Italien sei die wesentlichste Folge, fuhr Attolico fort, daß „die Confederazione dei Lavoratori dell'Industria in Zukunft (...) alle Fragen, die die Einreise von Industriearbeitern nach Deutschland betreffen, mit dem deutschen Arbeitsministerium (Büro Syrup) und nicht mehr mit der Deutschen Arbeitsfront verhandeln muß". 1 0 7 Am 17. März wurde das Abkommen unterzeichnet. Es handelte sich um ein ziemlich allgemein gehaltenes Protokoll, in dem keine der beiden Seiten bestimmte Verpflichtungen einging. Das Grundproblem schien vielmehr zu sein, die Zuständigkeit der RAAA und des AA einerseits, die des MAE andererseits eindeutig festzuschreiben. Es gab jedoch einen Punkt von beträchtlicher Bedeutung in dem Abkommen. Nachdem festgelegt wurde, daß die Durchführung der Anwerbung Aufgabe der dazu vorgesehenen italienischen Dienststellen sein werde, hieß es präziser: „Bei Anwerbung von größerer Bedeutung kann das Reichsarbeitsministerium Beauftragte bestellen, die von der zuständigen italienischen Behörde ermächtigt werden, die Arbeiter nach Maßgabe ihrer beruflichen und körperlichen Eignung an den Sammelorten endgültig anzuwerben." 108 Dies war eine Klausel, die zu diesem Zeitpunkt auf dem Papier blieb, doch auf die 1941 zurückgegriffen werden sollte, als das Reich sich anschickte, von seinem Verbündeten Zehntausende von Arbeitern zu fordern; jedenfalls schränkte sie die italienische Souveränität — zumindest auf diesem Gebiet - ein. Zu diesem Zeitpunkt sprach man jedoch nicht davon, weitere Arbeiter anzuwerben, weder Bauarbeiter noch andere. Bis zum ersten Viertel des Jahres 1941 waren aufgrund von Kollektiwerträgen (nicht einbezogen die individuelle Arbeitermigration) insgesamt 9.500 Arbeiter 107 ASMAE, AP Germania, Band 64, Fernschreiben Nr. 01416/417 vom 18. 2. 1939 an das MAE. 108 Der Text des Abkommens ist abgedruckt bei Dazzi, Accordi, S. 134-139 und S. 216-222. Das zitierte Stück findet sich im zweiten Absatz von Artikel 3 (S. 136 bzw. 218).
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im Reich beschäftigt worden, 1 0 9 die den Baustellen in Fallersleben und Salzgitter zugeteilt worden waren. Die Vereinbarungen, die am 8. Juni und am 11. Oktober 1939 sowie am 30. Januar 1940 unterzeichnet wurden, 110 bewirkten in erster Linie die Verlängerung der Verträge, die die beiden großen Werke in Niedersachsen betrafen und die im Zeitraum vom 1. bis zum 30. Oktober 1939 auslaufen sollten. Diese Frist wurde nunmehr bis zum 15. Dezember 1939 verlängert, um später auf den 31. Dezember 1940 hinausgeschoben zu werden. Natürlich darf man nicht denken, daß es keine Wechsel gegeben hätte: Mitte Mai 1939 kamen zum Beispiel bei Volkswagen weitere 1.000 Bauarbeiter an. 1 1 1 Außerdem nahm das italienische Kriegsministerium (MG) mit der Ausweitung des Konflikts in Europa und nach dem deutschen Angriff auf Polen, die militärische Einberufung von mehreren Jahrgängen vor, denen nicht wenige der Wanderarbeiter angehörten. Auf Betreiben der C F L I akzeptierte das M G am 8. September 1939, die Musterung in den Wehrbezirken für die Wanderarbeiter um einige Wochen zurückzustellen, präzisierte jedoch gleichzeitig, daß eine Verlängerung der Verträge (wie es in der Tat erfolgte) sich nicht auf die von der Wehrpflicht betroffenen Arbeiter erstrecken dürfe. 1 1 2 Leider ist es mir bislang nicht gelungen, Quellen ausfindig zu machen, die in der Lage wären, etwas Licht auf die Herkunft der Arbeitertrupps zu werfen, die auf die ersten folgten.
Die Anwerbungen dehnten sich stark aus Mitte 1940 änderte sich die Situation grundlegend: Anfang Juni wurde in Rom vereinbart, daß in den folgenden Monaten durch die C F L I 20.000 Arbeiter für den Einsatz in der deutschen Industrie zur Verfugung gestellt werden würden. Beim größeren Teil davon (9.400) sollte es sich um Bauarbeiter handeln, eine Kategorie, der ein spezieller Anhang gewidmet war. Die Arbeitsverträge sollten mindestens ein halbes Jahr gelten. 113 In Rom wurde ein Beamter des Reichsarbeitsministeriums eingesetzt, um die Anwerbung zu überwachen, während die Durchführung über die Provinzbüros der CFLI erfolgte. Die eingestellten Arbeiter wurden in Verona und Udine gesammelt, wo die letzten Kontrollen vorgenommen wurden und von wo dann die Sonderzüge abfuhren. Auch diesmal hatten die Verhandlungen einen offiziellen zwischenstaatlichen Charakter, wie man aus der Zusammensetzung der Delegationen ablesen kann. Die italienische Delegation bestand aus Angehörigen des MAE, des MCor und der CFLI; gerade die CFLI war mit den beiden Chefs der Hauptabteilung Bauwirtschaft und der Abteilung „Industrie estrattive", der Sektoren mithin, die von der Angelegenheit am stärksten betroffen waren, gut vertreten. Deutscherseits wurde die Mehrheit der Delegierten vom RArbM gestellt, die begleitet wurden vom Beauftragten für Sozialpo-
109 BA/MA, Bestand Generalluftzeugmeister (Gen. Milch), RL 3, Band 1718, Übersicht über den Einsatz von gewerblichen Arbeitskräften aus dem Ausland vom 1 . 6 . 1940. 110 Dazzi, Accordi, S. 140-153 und S. 222-235. 111 BA Koblenz, 62.03, DAF-AWI, Nr. 2835, Artikel abgedruckt in: Deutsche Bergwerkszeitung vom 16. 5. 1939. 112 ASMAE, AP Germania, Band 64, Brief des Präsidenten der CFLI, Pietro Capoferri (der Tullio Cianetti ersetzte, welcher zum Staatssekretär im MCor ernannt wurde), vom 1. 9. 1939 an das M G sowie die Antwort des M G vom 8. 9. 1939. 113 Dazzi, Accordi, S. 156-173 und S. 238-256.
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Kriegswirtschaft
litik der Deutschen Botschaft Rom und von zwei Vertretern der DAF, darunter der Chef der Verbindungsstelle Italien, Rust. Unsere Quellen über die fast 10.000 angeworbenen Bauarbeiter sind nicht allzu reichhaltig. Ich weiß, daß die Mehrzahl aus Männern bestehen sollte, die vor 1909 geboren waren (auch wenn es einen kleinen Anteil von Jugendlichen der Jahrgänge 1922, 1923 und 1924 gab), während die mittleren Jahrgänge aufgrund eines Befehls des M G von der Anwerbung vollkommen ausgeschlossen blieben. 114 Wo wurden die italienischen Bauarbeiter diesmal beschäftigt? 1.000 Mann wurden wiederum nach Fallersleben und Salzgitter gesandt, wie in dem Abkommen ausdrücklich ausgemacht worden war. 600 bis 700 waren für Linz vorgesehen, wo sie im Lauf des September eintrafen. Von diesen arbeiteten 400 auf den Bauplätzen der „Führerstiftung Wohnungsbau", während die anderen der Stadt zur Verfügung standen, die die Arbeiter ebenfalls für den Bau von Wohnungen einsetzte. Es waren im wesentlichen Maurer und Bauhilfsarbeiter, was für die Bauleitung gewisse Probleme mit sich brachte, da sie es vorgezogen hätte, „einige Elektrotechniker, Installateure und Terrazzoarbeiter zu bekommen". 1 1 5 Eine Zahl von Arbeitern, die zwischen 1.500 und 2.000 schwankte, wurde nach Berlin gebracht, wo sie Mitte November eintrafen und dem G.B.I. zur Verfügung gestellt wurden, der sie zum Bau von Luftschutzbunkern einsetzte. 116 Die übergroße Mehrheit der italienischen Bauarbeiter wurde jedoch im Rahmen des Wehrwirtschaftlichen Neuen Erzeugungsplanes (WWNEP) eingesetzt, eine im Rahmen des Vierjahresplans im Juli 1938 geschaffene Struktur, die die Aufgabe hatte, sich um die Produktionsbereiche mit unmittelbarer militärischer Bedeutung zu kümmern. „Der Wehrwirtschaftliche Neue Erzeugungsplan — wofür auch die Bezeichnungen Karinhall-Plan, Krauch-Plan, Chemischer Erzeugungsplan verwendet wurden — (...) bestand im wesentlichen aus zwei Teilen: den Planungen für Pulver-, Spreng- und Kampfstoffe und deren Vorprodukte, die in eigenen Unterplänen zusammengefaßt waren, und den Planungen für Leichtmetalle (Aluminium und Magnesium), Mineralöl und Kautschuk." 1 1 7 An der Spitze des Plans stand seit dem 22. August 1938 Carl Krauch, Direktor und Mitglied des Vorstands der IG-Farben, der mit dem Titel eines Generalbevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Erzeugung ausgestattet war. Die Italiener wurden ab dem Juni 1940 für den Bau und die Erweiterung der Betriebsanlagen, die der 2. Unterabteilung unterstanden, die sich mit Nichteisenmetallen, Mineralölen und Kautschuk befaßte, eingesetzt:
114 ACS, PCM, Band 2983, Faszikel 5.2-4, Nt. 195/1, Rundschreiben des Kriegsministeriums vom 9. 10. 1940. 115 BA Koblenz, NS 6, Parteikanzlei der NSDAP (PK-NSDAP), Band 121, Brief der Stiftung Wohnungsbau in Linz an das RArbM (Bl. 12); vgl. auch die Schreiben der PK-NSDAP (gez. Hummel) vom 4. 9. an den Oberbürgermeister von Linz, vom 6. 9. an die Bauleitung der Stiftung Wohnungsbau in Linz, vom 18. 9. wiederum an den Oberbürgermeister von Linz sowie die Anweisung von Hümmels vom 20. 9. an die Dienststelle des GB-Bau (Bl. 6 - 8 , 24, 3 1 - 3 2 des Bandes). 116 BA Koblenz, R 120, Generalinspektor für die Reichshauptstadt (G.B.I.), Bände 357, 358, 359, 372, wo sich einige Schriftstücke finden, die vom Anmieten von Unterkünften (Schulen, Gaststätten etc.) sprechen, um die italienischen Bauarbeiter unterzubringen (Schreiben vom 4. und 13. 11. 1940, vom 15. 11.. vom 9., 12., 15. und 18. 11. sowie vom 20. 11.). 117 Dietmar Petzina, Autarkiepolitik S. 124.
im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan, Stuttgart 1968,
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„Ferner wurden rund 5.000 italienische Arbeitskräfte gesichert. Hierbei wurden besonders süddeutsche und ostmärkische Leichtmetall- und Mineralöl-Vorhaben berücksichtigt." 118 Wir finden somit zunehmend Italiener in Bereichen, die von direkter Bedeutung für die Kriegswirtschaft waren. In den folgenden Monaten trafen weitere Bauarbeiter ein, etwa 1.500; außerdem begann die Anwerbung von Italienern im besetzten Frankreich, die teilweise vor Jahrzehnten dorthin eingewandert waren oder bei denen es sich gar um die zweite dort lebende Generation handelte. 119
Italien als Arbeitskräftereservoir fur das Reich Im Jahr 1941 wurden die deutschen Anforderungen an Italien unter starkem Druck durchgesetzt: zwischen dem Dezember 1940 und dem Januar 1941 verlangte das Reich zuerst 54.000 Arbeiter, davon 20.000 Bauarbeiter, die „für Bauten der Dringlichkeitsstufen SS und S, besonders Bauten des chcmischen Erzeugungsplanes" eingesetzt werden sollten; 120 als nächstes wurden weitere 200.000 Mann gefordert, großenteils Industriearbeiter. Die Gründe für diese Anforderungen können hier nur angeschnitten werden. Sicher wogen neben den Bedürfnissen der deutschen Kriegswirtschaft, die ich später in bezug auf die Industriearbeiter behandeln werde, auch die dauernden Anforderungen nach militärischen Gütern und Rohstoffen von seiten der Regierung in Rom, ebenso wie die schwachen Proben seiner Kriegführung, die das faschistische Italien in Nordafrika wie in Griechenland geliefert hatte; diese ließen einerseits jede Hoffnung auf einen „Parallelkrieg" am Horizont verschwinden, andererseits machten sie den südländischen Verbündeten in den Augen der nationalsozialistischen Führungsgruppen interessanter: und zwar mehr als produktive Reserve denn als militärische Rückenstärkung. Die Gespräche über die erste Gruppe (die 54.000 Arbeiter) fanden in Rom in der letzten Januarwoche statt und wurden mit einem Abkommen abgeschlossen, welches am 1. Februar 1941 unterzeichnet wurde und das sich ausdrücklich auf die laufenden Vereinbarungen bezog. Zumindest italienischerseits sah man diese Formulierung nur als technischen Zusatz an; denn an den diesbezüglichen Verhandlungen waren nur die Vertreter der Industriearbeiterkonföderation beteiligt. Auch die deutsche Delegation, die wohl etwas hochkarätiger war (vier Beamte des RArbM und drei Vertreter der DAF), umfaßte keinen Repräsentanten des Auswärtigen Amtes. 121 Angesichts der „wachsenden Nachfrage (...) für den Einsatz von Arbeitskräften in Deutschland" übermittelte das Außenministerium dem Auswärtigen Amt über die Botschaft Berlin bereits am 9. Januar den Vorschlag,
118 B A Koblenz, R 2 5 , Reichsamt für Wirtschaftsausbau, Band 102, Bericht vom 1. 7. 1940 über den Fortschritt der Arbeiten in der Zeit vom 16. 3. 1940 bis 30. 6. 1940, S. 10. 119 Ebenda, Bericht v o m 1. 7. bis 15. 9. 1940, S . l l . 120 G e o r g T h o m a s , Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft Birkenfeld, Boppard 1966, S. 2 8 0 . 121 Dazzi, Accordi, S. 1 7 4 - 1 8 1 sowie S. 2 5 7 - 2 6 5 .
(1918-1943/45),
hrsg. v. Wolfgang
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Zwischen Strukturwandel aufdem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
„zur Unterzeichnung (...) einer regulären Konvention zu gelangen, die die allgemeinen Bedingungen des Einsatzes und der Arbeitsleistung der italienischen Arbeitskräfte in Deutschland verbindlich festlege". Man müsse sich klar darüber sein, hieß es in der diplomatischen Note weiter, daß die neuen „Anforderungen (...) im laufenden Jahr die Zahl der auf dem Gebiet des Deutschen Reichs beschäftigten Arbeiter auf 110.000 bringen, eine Zahl, die auf über 200.000 ansteigt, wenn zu den von den faschistischen Confederazioni geschickten Arbeitern noch die Einzelanwerbungen hinzugefügt werden und die, die von den deutschen Behörden direkt in Frankreich und Belgien engagiert werden." 122 Die deutschen Behörden schwankten, weil sie - wie von der Italienischen Botschaft in Berlin am 3. März mitgeteilt wurde — befürchteten, daß eventuelle neue Verhandlungen die bereits in vollem Gang befindlichen Anwerbungen erschweren würden. 123 Rom nahm es zur Kenntnis. In jedem Fall hatten die Verhandlungen, die nach der zweiten deutschen Anforderung (diesmal von 200.000 Arbeitern) am 5. Februar eingeleitet wurden, bereits eindeutig den Charakter von bilateralen Regierungsverhandlungen: bei der italienischen Delegation waren neben den Spitzen der Industriearbeiterkonföderation Vertreter des Außenministeriums, des Staatssekretariats fiir die Kriegsproduktion (Fabbriguerra) und des Kolonisations- und Migrationskommissariats anwesend. Auf der anderen Seite des Verhandlungstisches saß außer den Delegierten des RArbM und der DAF auch ein Beamter der deutschen Botschaft Rom. 124 Die italienische Seite stimmte nahezu vollständig den Forderungen des mächtigeren Verbündeten zu. Was man seinerseits herausschlagen konnte, war die Aufhebung des Uberweisungslimits bei den Arbeiterlohnersparnissen, das im Jahr 1940 auf 88 RM monatlich heraufgesetzt worden war. Nunmehr kam man überein, daß die nach Deutschland migrierten Arbeitern, ihren Familien ihre gesamten Ersparnisse zum günstigsten Kurs und ohne Beschränkung überweisen konnten. 125 Dies bedeutete unzweifelhaft ein Privileg, das die Italiener als einzige genossen. Offensichtlich war der Vorteil nicht nur für den einzelnen Arbeiter und dessen Familie beträchtlich, sondern auch für die Zahlungsbilanz des italienischen Staates.
122 ASMAE, AP Germania, Band 73, Note des Außenministers Ciano an die Botschaft in Berlin vom 9. 1. 1941. 123 Ebenda; Mitteilung der Botschaft Berlin an das MAE, gezeichnet Cosmelli. Zwei Tage vorher, am 1. 3., hatte der Chef der RAAA, Syrup, gegenüber dem AA seine generelle Zustimmung zu einem allgemeinen Abkommen erklärt, sprach sich gegen eine sofortige Eröffnung von zwischenstaatlichen Verhandlungen aus, weil diese sich Uberschneiden würden mit den gerade unterzeichneten Verträgen. Die Sache könnte später wiederaufgenommen werden, Schloß Syrup. (PA/AA, AR, R V, Italien, Nr. 9a, Faszikel 1, Prot. RArbM 5760/14, Prot. AA R 53186/1941). 124 Das Abkommen wurde am 10. 2. unterzeichnet; vgl. Dazzi, Accordi, S. 182-184 sowie S. 265-267. 125 ACS, Bestand Segreteria Particolare del Duce (Zentralbüro Mussolinis), Carteggio ordinario (im folgenden: Duce-ordinario), Band 1947, Faszikel 509.790/3, Bericht des Sekretärs der CFLI, Pietro Capoferri, vom 14. 3. 1941. Die Tabelle mit der Regelung der Geldüberweisungen von Seiten der Arbeiter aus verbündeten oder besetzten Ländern (Stand: März 1941) findet sich in: Monatshefte fiir NS-Sozialpolitik, Jg. 8/1941, Heft 5/6, S. 61-62.
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W o wurden die italienischen Bauarbeiter eingesetzt? Die Zahl der Bauarbeiter, die Gegenstand von besonderen Verhandlungen war, war ziemlich niedrig, wenn man sie den Zahlen gegenüberstellt, die ich vorhin aufgeführt habe. Jedoch muß man sowohl diejenigen in Erinnerung behalten, die auf eigene Faust im Ausland Arbeit suchten, wie diejenigen, die in Frankreich angeworben wurden (die von der Ciano-Note erwähnt werden), sowie die 100.000 Arbeiter ohne genaue Berufsangabe, die im zweiten Abkommen vom 10. Februar erwähnt werden. Unter den einen wie den anderen war sicher auch ein gewisser Anteil von Bauarbeitern. Eine starke Gruppe wurde von den Stahlwerken HGW in Salzgitter übernommen: am 21. März 1941 wurde die Ankunft von 4.000 Italienern angekündigt, weitere 1.500 waren für Mitte Mai in Aussicht gestellt. 126 Mehr oder weniger große Kontingente wurden nahezu aus allen Gegenden angefordert, ζ. B. aus Hamburg, wo sich vorher noch keine italienischen Arbeiter befunden hatten. Die ersten Italiener, die dort Anfang April eintrafen, waren gerade die Bauarbeiter, weitere (mehrere Hundert, heißt es) trafen im Mai ein. 127 In der Hansestadt Bremen waren bereits am 15. Februar 1001 Bauarbeiter mit Saisonverträgen angekommen, andere mußten ihnen gefolgt sein, denn zum 20. Oktober 1941 waren es insgesamt 1.500, die in drei, eigens für sie erstellten Lagern in Sebaldbrück, Buntentor und Ritterhude untergebracht waren. 128 Unter den Akten des „Senators für das Bauwesen" befinden sich diverse Personallisten, die von der Ufficio Sindacale der jeweiligen Herkunftsprovinz erstellt wurden. Die für eine statistische Erhebung recht kleine Zahl von 1.210 Bauarbeitern scheint mir jedoch von Interesse für die Herkunft der Arbeiter zu sein: 129
Tabelle 17 Herkunftsprovinzen des in Bremen stationierten
Bauarbeiterkontingents
Provinz
Zahl
Prozentual
Zahl
Prozentual
Udine
404
33,4
Belluno
52
4,3
Vicenza
182
15,0
Venedig
30
2,5
Treviso
128
10,6
Arezzo
25
2,1
Lecce
125
10,3
Verona
20
1,7
Rom
94
7,8
Cremona
10
0,8
Trient
68
5,6
Savona
5
0,4
Catania
67
5,5
Gesamt
1.210
100
Quelle: StA Bremen, Senator fur Bauwesen, Band 1267.
126 Salzgitter Arbeitsgemeinschaft, Konzern-Archiv, Alt 12/42/1, Brief der Leitung der Hütte Salzgitter vom 21. 3. 1941; Ebenda, Alt 12/312/5, Brief vom 15. 5. 1941 der Gefolgschaftsfiihrung der Hütte an das Arbeitsamt. 127 BA/MA, RW 2 0 - 1 0 , Rüstungsinspektion (Rü-In), Hamburg, Band 27, Berichte vom 12. 4. 1941 (B1.136) und vom 15. 5. 1941 (Bl. 157-158). 128 Staatsarchiv Bremen, 4.29, Senator für Bauwesen, Band 1267, Berichte vom 15. 2. und 20. 10. 1941. 129 Ebenda, Band 1266.
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Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Mit aller in diesem Fall gebotenen Vorsicht läßt sich feststellen, daß wiederum die Arbeiter aus den Provinzen Venetiens, die wir bereits früher angetroffen haben und die wirklich eine Separatstudie verdienen würden, überwogen. Neben diesen gab es jedoch auch solche Bauarbeiter, die aus Süditalien kamen und darunter besonders eine charakteristische Präsenz von Römern, die aus einer Region kamen, wo eine beträchtliche Ansammlung von Arbeitern aus der Bauwirtschaft zu finden war. Nur Lokalstudien, über die wir heute noch nicht verfügen, können ein Licht auf die Binnendynamik werfen, die diese Migrationsbewegungen verursacht hat. Unter den 1.210 nach Bremen gelangten Wanderarbeitern gab es nahezu keine Jugendlichen und nur etwa 20 waren jünger als 30 Jahre. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um Personen, die von der Wehrpflicht befreit waren; das Durchschnittsalter betrug etwa 40 Jahre, aber nicht wenige waren zwischen 1885 und 1900 geboren. Zwei Arbeiter, der Zementfacharbeiter Pietro Berezzuti aus Udine und der Schreiner Ermengildo Rossi aus Vicenza waren gar vom Jahrgang 1884. Ein weiteres Tausend Bauarbeiter wurde für Mitte April 1941 in Steyr (Oberösterreich) erwartet. 130 Auch der Generalinspektor für das Straßenwesen konnte dieses Mal jene Zahl an italienischen Arbeitern erhalten, die ihm früher verwehrt worden war: Ende November waren 1.208 Bauarbeiter mit Straßenbauarbeiten beschäftigt, 333 in Villach, 565 in München und 180 in Linz. 131 Der in der Bauwirtschaft bei weitem vorherrschende Anteil der italienischen Arbeiter fand weiterhin seinen Einsatz in den vom Wehrwirtschaftlichen Neuen Erzeugungsplan vorgesehenen Großanlagen: von 49.424 ausländischen Bauarbeitern, die zwischen dem 16. April und dem 31. Juli 1941 zur Befriedigung des drängenden Arbeitskräftebedarfs angeworben worden waren, kamen 40.430 (mithin 81,8 Prozent) aus Italien, während für weitere 4.900 bereits der Vertrag unterzeichnet war (bei einer Gesamtzahl von 17.885 Ausländern, die in den folgenden Monaten erwartet wurden). Wichtiger noch: auch die Rolle, die die Italiener spielten, war von entscheidender Bedeutung. In demselben Bericht vom 31. Juli heißt es dazu: „Seit April begann sich die Ankunft italienischer Arbeitskräfte auszuwirken. Der Bedarf fur die vordringlichsten Bauvorhaben an Bau-, Bauhilfs- sowie Metallarbeitern konnte an den Schwerpunkten der Treibstoff- und Buna-Programme fast voll gedeckt werden." Außerdem, heißt es weiter, „bestehen in Italien noch Möglichkeiten [von Anwerbung], die ausgenützt werden können, sobald die zwischenstaatlichen Verhandlungen über ein weiteres Gesamtkontingent abgeschlossen sind." 132 Nach diesen großen Zuflüssen verlangsamte sich im folgenden Trimester der Strom aus Italien, bis er nahezu völlig versiegte: nur 652 Arbeiter kamen an (auf eine Gesamtzahl von 15.101 Ausländern; ein äußerst geringer Anteil, wie die Behörden nicht anstehen hervorzuheben), aber die Ankunft von 2.984 weiteren stand bevor. Es gab auch Arbeiter, vor allem Italiener, die nach Hause zurückkehrten, weil ihr Vertrag abgelaufen war, der in der Regel sechs Monate dauerte. Die Sache brachte offensichtlich Probleme für die Verantwortlichen des KarinhallPlanes mit sich, die Druck ausübten, um die Arbeiter zum Bleiben zu bewegen, vor allem da man feststellen mußte, daß „eine allgemeine Verlängerung durch zwischenstaatliche Vereinbarungen nicht zu erreichen" 130 BA/MA, R W 2 0 - 1 7 , Rü-In Wien, Band 14, Bericht vom 12. 4. 1941. 131 BA Potsdam, 46.03, RMRuK, Nr. 31, Bericht vom 30. 11. 1941. 132 BA Koblenz, R 25, Reichsamt für Wirtschaftsausbau, Band 103, Bericht vom 16. 4. 1941 bis 3 1 . 7. 1 9 4 1 , S.17 und 19.
Italienische Bauarbeiter im „Dritten Reich "
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war, während man andererseits ein gewisses Vertrauen in die Möglichkeit einer weiteren massiven Anwerbungskampagne in Italien nährte: „Die dort noch liegenden Aufträge werden möglicherweise im Rahmen einer in Aussicht stehenden Gesamtaktion von rd. 30.000 Kräften erledigt." 133 In der Zwischenzeit forderten einzelne Firmen die italienischen Behörden auf, weitere Bauarbeiter zur Abreise zu bringen; dies war der Fall bei der Sudetenland-Treibstoff-Werke-AG in Brüx, die im Herbst des Jahres darauf insistierte, 2.000 Arbeiter zu erhalten, die seit Monaten erwartet würden. 1 3 4 Auch hier läßt sich die Praxis feststellen, die italienischen Arbeitskräfte gezielt in Bereichen mit besonderer Bedeutung für die Fortsetzung der deutschen Kriegsanstrengungen zu verwenden. Dabei dürften mit großer Wahrscheinlichkeit sowohl politische (Annahme, man könne den Italienern diese Arbeiten anvertrauen, da sie Verbündete waren) wie technische Überlegungen ausschlaggebend gewesen sein (die Konstruktion der im Karinhall-Plan vorgesehenen Anlagen erforderte ein zumindest bescheidenes professionelles Können seitens der Arbeiter). Beide Motive tragen dazu bei zu erklären, warum nahezu die Gesamtheit der Ausländer, die dort beschäftigt waren, aus mit dem „Dritten Reich" verbündeten Ländern oder zumindest, wenn auch in geringerem Maße, aus den besetzten Staaten Westeuropas kam. Was Italien angeht, so muß man sich ferner im klaren sein, daß noch vor Kriegsbeginn die Gruppe, die an der Spitze des Karinhall-Plans stand, eine Art Arbeitsteilung im Sinn hatte, die höchstwahrscheinlich auch die Neuverteilung der Arbeitskräfte umfassen sollte. So erklärte Carl Krauch selbst in seinem Arbeitsbericht vom 28. April 1939 vor dem Generalrat des Vierjahresplanes: „Die Verteilung der Interessensphären zwischen Deutschland und Italien hätte unter dem Gesichtspunkt des höchsten militärischen und politischen Nutzeffektes fiir die Koalition, aber auch unter Berücksichtigung des Mangels und der Überteuerung der Arbeitskräfte in Deutschland zu erfolgen." 135 Der Fortgang der Kriegsercignisse und die massiven Bombardierungen, denen einige deutsche Städte zu unterliegen begannen, machten auch den Einsatz von ausländischen Bauarbeitern notwendig, sowohl fiir die Räumungsarbeiten wie für den schnellen Bau von Bunkern. Mit einem Rundschreiben vom 27. September hatte das Reichsarbeitsministerium die Landesarbeitsämter aufgefordert, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen und dabei auch die Möglichkeit einzubeziehen, direkt mit ausländischen Firmen, die über eigene Arbeitskräfte verfugten, Abkommen zu treffen, um Zeit zu sparen. Es handelte sich um ein Verfahren, das auch auf Italien angewendet werden sollte, wie wir gleich sehen werden. Jedenfalls wurden in Kassel unverzüglich italienische Bauarbeiter eingestellt, indem man sie von nicht direkt mit der Rüstungsproduktion verbundenen Aktivitäten abzog. 136
133 Ebenda, Faszikel 104, Bericht vom 1. 8. 1941 bis 15. 11. 1941, S. 22. 134 BA Koblenz, R 41, RArbM, Band 216, Brief vom 8. 11. 1941 des RArbM an die Arbeitseinsatzstelle Rom. 135 Vgl. Dietrich Eichholz, Wolfgang Schumann (Hrsg.), Anatomie des Krieges. Neue Dokumente über die
Rolle des deutschen Monopolkapitals und Durchführung des zweiten Weltkrieges, Berlin (Ost) 1969, S. 212. 136 BA Koblenz, R 41, RArbM, Band 198, Brief des RArbM an die LAA vom 27. 9. 1941, Prot. V a 5230/ 710, sowie die Mitteilung des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Hessen vom 6. 11. 1941, Prot. II A 5/ 5230.
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Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Bauaufträge für italienische Firmen I m Jahr darauf, 1 9 4 2 , wurden weitere italienische Bauarbeiter in den großen Werken des Wehrwirtschaftlichen Neuen Erzeugungsplanes erwartet, die unter den negativen Folgen des Arbeitskräftemangels litten. Besonders betroffen waren die Baustellen in Oberschlesien (in Heydebreck und Auschwitz bei den I G Farben sowie in Blechhammer, Eigentum der H G W ) . D i e Vierjahresplanbehörde erwartete Arbeitskräfte aus Italien sowohl in der üblichen Form, nämlich mittels zwischenstaatlicher Verhandlungen, die zu Jahresbeginn eingeleitet wurden und die im April ihren Schlußpunkt erreichten, so daß „mit einem stärkeren Zugang gerechnet werden" k o n n t e , 1 3 7 wie auch über die direkte Vergabe von Bauaufträgen an italienische Baufirmen, nach einem Modell, das bereits in den besetzten westeuropäischen Ländern (Holland, Belgien, Dänemark, Frankreich) angewandt worden war: „Ende Februar sind zwischen deutschen und italienischen Firmen Verträge zur Vermittlung von insgesamt 8 . 6 6 5 Arbeitern für die wichtigsten Mineralölbauvorhaben unterzeichnet worden. D i e ersten Transporte sind zur Zeit nach Deutschland unterwegs." 1 3 8 Dies ist eine Angelegenheit, die eine besondere Behandlung verdient; erstens weil italienische F i r m e n direkt einbezogen sind und zweitens weil eine der betroffenen Baustellen jenes I G Farben-Werk in M o n o w i t z (Auschwitz III) war, das nach dem 8. September 1 9 4 3 dann dazu bestimmt war, auch deportierte italienische Juden, darunter Primo Levi, aufzunehmen, der seine eigene Geschichte als Deportierter und Zwangsarbeiter in dem autobiographischen Band Se questo l· un uomo geschildert hat. Die diesbezüglichen Verhandlungen begannen im Januar 1 9 4 2 . Für die deutschen Behörden genoß die Frage absolute Priorität, so daß sie den gleichzeitigen Verhandlungen über die italienischen Bergarbeiter, die im Ruhrgebiet untergebracht werden sollten, wenn auch zähneknirschend vorgezogen wurde. Die Z u s t i m m u n g aus R o m traf am 2 3 . Januar ein, begleitet von der Aufforderung, unverzüglich für die nötigen Kontakte zwischen den deutschen und italienischen Firmen zu sorgen, deren Vertreter den Vertrag zu vervollständigen h a t t e n . 1 3 9 D i e Gespräche begannen kurz darauf und wurden am 14. März in Mailand m i t der Unterzeichnung eines Kollektiwertrags abgeschlossen, in dem sich a u f italienischer Seite ein Konsortium von 4 0 Firmen dazu verpflichtete, insgesamt 8 . 6 3 5 Bauarbeiter zu stellen sowie 21 K ö che und Dolmetscher. D i e Mehrheit sollte aus Spezial- und Facharbeitern bestehen, der Anteil der „ungelernten Hilfsarbeiter" betrug hingegen nur 3 0 , 2 Prozent ( 2 . 6 0 5 Personen). D i e Arbeitskräfte sollten folgendermaßen aufgeteilt werden: 3 . 8 3 0 ( 4 4 , 4 Prozent) nach Heydebreck, 3 . 6 0 9 ( 4 1 , 8 Prozent) nach Blechhammer, 1 . 1 9 6 ( 1 3 , 8 Prozent) nach Auschwitz. U m zu verdeutlichen, welche Bedeutung dieser Vertrag für die italienischen Firmen hatte, sei darauf verwiesen, daß als C h e f des Konsortiums, das den Namen „Gruppo italiano" trug, der Präsident der F N F C E , der Ingenieur Aurelio Aureli, eingesetzt wurde, dessen Unterschrift der Vertrag trägt. 1 4 0
137 BA Koblenz, R 25, Reichsamt für Wirtschaftsausbau, Band 105, Bericht vom 1. 4. 1941, S. 3 (Bl. 20) 138 Ebenda, S. 13 (Bl. 30). 139 PAMA, Handakten Clodius (Clodius), Deutsch-italienische Verhandlungen in Rom (Drahtberichte), Januar-März 1942, Fernschreiben vom 21. sowie vom 23. 1. 1942. 140 Vgl. Dazzi, Accordi, S. 310-325 (italienische Version) sowie S. 332-346 (deutsche Version); das Abkommen wurde ferner als separates Heft von der FNFCE gedruckt unter dem Titel Contratto per l'esecuzione di lavori di costruzione in partecipazione con imprese germaniche, nei cantieri di Heydebreck, Blechhammer e
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Bauarbeiter
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Reich "
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Es sei a n g e m e r k t , d a ß es sich n i c h t u m die ersten Italiener h a n d e l t e , die in d e n oberschlesis c h e n H y d r i e r w e r k e n eingesetzt w u r d e n , d e n e n die D i e n s t s t e l l e des G B - C h e m e i n e b e s o n d e r e B e d e u t u n g z u k o m m e n ließ, die aber n u r teilweise fertiggestellt w u r d e n , w i e i m Fall v o n H e y debreck, w ä h r e n d sie i m Fall B l e c h h a m m e r e b e n s o u n v o l l e n d e t b l i e b e n w i e bei d e n B u n a W e r k e n in A u s c h w i t z . Z w i s c h e n d e m O k t o b e r 1 9 4 0 u n d d e m Februar 1 9 4 1 w u r d e n i n R o m 2 . 7 5 0 Bauarbeiter angefordert, v o n d e n e n bis A n f a n g M a i etwa die H ä l f t e , 1 . 2 1 8 , a n g e k o m m e n w a r e n . E i n e z w e i t e massive A n f o r d e r u n g v o n 4 . 0 2 4 Arbeitern w u r d e i m O k t o b e r 1 9 4 1 v o n d e n i t a l i e n i s c h e n B e h ö r d e n gebilligt. 1 4 1 O b w o h l d i e Arbeiter in d i e s e m Fall direkt ihren L a n d s l e u t e n unterstellt waren, s c h e i n t es, d a ß die L e b e n s b e d i n g u n g e n b e s o n d e r s hart waren, jedenfalls n a c h d e n Fällen v o n A r b e i t s f l u c h t zu s c h l i e ß e n , die v o n d e n lokalen Beauftragten d e s i t a l i e n i s c h e n K o n s o r t i u m s an die P o l i z e i b e h ö r d e n in R o m g e m e l d e t w u r d e n . D i e Sache war so b e d e u t s a m , d a ß sie d e n C h e f der italienischen Staatspolizei (PS), C a r m i n e Senise, a u f d e n Plan riefen, der sich a m 14. N o v e m b e r 1 9 4 2 an d e n Ingenieur Aureli richtete u n d d i e s e m m i t t e i l t e , i h m lägen etliche I n f o r m a t i o n e n vor, n a c h d e n e n v e r s c h i e d e n e italienische F i r m e n , b e s o n d e r s a u f d e n Baustellen in B l e c h h a m m e r , d e n Verträgen n i c h t n a c h k ä m e n u n d ihre e i g e n e n L e u t e sehr s c h l e c h t b e h a n d e l t e n , s o d a ß
Auschwitz, Rom (Tipografia del Gianicolo) 1942. Ich habe Kopien dieses Hefts in der Biblioteca nazionale centrale wie in der Biblioteca universitaria alessandrina - beide in Rom - gefunden. Die Angelegenheit erhielt breiten Raum auch in dem Bulletin der F N F C E IL corriere dei costruttori, so in der Nummer vom 18. 4. 1942, wo die Nachricht des Abkommens verbreitet wird, sowie in der Ausgabe vom 13. 6. 1942, wo die Chronik des Besuchs erscheint, den Aureli auf den Baustellen gemacht hatte, die die italienischen Firmen beherbergten (also auch jene in Auschwitz). - Die von dem Abkommen einbezogenen italienischen Firmen waren: - für Heydebreck: Ing. Mario Colombo, Rom; Ing. Umberto Vesuvio, Rom; Impresa ICES, Rom; Arch. Paolo Fontanive, Rom; Impresa Merendi & Mariani, Mailand; Geom. Pompeo Cionfrini, Mailand; Lamberto De Cadilhac, Rom; Impresa Bertolotti & Malinverni, Rom; Ing. Giovanni Dotti, Rom; Enrico Romgnoli, Mailand; Ing. Antonio Marchioro, Mailand; Ing. Luigi Cidonio, Rom; Ing. Renato Nardini, Rom; Ing. Pacifico Conti, Rom; Ing. Alfredo Getto, Padova. - für Blechhammer: Impresa Bernero &c Traversa, Genua; Giovanni Baj, Genua; Riccardo Parodi, Genua; Ing. Oreste Caldera, Turin; Giovanni Bianco, Turin; Giuseppe Bassotto, Biella; Edoardo Piglione, Turin; Ing. Carlo Rinaldi, Turin; Geom. Luigi Ravera, Alessandria; Societk Comense, Como; Impresa Cossutti & Patetta, Mailand; Cav. Angelo Mantilero, Mignanego (Genua); Ing. Benazzo, Rom; Imprese Riunite, Mailand; Ercole Micangeli, Foggia; Giulio Ceruti, Cremona; Giovanni Epifani & Co., Rom; Edoardo Spinaci, Rom; Impresa Jonghi & Lavarini, Mailand. - für Auschwitz: Ing. Rodolfo Stoelcker, Rom; Ing. Ugo Martini, Rom; Ing. Alfredo Pagani, Rom; Ing. Romualde Palermo, Rom; Giovanni Beotti, Cremona; Impresa Anonima Edile Stradale, Rom. Die in Auschwitz beschäftigten italienischen Bauarbeiter werden auf das bei den Nürnberger Prozessen vorgelegte Dokument NI-11137 vom 30. 6. 1942 angesprochen. Es handelt sich um das Protokoll einer Besprechung in Ludwigshafen, bei der der Fortschritt der Arbeiten auf dem Werksgelände der IG Farben in Monowitz auf der Tagesordnung stand. (Vgl. Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals and Council Law, The Farben Case, Case 6, Band 7, 1953, S. 440). 141 BA Koblenz, R 41, RArbM, Band 216, Bl. 52, Gemeinsame Niederschrift über die vom GB-Chem einberufene Besprechung in Heydebreck und Blechhammer am 29. 10. 1941; ebenda, Bl. 81, Arbeitseinsatzstelle des RArbM für Italien, Brief vom 13. 11. 1941, Prot. 11/5760.14/5215.
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auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
„die Mehrzahl der Arbeiter (...) mit allen Mitteln versuche, entweder nach Hause zurückzukehren oder sich von deutschen Firmen in anderen Teilen des Reichs einstellen zu lassen"142 Senise verlangte daher von dem Präsidenten der FNFCE, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Diese Sachlage wird auch von anderen Polizeiquellen bestätigt. Es kann durchaus von Interesse sein, die Motive zu untersuchen, die zu der Flucht der Arbeiter von den Bauplätzen führten. Etliche Male geben die Arbeiter an, geflohen zu sein, weil die Firma sie zu anderen Verwendungszwecken einsetzen wollte, als diejenigen, für die sie eingestellt worden waren. Andere brachten die schlechten Arbeitsbedingungen und die Unterbringung als Gründe vor, das schlechte und zu geringe Essen usw. Bemerkenswert ist, daß nur ein Teil der Arbeiter versuchte, nach Italien zurückzukehren, während etliche im Reich blieben und sich von anderen Firmen anwerben ließen. Einer wurde ζ. B. auf dem Bauplatz der Η GW in Watenstedt wiedergefunden. Mir scheint es daher legitim zu sein, von der Existenz eines „grauen Arbeitsmarktes" zu sprechen, wo sich die Arbeiterinteressen, den Arbeitsplatz zu wechseln, mit dem Interesse der Firmen überschnitten, in unabhängigerer Weise als staatlicherseits vorgesehen ihre Einstellungspolitik zu handhaben. Während die Dienststelle des GB-Chem ihre Politik der Anwerbungen in Italien weiterverfolgte, trug der GBA Sauckel neue und detaillierte Anforderungen vor. Diesmal ging es um 20.000 Bauarbeiter, die in den von den ständig stärker werdenden Bombenangriffen betroffenen Städten eingesetzt werden sollen. Die Anfrage datiert vom Juli 1942, das Abkommen wird im Monat darauf unterzeichnet, im Lauf der deutsch-italienischen Verhandlungen in Brioni (Istrien). 143 Die Angelegenheit weist gewisse Besonderheiten auf: die 20.000 Bauarbeiter werden in Wirklichkeit vom GBA angefordert, um ebensoviele Bergleute zu ersetzen, die Italien sich zu schicken verpflichtet hatte, damit sie im Ruhrgebiet eingesetzt würden (wir analysieren diesen Problemkomplex später in detaillierter Form). Aber die römischen Behörden waren nicht in der Lage gewesen, die Zahl aufzubringen. Es scheint daher, daß man italienischerseits den Bodensatz des Arbeitsmarktes abkratzte und deutscherseits ein rein quantitatives Denken vorherrschte, das darauf gerichtet war, ein Maximum an Arbeitern hereinzuholen. Obwohl Rom zum guten Teil akzeptiert hatte, die Arbeiter zu ersetzen, schienen die Anstrengungen, die Bauarbeiter für die Abreise ins Reich zusammenzubringen, das gleiche Ende zu nehmen wie bei den Bergleuten. Ende September waren lediglich 2.000 Bauarbeiter im Reich angekommen 144 und offiziell waren bis Anfang Januar 1943 nur 3.639 aus Italien abgereist. 145 Die Behörden in Berlin insistierten jedoch darauf und versuchten auch in diesem Fall,
142 ACS, MI, DGPS, Polizia Politica (PolPol), Mappe 223, Brief von Carmine Senise, Chef der Staatspolizei (PS), an den Präsidenten der FNFCE; vgl. ebenda, Bestand PS 1942, Band 3B und 3C, wo die Personalakten der Arbeiter aufbewahrt werden, die der PS wegen Verlassens des Arbeitsplatzes, wegen Streiks, aus disziplinarischen Gründen oder wegen wirklicher Verbrechen gemeldet wurden. Manchmal findet sich nur die Anzeige, andere Male auch Protokolle von Befragungen und Nachrichten sonstiger Art. 143 Vgl. Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945 (im folgenden: ADAP), Serie E: 1941-1945, Band III (16. 6. bis 30. 9. 1942), Göttingen 1974, Dok. Nr. 101 vom 17. 7. 1942, S. 178-180 sowie Dok. Nr. 200 vom 17. 8. 1942, S. 338-340. 144 BA Koblenz, R41, RArbM, Band 320, Bericht des GBA über die Durchführung seines Auftrages und die beabsichtigten weiteren Maßnahmen nach dem Stande von Ende September 1942, S. 9 (Bl. 103). 145 Archivio Privato di Giuseppe Landi (AP Landi), Mappe 16, CFLI, regelmäßige statistische Daten III, Deutschland, Tabelle vom 25- 1. 1943; trägt den Stempel Confederazione Fascista Lavoratori Industria,
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auf dem Weg weiterzugehen, den man bereits in Oberschlesien mit der Auftragsvergabe an private italienische Firmen erfolgreich beschritten hatte. Während des ganzen Novembers 1942 wurde in Berlin in den Räumen der Dienststelle des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA) zwischen einer deutschen Delegation, die von Vertretern des GBA, des GB-Bau, des Reichswirtschaftsministeriums, des Reichskommissars für die Preisbildung, der Wirtschaftsgruppe Bauindustrie sowie der DAF gebildet wurde, und einer italienischen Vertretung verhandelt, die den Berliner Delegierten des Kolonisations- und Migrationskommissariats, Reichswirtschaftsministeriums, Leiter der FNFCE und Beamte des USI umfaßte. Am 4. Dezember wurde schließlich zwischen dem Ministerialrat Joachim Stoffens (Vertreter des GB-Bau) und dem Ingenieur Aurelio Aureli eine besondere Konvention unterzeichnet (nahezu identisch mit der vom 14. März, die den Einsatz von Firmen in der chemischen Industrie betraf), die die Verwendung von 12.000 von italienischen Firmen eingestellten Bauarbeitern vorsah, die der „Ausführung von Wiederaufbauarbeiten in den besonders von feindlichen Bombenangriffen zerstörten Gebieten des Reiches" zugeordnet werden sollten. Das Abkommen figurierte als Rahmenvereinbarung. Ihm sollten Einzelverträge zwischen den betroffenen deutschen Gemeinden und den — eigens zu diesem Zweck gegründeten — Konsortien italienischer Firmen folgen; alles mit der Unterstützung und unter Kontrolle des GB-Bau und der FNFCE. Die räumliche Verteilung der Arbeiter war jedoch bereits näher spezifiziert worden:
Tabelle 18 Geplante Aufteilung der 12.000 zur Reparatur von Bombenschäden angeworbenen Landesarbeitsämter
Niedersachsen nach Bremen nach Wilhelmshaven nach Emden
Nordmark nach Hamburg nach Rostock nach Lübeck
Westfalen nach Bochum nach Gelsenkirchen
Rheinland nach nach nach nach nach Dinzione
Köln Düsseldorf Duisburg-Moers Essen Oberhausen
Zahl der Bauarbeiter
Prozent
3.000
25,0
2.000 600 400
16,7 5,0 3,3
2.400
20,0
1.000 800 600
8,3 6,7 5,0
1.000
8,3
600 400
5,0 3,3
4.000
33,3
1.000 1.000 1.200 500 300
8,3 8,3 10,0 4,2 2,5
Bauarbeiter
dei servizi generali, Servizio lavoratori italiani in Germania, Lavoratori trasferiti in Germania in
base ai protocolli 2 marzo 1942 XX. Ich danke Dr. Giuseppe Parlato von der Universität Rom, der die Freundlichkeit besessen hat, mir die Einsichtnahme in diesen Bestand zu gewähren, der zwar ein kleiner, aber dafür wertvoller erhalten gebliebener Teil des CFLI-Archivs darstellt, das offiziell verlorengegangen ist.
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Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Tabelle 18 — Fortsetzung Landesarbeitsämter
Bayern nach München nach Nürnberg
Insgesamt
Zahl der Bauarbeiter
Prozent
1.600
13,4
800 800
6,7 6,7
12.000
100
Quelle: ACS, Segreteria Duce 1943^45, Mikrofilm Nr. 320.
In dem Vertragstext war ebenfalls die Zusammensetzung der Arbeiter nach Berufen festgelegt worden: 15 Prozent Schreiner, 25 Prozent Maurer, 13 Prozent Dachdecker; kleinere Quoten galten für Elektriker und Klempner (8 Prozent bzw. 4 Prozent). Die restlichen 35 Prozent konnten aus Hilfsarbeitern bestehen. 146 Beim gegenwärtigen Stand meiner Forschungen kann ich nicht genau sagen, ob das Abkommen wirklich in die Praxis umgesetzt wurde. Denn wenige Wochen nach seinem Abschluß teilte die italienische Regierung dem Verbündeten ihre Entscheidung mit (wie ich bereits im Kapitel über die Landarbeiter angedeutet habe), die in Deutschland arbeitenden Landsleute zu repatriieren. Trotz dieser Rückführungsentscheidung und obwohl er sich gegen die wiederholten Forderungen nach neuen Arbeitskräftelieferungen für das Reich stemmte, die der Botschafter Clodius während der Monate Januar und Februar 1943 nicht müde wurde vorzubringen, 1 4 7 stimmte der italienische Unterhändler Giannini zu, eine wichtige Ausnahme zu machen. Diese betraf wiederum die Gruppe der Bauarbeiter — und zwar diejenigen, die für die Hydrierwerke in Oberschlesien und im Sudetengebiet bestimmt waren (es handelte sich um die Hydrierwerke in Brüx, wo sich bereits mehrere Hundert italienischer Arbeiter befanden). Clodius verlangte 8.000 Mann, sein Gegenspieler genehmigte die Abreise von 5.000. Es ist nicht nur interessant, die von den Deutschen vorgebrachten Motive zu untersuchen, sondern auch die Überlegungen, die die Italiener dazu brachten, von ihren eigenen Forderungen abzusehen. Nachdem Clodius daran erinnert hatte, daß der Verlust der sowjetischen Ölfelder es umso nötiger mache, die Produktion von synthetischem Benzin zu vergrößern, ließ er folgendes verlauten: „Die äußerst delikate Natur der Bauarbeiten schließt jede Möglichkeit aus, andere als deutsche oder italienische Arbeitskräfte einzusetzen, da es auf keinen Fall empfehlenswert ist, daß Arbeiter egal welcher anderen Nationalität Kenntnisse von der Struktur der Bauwerke und der Fabrikanlagen erhalten." 148 Es ist gut möglich, daß der Botschafter die Dringlichkeit der Frage forcierte, da aus den Vierteljahresberichten des Karinhall-Plans hervorgeht, daß zu diesem Zeitpunkt auf den Baustellen und in den Fabriken, die dieser Organisation unterstanden, Arbeitskräfte aus allen Ländern 146 ACS, Segreteria Duce 43—45, Film-Nr. 320. Die gesamte Filmrolle enthält Dokumente, die vom Außenministerium stammen und die einen Zeitraum von Dezember 1942 bis zu den ersten Septembertagen 1943 abdecken. 147 Ebenda, Aufzeichnung vom 2. 2. 1943 für den Außenminister sowie Aufzeichnung vom 12. 2. 1943 für den Staatssekretär Amedeo Giannini. 148 Ebenda, Aufzeichnung vom 2. 2. 1943.
Italienische Bauarbeiter im „Dritten Reich "
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Europas (den besetzten und abhängigen wie den verbündeten) verwandt wurden. Jedenfalls bleibt die Frage unbeantwortet, ob Clodius sich eines bloßen rhetorischen Tricks bedient hatte oder ob die Leitung des Karinhall-Plans wirklich dem Faktor Nationalität bei der Zuteilung besonderer Aufgaben und Arbeitsplätze Rechnung trug. Allein Forschungen für ein begrenztes räumliches Gebiet könnten hier Licht in das Dunkel bringen. Es sind jedenfalls sehr verschiedene Motive, die Amedeo Giannini zur Zustimmung bewegten: „... die Produktion von Benzin ist von solch schwerwiegender Bedeutung für unsere militärischen Bedürfnisse, daß man schwerlich die deutsche Forderung zurückweisen kann; denn wir sind von Deutschland abhängig bei den Öllieferungen und es genügt die geringste Obstruktion von Seiten der für das Ol zuständigen Dienststelle, um unseren bereits knappen Nachschub vollständig zu lähmen." 149 Obwohl es sich nicht um eine so große Zahl von Arbeitern handelte, so scheint man doch dem Abkommen auch von Seiten der Dienststelle des GB-Chemie eine gewisse Bedeutung beigemessen zu haben, da diese Organisation sich am 8. März 1943 beeilte, Ribbentrop zu danken und ihn für die bei der Durchführung des Geschäfts bewiesenen Fähigkeiten seines Unterhändlers zu beglückwünschen. 150 In diesem Fall haben wir die Bestätigung, daß ein Großteil der 5.000 Bauarbeiter wirklich vor dem Kriegsaustritt Italiens am 8. September 1943 auf dem Boden des Reichs eintraf. Italienische wie deutsche Quellen fixieren übereinstimmend die Zahl derjenigen, die auf der Basis des Februarabkommens transferiert wurden, auf 3.500. 151 Ferner geht aus den Berichten des Reichsamts für Wirtschaftsausbau hervor, daß in den hier behandelten Monaten auch die Praxis der Auftragsvergabe an italienische Firmen fortgeführt wurde: in dem halben Jahr zwischen Oktober 1942 und März 1943 sollen neue Verträge abgeschlossen worden sein, die in den Schlüsselsektoren Benzin und synthetische Gummifabrikation den Einsatz von 20 neuen Firmen mit einer Gesamtzahl von 6.500 Facharbeitern vorsahen. Im Zeitraum April bis September 1943 ist von der Ankunft von weiteren 4.000 Arbeitern die Rede, die bei 12 italienischen Firmen beschäftigt waren, und es wird hinzugefügt, daß die veränderte politische Situation in Italien einen stärkeren Gebrauch dieser Anwerbemodalität ermöglichen sollte. 152 Unter den italienischen Dokumenten findet sich für diese Abmachungen keinerlei Hinweis; vielleicht wurden die Verträge direkt zwischen den Firmen abgeschlossen - oder zwischen der FNFCE und den Vertretern des GB-Chem nach dem Muster desjenigen vom 14. März 1942. 149 Ebenda. 150 PA/AA, Büro Staatssekretär (Staatssekretär), Akten betreffend Italien (Italien), Band 12, Brief vom 8. 3. 1943 des GB-Chem (Zeichen I Τ Ki/Ll Tgb. Nr. 34 614/43). 151 ACS, Segreteria Duce 43-45, Film Nr. 320, Aufzeichnung vom 29. 8. 1943 ftir den Außenminister. Dort wird über den Verlauf der im Gang befindlichen deutsch-italienischen Gespräche in Assisi berichtet, die letzten vor der Krise. In dem Dokument wird bestätigt, daß von den vorgesehenen 5.000 Bauarbeitern nur 3.500 angeworben und nach Deutschland geschickt werden könnten. Der Bericht des Bestands Reichsamt für Wirtschaftsausbau vom 15. 11. 1943 (der sich auf den Zeitraum 1. 4.-30. 9. 1943 bezieht) nennt die Zahl von 3.478 Italienern, die in diesem Zeitraum eingetroffen waren. Hier sind nicht die Italienischen Militärinternierten (IMI) eingeschlossen, die separat gezählt wurden und von denen bereits 1.337 als Zwangsarbeiter auf den von dieser Dienststellen abhängigen Baustellen eingesetzt waren - und dies nur 3 Wochen nach dem 8. September! Vgl. BA Koblenz, R 25, Reichsamt fur Wirtschaftsausbau, Band 108, Bericht vom 15. 11. 1943, S. 2 - 3 . 152 Ebenda, Band 107, Bl. 34-35: Bericht vom 30. 4. 1943 (den Zeitraum 1. 10. 1942 bis 31. 3. 1943 betreffend), S. 15-16; Band 108, Bericht vom 15. 11. 1943, S. 14-15.
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Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Wie wir bereits zu Anfang gesehen haben, waren noch Ende November 1943 mehr als 36.000 Bauarbeiter in Deutschland. Wahrscheinlich befand sich die Mehrzahl von diesen seit etlichen Monaten dort; einige Tausend hatten jedoch das Unglück, wenige Monate vor dem Bruch der „Achse" dort einzutreffen.
4. Kohle im Tausch gegen Arbeitskräfte: Die italienischen Bergarbeiter im „Dritten Reich" Die Migration von italienischen Bergleuten ins „Dritte Reich", oder besser gesagt die Migration von italienischen Arbeitern, die in verschiedenen mehr oder weniger mit dem Bergbau verbundenen Sektoren tätig sind und die dann in Deutschland als Bergleute eingesetzt werden, verdient eine separate Behandlung, auch wenn das italienische Kontingent — im Gegensatz zu den Bauarbeitern - numerisch nicht besonders groß war. Wie man aus der folgenden Tabelle ersehen kann, 153 war der Beitrag der italienischen Bergleute lediglich im Jahre 1941 besonders bedeutsam. Im April dieses Jahres wurde auch nach quantitativen Gesichtspunkten die Spitze erreicht, und danach ging ihr Anteil an den ausländischen Bergarbeitern erheblich zurück. Tabelle 19 Italienische Bergarbeiter im Verhältnis zu den im Bergbau beschäftigten Ausländern 1941 bis 1943 italienische Bergarbeiter
ausländische Bergarbeiter
Prozent
Stellung
25.4.41
12.996
66.723
19,5
2
25.9.41
11.792
81.191
14,5
3
Datum
20. 1 . 4 2
7.604
87.230
8,7
4
20. 5. 42
10.376
112.465
9,2
4
10. 7. 42
10.089
108.029
9,3
4
10. 10. 42
9.820
104.696
9,4
4
20. 11. 42
10.179
120.898
8,4
5
15.2. 43
6.970
133.776
5,2
5
30. 11. 43
3.903
178.678
2,2
4
Quelle: Ausarbeitung auf der Basis der Ergebnisse der Erhebung über die ausländischen Arbeiter und Angestellten.
Es wäre jedoch ein Fehler, aus diesen Daten eine Situation relativer Stabilität ableiten zu wollen, als wenn wir vor einer Gruppe stünden, die sich en bloc bewegt hat und die — bis auf begrenzte Wechsel und Rückführungen - zum guten Teil unverändert geblieben ist. In Wirk153 Zur Erarbeitung der Tabelle habe ich - wie im Fall der Bauarbeiter - die Exemplare der Publikation Ergebnisse der Erhebung über die ausländischen Arbeiter und Angestellten benutzt (Vgl. Abschnitt 3, Anm. 1).
Kohle im Tausch gegen Arbeitskräfte
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lichkeit war die Zahl der Arbeitsfluchten, der Zwangsrückführungen und der Auswechselungen unter den Bergleuten, die aus Italien kamen, äußerst hoch. Der fruchtbarste Interpretationsansatz für diese Angelegenheit besteht darin, sie direkt mit den ökonomischen Beziehungen zwischen Deutschland und Italien zu verknüpfen, besonders mit einem der fundamentalen Probleme, die die Entwicklung der Beziehungen innerhalb des „Achsen"bündnisses charakterisieren: der Abhängigkeit Italiens von den deutschen Kohlelieferungen, die immer stärker wurde, um schließlich in ein totales Angewiesensein auf die deutsche Versorgung zu münden. So kam es Ende 1939 dazu, daß „sich erstmals die völlige Abhängigkeit Italiens von einem einzigen Lieferanten ergab". 154
Aus Nordfrankreich ins Ruhrgebiet Der italienische Botschafter in Berlin, Bernardo Attolico, war es, der in einem Bericht vom 7. Mai 1939 erstmals die Möglichkeit ins Auge faßte, italienische Bergleute nach Deutschland zu schicken, um dort dem Arbeitskräftemangel abzuhelfen, der — zusammen mit den enormen Transportschwierigkeiten - die italienische Kohleversorgung zu gefährden drohte. 155 Die fraglichen Arbeiter „könnten aus denjenigen (...) rekrutiert werden, die aus Frankreich zurückkehren". Hier sind bereits zwei grundlegende Aspekte der Problematik der Jahre 1939—1940 aufgeworfen: die Frage der Bergleute ist von Anfang an ebenso verstrickt mit dem Versuch der Regierung in Rom, die Emigranten, die sich in Frankreich, Belgien und Luxemburg niedergelassen hatten, zur Heimkehr in die Heimat zu bewegen, wie mit den Ansprüchen aus Berlin, italienische Migranten im Ruhrgebiet anzusiedeln. Offensichtlich interessierten sich die italienischen Behörden vor allem fiiir die Arbeiter, die in den Kohleregionen Nordfrankreichs, Belgiens und Luxemburgs Beschäftigung gefunden hatten. Man muß ferner bedenken, daß der Austausch von Arbeitskräften — neben dem der Rohstoffe, Halbfabrikate und Fertigprodukte verschiedenster Art — ausdrücklich in dem Geheimen Protokoll (dem sogenannten Ersten Geheimen Protokoll) vorgesehen war, das am 14. Mai 1937 in München unterzeichnet worden war: „Die beiden Regierungen werden prüfen, ob und in welchem Umfange in anormalen Zeiten gegenseitig Arbeitskräfte zu Verfugung gestellt werden können. Hierbei würde es sich einmal um die Überlassung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte und ferner um die Überlassung qualifizierter Arbeiter für Spezialindustrien handeln." 156 Wenn man die unterschiedliche Arbeitsmarktsituation der beiden „Achsen'mächte betrachtet, so war de facto nur eine Interpretation dieser Klausel möglich, nämlich daß Italien dem „Dritten Reich" Arbeitskräfte zur Verfügung stellen würde - und zwar sowohl landwirtschafdiche, wie wir bereits gesehen haben, wie auch Industriearbeiter. In der Frage der ersteren reagiert die italienische Regierung jedoch ziemlich überrascht auf den Vorschlag Attolicos: Zweifel werden zuerst von der für den Transport und die Verteilung zuständigen Abteilung des Ministero delle 154 Fortunato Minniti, Le materie prime nella preparazione bellica dell'Italia (1937-1943), in: Storia contemporanea, Jahrgang XVII, Februar 1986, Heft 1, S. 5—40, hier S. 29. Vgl. auch Raipin, The Italian War Economy, insbesonders S. 245-265 sowie die Tabellen auf S. 404—406. 155 ASMAE, AP Germania, 1939, Ordner 57, Fernschreiben N. 01930/564. 156 A D AP, Serie C: 1933-1937, Das Dritte Reich: Die ersten Jahre , Band VI, 2 (16. 3. bis 14. 11. 1937), Göttingen 1981, Dok. 368, S. 795-796.
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Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Comunicazioni geäußert. Es scheint, daß man keinerlei Nachrichten von Bergleuten hat, die aus den Kohlenbecken in Westeuropa zurückkehren und daß andererseits die italienischen Bergwerke unter einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften leiden. Man hätte eine höhere Leistung über die Erhöhung der Arbeitszeit erreichen können. Dagegen sprachen jedoch politische Gründe. 157 Daß jedoch der Vorschlag des Leiters der Berliner Botschaft nicht vollkommen aus der Luft gegriffen war, zeigt die Tatsache, daß er wenige Wochen später, am 17. Juni, von Carl Clodius aufgegriffen wurde, der die Deutsche Botschaft in Rom aufforderte, unverzüglich Kontakt mit Giannini aufzunehmen, um festzustellen, „ob es möglich wäre durch Verpflanzung von 15.000 ital. Bergarbeitern aus Frankreich ins Ruhrgebiet Kohlenlieferungen nach Italien um ungefähr 1 u. 1/2 Millionen Tonnen zu steigern, womit von Italienern ursprünglich gewünschte Höchstlieferung erreicht werden würde." 158 Als Beweis, daß die Frage der Bergleute den Berliner Behörden besonders am Herzen lag, können die ununterbrochenen deutschen Pressionen auf verschiedene italienische Dienststellen dienen: die Frage war Anfang Juli Gegenstand eines Gesprächs zwischen General Cavallero, dem Vize-Präsidenten des Generalkommissariats für Kriegsproduktion (Commissariato Generale Fabbricazioni di Guerra), und dem deutschen Diplomaten Karl Ritter, der in seinem Bericht anfuhrt, seinen Gesprächspartner darauf hingewiesen zu haben, „die italienische Regierung möge bei der etwa geplanten Zurückziehung der italienischen Kohlenbergarbeiter aus Frankreich berücksichtigen, daß in Deutschland besonders an Kohlenbergarbeitern großer Mangel sei. Das früher verabredete Kohlenprogramm könne nicht eingehalten werden, wenn wir nicht italienische Bergarbeiter in großer Zahl erhielten." 159 Obwohl Berlin darauf beharrte, äußern die Verantwortlichen in Rom weiterhin Zweifel an der Machbarkeit dieser Aktion. Am 18. Juli antwortet Amedeo Giannini auf eine weitere Aufforderung von Clodius, daß die Zahl der italienischen Bergarbeiter in den fraglichen Zonen nicht so groß sei, wie die Deutschen sich dies vorstellten. Außerdem handele es sich um Arbeiter, die seit langer Zeit die Heimat verlassen und sich im Ausland eingelebt hätten und überdies gut verdient hätten. Man könne darüber diskutieren, aber es handele sich um eine langwierige und schwierige Angelegenheit. Der Staatssekretär schien jedoch den Wünschen Berlins entgegenkommen zu wollen, die im übrigen stets von mehr oder weniger verhüllten Drohungen begleitet waren, die lebensnotwendigen Kohlelieferungen herunterzuschrauben, und schlug daher vor, Arbeiter in Italien anzuwerben, sie entsprechend auszubilden und sie dann in Gruppen nach Deutschland zu senden. 160
157 ASMAE, Bestand Affari Commerciali, 1939 (AC), collocazione 3/1, Aufzeichnung für den „Duce", 14. 3. 1937, gez. vom Verkehrsminister, sowie der Brief desselben vom 17. 3. an die Generaldirektion Affari Commerciali des MAE, Protokoll-Nr. A.MC/817. 158 PA/AA, BRQ, W 4b 1, Band 1, Telegramm vom 17. 6. 1939. Kopie des Blattes auch in PA/AA, Handakten Clodius, Akten betreffend Italien, Band 3. 159 PA/AA, Handakten Clodius, Akten betreffend Italien (im folgenden: Clodius, Italien), Band 3, .Auszug aus einer Aufzeichnung von Herrn Botschafter Ritter über seine Unterredung mit General Cavallero (...) in Rom vom 5- bis 7. Juli 1939". 160 PA/AA, Clodius, Italien, Band 3,Telegramm des Botschaftsrats von Plessen, befördert am 18. 7. 1939 als Antwort auf die Mitteilung von Clodius vom 15. 7. Kopie des Briefwechsels auch in BRQ, W 4 b 1, Band 1.
Kohle im Tausch gegen Arbeitskräfte
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Während die diplomatischen Kanäle aktiviert werden, um einer Lösung dieses Problems näherzukommen, entdecken die Reichsbehörden andere Wege, die in der Vergangenheit bereits ausprobiert worden waren. Anfang August kommt eine Delegation, die aus Staatsbeamten und Leitern der DAF besteht, mit der Aufgabe in Rom an, auf „nichtamtlichem" Wege Kontakt mit dem Ex-Präsidenten der CFLI und dem damaligen Staatssekretär im Korporationsministerium, Tullio Cianetti, sowie mit seinem damaligen Nachfolger an der Spitze der faschistischen Confederazione, Pietro Capoferri, aufzunehmen. Die Berliner Gesandten schienen den Versicherungen Gianninis über den geringen zahlenmäßigen Bestand der italienischen Bergarbeiter in Nordfrankreich, Belgien und Luxemburg keinen großen Glauben zu schenken. Ihren Berechnungen zufolge mußten es mindestens 30.000 sein, eine Zahl, die im übrigen unter den Schätzungen lag, die die CFLI in den Gesprächen der folgenden Tage nannte. So sprach Dr. Contu, einer der Leiter der Confederazione, von etwa 36.000 Arbeitern, von denen 25.000 in Frankreich, 8.000 in Belgien und 3.000 in Luxemburg sein sollten. Auch die Führungsgruppe der Confederazione Fascista Lavoratori dell'Industria nährte Zweifel an den konkreten Möglichkeiten, diese Personen nach Deutschland migrieren zu lassen — angesichts der geringen Resultate, die die Kampagne zur Rückführung der Emigranten gebracht hatte, die in den vorangegangenen Monaten von der italienischen Regierung durchgeführt worden war. Viel hänge davon ab, so Contu, wie die deutschen Vorschläge zur Höhe des Lohns und zur Art der Unterkünfte ausfallen würden. Gleichzeitig äußerte der faschistische Gewerkschaftsführer einen Vorschlag ähnlich dem, den Giannini vorgebracht hatte, und erklärte, „daß Italien leichter eine größere Zahl ungelernter Arbeiter entsenden könnte, die zunächst über Tag verwendet werden können, um etwa noch über Tag beschäftigte deutsche Bergarbeiter frei zu machen." 161 Auf der Basis dieser Kontakte eilte am 17. August Paul Walter, seit kurzem zum Beauftragten des Generalfeldmarschalls Hermann Göring für die Leistungssteigerung im Bergbau ernannt, mit der Aufgabe nach Rom, „die Kohlenförderung in jeder Weise zu steigern" — wie dies die Beamten, die er zur Erkundung vorgeschickt hatte, bereits präzisiert hatten. 162 Walter traf sich unverzüglich mit Tullio Cianetti, um sein Anliegen zu beschleunigen, und bezog sich auf das, „was die italienische Regierung bei anderen Gelegenheiten (September 1938) getan hat, um dem Arbeitskräftebedarf in Deutschland entgegenzukommen", d. h., er verwies auf die Vereinbarungen, die zwischen DAF und Confederazione Fascista Lavoratori deirindustria, damals unter der Leitung Cianettis, in der Frage der Anwerbung von Bauarbeitern für Fallersleben und Salzgitter getroffen worden waren. Walter unterbreitete Cianetti einen genauen Plan zur „Rekrutierung von italienischen Bergleuten, die gegenwärtig in den französischen, belgischen, holländischen und luxemburgischen Industrierevieren arbeiten und die die einzi-
161 PA/AA, BRQ, Aufzeichnung vom 12. 7. 1939, die die Gespräche zwischen Reichsamtsleiter Langer, begleitet von Dr. Rust von der DAF, mit den Botschaftsbeamten Plessen und Pfeiffer über die Kontakte, die in den darauffolgenden Tagen mit den italienischen Verantwortlichen geknüpft werden sollten, zusammenfaßt. Vgl. ebenda, Aufzeichnung vom 17. 7. 1939: Verpflanzung italienischer Bergarbeiter aus Nordfrankreich nach dem Ruhrgebiet, wo Rust über die Ergebnisse der Kontaktnahme referiert. Beide Berichte sind von Pfeiffer verfaßt worden. 162 Ebenda, Aufzeichnung vom 12. 7. 1939.
322
Zwischen Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
gen geeigneten Arbeitskräfte darstellen, die in diesem M o m e n t in Europa verfügbar sind."163 Walter spricht von 2 5 . 0 0 0 anzuwerbenden Bergleuten, die ca. 7,5 Millionen Tonnen Kohlen pro Jahr abbauen sollten. Die Übergabe eines Drittels dieser Fördermenge sollte Italien garantiert werden. Darüber hinaus versprachen die deutschen Behörden, daß den umzugsbereiten Arbeitern besondere Konditionen bezüglich Lohn und Unterkunft angeboten werden würden, darunter die gesamten Umzugskosten und die Sicherheit, sich im Ruhrgebiet mitsamt ihren Familien niederlassen zu können. Es scheint mir unzweifelhaft, daß sich hinter dem Plan des Beauftragten für die Kohlewirtschaft ein reales Interesse der Berliner Behörden an den italienischen Arbeitskräften in diesem besonderen Sektor verbirgt, auch jenseits des Problems der italienischen Versorgungslieferungen. Natürlich hatte der Vorschlag, die gesamten Familien zum Umsiedeln zu bewegen, auch das Ziel, die Lohnüberweisungen nach Italien zu sparen —, besonders in einem Jahr, in d e m wie wir bereits im Fall der Land- und der Bauarbeiter gesehen haben - das Reich unter Schwierigkeiten auf dem Devisensektor litt. Nicht zufällig tauchte dieses Problem einige Tage später wieder auf, als Pietro Capoferri aus Anlaß des Besuches des DAF-Repräsentanten in Italien, Rust, diesem gegenüber — in ausdrücklichem „Gegensatz zu der im ganzen optimistischen Auffassung seines Vorgängers und des Korporationsministeriums" — beträchtliche Zweifel an der Möglichkeit äußerte, die vorgesehene Umsiedlung in kurzer Zeit durchzuführen. Der neue C h e f der C F L I informierte Rust, „daß Italien sich entschlossen habe, aus eigenem Bestand an Bergarbeitern Deutschland binnen kürzester Frist die benötigten 2 5 . 0 0 0 M a n n zur Verfügung zu stellen. Es handele sich vorwiegend u m Kräfte aus Oberitalien und sonstigen Bergbauzonen, die zwar noch nicht im Kohlenbergbau, aber doch überhaupt schon im Bergbau gearbeitet hätten und nach kurzer Umschulung einsatzfähig sein würden." 1 6 4 Wie der Delegierte der D A F sofort bemerkte, würde eine derartige Lösung das Problem der Lohnersparnisse — das bei dem Walter-Vorschlag nicht vorhanden war — „brennend" werden lassen, u m so mehr, da Capoferri wünschte, daß den italienischen Bergarbeitern erlaubt werde, bis zu 100 R M im M o n a t nach Hause zu schicken. Dies war eine höhere S u m m e , als sie im Fall der Bauarbeiter für Fallersleben und Salzgitter vereinbart worden war — 80 R M monatlich —, weil die Bergleute höhere Löhne erhielten als die Bauarbeiter. Deutschland, fuhr Rust fort, habe gegenwärtig gegenüber Italien eine Clearingschuld. Wenn R o m daher mehr Arbeitskräfte exportiere, als dies in den Wirtschaftsabkommen vereinbart wurde, müsse es akzeptieren, Lire zur Verfügung zu stellen, u m die Lohnersparnisse zu bezahlen. Dies könne ausgeglichen werden, indem Italien größere Mengen an deutschen Waren kaufe; jedoch müsse es wissen, daß es angesichts der Schwierigkeiten, in denen sich Berlin befinde, nicht die Güter
163 PA7AA, Handelspolitische Abteilung, Rohstoffe und Waren, Kohle - Italien, Band 1, Brief von Walter an Cianetti. Das Dokument ist undatiert, aber eine Kopie, die sich im Bestand BRQ, W 4b 1, Band 1 befindet, trägt den Vermerk: „mir am 18. 8. 39 von Herrn Walter übergeben". Überdies sagt uns der Bericht Pfeiffers vom 17. 7., daß Walter am selben Tag um 18 Uhr in Rom angekommen war und sich sofort mit Cianetti getroffen hatte, der in den folgenden Tagen sich nicht mehr in Rom aufhielt. Eine Abschrift des Plans muß daher im Laufe des Gesprächs an den Staatssekretär übermittelt worden sein. 164 PA/AA, BRQ, W 4b 1, Band 1, Brief von Rust an die Deutsche Botschaft Rom vom 24. 8. 1939, indem der DAF-Funktionär über sein Gespräch mit Capoferri berichtet. Das Treffen fand am 23. 8. statt.
Kohle im Tatisch gegen Arbeitskräfte
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erhalten könne, an denen Interesse bestehe. An dieser letzteren Frage schien Capoferri jedoch nicht besonders interessiert. Er verlangte eine allgemeine Erklärung, in der die deutsche Regierung die von ihm vorgeschlagene monatliche Uberweisungshöchstgrenze akzeptieren sollte.
Aus den Schwefelminen und Steinbrüchen in die Kohlebergwerke Während sich diese Wortgefechte abspielten, wurde die Angelegenheit durch eine Entscheidung auf höchster Ebene gelöst: am 22. August erklärte sich Mussolini mit dem Plan einverstanden, der von Giannini einerseits und der C F L I andererseits entworfen worden war, und ordnete an, Bergleute aus den Bergwerken Sardiniens zwangsweise nach Deutschland zu schikken sowie gleichzeitig andere auszubilden. 165 Daß Europa sich in rasender Geschwindigkeit auf den Krieg zubewegte, war für die Entscheidung des faschistischen Führers nicht ohne Bedeutung. Wenige Tage später, am 27. August 1939, versicherte Mussolini in seiner Antwort auf den ausdrücklichen Wunsch des Verbündeten seine Bereitschaft, „die größtmögliche Zahl von Arbeitern für Eure Industrien und Eure Landwirtschaft" ins Reich zu entsenden. 166 Es vergingen einige Tage, bis Anfang September ein Repräsentant der DAF, ein Dr. Kirn, Rom erreichte. Dieser war speziell dazu beauftragt, die Anwerbung der Bergarbeiter zu verfolgen. Die Verantwortlichen des Kolonisations- und Migrationskommissariats, die in Verbindung mit der C F L I damit beauftragte Behörde, verzeichneten jedoch ein abnehmendes deutsches Interesse, vor allem verglichen mit dem Drängen in den vorhergegangenen Wochen. Der Schlüssel zu diesem Verhalten ist in den militärischen Vorgängen an der deutsch-polnischen Front zu suchen. Nach einem von der italienischen Polizei abgehörten Telefongespräch, das sofort dem Kolonisations- und Migrationskommissariat gemeldet wurde, hatte Kirn, der die Situation der Anwerbung in Italien in beiden Regionen (Nordfrankreich oder Norditalien) erklären wollte, von seinem Gesprächspartner, einem hohen Beamten der Dienststelle Walters, zu hören bekommen: „in diesem Augenblick wird mir berichtet, daß wir bei uns das Problem der Bergarbeiter gelöst haben: wir haben 6.000 Polen gefangengenommen, die zum Arbeiten in unsere Bergwerke geschickt werden. Lassen Sie daher die Sache mit der Anwerbung der Italiener fallen." 1 6 7 Angesichts der Vorhaltungen des Delegierten, der erklärte, daß man unmöglich die Abreise der ersten Gruppen, die für den darauffolgenden Tag vorgesehen war, annullieren könnte, änderte Berlin seine Meinung und beschränkte sich darauf, zu empfehlen, nicht darauf zu insistieren, daß die vereinbarten Quoten auch unbedingt erreicht würden. Es scheint daher, daß die für Deutschland günstige Entwicklung des Krieges den Erwerb von italienischen Arbeitskräften weniger wichtig machte - zumindest für die allgemeine Planung. Andererseits erlaubte der Einsatz von Kriegsgefangenen den NS-Behörden, das Problem der Lohnersparnisse zu umge-
165 Ebenda, 22. 8. 1939. 166 A D AP, Serie D (1937-1939), Band VII, Baden-Baden 1956, Dole. 350, S. 295, Antwort Mussolinis vom gleichen Tag auf die Botschaft Hitlers, in der der „Führer" ihn bat, „mich mit italienischen Arbeitskräften [zu] unterstützen, Arbeitskräfte für industrielle sowohl als landwirtschaftliche Zwecke"; in: ebenda, Dok. 341, S. 289-290. 167 ACS, PCM, Mappe 2983, 3.2.4, N. 195/4, Blatt datiert 6. 9. 1939.
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Kriegswirtschaft
hen. Es blieb jedoch das Detailproblem der Kohlelieferungen für Italien offen, das nunmehr die Migration einer deutlich reduzierten Zahl von Arbeitern zu erfordern schien. Die deutschen Behörden fuhren auch auf höchster Ebene fort, auf dieser Frage zu insistieren. Am 11. September war es Göring selbst, der gegenüber dem italienischen Geschäftsträger Magistrati die Sprache darauf brachte. Göring erklärte, daß mit der Eroberung des schlesischen Kohlenreviers die Probleme der Versorgung nunmehr gelöst seien und nur die Fragen des Abbaus und des Transports der Kohle noch offenstünden. Der Verbündete sollte daher Eisenbahnwaggons und Arbeiter zur Verfügung stellen. 168 Im Lauf der deutsch-italienischen Verhandlungen, die vom 11. bis 13. September 1939 in Rom stattfanden, wurde schließlich vereinbart, insgesamt 4.000 Bergleute nach Deutschland zu transferieren. Die Überweisung der Lohnersparnisse sollte ermöglicht werden durch die Überlassung einer dieser Summe entsprechenden Menge an Kohle, unter der Voraussetzung, daß die Schwierigkeiten, die die Transportwege zwischen den beiden verbündeten Mächten betrafen, dies ermöglichen würden. 169 Die Italiener wußten sehr wohl, daß die deutschen Versprechungen auf dem Papier würden stehen bleiben können, jedoch insistierten sie darauf, daß der Verbündete genaue Verpflichtungen übernehmen sollte: „[Unsere Absicht], Arbeiter in die deutschen Kohlebergwerke zu schicken, ist von Beginn der Verhandlungen an immer gebunden gewesen an eine zusätzliche Lieferung von Kohle, außerhalb des in den bilateralen Handelsabkommen vereinbarten Kontingents. Deutscherseits ist vorgeschlagen worden, uns jeweils eine Million Tonnen Kohle für je 10.000 Arbeiter zu geben. Da es sich um ein spontanes deutsches Angebot handelt, scheint es mir unnütz — auch wenn es zu nichts führen sollte —, auf eine so wichtige Lieferverpflichtung einfach zu verzichten. Italienische Arbeiter in diesem Moment nach Deutschland zu schicken, hat einen überwiegend politischen Stellenwert; daher ist es um so wichtiger, etwas Schriftliches in der Hand zu haben, was die Generosität unserer Haltung gegenüber Deutschland in der jetzigen Situation beweisen kann." 170 Es ist schwierig, sich der Mischung von Schlauheit und Unterordnung zu entziehen, die aus diesem Schreiben der Königlich-Italienischen Botschaft in Berlin hervorscheint. Doch bald werden wir feststellen, wie das Schicksal derer war, die danach strebten, „etwas Schriftliches in der Hand zu haben". In der Zwischenzeit passierten die ersten Arbeitergruppen die Grenze: Anfang September wurden 3.000 Arbeiter, die aus den Provinzen Udine und Bergamo kamen, 171 losgeschickt, einen Monat später wurden 1.000 weitere in der Provinz Apuania (Massa Carrara) angeworben. 172 Wie es scheint, wurden fast alle italienischen Bergarbeiter als „Schlepper" eingestellt, mit einem Netto-Monatslohn (der auf der Basis von 25 Schichten kalkuliert war) von 126,79 RM (für die Junggesellen; für die Verheirateten gab es 5 RM mehr
168 DDI, Nona Serie, 1939-1943, 1. Band, Roma 1954, S. 109. 169 BA/MA, RW 19, Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt (Wi-Rü Amt), Wi/IB, Band 1.102, Abschrift des von Ribbentrop vorgelegten Berichts über den Fortgang der Verhandlungen in Rom, datiert 15. 9. 1939, S. 4. 170 ASMAE, AC, Germania 1939, collocazione 28/29, Position 28/8, Fernschreiben der Botschaft Berlin vom 23. 9. 1939 an das MAE und an das MSV. 171 ACS, PCM, Mappe 2983, 3.2.4, N. 195/4, Aufzeichnung fur Mussolini vom 8. 9. 1939. 172 ACS, MI, DGPS, PS 1941, Kategorie K1B15, Polizeibehörde Apuania (Massa Carrara), Dreimonatsbericht vom 7. 10. 1939 über die politische und wirtschaftliche Situation, S. 9.
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sowie die gleiche Summe zusätzlich für jedes Kind). 1 7 3 Dies entsprach etwa 970 Lire pro Monat, mithin ein durchaus ansprechendes Entgelt für einen italienischen Arbeiter, vor allem wenn er zu einer der Arbeitergruppen gehörte, die von der Anwerbung betroffen waren, wie Steinbrecher, Steinmetze und Steinklopfer. So verdienten beispielsweise die Schleifsteinhauer der Provinz Bergamo, einer der von der Rekrutierung betroffenen Regionen, im Durchschnitt 12 bis 14 Lire pro Tag. 1 7 4
„Wollt Ihr Kohle? Dann gebt uns Bergleute!" In den offiziellen Dokumenten findet sich bis zum Mai 1940, als sich der bevorstehende Kriegseintritt Italiens abzeichnete, kein Hinweis mehr auf deutsche Forderungen nach italienischen Bergleuten. Doch jetzt ist es wieder Botschafter Clodius, der in einer Mitteilung an die Deutsche Botschaft in Rom zur Wiederaufnahme der diesbezüglichen Kontakte drängt. Deutschland, so heißt es, ist interessiert an neuen Arbeitern, die in den Schächten oder über Tage eingesetzt werden können, egal ob es sich um erfahrene Leute handele oder nicht. 1 7 5 Nach einigen Wochen, am 10. Juni, wird in Rom zwischen einer italienischen Delegation, die von Vertretern der Ministerien (Außen- und Korporationsministerium) wie von Leitern der Industriearbeiterkonföderation gebildet wird, und einer deutschen Kommission, die aus Vertretern des Reichsarbeitsministeriums, der D A F und dem Botschaftsattache Dr. Spakler besteht, das erste Gesamtabkommen unterzeichnet, das die Industriearbeiter betrifft. Gegenstand der Verhandlungen sind 20.000 Arbeiter, von denen etwa 6.000 Bergarbeiter sind. Von letzteren heißt es: „ D a italienische Bergfacharbeiter nicht verfugbar sind, werden gesunde und kräftige, für den Einsatz im Bergbau geeignete sonstige Arbeitskräfte (möglichst Gesteinsarbeiter) als Schlepper angeworben. Es soll wenigstens ein geringer Teil an Hauern und Lehrhauern gestellt werden. Der Einsatz soll überwiegend im Steinkohlenbergbau des Ruhrgebiets, zum andern Teil im Eisenerzbergbau, im Metallerzbergbau und im Schwefelkiesbergbau erfolgen." 1 7 6 Wie bereits im Fall der Bauarbeiter sollten auch die Bergleute auf der Grundlage des Abkommens in den Bahnhöfen Verona und Udine zusammenkommen, von wo aus sie via Brenner mit Sonderzügen nach Deutschland abreisen sollten. Z u m Monatsende, am 23. Juni, kündigt die Geschäftsführung der Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau-Ruhr, ein Teil der Wirtschaftsgruppe Bergbau, den ihr zugeordneten Firmen an, daß demnächst etwa 5.000 italienische Arbeiter in der Region ankommen sollten. Von diesen sollten 4.865 in den Kohlebergwerken eingesetzt werden. Der Angestellte, der den diesbezüglichen Brief verfaßte, verweist darauf, daß es sich bei den italienischen Arbeitskräfte nicht um
173 NAW, Τ 83, Film-Nr. 49, Harpener Bergbau A G D o r t m u n d , Merkblatt über den Einsatz italienischer Arbeitskräfte im Ruhrbergbau, o. D . [1940]. 174 Franco Nicefori, Dalla cava alia campagna. Lepietre coti di Pradalunga:
testimonianze, immagini,
documen-
tazione, in: Quaderni dell'Archivio delta cultura di base, Ν . 10, 1988, S. 32. 175 PA/AA, Clodius, Italien, Band 4, Telegramm vom 16. 5. 1940. 176 Dazzi, Accordi, S. 1 5 6 - 1 7 3 (italienischer Text) und S. 2 3 8 - 2 5 7 (deutscher Text). Das Zitat befindet sich a u f S . 161 bzw. S. 2 4 4 .
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„Bergleute, sondern (...) in der Regel um Steinbrucharbeiter, Ziegeleiarbeiter und ungelernte Arbeiter handelt", und forderte die Firmen auf, diesem Umstand Rechnung zu tragen. 177 In demselben Schreiben wird darauf hingewiesen, daß demnächst die Ankunft von 15.000 „Arbeitskräften aus den Westgebieten" bevorstünde. Unter diesen, heißt es weiter, seien auch Italiener. Wie ich bereits angedeutet habe, erstreckte sich die Anwerbung von Arbeitskräften in den besetzten Gebieten Belgien, Luxemburg und Frankreich (inklusive der von Vichy verwalteten Region) auch auf die dort lebenden Italiener, zumeist ohne daß die Regierung in Rom oder die konsularischen Vertretungen dabei als Vermittlung eingeschaltet worden wären. Am 16. August waren 3.079 Italiener im Ruhrgebiet angekommen — mithin weniger Arbeiter als vorgesehen und weniger als die verschiedenen Zechen hatten vormerken lassen. Der Zustand, in dem sie ankamen, scheint nicht der beste gewesen zu sein, denn „trotz ausdrücklicher Zusicherung, daß von den Italienern Arbeitskleidung und Schuhe mitgebracht würden, [sind] solche bei einem Teil der Italiener nicht vorhanden". 178 Ahnliche Besorgnisse wurden übrigens auch von seiten der italienischen Konsulate im Reich geäußert, wie aus einem Bericht des Geschäftsträgers der Botschaft Berlin vom 18. September hervorgeht. 179 Auch bei der körperlichen Verfassung der aus dem Süden ankommenden Arbeiter gab es Probleme: auf einer Tagung am 15. November in München, bei der die Analyse der Situation auf dem Kohlesektor auf die Tagungsordnung gesetzt worden war, beklagten sich die Vertreter der verschiedenen Gaue, vor allem Westfalens und des Sudetenlands, über den schlechten Gesundheitszustand der Italiener, die in den vorausgegangenen Monaten angekommen waren. Insbesondere im Sudetengebiet, eine Region, die einen Anteil von 1.000 Bergleuten aufnehmen sollte, mußten etwa 300 nach einer ärztlichen Untersuchung wieder nach Hause geschickt werden, obwohl eine gemischte deutsch-italienische Kommission diese bereits in Italien während des Anwerbeverfahrens kontrolliert hatte. 180 Was das Ruhrgebiet angeht, so waren am 5. Oktober nahezu alle erwarteten italienischen Bergarbeiter angekommen: insgesamt 4.956. Von diesen waren 315 (mithin 6,4 Prozent) direkt nach Hause geschickt worden: 119 davon waren von den Ärzten als untauglich fiir die Arbeit unter Tage erklärt worden, 147 waren angeblich als „arbeitsunwillig" eingestuft worden, 49 kehrten auf eigenen Wunsch wieder zurück. Da 47 von nicht im Bergbau tätigen Firmen übernommen worden waren, blieben für die Arbeit auf den Zechen 4.594 Mann übrig, die sich folgendermaßen verteilten: 181
177 NAW, Τ 83, Film-Nr. 49, Harpener Bergbau AG, Brief vom 29. 6. 1940, Prot. G.-Nr. Β 724, gez. Fellinger. 178 Ebenda, Brief der Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau - Ruhr vom 16. 8. 1940, Prot. G-Nr. Β 976, gez. Fellinger. 179 D D I , Band V (11. 6. bis 28. 10. 1940), Dok. 608, S. 590-591. 180 ASMAE, AC, Germania 1940, 3/3-3/7, Faszikel 3/6, diesbezüglicher Bericht der Italienischen Botschaft Berlin vom 20. 9. 1940. 181 NAW, Τ 83, Film-Nr. 49, Harpener Bergbau AG, Arbeitskräfte aus Italien, Stand vom 5. 10. 1940.
Kohle im Tausch gegen Arbeitskräfte Tabelle 20: Aufteilung der italienischen Bergleute im Ruhrgebiet nach Tätigkeitsbereichen (Stand: Oktober 1940) über Tage
Prozent
unter Tage
Prozent
723
15,7
3871
84,3
653
14,2
630
13,8
davon: im Schichtlohn im Akkord
70
1,5
als Hauer
66
1,4
als Lehrhauer
389
8,5
als Gedingeschlepper
2786
60,6
Quelle: NAW, Τ 83, Roll 49.
Die Mehrzahl der Italiener wurde mithin als Lader und Schlepper in den Sohlen eingesetzt, während nur einer von zehn wirklich als Hauer arbeitete. Nach den Informationen, die ich habe finden können und die zwei Bergwerke der Harpener Bergbau A G (Pörtingssiepen und Carl Funke) und die mit diesen verbundene Ziegelei betreffen, wurde die Arbeitsleistung der Italiener von der Bergwerksleitung auf 85 bis 95 Prozent der Produktivität der deutschen Arbeiter geschätzt. Dies war eine keineswegs niedrige Zahl, wenn man bedenkt, daß viele davon niemals im Bergwerk gearbeitet hatten und daß das Durchschnittsalter fur die Art der Arbeit recht hoch war. 1 8 2 Von den 55 Arbeitern ζ. B., die in den beiden Bergwerken arbeiteten, die im Laufe des August dort eingetroffen und im Ledigenheim „Kupferdreh" untergebracht worden waren, waren nur 4 von Beruf Bergleute und einer war Steinbrucharbeiter. Gut 30 hatten sich als Hilfsarbeiter bezeichnet, während die übrigen 20 die unterschiedlichsten Berufe aufwiesen: ein Schlosser, ein Steinmetz, ein Seemann, ein Landarbeiter, ein Kellner (!), acht Maurer, ein Glaser, ein Zimmermann, ein Mechaniker, ein Metallarbeiter, ein Straßenarbeiter, einer ohne Berufsangabe und als letzter ein Koch, der seine Tätigkeit in einem Italienerlager bei einer benachbarten Firma fortsetzte. Von diesen war der Jüngste, der ehemalige Seemann Antonio Giribaldi, am 22. März 1906, der Älteste, der Steinmetz Pietro Cannoni, am 17. März 1890 geboren; 14 Mann waren älter als 40 Jahre. 1 8 3 Es ist interessant zu beobachten, wieviel diese Gruppe in einem Monat verdiente und wieviel sie davon durchschnittlich nach Hause zu ihren Familien schickte. Wir wissen dies dank des Lohnauszahlungsblattes vom September 1940: der Durchschnittslohn betrug 128,94 R M , was 986,39 Lire entsprach. Der höchste Lohn waren 191,67 R M (1466,27 Lire), der niedrigste 95,71 R M (732,18 Lire). Die Arbeiter überwiesen durchschnittlich 76,70 R M pro Kopf nach Hause (mithin 586,75 Lire), was mehr als die Hälfte des Durchschnittslohns war (die niedrigste Zahlung waren 35 R M , die höchste 110 R M ) . 1 8 4 Mir scheint, daß diese Zahlen 182 Ebenda, Anlage 2, Fragebogen der Zechen Pörtingssiepen, Carl Funke und Ziegelei Stolberg. 183 Ebenda, Film-Nr. 42, Harpener Bergbau AG, Verzeichnis über die im Ledigenheim Kupferdreh, Phönixhütte 11, untergebrachten italienischen Arbeiter, 3. 9. 1940. 184 Ebenda, Uberweisungen am 2. 10. 1940, Arbeiter aus Italien; Italiener bei Carl Funke, Monat September 1940; Zeche ver. Pörtingssiepen, Löhne der Italiener, Monat September 1940. Bei der Berechnung der
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ziemlich wichtig sind für die Bewertung der Gründe, die die Arbeiter dazu bewegt hatten, nach Deutschland zu gehen. Mehr als von „Freiwilligkeit" muß man von materiellen und wirtschaftlichen Gründen für die Migration sprechen. U m zu der Bewertung der Qualität der Arbeitskräfte durch die Unternehmensleitung zurückzukehren, so klagten viele Firmen - nach anderen Quellen 1 8 5 — über die geringe Leistung, die - wie es heißt — durch die mangelnde Gewöhnung an die Arbeit unter Tage verursacht war, was die geringe Produktivität hervorrief. Jedenfalls erklärten sich viele Firmen trotzdem interessiert daran, weiterhin Italiener aufzunehmen. D a andere, mengenmäßig größere Kontingente aus Westeuropa nicht zu erwarten waren und da man noch keine genauen Nachrichten über die Möglichkeit zur Anwerbung jugoslawischer Bergleute hatte, schien Italien zu diesem Zeitraum das einzige Land, aus dem Arbeitskräfte zu gewinnen waren. Die für die Produktion Verantwortlichen wollten jedoch soweit wie möglich nur Italiener aus den nördlichen Regionen und solche, die bereits in Steinbrüchen gearbeitet hatten, einstellen, da deren Leistung höher und somit annehmbar sein würde. Auch die Auswahl und ärztliche Kontrolle der Arbeiter in Italien sollte ihrer Meinung nach exakter durchgeführt werden. 1 8 6 Die Hinweise der Firmenleitungen wurden von der Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau-Ruhr gesammelt und den zuständigen Behörden zugeleitet, die weiter Verhandlungen mit Italien führten, um zusätzliche Industriearbeiterkontingente anzuwerben. Zu den bereits genannten Empfehlungen kam noch die hinzu, keine Arbeiter zu akzeptieren, die älter waren als 4 0 Jahre. 1 8 7 Wenig später, im Dezember 1940, im Rahmen der großen Anforderung von Industriearbeitern, die das Deutsche Reich seinem Verbündeten unterbreitete, stieß der Wunsch Berlins nach weiteren 10.000 Bergleuten wiederum auf die Bereitwilligkeit der italienischen Regierung. 1 8 8
Arbeit und Produktion unter Tage Diese Frage wurde in den Gesprächen behandelt, die in Rom zwischen dem 24. Januar und dem 1. Februar 1941 stattfanden und zur Unterzeichnung eines Zusatzprotokolls führten, das jenes ergänzte, von dem ich bereits im Fall der Bauarbeiter gesprochen habe. Dort wurde vereinbart, daß auch die 10.000 von Deutschland benötigten Bergleute in Richtung Norden
Durchschnittswerte habe ich die insgesamt 8 Fälle ausgelassen, in denen die Arbeiter weniger als 20 Schichten gearbeitet hatten (bei einem möglichen Maximum von 25). Ein Einbeziehen hätte eine allzugroße Absenkung des monatlichen Durchschnittsverdienstes bedeutet. Das gleiche Verfahren habe ich bei der Schätzung der Uberweisungssummen angestellt. 185 Ebenda, Film-Nr. 42, Harpener Bergbau AG, Besprechung bei der Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau — Ruhr am 17. 10. 1940 über Bezahlung und Verpflegung der im Ruhrgebiet zum Einsatz gekommenen Italiener (das Protokoll datiert: 21. 10. 1940), S. 2. 186 Ebenda, S. 1. 187 BA Koblenz, R 10 VIII, RVK, Band 56, Rundschreiben vom 16. 11. 1940, Prot. G.-Nr. Β 1526. 188 D D I , Nona Serie, Band VI (29. 10. 1940 bis 23. 4. 1941), Mitteilung Botschafter Alfieris vom 10. 12. 1940; darin informiert der Diplomat das italienische Außenministerium über die deutsche Absicht, unter anderem 10.000 Bergleute anzufordern. Vgl. auch PA/AA, AR, R V, 11, Italien, Band 2, Fernschreiben der Deutschen Botschaft Rom, in dem die italienische Bereitschaft mitgeteilt wird, die Teilnahme von deutschen Abgesandten bei der Auswahl der Bergleute zu akzeptieren.
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Arbeitskräfte
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abreisen sollten. 189 Sie waren allesamt für das kohlenreiche Ruhrgebiet bestimmt und ihre Verträge durften ein Jahr Dauer nicht unterschreiten. Die Faschistische Industriearbeiterkonföderation verpflichtete sich im Protokoll sogar dazu, entsprechenden Druck auszuüben, damit die Arbeiter des Vorjahres, die alle einen halbjährlichen Vertrag hatten, ihren Aufenthalt verlängern sollten. Man kam auf diese Weise einem ausdrücklichen Wunsch der Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau-Ruhr nach, die in der Zwischenzeit die angeschlossenen Firmen aufforderte, die Aufnahme der neuen Arbeitskräfte vorzubereiten, die um so wichtiger waren, weil einerseits das Reichswirtschaftsministerium die Produktionsquote für die Bergwerke im Ruhrgebiet um 6 Prozent erhöht hatte und andererseits die Werbekampagne in Holland, Belgien und Nordfrankreich zu stagnieren schien. 190 Unter den diversen Empfehlungen der Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau-Ruhr scheint mir folgende von besonderer Bedeutung zu sein: „Herr Lausmann vom Arbeitsamt Dortmund (...) macht (...) darauf aufmerksam, daß Ober-Italiener, da Faschisten, und West-Italiener, die als solche nicht angesehen werden, nicht in einem Lager zusammen untergebracht werden dürfen." 191 Uber die Ansichten von Herrn Lausmann hinaus werden hier einige interessante Dinge bestätigt, darunter in erster Linie die nicht unbeträchtliche Anwesenheit von Bergarbeitern, die als Emigranten in Westeuropa angeworben worden waren (die hier als „West-Italiener" bezeichnet werden). Darunter waren nicht wenige Antifaschisten, die es als Arbeitslose vorgezogen hatten, nach Deutschland arbeiten zu gehen, anstatt in ihre Heimat zurückzukehren, wo die Gefahr größer war, Opfer von polizeilichen Maßnahmen zu werden. Es ist zu diskutieren, wie sehr es bei den Protesten der italienischen Arbeiter ins Gewicht fiel, daß darunter Landsleute waren, die zumindest Gewerkschaftserfahrungen hatten. Sicher wäre es verfehlt, diesen Faktor überzubewerten; dennoch wird er eine gewisse Bedeutung gehabt haben. Jedenfalls ist es wichtig, daß die deutschen Behörden Kontakte zwischen den beiden Gruppen zu vermeiden suchten. Ende April ist die Anwerbung der Bergleute „in vollem Gang"; ja sogar ein Großteil der abreisenden Arbeiter gehört dieser Kategorie an, nämlich 10.080 von insgesamt 39.039 Industriearbeitern. Das vorgesehene Kontingent schien somit erfüllt, ja „die italienischen Stellen glauben, weitere 6 bis 7000 Kräfte für den Bergbau stellen zu können". 189 Dazzi, Accordi, S. 174-182 (italienische Version) sowie S. 257-264 (deutscher Text); das Protokoll enthielt keine Tabelle mit der Aufteilung der 54.000 Arbeiter, die Gegenstand der Verhandlungen waren. Die Quoten für jeden einzelnen Sektor lassen sich jedoch aus anderen Dokumenten entnehmen; ich verweise hier lediglich auf Thomas, Geschichte, S. 280. Der Chef des Wi-Rü Amts nennt in diesem Band „zwei in Paris geschlossene Abkommen" und verweist auf die Abkommen vom 1. und vom 10. 2. 1941, die jedoch - nach Dazzi und anderen Archivquellen - beide in Rom abgeschlossen wurden. Thomas setzt ferner das Abkommen über die 150.000 Arbeiter vor das Protokoll über die 54.000; hierin folgt ihm Homze, Foreign Lahor, S. 60. In Wirklichkeit war es umgekehrt. Der Ursprung des Mißverständnisses liegt möglicherweise in dem Aktenvermerk vom 14. 2. 1941 (Vgl. BA/MA, Wi-Rü Amt, RW 19, Band 2127, Arbeitseinsatz von Justiz-Gefangenen und Italienern 1936 bis 1942), der sich auf ein Gespräch mit ORR Letsch vom RArbM bezieht und in dem die korrekte Reihenfolge der Abkommen umgekehrt wird. 190 NAW, Τ 83, Harpener Bergbau AG, Rundschreiben der Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau - Ruhr vom 4. 1. 1941 (Prot. G.-Nr. Β 9) sowie Brief an den RArbM vom 14. 1. 1941; im letzteren Schreiben wird gefordert, daß die Dauer der Verträge mindestens auf ein Jahr gebracht werden sollte. 191 Ebenda, Brief der Leitung der Zeche Dorstfeld vom 9. 1. 1941.
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Es gibt jedoch ein Problem von nicht geringem Gewicht: „ . . . die Anwerbung für den Ruhr-Bergbau erfolgt nur in Süd-Italien, da sich Norditaliener nicht bereit finden, in den Bergbau zu gehen". 1 9 2 Die nicht gerade zahlreichen Nachrichten aus italienischen Quellen bestätigen, daß die Arbeiter aus den Provinzen des Südens kamen: am 26. März teilte das Polizeipräsidium in Foggia mit, daß 538 Arbeiter am 28. des Monats nach Duisburg abreisen würden. Von Beruf waren es Bergleute, Steinbruch- und Terrazzo-Arbeiter sowie Handlanger. Wenig später folgte diesen eine weitere Gruppe. Aus Potenza wird ebenfalls am 26. März für den 11. April die Abreise von 250 Bergwerkshilfsarbeitern und 50 Bergleuten angekündigt. Viele andere, heißt es, „werden in kurzem Abstand folgen". 1 9 3 Aus Agrigent gingen in den folgenden Monaten gut 2.200 Bergarbeiter nach Deutschland, so daß die Arbeitslosigkeit in diesem Sektor, so bemerkt der Polizeipräsident in seinen Berichten, praktisch verschwunden war. 1 9 4 Nach Aussage der deutschen Quellen war ganz Sizilien in die Anwerbungen involviert. 195 Es werden die Provinzen Palermo, Messina, Trapani, Catania, Enna-Caltanissetta, Syrakus, Agrigent und Ragusa genannt, von wo zum größten Teil Steinbrucharbeiter und in nicht unbeträchtlichem Maße „auch Bergleute aus dem Schwefelbergbau" abgereist seien. Auch die Abbruzzen steuerten ihren Anteil an Arbeitergruppen bei, die aus L'Aquila, Pescara, Chieti und Teramo kamen, während aus allen drei Provinzen Kalabriens (Catanzaro, Cosenza, Reggio Calabria) Arbeiterkontingente gemeldet werden. Ferrara war die einzige Provinz in Norditalien, aus der am 15. April 20 Arbeiter in Deutschland ankamen, die allesamt in der Zeche Carl Funke eingesetzt wurden. Eine weitere Bestätigung dieser Situation gibt uns eine Liste von 70 Italienern, die am 17. April 1941 im Reich ankamen und bei den Zechen Carl Funke und Pörtingssiepen in Essen-Heisingen und Essen-Heidhausen angestellt wurden. 1 9 6 Alle kamen aus der Provinz Catanzaro. Doch es war nicht nur die Herkunftsprovinz, die den Qualifikationsmerkmalen, die von der Leitung der Wirtschaftsgruppe Bergbau gefordert wurde, nicht entsprach; 19 von 70 Arbeitern waren bereits älter als 40 Jahre (der Älteste war sogar Jahrgang 1887); nur vier davon waren jünger als 30 Jahre. Außerdem muß man sich darüber im klaren sein, daß auch diejenigen Arbeiter, die auf dem Papier Erfahrungen in Bereichen hatten, die dem Bergbau benachbart waren, in der Realität unter sehr andersartigen Bedingungen gearbeitet hatten. Es überrascht daher nicht, daß sofort Probleme entstanden, die von der Verweigerung der Arbeit
192 BA/MA, Wi-Rü Amt, RW 19, Band 2127, Arbeitseinsatz von Justiz-Gefangenen und Italienern 1936 bis 1942, Vortragsnotiz für Chef O K W betr. Anwerbung italienischer Arbeitskräfte vom 25. 4. 1941. 193 ACS, MI, DGPS, PS 1941, Kategorie K1B15, Band 51, 26. 3. 41, Quästur Foggia, Bericht über die politisch-wirtschaftliche Lage, S. 14; Band 55, 26. 3. 1941, Quästur Potenza, Bericht über die wirtschaftliche und politische Situation, S. 5-6. 194 Ebenda, Quästur Agrigent, Bericht vom 27. 6. 1941, wo es heißt, daß 1.500 Bergleute abgereist seien; Bericht vom 26. 9. 1941, in dem die Gesamtzahl mit 2.200 beziffert wird. 195 NAW, Τ 83, Film-Nr. 49, Harpener Bergbau AG, Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau - Ruhr, Brief vom 17. 5. 1941 an die Essener Steinkohlenbergwerke AG, Hauptverwaltung (Prot.Nr. Β 695), S. 2; bezüglich Kalabrien siehe den Brief der Zechenleitung Dorstfeld vom 23. 5. 1941. Vgl. ferner die statistischen Blätter bezüglich der Aufteilung der Italiener nach Herkunftsprovinzen und - mitunter - nach Berufen, die von den einzelnen Zechenleitungen an die Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau - Ruhr gesandt wurden (ebenda). 196 Ebenda, Verzeichnisse der am 17. 4. 1941 zugewiesenen Italiener bei den Zechen Carl Funke und ver. Pörtingssiepen, vom 28. 4. 1941.
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unter Tage bis zur relativ geringen Leistung (im Vergleich zu den deutschen Arbeitern) reichten. Die Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau-Ruhr wandte sich bereits am 23. April an die Bergwerksdirektoren, um diese zu informieren, daß in den Fällen, wo sich Arbeiter geweigert hatten, unter Tage zu gehen, auf Aufforderung des Reichsarbeitsministeriums, der der Delegierte der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation, Becherini, voll zustimmte, die Verantwortlichen sofort der Gestapo Düsseldorf anzuzeigen seien, die dafür sorgen würde, daß diese Leute für eine bestimmte Zeit arrestiert würden. Wenn diese Maßnahme nicht ausreichen sollte, um die Aufrührer zu überzeugen, so sollten sie unverzüglich in die Heimat zurückgeschickt werden. 197 Die Untersuchung, die im Mai von der Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau-Ruhr unter den assoziierten Firmen durchgeführt wurde, weil möglicherweise eine weitere Zahl von Italienern für die Bergwerke übernommen werden sollte, stellt eine wichtige Quelle für die Bewertung der Arbeitsleistung der Italiener dar. Aus den Antworten der Betriebsleitungen von 6 Zechen (Pörtingssiepen, Carl Funke, Prinz Friedrich, Oespel, Dorstfeld, Monopol, alle im Raum zwischen Essen und Dortmund), 198 tritt ein insgesamt recht klares Bild hervor: die Arbeitsleistung der Italiener, die im Akkord arbeiteten, variierte zwischen 70 und 90 Prozent derjenigen eines deutschen Bergmanns; wurden die Löhne jedoch nach Arbeitstagen berechnet (so bei denjenigen, die über Tage arbeiteten), so schwankte sie zwischen 50 und 70 Prozent. In einigen Berichten wird bemerkt, daß die Arbeiter, die im Herbst 1940 ins Reich gekommen waren, etwa 10 Prozent mehr leisteten, als die Ankömmlinge vom Frühjahr 1941; die Betriebsleitungen führten diese Differenz darauf zurück, daß die erste Gruppe in der Zwischenzeit Gelegenheit gehabt hatte, sich in einen Beruf einzuarbeiten, den sie nie zuvor ausgeübt hatte. Auch die geringe Produktivität derjenigen, die pro Tag bezahlt wurden, wurde — abgesehen von dem Fehlen des Anreizes, den der Akkordlohn bot — darauf zurückgeführt, daß häufig die Schwächeren über Tage eingesetzt wurden — die nach einem Probeeinsatz unter Tage eine so geringe Leistung gezeigt hatten, daß sich die Betriebsleitung dazu veranlaßt gesehen hatte, sie über Tage einzusetzen. Die Firmen schienen sich nicht über allzugroße Disziplinarprobleme beschwert zu haben und auch nicht über exzessives Krankfeiern. Alle monierten hingegen, daß die ankommenden italienischen Arbeiter absolut unvorbereitet waren. Schlimmstenfalls schienen Fragen aufgekommen zu sein, die mit der Hygiene und der Sauberkeit der Lager, in denen Italiener untergebracht waren, zusammenhingen; auch solche über ihre individuelle Hygiene. Um dieses Element korrekt zu deuten, muß man jedoch die Standards für das tägliche Leben und die Wohnung bedenken, an die jene Migranten, die zum großen Teil aus den ärmsten und unterentwickeltsten Zonen Italiens kamen, gewohnt waren. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß wir es mit einer Gruppe von Arbeitskräften zu tun haben, die gewohnt waren, unter vor- und frühindustriellen Bedingungen zu arbeiten, wie sie in den italienischen Steinbrüchen oder Schwefelgruben herrschten, und die unvermittelt in eine Region wie das Ruhrgebiet transferiert wurden, wo die Ausbeutung der Kohleflöze bereits seit Jahrzehnten in vollindustrialisierter Form erfolgte. Jede Deutung dieses Konflikts und der daraus resultierenden Spannungen muß daher zuallererst mit dieser Ungleichzeitigkeit operie-
197 Ebenda, Rundschreiben Nr. 20 vom 23. 4. 1941, Prot.Nr.G-Nr. Β 551. 198 Ebenda, Briefe der Leitungen der Zechen ver. Pörtingssiepen vom 5- 5. sowie vom 23. 5. 41, Carl Funke vom 5. 5. 41, Prinz Friedrich vom 5. 5. 41, Oespel vom 5. 5. 41, Dorstfeld vom 5- 5. und 23. 5. 41, Monopol vom 6. 5. 41.
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Kriegswirtschaft
ren, die dadurch verstärkt worden ist, daß zu einer Produktivität, die geringer war als erwartet, eine Kürzung des Akkordlohns kam, die 10, 20 oder 30 Prozent betrug, und dadurch die Löhne unter jene Marke fallen ließ, die in Italien von den Anwerbern versprochen worden war. Nachrichten über das, was vorging, erreichten auch die Heimat. So liest man in einem Dreimonatsbericht vom 27. Juni 1941 des Quästors von Potenza, einer in die Anwerbungen einbezogenen Provinz, daß in seinem Büro 600 Anfragen auf Ausstellung eines Passes lagen, die von Anwärtern auf eine Arbeit in Deutschland beantragt worden waren; der Quästor berichtete seinen Vorgesetzten, man nähme an, „daß die Zahl der Abreisenden sehr begrenzt sein wird, da von Seiten der bereits in Deutschland befindlichen Arbeiter Nachrichten angekommen sind, in denen nicht wenig geklagt wird über die mühselige und enervierende Arbeit, denen sie vor allem in den Bergwerken ausgesetzt seien". 1 9 9 All diese Schwierigkeiten wirkten sich dahingehend aus, daß im Lauf der folgenden Monate die Zahl der Italiener größer wurde, die ihren Vertrag brachen und sich aus dem Staub machten, 2 0 0 oder die es vorzogen, ihn nicht zu erneuern, und die dafür einen anderen Arbeitsplatz am gleichen Ort suchten — was natürlich zu Protesten von Seiten Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau-Ruhr führte. 2 0 1
Kohle gegen Arbeiter... — Aber Arbeiter sind nicht aufzutreiben Wenn wir jetzt die Detailperspektive verlassen, die uns gezeigt hat, was im Ruhrgebiet geschah, und wieder einen mehr allgemeinen Blickwinkel einnehmen, so stehen wir vor folgender Situation: am 20. Oktober 1941 sandte der zur Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amts gehörende Legationsrat Werner Junker eine dringende Botschaft an Carl Clodius, in der die Befürchtungen übermittelt wurden, die die italienische Regierung bezüglich der ungenügenden deutschen Kohlelieferungen hegte. Junker berichtete ferner: „Im Ruhrgebiet ist die Förderung von 425.000 tato (Tonnen pro Tag) im Sommer trotz vermehrter Arbeitereinstellung auf rund 390.000 tato abgefallen (...) Unter diesen Umständen gewinnt die auch von Geiselhart mit Giannini schon behandelte Frage der Stellung zusätzlicher norditalienischer Arbeitskräfte noch mehr Bedeutung. Benötigt würden aus Italien zu den bereits eingesetzten rund 13.000 Bergarbeitern noch rund 20.000 M a n n . . . " 2 0 2 Dies war der Ausgangspunkt einer komplizierten Angelegenheit, die sich im Laufe des Jahres 1942 entknotete und bei der die fortgesetzte Schwächung der südländischen Speerspitze der ,Achse" mit dem zunehmenden Hunger der deutschen Kriegswirtschaft nach Arbeitskräften konvergierte. Gegen Ende des Jahres 1941 teilte Staatssekretär Giannini — nach etlichen Gesprächen — der Deutschen Botschaft in Rom mit, daß Mussolini angesichts der Dringlichkeit, mit der Italien über höhere Mengen deutscher Kohle zu verfügen wünschte, sowie der Unmög199 A C S , MI, D G P S , PS 1941, Kategorie K 1 B 1 5 , Band 55, 27. 6. 41, Quästur Potenza, Bericht über die wirtschaftliche und politische Situation, S. 8. 200 BA/MA, RW 20-6, Rü-In Münster, Band 22, Bl. 93, Bericht vom 14. 11. 1941, S. 6. 201 NAW, Τ 83, Film-Nr. 49, Harpener Bergbau A G , Rundschreiben vom 30. 12. 1941, Nr. 523, ProtokollNr. G-Nr. Β 2062. 202 PA/AA, Clodius, Italien, Band 9, Fernschreiben vom 20. 10. 1941, Protokoll-Nr. H a Pol IV b 7208/41.
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lichkeit, weitere Kontingente von Bergarbeitern nach Deutschland zu schicken, entschieden habe, schnellstmöglich 12.000 Arbeiter, die an schwere Tätigkeiten in rauhem Klima gewöhnt waren, ins Reich zu schicken; von diesen sollten 6.000 Mann ftir den Transport der Kohle nach Italien eingespannt werden, während die übrigen 6.000 für Hilfsarbeiten beim Abbau der Kohle eingesetzt werden könnten. Dieses Kontingent sollte militärisch organisiert werden und unter dem Befehl von Offizieren des italienischen Heeres stehen. Das italienische Oberkommando (Comando Supremo) hatte nach einigen Bedenken seine Zustimmung erteilt. 203 Die Zahl von 12.000 Mann schien die Behörden in Berlin nicht zufriedengestellt zu haben; denn im Rahmen der Verhandlungen über die Anwerbung von weiteren Industriearbeitern, die zu Beginn des Jahres 1942 geführt werden sollten, bestanden sie darauf, das Kontingent an Bergarbeitern auf 36.000 zu erhöhen. Clodius selbst präzisierte die Notwendigkeit einer „Entsendung von 36.000 Bergarbeitern oder von solchen Arbeitern, die zur Arbeit als Bergarbeiter geeignet sind (...). Die italienische Regierung (...) wird uns in den nächsten Tagen mitteilen, bis zu welcher Ziffer sie ihr Angebot von 12.000 Arbeitern zu steigern für möglich hält." 2 0 4 Sowohl Giannini wie General Carlo Favagrossa, der Chef des Rüstungsministeriums („Fabbriguerra"), äußerten sogleich Zweifel über die Möglichkeit, eine solche Zahl zu erreichen. 205 Die deutschen Unterhändler insistierten darauf, zeigten sich nach einigem Widerstreben jedoch um ihren guten Willen zu zeigen — dazu bereit, den Wünschen des Verbündeten bezüglich der Arbeitskleidung der Bergleute nachzugeben: Rom hatte nämlich erklärt, man sei absolut nicht in der Lage, die Abreisenden entsprechend auszustatten und die Reichsregierung gebeten, dafür aufzukommen. 206 Auch die italienischen Militärbehörden gaben sich widerstrebend und schienen nicht bereit, mehr als die 12.000 versprochenen Arbeitskräfte zuzugestehen. Ihre Zustimmung war andererseits notwendig, weil die in Frage kommenden Männer den wehrpflichtigen Jahrgängen angehörten 207 oder bereits in militärische Verbände eingegliedert worden waren. Noch nicht einmal eine persönliche Intervention des OKW-Vertreters beim deutsch-italienischen Regierungsausschuß fiir Wirtschaftsfragen, Oberst Joseph Bech, bei General Favagrossa hatte dazu beitragen können, das Problem zu lösen. 208 Das italienische Oberkommando erklärte sich bestenfalls dazu bereit, die Anwerbung von Arbeitern, die vor dem Jahr 1908 geboren waren, zuzulassen. Während sich die Verhandlungen in Rom verzögerten, wurde der Druck auf die deutschen Unterhändler von selten der für die Kohlenproduktion verantwortlichen Organe verstärkt; die
2 0 3 PA/AA, Handakten Wiehl (im folgenden: Wiehl), Akten betreffend Italien (im folgenden: Italien), Band 14, Telegramm vom 30. 12. 1941, unterzeichnet Bismarck. 2 0 4 PA/AA, Clodius, Deutsch-italienische Verhandlungen in Rom (Drahtberichte) Januar-März 1942, Fernschreiben vom 21. 1. 1942. 2 0 5 Ebenda. 2 0 6 Ebenda, sowie PA/AA, Wiehl, Italien, Band 14, Telegramm aus Rom vom 23. 1. 1942, und ADAP, Serie E, Band 1, Dok. 168, S. 2 9 8 - 2 9 9 (hier S. 299). Die endgültige Zustimmung von deutscher Seite zu der Lieferung von Arbeitskleidung für die italienischen Bergleute kam wenige Tage später, am 9. 2. 1942, vgl. PA/AA, Wiehl, Italien, Band 14, Bl. Ε 0 5 6 . 4 3 2 , Fernschreiben vom 9. 2. 1942. 2 0 7 PA/AA, Clodius, Deutsch-italienische Verhandlungen in Rom (Drahtberichte), Januar-März 1942, Fernschreiben vom 1. 2. 1942 (Blätter Nr. E 4 0 1 4 0 4 - E 4 0 1 4 1 8 des Bandes, hier Blatt Nr. E 4 0 1 4 0 4 ) . 2 0 8 BA/MA, Wi-Rü Amt, R W 19, W i / I B , Band 1.39, Vortragsnotiz fiir den Herrn Militärattache vom 27. 1. 1942.
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Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt
und
Kriegswirtschaft
Interventionen reichten von der höchsten bis zur mittleren Ebene. Ende Januar 1942 weist der Chef der Reichsvereinigung Kohle (RVK), Paul Pleiger, das Auswärtige Amt auf die „größte Dringlichkeit ehestbaldiger Zurverfügungstellung von 40.000 leistungsfähigen italienischen Bergarbeitern" hin. 2 0 9 Die Betriebsleitungen der Bergwerke hatten ihrerseits bereits gegen Mitte Februar begonnen, Gruppen italienischer Arbeitskräfte des geplanten neuen Kontingents bei den zuständigen Landesarbeitsämtern anzufordern. 2 1 0 Ein Kompromiß zwischen italienischen und deutschen Bedürfnissen schien sich gegen Ende Februar anzubahnen, als die italienischen Militärbehörden entschieden, ihre Genehmigung dafür zu erteilen, die Anwerbung von Bergarbeitern auf die Jahrgänge bis 1916 auszudehnen. Der italienische Vorschlag sah jedoch vor, daß dafür auch die älteren Jahrgänge (bis zum Geburtsjahr 1900) in die Anwerbung mit einbezogen werden sollten. 211 Deutscherseits wurden schließlich alle Bedingungen des Verbündeten akzeptiert, sowohl jene über die anzuwerbenden Arbeiterjahrgänge wie die bezüglich der Arbeitskleidung. Clodius bemerkte in seinem Bericht an das Auswärtige Amt: „Im übrigen ist die Zustimmung der italienischen Regierung zu der Entsendung von 36.000 Bergarbeitern bekanntlich nur auf unser stärkstes Drängen und unter Anrufung der Entscheidung des Duce erreicht worden." 2 1 2 Die Frage wird schließlich definitiv gelöst mit der Unterzeichnung des „Neunten Geheimen Protokolls" vom 14. März 1942, 2 1 3 in dem unter anderem festgelegt wurde, daß die deutscherseits geforderten 36.000 Bergarbeiter in Italien angeworben und ins Reich geschickt werden sollten. Als Gegenleistung verpflichtete sich Berlin dazu, seine Kohlelieferungen von 1.050.000 auf 1.200.000 Tonnen pro Monat zu erhöhen. Es handelte sich weniger um einen Vertrag als um eine weitere Vorspiegelung falscher Tatsachen im Wechselspiel der beiden ,Achsen "mächte. Beide Seiten wußten, daß sie nicht in der Lage waren, die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Bereits während des Schriftwechsels, der zwischen Mitte Februar und Mitte März zwischen Auswärtigem Amt, Reichsverkehrsministerium, Reichswirtschaftsministerium und Reichsvereinigung Kohle in der Frage der Lieferungen an Italien geführt wurde, hatte der Chef der Reichsvereinigung Kohle gegenüber Ribbentrop wie gegenüber seinem Stellvertreter von Weizsäcker unmißverständlich erklärt, „daß unter den obwaltenden Umständen auch im Monat März nach Italien nicht mehr als höchstens 750.000 bis 800.000 t Kohle abgefahren werden können". 2 1 4
209 PA/AA, Wiehl, Italien, Band 14, Fernschreiben von Lurtz an Clodius, vom 31. 1. 1942. 210 NAW, Τ 83, Film-Nr. 49, Harpener Bergbau AG, Antwort der Essener Steinkohlebergbau A G vom 6. 3. 1942 auf den Fragebogen der Bezirksgruppe vom 28. 2. 42; die Essener Steinkohlenbergbau AG teilte mit, daß sie 180 Italiener für die Zechen Grillo und Grimberg benötige sowie weitere 150 Italiener für die Zechen Dorstfeld und Oespel. 211 PA/AA, Clodius, Deutsch-italienische Verhandlungen in Rom (Drahtberichte), Januar-März 1942, Fernschreiben vom 2 1 . 2 . 1942. 212 Ebenda, Fernschreiben vom 2. 3. 1942. 213 ACS, Ministero dell'Aviazione (Luftfahrtministerium), G 1942, Band 103, Faszikel 8.II.5/2; PA/AA, Wiehl, Italien, Band 14. 214 PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 10, Bl. 125257-279, Brief des AA an den RVM vom 19. 2. 1942, Antwort des RWM vom 23. 2. 1942; Brief des Vorsitzenden der RVK an das AA vom 28. 2. 1942; Brief des RWM an das AA vom 4. 3. 1942; Antwort des AA an die RVK vom 13. 3. 1942; weiterer Brief der RVK an das AA vom 18. 3. 1942 (hier zit. Bl. 125259).
Kohle im Tausch gegen Arbeitskräfte
335
Man sprach also nicht nur nicht davon, die Lieferungen zu erhöhen, sondern das Reich war noch nicht einmal in der Lage, die normale Quote zu erfüllen, die in der Tat im März auf 800.000 Tonnen beschränkt blieb. Clodius schickte deswegen am 27. April 1942 ein besorgtes Telegramm ab, wonach „ernsteste italienische Klagen" zu erwarten waren, um so mehr als das Reichswirtschaftsministerium es laut Clodius für unmöglich hielt, „mehr als 850.000 Tonnen zu liefern". 215 In der Zwischenzeit liefen die Anwerbungen in verschiedenen Provinzen Italiens an. Diesmal schienen tatsächlich die Regionen Nord- und Mittelitaliens ausgewählt worden zu sein. Aus Cremona teilte der Quästor am 30. März 1942 dem Innenministerium mit: „Die zuständige Syndikatsorganisation ist an der Arbeit, um Arbeiter zu finden, die den unverzichtbaren physischen und politischen Anforderungen entsprechen, um das Arbeitsproblem zu lösen, für das unsere Arbeiter in die Bergwerke des Rheinlandes und Schlesiens gerufen werden." 216 Ahnliche Nachrichten trafen aus der Provinz Alessandria ein: „Mit der im Gang befindlichen Anwerbung von nach Deutschland zu schickenden Handlangern für die Kohlebergwerke hofft man, ein gewisses Kontingent von Arbeitern aus den Zementbrüchen von Casale abfließen zu lassen." 217 Aus Ancona wurde verlautbart, die „Hilfsarbeiter, die bei Außenarbeiten innerhalb der deutschen Kohlebergwerke eingesetzt werden sollen", würden aus allen Kategorien von Industriearbeitern herausgezogen. 218 Dieses Mal waren die italienischen Arbeiter nicht nur für das Ruhrgebiet bestimmt; das Kontingent sollte vielmehr zwischen allen Kohlengebieten des Reiches aufgeteilt werden, wie die folgenden Tabelle zeigt: 219
Tabelle 21 Geplante Verteilung des italienischen Kontingents im Jahre 1942 Region
Italienische Arbeiter
Prozent
Ruhrbergbau
9.100
25,3
Saarbergbau
4.000
Bergbau Lothringen Bergbau Oberschlesien Sudetenbergbau Insgesamt
1.000
11,1 2,8
15.000
41,7
6.900
19,1
36.000
100
Quelle: BA Koblenz, R 1 0 VIII, Band 52.
2 1 5 A D AP, Serie E, Band II, Dok. Nr. 1 6 9 vom 2 7 . 4. 1 9 4 2 , S. 2 7 9 - 2 8 0 . 2 1 6 A C S , MI, D G P S , PS 1 9 4 2 , Kategorie K l Β 1 5 , Band 7 3 , 30. 3. 1 9 4 2 , Quästur Cremona, Bericht über die politisch-wirtschaftliche Lage der Provinz, S. 4. 2 1 7 Ebenda, Band 72, 3 1 . 3. 1 9 4 2 , Quästur Alessandria, Bericht über die politisch-wirtschaftliche Lage der Provinz, S. 4. 2 1 8 Ebenda, Band 7 2 , 3 1 . 3 . 1 9 4 2 , Quästur Ancona, Bericht über die politisch-wirtschaftliche Lage der Provinz. 2 1 9 BA Koblenz, R 1 0 VIII, RVK, Band 52, Bl. 1 0 - 1 3 , Brief des G B A an die R V K vom 30. 4. 1 9 4 2 , betreffend Bedarf und Bedarfsdeckung im Bergbau (Abschrift), Arbeitseinsatz im Bergbau, Prot.Nr. Va 5 2 1 0 / 7 0 .
336
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Die Anwerbemaschinerie kam jedoch nur sehr langsam in Gang: Anfang April waren erst 1.000 italienische Arbeiter im Reich angekommen. 220 Nach einem umfangreichen Bericht, der am 2. Mai von der Botschaft Rom abgeschickt wurde, 221 war diese Verzögerung auf verschiedene Ursachen zurückzuführen; eine davon sah man in der häufig ungünstigen Situation, in der sich die italienischen Arbeiter im Reich befanden, und in der Art und Weise, wie sie behandelt und betrachtet wurden. Diesbezügliche Besorgnisse und Erwägungen darüber, wie diese Nachrichten unter den für die Anwerbung verantwortlichen italienischen Dienststellen kursierten, wurden sowohl von Cianetti, dem damaligen Staatssekretär im Korporationsministerium, wie von Giuseppe Lombrassa, dem Chef des CCoMIn, deutlich ausgesprochen. Aber das Hauptproblem sah der Verfasser des Botschaftsberichts in der folgenden Haltung: „Die führenden Kreise der italienischen Industrie arbeiten gegen die Abgabe von Industriearbeitern an Deutschland, weil sie arbeitseinsatzmäßige Schwierigkeiten in ihren eigenen Betrieben befürchten. Der italienische Industrielle ist an ein gewisses Angebot von Arbeitskräften gewöhnt, auf das ungern verzichtet wird. Hinzu kommt die neuerdings hier festgestellte Befürchtung, Deutschland beabsichtige, die von Italien geplante industrielle Entwicklung durch die Abziehung gewerblicher Arbeitskräfte zu beeinträchtigen und Italien für immer die Rolle eines Agrarstaates mit unbedeutender Industrie zuzuweisen." Ein weiteres Hindernis für die Anwerbungen sah man in der übermäßigen Vermehrung der deutschen Dienststellen, die sich in Rom mit dem Auftrag niedergelassen hatten, sich der Einstellung von Arbeitskräften zu widmen. Davon gab es nämlich bereits fünf Stück: das Sozialreferat der Botschaft unter der Leitung eines Beamten des RArbM; die Arbeitseinsatzstelle des Reichsarbeitsministeriums selbst; der Beauftragte für den Vierjahresplan — GB Chem, der mit der Anwerbung von Bauarbeitern im Rahmen des Programms „Firmeneinsatz" beschäftigt war; der Beauftragte der RVK, zuständig für die Anwerbung von Bergleuten; der Beauftragte des Reichsluftfahrtministeriums (RLM), verantwortlich für die Einstellung von Technikern und Spezialisten für die Luftfahrtindustrie. Nicht zu vergessen schließlich, so der Botschaftsbericht, die Widerstände, die von Seiten der italienischen Militärbehörden bezüglich der Anwerbung von Männern der Jahrgänge 1908 bis 1916 gemacht wurden; in der Tat wurden solche Wehrpflichtige zumeist nur dann zur Verfügung gestellt, wenn sie zuvor ausgemustert worden waren. Ich komme weiter unten noch auf den zweiten Punkt zurück, der sicherlich sehr viel bedeutsamer ist und der anhand umfangreichen italienischen Quellenmaterials belegt werden kann. Was die Bedenken des italienischen Oberkommandos angeht, so wurden diese Ende Juni überwunden, als Favagrossa und das „Fabbriguerra" auf den Druck Gianninis hin ihre Genehmigung gaben, 6.000 bis 7.000 Angehörige der jüngeren Jahrgänge zur Verfügung zu stellen. 222 Aus den verschiedenen Provinzen kamen jedoch weiterhin Nachrichten über Schwierigkeiten bei den Anwerbungen an. Die Quästur von Cremona berichtete: 220 PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 8, Bl. 125285-291, Brief des RWM an das AA vom 27. 4. 1942, Prot.Nr. V Ld.2/1532/42 g, Anlage 2; vgl. auch Willi A. Boelcke (Hrsg.Α Deutschlands Rüstung im zweiten Weltkrieg. Hitlers Konferenzen mit Albert Speer 1942-1943, Frankfurt am Main 1969, S. 93-94. 221 PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 8, Bl. 421215-225, Telegramm vom 2. 5. 1942, gez. Plessen. Die Mitteilung enthielt einen Bericht des OKVR Brockhausen (Beauftragter der RVK für die Anwerbung von Bergarbeitern in Rom) über die vorgefundenen Schwierigkeiten sowie anschließend einen genauen Kommentar der Botschaft (Zitat Bl. 421219). 222 PA/AA, Clodius, Italien, Band 15/1, Telegramm des Botschafters Mackensen vom 24. 6. 1942, in dem die Mitteilung Gianninis an die Botschaft vom 22. d. Mts. übermittelt wird.
Kohle im Tausch gegen Arbeitskräfte
337
,Anwerbeanträge fehlen (...) völlig, weil die wirtschaftlichen Bedingungen, die die deutsche Bergbauindustrie unseren Arbeitern anbietet, unter denen liegen, die in den übrigen deutschen Industriesektoren praktiziert werden, wo über Tage gearbeitet wird; teilweise liegen die Angebote sogar unter den Verdienstmöglichkeiten, die die Arbeiter (...) in Italien haben können (...). Man wird daher zu der Zwangsverpflichtung der als geeignet angesehenen Arbeiter übergehen müssen, auch wenn diese im Arbeitsverhältnis stehen..." 2 2 3 Analog dazu wurde aus Rovigo mitgeteilt, daß ein Mangel an männlichen Arbeitskräften bestünde: „Zur Verschlechterung der Situation hat jüngst eine neue Anwerbung von Handlangern der Jahrgänge 1909 bis 1916 beigetragen, die nach Deutschland geschickt werden sollen, um beim Kohleabbau eingesetzt zu werden". 224 Die dafür ausersehenen 160 Mann sollten allesamt aus „Industriebetrieben der Polesine" herausgezogen werden, für die die „Entziehung einer solchen Arbeitskraft (...) ein großes Opfer darstellen wird". Die Italiener schienen damit ihrer Bereitschaft zur Stellung von Arbeitskräften nachgekommen zu sein — ohne daß sich an der realen Situation etwas geändert hätte - , und die deutschen Behörden mußten wenig später gute Miene zum bösen Spiel machen. Clodius war Mitte Juli gezwungen, Berlin mitzuteilen: „Die italienische Regierung ist (...) nicht in der Lage gewesen, die Entsendung der Bergarbeiter zu organisieren. Bisher sind nur 4.000 Bergarbeiter, also 10 Prozent der zugesagten Anzahl nach Deutschland gekommen." 225 Dieses Defizit habe sich auch deshalb ergeben, weil eine große Zahl derjenigen, die sich bei den Anwerbekommissionen gemeldet hatten, als ungeeignet für die Arbeit im Bergbau angesehen werden mußte. Es sei daher opportun, schloß Clodius, von der ganzen Aktion Abstand zu nehmen und bestenfalls von Italien stärkere Anstrengungen in Richtung einer Anwerbung der 20.000 Bauarbeiter zu verlangen, die jüngst vom Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz angefordert worden seien. Mit diesem Vorschlag hatte sich auch der Chef der RVK, Pleiger, einverstanden erklärt, der sich im übrigen darüber im klaren war, daß von den 14.000 italienischen Bergleuten, die 1941 angeworben worden waren, sich nur noch 3.500 an ihrem Arbeitsplatz befanden und daß es Gründe für die Befürchtung gab, daß es bei dem neuen Kontingent nicht anders sein würde. Anstelle der italienischen Arbeiter müßten daher Russen eingesetzt werden. Natürlich müßten die Italiener auf die versprochenen Zusatzlieferungen an Kohle verzichten 226 (bei denen es jedoch mehr als zweifelhaft war, ob sie überhaupt hätten realisiert werden können). Ein Abkommen in diesem Sinne, das den deutschen Verzicht auf 26.000 Bergarbeiter vorsah, für die hingegen weitere 20.000 Bauarbeiter und 6.000 Metallar-
223 ACS, MI, DGPS, PS 1942, Kategorie K1B15, Band 73, 30. 6. 1942, Quästur Cremona, Bericht über die politisch-wirtschaftliche Lage der Provinz, S. 4. 224 Ebenda, Band 76, 28. 6. 1942, Quästur Rovigo, Bericht über die politisch-wirtschaftliche Lage der Provinz, S. 4—5. 225 PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 9, Bl. 73321-323, Fernschreiben vom 17. 7. 1942; A DAP, Serie E, Band III, Dok. 101, S. 178-180 (hier S. 179). 226 Ebenda.
338
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
beiter „geliefert" werden sollten, wurde im August im Rahmen der Verhandlungen für die Abfassung des „Zehnten Geheimen Protokolls" erzielt. 227 Wie aus den Dokumenten der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation hervorgeht, war die Gesamtzahl der für den Einsatz in den deutschen Bergwerken rekrutierten Arbeiter immer bei weitem niedriger als die der angeforderten Arbeiter: Ende Mai betrug die Zahl der Anwärter für die Anwerbung, die aus den mittleren Jahrgängen 1906 bis 1908 herausgezogen worden waren, insgesamt 13.703. 2 2 8 Mitte Juni hatten die deutsch-italienischen Gesundheitskommissionen insgesamt 15.695 Arbeiter untersucht, von denen nur 10.076, also 64,2 Prozent, als geeignet betrachtet worden waren. Von diesen reisten jedoch in Wirklichkeit nur 5.367 ab. 2 2 9 Z u m 31. August, als das Reich bereits von der Idee Abstand genommen hatte, alle vorher angeforderten italienischen Bergarbeiter zu übernehmen, hatten 7.833 Arbeiter die deutschen Bergwerke erreicht. 230 Noch nicht einmal die reduzierte Zahl von 10.000 Arbeitern wurde voll gemacht: die Spitze, die am 8. Januar 1943 erreicht wurde, betrug 7.920 Mann. 2 3 1 Es wird berichtet, daß unter den Arbeitern in den Bergwerken die Unzufriedenheit größer war als anderswo - und zwar so hoch, daß die italienische Postzensur es für wichtig erachtete, darüber zu berichten. Ein weiteres Mal ist es die Quästur von Cremona, die am 31. Dezember 1942 vermerkt, daß „von den Arbeitern, die in die Kohlebergwerke geschickt worden sind, laute Klagen über die schwere Arbeit und die geringe Entlohnung" vorgebracht worden seien. 232 Als kurze Zeit später die Verhandlungen über die Heimkehr der italienischen Arbeiter geführt wurden, kam die Frage der Bergarbeiter von neuem auf die Tagesordnung, da die deutschen Behörden die jüngste Reduktion der Kohlelieferungen für Italien mit der geplanten Rückführung jener wenigen Tausend Arbeiter, die in den Zechen tätig waren, begründet hatten. In Rom wurde daher Mitte Juni 1943 beschlossen, diese von der Rückführung auszuschließen. 233 Die Entscheidung wurde am 16. August von der neuen Regierung unter Führung Marschall Badoglios bestätigt. Gegenüber den Klagen Pleigers, der den Ausfall der 36.000 Arbeiter als Ursache für die ausstehenden Kohlelieferungen angab, schlug der italienische Verkehrsmini-
227 A DAP, Serie E, Band III, Dok. 200, S. 338-340, Clodius an das AA, Mitteilung vom 17. 8. 1942 aus Brioni (Istrien). 228 AP Landi, Band 16, CFLI - Statistische Angaben über die industriellen Arbeiter in Deutschland 1938-1942, sowie CFLI, Bericht für den Präsidenten vom 28. 5. 1942; die Aufteilung nach Provinzen befindet sich in Tabelle 22 im Tabellenanhang. 229 Ebenda, Brief der Dienststelle Italien des GBA an das C C o M I n und die CFLI vom 19. 6. 1942, Prot. 1/ 5780.14/5210. 230 Ebenda, CFLI (Dienststelle Italienische Arbeiter in Deutschland), Italienische Arbeiter in Deutschland aufgrund der Vereinbarungen vom 2. 3. 1942, Stand der Tabelle: 3 1 . 8 . 1942. 231 Ebenda, Stand der Tabelle: 8. 1. 1943. 232 ACS, MI, DGPS, PS 1942, Kategorie K l Β15, 31. 12. 1942, Quästur Cremona, Bericht über die politisch-wirtschaftliche Lage der Provinz, S. 8. 233 ASMAE, AC, Germania, 1943, Position 4 / 1 - 6 / 1 , Faszikel 4 / 3 - 1 , Brief des Verkehrsministers (MCom) an das MAE vom 13. 6. 1943; Telegramm des MAE (Giannini) an das AA (Clodius) vom 18. 6. 1943; darin forderte Giannini ein weiteres Mal von Clodius die Erhöhung der monadichen Kohlequote auf 1.100.000 Tonnen und garantierte seinerseits, daß die Bergarbeiter von der Rückfuhrungsaktion ausgenommen würden; Telegramm des MAE an das MCor vom 23. 6. 1943.
Kohle im Tausch gegen Arbeitskräfte
339
ster seinen Kabinettskollegen vor, daß „auch geprüft werden soll, ob es möglich wäre, nochmals ein gewisses Kontingent an Bergarbeitern nach Deutschland zu schicken". 234 Wie schon im Falle der Bauarbeiter wurden die Menschen den Problemen der Rohstoffversorgung untergeordnet. Drei Wochen später kam der 8. September.
Anhang Tabelle 22 Geplante Anwerbezahlen nach Provinzen im Jahre 1942 Alessandria
566
Novara
138
97
Padua
248
Aosta
220
Parma
378
Apuania (Massa Carrara)
312
Pavia
137
Ancona
Aquila
21
Perugia
195
Arezzo
30
Pesaro
92
Ascoli Piceno
20
Pescara
144
Piacenza
172
Asti
6
Belluno
26
Bergamo
Pisa
99
372
Pistoia
64
Bologna
359
Reggio Emilia
280
Brescia
261
Rieti
206
10
Campobasso
Rom
205
Chieti
199
Rovigo
151
Como
173
Savona
224
Cremona
16
Siena
44
Cuneo
98
Sondrio
35
Ferrara
299
Spezia
127
Florenz
636
Teramo
68
Fori!
345
Turin
50
Frosinone
184
Trient
353
50
Treviso
106
Genua Görz
112
Triest
54
234 Ebenda, Brief des MCom an den Regierungschef, an das Oberkommando der italienischen Armee, an das MAE, an das Ministero della Produzione Bellica (im folgenden: MPB), an das Ministero dell'Industria, Commercio e Lavoro (im folgenden: MICL) vom 16. 8. 1943.
340
Zwischen Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
Tabelle 22 — Fortsetzung Grosseto
70
Udine
285
Imperia
175
Varcse
50
Littoria (Latina)
29
Venedig
709
Livorno
159
Vercelli
642
Lucca
765
Verona
40
Macerata
59
Vicenza
550
Mantua
10
Viterbo
280
Mailand
1.365
Modena
533
Insgesamt
13.703
Quelle: AP Landi, cartella 16.
5. Auskämmung aus den italienischen Fabriken fiir die Kriegswirtschaft im „Dritten Reich". Die großen Einberufungen des Jahres 1941 Zwischen Dezember 1940 und Februar 1941 fand ein entscheidender Umschwung in der Anwerbung von italienischen Arbeitskräften für das „Dritte Reich" statt: Deutschland erwartete von seinem Verbündeten im Mittelmeerraum in beträchtlicher Zahl Facharbeiter für die eigene Rüstungsindustrie. Das erste Anzeichen für das Bevorstehende findet sich in einer Depesche vom 10. Dezember 1940, die der italienische Botschafter in Berlin, Dino Alfieri, an das Außenministerium in Rom sandte: „Habe von offiziöser Seite erfahren, daß hiesiges Arbeitsministerium beabsichtigt, weitere Sendung von 54.000 italienischen Industriearbeitern nach Deutschland zu fordern, folgendermaßen aufgeteilt: 10.000 für Arbeit Bergwerke; 20.0000 Bau Luftschutzbunker; 2.000 diverse dringliche Arbeiten; 4.000 Arbeit Häfen und Transportwesen."235 Wenige Tage später wurde die Frage im Verlauf eines Gesprächs Alfieris mit Ribbentrop und Hitler von dem NS-Diktator höchstpersönlich aufgegriffen, der darüber klagte: „Deutschlands Produktionskapazität sei auf vielen Gebieten des Rüstungswesens nicht voll ausgenutzt, weil die notwendigen Arbeiter nicht vorhanden wären." 236 Aus dem Protokoll der Besprechung gewinnt man den Eindruck, daß Hitler es vermied, präzise zu antworten, als sein Gesprächspartner ihn fragte, ob er damit gemeint habe, daß Deutschland weitere Kontingente an Arbeitskräften aus Italien zu erhalten wünsche. Jedenfalls verbreitete sich bei den italienischen Botschaftsmitgliedern der Eindruck, daß Anfragen dieser Art
235 DDI, Nona Serie, Band 6, Dok. 273, S. 256. 236 ADAP, Serie D, Band XI/2, Die Kriegsjahre (13. 11. 1940 bis 31. 1. 1941), Bonn 1964, Dok. 538, S. 760-762.
Auskämmung fiir die Kriegswirtschaft im „Dritten Reich "
341
bevorstünden. 2 3 7 Die Beamten der Botschaft hatten vollkommen recht: denn am 2 3 . D e z e m ber forderte Carl Clodius den Deutschen Botschafter in R o m , Mackensen, auf, den italienischen Behörden folgendes mitzuteilen: „Besonders vordringlich ist ( . . . ) Aufstellung eines Programms für eine Arbeitsteilung zwischen der deutschen und der italienischen Industrie in allen den Fällen, in denen hierdurch Rohstoffe und Arbeitskräfte gespart und noch während des Krieges ein sofortiger Nutzeffekt erzielt werden kann. In diesem Zusammenhang m u ß auch Frage weiterer Entsendung italienischer Arbeiter nach Deutschland erörtert werden." 2 3 8 Die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kriegswirtschaft und Rüstungsindustrie war Gegenstand von Verhandlungen, die vom 2 9 . Dezember bis zum 6. Januar zwischen einer italienischen Delegation unter Leitung von General Favagrossa, dem C h e f des „Fabbriguerra", und den Reichsbehörden stattfanden. 2 3 9 O b w o h l die Protokolle davon nichts berichten, sprach man bei dieser Gelegenheit auch über die „Frage der E r h ö h u n g der Zahl der nach Deutschland zu entsendenden italienischen Arbeiter, und zwar vor allem Metallarbeiter". D e m italienischen General wurde klargemacht, daß es sich dabei „um einen der wichtigsten, wenn nicht überhaupt um den wichtigsten Punkt der gegenwärtigen Vereinbarungen" handelte. 2 4 0 In der diesbezüglichen Mitteilung, die die Handelspolitische Abteilung am 11. Januar 1 9 4 1 an die Botschaft R o m schickte, forderte das A A einen „sofortigen Drahtbericht" an, der die Gesamtzahl der in der italienischen Industrie beschäftigten Arbeiter aufführen und präzisieren sollte, wieviele Arbeiter in den verschiedenen Zweigen der Metallindustrie und des Maschinenbaus tätig seien. Ferner sollte eine Schätzung bezüglich der Zahl der Facharbeiter mitgeteilt werden, die nach Deutschland transferiert werden k ö n n t e n , sowie die der Hilfsarbeiter, die im Reich ausgebildet werden könnten, um halbqualifizierte Arbeiten auszuführen. 2 4 1 Alle diese Informationen, hieß es weiter in der Weisung, sollten für die bevorstehenden bilateralen Regierungsverhandlungen gesammelt werden, die italienischerseits — wie üblich — unter der Führung von Amedeo Giannini stehen sollten. N u r drei Tage später antwortete Mackensen, Giannini habe ihn wissen lassen, daß er sich vollkommen bewußt sei, welche Bedeutung die Frage der Arbeitskräfte habe. Nachdem er darüber m i t Favagrossa gesprochen habe, habe sich der Staatssekretär sogar bereits mit dem Korporationsministerium und mit den Industriellenvereinigungen in Verbindung gesetzt und habe versucht, mit diesen zusammen die Möglichkeiten zu bewerten, die bestünden, um die Anforderungen des Verbündeten zu befriedigen. Nach Meinung Gianninis wäre es jedoch äußerst schwierig, größere Gruppen von Metallarbeitern nach Deutschland zu schicken. 2 4 2 D e r B o t -
237 Leonardo Simoni (Pseudonym für Michele Lanza, Zweiter Botschaftsrat der Italienischen Botschaft in Berlin), Berlino Ambasciata d'Italia, Rom 1946, S. 190. 238 ADAP, Serie D, Band XI, 2, Dok. 554, S. 777-778. 239 Vgl. ebenda, Dok. 619, vom 7. 1. 1941, S. 868-869; sowie PA/AA, Wiehl, Italien, Band 12, Brief des Gesandten Clodius vom 6. 1. 1941 an den Botschafter Giannini, Bl. 445.041—445.052. 240 PA/AA, Handakten Clodius (Clodius), Akten betreffend Italien (Italien), Band 6, Brief des Gesandten Clodius vom 11. 1. 1941. Kopie auch in Handakten Wiehl (Wiehl), Akten betreffend Italien (Italien), Band 12, Bl. 445.061-062. 241 PA/AA, Clodius, Italien, Band 6, Brief des Gesandten Clodius vom 11. 1. 1941. Eine Kopie des Schreibens auch in PA/AA, Wiehl, Italien, Band 12, Bl. 445.061-62. 242 PA/AA, Wiehl, Italien, Blatt 12: Telegramm vom 14. 1. 41, Band 12, Bl. 445.070.
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schafter des „Dritten Reichs" stimmte mit dieser pessimistischen Ansicht überein. Nachdem er die verlangten zahlenmäßigen Schätzungen geliefert hatte, urteilte er folgendermaßen: „Gelernte Metallarbeiter können von Italien voraussichtlich überhaupt nicht abgegeben werden, da in letzterer Zeit bereits Deckung eigenen Bedarfs schwierig." 243 Seiner Meinung nach wäre es hingegen möglich, starken Druck auszuüben und aus den anderen Industriezweigen etwa 200.000 Facharbeiter und eine halbe Million Hilfsarbeiter herauszuholen. Man müsse jedoch die italienischen Behörden überzeugen, die Beschränkungen für die Anwerbungen fallen zu lassen. Vor allem müsse das Verbot der Anwerbung für die nach 1905 geborenen Jahrgänge überwunden werden. In dieser Frage müsse man jedoch mit starken Widerständen von Seiten der Militärbehörden rechnen. Zum Abschluß seines Berichts warf der Botschafter ein entscheidendes Problem auf: „Letzten Endes Frage, inwieweit Italiener im gemeinsamen Kampf .Achse' als Arbeiter oder Soldat einzusetzen." Der Botschafter war sich der Bedeutung der Frage wohl bewußt und unterstrich, daß diesbezüglich Entscheidungen an „höchster Stelle" nötig seien. In seinem Bericht vom darauffolgenden Tag, dem 15. Januar 1941, der direkt an Ribbentrop weitergeleitet wurde, machte sich Carl Clodius die Argumentation von Mackensens zu eigen und erklärte dem für die Außenpolitik des „Dritten Reichs" Meistverantwortlichen: „Wenn eine größere Anzahl italienischer Metallarbeiter nach Deutschland überführt werden soll, so ist das nur möglich, wenn die Auswahl nicht auf die Facharbeiter für Rüstungsbetriebe im engeren Sinne beschränkt wird, sondern aus der Gesamtheit der in der Metallindustrie beschäftigten Arbeiter vorgenommen wird." 2 4 4 Der Hauptunterhändler des AA machte deutlich, daß in Italien zwar eine Zahl von 1,1 Millionen Arbeitern arbeitslos oder unterbeschäftigt sei, man sich jedoch nicht auf diese Reserve stützen solle, „da für Deutschland in erster Linie nur Arbeitskräfte von Interesse sind, die wenigstens schon in der Metallindustrie gearbeitet haben". Im Lauf der bevorstehenden Verhandlungen müsse man daher die italienische Seite davon überzeugen, „mindestens 200.000 Arbeiter (...), die in der Metallindustrie oder verwandten Industrien gearbeitet haben", zur Verfügung zu stellen. Die Aufgabe wurde jedoch erleichtert durch die kritische Situation, in der sich Italien sei es unter militärischen Gesichtspunkten, sei es in der Frage der Rohstoffe, befand. Dies zwang die Regierung in Rom dazu, an den stärkeren Verbündeten große Anforderungen an Hilfen und Nachschub zu stellen. 245 243 Ebenda, Telegramm vom 14. 1. 41, Bl. 445.072-445.073. - Ich liste hier die vom Botschafter geschätzten Zahlen auf: die Industriearbeiter betrugen danach 4,4 Millionen; davon waren 4,1 Millionen beschäftigt, während die bei den Arbeitsämtern registrierte Arbeitslosenzahl sich auf 437.000 belief. Die Metallarbeiter betrugen 825.000, darunter 61.000 Arbeitslose und 764.000 Beschäftigte; letztere verteilten sich folgendermaßen auf die verschiedenen Industriezweige: Eisenindustrie 106.429, Walzwerke 13.196, Hochöfen 11.832, Gießereien 29.655, Feinmechanik und verwandte Zweige 475.550, Luftfahrt- und Kraftwagenindustrie 104.959, Schiffbau 69.669, Außenberufe 13.451. Die Summe der Arbeitslosen wurde auf 600.000 geschätzt, indem zu den von den Arbeitsämtern registrierten noch die hinzugezählt wurden, die offenbar dort nicht aufgeschrieben waren. Weitere 500.000 Arbeiter waren laut von Mackensen unterbeschäftigt und zu Arbeiten von nachrangiger Bedeutung eingesetzt: diese könnten fruchtbarer an anderer Stelle beschäftigt werden, Schloß der Botschafter. 244
PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 4, Fernschreiben vom 15. 1. 41, Bl. Β 001.354-55; Kopie in PA/ AA, Wiehl, Italien, Band 12, Bl. 445.075-76.
245 Vgl. PA/AA, Wiehl, Italien, Band 13, Bl. 4 4 5 . 1 2 1 ^ 4 5 . 1 3 2 : Aufzeichnung vom 3. 2. 41 über die wichtigsten kriegswirtschaftlichen Wünsche Italiens, unterzeichnet vom Gesandten Clodius.
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Soldaten oder Arbeiter? Die Gesamtanforderung an Arbeitskräften, die Deutschland Italien unterbreitete, hatte zu diesem Zeitpunkt 254.000 Arbeiter erreicht. Zu den 54.000, die von Alfieri mitgeteilt wurden, kamen in der Zwischenzeit weitere 200.000 hinzu. Diese zweite Tranche bedeutete eine bemerkenswerte Neuheit, nicht nur in quantitativer Hinsicht. Während das erste Kontingent, wie wir gesehen haben, aus Arbeitskräften zusammengesetzt sein sollte, die bereits früher von den Anwerbungen für Deutschland betroffen waren (Bergleute, Bauarbeiter), waren von der zweiten Gruppe ausdrücklich Metallarbeiter betroffen, die aus den Fabriken herausgeholt werden sollten. Während sich auf der bilateralen Ebene die Gespräche zwischen den Regierungsdelegationen ereigneten, auf die sich Carl Clodius in seinen Meldungen bezog, so wurden parallel dazu auch auf unterer Ebene Gesprächsrunden zwischen den deutschen und italienischen Dienststellen eröffnet, die die konkreten technischen Aspekte der Angelegenheit zu klären hatten. Es ist bezeichnend, daß die erste wie die zweite deutsche Anforderung separat verhandelt wurden und Gegenstand von zwei verschiedenen Abkommenstexten waren. Die Vereinbarung, die die 54.000 Arbeitskräfte betraf, wurde am 1. Februar in Rom unterzeichnet. In ihr wurde ausdrücklich auf die im Vorjahr unterzeichneten Abkommen verwiesen. Auch die gleichartige Zusammensetzung der Verhandlungsdelegation wirft ein Licht auf die Natur und die Merkmale des Abkommens. Alle Unterhändler waren führende Beamte der CFLI, während an Einzelverbänden sowohl die Bauindustrie wie der Bergbau vertreten waren. 246 Abgesehen von den Aspekten, die speziell die Bergarbeiter betreffen (die ich bereits im vorigen Kapitel erwähnt habe), wurde im Protokoll vom 1. Februar 1941 festgelegt, daß die italienischen Arbeiter in der Regel nur in Gruppen von mindestens 50 Mann eingesetzt und von Ausländern anderer Nationalitäten ferngehalten werden sollten. Offensichtlich war es die italienische Vertretung, die ihren Einfluß in diesem Sinne geltend gemacht hatte — aus Nationalstolz und aus dem Wunsch heraus, die Position ihrer Landsleute, die im Reich arbeiteten, als Verbündete und Helfer hervorzuheben. Ganz anders ist hingegen der Rahmen, in dem das Abkommen vom 10. Februar 1941 zustande kam und das die Anwerbung der Metallarbeiter betraf. Der Text bezieht sich ausdrücklich auf die zur gleichen Zeit zwischen deutschen und italienischen interministeriellen Komitees laufenden Verhandlungen, in deren Verlauf die deutsche Seite „200.000 italienische Arbeitskräfte fur die Eisen- und Metallwirtschaft" verlangte; die italienischen Behörden entschieden, „bis zu 150.000 Arbeitskräfte für diese und andere Industriezweige bereitzustellen". Das von Rom angebotene Kontingent sollte folgendermaßen verteilt werden: „50.000 Arbeitskräfte der Metallindustrie, 30.000 Arbeitskräfte anderer Berufe, die zum Einsatz in der Metallindustrie geeignet sind, 70.000 sonstige Arbeitskräfte". 247
246 Dazzi, Accordi, S. 174-181 (italienischer Text), S. 257-264 (deutscher Text). Die Mitglieder der italienischen Delegation waren Erasmo Perani, Leiter der Abteilung für Gewerkschaftsangelegenheiten beim CFLI; Francesco Grossi, Leiter der Abteilung für italienischen Arbeitseinsatz im Auslande beim CFLI; Rosario Massimino, Kommissarischer Leiter des Faschistischen Nationalverbandes der Bauarbeiter; Camillo Nedey Perrier, Kommissarischer Leiter des Faschistischen Nationalverbandes der Bergarbeiter; Aurelio Jannarelli, Leiter der Abteilung fur Arbeitsvermittlung beim CFLI; Gianni Suardi, Abteilungsleiter bei der Direktion für italienischen Arbeitseinsatz im Auslande beim CFLI; Marcello Agostini, Abteilungsleiter bei der Direktion für Gewerkschaftsangelegenheiten im CFLI. 247 Ebenda, S. 182-184 (italienischer Text), S. 2 6 5 - 2 6 7 (deutscher Text).
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Es war ausdrücklich vorgesehen, zumindest einen Teil der Arbeiter direkt aus der Industrie herauszuziehen. Die Arbeitgeber mußten den Zwangsverpflichteten sogar ein Zertifikat ausstellen, aus dem ihre Qualifikation und Tätigkeit hervorging, um ihren Einsatz im Produktivapparat des Reiches zu erleichtern. Die Zusammensetzung der Delegation spiegelte die in der Zwischenzeit erfolgten Änderungen wider: neben drei Repräsentanten der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation saßen diesmal hohe Beamte der betroffenen Ministerien am Verhandlungstisch: Francesco Gerbasi, Abteilungsleiter im MAE für den italienischen Arbeitseinsatz im Ausland; Giovanni Marciani, Generalsekretär im „Fabbriguerra"; Gianmaria Cau, Hauptabteilungsleiter im Korporationsministerium; Mario Poggi, Generalinspektor im CCoMIn. Die Frage der 200.000 Metallarbeiter, die nach Deutschland verpflanzt werden sollten, wurde letztendlich auf höchster Ebene entschieden — wie es Mackensen gefordert hatte: als Clodius am 22. Februar 1941 von Mussolini empfangen wurde, war dies eine der im Gespräch angesprochenen Fragen. Der Vertreter des AA dankte dem italienischen Diktator dafür, daß er entschieden hatte, den deutschen Wünschen nachzukommen, für die — wie Clodius erinnert — Hitler „sich persönlich ... besonders interessiert habe". 248 Die beiden, am 1. und am 10. Februar unterzeichneten Protokolle wurden einige Tage später in das Siebte Geheime Protokoll aufgenommen, das am 26. Februar zwischen den beiden „Achsen'partnern abgeschlossen wurde und dessen fünfter Abschnitt vollständig den „Italienischen Arbeitern für Deutschland" gewidmet ist. Ich gebe hier den wichtigsten Punkt wieder: „Im Interesse der weiteren Hebung der kriegswichtigen Erzeugung in Deutschland hat die deutsche Regierung den Wunsch ausgesprochen, daß nach Möglichkeit weitere 200.000 italienische Arbeiter für die Eisen- und Metallwirtschaft nach Deutschland entsandt werden. Nach eingehender Prüfung aller Möglichkeiten hat die italienische Regierung sich bereit erklärt, außer den bereits in Deutschland beschäftigten gewerblichen Arbeitern folgende weitere Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen." 249 Dieser Präambel folgte sodann eine Liste, an deren erster Stelle die 54.000 Arbeiter aus der Vereinbarung vom 1. Februar standen, gefolgt von den drei Gruppen, über die man sich im zweiten Abkommen geeinigt hatte. Als Ausgleich für die von den italienischen Behörden demonstrierte Einwilligung erhalten sie die Aufhebung der Grenzen, die bis dahin von den Finanzbehörden des Reichs für die Überweisung der Arbeiterersparnisse festgelegt worden waren (das Maximum betrug zu diesem Zeitpunkt 88 RM im Monat für die Industriearbeiter im allgemeinen, 100 RM monatlich fur die Bergleute „unter Tage"). Mit der Neuregelung sollten die Arbeiter nunmehr ihre gesamten Ersparnisse nach Hause schicken können. 250 Der Vorteil, der daraus in Zukunft fiir die italienische Zahlungsbilanz resultieren würde, war klar ersichtlich; er war um so nötiger, als im Siebten Protokoll eine Erhöhung der deutschen Warenlieferungen vereinbart worden war. Die Anwerbung des neuen Kontingents an Fabrikarbeitern sollte unverzüglich erfolgen.
248 A DAP, Serie D, BandXII/1, Dok. 71, S. 104-107, Telegramm von Clodius und Mackensen an das AA, vom 22. 2 . 4 1 . 249 PA/AA, Wiehl, Italien, Band 12, Bl. 445.081-096, (hier 445093-94). 250 Ebenda, Band 13, Paragraph 47 des Siebten Geheimen Protokolls.
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Zwischen militärischen Niederlagen der Italiener und deutschen Angriffsplänen Bevor wir die Modalitäten der Rekrutierung und die Formen des konkreten Einsatzes dieser italienischen Arbeiter in den Fabriken des Reichs in Betracht ziehen, erscheint es mir angebracht, einen Schritt zurückzugehen und unsere Aufmerksamkeit auf den Rahmen zu richten, in den die Abkommen vom Februar 1941 sowohl auf deutscher wie auf italienischer Seite einzuordnen sind. Nach dem italienischen Kriegseintritt an der Seite Deutschlands am 10. Juli 1940 bewegten sich die italienischen Führungsgruppen in dem Glauben, einen der deutschen Kriegführung entsprechenden „Parallelkrieg" führen zu können. Italien entwickelte ein eigenes imperialistisches Programm, dessen Hauptkriegsschauplätze sich auf dem Balkan und im Mittelmeerraum befinden sollten und das das Programm des stärkeren Verbündeten teilweise ergänzte, zum anderen Teil damit aber im Konflikt stand. Dies war der Rahmen, in den sich der italienische Angriff auf Griechenland am 28. Oktober 1940 und die wenige Wochen vorher (am 16. September) erfolgte Offensive einordneten, die dazu führte, daß die italienischen Streitkräfte — ausgehend von dem libyschen Kolonialbesitz — 90 km tief nach Ägypten eindrangen. Die militärischen Entwicklungen an beiden Fronten kehrten sich jedoch schnell zum völligen Nachteil des faschistischen Regimes; zwischen Mitte November und Mitte Dezember wurden die italienischen Truppen zum Rückzug gezwungen. In Griechenland führte die Gegenoffensive des hellenischen Heeres zur Besetzung eines Drittels von Albanien, das vom 7. April 1939 an italienischer Besitz war und der Punkt, von dem die italienische Offensive ausgegangen war. In Nordafrika schlugen die englischen Einheiten den italienischen Angriff auf Ägypten zurück und drangen mittels einer Gegenoffensive ihrerseits nach Libyen ein. Die italienischen Ansprüche zur Führung eines Parallelkriegs mußten rasch aufgegeben werden; sowohl an der griechischen wie an der nordafrikanischen Front war Rom gezwungen, Deutschland um militärische Unterstützung zu bitten, das in den folgenden Monaten an beiden Stellen intervenierte. Zur gleichen Zeit wuchs die Abhängigkeit der italienischen Wirtschaft von den durch Deutschland garantierten Energie- und Rohstofflieferungen so stark, daß sie schließlich total wurde. 251 Wie bemerkt wurde, war das Siebte Geheime Protokoll „sowohl wirtschaftlich wie politisch der wahre Wendepunkt im deutsch-italienischen Verhältnis, da er den Beginn einer sehr engen Abhängigkeit der italienischen Produktionsanstrengungen von den Importen aus Deutschland ebenso markierte wie die damit verbundene Verfestigung des politischen Gewichts dieser Abhängigkeit". 252 Ab dem Jahresende 1940 war Italien nicht mehr der Partner Deutschlands im „Achsen"bündnis, sondern nur noch der wichtigste Faktor in dem System der dem „Dritten Reich" untergeordneten bzw. unterworfenen europäischen Staaten. Es lag absolut nicht mehr in den Möglichkeiten der Regierung in Rom, sich der deutschen Übernahme einer Hegemoniestellung innerhalb des Bündnisses entgegenzustellen. Daß Facharbeiter aus den Fabriken herausgezogen und zwangsweise nach Deutschland geschickt wurden, entspricht diesem Bild vollkommen. Vom deutschen Blickwinkel aus bot sich die Möglichkeit, über qualifizierte italienische Arbeitskräfte zu verfügen — als Gegenleistung
251 Raspin, The Italian War Economy, S. 2 1 5 - 2 7 1 . 252 Minniti, Le materieprime, S. 32.
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für die Rohstofflieferungen und die militärischen Unterstützungsleistungen, die dem schwachen Verbündeten garantiert wurden. 253 Auf der anderen Seite darf nicht vergessen werden, daß das „Dritte Reich" zu diesem Zeitpunkt einen enormen Bedarf an Facharbeitern für die Industrie hatte: der Führerbefehl vom 28. September 1940, mit dem Hitler die Vorbereitungen für den Angriff auf die Sowjetunion anordnete, hatte eine komplette Neuordnung des deutschen Produktionsapparates bewirkt und das Problem der Arbeitskräfte in dessen Zentrum gestellt. „Wiederum war das unmittelbare Problem das der Arbeit. Die einzige echte Lösung war eine große Aufstockung der ausländischen Arbeiter, die ins Reich gebracht werden sollten, und dies wurde angeordnet." 254 Wenn wir diese Aspekte in Erinnerung behalten, verstehen wir ohne weiteres das besondere Interesse, das zwischen dem Jahresende 1940 und dem Frühjahr 1941 von den Berliner Behörden für Italien als mögliche Reserve von qualifizierten Arbeitskräften gezeigt wird. Nicht zufällig wurde Anfang April 1941, als in Italien die Anwerbung in vollem Gange war und die ersten Spezialzüge ins Reich abgehen sollten, zwischen dem Präsidenten der CFLI, Capoferri, und den römischen Vertretern des Reichsarbeitsministeriums, die bei dieser Gelegenheit von einem Offizier aus der Dienststelle des Bevollmächtigten des Reichsluftfahrtministeriums für das Luftfahrtindustriepersonal unterstützt wurden, eine weitere Übereinkunft erzielt, die vorsah, „von den ersten Schüben italienischer Metallarbeiter den weitaus größten Teil für die Luftfahrtindustrie zu verpflichten (...). 1. Schub bestehend aus etwa 13 Zügen in der Zeit von 28. bis 30. April 41. Von diesem Schub sind etwa 8.033 Mann für die Luftwaffe, 350 für das Heer, 168 für die Kriegsmarine und 200 für Chemie vorgesehen. 2. Schub bestehend aus etwa 10 Zügen mit etwa 4.200 Mann für die Luftwaffe, 1.000 für das Heer, 300 für die Kriegsmarine, 1.000 für Lokomotivbau, und 1.500 für sonstige Bedarfsträger bis 15. Mai 1941. Weitere 10.000 Metallarbeiter sollen bis 31. Mai 41 und darüber hinaus weitere 20.000 Metallarbeiter bis 1. Juni 41 in Deutschland eintreffen. Es ist infolge der vom B. f. L. (Bevollmächtigter für das Luftfahrtindustriepersonal) in Italien laufenden Organisation voraussichtlich möglich von den beiden letzten Transportschüben wiederum den größten Teil für die Luftfahrtindustrie zu bekommen." 255 Die Luftwaffe war dabei, sich den Einsatz eines großen Teils der 50.000 Metallarbeiter aus den italienischen Fabriken zu sichern. Dies geschah offenbar über SpezialVereinbarungen, die die italienischen wie die deutschen Firmen direkt einbezogen. So wurde die Firma Ducati elettro-
253 Vgl. Thomas, Geschichte, S. 2 7 8 - 2 8 0 . 254 Alan S. Milward, L'economia di guerra della Germania, Mailand 1971 (1965), S. 52. Was die genaue Analyse der Arbeitskräftesituation im Reich nach dem Befehl vom 28. 9. betrifft, so verweise ich auf Bernhard R. Kroener, Die personellen Ressourcen des Dritten Reiches im Spannungsfeld zwischen Wehrmacht, Bürokratie und Kriegswirtschaft 193S>-1942, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.): Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band V,l, Stuttgart 1988, S. 6 9 2 - 1 0 1 5 , besonders S. 7 9 0 - 8 1 9 . Vgl. auch die Überlegungen von Eichholtz, Geschichte, Bd. I: 1 9 3 9 - 1 9 4 1 , S. 2 1 2 - 2 2 1 . 255 BA/MA, Bestand Generalluftzeugmeister (Gen. Milch), RL 3, Band 1718, Aktenvermerk über meinen Aufenthalt in Rom vom 4. bis 6. 4. 1941 (Unterschrift unleserlich), vom 10. 4. 1941, Prot.Nr. 1138/41 geh. - Was die Verbindungen zwischen den Firmen Ducati in Bologna und Erich & Graetz in Berlin angeht vgl. Archivio di Stato di Bologna (ASB), Bestand Ispettorato del Lavoro (IL), Band Operai per la Germania 1941 (Germ-41), Brief der Betriebsfiihrung der Firma Ducati an das Ispettorato Corporativo Bologna vom 3. 5. 1941.
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meccanica in Bologna verpflichtet, in Erfüllung der deutsch-italienischen Vereinbarungen, 40 Beschäftigte nach Deutschland zu schicken, von denen 20 „für die Firma Erich und Graetz in Berlin bestimmt [waren], wie mit dem deutschen Luftfahrtministerium bereits vereinbart". Es handelte sich offenbar um hochqualifizierte Arbeiter: 7 Dreher, 5 Fräser, 5 Maschinenjustierer, 3 Montagemechaniker. Daß eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Firmen im Gange war, begreift man auch daraus, daß „für die Ausrüstung und die Pässe der 20 Arbeiter, die sich zu der Firma Erich u. Graetz begeben werden, direkt [die] Firmenführung" der Ducati aufkommen sollte. Außer der Luftwaffe hatte sich auch die Kriegsmarine bereits Anfang März, gerade als die Nachrichten vom Reichsarbeitsministerium über die im Vergleich zur Vergangenheit größere Verfügbarkeit der italienischen Arbeitskräfte eintraf, beeilt, die Rüstungsinspektionen aufzufordern, einen größeren Gebrauch von dieser Möglichkeit zu machen, „mit Rücksicht darauf, daß der deutsche Arbeitsmarkt praktisch erschöpft ist, und daß die Anwerbung freier ziviler Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten nicht immer im gewünschten Tempo und Ausmaß erfolgen wird." 256 Die Firmen, die gegenwärtig Aufträge für die Marine durchführen, sollen unverzüglich von dieser neuen Verfügbarkeit an Arbeitskräften unterrichtet werden, hieß es in dem Rundschreiben weiter; diese sei um so wichtiger, weil „die Italiener als verbündete Nation abwehrmäßig in größerem Umfange eingesetzt werden können als sonstige Ausländer". Entsprechender Druck auf das OKW wurde in diesen Wochen mehrmals vom OKM ausgeübt, damit im Fall der Italiener die Verbote gelockert würden, die es verhinderten, daß Ausländer in kriegswichtigen Fertigungen tätig wurden. Im Laufe des April genehmigte das OKW erstmals den Einsatz von Italienern „für die Fertigung einzelner Geräteteile", jedoch mit dem Zusatz, daß diese Ausnahme „nur für italienische Facharbeiter" gelte, die nicht „bei der Gesamtmontage, in der Entwicklung und in der Röhrenfertigung" eingesetzt werden durften. 257 Ende Mai wurden auch diese restlichen Beschränkungen aufgehoben. Die italienischen Arbeiter konnten nunmehr de facto für alle Arbeiten, auch in sensiblen Bereichen, eingesetzt werden. Das OKW beschränkte sich darauf, den Firmen zu empfehlen, sie „möglichst" nicht bei der Endfertigung einzusetzen und sie angemessen zu überwachen. 258
Arbeitsproduktivität und -konflikte In der Forschung wurde bereits folgendes hervorgehoben: „as soon as the first large batch of Italians arrived in the Reich in 1941, there were difficulties". 259 Sicherlich gab die Eingliederung einer so großen Zahl von italienischen Arbeitern in die deutsche Kriegswirtschaft Anlaß zu einer großen Zahl von Konflikten und Widersprüchen, die ich 256 BA/MA, Bestand Rüstungskommandos (Rü-Kdos), Rü-Kdo Braunschweig, RW 21-65, Band 24, Rundschreiben des OKM vom 7. 3. 1941, Prot.Nr. Μ Wa Wi Vf 16 595/41. 257 BA/MA, Gen.Milch, RL 3, Band 1718, Rundschreiben des OKW vom 29. 4. 1941, Prot.Nr. Amt Ausl/ Abw/Abt Abw III, Nr. 3614/4.41 g III (Wi-4). 258 Ebenda, Rundschreiben des OKW vom 22. 5. 1941 (Prot.Nr. 3835/4.41). 259 Homze, Foreign Labor, S. 60.
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auf den folgenden Seiten darzustellen versuche. Ich bin jedoch davon überzeugt, daß es riskant wäre, die Stärke der Ablehnung der Arbeit in den Fabriken des Reichs seitens der aus Italien immigrierten Arbeiter über Gebühr zu betonen oder zu sehr den Akzent auf die geringe Arbeitsproduktivität zu legen, die laut einigen Quellen insgesamt nur 45 Prozent des Standards der deutschen Arbeiter betragen haben soll. 260 Dies heißt absolut nicht, daß ich die Bedeutung der Spannungen und der verschiedenen Formen des Protests negieren will, in denen sich die Unzufriedenheit der italienischen Arbeiter ausdrückte. Ich glaube jedoch, daß die Realität insgesamt sehr viel differenzierter und facettenreicher war, als es auf der Grundlage einiger deutscher Quellen, vor allem jener der Polizei, erscheinen mag und für die das gilt, was Ulrich Herbert bereits beobachtet hat, als er schrieb, daß diese häufig ein stärkeres Licht auf die Mentalität, die Kultur und die Vorurteile derjenigen werfen, die die Berichte zusammengestellt haben, als daß sie Informationen über die brächten, die von ihnen überwacht wurden. 261 Ansonsten würde man nicht verstehen, warum die Reichsbehörden die italienischen Arbeitskräfte größtenteils als unersetzlich bezeichneten, als zwischen Dezember 1942 und Januar 1943 die italienische Regierung die Absicht zeigte, ihre Landsleute, die sie seinerzeit ins Reich geschickt hatte, zurückzurufen: „[es] wären von den rund 200.000 ital. Arbeitern in Deutschland schwierig zu entbehren und zu ersetzen: 40.000 Baufacharbeiter, 24.000 Maschinenbauarbeiter, 10.000 Bergbauarbeiter, 10.000 Arbeiter in der chemischen Industrie, 6.000 Reichsbahnarbeiter und rund 25.000 in anderen Zweigen eingesetzte Arbeiter, zusammen 120.000. Bei etwa 80.000 Arbeitern liegen Entbehrlichkeit und Ersatz leichter." 262 Besonders bei den 24.000 Maschinenbauarbeitern handelte es sich um Facharbeiter, die in den Rüstungsbetrieben, in den Fabriken der Firmen Krupp und Henschel, in Werften und Arsenalen tätig waren, wo Reparaturen von U-Booten und ähnlichen Anlagen durchgeführt wurden. In diesen Produktionsstätten durften „aus Abwehrgründen" keine anderen Ausländer eingesetzt werden und offensichtlich gab es keine deutschen Facharbeiter, die die abreisenden Italiener hätten ersetzen können. 1941 war ein zentrales Jahr — sowohl was die konkrete Verwendung der italienischen Arbeitskräfte anging als auch die Klärung von genauen Verfahren seitens der „Achsen'mächte, wie die Disziplinlosigkeiten zumindest eines Teils dieser Arbeiter geahndet werden sollten. Um ein genaueres Bild der Situation zu zeichnen, die im Jahre 1941 entstand, haben sich die Akten der Rüstungsinspektionen als besonders wertvoll erwiesen. Angesichts fehlender Studien auf Bezirks- wie Regionalebene, die allein ermöglichen könnten, die konkreten Modalitäten des Einsatzes der Arbeitskräfte zu untersuchen, die in nahezu jedem europäischen Land während des zweiten Weltkriegs angeworben wurden, ergibt sich aus dem Material der Rüstungsinspektionen ein höchst facettenreiches und stark abgestuftes Bild. Die ersten Meldungen in dieser Frage gehen etwa auf Mitte März 1941 zurück, als die Betriebe den Rü-Inspektionen die ersten Anforderungen von Arbeitskräften aus Italien übermittelten. Wie es scheint, waren die
260 Diese Zahl taucht in einem anonymen Bericht vom 11.9. 1942 auf, der sich befindet in: ACS, MI, DGPS, PolPol, Band 223; zit. bei Enzo Collotti, L'alleanza italotedesca 1941-43, in: Istituto Storico della Resistenza in Cuneo e provincia (Hrsg.), Gli italiani sulfronte russo, Bari 1982, S. 3 - 6 1 , hier: S. 46. 261 Herbert, Fremdarbeiter, S. 103. 262 PA/AA, Staatssekretär Italien, Band 12, Aufzeichnung betr. Abzug italienischer Arbeiter vom 17. 2. 1943, Bl. 123.950-956. Es handelt sich um einen Bericht ftir Hitler, der um Entscheidung bezüglich der Heimkehr der italienischen Arbeiter angegangen wurde.
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Erwartungen der Firmen beträchtlich: aus Nürnberg (Rü-In XIII) wollten bereits 13 Firmen Italiener einstellen, die alle „mit Luftwaffenfertigungen" beschäftigt waren. 263 Die Rü-In IX (Kassel) erwartete gar die Ankunft von 30.000 Arbeiter, denn es „ist für den Rüstungssektor nur dann eine stärkere Entlastung zu erwarten (...) Wie stark das Bestreben ist, von dieser Einsatzmöglichkeit Gebrauch zu machen, geht daraus hervor, daß die Firma Henschel u. Sohn, Kassel, allein 1.000 Italiener angefordert hat." 264 Zwei Monate später, Mitte Mai 1941, kündigte die Rü-In X (Hamburg) die Ankunft der ersten Kontingente an, die aus 980 Metallarbeitern und 320 Hilfsarbeitern bestanden sowie aus einigen Hundert Bauarbeitern. Unter den Facharbeitern, so heißt es in den Quellen, gab es eine große Zahl von hochqualifizierten Arbeitern, darunter Dreher, Elektriker, Schweißer, Schlosser, die komplett in Betrieben in Lübeck, Kiel, Neumünster, Hamburg und Bremen eingesetzt wurden, die alle mit der Ausführung von Rüstungsaufträgen beschäftigt waren. 265 Man erwartete gleichzeitig weitere Transporte. Einen Monat später, am 14. Juni, hatten die Anforderungen der Firmen für Arbeiter aus Italien bereits die von der Regierung in Rom unterzeichnete Größenordnung erreicht: die Gesamtzahl der Arbeiter, die die Firmen einzustellen bereit waren, belief sich inzwischen auf 204.477; dagegen stand ein maximales Kontingent von 205.000, das bei den Verhandlungen festgelegt worden war (es müßten eigentlich 204.000 sein, denn diese Summe ergibt sich aus der Addition der 54.000 im ersten Vertrag vorgesehenen Arbeiter und der 150.000, die im zweiten Abkommen vereinbart wurden). Von diesen hatten am 27. Mai bereits 86.103 Personen mit 110 Sonderzügen die Reichsgrenze überschritten. 266 Nach dem Urteil des Reichsarbeitsministeriums wäre es noch möglich gewesen, aus Italien weitere 100.000 Industriearbeiter zu gewinnen, wohingegen die Anwerbung von 15.000 bis 20.000 Jugendlicher der Jahrgänge 1923 und 1924, die man mit Zweijahresverträgen hätte einstellen können, nach dieser und anderen Quellen 267 bereits eingeleitet war. Welches waren im Lauf von Wochen und Monaten die Urteile der Betriebsführer über diese neuen Beschäftigten aus dem Mittelmeerraum? Wie bereits bemerkt worden ist, gab es eine Vielzahl der unterschiedlichsten Klagen. Ich will versuchen, diese etwas detaillierter zu untersuchen. Ein erstes Problem stellten die Kosten dar, die der Einsatz der italienischen Arbeitskräfte mit sich brachte und die von den Firmen häufig als allzu hoch angesehen wurden. Denn zwischen den beiden Regierungen war man übereingekommen, die Italiener auf das gleiche Lohnniveau zu stellen wie deutsche Arbeiter. Außerdem mußten die Bundesgenossen in eigens für sie errichteten Lagern untergebracht werden. Das Essen sollte der italienischen Küche entsprechen, was zusätzliche Kosten fiir den Einkauf der Lebensmittel und für die Köche bedeutete; ferner kosteten auch die Dolmetscher, die die Arbeiter begleiteten. Diesbezügliche Klagen wurden von
263 BA/MA, Rü-In, Nürnberg, RW 20-13, Band 11, Bl. 215: Bericht vom 13. 3. 1941, S.17. 264 Ebenda, Kassel, RW 20-9, Band 25, Bericht vom 14. 3. 1941, S. 26. 265 Ebenda, Hamburg, RW 20-10, Band 27, Bl. 157: Bericht vom 15. 5. 1941, S. 11. - Die betreffenden Firmen waren: MFM in Lübeck, Hagenuk in Kiel, Hansa-Motorenwerke und Conz-Motoren in Hamburg, Focke Wulf in Bremen. 266 BA/MA, Wi-Rü Amt, RW 19, Band 2127, Brief des RArbM (Max Timm) vom 14. 6. 1941 an das OKW - Wi-Rü-Amt (Prot.RArbM Va 5780.14/2550). 267 Ebenda, sowie BA/MA, Rü-Kdos, Würzburg, RW 21-65, Band 24, Rundschreiben des Rü-Kdo Würzburg vom 26. 6. 1941 (Prot.Nr. 1912/41 Z.Gr.Mar./M Az. 103b4).
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den Firmen in den Wehrkreisen Kassel 268 und Dresden 269 geäußert, wo die Rüstungsinspektion folgendes meldete: „den Einsatz von Italienern nehmen die Betriebsführer zufolge der zu hoch geschraubten Arbeiteinsatzbedingungen nur ungern vor". Aus Nürnberg hieß es, daß die Messerschmitt-Werke in Regensburg die Gelegenheit, italienische Arbeitskräfte einzusetzen, gerade wegen der zu hohen Kosten nicht genutzt hätten. 2 7 0 Das Essen war Ursache für eine kleinere Zahl von Protesten. Die Italiener wollten offenbar nicht auf das verzichten, was ihnen in den Verträgen schriftlich garantiert worden war. Andererseits scheint es, daß die Betriebsleitungen nicht allzu bereit waren, diese Regelung zu respektieren. In einem Bericht der Rüstungsinspektion V (Stuttgart) heißt es: „bei der Jutenspinnerei Gebr. Spohn G.m.b.H., Neckarsulm, bei welcher 60 Italiener eingesetzt sind, mußte das Überfallkommando eingesetzt werden, weil die Italiener bessere Verpflegung und höhere Löhnung forderten und deshalb die Arbeit aussetzten. Obwohl ihnen zu den deutschen Verpflegungssätzen eine Fleisch- und Obstzulage zugewendet wurde, erklärten sie das Essen als unzureichend und verlangten Zubereitung ihrer Kost mit Olivenöl." 271 Ahnliche Nachrichten kamen aus der Region Salzburg, wo es notwendig wurde, italienische Lebensmittel anliefern zu lassen, 272 sowie aus Dresden. 273 Die Konflikte um das Essen verschärften ein bereits existierendes Problem, nämlich jenes der Spannungen zwischen der deutschen Zivilbevölkerung und den Neuankömmlingen. Zu einer stark fremdenfeindlichen Haltung gegenüber den Italienern, die noch verstärkt wurde durch die Ereignisse des ersten Weltkriegs, trat die Tatsache hinzu, daß die massive Anwerbung von Arbeitern in Italien es mit sich brachte (übrigens provoziert durch den Druck aus Berlin), daß in die Fabriken des „Dritten Reichs" Personen aus den Einberufungsjahrgängen aufgenommen wurden. Dies wurde von der deutschen Bevölkerung kritisiert und gab Anlaß zu keineswegs geringen Problemen: „Die Ablehnung der deutschen Arbeiter gegenüber [den Italienern] beruht ( . . . ) auch auf dem Vorurteil, daß deutsche Arbeitskameraden an die Front geschickt und die dadurch freigewordenen Arbeitsplätze mit italienischen Arbeitskräften besetzt werden. Der Arbeitsfriede ist deshalb in allen denjenigen Betrieben gefährdet, in denen deutsche und italienische Arbeitskräfte zusammenarbeiten." 274 Nachdem das Reichsarbeitsministerium diese besorgten Betrachtungen angestellt hatte, forderte es alle Dienststellen, die mit dem Einsatz von italienischen Arbeitern zu tun hatten, auf, ihr Bestes zu tun, um diesen Mißverständnissen Einhalt zu gebieten, die sowohl zum Schaden des Fortgangs der Produktion sein könnten, wie auch die guten Beziehungen zum Verbündeten stören könnten. Trotz der Interventionen der politischen wie militärischen Zentralbehörden des Reichs tauchten diese Spannungen weiterhin nahezu überall dort auf, wo italienische
2 6 8 Ebenda, Kassel, RW 20-9, Band 25, Bericht vom 14. 4 . 1941, S. 18. 2 6 9 Ebenda, Dresden, R W 2 0 - 4 , Band 13, Bericht vom 12. 4. 1941, S. 14. 2 7 0 Ebenda, Nürnberg, R W 2 0 - 1 3 , Band 12, Bl. 134: Bericht vom 14. 8. 1941, S. 10. 271 Ebenda, Stuttgart, R W 2 0 - 5 , Band 8, Bericht vom 12. 4. 1941, S. 26. 2 7 2 Ebenda, Salzburg, R W 2 0 - 1 8 , Band 2 8 , Bericht vom 15. 8. 1941, S. 11. 2 7 3 Ebenda, Dresden, R W 20-4, Band 13, Bericht vom 13. 9. 1941, S. 10. 2 7 4 BA/MA, Rü-Kdo Würzburg, RW 2 1 - 6 5 , Band 24, Rundschreiben vom 1. 7. 1941 des Kommandeurs des Rü-Kdo an alle W.W.-Betriebe (Prot.Nr. 11824/41 geh ZGrRt/Ki Az 103b4); in dem Rundschreiben werden die Verfügungen des RArbM vom 9. 6. 1941 aufgegriffen (Prot.Nr. Va 5 7 6 0 . 1 4 / 4 1 5 7 / 4 1 ) .
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Arbeiter eingegliedert wurden. 275 Ein zentraler Kritikpunkt, der von den Betriebsleitungen vorgebracht wurde, war die Arbeitsleistung der Italiener, die als im wesentlichen unbefriedigend eingeschätzt wurde, auch weil jene, die als Facharbeiter eingestellt worden waren, dies in Wirklichkeit keineswegs immer waren — wenigstens nach dem in der deutschen Industrie üblichen Maßstab. Es war daher eine Ausbildungszeit von einigen Wochen nötig, worunter natürlich die Arbeitsproduktivität litt. Es ist wiederum die Rü-In IX (Kassel), die uns berichtet: „Die Leistungen der eingesetzten Italiener werden sehr verschieden beurteilt. Meist benötigen sie eine recht lange Zeit zur Einarbeitung." 276 Ahnliche Proteste kamen aus Wiesbaden. Unter den diversen möglichen Beispielen will ich hier nur den Fall der Firma Käuffer in Mainz erwähnen, die am 28. Juni einen langen Bericht an die Abwehrstelle im Wehrkreis XII schickt: darin heißt es, daß man seinerzeit 50 italienische Arbeiter angefordert habe, die jedoch „perfekte autogene Handschweißer" sein sollten. Als das Kontingent ankam, hatten nur 34 vorher in der Metallindustrie gearbeitet, die anderen hatten höchst unterschiedliche Berufe. Nachdem die letzteren ausgeschieden und die ersteren eingestellt worden waren, stellte sich heraus, daß nicht einer davon die Fähigkeiten besaß, die für die Arbeit nötig gewesen wären, die sie hätten machen sollen. Die Firma entschied daraufhin, ihnen den vorher vereinbarten Lohn zu kürzen, doch dies führte zum Protest der Arbeiter und wenig später zum Einschreiten der DAF, der USI in Frankfurt, des italienischen Konsulats sowie verschiedener deutscher Behörden, ohne daß es jedoch nach Ansicht der Firma gelungen wäre, eine für alle befriedigende Lösung zu finden.277 Es fehlte allerdings auch nicht an positiven Urteilen. Aus Wien teilte die Rü-In am 13. September 1941 mit, „eingesetzte norditalienische Metallarbeiter haben sich als brauchbar erwiesen", 278 während es aus Berlin verlautete (wenn auch in einem etwas widersprüchlichen Gesamtbild), „mit norditalienischen Arbeitern sind gute Erfahrungen gemacht worden". 279 Analoge Eindrücke waren in den vorhergegangen Monaten aus Stuttgart eingetroffen, wo es hieß: „einzelne Betriebe sind mit ihren italienischen Kräften zufrieden". 280 In einem Bericht der Vereinigten Leichtmetall-Werke vom 8. Juni liest man folgendes: „Während die aus Frankreich zugewiesenen italienischen Arbeitskräfte, die augenscheinlich nicht sehr verwöhnt waren, sich als sehr wertvolle Mitarbeiter zeigten, erwachsen aus den Ansprüchen der aus Italien kommenden Italiener, an Verpflegung und Betreuung immer neue Schwierigkeiten. Trotz dieser zweifellos aus der verschiedenen klimabeding-
275 Ich verweise hier nur — abgesehen von einer Reihe von Dokumenten aus dem Bestand R 20, die den bereits reichlich zitierten entsprechen - auf Heinz Boberach (Hrsg.), Meldungen aus dem Reich 1938—1945, Herrsching 1984, insbesondere auf Band 8, S. 2894-2901, wo sich eine ausfuhrliche Zusammenfassung von Nachrichten aus allen Ecken des „Dritten Reichs" findet. 276 BA/MA, Rü-In, Kassel, RW 20-9, Band 26, Bericht vom 14. 7. 1941, S. 20. 277 BA/MA, Wi-Rü Amt, RW 19, Band 2127, Bericht der Firma Käuffer u.Co. über den Einsatz italienischer Arbeitskräfte vom 28. 6. 1941 (6 Blätter). Der fragliche Fall war - zusammen mit anderen gleichgelagerten Fällen - Gegenstand des Gesprächs zwischen dem Reichsarbeitsminister und dem italienischen Botschafter Alfieri, in dessen Folge die italienischen Behörden beschlossen, den Chef des CCoMIn, Lombrassa, ins Reich zu senden; vgl. ebenda, Brief des RArbM, gez. Hetzeil, an das Wi-Rü Amt vom 20. 8. 1941 (Prot.Nr. 5780.14/6658/41 g). 278 BA/MA, Rü-In, Wien, RW 20-17, Band 15, Bericht vom 13. 9. 1941, S. 9. 279 Ebenda, Berlin, RW 20-3, Band 16, Bl. 9, Bericht vom 15. 9. 1941, S. 7. 280 Ebenda, Stuttgart, RW 20-5, Band 9, Bericht vom 13. 6. 1941, S. 33.
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ten Lebensweise entstandenen Mißhelligkeiten haben sich in der Gesamtheit auch die Italiener bei geschickter Behandlung als wertvoll erwiesen." 281 Zu dem insgesamt positiven Urteil fügt sich hier die Überlegung über die in Frankreich angeworbenen Italiener an, wobei es schwierig ist zu präzisieren, was ihr „nicht sehr verwöhnt"Sein bedeutete. Wahrscheinlich muß es in dem doppelten Sinn interpretiert werden, daß sie erstens an das Leben im Ausland bereits gewöhnt waren und daher anpassungsfähiger erschienen und daß sie zweitens erfahrener in der Fabrikarbeit waren. Ein häufig auftretendes Element in den Berichten, teilweise auch in den positiven, ist die Unterscheidung zwischen den gut arbeitenden Italienern und den anderen Italienern, die absolut kein ausreichendes Produktivitätsniveau erzielten. Eine Unterscheidung, die etwas grob auf die Trennung in Süditaliener und Norditaliener zurückgeführt wurde. So heißt es ζ. B. in einem Bericht der Rü-Inspektion Wiesbaden: „Die früheren Erfahrungen gehen dahin, daß Norditaliener gut, Süditaliener nicht so gut beurteilt werden." 282 In Wirklichkeit bestand der Unterschied zu einem großen Teil zwischen Arbeitskräften, die aus den Fabriken heraus rekrutiert worden waren, die daher bereits an die Arbeit in der Industrie gewöhnt und dazu ausgebildet waren, die für eine Fabrik typischen Tätigkeiten auszuüben, und zwischen solchen Arbeitskräften, die aus dem Reservoir der Arbeitslosen geschöpft worden waren. Natürlich war auch bei der ersteren Gruppe, wie wir bereits festgestellt haben, das Qualifikationsniveau keineswegs immer so hoch, wie die deutschen Industriekapitäne sich das wünschten. Ein aussagekräftiges Resümee der Situation finden wir in einem Bericht aus Kiel, wo Ende Oktober 1941 in der Rüstungsindustrie 4.765 Ausländer (3.155 Männer, 1.610 Frauen, darunter gut 1.200 Polinnen) arbeiteten und wo die Italiener, 1.200 insgesamt, die stärkste Gruppe unter den männlichen Arbeitern darstellten. Das Rüstungsbereichskommando stellte fest: „Die Arbeitsleistung der Süditaliener ist ausgesprochen schlecht, aber auch die der Norditaliener reicht lange nicht an die Durchschnittsleistung der deutschen Arbeiter heran. Die als Facharbeiter zugewiesenen Arbeitskräfte (Dreher, Schlosser, Schweißer usw.) müssen erst monatelang eingeschult werden, damit vermieden wird, daß [sie] infolge mangelnder Fachkentnisse oder Ungeschicklichkeit und Unachtsamkeit umfangreichen Ausschuß verursachen." 283 Man kann daher zusammenfassen, daß die Ankunft der italienischen Arbeiter unzweifelhaft eine spannungsreiche Situation hervorrief, deren Ursachen knapp folgendermaßen charakterisiert werden können: - bei der deutschen Bevölkerung waren bereits Vorurteile verbreitet, die durch eine gewisse Arbeitsteilung, die sich de facto zwischen Italien und Deutschland herauskristallisiert hatte, noch verschärft wurden; — die Firmen ertrugen höchst ungern die zusätzlichen Kosten, die sie aufgrund der bilateralen Regierungsvereinbarungen auf sich nehmen mußten, umsomehr als sie feststellen mußten, daß es sich bei den bestellten Facharbeitern nicht immer um solche handelte;
281 BA/MA, Wi-Rü Amt, RW 19, Band 2160, Bericht vom 8. 6. 1941 an den Industrierat des Reichsmarschalls für die Fertigung von Luftwaffengerät, betr. Erfahrungsaustausch über den Einsatz von Ausländern und Kriegsgefangenen, S. 2. 282 BA/MA, Rü-In, Wiesbaden, RW 20-12, Band 22, Bericht vom 14. 5. 1941, Anlage 5, S. 20. 2 8 3 BA/MA, Wi-Rü Amt, RW 19, Band 2127, Bericht des Rüstungsbereichs Kiel vom 23. 10. 1941 betr. Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften, S. 1 - 2 .
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- andererseits wäre es (wie wir später sehen werden) ohne die klare Herabstufung Italiens innerhalb der „Achse" (was erst nach dem 8. September 1943 möglich wurde) nicht möglich gewesen, noch mehr qualifizierte Arbeitskräfte aus den Fabriken herauszuholen; - die vereinbarten Kontingente an Wanderarbeitern für das Reich wurden von den italienischen Behörden zusammengestellt, indem man in breitem Maße auf die Unmengen an Arbeitslosen zurückgrifF. Neben den Streiks und den Protesten in den Arbeiterlagern war eine der verbreitetsten Formen des Arbeiterprotests der Bruch des Arbeitsvertrags und die Flucht. Auf letztere hatten vor allem die alliierten Bombenangriffe großen Einfluß, die ab Mitte 1941 in beträchtlichem Maße den Norden Deutschlands trafen. Mitte September ζ. B. berichtete die alarmierte Rü-In VI (Münster) besorgt: „die Vermittlung von Italienern stockt, da diese in luftgefährdeten Gebieten nicht arbeiten wollen". 284 In den vorhergehenden Wochen waren Luftangriffe auf Industrieanlagen in Bremen 285 und Kiel 286 vorausgegangenen, die Tote und Verletzte auch unter den italienischen Arbeitern verursacht hatten. Das beeindruckendste Bild wird uns jedoch in einem Bericht eines Beamten des Arbeitsamtes der HGW-Hütte in Salzgitter überliefert, der Ende September 1941 nach Innsbruck geschickt wurde, „um arbeitsvertragsbrüchige italienische Arbeitskräfte zurückzuholen": 287 „Besonders aus luftgefährdeten Gebieten wie Rheinland, Norddeutschland und Niedersachsen wandern in Innsbruck, da Grenzgebiet, täglich Arbeitsvertragsbrüchige zu. Allein in den letzten 8 Wochen wurden über 4.000 Italiener aufgefangen, wobei Tage waren, an denen sich bis 300 Mann meldeten." In der Hauptstadt Tirols, heißt es in dem Bericht weiter, sind ein Sammellager der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation und ein Straflager eingerichtet worden, die unter der Aufsicht der Gestapo stehen. Dort werden die Flüchtigen und alle italienischen Arbeiter ohne gültige Rückkehrausweise konzentriert, die in den Reisezügen in Richtung Grenze erwischt worden sind. Wenn die Firmen, bei denen die geflohenen Arbeiter beschäftigt waren, nicht deren Rückkehr verlangen, werden die Arbeiter bei Arbeitgebern in Tirol eingesetzt. Dies wird keineswegs als Bestrafung aufgefaßt, weil sie so zumindest erreichen, der Gefahr von Bombenangriffen zu entgehen. Im Verein mit den italienischen Behörden, resümierte der Verfasser des Berichts, sei entschieden worden, daß den Italienern an den Reichsbahnschaltern der Bahnhöfe nur dann Fahrkarten nach Italien oder nach Innsbruck verkauft werden, wenn der Arbeiter
284 Ebenda, Münster, RW 20-6, Band 22, Bl. 41, Bericht vom 13. 9. 1941, S. 13. 285 ASMAE, AP, Germania, Band 73, Telegramm des Konsulats Hamburg vom 5. 7. 1941, Prot.Nr. 7027 R. Der Konsul teilte mit, daß eine Bombe das italienische Lager bei den Focke Wulf-Werken getroffen hatte, was den Tod von 4 und die Verwundung von 10 Arbeitern zur Folge hatte. 286 Ebenda, Botschaft Berlin an das italienische Außenministerium, Telegramm vom 13. 8. 1941, Prot.Nr. 28580 P.R. — Darin wird mitgeteilt, daß in der Nacht zum 9. 8. ein Bombenangriff das Lager der Kriegsmarinewerft Dietrichsdorf getroffen hatte; dabei starben 11 italienische Arbeiter, 21 Arbeiter wurden verletzt. 287 NdsHStA, Hannover-Pattersen, Sozialministerium, Nds Landesarbeitsamt, Nds 300 Acc 27/71, Bericht des Angestellten Poser vom 17. 9. 1941, als Anlage an den Brief des Leiters des AA bei den Reichswerken HGW Watenstedt an den Reichstreuhänder der Arbeit für das Wirtschaftsgebiet Niedersachsen vom 23. 9. 1941 (Prot.Nr. 5760.Dr.Tr./We).
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ausweismäßig nachweisen kann, daß er dazu berechtigt ist. Gleichermaßen angebracht wäre es, wenn alle Flüchtigen mittels geeigneter Zwangsmaßnahmen an den von ihnen verlassenen Arbeitsplatz zurückbefördert würden.
Proteste und Methoden der Repression Angesichts der komplexen Situation, die ich zu umreißen versucht habe, schritten die Polizeibehörden des Reichs gegen die italienischen Arbeiter, die an Protesten, Disziplinlosigkeiten und Vertragsbrüchen beteiligt waren, ziemlich hart und mit den gleichen Methoden ein, mit denen sie gegen die anderen Fremdarbeiter vorgingen, die in Deutschland beschäftigt waren. Wie von Ulrich Herbert bereits detailliert analysiert wurde, 288 gelangte im Jahre 1941, als der Zufluß von Italienern am stärksten war, der Prozeß der Einrichtung eines speziellen „Sonderstrafsystems", das darauf gerichtet war, die Fremdarbeiter zu kontrollieren, an einen Wendepunkt, insofern als ein kapillares Netz von Arbeitserziehungslagern (AEL) aufgebaut wurde, in die die „Bummelanten" und allgemein die Undisziplinierten für maximal 56 Tagen eingewiesen werden konnten und in denen sie gezwungen wurden, täglich 10 bis 12 Stunden Schwerarbeit zu leisten. Im Fall der Italiener waren Entscheidungen dieser Art jedoch dazu bestimmt, diplomatische Verwicklungen von einer gewissen Stärke zwischen den beiden Ländern hervorzurufen. Die Frage wurde erstmals von Botschafter Alfieri am 17. Juni im Laufe eines Gesprächs mit Ribbentrop aufgegriffen; 289 für eine Untersuchung der Angelegenheit aus der Nähe wurde der Chef des CCoMIn, Lombrassa, ins Reich geschickt, der zahlreiche Lager besuchte, in denen italienische Arbeiter lebten, und der mit Robert Ley zusammentraf. Im Lauf des Gesprächs kamen beide Seiten überein, daß die Leitung der Arbeiterlager von den Deutschen auf die Italiener übergehen sollte. 290 In seinem Bericht an Mussolini, der nach der Rückkehr nach Italien verfaßt wurde, notierte der faschistische Funktionär, daß die Vereinbarung das Maximum darstelle, das er angesichts der Zuständigkeit der Organisation, deren Präsident er sei, habe erreichen können. Andere Probleme, fuhr Lombrassa fort, müßten eine Lösung auf diplomatischer Ebene erfahren. 291 Mitte September erwies sich die Einweisung italienischer Arbeiter in AEL als die zentrale Frage, die in voller Schärfe ausbrach. Am 17. September schickte der Leiter der Berliner Delegation des CCoMIn, Cecchi, einen besorgten Bericht an Lombrassa, in dem es hieß, daß die deutsche Polizei es regelmäßig versäume, den italienischen
288 Herbert, Fremdarbeiter, S. 115-121. 289 DDI, Nona Serie, volume VII, Dok. 268, S. 257-262. 290 Vgl. ASMAE, AP, Germania, Band 73, Berichte der Botschaft Berlin an das MAE vom 5. 3., 6. 8. und 18. 8. 1941 über die Reise Lombrassas (Prot.Nr. 7779 R., 27558 PR. bzw. AP/21 09190). In Wirklichkeit gingen die Lager erst in den ersten Monaten des Jahres 1942 und mit einer gewissen Langsamkeit in italienische Leitung über; vgl. dazu: Nicola Tranfaglia (Hrsg.), Giovanni Pirelli nella guerra fascista (19401943), Mailand 1990; der Band enthält die Briefe Giovanni Pirellis, Sohn des Industriellen Alberto Pirelli, der im Zeitraum von Januar bis Mai 1942 bei der Berliner Delegation des CCoMIn arbeitete und sich gerade um den Ubergang der Lagerverwaltung in italienische Hände kümmerte. - Ich danke Prof. Tranfaglia, der mich über dieses Material informiert und mir erlaubt hat, den Band in den Druckfahnen zu konsultieren. 291 DDI, Nona Serie, volume VII, Dok. 498, S. 483-487.
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Konsulaten die Verhaftung von italienischen Arbeitern mitzuteilen, denen Vergehen oder Verbrechen zur Last gelegt wurden, wozu die Polizei aufgrund der geltenden Abkommen verpflichtet gewesen wäre. Der Beamte sprach von der „Existenz in etlichen Orten Deutschlands von Konzentrations- oder Disziplinarlagern, in die auf einfache Anzeige der Firmen oder der Vorarbeiter hin Arbeiter, die sich gegen die Disziplin vergangen oder ihren Arbeitsplatz verlassen haben, faul waren oder den Versuch einer irregulären Rückkehr in die Heimat gemacht haben usw., eingewiesen werden, unabhängig von ihrer Nationalität. (...) Proteste der Delegierten bei den Polizeiorganen oder bei der DAF haben keinerlei Erfolg, denn die Antwort lautet, daß die gleiche Behandlung auch bei den deutschen Arbeitern angewandt würde." 292 Das italienische Außenministerium intervenierte unverzüglich bei den deutschen Behörden. Es folgte ein aufgeregter Notenwechsel, 293 aus dem man ersehen kann, daß das AA wenigstens anfänglich dahin tendierte, das Vorgefallene zu verharmlosen, 294 während man italienischerseits daran dachte, die Schaffung einer Art von italienischem Gericht im Ausland vorzuschlagen, das auf Meldung der Firmen hin die des Fehlens am Arbeitsplatz schuldigen Arbeiter verurteilen und sie nach italienischem Recht bestrafen sollte. Die Strafen sollten dann in Italien verbüßt werden. 295 Während eines Besuches, den der italienische Botschafter Alfieri dem Staatssekretär von Weizsäcker abstattete, scheint der Italiener sogar die vollständige Rückführung der italienischen Arbeiter aus Deutschland ins Auge gefaßt zu haben, ohne daß sein Gesprächspartner diese Drohung jedoch besonders ernst genommen hätte. Weizsäcker verhehlte jedoch nicht die Probleme, die mit dem Verbündeten entstanden waren, und schrieb am 22. Oktober, indem er sich auf die gesamten Streitigkeiten mit Italien bezog: „diese Dinge sind da, aber noch nicht tragisch zu nehmen. Meist sind sie auch nicht abstellbar."296 Daß die Möglichkeit einer Heimkehr der Arbeiter völlig unrealistisch war, beweist der Bericht, den Alfieri am Tag nach seinem Besuch bei von Weizsäcker an das italienische Außenministerium schickte; darin entwirft der italienische Diplomat eine breitangelegte Analyse der Ursachen der augenblicklichen Schwierigkeiten, die zurückgeführt werden auf: — die zu schlechte Auswahl der Arbeiter von Seiten der italienischen Behörden (diese wiederum sei auch verschuldet durch das deutsche Drängen, alles so schnell wie möglich abzuwickeln); — Einordnungsschwierigkeiten der Arbeiter, die sowohl auf die im Reich herrschende materielle Mangellage wie auf das mangelnde Verständnis bei den Einheimischen gegründet seien;
292 Ebenda, Dok. 581, S. 593-595, Der Bericht Cecchis ist angefügt an einen diesbezüglichen Brief der Botschaft in Berlin an das MAE vom 22. 9. 1941. 293 Ebenda, Dok. 588, Ciano an Alfieri, 26. 9. 1941,2 Uhr; Dok. 589, S. 600, Alfieri an Ciano, 26. 9. 1941, 19.30 Uhr; Dok. 591, S. 601, Alfieri an Ciano, 26. 9. 1941, 21 Uhr. Vgl. auch ADAP, Serie D, Band XIII, 2, Dok. 355, S. 4 5 9 - 4 6 0 , Mackensen an das AA, 25- 9. 1941; ebenda, Dok. 356, Mackensen an das AA, 25. 9. 1941, enthält die Übersetzung des Berichts von Cecchi. 294 D D I , Nona Serie, Band VII, Dok. 597, S. 609-610, Alfieri an Ciano, 28. 9. 1941, über das Gespräch zwischen dem italienischen Botschafter und Ribbentrop. 295 Ebenda, Dok. 600, S. 612-614, Alfieri an das MAE, fiir Lombrassa, den Autor des oben genannten Projekts, über das der Diplomat einige Bedenken vorbringt. 296 Über das Gespräch mit Alfieri vgl. ADAP, Serie D, Band XIII,2, Dok. 375, S. 494, Memorandum Weizsäckers vom 2. 10. Die Aufzeichnung, auf die es sich bezieht, ist abgedruckt bei Leonidas E. Hill (Hrsg.), Die Weizsäcker-Papiere 1933-1950, Frankfurt am Main - Berlin - Wien 1974, S. 274, Nr. 29.
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— die übermäßige Verstreuung der Arbeiter auf dem Territorium des Reichs, was die Durchführung einheitlicher Direktiven gegenüber den Arbeitern äußerst erschwere. Alfieri Schloß den Bericht ab, indem er vorschlug, Lombrassa solle ein weiteres Mal nach Deutschland kommen, um von neuem die gesamten Fragen mit der Führung der DAF zu diskutieren. 297 Dieser letzte Hinweis wurde vom MAE aufgegriffen, das wenige Tage später die Abreise des Chefs des CCoMln bekanntgab. Der italienische Außenminister Ciano bekräftigte jedoch, daß die Angelegenheit „nicht von den Arbeiterverbänden verhandelt werden darf, sondern Gegenstand diplomatischer Initiative unsererseits bei der Reichsregierung darstellen soll (...). Italienische Arbeiter, die weder technisch noch moralisch gestellten Anforderungen für Arbeit in Deutschland entsprechen, müssen von Reichsbehörden nur zwecks ihrer Rückführung nach Italien gemeldet werden. Für schwere Vergehen Verantwortliche werden bei Ankunft im Königreich nach italienischen Gesetzen bestraft." 298 Gerade für diesen Vorschlag machte sich Lombrassa bei seinem Gespräch mit dem Unterstaatssekretär im AA, Luther, am 17. Oktober stark. Nachdem er die italienische Absicht unterstrichen hatte, das Vorgefallene nicht übermäßig zu dramatisieren, erklärte der führende Faschist ausdrücklich, „daß die von Deutschland an Italien ausgelieferten arbeitsscheuen oder Vertragsbrüchigen Italiener in Italien exemplarisch bestraft würden und daß die Tatsache der Bestrafung zur Abschreckung der in Deutschland beschäftigten Italiener den deutschen Behörden sogleich mitgeteilt würde". 299 In diese Richtung bewegte man sich denn auch, nachdem sowohl bei dem Treffen zwischen dem italienischen Botschafter Dino Alfieri und Ribbentrop am 18. Oktober wie in den folgenden Gesprächen zwischen Außenminister Galeazzo Ciano, Hitler und Ribbentrop die höchsten deutschen Stellen den italienischen Repräsentanten mitgeteilt hatten, dafür Vorsorge getroffen zu haben, daß kein italienischer Arbeiter mehr ins Arbeitserziehungslager gebracht, sondern in Fällen von Disziplinlosigkeit sofort nach Italien zurückgeschickt werde. 300 Auf der engeren diplomatischen Ebene hätte das Problem nunmehr als abgeschlossen erscheinen können, wenn der Chef des Auswärtigen Amts es nicht nach Abschluß einer Untersuchung über die Situation der italienischen Arbeiter für nötig befunden hätte, auf die Angelegenheit mit einem unverbrämten Brief an den italienischen Botschafter zurückzukommen und
297 DDI, Nona Serie, volume VII, Dole. 616, S. 625-626, Alfieri an MAE, 3. 10. 1941. Einige der hier vom italienischen Botschafter aufgeworfenen Fragen, vor allem das Problem der Auswahlkriterien für die nach Deutschland zu schickenden Arbeiter, wurden ihm einige Tage später ausdrücklich gestellt, und zwar von seinem deutschen Gesprächspartner, dem Unterstaatssekretär im AA, Luther, (vgl. PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 6, Bl. 372730-733 und 372737-739: Notizen vom 4. 10. und 7. 10. 1941). In der Zwischenzeit war auch Lombrassa aktiv geworden, der sich am 7. 10. 1941 zu Mackensen begab, um einige Aspekte des Problems zu besprechen, (ebenda, Bl. 372743-745, Telegramm der BRQ an den Unterstaatssekretär Luther vom 7. 10. 1941). 298 DDI, Nona Serie, volume VII, Dok. 648, S. 652-653, MAE an Alfieri, 15. 10. 1941. 299 PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 6, Bl. 372.847-849, Notiz des UStS Luther vom 17. 10. 1941. 300 Für das Gespräch zwischen Alfieri und Ribbentrop siehe DDI, Nona Serie, volume VII, Dok. 658, S. 661-663 sowie ADAP, Serie D, Band XIII,2, Dok. 409, S. 535-542. - Bezüglich des Zusammentreffens zwischen Ciano, Hitler und Ribbentrop am 25. 10. vgl. DDI, ebenda, Dok. 686, S. 690-694 sowie ADAP, Serie D, Band XIII,2, Dok. 424, S. 563-570.
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letzteren nicht ausdrücklich gebeten hätte, ihn an seinen Minister weiterzuleiten. In dem Brief behauptete Ribbentrop, daß es Gründe genug dafür gäbe, daß nicht die Italiener beim Auswärtigen Amt zu protestieren hätten, sondern umgekehrt. In dem als Anlage beigefügten Bericht griff er all die Klagen wieder auf, die wir bereits untersucht haben: die ungenügende Leistung der Arbeiter aus Süditalien, die Proteste wegen des Essens und der Lebensbedingungen in den Lagern, die übermäßige Zahl von Arbeitsvertragsbrüchen und die Forderungen nach Heimkehr. Nachdem er die Italiener mangelnder Umsicht bei der Auswahl der Arbeiter und die Delegierten der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation der Verteidigung der Arbeiter über das erlaubte Maß hinaus bezichtigt hatte, Schloß der Minister, daß seiner Meinung nach die „Arbeits- und die Lagerdisziplin sich bei den italienischen Arbeitern immer mehr gelokkert hat". 3 0 1 Trotz des harten Tons dieses Schreibens entgegneten die italienischen Behörden nichts und erklärten sich vielmehr zufrieden mit der Anordnung, daß die Arbeitslager fiir Italiener, die die Arbeitsdisziplin verletzt hatten, nicht mehr benutzt würden. 3 0 2 Nachdem die Aufgabe der Diplomaten damit erledigt war, hatten die Polizisten das Wort, die — in der Voraussicht, intervenieren zu müssen — bereits erste Schritte unternommen hatten. Am 20. Oktober schrieb der offizielle Vertreter der Staatspolizei an der Italienischen Botschaft in Berlin, Kommissar Osvaldo Chiavaccini, an Guido Leto, den Chef der OVRA, um diesen nach seinem Urteil über das zu fragen, was Heinrich Müller, Chef der Gestapo, bezüglich der Arbeiter vorgeschlagen hatte. Nach Meinung des Deutschen sollte die Angelegenheit über ein beiderseitiges Polizeiabkommen gelöst werden. Chiavaccini hielt es ebenfalls für angebrachter, die undisziplinierten italienischen Arbeiter einer polizeilichen Maßnahme zu unterwerfen, als ein Gerichtsverfahren anzustrengen, aber er war unsicher, welches die geeignete Maßnahme wäre: „Verhaftungen? Verbannung? Arbeitshaus? Arbeitsdienst auf dem Land? (...) [kann] man eine Art Erziehungslager in Italien genau fiir diesen Zweck errichten?" Doch Müller insistierte darauf, daß die Strafe in einem Arbeitslager zu verbüßen sei. Nach diesen informellen Kontakten kam schließlich die offizielle Genehmigung, ein besonderes Verfahren zu vereinbaren, das auf die „Arbeiter, die sich in Deutschland der Verletzung der Arbeitsverpflichtungen schuldig machen", angewandt werden sollte. 303 Zwischen Chiavaccini und Müller wurde Anfang Dezember folgende Vorgehensweise vereinbart: 3 0 1 D D I , N o n a Serie, volume V I I , D o k . 7 1 2 , S. 7 2 9 - 7 3 6 , Ribbentrop an Alfieri, 4 . 11. 1941. K o p i e des Schreibens auch in ADAP, Serie D , B a n d X I I I , 2 , D o k . 4 4 6 , S. 6 0 0 - 6 0 3 , w o j e d o c h der wichtige als Anlage beigefügte Bericht nicht wiedergegeben wurde. D e n T h e s e n Ribbentrops s t i m m t e auch der italienische Außenminister Galeazzo C i a n o zu, der in seinen Tagebüchern notierte, daß m a n „erkennen müsse, d a ß unter ihnen [den italienischen Arbeitern in Deutschland] eine beträchtliche Prozentzahl von Tagedieben, Arbeitsscheuen u n d U n m ä ß i g e n vorhanden ist." G e s a g t von einem, der sie eigendich hätte verteidigen m ü s s e n , hinterläßt der Satz große Ungewißheit bezüglich der wirklichen Absichten der italienischen Regierung. V g l . Galeazzo C i a n o , Diario
1937-1943,
M a i l a n d 1 9 8 0 ( 1 9 4 6 ) , S. 5 5 7 .
3 0 2 D D I , N o n a Serie, v o l u m e V I I , vgl. D o k . 7 2 8 u n d 7 2 9 , S. 7 5 1 - 7 5 2 . Es handelt sich u m Schreiben Alflen s an d a s M A E , beide v o m 8. 11. 1 9 4 1 . I m zweiten Schreiben behauptet der Botschafter, d a ß a u f der G r u n d l a g e des Ribbentrop-Berichts „die Situation der italienischen Arbeiter im wesentlichen gut ist". - D a s Verbot, Italiener in A E L zu verbringen, bzw. der Befehl, solche H ä f t l i n g e zu befreien, w u r d e von Gestapo-Chef Müller am
1. 11. 1 9 4 1 erlassen. (Vgl. A D A P , Serie D , B a n d X I I I , 2 , D o k . 4 4 4 ,
S. 5 9 7 - 5 9 8 , A u f z e i c h n u n g Luthers v o m 3. 11. 1 9 4 1 ) . 3 0 3 A C S , M I , D G P S , PolPol, B a n d 2 2 3 , Brief von O s v a l d o Chiavaccini an G u i d o Leto, C h e f der O V R A , v o m 2 0 . 10. 1941 (daraus s t a m m t das Zitat) sowie v o m 2 2 . 10., v o m 5. 11, 6. 11. sowie 18. 11. 1 9 4 1 ,
358
Zwischen Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
„ . . . wenn das Fernbleiben von der Arbeit wirklich schwerwiegend ist und solcherart, daß die R u h e und O r d n u n g im Lager und bei der Arbeit gestört wird, wird der betreffende Arbeiter von der Ortspolizei festgenommen, die unverzüglich die Geheime Staatspolizei in Berlin zu informieren hat ( . . . ) Diese teilt dann dem Vice Questore [Stellvertretender Polizeichef] Chiavaccini die Festnahme mit, der [wenn sich die Schwere des Vergehens des Arbeiters bestätigt] diesen zum Brenner oder nach Tarvis transportieren läßt, damit er den italienischen Grenzbehörden übergeben und dann dem Innenministerium überstellt wird, das ihn in die polizeiliche Verbannung schickt oder ihn in der Weise bestraft, wie das Ministerium es fallweise für angebracht hält." 3 0 4 Das A b k o m m e n wurde von den italienischen Behörden unverzüglich in die Tat umgesetzt und als Rundschreiben 4 4 2 / 9 3 2 1 8 des Innenministeriums an alle Polizeiämter und Grenzpolizeistellen gesandt. 3 0 5 A u f der Grundlage der darin enthaltenen Vereinbarungen sollten die von der deutschen Polizei übergebenen bzw. auch die an der Grenze ohne regulären Heimkehrausweis erwischten Arbeiter in Haft genommen und zum Z e n t r u m ihrer Herkunftsprovinz transportiert werden, wo die Polizeibehörde die Aufgabe übernahm, sie zu vernehmen und zu entscheiden, o b sie lediglich verwarnt oder in die polizeiliche Verbannung geschickt werden sollten. Als Verbannungsort wurde Pisticci in der Nähe von Matera ausgewählt. D i e Bestimm u n g wurde sofort und sogar rückwirkend angewandt: der erste, der dies ausbaden m u ß t e , war der im Jahr 1 9 1 1 in Fontaniva in der Provinz Padua geborene Landarbeiter Celestino Turcato, der in Hämerten, in der Nähe von Magdeburg, beschäftigt war. E r wurde Anfang N o vember 1 9 4 1 verhaftet, weil „er die polnischen Arbeiter aufgestachelt hat, die Arbeit niederzulegen, und er die D e u t schen D u m m k ö p f e genannt hat, weil sie nach Afrika gegangen sind, während die Italiener in Deutschland arbeiten und er sich ferner als Kommunist bezeichnet h a t " . 3 0 6 Turcato wurde zum Brenner gebracht und in Italien zu einem Jahr Polizeiverbannung verurteilt. Viele ereilte dasselbe Schicksal, auch wenn es schwierig ist, genaue Zahlen anzugeben; denn es ist mir bislang noch nicht gelungen, zahlenmäßige Ubersichten zu finden und auch die Personalakten der vernommenen Arbeiter sind unvollständig. 3 0 7 N u r um ein Beispiel für die G r ö ß e n o r d n u n g zu geben: in wenigen Monaten des Jahres 1 9 4 2 wurden 1 . 2 4 8 Arbeiter den polizeilichen M a ß n a h m e n unterworfen, weil sie sich in Deutschland irgendwelche Vergehen hatten zuschulden k o m m e n lassen.
304
305 306 307
Prot.Nr. 500.39342. In letzterem Schreiben wird dem Vertreter der Staatspolizei an der Italienischen Botschaft Berlin die offizielle Zustimmung des Chefs der Staatspolizei, Carmine Senise, übermittelt, Kontakte mit der Gestapo bezüglich der italienischen Arbeiter aufzunehmen. Ebenda, Mitteilung der italienischen Botschaft an Carmine Senise vom 5. 12. 1941, Prot.Nr. 15012 auf 500.39342 (das Exemplar trägt den Stempel vom Ducegesehen ). Kopie der Disposition in ASMAE, AP Germania, Band 73, Telegramm der Botschaft Berlin an das MAE vom 26. 12. 1941. ACS, MI, DGPS, PolPol, Band 223, Rundschreiben des Innenministeriums an alle Polizeipräsidien im Reich, datiert: 22. 1. 1942, Prot.Nr. 300/40406. Ebenda, Blatt vom 12. 11. 1941. Im ACS, MI, DGPS, PS-1941-42-43 wird ein Dutzend Bände aufbewahrt, die die Personalakten von mehreren Hundert vernommenen italienischen Arbeitern enthalten, die der verschiedensten Fehlverhalten in Deutschland bezichtigt wurden. Ein weiterer Bestand findet sich im ACS, MI, DGPS, Officio Rapporti con la Germania, eine Organisation der Staatspolizei, die die Kontakte mit SS-Sturmbannfuhrer Kappler, dem Vertreter der Gestapo in Rom, aufrechterhielt.
Auskämmungfiir die Kriegswirtschaft im „Dritten Reich"
359
Die quantitative Größenordnung der Verweigerung Wenn es den italienischen Behörden auf diese Weise zwar einerseits gelungen war, ihre Mitbürger den Arbeitslagern und teilweise dem Sonderrecht zu entziehen, das fur die Fremdarbeiter konstruiert worden war, so nahmen sie andererseits die unangenehme Rolle auf sich, Strafen für Dritte zu exekutieren. Eine genaue Untersuchung der Konflikte und der Lebensbedingungen der italienischen Arbeiter im „Dritten Reich" würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Ich werde daher diese Analyse nicht auf die Jahre 1942 und 1943 ausdehnen. Es dürfte jedoch interessant sein, auf der Grundlage der vorhandenen Quellen einen zahlenmäßigen Rahmen der Prozentzahl dieser „Undisziplinierten" zu liefern. Nach Angaben der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation 3 0 8 hatten vom September 1938 bis zum April 1942 253.869 Industriearbeiter das Land verlassen, um in Deutschland zu arbeiten. Von diesen befanden sich 164.489 (64,8 Prozent) zum 30. April 1942 noch bei deutschen Firmen. 3 0 9 Von den restlichen 89.380 waren 804 (0,3 Prozent der Gesamtzahl) aufgrund verschiedener Ursachen verstorben (in der Reihenfolge der Wichtigkeit: Krankheiten, Unglücksfälle, Bombenangriffe, Aufstände und Selbstmorde). 56.911 (22,8 Prozent der Gesamtheit) waren wegen Vertragsablauf bzw. aus persönlichen Gründen (Krankheiten, familiäre Gründe, nicht näher präzisierte Beschwerden, Arbeitsunfälle) repatriiert worden. 30.665 schließlich waren nach Italien zurückgeschickt worden aus Gründen der Arbeitsdisziplin und der fehlenden Leistung (als Rückkehrgründe werden in diesem Fall mangelnde Disziplin, Verlassen des Arbeitsplatzes, Entlassung und geringe Leistung angegeben, ohne daß die Zahlen fiir diese Kategorien im einzelnen angegeben würden). Der Anteil der im Laufe von 4 2 Monaten repatriierten Arbeiter, die mit der Logik der deutschen Fabrikarbeit in Konflikt geraten waren, an der Gesamtzahl entsprach mithin 12,1 Prozent. Es handelte sich unzweifelhaft um einen beträchtlichen Anteil, umsomehr als nur eine Minderheit derjenigen, die Probleme schufen, von der äußersten Maßnahme der Zwangsrückkehr betroffen war. Überdies profitierten nicht wenige derjenigen, die aus familiären oder gesundheitlichen Gründen heimkehrten (und sicherlich nahezu alle der 1.092 wegen „Unzuträglichkeiten" Zurückgekehrten), von diesen Umständen, um einen Arbeitsplatz und eine unerwünschte Situation zu verlassen. Was die 64,8 Prozent angeht, die ihre Situation mehr schlecht als recht akzeptiert hatten, so darf man weder die repressiven Methoden, die die faschistischen
308 AP Landi, Band 16, In Deutschland zum 30. 4. 1941 beschäftigte Industriearbeiter. 309 Zu den 164.489 kamen nach den Angaben der CFLI, auf die ich mich hier stütze, 5.261 einzelne Arbeiter hinzu, die während des Monats April 1942 re-expatriiert wurden. So erreichte man die Zahl von 169.750, von denen jedoch 8.172 Arbeiter (die sich aus verschiedenen Gründen zeitweilig in der Heimat aufhielten) sowie weitere 19.641 (die zum Urlaub in die Heimat zurückgekehrt waren) abgezogen werden müssen, um die Zahl der sich wirklich im Reich befindlichen Arbeiter zu erhalten. Diejenigen, die zu der ersten Gruppen gehörten, kehrten kleckerweise mit den normalen Zügen an ihren Arbeitsplatz zurück, während die zweite Gruppe, die Urlauber, mit Sonderzügen ins Reich zurücktransportiert wurden. Zum 30. 4. 1942 befanden sich mithin auf Reichsgebiet 141.937 Arbeiter, während die Rückkehr von weiteren 27.813 erwartet wurde. Leider bin ich nicht in der Lage zu präzisieren, ob die letztere Zahl eine Ausnahme oder die Norm für die Arbeiterfluktuation darstellte. Ich kann lediglich sagen, daß zum Vergleich gegen Ende November 1942 die Zahl der Italienrückkehrer 15.084 betrug; einen Monat später war sie auf 23.664 gestiegen.
360
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
wie die nationalsozialistischen Behörden anwandten, noch die Auswirkungen der ökonomischen Zwangsmechanismen vergessen, die innerhalb dieser anomalen Emigration vorherrschten. Bezüglich der Analyse dieses letzten Problems verweise ich auf einen späteren Abschnitt und erinnere hier nur daran, daß die Prozentzahl der Zurückgeführten — um sie richtig interpretieren zu können - auf keinen Fall in den Rahmen der 42 Monate einzuordnen sind, auf den sich die Statistiken der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation beziehen, 310 sondern in einen kürzeren Zeitraum: bis zum Dezember 1940 waren insgesamt 61.793 Arbeiter registriert, die ins Reich migriert waren. Allein im Jahr 1941 reisten 177.823 nach Deutschland ab, während ihnen in den ersten 4 Monaten des Jahres 1942 weitere 14.253 folgten. Für weitere Details verweise ich auf die folgende Tabelle, 311 in der ich versucht habe, die von der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation ausgearbeiteten Übersichten, die jedoch im April des Jahres 1942 enden, mit Zahlenangaben zu verbinden, die sich aus anderen Dokumenten der gleichen Provenienz ableiten lassen. Tabelle 23 Gruppen nach Deutschland abgereister italienischer Industriearbeiter (1938 bis 1942) Jahr 1938
1939
1940
Gruppe
Monat
Anzahl
I
September
6.024
II
Dezember
1.500
III/IV
Januar
1.382
V
Februar
Gesamt/Jahr
Total
7.524
7.524
7.003
14.257
864
VI/VII
März
1.600
VIII
April
615
IX
Mai
899
X/XI
November
1.345
XII
Dezember
298
XIII
Mai
730
XIV
Juli
1.149
XV
August
XV
September
XVI
Oktober
17.838 8.161 424
310 AP Landi, Band 16, Monatsbericht über die zwischen 1938 und 1942 nach Deutschland transferierten Industriearbeiter (in Wirklichkeit zwischen September 1938 und April 1942 - Anra. d. Verf.). 311 Der erste Teil der Tabelle ist aus dem in der vorausgehenden Anmerkung zitierten Überblick entnommen; die Daten, die sich auf den Zeitraum zwischen Mai und Dezember 1942 beziehen, entstammen aus AP Landi, Band 16, CFLI - Direktion Allgemeine Dienste - Dienststelle Italienische Arbeiter in Deutschland, Auf der Basis der Vereinbarungen vom 2. 3. 1942 nach Deutschland transferierte Arbeiter, Stand der Abreise zum 31. 5., 30. 6., 31. 8., 30. 9., 31. 12. 1942; sowie ebenda, Bewegung der italienischen Industriearbeiter — November und Dezember 1942.
Auskämmungß.r
die Kriegswirtschaft
im ,.Dritten Reich "
361
Tabelle 23 — Fortsetzung
1941
1942
XVI
November
13.201
XVI
Dezember
5.763
XVII
Januar
4.147
XVIII
März
7.321
XVIII
April
31.736
XVIII
Mai
45.991
XVIII
Juni
43.929
XVIII
Juli
21.522
XVIII
August
10.310
XVIII
September
6.994
XVIII
Oktober
2.193
XVIII
November
2.172
XVIII
Dezember
1.508
XVIII
Januar
1.079
XIX
Februar
47.266
61.793
177.823
239.616
*253.869
112
XIX
März
772
XIX
April
12.290
*14.253
Mai
10.039
Juni
8.206
Juli/August
11.114
September
335
Oktober
3.412
November
2.352
Dezember
534
50.245
289.861
* Zahlen fur 1.Vierteljahr Quelle: AP Landi, cartella 16.
Diese Statistik bestätigt, daß bis Mitte 1940 die Migration der Industriearbeiter insgesamt recht wenig — auf jeden Fall erheblich geringer als die der Landarbeiter - auf dem Gesamtkomplex der deutsch-italienischen Wirtschaftsbeziehungen lastete. Die ersten 14 Kontingente bestanden gar nur aus 16.136 Arbeitern; mehr als ein Drittel davon war bereits mit der ersten Gruppe angekommen - es handelte sich um die 6.024, die im September 1938 nach Fallersleben und Salzgitter aufgebrochen waren. Erst nach dem Kriegseintritt Italiens schnellte die Migration von Industriearbeitern jäh in die Höhe: der fünfzehnte Transport bestand aus 25.999 Arbeitern, mit dem sechzehnten brachen 19.388 auf. Doch die wirkliche Wende kam — wie wir bereits gesehen haben - erst mit der achtzehnten Transportwelle, die zwischen März
362
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
1941 und Januar 1942 insgesamt 174.755 Arbeiter nach Deutschland trug. Die Spitze wurde zwischen April und Juli 1941 erreicht: in diesen 4 Monaten wanderten 143.178 Arbeiter nach Deutschland. Dies entsprach 56,4 Prozent aller Arbeiter, die zwischen September 1938 und April 1942 transferiert worden sind. Wie aus anderen Dokumenten aus CFLI-Provenienz hervorgeht, reiste in den letzten 8 Monaten des Jahres 1942 ein letztes Kontingent von 35.992 Arbeitern gen Norden ab. Anfang November 1942 betrug - stets laut Faschistischer Industriearbeiterkonföderation312— die Zahl der tatsächlich im Reich befindlichen Industriearbeiter 183.319; diese sank zu Monatsende auf 177.103 ab und fiel danach weiter ab: zum 25. Dezember waren es noch 163.827 Arbeiter. Weitere 23.664 waren zum gleichen Zeitpunkt auf Urlaub in Italien und hätten wenig später die Heimat wieder verlassen müssen. Wenn man bedenkt, daß Ende April die Zahl der tatsächlich im Reich befindlichen Arbeiter 141.937 betrug (also ohne die 27.813 Urlauber in Italien, die jedoch bei den deutschen Firmen noch als Teil der Belegschaft geführt wurden), so sieht man, daß zumindest bis Ende Oktober 1942 die Zahl der Abreisenden die der endgültigen Heimkehrer übertraf. Es ist eine keineswegs unwichtige Beobachtung, daß die Zahl der wegen mangelnder Disziplin zurückkehrenden Arbeiter im November und Dezember 1942 mit insgesamt 46 (23 pro Monat) äußerst niedrig lag: bei einer Gesamtzahl von 10.331 Arbeitern, die Deutschland definitiv verließen, machte dies einen Anteil von 0,4 Prozent aus. Auch wenn man dies nicht generalisieren kann, so kann man doch die Hypothese wagen, daß die Zahl der Konflikte zurückgegangen war — sei es nun aufgrund der Unterdrückungsmechanismen, die von den Behörden der beiden verbündeten Staaten in Gang gesetzt wurden, oder sei es aufgrund der Arbeiterauswahl in Italien, die auf der Basis der vereinbarten polizeilichen Maßnahmen durchgeführt wurde.
Individuelle Migration und Anwerbungen in den von den Deutschen besetzten Gebieten Wie man aus diesen Daten ersehen kann, ist die Annäherungszahl von 300.000 nach Deutschland transferierten italienischen Industriearbeitern, die man in etlichen offiziellen Dokumenten von damals findet, im wesentlichen korrekt. Wenn man die Zahlenangaben der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation, die ich benutzt habe, mit denen der „Ergebnisse der Erhebung über die ausländischen Arbeiter und Angestellten" vergleicht, kann man sehen, daß die Größenordnungen etwa gleich sind und die Differenz weniger als 10.000 Personen betrug. Zum besseren Verständnis der Zahlen muß man jedoch ferner bedenken, daß die Zahl von 289.861 den von der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation erfaßten Arbeitern entsprach: es waren dies Arbeiter, die in Gruppen aus Italien abreisten, die gerade von der faschistischen Federazione organisiert worden waren. In dieser Zählung sind diejenigen nicht Inbegriffen, die auf eigene Faust wegwanderten und häufig von Werbern angeworben worden waren, die private deutsche Firmen nach Italien geschickt hatten. Aber in der Zahl fehlen auch diejenigen italienischen Arbeiter, die nach der militärischen Besetzung dieser Staaten 1940 aus Frankreich, Belgien und Luxemburg nach Deutschland zogen. Diese individuelle Migration 312 Ebenda.
Auskämmung fur die Kriegswirtschaft im „Dritten Reich "
363
scheint in der Zeit vor dem italienischen Kriegseintritt recht beträchtlich gewesen zu sein. Darüber liegen uns einige Zahlen vor, weil die Frage Gegenstand von Verhandlungen zwischen den „Achsen'mächten wurde. Diejenigen, die unorganisiert wegwanderten, konnten nämlich kein Geld an ihre Familien schicken, weil sie in die bilateralen Regierungsverhandlungen über die Geldüberweisungen nicht einbezogen waren. Wenn die Zahl dieser „Irregulären" zunahm, brachten die römischen Behörden in periodischen Abständen das Problem auf die Tagesordnung und versuchten, Berlin zu überzeugen, Regelungen zuzugestehen, die die Situation für diese Arbeiter verbesserten. Mitte September 1939 wurde die Zahl der italienischen Arbeiter, die ohne Genehmigung Lohnersparnisse in die Heimat sandten, auf etwa 3.000 geschätzt. Diesen wurden darauf erlaubt, die Q u o t e von 70 Reichsmark monatlich, die fiür die „Regulären" ausgehandelt worden war, nach Italien zu transferieren. Im Gegenzug verpflichtete Italien sich dazu, diese heimliche Emigration zu bremsen, 313 während Deutschland seinen Firmen jede Einstellung verbot, die nicht zuvor die Landesarbeitsämter passiert hatte. 314 Jedenfalls scheinen die Maßnahmen, die von den beiden Regierungen getroffen wurden, das Phänomen in keiner Weise beendet zu haben; denn weniger als ein Jahr später, am 23. Mai 1940, betrug die Zahl der vereinzelt im Reich befindlichen Arbeiter — nach Angaben der Italienischen Botschaft in Berlin — bereits 12.000. 3 1 5 Was jene angeht, die in den besetzten Gebieten Westeuropas angeworben wurden, so begann die Rekrutierung unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch und ohne daß in irgendeiner Weise das Netz der italienischen konsularischen Vertretungen eingeschaltet worden wäre. Im Laufe von Gesprächen, die Ende September/Anfang Oktober 1940 zwischen der Italienischen Botschaft in Berlin und dem Reichsarbeitsministerium geführt wurden, teilten die deutschen Beamten mit, daß die Anwerbung bereits im Gange war, und vereinbarten, daß das Limit fiür diejenigen Arbeiter, die ihre Familie in Italien hatten und die daher in den Rahmen der Regierungsverhandlungen über den Devisentransfer gehörten, auf 5.000 festzulegen sei. Was diejenigen betraf, die ihre Familie im Ausland hatten (und das war die Mehrheit), so machten die Reichsbehörden keine Angaben darüber, wieviele dieser Arbeiter sie einzusetzen gedachten. Das Reichsarbeitsministerium schlug vor, daß für all jene „die Anwerbungen weiterhin direkt durch die französischen Militärbehörden durchgeführt werden sollen". Man solle sich auf die Verpflichtung beschränken, „monatlich die Zahl der italienischen Arbeiter, die nach Deutschland transferiert wurden, sowie die Regionen, in die sie verlegt worden sind", mitzuteilen. 316
313 ASMAE, AC, Germania, 1939, Band 28/29, Position 28/8, Bericht der Botschaft Berlin an das MAE und M S V vom 30. 8. 1939 über das Problem der vereinzelten Wanderarbeiter; in einem Brief an Giannini vom 9. 9. 1939 teilte Clodius mit, daß die italienischen Wünsche deutscherseits gebilligt worden seien. 314 PA/AA, AR, R V, Allgemein und Deutschland, Band 9, Rundschreiben des AA, gez. Rödiger, vom 7. 7. 1939 an alle diplomatischen und konsularischen Vertretungen Deutschlands in Europa (ausgenommen Sowjetunion), Prot.Nr. R 12819; in dem Schreiben wird den Firmen verboten, selbständig ausländische Arbeitskräfte einzustellen. Jede Anforderung müsse an das RArbM gestellt werden. Im Bestand AR finden sich ähnliche Dokumente späteren Datums. 315 ASMAE, AP, Germania, Band 70, Alfieri an das MAE, 23. 5. 1940. 316 Ebenda, Bericht Alfieris an das MAE vom 24. 7. 1940, Prot.Nr. 25260 P.R, sowie Bericht vom 2. 8. 1940, Prot.Nr. 25968 ER - Das Zitat stammt aus dem ersten Schreiben. Leider habe ich im ASMAE
364
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Auch Botschafter Alfieri erklärte sich schließlich in Anbetracht des Zustands der Desorganisation, in welchem sich die italienischen konsularischen Vertretungen in den besetzten Ländern befanden, mit diesem Verfahren einverstanden. Für das Jahr 1941 habe ich keine allgemeinen Daten in dieser Frage finden können. In Belgien wurde eine große Zahl von italienischen Emigranten für die deutschen Fabriken angeworben. 317 Wie ich bereits bemerkt habe, konnte die Arbeit im Reich für eine beträchtliche Zahl antifaschistischer Arbeiter, die bereits an ein Leben im Ausland gewöhnt waren, sicherer sein als die Rückkehr in die Heimat oder das Verbleiben in einem besetzten Land, wo die Gefahr größer war, von der italienischen Polizei aufgegriffen zu werden, die unverzüglich begann, sich dabei der wohlwollenden Unterstützung der Gestapo zu versichern. 318 Diese Sachlage wurde auch von dem Faschistischen Parteibüro in Brüssel hervorgehoben, dessen Sekretär es nicht unterließ, die deutschen Behörden zu informieren und ihnen zu raten, die in Belgien angeworbenen Italiener nicht für militärische Fabrikationen einzusetzen, da unter diesen viele Personen seien, die wegen ihrer Vergangenheit und ihrer antifaschistischen Haltung nicht nur keinerlei Garantien böten, sondern sich vielmehr leicht zu Sabotage und Spionage für den Feind hergeben könnten. 3 1 9 Die Frage der Italiener in Frankreich hinterließ im Jahr 1942 ihre Spuren auch in den diplomatischen Akten italienischer Provenienz, als nämlich der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz seine Aufmerksamkeit auf die französischen Arbeitskräftereserven richtete und das Ziel verfolgte, bis Ende Juni 250.000 Arbeiter fur Deutschland zu rekrutieren. 320 Daß die Anwerbung sich auch auf die emigrierten Italiener erstrecke, teilten die italienischen Konsulate ab Juni 1942 unverzüglich mit, die im übrigen keine klaren Vorstellungen davon hatten, wie sie sich verhalten sollten. Das Konsulat in Toulon protestierte am 27. Juni, weil die deutschen Behörden Italiener rekrutierten, ohne daß das Konsulat konsultiert worden wäre. 321 Aus Lyon wurden am 24. Juni Instruktionen erbeten und gleichzeitig die Meinung vertraten, daß es besser wäre, den direkten Wechsel von Frankreich nach Deutschland zu unterstützen. 322 Ahnliche Ansichten wurden am 6. Juli von der italienischen „Delegation für Heimfuhrung und Unterstützung" beim Konsulat in Marseille geäußert, zu denen einige interessante Beobachtungen traten:
(weder im Bestand AP, Botschaft Berlin oder in den zugänglichen Teilen des Bestandes AC) keine Monatsberichte gefunden, die das RArbM nach eigener Aussage an die italienische Botschaft geschickt hat. Möglicherweise sind sie verlorengegangen, möglicherweise sind Kopien in den Bestand Generaldirektion Italiener im Ausland (DIE) gelangt, der sich komplett im ASMAE befindet, doch ungeordnet und daher absolut nicht konsultierbar ist. 317 Vgl. Anne Morelli, Fascismo e antifascismo neü'emigrazione italiana in Belgio 1922-1940, Rom 1987, S. 2 6 0 - 2 6 1 . 318 Zahlreiche Fälle dieser Art, in der die italienische von der deutschen Polizei verlangte, Antifaschisten zu verhaften, die in die von der Wehrmacht nunmehr besetzten Länder emigriert waren, finden sich in ACS, MI, DGPS, UfFicio Rapporti con la Germania, diverse Bände. 319 Der Brief des Sekretärs des Parteibüros in Brüssel wurde nach der Befreiung Belgiens im Januar 1945 in der antifaschistischen Zeitung Italia di domani publiziert; zit. bei Morelli, Fascismo, S. 261. 320 Homze, Foreign Labor, S. 178-184. 321 ASMAE, AP, Francia, Band 55, Telegramm des Konsulats Toulon an das MAE, Prot.Nr. 19883 PR. 322 Ebenda, Telegramm der Lyoner Delegation der Italienischen Waffenstillstandskommission mit Frankreich (CLAF) an das MAE, Prot.Nr. 19128. PR.
Auskämmung für die Kriegswirtschaft im „Dritten Reich "
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„1. Im Departement Bouche du Rhone herrscht eine bereits chronische Arbeitslosigkeit unter den Industriearbeitern und vor allem unter den Bau- und Hafenarbeitern. Diese Arbeitslosigkeit ist verständlicherweise bei unseren Landsleuten besonders stark (...) 2. (...) Der Arbeiter, der sich nach Deutschland begibt, wo ihm eine sichere und gut bezahlte Arbeit garantiert wird, vermeidet ferner alle Kosten, die mit dem Umzug und der Absiedlung der Familie verbunden sind und die er unweigerlich aufbringen müßte, wenn er sich im [italienischen] Königreich anwerben lassen würde." 3 2 3 Natürlich hatte das Konsulat von den deutschen Arbeiterwerbern verlangt, die Listen der Abreisenden durchsehen zu können und sich eine Genehmigung dafür vorbehalten. Auf diese Weise, so fuhr der Verfasser des Schreibens fort, sei es möglich gewesen, sowohl das Prestige der italienischen Regierung zu wahren als auch „die Abreise von unerwünschten Personen und von solchen, die den Ruf des italienischen Arbeiters in Deutschland schädigen würden", zu vermeiden. Und wiederum vermischten sich Fragen des nationalen Prestiges mit einer politischen Kontrollfunktion. Ahnliche Mitteilungen trafen in den darauffolgenden Wochen auch aus anderen Regionen des nicht besetzten Vichy-Frankreich 324 und aus dem von der italienischen Armee besetzten Küstenstreifen ein. Hingegen habe ich keine Informationen über die Situation im deutsch besetzten Frankreich finden können, wo das am 26. Januar 1941 zwischen Italien und Deutschland vereinbarte Verfahren hätte gelten müssen, das die Rückkehr der Familien der angeworbenen Arbeiter nach Italien vorsah. 325 Diese Modalitäten wollten die italienischen Behörden auch aufVichy-Frankreich ausdehnen, 326 aber es hat den Anschein, als ob die deutschen Werber den Protesten der Konsulate keine besondere Bedeutung beigemessen hätten 3 2 7 und es unterließen, ihnen die Listen der abreisenden Arbeiter vorzulegen. In den darauffolgenden Monaten wurden die italienischen Emigranten in Frankreich schließlich in die Vereinbarungen zwischen der Regierung von Vichy und dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz eingeschlossen. Dies war der Ursprung der sogenannten „rel£ve", einer Vereinbarung, aufgrund derer die französische Kollaborationsregierung Deutschland Industriearbeiter im Austausch gegen Kriegsgefangene zur Verfügung stellen sollte, und zwar im Verhältnis 3:1. Ab dem 4. September 1942 nahm die „releve" den Charakter einer Rekrutierung an, die sich nicht nur auf ökonomischen Zwang stützte. Die von der Vichy-Regierung erlassenen Gesetze verpflichteten nämlich die Registrierung aller Arbeiter bei speziellen Dienststellen; aus der Liste der Registrierten sollten dann die Kontingente für die Entsendung ins Reich herausgezogen
323 Ebenda, Bericht an das M A E vom 6. 7. 1942, Prot.Nr. 108233/1340/C. 324 Ebenda, Delegation CIAF in Chambdry, Fernschreiben Nr. 5712 vom 25. 7.; Delegation CIAF in Grenoble, Fernschreiben Nr. 4199/689 vom 21. 7.; Delegation CIAF in Avignon, Schreiben vom 28. 7. 1942. 325 Ebenda, Brief des M A E an die Botschaft Berlin vom 30. 7. 1942 mit den Instruktionen, wie die Frage der Anwerbungen in Vichy-Frankreich mit den deutschen Behörden geregelt werden sollten. 326 Ebenda; vgl. auch den diesbezüglichen Brief des MAE an den General Gelich, Chef der CIAF, vom 3. 8. 1942, Prot.Nr. 19968/295. 327 Ebenda, Delegation CIAF in Cannes, Fernschreiben Nr. 238/R. 196/654 vom 7. 8. 1942; darin heißt es, daß die in Cannes und Antibes eröffneten deutschen Anwerbestellen fortfuhren, Italiener zu rekrutieren, ohne dem zuständigen Konsulat davon Mitteilung zu machen. Ahnlich war auch der Tenor eines Schreibens der CIAF-Delegation in Nizza vom 1. 8. 1942 (Prot.Nr. 1986 R.). Schwierigkeiten im Verhältnis mit den deutschen Dienststellen wurden im Laufe desselben Monats auch von anderen Waffenstillstandsdelegationen dieser Region gemeldet (ebenda).
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werden. 328 Unter den ersten Arbeiterkontingenten, die in Ausführung der deutsch-französischen Vereinbarungen nach Deutschland transportiert wurden, befanden sich nur wenige Italiener. Der Generalkonsul in Frankfurt am Main informierte sein Außenministerium schon am 17. September. 329 Ähnliche Mitteilungen kamen am 1. Oktober aus Cannes 330 und wenige Tage später aus Chambery. Von dort wurde berichtet, daß „die Regierung von Vichy, die unter dem Zwang steht, bis zum 15. des Monats die geforderte Anzahl qualifizierter Arbeiter ins Reich zu schicken, ihren Druck auf die ausländischen Arbeiter über die Werksdirektoren und Fabrikchefs intensiviert hat, (...) um diese dazu zu bewegen, sich anwerben zu lassen. (...) Weil die französischen Arbeiter sich in ihrer großen Mehrheit entschieden weigern, den an sie gerichteten Anwerbeaufforderungen spontan Folge zu leisten, sind die Direktoren, Inhaber und Geschäftsführer der Unternehmen, Betriebe und Firmen ultimativ von den zuständigen französischen Behörden aufgefordert worden, diejenigen Arbeiter — kraft staatlichen Befehls — von oben zu benennen, die zwangsweise abreisen müssen, und dabei bevorzugt .Ausländer' auszuwählen. (...) Natürlich setzt sich die Masse der .Ausländer' in ihrer überwiegenden Mehrheit, um nicht zu sagen in ihrer Gesamtheit, aus Italienern zusammen." 331 Nicht allzu unterschiedliche Informationen kamen auch aus Nizza und Grenoble, 332 während die italienische Botschaft in Berlin am 6. November berichtete, daß eine beträchtliche Zahl italienischer Arbeiter, die sowohl in Vichy-Frankreich wie in der besetzten Zone angeworben worden waren, im Reich ankam, nachdem sie Verträge unterzeichnet hatten, in denen die Formulierung „für die Befreiung eines französischen Gefangenen" auftauchte, genau wie es die Vereinbarungen über die „relfcve" vorsahen. 333 Der deutsche Militärbefehlshaber in Frankreich erließ auf die italienischen Pressionen hin entsprechende Anordnungen, die die Italiener von der Zählung für die „relfeve" ausschlossen, und bestätigte, daß deren Anwerbung zwingend die Zustimmung der italienischen Konsularbehörden erfordere. 334 In einem weiteren Rundschreiben wurde von den deutschen Militärbehörden in Paris präzisiert, daß es für französische Dienststellen verboten sei, italienische Staatsbürger anzuwerben; allerdings wurde die Zuständigkeit fiir die Italiener nicht auf ein italienisches Organ übertragen, sondern verblieb bei den deutschen Werbebüros, die die Abreise der Arbeiter organisieren konnten, wenn sie die Zustimmung der Konsulate erhalten hatten. 335 Es ist bemerkenswert, daß diese Bestimmung vom 5. Februar 1943 datiert, als die Regierung in Rom bereits beschlossen hatte, weitere Transporte italienischer Arbeitskräfte nach Deutschland einzustellen, und schon Verhandlungen über die Rückkehr derjenigen, die sich noch im Reich befanden, eingeleitet worden waren. Es ist möglich, daß Gruppen von Italienern, die mit Franzosen und
328 329 330 331 332
Homze, Foreign Labor, S. 182-183. ASMAE, AP, Francia, Band 55, Fernschreiben Prot.Nr. 137088/109. Ebenda, Fernschreiben der CIAF-Delegation, Prot.Nr. 284/186. Ebenda, Fernschreiben der CLAF-Delegation in Chambery an das MAE vom 9. 10. 1942. Ebenda, Fernschreiben des Konsulats Grenoble vom 14. 10. 1942, Prot.Nr. 6237/869; Mitteilung der CLAF-Delegation in Nizza vom 29. 10. 1942, Prot.Nr. 2309 R.
333 Ebenda, Telegramm Alfieris an das MAE, Prot.Nr. 35155 P.R. 334 ASMAE, Bestand Botschaft Paris, Band 325, Rundschreiben des Militärbefehlshabers in Frankreich vom 27. 10. und vom 9. 11. 1942, Prot.Nr. Wi VII 740/42 und Wi VII C.Z. 740/42 (im Original und in italienischer Ubersetzung). 335 Ebenda, Rundschreiben vom 6. 2. 1943, Prot. Wi. VII/740 Si/43 (Original und Übersetzung).
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im „Dritten Reich "
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Emigranten anderer Nationalitäten vermischt waren, weiterhin nach Deutschland geschickt wurden und zwar für die gesamten 8 Monate des Jahres 1943, in denen die ,Achse RomBerlin" trotz der immer stärker werdenden Risse in Kraft blieb. Leider habe ich keinerlei Daten, die etwas darüber aussagen, wieviele der 240.386 Arbeiter, die im Jahr 1942 aus Frankreich in die deutschen Betriebe transportiert wurden, 3 3 6 italienische Staatsbürger waren. Sicherlich nicht wenige, wie im übrigen die Zahl der anderen Ausländer, vor allem Polen, keineswegs klein war, die aus den französischen, belgischen und luxemburgischen Fabriken und Bergwerken herausgezogen wurden.
Das Herausziehen von Arbeitskräften aus den italienischen Fabriken Ich habe zu Beginn dieses Kapitels den Begriff Auskämmung benutzt. Wenigstens was die 50.000 Arbeiter der Eisen- und Metallindustrie wie des Maschinenbaus angeht, die aufgrund der Vereinbarungen vom Februar 1941 aus den Fabriken herausgezogen werden sollten, ist der Begriff absolut zutreffend. Leider hat die Lückenhaftigkeit der zentralen Aktenbestände der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation und des Korporationsministeriums es nicht erlaubt, den Mechanismus des Herausziehens dieser Arbeiter aus den Fabriken vollständig zu rekonstruieren. Uber verschiedenste Ersatzquellenbestände ist es jedoch möglich, in großen Linien das Funktionieren dieser Auskämmung nachzuzeichnen. Der Angelpunkt dieses Systems waren die beiden Rundschreiben des Korporationsministeriums vom 13. und 27. Februar 1941, die vorsahen, daß in jeder Provinz „ein Komitee, bestehend aus einem Ispettore Corporativo, einem Delegierten des Staatssekretärs fur die Rüstung, einem Vertreter der örtlichen Industriellenunion und einem Vertreter der örtlichen Industriearbeiterunion [gebildet werden sollte, welches] fiir jeden Betrieb (...) die Zahl und die Namen der Arbeiter festzulegen hat, die zur Verfügung gestellt werden sollen." 337 Um die Arbeiter ins Reich überstellen zu können, ohne daß daraus Nachteile für die italienische Produktion entstanden, wurden die Firmen aufgefordert, die Wochenarbeitszeit auf 72 bzw. auf 60 Stunden zu erhöhen, je nachdem ob die Arbeiten am Fließband stattfanden oder nicht. Während erstens festgelegt wurde, daß „es angebracht ist, daß die Masse der Belegschaft, die zur Verfügung gestellt wird, (...) aus Personen, die den verschiedenen Berufsgruppen angehören, passend zusammengesetzt sein soll", so legte die zweite Disposition fest: „[jeder] Arbeitgeber muß, nachdem er die Mitteilung vom Leiter des Ispettorato Corporativo über die Reduzierung der Belegschaft seiner Firma erhalten hat, (...) einen vertraulichen Vorschlag mit der Namensliste der zu entlassenden Arbeiter erstellen". Es war daher die Aufgabe der Komitees, die Liste endgültig zu bestätigen. Eine detailliertere Untersuchung dieser Angelegenheit war nur für die Provinzen der Emilia-Romagna möglich, dank der Tatsache, daß die Aktenbestände des Ispettorato Corporativo erhalten und nun im 336 Homze, Foreign Labor, S. 184. 337 Die Rundschreiben sind im Anhang abgedruckt bei Antonio Gibeiii, Ii reclutamento di manodopera nella provincia di Genova per il lavoro in Germania (1940-1945), in: llMovimento di Liberazione in Italia, Nr. 99-100, April-September 1970, S. 115-133.
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Staatsarchiv Bologna verwahrt sind. Der prozentuale Anteil an Arbeitern, die die Firmen zur Verfügung stellen mußten, war danach durchaus beträchtlich: von der Zweigstelle der FiatWerke in Bologna wurden 9 von 6 0 Arbeitern verlangt, 3 3 8 von der S A B I E M 3 3 9 9 0 von 5 6 0 , mit Ausnahme der Lehrlinge, die erst bei einem zweiten Durchgang in Betracht gezogen wurden. Die italienischen Ford-Werke waren gehalten, 10 von 8 7 Beschäftigten zur Verfügung zu stellen, 3 4 0 während von der Societä Anonima Officine di Forll 41 von 2 3 4 Personen zwangsverpflichtet wurden. 3 4 1 Natürlich behagte es den Firmen überhaupt nicht, sich ihrer Facharbeiter beraubt zu sehen, und sie versuchten zumindest die Schäden zu mindern. Dazu benutzen sie verschiedene Strategien: einige beriefen sich auf die Fertigungsaufträge, die für das Ministerium für Rüstungsproduktion im Gange waren und argumentierten, daß sie diese nicht bewältigen könnten, wenn sie auf einen Teil der Belegschaft verzichten müßten. Dies war der Fall bei den Mechanikwerken Baldi und Matteuzzi, die ihre laufenden Fertigungen für die Königliche Luftwaffe argumentativ als Schutzschild benutzten und darum baten, „die 2 5 Arbeiter behalten zu dürfen, die bereits als Arbeiter für Deutschland festgelegt worden sind, oder zumindest die 10 Facharbeiter und die 10 Fachgehilfen von dieser Maßnahme auszunehmen und nur die 5 Hilfsarbeiter abreisen zu lassen". 3 4 2 Ahnliche Widerstände wurden von Seiten der S I R M A in Parma, der Vereinigten Elektrotechnikwerken in Ferrara und der Firma Slanzi in Reggio Emilia vorgebracht, die sich der Forderung des Ispettorato Corporativo entgegenstellten, die Zahl der nach Deutschland zu entsendenden Arbeiter zu erhöhen. 3 4 3 Daran erinnernd, daß sie bereits 15 ihrer Leute zur Verfügung gestellt hatte, verschanzte sich die zweite der hier genannten Firmen ferner hinter einer langen Liste von Fertigungen, die sie für die drei Armeeteile und für das Kriegsministerium selbst laufend ausführte. Andere Firmen versuchten hingegen, bestimmte Arbeiter, die sie als nicht ersetzbar ansahen, der Anwerbung zu entziehen, indem sie andere an deren Stelle vorschlugen, wobei es keine Rolle spielte, ob diese damit einverstanden waren. In diesem Sinne agierte die Firma Morini, ein bekannter Hersteller von Motorrädern, die einen Dreher und einen Feinmechaniker zur Verfügung stellte und dabei hinzufügte, daß beide „sich zwangsweise nach Deutschland begeben". 3 4 4 Man beachte, daß einer der beiden 55 Jahre alt war. Ahnliche Vorschläge kamen von den Firmen Buini & Grandi und Azzaroni in Bologna sowie von den Mechanischen Fabriken Giuseppe Carenzi in Piacenza. 3 4 5 Alle drei Unternehmen schlugen ältere Arbeiter vor. Die Firma Carenzi empfahl sogar einen sechzigjährigen Schreiner! 3 3 8 ASB, IL, G e r m - 4 l , Personenliste, am 27. 3. 1941 von der Betriebsleitung an das Ispettorato Corporativo geschickt. 3 3 9 Ebenda, Brief der Betriebsleitung der Firma SABIEM vom 5 . 4 . 1941. 3 4 0 Ebenda, Brief der Betriebsleitung vom 11. 3. 1941. 341 Ebenda, Brief der Betriebsleitung vom 10. 5. 1941. Darin wurde wegen der Zahl der zwangsverpflichteten Arbeiter protestiert, die als allzu hoch angesehen wurde. 3 4 2 Ebenda, Brief der Betriebsleitung an das Ispettorato Corporativo vom 20. 3. 1941. 3 4 3 Ebenda, Brief der S I R M A (Klingenfabrikation), der Fabbriche Elettrotecniche Riunite (Vereinigte Elektrotechnik-Werke) und der SLANZI (Herstellung von Diesel- und Otto-Motoren, Pumpen und Kompressoren) an das Ispettorato Corporativo vom 8. 5., 5. 5. bzw. 10. 5. 1941. 3 4 4 Ebenda, Brief der Betriebsleitung an das Ispettorato Corporativo vom 28. 5. 1941. 3 4 5 Ebenda, Brief der Betriebsleitungen an das Ispettorato Corporativo vom 8. 4., 15. 3. bzw. 7. 5. 1941. Die Firma Buini & Grandi produzierte elektromechanische Apparaturen, die Firma Azzaroni war eine Auto-
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Es ist ziemlich offensichtlich, daß die Firmen, wenn es ihnen nicht gelang, sich der ihnen auferlegten Verpflichtung zu entziehen, zumindest versuchten, sich der weniger leistungsfähigen Arbeiter zu entledigen. Eine Haltung dieser Art ist uns aus Genua bekannt: am 20. März 1941 hob die örtliche Faschistische Industriearbeiterunion in einem Schreiben an die entsprechende Industriellenvereinigung die „Notwendigkeit [hervor], daß trotz der legitimen Bedürfnisse unserer Produktion nicht von der Abreise solcher Arbeiter, die beruflich über dem allgemeinen Durchschnitt liegen, abgeraten werden soll (...). Von selten einiger Betriebsführer gibt es die Tendenz, sich von den weniger guten Arbeitern zu befreien und die Abreise (...) derjenigen, die beruflich die Besten sind, nicht zu empfehlen." 3 4 6 Trotz der mehr oder weniger hartnäckigen Verteidigung der eigenen Arbeitskräfte mußten die Firmen auch mit dem Faktum rechnen, daß hochqualifizierte Arbeiter sich direkt in die Listen der Wanderarbeiter bei den örtlichen Stellen der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation einschrieben, ein Verfahren, das die Firmenleitungen auf die Barrikaden brachte und sie zu vehementen Protesten beim Ispettorato Corporativo veranlaßte. 347 Besonders hartnäckig waren beispielsweise die Vorhaltungen des Industriellen Alfredo Landsberg, Inhaber des gleichnamigen Feinmechanikwerks, der von den Behörden verlangte, daß drei seiner Angestellten, die auf eigenen Wunsch nach Deutschland migrieren wollten, daran gehindert würden; empört erklärte der Unternehmer, er könne nicht verstehen, „daß die übergeordneten Behörden es erlauben, daß diese [Arbeiter] allein aus Gewinnsucht ihren Arbeitsplatz verlassen können, denn diese gehen nur nach Deutschland, um dort nach höheren Tarifen bezahlt zu werden". 3 4 8 Abgesehen davon, daß es einer gewissen Komik nicht entbehrt, wenn sich ein Unternehmer gegen das Streben nach Gewinn ausspricht, so hatte der Bologneser Firmenchef doch das zentrale Element erkannt, das jeder Migration ursächlich zu Grunde lag. Ich kann mich hier nicht auf eine detaillierte Analyse der damaligen Unterschiede im Lohnniveau zwischen Deutschland und Italien einlassen, sondern will mich auf wenige Beispiele beschränken: in den Fabriken der Emilia, die ich vorhin zitiert habe, verdiente ein normaler Hilfsarbeiter ungefähr zwischen 2,60 und 3,05 Lire in der Stunde, was 0,34 bis 0,40 Reichsmark entsprach. Ein Facharbeiter konnte eine Summe zwischen 4,21 und 5,55 Lire Stundenlohn erreichen, also 0,55 bis 0,72 Reichsmark. Der Arbeitsvertrag N . Metall 684, der für das Hannoveraner Werk der AccumulatorenfabrikAG galt und nur die in Italien zu rekrutierenden normalen Hilfsarbeiter betraf, legte den Stundenlohn (ohne Akkordzulage) auf 0,80 Reichsmark, also 6,12 Lire fest. Auf der Basis des vertraglich garantierten Minimums von 48 Wochenstunden (der Monat bequemlichkeitshalber zu 4 Wochen gerechnet) konnte ein normaler Hilfsarbeiter als Minimum 1.175 Lire monatlich verdienen. Was die Facharbeiter anging, so meinten die deutschen Finanzbehörden zu dem Zeitpunkt, als die Abkommen geschlossen wurden, daß ein italienischer Facharbeiter reparaturwerkstatt, die Firma Carenzi konstruierte landwirtschaftliche Maschinen und verwandte Produkte. 346 Der Brief ist abgedruckt bei Gibeiii, Reclutamento, S. 130-131. 347 ASB, IL, Germ-41, Briefe der Firma MAN (Herstellung von Diesel-Motoren) vom 1. 4., 4. 4. und 24. 6. 1941 sowie von der Firma Veronesi (Pumpen und Kompressoren) vom 9. 5. 1941. 348 Ebenda, Brief der Firma Alfredo Landsberg an die CFLI Bologna und nachrichtlich an das M G vom 24. 4. 1941.
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Zwischen Strukturwandel
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Kriegswirtschaft
in der deutschen Rüstungsindustrie bis zu 4 0 0 Reichsmark monatlich verdienen könne, was nach dem damals gängigen Umtauschkurs einer S u m m e von 3 . 0 6 0 Lire entsprochen hätte also etwa soviel, wie damals die höheren italienischen Ministerialbeamten verdienten. 3 4 9 Es ist leicht zu verstehen, welche Anziehungskraft solche Lohnniveaus ausüben konnten, zumindest in einer Anfangsphase, als jene Probleme, die ich in den vorangegangenen Abschnitten angeschnitten habe, noch nicht zum Vorschein gekommen waren. Ein weiteres Mal befinden wir uns vor einer komplexen Situation, in der sich Elemente von Zwang (sowohl gegenüber Firmen als gegenüber Arbeitern), eindeutig ökonomisch motivierte Antriebskräfte, Firmenstrategien und allgemeine politische Zielsetzungen miteinander vermischten. Was alled e m zugrunde lag war jedoch die gravierende Schwäche Italiens gegenüber dem „Dritten Reich".
Arbeitermigration nach Deutschland und Arbeitsmarktsituation in Italien Auch wenn die Angaben nicht so detailliert sind wie für die Emilia-Romagna, so geben die Quellen, die ich für die anderen Regionen zusammengetragen habe, ein nicht allzu unterschiedliches Bild. Während aus Trient bereits im Februar 1941 besorgte Hinweise auf einen massenhaften Auszug von Arbeitskräften ankamen, 3 5 0 so waren es Ende M ä r z die Turiner Industriellen, die sich beklagten: „in Industriellenkreisen wird lebhafte Kritik an den Aktivitäten vorgebracht, die die sindacati entfaltet haben, u m Massen von Facharbeitern aus der Metallindustrie anzuwerben, die für die deutsche Industrie bestimmt sind. Nach dem, was die Industriellen äußern, seien der Industrie dadurch qualitätvolle Kräfte entzogen worden, was die Industrie selbst in große Schwierigkeiten gebracht habe." 3 5 1 Die „ A u s k ä m m u n g " erscheint als ein allgemeines Phänomen: sie betraf zwar überwiegend agrarische Provinzen (wie Cuneo, aus dessen Fabriken im M ä r z 183 Arbeiter herausgezogen wurden 3 5 2 ), aber auch stark industrialisierte Regionen wie Brescia 3 5 3 und ging auch nicht an gemischten Gebieten wie Alessandria oder Rovereto 3 5 4 vorüber. In einigen Fällen, so in L a Spezia, schilderten die Präfekturen außer den Klagen der Unternehmer eine Situation, die von wirklichem Arbeitskräftemangel gekennzeichnet war. 3 5 5 In der Zwischenzeit mehrte sich die Kritik, die aus den Industriezentren des Nordens, vornehmlich Mailand und Turin, an der Anwer-
349 Eine Kopie des Vertrags der Accumulatorenfabrik AG befindet sich im NdsHStA Hannover, Sozialministerium, Akten des LAA Niedersachsen, Nds 300, Acc. 27/71, Nr. 137. Zur Beurteilung des möglichen Verdienstes eines Facharbeiters vgl. BA/MA, RW45, Band 14 II, Bericht vom 6. 3. 1941 des Verbindungsoffiziers zum RWM, Oberstleutnant Drews, Bl. 101-103, Zitat: Bl. 103. 350 ACS, MI, DGPS, PolPol, Band 223, Bericht vom 16. 2. 1941. 351 Ebenda, Bericht vom 23. 3. 1941. 352 ACS, MI, DGPS, PS 1941, Kategorie K1B15, Band 51, 23. 2. 1941, Quästur Cuneo, Bericht über die politisch-wirtschaftliche Lage, S. 4. 353 Ebenda, Band 49, 26. 3. 1941, Quästur Brescia, Bericht über die politisch-wirtschaftliche Lage, S. 4. 354 Ebenda, Band 48, Quästur Alessandria, 27. 3. 1941, Bericht über die politisch-wirtschaftliche Lage, S. 3; MI, DGPS, PolPol, Band 223, Bericht aus Rovereto vom 25. 4. 1941. 355 ACS, MI, DGPS, PS 1941, Kategorie K1B15, Band 52, Quästur La Spezia, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 3.
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bung geübt wurde. 3 5 6 Nicht nur das Faktum, daß Facharbeiter weggingen, war Gegenstand der Mißbilligung, sondern auch die Folge, daß die, die blieben, „höhere Löhne verlangen als die gewerkschaftlich vereinbarten". 3 5 7 Auch in kleineren Zentren, wie ζ. B. in Vercelli, kam es zu ähnlichen Vorkommnissen: „das Fehlen von Arbeitskräften bestimmter Kategorien und die Furcht, daß die Arbeiter, angezogen von dem höheren Verdienst in Deutschland, die örtliche Industrie verlassen, haben verschiedene Industrielle dazu verleitet, spontan und in einigen Fällen auch merklich die Zahlungen zu erhöhen." Mitte 1 9 4 1 häuften sich die Nachrichten über das Fehlen von spezialisierten Arbeitern: in Triest verfügten die Werften nicht über genügend Hände, 3 5 8 in Pesaro kam es zu Mißhelligkeiten, auch weil „der Arbeiter aus der Industrie allgemein dazu tendiert, sich nach Deutschland zu begeben, angezogen von der dort lohnenderen Bezahlung", eine Klage, die im übrigen bereits aus anderen Provinzen laut geworden war; so in Ancona, 3 5 9 w o es heißt, daß „die Tendenz bei den Arbeitern, sich anwerben zu lassen, um nach Deutschland arbeiten zu gehen, ein Phänomen ist, das auf einer höheren Entlohnung beruht und das in besonderer Weise bei den betroffenen Firmen Besorgnis hervorruft". Auch in Padua befanden sich der Maschinenbau und die Metallindustrie in einer kritischen Situation, „wegen des großen Anteils an Arbeitern, die nach Deutschland geschickt w u r den". 3 6 0 Identische Schwierigkeiten wurden aus Belluno gemeldet. 3 6 1 Obwohl sich im Lauf der Monate der Fluß der Abreisenden tendenziell abschwächte, nahmen die Mißlichkeiten nicht ab, da sich die Zwangsanwerbungen — wie im Falle der Firma Galilei 3 6 2 in Florenz — mit
356 ACS, MI, DGPS, SCP 4 0 - 4 3 , Band 3, Bericht der OVRA Turin vom 4. 5. 1941; ebenda, PolPol, Band 223, Bericht aus Mailand vom 12. 5. 1941; ebenda, SCP 40-43, Band 3, Bericht der OVRA Turin vom 18. 5. 1941. Aus der piemontesischen Hauptstadt waren im zweiten Trimester 1941 3.000 Arbeiter abgereist (vgl. ebenda, PS 1941, Kategorie K1B15, Band 57, Quästur Turin, 26. 6. 1941, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, O.Seitenangabe). Für Mailand vgl. auch Luigi Ganapini, Una cittä, la guerra (Milano 1939-1951), Mailand 1988, S. 29-30. 357 ACS, MI, DGPS, PolPol, Band 223, Bericht aus Mailand vom 26. 5. 1941. Bezüglich Vercelli vgl. ebenda, PS 1941, Kategorie K1B15, Band 58, Quästur Vercelli, 27. 6. 1941, Prot.Nr. Gab.017387, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 8. 358 ACS, MI, DGPS, PS 1941, Kategorie K1B15, Band 58, Quästur Triest, 24. 6. 1941, Prot.Nr. 022243 UP, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 6. 359 Ebenda, Band 54, Quästur Pesaro, 25. 6. 1941, Prot.Nr. Gab.03214, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 3-5; ferner Band 48, Quästur Ancona, 27. 3. 1941, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 7. 360 Ebenda, Band 54, Quästur Padua, 26. 6. 1941, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage (nicht paginiert). 361 Ebenda, Band 49, Quästur Belluno, 27. 6. 1941, Prot.Nr. Gab.01597, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 1. 362 ACS, MI, DGPS, PolPol, Band 223, Bericht aus Florenz vom 1. 9. 1941. In dem Bericht wird erwähnt, daß die geringe Zahl von Arbeitern, die sich zur Emigration bereiterklärt hatten, auch durch schlechte Nachrichten hervorgerufen worden sei, die von jenen angelangt waren, die mit den früheren Kontingenten nach Deutschland abgereist waren. Folglich sei man bei der Firma Galilei zur Zwangsverpflichtung der ledigen Arbeiter übergegangen und habe somit 70 Arbeiter herausgezogen.
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der Flucht der Facharbeiter aus den Fabriken verschränkten. In verschiedenen Provinzen gelang es den Metall- und Maschinenbaufirmen nicht, den Rüstungsaufträgen wegen des Mangels an qualifizierten Arbeitern nachzukommen. 3 6 3 Das von den Unternehmern andauernd beklagte Fehlen von Facharbeitern bedeutete jedoch keineswegs, daß Vollbeschäftigung geherrscht hätte, noch daß alle Werke voll ausgelastet gewesen wären; im Gegenteil führte das Fehlen von Rohstoffen oder von Energie vor allem in den Sektoren, die nicht als kriegswichtig deklariert worden waren, zu einem stark unterbrochenen Produktionsrhythmus. Jedenfalls erschwerte die Struktur des italienischen Arbeitsmarktes - ein T h e m a zu dem ausführlichere Studien für den Zeitraum, mit dem ich mich beschäftige, noch fehlen - den Übergang der Arbeitskräfte von einem Sektor zum anderen. Infolgedessen glaube ich, daß die geschilderten Probleme, die mit der Knappheit von Facharbeitern als Folge ihres Abflusses nach Deutschland verbunden waren, in der Realität absolut vorhanden waren. Aus den Vierteljahresberichten der Polizeipräsidenten geht hervor, daß sich die Knappheit an Arbeitskräften, die auch durch die Anwerbungen für Deutschland verursacht wurde, im Laufe des Jahres 1942 immer mehr über den Bereich der Facharbeiter in der metallverarbeitenden Industrie hinaus auch auf andere Sektoren ausdehnte. So wurde bereits von den Autoren des Bandes Operai e contadini nella crisi italiana del 1943/1944 bemerkt: „wenn in einigen Provinzen und vor allem in den agrarischen Gebieten der Transfer von Arbeitskraft nach Deutschland im ersten Moment als erhebliche Erleichterung erscheinen mochte, so brachte dieses Phänomen im Jahr 1941 und vor allem im Jahr 1942 weitaus größere Probleme zum Vorschein (...). Man kann daher - noch im zweiten und dritten Kriegsjahr — gleichzeitig Phänomene der Nachfrage nach Arbeitskräften einerseits und der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung andererseits ausmachen." 3 6 4 Im März 1942 wurde aus Trient gemeldet, daß man, um weitere Arbeiter nach Deutschland schicken zu können, diese zwangsverpflichten müsse, weil es eine starke Nachfrage nach Arbeitskräften in der Region gebe. 3 6 5 Aus Vercelli, Triest, Belluno und Brescia heißt es, daß es bereits an Facharbeitern nicht nur in der mechanischen Industrie, sondern auch im Bausektor mangele. 3 6 6
363 A C S , MI, D G P S , PS 1941, Kategorie K 1 B 1 5 , Band 53, Quästur Modena, 27. 9. 1941, Prot.Nr. Gab.002058, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 6-15. Danach betrug die Zahl der modenesischen Arbeiter in Deutschland 2.600. Die Lohnersparnisse, die die Familien erreichten, waren relativ beträchtlich und lagen zwischen 700 und 1.400 Lire monatlich; Band 54, Quästur Padua, 26. 9. 1941, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage; darin heißt es, daß 6.135 Industriearbeiter in Deutschland seien; ebenda, Band 49, Quästur Brescia, 27. 9. 1941, Prot.Nr. 016399, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 10; ebenda, Band 55, Quästur Pistoia, 27. 9. 1941, Prot.Nr. Gab.010183, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 2. 364 Gianfranco Bertolo u. a. (Hrsg.), Operai e contadini nella crisi italiana del 1943-44, Mailand 1974. Vgl. im besonderen den Beitrag von Nicola Gallerano/Luigi Ganapini/Massimo Legnani/Mariuccia Salvati mit dem Titel Crisi di regime e crisi sociale (S. 3-78, hier zit. S. 58-59) sowie von Nicola Gallerano, La disgregazione delle basi di massa delfascismo nel mezzogiomo ed il ruolo delle masse contadine (S. 435—496, vor allem S. 449^452). 365 ACS, MI, D G P S , PS 1942, Kategorie K1B15, Band 77, Quästur Trient, 28. 3. 1942, Prot.Nr. Gab. 013611, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 5. 366 Ebenda, Band 77, Quästur Vercelli, 31. 3. 1942, Prot.Nr. Gab.05844, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 4; Quästur Triest, 26. 3. 1942, Prot.Nr. Gab.0133 UP, Bericht über die politische
Die Verhandlungen über die Rückflihrung
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In den darauffolgenden Monaten schien sich die Situation noch zu verschlechtern. Nicht nur aus den bereits zitierten Provinzen kamen besorgte Berichte an, sondern auch aus anderen Städten (darunter Genua, Verona und Siena 367 ), während die Polizeibehörde von Savona wissen ließ, daß man, um Bergarbeiter nach Deutschland zu schicken, gezwungen sei, sie zwangszuverpflichten. 368 In der Zwischenzeit gab es eine starke, nicht befriedigte Nachfrage nach Arbeitern fur die Landwirtschaft, wo die Wirkungen der militärischen Einberufungen sich zu den Abreisen der Landarbeiter nach Deutschland hinzugesellten. 369 Damit war nicht nur die Arbeitskraftreserve, die Italien darstellte, erschöpft, sondern die Wirkungen der sozialen Krise, in die Italien hineingeriet, beeinflußten den Arbeitsmarkt und führten einerseits zur Konkurrenz zwischen den Provinzen, was die Polizeibehörden in Padua beklagten, 370 auf der anderen Seite zur Rückkehr der Industriearbeiter auf das Land, „der besseren Ernährungs- und auch allgemein der Verdienstmöglichkeiten wegen". 371
6. Ein letzter kraftloser Versuch, sich aus der Abhängigkeit zu lösen: die Verhandlungen über die Rückführung der Arbeiter im Jahre 1943 Zwischen dem Jahresende 1942 und Anfang 1943 reifte in der Führungssphäre der Regierung in Rom die Entscheidung, die Heimkehr der ins „Dritte Reich" transferierten italienischen Arbeiter zu fordern. Die Sache lag bereits seit Januar in der Luft. Am 13. Januar notierte der italienische Botschaftsbeamte Michele Lanza in seinem Tagebuch, daß als Folge der enormen Verschärfung der deutschen Verschuldung gegenüber Italien „wir uns für eine harte Haltung und sogar fur die Forderung nach Rückkehr der italienischen Arbeiter von deutschem Territorium entschieden haben". 372
und wirtschaftliche Lage, S. 7; Band 72, Quästur Brescia, 3 1 . 3 . 1942, Prot.Nr. 0 3 8 7 1 , Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage (nicht paginiert); Quästur Belluno, 31. 3. 1942, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 1. 3 6 7 Ebenda, Band 74, Quästur Genua, 30. 6. 1942, Prot.Nr. Gab. 105638, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 3; ebenda, Band 77, Quästur Verona, 30. 6. 1942, Prot.Nr. Gab.009 Ris., Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 3; ebenda, Band 76, Quästur Siena, 30. 6. 1942, Prot.Nr. Gab.03926, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 3—4. Von all diesen Problemen erscheint nichts in den Gesprächen zwischen dem Parteisekretär des PNF und Mussolini, jetzt zugänglich in: Giordano Bruno Guerri (Hrsg.), Rapporte al Duce, Mailand 1978. Es fehlen nicht die Hinweise auf die italienischen Arbeiter, die aus den verschiedenen Provinzen ins Reich transferiert worden waren (vgl. S. 112, 1 4 9 - 1 5 0 , 2 1 7 , 242, 2 7 1 , 2 8 5 - 2 8 6 ) , aber die Kreisleiter der Partei hüteten sich davor, ein problematisches Bild der Lage zu zeichnen. 368 Ebenda, Band 76, Quästur Savona, 30. 6. 1942, Prot.Nr. Gab.07149, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 4. 369 Gallerano, La disgregazione, S. 4 4 8 - 4 4 9 . 3 7 0 ACS, MI, DGPS, PS 1942, Band 75, Quästur Padua, 31. 12. 1942, Prot.Nr. Gab.019739, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage (nicht paginiert). 371 Ebenda, Band 72, Quästur Bologna, 29. 9. 1942, Prot.Nr. Gab.0618, Bericht über die politische und wirtschaftliche Lage, S. 6. 3 7 2 Simoni, Berlirto, S. 303; die Frage wird einige Wochen später im Laufe einer internen Besprechung der
374
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Der Diplomat zeigt sich nicht sehr überzeugt, daß man italienischerseits dem Vorschlag treu bleiben werde. Doch die Dinge entwickeln sich tatsächlich so; im Lauf der Gespräche zwischen Clodius und Giannini am 11. Februar 1943 in Rom verlangt der italienische Vertreter die Rückkehr der Arbeiter, die auf etwa 204.000 geschätzt werden; von diesen sollen 180.000 noch im laufenden Jahr nach Hause geschickt werden, und zwar in einem monatlichen Rhythmus von mindestens 15.000 Mann. 3 7 3 Angesichts des klaren Widerstands seines Gesprächspartners, der argumentiert, daß diese Arbeitskräfte unverzichtbar für die Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches seien, und der nicht zögert, mit ökonomischen Rückwirkungen für Italien zu drohen, versucht Giannini Verhandlungen zu eröffnen, indem er sich bereit erklärt, einer Reduzierung der monatlichen Quote auf 10.000 zuzustimmen. Er vertritt gleichzeitig die Ansicht, daß es für Italien notwendig sei, die abgewanderten Arbeiter wieder zur Verfügung zu haben, und zwar aus nicht näher präzisierten, „aus der italienischen Produktionssituation erwachsenden Notwendigkeiten". 374 Carl Clodius notierte jedoch dazu: „Italiener haben vermieden, Frage Zurückziehung Arbeiter mit Finanzierungsschwierigkeiten im Clearing zu begründen (...). [Es] ist natürlich die Annahme nicht unbegründet, (...) daß Zurückziehung sämtlicher Arbeiter eine Minderung der Überweisungen aus Deutschland von über 300 Millionen herbeifuhrt und hierdurch automatisch Clearingschwierigkeiten im wesentlichen beseitigt." 375
Das Defizit im Clearing und die Arbeiterrückfuhrung Daß es ein enormes deutsches Defizit in den Clearing-Beziehungen mit Italien gab und daß dieses zum großen Teil durch die Lohnersparnisse der Arbeiter verursacht wurde, war im übrigen eine bekannte Sache und seit geraumer Zeit Gegenstand von Diskussionen. Der Unterschied bestand nunmehr darin, daß die Sachlage für die italienischen Finanzen unerträglich wurde. In einem Bericht vom 23. Dezember 1942 hatte der Ministerialrat Alexander von Süßkind-Schwendi hervorgehoben: „die Clearingverschuldung beträgt derzeit 450 Millionen RM, was hauptsächlich auf die Lohnüberweisungen italienischer Arbeiter in Deutschland zurückzuführen ist". Die Regierung in Rom errechnete ein Saldo zugunsten Italiens, das Ende 1942 die Summe von 5.116 Millionen Lire erreicht hatte (und 668.758.170 RM entsprach), wohingegen die Vor-
Botschaftsmitglieder diskutiert; vgl. ACS, Handakten Dino Alfieri (Alfieri), Band 7, Tägliches Protokoll der Botschaft Berlin vom 1. 2. 1943. 373 PA/AA, Staatssekretär Italien, Band 12, Bl. 123921-924, Telegramm Nr. 666 vom 11. 2. 1943, Clodius und Mackensen an das AA; italienische Versionen des Gespräches befinden sich im ACS, UIC, Band 127, Aufzeichnung Italienisch-deutsche Gespräche über die italienischen Arbeiter in Deutschland, Sitzung vom 11. 2. 1943, sowie im ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film Nr. 320, Blatt MAE, Direzione Affari Commercials Aufzeichnung für den Staatssekretär vom 12. 2. 1943. 374 ACS, UIC, Band 127, Aufzeichnung Italienisch-deutsche Gespräche über die italienischen Arbeiter in Deutschland, Sitzung vom 11. 2. 1943. 375 PA/AA, Staatssekretär Italien, Band 12, Bl. 123921-924, Telegramm Nr. 666 vom 11. 2. 1943; vgl. ferner die wenige Stunden später von Mackensen und Clodius abgeschickte Botschaft, die sich vor allem auf Fragen des Clearings bezieht in: ADAP, Serie E, Band V, Dok. 120, S. 205-206.
Die Verhandlungen über die Rückflihrung
375
ausberechnungen zum Jahresende 1943 ein italienisches Guthaben von 15 bis 16 Milliarden Lire ergaben (also eine Summe um die 2 Milliarden RM). 3 7 6 Zum Abschluß der bilateralen Regierungsverhandlungen, die am 16. Dezember 1942 zur Unterzeichnung des Elften Geheimen Protokolls zwischen den „Achsen'mächten geführt hatten, informierte Clodius Außenminister von Ribbentrop: „Offen geblieben ist die Frage der Finanzierung des Defizits im deutsch-italienischen Verrechnungsverkehr. Obgleich Deutschland jährlich fur etwa 200 Millionen RM mehr nach Italien ausführt als es von Italien erhält, ist der Zahlungsverkehr doch wegen der Verlagerung deutscher Wehrmachtsaufträge nach Italien und wegen der Notwendigkeit, die Ersparnisse der 300.000 italienischen Arbeiter in Deutschland in Höhe von etwa 350 Millionen RM jährlich nach Italien zu überweisen, um mehrere 100 Millionen RM jährlich passiv. Um diese Passivität zu überbrücken, muß Italien im Jahre 1943 ebenso wie im Jahre 1942 einen größeren Kredit, und zwar nach deutscher Schätzung fiir das Jahr 1943 etwa 2,5 bis 3 Milliarden Lire, also rd. 350 Millionen RM zur Verfügung stellen." 377 Die Struktur der bilateralen Clearing-Vereinbarungen sah vor, daß zwischen den beiden Vertragspartnern keine Geldströme, sondern nur Warenströme hin- und herfließen sollten. Die Importeure sollten ihre Verbindlichkeiten auf eigens dafür eingerichtete Konten bei den zentralen Finanzinstituten ihres Staates überweisen, der dann wiederum Vorsorge treffen sollte, die Forderungen der eigenen Exporteure auszugleichen. Das Land, das beträchtliche Aktiva zu verbuchen hatte, mußte daher entweder die eigenen Bürger lange auf die Bezahlung ihrer Forderungen warten lassen, oder es mußte mit eigenen Finanzmitteln diese Zahlungen vorschießen. Letzteres war der Fall in Italien, wobei die Lage sich dadurch verschlimmerte, daß es bei den Lohnersparnissen der Deutschland-Arbeiter aus politischen Gründen sowie aus solchen der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung nicht möglich war, die Unterhaltszahlungen an die Familien zu verzögern. Faktisch funktionierte das deutsche Defizit im Clearingverkehr als eine Art indirekte italienische Finanzierung der Wirtschaft des „Dritten Reichs", die über eine beträchtliche Zahl von Arbeitskräften verfugen konnte, die in der Realität äußerst gering bezahlt wurden, weil der wesentlich höhere Teil des Gesamtlohnes, der nach Italien transferiert wurde, auf dem Papier blieb und für Deutschland keine wirkliche Geldüberweisung bedeutete. Italien sah sich daher vor die Situation gestellt, selbst einen guten Teil des in Deutschland gewährten Lohnes für die weggewanderten Landwirtschafts- und Industriearbeiter bezahlen zu müssen. Wenn man bedenkt, daß im Zeitraum zwischen dem 20. März 1941 und Ende Mai 1944 unter der Bezeichnung „Ersparnisse der italienischen Arbeiter" 756.583.806,55 RM (mithin 5.787.866.120 Lire) „überwiesen" wurden, 378 von denen das Gros dem Zeitraum vor dem 376 ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film Nr. 320, Aufzeichnung für den Duce vom 22. 2. 1943. Der Bericht von Süßkind-Schwendis befindet sich in: BA Koblenz, Reichsstelle für den Außenhandel (RFA), R 9 I, Band 770. Vgl. ferner ACS, UIC, Mappe 127, Aufzeichnung über die Lage im Clearingverkehr mit Deutschland vom 10. 2. 1943, sowie PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 12, Bl. 123.805-807,Telegramm gez. GraefF vom 13. 1. 1943 an das AA. 377 ADAP, Serie E, Band IV, Dok. 302, S. 536-537, Fernschreiben des Gesandten Clodius an das AA vom 20. 12. 1942. 378 Archiv der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Deutsche Bank AG, Exhibits des OMGUS-Report, Exhibit 273, Stellungsnahme von Lorenz Kleber, Leiter der Abteilung
376
Zwischen Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt
und
Kriegswirtschaft
8. September zugeschrieben werden muß, da im ersten Halbjahr 1944 die S u m m e der Arbeiterlohnersparnisse nur 4 9 . 0 8 6 . 3 0 0 R M betrug, 3 7 9 so versteht man, wie die Vorfinanzierung von solch beträchtlichen S u m m e n sich auch auf die Inflation ausgewirkt hat, die Italien im Zeitraum des Krieges getroffen hat. Die Sachlage war den Reichsbehörden übrigens vollkommen klar: „ . . . die italienische Regierung befürchtet nicht mit Unrecht bei weiterer Erhöhung der Clearing-Schulden und bei Fortzahlung von Vorschüssen inflationistische Auswirkun(t
gen , heißt es in einem Bericht vom 18. Januar 1943. D e n Verbündeten Italien unterwarf das „Dritte Reich" unter diesem Aspekt einem ähnlichen Schicksal wie das feindliche und besetzte Frankreich, wo neben der Methode, das besetzte Land für die Okkupation zahlen zu lassen, das deutsche Defizit im Clearing eine besondere Art der Ausbeutung darstellte. 3 8 0 Ich teile daher vollkommen das Urteil Josef Schröders, der über die dem 8. September 1943 vorausgehenden M o n a t e schreibt: „ D i e Gegensätze zwischen Deutschland und Italien waren also keineswegs auf politische und militärische Fragen beschränkt, die Spannungen machten sich auf wirtschaftlicher Ebene bemerkbar". 3 8 1 Parallel zu der Forderung nach der Heimkehr der Arbeiter brachten die italienischen Behörden eine Reihe von Vorschlägen vor, die ihrer Meinung nach dazu bestimmt waren, das deutsche Clearing-Defizit zu vermindern. Der Plan bestand aus vier Punkten: Deutschland sollte G o l d und Devisen in H ö h e von 2 5 0 Millionen Lire abgeben; Italien wollte seinen Konto-Überschuß dazu verwenden, u m deutsche oder von deutschen Firmen kontrollierte Aktienpakete zu kaufen; Waren aus Drittländern sollten über die italienischen Aktiva im deutsch-italienischen Clearingverkehr finanziert werden; das Reich sollte sich verpflichten, seine Exporte nach Italien zu erhöhen. 3 8 2 Ausländische Arbeiter bei der Deutschen Bank, vom 20. 3. 1946, über die Aktivitäten seiner Abteilung, die sich mit den Lohnersparnissen der ausländischen Arbeiter beschäftigte. Bezüglich Italien siehe die Seiten 9-10. 379 Homze, Foreign Labor, S. 246. 380 Alan S. Milward, Guerra, economia e societä 1939-1945, Mailand 1983 (1977), S. 135. Der Bericht vom 18. 1. 1943 befindet sich in BA Koblenz, NS 6, Band 702, Bl. 106-107. - Während in Rom die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Italiens diskutiert wurden, soll Reichswirtschaftsminister Funk in Berlin in einer Rede, die Lanza in seinem Tagebuch erwähnt, geäußert haben, daß „die Existenz von Wirtschaftskrediten, die Deutschland nicht in der Lage sei, sofort zu bezahlen, die Verbündeten nicht davon abhalten darf, dem Reich zu helfen. Entweder hat man Vertrauen in den Sieg oder man hat ihn nicht. Wenn man ihn aber hat, braucht man sich nicht in kleinen Streitigkeiten zu verlieren". (Simoni, Berlino, S. 315) 381 Josef Schröder, Italiens Kriegsaustritt 1943, Göttingen - Zürich - Frankfurt am Main 1969, S. 79. Im Rahmen einer Analyse, die den Ereignissen, die dem Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten vorausgingen, sowie der deutschen Besetzung Mittel- und Norditaliens gewidmet ist, bietet der Verfasser auch ein kurzes und dichtes Kapitel über „die Rückberufung der italienischen Arbeiter aus Deutschland" (S. 73-79), in dem - wenn auch nur auf der Basis deutschen Aktenmaterials - auf erhellende Weise die Schlüsselprobleme der Angelegenheit thematisiert werden. - Vgl. auch Collotti, L'Alleanza, S. 47—50, wo im wesentlichen die nicht-wirtschaftlichen Motive unterstrichen werden, die die italienischen Behörden dazu veranlaßt hatten, die Rückkehr der Arbeiter zu fordern. 382 ACS, UIC, Mappe 127, Aufzeichnung über die Lage im Clearingverkehr mit Deutschland vom 11. 2. 1943; ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film Nr. 320, Aufzeichnung für den Duce vom 22. 2. 1943;
Die Verhandlungen über die Rückführung
377
Die Antwort der deutschen Unterhändler war überwiegend negativ: das Reich sei bereit, die Exporte nach Italien zu erhöhen und - in beschränktem Umfang - zuzulassen, daß Aktienpakete an italienische Unternehmergruppen abgetreten würden. Unmöglich sei es hingegen, so Clodius, einen Teil der Schuld über den Transfer von Gold und Devisen abzubauen (über die Deutschland im übrigen nicht verfüge) oder über clearingmäßig zu verrechnende Dreiecksgeschäfte im Warenverkehr. 383 Italien befand sich nunmehr in einer Sackgasse, wie dies der Verfasser der Aufzeichnung für den Duce vom 22. Februar (wahrscheinlich Giannini selbst) hervorhob: sollte Italien eine harte Haltung einnehmen, würde es Gefahr laufen, daß Deutschland die Wirtschaftsabkommen aufhöbe, was Italien des Benzins und der Kohle beraube und daher verheerende Auswirkungen haben würde. Würde man hingegen nachgeben, so wäre damit die Zahlungsbilanz unwiderruflich belastet. 384 Daß es sich bei diesen Schlüssen nicht um Übertreibungen handelte und die wirtschaftliche und finanzielle Situation des Verbündeten so ernsthaft betroffen war, daß das Bündnis Risse davontragen könnte, war im übrigen auch die Meinung der deutschen Vertreter in Rom. Während die Verhandlungen am 11. Februar in vollem Gange waren, teilte Clodius dem Auswärtigen Amt mit: „ich habe den Eindruck, daß italienische Haltung einmal von echter Sorge um beängstigende wirtschaftliche Entwicklung in Italien bestimmt [ist], zum andern aber auch das Bestreben [vorherrscht], auf alle Fälle daran festzuhalten, daß derartige Clearingfinanzierungen nicht durch einseitige Opfer Italiens, sondern durch gemeinsame Anstrengungen beider Seiten geregelt werden müssen." 3 8 5 Der deutsche Gesandte Schloß, es sei zumindest notwendig, daß Berlin seine Exporte auf die andere Seite des Brenners erhöhe. In der Zwischenzeit gingen die bilateralen Gespräche weiter: fortschreitend verschwand die Hoffnung der deutschen Unterhändler, Verbündete innerhalb der italienischen Regierung zu finden, die vielmehr geschlossen hinter der Forderung stand, die italienischen Arbeiter in die Heimat zurückzuschicken. Auch General Favagrossa, der in der Zwischenzeit in den Rang eines Rüstungsminister erhoben worden war, hatte sich dem nicht entgegengestellt, obwohl er offensichtlich daran interessiert war, die deutschen Wehrwirtschaftslieferungen in vollem Umfang beizubehalten. Selbst Mussolinis Interessen gingen in diese Richtung. 3 8 6 Am 20. Februar wurde der gordische Knoten von Hitler durchgehauen, indem er entschied, die italienischen Vorschläge zur Verminderung des deutschen Defizits finden sich auch in ASMAE, Fondo Lancellotti, Ufficio di coordinamento, Faszikel 33, Mikrofilm Nr. 8, U C 36, Aufzeichnung für Mussolini vom 24. 2. 1943, wo es heißt, daß die Lohnersparnisse der italienischen Arbeiter im Laufe des Jahres 1943 das deutsche Clearingkonto mit weiteren anderthalb Milliarden Lire belasten würden. Vgl. auch BA/ MA, RW 45, Band 14 II, Bl. 102-104, Bericht von Reichsbankdirektor Caravias vom 18. 3. 1943. 383 ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film Nr. 320, Aufzeichnung für den Staatssekretär vom 21. 3. 1943. Uber die anfänglichen italienischen Forderungen und über das darauf folgende deutsch-italienische Abkommen vgl. auch Simoni, Berlino, S. 318-319. Über die deutsche Weigerung, Italien Gold und Devisen zu übergeben, „da wir keine Devisen hätten", vgl. PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 12, Bl. 123.974, Aufzeichnung vom 23. 2. 1943 zu den Telegrammen Nr. 810, Nr. 811 und 814 des Gesandten Clodius aus Rom, gez. Wiehl. 384 ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film Nr. 320, Aufzeichnung für den Duce vom 22. 2. 1943. 385 A D AP, Serie E, Band V, Dok. 120 vom 11. 2. 1943, S. 205-206. 386 Ebenda, Dok. 131 vom 13. 2. 1943, Clodius und Mackensen an das AA, S. 222; ferner Dok. 139 vom 17. 2. 1943, Clodius und Mackensen an das AA.
378
Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
„daß dem auf einer vom Duce gebilligten Stellungnahme beruhenden italienischen Wunsch auf Rückberufung der italienischen Arbeiter aus Deutschland stattgegeben werden soll, daß jedoch bei Tempo und Modalitäten der Durchführung der Rückstellung auf deutsche Interessen Rücksicht genommen werden müsse." 387 In dem Schreiben, in welchem Wiehl Clodius von Hitlers Entscheidung in Kenntnis setzte, bat der Chef der Handelspolitischen Abteilung den Gesandten, seinen italienischen Gesprächspartnern klarzumachen, wie sehr der deutsche Produktionsapparat augenblicklich schweren Spannungen ausgesetzt sei und daß daher die Rückkehr der italienischen Arbeitskräfte in einer Weise durchgeführt werden müsse, die den geringstmöglichen Schaden hervorrufe. Das Auswärtige Amt Schloß darüber hinaus nicht aus, daß der Abfluß der Arbeitskräfte eine Verringerung der Wirtschaftslieferungen an Italien zur Folge haben könnte. Hier ist nicht der Ort, um die Motive zu erörtern, auf deren Grundlage der nationalsozialistische Diktator entschied, den Forderungen seines faschistischen Verbündeten nachzukommen. Es ist anzunehmen, daß er im Falle einer Weigerung eine übermäßige Schwächung der Position Mussolinis befürchtete. Angesichts der Situation war es auch gar nicht möglich, sich den Wünschen Roms total zu verweigern; es war nötig, zumindest in gewissen Punkten zuzustimmen. 388 Wir werden weiter unten sehen, wie die Reaktionen der führenden Kreise innerhalb der deutschen Kriegswirtschaft hinsichtlich der Aussicht ausfielen, auf 200.000 Arbeiter verzichten zu müssen, und welche Hindernisse der faktischen Durchführung der Rückreisen von Seiten der deutschen Behörden entgegengestellt wurden. An dieser Stelle ist es angebracht, einen Schritt zurückzugehen und genauer in Augenschein zu nehmen, wie sich im Laufe der vorausgegangene drei Jahre das deutsche Defizit im bilateralen Clearingverkehr fortschreitend erhöht hatte, das nunmehr mit seinem enormen Gewicht die italienische Wirtschaft niederdrückte.
Das Defizit als Ausbeutungsinstrument Wie wir aus Tabelle 24 ersehen können, hatte Deutschland über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg ein Defizit gegenüber Italien, das in den ersten drei Jahren hin und her schwankte, Ende 1940 nahezu verschwunden war, doch 1941 neuerlich explodierte, um sich im Jahr darauf zu verdoppeln.
387 PA/AA, Staatssekretär Italien, Band 12, Bl. 123959-960, Telegramm Wiehls an Clodius vom 20. 2. 1943, Prot.Nr. Ha Pol 1156 g. 388 Vgl. die Überlegungen bei Schröder, Italiens Kriegsaustritt, S. 75.
Die Verhandlungen über die Rückfiihrung Tabelle 24 Ungleichgewicht
im deutsch-italienischen
Rechenschaftsbericht
379
Clearing zwischen 1938 und 1942* (in Mio. RM)389
Dezember 1938
Deutsches Soll 32,0
1938=100 100
Summe Ersparnisse
Dezember 1939
83,4
261
Dezember 1940
15,6
Dezember 1941
236,3
49 738
235,0
Dezember 1942
508,3
1.588
340,0
-
27,9 50,8
* nach deutschen Quellen Quelle: BA, R 2, Band 13694.
Wie man aus der letzten Spalte ersehen kann, war die Last der Lohnersparnisse seit Ende 1939 beträchtlich, als sie 33,5 Prozent des deutschen Defizits ausmachten. Im Jahr darauf hätte Italien ohne die Lohnersparnisse ein Negativsaldo von 35,2 Mio. RM zu verbuchen gehabt. 1941 entsprach das deutsche Defizit in der bilateralen Zahlungsbilanz nahezu der Summe der Lohnersparnisse: ohne letztere hätte sich das deutsche Minus auf die zu vernachlässigende Summe von 1,3 Mio. RM belaufen. Auch angesichts des jähen Anstiegs der deutschen Schulden im Jahre 1942 blieben die Ersparnisse mit 66,9 Prozent der größte Posten, der sich entsprechend darauf auswirkte und der größer war als das im Laufe des Jahres angesammelte deutsche Soll. Wenn wir die Werte, die die Arbeiterersparnisse pro Monat erreichten (Tabelle 25), 390 mit der Höhe der Kohlelieferungen vergleichen, die den größten Posten auf der deutschen Exportliste für Italien ausmachte, so ergibt sich, daß von Juli 1941 bis zum März 1943 - der Zeitraum, in dem die große Migration von italienischen Industriearbeitern am weitesten vorangeschritten war — die Ersparnisse der italienischen Arbeiter den Wert der deutschen Kohlenlieferungen weit (und etliche Male sogar um das Doppelte) übertrafen.
389 Die Angaben stammen aus BA Koblenz, Bestand Reichsfinanzministerium (RFM), R 2, Band 13694, Geschäftsberichte der Deutschen Verrechnungskasse für die Jahre 1939 (Bl. 240-265), 1940 (Bl. 4 0 2 436), 1942 (nicht paginiert); die Zahlen für 1938 erscheinen im Bericht von 1939, jene für 1941 tauchen im Bericht des Jahres 1942 auf. 390 Die Angaben stammen aus BA/MA, R W 4 5 , Bände Nr. 14 II, 15, 16, 18; ich habe die Berichte über Die Entwicklung des Clearingverkehrs seit Kriegsbeginn fur die in der Tabellen angezeigten Monate herangezogen.
380
Zwischen Strukturwandel
auf dem Arbeitsmarkt und
Kriegswirtschaft
Tabelle 25 Gegenüberstellung der deutschen Kohlenlieferungen nach Italien und der Lohnersparnisse scher Arbeiter vom Januar 1941 bis zum August 1943 (in Millionen Reichsmark) Monat und Jahr
Α (Kohle)
Β (Ersparnisse)
Differenz B-A
Januar
25,0
4,5
-21,5
Juli
12,0
26,0
+ 14,0
August
17,0
29,0
+ 12,0
September
14,0
30,0
+ 16,0
Oktober
22,0
32,0
+ 10,0
Dezember
16,0
31,0
+ 15,0
1941
1942 Januar
15,4
18,0
+2,6
März
8,0
19,0
+ 11,0
April
17,0
20,0
+ 3,0
Juni
20,0
27,0
+ 7,0
Juli
27,0
29,0
+ 9,0
August
15,0
30,0
+ 15,0
September
21,0
35,0
+ 14,0
Oktober
12,0
35,0
+23,0
November
25,0
36,0
+ 13,0
Dezember
24,0
36,0
+ 12,0
Januar
26,0
28,0
+2,0
März
21,0
24,0
+3,0
April
31,0
24,0
-7,0
Mai
32,0
29,0
-3,0
Juli
22,0
27,0
+5,0
23,0
?
1943
August Quelle: BA/MA, R W 4 5 , Bände 14 II, 15, 16, 18.
italieni-
Die Verhandlungen über die Rückftihrung
381
Natürlich geben die jährlichen Bilanzen in Tabelle 24 nur ein grob annäherndes Bild der Fluktuation im deutsch-italienischen Clearingverkehr. Ich habe nicht die Absicht, in die sicherlich interessanten Details zu gehen, da dies eine exakte Rekonstruktion der Wirtschafts-, Finanzund Währungsbeziehungen zwischen den beiden .Achsen"mächten erfordern 391 und daher die Grenzen dieses Beitrags sprengen würde. Ich beschränke mich hier daher darauf, einige derjenigen Aspekte zu erörtern, die am engsten mit dem Hauptthema meiner Untersuchung verknüpft sind. Wie aus dem Datenmaterial hervorgeht, ist das Jahr 1939 gekennzeichnet von einer Verschlechterung des deutschen Saldos gegenüber Italien. Der Jahresabschluß weist jedoch bereits auf eine Erholung der Situation hin, nachdem das deutsche Defizit Mitte Oktober die Marke von 100 Millionen Reichsmark überschritten hatte. 3 9 2 Es war möglich, diese zurückzudrängen, indem man die Mittel des sogenannten Interimskontos benutzte, das eingerichtet wurde, um den Gegenwert fur die Immobilien zu überweisen, die die ins Reich abgewanderten Südtiroler Optanten besessen hatten. Ferner war die Anwerbung von Arbeitern für Deutschland gerade um die Mitte des Jahres 1939 von selten der deutschen Behörden Beschränkungen unterworfen worden, während italienischerseits das Ministero per gli Scambi und per le Valute dafür gesorgt hatte, die Exporte nach Deutschland zu stoppen. 3 9 3 Die Maßnahme war unzweifelhaft schwerwiegend, aber damals war man noch im Frieden, und die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland schienen so, wie sie zwischen militärisch verbündeten und (scheinbar) nicht allzu verschiedenen Ländern üblich sind. Analog war die Situation auch im Jahr der Wende, nämlich 1941. Wenn man vom Jahresabschluß einmal absieht und auf die Ebene der detaillierteren Monatsberichte heruntergeht, wird das Bild sehr viel präziser: Wie dieTabelle 26 zeigt, 394 befand sich Italien während des gesamten ersten Halbjahres 1941 im Minus, auch wenn die italienische Clearingschuld nach einer Spitze im April rasch wieder absank. Die Ursache für die Umkehr der Situation, die jedoch nur von kurzer Dauer war, lag in dem Faktum, daß einerseits die Lohnersparnisse der Migranten noch nicht ihre volle Wirksamkeit entfaltet hatten und andererseits in diesem Zeitraum massive deutsche Lieferungen von Waffen und Kriegsmaterial in Italien eintrafen, die in jenen Monaten auf das allgemeine Clearingkonto angerechnet wurden, während - als Folge des am 19. Juni unterzeichneten diesbezüglichen Abkommens 3 9 5 - ihr Gegenwert zeitweise auf zwei Sonderkonten eingefroren wurde, die laut Vereinbarung erst nach Kriegsende abgerechnet werden sollten. 391 Raspin, The Italian Economy, S. 309-349, widmet einige Teile ihrer Arbeit diesem Problem, ohne daß jedoch die Devisenzusammenhänge entsprechend ausgelotet werden. Prof. Giuseppe Tattara von der Universität Udine bereitet eine diesbezügliche Veröffentlichung vor; die provisorische Erstfassung, die ich habe einsehen dürfen, trägt den Titel Power and Trade: Italy and Germany in the Thirties. A critical revision of Albert Hirschmans theses (masch.). 392 BA Koblenz, R 2, Band 185, Bl. 585-589, Anmerkung über den Stand der Clearingbeziehungen mit Italien vom 30. 1. 1940, Prot.Nr. F 4381 It - 89 bis 96, 98, 100, 101 GenB. 393 Felice Guarneri, Battaglie economiche fra le due guerre, Bologna 1988 (1953), S. 864-866. 394 Die von mir benutzten Angaben stammen aus dem Archivio della Banca d'Italia (ABdl), Bestand Rapporti con l'Estero (RE), Istituto nazionale per i Cambi con l'Estero (IstCambi), Film-Nr. 98, Bulletins über die Situation des Kontos der Kompensationskasse am Ende der in der Tabelle jeweils zitierten Monate. Ich habe die Zahlen in Lire gelassen, ohne ihr Äquivalent in Reichsmark anzugeben, weil im Rahmen des Interimskontos der Wechselkurs nicht 1 RM: 7,65 Lire betrug, sondern vielmehr 1:4,5; dies hätte zu Verzerrungen fuhren können. 395 PA/AA, Clodius, Italien, Band 8, Telegramm Mackensens und Clodius' an das AA vom 2. 9. 1941.
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Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Daß die Tendenz in den ersten Monaten des Jahres 1941 jedenfalls in Richtung einer Verstärkung des deutschen Guthabens ging, zeigt die Bewertung, die die Finanzbehörden des Reiches zum Zeitpunkt des Februar-Abkommens gaben, das den Weg fur die große Anwerbung italienischer Industriearbeiter freimachte: „fiir die Lohnersparnisse dieser Arbeiter wurde deutscherseits der volle Transfer zugesagt. Dagegen bestanden deshalb keine Bedenken, weil die aus den deutschen K-Gerätelieferungen [Kriegsgeräte] an Italien entstehenden Forderungen ein bedeutendes Ausmaß annehmen werden (schätzungsweise rund 350 Millionen RM). Da Italien diese Verschuldung durch vermehrten Warenexport während des Krieges kaum wird decken können, bildet der Transfer von Arbeiterlohnersparnissen sogar einen erwünschten Gegenposten." 396 Wie man sieht, kehrte sich ab Juli 1941 die Situation in ein deutsches Soll um, das immer stärker auf dem Clearing lastete, während ab Mai 1942 ein guter Teil (zwischen einem Viertel und nahezu Hälfte) der deutschen Schuld von Italien vorgeschossen wurde (wenn wir einmal die Monate Juli und August 1943 außer Betracht lassen, die bereits nahe an der Katastrophe lagen). Tabelle 26 Ungleichgewicht im deutsch-italienischen (in Millionen Lire)* Monat und Jahr
A (Ital.Konto)
Clearing im Zeitraum Januar 1941 bis August 1943
Β (Ital. Vorschuß)
Anteil von Β an A
1941 Januar
-484,5
Februar
-606,4
März
-673,2
April
-715,6
Mai
-439,8
Juni
-94,9
Juli
+361,5
62,3
August
+660,6
7,4
September
+875,6
-
Oktober
+848,6
November
+868,7
-
Dezember
+851,2
—
3 9 6 BA/MA, R W 45, Band 14 II, Bl. 1 1 2 - 1 1 7 , Bericht des Reichsbankdirektors Caravias vom 27. 2. 1941.
Die Verhandlungen über die Rückführung
383
Tabelle 26 — Fortsetzung Monat und Jahr
A (Ital.Konto)
Β (Ital. Vorschuß)
Anteil von Β an A
1942 Januar
+ 1.009,2
-
Februar
+1.115,1
-
+766,0
-
März Mai
+ 1.106,1
316,9
28,7
Juni
+ 1.278,5
456,9
35,7
Juli
+ 1.387,2
576,5
41,6
August
+ 1.595,1
708,5
44,4
September
+ 1.912,8
749,4
39,2
Oktober
+2.203,8
749,6
34,0
November
+2.351,9
749,6
31,9
Dezember
+3.281,2
842,7
25,7
Januar
+3.398,3
807,5
23,8
Februar
+3.267,2
822,4
25,2
März
+2.181,6
551,3
25,3
April
+ 1.807,1
616,1
34,1
Mai
+ 1.533,3
614,1
40,1
Juni
+ 1.233,6
550,9
44,7
Juli
+ 1.471,4
783,9
53,3
August
+ 1.693,7
828,6
48,9
1943
* nach italienischen Quellen Quelle: ABdl, RE, IstCambi, Film-Nr. 98.
Der jähe Wiederanstieg des deutschen Defizits zur Jahresmitte 1941 führte unmittelbar zu Reaktionen von beiden Seiten: im August wandte sich der Handelsattache der Italienischen Botschaft, Adelchi Ricciardi, an das Auswärtige Amt und beklagte sich über die augenblickliche Situation. Wie immer mußte sich Carl Clodius um die Angelegenheit kümmern, der Anfang September in Rom eintraf. Seiner Meinung nach waren die italienischen Bewertungen der Lage irrig, weil sie die deutschen Kriegslieferungen nicht in Betracht zogen, die nicht über das Clearing abgerechnet wurden. Es sei daher notwendig, meinte er, daß die deutschen Lieferungen in das Clearing einbezogen würden, denn sonst würde es für Deutschland unmöglich werden, die Last der Lohnersparnisse der italienischen Arbeiter weiter zu tragen. 397
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Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Wenige Monate später verlor die ganze Frage jedoch einen großen Teil ihrer Bedeutung: als Gegengewicht wirkten die Last der Ausgaben für die Aufrechterhaltung der Präsenz der deutschen Truppen auf italienischem Territorium, die Italien übernehmen mußte, sowie die Industrieaufträge, die das Reich an italienische Firmen vergab. Auch wenn daher der Gegenwert für die militärischen Lieferungen zugunsten Deutschlands in das Clearingkonto einbezogen worden wäre, so wäre dies weitgehend von den beiden neuen Posten aufgewogen worden, die das italienische Guthaben weiter erhöhten. Die Konten, die sich auf die militärischen Lieferungen bezogen, wurden daher aus dem Gesamtkomplex des Clearings ausgegliedert und bildeten eine eigene Bilanz; sie konnten jedoch für das allgemeine Konto im Falle eines größeren Ungleichgewichts herangezogen werden. Dies erklärt unter anderem, warum die Zahlen der Banca d'Italia (in Tabelle 26) nicht mit den allgemeinen Bewertungen übereinstimmen, die Anfang 1943 vom Außenministerium über die italienischen Guthaben gemacht wurden. Die Frage des Ungleichgewichts im Verrechnungskonto zwischen den beiden Staaten stellte ein zentrales Thema bei den Verhandlungen dar, die Mitte März 1942 zur Unterzeichnung des Neunten Geheimen Protokolls führten. 3 9 8 Uber das schärfer werdende Problem der Lohnüberweisungen der italienischen Arbeiter wurde deutscherseits ein Vorschlag gemacht, der folgenden Tenor hatte: „Zur Durchführung des Transfers der Lohnersparnisse der italienischen Arbeiter wäre von der italienischen Regierung ebenso wie schon von anderen Regierungen zu verlangen, daß sie die zu transferierenden Beträge von sich aus bevorschußt. Die Kosten einer internen Finanzierung dieser Bevorschussung könnten die italienischen Arbeiter in Form einer zu erhebenden Transfergebühr billigerweise selber tragen. (...) Die moralische Berechtigung hierzu ergibt sich auch daraus, daß der Einsatz der italienischen Arbeiter in der deutschen Wirtschaft zur gleichen Zeit erfolgt, in der deutsche Arbeiter als Soldaten an den Fronten auch des italienischen Imperiums zu dessen Verteidigung stehen." 399 Im Innern der Gruppe, die die Finanz- und Devisenpolitik des „Dritten Reichs" leitete, hatte sich bereits die Idee breit gemacht, daß es die Aufgabe Italiens sein müsse, für die Finanzierung der Ersparnisse seiner nach Deutschland gewanderten Arbeiter aufzukommen: „Es [ist] für uns ausgeschlossen, den aus dieser Belastung [seil, dem Transfer der italienischen Arbeiterlöhne] resultierenden Debetsaldo jemals mit Waren abzudecken", äußerte sich am 13. Februar im Lauf einer jener periodischen Besprechungen des Handelspolitischen Ausschusses der Vertreter des RFM, Erich Koenning. 400 Dieser war es auch, der Clodius die Entscheidungen des Ausschusses übermittelte, der bezüglich der Lohnersparnisse folgendes beschlossen hatte:
397 (siehe S. 383): PA/AA, Clodius, Italien, Band 8, Telegramm vom 2. 9. 1941. 398 PA/AA, Wiehl, Italien, Band 14, Telegramm vom 23. 1. 1942, Clodius und Mackensen an das AA; sowie ebenda, Clodius, Deutsch-italienische Verhandlungen in Rom, Januar-März 1942 (Drahtberichte), Fernschreiben vom 29. 1. 1942. 399 PA/AA, Wiehl, Italien, Band 14, Telegramm des AA an Clodius vom 5. 2. 1942, wo der Text einer Stellungnahme des RFM übermittelt wird, aus dem auch das Zitat stammt. Die Antwort, die Clodius gab, findet sich in PA/AA, Clodius, Deutsch-italienische Verhandlungen in Rom, Januar-März 1942 (Drahtberichte), Fernschreiben vom 6. 2. 1942. 400 Ebenda, Sitzung des Handelspolitischen Ausschusses vom 13. 2. 1942, Prot.Nr. W H A 819, Bl. Ε 056463 bis 465. Dem Ausschuß gehörten Vertreter des AA, des Vierjahresplan, des RMEL, des RWM, des Wi-Rü Amt und der Reichsbank an.
Die Verhandlungen über die Rückflihrung
385
es „wäre für Arbeiterlohntransfer in Zukunft eine Regelung außerhalb des Warenclearings zu finden — d. h. als Beitrag Italiens zur Kriegführung — zinslose italienische Bevorschussung der Arbeiterlöhne außerhalb des Verlagerungskredits. (...) Zur Erleichterung der Bevorschussung sollten die Lohntransfers bei Postsparkassen in Sparguthaben überfuhrt werden (ζ. B. Buoni postali fruttiferi)." 401 Eine derartige Lösung kam für die italienischen Behörden — aus offensichtlichen Gründen der öffentlichen Meinung - kaum in Frage. Es siegte die Alternative, die Lohnüberweisungen vorzuschießen, indem man die Befürchtungen über ein Anwachsen der Inflation in Italien, die im Laufe der Verhandlungen und Treffen von den Delegierten des Reiches geäußert worden waren, ruhig hintanstellte.
Die Katze spielt mit der Maus Kehren wir nun von diesem Exkurs über den Ursprung des deutschen Debetsaldos zu unserem Ausgangspunkt zurück. Am 20. Februar 1943 entschied Hitler, die Heimkehr der Italiener zu genehmigen; dabei war es zu schweren Spannungen innerhalb der nationalsozialistischen Führung gekommen, eine Sachlage, die schwer auf den folgenden Ereignissen lastete. Es erscheint mir wichtig, die ganze Diskussion zu analysieren, die sich um die Frage der Arbeiterrückftihrung entwickelte, weil sie ein bezeichnendes Licht sowohl auf die Stellung der italienischen Arbeiter wie auf ihre wirkliche Rolle in der deutschen Kriegswirtschaft wirft. Am 16. Februar war die Rückführungsfrage Gegenstand einer scharfen Debatte gewesen, die sich während einer Besprechung der Zentralen Planung abgespielt hatte. 4 0 2 O R R Hildebrand brachte das Argument ins Spiel, daß der Beitrag der italienischen Arbeiter zur Kriegsproduktion alles andere als unbeträchtlich war: „Wenn wir die erste Etappe abrechnen, so sind die, die noch verblieben sind, zum erheblichen Teil gerade Qualitätskräfte in der Metallwirtschaft." Das Thema wurde wenig später vom Chef der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amts, Wiehl, aufgegriffen, der zwei Schlüsselfragen aufwarf: „welche italienischen Arbeiter sind in ihrer gegenwärtigen Verwendung für uns entbehrlich? Wie ist die Durchschnittsleistung dieser italienischen Arbeiter? Eine Klärung dieser Frage ist deshalb notwendig, damit wir sagen können: ,Wir geben euch diese Arbeiter zurück, aber dafür können wir euch etwa Getreide und Kohle um soundsoviel weniger liefern' (...). 10.000 Landarbeiter würden etwa 100.000 t Getreide entsprechen.'" Solchermaßen von mehreren Seiten dazu stimuliert, äußerte sich der GBA Sauckel folgendermaßen: „Der Abgang dieser 200.000 Arbeiter ist sehr schwer zu ertragen, weil immerhin noch die besten hier gewesen sind und ein Teil der Italiener gute Facharbeiter gewesen sind. Es wird große Schwierigkeiten machen, diese Facharbeiter zu ersetzen."
401 Ebenda, Bl. Ε 0 5 6 4 5 8 - 4 5 9 , Instruktion für Rom vom 14. 2. 1942. 4 0 2 BA Koblenz, R 3, Band 1707, Bl. 2 - 3 , Stenografischer Bericht der 33. Besprechung der Zentralen Planung betreffend Arbeitseinsatz, 16. 2. 1943.
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Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
In dem Bericht, der Hitler vorgelegt 403 und in dem die Zahl der kaum zu ersetzenden italienischen Arbeiter auf 120.000 geschätzt wurde, erscheinen die von Wiehl verlangten Informationen in detaillierter Form und nach verschiedenen Sektoren differenziert. Ferner wurde darin präzisiert, daß die Zahl der faktisch auf deutschem Territorium anwesenden italienischen Arbeiter etwa 165.000 betrug. Weitere 35.000 verbrachten zeitweise in Italien ihre Ferien. Auch für den Fall, daß man dem italienischen Repatriierungswunsch nachgeben sollte, wäre es günstig, so der Verfasser des Berichts weiter, zu verlangen, daß die Urlauber an ihre Arbeitsplätze zurückkehrten und dort bis zum Ablauf ihres Vertrags, den sie seinerzeit unterzeichnet hatten, blieben. Auf diese Weise sei es vielleicht möglich, die Schwierigkeiten zu verringern, auf die man unausweichlich stoßen werde. Bei der Betrachtung der Verteilung der Italiener nach Sektoren lautete die Schlußfolgerung des Berichts, daß von etwa 70.000 Italienern, die im Bausektor beschäftigt waren, über die Hälfte „gelernte Facharbeiter [seien], die schwer ersetzt werden können"; diese waren eingesetzt „bei Energiebauten (...), Chemiebauten, Aluminium- und Hydrierwerken, Wehrmachtsbauten, U-Boot-Unterständen, Bombenschäden. (...) Nach Angabe des GB-Bau erstellt ein Arbeiter durchschnittlich einen Bauwert von 3.000 RM. 70.000 Arbeiter daher einen solchen von 2.100.000 RM". Die etwa 27.000 italienischen Landarbeiter, 25 Prozent davon Frauen, wurden aus verschiedenen Gründen ebenfalls als schwer ersetzbar angesehen. Sie waren vorwiegend „in den hochintensiven Gebieten Mitteldeutschlands" eingesetzt worden. Das RMEL schätzte ihre Jahresproduktion auf etwa 270.000 Tonnen Lebensmittel. Sie nach Hause zu schicken, hätte bedeutet, auf diese Produktion zu verzichten; daher wurde erwogen, „gegebenenfalls unsere Getreidelieferung an Italien" zu verkürzen. Im Maschinenbau, einer Schlüsselindustrie, waren 24.000 Italiener, praktisch allesamt Facharbeiter, bei militärisch relevanten Industriebetrieben beschäftigt, wo — aus Sicherheitsgründen — weder Westarbeiter noch Kriegsgefangene eingesetzt werden konnten. Die Italiener galten daher als nicht ersetzbar, ebenso wie ihre 10.000 Landsleute, die in der chemischen Industrie tätig waren und die im wesentlichen „in Neubetrieben der Pulver-, Sprengstoff-, Aluminium- und Treibstofferzeugung" zum Einsatz kamen, die für das deutsche Munitionsprogramm als „dringend wichtig" betrachtet wurden. 10.000 war die Zahl der Beschäftigten im Bergbau, die etwa eine Tonne Kohle pro Kopf und Tag abbauten, was 250.000 Tonnen im Monat bedeutete. Auch in diesem Fall hätte der Verzicht auf die Arbeiter eine Reduktion der Produktion und der Kohlelieferungen an Italien bedeutet, weswegen diese Arbeiter als „besonders schwer" zu ersetzen galten. Ebenso große Probleme brachte der geforderte Verzicht auf die 10.000 Arbeiter, die bei der Reichsbahn beschäftigt waren, und von denen ein großer Teil als Facharbeiter in den Ausbesserungswerken beschäftigt war. Angesichts solcher Bewertungen versteht man gut, daß die deutschen Behörden alles andere als geneigt waren, die italienischen Arbeiter ruhig gehenzulassen. Nach dem Befehl Hitlers vergingen sechs Wochen, bevor man präzise Abmachungen traf, wie die Heimkehr der Arbeiter durchgeführt werden sollte. Lediglich am 5. April wurde darüber in Berlin, im Reichsarbeitsministerium, verhandelt. 404
403 PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 12, Bl. 123954-956, Aufzeichnung betr. Abzug italienischer Arbeiter vom 17. 2. 1943, Anlage 3, Produktionsausfall und Minderung unserer Leistungen an Italien. 404 ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film-Nr. 320, Bericht der Botschaft Berlin an das MAE vom 16. 4.
Die Verhandlungen über die Rückfiihrung
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Die Zahl der Heimkehrer wurde ursprünglich auf 12.000 monatlich festgelegt. Die Deutschen forderten, daß man mit dem Abfluß bei den für die Kriegsproduktion weniger wichtigen Betrieben beginnen möge, um den Schaden für die Rüstungswirtschaft so gering wie möglich zu halten. Man kündigte ferner an, daß die Italientransporte für die Urlauber in diesem Jahr ausgesetzt würden. Aus dem Protokoll der Besprechung geht nicht hervor, ob die italienische Seite Einwände gegen den letzten Punkt geltend machte. 405 Wiederum auf deutschen Wunsch hin wurde festgelegt, daß die Rückführungsoperation im kommenden Mai anlaufen sollte; die italienische Seite mußte sich mit dem Versprechen begnügen, daß das für April vorgesehene Kontingent von Heimkehrern ebenfalls im Mai abreisen würde. 4 0 6 Die Frage war jedoch weit davon entfernt, definitiv geregelt zu sein: bereits am 10. Mai bat der deutsche Botschafter Mackensen um Anweisungen, wie er sich im Falle von vorhersehbaren italienischen Protesten verhalten sollte, da er von der Dienststelle Italien des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz erfahren hatte, daß die ersten Sonderzüge zur Durchführung der Rückführungen annulliert worden waren, weil „deutsche Betriebe, insbesondere Hermann-Göring-Werke, bei Reichsmarschall Einspruch gegen Abziehung italienischer Arbeitskräfte erhoben haben (...). [Es] sollen auch bei Gauleiter Sauckel zahlreiche Beschwerden deutscher Betriebe für Ausfall italienischer Arbeiter eingegangen sein. Beschwerden hatten bei G B A zu nochmaliger Prüfung Frage Abziehung italienischer Arbeitskräfte geführt." 4 0 7 Die Nominierung Tullio Cianettis zum Korporationsminister machte der deutschen Seite Hoffnungen, die Italiener könnten ihre Entscheidung nochmals überdenken. Mit Cianetti verbanden die Deutschen „langjährige Beziehungen"; 408 man hoffte daher auf eine Ubereinkunft. Daß es auf Seiten der Faschistischen Industriearbeiterkonföderation in der Tat Personen gab, die dazu neigten, die Arbeiter im Reich zu belassen, beweist ein Telegramm der Deutschen Botschaft in Rom. 4 0 9 Auch Sauckel versuchte, mit Cianetti direkten Kontakt aufzunehmen, wurde jedoch aus Gründen der Zuständigkeit und wegen der herrschenden Kompetenzkonflikte vom Auswärtigen Amt daran gehindert. 410 Nach dem gescheiterten Versuch wandte sich Sauckel direkt an Ribbentrop und bat diesen, bei Hitler und bei den italienischen Behörden zu intervenieren: „In einer Anzahl von wichtigen Rüstungsbetrieben wirkt sich der Abzug italienischer Facharbeiter ungünstig aus. Es wäre deshalb wünschenswert, den Rücktransport dieser italienischen Arbeiter auf einen späteren Zeitpunkt, etwa 3 bis 4 Monate, zu verschie-
405
406 407 408 409
410
1943; vgl. auch die kürzere Mitteilung der Botschaft vom 8. 4. 1943, in: ASMAE, AP, Germania, Band 75. Im Anschluß an die Verhandlungen vom 5. 4. 1943 gab das Reichsarbeitsministerium am 15.4. 1943 ein Rundschreiben heraus, in dem den italienischen Arbeitern die Rückkehr in die Heimat für die Dauer ihres Urlaubs verwehrt wurde. - Vgl. Collotti, L'Alleanza, S. 49. ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film-Nr. 320, MAE-AC, Aufzeichnung für den Staatssekretär vom 29. 4. 1943. A D AP, Serie E, Band VI, Dok. 25, S. 53. Ebenda. PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 13, Bl. 124403: Telegramm vom 24. 5. 1943, Prot.Nr. 2431. - In dem Schreiben, das sich auf ein Gespräch mit einem fuhrenden Mitglied der CFLI bezieht, heißt es, daß selbst Präsident Capoferri entsprechende Bereitschaft gezeigt habe. Ebenda, Bl. 124277-278: Note vom 10. 5. 1943, Prot.Nr. Fr.Nr. 36/43.
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ben, bis die von mir zu stellenden Ersatzkräfte genügend eingearbeitet sind oder durch innerbetriebliche Maßnahmen der Betriebe ausgeglichen werden können." 411 Nachdem die Frage neuerlich dem „Führer" unterbreitet worden war, entschied das AA, die Verhandlungen mit Italien wieder aufzunehmen, um eine Verringerung des Monatskontingents von 12.000 auf 6.000 für den Zeitraum Juni bis September 1943 zu erzielen.412 Während man in Berlin diskutierte, wie der Abfluß der Arbeitskräfte zu bremsen sei, war man in Rom noch davon überzeugt, daß alles in bester Ordnung sei — so gut, daß man fortfuhr, die Bauarbeiter und die Ganzjahreslandarbeiter wieder nach Deutschland zurückzuschicken, die in Italien ihre Ferien verbrachten und deren Vertrag noch nicht beendet war. 413 Am 26. Mai kam jedoch die offizielle deutsche Anfrage, ob die Zahl der Abreisenden halbiert werden könne. 4 1 4 Die erste italienische Reaktion darauf war eine klare Ablehnung. 415 Doch wurde im Laufe von informellen Kontakten, die von Mackensen mit Lombrassa und mit Bastianini, dem Staatssekretär im Außenministerium, aufnahm, versichert, daß die italienische Regierung, und Mussolini im besonderen, bereit seien, den Bedürfnissen des Verbündeten entgegenzukommen. Es sei möglich, zu einem Kompromiß zu gelangen, der bei einer Zahl von 8.000 Rückkehrern monatlich liegen könnte. 416 In einem Gespräch mit Spakler, dem Vertreter der DAF in Rom, soll Cianetti noch weiter gegangen sein: nachdem er bekräftigt hatte, daß Italien bereit sei, sich mit monatlichen Kontingenten von 8.000 Arbeitern zufriedenzugeben, erklärte der Minister, er habe „die Absicht, nach einer gewissen Zeit die Möglichkeit einer nochmaligen Senkung der Zahl der Heimkehrer auf 6.000 zu prüfen. Er [Cianetti] (...) behalte sich vor, Spakler zu gegebener Zeit wegen einer etwaigen weiteren Senkung der Zahl der Heimkehrer selbst anzusprechen." 417 Während diese Diskussionen im Gange waren, hätten 24.000 italienische Arbeiter bereits die Heimat erreicht haben sollen. In Wirklichkeit waren es alles in allem nur 17.783, gut 6.000 weniger als vereinbart.418 Ohne dazu eines Abkommens zu bedürfen, war das Reich dazu über-
4 1 1 Ebenda, Bl. 124324: G B A an das AA, 15. 5. 1943, Prot. G B A 1514/43 Dr.St/Kl. 4 1 2 Ebenda, Bl. 1 2 4 3 7 0 - 3 7 2 : Entwurf einer Aufzeichnung für den Führer über die Zurückziehung italienischer Arbeiter aus Deutschland, vom 21. 5. 1943. 4 1 3 ACS, Segreteria Duce 1 9 4 3 - 1 9 4 5 , Film-Nr. 320, MAE-AC, Aufzeichnung fiir den Staatssekretär vom 25. 5. 1943. 4 1 4 Ebenda, Note der Deutschen Botschaft Rom vom 26. 5. 1943. Eine Kopie der Note befindet sich auch in ASMAE, AP, Germania, Band 75, Prot.Nr. 1129 Soz. 4 1 5 ACS, Segreteria Duce 1 9 4 3 - 1 9 4 5 , Mikrofilm-Rolle Nr. 320, MAE-AC, Aufzeichnung für den Duce vom 30. 5. 1943. Der Text der italienischen Note, in dem der deutsche Vorschlag zurückgewiesen wurde, findet sich in ASMAE, AP, Germania, Band 75, (o. D.). 4 1 6 PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 13, Bl. 1 2 4 4 6 2 - 4 6 4 , Telegramm Mackensens an das AA vom 1. 6. 1943, Prot.Nr. 2584; nachdem er die italienische Note mit ihrer Zurückweisung der deutschen Forderungen übermittelt hatte, wies der Botschafter darauf hin, daß Bastianini ihn bei der Überreichung des Schreibens offiziell informiert habe, daß die italienische Regierung bereit sei, den deutschen Bedürfnissen entgegenzukommen. Cianetti hatte angeblich mit Mussolini selbst gesprochen und man sei zu dem Ergebnis gelangt, in freundschaftlicher Weise einen Kompromiß zu finden, der um 8 . 0 0 0 Mann pro Monat liegen sollte. Nahezu in den gleichen Worten habe sich auch Lombrassa bei einem kurzen Zusammentreffen mit Mackensen geäußert. 4 1 7 Ebenda, Telegramm vom 3. 6. 1943, Prot.Nr. 2 6 3 0 , B R Q a n das AA. 4 1 8 Ebenda, Telegramm vom 3. 6. 1943, Prot.Nr. 2 6 2 8 , B R Q a n das AA.
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gegangen, von sich aus die Quoten zu verringern. Speer und Sauckel waren jedoch mit den erreichten Resultaten nicht zufrieden. Sie intervenierten bei Hitler, um zu erreichen, daß die Rücktransporte ganz ausgesetzt würden. Doch fanden sie hier den Widerstand der Diplomaten, allen voran Clodius und Mackensen, die der Meinung waren, allenfalls — und wenigstens provisorisch — auf die Verringerung der Kontingente auf 6 . 0 0 0 drängen zu können, bis die ganze Frage bei dem in Vorbereitung befindlichen Gipfeltreffen zwischen Hitler und Mussolini endgültig geklärt werden würde. 419 In der Zwischenzeit, nämlich Ende Juni, teilte Mussolini jedoch seine Entscheidung mit, eine Verringerung der Rückkehrer auf 8 . 0 0 0 monatlich zu gewähren. Darüber hinaus akzeptierten die italienischen Behörden, daß die Bergarbeiter von der Rückführung ausgenommen wurden und in Deutschland verblieben. Dieser Punkt war offensichtlich mit den deutschen Drohungen verbunden, die Kohlelieferungen an Italien zu reduzieren. 420 Die Situation hatte sich jedoch ein weiteres Mal verändert: Im Inneren der NS-Führungsgruppe überwog nunmehr eine harte Linie, und die Ergebnisse der internen Diskussion wurden Botschafter Alfieri über den neuen Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Gustav Adolf Steengracht, am 30. Juni mitgeteilt: 4 2 1 In den Sommermonaten sollten die Rückfuhrungsmaßnahmen ausgesetzt werden; ferner sollten nur jene Arbeiter nach Hause zurückkehren dürfen, deren Vertrag ausgelaufen war und die nicht bereit waren, ihn zu erneuern. Danach werde man weitersehen, hieß es. Die deutsche Anfrage, die Repatriierung auszusetzen, bewirkte in Rom merkliche Verwirrung. 4 2 2 Sie wurde formal zwar abgelehnt, doch inhaltlich akzeptiert: aufgrund einer Entscheidung des Duce wurde das monatliche Kontingent der Heimkehrer auf 4 . 0 0 0 herabgesetzt. 423 Wenige Tage später wurde General Favagrossa, der italienische Minister fur die Kriegsproduktion, der sich zu einem Treffen mit den deutschen Wirtschaftsführern nach Berlin begeben hatte, geradezu überschüttet mit Anfragen, die die italienischen Facharbeiter betrafen. Speer fragte ihn ausdrücklich, ob er alle Arbeiter behalten könne, die in der metall-, der eisenverarbeitenden und der mechanischen Industrie tätig seien; Körner, Staatssekretär beim Beauftragten für den Vierjahresplan, wollte Bergleute für das Ruhrgebiet; General Milch fragte sogar, ob
419 Vgl. ebenda, Bl. 124511-513: Aufzeichnung über die Zurückziehung italienischer Arbeiter aus Deutschland vom 8. 6. 1943, verfaßt von Clodius; sowie ADAP, Serie E, Band VI, Dok. 104, S. 188-189: Aufzeichnung des Gesandten Clodius vom 19. 6. 1943; sowie PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 13, Bl. 124589-590: Aufzeichnung des Gesandten Clodius vom 23. 6. 1943; darin legt der deutsche Diplomat dar, daß es nicht mehr möglich sei, die Verhandlungen gegenüber den Italienern dilatorisch zu fuhren; man müsse vielmehr zu einer Übereinkunft kommen. - Was die Pressionen Speers auf Hitler angeht vgl. Boelcke, Deutschlands, S. 269, Konferenz vom 29. 5. 1943, bei der Hitler seine Absicht äußerte, persönlich mit Mussolini zu sprechen. 420 Die Entscheidung Mussolinis wurde der Botschaft in Berlin am 25. 6. 1943 mitgeteilt, vgl. ASMAE, AP, Germania, Band 75, Telegramm des MAE vom 25. 6. 1943. Bezüglich der Bergleute findet sich eine ausfuhrliche Dokumentation in: PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 13, Telegramm vom 29. 6. 1943, Prot.Nr. 3065, BRQan das AA; sowie ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film-Nr. 320, MCor an MAE, Briefe vom 2. und 3. 7. 1943. In dem zweiten Brief wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die deutschen Kohlelieferungen in einer gewissen Progression reduziert würden. 421 PA/AA, Staatssekretär Italien, Band 13, Bl. 124654-655, Aufzeichnung des Staatssekretärs vom 30. 6. 1943. 422 Ebenda, Band 14, Telegramm vom 3. 7. 1943, Prot.Nr. 3162, BRQan das AA. 423 ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film-Nr. 320, Aufzeichnung für Amedeo Giannini vom 12. 7. 1943; sowie ASMAE, AP, Germania, Band 75, Telegramm des MAE an die Botschaft Berlin vom 14. 7. 1943.
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Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft
Favagrossa 700 bis 800 Spezialarbeiter für die Daimler-Benz-Werke schicken könne, um die Firma dadurch in die Lage zu versetzen, eine Lieferung von Flugzeugmotoren für die italienische Luftwaffe fertigzustellen. In seinem Bericht an Mussolini schlug Favagrossa vor, allem zuzustimmen , 424 Wenige Tage später ereignete sich der monarchisch-militärische Staatsstreich des 25. Juli, der zur Absetzung Mussolinis führte. Regierungschef wurde Marschall Badoglio. Obwohl die neue Regierung ein Treueversprechen zum „Achsen"bündnis abgelegt hatte, liefen sofort die bereits vorgesehenen deutschen Gegenmaßnahmen an. 425 Diese erstreckten sich auch auf den kleinen Zufluß an Arbeitern, der in der Zwischenzeit nach Italien einreiste. Ab dem 27. Juli hielt die deutsche Grenzpolizei auf Befehl des Reichsführers SS, Himmler, die auf dem Heimweg befindlichen italienischen Arbeiter an und schickte sie zurück. 426 Auf die Proteste der italienischen Botschaft hin wurde diese Anweisung zurückgezogen. Die Rückführungen wurden jedoch wenig später mit der Begründung eingestellt, daß nach den Berechnungen des Auswärtigen Amts im Juli bereits 10.763 Arbeiter in die Heimat zurückgekehrt seien, zu denen weitere 1.894 hinzugerechnet werden müßten, die nicht mehr aus den Ferien zurückgekehrt waren und daher, auf der Grundlage der zwischen CFLI und DAF geschlossenen Vereinbarungen vom April 1943, zu den Heimkehrern gezählt würden. Die Gesamtzahl belaufe sich daher auf 12.657. Da man übereingekommen sei, ein monatliches Kontingent von 4.000 zurückzuführen, sah das Auswärtige Amt die Quoten für August, September und einen Teil des Oktobers bereits durch den Abfluß an Arbeitern im Juli als ausgeschöpft an. Man werde daher über weitere Abreisen erst wieder im November sprechen. 427 Die Italienische Botschaft in Berlin versuchte, diese harte Haltung aufzuweichen, auch weil die Arbeiter nach Hause wollten — vor allem diejenigen, die aus Sizilien, das von den anglo-amerikanischen Truppen besetzt war, sowie aus den Regionen Süditaliens stammten, die ebenfalls nicht weit von der Front entfernt waren. 428 Doch die Bemühungen waren vergeblich. 429 Von den italienischen Arbeitern, die in Deutschland geblieben waren, wurde noch einmal gegen Ende August gesprochen, nämlich während der Verhandlungen, die am 6. September 1943 zur Unterzeichnung des Dreizehnten Geheimen Protokolls zwischen den beiden Ländern führten. 430 In Paragraph 8 des Protokolls, der ganz der Frage der italienischen Arbeiter in
424 ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film-Nr. 320, Ministerium für Kriegsproduktion, Aufzeichnung für den Duce vom 18. 7. 1943. 425 Bezüglich der allgemeinen Fragen siehe Schröder, Italiens Kriegsaustritt, vor allem die Kapitel III und IV, S. 103-280. 426 PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 14, Telegramm der BRQan das AA vom 28. 7. 1943, Prot.Nr. 3580; sowie ASMAE, AP, Germania, Band 75, Telegramm der Botschaft Berlin an das MAE vom 28. 7. 1943, Prot.Nr. 21553 PR.; darin wird mitgeteilt, daß der Stop auf die Vorstellungen der italienischen Diplomaten im AA hin aufgehoben wurde. 427 ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film-Nr. 320, Fernschreiben der Botschaft Berlin an das MAE vom 3. 8. 1943. 428 ASMAE, AP, Germania, Band 75, Mitteilungen der Botschaft Berlin vom 16. und vom 20. 8. 1943. 429 ACS, Segreteria Duce 1943-1945, Film-Nr. 320, Fernschreiben der Botschaft Berlin an das MAE vom 11. 8. 1943. 430 Ebenda, MAE, Aufzeichnung für den Minister vom 29. 8. 1943; sowie ASMAE, AP, Germania, Band 75, Bericht Gianninis vom 31. 8. 1943; sowie PA/AA, Staatssekretär, Italien, Band 16, Telegramm des Gesandten Clodius an das AA, 6. 9. 1943.
Die Verhandlungen über die Rückflihrung
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Deutschland gewidmet war, erklärten die Unterhändler aus R o m , daß 6 2 . 1 5 6 Arbeiter, deren Vertrag abgelaufen oder im Auslaufen begriffen sei, in Deutschland festgehalten würden. Sie verlangten daher die Rückkehr bis zum Dezember 1 9 4 3 . Die deutsche Delegation widersetzte sich ein wenig, aber nicht allzu viel, und angesichts des Insistierens der Gegenseite akzeptierte man die italienischen Vorschläge. 4 3 1 Auch in diesem Fall ist die Überlegung mehr als treffend, die Michele Lanza am gleichen Tag anläßlich der ebenso konzilianten Haltung, die die deutschen Behörden in Berlin bezüglich der Treibstofflieferungen an den Tag legten, seinem Tagebuch anvertraute: „Dieses übermäßige Nachgeben erweckt in uns nicht geringen Verdacht. Offensichtlich glaubt der Führer, daß unsere Situation reif ist für einen Handstreich und zieht es vor, sich nach außen hin in Konzessionen zu üben, die er in Wirklichkeit nie wird realisieren müssen.
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Zwei Tage später gab General Eisenhower über Radio Algier die Unterzeichnung des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliierten bekannt. A u f der italienischen Halbinsel wurden die in dem „Plan Achse" vom O K W vorgesehenen M a ß n a h m e n in G a n g gesetzt. D i e Regierung Badoglio und der Königliche H o f verließen in aller Eile R o m und flohen nach Brindisi, wo sie sich unter alliierten Schutz begaben. In der Italienischen Botschaft in Berlin arbeitete man ab 1 8 . 3 0 U h r bis in die späte Nacht hinein an der Zerstörung der Akten. A u f dem Territorium des Reichs blieben 1 2 0 . 0 0 0 italienische Arbeiter zurück. 4 3 3
431 PA/AA, Clodius, Deutsch-italienische Besprechungen in Rom, 30. 7-/6. 8. 1941 (Drahtberichte); zweisprachiger Text des 13. Geheimen Protokolls vom 6. 9. 1943. 432 Simoni, Berlino, S. 410, Aufzeichnung vom 6. 9. 1943. 433 Vgl. zur Radikalisierung der deutschen Rekrutierungsmaßnahmen, insbesondere zum Zwangsarbeitereinsatz der italienischen Militärinternierten nach dem 8. September 1943: Gerhard Schreiber, Die italienischen Militärinternierten im deutschen Machtbereich 1943 - 1945, München 1990.
Autoren und Übersetzer
wurde 1937 in Novara geboren, studierte Literatur und Geschichte an der Universität Mailand und lebt und arbeitet seither als freiberuflicher Historiker überwiegend in Orta/Novara. 1962 begann er mit Untersuchungen über Volks- und Kampflieder und gab verschiedene Schallplatten der Reihe / dischi di sole heraus. Seit Mitte der 1960er Jahre arbeitet er mit mündlichen Quellen. Er war Mitbegründer des Istituto de Martine in Sesto Fiorentino (Provinz Florenz) zur Erforschung der Volkskultur. Seine Bibliographie umfaßt etwa 800 Titel und ist überwiegend Untersuchungen zur norditalienischen Arbeiter-, Arbeiterbewegungsund Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert gewidmet. Das größte Werk ist die Geschichte der Widerstandsbewegung in ValSesia in Norditalien: Pagine della guerriglia, Bd. I, Mailand 1971, Bd. II, Borgosesia 1995. Weitere wichtige Publikationen: L'altra cultura, Mailand 1970; Leggende metropolitane in Italia, Bari 1991. Von 1981 bis 1986 war er Herausgeber der Zeitschrift Primo Maggie. CESARE BERMANI
wurde 1937 inTriest geboren und studierte Literatur und Geschichte an den Universitäten Triest, Mainz und Mailand. 1963 promovierte er mit einer Studie über die Bekennende Kirche, die 1967 unter dem Titel La chiesa confessante sotto ilnazismo bei Feltrinelli als Buch erschien. Er war Mitbegründer des Operaismus als politische Tendenz, aktiv in der 1968er Bewegung und in den Sozialkämpfen der 1970er Jahre. Von 1965 bis 1983 wirkte er als Dozent für Geschichte an den Universitäten von Trient, Padua, Mailand und Bremen. Er verfaßte Schriften und wissenschaftliche Arbeiten zur Geschichte der Arbeiterbewegung, der sozialen Bewegungen und zur Theorie des Marxismus (Moneta e crisi: Marx corrispondente del ,New York Daily Tribune', Mailand 1973). Er arbeitete an kulturpolitischen Zeitschriften mit (Quaderni piacentini, Sapere) und gab von 1973 bis 1980 Primo Maggio heraus. Seit 1985 lebt und arbeitet er als freiberuflicher Forscher und Berater verschiedener europäischer Institutionen, Gewerkschaften und Großunternehmen in Mailand. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, der Stiftung für Zeitgeschichte Luigi Micheletti in Brescia und seit 1996 Vorsitzender der Freien Universität Mailand. SERGIO BOLOGNA
BRUNELLO MANTELLI wurde 1 9 4 8 geboren und studierte Geschichte an der Universität Turin. Er promovierte mit einer Untersuchung über die italienische Migrationsarbeit in NS-Deutschland: Camerati del lavoro. I lavoratori italiani emigrati nel Terzo Reich nel periode dell'Asse 1938—1943, Florenz 1992. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte Italiens im zweiten Weltkrieg und der italienischen Arbeiterbewegung. Er war Mitarbeiter des Istituto
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Autoren und
Übersetzer
Storico della Resistenza in Piemonte (Turin) und der Stiftung Luigi Micheletti in Brcscia, z. Zt. ist er Hochschuldozent für Neuere Geschichte an der Universität Turin. Im Wintersemester 1992/93 war er Gastdozent für Neueste Geschichte an der Universität Potsdam. Er gehört dem Leitungsgremium der Societä Italiana per lo Studio della Storia Contemporanea an. Weitere wichtige Veröffentlichungen: (zusammen mit Cesare Manganelli) Antifascisti, partigiani, ebrei. I deportati alessandrini nei campi di stermino nazisti, Mailand 1991; La nascita del fascismo. II regime fascista, ilfascismo e laguerra, Mailand 1994. Zusammen mit Luigi Cajani gab er Una certa Europa. II collaborazionismo con lepotenze dell'Asse 1939—1945, Brescia 1994, heraus. LUTZ KLINKHAMMER, der Übersetzer der Beiträge von Cesare Bermani und Brunello Mantelli, studierte an der Universität Trier Geschichte und arbeitete als Doktorandenstipendiat am Deutschen Historischen Institut in Rom. 1991 promovierte er mit einer Untersuchung über die Beziehungen zwischen NS-Deutschland und der Republik von Sali), die 1 9 9 3 im Max Niemeyer Verlag in Tübingen unter dem Titel: Zwischen Bündnis und Besatzung. Das nationalsozialistische Deutschland und die Republik von Salb 1943—1945, als Buch erschien. Gegenwärtig ist er als wissenschaftlicher Assistent am Historischen Seminar der Universität zu Köln tätig.
Personen- und Sachregister
Accumulatorenfabrik AG, Hannover (Akkumulatorenfabrik in Hannover) 155, 220, 369f. Acone, Franco 209 Actis-Barone, Antonio 144 Agostini, Marcello 343 Agosto 232 Alberio, Angelo 113 Alfa Romeo-Archiv, Mailand 153f. Alfa Romeo Werke 152, 157 Alfieri, Dino 47, 87, 105f., 126-128, 141, 213, 222-225, 236, 328, 340, 343, 351, 354-356f„ 364, 389 Allgemeiner Industrieverband 48f. Alquati, Romano 35 Altof-Film 193 Amadio, S. 148 Ambasciata di Berlino (Königlich-Italienische Botschaft Berlin) 47, 49, 53, 62, 75, 117, 132, 135, 141, 222, 235-237, 259, 261, 264, 267, 307f., 320, 324, 326, 340, 357f., 363, 383, 387, 389-391 — Migrationsabteilung 255, 264, 273, 304 — Ufficio Emigrazione 267 American Labor Museum, New Jersey 24 Amori, Antonio 202 Amt fiir italienische Industriearbeiter in Deutschland 237 Andreani, Dante 208 Andreani, Umberto 208 Andreatta, Alfredo 167 Andreatta, Costantina 167 Angelini, Franco 77, 260f., 272
Aniasi, Carlo 176 Anton Grennecke, Innsbruck 196 Anwerbekommission 158, 337 A. Poor, Zwenterdorf (Firma) 175 Arado Flugzeugwerke GmbH, PotsdamBabelsberg 92, 99f., 105, 113, 115, 134, 139, 159, 227, 229f., 233, 239 - Lager Babelsberg b. Potsdam 99, 108, 111, 140,210, 226, 228 Arbeitsamt 5 0 , 5 7 , 8 1 , 8 3 , 2 4 1 , 3 2 9 , 3 6 3 Arbeitserziehungslager (AEL) 354 Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern siehe Reichswirtschaftskammer Arch. Paolo Fontanive, Rom 313 Archiv der Stiftung Luigi Micheletti 155 Archives Nationales 22 Archivio Centrale dello Stato, Rom (ACS — Zentrales Staatsarchiv Rom) 175, 193 Archivio di Stato di Bologna (ASB — Staatsarchiv Bologna) 256,368 Argus, Friesland (Firma) 206 Arrighini, Angelo 211 Arrigoni, Alessandro 164 Arvis, Berlin (Firma) 97 Arzini, Silvano 165f. Aschinger, Berlin 195 Askania-Werke, Berlin 205 Attolico, Bernardo 53, 76f., 267, 304, 319 Aureli, Aurelio 184, 255, 312f„ 315 Außenministerium siehe Ministero degli Affari Esteri Auswärtiges Amt (AA - Außenministerium) 141, 226, 253, 260, 273, 276f„ 283,
396 286f„ 302, 304, 307f., 334, 3 4 l f „ 344, 353, 3 5 5 - 3 5 7 , 377, 383, 3 8 7 - 3 9 0 — Handelspolitischen Abteilung 332, 3 4 1 , 3 7 8 , 385 Auto-Union, Chemnitz 197 Azzaroni (Autoreparaturwerkstatt), Bologna 156,368 Badoglio, Pietro 338, 390f. Baiguerra, Battista 211 Baj, Genua siehe Giovanni Baj, Genua Balbo, Italo 125 Baiella, Giovanni 63 Balilla-Jugend 2 2 7 Banca d'Italia 384 — Kompensationskasse 384 Banca Nazionale del Lavoro, Rom (BNL) 120-122, 184, 208, 264 Bay siehe Ing. Giovanni Bay, Genua Bayerische Motorenwerke AG (BMWWerke), Münchnen 102, 164, 240 Bandini, Dante Cesare 264, 267, 273, 276, 304 Banzi (Arbeiter) 143 Baradella (Arbeiter) 142 Baraldi, Egidio 187,191 Barbato, Giuseppe 109 Barboni 209 Bartolini, Giuseppe 107 Basile, Gennaro 122 Basile, Maria 122 Bassi, Piera 74 Bassotto, Biella siehe Giuseppe Bassotto, Biella Bastianini, Giuseppe 388 Battaglia, Francesco Secondo 158f. Baumwollfabrik von Podgora 70 Bazzoni, Giuseppe 190 Beauftragter für den Vierjahresplan 306, 3 1 2 , 3 3 6 , 389 — Generalrat 311 Bech, Joseph 333 Becherini, Alfredo 331 Begnotti, Luigi 300 Bellardo, Giacomo 113 Bellini, Giovanna 167
Personen- und Sachregister Bellini, Renato 167 Bellotti, Gianni 105, 134, 232 Benazzo siehe Ing. Benazzo, Rom Beneforti, Leo 207 Beotti, Cremona siehe Giovanni Beotti, Cremona Berardo (Konsulatsbeamter in Linz) 86 Berezzuti, Pietro 310 Bergwerk in Felsen 190 Bergwerk in Luisenthal 190 Bergwerk in Merlenbach 190 Bergwerk Saargrüber siehe Saargruben AG Bergwerk von Alfenza 158 Bermani, Cesare 15, 24, 30f„ 3 4 - 3 6 , 257f. Bernero & Traversa, Genua 183 Berteiii 20 Bertol (Koch) 142 Bertolotti & Malinverni (Firma) 177 Bertulli, Ivo 129 Besedniak, Carlo 206 Betri, Maria Luisa 34 Betzel, Mainz (Firma) 207 Bevollmächtigter fiir das Luftfahrtindustriepersonal (B. f. L.) 346 Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau Ruhr siehe Wirtschaftsgruppe Bergbau Bezza, Bruno 36 Bianchini, Guido 44 Bianco, Turin siehe Giovanni Bianco, Turin Biasutti, Aldo 109 Biellese Youth Progressive Club 25 Biellese Workers Mutual Aid Society 25 Bielli, Mario 194 Blardone, Ernesto 242 Bocchini (Polizeichef) 184 Bolla, Andrea 179 Bologna, Sergio 15 Bologneser Mechanikwerke Baldi u n d Matteuzzi siehe Mechanikwerk Baldi und Matteuzzi Bongiovanni, Nunziata 180 Bonometti, Italo 211 Bonomi, Igino 164 Bonomi, Maria 164 Borgatta, Bernardo Mario 108, 110, 115, 1 3 4 , 1 5 9 , 210, 227, 2 3 1 - 2 3 3 , 239
Personen- und Sachregister Borghesi, Gino 209 Borghi, Luigi 232 Böser (Firma) 219 Bosio, Gianni 32-34, 36 Botto (Familie) 24 Bozzolo, Emilio 149 Brandolin, Rodolfo 220 Brebbia (Familie) 55 Brebbia, Marco 230f„ 233 Brebbia, Natale 230 Breda, Sesto San Giovanni (Firma) 218 Bresciani, Giacomo 211 Bretoni (Bischof) 85 Briani, Vittorio 43 Brockhausen (Beauftragter der RVK) 336 Broi (Lehrer) 97 Brovelli, Giovanni 242 Brunetti, Marsilio 208 Buccella, Sabatino 178 Buderus'schen Eisenwerke, Wetzlar (Buderus-Eisenwerke) 208f. Buini & Grandi (elektromechanische Apparaturen), Bologna 156, 368 Buna-Werke 114,173,313 Buonaccorsi, Arturo 205f. Burroni, Angelo 192 Busicchia, Giovanni 180 Bussello, Baidassare 106 Buttis 20 Buzzer siehe Henri Buzzer, Berlin Caccavallo, Raffaele 110 Cacciaguerra, Andrea 110 Cacciaguerra, Lazzaro 177 Cacciari, Massimo 35 Caldera siehe Ing. Oreste Caldera, Turin Calderara, Pierino 237f. Calderoni siehe Fabrik Calderoni, Omegna Calloni, Enrico 205 Calsavara, Oscar 211 Calusca (alternative Buchhandlung), Mailand 36 Calzolari, Angelica 72f„ 88f., 238 Calzolari, Vittorio 72 Camozzi, Algemiro 161 Campobasso, Maria 122
397 Campobasso, Salvatore 122 Cannoni, Pietro 327 Capitanio, Pietro 196 Capoferri, Pietro 308, 321-323, 346, 387 Capone, Al 21 Capulzini, Ferruccio 195 Caravina, Abramo 211, 213f-, 216—218 Carazza, Guerrino 193 Cardano, Aurelio 177 Cardano, Francesco 179 Cardano, Mario 179f. Cardone, Antonio 137 Cardone, Mauro 181 Carenini, Angelo 207 Caritasverband 80 Cartosio, Bruno 36 Castagna, Emilio 210 Castello, Emilio 149 Castiglione, Francesco 193 Cattedre ambulanti dell'emigrazione (Emigrationsausbildungsbüros) 40 Cau, Gianmaria 344 Cav. Angelo Mantilero, Mignanego (Genua) 313 Cavallero, Carlo 320 Ceccarelli, Fioravante 208 Cecchella, Domenico 72, 123, 127, 134f„ 208 Cecchetti-Werkstätte, Civitanova Marche 158 Cecchi (Delegierter der CCoMIn) 354f. Cera, Giovanni 186 Ceruti, Cremona siehe Giulio Ceruti, Cremona Chemiefabrik Tul, Wien 177 Chemische Werke Hüls G m b H 142 Chiavaccini, Osvaldo 170-172, 357 Chiodi, Mario 181 Chiosi, Oriano 198 Chiovenda, Romeo 65, 186 Chiumarulo, Alessandro 138 Christian Karth, Frankfurt am Main 196 Ciancabilla 20 Cianetti, Tullio 63, 65, 67, 96, 255, 299, 302, 305, 321 f., 336, 387f. Ciano, Graf Galeazzo 62, 87, 278, 309, 356f.
398 Ciarmatori, Angelo 116 Ciavoni (Arbeiter) 142 Cidonio siehe Ing. Luigi Cidonio, Rom Cilloni, Walter 77f. Cimatti, Giacomo 109 Ciotti, Clara 193 Cippini, Alfredo 2 1 1 , 2 1 9 Cirella, Dino 208 Cisternini, Michele 185 Clodius, Carl 287, 316f., 320, 325, 3 3 2 - 3 3 5 , 337f., 3 4 1 - 3 4 4 , 363, 374f., 377f-, 383f. Cobianchi (Firma) 100 Cobitto, Giuseppe 209 Cocconcelli, D o n Angelo 78, 87, 94, 222 Colagrande, Gabriele 113 Collarini, Silvio 208 Collenz, Feiice 195 Colombara, Filippo 24 Colombo siehe Ing. Mario Colombo Coluzzi, Ubaldo 124, 135, 243 Comandatore, Luigi 138 C o m a n d o Supremo (ital. Oberkommando) 333,336 Commissariato Generale Fabbricazioni di Guerra siehe Ministero della Guerra Commissariato per la Colonizzazione e le Migrazioni Interne siehe Ministero delle Corporazioni Commissione Italiana Armistizio in Francia (CIAF — Delegation der Italienischen Waffenstillstandskommission in Frankreich) 365 Confederation Nationale du Travail 51 Confederazione Fascista Lavoratori del Commercio (C.F.L.C. — Faschistische Konföderation der im Handel beschäftigten Arbeiter) 195 Confederazione Fascista Lavoratori dell'Agricoltura (CFLA - Faschistische Landarbeiterkonföderation) 80, 88, 255, 2 6 0 - 2 6 2 , 2 6 4 - 2 6 8 , 272f„ 276, 280, 2 8 3 - 2 8 7 - Ufficio Propaganda (Propaganda-Abteilung) 264 - Zentral-Inspektorat 287
Personen- und Sachregister Confederazione Fascista Lavoratori dell'Industria (CFLI — Faschistische Industriearbeiterkonföderation, -union) 65, 76f„ 92, 103f., 127, 148, 151f., 225, 2 5 5 , 2 6 6 , 274, 286, 297, 2 9 9 - 3 0 2 , 304-308, 3l4f., 3 2 1 - 3 2 3 , 325, 329, 331, 338, 343f., 346, 353, 357, 359f., 362, 367, 369, 387, 390 - Abteilung „Industrie estrattive" 305 - Abteilung für Arbeitsvermittlung 343 - Abteilung für italienischen Arbeitseinsatz im Ausland 343 - Abteilung für Syndikatsangelegenheiten 343 - Hauptabteilung Bauwirtschaft 305 Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori (CISL) 211 Congress of Industrial Organizations (CIO) 25f. Consoli, Bortolo 105, 108, 111, 124, 139, 226, 232f. Conti siehe Ing. Pacifico Conti, Rom Contu, Luigi 321 Conz-Motorenwerke, Hamburg 349 Coppola, Antonio 123 Cornacchini, Arnaldo 195 Corradi, Mario 195 Corridori, Ermando 208 Corsini, Pietro 197 Corti, Giovanni 209f. Cosentino, Alberto R. 203 Cosmi, Damiano 175 Costa, Alfredo 211 Cremona, Pietro 110 Crevola, Marcello 102, 108, 157, 164, 225, 240 Crispina, Maria 122 Crispina, Vito 122 Curione, Pasquale 109 D'Alessandro, Rodolfo 185 D'Eramo, Luce 242 Da Rol, Mario 106, 114, 125, 228, 239 Daimler — Benz Motorenwerke, Berlin 143,390 - Lager Genshagen 143
Personen- und Sachregister Dal Farra, Carlo 65, 94, 97, 99, 106 Daldos, Giuseppe 114 Dazzi, Antonio 255, 329 De Angelis, Carlo 70 De Cadilhac siehe Lamberto De Cadilhac, Rom De Caro, Gaspare 35 De Cicco, Attilio 260 De Leo, Camillo 204 De Luigi (Kommandant des Krupp-Arbeitslagers in Essen) 2 1 2 , 2 1 5 , 3 4 8 De Paulis, Aldo 101, 111, 125, 135, 139, 229, 232f. De Rosa, Pietro 176 De Santo, Angelo 197 Deichmann, Hans 167, 175, 180 Del Ben, Antonio 111 Del Buono, Vincenzo 114 Del Farra, Carlo 191, 198, 205, 238 Del Farra, Celeste 187 Del Grosso, Edoardo 109, 195 Delefag 149 Delegierte ftir Zivilangelegenheiten der Italienischen Waffenstillstandskommission für Frankreich siehe KöniglichItalienische Delegation für die Heimkehr und die Unterstützung der italienischen Emigranten in Frankreich Deila Barona, Popi 2 1 2 , 2 1 5 Delmastro, Michele 185 Delich, Silvio 61 Dell'Occhio, Daniela 190 Democrazia Cristiana 211 Deutsch-Italienischer Regierungsausschuß für Wirtschaftsfragen 333 Deutsche Arbeitsfront (DAF) 63, 65, 96, 103, 115, 118, 128, 144, 153, 175, 177(., 183, 185, 226, 254f„ 299, 301f„ 304, 307-308, 315, 321-323, 325, 351, 355f., 388, 390 - Fachamt Bau 300, 302 — Verbindungsstelle Italien 306 Deutsche Bank AG 117-121, 263 Deutsche Botschaft in Rom 148, 268, 284, 286f., 307f., 320, 322, 325, 328, 332, 336, 3 4 1 , 3 8 7
399 Deutsche Metallwerke AG, Frankfurter am Main 209 Deutsche Verrechnungskasse 118,120 Devoti, Alvaro 196f. Di Carmine, Rocco 180 Di Leonardo, Pietro 107 Di Schiena, Luca 114 Di Trani, Domenico 211 Dienststelle Italien siehe Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz Diorio, Michele 185 Direzione Generale Italiani all'Estero siehe Ministero degli Affari Esteri Donä, Ugo 176 Donne, Francesco Delle 212 Dotti (Ingenieur) 177 Dotti siehe Ing. Giovanni Dotti Dopolavoro-Organisation 116,225 Ducati elettromeccanica, Bologna 50, 346f. Edizioni Avanti (Parteiverlag der KPI) 34 Edoardo Piglione, Turin 313 Edoardo Spinaci, Rom 313 Eichholtz, Dietrich 257 Eisenhower, Dwight D. 391 Eisenwerk Bruzzo 150 Enea, Mario 113 Enrico Romgnoli, Mailand 313 Epifani & Co., Rom siehe Giovanni Epifani & Co., Rom Ercole Micangeli, Foggia 313 Erich & Graetz-Werke, Berlin 50, 102, 126, 346f. Erziehungslager Hallendorf 169 Essener Steinkohlenbergwerke AG 330, 334 - Zeche Dorstfeld 331, 334 - Zeche Grillo 334 - Zeche Grimberg 334 - Z e c h e Oespel 3 3 1 , 3 3 4 Fabbriche Elettrotecniche Riunite (Vereinigte Elektrotechnik-Werke), Ferrara 156, 368 Fabbriguerra siehe Ministero della Guerra
400 Fabrik Calderoni, Omegna 99 Fabrik von Fallersleben siehe Volkswagenwerk Fallersleben Facchin, Gino 176 Fachamt Bau siehe Deutsche Arbeitsfront Falascia, Beniamino 113 Farris, Attilio 196 Fasce, Fernando 36 Faschistische Arbeitergewerkschaft siehe Confederazione Fascista Lavoratori dell'Industria Faschistische Föderation der Bauunternehmer im Hoch- und Tiefbau sowie verwandter Industrien siehe Federazione Fascista Costruttori Edili ed Imprenditori Grandi Opere Faschistische Gewerkschaftsdelegation 92, 209 Faschistische Industriearbeiterkonföderation, -union siehe Confederazione Fascista Lavoratori dell'Industria Faschistische Konföderation der im Handel beschäftigten Arbeiter siehe Confederazione Fascista Lavoratori del Commercio Faschistische Partei siehe Partito Nazionale Fascista Faschistischer Nationalverband der Bauarbeiter (ital.) 343 Faschistischer Nationalverband der Bergarbeiter (ital.) 343 Faschistischer Industriellenverband (ital.) 148, 1 5 1 , 3 6 7 , 369 Fasci (faschistische Auslandsorganisation) 76f. Favagrossa, Carlo 333, 336, 341, 377, 389f. Fazzioli, Mario 235 Federazione Nazionale Fascista Costruttori Edili ed Imprenditori Grandi Opere ( F N F C E — Faschistische Vereinigung der Bauunternehmer im Hoch- und Tiefbau sowie verwandter Industrien) 174f., 184f„ 2 5 5 , 3 1 2 - 3 1 5 , 3 1 7 Federazione Nazionale Fascista dei Lavoratori dell'Edilizia 300 Federico, Francesco 138
Personen- und Sachregister Ferrari, Luigi 205 Ferrero (Ingenieur) 153 Fiat (Fabbrica Italiana Automobile Torino) 157, 368 Filardi, Francesco 138 Filipponi, Filippo 108 Filmfabrik Wolfen 173 Fiordelisi, Baron Filippo 66 Fiorentini, Matteo 186 Fiorillo, Alfredo 115f. Fizzotti, Franco 245 Flettner, Berlin (Firma) 205 Flora, Marino 178 Focke Wulf-Werke, Bremen 349, 353 Foddai, Pietro 108 Foglietta, Armando 121 Folladore, Erna 192 Fondazione Micheletti 49 Fontana, Amedeo 186 Fontana, Vittorio 211 Forcucci, Livio 161 Ford-Werke 368 Formosa, Domenico 209 Fortini, Franco 35 Fortunato, Luigi 195 Fossa, Bruno 113 Fraina 20 Francalanci, Otello 194 Franceschini, Ernesto 206f. Franzina, Emilio 18f., 2 1 - 2 3 Friedrich Krupp AG (Krupp-Werke), Essen 114, 132, 163, 197, 205, 210f„ 214, 2 1 8 - 2 2 0 , 224 Fulciniti, Vito 92 Funk, Walther 234, 376 Gagarelli, Giovanni 197 Gagliardi, Corrado 161 Galilei-Werke 152, 371 Galleani 20 Gallerano, Nicola 45, 47 Gallinari, Reggio Emilia (Firma) 83 Gallup siehe Ludwig Gallup, Berlin Gambino, Ferruccio 36 Gamboni, Mario 205 Gardani, Davide 194
Personen- und Sachregister Gavazza, Alfonso 133 Ge & Baci, Novara 104 Gebr. Spohn G.m.b.H., Neckarsulm 350 Geheime Staatspolizei (Gestapo) 79, 171f., 216, 239, 331, 353, 357f. Geiselhart 332 Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz (GBA) 117f., 284, 286, 3 l 4 f „ 337, 364, 387 - Dienststelle Italien 48f., 253-255, 385, 387 Generalbevollmächtiger für die Regelung der Bauwirtschaft (GB-Bau) 255,315, 386 Generalbevollmächtigter für Sonderfragen der chemischen Erzeugung (GB-Chem) 306, 313f., 317, 336 Generalinspektor ftir das Straßenwesen 301,303,310 Generalinspektor für die Reichshauptstadt (G. Β. I.) 197,306 Generalsekretariat für die Italiener im Ausland siehe Ministero degli AfFari Esteri Gentile, Giovanni 113 Geom. Luigi Ravera, Alessandria 313 Geom. Pompeo Cionfrini, Mailand 313 Gerardi, Giuseppe 112 Gerbasi, Francesco 344 Gervasi, Cleto 207 Gesellschaft Kleidungsstücke Fiordelisi 66 Getto siehe Ing. Alfredo Getto, Padova Ghidoni, Primo 211, 217f. Giacomoni, Mario 190f., 200f. Giannini, Amedeo 287, 3l6f., 321, 323, 332f„ 336, 338, 341, 363, 374, 377 Gibeiii, Antonio 46f„ 117, 147f., 240 Ginetto, Arturo 181 Giordani, Antonio 87 Giovannetti 20 Giovanni Baj, Genua 313 Giovanni Beotti, Cremona 313 Giovanni Bianco, Turin 313 Giovanni Epifani & Co., Rom 131, 181 Giribaldi, Antonio 327 Giulio Ceruti, Cremona 313 Giuseppe Bassotto, Biella 313
401 Gobbato, Ugo 152 Görduf-Werke, Linz 235f. Göring, Hermann 321 Gramsci, Antonio 35 Grandi, Guido 111, 124f„ 140, 227, 231, 233 Grassi, Guido 99 Grennecke siehe Anton Grennecke (Firma) Grisa, Angelo 206 Gross (Professor) 127 Grossi, Francesco 343 Gruppo italiano (Gruppe Italien auch Vereinigung Deutschland/Gruppe Deutschland) 174, 192 Guariglia, Raffaele 45f. Guarnieri, Emilia 211 Gugole, Luciano 100, 102, 108, 111, 233 Guidubaldi, Ernesto 206f. Habel-Werke, Brandenburg 193 Häßler (Delegierter des RAAA) 302 Hagenuk, Kiel 349 Hamborner Bergwerks-AG 113 Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts 13, 36 Hansa-Motorenwerke, Hamburg 349 Hapag (Hamburg-Amerika-Linie) 22 Harmon, Bob 21 Harney 21, 24 Harpe, Paul 300, 302 Harpener Bergbau AG, Dortmund 327 - Zeche Carl Funke 327, 330f. — Zeche ver. Pörtingssiepen 327, 330f. Heinkel-Werke AG, Germendorf und Rostock 104, 139, 144 Henri Buzzer, Berlin 97 Henschel & Sohn GmbH, Kassel 348f. Hensel siehe Max Hensel, Wittenau Herbert, Ulrich 257, 348, 354 Hermann-Göring-Werke siehe Reichswerke „Hermann Göring" Hetzeil (RArbM) 302 Hildebrand, Friedrich 385 Himmler, Heinrich 171, 390 Hitler, Adolf 52f„ 64, 82, 84, 93, 128f„ 135, 199, 213, 222, 226, 228, 231,
402 239f., 254, 323, 340, 344, 346, 348, 356, 377f., 386-389 Hitlerjugend 232 Hitthaller (Firma) 178 Hoerder, Dirk 29 Hohes Kommissariat für die Emigration
26 Hotel and Restaurant Employees and Bartender International Union (KellnerGewerkschaft) 25 Hotel Europa 194 Hugo-Schneider-Werke, Leipzig 235 Hummel (PK-NSDAP) 306 Huta Hoch- und Tiefbau AG, Breslau 177 Hutfabrik G. Panizza & Co., Ghiffa 158 Iaconisi, Pasquale 174 I. G. Farbenindustrie AG 174f„ 185, 234, 245, 255,299, 306,312 - in Monowitz (Auschwitz III) 175, 312f. - Lager Auschwitz 161, 180 - Lager Heydebreck 178 Ilces (Firma) 196 Ilva-Werke, Bolzaneto 150 Impresa Anonima Edile Stradale, Rom 313 Impresa Bernero & Traversa, Genua 313 Impresa Bertolotti & Malinverni, Rom 176-178, 313 Impresa Cossutti & Patetta, Mailand 313 Impresa ICES, Rom 313 Impresa Jonghi & Lavarini, Mailand 313 Impresa Merendi & Mariani, Mailand 313 Imprese Riunite, Mailand 313 Industrial Workers of the World (I.W.W.) 20, 36 Industrie- und Handelskammer von Freiburg im Breisgau 303 Industrie- und Handwerkerkonsortium der Stadt Ancona 66 Industriearbeiter-Krankenkasse 103 Industriearbeiterkonföderarion, -union siehe Confederazione Fascista Lavoratori dell'Industria Ing. Alfredo Getto, Padova 313 Ing. Alfredo Pagani, Rom 313
Personen- und
Sachregister
Ing. Antonio Marchioro, Mailand 313 Ing. Benazzo, Rom 313 Ing. Carlo Rinaldi, Turin 313 Ing. Giovanni Bay, Genua 183 Ing. Giovanni Dotti, Rom 176-178, 313 Ing. Luigi Cidonio, Rom 175f., 313 Ing. Mario Colombo (Firma) 178,313 Ing. Oreste Caldera, Turin 313 Ing. Pacifico Conti, Rom 178,313 Ing. Renato Nardini, Rom 313 Ing. Rodolfo Stoelcker, Rom 313 Ing. Romualdo Palermo, Rom 161,313 Ing. Ugo Martini, Rom 180,313 Ing. Umberto Vesuvio, Rom 178, 313 Inglima, Giovanni 110 Innenministerium siehe Ministero dell'Interno Internationale Brigaden (in Frankreich) 52 Internationale Transportarbeiter-Föderation, Amsterdam 271 Internationales Rotes Kreuz 227 Isetta, Luigi 219f. Ispettorato Corporativo (Korporationsinspektorat) 146, 151f., 158, 189, 367-369 Istituto de Martino 35 Istituto Nazionale per i Cambi con l'Estero (INCE) 120 Italienische Botschaft in Berlin siehe Ambasciata di Berlino Italienische Delegation für die Rückkehr und Unterstützung der Italiener in Frankreich siehe Königlich-Italienische Delegation für die Heimkehr und die Unterstützung der italienischen Emigranten in Frankreich Italienische Geheimpolizei siehe OVRA Italienische Gesellschaft für statistische Demographie 44 Italienische Metallgestein-Werke 158 Italienische Staatspolizei siehe Polizia di Stato Italienisches Generalkonsulat Berlin siehe Königlich-Italienisches Generalkonsulat Berlin Italienisches Konsulat siehe KöniglichItalienisches Konsulat
Personen- und Sachregister Italienisches Schatzamt 120 Italienisches Verbindungsbüro zur deutschen Polizei 170 Jannarelli, Aurelio 343 Junker, Werner 332 Käuffer u. Co, Mainz 351 Kaltemberg, Berlin 100 Kaltenbach und Söhne AG 126, 159, 238 Kappler, Herbert 58, 358 Karth, Frankfurt am Main siehe Christian Karth, Frankfurt am Main Kendha (Wachmann) 143 Kirn (Repräsentant der DAF) 323 Kleber, Lorenz 117 Klinkhammer, Lutz 242 Kommissariat für Migration und Kolonisation siehe Ministero delle Corporazioni Kommunistische Partei Italiens siehe Partito Comunista Italiano Kompensationskasse siehe Banca d'Italia Konföderation siehe Confederazione Fascista Lavoratori dell'Industria Kongregation des Heiligen Stuhls fiir Emigration 85 Königlich-Italienische Botschaft in Berlin siehe Ambasciata di Berlino Königlich-Italienische Delegation für die Heimkehr und die Unterstützung der italienischen Emigranten in Frankreich {auch Kgl. Repatriierungsdelegationen) 57f, 60, 62, 364f. Königlich-Italienische Konsulatsbehörden 60, 76, 244, 249, 351, 354f., 364-366 Königlich-Italienisches Generalkonsulat in Breslau 8 0 , 8 3 — in Frankfurt am Main 60, 207, 222, 366 — in Innsbruck 172 — in Köln 132,213 — in Leipzig 144 — in Marseille 364 — in Metz 53 — in Toulon 364 — Saarbrücken 69
403 Königliche Carabinieri 165—167, 170, 174, 238 - Verona 103 Königliche Repatriierungsdelegationen siehe Königlich-Italienische Delegation fur die Heimkehr und die Unterstützung der italienischen Emigranten in Frankreich Königliches Außenministerium siehe Ministero degli Affari Esteri Königliches Innenministerium siehe Ministero dell'Interno Königliches Korporationsministerium siehe Ministero delle Corporazioni Königliches Polizeipräsidium Rovereto 69 Königliches Verkehrsministerium siehe Ministero delle Comunicazioni Koenning, Erich 384 Körner, Paul 389 Korporationsinspektorat siehe Ispettorato Corpora tivo Korporationsministerium siehe Ministero delle Corporazioni Krauch, Carl 306,311 Kreditinstitut für die italienische Arbeit im Ausland 27 Kriegsmarinewerft Dietrichsdorf, Kiel 353 Kriegsministerium siehe Ministero della Guerra Kriegsrüstungsamt siehe Ministero della Guerra Krupp-Werke siehe Friedrich Krupp AG, Essen La Rosa, Domenico 114 La Sorsas, Giovanni 44 Labriola, Antonio 181 Laeis-Werke AG, Trier 196 Lager Adlershof, Berlin 205 Lager Auschwitz siehe I. G. Farbenindustrie AG Lager Babelsberg b. Potsdam siehe Arado Flugzeugwerke GmbH Lager Biesdorf, Berlin 112 Lager Blechhammer siehe Oberschlesische Hydrierwerke Lager Brandenburg 111, 226-228
404 Lager Bremen 309 Lager Britz, Berlin 142 Lager Brüx 196, 209 Lager des Heeresbekleidungsamts Berlin 112 Lager Flötzerweg b. Linz 144 Lager Germendorf 111 Lager Hechtgraben siehe Oberschlesische Hydrierwerke Lager Heydebreck siehe I. G. Farbenindustrie AG Lager in Oberschlesien 178 Lager Oranienburg 224 Lager Lippendorf 108 Lager Rheinbach 309 Lager Rudow b. Berlin 143 Lager Salzhof 107 Lager Sankt Valentin siehe Sankt-ValentinLager, Linz Lager Watenstedt 163 Lai, Vincenzo 276, 280 Lamberto De Cadilhac, Rom 313 Landesarbeitsamt (LAA) 279, 297, 334 Landi, Francesco 127,185 Landi, Giuseppe 49 Landsberg, Alfredo 156 Lanfranconi, Stefano 112 Langensiepen (Lagerfiihrer) 142 Langer, Franz 321 Lanza, Michele 341, 373, 376, 391 Lausmann (Arbeitsamt Dortmund) 329 Laval, Pierre 59 Lazzaroni, Dante 211 Leonarduzzi, Francesco 177 Leone, Pasquale 186 Lepri, Giuseppe 168 Leto, Guido 171,357 Letsch, Walter 329 Leunawerke, Merseburg 106, 173, 239 Levi, Primo 312 Ley, Robert 63, 96, 222, 226, 255, 299, 301 f., 354 Libensi & Buchi, Rom 66 Licorne (Fabrik) 55 Linder, Friedrich Wilhelm 222 Liperini, Lina 91 Liperini, Renato 91
Personen- und Sachregister Lombrassa, Giuseppe 188, 336, 351, 354, 356, 388 Longo, Antonio 2 5 , 1 8 5 Longo, Luigi 25 Lotto, Bernardo 239 Luchin, Maria Rosa 245, 252 Luciani, Argillano 108 Ludwig Gallup, Berlin (Firma) 181 Luftwaffenministerium siehe Ministero dell'Aviazione Luther, Martin 356 Mackensen, Hans Georg von 253, 256, 278f., 287, 341 f., 344, 356, 374, 387f. Mafia 20f. Maggi, Luigi 113 Magistrat! (ital. Geschäftsträger in Berlin) 324 Mahle, Stuttgart (Firma) 204 Mancini, Nicola 113 Manini 104 Mantelli, Brunello 15, 29, 49, 148, 156, 192 Mantileo, Genua (Firma) 183 Manufaktur Marzotto, Valdagno 243 Marchais, George 56 Marchioro siehe Ing. Antonio Marchioro, Mailand Marciani, Giovanni 344 Marenzi, Crusinallo (Firma) 104 Marmai, Armando 114 Marson, Angelo 109 Martini siehe Ing. Ugo Martini, Rom Marzotto siehe Manufaktur Marzotto, Valdagno Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG (MAN) 369 Maschinenfabrik Serafin, O m e g n a 99 Massimino, Rosario 343 Massirani, Μο5έ 107 Mastrangolo, Paolo 186 Mathon (Beauftragter des RMI) 62 Mattozzi, Bruno 65 Mattozzi, Mauro, 135, 186, 243 Max Hensel, Wittenau 206 Mayer (Lagerführer) 129
Personen- und Sachregister Mazzalai, Luigi 178 Mazzoccato, Mario 106 Mazzuccato, Angclo 107 Mecenero, Ancilla 244 Mcccncro, Matilde 243f. Mechanikwerk Baldi und Matteuzzi, Bologna 156, 368 Mechanische Fabriken Giuseppe Carenzi, Piacenza 156, 368f. Mela, Luigi 182 Melchiorri (Milizgeneral) 302 Menotti, Ciro 219 Meola, Francesco 108 Merican, Pepi 28 Messerschmitt-Werke AG, Regensburg 86, 154,350 MFM, Lübeck 349 Micangeli siehe Ercole Micangeli, Foggia Miglio, Ferndinando 159 Mignemi, Adolfo 245 Milch, Erhard 389 Militärbefehlshaber in Frankreich 366 Milizia volontaria per la sicurezza nazionale (MVSN) 302 Millonico, Matteo 185 Minell, Aurelio 114 Mingucci 209 Ministero degli Affari Esteri (MAE Außenministerium) 45, 49, 58f., 75, 255, 259f., 268, 277f., 284, 303-305, 307f., 319f., 325, 328, 338, 340, 344, 355-358, 363, 366, 384, 388 — Direzione Generale Italiani all'Estero (DIE — Generalsekretariat für die Italiener im Ausland) 26, 259f., 344, 364 Ministero deH'Agricoltura (MA — Landwirtschaftsministerium) 259f. Ministero dell'Aviazione (Luftfahrtministerium) 153 Ministero dell'Industria, Commercio e Lavoro (MICL — Ministerium für Industrie, Handel und Arbeit) 339 Ministero dell'Interno (MI — Innenministerium) 148, 170, 172, 259f., 335 Ministero della Guerra (MG — Kriegsministerium) 146, 151, 154, 305, 368
405 -
Sottosegretariato di Stato per le Fabbricazioni di Guerra (Fabbriguerra — Commissariato Generale Fabbricazioni di Guerra) 188, 308, 320, 333, 336, 341, 344 Ministero della Produzione Bellica (MPB — Ministerium für Kriegsproduktion/ Rüstungsministerium) 368, 389 Ministero delle Comunicazioni (Mcom — Königliches Verkehrsministerium) 319f., 338f. Ministero delle Corporazioni (MCor — Korporationsministerium) 121, 137, 146, 148, 158f., 166, 189, 219, 260, 305, 321f„ 325, 336, 338, 341, 344, 367,387 - Abteilung Auslandsmigration 210 - Commissariato per la Colonizzazione e le Migrazioni Interne (CCoMIn — Kommissariat für Migration und Kolonisation) 166, 171, 219, 225, 260f„ 308, 315, 323, 336, 344, 351,354, 356 Ministero per l'Assistenza Postbellica (Ministerium für Nachkriegsfürsorge) 278 Ministero per gli Scambi und per le Valute (MSV) 277, 300, 381 Mira, Andrea 111 Mitteldeutsche Motorenwerke, Leipzig 143 Mökl 205 Mommsen, Hans 255 Monaco, Sabato 107 Monferrini, Novara (Firma) 245 Monier, Enrico 105 Montagnana, Mario 52 Montaldi, Danilo 32-36 Montecatini-Werke, Rovereto 147 Morelli, Giorgio 115 Moriconi, Gino 208 Morini, Bologna (Firma) 156, 368 Moscatelli, Cino 25, 160 Moschitto, Fortunato 178 Mottura, Giovanni 35 Müller, Heinrich 171, 357 Musso, Cronilde 179 Mussolini, Benito 18f., 27f., 30, 39-42, 52, 64, 67, 89, 93, 97f., 128f., 172, 180,
406
Personen- und Sachregister
184, 207, 210, 226, 233f., 236f„ 272, 288, 323, 332, 334, 344, 354, 373, 377f., 3 8 8 - 3 9 0 Nardini siehe Ing. Renato Nardini, Rom Nardo, Angelo 113 Nationalbibliothek in Rom 264 Nationales Arbeitsamt (ital.) 39 Nationales Befreiungskomitee für Reggio Emilia 87 Nationalkomitee „Freies Deutschland" (NKFD) 199 Negarville, Celeste 25 Negri, Antonio 35 Nobile, Annunziata 50 Noce, Teresa 25 Norddeutscher Lloyd 22 Nunziatura Apostolica (Vertretung des Heiligen Stuhls im Ausland) 225 Oberkommando der Kriegsmarine (OKM) 347 Oberkommando der Wehrmacht (OKW) 3 3 3 , 3 4 7 , 391 Oberschlesische Hydrierwerke 174, 185, 255,313,316 — Lager Hechtgraben 185 - Lager Blechhammer 185 Officine Meccaniche (Ο. M.-Werke), Brescia 155f. Oioli, Sempionino 176 Oldani, Mario 110 Opel-Werk, Brandenburg 232 Opera Nazionale Combattenti (Frontkämpferverband) 42 Organisation Todt 56f., 62, 95, 98, 240-242 Orlandelli, Luciano 186 Ortoleva, Peppino 29, 36 Ottaviano, Chiara 29 OVRA (Organizzazione per la Vigilanza e la Repressione deH'Antifascismo) 47f., 58, 69, 71, 75, 86, 149, 158, 162, 164, 180, 282,357 Paci, Massimo
35
Pagani siehe Ing. Alfredo Pagani, Rom Pajetta (Gebrüder) 25 Palcich, Antonio 220 Palermo siehe Ing. Romualdo Palermo, Rom Pallucci, Teodora 115 Panzieri, Raniero 35f. Papierfabrik Burgo 190 Papparella, Michele 178 Paratore, Giuseppe 39 Patente, Alfonso 186 Parigino, Matteo Rocco 186 Parlato, Giuseppe 315 Parodi siehe Riccardo Parodi, Genua Parodi, Secondo 182 Partito Comunista Italiano (Kommunistische Partei Italiens) 25, 33, 44f. Partito Nazionale Fascista (PNF — Faschistische Partei) 104, 150, 194, 204, 220, 227, 2 6 1 , 2 8 8 , 364, 373 Partito Socialista Italiano (PSI — Sozialistische Partei Italiens) 24f., 313f. Passerini, Luisa 35 Pastori, Umberto 208 Pastorini, Silvia 73, 78, 87 Pavia, Annunziato 174 Pazzani (italienischer Vertrauensmann) 209 Pechstein-Steinwerke, Glennhammer 72, 123 Penter, Karl 207 Perani, Erasmo 343 Perenzin, Gino 130, 239 Perrier, Camillo Nedey 343 Pesante, Agostino 181, 183 Pfeiffer (Botschaftsbeamter) 321 f. Piatti, Bernardo 110 Piazzoli, Bruno 113 Piemont- Maschinenfabrik, Omegna 100, 105 Piemontesische Eisenwerke siehe Officine Meccaniche Piemontesi Piglione siehe Edoardo Piglione, Turin Pipolo, Umberto 196 Pirelli, Alberto 354 Pirelli, Giovanni 37, 224, 233, 354 Pirotecnico R. E. (Firma) 235
Personen- und
Sachregister
Pizzetti, Dino 100, 102, 104, 126, 159, 238,243 Pleiger, Paul 334, 337f. Plessen, von (Botschaftsbeamter) 321 Poffa, Carlo 211 Poggi, Mario 344 Poggiali, Ciro 48, 74 Poletti, Vittorio 159,174 Polizia di Stato 357f. — Ufficio Rapporti con la Germania 358 Polizia Politica (Politische Polizei) 130f., 169, 187-189, 202, 228, 239 Polizzetti, Ettore 111 Porteiii, Alessandro 36 Porteiii, Sandro 35 Pozzi (Arbeiter) 190 Presidenza del Consiglio dei Ministri (PCM) 260 Preti, Daniele 163,211 Preti, Orsolina 163 Provinzrat der Korporationen für die individuelle Zwangsverpflichtung 189 Pulverfabrik Deutsche Sprengchemie, Mark Oderberg, 137 Quästur Quästur Quästur Quästur
in Trient 69 von Cremona 335f., 338 von Potenza 332 von Rom 190
Racca, Valerio 122, 138f., 210 Ragionieri, Ernesto 52 Ramirez, Bruno 21, 24, 36 Rao, Antonio 111 Rappold (Ministerialbeamter des RWM) 302 Razza, Giovanni 109 Recina, Nicola 211 Reichsamt für Wirtschaftsausbau 317 Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (RAAA) 260f„ 264, 267f., 272f. , 302, 304, 308 Reichsarbeitsministerium (RArbM) 117f., 121, 237, 260f„ 273, 276, 278, 280, 283, 302, 304f„ 307f., 311, 325, 329, 331, 336, 346f„ 348, 350f., 363f., 386f.
407 — Arbeitseinsatzstelle 336 Reichsbahn 353, 386 Reichsfinanzministerium (RFM) 273, 384 Reichskommissar für die Preisbildung 315 Reichsluftfahrtministerium (RLM) 336, 346f. Reichsministerium des Innern (RMI) 273 Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft (RMEL) 273, 276, 278, 386 Reichsministerium für Rüstungs- und Kriegsproduktion (RMRuK) 297 — Zentrale Planung 385 Reichsnährstand (RNS) 255, 260, 264, 272, 276, 283 Reichspost 113 Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung (RSDB) 261,264 Reichstreuhänder der Arbeit 271,353 Reichsvereinigung Kohle (RVK) 334, 336f. Reichsverkehrsministerium 334 Reichswerke „Hermann Göring" (HGW — auch Hermann-Göring-Werke) 89, 144, 169, 194, 255, 299, 309, 312, 314, 353,387 Reichswirtschaftsministerium (RWM) 117f., 163, 276, 278, 300, 302, 315, 329, 334f., 376 — Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern 303 Rella (Lagerführer in Hannover) 221 Resina (Arbeiter) 199 Resistenza-Institut Macerata 245 Ribbentrop, Joachim von 47, 89, 139, 14lf„ 144, 222, 226, 317, 324, 334, 340, 354-356f„ 375 Riccardo Parodi, Genua 183, 313 Ricci, Eligio Remo 92, 100, 124, 227, 230,233 Ricciardi, Adelchi 383 Rieser, Vittorio 35 Rinaldi (Stellvertretender Kommissar) 184 Rinaldi siehe Ing. Carlo Rinaldi, Turin Rino, Nicola 248, 250 Ritter, Karl 320
408 Riva, Mario 211 Roberto, Vincenzo 186 Rödiger, Gustav 260, 264, 304 Rollo, Angelo 112 Roman, Francesco 177 Romboli, Torino 175 Romgnoli siehe Enrico Romgnoli, Mailand Rosa, Alberto Asor 35 Rosenberg, Alfred 127 Rossi, Aleardo 110 Rossi, Enzo 247 Rossi, Ermengildo 310 Rossi, Giovanni 34 Rossi, Leonardo 73, 7 7 Rossi, Vincenzo 185 Rossin, Giuseppe 190, 200f. Rosso, Costantino 177 Roth, Karl Heinz 15, 140, 198 Ruggeri, Bernardino 50, 102, 110, 126, 1 2 8 , 1 5 9 , 231 Ruspo, Renato 104 Rüstungsinspektionen (Rü-In) 348 - H a m b u r g (Rü-Insp X) 349 - Kassel (Rü-Insp IX) 3 4 9 , 3 5 1 - Münster 353 - Nürnberg (Rü-Insp XIII) 349 - Stuttgart (Rü-Insp V) 350 - Wien 351 - Wiesbaden 352 Rüstungsministerium siehe Ministero della Produzione Bellica Rust (DAF-Repräsentant in Italien) 321 f. Saargruben AG (Bergwerk Saargrüber) 201 SABIEM 368 Sacconi, Nicola 186 Sägewerk von Fulzen de Zordo 181 Sagen siehe Wilhelm Sagen (Firma) Sala, Ferriano 235 Salattini, Ernesto 235 Sankt Valentin, Linz (Fabrik) 86 Sankt-Valentin-Lager, Linz 78, 87 Santhiä, Battista 25 Sarotti, Domenica 73f. Sassi, Giuseppe 176
Personen- und Sachregister Sauckel, Fritz 48, 242, 253f., 286f„ 314, 3 8 5 , 3 8 7 , 389 Scarfoglio, Paolo 66 Schmelzer, Janis 173 Schröder, Josef 376 Schuhfabrik Romika, Gusterath-Tal 196 Schwarzhemd (Mitglied der ital. Parteimiliz) 65, 181 Secchia, Pietro 25 Seeber, Eva 173 Segarelli, Ottorino 112 Senise, Carmine 190, 313 Serrati, Giacinto Menotti 20 Siciliani (Lagerführer) 208 Siegfried, Klaus-Jörg 301 Siemens Bauunion 96 Siemens, Berlin 96 Siemens-Kraftwerk, Rohr 234 Siemens-Schuckert-Werke AG 234 Silvretta-Werk, Flecken Dorf 178 SIRMA-Werke (Klingenfabrikation), Parma 156,368 Sisma-Werke 105 Slanzi-Werk, Reggio Emilia 156, 368 Socialist Labor Party 20 Socialist Party of America 20 Societä Annonima Officine di Fori! 368 Societä Comense, C o m o 313 Sondergericht Essen 132 Soragva, Villach (Firma) 178 Sori, Ercole 21 f. Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 271 Sozialistische Partei siehe Partito Socialista Italiano Spakler (Botschaftsattache) 325, 388 Speer, Albert 199,389 Spinaci siehe Edoardo Spinaci, Rom Spohn siehe Gebr. Spohn G.m.b.H., Neckarsulm Sprachkommissionen (der Einheitsgewerkschaft) 52 Spreng (Regierungsrat, Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung) 264 Squadre d'azione (faschistische Aktionsgruppen) 302
Personen- und Sachregister SS (Schutzstaffel der NSDAP) 87, 95, 126, 199f., 239, 271,358, 390 Staatsarchiv Bologna siehe Archivio di Stato di Bologna Staatsarchiv in Rom siehe Archivio Centrale dello Stato, Rom Stahl, Berlin-Neukölln 112 Stahlwerke in Salzgitter siehe Reichswerke „Hermann Göring" Stalin, J. W. 52 Starace, Achille 85f. Steengracht Moyland, Gustav Adolf von 389 Stickstoff-Fabrik, Lützkendorf 234 Stoelcker siehe Ing. Rodolfo Stoelcker, Rom Stoffens, Joachim 315 Straßenbaufirma Vittorio Marchioro 177 Streicher, Julius 63 Sturna, Luigi 109 Suardi, Gianni 343 Sudetenland-Treibstoff-Werke-AG, Brüx 311 Süßkind-Schwendi, Alexander Freiherr von 374 Syrup, Friedrich 267, 273f., 304, 308 Tadini, Ernesto 230 Taffarel, Antonio 113 Tattara, Giuseppe 381 Tedesco, Giusto 220 Tedoldi, Arturo 211 Teolin, Pietro 132 Thierack, Otto Georg 221 Thoerl's Vereinigte Harburger ÖlfabrikenAG 157 Thomas, Georg 329 Timm, Max 280 Tiniccolo (Lagervertrauensmann) 143 Todt, Fritz 301 Toffoli, Giovanni 235 Togliatti, Palmiro 25 Tonolli, Selvino 92 Totti, Giovanni 113 Tranfaglia, Nicola 354 Travaini, Marco 211, 213, 215, 224 Tresca, Carlo 20
409 Trevisani, Riccardo 209 Tronti, Mario 35 Truffo, Perino 197 Turcato, Celestino 358 Ufa-Film-Studios, Babelsberg 193 Ufficio Propaganda siehe Confederazione Fascista Lavoratori dell'Agricoltura Ufficio Rapporti con la Germania siehe Italienische Staatspolizei Ufficio Sindacale Italiano di Collegamento con la DAF (USI) 287, 309, 315, 351 Unione Popolare Italiana (auch Union,) 52, 64f., 301 Unione Provinciale di Treviso 301 Universität Bochum 255 Universität Kiel 287 Universität Rom 315 Universität Udine 381 Universität von Bologna 36 Universität von Minnesota 19 Universität von Montreal 21 Valente, Rinaldo 99, 138, 156 Vecchia, Gennaro 109 Vecoli, Rudolph 19f. Vereinigte Elektrotechnische Werke siehe Fabbriche Elettrotecniche Riunite Vereinigte Leichtmetall-Werke 351 Vermicelli, Gino 55f., 58 Veronesi (Pumpen und Kompressoren) 369 Veronesi, Modesto 206 Vesuvio siehe Ing. Umberto Vesuvio, Rom Vignarelli, Attilio 104 Visen tin, Federico 108 Vogtländische Metallwerke, Plauen 99, 138 Volkswagenwerk GmbH, Fallersleben 78f., 89-91, 95f., 205, 255, 299, 301, 305 - Lager 93 Walter, Paul 321-323 Wanderer Werke AG, Siegmar-Schönau 92 Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt beim OKW (Wi-Rü Amt) 329
410 Weißer Bund (ital. Arbeiterbewegung) 78 Weizsäcker, Ernst Freiherr von 334, 355 Wende, Alexander 260, 302 Wiehl, Emil 385f. Wiesemann, Falk 268 Wilhelm Sagen (Firma) 175 Wirtschaftsgruppe Bauindustrie 315 Wirtschaftsgruppe Bergbau 325, 330 — Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau Ruhr 325, 328f„ 3 3 0 - 3 3 2 Wollspinnerei Botto 190 Zanchetta, Antonio 106 Zani, Angelo 155 Zani, Giacomo 155 Zanini (Lagerleiter) 219 Zaretti, Giovanni 105 Zaurrini, Antonio 186 Zazl 166
Personen- und Sachregister Zazzi, Aldo 235 Zeche Carl Funke siehe Harpener Bergbau AG — Dorstfeld siehe Essener Steinkohlenbergwerke AG - Grillo siehe Essener Steinkohlenbergwerke AG - Grimberg siehe Essener Steinkohlenbergwerke AG - Monopol 331 — Oespel siehe Essener Steinkohlenbergwerke AG — Prinz Friedrich 331 Zementbrüche von Casale 335 Zentrale Planung siehe Reichsministerium für Rüstungs- und Kriegsproduktion Zentrales Staatsarchiv Rom siehe Archivio Centrale dello Stato, Rom Zunino, Mario 135, 161
Geographisches Register
Abbruzzcn 330 Abessinien 93 Adro 197 Afrika 17, 28, 358 Agrigent 106,110,330 Ägypten 25, 345 Albanien 27, 87, 97, 254, 345 Alessandria 63, 181, 299, 335, 339, 370 Alfeld 263 Algier 391 Alleghe 82 Alpes Maritimes 51 Amerika 20f„ 24, 67, 81 Ancona 107, 165, 167, 339, 371 Andria 114 Anhalt 288 Annona Veneto 109 Antibes 365 Aosta 339 Apiro 207 Apricena 186 Apuania (Massa Carrara) 324, 339 Apulien 42 Aquila 262, 265, 289, 339 Arezzo 195, 309, 339 Argentinien 38, 41 Arona 179,230 Artegna 192 Aschersleben 262 Ascoli Piceno 339 Asien 17 Asola 100 Assisi 2 0 8 , 2 3 7 , 3 1 7 Assuan 25
Asti 339 Äthiopien 42 Augusta 110 Auschwitz 175, 181, 297, 312f. Australien 18, 32 Avellino 109, 283 Babelsberg 100,231 Baden 53 Bagni 208 Balkan 38, 222, 345 Bardonecchia 64 Bari 68, 114, 262f„ 265, 275, 282, 289f. Barisardo 196 Baveno 176 Bayern 263, 267f., 271, 276, 286,289f., 316 Belgien 28, 38, 41, 50f., 53, 62, 95, 98, 105, 114f„ 226, 228, 234, 256, 312, 319, 321, 326, 329, 362, 364, 367 Belluno 72, 94, 96, 106, 123, 158, 176, 192, 262f., 265, 275, 290f„ 309, 339, 371 f. Benas 82 Benevent 109, 283 Bergamo 100, 110, 113, 262f„ 265, 275, 289-291, 301, 324f„ 339 Berlin 43, 50, 87f., 94, 97f., 109, 112, 115-117, 121, 123, 126, 132, 135, 170, 172, 185, 192, 196f„ 199, 213, 215, 221-223, 225, 231, 234, 236, 244, 261, 264, 273, 277, 283, 300, 307, 3 l 4 f „ 319f., 323, 328, 333f., 337, 346, 350f., 358, 363, 377, 386, 388f. Bernburg 262
412 Bevagna 168 Biandrate 74 Biccari 186 Biella 24f., 29 Bitterfeld 178f. Blankenburg 263 Blechhammer 175, 181, 183, 191, 312f. Bligny 45 Boara Pisani 245 Bochum 315 Böhmen und Mähren 85, 254 Bologna 50, 102, 235, 239, 262f„ 265, 274f„ 278, 288-291, 301, 339, 369 Borgolavezzaro 176 Borgomanero 102,157,241 Botticino a Sera 163 Bouches du Rhone 5 1 , 5 7 , 3 6 5 Bovino 186 Bozen 189, 262f., 265, 290f. Brandenburg 100, 135, 193, 267f., 276f„ 281,284, 286 Brasilien 28, 38, 41 Braunschweig 89, 107, 109, 263 Bremen 22, 72, 134f„ 160, 163, 187, 243, 309,315, 349, 353 Brenner 97, 114, 147, 172f„ 178, 185f., 197, 216, 220, 223, 235, 246, 252, 325, 358, 377 Brescia 71, 155, 163, 193f., 211, 215, 217, 219, 237, 250, 262f„ 265, 275, 289f., 292, 339, 370, 372 Breslau 79, 83f., 192, 244 Bretagne 56 Brindisi 391 Brioni (Istrien) 314 Brolo di Nonio 100 Bruchsal 263 Brüssel 364 Brüx 221 Bulgarien 87, 286 Cadebosco Sopra 77 Cadebosco Sotto 73 Cadore 68, 82, 176 Caerano San Marco 106 Calascibetta 107
Geographisches Calolzio Corte 207 Caltanisetta 180 Cameri 104 Campobasso 339 Canicatti 110 Cannes 365f. Capolona 195 Capparo 193 Cappelle sul Tavo 113 Capri 123 Carpi 72,88f. Casagiove 115 Casale Cortecerro 99 Casalnuovo Montegiovanni 185 Caserta 115 Casina 232 Casorate Sempione 110 Castel del Guido 137, 173, 197 Castel Raimondo 207 Castelfranco Veneto 301 Castellaneta 113 Castelnuovo Scrivia 181 Castiglione del Lago 114 Catania 164, 309, 330 Catanzaro 92, 204, 330 Cattolica 209 Cavarzano 106 Cavedago 114 Cavoretto 197 Cavriago 78 Celle 263 Celle-Uelzen 289 Cenadi 92 Centocelle 186 Cercola 122 Cerreto d'Esi 107, 165 Cesena 177 Cesio 115 Chambdry 366 Chemnitz 92 Chicago 20 Chieti 113,330,339 Chioggia 109 Cibiana 82 Cicero (Chicago) 21 Cireggio 55
Register
Geographisches Register Ci vi tan ova Marche 158 Como 112f„ 209, 339 Conegliano 301 Copertino 174 Cortona 195 Cosel 182 Cosenza 132, 170, 195, 330 Crcmona 33, 112, 262f„ 265, 275, 289, 292, 309, 339 Crotonc 205 Crusinallo b. Omegna 99, 230 Cugnoli 178 Cuneo 339, 369 Dänemark 312 Darmstadt 263 Domegge 176 Donada 176 Donauwörth 263 Dornach (Linz) 167, 169 Dortmund 163, 331 Dresden 92, 138, 202, 350 Duisburg 163, 203f., 315, 330 Düsseldorf 163,192,315 Echenford 210 Eisleben 262 Elsaß 53, 55, 230 Elsaß-Lothringen 54, 62, 256 Emden 315 Emilia 37f., 68, 79, 86, 255f. Emilia-Romagna 41, 367, 369 Enemonzo 114 England 130 Enna 107 Enna-Caltanissetta 330 Erfurt 262 Eritrea 42 Essen 97f., 163-165, 230, 315, 330f. Esslingen 263 Europa 14, 17-19, 22, 37, 39, 41, 305, 317, 323, 363 Falconara 166 Fallersleben 65, 78f„ 90, 92-94, 255, 297, 299, 301, 305f., 321f„ 361
413 Fano 129 Fardella 109 Feriolo 159 Ferrara 44, 260, 262, 265, 275, 288, 292, 330, 339 Fiorano Modenese 197 Fiumana 175 Fiume 189 Florenz 63, 162, 194, 299, 339 Flözerweg b. Linz 222 Foggia 185,330 Folgaria 69, Fondi 116,178 Fontaniva 358 Forio d'Ischia 122 Fori! 96, 109, 175, 177, 209, 262f„ 265, 275, 288-290, 292, 339 Forno 112 Francavilla 178 Franken 63 Frankfurt am Main 163, 192, 195f., 263 Frankreich 24-28, 37-39, 41, 44f„ 50-62, 81, 84, 104f., 130, 196, 206f„ 226, 228, 230, 234, 251, 256, 258, 307, 309, 319f., 326, 351 f., 362, 364f„ 367 Freiburg i. Br. 63, 299 Friaul 26, 50, 68, 96, 226, 256 Frosinone 197,283,339 Fucecchio 194 Gaiba 208 Galeata 109 Galliate 177f., 241 Gardelletta 50 Gelsenkirchen 163, 315 Genesio Formolo 193 Genova-Sestri Ponente 150 Genua 25, 64, 130, 150f., 161, 181, 211, 240f., 339, 369, 373 Gepito 185 Germendorf 104 Gers 39, 51 Gironde 39 Glennhammer 72 Gmünd 263 Göppingen 263
414
Geographisches Register
Görz 108, 132, 195, 265, 275, 292, 339 Goslar 2 6 3 , 2 8 9 Göttingen 263 Gozzano 190f., 200 Gran Sasso 217 Grenoble 366 Griechenland 87, 130, 307, 345 Grignasco 100f., 245 Grosseto 103, 196, 340 Groß-Rosen 200 Gualdo Tadini 208 Gusterath-Tal b. Trier 196
Karlsruhe 163, 263, 276 Kärnten 26, 173 Karteuren 167 Kassel 122,197,311,350 Kattowitz 185 Kempten 263f. Kiel 349, 352f. Kilberg b. Innsbruck 106 Klein-Rosen 200 Köln 163, 175, 192, 209, 215, 315 Königsberg 114 Kroatien 286
Hagen 97 Halberstadt 194, 262, 288 Halle 199, 239, 262, 288 Hamburg 22, 114, 163, 309, 315, 349 Hämerten 358 Hanau 263 Hannover 70, 73, 194, 208, 228, 244, 263, 276, 279, 289 Haute Garonne 51 Heidelberg 194, 263 Heidenheim 263 Heilbronn 263 Helmstedt 263 Hessen 78, 263, 267f., 276f., 281, 284, 286, 289f. Hessen-Nassau 222 Heydebreck 175, 178-181, 183, 191, 312f. Hildesheim 263, 289 Hisberg 84 Holland 226, 312, 329 Holzkirchen 263f.
L'Aquila 208, 221, 263, 290, 330 La Spezia 370 Landes 39 Landsberg 192,244 Lateinamerika 17,38 Latina 116, 178 Lavello 181 Lawrence 20 Lecce 85f., 107, 112, 174, 282, 309 Leipzig 110,235 Leoben (Steiermark) 178 Lesina 186 Libyen 28, 41 f., 130, 345 Ligurien 2 3 , 4 1 Lindenburg 197 Linz 86, 89, 161, 178, 222, 235, 246, 247, 307, 310 Littoria 178,340 Livorno 9 1 , 3 4 0 Lombardei 37, 41, 68, 79, 96, 164 London 213f. Lot-et-Garonne 3 9 , 5 1 Lothringen 39, 53-55, 335 Lübeck 315, 349 Lucca 340 Lüdenscheid 72 Ludwigsburg 263 Ludwigshafen 313 Lumellogno 176 Lüneburg 263 Luxemburg 38,51,53,226,256,319, 321,326, 362, 367 Lyon 365
Imperia 115,340 Ingolstadt 263 Innsbruck 69, l69f., 197, 216, 353 Intra Verbania l l l f . Is£re 51 Italienisch-Ostafrika Jugoslawien Kalabrien
51, 87 42, 330
42, 181
Geographisches Register Macerata 207, 262f„ 265, 289, 293, 340 Magdeburg 73, 89, 96, 262, 283, 288, 358 Mahndorf b. Halberstadt 74 Mailand 33, 65, 113, 132, 167, 175, 178, 206, 211, 217f., 221, 246, 249, 253, 312, 340, 370 Mainz 1 6 3 , 2 6 3 Mandello 112 Manhattan 29 Mannheim 134,161,263 Mantua 33, 100, 262f„ 265, 275, 278, 288, 293, 340 Marseille 364 Marken 160 Marzabotto 50 Matera 175,358 Mede 164 Mel 72, 123 Meran 130 Mergozza 100,243 Merna 132 Mesabi 20 Merseburg 239 Messina 111,330 Mestre 85 Metz 54, 196 Meurthe-et-Moselle 51 Mirandola 198 Mitteldeutschland 78, 259, 262-264, 267f., 270, 276f., 281, 283-285, 386 Mittelitalien 23, 37, 41, 74, 188, 283, 335, 376 Mittelmeerraum 340, 345, 349 Modena 96, 114, 197, 235, 262f„ 265, 275, 278, 283, 288, 290, 293, 340 Molinetto 211 Monte Fiorino 114 Montebelluna 301 Monza 211 Mormanno 195 Mosbach 263 Moselle 51 Mulhouse 55, 230 München 63, 192f„ 195, 225, 254, 276, 299,310,316,319
415 Naro 110 Neapel 44, 64, 109, 115, 121f„ 137, 160, 193 Neumünster 193, 349 New York 25 Niedersachsen 78, 169, 263, 267f., 276f„ 279, 281, 284f., 290, 315, 353 Niederschlesien 284 Nienburg 263 Niendorf b. Wolfenbüttel 77 Nizza 366 Nonio b. Omegna 2 3 1 , 2 3 3 Nordafrika 307 Nordamerika 18f., 24f„ 28 Norddeutschland 161, 169, 210, 353 Nordfrankreich 62, 256, 319, 321, 323, 329 Norditalien 23, 37, 40, 74, 188, 279, 323, 330, 335, 376 Nordmark 78, 267f., 315 Nordsee 96, 134 Northeim 263 Novara 24, 55, 63, 104f„ 112, 138, 140, 151, 158, 176f, 232, 240f„ 245, 252, 299, 339 Nuoro 196 Nürnberg 63, 169, 197, 299, 316, 350 Nuvolera 211 Oberetsch 259 Oberhausen 315 Oberitalien 85, 322 Oberösterreich 310 Oberschlesien 78, 178, 315, 335 Oderberg 137 Oderzo 106,301 Offenbach 263 Oleggio 241 Olfianellom 163 Omegna 92, 99f., 105, 139, 159, 227f., 230, 232f. Oppeln 232 Orbe lllf. Orta San Giulio 100 Oschersleben Bode 96f. Ostdeutschland 267
416 Österreich 37f. , 51, 87, 131, 178, 247, 253 Osteuropa 257 Ostpreußen 267f. Padua 44, 68, 71, 94, 107, 158, 262f„ 265, 278, 282f„ 288, 290, 293, 302, 339, 358, 371,373 Pagnacco 209 Pagano 165 Palermo 330 Palmi 174 Paluzza 178 Papanice 205 Paris 56, 62, 256, 366 Parma 131, 157, 262f„ 265, 275, 288-290, 294, 339 Paterson 20,24 Pavia 164, 339 Person 114 Perugia 1 1 4 , 1 6 7 , 3 3 9 Pescara 1 1 3 , 1 6 1 , 1 7 8 , 3 3 0 , 3 3 9 Pforzheim 263 Piacenza 262f., 265, 275, 289f., 294, 339 Piemont 24f„ 37, 41, 96 Pieve di Cadore 82 Pieve Vergonte 242 Pisa 339 Pisticci 137, 173, 175f., 358 Pistoia 207, 339 Plauen i. Sachsen 159, 174 Po-Ebene (-Ufer) 33, 68, 259 Pola 189 Polen 2 7 , 5 1 , 7 1 , 8 4 , 9 7 , 2 7 0 , 2 7 6 , 3 0 5 Pommern 78, 258, 267f., 276f„ 281, 284, 286 Ponte delle Alpi 94, 99, 187, 198 Ponte di Piave 111 Pontevico 194 Popoli 161 Pordenone 177 Porto Torres 108 Portogruaro b. Venedig 132 Potenza 181, 330 Potsdam 104 Praticello 73
Geographisches Prato Sesia Quedlinburg
Register
190 288
Ragogna 177 Ragusa 330 Ravenna 262f„ 266, 275, 288, 290, 294 Recoaro 243,245 Recklinghausen 143 Regensburg 113, 198 Reggio 191 Reggio Calabria 174, 330 Reggio Emilia 72, 77f., 85, 87, 187, 232, 262f„ 266, 275, 289f., 294, 302, 339 Regisfel b. Heydebreck 177 Reutlingen 263 Rheinland 63, 134, 161, 169, 315, 335, 353 Rhone (Lyon) 51 Richweiler b. Mulhouse 233 Ried 265f., 294, 339 Rimini 209 Ripacandida 181 Roccastrada 196 Rocchetta Sant'Antonio 185f. Rom 26, 58, 79, 87, 114, 121-124, 126, 131f., 180, 186, 213, 221, 225, 228f„ 232, 243, 253, 255, 264, 273, 280, 283, 300,302, 307-309, 312-314, 320, 322-324, 326, 328f., 333, 336, 338f., 342-344, 349, 363, 366, 374, 376, 378, 383, 388f., 391 Romagna 42, 68, 79 Romagnano Sesia 88, 190 Rontagnano 177 Rosen 200 Rostock 315 Rovello 113 Rovereto 69, 130, 136, 147, 157, 163, 229, 275, 370 Rovigo 83, 176, 208, 260, 262f„ 265f., 275, 283, 288, 295, 337, 339 Ruhrgebiet 38, 312, 319f., 322, 325f., 328f„ 332, 335, 389 Rumänien 87 Rußland siehe Sowjetunion
Geographisches Register Saarbrücken 54, 69, 135, 161, 235 Saargebiet (Saar) 54f., 335 Saarlautern 194 Sachsen 78, 258, 267f., 276, 284 Salerno 66 Salzburg 86, 350 Salzgitter 78f„ 169, 255, 299, 305f., 321f„ 361 San Biagio 207 San Cesario 112 San Giorgio su Legnano 211 San Giovanni Incarico 197 San Giovanni Rotondo 185f. San Maurizio d'Opaglio b. Borgomanero 102, 174 San Pellegrino 78, 87 San Pietro di Morubio 193 San Pietro Mosezzo 104 San Terenziano di Cavriago 78 San Vito Jonio 92 Sanguinetto 113 Sant'Antimo 160 Santa Maria Nuova 186 Sardinien 4 0 , 1 9 0 , 1 9 6 , 3 2 3 Sassari 108 Sassuolo 235 Savoie 51 Savona 110, 113, 203, 309, 339, 373 Schiavi d'Abruzzo 113 Schio 226 Schkopau b. Halle 106, 228, 239 Schlesien 78-80, 84f„ 87, 183, 267f., 272, 276f„ 279, 281, 285, 324, 335 Schweinfurt 263 Schweiz 28, 37, 41, l l l f . Seealpen 58 Seine 51 Seine-et-Oise 51 Senigallia 167 Sequals 177 Sernaglia 235 Serra San Bruno 204 Sesto Fiorentino 35 Sesto San Giovanni 211 Siena 339, 373 Silvi 176
417 Sizilien 40, 330, 390 Slowakei 286 Somalia 42 Sondrio 339 Sonnino 116 Sowjetunion (Rußland) 25, 72, 230, 346, 363 Spanien 27, 42, 93 Spezia 339 Sporminore 193 St. Nazaire 22 Steiermark 173,301 Stendal 88 Stenico 195 Steyr 310 Stuttgart 6 3 , 2 6 3 , 2 9 9 , 3 5 1 Südamerika 18-20,23,25,34,64 Sudetengebiet 221, 254, 316, 326, 335 Süditalien 40, 42, 283, 310, 357, 390 Südtirol 50,260 Südwestdeutschland 78, 263, 267-269, 276f„ 281, 286, 289f. Suna di Verbania 242 Suzzara 133 Syrakus 110,330 Taino 194 Taipana 109 Taneto di Gattatico 73 Taranto 113 Tarent 196 Tarn et Garonne 39 Tarvis 85, 172f„ 176f., 180f„ 237, 244 Taucha b. Leipzig 122, 138, 210 Teglio 73 Teramo 1 7 6 , 2 2 1 , 3 3 0 , 3 3 9 Tirol 6 9 , 3 5 3 Terni 208 Torre Annunziata 107 Torre le Nocelle 109 Torremaggiore 186 Toscana 35,90 Trapani 330 Trecate 241 Trentino 50, 69, 131, 136
418 Treviso 79, 83, 106, 111, 130, 180, 235, 253, 262f„ 265f., 275, 279, 288, 290, 2 9 5 , 3 0 1 , 3 0 9 , 339 Trient 71, 114, 136, 178, 189, 193, 195, 221, 256, 262f„ 266, 275, 288-290, 295, 302, 309, 339, 369, 372 Triest 140, 220, 339, 371 f. Tschechoslowakei 51, 131 Turin 25, 33, 112, 151, 154, 197, 339, 369f. Udine 109, 114, 177f., 209, 262f., 266, 275, 288-290, 296, 301f„ 305, 309f., 324f„ 340 Uelzen 263 Ulm 263 Ungarn 5 1 , 2 8 6 Unteritalien 85 Valdagno 244f. Valdobbiadene 301 Valle Moncallo 209 Valli di Rabbi 70 Var 51 Varese 1 1 0 , 1 9 4 , 2 3 0 , 3 4 0 Varzo 176 Veltlin 73f. Venedig 63, 79, 83, 109, 262f„ 266, 275, 279, 288, 296, 299, 302, 309, 340 Venetien (Veneto) 23, 37f., 41f„ 44, 50, 68, 79f., 146, 226, 245, 256, 258 Verbania 235 Vercelli 24, 177, 209, 340, 371 f. Verden 263 Vereinigte Staaten von Amerika (USA — United States of America) 19f., 21, 24f., 30, 3 7 f . , 4 l , 114 Vermiglio 178 Verona 65, 97, 110, 113, 181, 193,229, 262f„ 266, 275, 278, 285, 289f., 296, 302, 305, 309, 325, 340, 373 Verzino 164
Geographisches
Register
Vicenza 63, 68, 79, 83, 146, 210, 243, 262f„ 266, 275, 278, 289f., 296, 299, 309f., 340 Vido 130 Vigevano 164 Vignola 235 Vigolo 100 Villa di Villa 72 Villa Tirano 74 Villach 177f., 180f„ 310 Villadossola 105 Vipiteno 167 Viterbo 340 Vittorio Veneto 301 Volta Mantovana 205 Voralpen 23 Vorarlberg 178,229 Wanzleben 288 Watenstedt b. Braunschweig 109, 163, 165,169 Weimar 262, 271 Weinheim 263 Weisenhöhe b. Nürnberg 192 Weißenfels 262 Werdohl 72 Westeuropa 17, 320, 328f„ 363 Westfalen 63, 72, 97, 106, 123, 142, 199, 315, 326 Westmark 284 Westpreußen 78 Wien 79, 85, 175, 178f., 182, 191, 197, 202, 207, 245,247, 249, 251 Wiesbaden 351 Wilhelmshaven 72, 315 Wolfenbüttel 130, 239 Wolfsburg 94 Worms 263 Würzburg 263 Zell in Tirol 234 Zenson di Piave 180
GUSTAVO CORNI / HORST G m s
Brot - Butter - Kanonen Die Ernährungswirtschaft in Deutschland unter der Diktatur Hitlers 1997. 644 Seiten Gb, DM 124,- / öS 905 - / sFr 1 1 0 ISBN 3-05-002933-1 Mit dieser übergreifenden Studie wird die erste Untersuchung über die Ernährungswirtschaft des "Dritten Reiches" vorgelegt, die sowohl die Friedens- als auch die Kriegsjahre umfaßt und die sich in weiten Teilen auf bisher unausgewertete Quellenbestände in Archiven West- und Ostdeutschlands stützen kann. Unter Ernährungswirtschaft verstehen die Autoren dabei mehr als nur reine Agrartechnologie oder Agrarstatistik. Vielmehr werden die politischen Rahmenbedingungen, die ideengeschichtlichen Traditionslinien und die sozialen Folgen der nationalsozialistischen Agrarpolitik in die Darstellung mit einbezoAus dem Inhalt: I. Ernährungswirtschaft als landwirtschaftliche Interessenpolitik - Programmatische Ungereimtheiten: Reagrarisierung oder Industrialisierung? - Interessenpolitische Kontinuitäten: Staatsintervention oder ständische Selbstverwaltung? II. Der Reichsnährstand als Organisation der NS-Ernährungswirtschaft - Die Entstehungsgeschichte - Die Organisationstruktur - Kompetenzstreitigkeiten und Machtkonflikte III. Die NS-Agrarmarktregulierung und ihre Folgen - Leitmotive und Ziele - Die Steuerung der Produktion von Nahrungsgütern in der Landwirtschaft - Die Lenkung der Nahrungsmittel auf dem Markt - Die Beeinflussung des Nahrungsmittelverbrauchs - Die Manipulation der Nahrungmittelpreise - Ernährungswirtschaft und Außenhandelsbilanz IV. Die deutsche Ernährungswirtschaft im Krieg - Die Umstellung von der Produktionsregelung zur Zwangsbewirtschaftung - Rationierung und Verbrauchsregelung - Märkte und Preise - Ausbeutung der besetzten Gebiete - Bilanz: Anteil der Ernährungswirtschaft an der Stabilität des Systems
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DIETRICH EICHHOLTZ
Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945 Band ΠΙ: 1943-1945 Unter Mitarbeit von H. Fleischer / M. Oertel / B. Puchert / Κ. H. Roth 1996. 803 S. - 164 Tab. - 1 Krt. Gb, DM 148,- / öS 1.080,- / sFr 130,ISBN 3-05-002751-7 Mit dem dritten Band seiner „Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft" schließt D. Eichholtz ein Werk ab, das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des ersten Bandes im Jahre 1969 eine Pionierleistung ersten Ranges darstellte und das auch heute noch, elf Jahre nach Erscheinen des zweiten Bandes, für sich beanspruchen kann, an der Spitze der Forschung auf dem Gebiet der deutschen Kriegswirtschaft zu stehen. Als Standardwerk hat es - auch dort, wo es Kontroversen auslöste - die Forschungstätigkeit zu dieser Thematik wesentlich angeregt und gefördert. Für die Zeit von Herbst 1943 bis zum Kriegsende - eine bisher noch nirgends umfassend dargestellte Periode- werden als erstes Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsorganisation behandelt, darunter der Einfluß der NS-Politik und NS-Ideologie und die Eingriffe politischer Institutionen in die wirtschaftlichen Abläufe. Es folgt eine auf der Basis bisher weithin unbekannten Materials erarbeitete, detaillierte Analyse der Produktionsentwicklung unter den zunehmend verheerenden, schließlich vernichtenden Wirkungen des alliierten Luftkrieges; erstmalig werden auch die deutschen Versuche beschrieben, sich in geheimgehaltenen Dokumenten ein Bild von dem wirtschaftlichen Kräfteverhältnis der beiden kämpfenden Koalitionen zu verschaffen. Die wirtschaftliche Katastrophe seit Januar 1945 und ihre sozialen Folgen werden in einem gesonderten Kapitel geschildert. Materialreiche Studien über die Arbeitskräftesituation und die Lage der Arbeiter, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge sowie eine Dokumentation über den Besatzungsalltag auf Kreta (H. Fleischer) vertiefen die Kenntnisse über wichtige Aspekte des Themas. Die Kapitel zum deutschen Außenhandel während des Zweiten Weltkrieges (B. Puchert), zu den wirtschaftlichen Nachkriegsplanungen (Κ. H. Roth) und zur Kriegsfinanzierung (M. Oertel) schließen relevante Forschungslücken und runden das Werk in idealer Weise ab. Aus dem Inhalt: I. Das Krisenjahr 1944. Klimax und Verfall der kriegswirtschaftlichen Organisation II. Kriegsproduktion. Zahlen und Analysen III. Arbeitskräftebeschaffung. Die Lage der Arbeiter (Studien) IV. Zerfall des Okkupationssystems (Studien) V. Der deutsche Außenhandel im Zweiten Weltkrieg VI. Wirtschaftliche Vorbereitungen auf das Kriegsende und Nachkriegsplanungen VII. Agonie und Katastrophe 1945 VIII. Die Kriegsfinanzierung
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